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Schnellpressendruck von C. H. Kunstmann in Erlangen.
Die Physik bildet gegenwärtig nicht bloss die unerlässliche Vor - aussetzung eines gründlicheren physiologischen Studiums, sondern auch in der practischen Medicin hat sie bekanntlich eine Reihe der fruchtbarsten Anwendungen gefunden und findet deren täglich noch neue. Der ganze Apparat der physikalischen Diagnostik und Therapie, dessen Schöpfung fast völlig das Werk der lebenden Generation ist, beruht theils auf der Deutung physikalischer Erscheinungen, theils auf der Benützung physikalischer Hülfsmittel. Diesem Umschwung ver - dankt die medicinische Physik als ein neuer Zweig der ange - wandten Naturlehre ihre Entstehung.
Bei der Darstellung dieser Wissenschaft sind zwei Wege mög - lich. Entweder kann man die allgemeine Physik als bekannt voraus - setzen und bloss sich mit den Anwendungen der physikalischen Leh - ren in der Medicin beschäftigen; in diesem Fall werden die Gesichts - punkte der Eintheilung und näheren Ausführung im Allgemeinen den betreffenden medicinischen Disciplinen zu entnehmen sein. Oder man kann den Zweck einer Darstellung der allgemeinen Physik selbst mit dem besonderen Zweck der Erörterung ihrer medicinischen An - wendungen verbinden; dann werden die Gesichtspunkte der Einthei - lung und Ausführung der Physik entnommen werden müssen, und die medicinische Physik wird sich von andern physikalischen Darstellun - gen hauptsächlich dadurch unterscheiden, dass sie den speciellen Be - dürfnissen des Mediciners angepasst ist, dass sie also die für die Phy - siologie und Heilkunde wichtigen Capitel vorzugsweise berücksichtigt, während sie die andern Gebiete der Physik nur insoweit berührt, als*IVVorwort.dies im Interesse eines zusammenhängenden wissenschaftlichen Ver - ständnisses erforderlich scheint.
Bis jetzt ist meines Wissens vorzugsweise der erste dieser Wege betreten worden. Ausser dem schätzenswerthen Werke von Adolf Fick, welchem das Verdienst zukommt, die medicinische Physik über - haupt zum ersten Mal als besondern Wissenszweig behandelt zu ha - ben, besitzen wir in dieser Richtung eine grössere Zahl einzelner Ar - beiten über physikalische Diagnostik, Elektrotherapie, Theorie und Praxis des Mikroskops u. s. w.
Der Verfasser dieses Handbuchs hat den zweiten Weg einzu - schlagen versucht. Die Frage, ob die so gestellte Aufgabe nach ihrer wissenschaftlichen Begrenzung berechtigt und nützlich sei, muss das Werk selber beantworten. Der Plan desselben, schon vor länge - rer Zeit entworfen, ist in dem Verfasser hauptsächlich aus Anlass der Ausarbeitung seines Lehrbuchs der Physiologie, bei der er sich immer mehr von der Nothwendigkeit einer grundlegenden und ergänzenden physikalischen Darstellung zu überzeugen glaubte, zur Reife ge - diehen.
Nach zwei Richtungen hin mussten der vorliegenden Arbeit ge - wisse Grenzen gezogen werden. Nach der physikalischen Seite glaubte der Verfasser Alles aussondern zu sollen, was nicht theils für die be - sondern Anwendungen, theils für den stets festgehaltenen Zweck phy - sikalischer Allgemeinbildung nothwendig schien. Hinsichtlich der me - dicinischen Anwendungen dagegen glaubte er sich hinwiederum auf die physikalische Begründung beschränken zu müssen, die weitere Durchführung den betreffenden Zweigen der Physiologie und Medicin überlassend. Wenn hier in der einen oder andern Richtung dem Leser bald zu viel bald zu wenig geschehen sein sollte, so bitte ich zu bedenken, wie schwierig die richtige Ausmessung eines kaum be - grenzten Gebietes ist.
Längst hat sich mir die Ueberzeugung aufgedrängt, dass die physikalische Vorbildung unserer Mediciner durchschnittlich in argem Missverhältniss stehe zu den Anforderungen, welche die eigene Wis - senschaft an sie stellt, und ich glaubte einen grossen Theil der Schuld dem Umstande zuschreiben zu dürfen, dass die Darstellungen der Physik, die wir besitzen, grossentheils den Techniker oder Chemiker vor Augen haben, dem Mediciner aber die Wichtigkeit physikalischer Vorbildung um so weniger fühlbar machen, als gerade diejenigenVVorwort.Zweige der Physik, deren er bedarf, in der Regel in ungenügender Kürze behandelt sind. Tritt er dann an eine monographische Bear - beitung dieser Capitel, so machen sich die Lücken der physikalischen Vorbildung um so empfindlicher geltend, und er beschränkt sich nun nicht selten darauf, einzelne practische Winke solchen Werken zu ent - nehmen, verzichtet übrigens im Ganzen auf das Verständniss. Die folgende Darstellung will keineswegs die Benützung speciellerer Ar - beiten über die verschiedenen Zweige der allgemeinen und medicini - schen Physik entbehrlich machen. Sie wünscht vielmehr eine Grund - lage zu geben, auf welcher demjenigen, den sein Interesse auf ein bestimmtes Ziel hinweist, der weitere Fortschritt ermöglicht und er - leichtert werde.
Die gewählten Darstellungsmethoden, die man vielfach abwei - chend von den in physikalischen Lehrbüchern herkömmlichen finden wird, glaubt der Verfasser als die verhältnissmässig leichtesten Wege zu einem klaren Verständnisse erprobt zu haben. Durch viele der hier gegebenen Ableitungen hat er sich selbst einst dieses Verständ - niss erst suchen müssen. Vielleicht darf er hoffen, dass seine Mühe Manchem über die ersten Anstrengungen hinweghelfe, die überwunden sein müssen, um an der Beschäftigung mit physikalischen Studien jene Freude finden zu können, die zu selbständiger Arbeit anregt.
Heidelberg, im Juli 1867.
W. Wundt.
Die unendliche Mannigfaltigkeit der Naturerscheinungen kann1 Naturgeschichte und Naturlehre. von dem denkenden Beobachter unter zwei verschiedenen Gesichts - punkten aufgefasst werden, die auch der wissenschaftlichen Forschung zwei völlig von einander abweichende Wege eröffnen. Betrachten wir die Dinge in ihrem augenblicklichen Bestehen, ohne Rücksicht auf ihre Veränderungen in der Zeit und im Raume, so erscheint uns die Natur als eine Menge einzelner, in Ruhe verharrender Gegenstände, an de - nen wir theils übereinstimmende, theils unterscheidende Merkmale beobachten, und die wir darnach in grössere und kleinere Gruppen ordnen. Diese Ordnung wissenschaftlich zu begründen und hierdurch eine systematische Auffassung der gesammten Natur zu gewinnen, ist die Aufgabe der Naturgeschichte, die sich in ebenso viele einzelne Zweige sondert, als wir Hauptclassen unter den Naturgegenständen unterscheiden können. Fassen wir dagegen die Dinge nicht in ihrem ruhenden Bestehen in’s Auge, sondern achten wir auf die manchfachen Veränderungen, die wir an denselben wahrnehmen, und suchen wir uns Rechenschaft zu geben über die Beschaffenheit und die Ursachen die - ser Veränderungen, so betreten wir das Forschungsgebiet der Natur - lehre, die man aus practischen Gründen in drei grosse Zweige, Physik, Chemie und Physiologie, getrennt hat.
Schon mit den frühesten Eindrücken, die wir von aussen empfan -2 Die Naturge - setze. gen, verknüpft sich die Beobachtung eines gleichförmigen Ge - schehens in der Natur. So fällt ein Körper immer in derselben Weise zur Erde, die Schwingungen eines Pendels wiederholen sich nach der nämlichen Regel, die Planeten kreisen in gleichförmig sich wiederholenden Perioden um die Sonne. Wir bezeichnen dieses gleich - förmige Geschehen als die Gesetzmässigkeit der Naturerscheinun - gen. Jede einzelne Gleichförmigkeit in der Natur nennen wir daherWundt, medicin. Physik. 12Einleitung.auch ein Naturgesetz, und wir reden so vom Gesetz des Falls, vom Gesetz des Pendels, vom Gesetz der Planetenbewegungen u. s. w. Jedes Gesetz, und so auch das Naturgesetz, schliesst aber ein Verhältniss der Abhängigkeit in sich. Eine Naturerscheinung wie - derholt sich nur dann in gleichförmiger Weise, wenn einige der Um - stände, unter denen sie früher eintrat, wiederkehren. Streng genom - men begreifen die Umstände, unter denen ein Ereigniss eintritt, den ganzen im Augenblick dieses Eintritts vorhandenen und demselben vorangegangenen Zustand der Welt in sich. Denn die Summe von Umständen, unter denen jetzt etwas geschieht, wird offenbar nur er - schöpft durch die Summe aller andern Ereignisse, aus denen bis jetzt der Welt Lauf bestanden hat. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es unter dieser Unzahl von Umständen, von welchen ein Ereigniss mög - licher Weise abhängig sein könnte, immer nur eine kleine Zahl giebt, die es wirklich beeinflusst. Diejenigen vorangegangenen oder beglei - tenden Umstände, von welchen die Erscheinung sich abhängig zeigt, nennen wir nun die Bedingungen derselben. In den meisten Fällen sind sowohl die Erscheinungen wie ihre Bedingungen zusammengesetzte Ereignisse. Wenn z. B. eine Kugel auf einer schiefen Ebene herab - rollt, so wird ihre Bewegung bestimmt theils durch die Schweranzie - hung der Erde, theils durch den Widerstand der Ebene, theils durch die Reibung, theils endlich durch den Widerstand der Luft. Das Gesetz der Bewegung ist von allen diesen Bedingungen gleichzeitig abhängig. Wollen wir also entscheiden, wie die eine oder die andere Bedingung wirkt, so müssen wir die Erscheinung vereinfachen, indem wir ihre Bedingungen von einander trennen. Diese Vereinfachung der Erschei - nungen durch Isolirung ihrer Bedingungen ist der wichtigste Schritt zur Naturerklärung, der in den meisten Fällen, weil sich selten die Bedingungen von selbst schon getrennt darbieten, nur durch das Ex - periment, d. h. durch die absichtliche Isolirung der einzelnen Be - dingungen von Seiten des Naturforschers, möglich ist. Haben wir nun eine nicht weiter zu zergliedernde Bedingung und demgemäss eine nicht weiter zu vereinfachende Erscheinung aufgefunden, so nennen wir jene Bedingung die Ursache dieser Erscheinung. Die Art von Ab - hängigkeit aber, in der die Wirkung von ihrer isolirten Ursache steht, ist ein einfaches Naturgesetz, ein Gesetz, das nicht mehr in ver - schiedene zusammenwirkende Gesetze aufgelöst werden kann. Lassen wir also in dem oben gewählten Beispiel alle andern Bedingungen mit Ausnahme der Schweranziehung der Erde hinweg, stellen wir mit der Kugel Fallversuche im luftleeren Raume an, so kommt uns unmit - telbar ein einfaches Naturgesetz, das Gesetz des Falls, zur Beobach - tung, während uns die auf der schiefen Ebene hinabrollende Kugel ein complicirtes Naturgesetz vor Augen führte, das durch die Beobach - tung des Einflusses der Reibung, des Luftwiderstandes, des Neigungs -3Einleitung.winkels der Ebene in die noch übrigen einfachen Gesetze, aus denen es besteht, aufgelöst werden kann.
Die einfachen Naturgesetze gestatten auch meistens einen sehr einfachen Aus -3 Darstellung der Naturge - setze durch Gleichungen und Curven. druck. So lautet z. B. das Gesetz des Falls, dass die Geschwindigkeit eines jeden fallenden Körpers zunimmt proportional der Zeit, und dass die in der ersten Zeitein - heit erlangte Geschwindigkeit eine constante Grösse ist, nämlich = 9,8 Meter, wenn man zur Zeiteinheit eine Secunde nimmt. Bezeichnet man diese constante Grösse durch g, die Zeit durch t und die Geschwindigkeit durch c, so lässt sich demnach das Fall - gesetz durch die Gleichung c = g. t darstellen. In ähnlicher Weise können alle Na - turgesetze durch Gleichungen, d. h. durch bestimmte Relationen zwischen den da - bei in Betracht kommenden Grössen, ausgedrückt werden. Bei complicirten Naturge - setzen werden aber natürlich auch die Gleichungen verwickelter als in dem obigen einfachen Fall.
Auch geometrisch können die Gesetze dargestellt werden. So lässt sich z. B. das eben formulirte Fallgesetz ausdrücken, wenn man auf der Linie 0 — 10 (Fig. 1), deren Theile die aufeinanderfolgenden Zeiteinheiten bedeuten, senkrechte Ordinaten er - richtet, deren Längen die in den verschiedenen Zeitpuncten vorhandenen Geschwindigkeiten bedeu - ten sollen: zur Zeit, wo der Körper zu fallen an - fängt, ist die Geschwindigkeit null, zur Zeit 1 ist sie gleich 9,8 Meter, welche Grösse wir durch die Linie 1 a bezeichnen wollen. Da nun die Ge - schwindigkeit weiterhin proportional der Zeit zu - nimmt, so muss sie bei 2 die doppelte Grösse, 2 b, bei 3 die dreifache, 3 c, besitzen, u. s. f. Die durch die Endpuncte a, b, c gezogene Linie ist demnach eine Gerade, deren Neigung zur Linie
der Zeiten von der constanten Grösse 1 a abhängig ist. Diese Gerade ist offenbar nur ein anschauliches Bild für die Gleichung c = g. t oder für den Satz, dass die Geschwindigkeit zunimmt proportional der verflossenen Zeit. Jedes bestimmt formu - lirbare Gesetz, das durch eine Gleichung ausgedrückt werden kann, lässt sich auch mit - telst einer geometrischen Curve darstellen. Diese geometrische Veranschaulichung ist besonders dann nützlich, wenn es sich um verwickeltere Gesetze handelt, deren Dar - stellung durch eine Gleichung schwierig ist und nicht hinreichend übersichtlich das bestehende Abhängigkeitsverhältniss erkennen lässt. Auf physiologischem Gebiete hat man es sehr häufig mit solchen complicirten Abhängigkeitsverhältnissen zu thun, bei denen man sich zweckmässig auf die graphische Darstellung beschränkt. So würde z. B. das durch die Fig. 2 dargestellte Ge - setz, welches den Zusammenhang der mensch - lichen Körperwärme mit den Tageszeiten versinnlicht, eine sehr verwickelte Gleichung ergeben, aus der sich der bestehende Zu - sammenhang doch nicht klar erkennen liesse, während die graphische Darstellung densel - ben sehr anschaulich macht. Man hat es in solchen verwickelten Fällen gewöhnlich, wie in dem hier gewählten Beispiel, nicht mit
eigentlichen Naturgesetzen, sondern mit Resultaten vieler Naturgesetze zu thun,1 *4Einleitung.die überdies nicht immer nothwendig in derselben Weise zusammenwirken. Denn es ist ja klar, dass nicht die Tageszeiten an und für sich, sondern die mit den Tages - zeiten sich verändernden Bedingungen, wie die äussere Wärme, Nahrungszufuhr, Schlaf oder Wachen u. s. w., ein Steigen oder Sinken der Körpertemperatur verursachen. Jene Abhängigkeit von den Tageszeiten wird also in mehrere einfachere Abhängigkeits - verhältnisse aufgelöst werden müssen. Durch Gleichungen drücken wir in der Regel nur einfache Naturgesetze aus, und wo man sich für complicirtere Zusammenhänge der Darstellung durch Curven bedient, da hat dies nicht den Zweck eine Gleichung geome - trisch zu veranschaulichen, sondern eine tabellarische Zusammenstellung durch die übersichtlichere graphische Darstellung zu ersetzen.
Alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt, und die sie theils auf ihre Ursachen zurückzuführen theils aus ihren bekann - ten Ursachen abzuleiten hat, lassen sich in zwei grosse Abtheilungen sondern: in eine Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als solche unverändert bleiben, aber ihre gegenseitige Lage im Raum wech - seln, sich bewegen, und in eine andere Reihe von Erscheinungen, bei denen die Körper als ganze in Ruhe bleiben können, aber ihre entwe - der unmittelbar sinnlich wahrzunehmenden oder durch Versuche nach - zuweisenden Eigenschaften verändern. Das Fallen eines Körpers ist ein Beispiel der ersten Reihe, das Gefrieren des Wassers, das Magne - tischwerden des Eisens, wenn ein elektrischer Strom durch einen es umgebenden Draht geht, sind Beispiele der zweiten Reihe. Häufig sind die Erscheinungen aus Bewegungen und aus Veränderungen der Eigenschaften der Körper zusammengesetzt, wie z. B. bei der Verdam - pfung des Wassers. Wir können demnach in Kürze alle Erscheinungen, mit denen es die Physik zu thun hat, bezeichnen als Veränderungen der Lage oder der Eigenschaften der Körper oder als aus Lage - und Eigenschaftsveränderungen zusammengesetzt. Unter diesen drei Arten von Veränderungen sind offenbar die Lageveränderungen die einfachsten. Denn die Bewegungen aller Körper lassen sich nur un - terscheiden nach der Grösse ihrer Geschwindigkeit und darnach, ob die Geschwindigkeit gleichförmig ist, oder in verschiedenem Maasse zu - oder abnimmt. Dagegen sind die Eigenschaftsveränderungen der Körper unendlich mannigfaltig und lassen sich nicht in ähnlicher Weise unmittelbar unter einem einzigen Gesichtspunkte betrachten. Aber es ist möglich geworden, auch die letzteren in einer Weise zu erklären, die vielfach schon jetzt es möglich macht, sie aus den Bewegungs - gesetzen abzuleiten. Die Physik führt nämlich alle jene qualitativen Veränderungen auf Bewegungen, und zwar auf Bewegungen der klein - sten Theilchen der Körper zurück. Wir können nach dem so gewon - nenen Gesichtspunkte die Physik die Wissenschaft von den Be - wegungen in der Körperwelt nennen. In diesem weitesten Sinne genommen würde sie auch die chemischen und die physiologi - schen Erscheinungen in sich begreifen. Nach der üblichen Begren -5Einleitung.zung werden aber die letzteren von der Physik ausgeschieden, und ist daher diese als die Wissenschaft zu definiren, welche von den Be - wegungen in der Körperwelt mit Ausnahme jener Bewegungen handelt, die entweder dem Gebiet der chemischen Verwandtschaftsäusserungen angehören oder die Lebenserscheinungen der Organismen zusammen - setzen. Hieraus erhellt, dass die Physik, als die allgemeine Lehre von den Bewegungen, in dem ganzen System der Naturlehre die erste Stelle einnimmt. An zweiter Stelle kommt die Chemie, die nur eine besondere Gruppe von Bewegungen herausgreift, jene nämlich, welche durch gegenseitige von der materiellen Beschaffenheit der Theilchen herrührende Anziehungen bedingt sind und Verbindungen nach regel - mässigen Zahlenverhältnissen bewirken. Die dritte Stelle gehört der Physiologie, welche diejenigen physikalischen und chemischen Erschei - nungen in Betrachtung zieht, die zu dem Leben der Organismen in Beziehung stehen.
Da alle Erscheinungen, mit denen sich die Physik beschäftigt,5 Die Natur - kräfte. auf Bewegungen zurückzuführen sind, so sind auch die Ursachen, die für die Physik in Betracht kommen, ausschliesslich Bewegungsur - sachen. Die Ursache einer Bewegung nennt man nun allgemein eine Kraft; zum Vorbild dient hierbei die menschliche Muskelkraft, als die uns in ihrer Wirkung geläufigste. Wir unterscheiden ebenso viel physikalische Kräfte, als wir Bewegungsursachen in der Natur kennen. Da aber bei jeder Bewegung die bewegten Dinge entweder sich nä - hern oder von einander entfernen können, so sind zweierlei Kräfte möglich, Anziehungs - und Abstossungskräfte, und beide sind in der Natur zu beobachten. So ist die Schwere eine Anziehungskraft, die Elektricität lernen wir, je nachdem gleichartige oder ungleichartige Elektricitäten sich begegnen, als abstossende und als anziehende Kraft kennen, die Wärme muss, indem sie das Volum der Körper vergrös - sert, als abstossende Kraft wirken. In diesem letzten Fall haben wir zugleich das Beispiel einer Kraft vor uns, die nicht zwischen getrenn - ten Körpern sondern zwischen den Theilchen eines und desselben Kör - pers wirksam ist. Man bezeichnet Kräfte letzterer Art häufig als Molecularkräfte, und hiernach werden diejenigen Theile der Physik, die sich mit den Wirkungen der Molecularkräfte beschäftigen, auch unter dem Namen der Molecularphysik zusammengefasst. Doch lässt sich eine Trennung zwischen der Molecularphysik und der Physik der Körper keineswegs strenge durchführen.
Das erste Gesetz der Physik, welches dieselbe mit allen anderen Wissenschaften gemein hat, ist der Satz, dass Alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, oder das Gesetz der Causalität. In - sofern dieses Gesetz eine allgemeine Forderung unseres Denkens ist und wir gemäss demselben überall, wo wir eine Erscheinung beobach - ten, einen zureichenden Grund für dieselbe aufsuchen müssen, bezeich - net man dasselbe auch als den Satz vom zureichenden Grunde. Das Causalgesetz ist eine unmittelbare Folge jener in der Natur zu beobachtenden Gesetzmässigkeit der Erscheinungen, durch die wir ge - zwungen werden, jede Erscheinung als die Wirkung irgend einer Ur - sache anzusehen. Da die Gesetzmässigkeit der Natur jedenfalls eine Thatsache der Erfahrung ist, so betrachtet die Naturwissenschaft das Causalgesetz als ein Erfahrungsaxiom. Insofern dasselbe aber das allgemeinste Erfahrungsaxiom ist, ist seine Gewissheit so gross, als die Gewissheit der Erfahrung nur sein kann.
Aus dem Causalgesetz folgt, dass, wenn zu den vorhandenen Ur - sachen keine neue hinzukommt, in dem vorhandenen Zustande der Dinge auch keine Aenderung eintritt. Da nun jede Veränderung in der Natur auf Bewegungen zurückführbar ist und wir die Bewegungs - ursachen Kräfte genannt haben, so lässt sich diese Folgerung für das Gebiet der physikalischen Erscheinungen in dem Satze ausdrücken: Jeder Körper verharrt, wenn keine neue Kraft auf ihn einwirkt, in dem einmal angenommenen Zustand; wenn er in Ruhe ist, so bleibt er in Ruhe, und wenn er in Bewegung ist, so bleibt er in Bewegung. 7Die allgemeinsten Naturgesetze.Man bezeichnet diesen Satz als das Gesetz der Trägheit oder des Beharrungsvermögens.
Weitere physikalische Gesetze können nicht aus dem Causalge - setz unmittelbar mit zwingender Nothwendigkeit gefolgert werden. Aber es giebt noch eine Anzahl allgemeiner Naturgesetze, die unter Voraussetzung des Causalgesetzes die einfachsten Principien sind, die sich für das Geschehen in der Natur denken lassen, und die ausser - dem in einem solchen Zusammenhang stehen, dass jedes derselben alle andern mit Nothwendigkeit voraussetzt. Diese Gesetze sind, ebenso wie das Causalgesetz, mit allen Erfahrungen im Einklang, wäh - rend keine einzige denselben widerstreitet. Auch sie besitzen daher eine Gewissheit, die der überhaupt möglichen Gewissheit der Erfah - rung gleichkommt. Die Hauptprincipien, die wir hier unterscheiden können, sind folgende: 1) das Gesetz der Erhaltung der Materie, 2) das Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung, 3) das Gesetz der geradlinigen Richtung der Kräfte, 4) das Gesetz der Zu - sammensetzung der Kräfte, 5) das Gesetz der Erhaltung der Kraft.
Das Gesetz der Erhaltung der Materie sagt aus, dass7 Gesetz der Er - haltung der Materie. weder Materie entstehen noch zerstört werden kann. Physik und Chemie haben die scheinbaren Widersprüche gegen dieses Gesetz, wie sie z. B. bei der Verbrennung, beim Uebergehen der Körper in den gasförmigen Aggregatzustand beobachtet werden, in wesentliche Stützen desselben umgewandelt; es gilt daher als die Grundlage der ganzen Naturlehre. Das Gesetz besitzt aber schon nach dem Satz der Causa - lität eine grosse Wahrscheinlichkeit, da ein Entstehen oder Vergehen von Materie jedenfalls auf keine physikalische Ursache zurückgeführt werden könnte, somit nur eine unbekannte, ausserweltliche Ursache für ein derartiges Geschehen möglich wäre.
Aus dem Princip der Erhaltung der Materie ergibt sich mit un - mittelbarer Evidenz der Satz, dass die Veränderungen in der Natur in Bewegungen bestehen. Denn da zu der vorhandenen Materie nichts hinzukommen und nichts von ihr hinweggenommen wer - den kann, so kann auch jede Veränderung derselben nur auf einem Ortswechsel ihrer Theile beruhen.
Das Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegen -8 Gesetz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung. wirkung sagt aus, dass, wenn zwei Körper mit Kräften auf einander wirken, die Wirkung des ersten auf den zweiten Körper gleich der Wirkung des zweiten auf den ersten Körper ist. Ein Magnet und ein Stück Eisen ziehen z. B. mit gleichen Kräften gegenseitig sich an. Wenn wir einen Druck auf einen Körper ausüben, so erfahren wir einen ebenso starken Gegendruck. Ein auf der Erde befindlicher Kör - der übt vermöge der Gravitation eine gleich grosse Anziehungskraft8Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.auf die Erde wie die Erde auf ihn aus; die von dem Körper auf die Erde ausgeübte Anziehung hat nur wegen der grossen Masse der Erde, auf welche sie sich vertheilt, keine merkliche Wirkung. Auch dieses Princip wird nicht bloss durch die Erfahrung allseitig bestätigt, son - dern es ist zugleich die einfachste Annahme, die wir über die Wirkung der Körper auf einander überhaupt machen können. Da die gegen - seitige Wirkung der Körper aus der Summe der Wirkungen ihrer einzelnen Theilchen hervorgeht, so ist eine unmittelbare Folgerung aus dem Princip, dass die Kraft, welche zwei Körper auf einander ausüben, proportional sein muss dem Product ihrer Massen; die thatsächliche Bestätigung des letzteren Satzes in der Erfahrung lässt sich umge - kehrt auch als Beweis dafür betrachten, dass die Wirkung, die ein Körper als Ganzes ausübt, sich zusammensetzt aus den Einzelwirkun - gen seiner kleinsten Theile.
Das Gesetz der geradlinigen Wirkung der Kräfte lässt sich folgendermassen ausdrücken: Wenn zwei Punkte des Raumes mit Kräften auf einander wirken, so geschieht diese Wirkung immer in der Richtung der geraden Verbindungslinie der beiden Punkte. Wenn keine weitere Kraft, die sie in Ruhe hält oder ihre Bewegung abän - dert, auf die Punkte einwirkt, so bewegen sich diese demnach in der angegebenen Richtung. Aus diesem Princip folgt, 1) dass überall wo wir die Körper nicht sich in gerader Richtung bewegen sehen, wir eine Mehrheit von Kräften voraussetzen müssen, und 2) dass jede noch so verwickelte Bewegung sich als zusammengesetzt aus einer Menge geradliniger Bewegungen betrachten lässt.
Da vermöge des Princips der geradlinigen Wirkung nur eine ge - genseitige Annäherung oder Entfernung der Theile der Materie durch die Naturkräfte stattfinden kann, so folgt hieraus, dass nur Anziehungs - und Abstossungskräfte in der Natur möglich sind. Ferner hängt mit dem Princip der geradlinigen Wirkung unmittelbar der Satz zusammen, dass die Intensität, mit welcher zwei Kraftcentren auf einander ein - wirken, abhängig ist von der geradlinigen Entfernung, in welcher sie sich von einander befinden. Man bezeichnet alle solche Kräfte, die in der Richtung der sie verbindenden Graden auf einander wirken, und deren Wirkungen Functionen ihrer gegenseitigen Entfernung sind, als Centralkräfte, und es gilt demnach als Axiom, dass alle Naturkräfte Centralkräfte sind.
Es bleibt dann weiterhin Sache der physikalischen Forschung, in jedem einzelnen Fall zu bestimmen, nach welcher Function der Entfernung die Kräfte wirken. Für eine grosse Zahl von Naturerscheinungen, nämlich für alle Wirkungen in die Ferne, z. B. für die Gravitation, die elektrische und magnetische Fernewirkung, ist diese Function festgestellt: die Kräfte wirken hier stets im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen. Dagegen ist noch unbekannt, in welcher Abhängigkeit9Die allgemeinsten Naturgesetze.die zwischen sehr nahe gelegenen Theilchen wirksamen Kräfte von den Entfernungen derselben stehen. Weder ist bekannt, ob die Anziehungskräfte auch bei grosser An - näherung nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernungen wirken, obgleich man dies häufig annimmt, noch ist die Function der Entfernung für die Ab - stossungskräfte ermittelt. Was die letzteren betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie bei zunehmender Distanz rascher als im Verhältniss des Quadrates der Entfernungen abnehmen. (S. §. 14.)
Im vorigen §. haben wir gesehen, dass die Kraft, welche zwei Körper auf ein - ander ausüben, proportional dem Product ihrer Massen ist. Nimmt man hierzu, dass die Kräfte nach dem umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernungen wirken, so wird demnach das Gesetz für die Wirkung der Centralkräfte ausgedrückt durch den Bruch 〈…〉 worin m und m' die beiden auf einander wirkenden Massen und r deren Entfernung bedeutet.
Das Gesetz der Zusammensetzung der Kräfte schliesst10 Gesetz der Zu - sammensetzung der Kräfte. sich unmittelbar an das vorige an. Dasselbe lässt sich folgendermas - sen ausdrücken: Wenn mehrere Kräfte gleichzeitig auf einen Punkt einwirken, so erzeugen sie die nämliche Ortsveränderung desselben, als wenn sie nach einander eingewirkt hätten. Nach diesem Prin - cip kann man also stets die Wirkung, welche in einer gegebenen Zeit beliebig viele Kräfte auf einen Punkt ausüben, finden, wenn man nur die Wirkung kennt, welche jede einzelne ausgeübt haben würde. Man führt also den Punkt zuerst den Weg, welchen er unter dem Einfluss der ersten Kraft zurückgelegt hätte, dann den Weg, welchen er unter dem Einflusse der zweiten Kraft zurückgelegt hätte, u. s. f. Ist man so an der letzten Kraft angelangt, so hat man schliesslich den Punkt an den Ort gebracht, welchen er durch das gleichzeitige Zusammen - wirken der Kräfte erreicht. Dabei ist es aber vollkommen gleichgül - tig, in welche Reihenfolge man sich die gleichzeitige Wirkung der Kräfte aufgelöst denkt. Man kann dieses Gesetz als eine unmittelbar aus dem Causalgesetz hervorgehende Wahrheit betrachten, da nach letzterem eine gegebene Summe von Ursachen, wenn alle andern Um - stände dieselben bleiben, die nämliche Wirkung äussern muss, ob die Ursachen gleichzeitig oder in einer beliebigen Reihenfolge stattfinden. Das Gesetz bildet übrigens eine wesentliche Ergänzung zu dem Gesetz der Trägheit und dem der geradlinigen Richtung der Kräfte, indem auf diese drei Axiome die Hauptsätze der Mechanik sich stützen.
Das Gesetz der Erhaltung der Kraft sagt aus, dass die11 Gesetz der Er - haltung der Kraft. Summe aller Kräfte in der Natur constant bleibt. Dabei muss man jedoch beachten, dass, obgleich der Ausdruck Kraft nur eine Bezeich - nung für eine Bewegungsursache ist, doch eine Kraft nur dann in einer Bewegung sich äussern kann, wenn ihr nicht eine andere Kraft10Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.Widerstand leistet, welche die Bewegung verhindert. Wirken auf einen Körper zwei gleiche Kräfte in entgegengesetztem Sinne, so bleibt zwar der Körper ebenso gut in Ruhe, als wenn gar keine Kraft auf ihn wirkte. Desshalb ist aber doch die Wirkung der Kräfte vorhanden, wie sich sogleich zeigt, wenn wir die eine hinwegnehmen, da sich dann der Körper unter dem Einfluss der andern in Bewegung setzt. Wir können demnach solche Kräfte unterscheiden, die sich wirklich in Be - wegungen äussern, und solche, die bloss einen Druck ausüben, eine Bewegung zu erzeugen streben, welche Bewegung aber durch andere Kräfte, die einen Druck in entgegengesetzter Richtung ausüben, un - möglich wird. Man bezeichnet diejenigen Kräfte, die sich in wirklicher Bewegung äussern, als lebendige Kräfte, diejenigen, die bloss eine Bewegung zu erzeugen streben, als Spannkräfte. Nun zeigt sich leicht, dass weder die lebendigen Kräfte für sich noch die Spannkräfte für sich constant bleiben, sondern dass nur die Summe der leben - digen und Spannkräfte zusammengenommen unveränder - lich ist. Letzteres ist der eigentliche und wahre Ausdruck des Prin - cips der Erhaltung der Kraft. Dieses Princip schliesst somit in sich, dass fortwährend lebendige in Spannkräfte und umgekehrt Spannkräfte in lebendige Kräfte übergehen können, aber es drückt aus, dass bei diesem Uebergang stets so viel Spannkraft entstehen muss, als leben - dige Kraft verschwindet, oder so viel lebendige Kraft entstehen muss, als Spannkraft zum Verschwinden kommt.
Eines der einfachsten Beispiele für unser Gesetz bietet die Bewe - gung der Uhren. Wenn man eine gewöhnliche Pendeluhr aufzieht, so verbraucht man dabei eine gewisse Menge lebendiger Kraft, die man dem in die Höhe gezogenen Gewichte mittheilt; würde dieses Gewicht augenblicklich wieder herabfallen, so würde es auch die ganze ihm mitgetheilte lebendige Kraft augenblicklich wieder ausgeben. Daran wird aber das Gewicht durch das Räderwerk der Uhr verhindert, so dass die zum Aufziehen verbrauchte lebendige Kraft nicht augenblick - lich, sondern allmälig, im Lauf mehrerer Stunden zum Vorschein kommt. Die lebendige Kraft ist, im Moment nachdem die Uhr aufgezogen ist, sämmtlich in Spannkraft übergegangen, welche sich als ein Druck auf das Räderwerk geltend macht und langsam während des Ablaufens der Uhr wieder in lebendige Kraft übergeht. In jedem beliebigen Moment während des Ablaufens der Uhr ist die Summe der veraus - gabten lebendigen Kraft und der vorhandenen Spannkraft, die noch in lebendige Kraft überzugehen hat, constant, nämlich gleich der ganzen zum Aufziehen des Uhrwerks verbrauchten Kraft. Ist das Uhrwerk vollständig abgelaufen, so ist alle ihm mitgetheilte Kraft als lebendige Kraft verausgabt. Aber desshalb ist die Kraft keineswegs vernichtet. Sie ist verbraucht worden, theils zur Ueberwindung der Reibung des Räderwerks theils zur Ueberwindung des Luftwiderstandes, welchen11Die allgemeinsten Naturgesetze.der Pendel bei seinen Bewegungen findet. Sowohl bei der Reibung der Räder an einander als bei der Bewegung des Pendels durch die Luft entsteht aber Wärme. Die lebendige Kraft, die das Gewicht bei seinem Ablaufen verausgabt, ist also nur in eine andere physikalische Kraft übergegangen. Würde man im Stande sein, diese letztere, die beim Ablaufen der Uhr entstandene Wärme, zu messen, so würde sich eine Wärmemenge ergeben, genau gross genug, um damit eine Kraft auszuüben, die ein Gewicht von der Grösse des Uhrgewichts eine ebenso grosse Strecke weit bewegen würde, als das Uhrgewichts selbst bei seinem Ablaufen zurücklegte.
Hieraus folgt, dass die Thatsache des Uebergehens der ver - schiedenen Naturkräfte in einander zu dem Princip der Er - haltung der Kraft eine wesentliche Ergänzung bildet. Dieses Ueber - gehen der Naturkräfte in einander geschieht aber stets in äquivalen - ten Verhältnissen, so dass, wenn eine erste in eine zweite Kraft über - geht und dann die zweite wieder in die erste zurückverwandelt wird, eine Kraft zum Vorschein kommt an Grösse genau derjenigen gleich, die anfänglich vorhanden war. Liefert also eine mechanische Kraft, die ein Gewicht von 10 Pfunden 135 Fuss hoch zu heben vermag, bei ihrer Ueberführung in Wärme eine Wärmemenge, durch welche 1 Pfund Wasser um 1°C. erwärmt wird, so muss auch umgekehrt eine Wärme - menge, die 1 Pfund Wasser um 1°C. erwärmen würde, bei ihrer Ueber - führung in mechanische Kraft ein Gewicht von 10 Pfund 135 Fuss weit fördern. Man bezeichnet das hierin sich aussprechende Princip als das Princip der Aequivalenz der Kräfte.
Wir werden in unserer speciellen Darstellung zahlreiche Belege für das Princip der Erhaltung der Kraft und das Princip der Aequi - valenz der Kräfte vorführen, da fast die ganze Naturlehre Anwen - dungen dieser beiden wichtigen Sätze enthält. Hier sollen daher vor - läufig nur einige Hauptpunkte hervorgehoben werden. Mechanische Kraft, Wärme, Elektricität, chemische Processe können erfahrungs - gemäss in der verschiedensten Weise in einander übergeführt werden. So entsteht bei der Reibung aus der mechanischen Kraft Wärme, um - gekehrt entsteht in unsern Dampfmaschinen aus der Wärme mecha - nische Kraft. Durch Reibung verschiedener Körper an einander, che - mische Processe und Magnetismus kann Elektricität erzeugt werden, umgekehrt kann die Elektricität in mechanische, chemische, magneti - sche, thermische und Lichtwirkungen übergehen. Die Untersuchung über diese Wechselbeziehung der Kräfte wäre abgeschlossen, wenn das Aequivalent aller in Bezug auf eine einzige, z. B. in Bezug auf mechanische Arbeit, bestimmt wäre. Bis jetzt ist jedoch nur das me - chanische Aequivalent der Wärme genauer ermittelt. Nach den Un - tersuchungen von Joule kann man mit der Wärmemenge, die 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmt, eine Kraft ausüben, durch die ein Gewicht12Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.von 423,5 Kilogr. 1 Meter weit gefördert wird, oder, wie man sich kürzer ausdrückt, man kann eine Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter leisten. Mit einer mechanischen Arbeit von 423,5 Kilogrammmeter kann man daher auch umgekehrt 1 Kilogr. Wasser um 1°C. erwärmen. Wäre es möglich, die gesammte Wärme, die man durch mechanische Arbeit erhalten hat, wieder in dieselbe Form von Arbeit zurückzuver - wandeln, könnte man also z. B. die sämmtliche Arbeit, die bei der Bewegung einer Dampfmaschine erzeugt wird, wieder zur Erwärmung des Kessels verwenden, so würde man ein perpetuum mobile besitzen, d. h. eine Maschine, die ihre Bewegung fortwährend selbst unterhielte, ohne Zufuhr von neuem Heizungsmaterial. Eine solche Maschine könnte jedoch keine Arbeit nach aussen abgeben, man würde also durch die - selbe niemals Arbeit gewinnen können. Da aber nicht einmal alle durch eine gewisse mechanische Arbeit gewonnene Wärme sich wieder in Arbeit zurückverwandeln lässt, so ist selbst in dieser Form ein perpetuum mobile unmöglich.
Jede Naturkraft kann sowohl als lebendige Kraft wie als Spann - kraft existiren. Wie die mechanische Kraft bald wirklich Bewegung erzeugt, bald bloss solche zu erzeugen strebt, also gleichsam latent wird, so kann auch die Wärme latent werden. Dies geschieht dann, wenn sie auf feste oder flüssige Körper übergeht und den Abstand der kleinsten Theilchen dieser Körper vergrössert. In solchem Fall wird diesen Theilchen, gerade so wie dem in die Höhe gehobenen Gewichte, eine Spannkraft mitgetheilt, die sich als Verminderung der lebendigen Kraft der Wärme geltend macht, die aber, sobald die Theil - chen wieder in ihren früheren Zustand übergehen, auch wieder zu Wärme wird. Die Elektricität ist entweder elektrische Spannung, Spannkraft, oder bewegte Elektricität, lebendige Kraft. Die chemischen Kräfte endlich sind Anziehungskräfte zwischen den qualitativ verschiedenen Atomen. Sind diese Anziehungskräfte bloss als ein Streben zur Ver - bindung der Atome vorhanden, so sind sie Spannkräfte, erzeugen sie die Verbindung wirklich, so sind sie lebendige Kräfte. Die Atome im freien Zustand oder in losen Verbindungen haben Spannkräfte in sich, d. h. sie besitzen ein Streben in festere Verbindungen überzugehen. So hat z. B. der freie Sauerstoff Spannkraft, d. h. ein Verwandtschafts - bestreben zu allen oxydirbaren Körpern. Verbindet er sich wirklich, verbrennt z. B. Wasserstoff mit Sauerstoffgas, so geht die Spannkraft in lebendige Kraft über, die sich in diesem Fall als Licht und Wärme äussert. In dem entstandenen Product, dem Wasser, ist, als in einer sehr fixen Verbindung, keine nachweisbare Spannkraft mehr vorhan - den. Will man daher das Wasser in seine Elemente trennen, so muss man von aussen lebendige Kraft, z. B. Elektricität, zuführen. In den Trennungsproducten, Sauerstoff und Wasserstoff, ist dann die zugeführte lebendige Kraft wieder als Spannkraft enthalten.
13Die allgemeinsten Naturgesetze.Dem Princip der Erhaltung der Kraft lässt sich ein sehr einfacher mathemati - scher Ausdruck geben. Bezeichnen wir in dem obigen Beispiel der Uhr das Uhrge - wicht mit p, die Höhe, auf die es gezogen wird, mit h, so ist offenbar p. h, das Pro - duct des Gewichts in die gehobene Wegstrecke, der Ausdruck für die dem System anfangs mitgetheilte lebendige Kraft. Nennen wir nun in einem beliebigen Moment des Ablaufens der Uhr p' die Strecke, um die das Gewicht schon gesunken ist, und S die vorhandene Spannkraft, so ist p h = S + p h', d. h. die anfangs mitge - theilte lebendige Kraft ist = der Spannkraft + der schon verausgabten lebendigen Kraft. Da nun für jedes Bewegungssystem die anfangs mitgetheilte lebendige Kraft constant ist, so können wir die obige Gleichung auch schreiben S + p h' = Const., eine Gleichung, die offenbar unser Princip nur in einem mathematischen Symbol aus - drückt. Denken wir uns statt des Systems der Uhr das System aller Kräftewirkungen der Welt, so wird für diese die nämliche Gleichung gelten.
Es ist leicht ersichtlich, dass die physikalischen Gesetze, die wir12 Zusammenhang der allgemein - sten Naturge - setze. hier aufgeführt haben, in einem sehr innigen Zusammenhang mit ein - ander stehen, so dass sich keines derselben hinwegdenken liesse, ohne damit zugleich alle anderen zu gefährden. Der Satz von der Erhal - tung der Materie und der andere von der Erhaltung der Kraft sind eigentlich nur die Kehrseiten eines und desselben Princips. Die Ma - terie lernen wir nur kennen, insofern sie Kräfte ausübt. Eine Materie ohne Kraftäusserung ist ebenso eine Abstraction, der die Wirklichkeit nicht entspricht, wie eine Kraft, die an keine Materie gebunden ist. Ist aber die Materie nur das Substrat der Naturkräfte, so sind Con - stanz der Materie und Constanz der Kraft nothwendig an einander gebunden. Das Princip von der Erhaltung der Kraft führt ferner noth - wendig zu dem Princip von der geradlinigen Wirkung der Kräfte. Sobald man voraussetzte, dass andere als Centralkräfte in der Natur vorkämen, würde die Erhaltung der Kraft nicht mehr gültig sein. Ebenso stehen die Gesetze von der geradlinigen Wirkung, von der Zu - sammensetzung der Kräfte und von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung theils unter einander theils zu dem Gesetz der Erhal - tung der Kraft in inniger Wechselbeziehung.
Aus den hier aufgestellten allgemeinen Naturgesetzen ergeben13 Anwendung der erörterten Gese - tze auf die Er - scheinungen. sich die Gesetze der Bewegung, die bei der Einwirkung beliebiger Na - turkräfte zur Aeusserung kommen, als unmittelbare Folgerungen. Die Wissenschaft, welche diese Folgerungen entwickelt, ist die Mechanik. Da nun aber alles Geschehene in der Natur auf Bewegungen zurück - geführt werden kann, so kann auch die ganze Physik nur eine ange - wandte Mechanik sein. Doch ist der gegenwärtige Zustand der Wis - senschaft allerdings noch ziemlich weit von der Erreichung dieses Zieles entfernt. Die Ursache dieser Unvollkommenheit liegt hauptsäch - lich darin begründet, dass unsere physikalische Kenntniss der Materie und der zwischen den kleinsten Theilchen derselben wirksamen Kräfte noch eine hypothetische ist. Denn wenn auch die Sätze der Mechanik14Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.eine ganz allgemeine Gültigkeit besitzen, von welcher Art die wirken - den Kräfte, und von welcher Beschaffenheit und Vertheilung im Raum die Punkte oder Massen sein mögen, zwischen denen die Kräfte wirken, so müssen wir doch, um jene auf die Naturerscheinungen anwenden zu können, von einer bestimmten Ansicht über die Beschaffenheit der Materie, welche die Trägerin aller Naturkräfte ist, ausgehen. Diese Ansicht kann aber so lange nur als eine hypothetische gelten, als, wie dies gegenwärtig noch der Fall ist, in den Naturerscheinungen zwar genügende Wahrscheinlichkeitsgründe, aber keine zwingenden Beweise für dieselbe gefunden werden können. Wir stellen die jetzt allgemein angenommene Theorie über die physikalische Natur der Ma - terie voran und gehen dann zu einer übersichtlichen Darstellung der allgemeinen Bewegungsgesetze über*)Den Gegenstand des vorstehenden Capitels in seiner philosophischen Bedeutung findet man erörtert in der Schrift des Verf. : die physikalischen Axiome und ihre Beziehung zum Causalprincip. Erlangen 1866..
Alles Ausgedehnte im Raume bezeichnen wir als Materie. Wir kennen die Materie nur aus den Kräften, die sie äussert. Wir neh - men die Materie mit unsern Sinnen wahr, wenn bestimmte Kräfte der - selben auf unsere Sinnesorgane einwirken. Wir studiren die physika - lischen Eigenschaften der Materie, indem wir möglichst vollständig die Wirkungsweise ihrer Kräfte zu ermitteln suchen. Die Materie aller Körper hat vorzüglich die zwei Eigenschaften gemein, dass sie aus - gedehnt ist, und dass sie einer äussern Kraft einen gewissen Wider - stand entgegensetzt. Wollen wir daher einen allgemeinen Begriff von der Materie überhaupt gewinnen, so müssen wir unsere Untersuchung zunächst auf diejenigen Kräfte beschränken, durch welche jene beiden Grundeigenschaften der Materie bedingt sind. Die Ansicht, die man hierdurch von dem Wesen der Materie gewinnt, bleibt jedoch desshalb immer eine hypothetische, weil wir auf die Kräfte, die im Innern der Körper wirksam sind, nur aus den Kräften, die nach aussen wirken, zurückschliessen können. Es ist nun eine höchst wahrscheinliche Vor - aussetzung, dass, wie wir die Körper als ganze Anziehungs - und Ab - stossungskräfte äussern sehen, so auch die kleinsten Theile derselben theils mit Anziehungs - theils mit Abstossungskräften begabt sind. So nehmen wir an, dass die Cohäsion der Körper auf einer gegensei - tigen Anzeihungskraft ihrer Theile beruht. Ein Körper müsste augen - blicklich in den feinsten Staub zerfallen, wenn jene Anziehung in ihm nicht mehr vorhanden wäre. Dagegen führen wir die Elasticität15Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen.der Körper, jene Eigenschaft, durch die sie äussern formändernden Kräften Widerstand leisten, auf eine gleichzeitige Wirksamkeit anziehen - der und abstossender Kräfte zurück. Wenn ein Körper einer äussern deh - nenden Kraft, die sein Volum zu vergrössern strebt, Widerstand leistet und nach dem Aufhören derselben wieder zum früheren Volum zurück - kehrt, so müssen wir dies jedenfalls auf die Anziehungskräfte in sei - nem Innern beziehen. Wenn der Körper aber ebenso einer äussern Kraft, die ihn zusammendrückt, und sein Volum zu verkleinern sucht, Widerstand leistet, so nehmen wir Abstossungskräfte an, die in dem Moment wirksam werden, in welchem die kleinsten Theile des Körpers über das Maass ihrer natürlichen Entfernung sich nähern sollen. Diese natürliche Entfernung selbst aber betrachten wir als diejenige, bei welcher zwischen Anziehungs - und Abstossungskräften Gleichgewicht herrscht. Man hat die kleinsten Theilchen der Materie, welche die Träger jener Kräfte sind, die Atome genannt. Wenn man hiermit diesen Elementen, wie es der Name ausdrückt, die Eigenschaft der Untheilbarkeit zuerkennt, so darf dies übrigens nur in relativem Sinne genommen werden. Es soll dadurch nicht mehr gesagt sein, als dass jeder Körper aus einer sehr grossen Menge einzelner Kraftcentren besteht, ebenso wie er selber andern Körpern gegenüber ein einziges Kraftcentrum darstellt. Es steht also nicht nur frei sich die Atome selber noch unendlich theilbar zu denken, sondern man muss sogar zugeben, dass wir selbst physikalisch ein Element, das wir in Rücksicht auf gewisse Erscheinungen als eine letzte Einheit betrachten, oft hinsichtlich anderer Erscheinungen in noch weitere Ein - heiten zerlegen müssen. Die Atome sind, um es kurz auszudrücken, nicht die Elemente, in die man die Materie zerlegen kann, sondern diejenigen, in die man sie, durch die Erscheinungen genöthigt, zer - legen muss.
Wenn man nun die Atome einfach als die Träger der Anziehungs - und Abstossungskräfte der Körper bezeichnet, so ist es offenbar schwer denkbar, dass dieselben Theilchen der Materie, die einander anzie - hen, gleichzeitig sich abstossen sollten. Man entgeht dieser Schwie - rigkeit durch die auch in andern Erscheinungen ihre Stütze findende Annahme, dass zweierlei Atome innig gemengt in den Körpern vor - kommen, solche mit Anziehungs - und solche mit Abstossungskräften. Die ersteren bezeichnet man auch als die Atome aus wägbarer Materie, weil sie die Veranlassung sind, dass die Körper gegen die Erde gravitiren und dadurch ein gewisses Gewicht besitzen. Die letz - teren bezeichnet man als die Atome aus unwägbarer Materie oder, weil man die unwägbare Materie Aether nennt, als die Aetheratome. Die Lichterscheinungen nöthigen uns zu der Annahme, dass der Aether ebenso wie die wägbare Materie aus gesonderten Theilchen besteht. Die Lichterscheinungen und ein Theil der Wärmeerscheinungen lassen16Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.als Bewegungen dieser unwägbaren Atome sich nachweisen. Dagegen werden die Erscheinungen der Elektricität und des Magnetismus aus einer andern oder vielmehr aus zwei andern unwägbaren Materien, den beiden elektrischen Flüssigkeiten, hergeleitet, die man sich als continuirlich den Raum erfüllend vorstellen kann, weil bis jetzt noch keine Thatsachen gefunden sind, welche uns nöthigten, auch diese Materien in Atome zu sondern. Es mag also sein, dass die elektri - schen Flüssigkeiten den Raum einnehmen, welcher zwischen den wäg - baren und den Aetheratomen noch frei ist; vielleicht aber gelingt es auch mit der Zeit noch darzuthun, dass es nicht erforderlich ist, für die elektrischen Erscheinungen eine besondere Materie ausser dem Aether und der wägbaren Masse vorauszusetzen. Die Beobachtung spricht dafür, dass sowohl der Aether als die elektrischen Flüssigkei - ten immer gebunden sind an wägbare Materie, oder dass sie wenig - stens in dieser in grösserer Dichte sich anhäufen. Man muss daher der wägbaren Materie eine Anziehungskraft gegen die unwägbare zu - schreiben. Was insbesondere den Aether betrifft, so wird dessen Ver - halten zu den wägbaren Atomen folgendes sein müssen. Jedes wäg - bare Atom ist, da es den Aether anzieht, von einer Hülle aus Aether - atomen umgeben. Die Dichte dieser Hülle nimmt aber, da die Aether - atome selber sich abstossen, von innen nach aussen hin ab.
Die abstossenden Kräfte der Aetheratome sind ausschliesslich Molecularkräfte; sie wirken nicht in die Ferne. Man nimmt daher an, dass die Intensität dieser in kleinen Abständen sehr bedeutenden Kräfte so rasch abnimmt, dass sie in merklichen Entfernungen ver - schwindet. Die anziehenden Kräfte der wägbaren Atome aber wirken in die Ferne. Jeder Körper übt daher als wägbare Masse auf andere Körper eine Anziehung, deren Stärke im umgekehrten Verhältnisse des Quadrates der Entfernung steht. Wir haben grossartige Beispiele die - ser Fernewirkungen wägbarer Körper in den Bewegungen der Him - melskörper vor Augen; wir sehen täglich solche Beispiele bei dem Fal - len der irdischen Körper, und selbst das Gewicht dieser Körper beruht aut einer Wirkung in die Ferne, auf der gegenseitigen Anziehung, welche zwischen ihnen und dem Erdkörper stattfindet.
Wir haben schon früher (§. 9. Anm.) angegeben, dass die Wirkung, welche zwei Massen m und m', die sich in einer gegenseitigen Entfernung r befinden, auf einander ausüben, durch den Bruch 〈…〉 ausgedrückt wird. Für die Planetenbewegungen ist dieses allgemeine Gesetz der Massenanziehung schon seit langer Zeit auf astrono - mischem Wege bestätigt worden. Dass dasselbe auch für je zwei irdische Körper gültig ist, hat Cavendish nachgewiesen, indem er zeigte, dass eine grosse Bleimasse auf eine kleine metallene Kugel anziehend wirkte und dadurch einen empfindlichen Hebel, an welchem diese Kugel befestigt war, in Bewegung setzte.
Ein stetiger Fortschritt zur Vereinfachung der Ansichten über die Constitution17Von der Beschaffenheit der Materie und den Aggregatzuständen.der Materie lässt sich neben der grösser werdenden Sicherstellung derselben in der Geschichte der Physik nicht verkennen. Das Licht und die Wärme führte man früher jedes auf eine besondere unwägbare Materie zurück. Den Lichtstoff dachte man sich aus kleinen Theilchen bestehend, die in der Richtung der Fortpflanzung des Lichts sich geradlinig fortbewegten. Der Wärmestoff sollte als ein continuirliches Medium sich in den Körpern bald mehr bald weniger anhäufen. Ebenso hielt man den Magnetis - mus für ein von der Elektricität verschiedenes unwägbares Fluidum. Nachdem nach - gewiesen ist, dass Licht und Wärme nicht Stoffe sondern Bewegungen sind, und dass keinerlei Grund zu der Voraussetzung vorliegt diese Bewegungen verschiedenen Sub - straten zuzuschreiben, wohl aber viele Gründe für die Identität des Substrates spre - chen, nachdem ferner der Magnetismus auf elektrische Erscheinungen zurückgeführt ist, liegt offenbar die Versuchung nahe, nur eine einzige unwägbare Materie neben der wägbaren anzunehmen und auch die elektrischen Erscheinungen aus Bewegungen der - selben abzuleiten. Man hätte dann nur zweierlei Materien in der Körperwelt, ent - sprechend den zweierlei denkbaren Kräften der Anziehung und der Abstossung. Mag aber auch diese Ansicht philosophisch noch so begründet sein, so ist doch jeder Ver - such ihrer physikalischen Durchführung bis jetzt verfrüht gewesen.
Die besonderen Zustände der Materie bezeichnet man als15 Aggregatzu - stände. die Aggregatzustände, weil man dieselben zurückführt auf die Art und Weise, wie in den einzelnen Körpern die kleinsten Theilchen, die wägbaren und die unwägbaren Atome, an einander gefügt, aggre - girt sind. Jeder Körper ist ein Aggregat von Atomen. Die wesent - lichen physikalischen Verschiedenheiten der Körper müssen daher davon abhängen, welche Lage die Atome zu einander haben, und welche Bewegungen sie gegen einander ausführen.
Das wesentliche Merkmal des festen Aggregatzustandes besteht darin, dass die Körper zusammenhängende Ganze von be - stimmter Form bilden, die nicht die Form des Raumes annehmen, in welchem sie sich befinden. Es bedarf daher meistens einer ziemlich bedeutenden Kraft, um die Form der festen Körper erheblich zu än - dern, und einer noch bedeutenderen, um ihren Zusammenhang aufzu - heben. Wir müssen aus diesem Verhalten schliessen, dass die Atome der festen Körper Anziehungskräfte auf einander ausüben, welche die gegenseitige Abstossung der Aetheratome überwiegen.
Im flüssigen Aggregatzustande können die einzelnen Theil - chen des Körpers beliebig ihre Lage gegen einander wechseln, wobei aber stets je zwei benachbarte Theilchen die gleiche Entfernung von einander behalten. Jede Flüssigkeit nimmt daher die Form des Gefäs - ses an, in dem sie enthalten ist, ohne jedoch ihr Volum zu verändern, vorausgesetzt, dass nicht sehr bedeutende Druckkräfte von allen Seiten auf sie einwirken. Wir dürfen hieraus folgern, dass zwischen den Theilchen einer Flüssigkeit die Anziehungs - und Abstossungskräfte einander annähernd das Gleichgewicht halten.
Im gasförmigen Aggregatzustand haben die Körper das Streben sich so weit auszudehnen, als der vorhandene Raum es erlaubt. Wundt, medicinische Physik. 218Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.Man schreibt daher den Gasen, gegenüber der Cohäsionskraft der festen Körper, eine Expansivkraft zu. Offenbar muss der gasförmige Aggregatzustand auf ein Ueberwiegen der abstossenden Kräfte zwischen den Atomen zurückgeführt werden.
Ein und derselbe Körper kann in den drei Aggregatzuständen vorkommen. Unter dem Einfluss der Wärme werden feste Körper flüssig, indem sie zugleich ihr Volum vergrössern, und gehen Flüssig - keiten unter noch weiterer Zunahme des Volumens in Gase über. Man darf hieraus schliessen, dass sich die wägbaren Atome im festen Aggre - gatzustand am nächsten, im gasförmigen dagegen am fernsten sind. Darnach sind die Unterschiede der Aggregatzustände leicht aus der Atomtheorie abzuleiten. Da nämlich die anziehenden Kräfte der wäg - baren Atome mit der Annäherung zunehmen, so muss, wenn sich diese Atome bei der Volumänderung von einander entfernen, ein Punkt ein - treten, wo ihre Anziehungskräfte nur noch sehr gering sind, so dass zwar die einzelnen Molecüle noch an einander haften, aber durch sehr kleine äussere Kräfte, wie z. B. durch ihre eigene Schwere, schon von einander getrennt werden können: in diesem Fall ist der feste Körper zur Flüssigkeit geworden. Bei noch weiterer Vergrösserung des Volu - mens endlich muss ein Punkt eintreten, wo die abstossenden Kräfte, welche die Aetherhüllen der wägbaren Atome auf einander ausüben, über die Anziehungskräfte überwiegen: dann hat der Körper Expan - sivkraft erhalten, er ist in den gasförmigen Zustand übergetreten.
Von der hier als allgemeine Regel aufgestellten Volumänderung der Körper bei der Aenderung ihres Aggregatzustandes bildet das Wasser, welches beim Gefrieren an Volumen zunimmt, eine bekannte Ausnahme. Diese Ausnahme ist aber in der That nur eine schein - bare, da das Eis ein krystallisirter Körper ist, in welchem die Molecüle nach verschiedenen Richtungen eine verschiedene gegenseitige Entfer - nung besitzen. Das Volum ist abhängig von der Distanz in allen Richtungen, während eine Annäherung der Molecüle in einer einzigen Richtung schon zur Herbeiführung des festen Aggregatzustandes ge - nügen kann. Ueber den Grund, wesshalb die Temperaturveränderung die Distanzverhältnisse der Atome und dadurch die Aggregatzustände verändert, wird in der Lehre von der Wärme gehandelt werden.
Da alle Veränderungen in der Natur auf Bewegungen zurückge - führt werden können, so muss die Untersuchung der allgemeinen Ge - setze der Bewegung die erste Aufgabe der Naturlehre sein. Ehe man aber die Bewegungsgesetze erörtert, muss festgestellt sein, unter wel - chen Bedingungen überhaupt Bewegungen stattfinden. Mit dieser Vor -19Die Gesetze der Bewegung.frage hat es die Statik oder Lehre vom Gleichgewicht zu thun. Sie untersucht, welche Grösse und Richtung die auf irgend einen Punkt oder Körper wirkenden Kräfte haben müssen, wenn derselbe in Ruhe verbleiben soll, und welches, falls kein Gleichgewicht zwischen den Kräften existirt, die Grösse und Richtung der stattfindenden Bewe - gung ist. Die Dynamik oder Lehre von der Bewegung hat sodann die Aufgabe aus der Grösse und Richtung der in jedem Augenblick auf einen Punkt oder Körper wirkenden Kräfte die Gesetze zu ent - wickeln, nach welchen in der Zeit und im Raum die Bewegung erfolgt.
Wenn irgend welche Kräfte auf einen Punkt im Raum einwirken,18 Parallelogramm der Kräfte. so lassen sich drei Fälle unterscheiden: entweder haben die Kräfte gleiche Richtung, oder sie liegen in derselben Geraden, haben aber ent - gegengesetzte Richtung, oder endlich sie schliessen irgend welche Winkel mit einander ein. Für diese drei Fälle ergibt sich die auf den Punkt ausgeübte Wirkung aus dem Princip der Zusammensetzung der Kräfte. (§. 10). Wenn zwei Kräfte die nämliche Richtung besitzen, so ist ihre Wirkung offenbar gleich der Summe ihrer Einzelwirkungen; haben sie entgegengesetzte Richtungen, so geht die Wirkung nach der Richtung der grösseren Kraft, und ist an Grösse gleich der Differenz der zwei Einzelwirkungen. Schliessen hingegen zwei Kräfte, die den Punkt in Bewegung zu setzen streben, einen Winkel mit einander ein, indem die eine nach der Richtung a b, die andere nach der Richtung a c geht, so wird, nach dem angeführten Princip, falls die erste Kraft allein den Punkt nach b, die zweite Kraft allein denselben nach c gebracht hätte, die vereinigte Wirkung beider Kräfte
ihn nach d bringen. Denn denken wir uns, die Kräfte hätten successiv ge - wirkt, so würde der Punkt zuerst den Weg a b und dann den Weg b d, welcher gleich und parallel a c ist, beschrieben haben. Es lässt sich aber auch weiterhin leicht einsehen, welchen Weg der Punkt, um zu diesem Endziel zu gelangen, unter dem gleichzeitigen Einfluss beider Kräfte wirk - lich beschreibt. Wir können nämlich die Wirkung jeder einzelnen Kraft offenbar in beliebig kleine Theile zerlegen. Denken wir uns nun, in einem gewissen Moment der Bewegung hätte die erste Kraft den Punkt bis β, die zweite ihn bis γ gebracht, so wird die vereinigte Wirkung beider Kräfte ihn nach δ gefördert haben. Suchen wir so immer für je zwei der einander entsprechenden Punkte der Linien a b und a c, den Ort auf, wo sich der Punkt wirklich befinden muss, so bilden alle diese Oerter zusammen eine gerade Linie a d, welche die Diagonale des zu a b und a c ergänzten Parallelogramms ist. Man bezeichnet wegen dieser Construction den vorliegenden Lehrsatz als den Satz2 *20Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.vom Parallelogramm der Kräfte. Die nach a b und a c wir - kenden Kräfte nennt man die Seitenkräfte oder Componenten, die nach der Richtung a d zur Aeusserung kommende Kraftwirkung nennt man die Resultante. Da die Kräfte nur nach ihren Wirkun - gen gemessen werden können, so stellen die Linien a b und a c die Componenten nach ihren Grössen und Richtungen dar, und ebenso giebt die Linie a d die Grösse und Richtung der Resultirenden an. Für den Effect ist es somit ganz gleichgültig, ob eine Kraft von der Grösse und Richtung a d, oder ob zwei Kräfte, deren Grösse und Richtung durch a b und a c bezeichnet wird, auf einen Körper einwirken, und man kann daher ebensowohl die Resultante durch ihre beiden Com - ponenten, wie die Componenten durch ihre Resultante ersetzt denken, eine Folgerung, die für die practische Anwendung von Wichtigkeit ist.
Obgleich der Satz vom Parallelogramm der Kräfte hier zunächst nur für zwei Kräfte entwickelt wurde, so ist er doch leicht auf be - liebig viele Kräfte, die auf einen Punkt wirken, anzuwenden. Man braucht für diesen Zweck nur zuerst die Resultante für zwei der gege - benen Kräfte durch Construction ihres Parallelogramms aufzufinden, dann für diese Resultante und die dritte Kraft ein neues Parallelogramm zu construiren, so hat man offenbar in der Diagonale des letzteren die Resultante der drei Kräfte vor sich; man kann hierauf zu einer vierten Kraft übergehen, u. s. w. Nach demselben Princip lässt sich aber ebenso eine einzige Kraft statt in zwei in beliebig viele Componenten zerlegen, indem man die zwei ersten Componenten wieder als Resul - tanten aus je zwei Componenten betrachtet, u. s. w. Ein einziger Fall ist noch besonders hervorzuheben, der Fall nämlich, wo drei Kräfte nach verschiedenen Richtungen des Raumes wirken. Hier kann man aus den drei Kräften ein Parallelepiped, ähnlich wie aus den zwei Kräften ein Parallelogramm, construiren, und die Diagonale des Paral - lelepipeds gibt dann direct die Grösse und Richtung der Resultiren - den an.
Wenn Kräfte nicht auf einen Punkt oder auf einen Körper wir - ken, der annähernd als Punkt betrachtet werden kann, so reicht man mit dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte nicht mehr aus. Neh - men wir an, es wirkten mehrere Kräfte auf eine starre Linie oder einen stabförmigen Körper ein, so wird hier ein Fall sich ereignen können, der bei der Wirkung auf einen Punkt gänzlich unmöglich ist; die Kräfte können nämlich die Linie zu drehen streben. Betrachten wir als einfachsten Fall denjenigen, wo zwei Kräfte a b und c d (Fig. 4) einander parallel an den entgegengesetzten Enden der Linie einen Zug ausüben. Es wird dann die ganze Linie in der Richtung der bei - den Kräfte vorwärts bewegt, und sie wird zugleich im Sinne der grös - seren Kraft c d gedreht werden. Unterstützen wir nun die Linie etwa21Die Gesetze der Bewegung.bei s, so dass keine fortschreitende Be - wegung derselben mehr möglich ist, so wird höchstens eine Drehung um den Un - terstützungspunkt noch erfolgen können. Man bezeichnet eine derartige Linie, die an irgend einem Punkt so unterstützt ist, dass sie nicht fortbewegt, sondern nur um
den Unterstützungspunkt gedreht werden kann, als einen einfa - chen Hebel. Wie stark die unterstützende Kraft sein muss, damit keine fortschreitende Bewegung der Linie eintrete, ergibt sich schon aus den für das Gleichgewicht eines Punktes festgestellten Bedingun - gen. Wenn, wie in unserer Figur, die Kräfte parallel und gleicher Richtung sind, so muss die Unterstützung mindestens der Summe der - selben gleich sein. Wenn die Kräfte parallel, aber entgegengesetzter Richtung sind, so muss die unterstützende Kraft gleich ihrem Unter - schied sein. Wenn endlich die Richtungen der Kräfte verlängert ge - dacht einen Winkel mit einander einschliessen, wenn z. B. c g und a e in Fig. 5 die Richtungen der Kräfte sind, so zerlegt man eine jede nach dem Satz vom Parallelogramm in der Weise, dass zwei Seiten - kräfte c h und a f von gleicher Grösse und entgegengesetzter Richtung entstehen und also die parallelen Seitenkräfte c d und a b übrig blei - ben. c h und a f heben sich auf, bewirken also keine Bewegung, und um die fortschreitende Bewegung, welche a b und c d erzeugen wür - den, aufzuheben, muss man irgendwo an der Linie eine unterstützende Kraft anbringen, deren Grösse wieder der Summe jener beiden paral - lelen Kräfte gleich ist. Nachdem also in Bezug auf fortschreitende Bewegung die Kräftewirkung an einer Linie ganz auf die nämlichen Sätze zurückgeführt ist, die für die Kräftewirkung an einem Punkte gelten, bleibt hier nur noch jene drehende Wirkung der Kräfte zu betrachten übrig.
Sind wieder a b und c d (Fig. 5) die beiden an den Endpunkten der Linie wirkenden Kräfte, so wird offenbar nichts geändert, wenn man am Punkt a noch eine Kraft a f und am Punkt c eine ihr glei - che c h von entgegengesetzter Richtung hinzufügt, da beide sich auf - heben. Nun würden a b und a f zusammen die resultirende Kraft a e, c d und c h zusammen die resultirende Kraft c g bilden. Da es aber vollkommen gleichgültig ist, ob man a f und c h hinzufügt, so ist es auch gleichgültig, ob man statt der Kräfte a b und c d die Kräfte a e und c g setzt. Verlängert man die Richtungen a e und c g bis zu ihrem Durchschnittspunkt i, und denkt man sich, die Linien a i und i c wären gewichtslose, mit dem Hebel a c fest verbundene Stangen, so würde offenbar durch das Dasein derselben an der Bewegung des Hebels gar nichts geändert. Es würde aber dann auch ganz gleich - gültig sein, an welchem Punkt der Linie a i die Kraft a e wirksam wäre,22Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.ob am Punkt a oder am Punkt i oder an irgend einem Punkt dazwi - schen, und ebenso wäre es gleichgültig, an welchem Punkt der Linie i c die Kraft c g wirksam wäre. Man könnte sich also beide Kräfte an dem nämlichen Punkte i, dem Durchschnittspunkt ihrer Richtungen
wirksam denken. Damit ist das Problem der Wirkung zweier Kräfte auf eine Linie auf das schon gelöste Problem der Wirkung der Kräfte auf einen Punkt zurückgeführt. Man kann nun am Punkte i das Kräfteparallelogramm construiren, indem man i m = a e und i n = c g macht. Man erhält die Resultirende i s, welche den Hebel a c im Punkte s trifft. Wenn man demnach im Punkte s eine jener entgegengesetzt gerichtete Kraft von der Grösse i s anbringt, so können die Kräfte i m und i n, beziehungsweise die ihnen gleichbedeutenden a e und c g, keine bewegende Wirkung hervorbringen. Man muss also im Punkte s den Hebel a c mit einer Kraft gleich i s unterstützen, damit durch die Kräfte a e und c g, und demnach auch durch die Kräfte a b und c d, keiner - lei Bewegung hervorgebracht werde. Da nun bewiesen ist, dass der Punkt i des mit a c in fester Verbindung gedachten Systems a i c durch die Wirkung einer der Resultanten i s gleichen und entgegengesetzt gerichteten Unterstützungskraft an seinem Ort bleibt, so muss auch das ganze System mit dem Hebel a c unverrückt bleiben, d. h. es kann weder fortschreitende noch drehende Bewegung des Hebels erfolgen. Die Kraft i s aber muss, wie schon oben gefunden wurde, gleich der Summe der beiden Parallelkräfte a b und c d sein, damit keine fort - schreitende Bewegung der Linie a c eintreten kann. Da es endlich in Bezug auf fortschreitende Bewegung gleichgültig sein würde, an wel - chem Punkt von a c die Unterstützungskraft wirksam wäre, so kann die Bedingung, dass diese Kraft bei s ihren Angriffspunkt haben soll, um sowohl in Bezug auf fortschreitende als drehende Bewegung Gleich - gewicht herzustellen, nur die Bedeutung haben, dass nur dann, wenn sich die Unterstützung im Punkte s befindet, eine Drehung nicht statt - finden kann. Wenn man also dieselbe unterstützende Kraft an irgend einem andern Punkte der Linie a c anbrächte, so würde zwar auch23Die Gesetze der Bewegung.keine fortschreitende Bewegung, dagegen eine drehende Bewegung um den unterstützten Punkt eintreten.
Offenbar ist die Lage des Punktes s abhängig von dem Grössen - verhältniss der beiden Kräfte a b und c d. Um die hier stattfindende Beziehung zu finden, erwäge man dass das Dreieck a e b ähnlich dem Dreieck a i s und das Dreieck c d g ähnlich dem Dreieck i s c ist, indem sich verhält a s: e b = i s: a b und s c: d g = i s: c d oder, da nach der Construction d g = e b ist, s c: e b = i s: c d. Aus der ersten Pro - portion folgt a b. a s = i s. e b, aus der zweiten c d. s c = i s. e b, und hieraus endlich a b. a s = c d. s c. Man nennt die Entfernungen der Angriffspunkte a und c von dem Unterstützungspunkt s die Hebelarme der Kräfte, a s ist also der Hebelarm der Kraft a b und c s der Hebelarm der Kraft c d. Das in der obigen Gleichung ausgedrückte Gesetz heisst somit: wenn keine Drehung am Hebel erfolgen soll, so müssen die Producte der Kräfte in ihre Hebelarme einander gleich sein, oder: die Kräfte müssen sich zu einander verhalten umgekehrt wie ihre Hebelarme. Das Product einer Kraft in den Hebelarm, an dem sie wirkt, nennt man das statische Moment dieser Kraft, und das obige Gesetz lässt sich daher auch so ausdrücken: die statischen Momente der einander entgegenwirkenden Kräfte müssen gleich sein. Es ist nun eine in der Mechanik geläufige Bezeichnung, dass man, wenn Kräfte nach entgegengesetzten Richtungen gehen, die eine Richtung positiv und die andere negativ nimmt, es muss dann offenbar, wenn keine Drehung geschehen soll, die Summe der statischen Momente gleich null sein, ein Satz, der selbstverständlich auch dann gilt, wenn die Anzahl der Kräfte eine beliebig grosse ist.
Dass die in der Fig. 5 erhaltene Resultante i s wirklich = a b + c d ist, wie dies der früher gelieferte Beweis, nach welchem die Resultante der fortschreitenden Bewegung gleich der Summe der am Hebel wirkenden Parallelkräfte sein muss, for - dert, lässt sich leicht einsehen. Man ziehe nämlich von n aus eine Senkrechte auf i s. Es entstehen dann zwei rechtwinklige Dreiecke, deren oberes die Hypothenuse i n = c g, deren unteres die Hypothenuse n s = a e hat. Nun sind aber rechtwinklige Dreiecke, deren Hypothenusen gleich sind, einander gleich, folglich ist das Δ i o n = c d g, das Δ n o s = a b e, d. h. i o ist = c d und o s = a b.
Die beiden Lehrsätze vom Parallelogramm und von den stati - schen Momenten der Kräfte enthalten, obgleich sie zunächst an geo - metrischen Punkten und Linien gefunden sind, doch Alles was nöthig ist, um auch für den in der Natur allein vorkommenden Fall, wo Kräfte auf physische Körper einwirken, sobald nur diese Kräfte ihrer Grösse und Richtung nach gegeben sind, festzustellen, ob Gleichgewicht besteht, oder ob Bewegung eintreten muss. Denn die fortschreitende und die drehende Bewegung sind die einzigen Formen der Bewegung, die überhaupt in der Natur möglich sind. Soll ein Körper unter dem Einfluss der auf ihn wirkenden Kräfte in Ruhe bleiben, so muss 1) die24Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.durch das Kräfteparallelogramm erhaltene Resultirende gleich null sein, und es muss 2) die Summe der statischen Momente der Kräfte gleich null sein. Ist die Resultirende nicht gleich null, so tritt eine fort - schreitende Bewegung in ihrer Richtung ein. Ist die Summe der sta - tischen Momente nicht gleich null, so erfolgt eine Drehung im Sinne des überwiegenden Momentes.
Hierbei ist aber die Frage noch nicht in Rücksicht gezogen, mit welcher Geschwindigkeit die Bewegung erfolgt, wenn die Resul - tirende, oder wenn die Summe der statischen Momente nicht gleich null ist. In Bezug auf die fortschreitende Bewegung ist dies zunächst ohne Bedeutung. Da wir die Grösse der Kräfte nur nach ihren Wir - kungen, nach den erzeugten Bewegungen messen, so wird auch die Grösse der aus dem Kräfteparallelogramm erhaltenen Resultante das Maass für die eintretende fortschreitende Bewegung sein. Anders ver - hält sich dies bei der drehenden Bewegung. Wenn wir von den bei - den am Hebel a c sich das Gleichgewicht haltenden Kräften a b und c d die eine, z. B. die Kraft c d, etwas steigern, so dass das Gleich - gewicht gestört wird und der Angriffspunkt c sich nach c 'bewegt, so wird dadurch gleichzeitig der Angriffspunkt a der Kraft a b nach a' bewegt werden. Nun verhält sich der Bogen a a' zum Bogen c c' wie der Hebelarm a s zum Hebelarm c s, d. h. die bei der Störung des Gleich - gewichts eintretenden Geschwindigkeiten der beiden Angriffspunkte ver - halten sich wie die Entfernungen derselben vom Unterstützungspunkte. Da nun, um Gleichgewicht zu erhalten, die Kräfte im umgekehrten Verhältniss ihrer Entfernungen vom Unterstützungspunkt stehen müs - sen, so werden auch die Kräfte, die eben genügen, um ein Störung des Gleichgewichts hervorzubringen, sich umgekehrt wie ihre Hebelarme ver - halten. Es ergibt sich hieraus die theoretisch und practisch wichtige Folgerung, dass man Kraft durch Geschwindigkeit und Geschwindigkeit durch Kraft ersetzen kann. Die am längern Hebelarm wirkende Kraft a b ersetzt Kraft durch Geschwindigkeit, die am kürzern Hebelarm wirkende Kraft c d ersetzt Geschwindigkeit durch Kraft. Denken wir uns, in c befinde sich ein Gewicht und in a ein Mensch, der an dem Hebel drückt, so kann die Kraft des Menschen kleiner sein als die Grösse des Gewichtes, im selben Verhältniss als der Hebelarm, an dem er drückt, grösser als der Hebelarm des Gewichtes ist. Eine kleine Steigerung der Druckkraft wird nun eine Bewegung des Gewichtes erzeugen. Soll aber das Gewicht nur von c bis nach c 'bewegt wer - den, so muss der Mensch selber die Strecke von a bis nach a' zurück - legen, also einen im selben Verhältniss grösseren Weg, als der Hebel - arm, an dem er drückt, grösser als der Hebelarm des Gewichtes ist. Denken wir uns hingegen, der Mensch befinde sich in c und das Ge - wicht in a, so muss die Kraft des Menschen grösser als das Gewicht25Die Gesetze der Bewegung.sein im nämlichen Verhältniss, wie c s kleiner als a s ist. Wird aber jetzt durch eine Steigerung der Druckkraft eine Drehung erzeugt, so wird das Gewicht von a bis nach a' gefördert, während der Mensch nur von c bis c 'zu gehen braucht; jetzt legt er also einen im selben Verhältniss kleineren Weg als das Gewicht zurück, wie der Hebelarm, an welchem er drückt, kleiner als der Hebelarm des Gewichtes ist. Da es sich bei der practischen Anwendung des Hebels in vielen Fäl - len, ähnlich wie in dem letzten Beispiel, um Weiterförderung von Lasten handelt, so nennt man denjenigen Hebelarm, mit welchem eine Wirkung ausgeübt werden soll, gewöhnlich den Hebelarm der Last, dage - gen denjenigen Hebelarm, an welchem die wirkende Kraft angreift, den Hebelarm der Kraft. Es gilt dann als Regel, dass, wo es sich weniger um Ausübung einer bedeutenden Kraftwirkung als um Erzeu - gung grosser Geschwindigkeit handelt, der Hebelarm der Kraft kleiner sein muss als der Hebelarm der Last, dass hingegen da, wo man nicht Geschwindigkeit sondern Kraftwirkung nöthig hat, der Hebelarm der Kraft grösser sein muss als der Hebelarm der Last. Man nennt dess - halb die Hebel der ersten Art auch Geschwindigkeitshebel und die Hebel der zweiten Art Krafthebel.
Einen Hebel wie den bisher erläuterten, an welchem sich die entgegenwirkenden Kräfte auf entgegengesetzten Seiten vom Unter - stützungspunkt befinden, nennt man einen zweiarmigen Hebel. Es können aber die beiden Kräfte auch auf der nämlichen Seite liegen. Ist z. B. am Ende a des Hebels (Fig. 5) der Unterstützungspunkt, und wirkt bei s eine Kraft nach der Richtung s i, bei c eine Kraft nach der Richtung c d, befindet sich etwa bei c ein nach abwärts drücken - des Gewicht und bei s ein Mensch, der das Gewicht in die Höhe hebt, so nennt man den Hebel einen einarmigen. Auch der einarmige Hebel kann Kraft - oder Geschwindigkeitshebel sein, je nachdem die Last oder die Kraft näher dem Unterstützungspunkt liegt. Es kann endlich der Hebel statt aus einer geraden Stange aus zwei in einem Winkel zusammenstossenden Linien bestehen, es könnte also z. B. m s n (Fig. 5) ein Hebel sein mit den Hebelarmen m s und s n. Einen solchen Hebel nennt man einen Winkelhebel.
Die Wechselbeziehung zwischen Kraft und Geschwindigkeit am21 Princip der vir - tuellen Ge - schwindigkei - ten. Hebel mag uns darauf aufmerksam machen, dass die Bedingung des Gleichgewichts am Hebel auch noch auf eine andere Weise ausge - drückt werden kann als durch die Gleichheit der statischen Momente. Da sich nämlich die Bogen a a' und c c 'verhalten wie die entspre - chenden Hebelarme, so verhalten sich auch die statischen Momente wie die Producte aus den Gewichten in diese die Geschwindigkeiten ausdrückenden Bogen, und es ist Gleichgewicht vorhanden, wenn a b. a a' = c d. c c' ist. Offenbar können wir aber auch statt des Bogens26Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.a a' einen beliebig kleineren Bogen setzen, wenn wir nur den Bogen c c 'verhältnissmässig ebenso verkleinern, und stellen wir uns vor, diese Bogen, statt wie in der Figur eine endliche Grösse zu haben, seien unendlich klein, so würden sie immer noch im selben Verhält - nisse stehen, und der Satz, dass a b. a a' = c d. c c' sein müsse, bliebe richtig. Nun erfolgt in Wirklichkeit, wenn Gleichgewicht vorhanden ist, nicht einmal eine unendlich kleine Drehung, sondern es ist nur das Streben vorhanden, solche Drehungen zu erzeugen, die sich wie a a' zu c c 'verhalten; man nennt daher die relativen Geschwindigkei - ten a a' und c c' auch bloss virtuelle Geschwindigkeiten. Den Satz, dass, wenn Gleichgewicht vorhanden sein soll, die Summe aus den Producten der Kräfte in ihre virtuellen Geschwindigkeiten null sein muss, bezeichnet man hiernach als das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten.
Dieses Princip lässt sich auch auf die fortschreitende Bewegung anwenden. Lassen wir a e (Fig. 5) wieder eine Kraft bedeuten, so kann diese nach dem Kräfteparallelogramm in die auf einander senk - rechten Seitenkräfte a f und a b zerlegt werden. Da nun, wenn kein Widerstand vorhanden wäre, die eine Seitenkraft den Angriffspunct a nach f und die andere denselben nach b führen würde in derselben Zeit, in welcher die in der That einwirkende Kraft ihn nach e brächte, so hat man bei dieser Zerlegung offenbar nicht eigentlich, wie man angibt, die Kraft a e sondern vielmehr die Geschwindigkeit a e in ihre Seitengeschwindigkeiten zerlegt. Da nun aber die Kraft a e selbst zu - nächst nur ein Streben zur Bewegung ist, indem es noch vom Vorhan - densein anderer Kräfte abhängt, ob wirkliche Bewegung eintritt, so sind auch die Seitengeschwindigkeiten a f und a b nur virtuelle Geschwindigkeiten. Ebenso wie a e kann man jede andere am selben System wirkende Kraft, z. B. c g, nach den nämlichen Richtungen in zwei virtuelle Geschwindigkeiten, c h und c d, zerlegen, und führt man dies successiv mit allen auf das System wirkenden Kräften aus, so bekommt man als schliessliche Bedingung des Gleichgewichtes in Be - zug auf fortschreitende Bewegung, dass die Summe der a c parallelen virtuellen Geschwindigkeiten und die Summe der auf a c senkrechten virtuellen Geschwindigkeiten beide gleich null sein müssen, wobei selbst - verständlich wieder die entgegengesetzt gerichteten Geschwindigkeiten mit entgegengesetzten Vorzeichen zu versehen sind.
Das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten hat hiernach vor dem Satz des Kräfteparallelogramms und des Hebels den Vorzug grös - serer Allgemeinheit, indem es gleichzeitig die Gleichgewichtsbedingun - gen in Bezug auf fortschreitende und in Bezug auf drehende Bewegung enthält. Ausserdem besitzt es den Vorzug grösserer wissenschaftlicher Schärfe, weil es sogleich den Begriff der Geschwindigkeit einführt, der auch in der Statik von Bedeutung ist. Denn ein Gleichgewicht zwischen27Die Gesetze der Bewegung.verschiedenen Kräften bedeutet streng genommen ein Gleichgewicht zwischen den Geschwindigkeiten, welche die Kräfte zu erzeugen streben.
Das Princip der virtuellen Geschwindigkeiten führt auch am leichtesten zu einem mathematischen Ausdruck für die Bedingungen des Gleichgewichts. Bezeichnen wir nämlich die Kraft a e (Fig. 5) durch p, die Kraft c g durch p' und die übrigen etwa am System wirkenden Kräfte durch p″, p‴ u. s. w. Bezeichnen wir ferner den ∟ b a e mit α, d c g mit α 'und die entsprechenden Winkel der übrigen Kräfte mit α″, α‴ u. s. w., so werden die sämmtlichen Componenten, die der Axe a c parallel sind, durch p. sin. α, p'. sin. α', p″. sin. α″ u. s. w. die sämmtlichen Componenten, die auf a c senkrecht stehen, durch p. cos. α, p'. cos. α ', p″. cos. α″ u. s. w. ausgedrückt. Nimmt man in beiden Fällen die Kräfte, die nach der einen Richtung gehen, positiv und diejenigen von entgegengesetzter Richtung negativ, so muss offenbar, wenn Gleich - gewicht in Bezug auf fortschreitende Bewegung bestehen soll,
1) p. sin. α + p'. sin. α '+ p″. sin. α″ + … = 0 sein, und ebenso muss
2) p. cos. α + p'. cos. α '+ p″. cos. α″ + … = 0 sein.
Um die Gleichgewichtsbedingung in Bezug auf drehende Bewegung zu finden, erwäge man, dass, wie wir früher gezeigt haben, die Kraft a e nach m i und die Kraft c g nach i n verlegt werden kann, wenn man sich nur das Dreieck a i c fest mit a c verbunden denkt. Dies bedeutet aber hinsichtlich der drehenden Bewegung nichts an - deres, als dass man sich den Hebel a s c durch den bei s geknickten Hebel m s n er - setzt denkt, und Gleichgewicht muss nun herrschen, wenn die am Hebelarm m s wir - kende Kraft m i der am Hebelarm n s wirkenden Kraft n i das Gleichgewicht hält. Denken wir uns eine virtuelle Drehung um einen ∟ β zu Stande gebracht, so ist der vom Punkt m beschriebene Bogen = m s. β und der vom Punkt n beschriebene Bogen = n s. β, es muss also nach dem Princip der virtuellen Geschwindigkeiten m i. m s. β = n i. n s. β, d. h. m i. m s = n i. n s sein, oder wenn wir wieder die Kraft m i = a e mit p, die Kraft n i = c g mit p', und den Hebelarm m s mit l, n s mit l' bezeichnen: p. l = p'. l'. Nun sind aber die Linien l und l' nichts anderes als die Perpendikel vom Punkte s auf die Richtungen der Kräfte a e und c g. Denken wir uns noch beliebig viele Kräfte p″, p‴ … hinzu, so werden wir auch auf ihre Richtungen Perpendikel l″, l‴ .... ziehen können, und nehmen wir jetzt wieder die Kräfte, die nach der einen Richtung zu drehen streben, positiv, die nach der andern Richtung negativ, so muss, wenn keine Drehung um den Punct s erfolgen soll,
3) p. l + p'. l' + p″. l″ + … = 0 sein.
Nun ist es aber klar, dass, wenn wir ganz allgemein untersuchen, ob ein System sich drehen kann oder nicht, wir einen beliebigen Punkt wählen können, den wir als Drehpunkt voraussetzen. Wenn ein Körper sich in Bezug auf irgend einen Punkt nicht gedreht hat, so hat er sich überhaupt nicht gedreht. Folglich hätten wir statt des Punktes s auch einen andern Punkt nehmen können, und die allgemeine Gleichge - wichtsbedingung in Bezug auf Drehung lautet nun: wenn man von irgend einem Punkt aus auf die Richtungen der Kräfte Perpendikel zieht, so muss die Summe der Producte dieser Kräfte in ihre Perpendikel gleich null sein. Zur allgemeinen Feststellung der Bedingungen des Gleichgewichtes braucht man also drei Gleichungen, zwei für die fort - schreitende Bewegung (1 und 2) und eine für die drehende Bewegung (3).
Kaum ist in der Natur oder in der Technik ein Beispiel der Er -22 Anwendungen der Sätze vom Kräfteparalle - logramm und vom Hebel. zeugung von Kraft und Geschwindigkeit zu finden, in welchem nicht der Satz vom Kräfteparallelogramm oder der Satz vom Hebel oder28Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.beide zusammen ihre Anwendung fänden. Die Bewegungen der Theile des menschlichen Scelets gegen einander beruhen auf Kräfte - wirkungen an grossentheils einarmigen Hebeln. (Vergl. §. 65.) Unsere unentbehrlichsten Werkzeuge sind die Hebel, denn der Umwandlung von Kraft in Geschwindigkeit und von Geschwindigkeit in Kraft bedür - fen wir immerwährend. Zange, Scheere und Pincette sind die gewöhn - lichsten Hebel, die wir anwenden, und bei jedem dieser Instrumente haben wir wohl darauf zu achten, ob wir des Kraft - oder des Ge - schwindigkeitshebels und welchen Maasses von Kraft und von Geschwin - digkeit wir bedürfen. Die Zange ist ein Krafthebel, und je stärker sie wirken soll, um so kleiner muss der Hebelarm, mit welchem die Wirkung geschieht, und um so grösser der Hebelarm sein, an welchem wir unsere Kraft ausüben. Wo man nach Umständen verschiedener Kraftwirkungen mit derselben Zange bedarf, da wählt man desshalb oft, wenn es angeht, die Form des einarmigen Krafthebels, an welchem sich die Entfernung der Last vom Unterstützungspunkt leichter variiren lässt. Die Pincette ist ein einarmiger Geschwindigkeitshebel, nicht weil man sie zur Erzeugung erheblicher Geschwindigkeiten bedürfte, sondern weil man die Kraft, die man durch sie ausüben will, mässigen möchte. Die Scheere hat meistens annähernde Gleichheit der Hebel - arme, als Krafthebel wird sic zur schneidenden Zange. Sehr häufig ge - brauchte Formen des Hebels sind ferner jene, bei denen (wie bei der Waage, Rolle u. s. w.) die Schwerkraft zur Anwendung kommt; wir werden im Capitel von der Schwere (§. 49 u. f.) auf dieselben zurück - kommen.
Wenn ein Körper oder materieller Punkt durch eine Kraft in Be - wegung gesetzt wird, und die Kraft hört alsdann zu wirken auf, so setzt derselbe trotzdem seine Bewegung in geradliniger Richtung fort, und zwar muss er, dem Princip der Trägheit zufolge, von dem Mo - ment an, wo die Kraft aufhört zu wirken, in gleichförmiger Geschwin - digkeit verharren. Ein durch einen Stoss in Bewegung gesetzter Kör - per, auf den weiter keine Kraft einwirkt, muss also in gleichen Zeiten gleiche Wegstrecken zurücklegen, und wenn man den Weg kennt, den er in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat, so lässt sich der Weg, den er in irgend einer beliebigen Zeit zurücklegen wird, vorausbestim - men. Um die Geschwindigkeit verschiedener gleichförmig bewegter Körper vergleichen zu können, misst man diejenige Wegstrecke, die ein jeder in der zu allen Messungen dienenden Zeiteinheit, in der Se - cunde zurücklegt. Den in einer Secunde zurückgelegten Weg nennt man daher auch geradezu die Geschwindigkeit oder, bei genaue - rer Bezeichnung, die Secundengeschwindigkeit des gleichförmig beweg - ten Körpers. Der nach einer bestimmten in Secunden gemessenen29Die Gesetze der Bewegung.Zeit t zurückgelegte Weg s ist daher einfach gleich der Geschwindig - keit c multiplicirt mit der Zeit t, s = c. t.
Fassen wir jedoch den bewegten Punkt ins Auge nicht nachdem24 Gleichförmig beschleunigte Bewegung. eine Kraft schon aufgehört hat auf ihn zu wirken, sondern während diese Wirkung noch fortdauert, so wird unmöglich die Bewegung eine gleichförmige sein können, sondern sie wird, gleichfalls nach dem Prin - cip der Trägheit, fortwährend wachsen müssen. Der einfachste Fall wird derjenige sein, wo die Kraft constant bleibt. Wir können uns die Zeit, während deren die Kraft wirkt, in eine Menge einzelner Momente zerlegt denken. Im ersten Moment ertheilt die Kraft dem Punkt eine gewisse Geschwindigkeit, welche er, wenn die Kraft nicht weiter ein - wirkte, gleichförmig beibehalten würde. Aber dieselbe Kraft wirkt auch noch im zweiten Moment auf ihn, sie erhöht also die vom ersten Moment her noch vorhandene Geschwindigkeit um die gleiche Grösse, ebenso in einem dritten, vierten Moment u. s. w. Wir können uns da - her die fortdauernde Wirkung der Kraft so denken, als wenn in jedem Momente ein neuer gleich grosser Stoss von derselben ausgeübt würde; nur liegen die Stösse unendlich nahe beisammen, und daher wächst die Geschwindigkeit nicht stossweise, sondern continuirlich. Sie muss aber gleichförmig wachsen, da ja die Kraft gleichförmig fortwirkt und also in jedem kleinsten Zeittheil die Geschwindigkeit um gleich viel erhöht. Denken wir uns, die Kraft hörte nach der ersten Secunde zu wirken auf, so würde der Punkt sich nun mit gleichförmiger Geschwin - digkeit fortbewegen; der Weg aber, welchen er bei dieser gleichför - migen Bewegung in einer Secunde zurücklegen würde, kann offenbar als Maass der[Beschleunigung] dienen, welche die Kraft während ihrer eine Secunde dauernden Wirkung erzeugt hat. Denn ehe die Kraft wirkte, war die Geschwindigkeit null, und wenn wir die Ge - schwindigkeit im Anfange einer gewissen Zeit von der Geschwindig - keit am Ende derselben abziehen, so ist der Rest die während der Zeit erlangte Beschleunigung. Da die Geschwindigkeit gleichförmig wächst, also in jeder Secunde die Beschleunigung die nämliche ist, so würde man dasselbe Resultat erhalten, wenn man zu einer beliebigen andern Zeit der Bewegung die Geschwindigkeit im Anfang einer Se - cunde mit der Geschwindigkeit am Ende derselben vergleichen würde; nur ist diese Vergleichung gerade im Anfang der Bewegung am leich - testen auszuführen, weil die in der ersten Secunde erzeugte Geschwin - digkeit unmittelbar gleich der Beschleunigung ist. Hat man die Be - schleunigung gemessen, so lässt sich die Geschwindigkeit, die nach Verlauf einer gewissen Zeit vorhanden sein wird, vorausbestimmen. Wurde nämlich die in der Secunde geschehende Beschleunigung = G gefunden, so braucht man nur die Beschleunigung G mit der Zeit - dauer t der Bewegung zu multipliciren, um die nach Verfluss der Zeit30Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.t vorhandene Geschwindigkeit v zu erhalten. Es ist also 1) 〈…〉 . Dabei ist aber vorausgesetzt, dass die Zeit t vom Anfang der Bewe - gung an gerechnet sei; sollte letzteres nicht der Fall sein, so muss man natürlich die etwaige Geschwindigkeit c kennen, die im Anfang der Zeitrechnung vorhanden war, und hat dann diese zu dem Producte zu addiren, so dass man nun erhält 2) 〈…〉 .
Um den Weg zu finden, welchen der Punkt unter dem Einfluss der gleichförmig beschleunigenden Kraft zurücklegt, wollen wir zunächst den während der ersten Secunde zurückgelegten Weg bestimmen. Am Anfang derselben hat der Punkt die Geschwindigkeit null, am Ende die Geschwindigkeit G, der Weg, welchen er zurückgelegt hat, ist grösser als null und kleiner als G; offenbar muss er zwischen beiden genau in der Mitte liegen, da ja die Geschwindigkeit völlig gleichför - mig zunahm, er ist also = 〈…〉 . Ein Punkt, der die gleichförmige Geschwindigkeit 〈…〉 hätte, würde eine ebenso grosse Wegstrecke zu - rückgelegt haben, wie der gleichförmig beschleunigte Punkt, dessen Anfangsgeschwindigkeit null, und dessen Endgeschwindigkeit G ist. In der Zeit t hat, wie wir sahen, der gleichförmig beschleunigte Punkt die Endgeschwindigkeit G. t erlangt, die mittlere Geschwindigkeit zwi - schen c und G. t ist ½ G. t, wir können uns daher jetzt den Punkt durch einen andern mit der gleichförmigen Geschwindigkeit ½ Gt ersetzt den - ken. Nun legt ein gleichförmig bewegter Punkt in der Zeit t den Weg s = c. t zurück, wenn c die Geschwindigkeit bedeutet, im vor - liegenden Fall ist aber c = 〈…〉 . t, also ist der Weg, den der Punkt unter dem Einfluss der gleichförmig beschleunigenden Kraft m der Zeit t zurücklegt 3) 〈…〉 .
Wir können die Kräfte stets nur messen an den Geschwindigkei - ten, die sie erzeugen. Für alle gleichförmig wirkenden Kräfte gibt daher die Grösse G, die in der Zeiteinheit bewirkte Beschleunigung, das zweckmässigste Maass ab. Dabei kommt jedoch in Betracht, dass diese Beschleunigung nicht bloss abhängt von der Grösse der einwir - kenden Kraft, sondern auch von der Beschaffenheit des Beweglichen, auf welches sie einwirkt. Es ist klar, dass dieselbe Kraft, die einem einzigen Punkt die Beschleunigung G gibt, wenn sie auf 100 mit ein - ander verbundene Punkte gleichzeitig einwirkt, diesen 100 Punkten eine um das 100fache kleinere Beschleunigung geben muss, da sich31Die Gesetze der Bewegung.ja die Wirkung der Kraft auf alle Punkte gleichmässig vertheilt. Ein Körper, der aus 100 Punkten bestünde, hätte aber eine 100mal so grosse Masse als ein einziger Punkt, und wir sagen desshalb: die Wirkung einer Kraft ist direct proportional der Grösse der Kraft und umgekehrt proportional der Masse, auf welche sie wirkt. Nennen wir P die Kraft und M die Masse, so wird also die Beschleunigung immer proportional 〈…〉 sein. Nehmen wir an, eine Kraft 1 ertheile der Masse 1 die Beschleunigung G, so wird die Kraft P der Masse M die Beschleunigung 〈…〉 . G ertheilen. Da es nun gleichgültig ist, welche Einheit wir für die Kraft wählen, und da wir ein Maass für die Kraft überhaupt nur aus ihrer Wirkung gewinnen können, so liegt es am nächsten als Einheit der Kraft diejenige Kraft zu setzen, welche die Einheit der Wirkung erzeugt, also diejenige Kraft, welche der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt. Dann wird offenbar die Kraft P der Masse M die Beschleunigung 〈…〉 ertheilen; und nun ist die Geschwin - digkeit v nach t Secunden 1) 〈…〉 und der in dieser Zeit zurückgelegte Weg 2) 〈…〉 . Aus der ersten dieser Gleichungen folgt, dass 〈…〉 ist, und wenn man diesen Werth in die zweite Gleichung einsetzt, so ergibt sich 〈…〉 oder 3) 〈…〉 . Es existirt also eine Beziehung zwischen der in einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Geschwindigkeit v und dem bis zum selben Zeit - punkt zurückgelegten Weg s, welche unabhängig von der Zeitdauer ist, die für die Zurücklegung dieses Weges und für die Erlangung die - ser Geschwindigkeit erforderlich war. Nach jener Beziehung ist für jeden Zeitpunkt der Bewegung das Product der Grösse einer gleich - förmig wirkenden Kraft in die Länge des Wegs, auf dem sie gewirkt hat, gleich dem halben Product der Masse, auf die sie wirkte, in das Quadrat der Endgeschwindigkeit, welche diese Masse erlangt hat. Man nennt in der Mechanik das Product P. s die Arbeit einer Kraft, und das Product m v2 die lebendige Kraft.
Die Kenntniss der Beziehung zwischen der Arbeitsgrösse einer Kraft und der durch sie erzeugten lebendigen Kraft ist von grosser Wichtigkeit, da sie uns gestat - tet irgend eine der in dieselbe eingehenden Grössen vorauszubestimmen, sobald nur die32Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.andern bekannt sind. Wir fragen uns z. B., wie gross die Kraft ist, die ein Dampf - wagen erzeugen muss, wenn er nach einer Wegstrecke s in eine Geschwindigkeit v kommen soll. Hier sind uns s, v und M, letzteres als die Masse des Dampfwagens und der Lasten, die er etwa noch in Bewegung setzt, gegeben, daraus können wir die gesuchte Kraft P finden. Oder wir wissen, dass es uns möglich ist, eine Last P ge - rade noch mit der Hand in die Höhe zu heben, der Weg, den unser Arm bei einer Wurfbewegung beschreiben kann, ist s, wir sollen bestimmen, mit welcher Geschwin - digkeit wir eine Kugel von der Masse M fortschleudern können. Hier ist uns P als die Kraft, die wir im Stande sind auszuüben, gegeben, ebenso s und M, und daraus können wir die Geschwindigkeit v finden.
Die Bewegung, welche entsteht, wenn mehrere Kräfte auf einen Punkt oder Körper einwirken, ergibt sich leicht aus den früher gefun - denen Regeln. Wirken zwei momentane Stosskräfte, die einen Winkel mit einander einschliessen, auf den Körper, so gibt, wie wir schon ge - sehen haben, die Diagonale nicht nur die Richtung seines Wegs, son - dern auch die Grösse der resultirenden Geschwindigkeit an. Wirkt ein momentaner Stoss in der einen Richtung, z. B. nach a b (Fig. 6) und eine gleichförmig beschleunigende Kraft in der andern ac, so fin -
den wir in ähnlicher Weise die Resultante: sie ist in jedem kleinsten Zeittheilchen die Dia - gonale aus den Wegen, welche der Körper durch jede Kraft einzeln genommen beschreiben würde. Aber weil die Wege in der Richtung ac, wel - che die beschleunigende Kraft den Körper führt, fortwährend an Grösse zunehmen, so muss auch jene Diagonale fortwährend ihre Richtung än - dern. Der Körper beschreibt also eine ge - krümmte Linie ad, und zwar, wie die nähere Untersuchung derselben nachweist, eine Para - bel. Wir werden diese Linie als die Wurflinie später bei Betrachtung der Schwere kennen lernen, wo sich uns noch weitere Beispiele für die Anwendung der Bewegungsgesetze auf die gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte darbieten werden.
Hier haben wir uns nur noch mit einem einzigen Fall, bei wel - chem es sich ebenfalls um eine gleichzeitige Wirkung mehrerer Kräfte handelt, zu beschäftigen, mit dem Fall nämlich, wo bestimmte fortdau - ernd wirkende Kräfte einen Punkt oder eine Menge von Punkten in einer gewissen Lage im Raum zu erhalten streben, während andere Kräfte von mehr oder weniger vorübergehender Wirkung ihn aus die - ser Lage entfernen. Es führt uns dies zur Betrachtung der Schwin - gungs - und Wellenbewegungen, denen wir wegen der wichti - gen Anwendungen, die sie in den verschiedensten Zweigen der Physik finden, ein besonderes Capitel widmen wollen.
Wenn ein Punkt durch dauernd und gleichförmig einwirkende27 Schwingungen eines Punktes um seine Gleichgewichts - lage. Kräfte in einer bestimmten Lage gehalten wird, so setzt er jeder an - dern Kraft, die ihn aus dieser Lage zu entfernen strebt, einen Wider - stand entgegen, welcher der Grösse jener Kräfte, die ihn in seiner Lage erhielten, entspricht. Wirkt die ruhestörende Kraft ebenfalls gleichförmig, so muss der Punkt eine neue Gleichgewichtslage einneh - men. Wirkt dagegen die Kraft nur als ein einmaliger Stoss, so ent - stehen fortwährende Schwingungen um die ursprüngliche Gleich -[gewichtslage]. Ist a (Fig. 7) der Punkt, und wirkt auf ihn ein ein -
maliger Stoss in der Richtung ab, so würde er, wenn sonst keine Kraft auf ihn wirkte, nach dem Princip der Träg - heit sich in der Richtung ab mit gleichför - miger Geschwindigkeit in’s unendliche fortbewegen. Nun sind aber Kräfte vorhanden, die ihn in der Lage a zu erhalten streben. Diese Kräfte müssen also die Geschwindigkeit des in der Richtung ab fortbewegten Punktes verlangsamen, und es wird nothwendig ein Ort b kommen, wo diese Geschwindigkeit voll - ständig null geworden ist. In einem nun folgenden Momente muss die nach a ziehende Kraft dem Punkte sogar eine rückwärtsgehende Beschleunigung geben, so dass derselbe sich wieder mit zunehmender Geschwindigkeit nach a hinbewegt. Durch die auf dem Weg von b nach a erhaltene Beschleunigung muss aber der Punkt sich über a hinaus bewegen, und zwar bis zu dem Punkte c, der ebenso weit wie b von a entfernt ist, denn die auf dem Weg von b bis a erhaltene Beschleu - nigung ist genau ebenso gross wie die auf dem Weg von a bis b erfahrene Verlangsamung. Ist der Punkt in c angelangt, so muss er sich wieder mit zunehmender Geschwindigkeit nach a zurückbewegen u. s. f. Der Punkt wird somit fortwährende Schwingungen um seine Gleichgewichts - lage ausführen. Den Abstand der äussersten Punkte b und c der Bahn von a nennt man die Schwingungsweite oder Amplitude. Die Zeit, welche der Punkt gebraucht, um einen ganzen Hin - und Hergang, von b nach c und wieder von c nach b, zu vollenden, nennt man die Schwingungsdauer.
Wäre die den Punkt nach der Gleichgewichtslage a zurückzie - hende Kraft von gleichförmiger Wirkung, so würde die hier untersuchte Schwingungsbewegung mit der früher erörterten gleichförmig verän - derlichen Bewegung im wesentlichen übereinkommen: von b an, woWundt, medicin. Physik. 334Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.die Geschwindigkeit null ist, bis nach a, wo sie ihr Maximum erreicht, wäre die Bewegung gleichförmig beschleunigt, von a bis c wäre sie dann gleichförmig verlangsamt u. s. f. Nun wird aber diese Voraus - setzung, dass die Kräfte, welche den Punkt nach a hin ziehen, immer gleich gross seien, in der Natur nicht wohl verwirklicht sein, sondern es wird in der Regel das Streben nach a zurückzukehren um so grös - ser sein, je weiter man den Punkt von a entfernt hat. Es sei z. B. a c ein elastischer Stab, so wird derselbe, wenn man ihn bei c befe - stigt und bei a so an ihm zieht, dass er sich um die Grösse a e ver - längert, beim Aufhören des Zuges vermöge seiner elastischen Kraft wieder zu seiner früheren Länge a c zurückkehren. Wenn man ihn dann um die Grösse a b verlängert, so wird er ebenfalls wieder in die Länge a c zurückkehren, diesmal aber mit grösserer Kraft, und zwar wenn ab doppelt so gross ist als ae mit doppelt so grosser Kraft als vorhin. Denn die Kraft, mit welcher der Stab in seine frühere Länge zurückzukehren strebt, ist offenbar gerade so gross wie die Spannung, welche er erfährt, und die letztere wächst im selben Maasse wie die Dehnung. Nun ist aber leicht ersichtlich, dass, welche Kräfte es auch sein mögen, die den Punkt in a zu erhalten streben, er doch in ähnlicher Weise wie in diesem Beispiel mit um so grös - serer Kraft streben wird in die Gleichgewichtslage zurückzukehren, je weiter man ihn aus derselben entfernt hat. Der Punkt wird in eine Spannung versetzt, die wächst mit der Entfernung aus der Gleichgewichtslage, und er wird daher in b mit doppelt so grosser Kraft nach a zurückstreben als in e. Es muss also auch die Be - schleunigung wachsen proportional der Entfernung aus der Gleichge - wichtslage, und hieraus folgt, dass die Schwingungsdauer un - verändert bleibt, wie man auch die Schwingungsweite verändern möge. Denn im selben Maasse wie die Schwingungs - weite zunimmt, beschleunigen sich ja die Schwingungen. Dagegen ist ersichtlich, dass die Schwingungsdauer um so kleiner sein muss, je grösser die Kraft ist, welche vom Anfang an den Punkt in der Gleichgewichtslage zu halten strebt und ihn nachher wieder in die - selbe zurückführt.
Die hier erörterten Ergebnisse lassen auf eine sehr einfache Weise aus dem Princip der Erhaltung der Kraft (§. 11.) sich ableiten. Bezeichnen wir die Kraft, welche den Punkt in die Lage a zurückzuführen strebt, wenn er sich in der Entfer - nung 1 von a befindet, mit P, und setzen wir die Masse des Punktes = 1, so ist die Beschleunigung, die eine Masse M in der gleichen Entfernung erfährt, nach §. 25. = 〈…〉 ; ist die Entfernung ab des Punktes = α so wird unserer Voraussetzung ge - mäss, dass die den Punkt nach a zurückziehende Kraft mit der Entfernung von a zu - nimmt, die beschleunigende Kraft in 〈…〉 . Da aber diese beschleunigende Kraft,35Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.die wir mit G bezeichnen wollen, die Distanz α zu verkleinern strebt, so müssen wir ihr offenbar ein negatives Vorzeichen geben, es ist also 〈…〉 . Wird α = o, d. h. befindet sich die schwingende Masse in a, so wird G = o, wird α gleich der Am - plitude, so erreicht G sein Maximum. Untersuchen wir die lebendige Kraft des Punk - tes M, welche nach §. 25 durch das Product ½ M v2 gemessen wird, so ist diese am Endpunkt der Amplitude = o, da hier die Geschwindigkeit v null ist, beim Rückgang wächst sie und erreicht beim Durchgang durch a ihr Maximum, und zwar ist das Product ½ Mv2 hier 〈…〉 , wenn α wieder die Amplitude bezeichnet; denn auf dem Weg von a nach b war, als die Masse in b anlangte, alle ihre lebendige Kraft in rückwärts gehende beschleunigende Kraft umgewandelt und, nach dem Princip der Erhaltung der Kraft, muss nun, nachdem die beschleunigende Kraft sämmtlich zu lebendiger Kraft geworden ist, die letztere der ersteren, aus der sie hervorging, gleich sein. Man sieht hieraus, dass die lebendige Kraft der Schwingungen mit der Amplitude zunimmt. Bei den Schallschwingungen der Luft und tönender Körper, den Lichtschwingungen des Aethers wird durch die Amplitude die Intensität des Schalls oder Lichtes, durch die Schwingungsdauer die Qualität (also die Höhe des Tons, die Beschaffenheit der Farbe) bestimmt. Die oben bemerkte Thatsache, dass die Schwingungsdauer unabhän - gig von der Amplitude ist, erklärt also, dass derselbe Ton, dieselbe Farbe die ver - schiedensten Intensitätsgrade besitzen können.
Die Kraft, welche einen schwingenden Punkt in seiner ursprüng -29 Gesetz der Schwingungs - dauer. lichen Lage a zu erhalten strebt, muss zu der Zeit, welche der Punkt braucht, um eine Schwingung zu vollenden, in einer bestimmten Be - ziehung stehen. Es muss nämlich offenbar mit der Zunahme jener Kraft, die wir mit G bezeichnen wollen, die Geschwindigkeit der Schwin - gungen zunehmen, also die Schwingungsdauer abnehmen. Nennen wir T die Schwingungsdauer, so lässt sich nachweisen, dass die Beziehung zwi - schen T und G (oder 〈…〉 ) durch folgende Gleichung ausgedrückt wird: 〈…〉 in welcher Gleichung durch π das Verhältniss der Kreisperipherie zum Durchmesser oder die Zahl 3,14159 bezeichnet ist. Die Schwingungs - dauer eines Punktes oder Körpers verhält sich also direct wie die Quadratwurzel aus der Masse desselben und umgekehrt wie die Qua - dratwurzel der beschleunigenden Kraft, die ihn in die Gleichgewichts - lage zurückzubringen strebt; oder, in anderer Form ausgedrückt, das Quadrat der Schwingungsgeschwindigkeit ist proportional der beschleu - nigenden Kraft und umgekehrt proportional der Masse.
Da die soeben aufgestellte Gleichung von fundamentaler Wichtigkeit in der Physik ist, indem sämmtliche Schwingungserscheinungen auf dieselbe znrückführen, so wollen wir für diejenigen, die eine leichte mathematische Betrachtung nicht scheuen, eine möglichst einfache Herleitung dieser Gleichung versuchen. Wenn der Punkt in der Entfernung ab = α vom Mittelpunct a entfernt ist, haben wir die ihn nach a3 *36Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.ziehende Kraft P. α genannt: diese Kraft nimmt, wenn der Punkt den Weg ba zu - rücklegt, proportional der Annäherung an a ab und wird in a selbst = o; bei der Bewegung von a nach c nimmt die Kraft dann ebenso proportional wieder zu. Ver - sinnlichen wir uns daher die an jeder Stelle seiner Bahn auf den Punkt wirkende Kraft durch eine gerade nach aufwärts gerichtete Linie, so werden wir diese Linie bei b und c proportional der Grösse P. α, bei a gleich null nehmen müssen, und alle Kräfte, die von b bis a in jedem Zeittheilchen auf den Punkt wirken, werden durch ein rechtwinkliges Dreieck b m a (Fig. 8) dargestellt werden, dessen Flächeninhalt
〈…〉 ist. Durch diesen Flächeninhalt oder durch 〈…〉 wird aber offenbar der ganze Antrieb der Kräfte dargestellt, welche der Punkt empfangen hat, nachdem er sich von b, wo seine Ge - schwindigkeit null ist, bis nach a, wo sie am grössten ist, bewegt hat. Nennen wir die Masse des Punktes M und die in a erreichte Geschwindigkeit v, so hat daher der Punkt in a die lebendige Kraft 〈…〉 . Seine Geschwindigkeit in a ist also 〈…〉 . Dagegen ist der Kraftantrieb, der auf den Punkt gewirkt hat, nachdem er erst den Weg bf zurückgelegt hat, darzustellen durch das Viereck bm nf oder durch den Un - terschied des Flächeninhalts der Dreiecke b m a und f n a. Setzen wir die Entfer - nung f a = β, so ist der Flächeninhalt des Dreiecks f na = 〈…〉 , also der An - trieb der Kraft, der auf den Punkt von b bis f stattgefunden hat = 〈…〉 , und die hier erreichte Geschwindigkeit 〈…〉 .
Um nun weiterhin die Zeit zu ermitteln, die der Punkt braucht, um die Wege ba oder bf zurückzulegen, können wir uns der gleichförmig veränderlichen Kraft eine constante Kraft substituirt denken, sobald wir nur annehmen, der Punkt sei genöthigt eine Bahn zu beschreiben, auf welcher sich ihm ein von b bis a zunehmender Wider - stand entgegensetzt, der in a selbst der constanten Kraft gleich, in b und c aber null wäre. Diese Annahme wird verwirklicht, wenn wir uns vorstellen, der Punkt bewege sich statt auf dem geraden Weg b a c auf der kreisförmigen Bahn b a' c, und wenn wir uns denken, auf denselben wirke eine constante, vertical nach abwärts gerichtete Kraft P. α, der Punkt sei aber durch den Halbring, an dessen innerer Oberfläche er sich befindet, gezwungen auf der Kreisbahn b a' c zu bleiben. Im Punkte b wirkt die Kraft P. α in ihrer vollen Stärke ein, in jedem andern Punkte f ', g' aber müssen wir uns dieselbe in zwei Seitenkräfte zerlegt denken, von denen die eine q durch den Widerstand des Pings aufgehoben wird, während die andere r als bewegende Kraft übrig bleibt. Es ist nun ersichtlich, dass die Seitenkraft r proportional der Annähe - rung an a' abnimmt und in a' selbst null wird. Unter dem Einfluss einer constanten, vertical abwärts gerichteten Kraft würde daher der Punkt in derselben Zeit den Bo -37Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.gen b f 'zurücklegen, in welcher er unter dem Einfluss der gegen a gerichteten, gleich - förmig abnehmenden Kraft den geraden Weg b f zurücklegt. Ebenso werden wir das Bogenstück f' g' dem geraden Weg f g und den ganzen Halbkreis b a' c der ganzen Schwingungsamplitude b a c substituiren können. Suchen wir zunächst die Zeit t zu bestimmen, welche der Punkt braucht, um irgend ein sehr kleines Stück f 'g' der Kreisbahn zurückzulegen, so werden wir auf dieser sehr kurzen Strecke die Geschwin - digkeit als constant voraussetzen können, und es ist dann 〈…〉 , wo v 'wieder die in f oder f' vorhandene Geschwindigkeit und b die Länge des Bogens f 'g' bedeu - tet. Wenn wir den ganzen Umfang des Halbkreises b a'c, welcher = α. π ist, in n solche Bogenstärke wie f' g' eintheilen, so ist 〈…〉 und führen wir weiterhin für v 'den gefundenen Werth ein, so wird 〈…〉 .
Der Werth 〈…〉 bildet, wie man aus Fig. 8 ersieht, die Kathete γ eines aus α, β und γ construirten rechtwinklichen Dreiecks und 〈…〉 ist = 〈…〉 Daher können wir die Gleichung für t auch schreiben 〈…〉 Um nun die Zeit ½ T zu erhalten, welche der Punkt braucht, um den Halbkreis b a' c zurück - zulegen, hätten wir, wenn die Bewegung eine gleichförmige wäre, einfach die Zeit t n mal zu rechnen und also die Grösse n aus dem Nenner der obigen Formel hin - wegzulassen. Für den hier vorliegenden Fall einer gleichförmig zu - und dann wieder abnehmenden Geschwindigkeit wird uns dagegen die Formel 〈…〉 nur unter der Voraussetzung die Zeit T richtig ergeben, dass wir für cos. ω aus den n verschiedenen Werthen, die es für die einzelnen Zeiten t annimmt, einen Mittelwerth setzen. Handelt es sich nun um die Vergleichung verschiedener schwingender Punkte mit annähernd übereinstimmender Schwingungsweite, so wird man das Verhältniss der Schwingungsgeschwindigkeiten schon annähernd richtig erhalten, wenn man cos. ω = 1 setzt, wenn man also annimmt, der Punkt hätte während eines Hin - oder Hergangs constant die Geschwindigkeit, die ihm bei seinem Durchgang durch die Gleichgewichtslage a zukommt. Man hat dann einfach 〈…〉 Der so erhaltene Werth für T wird sich der absoluten Grösse der Schwingungszeit offenbar um so mehr annähern, je kleiner die Schwingungsamplitude ist, weil man, wenn letztere sehr klein ist, annehmen kann, der Punkt lege statt des ganzen Weges ba 'nur einen Theil desselben, z. B. f' a', zurück, wo dann fortwährend γ und α nahehin einan - der gleich bleiben. In der That kann man nun in den meisten Fällen, wo es sich um Schwingungserscheinungen in der Natur handelt, die Schwingungsamplituden als unendlich klein oder wenigstens als annähernd unendlich klein ansehen. Wo dies nicht mehr der Fall ist, da muss man die Werthe, die cos. ω successiv annimmt, in Rech - nung ziehen, d. h. die kleinen Zeittheilchen t, die zusammen die Schwingungsdauer T bilden, summiren, eine Aufgabe, die zu einer verwickelteren Gleichung führt, und die nicht ohne höhere Mathematik sich lösen lässt.
38Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.In der Natnr sind uns niemals isolirte Punkte, sondern stets Kör - per gegeben, die aus einer unendlichen Anzahl von Atomen und Mo - lecülen gebildet sind. Betrachten wir daher jedes Atom oder Molecül für sich als einen materiellen Punkt, so können wir einen Körper als ein Aggregat sehr vieler Punkte ansehen. Nun haben wir bei der Er - örterung des atomistischen Aufbaus der Körper gefunden, dass die Theilchen, welche dieselben zusammensetzten, Kräfte auf einander aus - üben, die von der gegenseitigen Distanz dieser Theilchen abhängen, und die also, wenn irgend ein Punkt eines Körpers in Schwingung geräth, auch den Gleichgewichtszustand der benachbarten Punkte stö - ren müssen. Die an sich, so lang wir uns auf die Betrachtung eines einzigen Punktes beschränken, sehr einfachen Schwingungsbewegungen werden daher complicirter, sobald sie, wie dies in der Natur häufig der Fall ist, successiv auf viele Punkte sich übertragen.
Nehmen wir an, es seien uns drei Punkte a b c (Fig. 9 A) in gleich weitem Abstand von einander gegeben, zwischen denen sich die Anziehungs - und Abstossungskräfte das Gleichgewicht halten. Wir
setzen voraus, diese An - ziehungs - und Abstos - sungskräfte ständen in jenem Verhältnisse zu einander, das wir dem atomistischen Aufbau der Körper überhaupt zu Grund gelegt haben, und nach welchem mit der Vergrösserung der Ent - fernung die abstossen - den Kräfte rascher abneh - men als die anziehenden. Wenn daher durch eine äussere Gewalt die Distanz zwischen zwei Punkten verringert wird, so müssen beide sich abstossen, wenn hingegen die Distanz vergrös - sert wird, so müssen beide sich anziehen. Setzen wir also voraus, der Punkt a werde plötzlich durch einen einmaligen Stoss gegen den Punkt b hingetrieben, so wird er sich mit abnehmender Geschwindig - keit dem Punkte b nähern (Fig. 9 B) und dann sich wieder mit beschleunigter Geschwindigkeit gegen seine frühere Lage zurückbe - wegen. Durch die Annäherung von a hat aber auch b eine abstos - sende Wirkung empfangen und muss sich daher gegen c hin in Be - wegung setzen (C). Die Bewegung von b muss nun ebenso wie vor - hin die von a abnehmen, null werden und dann in eine rückwärts gehende beschleunigte Bewegung sich umkehren. Sowohl a als b gehen wegen der auf ihrem Rückweg empfangenen Beschleunigung39Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.über ihre ursprünglichen Gleichgewichtslagen hinaus (D und E) und gerathen, da sich dies fortwährend auf dem Hin - und Herweg wieder - holt, in fortdauernde Oscillationen um dieselben. In ähnlicher Weise muss die Bewegung auf den Punkt c und auf eine beliebige Menge weiterer Punkte sich fortsetzen. Hieraus folgt, dass, wenn mehrere materielle Punkte im Gleichgewicht ihrer Anziehungs - und Abstossungs - kräfte mit einander verbunden sind, die durch die Gleichgewichtsstö - rung eines beliebigen Punktes erzeugten Schwingungen auf alle an - dern Punkte sich fortsetzen, und dass also das ganze Aggregat in Schwingungsbewegung geräth. Da aber die Fortpflanzung dieser Be - wegung durch eine Reihe von Punkten eine gewisse Zeit braucht, so befinden sich die verschiedenen Punkte eines Aggregates immer in verschiedenen Entfernungen von ihren Gleichgewichtslagen. Während a in seine Gleichgewichtslage zurückkehrt, entfernt sich b aus der sei - nen (Fig. 9 C) u. s. f. Dadurch entstehen abwechselnd Stellen, wo die Punkte dichter gedrängt sind als im Gleichgewichtszustand, und andere, wo sie weniger dicht sind. So ist in C bei a b Verdünnung, bei b c Verdichtung eingetreten, in einem darauf folgenden Moment E dagegen bei a b Verdichtung und bei b c Verdünnung. Denken wir uns rechts noch eine Menge von Punkten an einander gereiht, so werden auch hier fortwährend Stellen der Verdichtung und Verdünnung mit einander abwechseln, und jede Stelle, die eben in Verdichtung sich befindet, wird im nächsten Moment in den Zustand der Verdün - nung übergehen oder umgekehrt. Jede Verdichtung wird von einem Ende der Punktreihe bis zum andern successiv und continuirlich sich fortpflanzen, und auf sie wird eine Verdünnung folgen, die mit gleicher Geschwindigkeit fortschreitet. Es ist ausserdem klar, dass im wesent - lichen an der Erscheinung nichts geändert wird, wenn wir annehmen, dass nicht bloss zwei neben einander gelegene Punkte abwechselnd sich nähern und sich von einander entfernen, sondern dass an jeder Verdichtung ebenso wie an jeder Verdünnung immer viele materielle Punkte betheiligt sind. Zwischen a und b, zwischen b und c (Fig. 9) können wir z. B. eine sehr grosse Anzahl von Punkten noch annehmen, und wir können voraussetzen, dass der erste Stoss, der die Schwingungen veranlasst, alle zwischen a und b gelegenen Punkte gleichzeitig gegen b hin bewege. Es wird dann, ebenso wie wir es oben veranschaulicht haben, nach rechts hin eine Verdichtung sich fort - pflanzen, bloss mit dem Unterschied, dass an derselben nun viele Punkte betheiligt sind, und das nämliche wird von der darauf folgen - den Verdünnung gelten. In der That haben wir es in der Natur je - denfalls immer mit solchen Bewegungen ganzer Aggregate von mate - riellen Punkten zu thun. Die vielseitige Verbindung grosser Massen von Punkten in den Naturkörpern ist auch die Ursache, dass jener Fall unaufhörlicher Schwingungen um die Gleichgewichtslage, wie wir40Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.ihn bei den Schwingungen eines Punktes vorausgesetzt haben, in der Natur niemals vorkommt, indem hier jeder Punkt bei seiner Bewegung Widerstände findet, welche die Schwingungen rasch verschwinden lassen, wenn sich nicht die schwingungserregende Ursache fortdauernd erneuert.
Da es nur darauf ankommt, den Wechsel der Verdichtungs - und Verdünnungsstellen eines auf die bezeichnete Weise in Schwingungen versetzten Körpers zu bestimmen, so brauchen wir die einzelnen Punkte, aus deren Bewegung sich die Schwingungen zusammensetzen, nicht weiter zu berücksichtigen, und wir können uns hiernach diese in der Längenrichtung erfolgenden Schwingungen der Theilchen eines Kör - pers auf folgende Weise versinnlichen. Wir bezeichnen die Anordnung der Theilchen während des Gleichgewichtszustandes durch eine hori - zontale Abscissenlinie. Eine an irgend einer Stelle eintretende Ver - dichtung drücken wir durch eine an der entsprechenden Stelle der Abscissenlinie errichtete, aufwärts gekehrte Ordinate aus, deren Höhe dem Grad der Verdichtung entsprechen soll. Die an irgend einer Stelle vorhandene Verdünnung drücken wir in ähnlicher Weise durch eine nach abwärts gekehrte Ordinate aus. Es wird dann, wenn die
Schwingungsbewegung in der Richtung a g (Fig. 10) den Weg von a bis f zurückge - legt hat, in diesem Moment die Anordnung der Theilchen durch die Wellenlinie a f dar - gestellt. Von a an steigt die Verdichtung an, sinkt bei b zur Abscissenlinie, geht hier - auf in eine Verdünnung über u. s. f. Die in A dargestellte Anordnung dauert aber nur einen Moment an: die Verän - derung, die mit ihr vor sich geht, können wir uns veran - schaulichen, indem wir die ganze Wellenlinie a f uns ge - gen g hin bewegt denken. Hat sich die Schwingungsbewegung bis nach g fortgepflanzt, so ist daher die Anordnung der in A gerade entgegengesetzt, (B Fig. 10), wo vorher eine Verdichtung befindet sich jetzt eine Verdünnung und umgekehrt. Da sich die Schwingungen eines Aggregates von Punkten stets in dieser Weise durch Wellenli - nien versinnlichen lassen, so bezeichnet man alle derartigen Schwin - gungsbewegungen auch als Wellenbewegungen. In dem hier zu - nächst erörterten Fall, in welchem die Schwingungen regelmässig auf41Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.einander folgende Verdichtungen und Verdünnungen erzeugen, nennt man diese Bewegungen auch Verdichtungs - und Verdünnungs - wellen oder, weil die ganze Bewegung der Punkte in longitudinaler Richtung geschieht, Longitudinalschwingungen. Man ersieht jedoch, dass die Bewegung der Theilchen selbst hierbei nicht die Wel - lenform besitzt, sondern dass die letztere nur eine zweckmässige Ver - sinnlichung der Bewegung ist. Die Strecke von a bis c wird als eine Wellenlänge bezeichnet. Man sieht sonach, dass, sobald die Schwin - gungsbewegung um eine Wellenlänge fortgeschritten ist, wieder der - selbe Zustand besteht, d. h. an derselben Stelle wo ein Wellenberg war ist wieder ein solcher, und wo ein Wellenthal war, ist wieder ein solches; nach einer halben Wellenlänge dagegen ist (wie wir dies in Fig. 10 B sehen) an die Stelle des Wellenbergs ein Wellenthal und an die Stelle des Wellenthals ein Wellenberg getreten. Wenn die Gleichgewichtsstörung, welche die Wellenbewegung veranlasst, in einer plötzlichen Verdichtung ihren Grund hat, so geht, (wie in Fig. 10 A und B) stets der Wellenberg dem Wellenthal voran; man bezeich - net daher solche Wellen speciell als Verdichtungswellen oder positive Wellen. Es kann aber auch durch eine plötzlich eintretende Verdünnung eine Wellenbewegung von fast ähnlicher Form erfolgen, bei der nur das Wellenthal dem Wellenberg voraus ist. Eine solche Welle nennt man eine Verdünnungswelle oder nega - tive Welle (Fig. 10 C).
Sowohl die Verdünnungs - wie die Verdichtungswellen können nun31 Schwingungs - weite und Schwingungs - dauer. in doppelter Hinsicht Verschiedenheiten zeigen. Erstens wird je nach der Intensität des ersten Stosses, der die Schwingungen veran - lasst, der Grad der auf einander folgenden Verdichtungen und Ver - dünnungen grösser oder geringer sein. Eine stärkere Erschütterung bewirkt eine grössere Schwingungsamplitude jedes einzelnen Punktes und ist dadurch Ursache, dass die Punkte an den Verdichtungsstellen enger zusammenrücken, an den Verdünnungsstellen weiter auseinander treten. Wir können uns daher diese Differenzen der Schwingungsam - plitude, die von der den Punkten mitgetheilten äusseren Kraft herrüh - ren, durch die verschiedene Höhe der Wellenberge und Wellenthäler versinnlichen. Zweitens aber wird die Geschwindigkeit der eintre - tenden Schwingungsbewegungen abhängen einerseits, wie wir dies schon bei der Betrachtung der Schwingungen eines einzelnen Punktes gesehen haben, von der Kraft, die jeden Punkt des Körpers in seine ursprüngliche Gleichgewichtslage zurückzuführen strebt, und anderseits von der Dichtigkeit, in der die einzelnen Punkte an einander gereiht sind. Jene Kraft, durch welche die Theilchen eines Körpers einen be - stimmten Gleichgewichtszustand anzunehmen streben, und welche wir als elastische Kraft bezeichnen, kann anziehend oder abstossend42Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.wirken. Bei einer gespannten Saite oder Membran ist sie z. B. eine anziehende Kraft, indem die einzelnen Theilchen des gespannten festen Körpers sich einander zu nähern streben, bei einem Gase ist dagegen die elastische Kraft abstossend, indem sie aus der abstossenden Wir - kung der Gastheilchen auf einander resultirt, und ihre Grösse wird hier gemessen durch den Druck, welchen das Gas auf die Wände des Gefässes ausübt, in welchem es eingeschlossen ist. Die elastische Kraft eines Körpers kann in beiden Fällen durch äussere Kräfte ver - mehrt oder vermindert werden. So wird die elastische Kraft einer Saite vermehrt, wenn man ihre Spannung vergrössert, die elastische Kraft eines Gases, wenn man ihm Wärme zuführt. Geräth nun ein solcher Körper, dessen Elasticität man vermehrt hat, in Schwingungen, so werden immer die Theilchen desselben ihre Schwingungsbewegun - gen rascher ausführen als in dem vorhergehenden weniger gespannten Zustand. Denn wenn man z. B. eine Saite stark anspannt, so bewirkt man dadurch, dass dieselbe mit weit grösserer Kraft als vorher sich wieder zu verkürzen strebt, sie wird aber daran durch die diesem Verkürzungsbestreben genau gleiche spannende Kraft verhindert; indem die Spannung zunimmt, nimmt also auch die Kraft zu, die jeden Punkt aus seiner durch die Spannung herbeigeführten Lage zurückzuführen strebt. Gerade so wie die Saite verhält sich auch ein Gas oder irgend ein anderer Körper, dessen Spannkraft man vermehrt, und es wird also allgemein durch die Grösse der Spannkraft die Grösse des Wi - derstandes gemessen, welchen jeder Punkt eines Körpers der Entfernung aus der ihm zukommenden Lage entgegensetzt. Da nun, wie wir bei den Schwingungen des Punktes gesehen haben, die Geschwindigkeit der Schwingungen im Verhältnisse der Quadratwurzel jener Spannkraft zunimmt (§. 29), so gilt auch für jeden Körper das Gesetz, dass die Quadrate der Schwingungsgeschwindigkeiten seiner Theilchen der ela - stischen Kraft direct proportional sind.
Ausserdem ist aber nothwendig die Schwingungsgeschwindigkeit der Theilchen eines Körpers von der gegenseitigen Entfernung, in welcher sich vermöge der ursprünglichen Beschaffenheit des Körpers die Theilchen desselben befinden, d. h. von seiner Dichtigkeit ab - hängig. Wenn in einer Reihe auf einander folgender Punkte ein plötz - licher Stoss eine Verdichtung bewirkt, so wird diese Verdichtung sich offenbar um so langsamer fortpflanzen, je näher bei einander die ein - zelnen Punkte gelegen sind. Daher sind die Quadrate der Schwin - gungsgeschwindigkeiten den Dichtigkeiten der Körper umgekehrt proportional. Bezeichnen wir sonach mit E die Elasticität und mit D die Dichtigkeit eines Körpers, so können wir für die Schwingungs - dauer T einer in ihm entstehenden Wellenbewegung die Beziehung aufstellen43Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen. 〈…〉 Dieses Gesetz lässt sich unmittelbar aus der für die Schwingungszeit eines Punktes aufgestellten Gleichung 〈…〉 (§. 29) her - auslesen, in welcher M die Masse des Punktes und P die ihn in seine ursprüngliche Lage zurücktreibende Kraft bezeichnete. Denn wenden wir diese Gleichung auf ein Aggregat zusammenhängender Punkte, einen Körper, an, so besteht hier die Kraft P in der gegenseitigen Wirkung der Punkte auf einander, durch welche sie äusseren Kräften, die sie aus ihrer Lage zu entfernen streben, einen Widerstand entgegen - setzen, d. h. in der elastischen Kraft; die Masse M bezeichnet aber offenbar die Dichtigkeit des Körpers.
Die oben aufgestellte Beziehung zwischen der Schwingungsdauer, Dichtigkeit und Elasticität der Körper gilt, wie leicht einzusehen ist, nur für solche Schwingungen, die durch eine plötzliche Gleichgewichts - störung hervorgerufen werden, nach welcher die Theilchen des betref - fenden Körpers oder Mediums längere Zeit um ihre Gleichgewichtsla - gen oscilliren; wir können derartige Schwingungen auch als Eigen - schwingungen bezeichnen; ihre Oscillationsgeschwindigkeit ist für jeden Körper eine constante. Solche Eigenschwingungen können sich nun aber auch andern Körpern mittheilen, und in diesen letzteren bleibt dann in der Regel die Oscillationsgeschwindigkeit dieselbe wie in dem ersten Körper, indem die Bewegungen der Theilchen den Oscillationen des ersten Körpers sich anpassen. Wenn z. B. eine Saite ihre Schwin - gungen auf die umgebende Luft überträgt, so empfängt diese bei jeder Saitenschwingung einen Stoss, und in der Luft entstehen daher genau ebenso viele Oscillationen in der Zeiteinheit, als die Saite ausführt. Die Dauer solcher mitgetheilter Schwingungen kann daher in einem und demselben Körper oder Medium höchst veränderlich sein. Wir werden übrigens später (im 3. und 4. Abschnitt) noch bestimmte Umstände kennen lernen, unter welchen von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme eintreten muss und in der That eintritt.
In je schnellere Schwingungen ein Aggregat mit einander ver -23 Fortpflanzungs - geschwindig - keit der Schwingungen. Wellenlänge. bundener Punkte geräth, in um so kürzeren Zwischenräumen müssen die einzelnen Verdichtungen uad Verdünnungen (Wellenberge und Wel - lenthäler) sich folgen. Gesetzt es wirke auf den Punkt a (Fig. 11) ein Stoss in der Richtung a f ein, so wird dieser Stoss, wenn die Schwingungs - bewegung langsamer ist, schon auf eine grössere Anzahl von Punkten sich
44Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.fortgepflanzt haben, bis a selbst anfängt in Rückschwingung zu gerathen, als im umgekehrten Fall: dort wird also die durch den Stoss bewirkte Verdichtung etwa die Form A, hier die Form B haben, und ähnlich müssen sich natürlich alle folgenden Wellenberge und Wel - lenthäler verhalten. Je grösser die Oscillationsgeschwindigkeit, um so kleiner ist daher die Länge der Wellen. Aus diesem Grunde pflanzen in einem und demselben Medium sich Wellen von verschiede - ner Schwingungsdauer mit gleicher Geschwindigkeit fort, d. h. die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Schwingungsbewe - gung ist für jedes Medium eine constante. Denn im selben Maass, in welchem die Geschwindigkeit der Welle zunimmt, nimmt die Länge derselben ab. Man kann daher die in einem bestimmten Medium vorhandene Wellenlänge bestimmen, sobald man die Fortpflan - zungsgeschwindigkeit und die Schwingungsdauer kennt. Hat sich die Wellenbewegung in der Secunde um die Strecke s fortgepflanzt, und ist n die Anzahl der Schwingungen in der Secunde, so hat sich die Strecke s in n Wellen zerlegt, und 〈…〉 ist die Länge der einzelnen Welle. Wenn somit Schwingungen von einem ersten auf einen zweiten Körper, der die Bewegung schneller fortzupflanzen vermag, übertragen werden, so wird die Wellenlänge im selben Verhältnisse grösser, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zunimmt. So pflanzen sich z. B. die Schallwellen im Wasser ungefähr 4mal schneller fort als in der Luft, dem entsprechend ist daher auch die Länge der Schallwellen im Was - ser ungefähr 4mal so gross.
Unsere Betrachtungen haben sich bis jetzt grossentheils an eine Abstraction angeknüpft, die in der Natur nicht vorkommt: in dieser finden wir blosse Punktreihen, die in Schwingungen begriffen sind, ebenso wenig wie isolirte schwingende Punkte, sondern hier ist ein schwingender Punkt auf allen Seiten von anderen Punkten umgeben, deren Gleichgewicht er stört, so dass die Schwingungsbewegung von dem Ort ihres Ursprungs aus nach allen Richtungen des Raumes sich ausbreitet. Zugleich ist es, wie wir oben bereits hervorgehoben, schon von Anfang an nie ein einzelner Punkt, sondern eine ganze Punktmasse, die in Schwingungen geräth und auf andere Punkte ihre Schwingun - gen fortpflanzt. Wir müssen uns also, wenn a die zuerst in Schwin - gung gerathende Masse ist, diese als das Centrum denken, von wel - chem aus auf einander folgende Verdichtungen und Verdünnungen in unendlicher Anzahl nach allen Richtungen des Raumes gehen. Die Welle schreitet also nicht in einer einzigen Linie sondern in einer Kugel fort, aber wenn der Punkt a von einem gleichförmigen Medium umgeben ist, so werden offenbar auch in allen Wellenlinien, welche die Radien jener Kugelwelle bilden, die Verdichtungen und Verdün -45Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.nungen in völlig gleichmässiger Weise auf einander folgen. Wenn wir uns also die Kugelwelle mit einer durch ihr Centrum gehenden Ebene durchschnitten denken, so werden rings um den Mittelpunkt a in con - centrischen Kreisen, den Durchschnitten concentrischer Kugelschalen, Verdichtungen und Verdünnungen auf einander folgen. Wir werden diese Verhältnisse am besten sogleich an einem Beispiele deutlich ma - chen. Wenn an dem allseitig von Luft umgebenen Ort a (Fig. 12) plötzlich ein Schall erzeugt wird, so ent - steht eine schwingende Bewegung der um a liegenden Lufttheilchen, wodurch dieselben plötzlich zuerst sich von dem Mittelpunkte a nach den Richtungen der Radien a f, a g u. s. w. entfernen und dann wieder zurückschwingen: es entste - hen also Longitudinalschwingungen in allen Radien, die man von a aus ziehen kann, sie zusammen bilden eine von a fortschreitende Kugelwelle.
In vielen Fällen entsteht jedoch eine schwingende Bewegung in einem Körper,
der nicht nach allen Richtungen des Raumes sich gleichmässig aus - breitet. In einem solchen Körper, z. B. in einer Saite oder in einer Membran, können daher auch keine Kugelwellen entstehen, oder es können dann wenigstens erst etwa in einem Medium, das einen sol - chen Körper allseitig umgiebt, wie die Luft, die Schwingungen, nach - dem sie auf dieses Medium übertragen sind, zu einer Kugelwelle sich anordnen. In einer Saite, in einem Stabe werden sich die Wellen immer annähernd als Wellenlinien betrachten lassen, d. h. die Schwingungen derartiger Körper werden genügend aus den Schwingungs - gesetzen einer einzigen Punktreihe abzuleiten sein. In einer Membran, überhaupt in einem flächenförmigen Körper von irgend welcher Ge - stalt werden wir uns dagegen eine Menge von Wellenlinien neben einander eine Wellenfläche bildend denken müssen; der Durch - schnitt der Kugelwelle in Fig. 12 ist z. B. eine solche Wellenfläche. Erst wo wir ein gleichförmig nach allen Richtungen des Raumes aus - gebreitetes Medium finden ist die Kugelwelle möglich. Aber auch wo wir es mit einer Kugelwelle zu thun haben, können wir uns häufig zur Vereinfachung der Erklärung der blossen Wellen - linie bedienen; wir müssen uns nur immer erinnern, dass wir dabei lediglich einen einzigen Radius der ganzen in Schwingung begriffenen Masse herausgenommen haben; in andern Fällen, wo die Betrachtung der Wellenlinie nicht mehr ausreicht, genügt die Wellenfläche zur Er - läuterung der Erscheinungen, wobei wir uns dann erinnern müssen,46Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.dass wir nur eine bestimmte Schnittfläche aus der ganzen schwingen - den Masse in’s Auge fassten.
Longitudinalschwingungen oder Verdünnungs - und Verdichtungs - wellen können in festen, flüssigen und gasförmigen Körpern vorkom - men. So kann man z. B. einen Metall - oder Glasstab in Longitudinal - schwingungen versetzen, wenn man einen momentanen Druck oder Zug auf denselben ausübt. Ebenso geräth eine in ein Gefäss herme - tisch eingeschlossene Flüssigkeits - oder Luftmenge in Longitudinal - schwingungen, wenn man, etwa durch eine an dem Gefäss befindliche Kolbenstange, einen momentanen Druck auf die tropfbare oder elasti - sche Flüssigkeit anwendet. In beiden Fällen ist die Stärke der ein - tretenden Verdichtung, die Wellenhöhe, abhängig von der Stärke des Drucks, den man ausgeübt hat, während die Wellenlänge und die Ge - schwindigkeit, mit der die Welle sich fortpflanzt, bloss von den elasti - schen Kräften der Theilchen des in Schwingung versetzten Körpers abhängen. Noch näher auf die Bedeutung dieses Unterschieds zwischen Wellenhöhe und Wellenlänge werden wir in der Lehre vom Schall ein - zugehen haben, welche zum grossen Theil nur Anwendungen der hier erörterten allgemeinen Gesetze der Longitudinalschwingungen darbietet.
Wir haben bisher bloss den Fall in’s Auge gefasst, in welchem ein Aggregat materieller Punkte dadurch in Schwingungsbewegungen versetzt wird, dass einige jener Punkte plötzlich in der Richtung ihrer Verbindungslinie einander genähert oder von einander entfernt werden. Es ergab sich, dass in diesem Fall auch die Schwingungen der Punkte in der nämlichen Richtung erfolgen, und gerade aus diesem Grunde wurden dieselben als Longitudinalschwingungen bezeichnet. Es kann
nun aber die gegenseitige Lage solcher geradlinig aneinander gereihter Punkte auch dadurch verändert werden, dass ei - nige derselben einen momentanen Stoss in der auf ihrer Verbindungslinie senk - rechten Richtung erfahren. Nehmen wir an, der Punkt a (Fig. 13 A) werde durch einen solchen Stoss nach abwärts be - wegt, so dass er in die in B bezeichnete Lage kommt, so muss hierdurch auch das Gleichgewicht der ihm benachbarten Punkte gestört werden. Denn die Distanz a b ist in Folge dieser Bewegung grösser geworden, es kann daher nicht mehr Gleichgewicht der Anziehungs - und Ab - stossungskräfte zwischen a und b bestehen, sondern es müssen die An -47Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.ziehungskräfte überwiegend werden. In Folge dessen wird sich also der Punkt b gegen den Punkt a hin bewegen: in dem Moment aber, in welchem er sich in Bewegung setzt, übt zugleich c auf ihn eine An - ziehung aus, die auf b einwirkenden Kräfte werden also durch die Ver - bindungslinien b c und b a dargestellt, die wirkliche Bewegung muss daher nach dem Satz vom Kräfteparallelogramm in der Diagonale bei - der Richtungen geschehen, d. h. der Punct b wird sich ebenso wie vor - hin der Punkt a gerade nach abwärts bewegen. Während aber b diese Bewegung ausführt, ist a bereits gegen seine ursprüngliche Gleichge - wichtslage zurückgekehrt, es wird also in einem folgenden Moment die Anordnung der Punkte die in C dargestellte sein. Der Punkt a bleibt jedoch nach seinem Rückgang nicht in der Gleichgewichtslage, sondern schwingt vermöge der erlangten Beschleunigung um ebenso viel nach der entgegengesetzten Richtung über dieselbe hinaus, als er durch den anfänglichen Stoss aus ihr entfernt worden war. So wird in einem dritten Moment, in welchem zugleich b in die Gleichgewichtslage zu - rückgekehrt ist und die Bewegung sich auf einen weiteren Punkt c fort - gepflanzt hat, die Anordnung durch D dargestellt werden, in einem vierten Moment durch E u. s. f. Man sieht sonach, dass auch in die - sem Fall die Schwingungsbewegung, in die der erste Punkt geräth, sich fortpflanzt, dass aber hier nicht auf einander folgende Verdich - tungen und Verdünnungen entstehen, sondern Abweichungen der Punkte nach oben und nach unten von der Gleichgewichtslage, die übrigens ebenso regelmässig auf einander folgen wie die Verdichtungen und Ver - dünnungen bei den Longitudinalschwingungen. Es ist klar, dass wir auch hier zwischen den Punkten a, b, c u. s. w. noch eine Menge wei - terer Punkte annehmen können. Dann wird z. B. in einem der Fig. 13 E entsprechenden Zeitmomente die Anordnung einer solchen dichter gedrängten Punktreihe durch die Fig. 14 dargestellt werden. Ziehen
wir zwischen allen Punkten die Verbin - dungslinie, so erhalten wir demnach für die Fortpflanzung dieser Schwingungs - bewegung eine ebensolche Wellenlinie, wie wir sie zur Darstellung der Longi - tudinalschwingungen benützt haben. Aber während bei den letzteren die Wellenlinie nur ein die auf einan - der folgenden Verdichtungen und Verdünnungen versinnlichendes Bild ist, stellt sie hier die wirkliche Bewegung der Punkte dar. Man nennt solche durch Erschütterungen, die auf der Verbindungslinie der Punkte senkrecht stehen, erzeugte Schwingungsbewegungen Transversal - schwingungen oder Transversalwellen. Auch hier bilden ein Wellenberg und ein darauf folgendes Wellenthal zusammen eine Wel - lenlänge, und auch hier ist, wie man leicht sieht, jede Stelle in die -48Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.selbe Anordnung wieder zurückgekehrt, sobald die Bewegung um eine Wellenlänge fortgeschritten ist.
Fängt die Bewegung damit an, dass der zuerst aus dem Gleich - gewicht gerathende Punkt a nach abwärts bewegt wird, wie in Fig. 13 und 14, so ist die Welle, der bei den Longitudinalschwingungen ge - brauchten Bezeichnung entsprechend, eine negative. Wird dagegen der zuerst gestörte Punkt zuerst nach aufwärts bewegt, geht also der Wellenberg voran, so erhalten wir eine positive Transversalwelle. Es gelten ferner nicht nur die Gesetze der Schwingungsdauer son - dern auch die Beziehungen zwischen Schwingungsdauer, Wellenlänge und Fortpflanzungsgeschwindigkeit, die wir für die Longitudinalwellen abgeleitet haben (§. 31 und 32), ebenso für die Transversalwellen.
Ein sehr bekanntes Beispiel der Transversalwellen bietet die Wellen - bewegung der Flüssigkeiten. Auch feste Körper lassen sich in Trans - versalschwingungen versetzen: so kann man z. B. an einem lose ge - spannten Seile, dessen eines Ende man rasch bewegt, eine fortschrei - tende Transversalwelle erzeugen. Endlich beruhen die Lichterschei - nungen auf Transversalschwingungen des Aethers. Wir werden die besondern Modificationen, welche die Transversalwellen in diesen ein - zelnen Fällen zeigen, in der Physik der Flüssigkeiten, in der Lehre vom Schall und in der Lehre vom Licht näher zu erörtern haben.
Es ist klar, dass die nämlichen Bedingungen, die wir für das Vorkommen der Longitudinalwellen in der Natur dargelegt haben, auch für die Transversalwellen gelten. In einem nach allen Richtungen gleich - förmig beschaffenen Medium muss sich die Transversalwelle ebenfalls als eine Kugelwelle fortpflanzen, auf einer Fläche wird sie als Wel - lenfläche und in einem annähernd linearen Körper als Wellenlinie erscheinen. Uebrigens können wir uns hier ebenfalls auch wo es sich um Kugelwellen handelt häufig der Einfachheit wegen auf die Betrach - tung einer derselben angehörenden Wellenlinie oder Wellenfläche be - schränken.
Wir wollen jetzt, nachdem wir die Haupterscheinungen der Lon - gitudinal - und Transversalschwingungen in ihrem Unterschied aufge - fasst haben, die wichtigsten diesen beiden Schwingungsformen gemein - samen Gesetze der Wellenbewegung darzulegen versuchen. Wir halten uns dabei zunächst an das Bild der Transversalwelle, das aber ja, wie wir gesehen haben, immer zugleich die Longitudinalwelle versinn - licht.
Bisher wurde die wellenförmige Fortpflanzung der Schwingungen betrachtet, wie dieselbe stattfindet, wenn sie vollkommen ungestört in einem gleichförmigen Aggregat materieller Punkte weiterschreitet. Nun tritt aber sehr häufig eine Störung dieser einfachsten Wellenbewegung49Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.dadurch ein, dass eine oder mehrere Wellen, die in gleicher oder ver - schiedener Richtung verlaufen, sich durchkreuzen; man bezeichnet dies als Interferenz der Wellen. Ferner kann die Fortpflanzung der Welle dadurch gestört werden, dass sie irgendwo auf einen Körper auftrifft, dessen Punkte sie nicht in Mitschwingungen zu versetzen ver - mag; es tritt dann eine Reflexion der Welle ein. Endlich kann die Welle auf einen zweiten Körper sich fortpflanzen, der eine grössere oder geringere Dichtigkeit als der erste Körper besitzt, in welchem also die Anordnung der materiellen Punkte eine verschiedene ist: in diesem Fall wird die Geschwindigkeit und die Länge der Welle geän - dert, es tritt eine sogenannte Brechung derselben ein. Wir wollen diese Erscheinungen der Interferenz, der Reflexion und der Brechung nach einander in’s Auge fassen.
Wenn zwei Wellenbewegungen zusammentreffen, so muss offen - bar die Bewegung jedes Punktes, zu welchem die beiden Wellen sich fortpflanzen, zusammengesetzt sein aus derjenigen Bewegung, die er durch die eine Welle allein erfahren würde, und aus derjenigen Bewe - gung, die er durch die andere Welle allein erfahren würde. Aehnlich also wie wir aus zwei Kräften die Mittelkraft finden, so werden wir auch aus den zwei Bewegungen die mittlere Bewegung construiren können. Stellen die zwei Wellenlinien a b und c d in Fig. 15 zwei Schwingungsbewegungen dar, die von entgegengesetzten Seiten kom - mend sich von d bis b kreuzen, so müssen wir überall wo die beiden Wellenlinien zusammentreffen für jeden Punkt der Abscissenaxe die zugehörigen Ordinaten beider Wellenlinien addiren, wenn sie auf der - selben Seite der Abscisse liegen, und von einander abzählen, wenn sie nach entgegengesetzten Seiten gehen: die hieraus resultirende Ordinate
gehört dann der resultirenden Wellencurve an, welche durch die Inter - ferenz entstanden ist; diese resultirende Welle ist in Fig. 15 durch die Linie e f dargestellt. Wir sehen aus derselben, dass wo zwei Wellen - berge interferiren ein grösserer Wellenberg entsteht, und dass wo zwei Wellenthäler interferiren ein grösseres Wellenthal gebildet wird, wäh - rend sich Wellenberg und Wellenthal, wenn sie zusammentreffen, ganz oder theilweise compensiren. An solchen Stellen wo der Wellenberg dem Wellenthal, mit welchem er zusammentrifft, genau gleich ist, he -Wundt, medicinische Physik. 450Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.ben sich die entgegengesetzten Bewegungen vollständig auf, die Punkte des Mediums bleiben in Ruhe.
Wenn eine Welle auf eine feste, Widerstand leistende Wand trifft, so wird sie reflectirt. Die Ursache der Zurückwerfung ergibt sich aus folgender Betrachtung. Es sei a b c (Fig. 16) eine Welle, welche
sich von x aus gegen die feste Wand w w hin bewegt hat, und die eben an dieser Wand angelangt ist. Wäre die feste Wand nicht vor - handen, so würde die Welle nach Verfluss von ¼ Wellenlänge bis g fortgeschritten sein. Nun müssen aber offenbar wegen des Wider - standes, den die Wand ausübt, die - jenigen Theilchen, die sich von w nach g bewegen sollten, in umge - kehrter Richtung, also von w nach e zurückgeworfen werden. In Fol - ge dessen befindet sich unmittel - bar vor der Wand ein halber Wel - lenberg e f von der doppelten Höhe. Die von der Wand in der Richtung w e zurückgeworfenen Theilchen bilden nun den Anfang einer Welle, die in einer der Welle a b c gerade entgegengesetzten Richtung, also von w gegen x hin, sich fortpflanzt. In dem Wellenberg e f ist nur die Hälfte der Theilchen in der Richtung e f, die andere Hälfte noch in der Richtung f e bewegt. Sobald aber die zurückgestossenen Theilchen auf ihrem Rückweg über e hinauskommen, werden auch weitere an w anstossende Theilchen zurückgeschleudert. Ist also wie - der ¼ Wellenlänge verflossen, so befindet sich vor der Wand ein gan - zer rückläufiger Wellenberg k i h. Unterdessen ist aber auch das Wellenthal a b nach h l k vorgerückt. Indem so rückschreitender Wel - lenberg und vorschreitendes Wellenthal zusammentreffen, heben beide durch Interferenz sich auf. Lassen wir noch weiter ¼ Wellenlänge verfliessen, so ist der Berg k i h nach n m gekommen und hat daher ein halbes Wellenthal n r hinter sich zurückgelassen. Zugleich hat sich aber das Wellenthal h l k um eine Viertelswellenlinie der Wand genähert: es treffen also zwei halbe Wellenthäler zusammen und bil - den das doppelt vertiefte Thal n o. Erst nach einer weiteren Viertel - wellenlänge finden wir endlich eine ganze rückschreitende Welle p q s vor, welche in einer der ursprünglichen Welle a b c entgegengesetzten Richtung verläuft.
Ist es eine Verdünnungswelle, die gegen die feste Wand verläuft,51Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.geht also das Wellenthal voran, so ist die Aufeinanderfolge der ein - zelnen Erscheinungen natürlich die umgekehrte. Es entsteht dann zu - erst ein doppelt vertieftes Wellenthal, dann Interferenz des rücklaufen - den Wellenthales und des vorwärts bewegten Wellenbergs, hierauf doppelt vertiefter Wellenberg und endlich rückschreitende negative Welle.
Häufig kommt es vor, dass viele Wellen nach einander, ein gan - zer Wellenzug, auf eine feste Wand trifft. Dann interferirt natürlich die rückschreitende Welle auf jedem Punkt ihres Wegs mit neu an - kommenden; die Erscheinungen sind aus Reflexion und Interferenz zu - sammengesetzt und lassen sich leicht aus den in diesem und dem vori - gen §. erörterten Thatsachen entwickeln.
Wir haben bisher vorausgesetzt, dass die Richtung der Welle,39 Richtung der reflectirten Wellen. die aus einem Medium auf ein anderes trifft, senkrecht zu der Begren - zungsfläche dieser beiden Medien sei. Unter Richtung einer Welle versteht man aber die Richtung der Linie, welche die successiv in Schwingungsbewegungen gerathenden Punkte mit einander verbindet. Die Richtung einer Longitudinalwelle ist also zu einer Ebene senkrecht, wenn die schwingenden Punkte selbst sich senkrecht zu dieser Ebene bewegen, die Richtung einer Transversalwelle steht dagegen auf einer Ebene senkrecht, wenn die schwingenden Punkte sich parallel dersel - ben bewegen. In diesen bisher in Betracht gezogenen Fällen ändert nun die Welle in Folge der Reflexion ihre Richtung nicht. Die Welle geht denselben Weg zurück, den sie ankam. Anders ist dies, wenn die Welle unter irgend einem Winkel auf die reflectirende Wand auf - fällt, wie dies aus folgender Betrachtung hervorgeht. Wenn sich der
Punkt e (Fig. 17) in Folge einer von a nach e fortgeschrittenen Verdichtungswelle gegen f be - wegt, so erfährt er nicht nur eine rückstossende Wirkung von dem Punkt f der festen Wand, sondern auch von dem darüber liegenden Punkte g. e empfängt also einen Impuls, der dem Pa - rallelogramm der Kräfte gemäss aus der von f und von g ausgeübten Wirkung zusammengesetzt ist: er wird demnach nicht in der Richtung f a sondern in der Richtung f b reflectirt werden. Der Winkel, den f b mit f a bildet, wird offenbar um so grösser, je mehr f a von der auf die reflectirende Wand senkrechten Richtung ab - weicht. Denn in einer auf w w senkrechten Welle a' f erfährt der Punkt e von einem oberhalb f gelegenen Punkte g eine genau ebenso grosse Wirkung wie von einem unterhalb f gelegenen Punkte h, diese beiden Wirkungen heben sich also auf, und es wird nun e in der Rich - tung f a' wieder zurückgestossen. Nehmen wir an, eine Welle a″ f4 *52Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.wiche nur unendlich wenig von der senkrechten Richtung a' f ab, so würde auch die Wirkung der oberhalb f gelegenen Punkte auf den Punkt e nur unendlich wenig über die Wirkung der unterhalb f ge - legenen Punkte überwiegen können, und es müsste demzufolge der Winkel, den die reflectirte Welle f b″ mit der auffallenden bildet, un - endlich klein sein. Es ergibt sich so, dass wenn der Winkel, den die auffallende Welle mit der Senkrechten bildet, continuirlich wächst, der Winkel, um welchen die reflectirte Welle nach der anderen Seite von der Senkrechten abweicht, ebenso continuirlich wachsen muss. Man nennt den Winkel, welchen eine Welle a f mit der auf der Wand w w senkrecht stehenden Linie a' f bildet, den Einfallswinkel. Den Winkel, welchen die zurückgeworfene Welle f b mit derselben Linie bildet, den Reflexionswinkel. Die Senkrechte a' f selbst nennt man das Einfallsloth, und es lässt sich nun das Gesetz der Reflexion der Wellen einfach folgendermassen aussprechen: Jede Welle, die in der Richtung des Einfallslothes die feste Wand trifft, wird in der - selben Richtung wieder zurückgeworfen; wenn dagegen die Welle mit dem Einfallsloth einen Winkel bildet, so liegt die reflectirte Welle in derselben Ebene wie die einfallende, aber auf der andern Seite des Einfallslothes, und zwar ist der Reflexionswinkel gleich dem Einfallswinkel.
Diese Betrachtung bleibt auch dann gültig, wenn die Wand, an welcher die Welle zurückgeworfen wird, keine ebene sondern eine gekrümmte Oberfläche ist (Fig. 18). Man denkt sich dann an den Punkt f die - ser Oberfläche, auf welchen die Welle trifft, eine tan - girende Ebene e e 'gelegt; die auf dieser Ebene senk - rechte Linie 1 f ist nun das Einfallsloth, mit welchem wieder die auffallende und zurückgeworfene Welle a f und f b gleiche Winkel bilden müssen. Es verhält sich also die Reflexion ganz so, als wenn sie an der tangirenden Ebene e e' geschähe.
Das für lineare Wellen aufgefundene Reflexionsgesetz lässt sich sehr leicht auf Kugelwellen ausdehnen. Wir brauchen dann nur einige der Wellenlinien, aus denen sich die Kugelwelle zusammensetzt, auf ihrem Wege zu verfolgen. Es genügt hier irgend einen ebenen Durch - schnitt der Kugelwelle, also eine einzige derselben zugehörige Wel - lenebene, in’s Auge zu fassen. Es sei a (Fig. 19) der Punkt, von welchem die Welle ausgeht, v w die Wand, an welcher sie reflectirt wird. Die einzelnen Wellenlinien, welche die betrachtete Wellenebene zusammensetzen, sind a f, a f ', a f″ u. s. w. Von diesen wird a f, weil es mit seinem Einfallsloth zusammenfällt, wieder in derselben Richtung f a reflectirt. a f' geht in der Richtung f 'r', a f″ in der Richtung f″ r″ zurück u. s. w., wobei der Winkel r 'f' l' = a f 'l', r″ f″ l″ = a f″ l″, wenn f' l', f″ l″ .... die Einfallslothe bedeuten. 53Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.
Verlängert man nun die Richtungen der sämmtlichen reflectir - ten Wellen f a, f 'r', f″ r″ ...., bis sie sich schneiden, so findet man, dass dies in ei - nem Punkte a' ge - schieht, der ebenso weit hinter der Wand v w gelegen ist, als der Punkt a vor dieser Wand liegt. Wenn also eine Kugelwelle oder ein Theil einer solchen von einer ebe - nen Wand reflectirt wird, so hat die re - flectirte Welle eine solche Richtung, als wenn sie die unmittelbare Fortsetzung einer andern Kugelwelle wäre, deren Ausgangspunkt ebenso weit hinter der reflectirenden Wand gelegen ist, als der Ausgangspunkt der auffallenden Welle vor dieser Wand liegt.
Es versteht sich von selbst, dass dieses Gesetz nur gilt, so lang es sich um die Reflexion an einer ebenen Wand handelt. Würde die Kugelwelle statt an der Ebene v w an einer krummen Oberfläche zurückgeworfen, so würden die Einfallslothe f 'l', f″ l″ verschiedene Richtungen erhalten, weil jedes auf einer andern tangirenden Ebene senkrecht stünde. Auf die Modificationen, die hierdurch das Reflexions - gesetz erfährt, werden wir bei der Besprechung der Lichtwellen zu - rückkommen, bei denen die Reflexion an gekrümmten Oberflächen vorzugsweise von Interesse ist.
Wir haben im Eingang unserer Betrachtungen über die Schwin -40 Stehende Schwingungen. gungsbewegungen ausgeführt, wie ein Punkt, der durch bestimmte Kräfte in seiner Lage gehalten ist, wenn er durch einen einmaligen Stoss aus derselben entfernt wird, in unaufhörliche Schwingungen um jene Gleichgewichtslage gerathen müsste. Es wurde jedoch sogleich hinzugefügt, dass in der Wirklichkeit derartige Schwingungen, wegen der Widerstände, die sie vorfinden, sehr bald aufzuhören pflegen. Nun aber haben wir in der Reflexion der Wellen eine Thatsache kennen gelernt, durch welche die Schwingungen eines Körpers namentlich dann eine längere Zeit sich erhalten können, wenn sie hin - und her - laufend successiv von verschiedenen Seiten reflectirt werden. Einen einfachen Fall dieser Art bietet uns eine an ihren beiden Enden54Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
a und b befestigte schwingende Saite (Fig. 20). Wenn wir die Saite in ihrer Mitte anziehen, so ertheilen wir ihr die Form eines einzigen grossen Wellenbergs a c b, der, indem er nach beiden Seiten hin sich fortzupflanzen strebt, fortwährend sowohl bei a als bei b reflectirt wird, wodurch die Schwingungen längere Zeit andauern. Noch klarer stellt sich der Einfluss der Re - flexion heraus, wenn wir Schwingungen hervorrufen, welche aus meh - reren hinter einander liegenden Bergen und Thälern bestehen. Er - zeugt man z. B. eine von a nach e fortschreitende Welle a e (Fig. 21),
so wird diese Welle, wenn sie bei e angelangt ist, reflectirt, läuft nach a zurück, wird hier wieder reflectirt u. s. f. Die schwach fort - dauernden Schwingungen eines jeden Bruchtheils a b der Saite wer - den durch diese fortwährend bei a und e geschehenden Reflexionen verstärkt. Die Saite geräth daher in continuirliche Schwingungen, bei denen sie zwischen der durch die ausgezogene und der durch die punktirte Curve angedeuteten Form wechselt. Die ganze Saite ver - hält sich also wie eine Menge kleiner neben einander liegender Sai - ten a b, b c ...., von denen jede für sich in Schwingungen begriffen ist, während die zwischenliegenden Punkte b, c .... fortwährend in Ruhe bleiben. Schwingungen wie die hier geschilderten bezeichnet man als stehende Schwingungen. Die nicht mitschwingenden Punkte b, c .... nennt man Schwingungsknoten.
An Saiten kann man stehende Schwingungen von einer Wellen - länge, die zu der Länge der Saite in irgend einem einfachen Zahlen - verhältnisse steht, leicht erregen, indem man z. B. die Stelle a b einer Seite a e in Schwingungen versetzt und den Punkt b durch Berüh - rung am Mitschwingen hindert: es pflanzt sich dann der Wellenberg ab über die ganze Saite fort und bringt dieselbe in stehende Schwin - gungen von entsprechender Wellenlänge. In ähnlicher Weise können elastische Platten und Membranen in stehende Schwingungen gerathen: dieselben theilen sich hierbei in einzelne Flächenstücke, die durch ruhende Linien, Knotenlinien, getrennt sind. Ebenso können Luft - säulen, die in Röhren eingeschlossen sind, stehende Schwingungen ausführen. Wir werden Beispiele dieser verschiedenen Formen ste - hender Schwingungen bei der Lehre vom Schall näher kennen lernen. Die Knotenpunkte schwingender Saiten lassen sich leicht ermitteln, indem man an verschiedenen Stellen leichte Körperchen, z. B. Holz - splitterchen, Papierstücke, auf die Saite legt. Wenn die Saite in55Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.Schwingungen geräth, so bleiben diese Körperchen überall da liegen, wo sie sich an Knotenpunkten befinden, während sie an allen andern Stellen weggeschleudert werden. An schwingenden Platten und Mem - branen lassen sich die Knotenlinien durch Bestreuen mit Sand oder Staub sichtbar machen. Wenn die Platte in Schwingungen kommt, so häuft sich dann der Sand an den Knotenlinien an. Es entstehen so regelmässige Figuren, die Chladni’schen Klangfiguren, die an einer und derselben Platte oder Membran, je nach der Art wie dieselbe in Schwingung versetzt wird und wie sie befestigt ist, sehr mannig - fach wechseln können.
Wir haben bisher die Wand, auf welche eine Longitudinal - oder41 Uebergang der Wellen in ein dichteres Me - dium. Transversalwelle auftrifft, als vollkommen starr und unbeweglich be - trachtet. Im strengsten Sinne ist dieser Fall wohl niemals verwirk - licht; es können aber häufig die auf die Masse der Wand übertrage - nen Schwingungen desshalb, weil sie sehr gering sind, als nicht vor - handen betrachtet werden. Uebertrifft jedoch die Dichtigkeit des Körpers, auf welchen eine Welle auftrifft, diejenige des Mediums, in welchem sie zuerst verlief, nicht so bedeutend, dass die auf jenen fortgepflanzten Schwingungen vernachlässigt werden können, so ist es klar, dass zunächst auch hier eine zurücklaufende Welle reflectirt wird, denn es wird zwar dann der Punkt f (Fig. 17 und 18), der dem zweiten Medium angehört, nicht vollkommen unbeweglich bleiben, aber da er nur in geringerem Maasse der Wirkung der benachbarten Punkte des ersten Mediums folgen kann, so wird er selbst die nämliche Wir - kung, nur schwächer ausüben, als wenn er ganz unbeweglich wäre. Ausserdem aber pflanzt sich, weil der Punkt f und die ihm benach - barten des zweiten Mediums beweglich sind, auf dieses die Wellen - bewegung fort. Stellt demnach in Fig. 22 f g die Grenze dar, von
der links das dünnere, rechts das dichtere Medium liegt, so wird in einem Augenblick, wel - cher dem Moment B in Fig. 16 entspricht, der ankommende Wel - lenberg, der, wenn keine Wand vorhanden wäre, in der Form i n t fortschreiten würde, sich in einen reflectirten Wellenberg von der Höhe n r und in einen fortschreitenden Wellenberg von der Höhe p s trennen. Der rückschreitende Berg n r addirt sich zu dem Berg i n und erzeugt so den Wellenberg i r, der eine re - flectirte Welle verursacht, welche jedoch eine um s p geringere Höhe hat als bei der früher betrachteten totalen Reflexion; zugleich geht56Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.eine Welle s t in das andere Medium gegen o hin. Die Höhen der reflectirten und der fortgepflanzten Welle zusammen sind offenbar gleich der Höhe p n der ursprünglichen Welle. Je geringer der Un - terschied in der Dichtigkeit der beiden Medien ist, um so niedriger muss die zurücklaufende Welle im Vergleich zu der ankommenden sein, um so weniger wird sich dagegen die im zweiten Medium fort - schreitende Welle von der Welle im ersten Medium unterscheiden. Während aber die rücklaufende Welle, weil sie in dem Medium, das sie durcheilt, wieder dieselben Bedingungen antrifft wie die ankom - mende, von dieser sich nur in Bezug auf die Wellenhöhe unterschei - den kann, zeigt die fortgepflanzte Welle, die in einem neuen Medium verläuft, noch einen andern Unterschied, der sich unmittelbar aus unsern früheren Erörterungen ergiebt. Beim Uebergang in ein dich - teres Medium muss nämlich die Oscillationsdauer oder die Zeit, welche jedes Theilchen zu einer Hin - und Herbewegung braucht, dieselbe bleiben, denn die Schwingungen der Punkte des dichteren Mediums müssen sich den Schwingungen der Punkte des dünneren Mediums, durch die sie erregt werden, anpassen. Dagegen wird in dem dich - teren Medium jedes Theilchen bei seinem Hin - und Herschwingen einen grösseren Widerstand finden, da in dem dichteren Medium die einzelnen Punkte sich näher liegen. Es kann daher hier die Weg - länge, über die sich eine Oscillation von bestimmter Zeitdauer fort - pflanzt, nicht so gross sein als in dem dünneren Medium, das heisst die Wellenlänge muss in dem dichteren Medium abnehmen. Wenn sich aber die Wellenlänge vermindert, während die Oscillationsdauer dieselbe bleibt, so folgt, dass auch die Fortpflanzungsgeschwin - digkeit der Welle in dem dichteren Wedium abnehmen muss. Wäh - rend die reflectirte Welle r i (Fig. 22) genau ebenso viel Zeit gebraucht, um wieder bei dem Punkte x anzukommen, als nöthig war, um die Strecke von x bis p zurückzulegen, braucht die fortgepflanzte Welle s t eine beträchtlich längere Zeit, um eine gleich lange Strecke p o zurückzulegen, und diese Verlangsamung der Geschwindigkeit nimmt zu mit dem Dichtigkeitsunterschied der beiden Medien.
Hiernach lassen sich auch diejenigen Erscheinungen leicht be - greifen, welche entstehen, wenn sich eine schwingende Bewegung nicht aus einem dünneren in ein dichteres Medium fortpflanzt, sondern wenn sie umgekehrt aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht. Auch hier zerlegt sich die an der Grenze ankommende Welle in eine fortschreitende und in eine rückschreitende oder reflec - tirte Wellenbewegung.
Denken wir uns zunächst eine Verdichtungswelle, die in einer Punktreihe a f (Fig. 23) vorwärts schreitet, treffe bei f auf das dün - nere Medium f l, so wird bei dem Punkte f ein stärkeres Zusammen -57Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.
drängen der Punkte, also eine bedeutendere Verdichtung, stattfinden als an irgend einer Stelle der voranliegenden Punktreihe, weil der Punkt f, der schon dem dünneren Medium angehört, den gegen ihn eindringenden Punkten einen geringen Widerstand entgegensetzt. Es wird also bei f ein Wellenberg entstehen, der höher ist als die voran - gegangenen Wellenberge, und in Folge dessen wird sich links von f an der Grenze des dichteren Mediums ein tieferes Wellenthal bilden, das denselben Effect hat, als wenn bei f eine Thalwelle erregt wor - den wäre, die nun von f nach a zurückschreitet. Aehnlich wird es sich bei einer Transversalwelle verhalten. Da der Punkt f schwä - chere Anziehungskräfte auf seine benachbarten Punkte ausübt als die vorangelegenen Punkte des dichteren Mediums auf die ihrigen, so wird, wenn die transversale Schwingung sich bis f fortgepflanzt hat, nun f eine Schwingung von beträchtlich grösserer Amplitude ausfüh - ren: es wird also auch hier wieder an der Grenze ein tieferes Wel - lenthal entstehen, das eine zurückschreitende Thalwelle veranlasst. Ist die ankommende Welle eine Thalwelle, so muss eine schwächere Bergwelle zurücklaufen. In allen Fällen ist also die von dem dünneren Medium reflectirte Welle von entgegengesetzter Beschaffenheit wie die ankom - mende. Die Welle trennt sich auch hier an der Grenze f in eine re - flectirte Welle und in eine fortlaufende, welche zusammen die Höhe der ursprünglichen Welle besitzen. In Bezug auf die Wellenlänge oder Schwingungsgeschwindigkeit der einzelnen Punkte beider Medien muss aber wieder dieselbe Betrachtung Platz greifen, die wir oben bei der Fortpflanzung und Reflexion durch ein dichteres Medium angestellt haben: die Wellenlänge in der auf das dünnere Medium fortge - pflanzten Welle muss jetzt offenbar grösser werden, und dem ent - sprechend muss, da die Oscillationsdauer dieselbe bleibt, auch die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zunehmen.
Bisher wurde angenommen, die in ein dichteres oder dünneres43 Brechung der Wellen. Medium sich fortpflanzende Welle treffe senkrecht auf die Begrenzungs - fläche desselben auf: in diesem Fall behält die Welle in dem andern Medium ihre Richtung bei und verändert nur ihre Geschwindigkeit. Anders verhält es sich, wenn die Richtung der ankommenden Welle geneigt zur Begrenzungsfläche ist. Um den in diesem Fall eintre - tenden Ertolg darzulegen, müssen wir die Fortpflanzung einer Wel - lenebene in Betracht ziehen. Gesetzt, eine Wellenebene p p' a b58Von den Naturerscheinungen und Naturgesetzen im Allgemeinen.
(Fig. 24), die wir uns etwa als den von zwei sehr nahe bei einander gelegenen linearen Wel - len p a und p' b begrenzten Theil einer Kugelwelle denken können, treffe in schräger Rich - tung auf die ein dichteres Me - dium begrenzende Wand v w. Fassen wir den Zeitpunkt in’s Auge, in welchem der Theil p' b der Ebene gerade an v w auftrifft, so ist im selben Moment der Theil p bis a fortgeschritten, und wenn wir zwischen a und b eine Verbindungslinie ziehen, so steht diese auf der Richtung der Linie p a und p' b senkrecht. Wäh - rend nun p a bis c weiter schreitet, hat p' b bereits in dem dichteren Medium eine Strecke b d zurückgelegt. Diese Strecke b d muss im selben Maass kleiner als a c sein, in welchem die Fortpflanzungsge - schwindigkeit in dem zweiten Medium kleiner als im ersten ist. Die Verbindungslinie der beiden fortgeschrittensten Punkte c und d ist daher nicht mit a b parallel. Dagegen gehen von nun an die beiden Wellenlinien, da sie sich jetzt im selben Medium befinden, wieder mit gleicher Geschwindigkeit vorwärts. In einem dritten Moment wird also die Wellenebene bis e f, welches wieder zu c d parallel ist, fort - geschritten sein. Man sieht hieraus, dass jede auf ein dichteres Me - dium treffende Wellenebene an der Begrenzungsfläche eine Ablenkung ihrer Richtung erfährt. Es ist nun klar, dass diese Ablenkung der ganzen Wellenebene aus den Ablenkungen der einzelnen Wellenlinien, aus denen sie besteht, sich zusammensetzen muss. Irgend eine Wel - lenlinie, die im ersten Medium die Richtung m n hat, wird also im zweiten Medium in der Richtung n o weitergehen. Man bezeichnet diese Ablenkung der Welle als Brechung. Errichten wir wieder in dem Punkte n, an welchem die Welle m n auftrifft, eine Senkrechte s t als Einfallsloth, so wird die Welle m n so gebrochen, dass der Winkel t n o kleiner als der Winkel s n m ist, d. h. beim Ueber - gang in ein dichteres Medium wird jede Welle, die mit dem Einfallsloth einen Winkel bildet, so gebrochen dass sie sich dem Einfallsloth nähert.
Es ist nun leicht einzusehen, dass gerade der umgekehrte Erfolg eintritt, wenn die Welle aus einem dichteren in ein dünneres Medium übergeht. In diesem Fall hat nämlich der Theil p' b (Fig 25) der Wellenebene schon den Weg b d in dem dünneren Medium zurück - gelegt, bis der Theil p a bei c auf dasselbe auftrifft. Eine Wellen - linie m n hat also nach der Brechung die Richtung n o, d. h. die59Von den Schwingungs - und Wellenbewegungen.Welle wird so gebrochen, dass sie sich von dem Einfallsloth ent - fernt.
Es sei α (Fig. 26) der Winkel, wel - chen die auffallende Welle m n mit dem Einlallsloth bildet, β der Winkel der ge - brochenen Welle n o mit demselben, so verhält sich, wenn wir mit v die Fortpflan - zungsgeschwindigkeit der Welle in dem ersten Medium, mit v 'die Fortpflanzungs - geschwindigkeit in dem zweiten Medium bezeichnen 〈…〉 . Man sieht hieraus, dass sich aus dem Brechungswinkel das Verhältniss der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in den beiden Medien bestimmen lässt. Den Quotienten 〈…〉 oder 〈…〉 nennt man den relativen Brechungsexponenten der zwei Medien.
Unter der Schwere versteht man die Kraft, durch welche die Körper zur Erde zu fallen streben. Man betrachtet diese Kraft als erzeugt durch die Anziehungen, welche nach der atomistischen Theorie zwischen allen wägbaren Atomen stattfinden. Ein Körper fällt oder strebt zu fallen, weil seine Atome und die Atome des Erdkörpers eine gegenseitige Anziehung auf einander ausüben. Ueberall wo körper - liche Massen sich hinreichend nahe kommen oder hinreichend gross sind, um in der Entfernung, in der sie sich von einander befinden, eine merkliche Wirkung hervorzubringen, sehen wir die gleichen Anziehungs - kräfte sich äussern. Die fortdauernde Bewegung der Theile unseres Sonnensystems ist durch dieselben Kräfte bedingt, welche das Fallen eines irdischen Körpers verursachen. Diese allgemeine Naturkraft, von der sonach die irdische Schwere nur ein besonderer Fall ist, hat man zuweilen auch als allgemeine Gravitation oder allgemeine Schwere bezeichnet.
Der Einfluss der Schwere auf die Körper gestaltet sich verschie - den je nach der molecularen Beschaffenheit derselben. Die Haupt - unterschiede dieser molecularen Beschaffenheit finden ihren Ausdruck in den Aggregatzuständen. Wir haben daher die nähere Be - trachtung der Erscheinungen der Schwere zu trennen nach den drei Aggregatzuständen, in welchen die Körper vorkommen können, dem festen, flüssigen und gasförmigen. In jedem einzelnen dieser Fälle werden wir zuerst die Eigenschaften des betreffenden Aggregatzustan - des eingehender erörtern und sodann die an den Körpern dieses Aggregatzustandes durch die Schwere verursachten Erscheinungen in’s Auge fassen. Vollkommen streng lässt sich aber natürlich eine solche Trennung der Betrachtung nicht durchführen, da die charakteristischen Eigenschaften der Aggregatzustände selbst zum grossen Theil durch die Schwere und durch die der Schwere analogen gegenseitigen An -61Von der Schwere.ziehungskräfte der einzelnen Theilchen eines Körpers bedingt sind. Es ist ferner nicht zu umgehen, dass wir in einzelnen Fällen auch die Wirkung anderer Kräfte, die ähnlich wie die Schwere unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Ortsveränderungen der Körper verursachen, mit in die Betrachtung ziehen, da solche Kräfte, wie z. B. die Muskelkraft beim Wurf oder bei den menschlichen Ortsbewegungen, sehr häufig mit der Schwere zusammenwirken. Uebrigens versteht es sich von selbst, dass wir auf den Ursprung dieser Kräfte nicht näher eingehen, sondern sie hier nur in ihrer Wirkungsweise berücksichtigen, in der man sie sich auch immer durch den Druck eines Gewichts von be - stimmter Grösse, Richtung und Dauer, also durch eine Schwerewir - kung ersetzt denken kann. Wir bezeichnen hiernach die Abtheilun - gen, in die wir den vorliegenden Abschnitt zerfällen, allgemein als Physik der festen Körper, Physik der Flüssigkeiten und Physik der Gase.
Man nimmt an, dass die Anziehungskräfte zwischen den Atomen der Körper mit jenen Anziehungskräften identisch seien, welche die Erscheinungen der Schwere und der allgemeinen Gravitation verursachen. Da aber die Cohäsions - und Elasticitäts - erscheinungen durch die abstossenden Kräfte zwischen den unwägbaren Atomen gleichzeitig mitbedingt sind, und man daher immer nur die Resultante dieser zweier - lei Kräfte beobachten kann, so ist es, wie wir schon in §. 9. Anm. angedeutet haben, nicht möglich zu bestimmen, nach welchem Gesetz die anziehenden und die abstossen - den Molecularkräfte wirken. Eben desshalb ist es aber auch nicht sicher, ob in den geringen Entfernungen, in welchen sich die Atome eines Körpers von einander be - finden, noch das a. a. O. allgemein aufgestellte Gesetz 〈…〉 gilt. Nur so viel steht fest, dass die abstossenden Kräfte mit wachsender Entfernung viel rascher abnehmen als die anziehenden. Hieraus erklärt es sich auch, dass wir bei der Fernewirkung der Körper nur die Anziehungskräfte kennen lernen.
Aus dem was wir über die Eintheilungsprincipien dieses Abschnittes bemerkt haben geht schon hervor, dass unsere Eintheilung auf systematische Präcision keinen Anspruch machen kann. In der Natur wirken die verschiedensten Kräfte gleichzeitig neben einander. Auch verhältnissmässig sehr einfache Naturerscheinungen bieten uns daher immer schon Complicationen von Kräftewirkungen. Unter solchen Umständen ist namentlich die angewandte Naturlehre genöthigt vielmehr nach practischen und heuristischen als nach streng logischen Maximen bei der Anordnung ihres Stoffs zu verfahren.
62Von der Schwere.Die beiden wesentlichsten Eigenschaften der festen Körper sind die Cohäsion und die Elasticität. Auf ihrer beträchtlichen Co - häsion beruht jenes bei der vergleichenden Erörterung der Aggregat - zustände (§. 15) hervorgehobene Hauptmerkmal der festen Körper, dass sie zusammenhängende Ganze von bestimmter Form bilden, und nur durch ziemlich bedeutende äussere Kräfte ihre Form verändern oder gar ihren Zusammenhang verlieren. Auf der Elasticität beruht die mit der vorigen in Verbindung stehende Eigenschaft, dass die Kör - per einer äusseren Kraft einen derselben an Grösse gleichen Wider - stand entgegensetzen, durch den sie, wenn die Kraft aufhört zu wir - ken, wieder ihre ursprüngliche Form annehmen.
Da die Cohäsion die Eigenschaft eines Körpers zusammenzu - halten bezeichnet, so wird allgemein die Grösse der Cohäsionskraft durch die Grösse derjenigen äusseren Kraft gemessen, welche den Zusammenhang der Theilchen eines Körpers aufzuheben vermag. Häu - fig bezeichnet man die Cohäsion auch als die Festigkeit der Kör - per, und man unterscheidet eben so viele Arten der Festigkeit, als es Arten der Einwirkung äusserer Kräfte giebt, durch welche der Zu - sammenhang der Körper getrennt werden kann. So giebt es eine Zugfestigkeit, auch absolute Festigkeit, eine Bruchfestigkeit, auch relative Festigkeit genannt, und eine rückwirkende Festig - keit, worunter man diejenige Kraft versteht, die ein Körper dem Zerdrücken entgegensetzt. Diese drei Arten von Festigkeit verhalten sich durchaus verschieden. So hat z. B. das Glas eine viel grössere Zugfestigkeit als Kautschuk, aber seine relative und rückwirkende Festigkeit sind weit geringer. Als gewöhnliches Maass der Cohäsions - kraft gilt die Zugfestigkeit. Da die Kraft, welche ein Körper dem Zerreissen entgegensetzt, proportional der Grösse seines Querschnitts zunimmt, so drückt man gewöhnlich die Cohäsion durch dasjenige Gewicht aus, welches einen Körper von 1 Quadratmillimeter Quer - schnitt zu zerreissen im Stande ist. Die nach diesem Maass bestimmte Cohäsionskraft zeigt sehr grosse Unterschiede bei verschiedenen Na - turkörpern. Während sie z. B. beim gezogenen Gussstahl 80 Kilogr. beträgt, ist sie beim Blei nicht grösser als 2 Kilogr. Unter den Geweben des menschlichen Körpers zeigen die Knochen und Sehnen die grösste Zugfestigkeit (7,7 und 6,9), während dieselbe bei den Muskeln bis auf 0,054 Kilogr. sinkt.
63Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.Da man unter der Elasticität diejenige Kraft versteht, durch46 Elasticität. welche ein Körper äusseren Kräften gegenüber seine Form beizubehal - ten strebt, so ist die Elasticität eines Körpers um so grösser, je grösser die äussere Kraft sein muss, welche eine bestimmte Form - änderung bewirken soll; und sie ist um so vollkommener, je voll - kommener der Körper wieder seine ursprüngliche Form annimmt. Grösse und Vollkommenheit der Elasticität stehen in keinem Zusam - menhang zu einander. Manche Körper haben eine grosse, aber un - vollkommene Elasticität, wie das Blei und Silber, andere haben eine kleine, aber vollkommene Elasticität, wie das Kautschuk, die thieri - schen Muskeln und Gefässmembranen; noch andere haben eine grosse und vollkommene Elasticität, wie der Stahl und das Glas. Im ge - wöhnlichen Leben werden unter sehr elastischen Körpern meistens solche verstanden, die ähnlich dem Kautschuk, eine vollkommene, da - bei aber kleine Elasticität besitzen.
Es lassen sich so viele Arten der Elasticität unterscheiden, als es Arten der Formänderung giebt, die ein Körper erfahren kann, im - mer aber misst man die Grösse der Elasticität durch die Grösse der Formänderung, welche eine bestimmte äussere Kraft erzeugt, und die Vollkommenheit der Elasticität durch die Grösse der bleibenden Form - änderung, die eine Kraft von bestimmter Grösse nach dem Aufhören ihrer Wirkung zurücklässt. Die Arten der Formänderung, die sich unterscheiden lassen, sind: Zug oder Dehnung, Zusammendrückung, Torsion und Biegung. Davon sind die Formänderungen durch Deh - nung und Torsion die wichtigsten; die Zusammendrückung verhält sich, wie es scheint, der Dehnung durchaus analog.
Das Grundgesetz der Zugelasticität besteht darin, dass ein Körper durch dehnende Gewichte Verlängerungen erfährt, die den Ge - wichten proportional sind. Doch ist dieses Gesetz nur bis zu einer gewissen Grenze der Belastung gültig, über sie hinaus wachsen die Verlängerungen langsamer als die Gewichte; diese Abweichung von dem Gesetz macht sich bei den leicht dehnbaren Körpern, z. B. dem Kautschuk, den thierischen Muskeln und Gefässhäuten, schon bei ziem - lich niedrigen Belastungen geltend. Die Muskeln zeigen überdies eine mit dem Contractionszustand veränderliche Elasticität: ihre Dehnbar - keit nimmt zu, ihre Elasticität also ab bei der Contraction.
Torsion bewirkt man an einem elastischen Körper, wenn man ihn an einem Ende seiner Länge befestigt und am andern Ende einen Hebelarm anbringt, an welchem eine Kraft wirkt, so dass der Körper um seine Längsaxe gedreht wird. Die Torsionswinkel nehmen hier - bei proportional der drehenden Kraft zu. Das Gesetz der Torsions - elasticität enspricht also vollkommen demjenigen der Zugelasticität.
Sowohl zur Bestimmung der Grösse wie der Vollkommenheit der Elasticität bedient man sich am einfachsten der Zugelasticität. Die64Von der Schwere.Grösse der Elasticität verschiedener Körper kann dann verglichen werden, indem man diejenigen Gewichte ermittelt, welche, wenn die Körper gleiche Länge und gleichen Querschnitt besitzen, die gleiche Dehnung hervorbringen. Man ist übereingekommen, dasjenige Ge - wicht, durch das ein Körper, dessen Querschnitt und dessen Länge = 1 ist, die Verlängerung 1 erfahren würde, oder mit andern Wor - ten dasjenige Gewicht, welches die Länge eines Körpers von der Ein - heit des Querschnitts verdoppeln würde, als den Elasticitäts - coëfficienten zu bezeichnen und mit diesem Coëfficienten die Grösse der Elasticität der Körper auszudrücken. Für die Bestimmung dessel - ben ist es gleichgültig, welche Einheit der Länge man wählt. Ob ein Körper nur 1 Millim. oder 1 Meter lang ist, um seine Länge zu ver - doppeln, ist, vorausgesetzt dass der Querschnitt derselbe bleibt, immer das nämliche Gewicht nöthig; der Stab, der 1 Meter lang ist, besteht ja aus 1000 Theilen von je 1 Millim. Länge, an deren jedem das Ge - wicht zieht, und soll der ganze Stab um 1 Meter gedehnt werden, so muss eben jeder tausendste Theil um 1 Millim. gedehnt werden. Da - gegen ist es natürlich nicht gleichgültig, welche Einheit des Quer - schnitts gewählt wurde. Sollen zwei gleich lange Stäbe, von denen der eine 1 Quadratmillimeter, der andere 1 Quadratcentimeter im Querschnitt hat, sich um gleich viel verlängern, so muss man an den letzteren ein zehnmal so grosses Gewicht hängen, denn man könnte ihm ja zehn Stäbe von je 1 Quadratmillim. Querschnitt substituiren. Um also den Elasticitätscoëfficienten in dem oben angegebenen Sinne festzustellen, muss gesagt werden, auf welche Einheit des Quer - schnitts und auf welche Einheit des Gewichts man ihn bezieht. Zur ersteren wählt man in der Regel das Quadratmillimeter, zur letzteren das Kilogramm. Wenn demnach z. B. der Elasticitätscoëfficient für Stahl 18600, für Silber 7300 beträgt, so bedeutet dies, dass Drähte dieser Metalle von 1 □ Millim. Querschnitt durch 18600 und 7300 Kilogr. auf das Doppelte ihrer Länge ausgedehnt werden. Es ist übrigens selbstverständlich, dass man so bedeutende Dehnungen nicht ausführen kann. Die meisten Körper würden bei weit geringeren Be - lastungen schon zerreissen. Aber da nach dem Elasticitätsgesetz die Dehnungen proportional den angehängten Gewichten sind, so kann man leicht aus der Dehnung, die ein Körper von bestimmtem Quer - schnitt durch ein beliebiges Gewicht erfährt, dasjenige Gewicht, wel - ches seine Länge verdoppeln würde, d. h. den Elasticitätscoëfficienten, berechnen.
Zur Bestimmung der Elasticität fester Körper kann man sich noch anderer Me - thoden bedienen, welche sich auf die in §. 27 u. f. erörterten Gesetze der Schwingungen gründen. Wenn man einen Körper rasch ausdehnt und dann mit der dehnenden Kraft nachlässt, so kehrt er nicht plötzlich wieder in seine frühere Länge zurück, sondern er vollführt einige Zeit Schwingungen um die frühere Gleichgewichtslage. Wie der65Allgemeine Eigenschaften der festen Körper.Körper in diesem Fall, und ebenso wenn man ihn rasch zusammengedrückt hat, Longi - tudinalschwingungen vollführt, so führt er nach einer Biegung Transversalschwingungen und nach einer Torsion drehende Schwingungen aus. Aus dem Schwingungsgesetz (§. 29) ergibt sich aber, dass die Schwingungsdauer der Quadratwurzel der elastischen Kraft umgekehrt proportional ist. Statt also aus der Drehung, Biegung oder Ver - längerung kann man auch aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper um seine Gleichgewichtslage schwingt, wenn die dehnende, biegende oder drehende Kraft rasch nachlässt, auf die Grösse seiner Elasticität schliessen.
Um ein Maass für die Vollkommenheit der Elasticität zu gewin - nen, ermittelt man dasjenige Gewicht, welches an einem Körper von der Einheit des Querschnitts eine eben merkbare bleibende Formver - änderung hervorbringt. Man bezeichnet dieses Gewicht als die Ela - sticitätsgrenze. Die Bestimmungen der Elasticitätsgrenze sind übrigens ziemlich schwankend, da man bei feineren Messungsmethoden leicht bleibende Formänderungen noch bemerken kann, die sonst der Beobachtung entgehen.
Jeder Körper vermindert, wenn er gedehnt wird, seine Dichtig - keit, indem sein Volum zunimmt. Die Verkleinerung des Querschnitts bei der Dehnung ist nämlich nicht so gross als der Längenänderung entspricht. Das genauere Verhältniss der Quercontraction zur Längen - ausdehnung ist aber noch nicht sicher ermittelt, nach Einigen ist die erstere ¼, nach Andern ⅓ der letzteren; es scheint sogar, dass nicht für alle Substanzen das nämliche Verhältniss besteht. Beim Zusam - mendrücken der Körper nimmt umgekehrt das Volum ab und in Folge dessen die Dichtigkeit zu. Die Physiologie kennt einen Fall, in wel - chem ein Körper sich selbst zusammendrückt: die Contraction der Muskeln; in der That hat man auch hier eine geringe Volumverän - derung beobachtet.
Bei den sehr dehnbaren elastischen Körpern, wie dem Kautschuk und den meisten thierischen Geweben, bei welchen schon innerhalb geringer Belastungsgrenzen die Verlängerungen den Dehnungen nicht mehr proportional sind, hat man gefunden, dass das weitere Gesetz der Dehnungen durch eine Hyperbel sich darstellen lasse. Diese Kör - per zeigen zugleich die in schwächerem Grade wahrscheinlich bei allen Körpern vorkommende Erscheinung, dass sie, wenn man das dehnende Gewicht längere Zeit einwirken lässt, noch eine geringe nachträgliche Dehnung erfahren, die sehr lange andauert. Diese nach - trägliche Dehnung wird als elastische Nachwirkung bezeichnet.
Alle Körper üben als ganze Massen in die Ferne wirkende Kräfte47 Gewicht. Rich - tung der Schwere. auf einander aus. Die festen Körper verändern durch diese KräfteWundt, medicin. Physik. 566Von der Schwere.ihre gegenseitige Lage im Raum. Dagegen wird vermöge der grossen Cohäsion dieser Körper die relative Lage ihrer Atome zu einander in der Regel in Folge jener Fernwirkungen nicht bleibend verändert. Die Gesetze der Schwere treten daher hier in ihrer einfachsten Form auf.
Jeder Körper hat vermöge der Schwere das Streben zu Boden zu fallen und fällt in der That, wenn er nicht unterstützt wird. Die - ses Streben zu fallen nennen wir sein Gewicht. Das Gewicht ist demnach die Resultante aller der Anziehungen, welche die Erde auf jeden einzelnen Punkt eines Körpers ausübt. Aus je mehr einzelnen Massenpunkten ein Körper besteht, um so grösser muss sein Gewicht sein. Das Gewicht ist daher ein unmittelbares Maass für die Masse eines Körpers. Dagegen bleibt die Beschleunigung, welche die Kör - per beim wirklichen Fallen durch die Schwere erfahren, die nämliche, ob sie eine grösssere oder kleinere Masse haben; und ein einziger Punkt, wenn wir denselben isolirt beobachten könnten, müsste aus einer bestimmten Höhe genau in der nämlichen Zeit zur Erde fallen, in welcher ein schweres Gewicht aus derselben Höhe herabfällt. Denn ob die Erde gleichzeitig auf wenige oder auf viele Massenpunkte ein - wirkt, sie wird jedem einzelnen Punkt die gleiche Beschleunigung er - theilen, und daher werden alle Punkte zusammen die nämliche Be - schleunigung annehmen, die auch jeder einzelne isolirt angenommen hätte. Die Beobachtung des Falls von Körpern sehr verschiedenen Gewichts im luftleeren Raume, in welchem der Widerstand, den die Luft dem Fall entgegensetzt, möglichst beseitigt ist, hat dies bestätigt; im luftleeren Raume haben alle Körper die nämliche Fallzeit.
Die Richtung der Schwere muss, da wir die Erde als eine Kugel von gleichförmiger Dichtigkeit betrachten können, gegen den Mittelpunkt der Erde gerichtet sein. Denn die Anziehung, welche irgend ein Punkt über der Erdoberfläche erfährt, ist die Resultirende aller der Anziehungen, die von sämmtlichen Punkten der Erde auf ihn ausgeübt werden. Nun hat jeder seitlich von dem angezogenen
Punkt a (Fig. 27) gelegene Punkt m der Erde einen Punkt n von correspondirender Lage, so dass die beiden Anziehungen nach den Rich - tungen m a und n a gegenseitig sich aufheben und nur die in der Richtung der Geraden c a gelegenen Anziehungen, die a mit dem Mittel - punkt c der Erde verbinden, übrig bleiben. Man nennt die Linie a c das Loth. Dasselbe lässt sich leicht bestimmen, wenn man ein Ge - wicht an einem Faden aufhängt, die Richtung des Fadens gibt dann die Richtung des Lo - thes an.
67Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.Jeder Körper fällt, wenn er nicht unterstützt ist, in der Richtung48 Schwerpunkt. des Lothes zur Erde nieder, und, wenn er unterstützt ist, übt er in der nämlichen Richtung einen Druck auf seine Unterlage aus. Da nun aber jeder Körper aus einer Unzahl von Massenpunkten zusammen - gesetzt ist und jeder dieser Punkte durch die Schwere nach dem Erdmittelpunkt gezogen wird, so kann man von einem Körper streng genommen unendlich viele Lothe ziehen, die sämmtlich sich im Erd - mittelpunkte schneiden. Bei der ungeheuren Grösse des Erdhalbmes - sers im Verhältniss zu den Entfernungen, in welchen sich irdische Punkte von der Erdoberfläche befinden, kann man jedoch alle diese Lothe als parallele Linien ansehen. Ein Körper wird also von ebenso vielen Parallelkräften zur Erde herabgezogen, als er Massenpunkte be - sitzt. Nun haben wir in der Statik gesehen, dass für eine Summe von Parallelkräften eine Resultirende sich substituiren lässt, in deren Richtung sich der Körper bewegt, wenn er kein Hinderniss fin - det, und in deren Richtung eine ihr gleiche Gegenkraft wirken muss, wenn der Körper sich nicht bewegen soll. Dabei wäre es, wenn wir bloss die fortschreitende Bewegung des Körpers aufheben wollten, gleichgültig, welchen Angriffspunkt wir der Gegenkraft geben, während wir derselben einen bestimmten Angriffspunkt geben müssen, wenn auch die drehende Bewegung des Körpers verhindert werden soll. Diese Resultirende der sämmtlichen Schweranziehungen eines Körpers nennt man eine Schwerlinie.
Dreht man den Körper um irgend einen Winkel, so drehen sich um ebensoviel die Parallelkräfte der Schweranziehungen mit ihrer Resultirenden. Es ist aber leicht einzusehen, dass hierbei die letztere, die Schwerlinie, sich fortwährend um einen einzigen Punkt drehen muss, d. h. die Schwerlinien aller möglichen Lagen eines Körpers müssen sich in einem einzigen Punkte durchschneiden. Dieser Punkt, welcher demnach als der feste Angriffspunkt sämmtlicher Schweran - ziehungen betrachtet werden kann, heisst der Schwerpunkt.
Wenden wir z. B. eine der Flächen a b c d oder e f g h des Würfels (Fig. 28) nach unten, so ist i k die Richtung der Schwerlinie. Wenden wir a e h d oder b f g c nach unten, so ist n o, für d h g c und a e f b endlich ist l m die Richtung der Schwerlinie. Diese drei Schwerlinien und ebenso alle andern, die man bei son - stigen Lagen des Würfels erhalten kann, durchschneiden sich aber in dem Punkte x, dieser ist also der Schwerpunkt. Es ist ersichtlich, dass zur Bestimmung des Schwerpunktes eines Körpers immer die Ermittelung von zwei Schwerlinien genügt; der Durch -5 *68Von der Schwere.schnittspunkt derselben ist der Schwerpunkt. Man verfährt daher bei der empirischen Bestimmung des Schwerpunktes so, dass man für zwei bestimmte Lagen des Körpers diejenigen Stellen desselben auf - sucht, die unterstützt werden müssen, damit Gleichgewicht vorhanden sei. Offenbar wendet man hierbei das Princip des Hebels an, denn der Unterstützungspunkt, um welchen keine Drehung erfolgen kann, ist derjenige Punkt, in Bezug auf welchen die statischen Momente der auf entgegengesetzten Seiten wirkenden Kräfte sich das Gleich - gewicht halten. Ein nach den drei Dimensionen ausgedehnter Körper bildet, wenn er in dieser Weise unterstützt ist, eigentlich unendlich viele fest mit einander verbundene Hebel von der Form des früher in Fig. 4 dargestellten, mit einem allen gemeinsamen Unterstützungs - punkt, und auf jeden Punkt eines solchen Hebels wirken die lothrechten Kräfte ein. Für homogene Körper von einfacher geometrischer Form ergibt sich daher die Lage des Schwerpunktes unmittelbar aus dem Hebelgesetz. Bei geometrischen Körpern, die um ihren Mittelpunkt nach je zwei entgegengesetzten Richtungen gleich viel Masse haben, wie Kreisfläche, Kugel, Würfel, Cylinder u. s. w. ist selbstverständlich der Mittelpunkt zugleich der Schwerpunkt. Der Schwerpunkt eines Dreiecks ist der Durchschnittspunkt zweier Linien, die man von zwei Ecken aus zieht, und deren jede die gegenüberliegende Seite halbirt. Eine gerade Stange von regelmässigem Querschnitt hat ihren Schwer - punkt im Mittelpunkt ihres mittleren Querschnitts.
Bei Körpern, die nicht homogen sind oder eine unregelmässige Gestalt besitzen, muss der Schwerpunkt stets empirisch bestimmt werden. So hat man gefunden, dass sich der Schwerpunkt des menschlichen Körpers im Rückenmarkskanal nahe dem obern Rand des zweiten Kreuzbeinwirbels befindet. Die Schwerpunkte der einzel - nen Glieder liegen allgemein etwas näher dem oberen als dem unte - ren Ende derselben.
Empirisch bestimmt man den Schwerpunkt eines Körpers am zweckmässigsten, indem man den letzteren nach einander an zwei verschiedenen Punkten an einem Fa - den aufhängt. Die Richtung des Fadens in ihrer Verlängerung durch den Körper gibt jedesmal eine Schwerlinie, und der Durchschnittspunkt der beiden Schwerlinien ist der Schwerpunkt. Den Schwerpunkt des menschlichen Körpers hat man dadurch ermittelt, dass man einen Menschen auf ein Brett legte, welches auf einer scharfen Kante in’s Gleichgewicht gebracht wurde. Die Höhe des Schwerpunktes ergibt sich leicht, wenn die Kante senkrecht zur Länge des auf dem Rücken liegenden Körpers gerichtet wird; zur weiteren Ortsbestimmung sind streng genommen noch zwei Aequi - librirungen nöthig, bei welchen die Richtung der Kante der Länge des Körpers pa - rallel ist, und bei deren einer der Körper auf den Rücken, bei deren anderer er auf die Seite gelegt wird. Doch ist, da die Vertheilung der Massen rechts und links symmetrisch angenommen werden darf, nur die letztere Bestimmung, welche die Tie - fenlage des Schwerpunktes gibt, nöthig; übrigens erlaubt dieselbe bloss eine annähernde69Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.Genauigkeit. Nach der nämlichen Methode kann der Schwerpunkt einzelner Theile des menschlichen Körpers ermittelt werden.
Ein Körper ist, wie wir gesehen haben, stets dann im Gleich -49 Unterstützung des Schwer - punkts. Die Waage. gewicht, wenn die durch seinen Schwerpunkt gezogene Schwerlinie auf den Unterstützungspunkt trifft. Hierbei sind aber drei Fälle mög - lich: der Unterstützungspunkt kann entweder unterhalb oder ober - halb des Schwerpunktes oder im Schwerpunkt liegen. So ist die
horizontale, auf beiden Seiten gleich be - lastete Stange m m (Fig. 29) im Gleichge - wicht, mag sich ihre Drehungsaxe in o oder in u oder in s (dem Schwerpunkt) befinden. Ist die Drehungsaxe im Schwer - punkte s selber, so ist sie in jeder Lage, die man ihr geben mag, im Gleichgewicht, denn die Bedingung, dass die Schwerlinie durch den Unterstützungspunkt gehe, ist dann jeder - zeit erfüllt; man nennt dies den Zustand des indifferenten Gleich - gewichts. Ist dagegen die Drehungsaxe in o über dem Schwerpunkt, so kehrt die Stange, wenn man sie dreht und dann sich selbst über - lässt, wieder in ihre vorige Lage zurück, weil die in dem Schwer - punkt vereinigt wirkende Masse fallen muss, bis die Schwerlinie den Unterstützungspunkt trifft: man nennt dies den Zustand des stabilen Gleichgewichts. Befindet sich endlich die Drehungsaxe in u, unter dem Schwerpunkt, so fällt die Stange wenn sie aus ihrer Lage ge - dreht wird, bis der Schwerpunkt unter die Drehungsaxe zu liegen kommt und damit stabiles Gleichgewicht eingetreten ist: man nennt daher diesen Zustand das labile Gleichgewicht.
Die Unterscheidung der drei angeführten Gleichgewichtszustände ist vor Allem von Bedeutung für die Beurtheilung der Waage. Die Waage ist ein zweiarmiger Hebel, an dessen einem Arm eine Last zieht, die durch Gewichte, welche man auf ihren andern Arm wirken lässt, compensirt wird. Es ist klar, dass für die Waage nur der sta - bile Gleichgewichtszustand brauchbar ist, dass also der Schwerpunkt des Waagbalkens sich unter der Drehungsaxe befinden muss. Denn befände sich der Schwerpunkt über der Drehungsaxe, so würde sich bei der geringsten Mehrbelastung auf der einen Seite der Waagbalken um 90° drehen, während es für die Waage wesentlich ist, dass man aus der Grösse des Ausschlags schon einigermassen auf die Grösse der Mehrbelastung schliessen kann; würde aber die Drehungsaxe durch den Schwerpunkt selber gehen, so würde sich der Waagbalken auch bei gleicher Belastung auf beiden Seiten in jeder Lage im Gleich - gewicht befinden, das Wägen wäre also dann völlig unmöglich ge - macht. Auch bei der Waage kommt der Gegensatz des Geschwindig - keits - und Krafthebels in Rücksicht. Eine empfindliche Waage muss gleich - und langarmig sein, denn je länger der Hebelarm, um so be -70Von der Schwere.deutender wird bei jeder Gleichgewichtsstörung die Winkelbewegung; eine feine Waage muss ferner, so weit dies geht, dem mathematischen Hebel sich nähern, d. h. das Gewicht der Waagbalken muss möglichst klein sein; und endlich muss der Schwerpunkt möglichst nahe unter der Drehungsaxe gelegen sein, denn offenbar wird die Waage dann am empfindlichsten werden, wenn sie sich gerade eben im stabilen Gleichgewicht befindet, da in diesem Fall ihr Streben in den Gleich - gewichtszustand zurückzukehren am kleinsten und daher auch am leichtesten eine Störung des Gleichgewichts möglich ist. Will man dagegen grosse Lasten abwägen, so bedarf man des Krafthebels, weil durch die an zu langem Hebelarm wirkende Last die Waage beschä - digt würde, und weil es bequem ist mit kleinen Gewichten grosse Lasten zu wägen. Die gewöhnlichste ungleicharmige Waage ist die Decimalwaage mit Laufgewicht, bei welcher der Hebelarm des Ge - wichtes das 10fache des Hebelarms der Last beträgt, so dass ein am Ende des ersteren befindliches Gewicht einer Last von der 10fachen Grösse das Gleichgewicht hält, während dasselbe Gewicht, näher an den Drehpunkt herangeschoben, einen immer kleineren Werth an - nimmt.
Wie die Waage ein Hebel mit stabilem, so ist die Rolle ein Hebel mit indifferentem Gleichgewicht. Wenn an der Rolle c (Fig. 30)
bei a und bei b gleiche Kräfte einwirken, so können wir uns vorstellen, dass die eine Kraft am Hebelarm a c, die andere am Hebelarm b c wirke, und es be - steht in der That ebenso Gleichgewicht, als wenn ein geradliniger Hebel a b vorhanden wäre, dessen Dreh - punkt mit seinem Schwerpunkt zusammenfällt. Dies ändert sich aber, sobald die Rolle bewegt wird. Den - ken wir uns, an den beiden Enden einer geradlinigen gleicharmigen Hebelstange hiengen Gewichte, und die Hebelstange drehte sich um ihren Unterstützungspunkt, so wirken, wenn eine Dre - hung erfolgt ist, die Gewichte nicht mehr senkrecht zur Hebelstange, und man kann sich jetzt die Wirkung eines jeden Gewichts nach dem Kräfteparallelogramm in zwei Componenten zerlegt denken, in eine, die zur Hebelstange senkrecht ist, und in eine andere, deren Richtung mit der Richtung der Hebelstange zusammenfällt, und durch die der Hebel von seinem Unterstützungspunkte herabgleitet, falls er nicht auf demselben festgehalten wird. Mag sich dagegen die Rolle noch so sehr drehen, so behalten, wenn bei a und b an einer um sie ge - spannten Schnur Kräfte wirken, diese Kräfte immer die nämliche Richtung zur Rolle bei. Sobald sich also die Rolle dreht, kann man ihr nicht mehr einen einzigen geradlinigen Hebel a b substituirt den - ken, sondern sie besteht jetzt aus so viel geradlinigen Hebeln, als sie71Gewicht und Schwerpunkt der festen Körper.Durchmesser hat, die Kräfte bei a und b wirken in jedem Moment an einem andern Hebel, und in jedem Moment stehen sie senkrecht auf der Richtung des Hebels, an welchem sie wirken. Dieser Umstand, dass sie streng genommen aus unendlich vielen Hebeln besteht, ver - leiht der Rolle ihre technische Bedeutung. Wir gebrauchen sie überall, wo es sich darum handelt eine Bewegungsrichtung in die ihr entgegen - gesetzte umzuwandeln, wir ziehen z. B. an einem um die in der Höhe befestigte Rolle geschlungenen Seil nach abwärts und fördern dadurch eine Last nach aufwärts. Eine Verbindung mehrerer fester und be - weglicher Rollen, der sogenannte Flaschenzug, dient dagegen als zusammengesetzter Krafthebel. Wenn am Mittelpunkt einer ersten
beweglichen Rolle c (Fig. 31) eine Last P an - gehängt ist, und wir lassen an der Peripherie einer zweiten festen Rolle eine Kraft K wirken, so ist a c der Hebelarm von P, der Hebelarm von K dagegen ist gleich dem Durchmesser der beiden Rollen zusammengenommen. Es lassen sich noch mehr solche Formen beweg - licher und fester Rollen zu einer gemeinsamen Hebelverbindung aneinanderreihen: mit zwei Rollen hält man der 4fachen, mit 4 Rollen der 8fachen Last das Gleichgewicht u. s. w. Wie die Rolle ist auch das Rad häufig ein Krafthebel. Aber öfter noch dient es zur Gewinnung und Abänderung von Geschwindigkeiten. So wird in unsern Uhrwerken theils grössere in kleinere theils kleinere in grössere Geschwindigkeit übertragen, indem bald ein Zahnrad von kleinerem Durchmesser in ein solches von grösserem Durchmesser, bald ein Zahnrad von grösserem in ein solches von kleinerem Durch - messer eingreift: die Abänderungen der Geschwindigkeiten verhalten sich hierbei wie die Unterschiede in den Durchmessern der in einander greifenden Räder; wo das grosse am kleinen Rad wirkt, ist das Sy - stem Krafthebel, wo umgekehrt das kleine am grossen wirkt, ist es Geschwindigkeitshebel.
Bei allen bisher betrachteten Gegenständen der Natur und der51 Schwerpunkt des menschli - chen Körpers. Technik hatten wir es mit einer festen Lage des Schwerpunktes zu thun. Auch beim menschlichen Körper haben wir eine solche voraus - gesetzt, indem wir den Schwerpunkt bei derjenigen Lage seiner Theile aufsuchten, die denselben in der Ruhe zukommt. Nun bietet aber gerade der menschliche Körper in besonders hohem Maasse das Bei - spiel eines Körpers mit beweglichem Schwerpunkt; wir wollen daher die Bedingungen und die Bedeutung dieser Bewegungen des Schwerpunktes hier noch kurz in’s Auge fassen.
Durch jede Gestaltänderung eines Körpers wird auch im Allge -72Von der Schwere.meinen die Lage des Schwerpunktes in dem Körper verändert. Denn da der Schwerpunkt derjenige Punkt ist, von dem aus immer nach je zwei entgegengesetzten Richtungen sich gleich viel Masse befindet, so muss auch jede Veränderung in der Vertheilung der Masse verän - dernd auf die Lage des Schwerpunktes wirken. Nun besitzt der Mensch die Fähigkeit des Gestaltwechsels in hohem Grade, und sein Schwerpunkt hat dem entsprechend eine ziemlich grosse Beweg - lichkeit. Beim gewöhnlichen aufrechten Stehen fällt die vom Schwer - punkt zum Boden gezogene Schwerlinie in den Zwischenraum zwi - schen den beiden Füssen. Unsere Stellung ist um so fester, je weiter wir die Füsse auseinandersetzen, weil dann um so weniger durch die bei Neigungen des Rumpfes und Bewegungen der Arme erzeugten Bewegungen des Schwerpunktes die Schwerlinie ausserhalb des von den Füssen umspannten Zwischenraums fällt. Wollen wir, statt beide Beine gleichzeitig als Stützen des Körpers zu gebrauchen, uns auf ein einziges Bein stützen, so neigen wir den ganzen Rumpf und mit - hin den Schwerpunkt auf die Seite des stützenden Beins, so dass die Schwerlinie nun nicht mehr in den Zwischenraum der Füsse, sondern auf den Fuss der stützenden Seite fällt. Allzu ausgiebige Neigungen des Rumpfes bringen uns aber in die Gefahr das Gleichgewicht zu verlieren, indem dann die Schwerlinie erst jenseits der Unterstützungs - fläche des Fusses den Boden trifft. Der stehende oder gehende Mensch befindet sich im labilen Gleichgewicht, er fällt daher, sobald sein Schwerpunkt nicht mehr unterstützt ist. Ein Gehängter ist im stabilen Gleichgewicht. Um das Fallen zu vermeiden, corrigiren wir bei jeder beträchtlichen Neigung des Rumpfes die Lage unseres Schwerpunktes durch balancirende Bewegungen der Arme oder Beine. Die letzteren können, wenn sie ausgestreckt werden, vermöge der langen Hebel - arme, an denen dann ihre Masse wirkt, der viel grösseren Masse des Rumpfes das Gleichgewicht halten oder wenigstens die Bewegung des Schwerpunktes beschränken. Bei den Bewegungen des Gehens und Laufens dagegen verrücken wir absichtlich die Lage des Schwerpunkts. Bei jedem Schritt neigen wir den Rumpf etwas nach vorn und zugleich nach der Seite des vorwärtsgesetzten Beines, so dass der Schwerpunkt über das letztere zu liegen kommt. Wenn wir sehr schnell laufen ist diese Vorwärtsneigung des Rumpfes meistens zu stark, so dass sie compensirende Bewegungen des Armes der ent - gegengesetzten Seite fordert. Wenn ein Mensch eine Last trägt, so haben beide, der Mensch und die Last, einen gemeinsamen Schwer - punkt, und der Mensch muss nun so stehen und gehen, dass dieser gemeinsame Schwerpunkt fortwährend unterstützt bleibt. Aus diesem Grund neigt Jeder, der eine Last auf dem Rücken trägt, den Rumpf nach vorn, und Jeder, der eine Last vor sich her trägt, neigt den Rumpf nach hinten. Die letztere Haltung beobachtet man daher auch73Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.allgemein bei wohlbeleibten Leuten. Wenn der Rumpf unter grossen Rückenlasten sich weiter nach vorn beugt, als zur Unterstützung des Schwerpunkts durch die Beine erforderlich ist, so wird der Stock als dritte Stütze nothwendig; ebenso erfordert ihn die gebeugte Haltung der Greise. Wer auf der Seite eine Last trägt, neigt den Rumpf nach der entgegengesetzten. In allen diesen Fällen, wo der Schwerpunkt durch die Last nach vorn oder hinten oder seitlich verrückt wird, fordert die zur Erhaltung des Gleichgewichts erzeugte Verschiebung des Schwerpunktes eine besondere Anstrengung, die zu der Arbeit des Lasttragens hinzukommt. Die grössten Lasten können daher auf dem Kopf getragen werden, da hier die Haltung des Körpers unverändert bleibt, indem der Schwerpunkt nur vertical in die Höhe rückt.
Die Untersuchung der Bewegungen, welche die Körper unter dem52 Masse eines Körpers. Einfluss der Schwere erfahren, wird durch die Kenntniss des Schwer - punkts ausserordentlich vereinfacht, da man sich das ganze Gewicht eines Körpers in seinem Schwerpunkte vereinigt denken kann. Die Schwere selbst wirkt als eine den Schwerpunkt in der Richtung des Lothes herabziehende Kraft, und die Abänderung, welche die gleich - zeitige Einwirkung anderer Kräfte an der durch die Schwere erzeug - ten Bewegung hervorbringt, ist ermittelt, sobald man weiss, mit wel - cher Intensität und in welcher Richtung diese Kräfte den Schwerpunkt zu bewegen streben. Man kann also in den meisten Fällen den Kör - pern einfach ihre Schwerpunkte substituiren, indem man nicht bloss in Bezug auf die Schwerkraft sondern auch in Bezug auf alle andern etwa einwirkenden Kräfte die Masse eines Körpers in seinem Schwer - punkt concentrirt denkt. Auch ist klar, dass der Schwerpunkt für jede andere aus der Ferne auf einen Körper einwirkende Kraft die - selbe Bedeutung hat wie für die Schwerkraft. Denn der Schwerpunkt ist, wie wir bemerkt haben, derjenige Punkt, von dem aus nach ent - gegengesetzten Richtungen gleich viel Masse sich befindet, und es ist gewissermassen zufällig, dass gerade die Schwerkraft benützt wird, um diesen Punkt zu ermitteln; jede andere Kraft, die aus der Ent - fernung auf alle Punkte eines Körpers einwirkt, könnte ebenso gut zur Auffindung des Schwerpunktes dienen. Der Begriff der Masse hat also durchaus nicht bloss in Bezug auf die Schwerkraft sondern für alle Kräfte Gültigkeit. Er ist aus der Beobachtung entnommen, dass verschiedene Körper durch eine und dieselbe Kraft verschiedene Geschwindigkeiten empfangen. Wir nennen daher zwei Massen gleich, die durch die gleiche Kraft in der gleichen Zeit die gleiche Beschleunigung74Von der Schwere.erfahren. Wie wir aber die Schwere zur Bestimmung des Massen - mittelpunktes anwenden, so benützen wir auch am häufigsten die auf einen Körper ausgeübten Schweranziehungen zur Bestimmung der Masse: das Gewicht der Körper ist das gebräuchlichste Maass ihrer Masse, weil die Schwere die verbreitetste Naturkraft ist, und die ein - zige, die wir leicht ohne die gleichzeitige Einwirkung anderer Natur - kräfte untersuchen können.
Wir haben früher als Einheit der Kraft diejenige Kraft bezeich - net, die in der Zeiteinheit der Masse 1 die Beschleunigung 1 ertheilt (§. 25). Keine der in der Erfahrung gegebenen Naturkräfte entspricht dieser Krafteinheit der Mechanik, auch die Schwere nicht. Wenn ein Körper frei zur Erde fällt, so wirkt die Schwere auf jede Massenein - heit desselben. Die durch die Schwere in der Secunde erzeugte Be - schleunigung des Falls ist aber nicht = 1, sondern = 9,809 Meter. Die Schwerkraft verhält sich also zur mechanischen Krafteinheit wie 9,809: 1. Die Zahl 9,809 wird gewöhnlich mit dem Buchstaben g be - zeichnet. Die beim freien Fall nach t Secunden erlangte Geschwin - digkeit ist demnach v = gt, und der in dieser Zeit durchlaufene Raum s = ½ gt2.
Die Geschwindigkeit frei fallender Körper ist zu gross, als dass sie mit Genauigkeit gemessen werden könnte; man hat daher, wie wir später sehen werden, zur Messung der Beschleunigung durch die Schwere das Pendel benützt. Die Gesetze des freien Falls lassen sich dagegen mittelst der Atwood’schen Fallmaschine bestä - tigen, bei welcher der Fall dadurch verlangsamt wird, dass man die beschleunigende Kraft vermindert. Im wesentlichen besteht die Fall - maschine aus einer auf eine hohe Säule gesetzten sehr leicht beweg - lichen Rolle (ähnlich der in Fig. 30 gezeichneten), um die ein langer Seidenfaden geschlungen ist, der jederseits genau gleiche Gewichte trägt, so dass Gleichgewicht besteht. Bringt man nun auf der einen Seite ein kleines Uebergewicht an, so wird das Gleichgewicht gestört, und man kann den Fall an einer Scale, vor der sich die Gewichte herabbewegen, beobachten. Der Fall ist in diesem Fall sehr verlang - samt, weil die beschleunigende Kraft bloss aus dem Uebergewicht, die bewegte Masse aber aus den sämmtlichen am Apparat vorhande - nen Gewichten besteht. Nimmt man plötzlich das Uebergewicht weg, so bewegt sich nun nach dem Princip der Trägheit das Gewicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit weiter. So lassen sich leicht die zwei Gesetze, dass 1) die erlangte Geschwindigkeit proportional ist der Fallzeit, und 2) der Fallraum proportional dem Quadrat der Fallzeit, experimentell nachweisen.
75Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.Die Gesetze des Falls erfahren bestimmte Modificationen, wenn54 Fall auf der schiefen Ebene. die Körper nicht frei herabfallen können, sondern wenn ihnen entwe - der, weil sie sich auf einer geneigten Unterlage befinden, oder weil sie an einer Drehungsaxe befestigt sind, ein bestimmter Weg vorge - zeichnet ist. Die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Bewe - gung des Pendels erfordert daher eine besondere Betrachtung.
Ein auf einer schiefen Ebene A B (Fig. 32) befindlicher Körper wird von derselben um so schneller herabrollen, je grösser der Nei - gungswinkel α der Ebene ist. Wenn die schiefe Ebene nicht vorhanden wäre und der Körper frei herabfallen könnte, so würde er in der ersten Secunde den Weg a b = 〈…〉 zurücklegen, da 〈…〉 die Mittelgeschwin - digkeit in der ersten Secunde ist (§. 24 u. 53). Wegen der schiefen Ebene kann aber der Körper nur in der Richtung A B herabrollen. Um also die Geschwindigkeit des Herabrollens zu erhalten, müssen wir die Kraft a b nach dem Kräfteparallelogramm zerlegen: wir er - halten so a d als diejenige Kraft, mit welcher der Körper auf die schiefe Ebene drückt und a c = b d als die Kraft, durch die er herabrollt. Nun verhält sich A B: A D wie a b: b d, d. h. der Weg A B, welchen der Körper auf der schiefen Ebene zurücklegt, verhält sich zu dem Wege A D, welchen derselbe zurücklegen würde, wenn er frei herabfallen könnte, umgekehrt wie die in beiden Fällen vor - handene beschleunigende Kraft. Daraus ist zu folgern, dass der herab - gerollte Körper, wenn er den Weg von A bis B zurückgelegt hat, die nämliche Geschwindigkeit besitzt, die er besässe, wenn er frei von A bis D herabgefallen wäre. Denn um so viel kleiner die beschleuni - gende Kraft ist, die auf der schiefen Ebene wirkt, um so grösser ist der Weg, auf welchem sie einwirkt. Verallgemeinend können wir dies Resultat so aussprechen: wenn ein Körper durch die Schwere eine bestimmte verticale Höhe herabkommt, so erhält er dadurch immer dieselbe Geschwindigkeit, welches auch die Bahn sei, die er dabei zurückgelegt hat.
Der Winkel d a b ist = α, die auf der schiefen Ebene in t Secunden erlangte Geschwindigkeit ist daher v = g. sin. α. t, und der Fallraum s = 〈…〉 . sin. α. t2.
Die Bewegungen des Pendels sind nach den nämlichen Prin -55 Bewegungen des Pendels. cipien zu beurtheilen. Man versteht unter einem Pendel ein an einem Faden oder einer Stange aufgehängtes Gewicht, welches um den Auf - hängepunkt als Drehungsaxe schwingen kann. Setzt man voraus, dass der Faden vollkommen gewichtslos sei, dass an der Drehungsaxe keine Reibung stattfinde, und dass das Gewicht einen einzigen76Von der Schwere.schweren Punkt darstelle, so nennt man dies ein mathematisches Pendel. Wenn die Linie o f (Fig. 33) dieses Pendel in seiner Ruhe -
lage bezeichnet, so wird, wenn dasselbe in die Lage o a gebracht und dann los - gelassen wird, eine hin - und herschwingende Bewe - gung entstehen, indem der Punkt a durch seine Schwere mit beschleunigter Geschwin - digkeit nach f gelangt, durch die erlangte Geschwindig - keit aber über die Ruhe - lage hinaus bis nach a' weitergeht, dann wieder zu - rück nach f und a schwingt, u. s. w. Man sieht unmit - telbar, dass man es hier mit einem Fall der in §. 27 erörterten Schwin - gungsbewegung zu thun hat. Die Schwere ist die constante Kraft, welche den Punkt in f zu halten strebt, die einmalige Gleichgewichts - störung veranlasst daher fortdauerde Schwingungen um diese Gleich - gewichtslage. Wäre wirklich ein Pendel möglich, bei dem am Auf - hängepunkt o keine Reibung bestände, so müssten die Schwingungen ins unendlich fortdauern. Den Weg a a' oder den diesem Bogen entsprechenden Winkel bezeichnet man auch hier als die Amplitude und die Zeit, welche zu einer einmaligen Hin - und Herschwingung er - forderlich ist, als die Schwingungsdauer.
Die Bewegung des Pendels gleicht der Bewegung auf der schie - fen Ebene insofern, als auch hier der schwere Körper zu fallen strebt, aber am freien Fall gehindert ist und desshalb in einer bestimmten Bahn sich bewegen muss. Betrachten wir irgend ein sehr kleines Stück der Kreisbahn, welche der Körper beschreiben muss, z. B. a e oder m q, so können wir die Sache so ansehen, als be - wege sich der Punkt in jedem Augenblick auf einer kleinen schiefen Ebene, und wir können daher ebenso wie für diese die be - schleunigende Kraft bestimmen. Weil aber die Bahn des Pendels aus unendlich vielen solcher sehr kleiner schiefer Ebenen sich zusammen - setzt, so muss auch jene beschleunigende Kraft von Punkt zu Punkt sich verändern. Bezeichnen wir für den Punkt a der Bahn das nach abwärts ziehende Gewicht des Punktes durch a b, so ist die in der Richtung der tangirenden Linie wirkende beschleunigende Componente gleich a e, während die andere Componente a d als ein Zug an dem Befestigungspunkt o wirkt. Am Punkte m ist die beschleunigende77Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.Componente der nämlichen Kraft gleich m q. Man ersieht hieraus unmittelbar, dass die beschleunigende Kraft abnimmt proportional der Annäherung an die Gleichgewichtslage o f, und dass sie in dieser selbst null wird, was wir auch bei der allgemeinen Erörterung der Schwingungsbewegungen schon bewiesen haben. Doch ist dieses Ge - setz bei dem Pendel schon desshalb nur für kleine Schwingungsampli - tuden gültig, weil hier die Schwingung in einem Bogen geschieht, so dass, wie man sich durch die Anschauung überzeugt, die Annäherung des Punktes a an den Punkt f nicht völlig proportional der schon durch - laufenen Bahn zunimmt, sondern für das gleiche Bogenstück a f von a nach m grösser ist als von m nach f. Es gilt daher hier dieses Gesetz nur wenn die Bogen so klein sind, dass sie nahezu mit ihren Sehnen zusammenfallen, was bei den meisten Beobachtungen, in de - nen man das Pendel anwendet, in der That der Fall ist. Unter die - ser Voraussetzung lässt sich aus der proportional der Annäherung an die Gleichgewichtslage eintretenden Abnahme der beschleunigenden Kraft unmittelbar die wichtige Folgerung ziehen, dass die Schwingungs - dauer unabhängig von der Schwingungsamplitude ist, oder dass die Schwingungen des Pendels isochron sind.
Bei der Untersuchung des Falls auf der schiefen Ebene haben wir gefunden, dass die von dem schweren Körper erlangte Endge - schwindigkeit gleich derjenigen Geschwindigkeit ist, welche der Kör - per erlangt haben würde, wenn er die nämliche Höhe frei in vertica - ler Richtung herabgefallen wäre. Uebertragen wir dies auf die Be - wegung des Pendels, so muss der schwere Punkt, nachdem er die Bahn a f zurückgelegt hat, in f die nämliche Geschwindigkeit besitzen, als wenn er den Weg i f im freien Fall zurückgelegt hätte. Der Fallraum i f ist nun, wie wir früher fanden, gleich ½ g t2, wenn mit g die Beschleunigung durch die Schwere und mit t die zur Zurück - legung des Weges i f gebrauchte Zeit bezeichnet wird. Vergleichen wir aber mehrere Pendel von verschiedener Länge bei gleich bleiben - der Schwingungsamplitude, so werden auch die Höhen i f verschieden, und zwar verhalten sie sich augenscheinlich wie die Längen der ver - glichenen Pendel. Da die Fallräume wachsen wie die Quadrate der Fallzeiten und den letztern offenbar die Schwingungszeiten der Pen - del proportional sind, so folgt hieraus, dass sich auch die Pendel - längen verhalten müssen wie die Quadrate der Schwingungszeiten, oder dass die Schwingungszeiten der Pendel sich verhal - ten wie die Quadratwurzeln der Pendellängen.
Die Gesetze vom Isochronismus kleiner Schwingungen und von der Zunahme der Schwingungsdauer mit der Quadratwurzel der Pen - dellänge lassen sich leicht in der Erfahrung bestätigen. Lässt man mehrere Pendel neben einander schwingen, deren Längen sich wie 1, 4, 9 verhalten, so stehen die Schwingungszeiten derselben im Ver -78Von der Schwere.hältniss 1, 2, 3, und man beobachtet zugleich, dass, wenn die Schwin - gungen hinreichend klein sind, bei jedem einzelnen Pendel die Schwin - gungsdauer ungeändert bleibt, ob man die Amplitude grösser oder kleiner nimmt. In dem mathematischen Ausdruck des Pendelgesetzes liegen diese besonderen Gesetze sämmtlich eingeschlossen. Bezeichnet man nämlich mit t die Zeit einer einzigen Hin - und Herbewegung, also einer ganzen Schwingung, mit π die Zahl 3,1416, das Verhältniss des Kreisumfangs zum Durchmesser, mit 1 die Pendellänge und mit g die Beschleunigung durch die Schwere, so findet man: 〈…〉
Wie die Pendelbewegungen nur ein einzelner Fall der Schwin - gungsbewegungen sind, so ist auch diese Gleichung nur eine Anwen - dung des früher für die Schwingungen einer Masse um ihre Gleich - gewichtslage allgemein abgeleiteten Gesetzes (§. 29).
Das mathematische Pendel, bestehend aus einem gewichtslosen Faden mit einem schweren Punkt an dessen Ende, ist eine Fiction, der sich die Wirklichkeit immer nur mehr oder weniger annähert. Jeder einzelne Punkt eines physischen Pendels bildet mit seiner Entfernung von der Drehungsaxe gewissermassen ein mathematisches Pendel, dessen Schwingungsdauer der Quadratwurzel jener Entfernung proportional ist. Das ganze physische Pendel kann man daher als zusammengesetzt aus unendlich vielen mathematischen Pendeln betrachten, und es ist demnach klar, dass die Schwin - gungsdauer desselben nicht etwa derjenigen des mathematischen Pendels von derselben Länge gleich sein kann, sondern von der Vertheilung der das Pendel zusammensetzen - den Massen in Bezug auf die Drehungsaxe abhängig ist.
Die Kraft, welche die Bewegung des physischen Pendels unterhält, ist die auf alle Massenpunkte desselben wirkende Schwerkraft, also das Gewicht des Pendels, das man sich vereinigt in dem Schwerpunkte vorstellen kann. Dieses Gewicht wirkt als bewegende Kraft auf sämmtliche Massenpunkte und ertheilt jedem derselben eine Ge - schwindigkeit, die proportional seiner Entfernung vom Drehungspunkt ist. Bezeich - nen wir mit s die Distanz des Schwerpunktes vom Drehungspunkte und nennen wir p die in jedem Augenblick veränderliche, in der Richtung der Tangente der Pendel - bahn wirkende Componente des Gewichtes, so wird durch p. s das statische Moment der auf den Schwerpunkt wirkenden Kraft ausgedrückt. Dieses ertheilt jedem Punkt des Pendels eine lebendige Kraft, die dem Product der Masse des Punktes in das Quadrat seiner Geschwindigkeit proportional ist. Da aber die Geschwindigkeit der Entfernung des Punktes von der Drehungsaxe proportional sein muss, so ist klar, dass die jedem Punkt mitgetheilte lebendige Kraft proportional dem Product der Masse desselben in das Quadrat seiner Entfernung von der Drehungsaxe sein wird. Be - zeichnen wir also die Massen zweier beliebiger Punkte mit m und m', ihre Entfer - nungen von der Drehungsaxe mit r und r ', so verhalten sich die in beiden Punkten durch dasselbe statische Moment p. s erzeugten lebendigen Kräfte wie m r2: m' r'2. Wenn wir die Masse eines jeden Punktes von solcher Grösse wählen, dass die leben - digen Kräfte einander gleich werden, dass also m r2 = m' r'2 ist, so besteht zwi - schen den Massen die Proportion m: m' = r'2: r2, d. h. Massen, welche in ver - schiedenen Abständen von der Drehungsaxe dieselbe lebendige Kraft erlangen sollen,79Von den durch die Schwerkraft erzeugten Bewegungen der festen Körper.müssen sich verhalten umgekehrt wie die Quadrate ihrer Abstände von der Drehungs - axe. Nennt man m diejenige Masse, die im Abstand 1 von der Drehungsaxe befind - lich ist, und m1 eine andere Masse in dem Abstand r1, so muss m1 r12 = m sein. Wenn wir demnach das ganze Pendel so in Massenpunkte zerlegen, dass die sämmt - lichen Producte m1 r12, m2 r22 u. s. w. einander gleich sind, so ist jedes dieser Pro - ducte gleich derjenigen Masse, welche im Abstand 1 von der Drehungsaxe die näm - liche Wirkung erzeugen würde. Wir können auf diese Weise die ganze Masse des Pendels uns in der Einheit des Abstands von der Drehungsaxe durch eine Masse m1 r12 + m2 r22 + m3 r32 .... ersetzt denken, wobei die Bildung dieser Producte sich auf sämmtliche Massenpunkte erstrecken muss.
Das Product einer Masse in das Quadrat ihres Abstandes von der Drehungsaxe nennt man das Trägheitsmoment dieser Masse. Man hat diese Bezeichnung dess - halb gewählt, weil nach den in §. 25 entwickelten Gesetzen die Beschleunigung, welche eine gegebene Kraft P erzeugt, durch den Bruch 〈…〉 gemessen wird, demnach um so kleiner ist, je grösser die Masse, auf welche die Kraft wirkt. Nun geht aber aus der obigen Erörterung hervor, dass die Ermittelung der Trägheitsmomente aller einzelnen Punkte eines Körpers nichts anderes bedeutet, als dass man sich die ganze Masse des Körpers in einem einzigen Punkt vereinigt denkt; und je grösser die Summe der Trägheitsmomente, um so grösser wird jene vereinigte Masse, um so kleiner also die Beschleunigung sein, welche die gegebene Kraft erzeugt. Die Reihe m1 r12 + m2 r22 + m3 r32 .... pflegt man durch Σ m r2 zu bezeichnen, wobei das Zeichen Σ andeuten soll, dass man unter ihm eine grosse Summe einzelner Glieder zusammenfasst. Das Trägheitsmoment Σ m r2 ist also die Masse des Pendels reducirt auf den Abstand 1 von der Drehungsaxe. Nun wirkt aber die Kraft p nicht in der Entfernung 1, son - dern im Schwerpunkt, in der Entfernung s von der Drehungsaxe. Wir müssen also, um die Beschleunigung zu ermitteln, die Masse aus der Entfernung 1 in die Entfer - nung s verlegt denken. In dieser ist nun offenbar eine Masse M dann der der vori - gen gleichwerthig, wenn M s2 = Σ m r2 ist. Daraus bestimmt sich die Masse M = 〈…〉 . Auf diese Masse wirkt die Kraft p ein und ertheilt ihr eine Beschleunigung 〈…〉 . Wenn wir das physische Pendel an der Stelle des mathemati - schen anwenden, so haben wir daher in der Gleichung 〈…〉 diesen Werth an die Stelle der Beschleunigung g, und den Abstand s des Schwerpunktes von der Drehungsaxe an die Stelle der Pendellänge 1 zu setzen. Es ergiebt sich so 〈…〉 Da das Gewicht p gleich dem Product der Masse des ganzen Körpers in die Be - schleunigung durch die Schwere ist, so kann man hierin noch p = g. Σ m setzen. Es ist also 〈…〉 Daraus folgt, dass die Länge eines mathematischen Pendels, dessen Schwingungsdauer derjenigen des physischen gleichkommt, 〈…〉 ist. Man nennt daher am80Von der Schwere.physischen Pendel den Punkt, welcher in einer dieser Grösse gleichen Entfernung vom Drehungspunkt sich befindet, den Schwingungspunkt und die so bestimmte Linie 1 auch die Länge des physischen Pendels.
Man kann nach den angegebenen Principien die Trägheitsmomente geometrisch einfacher Körper durch Rechnung finden. So ist z. B. das Trägheitsmoment einer Kugel vom Radius r und der Masse 〈…〉 , das Trägheitsmoment eines Cylin - ders von demselben Radius und derselben Masse 〈…〉 . Die Kenntniss der Trägheitsmomente ist erforderlich, wenn man die Pendelschwingungen zur Ermittelung der Grösse g, der Beschleunigung durch die Schwere verwenden will. Nach dem Pen - delgesetz ist 〈…〉 . Hierin hat man t durch Beobachtungen zu bestimmen und dann für 1 die Entfernung des Schwingungspunktes von der Drehungsaxe zu setzen. Die einfachste Methode zur Bestimmung von g besteht darin, dass man an einen mög - lichst dünnen Metalldraht eine schwere Metallkugel von bestimmtem Gewicht aufhängt und die Schwingungsdauer des so hergestellten Pendels beobachtet. Man kann ein solches Pendel annähernd als ein mathematisches ansehen, dessen Länge der Entfer - nung des Schwerpunktes der Metallkugel vom Aufhängepunkt gleichkommt. Noch ge - nauere Resultate liefert das Bohnenberger’sche Reversionspendel, welches darauf beruht, dass, wenn das Pendel umgekehrt und der Schwingungspunkt zur Drehungsaxe gemacht wird, nun die frühere Drehungsaxe Schwingungspunkt geworden ist. Man kann leicht durch Versuche diejenigen zwei Punkte eines Pendels, die in diesem wechselseitigen Verhältnisse stehen, auffinden, da in beiden Aufhängepunkten die Schwingungsdauer die nämliche sein muss. Die Distanz der beiden Punkte gibt dann die Pendellänge.
Durch in dieser Weise angestellte Pendelversuche ist direct erwiesen worden, dass die Zahl g für alle Körper genau die nämliche ist, dass sie dagegen in den ver - schiedenen Breitegraden der Erde bestimmte Verschiedenheiten zeigt, indem vom Aequator gegen die Pole hin die Länge des Secundenpendels und entsprechend die Beschleunigung g zunimmt. So wurde unter dem Aequator g = 9,780, unter dem 45. Breitegrad g = 9,805, nahe dem Pol g = 9,830 gefunden. Diese Zunahme der Beschleunigung durch die Schwere gegen die Pole hin hat ihren Grund erstens in der abgeplatteten Gestalt der Erde, wodurch ein Punkt am Pol dem Erdmittelpunkt, in welchem man sich die Erdmasse vereinigt denken muss, um 1 / 299 näher ist, als am Aequator, und zweitens in der am Aequator grösseren Centrifugalkraft, von welcher letzteren wir in §. 59 noch reden werden.
Nachdem wir die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Pendelbewegung als Modificationen der Fallbewegung erörtert haben, ist noch eine übersichtliche Betrachtung jener Bewegungen erforder - lich, die entstehen, wenn die Wirkung der Schwere mit der Wirkung anderer bewegender Kräfte sich combinirt. Die Zergliederung dieser Bewegungen bietet keine erhebliche Schwierigkeit81Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.wenn man, was in den meisten Fällen zulässig ist, nicht nur für die Schwere, sondern auch für die andern einwirkenden Kräfte den Schwer - punkt als den Angriffspunkt betrachtet, wo dann für jeden Moment der Bewegung die Grösse und Richtung der Resultirenden nach dem Satz des Kräfteparallelogramms gefunden werden kann. Aber da die Schwere eine continuirlich und gleichförmig wirkende Kraft ist, wäh - rend die andern Kräfte meist nur momentan oder inconstant einwirken, so findet bei den hier in Frage stehenden Bewegungen sehr häufig von jedem Augenblick zum andern eine Richtungsänderung statt: der allgemeine Charakter dieser combinirten Bewegungen besteht daher darin, dass sie krummlinige Bewegungen sind. (Vgl. §. 26).
Ein erstes Beispiel bietet die Wurfbewegung. Bei ihr combi - nirt sich die einem Körper durch die Wurfkraft mitgetheilte geradlinige Bewegung mit der durch die Schwere erzeugten Fallbewegung. Die Wurfkraft ist eine momentane Kraft, durch deren alleinige Wirkung der geworfene Körper sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit und ohne Aufhören in gerader Linie fortbewegen würde. Zu ihr tritt aber die continuirlich wirkende Schwerkraft hinzu, welche in jedem Moment die Bahn des Körpers abändert. Nehmen wir an, ein Körper werde von a (Fig. 34) in einer Richtung a h fortgeschleudert, die mit dem
Horizont den Winkel α bildet. Wenn keine andere Kraft auf den Körper einwirkte, so würde er etwa am Ende der 1. Secunde in b, am Ende der 2. in d sein, u. s. w. Nun wirkt aber gleichzeitig die Schwere auf ihn ein, die ihrerseits, wenn sie die allein vor - handene Kraft wäre, den Körper in der ersten Secunde um die Höhe b c = 〈…〉 , in der 2. um d e = 4 〈…〉 , in der 3. um f g = 9 〈…〉 und so fort im Verhältniss des Quadrats der Zeiten in verticaler Richtung gegen die Erde bewegen würde. Nach dem Princip der Zusammensetzung der Kräfte muss der Körper unter der gleichzeitigen Einwirkung des Wurfs und der Schwere in jedem Moment an demjenigen Ort sein, den er erreichen würde, wenn wir uns zuerst den Wurf und dann die Schwere wirkend denken. Also am Ende der 1. Secunde befände er sich in Folge des Wurfs in b, gleichzeitig ist er aber durch die Schwere um die Strecke b c vertical herabgefallen. Am Ende der 2. Secunde befände er sich in d, gleichzeitig ist er durch die Schwere um die Strecke d e herabgefallen u. s. f. Verbindet man die Weg - punkte, in denen sich der Körper durch die gleichzeitige Wirkung der Schwere und der Wurfkraft successiv befinden muss, so erhältWundt, medicinische Physik. 682Von der Schwere.man eine regelmässig gekrümmte Linie, welche die Gestalt einer Pa - rabel besitzt.
Die Geschwindigkeit a b, mit welcher der Körper fortgeschleudert wurde, sei = c; zerlegt man ç in eine horizontale und in eine verticale Componente, a m = x und b m = y, so ist x = c. cos. α und y = c. sin. α. Der Weg w, welchen der Körper nach der Zeit t in horizontaler Richtung zurückgelegt hat, ist = x. t, der Weg v in verticaler Richtung würde = y. t sein, wenn nicht die constante Einwir - kung der Schwere ihn um 〈…〉 verkleinert hätte. Man hat daher w = c. cos. α. t und v = c. sin. 〈…〉 . Aus der ersten Gleichung folgt 〈…〉 . Setzt man diesen Werth in die zweite Gleichung ein, so erhält man 〈…〉 , welches die Gleichung einer Parabel ist. v wird in zwei Fällen = o, d. h. die Bahn schneidet in zwei Punkten die Horizontale, wenn w = o, also im Anfang des Wurfs, und wenn 〈…〉 ist, was offenbar am Ende des Wurfs stattfinden muss. Der in der letzten Gleichung enthaltene Werth für w, den wir mit w' bezeichnen wollen, drückt daher die Wurfweite a i aus. Man findet 〈…〉 . Die Wurfhöhe n e wird erhal - ten, wenn man in der obigen Gleichung zwischen v und w die Hälfte des für w' er - haltenen Werthes einführt. Bezeichnet man diesen Werth für v mit v 'so ist 〈…〉 .
Ein anderes Beispiel combinirter Bewegungen, die durch das Zusammenwirken der Schwere mit einer zweiten Kraft erzeugt werden, bieten die Bewegungen der Himmelskörper. Die Sonne übt auf sämmtliche Planeten, und diese üben gegenseitig auf einander Anziehungskräfte aus, die in derselben Ursache wie die irdische Schwere, in der allgemeinen Anziehung der Massen, ihre Quelle ha - ben. Zu der constant wirkenden Gravitationskraft tritt in diesem Fall eine in der Tangente der Bahn wirkende Kraft hinzu, die man sich als einen einzigen, im Anfang der Bewegung empfangenen Stoss vor - stellen kann, durch den die Himmelskörper, wenn keine andere Kraft wirkte, mit gleichförmiger Geschwindigkeit und in gerader Richtung sich in’s unendliche fortbewegen würden. Die wahren Bewegungen der Himmelskörper sind höchst verwickelter Natur, weil streng ge - nommen alle Himmelskörper gegenseitige Anziehungen auf einander ausüben, die dem allgemeinen Gesetz der Fernewirkung gemäss (s. §. 9) im directen Verhältniss des Products ihrer Massen und im um - gekehrten Verhältniss des Quadrats ihrer Entfernungen stehen. Man kann jedoch mit einer für viele Zwecke ausreichenden Genauigkeit die von den grössten Himmelskörpern, welche der unmittelbaren Beob -83Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.achtung schon als Centra der Bewegungen erscheinen, ausgehenden Wirkungen allein berücksichtigen, also z. B. in unserem Sonnensystem die gegen die Sonne gerichtete Gravitation der Planeten als die ein - zige ansehen. Unter dieser Voraussetzung sind die Planetenbahnen Ellipsen, in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet, die von dem Radiusvector eines jeden Planeten beschriebenen Flächen - räume verhalten sich wie die Zeiten, in denen sie beschrieben sind, und die Quadrate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die dritten Potenzen der mittleren Abstände der Planeten von der Sonne. Die drei hier aufgeführten Gesetze der Planetenbewegung werden nach ihrem Entdecker als die Keppler’schen Gesetze bezeichnet.
Ein näheres Eingehen auf diesen Gegenstand würde unsern59 Centralbewe - gungen. Cen - trifugal - und Centripetal - kraft. Zwecken zu ferne liegen. Wir begnügen uns daher eine andere Be -
wegung in geschlossener Bahn zu zergliedern, die wegen der ähn - lichen aber einfacheren Bedingungen, welche bei ihr stattfinden, als ein erläuterndes Beispiel der Central - bewegungen überhaupt, von denen die Planetenbewegungen nur ein besonderer Fall sind, dienen möge. Ein Körper, der bei a (Fig. 35) an einem Faden a c befestigt ist und rasch um den Punkt c gedreht wird, beschreibt einen Kreis, dessen Mit - telpunkt c, und dessen Radius gleich a c ist. Die schwingende Kraft, die den Körper in der Richtung a e bewegt, kann man sich aus zwei Kräften bestehend denken, die sich zu a e wie die Seiten eines Paralellogramms zu seiner Diagonale ver - halten. Die eine dieser Kräfte a b würde den Körper in der Rich - tung der Tangente a f fortschleudern, die andere a d strebt ihn gegen den Mittelpunkt c hin zu ziehen. Die erstere ist, vorausgesetzt dass die Kreisbewegung mit gleichförmiger Geschwindigkeit geschieht, ein einziger Stoss, der im Anfang der Bewegung auf den Körper in der Richtung der Tangente des Kreises einwirkte. Die letztere muss da - gegen eine constant wirkende Kraft sein, da, sobald dieselbe aufhört, der Körper die Kreisbahn verlassen müsste. Diese Zerlegung ist aber nicht bloss eine denkbare, sondern die Kraft a e ist wirklich aus den Kräften a b und a d zusammengesetzt, wie daraus hervorgeht, dass der Körper erstens, sobald man ihn in c loslässt, in der Rich - tung der Tangente sich weiterbewegt, und dass er zweitens, wäh - rend er in c festgehalten wird, auf c einen Zug in der Richtung a g6 *84Von der Schwere.ausübt, der nur dadurch zu Stande kommen kann, dass der Körper selbst in der Richtung a d einen Zug erfährt, welchem nach dem Prin - eip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung jener Zug in der Richtung a g gleichkommt. In der Richtung der Kraft a b kann selbstverständlich von einer Gegenwirkung desshalb keine Rede sein, weil jene nur als einmaliger Stoss beim Anfang der Bewegung wirkt, wesshalb auch hier die Gegenwirkung nur beim Anfangsstoss vorhan - den war. Man bezeichnet diejenige Kraft, die den Körper nach a f zu schleudern strebt, als Tangentialkraft, diejenige Kraft, die ihn nach c zieht, als Centripetalkraft und die ihr gleiche von ent - gegengesetzter Richtung als Centrifugalkraft. Ebenso wie die Centripetalkraft den Körper nach c hinzieht, strebt die Centrifugalkraft den festen Punkt c nach a zu ziehen. Wenn man mit der Hand einen an einer Schleuder befestigten schweren Körper im Kreise schwingt, so überzeugt man sich von der Existenz der Centrifugalkraft an dem Zug, welchen die Hand erfährt, während die Centripetalkraft in der - jenigen Kraft besteht, welche die Hand zum Festhalten der Schleuder aufwenden muss. Es liegt uns hier im wesentlichen der nämliche Fall von Wirkung und Gegenwirkung vor, als wenn wir gegen einen Kör - per einen Druck ausüben, wobei wir immer selbst einen Druck em - pfinden, der gleich ist dem von uns ausgeübten. Zerlegt man dem - gemäss das keine Stück a e der Kreisbahn in die tangentiale Bewe - gung a b und in die centrale Bewegung a d, so ist, wenn wir die der letzteren correspondirende Kraft bestimmt haben und ausserdem die Geschwindigkeit der in der Kreisbahn geschehenden Bewegung kennen, Alles ermittelt was gesucht werden kann. Nennen wir v die Geschwindigkeit des Körpers und t die Zeit, welche er braucht, um den Bogen a e zurückzulegen, so ist a e = v. t. Die den Körper nach der Richtung a d ziehende Kraft ist eine constante Kraft, bezeich - nen wir dieselbe mit k und die Masse des Körpers mit m, so ist a d = 〈…〉 . (S. Gleichung 2, §. 25). Nun verhält sich ferner a l: a e = a e: a d, woraus, da a e = 2 r, wenn wir mit r den Radius des Kreises bezeichnen, a e2 = 2 r. ad. Substituirt man in diese Gleichung die oben gefundenen Werthe für a e und a d, so folgt 〈…〉 . Hieraus findet man als Ausdruck für die Centripetalkraft 〈…〉 Wenn also ein Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit eine Kreis - bahn beschreibt, so ist die constante Kraft, welche den Körper nach dem Mittelpunkt des Kreises zieht, gleich dem Product der Masse des Körpers in das Quadrat seiner Geschwindigkeit, dividirt durch den Radius des Kreises.
85Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.Die Centrifugalkraft ist von grosser Wichtigkeit bei der Drehung der Erde um ihre Axe. Jeder Punkt an der Erdoberfläche verhält sich in Folge derselben wie in dem obigen Beispiel der an dem Fa - den befestigte Stein. Die Centrifugalkraft erklärt zum grossen Theil die gegen den Aequator hin stattfindende Abnahme der Beschleuni - gung durch die Schwere. Diese Abnahme beträgt etwa 1 / 289 der Schwerkraft; wäre die Drehungsgeschwindigkeit der Erde 17 mal grösser, so würde, wie aus der Gleichung für die Centrifugalkraft her - vorgeht, letztere 172 mal oder 289 mal grösser sein, die Körper wür - den in diesem Fall unter dem Aequator kein Gewicht mehr besitzen. Die an den Polen abgeplattete Gestalt der Erde lässt sich eben - falls aus der Centrifugalkraft erklären. Als sich die Erde noch im feuerflüssigen Zustande befand, mussten die an dem Aequator, als der Peripherie der grössten Geschwindigkeit, befindlichen Massen sich ver - möge der Centrifugalkraft am weitesten vom Mittelpunkte entfernen. Wird die Rotationsgeschwindigkeit einer flüssigen Masse so bedeu - tend, dass sie die Schweranziehung überwiegt, so können einzelne Massen sich losreissen. Kant und Laplace haben auf diese That - sache eine Hypothese über die Entstehung des Planetensystems ge - gründet, die sehr viel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Nach dieser Hypothese bildete einst unser Sonnensystem eine einzige feuerflüssige Masse, von deren Peripherie sich in Folge der bei der allmäligen Condensation rascher werdenden Rotationsbewegung durch die Centri - fugalkraft die Planetenmassen sich loslösten.
Die ganze Betrachtung, die wir oben hinsichtlich eines um einen festen Mittelpunkt im Kreise gedrehten Körpers angestellt haben, kön - nen wir unmittelbar auf die Planetenbewegung übertragen. Auch bei dieser wirken zwei Kräfte zusammen, ein ursprünglicher Stoss in der Richtung der Tangente der Bahn und eine constante Kraft, welche die Planeten gegen die Sonne zieht. Kennt man die Ge - schwindigkeit, die Masse des Planeten und seine Entfernung von der Sonne, so ist hieraus in ähnlicher Weise wie oben die Centrifugalkraft zu finden, und diese muss gleich der Centripetalkraft, d. h. gleich der Anziehungskraft der Sonne sein. Auf dieselbe Weise lässt sich die Anziehungskraft der Erde gegen den Mond bestimmen, und diese Be - stimmung hat das Ergebniss geliefert, dass die Kraft, mit welcher die Erde den Mond anzieht, sich verhält wie 1: 602. Nun beträgt die Entfernung des Mondes von der Erde das 60fache des Erdhalbmessers, und da alle in die Ferne wirkenden Kräfte im umgekehrten Verhält - niss des Quadrats der Entfernungen abnehmen, so folgt hieraus, dass die Kraft, welche den Mond gegen die Erde zieht, identisch ist mit der irdischen Schwere.
Eine besondere Form zusammengesetzter Bewegungen, die gleich -60 Bewegungen des menschli - chen Körpers.86Von der Schwere.falls auf ein combinirtes Wirken der Schwere mit andern Naturkräften zurückzuführen sind, bilden die Bewegungen des menschlichen Körpers. Bald verändert der Körper als Ganzes seinen Ort, bald ändern einzelne, durch Gelenke verbundene Theile desselben ihre ge - genseitige Lage. Die Ortsbewegungen, die der Körper beim Gehen und Laufen ausführt, sind zwar höchst zusammengesetzt, lassen sich aber in ihren wesentlichen Zügen in sehr einfacher Weise aus seither erörterten mechanischen Principien erklären. Da das Gewicht des menschlichen Körpers vereinigt in seinem Schwerpunkt zu denken ist, so können wir auch die andern Kräfte, die bei der Ortsbewegung thätig sind, so betrachten, als wenn der Schwerpunkt ihr Angriffspunkt wäre, um dann die Bewegung des letztern aus der Zusammensetzung der Kräfte abzuleiten; wir substituiren so der Bewegung des ganzen Körpers die Bewegung seines Schwerpunktes, ähnlich wie wir seine
Masse im Schwerpunkt vereinigt vorstellen. Es sei a der Schwerpunkt und p = a b das vertical nach ab - wärts ziehende Gewicht des Körpers. Die Kraft s, durch welche sich beim Gehen und Laufen der Kör - per vorwärts bewegt, wird durch das sich hinter dem Schwerpunkt in der Richtung d e gegen den Boden stemmende Bein ausgeübt. Der Punkt e, gegen wel - chen der Fuss des stemmenden Beins drückt, muss hinter dem Fusspunkt f des vom Schwerpunkt gezo - genen Lothes a f liegen. Man kann sich die Kraft s auf einem beliebigen Stück der Linie e d wirksam denken. Nehmen wir also b d = s, so können wir b d nach dem Kräfteparallelogramm in eine verticale und in eine ho - rizontale Seitenkraft, a b und a d, zerlegen. Die erstere wirkt der Kraft p entgegen, und sie muss, wenn der Körper nur horizontal vor - wärts bewegt werden soll, = p sein; die Seitenkraft a d = w bewegt den Schwerpunkt nach vorwärts. Man beobachtet, dass beim gewöhn - lichen Gehen der Schwerpunkt des Körpers keine erheblichen Schwan - kungen in verticaler Richtung macht, woraus zu schliessen ist, dass die verticale Seitenkraft a b immer dem Gewichte p gleichkommt. In dieser Bedingung ist die Grösse der vorwärts bewegenden Kraft bei einem bestimmten Winkel α des stemmenden Beins mit der Verticalen unmittelbar gegeben. Man sieht, dass mit dem Winkel α die Grösse der Stemmkraft zunehmen muss, wenn die Seitenkraft a b fortan dem Gewicht p gleich bleiben soll, dass dann aber die vorwärts bewegende Seitenkraft a d nothwendig ebenfalls zunimmt. Die Kraft s wirkt in regelmässigen Pausen, die Seitenkraft a d = w würde daher, wenn der Körper beim Gehen keinen Widerstand zu überwinden hätte, den - selben mit beschleunigter Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Hier verhält sich nun der menschliche Körper beim Gehen ähnlich wie ein87Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.durch irgend eine Kraft geförderter Wagen. Der Boden setzt der Be - wegung des Wagens einen Widerstand entgegen, welcher wächst mit der Geschwindigkeit der Bewegung. Wie gross also auch die Kraft sein möge, mit welcher der Wagen gefördert wird, es muss ein Punkt kommen, wo der Widerstand des Bodens mit derselben ins Gleich - gewicht tritt, von wo an also die Bewegung nicht mit beschleunigter sondern mit gleichförmiger Geschwindigkeit erfolgen muss, indem nun die in jedem Moment angewandte Kraft im Gleichgewicht steht mit ihrem Widerstand. Bei den Ortsbewegungen des menschlichen Kör - pers wird diese Grenze sehr schnell erreicht. Denn indem das eine Bein durch seine Stemmkraft den Körper vorwärts bewegt, fällt das andere Bein vor und wird auf den Boden aufgesetzt, wodurch es an diesem sogleich einen Widerstand findet, der die ganze vom stemmen - den Bein erzeugte Horizontalkraft aufhebt, und der die Ortsbewegung völlig hemmen würde, wenn nicht alsbald dieses Bein selbst eine Stemmkraft erzeugte, die dann wieder der vom ersten Bein gefundene Widerstand aufhebt, u. s. f. Durch diese abwechselnde Wirkung der beiden Beine ist das Gehen eine periodische Bewegung. Den - noch nähert es sich der gleichförmigen Bewegung eines rollenden Wa - gens oder anderer Bewegungsmechanismen, bei denen eine constant wirkende Kraft einen ebenso constanten Widerstand zu überwinden hat, weil die Stemmkräfte beider Beine sehr schnell sich ablösen, so dass nur eine fast verschwindende Zwischenzeit bleibt, in welcher keine vorwärtstreibende Kraft auf den Schwerpunkt einwirkt. Aehn - lich wie das Rad eines Wagens vom Boden sich löst, so wird zuerst durch eine Streckung im Kniegelenk der Oberschenkel des stemmen - den Beins auf dem eine feste Stütze bildenden Unterschenkel und dann durch die Streckung im Fussgelenk der Fuss allmälig vom Boden ab - gewickelt, und indem, ebenso wie am rollenden Rad, die Loslösung von hinten nach vorn fortschreitet, übt jeder einzelne Theil der Fuss - sohle im Moment, in welchem er gehoben wird und den Boden zu - rückstösst, die stemmende Kraft aus. Diese wirkt also nicht als ein in bestimmten Perioden sich wiederholender momentaner Stoss, son - dern als eine während der Abwickelungszeit annähernd constant blei - bende Kraft. Wird das Bein, ähnlich wie eine Stelze, mit einem mo - mentanen Stoss vom Boden gelöst, so wird die fortbewegende Kraft und die Länge jedes einzelnen Schritts dadurch bedeutend verringert; diese Bewegungsweise ist daher langsamer und erfordert eine ungleich grössere Muskelanstrengung.
Als periodische Bewegung betrachtet, zeichnet sich die mensch -61 Anwendung des Pendelge - setzes auf die Gehbewegun - gen. liche Ortsbewegung durch grosse Regelmässigkeit in der Aufeinander - folge der Perioden aus. Diese Regelmässigkeit kommt hauptsächlich dadurch zu Stande, dass die Gesetze des Pendels auf die Bewegungen88Von der Schwere.der Beine ihre Anwendung finden. Während das eine Bein sich ab - wickelt, schwingt das andere, im Kniegelenk etwas gebeugt, nach vorn. Nun ist jeder um eine Drehungsaxe schwingende Körper als ein physisches Pendel anzusehen, dessen Schwingungsdauer von seiner Länge und Massenvertheilung abhängig ist. Wir beobachten daher beim gewöhnlichen Gehen einen Isochronismus der Schritte, der in dem Isochronismus der Pendelschwingungen seinen Grund hat und das gleichmässig sich wiederholende Abwickeln des stemmenden Fusses vom Boden bedingt. Die Schwingungsdauer des einen Beins ist beim normalen Gehen gleich der Abwickelungsdauer des andern Beins. Im Moment, in welchem die letztere beendet ist, fällt das erstere auf den Boden und beginnt sogleich seinerseits sich abzu - wickeln, während gleichzeitig das andere seine Schwingung beginnt. Die Abwickelung kann mit ziemlich verschiedener Geschwindigkeit vor sich gehen; sie geschieht um so rascher, je schneller wir gehen wollen. Da hingegen die Schwingungsdauer bei gegebener Länge der pendelnden Beine sich nicht verändern kann, so kann das schwin - gende Bein nicht immer einen vollständigen Schwingungsbogen wäh - rend der Abwickelung zurücklegen; es wird also dann, weil Ab - wickelung und Schwingung gleich lang dauern, der Schwingungsbogen unterbrochen. Beim langsamen Gehen dauert die Abwickelung ent - weder genau so lange, dass ein voller Schwingungsbogen zurückge - legt werden kann, oder sogar noch etwas länger, so dass beide Beine eine merkliche Zeit gleichzeitig auf dem Boden aufruhen, und in die - sem Fall halbirt dann das von der Drehungsaxe der Schenkelköpfe auf den Boden gefällte Loth den Winkel, den die beiden Beine, während sie auf dem Boden aufstehen, mit einander bilden. Bei schnellerem Gehen wird der Schwingungsbogen in seiner zweiten Hälfte unterbrochen, es ist also nun der nach vorn vom Loth liegende Winkel kleiner als der hintere. Beim schnellsten Gehen endlich wird der Schwingungsbogen ziemlich genau in seiner Hälfte unterbrochen, das Loth trifft dann mit dem Fusspunkt des vordern Beins zusammen. Mehr als um den halben Schwingungsbogen kann das Pendeln der Beine nicht verkürzt werden, weil beim Aufsetzen des Fusses die Drehungsaxe unterstützt sein muss. Beim Laufen, wo die Abwickelungs - zeit noch kürzer als die Dauer eines halben Schwingungsbogens ist, sind daher während einer kurzen Zeit beide Beine gleichzeitig vom Boden entfernt.
Ein weiteres Hülfsmittel, welches stets beim schnellen Gehen und Laufen zur Anwendung kommt, besteht in der Senkung des Rumpfes. Je niedriger die Drehungsaxe der Schenkelköpfe über dem Boden getragen wird, um so kürzer werden die pendelnden Beine, und um so schneller gemäss dem Pendelgesetz ihre Schwingungen. Dieses Hülfsmittel wirkt der sonst durch die Verkürzung der Abwickelungs -89Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.zeit erzeugten Abkürzung des Schwingungsbogens entgegen; denn wenn die Schwingung schneller erfolgt, so kann das pendelnde Bein nun trotz der kurzen Dauer der Abwickelung doch einen grösseren Theil seines Schwingungsbogens zurücklegen. Man beobachtet daher, dass beim schnellen Gehen nicht nur die durch Schwingungsdauer und Abwickelungszeit bestimmte Schrittdauer verkürzt, sondern auch die durch die Schwingungsamplitude bestimmte Schrittlänge ver - grössert ist, so dass die möglichst günstigen Bedingungen der raschen Ortsbewegung immer zusammen vorkommen.
Endlich ist noch die Lage des Schwerpunktes und demnach die62 Anwendung der Lehre vom Schwerpunkt auf die Gehbe - wegungen. dieselbe bestimmende Haltung des Rumpfes nach der Geschwindigkeit des Gehens etwas verschieden. Der Schwerpunkt des Körpers be - findet sich über der Drehungsaxe der Schenkelköpfe in labilem Gleichgewicht. Der durch das stemmende Bein ihm ertheilte Stoss würde bewirken, dass er ähnlich wie ein horizontal fortgeworfener Körper in einem Bogen zu Boden fiele, wenn nicht das pendelnde Bein ihn zu rechter Zeit unterstützte. Dies könnte aber um so leich - ter eintreten, je rascher die Schwingungsdauer und die Abwickelungs - zeit ist. Bei schnellem Gehen ist daher die grösste Sicherheit, dass der Schwerpunkt von dem aufgesetzten Bein unterstützt werde, dann vorhanden, wenn der Schwerpunkt, also der ganze Rumpf, möglichst weit nach vorn geneigt wird. Der Rumpf mit seinem labilen Gleich - gewicht verhält sich dabei ähnlich wie ein Stock, den wir vertical auf einem Finger balanciren, während wir zugleich uns vorwärts bewegen. Wir müssen den Stock stets nach vorn, nach der Richtung, in der er bewegt wird, neigen, und um so mehr, je schneller er bewegt wird, wenn er nicht rückwärts fallen soll. Die ganze Vorwärtsbewegung des Körpers beim Gehen und Laufen kann man sich vorstellen als eine in sehr schneller Aufeinanderfolge geschehende horizontale Wurf - bewegung, bei der die Componente des Falls immer wieder durch die abwechselnd den Schwerpunkt unterstützenden Beine vernichtet wird. Da nun ferner bei dieser Bewegung, während der Rumpf nach vorwärts geworfen wird, stets zugleich das eine Bein ebenfalls nach vorwärts pendelt, so könnte die Bewegung nicht in vollkommen gerader Rich - tung erfolgen, sondern, während der Rumpf um die Axe der Schen - kelköpfe sich dreht, müsste er zugleich durch das pendelnde Bein etwas um seine Längsaxe gedreht werden, es würden also abwech - selnde Drehungen nach rechts und links erfolgen, wenn nicht in den gleichzeitigen Bewegungen der Arme eine Compensationsvorrichtung gegeben wäre. Während nämlich das Bein von hinten nach vorn schwingt, schwingt gleichzeitig der Arm der nämlichen Seite von vorn nach hinten und der Arm der entgegengesetzten Seite von hinten nach vorn. Dadurch erzeugen die beiden Arme ein Drehungsmoment, wel -90Von der Schwere.ches dem Drehungsmoment des schwingenden Beins entgegenwirkt, so dass die horizontale Vorwärtsbewegung ausschliesslich übrig bleibt.
Die Hauptgesetze für die menschliche Ortsbewegung lassen sich aus einer ein - fachen geometrischen Betrachtung ableiten. Die Stellung der beiden Beine b f = r und b e = l (Fig. 36) sei eine solche, dass r vollkommen vertical auf dem Boden aufsteht, dagegen l, welches durch sein Anstemmen gegen den Boden die Fortbewe - gung des Schwerpunktes hervorbringt, mit r einen Winkel α bildet. Die Kraft, welche l bei einer gegebenen Grösse des Winkels α auszuüben hat, ist dadurch bestimmt, dass nur eine horizontale Fortbewegung des Schwerpunktes stattfinden soll, dass also die verticale Componente der von l ausgeübten Streckkraft = p (dem Körpergewicht) sein muss. Zwischen r und l besteht, weil der Voraussetzung nach das Dreieck b f e rechtwinklig ist, die Beziehung l2 = r2 + m2, wo m die Schrittlänge f e bezeich - net, und wegen der Aehnlichkeit der Dreiecke b a d und b f e ist 〈…〉 , woraus sich ergiebt 〈…〉 . Diese Formel besagt zunächst, dass die Wider - standskraft oder die ihr gleiche Kraft der horizontalen Fortbewegung zunehmen muss mit dem Gewicht des Körpers, dass sie aber ausserdem um so grösser wird, je grösser die Schrittlänge und je kleiner die Länge der Beine ist.
Um nun weiterhin die Beziehung der Geschwindigkeit zu den angegebenen Ele - menten der Ortsbewegung zu finden, wollen wir annehmen, die horizontale Componente w der Streckkraft wirke während der ganzen Abwickelungszeit des Fusses, während deren das andere Bein in der Luft pendeln soll, gleichförmig beschleunigend, und erst im Moment des Aufsetzens werde die erzeugte lebendige Kraft durch den Widerstand des Bo - dens vernichtet. Der Antrieb der vorwärtsbewegenden Kraft ist dann, wenn wir wieder mit m die Schrittlänge bezeichnen, w. m = 〈…〉 . (Gl. 3, §. 25). Daraus folgt w m = 〈…〉 , und hieraus erhält man endlich 〈…〉 , d. h. die Endge - schwindigkeit bei jedem Schritt ist proportional der Schrittlänge und umgekehrt proportio - nal der Quadratwurzel der Beinlänge. Die Bedingungen, die wir hier vorausgesetzt haben, werden nun nach unsern früheren Erörterungen nahehin beim schnellsten Gehen rea - lisirt sein, wo als Grenzfall gerade die Mitte des Schwingungsbogens durch das plötz - liche Aufsetzen des pendelnden Beins unterbrochen wird (§. 61). Hier wächst wirk - lich, wie man sich auch durch die Beobachtung überzeugen kann, die Geschwindigkeit von null bis zu einem Maximum, um dann plötzlich durch das Auffallen des schwin - genden Beines wieder auf null zu sinken. Aber auch wo die obigen Voraussetzungen erhebliche Veränderungen erfahren, wie beim langsamen Gehen und beim Laufen, wird offenbar die Abhängigkeit von Schritt - und Beinlänge die nämliche sein. Denn man wird sich in einem solchen Fall die Dauer eines jeden Schritts in einzelne Perioden zerlegt denken können, für deren jede, wenn wir mit w' die während einer sehr kur - zen Zeit wirksame vorwärtstreibende Componente und mit m' den entsprechenden sehr kleinen Theil der Schrittlänge bezeichnen, w'. m' = 〈…〉 ist, wo v 'die in der betrachteten sehr kurzen Zeit erreichte Geschwindigkeit bedeutet. Um nun etwa die mittlere Geschwindigkeit während der ganzen Schrittdauer zu finden, muss man die einzelnen für die wechselnden Werthe von w' und m' erhaltenen Geschwindigkeiten v' summiren und die Summe durch die Schrittdauer t dividiren. Dabei bilden die Sum -91Zusammenwirken der Schwere mit andern bewegenden Kräften.men von m' die ganze Schrittlänge m, und ebenso ist in dem für p eingesetzten Werthe 〈…〉 die Grösse r constant, also wird auch unter der Voraussetzung, dass w nicht constant ist, die Abhängigkeit von r und m dieselbe bleiben. Um un - ter dieser richtigeren Voraussetzung und für die einzelnen Fälle des langsamen Gehens, schnellen Gehens, Laufens u. s. w. die Gesetze der Gehbewegungen abzulei - ten, muss man den einzelnen Schritt auf ähnliche Weise in unendlich kleine Perioden zerlegen, wie wir in §. 29 eine Schwingung zerlegt haben, und schliesslich die wäh - rend aller dieser Perioden stattfindenden Wirkungen summiren. Das Problem der Gehbewegungen ist daher ein complicirtes Schwingungsproblem. Die mathe - matische Lösung der hier sich darbietenden Aufgaben liegt jedoch ausserhalb der Grenzen unserer Darstellung, und wir verweisen in dieser Beziehung auf W. und Ed. Weber, Mechanik der menschlichen Gehwerkzeuge, Göttingen 1836.
Die Ortsbewegungen der vierfüssigen Thiere sind im Vergleich64 Ortsbewegun - gen der vier - füssigen Thiere. Flug - und Schwimmbewe - gungen. zu denjenigen des Menschen erstens durch die Verdoppelung der Stemmkräfte und zweitens durch die Lage des Schwerpunktes erleich - tert. Dieser befindet sich nicht über einer einzigen Drehungsaxe im labilen Gleichgewicht, sondern stabil zwischen der Drehungsaxe der vordern und derjenigen der hintern Extremitäten. Nur beim Vogel ist die Lage des Schwerpunktes für die Gehbewegungen noch un - günstiger, indem derselbe wegen des relativ gewichtigeren Thorax viel weiter oben liegt. Um so mehr kommt diese Lage des Schwerpunk - tes bei den Flugbewegungen zu statten. Indem der Vogel fliegt, stösst er mit beiden Flügeln die Luft zurück, und diese muss ihn da - her nach dem Princip der Gegenwirkung mit gleicher Kraft vorwärts stossen. Am günstigsten ist diese Wirkung in dem Moment, in wel - chem die Flügel horizontal ausgespannt sind: der Körper des Vogels wird dann durch die auf beide Flügel ausgeübten Parallelkräfte, deren Resultirende gleich ihrer Summe ist und mit der Längsaxe des Vo - gels zusammenfällt, fortgetrieben. Sind die Flügel nicht horizontal, so bilden die auf jeden wirkenden Kräfte zwei Seiten eines Kräfte - parallelogramms, dessen Diagonale die nach der Längsaxe des Vogels gerichtete Resultirende ist. Auf demselben Princip beruhen die Be - wegungen beim Schwimmen. Der Schwimmer übt gleichzeitig mit den Armen und Füssen Stösse gegen das Wasser aus: die Gesammtkraft in der Richtung der Längsaxe des Körpers wird hier durch die Re - sultirenden zweier Kräfteparallelogramme gebildet, deren eines vor dem Schwerpunkte liegt und durch den Stoss der Arme entsteht, wäh - rend das andere, das sich hinter dem Schwerpunkt befindet, durch den Stoss der Füsse erzeugt wird.
Aehnlich wie die Ortsbewegungen des ganzen Thierkörpers aus65 Bewegungen der einzelnen Scelettheile. einem Zusammenwirken der Schwere mit andern Kräften hervorgehen, so auch die Bewegungen der einzelnen Scelettheile gegen einander. Das ganze Scelet besteht aus einer Anzahl einarmiger Hebel, die in92Von der Schwere.der complicirtesten Weise zusammenwirken. Der Schwerpunkt jedes einzelnen beweglichen Scelettheils, oder, wenn noch ein äusseres Ge - wicht an dem betreffenden Theil wirkt, der ihm und dem Gewicht ge - meinsame Schwerpunkt, ist der Angriffspunkt der Last. Jede Inser - tionsstelle eines Muskels ist dagegen Angriffspunkt einer Kraft. Dabei kann übrigens den Angriffspunkten einer im gleichen Sinne wirkenden Muskelgruppe meistens ein einziger Angriffspunkt substituirt werden. Durchweg befindet sich der Angriffspunkt der Kraft viel näher an dem Gelenkende, in welchem die Bewegung stattfindet, als der Angriffs - punkt der Last. Die Theile des Scelets sind also nicht Krafthebel, sondern Geschwindigkeitshebel. Zugleich ist die Zugrichtung der Kräfte eine äusserst ungünstige, da die Muskeln unter sehr spitzen Winkeln an den Knochen sich ansetzen.
Die speciellere Erörterung der Gelenkbewegungen muss, da sie sich von der Betrachtung der einzelnen Gelenke nicht trennen lässt, der Physiologie überlassen bleiben. S. Lehrb. der Physiologie, §. 231. Um sich die complicirten Gelenkbewe - gungen der Scelettheile nur an einem einzigen Beispiele anschaulich zu machen, beo - bachte man die Bewegungen der Hand beim Schreiben oder bei der Führung eines Präparirmessers. Beim Schreiben wird die Feder zwischen den ersten Phalangen des Daumens und Zeigefingers festgehalten und ruht auf dem Mittelfinger. Die Feder selbst ist ein Hebel, der je nach dem geforderten Umfang der Bewegungen bald um den weiter nach vorn liegenden Unterstützungspunkt des Zeigefingers, bald um den mehr zurückliegenden Unterstützungspunkt des Daumens sich dreht. Die Phalangen der Fin - ger wechseln dem entsprechend in ihren zusammengesetzten Hebelbewegungen.
Wir haben den flüssigen Aggregatzustand als denjenigen bezeichnet, in welchem die einzelnen Theilchen eines Körpers so ge - ringe Anziehungskräfte auf einander ausüben, dass sie nicht fest mit einander verbunden bleiben, sondern leicht ihre Lage wechseln. Dess - halb ist jede Kraft, insbesondere aber auch die Schwere auf die Flüs - sigkeiten von weit bedeutenderem Einfluss als auf die festen Körper. Die Schwerkraft wirkt auf jedes Theilchen einer Flüssigkeit ebenso wie auf jedes Theilchen eines festen Körpers. Aber da die Molecüle des letzteren durch ihre gegenseitigen Anziehungskräfte festgehalten sind, so wird durch die Anziehung der Schwerkraft die Form der fe - sten Körper nicht merklich beeinflusst. Dagegen überwiegt die Ein - wirkung der Schwere auf die Theilchen einer Flüssigkeit über die gegenseitige Anziehung dieser Theilchen. Die Form einer ruhenden93Vom flüssigen Aggregatzustand.Flüssigkeit ist daher durch die Schwere bestimmt und eben desshalb abhängig von der Form des Raumes, in welchem sich die Flüssigkeit befindet. Indess so die Flüssigkeiten durch die Verschiebung ihrer Theilchen gegen einander sehr leicht ihre Form verändern, besitzen sie dagegen, wenn die Temperatur dieselbe bleibt, ein viel constante - res Volum als die festen Körper. Während man durch Zusammen - drückung oder Ausdehnung die Dichtigkeit eines festen Körpers nicht unerheblich vergrössern oder vermindern kann, ist bei den Flüssig - keiten nur eine Verminderung des Volumens, und auch diese nur in äusserst geringem Maasse und durch Anwendung sehr bedeutender äusserer Druckkräfte möglich. Aus diesem Grunde ist die Compressi - bilität der Flüssigkeiten auch schwierig zu beobachten. Denn das Gefäss, in welchem man eine Flüssigkeit zusammendrückt, giebt dem Drucke weit mehr nach als die Flüssigkeit selber. Indem jedoch Regnault die Compressionsversuche so anstellte, dass das Gefäss, in welchem sich die Flüssigkeit befand, einem ebenso grossen Druck auf ihre Aussenwand ausgesetzt wurde, als der Druck auf die in ihm befindliche Flüssigkeit betrug, beobachtete er eine Volumverminderung, die proportional dem Drucke zunahm. Diese Volumverminderung ist so klein, dass für practische Zwecke die Flüssigkeiten immerhin als incompressibel angesehen werden können. Auf das einzige sehr wirk - same Mittel, das wir besitzen, um die Dichtigkeit der Flüssigkeiten zu vermindern oder zu vergrössern, die Wärmezufuhr oder Wärmeentzie - hung, werden wir in dem Abschnitte von der Wärme zurückkommen.
Die geringe Zusammendrückbarkeit der Flüssigkeiten erklärt sich aus den geringen Anziehungskräften, welche deren Molecüle auf einander ausüben. Bei gewöhnlichem Atmosphärendruck ist nahezu Gleichgewicht zwischen der Anziehung und Abstossung ihrer Theilchen vorhanden. Steigert man nun den Druck, so müssen sogleich bedeu - tende abstossende Kräfte zwischen den Molecülen entstehen, die eine grössere Annäherung derselben sehr schwierig machen. Vermindert man anderseits den Druck dadurch, dass man über der Flüssigkeit einen luftleeren Raum herstellt, so werden die Molecüle an der Ober - fläche der Flüssigkeit von ihren Nachbartheilchen losgerissen, so dass sie aus deren Anziehungssphäre hinausgerathen: die Flüssigkeit ver - dampft, sie geht in den gasförmigen Aggregatzustand über.
Da jedes Theilchen einer Flüssigkeit unter dem Einfluss der auf dasselbe ausgeübten Schweranziehung sich unabhängig bewegen kann, bis es entweder an andern Flüssigkeitstheilchen oder an einer festen Wand einen Widerstand findet, so ist klar, dass eine Flüssigkeit nicht nur die Form des Gefässes annimmt, in welchem sie sich be - findet, sondern dass auch die Oberfläche derselben horizontal, senk - recht gegen die Richtung der Schwere ist. Jeder Punkt der freien Oberfläche muss gleich weit von dem Erdmittelpunkt entfernt sein. 94Von der Schwere.Der Spiegel des Meeres entspricht daher der Oberfläche des Erd - ellipsoids.
Isolirt muss jedes Flüssigkeitstheilchen gerade so wie ein fester Körper gegen den Erdmittelpunkt fallen und, wenn es durch eine Un - terlage daran gehindert ist, auf diese Unterlage einen der Grösse seiner Masse entsprechenden Druck ausüben. Wenn sich nun eine
aus sehr vielen solcher Theilchen bestehende Flüssigkeit in einem Gefässe A B befindet (Fig. 37), so bildet für die oberste Flüssig - keitsschichte a b die zweite Flüssigkeits - schichte c d die Unterlage, die dritte Schichte e f bildet für die beiden Schichten a b und c d die Unterlage u. s. f., bis endlich auf der untersten Schichte m n die ganze Masse von a b bis m n ruht, und diese Masse ein - schliesslich der Schichte m n selbst ruht zuletzt auf dem Boden o p des Gefässes. Dieser erfährt also einen Druck, der dem Gewicht der ganzen Flüssigkeit a b m n gleich ist. Ebenso erfährt aber irgend eine Schichte i k der Flüssigkeit selber einen Druck, welcher dem Gewicht der über ihr stehenden Flüssigkeitsmasse a b i k gleich ist. Jrgend ein kleines Stück x y des Bodens wird dagegen nur durch die Flüssigkeitssäule h l x y, und ein Stück r s der Schichte i k durch die Flüssigkeitssäule h l r s belastet. Die Pressung, die ein beliebiges Theilchen innerhalb einer Flüssigkeit erfährt, ist einfach gleich dem Gewicht aller der Flüssigkeitstheilchen, die auf ihr liegen. Nun haben wir aber gesehen, dass jedes Theilchen innerhalb einer Flüssigkeit durch die geringsten äusseren Kräfte nach jeder Richtung verschiebbar ist. Das Theilchen r würde z. B. in Folge des Drucks, den die Flüssigkeitssäule r h auf dasselbe ausübt, ebenso gut in der Richtung r x als in der Richtung r k oder r i ausweichen, wenn es nicht durch die ringsum gelagerten andern Theilchen daran gehindert würde. Da es nun nicht ausweichen kann, so übt es auf die sämmt - lichen unten und zur Seite gelagerten Theilchen einen Druck aus, der dem Gewicht der Säule h r entspricht. Auch irgend ein Punkt α der Seitenwand des Gefässes erfährt also einen Druck, welcher der Höhe a α entspricht, und eine grössere Fläche α β dieser Wand erfährt ei - nen Druck, der dem Druck der sämmtlichen an α β stossenden Theil - chen entspricht, der also durch das Gewicht einer Flüssigkeitssäule gemessen wird, welche das Flächenstück α β zu ihrer Basis und die von der Mitte γ dieses Flächenstücks an bis zur Oberfläche der Flüs -95Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten.sigkeit gemessene Entfernung a γ zu ihrer Höhe hat. Ganz ebenso verhält sich natürlich irgend ein Theil der Flüssigkeit, den man sich auf einer verticalen Durchschnittsfläche liegend denkt. Nehmen wir nun an, das Gefäss A B sei vollständig mit Flüssigkeit angefüllt und zugleich überall hermetisch verschlossen, ausgenommen an der Stelle
h l (Fig. 38): hier soll sich eine Oeff - nung und in dieser ein Kolben K be - finden. Wenn auf den Kolben ein Druck ausgeübt wird, so muss die Wirkung desselben die nämliche sein, als wenn sich über h l noch einmal eine Flüssigkeitssäule befände, deren Gewicht der Grösse des Drucks gleich ist. Ist die Grösse des Drucks gleich P, so hat jede unterhalb h l befind - liche und demselben gleiche Fläche, z. B. r s oder x y, ausser dem Gewicht der darüber stehenden Flüssigkeit noch einen Druck gleich P auszuhalten. Da aber der Druck in der Flüssigkeit nach allen Richtungen sich gleichmässig fortpflanzt, so wird jeder Theil der Flüssigkeit oder der Gefässwand, welche Lage er auch haben mag, sobald er ebenso gross wie h l ist, ebenfalls un - ter dem Druck P stehen. So werden also z. B. die zwei neben ein - ander befindlichen Flächenstücke x y und y z jedes den Druck P, beide zusammen also den Druck 2 P erfahren. Aehnlich wird ein beliebiger anderer Theil der Flüssigkeit oder der Gefässwand einen Druck er - fahren, der sich zur Kraft P verhält wie die Grösse des betrachteten Flächenstücks zur Grösse der Fläche h l, auf welche die Kraft P ein - wirkt. Hierdurch ist offenbar die Möglichkeit dargeboten, mit verhält - mässig kleinen Kräften grosse Wirkungen auszuüben. Bringen wir z. B. bei α β einen zweiten Kolben K 'an, der sich hier in einer dop - pelt so weiten Röhre bewegt, so werden wir, sobald wir auf den Kol - ben K die Kraft P wirken lassen, mittelst des Kolbens K' eine Kraft 2 P ausüben können; mit dem Kolben K 'kann man also ausserhalb des Gefässes eine doppelt so grosse Arbeit leisten, als man zur Be - wegung des Kolbens K brauchte; man kann z. B. ein Gewicht 2 P weiterfördern, einen Druck 2 P auf einen Körper ausüben u. s. w. Auf diesem Princip beruht die hydraulische Presse. Die in Fig. 38 gezeichnete Vorrichtung selbst ist eine einfache hydraulische Presse. Wenn wir dem Kolben α β einen hundertmal grösseren Durchmesser geben als dem Kolben h l, so vermögen wir die hundertfache Kraft zu erzeugen, und es erhellt somit, wie durch Vorrichtungen dieser Art mittelst sehr mässiger Kräfte sehr bedeutende Wirkungen erzielt wer - den können. Es handelt sich aber in diesen Fällen, wie man leicht sieht, keineswegs um ein wirkliches Erzeugen von Kraft, was unmög -96Von der Schwere.lich ist, sondern, ähnlich wie beim Krafthebel, um eine Umwandlung von Geschwindigkeiten in Druckkräfte. Wenn der Kolben α β einen doppelt so grossen Durchmesser hat als der Kolben h l, so bewegt er sich auch doppelt so langsam als jener, da die doppelte Flüssig - keitsmenge in ihm Platz hat. Wie am Hebel, so kann man also auch hier nur Kraft durch Geschwindigkeit oder Geschwindigkeit durch Kraft ersetzen.
Aus der Thatsache, dass der Druck in einer Flüssigkeit sich gleichmässig nach allen Richtungen fortpflanzt, ergeben sich alle Er - scheinungen, welche ruhende Flüssigkeiten in Bezug auf ihre Druck - und Gleichgewichtsverhältnisse darbieten. So ist es nach dem Obigen selbstverständlich, dass der Druck, den eine Flüssigkeit durch ihre Schwere auf den Boden des Gefässes, in welchem sie sich befindet, ausübt, nur von der Grösse der Bodenfläche und von der Höhe der Flüssigkeit abhängt, dass er aber ganz unabhängig ist von der sonsti - gen Gestalt des Gefässes. In den Gefässen A und B (Fig. 39) ist
z. B. der Druck auf den Boden c d gleich gross. Denn ist auch in A der Spiegel der Flüssigkeit nur halb so gross als in B, so muss doch das Gewicht a b. a h der Flüssigkeitssäule den dop - pelten Druck ausüben, wenn es auf einer Fläche c d, die doppelt so gross als a b ist, lastet. Aus dem - selben Grund muss eine Flüssigkeit, die sich in zwei mit ein - ander communicirenden Gefässen befindet, in beiden Gefässen gleich hoch stehen, welches auch der Durchmesser oder die son - stige Gestalt der Gefässe sein möge. Denn da in jedem belie - bigen Querschnitt der Flüssigkeit die Grösse des Drucks nur ab - hängig ist von der Höhe der darüber stehenden Flüssigkeitssäule, so muss offenbar eine in dem Communicationsrohr zwischen beiden Gefässen A und B (Fig. 40) befindliche Flüssigkeitsschicht a dann im
Gleichgewieht sein, wenn auf beiden Seiten die Flüssigkeiten gleich hoch stehen. Giesst man Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit in beide Ge - fässe, z. B. in das eine Wasser, in das andere Quecksilber, so verhalten sich die Höhen umgekehrt wie die Dich - tigkeiten. Man kann daher communi - cirende Gefässe zur Vergleichung der Dichtigkeit verschiedener Flüssigkeiten anwenden, vorausgesetzt dass97Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten.dieselben nicht mischbar sind. Was von zwei communicirenden Ge - fässen gilt, das gilt auch von einem System, welches aus einer grös - seren Zahl solcher Gefässe besteht, und das behält endlich seine Gül - tigkeit, wenn es sich nicht bloss um den Druck der eigenen Schwere der Flüssigkeit handelt, sondern wenn dieselbe überdies in dem einen oder dem andern Gefäss noch unter einem äussern Drucke steht. Ein derartiges System zahlreicher communicirender Gefässe ist z. B. das thierische Gefässsystem. Fortwährend werden in demselben durch die Action des Herzens Druckunterschiede erzeugt, eine Druckzunahme in den Arterien durch deren Anfüllung, eine Druckabnahme in den Venen durch deren Entleerung. Wie in jedem System communicirender Ge - fässe, so muss auch hier der Druck fortwährend sich ausgleichen. Die Kraft, welche die Blutbewegung zu Stande bringt, besteht in einer Störung des hydrostatischen Gleichgewichts, die Blutbewegung selbst ist eine fortwährende Wiederherstellung dieses Gleichgewichts.
Wie die Theilchen einer Flüssigkeit gegen einander oder gegen69 Gewichtsverlust fester Körper in Flüssigkei - ten. Archime - disches Princip. die Wände des Gefässes, in welchem sie sich befinden, einen dem Druck, unter dem sie selbst stehen, gleichen Druck ausüben, so ver - halten sie sich auch gegen einen festen Körper, der in die Flüssigkeit getaucht wird. Den Druck, welcher jeder Punkt des Körpers durch die Schwere der Flüssigkeit erfährt, ist bloss abhängig von der Höhe der Flüssigkeitssäule, die über ihm steht. So erfährt also die obere Fläche des Körpers a b c d (Fig. 41) einen Druck, welcher gleich ist
der Flüssigkeitssäule a e f b, die untere Flä - che c d erfährt einen Druck, der einer Flüs - sigkeitssäule c e f d gleichkommt. Ebenso steht irgend ein Punkt der seitlichen Ober - fläche, g oder h, unter einem Druck, welcher der Höhe g e oder h f entspricht. Dabei ist aber der Druck g e von g nach h und der Druck h f von h nach g gerichtet. Die sämmt - lichen seitlichen Druckkräfte heben sich da - her auf, und es bleibt nur der Druck auf die obere Fläche a b und auf die untere Fläche c d übrig. Der Körper wird also nach aufwärts getrieben mit einer Kraft, die dem Unterschied der auf seiner untern und oberen Fläche lastenden Druckkräfte gleich ist. Diese Kraft wirkt der eigenen Schwere des Körpers entgegen, sie vermindert das Ge - wicht desselben genau um das Gewicht einer dem Körper a b c d selbst gleichen Flüssigkeitsmasse. Es ergiebt sich hieraus das allgemeine Gesetz, dass jeder in eine Flüssigkeit getauchte Körper ebenso viel an Gewicht verliert, als das Gewicht der Flüs - sigkeit beträgt, das er verdrängt. Man bezeichnet dieses Ge - setz nach seinem Entdecker als das Princip des Archimedes.
Wundt, medicin. Physik. 798Von der Schwere.Das Archimedische Princip dient zur Bestimmung der relati - ven Masse der festen Körper. Die Masse eines Körpers wird, wie wir in §. 52 gesehen haben, durch die Grösse der Anzie - hung, welche er durch die Schwere erfährt, also durch sein Gewicht, gemessen. Die relativen Massen zweier Körper sind nun dieje - nigen Schweranziehungen, die gleiche Volumina derselben erfahren, und wir haben demnach die relativen Massen aller Körper ermittelt, wenn wir die Gewichte gleicher Volumina derselben kennen. Zu die - sem Zweck muss man aber die Masse eines bestimmten Körpers zur Einheit wählen, und man hat hierfür das Wasser im Zustand seiner grössten Dichte, die es bei 4°C. besitzt, angenommen. Das Verhältniss des Gewichts eines Körpers zum Gewicht einer ihm an Volum gleichen Wassermenge von 4°C. nennt man das specifische Gewicht des Körpers. Die specifischen Gewichte aller Körper sind demnach zu finden, wenn man zuerst das absolute Gewicht P eines jeden Kör - pers und hierauf das Gewicht V einer ihm an Volum gleichen Wasser - masse ermittelt. Das specifische Gewicht S ist dann offenbar gleich dem Quotienten 〈…〉 . Ausserdem erfährt man auf diesem Wege zu - gleich das Volum des betreffenden Körpers. Denn da, nach dem in der Wissenschaft gebräuchlichen franz. Maasssystem die Volumeinheit Wasser gleich der Gewichtseinheit, 1 Cubikcentimeter = 1 Gramm ist, so ist die Grösse V oder P. S gleich dem Volum des Körpers.
Es ist nun leicht ersichtlich, wie das Archimedische Princip un - mittelbar zur Bestimmung des Quotienten 〈…〉 führt. Man wägt den Körper zuerst in der Luft und wägt ihn dann zum zweiten Mal, während er sich unter Wasser befindet. Die erste Wägung giebt sein eigenes Gewicht P, die zweite Wägung giebt das Gewicht V der von ihm verdrängten, ihm also an Volum gleichen Wassermasse. Man benützt zu diesen Bestimmungen gewöhnlich die sogenannte hy - drostatische Waage, die sich von einer andern Waage nur dadurch unterscheidet, dass die eine Waagschale etwas höher hängt und an ihrer untern Fläche ein Häkchen besitzt, an welches der zu untersu - chende feste Körper mittelst eines feinen Drahts befestigt werden kann, um ihn, während er in ein Wassergefäss taucht, abzuwägen. Statt dessen kann man auch eine gewöhnliche Waage benützen und so verfahren, dass der Körper in ein mit Wasser gefülltes Gläschen gebracht und mit diesem gewogen wird; bei dieser Methode, welche das Archimedische Princip nicht zur Anwendung bringt, sind aber dann drei Wägungen erforderlich: erstens die Wägung des Körpers für sich, zweitens diejenige des Gläschens, während es ganz mit Wasser gefüllt ist, und drittens diejenige des Gläschens, während durch den hineingebrachten Körper ein ihm gleiches Volum Wasser ersetzt ist.
99Druck und Gleichgewicht der Flüssigkeiten.Die Bestimmung des specifischen Gewichts der Flüssigkeiten mittelst der sogenannten Aräometer stützt sich gleichfalls auf das Archimedische Princip. Das gewöhnliche Aräometer ist eine auf beiden Seiten geschlossene Glasröhre, die an ihrem untern Ende zu einer kleinen mit etwas Quecksilber gefüllten Kugel erweitert ist. Diese Glasröhre sinkt in einer Flüssigkeit so weit unter, dass der eingetauchte Theil derselben dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit gleich ist. In Flüssigkeiten von grösserer Dichte sinkt daher das Aräometer weni - ger tief ein als in solchen von geringerer Dichte. Gewöhnlich werden die Aräometer empirisch graduirt, und sie bieten dann ein sehr be - quemes und schnelles Hülfsmittel zur Bestimmung der specifischen Gewichte der Flüssigkeiten. Uebrigens können die letzteren auch so ermittelt werden, dass man ein Gläschen zuerst gefüllt mit Wasser und dann gefüllt mit der zu untersuchenden Flüssigkeit abwägt; die letztere Methode ist namentlich wo es auf grössere Genauigkeit an - kommt vorzuziehen.
Die Bestimmung der specifischen Gewichte der Flüssigkeiten hat in der Medicin hauptsächlich zu dem Zweck den ungefähren Wassergehalt thierischer Flüssigkeiten, z. B. der Milch, des Urins, kennen zu lernen Anwendung gefunden. Es genügt in diesen Fällen meistens die Anwendung des Aräometers. Je höher der dem destillirten Was - ser entsprechende Nullpunkt des Aräometers über dem Spiegel der Flüssigkeit steht, um so geringer ist der Wassergehalt derselben. Für die wichtigeren thierischen Flüs - sigkeiten hat man den Wassergehalt, der den einzelnen specifischen Gewichten ent - spricht, ein für allemal empirisch zu bestimmen gesucht. Solche Bestimmungen müs - sen selbstverständlich höchst trügliche sein, da das specifische Gewicht nicht bloss vom Wassergehalt sondern auch von dem gerade beim Harn und der Milch sehr wech - selnden Mengenverhältniss der festen Bestandtheile abhängt, und also beim selben spec. Gewicht der Wassergehalt immer noch ein ziemlich verschiedener sein kann. Ein Blick auf die von mehreren Chemikern entworfenen Tabellen über die Beziehung zwischen spec. Gewicht und Wassergehalt einzelner thierischer Flüssigkeiten zeigt denn auch so beträchtliche Abweichungen, dass man sicherlich besser thut sich des Aräometers lediglich als eines ungefähren Maasses für den Wassergehalt zu bedienen und auf den Versuch, nach solchen Tabellen das spec. Gewicht in irgend eine Zahl für den procentischen Wassergehalt zu übersetzen, lieber verzichtet.
Wo es sich um exactere specifische Gewichtsbestimmungen handelt, ist gleich - zeitig die Temperatur in Rücksicht zu ziehen, und muss mittelst der bekannten Aus - dehnung, die das Wasser, der feste Körper und das Glas, in welchem man die Wägungen vornimmt, erfahren, das Resultat so berechnet werden, dass es für die Temperatur von 4°C., bei welcher das Wasser seine grösste Dichtigkeit hat, gültig ist (vergl. Abschn. V, Cap. 1). Endlich kann sogar der Einfluss des Barometerstandes berücksichtigt werden, indem man den Gewichtsverlust, welchen der betreffende Kör - per bei seiner Abwägung in der Luft erfährt, in ähnlicher Weise wie den Gewichts - verlust in Wasser bestimmt. Siehe hierüber §. 94.
Da eine Flüssigkeit auf einen festen Körper, der in sie einge -71 Schwimmende Körper. taucht ist, einen der Schwere entgegengesetzten Druck ausübt, wel -7 *100Von der Schwere.cher dem Gewicht des verdrängten Wassers gleichkommt, so ist klar, dass, wenn ein Körper innerhalb einer Flüssigkeit fällt, die Geschwindigkeit seines Falls eine gleichförmige Verlangsamung er - fahren muss. Hat der Körper dieselbe Dichtigkeit wie die Flüs - sigkeit, so wird derselbe in Ruhe kommen, sobald die Beschleu - nigung, die er zuvor beim Fall in der Luft erfahren hat, voll - ständig aufgehoben ist. Tauchen wir denselben sogleich in die Flüssigkeit ein, so wird er innerhalb derselben an jeder Stelle im Gleichgewicht bleiben: er wird sich nicht anders verhalten, als sich dasjenige Volum der Flüssigkeit verhalten würde, welches er verdrängt hat. Ist dagegen der Körper von grösserer Dichtigkeit als die Flüs - sigkeit, so wird seine Schwere immer über den nach aufwärts gerich - teten Flüssigkeitsdruck überwiegen, er wird also in der Flüssigkeit zu Boden sinken. Nun ist aber ausserdem noch der dritte Fall mög - lich, dass der Körper eine geringere Dichtigkeit besitzt als die Flüssigkeit. In diesem Fall wird der nach aufwärts gerichtete Flüs - sigkeitsdruck über die Schwere des eingetauchten Körpers um ebenso viel überwiegen, als das Gewicht des verdrängten Wassers das Ge - wicht des Körpers übertrifft. Dieser wird also über den Spiegel der Flüssigkeit emporgetrieben werden. In dem Maasse aber als dies ge - schieht nimmt auch der von unten auf ihn wirkende Flüssigkeitsdruck ab, und es wird daher ein Punkt kommen, wo der Druck der Schwere des Körpers gleich geworden ist, und in dieser Gleichgewichtslage muss der Körper in der Flüssigkeit schwimmen. Der schwimmende Körper verdrängt also eine Flüssigkeitsmenge, deren Gewicht seinem eigenen Gewicht gleich ist, und hierdurch wird die Tiefe bestimmt, bis zu welcher der schwimmende Körper in die Flüssigkeit einsinkt.
Ein Körper, der in einer Flüssigkeit schwimmt, verhält sich ähn - lich wie ein solcher, der durch eine Unterlage am Fallen gehindert ist. Der von unten nach oben wirkende Flüssigkeitsdruck, der hier gleichsam die Unterlage bildet, kann als zusammengesetzt aus einer Summe paralleler Kräfte, die auf die untere Fläche des Körpers einwirken, betrachtet werden. Die Resultirende dieser Parallelkräfte hat ihren Angriffspunkt in dem Schwerpunkt der verdrängten Flüssig - keitsmasse, denn dies ist der Punkt, um welchen das Drehungsbe - streben der von allen Seiten einwirkenden Druckkräfte der Flüssigkeit im Gleichgewicht steht. Wir können desshalb die Sache so ansehen, als wenn der schwimmende Körper in diesem einzigen Punkt unter - stützt wäre. Ein schwimmender Körper kann nun, wie jeder unter - stützte Körper, nur dann im Gleichgewicht sich befinden, wenn sein Schwerpunkt und der Unterstützungspunkt, der in diesem Fall also der Schwerpunkt der verdrängten Flüssigkeit ist, sich in einer und derselben Verticallinie befinden. Wie ferner jeder unterstützte Körper je nach der Lage seines Schwerpunkts zum Unterstützungspunkt ent -101Molecularwirkungen flüssiger Körper.weder im indifferenten oder im labilen oder im stabilen Gleichgewicht sein kann, so auch der schwimmende Körper. Am wichtigsten sind hier insbesondere diejenigen Fälle, wo der Schwerpunkt über oder unter dem Unterstützungspunkt sich befindet, wo also labiles oder stabiles Gleichgewicht vorhanden ist. Das labile Gleichgewicht geht, wenn es gestört wird, in das stabile Gleichgewicht über, indem der Körper um 180 Grade gedreht wird. In das stabile Gleichgewicht kehrt dagegen der Körper nach jeder Störung wieder zurück. Ein Körper schwimmt daher allein dann gegen bleibende Aenderungen seiner Lage gesichert, wenn er sich im stabilen Gleichgewicht befin - det, d. h. wenn sein eigener Schwerpunkt unter dem Schwerpunkt der von ihm verdrängten Flüssigkeit liegt. Die Schiffe, bei denen die Sicherheit gegen augenblickliche Gleichgewichtsstörungen das we - sentlichste Erforderniss bildet, müssen daher stets nach diesem Prin - cip gebaut sein, und die Bewegung derselben ist um so sicherer, je tiefer sich ihr Schwerpunkt unter dem Schwerpunkt der verdrängten Flüssig - keit befindet. Dagegen zeigen die schwimmenden thierischen Wesen, deren Bewegung im Wasser auf dieselben Principien wie die Bewe - gung der Schiffe sich stützt, in statischer Beziehung die bemerkens - werthe Abweichung, dass ihr Schwerpunkt sich über dem Unter - stützungspunkt befindet, dass sie also nur ein labiles Gleichgewicht besitzen. Der Nachtheil, den dies haben könnte, wird zwar durch die Anstrengung der Muskeln, die jeden Augenblick das Gleichgewicht herstellt, ausgeglichen. Dennoch ist es fühlbar, dass bei der Rücken - lage der Schwimmende sicherer vom Wasser getragen wird.
Ein Körper, dessen specifisches Gewicht demjenigen des Wassers ziemlich nahe kommt, zugleich aber dadurch etwas veränderlich ist, dass der Körper bei gleich bleibendem absolutem Gewicht sein Volum vermindern oder vergrössern kann, besitzt die Eigenschaft abwech - selnd im Wasser unterzusinken oder emporzutauchen. Solche Körper sind die Fische. Will der Fisch gegen die Oberfläche auftauchen, so lässt er die Muskeln der Schwimmblase erschlaffen, diese dehnt sich daher aus und vergrössert das Körpervolum. Will der Fisch in die Tiefe sinken, so comprimirt er die Schwimmblase. Da zugleich mit der Tiefe der auf der Blase ruhende Wasserdruck zunimmt, so unterstützen die Veränderungen des Drucks dieses Auf - und Absteigen. Doch ist hierdurch zugleich der Abwärtsbewegung eine gewisse Grenze gesetzt, über die hinaus der Druck eine Wiedererschlaffung der Blase und daher auch eine Rückkehr zur Oberfläche unmöglich macht.
Bei den bisher betrachteten Wirkungen der Schwere auf Flüssig -72 Oberflächen - spannung der Flüssigkeiten.102Von der Schwere.keiten kam die gegenseitige Wirkung der Flüssigkeitstheilchen auf einander gar nicht in Rücksicht. Im Innern einer Flüssigkeit wirken auf jedes Theilchen von allen Seiten Anziehungskräfte der Nachbar - theilchen. Da aber diese Anziehungskräfte sämmtlich von gleicher Grösse sind, so verhalten sich die im Innern einer Flüssigkeit befind - lichen Theilchen gerade so, als wenn sie gar keine Wirkungen auf einander ausübten. Dies ist anders mit denjenigen Theilchen, die sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit befinden. Diese sind mit ihrer Oberflächenseite keinerlei gegenseitigen Anziehungen ausgesetzt, wäh - rend auf die dem Innern der Flüssigkeit zugekehrte Seite die An - ziehungen der darunter befindlichen Flüssigkeitsschichte wirken. Die ganze freie Oberfläche einer Flüssigkeit erfährt also einen gegen das Innere gerichteten Zug, den man als Oberflächen - spannung bezeichnet. Ein bekanntes Phänomen, das auf die - ser Oberflächenspannung beruht, ist die Ansammlung von Luftblasen unmittelbar unter der Oberflächenschichte von Flüssigkeiten. Die Luft, die zu entweichen strebt, wird hier durch den in entgegengesetzter Richtung wirkenden Druck der Oberflächenspannung zurückgehalten.
Eine fernere Modification erfährt die Wirkung der Schwere auf Flüssigkeiten in Folge der Erscheinungen, welche bei der Berührung von Flüssigkeiten mit festen Körpern oder verschiedener Flüssigkeiten mit einander eintreten.
Alle festen Körper ohne Ausnahme üben auf Flüssigkeiten eine Anziehung aus, deren Grösse gleichzeitig von der Natur der Flüssig - keit und des mit ihr in Wechselwirkung tretenden festen Körpers be - dingt ist. Es zeigen sich in dieser Beziehung namentlich zwei Haupt - unterschiede. Die Anziehungskraft des festen Körpers auf die Flüssig - keit ist nämlich entweder grösser oder kleiner als die Anziehungs - kraft der Flüssigkeitstheilchen unter einander; im ersten Fall wird der feste Körper benetzt, im zweiten Fall wird er nicht benetzt von der Flüssigkeit. So ist z. B. die Anziehung, welche Holz oder Glas auf Wasser ausübt, grösser als die gegenseitige Anziehung der Wassertheilchen. Wenn man einen Glasstab in Wasser taucht und dann daraus emporhebt, so bleiben Wassertropfen an demselben haf - ten: die anziehende Wirkung des Glases überwiegt also in diesem Fall nicht bloss die gegenseitige Anziehung der Wassertheilchen, son - dern auch die Wirkung der Schwere auf die adhärirenden Tropfen. Quecksilber bleibt an Holz oder Glas nicht haften, adhärirt dagegen an einem Kupfer - oder Goldstab.
Das verschiedene Verhältniss der Cohäsion der Flüssigkeitstheil - chen zu der Adhäsion derselben an festen Körpern bedingt bemerkens - werthe Abweichungen von dem Gesetz des horizontalen Niveaus der Flüssigkeiten. Eine in einem Gefäss befindliche Flüssigkeit wird an103Molecularwirkungen flüssiger Körper.den Stellen, wo sie die Gefässwandung berührt, nur in den seltenen Fällen vollkommen horizontal sein können, in welchen die Adhäsion an der Wandung der Cohäsion der Flüssigkeit vollkommen gleich ist. Wenn dagegen die Adhäsion grösser ist als die Cohäsion, so wird die Flüssigkeit an der Wandung in die Höhe gezogen und bildet so - mit da wo sie die Wandung berührt nicht einen horizontalen sondern einen concaven Spiegel (Fig. 42 A). Wenn umgekehrt die Cohäsion
grösser als die Adhäsion ist, so wird die Flüs - sigkeit von der Wandung abgezogen und bildet daher an den Berührungsstellen mit der letzteren einen convexen Spiegel (B). Ein Beispiel für den ersten Fall ist das Wasser, ein Beispiel für den zweiten Fall das Quecksilber, wenn beide Flüssigkeiten in einem Glas - oder Holzgefässe sich befinden.
Diese Abweichungen des Niveaus von der horizontalen Oberfläche an den Berührungsstellen mit der Wandung verursachen im Verein mit der im vorigen §. erörterten Oberflächenspannung, sobald die ge - genüberstehenden Wandungen sich sehr nahe kommen, eine augenfällige Abweichung von dem Gesetz der Gleichheit der Flüssigkeitshöhe in communicirenden Gefässen. Es ist nämlich klar, dass die Oberflächen - spannung in einem engen Gefäss verschieden sein muss, je nachdem der Spiegel der Flüssigkeit horizontal, concav oder convex ist. Eine concave Oberfläche, wie in A (Fig. 43), muss eine kleinere Oberflä -
chenspannung als eine horizontale Oberfläche besitzen. Die an der Wand der Capillarröhre a emporgezogenen Theilchen üben in diesem Fall auf die unter ihnen befindlichen Flüssigkeitstheilchen eine der anziehenden Kraft der unter dem Spiegel der Flüssigkeit gelegenen Theilchen entgegen gerichtete Wirkung aus. Jene abwärts ziehende Kraft, auf welcher die Oberflächenspannung beruht, ist also in diesem Fall nicht so gross, als wenn die Oberfläche horizontal wäre. Eine convexe Oberfläche, wie in B, besitzt dagegen eine grössere Spannung. Denn hier unterstützen die seitlich auf der convexen Oberfläche in c befindlichen Theilchen die nach abwärts gerichtete Kraftwirkung. In den weiten Gefässen b und d fällt diese Abweichung nicht in Rück -104Von der Schwere.sicht, weil hier bei weitem der grösste Theil der Oberfläche horizon - tal ist. In den Capillarröhren a und c dagegen muss, da in diesen die Wandschichte der Flüssigkeit einen grossen Theil der gan - zen Oberfläche bildet, auch die Spannung der ganzen Oberfläche hier - durch beträchtlich verändert werden. Es muss also die Oberflächen - spannung in a kleiner als in b, in c muss sie grösser als in d sein. Diese Unterschiede der Oberflächenspannung wirken der Gleichheit des Drucks, welche vermöge der Schwere zwischen dem engen und dem weiten Gefäss vorhanden wäre, entgegen. In der Capillarröhre a, in welcher der Druck durch die geringere Oberflächenspannung vermindert ist, steht also die Flüssigkeit höher als in c, in der Ca - pillarröhre b, in welcher der Druck durch die grössere Oberflächen - spannung vergrössert ist, steht die Flüssigkeit tiefer als in d. So zeigt z. B. Wasser in einer Capillarröhre aus Glas das in A darge - stellte, Quecksilber das in B dargestellte Verhalten. Die ähnliche Er - scheinung beobachtet man, wenn man in eine Flüssigkeit zwei Platten bringt, die sich in sehr geringer Entfernung von einander befinden. Benetzt die Flüssigkeit die Substanz der Platten, so steigt sie zwischen denselben in die Höhe, ist dagegen die Cohäsion der Flüs - sigkeit grösser als die Adhäsion an den Platten, so steht sie zwi - schen denselben unter der Höhe des Niveaus der äusseren Flüssigkeit. Für die nämliche Flüssigkeit und die nämliche feste Substanz ist der Höhenunterschied zwischen der einer Capillarwirkung unterworfenen und der bloss unter dem Einfluss der Schwere stehenden Flüssigkeit umgekehrt proportional dem Abstand der Platten oder bei der Anwen - dung cylindrischer Capillarröhren umgekehrt proportional dem Halb - messer der letzteren.
Wir haben die Erscheinungen der Capillarwirkung zurückgeführt auf das Verhältniss der Adhäsion zwischen festen Körpern und Flüssigkeiten zu der Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen. Es kann nun aber ferner vorkommen, dass die Anziehungskräfte, welche eine Flüssigkeit auf einen festen Körper ausübt, über die Cohäsion des festen Körpers selbst überwiegen. Dieser Fall ist es, welcher die Auflösung fester Körper in Flüssigkeiten bedingt. In einer Lö - sung sind die Molecüle des gelösten Körpers umgeben von den Mole - cülen der lösenden Flüssigkeit, und das Ganze ist daher in den flüs - sigen Aggregatzustand übergegangen. Nachdem eine Flüssigkeit eine bestimmte Menge von Molecülen eines festen Körpers aufgenommen hat, tritt Gleichgewicht zwischen den festen und flüssigen Molecülen ein, und es können nun weitere Mengen des festen Körpers nicht mehr gelöst werden. Man bezeichnet diese Grenze als die Sättigungs - capacität. Jede Flüssigkeit bedarf im Allgemeinen verschiedener Mengen von den in ihr löslichen festen Körpern zu ihrer Sättigung. Zu -105Molecularwirkungen flüssiger Körper.gleich ist die Sättigungscapacität in einer übrigens nicht constanten Weise abhängig von der Temperatur. In der Regel nimmt sie mit steigender Temperatur zu, bei einigen Stoffen aber von einer gewissen Temperaturgrenze an wieder ab. Wir werden hierauf in der Lehre von der Wärme zurückkommen (vgl. Abschn. V, Cap. 2).
Die Auflösung grenzt am nächsten an die chemische Verbindung der Körper. Sie unterscheidet sich von dieser dadurch, dass sie nicht nach festen regelmässigen Zahlenverhältnissen geschieht. Sie hat da - gegen dies mit der chemischen Verbindung gemein, dass das Volumen der Lösung nicht gleich ist dem Volumen der Flüssigkeit und des festen Körpers, woraus sie hervorgieng, sondern dass sie fast regel - mässig kleiner ist, und dass daher das specifische Gewicht eine verhältnissmässige Vergrösserung erfährt. Die festen und flüssigen Molecüle müssen also unter dem Einfluss der zwischen ihnen statt - findenden Anziehungskräfte jedenfalls in eine innigere Berührung tre - ten, als sie zwischen den Theilchen der ursprünglichen Flüssigkeit besteht. Hieraus darf man schliessen, dass die Anziehungskraft zwi - schen der Flüssigkeit und dem festen Körper nicht bloss über die Cohäsion des letzteren sondern auch über die Cohasion der Flüssigkeit selbst überwiegt.
Bei gewissen festen Körpern, die namentlich der organischen Natur angehören, ist die Anziehungskraft gegen bestimmte Flüssigkei - ten nicht so gross, dass dadurch vollständig die Cohäsion des festen Körpers aufgehoben würde und dieser in den flüssigen Aggregatzu - stand übergienge, sondern entweder nimmt der feste Körper von der ihn berührenden Flüssigkeit in die Zwischenräume seiner Molecüle auf, es tritt Quellung ein, oder es trennt sich der feste Körper in einzelne gröbere Theilchen, die sich in der Flüssigkeit verbreiten; letzteres wird als unvollkommene Lösung bezeichnet. Die un - vollkommene Lösung kann hiernach als ein Gemenge kleiner, in Was - ser gequollener fester Körper mit reinem Wasser betrachtet werden. Alle organischen Gewebe, mit Ausnahme des Fettgewebes, sind im Wasser quellungsfähig. Einige Producte des Pflanzen - und Thierreichs dagegen, wie Stärke, Gummi, Eiweiss, bilden mit demselben unvoll - kommene Lösungen.
Wie feste Körper und Flüssigkeiten Anziehungskräfte auf einan -75 Diffusion von Flüssigkeiten. der ausüben, so können solche auch zwischen verschiedenen Flüssig - keiten stattfinden. Flüssigkeiten, die sich anziehen, nennt man misch - bar. So ist z. B. Wasser mischbar mit Kochsalzlösung oder mit Alkohol, dagegen nicht mischbar mit Oel oder mit Aether. Die Grösse der Anziehung, welche Flüssigkeiten auf einander ausüben, lässt sich messen, indem man sie mit einander in Berührung bringt und die Zeitdauer bestimmt, welche bis zur Vollendung einer gleichmässigen106Von der Schwere.Mischung erforderlich ist. Die Geschwindigkeit, mit der in diesem Fall sich die verschiedenen Flüssigkeiten in einander verbreiten, nennt man ihre Diffusionsgeschwindigkeit. Man hat bisher nament - lich die Diffusionsgeschwindigkeit zwischen Wasser und den Lösungen verschiedener Salze zu ermitteln gesucht und gefunden, dass dieselbe je nach der Natur der Salze beträchtliche Verschiedenheiten zeigt, dass sie aber für eine und dieselbe Salzlösung mit dem Procentgehalt wächst, indem bei gleichen Temperaturen die Menge des in gleichen Zeiten aus einer Lösung zum Wasser übertretenden Salzes der Menge des gelösten Salzes proportional ist.
Das Phänomen der Diffusion mischbarer Flüssigkeiten wird häufig noch dadurch complicirt, dass die Flüssigkeiten durch benetzbare oder quellungsfähige feste Körper von einander getrennt sind. Diese Dif - fusion durch poröse Scheidewände, die man auch als Endos - mose bezeichnet, ist nicht nur abhängig von der Anziehungskraft, welche die beiden Flüssigkeiten auf einander ausüben, sondern auch von der Anziehungskraft, welche zwischen der porösen Scheidewand und jeder der Flüssigkeiten besteht. Flüssigkeiten, deren gegen - seitige Anziehungskraft null ist, die also nicht mischbar sind, kön - nen durch eine poröse Scheidewand ebenso wenig wie bei unmittel - barer Berührung in einander diffundiren. Dagegen wird die Diffusion mischbarer Flüssigkeiten durch den Zwischentritt der Scheidewand wesentlich verändert. Während bei der freien Diffusion immer ebenso viel von der ersten zur zweiten wie von der zweiten zur ersten Flüs - sigkeit übertritt, so dass das Volum beider Flüssigkeiten stets con - stant bleibt, ist dies bei der Endosmose allgemein nicht der Fall, sondern hier diffundirt diejenige Flüssigkeit in grösserer Menge, auf welche die poröse Scheidewand eine stärkere Anziehung ausübt, und in entsprechendem Maasse ändert sich auf beiden Seiten der Scheide - wand das Volumen. Wenn man z. B. Alkohol und Wasser in einem ersten Versuch durch eine Kautschukmembran, in einem zweiten Ver - such durch thierische Blase von einander trennt, so geht im ersten Versuch mehr Alkohol zum Wasser, im zweiten Versuch mehr Wasser zum Alkohol über, denn Kautschuk ist durch Alkohol, nicht aber durch Wasser benetzbar, während das umgekehrte von der thierischen Blase gilt. Da nun die thierischen Gewebe fast sämmtlich quellungsfähig in Wasser sind, so zeigen sie allgemein die Erscheinung, dass sie bei der Diffusion zwischen Wasser und einer mit Wasser mischbaren Lö - sung den Diffusionsstrom des Wassers begünstigen.
Wegen ihrer Bedeutung für den thierischen Stoffwechsel werden die Erschei - nungen der Endosmose ausführlicher in der Physiologie abgehandelt. Lehrb. der Phy - siologie §. 29 — 40.
Jedes flüssige Theilchen fällt in Folge der Einwirkung der77 Ausströmen aus Gefässen. Toricelli’sches Theorem. Schwere auf dieselbe Weise wie ein fester Körper zur Erde. Wenn aber eine ganze Flüssigkeitsmasse in Fallbewegung geräth, so werden die einzelnen Molecüle derselben wegen ihrer geringen Cohäsion leicht von einander getrennt. Jede Flüssigkeit hat daher beim freien Fall die Neigung sich in einzelne Tropfen aufzulösen. Man kann diese Trennung verhindern, indem man entweder die Fallbewegung beträcht - lich verlangsamt, dadurch z. B. dass man die Flüssigkeit auf einer schiefen Ebene von mässiger Neigung herabfliessen lässt, oder indem man die Flüssigkeit sich innerhalb eines Gefässes bewegen lässt, wo, wenn die einzelnen Theilchen derselben sich von einander trennen sollten, ein luftleerer Raum entstehen müsste, und wo daher der Luft - druck die Cohäsion der Flüssigkeitstheilchen unterstützt. Diese Fälle, in welchen sich die Flüssigkeit in einem zusammenhängenden Strome bewegt, unterscheiden sich nun aber dadurch von der Bewegung fester Körper, dass jedes Theilchen der Flüssigkeit nicht bloss durch seine eigene Schwere, sondern auch, wie dies aus dem Princip der Fort - pflanzung des Drucks hervorgeht, durch die Schwere aller der Theil - chen bewegt wird, die sich über ihm befinden.
Diese verschiedenen Fälle der Bewegung einer Flüssigkeit kann man an einem Cylinder, wie in Fig. 44, zur Anschauung bringen, der
in seinem Boden eine Oeffnung o s besitzt und bis zum Niveau m n mit Flüssigkeit gefüllt ist. Der Flüssigkeitsstrahl, der aus der Oeffnung o s herausstürzt, befindet sich von hier an im freien Fall. Die Flüssigkeit innerhalb des Gefässes be - findet sich dagegen in einer continuirlichen Be - wegung nach der Oeffnung hin, an der, weil der Druck nach allen Richtungen gleichmässig sich fortpflanzt, die ganze im Gefäss befindliche Flüs - sigkeit Theil nimmt. Denken wir uns, statt des mittleren der Oeffnung entsprechenden Flüssig - keitscylinders o s l r befände sich ein fester Körper in dem Gefäss, so würde dieser in dem Moment, in welchem o s geöffnet wird, in Fallbewegung kommen, seine Geschwindigkeit würde von null anfangend gemäss dem Fallgesetz beschleunigt wer - den. Da nun aber o s l r eine Flüssigkeitssäule ist, so wirkt, schon bevor das Gefäss geöffnet wird, auf die Flüssigkeitsschichte o s der Druck des ganzen Flüssigkeitscylinders o s l r. Wird nun o s geöff - net, so bewegt sich daher die unterste Flüssigkeitsschichte nicht bloss108Von der Schwere.unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwere, sondern gleichzeitig unter dem Einfluss des Drucks, welchen jene Flüssigkeitssäule o s l r auf sie ausübt. Da nun der Druck, welchen jede über o s befindliche Schichte ausübt, von der Schwere der Schichte herrührt, so ist offen - bar dieser Druck gerade so gross wie die Einwirkung, welche die Schwere auf o s selbst successiv ausgeübt hätte, wenn diese Flüssig - keitsschichte die Höhe h herabgefallen wäre. Die Flüssigkeitssäule o s l r stellt also eine Kraft dar, durch welche die Schichte o s mit einer Geschwindigkeit hervorfliessen muss, die gleich jener Geschwin - digkeit ist, welche diese Schichte durch den Fall von der Höhe h er - halten hätte. Lassen wir das Niveau m n constant, indem wir fort - während neue Flüssigkeit nachfüllen, so bleibt auch die Kraft bei o s constant, und der ganze Flüssigkeitsstrom verlässt sonach mit einer constanten, der Druckhöhe h entsprechenden Geschwindigkeit das Ge - fäss. Man bezeichnet diesen Lehrsatz über die Geschwindigkeit aus Gefässen ausströmender Flüssigkeiten nach seinem Entdecker als das Toricelli’sche Theorem.
Dieses Theorem ist jedoch unter einer Vorraussetzung abgeleitet, die in der Wirklichkeit nicht strenge realisirt ist. Es ist nämlich da - bei angenommen, dass die seitlich von der Flüssigkeitssäule o s l r gelegenen Theilchen in den Strahl o s l r eintreten, ohne sich in ihrer Bewegung zu hemmen. Dies ist aber unrichtig: wenn die Theil - chen x und v (Fig. 44) die Wege x y und v y zurückgelegt haben, so müssen dieselben, indem sie bei y zusammentreffen, in ihrer Bewe - gung um so mehr sich hemmen, je mehr ihre Wege von der vertica - len Richtung abweichen. Denn man kann sich die Bewegung eines jeden Theilchens in eine verticale und in eine horizontale Componente, x u und u y, zerlegt denken, wobei je zwei entgegengesetzt gerichtete horizontale Componenten sich aufheben. Da nun die Wege dieser seitlich gelegenen Theilchen offenbar um so mehr von der verticalen Richtung abweichen, je grösser die Oeffnung des Gefässes ist, so wird eine mit der Grösse der Oeffnung zunehmende Verlangsamung des Ausflusses stattfinden. Diese Verlangsamung macht sich als eine sehr rasch geschehende Verjüngung des Strahls unterhalb der Ausfluss - öffnung geltend. Die Verjüngung erreicht ihr Maximum an jener Stelle, wo die von beiden Seiten kommenden Flüssigkeitsfäden sich treffen, und sie beträgt so viel, dass der Querschnitt des Stromes an dieser Stelle nur ungefähr ⅔ des Querschnitts der Ausflussöffnung ein - nimmt. Von der Stelle der Verjüngung des Strahls an verhält sich dann derselbe gerade so, wie dies nach dem Toricelli’schen Theorem erwartet werden müsste, wenn die Verjüngungsstelle selbst die Aus - flussöffnung wäre.
Die Menge von Flüssigkeit, die in einer gegebenen Zeit t aus einem Ge - fäss strömt, in welchem die Höhe der Flüssigkeit h ist und die Ausflussöffnung den109Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.Querschnitt q besitzt, würde nach dem Toricelli’schen Theorem offenbar, wenn die Geschwindigkeit des Ausströmens v ist, gleich v. q. t oder, weil 〈…〉 , gleich q. t. 〈…〉 sein; in Wahrheit ist sie demnach wegen der Störung der Be - wegung an der Ausflussöffnung gleich ⅔ dieser Grösse. Vermittelst dieser Relation kann man ebenso aus der Geschwindigkeit die Ausflussmenge, wie umgekehrt aus der Ausflussmenge die Geschwindigkeit und dann aus dieser die ihr entsprechende Druck - höhe bestimmen.
Von jener Stelle der stärksten Verjüngung an ist die Flüssigkeit dem freien Fall überlassen. Denken wir uns wieder den Flüssigkeits - strahl durch einen festen Körper ersetzt, so würde derselbe als ein homogener Cylinder von überall gleichem Querschnitt zu Boden fallen. Die Flüssigkeit dagegen muss sich wegen ihrer geringen Cohäsion nahezu wie ein Aggregat kleiner fester Theilchen verhalten, die nach einander aus der Oeffnung herausfallen. Wenn man nun von einer Höhe herab in einem kurzen Zeitzwischenraum zwei Körper zu Boden fallen lässt, so vergrössert sich während der Fallzeit fortwährend die Distanz der beiden Körper, weil jeder mit beschleunigter Geschwin - digkeit fällt. Ebenso muss offenbar die Distanz der aus einem Ge - fäss ausfliessenden Theilchen während ihrer Fallzeit sich vergrös - sern. Fände gar keine Cohäsion zwischen den Flüssigkeitsmolecülen statt, so würden alle Flüssigkeitsschichten von einander getrennt und in immer grösseren gegenseitigen Abstand gerathen. Nun macht sich aber hier die Cohäsion der Flüssigkeiten in ähnlicher Weise geltend wie bei der Contraction des Strahls unter der Ausflussöffnung. Der Strahl trennt sich nicht in seine einzelnen Schichten, sondern er ver - jüngt sich; nur geschieht diese durch die Beschleunigung der Schwere bedingte Verjüngung weit allmäliger als jene erste Contraction. Hat jedoch die Flüssigkeit eine bedeutende Fallhöhe, so wird die Distanzveränderung der Flüssigkeitstheilchen allmälig so gross, dass der Strahl in der That seine Continuität einbüsst. Es cohäriren dann noch einzelne Gruppen von Flüssigkeitstheilchen und tren - nen sich von den andern, der Strahl löst so zuerst in gröbere und dann bei zunehmender Fallhöhe in immer feiner werdende Tropfen sich auf.
Wenn die Flüssigkeit nicht aus der Bodenöffnung sondern aus der Oeffnung einer Seitenwand des Gefässes hervorströmt, so wird hierdurch kein wesentlicher Unterschied bedingt; wegen der allseitigen Fortpflanzung des Drucks hängt auch hier die Geschwindigkeit ab von der Höhe, in welcher sich das Niveau über der Ausflussöffnung befin - det, und auch hier wird durch die gegenseitige Bewegungsstörung der in den ausfliessenden Strahl gezogenen Theilchen dieselbe Abwei - chung von dem Toricelli’schen Theorem veranlasst. Ist die Flüssig - keit aus der Seitenöffnung ausgetreten, so bewegt sie sich ähnlich wie ein horizontal fortgeworfener Körper weiter; der Druck wirkt hier110Von der Schwere.als horizontale Wurfkraft, und der austretende Strahl beschreibt daher den Bogen einer Parabel. (S. §. 26 u. 57.)
Wesentlich modificirt werden die Erscheinungen des Ausströmens der Flüssigkeiten, wenn die Ausflussöffnung des Gefässes zunächst in eine Röhre übergeht, aus der dann erst der wirkliche Ausfluss statt - findet; dies gilt namentlich für den gewöhnlichen und uns hier auch allein interessirenden Fall, wo die Flüssigkeit die Wandung der Röhre benetzt. Aus einem Wassergefäss (Fig. 45), in dessen Seiten -
wand sich eine kreisförmige Oeff - nung m n befindet, würde, wenn diese Oeffnung unmittelbar nach aussen mündete, ein ausserhalb der Oeffnung sehr rasch auf ⅔ ih - res Lumens sich verjüngender Flüs - sigkeitsstrahl austreten. Wird nun aber an die Oeffnung m n eine cy - lindrische Röhre m r angesetzt, an deren Wandung das Wasser adhä - rirt, so wird, indem die Flüssig - keitstheilchen von der Röhrenwandung angezogen werden, die Bahn derselben sogleich in eine zur Axe der Röhre parallele übergehen, ihre gegenseitige Bewegungsstörung muss sich daher durch die Ad - häsion an der Wandung bedeutend verringern, und es wird jetzt, falls nicht durch das Ansetzen der Röhre andere Bewegungswider - stände von erheblicher Grösse eintreten, die Verlangsamung der Be - wegung eine viel kleinere sein, als wenn sich keine Röhre an dem Gefäss befände. In der That beobachtet man, dass, wenn eine kurze cylindrische Ausflussröhre an das Gefäss angesetzt wird, die Ausfluss - geschwindigkeit nur etwa um 1 / 10 geringer ist, als sie das von jeder Bewegungsstörung abschende Toricellische Theorem erfordern würde.
Geht dagegen die Oeffnung des Gefässes in eine längere Röhre über, so bedingt nun die Adhäsion an der Wandung selbst einen merklichen Widerstand für die Bewegung der Flüssigkeit. Unmittel - bar an der Wandung der Röhre bleibt nämlich eine ruhende Schichte von Flüssigkeitstheilchen haften, an welcher die bewegte Flüssigkeit sich reibt und dadurch eine Verzögerung ihrer Geschwindigkeit er - fährt. Dieser Widerstand muss offenbar unter sonst gleichen Bedin - gungen wachsen mit der Länge der Röhre. Nun muss aber zugleich die Geschwindigkeit der Flüssigkeit in der ganzen Länge der Röhre gleichförmig sein, da die Flüssigkeit aus dem Gefäss nur im selben Maass in die Röhre nachströmen kann, als sie aus dieser ausströmt. Es wird also die Geschwindigkeit des Stroms durch den Widerstand in der ganzen Röhre um gleich viel verzögert. An der Einflussöffnung111Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.m n befindet sich jedoch ein Druck, der unter allen Umständen, ab - gesehen von den an der Uebergangsstelle stattfindenden Bewegungs - störungen, der Höhe der Flüssigkeit in dem Gefäss entsprechen muss. Wenn die Röhre nur ein sehr kurzes Ansatzstück bildete, so müsste die Geschwindigkeit in ihr, wieder abgesehen von der durch die Ab - weichung vom Toricelli’schen Theorem bedingten Correction, ebenfalls unmittelbar jenem Druck entsprechen. Der nicht als Bewegung der Flüssigkeit zum Vorschein kommende Druck wird daher als Druck fortbestehen, und es ist sonach an der Einmündungsöffnung des Ge - fässes in die Röhre ein Druck vorhanden, dessen Grösse genau der Verzögerung der Geschwindigkeit, d. h. der Grösse des ganzen im Verlauf der Röhre zu überwindenden Widerstandes correspondirt. Da nun zur Ueberwindung dieses Widerstandes offenbar eine ihm an Grösse gleiche Kraft erforderlich ist, diese Kraft aber nicht durch einen Verlust an Geschwindigkeit, die ja in der ganzen Röhre constant bleibt, gewonnen werden kann, so wird nothwendig jene nicht in Geschwin - digkeit übergehende Druckkraft es sein, die den Widerstand überwin - det. Sie muss demnach auch im Verlauf der Röhre in demselben Maasse abnehmen, als bereits Widerstand überwunden ist. An der Einflussöffnung m n ist sie gleich dem Widerstand in der ganzen Röhrenlänge, an irgend einer andern Stelle wird sie gleich dem bis zum Ende der Röhre noch bleibenden Widerstand sein. Da der Wi - derstand unter sonst gleichen Bedingungen proportional der Länge der Röhre ist, so wird der Druck innerhalb der Röhre proportional der Entfernung von der Einflussöffnung m n sinken und an der Ausfluss - öffnung r s gleich null werden.
Wir können uns diese Verhältnisse leicht in folgender Weise graphisch versinnlichen. Von dem ganzen Druck m x, der an der Stelle der Einflussöffnung in die Röhre besteht, kommt sogleich durch die vorhandenen Bewegungsstörungen ein Theil p x in Abzug. Der übrig bleibende Druck m p zerfällt in einen Theil m o, der dem inner - halb der Röhre zu überwindenden Widerstand entspricht, und in einen Theil o p, der sich als Geschwindigkeit der Flüssigkeit äussert. Der Druck m o fällt ab proportional der Annäherung an die Ausflussöff - nung und wird an dieser selbst gleich null. Fügt man daher an beliebigen Stellen i, l der Röhre m r zur Messung des Drucks der Flüssigkeit andere vertical stehende Röhren ein, so ist die Linie, welche die Höhen verbindet, bis zu denen die Flüssigkeit in diesen Röhren ansteigt, eine Gerade. Die Geschwindigkeit dagegen bleibt in der ganzen Länge der Röhre constant: sie kann daher durch eine der Geraden o r parallele Gerade p q dargestellt werden. Es ist dann offenbar in einem Querschnitt i der Ausflussröhre die ganze Summe der hier vorhandenen Kräfte durch die Ordinate i g dargestellt, das Stück i f derselben ist derjenige Theil der Kraft, welchcr als112Von der Schwere.Druckkraft wirksam ist, das Stück f g der Ordinate dagegen derjenige Theil der Kraft, der als lebendige Kraft der Flüssigkeitsbewegung sich äussert. Man pflegt dem entsprechend von der im Gefäss vor - handenen Flüssigkeitshöhe m x den Abschnitt m o als Druckhöhe oder Widerstandshöhe, o p als Geschwindigkeitshöhe und p x als Höhe des Uebergangswiderstands zu bezeichnen.
Nach der beim Princip der Erhaltung der Kraft (§. 11) gebrauchten Bezeichnungs - weise entspricht in jedem Querschnitt der Röhre die Druckhöhe der Spannkraft, die Geschwindigkeitshöhe der lebendigen Kraft. Bei der Flüssigkeitsbewegung in Röhren bleibt demnach die lebendige Kraft der Flüssigkeit constant, während die Spannkraft derselben continuirlich abnimmt und zuletzt auf null sinkt. Dies widerspricht scheinbar dem Princip der Erhaltung der Kraft, da nach dem letzteren Spannkraft und lebendige Kraft zusammengenommen immer constant bleiben müssen. In der That ist aber dieser Widerspruch nur ein scheinbarer. Indem nämlich durch die Reibung der strö - menden an der der Wand adhärirenden Flüssigkeit Druckkraft verschwindet, wird die - selbe bloss in eine ihr äquivalente Menge von Wärme umgesetzt. Es geht also die am Anfang der Röhre vorhandene Druckkraft allmälig in lebendige Kraft über, aber nicht in lebendige Kraft der Vorwärtsbewegung, sondern in lebendige Kraft der Wärme, bis endlich an der Ausflussöffnung alle Spannkraft in lebendige Kraft verwandelt ist. Der wesentliche Unterschied der Bewegung von Flüssigkeiten in Röhren und der Be - wegung fester Körper auf einer Unterlage besteht somit darin, dass hier zur Ueber - windung der Reibung die lebendige Kraft der Bewegung selbst verwendet wird, daher die Geschwindigkeit eine continuirlich verzögerte ist, während dort vom Beginn der Bewegung an so viel Spannkraft vorhanden bleibt, als die Ueberwindung des Wider - stands erfordert, daher die Geschwindigkeit constant, aber von Anfang an um so geringer ist, ein je grösserer Widerstand dem ganzen Ablauf der Bewegung sich ent - gegensetzt. Wir können offenbar annehmen, dass die bewegte Flüssigkeit in dem Maasse, als sie durch die Reibung an der Wandschichte an lebendiger Kraft verliert, solche alsbald wieder zugeführt erhält durch Umwandlung aus der als Druck vorhan - denen Spannkraft. Man wird daher immerhin auch hier sich vorstellen müssen, dass die Wärme zunächst aus der lebendigen Kraft der Vorwärtsbewegung entsteht; man kann jedoch dieses Zwischenglied in der Betrachtung desshalb hinweglassen, weil die durch die Reibung erzeugte Wärme der am Anfang des Rohres vorhandenen Druck - höhe äquivalent sein muss, sobald dieselbe bewegende Kraft der Flüssigkeitsströmung erhalten bleibt. (Vergl. hierzu Abschn. V. Cap. 5.)
Wir haben bisher nachgewiesen, dass durch den Ansatz einer Röhre an ein Druckgefäss die Geschwindigkeit des Ausflusses eine Verzögerung erfährt, die unter sonst gleich bleibenden Bedingungen mit der Länge der Röhre zunimmt. Diese Verzögerung aber, die als Widerstandshöhe sich geltend macht, ist offenbar selbst abhängig von der Geschwindigkeit der Flüssigkeit, da ja die letztere nur wenn sie bewegt ist an der benetzenden Wandschichte sich reibt. Dass diese Reibung mit der Geschwindigkeit zunehmen muss, ist von vornherein klar, denn je mehr Flüssigkeitstheilchen sich an der adhärirenden Schichte vorbeibewegen, um so grösser wird die Kraft sein, die zu ihrer Losreissung von dieser Wandschichte erforderlich ist. Im All -113Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.gemeinen muss also mit der Geschwindigkeitshöhe auch die Druck - höhe zunehmen. In der That bestätigt die Beobachtung, dass der Druck der Gescnwindigkeit proportional ist. Da ferner der Druck, wenn eine gegebene Geschwindigkeit erzeugt werden soll, um so grösser sein muss, je länger die Röhre, und je enger ihr Querschnitt ist, so wird die Beziehung zwischen dem Druck p und der Geschwindig - keit v ausgedrückt durch die Gleichung p = 〈…〉 , worin l und q Länge und Querschnitt der Röhre und C eine von der Natur der Flüssigkeit abhängige Constante bezeichnet.
Für die Geschwindigkeit v ergiebt sich demnach die Gleichung v = 〈…〉 . Die Constante C ist von der Reibung der strömenden an der adhärirenden Flüssigkeit ab - hängig. Sie wird um so grösser, je zäher die Beschaffenheit der Flüssigkeit ist. Man kann sie als den Coëfficienten der inneren Flüssigkeitsreibung bezeichnen. Sobald die Flüssigkeit die Wandung benetzt, hängt der Widerstand nur von dieser inneren Reibung, nicht von der Adhäsion ab. Mit steigender Temperatur nimmt der Coëfficient C ab, also die Geschwindigkeit zu.
Der Satz, dass die Geschwindigkeit in der ganzen Länge einer80 Stromlauf in Röhren von wechselndem Durchmesser. an ein Druckgefäss angesetzten Röhre constant sei, gilt selbstverständ - lich nur so lange, als der Durchmesser der Röhre genau gleich gross bleibt. Erweitert sich oder verengert sich dagegen der Querschnitt der Ansatzröhre, so muss die Geschwindigkeit aus derselben Ursache sich verändern, aus welcher sie in einer Röhre von gleichem Durch - messer constant bleibt, nämlich wegen der Continuität der Flüssigkeit. Die letztere erfordert offenbar, dass in gleichen Zeiten durch jeden Querschnitt der Röhre gleiche Flüssigkeitsmengen hindurchtreten. Im selben Verhältnisse als der Querschnitt der Röhre sich vergrössert, finden aber in ihm mehr Flüssigkeitstheilchen Platz. Die Geschwin - digkeit der Flüssigkeit muss daher im gleichen Maasse zuneh - men, als der Querschnitt der Röhre abnimmt. Besteht also die ganze Ausflussröhre, wie in Fig. 46, aus aneinandergesetzten engeren und weiteren Röhren, so findet immer da, wo ein engeres in ein weiteres Rohr übergeht, eine plötzliche Abnahme und da, wo ein weiteres in ein engeres Rohr übergeht, eine plötzliche Zunahme der Geschwindig - keit statt. Dagegen muss der Druck an der Uebergangsstelle eines engeren in ein weiteres Rohr plötzlich zunehmen. Denn da die Flüs - sigkeit die Geschwindigkeit, die sie besitzt, beizubehalten strebt, so entsteht bei der Verminderung der Geschwindigkeit eine Zunahme des Drucks der Flüssigkeitstheilchen gegen einander und gegen die Wan - dung. Umgekehrt muss beim Uebergang aus dem weiteren in ein engeres Röhrenstück mit der Zunahme der Geschwindigkeit eine plötz - liche Abnahme des Drucks erfolgen. Auch die Schnelligkeit derWundt, medicin. Physik. 8114Von der Schwere.Druckabnahme wird sich in den einzelnen Röhrenstücken verschieden verhalten. Da die Druckveränderung immer dem Widerstande ent - spricht, welchen die Flüssigkeit auf ihrem Wege findet, und der Wi - derstand mit der Enge der Röhre zunimmt, so wird die Druckabnahme schneller in einem engeren als in einem weiteren Röhrenabschnitt er - folgen. Alle diese Verhältnisse sind durch die über dem Röhrensystem a b c d (Fig. 46) gezeichneten Linien dargestellt. Wenn a e die Druck -
höhe, e k die Geschwindigkeitshöhe an der Einflussöffnung bezeich - nen, so wird der Druck in dem ganzen Röhrenstück a b durch die Linie e f, und die Geschwindigkeit durch die ihr parallele Linie k l dargestellt. Bei b nimmt nun plötzlich die Geschwindigkeit um l m ab und der Druck um f g zu; in dem Röhrenstück b c wird dann die Veränderung des Drucks durch die Linie g h und die constante Ge - schwindigkeit durch die Linie m n bezeichnet. Endlich bei c nimmt die Geschwindigkeit wieder um n o zu und der Druck entsprechend um h i ab; in dem letzten Röhrenstück bezeichnet dann i d die Veränderung des Drucks und die ihr parallele o p die constante Ge - schwindigkeit. Die Zunahme des Drucks an der Uebergangsstelle des engeren in den weiteren Röhrenabschnitt bezeichnet man als posi - tive Stauung, die Abnahme des Drucks im umgekehrten Fall da - gegen als negative Stauung.
Die Gesammtgrösse des Widerstandes in einer mit Erweiterungen versehenen Röhre ist kleiner als in einer sonst gleich beschaffenen Röhre ohne Erweiterungen, da in jedem erweiterten Abschnitt die Flüssigkeit langsamer fliesst, und da die Berührungsfläche, an der die Flüssigkeit adhärirt, eine kleinere ist. Somit ist die Widerstandshöhe an der Einflussöffnung geringer und entsprechend die Flüssigkeits - menge grösser, die durch jeden Querschnitt der Röhre in einer gege - benen Zeit hindurchfliesst.
Man sieht leicht ein, dass auch die Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhren von ungleichem Durchmesser unmittelbar unter das allgemeine Princip der Erhaltung115Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.der Kraft sich subsumiren lassen. Im Sinne des letzteren kann man einfach sagen: beim Ueberströmen aus einer engeren in eine weitere Röhre wird lebendige Kraft in Spannkraft, umgekehrt beim Ueberströmen aus einer weiteren in eine engere Röhre Spannkraft in lebendige Kraft umgewandelt. Uebrigens ist auch hier wegen der an den Uebergangsstellen durch das Aufeinanderstossen der Flüssigkeitstheilchen bewirk - ten Widerstände weder im ersten Fall die gewonnene Spannkraft genau gleich der verschwundenen lebendigen Kraft, noch im zweiten Fall die gewonnene lebendige Kraft der Flüssigkeitsbewegung genau gleich der verschwundenen Spannkraft: sondern stets geht, ähnlich wie an der Einflussöffnung, ein gewisser Bruchtheil der Kraft in Folge der Bewegungsstörung verloren oder vielmehr in eine andere Form von lebendiger Kraft, in Wärme über.
Wir haben in §. 78 gezeigt, dass der Seitendruck in einer ge -81 Biegungen des Rohres. raden Röhre von constantem Durchmesser von der Einflussöffnung an gleichmässig sinkt, bis er an der Ausflussöffnung null wird. Dieses Gesetz verliert aber seine Gültigkeit, sobald die Röhre nicht gerade, sondern gebogen ist. Wenn die Röhre A B C (Fig. 47) bei B eine
Biegung besitzt, so muss die in der Rich - tung A B bewegte Flüssigkeit bei B einen Stoss gegen die Wandung ausüben, der die Flüssigkeit in eine rückläufige Bewegung zu versetzen strebt und daher als Wider - stand auf dieselbe einwirkt. Ist die Bie - gung stark, so erzeugt der Stoss an der Knickungsstelle eine Stauung, welche einen Theil der Flüssigkeit völlig in der Vorwärts - bewegung hemmen kann. Nichts desto we - niger muss wegen der Continuität der Flüssigkeit durch jeden Quer - schnitt des Rohrs in gleichen Zeiten gleich viel hindurchtreten: die Stauung wirkt daher wie eine Verengerung des Strombetts, und der bewegte Theil der Flüssigkeit muss sich der Verengerung entsprechend, so weit die Stauung reicht, schneller bewegen. Wie ferner bei jeder Verengerung des Rohrs eine plötzliche Veränderung des Drucks statt - findet, so muss sich dies auch an der Knickungsstelle ereignen. Be - zeichnen wir daher auf der Linie A D den Seitendruck durch verticale Ordinaten, indem wir den Theil B D dieser Linie dem geknickten Theil B C des Rohres correspondirend denken, so wird die Verände - rung des Seitendrucks durch die geknickte Linie a b c D dargestellt. Der Widerstand ist am Anfang des Rohres um die Grösse a a', den Widerstand der Stauung, grösser als bei einem Rohr von gleicher Länge ohne Knickung, an der Stelle der Stauung, von b bis c, sinkt er dann rascher und unterhalb der Stauung wieder mit gleicher Ge - schwindigkeit wie vorher. Wäre das Rohr nicht gebogen, so würde die Gerade a' D das Fallen der Widerstandshöhe ausdrücken. Hieraus ergibt sich, wie auch von vornherein schon einleuchtet, dass in Folge8 *116Von der Schwere.der Biegung des Rohres die Widerstandshöhe von der Einflussöffnung an bis an die Stelle der Biegung vergrössert ist, dass sie aber unter dieser Stelle gerade so sich verhält, als wenn gar keine Biegung vor - handen wäre. Die Geschwindigkeitshöhe in der ganzen Länge des Rohres wird hingegen durch die geknickte Linie α β γ δ dargestellt. Von b an nimmt bis ungefähr zur Mitte der Stauung bei β entspre - chend der Querschnittsveränderung des fliessenden Stromtheils die Geschwindigkeit zu und dann von β bis γ wieder ab, um hier die vo - rige Geschwindigkeit a α zu erreichen.
Bei den Strömungserscheinungen in verzweigten Röhren wir - ken fast alle Bedingungen, die wir bisher betrachtet haben, zusammen. An jeder Verzweigungsstelle findet sich eine mehr oder weniger starke winkelige Biegung. Der Gesammtdurchmesser der Röhren, die aus der Verzweigung hervorgehen, ist sehr häufig verschieden von dem Durchmesser des einfachen Rohrs, aus dem sie entspringen. Endlich wird unter allen Umständen die Berührungsfläche der Flüssigkeit und der Röhrenwandung vergrössert. Aus diesen Bedingungen, deren Effecte uns im einzelnen schon bekannt sind, lassen unmittelbar die Strömungserscheinungen in verzweigten Röhren sich ableiten. Hier interessirt uns vorzugsweise derjenige Fall, der im Gefässsystem der Thiere verwirklicht ist, wo ein Gefässrohr in mehrere Zweige von grösserem Gesammtdurchmesser sich scheidet, und wo, nachdem diese Verzweigung sich mehrfach wiederholt hat, die Zweige wieder in ein ein - ziges Rohr sich sammeln, dessen Durchmesser demjenigen des ersten Rohres annähernd gleich ist. Das einfachste Schema dieser Art ist in Fig 48, das nächst einfache in Fig. 49 dargestellt. Die Veränderungen
des Drucks in dem in Fig. 48 versinnlichten Schema werden durch die gebrochene Linie a b c d e ausgedrückt. Bei B würde, wenn bloss die Zunahme des Gesammtquerschnitts in Rücksicht fiele, ein plötzliches Ansteigen des Drucks stattfinden; umgekehrt würde, wenn bloss die winkelige Biegung ihren Einfluss geltend machte, der Druck plötzlich sinken. Beide Momente wirken also einander entgegen und können sich aufheben, so dass die Linie bei b nur eine Knickung er - fährt; eine solche muss eintreten, weil von B bis C das Strombett er - weitert ist und daher zwischen diesen zwei Punkten des Röhrensy - stems der Druck langsamer sinkt. Anders verhält es sich an der117Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.Stelle C, wo die Zweige wieder zusammenmünden. Hier muss der Druck sinken, weil das Strombett sich verengert, und weil gleichzeitig eine winkelige Biegung des Rohres stattfindet: jetzt wirken also beide Momente im selben Sinne, die Drucklinie zeigt daher bei C ein plötzliches Sinken, das stärker ist als bei der blossen Verenge - rung des Strombetts. Als eine unmittelbare Folgerung, die auch ex - perimentell bestätigt worden ist, ergiebt sich hieraus, dass in einem symmetrischen Röhrensystem der Druck nicht symmetrisch ansteigt und abfällt, sondern dass er an einer der Mitte des Röhrensystems entsprechenden Stelle m grösser ist als das Mittel des Drucks an zwei symmetrisch vor und hinter dieser Stelle gelegenen Punkten B und C. Hinsichtlich der absoluten Grösse des Drucks an der Einflussöffnung A, der Widerstandshöhe, wäre im Allgemeinen zu erwarten, dass die - selbe theils wegen der Winkelbiegung, theils wegen der Vergrösserung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung bei einem verzweigten Röhrensystem eine grössere sei als bei einer geraden Röhre. Auch diesem Einfluss wirkt aber die Erweiterung des Strombetts entgegen. Es kann daher eintreten, dass beide Momente entweder sich compensiren, d. h. dass für ein stärker verzweigtes Röh - rensystem die Widerstandshöhe nicht grösser ist als für ein einfache - res, oder dass sogar die Widerstandshöhe des verzweigten Systems kleiner wird, weil die Vergrösserung des Durchmessers den Wider - stand um mehr vermindert, als ihn die Verzweigung vergrössert. Wenn nun die Widerstandshöhe die nämliche ist, so ist offenbar auch die Geschwindigkeitshöhe in beiden Fällen gleich: es fliesst also, voraus - gesetzt, dass man dasselbe Druckgefäss anwendet, aus dem zusam - mengesetzteren System (Fig. 49) in einer bestimmten Zeit ebensoviel oder, wenn die Widerstandshöhe kleiner ist, sogar mehr Flüssigkeit aus wie aus dem einfacheren (Fig. 48). Der Winkel, unter welchem sich die Strombahn verzweigt, scheint von keinem merklichen Einfluss auf Widerstand und Geschwindigkeit.
Dass bei jeder Erweiterung der Strombahn die Widerstandshöhe abnimmt, ergibt sich unmittelbar aus der zwischen Druck und Geschwindigkeit festgestellten Beziehung 〈…〉 . Diese Abnahme des Drucks hat ihren Grund in der relativen Ver - minderung der Berührungsfläche zwischen Flüssigkeit und Röhrenwandung, da die Menge der an der Wand adhärirenden Flüssigkeit nur im einfachen Verhältniss des Durchmessers, die Menge der nicht adhärirenden Flüssigkeit dagegen im quadratischen Verhältniss des Durchmessers zunimmt. Findet nun bei einer Theilung des Rohres zugleich eine Erweiterung des Strombetts statt, so kann leicht trotzdem die Grösse der adhärirenden Fläche im Verhältniss zur Menge der strömenden Flüssigkeit ver - mindert werden oder sich gleich bleiben. Letzteres ist z. B. bei der Theilung in meh - rere Röhren von gleichem Durchmesser der Fall. Nach den Versuchen Volkmanns scheint in der That das Gleichgewicht zwischen Vermehrung und Verminderung des118Von der Schwere.Widerstandes annähernd bei Systemen von gleichem Durchmesser der Röhren, wie Fig. 48 und 49, verwirklicht zu sein. Nach den neueren Angaben von Jacobson aber bewirkt die Verzweigung in der Regel eine Vergrösserung der Ausflussgeschwin - digkeit, und nach den sorgfältigen Versuchen dieses Beobachters ist zu vermuthen, dass ausser den oben erwähnten noch andere, bis jetzt nicht näher zu übersehende Momente die Ausflussgeschwindigkeit bei der Verzweigung vergrössern.
Die oben geltend gemachten Beziehungen zwischen Widerstand, Geschwindigkeit der Flüssigkeit und Durchmesser der Ausflussröhren gelten sämmtlich nur so lange, als der Durchmesser nicht unter eine gewisse Grösse sinkt. Die Strömungserscheinungen in Capillarröh - ren stimmen mit der Flüssigkeitsbewegung in weiteren Röhren darin überein, dass auch bei ihnen der Widerstand proportional der Röhrenlänge zu - und demgemäss ebenso die Geschwindigkeit abnimmt. Sie unterscheiden sich aber dadurch, dass die Ausflussgeschwindigkeit nicht dem Querschnitt, sondern der vierten Potenz des Durchmessers der Röhre proportional ist. Dies hat offenbar darin seinen Grund, dass hier ausser der Reibung der Flüssigkeitstheilchen an einander auch die Adhäsion an der Röhrenwandung in Rücksicht kommt. Nach den Beobachtungen von Poiseuille und Hagen über den Ausfluss aus Capillarröhren ist ferner die Temperatur, die Beschaffenheit der Flüssigkeit und der Röhrenwandung von wesentlichem Einflusse, wie dies nach den allgemeinen Phänomenen der Capillarität (§. 73) schon vorausgesehen werden kann.
Die erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung in Röhrensy - stemen enthalten die wesentlichsten Principien, nach denen die Blut - bewegung in dem Röhrensystem der Kreislaufsorgane zu beurtheilen ist. Das Herz wirkt ähnlich einem Druckgefäss. Der ganze Druck, den es ausübt, ist theils Geschwindigkeits - theils Widerstandshöhe. Der ersteren entspricht die Ausflussgeschwindigkeit des Blutes aus dem Herzen, der letzteren der an der Einflussstelle in die Körper - und in die Lungenschlagader vorhandene Seitendruck. Durch diesen Seitendruck wird der ganze im System des grossen und des kleinen Kreislaufs vorhandene Widerstand gemessen. In dem Maasse als zur Ueberwindung des Widerstandes Kraft verbraucht wird, fällt in den vom Herzen entfernter liegenden Gefässen der Seitendruck. Der Ge - sammtquerschnitt des Gefässsystems nimmt zuerst beträchtlich zu und dann wieder ab: ihre grösste Erweiterung hat die Blutbahn im Capil - larsystem, ihre engsten Stellen bilden die grossen Gefässe, die am Herzen ein - und austreten. Die Blutgeschwindigkeit sinkt daher gegen das Capillarsystem und ist in diesem am kleinsten, während sie in den Venen wieder wächst, doch erreicht sie nicht völlig die Geschwin - digkeit in den grossen Arterien, weil der Gesammtquerschnitt der in119Das Ausströmen aus Gefässen und der Stromlauf in starren Röhren.das Herz einmündenden Gefässe grösser als derjenige der aus - führenden ist. Die Blutgeschwindigkeit in jedem einzelnen Theil der Gefässbahn liesse sich voraus bestimmen, wenn der zu diesem Theil gehörige Gesammtquerschnitt bekannt, und wenn die in irgend einem andern Querschnitt der Blutbahn vorhandene Geschwindigkeit ermittelt wäre. Denn nach dem Princip der Continuität der Flüssig - keiten muss in einer gegebenen Zeit durch jeden Querschnitt des Ge - fässsystems ein gleiches Quantum hindurchtreten. Es muss daher auch in einer gegebenen Zeit ebenso viel Blut durch die Venen zum rech - ten Herzen zurückkehren, als durch die Arterien ausströmt. Das - selbe Gleichgewicht muss speciell zwischen der Bahn des grossen und des kleinen Kreislaufs stattfinden: durch einen Querschnitt des Kör - pergefässsystems tritt in derselben Zeit ebenso viel Blut wie durch einen Querschnitt des Lungengefässsystems, und die Blutquanta, welche die vier Herzabtheilungen aufnehmen oder austreiben, sind sämmtlich einander gleich. Nun findet zwischen den Systemen des kleinen und des grossen Kreislaufs ein ähnliches Verhältniss statt, wie wir es in Fig. 48 und 49 schematisch dargestellt haben. Im grossen Kreislauf sind Erweiterung des Strombetts und Verzweigung viel bedeutender als im kleinen. Wir haben nun gesehen, dass nach experimentellen Ermittelungen die Ausflussmenge aus zwei derartigen Systemen nahe - hin die gleiche ist, wenn die einzelnen Röhren, aus denen dieselben zusammengesetzt sind, gleiche Länge und gleichen Durchmesser be - sitzen. Dass ein derartiges Verhältniss zwischen dem grossen und dem kleinen Kreislaufsystem wirklich stattfinde, hat jedoch weder in den anatomischen Verhältnissen noch in den physiologischen That - sachen eine Stütze. Denn wenn die letzteren auch lehren, dass die Ausflussmengen aus beiden Systemen einander gleich sein müssen, so ergibt sich aus ihnen anderseits, dass die Widerstände im kleinen Kreislauf viel unbedeutender sind als im grossen, indem die Messun - gen des Seitendrucks in der Lungenarterie viel kleinere Werthe er - geben als die ähnlichen Messungen in der Aorta. Die Compensation der Ausflussmengen muss daher hauptsächlich durch verschiedene Grösse der austreibenden Kräfte bewirkt werden. Dies findet darin seine Bestätigung, dass die Muskelwandungen der rechten Herzkam - mer schwächer als diejenigen der linken Herzkammer sind. Ueber - dies lehrt der grössere Voluminhalt der ersteren, dass die Con - traction derselben unvollständiger sein muss. Es lässt sich leicht denken, dass die beiden Herzhälften schon während ihrer Entwickelung dem Gesetz der Gleichheit der Ausflussmengen sich accomodiren, und dass also die geringere Muskelausbildung des rechten Herzens eine Folge jenes Gesetzes ist. Naheliegend sind endlich die Anwendungen, die sich aus den Strömungsgesetzen in verzweigten Röhren auf die Blutbewegung in Collateralgefässen ergeben. Wir haben bereits her -120Von der Schwere.vorgehoben, dass die Einflüsse, welche eine Verzweigung in eine grössere Anzahl von Collateralgefässen auf den Seitendruck im An - fang des Systems ausübt, immer zum Theil sich compensiren, indem Vergrösserung des Gesammtquerschnitts und Vergrösserung der be - rührenden Fläche einander entgegenwirken. Wird nun ein Collateral - gefäss plötzlich unwegsam gemacht (z. B. durch Unterbindung), so wird hierdurch ein bedeutender Widerstand eingeführt, und der Sei - tendruck muss daher steigen. Wenn sich ein Gefäss in mehrere Col - lateraläste von verschiedener Weite und Länge verzweigt, so gelten hierfür die in §. 82 entwickelten Gesetze, nach welchen im Allge - meinen die Verzweigung begünstigend wirkt für die Blutgeschwin - digkeit.
Wir haben uns bisher ausschliesslich mit der geradlinigen Fortbewegung der Flüssigkeiten beschäftigt, und nur jene an die - selbe unmittelbar sich anschliessenden Fälle einer krummlinigen Be - wegung mit in Rücksicht gezogen, die durch Einwirkung der Schwere auf eine durch einen horizontal gerichteten Stoss in Bewegung ge - setzte Flüssigkeit entstehen und vollständig den Wurfbewegungen fester Körper entsprechen (S. den Schluss von §. 77). Nun bieten aber die Flüssigkeiten vermöge der Beschaffenheit ihres Aggregatzu - standes das besondere Verhalten dar, dass sehr häufig die geradlinige Fortbewegung einer Flüssigkeitsmasse mit einer Wellenbewegung sich combinirt. So bildet eine in einer Rinne abfliessende Flüssigkeit, sobald ihr Zufluss nicht völlig gleichförmig geschieht, Wellen auf ihrer Oberfläche. Ein Fluss bildet Wellen, wenn in seinem Strombett be - trächtliche Unebenheiten vorhanden sind, oder wenn die Oberfläche des Wassers durch Winde in Bewegung gesetzt wird. Stets liegt die Ursache einer solchen Wellenbewegung darin, dass die Theilchen einer Flüssigkeit in jeder Richtung gegen einander verschiebbar sind. So - bald daher, neben der Ursache, welche die geradlinige Fortbewegung der Flüssigkeitsmasse erzeugt, noch andere Ursachen einwirken, die das Gleichgewicht der einzelnen Flüssigkeitstheilchen stören, so folgt ein jedes Theilchen beiderlei Impulsen. Zugleich schwingen hierbei die Flüssigkeitstheilchen vermöge der Geschwindigkeit, die sie durch die Gleichgewichtsstörung erfahren haben, noch einige Zeit nach dem Aufhören derselben im gleichen Sinne fort, bevor sie wieder in eine vollkommen geradlinige Fortbewegung übergehen oder zur Ruhe kom - men. Um das complicirte Phänomen der Bewegung solcher in Wellen - schwingungen befindlicher Flüssigkeiten zu verstehen, müssen wir zu -121Von der Wellenbewegung der Flüssigkeiten.nächst die Wellenbewegung der Flüssigheiten für sich in’s Auge fas - sen und dann die Erfolge betrachten, die eintreten, wenn die Wellen - bewegung mit der geradlinigen Fortbewegung zusammenwirkt.
In einer vollkommen ruhenden Flüssigkeit mit freier Oberfläche entsteht jedesmal eine Wellenbewegung, wenn das Gleichgewicht an irgend einer Stelle dieser Oberfläche momentan gestört wird, sei es dadurch, dass man plötzlich einen Körper in die Flüssigkeit taucht oder neue Flüssigkeit zufliessen lässt, sei es dadurch, dass man einen Theil der Flüssigkeit entfernt. Wenn man z. B. einen Stein in’s Was - ser wirft oder auf einen ruhenden Wasserspiegel einen Tropfen fallen lässt, so geht von der Stelle, deren Gleichgewicht auf diese Weise gestört wurde, eine kreisförmig fortschreitende Welle aus, die immer schwächer wird und endlich erlischt. Zuerst erhebt sich die um die gestörte Stelle zunächst liegende Flüssigkeit zu einem Wellenberg; während dieser in ein Wellenthal übergeht, erhebt sich die ihn un - mittelbar umgebende Flüssigkeit zu einem Berg, u. s. f. Ist dagegen die Gleichgewichtsstörung dadurch zu Stande gekommen, dass man (z. B. mittelst einer Röhre, an der man saugt) eine kleine Quantität Flüssigkeit entfernt hat, so sinkt zunächst die um die gestörte Stelle liegende Flüssigkeit unter ihr bisheriges Niveau, sie bildet also ein Wellenthal, während sie dann höher als zuvor sich erhebt, in einen Wellenberg übergeht, sinkt die sie umgebende Flüssigkeit unter das Niveau und bildet ein Wellenthal, u. s. f. In beiden Fällen geschieht demnach die Fortpflanzung in entgegengesetzter Weise: im ersten Fall breitet ein Wellenberg sich aus, dem das Wellenthal erst nach - folgt, im zweiten Fall breitet ein Wellenthal sich aus, dem der Wel - lenberg nachfolgt. Man nennt, der früher (in §. 30 und 35) eingeführ - ten Bezeichnung entsprechend, jene Fortpflanzung des Wellenbergs eine positive Welle, diese Fortpflanzung des Wellenthals dagegen eine negative Welle. Mit der ersten kreisförmigen Ausbreitung der Welle ist die ganze Wellenbewegung gewöhnlich noch nicht zu Ende. Ist eine positive Welle erregt worden, so kehrt der um die gestörte Stelle liegende Theil der Flüssigkeit nicht unmittelbar, nach - dem er eine Welle gebildet hat, wieder zur Ruhe zurück, sondern er erhebt sich vermöge der erlangten Geschwindigkeit noch einmal zu einem Wellenberg, dem ein zweites Wellenthal folgt, u. s. f. Diese folgenden Wellen breiten ähnlich wie die erste sich aus, aber sie werden immer schwächer, bis endlich die Wellenbewegung gänzlich erlischt. Aehnliche Nachschwingungen folgen auch auf eine negative Welle, hier folgt nach Ablauf der ersten Welle zunächst ein zweites Wellenthal, u. s. f.
Die Ursache dieser Wellenbewegungen ergibt sich aus den früher erörterten Gesetzen des Aggregatzustandes der Flüssigkeiten. Wenn122Von der Schwere.wir einen Körper in eine Flüssigkeit werfen, so bildet derselbe durch die lebendige Kraft seines Falls eine Vertiefung, und die von ihm verdrängte Flüssigkeit muss sich wie ein Wall um diese Vertiefung erheben. Da aber die Flüssigkeit nur bei vollkommen horizontalem Niveau im Gleichgewicht ist, so muss jener emporgetriebene Wall vermöge seiner Schwere wieder herabfallen. Dabei erlangt er nun eine gewisse lebendige Kraft, so dass er unter das Niveau sinkt. In Folge dessen wirkt er auf die ihn umgebende Flüssigkeit gerade so wie der hineingeworfene Körper auf ihn selbst wirkte, und so muss, allmälig schwächer werdend, die Welle kreisförmig sich fortpflanzen. Völlig ähnlich verhält es sich mit der negativen Welle, nur ist bei ihr die Aufeinanderfolge der Gleichgewichtsstörungen die umgekehrte.
Die Bahn, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen bei der Wellenbewegung beschreiben, ergibt sich aus einer sehr einfachen Be - trachtung. Offenbar wird nämlich ein Flüssigkeitstheilchen in jedem Augenblick in demjenigen Sinn bewegt, in welchem sich die Welle bewegt, an der es Theil nimmt. Wenn also ein Wellenberg entsteht, so wird ein an der Stelle desselben befindliches Theilchen vorwärts und aufwärts gedrängt, sinkt der Berg wieder, so muss sich das Theilchen vorwärts und abwärts bewegen. Die während der Dauer des Wellenbergs beschriebene Bahn eines Theilchens wird also durch A (Fig. 50) dargestellt, wobei die Pfeilspitze die Richtung der Bewe -
gung anzeigt. Geht dann der Wellenberg in das Wellenthal über, so wird jedes Theilchen zuerst nach rückwärts und abwärts und dann nach rückwärts und aufwärts bewegt, während der Dauer des Wellen - thals wird also die Bahn durch B dargestellt. Combiniren wir beide Bewegungen, so erhalten wir C, die Bahn eines Theilchens während der Dauer einer ganzen Welle. Dabei ist vorausgesetzt, dass der Wellenberg ebenso hoch ist als das Wellenthal tief ist. Man sieht, dass in diesem Fall ein einzelnes Flüssigkeitstheilchen nach Beendigung der Wellenbewegung sich wieder am selben Ort befindet, den es im Anfang einnahm. Die Welle ist nur eine fortschreitende Form, sie besteht nicht in einer Vorwärtsbewegung der Flüssigkeit. Leicht lässt das Fortschreiten der ganzen Wellenform aus der Bewegung jedes einzelnen Theilchens sich ableiten. Wir wollen vorerst der Ein - fachheit wegen die Bahn der Flüssigkeitstheilchen als kreisförmig voraussetzen. Betrachten wir nun alle Flüssigkeitstheilchen, welche die Oberfläche der Welle A (in Fig. 51) bilden, so wird jedes der -123Von der Wellenbewegung der Flüssigkeiten.
selben auf seiner kreisförmigen Bahn in gleichen Zeitmomenten gleiche Wegstrecken zurücklegen. Indem das Theilchen 1 in a nach 2 ge - langte, sind auch 1 b, 1 c, 1 d u. s. w. nach 2 vorgeschritten. Ver - binden wir also sämmtliche Orte 2 durch eine Linie, so erhalten wir die durch die punktirte Linie B bezeichnete Lage der Welle A im nächsten Zeitmomente. Die Welle B hat aber vollkommen dieselbe Gestalt wie die Welle A, sie ist nur um eine kleine Strecke nach vorwärts bewegt. Ebenso befindet sich die Welle in ein einem dritten Moment in C, wir haben sie in dieser Lage wieder durch eine ausge - zogene Linie dargestellt. Hat sich das Theilchen 1 bis nach 4 be - wegt, hat es also eine halbe Schwingung zurückgelegt, so wird da wo sich im Moment 1 der Wellenberg A befindet ein Wellenthal sein. Dagegen befindet sich wieder ein Wellenberg bei A, wenn das Theilchen nach 1 zurückgekehrt ist, also eine ganze Schwingung vollendet hat. Solche durch eine Gleichgewichtsstörung erzeugte Flüs - sigkeitswellen, bei denen jedes einzelne Theilchen fortwährend in sich zurückkehrende Bahnen beschreibt, entsprechen offenbar vollständig den in §. 40 betrachteten stehenden Schwingungen; sie sind nur die besondere Form, in welcher die stehenden Schwingungen der Flüssigkeitswellen auftreten.
Die Bahnen, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen bei der Wellenbewegung beschreiben, sind im Allgemeinen nicht, wie hier an - genommen wurde, von kreisförmiger, sondern von elliptischer Form, wobei die grössere Axe der Ellipse parallel ist der Oberfläche der ruhenden Flüssigkeit. Unmittelbar an der Oberfläche nähern sich die Ellipsen am meisten der Kreisform, tiefer unten wird die verticale Axe der Ellipsen immer kleiner, und zuletzt gehen die Theilchen nur noch in horizontaler Richtung hin und her. Diese Bewegungen lassen sich unmittelbar wahrnehmen, wenn man kleine feste Körper, die ein glei - ches specifisches Gewicht mit dem Wasser besitzen, in diesem ver - theilt hat und dann Wellen erregt. Die festen Körperchen beschreiben in diesem Fall die nämlichen Bahnen wie die Wassertheilchen.
Wir haben bisher vorausgesetzt, der Wellenberg sei an Länge87 Verschiedenheit von Wellen - berg und Wel - lenthal. Vor - und rückwärts schreitende Wellen. ebenso gross als das Wellenthal. Ist dies nicht der Fall, so entsteht eine wesentliche Veränderung in der Bewegung der Flüssigkeitstheil - chen. Nehmen wir znnächst an, der Wellenberg sei länger als das124Von der Schwere.Wellenthal, so wird ein Theilchen, das wie vorhin während des An - und Absteigens der Bergwelle die Bahn a b beschrieben hat, nun während des Verlaufs der Thalwelle die kleinere Bahn b c (Fig. 52 A) zurücklegen. In diesem Fall gelangt also das Theilchen nach Been -
digung der Welle nicht vollständig in seine Anfangslage zurück, son - dern es ist um die Strecke a c vorwärts geschritten. Wenn nun eine neue Welle entsteht, so beschreibt das Theilchen während des Ablaufs derselben noch einmal die ähnliche Bahn, und so legt z. B. während vier auf einander folgender Wellen ein Theilchen den Weg von a bis f (Fig. 52 B) zurück. Setzen wir hingegen voraus, das Wellenthal entstünde zuerst und sei grösser als der darauf folgende Wellenberg, so wird das Theilchen während der Zeit des Wellenbergs den Bogen b c beschreiben (Fig. 53 A). Hier wird sich also das Theilchen um
die Strecke a c rückwärts bewegt haben, und während vier auf einan - der folgender Wellen wird es den Weg a f (Fig. 53 B) zurücklegen. Hieraus ergiebt sich die Regel, dass sobald Wellenberg und Wellen - thal nicht einander gleich sind eine Fortbewegung der Flüssig - keitstheilchen stattfindet, und dass diese Bewegung vorwärts gerich - tet ist, d. h. mit der Fortpflanzungsrichtung der Welle zusammenfällt, wenn die Länge des Wellenbergs überwiegt, und dass umgekehrt die Bewegung rückwärts d. h. der Fortpflanzung der Welle entgegen - gesetzt gerichtet ist, wenn die Länge des Wellenthals grösser ist. In diesen Fällen ist also stets mit der Wellenbewegung eine Strömung der Flüssigkeit verbunden.
So hat uns die Betrachtung der Bahn der Flüssigkeitstheilchen von selbst auf die Combination der Strömungsbewegung mit der Wellenbewegung geführt. Wenn in einer strömenden Flüssig - keit positive Wellen erregt werden, z. B. dadurch, dass die Flüssig - keit mit zu - und abnehmender Geschwindigkeit einströmt, so müssen die Flüssigkeitstheilchen einen Weg wie in Fig. 52 beschreiben. Je schneller nach einander die positiven Wellen erregt werden, um so grösser werden die Wellenberge im Verhältniss zu den Wellenthälern. 125Stromlauf in elastischen Röhren.Kommt in dem Moment wo der Berg in das Thal übergehen sollte schon eine neue Welle an, so verschwinden die Wellenthäler gänzlich, und die Bahnen, welche die einzelnen Flüssigkeitstheilchen beschrei -
ben, werden dann durch die Fig. 54 A dargestellt. Mit Strömung verbundene negative Wellen, wie in Fig. 53, las - sen sich erzeugen, wenn man z. B. eine in einem Reservoir befindliche Flüssigkeit auspumpt. Bei jedem Pum - penstoss entsteht eine negative Welle, die sich ausbreitet, während zugleich die Flüssigkeitstheilchen gegen die Pumpe hin, also der Fortpflanzung der Welle entgegengesetzt, bewegt werden. Hier werden natürlich die Wellenthäler relativer immer grösser, je schneller die Pumpenstösse sich folgen, bis endlich eine der Fig. 54 B entsprechende Form entsteht.
Die Gesetze der Wellenbewegung von Flüssigkeiten finden eine88 Einfluss der Elasticät des Rohrs auf den Stromlauf. physiologisch wichtige Anwendung auf die Bewegung der Flüssigkei - ten in ausdehnsamen elastischen Röhren. Wir haben uns früher auf die Untersuchung der Flüssigkeitsbewegung in einem Röh - rensystem mit starren unausdehnsamen Wänden beschränkt, in wel - chem im Allgemeinen immer die Bewegung als eine geradlinige Strö - mungsbewegung angesehen werden muss. Die Ausdehnbarkeit der Wandungen gestattet nun den Flüssigkeitstheilchen eine Abweichung von der geradlinigen Bahn. Innerhalb einer elastischen Röhre kann daher eine Flüssigkeit nicht nur in Strömungsbewegung sondern auch in Wellenbewegung befindlich sein. Es ist übrigens leicht einzusehen, dass auch in der elastischen Röhre nur dann eine Wellenbewegung der Flüssigkeit möglich ist, wenn die Kraft, welche die Bewegung er - zeugt, stossweise einwirkt. Bei einem continuirlichen Druck von constanter Grösse würde das dehnbare Rohr sehr bald in seiner gan - zen Länge die dem Druck entsprechende Ausdehnung annehmen, worauf sich die Flüssigkeit in ihm gerade so wie in einer starren Röhre bewegen müsste.
Wir beziehen unsere Betrachtung sogleich auf ein mit Flüssig - keit gefülltes Röhrensystem, in welchem die einzelnen Stösse in regel - mässigen Perioden auf einander folgen, und in welchem die Flüssigkeits - menge dadurch constant bleibt, dass bei jedem Stoss ein dem einge - drungenen gleiches Quantum von Flüssigkeit das System verlässt. Dies sind die Bedingungen, die beim Kreislauf des Blutes in der That126Von der Schwere.verwirklicht, aber dadurch noch complicirt sind, dass derselbe aus zwei mit einander zusammenhängenden Systemen dieser Art besteht.
Jeder elastische Körper übt auf eine ihn ausdehnende Kraft eine dieser Kraft gleiche Gegenwirkung aus, durch die er in seine frühere Form zurückzukehren strebt und wirklich zurückkehrt, sobald die Kraft entfernt wird. Treiben wir daher in ein bereits gleichmässig mit Flüssigkeit erfülltes elastisches Rohr ein neues Quantum von Flüssig - keit, so wird das Rohr an der Stelle, wo die Flüssigkeit eindringt, ausgedehnt. Nach Maassgabe dieser Ausdehnung übt es einen Druck auf seinen Inhalt aus. Dieser wird in Folge dessen in die nächste, noch nicht ausgedehnte Strecke des Rohrs gedrängt, es entsteht nun an dieser zweiten Stelle eine Ausdehnung, während sie an der ersten verschwindet. So wird die Ausdehnung successiv über die ganze Röhre bis an das entgegengesetzte Ende derselben fortschreiten. Wenn dieses letztere verschlossen wäre, so würde das an dasselbe grenzende Röhrenstück bei seiner Rückkehr zum früheren Volum die Flüssigkeit wieder rückwärts treiben: es würde dann die Welle mit abnehmender Stärke mehrmals hin - und herschreiten, bis die Röhre in dem neuen ausgedehnten Zustand im Gleichgewicht wäre. Unter der hier an die Spitze gestellten Voraussetzung aber, dass aus dem Röh - rensystem dasselbe Quantum Flüssigkeit ausströmt, als in dasselbe einströmt, wird, nachdem die Welle an das Ende der Röhre gelangt ist, dieses so weit sich entleeren, dass es wieder auf sein früheres Lumen zurückkehrt, und es wird damit die ganze Wellenbewegung des elastischen Rohrs ein Ende haben. Wir haben es also in diesem Fall nur mit fortschreitenden Wellen zu thun, wobei nach jeder Welle die Flüssigkeit in Ruhe kommt, bis durch einen neuen Stoss eine neue Welle erzeugt wird.
Es ist von vornherein klar, dass die Geschwindigkeit der Flüs - sigkeitsströmung durch die Ausdehnbarkeit der Röhre, in der die Flüssigkeit eingeschlossen ist, bedeutend verlangsamt werden muss. Aus einem vollkommen starren Rohr müsste im selben Moment, in welchem am einen Ende Flüssigkeit eingelassen wird, am andern Ende ein gleiches Quantum ausfliessen. Aus dem dehnbaren Rohr wird aber dieses Quantum erst dann ausgeflossen sein, wenn die Welle ihren Weg über die ganze Länge des Rohres zurückgelegt hat. Zu - gleich muss aber dieses Quantum auch langsamer ausfliessen, als es in die Röhre eingetrieben wurde. Denn wie es keinen vollkommen starren Körper giebt, und daher jene Voraussetzung der Strömung in einem starren Rohr nie in aller Strenge verwirklicht ist, ebenso wenig gibt es einen so ausdehnsamen Körper, dass derselbe nicht einen gewissen Widerstand der dehnenden Kraft entgegensetzt. Wenn also Flüssig - keit in ein Rohr eingetrieben wird, so wird, während dasselbe an127Stromlauf in elastischen Röhren.dieser Stelle sich ausdehnt, doch auch zugleich der Stoss in der Richtung der Längsaxe der Röhre auf die Flüssigkeit sich fort - pflanzen. Die ganze in der Röhre enthaltene Flüssigkeit geräth da - durch in eine geradlinige Strömungsbewegung. Im Moment, in wel - chem das Eintreiben der Flüssigkeit aufhört, hat der erste Abschnitt der Röhre das Maximum seiner Ausdehnung erreicht und beginnt nun wieder auf sein früheres Lumen zurückzukehren. Dies wirkt aber offenbar auf alle folgenden Abschnitte der Röhre gerade so, als wenn das Eintreiben der Flüssigkeit noch fortdauerte, und es wird demnach in ihnen auch die geradlinige Strömung der Flüssigkeit andauern. Im zweiten Abschnitt der Röhre kommt, wie vorhin beim ersten, hierzu noch die Erweiterung des Lumens durch die in Folge der Einsinkung des ersten Abschnitts eingetriebene Flüssigkeit. Diese pflanzt sich auf den dritten, vierten Abschnitt u. s. w. fort. Auf diese Weise wird in jedem Röhrenstück, so lange irgend ein vorausliegender Abschnitt desselben nach vorausgegangener Ausdehnung in Verengerung be - griffen ist, eine vorwärtsgehende Strömung der Flüssigkeit vorhanden sein. In demjenigen Abschnitt aber, welcher selbst unter dem Einfluss der eingetriebenen Flüssigkeit sich ausdehnt und dann verengt, wird die Schwingung der elastischen Wandung auf die Bewegung der in ihr enthaltenen Flüssigkeit sich übertragen, es wird also jedes Flüssig - keitstheilchen eine ähnliche Bewegung ausführen, wie wir sie bei der Wellenbewegung der Flüssigkeit kennen gelernt haben, denn es folgen an dem elastischen Rohr und demzufolge auch an seinem Inhalt Berg - und Thalwelle in ähnlicher Weise auf einander wie an der Oberfläche einer Flüssigkeit, die in Wellenbewegung begriffen ist. Wäre das Ende des Rohrs verschlossen, so würde jedes Theilchen eine ellipti - sche, in sich zurücklaufende Bahn beschreiben, wie in Fig. 50 C. Da dies nach unserer Voraussetzung nicht der Fall ist und daher der ganze Inhalt des Rohrs, so lange ein Ausfliessen stattfindet, in einer vorwärtsgehenden Strömung begriffen ist, so muss die fortschreitende Bewegung mit der Wellenbewegung sich combiniren. Die Bewegung eines Flüssigkeitstheilchens in irgend einem von der Einflussöffnung entfernt gelegenen Abschnitt der Röhre wird also ungefähr die Form wie in Fig. 52 darbieten. Je weiter entfernt der betreffende Röhren - abschnitt von der Einflussöffnung des Rohres liegt, um so flacher wird die Welle, um so mehr tritt der in sich zurücklaufende gegen den fortschreitenden Theil der Bahn zurück, bis endlich die Wellenform ganz verschwindet und die Flüsigkeitstheilchen nur noch geradlinig sich fortbewegen.
Es ist nun klar, dass da wo die Wellenbewegung ein Ende hat und nur noch die Strömungsbewegung vorhanden ist, die Geschwin - digkeit der letzteren auch eine gleichförmige geworden sein muss. Denn ungleichförmig wird die Strömung ja nur in Folge der Wellen -128Von der Schwere.bewegung, und wo in einem elastischen Rohr Ungleichförmigkeiten der Strömung vorhanden sind, da muss nothwendig die Wandung des - selben in Wellenbewegungen gerathen, die sich der Flüssigkeit mit - theilen. Angenommen, in einem Röhrenabschnitt nehme die Geschwin - digkeit der Flüssigkeit zu, so muss die unter diesem Abschnitt gele - gene Stelle der Röhre in Folge des vermehrten Einströmens sich aus - dehnen; nimmt dann die Geschwindigkeit des Einströmens ab, so muss sich umgekehrt das Lumen der Röhre zusammenziehen.
Je dehnbarer die Wandung des elastischen Rohrs ist, um so höher wird die in ihm verlaufende Flüssigkeitswelle, und um so kürzer deren Länge. Denn giebt die Wandung verhältnissmässig leicht dem Druck der Flüssigkeit nach, so wird der an der Einmün - dungsstelle gelegene Abschnitt der Röhre schnell so weit ausgedehnt, dass er die hineingetriebene Flüssigkeitsmenge vollständig zu fassen vermag. Sind dagegen die Wandungen unnachgiebiger, so ist der entstehende Wellenberg lang, aber weniger hoch. Entsprechend muss die Geschwindigkeit, mit welcher die Wellenbewegung sich fortpflanzt, zunehmen, je starrer die Röhre wird. Eine vollkommen starre Röhre bildet gleichsam die Grenze, indem in ihr die Bewegung mit unend - licher Geschwindigkeit sich fortpflanzt und die Länge der Welle un - endlich gross, ihre Höhe aber unendlich klein, d. h. die Wellenbewe - gung zu einer geradlinigen Fortbewegung der Flüssigkeit wird.
Die Ausdehnung, welche die Wandung einer elastischen Röhre erfährt, ist ausser von der Ausdehnbarkeit derselben auch von der Grösse des Drucks abhängig, welchen die eingetriebene Flüssigkeit ausübt. Nun entspricht aber der Druck an der Einflussöffnung der Summe der Widerstände, welche die Flüssigkeit bei ihrer Bewegung zu überwinden hat, und er nimmt demzufolge in dem Maasse ab, als bereits Widerstände überwunden sind. So sinkt z. B., wie wir ge - sehen haben, in einem verzweigten Röhrensystem der Druck beträcht - lich unterhalb den Verzweigungsstellen. Entsprechend muss demnach auch die Wellenbewegung unter den Verzweigungsstellen abnehmen.
Vergleichen wir die Bewegung einer in einem elastischen Röh - rensystem eingeschlossenen Flüssigkeit mit der Bewegung, wie sie unter sonst gleichen Bedingungen in einem System mit starren Wan - dungen stattfindet, so besteht sichtlich die Hauptdifferenz darin, dass in dem ganzen Verlauf des starren Röhrensystems die Bewegung der Flüssigkeit vollständig dem stossweisen Eindringen derselben an der Einflussöffnung entspricht, dass daher in einem gegebenen Zeitpunkt durch alle Querschnitte des Systems immer gleich viel Flüssigkeits - theilchen hindurchdringen, somit auch die Veränderungen der Ge - schwindigkeit während der einzelnen Stösse im ganzen System einan - der vollständig correspondiren, nämlich zuerst auf ein Maximum an -129Stromlauf in elastischen Röhren.wachsen und dann wieder sinken, so dass in dem Moment wo der Druck an der Einflussöffnung ein Ende hat auch die Flüssigkeit im ganzen Röhrensystem wieder zur Ruhe zurückkehrt. In dem elasti - schen Röhrensystem dagegen nehmen nur die unmittelbar an der Ein - flussöffnung gelegenen Theilchen die der jeweiligen Periode des Stos - ses correspondirende Geschwindigkeit an, so dass an der Stelle der Einflussöffnung die Bewegung von null an auf ein Maximum steigt und dann wieder auf null zurücksinkt; selbstverständlich sind es hier - bei nicht die nämlichen Theilchen, welche successiv diese Phasen der Geschwindigkeit zeigen, sondern jedes Theilchen hat nur während seines Durchtretens durch jene Oeffnung die der gerade vorhandenen Periode des Stosses entsprechende Bewegung. In allen entfernter ge - legenen Abschnitten des Röhrensystems dagegen ist in dem Moment, in welchem der Stoss aufhört, noch eine durch die fortschreitende Welle bedingte Bewegung der Flüssigkeit vorhanden. Der Zeitpunkt, während dessen die Flüssigkeit in Ruhe ist, wird daher schon am allernächsten Röhrenabschnitt kleiner, und entfernt man sich so weit von der Einflussöffnung, dass ein neuer Stoss schon beginnt, ehe die Welle bereits über die betreffende Stelle hinausgegangen ist, so wird gar keine Unterbrechung der Bewegung, sondern nur eine abwech - selnde Zunahme und Abnahme der Geschwindigkeit stattfinden. Auch die Unterschiede dieser Zu - und Abnahme werden immer geringer, bis sie endlich an dem Punkt, wo die Welle erlischt, verschwinden und einer völlig gleichförmigen Bewegung Platz machen. Das wesentliche Merk - mal der Flüssigkeitsbewegung in einem elastischen Röhrensystem be - steht in dieser allmäligen Transformation der stossweisen in eine gleichförmige Bewegung, welche Umwandlung um so rascher ge - schieht, je schneller die Welle des elastischen Rohrs in Folge der in dem System vorhandenen Widerstände erlischt.
Die Anwendung der erörterten Gesetze der Flüssigkeitsbewegung91 Anwendung auf die Blut - bewegung in den Gefässen. in elastischen Röhren auf die Verhältnisse des Blutkreislaufs ist eine naheliegende. Die Blutgefässe bilden zwei zusammenhängende Sy - steme elastischer Röhren, das grosse und das kleine Kreislaufsystem, in deren jedem vom einen Ende aus bei der Zusammenziehung der Herzkammern eine positive Welle, vom andern Ende aus bei der Er - weiterung der Vorhöfe eine negative Welle sich fortpflanzt. Da die positive Welle eine Fortbewegung der Flüssigkeit in der Richtung ihres Verlaufs, die negative Welle dagegen eine Fortbewegung in der ihrem Verlauf entgegengesetzten Richtung zur Folge hat, so wirken beide Wellenbewegungen auf die Strömung der Flüssigkeit im gleichen Sinne. Die positive Welle ist die stärkere, weil in den grossen Ar - terien schon zuvor das Blut unter einem höheren Druck als in den grossen Venen steht, die erstere pflanzt daher auch weiter sich fort,Wundt, medicinische Physik. 9130Von der Schwere.sie erlischt erst am Eingang in das Capillarsystem, während die negative Venenwelle nur im Anfang des Venensystems zur Beobach - tung kommt. Bis in die kleinsten Arterien verliert die positive Welle wenig an ihrer Kraft, erst hier wachsen durch zahlreiche Verzweigun - gen die Widerstände so bedeutend, dass die Welle fast plötzlich ihr Ende erreicht. Die Bewegung des Blutstroms ist theils von diesen Verhältnissen der Fortpflanzung der Welle, theils von dem Rhythmus der Herzbewegungen abhängig. Während der Herzpause muss die Geschwindigkeit des Stroms am Eingang in das Arteriensystem null sein; der Blutstrom ist desshalb hier ein intermittirender. Aber die Herzbewegungen folgen schnell genug auf einander, dass schon in den aus der Verzweigung der Körperschagader hervorgehenden Stämmen die Bewegung des Blutes nie vollkommen still steht, sie ist daher in diesen eine remittirende und bleibt dies bis in das Capil - larsystem, wo sie in eine gleichförmige Strömung sich umwandelt; also solche erhält sie sich bis in die grösseren Venen, wo durch die negative Welle von neuem Remissionen auftreten. Doch wird sogar an der Einmündungsstelle des Venensystems die Bewegung nicht wie - der intermittirend, da hier, auch wenn die negative Welle nicht vor - handen wäre, doch immer noch ein continuirliches Ausströmen in Folge der positiven Welle im Arteriensystem übrig bliebe.
Die positive Welle der Arterien gibt sich uns als Arterienpuls zu erkennen. Die physikalische Beschaffenheit des Arterienpulses ist eines der wichtigsten Merkmale für die Beurtheilung der Zustände und Functionen der Kreislaufsorgane. Wir haben daher zum Schlusse die - ses Capitels noch die wichtigsten bei der Untersuchung des Pulses massgebenden physikalischen Gesichtspunkte hervorzuheben. Das ein - fachste und in gewissem Sinn unentbehrliche Hülfsmittel dieser Unter - suchung ist die tastende Hand. Diese unterscheidet zunächst die Geschwindigkeit in der Aufeinanderfolge der einzelnen Pulswellen, welche stets genau derjenigen Geschwindigkeit entsprechen muss, mit welcher an der Ursprungsstelle des Arteriensystems durch die Contrac - tionen der Herzkammern die einzelnen Wellen erzeugt werden. Alle Unregelmässigkeiten im Rhythmus des Pulses, mögen sie nun darin bestehen, dass der Puls Pausen von verschiedener Dauer macht, oder darin, dass er abwechselnd stärker und schwächer wird, müssen daher auf entsprechende Unregelmässigkeiten der Zusammenziehungen des Herzens bezogen werden. Dagegen können die in der Beschaffenheit der einzelnen Blutwelle zu beobachtenden Unterschiede bald von der ursprünglichen Erzeugungsart der Welle bald von der Eigenthüm - lichkeit der Gefässwandung, an welcher die Welle verläuft, abhängig sein.
In letzterer Beziehung können wir die grössere oder geringere131Stromlauf in elastischen Röhren.Erfüllung der Gefässe mit Blut und die grössere oder geringere Spannung der Gefässwände unterscheiden. Je mehr eine Arterie an - gefüllt ist, um so stärker ist auch die Spannung ihrer Wandung. Aber ausserdem ist die Spannung auch abhängig von dem Zustand der Mus - keln, namentlich der Kreismuskelfasern, welche in die Zusammensetzung der Wandungen eingehen. Wenn diese sich zu contrahiren und dem - nach das Lumen der Gefässe zu verengern streben, so wird dadurch die Spannung vergrössert, während die Spannung abnimmt, wenn die Ge - fässmuskeln erschlafft sind. Aus diesem Grunde unterscheidet man einen vollen oder leeren und einen harten oder weichen Puls. Voll ist der Puls, wenn die Arterie stark mit Blut angefüllt ist; hart nennt man ihn, wenn die Spannung der Arterie beträchtlich ist. Für die Beurtheilung des Zustandes der Arterienwandung ist auch der Umstand, ob man den Puls mehr oder weniger deutlich zu fühlen vermag, nicht unwesentlich. Ein schwacher Puls kann entweder von Schwäche der Herzaction oder von einer Bedeckung der Arterie durch andere Weichtheile oder von einer starken Verengerung ihres Lumens oder aber endlich von einer Rigidität der Arterienwandungen herrühren. Wenn diese, wie es im höheren Alter häufig geschieht, die Beschaffenheit starrer Röhren an - nehmen, so kann der Puls fast gänzlich verschwinden. Am wichtigsten
ist endlich die Art und Weise, wie die Pulswelle in der Zeit ver - läuft. Mittelst der blossen Beta - stung kann dieser Verlauf nur un - vollkommen beurtheilt werden. Zu einer genaueren Feststellung des - selben bedient man sich daher der graphischen Aufzeichnung des Verlaufes der Pulswelle durch ei - nen auf die Arterie gesetzten He - bel. Wir werden die zweckmässig - ste Methode der graphischen Auf - zeichnung, die neuerdings auch vielfach Eingang in die Praxis ge - funden hat, nachher erörtern. Zu - vor aber wollen wir die wichtigsten Unterschiede im Verlauf der Puls - welle, die man auf diese Weise nachzuweisen vermag, in’s Auge fassen.
Diese Unterschiede betreffen: 1) die Raschheit des Anstei - gens der Pulswelle. Ein rasch an - steigender Puls wird gewöhnlich9 *132Von der Schwere.als schneller Puls bezeichnet und ihm der langsame Puls entge - gengesetzt. Fig. 55 A und B zeigen Beispiele dieser Pulsformen, die von der Häufigkeit oder Seltenheit des Pulses streng zu unterscheiden sind; ein häufiger Puls kann langsam (wie in B Fig. 55) und ein seltener Puls schnell (wie in A) sein oder umgekehrt. 2) Die Raschheit des Sinkens der Pulswelle. Zuweilen sinkt der Puls sehr schnell, nach - dem er angestiegen ist (C); manchmal bleibt er einige Zeit auf an - nähernd gleicher Höhe und sinkt dann langsam (D); 3) die Einfach - heit oder Doppelschlägigkeit des Pulses. Als einfach bezeich - nen wir den Puls, wenn jede einzelne Pulswelle aus einem einzigen An - und Absteigen besteht. Doppelschlägig dagegen nennt man ihn, wenn dieses An - und Absteigen sich noch einmal, wenn gleich schwä - cher, vor dem Eintritt einer neuen Pulswelle wiederholt. Dabei kann die Wiederholung der Oscillation entweder während der Periode des Ansteigens stattfinden (E), was jedoch seltener geschieht, oder sie kann während der Periode des Absteigens vorkommen (F), im letztern Fall fällt die Form des Pulses verschieden aus, je nachdem die Welle mehr oder weniger abgelaufen ist.
Für die Ursachen dieser manchfachen Verschiedenheiten der Pulsformen lassen folgende physikalische Ursachen sich angeben. Die Pulswelle wird um so rascher ansteigen, je schneller der an der Einmündungsstelle des Arteriensystems die ganze Wellenbewegung ver - ursachende Flüssigkeitsstoss ist. Im allgemeinen deutet also diese Pulsform auf eine rasche Ventrikelcontraction. Sie kann aber auch andeuten, dass die Widerstände, die das Blut an der Einmündungs - stelle in das Arteriensystem vorfindet, geringer sind als gewöhnlich; man findet daher den schnellen Puls in besonders auffallendem Grade bei fehlendem Schluss der Aortenklappen. Die Raschheit des Sinkens der Pulswelle ist dagegen ganz und gar von der Beschaffenheit der Arterienwände abhängig. Diese werden schneller nach jeder Aus - dehnung wieder zusammensinken, wenn sie dehnbar und von vollkom - mener Elasticität sind, weil dann die Pulswelle höher und kürzer ist, als wenn die Wandungen eine starre Beschaffenheit besitzen: im letz - teren Fall (z. B. an den verknöcherten Arterien der Greise) beobach - tet man daher einen sehr langsam sinkenden Puls. Eine Wiederholung der Schwingung vor Eintritt einer neuen Pulswelle (doppelschlägigen Puls) findet man namentlich dann, wenn die Welle schnell sinkt und zugleich die Gefässwandung von kleiner aber vollkommener Elas - ticität ist; an rigiden Arterien fehlt daher der doppelschlägige Puls; er ist dagegen sehr stark, wenn die Spannung der Arterienwandungen ungewöhnlich vermindert ist, was in fieberhaften Krankheiten (beson - ders im Typhus) vorzukommen pflegt. Unterstützt wird sein Auftreten durch Widerstände, welche sich dem Strom nach abwärts von der beobachteten Stelle entgegensetzen. Dies lässt sich experimentell133Stromlauf in elastischen Röhren.nachweisen an den Nachschwingungen eines mit Flüssigkeit gefüllten elastischen Schlauchs, die ebenfalls beträchtlich zunehmen, wenn man den Widerstand an der Ausflussöffnung (z. B. durch Verengerung des Rohres) vergrössert. Hiermit stimmt überein, dass die Doppelheit des Pulses um so deutlicher sich zeigt, je näher die betreffende Arterie dem Capillarsystem gelegen ist.
Von den zuletzt angeführten Eigenthümlichkeiten des Verlaufs der Pulswellen vermag die zufühlende Hand höchstens die Raschheit des Ansteigens und höhere Grade der Doppelschlägigkeit zu unterscheiden. Eine genauere Analyse des Pulsverlaufs ist nur mittelst des Sphyg - mographen (Pulszeichners) möglich. Die Fig. 56 zeigt diesen Apparat schematisch vereinfacht nach der ihm von Marey gegebenen Form entworfen. An dem Gestell C desselben ist bei a eine Feder be - festigt; diese Feder trägt an ihrem freien Ende eine kleine Platte p, welche auf die Arterie aufgelegt wird. Die Platte p besitzt oben einen Stift c, der die Bewegungen, in welche die Feder durch den Arterien - puls versetzt wird, dem Hebel h mittheilt. Letzterer besteht, um mög - lichst wenig Masse zu haben, aus Aluminium, einem bekanntlich durch sein geringes specifisches Gewicht ausgezeichneten Metall. Um die Axe o ist der Hebel drehbar, und er zeichnet seine Bewegungen mittelst eines an seinem vorderen Ende befestigten Pinsels auf eine durch das Uhrwerk B an ihm vorbeibewegte Aluminiumplatte A auf.
So erhält man Curven, wie sie in Fig. 55 mitgetheilt sind. In allen diesen Curven ist wegen der Länge des Hebels die Höhe der Puls - welle stark vergrössert und dagegen wegen der verhältnissmässig ge - ringen Geschwindigkeit, mit der die Aluminiumplatte bewegt wird, deren Länge verkleinert.
Die genauere Beschreibung des Apparates vergl. bei Marey, physiologie médi - cale de la circulation du sang, Paris 1863, p. 179 f. Beispiele von Pulscurven, deren Hauptformen sich übrigens sämmtlich auf die oben mitgetheilten reduciren lassen, findet man theils in diesem Werk, theils bei Wolff, Charakteristik des Arterienpul - ses, Leipzig 1865.
Den gasförmigen Aggregatzustand haben wir als den - jenigen bezeichnet, in welchem die abstossenden Kräfte der Atome über die anziehenden Kräfte derselben überwiegen. (S. §. 15.) Die Gase haben daher mit den tropfbaren Flüssigkeiten die allseitige Beweg - lichkeit ihrer Theilchen gemein; auch sie fügen sich jedem Raum an und besitzen nicht wie die festen Körper eine bestimmte Form. Sie unterscheiden sich aber dadurch wesentlich von den tropfbaren Flüs - sigkeiten, dass sie wegen jener abstossenden Wirkung, die zwischen ihren Theilchen stattfindet, auch kein bestimmtes Volumen besitzen, sondern so weit sich zu verbreiten streben, als der Raum, in welchem sie sich befinden, es immer gestattet. Diese Eigenschaft sich auszu - dehnen, so lange kein äusserer Widerstand es verhindert, nennt man die Expansivkraft der Gase.
In Folge der allseitigen Beweglichkeit der Gastheilchen pflanzt sich in einem Gas, ebenso wie in einer Flüssigkeit, der Druck nach allen Richtungen gleichmässig fort. Hat man also z. B. ein Gas in einem Gefässe eingeschlossen, und übt man an irgend einer Stelle einen Druck auf das Gas aus, so steht der ganze Inhalt des Gefässes und jeder Theil seiner Wandung unter dem entsprechenden Druck. Ebenso üben die Theilchen eines in einem Raum enthaltenen Gases ver - möge ihrer Schwere gegenseitig einen Druck auf einander aus. Jede beliebige Gasschichte erfährt daher einen Druck, der gleich ist dem Ge - wicht der ganzen über ihr befindlichen Gassäule. So ist jede Stelle unserer Erdoberfläche fortwährend von dem ganzen Gewicht der Luft - säule belastet, die sich über dieser Stelle befindet.
Die Gase besitzen demnach wie alle Körper Schwere: ihrem Streben zur Erde zu fallen wirkt aber bis zu einem gewissen Grade ihre Expansivkraft entgegen, welche, da sie auf den mit abnehmender Entfernung wachsenden Abstossungskräften zwischen den einzelnen Gastheilchen beruht, diesen nur so weit sich einander zu nähern ge - stattet, bis die abstossende Kraft und der durch die Schwere erzeugte Druck mit einander im Gleichgewicht stehen. Die Wärme erhöht die abstossende Kraft der Gastheilchen, ein äusserer Druck unterstützt umgekehrt die Wirkung der Schwere. Aus diesem Grunde ist das specifische Gewicht der Gase je nach Wärme und Druck sehr veränderlich, indem dasselbe bei Erhöhung der Temperatur rasch ab - nimmt und bei Vermehrung des Drucks bedeutend zunimmt. Desshalb muss man bei den Gasen noch mehr als bei den Flüssigkeiten und135Vom gasförmigen Aggregatzustand.festen Körpern die specifischen Gewichte stets auf denselben Druck und dieselbe Temperatur beziehen: man wählt auch hier den mittleren Barometerdruck, der einer Quecksilbersäule von 0,76 Meter gleich - kommt, und die Temperatur von 0°. Die Ermittelung der Dichtigkeit der Gase geschieht aber auf eine von der specifischen Gewichtsbestimmung der Flüssigkeiten etwas abweichende Weise. Bei der verhältnissmässig geringen Dichtigkeit aller Gase muss man nämlich grosse Quantitäten derselben zur Abwägung benützen. Man nimmt also einen geräumigen Glasballon, wägt denselben zuerst im luftleeren Zustand, dann nachdem er mit dem betreffenden Gase und endlich ein drittes Mal nachdem er mit Wasser gefüllt ist. Ist V das Gewicht des Wassers und P das Gewicht des Gases, so erhält man das specifische Gewicht S, auf das Wasser als Einheit bezogen, aus der Gleichung 〈…〉 (§. 70). Den so bei der gerade vorhandenen Temperatur und Barometerhöhe er - haltenen Werth hat man dann nach später (Abschn. V Cap. 1) an - zugebenden Regeln auf die Temperatur von 0° und den Barometer - stand von 0,76 Meter zurückzuführen. Auf dem angegebenen Wege wurde die Dichtigkeit der atmosphärischen Luft = 0,001293 gefun - den. Um die Dichtigkeit verschiedener Gase mit einander zu ver - gleichen, wird man nun aber offenbar dieselben zweckmässig ebenso auf die Dichtigkeit eines bestimmten Gases als Einheit zurückführen, wie man für die Dichtigkeit der Flüssigkeiten das Wasser zur Einheit nahm. Man ist so übereingekommen, die atmosphärische Luft bei 0°C. und 0,76 Met. Barometerstand als Einheit anzunehmen. Es ergeben sich dann folgende Werthe für die specifischen Gewichte einiger der wichtigeren Gase:
Wasserstoff | 0,0692 | Sauerstoff | 1,1056 |
Stickstoff | 0,9713 | Stickoxyd | 1,0385 |
Oelbildendes Gas | 0,9740 | Schwefelwasserstoff | 1,1778 |
Kohlenoxyd | 0,9763 | Chlor | 2,4403 |
Die Verschiedenheit des specifischen Gewichts verschiedener Gase findet eine bekannte Anwendung bei der Construction der Luftballons. Wenn man einen Ballon aus dünnem, aber impermeabeln Stoff, z. B. aus Seidenzeug oder Collodiummembranen, mit einem Gase füllt, welches specifisch leichter als die unteren Schichten der atmos - phärischen Luft ist, z. B. mit Wasserstoffgas, so muss sich der Ballon erheben, bis er in eine Luftschichte kommt, deren Dichtigkeit gerade so gross ist, dass ein dem Ballon gleiches Volum derselben ebenso viel wiegt wie der Ballon sammt seinem Gasin - halt. (S. §. 94.) Da übrigens in den höheren Schichten der Atmosphäre der auf ihm lastende Luftdruck sich vermindert, so dehnt sich das Gas vermöge seiner Expansiv - kraft immer mehr aus, und es ist daher, um das Zerplatzen des Ballons zu vermei - den, erforderlich, dass derselbe nur unvollständig gefüllt werde.
Wir haben früher (in §. 69) nachgewiesen, dass jeder in eine tropfbare Flüssigkeit gebrachte feste Körper ebensoviel an seinem Ge - wichte verliert, als das Gewicht der von ihm verdrängten Flüssigkeit beträgt. Da nun die Gase die Eigenschaft der vollkommenen Beweg - lichkeit ihrer Theilchen und der dadurch bedingten Fortpflanzung des Drucks nach allen Richtungen mit den tropfbaren Flüssigkeiten theilen, so muss auch jeder in einem Gase, z. B. in der atmosphärischen Luft, befindliche Körper ebenso viel an seinem Gewicht verlieren, als das Gewicht des verdrängten Gases beträgt. Denn auch hier übertrifft offenbar der Druck auf die untere Fläche des Körpers den Druck auf die obere Fläche desselben genau um so viel, als die der Entfernung beider Flächen entsprechende Gassäule schwer ist. Wenn wir da - her einen Körper in der Luft abwägen, so erhalten wir streng genom - men ebenso wenig sein absolutes Gewicht, als wenn wir ihn im Wasser abwägten, sondern wir müssen, um das absolute Gewicht zu finden, das Gewicht der verdrängten Luft hinzuaddiren. Dabei kommt jedoch in Betracht, dass das Gewicht, welches wir zur Wägung des Körpers anwenden, ebenfalls Luft verdrängt. Theils aus diesem Grunde, theils weil überhaupt die Dichtigkeit der Luft im Vergleich zu derjenigen der festen Körper ausserordentlich gering ist, kommt in gewöhnlichen Fällen der hierdurch erzeugte Fehler nicht in Betracht. Nur wenn man sehr voluminöse Körper von geringer specifischer Schwere abwägt, oder wenn es auf äusserste Genauigkeit ankommt, kann es nothwendig werden, jenes verdrängte Luftvolum zu bestimmen. Es geschieht dies dadurch, dass man durch Abwägung in Wasser auf die früher ange - gebene Weise das Volum des Körpers ermittelt; dies Volum mit dem specifischen Gewicht der Luft multiplicirt gibt das Gewicht der ver - drängten Luft an. Sei also p das durch die Abwägung gefundene Ge - wicht des Körpers, v sein Volum, so ist sein wahres Gewicht, welches wir mit P bezeichnen wollen, P = p — v. 0,001293. Wollen wir auch die durch das Abwägungsgewicht bewirkte Luftverdrängung in Rechnung ziehen, so ist, wenn v 'das Volum dieses Gewichtes bedeu - tet, v'. 0,001293 von dem Gewicht des durch den abgewogenen Körper verdrängten Luftvolums wieder abzuziehen, und man hat daher endlich P = p — 0,001293 (v — v ').
Die Eigenschaft der tropfbaren Flüssigkeiten, ebenso wie Gase den auf sie ausgeübten Druck fortzupflanzen, benützt man, um den Druck, unter welchem ein Gas steht, oder welchen es selber ausübt, zu messen. Will man den Druck kennen lernen, unter welchem ein137Druck und Gleichgewicht der Gase.in einem abgeschlossenen Gefässe A befindliches Gas steht, so bringt man irgendwo an der Wandung des Gefässes A eine U-förmig gebo -
gene Röhre M an, die mit dem Gefässe com - municirt. Diese Röhre wird mit einer Flüs - sigkeit, meistens mit Quecksilber, gefüllt, und man beurtheilt aus dem Stand des Queck - silbers in beiden Röhren den Gasdruck in dem Gefässe A. Auf den Schenkel a der Röhre drückt nämlich die Atmosphäre, auf den Schenkel b das in A enthaltene Gas. Ist also der Gasdruck höher als der Atmosphä - rendruck, so steht das Quecksilber in a höher, im umgekehrten Fall steht es in b höher. Man nennt einen solchen Druckmesser ein Manometer. Wie gross in einem bestimm - ten Fall der Druckunterschied ist, lässt sich leicht aus der Höhendif - ferenz der Quecksilbersäulen berechnen. Der Druck auf eine dem Querschnitt der Manometerröhre gleiche Fläche ist nämlich offenbar gleich dem Gewicht der gehobenen Quecksilbersäule. Es ist daher auch gleichgültig, ob man ein engeres oder weiteres Manometer ver - wendet (vorausgesetzt natürlich, dass man nicht bis zu der Grenze geht, wo die Capillarwirkungen zum Vorschein kommen), denn nimmt mit dem weiteren Manometerrohr die Fläche zu, welche dem Druck ausgesetzt wird, so nimmt auch um gleich viel das Gewicht der ge - hobenen Quecksilbersäule zu. Nimmt man dagegen statt des Queck - silbers eine andere Flüssigkeit, so verhält sich die Höhe, bis zu der dieselbe gehoben wird, umgekehrt wie das specifische Ge - wicht. Wasser, dessen specifisches Gewicht 13mal grösser ist als dasjenige des Quecksilbers, wird also in der Manometerröhre 13mal höher gehoben. Wo es sich um die Beobachtung geringer Druckun - unterschiede handelt, da wendet man zuweilen solche specifisch leichtere Flüssigkeiten an.
Durch das angegebene Verfahren ist man nur im Stande, den96 Das Barometer. Abnahme des Luftdrucks in der Höhe. relativen Druck eines Gases, nämlich den Druck desselben im Ver - hältniss zum Atmosphärendruck zu bestimmen. Will man aber den absoluten Druck des im Gefässe A eingeschlossenen Gases kennen lernen, so muss das Manometer eine andere Einrichtung haben. Es muss dann offenbar der Schenkel a desselben oben geschlossen und luftleer gemacht sein, so dass bei a gar kein Druck, bei b nur der Druck des in A eingeschlossenen Gases einwirkt. Zugleich muss in diesem Fall der Schenkel b eine beträchtliche Höhe besitzen, weil unter dem absoluten Druck natürlich die Quecksilbersäule sich viel bedeutender erhebt, als unter dem blossen Differenzdruck. Ein solches138Von der Schwere.Manometer, das zur Messung des absoluten Drucks eines Gases be - stimmt ist, nennt man ein Barometer. Die häufigste Anwendung findet das Barometer bekanntlich zur Messung des Drucks der atmosphären Luft. Man setzt es zu diesem Zweck gewöhnlich aus einem weiteren offenen Gefäss und aus einem damit communicirenden, oben geschlos - senen und luftleer gemachten Rohre zusammen. In dem weiteren Ge - fäss befindet sich Quecksilber, welches durch den Luftdruck in der luftleeren Röhre bis zu einer der Grösse dieses Drucks entsprechenden Höhe emporgetrieben wird.
Die Höhe des Quecksilbers in der Barometerröhre beträgt un - gefähr 760 Millim. : so gross ist also der Druck, welchen die atmos - phärische Luft an der Erdoberfläche ausübt. Hiernach beträgt der Druck, der auf der Fläche eines Quadratcentimeters lastet, ungefähr 1,033 Kilogr. Da dieser Druck das Gewicht darstellt, welches die an dem betreffenden Ort vorhandene Luftsäule besitzt, so nimmt derselbe ab mit der Erhebung über das Niveau der Meeresfläche, indem hierbei die Höhe jener Luftsäule sich vermindert. Besässe die Luft bis zur Grenze der Atmosphäre überall die gleiche Dichtigkeit, so würde die Barometerhöhe proportional der Erhebungshöhe über die Meeresfläche abnehmen. Dies würde der Fall sein, wenn die Atmosphäre die Ei - genschaft tropfbarer Flüssigkeiten hätte, auch durch einen bedeutenden Druck nur unmerklich comprimirt zu werden. Aber die Luft hat wie alle Gase kein constantes Volum, sie dehnt sich vermöge ihrer Expan - sivkraft so weit aus, als der auf ihr lastende Druck es gestattet. Nun erleidet jede Schichte der Atmosphäre den Druck der ganzen über ihr stehenden Luftsäule, dieser Druck ist also in den tieferen Luftschichten grösser als in den höheren, und demnach muss auch die Dichtigkeit der Luft mit der Erhebung in die Höhe abnehmen. Nach einem ein - fachen Gesetze, das wir demnächst (in §. 100) kennen lernen werden, ist die Dichtigkeit jedes Gases direct proportional dem Druck, der auf ihm lastet. Daraus folgt, dass die Dichtigkeit der Luft mit der Erhebung über die Erdoberfläche sich vermindert, und es muss sonach der Luftdruck oder die zu ihrer Messung dienende Quecksilberhöhe in der Barometerröhre mit der Erhebung über das Niveau der Meeres - fläche aus dem doppelten Grund sich vermindern, weil die Höhe der drückenden Luftsäule abnimmt, und weil die Dichtigkeit derselben geringer wird. Erheben wir uns z. B. um 1 Meter über die Meeres - fläche, so muss der Luftdruck um so viel abnehmen, als der Druck der untersten 1 Meter hohen Luftsäule beträgt. Denken wir uns nun, die Dichtigkeit der Luft bliebe in einer Schichte von je einem Meter Höhe constant, eine Voraussetzung, die ohne erheblichen Fehler gemacht werden kann, so wird jener Druck aus dem specifischen Gewicht der Luft leicht zu finden sein. Dieses ist, wie wir oben ge - sehen haben, bei 0° im Mittel = 0,00129. Nun ist das specifische139Druck und Gleichgewicht der Gase.Gewicht des Quecksilbers = 13,596. Darnach wird der Druck einer Luftsäule von bestimmter Höhe 〈…〉 mal oder 10507 mal kleiner als der Druck einer gleich hohen Quecksilbersäule sein. Denken wir uns, die Dichtigkeit der Luft wäre durch die ganze Atmosphäre con - stant, so müsste sonach, da die Quecksilberhöhe im Barometer 0,76 Meter beträgt, die ganze Atmosphäre 10507. 0,76 oder 7985 Meter hoch sein. Nun setzen wir in der untersten 1 Meter hohen Luft - schichte den Druck in der That als constant voraus, hier wird er also 〈…〉 vom ganzen Atmosphärendruck ausmachen. In der zweiten 1 Meter hohen Luftschichte wird aber der Druck schon merklich geringer sein: denn wenn die unterste Luftschichte durch eine Luftsäule von 1785 Metern gedrückt wird, so steht offenbar auf dieser zweiten Luftschichte nur eine Säule von 1784 Metern. Er - heben wir uns also um 1 Meter über die Erdoberfläche, so wird der in dieser Höhe vorhandene Druck zum Druck an der Erdoberfläche sich verhalten wie 1784: 1785, er wird daher betragen 〈…〉 Me - ter Quecksilber. Nach dem oben angeführten Gesetz, dass die Dich - tigkeit eines Gases proportional dem auf ihm lastenden Druck ist, muss sich nun aber das Gewicht einer gleich grossen Luftschichte proportional der Erhebung in die Höhe vermindern. Es muss also auch der in 2 Meter Höhe vorhandene Druck sich zu dem in 1 Meter Höhe vorhandenen gerade so verhalten wie dieser Druck in 1 Meter Höhe zum Druck an der Erdoberfläche. Wir haben den Luftdruck an der Erdoberfläche = 0,76, und in 1 Meter Höhe = 〈…〉 Met. Quecksilber gefunden, in 2 Meter Höhe beträgt er demnach 〈…〉 . 0,76 oder 〈…〉 Met. Quecksilber; ebenso in 3 Meter Höhe 〈…〉 u. s. f. Hieraus ergiebt sich das Gesetz, dass wenn die Erhebungen über die Meeresfläche in arithmetischer Folge zu - nehmen, die Barometerhöhen in geometrischer Folge abnehmen. Allgemein können wir diesem Gesetz folgende Form geben. Wenn h die Höhe über der Meeresfläche bedeutet, so ist der Barometerstand b = (0,99944) h. 076, oder log. b = h. log. 0,99944 + log. 0,76. Mittelst dieser Formel findet man annähernd die Höhe eines Ortes über dem Meeresniveau aus dem beobachteten Barometerstande.
Alle Körper, die sich in der atmosphärischen Luft befinden, er -97 Anwendungen des Luftdrucks.140Von der Schwere.fahren von derselben einen Druck, der dem Gewicht der ganzen über ihnen befindlichen Luftsäule entspricht. Wenn dieser Druck von allen Seiten stattfindet, so wird dadurch keine merkliche Wirkung erzeugt, weil die in entgegengesetzten Richtungen vorhandenen Druckkräfte gegenseitig sich aufheben. Hält man dagegen von der einen Seite eines Körpers den Luftdruck ab, so wird das Gleichgewicht gestört, und der Körper bewegt sich nun in derjenigen Richtung, in welcher der Druck aufgehoben ist, so lange weiter, bis er einen Widerstand findet, welcher dem von der entgegengesetzten Seite stattfindenden Luftdruck das Gleichgewicht hält. Beim Barometer schon findet die - ses Gesetz seine Anwendung, indem das Quecksilber in der Barome - terröhre so hoch steigt, bis seine Schwere dem Luftdruck das Gleich - gewicht hält. Wenn man eine Röhre in eine Flüssigkeit taucht und am oberen Ende der Röhre saugt, so steigt in dem hierdurch erzeug - ten luftverdünnten Raum die Flüssigkeit in die Höhe. Verschliesst man nun rasch, ohne Luft zuzulassen, das obere Röhrenende, so kann man die Röhre aus der Flüssigkeit herausnehmen, ohne dass etwas aus ihr ausfliesst, weil oben der Atmosphärendruck vermindert ist, während er unten in unverminderter Grösse fortbesteht. So wen - det man das Princip des einseitigen Luftdrucks bei der Pipette und bei dem Heber an, bei letzterem in Verbindung mit dem Princip der communicirenden Röhren, denn es kann die Flüssigkeit, nachdem sie einmal im Heber angesaugt ist, so lange durch denselben ausfliessen, als seine Ausflussmündung sich tiefer als das Niveau der Flüssigkeit in dem Gefässe befindet.
Um den Einfluss des aufgehobenen Luftdrucks zu untersuchen, benützt man die Luftpumpe. Sie besteht im wesentlichen aus einem Cylinder C (Fig. 58), in welchem der Kolben K vollkommen luftdicht
hin - und her bewegt werden kann, und aus der Röhre R, welche in der Mitte eines Tellers T mündet. Auf den letzteren kann eine Glas -141Druck und Gleichgewicht der Gase.glocke G aufgesetzt werden, die den Raum umschliesst, dessen Luft verdünnt werden soll. In dem Stempel s des Kolbens K befindet sich das Ventil a, welches sich nach auswärts öffnet, hierbei wird, da der Innenraum des Stempels nur bei a durch das Ventil geschlossen, auf der entgegengesetzten Seite aber offen ist, der zwischen a und b ent - haltenen Luft der Austritt in die Atmosphäre gestattet; am Boden des Cylinders befindet sich ein zweites Ventil b, welches in der nämlichen Richtung, also gegen das Innere des Cylinders sich öffnet. Wird nun der Kolben in der Richtung von c nach d bewegt, so bleibt a ge - schlossen und b öffnet sich, dadurch wird die Luft in der Röhre R und unter der Glocke G verdünnt. Bewegt man dann den Kolben in der Richtung von d nach c, so schliesst sich umgekehrt das Ventil b, während a sich öffnet, so dass die in dem Cylinder C angesammelte Luft entweicht. Durch häufige Hin - und Herbewegung des Kolbens kann so die Luft in der Röhre und unter der Glocke immer mehr verdünnt werden. Man sieht leicht ein, dass diese Verdünnung durch lange fortge - setztes Pumpen zwar auf einen sehr hohen Grad wird gebracht werden können, dass man aber streng genommen niemals einen vollkommen luftleeren Raum unter der Glocke G herzustellen vermag. Denn bei jedem Kolbenzug entfernt man immer nur einen Theil der unter der Glocke befindlichen Luft. Das absolute Luftquantum, welches durch einen Kolbenzug entfernt wird, ist daher auch um so kleiner, je weiter man die Luft schon verdünnt hat.
Um die Verdünnung auf einen möglichst hohen Grad zu bringen, bringt man an den vollkommeneren Luftpumpen ausser den hier beschriebenen wesentlichen Theilen noch verschiedene Hülfsvorrichtungen an, hinsichtlich deren Beschreibung wir aber auf die Lehrbücher der Experimentalphysik verweisen müssen.
Räume, die nahezu vollkommen luftleer sind, lassen sich mittelst der so ge - nannten Quecksilberluftpumpe herstellen. Bei dieser erzeugt man den luftleeren Raum dadurch, dass man aus einem Gefäss durch Anfüllen mit Quecksilber die Luft austreibt und dann das Quecksilber wieder ausfliessen lässt. Man hat in der Physio - logie solche Quecksilberluftpumpen angewandt, um die im Blute absorbirten Gase zu gewinnen. Siehe die Beschreibung eines derartigen Apparats in meinem Lehrbuch der Physiologie S. 258.
Die Wirkungen des aufgehobenen Luftdrucks lassen nun mittelst der Luftpumpe sehr leicht sich nachweisen. Solche Flüssigkeiten, die leicht in den gasförmigen Zustand übergehen, verdampfen rasch, wenn man sie unter die Glocke gebracht hat. Man wendet daher die Luft - pumpe häufig zum Eintrocknen feuchter Körper an, vorzugsweise dann, wenn die Einwirkung höherer Temperaturen auf dieselben vermieden werden soll; gewöhnlich wird dabei die Wirkung unterstützt, indem man gleichzeitig solche Substanzen unter die Glocke bringt, die be - gierig Wasser anziehen, wie Schwefelsäure oder Chlorcalcium. Thiere, die man unter die Glocke der Luftpumpe gebracht hat, gerathen in142Von der Schwere.eine mit der steigenden Luftverdünnung zunehmende Athemnoth und sterben endlich den Erstickungstod. Die Wirkung des einseitig auf - gehobenen Luftdrucks zeigt sich an der Glocke selber, die nur mit grosser Kraftanstrengung von dem Teller der Luftpumpe entfernt wer - den kann. Ein alter Versuch dient zur Veranschaulichung derselben Erscheinung: bringt man zwei auf einander passende Halbkugeln aus Holz oder Metall unter die Luftpumpe und evacuirt dann, so bleiben nun die Halbkugeln auch nachdem sie aus dem luftleeren Raum he - rausgenommen sind mit grosser Kraft an einander haften.
Die Natur hat sowohl vollkommen luftleere als auch luftverdünnte Räume hergestellt und giebt uns daher Gelegenheit zur unmittelbaren Beobachtung ähnlicher Erscheinungen, wie wir sie künstlich mittelst der Luftpumpe erzeugen. So sind die Gelenkenden der Glieder des thierischen Körpers luftdicht an die Gelenkflächen gefügt, auf denen sie sich bewegen. Da nun die Gelenkenden selber unter dem äusseren Luftdruck stehen, so bedarf es schon desshalb, abgesehen von der Befestigung durch Bandverbindungen, einer beträchtlichen Gewalt, um dieselben aus den Gelenken zu entfernen. Am Hüftgelenk, wo die Kugeloberfläche des Schenkelkopfs allseitig von der die Luft abhal - tenden Pfanne umfasst ist, kann man die sämmtlichen Bandverbindun - gen trennen, ohne dass doch das Bein aus der Pfanne herausfällt. Der Druck, welchen die atmosphärische Luft auf die freie Oberfläche des Schenkelkopfs ausübt, ist in diesem Fall grösser als das Gewicht des Beins und erhält daher von selbst schon dieses in seiner natür - lichen Verbindung. Durch diese Veranstaltung werden offenbar die Gelenkbewegungen ausserordentlich erleichtert, da nun alle Muskel - anstrengung auf die Bewegung selber verwendet werden kann, aber keine mehr zur Erhaltung der Glieder in ihrer Lage erforderlich ist. Aehnlich bilden alle geschlossenen Höhlen unseres Körpers, wie die Bauch - und Brusthöhle, luftleere Räume. Da die Bedeckungen der Bauchhöhle zusammendrückbar sind, so schliessen sie sich desshalb eng um die Eingeweide des Unterleibs, und das Zwerchfell erfährt durch den auf die Bauchwandungen ausgeübten Luftdruck seine gegen die Brusthöhle gerichtete Wölbung. Die Brusthöhle besitzt dagegen starre Wandungen, so dass die äussere Oberfläche der Lungen nicht unter dem Luftdruck steht, während ihre innere, mit der Luftröhre communicirende Oberfläche den vollen Luftdruck erfährt. Hierdurch wird bewirkt, dass die Lunge stets so weit ausgedehnt bleibt, als die Grösse des Brustraumes es gestattet, und daher den Bewegungen des Thorax unmittelbar Folge leistet. Ebenso ist der Luftdruck für das Gefässsystem von grosser Wichtigkeit, indem er die Entleerung der oberflächlicher gelegenen Venen in die Brusthöhle, in welcher die Ge - fässe nicht unter dem Luftdruck stehen, begünstigt, und indem er die143Druck und Gleichgewicht der Gase.Widerstandskraft der zarteren Capillargefässe gegen den Blutdruck erhöht. Wenn wir uns bei der Besteigung hoher Berge oder im Luft - ballon in grosse Höhen der Atmosphäre begeben, so versetzen wir uns in einen luftverdünnten Raum. Dadurch entsteht zunächst eine erhöhte Athmungsfrequenz zur Ausgleichung des verminderten Sauer - stoffgehalts der Atmosphäre. Ausserdem erfahren aber auch alle Functionen, bei denen der Luftdruck eine Rolle spielt, eine mehr oder weniger bedeutende Störung. Es erfolgt Müdigkeit in den Gelenken, die Athmungsbewegungen werden beschwerlicher, die Venen werden überfüllt, und es treten endlich Zerreissungen der zarteren, an der Oberfläche des Körpers gelegenen Capillargefässe, Blutungen aus den Lungen, der Nase, den Lippen u. s. w. ein.
Aus der allgemeinen Eigenschaft der Gase, dass sie kein con -100 Verdichtung der Gase. Mariotte’ - sches Gesetz. stantes Volum besitzen, ergiebt sich, dass man nicht bloss ein Gas, z. B. die atmosphärische Luft, fast bis zu jedem beliebigen Grade verdünnen, sondern dass man ebenso das Gas zu verdichten vermag. Wie das erstere durch eine Verminderung, so bewirkt man das letztere durch eine Vergrösserung des Drucks. Schon die Luft ist, wie wir gesehen haben, in ihren unteren Schichten im Vergleich zu den höheren Schichten verdichtet. Auf künstlichem Wege lässt aber diese Verdichtung noch viel weiter sich treiben. Man kann sich hierzu mit geringen Abänderungen der nämlichen Vorrichtung bedie - nen, die man zur Verdünnung der Luft benützt. Die Luftpumpe (Fig. 58) wird zur Compressionspumpe, sobald man nur die Stel - lung der beiden Ventile a und b umkehrt. Werden nämlich beide Ventile so gerichtet, dass sie sich nach einwärts, gegen die Röhre R, öffnen, so bleibt, wenn man den Kolben in der Richtung von c nach d anzieht, b geschlossen, a aber öffnet sich durch den im Cylinder ent - stehenden luftverdünnten Raum, und der Cylinder füllt sich dadurch mit Luft an. Bewegt man nun umgekehrt den Kolben von d nach c, so wird a durch den Druck der im Cylinder enthaltenen Luft ge - schlossen, b aber öffnet sich, und es wird so die im Cylinder enthal - tene Luft in die Röhre R und in den Raum G hineingetrieben. Durch öftere Hin - und Herbewegung des Kolbens lässt sich auf diese Weise die im Raum G enthaltene Luft bis zu einem ziemlich beträchtlichen Grade verdichten. Doch kann man hierbei nicht, wie bei der Luft - pumpe, bloss eine auf einen Teller gestellte Glasglocke benützen, da eine solche der comprimirten Luft nicht den genügenden Widerstand bieten würde. Man wendet daher meistens starke, auf den Teller T fest aufgeschrauchte Eisengefässe an.
Noch zu einem höheren Grade kann man namentlich in kleineren Räumen die Luft durch die Anwendung des Drucks einer Quecksilber - säule verdichten. Füllt man in die gebogene Röhre (Fig. 59) Queck -144Von der Schwere.
silber ein, und schliesst dann das obere Ende des Schenkels a der Röhre, indem man es zuschmilzt, so steht die Luft, die in dem abgeschlossenen Raum die - ses Schenkels enthalten ist, unter dem gewöhnlichen Atmosphärendruck, und das Quecksilber in a und b hat gleiches Niveau. Füllt man nun aber in b noch weiteres Quecksilber nach, so wird dadurch die in a enthaltene Luft comprimirt, und der Druck, unter wel - chem dieselbe steht, übertrifft um ebensoviel den At - mosphärendruck, als die Quecksilbersäule in b über dem Niveau des Quecksilbers in a steht. Beträgt also der Niveauunterschied 0,76 Meter, so steht die Luft unter dem doppelten Atmosphärendruck, beträgt der Niveauunterschied 1,52 Meter, so steht sie unter dem dreifachen Atmosphärendruck, u. s. f. Dabei erfährt die in a enthaltene Luft durch den steigenden Druck eine Verminderung ihres Volums, und zwar eine solche, dass das Volum dem Druck umgekehrt proportional ist. Dieses für alle Gase gültige Gesetz wird nach seinem Entdecker das Ma - riotte’sche Gesetz genannt. Man kann, weil die in a comprimirte Luftquantität offenbar immer das nämliche Gewicht hat und die Dichtig - keit eines Körpers bei gleichem Gewicht sich umgekehrt wie sein Volum verhält, dieses Gesetz auch so aussprechen: Die Dichtig - keit eines Gases ist direct proportional dem Druck, un - ter welchem dasselbe steht.
Sorgfältig angestellte Versuche zeigen jedoch, dass dieses Gesetz nur eine annähernde Richtigkeit besitzt, indem bei vielen Gasen, so bei der Luft, dem Stickgas, der Kohlensäure, das Volum, wenn der Druck steigt, schneller abnimmt, als dem Mariotte’schen Gesetz entspricht, während bei dem Wasserstoffgas umgekehrt das Volum langsamer abnimmt, als die Proportionalität mit dem Druck erwar - ten liesse. Die Gase zerfallen somit nach diesem Verhalten in zwei Gruppen. Nach Regnault ist die Wärme auf dasselbe von wesent - lichem Einflusse. Bei den Gasen der ersten Gruppe (Luft, Kohlen - säure, Stickstoff) verschwindet nämlich in Folge der Temperaturerhöh - ung die Abweichung von dem Gesetz, während sie bei den Gasen der zweiten Gruppe (Wasserstoff) grösser wird; in Folge der Tem - peraturerniedrigung dagegen wird umgekehrt die Abweichung bei den Gasen der ersten Gruppe vergrössert und bei den Gasen der zweiten Gruppe vermindert. Diese Abweichungen vom Mariotte’schen Gesetze sind daher für die Beziehung des gasförmigen Aggregatzustandes zur Wärme von Wichtigkeit, und werden wir desshalb in der Wärme - lehre (Abschn. V Cap. 1) auf sie zurückkommen. An sich betrachtet, sind dieselben aber so gering, dass sie überall da, wo es sich bloss um die Beziehung zwischen Volum und Druck handelt (z. B. bei der145Absorption und Diffusion der Gase.Höhebestimmung aus dem Barometerstand, bei der Druckmessung durch die Verminderung eines Luftvolums), vernachlässigt werden können.
Viele unter den Gasen der ersten Gruppe, deren Volumvermin - derung mit dem Drucke wächst, gehen, wenn sie bis zu einem bedeu - tenden Grade verdichtet sind, in den flüssigen Aggregatzustand über; dieser Uebergang wird stets dadurch angezeigt, dass die Zusammendrück - barkeit plötzlich sehr rasch zunimmt, um dann, wenn die Aenderung des Aggregatzustandes erfolgt ist, fast ganz zu verschwinden. Unter - stützt wird diese Wirkung durch Temperaturerniedrigung, da letztere die Zusammendrückbarkeit der fraglichen Gase vergrössert. So geht bei einer Temperatur von ungefähr 0° die Kohlensäure unter einem Druck von 37 Atmosphären, der Schwefelwasserstoff bei 10, das Am - moniakgas bei 4,4 und die schweflige Säure bei nur 1,5 Atmosphären in den flüssigen Zustand über. Viele Gase der ersten Gruppe, wie Sauerstoff und Stickstoff, die Bestandtheile der Luft, hat man bis jetzt noch nicht zu verflüssigen vermocht; der Wasserstoff kann, da er die entgegengesetzte Abweichung von dem Mariotte’schen Gesetze zeigt, wahrscheinlich gar nicht in den flüssigen Zustand übergeführt werden.
In dem Verhalten der Gase gegen äussere Druckkräfte geben101 Absorption der Gase. sich eigenthümliche Verschiedenheiten in deren Moleculareigenschaften zu erkennen, die bei den jetzt noch zu betrachtenden Erscheinungen der Absorption und der Diffusion eine wichtige Rolle spielen.
Bei der Absorption der Gase findet, wie bei der Compres - sion derselben, eine Verdichtung statt; nur wird die Verdichtung in diesem Fall nicht durch eine äussere Druckkraft, sondern durch die[Umgebung] eines tropfbar flüssigen oder festen Körpers bewirkt. Die Grösse der Absorption ist daher abhängig theils von der Beschaffen - heit des in Frage stehenden Gases, theils von der Beschaffenheit des flüssigen oder festen Körpers, durch welchen die Absorption geschieht. Was die Gase selbst betrifft, so zeigen dieselben hinsichtlich ihrer Ab - sorption die nämlichen Unterschiede wie in Bezug auf ihre Zusam - mendrückbarkeit. Allgemein werden die Gase um so leichter absor - birt, je eher sie durch Druck flüssig gemacht werden können. So gehören Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff u. s. w. zu den leicht absorbirbaren Gasen, während dagegen Sauerstoff, Stickstoff oder gar Wasserstoff nur in geringeren Mengen absorbirt werden können. Die Flüssigkeiten nehmen, wie die Beobachtung zeigt, von einem be - stimmten Gas stets ein relativ gleich grosses Volumen auf, welchesWundt, medicinische Physik. 10146Von der Schwere.auch der Druck sei, unter welchem das Gas steht. Da nun nach dem Mariotte’schen Gesetze die Dichtigkeit der Gase proportional dem Druck wächst, so steht auch die absorbirte Gewichtsmenge Gas im directen Verhältniss zum Druck. Wenn man somit die Menge kennt, die bei irgend einem Druck eine Flüssigkeit von einem bestimmten Gas absorbirt hat, so kann man für jeden beliebigen Druck die ab - sorbirte Gasmenge vorausbestimmen. So nimmt z. B. 1 Volum Wasser bei jedem Druck ungefähr 1 Volum Kohlensäure auf. Man bezeichnet dasjenige Gasvolum, welches die Volumeinheit einer Flüssigkeit bei 0° absorbirt, als den Absorptionscoëfficienten des Gases für die betreffende Flüssigkeit. Bei 15°C. hat Bunsen für das Wasser folgende Absorptionscoëfficienten gefunden:
Stickstoff = 0,01478 | Kohlensäure = 1,0020 |
Wasserstoff = 0,01930 | Schwefelwasserstoff = 3,2326 |
Sauerstoff = 0,02989 | Schweflige Säure = 43,564 |
Luft = 0,01795 | [Ammoniak] = 727,2. |
Da eine und dieselbe Flüssigkeit für verschiedene Gase ein ver - schiedenes Absorptionsvermögen besitzt, so nimmt eine Flüssigkeit, wenn man ihr ein Gasgemenge zur Absorption darbietet, die ein - zelnen Gase dieses Gemenges nicht in dem gleichen Mengenverhält - nisse auf, in welchem sie aussen gemischt sind, sondern sie verschluckt das Gas mit dem grösseren Absorptionscoëfficienten in relativ grösserer Menge: das von der Flüssigkeit absorbirte Gasgemenge ist also anders zusammengesetzt, als das ihr zur Absorption dargebotene Gemenge. So besteht z. B. ein Volum atmosphärischer Luft aus 0,79 Theilen Stickstoff und 0,21 Sauerstoff. Nun ist aber der Absorptionscoëfficient des Stickstoffs für Wasser nur 0,01478, derjenige des Sauerstoffs da - gegen 0,02989. Daher sind in dem mit atmosphärischer Luft in Be - rührung stehenden Wasser beide Gase im Verhältniss von 0,79.0,01478: 0,21. 0,02989 oder von 0,66: 0,34 gemischt. Die vom Wasser absor - birte Luft ist also beträchtlich sauerstoffreicher als die atmosphärische, ein Umstand, der für die im Wasser athmenden Thiere sichtlich von grosser Bedeutung ist.
Während bei der Absorption der Gase durch Flüssigkeiten eine innige Verbindung beider statt hat, so dass nach Beendigung der Ab - sorption die Mischung des Gases mit der Flüssigkeit eine völlig gleich - mässige wird, beruht die Absorption durch feste Körper bloss auf einer Oberflächenwirkung. Der feste Körper verdichtet das Gas, mit dem er in Berührung tritt, an seiner Oberfläche. Desshalb zeigen vorzüglich poröse Körper, wie Kohle, Meerschaum, Platinschwamm, die Absorption in bedeutenderem Grade. Ebenso können diese Kör - per, nur wenn sie geglüht und frisch abgelöscht sind, Gase absorbi - ren, da sie sonst bereits atmosphärische Luft an ihrer Oberfläche ver - dichtet haben. Endlich wird die Absorption durch Befeuchtung der147Absorption und Diffusion der Gase.Körper beträchtlich geschwächt, weil hier die benetzende Wasser - schichte die Oberflächenwirkung vermindert. Die einzelnen Gase fol - gen sich in Bezug auf ihre Absorbirbarkeit durch feste Körper unge - fähr in der nämlichen Reihenfolge wie hinsichtlich ihrer Absorbirbar - keit durch Flüssigkeiten. So fand Saussure, dass 1 Volum Kohle 33 Volumina Kohlensäure, dagegen nur 9,25 Vol. Sauerstoff und 7,5 Vol. Stickstoff aufnahm. Doch scheinen ausserdem einzelne Gase von be - stimmten Körpern mit besonders grosser Intensität absorbirt zu wer - den, so z. B. der Sauerstoff von fein vertheiltem Platin. Hierauf beruht die Fähigkeit dieses Metalls den Sauerstoff direct mit Wasserstoff zu verbinden, eine Eigenschaft, die bei den früher öfter gebrauchten Dö - bereiner’schen Zündmaschinen zur Anwendung kam.
Es bleiben uns schliesslich noch die Erscheinungen der Bewe -102 Ausströmen der Gase in den luftleeren Raum. gung der Gase zu betrachten übrig. Da in den Gasen wie in den Flüssigkeiten der Druck sich nach allen Richtungen fortpflanzt, so ver - hält sich ein mit einem Gase gefüllter Raum, an dem irgendwo eine Oeffnung angebracht ist, die in einen andern luftleeren Raum mündet, gerade so wie ein mit Flüssigkeit gefülltes Gefäss, das ebenfalls mit einer Oeffnung versehen ist. Die Geschwindigkeit des in den luftleeren Raum austretenden Gases entspricht also auch hier (nach §. 77) dem freien Fall von einer der über der Oeffnung befindlichen Gassäule gleichen Höhe herab. Bezeichnen wir diese Höhe mit h, so ist wieder die Geschwindigkeit v, mit der das Gas ausströmt, 〈…〉
Lassen wir nun aber einen äusseren Druck auf das Gas wirken, z. B. den Druck einer Atmosphäre, also einer Quecksilbersäule von 0,76 Meter, so wird nun das Gas mit einer Geschwindigkeit ausströ - men, welche einer Gassäule entspricht, die einen dem Barometerdruck gleichen Druck ausüben würde. Eine derartige Gassäule würde aber, wenn wir wieder von der Verdichtung des Gases selbst durch den auf ihm lastenden Druck absehen und also die Dichtigkeit in allen Schich - ten gleich voraussetzen, die Höhe der Quecksilbersäule um ebenso viel übertreffen, als die Dichtigkeit des Quecksilbers diejenige des Gases übertrifft, d. h. die Höhen müssen sich umgekehrt wie die Dich - tigkeiten verhalten. Nennen wir also die Dichtigkeit des Quecksil - bers D und diejenige des Gases d, so verhält sich 0,76: h = d: D. Daraus folgt 〈…〉 . Dieser Werth von h bedeutet also eine dem Barometerdruck von 0,76 Meter entsprechende Gassäule, und die Geschwindigkeit, mit der das Gas unter diesem Druck aus - strömt, ist demnach10 *148Von der Schwere. 〈…〉 .
Bei einem andern Gas von der Dichtigkeit d' entspricht dem - selben Barometerdruck eine andere Gashöhe 〈…〉 und eine Ausflussgeschwindigkeit 〈…〉 . Demnach ver - halten sich die Ausflussgeschwindigkeiten beider Gase oder v: v 'wie 〈…〉 , d. h. die Ausflussgeschwindigkeiten zweier Gase in den luftleeren Raum verhalten sich, wenn die Gase unter dem gleichen Druck stehen, umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten derselben.
Dieses theoretisch gefolgerte Gesetz wird durch die Erfahrung im Allgemeinen bestätigt. Die dichtere Kohlensäure strömt langsamer aus als der Sauerstoff, der Sauerstoff langsamer als das specifisch noch leichtere Wasserstoffgas. Doch zeigt sich zugleich, ähnlich wie bei dem Ausströmen der Flüssigkeiten, dass die Geschwindigkeit eines Gases nicht den absoluten Werth von √ 2 g h[erreicht], sondern nur ½ bis ⅔ desselben. Auch diese noch etwas grössere Abweichung ist ohne Zweifel dadurch bedingt, das die Gastheilchen beim Ausströ - men in ihrer Bewegung sich stören; eine Bestätigung hierfür liegt da - rin, dass kurze weite Ansatzröhren (nach der in §. 78 für Flüssigkei - ten erörterten Wirkung) die Ausflussgeschwindigkeit der Gase eben - falls ihrem theoretischen Werthe näher bringen.
Strömt das Gas nicht in den luftleeren Raum aus, sondern be - findet sich in dem äusseren Raum schon eine gewisse Quantität von dem nämlichen Gase, so ist natürlich die Ausströmungsgeschwindigkeit eine langsamere, weil nun ein äusserer Gegendruck zu überwinden ist, und das Ausströmen hört ganz auf, wenn zwischen dem inneren und äusseren Raum gar kein Druckunterschied existirt. Lässt man also aus einem mit Gas erfüllten Raum in einen andern luftleer gemachten Raum das Gas ausströmen, so wird das Ausströmen in dem Maasse verlangsamt, als der äussere Raum sich füllt, und hört auf, wenn der Druckunterschied sich ausgeglichen hat und das Gas in beiden Räumen gleichmässig verbreitet ist.
Andere Erscheinungen treten jedoch ein, wenn in dem zweiten Raum nicht das nämliche, sondern ein anderes Gas sich befindet. Stehen auch beide Gase in diesem Fall unter völlig gleichem Druck, so tritt trotzdem eine Bewegung ein, und zwar eine doppelte, indem gleichzeitig vom ersten zum zweiten und vom zweiten zum ersten Gas149Absorption und Diffusion der Gase.überströmt. Diese Bewegung hat dann erst ein Ende, wenn beide Gase sich völlig gleichmässig in den zwei Räumen verbreitet haben und also gleichförmig gemischt sind. Die Erscheinung des Ineinan - derströmens der Gase bezeichnet man als Diffusion der Gase. Dieselbe ist wesentlich verschieden von der Diffusion der Flüssigkei - ten. Letztere beruht, wie wir gesehen haben, auf einer Anziehung, welche die Flüssigkeiten gegen einander ausüben, ihre Geschwindig - keit ist daher von der Grösse dieser Anziehung abhängig, und sie fin - det überhaupt nur zwischen bestimmten Flüssigkeiten statt, nämlich zwischen solchen, die mit einander mischbar sind. Nicht mischbare Flüssigkeiten dagegen lagern sich nach ihrer specifischen Schwere übereinander. Dagegen sind die Gase sämmtlich mischbar mit einander und zeigen daher auch alle, mit einander in Berührung gebracht, die Erscheinung der Diffusion. Aber es beruht bei ihnen die Mischung und Diffusion nicht auf einer Anziehung, die ihre Theil - chen auf einander ausüben, sondern auf dem Bestreben eines jeden Gases, den ihm dargebotenen Raum vollständig auszufüllen. Ein Gas strömt also in ein anderes ähnlich wie in den luftleeren Raum ein, nur die Geschwindigkeit, mit welcher das Ausströmen stattfindet, ist eine geringere.
Die Gase bewegen sich bei der Diffusion ihrer specifischen Schwere entgegen. Wenn man z. B. zwei Gefässe über einander setzt, von denen das untere mit Kohlensäure, das obere mit Wasser - stoffgas gefüllt ist, so verbreitet sich die Kohlensäure in dem Wasser - stoff und der Wasserstoff in der Kohlensäure. Zugleich bleibt fort - während der Druck in den beiden Gas enthaltenden Räumen der näm - liche. War also vor der Communication derselben ein Druckunter - schied vorhanden, so gleicht derselbe alsbald nach der Herstellung der Verbindung sich aus, während die gleichmässige Mischung selbst viel langsamer zu Stande kommt. Man kann dies nachweisen, indem man mit jedem der Gasräume ein Manometer in Verbindung bringt. Wur - den die Räume unter verschiedenem Druck gefüllt, so stellen sich nach der Herstellung der Verbindung die Manometer gleich, indem zugleich ein rascher Gasstrom aus dem unter dem grösseren Druck stehenden Raum stattfindet. Ist dann Gleichheit des Drucks eingetreten, so schreitet die schliesslich zur gleichmässigen Mischung der Gase füh - rende Diffusion viel langsamer vorwärts.
Wie das Ausströmen der Flüssigkeiten wesentlich andern Ge -104 Gasdiffusion durch Capillar - räume. setzen folgt, wenn dasselbe durch eine Capillarröhre stattfindet, so auch das Ausströmen der Gase. Es verhalten sich nämlich hier die Ausflussgeschwindigkeiten verschiedener Gase in den leeren Raum bei gleichem Druck nicht umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den Dichtigkeiten derselben, sondern die Unterschiede sind viel geringer. 150Von der Schwere.Während z. B. der Wasserstoff aus einer einfachen Oeffnung nahezu 4 mal so schnell ausströmt als der Sauerstoff, was dem umgekehrten Werth der Quadratwurzeln entspricht, geht er durch eine Capillarröhre oder durch ein System von Capillarröhren nur ungefähr mit einer 2,7mal grössern Geschwindigkeit. Es nimmt demnach zwar auch hier die Ausflussgeschwindigkeit zu, wenn die Dichtigkeit abnimmt, aber es geschieht dies in einem für jedes Gas erst empirisch festzustellen - den Verhältnisse. Ausserdem ist in diesem Fall noch die Ausflussge - schwindigkeit von der Substanz der Capillarröhren abhängig. Man drückt diese Abhängigkeit zusammen mit der vorigen dadurch aus, dass man den Reibungscoëfficienten ermittelt, welcher einem bestimmten Gase in Bezug auf eine bestimmte Substanz zukommt. Bei nicht allzu engen Röhren von regelmässigem Querschnitt stehen ausserdem die Ausflussmengen in directem Verhältniss zu dem Druck, welcher auf dem Gase lastet, und in umgekehrtem Verhältniss zu dem Quadrate der Röhrenlänge.
Gewöhnlich untersucht man die Diffusion der Gase durch Capil - larräume unter complicirteren Bedingungen als die eben angenomme - nen, indem man das Gas nicht durch eine regelmässige Capillarröhre sondern durch eine poröse Scheidewand, z. B. durch eine Thon - oder Gypsplatte, ausströmen lässt. Eine solche poröse Scheidewand be - steht aus einer Menge unregelmässiger, sehr feiner Capillarröhren, de - ren Durchmesser und Längen man übrigens nicht kennt. Hier begreift daher der für ein bestimmtes Gas und eine bestimmte poröse Scheide - wand ermittelte Reibungscoëfficient nicht bloss die Abhängigkeit der Ausflussgeschwindigkeit von der Beschaffenheit des Gases und der Substanz der Wandung, sondern zugleich von jenen nicht näher be - kannten Dimensionsverhältnissen der Capillarräume in sich, und es wird dann die Ausflussgeschwindigkeit ausser von diesem Reibungs - coëfficienten noch von dem auf dem Gase lastenden Druck, wel - chem letzteren sie direct proportional ist, bestimmt.
Denselben Gesetzen folgt die Diffusion zweier Gase, die man durch eine poröse Scheidewand trennt. Wie bei der Diffusion über - haupt, so tritt auch hier allmälig eine gleichförmige Mischung der Gase ein. Dabei ist die Geschwindigkeit des Austauschs proportional der
Druckdifferenz auf beiden Seiten der Scheidewand und jenem oben erwähnten von der Natur eines je - den Gases und der Scheidewand abhängigen Rei - bungscoëfficienten. Hält man daher den Druck auf beiden Seiten gleich, so kommt nur dieser Reibungs - coëfficient zur Beobachtung. Dies lässt sich z. B. verwirklichen, indem man Wasserstoffgas unter dem Atmosphährendruck in eine Röhre füllt, die oben durch einen porösen Pfropf S (Fig. 60.) verschlossen151Absorption und Diffusion der Gase.ist. Die unten offene Röhre R steht in einem mit Quecksilber gefüll - ten Gefässe Q. Hält man nun das Quecksilberniveau in R und Q auf gleicher Höhe, so steht das in R enthaltene Wasserstoffgas gerade unter dem Atmosphärendruck. Die äussere Luft, mit welcher das Gas durch den Pfropf S hindurch diffundirt, steht natürlich ebenfalls unter dem Atmosphärendruck: es ist also auf beiden Seiten Gleichheit des Drucks vorhanden. Man beobachtet unter diesen Umständen, dass das Wasserstoffgas viel schneller durch die poröse Scheidewand nach aussen dringt, als die äussere Luft in die Röhre eindringt, und es steigt folglich ziemlich schnell das Quecksilberniveau in der Röhre an. Senkt man nun in dem Maasse als dieses geschieht die Röhre tiefer in das Gefäss Q ein, um fortwährend die Niveaus gleich zu erhalten, so wird damit auch fortwährend die Gleichheit des Drucks aussen und innen wieder hergestellt. Nach einiger Zeit verschwindet dann we - gen des Ueberwiegens der Wasserstoffdiffusion das sämmtliche in der Röhre R enthaltene Gas. Setzt man in ähnlicher Weise Kohlensäure der Diffusion aus, so tritt der umgekehrte Fall ein: die Luft dringt rascher durch die poröse Scheidewand ein, als die Kohlensäure aus - strömt, und der Gasinhalt der Röhre nimmt daher fortwährend zu. Man ersieht hieraus, dass die Diffusion der Gase durch poröse Scheide - wände im wesentlichen der Diffussion durch grössere Oeffnungen gleicht, mit dem Unterschied, dass der Druck sich nicht durch die poröse Scheidewand fortpflanzt, daher auch das Ausströmen eines Gases in das andere in diesem Fall noch vollständiger dem Ausströmen in den luftleeren Raum ähnlich wird.
Als Schall bezeichnet man jede Bewegung, die, wenn sie sich zu unserm Gehörorgan fortpflanzt, eine Gehörsempfindung erzeugt. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle geschieht diese Fortpflan - zung durch die Luft, und Lufterschütterungen sind daher die häufigste unmittelbare Ursache unserer Schallempfindung. Eine in den luftlee - ren Raum gebrachte Glocke giebt keinen Schall, weil die beim An - schlagen hervorgebrachte Erschütterung derselben sich nicht zu unserm
Ohr fortpflanzen kann. Die Er - schütterung der Luft muss jedoch eine ziemlich beträchtliche sein, wenn sie als Schall wahrgenommen werden soll. Schwächere Erschüt - terungen der Luft erzeugen einen Schall nur dann, wenn sie sich oft und ziemlich schnell nach einander wiederholen.
Wir besitzen ein Hülfsmittel zur Erzeugung in beliebiger Ge - schwindigkeit auf einander folgen - der Luftstösse in der Sirene. Die gegenwärtig meistens benützte Si - rene von Cagniard la Tour be - steht aus einer Scheibe S, die man in Fig. 61 A von oben, in B von der Seite auf einem durch m n ge - führten Durchschnitt erblickt. In153Entstehung und Ausbreitung des Schalls.ihr sind in gleichen Abständen Löcher angebracht, und sie liegt auf dem Windkasten W auf, dessen Deckel mit ebenso vielen, den Lö - chern der Scheibe in ihrer Lage genau entsprechenden Durchbohrun - gen versehen ist. Die Löcher im Deckel des Windkastens und in der Scheibe sind in der in B dargestellten Weise schräg gegen einander gestellt. Die Scheibe S ist ferner an der Axe a befestigt, welche, wie man in B sieht, unten auf der Spitze der Schraube x steht, und an ihrem oberen Ende von einer ähnlichen Spitze gehalten wird. Da - durch dreht sich die Scheibe S sammt der Axe a bei dem geringsten Anstoss sehr leicht um ihren Mittelpunkt. Die Röhre R, die unten in den Windkasten einmündet, steht in Verbindung mit einem Blasebalg. Der mittelst des letzteren in den Windkasten getriebene Luftstrom dringt durch die Löcher des Deckels in die Löcher der Scheibe und so nach aussen; hierbei muss er aber wegen der gegen einander ge - neigten Lage der correspondirenden Löcher die Scheibe in rotirende Bewegung setzen. Jedesmal wenn die Löcher der Scheibe über die Löcher des Deckels hinweggehend dem in den Windkasten getriebe - nen Luftstrom den Ausweg gestatten, entsteht eine Lufterschütterung, und diese wird unterbrochen, sobald die Scheibe sich weiterbewegend die Löcher des Deckels verschliesst. Die Häufigkeit der in einer ge - gebenen Zeit erzeugten Luftstösse hängt daher von der Zahl der Lö - cher und von der Umdrehungsgeschwindigkeit der Scheibe ab. Hat z. B. die Sirene 12 Durchbohrungen, und dreht sich die Scheibe in der Secunde 10 mal, so bekommt man 12. 10 = 120 einzelne Luft - stösse. Um die Zahl der Umdrehungen der Scheibe in einer gegebe - nen Zeit zu messen, ist weiter oben mit der Axe a ein Zählerwerk verbunden, welches jene Umdrehungen in ähnlicher Weise auf einem Zifferblatt ablesen lässt, wie man die Umdrehungen des Räderwerks einer Uhr abliest.
Wird nun durch einen schwachen Luftstrom die Scheibe in all -106 Klang und Geräusch. mälige Bewegung gesetzt, so empfängt man anfänglich keine Schall - empfindung. Diese entsteht, wenn die Bewegung sich so weit be - schleunigt hat, dass ungefähr 16 Luftstösse in der Secunde auf einan - der folgen. Der jetzt gehörte Schall ist ein tiefer musikalischer Klang, dessen Tonhöhe allmälig steigt, wenn die Umdrehungsge - schwindigkeit der Scheibe sich vergrössert. Setzen wir aber auf den Windkasten statt der Scheibe S eine andere Scheibe auf, deren Lö - cher sich nicht in regelmässigen Abständen von einander befinden, sondern (wie in Fig. 62) beliebig unregelmässig vertheilt sind, so er - halten wir mit einer solchen Scheibe niemals einen musikalischen Klang, welche Umdrehungsgeschwindigkeit wir derselben auch geben mögen, sondern der entstehende Schall bleibt stets ein zischendes Ge - räusch.
154Von dem Schall.Alle unsere Schalleindrücke sind entweder Geräusche oder Klänge. Häufig sind beide mit einander combinirt. So sind fast alle Klänge unserer musikalischen Instrumente von Geräuschen be - gleitet; man denke an das Kratzen der Violinbogen, an das Zischen der Blasinstrumente. Anderseits giebt es kaum ein Geräusch, das nicht noch einigermassen den Charakter des Klangs an sich trüge. An dem Geräusch, das ein zur Erde fallender Körper verursacht, an dem Rauschen des Windes, dem Rasseln der Wagen sind wir meistens im Stande noch eine gewisse Tonhöhe zu unterscheiden. Von allen Schallquellen steht am meisten die menschliche Stimme zwischen Klang und Geräusch in der Mitte. Die Consonanten sind Geräusche, während die Vocale mehr den Charakter des Klangs haben. Bei der Sprech - stimme herrscht das Geräusch, bei der Singstimme der musikalische Klang vor.
Der obige Versuch mit der Sirene giebt uns über die Ursache des Unterschieds der Geräusche und Klänge vollständige Rechenschaft. Ein Geräusch entsteht, wenn die einzelnen Luftstösse, welche den Schall verursachen, unregelmässig auf einander folgen; ein Klang entsteht, wenn die Luftstösse durch gleiche Zwischenräume getrennt sind. Auch darüber, dass die Geräusche meistens noch einigermassen den Charakter des Klangs an sich tragen, giebt uns der Versuch Auf - schluss. Denken wir uns nämlich die Scheibe in der in Fig. 62 dar -
gestellten Weise in unregelmässigen Zwischen - räumen durchbohrt, so werden immerhin einige der Löcher in annähernd regelmässigen Di - stanzen von einander befindlich sein. Dies ist z. B. mit den Löchern a, b, c, d der Fall. Wären diese Löcher allein vorhanden, so würde ein Klang von bestimmter Tonhöhe entstehen. Erst das Hinzutreten der andern Löcher stört diesen Klang und bildet ihn zum Geräusch um. Wir können daher jedes Geräusch in der an - gedeuteten Weise als einen gestörten Klang auffassen. Denn in jedem Geräusch wird eine gewisse Zahl von Luftstössen in regel - mässigen Zeitzwischenräumen auf einander folgen. Es können leicht in einem Geräusch mehrere regelmässig periodische Bewegungen neben einander vorkommen, deren jede, wenn sie für sich allein wäre, einen reinen musikalischen Klang bilden würde, und wo das Geräusch nur dadurch entsteht, dass die einzelnen Klänge sich stören. Ja wir kön - nen weiter gehen und behaupten: alle Geräusche lassen in neben einander hergehende und zuweilen rasch wechselnde periodische Luftbewegungen, also in musikalische Klänge sich auflösen. Wenn z. B. in Fig. 62 die ausser der regelmässigen Reihe a, b, c, d übrig bleibende Löcherreihe a', b', c '… nicht in regelmässigen Zwischen -155Entstehung und Ausbreitung des Schalls.räumen angebracht ist, so haben doch immer zwei dieser Löcher, z. B. a' und b' ein bestimmtes Lageverhältniss zu einander. Zwei in ge - gebener Zeit auf einander folgende Luftstösse bilden aber schon den Anfang eines Klangs von bestimmter Tonhöhe. Wenn wir also hin - zunehmen, dass im Geräusch, was auch die Erfahrung bestätigt, die Klänge sehr rasch successiv wechseln können, so ist das Geräusch geradezu als eine Summe sich störender Klänge zu definiren.
Anlass zur Entstehung musikalischer Klänge ist in der Natur107 Geschwindig - keit der Schall - schwingungen. sehr vielfach gegeben. Denn da jeder Klang in periodischen Er - schütterungen der Luft besteht, so wird jede regelmässige Schwin - gungsbewegung eines Körpers, die der Luft und durch die letztere unserm Gehör sich mittheilt, vorausgesetzt dass sie die geeignete In - tensität und Geschwindigkeit besitzt, von uns als Klang empfunden werden. Nun sind, wie wir im 1. Abschnitt (§. 34 und 36) gesehen haben, regelmässige Schwingungsbewegungen eine sehr häufige Er - scheinung. Jeder Körper, der durch eine äussere Kraft aus seiner ursprünglichen Lage, in der er sich durch andere Kräfte zu erhalten strebt, entfernt wird, schwingt um diese Lage in regelmässigen Pe - rioden; sind es die einzelnen Theilchen eines Körpers, die successiv solche Schwingungen ausführen, so entstehen die früher erörterten Wellenbewegungen. Schwingungs - und Wellenbewegungen bilden da - her allgemein die Ursache jener Qualitäten des Schalls, die wir als Klänge bezeichnen. Aber nicht alle periodischen Bewegungen können wir als Klänge empfinden: bei den Schwingungen eines Pendels, bei den Wellen des Wassers folgen sich die Perioden zu langsam, bei jenen Schwingungsbewegungen des Aethers, die wir als Wärme oder Licht empfinden, folgen sich die Perioden zu schnell. Die Bewegung muss also innerhalb gewisser Grenzen der Oscillationsgeschwindigkeit eingeschlossen sein, um die Klangempfindung hervorzurufen.
Die hier angedeuteten Grenzen können leicht mittelst der im §. 105 beschriebenen Sirene bestimmt werden. Ertheilt man näm - lich der Scheibe S eine bekannte Umdrehungsgeschwindigkeit, so er - gibt sich, wie wir gesehen haben, die Zahl der in einer gegebenen Zeit erfolgenden Luftstösse, wenn man die Anzahl der Löcher mit der Anzahl der Umdrehungen multiplicirt. Man braucht also, um die un - tere und die obere Grenze der Klänge zu ermitteln, nur diejenige Umdrehungsgeschwindigkeit zu bestimmen, bei der eben ein Ton ent - steht, sowie diejenige, bei der eben der Ton verschwindet. Man findet hierbei, dass etwa bei 16 Schwingungen in der Secunde die Tonempfindung beginnt, und dass bei höchstens 38000 Schwingungen in der Secunde die Tonempfindung aufhört. Eine deutliche Unter - scheidung der Tonhöhen ist jedoch nur ungefähr zwischen 40 und156Von dem Schall.4000 Schwingungen möglich, die in der Musik gebrauchten Klänge bleiben daher meistens innerhalb dieser engeren Grenzen.
Hiernach können nur diejenigen Schwingungs - und Wellenbe - wegungen, welche die angegebenen Oscillationsgeschwindigkeiten be - sitzen, zur Klangerregung und, da ja auch die Geräusche sich als zu - sammengesetzt aus Klängen betrachten lassen, überhaupt zur Schall - erregung Veranlassung geben.
Wir haben früher gesehen, dass alle Schwingungsbewegungen entweder als Longitudinalwellen oder als Transversalwellen sich fort - pflanzen. Beide Schwingungsformen können auch der Schallerregung zu Grunde liegen. Die Schwingungen der Luft selbst bestehen immer in Verdünnungs - und Verdichtungswellen. Der auf unser Ohr unmit - telbar einwirkende Schall besteht also aus Longitudinalschwingungen. Diese Longitudinalschwingungen der Luft können aber sowohl durch longitudinale als durch transversale Schwingungen des schallerzeugen - den Körpers hervorgerufen werden. In vielen Fällen ist die Luft selbst ursprüngliche Schallquelle. Jede heftige Bewegung der Luft erzeugt Schall. So enstehen Geräusche bei unregelmässigen Lufter - schütterungen, wie Sturm und Donner. Regelmässige Lufterschütterun - gen dagegen, bei denen die Luft ursprüngliche Schallquelle ist, sind die Klänge der Flöten und der ihnen ähnlichen Orgelpfeifen. Die in der cylindrischen Höhlung dieser Instrumente enthaltene Luft wird durch das Anblasen ihrer Mundöffnung in schwingende Bewegung versetzt. An beiderseits offenen cylindrischen Röhren ist die Länge der entstehenden Luftwellen annähernd doppelt so gross, an auf einer Seite geschlossenen Röhren viermal so gross als die Röhrenlänge. Bei andern Formen ist die Abhängigkeit der Wellenlänge von den Di - mensionen der Lufträume eine complicirtere.
Häufiger bilden feste Körper die Schallquelle. So erzeugen zwei gegen einander stossende feste Körper ein Geräusch, das zunächst in der Erschütterung der Körper selbst, die sich auf die umgebende Luft fortpflanzt, seinen Grund hat. Musikalische Klänge können sowohl durch Longitudinalschwingungen als durch Transversalschwingungen fester Körper hervorgebracht werden. Wenn man einen Stab der Länge nach reibt, so bilden sich in seinem Innern Verdichtungs - und Verdünnungswellen, die einen deutlichen Ton hervorbringen. Bei den gewöhnlichen Erzeugungsweisen der Töne benützt man aber die trans - versalen Schwingungen fester Körper. Solche transversale Schwin - gungen entstehen beim Anschlagen metallischer Stäbe, gespannter Saiten und Membranen. Die Klänge der Stimmgabeln, der Klavier - und Violinsaiten, der Trommel und Pauke und der sogenannten Zun - geninstrumente gehören hierher. Bei den Zungeninstrumenten sind es entweder Metallplatten, die durch einen anstossenden Luftstrom in157Entstehung und Ausbreitung des Schalls.Schwingungen versetzt werden (so bei den Zungenpfeifen der Orgel und Physharmonika), oder die schwingenden Zungen sind aus elasti - schem Rohr geschnitzt (bei der Clarinette, der Oboe und dem Fagott), oder endlich die Lippen des Blasenden selbst gerathen durch den sich an ihnen brechenden Luftstrom in transversale Schwingungen (bei den Hörnern und Trompeten). Diesen letzteren Instrumenten gleicht in Bezug auf die Art der Schallbewegung vollständig der menschliche Kehlkopf, dessen gespannte Stimmbänder membranöse, beim Vorbeistreichen der Luft schwingende Zungen bilden.
Alle derartige Schwingungen fester Körper, mögen sie nun longi -109 Fortpflanzungs - geschwindigkeit des Schalls. tudinal oder transversal sein, erzeugen in der umgebenden Luft Ver - dünnungs - und Verdichtungswellen, die nach allen Seiten sich aus - breiten. Treffen dieselben irgendwo auf ein menschliches Ohr, so rufen sie in dessen Trommelfell Transversalwellen hervor, die sich durch die Kette der Gehörknöchelchen auf das Wasser des Labyrinths fortpflanzen, hier wieder in Longitudinalwellen übergehen und endlich zuletzt an den eigentlichen Endorganen der Hörnerven, den Corti’schen Fasern, sich ohne Zweifel noch einmal in Transversalschwingungen umsetzen.
Aehnlich wie in der Luft und in Gasen wird der Schall auch in tropfbaren Flüssigkeiten fortgepflanzt. Erzeugen wir also z. B. einen Schall unter Wasser, und befindet sich ein menschliches Ohr in einer gewissen Entfernung davon ebenfalls unter dem Wasser, so empfängt dasselbe gerade so wie in der Luft einen Schalleindruck. Nur ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalls in beiden Fällen eine ver - schiedene. Während der Schall in der Luft bei 0° um 332 Meter in der Secunde sich fortpflanzt, beträgt diese Fortpflanzungsgeschwindig - keit im Wasser ungefähr 1435 Meter. Noch grösser ist die Fortpflan - zungsgeschwindigkeit des Schalls in festen Körpern: so ist sie im Ku - pfer ungefähr 11 mal, im Eisen 15 mal so gross als in der Luft. In der Luft selbst, und in den Gasen überhaupt, nimmt übrigens die Geschwindigkeit des Schalls mit steigender Temperatur etwas zu.
Von dem Ort seiner Entstehung aus pflanzt sich der Schall als eine kugelförmige Verdichtungs - und Verdünnungswelle nach allen Richtungen fort. Durch die Schwingungen des schallerzeugenden Körpers werden also nach einander die Luftschichten, die denselben in concentrischen Kugelschalen umschliessen, in Schwingungen ver - setzt. Da die lebendige Kraft der Schwingungsbewegung in jeder dieser Kugelschalen im Ganzen dieselbe sein muss, so wird demnach die Intensität des Schalls in irgend einem Punkt, der sich in einer bestimmten Entfernung von der Schallquelle befindet, im umgekehrten Verhältniss zu der Grösse der Kugelschale stehen, zu welcher der Punkt gehört, und zu welcher die Distanz des Punktes von der Schall -158Von dem Schall.quelle den Radius bildet. Da aber die Grösse einer Kugeloberfläche im Verhältniss des Quadrates ihres Radius wächst, so steht demnach die Schallintensität selbst im umgekehrten Verhältniss des Quadrates der Entfernung von der Schallquelle.
Trifft der in der Luft sich ausbreitende Schall auf ein anderes Medium, einen festen oder flüssigen Körper, so gelten für seine Re - flexion und Fortpflanzung dieselben Gesetze wie für die Wellenbewe - gung überhaupt. Trifft also ein Schallstrahl senkrecht gegen eine feste Wand, so wird er in derselben Richtung zurückgeworfen, trifft er in schräger Richtung auf dieselbe, so ist der Winkel, welchen der einfallende Strahl mit der auf der reflectirenden Fläche errichteten Normalen, dem Einfallsloth, bildet, gleich dem Winkel, den der re - flectirte Strahl mit der nämlichen Linie bildet. Befindet sich die re - flectirende Wand in hinreichender Entfernung von der Schallquelle, so dass zwischen der Auffassung des directen und des reflectirten Schalls eine merkliche Zeit liegt, so entsteht das Echo. Befinden sich da - gegen in kleiner Entfernung von der Schallquelle reflectirende Wände, so dass die reflectirten Schallstrahlen sich mit den directen vermi - schen, so wird eine Schallverstärkung hervorgerufen. Die zweck - mässigste Einrichtung besitzt, um eine solche Verstärkung des Schalls zu erzielen, das Sprachrohr (Fig. 63). Dasselbe ist ein conisch
geformtes Rohr, der Ort der Schall - erzeugung befindet sich an der enge - ren Oeffnung des Conus, also bei a. In Folge dessen wird der in der Rich - tung der Axe gehende Schallwellen - zug a m durch die an den Wandun - gen reflectirten Schallwellen a b c, a d e u. s. w. verstärkt, da, wie dies unmittelbar aus der Fig. 63 ersichtlich ist, die sämmtlichen auf die Wände des Rohrs auffallenden Schallstrahlen, die von dem Punkte a ausgehen, nach einmaliger Reflexion das Sprachrohr durch die Oeff - nung verlassen. Wollte man das Sprachrohr umgekehrt benützen, in - dem man an dem weiteren Ende o den Schall erregte und denselben durch das engere Ende a ausstrahlen liesse, so würden die auf die Wandung auffallenden Schallstrahlen grossentheils eine mehrmalige Reflexion erfahren, wie man z. B. an dem Strahl o n p sieht; durch solche mehrfache Reflexion müssen aber die Schallwellen geschwächt werden und endlich ganz erlöschen.
Einen ähnlichen Zweck haben die Schallröhren, die man Schwer - hörigen zur Benützung giebt. Trotzdem giebt man denselben gewöhn - lich die umgekehrte Form des Sprachrohrs. Für ein Hörrohr aber, das bloss zum äussern Anlegen an das Ohr bestimmt ist, würde offenbar159Entstehung und Ausbreitung des Schalls.eine dem Sprachrohr ähnliche Form die angemessenste sein. Scheinbar hat nun zwar das äussere Ohr des Menschen, das man als eine von der Natur zur Aufsammlung der Schallwellen bestimmte Vor - richtung zu betrachten pflegt, jene Form des Conus mit weiterer nach aussen gekehrter und engerer gegen den Ohrkanal gerichteter Oeffnung. In der That ist aber die Aehnlichkeit der Ohrmuschel mit dem Anfang einer Röhre nur eine höchst oberflächliche. Die we - sentlichsten Momente, welche die akustische Bedeutung des äus - sern Ohrs ausmachen, sind wohl folgende. Die muschelförmige Grube und die Innenfläche der vordern Ohrklappe sind einander zu - gekehrte concave Flächen, von denen die letztere so gestellt ist, dass sie die auf sie fallenden Schallstrahlen in den Ohrkanal reflectiren muss. Nach den allgemeinen Gesetzen der Reflexion sind nun con - cave Flächen stets zur Concentration der Wellen sehr geeignet: die Ohrmuschel concentrirt daher die Schallwellen auf die Innenfläche der vordern Ohrklappe, und diese concentrirt dieselben in den äussern Ge - hörgang. Nach dem nämlichen Princip dürften noch manche andere der am äussern Ohr sichtbaren Erhabenheiten und Vertiefungen aku - stisch zu erklären sein. Eine weitere Bedeutung erhält die Form des Ohrs dadurch, dass die hauptsächlichste zuerst den Schall auffangende Fläche, die muschelförmige Grube, nach vorn gekehrt ist, so dass we - gen der grösseren Intensität, mit der die von vorn kommenden Schall - wellen in den Ohrkanal reflectirt werden, ein Urtheil über die Rich - tung des Schalls und über den Ort wo sich die Schallquelle befindet möglich wird.
Man kann eine möglichst grosse Intensität der in den Gehörgang gelangenden Schallstrahlen noch dadurch erzielen, dass man das eine Ende eines cylindrischen Rohrs, an dessen anderm Ende die Schall - wellen erregt werden, unmittelbar in den Gehörgang steckt. Hierbei wird die sonstige Wirkung des Rohrs noch unterstützt durch die directe Schalleitung der Wandungen desselben. Gewöhnlich wendet man zu diesem Zweck cylindrische, am besten elastische Röhren (aus Kaut - schuk) an, die ein geeignetes Ansatzstück aus Horn oder Elfenbein besitzen, welches in den Gehörgang gebracht wird.
Es wäre ebenso einfach als zweckmässig, das zur Auscultation der Brust - organe benützte Hörrohr (das Stethoskop) nach demselben Princip zu construi - ren. Denn will man die Unbequemlichkeit vermeiden, die das unmittelbare Anlegen des Ohres an die Brust mit sich bringt, so sollte man wenigstens dem benützten Hörrohr diejenige Form geben, bei der es möglichs gut zu hören gestattet. Viele unserer Stethoskope sind aber geradezu zum Schlechthören eingerichtet, indem sie die Form eines Conus besitzen, dessen weitere Oeffnung auf die Brust aufgesetzt wird. Ein Stethoskop, dass besser den akustischen Anforderungen entspricht, ist neuerdings von König construirt worden. Poggendorff’s Annalen 1864.
160Von dem Schall.Wenn der Schall aus einem ersten in ein zweites Medium über - geht, so erfahren die Schallstrahlen eine Brechung, indem gemäss dem allgemeinen Brechungsgesetz der Sinus des Einfallswinkels zum Sinus des Brechungswinkels sich verhält wie die Fortpflanzungsge - schwindigkeit des Schalls im ersten zu derjenigen im zweiten Mittel. In der Regel sind die Erscheinungen der Schallbrechung mit Reflexions - erscheinungen, zuweilen auch mit Beugungserscheinungen verbunden. Auch wird beim Uebertreten des Schalls in andere Körper meistens ein grosser Theil der Schallwellen vernichtet oder vielmehr in andere Formen von Bewegung transformirt. Die Beugung des Schalls ist wegen der beträchtlichen Länge der Schallwellen sehr bedeutend. So ist es denn eine allbekannte Erscheinung, dass man ziemlich leicht um eine Ecke zu hören vermag. Uebrigens sind hierbei, wegen der Fortpflanzung des Schalls durch feste Körper, die gebeugten Wellen meistens mit direct zugeleiteten untermischt. Eine weitere practische Bedeutung haben die Erscheinungen der Brechung und Beugung des Schalls nicht.
Hinsichtlich der Theorie der Wellenbeugung vgl. das Capitel von der Beugung der Lichtwellen §. 208 u. f.
Nachdem wir die Erscheinungen betrachtet haben, welche die Verbreitung des Schalls im Allgemeinen zeigt, wenden wir uns zur Untersuchung der verschiedenen Qualitäten des Schalls. Wir haben hier zuerst die Klänge und sodann die wichtigeren Formen der Geräusche in’s Auge zu fassen. Die auffälligsten Verschieden - heiten, welche die Klänge darbieten, sind die Unterschiede der Ton - höhe. Ausserdem bemerken wir noch eigenthümliche Unterschiede der verschiedenen Klänge, welche die Unterschiede der Tonhöhe be - gleiten, und welche offenbar von der Art der Entstehung der Klänge abhängig sind. So sind die Klänge der Violine, der Orgel, der Flöte u. s. w. deutlich von einander zu unterscheiden. Man bezeichnet diese letzteren Unterschiede als Unterschiede der Klangfarbe.
Die Tonhöhe ist abhängig von der Anzahl der Schwingungen, welche in einer gegebenen Zeit regelmässig auf einander folgen; sie ist aber unabhängig von der Form dieser Schwingungen. Sobald wir daher eine bestimmte Anzahl von Luftstössen in der Secunde erzeugen, so hören wir eine bestimmte Tonhöhe, gleichgültig wie wir diese Luft - stösse hervorgebracht haben mögen. Unser Ohr unterscheidet mit be - sonderer Schärfe die Verhältnisse der Tonhöhen. Wir können161Von den Tönen und musikalischen Klängen.nun nachweisen, dass gleichen Verhältnissen der Tonhöhen immer gleiche Verhältnisse der Schwingungszahlen ent - sprechen, welches auch die Entstehungsweise der Töne sei. Wenn man der Sirene (Fig. 61) zuerst eine bestimmte Umdrehungsgesc hin - digkeit giebt und dann diese Geschwindigkeit verdoppelt, so dass nun die doppelte Zahl von Luftstössen in der gleichen Zeit entsteht, so ist der zweite Ton die Octave des ersten. Noch einfacher lässt sich dies zeigen, wenn man an der Sirene zwei Reihen von Löchern, beide in regelmässigen Abständen, anbringt, die Zahl der Löcher der einen Reihe aber doppelt so gross macht wie die der andern. Versetzt man nun die Scheibe in Bewegung, so entstehen zwei zusammenklingende Töne, die, welches auch die absolute Rotationsgeschwindigkeit sein möge, immer in dem Verhältniss von Grundton und Octave zu einan - der stehen. Macht man die beiden Löcherreihen so, dass auf je zwei Löcher der ersten drei der zweiten Reihe kommen, so sind die bei - den zusammenklingenden Töne Grundton und Quinte. Aehnlich ent - spricht dem Verhältniss 4: 5 die grosse Terz, dem Verhältniss 5: 6 die kleine Terz.
Das nämliche Gesetz lässt sich noch mittelst des Monochords nachweisen. Dieses einfache Instrument besteht aus einer einzigen Saite, welche über einen Resonanzboden ausgespannt ist, und unter welcher sich ein verschiebbarer Steg befindet, mittelst dessen man die Saite abtheilen und so beliebige Bruchtheile derselben durch Anschla - gen in Schwingungen versetzen kann. Wenn die Saite immer gleich gespannt bleibt, so verhalten sich die Schwingungszahlen umgekehrt wie die Saitenlängen, eine Saite von halber Länge schwingt also dop - pelt so oft. Lässt man nun zuerst die ganze Saite und dann, indem man den Steg in ihrer Mitte einsetzt, die halbe Saite schwingen, so stehen wieder beide Töne im Verhältniss von Grundton und Octave. Theilt man die Saite durch den Steg so, dass sich die Längen der beiden Abschnitte wie 2: 3 verhalten, so erhält man Grundton und Quinte; theilt man im Verhältniss von 3: 4, so erhält man Grundton und Quarte u. s. w. Obgleich in diesem Fall die Erzeugungsweise der Töne und auch die Klangfarbe eine ganz andere ist wie bei der Sirene, so sind doch die den gleichen Verhältnissen der Schwingungs - zahlen entsprechenden Verhältnisse der Tonhöhen die nämlichen.
Das einem bestimmten Verhältniss der Tonhöhen entsprechende113 Die consoniren - den Intervalle. Die Accorde. Die Tonleiter. Verhältniss zweier Schwingungszahlen bezeichnet man als Toninter - vall. Folgende lassen sich als die einfachsten Intervalle her - vorheben:
Diesen reihen sich als nächst einfache an:
Diese sieben Intervalle, die sich sämmtlich durch kleine ganze Zahlen ausdrücken lassen, haben die Eigenschaft, dass jedes derselben für unser Ohr einen harmonischen Zweiklang bildet. Man bezeichnet sie daher als consonirende Intervalle. Die einfachsten dersel - ben, die Octave und Quinte, welche den Verhältnissen 1: 2: 3 ent - sprechen, unterscheidet man aber als vollkommene Consonanzen von den übrigen, die als unvollkommene Consonanzen bezeich - net werden, weil sie für unser Ohr nicht so harmonisch wie die ersteren zusammenklingen. Alle übrigen Intervalle bilden Dissonan - zen. Es ergiebt sich hieraus das Gesetz, dass zwei Töne harmo - nisch zusammenklingen, wenn ihre Schwingungszahlen in dem Verhältniss kleiner ganzer Zahlen stehen.
Es lässt sich dieses Gesetz leicht auf das Zusammenklingen von drei oder mehr Tönen übertragen. Drei Töne werden offenbar dann harmonisch zusammenklingen, wenn jeder einzelne mit jedem der bei - den andern einen harmonischen Zweiklang bildet. Zusammenklänge, die aus mehr als zwei Einzelklängen bestehen, nennt man Accorde. So sind z. B. Grundton, grosse Terz und Quinte ein harmonischer Accord, weil Grundton und grosse Terz, Grundton und Quinte, grosse Terz und Quinte sämmtlich consonirende Intervalle sind. Zwischen dem Grundton und seiner Octave giebt es nur vier consonirende Drei - klänge. Den ersten derselben
Die Accorde 3 u. 4 werden als Terzsextenaccorde oder einfach als Sextenaccorde, die Accorde 4 und 6 als Quartsextenac - corde bezeichnet.
Die Musiker haben die Dur-Tonleiter aus sämmtlichen zu dem Duraccord und den beiden grossen Sextaccorden (3 und 4) nöthigen Tönen gebildet, indem sie zwischen dem Grundton und der Terz noch die Secunde mit dem Schwingungsverhältniss 9 / 8 und zwischen der Sext und der Octave die Septime mit dem Schwingungsverhältniss 15 / 8 hin -163Von den Tönen und musikalischen Klängen.zufügten. Man ist übereingekommen von dem Grundton c auszugehen, und erhält daher folgende Reihe als die C-Dur-Tonleiter:
Die in diese Tonleiter eingehenden drei Accorde sind:
Um nun in entsprechender Weise die D-Dur-Tonleiter zu bilden, d. h. die von dem Grundton d aus nach den gleichen Intervallen fort - schreitende Tonreihe, reicht man offenbar mit der C-Dur-Tonreihe nicht aus. Denn setzen wir den Ton d = 1, so ist e oder die Secunde nicht = 9 / 8 sondern = 10 / 9; ebenso findet man f nicht = 5 / 4 sondern = 32 / 27 u. s. w. Will man ferner die E-Dur-Tonleiter bilden, so erhält man für die Secunde 16 / 15, für die Terz 6 / 5 u. s. w. Streng genommen ergiebt sich also für jede Dur-Tonleiter eine andere Reihe von Tönen, die sämmtlich zwischen den Intervallen der C Dur-Tonreihe liegen. Man könnte nun aber mit einem jeden dieser zwischenliegenden Töne wie - der eine neue Tonleiter beginnen, man würde dann eine zwischenlie - gende Tonreihe zweiter Ordnung erhalten, dann liesse sich zu einer Reihe dritter, vierter oder noch höherer Ordnung fortgehen; es ist klar, dass sich so eine unendlich grosse Zahl möglicher Tonreihen eröffnet. Man beschränkt sich jedoch in der Musik auf die Tonreihen der ersten Ordnung und erlaubt sich die weitere Vereinfachung zwischen je zwei Tönen der C-Dur-Tonleiter nie mehr als einen einzigen Zwischenton, einen sogenannten halben Ton einzuschalten. Theils nämlich weichen die Zwischenintervalle von dem nächsten ganzen Ton so wenig ab, dass dieser an ihre Stelle gesetzt werden darf, theils sind die Zwi - schenintervalle von einander so wenig verschieden, dass man ein einziges mittleres Intervall ihnen substituiren darf. So ist z. B. das Verhältniss 10 / 9 von dem Verhältniss 9 / 8 durch das Gehör nicht mehr zu unterscheiden.
Wie die Durtonleiter aus dem Duraccord und den beiden gros - sen Sextenaccorden, so erhält man die Molltonleiter aus dem Moll - accord und den beiden kleinen Sextenaccorden (5 und 6), indem wie - der zwischen dem Grundton und der Terz die Secunde und zwischen der Sext und der Octave die Septime eingeschaltet wird. Die Se - cunde erhält, wie in der Durtonleiter, das Schwingungsverhältniss 9 / 8, die Septime dagegen muss sich zu der vorangegangenen kleinen Sext (8 / 5) so verhalten wie die Septime der Durtonleiter (15 / 8) zur grossen Sext (5 / 3). Die Septime der Molltonleiter hat daher nicht das Schwin - gungsverhältniss 15 / 8, sondern 9 / 5. (Denn 9 / 5 · 5 / 3 = 15 / 8 · 8 / 5.) Hieraus er - giebt sich folgende C-Moll-Tonleiter:
11 *164Von dem Schall.Die in diese Tonleiter eingehenden drei Accorde sind:
Mit jedem Ton der C-Molltonleiter kann man wieder eine neue Tonleiter (D-Moll, Es-Moll u. s. w.) beginnen; man könnte so in ähn - licher Weise zu Tonreihen höherer Ordnung gelangen wie vermittelst der Duraccorde, man beschränkt sich aber auch hier auf die Tonreihen erster Ordnung und benützt wieder die zwischen je zwei Tönen der siebenstufigen Scala eingeschalteten halben Töne für die zwischenlie - genden Intervalle. Hierdurch wird das ganze Tonsystem auf folgende 12 Töne reducirt:
Indem die Musik sich darauf beschränkt, zwischen je zwei gan - zen Tönen der C-Dur-Tonreihe nur ein zwischenliegendes Tonintervall aufzunehmen, wird sie genöthigt nicht bloss diese zwischenliegenden halben Töne, sondern auch die ganzen Töne, die zwischen dem Grund - ton und seiner Octave vorkommen, nicht in ihrem eigentlichen Schwin - gungsverhältniss zu belassen, weil sonst zwar einzelne Intervalle sehr rein, andere dagegen um so unreiner klingen würden. Man opfert daher lieber in geringem Grade die Reinheit aller Tonintervalle, um sie wenigstens so viel als möglich in einem gleichen Grad der Rein - heit zu erhalten. Dies geschieht durch die Stimmung nach gleich - schwebender Temperatur. Sie besteht darin, dass man nur den Octaven eine reine Stimmung giebt, die zwölf innerhalb einer Octave liegenden Töne aber gleich weit von einander abstehend annimmt, also das Schwingungsverhältniss zweier auf einander folgender Töne constant macht. Dieses constante Schwingungsverhältniss, welches 〈…〉 2 oder = 1,05986 ist, wird dann als das Intervall eines hal - ben Tones betrachtet.
Während die Tonhöhe von der Anzahl der in einer gegebenen Zeit regelmässig auf einanderfolgenden Schwingungen abhängt, ist die Klangfarbe durch die Form der Schwingungen bedingt. Die
Form der Luftwellenzüge, welche in unserm Ohr die Klangempfindung her - vorrufen, kann nämlich offenbar bei einer und derselben Tonhöhe eine äus - serst verschiedene sein. So entspre - chen die Wellenzüge A und B (Fig. 64.) der gleichen Tonhöhe, d. h. in A fol -165Von den Tönen und musikalischen Klängen.gen eben so viel Hin - und Herbewegungen der Luft in derselben Zeit wie in B auf einander, trotzdem ist in beiden Fällen die Einwirkung auf das Ohr und dem entsprechend auch die Klangempfindung eine verschiedene. Die besondere Form der zum Ohr sich fortpflanzenden Luft - schwingungen ist aber immer bedingt durch die Art und Weise, wie der Klang erzeugt wird. Die Form A z. B. entspricht etwa solchen Luftschwingungen, wie sie in einer angeblasenen Flöte entstehen, wäh - rend die Form B durch das Ziehen an einer Guitarrensaite zu Stande kommen kann. Die Bewegung der Saite selbst gleicht hier der Form eines einzelnen Bruchstücks a b des ganzen Wellenzugs. Der die Saite ziehende Finger bringt dieselbe in die Form a c b, worauf sie freige - lassen in dieser Form um ihre Gleichgewichtslage weiter schwingt und ihre Bewegung auf die umgebende Luft überträgt.
Die einfachste Form der Schallschwingungen ist die in Fig. 64 A dargestellte. Bei ihr ist nämlich in jedem Moment der Schwingung die Entfernung des schwingenden Punktes von der Gleich - gewichtslage proportional dem Sinus der Zeit. Man bezeichnet daher solche einfachste Schwingungen auch als Sinusschwingungen oder als pendelartige Schwingungen, weil für das Pendel das nämliche Gesetz der Bewegung stattfindet. In der Natur nähern sich diesen pendelartigen Schwingungen, wie schon oben bemerkt, die Schallschwingungen der Flöte, ausserdem die Schwingungen in weiten gedeckten Orgelpfeifen und am meisten die Schwingungen, welche in Resonanzräumen durch Stimmgabeln von entsprechender Stimmung hervorgerufen werden.
Die Ursache der Bezeichnung „ Sinusschwingungen “erhellt unmittelbar aus den in §. 29 ausgeführten Betrachtungen. Dort haben wir das Gesetz einfacher Schwin - gungen erörtert und gefunden, dass dasselbe sich entwickeln lässt, wenn man der hin - und herschwingenden Bewegung die Bewegung auf einer Kreisoberfläche[substituirt]. Einer ganzen durch die Wellencurve a b c (Fig. 65) repräsentirten Schwingung entspricht
so die Bewegung auf der Kreisoberfläche f a f, deren Radius gleich der Wellenhöhe ist. Ein etwa bei g befindlicher Beobachter wird auch in der That die Schwingun - gen in derselben Weise wahrnehmen, ob der schwingende Punkt auf dem Durchmesser r s gemäss dem in §. 29 entwickelten Schwingungsgesetz sich hin - und herbewegt, oder ob er auf der Wellenlinie a b c mit solcher Geschwindigkeit bewegt wird, dass er die Strecken a n, n p, die gleich grossen Abscissen a m, m o entsprechen, in gleichen Zeiten zurücklegt, oder ob er sich endlich mit gleichförmiger Geschwindig - keit auf der Kreisfläche f a f bewegt. Wie aber bei der Wellencurve a b c die166Von dem Schall.Abscissen a m, m o u. s. w. die aufeinanderfolgenden Zeittheile bedeuten, denen die Excursionen m n, o p u. s. w. entsprechen, so werden denselben Excursionen m' n', o' p' beim Kreis f a f die gleich grossen Winkel t, t' correspondirend. Es ist nun m' n' = r. sin. t, o' p' = r. sin. (t + t'), d. h. die einzelnen Excursionen sind proportional dem Sinus der verflossenen Zeit. Als „ pendelartige Schwingungen “wer - den solche einfache Schwingungen auch bezeichnet, weil, wie wir im §. 55 auseinan - dergesetzt haben, das Gesetz der Pendelschwingungen für den Fall dass man die Schwingungsbogen sehr klein annimmt nur ein specieller Fall des in §. 29 entwickelten allgemeinen Schwingungsgesetzes ist.
Man kann jede Wellencurve von beliebiger Form aus einer be - stimmten Anzahl solcher einfachsten Wellenformen, wie sie die Fig. 64 A darstellt, zusammensetzen. So lässt sich z. B. die ausgezogene Wellencurve Fig. 66 in die zwei punktirt gezeichneten auflösen. Eine
Verschiebung der beiden letzteren gegen einander würde die Form der resultirenden Curve verändern, und in jeder beliebigen Weise könnte dieselbe vollends durch Hinzufügen weiterer einfacher Wellenzüge ver - ändert werden. Es ist klar, dass hierbei die resultirende Welle so lange eine regelmässig periodische, wie in Fig. 66, bleibt, als die einfachen Wellen, aus denen sie sich zusammensetzt, im Verhältniss kleiner gan - zer Zahlen zu einander stehen. Jede beliebige regelmässig periodische Schwingungsform kann also aus einer Summe von einfachen Schwingungen zusammengesetzt werden, deren Schwingungszahlen ein, zwei, drei, vier u. s. w. mal so gross sind als die Schwingungszahl der gegebenen Be - wegung. Da nun der Klang allgemein eine regelmässig periodische Schwingungsform der Luft ist, so kann, wenn wir jene regelmässig pendelartige Bewegung, einen einfachen Ton, jede zusammenge - setzte regelmässige Bewegung aber einen Klang nennen, das obige Gesetz in seiner Anwendung auf die Theorie der Klangfarbe kurz so ausgedrückt werden: Jeder Klang ist aus einer Summe ein - facher Töne zusammengesetzt, deren Schwingungszah - len im Verhältniss kleiner ganzer Zahlen zu ein - ander stehen.
Diese Regel ist insofern nicht ganz streng gültig, als es Klänge167Von den Tönen und musikalischen Klängen.giebt, die zu den musikalischen Klängen gerechnet werden, und trotz - dem Partialtöne enthalten, deren Schwingungen nicht das Verhältniss kleiner ganzer Zahlen haben. Solche unharmonische Partialtöne hört man z. B. beim Anschlagen der Stimmgabel und aller Saitenin - strumente. Sie sind meistens sehr hohe Töne und werden neben den tieferen harmonischen Theiltönen, die den eigentlichen Klang bilden, vernachlässigt.
Die Stärke der einzelnen einfachen Töne, welche einen Klang zu -115 Partialtöne des Klangs. Ana - lyse des Klangs. Klänge der mu - sikalischen In - strumente. Vo - calklänge. sammensetzen, ist beträchtlich verschieden: hierdurch unterscheidet sich der Klang von dem harmonischen Zusammenklingen mehrerer Töne. Der Klang stimmt aber darin überein mit dem Zu - sammenklang, dass er nicht bloss objectiv aus einem Grundton und mehreren höheren Nebentönen zusammengesetzt werden kann, sondern dass wir auch durch Aufmerksamheit oder durch Herbeiziehung be - sonderer Hülfsmittel uns in den Stand setzen können die sämmtlichen Theiltöne, die einen Klang bilden, aus demselben herauszuhören.
Die objective Existenz der Partialtöne eines Klangs lässt sich beweisen, indem man die Gesetze des Mittönens zur Anwendung bringt. Körper von geringer Masse, z. B. gespannte Saiten oder Mem - branen, gerathen, wenn derjenige Ton, den sie selbst beim Anschlagen geben, erschallt, leicht in Mitschwingung, indem sich die Bewegung der Luft auf sie überträgt. Erschallt nun ein Klang, der den Eigenton der Saite oder Membran, wenn auch nur als schwächeren Partialton ent - hält, so kann ein Mitschwingen eintreten, und man hört dann den be - treffenden Partialton verstärkt durch die mitschwingende Saite oder Membran. Noch objectiver lässt der Versuch auf folgende Weise sich anstellen. Man legt in einem Clavier auf irgend eine Saite ein kleines Holzsplitterchen und schlägt dann eine andere Saite an, welche einen der Untertöne der ersten Saite giebt; man legt also z. B. das Splitter - chen auf c 'und schlägt c, F oder C u. s. w. an. Im Moment fliegt dann durch das eintretende Mitschwingen von c' das Splitterchen weg.
Durch eine Methode, die im Princip mit diesen Versuchen des Mittönens völlig übereinstimmt, lässt sich auch subjectiv, durch die Empfindung, jeder Klang in seine einzelnen Partialtöne zerlegen. Wir können nämlich nur desshalb die einzelnen Partialtöne nicht alle un - mittelbar wahrnehmen, weil sie in der Regel zu schwach sind. Wir richten daher unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den tiefsten, welcher zugleich der stärkste ist, den Grundton, und bestimmen nach diesem die Tonhöhe, während die höheren Partialtöne, die Ober - töne, lediglich die eigenthümliche Klangfärbung ausmachen. Wie nun eine Saite in Mitschwingungen geräth, wenn in der Umgebung der Eigenton derselben erzeugt wird, so können auch in dem Luftraum einer Röhre, einer Kugel u. dgl., der mit der äusseren Luft communi -168Von dem Schall.cirt, derartige Mitschwingungen entstehen. Man nennt solche Luft - räume Resonatoren. Meist benützt man als Resonatoren Glas - röhren, die am einen Ende offen und am andern geschlossen sind. Wird an das offene Ende einer derartigen Röhre eine Stimmgabel ge - halten, deren Ton mit demjenigen übereinstimmt, welcher beim An - blasen der Röhre entsteht, so wird der Ton der Stimmgabel beträcht - lich verstärkt. Um nun vermittelst eines Resonators die schwächeren Partialtöne eines Klanges zu hören, lässt man beide Enden des Reso - nators offen und steckt das eine in die eine Ohröffnung, während zu - gleich das andere Ohr zugehalten wird. Befindet sich dann in dem Klang der Eigenton des Resonators als Partialton, so wird derselbe beträchtlich verstärkt gehört.
Die Thatsache, dass wir durch unsere Empfindung einen Klang ebenso in mehrere einfache Töne zerlegen können, wie eine irgendwie zusammengesetzte Schwingungsform objectiv in eine Reihe pendelarti - ger Schwingungen zu zerlegen ist, beweist, dass wir mit dem Gehör - organ die Schwingungsbewegungen ganz anders auffassen als mit dem Gesichtssinn. Unser Auge sieht immer nur die resultirende Schwin - gung, es kann dieselbe aber nicht zerlegen in die einfachen pendel - artigen Schwingungen, aus denen sie sich zusammensetzt. Für das Ohr besteht umgekehrt das Wahrnehmen der resultirenden Schwingung nur in jener Zerlegung. Denn wenn wir auch ohne besondere Hülfs - mittel die meisten Partialtöne eines Klangs gewöhnlich nicht gesondert erkennen, so empfinden wir sie doch gesondert, und gerade die neben einander herlaufenden Empfindungen mehrerer Töne machen die Klangfarbe aus. Zum Erkennen der neben einander bestehenden Empfindungen ist dagegen eine grosse Intensität derselben oder eine gesteigerte Aufmerksamkeit erforderlich. Sehen wir uns in der Natur nach einer Analogie für eine solche Zerlegung zusammengesetzter pe - riodischer Bewegung in einfache um, so bieten die einzige Analogie jene Erscheinungen des Mitschwingens, welche uns in den Stand setzen auch objectiv die zusammengesetzten Schwingungen zu zerlegen. Las - sen wir gegen den Resonanzboden eines Claviers, dessen Dämpfer ge - hoben ist, einen kräftigen Klang ertönen, so kommen dadurch alle die - jenigen Saiten in Mitschwingung, welche den einfachen Tönen entspre - chen, die in dem angegebenen Klange enthalten sind. Könnten wir jede Saite des Claviers mit einer Nervenfaser verbinden, so dass die letztere erregt würde, sobald die Saite in Schwingung geriethe, so würde jeder Klang, der das Instrument trifft, eine Reihe von Empfin - dungen erregen entsprechend den pendelartigen Schwingungen, in welche die Luftbewegung zu zerlegen ist. Dies findet nun beim Ohr in der That statt. Hieraus dürfen wir folgern, dass in dem Ohr mit - schwingende Theile existiren, die in ähnlicher Weise wie die Saiten eines Claviers auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt sind, und169Von den Tönen und musikalischen Klängen.die mit gesonderten Nervenfasern in Verbindung stehen. In der That befinden sich nun, wie die mikroskopische Anatomie lehrt, an den En - den der Gehörnervenfasern kleine elastische Organe, denen ohne Zweifel die Function solcher mitschwingender Theile zukommt.
Die auf objectivem Wege (durch die Beobachtung des Mitschwin - gens) oder subjectiv (vermittelst der Resonatoren) vorgenommene Ana - lyse musikalischer Klänge ergiebt, dass die einen Klang zusammen - setzenden Theiltöne im Allgemeinen mit zunehmender Höhe an Stärke abnehmen. Der tiefste Partialton, der Grundton, überwiegt, wie schon bemerkt, so sehr, dass nach ihm allein die Tonhöhe bestimmt wird, aber auch die Obertöne, die bloss zur Bildung der Klang - farbe beitragen, nehmen im Allgemeinen mit zunehmender Höhe ab. Ferner hört man in der Regel die ungeradzahligen Obertöne, also die Quinten, Terzen, Septimen u. s. w. des Grundtons leichter als die ge - radzahligen, welche Octaven des Grundtons oder tieferer Töne sind. Dieser Unterschied ist offenbar ein subjectiver, da man auch in einem Accorde die Terzen und Quinten leichter als die Octaven von einander trennt. Unter den ungeradzahligen steht meistens der dritte Ton, die Duodecime des Grundtons oder Quinte seiner ersten höheren Octave, voran, dann folgt der fünfte Partialton als Terz und hierauf der sie - bente als kleine Septime der zweiten höheren Octave des Grundtons. Uebrigens finden sich in dieser Beziehung Unterschiede, welche von der verschiedenen Beschaffenheit der Klangquelle abhängig sind, und welche eben die Verschiedenheiten der Klangfarbe bedingen. So ist in den Klängen, die durch Anschlagen von Saiten erhalten werden, eine grosse Menge von Obertönen und der Grundton im Verhältniss zu denselben ziemlich schwach. Im Klang der Streichinstrumente ist der Grundton kräftiger, unter den Obertönen sind aber namentlich die höheren (vom sechsten bis etwa zehnten) auffallend stark und verur - sachen die Schärfe des Klangs dieser Instrumente. Die weiten ge - deckten Pfeifen der Orgel geben den Grundton fast rein, die engeren lassen den zweiten Oberton (die Duodecime) deutlich mitklingen; bei den weiten offenen Pfeifen hört man den ersten und zweiten Oberton (Octave und Duodecime) neben dem Grundton. Bei den Zungenpfeifen ist die Klangfarbe theils von der Beschaffenheit der Zunge, deren Schwingungen den Ton verursachen, theils von der Beschaffenheit des Ansatzrohrs, welches hierbei als Resonanzröhre wirkt, abhängig. Der Schall wird hier erzeugt durch die intermittirenden Luftstösse, welche durch die von der Zunge geschlossene Oeffnung bei jeder ihrer Schwingungen hindurchbrechen. Die Bewegung der Luft ist in die - sem Fall in hohem Grad discontinuirlich, da die Luftstösse meist durch vollständige Pausen (entsprechend der Zeit, während deren die Oeffnung durch die Zunge geschlossen wird) von einander getrennt sind. Wo aber auch die Schwingungscurven scharfe Discon -170Von dem Schall.tinuitäten zeigen, da sind dieselben doch, wie oben bemerkt, immer aus einer sehr grossen Anzahl einfacher, sogenannter Sinuscurven zusam - mengesetzt. Freie Zungen ohne Ansatzrohr geben daher einen sehr scharfen, eine lange Reihe von Obertönen enthaltenden Klang. Durch das Ansatzrohr werden nun diejenigen Obertöne, welche den eigenen Tönen desselben entsprechen, beträchtlich verstärkt. Die Klangfarbe der Zungenpfeifen der Orgel, der Physharmonika und der Blasinstru - mente hängt daher wesentlich von der Gestalt und Beschaffenheit des Ansatzrohrs ab. So verstärkt das cylindrische Rohr der Clarinette durch seine Resonanz hauptsächlich die ungeradzahligen Obertöne des Klangs, während die kegelförmigen Röhren der Oboen, Fagotte, Trompeten und Hörner ziemlich gleichmässig alle harmonischen Obertöne verstärken.
Bei den künstlichen Zungenpfeifen wird der Klang entweder durch eine steife metallische Zunge von unveränderlicher Schwingungs - dauer hervorgebracht (Orgel, Physharmonika), oder er wird aus dem Töne von äusserst verschiedener Höhe enthaltenden Geräusch einer hölzernen Zunge durch ein bestimmte Töne verstärkendes An - satzrohr gleichsam ausgesondert (Clarinette, Oboe, Fagott), oder er wird endlich durch die schwingenden Lippen des Blasenden, die den Schwingungen der Luftsäule des Ansatzrohrs sich anpassen, erzeugt, in welchem letzteren Fall es von der Form und Spannung der Lippen abhängt, welcher der Eigentöne des Ansatzrohrs erklingt (Trompeten, Hörner u. s. w.).
Eine Zungenpfeife besonderer Art ist dagegen der menschliche Kehlkopf. Bei ihm wird unmittelbar durch die veränderte Spannung der Stimmbänder, welche hier die membranösen Zungen bilden, die Höhe des Tons verändert. Das Ansatzrohr des Kehlkopfs, die Mundhöhle, ist zu weit und kurz und besitzt zu nachgiebige Wände, als dass es auf den erzeugten Klang einen so wesentlichen Einfluss äussern könnte, um die Tonhöhe zu bestimmen. Allerdings wird aber der Partialton, welcher der jeweiligen Formbeschaffenheit jenes Ansatzrohres entspricht, verstärkt und bedingt dadurch wesentlich die Klangfarbe des gesunge - nen oder gesprochenen Tons. Während also bei den meisten andern Zungeninstrumenten der Eigenton des Ansatzrohrs die Tonhöhe be - stimmt, bringt er es bei dem Stimmorgan nur zu einem Einfluss auf die Klangfarbe. Da aber die Form der Mundhöhle durch die Muskeln in ihrer Wandung veränderlich ist, so ist auch jener die Klangfarbe der Stimme wesentlich mitbestimmende Partialton und damit die Klang - farbe selber veränderlich. Diese Eigenschaft, die Veränderlich - keit der Klangfarbe bei gleichbleibender Tonhöhe, charak - terisirt das Stimmorgan vor allen andern Erzeugungsquellen musikali - scher Klänge.
Die durch die wechselnde Formbeschaffenheit der Mundhöhle er - zeugten Klangfarben der Stimme bilden die Vocalklänge. Man171Von den Tönen und musikalischen Klängen.kann sich hiervon auf sehr einfache Weise experimentell überzeugen, indem man in der Mundhöhle ein beliebiges Geräusch erzeugt, z. B. durch tonloses Ausstossen der Luft (Flüsterstimme) oder durch An - schlagen der Zähne mit einem metallischen Körper, und zugleich der Mundhöhle diejenige Form giebt, die sie bei der Bildung eines be - stimmten Vocales hat: es nimmt dann das erzeugte Geräusch die Klangfarbe des nämlichen Vocals an. Vollkommen sichergestellt wird diese Theorie der Vocalbildung durch die Analyse der Vocalklänge nach der früher angegebenen Methode mittelst der Resonatoren. Es ergiebt sich hierbei, dass in jedem Vocalklang ein bestimmter cha - rakteristischer Oberton enthalten ist. Man kann daher auch Vocale künstlich erzeugen, indem man zu einem beliebigen Klang diesen charakteristischen Oberton hinzufügt. Bei mehreren Vocalen werden zwei Partialtöne so durch die Resonanz der Mundhöhle ver - stärkt, dass sie den Vocalklang bestimmen. Ordnen wir die Vocale möglichst nach ihrer Klangverwandtschaft, so können wir folgende Tafel derselben mit Hinzufügung ihrer charakteristischen Obertöne entwerfen:
Eine ausführlichere Erörterung der in diesem und dem vorigen §. dargestellten Theorie der Klänge findet man bei Helmholtz, die Lehre von den Tonempfindungen. 2. Ausg. Braunschweig 1865.
Wenn verschiedene regelmässig periodische Schwingungsbewe -116 Interferenz der Schallwellen. Consonanz und Dissonanz der Klänge. gungen neben einander entstehen, so können dieselben entweder ähn - lich wie die Theiltöne eines einzelnen Klangs sich zusammensetzen zu einer complicirten Schwingungscurve, die aber auf objectivem und subjectivem Wege unmittelbar in die einfacheren Schwingungscurven, aus denen sie hervorgieng, sich auflösen lässt, oder es können die neben einander herlaufenden Schwingungen sich gegenseitig durch ihre Interferenz stören, wo dann eine neue Reihe von Erscheinungen auftritt, die wir nachher in’s Auge fassen werden.
Verschiedene Klänge laufen selbstverständlich immer dann unge - stört neben einander her, wenn ihre Schwingungszahlen im selben Verhältnisse zu einander stehen wie die harmonischen Theiltöne eines einzelnen Klangs. Es entsteht dann eine zusammengesetzte Schwin - gungsbewegung der Luft, die sich natürlich ebenso und noch leichter als diejenige, die den einzelnen Klang verursacht, in ihre Bestand - theile auflösen lässt. Es stören sich demnach alle diejenigen Klänge172Von dem Schall.nicht, deren Schwingungszahlen in dem Verhältnisse 1: 2: 3: 4 u. s. w. stehen. Die Intervalle, die diesen Zahlenverhältnissen entsprechen, bezeichnet man, wie wir in §. 113 gesehen haben, als consonirende Intervalle und die entsprechenden Töne als Consonanzen. Je zwei consonirende Töne verhalten sich wie harmonische Partialtöne eines Klangs, d. h. ihre Schwingungen stehen im Verhältniss kleiner ganzer Zahlen, sie erzeugen daher eine zusammengesetzte regelmässig periodische Schwingungsbewegung, welche unsere Empfindung in die einfacheren, sie zusammensetzenden Bewegungen zerlegt.
Eine gegenseitige Störung gleichzeitig erklingender Töne tritt regelmässig dann ein, wenn sich die Schwingungsphasen so zu einan - der verhalten, dass sich die verschiedenen Schwingungsbewegungen entweder während ihrer ganzen Dauer oder während bestimmter Pe - rioden dieser Dauer verstärken oder schwächen oder auch ganz auf - heben. Tritt die gegenseitige Verstärkung oder Schwächung der Be - wegungen gleichmässig während ihrer ganzen Dauer ein, so kann man dies als einfache Interferenz bezeichnen. Diese Interferenz besteht in dem Zusammentreffen mehrerer Schwingungen von gleicher Periode, und sie begreift zwei Hauptfälle unter sich: 1) die Interferenz solcher Schwin - gungen, die gleiche Phase mit einander einhalten, bei denen also der Berg der einen Welle mit dem Berg der andern und das Thal der einen Welle mit dem Thal der andern zusammenfällt, und 2) die In - terferenz solcher Schwingungen, deren Phasen um eine halbe Schwin - gung von einander verschieden sind, bei denen also je ein Berg der einen mit je einem Thal der andern Welle zusammenfällt. Das Zu - sammentreffen zweier Wellen ohne Phasendifferenz veranschaulicht die Fig. 67 A. Durch das Zusammentreffen der Wellenzüge 1 und 2 ent -
steht der Wellenzug 3 mit doppelt so hohen Bergen und doppelt so tiefen Thälern. Da die Intensität des Schalls dem Quadrat der Schwin - gungsamplitude proportional ist, so erhält man hierbei einen Ton nicht von der doppelten, sondern von der vierfachen Intensität. Die bei - den Wellenzüge 4 u. 5 in Fig. 67 B haben dagegen eine Phasendifferenz von einer halben Wellenlänge. In - dem hier die Berge der einen Welle die Thäler der andern ausfüllen, zerstören die Bewegungen sich ge - genseitig, die Summe der Höhen beider Curven ist also durch die Gerade 6 dargestellt, d. h. die Intensität des Schalls wird null.
173Von den Tönen und musikalischen Klängen.Man kann die Erscheinungen der Verstärkung sowie der Schwä - chung oder Aufhebung des Schalls durch Interferenz leicht mittelst der Sirene hervorrufen. Verbindet man zwei Sirenen mit gleich viel Löchern so zu einer Doppelsirene, dass sie sich mit einander bewe - gen und die Luftstösse beider genau gleichzeitig erfolgen, so fallen bei gleicher Tonhöhe die gleichen Phasen zusammen, der Ton wird also beträchtlich verstärkt. Stellt man dagegen die beiden Sirenen so, dass die Luftstösse der einen genau in die Mitte zwischen die - jenigen der andern fallen, so vernichten sich die beiden Töne gegen - seitig; doch verschwinden bei diesem Versuch nur die Grundtöne, nicht ihre Obertöne. Denn wenn die Phasendifferenz des Grundtons eine halbe Schwingung beträgt, so ist die Phasendifferenz der höheren Octave eine ganze Schwingung, so dass beide Schwingungsbewegun - gen sich verstärken. Während also die Intensität des Grundtons null wird, wird die Intensität des ersten Obertons verdoppelt, der Ton schlägt daher in die Octave um.
Wenn zwei Wellenzüge von verschiedener Schwingungsdauer zu - sammentreffen, so resultirt nicht, wie bei der einfachen Interferenz, ein anhaltend verstärkter oder geschwächter beziehungsweise vernich - teter Ton, sondern es entstehen abwechselnde Zu - und Abnahmen der Intensität des Klangs, die man als Tonstösse oder als Schwebun - gen bezeichnet. Denken wir uns nämlich, zwei Wellenzüge A B und C D (Fig. 68) träfen zusammen, die in einer der Abscissenlinie A B
entsprechenden Zeit genau um eine Schwingung verschieden seien, so werden, wenn am Anfang dieser Zeit, also bei a, beide Wellenzüge gleiche Phase haben, am Ende derselben Zeit, bei b, entgegengesetzte Schwingungsphasen zusammenfallen. Bei a entsteht ein doppelt so hoher Wellenberg, also eine Verstärkung des Klangs, bei b heben Wellenberg und Wellenthal sich auf, es entsteht also eine Intermission des Tons. Von b an brauchen beide Wellenzüge eine der Abscissen - länge A B entsprechende Zeit, bis wieder, wie bei a, zwei Wellen - berge zusammentreffen. Zwei Tonhöhen, die in der Secunde um eine Wellenlänge differiren, bewirken also in jeder Secunde eine Zu - und Abnahme der Intensität des Klangs. Sind die beiden Töne um zwei Wellenlängen von einander verschieden, so erhält man zwei Zu - und174Von dem Schall.Abnahmen der Klangintensität u. s. w. Zusammenklingende Töne bilden demnach ebenso viele Schwebungen mit einander, als der Unterschied ihrer Schwingungszahlen beträgt. Bei einfachen Tönen (von Stimmgabeln oder gedeckten Pfeifen) verschwindet der Ton während des Zusammentreffens von Wellenberg und Wellenthal vollständig. Bei zusammengesetzten Klän - gen treten während der Pausen die Obertöne hervor, der Ton schlägt daher hier in seine Octave um. Uebrigens bilden auch die Obertöne Schwebungen mit einander, und zwar kommen, wie sich leicht aus den Schwingungszahlen der Obertöne ergiebt, auf jede Schwebung des Grundtons zwei Schwebungen des ersten Obertons, drei Schwe - bungen des zweiten u. s. w.
Man kann die Schwebungen nicht bloss subjectiv, durch die Un - terbrechungen des Klangs, wahrnehmen, sondern sie auch objectiv wahrnehmbar machen, indem man die Klänge auf einen mitschwin - genden Körper einwirken lässt, dessen Grundton beiden Klängen nahe genug liegt, um durch sie in Mitschwingen versetzt zu werden. Lässt man z. B. die Klänge gegen eine Saite wirken, deren Schwingungen durch ein aufgesetztes Holzsplitterchen deutlich gemacht werden, so sieht man die Excursionen der Saite abwechselnd stärker und schwä - cher werden.
Indem mit zunehmendem Unterschied der Schwingungszahlen die Schwebungen rascher auf einander folgen, nehmen die zusammen - klingenden Töne mehr und mehr den Charakter der Dissonanz an. Wenige Schwebungen in der Secunde bringen ein Tremuliren des Tons hervor, das unter Umständen sogar von musikalischem Effecte sein kann; wächst dagegen die Zahl der Schwebungen auf 20 — 30, so wird die Störung das Zusammenklangs empfindlicher. Ein schnell schwebender Zusammenklang wird knarrend, ähnlich dem Buchstaben R. Wächst jedoch die Zahl der Schwebungen noch weiter, ungefähr bis über 130 in der Secunde, so werden die Intermissionen des Tons zu rasch, um noch unterschieden werden zu können. Doch ist es nicht die grosse Zahl der Schwebungen allein, wodurch dieselben un - hörbar werden, sondern auch die Grösse des Intervalls hat hier - auf einen wesentlichen Einfluss. So bilden z. B. das Halbtonintervall h″ c‴ und das Intervall des ganzen Tons b' c″ beide 66 Schwebun - gen, trotzdem ist dort die Dissonanz viel empfindlicher als hier. Die Dissonanz nimmt also bei gleichbleibender Anzahl der Schwebungen ab mit der Grösse des Intervalls. Es erklärt sich dies aus den Er - scheinungen des Mitschwingens. Unser Ohr empfindet die Töne durch mitschwingende Theile, die mit den Nervenfasern in Verbindung ste - hen. Schwebungen empfinden wir nun ohne Zweifel dann, wenn die mitschwingenden Theile in unserm Gehörorgan sich ähnlich verhalten wie z. B. eine mitschwingende Saite, an der wir durch die abwech -175Von den Tönen und musikalischen Klängen.selnde Zu - und Abnahme der Excursionen die Schwebungen objectiv wahrnehmen. Es wird also die Empfindung der Schwebungen oder der Dissonanz vorhanden sein, sobald die zusammenklingenden Töne gleichzeitig sich auf die nämlichen mitschwingenden Theile im Gehör - organ übertragen, so dass eine Superposition der Schwingungen ent - steht, in Folge deren die[Schwingungsexcursion] jener Theile abwech - selnd zu - und abnimmt. Folgen nun diese Zu - und Abnahmen sich nicht allzu rasch, so empfinden wir sie. Hieraus erklärt sich, dass die Dissonanz abnimmt erstens mit der Grösse des Intervalls und zweitens bei gleichbleibendem Intervall mit der Tonhöhe.
Wenn Töne von verschiedener Schwingungszahl zusammentreffen,117 Combinations - töne. so kommt es vor, dass dieselben sich nicht einfach abwechselnd ver - stärken und schwächen und dadurch Schwebungen verursachen, son - dern, wenn zwei Töne von nicht zu kleiner Schwingungsdauer ange - geben werden, so können combinirte Schwingungsbewegungen der Luft entstehen, die neue Töne hervorrufen, welche man, weil sie das Zusammentreffen mehrerer Töne voraussetzen, als Combinations - töne bezeichnet. Erklingen zwei Töne von einem bestimmten Un - terschied der Schwingungszahl neben einander, so wird bei jedem Zusammentreffen zweier Wellenberge die Luft eine kräftigere Excur - sion nach der einen Richtung, bei jedem Zusammentreffen zweier Wellenthäler eine kräftige Excursion nach der entgegengesetzten Rich - tung erhalten. Diese stärkeren Excursionen werden, indem sie regel - mässig auf einander folgen, die Luft für sich in pendelartige Schwin - gungen versetzen, und es muss so ein neuer Ton entstehen, dessen Schwingungszahl gleich dem Unterschied der Schwingungszahlen beider neben einander erklingender Töne ist. Man bezeichnet daher diese Combinationstöne auch als Differenztöne. Verhalten sich z. B. die Schwingungszahlen beider Töne wie 2: 3 (Quinte) oder wie 3: 4 (Quarte), so hat der Differenzton das Schwingungsverhältniss 1, d. h. im ersten Fall ist der Combinationston um eine Octave, im zweiten Fall um eine Duodecime tiefer als der tiefste der zusammenklingen - den Töne. Die Differenztöne sind also immer tiefer als die primären Töne.
Neben den Differenztönen giebt es noch eine zweite Art von Combinationstönen. Diese, die übrigens eine weit geringere Tonstärke besitzen, entstehen dadurch, dass bei grösseren Schallwellen von ver - schiedener Länge die der einen und der andern Welle zugehörenden Berge und Thäler gesonderte Impulse verursachen, durch welche die Luft in neue pendelartige Schwingungen geräth, deren Zahl dann der Summe der Schwingungszahlen beider erzeugenden Wellen gleich - kommt. Man bezeichnet daher diese Töne als Summationstöne.
Hat man zusammengesetzte Klänge, so können nicht bloss die176Von dem Schall.Grundtöne sondern auch deren Obertöne mit einander Combinations - töne bilden. Neben den Combinationstönen erster Ordnung erhält man so Combinationstöne zweiter Ordnung u. s. f. Doch sind diese Com - binationstöne höherer Ordnung nur bei den Differenztönen wahrzu - nehmen.
Unsere Kenntnisse über das Wesen der Geräusche beschrän - ken sich in der Hauptsache auf die in §. 106 angegebenen allgemei - nen Gesichtspunkte. Dagegen ist es bis jetzt nicht geglückt die ein - zelnen Formen der Geräusche in ähnlicher Weise wie die verschiedenen Klangfarben zu zergliedern. Wir unterscheiden am besten zwei Ar - ten von Geräuschen: erstens solche, bei denen hauptsächlich wegen ihrer kurzen Dauer eine bestimmte Tonhöhe nicht wahrgenommen werden kann, und zweitens solche, bei denen die Wahrnehmbarkeit der Tonhöhe durch die gegenseitige Störung der in dem Schall ent - haltenen Partialtöne verschwindet. Viele Geräusche können übrigens gleichzeitig zu beiden Arten gerechnet werden, indem ebensowohl durch kurze Dauer als durch Ineinanderklingen verschiedener Töne die Tonhöhe unkenntlich wird.
Die kurz dauernden Geräusche, wie solche beim plötz - lichen Aneinanderstossen fester Körper vorzukommen pflegen, stehen meistens den regelmässigen Klängen näher. Da jede Erschütterung eines festen Körpers vermöge der Elasticität desselben ein kurzes Nachschwingen zur Folge hat, und da wenige periodische Schwingun - gen zur Erzeugung einer bestimmten Tonhöhe schon genügen, so ist es erklärlich, dass in diesem Fall die scharfe Erkennbarkeit des Tons meistens nur an der ausserordentlichen Kürze desselben eine Grenze findet. Wegen dieser Kürze des Tons ist es namentlich auch unmög - lich noch Obertöne zu erkennen, und hierdurch hauptsächlich unter - scheidet sich diese Art der Geräusche von den Klängen, denen sie sich übrigens mit der Verlängerung ihrer Dauer annähern.
Ein instructives Beispiel der bezeichneten Classe von Geräuschen bieten die sogenannten Percussionstöne des menschlichen Körpers. Dieselben werden erzeugt, indem man auf die hinsichtlich ihres Schalls zu untersuchende Körperstelle ein Elfenbeinplättchen (das Plessimeter) auflegt und an dieses entweder mit dem Finger oder mit einem leder - überzogenen Hämmerchen anschlägt. Es ist hierbei zunächst das ange - schlagene Elfenbeinplättchen, welches den Schall erzeugt. Dieser kurze und klanglose Schall wird aber durch die Theile, auf denen das Plessimeter aufliegt, verändert. Sind diese Theile solid, so gerathen177Von den Geräuschen.sie als ganze Masse in Mitschwingung. Befinden sich unter der an - geschlagenen Stelle mit Luft erfüllte Hohlräume, so wird der in dem Plessimeterschall enthaltene Eigenton des Luftraums durch Resonanz des letzteren verstärkt. Der Percussionsschall zeigt nun Unterschiede der Stärke, der Tonhöhe und der Dauer. Er ist bei gleicher In - tensität des Anschlags um so stärker, je schwingungsfähiger die in Mitschwingungen versetzte unterliegende Masse ist, seine Intensität steigt ferner, wenn Resonanz gebende Lufträume vorhanden sind, und je weniger sich hierbei dämpfende Massen im Innern oder an den Wandungen dieser Lufträume vorfinden. Die Tonhöhe ist dagegen abhängig von den Dimensionen der schallgebenden Masse. Da die Schwingungszahlen parallelepipedischer Stäbe im umgekehrten qua - dratischen Verhältniss ihrer Länge und im directen Verhältniss ihrer Dicke stehen, so lässt sich z. B. begreifen, dass der Percussionston des Oberschenkels tiefer ist als derjenige des Unterschenkels u. s. w., ohne dass jedoch bei der complicirten Formbeschaffenheit der mensch - lichen Körpertheile genauere Gesetze sich aufstellen lassen. Zwei un - gleich grosse aber geometrisch ähnliche Massen geben im Allgemeinen Töne, deren Schwingungszahlen sich umgekehrt wie irgend eine der homologen Dimensionen verhalten. Wo der Schall durch einen unter - liegenden Hohlraum bestimmt ist, da hängt seine Tonhöhe von den Dimensionen des Hohlraumes und von der Beschaffenheit der Oeffnung ab, durch welche derselbe mit der äusseren Luft in Verbindung steht. Kann man den Hohlraum annähernd als eine cylindrische Röhre be - trachten, so wird der Ton sowohl mit der Länge als mit der Weite der Röhre tiefer und sinkt überdies mit enger werdender Oeffnung. Eine längere Dauer erhält der Percussionsschall und nähert sich dadurch dem Klang, wenn die angeschlagene Masse leicht fortschwingt, namentlich aber wenn sich unter ihr ein Luftraum befindet, der gün - stige Bedingungen zur Resonanz darbietet; solche Bedingungen sind glatte, nicht allzu fest gespannte Wände und Fehlen dämpfender Mas - sen. Mit der längeren Dauer pflegt immer auch eine verhältniss - mässig beträchtliche Stärke des Schalls verbunden zu sein.
Man hat in der medicinischen Diagnostik eine eigene Termino -119 Die Hauptfor - men der Per - cussionsge - räusche. logie für die je nach Stärke, Höhe und Dauer zu beobachtenden Un - terschiede des Percussionsschalls eingeführt. Matt nennt man einen Schall, der schwach und zugleich von momentaner Dauer ist, so dass die Tonhöhe schwer erkannt werden kann; er wird bei der Percussion dichter, fleischiger Theile, z. B. des Schenkels, erhalten. Dumpf oder leer nennt man einen schwachen und kurzen Schall, dessen Dauer aber die Dauer des Anschlags schon um ein weniges übertrifft. Man erhält diesen Schall namentlich bei der Percussion solcher Theile, die über Resonanz gebenden Lufträumen liegen, deren Schwingungen aber durch unterliegende feste Massen gedämpft werden, so z. B. bei derWundt, medicin. Physik. 12178Von dem Schall.Percussion des Thorax, wenn sich unter demselben eine theilweise mit Exsudat erfüllte Lunge befindet. Der gedämpfte Schall geht bei Zunahme des Exsudats, namentlich aber wenn der Pleurasack Sitz des Exsudates ist, gradweise in den matten Schall über. Hell oder voll (sonor) nennt man einen Schall, der an Dauer und Intensität den dumpfen Schall übertrifft und sich daher dem Klang schon mehr annähert. Ein Beispiel dieses Schalls liefert die Percussion des nor - malen Thorax. Man hat es hier mit Schwingungen einer annähernd starren Wand zu thun, zu denen der Luftraum der Lungen Resonanz giebt, welche letztere jedoch durch das Lungenparenchym gedämpft wird. Auch die Bedeckung der Brustwand mit Fleisch und Fett macht den Schall dumpfer, indem sie die Schwingungen der angeschlagenen Stelle dämpft, ähnlich wie der Schall einer Trommel dumpfer wird, wenn man sie mit Tuch überzieht. Der Schall wird daher unter sonst gleichen Bedingungen um so sonorer, je fleisch - und fettloser die Brustwand ist.
Die Unterschiede zwischen dumpf und leer, zwischen hell und voll beziehen sich, wie ich glaube, ausschliesslich auf die Ton - höhe. Unter einem dumpfen versteht man immer auch einen tiefen Schall. Will man daher einen schwachen, kurzen Schall bezeichnen, der zugleich hoch ist, so nennt man denselben leer. Umgekehrt ver - steht man unter einem hellen zugleich einen hohen Schall, zur Be - zeichnung des tieferen von sonst gleicher Dauer und Stärke wählt man daher den Ausdruck voll. Die Gegensätze dumpf und hell, leer und voll beziehen sich also gleichzeitig auf Stärke, Dauer und Höhe des Tons. Wenn z. B. ein heller Ton an Stärke, Dauer und Höhe sinkt, so wird er dumpf, wenn er bloss an Stärke und Dauer sinkt, so wird er leer. Eine eigenthümliche Form des Percussionsschalls ist endlich der tympanitische Schall: er nähert sich durch seine Dauer schon dem musikalischen Klang und lässt daher für ein geübtes Ohr leicht seine Tonhöhe erkennen. Der tympanitische Schall ent - steht, wenn die Bedingungen zum Mitschwingen der unter dem percutirten Körpertheil liegenden Lufträume die möglichst günstigen sind. So giebt die über den lufthaltigen Därmen gespannte Bauch - decke, der Thorax über stark erweiterten und mit glatten Wänden versehenen Lufträumen einen tympanitischen Schall. Die Spannung der percutirten Bedeckungen, die den mitschwingenden Luftraum um - geben, darf jedoch nicht allzu beträchtlich sein, sonst dämpft die stark gespannte Bedeckung selbst die Schwingungen, und der tympanitische geht in einen matten Schall über; eine möglichst mit Luft gefüllte Blase giebt z. B. keinen tympanitischen Schall mehr, dieser stellt sich dagegen ein, sobald man etwas Luft aus der Blase herauslässt. So klingt der Percussionston über der aus einer Leiche herausgenomme - nen, zusammengesunkenen Lunge tympanitisch, während die Percussion179Von den Geräuschen.der normalen Lunge im lebenden Zustand, wo sie durch die Luft aus - gespannt ist, keinen tympanitischen Ton giebt. Nimmt der Schall durch seine Dauer noch mehr den Charakter des Klangs an, so ent - steht der s. g. Metallklang. Man beobachtet denselben namentlich über mit Luft erfüllten Hohlräumen, die von ziemlich festen und sehr glatten Membranen umgeben sind. Der Charakter des Metallklangs liegt darin, dass der momentane Ton beim Anschlag von einem Nach - klange gefolgt ist, wobei jedoch dieser Nachklang deutlich durch ge - ringere Intensität und verhältnissmässige Reinheit des Tons von dem Anschlageton sich sondert. Ein zu einer dauernden aber nicht zu starken Resonanz geeigneter Luftraum kann daher den Metallklang in täuschender Aehnlichkeit hervorrufen.
Dauernde Geräusche entstehen, wenn die auf einander fol -120 Dauernde Ge - ränsche. genden Luftstösse nicht regelmässige Perioden einhalten, sondern fortwährend ihre Perioden und meistens auch ihre Intensität ändern.
So würde die Fig. 69 z. B. die Wellenform eines Geräusches sein. Wie wir früher be - merkt haben, kann man auch eine Curve wie die vorliegende in Bruchstücke regel - mässiger Schwingungscurven zerlegen, d. h. jedes Geräusch lässt sich aus einer Menge theils zugleich erklingender theils schnell wechselnder Töne zusammensetzen. Es ist jedoch bis jetzt nicht ge - glückt die den besonderen Geräuschen entsprechenden Wellenformen aufzufinden. Nur aus der Beschaffenheit der Geräusche lässt sich einigermassen auf ihre Zusammensetzung schliessen. Manche dieser dauernden Geräusche beruhen augenscheinlich mehr auf dem Zusam - menklingen einer grossen Zahl disharmonischer Töne als auf dem raschen Wechsel in der Aufeinanderfolge der Töne. Hierher gehören die rollenden, schnurrenden Geräusche, die schon mehr einem Zu - sammenklang mit starken Schwebungen gleichen, und bei denen sich daher auch noch einigermassen eine Tonhöhe unterscheiden lässt. Das rollende Geräusch besteht aus ziemlich schnell sich folgenden Intermissionen sehr tiefer Töne, das schnurrende Geräusch aus noch rascheren Intermissionen etwas höherer Töne. Dies erklärt sich leicht aus den bekannten Entstehungsweisen dieser Geräusche. Nähern sich die schwebenden Töne der oberen Tongrenze, so entsteht die durch „ schrill “bezeichnete Geräuschform. Werden dagegen die einzelnen auf einander folgenden Luftstösse sehr kurz, so dass die Tonhöhe ganz unerkennbar ist, so bilden sich rasselnde und knisternde Ge - räusche. Ein intensives Rasseln wird z. B. durch rasche Umdrehung zweier in einander greifender hölzerner Zahnräder erzeugt. Jeder Zahn desjenigen Rades, an welchem man dreht, erzeugt, indem er12 *180Von dem Schall.von einem Zahn des andern Rades losfährt, den Eigenton dieses letz - tern, der aber, weil das Rad nicht nachschwingt, sehr kurzdauernd und daher kaum in seiner Höhe zu bestimmen ist. Nimmt man das Rad, welches den Ton giebt, sehr klein, so entsteht statt des rasseln - den ein knisterndes Geräusch: letzteres unterscheidet sich also bloss durch seine grössere Tonhöhe, da ja die Tonhöhe des Rades mit sei - ner Verkleinerung steigt. Noch andere Geräusche scheinen mehr auf einem schnellen, aber ebenfalls gleichmässig anhaltenden Wechsel von Tönen sehr verschiedener Höhe zu beruhen. Hierher gehört z. B. das gurgelnde Geräusch. Man kann ein gurgelndes Geräusch erzeu - gen, wenn man Luftblasen in eine mit Flüssigkeit gefüllte Röhre treibt und dann auf der Oberfläche der Flüssigkeit platzen lässt. Jedes Eintreten einer Luftblase erzeugt dann einen tieferen Ton, dessen Höhe von den Dimensionen der Röhre abhängt, jedes Platzen erzeugt dagegen einen hohen und in seiner Höhe von der Grösse der platzen - den Blase bedingten Ton. Am entferntesten von jeder Aehnlichkeit mit dem Klang sind das blasende und zischende Geräusch; beide wer - den ohne Zweifel durch äusserst unregelmässige Luftbewegungen veranlasst, und kann daher hier von einer Erkennung der Tonhöhe gar nicht mehr die Rede sein. Ein hauchendes Geräusch entsteht, wenn man einen Luftstrom aus einer ziemlich weiten Oeffnung hervor oder durch eine Röhre treibt, dessen Durchmesser sich plötzlich ver - ändert. Hierbei gerathen die Luftblasen in eine wirbelnde Bewegung. Diese Wirbelbewegung wird offenbar, ebenso wie beim Strömen des Wassers durch Röhren von ungleichem Querschnitt, stärker sein da wo die Luft aus einem engeren in einen weiteren Röhrentheil strömt als im umgekehrten Falle. Das Geräusch, welches man beim Einströ - men der Luft aus einem engeren in einen weiteren Raum hört, ist daher auch das weitaus stärkere. Ist die Oeffnung, durch welche die Luft getrieben wird, sehr eng, so hört man statt des blasenden oder hauchenden ein zischendes Geräusch.
Beispiele sehr mannigfaltiger Geräusche bieten die Consonan - ten der menschlichen Sprache. Wird die Luft einfach durch die geöffnete Mundhöhle nach aussen getrieben, so entsteht das hau - chende Geräusch, der Consonant H. Wird dagegen die Mundhöhle, während oder bevor ein Luftstrom nach aussen getrieben wird, ge - schlossen, so entstehen andere Geräusche, deren Beschaffenheit je nach der Form und dem Ort des Verschlusses wechselt. Leider be - sitzen wir eine genügende physikalische Analyse der einzelnen Con - sonantengeräusche noch nicht, und hinsichtlich ihrer physiologischen Entstehungsweise können wir auf die Lehrbücher der Physiologie ver - weisen. (Lehrb. der Physiologie §. 235.)
Wir beschränken uns desshalb hier darauf eine Classification der181Von den Geräuschen.in der deutschen Sprache gebräuchlichen Consonanten aufzustellen, welche theils auf den Ort des Verschlusses theils auf die Art, wie der Luftstrom hindurchgetrieben wird, Rücksicht nimmt.
A. Geräusche, die durch plötz - liches Schliessen oder Oeffnen entstehen. | B. Geräusche, die während des Verschlusses entstehen. |
1) Der Verschluss durch die beiden Lippen gebildet
P, B, W | M (Luftstrom durch die Nase) |
2) Der Verschluss durch Anlegen einer Zahnreihe an die entgegen - stehende Lippe gebildet
F, V |
3) Der Verschluss durch Anlegen des vordern Theils der Zunge gegen Zähne oder Gaumen gebildet
T, D | S, L (Luftstrom durch die Mundhöhle) N (Luftstrom durch die Nase) |
4) Der Verschluss durch Anlegen des hintern Theils der Zunge gegen den Gaumen gebildet
K, G | Ch, J (Luftstrom durch die Mundhöhle) Ng (Luftstrom durch die Nase) R (die Ränder des Verschlussses vib - riren). |
Gleichfalls noch mangelhaft erkannt nach ihrer physikalischen122 Geräusche in den Respira - tionsorganen. Natur und sogar nach ihrer Entstehungsweise sind diejenigen Ge - räusche, die man bei der Auscultation der Respirations - und Circulationsorgane theils im normalen Zustand theils bei patho - logischen Veränderungen wahrnimmt. Blasende und zischende Ge - räusche entstehen, wie oben bemerkt, wenn ein Luftstrom durch eine weitere oder engere Oeffnung getrieben wird, und gerade so wie eine Oeffnung wirkt auch eine plötzliche beträchtliche Querschnittsänderung einer Röhre, durch welche Luft streicht. Innerhalb der Respirations - organe giebt es namentlich zwei Stellen, an denen solche plötzliche Querschnittsänderungen vorkommen: eine Verengerung beim Ueber - gang aus dem Rachen in den Kehlkopf und eine Erweiterung beim Uebergang der feinsten Bronchialäste in die Lungenbläschen. Das Geräusch an der ersteren Stelle ist ein schärferes Blasen, ähnlich dem Geräusch, welches man erhält, wenn man über eine Röhre von182Von dem Schall.ähnlicher Weite wie die Luftröhre hinwegbläst; das Geräusch an der zweiten Stelle dagegen, das man beim Anlegen des Ohrs an die Brust - wand wahrnimmt, ist ein äusserst feines Blasen. Dieser Unterschied in der Beschaffenheit der beiden Athmungsgeräusche entspricht offenbar der sehr verschiedenen Tonhöhe, welche man bekäme, wenn zuerst die Luftröhre und dann ein feiner Bronchialzweig so angeblasen wür - den, dass Töne entstünden; auch erhält man in der That ähnliche Unterschiede des Geräusches, wenn man einmal über eine weitere und ein anderes Mal über eine engere Röhre hinwegbläst. Die Bruchstücke der Schwingungsperioden, aus welchen sich die Lufterschütterung an den Enden des Bronchialbaums zusammensetzt, gehören demnach je - denfalls sehr viel schnelleren Schwingungen an als diejenigen am Ein - gang der Luftröhre. Die beiden Athmungsgeräusche sind ausserdem bei der Ein - und Ausathmung von verschiedener Stärke, und zwar ist das Geräusch an der Luftröhre bei der Ausathmung stärker als bei der Einathmung, das Geräusch in der Lunge dagegen bei der Ein - athmung stärker als bei der Ausathmung. Dies erklärt sich aus der oben angeführten Thatsache, dass die Lufterschütterung und daher auch der Schall beim Eindringen der Luft aus einem engen in einen weiteren Raum stärker ist als im umgekehrten Fall, wie man an jedem Blasebalg leicht bestätigen kann. Möglich ist es, dass auch an den Verzweigungsstellen der Bronchien ähnliche Geräusche wie beim Ein - und Ausstreichen der Luft am Kehlkopf entstehen, doch sind dieselben jedenfalls viel schwächer, und ist wohl überhaupt ihre Existenz nicht sicher nachgewiesen. Daher ist es nicht ganz bezeichnend, dass man das hauchende Geräusch an der Luftröhre als das bronchiale Athmungsgeräusch von dem Lungengeräusch als dem vesiculären unterscheidet. Unter Umständen kann allerdings das s. g. bronchiale Athmen in viel weiterer Ausdehnung als gewöhnlich hörbar sein. Dies tritt dann ein, wenn die Wandung von Bronchialästen sich (z. B. durch herumgelagertes Exsudat) verdichtet. Hier ist aber die Ausbrei - tung des Geräusches lediglich dadurch bedingt, dass die Luft in solchen Bronchialröhren leicht in Mitschwingungen geräth. Es kommt hierbei in Betracht, dass die Luft in einer offenen Röhre leichter in Mit - schwingungen gebracht werden kann, wenn die Röhrenwandungen starr sind, als wenn sie weich und nachgiebig sind. Ist nun ferner, wie das gewöhnlich der Fall, das Parenchym der Lungenbläschen an der betreffenden Stelle für die Luft unwegsam geworden, so hört das vesiculäre Athmen auf, und man hört auch an der Lunge nur, und zwar verstärktes, bronchiales Athmungsgeräusch. Die nämlichen Be - dingungen, unter denen eine Resonanz des am Kehlkopf entstehenden Athmungsgeräusches innerhalb der Lunge entsteht, können auch eine Resonanz der Stimme hervorrufen. Man hört dann also beim Anlegen des Ohrs an die Thoraxwand den Schall der Stimme durch das Mit -183Von den Geräuschen.schwingen der Luft in den Bronchialröhren verstärkt (Bronchophonie). Dieses Mitschwingen kann so stark werden, dass die Thoraxwand fühlbar erzittert, oder dass sogar die Stimme in der Brust selbst zu entstehen scheint. In diesen und ähnlichen Fällen muss man sich nicht etwa, wie dies vielfach geschah, vorstellen, das Athmungsge -[räusch] oder die Stimme werde einfach verstärkt, bleibe dabei aber unverändert; es verhält sich vielmehr eine solche mitschwingende Luft - säule zu dem ursprünglichen Schall, der ihre Mitschwingungen hervor - ruft, ebenso wie sich die percutirten Theile zu dem Ton des Plessime - ters verhalten, es behält der Schall seinen allgemeinen Charakter, aber seine Stärke, Dauer und Tonhöhe ist wesentlich von der mit - schwingenden Luftsäule abhängig.
Abnorme Verengerungen der Bronchialäste, durch Auflockerungen der Schleimhaut u. dgl., können zu sehr intensiven hauchenden, zischen - den Geräuschen und sogar zu pfeifenden Tönen Veranlassung geben. Bedeckung der Bronchialwände mit Schleim erzeugt bei jeder Ath - mungsbewegung rasselnde oder, wenn der Sitz in den feineren Bron - chien und daher die Tonlage des Geräuschs höher ist, knisternde Ge - räusche. Diese Geräusche scheinen sich zu bilden, theils indem die durchstreichende Luft in der Flüssigkeit, welche sie vorfindet, Bläschen bildet, welche sodann platzen und hierbei das rasselnde oder knisternde Geräusch erzeugen, theils indem die feineren Bronchialwände bei der Exspiration verkleben und dann bei der Inspiration wieder auseinan - der gerissen werden. Sehr richtig unterscheidet man daher auch das „ trockene “und „ feuchte “Rasseln, da in der That das erstere durch zähere, das letztere durch flüssigere Schleimlagen hervorgerufen wird. Eine Luftblase, die in einer zähen Flüssigkeit platzt, erzeugt einen kürzeren klangloseren Schall. In einer dünnen Flüssigkeit nähert sich das Rasseln mehr dem gurgelnden Geräusch. Das Rasseln kann end - lich, ebenso wie das Bronchialathmen, dadurch verstärkt klingen, dass Bronchialröhren mit verdichteter Wandung vorhanden sind, deren Luft - säulen durch das in ihnen oder in ihrer Nähe entstandene Geräusch zum Mitschwingen angeregt werden. Es entstehen so die s. g. con - sonirenden Rasselgeräusche.
In der Blutbahn können unter sehr ähnlichen Bedingungen,123 Geräusche in der Blutbahn. unter welchen wir in den Respirationsorganen Geräusche entstehen sehen, gleichfalls Geräusche auftreten. Doch spielt hier nicht, wie man etwa denken könnte, die bewegte Flüssigkeit dieselbe Rolle wie dort die bewegte Luft, sondern sie ist immer nur die Ursache der Er - schütterung, während der Sitz des Geräusches die durch den anstos - senden Flüssigkeitsstrom in Schwingungen gerathende Röhrenwand ist. Versuche über die Bewegung von Flüssigkeiten in Röhren haben ge - lehrt, dass unter allen Umständen, wenn man nur die Geschwindigkeit184Von dem Schall.der Flüssigkeit hinreichend steigert, ein Strömungsgeräusch erzeugt werden kann, und dass ebenso unter allen Umständen, wenn man nur die Geschwindigkeit hinreichend langsam nimmt, das Strömungsge - räusch vermieden werden kann. Die Bedingungen aber, unter denen am leichtesten Strömungsgeräusche entstehen, sind folgende: 1) dünne Beschaffenheit der Flüssigkeit, 2) dünnwandige Beschaffen - heit der Röhre, 3) beträchtliches Lumen derselben, 4) Rauhigkeiten an ihrer innern Oberfläche; ebenso bilden sich 5) in biegsamen Röhren (aus Kautschuk, Darmwand u. dgl. ) leichter Geräusche als in starren Röhren (aus Metall, Glas). Endlich sind 6) Veränderungen des Strom - betts vom wesentlichsten Einflusse. Die letzteren sind ganz beson - ders geeignet Geräusche zu bewirken, und zwar entstehen dieselben vorzugsweise dann, wenn das Strombett sich plötzlich erweitert; eben - so begünstigt es die Entstehung des Geräusches, wenn der Strom nicht central in das erweiterte Bett eintritt, sondern schräg, gegen die Wandung der Röhre, gerichtet ist.
Die im Arterien - und Venensystem, namentlich unter abnormen Verhältnissen, hörbaren Geräusche haben zumeist in Veränderun - gen des Strombetts ihre Ursache. So hört man an der Einmündung des Halstheils in den Brusttheil der Jugularvene häufig ein blasendes Geräusch; an abnormen Erweiterungen der Arterien (Aneurysmen) hört man die Systole begleitende zischende Geräusche. Dagegen sind die mannigfaltigen Geräusche, die bei der Auscultation des Herzens so - wohl unter normalen als pathologischen Verhältnissen wahrgenommen werden, grösstentheils durch Unebenheiten der Wandung verursacht. Die an den Mündungen der verschiedenen Herzabtheilungen gelegenen Klappen bilden solche Unebenheiten, die durch das anprallende Blut theils selbst in Schwingungen gerathen theils die umgebende Wandung in solche versetzen müssen. Die Klappen können nur dann in merk - liche Schwingungen kommen, wenn sie dem Blutstrom, der gegen sie andrängt, den Zugang verlegen, also die Atrioventricularklappen bei der Systole, die Semilunarklappen bei der Diastole der Ventrikel. Bilden diese Klappen einen vollständigen Schluss, wie es im normalen Herzen der Fall ist, so ist der Schall, der beim Anprall des Blutes gegen sie entsteht, ein kurz dauernder, tonähnlicher. Man bezeichnet daher die normalen Herzgeräusche als Herztöne und leitet gewöhn - lich den systolischen Ton vom Schluss der Atrioventricularklappen, den diastolischen Ton vom Schluss der Semilunarklappen her. In der That sind namentlich die letzteren durch das Uebertragen ihrer Erzit - terungen auf die grossen Arterienstämme sehr geeignet bei ihrem Schluss einen merklichen Schall zu erzeugen; es ist daher diese Her - leitung des zweiten Herztons ohne Zweifel die richtige, und es stimmt damit überein, dass seine Intensität im Vergleich zu derjenigen des ersten Tons oberhalb der Herzbasis am grössten ist. Ebenso wer -185Von den Geräuschen.den die Atrioventricularklappen bei ihrem Schluss in Schwingungen ge - rathen, die sich auf die Herzsubstanz fortpflanzen. Zugleich müssen aber Vibrationen der Herzsubstanz in Folge der Contraction ihrer Muskelfa - sern entstehen. Es ist daher der erste Herzton wahrscheinlich vor Allem als ein Muskelton aufzufassen, dem ein durch den Schluss der Atrioventri - cularklappen verursachtes Geräusch sich beimengen wird. Hiermit stimmt überein, dass der erste Herzton viel mehr den Charakter des Klangs an sich trägt als der zweite, der eher einem kurzen Geräusch gleicht. In allen Muskeln entstehen, in ähnlicher Weise wie im Herzen bei der Systole, Töne, welche den Act der Zusammenziehung begleiten und so lange als die letztere andauern. Die Höhe derselben richtet sich nach der Anzahl der Innervationsimpulse; der Muskel macht ebensoviel Schwingungen in der Zeiteinheit, als man ihm Innervationsimpulse (z. B. einzelne elektrische Schläge) mittheilt. Diese von Helmholtz an an - dern Muskeln festgestellte Thatsache könnte vielleicht benützt werden, um aus der Höhe des ersten Herztons auf Eigenthümlichkeiten in der Innervation des Herzens zu schliessen, für welche uns bis jetzt jeder Maasstab fehlt.
Wenn eine der Atrioventricular - oder Semilunarklappen nicht vollständig schliesst, so bringt sie der vorbeifliessende Blutstrom in dauernde Erzitterungen und verursacht dadurch ein dauerndes Geräusch. Sobald daher einer der Herztöne von einem solchen Geräusch begleitet oder durch dasselbe ersetzt ist, so kann man auf abnorme Zustände der Klappen, wie Excrescenzen an denselben, Verengerung der Ostien u. dergl., schliessen. Diese Geräusche sind sehr verschiedenartig, bla - send, brausend, rasselnd u. s. w. Eine genauere physikalische Er - kenntniss, durch welche Ursachen die Verschiedenheit solcher Geräu - sche bedingt ist, wird ohne Zweifel mit der Zeit für die Diagnose noch ihre Früchte tragen, indem aus der Art des Geräusches auf die Beschaffenheit der pathologischen Veränderung sich schliessen lassen dürfte. Doch bietet der Umstand, dass an einem und demselben Her - zen die Geräusche sehr veränderlich sein können, in dieser Beziehung grosse Schwierigkeiten; man müsste insbesondere die Energie der Herzbewegungen, die hauptsächlich solche Verschiedenheiten bedingt, mit in Rechnung ziehen. Bis jetzt begnügt man sich im Allgemeinen damit, aus dem Ort des Geräuschs den Sitz der Veränderung zu er - schliessen. Dieser wichtige Theil der physikalischen Diagnostik stützt sich daher gegenwärtig noch mehr auf anatomische als auf physikali - sche Kenntnisse.
Als Licht bezeichnen wir diejenigen Vorgänge in der Aussen - welt, welche, aus der Ferne auf unser Auge einwirkend, Gesichtsem - pfindungen verursachen. Wir beobachten, dass bestimmte Objecte die Quellen der Lichterscheinungen sind. Diese Objecte, wie die Sonne, die Fixsterne, die brennenden Körper, nennen wir leuchtend oder, zum Unterschied von solchen Körpern, welche bloss von aussen em - pfangenes Licht wieder zurückstrahlen, selbstleuchtend. Von den leuchtenden Gegenständen strahlt das Licht geradlinig nach allen Rich - tungen des Raumes aus. Jede solche geradlinige Fortpflanzungsrich - tung des Lichtes bezeichnet man als einen Lichtstrahl. Trifft das Licht bei seiner Fortpflauzung auf Gegenstände, welche nicht von selbst leuchten, so können diese dadurch, dass sie das empfangene Licht wieder zurückwerfen, leuchtend werden. Andere Körper gestatten den auf sie treffenden Lichtstrahlen den Durchgang, man nennt sie die durchsichtigen Körper. Bei der Zurückwerfung und beim Durchtritt des Lichts folgt die Lichtfortpflanzung denselben Gesetzen, denen die Fortpflanzung einer Wellenbewegung unterworfen ist. Wird also ein Lichtstrahl von einem Körper zurückgeworfen, so ist der Re - flexionswinkel gleich dem Einfallswinkel; tritt ein Lichtstrahl aus einem Medium in ein anderes von verschiedener Dichte, so wird er nach dem Einfallslothe zu oder von dem Einfallslothe weg gebrochen. Auch darin verräth sich das Licht als eine Wellenbewegung, dass bei der Interferenz zweier Lichtstrahlen, je nach dem Wegunterschied der - selben, bald stärkere Erleuchtung bald Verdunkelung eintreten kann; letztere wird aber offenbar dann erfolgen müssen, wenn ein Wellen - berg und ein Wellenthal zusammentreffen. (Vergl. Abschn. I. Cap. 4.)
Das Licht stimmt in allen diesen Beziehungen mit dem Schall, der ebenfalls auf einer Wellenbewegung beruht, überein. Wie die In - tensität des Schalls von der Amplitude der Schallschwingungen, so187Von dem Lichte.wird daher die Intensität des Lichtes von der Amplitude der Licht - schwingungen bedingt sein, während die Qualitäten desselben, die Farben, den Qualitäten des Tons, den Tonhöhen, correspondiren, also von der Schwingungsdauer abhängen werden. Gegenüber diesen Aehnlichkeiten bestehen die Hauptunterschiede zwischen Licht und Schall darin, dass die Lichtwellen bedeutend kleiner sind, dass ihre Schwingungen sehr viel schneller und nicht longitudinal sondern trans - versal, senkrecht auf die Fortpflanzungsrichtung des Strahls, erfolgen. Ausserdem pflanzt sich das Licht durch den luftleeren Raum fort. Es beruht also nicht wie der Schall auf Schwingungen der Lufttheilchen sondern auf den Oscillationen des im luftleeren Raum verbreiteten Aethers.
Man bezeichnet die Theorie, welche der Erklärung der Lichterscheinungen die Wellenbewegungen des Aethers zu Grunde legt, als die Vibrations - oder Undula - tionstheorie. Sie wurde zuerst von Huyghens aufgestellt, blieb aber bis in die neueste Zeit durch die von Newton angenommene Emissions - oder Emanations - hypothese verdrängt. Nach der letzteren beruhen die Lichterscheinungen auf der geradlinigen Bewegung leuchtender Theilchen. Die Intensität des Lichts wird nach ihr auf die Menge der von den leuchtenden Körpern ausgeworfenen Lichttheilchen, die Beschaffen - heit des Lichts auf die Farbe dieser Theilchen zurückgeführt. Grünes Licht besteht also aus grünen, blaues aus blauen Lichttheilchen u. s. w., die verschiedenfarbigen Lichttheilchen gemischt erzeugen Weiss; die Erscheinungen der Reflexion und Bre - chung werden von den bald anziehenden bald abstossenden Kräften zwischen den Kör - pern und den Lichttheilchen hergeleitet. Aber die Interferenz - und Polarisationser - scheinungen können nur aus der Undulationstheorie in genügender Weise erklärt werden. Das nähere Studium dieser Erscheinungen hat daher auch den Sturz der Emissionshypothese verursacht. Eine indirecte Stütze erhielt die Undulationstheorie durch den Nachweis, dass sich das Licht in dichteren Medien langsamer als in dün - neren fortpflanzt (§. 130). Die Existenz eines feinen im Weltraum verbreiteten Me - diums, welches das muthmassliche Substrat der von der Sonne und den Fixsternen ausgehenden Wellenbewegungen des Lichts ist, wurde durch die Entdeckung bestätigt, dass die Umlaufszeit des Enke’schen Kometen sich bei jedem Umlauf um die Sonne ungefähr um 1 / 10 Tag verkürzt. Diese Verkürzung der Umlaufszeit fordert aber die Annahme eines der Bewegung Widerstand leistenden Mediums.
Wir betrachten die Lichterscheinungen in folgender vom Ein - fachen zum Zusammengesetzten fortschreitenden Reihenfolge: 1) die geradlinige Fortpflanzung des Lichtes (Intensität und Geschwindigkeit), 2) die einfachsten Störungen der geradlinigen Ausbreitung, die Refle - xion und Brechung. An die Brechungserscheinungen reihen sich 3) die Lichtzerstreuung und die Zusammensetzung des weissen Lich - tes aus farbigem, sowie 4) die Absorption, Fluorescenz und chemi - sche Wirkung des Lichtes. Als eine Anwendung der vorangegange - nen Capitel erörtern wir 5) den Aufbau der wichtigsten optischen In - strumente, um mit der Betrachtung 6) der Interferenz und Beugung und 7) der Polarisation und Doppelbrechung zu schliessen.
188Von dem Lichte.Von jedem leuchtenden Punkt pflanzt sich das Licht geradlinig nach allen Richtungen des Raumes fort. Es giebt folgende einfache Erscheinungen, welche diese Thatsache belegen:
1) Wenn man vor eine Lichtquelle einen undurchsichtigen Kör - per bringt, so wirft dieser einen Schatten, welcher durch diejenigen von der Lichtquelle ausgezogenen geraden Linien begrenzt wird, die der Begrenzung des schattengebenden Körpers entsprechen. Hat man z. B. eine punktförmige Lichtquelle 1 (Fig. 70), und ist a b ein un - durchsichtiger Körper, so ist c d der Schatten, welchen a b auf einer
Wand A B wirft. Hat man statt eines einzelnen leuchtenden Punktes eine leuchtende Fläche l l' (Fig. 71), so muss man von jedem Punkte dieser Fläche, ähnlich wie in der vorigen Fig. von dem ein - zigen Punkt l aus, divergirende Linien ziehen. Diese Linien schnei - den aber hinter dem undurchsichtigen Körper a b einen Kegel a b c aus, welcher den vollständigen Schatten oder den Kernschatten bildet, da in ihn kein einziger der von l l' ausgehenden Strahlen fällt. Dagegen kommt in die seitlich vom Kegel a b c gelegenen Räume a c d und b c e ein Theil der Strahlen, nach a c e von den gegen l hin gelegenen Punkten der Fläche l l', nach b c e von den gegen l' gelegenen Punkten dieser Fläche, und zwar mit der Annäherung an d und e immer mehr, bis endlich die Punkte d und e von allen Punk - ten der Fläche l l' Strahlen empfangen. Man bezeichnet die Räume a c d und b c e, in denen hiernach der Schatten continuirlich gegen die Grenze hin schwächer wird, als Halbschatten. Da die meisten189Intensität des Lichtes.Lichtquellen nicht punktförmig sind, sondern eine gewisse Ausdehnung besitzen, so erklärt es sich, dass die Schatten gewöhnlich von Halb - schatten umgeben werden, welche lerztere an Breite zunehmen, je weiter man sich von dem schattengebenden Körper entfernt.
2) Wenn man vor eine enge Oeffnung eine Lichtquelle bringt, so giebt das hinter der Oeffnung aufgefangene Licht immer ein um - gekehrtes Bild der Lichtquelle, welches auch die Form der Oeffnung sein möge. Man stelle z. B. ein Kerzenlicht a b vor der im Schirm S befindlichen Oeffnung o (Fig. 72) auf: man erhält dann, wie aus dem
Gang der Randstrahlen a a', b b' ersichtlich ist, auf dem in einiger Entfernung von S befindlichen zweiten Schirm S' ein umgekehrtes Bild von a b, dessen Grösse mit der Entfernung des Schirms von der Oeffnung o zu - nimmt. Dieses Bild bleibt dasselbe, ob die kleine Oeffnung o rund oder viereckig oder wie immer gestaltet sein möge. Denn der von jedem Punkt der Lichtquelle ausgehende Strahlenkegel entwirft ein Bildchen o auf dem Schirm, die unendlich nahe bei einander liegen - den und sich theilweise deckenden Bildchen der Oeffnung geben aber zusammen das Bild der Lichtquelle. Benützt man daher die Sonne als Lichtquelle, so erhält man regelmässig ein Bild der Sonnenscheibe; zur Zeit einer Sonnenfinsterniss erscheint statt des runden das sichel - förmige Bild des unbedeckten Theils der Sonnenscheibe.
Da sich das Licht nach allen Richtungen des Raumes ausbreitet,126 Abnahme der Lichtintensität mit der Entfer - nung. Photo - meter. so muss die Beleuchtungsstärke im Verhältniss des Quadrates der Entfernung von der Lichtquelle abnehmen. Wenn der leuchtende
Punkt a (Fig 73), der von concentrischen Kugeloberflächen umgeben ist, einmal die ihm nähere und ein anderes Mal die ihm fernere Kugelfläche beleuchtet, so wird im ersten Fall ebenso viel Licht wie im zwei - ten nach der beleuchteten Oberfläche ge - langen. Die Lichtintensität in jedem ein - zelnen Punkte der successiv erleuchteten Kugelflächen verhält sich aber umgekehrt wie die Grösse derselben; da die Kugel - oberflächen wie die Quadrate ihrer Halb - messer zunehmen, so stehen demnach die