Alle Rechte vorbehalten.
Als die Verlagsbuchhandlung B. F. Voigt in Weimar im Juli 1887 mir den ehrenvollen Auftrag erteilte, von dem vormals hochangeſehenen Werke „ Vitalis, Lehrbuch der geſamten Färberei “eine Neubearbeitung nach dem heutigen Stande der Theorie und Praxis zu ſchaffen, habe ich mir die Schwierigkeiten eines ſolchen Unternehmens nicht verhehlt. Wenn ich nichtsdeſtoweniger den Antrag annahm, ſo war für mich dabei der Um - ſtand maßgebend, daß die Literatur über Färbereitechnik ohnehin ſpärlich geſäet iſt und daß vor allem in der letzten Sturm - und Drangperiode ſeit Entdeckung der Anilinfarben mit Ausnahme von Hummels „ The Dyeing of textile fabrics” kein einziges größeres, vor allem kein deutſches Werk über dieſen Wiſſenszweig erſchienen war, welches als Lehr - oder Handbuch für das Geſamtgebiet hätte gelten können. Die Literatur der letzten 30 Jahre bewegte ſich vorwiegend auf Sondergebieten und auch hier mit einer gewiſſen Einſeitigkeit, denn die fraglichen literariſchen Erſcheinungen ſind nichts anderes als Rezeptbücher, Sammlungen von Färbevorſchriften. So anerkennenswert und nützlich das für einzelne, eng begrenzte Zweige der Färberei auch ſein mag, ſo ſind ſolche Bücher doch als Hand - oder Lehrbücher, welche ein überſichtliches Bild des Geſamtgebiets geben ſollen, nicht brauchbar. Es beſtand ſomit ein thatſächlicher Mangel an einem Leitfaden oder einem Handbuche der Färberei, ſo daß Herr Profeſſor Dr. Lunge noch im Oktober 1887 ſchreiben konnte: „ Bei meinen Vorleſungen über Textilfaſern, Bleicherei, Färberei, Zeugdruck undVI Farbſtoffe empfand ich es ſtets als einen ſehr großen Uebelſtand, daß ich in der techniſchen Literatur durchaus keinen Leitfaden auffin - den konnte, der ſich dazu geeignet hätte, zur Unterſtützung und Ergänzung meiner Vorträge zu dienen ꝛc. “
Inzwiſchen iſt dieſem völligen Mangel an einem dem heutigen Stande der Wiſſenſchaft entſprechenden Lehrbuche durch die deutſche Ueberſetzung von Hummels obengenanntem trefflichen Werke abgeholfen worden.
Bei Durchſicht des Vitalisſchen Werkes ſtellte es ſich ſehr bald her - aus, daß von einer „ Neubearbeitung “von vornherein keine Rede ſein könne. Seit Erſcheinen der letzten Auflage des Vitalisſchen Buches hat die Färbe - rei eine ſo vollſtändige Umwälzung erfahren, wie nie zuvor; durch die epochemachende Erfindung der künſtlichen organiſchen Farbſtoffe iſt die Färbe - rei, früher ein ehrſames Handwerk, zu einem Zweige der chemiſchen Techno - logie emporgehoben worden. Dieſem völligen Umſchwunge hätte auch die weitgehendſte Umarbeitung des Vitalisſchen Werkes unmöglich Rechnung tragen können.
Der vorliegende Verſuch eines „ Handbuches der Färberei “iſt daher eine von dem Vitalisſchen Buche gänzlich unabhängige, durchaus ſelbſtſtändige Arbeit. Ich habe mich dabei von dem Gedanken leiten laſſen, mein Buch in einer ſo allgemein verſtändlichen Weiſe geſchrieben zu ſehen, daß es auch dem in der Chemie minder bewanderten Färber verſtändlich ſei, ohne dabei an wiſſenſchaftlichem Wert einzubüßen. Es iſt eine nicht abzuleugnende Thatſache, daß der Bildungsgrad der Färber heute nicht mehr derſelbe iſt, wie ehedem, und daß der Färberſtand mit dem Entwickelungsgange der moder - nen Färbereitechnik nicht entfernt Schritt gehalten hat, daß ſich vielmehr ein Mangel an wiſſenſchaftlicher Ausbildung fühlbar macht. Es mag das ſeinen Grund darin haben, daß Viele der Anſicht leben, mit dem früher hand - werksmäßig Erlernten auch noch jetzt die Färberei betreiben und die Fort - ſchritte der Chemie entbehren zu können; andererſeits trägt wohl das gänz - liche Fehlen eines Lehrbuches der Färberei durch volle 34 Jahre den größe - ren Teil dieſer Schuld. Sollte es meinem Handbuche beſchieden ſein, zur Hebung des Färbereigewerbes ſowohl in wiſſenſchaftlicher, wie in ſozialer Beziehung beizutragen, ſo iſt mein Wunſch erfüllt; denn gerade jener Mangel an wiſſenſchaftlicher Ausbildung, humaniſtiſcher, wie fachlicher, iſt es, welcher ſo viele unſerer alten Meiſter die Flinte ins Korn werfen läßt. SollteVII meine Arbeit von denjenigen Gelehrten und Lehrern, welchen der Unterricht in den chemiſch-techniſchen Fächern an polytechniſchen Hochſchulen, Gewerbe - und Fachſchulen obliegt, freundlich aufgenommen und nachſichtig beurteilt werden, ſo würde ich darin den ſchönſten Lohn für meine Mühe erblicken.
Was den Inhalt des Buches ſelbſt betrifft, ſo war ich zunächſt be - müht, einen Ueberblick über die jetzt gebräuchlichen Geſpinnſtfaſern zu geben, und diejenigen Eigenſchaften derſelben, deren Kenntnis für die Be - urteilung des Färbeprozeſſes von Wichtigkeit ſind, zu beſprechen und ihre Anwendbarkeit in der Färberei zu erklären. Dabei habe ich auch ſtatiſtiſche Angaben, welche die Wichtigkeit und Ausdehnung eines Induſtriezweiges kennzeichnen, eingeſtreut. — Sodann habe ich der Warenkunde eine ganz beſonders ſorgfältige Bearbeitung zu teil werden laſſen und habe da - bei, wenn die eigenen Erfahrungen nicht hinreichten, die verſtreuten An - gaben aus der deutſchen, franzöſiſchen, engliſchen und amerikaniſchen Litera - tur und Journaliſtik geſammelt und verwertet. — Im zweiten Teil habe ich die mechaniſche Technologie der Färberei an Hand der vielen für den Färbereibetrieb erdachten und gebauten Maſchinen vorzuführen verſucht; es iſt dies meines Wiſſens die erſte deutſche Arbeit auf dieſem noch wenig beachteten Gebiete. Bei dieſer Gelegenheit ſage ich denjenigen Fabriken, welche mich — da eine hierauf bezügliche Literatur überhaupt noch nicht exiſtiert — durch Vorlagen, durch Rat und Auskunft unterſtützt haben, meinen wärm - ſten Dank. — Die chemiſche Technologie enthält dann die Regeln und Grundſätze der praktiſchen Färberei. Ich habe dabei verſucht, dieſe Regeln und Methoden kritiſch zu prüfen und zu beleuchten, insbeſondere jene alten, vorſündflutlichen Vorſchriften, die auch heute noch das Evange - lium vieler Färber bilden, auf ihren wahren Wert zurückzuführen. Aber auch den neueren Vorſchlägen habe ich ſcharf ins Geſicht geſehen; wenn ich dabei Kritik geübt, ſo habe ich mich dabei lediglich an die Sache, nie - mals an die Perſon gehalten. Ich erhebe dabei meinerſeits keinen An - ſpruch auf Unfehlbarkeit. Wenn ich irgendwo eine abweichende Anſicht aus - geſprochen und motiviert habe, ſo geſchah es lediglich im Intereſſe der Sache ſelbſt; ich werde mit Dankbarkeit jede Entgegnung aufnehmen, welche die etwaige Unhaltbarkeit meiner Gründe ſachlich und überzeugend darzu - legen vermag, um ſo durch Rede und Widerrede dem Ziele immer näher zu kommen, dem wir wohl Alle zuſtreben: der Wahrheit!
VIIIUm bei dem bedeutenden Umfange des Buches ein Auffinden der ein - zelnen Punkte weſentlich zu erleichtern, habe ich außer dem Inhaltsverzeichnis ein äußerſt ſorgfältiges Sachregiſter ausgearbeitet; ich habe auch, ſoweit das irgend möglich war, die alten, oft recht unſinnigen Namen im Buche und im Sachregiſter berückſichtigt, um ſo der älteren noch lebenden Generation wenigſtens die Möglichkeit zu gewähren, einen Anknüpfungspunkt zu finden zwiſchen dem einſtigen handwerksmäßigen Färben und der heutigen modernen Färberei.
Und ſomit übergebe ich meine Arbeit der Oeffentlichkeit. Das Buch iſt entſtanden aus der Abſicht, zu der ſo dringend notwendigen Hebung der fachlichen Ausbildung das Seine beizutragen. Möge es ſeinen Zweck überall erfüllen!
Dresden, Juni 1889.
Der Verfaſſer.
Der Zweck der Färberei iſt die Einlagerung von Farbſtoffen in die Geſpinnſtfaſern, damit dieſe letzteren eine von ihrer urſprünglichen Natur - farbe abweichende Farbe annehmen. Das eigentliche Weſen der Färberei liegt in der Einlagerung des Farbſtoffes, in einem vollſtändigen Ein - dringen in und einem Durchdringen durch die Elemente der Geſpinnſt - faſer. Dadurch unterſcheidet ſich die Färberei ſcharf von der Malerei, bei welcher ja auch Farbſtoffe auf Gewebefaſern und Gewebe aufgetragen wer - den. Die Dekorationen der Theater werden mit den prächtigſten und wir - kungsvollſten Farben bemalt; die herrlichſten Farbenzuſammenſtellungen in den feinſten Abtönungen bis zur einfachſten und gewöhnlichſten Farbe haben wir auf unſern Tapeten; ſtimmungsvoller, und darum gewiſſermaßen noch ſchö - ner, wirken Oel - und Aquarellgemälde; ähnlich, nur minder kunſtreich, wirken die farbigen Wachstuche. In allen genannten Fällen kommen Gewebe mit Farbſtoffen in Berührung; aber die Farben ſind nicht in die Elemente der Gewebefaſer eingelagert, ſondern ſie liegen nur loſe und locker auf der Faſer auf, ſie ſind mittels mechaniſchen Auftragens auf den Geweben be - feſtigt und haften darauf lediglich mechaniſch infolge der Adhäſion, wie ſie ſich auch durch rein mechaniſche Mittel (Reiben, Klopfen, Bürſten, Eintau - chen in Waſſer u. dergl. ) wieder entfernen laſſen.
Minder ſcharf unterſcheidet ſich die Färberei von der Druckerei der Gewebe, dem Zeugdruck. Auch hier haben wir Gewebe und Farbſtoffe; durch die mancherlei Operationen beim Zeugdruck wird der auf dem Gewebe anfangs mechaniſch loſe aufliegende Farbſtoff zum Eindringen in die Faſer genötigt. Der weitere Verlauf der Zeugdruckoperationen aber ſorgt dafür, daß dieſes Eindringen in die Gewebefaſer nur ein oberflächliches iſt, ſo daß von einem vollſtändigen Durchdringen des Gewebes keine Rede ſein kann. A. v. Wagner bezeichnet den Zeugdruck noch als eine „ örtliche Färberei “, was er zweifellos nicht iſt; denn, abgeſehen von dem nur teil - weiſen Eindringen des Farbſtoffes in die Faſer, wird derſelbe durch allerlei chemiſche Zuſätze (Verdickungsmittel) an einem eigentlichen Durchdringen der Faſer direkt verhindert.
1*4Nach dem bisher Geſagten ergibt ſich nunmehr für den Begriff der Färberei folgende Erklärung: Die Färberei umfaßt die voll - ſtändige Durchdringung von Geſpinnſtfaſern oder Geweben mittels Farbſtoffen in löslicher Form, mit der Bedingung, daß die Einlagerung des Farbſtoffes ſelber in die Elemente der Gewebefaſer in unlöslicher Form ſtattfinde.
Alle Arbeiten, welche dieſem Zwecke dienen, und zwar ſowohl diejenigen, welche die Gewebefaſer oder die Gewebe für die Aufnahme eines Farbſtoffes geeignet machen und vorbereiten ſollen, als auch die verſchiedenartigſten Opera - tionen, um eine Durchtränkung des Gewebes mit dem Farbſtoffe, ſowie die Methoden, welche die Befeſtigung derſelben auf der Faſer bezwecken, bilden das Gebiet der Färberei im engeren Sinne. Im weiteren Sinne gehört dazu noch die unentbehrliche Kenntnis der Gewebefaſern und Gewebe (Gewebe - kunde), der chemiſchen und phyſikaliſchen Eigenſchaften, Erkennung und Prü - fung der Farbſtoffe (Farbwarenkunde), der Eigenſchaften der im Färberei - betrieb vielfach verwendeten chemiſchen Stoffe (Chemikalienkunde), und end - lich die Kenntnis der dabei in Betracht kommenden Maſchinen, Apparate und Inſtrumente (Maſchinenkunde). Das hier in kurzem zuſammengefaßte Geſamtgebiet bildet den Inhalt dieſes Buches.
Ueber die Urſachen, welche die Färberei von Geweben herbeigeführt haben, iſt in den Schriften der Alten nichts zu finden. Eine zwingende Notwendigkeit dazu lag jedenfalls nicht vor, ſo wenig wie ſie heute vorlie - gen würde. Wir verwenden große Mengen Leinen - und Baumwollengewebe im gebleichten Zuſtande ungefärbt, wir verwenden die Jute ſogar zum Teil ungebleicht, desgleichen das Wollhaar. Ich erinnere nur an die „ Normal - “Kleider nach dem famoſen „ Syſtem Jäger “. Dieſe „ naturbraunen “Ge - webe, welche jetzt ſogar „ modefarben “geworden ſind, gehören heute zum guten Ton; aber es iſt noch niemandem eingefallen, dieſe neueſte Modethor - heit auch der Färberei zugängig zu machen. Ein Bedürfnis dazu liegt ent - ſchieden nicht vor, und die naturbraunen Gewebe erfüllen nicht nur ihren Zweck vollkommen, ſondern ſie werden ſogar noch in Hinſicht ihrer Farbe vielfach nachgeahmt.
Es bleibt mithin nur die Annahme übrig, daß die Sucht, ſich mit Farben zu ſchmücken, die erſte Veranlaſſung zur Färberei geweſen iſt. Die - ſer merkwürdige Hang iſt allen Naturvölkern eigen und gibt ſich in jenen Klimaten, welche eine eigentliche Bekleidung unnötig machen, durch Bemalen des Körpers, durch Tättowieren und durch Ausſchmücken mit den bunten Federn der Vögel kund. Noch heute verkaufen die Naturvölker der Inſeln des Stillen Ozeans, wie weiland Eſau ſeine Erſtgeburt für ein Linſenge - richt, ſo ihrer Seelen Seligkeit für einen Lappen buntes Tuch.
Es iſt alſo wohl das Färben im Altertum als ein Zugeſtändnis an den Schönheitsſinn aufzufaſſen. Möglicherweiſe mag auch die Erwägung maßgebend geweſen ſein, ſich durch Farben voneinander zu unterſcheiden.
Von einer Entdeckung oder Erfindung der Färberei kann ſomit nicht geſprochen werden; vielmehr iſt anzunehmen, daß, wie in ſo vielen Fällen, der Zufall die Hauptrolle geſpielt hat. Es brauchte nur ein Coccus-Weib -5 chen in faulenden Harn zu fallen und ein Stück eines Byſſusgewebes in denſelben geweicht zu werden, ſo waren die Bedingungen der Purpurfärbung gegeben, und die Sache konnte „ zum Patent angemeldet werden “. In der That ſcheint die Purpurfarbe die älteſte und erſte geweſen zu ſein; ſchon in den Büchern Moſis finden ſich purpurne Stoffe erwähnt, und die Ge - wänder des Hohenprieſters waren nach göttlichem Befehl aus ſolchen Stoffen zu fertigen, wie denn überhaupt purpurne Gewänder als Attribut fürſtlicher und prieſterlicher Würde galten; im Plutarch findet ſich eine Notiz, daß Alexander im Lager des Darius purpurfarbene Gewebe gefunden habe, welche 200 Jahre vorher ſchon gefärbt, dabei aber noch von außerordentlicher Schönheit waren, ein Beweis, daß man bereits in jenen weit zurückliegen - den Zeiten einen ſehr echten purpurroten Farbſtoff gekannt. Man färbte vorzugsweiſe die Wolle, dann erſt wurde ſie verarbeitet. Homer ſpricht vom „ Spinnen der Purpurwolle “. Die Aegypter gingen ſogar ſo weit, daß ſie die Wolle auf den lebenden Schafen mit Purpur färbten. Plinius nennt mehrere Schafſorten, welche durch die Naturfarbe ihrer Wolle be - rühmt waren, die ſpaniſchen ſchwarz, die von den Alpen weiß, die erythrä - iſchen und bätiſchen rot, die kaneſiſchen gelb, die tareatiniſchen gelblich. Auch die Kunſt des Lederfärbens verſtanden die Aegypter bereits, wie das die Zeichnungen der farbigen ledernen Helme auf den Bildern der Pyramiden zweifellos beweiſen. Schon vor mehr als 3000 Jahren hat man Gewebe ſchön und echt zu färben verſtanden; insbeſondere beſaßen im Altertum die beiden Städte Tyrus und Sidon einen weitverbreiteten Ruf wegen ihrer ſchönen Gewebe. Die Bibel erzählt, daß der weiſe König Salomo ſich aus Tyrus habe Stoffe kommen laſſen von purpurner, ſcharlachroter und blauer Farbe, Stoffe, deren Farbe erſt mit dem Gewebe zu Grunde ging. Die Farben, welche im Altertum zum Färben dienten, ſcheinen demnach von weit größerer Lichtechtheit geweſen zu ſein, als die heute üblichen. Leider wiſſen wir wenig oder nichts davon, welche Stoffe damals zum Färben be - nutzt worden ſind; nur bezüglich des Purpurs ſcheint es, daß man ſich der Purpurſchnecken bedient hat. Wenigſtens berichtet Mullerus, daß man aus zwei Muſchelarten, Murex brandaris und Purpura capillus, Purpur bereitet habe. Wolters berichtet, daß die Phönicier den Saft zweier Purpur - ſchnecken gewannen, die eine buccinum, die andere pelagia genannt, und daß ſie 12 Purpurfarben kannten, vom purpurangehauchten Weiß bis zum Purpurſchwarz der ſchwarzen Roſen. Am teuerſten, zehnmal ſo teuer als alle andern, war der tyriſche; um die Zeit vor Chriſti Geburt koſtete ein Pfund tyriſche Purpurwolle mehr als 1000 Denar (300 Mark). Später waren die Phönicier die eigentlichen Träger der Färberei; von ihnen wiſſen wir, daß ſie die Krappwurzel bereits gekannt haben, ſowie auch Scharlach - beeren, Cochenille, Waid und Kreuzbeeren zu gebrauchen verſtanden. Dieſe Farben hießen im Gegenſatz zu den Purpurfarben terreniſche Farben. Durch die Phönicier iſt die Färberei auch zuerſt nach Europa gekommen, und beſonders in Griechenland gepflegt worden, wo man Seide, Wolle und einige Pflanzen - faſern bereits zu färben verſtand. Von hier teilte ſie ſich den Römern mit. Plinius berichtet, daß die Parteien bei den circenſiſchen Spielen ſich durch Farben unterſchieden haben, und nennt ausdrücklich Grün, Orange, Grau und Weiß. Dieſe Induſtrie wurde durch die ſpätern Einfälle der Barbaren vernichtet und erſt gegen das Ende des 13. Jahrhunderts tauchen wieder Nachrichten auf. Dieſesmal war Florenz und die venetianiſche Republik6 der Sitz der Färberei, wie der Textilinduſtrie überhaupt, und die Färbereien von Florenz, wie die venetianiſchen Stoffe, waren im Mittelalter ſehr be - rühmt.
Die nun folgende Entdeckung Amerikas brachte einigen Umſchwung in die Technik der Färberei: man lernte die Farbhölzer kennen. Dieſe neue Entdeckung hat viel zur Verbreitung der Färberei beigetragen, und bald entſtanden auch in andern Ländern Europas Färbereien. 1540 erſchien in Venedig das erſte Werk über Färberei von Giovanni Ventura Roſetti. Kurz darauf kam der erſte Indigo nach Europa; da man jedoch von ſeiner Verwendung eine Schädigung der einheimiſchen Waidkultur befürchtete, wurde ſeine weitere Einführung verboten und die vorhandenen Vorräte zerſtört. Von da ab bewegt ſich der Entwickelungsgang der Färberei in ziemlich einför - migem Geleiſe. Nur wenig Neues wurde entdeckt: Drebbel entdeckte 1650 ein Verfahren, mittels Cochenille und Zinnſalz Scharlach zu färben. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts führte Gobelin die Färberei in Frankreich ein; um das Jahr 1770 entſtanden die erſten Türkiſchrotfärbereien. 1785 erfand Saint-Evron ein neues Zinnpräparat, um das Krapprot lebhaf - ter zu machen.
Seit dieſer Zeit, wo die Chemie, fußend auf den Forſchungen franzöſi - ſcher, ſchwediſcher, engliſcher und deutſcher Gelehrten, ſich zu einer eigenen Wiſſenſchaft ausbildete und ſich ſchnell entwickelte, ſeit dieſer Zeit datiert zuerſt ein gewiſſer Einfluß der Chentie auf die Färberei. Es ſind jetzt genau 100 Jahre her, daß zum erſtenmale das Chlor zum Bleichen Ver - wendung fand (eine Erfindung Berthollets). Seitdem ſind eine Unmenge neuer Farbmittel, beſonders pflanzlichen Urſprungs, in Gebrauch genommen worden, und die Chemie kargt nicht mit immer neuen Stoffen, welche bald als Farbſtoffe ſelbſt, meiſt aber als Beizen und zur Erzeugung von Farb - ſtofflacken Verwendung fanden. Um jene Zeit erſchien auch das erſte größere Werk über Färberei. 1825 veröffentlichte Vitalis, Profeſſor der techniſchen Chemie, ſein Werk: „ Cours élémentaire de teinture et sur l’art d’impri - mer les toiles”, welches bald darauf im Verlag von B. F. Voigt in Weimar in deutſcher Ausgabe erſchien, und im Jahre 1854 unter der Lei - tung von Dr. Chr. H. Schmidt eine ſechſte Auflage erlebte. Dieſes Werk gibt ein klares Bild von der Entwickelung der Färberei in der genannten Zeit; aber das gewonnene Bild iſt unendlich verſchieden von dem Bilde des heutigen Standes der Färbereiwiſſenſchaft. In dem Werke iſt das Wörtchen Anilin noch nicht einmal erwähnt; man färbte eben noch nach alten bekannten Methoden und arbeitete meiſtens aufs Geratewohl, höchſtens mit neuen Metallſalzen neue Töne zu erzeugen verſuchend. Nun aber folgte die Entdeckung des Anilins, welche eine vollſtändige Umwälzung in der Färberei - technik hervorgerufen hat.
Die erſte Entdeckung des Anilins ſtammt aus dem Jahre 1826, wo Unverdorben dasſelbe unter den Produkten der Deſtillation des Indigos auffand, ohne indeſſen von der Wichtigkeit ſeiner Entdeckung die geringſte Ahnung zu haben. Er nannte es Kryſtallin. 1833 fand Runge das - ſelbe im Steinkohlenteer. Dieſem Chemiker war auch bereits die Eigen - ſchaft des neu entdeckten Stoffes bekannt, mit Chlorkalklöſung eine prächtig7 blaue Farbe zu geben, weshalb er demſelben den Namen Kyanol (Blauöl) gab; er ſoll auf Grund dieſer Reaktion der damaligen preußiſchen Regierung den Vorſchlag gemacht haben, das „ Kyanol “im großen Maßſtabe herzu - ſtellen, mit ſeinem Vorſchlage jedoch abgewieſen ſein. v. Fritzſch ſtellte 1841 zuerſt ſeine Zuſammenſetzung feſt, und nannte dasſelbe, da er es aus Anil (die portugieſiſche Bezeichnung für Indigo) gewonnen hatte, Anilin, welcher Name ſich bis heute erhalten hat. Bis hierhin hat die Entdeckung des Anilins noch keine Wichtigkeit, ſondern mehr theoretiſches Intereſſe. Das wurde anders, als es 1842 gelang, Anilin in größern Mengen zu bereiten. Zinin fand durch Zufall eine ganz neue Methode zur Bereitung von Anilin aus Nitrobenzol durch Behandeln mit Schwefelwaſſerſtoff, welches Verfahren ſpäter durch das von Béchamp (Behandlung mit Eiſenfeile und Eſſigſäure) verdrängt worden iſt. Durch die Beſchaffung größerer Mengen von Anilin war die Möglichkeit der Weiterentwickelung der bislang bekannten Farben - reaktionen gegeben.
1856 ſtellte Perkin zuerſt das Mauveïn, den erſten wirklichen Anilinfarbſtoff, dar. Dem Mauveïn folgte drei Jahre ſpäter das Fuch - ſin; Verguin, Chemiker in Lyon, ſtellte dasſelbe durch Einwirkung von Zinnchlorid auf das Anilin des Handels dar. Girard und de Laire haben ſpäter ſtatt der Einwirkung von Zinnchlorid das Arſenſäureverfahren einge - führt. Mit der fabrikmäßigen Bereitung des Fuchſins war eine neue In - duſtrie geſchaffen worden, die Teerfarbeninduſtrie, welche heute tauſende fleißiger Hände beſchäftigt. Gleichzeitig damit beginnt aber für die Färberei eine neue Zeit, denn die neuen Anilinfarben beſaßen für Seide und Wolle eine ſo große Anziehungskraft, daß das Färben dieſer Geſpinnſtfaſern auf die denkbar einfachſte Weiſe, ohne alle Beizen, von ſelbſt vor ſich ging. Auch gaben die neuen Anilinfarben bis dahin nicht gekannte feurige Farbeneffekte und ſtachen dadurch gegen die bisher bekannten, meiſt durchgehends ſtumpfen Holzfarben vorteilhaft ab.
Es folgten nun die Arbeiten A. W. Hofmanns, den man mit gutem Gewiſſen als den Vater der Anilinfarbenchemie bezeichnen kann. 1862 ent - deckte derſelbe das nach ihm benannte Hofmanns Violett, kurz darauf das Hofmanns Grün. Während die ſämtlichen bisher genannten Anilin - farben von Chemikern gefunden ſind, iſt es nur recht und billig, auch der Verdienſte eines franzöſiſchen Färbers zu gedenken, Cherpin, der in dem gleichen Jahr das Aldehydgrün entdeckt hatte. Von da ab beginnt eine ununterbrochene Reihe von Entdeckungen und Erfindungen; jedes Jahr brachte neue Farbſtoffe, und gleichzeitig machte die Kenntnis der eigentlichen Zu - ſammenſetzung dieſer neuen Farbſtoffe immer neue Fortſchritte, ſo daß es gelang, bisher nur natürlich vorkommende Pflanzenfarbſtoffe künſtlich darzu - ſtellen. Nur kurz möge es geſtattet ſein, die Erfindungen namhaft zu machen: 1861 erſchienen die Lauthſchen Farbſtoffe, 1863 entdeckte Light - foot das Anilinſchwarz; 1865 Roth das Phenylbraun; 1866 Martius das Martiusgelb; 1867 Schiendl das Magdalarot; 1869 Perkin das Safranin; 1869 ſtellten Graebe und Liebermann das Alizarin künſtlich dar und lenkten damit die Krappfärberei in völlig neue Bahnen. 1874 entdeckte Caro das Eoſin. Mit dem Jahr 1876 erſchienen zum erſtenmal die Azofarbſtoffe, allen voran als erſter das von O. N. Witt entdeckte Chryſoidin, welchen bald eine ganze Anzahl orangegelber und roter Azo - farbſtoffe folgte. 1877 entdeckte Döbner das Malachitgrün, annähernd8 gleichzeitig O. Fiſcher das Bittermandelölgrün. 1879 gelang Bayer die Syntheſe des Indigos. Seitdem hat faſt jeder Monat neue Farbſtoffe gebracht, welche teils direkt zum Färben verwendet werden können, teils als Ausgangsmaterial zur Bereitung weiterer Farbſtoffe dienen. Die einzelne Aufzählung aller dieſer neuen Farbſtoffe würde zu weit führen; nur die wirklich wichtigen mögen erwähnt werden. Es gehören dahin das von Strobel entdeckte Alizarinorange, das von Prud’homme dargeſtellte Alizarinblau und die im Jahre 1886 von der Bad. Anilin - und Soda - fabrik in den Handel gebrachten Alizarinfarben, das von Oehler in den Handel gebrachte Tuchrot, das von Bindſchedler und Buſch ein - geführte Tartrazin, das von Boetticher entdeckte Congorot, die von der Aktiengeſellſchaft für Anilinfabrikation eingeführten Benzidinfarbſtoffe Benzopurpurin, Flavophenin, Benzoazurin und Azoblau, welche durch ihre Eigenſchaft, Baumwolle ohne Beize echt zu färben, und ſogar ihrerſeits ſelbſt als Beize für anderweite Farbſtoffe zu dienen, mit Recht Aufſehen erregt haben; das von Caſſella & Comp. eingeführte Naphtol - ſchwarz, das Wollſchwarz der Aktiengeſellſchaft für Anilinfabrikation, das Azarin von Meiſter, Lucius und Brüning, die 1887 von Leonhard & Comp. in Mühlheim (Heſſen) eingeführten Farbſtoffe Heſſiſch - gelb und Heſſiſchpurpur, das 1888 von der Bad. Anilin - und Soda - fabrik in den Handel gebrachte Rhodamin, ſowie endlich die im Herbſt 1888 von Brooke, Simpſon und Spiller in den Handel gebrachten Ingrainfarben.
Gleichen Schritt mit der Entdeckung neuer Farben und neuer Färbe - methoden hielt die Entwickelung der Maſchinentechnik; während früher die Färberei ganz oder zum großen Teil auf Handarbeit beruhte, wird jetzt ein großer, wenn nicht der größere, Teil durch Maſchinen beſorgt, welche ihrer - ſeits wieder auf die weitere Entwickelung der Färberei einen weſentlichen Einfluß geübt und ihr beſonders im Großbetriebe ein ganz anderes Gepräge verliehen haben.
Endlich hat auch die Gewebetechnik durch eine Anzahl neuer Gewebe, ſowie der Handel durch die Einführung neuer Geſpinnſtfaſern einen nicht unbedeutenden Einfluß auf den Entwickelungsgang der Färberei gehabt, der - geſtalt, daß, wenn wir heute die Färberei betrachten, ſie uns nicht mehr als ein einfaches Handwerk erſcheint, was ſie noch vor 20 Jahren war, auch nicht als eine Kunſt, ſondern als ein eigener Zweig der chemiſchen Induſtrie. Dieſer Entwickelungsgang der Färberei bringt es logiſcherweiſe mit ſich, daß der praktiſche Färber ſich in Zukunft weit mehr als bisher der Chemie wird zuwenden müſſen, da er andernfalls Gefahr läuft, zum Gehilfen und Handlanger des Chemikers herabzuſinken, mindeſtens aber eine untergeordnete Rolle zu ſpielen. Möchten dieſe in der beſten Abſicht ge - ſprochenen und dem warmen Intereſſe des Verfaſſers für das Fach ent - ſprungenen Worte doch beherzigt werden.
Für einen Färber, der etwas Tüchtiges in ſeinem Fache leiſten will, iſt nicht allein eine Kenntnis der Farbſtoffe, mit denen er umgeht, notwen - dig, ſeine Kenntniſſe müſſen ſich auch auf die Materialien erſtrecken, welche9 thatſächlich zum Gefärbtwerden in Betracht kommen, er muß ſich auch mit den Stoffen vertraut machen, welche ihm zum Färben übergeben werden können. Dabei handelt es ſich keineswegs etwa bloß um Kleiderſtoffe, ſon - dern um eine nicht unbedeutende Anzahl von Materialien, welche teils tieri - ſchen, teils pflanzlichen Urſprungs ſind. Von dieſen bilden einzelne förmliche Spezialfächer in dem großen Gebiet der Färberei, wie aus dem Nachfolgenden leicht erſichtlich werden wird.
1. Zu färbende Stoffe tieriſchen Urſprungs. Die hierher gehörenden Stoffe ſind, mit alleiniger Ausnahme der Cocons der Seiden - raupe, Oberhautgebilde oder Trichomgebilde des lebenden Tieres, welches in dieſem Falle (wie die Angoraziege, oder das ruſſiſche Kaninchen) im vollſten Sinne des Worts „ ſeine Haut zu Markte trägt “, indem die Haut ſamt der Behaarung zum Färben gelangt. Dieſer beſondere Zweig der Färberei iſt die Rauchwarenfärberei, Pelz - oder Fellfärberei. — Häufig wird auch die von den Haaren befreite und dann gegerbte Haut dem Färben unterworfen; dieſer gleichfalls ſehr bedeutende Zweig der Färberei iſt die Lederfärberei, welche ſpeziell in der Färberei von Handſchuhleder ein weites Feld umfaßt. Weit ſeltener iſt der Fall, daß bloß die Haare allein gefärbt werden. Nur ausnahmsweiſe geſchieht das am lebenden Körper ſelbſt, und dann am menſchlichen Kopfhaar, um das Bleichwerden des Haares, das Zeichen des Alters, zu verdecken: Haarfärberei. Um ſo ausgedehn - ter iſt das Gebiet des Färbens der Haare von Haſen, Ziegen und Kanin - chen, nachdem dieſelben mittels beſonderer Operationen zu Hutfilz verar - beitet ſind, als Haarfilzfärberei. Weniger bekannt iſt die ſtellenweis ſehr bedeutende Verwendung von Rinderhaaren, Hundehaaren und ähnlichem geringwertigem Material zu ſogen. Holländer - oder Haargarnen, welche in der Teppichfabrikation eine nicht unbedeutende Rolle ſpielen und dabei auch gefärbt werden: Haargarnfärberei.
Stammten die bisher betrachteten Oberhautgebilde von Säugetieren ab, ſo liefern die Vögel mit ihren Federn ein nicht minder großes Kontingent zu färbender Materialien, und die von Jahr zu Jahr zunehmende Verwen - dung von Schmuckfedern hat eine eigene Induſtrie, die Federnfärberei, ins Leben gerufen.
Felle, Leder, Haare und Federn zuſammen verſchwinden aber hinſicht - lich der zum Färben verwendeten Mengen gegenüber den beiden Hauptver - tretern animaliſcher Rohſtoffe für Färbereizwecke: Wolle und Seide. Dieſe finden weiter unten ausführliche Beſprechung.
Der Ausführlichkeit wegen ſei hier noch auf ein tieriſches Produkt auf - merkſam gemacht, welches in früheren Zeiten in gewiſſem Anſehen ſtand: die Byſſusfäden, haar - oder fadenähnliche Auswüchſe am Fuße vieler Muſcheln, mit Hilfe deren ſie ſich auf dem Meeresboden anheften. Der - artige Muſcheln ſind beſonders im Mittelmeere heimiſch und heute noch werden in Italien aus dieſem Byſſus Gewebe gefertigt.
2. Zu färbende Stoffe pflanzlichen Urſprungs. Wenn die Rohſtoffe tieriſchen Urſprungs vorwiegend die äußerſten Schichten oder Aus - wüchſe des Tierkörpers vorſtellen, ſo iſt bei den Rohſtoffen pflanzlichen Ur - ſprungs meiſt das Umgekehrte der Fall. Mit Ausnahme der Baumwolle, welche die Samenhaare des Baumwollſamens vorſtellt, entſtammen die übri - gen pflanzlichen Rohſtoffe dem Innern des Pflanzenkörpers, und ſtellen10 Zellen oder Zellgewebe vor, welche im Pflanzenreiche als „ Gefäße “bezeichnet werden; insbeſondere ſind es die langen Faſerzellen des Baſtes und des Holzes, welche als Baſtfaſer oder Holzfaſer figurieren. In dieſe Klaſſe der Baſtfaſern und Holzfaſern zählt die Flachsfaſer, die Hanffaſer (kurzweg Flachs oder Hanf genannt), die Jute und die Ramié - oder Neſſel - faſer.
Zu den vegetabiliſchen Rohſtoffen zählt außer den genannten Geſpinnſt - faſern auch noch das Stroh, welches, für die Strohhutfabrikation verwendet, zu Strohgeflecht verarbeitet wird und als China - oder Mottledgeflecht das Halbfabrikat für die Strohgeflechtfärberei bildet.
Seltener kommt es vor, daß ganze Pflanzenteile, ja ſogar ganze Pflan - zen, welche entweder an und für ſich farblos oder ſaftarm ſind, gefärbt wer - den; ſolches iſt beſonders der Fall bei den Blütenſtänden der Gräſer, welche zur Herſtellung von Makartbouquets dienen und bei einzelnen Mooſen. Ebenſo ſelten iſt das Färben des Holzes.
Bei weitem die wichtigſten vegetabiliſchen Rohſtoffe ſind Baumwolle und Leinen, welche weiter unten ausführlich behandelt werden.
Nächſt den Gewebefaſern und den zum Färben derſelben nötigen Farb - ſtoffen muß der Färber noch mit allen denjenigen chemiſchen Stoffen ver - traut ſein, welche er häufig braucht, ſei es, um die Farbſtoffe auf der Ge - webefaſer zu befeſtigen, oder um die Gewebefaſern für den Färbeprozeß vor - zubereiten, ſei es, um ſie zu reinigen, oder ihnen ein beſonderes Anſehen oder einen beſondern Griff zu geben.
Endlich bedarf er der Kenntnis einer gewiſſen Anzahl von Maſchinen, welche in den verſchiedenen Entwickelungsſtadien des Färbevorganges eine leichtere Handhabung und eine ſchonendere Behandlung der Geſpinnſtfaſern bezwecken, oder für andere Hilfs - und Nebenarbeiten im Färbereibetriebe notwendig oder wünſchenswert ſind.
An der Hand dieſes Entwickelungsganges behandelt dieſes Handbuch in den nächſten drei Hauptabſchnitten:
um dann zur eigentlichen Färberei überzugehen.
Von allen dem Tierreiche entſtammenden Geſpinnſtfaſern iſt die Wolle die am meiſten verbreitete und wichtigſte. Unter Wolle verſteht man das aus Horngewebe beſtehende, haarähnliche, feine, wellen - förmig gekräuſelte, ſich ineinander filzende, meiſt hellfarbige Oberhautgebilde einer Anzahl von Säugetieren, z. B. des Schafes, einzelner Ziegenarten und Kameelarten. Einzelne Autoren rechnen die Wolle zu den Haarbildungen, aber mit Unrecht. Chemiſch ſind Haar und Wolle gar nicht unterſchieden. Vergleicht man dagegen beide nach ihren allgemei - nen Eigenſchaften, ſo ergeben ſich folgende Unterſchiede: Haare ſind durch - gehends länger, auch von größerer Dicke; ſie ſind mehr ſteif und ſtraff und laſſen ſich weniger leicht kräuſeln und verfilzen; die Wolle dagegen iſt ſtets feiner, weicher, ſelbſt bei ziemlicher Länge, und von großer Biegſamkeit und Elaſtizität, ſowie von eigenem Glanz; ſie verfilzt ſich leicht und iſt von hellerer Farbe. Dieſe genannten Eigenſchaften ſind zugleich maßgebend für die Beurteilung des Wertes der Wolle; je weiter ab ſich dieſe von der Na - tur des Haares entfernen, um ſo wertvoller iſt die Wolle; jemehr ſie ſich der Natur des Haares nähern, deſto weniger geſchätzt iſt ſie. Natürlich gibt es hinſichtlich dieſer Eigenſchaften keine haarſcharfe Grenze zwiſchen Haar und Wolle; es exiſtieren Haare, die ſo fein ſind, daß ſie als Wolle gelten können, und es gibt Wolle, die ſo wenig Kräuſelung zeigt, daß ſie als Haar betrachtet werden kann.
Wohl aber gibt es einen durchaus charakteriſtiſchen Unterſchied zwiſchen Haar und Wolle, welcher ſich unter dem Mikroſkope ſofort zeigt: Haare zeigen eine mehr oder minder cylinderförmige, lange glatte Außenfläche, die Wolle aber zeigt auf ihrer Außenfläche Zellen in Form von dachziegelartig ſich deckenden hornartigen Plättchen oder Schuppen von unregelmäßiger Ge - ſtalt (Fig. 1). Die Wollfaſer erſcheint ſomit wie von einer ſchuppigen Rinde umgeben; dieſes Aeußere iſt ſo eigenartig und ſo bezeichnend für die Woll - faſer, daß ſie dadurch mit Leichtigkeit von allen andern Gewebefaſern zu unterſcheiden iſt. Dieſe ſchuppige Oberfläche der Wollfaſer iſt zugleich die12
Schafwolle.
Urſache des rauhen Anfühlens der Wolle und verleiht ihr die Fähigkeit, ſich zu filzen; dieſe Fähigkeit zeigt ſich in erhöhtem Maße bei der gleichzeitigen Behandlung von knetendem Druck und heißem Waſſerdampf, wie das beim Walken der Fall iſt.
Bei genauerer Betrachtung unter dem Mikroſkop zeigen ſich drei verſchiedene Schichten: 1. Die ſchon oben als der Wollfaſer eigentümlich bezeichneten ſchuppigen Plättchen (Epithelſub - ſtanz). 2. Die darunter liegende eigentliche, entweder farbloſe oder farbige Faſerſubſtanz. 3. Die Markſubſtanz. Während die beiden erſteren ſtets vorhanden ſind, kann die letzte (wie z. B. bei Merinowolle) fehlen, oder aber (wie bei der Vicunnawolle) beſonders ſtark entwickelt ſein.
Herkunft. Von den Tieren, welche uns die Wolle liefern, ſind zu nennen:
1. Das Schaf (Ovis aries) mit ſeinen verſchiedenen Abarten. Die - ſes liefert die Schafwolle. Als beſonders hervorragend gilt das Merino - ſchaf, deſſen Wolle bis vor etwa 100 Jahren als die feinſte und beſte galt. Das Merinoſchaf iſt in Spanien heimiſch und zeichnet ſich durch ganz gleichmäßige, fein gekräuſelte Wolle aus, ohne mit ſtärkern Wollfaſern durchmiſcht zu ſein. Die Vorzüglichkeit der Merinowolle Fig. 2 war die Urſache der in allen Ländern Euro - pas, Amerikas, Afrikas und Auſtraliens emporblühenden Merinozüchterei. 1765 erhielt der Kurfürſt von Sachſen die erſten Merinoſchafe aus Spanien, und noch heute blüht in Sachſen die Me - rinozüchterei (z. B. auf dem Königl. Kammergute Lohmen).
Heute kommt die größte Menge Wolle aus Rußland, dann folgt Nord - amerika, dann Auſtralien; in Europa nimmt Deutſchland erſt die ſechſte Stelle ein (mit 24,5 Mill. Centner Geſamt - produktion in 1885). Auch die an - dern Schafracen: das deutſche Landſchaf, das in der Lüneburger Haide heimiſche Haideſchaf (Haidſchnucke), das ſüdruſſi - ſche Zackelſchaf und das engliſche Schaf, ſowie neuere andere Abarten und Ra - cen liefern Wolle, über deren Handels - marken weiter unten näheres.
Merinowolle.
2. Die Kaſchmirziege (Capra hircus laniger), eine in den Hoch - gebirgen von Kaſchmir und Thibet, im nordweſtlichen Himalaya (Oſtindien) heimiſche und in Frankreich gezüchtete Ziege, deren feines wolliges Flaumhaar die Kaſchmir - und Thibetwolle liefert. Dieſe iſt weiß, gelblich oder braun und beſteht aus ſehr feinen, 7 bis 8 cm langen, 13 bis 20 µ dicken,13 vollkommen cylindriſchen Wollhaaren, welche ſich durch beſonders hohe Schuppen und durch einen gezähnelten Rand auszeichnen.
3. Die Angoraziege (Capra ango - rensis), in Kleinaſien in den Bergen um Angora und Koniah heimiſch, welche die lange, ſeidenglänzende Angora - oder Mohair - wolle (Fig. 3) liefert. Dieſe wird bis 1 m und darüber lang, iſt in ihrer edelſten Sorte rein weiß, zeigt gar keine oder nur eine ge - ringe Markſubſtanz; die Breite beträgt 27 bis 54 µ. Die beſſern Sorten haben voll - ſtändig markfreie Haare, die minderwertige Ware beſteht aus gröberen, markführenden wirklichen Haaren. Die feinen Oberhaut - ſchuppen beſitzen einen gebogenen und fein - gezähnelten Rand. — Angorawolle von Kap wird nur 12 bis 20 cm lang, iſt leicht, wollig, feſt, ſtraff, gleichmäßig, dünn, ſtiel - rund und markfrei.
Angora - oder Mohair - wolle.
4. Das Schafkameel (Auchenia Vicuña) oder Vikugne, Vicunna, auf den hohen Gebirgen von Peru, Chile und Mexiko heimiſch, liefert die Vicunnawolle Fig. 4 oder echte Vicogne (nicht zu verwechſeln mit dem jetzt als „ Vigogne “in den Handel kommenden Fabrikat). Was gegenwärtig als Vicunna - oder Vicognewolle bezeichnet wird, dürfte wohl von dem Alpaco ſtammen.
Vicunnawolle.
Kameelwolle.
5. Das Alpaco, eine Abart des vorigen (Auchenia Alpako), eben - falls in Peru und Chile heimiſch, liefert die feine, der Vicunnawolle ähn - liche Alpacowolle. Sie iſt von weißer, grauer, rotbrauner und ſelbſt ſchwarzer Farbe, von der die beiden letztern beſonders geſchätzt ſind. Die14 Handelsware enthält neben der Wolle auch echte markführende Haare. Die eigentliche Wolle ſelbſt iſt ſchwach gekräuſelt, 17 bis 30 µ dick, ſtielrund, markfrei und ſtark geſtreift. Die markführenden eigentlichen Haare ſind doppelt ſo dick. Die Alpacowolle zeichnet ſich wie die Llamawolle durch große Weichheit und Geſchmeidigkeit aus.
6. Das Llama (Auchenia Llama), ein Verwandter der vorigen bei - den und ebenda heimiſch, liefert die Llamawolle.
7. Das Kameel (Camelus dromedarius und Camelus bactrianus), in Afrika heimiſch und als Haustier gezähmt. Es beſitzt außer den eigent - lichen Grannenhaaren noch eine Unterwolle, die jedes Jahr gewechſelt wird. Dieſe iſt regelmäßig gekräuſelt, fein, weich, rötlich oder gelblich braun, 16 bis 23 µ breit, ſehr fein und regelmäßig geſtreift und gänzlich mark - frei. Dieſe letztere iſt die Kameelwolle (Fig. 5), welche zur Fabrikation Jägerſcher Normalwollſtoffe verwendet wird.
Handelsſorten. Je nach Herkunft und Urſprungsland unterſcheidet Janke („ Wollproduktion “durch Heinzerling, Abriß der chemiſchen Tech - nologie) einige 30 Wollſorten:
Zuſammenſetzung der Rohwolle. Man würde gewaltig fehlgehen, wollte man die Schurwolle (ſ. S. 16) als zum größten Teile aus Wolle be - ſtehend anſehen. Der Gehalt an reiner lufttrockner Wolle iſt günſtigſten Falls 82 bis 83 Prozent, der an abſolut reinem Wollhaar 77,5 bis 78 Prozent; dieſer Gehalt kann aber auch bedeutend ſinken; es kommt Wolle auf den Markt, welche nur 35 bis 36 Prozent lufttrockne Wolle und 28,5 Prozent reines Wollhaar enthält. Die übrigen Beſtandteile der Wolle beſtehen in
Der Wollſchweiß und das Wollfett bilden eine gemeinſame Aus - ſcheidung entweder der Wolle ſelbſt oder der Cuticularzellen der Tierhaut, welche in der wolligen Behaarung der Tiere einen willkommenen Ablage - rungsplatz findet, ſich dabei durch zufällig von außen hinzukommende Stoffe vermehrt, und ſo den ſchmutzigen, ſtückigen, regelloſen, ungleichmäßig verteil - ten Ueberzug der Wollfaſer bildet, der den Pelz der damit behafteten Tiere ſo unanſehnlich erſcheinen läßt. Im allgemeinen nimmt die Menge von Wollſchweiß zu, ſobald die Wollfaſer kürzer und feiner wird, d. h. alſo, je - mehr ſie den eigentlichen Charakter der Wolle zeigt, wogegen diejenigen Wol - len, welche ſich mehr dem Haar nähern, weniger von Schweiß behaftet ſind; ſo zeigt z. B. die Mohairwolle faſt gar keinen Schweiß. Der Wollſchweiß ſelbſt iſt je nach der Art des Tieres, nach Alter, Geſchlecht, Urſprungsland, Klima, Nahrung ꝛc. in ſeiner Zuſammenſetzung ſehr verſchieden, mehr oder minder reichlich, bald mehr fettig, bald klebrig, bald ſchwer, bald leicht in Waſſer löslich. Der in Waſſer lösliche Anteil beſteht nach Märcker und Schulze im Durchſchnitt aus 60 Prozent organiſcher Subſtanz und 40 Pro - zent Mineralſtoffen. Der in Waſſer unlösliche Anteil iſt nach Reich und Ulbricht ein Gemenge von Fettſäure, während der in Waſſer lösliche Teil Kaliſalze dieſer Fettſäuren enthält, alſo als eine der Schmierſeife ähnliche Maſſe zu betrachten wäre. Häufig enthält der letztere Teil auch Kalium - carbonat gelöſt (Pottaſche). Bei der großen Wichtigkeit, welche der Woll - ſchweiß für den Färber hat, kommen wir weiter unten ausführlicher auf denſelben zurück.
16Gewinnung. Die erſte Arbeit, um die Rohwolle einer marktwürdi - gen Ware näher zu bringen, iſt die mechaniſche Entfernung des Schmutzes. Dieſe geht der eigentlichen Schur voraus, und beſteht in der Pelzwäſche, einer mechaniſchen Waſchung des Tieres mit kaltem Waſſer vor der Schur. Bisweilen unterbleibt die Pelzwäſche ganz. Ein völliges Befreien von den erdigen Beſtandteilen wird dadurch nicht erreicht; die Wolle hält mechaniſch noch etwa 1 bis 1,5 Prozent Mineralbeſtandteile feſt. Durch die Pelzwäſche wird aber auch zugleich ein Teil des Wollſchweißes entfernt und zwar löſt ſich nicht nur der ſeifenartige Beſtandteil — je nach ſeiner Löslichkeit mehr oder weniger, oft ſelbſt bis zur Hälfte — und das Kalium - carbonat, ſondern letzteres wirkt ſogar wieder löſend oder wenigſtens emul - gierend auf einen Teil des Wollfettes. Durch die Pelzwäſche verliert die Wolle von 20 bis zu 70 Prozent ihres Gewichtes. — Da durch die Wäſche beim lebenden Tier ein reines Weiß nicht zu erzielen iſt, ſo iſt neuerdings*)Deutſches Wollengewerbe 1887, Nr. 15. vorgeſchlagen worden, die Wolle im zuſammenhängenden abgeſchorenen Vließ zu waſchen, wodurch eine vernunftgemäßere und ſorgfältigere Wollſortierung ermöglicht werden würde, und der Stapel des teuren Wollmaterials beim Waſchen mehr geſchont werden könnte, als in der loſen Flocke. Dieſer Gedanke hat ſeine offenbare Berechtigung, iſt aber in der Praxis bisher noch nicht zur Ausführung gelangt. Neueſtens (Mai 1888) ſchreibt das „ Deutſche Wollengewerbe “hierüber: In England kommt man zu der Ueber - zeugung, daß es rationeller iſt, die Wolle erſt nach der Schur zu reinigen. Abgeſehen von den Koſten für das Waſchen der Schafe, welche von Anfang bis Ende Mai für England auf 2 Millionen Mark geſchätzt werden, hält ſich die Wolle ungewaſchen nicht nur beſſer in ihrem natürlichen Fette, ſon - dern ſie kämmt und verarbeitet ſich auch leichter und liefert eine beſſere Ware. Da die Wolle auch bei ſpäterer Wäſche einen reichlichen Fettgehalt im Waſſer zurückläßt, ſo ſollte aus ökonomiſchen Rückſichten die alte Methode der Pelzwäſche überall ausgerottet werden.
Nun folgt als zweite Arbeit die Gewinnung der Wolle durch Scheeren. Das Produkt dieſer Operation, die Schurwolle oder Mutterwolle, be - ſteht aus aneinander hängenden Wollfaſern und heißt das Vließ. Haupt - bedingung iſt dabei, daß die Schur am lebenden Tier vollzogen wird und nicht vom Fell eines toten Tieres kommt. Wolle, welche von der Haut eines toten Tieres geſchoren wird, ſogen. Sterblingswolle, iſt, wenn die Enthaarung durch Kalk geſchieht, von geringerer Güte, ſoll aber, wenn durch Schneiden vom Fell entfernt, der Schurwolle gleichwertig ſein. Die durch die Schur gewonnene Rohwolle ſtellt, je nach ihrer Abſtammung, mehr oder minder gekräuſelte oder verfilzte Wollflocken von (im geſtreckten Zuſtande) verſchiedener Länge vor, von denen die längeren Wollfaſern von 18 bis 23 cm (Wollſorten von langem Stapel) zum Kämmen beſtimmt ſind und Kammwolle heißen, während die kürzeren Wollfaſern von 2,5 bis 4 cm (Wollſorten von kurzem Stapel) zum Spinnen beſtimmt ſind und als Tuch - wolle bezeichnet werden. Die dazwiſchen befindlichen Wollſorten von mittle - rem Stapel (5 bis 22 cm) dienen teils zum Kämmen, teils zum Spinnen und bilden die Stoffwolle.
17Um nun die Ware marktfähig zu machen, folgt das Sortieren, eine rein mechaniſche Trennung der feineren von den gröberen, der längeren von den kürzeren Wollfaſern. Nicht alle Teile des Vließes haben den gleichen Wert; die Wollfaſer der ſogen. edlen Teile (Schulterblätter, Seiten, Weichen, Keule) iſt weit geſchätzter, als die von den ſogen. unedlen Teilen (Nacken, Kreuz, Rücken, Kehle, Bruſt, Füße ꝛc.). Heute gelten acht Sorten nach den Graden der Feinheit: Supra-Electa, Electa, Prima, Secunda, Tertia, Quarta, Quinta, Sexta. Die ſortierte Mutterwolle iſt diejenige Ware, welche unter dem Namen Wolle, Rohwolle in den Handel kommt.
Eigenſchaften der Rohwolle. Die Rohwolle enthält, je nachdem ſie vor der Schur der Pelzwäſche unterworfen war oder nicht, entweder nur einen kleinen Teil der Unreinigkeiten und einen großen Teil des Schweißes oder den geſamten Schweiß und den geſamten Schmutz, ſowie in beiden Fällen Feuchtigkeit, welche zwiſchen 7 bis 16 Prozent zu ſchwanken pflegt, keinen - falls aber mehr als 18¼ Prozent betragen darf. Eine derartige Wolle beſitzt durchaus kein feuchtes Ausſehen, iſt aber für Färbereizwecke voll - kommen untauglich. Um Wolle zum Färben tauglich zu machen, muß ihr zuvor der geſamte Gehalt von Schweiß und Fett entzogen werden. Dies geſchieht durch das Entſchweißen oder Entfetten, wie es in den großen Wollwäſchereien betrieben wird.
Die Wollwäſcherei. Zum Entſchweißen und Entfetten der Wolle dienen ſchwach alkaliſche Löſungen, welche unter Anwendung von Wärme das Wollfett in eine dünne Seifenlöſung überführen; am beſten erfüllt die - ſen Zweck eine dünne Löſung von Soda oder von alkaliſcher weißer Seife.
Das Entſchweißen der Wolle gehört nicht zu den Arbeiten des Fär - bers, obgleich er ſehr wohl in der Lage wäre, dieſe Arbeiten auszuführen; ganz ſchwache, handwarme und wärmere Seifen - oder Sodabäder ſtehen ihm ſtets zu Gebote. Unmittelbar nach dem Entſchweißen folgt ein Spülen oder Waſchen in reinem kaltem Waſſer, ſo lange, bis das Waſſer völlig klar ab - läuft. Dann wird abgewunden oder zentrifugiert, und an einem ſchattigen Orte in gelinder Wärme (45 bis 50° C.) getrocknet.
Zum Unterſchiede von der Pelzwäſche heißt die Wollwäſcherei zum Zwecke des Entſchweißens die Fabrikwäſche. Durch dieſelbe verliert die bereits der Pelzwäſche unterworfen geweſene Wolle 17 bis 40 Teile, die unge - waſchene Wolle 41 bis 65 Teile an Gewicht, ſo daß bei erſterer 83 bis 60, bei letzterer 59 bis 35 Teile als Ausbeute zurückbleiben. Dieſe ſo gewonnene Wolle iſt dasjenige Fabrikat, welches der Färber als loſe Wolle in die Hände bekommt, gleichzeitig aber auch das Material zur weiteren Verarbeitung der Wolle,[Verſpinnen] zu Garn, oder Verweben zu Tuch.
Das Karboniſieren. Manche Wollen, beſonders ausländiſche, ent - halten Kletten und andere vegetabiliſche Beſtandteile, Ueberreſte von Gras und Stroh u. dergl., welche ſich auf mechaniſchem Wege nur ſchwer daraus entfernen laſſen. Zur Zerſtörung dieſer pflanzlichen Beimiſchungen dient das verſchiedene Verhalten der tieriſchen und der pflanzlichen Gewebefaſer gegen verdünnte Säuren. Säuren von größerer Konzentration wirken löſend auf beide ein, ſtark verdünnte Säuren, und zwar beſonders Salz -Ganswindt, Färberei. 218oder Schwefelſäure, laſſen Wolle unberührt, wogegen ſie vegetabiliſche Bei - mengungen derſelben, wie Kletten u. ſ. w. löſen. Jedoch darf die Verdün - nung der Säuren nicht unter eine gewiſſe Konzentration hinuntergehen, da ſonſt die gewünſchte Wirkung nicht mehr eintritt. Nach Wiesner iſt das zweckmäßigſte Verhältnis 1 bis 2 Prozent Säure. In der Praxis ſtellt ſich das Karboniſieren am zweckmäßigſten ſo dar, daß man die Wolle in eine 1 bis 2 prozentige Schwefelſäure einweicht, hierauf die Schwefelſäure abſchleudert und die Wolle auf Horden in Trockenkammern bei 100° trocknet. Die Wollfaſer bleibt dabei unverändert, während die vegetabiliſchen Ver - unreinigungen zu feinem Pulver zerfallen, welches durch Spülen mit Waſſer als zarter Schlamm entfernt wird, und deſſen letzter Reſt nach dem Trock - nen der geſpülten Wolle durch Klopfen entfernt wird.
An Stelle verdünnter Säuren wird zum Karboniſieren auch eine Löſung von Chloraluminium angewendet. Noch vorteilhafter ſoll nach Frank Chlormagneſium ſein. In der Praxis geſtaltet ſich das Verfahren ge - nau wie eben mit verdünnter Schwefelſäure beſchrieben; man verwendet Löſungen von 1,07 bis 1,10 ſpezifiſchem Gewicht. Nach dem Ausſchleudern und Trocknen gelangt die Wolle in den bis auf 130° erwärmten Karboniſations - raum, und verbleibt darin 2 bis 3 Stunden, worauf die eigentliche Ent - klettung beendet iſt. Die Wirkungsweiſe des Chloraluminiums oder Chlor - magneſiums iſt nur ſo zu erklären, daß durch die im Karboniſationsraume herrſchende Temperatur eine Diſſociation dieſer Salze ſtattfindet, und daß die Metalloxyde (Thonerde reſp. Magneſia) auf die Faſer niedergeſchlagen werden, während die Salzſäure gasförmig frei wird, welche dann die Zer - ſtörung der Vegetabilien bewirkt. Bei dieſer Methode der Entklettung muß die Wolle, ſtatt einfach geſpült zu werden, ein ſchwaches Salzſäurebad paſ - ſieren, um die auf der Faſer abgelagerten Metalloxyde wieder zu löſen. Dieſes Bad kann dann wieder zum Entkletten neuer Mengen von Wolle verwendet werden.
Einfacher und billiger iſt das in neuerer Zeit eingeführte Karboni - ſieren mit Salzſäuregas bei einer Temperatur von etwas über 100°, welche aber keinesfalls auf mehr als 112° erhöht werden darf. Die Wolle darf zu dieſem Zweck nur ſehr wenig feucht ſein, auch muß ein häufigeres Wen - den derſelben ſtattfinden, um ein möglichſt ſchnelles und gleichmäßiges Zer - ſtören der Vegetabilien zu erreichen. Dieſe Methode kann nur in größerem Maßſtab zur Verwendung gelangen und ſind für dieſen Zweck beſondere Apparate konſtruiert, auf welche wir jedoch, da ſie in der Färberei ſelbſt keine Verwendung finden, hier nicht weiter eingehen wollen.
Der Name Karboniſation bedeutet eigentlich Verkohlung, und hat ſeinen Urſprung daher, daß dieſer Prozeß früher ſtets mit verdünnter Schwefel - ſäure bei einer Temperatur vorgenommen wurde, bei welcher die vegetabili - ſchen Beſtandteile, die Celluloſe, eine tiefgreifendere Zerſetzung erlitten und da - bei ein kohliges Ausſehen annahmen.
Nach den Verſuchen von Profeſſor Wiesner tritt das Schwarzwerden, das kohlige Ausſehen der Pflanzenfaſer beim Karboniſieren, nur ein, wenn man die Temperatur über eine gewiſſe Grenze ſteigert. Es iſt jedoch jenes Stadium für den Prozeß an ſich nicht notwendig. Wird die Karboniſation bei niederen Temperaturen vorgenommen, ſo erfährt die Faſer in ihrer Fär - bung keine Aenderung. Man kann z. B. aus der Baumwolle ein weißes Pulver herſtellen, wenn man die Karboniſation bei etwa 60° vornimmt. 19Man bezeichnet deshalb das Karboniſieren beſſer als ein Zerſtäuben, denn durch das ſog. Karboniſationsverfahren kann man die Pflanzenfaſer in ganz kleine, an der Grenze der Sichtbarkeit liegende Teilchen auflöſen. Durch die Karboniſation werden innerhalb der Pflanzenfaſer chemiſche Verände - rungen hervorgerufen. Hat man einer Pflanzenfaſer vor dem Karboniſieren alle löslichen Stoffe entzogen, ſo treten nach dem Prozeß im Waſſer lös - liche Stoffe auf, die bei zerſtäubter Leinwand z. B. circa 10 Prozent der Maſſe betragen. In der Löſung läßt ſich ein zuckerartiger, reduzierender Stoff nachweiſen, deſſen Gewinnung als Nebenprodukt der Karboniſation ſich vielleicht lohnen würde.
Eigenſchaften der entſchweißten loſen Wolle. Die loſe Wolle bildet eine, je nach Herkunft der Faſer, mehr oder minder zarte, mehr oder minder weiche, mehr oder minder gekräuſelte, geſtaltloſe, lockere Filzmaſſe von meiſt weißem, ſelten gelblichem, graugelbem, rötlichem, braunem bis ſchwar - zem Farbenton. Die Schafwolle iſt ſtets weiß oder ſchwach gelblich, nur die von Haidſchnucken und einzelnen Abarten Landſchafen iſt farbig. Auch nach dem Entſchweißen beſitzt die Wolle noch die Eigenſchaft, Feuchtigkeit anzuziehen*)Auf dieſer Eigenſchaft der Wolle beruht ihre Verwendung als direktes Be - kleidungsmittel, um den Schweiß aufzuſaugen, als Strümpfe, Unterjacken, Normal - hemden ꝛc. Die ganze Jägerſche Bekleidungstheorie beruht auf dieſer Eigenſchaft. und zwar oft in bedeutenden Mengen — ſelbſt bis zu 50 Prozent, ohne jedoch ſich feucht anzufühlen oder feucht auszuſehen. — Daraus ergibt ſich für den Käufer von Wolle die Notwendigkeit, den Feuchtig - keitsgehalt derſelben vor dem Kauf feſtſtellen zu laſſen. Dies geſchieht in den Konditionieranſtalten (ſ. unten), beſonderen von der Behörde be - ſtimmten Stationen, welche den Waſſergehalt des Kaufobjekts durch Unter - ſuchung einer Probe amtlich feſtzuſtellen haben. Der gewöhnliche Waſſergehalt der Wolle beträgt nach Maumené und Grothe 14 bis 16 Prozent; ſelbſt in trockner Luft längere Zeit aufbewahrte Wolle enthält immer noch 7 bis 10 Prozent. Aus feuchter Luft nimmt die Wolle ſehr raſch wieder Feuch - tigkeit und zwar annähernd (nach Grothe) 15 Prozent. Als höchſte ge - ſetzlich zuläſſige Feuchtigkeitsmenge ſind für Kammzug und Kammgarne 18¼ Prozent, für Wolle, Kämmlinge, Plöcke und Streichgarn 17 Prozent an - genommen worden. — In warmes Waſſer eingeweicht, nimmt die Wolle weitere bedeutende Waſſermengen in ſich auf, ſie quillt, jedoch ohne ſich zu löſen. In dieſem Zuſtande beſitzt ſie die charakteriſtiſche Eigen - ſchaft aller hornartigen Subſtanzen, diejenige Form, welche man ihr gibt, auch im getrockneten Zuſtande beizubehalten, ſie iſt dann plaſtiſch**)Auf dieſer Eigenſchaft beruht die Fähigkeit der Wolle, mit Hilfe von For - men ſich zu Filzplatten, Wollhüten, Einlegeſohlen ꝛc. preſſen zu laſſen.. — Die Wolle iſt ungemein elaſtiſch, worauf ihre Kräuſelung und ihre Verfilzungsfähigkeit und damit ihre Verwendbarkeit als Geſpinnſt - und Ge - webefaſer beruht. Dieſe Eigentümlichkeit der Wolle läßt ſich ſehr gut be - obachten, wenn man eine Faſer zwiſchen Daumen und Zeigefinger hindurch - zieht; es findet dadurch eine gewiſſe Streckung der Wollfaſer, eine Längen - ausdehnung, ſtatt, welcher die Faſer bis zur völligen Glattſtreckung nachgibt; ſobald die Faſer losgelaſſen wird, kehrt ſie unter Verkürzung und Kräuſelung in ihre alte Lage zurück. Die Elaſtizität iſt um ſo größer, je weiter die2*20Wolle ſich von den Eigenſchaften des Haares entfernt (ſ. oben); je feiner eine Wolle, deſto elaſtiſcher iſt ſie. Je nach der Anzahl, der Höhe und Breite der einzelnen Kräuſelungsbogen unterſcheidet man klein und grob ge - kräuſelte, ſowie ſtark oder ſchwach gekräuſelte Wolle. Die Anzahl der Kräuſe - lungsbögen iſt dementſprechend eine ſehr verſchiedene: bei hochfeiner Merino - wolle kommen auf den Millimeter (1 / 10 cm) Faſerlänge 60 Kräuſelungen, bei ſpaniſcher Merinowolle 45 bis 48, bei Buenos-Ayreswolle 40, bei Kapwolle 40 bis 44 Kräuſelungsbögen, bei auſtraliſchen Wollen ſind nur wenige vorhanden; bei Mohair - und Alpacowollen fehlen ſie faſt gänzlich. Umgekehrt, wie mit der Elaſtizität, verhält ſichs mit dem Glanz der Wolle. Dieſer iſt gewöhnlich um ſo ſtärker, je dicker die Wollfaſer iſt und jemehr ſie ſich dem Haare nähert. Dickere, aber auch längere gerade Wollfaſern zeigen ſtets mehr Glanz; daher zeigen auch die Gewebe aus Kammgarn eine gewiſſe Glätte und gewiſſen Glanz, wogegen die aus feineren gekräu - ſelten Wollfaſern hergeſtellten Geſpinnſte, die Tuche, nur wenig Glanz zei - gen. Hummel führt dieſe Verſchiedenartigkeit im Glanz auf die verſchie - dene Anordnung der Cuticularplättchen zurück (ſ. S. 11). — Zum Glanze ſteht die Härte der Wolle in direkter Beziehung; je mehr Glanz, deſto mehr Härte; je geringer der Glanz, deſto weicher (ſanfter, milder) fühlt ſich die Wolle an. — Die Feinheit der Wollfaſer iſt abhängig vom Querſchnitts - durchmeſſer. Dieſer ſchwankt zwiſchen 1,2 bis 3 cmm (1 / 100 Millimeter). Der ſicherſte Beurteiler für die Feinheit der Wollfaſer iſt ein geübtes Auge. Man hat verſucht, den Wolldurchmeſſer mit einem beſonderen Inſtrumente, dem Eriometer, zu beſtimmen; die Reſultate haben jedoch nur unterge - ordneten Wert; zuverläſſiger iſt die Beſtimmung mittels des Mikrometers; dieſe gibt zuſammen mit dem Augenmaß und dem Gefühl ein abſchließendes Urteil über die Feinheit der[Wollfaſer]. — Die Wollfaſer muß endlich gleichmäßig ſein, d. h. ſie muß ihrer ganzen Länge nach den gleichen Durchmeſſer haben. Die Feſtigkeit der Wollfaſer iſt der Wider - ſtand, welchen dieſe einer ſtarken Ausdehnung entgegenſetzt. Nach den all - gemeinen Grundſätzen, welche Ganswindt für die Feſtigkeitsprüfung der Geſpinnſtfaſern an anderm Orte*)Real-Encyklopädie der geſamten Pharmazie; Wien, Urban und Schwarzen - berg; Artikel: Feſtigkeitsprüfung. aufgeſtellt hat, und welche durch die Reißlänge**)Die Reißlänge iſt eine Zahl, welche in Metern oder Kilometern angibt, welche Länge eine Geſpinnſtfaſer haben müßte, um ohne jedwede Belaſtung, lediglich durch ihr eigenes Gewicht, von ſelbſt zu zerreißen. ausgedrückt wird, beträgt die Reißlänge der Schafwolle 8,3 km, d. h. eine Schafwollfaſer, welche bei freiem Hängen ledig - lich durch ihr Eigengewicht ohne anderweite Belaſtung zerrei - ßen ſoll, müßten 8,3 km, alſo mehr als 1 Meile lang ſein. Nach A. v. Wagner***)Handbuch der Chemiſchen Technologie. erfordert eine einzelne Wollfaſer, je nach Feinheit und Güte, zum Zerreißen ein Gewicht von 2,6 bis zu 44 g. — Dieſe Zahlen ergeben am beſten einen Ausdruck für den Wert der Wollfaſer als Ge - ſpinnſtfaſer.
Das Konditionieren der Wolle. Das Verfahren zum Kon - ditionieren der Wolle iſt folgendes†)Nach einem Bericht der neuen, im März 1888 eröffneten Konditionieran - ſtalt in Aachen, im „ Deutſchen Wollengewerbe “.:
21Nehmen wir an: eine Partie von 2000 kg ſoll auf ihren Feuchtig - keitsgehalt geprüft werden, ſo müſſen die Ballen ſofort nach Ankunft in der Anſtalt auf einer möglichſt genau gehenden Wage (welche einer regelmäßigen Kontrolle unterliegt) gewogen und unmittelbar nachher an verſchiedenen Stel - len behufs Entnahme einer Probe geöffnet werden. Bei einem Ballenge - wicht von 120 bis 150 kg ſoll das aus jedem Ballen entnommene Muſter 1 bis 1½ kg ſchwer ſein und hat von je 400 kg eine Konditionierung ſtattzufinden.
Um ein möglichſt konformes Durchſchnittsmuſter zu gewinnen, werden die den einzelnen Ballen entnommenen Proben zu einem Muſter vereinigt und hiervon drei Looſe à 500 g gebildet, wovon vorab zwei der Reihe nach in dem Trockenapparat einem warmen Luftzug von 105 bis 110° C. aus - geſetzt werden. Die dem Wollhaar innewohnende Feuchtigkeit verliert ſich, und kann man nach einiger Zeit die abſolute Trockenheit konſtatieren. Stimmt dann der Verluſt bei beiden Proben überein oder beträgt der Unter - ſchied kaum ½ Prozent, ſo iſt der Verſuch beendigt, erreicht derſelbe aber ½ Prozent oder iſt er höher, ſo wird die dritte Probe getrocknet und dann der mittlere Verluſt in Prozent berechnet. Demnach findet bei einem Loos von 2000 kg eine 10 bis 15 malige Probe ſtatt, deren Durchſchnittsverluſt in Prozent ausgedrückt die Baſis für die Berechnung der Partie bilden ſoll. Beſteht das Loos aus 13 Ballen und iſt jedem Ballen eine Probe von 1½ kg entnommen, ſo haben wir 19½ kg Muſter, wovon angenommen werden kann, daß dieſe die Partie genau vertreten.
Hiervon gelangen 15 Proben à 500 g = 7500 g zur Konditionierung, welche beiſpielsweiſe ein abſolut trockenes Gewicht von 6300 g ergeben ſollen. Dies entſpricht einem mittleren Verluſt von 1200 g = 16 Prozent.
Danach hätten 100 Teile Wolle 16 Prozent Feuchtigkeit, folglich nur 84 Prozent abſolut trockene Wolle.
Da nun der zuläſſige Feuchtigkeitsgehalt für Wolle 17 Prozent be - trägt, ſo werden obige 84 Prozent Wolle = 14,28 Prozent Feuchtigkeit anziehen dürfen und das normale Gewicht 98,28 betragen, wonach eine Differenz von 1,72 Prozent entſteht.
Statt 2000 kg dürfen alſo nur berechnet werden 〈…〉
Die Konditionierung für Kammgarn iſt in der Hauptſache eine gleiche wie bei der Wolle, jedoch bedingt dieſelbe einige Vorarbeiten. Iſt das Garn auf Bobinen oder Kanetten, ſo muß die denſelben zu entnehmende Probe, nachdem deren Bruttogewicht beſtimmt, in Stränge à 1000 m abgehaſpelt und die Tara abgewogen werden. Da es nun vorkommen kann, daß dem Material Stoffe beigegeben ſind, welche beim Trocknen entweichen, wie z. B. Glycerin, ſo wird auf Wunſch ein Waſch - und Entfettungsverfahren ange - wendet, nach welchem die Garne vollſtändig rein dem Konditionierapparat zugeführt werden. Nachdem alsdann der mittlere Verluſt feſtgeſetzt iſt, er - gibt die Berechnung das geſuchte Reſultat. — Dieſes Verfahren ermöglicht22 es auch, fette Kämmlinge, Streichgarne im Fett u. dergl. auf normales Ge - wicht zu unterſuchen.
Die Anſtalt kontrolliert ferner mittels Präziſionswagen die Nume - rierung der Garne, ausgehend davon, daß
Außerdem befaßt ſich dieſelbe noch mit der Prüfung der Garnſtärke und deren Elaſtizität. Hierzu wird ein Dynamometer angewendet, welcher das auf eine Tafel, Faden neben Faden, gewickelte Garn in demſelben Zu - ſtand prüft, in welchem ſich dasſelbe auf dem Webſtuhl befindet, wonach eine genaue Feſtſtellung ſtattfindet.
Der Koſtentarif der Aachener Anſtalt iſt folgender:
Trocknung:
Numerierung: für Kammgarn, Streichgarn und Baumwoll - garn (eine Probe pro 300 kg) pro Probe „ 0,50
Prüfung der Garne auf Stärke und Elaſtizität: für Kammgarn, Streichgarn und Baumwollgarn (eine Probe pro 300 kg) pro Probe „ 1,50
Beſtimmung des Fettgehalts und anderer Beimiſchungen (eine Probe pro 300 kg) pro Probe „ 1,50
Die Anſtalt iſt mit Ausſchluß der Sonn - und Feiertage morgens von 8 bis 12 und nachmittags von 2 bis 5 Uhr geöffnet.
Die Ware muß, wenn dieſelbe für den Platz beſtimmt, nach Entnahme der Muſter ſofort abgenommen werden.
Soll die Ware länger als 12 Stunden auf Lager bleiben, ſo wird dafür an Lagergeld und Feuerverſicherungsgebühr 25 Pfge. pro 100 kg und pro Tag gerechnet.
Etwaige Reklamationen können nur innerhalb dreier Tage nach Ab - nahme der Ware berückſichtigt werden.
Die Koſten werden ſofort bei Ablieferung der Ware gegen Abgabe des Konditionierzettels erhoben.
Maßgebendes für Wertbeſtimmung der Wolle. Wie ſchon oben S. 19 erwähnt, iſt die erſte Bedingung für die Güte der Wolle die Fein - heit, die Biegſamkeit, Elaſtizität und Weichheit, die Kräuſelung und das Lüſter oder der Glanz. Gewiſſe Wollen, welche faſt ſeidenartigen Glanz23 beſitzen, werden direkt als Lüſterwollen bezeichnet. Auch die Länge der Wollfaſer iſt vielfach maßgebend für die Wertbeſtimmung, da die längeren, weniger gekräuſelten, glänzenden Wollen für Kammgarn verarbeitet werden, während die kürzeren feineren Wollen in der Streichgarnſpinnerei und - Weberei Verwendung finden. Einen weiteren Maßſtab gibt die Helligkeit der Farbe; weiße Wollen ſind natürlich wertvoller, als gefärbte. Endlich iſt die Reinheit der Wolle und die Leichtigkeit, mit der ſich dieſelbe färben läßt, von Einfluß auf den Handelswert.
Chemiſche Zuſammenſetzung. Die Wollfaſern, d. h. die entſchweißte und gewaſchene Wolle, beſtehen durchgehends aus der gleichen Subſtanz, wie das Horn und die Federn und Haare, welche als Hornſubſtanz oder Keratin bezeichnet wird. Sie kennzeichnet ſich vor allem beim Verbren - nen durch den eigentümlich unangenehmen Geruch nach verbranntem Horn. Die durchſchnittliche Zuſammenſetzung beträgt:
Der Wert dieſer Zahlenangaben iſt jedoch ein ziemlich problematiſcher, und die abweichenden Reſultate können durchaus nicht überraſchen. — Ueber die Rolle, welche der Schwefel in der Hornſubſtanz ſpielt, iſt etwas Zuver - läſſiges noch nicht bekannt. Durch die Unterſuchungen Grothes*)Gorup-Beſanez, Phyſiologiſche Chemie. iſt je - doch feſtgeſtellt, daß alle Wollen Schwefel enthalten, und daß, wenn man auch einen Teil derſelben der Wolle durch geeignete Löſungsmittel zu ent - ziehen vermag, doch der Reſt ohne. Zerſtörung der Hornſubſtanz nicht erhal - ten werden kann. Es darf alſo wohl angenommen werden, daß der Schwefel kein zufälliger Beſtandteil der Wollfaſer iſt, zumal durch v. Bibra und durch Mulder**)Ebendaſelbſt. nachgewieſen iſt, daß auch alle Haare, Nägel, Klauen, Hufe, Hörner, Fiſchbein, Schildpatt u. ſ. w. Schwefel enthalten. Der Schwefelgehalt iſt bei den verſchiedenen Wollen ein verſchiedener; nach Grothe enthält:
Nächſt dem Schwefel iſt noch der Kieſelſäuregehalt der Wolle, welcher beim Verbrennen des Haares ſich in der Aſche vorfindet, erwähnens - wert. Nach Gorup-Beſanez***)Ebendaſelbſt. gibt Schafwolle 3,03 Prozent Aſche, wovon 0,29 Prozent auf Kieſelſäure entfallen; die übrigen 2,74 entfallen24 auf phosphorſauren Kalk, Eiſenoxyd und Spuren von Kalium - und Magneſium - Verbindungen. In welcher Form dieſe in der Wolle enthalten ſind, iſt bis jetzt noch nicht mit Beſtimmtheit nachgewieſen.
Chemiſches Verhalten der Wolle. In kaltem Waſſer iſt Wolle vollkommen unlöslich; wird das Waſſer bis zum Sieden erhitzt, ſo tritt eine Aufquellung ein, aber keine Löſung. — Verdünnte Säuren löſen Wolle ebenſo wenig; ſtärkere Mineralſäuren bewirken dagegen eine mehr oder minder tiefgreifende Zerſetzung der Wollfaſer. Stark ver - dünnte Salpeterſäure wirkt ebenſo; ſtärkere Salpeterſäure greift die Wolle unter Gelbfärbung an; ganz ſtarke Säure zerſtört ſie. Schweflige Säure bleicht die Wollfaſer und iſt daher das beliebteſte Mittel zum Blei - chen der Wolle. — Löſungen von Alkalien (Kalilauge, Natronlauge) wirken, zumal bei Anwendung von Wärme, ſtark auf die Wolle ein; ſtärkere Löſungen löſen ſie vollſtändig zu einer ſeifenähnlichen Flüſſigkeit auf; aus dieſer Auflöſung der Wolle wird beim Neutraliſieren mit Säuren ein weißer Niederſchlag ausgefällt. Aetzkalk wirkt weniger energiſch, entzieht aber der Wolle ihren Schwefelgehalt zum größern Teile und macht ſie leicht brüchig. — Löſungen von Alkalicarbonaten (Pottaſche - oder Sodalöſungen) wirken nur bei großer Stärke und unter Anwendung von Wärme auf Wolle ein, doch bei weitem nicht ſo energiſch wie die Aetzalkalien, geben ihr aber einen Stich ins Gelbliche und vermindern die Elaſtizität. Kohlenſaures Ammoniak und Seifenlöſung wirken wenig oder faſt gar nicht ein; bei Verwendung eines Seifenbades muß jedoch — ebenſo natürlich bei Anwen - dung von Soda — darauf geſehen werden, daß beide kein freies Alkali enthalten. Die neutralen Salze der Alkalien üben keinerlei Wirkung. — Weſentlich anders verhalten ſich dagegen die Salze gewiſſer Metalle, z. B. Kupfer -, Eiſen -, Thonerde -, Zinnſalze u. dergl. Dieſe greifen zwar die Wolle nicht an, wohl aber werden dieſe Löſungen von der Wolle angegriffen, durch die Wolle zum Teil zerſetzt. Auf dieſer merkwür - digen Thatſache beruht der Vorgang des Beizens der Wolle, wobei die Wolle anſcheinend die Rolle einer Säure zu ſpielen ſcheint. Dieſe Zer - ſetzung geht vornehmlich bei höherer Temperatur vor ſich. Weiteres über dieſes Verhalten der Wolle gegen gewiſſe Metallſalze ſiehe im ſpeziellen Teile bei den betreffenden Salzen. — Chlor und die löslichen Hypo - chlorite (Chlorkalk, unterchlorigſaures Natron) greifen Wolle an und zer - ſtören ſie mehr oder minder. Dieſe können deshalb nicht zum Blei - chen der Wolle verwendet werden. Feuchtes Chlorgas oder ſtarke heiße Chlorkalklöſung zerſtören die Wollfaſer vollſtändig. — Eine friſch bereitete Auflöſung von Bleihydroxyd (Bleiglätte) in Natronlauge wird von Wolle ſofort intenſiv ſchwarz gefärbt (Folge des Schwefelgehalts der Wolle). — Eine kaltgeſättigte und dann mit dem gleichen Volumen Waſſer verdünnte (alſo halbgeſättigte) Chromſäurelöſung löſt Wolle nach 1 Mi - nute langem Kochen vollſtändig auf. — Eine Löſung von Kupferoxyd - ammoniak, kalt angewendet, läßt Wolle unverändert; heiße Löſung da - gegen löſt die Wolle auf. Das Verhalten der Wolle gegenüber den ver - ſchiedenen Farbſtoffen ſoll bei den einzelnen Farbſtoffen ſelbſt erläutert wer - den. — Gegen Wärme iſt die Wolle ziemlich empfindlich; daher muß beim Trocknen der Wolle eine zu hohe Temperatur vermieden werden; über 80 bis 90° darf die Temperatur möglichſt nicht ſteigen, denn ſchon bei 100° R.25 beginnt die Wolle ſich zu zerſetzen und entwickelt ammoniakaliſch riechende Dämpfe.
Formen, in denen die Wolle zum Färben gelangt. Die Wolle gelangt nicht ſelten in der oben beſchriebenen Form als loſe Wolle zum Färben, beſonders dann, wenn ſie als Streichgarn zu wollfarbigen Tuchen verarbeitet werden ſoll. Auch für Kammgarnſtoffe werden in neuerer Zeit „ wollfarbige Stoffe “beliebt und müſſen daher alſo gleichfalls vor ihrer Verarbeitung zu Kammgarn gefärbt werden. Die Form, in welcher der Färber dieſe Ware erhält, iſt der Kammzug, ein Fabrikat, welches in der Mitte ſteht zwiſchen loſer Wolle und dem daraus bereiteten Kammgarn; es iſt das ſchmale lange Wollvließ in ſeiner glatten, geſtreckten Lage und in der ihm vom Kämmer gegebenen Form der Bobine. Handelt es ſich da - gegen nicht um „ wollfarbige “Stücke, ſo wird die Wolle in Form loſer un - gefärbter Wolle oder von Kammzug (Kämmlingen) zuvor weiter verarbeitet.
Loſe Wolle wird durch die Operation des Wolfens, Einfettens, Krem - pelns (Streichens), Spinnens und Haſpelns zu Streichgarn*)Die Feinheit des Garnes (die Garnnummer) beſtimmt man nach den Be - ſchlüſſen des jüngſt abgehaltenen Kongreſſes zu Turin, die eine internationale ge - worden und wird ausgedrückt durch die Zahl, welche angibt, wie oft die Garn - einheit von 1000 m ihrem Gewichte nach in 1 kg enthalten iſt. verar - beitet, welches wieder als Schußgarn oder Kettengarn geſponnen wird. Alle dieſe Operationen gehören lediglich in das Gebiet der Spinnerei; der praktiſche Färber wird ſich niemals damit zu beſchäftigen haben, ſo daß die Beſchreibung dieſer Arbeiten hier überflüſſig erſcheint**)Nur bei der Landarbeit wird noch ausnahmsweiſe von Färbern im kleinen Maßſtabe mittels Handarbeit Wolle zu Wollgarn verſponnen.. — In gleicher Weiſe, wie aus loſer Wolle das Streichgarn, wird aus Kammzug das Kammgarn geſponnen, welches wieder in eigentliches Kammgarn und Halb - kammgarn unterſchieden wird. Die Wollgarne, ſowohl Streichgarn als Kammgarn, gehören zu den am häufigſten vorkommenden Objekten der Färberei.
Die letzte Form, in welcher Wolle dem Färber unter die Hände kommt, ſind Gewebe und Geſpinnſte aus Streichgarn — Tuche***)D. h. mehr oder minder verfilzte Gewebe. — oder aus Kammgarn — Kammgarnſtoffe. Die dazu nötigen Operationen des Verwebens von Kettengarn und Schußgarn, des Noppens, Waſchens, Wal - kens (das noch nicht gewalkte Tuch heißt Loden), Rauhens und Scheerens Dekatierens, Bürſtens und Preſſens gehören ſpeziell in das Gebiet der Weberei. Einige dieſer Operationen kommen aber auch in der Färberei, ſpeziell der Kleiderfärberei, zur Verwendung, und werden an der geeigneten Stelle ausführlich beſchrieben werden.
Die Zahl der Wollengewebe in Form von Tuchen oder Kammgarn - ſtoffen iſt ſehr groß. Von Streichwollzeugen unterſcheidet man: ge - wöhnliches Tuch, geköpertes Tuch, Buckskin, Kaſchmir (Kaſimir), Fries, Molton, Kotzen, Ratin, Lama, Flanell, Düffel, Kirſey.
26Von Kammgarnſtoffen unterſcheidet man:
1. Glatte Stoffe, bei denen der Schußfaden nur zwei verſchiedene Lagen beſitzt und die Bindung die denkbar einfachſte iſt: Perkan, Moiré, Orleans, Bombaſin, Kamelot, Wollmuſſelin, Mühlbeuteltuch, Rips, Mohair, Krepp, Chaly und die ſog. Bradforder Artikel.
2. Geköperte oder croiſierte Stoffe, bei denen dem Schußfaden immer mehr als zwei Lagen zukommen; er überſpringt bei der Bindung zwei, drei oder mehr Kettenfäden, und erzeugt auf der Oberfläche ſchräglaufende, zuſammenhängende oder unterbrochene Linien: Merinos, Thibet, Kaſchmir, Serge, Zanella, Wollatlas, Halbmerino, Laſting.
3. Gemuſterte oder[façonnierte] Stoffe; dieſe beſitzen ebenfalls mehr als zwei, meiſtens eine große Anzahl verſchiedener Lagen des Schußfadens und die Bindung erzeugt geſchloſſene Figuren, ſog. Muſter, wobei Muſter und Grund ſelbſt wieder glatt und geköpert, ſogar von verſchiedener Farbe ſein können: Woll - und Möbeldamaſt, Weſten - und Hoſenſtoffe, Shawls, Umſchlagetücher, Tartans, Teppichzeuge.
4. Sammetartige Stoffe; auf dem eigentlich glatten Grunde wird eine haarige Decke mit abſtehenden oder anliegenden Fäden gebildet, der Flor oder Pol: Wollſammet (bei welchem der Flor aus dem Schuſſe), Wollplüſch, Möbelplüſch, Brüſſeler Teppiche, Velourteppiche, Plüſchteppiche, Aſtrachan, Krimmer, Biber, Utrechter Sammet.
Die Anzahl dieſer Gewebe wird nun noch unendlich reichhaltiger da - durch, daß — beſonders bei Kammgarnſtoffen — nicht immer reine Wolle zur Verwendung gelangt, ſondern nicht ſelten Miſchungen aus Wolle und Baumwolle, ſowie ſelbſt Wolle und Seide, verarbeitet werden. Gewebe und Geſpinnſte der letzteren Art haben dann keinen Anſpruch mehr auf die Be - zeichnung eines wollenen Gewebes, gehören vielmehr in die Klaſſe der ge - miſchten Gewebe, welche weiter unten zur Beſprechung gelangen.
Wirkwaren, bei denen die Bindung nicht durch Fadeneinkreuzung, ſondern durch Knüpfung erfolgt, verhalten ſich wie Garne.
Von den Geſpinnſtfaſern tieriſcher Abkunft iſt die Seide die wertvollſte. Unter Seide verſteht man die von verſchiedenen Seidenraupen - arten beim Verpuppen erzeugte Geſpinnſtfaſer. Die Seide unter - ſcheidet ſich von allen übrigen Gewebefaſern dadurch, daß ſie einen bereits fertig geſponnenen Faden vorſtellt. Die Seidenraupe, wenn ſie ſich auf die Umwandlung in den Schmetterling vorbereiten will, wenn ſie ſich „ einpuppt “, ſpinnt um ſich den Seidenfaden (ſie ſpinnt ſich ein). — Die - ſer bildet ſich aus einer klebrigen Flüſſigkeit, welche ſich aus zwei an der Speiſeröhre der Raupe ſitzenden Drüſen (Spinndrüſen) abſondert. Durch Ausziehen dieſer zähen klebrigen Flüſſigkeit aus den Drüſen werden zwei beſondere Fäden gebildet, welche ſich im Moment des Hervortretens zu einem Doppelfaden verbinden. Dieſer erſcheint ſeiner ganzen Länge nach als einfacher Faden, welcher ohne Abſatz oder Unterbrechung die Hülle der27 Puppe bildet, die als Cocon bezeichnet wird, und nach Tötung der Puppen das Rohmaterial für Gewinnung und Verarbeitung der Rohſeide bildet. Das mikroſkopiſche Bild der Seide zeigt Fig. 6.
Seide.
Herkunft. Die einzige Raupe, welche echte Seide liefert, iſt die Raupe des Seidenſpinners, Bombyx mori, welcher auf Maulbeer - bäumen lebt, und daher auch Maulbeerſpinner heißt, während die Raupe Seidenraupe, oder Seidenwurm. Dieſe Raupe wird daher behufs Er - zeugung der Cocons im ſüdlichen Europa und in China gezüchtet; beſonders Südfrankreich, Italien und die Türkei beſitzen Seidenzucht*)Die Seidenraupe, ſeit 2600 v. Chr. in China gezüchtet, gelangte 550 v. Chr. nach Konſtantinopel, von wo aus ſich die Seidenzucht über das ſüdliche Europa verbreitete. Die Verſuche, welche in Deutſchland mit der Seidenzucht gemacht wur - den, haben infolge klimatiſcher Einflüſſe niemals eine rechte Bedeutung erlangen können. (Ueber die neueſten Verſuche in Schleſien vergl. S. 32.). Die Seiden - raupe iſt jedoch ziemlich empfindlich und bereitet den Seidenzüchtern durch epidemiſch auftretende Krankheiten bisweilen enorme Verluſte; man war da - her darauf bedacht, die nächſtſtehenden Verwandten aus dem Geſchlecht Bombyx in ähnlicher Weiſe zu züchten. Von dieſen ſind zu nennen:
1. Der Ailanthusſpinner, Bombyx Cynthia. Dieſer lebt in Indien, Bengalen, China und Japan und wird dort in großem Maßſtabe gezogen. Je nach der Heimat und je nach der Nahrung, von der die Raupe lebt, unterſcheidet man mehrere Abarten, und rechnet dahin:
Von den vorgenannten iſt der unter b genannte Ricinusſpinner auch in Südeuropa, ſogar in Deutſchland, gezüchtet worden, und hat hier die Ricinusraupe ſogar mit den Blättern der Weberkarde (Dipsacus fullonum) und der wilden Cichorie (Cichorium Intybus) als Nahrung vorlieb genom - men. Die Verſuche haben kein ungünſtiges Reſultat gehabt.
2. Der Eichenſpinner, Bombyx Perryi, in China und der Mongolei heimiſch, nährt ſich von Eichenblättern. Dieſe Seidenraupe iſt gleichfalls mit Erfolg in Frankreich gezüchtet worden.
3. Bombyx Cecropia, in Nordamerika heimiſch, lebt auf dem wilden Maulbeerbaum, auf Pflaumen, Ulmen, Weißdorn ꝛc. ; wird neuerdings gleich - falls in Frankreich gezüchtet.
Außer den genannten ſind noch von Wichtigkeit:
4. Der Tuſſahſpinner, Bombyx mylitta (Antheraea mylitta), in Indien und in Bengalen bis in die rauheren Lagen des Himalaya hinauf heimiſch; die Raupe nährt ſich von den Blättern des Jujubenbaums und einigen Eichenarten, läßt ſich aber nicht züchten.
5. Bombyx Faidherbii (Faidherbia bauhinea) wird am Senegal, neuerdings auch in Algier gezüchtet.
Von allen dieſen Seidenraupenarten beſitzen nur die unter 1 und 4 ge - nannten im Verhältnis zu den übrigen beſondere Bedeutung, aber auch die - ſen beiden kommt nicht annähernd die Wichtigkeit zu, wie dem erſten Seiden - ſpinner Bombyx mori. Auch das Produkt der ſämtlichen übrigen Seiden - raupen erreicht an Feinheit und Schönheit nicht das des Maulbeerſpinners. Man bezeichnet daher als Seide im engern Sinne oder als echte Seide das Geſpinnſt der Raupe von Bombyx mori. Bezüglich der Produkte der übrigen Seidenſpinner herrſcht zur Zeit noch völliger Wirrwarr. Einige Autoren rechnen ſämtliche Seiden außer der Maulbeerſeide zu den wilden Seiden; andere rechnen als „ wilde Seide “lediglich die Seide des Tuſſah - ſpinners, da dieſe Raupe ſich in Gefangenſchaft nicht züchten läßt.
Da die vorbenannten Seidenarten auch im europäiſchen Handel keine unwichtige Rolle ſpielen, ſo ſchlägt Verfaſſer vor, den Ausdruck „ Wilde Seide “, der nur zu Verwechſelungen führen kann, ganz fallen zu laſſen und die Seidenarten nach ihrer Herkunft einzuteilen; etwa folgendermaßen:
Nach O. N. Witt ſind heutzutage wohl an 50 verſchiedene Arten von derartigen Tieren bekannt, welche ſeidenreiche Cocons liefern, trotzdem werden nur von einigen wenigen die Cocons beſonders verwertet. Am wich - tigſten iſt der Tuſſurſpinner, deſſen Cocons drei bis viermal ſo groß, wie die des Maulbeerſpinners ſind. Sie beſtehen aus einem unterbrochenen, 1400 m langen Doppelfaden, welcher ſich auch leicht abhaſpeln läßt, ſeitdem man gelernt hat, den Kitt, mit dem der ganze Cocon getränkt iſt und der faſt ausſchließlich aus ſaurem harnſaurem Natron beſteht, durch alkaliſche Flüſſigkeiten aufzulöſen. In Japan haben wir zunächſt den Ailanthusſpin - ner, dann beſitzt es auch den merkwürdigſten und für die Zukunft den am meiſten verſprechenden, den Yamamai. Er produziert eine apfelgrüne Seide von großem Glanz, welche ſo hoch geſchätzt wird, daß ſie lange Zeit ausſchließlich für den Gebrauch des Mikado reſerviert war, und bis vor kurzem ſtand in Japan die Todesſtrafe auf die Ausfuhr von Yamamaieiern. In Frankreich pflanzte man große Alleen des Ailanthusbaumes und kulti - vierte den Ailanthusſpinner mit befriedigendem Reſultate. Heutzutage wird auch in Südfrankreich die Kultur des Yamamaiſpinners verſucht, und es werden gerade auf dieſen Spinner Hoffnungen geſetzt. In China zieht man viel den Eichenſpinner Antheraea Perryi; ferner züchtet man dort häufig den ſchönſten und größten aller Schmetterlinge, den Attacus atlas. Er hat einen großen Cocon, der an beiden Enden offen iſt und viel Seide liefert, die als Fazavaſeide bekannt iſt. In Frankreich hatte man zuerſt viele Schwierigkeiten bei der Verwertung der wilden Seiden, da man die braune Farbe des Fadens nicht entfernen konnte. Schließlich gelang es Teſſié du Motay, in der Behandlung der Seide mit Waſſerſtoffſuper - oxyd einen Weg zu finden, auf dem man eine vollkommen weiße Faſer er - zeugen konnte. Die wilden Seiden zeichnen ſich durch große Elaſtizität aus; ſie eignen ſich vorzüglich zu Fellimitationen und Plüſchen, zu ſog. Baſtkleidern ꝛc.
Seidenbau. Wenn der Färber auch niemals in die Lage kommen wird, Seidenzüchter zu werden, ſo möchte doch der verhältnismäßig kurze Lebenslauf des Tieres bis zur Produktion der Cocons in kurzen Umriſſen geſchildert werden.
Der Seidenſpinner (Seidenfalter, Seidenſchmetterling, Maulbeer - ſpinner) legt zuvörderſt Eier und zwar legt jedes Weibchen 3 bis 400 Stück. Dieſe müſſen ausgebrütet werden. Das geſchieht im Brutzimmer, einem auf circa 30° C. erwärmten Zimmer, oder im Brutofen, welcher beſonders in Frankreich gern angewendet wird. In beiden Fällen verteilt man die Eier auf mit weißem Papier beſpannte Holzreifen, und bedeckt dieſelben mit einem Blatt durchlöcherten weißen Papiers, worauf vom achten Tage an einige Maulbeerblätter gelegt werden. Die Eier haben annähernd die Größe des Mohnſamens (30 g enthalten durchſchnittlich 50000 Stück) und ſind gelblich. Im Brutzimmer oder Brutofen werden ſie zunächſt weißlich und vom achten bis zehnten Tage an kriechen die Raupen aus (und zwar durchſchnittlich 75 bis 80 Prozent der Eier), und durch die Löcher im Papier auf die Maulbeerblätter. Damit beginnt der eigentliche Seidenbau, d. h. die Zucht der Seidenraupe. Dieſe geſchieht in beſonderen Fütterungs - räumen, Raupereien oder Magnanerien. Die Raupe nährt ſich ledig - lich von Maulbeerblättern (den Blättern von Morus alba), wovon ſie im30 Verhältnis zur eigenen Größe und ihrem Gewicht ganz unglaubliche Mengen vertilgt; die aus 10 g Eiern ſich bildenden Raupen verzehren 400 bis 500 kg Maulbeerblätter.
Im Verhältnis dazu ſteht das erſtaunlich ſchnelle Wachstum der Seiden - raupe; ſie erreicht bald eine Länge von 8 bis 10 cm bei einem Gewicht von 5 g. Die Lebensdauer der Raupe iſt 30 bis 33 Tage, während wel - cher Zeit dieſelbe ſich viermal häutet, was durchſchnittlich alle ſechs Tage ge - ſchieht. Nach dem letzten Hautwechſel nimmt ſie nicht mehr ſo bedeutende Nahrungsmengen zu ſich, vom 30. Tage an überhaupt keine mehr. Nun beginnt das Einſpinnen vom 30. bis 33. Tage. Wenn die Raupen keine Nahrung mehr zu ſich nehmen, verteilt man ſie auf Ruten aus Birken - zweigen, aus Ginſter oder Sarothamnus, in denen ſie ſich das paſſendſte Fleckchen zum Einſpinnen ausſuchen. Derartige Ruten heißen Spinnhütten. Die Raupe ſpinnt zuerſt ein oberflächliches Netz aus dicken Fäden von Zweig zu Zweig, gewiſſermaßen als Untergrund, und dann erſt die Hülle der Puppe von außen nach innen in ununterbrochenem, aber allmählich dünner werdenden Seidenfaden. Das fertige eiförmige Geſpinnſt, Cocon genannt, hat eine Länge von 30 bis 35 mm, einen Durchmeſſer von circa 15 bis 20 mm, und ſieht weiß oder gelblich aus. Der den Cocon bildende Seiden - faden hat eine Länge von 350 bis 1250 m und einen Durchmeſſer von etwa 0,018 mm; von dieſer Seide iſt jedoch nur ein Drittel abhaſpelbar. Die Länge des abhaſpelbaren Fadens beträgt im Maximum nach Dandalo*)Heinzerling, Abriß der chem. Technologie. 625 Yards, nach Rhodes*) 404 Yards, nach Karmarſch 1000 bis 3000 Fuß. Der erſte, äußerſte Teil des Fadens, welcher oben als „ Unter - grund “bezeichnet wurde, und der ſpäter vorſichtig für ſich abgelöſt wird, bil - det die Flockſeide; die innerſte Hülle, welche die Puppe unmittelbar um - gibt, bildet eine feine, zarte, pergamentartige Haut. Die Coconbildung er - fordert 4 bis 5 Tage; man läßt dann aber noch 2 bis 3 Tage in den Ruten, um der Beendigung des Spinnprozeſſes ſicher ſein zu können.
Wollte man nun der Puppe Zeit laſſen, ſich zum Schmetterlinge zu ent - wickeln, ſo würde dieſer die Hülle ſprengen und damit den Wert des Cocons bedeutend ſchädigen. Um dieſes zu vermeiden, um die Cocons in vollem Wert zu gewinnen, müſſen die Puppen in den Cocons getötet wer - den. Dieſes geſchieht, indem man die Cocons entweder den heißen Sonnen - ſtrahlen ausſetzt, oder direkt durch Ofenwärme oder heiße Waſſerdämpfe durch 10 bis 12 Minuten. Nur einige beſonders gut ausgebildete Cocons bleiben für den weiteren Seidenbau reſerviert. Würde die Puppe nicht ge - tötet werden, ſo würde in kurzem der ausgebildete Schmetterling die Hülle ſprengen und das Cocongeſpinnſt ſchädigen. Bis vor kurzem war man der Anſicht, daß der Schmetterling den Coconfaden zerbeiße, und ſelbſt noch neuere Werke ſprechen von „ zerbiſſenen “Cocons. Thatſächlich ſchiebt der Schmetterling die Coconfäden nur beiſeite; er bewirkt dabei in dem lockeren Geſpinnſt eine Verſchiebung der Fadenlage, welche dem ſpäteren Abwickeln des Geſpinnſtfadens nicht eben förderlich iſt, eher dasſelbe erſchwert; aber von einem Zerbeißen des Seidenfadens kann keine Rede ſein.
Zum Schluß noch einige Zahlenangaben über Seidenbau: aus 100 g Eiern des Seidenſpinners werden im Durchſchnitt 88000 bis 117000 Co -31 cons gebildet. Von dem Gewicht der Cocons ſelbſt entfallen 16,8 Prozent auf die Puppe*)Hummel, „ The Deyeing of textile fabrics “. , 68,2 Prozent auf Feuchtigkeit, und der Reſt von 15 Pro - zent iſt Seide. Das Gewicht eines Cocons iſt 1,5 bis 2,0 g und der Ge - winn an Rohſeide etwa 1 / 7 bis ¼ g = 0,16 bis 0,25 g. 100 g Eier liefern unter guten Bedingungen 12 bis 16 kg gehaſpelte Seide. 12 kg Cocons liefern etwa 1 kg Rohſeide (einſchließlich der Floret - und Abfallſeide).
Statiſtiſches über Seide. Der Sitz des Seidenbaues iſt vorwiegend in China, Europa, Japan, Oſtindien, Transkaukaſien, Perſien. Nach den Aufſtellungen der Krefelder Handelskammer betrug die Produktion der Seide im Jahre 1883 in
In welchem Umfange und in welcher Richtung ſich die Seiden - und Seidenwarenfabrikation in den europäiſchen Haupt-Seidenſtaaten bewegt, ergibt ſich aus folgenden Daten aus dem Jahre 1883 (nach Heinzerling):
Die Produktion in Amerika gewinnt von Tag zu Tag an Bedeutung; vornehmlich in Philadelphia und Waſhington werden große Etabliſſements errichtet, um die Seide von den Cocons abzuwickeln. Seidenraupeneier ſind in großer Nachfrage, und wie ſehr die Kultur von Seide ſich verbreitet, geht daraus hervor, daß die von dem landwirtſchaftlichen Büreau in Waſhing - ton vor kurzem veröffentlichte Anleitung dazu bereits in der achten Auflage erſchienen iſt. Im ganzen befinden ſich in den Vereinigten Staaten zur Zeit 385 Seidenfabriken, die ein Kapital von zuſammen 20000000 Doll. haben, 30000 Angeſtellte beſchäftigen und ausländiſches Rohmaterial im Wert von circa 16000000 Doll. jährlich verwenden.
In Britiſch-Indien und dem europäiſchen Rußland iſt die Seidenkultur infolge vernunftwidriger Handhabung und anhaltender Krankheit (Pere - brina) der Seidenraupe in ſtetem Rückgang. Dagegen hat ſich die Kultur in Ruſſiſch-Aſien weſentlich gehoben, ſo daß ſich die Geſamtausbeute für Transkaukaſien, Turkeſtan, Khiwa und Bockhara auf rund 730000 Pud roher Cocons oder etwa 40000 Pud im Jahre 1884 ſtellte. — In Korea32 wurden im Jahre 1866 500000 Maulbeerbäume aus China für die An - pflanzung bei Inchön (auf dem Wege von Chemulpo nach Söul) eingeführt. Die Pflanzung ſteht unter der Leitung eines deutſchen Seidenbauinſpektors. Ob die Seidenkultur mit Erfolg hier eingeführt werden kann, läßt ſich bis jetzt nicht entſcheiden. Verſuche, welche in einem der alten Palaſtgründe im weſtlichen Teil der Hauptſtadt ſeit einigen Jahren in kleinerem Maß - ſtabe angeſtellt worden ſind, dürfen wohl als gelungen betrachtet werden. Die Bäume ſtehen vorzüglich, haben ſaftiges Laub, und ſowohl die chineſiſchen wie die japaniſchen und italieniſchen Seidenraupen ſollen gut gedeihen. Die Seide wird hier nicht abgehaſpelt, ſondern in den Cocons verkauft. — Laut Bericht der Krefelder Handelskammer für das Jahr 1884 treten folgende Produktionsmengen an Rohſeide: aus Spanien 85 t, aus Frankreich 483 t, aus Oeſterreich-Ungarn 142 t, aus Italien 2810 t, aus Griechenland 20 t, aus Volo, Salonichi und Adrianopel 95 t, aus Anatolien 185 t, aus Syrien 230 t, aus Georgien und Perſien 200 t, aus Geſamt-Rußland 656 t, zuſammen 4250 t. Für Bengalen und Oſtaſien tritt an Stelle der un - bekannten Produktion die Ausfuhr, welche in jenem Berichte mit nachſtehen - den Zahlen verzeichnet wird: aus Calcutta 208 t, aus Kanton 693 t, aus Shanghai 2680 t und aus Yokohama 1484 t, zuſammen 5065 t. Hier - aus ergibt ſich eine für den Geſamtverbrauch mit Ausnahme Oſt - und Südaſiens verfügbare Menge von 9970 t Seide*)1 t = 1000 kg. .
Der preußiſche landwirtſchaftliche Miniſter hatte dem Seidenzüchter Buchwald in Reichenbach in Schleſien vierzig Morgen Eichenbeſtand aus den Staatsforſten zu Verſuchen mit der Züchtung des Eichenſeidenſpin - ners vor fünf Jahren überlaſſen. Auf Grund ſeiner ſeither gemachten Er - fahrungen hat nun Buchwald auf der Generalverſammlung des ſchleſiſchen Forſtvereins mitgeteilt, daß der Zucht des chineſiſchen Eichenſpinners elemen - tare und klimatiſche Schwierigkeiten nicht entgegenſtehen und die Seide von den in dem Verſuchswalde gezüchteten Eichenſpinnern, in Krefeld verarbeitet, ſich der beſten Mailänder Seide ebenbürtig erwieſen hat. Bei dem Reich - tum Deutſchlands an Eichen glaubt er, daß die Seidenzucht dort ſehr ren - tabel werden wird.
Gewinnung der Rohſeide. Um nach dem Töten der Puppe den Seidenfaden zu gewinnen, ſind zwei Operationen nötig: 1. Das Sortie - ren der Cocons. Die Cocons ſind keineswegs alle gleich, viele ſind weiß, viele gelblich, manche ſind ſchadhaft (hierher gehören die oben geſchilderten Cocons, aus denen der Schmetterling geſchlüpft iſt, aber auch ſchimme - lig gewordene, von Inſekten angefreſſene, durch das Platzen von Puppen beim Töten in die Cocons fleckig gewordene u. ſ. w.) und eignen ſich nicht zum Abhaſpeln; die Stärke des Geſpinnſtfadens iſt eine ſehr verſchiedene. Das Sortieren bezweckt daher das Ausſcheiden fehlerhafter Cocons, ſowie das Zuſammenordnen gleichartiger, gleichfarbiger und gleich feiner Cocons. Dieſe Arbeit darf nur von erfahrenen Leuten und muß mit großer Sorgfalt aus - geführt werden, weil nur gleichartige Cocons zuſammen abgehaſpelt und mit Vorteil verarbeitet werden können. 2. Das Abhaſpeln. Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß der Coconfaden eine Länge von 350 bis 1250 m hat, und dabei nur ¼ g wiegt, ſo ergibt ſich daraus allein ohne weiteres,33 daß der Coconfaden ungemein zart ſein muß, ſo fein und zart, daß er für ſich allein kaum abgewickelt werden kann. Man nimmt daher in der Praxis 3 bis 20 Cocons (je nach Feinheit des Fadens) zum Abhaſpeln, aus wel - chen ein Faden gebildet wird. Zu dem Behufe bringt man dieſelben in warmes Waſſer, welches den leimartigen Ueberzug des Coconfadens löſen ſoll; nun wird zuerſt der äußerſte Teil des Fadens, die Flockſeide, entfernt (der dadurch entſtehende Verluſt beträgt, je nach der Geſchicklichkeit des Ar - beiters, 18 bis 30 Prozent), und erſt dann beginnt das eigentliche ge - meinſame Abhaſpeln mehrerer Cocons, wobei die Löſung des leimartigen Ueberzuges gleichzeitig wieder das nachfolgende Zuſammenkleben zu einem Faden bewirkt. Der durch Abhaſpeln erzeugte Rohſeidenfaden ſtellt alſo eine Summe von ihrer Geſamtlänge nach zuſammen - geleimten Coconfäden vor; das Aneinanderhaften der Seidenfaſern ge - ſchieht lediglich durch die Bindung der leimartigen Seidenhülle, nicht durch Zuſammendrehen; die Rohſeide iſt alſo kein gezwirnter Faden. Sie wird durch ein Räderwerk auf einen Haſpel gewunden und nimmt dadurch die Geſtalt eines Strähnes an. Die Länge des Rohſeidenfadens von nor - malen Cocons beträgt 250 bis 900 m. Das Abhaſpeln der Seide wird in den eigentlichen Seidenbauländern mittels Haſpelmaſchinen bewerkſtelligt. Eine Abbildung und Beſchreibung einer ſolchen findet ſich in Knecht „ Färberei und Bleicherei “. Die ſo gewonnene Rohſeide ſtellt einen einfachen (d. h. nicht gezwirnten), runden, glatten, von Knoten und Flocken freien, reinen, glänzenden, feſten und gleichmäßig ſtarken Faden vor.
Die Abfallſeide. Unter Seidenabfall werden alle zum Abhaſpeln nicht geeigneten, ſowie die erſten und letzten Anteile der zum Haſpeln ver - wendeten Cocons (in Italien und Südfrankreich Strazza genannt) und Cocon - reſte verſtanden. Die äußerſten Teile der guten Cocons, welche entfernt werden müſſen, und welche eben als Flockſeide bezeichnet wurden (franz. bourre), werden gewaſchen, im Seifenbade gekocht, getrocknet,