PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Kommentar über das Strafgeſetzbuch für die Preußiſchen Staaten und das Einführungsgeſetz vom 14. April 1851.
Nach amtlichen Quellen
Leipzig,Weidmann'ſche Buchhandlung.1851.
[II][III]

Vorrede.

Ich habe es mir bei der Ausarbeitung dieſes Kommentars, den ich gegenwärtig dem Publikum vollendet übergebe, haupt - ſächlich zur Aufgabe geſtellt, das Verhältniß des Strafgeſetz - buchs zu den Rechtsſyſtemen, auf deren Grund es erwachſen iſt, darzulegen und den Inhalt deſſelben nach den während der Reviſion entſtandenen Materialien zu erläutern. Die vollſtän - dige Benutzung dieſer letzteren Hülfsquelle war eine nothwen - dige Bedingung der ganzen Arbeit; ich würde dieſelbe ſchwerlich unternommen haben, wenn nicht die Akten des Königlichen Juſtizminiſteriums in liberalſter Weiſe mir zur Verfügung ge - ſtellt worden wären.

Bei dem reichen Stoffe, welcher mir zu Gebote ſtand, war es oft ſchwer, das rechte Maaß in der Auswahl deſſen, worauf Bezug zu nehmen war, zu treffen. Im Allgemeinen hat mich dabei die Anſicht geleitet, daß zwar nichts Weſent - liches übergangen werden dürfe, daß es aber gerade jetzt, wo das Geſetzbuch eben erſt in Wirkſamkeit getreten iſt, mehr darauf ankomme, die wichtigſten Momente in überſichtlicher Darſtellung zuſammen zu faſſen, als es auf eine vollſtändige Erſchöpfung des Gegenſtandes anzulegen. Daher habe ich na - mentlich bei der Benutzung der amtlichen Quellen Alles, was nur noch eine geſchichtliche Bedeutung zu haben und zum Ver -IV ſtändniß des Geſetzbuchs nichts beizutragen ſchien, bei Seite liegen laſſen; im Einzelnen bin ich aber, ohne den dogmen - geſchichtlichen Zuſammenhang aus den Augen zu ſetzen, immer darauf bedacht geweſen, diejenigen Aktenſtücke beſonders hervor - zuheben, in denen die betreffende Lehre ihre eigentliche Begrün - dung und Feſtſtellung gefunden hat. Wo es irgend thunlich war, habe ich dann die entſcheidenden Stellen wörtlich aufge - nommen, und dadurch dem Leſer Gelegenheit zur eigenen Anſchauung und Prüfung gegeben.

Wenn nun auch mit dem Kommentar zunächſt ein prak - tiſcher Zweck verfolgt worden iſt, ſo bin ich doch nicht darauf ausgegangen, die im Geſetzbuch aufgeſtellten Rechtsgrundſätze auf dem Wege der Kaſuiſtik weiter zu entwickeln, und mich voreilig an einer Aufgabe zu verſuchen, deren befriedigende Löſung erſt von einer aus der Praxis ſich herausbildenden wiſſenſchaftlichen Jurisprudenz erwartet werden kann. Um die Einheit und Konſequenz einer ſolchen Rechtsentwicklung zu ſichern, wird es freilich unerläßlich ſein, daß die Vorſchrift der Verfaſſungs-Urkunde erfüllt und Ein oberſter Gerichtshof für die Monarchie beſtellt werde.

Es iſt mir bei meiner Arbeit von verſchiedenen Seiten ſehr weſentliche Unterſtützung zu Theil geworden, und ich freue mich, dafür öffentlich meinen Dank ausſprechen zu können. Die beſte Förderung fand ich aber in der Erinnerung an die Ver - handlungen der Kommiſſion der zweiten Kammer über das Strafgeſetzbuch, an denen ich Theil zu nehmen die Ehre hatte, und welche ſo weſentlich zu dem Abſchluß dieſes bedeutenden Werkes der Geſetzgebung beigetragen haben.

Das beigegebene Sachregiſter, von erprobter Hand ent - worfen, wird die Benutzung des Kommentars ſehr erleichtern.

Greifswald den 9. November 1851.

G. Beſeler.

[1]

Einleitung.

Beſeler Commentar. 1[2][3]

Erſtes Kapitel. Geſchichte der Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.

§. I.

Die erſte Reviſion, bis zur Betheiligung des Staatsrathes; 1826-1836. Die Entwürfe von 1827, 1830, 1833 und 1836.

Wie wenig die Behandlung, welche das Strafrecht im Allgemeinen Landrecht Th. II. Tit. 20. gefunden, ſelbſt in den entſcheidenden Kreiſen befriedigt hat, ergiebt ſich aus dem Umſtande, daß man ſich bald nach der Veröffentlichung des Landrechts veranlaßt ſah, über einzelne wichtige Verbrechen neue Geſetze zu erlaſſen. So erſchien, abgeſehen von dem Edict vom 20. Oct. 1798 über unerlaubte Verbindungen, am 30. Dec. 1798 die Circular-Verordnung über die Injurien und am 26. Febr. 1799 die Verordnung über den Diebſtahl. Die beſtimmte Abſicht eine Revi - ſion des Tit. 20. vorzunehmen, ſprach ſich aber bei der Veröffentlichung der neuen Kriminal-Ordnung aus, indem feſtgeſetzt ward, daß dieſe den erſten Theil des allgemeinen Kriminalrechts für die Preußiſchen Staa - ten ausmachen, der zweite Theil aber die Strafgeſetze enthalten ſolle. a)Patent wegen Publication der neuen Criminal-Ordnung vom 11. Dec. 1805. Wir haben daher nöthig befunden, alle in den Geſetzes - Sammlungen zerſtreuet befindliche Verordnungen welche das Verfahren im Criminal - proceſſe betreffen, revidiren, eine neue Criminal-Ordnung entwerfen und dabei auf die veränderte Verfaſſung die gehörige Rückſicht nehmen zu laſſen. Dieß iſt geſchehen; und da die allgemeinen Strafgeſetze jetzt auch revidirt werden, und künftig nicht mehr einen Theil Unſres allgemeinen Landrechts ausmachen, ſondern als ein beſonderes Ge - ſetzbuch abgedruckt und publicirt werden ſollen; ſo haben Wir reſolvirt, die Criminal - Ordnung und die Strafgeſetze als ein Ganzes anzuſehen, und unter dem Titel: All - gemeines Criminalrecht für die Preußiſchen Staaten, abdrucken zu laſſen; wovon die Criminal-Ordnung den erſten, die Strafgeſetze aber den zweiten Theil aus - machen ſollen.

1 *4Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.

Die politiſchen Ereigniſſe verhinderten jedoch die Ausführung dieſes Pla - nes erſt die ſpäter beſchloſſene allgemeine Reviſion der Geſetze führte auch zu einer neuen Bearbeitung des Strafrechts.

Nachdem der König durch Kabinets-Ordre vom 28. Jan. 1826 den vom Juſtizminiſter Grafen v. Danckelman vorgelegten allgemei - nen Plan für das Reviſionswerk gebilligt hatte, ward in der, an den - ſelben Miniſter gerichteten Kabinets-Ordre vom 24. Juli 1826 genauer feſtgeſtellt, in welcher Richtung die Arbeit zu leiten ſei, und namentlich hervorgehoben, daß es nicht die Abſicht ſei, eine neue Geſetzgebung an die Stelle der beſtehenden treten zu laſſen, ebenſowenig aber, in das Landrecht und die Gerichtsordnung nur die ſpäteren Ergänzungen und Abänderungen einzuſchalten; daß es vielmehr darauf ankomme, beide Geſetzbücher einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen, und nach dem Reſultate derſelben ſie zu berichtigen, zu ergänzen, zu erläutern und zu vervollkommnen. b)Die Kab. -Ordre vom 24. Juli 1826 iſt abgedruckt bei v. Kamptz, acten - mäßige Darſtellung der Preußiſchen Geſetz-Reviſion (Berlin, 1842). S. 295-298. Gegen dieſe Anweiſung machte der Juſtizminiſter, inſoweit ſie ſich auf die Strafgeſetze bezog, Einwendungen und erklärte, daß eine Reviſion des Allgemeinen Landrechts unzureichend und die Abfaſſung eines neuen Strafgeſetzbuchs nothwendig ſei, eine Anſicht, der der König nachgab, obgleich er nicht unterließ, auf die Schwierig - keit des Unternehmens aufmerkſam zu machen. c)S. die K. -O. v. 14. Nov. 1826 bei v. Kamptz a. a. O. S. 298-300.

In dieſem freieren Sinne wurde nun die Sache in Angriff genom - men, wenn auch in der officiellen Sprache nur von einer Reviſion der Strafgeſetze die Rede war. Die Gerichtshöfe wurden durch ein Reſcript des Juſtizminiſters vom 26. Dec. 1825 zur Abgabe von Gutachten veranlaßt; die Reviſion der Strafgeſetze aber wurde zum erſten Penſum des ganzen Reviſionswerks gemacht und zunächſt dem Kammergerichts - rath Bode übertragen. Bode arbeitete einen Entwurf des Criminal - Geſetz-Buches für die Preußiſchen Staaten aus, und verſah denſelben mit Motiven, welche in drei Bänden (Berlin 1827-29. 4.), als Ma - nuſcript gedruckt ſind; der vierte Band (Berlin 1828) über die Ver - brechen gegen das Vermögen iſt vom Oberlandesgerichtsrath Schiller. Dieſe letztere Arbeit, welche ſich der Ordnung des Landrechts anſchließt, iſt unbedeutend, ohne Schärfe und tiefere Einſicht; ſie läßt die freie Be - herrſchung des Materials vermiſſen und bietet faſt nur ein kritiſches Raiſonnement über die Satzungen des Allgemeinen Landrechts. Sehr achtungswerth ſind dagegen die Leiſtungen Bode's, welcher den erſten tüchtigen Grund zu der Reform des Preußiſchen Strafrechts gelegt hat; er übt eine ſcharfe und doch beſonnene Kritik, iſt mit der wiſſenſchaft -5§. I. Die erſte Reviſion, 1826-36.lichen Bearbeitung des gemeinen deutſchen Kriminalrechts wohl bekannt, benutzt die Gutachten der Gerichtshöfe mit Umſicht und Geſchick, und findet in den für andere deutſchen Staaten beſtimmten Geſetzgebungen einen Anhalt für ſeine Vorſchläge. Beſonders das Bayeriſche Straf - geſetzbuch und die Entwürfe für Sachſen und Hannover hat er benutzt; dagegen trifft ihn der Tadel, daß er das Franzöſiſche oder, wie wir es lieber nennen wollen, das Rheiniſche Recht zu wenig berückſichtigt, ja mit einer gewiſſen Ungunſt behandelt hat. Dieſer Bode'ſche Ent - wurf nun wurde unter der Leitung des Juſtizminiſters Grafen v. Dan - ckelman in der Geſetz-Reviſions-Kommiſſiond)Die Mitglieder dieſer Kommiſſion waren: der Director im Juſtizminiſterium v. Kamptz, der Geh. Ober-Juſtizrath Sack, der Geh. Ober-Reviſionsrath Fiſche - nich und der Kammergerichtsrath Bode. überarbeitet, und iſt in dieſer neuen Geſtalt als Manuſcript gedruckt, unter dem Titel:

Entwurf des Straf-Geſetz-Buches für die Preußiſchen Staaten. Erſter Theil. Criminal-Straf-Geſetze. Berlin 1830. 4. Schon der Titel des in 529 §§. abgefaßten Entwurfs weiſt auf einen zweiten Theil hin, der die Polizei-Strafgeſetze enthalten ſollte; auch für dieſen hat Bode ſpäter auf Grund des Tit. 20. einen Entwurf mit Motiven ausgearbeitet, als Manuſcript gedruckt Berlin 1833. 4.

Das Reviſionswerk war alſo im guten Gange; das zeigt ſich deutlich genug, wenn man den Entwurf von 1830 mit dem Titel 20. Th. II. des Allgemeinen Landrechts vergleicht. Man ſieht es dieſem Titel an, (er zählt 1577 §§. ) wie wenig zur Zeit ſeiner Abfaſſung die deutſche Geſetzgebung für höhere Aufgaben auf dem Gebiete des Straf - rechts geübt war; man findet bald, daß die reformatoriſchen Beſtrebun - gen der neueren Kriminaliſten, namentlich Feuerbach's noch keinen Einfluß darauf hatten gewinnen können. Die Sprache iſt breit und ſchleppend; den Begriffsbeſtimmungen fehlt es häufig an Klarheit und Schärfe, ſie führen nicht zu feſten Rechtsprincipien, ſondern umſpannen eine Menge einzelner Vorſchriften, in denen die möglichſte Vollſtändig - keit der Kaſuiſtik angeſtrebt wird. Polizeiliche Rückſichten machen ſich, ſelbſt in der Anordnung vorbeugender Maaßregeln, in Belehrungen und Warnungen überall geltend; allgemeine Strafzumeſſungsgründe ſetzen dem richterlichen Ermeſſen zu enge Schranken; die Todesſtrafe, ſelbſt mit grauſamen Schärfungen, kommt noch häufig vor; in dem Syſtem der Freiheitsſtrafen fehlt die Konſequenz, wenn hier überhaupt von ei - nem Syſteme die Rede ſein kann, ſelbſt die Terminologie iſt nicht immer gleich; die Perſönlichkeit, der Stand der Verbrecher ſind von ent - ſchiedenem Einfluß auf die Anwendung der Strafen. Der Entwurf von 1830 hat ſich von dieſen Mängeln durchweg freigehalten; er iſt6Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.klar und beſtimmt in ſeinen Vorſchriften, auf das Weſentliche gerichtet. Die körperliche Züchtigung iſt aus der Reihe der Strafen verſchwunden, unter den Freiheitsſtrafen im Allgemeinen ein angemeſſenes Verhältniß hergeſtellt; Zwangsarbeit und Zuchthausſtrafe haben den Verluſt beſtimm - ter Ehrenrechte, die Amtsentſetzung hat die Unfähigkeit zu öffentlichen Aemtern von Rechtswegen zur Folge, außerdem giebt es keine Ehren - ſtrafen. Für Perſonen von gebildetem Stande blieben jedoch, wenn auch nur für die ſeltneren Fälle, Feſtungsſtrafe und Feſtungsarreſt vorbehal - ten, auch ward die Strafe der Vermögenskonfiskation in das Geſetzbuch aufgenommen.

Während aber Alles die raſche und glückliche Vollendung des Re - viſionswerks hoffen ließ, trat noch im Jahre 1830 mit dem Tode des Grafen v. Danckelman, zum Theil auch wohl in Folge der politiſchen Ereigniſſe eine neue Wendung für daſſelbe ein; die Leitung der Sache kam in die Hände des Herrn v. Kamptz. Man kann dieſem Manne die Verdienſte, welche er ſich namentlich um die Sammlung und Bear - beitung der Provinzialrechte erworben hat, ungeſchmälert laſſen, und doch der Anſicht ſein, daß er für die Durchführung einer Reform im Straf - recht ſehr wenig geeignet war. Nach ſeiner Anſicht bedurfte der Tit. 20. Th. II. des Allg. Landrechts eigentlich nur einer Ausbeſſerung im Ein - zelnen, und er hat das Seinige gethan, den Entwurf von 1830 in die - ſem Sinne zurückzurevidiren. Dazu kam ſeine oberflächliche und zerfahrene Productivität, die es ihm ſchwer machte, eine reife Arbeit zu liefern, und dann ſeine bekannte politiſche Richtung, welche in Fra - gen, die mit den ſogenannten demagogiſchen Umtrieben zuſammen hingen, faſt die Geſtalt von fixen Ideen annahm. Unter dieſen Einflüſſen nun wurde eine Umarbeitung des Entwurfs von 1830 vorgenommen und von dem Miniſter ſelbſt mit Motiven verſehen, als Manuſcript gedruckt unter dem Titel:

Revidirter Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Königl. Preu - ßiſchen Staaten. Erſter Theil. Criminal-Strafgeſetze. Berlin 1833. 4. Hier treten ſchon wieder die allgemeinen Zumeſſungsgründe auf, ferner die polizeilichen Strafvorſchriften, welche geeigneten Orts eingeſtreut ſind; Feſtungsſtrafe und Feſtungsarreſt kommen allgemein für Perſonen zur Anwendung, welche zu den höheren oder gebildeteren Ständen gehören, Hochverrath iſt ein Unternehmen, welches darauf abzielt, eigenmächtig die Verfaſſung des Staats zu ändern u. ſ. w. Dieſe Aenderungen ge - nügten dem Herrn v. Kamptz jedoch nicht; noch ehe der revidirte Ent - wurf Gegenſtand weiterer Berathungen wurde, arbeitete er ihn von Neuem um, und ließ dieſe Arbeit in 797 §§. unter folgendem Titel drucken:

7§. II. Die zweite Reviſion; 1838-43.

Revidirter Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Königlich Preu - ßiſchen Staaten. Berlin 1836. 8.

Dieſe Octavausgabe, von der Quartausgabe des Jahres 1833 wohl zu unterſcheiden, ward ohne Motive veröffentlicht; die Abänderungen ſind überhaupt in der Vorrede als nicht ſehr erheblich bezeichnet; ſie ſtellen ſich aber bei einer genaueren Vergleichung als ſehr bedeutend heraus. Zu den früher aufgeſtellten geſetzlichen Strafarten iſt die kör - perliche Züchtigung, die Ortsverweiſung und der Verluſt gewerblicher Rechte hinzugekommen; auch im Fall der Freiſprechung durch einen Preußiſchen Gerichtshof ſoll, wenn ſie in Folge Betrugs oder falſchen Zeugniſſes herbeigeführt worden, die Wiederaufnahme der Unterſuchung und Beſtrafung nicht ausgeſchloſſen ſein. Die polizeilichen Strafvor - ſchriften haben ſich in dieſer Ausgabe vermehrt, die Beſtimmungen über Hochverrath, verbotene Verbindungen u. ſ. w. alles Maaß überſchrittene)Beiſpielsweiſe führe ich einige Beſtimmungen an. §. 150. Wer in der Ab - ſicht, hochverrätheriſche oder die Erhaltung des Staats ſonſt gefährdende Grundſätze oder Geſinnungen, welche hochverrätheriſche Entwürfe oder Geſinnungen hervorrufen oder befördern können, anzuregen oder zu verbreiten, und wer in öffentlichen oder amtlichen Schriften oder Reden, ſolche Grundſätze, Geſinnungen und Unternehmungen zu rechtfertigen, oder die Anhänglichkeit und Treue für den Landesherrn, den Staat oder die Verfaſſung zu mindern verſucht, ſoll nach der Schwere ſeines Verbrechens mit zweijähriger Arbeitshaus - bis zu ſechsjähriger Zuchthausſtrafe belegt, und, wenn er ein öffentlicher Beamter iſt, ſeines Amtes jedenfalls entſetzt werden. §. 192. Eine verbotene Geſellſchaft oder Verbindung iſt ſchon dann als vorhanden anzuſehen, wenn ſie auch nur aus zwei Mitgliedern beſteht.. Es iſt von großem Nachtheil für das Reviſionswerk geweſen, daß es gerade an dieſen Entwurf von 1836 gebunden ward; viele und ſchöne Kräfte haben in dem weiteren Gange der Verhandlungen verwandt werden müſſen, um nur die an dem Entwurf von 1830 vorgenommenen Abänderungen wieder zu beſeitigen.

§. II.

Die zweite Reviſion; Arbeiten der Staatsraths-Kommiſſion und des Staatsraths; 1838-42. Der Entwurf von 1843.

Die Reviſion des Strafrechts war mit dem Abſchluß des Ent - wurfs von 1836 ſoweit vorgeſchritten, daß ſie zur weiteren Verhandlung an den Staatsrath gebracht werden konnte. Es mußte aber Bedacht darauf genommen werden, das für die Arbeiten der Geſetzgebung im Allgemeinen vorgeſchriebene Verfahren abzukürzen und zu beſchleunigen, wenn nicht eine unverhältnißmäßige Verwendung von Arbeitskraft und Zeit für dieſes Werk ſtattfinden ſollte. Zu dieſem Behuf ſchlugen die8Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.beiden Juſtizminiſter v. Kamptz und Mühler in einem gemeinſchaft - lichen Bericht an den König vor, daß eine beſondere Kommiſſion aus den beiden Juſtizminiſtern, dem Miniſter des Innern und mehreren Mitgliedern des Staatsraths gebildet werde, welche den Entwurf von 1836 zu prüfen und feſtzuſtellen habe. Dieſe Immediat-Kommiſſion ſolle die Funktionen des Staatsminiſteriums, der Staatsraths-Abthei - lungen und der Faſſungs-Kommiſſion in ſich vereinigen; dem Staats - miniſterium bleibe es vorbehalten, über einzelne Punkte ausnahmsweiſe zu berathen; die Arbeit der Kommiſſion aber ſei an das Plenum des Staatsraths zu bringen, jedoch nur, damit in demſelben über allgemeine, von der Kommiſſion beſonders zu bezeichnende Grundſätze verhandelt werde. f)Immediat-Bericht der beiden Juſtizminiſter vom 7. Nov. 1837 im Aus - zuge in der Reviſion des Entwurfs des Strafgeſetzbuchs von 1843. Band I. (Ber - lin, 1845.) Beilage I. S. VIII. u. IX. Dieſer Vorſchlag erhielt unter dem 4. Febr. 1838 die Genehmigung des Königs, und es wurden zugleich die Mitglieder der Immediat-Kommiſſion ernannt. g)K. -O. v. 4. Febr. 1838 an den Staatsrath a. a. O. Beil. III. S. XI. Dieſe Mitglieder waren außer den beiden Juſtizminiſtern und dem Miniſter des Innern und der Polizei der General v. Müffling, der wirkl. Geh. Rath Sethe, der wirkl. Geh. Ober-Regierungsrath Köhler, der wirkl. Geh. Legationsrath Eich - horn, der Geh. Ober-Juſtizrath Düesberg, der Regierungs-Präſident Graf v. Ar - nim. Später traten noch hinzu: der Geh. Ober-Finanzrath Eichmann, der wirkl. Geh. Ober-Juſtizrath Ruppenthal, der Juſtizminiſter v. Savigny, der Geh. Ober-Finanzrath Bornemann.

Die Kommiſſion begann am 6. März 1838 ihre Berathungen über den vorgelegten Entwurf und beendete ſie am 10. Dec. 1842. Den Vorſitz führte der Präſident des Staatsraths, Freih. v. Müffling; Referent war Anfangs der Geh. Ober-Reviſionsrath Jähnigen, ſeit der 15. Sitzung aber der Landgerichtsrath Biſchoff. Die über die Verhandlungen aufgenommenen Protokolle ſind gedruckt unter dem Titel:

Berathungs-Protokolle der zur Reviſion des Strafrechts ernann - ten Commiſſion des Staatsraths. Berlin 1839-42. 3 Bände in 4.

Das geſammte, für die legislative Bearbeitung beſtimmte Material iſt hier einer umſichtigen, gründlichen, ins Einzelne genau eingehenden Prü - fung unterzogen worden. Die von v. Kamptz in dem Entwurf vor - genommenen Abänderungen, wurden faſt durchweg im Sinne einer freie - ren und geſunderen Jurisprudenz beſeitigt; die Leiſtungen der Kommiſ - ſion namentlich für die Aufſtellung ſchärferer Begriffsbeſtimmungen, für die größere Genauigkeit des Ausdruckes ſind jeder Anerkennung werth.

Die Arbeiten der Kommiſſion wurden ſtückweiſe, ſowie einzelne Ab - ſchnitte vollendet waren, in den Staatsrath gebracht, der ſich mit9§. III. Die dritte Reviſion; 1843-47.einer ausführlichen Erörterung, beſonders der allgemeinen Fragen, vom 11. Dec. 1839 bis zum 21. Dec. 1842 in 51 Sitzungen beſchäftigte. Referent war auch hier Biſchoff. Dieſe Verhandlungen nun, die mit großer Einſicht und Unabhängigkeit geführt wurden, enthalten für die Geſchichte der Strafgeſetzgebung in Preußen und für das Verſtändniß der Hauptgeſichtspunkte, welche dabei in Betracht kamen, ein wichtiges Material. Ueber die Beſtrafung der im Auslande begangenen Verbre - chen, über das Syſtem der Freiheitsſtrafen, über Meineid, Verläumdung, Diebſtahl und manche andere Gegenſtände haben die lehrreichſten Erör - terungen ſtattgefunden.

Der aus dieſen Berathungen hervorgegangene Entwurf wurde mit wenigen Abänderungen vom Könige genehmigt,h)K. - O. v. 9. Jan. 1843 als Beilage zum 3. Bande der Berathungs-Prote - kolle gedruckt. und den im Frühjahr 1843 verſammelten Provinzial-Landtagen zur Begutachtung vorgelegt, auch mit allerhöchſter Genehmigung auf dem Wege des Buchhandels zur öffentlichen Kenntniß gebracht. i)Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten nach den Beſchlüſſen des Königlichen Staatsraths. Anhang: 1) Entwurf des Geſetzes über die Einführung des Strafgeſetzbuchs. 2) Entwurf des Geſetzes über die Kompetenz der Gerichte zur Unterſuchung und Beſtrafung der Verbrechen und Vergehen in dem Bezirke des Appellationshofes zu Cöln. Berlin. In Commiſſion bei Veit u. Comp. 1843. 8.

§. III.

Die dritte Reviſion, bis zur Vorlage an den vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß; 1843-1847. Die Entwürfe von 1845 und 1847.

Den acht Landtagen ward der Entwurf zugleich mit einer ausführ - lichen Denkſchrift und mit 64 Fragen, deren Beantwortung beſonders gewünſcht wurde, von der Staatsregierung vorgelegt; ſie begnügten ſich aber nicht mit der Beantwortung dieſer Fragen, ſondern verbreiteten ihre Anträge und Erinnerungen über den Entwurf in ſeinem ganzen Um - fange; ja die Rheiniſchen Stände, für ihre beſonderen Rechtsinſtitutio - nen und namentlich für das Schwurgericht beſorgt, legten ihrer Seits der Regierung einen neuen Entwurf mit Motiven vor. Zugleich gin - gen von den Oberpräſidenten von Schleſien, Sachſen, Poſen und der Rheinprovinz Gutachten ein, welche ſich an die Erinnerungen der be - treffenden Stände anſchloſſen.

Wenn auf dieſe Weiſe ſchon ein wichtiges Material zur weiteren10Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.Prüfung zuſammen kam, ſo hatte die Veröffentlichung des Entwurfs auch in weiteren Kreiſen ein lebhaftes Intereſſe dafür erregt, welches ſich in zahlreichen kritiſchen Arbeiten bethätigte. Außer den zum Theil ſehr beachtungswerthen Zeitungsartikeln laſſen ſich 64 ſelbſtſtändige Schriften und Abhandlungen aufführen, welche ſich mit einer Prüfung des Ent - wurfs beſchäftigen, und von denen die meiſten gedruckt, manche aber auch nur handſchriftlich in den Acten des Juſtizminiſteriums vorhanden ſind. Zu den wichtigſten von dieſen Momenten gehören:k)Ein vollſtändiges Verzeichniß ſämmtlicher über den Entwurf erſchienenen Schriften und Artikel findet ſich in der Reviſion des Entwurfs von 1843. (Berlin, 1845.) Band I. Beil. V. S. XIV-XIX.

  • Abegg, Dr., Profeſſor an der Univerſität zu Breslau, kritiſche Betrachtungen über den Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten vom Jahre 1843. Neuſtadt a. d. Orla, 1844. 8. XVI. u. 556 S.
  • Eversmann, Prokurator bei dem Appellations-Gerichtshofe zu Cöln, über das neue Strafgeſetzbuch. Handſchriftlich.
  • Herrmann, Dr., Profeſſor an der Univerſität zu Kiel, Preußens neue Strafgeſetz - gebung. In der Halleſchen Allg. Literatur-Zeitung, 1843. S. 481-511.
  • Martin, Dr., Großherz. Sachſen-Weimar-Eiſenachſcher Geh. Juſtizrath, Bemer - kungen zu dem erſten Theile des Entwurfs (§. 1-140). Handſchriftlich.
  • Mittermaier, Dr., Geh. Rath und Profeſſor zu Heidelberg, Schreiben an den Juſtizminiſter v. Savigny, enthaltend Bemerkungen über den Entwurf. Hand - ſchriftlich.
  • Derſelbe, über den Entwurf, in ſeinem Werke: die Strafgeſetzgebung in ihrer Fortbildung, Zweiter Beitrag. Heidelberg, 1843. S. 114-140.
  • Plathner, Ober-Landesger. -Aſſeſſor, Beurtheilung des Entwurfs. Berlin, 1844. 8. VI. u. 309 S.
  • (Ruppenthal) Bemerkungen über den Entwurf des Preuß. Strafgeſetzbuches und deſſen Begutachtung durch den Rheiniſchen Provinzial-Landtag. Von einem Freunde der Rheiniſchen Rechts-Inſtitutionen. Heidelberg, 1843. 8. 128 S.
  • Schnaaſe, Ober-Prokurator in Düſſeldorf, Bericht an den Juſtizminiſter v. Sa - vigny, den Entwurf betreffend. Handſchriftlich.
  • Schüler, Dr., Ober-Apellationsgerichts-Rath zu Jena, kritiſche Bemerkungen zum erſten Theil des Entwurfs. Leipzig, 1844. 8. 115 S.
  • Schwarze, Dr., Beiſitzer und Mitglied des Königlich Sächſiſchen Appellations - gerichts zu Dresden, Kritik des Entwurfs, im Archiv des Criminalrechts. Halle, Beilageheft zu 1843. 8. 183 S.
  • v. Strampff, Ober-Landesgerichts-Vice-Präſident zu Naumburg, kritiſche Briefe über den Entwurf des Strafgeſetzbuchs. Berlin, 1844. 8. 473 S.
  • Temme, Kriminalgerichts-Direktor, Kritik des Entwurfs. Berlin, 1843. 8. Th. I. X. u. 219 S. Th. II. X. u. 413 S.
  • Zachariä, Dr., Profeſſor an der Univerſität zu Göttingen, Bemerkungen über den Entwurf, in zwei Abtheilungen. Handſchriftlich.

Das geſammte in den Erinnerungen der Stände und in den öffent - lichen Schriften und anderen Mittheilungen enthaltene Material ward11§. III. Die dritte Reviſion; 1843-47.nun durch Königliche Kabinets-Ordrel)R. O. v. 24. Nov. 1843, abgedruckt a. a. O. als Beil. IV. S. XIII. dem Juſtizminiſter v. Savigny zur Prüfung und Beurtheilung überwieſen, mit dem Auftrage eine Zu - ſammenſtellung der wichtigſten Monita zu veranlaſſen und die für - thig befundenen Abänderungen des Entwurfs, bei der am 4. Febr. 1838 eingeſetzten Staatsraths-Kommiſſion in Antrag zu bringen. Der erſte Theil dieſer Aufgabe, die Zuſammenſtellung und Prüfung des Materials, ward in einer Arbeit des Geh. Juſtizraths Biſchoff gelöſt, welche zu den bedeutendſten Leiſtungen auf dem Gebiet der Geſetzreviſion gehört.

Reviſion des Entwurfs des Strafgeſetzbuchs von 1843. 3 Bde. Berlin, 1845. 4.

Ueberſichtlich und klar werden die gegen den Geſetzentwurf erhobenen Bedenken dargelegt; an die Prüfung derſelben knüpft ſich regelmäßig eine Erörterung der allgemeinen, in Betracht kommenden Rechtsfragen an und indem die Faſſung des Entwurfs mit dem gewonnenen Reſultat zuſammengehalten wird, gelangt der Reviſor dahin, entweder den Ent - wurf aufrecht zu erhalten oder die nöthigen Abänderungen zu beantra - gen. Aus dieſer Bearbeitung ging eine neue Geſetzes-Vorlage hervor.

Revidirter Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten. Vorgelegt von dem Miniſterium der Geſetz-Reviſion. Berlin, 1845.

Die Immediat-Kommiſſionm)Die angef. K. -O. hatte als neue Mitglieder in die Kommiſſion berufen: den wirkl. Geh. Ober-Juſtizrath v. Boß und den Kammergerichts-Präſidenten v. Kleiſt, zu denen ſpäter der Geh. Ober-Juſtizrath Jähnigen hinzutrat. Vor - ſitzender war jetzt der Präſident des Staatsraths, Miniſter v. Rochow, Referent wiederum der Geh. Juſtizrath Biſchoff. befaßte ſich mit der Prüfung dieſes Ent - wurfs vom 18. Oct. 1845 bis zum 9. Juli 1846.

Verhandlungen der Kommiſſion des Staatsraths über den revi - dirten Entwurf des Strafgeſetzbuchs. Berlin, 1846. 4.

Gleich zu Anfang der Sitzungen wurde hier, wie ſchon früher im Staatsrathe, aber ebenſo vergeblich der Verſuch gemacht, den Fortgang des Reviſionswerks zu unterbrechen, indem die bekannten Gründe gegen die Kodifikation vorgebracht, und ſtatt deren die Reform einzelner Theile des Strafrechts und zwar nach dem Bedürfniß der einzelnen Landes - theile, die ein verſchiedenes Strafrecht hatten, empfohlen ward. Dage - gen wurden aber, beſonders von dem Miniſter v. Savigny, die Gründe für die Abfaſſung eines allgemeinen Strafgeſetzbuchs hervor - gehoben, und insbeſondere noch darauf hingewieſen, daß die Staats - regierung durch die den Rheiniſchen Ständen im Landtagsabſchiede von 1843 gegebene Erklärung in dieſer Hinſicht gebunden ſei. Die Kom - miſſion ging im weiteren Verlaufe ihrer Verhandlungen auf ſolche all -12Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.gemeine Erörterungen weniger ein, wenn ſie dieſelben auch nicht ganz unterließ, ſondern beſchäftigte ſich vorzugsweiſe mit Faſſungsfragen, in - dem ſie jedoch nicht ſelten unter Verwerfung der Abänderungen des re - vidirten Entwurfs zu dem von 1843 zurückkehrte.

Die Frage jedoch, wie der Entwurf ſich zu dem Rheiniſchen Rechte und namentlich zu dem Rheiniſchen Gerichtsverfahren ſtellen werde, mußte immer wieder hervortreten, ſie mußte ſich aber mit ganz beſonde - rem Nachdruck zur Berückſichtigung darſtellen, als von der Staatsregie - rung beſchloſſen ward, den Entwurf des Strafgeſetzbuchs nicht wieder dem Staatsrathe, ſondern dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſe vorzu - legen. In den erſten Stadien der Reviſion war das Rheiniſche Straf - recht überhaupt wenig berückſichtigt worden; erſt die Verhandlungen der Rheiniſchen Provinzialſtände, der von ihnen vorgelegte Entwurf und die Erinnerungen Rheiniſcher Juriſten hatten bei der Reviſion von 1845 eine mehr eingehende Würdigung gefunden. Sie genügte aber noch nicht den Anforderungen der Rheiniſchen Rechtsinſtitutionen; namentlich die Frage, wie die Thätigkeit der Geſchwornen nach dem Geſetzbuch zu ſtehen kommen werde, konnte noch nicht als erledigt erſcheinen; man mußte die Faſſung des Geſetzbuchs nach dieſem Geſichtspunkte wieder - holt prüfen, und auch auf weit eingreifendere Beſtimmungen in dem Einführungsgeſetz und der Kompetenzordnung Bedacht nehmen, als ſie in den Entwürfen von 1843 zu finden waren. Durch dieſe Bedenken ward im Jahre 1847 eine Reihe neuer Verhandlungen in der Imme - diat-Kommiſſion hervorgerufen, die ſich zum Theil an eine Denkſchrift des wirklichen Geh. Raths Ruppenthal und an ein darüber abgege - benes beſonderes Votum des Juſtizminiſters v. Savigny anſchloſſen. Man entſchied ſich, noch einige Rheiniſche Juriſten zu den Verhandlun - gen zuzuziehen, und dieſe: der Geh. Juſtizrath Simons, der Appella - tions-Senats-Präſident Madihn, der Appellationsrath v. Ammon und der Appellationsrath Grimm nahmen in den Verhandlungen und durch beſondere Vorſchläge und Denkſchriften das Intereſſe der von ih - nen vertretenen Rechtsinſtitutionen energiſch wahr. Sie erreichten da - mals bei weitem nicht Alles, was ſie wünſchten; aber ihre Vorſchläge ſind ſpäter in gebührender Weiſe benutzt worden. Die Verhandlungen der Kommiſſion und die darauf bezüglichen Arbeiten der Rheiniſchen Juriſten finden ſich in dem folgenden Actenſtücke:

Fernere Verhandlungen der Kommiſſion des Staatsraths über den revidirten Entwurf des Strafgeſetzbuchs. Berlin, 1847. 4.

Aus dieſen Verhandlungen ging hervor:

Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten nebſt dem Entwurf des Geſetzes über die Einführung des Strafgeſetz -13§. IV. Die vierte Reviſion; 1847-51.buchs und dem Entwurf des Geſetzes über die Kompetenz und das Verfahren in dem Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Köln. Zur Vorlegung an die vereinigten ſtändiſchen Ausſchüſſe beſtimmt. Berlin, 1847. 4.

dazu:

Motive zum Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten und den damit verbundenen Geſetzen vom Jahre 1847. Berlin, 1847. 4.

§. IV.

Die vierte Reviſion; Verhandlungen des vereinigten ſtän - diſchen Ausſchuſſes. Der Entwurf von 1850. Die Kommiſ - ſionsarbeiten der Kammern. 1847-51.

Der vereinigte ſtändiſche Ausſchuß ward auf den 17. Jan. 1848 einberufen; vorher aber trat die vorberathende Abtheilung zuſammen, um über den vorgelegten Entwurf des Strafgeſetzbuchs ein vorbereitendes Gutachten zu entwerfen, was in 26. Sitzungen zu Stande gebracht wurde. Die Abgeordneten Naumann und Freih. v. Mylius fungir - ten als Referent und Korreferent, eine Stellung, welche ſie auch bei den Ausſchußverhandlungen ſelbſt einnahmen. Nachdem der Geſetzentwurf hier in 33 Sitzungen berathen war, ward der Ausſchuß am 6. März 1848 geſchloſſen. n)Das vollſtändige Material der Verhandlungen, ſowohl der vorbereitenden Ab - theilung als auch des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes, findet ſich in dem vom Kanz - leirath Bleich herausgegebenen Werke: Verhandlungen des im Jahre 1848 zuſammenberufenen vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes. Berlin, 1848. 4 Bände in 8.

Die Verhandlungen, mit Einſicht und Talent geführt, haben gegen - wärtig zum Theil nur noch ein hiſtoriſches Intereſſe. Fragen, welche damals die Gemüther auf's Lebhafteſte beſchäftigten, wie die über die Todesſtrafe und deren Schärfung, über die Zuläſſigkeit der körperlichen Züchtigung, ſind jetzt erledigt; die Einführung des öffentlich-münd - lichen Gerichtsverfahrens und der Schwurgerichte in der ganzen Mo - narchie haben den damals oft ſchroff hervortretenden Gegenſatz zwiſchen den Rheiniſchen Rechtsinſtitutionen und dem Gerichtsweſen der übrigen Provinzen im Weſentlichen beſeitigt. Doch ward jene allgemeine Re - form des gerichtlichen Verfahrens im Sinne der germaniſchen Rechts - bildung eben in den Verhandlungen des vereinigten ſtändiſchen Aus - ſchuſſes der Verwirklichung um ein Großes näher geführt; es braucht14Einleitung. Erſtes Kap. Entſtehung des Strafgeſetzbuchs.in dieſer Beziehung nur auf die von der Staatsregierung endlich nach - gegebene Dreitheilung der ſtrafbaren Handlungen, ſo wie auf die An - nahme der zeitigen Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehren - rechte, im Gegenſatz zu der eigentlichen Ehrloſigkeit hingewieſen zu werden, Beſtimmungen, deren Aufnahme in das Strafgeſetzbuch die Rheiniſchen Juriſten in der Staatsrathskommiſſion noch vergeblich vor - geſchlagen hatten.

Auch für die genauere Begriffsbeſtimmung der einzelnen Verbrechen, ſo wie für die gerechtere Strafzumeſſung wurde in den Verhandlungen Manches von Bedeutung geleiſtet; der Ausſchuß ſelbſt ſtellte aber den unmittelbaren Erfolg ſeiner Arbeiten in Frage, indem er es für noth - wendig erklärte, daß das Strafgeſetzbuch nicht eher erlaſſen werde, bevor eine neue Kriminalordnung von dem vereinigten Landtage berathen ſei.

Indeſſen zogen überhaupt die politiſchen Bewegungen der folgenden Zeit die Aufmerkſamkeit von dem Strafgeſetzbuch ab, und erſt im Jahre 1850 beſchäftigte man ſich im Juſtizminiſterium ernſtlich mit der Wie - deraufnahme des Werkes. Die Verhandlungen des vereinigten ſtändi - ſchen Ausſchuſſes konnten nun zum Zweck einer nochmaligen Reviſion des Entwurfs benutzt werden, während die großen Veränderungen in der Gerichtsverfaſſung gleichfalls eine wiederholte Prüfung nothwendig machten. Aus dieſen Arbeiten ging der Entwurf des Strafgeſetzbuchs hervor, welcher zugleich mit dem Entwurf des Einführungsgeſetzes in der Sitzung vom 3. Jan. 1851 von dem Juſtizminiſter Simons, auf Grund einer Allerhöchſten Ermächtigung vom 10. Dez. 1850, der zwei - ten Kammer vorgelegt wurde. o)Die das Strafgeſetzbuch betreffenden Kammerverhandlungen und ſämmtliche darauf bezüglichen Aktenſtücke ſind jetzt abgedruckt in folgendem Werke: Verhand - lungen der erſten und zweiten Kammer über die Entwürfe des Strafgeſetz - buchs für die Preußiſchen Staaten und des Geſetzes über die Einführung deſſelben vom 10. Dez. 1850. Nebſt den Commiſſions-Berichten und ſonſtigen Aktenſtücken. Berlin, 1851. Verlag der Decker'ſchen Ober-Hofbuchdruckerei. Es fehlen jedoch die dem Entwurf des Strafgeſetzbuchs beigegebenen Motive, welche abgedruckt ſind in den Anlagen zu den Verhandlungen der zweiten Kammer Nr. 23. S. 163 ff. und beſonders veröffentlicht, Berlin 1851 in der Decker'ſchen Ober - Hofbuchdruckerei.Dieſe ernannte zur Vorberathung und Berichterſtattung eine Kommiſſion von 21 Mitgliedern, welche unter Mitwirkung des Geh. Juſtizrathes Biſchoff als Vertreters des Juſtiz - miniſteriums beide Entwürfe einer genauen Prüfung unterzog. Die von der Kommiſſion in Vorſchlag gebrachten Abänderungenp)Berichterſtatter waren: wurden nach15§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.Ausgleichung einiger Differenzpunkte von dem Juſtizminiſter adoptirt und die ſo amendirten Geſetzentwürfe von der zweiten Kammer im Gan - zen angenommen;q)Die erſte Berathung fand ſtatt in der Sitzung vom 27. März, die zweite Abſtimmung in der Sitzung vom 5. April 1851. daſſelbe geſchah ſpäter auf den Vorſchlag der Ju - ſtizkommiſſionr)In der Sitzung vom 12. April 1851. auch in der erſten Kammer. Am 14. April 1851 erfolgte die Königliche Sanktion, und ſo ward durch das einträchtige Zuſammen - wirken der drei Faktoren der Geſetzgebung ein bedeutendes Werk glücklich vollendet, auf deſſen Vorbereitung ſeit 25 Jahren ſo ausgezeichnete Kräfte verwandt worden waren.

Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.

§. V.

Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.

Zu den Fortſchritten, welche durch das politiſche Leben und die Wiſſenſchaft während der letzten Jahrzehnte in Deutſchland hervorgeru - fen ſind, darf unbedenklich die richtigere Einſicht in das Weſen und die Aufgabe der Geſetzgebung gerechnet werden. Es giebt nur noch wenige unter den zum Urtheil Berufenen, welche ſich mit der Aufſtellung be - ſtimmt formulirter Gegenſätze beruhigen, und etwa in der Beantwortung der Frage: ob Kodifikation oder nicht die Entſcheidung darüber ab - zugeben geneigt ſind, welche Thätigkeit die Geſetzgebung im Allgemeinen zu entwickeln habe. Der Begriff der Kodifikation hat ſeine beſtimmtere Feſtſtellung gewonnen und iſt in die richtige Beziehung zu den that -

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16Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.ſächlichen Verhältniſſen des Staates und des Lebens ſo wie zu der Rechtserzeugung überhaupt gebracht worden. Die Lehre namentlich, daß es der Geſetzgebung obliege, aus den Abſtraktionen des Naturrechts her - aus ein Syſtem neuer Rechtsſätze und Rechtsinſtitute zu ſchaffen, kann als wiſſenſchaftlich überwunden und als veraltet angeſehen werden; aber auch diejenigen, welche der Gegenwart jede Berechtigung zu einer freien Reform unſeres krauſen Rechtsweſens abſprechen möchten, ſtellen ſich immer beſtimmter als die Anhänger einer politiſchen Schule dar, deren Ziele und Beſtrebungen dem modernen Staatsweſen ſelbſt, wie es ſich bei uns ſeit den Zeiten des großen Kurfürſten geſtaltet hat, entgegen treten, und mit der wiſſenſchaftlichen Oppoſition gegen eine oberflächliche Geſetzmacherei nicht verwechſelt werden dürfen.

Für Preußen war die Erlaſſung eines neuen Strafgeſetzbuchs eine Nothwendigkeit geworden, weil die verſchiedenen Rechtsſyſteme, welche in der Monarchie zur Anwendung kommen, für dieſen Gegenſtand einer Reform dringend bedurften, was nicht allein in Beziehung auf das All - gemeine Landrecht und das gemeine deutſche Recht der Fall war, ſon - dern auch in Beziehung auf das Rheiniſche Recht, welches abgelöſt von der in Frankreich fortſchreitenden Rechtsentwicklung und namentlich von dem Geſetze vom 28. April 1832 unberührt, in der ſtarren Strenge der kaiſerlichen Strafſatzungen gebunden lag. Die nothwendige Reform aber auf die Reviſion der verſchiedenen Rechtsſyſteme in ihrer Beſonderheit zu beſchränken, ward ſchon damals, als noch die Gerichtsverfaſſung eine weſentlich verſchiedene war, für unzuläſſig und unpolitiſch gehalten, weil es gerade bei dem Strafrecht als einem Theile des öffentlichen Rechts nicht bloß darauf ankommt, die Gebote der Gerechtigkeit in Be - ziehung auf die einzelnen Staatsbürger zu verwirklichen, ſondern auch der Staat ſelbſt mit ſeinen Anforderungen befriedigt werden muß, und die Rechtseinheit ſich von der Staatseinheit hier nicht wohl tren - nen läßt. Daß aber das lange und ſorgfältig vorbereitete Werk gerade jetzt hat zur Vollendung kommen können, iſt um ſo wichtiger, da die Erfüllung der Hoffnungen auf die Herſtellung einer größeren Rechts - gemeinſchaft für ganz Deutſchland in neueſter Zeit wieder in die Ferne gerückt worden iſt.

Darf man aber auch die Erlaſſung eines Strafgeſetzbuchs für die Preußiſche Monarchie als ein unabweisliches Bedürfniß anſehen, deſſen Befriedigung von der Staatsgewalt zu erwarten war, ſo bleibt doch noch die Frage zu beantworten, wie denn dieſe Aufgabe durch das jetzt vollendete Geſetzbuch gelöſt ſei; denn nicht jede Neuerung, auch wenn ſie an und für ſich gerechtfertigt erſcheint, iſt darum eine Verbeſſerung. Eine Unterſuchung aber, welche ſich nach dieſer Seite hin richtet, wird17§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.ſchon dann zu einem gewiſſen Abſchluß gelangen, wenn die wichtigſten Momente bezeichnet werden, welche bei der Ausführung des Werkes vorzugsweiſe maaßgebend ſein mußten, und wenn ſich dann nachweiſen läßt, daß die Geſetzgebung auf ſie die gebührende Rückſicht genommen hat. Wirft man von dieſem Standpunkte aus einen Blick auf das Reviſionswerk, ſo ergiebt ſich zunächſt, daß es der Geſetzgebung im All - gemeinen oblag, das beſtehende Recht, wie es in ſeiner verſchiedenartigen Entfaltung in Preußen zur Anwendung kam, als den gegebenen Stoff zu verwenden, aus dem der neue Bau zu errichten war. Es mußten aber dabei die Fortſchritte der Geſetzgebung und der Wiſſenſchaft, wie ſie in Deutſchland und bei verwandten Völkern zu erkennen waren, ſtets in ihrer vollen Bedeutung gewürdigt und zur Veredlung des eigenen Rechts benutzt werden. Das ganze Werk endlich durfte von dem be - ſtimmten Staate Preußen und von ſeinen beſonderen Bedürfniſſen und Anforderungen nicht losgebunden gedacht, ſondern mußte in klarer An - ſchauung der Verhältniſſe auf dieſen Punkt gerichtet werden. Das Preußiſche Heerweſen z. B. verlangte die ſorgfältigſte Berückſichtigung.

In der That zeigt nun der Gang, welchen die Reviſion des Straf - rechts genommen hat, daß die angegebenen Momente dabei in gebühren - der Weiſe zur Geltung gekommen ſind. Das Allgemeine Landrecht bil - dete den Ausgangspunkt für die Geſetzgebung, deren Aufgabe zunächſt an deſſen Inhalt geprüft ward; man zog aber auch die Ergebniſſe, welche die Wiſſenſchaft des gemeinen deutſchen Strafrechts und die neueren deutſchen Geſetzgebungen darboten, zur freieſten Benutzung heran, und gewährte endlich dem Rheiniſchen Recht in ſeiner logiſchen Durch - bildung und ſeinen formellen Vorzügen, bei der Faſſung der letzten Ent - würfe den ihm gebührenden Einfluß. So iſt es geſchehen, daß ein Werk hergeſtellt werden konnte, welches ſich einer ſeltenen Zuſtimmung erfreut, während die unweiſe Vernachläſſigung des einen oder des an - deren jener hervorgehobenen Momente den entgegengeſetzten Erfolg her - beigeführt haben würde. Freilich durften jene verſchiedenen Elemente nicht unvermittelt neben einander ruhen; die Arbeit mußte, um ein Gan - zes zu werden, einen beſtimmten Charakter gewinnen, und daß ſie die - ſen erlangt hat und in konſequenter Durchführung beſtimmter leitender Ideen wie aus Einem Guſſe erſcheint, ſichert ihr hauptſächlich ihren Werth und verſöhnt ſelbſt mit manchen Einzelnheiten, die wohl jeder mit mehr oder weniger Recht daran auszuſetzen finden wird.

Was nun zunächſt das Syſtem betrifft, welches ſich in der An - ordnung und Vertheilung des Stoffes erkennen läßt, ſo iſt daſſelbe alsBeſeler Kommentar. 218Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.einfach und überſichtlich zu loben, ſo daß auch die für die Auslegung des Geſetzbuchs leicht zu Zweifel Anlaß gebenden Marginalien füglich weggelaſſen werden konnten. Zuerſt kommen einige einleitende Be - ſtimmungen, welche um deswegen nicht, wie es noch in dem Entwurf von 1847 geſchehen war, in dem erſten Theile untergebracht werden konnten, weil ſie ſich nicht bloß auf die Verbrechen und Vergehen, ſon - dern auch auf die Uebertretungen beziehen eine Unterſcheidung, welche im Uebrigen für das Syſtem konſequent durchgeführt worden iſt. Der erſte Theil handelt dann von der Beſtrafung der Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen, und umfaßt im Weſentlichen diejenigen Be - ſtimmungen, welche man in den Lehrbüchern der deutſchen Kriminaliſten und auch in einigen deutſchen Strafgeſetzbüchern (dem Sächſiſchen und Hannöverſchen) in dem ſ. g. allgemeinen Theile findet. Während nun die im erſten Titel enthaltenen Vorſchriften über die Strafen genau und bis ins Detail ausgeführt ſind, bieten die übrigen Titel nur we - nige, in großen Zügen aufgeſtellte Grundſätze dar, deren innerer wiſſen - ſchaftlicher Zuſammenhang in dem Geſetzbuche ſelbſt nicht äußerlich dar - geſtellt iſt, was eben nicht, um einen Tadel auszuſprechen, bemerkt wird, da es nicht die Aufgabe eines Geſetzbuchs iſt, ein wiſſenſchaft - liches Syſtem vollſtändig zu entwickeln. Die allgemeinen Lehren über Zurechnung und Verſchuldung haben hier keinen Platz gefunden, und namentlich der vierte Titel Von den Gründen, welche die Strafe ausſchließen oder mildern ſchließt ſich ohne Uebergang und Vermitt - lung an die vorhergehenden Beſtimmungen über den Verſuch (Titel II. ) und über die Theilnahme (Tit. III. ) an, während im fünften Titel vom Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen und vom Rückfalle gehandelt wird. Dabei iſt denn im vierten Titel durch einen in der Kommiſſion der zweiten Kammer gemachten Zuſatz eine kleine Abweichung von dem urſprünglich angelegten Syſteme veranlaßt worden, indem man es für nöthig hielt, einige allgemeine Beſtimmungen über die Fälle aufzuneh - men, in denen Verbrechen oder Vergehen nur auf Antrag einer Privat - perſon beſtraft werden (§. 50-54.). Da die beiden erſten §§. zu den Vorſchriften über die Verjährung gehörten, ſo glaubte man, um nicht denſelben Gegenſtand an verſchiedenen Stellen behandeln zu müſſen, auch die drei letzten (§. 52-54. ) hier wohl einfügen zu dürfen. Da - gegen enthält der erſte Theil keine Beſtimmung darüber, in welcher Be - ziehung er ſeinem Inhalte nach zu den Uebertretungen ſteht, und auch der dieſen gewidmete dritte Theil giebt darüber keinen allgemeinen und unmittelbaren Aufſchluß. Die Erörterung dieſer wichtigen Frage bleibt der näheren Erwägung des erſten Titels des dritten Theiles vorbehalten.

Der zweite Theil handelt von den einzelnen Verbrechen und19§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.Vergehen und deren Beſtrafung. Zuerſt kommen die Verbrechen und Vergehen gegen den Staat, inſofern deſſen Exiſtenz, Integrität, Würde, Sicherheit und Ordnung dadurch gefährdet wird. Hochverrath und Landesverrath, obgleich dem Begriffe nach beſtimmt auseinandergehalten, ſind in demſelben Titel (I.) zuſammen geſtellt; ebenſo die Beleidigung der Majeſtät und der Mitglieder des Königlichen Hauſes (Tit. II.). Der dritte Titel iſt den feindlichen Handlungen gegen befreundete Staa - ten gewidmet, und faßt die in den beiden vorhergehenden Titeln auf - geführten Handlungen zuſammen, inſofern ſie nach außen hin gerichtet, ſtrafbar ſind, während ſie im Entwurf von 1847 jenen beiden Titeln einverleibt waren, zugleich mit dem Hochverrath und Landesverrath ge - gen den deutſchen Bund, worüber in das Strafgeſetzbuch keine beſon - deren Beſtimmungen aufgenommen worden ſind. Neu und durch die veränderte Staatsverfaſſung hervorgerufen iſt der vierte Titel von Ver - brechen und Vergehen in Beziehung auf die Ausübung der ſtaatsbür - gerlichen Rechte, wogegen die früher beſonders hervorgehobenen Verbre - chen, welche ſich auf Hoheitsrechte und Regalien beziehen, gegenwärtig ihre beſondere Bedeutung verloren haben, und die Strafbeſtimmungen über unerlaubte Verbindung im ſechsten Titel unter den Vergehen wider die öffentliche Ordnung ihren Platz finden konnten. Daß der ſiebente Titel Münzverbrechen und Münzvergehen, von der Urkundenfälſchung abgetrennt und hierher geſtellt worden iſt, muß als eine weſentliche Verbeſſerung angeſehen werden, ebenſo wie die falſche Anſchuldigung (Tit. IX. ) ſich beſſer als ein ſelbſtändiges Verbrechen hinter dem Meineid ausnimmt, als zuſammengeworfen mit der Verleum - dung, wie es noch der Entwurf von 1850 hatte. Der Meineid ſelbſt (Tit. VIII. ), die Vergehen, welche ſich auf die Religion beziehen (Tit. X.) und die Verbrechen in Beziehung auf den Perſonenſtand (Tit. XI. ) bil - den dann den Uebergang von den gegen den Staat gerichteten Verbre - chen und Vergehen auf diejenigen, welche die Perſönlichkeit verletzen, zu denen wenigſtens in der Regel die gegen die Sittlichkeit (Tit. XII. ) auch gehören. An die Verletzungen der Ehre (Tit. XIII. ) ſchließt ſich der Zweikampf an (Tit. XIV. ), auf dieſen folgen die Verbrechen und Vergehen wider das Leben, die Körperverletzungen und die Verbrechen und Vergehen wider die perſönliche Freiheit (Tit. XVII.). Dann wer - den in den neun folgenden Titeln (XVIII-XXVI. ) die Verbrechen und Vergehen gegen das Vermögen abgehandelt, wobei nur zu bemer - ken, daß bei dem Raube und der Erpreſſung (Tit. XIX. ) zu der Ver - letzung des Vermögens auch die Perſönlichkeit hinzutritt, und bei der Untreue (Tit. XXII. ) es ſich nicht bloß von Handlungen zum Nach - theile von Sachen, ſondern auch von Perſonen handelt. Der Tit. XXVII. 2 *20Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.iſt noch beſonders den gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen (Brandſtiftung, Ueberſchwemmung u. ſ. w.) gewidmet, und Tit. XXVIII. den Verbrechen und Vergehen im Amte. Die Stellung dieſes letzten Titels rechtfertigt ſich dadurch, daß er der einzige iſt, deſſen Inhalt, ohne durch die Beſchaffenheit der ſtrafbaren Handlungen beſtimmt zu ſein, durch die Perſönlichkeit derjenigen, die ſie begehen, ſeine Bedeutung bekommt, und alſo mehr anhangsweiſe, als im Zuſammenhange des Syſtems zu behandeln war.

Werfen wir nun noch einen Blick auf das Syſtem des zweiten Theils zurück, und laſſen einmal die weniger beſtimmt ausgeprägten Formen unberückſichtigt, ſo ſtellt ſich hier eine in der Natur der Sache begründete Dreitheilung dar, auf welche die einzelnen Arten der Verbre - chen und Vergehen zurückgeführt werden können: es ſind ſolche, welche entweder gegen den Staat oder gegen die Perſon oder gegen das Ver - mögen begangen werden. Dieſe Eintheilung hätte nun durch weitere Unterabtheilungen leicht in ein ſyſtematiſches Netzwerk zerlegt werden können, welches auch äußerlich die verſchiedenen Kategorien beſtimmter hätte hervortreten laſſen. Man fand für ein ſolches Verfahren einen Vorgang in dem Rheiniſchen Strafgeſetzbuch, ſetzte ſich aber dadurch der Gefahr aus, die Ueberſichtlichkeit des Syſtems zu beeinträchtigen, und der Auslegung durch die Ueberſchriften ein Material an die Hand zu geben, welches im Geſetzbuch ſelbſt enthalten, der unbefangenen Würdi - gung der eigentlichen Strafſatzungen Hinderniſſe bereiten kann, während es der Wiſſenſchaft ein Leichtes iſt, die weitere Entfaltung des Syſtems im Geiſte des Strafgeſetzbuchs auszuführen.

Wenn aber, wie gezeigt, bei der Feſtſtellung der Titelfolge eine ge - wiſſe Freiheit in der Würdigung der hauptſächlich zu beachtenden Mo - mente bewahrt worden, ſo iſt dieß noch mehr geſchehen bei der Behand - lung der in den einzelnen Titeln vorkommenden Verbrechen und Verge - hen. Hier findet ſich kein gleichmäßiges Verfahren, etwa in der Art, daß nach der Strafbarkeit der Handlungen zuerſt die leichtere und dann die ſchwerere käme oder umgekehrt, ſondern nach der beſondern Be - ſchaffenheit des gerade vorliegenden Stoffes iſt bald die eine bald die andere Methode angewandt worden. Doch laſſen ſich gewiſſe Regeln erkennen, die hierbei befolgt worden ſind.

1) Wo neben dem vollendeten Verbrechen gewiſſe Verſuchshand - lungen, Anſtiftung u. ſ. w. beſonders mit Strafe bedroht werden, da iſt von dem vollendeten Verbrechen ausgegangen, an welches ſich dann die anderen Formen der ſtrafbaren Handlungen anſchließen. So bei dem Hochverrath (Tit. I.) und dem Meineid (Tit. VIII.)

2) Wenn das ſtrafbare Verſchulden auch bei der Vollendung der21§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.That ſeine im Geſetz feſtgeſtellte Abſtufung hat, die ſich nicht als bloße Qualifikationen darſtellt, ſo iſt von den ſchwereren Fällen auf die der minderen Verſchuldung übergegangen. Man vergleiche den Tit. VII., Münzverbrechen und Münzvergehen, Tit. XV., Mord und Todtſchlag, und überhaupt die Fälle, wo außer der vorſätzlichen Handlung auch die fahrläſſige ausdrücklich unter Strafe geſtellt iſt.

3) Wenn eine ſtrafbare Handlung durch das Hinzutreten beſonde - rer erſchwerender Umſtände eine geſetzliche Qualifikation erhält, ohne da - durch den Charakter zu verlieren, den das einfache Verbrechen oder Ver - gehen an ſich trägt, ſo wird dieſes zuerſt abgehandelt, und dann erſt die ſchwerere Form deſſelben. So bei der Körperverletzung (Tit. XVI. ), dem Diebſtahl (Tit. XVIII. ), der Hehlerei (Tit. XX. ), dem Betruge (Tit. XXI. ) Die Verletzungen der Ehre (Tit. XIII. ) können hier nicht in Betracht kommen, weil die einfache Beleidigung nur als Ueber - tretung gerügt wird, und alſo im zweiten Theile ſich nicht findet.

Der dritte Theil handelt von den Uebertretungen. Bei der er - ſten Reviſion wurde neben dem Kriminalſtrafgeſetzbuch die Erlaſſung eines beſonderen Polizeiſtrafgeſetzbuchs beabſichtigt, und der Entwurf von 1830 enthält daher von Polizeivorſchriften nichts. Der Juſtizminiſter v. Kamptz folgte aber auch hier dem Vorgange des Allgemeinen Land - rechts, und ſtreute, ſtatt den inzwiſchen ausgearbeiteten Entwurf des Polizeiſtrafgeſetzbuchs zu benutzen, in die einzelnen Titel des Strafgeſetz - buchs beſondere Polizeivorſchriften ein, ein Verfahren, welches ſchon in der Staatsraths-Kommiſſion Bedenken erregte, aber in dem Entwurfe von 1843 doch noch beibehalten iſt. Erſt die Reviſion von 1845 ſchaffte hier Wandel, und ſtellte die Polizeivergehen im dritten Theil zuſammen,s)Die Rechtfertigung dieſer Aenderung des Syſtems findet ſich: Reviſion des Entwurfs von 1843. Bd. I. (Berlin, 1845.) S. 4 und 5. was auch im Entwurf von 1847 beibehalten ward und in das Strafgeſetzbuch übergegangen iſt, nur daß hier ſtatt des Wortes Polizeivergehen die Bezeichnung: Uebertretungen ſich findet.

Im erſten Titel: Von der Beſtrafung der Uebertretungen im All - gemeinen werden nun einige allgemeine Grundſätze über den Begriff der Uebertretungen, die Strafen derſelben u. ſ. w. aufgeſtellt; die folgen - den Titel führen dann die einzelnen Handlungen mit den geſetzlichen Strafen auf. Dabei iſt im Weſentlichen daſſelbe Syſtem befolgt wor - den, wie im zweiten Theile hinſichtlich der Verbrechen und Vergehen. Der zweite Titel handelt von den Uebertretungen in Beziehung auf die Sicherheit des Staates und die öffentliche Ordnung; der dritte Titel von den Uebertretungen in Beziehung auf die perſönliche Sicher -22Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.heit, Ehre und Freiheit, der vierte endlich von den Uebertretungen in Beziehung auf das Vermögen.

Wenn nun an dieſe Betrachtungen über das Syſtem des Straf - geſetzbuchs noch einige Bemerkungen über deſſen Form und Gehalt an - gereiht werden, ſo wird es kaum der ausdrücklichen Erklärung bedürfen, daß es hierbei auf keine eingehende Kritik des Geſetzbuchs abgeſehen ſein kann. Der Kommentar wird freilich bei der Erwägung des Einzelnen es ſpäter auch nicht vermeiden, den legislativen Werth der geſetzlichen Vorſchriften einer Prüfung zu unterziehen, falls dazu die Veranlaſſung ſich darbieten ſollte; aber als ſeine nächſte und wichtigſte Aufgabe wird immer feſtgehalten werden, einen Beitrag zu dem richtigen Verſtändniſſe des Geſetzbuchs aus dieſem ſelbſt, unter Benutzung der amtlichen Vor - arbeiten zu liefern. Hier kann es jedenfalls nur darauf ankommen, mit einigen Zügen die Eigenthümlichkeit dieſes Werkes zu charakteriſiren. Zu dieſem Behuf iſt zunächſt das Beſtreben hervorzuheben, die einzelnen Beſtimmungen in möglichſt klarer und einfacher Sprache ſo hinzuſtellen, daß ſie an ſich verſtändlich, auch dem Laien es möglich machen, ſich Kenntniß davon zu verſchaffen, welche Handlungen ſtrafbar und mit welchen Strafen ſie bedroht ſind. Wäre es in dieſer Hinſicht vielleicht wünſchenswerth geweſen, daß der Geſetzgeber ſich in der Faſſung ſeiner Vorſchriften mehr noch, als es geſchehen, an das Publikum und nicht ſo häufig an den Richter gewandt hätte, ſo läßt ſich doch daraus nicht der Vorwurf ableiten, der ſo manche ältere Geſetzgebungen trifft, daß überhaupt nur auf das Verſtändniß des Juriſten gerechnet ſei. Dieß kann hier um ſo weniger zutreffen, da in den letzten Stadien der Reviſion mit höchſter Sorgfalt dahin geſtrebt worden iſt, dem Geſetzbuch eine ſolche Faſſung zu geben, daß es ſich dem Verfahren vor den Schwur - gerichtshöfen anpaſſe, was nicht bloß dadurch geſchieht, daß einzelne Vorſchriften in Fragen an die Geſchwornen aufgelöſt werden können, ſondern auch die formelle Haltung im Allgemeinen beſtimmen muß.

Außer dieſem Zuge, in dem überhaupt ein Fortſchritt der neueren Geſetzgebung und die Einwirkung einer volksthümlichen Gerichtsverfaſ - ſung erkannt werden kann, iſt noch ein anderer hervorzuheben, welcher wenigſtens den übrigen deutſchen Strafgeſetzbüchern gegenüber dieſem Preußiſchen einen bedeutenden Vorzug ſichert. Das iſt die Beſchränkung auf diejenigen Vorſchriften, welche erforderlich ſind, um das Verſtänd - niß und die Durchführung des legislatoriſchen Willens zu ſichern, unter dem Fernhalten aller ſolcher Beſtimmungen, welche ſich entweder als die nothwendigen Folgeſätze der aufgeſtellten Principien von ſelbſt ergeben, oder als die allgemeinen Vorausſetzungen von denen auch der Geſetz -23§. V. Syſtem und Charakter des Strafgeſetzbuchs.geber auszugehen hat, anzuſehen ſind, und deren Hineinziehen in das Geſetzbuch ſelbſt daſſelbe mit Gemeinplätzen oder mit einem ungefügigen wiſſenſchaftlichen Apparat belaſtet. Man iſt vielmehr mit dem beſtimm - ten Bewußtſein des Gegenſatzes gegen die ältere Geſetzgebung des Land - rechts darauf ausgegangen, die Aufgabe des Geſetzgebers nicht über ihre natürlichen Grenzen hinauszurücken, und hat es eines Theils vermie - den, in ein Gebiet der Vorſtellungen und Anſchauungen hinüberzugrei - fen, über welche der Geſetzgeber doch keine Macht hat, anderen Theils aber der Jurisprudenz in ihrer wiſſenſchaftlichen und praktiſchen Fort - bildung das Vertrauen erwieſen, die ihr zukommende Rechtsentwick - lung ihr auch zu überlaſſen und ſie nicht durch das ängſtliche Voraus - beſtimmenwollen alles Einzelnen unnöthiger Weiſe zu hemmen und zu beſchränken. Daß dieſe ganze Tendenz die richtige, und daß ſie im All - gemeinen mit Einſicht und Maaß verfolgt worden, unterliegt keinem Zweifel; ob nicht in einzelnen Fällen dieſe Beſcheidung des Geſetzgebers vielleicht etwas zu weit gegangen, z. B. §. 40 die Beſtimmungen über Ausſchließung der Strafe wegen Unzurechnungsfähigkeit zu fragmenta - riſch gefaßt ſind, wird ſpäter bei den beſonderen Erörterungen noch - her zu erwägen ſein.

Gewiſſe Momente aber giebt es, an denen ſich das hier im All - gemeinen Angeführte klar und beſtimmt darlegen und zur Anſchauung bringen läßt, und für deren angemeſſene Berückſichtigung doch das Ge - ſetzbuch ſelbſt, eben wegen ſeiner bezeichneten Haltung, nicht die rechte Gelegenheit bietet. Es gehören dahin die Freiheit des richterlichen Er - meſſens, namentlich in Beziehung auf allgemeine Zumeſſungsgründe; die allgemeine Bedeutung der im Geſetz zugelaſſenen mildernden Umſtände; die allgemeinen Grundſätze über die Verſchuldung, namentlich über Vor - ſatz und Fahrläſſigkeit. Dieſe Lehren ſchon in der Einleitung zum Ge - genſtande einer näheren Erörterung zu machen, erſcheint um ſo ange - meſſener als das Verſtändniß des Geſetzbuchs im Allgemeinen dadurch weſentlich gefördert werden dürfte.

§. VI.

Das richterliche Ermeſſen.

Die freie Stellung, welche das Strafgeſetzbuch denjenigen einräumt, welche mit der Handhabung der Strafrechtspflege betraut ſind, iſt theils durch die Beſchaffenheit der Gerichtsverfaſſung bedingt, welche jetzt bei uns die allgemein geltende geworden, theils iſt ſie die nothwendige Folge der Geſammtanſchauung, welche bei der Abfaſſung des Geſetzbuchs24Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.maaßgebend geweſen iſt. In erſterer Beziehung iſt namentlich auf die Stellung der Geſchworenen hinzuweiſen, welche ihren Wahrſpruch nur nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen, ohne die Hinzufügung von Ent - ſcheidungsgründen abzugeben haben. Auch die Aufgabe der Staats - anwaltſchaft iſt eine ſolche, daß ihre richtige Löſung nicht durch die abſoluten Vorſchriften des Geſetzes allein geſichert erſcheinen kann, ſon - dern der freien Erwägung des verſtändigen und gewiſſenhaften Beamten Vieles überlaſſen werden muß. Das Geſetzbuch ſelbſt ſchreibt die Ver - folgung der im Auslande begangenen Verbrechen (§. 4.), ſo wie die Wiederaufnahme des Strafverfahrens in Beziehung auf die im Auslande nicht aberkannten Ehrenrechte (§. 24.) nicht unbedingt vor, ſondern ge - währt nur die Befugniß dazu, und überläßt die Entſcheidung dem pflichtmäßigen Ermeſſen der zuſtändigen Behörden. Auch wird ſich ſpä - ter zeigen laſſen, daß in einem praktiſch viel wichtigeren Fall, bei der Verfolgung der Ehrverletzungen gegen Behörden u. ſ. w. (§. 102 u. 103.) die Abſicht des Geſetzes nicht dahin geht, eine ſolche unter allen Um - ſtänden von Amtswegen einleiten zu laſſen, ſondern die Beſchaffenheit des beſonderen Falls und namentlich die Rückſicht auf das öffentliche Intereſſe hier entſcheidend ſein muß. Ueberhaupt wird es gut ſein, wenn man ſich bei uns häufiger, als es oft noch geſchieht, den Grund - ſatz römiſcher Staatsweisheit in ſeinem tieferen Sinne mehr vergegen - wärtigt: Minima non curat Praetor.

Was von der Aufgabe der Staatsanwaltſchaft geſagt worden, ließe ſich auch in beſonderer Beziehung auf die Thätigkeit der Anklagekammer weiter ausführen. Wenn hier aber von dem richterlichen Ermeſſen ge - handelt wird, ſo iſt doch zunächſt nur an das Ermeſſen des erken - nenden Richters gedacht worden, und wie dieſes nach dem Straf - geſetzbuch zu ſtehen kommt, ſoll nun näher unterſucht werden. Wenn dabei im Allgemeinen von dem Satze ausgegangen werden kann, daß das Geſetzbuch im Vergleich mit dem Allgemeinen Landrecht und den früheren Entwürfen dem Richter eine freiere und würdigere Stellung einräumt, ſo bedarf dieſe Behauptung doch in Einer Beziehung einer Beſchränkung. Was nämlich die Wahl des Richters zwiſchen verſchie - denen Strafarten betrifft, ſo iſt ſeine Befugniß jetzt eine weſentlich be - ſchränkte. Es ſteht ihm namentlich nicht zu, unter verſchiedenen Frei - heitsſtrafen eine Auswahl zu treffen oder in andern Fällen, als da, wo das Geſetz es zuläßt, anſtatt einer Freiheitsſtrafe auf Geldſtrafen zu er - kennen. Auch in der Aberkennung der Ehrenrechte iſt eine wichtige Be - ſchränkung eingetreten, und während früher in den Fällen, wo ein Man - gel ehrliebender Geſinnung ſich kund gegeben hatte, der Richter den Verluſt der Nationalkokarde auszuſprechen hatte, iſt es ihm jetzt nur25§. VI. Das richterliche Ermeſſen.überlaſſen, bei beſtimmten, im Geſetz genau bezeichneten Vergehen die Ausübung der Ehrenrechte auf Zeit zu unterſagen. Dieſen Beſchrän - kungen der richterlichen Amtsbefugniß gegenüber, die im Intereſſe der bürgerlichen Freiheit und der Gleichheit vor dem Geſetze gemacht wor - den ſind, zeigt ſich aber im Uebrigen das richterliche Ermeſſen erweitert und von läſtigen Schranken befreit. Ueber die Frage, wann der Rich - ter ein ſtrafbares Verſchulden anzunehmen berechtigt iſt, und nach wel - chen Grundſätzen er namentlich zwiſchen Vorſatz und Fahrläſſigkeit zu unterſcheiden hat, wird unten (§. VIII. ) noch eine beſondere Erörterung folgen; hier ſoll zunächſt der Fall beſonders betrachtet werden, wenn ein ſtrafbares Verſchulden im Allgemeinen vorliegt und vom Richter die Höhe des Strafmaaßes zu beſtimmen iſt, alſo die Zumeſſungs - gründe zu erwägen ſind. Dieſe ſind aber gegenwärtig um ſo bedeu - tungsvoller, da das Strafgeſetzbuch gerade in Beziehung auf das Straf - maaß eine große Freiheit gewährt, und nur in wenigen Fällen abſolute Strafen ausſpricht, oft aber jedes Minimum wegläßt, oder das Maxi - mum nur nach den allgemeinen, im Geſetz aufgeſtellten Grenzen (Ge - fängniß bis zu fünf Jahren, zeitige Zuchthausſtrafe bis zu zwanzig Jahren) beſtimmt. Bei der Strafzumeſſung macht es denn auch keinen weſentlichen Unterſchied, ob ein Verbrechen oder Vergehen vorliegt, ein Wahrſpruch der Geſchworenen oder das richterliche Erkenntniß die Schuld feſtſtellt, da im erſteren Fall wohl die Art der Strafe bei mildern - den Umſtänden, Verſuch, Theilnahme, nicht aber das Maaß derſel - ben von dem Wahrſpruch bedingt wird.

Wenn nun das Geſetzbuch ſelbſt ſich jeder unmittelbaren Einwir - kung auf die richterliche Entſcheidung über die Zumeſſungsgründe ent - halten und es ſogar vermieden hat, nach dem Vorgange des Heſſiſchen Strafgeſetzbuchst)Strafgeſetzbuch für das Großherzogthum Heſſen, Art. 118 ff., allgemeine Zumeſſungsgründe nur als Anweiſung für das richterliche Ermeſſen aufzuſtellen, ſo iſt das eine allerdings ſehr tief greifende Abweichung von dem früheren Rechte. Aber auch bei der Reviſion hat man in den verſchiedenen Stadien derſelben gerade über dieſen Gegenſtand ſehr geſchwankt; eine geſchichtliche Darſtellung wird daher am beſten geeignet ſein, die wichtigſten hier in Betracht kommen - den Momente hervorzuheben und namentlich die Gründe ans Licht zu ſtellen, welche zuletzt dahin geführt haben, daß man nach dem Vorgange des Rheiniſchen Rechts darauf verzichtete, die Aufgabe des Geſetzgebers mit der des Richters zu vermiſchen.

Das Allgemeine Landrecht hat, wie ſchon von Bode ſehr gut26Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.nachgewieſen worden,u)Motive von dem von dem Reviſor vorgelegten Erſten Entwurf des Kriminal-Geſetzbuchs für die Preußiſchen Staaten. Band I. (Berlin, 1827.) S. 192 ff., dieſe Lehre in ſehr mangelhafter Weiſe abge - handelt. Es hat nämlich die Zumeſſungsgründe im engern Sinne, welche ſich innerhalb des von dem Geſetze aufgeſtellten Strafmaaßes bewegen, von den ſ. g. Milderungs - und Schärfungsgründen, welche ein Ueberſchreiten dieſer Grenzen durch Verminderung oder Er - höhung der geſetzlichen Strafe zulaſſen, nicht gehörig unterſchieden, wo - durch eine Verwirrung und Unklarheit in den geſetzlichen Vorſchriften herbeigeführt worden, welche für die Rechtsanwendung von den nach - theiligſten Folgen geweſen iſt. Namentlich erſcheint es zweifelhaft, ob die in den §. 18. 22. 51. 52. 62. des Tit. 20. Th. II. enthaltenen Beſtimmungen zu den Gründen der erſten oder der zweiten Kategorie zu rechnen ſind. Der erſte Reviſor beſeitigte nun durch die Theilung des Stoffes dieſen Mangel einer genauen Begriffsbeſtimmung, und ſchlug dann unter Zugrundelegung von §. 18. 23-25. des Tit. 20. Th. II. des Allg. Landrechts eine Reihe allgemeiner Strafzumeſſungs - gründe vor, welche aber in der Geſetz-Reviſions-Kommiſſion verworfen wurden, ſo daß der Entwurf von 1830 ohne ſolche Zumeſſungs - gründe iſt. Der Entwurf von 1833. (§. 95-98. ) hat dieſelben aber wieder aufgenommen, und der von 1836. (§. 101. und 104.) die Zahl noch um einige vermehrt. In der Staatsraths-Kommiſſion machten ſich über die Zweckmäßigkeit ſolcher Beſtimmungen verſchiedene Anſichten gel - tend. v)Berathungs-Protokolle. I. Theil. (Berlin, 1839.) S. 126 ff.Von der einen Seite wurde bemerkt, es verſtehe ſich von ſelbſt, daß das Ermeſſen des Richters innerhalb der geſetzlichen Grenzen durch die beſondern Umſtände der That geleitet werden müſſe. Welche Um - ſtände aber hierbei in Betracht kämen, darüber müſſe die Doktrin, der geſunde Menſchenverſtand und das Leben den Richter be - lehren. Darauf wurde erwiedert, eine analytiſche Entwickelung der Beſtimmungen über Zumeſſung, Milderung und Schärfung der Strafe laſſe ſich nicht vermeiden, wenn nicht nur dem Richter dieſer Unterſchied angedeutet, ſondern auch der nothwendige Satz ausgedrückt werden ſolle, daß die Anwendung der Strafgrade nicht bloß auf richterlicher Willkühr beruhe. Ueberdieß gehe die Theorie bei den Geſichtspunkten der Zumeſ - ſung von höchſt verſchiedenen Anſichten aus, die ſich auf die Straf - rechts-Entwicklung gründen, indem der eine Rechtslehrer bloß die Größe des Schadens, der andere bloß die Gefährlichkeit der Handlung berück - ſichtigen wolle. Das Geſetz müſſe alſo dem Richter andeuten, wonach er zumeſſen ſolle, und die gänzliche Fortlaſſung der Vorſchriften über27§. VI. Das richterliche Ermeſſen.Zumeſſung ſei daher nicht zuläſſig. Der Deutlichkeit wegen ſei es denn gut, es nicht bei der Angabe des Grundſatzes bewenden zu laſſen, ſon - dern denſelben auch näher zu entwickeln.

Dieſe letztere Anſicht ſiegte in der Kommiſſion, und daraus gingen für den Entwurf von 1843 folgende Vorſchriften hervor:

§. 106. Wenn die im Geſetz auf ein Verbrechen angedrohte Strafe verſchiedene Grade hat, oder dem Richter die Wahl zwiſchen mehreren Strafarten überlaſſen iſt, ſo hat derſelbe den Strafgrad oder die Strafart nach den Umſtänden zu beſtimmen, durch welche ſich die Strafbarkeit des Verbrechers erhöhet oder vermindert.

§. 107. Die Strafbarkeit des Verbrechers erhöhet oder vermin - dert ſich hauptſächlich, je nachdem:

  • 1) durch ſeine That mehr oder weniger Rechte verletzt wurden;
  • 2) die Verletzung einen höhern oder niedern Grad erreicht hatte;
  • 3) die That unter Umſtänden begangen wurde, wodurch die öffent - liche Sicherheit, Ruhe und Ordnung mehr oder weniger gefähr - det war;
  • 4) die That an befriedeten Orten, insbeſondere in Kirchen oder lan - desherrlichen Schlöſſern verübt wurde;
  • 5) zur Begehung des Verbrechens die Religion oder religiöſe und kirchliche Gebräuche vorgeſchützt oder gemißbraucht worden ſind;
  • 6) mehr oder weniger Pflichten für den Verbrecher vorhanden wa - ren, die That zu unterlaſſen;
  • 7) der Verbrecher mehr oder weniger fähig war, dieſe Pflichten oder die Strafwürdigkeit ſeiner Handlung zu erkennen;
  • 8) der äußere Anreiz zum Verbrechen für ihn mehr oder minder groß war;
  • 9) er aus mehr oder minder bösartigem Antriebe die Handlung beging;
  • 10) derſelbe mit mehr oder weniger Ueberlegung zur Ausführung der That ſchritt; oder
  • 11) größere oder geringere Hinderniſſe dabei überwand;
  • 12) der Verbrecher durch ſeinen bisherigen Lebenswandel einen höhern oder geringern Grad von Verderbtheit und Neigung zu Verbre - chen zu erkennen gegeben hat, oder ſchon früher wegen Verbre - chen verurtheilt iſt, oder nicht;
  • 13) er das Verbrechen in der Unterſuchung geläugnet oder daſſelbe eingeſtanden hat; insbeſondere iſt zu berückſichtigen, wenn das Geſtändniß vor der Ueberführung freiwillig abgelegt worden iſt.

§. 108. Bezeichnet das Geſetz bei einem Verbrechen Umſtände, welche die Strafbarkeit erhöhen oder vermindern, ſo iſt auf dieſe zunächſt Rückſicht zu nehmen.

28Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.

§. 109. Zur Verurtheilung in den höchſten und niedrigſten Grad der geſetzlichen Strafe iſt nicht erforderlich, daß alle oder auch nur mehrere der die Strafbarkeit erhöhenden oder vermindernden Gründe (§. 107. und 108.) zuſammen treffen.

Gegen dieſe Beſtimmungen des den Provinzialſtänden vorgelegten und durch den Buchhandel veröffentlichten Entwurfs wurden aber viele Bedenken laut; von den verſchiedenſten Seiten wurden ſie als kaſuiſtiſch und überflüſſig angefochten, und auch die wiederholte Reviſion, welche von dem Miniſterium für die Geſetz-Reviſion ausging, trug auf die Streichung derſelben an. Soweit ſie richtig ſind, heißt es in der amtlichen Schriftw)Reviſion des Entwurfs des Strafgeſetzbuchs von 1843. I. Band. (Berlin 1845). S. 227-29., gehören ſie zur Doktrin, die dem Richter nicht fremd ſein darf, welchem ein Spielraum für die Abmeſſung der Strafe anvertraut wird. Vermeidet man dergleichen Beſtimmungen im Straf - geſetzbuche gänzlich, ſo giebt man dem Richter die Macht, vieles That - ſächliche ſelbſtändig zu eruiren. Dies iſt aber ganz zuläſſig, und auch ſchon nach dem Code pénal der Fall. Der Entwurf will abſtrakte Regeln aufſtellen, da es doch Sache des Richters iſt, von jedem ein - zelnen Falle eine konkrete Anſchauung zu gewinnen. Der Richter hat gleichſam einen moraliſch-juridiſchen Krankheitsfall zu würdigen, und befindet ſich dabei in einem ähnlichen Verhältniſſe, wie der Arzt, dem man auch nicht durch Aufzählung aller möglichen Symptome von Krankheiten die richtige Methode für die Behandlung des einzelnen Falles vorſchreiben kann. Glaubt man aber durch jene Spezialvor - ſchriften eine Schutzwehr gegen Mißgriffe des Richters zu errichten, ſo ſind doch jene Vorſchriften weder erſchöpfend, noch nützen ſie dem Richter der das Rechte nicht ſelbſt weiß und will. Der §. 106. insbeſondere, in ſeiner formellen Bedeutung, welche hier allein in Betracht kommt, ſagt nichts weiter, als: der Richter kann thun, was ihm in jedem ein - zelnen Falle vom Geſetze erlaubt iſt. Er iſt alſo eben ſo entbehrlich, wie der §. 108., der mit ihm ſteht und fällt.

Der §. 107. wird vorzugsweiſe als nutzlos und bei Geſchwor - nengerichten unausführbar angegriffen und zwar mit Recht. Erſchöpfend können und ſollen die dreizehn Zumeſſungsgründe nicht ſein, dies liegt in der Natur der Sache. Sie enthalten durchweg gewiſſe faktiſche Mo - mente. Giebt aber das Geſetz ſolche faktiſche Momente dem Richter an, ſo müſſen auch die Fragen darüber den Geſchwornen vorgelegt werden. Und doch werden ſich die meiſten Nummern gar nicht einmal in Fragen einkleiden laſſen, welche mit Ja oder Nein beantwortet wer -29§. VII. Die mildernden Umſtände.den können, z. B. ob und welcher Anreiz zum Verbrechen Statt fand, ob und wie große Hinderniſſe bei Ausführung der That überwunden werden mußten. Wohin man gelangt, wenn man einmal im Geſetz - buche die Zumeſſungsgründe ſpezifizirt, das beweiſen die zahlreichen Er - innerungen gegen die einzelnen Nummern des §. 107, welche dem Einen nicht genügend und erſchöpfend, dem Andern nicht durchweg richtig und unter einander übereinſtimmend zu ſein ſcheinen. Enthält ſich das Geſetz ſolcher Beſtimmungen nicht gänzlich, ſo provozirt es allerdings ſelbſt immer neue Spezialitäten und Verwickelungen. Es wird hier genügen, von jenen gegen die einzelnen Nummern gerichteten Erinnerungen die von den Ständen ausgegangenen beiläufig anzuführen. In Nr. 4. be - antragt der Weſtphäliſche Landtag eine Beſchränkung der landesherr - lichen Schlöſſer auf das zur Zeit des verübten Verbrechens vom Könige bewohnte Schloß. Schleſien will hier (in Nr. 4.) noch der Amtslokale gedacht wiſſen; Brandenburg möchte in Nr. 10. den Strafgrad noch davon abhängig machen, ob der Verbrecher mit mehr oder weniger Liſt und Verwegenheit zur That ſchritt.

Der Entwurf von 1830. hatte keine ſolche Aufzählung von Zu - meſſungsgründen aufgenommen. Dies läßt ſich nur billigen, obgleich auch andere neuere Geſetzbücher ſich der Aufſtellung allgemeiner Grund - ſätze über die Zumeſſung, mit oder ohne Kaſuiſtik, mit oder ohne Un - terſcheidung des ſubjektiven und des objektiven Moments der Strafbar - keit, zugewendet haben. x)Sächſ. Kriminalgeſetzb., Art. 42 ff. Württemb. Art. 107 ff. Braunſchweig. §. 63 ff. Hannov. Art. 91 ff. Heſſ. Art. 118 ff. Bad. Entw. §. 142 ff. Aus dieſen Gründen ſind in dem revidirten Entwurf die §§. 106-109. nicht aufgenommen worden. Auch iſt im ſpeziellen Theile durchweg an dem Grundſatze feſtgehalten, bloße Zumeſſungsgründe nicht aufzuführen.

Dieſe Anſicht wurde auch in den weiteren Stadien der Reviſion feſtgehalten, und der Richter iſt bei dem Schweigen des Geſetzbuchs auf die Doktrin, den geſunden Menſchenverſtand und das Leben zur Herſtellung des richtigen Strafmaaßes innerhalb der geſetzlichen Gren - zen in jedem einzelnen Fall verwieſen.

§. VII.

Die mildernden Umſtände.

Noch in dem Entwurfe von 1843. findet ſich eine Reihe von Vor - ſchriften über die Fälle, wo eine Milderung der Strafe unter das im Geſetz beſtimmte Maaß oder eine Schärfung über daſſelbe hinaus ein -30Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.treten darf. Zu den Milderungsgründen wird außer dem jugendlichen Alter (§. 112. und 113.) gerechnet: die Reue (§. 114.), Befehl oder Auftrag zur Verübung der That durch eine Reſpectsperſon (§. 115.), Gewalt und Drohung, inſofern ſie die Zurechnung an ſich nicht auf - heben (§. 116.), und die Berückſichtigung des milderen ausländiſchen Geſetzes (§. 117.). Als Strafſchärfungsgründe werden das Zuſammen - treffen mehrerer Verbrechen (§. 118-22. ) und der Rückfall (§. 123-26. ) aufgeführt. Der Entwurf von 1847. und das Geſetzbuch ſelbſt ſind von der Zuſammenſtellung ſolcher allgemeiner Milderungs - und Schär - fungsgründe abgegangen. Was zunächſt die letzteren betrifft, ſo kann auch in der That das Zuſammentreffen mehrerer Verbrechen gar nicht unter dem Geſichtspunkt der Strafſchärfung aufgefaßt werden, ja bei der ſ. g. idealen Konkurrenz ſowohl wie bei der ſ. g. realen Konkurrenz tritt unter Umſtänden eher eine Strafmilderung ein; der Rückfall aber iſt füglich in ſeiner ſelbſtändigen Bedeutung aufzufaſſen und zu be - handeln, wenn auch da, wo er berückſichtigt wird, allerdings eine Er - höhung der ordentlichen Strafe ſtattfindet. Unter den angeführten Milderungsgründen übt nun das jugendliche Alter nach den Be - ſtimmungen des Geſetzbuchs gegenwärtig einen verſchiedenen Einfluß auf die Beſtrafung aus, indem es, je nachdem Unterſcheidungsvermögen angenommen wird oder nicht, die Strafe mildert oder ausſchließt. Auf die milderen Beſtimmungen auswärtiger Geſetze iſt aber überhaupt keine Rückſicht mehr genommen worden, und Reue, Befehl und Gewalt oder Drohung, welche die Zurechnung nicht ausſchließen, können wohl bei der Strafzumeſſung berückſichtigt werden, aber eine eigentliche Strafmil - derung zu rechtfertigen ſind ſie nicht geeignet. Es läßt ſich hier allge - mein anwenden, was in Beziehung auf den Befehl zur Verübung der That in einer amtlichen Schrifty)Reviſion u. ſ. w. a. a. O. S. 205. treffend bemerkt wird: Soweit ſich ſolche Vorſchriften nicht von ſelbſt verſtehen, können ſie zu großen Miß - griffen Veranlaſſung geben. Was damit geſagt werden ſoll, läßt ſich nicht recht definiren, und was geſagt iſt, hilft nicht weit.

Das Strafgeſetzbuch enthält alſo außer den im vierten und fünften Titel des erſten Theils gegebenen Vorſchriften keine allgemeinen Beſtim - mungen über diejenigen thatſächlichen Umſtände, welche eine Erhöhung oder Verminderung der geſetzlichen Strafe zur Folge haben können. Was in dieſer Hinſicht vorgeſehen werden mußte, um nicht durch zu ſtarre Satzungen und überhaupt durch die Vernachläſſigung der Indi - vidualität der beſonderen Fälle gegen die höheren Anforderungen der ſtrafenden Gerechtigkeit zu verſtoßen, das iſt in den beſonderen Beſtim -31§. VII. Die mildernden Umſtände.mungen des zweiten Theils über die einzelnen Verbrechen und Vergehen ausgeſprochen worden.

Was nun die beſonders ſchweren Formen einer ſtrafbaren Hand - lung betrifft, ſo iſt in dieſer Beziehung dem richterlichen Ermeſſen die engſte Schranke geſetzt, und da, wo die ordentliche Strafe nicht aus - reichend erſcheint, durch die im Geſetz feſtgeſtellte Qualifikation der Handlung und eine ihr entſprechende Straferhöhung den Anforderungen einer größeren Strenge entſprochen worden. Nur inſoweit iſt auch hier dem Ermeſſen des Richters freierer Raum gewährt worden, als ihm die Befugniß eingeräumt iſt, bei gewiſſen Vergehen die über das ge - wöhnliche Maaß geſteigerte Strafbarkeit durch Unterſagung der bürger - lichen Ehrenrechte auf Zeit, durch Stellung unter Polizei-Aufſicht, durch Einſperrung im Arbeitshauſe und durch Entziehung der Fähigkeit zu öffentlichen Aemtern oder des Gewerbebetriebs zu ahnden. Denn wo eine ſolche acceſſoriſche oder Nebenſtrafe der ordentlichen nicht hinzuge - fügt werden muß, da iſt anzunehmen, daß nur in den Fällen der außergewöhnlichen Verſchuldung ihre Zuerkennung ſich rechtfertigen läßt. Einer beſonderen Erwähnung bedarf endlich noch die Verbindung des Verluſtes der bürgerlichen Ehre mit der Todesſtrafe, welche außer den im Geſetz ausdrücklich beſtimmten Fällen eintreten ſoll, wenn das todeswürdige Verbrechen unter beſonders erſchwerenden Umſtänden be - gangen worden iſt, was aber durch den Wahrſpruch der Geſchwornen erſt feſtgeſtellt werden muß.

Viel allgemeiner und eingreifender hat das Geſetzbuch bei einzelnen Verbrechen und Vergehen die mildernden Umſtände berückſichtigt. Sie bilden für diejenigen Fälle, wo ſie zugelaſſen ſind, einen weſent - lichen Beſtandtheil der die Feſtſtellung der Strafe betreffenden Satzungen, und ſind gewiſſermaaßen an die Stelle der früheren allgemeinen Milde - rungsgründe getreten. Doch liegt ein weſentlicher Unterſchied zwiſchen beiden darin, einmal, daß jene Milderungsgründe ſtets auf ein - zelne, im Geſetz angegebene Thatſachen bezogen wurden, während es bei der Feſtſtellung mildernder Umſtände auf die Erwägung ſämmtlicher den objektiven Thatbeſtand und die Perſönlichkeit des Angeſchuldigten be - rührenden thatſächlichen Momente ankommt; während dagegen die Mil - derungsgründe allgemein für alle ſtrafbaren Handlungen galten, die mildernden Umſtände aber nur bei beſtimmten Verbrechen und Vergehen zu berückſichtigen ſind; und dann, daß die allgemeinen Milderungs - gründe den Richter in der Regel nur zur Strafmilderung berechtigten, ihn aber nicht dazu verpflichteten, während die mildernden Umſtände, wenn ſie einmal feſtgeſtellt ſind, regelmäßig eine Strafverwandlung zu Gunſten des Verbrechers herbeiführen müſſen. Dieß hängt jedoch zum32Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.Theil mit dem Einfluß der Geſchworenen auf dieſe Feſtſtellung zuſam - men, theils konnte eine nothwendige Berückſichtigung der allgemeinen Milderungsgründe, ähnlich wie bei den mildernden Umſtänden, um deswegen nicht wohl ſtattfinden, weil eben nur einzelne thatſächliche Momente dabei in Betracht kamen, die in dem gegebenen Fall von ge - ringem Belang ſein oder durch andere erſchwerende Momente wieder aufgehoben werden konnten.

Einen ganz unbeſchränkten Gebrauch hat das Franzöſiſche Recht von den mildernden Umſtänden (circonstances atténuantes) gemacht, indem durch neuere Geſetze vorgeſchrieben iſt, daß in allen Fällen, wo es ſich von Verbrechen handelt, ſelbſt beim Rückfall, es den Geſchwore - nen freiſtehen ſoll, zu Gunſten des Angeklagten das Vorhandenſein von mildernden Umſtänden feſtzuſtellen. z)Code d'instruct. crim. art. 341. (Loi du 9 Sept. 1835.) En toute matière criminelle, même en cas de recidive, le président, après avoir posé les questions résultant de l'acte d'accusation et des débats, avertira le jury, à peine de nullité, que, s'il pense, à la majorité, qu'il existe, en faveur d'un ou de plusieurs accusés reconnus coupables, des circonstances atténuantes, il devra en faire la déclaration en ces termes: A la majorité, il y a des circonstances atténuantes en faveur de tel accusé. Das Geſetz vom 28. April 1832, welches die Neuerung eigentlich eingeführt hat, verlangte noch eine Majorität von mehr als ſieben Stimmen.Es iſt dieß ein Auskunftsmittel geweſen, um die zu große Härte der Strafbeſtimmungen des Code pénal, namentlich in Beziehung auf den Rückfall zu mildern, ohne zu durchgreifender materieller Aenderung des Geſetzbuchs zu ſchreiten, ein Verfahren, welches allerdings ſehr gewichtigen Bedenken unterliegt. a)Ueber die Einwirkung dieſer Neuerung auf die Strafrechtspflege, namentlich in Beziehung auf den Rückfall, ſ. Ad. Chauveau et Hélie Fauſtin, théorie du Code pénal (Bruxelles 1837). T. I. chap. IX. Nach Preußiſchem Recht hat die Sache jedenfalls eine ganz andere Geſtalt gewonnen, da nur bei einzelnen Verbrechen und Vergehen die Feſtſtellung mildernder Umſtände überhaupt in Betracht kommt, und eine Frage darauf den Geſchworenen auch nicht nothwendig vorzulegen iſt .b)Einführungsgeſetz vom 14. April 1851. Art. XXIV.[]Nichts deſtoweniger wurden in der Kommiſſion der zweiten Kammer, wo dieſer Gegenſtand wiederholt und gründlich erörtert worden iſt, manche Bedenken auch gegen dieſe beſchränkte Auffaſſung laut, aber man vereinigte ſich doch zuletzt in der Anſicht, daß der wohlthätige Zweck der Einrichtung ſich nur in der von der Staatsregierung vorge - ſchlagenen Weiſe erreichen laſſe, und ſuchte nur durch eine genauere Faſſung die beſtimmte Grenze zwiſchen der Aufgabe der Geſchworenen und der Richter anzugeben, und auch bei den Vergehen das Gericht zu einem ausdrücklichen Beſchluß über das Vorhandenſein mildernder Um -33§. VII. Die mildernden Umſtände.ſtände zu veranlaſſen. Daher die ſtehende Formel: Wird feſtgeſtellt, daß mildernde Umſtände vorhanden ſind.

I. Wenn das Vorhandenſein mildernder Umſtände bei einem Ver - brechen oder Vergehen zu berückſichtigen iſt, ſo gilt dieß auch für den Verſuch und die Theilnahme. In Beziehung auf den Verſuch iſt dieß §. 32. Abſ. 3 ausdrücklich ausgeſprochen; für die Theilnahme liegt es in der Faſſung der Vorſchrift, daß auf den Theilnehmer daſſelbe Strafgeſetz anzuwenden iſt, welches auf den Thäter Anwendung findet (§. 35). Davon unabhängig iſt dann noch die beſondere Erwähnung mildernder Umſtände bei der Umwandlung der Todesſtrafe und der lebenslänglichen Zuchthausſtrafe im Fall der nicht weſentlichen Theil - nahme.

II. Bei folgenden Verbrechen iſt die Feſtſtellung mildernder Umſtände zugelaſſen:

  • a. bei dem Hochverrath, in den Fällen des §. 63. 64. 65. 66.
  • b. bei dem Landesverrath, wenn ein Preuße die Waffen gegen Preußen oder deſſen Bundesgenoſſen trägt (§. 68).
  • c. bei der Majeſtätsbeleidigung, wenn ſich jemand einer Thätlichkeit gegen die Perſon des Königs (§. 74) oder gegen ein Mitglied des Königlichen Hauſes (§. 76) ſchuldig macht.
  • d. bei feindlichen, dem Hochverrath gleichſtehenden Handlungen ge - gen befreundete Staaten (§. 78).
  • e. bei Mißhandlung oder Körperverletzung (§. 196).
  • f. bei dem ſchweren Diebſtahl (§. 218).
  • g. bei der Hehlerei (§. 238).
  • h. bei dem betrüglichen Bankerutt (§. 259. 260).
  • i. bei der Beſtechung von Beamten oder Schiedsrichtern (§. 310).
  • k. bei dem Mißbrauch der Strafgewalt (§. 321).

In allen dieſen Fällen ſoll, wenn das Vorhandenſein mildernder Umſtände von den Geſchwornen feſtgeſtellt worden, eine Herabſetzung der Strafe zu Gunſten des Schuldigen eintreten, und zwar in den Fällen unter a-d auf Einſchließung, in den übrigen aber auf Gefängniß er - kannt werden.

III. Bei folgenden Vergehen kann der Richter mildernde Um - ſtände berückſichtigen:

  • a. bei der Beleidigung oder Verleumdung politiſcher Körperſchaften, öffentlicher Behörden u. ſ. w. (§. 102).
  • b. bei der Verleumdung (§. 156).
  • c. bei der einfachen Mißhandlung oder Körperverletzung (§. 187).
  • d. bei dem einfachen Diebſtahl (§. 216. 217).
Beſeler Kommentar. 334Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.
  • e. bei der Unterſchlagung (§. 227).
  • f. bei der Hehlerei (§. 237).
  • g. bei dem einfachen Betruge (§. 242).
  • h. bei der Beſchädigung oder Zerſtörung fremder Sachen (§. 281).

Die Folge der Annahme mildernder Umſtände iſt, daß bei den unter c und h genannten Vergehen der Richter ſtatt der härteren Strafe des Gefängniſſes auf Geldbuße erkennen muß; in den übrigen Fällen wird ihm nur die Befugniß zur Herabſetzung der geſetzlichen Strafe gegeben, und zwar kann er bei den unter a und b genannten Vergehen auf eine Geldbuße heruntergehen, bei dem unter g genannten iſt ihm die Wahl zwiſchen einer niedrigeren Gefängnißſtrafe und einer Geldbuße gelaſſen, in den übrigen Fällen iſt es ihm nur freigeſtellt, ſtatt der geſetzlichen Gefängnißſtrafe mit der acceſſoriſchen Ehrenſtrafe eine gerin - gere Gefängnißſtrafe auszuſprechen.

IV. Die mildernden Umſtände umfaſſen ſämmtliche in den Kreis Beziehung auf den objektiven Thatbeſtand als auf die Perſönlichkeit und die Verſchuldung des Thäters. Inſofern laſſen ſich für das Er - meſſen der Geſchwornen und des Richters keine allgemein gültigen Re - geln aufſtellen, und auch für die einzelnen Arten der Verbrechen und Vergehen, bei denen mildernde Umſtände in Betracht kommen, ſind die - ſelben nicht auf beſtimmte Milderungsgründe mit Sicherheit zurückzu - führen. Doch wird die Frage nicht zu umgehen ſein, warum denn nur bei einzelnen Verbrechen und Vergehen ausnahmsweiſe den Geſchworenen oder Richtern eine ſolche beſondere Machtvollkommenheit beigelegt wor - den iſt, und gerade der Verſuch, in die Motive des Geſetzbuchs bei Erörterung dieſer Frage einzudringen, muß auch in Verbindung mit der genaueren Analyſe der einzelnen Verbrechen und Vergehen dahin führen, die mildernden Umſtände, inſoweit ſie überhaupt zum Gegenſtande der ſtrafrichterlichen Feſtſtellung gemacht werden können, ihrem Umfange und ihrer Beſchaffenheit nach näher zu beſtimmen. Dieß kann aber in genügender Weiſe erſt bei der Betrachtung der Vorſchriften des Straf - geſetzbuchs über die einzelnen Verbrechen und Vergehen geſchehen; hier ſind nur, um für die Beurtheilung des Rechtsinſtituts der mildernden Umſtände einen Anhalt zu gewähren, einzelne beſonders nahe liegende Momente kurz hervorzuheben.

a. Daß bei den politiſchen Verbrechen Hochverrath, Landes - verrath, Majeſtätsbeleidigung, in gewiſſen Fällen ſtatt des entehrenden Zuchthauſes die mildere Einſchließung als Strafe freigelaſſen worden, hängt mit der allgemeinen Auffaſſung der Strafbarkeit politiſcher Ver -35§. VII. Die mildernden Umſtände.brecher in Beziehung auf die Gefährlichkeit ihrer ſtrafbaren Thätigkeit und auf die dabei an den Tag gelegte Geſinnung zuſammen.

b. In Beziehung auf die Ehrverletzungen darf nicht überſehen werden, daß die ſtrafbare Handlung nach der Auffaſſung unſeres Volkes den Charakter eines reinen Privatdelicts an ſich tragen kann, deſſen Sühnung durch eine Geldbuße unter gewiſſen Umſtänden als die an - gemeſſenſte ſich darſtellt. Es kommt hinzu, daß gerade bei Ehrver - letzungen, wenn ſie auch formell als ſtrafbar erſcheinen, doch die Ver - anlaſſung eine den Thäter wenig beſchwerende ſein kann, ja daß bei der Verleumdung ſogar die unvorſichtige Wiederholung anderweitig ver - nommener Aeußerungen ſchon unter Strafe geſtellt iſt. Was aber für die Beleidigungen gilt, kommt auch für leichtere Mißhandlungen und Körperverletzungen, welche jetzt die Stelle der Realinjurien des früheren Syſtems einnehmen, zur Anwendung. Ueberhaupt muß in dieſer ganzen Lehre dem richterlichen Ermeſſen ein weiter Spielraum gegeben werden, was ſich am deutlichſten bei der Behandlung der gegenſeitigen Beleidi - gungen und Mißhandlungen darſtellt.

c. Anders kommt die Sache zu ſtehen, wenn es zu einer ſchweren Körperverletzung oder gar zu einer Tödtung gekommen iſt. Hier wird bei Feſtſtellung der mildernden Umſtände die Zahl der zur Beachtung kommenden thatſächlichen Momente eine weit geringere ſein, und es dient ſchon zur Aufklärung, daß das Handeln im Affekt beſonders dazu gerechnet iſt (§. 196).

d. Bei den direct gegen das Vermögen gerichteten Rechtsverletzun - gen wird der verſchiedene Grad der Bosheit und Gefährlichkeit, welcher ſich bei dem Thäter zeigt, ſo wie die Größe des Objekts von dem Richter ganz beſonders ins Auge zu faſſen ſein, und es laſſen ſich in beiden Beziehungen Fälle denken, wo ein Heruntergehen unter die an ſich ſchon harten Strafen des Geſetzbuchs gegen Vermögensverletzungen nothwendig erſcheint. Man bedenke nur, daß der civilrechtliche Dolus unter Strafe geſtellt, daß für den Diebſtahl an ganz geringfügigen Sachen kein beſonderer Satz in der Strafſkala gebildet, daß jede vor - ſätzliche und rechtswidrige Beſchädigung fremder Sachen mit Gefängniß bedroht iſt. In ſolchen Fällen iſt die Möglichkeit, mildernde Umſtände zu berückſichtigen, für den Richter nur ein Erſatz dafür, daß aus den höheren Gründen der Kriminalpolitik die gewöhnliche Strafe nicht zu niedrig gegriffen werden durfte und eine Wahl zwiſchen mehreren ge - ſetzlich feſtgeſtellten Strafarten in der Regel nicht zuläſſig erſchien. Mußte nämlich eines Theils bei Verbrechen die Vermittlung des Wahr - ſpruchs der Geſchworenen nothwendig feſtgehalten werden, ſo konnte bei3 *36Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.den Vergehen der bezeichneten Art eine bloße Geldbuße nicht als die angemeſſene geſetzliche Strafe erſcheinen, nicht einmal in Konkurrenz mit der Gefängnißſtrafe, wie dieß bei anderen leichteren Delikten vorkommt.

§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.

Nur die freie Handlung des Menſchen, zu der er durch ſeinen Willen beſtimmt worden, kann ihm als eine ſtrafbare zugerechnet wer - den; wegen eines reinen Zufalls wird niemand zur Verantwortung gezogen. Aber freilich iſt die Frage: ob ein Ereigniß Folge eines Zu - falls geweſen oder durch die Handlung eines Menſchen hervorgerufen worden, oft ſchwer zu entſcheiden, und dann iſt nicht jede Handlung eine ſolche, daß ſie als eine freie, mit Bewußtſein begangene dem Thäter zugerechnet werden kann. Welche Gründe nun als geeignet gelten können, eine an ſich rechtswidrige Handlung mit Rückſicht auf die be - ſtimmte Perſon, die ſie begangen, und auf die beſonderen Verhältniſſe, unter denen ſie begangen worden, der Anwendung des Strafgeſetzes zu entziehen, darüber wird ſpäter bei dem vierten Titel des erſten Theils, wo von der Zurechnung im Allgemeinen zu handeln iſt, eine Erörterung ſtatt finden. Die gegenwärtige Ausführung hat es mit der Frage zu thun, in welcher Beziehung der Wille zur That ſtehen muß, damit ſie die freie Selbſtbeſtimmung vorausgeſetzt, als eine ſolche aufge - faßt werden kann, gegen welche das Strafgeſetz gerichtet und zur An - wendung zu bringen iſt.

Es liegt jedoch außer dem Plane dieſes Werkes, über den Begriff der Verſchuldung und ihre Abſtufungen in dolus und culpa hier auf allgemeine Erörterungen einzugehen;c)Sehr ſchöne Unterſuchungen hierüber ſo wie überhaupt über die allgemeinen Lehren des Strafrechts finden ſich bei E. R. Köſtlin, Neue Reviſion der Grund - begriffe des Criminalrechts. Tübingen 1845. nur das ſoll gezeigt werden, wie das Geſetzbuch zu dieſer Lehre ſich geſtellt hat, was um ſo unerläßlicher iſt, da es ſich keineswegs negativ dagegen verhalten hat, obgleich bei der letzten Redaktion darauf verzichtet worden iſt, durch allgemeine Be - ſtimmungen das richterliche Ermeſſen zu leiten. Aber nicht allein die einzelnen Vorſchriften des Geſetzbuchs, welche ſich auf Vorſatz, Fahr - läſſigkeit u. ſ. w. beziehen, verlangen eine ſorgfältige Erwägung, ſon - dern auch die Materialien verdienen berückſichtigt zu werden, da ſie37§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.weſentlich dazu beitragen, den Standpunkt, welchen der Geſetzgeber zu dieſer wichtigen Lehre eingenommen hat, zu bezeichnen.

Die Beſtimmungen des allgemeinen Landrechts über Vorſatz, Fahr - läſſigkeit und Zufall (Th. II. Tit. 20. §. 26-38) wurden gleich beim Anfange der Reviſion als ungenügend erkannt, und an deren Stelle in den Entwurf von 1830 einige andere Vorſchriften aufgenommen, welche auch in den beiden folgenden Entwürfen im Weſentlichen unverändert ſtehen blieben. Sie lauten nach dem Entwurfe von 1836, wie folgt:

§. 45. Ob ein Verbrechen vorſätzlich oder aus Fahrläſſigkeit verübt worden, muß aus den Umſtänden beurtheilt werden.

§. 46. Die, aus einer verbrecheriſchen Handlung entſtandene Rechtsverletzung wird dem Thäter, auch wenn er ſie nicht ausſchließlich beabſichtigte, ſondern dieſe oder eine andere Rechtsverletzung bewirken wollte, als eine vorſätzliche zugerechnet.

§. 47. Iſt aus einer Handlung eine größere Rechtsverletzung ent - ſtanden, als der Verbrecher bewirken wollte; ſo iſt ihm, falls nicht bei einzelnen Verbrechen das Gegentheil beſtimmt iſt, nur die beabſichtigte Verletzung als eine vorſätzliche, die ohne ſeinen Willen entſtandene größere aber nach Maaßgabe der Umſtände zugleich als eine fahrläſſige zuzurechnen und die Strafe nach den Beſtimmungen über Zuſammen - treffen der Verbrechen (§. 114) zuzumeſſen.

§. 48. Eine Handlung, welche, vorſätzlich verübt, Strafe nach ſich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird, ſondern ihr blos Fahrläſſigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen geſtraft, in welchen das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibt.

Bei der Berathung dieſes Entwurfs fand die Anſicht, daß man überhaupt von der Aufſtellung ſolcher allgemeinen Regeln über Vorſatz und Fahrläſſigkeit abſtehen, und dieſe Lehre der Doktrin überlaſſen möge, keinen Anklang;d)Staatsraths-Protokolle, Sitzung vom 18. Jan. 1840. die vorgeſchlagenen Beſtimmungen wurden vielmehr im Allgemeinen gebilligt, und nur der §. 48. als bedenklich geſtrichen. e)Berathungs-Protokolle der Staatsraths-Kommiſſion. I. (Berlin 1839). S. 66-68. 75-77. K. O. v. 9. Jan. 1843. a. a. O. III. (Berlin 1843) a. E.Man bezweckte alſo namentlich durch §. 45. die praesumptio doli zu beſeitigen, welche in §. 369. der Kriminalordnung eine Stütze fand, und ſtellte in §. 46. unter Hinzufügung einer Definition des Vorſatzes, Beſtimmungen über den ſ. g. dolus indeterminatus, eventualis s. al - ternativus, in §. 47. aber über die ſ. g. culpa dolo determinata auf. 38Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.Dabei war man in der Staatsraths-Kommiſſion einverſtanden, daß zum Weſen des dolus indeterminatus dreierlei gehöre, nämlich:

  • 1) daß der Verbrecher eine ſtrafbare Handlung in der Abſicht un - ternehmen will, dadurch eine Rechtsverletzung zuzufügen;
  • 2) daß er dabei einſieht, daß aus dieſer Handlung auch eine andere Rechtsverletzung entſtehen könne, und
  • 3) daß er nun den Entſchluß faßt, die Handlung zu unternehmen, damit entweder die eine oder die andere der von ihm als mög - lich gedachten Rechtsverletzungen entſtehe.

Man entſchied ſich alſo dafür, daß der Thäter bei dem dolus in - determinatus die entſtandene Rechtsverletzung beſtimmt, wenn auch nur eventuell mitgewollt haben müſſe, und daß es nicht genüge, wenn er ſich die Rechtsverletzung als Folge ſeiner Handlung als möglich habe denken können, ſie aber nicht habe hervorbringen wollen. Doch fügte man nachträglich noch eine allgemeine Vorſchrift über den Irrthum in der Perſon oder in den Beweggründen hinzu. f)a. a. O. II. (Berlin 1840). S. 188-90. III. S. 553, 54.Daraus gingen für den Entwurf von 1843 folgende Sätze hervor:

§. 51. Ob ein Verbrechen vorſätzlich oder aus Fahrläſſigkeit verübt worden, hat der Richter nach den Umſtänden zu ermeſſen.

§. 52. Als vorſätzlich verübt iſt das Verbrechen zu erachten, wenn daſſelbe ſo erfolgt iſt, wie es in der Abſicht des Thäters gelegen hat.

Auch dann iſt das Verbrechen als ein vorſätzliches zuzurechnen, wenn der eingetretene Erfolg zwar nicht zunächſt oder ausſchließlich bezweckt war, aus den Umſtänden aber hervorgeht, daß ſolcher, für den als möglich vorauszuſehenden Fall ſeines Eintritts, nicht außer der Abſicht des Thäters gelegen hat.

Durch einen Irrthum in der Perſon des Verletzten, oder in den Beweggründen wird der Vorſatz nicht ausgeſchloſſen.

§. 53. Iſt aus der Handlung ein Erfolg entſtanden, welcher außer der Abſicht des Verbrechers lag, ſo iſt ihm, falls nicht bei ein - zelnen Verbrechen ein anderes beſtimmt iſt, die That nur in Beziehung auf den beabſichtigten Erfolg als eine vorſätzliche, in Beziehung auf den ohne ſeinen Willen entſtandenen Erfolg aber, nach Bewandniß der Umſtände, zugleich als eine fahrläſſige anzurechnen und die Strafe nach den Beſtimmungen über das Zuſammentreffen von Verbrechen (§. 118 -122) abzumeſſen.

Bei der wiederholten Prüfung dieſes Entwurfs war man Anfangs geneigt, den §. 51 in das Einführungsgeſetz zu verweiſen, entſchloß ſich39§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.aber ſpäter, denſelben an dieſer Stelle in einer etwas erweiterten Faſ - ſung beizubehalten. Gegen den §. 52 waren aber in allen ſeinen Thei - len die entſchiedenſten Bedenken erhoben worden. Den erſten Abſatz hatten viele Monenten für überflüſſig erklärt oder doch die in demſelben vorwaltende Vermiſchung der Begriffe von Vorſatz und Abſicht, ſo wie die geforderte Uebereinſtimmung des Vorſatzes und des Erfolges geta - delt. Der zweite Abſatz war ebenfalls nicht nur als entbehrlich an - gegriffen, ſondern auch nach Inhalt und Form getadelt worden; man beſorgte namentlich eine Verwirrung der Begriffe des Dolus und der Culpa von der Wendung: nicht außer der Abſicht und für den als möglich vorauszuſehenden Fall; es ſei zweifelhaft, ob man hier mehr den ſ. g. dolus alternativus oder eventualis bezeichnet habe. Auch der dritte Abſatz war als überflüſſig oder in ſeiner Allgemeinheit unrichtig angefochten worden. Daß auf das Motiv des Vorſatzes nichts an - komme, verſtehe ſich von ſelbſt, wolle man aber des Irrthums gedenken, ſo ſei nicht bloß der Irrthum in der Perſon, ſondern auch der Irrthum in der Sache, in den Mitteln oder in der Handlung ſelbſt zu berück - ſichtigen, und jeder Verwirrung zwiſchen dem error in objecto und der aberratio criminis (ictus) vorzubeugen. Statt Irrthum hätte es hier: Verwechslung heißen müſſen. g)Reviſion des Entwurfs des Strafgeſetzbuchs von 1843. I. S. 127, 128.

In dem Miniſterium für die Geſetz-Reviſion wurde anerkannt, daß die Definition zu Anfang des §. 52. verfehlt ſei und auch der Schluß - ſatz als entbehrlich und in ſeiner Allgemeinheit zu weit gehend aufge - geben werden müſſe. Dagegen glaubte man einer Vorſchrift über den dolus indeterminatus nicht entbehren zu können, wenn auch die in dem Entwurf gegebene nicht aufrecht zu halten ſei. Die verſchiedenen For - men des techniſch ſ. g. dolus alternativus, eventualis und indetermi - natus ſeien ihrem inneren Weſen nach gleichbedeutend. Beim dolus alternativus habe der Thäter den einen oder den andern möglichen Er - folg keinen ausſchließend beabſichtigt. Beim eventualis habe er zunächſt nur den Einen Erfolg im Auge gehabt, auf einen möglichen andern Erfolg es aber gleichwohl auch ankommen laſſen. Bei dem vorzugsweiſe ſ. g. dolus indeterminatus endlich habe er eine Rechts - verletzung vornehmen wollen, die verſchiedene mögliche Folgen haben konnte, und er ſei einverſtanden mit jedem dieſer möglichen Erfolge geweſen, ohne irgend einen derſelben klar zu denken und zu wollen, aber indem er, unbekümmert um den Erfolg, alles auf ſich genommen,40Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.habe er von ſelbſt auch in den ſchwerſten Erfolg eingewilligt. In allen dieſen Fällen alſo, die eigentlich nur durch äußerliche Nüancen ver - ſchieden ſeien, liege voller ſtrafbarer Dolus vor. Nur ſtehen dolus al - ternativus und eventualis in ihrer Nüancirung eigentlich noch näher an dem dolus directus, als der vorzugsweiſe ſ. g. indeterminatus. h)a. a. O. S. 129.

Auf dieſe Erwägungen wurde der Vorſchlag geſtützt, einen Titel von dem Vorſatze in folgender Faſſung aufzunehmen:

§. 41. Ein Verbrechen iſt als ein vorſätzliches anzuſehen, nicht nur in dem Falle, wenn der Wille des Handelnden ausſchließlich auf den eingetretenen geſetzwidrigen Erfolg gerichtet war, ſondern auch dann, wenn der Handelnde dieſen Erfolg als einen von mehreren möglichen Erfolgen bezweckte, ſelbſt wenn er den einen oder den anderen derſelben vorzugsweiſe bewirken wollte. Nicht minder iſt das Verbrechen als ein vorſätzliches anzuſehen, wenn der Wille des Handelnden auf eine unbeſtimmte Rechtsverletzung gerichtet war, inſofern dieſelbe nach dem allgemeinen oder dem Thäter beſonders bekannten Laufe der Dinge, von der Gefahr des wirklich eingetretenen Erfolges begleitet wurde. i)Revidirter Entwurf des Strafgeſetzbuchs für die Preuß. Staa - ten. Vorgelegt von dem Miniſterium der Geſetz-Reviſion (Berlin 1845). §. 41.

Zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags wurde denn noch hinzugefügt, daß die Definition des dolus directus mehr vorausgeſetzt als dispoſitiv aufgeſtellt worden; ſie diene nur zur Unterlage für die darin bezeichne - ten, dem dolus directus verwandten Begriffe, welche beide (im Gegen - ſatze zum indeterminatus) beſtimmte Gedanken und Abſichten in ſich ſchließen. Charakteriſirt aber ſei dabei der Vorſatz durch die Richtung des Willens auf den eingetretenen geſetzwidrigen Erfolg. In dem zweiten Abſatz habe man zur Bezeichnung des dolus indeterminatus eine mehr objektive und weniger hypothetiſche Faſſung gewählt, wie früher. Das Charakteriſtiſche ſei dabei zunächſt die Richtung des Wil - lens auf eine unbeſtimmte Rechtsverletzung, ein Moment, welches kei - nesweges bloß bei dem Todtſchlage, wie man wohl angenommen habe, ſondern auch bei der Brandſtiftung und anderen gemeingefährlichen Ver - brechen hervortreten könne. Die Handlung ſelbſt, das was der Thäter an dem Objekt thue, möge hierbei immer etwas Beſtimmtes ſein; die Rechtsverletzung, auf welche ſich der Wille richte, ſei an ſich unbeſtimmt. Dieſe Rechtsverletzung müſſe aber demnächſt im Verhältniſſe zu ihrem wirklich eingetretenen Erfolge aufgefaßt werden. k)Reviſion des Entwurfs des Strafgeſetzbuchs von 1843. I. S. 129, 130.

41§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.

Während alſo der §. 52. des Entwurfs von 1843. in veränderter Faſſung aufrecht erhalten wurde, ließ man im Miniſterium für die Geſetz-Reviſion den §. 53. Ganz fallen. Er ſagt eigentlich nichts, als: Vorſatz und Fahrläſſigkeit ſind ſtrafbar, ſoweit ſie vorhanden ſind. Das Geſetzbuch thut genug, wenn es den Umfang des ſtrafbaren Dolus er - ſchöpfend angiebt. Die Gleichſtellung des dolus indeterminatus mit dem direkten Dolus verſteht ſich nicht von ſelbſt, ſondern iſt im Geſetz poſitiv auszuſprechen. Will man dagegen auch von der culpa dolo determinata im Geſetzbuche ſprechen, ſo muß man konſequent die ganze doktrinelle Behandlung des Dolus und der Culpa mit hineinziehen. Wenn ſich aber der §. 53 in den Fällen, auf welche er unbedenklich angewendet werden kann, von ſelbſt verſteht, ſo kann er umgekehrt in den Fällen, in welchen er ſich nicht von ſelbſt verſteht, zu bedenklichen Anwendungen, ja zu einer Verwirrung der Grenzen zwiſchen der culpa dolo determinata und dem dolus indeterminatus führen. l)a. a. O. S. 131.

In Beziehung auf den §. 53 erklärte man ſich in der Staats - raths-Kommiſſion mit dieſen Ausführungen einverſtanden, aber man ging noch weiter, und verlangte auch die Fortlaſſung des an die Stelle von §. 52. getretenen §. 41. des revidirten Entwurfs. Namentlich be - merkte der Juſtizminiſter Uhden: Jeder bisherige Verſuch, die verwik - kelte und ſchwierige Lehre vom dolus in die Form des Geſetzes zu faſſen, ſei geſcheitert. Die Faſſung, welche gegenwärtig vorliege, ſei die vierte, und es ſtehe dahin, ob ſie alle Ausſtellungen beſeitige und als eine gelungene zu betrachten ſei. Der §. 41 habe eine rein doktri - nelle Bedeutung; er enthalte nichts als eine Begriffsbeſtimmung, eine Definition. Solche Sätze müſſe der Geſetzgeber aus der Wiſſenſchaft vorausſetzen, und in ihrer Fortbildung der Doktrin überlaſſen, welche der Richter ſeiner Seits zu Rathe ziehe. Gerade der vorliegende Ge - genſtand ſei ein Punkt, wo es das Angemeſſenſte ſei, auf das Ermeſſen und den geſunden praktiſchen Verſtand des Richters zu vertrauen. Je mehr man es verſuche, das Arbitrium des Richters durch Spezial - beſtimmungen zu feſſeln, um ſo weniger werde dieß bei der vielſeitigen Auslegung, deren ſolche komplizirte Vorſchriften fähig ſeien, gelingen.

Zwar wurde hierauf von dem Juſtizminiſter v. Savigny erwie - dert, die Vorſchrift des §. 41. ſei nicht lediglich eine Frage der Doktrin, vielmehr habe ſie den Zweck, die in der Wiſſenſchaft und Praxis ſtrei - tigen Fragen über den dolus alternativus, eventualis und indetermi - natus zu entſcheiden. Allein die Majorität der Kommiſſion beſchloß,42Zweites Kapitel. Allgemeine Erörterungen.den §. 41. fortfallen zu laſſen,m)Verhandlungen der Kommiſſion des Staatsraths über den rev. Entwurf des Strafgeſetzbuchs (Berlin 1846). S. 31, 32. und ſo beſtand in dem Entwurf von 1847. der Tit. III. Th. I. von dem Vorſatze und der Fahrläſſigkeit, nur aus folgender Beſtimmung.

§. 39. Ob eine Handlung vorſätzlich verübt worden, imgleichen ob eine nicht vorſätzlich verübte Handlung als eine fahrläſſige dem Handelnden zugerechnet werden könne, iſt nach freiem Ermeſſen aus den Umſtänden zu beurtheilen.

Dieſe Vorſchrift war zunächſt gegen die Präſumtion der Kriminal - Ordnung gerichtet worden, und ward in dem vereinigten ſtändiſchen Ausſchuß auch nur von dieſem Standpunkte aus vertheidigt;n)Verhandlungen des vereinigten ſtändiſchen Ausſchuſſes. II. S. 346, 347. mit dem veränderten Strafrechtsverfahren und dem Aufgeben der früheren Be - weistheorie verlor ſie daher auch ihre Bedeutung, und der ganze Titel war mit dem §. 39. aus dem Entwurf von 1850. verſchwunden. Auch die Kommiſſion der zweiten ſowohl wie der erſten Kammer erklärten ſich damit einverſtanden, daß über den Vorſatz und die Fahrläſſigkeit keine allgemeinen Beſtimmungen in das Strafgeſetzbuch aufgenommen würden,o)Bericht der Kommiſſion der II. Kammer am Schluß des erſten Ti - tels. Bericht der Kommiſſion der I. Kammer an demſelben Orte; ſ. Ver - handlungen der I. und II. Kammer über die Entwürfe des Strafgeſetzbuchs u. ſ. w. (Berlin 1851). S. 74, 75, 450. was demnach auch nicht geſchehen iſt.

In der Kommiſſion der zweiten Kammer kam es über die Grund - ſätze, welche nach dem Strafgeſetzbuch über die Zurechnung der rechts - widrigen Willensbeſtimmung gelten ſollen, zu wiederholten Erörterungen. In den Fällen z. B., wo die Verbreitung unzüchtiger und beleidigender Schriften unter Strafe geſtellt iſt (§. 151 und 152), war man darüber einverſtanden, daß abgeſehen von beſonderen, die bloß formale Verant - wortlichkeit betreffenden Beſtimmungen der Preßgeſetzgebung nach den allgemeinen Grundſätzen des Strafrechts, die auch hier ihre An - wendung fänden, die Strafbarkeit von der Kenntniß des Inhalts der Schrift abhängig ſei und daß dieſe aus den Umſtänden entnommen werden müſſe