Das nachſtehende „ kurzgefaßte “Lehrbuch iſt zur Ein - führung in das Studium des Reichsſtrafrechtes beſtimmt. Es ſoll die Benützung umfangreicherer Werke nicht überflüſſig machen, ſondern ermöglichen und erleichtern. Es wendet ſich an den Studenten, der an die Theorie des Strafrechtes herantritt, und an den Praktiker, der bei ihr Rat ſucht und Löſung für die Fragen des täglichen Lebens. Dem einen wie dem andern ſoll das kleine Buch den Weg weiſen, nicht ihn ans Ziel führen.
Aber gerade weil das Buch nicht mehr ſein will als Wegweiſer in’s Strafrecht, mußte ſein Verfaſſer manches ernſter nehmen, als es ſonſt wohl zu geſchehen pflegt. Ge - rade die erſte Einführung muß eine ſtreng wiſſenſchaftliche ſein, d. h. ſie muß mit klaren ſchneidigen Begriffen arbeiten und dieſe in ein geſchloſſenes Syſtem bringen. Jene Begriffe und dieſes Syſtem zu gewinnen, ſchien mir Hauptaufgabe nicht nur, ſondern Exiſtenzberechtigung des Buches. Daß ich dabei meine eigenen Wege gegangen, wird mir wohl kaum verargt werden können; daß mir ſelbſt das Syſtem nicht völlig genügt, brauche ich demjenigen gegenüber, der auf gleichem Felde gearbeitet hat, nicht zu bemerken.
VIVorwort.Die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze heranzuziehen, iſt für ein noch ſo kurz gefaßtes Lehrbuch des Reichsſtrafrechtes einfach unerläßlich. Freilich ſtehe ich mit dieſer Anſicht ziemlich allein da; aber ich halte ihre Richtigkeit für ſo unbeſtreitbar, daß ich ihre Begründung mit Beruhigung dem unausbleib - lichen Entwickelungsgang unſerer Wiſſenſchaft überlaſſe.
Die Entſcheidungen des Reichsgerichtes ſind bis in die letzten Tage des Druckes eingehend berückſichtigt worden. Nicht nur deßhalb, weil dieſe Rückſichtnahme die praktiſche Brauchbarkeit des Buches erhöht; ſondern darum, weil der innere Wert der Reichsgerichts-Entſcheidungen es verlangt. Der höchſte deutſche Gerichtshof hat gethan, was die meiſten ſeiner partikulären Vorgänger zu thun ſich ſcheuten: er iſt herangetreten, ſo oft Gelegenheit ſich bot, an die von den Theoretikern aufgeworfenen Fragen; er hat Stellung ge - nommen zu ihnen und ihre Löſung verſucht. Und das iſt ein Verdienſt, das nicht hoch genug angeſchlagen werden kann. Dabei bleibt der Theorie das Recht der Kritik; ich habe dem Reichsgericht gegenüber oft von demſelben Gebrauch gemacht, und wollte gerade deßhalb die eben ausgeſprochene Bemerkung nicht unterdrücken.
Noch manche Eigentümlichkeit des „ Lehrbuchs “, das in den wichtigſten Fragen ſtatt der Begründung Reſultate geben muß, würde der Rechtfertigung bedürfen.
Der Raum eines Vorwortes geſtattet es nicht. Möge das Wohlwollen der Leſer die Kürze und Lückenhaftigkeit der Darſtellung erläutern und ergänzen.
Gießen, November 1880.
Liszt.
Der von den Amtsdelikten handelnde §. 92 iſt wiederholt irrigerſeits als §. 93 citiert.
I. Strafrecht im ſubjektiven Sinne iſt Recht zu ſtrafen, jus puniendi. Dieſes Recht ſteht nicht nur dem Staate, ſondern innerhalb der vom Staate gezogenen aller - dings ſehr eng geſteckten Grenzen auch dem Einzelindivi - duum (in Haus und Schule) ſowie den verſchiedenſten Gruppen von Einzelindividuen zu (Kirchen, Vereinen und Geſellſchaften, Vertretungs-Körpern uſw.). Wir haben es in dieſer Schrift nur mit dem ſtaatlichen Strafrecht zu thun.
Aber giebt es ein ſtaatliches Straf-Recht? Kann von einem Recht, als der, von der rechtſetzenden Gewalt ge - währten und gewährleiſteten Willensmacht dort geſprochen werden, wo der Träger der gewährten Willensmacht zugleich der Gewährende iſt? Paßt der Begriff des ſubjektiven Rechtes überhaupt auf die Willensmacht des Staates?
Die Beſeitigung dieſes Einwandes iſt von grundlegender Bedeutung.
Die an ſich ſchrankenloſe, der juriſtiſchen Faſſung ſpot - tende Strafgewalt des Staates wird zum ſtaatlichen Strafrechte durch Selbſtbeſchränkung. Die rechtſetzendevon Liszt, Strafrecht. 12Einleitung. I. Die Grundbegriffe.Gewalt ſetzt ſich ſelber Recht, indem ſie Vorausſetzung und Inhalt ihrer Bethätigung normirt. Das ſtaatliche Strafrecht im ſubjectiven Sinne iſt die rechtlich begrenzte Strafgewalt des Staates. Und der Inbegriff jener Rechtsſätze, durch welche die Ausübung der an ſich unbeſchränkten Strafgewalt des Staates nach Vor - ausſetzung und Inhalt begrenzt wird, bildet das Strafrecht im objektiven Sinne.
II. Damit gewinnen wir zwei weitere Grundbegriffe. Durch die Beſtimmung der Vorausſetzungen, an deren Vorliegen der Staat die Ausübung ſeiner Strafgewalt knüpft, entſteht der Begriff des Verbrechens; durch die Beſtim - mung dieſer Ausübung nach Maß und Inhalt der Begriff der Strafe (im juriſt. Sinne). Die Klarlegung beider Be - griffe bildet die Hauptaufgabe des allgemeinen Theils der Strafrechtswiſſenſchaft; während dem beſonderen Theile die Darſtellung der einzelnen Verbrechen und der an dieſelben geknüpften Strafen zufällt.
In den folgenden Paragraphen ſoll durch kurze, aber zuſammenhängende Entwicklung der beiden Begriffe — Ver - brechen und Strafe — die Grundlage für die eigentliche Darſtellung gewonnen werden. 1Vgl. dazu insbeſ. Binding die Normen; Thon Rechtsnorm und ſubjektives Recht; Ihering der Zweck im Recht; ſowie über - haupt die durch dieſe Werkehervorgerufene Literatur. Aus jüngſter Zeit Hertz das Unrecht und die allgem. Lehren des Strafrechts.
I. Staat und Recht ſind um der Menſchen willen da. 3Die Strafe. § 2.Das Recht bezweckt den Schutz derjenigen Intereſſen, zu deren Schutz und Förderung die Einzelnen zur ſtaatlichen Gemeinſchaft zuſammengetreten ſind; wir können dieſe vom Recht, dem Geſammtwillen der Gemeinſchaft, geſchützten In - tereſſen als Rechtsgüter bezeichnen. Das Recht erreicht ſeinen Zweck, Rechtsgüterſchutz zu ſein, durch den Zwang in der doppelten Form: des direkten phyſiſchen Zwanges, der unmittelbaren Gewalt einerſeits; andererſeits des indi - rekten pſychiſchen Zwanges, der Motivation.
Auf dem Gebiete des Strafrechtes tritt uns der Zwang entgegen in der Geſtalt der Strafe. Die Strafe iſt ſtaat - licher Zwang zum Zwecke des Rechtsgüterſchutzes. Und zwar iſt ſie Rechtsgüterſchutz durch Rechtsgüterver - letzung; indem ſie beſtimmte Rechtsgüter, deren Träger der Verbrecher iſt, ſchmälert oder vernichtet, ſichert ſie die Rechts - güter der übrigen. Das iſt der konſtante Beſtandtheil, der weſenhafte Kern aller jener nach Zeit und Volk wechſelnden Erſcheinungsformen, welche die Strafe im Laufe der geſchicht - lichen Entwickelung angenommen hat.
II. Die Strafe erreicht ihren Zweck — Rechtsgüterſchutz zu ſein — auf zweifachem Wege.
1. Als mittelbarer Zwang oder Motivation durch Ver - mehrung und Kräftigung der den Einzelnen vom Verbrechen abhaltenden Motive; und zwar indem
2. Als unmittelbarer Zwang oder phyſiſche Gewalt durch dauernde oder vorübergehende Sequeſtrirung des Verbrechers (Sicherung).
III. Art und Maß der Strafe hat ſich daher lediglich nach dem im Einzelfalle angeſtrebten Ziele zu richten. Die Strafe muß eine andere ſein nach Inhalt und Umfang, wenn ſie präveniren, eine andere wenn ſie beſſern, eine andere wenn ſie ſichern ſoll. Allerdings huldigt die moderne Straf - geſetzgebung nur ſelten und meiſt unbewußt dieſem Gedanken; ſie behandelt den unverbeſſerlichen Gewohnheitsdieb und den reuezerknirſchten Gelegenheitsverbrecher nach derſelben Scha - blone.
Aber die ſcharfe Betonung des Zweckmomentes im Recht überhaupt und in der Strafe insbeſondere findet immer zahlreichere und immer bedeutendere Anhänger. Und die Zeit iſt hoffentlich in nicht allzu ferner Zukunft vorüber, in welcher die Forderung, daß die Staatsgewalt nicht ziel - und zwecklos die Rechtsgüter der Rechtsgenoſſen vernichte, als rationaliſtiſcher Dilettantismus abgefertigt werden kann.
Einer weiteren Rechtfertigung der Strafe, als des Nachweiſes ihrer Tauglichkeit zum Zwecke und ihrer Unent - behrlichkeit bedarf es nicht. Wer dem Staate den Nachweis ſeiner Berechtigung zu ſtrafen auferlegt, verkennt, daß der Begriff des Rechtes aus dem des Staates abzuleiten iſt und nicht umgekehrt, daß das Recht im ſubjektiven Sinne ein Wollen-Dürfen iſt, und die Grenzen des Dürfens vom Staate beſtimmt werden.
Die eben beſprochene Auffaſſung der Strafe entrückt das Strafrecht dem Streite über die menſchliche Willensfreiheit. 5Die Norm. § 3.Sie ſetzt nicht Freiheit des Wollens, ſondern Beſtimmbar - keit durch Motive voraus, und dieſe wird von keiner Seite geleugnet. Die Strafe iſt nach ihr nicht nur verträglich mit dem Determinismus, der auch die menſchliche Handlung dem allgemeinen Kauſalgeſetze unterwirft, ſondern erhält erſt durch ihn ihre feſte praktiſche Grundlage. Denn gerade wenn die Handlung notwendiges Produkt ihrer Faktoren iſt, gerade wenn ſie, dem Kräfteparallelogramme gemäß, not - wendig in der Richtung des ſtärkſten Motives erfolgt, kann durch Einführung neuer Faktoren in der Geſtalt neuer Mo - tive, ſowie durch Verſtärkung der in den gegebenen Faktoren vorhandenen motivirenden Kraft die Richtung der Handlung beſtimmt werden. 1Vgl. unten §. 25 die Lehre von der Zurechnungsfähigkeit. Dazu Hertz das Unrecht uſw. I S. 119 ff.
I. Wir haben als einen der Wege, auf welchen die Strafe ihren Zweck, den Schutz der Rechtsgüter, erreicht, die Androhung der Strafe bezeichnet. Der Geſetzgeber verbietet oder gebietet bei Strafe gewiſſe Handlungen, deren Vornahme oder Unterlaſſung einen Angriff auf die zu ſchützenden Rechtsgüter in ſich ſchließt; er verſtärkt die moti - virende Kraft ſeiner Imperative durch das Gewicht der Strafdrohung. Löſen wir die Strafdrohung aus, ſo erhalten wir einen einfachen, ſei es negativen, ſei es poſitiven Im - perativ. Dieſen, den Strafrechtsſätzen zu Grunde liegenden, der Strafdrohung entkleideten, ſtaatlichen Imperativ nennen wir die Norm. Die Norm gehört durchaus nicht nur dem6Einleitung. I. Die Grundbegriffe.Gebiete des Strafrechtes an; ſie ſpielt aber allerdings hier ihre bedeutendſte Rolle. Ohne klare Erkenntnis der Funk - tionen, welche die Norm auf dem Gebiete des Strafrechtes zu erfüllen hat, iſt tieferes Verſtändniß des Strafrechtes ſelbſt kaum möglich. Es iſt Binding’s bleibendes Verdienſt, nicht zuerſt aber am beſtimmteſten und konſequenteſten die Bedeutung der Norm betont zu haben.
II. Wir haben an dieſer Stelle zuerſt das Verhältnis der Normen zu den zu ſchützenden Rechtsgütern ins Auge zu faſſen.
1. Der Geſetzgeber kann ſich damit begnügen, ein be - ſtimmtes Intereſſe einfach unter ſeinen Rechtsſchutz zu ſtellen, es zu einem Rechtsgute zu erklären. Er verbietet dadurch — nicht notwendig bei Strafe — jede gegen das Rechtsgut gerichtete, wie immer geartete, Handlung. So entſtehen die allgemeinen, immer negativen Normen: Du ſollſt nicht töten, an fremdem Eigentum Dich nicht vergreifen, die Ehre Deines Mitbürgers nicht verletzen uſw.
2. Der Geſetzgeber kann aber auch gewiſſe, von ihm beſtimmt bezeichnete Handlungen verbieten, weil ihre Vornahme regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Ver - letzung oder Gefährdung des zu ſchützenden Rechtsgutes im Gefolge hat. Dann iſt dieſe Handlung verboten, auch wenn ſie im konkreten Falle die regelmäßige Wirkung nicht nach ſich zieht. So iſt der Handel mit Gift ohne polizeiliche Er - laubnis (StGB. §. 367 Nr. 3) im Intereſſe der körperlichen Sicherheit verboten auch dann, wenn der Handeltreibende durch die von ihm ergriffenen Vorſichtsmaßregeln jede Ge - fahr im konkreten Falle ausgeſchloſſen hat. Auch einzelne der ſog. gemeingefährlichen Delikte — ſo z. B. die Brunnen - vergiftung des §. 324 StGB. — gehören in dieſe Gruppe. 7Die Norm. § 3.Binding nennt dieſe Normen treffend Ungehorſamsver - bote. Wenn wir die unter 1 beſprochenen allgemeinen Normen als erſte allgemeine Umwallung des Rechtsgutes, als Hauptwall uns vorſtellen wollen, ſo können wir die Normen der zweiten Gruppe mit Ravelins vergleichen, die über den Hauptwall an einzelnen Stellen vorſpringen.
3. Der Geſetzgeber gebietet endlich einzelne beſtimmte Handlungen, weil ihre Unterlaſſung regelmäßig, wenn auch nicht immer, eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts - gutes in ſich birgt: Gehorſamsgebote nach Binding. Bei unſerem Bilde bleibend, könnten wir vielleicht von de - tachirten Forts ſprechen. Der letzte Abſchnitt des StGB. ’s, die ſtrafrechtlichen Nebengeſetze des Reichs, ſowie die Polizei - ſtrafgeſetzgebung der Länder bieten zahlreiche Beiſpiele. Man denke an das Gebot des Raupens, des Reinigens der Schorn - ſteine, den Impfzwang, die Verpflichtung zur Desinfektion bei Eiſenbahnviehtransporten uſw. Es ſei ausdrücklich be - tont, daß auch dieſe Gebote negative Bedeutung haben, nicht zur Förderung, ſondern zum Schutze der Rechtsgüter da ſind.
4. Es geſchieht aber auch häufig, daß der Geſetzgeber mehrere Rechtsgüter durch eine und dieſelbe Norm ſchützt. Aus dem bisher Geſagten geht zur Genüge hervor, daß dies nur durch Normen geſchehen kann, die den unter 2 und 3 beſprochenen Gruppen angehören. Beſondere Beach - tung verdienen hier diejenigen Normen, durch welche der Geſetzgeber ſich gegen gewiſſe Arten des Angriffes wendet, ohne der Richtung des Angriffes auf ein beſtimmtes Rechts - gut begriffliche Bedeutung beizulegen. So ſind Münzfäl - ſchung oder Urkundenfälſchung verboten, weil ſie an Münzen und Urkunden, dieſen wichtigen Trägern des rechtlichen Ver -8Einleitung. I. Die Grundbegriffe.kehrs, begangen, nach den verſchiedenſten Richtungen hin ſtörend in die Rechtsgüterwelt eingreifen. So ſind durch das Verbot von Brandſtiftung und Ueberſchwemmung, alſo durch je eine Norm, Leben und Eigentum geſchützt.
III. Umfang der imperativen Kraft der Normen.
1. Normwidrig iſt jeder der Norm widerſprechende Zu - ſtand, ohne Rückſicht auf die Urſachen, die ihn herbeigeführt haben: das ſchuldhafte Unrecht wie das ſchuldloſe Nicht - Recht (vgl. unten §. 17 III), und innerhalb des erſteren die vorſätzliche wie die fahrläſſige Uebertretung der Norm. Es gibt keine beſonderen Fahrläſſigkeits - Normen (vgl. unten §. 29). Und zwar gilt dieſer Satz gleichmäßig für alle Normen-Gruppen. Dabei ſei ſchon hier betont (vgl. unten §. 4 I), daß mit der Normwidrigkeit die Strafbarkeit verbunden ſein kann, nicht muß.
2. Normwidrig iſt aber nicht nur die Herbeiführung (bez. Hinderung) des Zuſtandes ſelbſt, deſſen Herbeiführung die Norm verbietet (bez. gebietet), ſondern jede Veränderung der Außenwelt, welche die Gefahr des Uebertretenwerdens der Norm in ſich ſchließt. Der Begriff der Gefahr, in jüngſter Zeit lebhaft angegriffen (von Hertz) iſt für das Strafrecht unentbehrlich; er iſt aber auch, ſobald wir ſeine Entſtehung im Auge behalten, ein durchaus wiſſenſchaftlicher juriſtiſch faßbarer Begriff. Wir nennen — immer im Hin - blicke auf einen beſtimmten Erfolg — Gefährdung1Feſte Terminologie iſt un - erläßlich. Ich nehme Gefähr - dung als größere Gefahr. Ge - fahr würde vorliegen, wenn auch nur in einem kleinen Perzent -ſatze von Fällen, Gefährdung dann, wenn ſagen wir in über 50 % der Fälle der Erfolg ein - zutreten pflegte. jenen9Das Verbrechen. § 4.Zuſtand, der nach unſerer Erfahrung in der Mehrzahl der Fälle zum Erfolge führt. Bei genügender In - duktion könnten wir die Größe der Gefahr ſogar ziffermäßig (in Perzenten) beſtimmen. Iſt es ſicher geworden, daß der Erfolg nicht eintreten werde — der aus dem Fenſter des 3. Stockes Geſtürzte iſt ohne ſchwere Verletzung unten ange - kommen — ſo können wir, uns in einen früheren Zeitpunkt zurückverſetzend, die in dieſem vorhandene Gefahr beurteilen. Wir werden dieſem Begriffe wiederholt begegnen. Hier ge - nügt die Bemerkung, daß es beſondere Gefährdungs - gebote nicht giebt, daß ſie in den Verletzungsgeboten mit enthalten ſind (a. A. Binding). Das hindert den Geſetzgeber nicht (unten §. 4 I), nur die Verletzung, das wirkliche Ueber - tretenſein der Norm, mit Strafe zu belegen.
3. Aber die imperative Kraft der Norm greift noch weiter. Normwidrig, eine Uebertretung der Norm, iſt jede auf Verletzung der Norm gerichtete Handlung ohne Rück - ſicht auf ihren Erfolg. Die verſuchte Normübertretung iſt Normübertretung, mag ſie auch vom Geſetzgeber nicht mit Strafe bedroht ſein. Die Normwidrigkeit des Verſuches einer Normübertretung folgt aus der Exiſtenz dieſer Norm. Mit a. W.: es giebt keine beſonderen, den Verſuch verbietenden Normen und es bedarf keiner ſolchen (vgl. unten §. 32).
Formell betrachtet, iſt Verbrechen jener Thatbeſtand, an welchen das objektive Recht den Eintritt der Strafe als Rechtsfolge knüpft. Wir haben hier zunächſt das Weſen dieſer Thatbeſtände und dann den Grund feſtzuſtellen, aus10Einleitung. I. Die Grundbegriffe.welchem der Geſetzgeber gerade gewiſſe Thatbeſtände zu Vorausſetzungen für den Eintritt ſeiner Strafgewalt erklärt.
I. Jedes Verbrechen erſcheint zunächſt als eine Ueber - tretung des der Strafdrohung zu Grunde liegenden Impe - rativs. Die ſchuldhafte Uebertretung einer ſtaat - lichen Norm nennen wir (mit Binding) Delikt. Jedes Verbrechen iſt alſo Delikt und muß alle Merkmale desſelben an ſich tragen. Aber noch ein Merkmal mehr: Verbrechen iſt das mit Strafe belegte Delikt. Nicht jedes Delikt iſt mithin Verbrechen. 1Zum Folgenden vgl. Binding Normen.
1. In weitaus den meiſten Fällen bedroht der Geſetz - geber vielmehr nur die durch irgend einen Umſtand quali - fizirte Normübertretung mit Strafe. So iſt jede Kuppelei Delikt, aber nur die gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz begangene iſt Verbrechen (StGB. §. 180).
2. In anderen Fällen muß zu der Normübertretung die Erfüllung einer weiteren, ganz außerhalb dieſer liegenden Bedingung hinzutreten, um die Strafbarkeit des Deliktes herbeizuführen: ſo der Antrag des Verletzten, oder die Ver - bürgung der Gegenſeitigkeit (StGB. §§. 102, 103); Straf - drohung einer auswärtigen Geſetzgebung (StGB. §. 4 Nr. 3); Auflöſung oder Scheidung einer Ehe (StGB. §§. 170, 172, 238); Oeffentlichkeit der Verübung (StGB. §. 183 u. A.) uſw. Es ſind dieß die doppelt bedingten Strafdrohungen, wie Binding ſie genannt hat.
3. Insbeſondere aber iſt der Umſtand ins Auge zu faſſen, daß an die Uebertretungen einer und derſelben Norm je nach der verſchiedenen Qualifikation der Uebertretung ver - ſchiedene Straffolgen geknüpft ſein können, ſo daß dem einen11Das Verbrechen. § 4.Delikte vielleicht eine ganze Reihe von Verbrechen kor - reſpondirt. So bildet das Recht aus dem Delikt der Tötung folgende Verbrechen: Mord, Todſchlag, Tötung auf Verlangen, Kindesmord, fahrläſſige Tötung, Tötung im Zweikampf, im Raufhandel, bei Gelegenheit eines Ver - brechens, Körperverletzung mit tötlichem Ausgange uſw.
II. So kann alſo die Norm, die dem Strafgeſetze zu Grunde liegt, eine von dieſem losgelöſte Exiſtenz führen, ihre eigene Geſchichte haben. Sie kann da ſein, lange ehe ein Strafgeſetz exiſtirt; aber ihr Untergang zieht auch das Straf - geſetz mit ſich.
Am deutlichſten vielleicht tritt dieſe Unabhängigkeit hervor in den ſog. Blankettſtrafgeſetzen nach Binding („ blinde “Strafdrohungen nennt ſie Heinze). Es ſind jene, in welchen der Geſetzgeber eine Strafe knüpft an die Uebertretung einer Norm, die von einer anderen Gewalt erlaſſen iſt oder er - laſſen werden ſoll. Beiſpiele bieten StGB. §§. 145, 327 u. A. mehr.
III. Und nun fragen wir uns: Warum knüpft der Geſetzgeber an gewiſſe Delikte die Strafe als Rechtsfolge? Dieſe Frage ſchließt zwei Unterfragen in ſich. Eine nega - tive: warum nur an gewiſſe Delikte? eine poſitive: warum gerade an dieſe gewiſſen Delikte? Und da jedes Verbrechen Delikt iſt, ſo können wir die Frage auch ſo ſtellen: Wodurch unterſcheidet ſich das mit Strafe belegte Delikt (das ſog. kriminelle Unrecht) von dem nicht mit Strafe belegten (dem ſog. civilen Unrecht)? 2Vgl. insbeſ. Merkel krim. Abhandlungen 1867; die übrigeLiteratur bei Meyer Lehrb. S. 1 Note 1.
1. Die Strafe iſt Rechtsgüterſchutz durch Rechtsgüter -12Einleitung. I. Die Grundbegriffe.verletzung. Der Schutz den ſie gewährt, iſt theuer erkauft. 3Wahlberg krimin. u. nationalökon. Geſichtspunkte. 1872.Der Staat ſchneidet in ſein eigenes Fleiſch, um ſeine Rechts - güter zu wahren. Die Strafe iſt, war und wird ſein ein Uebel nicht nur für den Betroffenen, ſondern auch für die Gemeinſchaft. Nur dann alſo und nur ſoweit wird dieſe eigentümliche Art des Rechtsgüterſchutzes gerechtfertigt, d. h. dem Intereſſe der Gemeinſchaft entſprechend ſein, wenn ſie und ſoweit ſie unbedingt notwendig iſt zum Schutze der bedrohten Rechtsgüter. Sie iſt das äußerſte Mittel, die ultima ratio des Staates. Daher die von jeher, wenn auch nicht immer bewußt, hervortretende Tendenz der Geſetz - gebung, das Gebiet des mit Strafe belegten Unrechts auf das möglich kleinſte Maß einzuengen.
2. Die Grenzen dieſes Gebietes aber werden beſtimmt durch die Gefährlichkeit der einzelnen Delikte. Wolge - merkt: durch ihre Gefährlichkeit in abſtrakto nicht in konkreto. Verbrechen iſt „ die von Seiten der Geſetzgebung konſtatirte Gefährdung der Lebensbedingungen der Geſellſchaft “(Ihering, Zweck im Recht). Der Geſetz - geber verbietet jedes Delikt, aber nur das gefährliche ver - bietet er bei Strafe.
Die Gefährlichkeit kann liegen:
a) In der Unerſetzlichkeit des angegriffenen Rechts - gutes (das Leben, die Geſchlechtsehre des Weibes).
b) In dem Werte des Rechtsgutes für die betr. Rechts - gemeinſchaft; richtiger, in der (häufig ſehr ſubjektiven) Wert - ſchätzung durch die rechtſetzenden Faktoren. Man denke an die verſchiedene Ausbildung des Strafrechts im theokra - tiſchen und im Kriegerſtaate, in der despotiſchen Monarchie13Das Verbrechen. § 4.und dem republikaniſchen Gemeinweſen, im Agrikultur - und im Induſtrieſtaate uſw.
c) In der Art des Angriffes. Von den beiden Hauptarten: Trug und Gewalt, fraus und vis, tritt bald die eine, bald die andere, je nach Volkscharakter und Zeit - verhältniſſen, als die gefährlichere in den Vordergrund. Man vergleiche das Verhältnis des Raubes zum Diebſtal nach altdeutſcher und nach moderner Auffaſſung.
d) In der Häufigkeit des Angriffes. Das Ueber - handnehmen gewiſſer Delikte (Fälſchung von Nahrungsmit - teln, ſozial-demokratiſche Umtriebe, Wucher uſw. ) kann die Geſetzgebung veranlaſſen, den ſtrafenden Arm zu erheben. Nur mag ſie Eines dabei nicht vergeſſen: die Strafe be - deutet in dieſem Falle ſymptomatiſche Behandlung eines tieferliegenden ſozialen Leidens; und dieſe iſt auf die Dauer erfolglos, wenn ſich mit ihr nicht die Bekämpfung der Krank - heitsurſache verbindet. Hebung des Volkswohlſtandes und der Volksbildung, freiheitliche Einrichtungen, die das Intereſſe des Einzelnen mit dem der Geſammtheit inniger verknüpfen, Entfaltung all’ der poſitiven Kräfte, die der Staatsverwaltung in ſo reichem Maße zur Verfügung ſtehen: ſie allein können die Krankheitsurſache beſeitigen und mit ihr die Symptome.
3. Aus dem Geſagten folgt die durch die Geſchichte auf das Glänzendſte beſtätigte Konſequenz, daß die Grenzlinie zwiſchen dem kriminellen und dem civilen Unrechte nicht durch aprioriſtiſche Konſtruktion gefunden und gezogen werden kann; daß ſie vielmehr eine durch wechſelnde Faktoren beſtimmte und darum ſchwankende ſein muß. Dieſe Anſicht, zu der ſich Geib, Wahlberg, Merkel, Heinze, Binding, Geyer, Thon, Ihering, Dahn u. A. bekennen, iſt eine der ſchönſten Errungenſchaften der modernen Strafrechtswiſſenſchaft.
I. Wir haben die Strafe aufgefaßt als die bewußte und durch die Zweckvorſtellung beſtimmte Reaktion des Staates gegen das Verbrechen. Wir haben das Zweck - moment auch in den Begriff der Strafe hineingetragen. Beſtätigt ſich dieſe Anſicht, wenn wir die Geſchichte der Strafe befragen?
Die Geſchichte giebt uns nach meinem Dafürhalten keinen Anlaß, unſere Anſicht irgendwie zu ändern. Wol aber ge - währt ſie uns auf unſere Frage einen tiefen, viel zu wenig beachteten Einblick in die Entſtehung und in die Ent - wicklung der Strafe.
Das, was ſie heute iſt, war die Strafe nicht immer. Sie war — und nicht nur in der Urgeſchichte der Menſch - heit — blinde, inſtinktartige Reaktion gegen äußere Störung der Lebensbedingungen des Einzelnen oder der be - reits vorhandenen Gruppen von Einzelindividuen. Sie ruht in ihren letzten Wurzeln auf dem Rachetrieb (dem ressentiment Dühring’s),1Kurſus der Philoſophie. 1875. der nur eine beſondere Form des Selbſt - erhaltungstriebes iſt. Nichts liegt ihr in dieſem Sta - dium ferner, als Beſtimmbarkeit durch die Zweckvorſtellung. Die in unſeren Tagen ſo beliebten Analogien mit der Thier - welt liegen nahe genug; der genetiſche Zuſammenhang mit ihnen mag dahingeſtellt bleiben. Und auf verwandte Erſchei - nungen in der anorganiſchen Natur zurückgreifen,2Schütze Lehrbuch (Elaſti - zität). hieße mit Worten, nicht mit Begriffen operieren. —
15Urſächl. Zuſammenhang von Verbrechen u. Strafe. § 5.Aber wie im Laufe der Entwicklung des Einzelindividuums die (unwillkürliche) Reflexbewegung ſich umſetzt in eine will - kürliche, d. h. bewußte und durch Vorſtellungen beſtimmte Be - wegung, ſo iſt die Aeußerung des Rachetriebes durch eine allmählige Summirung von quantitativen Differenzen zu einem qualitativ Anderen, zur modernen Strafe ge - worden. Wer die Möglichkeit einer ſolchen Differenzirung leugnet, verkennt eine der wichtigſten Konſequenzen der Ent - wicklungslehre.
Wie dieſe Entwicklung vor ſich gegangen, von Stufe zu Stufe; wie das eigene Intereſſe zur Zügelung des Rache - triebes zwingt, wie durch die werdende und erſtarkende Staatsgewalt die Privatrache in immer engere Grenzen ge - bannt und endlich durch die ſtaatliche Reaktion erſetzt wird; wie die ſtaatliche Strafgewalt durch Selbſtbeſchränkung ſich in das Strafrecht des Staates umſetzt; wie durch die vor - angehende Drohung der Strafe, durch Ausbildung eines vielgliedrigen Strafenſyſtems, durch rationellen Strafvollzug das Zweckmoment in der Strafe zu immer weiterer und immer ſtärkerer Herrſchaft gelangt: das hat nicht unſer Lehrbuch, das hat die noch nicht geſchriebene Geſchichte der Strafe zu ſchildern. An dieſer Stelle genügt der einfache Hinweis auf den Urſprung der Strafe und die allmälige Wandlung ihres Charakters. Das Lehrbuch hat es wie bisher, ſo auch fortan nur mit der Strafe in der heutigen Geſtalt zu thun.
II. Die vorgetragene Anſicht iſt weit davon entfernt, allgemein anerkannt zu ſein; kaum weniger weit davon ent - fernt, auf allgemeine Anerkennung zu rechnen. Herrſcht doch in wenigen Disziplinen geringere Uebereinſtimmung in Bezug auf Methode und Ausgangspunkt, als auf dem Gebiete der16Einleitung. I. Die Grundbegriffe.allgemeinen Rechtslehre, die berufen iſt, an Stelle der „ Rechtsphiloſophie “zu treten.
Man pflegt die Unterſuchungen über Urſprung und Weſen der Strafe in nicht ganz paſſender Weiſe als Straf - rechtstheorien zu bezeichnen. Ihre Zahl iſt überaus groß. Seit Plato und Ariſtoteles haben Philoſophen und Juriſten an ihnen mit einer gewiſſen Vorliebe gearbeitet; den engliſch - franzöſiſchen Rationalismus der Aufklärungsperiode beſchäf - tigen ſie nicht weniger als die Spekulation zur Blüthezeit der deutſchen Philoſophie. Und in der That iſt eine theoretiſche oder praktiſche Handhabung des Strafrechtes ebenſowenig wie die legislative Geſtaltung desſelben möglich ohne Stellung - nahme zu den hier aufgeworfenen Fragen.
Im folgenden Paragraphen ſoll eine kurze Ueberſicht über die wichtigſten Strafrechtstheorien gegeben werden. Wenige Worte werden genügen, um unſere Stellung ihnen gegen - über zu beleuchten; zu eingehender Kritik iſt hier nicht der Ort. 3Treffliche Darſtellungen bei Berner Lehrbuch, Heinze in H. H. I, Wächter Beilagen, Binding Grundriß. Bei letz - terem S. 91 Litteraturangaben. Dazu etwa noch Jellinek die ſozial-ethiſche Bedeutung von Recht, Unrecht, Strafe. 1878.
I. Zweckmäßigkeitstheorien (auch relative Intereſſen - oder Nutzungstheorien). Die Strafe iſt ihnen Mittel zum Zweck, zur Bekämpfung der Verbrechen und damit zum17Die Strafrechtstheorien. § 6.Schutze der Rechtsordnung; mit der Unentbehrlichkeit und Tauglichkeit des Mittels iſt ihnen die Rechtfertigung des ſtaatlichen Strafrechts gegeben. Punitur ne peccetur; der Dieb wird gehängt, nicht weil er geſtohlen hat, ſondern damit nicht geſtohlen werde. Einig in dieſem Grundgedanken, weichen die hieher gehörigen Theorien von einander ab in Bezug auf die Funktion, die ſie der Strafe zuweiſen.
1. Nach der alten, heute allgemein aufgegebenen, Ab - ſchreckungstheorie iſt es die Vollziehung der Strafe, welche, durch ihre abſchreckende Wirkung auf die Ge - ſammtheit der Staatsbürger der künftigen Begehung von Verbrechen entgegenwirken ſoll.
2. Dagegen will die Theorie des pſychiſchen Zwan - ges dasſelbe Ziel durch die Androhung der Strafe er - reichen. Die von dem Geſetze wachzurufende Vorſtellung des den Verbrecher erwartenden Strafübels ſoll der Vor - ſtellung der Luſt, welche ſich der Begehrende von der Be - gehung des Verbrechens verſpricht, gegenübertreten, das zu dem Verbrechen treibende Motiv ſoll durch ein Gegen - motiv von gleicher Stärke in ſeiner motivirenden Kraft ge - hemmt werden. Schon von Ariſtoteles angedeutet, von Hobbes (de cive 1643, Leviathan 1651) vollſtändig ent - wickelt, von Sonnenfels und anderen Schriftſtellern der Aufklärungszeit vertreten, hat dieſer Gedanke in Anſelm Feuerbach (1775 — 1833) den glänzendſten und einfluß - reichſten Vorkämpfer gefunden, ſo daß die Theorie ſelbſt wol als die Feuerbach’ſche bezeichnet wird.
Eine Abart derſelben iſt die Warnungstheorie Bauer’s (1830), nach welcher ſich die Strafdrohung nicht nur an die ſinnliche, ſondern auch an die ſittliche Natur des Menſchen wendet.
von Liszt, Strafrecht. 218Einleitung. I. Die Grundbegriffe.3. Die Special-Präventions-Theorie, die Grol - man (1799) aufgeſtellt hat, verlegt das Schwergewicht wieder in die Vollziehung der Strafe, will aber durch die Beſtrafung des Einen nicht die Uebrigen, ſondern dieſen ſelbſt von künftiger Begehung ſtrafbarer Handlungen abhalten, ſeinen verbrecheriſchen Willen unter das Geſetz beugen.
4. Dasſelbe Ziel, aber auf anderem Wege, verfolgt die Beſſerungstheorie, die, neben Stelzer, Ahrens, Groos, Schleiermacher u. A., insbeſondere der vor Kurzem verſtorbene Röder in einer Reihe von Schriften verteidigt hat. Sie bezweckt Verhütung künftiger Verbrechen durch die Beſſerung des Verbrechers bei Vollſtreckung der Strafe. Die Reform des Strafvollzuges, insbeſondere des Gefängnisweſens, iſt zum guten Theile den Anhängern der Beſſerungstheorie zu danken.
Es iſt das große Verdienſt der Zweckmäßigkeitstheorien, das Zweckmoment in der Strafe betont zu haben. Sie kranken aber an einem doppelten Fehler. Sie verkennen einerſeits den hiſtoriſchen Urſprung, andrerſeits die moderne Geſtaltung der Strafe, die es möglich macht, auf verſchiedenem Wege dasſelbe Ziel anzuſtreben.
II. Die Rechtstheorien ſuchen das ſtaatliche jus pu - niendi zu rechtfertigen, indem ſie dasſelbe einer der vorhan - denen Rechtsfiguren, einem der allgemein anerkannten Rechts - ſätze, unterordnen. Dies vereinigt ſie zu einer gemeinſamen Gruppe, mögen ſie auch ſonſt den Zweckmäßigkeitstheorien oder den unter IV zu beſprechenden Vereinigungstheorien nahe ſtehen. Es iſt den Rechtstheorien nicht gelungen, über ſchiefe Analogien hinauszukommen. Von allen Theorien haben ſie den geringſten Werth.
1. Die Vertragstheorie, von Hobbes, Beccaria,19Die Strafrechtstheorien. §. 6.Rouſſeau, Fichte u. A. vertreten, leitet das ſtaatliche Recht zu ſtrafen ab aus einem Vertragsverhältniſſe. Durch den „ Bürgervertrag “in ſeinen beiden Beſtandteilen wird die Grenze für den Gebrauch der individuellen Freiheit beſtimmt und gegenſeitiger Schutz der Rechte zugeſichert. Wer den Bürgervertrag bricht, verliert die durch dieſen ihm zugeſicherten Rechte und müßte aus der Rechtsgemeinſchaft ausgeſchloſſen werden, hätte er nicht in dem zu dem Bürger - vertrage hinzutretenden „ Abbüßungsvertrag “das Recht erlangt, durch Abbüßung einer Strafe ſich des Lebens in der Geſellſchaft wieder fähig zu machen.
2. Nach der Notwehr - oder Verteidigungs - theorie, als deren Anhänger Schulze (1813), Martin, ſowie eine Reihe von franzöſiſchen und italieniſchen Schrift - ſtellern zu nennen ſind, leitet der Staat ſein Strafrecht ab aus der durch jedes Verbrechen erzeugten fortwirkenden Ge - fährdung ſeiner Rechtsordnung, und dem durch dieſen Zuſtand begründeten Notrechte, das Fortbeſtehen des Staates gegen jene Gefahr zu ſichern.
3. Die Vergütungs - oder Wiederherſtellungs - theorie Welcker’s (1790 — 1869) ſieht den Zweck der Strafe in der Wiederaufhebung des durch das Ver - brechen verurſachten intellektuellen Schadens (ſo, wie der civile Erſatz die Beſeitigung des bewirkten materiellen Schadens bezweckt), und den Rechtsgrund derſelben einerſeits in der Verpflichtung jedes Rechtsgenoſſen die von ihm be - wirkte Rechtsverletzung wieder gutzumachen, andrerſeits in dem Rechte und der Pflicht der Staatsgewalt, die Bürger eventuell zwangsweiſe zur Erfüllung dieſer Rechtspflicht anzuhalten.
Eine — wenig gelungene — Umarbeitung der Welcker - ſchen Ausführungen iſt Hepp’s „ Theorie der bürgerlichen20Einleitung. I. Die Grundbegriffe.Gerechtigkeit “(1843 — 5). Auch in Wächter’s Anſichten (Beilage 17) iſt der Einfluß Welcker’s unverkennbar.
III. Die Notwendigkeitstheorien (Vergeltungs - oder Gerechtigkeitstheorien). Sie ſtimmen alle darin überein, daß die Strafe nicht eine vom Staate willkürlich mit dem Verbrechen verknüpfte politiſche Maßregel, ſondern notwendige Folge des Verbrechens iſt; daß ſie ganz abgeſehen von ihrer etwaigen Zweckmäßigkeit eintreten muß; daß geſtraft wird, weil verbrochen worden und nicht damit nicht verbrochen werde, und daß mithin die Vergangenheit und nicht die Zukunft Eintritt, Art und Maß der Strafe beſtimme. Die Vergel - tungstheorien gruppiren ſich je nach der verſchiedenen Be - gründung dieſer ihnen gemeinſamen Auffaſſung.
1. Die Strafe iſt ein Poſtulat der Vernunft, das Strafgeſetz ein kategoriſcher Imperativ; Maßſtab für Qua - lität und Quantität der Strafe das jus talionis. So Kant (Kritik der praktiſchen Vernunft 1788 und Metaphyſ. An - fangsgründe der Rechtslehre 1799). Ihm folgen C. S. Zachariae (1805) und Henke (1811) in dem vergeblichen Bemühen, Umfang und Inhalt der von dem Vergeltungs - prinzipe geforderten Strafe nach anderen für das praktiſche Leben verwertbareren Grundſätzen zu beſtimmen.
2. Nach Herbart (allgem. praktiſche Philoſophie 1808), dem ſich Geyer anſchließt, iſt die Strafe eine äſthetiſche Notwendigkeit, begründet in unſerem Mißfallen am Streite, an der durch das Verbrechen hervorgerufenen Un - gleichheit; Rückgang des gleichen Quantums Weh’ von dem Verletzten auf den Verletzer, alſo Wiederherſtellung der ge - ſtörten Gleichheit iſt Weſen und Zweck der Strafe.
3. Die Strafe als dialektiſche Notwendigkeit. Nach Hegel (Grundlinien der Philoſophie des Rechts 1821) iſt die21Die Strafrechtstheorien. §. 6.Strafe die Vernichtung des Verbrechens durch die begriff - liche Macht des Rechts. Das Recht iſt ihm das verwirk - lichte Reich der Vernunft, die äußere Exiſtenz des vernünftigen Weſens des Willens. Das Verbrechen, als die Negation des Rechts, iſt demnach in ſich nichtig, denn der rechtswidrige Wille iſt im Widerſpruche mit ſich ſelbſt. Die Strafe aber iſt die Offenbarung dieſer Nichtigkeit des Verbrechens, die Konſtatirung ſeiner Scheinexiſtenz; die Strafe iſt Negation der Negation des Rechts (als Negation des Verbrechens), mithin die Poſition, die Wiederherſtellung des Rechts. Hegel’s Theorie iſt von beſtimmendem Einfluſſe geweſen auf Manche der bedeutendſten Kriminaliſten, insbeſondere auf Köſtlin, Luden, Hälſchner und Berner; aber auch in v. Bar’s Reprobationstheorie (Grundlagen des Strafrechts 1869), Heinze’s Leiſtungstheorie, Kitz’s Resciſſionstheorie (1874) laſſen ſich die Einwirkungen Hegel’ſcher Grundge - danken nachweiſen.
4. Die Strafe als göttliches Gebot. Nach Stahl (Philoſophie des Rechts) und Anderen iſt der Staat dazu von Gott geſetzt, um die äußere ethiſche Ordnung auf Erden zu handhaben. Kraft dieſer Vollmacht übt er die Strafgerech - tigkeit, ſtellt er dem Verbrechen gegenüber die Herrlichkeit des Staates, auf dem der Abglanz der Gottheit ruht, wieder her durch die Niederwerfung desjenigen, der ſich gegen die ethiſche Ordnung empörte.
5. Scheinbar im diametralen Gegenſatze zu den bis - herigen Theorien und doch im innerſten Kerne mit ihnen nahe verwandt iſt die Anſicht derjenigen, welche die Strafe als Naturnotwendigkeit, als eine, kraft eines Natur - geſetzes eintretende, notwendige Folge des Verbrechens be - trachten. Der geiſtvollſte Vertreter dieſer Theorie iſt Düh -22Einleitung. I. Die Grundbegriffe.ring (Kurſus der Philoſophie 1875 S. 219 — 243); ob auch Schütze (Lehrbuch) hieher zu rechnen, iſt zweifelhaft. Dühring führt die Strafe zurück auf das ressentiment, den Rachetrieb, der, Ausfluß des Selbſterhaltungstriebes, nicht nur den Menſchen zur Reaktion gegen Störungen ſeiner Integrität treibt.
Mit Dühring ſtimmt die in dieſem Lehrbuche vorge - tragene Anſicht in dem Ausgangspunkte überein; ſie betont jedoch im Gegenſatze zu Dühring die im Laufe der Ent - wicklung vor ſich gegangene Umgeſtaltung der Strafe. Her - bart’s Auffaſſung weicht bei genauerer Betrachtung nicht weſentlich von der Dühring’s ab. Hegel verleiht den Be - griffen eine Realität, die ſie nicht beſitzen; Kant und Stahl ſtützen ihre Theorien auf unbewieſene und unbeweisbare Fundamentalſätze.
IV. Eine letzte Gruppe, die der gemiſchten, ſynkre - tiſtiſchen oder Vereinigungstheorien ſucht nach der Verſöhnung der Gegenſätze, nach einer Verſchmelzung der widerſtrebenden Anſchauungen. Aus den überaus zalreichen, hieher gehörenden Theorien können nur einzelne hervorge - hoben werden.
1. Nach Berner (Lehrbuch) iſt die Strafe Vergeltung, alſo notwendige Folge des Verbrechens. Aber die von der Gerechtigkeit geforderte Strafe liegt zwiſchen einem Maximum und einem Minimum, innerhalb deſſen die von den Zweck - mäßigkeitstheorien betonten Zwecke der Strafe Berückſichti - gung finden können und müſſen. Berner’s Anſicht beruht, wie bereits wiederholt nachgewieſen, auf einem Sophisma: ſie operiert einmal mit dem Gattungsbegriff des Deliktes, und dann mit dem konkreten Delikt. Letzterem kann vom Stand -23Die Strafrechtstheorie. §. 6.punkte der Gerechtigkeitstheorien aus immer nur eine, ab - ſolut beſtimmte Strafe entſprechen.
2. Merkel (Krimin. Abhandlungen I) läßt die menſch - lichen Intereſſen als Werkzeuge im Dienſte einer höheren ſittlichen Weltordnung fungieren; ohne es zu wiſſen und zu wollen, vollſtreckt die von praktiſchen Geſichtspunkten aus - gehende menſchliche Strafgerechtigkeit die Gebote des Rechts und der Notwendigkeit. Merkel hat ſeine Auffaſſung mehr angedeutet als ausgeführt. Sie imponiert durch die Groß - artigkeit ihrer Weltanſchauung, entzieht ſich aber jeder Beur - teilung durch den in der Zweckvorſtellung befangenen Men - ſchengeiſt.
3. Binding (in Grünhut’s Zeitſchrift 1877 und in ſeinem Grundriß §. 70) trennt Strafrecht und Strafpflicht des Staates. Erſteres iſt ihm nur ein verwandeltes Recht auf Gehorſam gegen den Delinquenten, gerichtet auf Genug - thuung für das Irreparable im Delikte. Das Strafrecht iſt alſo notwendige Folge des Deliktes; nicht aber die Straf - pflicht. Dieſe tritt nur ein, wenn das Uebel der Nicht - beſtrafung für den Staat noch größer wäre als das Uebel der Beſtrafung, wenn die Bewährung der Autorität der ver - letzten Geſetze notwendig wird. Aber Binding’s Anſicht iſt keine Löſung, ſondern eine Verſchiebung des Problems. Woher der Staat das Recht nimmt, Normen aufzuſtellen und Gehorſam zu heiſchen, warum dieſes ſtaatliche Recht auf Gehorſam ſich gerade in die Strafe verwandelt, wird uns nicht geſagt.
4. Die Vereinigung der Gegenſätze iſt vielmehr nur mög - lich durch Zurückführung derſelben auf verſchiedene Ent - wicklungsſtufen desſelben Betrachtungsobjektes. Darum iſt die einzige Vereinigungstheorie, deren Methode als die24Einleitung. II. Das Strafgeſetz.richtige bezeichnet werden muß, die Abegg’s (in ſeinen Strafrechtstheorien 1835 und an anderen Orten). Auch er geht von der inſtinktmäßigen Rache aus, wie wir; aber ihm iſt das ſpäter ſich entwickelnde Zweckmoment in der Strafe nur Vorſtufe für die Anerkennung der Idee der Gerech - tigkeit. Abegg’s Theorie wird widerlegt durch den ganzen Gang der Entwicklungsgeſchichte der Menſchheit, ſo weit wir ihn überblicken können: überall liegt der Fortſchritt darin, daß der Naturtrieb wie die Naturkraft dem Zwecke dienſtbar gemacht wird. Klarheit des Zieles und zweckentſprechende Auswahl der Mittel ſind der Maßſtab jeglichen Fortſchrittes.
I. Die einzige Quelle des heutigen deutſchen Straf - rechtes iſt das Strafgeſetz. Alle Rechtsſätze, deren Inbe - griff das Strafrecht im obj. Sinne bildet, gehören dem geſetzten Rechte an. Geſetz iſt der durch das ver - faſſungsmäßige Zuſammenwirken der geſetzge - benden Faktoren erklärte, in der verfaſſungsge - mäßen Form verkündete Wille der Geſammtheit. 1Vgl. RVerf. Artt. 2, 5, 17.Ob ein Geſetz in dieſem Sinne vorliegt, hat der Richter ſelb - ſtändig zu prüfen. 2Lit. bei Windſcheid Pan -dekt. §. 14. A. A. Zorn Staatsr. S. 116.
Strafrecht iſt der Inbegriff der Rechtsſätze über Voraus - ſetzung und Inhalt der ſtaatlichen Strafgewalt. Wenn das Strafgeſetz einzige Quelle des Strafrechtes iſt, ſo heißt das:25Das Strafgeſetz als Quelle des Strafrechts. §. 7.die beiden Fragen, ob und wie zu ſtrafen iſt, haben wir ausſchließlich aus dem Geſetze zu beantworten. Das, nichts anderes und nicht mehr, ſagt die ſeit der Aufklärungsperiode in den Strafgeſetzbüchern immer wiederkehrende Rechtsregel: nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege (RStGB. §. 2 Abſ. 1).
II. Für die Auslegung der Strafrechtsſätze3Lit. bei Binding Grund - riß S. 61. gelten die allgemeinen, auf allen Gebieten des Rechts zur Anwen - dung kommenden Regeln. 4Beiſpiel einer authent. In -terpretation (des §. 28 Nr. 3 Sozialiſt. Geſ. ) in dem Geſ. v. 31. Mai 1880 RGB. Nr. 12.Die Beantwortung der vielbe - ſprochenen Frage nach der Zuläſſigkeit der Analogie auf dem Gebiete des Strafrechts hängt davon ab, welchen Be - griff man mit dieſem Worte verknüpft. Zweierlei iſt zu unterſcheiden. 1. Die Entwicklung eines Rechtsſatzes aus dem Zuſammenhange der übrigen, alſo das Auffinden eines ſchon vorhandenen, aber nicht unmittelbar und nicht ausdrücklich ausgeſprochenen Rechtsſatzes. Will man dies (Geſetzes -) Analogie nennen, ſo unterliegt die unbeſchränkte Zuläſſigkeit derſelben auch auf dem Gebiete des Strafrechts keinem Zweifel. 2. Das Aufſtellen eines neuen weder unmittelbar noch mittelbar ausgeſprochenen Rechtsſatzes, der dem Grundgedanken des Geſetzgebers entſpricht und ſich dem Syſtem der übrigen Rechtsſätze anpaßt; alſo die Ausfüllung einer Lücke im Geſetze und zwar dem Geiſte desſelben entſpre - chend. Die Zulaſſung der Analogie in dieſem Sinne wider - ſpricht dem unter I beſprochenen Grundſatze. Wiſſenſchaft und Praxis können Straf-Rechtsſätze auffinden, nicht ſchaffen. Dabei mag zugegeben werden, daß die Scheidung beider Operationen im einzelnen Falle ſchwierig werden kann.
26Einleitung. II. Das Strafgeſetz.III. Geſetz iſt der erklärte Wille der Geſammtheit; nicht der nicht erklärte Wille, und nicht die nichtgewollte Erklärung. Die Erklärung erfolgt nicht durch die Publi - kation (a. A. Binding), ſondern durch die Abſtimmung Seitens des Reichstages und Bundesrates, durch die Aus - fertigung ſeitens des Kaiſers.
Darnach haben wir die ſog. Redaktionsverſehen zu beurteilen. 5Lit. bei Binding Grund - riß S. 41.Von Redaktionsverſehen ſpricht man, wenn der er - klärte Wille ſelbſt auf einem Irrtume beruht. Da das Erklärte gewollt und das Gewollte erklärt iſt, liegt ein die Rechtsgenoſſen bindendes Geſetz vor, das nur durch Geſetz wieder beſeitigt werden kann. 6Die Novelle v. 26. Febr. 1876 hat eine Anzahl ſolcher RV. beſeitigt.Verſchieden davon iſt die Nichtübereinſtim - mung zwiſchen dem Texte der Kundmachung und jenem der ſanktionirten Beſchlüſſe. 7Der Ausdruck „ Druckfehler “iſt zur Bezeichnung dieſer Fälle zu eng.Die irrtümlich kundgemachte Be - ſtimmung iſt nicht Geſetz, aber auch nicht der zwar ſanktio - nirte aber nicht kundgemachte Beſchluß. 8A. A. Binding Grundr. S. 42.Doch kann durch eine neue berichtigende Publikation dieſem Mangel abgeholfen werden.
Aus dem Geſagten folgt, daß die ſog. „ Materialien “der Geſetze insbeſ. Motive und Kammerverhandlungen nur mit äußerſter Vorſicht als Interpretationsmittel verwertet werden können. Sie ſind nicht erklärter Wille der Geſammtheit, ſondern geben uns im günſtigſten Falle die Beweggründe, welche einzelne Mitglieder des einen der geſetzgebenden Fak - toren zu ihrer Willenserklärung beſtimmt haben.
27Das Reichsſtrafgeſetzbuch. §. 8.IV. Unter den Strafrechtsſätzen ſelbſt können wir zwei Gruppen unterſcheiden.
Die erſte — wir können ſie die der eigentlichen Straf - rechtsſätze nennen — knüpft an das Verbrechen die Strafe. Die hieher gehörenden Rechtsſätze ſind demnach zweiteilig: ſie beſtehen aus dem Thatbeſtande einerſeits, alſo der Vor - ausſetzung, an deren Vorliegen der Eintritt der ſtaatlichen Strafgewalt gebunden iſt, und aus der Strafe andrerſeits, die als Rechtsfolge für den Eintritt jener Vorausſetzung an - gedroht iſt.
Den Rechtſätzen der zweiten Gruppe fehlt jene Zwei - teilung. Sie enthalten die näheren Erläuterungen der eigentlichen Strafrechtsſätze. Sie ſind paſſend begriffsent - wickelnde Rechtsſätze9Vgl. überhaupt Windſcheid §. 27. genannt worden. Sie verknüpfen nicht Thatbeſtand und Rechtsfolge, hören aber darum nicht auf, Rechtsſätze zu ſein.
Die einheitliche Strafgeſetzgebung war eine der erſten Gaben, welche das deutſche Volk dem wiedererſtandenen deutſchen Reiche zu danken hatte. Aber keine von jenen Gaben, wie ſie der Liebling des Glücks, mühe - und arbeitslos aus den Händen der launenhaften Göttin empfängt; die Frucht, welche das ſich erfüllende Geſchick in überraſchend kurzer Friſt zur Reife brachte, war das Reſultat harter28Einleitung. II. Das Strafgeſetz.hundertjähriger Arbeit, an der ſich die Beſten des Volkes mit ihren beſten Kräften betheiligt hatten.
I. Das alte gemeine deutſche Strafrecht, auf der pein - lichen Ger. Ordg. Karl’s V (1532) beruhend, durch Theorie und Praxis, zum kleinſten Teile durch die Geſetzgebung, weiter gebildet, war ſeit der zweiten Hälfte des 18. Jahr - hunderts in ſich zuſammengebrochen. Die einzelnen deutſchen Staaten nahmen die geſetzgebende Thätigkeit auf, für welche das Reich zu ſchwach und zu träge geweſen. Um 1750 ungefähr beginnt die Periode der Partikulargeſetzgebung auf dem Gebiete des Strafrechts. 1Vollſtändige Ueberſichten bei Binding die gemeinen deutſchen Strafgeſetzbücher. 2. Aufl. 1877; Wächter Beilagenzu Vorleſungen über d. StR. 1877; Berner Strafgeſetzge - bung in Deutſchland v. 1751 bis zur Gegenwart. 1867.
Dem von Baiern 1751 gegebenen Beiſpiele folgend ſcheiden die beiden größten deutſchen Staaten, erſt Oeſter - reich (1768, 1787, 1803), dann Preußen (1794) noch im Laufe des 18. Jahrhundertes aus dem Herrſchaftsgebiete des gemeinen Strafrechtes aus. Einen neuen Anſtoß zu einer lebhaften und andauernden auf Kodifikation des Strafrechtes abzielenden Bewegung in den verſchiedenen deutſchen Staaten gaben das von Feuerbach entworfene bairiſche StGB. von 1813 einerſeits, der in den Rheinländern eingeführte code pénal von 1810 andrerſeits. In raſcher Aufeinander - folge erſcheinen in den 3 Dezennien von 1838 bis 1869 die Geſetzbücher von Sachſen 1838, Württemberg 1839, Braunſchweig und Hannover 1840, Heſſen-Darmſtadt 1841, Baden 1845, Thüringen 1850, Preußen 1851, Sachſen 1855, Baiern 1861, Sachſen 1868, Hamburg 1869. Oeſterreich hatte ſich 1852 damit begnügt, ſein StGB. von29Das Reichsſtrafgeſetzbuch. §. 8.1803 der reaktionären Zeitſtrömung anzupaſſen. Das weiteſte Geltungsgebiet hatte das preuß. StGB. von 1851 gewonnen, welches der Geſetzgebung von Oldenburg (1858) und jener von Lübeck (1863) zu Grunde gelegt, 1852 in den Hohen - zollern’ſchen Fürſtenthümern, 1855 in Waldeck, 1867 in den neu erworbenen Gebietsteilen eingeführt worden war. Ge - meines Recht hatte ſich nur in den beiden Mecklenburg, in Lauenburg, Schaumburg-Lippe und Bremen erhalten. Neben ihm waren im Jahre 1869 zehn verſchiedene Partikular - ſtrafgeſetzbücher auf deutſchem Gebiete in Geltung.
II. Die an die Partikulargeſetzgebung gewendete Arbeit war keine vergebliche. Ohne ſie wäre das Reichsſtrafrecht nicht in ſo kurzer Zeit geſchaffen worden. Immer und immer wieder wurden die Grundſätze des Strafrechts geprüft, die Forderungen der Wiſſenſchaft mit den Ergebniſſen der Praxis verglichen, das Strafenſyſtem ausgebildet, die Technik ver - vollkommnet. Allmählich ſammelte ſich ein Schatz von gemein - ſamen Anſchauungen, ein materiell-gemeines deutſches Straf - recht, die langſam gewonnene aber ſichere Grundlage für ein gemeinſames Geſetzbuch.
Wiederholte Anläufe zu einem ſolchen ſcheiterten. Die von einzelnen Perſonen ausgearbeiteten Entwürfe (K. S. Zachariae 1826, v. Strombeck 1829, Krug 1857, v. Kräwel 1862) fanden wenig Beachtung; der §. 64 der Reichsverfaſſung vom 28. März 1849 veranlaßte das preu - ßiſche Juſtizminiſterium zur Herſtellung eines Entwurfes (1849), der, den raſch ſich verſchiebenden Zeitverhältniſſen zum Opfer fallend, bis auf wenige Exemplare, ohne ausge - geben zu werden, wieder eingeſtampft wurde. Auch der von Baiern in Verbindung mit mehreren anderen Regierungen im Jahre 1859 beim Bundestage geſtellte Antrag, die Mög -30Einleitung. II. Das Strafgeſetz.lichkeit und Nützlichkeit einer gemeinſamen Civil - und Kri - minalgeſetzgebung zu erörtern, hatte kein anderes Reſultat, als daß der Ausſchußbericht vom 12. Auguſt 1861 das Vor - handenſein eines „ ſehr dringenden Bedürfniſſes “nach einem allg. deutſchen StGB. in Abrede ſtellte.
III. Es ſcheint, daß dieſelbe Anſicht in den maßgebenden Kreiſen noch herrſchte, als der Entwurf einer Norddeutſchen Bundesverfaſſung aufgeſtellt wurde. Der Art. 4 Nr. 13, welcher Civilprozeßordnung und Konkursverfahren, Wechſel - und Handelsrecht der gemeinſamen Geſetzgebung unterſtellte, erwähnte das Strafrecht nicht. Es iſt ein bleibendes Ver - dienſt Lasker’s, durch ein von ihm geſtelltes und von dem konſtituirenden Reichstage angenommenes Amendement die Einbeziehung des Strafrechts in das Gebiet der gemeinſamen Geſetzgebung veranlaßt zu haben (Art. 4 Nr. 13 der Bundes - verf. vom 26. Juli 1867).
In kurzer Friſt kam die Angelegenheit in Fluß. Auf Grund eines von den Abgeordneten Wagner und Planck geſtellten Antrages beſchloß der Reichstag am 18. April 1868, „ den Bundeskanzler aufzufordern, Entwürfe eines gemeinſamen Strafrechtes und eines gemeinſamen Strafprozeſſes, ſowie der dadurch bedingten Vorſchriften der Gerichtsorganiſation baldthunlichſt vorbereiten und dem Reichstage vorlegen zu laſſen. “ Nachdem der Bundesrat am 5. Juni 1868 dieſem Beſchluſſe beigetreten war, erſuchte der Bundeskanzler in dem Schreiben vom 17. Juni 1868 den preußiſchen Juſtizminiſter Dr. Leonhardt, die Ausarbeitung des Entwurfs eines Strafgeſetzbuches zu veranlaſſen.
1. Die Ausarbeitung wurde dem damaligen Geheimen Oberjuſtizrathe Dr. Friedberg übertragen; Gerichtsaſſeſſor Dr. Rubo und Kreisrichter Rüdorff wurden als Hülfs -31Das Reichsſtrafgeſetzbuch. §. 8.arbeiter beigeordnet. Am 31. Juli 1869 konnte der von Friedberg ausgearbeitete Entwurf (Entwurf I) dem Bun - deskanzler überreicht und gleichzeitig veröffentlicht werden. Sehr wertvolle Motive und (vier) Anlagen (Zuſammenſtellung ſtrafrechtlicher Beſtimmungen aus deutſchen und außerdeutſchen Geſetzgebungen; Todesſtrafe; Fragen aus dem Gebiete der gerichtlichen Medizin; höchſte Dauer zeitiger Zuchthausſtrafe) waren ihm beigegeben. Der Entwurf ſchloß ſich an das preußiſche StGB. von 1851 als Vorbild an, aber nicht ohne dasſelbe in einigen wichtigen Materien weſentlich zu verbeſſern.
2. Zur Prüfung des Entwurfes trat eine vom Bundes - rate ſchon am 3. Juli 1869 gewählte Kommiſſion von 7 Mitgliedern am 1. Oktober 1869 in Berlin zuſammen. Sie beſtand aus Leonhardt als Vorſitzendem, Friedberg als Referenten, Generalſtaatsanwalt Dr. v. Schwarze (Dres - den) als ſtellvertretendem Vorſitzenden, Senator Dr. Donandt (Bremen), Rechtsanwalt Juſtizrath Dr. Dorn (Berlin), Appellationsgerichtsrath Bürgers (Köln), Oberappellations - gerichtsrath Dr. Budde (Roſtock). Rubo und Rüdorff waren zu Schriftführern ernannt worden.
Die „ Theoretiker “, von welchen keiner der Kommiſſion beigezogen worden war, beteiligten ſich durch handſchriftlich überreichte oder gedruckte Gutachen an dem nationalen Werke; ſo Anſchütz, Beſeler (handſchriftliche Mitteilungen), Ber - ner, Binding, Geyer, Häberlin, Hälſchner, Heinze, John, H. Meyer (gedruckte Gutachten, vgl. Rüdorff Komm. S. 22), Merkel, Geſſler, Seeger (Verhandlungen des 9. deutſchen Juriſtentags).
Nach 43 Sitzungen beendete die Kommiſſion ihre Be - ratung am 31. Dezember 1869, und überreichte am ſelben32Einleitung. II. Das Strafgeſetz.Tage den gedruckten Entwurf (Entwurf III) dem Bundes - kanzler (ohne Motive). Der Entwurf wurde nicht veröffent - licht, aber einzelnen Fachmännern zugeſchickt. Heinze, Vollert, Wächter (Rüdorff Komm. S. 23) veröffentlichten wertvolle Beſprechungen desſelben.
3. Der von der Kommiſſion feſtgeſtellte Entwurf wurde nunmehr vom Bundesrate in der Zeit vom 4. bis 11. Fe - bruar 1870 einer kurzen Beratung unterzogen, aus welcher er mit wenigen Abänderungen (ſo erhielt §. 2 Einf. Geſ. ſeine jetzige Faſſung) als Entwurf III hervorging.
Am 14. Februar 1870 wurde der Entwurf dem Reichs - tage vorgelegt. Die 4 Anlagen des Entwurfes I und die von Friedberg und v. Schwarze theilweiſe umgearbeiteten Motive zu dieſem waren beigelegt. Leonhardt und Fried - berg wurden von Seite der Regierungen mit der Vertretung des Entwurfes beauftragt.
Die erſte „ Leſung “fand am 22. Februar ſtatt. Der Antrag v. Schwarze, den Entwurf einer Kommiſſion von 21 Mitgliedern zu überweiſen, wurde verworfen, und auf Antrag des Abgeordneten Albrecht beſchloſſen, den erſten (allgem.) Teil ſowie die Abſchn. 1 — 7 des zweiten Teils (hauptſächlich die politiſchen Delikte) durch Plenarberatung zu erledigen, und nur die übrigen Abſchnitte 8 — 29 des zweiten Theiles einer kommiſſionellen Vorberatung zu unter - ziehen.
Am 28. Februar begann die zweite Leſung, die am 8. April 1870 zu Ende geführt wurde.
Hervorzuheben wäre die große Debatte über die Todes - ſtrafe, deren Beſeitigung mit 118 — 81 Stimmen beſchloſſen wurde.
Für den Beginn der 3. Leſung war der 21. Mai 187033Das Reichsſtrafgeſetzbuch. §. 8.angeſetzt worden. Hier erklärte Juſtizminiſter Leonhardt im Auftrage der verbündeten Regierungen, daß dieſe von der Rücknahme mehrerer der in 2. Leſung gefaßten Beſchlüſſe das Zuſtandekommen des Geſetzes abhängig machten. In erſter Linie handelte es ſich um die Wiederherſtellung der Todesſtrafe. Das von Planck eingebrachte Amendement: „ in denjenigen Bundesſtaaten, in welchen die Todesſtrafe geſetzlich bereits abgeſchafft iſt, bewendet es hiebei “führte zunächſt zu einer Vertagung der weiteren Beratung, und dann (22. Mai) zu einem Beſchluſſe des Bundesrates, welcher das Amendement als die einheitliche Rechtsbildung in einem der wichtigſten Punkte beeinträchtigend für unan - nehmbar erklärte.
Am 23. Mai wurden die Beratungen wieder aufge - nommen. Planck zog ſein Amendement zurück; nach einer großen Rede des Bundeskanzlers wurde die Wiederherſtellung der Todesſtrafe mit 127 gegen 110 Stimmen beſchloſſen Das Geſetz ſelbſt gelangte mit den vom Bundesrate ge - wünſchten Abänderungen am 25. Mai zur Annahme, erhielt am ſelben Tage die Genehmigung des Bundesrates, am 31. Mai 1870 mit dem Einführungsgeſetze die Ausfertigung des Bundesoberhauptes, und wurde in der am 8. Juni 1870 ausgegebenen Nr. 16 des RGBl. als StGB. für den nord - deutſchen Bund publiziert. Der Beginn ſeiner Wirkſamkeit wurde auf den 1. Januar 1871 feſtgeſetzt.
IV. Noch war jener Termin nicht herangekommen, als das deutſche Reich gegründet, und damit die Umwandlung des norddeutſchen in das Reichsſtrafgeſetzbuch angebahnt wurde.
1. Nach Art. 80 der zunächſt mit Baden und Heſſen am 15. November 1870 vereinbarten Verfaſſung des deut -von Liszt, Strafrecht. 334Einleitung. II. Das Strafgeſetz.ſchen Bundes trat das StGB. v. 31. Mai 1870 nebſt dem gleichzeitig erlaſſenen Einf. Geſ.
in Kraft.
2. Nach dem mit Württemberg am 25. November 1870 abgeſchloſſenen Vertrage begann die Wirkſamkeit des StGB. mit dem 1. Januar 1872 (Art. 2 Nr. 6).
3. In Baiern erfolgte, entſprechend dem Vertrage v. 23. November 1870, die Einführung des StGB. ’s, mit Wir - kung vom 1. Januar 1872, durch das Geſ. v. 22. April 1871 (betreffend die Einführung Nordd. Bundesgeſetze in Baiern).
Inzwiſchen hatte §. 2 des Geſ. v. 16. April 1871, die Verfaſſung des deutſchen Reichs betr., das StGB. zum Reichsgeſetze erklärt.
Das Geſ. v. 15. Mai 1871, betr. die Redaktion des StGB. ’s für den Nordd. Bund als StGB. für das deutſche Reich nahm in dem Texte des StGB. ’s (nicht des Einf. Geſ. ) die durch die Aenderung der politiſchen Verhältniſſe not - wendig gewordenen Modifikationen vor.
4. In Elſaß-Lothringen wurde das StGB. (aber nicht das Einf. Geſ. vom 31. Mai 1870) durch das Geſ. v. 30. Auguſt 1871 (abgeändert durch Geſ. v. 14. Juli 1873) mit Wirkung vom 1. Oktober 1871 eingeführt.
Demnach begann die Wirkſamkeit des RStGB.
V. Schon durch das Geſ. v. 10. Dezember 1871 erhielt das RStGB. einen Zuwachs in dem als §. 130a einge - fügten ſog. Kanzelparagraphen.
Viel tiefer greifend, wenn auch lange nicht durchgrei - fend, war die durch die Novelle vom 26. Februar 1876 ge - ſchaffene Reform des kaum ins Leben getretenen und doch ſchon vielfach als verbeſſerungsbedürftig bezeichneten Geſetz - buchs. Die wichtigſten Beſtimmungen der in der Winter - ſeſſion 1875 / 76 eingebrachten, nach eingehenden Beratungen (1. Leſung am 3. Dezember 1875; 2. Leſung vom 14. De - zember 1875 bis 29. Januar 1876; 3. Leſung 9. u. 10. Fe - bruar 1876) mit vielen und weſentlichen Veränderungen angenommenen Vorlage betrafen folgende Punkte:
Die Erwartung, daß mit dem Inslebentreten eines ein - heitlichen Strafgeſetzbuches die Wiſſenſchaft des deutſchen Strafrechtes eine neue kräftige Anregung zu umfaſſender und fruchtbringender Thätigkeit erhalten werde, iſt in reichem Maße in Erfüllung gegangen. Die deutſche kriminaliſtiſche Litteratur weiſt auf allen ihren Feldern Arbeiten erſten Ranges auf.
I. Unter den Kommentaren ſind zu nennen:1Sie werden im Folgenden citiert mit dem Namen der Ver -faſſer und nach den behandelten §§. des StGB. ’s.
Hierher muß nach dem Titel geſtellt werden:
II. Lehrbücher. 2citiert nach Namen und Seitenzahl der hier angeführten Auflagen.
Hieher gehört:
III. Ueberaus wertvolle Exkurſe finden ſich
Die Grundriſſe von Lueder (2. Aufl. 1877) und v. Bar (2. Aufl. 1878) ſind durch ihre Syſtematik von Be - deutung.
42Einleitung. II. Das Strafgeſetz.IV. Unter den Zeitſchriften ſind von beſonderer Wich - tigkeit:
V. Präjudikatenſammlungen (abgeſehen von den Zeit - ſchriften, unter welchen Goltdammer’s Archiv auch hier von beſonderer Bedeutung iſt):
VI. Von den Textausgaben des RStGB. ’s iſt die Rü - dorff’ſche (10. Aufl. 1879) am meiſten zu empfehlen.
VII. Die Literatur der ſtrafrechtlichen Nebengeſetze des Reichs iſt in §. 3 angeführt.
I. Nach Art. 2 der Reichsverfaſſung übt das Reich das Recht der Geſetzgebung nach Maßgabe des Inhaltes der Verfaſſung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsge - ſetze den Landesgeſetzen vorgehen. Die Landesgeſetz - gebung darf zu den Anordnungen der Reichsgeſetzgebung, mögen dieſe ausdrücklich oder ſtillſchweigend gegeben ſein, nicht in Widerſpruch treten; thut ſie es dennoch, ſo ſind ihre angeblichen Imperative ohne imperative Kraft, ſie ſind nicht Geſetz. Es iſt daher einerſeits die bisherige Lan - desgeſetzgebung beſeitigt, ſoweit die Sätze des Reichsrechtes mit ihr in Widerſpruch ſtehen, ohne daß es einer ausdrück - lichen Aufhebung bedürfte; und es iſt auch die künftige Lan - desgeſetzgebung andrerſeits unter derſelben Vorausſetzung und in demſelben Umfange wirkungslos.
Widerſpruch iſt aber nur möglich, wenn und ſoweit die Reichsgeſetzgebung Anordnungen getroffen hat; wo ſie es nicht gethan hat, iſt auch die Möglichkeit einer Kolliſion aus - geſchloſſen. Daher können wir den Grundſatz der Reichs - verfaſſung auch ſo ausdrücken: In den von der Reichs - geſetzgebung — ſei es ausdrücklich, ſei es ſtillſchweigend — geregelten Materien2Vgl. EG. z. StGB. §§. 2 u. 5.