Dem Hochgebohrnen Herrn Moritz, Grafen von Fries als ein Zeichen ſeiner Verehrung gewidmet von dem Verfaſſer.
Das Handbuch, welches dem Publikum hier mitge - theilt wird, fand ſeinen Urſprung auf demſelben Wege, welchem wir die Bekanntmachung der meiſten Handbuͤ - cher verdanken. Nirgends fand ich einen ſchicklichen Leit - faden meiner propaͤdeutiſchen Vorleſungen, welcher den Kenntniſſen des Zeitalters gemaͤß, haͤtte genuͤgen koͤn - nen, den kuͤnftigen Arzt mit ſeinem Zwecke und den hier - zu erforderlichen Mitteln hinreichend bekannt zu machen. Ich mußte deshalb einen eigenen Plan zu jenen Vorleſun - gen entwerfen, und nach Ausfuͤhrung deſſelben, glaubte ich, durch ſeine oͤffentliche Bekanntmachung eine Luͤcke unſerer Literatur auszufuͤllen. — Daß dieſe Luͤcke wuͤrk - lich vorhanden iſt, kann nicht bezweifelt werden; — daß ſie durch dieſes Handbuch ausgefuͤllt werden moͤchte, war mein Wunſch bey deſſen Abfaſſung; — daß ſie aus - gefuͤllt iſt, damit ſchmeichle ich mir in dieſem Augenblicke, ſo wie jeder Schriftſteller, wenn er ſeinem Werke den) (3Ge -VIVorrede.Geleitsbrief ertheilt; — ob ich mich aber hierinne irre, daruͤber wird mich das Urtheil der Kenner belehren.
Die Kritik der Heilkunſt fand ich zwar noch nirgends fuͤr angehende Aerzte, alſo kurz, huͤndig, leicht und auch ohne naͤhere Sachkenntniſſe verſtaͤndlich, bearbeitet, jedoch hatte ich hier zum Theil Maͤnner, wie Erhard, Noſe ꝛc. zu Vorgaͤngern, und es kam darauf an, theils die Reſultate dieſer Unterſuchungen, geordnet, von der Schulſprache ſoviel, als moͤglich, entkleidet und popu - lariſirt, vorzutragen, theils dieſelben zu einem Ganzen zu verknuͤpfen, in welcher Verbindung ſie ſich noch nicht vorfinden.
In der Encyklopaͤdie mußte ich mir einen eigenen Weg bahnen, denn die meiſten ihrer bisherigen Bearbei - tungen ſcheinen ihren Zweck nicht vollkommen zu errei - chen, da ſie die Organiſation der Wiſſenſchaften, d. h. den Einfluß eines jeden Theils auf das Ganze, und des Ganzen auf das Einzelne, zu wenig erlaͤutern. Ich folgte alſo meinem eigenen Entwurfe, deſſen Princip in den Graͤnzen unſres Erkenntnißvermoͤgens der Natur uͤberhaupt, und der menſchlichen Natur insbeſondere be - gruͤndet iſt.
Eben dadurch habe ich nun die Lehre von der Bil - dung des Arztes vorbereitet; denn das Hauptgeſchaͤft aller Methodologie beruht doch nur darauf, daß ſie eine zweckmaͤßige Anſicht der Wiſſenſchaften, nach ihrem In -halte,VIIVorrede.halte, Zwecke, ihren Quellen und Huͤlfsmitteln liefert, vermoͤge welcher man ihren Zuſammenhang, ihre Fol - ge ꝛc. zu beurtheilen vermag. Uebrigens war auch hier moͤglichſte Vollſtaͤndigkeit in weſentlichen Stuͤcken, Deut - lichkeit und Triftigkeit der Beſtimmungsgruͤnde, mein vorzuͤglichſter Zweck.
Bey der Lehre von der wiſſenſchaftlichen Bildung mache ich den angehenden Arzt mit der auserleſenen Lite - ratur einer jeden Wiſſenſchaft bekannt; ich nenne daher zuerſt ein zweckmaͤßiges Handbuch, deſſen er ſich bey dem erſten Studium bedienen kann; ſodann das klaſſiſche Werk, welches der Wiſſenſchaft in ihrem gegenwaͤrtigen Zuſtande, gleichſam als Codex dient, und fuͤge hier und da noch die Anzeige einiger andern Werke hinzu, welche eine beſtimmte Nebenruͤckſicht haben, und deren Kennt - niß dem Anfaͤnger nuͤtzlich werden kann.
Den Grundſaͤtzen der praktiſchen Bildung laſſe ich eine Ueberſicht der vorzuͤglichſten kliniſchen Inſtitute Eu - ropens folgen, nebſt einer Anzeige der Schriften, in welchen man von jeder Anſtalt naͤhere Nachrichten er - haͤlt. Dieſe Ueberſicht iſt ebenfalls ein bis jetzt noch unbe - friedigtes Beduͤrfniß, und da ich hier meinem Zwecke ge - maͤß, mich ſehr einſchraͤnken mußte, bin ich geſonnen, in Kurzem eine eigene, weitlaͤuftigere, und mehr belehren - de Darſtellung dieſer Inſtitute zu liefern, worinne mich mehrere meiner auswaͤrtigen Goͤnner und Freunde durch) (4dieVIIIVorrede.die befriedigendſten Nachrichten guͤtigſt zu unterſtuͤtzen verſprochen haben.
Mein einziges Beſtreben bey Abfaſſung dieſes Hand - buchs war, es zu propaͤdeutiſchen Vorleſungen ſo taug - lich als moͤglich zu machen; habe ich dieſen Zweck in et - was erreicht, ſo bleibt mir nichts zu wuͤnichen uͤbrig, als daß es, zu dieſem Behufe angewendet, auf Bildung aͤchter Aerzte, und dadurch auf Vervollkommung unſrer Kunſt, den wohlrhaͤtigſten Einfluß haben moͤge.
Leipzig,
im November 1800.
Burdach.
Ein Leitfaden akademiſcher Vorleſungen.
Die Propaͤdeutik zum Studium der Heilkunſt traͤgt alle die Kenntniſſe vor, welche ihrem Weſen nach dazu beſtimmt ſind, dem Unterrichte in der Heilkunſt ſelbſt voranzuge - hen, (πϱὸ τῆς παιδείσεως) und ſie unterſcheidet ſich hierdurch von den Vorbereitungs - und Huͤlfswiſſenſchaften der Heil - kunſt, welche ihrem Weſen nach fuͤr ſich ſelbſt beſtehen, ihren eignen, durch ſie ſelbſt beſtimmten Zweck haben, und nur durch gewiſſe Ruͤckſichten einem hoͤhern Zwecke unter - geordnet werden *).
Sie belehrt alſo den kuͤnftigen Arzt uͤber den eigentlichen Zweck, deſſen Erreichung er zum Gegenſtande ſeines Stu - diums erwaͤhlt hat, und entwickelt denſelben theils fuͤr ſich,Aund2Einleitung.und im Allgemeinen (objectiv), theils in wiefern er durch Individuen realiſirt wird (ſubjectiv). Sie zerfaͤllt demnach in zwey Abtheilungen, deren die eine die Heilkunſt, die andere den Arzt darſtellt.
I. Sie entwickelt zuerſt den Begriff der Heilkunſt, und fuͤhrt dadurch, daß ſie das Weſen, den Zweck, die Quellen und Mittel derſelben erlaͤutert, auf den Stand - punct, von wo aus ein gehoͤrig begruͤndetes Urtheil theils uͤber ihren wiſſenſchaftlichen Werth, ihre Gewißheit und ihren Nutzen, theils uͤber die Mittel, ſie zu erlernen und auszuuͤben, gefaͤllt werden kann. Dies iſt die Kritik der Heilkunſt.
Sodann liefert ſie die Encyklopaͤdie der Heil - kunſt, indem ſie einen Umriß der Kenntniſſe entwirft, welche dieſelbe begruͤnden. Sie ſtellt dieſe Kenntniſſe als ein wiſſenſchaftliches Gebaͤude dar, und zeigt, wie die einzelnen Theile zum zweckmaͤßigen Ganzen vereinigt ſind; ſie entwickelt den Inhalt und die Quellen jeder hierher gehoͤ - rigen Wiſſenſchaft, ihren Zuſammenhang mit den uͤbrigen, und ihren Einfluß auf das Ganze.
II. Sie ertheilt hierauf Belehrung uͤberdie Mittel, die Heilkunſt durch ſein Individuum zu realiſiren, oder uͤber den Weg, auf welchem man Arzt wird, oder ſich zu dem - ſelben bildet.
Es werden alſo die Bedingungen vorausgeſchickt, welche in demjenigen ſchon erfuͤllt ſeyn muͤſſen, welcher ſich zum Arzte bilden will.
Sie ſchildert hierauf die Eigenſchaften, welche der Arzt, als denkendes Weſen beſitzen muß, und ertheilt ge - hoͤrigen Rath uͤber die Huͤlfsmittel, dieſe Eigenſchaften ſich zu erwerben, oder zu vervollkommnen. Hier findet alſo Belehrung uͤber die geiſtige Bildung des Arztes Statt.
Ferner zeigt ſie die Erforderniſſe des Arztes, in wiefern derſelbe in ſeiner Kunſt es mit Gegenſtaͤnden der aͤußern Sinnenwelt zu thun hat, und da wir nun weder von den aͤußern Gegenſtaͤnden belehrt werden, noch eine Veraͤnde - rung in ihnen veranlaſſen koͤnnen, außer durch unſere koͤr - perlichen Organe, ſo iſt hier die Rede von der koͤrper - lichen Bildung des Arztes.
In wiefern der Menſch Gegenſtand des Arztes und ſeiner Kunſt iſt, muß derſelbe ſelbſt einen gewiſſen Grad der Vollkommenheit als Menſch, d. h. als ein Weſen, in wel - chem Vernunft mit Sinnlichkeit vereinigt iſt, beſitzen; und die Propaͤdeutik belehrt daher auch uͤber die menſchliche Bildung des Arztes.
Die Erwerbung der mannichfaltigen, zur Ausuͤbung der Heilkunſt noͤthigen Kenntniſſe, macht hierauf den Gegen -A 2ſtand4Einleitung.ſtand ihrer Unterſuchungen aus, und indem ſie den Weg zeigt, auf welchem man ſich dieſe Kenntniſſe am ſicherſten, vollſtaͤndigſten und leichteſten erwerbe, traͤgt ſie die wiſſen - ſchaftliche Bildung des Arztes vor, oder die ei - gentliche Methodologie.
Da nun aber die Heilkunſt, als Kunſt, in Anwendung der erlangten Kenntniſſe beſtehet, und ihre Ausuͤbung auf einer groͤßern oder mindern Fertigkeit beruhet, ſo lehrt end - lich die Propaͤdeutik die Art und Weiſe, ſich dieſe Kunſt - fertigkeit zu verſchaffen, indem ſie die praktiſche Bil - dung des Arztes entwickelt.
Der Nutzen dieſer Propaͤdeutik offenbart ſich alſo ſchon aus bloßer Anzeige deſſen, was ſie leiſtet, und die Erfah - rung belehrt uns hinlaͤnglich von dem Nachtheile, welchen ihre Vernachlaͤſſigung nach ſich zieht.
Die Kritik (§. 3) benimmt auf der einen Seite den blinden Koͤhlerglauben, welcher von dem Werthe der Kunſt nicht uͤberzeugt iſt, ſondern an denſelben glaubt; auf der andern Seite ſchuͤtzt ſie vor einer troſtloſen Zweifelſucht, welche die Kunſt zu dem Fragmente eines Handwerks herab - wuͤrdigt, oder ſie, als ein Fantom, welches nur durch ſein Alterthum im Beſitze eines rechtlichen Scheines iſt, vernich - tet. Sie erhellt den Zweck, um ein Urtheil uͤber die Mittel zu Erreichung deſſelben zu begruͤnden.
Die Encyklopaͤdie (§ 4) zeigt, warum eine jede der zur Heilkunſt gehoͤrenden Wiſſenſchaften, erlernt werde, welche Ruͤckſicht, und welche Anſtrengung das Studium derſelben verlange.
Die Darſtellung der Bedingungen (§. 6) legt einem Jeden die Puncte vor, durch deren Beantwortung er ſich pruͤfen muß, ob er ſich zu Erlernung der Heilkunſt beſtim - men duͤrfe oder nicht?
Die Lehre von der geiſtigen Bildung (§. 7) lenkt die Aufmerkſamkeit des kuͤnftigen Arztes fruͤh auf die Mittel, ſeinen Geiſt zu vervollkommnen, da dieſe Vervollkommnung, je laͤnger ſie vernachlaͤſſigt worden iſt, auch deſto ſchwieriger wird.
Die Lehre von der koͤrperlichen Bildung (§. 8) lehrt den Arzt auf Erhaltung und Vervollkommnung ſeiner Ge - ſundheit bedacht ſeyn, da hierauf die Vollkommenheit nicht nur ſeiner individuellen Exiſtenz, ſondern auch der Beob - achtung und des Handelns begruͤndet iſt.
Die Lehre von der menſchlichen Bildung (§. 9) zeigt dem Arzte, wie er ſich als Menſch betragen muͤſſe, worauf es ankomme, um ſeine innere und wahre Wuͤrde zu behaup - ten, und dabey auf die Kranken durch Mittel, welche ſich auf den Charakter ihrer Menſchheit beziehen, vollſtaͤndig zu wuͤrken.
Die Methodologie (§. 10) bewahrt den Arzt vor einem ſeichten, uͤbel geordneten und zweckloſen Studiren, welches entweder ſeinen Zweck gaͤnzlich verfehlt, oder zu viel Muͤhe und Zeit koſtet, und oft nach allen dieſen Verſchwendungen doch nicht an das eigentliche Ziel fuͤhrt.
Die Lehre von der praktiſchen Bildung (§. 11) warnet vor den mannigfaltigen Klippen, an welchen der angehende Arzt ſo leicht ſcheitern kann; ſie lehrt den Beobachtungsgeiſt wecken, und aͤchte Erfahrungen ſammeln.
Die Heilkunſt wird hier dargeſtellt, theils in wiefern ſie uͤberhaupt ihrem Zwecke entſpricht, und ihre Verſprechungen erfuͤllt, theils in wiefern ſie auf mannichfaltige Kenntniſſe ſich ſtuͤtzt, und die Moͤglichkeit, ſie zu realiſiren, in dieſen Kenntniſſen beſteht. Sie zerfaͤllt alſo in zwey Theile, in die Kritik und die Encyklopaͤdie.
Die Kritik der Heilkunſt, als Theil der Propaͤdeutik, liefert die Reſultate der Unterſuchungen uͤber das Weſen der Heilkunſt, alſo uͤber ihren Zweck, uͤber die hierzu erforder - lichen Mittel, und uͤber die Art der Anwendung dieſer Mit - tel zu Erreichung eines Zwecks.
Die Nothwendigkeit der Kunſt, Krankheiten zu heilen, beruht auf der unausbleiblichen Erſcheinung der Krankheiten; koͤnnen naͤmlich dieſe, vermoͤge der ganzen Einrichtung der[menſchlichen] Natur, niemals ganz vermieden werden: ſo bedarf der Menſch jener Kunſt. Es fließen daher die Unter - ſuchungen uͤber beyde Gegenſtaͤnde hier zuſammen.
Unter Leben verſtehen wir die Reihe von Erſcheinun - gen an einem von ſeiner Entſtehung an, aus mannichfalti - gen, vermoͤge ihrer Zuſammenſetzung harmonirenden Thei - len beſtehenden, und ſeinen Zweck in ſich ſelbſt findenden (alſo organiſchen) Koͤrper, welche, da ſie von den Erſchei - nungen der uͤbrigen Natur abweichen, auch auf eigenthuͤm - lichen, ihnen zu Grunde liegenden Kraͤften beruhen muͤſſen, die wir den Grund des Lebens, Lebensprincip, Lebens - kraͤfte nennen. Wir haben von dem Leben keinen andern, als durch die Erfahrung gegebenen Begriff; es iſt alſo fuͤr uns kein innerer Zuſtand, ſondern eine Erſcheinung.
Menſchliches Leben iſt die Reihe von Erſcheinungen, welche dem Menſchen, ſeinen ſaͤmmtlichen Anlagen gemaͤß, zukommen, und zwar 1) als einem Koͤrper uͤberhaupt, 2) als einem organiſchen, d. h. durch ſich ſelbſt beſtimmten, 3) als einem thieriſchen, d. h. des Eindrucks der Außen - welt faͤhigen, und ſich dem zufolge nach Willkuͤhr beſtimmen - den, und 4) als geiſtigem, d. h. der innern Anſchauungfaͤhigen11Kritik der Heilkunſt.faͤhigen Weſen. Und ſonach eignen wir dem Menſchen phyſiſche, d. h. ſchlechthin koͤrperliche, organiſche, thieriſche und geiſtige Kraͤfte zu.
Jede Erſcheinung wird beſtimmt, erſtlich durch die ei - genthuͤmliche, ihr zu Grunde liegende Kraft, und ſodann durch die Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe, unter welchen und durch welche ſich dieſelbe thaͤtig zeigt.
Demnach iſt das menſchliche Leben modificirt durch die Verſchiedenheit der Umſtaͤnde, unter welchen und durch welche der innere Grund des Lebens ſich wuͤrkſam zeigt, und dieſe Modificationen bezeichnen wir im Allgemeinen durch Geſundheit und Krankheit.
Geſundheit iſt die Reihe von Erſcheinungen am Men - ſchen, deren jede ihrem eigenthuͤmlichen, durch die Erfah - rung uns bekannten, und theils auf ſie ſelbſt, theils auf die uͤbrigen ſich beziehenden Zwecke entſpricht. Den Innbegriff der unnachlaßlichen Bedingungen, auf welchen dieſe Geſund - heit beruht, nennen wir die naͤchſte Urſache der Geſundheit.
Krankheit iſt die Reihe von Erſcheinungen am Men - ſchen, deren eine oder mehrere ihren, theils auf ihr eignes, theils auf die uͤbrigen Organe ſich beziehenden Zweck, der Erfahrung gemaͤß nicht erfuͤllen. Den Zuſtand des Men - ſchen, oder ſeiner phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Natur, welcher die Bedingung jener Erſcheinungen ausſchließlich enthaͤlt, nennen wir die naͤchſte Urſache der Krankheit.
Da nun wegen des ewigen Fortſchreitens der Natur, und der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Erſcheinungen, keine Kraft immer in ganz gleichen Verhaͤltniſſen ſich befin - det, mithin auch nicht gleiche Erſcheinungen hervorbringen kann, da ſie im Gegentheile, vermoͤge des unabaͤnderlichen Laufes der Natur, oft durch die Umſtaͤnde gegen ihren eig - nen Zweck zu wuͤrken beſtimmt wird: ſo erkennen wir ſchon in analogiſcher Ruͤckſicht die unausbleibliche Folge der Krankheiten, als einer gleichen Modification der Naturkraft gegen ihren zeitigen Zweck.
Wenn wir aber ſodann bedenken, daß ein Weſen in demſelben Verhaͤltniſſe mehrere Modificationen ſeiner Wuͤr - kungsart zulaͤßt, je nachdem es mehr oder weniger mit man - nichfaltigen Kraͤften verſehen iſt; daß ferner jede Kraft in ihrer Wuͤrkung um deſto mehr veraͤndert werden kann, je betraͤchtlicher der Kreis von Dingen iſt, welche ſie beruͤhren, und auf ſie einwuͤrken; daß endlich dieſe Veraͤnderung einer Kraft deſto leichter erfolgt, je wuͤrkſamer ſie ſelbſt iſt, je zarter, zuſammengeſetzter, feiner alſo auch ihre Organe ſind: ſo begreifen wir, daß der Menſch, als Buͤrger der phyſiſchen, organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Schoͤ - pfung, als ein Syſtem der mannichfaltigſten Kraͤfte, als ein Weſen von dem ausgebreitetſten Wuͤrkungskreiſe und der lei - ſeſten Empfaͤnglichkeit fuͤr die verſchiedenartigſten Eindruͤcke, — daß derſelbe auch unter allen Geſchoͤpfen des Erdkreiſes den meiſten Modificationen ſeiner Exiſtenz, alſo auch den meiſten Krankheiten unterworfen ſeyn muß *); und zwar muß die Moͤglichkeit dieſer Veraͤnderung in demſelben Grade wachſen, in welchem die Beruͤhrungspuncte desMenſchen13Kritik der Heilkunſt.Menſchen, und mit ihnen die aͤußern Beſtimmungen ſeines Weſens ſich mehren, oder in welchem er in der rein menſch - lichen und buͤrgerlichen Cultur fortſchreitet. Es erhellt alſo hieraus auch in genetiſcher Ruͤckſicht, daß die Krank - heiten unausbleiblich ſind **).
Ueberlegen wir endlich, daß Krankheiten und Schmerzen zu der Summe von Uebeln gehoͤren, welche theils den Genuß der entgegengeſetzten Guͤter erſt vollkommen wuͤrzen, und uns dieſelben zweckmaͤßig benutzen lehren, theils der Einfoͤrmigkeit des Genuſſes und der ſo leicht entſtehenden Ueberſaͤttigung vorbeugen, theils die Entwickelung eines hoͤhern Sinnes und die Erweckung von Tugenden veranlaſ - ſen: ſo ahnden wir auch die Nothwendigkeit der Krankheiten in teleologiſcher Ruͤckſicht.
Aus dieſem allen (§ 30, 31, 32) erhellt, daß, wenn es eine Kunſt giebt, Krankheiten zu heilen, ſie keinesweges dem Gefolge der Ueppigkeit und des Sittenverderbniſſes bey - gezaͤhlt werden kann *), ſondern daß ſie ein Beduͤrfniß der Menſchheit iſt **), und zwar ein um deſto dringenderes und weiter umfaſſendes, je weiter der Menſch in der Cultur vor - geruͤckt iſt, daß alſo auch die Staaten derſelben beſonders be - duͤrfen ***).
Die Heilkunſt iſt die Kunſt, Krankheiten des Menſchen zu erkennen, und nach einem, durch dieſe Kenntniß beſtimmten Plane zu heilen, d. h. moͤglichſt vollkommene[Geſundheit] wiederherzuſtellen.
Sie kommt darin mit allen Kuͤnſten uͤberein, daß ſie den Begriff von Etwas (von Geſundheit) im[Voraus] bildet, und denſelben ſodann realiſirt, daß ſie ſich alſo einen Zweck vorſetzt, welcher durch eine beſtimmte, regelmaͤßige Thaͤtig - keit mehr oder weniger vollkommen erreicht wird.
Die Heilkunſt hat alſo zwey Geſchaͤfte: zuerſt erkennt ſie die Krankheiten des Menſchen, d. h. ſie faßt alle Er - ſcheinungen an demſelben auf, welche die Vollkommenheit ſeiner Exiſtenz einſchraͤnken, und urtheilt uͤber ihren Zuſam - menhang und ihre Urſachen. Es involvirt dieſes Geſchaͤft die Kenntniß ſaͤmmtlicher Erſcheinungen am Menſchen und der Geſetze, nach welchen ſie erfolgen (Geſundheit und Krankheit). Sie unterſcheidet ſich hierdurch von dem Zu - falle, welcher zuweilen Krankheiten beſeitigt, indem er unter unzaͤhlig moͤglichen Faͤllen gerade den zweckmaͤßigen herbey - fuͤhrt, ohne daß ein denkendes Weſen abſichtlichen Antheil daran hat.
Dieſe Erkenntniß der Krankheiten iſt moͤglich, denn ſie bezieht ſich nicht auf den letzten Grund der Dinge, nicht auf das innere Weſen des Menſchen, ſondern auf ſeine Er - ſcheinungen im Raume und in der Zeit (§. 29). Dieſe Erſcheinungen aber koͤnnen wir eben ſo, wie die der geſamm - ten aͤußern Natur, vollſtaͤndig beobachten, ſie in allen ihren Verhaͤltniſſen auffaſſen, und darnach mit Gewißheit beſtim - men, daß ſie andern, ehemals beobachteten, mehr oder weniger aͤhnlich ſind.
Zweytens entwirft nun die Heilkunſt hiernach einen Plan, die Krankheiten zu heilen, d. h. die krankhaften Er - ſcheinungen zu beſeitigen, und ſtellt durch Verfolgung dieſes Plans die Geſundheit wieder her. Dies involvirt die Kenntniß aller der Verhaͤltniſſe und Beſtimmungen, welche die Natur des Menſchen modificiren, und ihrer Wuͤrkungs - art. Sie unterſcheidet ſich hierdurch von der Rontine, welche zuweilen Krankheiten heilt, indem ſie unter den einzelnen wahrgenommenen Faͤllen, welche ſie in dem gegenwaͤrtigen Falle nachahmen will, gerade auf den paſſenden verfaͤllt.
Ein ſolcher Heilplan kann aber entworfen und ausge - fuͤhrt werden, weil die Krankheiten Erſcheinungen (§. 29) und Modificationen des Lebens, als der allgemeinen Er - ſcheinung am Menſchen ſind (§. 25), welche von den innern und aͤußern Verhaͤltniſſen der menſchlichen Natur abhaͤngen (§. 26, 27), und weil die Heilung auf der Entfernung dieſer, und der Herbeifuͤhrung neuer Verhaͤltniſſe beruht. Dasdenkende16Erſter Theil.denkende Weſen im Menſchen vermag naͤmlich eben ſowohl dieſe Heilung, als eine beſondere Modification der Natur - kraͤfte herbeizufuͤhren, als uͤberhaupt irgend eine Naturkraft durch Veranlaſſung neuer Verhaͤltniſſe nach ſeinem Willen zu modificiren.
Da alſo ſowohl Erkenntniß (§. 37) als planmaͤßige Heilung der Krankheiten (§. 39) moͤglich iſt, ſo iſt auch die Heilkunſt, als welche einzig und[allein] dieſe beyden Geſchaͤf - te hat (§. 34), moͤglich *). Sie leiſtet naͤmlich allen Forde - rungen Genuͤge, welche man an irgend eine Kunſt thut **), indem ſie 1) ihren Zweck (Wiederherſtellung der Geſundheit) deutlich darſtellt, 2) die Mittel zu Erreichung deſſelben (in der aͤußern Natur und in dem Menſchen ſelbſt) beſitzt, und 3) mit Sicherheit die Art erkennt, dieſe Mittel zum vorgeſetzten Zwecke anzuwenden (Heilplan).
Wenn wir die Erſcheinungen einer Krankheit ihrem we - ſentlichen und urſachlichen Zuſammenhange nach kennen; wenn wir wiſſen, wie ſie durch die Eigenſchaften und Wuͤr - kungsgeſetze der menſchlichen Natur, ſo wie der auf ſie ein - wuͤrkenden Kraͤfte, allmaͤhlig beſtimmt, und auf den gegen - waͤrtigen Punct gebracht worden ſind, und uns dem zufolge auch die Wuͤrkung der Heilmittel auf ſie, eben ſo bekannt iſt: ſo beſitzen wir eine vollſtaͤndige Theorie einer Krankheit.
Werden nun dieſe Theorieen der Krankheiten, und dieſe aus einzelnen Erfahrungen gebildeten allgemeinen Saͤtze, durch Stetigkeit der Principien unter einander verknuͤpft, und die einzelnen Thatſachen, welche ſich ſowohl auf Kenntniß des Menſchen, als auf Heilung ſeiner Krankheiten beziehen, auf allgemeine Grundſaͤtze zuruͤckgefuͤhrt, ſo wird eine Heilwiſſenſchaft gebildet. Sobald wir feſtſetzen, daß eine Wiſſenſchaft nur ein Innbegriff von Erkenntniſſen aus Grundſaͤtzen der Vernunft, alſo a priori erkennbar ſeyn und apodyktiſche Wahrheiten enthalten ſoll, ſo muß freylich die Heilkunſt auf dieſen Charakter Verzicht thun *). Wenn wir aber unter einer Wiſſenſchaft uͤberhaupt eine deutliche und vollſtaͤndige Darſtellung zuſammenhaͤngender Wahrhei - ten verſtehen, welche eben dadurch auch hinreichende Einſicht in ihren Zuſammenhang gewaͤhrt: ſo iſt allerdings auch eine Heilwiſſenſchaft moͤglich.
Unrichtig und zu enge iſt die Definition der Heilkunſt als einer Kenntniß des Menſchen und ſeiner Erſcheinungen, denn dieſe Kenntniß giebt nur ein Huͤlfsmittel derſelben ab. Sie beſteht, als Kunſt, nicht im Wiſſen, ſondern im Handeln.
Zu weit iſt die Definition, wenn man ſie die Kunſt nennt, Krankheiten vorzubeugen und ſie zu heilen *). Denn die Verhuͤtung von Krankheiten kann nur das Geſchaͤft einesBjeden18Erſter Theil.jeden Individuums fuͤr ſich ſeyn; die Heilkunſt iſt nur competente Richterin uͤber die deshalb zu ergreifenden Maaßregeln, vermoͤge der Kenntniſſe, welche ihr voraus - gehen, und auf welchen ſie begruͤndet iſt **).
Der Gegenſtand der Heilkunſt iſt der kranke Menſch, eine Erſcheinung der aͤußern[Sinnenwelt], und zwar eine ſolche, welche nicht durch den Menſchen veraͤnderte und willkuͤhrlich zuſammengeſetzte Kraͤfte vorausſetzt, ſondern unmittelbar von den urſpruͤnglichen, beſtimmten Wuͤrkungsgeſetzen der Natur ſelbſt abhaͤngt. Die Heilwiſſenſchaft iſt alſo eine Naturwiſſenſchaft.
Es macht den Gegenſtand der Heilkunſt kein innerer Zuſtand aus, auf welchen wir nur ſchließen koͤnnen, ſondern eine Kette ſinnlich wahrnehmbarer Erſcheinungen, welche fuͤr ſich, einzeln genommen, Symptome genannt werden. Hat ſie naͤmlich die verſchiedenen Symptome an dem kran - ken Menſchen, ihrem Zuſammenhange, ihren Urſachen undWuͤrkungen19Kritik der Heilkunſt.Wuͤrkungen nach, aufgefaßt: ſo vergleicht ſie dieſelben mit vormals beobachteten Reihen von Symptomen, oder Krank - heiten, welche durch eine beſtimmte Handlungsweiſe geho - ben wurden; ſie ſucht ſodann die Abweichungen unter bey - den auf, und modificirt hiernach fuͤr den gegenwaͤrtigen Fall die vormals heilſam befundene Handlungsweiſe. Da - durch hebt ſie die verſchiedenen, und beſonders die we - ſentlichen und urſpruͤnglichen Symptome, und ſind dieſe verſchwunden, ſo hat die Heilkunſt ihren Zweck erreicht.
Die krankhaften Symptome, d. h. die Stoͤrungen eines oder mehrerer Theile des menſchlichen Koͤrpers, wodurch ſie unfaͤhig werden, theils fuͤr ſich, theils auf den uͤbrigen Organismus gehoͤrig und ihrem Zwecke gemaͤß zu wuͤrken, koͤnnen nun verſchieden ſeyn, und nach dieſer Verſchiedenheit des Gegenſtandes hat auch die Heilkunſt verſchiedene Zweige.
Es giebt zuerſt Krankheiten, wo Erſcheinungen im engern Sinne des Worts, d. h. Veraͤnderungen des Men - ſchen, welche der Zeitfolge nach von einander verſchieden ſind, ſich uns als weſentlich und urſpruͤnglich offenbaren, wo beſonders die Kraͤfte krankhaft modificirt ſind, ohne daß eine ſinnlich wahrnehmbare Veraͤnderung in den Organen ihnen als Urſache vorangegangen iſt. Wir nennen ſie innere oder allgemeine Krankheiten, und da alle Kraͤfte, welche ihre Heilung bewuͤrken koͤnnen, unter dem Namen von Arz - eneymitteln begriffen werden: ſo wird der Zweig der Heil -B 2kunſt,20Erſter Theil.kunſt, welcher ſich mit ihnen beſchaͤftigt, Arzneykunſt, oder Medicin genannt *).
Die uͤbrigen Krankheiten beruhen auf einer ſinnlich wahrnehmbaren Beſchaffenheit der Organe, welche in ihrem phyſiſchen und chemiſchen Charakter begruͤndet iſt; nicht auf Erſcheinungen im engern Sinne, denn dieſe folgen nur nach, und ſind von jener abhaͤngig. Man nennt ſie aͤußere, auch drtliche Krankheiten, und da ihre Heilung zum Theil auf Handgriffen beruht: ſo heißt dieſer Zweig der Heilkunſt, die Handarzeneikunſt, Chirurgie.
Da endlich die krankhaft erſchwerten Geburten unter den mancherley Krankheiten ganz beſonders wichtig ſind: ſo macht die Entfernung dieſer krankhaften Erſcheinungen den Gegenſtand eines eigenen Zweiges der Heilkunſt aus, naͤmlich der Entbindungskunſt, des Accouchements *). Da nun aber die Hinderniſſe der Geburt theils auf den Wuͤrkungen der Lebenskraͤfte (§ 48), theils auf phyſiſchen, d. h. ſchlecht - hin koͤrperlichen Verhaͤltniſſen (§ 49) beruhen: ſo muß die Entbindungskunſt ihre Grundſaͤtze aus den beyden genannten Zweigen der Heilkunſt ſchoͤpfen, und ſie iſt deshalb nicht weſentlich von ihnen verſchieden.
Beyde Kuͤnſte (§ 48, 49) beſchaͤftigen ſich alſo mit dem kranken Menſchen, als einem ſchlechthin koͤrperlichen (phyſiſchen und chemiſchen), organiſchen, thieriſchen und geiſtigen Weſen: denn alle dieſe Kraͤfte muͤſſen zuſammen - kommen, um den Begriff des Menſchen zu conſtituiren. Die Arzneikunſt aber betrachtet ihn, in ſofern vorzuͤglich ſeine thieriſche und geiſtige Natur hervorleuchtet, ohne uͤbri - gens ſeiner phyſiſchen Kraͤfte uneingedenk zu ſeyn. Die Handarzneykunſt hingegen behandelt ihn vorzuͤglich in Hin - ſicht auf ſeine phyſiſche und organiſche Natur, ohne jedoch die thieriſche und geiſtige Natur unbeobachtet zu laſſen.
Beyde Kuͤnſte ſtuͤtzen ſich im Ganzen genommen auf gleiche Kenntniſſe, ihre Graͤnzen verlaufen ſich oft in einan - der, und die eine bedarf immer des Beyſtandes der andern. Sie machen deshalb eigentlich ein unzertrennliches Ganzes aus *), und nur die Unmoͤglichkeit, beide Kuͤnſte durch ein und daſſelbe Individuum in gleich hohem Grade der Voll - kommenheit zu realiſiren, hat eine Trennung derſelben nothwendig gemacht.
Da alſo beyde durch gleichen Zweck geadelt werden: ſo ſieht man, wie unbeſonnen die Streitigkeiten uͤber den Vorrang der Einen vor der Andern waren *). Sie ſtehen auf gleicher Stufe der Vollkommenheit, wenn ſie auf demB 3einzig22Erſter Theil.einzig wahren Wege der Erfahrung mit gehoͤrigem Eifer bearbeitet werden, ſinken zu gleicher Niedrigkeit herab, ſo - bald das Vorurtheil in ihnen herrſcht, die Hypotheſe leitet und Spitzfuͤndigkeit den Zweck abgiebt; und nur ungebildete Menſchen konnten ihrer Kunſt wegen aͤußerer Zufaͤlligkeiten einen groͤßern Werth beylegen.
Eben ſo wenig Ehre bringt es dem Zeitalter, welches den Werth der Heilkunſt nach der Achtung beurtheilen woll - te, welche eine die wiſſenſchaftliche Cultur uͤberhaupt wenig beguͤnſtigende Nation ihr ſchenkte *), oder ihn aus dem Range der Zunft **), oder den Ehrenſtellen ***), oder andern aͤußern Ehrenbezeugungen der Aerzte †), beweiſen wollte.
Wir haben geſehen, was die Heilkunſt zu leiſten verſpricht (§. 34), wie ſie Kunſt (§. 40) und Wiſſenſchaft (§. 42) iſt:23Kritik der Heilkunſt.iſt: wir muͤſſen nun unterſuchen, wie ſie dieſem Verſprechen Genuͤge leiſtet, und welches deshalb ihre Quellen ſind.
Alle Kenntniſſe der Heilkunſt ſind Naturkenntniſſe (§. 45), d. h. ſie betreffen Erſcheinungen, welche unabhaͤngig von der Willkuͤhr des Menſchen, nur in der allgemeinen Natur - kraft begruͤndet, aber durch den Menſchen in ihren Aeuße - rungen modificirt ſind. Es gilt daher das Gemeinſame, welches auf alle unſere Naturkenntniſſe ſich bezieht, auch von der Heilkunſt.
Die Natur lernen wir zuerſt aus ihren Werken, aus den Erſcheinungen, welche uns umgeben, und welche wir vermittelſt unſerer Sinne wahrnehmen, kennen. Wahr - nehmung iſt alſo der erſte Schritt zur Kenntniß der Natur.
Verbinden wir ſodann die einzelnen Wahrnehmungen zu einem Ganzen, richten wir unſere Aufmerkſamkeit auf die Folge der Erſcheinungen, in welcher ſie ſich uns darbie - ten: ſo erhalten wir eine Beobachtung.
Erweitern wir den Kreis unſerer Kenntniſſe durch Be - obachtung einer Erſcheinung in der Natur, welche uns bis - her noch unbekannt war: ſo machen wir eine Entdek - kung.
Die aufmerkſame Beobachtung der Natur im Allge - meinen und in ihren einzelnen Wirkungen belehrt uns vonB 4einem24Erſter Theil.einem ſichern, unabaͤnderlichen Gange derſelben, und in dieſem Vertrauen giebt ſich ihr der Menſch in ruhiger Sorg - loſigkeit hin. Wir gelangen hierdurch zu der Idee von der Stetigkeit der Natur.
Dieſe Idee leitet uns zu Erfindungen, ſie laͤßt uns naͤmlich hoffen, daß unter beſtimmten Umſtaͤnden, welche wir jetzt zum erſtenmale (wenigſtens fuͤr uns zum erſtenmale) herbeyfuͤhren, beſtimmte Wuͤrkungen erfolgen werden. Dadurch gewinnt es den Anſchein, als haͤtten wir Kenntniſſe der Natur a priori.
Wahrnehmungen und Beobachtungen liefern uns die erſten Naturkenntniſſe, welche, weil ſie nur die ſchlichte Aufzaͤhlung deſſen, was exiſtirt oder exiſtirt hat, enthalten, hiſtoriſche genannt werden. Sie werden alſo voraus - geſetzt und liegen allen hoͤhern Naturkenntniſſen zu Grunde.
Von ihnen erheben wir uns zu den philoſophi - ſchen Naturkenntniſſen, welche ſich es zum Zweck machen, den urſachlichen Zuſammenhang, der unter jenen Erſcheinungen Statt findet, auszumitteln.
Da es nun aber die Graͤnzen unſers Erkenntnißvermoͤ - gens nicht geſtatten, die letzten Gruͤnde der Erſcheinungen, und alſo die Dinge an ſich, zu erkennen, uns auch dieſe[Kenntniß] fuͤr unſern gegenwaͤrtigen Zuſtand kaum heilſamſeyn25Kritik der Heilkunſt.ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch moͤglich waͤre: ſo genuͤgt es uns, die Geſetze aufzuſuchen, nach welchen die ihrem Weſen nach uns fuͤr immer unbekannten Naturkraͤfte wuͤrken, und alſo fuͤr uns exiſtiren.
Hierzu fuͤhrt uns nun die Inductionsmethode. Da uns nemlich die Geſetze der Vernunft gebieten, zu glei - chen Wuͤrkungen gleiche Urſachen zu denken, ſo ſchließen wir durch die Induction von dem Aufeinanderfolgen oder Beyſammenſeyn der Erſcheinungen, auf ein gemeinſchaftli - ches Cauſſalverhaͤltniß, welches ihnen zum Grunde liegt.
Um hier nicht zu raſch zu folgern, und um allen moͤg - lichen Taͤuſchungen vorzubeugen, muͤſſen wir ausmitteln, ob gewiſſe Erſcheinungen immer beyſammen ſind, immer auf einander folgen? — Iſt dies nicht der Fall, ſind ſie durch das Werk des Zufalls, oder, richtiger zu ſagen, durch Ur - ſachen, welche auſſer ihnen liegen, verbunden worden, ſo koͤnnen wir ihnen kein gemeinſchaftliches Cauſſalverhaͤltniß zuſchreiben. — Die in dieſer Abſicht unternommenen Ver - aͤnderungen der Verhaͤltniſſe, wodurch die Erſcheinungen ſelbſt veraͤndert werden, nennen wir Verſuche.
Wenn endlich alle mit einer Erſcheinung verbundenen Verhaͤltniſſe hinweggenommen und geaͤndert wurden, und doch die Erſcheinung ſich allemal gleich blieb, ſobald nur das eine Verhaͤltniß Statt fand, ſo haben wir den entſchei - denden Verſuch gewonnen, und wir ſind gewiß, daßB 5jenes26Erſter Theil.jenes Verhaͤltniß die Urſache jener Erſcheinung, d. h. jener Modification der Naturkraft enthaͤlt.
Da wir nun ferner die Erſcheinungen, ihren ſaͤmmtli - chen Theilen und Verhaͤltniſſen nach, nicht immer ſchon be - obachtet haben, noch ſie beobachten koͤnnen, ſo unterſtuͤtzt uns hier die Analogie. Wenn wir nemlich durch mehrere Be - obachtungen belehrt worden ſind, daß gewiſſe Umſtaͤnde in einem beſtimmten Verhaͤltniſſe unter einander ſtehn, und wir nehmen in dem gegenwaͤrtigen Falle einige dieſer Umſtaͤnde wahr, ſo ſchließen wir, daß dieſelben zu den, uns noch unbekannten, oder noch nicht vorhandnen, in gleichem Ver - haͤltniſſe ſtehn werden.
Auf dieſem Wege gelangen wir nun zu einer ſo voll - ſtaͤndigen Kenntniß der Natur, als uns vermoͤge der Graͤn - zen unſres Erkenntnißvermoͤgens nur immer moͤglich iſt. Sehen wir naͤmlich durch dieſe Huͤlfsmittel eine Erſcheinung, nach ihrem Weſen, ihren Urſachen und Folgen ein, ſo ha - ben wir die Theorie derſelben.
In demſelben Grade nun, in welchem Kenntniß der Natur uͤberhaupt fuͤr uns moͤglich iſt, iſt auch Kenntniß des kranken Menſchen, und der Kraͤfte, durch welche ſeine Hei - lung beſtimmt wird, moͤglich.
Zuerſt naͤmlich nimmt die Heilkunſt die einzelnen Symp - tome an dem kranken Menſchen wahr. Dieſe Wahrneh -mung27Kritik der Heilkunſt.mung giebt die erſte Bedingung der Erfahrung ab, darf alſo nicht mit ihr verwechſelt werden.
Sodann beobachtet ſie, wie dieſe Symptome auf ein - ander folgten, was ihnen vorherging, wie ſie ſich verſtaͤrk - ten, wie ſie unter dieſen oder jenen Umſtaͤnden wieder ver - mindert wurden, was ihnen endlich folgte.
Auf dieſe Art macht ſie Entdeckungen, und liefert den Stoff zu einer hoͤhern Verarbeitung.
Nimmt ſie einige Erſcheinungen wahr, welche ſie bis - her immer mit gewiſſen andern verbunden beobachtet hat, und ſie iſt verhindert, dieſe andern jetzt wahrzunehmen, ſo ſchließt ſie der Analogie gemaͤß, auf ihre Gegenwart.
Nimmt ſie ferner in dem gegenwaͤrtigen Falle Erſchei - nungen wahr, welche ſie vormals in ihren ſaͤmmtlichen Ver - haͤltniſſen ſchon beobachtet hat, ſo ſchließt ſie nach der Ana - logie, daß eine beſtimmte Handlungsweiſe auf die gegen - waͤrtige Krankheit gleichen Einfluß haben wird, als ſie vor - mals auf die aͤhnliche Krankheit hatte. Sie verhuͤtet alſo, was vormals ſchadete, und wendet an, was vormals fruch - tete.
Da nun die Naturgeſetze an ſich, zwar ſich immer gleich, in ihren Wuͤrkungen aber unendlich modificirt ſind,alſo28Erſter Theil.alſo auch die Krankheiten denſelben Geſetzen unterworfen, aber nach der Verſchiedenheit der einwuͤrkenden Verhaͤltniſſe, niemals vollkommen mit einander uͤbereinſtimmen, ſo kann hier die Analogie auch niemals ganz vollſtaͤndig ſeyn, noch die Heilart in zwey Krankheitsfaͤllen ſich ganz gleichen.
Weil alſo die krankhaften Erſcheinungen durch das ver - ſchiedene Einwuͤrken der Verhaͤltniſſe auf den Menſchen, im - mer verſchieden modificirt ſind, und deshalb ihre Heilart auch in demſelben Verhaͤltniſſe modificirt ſeyn muß: ſo iſt es ein unentbehrliches Beduͤrfniß fuͤr die Heilkunſt, mit dem Cauſſalverhaͤltniſſe jener Erſcheinungen bekannt zu ſeyn, um darnach die Anwendung der Heilkraͤfte abzumeſſen. Und hierzu verhilft die Induction.
Hat naͤmlich die Heilkunſt nach mehreren Verſuchen den entſcheidenden gewonnen, welcher ſie uͤberzeugt, daß ein ge - wiſſer Umſtand, durch Einwuͤrkung auf die menſchliche Na - tur ein beſtimmtes Symptom und als deſſen Folge wiederum andre, dadurch aber eine ganze Krankheit hervorbringt, ſo iſt ſie auf Entfernung dieſes urſpruͤnglichen Symptoms, welches den uͤbrigen zum Grunde liegt, bedacht.
Weiß ſie ferner aus entſcheidenden Verſuchen, daß die - ſes Symptom durch eine gewiſſe Handlungsweiſe entfernt werde, ſo ſucht ſie das gehoͤrige Verhaͤltniß zwiſchen beyden zu treffen, d. h. ſie modificirt die in gleichen Faͤllen heilſam befundene Handlungsweiſe, je nachdem ſie an dem gegen - waͤrtigen urſpruͤnglichen Symptome eine Verſchiedenheit derUrſa -29Kritik der Heilkunſt.Urſachen, des Sitzes, des Grades, der Dauer, der Aeuſ - ſerung und der Folgen wahrnimmt.
Dieſe Reyhe von Actionen, naͤmlich Wahrnehmung, Beobachtung, Schluͤſſe durch Induction und Analogie, ge - ben nun die Erfahrung der Heilkunſt, als welche ihre einzige Quelle in ſich begreift.
Auf dieſe Art kann alſo die Heilkunſt niemals ohne Theorie exiſtiren, und beyde haben einen gleichzeitigen Ur - ſprung gehabt, da die Eine ohne die Andere ſich nicht den - ken laͤßt. Unter Theorie der Heilkunſt verſteht man naͤmlich die Einſicht in die krankhaften Erſcheinungen, wie dieſelben durch Wirkung der innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſe auf die Kraͤfte des Menſchen von Grad zu Grad beſtimmt, und durch andere Verhaͤltniſſe von Grad zu Grad aufgehoben werden.
Umfaßt nun eine Theorie ſaͤmmtliche Theile der Heil - kunſt, und iſt durch ein einiges, hoͤchſtes Princip, Ord - nung, Vollſtaͤndigkeit und der innigſte Zuſammenhang in die Darſtellung derſelben gebracht worden, ſo hat man ein Syſtem der Heilkunſt.
Es herrſcht eine unwandelbare Stetigkeit in der Natur, ih - re Geſetze ſind unvergaͤnglich und unnachlaßlich; und wenn wirin30Erſter Theil.in ihren Werken einen Widerſpruch zu finden vermeynen, ſo liegt der Fehler entweder an unſerer Beobachtung, oder an unſerer Beurtheilung.
Haben wir daher ein Geſetz, nach welchem die allge - meine Naturkraft wuͤrkt, entdeckt, und es nur in dem Kreiſſe unſerer Erfahrungen als hinlaͤnglich bewaͤhrt und begruͤndet gefunden, ſo koͤnnen wir mit Sicherheit urtheilen, daß daſ - ſelbe in den unzaͤhligen andern Faͤllen, welche wir noch nicht beobachtet haben oder nicht beobachten koͤnnen, eben ſo wuͤr - ken werde.
Die Beobachtung einer Erſcheinung, welche einem ſolchen Geſetze geradezu entgegen iſt, und es aufhebt, koͤn - nen wir mit Sicherheit als unrichtig verwerfen, denn die Natur iſt ein Einiges und ſtreitet nie mit ſich ſelbſt.
Hierdurch wird alſo die Gewißheit einer jeden Natur - wiſſenſchaft moͤglich, und da die Heilkunſt ſich auf die Er - kenntniß der Geſetze der in dem Menſchen wuͤrkenden Natur - kraft bezieht, ſo iſt dadurch auch die Moͤglichkeit ihrer Ge - wißheit begruͤndet *).
Ueber die Krankheiten und ihre Heilart hat im Allge - meinen die Heilkunſt nur eine Stimme; ſie bewahrt naͤmlich die Beobachtungen auf, welche in den einzelnen Faͤllen ſich immer gleich ſind, und gleich ſeyn muͤſſen, und wendet ſiegehoͤ -31Kritik der Heilkunſt.gehoͤrig an. Deshalb bleiben die Schriften aller großen Aerzte, welche die Natur zu beobachten verſtanden, fuͤr im - mer ſchaͤtzbar und nuͤtzlich, es moͤgen nun dieſelben in irgend einem Zeitalter gelebt haben und irgend einer Secte zuge - than geweſen ſeyn. Und es iſt der Triumph der Heilkunſt, wenn Aerzte bey ganz verſchiedenen Theorien, doch eine und dieſelbe Heilmethode haben.
Es koͤnnen nemlich dieſelben krankhaften Erſcheinungen auf eine verſchiedene Art erklaͤrt und ausgelegt werden, je nachdem die Vorſtellungsart von der Natur, und von der menſchlichen Natur inſonderheit, verſchieden iſt *).
Vorzuͤglich wurde dieſe Abweichung dadurch veranlaßt, daß man von der Beobachtung einzelner Erſcheinungen, ſo - gleich zu Aufſuchung ihres letzten Grundes uͤbergieng, uͤber welchen man vermoͤge der Grenzen unſers Erkenntnißvermoͤ - gens, nie einig werden konnte.
Je mehr man bey Auslegung der Natur, ſich an die Mittelglieder (zwiſchen den ſinnlichen Erſcheinungen und ih - ren letzten Gruͤnden) haͤlt, d. h. durch Induction und Ana - logie aus den beobachteten Erſcheinungen die Geſetze kennen lernt, nach welchen die Naturkraͤfte wuͤrken, um deſto ei - niger mit ſich ſelbſt wird die Heilkunſt, um deſto weniger finden ſich Widerſpruͤche in ihr.
Hat die Heilkunſt dieſen Zweck erreicht, und dadurch eine vollſtaͤndige Theorie gebildet, ſo kann ſie bey jeder ihrer Handlungen, bey der Heilung eines jeden Individuums ſich von dieſer Theorie leiten laſſen.
So lange aber dieſe Theorie noch nicht die einzig wah - re iſt, ſo muß die Heilkunſt ſich noch an einzelne Beobach - tungen halten; laͤßt ſie ſich im Gegentheile uͤberall durch jene Theorie beſtimmen, ſo wird ſie unvollkommen, und verdient alle Vorwuͤrfe von Unſicherheit.
Die Gewißheit der Heilkunſt im Allgemeinen, d. h. die Moͤglichkeit, Krankheiten mit Gewißheit zu erkennen und mit Sicherheit zu heilen, kann alſo nicht bezweifelt werden. Je -doch33Kritik der Heilkunſt.doch kann man eben ſo wenig die Schwierigkeiten leugnen, mit welchen ſie verbunden iſt.
Zuerſt kann naͤmlich nur ein ſehr geuͤbter Verſtand, nur eine angeſtrengte Aufmerkſamkeit die krankhaften Erſcheinun - gen in dem Individuo vollſtaͤndig entdecken, die Urſachen, durch welche ſie beſtimmt worden ſind, entwickeln, und das Weſentliche von dem Zufaͤlligen unterſcheiden.
Da ſodann manche Theile des Koͤrpers, in welchen das urſpruͤngliche Symptom der Krankheit ſeinen Sitz hat, den aͤuſſern Sinnen nicht blos geſtellt ſind, ſo muß die Heil - kunſt in ſolchen Faͤllen mit Huͤlfe der Analogie auf die ur - ſpruͤngliche Krankheitserſcheinung ſchließen. Hierzu bedarf ſie aber theils einer reichen Erfahrung, theils eines ſchar - fen Beobachtungsgeiſtes, und einer gebildeten Beurthei - lungskraft.
Die Krankheiten ſind die Producte unzaͤhliger zuſam - mentreffender Kraͤfte, des Menſchen ſowohl, als der aͤuſ - ſeren Natur. Dieſe Kraͤfte nun, koͤnnen in derſelben Ord - nung und denſelben Verhaͤltniſſen nie mehr als einmal zu - ſammen treffen, denn ſo bald dies geſchaͤhe, ſo muͤßte es zwey Naturen ſtatt einer geben. Es iſt baher kein Krank - heitsfall dem andern ganz aͤhnlich.
Da nun die Heilung dem Krankheitsfalle ganz ange - meſſen ſeyn muß, ſo kann auch ein und dieſelbe HeilmethodeCin34Erſter Theil.in allen ihren Punkten nicht mehr als fuͤr einen einzigen Krankheitsfall paſſend ſeyn.
Wenn alſo die Erfahrung lehrt, daß bey einer gewiſſen Krankheit eine beſtimmte Methode heilſam war, ſo findet bey einem aͤhnlichen Krankheitsfalle keine vollſtaͤndige Ana - logie Statt, weil derſelbe nothwendig durch andere Urſachen beſtimmt ſeyn muß. Die Heilkunſt ſucht alſo die Abwei - chung des gegenwaͤrtigen Falles von dem vormaligen auf, und aͤndert dem zufolge auch die Heilmethode ab.
Da aber dieſe Unterſchiede oft aͤuſſerſt ſein, die Erſchei - nungen oft aͤuſſerſt verwickelt ſind, und da die Entdeckung des Cauſſalverhaͤltniſſes in den Naturerſcheinungen uͤberhaupt mit großen Schwierigkeiten verbunden iſt, ſo wird hierzu ebenfalls ein beſonders hoher Grad von Scharfſinn und Be - urtheilungskraft erfordert.
Hieraus erhellet, daß die Heilkunſt nicht nur (nach Hippokrates Ausſpruche) von großem Umfange, ſondern daß ſie unermeßlich iſt. So wie die Natur in allen ihren Wirkungen ſich nie ganz gleich iſt, ohngeachtet ſie immer von denſelben Geſetzen abhaͤngen, ſo darf auch die Heil - kunſt, welche einen Theil dieſer Wuͤrkungen abzuaͤndern be - zweckt, in mehrern Faͤllen ſich nie ganz derſelben Methode bedienen, ob ſie gleich nach denſelben Geſetzen wuͤrkt.
Die Form aber iſt uͤberhaupt mehr begraͤnzt, leidet weniger Modificationen, als die Erſcheinungen im engernSinne35Kritik der Heilkunſt.Sinne, und dieſe Modificationen ſind leichter zu entdecken. Deshalb hat derjenige Zweig der Heilkunſt, welcher die Form des menſchlichen Koͤrpers zum Gegenſtande hat, oder den Menſchen in phyſiſcher und organiſcher Ruͤckſicht be - trachtet, weniger Schwierigkeiten.
Deshalb macht die Chirurgie, ſubjectiv betrachtet, d. h. in ſo fern ſie durch ein Individuum realiſirt wird, An - ſpruch auf mehrere Gewißheit; oder der Chirurg kann im Ganzen genommen, mit einem geringern Aufwande von Be - urtheilung zu dem Grade der Gewißheit gelangen, nach wel - chem der Arzt ſtrebt.
Die Heilkunſt hat ihre Graͤnzen, auf welche ſie, wie bey Erkenntniß, ſo bey Heilung der Krankheiten einge - ſchraͤnkt iſt, und es giebt einen Punkt, welchen das Maaß ihrer Kraͤfte nicht zu uͤberſchreiten geſtattet, ſo wie uͤber - haupt der Menſch weder eine vollſtaͤndige Einſicht in die geſammte Natur hat, noch die Naturkraft ſelbſt in ihrem in - nern Weſen umzuaͤndern vermag.
Zuerſt giebt es Krankheiten, welche man weder zu er - kennen, noch, wenn man ſie auch erkannt haͤtte, zu heilen vermag. Es gehoͤren hierher die Verletzungen und Zerſtoͤrun - gen der innern Organe, von deren Gegenwart wir keine deut - lichen Zeichen haben. Es iſt nicht unmoͤglich, daß wir bey der hoͤchſt moͤglichen Vervollkommung der Kunſt, aus ſinn - lich wahrnehmbaren Erſcheinungen auf andere krankhafte Erſcheinungen, welche unſern Sinnen entgehen, zu ſchlieſ - ſen, einige dieſer Krankheiten werden entdecken koͤnnen: aber die Kunſt iſt hier unwuͤrkſam, weil die erſte Bedingung der menſchlichen Exiſtenz, Integritaͤt der Structur, aufge - hoben iſt.
Andere Krankheiten wuͤrden geheilt werden koͤnnen, wenn man ſie nur zu erkennen vermoͤchte. Aber die frucht - los angeſtrengte Aufmerkſamkeit der erfahrenſten und ſcharf - ſinnigſten Beobachter laͤßt fuͤrchten, daß die Heilkunſt hier niemals zu einer gewiſſen Erkenntniß gelangen wird. Dies gilt vorzuͤglich von dem Anfange der Krankheiten innerer Organe, wo noch keine auffallenden Wuͤrkungen ſich aͤuſſern, und wo, wenn dieſe erſcheinen, das Uebel ſchon unheil - bar iſt.
Andere Krankheiten endlich, erkennt die Heilkunſt zwar, aber vermag ſie nicht zu heilen. Dies findet Statt, erſtlich wenn Verletzungen von Organen vorausgegangen, welche entweder der Kunſt unzugaͤnglich ſind, oder wobey uͤber - haupt das Leben nicht mehr fortdauern kann, weil das Sub - ſtrat der Lebenskraft verletzt iſt; zweytens, wenn die Grund -kraͤfte37Kritik der Heilkunſt.kraͤfte des Menſchen entweder mit ſichtbarer Abnutzung der Organe oder ohne dieſelben erſchoͤpft ſind, z. B. in langwie - rigen, eingewurzelten Krankheiten ꝛc. *).
Da alſo hier die Erreichung ihres Zwecks, Krankheiten zu erkennen und zu heilen, der Heilkunſt, der Natur der Sache nach, ſchlechterdings unmoͤglich iſt, ſo ſind dieſe Faͤl - le eigentlich auch gar nicht Gegenſtaͤnde der Heilkunſt. Weil ſie aber vermoͤge ihrer Kenntniß der Naturkraͤfte, dieſe Ue - bel, wenn auch nicht heben, doch erleichtern kann, ſo arbei - tet ſie hier nur auf den allgemeinen Zweck hin, menſchliches Elend zu mindern.
Bey Krankheiten, deren Weſen ſie nicht zu erkennen vermag, deren urſpruͤngliches Symptom, welches den Grund der uͤbrigen enthaͤlt, ſie alſo nicht heben kann, ſucht ſie wenigſtens die einzelnen ſich offenbarenden Crſcheinungen durch Mittel, welche die Erfahrung bewaͤhrt hat, zu min - dern, oder dem Kranken ertraͤglicher zu machen.
In den Faͤllen aber, wo ihr nur die Kraͤfte zu heilen, fehlen, ſteht ſie als Troͤſterin dem Kranken bey, verhuͤtet al - les, was ſein Leben verkuͤrzen koͤnnte, mindert ſeine Schmer - zen, bereitet ihn zu der bevorſtehenden Umwandlung ſeiner Natur vor, und ſucht endlich, ihm dieſe Metamorfoſe ſo leicht als moͤglich zu machen.
Auf dieſe Art bleibt die Heilkunſt auch da, wo ſie ihren eigentlichen Zweck nicht erreichen kann, ehrwuͤrdig; und die - ſe Beſchraͤnktheit kann ihr nicht zum Vorwurfe gereichen, da ſie dieſelbe mit allen Aeuſſerungen menſchlicher Kraͤfte ge - mein hat.
Der Begriff einer Kunſt involvirt ſchon fuͤr ſich die Moͤg - lichkeit einer groͤßern oder mindern Vollkommenheit, nach Maasgabe der Art, ſie zu behandeln. Die Heilkunſt kann eben ſo auf verſchiedenen Stufen ſtehen, je nachdem ihre Be - arbeitung verſchieden iſt.
Wenn Krankheit etwas, der ſinnlichen Wahrnehmung Entruͤcktes waͤre, und alſo die Heilkunſt nur den Zweck haͤt - te, einen innern Zuſtand des Menſchen zu erkennen und zu heilen, (§. 46.) ſo waͤre ſie zu verſchiedenen Zeiten, ihrem eigentlichen Weſen nach, ganz verſchieden geweſen, wir wuͤßten zuverlaͤſſig, daß es Jahrtauſende hindurch keine Heil - kunſt gegeben haͤtte, und wir waͤren noch ungewiß, ob wir jetzt in dem Beſitze einer ſolchen Kunſt waͤren, oder jemals zu demſelben gelangen koͤnnten.
Nun ſind aber Krankheiten lediglich Erſcheinungen in der Sinnenwelt (§ 29), und wir koͤnnen ſie dem zufolge erkennen (§. 37.) und heilen (§. 39). Es gab daher ſeit Hippokrates eine Heilkunſt.
Da jedoch in jedem Zeitalter die Theorie, oder die An - ſicht der krankhaften Erſcheinungen und ihrer Heilung ver - ſchieden war, (§. 88.) und man ſich entweder in der Be - ſtimmung des ganzen Heilplans einzelner Krankheiten, oder in den naͤhern Modificationen deſſelben davon leiten ließ, ſo war die Heilkunſt zwar im Allgemeinen ſich immer gleich, in einzelnen Theilen aber abweichend *).
Jeder Beobachter ſah nemlich dieſelben Erſcheinungen der Natur, und er mußte im Ganzen genommen, mit allen uͤbrigen eine und dieſelbe Erfahrung machen, eine und die - ſelbe Heilmethode feſtſetzen. Aber ſeine Art, dieſelben an - zuſehen und zu erklaͤren, war verſchieden: ſo oft er alſo ſei - ne Handlungsweiſe nach dieſer Vorſtellungsart heſtimmte, ſo mußte er in den meiſten Faͤllen mit den uͤbrigen Aerz - ten uͤbereinſtimmen, weil ſeine Theorie immer etwas Wahres enthielt, aber in mehrern Punkten mußte er von ihnen abweichen. Es gab daher nach Verſchiedenheit der Principien, von welchen die Aerzte ausgehen, folgende Be - handlungsarten der Heilkunſt, welche die verſchiedenen Sec - ten abgeben.
1. Der Empirismus ſtellt die nackten Beobach - tungsſchaͤtze hin, ohne ſie durch hoͤhere Principien irgend ei - ner Art unter einander zu verbinden, und ſieht nur auf das, was der Beobachtung in einzelnen Faͤllen zunaͤchſt liegt. Er ſtuͤtzt ſich blos auf Analogie (§. 75), und kann alſo auch ſein Verfahren in den einzelnen Krankheitsfaͤllen nicht voll - kommen modificiren (§. 76), weil er in denſelben keine Mo - dification der Erſcheinungen nach ihren Urſachen wahrnimmt. Er gehoͤrt alſo in das Kindesalter der Heilkunſt, und kann unr als ihr Vorlaͤufer angeſehen werden.
2. Der Eklekticismus geht von Beobachtun - gen aus, erhebt einzelne derſelben zu allgemeinen Saͤtzen, ohne aber dieſe wieder durch allgemeine Principien zu einem vollſtaͤndigen Ganzen zu verbinden. Weil ihn kein Syſtem hinlaͤnglich befriedigt, ſo waͤhlt er aus jedem derſelben die - jenigen Saͤtze, welche die Naturerſcheinungen am getreuſten darſtellen, und bedient ſich alſo einer unvollſtaͤndigen Induc - tion. Es iſt dies das aufwachende Gefuͤhl des noch unbe - friedigten Beduͤrfniſſes eines Syſtems.
3. Der Dogmatismus, oder der ſyſtematiſche (ſich ſelbſt nennt er den rationellen) Dogmatismus, geht von einer, an dem Menſchen angeſtellten Beobachtung aus, wel - che entweder ſelbſt unrichtig, oder zwar gegruͤndet iſt, aber ſich nur auf einen Theil ſeines Weſens bezieht, und leitet daraus, als aus einem oberſten Principe, die Erklaͤrung aller Erſcheinungen im geſunden, kranken und geneſendenMen -41Kritik der Heilkunſt.Menſchen her. Er bildet alſo ein Syſtem, aber durch eine unrichtige Induction, und beſtrebt ſich, die Natur in daſ - ſelbe zu zwaͤngen.
Bezieht ſich jenes Princip nur auf einen Theil der menſchlichen Natur (§. 25), ſo werden folgende Syſteme gebildet: a Fyſiatrie, d. h. die Beurtheilung des Men - ſchen von Seiten ſeines Koͤrpers, in ſo fern demſelben die allgemeinen Merkmahle der Materie zukommen (nach ſeinen phyſiſchen Kraͤften), und Chemiatrie, oder Beurthei - lung deſſelben, in wie fern er gemiſcht iſt (nach ſeinen chemi - ſchen Kraͤften).
b) Die Jatromathematik betrachtet den Men - ſchen, in wiefern ſein organiſirter Koͤrper als ausgedehnt im Raume erſcheint, (nach den Eigenſchaften ſeiner Theile, als Flaͤchen betrachtet).
c) Die Zooiatrie beruͤckſichtigt einzig und allein die - jenigen Wuͤrkungen der Naturkraft im Menſchen, wodurch ſich derſelbe zunaͤchſt von der unbelebten Schoͤpfung aus - zeichnet, und welche er im Allgemeinſten mit jedem belebten Geſchoͤpfe gemein hat (nach ſeinen organiſchen und thieri - ſchen Kraͤften).
d) Die Pſychiatrie endlich, ſieht in dem Menſchen uͤberall nur Wuͤrkungen ſeines geiſtigen Princips, und leitet aus deſſen Thaͤtigkeit alle Erſcheinungen am Menſchen her, (beurtheilt ihn nach ſeinen geiſtigen Kraͤften).
4. Der letzte Zweck, nach welchem die Heilkunſt ſtrebt, iſt ſyſtematiſcher Empirismus *). Dieſer nemlich, erkennt oberſte Principien an, durch deren Huͤlfe er ſaͤmmtli - che Erſcheinungen in der menſchlichen Natur, nach ihrem eige - nen Weſen dargeſtellt, an einander kettet, ihren Urſprung und ihre gegenſeitige und hoͤchſte Beſtimmung erlaͤutert, ih - ren Cauſſalzuſammenhang befriedigend entwickelt, und auf dieſem Wege eine vollſtaͤndige Ueberſicht der Wuͤrkungsge - ſetze der menſchlichen Natur gewaͤhrt.
Dies Syſtem gruͤndet ſich auf eine vollſtaͤndige Er - fahrung, (§ 80) durch richtige und vollſtaͤndige Induction erworben, es wird die Ausſoͤhnung des Empirismus mit dem Dogmatismus, und die Vollendung der Heilkunſt. Es ſtellt alle moͤgliche Anſichten des Menſchen auf, d. h. es ſchildert ihn als ſchlechthin phyſiſches und chemiſches, als organiſches, thieriſches und geiſtiges Weſen, erklaͤrt aus dem Zuſammentreffen dieſer Kraͤfte ſeine ſaͤmmtlichen Er - ſcheinungen, und beſtimmt die Graͤnzen, in welchen jede dieſer Kraͤfte ſich wirkſam erweiſet.
Es bezieht ſich nicht auf die letzten Gruͤnde der Erſchei - nungen, weil dieſelben vermoͤge der Graͤnzen unſres Er - kenntnißvermoͤgens unzugaͤnglich ſind. Es entdeckt vielmehr das Gemeinſame an den Naturerſcheinungen, und findet dieGe -43Kritik der Heilkunſt.Geſetze, welchen die Naturkraft in ihren Aeuſſerungen folgt, indem es zu gleichen Wuͤrkungen gleiche Urſachen denkt.
Es laͤßt nicht mehr Urſachen zu, als noͤthig iſt, um die Erſcheinungen zu erklaͤren. Es iſt alſo einfach in ſeinen Principien, unendlich in der Anwendung derſelben, und es wird dadurch die Kopie der Natur.
So vollkommen aber dieſes Syſtem auch iſt, ſo werden doch der Erweiterung, deren die Heilkunſt faͤhig iſt (§ 101) dadurch keine Graͤnzen geſetzt. Die Natur wird wegen des neuen Zuſammentreffens von Urſachen, in Ewigkeit neue Erſcheinungen hervorbringen, und die Heilkunſt deshalb, ih - rem aͤuſſern Umfange nach, nie vollendet werden koͤnnen.
So lange die Heilkunſt ein ſolches Syſtem noch nicht gewonnen hat, ſieht ſie ſich gedrungen, einen der drey uͤbri - gen Wege (§. 116 — 122) einzuſchlagen.
Waͤhlt ſie den Empirismus, ſo ſinkt ſie unter ſich ſelbſt herab, ſie ſinkt in einem ungeordneten, zwecklos gemiſchten Chaos unter, wo kein Anfang und kein Ende abzuſehn iſt, und laͤhmt dadurch alle Kraͤfte des Geiſtes.
Neigt ſie ſich zum Eklekticismus, ſo kann ſie frey ein - her ſchreiten, und die Natur in ihren Werken mit Unbefan -gen -44Erſter Theil.genheit ſtudiren; aber ſie muß ſich zu ſehr mit dem Ein - zelnen begnuͤgen, ſie ſteht fern von allgemeinen, hoͤhern Anſichten, und bleibt deshalb ewig nur Bruchſtuͤck.
Ergreift ſie den ſyſtematiſchen Dogmatismus, ſo wird ſie durch Beſchraͤnktheit der Anſicht, einſeitig; es wird durch Feſthalten eines einzigen nicht allgemein guͤltigen Princips der Geiſt eingeengt, und alle freye Unterſuchung gehemmt.
Beurtheilt ſie aber ein ſolches Syſtem nicht als das hoͤchſte Ziel des menſchlichen Geiſtes, ſondern nur als tem - poraires Huͤlfsmittel, um Einheit und Ordnung in unſere Vorſtellungen von der Natur zu bringen, als Leitfaden, die Erſcheinungen zu beobachten und zu beurtheilen, als Huͤlfs - mittel, deſſen Gebrauch dereinſt bey vollkommnerer Kenntniß der Natur verſchwinden wird, — ſo verſchafft ſie ſich die Vortheile des Syſtems, ohne ſeinen Nachtheilen ausgeſetzt zu ſeyn.
5. Der Skepticismus iſt es, welcher auf dieſem Wege ſich bildet. In ihm treffen die Anſichten des Eklekticismus und des ſyſtematiſchen Dogmatismus zuſammen, und da er durch unablaͤſſiges Forſchen die ſinnlichen Erſcheinungen mit den Geſetzen unſers Verſtandes in Harmonie zu ſetzen ſucht, und raſtlos nach Entdeckung der Wahrheit ſtrebt, ſo iſt er der einzige Pfad, auf welchem die Heilkunſt zu vervollkom - men, und jenes vollendete Syſtem zu erringen iſt.
Hiermit darf aber nicht der unaͤchte Skepticismus ver - wechſelt werden. Dieſer iſt nemlich a) gegen die Gewißheitder45Kritik der Heilkunſt.der mediciniſchen Erfahrung uͤberhaupt gerichtet, welche er entweder bezweifelt, oder gaͤnzlich leugnet. Hierdurch be - zweifelt und leugnet er alſo die Moͤglichkeit aller unſrer Na - turkenntniſſe.
b) Oder, und dies iſt der gewoͤhnlichſte Fall, er leugnet die Zuverlaͤſſigkeit der Heilkunſt, wie ſie in gewiſſen Zeiten und Laͤndern durch Individuen realiſirt wird. Er trifft alſo nicht die Heilkunſt, ſondern ihr Schattenbild, die Routine, Charletanerie, Ignoranz und Pedanterey.
Unter Encyklopaͤdie der Heilkunſt verſteht man eigentlich den zuſammenhaͤngenden, compendiariſchen Vortrag der zu ihr gehoͤrigen Wiſſenſchaften *). Allein in dieſem Sinn iſt ſie kein Theil von der Propaͤdeutik der Wiſſenſchaft, ſondern die Wiſſenſchaft ſelbſt, da ſie ihren Inhalt, wenn auch nur im Auszuge, wuͤrklich liefert.
In einem engern Sinne aber, welcher in unſern Zeiten durch den erweiterten Umfang der Wiſſenſchaften, gemeiner worden iſt, iſt die Encyklopaͤdie der Heilkunſt *) eine Anga - be der zu Ausuͤbung derſelben erforderlichen Kenntniſſe, ſyſte - matiſch geordnet, und die Erzaͤhlung des Inhalts, desZwecks,47Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Zwecks, der Graͤnzen, der Quelle und des Zuſammenhan - ges der mediciniſchen Wiſſenſchaften. Und dieſe macht den Inhalt der folgenden Paragraphen aus **).
Aus dem deutlich gedachten Zwecke der Heilkunſt ergiebt ſich die Einſicht in den Zuſammenhang ihrer einzelnen Wiſ - ſenſchaften, ihre Nothwendigkeit und ihren Einfluß auf das Ganze.
Da naͤmlich die Heilkunſt zuvoͤrderſt das Geſchaͤft hat, Krankheiten zu erkennen, (§ 34) ſo muß ſie eine vollſtaͤn - dige Ueberſicht der Krankheitserſcheinungen beſitzen, welchen die menſchliche Natur unterworfen iſt, (Noſologie).
Und da es ihr theils nicht immer frey ſteht, alle krank - hafte Erſcheinungen unmittelbar wahrzunehmen, da ſie theils den Grad der Krankheit erkennen, und daraus auf die vor - hergegangenen, ſo wie auf die zukuͤnftigen Erſcheinungen einen Schluß ziehen muß, ſo muß ſie eine vollſtaͤndige Kennt - niß dieſer Zeichen haben (pathologiſche Semiotik).
Bis hierher gehen die praktiſchen Wiſſenſchaften, d. h. welche eine unmittelbare Anwendung in einzelnen vorkom - menden Krankheitsfaͤllen finden.
Dieſe einzelnen Krankheitsfaͤlle koͤnnen aber nicht begrif - fen werden, ohne gehoͤrige Kenntniß der Krankheit im All - gemeinen nach ihrem Weſen, ihren Urſachen, Folgen und Modificationen (allgemeine Pathologie).
Dieſe Einſicht der Krankheiten iſt aber nicht moͤglich ohne Kenntniß der Erſcheinungen am Menſchen uͤberhaupt, und ſeiner Geſundheit insbeſondere, und zwar der geiſtigen Erſcheinungen ſowohl, als der koͤrperlichen (Fyſiologie und Pſychologie).
Um ſich nun eine vollſtaͤndige Kenntniß der koͤrperlichen und geiſtigen Geſundheit zu erwerben, und um dadurch eine Norm zu finden, nach welcher die Krankheiten beurtheilt werden muͤſſen, bedarf man der Kenntniß der ſich hierauf beziehenden Zeichen (phyſiologiſche und pſychologiſche Se - miotik).
Dies ſind theoretiſche Wiſſenſchaften, weil ſie die prak - tiſchen begruͤnden, und nur mittelbaren Einfluß auf die Hei - lung haben, und zwar ſind ſiedie philoſophiſchen, weil ſie nicht blos das Wahrgenommene darſtellen, ſondern auch deſſen Zuſammenhang und Urſachen unterſuchen.
Zur Kenntniß der Erſcheinungen am Menſchen, wird nothwendig erfordert, eine Kenntniß der ihnen zu Grunde liegenden Materie, ſowohl ihrer Form, als ihrer Miſchung nach (Anatomie und Anthropochemie).
Doch auch dieſe Kenntniß des Menſchen iſt unvollſtaͤn - dig, ſo lange ſie nicht verbunden iſt mit der Lehre von den uͤbrigen Gliedern der Schoͤpfung, und zwar theils ihrer Form und Miſchung (Naturbeſchreibung und Chemie), theils ihren Erſcheinungen und dem Cauſſalzuſammenhange derſel - ben (Naturgeſchichte, Phyſik und Naturphiloſophie).
Das zweyte und eigentliche Geſchaͤft der Heilkunſt iſt, die Krankheiten zu heilen. Hierzu ſind alſo zunaͤchſt durch die Erfahrung gegebene Regeln zu Heilung der einzelnen Krankheiten noͤthig (Klinik).
Die unendliche Mannichfaltigkeit der Krankheiten macht aber eine ſo große Abaͤnderung des Heilplans, und deshalb allgemeine Grundſaͤtze uͤber das Geſchaͤft der Heilung noͤthig (Therapie).
Dies erfordert eine vollſtaͤndige Kenntniß der Mittel, welche der Heilkunſt zu Erreichung ihres Zwecks zu Gebote ſtehn, und zwar derer, welche auf ihn, als auf ein phyſi - ſches und organiſches Weſen wuͤrken (Inſtrumentenlehre) und welche ſich auf ſeine thieriſche und geiſtige Natur bezie - hen (Heilmittellehre).
Dieſe Kenntniß der Heilmittel ſetzt alſo voraus, theils die Lehre von den Verhaͤltniſſen der Naturkoͤrper ihren allge - meinſten Eigenſchaften nach (Phyſik, Mechanik), theils die Lehre von den eigentlichen Heilmitteln, zufolge ihrer Form (Naturbeſchreibung), ihrer Miſchung (Chemie), und ihrer Zuſammenſetzung (Formulare und Farmacie), endlich die Lehre von den Seelenwuͤrkungen (Pſychologie).
Aus dieſer Skizze ergiebt ſich im Allgemeinen die Ge - nealogie der vorzuͤglichſten mediciniſchen Wiſſenſchaften, ſo wie ſie gleichſam als Wurzeln ſich aus dem gemeinſchaftli - chen Stamme verbreiten. Bey ihrer naͤhern Berrachtung werden ſie in umgekehrter Ordnung dargeſtellt, ſo wie ſie bey Erlernung der Kunſt einander folgen muͤſſen, alſo wie die verſchiedenen Wurzeln ſich allmaͤhlig in dem Stamme vereinen.
Wir theilen deshalb ſaͤmmtliche mediciniſche Wiſſen - ſchaften in Grund-Haupt-Vervollkommungs - und Ne - benwiſſenſchaften.
Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt ſind diejenigen, wel - che, ohne Anleitung zu Heilung der Krankheiten ſelbſt zu ge - ben, dieſelbe durch Ueberlieferung des erforderlichen Stoffes moͤglich machen.
Dieſe Wiſſenſchaften enthalten die allgemeine Kenntniß der Natur. Da naͤmlich der Menſch nur ein Glied der groſ - ſen Schoͤpfung iſt: ſo muß man, um ihn gehoͤrig zu beur - theilen, und ſeine Kraͤfte einzuſehen, die Erſcheinungen der uͤbrigen Natur hinreichend kennen.
Unſere Kenntniſſe der aͤußern Natur zerfallen aber in drey Abtheilungen: 1) Kenntniß der Koͤrper und ihrer Er - ſcheinungen nach ihrer aͤußerer Form. Die Mannichfaltig - keit der Erſcheinungen wird hier aus der Mannichfaltigkeit der Formen abgeleitet. — Naturgeſchichte. 2) Kenntniß der Koͤrper nach ihrer Miſchung, und Erklaͤrung ihrer Er - ſcheinungen aus der letztern. — Chemie. 3) Kenntniß der Erſcheinungen, welche der Materie uͤberhaupt zukommen, deren Grund alſo nicht aus ihrer Form und Miſchung er - klaͤrt werden koͤnnen, und einiger Koͤrper inſonderheit, de - ren Wuͤrkung ebenfalls nur berechnet, nicht erklaͤrt werden kann. — Phyſik. — Dieſe Naturkenntniſſe ſind alſo kei - nesweges durch die an ſich heterogene Natur ihrer Gegen - ſtaͤnde von einander getrennt, ſondern nur durch die groͤßere oder mindere Eingeſchraͤnkheit unſerer Erkenntniß.
Der erſte Schritt zur Kenntniß der Natur iſt Natur - beſchreibung, d. i. bloße Kenntniß der Formen der Koͤrperwelt; ein Product der bloß ſinnlichen Wahrnehmung (§ 57).
Um ſich die Kenntniß dieſer unendlichen[Mannichfaltigkeit] der Formen zu erleichtern, und einen Ueberblick uͤber die geſammte Schoͤpfung zu gewinnen, ordnet der Verſtand dieſe Formen nach ihrer groͤßern oder mindern Aehnlichkeit untereinander, und indem er auf dieſe Art, Reiche, Klaſſen, Ordnungen, Geſchlechter und Gattungen feſtſetzt, liefert er eine ſyſtematiſche Naturbeſchreibung.
Bezieht ſich dieſe Aehnlichkeit der Form, welche den Grund der Claſſification in ſich enthaͤlt, bey jedem einzelnen Koͤrper auf ſeinen allgemeinen Charakter, ſeinen ſaͤmmtlichen Theilen und Erſcheinungen nach, ſo giebt ſie ein natuͤr - liches Syſtem.
Betrifft ſie hingegen nur gewiſſe Merkmahle an den Koͤrpern, welche nur einen Theil ihrer geſammten Form ausmachen, ſo bildet ſie ein kuͤnſtliches Syſtem.
Auf dieſe Kenntniſſe geſtuͤtzt, tritt nun die eigentliche Naturgeſchichte auf. Sie erzaͤhlt die Erſcheinungen,welche53Encyklopaͤdie der Heilkunſt.welche den verſchiedenen Formen zukommen, die Veraͤnde - rungen, welche ſie entweder fuͤr ſich, oder in Verbindung mit andern Formen erleiden, und erlaͤutert neue Erſcheinun - gen aus den ſchon bekannten, vermoͤge der Aehnlichkeit der Form, welche den Subſtraten von beyden zukoͤmmt. — Sie iſt alſo ein Product der Beobachtung (§ 58).
Um ſicher zu fußen, um ihren Gegenſtand (den Men - ſchen) nicht iſolirt, ſondern in Verbindung mit den uͤbrigen Gliedern der Schoͤpfung kennen zu lernen, und um endlich die Weſen vollkommen zu kennen, durch deren Vergleichung mit dem Menſchen ſie den letztern gehoͤrig beurtheilen kann, — muß die Heilkunſt zuvoͤrderſt ſich auf dieſe Kenntniß der Natur ſtuͤtzen.
Sie bedarf derſelben aber ferner, weil die Krankheiten des Menſchen großentheils von der Einwuͤrkung der aͤußern Natur auf ſeinen Koͤrper herruͤhren, und durch eben dieſelbe auch wiederum geheilt werden. Da ſie alſo in dieſer Ruͤck - ſicht die Kraͤfte der Naturkoͤrper, oder ihre Wuͤrkungen auf den menſchlichen Organismus kennen muß: ſo muß ſie zu - voͤrderſt eine genaue Kenntniß ihrer Form haben.
I. Die allgemeine Naturgeſchichte ſtellt theils die Merkmahle auf, welche gewiſſen Reichen und Klaſſen der Naturkoͤrper gemeinſchaftlich zukommen, theils die Grund - ſaͤtze, nach welchen dieſe Aehnlichkeiten entdeckt, und zur Zuſammenſtellung der Naturkoͤrper benutzt werden. (Die letztere Unterſuchung wird die Philoſophie der Na -D 3tur -54Zweyter Theil.turgeſchichte genannt.) Die Heilkunſt muß alſo die allgemeine Naturgeſchichte zum Verſtaͤndniß der ſpeciellen benutzen.
II. Die ſpecielle Naturgeſchichte beſchreibt die Formen der einzelnen Koͤrper, und die mit dieſer Ver - ſchiedenheit verknuͤpfte Mannichfaltigkeit der Erſcheinungen.
1. Die Zoologie, oder die Naturgeſchichte derje - nigen Geſchoͤpfe, welche keinen hoͤhern, als einen thieri - ſchen Charakter haben (§ 25), iſt in beyden angegebenen Ruͤckſichten (§ 162, 163) eine Grundwiſſenſchaft der Heilkunſt.
Die Zootomie, ein Theil der Zoologie, iſt die Be - ſchreibung der Form thieriſcher Koͤrper, in ſofern ſie organi - ſirt ſind, nach ihren ſaͤmmtlichen, auch unter der Oberflaͤche befindlichen Theilen; und da die Phyſiologie des Menſchen ſich dieſer Kenntniß zur Vergleichung bedient, um zu unter - ſuchen, worin Form und Erſcheinungen an Thieren und Menſchen mit einander uͤbereinſtimmen, und um daraus wichtige Reſultate ziehen zu koͤnnen, ſo heißt dieſelbe auch die vergleichende Anatomie (comparata). Sie dient alſo zur Einſicht der Phyſiologie, nicht nur der Thiere, ſondern auch des Menſchen.
2. Die Phytologie, Botanik oder Naturgeſchichte der Pflanzen macht die Heilkunſt beſonders mit den Stoffen bekannt, deren ſie ſich zu Erreichung ihres Zwecks bedienen muß (§ 163), wird derſelbe aber auch als Beſchreibung eines Theils der Natur uͤberhaupt nothwendig (§ 162).
Die Phytotomie, oder die Beſchreibung der Form der Pflanzen, als organiſirter Koͤrper, nach ihren ſaͤmmt - lichen, auch unter der Oberflaͤche befindlichen Theilen, dient zur Phyſiologie der Pflanzen, und ſodann in vergleichender Ruͤckſicht auch der Thiere und des Menſchen (§ 167).
3. Die Oryktologie, Mineralogie, oder die Natur - geſchichte der unorganiſchen ſichtbaren Koͤrper unſers Plane - ten, welche eine beſtimmte Form haben (§ 157, 161), alſo ſtarr (feſt) ſind, macht ebenfalls in beyden Ruͤckſich - ten (§ 162, 163) eine Grundwiſſenſchaft der Heilkunſt aus.
Die Chemie iſt die Lehre von den Erſcheinungen der Na - turkoͤrper, in wiefern ihr Grund aus der Miſchung derſelben erkannt und eingeſehen wird.
Obſchon ihr Geſchaͤft darin beſteht, die Koͤrper in ihre Beſtandtheile aufzuloͤſen, und durch Zuſammenſetzung der letztern, erſtere wiederum zu bilden: ſo iſt darin doch nicht ihr vollſtaͤndiger Begriff enthalten, denn dieſes Geſchaͤft iſt nur das Huͤlfsmittel, deſſen ſie ſich zu Erreichung ihres Zwecks (§ 171) bedient.
Sie loͤſet naͤmlich die Koͤrper, deren aͤußere Kenntniß ſie von der Naturgeſchichte empfangen hat, durch mancher - ley Mittel in Theile auf, deren keiner dem Ganzen aͤhnlich iſt (ungleichartige). und kehrt, um ihrer Kenntniß gewiß zu ſeyn, den Verſuch um, d. h. ſie bildet aus den verſchiede - nen ungleichartigen Theilen das bekannte gleichartige Ganze. Hier gruͤndet ſie ſich alſo auf Beobachtung (§ 58).
Sie unterſucht hierauf die Erſcheinungen der Koͤrper; ſie findet, daß mit einer beſtimmten Miſchung auch be - ſtimmte Wuͤrkungen verbunden ſind, ſchließt alſo, daß die erſtere den Grund der letztern in ſich enthaͤlt (§ 65); ſie aͤndert hierauf die Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe der Erſchei - nungen durch Verſuche ab (§ 66), und findet endlich durch den entſcheidenden Verſuch (§ 67) den Grund einer Er - ſcheinung in einem beſtimmten Stoffe.
Sie nimmt vermoͤge der Stetigkeit der Natur (§ 83) an, daß dieſer Stoff unter aͤhnlichen Umſtaͤnden auch den bekannt gewordenen aͤhnliche Wuͤrkungen hervorbringen werde (§. 68), und ſie entdeckt auf dieſem Wege die all - gemeinen Miſchungsgeſetze der Natur.
Ihr Gegenſtand iſt alſo die ganze Koͤrperwelt, wie ſie unſern Sinnen erſcheint, und einer Theilung und Zuſam - menſetzung faͤhig iſt. Iſt ſie bis zu den letzten Grundſtoffen gelangt, deren Theilung fuͤr uns nicht mehr moͤglich iſt,deren57Encyklepaͤdie der Heilkunſt.deren Wuͤrkung wir alſo auch nicht aus ihrer Miſchung be - greifen koͤnnen: ſo hat ſie ihre Graͤnzen erreicht. Die Un - terſuchung der Wuͤrkungsgeſetze dieſer Grundſtoffe iſt alſo kein Theil der Chemie mehr, ſondern der Phyſik, obſchon ſie gewoͤhnlich die hoͤhere Chemie genennt wird.
I. Die allgemeine Chemie traͤgt die allgemeinen Wuͤr - kungsgeſetze der Materie, in ſofern ſie gemiſcht iſt, vor, wie ſich dieſelben uͤber das ganze Univerſium wuͤrkſam zei - gen, und die gemeinſchaftlichen Erſcheinungen ganzer Klaſ - ſen von gleich gemiſchten Koͤrpern.
II. Die ſpecielle Chemie zeigt, wie dieſe allgemeinen Miſchungsgeſetze in einzelnen Koͤrpern realiſirt werden; ſie zerfaͤllt alſo in die Zoochemie, Phytochemie und Oryktochemie.
Die Heilkunſt bedarf der geſammten Chemie, da ſie ohne dieſelbe keine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß der aͤuſ - ſern Natur (§ 156), mithin auch nicht des Menſchen, als eines Gliedes derſelben (§ 155) erlangen, und dadurch auch ihren Zweck (§ 36) nicht erreichen kann.
Eben ſo dringend bedarf ſie auch der einzelnen Theile der Chemie, zuerſt (beſonders der Zoochemie), um aus der gleichen oder ungleichen Miſchung, verglichen mit den glei - chen oder ungleichen Erſcheinungen an andern Naturkoͤrpern und an Menſchen, den Grund der Erſcheinungen an dem letztern zu entdecken.
Ferner um die Koͤrper, welche den Grund der Krank - heiten oder der Geneſung abgeben, den Urſachen ihrer Wuͤr - kung nach kennen zu lernen, worunter alſo auch die Kennt - niß der Heilmittel gehoͤrt.
Die Lehre von der Miſchung des menſchlichen Koͤrpers, (welche eigentlich hier ihren Platz gar nicht findet) und der Heilmittel, macht den Inhalt der ſogenannten medici - niſchen Chemie aus, welche alſo nur den dringendſten Nothbedarf der Heilkunſt enthaͤlt, und weit entfernt iſt, ihren Forderungen und Beduͤrfniſſen Genuͤge zu leiſten.
Die Phyſik oder Naturlehre iſt die Lehre von den Kraͤf - ten in der Natur, fuͤr deren Aeußerungen wir durch getreue Beobachtungen und Verſuche, Geſetze auffinden koͤnnen, ohne jedoch einen hoͤhern Grund dazu in der Form und Mi - ſchung der, ihnen zum Subſtrat dienenden Koͤrper, entdek - ken zu koͤnnen.
Sie folgt alſo der Naturgeſchichte und Chemie, hebt da ihre Unterſuchungen an, wo letztere ſie einſtellen mußte (§ 176), und muß auch von ihren Unterſuchungen abſte - hen, wo das Gebiet der metaphyſiſchen Kosmologie beginnt.
Sie ſtellt die Erſcheinungen, welche weder aus der Form, noch aus der Miſchung ihrer Koͤrper erklaͤrt werden koͤnnen, neben einander (§ 57, 58), ſucht ihre gemein - ſchaftlichen Merkmahle auf, nimmt zu gleichen Wuͤrkungen gleiche Urſachen, als Kraͤfte an, ſtellt die (§ 64) nach der Verſchiedenheit der Verhaͤltniſſe (§ 26) abgemeſſene Verſchiedenheit der Erſcheinungen dar (§ 65), findet da - durch die Wuͤrkungsgeſetze der Naturkraͤfte (§ 68), und giebt ihren Entdeckungen durch die Mathematik, d. h. durch die Wiſſenſchaft der Koͤrper, in wiefern ſie ſchlechthin aus - gedehnt oder im Raume erſcheinen, einen hoͤhern Grad von Gewißheit.
I. Die allgemeine Phyſik hat die Kraͤfte zum Gegen - ſtande, welche allen Koͤrpern, als ſolchen, gemeinſchaftlich zukommen, und muß demnach, weil ſie die Kenntniß aller Koͤrper, alſo auch eines Theils der menſchlichen Natur be - gruͤndet, der Heilkunſt nothwendig vorangehen.
II. Die ſpecielle Phyſik iſt nach dem angegebenen Be - griffe (§. 183, 184) deſto weitlaͤufiger, je eingeſchraͤnkter die Chemie iſt, und wird an Zahl der Gegenſtaͤnde deſto aͤrmer, an Gehalt aber reicher, je tiefer die Chemie in das Weſen der Koͤrper eindringt, und viele Koͤrper, welche vormals Gegenſtaͤnde der Phyſik waren, werden jetzt das Eigenthum der Chemie.
1. Die Phyſik des organiſchen Reichs wird Phyſio - logie genannt; ſie unterſucht ſeine Erſcheinungen, undentdeckt60Zweyter Theil.entdeckt mit Huͤlfe der Analogie und Induction die Wuͤr - kungsgeſetze der, jenen Erſcheinungen zu Grunde liegenden Kraͤfte.
Sie hat nicht denjenigen Grad mathematiſcher Evidenz, auf welchem die Phyſik der anorgiſchen Natur ſteht, weil die Erſcheinungen der Organiſation nicht ſo beharrlich ſind, auf mehr zuſammengeſetzten Kraͤften beruhen, einen weirern Kreis von Beruͤhrungspuncten haben, und deshalb nicht ſo leicht mathematiſche Berechnungen zulaſſen, als die anor - giſche Natur.
a. Die Zoophyſiologie oder die Lehre von den Erſcheinungen und Kraͤften der Thiere, welche ſich auf die Zoologie (§ 166), Zootomie (§ 167), und Zoochemie (§ 178) gruͤndet, dient der Heilkunſt, um durch Verglei - chung der thieriſchen mit den menſchlichen Erſcheinungen, Reſultate zur Kenntniß der letzteren zu erlangen, und wird deshalb auch die vergleichende Phyſiologie genannt.
b. Die Phytophyſiologie oder die Lehre von den Erſcheinungen und Kraͤften der Pflanzen, bereichert die Heilkunſt ebenfalls durch angeſtellte Vergleichungen, mit Entdeckungen uͤber die Kraͤfte des Menſchen.
2. Die Phyſik des anorgiſchen Reiches dient der Heil - kunſt unmittelbar zu Beurtheilung der Kraͤfte unorganiſcher Koͤrper, welche auf den menſchlichen Koͤrper einwuͤrken unddenſelben61Encyklopaͤdie der Heilkunſt.denſelben veraͤndern (Geſundheit, Krankheit, Tod hervor - bringen) *).
Die naͤhern Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt enthalten die Kenntniß des Menſchen, und ſeiner geſammten Erſchei - nungen, als auf welche ſich dieſelbe unmittelbar ſtuͤtzt.
Da die Heilkunſt den Menſchen zu ihrem alleinigen Gegenſtande hat, und die uͤbrige Natur nur im Bezuge auf ihn, nur um ihn gehoͤrig kennen zu lernen, unterſucht, da endlich jedes andere Geſchoͤpf ihm aͤhnliche Mitgeſchoͤpfe neben ſich hat, der Menſch hingegen, vermoͤge ſeiner gei -ſtigen62Zweyter Theil.ſtigen Kraͤfte, iſolirt in der Schoͤofung ſteht: — ſo laͤßt die Heilkunſt in den allgemeinen Naturwiſſenſchaften da, wo von dem Menſchen die Rede ſeyn koͤnnte (§ 166, 167, 178, 190) Luͤcken, und ſpart die Betrachtung deſſelben bis auf dieſe Stelle auf, wo ſie ihm ungeſtoͤrt ihre Aufmerſam - keit ſchenken kann.
Die Erſcheinungen an dem lebenden Menſchen koͤnnen ſich beziehen auf ſeinen Koͤrper oder auf ſeinen Geiſt, die erſtern auf ſeine Form, oder ſeine Miſchung, oder ſeine eigenthuͤmlichen Kraͤfte *).
So wie die Kenntniß der Form uͤberhaupt der erſte Schritt zur Kenntniß der Natur iſt (§ 157), ſo muß auch die Lehre von der Form des menſchlichen Koͤrpers *) der Unterſuchung der mannichfaltigen in ihm verwebten Kraͤfte nothwendig vorangehen.
Die Anatomie oder Zergliederungslehre liefert die Beſchreibung der urſpruͤnglichen aͤußern Form des menſchlichenKoͤrpers,63Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Koͤrpers, nach allen ſeinen Theilen, wie ſie beſonders durch die Zergliederung erkannt wird. Sie iſt alſo bloßes Pro - duct der ſinnlichen Wahrnehmung.
Nach der Verſchiedenheit der Theile des menſchlichen Koͤrpers hat die Anatomie verſchiedene Zweige, naͤmlich 1) die Oſteologie oder Knochenlehre beſchreibt die harten, fuͤr ſich unbeweglichen Theile, welche den uͤbrigen zur Stuͤtze oder zum Schutze dienen.
2) Die Syndesmologie oder Baͤnderlehre be - ſchreibt die feſten, elaſtiſchen und geſchmeidigen Theile, welche die Knochen theils untereinander, theils mit den Muskeln vereinigen.
3) Die Myologie oder Muskellehre beſchreibt die aus eigenthuͤmlichen, der Zuſammenziehung und Ausdeh - nung faͤhigen Faſern, beſtehenden Werkzeuge der Bewe - gung.
4) Die Angiologie oder Gefaͤßlehre liefert die Be - ſchreibung der haͤutigen, durch den ganzen Koͤrper verbrei - teten Kanaͤle, welche ſeine Fluͤſſigkeiten in ſich enthalten und umherfuͤhren; und ſie hat nach Verſchiedenhnit dieſer Kanaͤle, verſchiedene Zweige:
a) Die Arteriologie oder Schlagaderlehre enthaͤlt die Kenntniß derjenigen Kanaͤle, welche unmittelbar mit dem Herzen zuſammenhaͤngen, und das Blut aus demſelbenvermoͤge64Zweyter Theil.vermoͤge ihrer eigenthuͤmlichen Zuſammenziehung, nach der Oberflaͤche der verſchiedenen Theile fuͤhren.
b) Die Phlebologie oder Blutaderlehre enthaͤlt die Beſchreibung der Kanaͤle, welche unmittelbar mit dem Her - zen zuſammenhaͤngen, und, durch ihre Klappen unterſtuͤtzt, das aus den Schlagadern empfangene Blut von der Ober - flaͤche der verſchiedenen Theile in daſſelbe zuruͤckfuͤhren.
c) Die Saugaderlehre *) giebt die Beſchreibung der Kanaͤle, welche nicht mit dem Herzen, ſondern mit einer Blutader unmittelbar zuſammenhaͤngen, in welche ſie die von der Oberflaͤche der verſchiedenen Theile eingeſegenen Fluͤſſigkeiten uͤberfuͤhren.
5) Die Nevrologie oder Nervenlehre beſchreibt die vom Hirn und Ruͤckenmark aus, uͤber den ganzen Koͤrper ſich verbreitenden Faͤden, welche die Bedingung der Em - pfindung und in den Muskeln, der willkuͤhrlichen Bewegung, abgeben.
6) Die Adenologie oder Druͤſenlehre beſchreibt die Werkzeuge der Abſonderung verſchiedener Fluͤſſigkeiten aus dem Blute, welche aus den durch eigene Haͤnte mit einan - der verbundenen Werkzeugen zuſammengeſetzt ſind.
7) Die Splanchnologie oder Eingeweidelehre be - ſchreibt die aus Muskelfaſern, Gefaͤßen, Nerven, Druͤſenund65Encyklopaͤdie der Heilkunſt.und einem eigenthuͤmlichen Gewebe von Faſern mannichfal - tig zuſammengeſetzten Theile, welche durch mannichfaltige Erſcheinungen das Leben des Koͤrpers unterhalten.
8) Die Lehre von den aͤußern Theilen beſchreibt die ohne Zergliederung in die Augen fallenden Theile des menſch - lichen Koͤrpers.
Die ſogenannte hoͤhere Anatomie iſt eine Be - ſchreibung der Form der Theile des menſchlichen Koͤrpers, nebſt Angabe ihrer Geſchichte, ihrer Wuͤrkung und Beſtim - mung. Sie iſt alſo nur eine ſcheinbare Bereicherung der Anatomie, auf Koſten der Phyſiologie, und dergleichen wiſſenſchaftliche Eingriffe ſind niemals von Nutzen, denn nur bey ſtreng abgeſteckten Graͤnzen der Wiſſenſchaften kann jede derſelben am vollkommenſten bearbeitet werden.
Die geſammte Heilkunſt bedarf der Anatomie, als der erſten Bedingung zur Kenntniß des Menſchen, welche noth - wendig der Phyſiologie vorhergehen und dieſelbe begruͤn - den muß.
Die Handarzneykunſt und Entbindungskunſt beduͤrfen inſonderheit der genaueſten Kenntniß der Form, jene des ganzen Koͤrpers, dieſe beſonders der auf die Geburt ſich be - ziehenden Theile des weiblichen Koͤrpers, — da die krank - hafte Veraͤnderung der Theile nur nach ihrer urſpruͤnglichen Form beurtheilt werden kann, und jene beſeitigt werden muß, ohne daß dem Baue der uͤdrigen geſunden Theile da - durch Eintrag geſchieht.
E§ 212.66Zweyter Theil.Unter den Nebenwiſſenſchaften muß beſonders die ge - richtliche Arzneykunde die Anatomie benutzen, um an leben - den Menſchen, ſo wie an Leichnamen das Urſpruͤngliche von dem Krankhaften zu unterſcheiden, und dadurch auf die vor - hergegangenen Urſachen, oder die daraus entſpringenden Wuͤrkungen zu ſchließen.
Die Naturgeſchichte des Menſchen erzaͤhlt die Verhaͤlt - niſſe ſeiner aͤußern Form gegen die der uͤbrigen Koͤrper uͤber - haupt, der Thiere inſonderheit, und ſeiner verſchiedenen Ra - cen gegeneinander, nebſt der damit verbundenen Abaͤnderung der Erſcheinungen. Sie iſt alſo das Reſultat der Beobach - tung (§ 58).
Dieſes Studiums bedarf die Heilkunſt, als einer Ein - leitung zur Kenntniß des Menſchen, um einzuſehen, welche Stelle derſelbe in der großen Stufenfolge der Natur ein - nimmt.
Die Beſtandtheile und Miſchungsverhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤrpers machen den Gegenſtand eines eigenen Theils der ſpeciellen Chemie aus *).
Dieſe Unterſuchung hat alſo gleiche Quellen und gleiche Methode, als die uͤbrigen Theile der Chemie, ſetzt auch die genaueſte Kenntniß derſelben voraus, kann ſich aber nicht auf den Grad der Gewißheit erheben, welchen die Chemie der anorgiſchen Natur erreicht, weil die organiſche Natur in ihren Wuͤrkungen weniger ſtetig, und vermoͤge der mannichfaltigern Zuſammenſetzung heterogener Kraͤfte, einer ſchwerer einzuſehenden, ewigen Abwechſelung unter - worfen iſt, und weil dieſer Theil der Chemie ſodann die or - ganiſchen Koͤrper zwar aufloͤſen, aber ihres andern Huͤlfs - mittels, der Zuſammenſetzung der gefundenen Beſtandtheile zum vorigen Ganzen (§ 173), ſich nicht bedienen kann.
Dieſe bisher außerſt vernachlaͤſſigte, und vermoͤge der zweckloſen Behandlungsart der geſammten Chemie, bis jetzt unvollſtaͤndige Wiſſenſchaft, iſt von dem wichtigſten Ein - fluſſe auf die Heilkunſt, indem ſie eine ſehr lautere Quelle zur ſichern Erklaͤrung ſehr vieler Erſcheinungen am geſunden und kranken Menſchen abgiebt, und einen Theil ſeiner Na - tur entwickelt.
Doch ſo wenig auch die Heilkunſt ohne Anthropeche - mie vermag, eine ſo gefaͤhrliche Klippe bietet ſich ihr auch in derſelben dar. So bald ſie naͤmlich bey den Graͤnzen der menſchlichen Erkenntniß uͤberhaupt, und unſerer gegenwaͤr - tigen inſonderheit, alle Erſcheinungen des Menſchen aus der Miſchung ſeines Koͤrpers vollſtaͤndig erklaͤren will, in ihm alſo nur ein chemiſches Product ſieht: ſo wird ſie einſeitig und mangelhaft.
Denn ſo unbezweifelt es auch iſt, daß wir uns die Er - ſcheinungen der Koͤrperwelt nicht anders, als begruͤndet in ihrer Form und Miſchung denken koͤnnen, ſo vermoͤgen wir doch nicht, in die innere Miſchung aller Weſen ſo tief ein - zudringen, um daraus alle ihre Erſcheinungen hinreichend zu erklaͤren. Das große Reich feinerer Stoffe liegt außer - halb der Graͤnzen unſerer Sinne, und das Verfahren der Natur in Verbindung und Zuſammenſetzung derſelben, welche die Quelle der vorzuͤglichſten Modificationen der Er - ſcheinungen abgiebt, liegt ebenfalls noch außer unſerm Ge - ſichtskreiſe. Koͤnnten wir hieruͤber aufgeklaͤrt werden, ſo brauchten wir nicht mehr von Kraͤften zu ſprechen, deren Wuͤrkungsgeſetze wir nur aufſuchen: es gaͤbe denn alſo keine Phyſik, keine Phyſiologie mehr, ſondern die Chemie ver - ſchlaͤnge alle uͤbrigen Naturwiſſenſchaften, welche jetzt in ihrer Unvollkommenheit neben ihr ſtehen.
Die Erſcheinungen am Menſchen im engern Sinne, (d. h. ſeine Zuſtaͤnde, welche einander in der Zeit folgen und dadurch von einander verſchieden ſind) ſind theils koͤrperlich, theils geiſtig. Die Lehre von dieſen Erſcheinungen *) zer - faͤllt alſo dem zufolge in zwey Theile.
Die Phyſiologie oder die Naturlehre des menſch - lichen Koͤrpers iſt die Darſtellung ſeiner Erſcheinungen uͤber - haupt, und der Geſundheit insbeſondere, verbunden mit der Unterſuchung ihres Weſens, ihrer Urſachen und Wuͤr - kungen.
Unter Natur verſtand man ehemals den ſeiner Beſtim - mung angemeſſenen Zuſtand eines Koͤrpers; natuͤrlich war deshalb am Menſchen, ſoviel, als geſund, wider - natuͤrlich gleichbedeutend mit krankhaft, und Phyſiologie war die Lehre von der Geſundheit. Allein ſie hat ein weite - res Feld; ſie unterſucht die geſammte koͤrperliche Natur des Menſchen, d. h. den Innbegriff von den innern Beſtim - mungsgruͤnden, welche ſeine vermittelſt der aͤußern Sinne wahrnehmbaren Erſcheinungen unter beſtimmten Formen ver - nrſacht.
E 3§ 223.70Zweyter Theil.Zuerſt ſtellt ſie alſo die beobachteten koͤrperlichen Er - ſcheinungen am Menſchen dar. Sie ſtuͤtzt ſich hier auf die Anatomie, von welcher ſie die Kenntniß des Subſtrates die - ſer Erſcheinungen entlehnt, und die groͤßere oder geringere Vollkommenheit dieſer Lehre iſt daher von betraͤchtlichem Einfluſſe auf ſie.
Sie entwickelt alſo hier den Nutzen dieſer Theile, wel - cher theils unmittelbar wahrgenommen, und mit Huͤlfe einer zureichenden anatomiſchen Kenntniß durch eine leichte Be - obachtung erkannt wird, theils verſteckter liegt, und mit mehreren Schwierigkeiten entdeckt wird.
Im letztern Falle ruft ſie außer der Anatomie, welche ihr immer zur Seite geht, auch die Anthropochemie zu Huͤlfe (deren bisherige gaͤnzliche Verweiſung auf dieſen Theil der Phyſiologie nur durch ihren bisherigen mangelhaften Zuſtand entſchuldigt werden kann), um zu unterſuchen, welche Mi - ſchungsveraͤnderungen durch den beſtimmten Theil vor ſich gehen, und welchen Einfluß er hierdurch auf den ganzen Organismus hat.
Sie bedient ſich ferner der Verſuche, d. h. ſie veraͤn - dert auf mancherley Art die Verhaͤltniſſe des Organes, um die dadurch erfolgenden Modificationen ſeiner Erſcheinungen zu beobachten, und daraus auf die weſentlichen Bedingung ſeiner Wuͤrkungen zu ſchließen.
Eben ſo ſucht ſie auch durch Verſuche die Wuͤrkungen des Organs aufzuheben, um durch Beobachtung des darausentſtehen -71Encyklopaͤdie der Heilkunſt.entſtehenden Nachtheils fuͤr die uͤbrige Organiſation ſeinen Zweck aufzuklaͤren.
Sie benutzt hierzu auch die Beobachtungen der Patho - logie, indem ſie ſich von derſelben belehren laͤßt, welche Wuͤrkungen aus dem krankhaften Zuſtande des unterſuchten Organs erwachſen.
Die vergleichende Anatomie und Phyſiologie dient ihr zu einem aͤhnlichen Huͤlfsmittel, um naͤmlich aus der Ueber - einkunſt aͤhnlicher koͤrperlicher Theile und Erſcheinungen an Thieren, auf eine urſachliche Verbindung dieſer Theile und dieſer Erſcheinungen am Menſchen zu ſchließen.
Hat die Phyſiologie auf dieſe Art die mancherley Wuͤr - kungen des menſchlichen Organismus nach ihren Bedingun - gen, Erſcheinungen und Zwecken dargeſtellt, ſo ſucht ſie nun die eigentlichen Urſachen derſelben auf.
Sie verſucht alſo ihre Erklaͤrung 1) aus dem Baue des menſchlichen Koͤrpers, und vergleicht damit die in der ge - ſammten Natur beobachtete Modification der Kraͤfte durch das verſchiedene Verhaͤltniß ihrer koͤrperilchen Subſtrate, im Raume: ſie benutzt alſo hier die Mathematik, und zwar zunaͤchſt die angewandten Theile derſelben, als Mechanik, Hydroſtatik, Hydraulik ꝛc.
2) Aus der Miſchung des menſchlichen Koͤrpers: ſie vergleicht dieſe mit der Miſchung der uͤbrigen Natur, undE 4wo72Zweyter Theil.wo ſie in Beyden gleiche Erſcheinungen bey gleichen Stoffen findet, ſchließt ſie, daß die Erſcheinungen des erſtern auf dieſen Miſchungsverhaͤltniſſen beruhen.
Allein dieſe Erklaͤrungen ſchaffen ihr doch keine vollſtaͤn - dige Befriedigung, denn obſchon dadurch die Art der Wuͤr - kungen des menſchlichen Organismus aufgeklaͤrt wird, ſo bleiben ihr doch immer noch ihre eigentlichen Urſachen ver - borgen; ſie findet hier uͤberall Wuͤrkungen, welche von denen der uͤbrigen Natur abweichen, und ſie ſieht daher ein, daß der menſchliche Koͤrper nicht nur einen allgemein koͤrperlichen Charakter habe, ſondern auch einen eigenthuͤmlichen, ihm allein zukommenden, welcher alſo auch durch keine Verglei - chung mit der uͤbrigen Natur, ſondern nur durch ſorgfaͤltige Beobachtung ſeiner ſelbſt ausgemittelt werden kann.
Sie beobachtet alſo die Erſcheinungen des menſchlichen Koͤrpers, wie ſie durch ihre mannichfaltigen Verhaͤltniſſe be - ſtimmt werden, vergleicht ſie untereinander, ſchließt vermit - telſt Analogie und Induction auf ihre Urſachen, begiebt ſich des Anſpruchs auf die Kenntniſſe des innern Weſens dieſer Urſachen, und ſtrebt nur nach Auffindung der Geſetze, nach welchem die dem Menſchen inwohnende Kraft ſich thaͤtig er - zeigt.
Hierdurch wird ſie alſo ein wuͤrklicher Theil der Phyſik. Allein die Phyſik der anorgiſchen Schoͤpfung hat das vor ihr voraus, daß ihr Gegenſtand einfacher, nicht ſo vielſeitig, und mehr ſtetig iſt, alſo auch eine mathematiſche Berechnung ſeiner Wuͤrkungsgeſetze eher zulaͤßt.
§ 236.73Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Dies iſt der Weg der analytiſchen Bearbeitung der Phy - ſiologie. Als ſchon bearbeitete Wiſſenſchaft verfaͤhrt ſie ſynthetiſch, und traͤgt 1) in ihrem allgemeinen Thei - le die Reſultate der ſpeciellen Unterſuchung vor, naͤmlich die Merkmahle, welche den ſaͤmmtlichen Erſcheinungen des menſchlichen Koͤrpers gemeinſchaftlich zukommen, und die denſelben zum Grunde liegenden Kraͤfte nach ihren Wuͤrkungs - geſetzen. Dieſe Kraͤfte ſind aber theils allgemein, welche der menſchliche Koͤrper mit andern gemein hat (phyfiſche und chemiſche), theils eigenthuͤmliche (Lebenskraͤfte, Le - bensprincip, Erregbarkeit).
2) Die ſpecielle Phyſiologie erlaͤutert die Erſcheinungen der einzelnen Organe aus ihrer eigenthuͤmlichen Natur, ver - bunden mit den allgemeinen Wuͤrkungsgeſetzen des menſchli - chen Koͤrpers.
Uebrigens leiſtet die Phyſiologie auch in dieſen Graͤnzen der Heilkunſt volle Genuͤge. Da es naͤmlich dieſer darauf ankommt, den Menſchen in ſeinen verſchiedenen Wuͤrkungen und Verhaͤltniſſen zu kennen, um dieſe Verhaͤltniſſe zu Be - ſeitigung des krankhaften Zuſtandes abaͤndern zu koͤnnen: ſo braucht die Phyſiologie auch nur zu zeigen, welche Erſchei - nungen der menſchliche Koͤrper aͤußert, und nach welchen Geſetzen ſie erfolgen, wenn ſie auch ſchon ihren letzten Grund nicht befriedigend aufzuhellen vermag.
Sie entwickelt alſo die Wuͤrkungsgeſetze der Natur des lebenden menſchlichen Koͤrpers uͤberhaupt; und da die Krank -E 5heit74Zweyter Theil.heit nach eben dieſen Geſetzen erfolgt, und eben ſo, wie die Geſundheit nur eine beſondere Modification des Lebens ab - giebt, ſo koͤnnen wir nur durch die Phyſiologie eine gehoͤrige Einſicht in die Urſachen, Erſcheinungen und Wuͤrkungen der Krankheiten erlangen, und die Phyſiologie wird dadurch der Eckſtein der Heilkunſt, weil ſie den Grund ihrer geſamm - ten Theorie in ſich faßt.
Da die Phyſiologie nicht nur die Erſcheinungen des Le - bens uͤberhaupt, ſondern auch der Geſundheit, als einer ein - zelnen Modification deſſelben beſonders darſtellt: ſo iſt ihre Kenntniß fuͤr die Heilkunſt auch in der Ruͤckſicht wichtig, um den geſunden Zuſtand gehoͤrig zu erkennen und zu unterſchei - den.
Die phyſiologiſche Semiotik, oder die Zeichenlehre der Geſundheit, ſtellt alſo die durch unſere Sinne unmittelbar wahrnehmbaren Wuͤrkungen der einzelnen Organe dar, um daraus auf die, ihrem urſpruͤnglichen Zwecke entſprechenden Wuͤrkungen der uͤbrigen Organe, welche unſrer ſinnlichen Anſchauung nicht frey ſtehen, ſchließen zu koͤnnen.
Sie liefert die Reſultate einer genauen Beobachtung der Erſcheinungen des menſchlichen Koͤrpers, wie dieſelben im geſunden Zuſtande einander folgen und neben einander be - ſtehen, und ſie iſt alſo ein Theil der hiſtoriſchen Phyſiologie (§ 223), welcher erſt durch die uͤbrigen Zweige dieſer Wiſ - ſeuſchaft, Einſicht in die urſachliche Verbindung des Bey -ſam -75Encyklopaͤdie der Heilkunſt.ſammenſeyns und der Aufeinanderfolge dieſer Erſcheinungen erhaͤlt.
Das Leben hat nur zwey Modificationen: Geſundheit und Krankheit. Um alſo die eine gehoͤrig zu erkennen und zu beurtheilen, muß man von der ihr gegenuͤber ſtehenden unterrichtet ſeyn. Da nun das erſte Geſchaͤft der Heilkunſt in Erkenntniß der Krankheiten beſteht, ſo muß ſie nothwen - dig zuvoͤrderſt die Zeichen der Geſundheit vollkommen inne haben.
Unter den Nebenwiſſenſchaften bedarf beſonders die ge - richtliche Arzneykunſt der phyſiologiſchen Semiotik, um naͤm - lich auszumitteln, ob und in welchem Grade die Geſundheit in einem Subjecte Statt finde.
Dieſe Kenntniß des Menſchen (§ 221 — 244) iſt aber immer noch unvollſtaͤndig, denn ſie bezieht ſich noch nicht auf ihn, in ſofern er auch das Glied einer hoͤhern Schoͤ - pfung iſt. Dieſe Luͤcke wird durch die Pſychologie ausge - fuͤllt, welche alſo der allgemeinen Kenntniß des Menſchen ihre Vollendung ertheilt.
Die Pſychologie oder die Seelenlehre iſt naͤmlich die Darſtellung der geiſtigen Erſcheinungen im Menſchen uͤber -haupt76Zweyter Theil.haupt, und in der Geſundheit insbeſondere, verbunden mit der Unterſuchung ihres Weſens, ihrer Urſachen und ihrer Wuͤrkungen. Sie iſt alſo ganz das fuͤr die geiſtige Natur des Menſchen, was die Phyſiologie fuͤr ſeine koͤrperliche Na - tur iſt.
Ihre Quelle iſt urſpruͤnglich das dem Menſchen inwoh - nende Bewußtſeyn ſeiner ſelbſt. Der Menſch vermag naͤm - lich bey allen geiſtigen Wuͤrkungen, welche er aͤußert, ſeine Aufmerkſamkeit auf dieſe Acte zu lenken, und ihre eigen - thuͤmlichen Merkmahle vermittelſt ſeines innern Sinnes wahr - zunehmen.
Er findet, daß mit jeder geiſtigen Wuͤrkung eine Vor - ſtellung verbunden iſt, ſtellt aber ihre Modiflcationen unter den drey Klaſſen des Erkennens, Begehrens und Fuͤhlens auf.
Dieſe Erſcheinungen machen alſo den erſten und hiſtori - ſchen Theil der Pſychologie aus, denn ſie ſind blos durch die Beobachtung, durch die Anſchauung ſeiner ſelbſt ge - geben.
Was nun aber die Unterſuchung des Grundes dieſer Er - ſcheinungen anlangt, ſo ſteht ſie, von der Kritik des Erkennt - nißvermoͤgens geleitet, von der Anmaßung ab, denſelben an ſich, in ſeinem innern Weſen zu erkennen, begnuͤgt ſich, (wie die Phyſiologie in Ruͤckſicht auf die koͤrperlichen Erſchei - nungen (§ 234) einen, ſeinem Weſen nach unbekannten Grund der bekannten geiſtigen Erſcheinungen zu denken, (welchen ſie an ſich betrachtet, Geiſt, in Ruͤckſicht auf ſeine Verbindungmit77Encyklopaͤdie der Heilkunſt.mit der Koͤrperwelt, Seele nennt), und ſucht nur ſeine Wuͤrkungsgeſetze und ihren Zuſammenhang zu entwickeln.
Dieſe Geſetze naͤmlich, nach welchen die geiſtigen Er - ſcheinungen erfolgen, und nach welchen ſie verſchiedne Wuͤr - kungen nach ſich ziehen, werden dadurch entdeckt, daß der Menſch ſeine einzelnen Geiſteswuͤrkungen im geſunden ſo - wohl, als im kranken Zuſtande, unter einander vergleicht, durch Verſuche belehrt, das Weſentliche von dem Unweſent - lichen unterſcheidet, die an andern Menſchen hieruͤber ge - machten Beobachtungen hierzu benutzt, und die verſchiede -[nen] Verhaͤltniſſe aufſucht, welche ihre Modificationen be - ſtimmen.
Sie iſt alſo blos durch die Erfahrung gegeben, und wird[daher] auch gewoͤhnlich die empiriſche Pſychologie ge - nennt. Man nennt ſie auch Anthropologie, in ſofern das eigentliche Weſen des Menſchen auf dem geiſtigen Vermoͤ - gen beruht, und der Koͤrper nur das Subſtrat deſſelben abgiebt.
Der Menſch darf nie bloß koͤrperlich betrachtet werden: denn ſonſt uͤberſieht man den wichtigſten Theil ſeines Weſens, und kann nur einſeitige Urtheile uͤber ihn faͤllen. Dadurch wird die Pſychologie eben ſo noͤthig fuͤr die Heilkunſt, als die Phyſiologie.
Einige Krankheiten des Menſchen beruhen unmittelbar und ausſchließlich auf einer unregelmaͤßigen Wuͤrkung ſeines geiſtigen Vermoͤgens. Uebrigens ſind aber auch die verſchie - denen Charakter des Menſchen ſo innig unter einander ver -kettet,78Zweyter Theil.kettet, daß keiner derſelben veraͤndert werden kann, ohne ſogleich eine entſprechende Veraͤnderung der andern nach ſich zu ziehen; und deshalb giebt es auch keine betraͤchtliche Modification des Koͤrperlichen am Menſchen, keine Krank - heit irgend einer Art, womit nicht eine angemeſſene Modi -[fication] ſeines geiſtigen Weſens verknuͤpft waͤre.
Die Heilkunſt bedarf alſo der Pſychologie, nicht nur in Ruͤckſicht auf die Krankheiten des Geiſtes, ſondern auch auf alle uͤbrigen, ſobald ſie auf irgend einen Grad der Vollſtaͤn - digkeit und Vollkommenheit Anſpruch machen will; und ſie bedarf ebenfalls ihres Unterrichtes, um mit den Heilmitteln bekannt zu werden, welche in der geiſtigen Natur des Men - ſchen ſelbſt liegen.
Da nun alle diejenigen Naturwiſſenſchaften, welche den Menſchen nach ſeinen mannichfaltigen Erſcheinungen und deren Wuͤrkungsgeſetzen darſtellen (als die naͤhern Grund - wiſſenſchaften § 195), wegen ihrer Anwendung zum Behuf der Heilkunſt, zu den mediciniſchen gerechnet werden, ſo ge - hoͤrt hierher auch die Pſychologie, und es iſt Uſurpation und eine grundloſe Anmaßung der Philoſophie, dieſelbe in ihr Gebiet zu ziehen. Die Philoſophie entlehnt vielmehr dieſe Erfahrungswiſſenſchaft eben ſo wie die Heilkunſt, aus dem großen Gebiete der Naturwiſſenſchaften.
Ein Theil der Pſychologie iſt die Anthropologie im en - gern Sinne, oder die Lehre von dem eigenthuͤmlichen Cha -rakter79Encyklopaͤdie der Heilkunſt.rakter des Menſchen, welcher in der Vereinigung koͤrperli - cher und geiſtiger Kraͤfte zu einem harmonirenden Weſen beſteht. In ſofern naͤmlich die Pſychologie die allgemeine Kenntniß des Menſchen durch Entwickelung ſeines hoͤchſten Charakters vollendet, findet in ihr die Anthropologie ihre ſchicklichſte Stelle.
Die Anthropologie ſtellt 1) den Einfluß des Koͤrpers auf die Seele dar, und hierher gehoͤrt beſonders die Tem - peramentslehre, welche die aus Erfahrung bekannten Geſetze darſtellt, nach welchen der Innbegriff der Form und Miſchung des menſchlichen Koͤrpers die geiſtigen Kraͤfte in ihrem Vermoͤgen und ihren Wirkungen modificirt.
2) Den Einfluß der Seele auf den Koͤrper; hierher ge - hoͤrt vorzuͤglich die Pathematologie, welche die durch Erfahrung bekannten Geſetze entwickelt, nach welchen die mit beſonderer Lebhaftigkeit verbundenen Actionen des geiſti - gen Weſens im Menſchen, die koͤrperlichen Kraͤfte in ihrem Vermoͤgen und ihren Wuͤrkungen beſtimmen.
Die Unentbehrlichkeit dieſer Kenntniſſe fuͤr die Heilkunſt wird ſchon aus ihrem angegebenen Begriffe hinlaͤnglich deut - lich. Da naͤmlich der gegenſeitige Einfluß des Geiſtigen und Koͤrperlichen im Menſchen ſo ſtark iſt, daß er uͤberall, ſowohl bey Entſtehung, als bey Heilung der Krankheiten ſich wuͤrkſam erzeigt: ſo muß die Heilkunſt mit den Geſetzen bekannt ſeyn, nach welchen er erfolgt, um ihn auf den be - ſtimmten Zweck lenken zu koͤnnen, und dadurch das Gebietihrer80Zweyter Theil.ihrer Herrſchaft uͤber die Natur um ein Betraͤchtliches zu er - weitern.
Wenn wir immer alle Wuͤrkungen des geiſtigen Weſens, wie ſich dieſelben durch koͤrperlichen Ausdruck offenbaren, er - kennten, ſo wuͤrden wir weiter keiner Zeichen beduͤrfen. Denn da die Geſundheit in Erſcheinungen beſteht: ſo haͤtten wir, ſobald wir die ſaͤmmtlichen Erſcheinungen als zweckmaͤßig anerkennten, eine vollſtaͤndige Beobachtung der Geſundheit. Da wir dies aber nicht im Stande ſind: ſo wird eine pſy - chologiſche Semiotik noͤthig.
Die pſychologiſche Semiotik, oder die Zeichenlehre der Geiſtesgeſundheit, ſtellt die einzelnen geiſtigen Erſcheinungen dar, welche wir unmittelbar (an uns durch Selbſtbewußt - ſeyn) oder mittelbar (an Andern, durch Beobachtungen des koͤrperlichen Ausdruckes) wahrnehmen, um aus deren Beſchaffenheit auf die ihrem urſpruͤnglichen Zwecke angemeſ - ſenen uͤbrigen Geiſteswuͤrkungen zu ſchließen.
Der Theil der pſychologiſchen Zeichenlehre, welcher den Einfluß der Seele auf die aͤußere Form des Koͤrpers oder das Uebereinkommende zwiſchen beyden, als Zeichen zu Be - urtheilung der Geiſteswuͤrkungen darſtellt, iſt bis jetzt vor - zugsweiſe unter dem Namen der Phyſiognomik bearbei - tet worden.
Die Heilkunſt bedarf dieſer Zeichenlehre eben ſo, wie der der koͤrperlichen Geſundheit (§ 243) zur Erkenntniß derKrank -81Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Krankheiten, und unter den Nebenwiſſenſchaften benutzt ſie vorzuͤglich die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft.
Die Pathologie, oder allgemeine Krankheitslehre (auch allgemeine Pathologie genannt) beſchaͤftigt ſich mit Aufſtel - lung der Merkmahle, welche entweder allen, oder einzelnen Gattungen von Krankheiten gemeinſchaftlich zukommen.
Sie iſt alſo das Reſultat der ſpeciellen Krankheitslehre. Da naͤmlich dieſe die einzelnen Gattungen der Krankheiten in allen ihren Verhaͤltniſſen beſchreibt: ſo abſtrahirt jene das Allgemeine hiervon, und ſucht den Zuſammenhang deſſelben durch die bekannten Wuͤrkungsgeſetze der dem Menſchen in - wohnenden Kraͤfte, aufzuklaͤren.
Dieſe allgemeinen Merkmahle der Krankheiten beziehen ſich entweder auf die oberſten, fuͤr uns erkennbaren Geſetze, nach welchen dieſelben erfolgen, oder auf die Wuͤrkungen, welche ſie hervorbringen, oder auf die Urſachen, durch wel -Fche82Zweyter Theil.che ſie herbeygefuͤhrt werden. Die Pathologie zerfaͤllt alſo in die Pathogenie, Symptomatologie und Aetiologie.
1. Die Pathogenie oder Krankheitsnaturlehre iſt die Darſtellung der fuͤr uns erkennbaren oberſten Geſetze, nach welchen die ihrem urſpruͤnglichen Zwecke nicht entſprechenden Erſcheinungen der menſchlichen Natur erfolgen.
Die Geſundheit beruht auf zweckmaͤßiger Wuͤrkung der Kraͤfte des Menſchen, und alle Unterſuchungen ihres We - ſens, ſchraͤnken ſich nur auf Entdeckung der Geſetze ein, nach welchen jene Wuͤrkung erfolgt. Eben ſo verhaͤlt es ſich auch mit den Krankheiten, als welche in einer Modification jener Kraͤfte beſtehen, wodurch die Erreichung der Zwecke der menſchlichen Natur geſtoͤrt wird. So viel wir alſo von dem eigentlichen Weſen der Krankheiten wiſſen koͤnnen, traͤgt die Pathogenie vor.
Ihren Stoff erhaͤlt ſie von der ſpeciellen Krankheitslehre (§ 266), und ſie bearbeitet ihn, geleitet von der Phyſiolo - gie und Pſychologie. Denn dieſe Wiſſenſchaften beſchaͤfti - gen ſich nicht bloß mit Darſtellung der Geſundheitserſchei - nungen, ſondern mit Entwickelung der Geſetze, nach wel - chen die menſchliche Natur ſich uͤberhaupt wuͤrkſam erzeigt, (§ 234, 250), oder ſie machen die Naturlehre des Menſchen aus (§ 183). Da nun Krankheiten nichts Widernatuͤrli - ches, ſondern einzig und allein von den Wuͤrkungsgeſetzen der menſchlichen Natur abhaͤngig ſind (§ 222), und ſich auf dieſelbe beziehen, ſo koͤnnen die Geſetze, nach welchen ſie er - ſcheinen, nur vermittelſt jener Wiſſenſchaften aufgehelltwer -83Encyklopaͤdie der Heilkunſt.werden, und dieſe haͤngen in ihrer Beobachtung und in ih - ren Reſultaten auf das Innigſte unter einander zuſammen.
Da die Natur im Menſchen eben ſo, als in der Auſſen - welt, ſtetig in ihren Wuͤrkungen, und uͤberall ihren Geſetzen getreu iſt, ſo erfolgt die Heilung nach denſelben oberſten Ge - ſetzen, nach welchen die Krankheiten ſelbſt entſtanden waren.
Die Pathogenie liefert alſo auch der Heilkunſt eine hin - reichende Einſicht in die oberſten Grundſaͤtze, nach welchen die Heilung der Krankheiten bewuͤrkt werden kann. Und in ſofern man unter Philoſophie uͤberhaupt im Bezug auf Sach - keuntniſſe, eine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß der Erſchei - nungen ihrem Weſen und ihrer urſachlichen Verbindung nach, verſteht, wird die Pathogenie mit Recht die Funda - mentalphiloſophie der geſammten Heilkunſt genennt.
2. Die Symptomatologie, oder die Krankheitser - ſcheinungslehre, traͤgt die einzelnen Modificationen der allgemeinen, oder nur einem Theile inhaͤrirenden, auf eine einzige Erſcheinung ſich beziehenden Kraͤfte des Menſchen vor, in ſofern dieſe Modificationen theils unmittelbar be - wuͤrkt, theils durch andre, vorhergehende herbeygefuͤhrt ſind.
Es iſt dieſe Lehre das Reſultat der bloßen, an dem kranken Menſchen angeſtellten Beobachtung, und ſie wird fuͤr die Heilkunſt wichtig, um die Erſcheinungen jedes ein - zelnen Krankheitsfalles gehoͤrig beurtheilen zu koͤnnen.
3. Die Aetiologie oder Krankheitsurſachenlehre, ſtellt die verſchiedenen Verhaͤltniſſe der menſchlichen Natur auf, welche ſie ſo modificiren, daß aus der bisherigen Ge - ſundheit eine beſtimmte Gattung der Krankheit erwaͤchſt.
Sie iſt das Reſultat der an kranken Menſchen gemach - ten Erfahrungen, weil ſie den urſachlichen Zuſammenhang unterſucht, welcher zwiſchen den krankhaften Erſcheinungen und den Kraͤften, welche vorher auf den Menſchen einwuͤrk - ten, Statt findet; welchen Zweck ſie vermittelſt der Kennt - niß der Wuͤrkungsgeſetze der menſchlichen Natur erreicht.
Zur gehoͤrigen Kenntniß eines jeden Krankheitsfalles, deſſen ſaͤmmtliche Erſcheinungen wir ohnedies niemals voll - ſtaͤndig wahrnehmen, iſt die Kenntniß der vorhergehenden Verhaͤltniſſe des Menſchen fuͤr immer noͤthig, welche die Urſache der gegenwaͤrtigen Krankheit abgegeben haben: ja oft leitet ſie die Erkenntniß der Krankheit faſt ganz allein. So wird alſo die Aetiologie eine wichtige Stuͤtze der Heil - kunſt.
Allein ſie iſt es auch in Ruͤckſicht auf die Heilung un - mittelbar, weil naͤmlich die Krankheitserſcheinungen niemals gehoben werden koͤnnen, ehe ihre Veranlaſſungen hinweg - geraͤumt ſind, und dies eine genaue Kenntniß derſelben vor - ausſetzt.
Die Lehre von den beſondern Krankheitserſcheinungen bezieht ſich eben ſo wie die Lehre von der menſchlichen Na - tur uͤberhaupt, und der Geſundheit insbeſondere (§ 195) entweder auf die Form, oder auf die Miſchung ſeines Koͤr - pers, oder auf die eigentlich ſogenannten Erſcheinungen.
Die pathologiſche Anatomie, oder die Lehre von dem krankhaften Baue des menſchlichen Koͤrpers, traͤgt die Ver - aͤnderungen vor, welche die Theile deſſelben, als ausge - dehnt im Raume treffen, und ſie zu Erreichung ihres ge - meinſchaftlichen, auf die geſammte Organiſation ſich bezie - henden Zweckes, ungeſchickt machen, oder ſie in ihren Ver - richtungen ſtoͤren.
Sie iſt alſo das Reſultat von Beobachtungen, oder ei - ne Erzaͤhlung der krankhaft veraͤnderten Form, welche man theils am lebenden menſchlichen Koͤrper wahrgenommen, theils an Leichnamen durch die Zergliederung entdeckt hat, nebſt Angabe der Urſachen, durch welche ſie veranlaßt wurde, und der Wuͤrkungen, welche ſie auf die uͤbrige Organiſation hatte.
F 3§ 282.86Zweyter Theil.Ihre Quelle iſt alſo die Betrachtung und Zergliederung des kranken oder krank geweſenen menſchlichen Koͤrpers, ver - bunden mit den Kenntniſſen der Anatomie und der ſpeciellen Krankheitslehre.
Da die durch den Geſichtsſinn wahrnehmbaren und bleibenden Eigenſchaften des menſchlichen Koͤrpers, welche ſich alſo auf ſeine Form beziehen, die erſten Zeichen zu Er - kenntniß aller Krankheiten abgeben: ſo wird die pathologi - ſche Anatomie der geſammten Heilkunſt unentbehrlich.
Dadurch ferner, daß ſie die Veraͤnderungen der Form nicht nur beſchreibt, ſondern auch ihre Geſchichte entwickelt, und die damit verbundenen Erſcheinungen der uͤbrigen Orga - ne erklaͤrt, ſetzt ſie die Heilkunſt in den Stand, die krank - hafte Form in dem Innern des Organismus zu entdecken. Auch verbreitet ſie in vielen Faͤllen Licht uͤber die Anatomie und Phyſiologie.
Ganz beſonders unentbehrlich iſt ſie aber fuͤr die Hand - arzneykunſt (daher ſie auch chirurgiſche Anatomie genennt wird) und fuͤr die Entbindungskunſt, weil die krankhaft veraͤuderte Form des menſchlichen Koͤrpers den eigentlichen Gegenſtand dieſer Zweige der Heilkunſt ausmacht.
Die pathologiſche Antropochemie oder die Lehre der krankhaften Miſchung des menſchlichen Koͤrpers, ſtellt die Veraͤnderungen ſeiner Beſtandtheile dar, durch welche er unfaͤhig gemacht wird, ſeinen urſpruͤnglichen Verrichtungen zweckmaͤßig vorzuſtehen, nebſt den Urſachen und Wuͤrkungen dieſer Veraͤnderungen.
Sie hat alſo ihre Quelle in der chemiſchen Analyſe der Leichname, oder der aus dem noch lebenden Koͤrper ausge - ſonderten Saͤfte, oder andrer von ihm zertrennter Theile; auch bedient ſie ſich verſchiedener Verſuche an dem lebenden Koͤrper.
Sie bedarf ferner einer genauen Kenntniß der mit Ge - ſundheit beſtehenden Miſchung des menſchlichen Koͤrpers, um damit die vorgefundene krankhafte Miſchung zu verglei - chen; und der Noſologie, welche ihr die vorhergehenden, gleichzeitigen und nachfolgenden Veraͤnderungen zur Geſchich - te derſelben darbietet.
Es iſt dieſe Lehre zur Erkenntniß der Urſachen mehrerer Krankheiten ſowohl, als auch einzelner abhaͤngiger Symp - tome, wichtig fuͤr die Heilkunſt, zumal wenn ſie dieſelbe belehrt, ob dieſe krankhafte Miſchung urſpruͤngliche Urſache der uͤbrigen Krankheitserſcheinungen, oder ob ſie ſpaͤtere Fol - ge derſelben iſt.
F 4§ 290.88Zweyter Theil.Sie berechnet aber auch die Heilkunſt in Ruͤckſicht auf die Erkenntniß der Wuͤrkung der Heilmittel, und ſie unter - ſtuͤtzt ſie auch in Entdeckung derſelben zur Beſeitigung gewiſ - ſer Krankheiten.
Die Noſologie (oder ſpecielle Pathologie) iſt derjenige Theil der Naturlehre des Menſchen, welcher ſeine verſchie - denen kraukhaften Erſcheinungen (im engern Sinne des Worts) als einzelne Ganze, nach ihrem Urſprunge, Ver - laufe, ihren Urſachen, Zeichen und Wuͤrkungen, erlaͤutert Sie bezieht ſich alſo auf ſein geiſtiges ſowohl, als auf ſein koͤrperliches Weſen.
Sie ſchoͤpft alſo einzig und allein aus der Beobach - tung der an einzelnen Menſchen vorkommenden Krankheits - faͤlle. Sie unterſcheidet naͤmlich die Urſachen, Erſcheinun - gen und Wuͤrkungen, welche dieſer Krankheitsfall mit andern Faͤllen gemein hat. Entdeckt ſie nun, daß, ſo oft ſie Beobachtungen anſtellt, gewiſſe Erſcheinungen immer mit einander verbunden ſind, oder auf einander folgen, ſo nimmt ſie dieſelben fuͤr weſentliche, beſchreibt dieſe mit Hint - anſetzung der unweſentlichen, d. h. ſolcher, welche auf der uͤbrigen und in keinem unmittelbaren Bezuge damit ſtehen - den individuellen Lage des Kranken, nicht auf den gemeinen Eigenſchaften der menſchlichen Natur beruhen, und liefertdurch89Encyklopaͤdie der Heilkunſt.durch Zuſammenſtellung der Krankheiten, welche in ihren weſentlichen Erſcheinungen mit einander uͤbereinkommen, die verſchiedenen Gattungen, und durch Zuſammenſtellung der mit einander uͤbereinkommenden Gattungen, die Klaſſen derſelben.
Hat ſie nun die weſentlich zuſammenhaͤngenden Krank - heitserſcheinungen wuͤrklich geſunden, ſo bemuͤht ſie ſich, ihr Cauſſalverhaͤltniß aufzuſuchen. Sie benutzt hierzu das Reſultat der Wiſſenſchaften, welchen ſie ſelbſt ihren Stoff erſt mitgetheilt hat, naͤmlich der pathologiſchen Anatomie und Antropochemie, und da ſie hierdurch zwar belehrt, aber nicht hinreichend aufgeklaͤrt wird: ſo ſchoͤpft ſie die Geſetze, nach welchen die menſchliche Natur krankhaft wuͤrkt, aus der allgemeinen Krankheitslehre, einer Wiſſenſchaft, welche ſie ebenfalls begruͤndet hat.
Hierdurch wird ſie nun in den Stand geſetzt, von einer jeden Krankheit die mannichfaltigen vorhergehenden Ver - haͤltniſſe des Menſchen, wodurch die Entſtehung der Krank - heit veranlaßt wurde (Gelegenheitsurſachen); die anhal - tenden Erſcheinungen des noch geſunden Menſchen, welche die Entſtehung der Krankheit beguͤnſtigten und befoͤrderten (praͤdisponiredende Urſachen); die noch unbeſtimmten und ſchwankenden, welche den Uebergang von Geſundheit in Krankheit ausmachen (Opportunitaͤt); ſodann die weſent - lichen, welche von einer beſtimmten Krankheit unzertrennlich ſind, und nur zugleich mit ihr beſeitigt werden koͤnnen (naͤchſte Urſache); hierauf die uͤbrigen, welche in einem weniger nothwendigen Zuſammenhange mit der Krankheit ſtehen, und daher einer den individuellen Verhaͤltniſſen desF 5Kran -90Zweyter Theil.Kranken angemeſſenen groͤßern Modification faͤhig ſind (Symptome), und endlich die Wuͤrkungen derſelben und der ganzen Krankheit — gehoͤrig auseinander zu ſetzen.
Einige dieſer Unterſuchungen machen einzelne Zweige der Noſologie aus; dieſe ſind naͤmlich die Syſtematik der Noſologie, die Diagnoſtik, die Prognoſtik und die pathologi - ſche Semiotik.
1. Die Zuſammenſtellung der Krankheiten nach ihren gemeinſchaftlichen Erſcheinungen, und ihrer darauf beru - henden Klaſſification in Klaſſen, Ordnungen ꝛc. macht den Gegenſtand der noſologiſchen Syſtematik aus.
A. Nimmt ſie ihre Eintheilungsgruͤnde her von den we - niger weſentlichen Erſcheinungen oder Symptome der Krank - heit, ſo wird ſie zur ſymptomatiſchen Syſtematik, welche mit der ſyſtematiſchen Naturbeſchreibung uͤberein kommt, weil beyde auf bloßer Wahrnehmung beruhen (§ 158).
a) Wenn ſie hier auf das Zuſammentreffen der man - nichfaltigen Symptome, und alſo auf den geſammten Cha - rakter der Krankheiten, als bloßer Erſcheinungen, Ruͤckſicht nimmt, ſo liefert ſie ein natuͤrliches Syſtem der Krankheiten (§ 160).
b) Waͤhlt ſie aber eine einzelne Klaſſe von Sympto - men zu ihrem Eintheilungsgrunde, ſo bildet ſie ein kuͤnſt - liches Syſtem der Krankheiten (§ 161).
§ 300.91Encyklopaͤdie der Heilkunſt.B. Stellt ſie aber die Krankheiten nach ihren weſentli - chen Erſcheinungen dar, welche den Grund der uͤbrigen ent - halten, und auf deren Beſeitigung die Heilkunſt bedacht ſeyn muß, weil mit derſelben auch die Entfernung der gan - zen Krankheit verbunden iſt, ſo liefert ſie ein praktiſches Syſtem der Krankheiten, welches das Reſultat der Erfahrung iſt.
2. Werden die weſentlichen und charakteriſtiſchen Merk - mahle, wodurch jene einzelnen Gattungen der Krankheiten ſich von einander auszeichnen, in der Abſicht dargeſtellt, um in einzelnen Faͤllen die vorhandenen Krankheiten zu erkennen, und von allen uͤbrigen gehoͤrig zu unterſcheiden, ſo erwaͤchſt hieraus die Diagnoſtik, oder die Erkennungslehre der Krankheiten.
3. Stellt die Noſologie die Erſcheinungen dar, welche nach moͤglichſt vollſtaͤndigen Beobachtungen, den gegenwaͤr - tigen folgen, und durch dieſelben herbeygefuͤhrt werden, nebſt den Merkmahlen, durch welche wir auf ihre kuͤnftige Entſtehung ſchließen koͤnnen, ſo lehrt ſie die Zukunft vorher - ſehen, und wird als eine ſolche Anleitung die Prognoſtik, oder die Vorhererkennungskunſt der Krankheiten genennt.
4. Beſchreibt ſie endlich die an dem kranken Menſchen ſinnlich wahrnehmbaren Erſcheinungen, welche vermoͤge ih - rer, durch ſorgfaͤltige Beobachtungen, entdeckter Verbin - dung mit andern, unſern Sinnen entdeckten Erſcheinungen, uns von der Gegenwart dieſer letztern unterrichten, um da -durch92Zweyter Theil.durch die Krankheiten in ihrem ganzen Umfange, und alſo auch nach ihrem Sitze und ihrem Grade zu erkennen: — ſo liefert ſie die pathologiſche Semiotik, oder die Zei - chenlehre der Krankheiten.
Die Noſologie befriedigt alſo das erſte und wichtigſte Beduͤrfniß der Heilkunſt, indem ſie zunaͤchſt in den Stand ſetzt, die Krankheitsfaͤlle zu erkennen und zu beurtheilen, und ſie iſt deshalb unentbehrlich fuͤr die Hauptwiſſenſchaften oder fuͤr die ſpecielle Therapie, Chirurgie und Entbindungs - kunſt, mit welchen Wiſſenſchaften ſie auch gemeiniglich im Vortrage verbunden wird.
Ferner muß ſie der Lehre von den Wuͤrkungen der Heil - kraͤfte auf die menſchliche Natur vorausgehen, und durch Mittheilung ihrer Beobachtungen die allgemeine Pathologie und ihre Zweige, die pathologiſche Anatomie und Anthro - pochemie begruͤnden, nicht weniger auch uͤber mehrere Ge - genſtaͤnde der Phyſiologie und Pſychologie, ja ſelbſt uͤber Anthropochemie, uͤber Anatomie und Naturgeſchichte des Menſchen mehr Licht verbreiten.
Dieſe Wiſſenſchaften aber, welche ſie unterſtuͤtzt, be - nutzt ſie hinwiederum zu ihrem eigenen Zwecke; denn ſie be - darf der Kenntniß der Form und Miſchung des menſchlichen Koͤrpers uͤberhaupt (Anatomie, Naturgeſchichte des Men - ſchen und Anthropochemie), ſo wie der Wuͤrkungsgeſetze der koͤrperlichen und geiſtigen Natur des Menſchen (Phyſiologie und Pſychologie), um die Krankheiten, als Modificationen jener Erſcheinungen und Kraͤfte gehoͤrig einzuſehen, und um ſie vollſtaͤndig zu beurtheilen, benutzt ſie auch die Lehre vonder93Encyklopaͤdie der Heilkunſt.der krankhaften Form und Miſchung (pathologiſche Anato - mie und Anthropochemie), und von den Wuͤrkungsgeſetzen der menſchlichen Natur in Bezug auf Krankheiten (Patho - logie).
Die Lehre’ von den Heilkraͤften *) lehrt die beſtimmten heilſamen Wuͤrkungen kennen, welche durch die Anwendung verſchiedener Kraͤfte auf den kranken Menſchen hervorge - bracht werden. Sie wird, in ſofern man ſich dieſer Kraͤfte als Mittrl der Heilung bedient, Heilmittellehre, auch, wiewohl uneigentlich Materia medica genennt.
Ihre einzige Quelle iſt die Erfahrung, d. h. eine durch vielfaͤltig und genau angeftellte Beobachtungen der Erſchei - nungen, welche der Einwuͤrkung verſchiebener Kraͤfte auf den kranken Menſchen folgten, nach den Geſetzen der Induction und Analogie erworbene Gewißheit uͤber den urſachlichen Zu - ſammenhang derſelben.
Es kann naͤmlich die Kenntniß der bloßen Kraͤfte fuͤr ſich, oder in ihren Verhaͤltniſſen zu der uͤbrigen Koͤrperwelt, noch nicht die Kenntniß ihrer Wuͤrkung auf den Menſchen involviren. Denn94Zweyter Theil.Denn jede Wuͤrkung in der Natur hat ihren zureichenden Grund nicht allein in der Kraft, welche wir als eben hinzu - kommend, unmittelbar in ihrer Thaͤtigkeit wahrnehmen, ſondern auch zugleich in der Kraft, welche afficirt wird und ihren Verhaͤltniſſen zu jener; oder mit andern Worten, jede Erſcheinung iſt das Reſultat der Einwuͤrkung und Gegen - wuͤrkung der Kraͤfte. Wir koͤnnen ſie daher nicht anders vorherſehen, außer, wenn wir das gegenſeitige Verhaͤltniß der Kraͤfte, welche mit einander in Beruͤhrung kommen, aus der Erfahrung kennen.
Die Kraͤfte des Menſchen beſtimmen alſo die Wuͤrkung der Heilmittel, und dieſe koͤnnen durch die an kranken Men - ſchen angeſtellten Beobachtungen entdeckt werden, da alle Beobachtungen an todten Koͤrpern, an Thieren, ja ſelbſt an geſunden Menſcheu, unvollſtaͤndig und truͤgeriſch ſind.
Zuerſt iſt der Zufall die Veranlaſſung zu Entdeckung der Heilmittel, d. h. entweder ohne den beſtimmten Willen des Menſchen ein Heilmittel zu gebrauchen, oder doch ohne beſtimmte Kenntniß ſeiner Wuͤrkungsart, alſo durch einen blinden Griff in den Gluͤckstopf, wird einer Kraft Gelegen - heit gegeben, auf den kranken Menſchen einzuwuͤrken, und dieſer geneſet darauf.
Jetzt bietet ſich nun die Unterſuchung dar, ob dieſe Ge - neſung in einem wuͤrklichen Cauſſalzuſammenhange mit der Anwendung jener Kraft ſtand, oder ob ſie durch einen an - dern, vielleicht uͤberſehenen Umſtand herbeygefuͤhrt wurde.
Das naͤchſte Mittel, hieruͤber zur Gewißheit zu gelan - gen, iſt nur die wiederholte Anwendung dieſer Kraͤfte in denſelben Krankheitsgattungen. Allein da kein Krankheits - fall, ſo wenig, als die Geſundheit, in einem Individuum, dem andern vollkommen aͤhnlich iſt: ſo kann jenes Mittel von neuem angewendet, auch nie ganz dieſelben Wirkungen, noch ſie in demſelben Maaße, derſelben Zeit ꝛc. hervorbringen.
Zu dieſen Verſuchen gehoͤrt alſo die genaueſte Kenntniß der Krankheiten im Allgemeinen ſowohl, als in ihren Indi - vidualitaͤten. Wenn naͤmlich bey Krankheiten, welche ihren Urſachen und weſentlichen Erſcheinungen nach, einander ganz unaͤhnlich ſind, nach Anwendung einer beſtimmten Kraft die Geneſung erfolgte; wenn ferner dieſe Geneſung, als Erſcheinung, d. h. nach der Zeit, in welcher ſie erfolgt, nach ihrer Vollkommenheit ꝛc. in keinem Verhaͤltniſſe ſteht mit der nach der Zeit und dem Maaße verſchiedenen Anwen - dung jener Kraft: ſo kann man vermoͤge der Stetigkeit der Natur mit vollkommener Zuverſicht ſchließen, daß man, wo nicht in allem, doch in einigen dieſer Faͤlle ſich geirrt hat, und daß die Geneſung hier von ganz andern Umſtaͤnden ab - hieng, welche unſerer Beobachtung entgangen ſind.
Hat man hingegen mehrmals beobachtet, daß der An - wendung einer Kraft in Krankheiten, welche im Allgemeinen gleiche weſentliche Erſcheinungen (naͤchſte Urſache) hatten, Geneſung folgte; hat man ein gewiſſes Verhaͤltniß zwi - ſchen der Modification dieſer Geneſung, des Krankheitsfalles und der angewendeten Kraft bemerkt; hat man endlich er -fahren,96Zweyter Theil.fahren, daß bey Abaͤnderung aller uͤbrigen Umſtaͤnde die Geneſung erfolgte, wenn nur die beſtimmte weſentliche Krankheitserſcheinung und die Anwendung jener Kraft Stau fanden: ſo hat man eine vollſtaͤndige Gewißheit, daß die beſtimmte Kraft dieſe Krankheit gehoben hat, und daß ſie vermoͤge der Stetigkeit der Natur in allen aͤhnlichen Faͤllen auch aͤhnliche Wuͤrkungen hervorbringen wird.
Da alſo die Heilmittellehre lehrt, in welchen Krankhei - ten und unter welchen Umſtaͤnden derſelben, in welchem Maaße und unter welchen Verhaͤltniſſen der Anwendung, die verſchiedenen Kraͤfte der aͤußern Natur und der Natur des Menſchen heilſam wuͤrken: ſo giebt ſie zunaͤchſt die Quelle der allgemeinen Heilkunſt ab.
Sodann wird ſie aber auch unmittelbar die Quelle der beſondern Heilkunſt, indem dieſe nur nach ihren Vorſchriften die Auswahl der Heilkraͤfte in den einzelnen Krankheiten un - ternehmen kann.
Die Kenntniſſe hingegen, welche ſie vorausſetzt, ſind verſchieden, je nachdem die Heilkraͤfte ſelbſt nicht einer und derſelben Natur ſind, und demnach auf einen oder den an - dern Charakter der menſchlichen Natur beſonders wuͤrken.
Wir theilen ſie daher ein in die, welche auf den Men - ſchen, als auf einen ausgedehnten (den Verhaͤltniſſen des Raumes unterworfenen), oder als einen gemiſchten (von Miſchungsverhaͤltniſſen abhaͤngigen), oder als einen thieri -ſchen97Encyklopaͤdie der Heilkunſt.ſchen Koͤrper, oder endlich als auf ein geiſtiges Weſen, wuͤrken.
Nicht als ob dieſe verſchiedenen Wuͤrkungen in der Natur ganz von einander disparat waͤren; denn jede Ver - aͤnderung des Menſchen (alſo auch jede Einwuͤrkung auf ihn) bezieht ſich immer, eben wegen jener innigen Vereinigung der verſchiedenartigſten Kraͤfte in ſeiner Natur, auf alle zu - gleich. Aber wir ſondern dieſelben in unſerer Idee von ein - ander, um uns ihre Anſicht zu erleichtern; wir erforſchen theils die unmittelbaren, theils diejenigen mittelbaren Wuͤr - kungen der Kraͤfte, welche die auffallendſten Erſcheinungen hervorbringen, und alſo die erheblichſten ſind.
Der Menſch hat zwar, als das oberſte Glied der Schoͤ - pfung, ſeine eigenen, hoͤhern Kraͤfte, als die uͤbrigen Koͤr - per; aber demungeachtet iſt er den allgemeinen Geſetzen der Koͤrperwelt nicht gaͤnzlich eximirt. Obſchon ſie mit meh - rerer Einſchraͤnkung in ihn wuͤrken: ſo giebt ihre regelmaͤſ - ſige Wuͤrkung doch die Bedingung ab, zur Aeußerung ſei - ner hoͤhern Kraͤfte.
Sind alſo die aͤußern Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr - pers, welche wir unter dem Namen ſeiner Form begreifen, ſo beſchaffen, daß derſelbe nicht zweckmaͤßig wuͤrken, oder ſeinen urſpruͤnglichen Verrichtungen nicht vorſtehen kann; enthaͤlt alſo die unmittelbar veraͤnderte Form des menſch -Glichen98Zweyter Theil.lichen Koͤrpers den Grund einer Krankheit, oder ein Hinder - niß der Aeußerung ſeiner vollſtaͤndigen Thaͤtigkeit: ſo muß dieſelbe durch Mittel verbeſſert werden, welche auf ſeine mechaniſche Natur wirken, und welche wir unter dem Na - men der Inſtrumente umfaſſen. Die Lehre von dieſen Mit - teln nennen wir die mechaniſche Heilmittellehre *), auch Inſtrumenten - und Bandagenlehre.
Wenn die krankhafte Form nicht Urſache, ſondern Folge anderer krankhaften Erſcheinungen der chemiſchen, thieriſchen oder geiſtigen Natur des Menſchen iſt: ſo iſt die Anwendung der mechaniſchen Heilmittel nur als Unterſtuͤtzung der eigent - lichen Heilung anzuſehen.
Inſtrumente uͤberhaupt ſind alſo diejenigen Koͤrper, welche auf den Menſchen zunaͤchſt wuͤrken, in ſofern er, als ausgedehnt, im Raume exiſtirt; und ihre Anwendung wird eine Operation genannt. Doch iſt hierdurch ihre Neben - wirkung nicht geleugnet, indem ihre Anwendung auch eine Veraͤnderung der thieriſchen und geiſtigen Erſcheinungen, zuweilen auch, ſoviel uns bekannt iſt (vielleicht immer), in der Miſchung, als ſpaͤtere Folge nach ſich ziehen.
Die Quelle dieſer Lehre iſt alſo die Kenntniß der Koͤr - per und ihrer Kraͤfte, in ſofern ſie im Raume ausgedehnt ſind, alſo die Mathematik und zwar inſonderheit die Me - chanik.
Allein dies iſt nicht ihre einzige Quelle, denn man kann wohl vermoͤge derſelben die Wuͤrkungen eines Inſtrumentes mit großer Wahrſcheinlichkeit vorherſagen; doch aus der Mechanik allein kann man ſie doch nie ganz zuverlaͤſſig be - ſtimmen, da man uͤber die Nebenwuͤrkungen der Operation nur durch die Erfahrung am kranken Koͤrper ſelbſt belehrt werden kann. Deshalb wurden ſeit jeher viele Operationen durch die Mathematik ausgeſonnen, welche ſpaͤterhin durch die Erfahrung fuͤr untauglich erklaͤrt wurden.
Das dringendſte Beduͤrfniß der mechaniſchen Heilmit - tellehre iſt die Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers nach ſei - ner aͤußern Form im krankhaften Zuſtande (pathologiſche Anatomie), um naͤmlich zuvoͤrderſt die Krankseit ihrem Ur - ſprunge, ihren Erſcheinungen und Wuͤrkungen nach, zu kennen.
So wie nun dieſe Lehre einzig und allein auf die reine Anatomie geſtuͤtzt ſeyn kann, ſo bedarf die mechaniſche Heil - mittellehre derſelben auch in der Ruͤckſicht, um bey Opera - tionen die Theile, deren Form geſund iſt, ſchonen zu koͤnnen.
Wegen der Nebenwuͤrkungen muß aber die mechaniſche Heilmittellehre auch die Data der Pathologie, Phyſiologie und Pſychologie benutzen.
Was endlich ihren Nutzen anlangt, ſo iſt derſelbe fuͤr die Handarzneykunſt und Entbindungskunſt vollkommen ein -G 2leuch -100Zweyter Theil.leuchtend, da dieſe Zweige der Kunſt die krankhafte Form des menſchlichen Koͤrpers zum Gegenſtande haben, welche in vielen Faͤllen nur einer unmittelbaren Veraͤnderung faͤhig und beduͤrftig iſt.
Wiewohl es bey unſern gegenwaͤrtigen Kenntniſſen ein ſeinen Zweck gaͤnzlich verfehlendes Unternehmen iſt, den menſchlichen Koͤrper allein nach den uns bekannten Mi - ſchungsverhaͤltniſſen der geſammten Natur beurtheilen, und aus derſelben die Wuͤrkung der Koͤrper auf ihn vollſtaͤndig erklaͤren und vorherſagen zu wollen: ſo bleibt doch der menſchliche Koͤrper immer ein Glied der geſammten Koͤrper - welt, welche den Geſetzen der Miſchung gehorcht.
Es ſind naͤmlich zwar in ihm die chemiſchen Verhaͤlt - niſſe den hoͤhern Geſetzen ſeiner thieriſchen und geiſtigen Na - tur untergeordnet; allein der zweckmaͤßlge Zuſtand der er - ſtern giebt doch die Bedingung der regelmaͤßigen Wuͤrkung der letztern ab, und auf der andern Seite wuͤrkt auch die Modification der thieriſchen und geiſtigen Kraͤfte auf die che - miſche Zuſammenſetzung des Koͤrpers.
Sobald alſo die weſentliche Erſcheinung einer Krankheit urſpruͤnglich auf der Miſchung des Koͤrpers beruht, unddieſe101Encyklopaͤdie der Heilkunſt.dieſe erſt die krankhafte Aeußerung der eigenthuͤmlichen Kraͤf - te veranlaßt hat, ſo iſt dieſer Zuſtand nur durch Anwendung ſolcher Mittel zu beſeitigen, welche dieſe Miſchung unmit - telbar und vorzuͤglich zu veraͤndern im Stande ſind. Ihre Darſtellung giebt die Lehre von den chemiſchen Heilkraͤf - ten *).
Iſt aber die krankhafte Miſchung des Koͤrpers abhaͤngig von den Erſcheinugen der thieriſchen und geiſtigen Kraͤfte: ſo macht ihre unmittelbare Beſeitigung durch chemiſch wuͤr - kende Mittel nur die Nebenabſicht der Heilkunſt aus.
Die chemiſchen Heilkraͤfte wuͤrken zuerſt mechaniſch und aͤußern ſodann auch Nebenwuͤrkungen auf die thieriſche und geiſtige Natur des Menſchen; allein dieſe Veraͤnderun - gen ſind theils weniger bedeutend, theils erfolgen ſie nicht ſo unmittelbar, als die Wuͤrkungen auf die Miſchung des menſchllchen Koͤrpers.
Will man aber die Wuͤrkung aller Mittel auf den menſchlichen Koͤrper aus der Veraͤnderung ſeiner Miſchung erklaͤren: ſo muß man zuvoͤrderſt ſeine verſchiedenen Erſchei - nungen, deren unbekannten Grund wir mit dem Namen von Kraͤften bezeichnen, aus ſeinen Miſchungsverhaͤltniſſen hin - reichend erklaͤren; und um dies thun zu koͤnnen, muß man vor allen Dingen die Erſcheinungen der geſammten Natur, deren Wuͤrkungsgeſetze wir bis jetzt nur beobachten koͤnnen, ihrem letzten chemiſchen Grunde nach, darſtellen. Es muͤſ - ſen alſo nicht nur unſere gegenwaͤrtige Pathogenie und Phy -G 3ſiologie,102Zweyter Theil.ſiologie, ſondern auch die Phyſik gaͤnzlich umgeſtoßen und von einer allgemeinen Chemie verdraͤngt werden.
Die Quelle der Lehre von den chemiſchen Heilmitteln iſt die Chemie, verbunden mit den am kranken menſchlichen Koͤrper gemachten Erfahrungen; denn ohne dieſe kann man nicht entraͤthſeln, wie weit ſich die Guͤltigkeit der chemiſchen Geſetze in dem menſchlichen Koͤrper erſtreckt, oder wie ſehr ſie durch die hoͤhern Kraͤfte des Menſchen eingeſchraͤnkt iſt.
Die Huͤlfsmittel dieſer Lehre ſind zunaͤchſt in der patho - logiſchen und allgemeinen Anthropochemie, ſodann aber we - gen der Nebenwuͤrkungen, auch in der geſammten Patholo - gie und Phyſiologie begriffen.
Ihr unmittelbarer Gebrauch bezieht ſich, ſo wie der der geſammten Heilmittellehre, auf die allgemeine und beſondere Arzneykunſt und Handarzneykunſt.
Der Menſch zeigt außer den phyſiſchen und chemiſchen auch noch noch hoͤhere Erſcheinungen, welche er in einem gewiſſen Grade mit den Thieren gemein hat, und welche, weil ſie den hoͤchſten Charakter der Thiere ausmachen, thie -riſche103Encyklopaͤdie der Heilkunſt.riſche Erſcheinungen genannt werden. Ihren Grund nennt man das Lebensprincip, und uͤber dieſes iſt uns keine an - dere Erfahrung moͤglich, außer welche ſich auf die Geſetze bezieht, nach denen es ſich wuͤrkſam zeigt.
Dieſes Lebensprincip wird nun oft unmittelbar krank - haft modificirt, ohne daß die vorhergegangene Veraͤnderung der Form und Miſchung entweder ſinnlich wahrnehmbar, oder doch wenigſtens von Bedeutung und auffallend geweſen waͤre. Dieſe Krankheit erfordert dann zu ihrer Beſeitigung die Anwendung ſolcher Kraͤfte, welche der Erfahrung zu - folge ebenfalls vorzuͤglich auf das Lebensprincip wuͤrken, ohne die Form und Miſchung des menſchlichen Koͤrpers auf - fallend veraͤndert zu haben. Wir nennen dieſe Kraͤfte thieri - ſche Heilmittel *).
Die Heilkunſt bedient ſich derſelben aber auch nebenbey und zur Unterſtuͤtzung in den Faͤllen, wo die krankhafte Mo - dification des Lebensprincips eine Folge der veraͤnderten Form und Miſchung des Koͤrpers, oder der unregelmaͤßigen Wuͤrkung der Seelenkraͤfte iſt, wo alſo der eigentliche Heil - plan ſich zunaͤchſt auf dieſe Charaktere des Menſchen bezieht.
Der eigentlichen Wuͤrkung dieſer Kraͤfte geht alſo eine Veraͤnderung der chemiſchen und phyſiſchen Natur des Men - ſchen voraus, welche aber, mehr oder weniger unbedeutend, oft ganz unmerklich iſt. — Sie fuͤhren aber auch Neben -G 4wuͤrkun -104Zweyter Theil.wuͤrkungen in dem geiſtigen Weſen des Menſchen herbey, welche ebenfalls beruͤckſichtigt werden muͤſſen, obſchon ſie nur abgeleitete und mittelbar erfolgende Erſcheinungen ſind.
Dieſe Heilkraͤfte koͤnnen einzig und allein durch die am kranken Menſchen angeſtellten Erfahrungen ausgemittelt werden, da ſeine Wuͤrkungsgeſetze nichts Aehnliches in der Natur haben, und nur durch ihre eigenen Erſcheinungen er - kannt werden koͤnnen.
Es theilt ſich die Lehre von dieſen Kraͤften in verſchie - dene Zweige, je nachdem dieſelben in der Natur des Men - ſchen ſelbſt, oder außerhalb derſelben liegen.
Diejenigen Kraͤfte der aͤußern Natur, welche in den krankhaften Modificationen des Lebensprincips unmittelbar heilſame Veraͤnderungen hervorbringen, d. h. ohne daß auf - fallende Veraͤnderungen der Form und Miſchung des Koͤr - pers vorhergegangen waͤren, werden Arzneyen, Arz - neymittel (pharmaca) genennt, und die uͤber ihre Wuͤr - kungen gemachten Erfahrungen werden in der Pharma - kologie oder Arzneymittellehre vorgetragen.
Dieſe Arzneymittel ſind nun von zweyerley Art, theils durch die Sinne unmittelbar wahrnehmbare Koͤrper, theilsfeinere105Encyklopaͤdie der Heilkunſt.feinere Stoffe, welche wir nicht unmittelbar wahrnehmen, und deren Wuͤrkung wir als die Aeußerung gewiſſer Kraͤfte bezeichnen. Sie ſind alſo theils Arzneykoͤrper, theils Arz - neykraͤfte.
Die Lehre von den Arzneykoͤrpern beſchreibt die groͤbern Stoffe, oder die Koͤrper der aͤuſſern Natur nach den ihnen ei - genen, und von ihnen unzertrennlichen Kraͤften auf den kran - ken menſchlichen Koͤrper.
1. Die Arzneykoͤrper werden zuerſt nach ihrer natuͤrli - chen Beſchaffenheit beſchrieben, und man benutzt hierzu die Kenntniſſe der ſpeciellen Naturgeſchichte und Chemie. Die - ſer Theil der Pharmakologie macht die Droguenlehre aus, denn die Arzneykoͤrper, von Seiten ihrer natuͤrlichen Eigenſchaften betrachtet, werden Droguen genennt.
2. Sodann werden ihre Wuͤrkungen auf den kranken menſchlichen Koͤrper vorgetragen, welche durch eine gelaͤu - terte Erfahrung uns bekannt worden ſind. Wir nennen dieſe Unterſuchung die Dynamik der Pharmakologie.
3. Endlich beduͤrfen auch die Arzneykoͤrper oft der Hin - zukunft der Kunſt, um mit weniger Schwierigkeiten ange -G 5wendet106Zweyter Theil.wendet werden, oder auf den kranken menſchlichen Koͤrper leichter und vortheilhafter wuͤrken zu koͤnnen.
Dieſe kuͤnſtliche Veraͤnderung wird ihre Bereitung genennt, und die Vorſchrift zur Bereitung eines Arzney - koͤrpers, heißt eine Formel. — Auf dem zufaͤlligen Unterſchiede, daß einige Formeln fuͤr gewoͤhnlich immer, an - dere nur fuͤr einzelne Faͤlle beſtimmt und fuͤr ſie eigends ge - macht werden, beruht es, daß dieſe Bereitung den Gegen - ſtand zweyer Kuͤnſte ausmacht, naͤmlich der Pharmacie und des Formulares.
a. Die Pharmacie lehrt diejenigen Bereitungen der Arzneykoͤrper kennen, welche wegen ihrer auf ſehr viele Krankheitsfaͤlle paſſenden Wuͤrkſamkeit fuͤr gewoͤhnlich in den Officinen verfertigt, und daſelbſt fuͤr immer aufbewahrt werden, und verbindet hiermit die Regeln, nach welchen man bey Sammlung, Aufbewahrung und Bereitung der Arzneykoͤrper verfahren muß. Die Vorſchriften, nach wel - chen dieſe Bereitungen vorgenommen werden, heiſſen Offi - cinalformeln.
Wird die Pharmacie als eine eigne Kunſt (Apotheker - kunſt) betrachtet, welche deshalb auch ein beſonderes Stu - dium erfordert, ſo werden in ihren Umfang auch die Huͤlfs - kenntniſſe aufgenommen, welche ſie mit der dynamiſchen Pharmakologie gemein hat, naͤmlich die Droguenlehre.
b. Das Formulare oder die Receptirkunſt lehrt die Regeln, nach welchen der Arzt ſolche Bereitungender107Encyklopaͤdie der Heilkunſt.der Arzneykoͤrper fuͤr einzelne Faͤlle anordnet, von welchen er ſich nach Vergleichung der Wuͤrkung jener Arzneykoͤrper, und der Umſtaͤnde des gegenwaͤrtigen Krankheitsfalles, die heilſamſten Wuͤrkungen verſpricht. Eine ſolche Vorſchrift wird eine Magiſtralformel, oder ein Recept ge - nennt.
Seine Grundſaͤtze ſchoͤpft das Formulare ebenfalls aus der Droguenlehre, da eine ſolche Bereitung ſein Zweck iſt, wel - che theils der aͤußern Beſchaffenheit (Conſiſtenz), theils der eignen Miſchung der Arzneykoͤrper, angemeſſen iſt. Die Gundſaͤtze bey ſolchen Bereitungen, welche ſich auf ihre Heilkraͤfte beziehen, gehoͤren nicht in das Gebiet dieſer Kunſt.
Die Lehre von den Arzneykraͤften (im engern Sinne) unterrichtet uns von der Wuͤrkung derjenigen Kraͤfte der aͤußern Natur, auf das krankhaft modificirte Lebensprin - cip, deren in der Form und Miſchung der Koͤrper enthaltener Grund uns unbekannt iſt, und auf der Gegenwart feiner Stoffe beruht, welche wir aus ihren Wuͤrkungen kennen ler - nen. Es ſind alſo dies die Kraͤfte, welche, weil ſie den Gegenſtand der Phyſik ausmachen, phyſiſche genennt wer - den (ſ. Anmerk. zu § 192).
§ 358.108Zweyter Theil.Die Quelle dieſer Lehre iſt ebenfalls die Erfahrung am kranken Menſchen angeſtellt; ihre Huͤlfswiſſenſchaft iſt aber die Phyſik.
Der Menſch kann unmittelbar auf ſein Lebensprincip nicht nur mit Huͤlfe der aͤußern Natur wuͤrken, ſondern daſſelbe auch durch ſeine eigene Natur beſtimmen, in ſofern er naͤmlich durch die Kraft des Willens beſtimmte Veraͤnde - rungen ſeines Koͤrpers hervorbringt, welche ohne auffallende Veraͤnderung der Form und Miſchung, hauptſaͤchlich auf das Lebensprincip wuͤrken. In ſofern der Geiſt einen ſol - chen Einfluß auf den Koͤrper hat, wird er Seele genennt.
So wie die Seelenwuͤrkungen (als willkuͤhrliche Bewe - gung) Urſachen der krankhaften Modification des Lebens - princips abgeben koͤnnen, ſo ſind ſie eben ſo als Heilmittel zu gebrauchen, welche ganz vorzuͤglich in den Faͤllen ange - wendet werden, wo die Krankheit urſpruͤnglich von ihrem unrechten Gebrauche abhieng, aber als Huͤlfsmittel auch bey andern Krankheiten anwendbar ſind.
Die vorzuͤglichſte Vorkenntniß dieſer Lehre iſt in dem Theile der Phyſiologie und Anthropologie enthalten, wel -cher109Encyklopaͤdie der Heilkunſt.cher die Bewegung des menſchlichrn Koͤrpers durch die Be - ſtimmung des Willens, und ihre Wuͤrkungen aus einander ſetzt.
Der Menſch hat endlich, als das vollendetſte Weſen, welches die Erfahrung uns kennen lehrt, auch eine geiſtige Natur, welche verſchiedener, auch krankhafter Modificatio - nen faͤhig iſt. Man kann ferner Actionen ſeines Geiſtes veranlaſſen, welche durch Umſtimmung deſſelben jene krank - haften Modificationen heben, die Geneſung bewuͤrken, und welche man geiſtige oder pſychiſche Heilmittel nennt. Dies iſt der Gegenſtand der Lehre von den geiſtigen Heilmit - teln *).
So oft ein pſychiſches Heilmittel angewendet wird, ſo bringt es allemal zuerſt eine Veraͤnderung der phyſiſchen, chemiſchen und thieriſchen Natur im Menſchen hervor; allein dieſe Wuͤrkungen ſind weniger betraͤchtlich, oft unſrer Wahr - nehmung faſt gaͤnzlich entruͤckt, und ſeine vorzuͤglichſte Wuͤr - kung beſteht alſo immer in der Einwuͤrkung auf den Geiſt.
Zunaͤchſt iſt eine Kenntniß dieſer Mittel in den Faͤllen noͤthig, wo die krankhaften Aeuſſerungen des Geiſtes unmit - telbar hervorgebracht worden ſind, und auf ihnen die we - ſentliche Erſcheinung der ganzen Krankheit beruht.
Allein bey jeder krankhaften Modification der phyſi - ſchen, chemiſchen und thieriſchen Natur des Menſchen, nimmt mittelbar auch der Geiſt Antheil; und wenn dann auch die Heilkunſt ihr vorzuͤglichſtes Augenmerk nur auf Be - ſeitigung jener weſentlichen Erſcheinung durch phyſiſche, chemiſche oder thieriſche Heilkraͤfte richtet, ſo unterſtuͤtzt ſie doch die Heilung immer auch durch unmittelbare Wuͤrkung auf den Geiſt.
So wie die Erfahrung die einzige Quelle dieſer Lehre iſt, ſo ſind ihre Huͤlfsmittel in der Pſychologie, und beſon - ders in ihrem anthropologiſchen Theile enthalten.
Unter Hauptwiſſenſchaften der Heilkunſt verſtehen wir diejenigen, welche zu Erreichung des eigentlichen Zweckes derſelben (Heilung der Krankheiten) Anleitung geben. Je nachdem dieſe Belehrung ſich auf die einzelnen Krankheits - faͤlle mittelbar oder unmittelbar bezieht, werden ſie einge - theilt in naͤhere und entferntere Hauptwiſſenſchaften.
Die entfernten Hauptwiſſenſchaften ſind in der allge - meinen Heilkunſt enthalten; dieſe ſtellt naͤmlich dieGrund -111Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Grundſaͤtze auf, nach welchen man bey Heilung der Krank - heiten im Allgemeinen, und einzelner Klaſſen derſelben ins - beſondere verfahren muͤſſe. Sie ſchildert demnach die ge - meinſchaftlichen Erſcheinungen der Krankheiten, ſo wie die Wuͤrkung der Heilmittel in ihrer allgemeinſten und hoͤchſten Anſicht, um daraus das allgemeinſte Verhaͤltniß der Heil - mittel zu den Krankheiten in das gehoͤrige Licht zu ſetzen.
Dieſes entdeckte gehoͤrige Verhaͤltniß (Proportion) ei - nes beſtimmten Heilmittels zu einer beſtimmten Krankheits - erſcheinung, wird eine Heilanzeige (Indication) ge - nennt, ſo wie das Mißverhaͤltniß (Disproportion) derſel - ben eine Gegenanzeige (Contraindication) heißt. Da nun die allgemeine Heilkunſt ſich mit Beſtimmung dieſer Verhaͤltniſſe oder Mißverhaͤltniſſe beſchaͤftigt, ſo wird ſie auch die Lehre von den allgemeinen Heilanzeigen genennt.
Ihre Quelle iſt die an dem kranken Menſchen gemachte Erfahrung. Sie zieht naͤmlich aus der Beobachtung der Heilung einzelner Krankheiten allgemeine Reſultate, welche ſich auf die Heilung der Krankheiten uͤberhaupt, oder einzel - ner Klaſſen derſelben, die ihren weſentlichen Erſcheinungen nach, mit einander uͤbereinkommen, beziehen.
Sie ſtellt alſo, und darinne beſteht vorzuͤglich ihr Ge - ſchaͤft, die Reſultate der Pathogenie und der Heilmittellehre zuſammen, und bedarf alſo zunaͤchſt der Huͤlfe dieſer Wiſ - ſenſchaften, ſodann aber auch aller uͤbrigen, welche dieſe ſelbſt begruͤnden oder unterſtuͤtzen.
Sie muß daher der beſondern Heilkunſt nothwendig vorausgehen, denn dieſe enthaͤlt nur eine Anwendung der in der allgemeinen Heilkunſt vorgetragenen Grundſaͤtze auf ein - zelne Krankheiten und ihre beſondern Modificationen.
Sie theilt ſich auch in dieſelben Zweige, welche die be - ſondre Heilkunſt nach der Verſchiedenheit ihres Gegenſtandes hat, nemlich in die allgemeine Arzneykunſt, Handarzney - kunſt und Entbindungskunſt.
Die allgemeine Arzneykunſt, (allgemeine mediciniſche Therapie) *) traͤgt die allgemeinen Grundſaͤtze zur Heilung derjenigen Krankheiten vor, deren weſentliche Erſcheinung auf einer krankhaften Aeuſſerung der thieriſchen oder geiſti - gen Kraͤfte des Menſchen beruht.
Ihre[beſondere] Quelle iſt, außer der Pathogenie, die Noſologie, verbunden mit der Lehre von den auf die thieri - ſche und geiſtige Natur wuͤrkenden Heilmitteln.
Ihre Anwendung findet ſie in der beſondern Arzney - kunſt, welche ihre Reſultate fuͤr jede einzelne Krankheitsgat - tung benutzt.
Die allgemeine Handarzneykunſt oder allgemeine Chi - rurgie (allg. chirurgiſche Therapie) ſtellt die allgemeinen Grundſaͤtze auf, nach welchen man bey Heilung derjenigen Krankheiten verfahren muß, welche auf einer krankhaften Aeußerung der phyſiſchen und chemiſchen Natur des Men - ſchen beruhen.
Sie ſchoͤpft nicht nur aus der Pathogenie, als der ge - meinſchaftlichen Quelle, ſondern auch, als aus ihrer beſon - dern, aus der pathologiſchen Anatomie und Anthropochemie, ſo wie aus der Lehre von den Heilkraͤften, welche ſich auf die phyſiſche und chemiſche Natur des Menſchen beziehn.
Da aber die Aeußerungen dieſer Kraͤfte auch mit Ne - benwuͤrkungen auf die thieriſche und geiſtige Natur, noth - wendig verknuͤpft ſind, ſo gehoͤrt zu ihren weſentlichen Huͤlfs - mitteln auch die Noſologie, Phyſiologie und Pſychologie.
Sie giebt demzufolge auch die einzige Stuͤtze der be - ſondern Handarzneykunſt ab, deren Richtſchnur ſie fuͤr jede einzelne Krankheitsgattung beſtimmt.
Die allgemeine Entbindungskunſt ſetzt die Grundſaͤtze aus einander, nach welchen die Schwierigkeiten der Entbin -Hdung114Zweyter Theil.dung uͤberhaupt, und gewiſſe Klaſſen derſelben insbeſondere gehoben werden koͤnnen, und von welchen die Heilung der einzelnen Gattungen ausgehn muß.
Da dieſe Schwierigkeiten nicht nur in der phyſiſchen, ſondern auch in der thieriſchen und geiſtigen Natur der Ge - baͤhrenden enthalten ſind, und uͤberall[auch] die Wuͤrkung mechaniſcher und chemiſcher Mittel, durch die Anwendung derer, die auf die thieriſche und geiſtige Natur wuͤrken, un - terſtuͤtzt werden muß, ſo befeſtigt die allgemeine Entbin - dungskunſt ihre aus der Erfahrung an Gebaͤhrenden gezoge - nen Grundſaͤtze, nicht nur durch die Theile der pathologi - ſchen Anatomie und Inſtrumentenlehre, welche ſich auf die Geburt beziehen, ſondern auch ans der Pathogenie, Noſo - logie, und der geſammten Heilmittellehre, nebſt den dieſe Wiſſenſchaften begruͤndenden Kenntniſſen.
Die naͤhern Hauptwiſſenſchaften tragen die Grundſaͤtze vor, welchen zufolge man bey Heilung der einzelnen Krank - heitsarten verfahren muͤſſe, und werden deshalb unter dem Namen der beſondern Heilkunſt begriffen.
Die beſondere Heilkunſt ſtellt die Reſultate der Erfah - rung uͤber die Heilmethode der beſondern Krankheitsarten auf. Sie unterſucht alſo das Gemeinſame der Heilung,was115Encyklopaͤdie der Heilkunſt.was den auf gemeinſamen weſentlichen Erſcheinungen be - ruhenden Krankheiten zukoͤmmt, und zeigt das Verhaͤltniß oder Mißverhaͤltniß der einzelnen Heilmittel zu den einzelne Krankheitsarten. Sie kann deshalb auch die Lehre von den beſondern Heilanzeigen genennt werden.
Sie wendet zunaͤchſt die Reſultate der allgemeinen Heil - kunſt auf die einzelnen Krankheiten an; und ſo wie dieſe Wiſſenſchaft nur die allgemeinen Reſultate der Lehre von den Krankheitserſcheinungen und den Heilmitteln benutzt, ſo wendet ſie die beſondern Data derſelben an.
Ihr Nutzen bezieht ſich unmittelbar auf die Praxis, oder auf die Heilung einzelner kranker Menſchen. Allein deshalb ertheilt ſie nicht geradezu die ſpecielleſte Belehrung uͤber jeden einzelnen Krankheitsfall. Denn wegen der immer neuen Verbindung von Urſache und Wuͤrkung in der Natur, iſt kein Fall dem andern vollkommen aͤhnlich, keiner laͤßt ſich in der Zukunft vorherſehn, noch die Art ſeiner Heilung vor - aus beſtimmen; und ſie traͤgt nur Saͤtze vor, welche aus der Beobachtung einzelner Saͤtze abſtrahirt ſind, und ſich auf ihren gemeinſchaftlichen Charakter beziehen. Ihre Leh - ren muͤſſen alſo bey einem jeden Kranken mit Huͤlfe der all - gemeinen Heilkunſt wieder individualiſirt werden.
Sie theilt ſich endlich in drey verſchiedene Zweige, nach Verſchiedenheit der Krankheiten. Alle haben gleiche Erkennt - nißquellen, gleiche Huͤlfsmittel; allein jeder bedarf der ein -H 2zelnen116Zweyter Theil.zelnen Huͤlfsmittel mehr oder weniger, naͤher oder ent - fernter.
Die Krankheiten des Menſchen, welche auf der Modi - fication ſeiner, ihrem Weſen nach und alſo durch Verglei - chung mit der uͤbrigen Schoͤpfung, unerkennbaren und nur in ihren Erſcheinungen ſich offenbarenden Natur (ſeiner thie - riſchen und geiſtigen Kraͤfte) beruhen, werden innere Krankheiten genennt, und machen den Gegenſtand der Arzneykunſt aus. Dieſe Kunſt fuͤhrt ihren Nahmen deßhalb, weil ſie zur Heilung ſich beſonders der Arzneykoͤrper be - dient.
Die beſondere Arzneykunſt *) (innere Heilkunſt, Medicin), als Wiſſenſchaft betrachtet, (beſondere Thera - pie, Klinik) lehrt alſo die einzelnen Krankheiten der thieri - ſchen und geiſtigen Natur des Menſchen, nach einem durch die Erkenntniß derſelben beſtimmten Plane heilen.
Sie lehrt alſo zuerſt in jedem einzelnen Krankheitsfalle eine Kenntniß der gegenwaͤrtigen Erſcheinungen durch eigene ſinnliche Beobachtung, oder durch die Angabe des Kranken, oder endlich derer, welche ihn beobachtet haben, erlangen, und dadurch mit Huͤlfe der Diagnoſtik die vorwaltende Krank - heitsgattung beſtimmen.
§ 391.117Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Sie zieht hierauf die allgemeine Krankheitslehre zu Rathe; ſie ſucht naͤmlich das gegenſeitige Verhaͤltniß der krankhaften Erſcheinungen (Symptomatologie), den bis - herigen Zuſtand des Menſchen, den Grad ſeiner Geſund - heit, und die Veranlaſſungen, welche dieſelbe unterbrochen haben (Aetiologie) auf, und ſchließt hieraus auf die ur - ſpruͤngliche Erſcheinung und das Weſen der ganzen Krank - heit (Pathogenie).
Um hier ſo viel, als moͤglich, vollſtaͤndige Kenntniſſe zu erlangen, muß ſie alſo die Lehre von der thieriſchen und geiſtigen Natur des Menſchen uͤberhaupt (Phyſiologie und Pſychologie) und alſo auch die von den zu ihrer Aeuſſerung noͤthigen Bedingungen, die Form und Miſchung des Koͤr - pers (Anatomie und Anthropochemie) benutzen.
Von dem, was ſich aus dieſen Unterſuchungen ergeben hat, ſchließt nun die Arzneykunſt mittelſt der Semiotik auf den Grad und die Gefaͤhrlichkeit der Krankheit, mittelſt der Prognoſtik auf die mit Wahrſcheinlichkeit fuͤr die Zukunft zu erwartenden Erſcheinungen.
Hierdurch ſucht ſie nun ein moͤglichſt vollſtaͤndiges, und den individuellen Fall moͤglichſt erſchoͤpfendes Bild der Krank - heit zu entwerfen, und bildet einen, dieſem nach, modifi - cirten Plan der Heilung.
Sie erwaͤhlt alſo unter den Mitteln, welche auf die thie - riſche und geiſtige Natur des Menſchen wuͤrken, diejenigenH 3aus,118Zweyter Theil.aus, welche der Erfahrung zufolge, die weſentlichen Er - ſcheinungen der Krankheiten zu heben vermoͤgen, und modi - ficirt ihre Anwendung, je nachdem die weſentliche Erſchei - nung in dem beſondern Falle modificirt iſt.
Allein das Geſchaͤft der Erkenntniß ſowohl, als der Heilung innerer Krankheiten, bleibt doch unvollſtaͤndig, wenn die Arzueykunſt nicht auch die phyſiſchen und chemi - ſchen Kraͤfte des Menſchen beruͤckſichtigt.
Da nemlich ſeine thieriſchen und geiſtigen Verrichtun - gen in der innigſten Verbindung mit ſeiner phyſiſchen und chemiſchen Natur ſtehn, und ein gegenſeitiger Einfluß der - ſelben ununterbrochen Statt findet, ſo bedarf die Arzney - kunſt auch der pathologiſchen Anatomie und Anthropochemie, ſo wie die Lehre von den phyſiſchen und chemiſchen Heilmit - teln.
Diejenigen Krankheiten, welche auf ſinnlich wahrnehm - barer krankhafter Form des Koͤrpers beruhen, werden aͤuſ - ſere (auch chirurgiſche) Krankheiten genennt, weil ihr Grund in der aͤuſſern Natur des Menſchen liegt.
Der Zweig der Heilkunſt, welcher die Heilung dieſer Krankheiten zum Zweck hat, wird deshalb die aͤuſſereHeil -119Encyklopaͤdie der Heilkunſt.kunſt, oder die Handarzneykunſt, Chirurgie, (Wundarzneykunſt) genennt, weil zu Wiederherſtellung des verletzten Mechanismus im menſchlichen Koͤrper, die Anle - gung der Hand beſonders noͤthig iſt.
Die Handarzneykunſt iſt alſo die Kunſt, die krankhaft veraͤnderte Form des menſchlichen Koͤrpers zu erkennen, und nach einem, durch dieſe Kenntniß beſtimmten Plane zu heilen.
Dieſe Kenntniß der verſchiedenen moͤglichen Modifica - tionen der Form des menſchlichen Koͤrpers, liefert ihr zu - naͤchſt die pathologiſche Anatomie, und die Merkmahle, um die in jedem einzelnen Falle vorhandenen Erſcheinungen zu erkennen, werden ihr von dem diagnoſtiſchen und ſemiotiſchen Theile derſelben mitgetheilt.
Die Richtſchnur, nach welcher ſie dieſe Veraͤnderungen beurtheilt, wird ihr in der Anatomie gegeben, welche Lehre ihre weſentlichſte und vorzuͤglichſte Stuͤtze ausmacht.
Da die Krankheit der Form oft von einer Veraͤnderung der Miſchung abhaͤngig, und nur durch Verbeſſerung der Letztern heilbar iſt, ſo bedarf die Handarzneykunſt eben ſo noͤthig der pathologiſchen und reinen Anthropochemie, ſo wie der Lehre von den chemiſch wuͤrkenden Heilmitteln.
In vielen Faͤllen ſind aber die Krankheiten der Form nicht unmittelbar ſinnlich wahrzunehmen, ſondern ſie aͤuſſernH 4ſich120Zweyter Theil.ſich nur durch ihre Wuͤrkungen auf die thieriſche und geiſtige Natur des Menſchen, und durch die krankhaften Erſcheinun - gen derſelben. Die Erfahrung hat den urſachlichen Zuſam - menhang derſelben beſtaͤtigt, ſo daß man von der Aeuſſerung der Letztern auf die verborgene Gegenwart der Erſtern ſchlieſ - ſen kann.
Jene Veraͤnderungen der Form ſind ferner, theils durch krankhafte Modification der uͤbrigen menſchlichen Kraͤfte her - vorgebracht, oder veranlaſſet oder beguͤnſtiget worden, theils haben ſie Krankheiten dieſer Kraftaͤuſſerungen zur Folge.
In beyder Ruͤckſicht alſo, ſowohl um die Gegenwart (§ 404), als um Urſachen und Wuͤrkungen (§ 405) der aͤußern Krankheiten zu erkennen, bedarf die Handarzney - kunſt einer vollſtaͤndigen Kenntniß der menſchlichen Krank - heiten (Noſologie).
Um auch hier eine Richtſchnur zu haben, nach welcher ſie dieſe Modificationen der hoͤhern Natur des Menſchen be - urtheilt, muß ſie die Kenntniß der Wuͤrkungsgeſetze dieſer Natur (Phyſiologie und Pſychologie) benutzen.
Die Handarzneykunſt betrachtet alſo theils die unmit - telbar durch die Sinne wahrnehmbaren aͤuſſern Krankheiten, theils ſchließt ſie auf ihre Gegenwart aus den krankhaften Wuͤrkungen der thieriſchen und geiſtigen Natur; ſie unter - ſucht den Grad ihrer Abweichung von der Geſundheit, die ſpeciellen Urſachen, welche als veranlaſſend wuͤrkten, die Erſcheinungen, welche der Menſch vor der Einwuͤrkungdieſer121Encyklopaͤdie der Heilkunſt.dieſer Urſachen, zeigte, die Verbindung der urſpruͤnglichen Krankheit mit andern, als ihren Folgen, und ſchließt auf die Wuͤrkungen, welche ſie nach ſich ziehen wird.
Iſt ſie durch dieſe Unterſuchung zur moͤglichſt genauen Kenntniß des einzelnen Falles, nach allen ſeinen Einzelnhei - ten gelangt: ſo kann ſie nun mit Huͤlfe der allgemeinen Handarzneykunſt einen Heilplan deſſelben feſtſetzen.
Hierbey muß die Handarzneykunſt in Ruͤckſicht auf die innige Verbindung der innern und aͤußern Natur des Men - ſchen, auch[Vorſchriften] aus der allgemeinen Arzneykunſt entlehnen.
Den feſtgeſetzten Heilplan ſucht ſie nun mit Huͤlfe der Mittel, welche die Erfahrung ihr uͤberliefert hat, zu reali - ſiren; und zunaͤchſt bedient ſie ſich hierzu der mechaniſch und chemiſch wuͤrkenden Mittel, dern Anwendung ſie nach Verſchiedenheit des einzelnen Falles modificirt.
Zu Unterſtuͤtzung dieſer Heilung nimmt ſie aber auch die, auf das thieriſche und geiſtige Weſen des Menſchen wuͤrkenden Mittel zu Huͤlfe, und ſie bedarf daher der Heil - mittellehre in ihrem ganzen Umfange, und aller der Kennt - niſſe, auf welche dieſe ſich gruͤndet.
Die beſondere Entbindungskunſt iſt die Kunſt, die Hin - derniſſe der Entbindung zu erkennen, und nach einem auf dieſer Kenntniß begruͤndeteu Plane zu heilen.
Dieſe Hinderniſſe liegen groͤßtentheils in der phyſiſchen Natur der Gebaͤhrenden; deshalb wird die Entbindunskunſt auch als ein Theil der Handarzneykunſt angeſehen, und hat mit ihr gleiche Behandlungsart, gleiche Huͤlfsmittel.
Aber ſie koͤnnen auch unmittelbar auf der Veraͤnderung der thieriſchen und geiſtigen Natur beruhen, oder doch durch dieſelbe verſtaͤrkt und unterſtuͤtzt werden; in dieſer Ruͤckſicht iſt die Entbindungskunſt ein Zweig der Arzneykunſt, und bedient ſich der innern Heilmittel.
Sie beruht deshalb auch auf allen den Huͤlfskenntniſſen, welcher die Chirurgie und die Medicin beduͤrfen, und benutzt beſonders diejenigen, welche ſich auf die Natur der Frauen, und der zur Geburt beſtimmten Organe, ſo wie des Kindes, beziehen.
Diejenigen Wiſſenſchaften, welche, ohne unmittelbare Belehrung uͤber Gegenſtaͤnde, ſo ſich auf Heilung der Krank - heiten beziehen, zu ertheilen, auf eine mehr mittelbare Art Erweiterung der Kenntniſſe, Befeſtigung der Grund - ſaͤtze, Berichtigung des Urtheils uͤber Theorie und Praxis der Heilkunſt zum Zweck haben, — ſind Vervollkommungs - wiſſenſchaften der Heilkunſt.
Die Litteratur der Heilkunſt giebt eine Anzeige der Be - muͤhungen der Aerzte, ihre Kenntniſſe, Beobachtungen und Erfahrungen, welche ſich auf die Ausuͤbung der Heilkunſt ſelbſt, oder auf ihre verſchiedenen Huͤlfs - und Grundkennt - niſſe beziehen, Andern durch oͤffentlich bekannt gemachte Schriften mitzutheilen.
Sie gewaͤhrt alſo durch dieſe bloß hiſtoriſche Kenntniß eine allgemeine Ueberſicht deſſen, was fuͤr die Heilkunſt und ihre einzelnen Faͤcher ſchon geleiſtet worden iſt, und traͤgt dadurch zu Erweiterung unſerer Kenntniſſe bey.
Ohne das zu wiſſen, was unſere Vorfahren und unſere naͤhern oder entferntern Zeitgenoſſen allmaͤhlig entdeckt und in ihren Werken aufgezeichnet haben, wuͤrde die Heilkunſt nie - mals den Grad der Vollkommenheit haben erreichen koͤnnen, auf welchen ſie, als die weitlaͤufigſte und ſchwerſte Erfah - rungswiſſenſchaft, durch die vereinigten Kraͤfte vieler Jahr - hunderte gediehen iſt. Unſere Heillunſt iſt alſo gegenwaͤr - tig das Reſultat, welches aus dem Studium ihrer Littera - tur, vereinigt mit Beobachtung der Natur ſelbſt, hervorge - gangen iſt.
Doch abgeſehen von dem, was die Heilkunſt im Allge - meinen der Litteratur zu verdanken hat, kann auch derjenige, welcher die Heilkunſt in ihrem Umriſſe hat kennen lernen, derſelben nie entbehren, weil er mit ihrer Huͤlfe ſich von dem belehren kann, was fuͤr die einzelnen Gegenſtaͤnde der Kunſt, auf welche ſeine Aufmerkſamkeit gerade vorzuͤglich geheftet iſt, und woruͤber er beſonders genau unterrichtet ſeyn will, ſchon geleiſtet worden iſt.
Endlich macht auch die Litteratur das erſte Beduͤrfniß fuͤr die Geſchichte der Heilkunſt aus, und ſie iſt ſchon in die - ſer Ruͤckſicht wichtig, in ſofern die Geſchichte der Kunſt ſelbſt von Einfluß iſt.
Ihre Quellen ſind alſo die Schriften der Aerzte jedes Jahrhunderts, und ihr vorzuͤglichſtes Huͤlfsmittel beruht auf der Kenntniß der allgemeinen Litteratur.
Die Geſchichte der Heilkunſt enthaͤlt eine Erzaͤhlung von dem Verfahren, welches man in den verſchiedenen Zeital - tern beobachtet hat, um Krankheiten zu heilen, und ſie lie - fert deshalb auch die Geſchichte der Veraͤnderungen und Schickſale, welche alle einzelne Wiſſenſchaften, worauf ſich die Heilkunſt gruͤndet, erfahren haben.
Sie ſtellt die verſchiedenen Behandlungsarten dieſer Wiſſenſchaften in ihren Urſachen und Wuͤrkungen dar, und wird hierdurch unſere Lehrerin, indem ſie uns zeigt, auf welchem Wege man dem hoͤchſten Zwecke der Kunſt am naͤch - ſten kam, und indem ſie vor den verſchiedenen Abwegen warnt, auf welche man durch unzweckmaͤßige Methoden verleitet wurde. Sie giebt daher dem Gange unſerer Be - obachtungen, Erfahrungen, Theorien ꝛc. ſeine Richtung.
Dabey erwaͤhnt ſie auch die Krankheiten, welche gewiſ - ſen Zeitaltern eigenthuͤmlich waren, oder in denſelben ihren Urſprung fanden, nebſt ihren Urſachen und Wuͤrkungen; und dadurch ſetzt ſie uns in den Stand, ſowohl dieſe, als andere, welche eine groͤßere oder geringere Aehnlichkeit mit ihnen haben, richtiger zu beobachten.
Ihre Quellen ſind in den Schriften der Aerzte jedes Zeitalters enthalten, zu deren Kenntniß die Literatur ver -hilft.126Zweyter Theil.hilft. In Ermangelung derſelben muͤſſen auch Muͤnzen, oͤffentliche Denkmaͤhler, Geſetze ꝛc. ja ſelbſt Traditionen zu - weilen ihre Stelle erſetzen.
Die Huͤlfsmittel ſind Sprachkunde; Kritik; Geogra - phie; politiſche Geſchichte, in ſofern die Bearbeitung der Kunſt mit Staatsbegebenheiten zuſammenhieng; Geſchichte der menſchlichen Kultur, indem die Fortſchritte des menſch - lichen Geiſtes uͤberhaupt gleiche Veraͤnderung in den zur Heilkunſt gehoͤrigen Wiſſenſchaften veranlaßten; endlich Ge - ſchichte der Philoſophie, in ſofern der Gang des philoſophi - renden menſchlichen Verſtandes immer auch den Unterſu - chungen uͤber die Natur, und daher auch uͤber den geſunden und kranken Menſchen ihre Richtung gab.
Die mediciniſche Geographie beſchreibt, was ſich in verſchiedenen Gegenden in Bezug auf Heilkunſt, ihre ver - ſchiedenen Zweige, und die Kenntniſſe, welche ihr zu Grun - de liegen, Merkwuͤrdiges findet; alſo das verſchiedene Ver - halten der Nationen bey Krankheiten, die Wuͤrkungen des Klima, der Lebensweiſe, der Staatsverfaſſung, der oͤffent - lichee Anſtalten ꝛc. auf ihren koͤrperlichen Zuſtand, das ver - ſchiedene Verfahren der Aerzte ꝛc.
Sie liefert alſo der Heilkunſt Kenntniſſe, welche ſich auf Verſchiedenheit des Orts beziehen, ſo wie das charakte - riſtiſche Merkmahl der Geſchichte auf der Verſchiedenheit der Zeit beruht. Sie gewaͤhrt alſo zuerſt den Nutzen, daß wir uͤber manche Erſcheinungen am Menſchen, uͤber ſeine Ge - ſundheit und Krankheiten belehrt werden, und einſehen, wie dieſelben von aͤußern Einfluͤſſen, von Gewohnheiten ꝛc. her - ruͤhren.
Sodann macht ſie uns aber auch auf die verſchiedenen Methoden der Aerzte, oder derer, welche ihre Stelle ver - treten, aufmerkſam, und ſtellt ſie uns zur Beobachtung und Veraleichung auf. In beyden Ruͤckſichten wird ſie alſo fuͤr die Vervollkommung unſerer Kenntniſſe wichtig.
Ihre Quellen ſind glaubwuͤrdige Laͤnder -, Orts - und Reiſebeſchreibungen, beſonders wenn dieſelben von Aerzten verfaßt ſind. Unter ihre Huͤlfsmittel gehoͤrt beſonders die naturhiſtoriſche und politiſche Geographie, ſo wie die Natur - geſchichte des Menſchen.
Unter Nebenwiſſenſchaften der Heilkunſt verſtehen wir diejenigen ſyſtematiſch geordneten Kenntniſſe, welche nichtunmittel -128Zweyter Theil.unmittelbar auf den einigen Zweck der Heilkunſt (Heilung der Krankheiten), ſondern auf das Geſundheitswohl der Menſchen uͤberhaupt ſich beziehen, und aus den Grundwiſ - ſenſchaften der Heilkunſt geſchoͤpft werden.
Der Arzt iſt alſo, als ſolcher, weder gerichtlicher Arzt, noch mediciniſcher Politiker, noch Diaͤtetiker. Sein Zweck iſt zunaͤchſt nur Heilung der Krankheiten; aber in ſofern ihn das Wohl der Menſchheit uͤberhaupt intereſſirt, bearbeitet er jene Gegenſtaͤnde, weil er vermoͤge ſeiner Kenntniſſe, welche den Grund ſeiner Kunſt enthalten, allein competenter Richter daruͤber ſeyn kann.
Unter Volksarzneykunde verſteht man eine allgemein verſtaͤndliche Belehrung der Nichtaͤrzte uͤber das menſchliche Leben und ſeine Modificationen (Geſundheit und Krankheit), als Erſcheinungen betrachtet, und ein darauf ſich beziehen - des ſchickliches Verhalten, um es in Geſundheit und Krank - heit ſeinem Zwecke gemaͤß zu erhalten. Sie zerfaͤllt dem - nach in die populaͤre Naturlehre des Menſchen, Geſundheits - lehre und Krankheitslehre.
Die populaͤre Naturlehre des Menſchen liefert eine all - gemein verſtaͤndliche Ueberſicht der koͤrperlichen und geiſtigen Erſcheinungen des Menſchen, der Wuͤrkungsgeſetze, nach welchen ſie erfolgen, und der Wuͤrkungen, welche ſie ge - genſeitig auf einander aͤußern.
Sie enthaͤlt alſo die Reſultate der Anatomie, Anthro - pologie, Phyſiologie und Pſychologie, allgemein faßlich vorgetragen.
Sie giebt die erſte Stufe zur mediciniſchen Aufklaͤrung ab, iſt die noͤthige Vorbereitung zu der Lehre von Erhaltung der Geſundheit, und eine, jedem gebildeten Menſchen noͤ - thige Belehrung uͤber ſein Weſen.
Die Diaͤtetik oder Geſundheitslehre liefert eine gemein - faßliche Anleitung, ſeine geiſtigen und koͤrperlichen Er - ſcheinungen ſo zu beſtimmen, daß dadurch Geſundheit er - halten wird.
J§ 440.130Zweyter Theil.Von der ſpeciellen Phyſiologie, dem aͤtiologiſchen Theile der Pathologie, und von der Heilmittellehre erhaͤlt ſie ihren Stoff, welchen ſie den Faſſungskraͤften und Kenntniſſen der Nichtaͤrzte gemaͤß bearbeitet.
Ihr Zweck iſt unmittelbar auf Erhaltung und Vervoll - kommung des menſchlichen Wohlſeyns gerichtet, in ſofern daſſelbe von vorhergaͤngigen Erſcheinungen ſeines Weſens abhaͤngt, deren Beginnen oder Unterlaſſung in der Will - kuͤhr des Individuums ſteht.
Je nachdem dieſe Begriffe von Wohlſeyn des Menſchen verſchieden ſind, iſt auch die Diaͤtetik verſchieden. Die Prophylaktik ſetzt naͤmlich zu ihrem hoͤchſten Zweck Ver - huͤtung der Krankheiten; die Makrobiotik Verlaͤngerung des Lebens, und die Eubiotik Energie des Lebens.
Die populaͤre Krankheitslehre belehrt den Nichtarzt uͤber die Krankheiten, ihre Urſachen, Erſcheinungen und ſein Verhalten dabey, ſoviel ihm ohne wiſſenſchaftliches Studium davon zu begreifen moͤglich, und zu ſeinem Zwecke zu wiſſen noͤthig iſt.
§ 444.131Encyklopaͤdie der Heilkunſt.Ihre Quelle findet ſie in der Pathologie und ſpeciellen Therapie.
Sie verbreitet uͤber das Publikum die eigentlich medici - niſche Aufklaͤrung, indem ſie den Nichtarzt belehrt, was er von dem Arzte zu erwarten habe; was er von ihm fordern koͤnne, oder nicht; was er auf der andern Seite ihm fuͤr Pflichten ſchuldig ſey; wie er ferner in eigenen Krankheiten ſein Vethalten beſtimmen, in fremden beſcheidenen Rath er - theilen, ohne Eingriffe in das Amt des Arztes zu thun, und ploͤtzlich verungluͤckten Menſchen zu Huͤlfe eilen koͤnne. — Ueberſchreitet ſie dieſen Zweck, ſtellt ſie Regeln zu wuͤrklicher Heilung der Krankheiten feſt, liefert ſie Kenntniſſe von Arz - neymitteln und Formeln, will ſie wuͤrkliche Dilettanten in der Heilkunſt bilden: ſo wird ſie verderblicher, als Gift in den Haͤnden eines Kindes. — Dies erhellet aus den Schwie - rigkeiten der Heilkunſt und ihrem Umfange.
Die Staatsarzneykunde iſt der Innbegriff der, aus den einzelnen Zweigen der Heilkunſt entlehnten und zum unmit - telbaren Wohl des Staats angewendeten Kenntniſſe. Sie zerfaͤllt in die mediciniſche Polizey und gerichtliche Arzney - kunde.
Die mediciniſche Polizey enthaͤlt die Grundſaͤtze, nach welchen die Stellvertreter des Staates fuͤr die Erhaltung der Geſundheit, fuͤr Abwendung und Heilung der Krankhei - ten der Mitglieder deſſelben zu ſorgen haben.
Dieſe Grundſaͤtze werden von denſelben Wiſſenſchaften geliefert, welche die Volksarzneykunde begruͤnden, nur daß dieſelben ſich auf ganze Voͤlker beziehen, da jene nur die Sorgfalt eines jeden Individuums fuͤr ſich ſelbſt betrifft, und daß ſie noch mehr aus der ſpeciellen Therapie entlehnt ſind.
Die neuern Zeiten bieten uns die vollguͤltigſten Beweiſe von dem Nutzen der mediciniſchen Polizey dar, da mit ihrer Huͤlfe Krankheiten, welche in gewiſſen Gegenden wegen ſchaͤdlicher Eigenſchaften der Producte, der Luft ꝛc. fuͤr ge - woͤhnlich (endemiſch) herrſchten, hinweggeraͤumt, andere, welche ſich ploͤtzlich uͤber eine Menge Menſchen wegen An - ſteckung oder anderer gemeiner Urſachen (epidemiſch) ver - breiteten, gemindert und gehoben, Anſtalten zu Heilung der Kranken auf oͤffentliche Koſten, zu Pruͤfung der Aerzte ꝛc. getroffen wurden.
Die gerichtliche Arzneykunde ſtellt die Grundſaͤtze auf, wornach vorkommende Rechtsfaͤlle, bey welchen es auf An - erkennung der Geſundheit oder der mancherley Krankheiten und ihres Grades ankommt, zu entſcheiden ſind.
Zur Quelle dienen ihr ſaͤmmtliche Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt, welche ſich ſowohl auf Kenntniß des geſunden und kranken Menſchen beziehen (beſonders phyſiologiſche und pathologiſche Semiotik), als auch die Kenntniß der Heil - mittellehre betreffen.
Sie erzeigt ſich dadurch nuͤtzlich, daß ſie durch Entdek - kung der Wahrheit das Urtheil des Richters beſtimmt, und ſo die Sicherheit und das Wohl der einzelnen Staatsbuͤrger beſchuͤtzt.
Die Hebammenkunſt ſtellt die Grundſaͤtze auf, welche die Hebammen bey Unterſtuͤtzung der geſunden (natuͤrlichen) Entbindungen befolgen muͤſſen.
Ihre Quelle iſt der Theil der Anatomie und Phyſiolo - gie, welcher ſich auf die Entbindung bezieht.
Sie rettet der Menſchheit große Summen kuͤnftiger Buͤrger, welche bey ſchlechter Behandlung in der Geburt umkommen. Verderblich wird ſie dagegen eben ſo, wie die Volksarzneykunde, wenn ſie die Hebammen mit Regeln zur Heilung bey der Entbindung vorkommender Krankheiten be - kannt macht, welche ohne Ueberſicht ſaͤmmtlicher Theile der Heilkunſt nicht verſtanden, noch nach der Verſchiedenheit des gegenwaͤrtigen Falles modificirt werden koͤnnen.
Bey jedem Volke, unter jedem Himmelsſtriche giebt es Krankheiten, denn ſie ſind vermoͤge der urſpruͤnglichen Ein - richtung der menſchlichen Natur unvermeidlich (§. 30 — 32), und da nun eine Kunſt, Krankheiten zu heilen, moͤglich iſt (§. 40), ſo bedarf jedes Volk ſolcher Kuͤnſtler.
Niemand kann aber ſagen, daß er eine Krankheit hei - len koͤnne, ſo lange er ſie nicht nach ihren Erſcheinungen, Urſachen und Wuͤrkungen moͤglichſt vollſtaͤndig kennt; und hierauf geſtuͤtzt, eine allgemeine Richtſchnur ſeines Verfah - rens feſtſetzt.
Arzt iſt alſo derjenige, welcher die Krankheiten er - kennt, und nach einem, auf dieſer Kenntniß beruhenden Plane, durch beſtimmte Mittel heilt.
Um alſo Arzt zu ſeyn, wird die Kenntniß der geſamm - ten Natur, und eine genaue Bekanntſchaft mit dem ganzen Weſen des Menſchen und ſeiner Krankheiten, ſo wie derJ 5Heil -138Erſter Theil.Heilmittel, nothwendig erfordert. Und da dies ein ſo groſ - ſes, ja unendliches Feld iſt, ſo muß derjenige, welcher Krankheiten heilen will, ſich dieſer Kunſt ausſchließlich wid - men, ohne dabey irgend ein anderes Geſchaͤft zu treiben. Daher machen die Aerzte einen eigenen Stand unter den Staatsbuͤrgern aus.
Aus dieſem Grunde errichten die Stellvertreter des Staats oͤffentliche Anſtalten, in welchen man Gelegenheit findet, ſich jene Kenntniſſe und Fertigkeiten zu erwerben, und ertheilen nur denjenigen, welche dieſe Anſtalten gehoͤrig benutzt haben, und deren Geſchicklichkeit unter oͤffentlicher Autoritaͤt von Aerzten gepruͤft worden iſt, das Recht, ihre kranken Mitbuͤrger zu behandeln. Die Aerzte werden alſo oͤffentlich authoriſirt oder privilegirt, und machen eine eigne Zunft aus.
Dieſe Sorge iſt der Staat dem Wohle ſeiner Buͤrger ſchuldig, weil dieſes durch Alle, welche ſich fuͤr Aerzte nur ausgeben, gefaͤhrdet wird. Er muß daher nothwendig me - diciniſche Zwangsanſtalten errichten, d. h. die einzelnen Buͤrger, welche vermoͤge ihrer Unkunde der Heilkunſt, dar - uͤber nicht entſcheiden koͤnnen *), zwingen, in Krankheiten ihre Huͤlfe nur bey oͤffentlich authoriſirten Aerzten zu ſuchen, und ſie verhindern an der Befragung derer, welche nicht oͤf - fentlich gepruͤft ſind **).
Der Arzt iſt dem Staate, theils als Buͤrger deſſelben uͤberhaupt, ſchuldig, von ſeiner Kunſt den vollkommenſten Gebrauch zu machen, theils als beſonders von demſelben bey Erlernung ſeiner Kunſt unterſtuͤtzter, und in ſeinen Ge - rechtſamen beſchuͤtzter Buͤrger, alle ſeine Kraͤfte zu Erweite - rung ſeiner Kenntniſſe und zu Befoͤrderung des allgemeinen Wohles aufzubieten.
Der Staar hingegen hat die Pflicht gegen den Arzt, welcher ſich ſeinem Beſten widmet, ihn in ſeinen erlangten Rechten zu ſchuͤtzen, und ihm gehoͤrige Belohnung zu ver - ſchaffen. Da naͤmlich in dem Staate alle Raͤder in einan - der greifen, und jeder Buͤrger ſeine Kenntniſſe,[Kunſtfertig - keiten] und Guͤter gegen die Kenntniſſe Kunſtfertigkeiten und Guͤter des Andern austauſcht, ſo muß auch der Arzt fuͤr die Ausuͤbung ſeiner Kunſt verhaͤltißmaͤßig belohnt werden.
Jedem Kranken liegt es ob, dem Arzte zuerſt ſeinen ganzen Zuſtand ohne Ruͤckſicht zu entdecken, in ſeinem vor - hergegangenen Leben die wahrſcheinlichen Urſachen deſſelben mit ihm aufſuchen zu helfen, ſodann die Vorſchriften des Arztes, in Ruͤckſicht ſowohl auf Arzneymittel, als auf die uͤbrige Lebensweiſe gewiſſenhaft zu beobachten, und endlich ſeine Bemuͤhungen nach Kraͤften zu lohnen.
Die Angehoͤrigen des Kranken muͤſſen ebenfalls die Er - kenntniß und Heilung der Krankheit, ſoviel als von ihrer Seite moͤglich iſt, zu unterſtuͤtzen ſuchen: ſie muͤſſen dem Arzte genaue und ſichere Berichte abſtatten, auf die Befol - gung ſeiner Vorſchriften achten, und durch ihre Gewalt uͤber den Kranken auch nach dem Rathe des Arztes auf ſein Ge - muͤth zu wuͤrken ſuchen.
Diejenigen, welche die Heilkunſt oder einzelne Zwei - ge derſelben nur wiſſenſchaftlich bearbeiten, ohne dieſe Kenntniſſe zu Heilung der Krankheiten anzuwenden, werden theoretiſche Aerzte genannt; welche aber von dieſen Kennt - niſſen zur Beſeitigung von Krankheiten Gebrauch machen, werden ausuͤbende oder praktiſche Aerzte genannt.
Der Stand des Arztes iſt mit vielen Annehmlichkeiten verbunden, welche theils unmittelbar auf ſeine Beſchaͤftigun - gen, theils auf der Erreichung ſeines Zwecks durch dieſelben beruhen.
Zuerſt naͤmlich gewaͤhrt es jedem unverdorbenen Men - ſchen das reinſte Vergnuͤgen, die Natur zu kennen und zu beobachten. Hierinne beſteht aber das Geſchaͤft des Arztes, theils bey dem Studium ſeiner Wiſſenſchaft, theils bey der Ausuͤbung ſeiner Kunſt. Er iſt keinen Menſchenſatzungen unterworfen, an keine Norm gebunden, welche durch ihrAlter -141Der Stand des Arztes.Alterthum ſanctionirt iſt: er ſpuͤrt nur dem Gange der Na - tur nach, nimmt nur ſie als ſeine hoͤchſte Richterin an, und kennt keine Autoritaͤt, als die ihrige. Bey allen ſeinen Beſchaͤftigungen endlich, nehmen die Sinne und der Ver - fand gleichen Antheil, und alle ſolche Arbeiten, welche, weil ſie zwiſchen die blos geiſtigen und die blos koͤrperlichen[m]itten inne treten, und ſie unter einander verbinden, rein[m]enſchliche genannt werden koͤnnen, ſind dem Menſchen am angenehmſten, ſeinen Kraͤften am angemeſſenſten.
Sodann bietet ſich dem Arzte eine reiche Quelle von Freuden auch bey der Erreichung ſeines Zweckes dar. Das Bewußtſeyn, ſich um das Wohl der Menſchheit ſo unmittel - bar verdient gemacht zu haben, verbunden mit dem innig - ſten Danke der Geretteten und ihrer Freunde, gewaͤhrt dem Arzte ein Gluͤck, welches ſchwerlich ein anderer Stand in ſo reichem Maaße und ſo haͤufig ausſpendet.
Allein es treffen auch vielfache Beſchwerden den Stand des ausuͤbenden Arztes, welche theils von dem Gegenſtande ſeiner Kunſt ſelbſt, theils von ſeinen zufaͤlligen Verhaͤltniſſen abhaͤngen.
Zuvoͤrderſt iſt der geſchickteſte Arzt bey dem beſten Wil - len oft auſſer Stand geſetzt, zu helfen, theils in den Faͤllen, wo die Kunſt ihre Graͤnzen erreicht hat, (§ 104 fgg. ) theils wo die Urſachen der Krankheiten auf den aͤußern Verhaͤltniſſen der Kranken (ihrem Stande, ihren Geſchaͤften, ihrer Ar - muth ꝛc. ) beruhen, welche er als Arzt nicht abaͤndern kann.
Sodann wird der beſtaͤndige Umgang mit Kranken oft laͤſtig; denn eben weil ſie krank ſind, koͤnnen die meiſten nicht richtig urtheilen und ſchließen, ſie erzaͤhlen weitſchwei - fig, wollen Erklaͤrungen haben, welche ſie nicht verſtehen koͤnnen, widerſetzen ſich aus Grillen den beſten Anordnun - gen des Arztes ꝛc. Aber auch alle unerzogene Menſchen jedes Alters, ermuͤden auf aͤhnliche Art die Geduld des Arztes, ohne daß dieſe Unarten gerade Wuͤrkungen einer eigentlichen Krankheit ſind.
Ferner iſt kein Stand ſo vielen falſchen Urtheilen aus[-]geſetzt, als der des Arztes. Niemand kann ſein Verfahren beurtheilen, als nur ein Arzt: aber in der Heilkunſt wi[l]l jeder Dilettant ſeyn, jeder glaubt Kenntniſſe zu beſitzen, um den Arzt beurtheilen zu koͤnnen. Aus Mangel an Aufk[l]aͤ - rung ſieht man ihn bald fuͤr einen Gott an, dem die ganze Natur zu Gebote ſteht, bald fuͤr einen zu reichlich bezahlten Miethling; bald nimmt man Parthey gegen ihn, aus blin - der Verehrung des Alten, und bald aus eben ſo grundloſer Vorliebe fuͤr das Neue. Man erfuͤllt die (§ 464 f.) angege - benen Pflichten gegen den Arzt nicht, und uͤberdies ſucht noch mancher leere Kopf durch Aufwaͤrmung abgenutzter Spoͤttereyen gegen ihn, ſich das Anſehen des Wichtigen und Einſichtsvollen zu geben *). — Die Verſuche, das Pub - likum in den Stand zu ſetzen, daß es den Arzt richtig beur - theilen kann, koͤnnen zwar manches Gute bewuͤrken, aber ihrem Zwecke nie vollkommen entſprechen **).
Aber auch Aerzte koͤnnen nie ein vollkommen gegruͤnde - tes Urtheil uͤber das Verfahren eines andern Arztes faͤllen, wenn ſie nicht neben ihm den ganzen Verlauf der Krankheit in allen ſeinen Individualitaͤten beobachteten. Kleinliche Menſchen, deren es unter den Aerzten, ſo wie in allen Staͤnden giebt, maaſen ſich ſolche Urtheile an, um ihre Col - legen, nach Art neidiſcher Handwerker, bey dem Publikum verdaͤchtig zu machen.
Beſonders wird der Arzt dann ſchief und ungerecht be - urtheilt, wenn ihn das Gluͤck nicht beguͤnſtigt. Obſchon naͤmlich die Heilung uͤberhaupt das Werk der Kunſt iſt *), ſo wird ſie doch oft durch den Zufall herbeygefuͤhrt, d. h. es ereignen ſich Umſtaͤnde, welche die Krankheit zu beſigen im Stande ſind, ohne daß ſie von dem Arzte ſelbſt herbeyge - fuͤhrt worden waͤren **). Das Werk des Zufalls iſt es fer - ner, wenn an einen Arzt ſich ſolche Kranke wenden, deren Uebel leicht zu heben iſt, oder wenn ſie gerade in dem Zeit - punkte ſeinen Rath gebrauchen, wo die Krankheit ihrem Aus - gange ſchon nahe iſt.
Endlich muß der Arzt ſeine Bequemlichkeit dem Wohle der Menſchheit zum Opfer bringen; er iſt nie Herr ſeiner Zeit, und muß jeden Augenblick bereit ſeyn, ſeine Erholun - gen abzubrechen und die Befriedigung ſeiner dringendſten Beduͤrfniſſe aufzuſchieben.
Den Schein des Arztes ohne ſeine Kunſt nimmt der Afterarzt (medicaſter) an, er ſey nun oͤffentlich auto - riſirt oder nicht. Er iſt entweder Charlatan oder Pfuſcher.
Charlatan iſt derjenige, welcher aͤuſſern Zufaͤllig - keiten und Nebendingen einen zu großen Werth beylegt, und ſich beſonders durch Schwaͤtzerey und Prahlerey (ciarlare) den Anſchein tiefer Kenntniſſe zu geben ſucht, um durch dieſe Armſeligkeiten dem Poͤbel zu gefallen.
Jeder Arzt wird alſo dadurch zum Charlatan, daß er anſtatt das Publikum aufzuklaͤren, politiſcher Verhaͤltniſſe wegen, daſſelbe in ſeinen Vorurtheilen beſtaͤrkt, und aus Furcht ihm zu mißfallen, ſich nach ſeinen Launen und ſeiner Unwiſſenheit accomodirt.
Der Pfuſcher (Routinier, Empiriker) beſitzt keine vollſtaͤndige Kenntniß der Heilkunſt in ihren ſaͤmmtlichen Theilen, keine Erfahrung, ſondern er hat nur aus mangel - hafter Beobachtung einiger Kuren, oberflaͤchliche Kenntniß einiger Krankheitsformen und Arzneyformeln, und er ver - kauft dieſe durch Uebung erlangte Fertigkeit, Heilmittel zu verordnen, fuͤr Kunſt.
Der Arzt endlich, welcher nicht ſowohl aus Privatin - tereſſe oder aus Beſtreben zu gefallen, als vielmehr aus eige - ner Ueberzeugung[auſſerweſentlichen] Umſtaͤnden zu großen Werth beylegt, und daher z. B. in den meiſten Faͤllen im - mer eine beſtimmte Krankheit zu ſehen glaubt, oder eine ge - wiſſe Heilmethode immer fuͤr dienlich haͤlt, und dabey mit Hartnaͤckigkeit auf ſeiner Meinung beſteht, iſt ein Pedant.
Da die Beſtimmung des Individuums zu irgend einer Beſchaͤftigung, ſowohl fuͤr daſſelbe, als fuͤr die uͤbrigen Staatsbuͤrger von nicht geringer Erheblichkeit iſt, ſo muͤſſen auch beſonders die Gruͤnde erwogen werden, welche den Stand des Arztes zu waͤhlen, hinreichend beſtimmen koͤn - nen.
Nicht ohne Nutzen wird das Ideal des Arztes in allen ſeinen Verhaͤltniſſen und Eigenſchaften dargeſtellt, damit man naͤmlich aus der Vergleichung deſſelben mit ſich ſelbſt abnehme, worauf man das Beſtreben, ſich zu bilden und zu vervollkommnen, beſonders zu richten habe, und welches Talent einer beſondern Ausbildung beduͤrfe. Allein unbrauch - bar iſt jene Idee der Vollendung, um darnach ſeine Taug - lichkeit zum Arzte zu beſtimmen: denn die Eigenſchaften und Talente, welche ſie aufſtellt, ſind theils nicht unnach - laßlich bedingt, theils von der Art, daß man ſie durch feſten Willen ſich eigen machen kann.
Die Bedingungen, welche in jedem kuͤnftigen Arzte nothwendig erfuͤllt ſeyn muͤſſen, ſind koͤrperliche und geiſtige Geſundheit, und ein feſter vernuͤnftig begruͤndeter Wille, Arzt zu werden. Wer dieſe Eigenſchaften beſitzt, hat hin - laͤnglichen Beruf in ſich, die Heilkunſt zu erlernen.
Geſundheit des Koͤrpers iſt ein ſo unumgaͤngliches Er - forderniß fuͤr den Arzt, als ſie es kaum fuͤr irgend einen an - dern Gelehrten und Kuͤnſtler iſt. Beſitzt er nicht einen hohen Grad derſelben, ſo kann er ſeinem muͤhſamen Berufe nicht vorſtehen, oder er unterliegt fruͤh den taͤglichen Beſchwerden und oͤftern Gefahren; auch kann er, wenn er nicht geſund iſt, weder vermittelſt ſeiner Sinne die Krankheit gehoͤrig be - obachten, noch ein gehoͤriges, nuͤchternes Urtheil uͤber ſie faͤllen.
Ein geſunder, freyer Geiſt, welcher durch keine Vor - urtheile verkruͤppelt, durch keine Pedanterey aͤlterer oder neuerer Zeiten verbildet, noch durch Mangel an Uebung er - ſchlafft iſt, ein Geiſt, deſſen Streben nach Wahrheit gerich - tet iſt, welcher Sinn fuͤr das Edle und Große hat, — nur ein ſolcher bildet den aͤchten Arzt. Ohne denſelben wird man bey allen Kenntniſſen immer nur ein Handwerker, ein Afterarzt.
Dies waren die vorlaͤufigen Bedingungen; jetzt folgt des unmittelbare Erforderniß: vernuͤnftig begruͤndeter undK 2des -148Zweyter Theil.deshalb unerſchuͤtterlicher Wille, die Heilkunſt zu ſtu - diren.
Zu dieſem Vorſatze wird zuerſt erfordert eine vorlaͤuſige Kenntniß ihres eigentlichen Weſens, ihrer einzelnen Wiſſen - ſchaften und des Standes des Arztes nach ſeinen Vortheilen und Beſchwerden: denn der Wunſch nach dem Beſitze eines Gegenſtandes, von welchem man keine deutliche Idee hat, iſt weder vernuͤnftig, noch auch feſt.
Hat man auf dieſe Art die Vortheile, welche die Heil - kunſt ihren Juͤngern gewaͤhrt, uͤberwiegend gefunden, ſo faßt man ein Intereſſe dafuͤr, welches aber, um alle Selbſttaͤu - ſchung zu verhuͤten, gehoͤrig analyſirt werden muß.
1. Wiſſenſchaftliches Intereſſe iſt das erſte Erforderniß fuͤr einen Arzt, d. h. er muß bey Erlernung ſaͤmmtlicher Theile der Heilkunſt, ſo wie bey Ausuͤbung derſelben, das Vergnuͤgen, welches die Beobachtung der Natur uͤberhaupt gewaͤhrt, beſonders lebhaft empfinden. Er muß Enthuſiaſt fuͤr die Vervollkommung ſeiner Kunſt ſeyn, die Beytraͤge andrer Aerzte hierzu mit Intereſſe aufnehmen, und ſo viel an ihm iſt, ſelbſt darauf mitzuwuͤrken ſuchen.
Dieſes Intereſſe fuͤr die Kunſt bewuͤrkt es allein, daß der Arzt fuͤr die Muͤhe ihrer Erlernung und die Beſchwerden ihrer Ausuͤbung vollkommen entſchaͤdigt wird, daß er Vor - urtheile muthig bekaͤmpft, auch ohne Belohnung arbeitet, ſeinen Ekel uͤberwindet, erlittenen Undank vergißt, und un -gerechte149Wahl des Standes.gerechte Urtheile des Poͤbels mit kalter Verachtung ſtraft; daß er endlich keine Arbeit ſcheuet, wo es darauf ankommt, Wahrheiten zu entdecken, und keinen litterariſchen Despotis - mus fuͤrchtet, um ſie oͤffentlich anzuerkennen und zu ver - breiten.
Doch vermeide man bey dieſer Pruͤfung alle moͤgliche Taͤuſchungen. Man kann naͤmlich bloß Intereſſe fuͤr die Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt haben, und daraus kann man nicht im mindeſten auf Neigung zur Heilkunſt ſelbſt ſchließen. Man kann viel botaniſche, chemiſche, anatomi - ſche Kenntniſſe in dem Gedaͤchtniſſe aufbewahren, ohne des - halb zum eigentlichen Studium der Natur in der Phyſik und Phyſiologie Kraͤfte und Willen zu haben; und man kann ein ſcharfſinniger Naturforſcher ſeyn, ohne gerade Neigung zu haben, ſich den Beſchwerden der Praxis zu unterziehen.
2) Menſchliches Intereſſe muß ferner den Arzt adeln, denn ohne dieſes wird er hart, fuͤhllos, und erfuͤllt ſeine Pflichten gegen den Staat und die Menſchheit nur zur Haͤlfte. Auch in den Faͤllen, wo er ſeine Kenntniſſe nicht erweitern, die Kunſt nicht vervollkommen, ja ſelbſt ſeinen Zweck (Hei - lung) nicht ganz erreichen kann (§ 109), muß er jedem Kranken beyſtehen, weil er doch die Macht hat, ihm ſein Ungluͤck ertraͤglicher zu machen, und alſo das allgemeine Elend zu mindern.
Auf einem ſolchen wiſſenſchaftlichen und menſchlichen In - tereſſe fuͤr die Kunſt, muß der Wille, ſie zu erlernen be - gruͤndet ſeyn. Dann iſt er feſt und unerſchuͤtterlich, undK 3kann150Zweyter Theil.kann durch raſtloſe Anſtrengung auch das unmoͤglich Schei - nende wuͤrklich machen, die Thaͤtigkeit ſeiner Geiſteskraͤfte erhoͤhen, und dem hoͤchſten vorgeſteckten Ziele nahe kommen. Denn vollendet iſt der Menſch von der Natur nie, er hat aber Anlagen, Alles zu werden, von ihr erhalten, und dieſe kann er bis zu einem bewundernswerthen Grade ausbilden.
Weil das Studium der Heilkunſt koſtſpieliger iſt, als irgend ein anderes, ſo macht die Gewißheit, dieſe Koſten beſtreiten zu koͤnnen, eine aͤußere Bedingung zur Wahl die - ſes Studiums aus, denn ohne die erforderlichen Huͤlfsmittel kann die Kunſt nur unvollkommen erlernt werden.
Dies (§ 485 — 495) ſind alſo ſaͤmmtliche Bedingun - gen, welche den Beruf eines jungen Mannes zum Arzte in ſich enthalten. Andere Motiven als jenes wiſſenſchaftliche und menſchliche Intereſſe kann er nicht haben. Ehre und Reichthuͤmer koͤnnen nicht das Ziel ſeyn, welches man durch Ausuͤbung der Heilkunſt erreichen will.
1. Ehre iſt die Achtung der groͤßt moͤglichen Menge von Menſchen. Dieſe Menge aber iſt beſonders in Ruͤckſicht auf die Heilkunſt unaufgeklaͤrt, d. h. ſie iſt nicht im Stande die Gegenſtaͤnde nach ihrem weſentlichen Werthe zu ſchaͤtzen, ſondern legt einen zu großen Werth auf außerweſentliche Dinge. Wer ihr gefallen ſoll, muß mit ihren Begriffen wenigſtens zu harmoniren ſcheinen: man muß alſo Charlatan ſeyn, nicht Arzt (§ 478).
Aber auch der aufgeklaͤrte Theil des Publikums kann den Arzt nicht beurtheilen (§ 461) und wenn er geachtet wird, er ſey auch der groͤßte Kuͤnſtler, ſo iſt es meiſtens wegen aͤußerer Zufaͤlligkeiten, nicht wegen ſeines Verdien - ſtes. Kann man ſich aber wohl eine ſolche Achtung, deren ſich der Arzt in ſeinem Herzen ſchaͤmen muß, als ein wuͤn - ſchenswerthes Gut vorſtellen? — Der Arzt befindet ſich nur zu oft in der Lage des Kuͤnſtlers, welcher unverdroſſen fuͤr ſeine Kunſt arbeitet, wenn er gleich von ſeinem Zeitalter nicht gefaßt, nicht verſtanden wird. Da wo er wirklich Verdienſt ſich erworben, wo er etwas Großes geleiſtet hat, wird ſeine Bemuͤhung uͤberſehen, wo hingegen ein Zufall ihn unterſtuͤtzte, aͤrndet er Ruhm und das Anſtaunen der Men - ge. Wer alſo blos vom Ehrgeize geleitet wird, muß bald ermuͤden, Arzt zu ſeyn, er muß Charlatan werden.
2. Geldgeiz kann eben ſo wenig der Beſtimmungs - grund zur Wahl dieſes Standes ſeyn; denn erſtlich iſt es widerſinnig, die Natur mit Intereſſe fuͤr ſie zu beobachten (dies unumgaͤngliche Erforderniß des Arztes) um Geld zu verdienen; ſodann kann man bey Ergreifung irgend einer andern Kunſt oder eines Handwerks dieſen Zweck weit ge - maͤchlicher und mit minderer Anſtrengung erreichen, als durch die Heilkunſt.
Ganz anders iſt es mit dem Charlatan. Es iſt kein ſicherer Weg, reich zu werden, als durch Vorſpiegelung ver - uͤbter Wunderkuren, des Vermoͤgens alle Krankheiten zuK 4heilen,152Zweyter Theil.heilen, und es iſt dabey auch nichts leichter, als das Ge - ſchaͤft des Charlatans, denn das Publikum kauft jede Sub - ſtanz, ſie ſey nun ein Heilmittel oder nicht, wenn ſie nur einen geheimnißvollen Titel fuͤhrt, fuͤr unmaͤßige Preiſe auch dem Duͤmmſten ab, ohne daß er ſelbſt einer gewiſſen Fertigkeit im Luͤgen, und alſo eines gewiſſen Grades von Verſchlagenheit dazu bedarf. Geldgeiz kann alſo nur zum Charlatan machen.
Zum Arzte, ſo wie zum Gelehrten uͤberhaupt, bildet man ſich nur durch ſich ſelbſt. Es kann daher nur eine allgemeine Anweiſung gegeben werden, worauf man bey ſeiner Bildung zu ſehen, und wie man ſich der hierzu vorhandenen Mittel zu bedienen habe.
Die Geiſteskraͤfte des Arztes muͤſſen beſonders geuͤbt und ſtark ſeyn, indem ſein Geſchaͤft in der Erkeuntniß der ſo ver - wickelten Urſachen und Wuͤrkungen in den Naturerſcheinun - gen beſteht, wozu das ſchaͤrfſte Auge oft kaum hinreicht.
Die ſtete und ununterbrochene Richtung unſerer geiſti - gen Selbſtthaͤtigkeit auf einen beſtimmten Gegenſtand, welche wir mit dem Namen der Aufmerkſamkeit bezeichnen, iſt die erſte und unentbehrlichſte Eigenſchaft eines Beobach - ters, und daher auch eines Arztes.
Denn nur durch die ſchaͤrfſte Aufmerkſamkeit kann man die Individualitaͤten jedes einzelnen Krankheitsfalls bemer - ken, welche den Grund zu Beſtimmung unſres Verfahrens bey der Heilung enthalten. Der Unaufmerkſame bemerkt nur die Oberflaͤche der Erſcheinungen; dieſe iſt in den mei - ſten Krankheiten dieſelbe, er bemerkt alſo uͤberall eine voll - ſtaͤndige Analogie, er kann nicht individualiſiren, und wird deshalb leicht ein Routinier (§ 480). Dies iſt eine Urſache, weshalb ein guter theoretiſcher Arzt zuweilen ein ſchlechter Praktiker iſt. Es geht ihm naͤmlich noch eine nothwendige Eigenſchaft des Arztes (Beobachtungsgeiſt) ab: dahingegen kann aber niemand ein guter Praktiker ſeyn, wer ein ſchlech - ter Theoretiker iſt, denn in Jenem muß Alles und noch mehr enthalten ſeyn, was dieſen bildet.
Obſchon die Aufmerkſamkeit oft ein Geſchenk der Natur, und Menſchen verliehen iſt, welche keinen hoͤhern Gebrauch davon zu machen verſtehen: ſo kann man ſich dieſelbe doch ſelbſt durch ernſtlichen Willen in einem gewiſſen Grade zu eigen machen, indem man ſich gewoͤhnt, alle Gegenſtaͤndevon155Bildung des Arztes.von allen ihren Seiten zu beobachten, und auch die verſteck - teſten Eigenſchaften derſelben zu bemerken. Durch Uebung wird dann eine gewiſſe Fertigkeit, ein Habitus daraus, und dieſen muß ſich der junge Arzt zu verſchaffen ſuchen.
Hierzu dient ihm unter andern auch die Naturbeſchrei - bung. Es iſt naͤmlich nicht nur die bloße Kenntniß gewiſſer Koͤrper, was ſie ihm mittheilt, ſondern auch die Fertigkeit, die unterſcheidenden Merkmahle der Gegenſtaͤnde zu einem Ganzen aufzufaſſen, und dadurch ſchnell uͤber dieſelben ent - ſcheiden zu koͤnnen.
Das Gedaͤchtniß, oder das Vermoͤgen, vordem em - pfangene Vorſtellungen zu reproduciren, muß eben ſo ſtark an dem Arzte ſeyn. Denn zuerſt muß er die wiſſenſchaft - lichen Kenntniſſe der Heilkunſt immer in Bereitſchaft haben, und dieſe ſind außerordentlich weitlaͤuftig, da ſie theils die ganze aͤußere Natur (Naturgeſchichte), theils die Natur des Menſchen (Anatomie ꝛc. ), ſeine Krankheiten (Patholo - gie) und Heilkraͤfte (Materia Medica) umfaſſen.
Sodann aber muß er auch ſeine eigenen Erfahrungen in dem Gedaͤchtniſſe aufbewahren, um noͤthigenfalls auf der Stelle davon Gebrauch machen zu koͤnnen, er muß auch bey einer ausgebreiteten Praxis den Verlauf der Erſcheinungen an jedem einzelnen Kranken, die angewendeten Mittel, und die darauf erfolgten Wirkungen in ihrem genaueſten Detail immer gegenwaͤrtig haben, und endlich in Ruͤckſicht auf die Per -ſonen,156Dritter Theil.ſonen, welche ihre Geſundheit fuͤr immer ſeiner Kunſt an - vertrauen, aller Eigenheiten ihrer Natur, ihrer vor vielen Jahren erlittenen Krankheiten und deren Heilung ꝛc. ſich ſo - gleich auf das lebhafteſte erinnern.
Der junge Arzt muß alſo fruͤhzeitig darauf denken, wenn ihm nicht ſchon von der Natur ein ausgezeichnetes Gedaͤcht - niß verliehen iſt, daſſelbe durch eigenen Fleiß zu verſtaͤrken; und da die ganze Mnemonik oder Gedaͤchtnißkunſt nur in Empfehlung der gehoͤrigen Uebung beſteht: ſo muß er be - ſonders ſolcher Uebungen des Gedaͤchtniſſes ſich bedienen.
In dieſer Hinſicht iſt ihm auch das Studium der Na - turbeſchreibung und Anatomie vortheilhaft. Das Detail dieſer Lehren iſt naͤmlich nicht nur an ſich nuͤtzlich, ſondern es verſchafft ihm auch durch Uebung eine Staͤrke des Ge - daͤchtniſſes, welche bey der Ausuͤbung der Heilkunſt von dem groͤßten Nutzen iſt.
Staͤrke der Phantaſie oder des Vermoͤgens, vormals gehabte einzelne Vorſtellungen zu einem neuen Ganzen zu reproduciren, enthaͤlt den Grund jeder neuen Erfindung, und das Genie beruht uͤberhaupt auf der Anlage der Phan - taſie, wodurch man geſchickt wird, neue Verbindungen der Begriffe zu verſuchen und Fragen aufzuwerfen, welche durch vorher erworbene Kenntniſſe oder neue Erfahrungen beant - wortet werden, denn es zeigt ſich eben nur durch Erfindun - gen wuͤrkſam.
Nun iſt aber eine jede richtige Beurtheilung eines vor - kommenden Krankheitsfalles eine neue Erfindung. Es hat naͤmlich noch kein Fall exiſtirt, welcher dem gegenwaͤrtigen ganz aͤhnlich geweſen waͤre, und es muß daher ein, dieſen entdeckten Modificationen der Krankheit gemaͤßer Heilplan, eine neue Erfindung ſeyn. Der große Arzt hat daher immer auch eine lebhafte Einbildungskraft, welche ihm bey jedem Kranken, theils alle moͤgliche Faͤlle von Krankheiten darſtellt, uͤber deren Gegenwart nachher die Urtheilskraft entſcheidet, und welche ſodann die Ideen zum Gebrauche und zur Mo - dification der beſtimmten Heilmittel in ihm weckt.
Iſt dahingegen die Ideenaſſociation, worauf das Ge - ſchaͤft beruht, traͤge, ſo praͤvalirt das Gedaͤchtniß; dies er - weckt dann die vormals gehabten Vorſtellungen in derſelben Verbindung, und kann alſo, da es nur Wiederholung einer Heilmethode liefert, nicht individualiſiren. Dies macht da - her den eigentlichen Unterſchied zwiſchen dem gemeinen und dem großen Arzte.
Deshalb iſt Genie, oder eine von der Natur erhaltene Fer - tigkeit im Erfinden, ein beſonderes Requiſit des Arztes. Wem aber auch nicht eine in ſo hohem Grade lebhafte Phan - taſie verliehen iſt, der kann dieſelbe doch durch zweckmaͤßige Cultur verſtaͤrken. Dies geſchieht beſonders durch das Stu - dium der ſchoͤnen Kuͤnſte, und dadurch, daß man dem Ge - daͤchtniſſe nicht auf Koſten der uͤbrigen Geiſteskraͤfte zu viel Nahrung giebt.
Der Ausbildung des Verſtandes und der Vernunft be - darf der Arzt, ſo wie jeder Beobachter der Natur, um in jeder einzelnen Erſcheinung nicht nur dieſe fuͤr ſich, ſondern in ihr auch den Theil eines Ganzen zu ſehen, um nicht an den zunaͤchſt liegenden Gegenſtaͤnden haͤngen zu bleiben, ſon - dern einen hoͤhern, allgemeinen Standpunct zu erklimmen.
Ganz beſonders aber bedarf er einer geuͤbten Urtheils - kraft, denn ſein ganzes Geſchaͤft beſteht eben darin, daß er die vorkommenden Krankheiten einem allgemeinen Begriffe unterordnet, und dieſem Urtheile gemaͤß einen Heilplan feſtſetzt.
Die Urtheilskraft muß in ihren Wuͤrkungen behend ſeyn, oder der Arzt muß eine ſtete Gegenwart des Geiſtes behaupten, denn ſehr oft iſt die Entſcheidung uͤber das Leben eines Menſchen das Werk eines Augenblicks.
Sie muß ferner von dem Bewußtſeyn ihrer Rich - tigkeit begleitet werden. Iſt ſie dies nicht: ſo wird der Arzt durch jeden Umſtand, welcher eine Gegenanzeige (369) zu enthalten ſcheint, ungewiß g[e]macht, er ſchwankt von ei - nem Mittel, von einer Methode zur andern, und ſtiftet durch dieſen Mangel an Feſtigkeit den groͤßten Schaden.
Hiervon haͤngt auch ihre Deutlichkeit ab. Nichts iſt gefaͤhrlicher, als wenn der Arzt die Gruͤnde, welche ihnzu159Bildung des Arztes.zu einem Urtheile beſtimmen, nicht deutlich bey ſich entwik - kelt: er ſchiebt dann ſeine Lieblingsneigung uͤberall ein. Der Eine ſieht uͤberall Vollbluͤtigkeit, der Andere Verſtopfungen im Unterleibe, der Dritte Unreinigkeiten des Darmkanals, der Vierte Aſthenie; und befragt man ſie um den Grund dieſer Urtheile, ſo beruft ſich ein Jeder von ihnen auf den praktiſchen Tact oder das praktiſche Gefuͤhl. Dies iſt alſo mei - ſtens ein leeres Wort, durch welches der Arzt ſich und An - dere taͤuſcht, weil er die Beſtimmungsgruͤnde ſeines Urtheils ſich nicht deutlich gedacht hat.
Etwas ganz anderes iſt die durch Uebung erworbene Behendigkeit und Fertigkeit des Urtheils, vermoͤge deren man das richtige Reſultat findet, ohne gerade die einzelnen Theile der Syllogismen und Soriten einzeln durchzuden - ken. Dies iſt der wahre Daͤmon des geuͤbten denkenden Praktikers, und ſein Vorzug vor dem weniger geuͤbten Arz - te: er uͤberſieht das Ganze, wie ein geuͤbter Rechner ſein Exempel, und findet das Reſultat aus einer bloßen Ueberſicht der Theile. Doch ſey man immer auf ſeiner Hut, ſich hier nicht zu taͤuſchen, und ein Urtheil ohne gehoͤrige Motiven anzunehmen. Beſonders muß der anfangende Praktiker ſich dieſer Methode gaͤnzlich enthalten.
Zu dieſer Ausbildung ſeiner Geiſteskraͤfte gelangt der Arzt nur durch aͤchtes Studium der Philoſophie, dieſe macht daher fuͤr ihn ſowohl, als fuͤr jeden Gelehrten, die Vorbe - reitungswiſſenſchaft aus; und als ſolche werden wir ſie noch unten betrachten.
Der Arzt muß ganz beſonders darauf bedacht ſeyn, die Geſundheit ſeines Koͤrpers zu erhalten und zu verſtaͤrken, da er fortdauernd ſo viele Beſcherden und Muͤhſeligkeiten ertra - gen muß. Denn ſeine hoͤhere Pflicht erlaubt es ihm nicht immer, die Regeln der Diaͤtetik fuͤr ſich ſo ſtreng zu beobach - ten, er muß ſich ſelbſt vergeſſen, wo es auf die Rettung eines Menſchenlebens ankoͤmmt.
Er bedarf ferner als Handarzt auch in vielen Faͤllen ei - ner gewiſſen Muskelkraft, einer ſtarken Bruſt ꝛc. und des - halb muß er ſich aller der Huͤlfsmittel bedienen, welche im Stande ſind, ſeine koͤrperlichen Kraͤfte zu erhoͤhen.
Sodann muß er auch eine gewiſſe koͤrperliche Staͤrke beſitzen, um vor Anſteckungen ſicher zu ſeyn, welchen er fuͤr immer ausgeſetzt iſt; und auch in dieſer Hinſicht iſt ihm die Abhaͤrtung dienlich, doch darf dieſe auf der andern Seite der Feinheit ſeiner Sinnesorgane keinen Einirag thun.
Auf die Vollkommenheit ſeiner Sinne muß er naͤmlich ganz beſonders bedacht ſeyn, weil ihm dieſe den Stoff zu allen ſeinen Beobachrungen liefern, und er nie ſeinen Zweck erreichen kann, wenn ihm ſeine Sinne keinen richtigen Be - griff von der Krankheit beygebracht haben.
Er muß alſo ſaͤmmtliche Sinnesorgane gehoͤrig uͤben, und alles vermeiden, was dieſelben abſtumpfen und un - brauchbar machen koͤnnte; denn er bedarf Aller, um ſich ge - hoͤrig uͤber die Krankheitserſcheinungen zu belehren, da er von einem einzigen leicht getaͤuſcht werden kann.
So wie er ſich aber zu huͤten hat, daß er nicht durch Abhaͤrtung die Lebhaftigkeit ſeiner Sinneseindruͤcke vermin - dert, ſo muß er auch jede Kraͤnklichkeit von ſich zu entfernen ſuchen, welche die Lebhaftigkeit derſelben ſo ſehr vermehrt, daß ein unrichtiges Urtheil dadurch herbeygefuͤhrt wird; auf gleiche Art muß er auch jeden voruͤbergehenden Zuſtand ver - meiden, welcher von einer ſolchen uͤbermaͤßigen Thaͤtigkeit begleitet iſt, und daher unrichtige Urtheile veranlaßt, die von den nachtheiligſten Folgen ſeyn koͤnnen.
Der Handarzt bedarf noch einer gewiſſen mechaniſchen Fertigkeit der Hand, um alle Operationen mit Leichtigkeit und Sicherheit zu machen; dieſe Geſchicklichkeit, welche ei - nen wichtigen Theil ſeiner Kunſt ausmacht, wird durch Ue - bung, beſonders in den juͤngern Jahren erlangt, und des - halb iſt eine fruͤhe Beſchaͤftigung mit Zergliederung, gleich - viel, ob von thieriſchen oder menſchlichen Koͤrpern, beſonders zu empfehlen.
Unter menſchlicher Bildung verſtehen wir uͤberhaupt die Cultur, welche ſich weder allein auf die geiſtigen, noch al - lein auf die koͤrperlichen Kraͤfte des Menſchen, ſondern auf beyde in gleichem Maaße bezieht, und in den Verhaͤltniſſen mit andern Menſchen, in derſelben Ruͤckſicht betrachtet, ihre Anwendung findet.
Der Arzt bedarf derſelben, weil jeder Gegenſtand ſeiner Kunſt ſich auf den Menſchen bezieht. Er muß den Zuſtand deſſelben erkennen und zweckmaͤßig abaͤndern koͤnnen: da nun aber eine untergeordnete Kraft auf eine hoͤhere weder vollſtaͤndig wuͤrken, noch ſie zweckmaͤßig veraͤndern kann: ſo muß der Arzt auch als Menſch einen hohen Grad der Voll - kommenheit beſitzen.
Ohne aͤchte Humanitaͤt kann der Arzt nie ſein ho - hes Ziel erreichen. Sie erfuͤllt ihn mit Wohlwollen fuͤr das ganze Menſchengeſchlecht, heißt ihn abſehen von den Fehlern des Individuums, und in ihm nur den allgemeinen Charak - ter des Menſchen beruͤckſichtigen, wo es darauf ankoͤmmt, ihm zu helfen; dadurch muntert ſie ihn auf, die Heilung jedes einzelnen Kranken, ſo wie die Entdeckung allgemeiner praktiſcher Regeln mit deſto mehr Eifer zu verfolgen.
Durch dieſe Eigenſchaft wird er auch in den Stand ge - ſetzt, die Krankheiten viel ſicherer und leichter zu heilen: der wohlthaͤtige Einfluß eines humanen und gebildeten Arz - tes auf das Gemuͤth ſeines Kranken iſt in vielen Faͤllen al - lein hinreichend, die ganze Krankheit zu heben, in andern Faͤllen unterſtuͤtzt er zum wenigſten die Heilung.
Auf der andern Seite erhebt die Humanitaͤt den Arzt zu dem wohlthaͤtigen Gefuͤhle eigener Selbſtſtaͤndigkeit, wel - ches ihn bey den Vorurtheilen des großen Haufens gegen die Heilkunſt und die Aerzte aufrecht erhalten muß.
Ganz beſonders wichtig iſt dem Arzte die Menſchen - kenntniß, und dadurch auch die Kenntniß ſeiner ſelbſt. Nach ſeinen Anlagen und Kraͤften kennt er den Menſchen aus den Grundwiſſenſchaften der Heilkunſt, aber es koͤmmt nun auch darauf an, ihn in den Modificationen dieſer An - lagen kennen zu lernen, ihn in ſeinen buͤrgerlichen Verhaͤlt - niſſen, in der Art, ſeine Neigungen, Gefuͤhle oder Gedan - ken zu offenbaren oder zu verdecken ꝛc. zu beobachten. Denn dieſe Kenntniß des Charakters iſt ein weſentliches Erfordee - niß zur Heilung eines jeden Krankheitsfalles.
Die Menſchenkenntniß lehrt ihn Klugheit, d. h. die Fertigkeit in Ergreifung der ſchicklichſten Maaßregeln, um die Geſinnungen und den Willen der Menſchen nach ſeinem Zwecke zu beſtimmen. Man belegt ſie mit dem Na -L 2men164Dritter Theil.men des ſçavoir faire, und traͤgt ihre Grundſaͤtze in der me - die iniſchen Politik oder Klugheitslehre vor.
So lange dieſe Klugheitslehre nur fuͤr ſich beſteht, und alſo ſich nur auf den eigenen Zweck des Arztes, Befoͤrde - rung ſeines individuellen Wohlſeyns, bezieht, ſo iſt ſie ſo verderblich und veraͤchtlich, als ihre erſten Bearbeiter, die Sophiſten. Wird ſie aber von der Humanitaͤt geleitet, und hat ſie von dieſer die Richtung auf Erreichung eines, die Menſchheit intereſſirenden Zweckes durch Ergreifung der paſſendſten Mittel erhalten: ſo kann ſie der Moralitaͤt keinen Eintrag thun, und ſie macht dann ein beſonderes Beduͤrfniß des Arztes aus.
Sie lehrt ihn naͤmlich, wie er ſich gegen jeden einzelnen Menſchen betragen muͤſſe, um ſich in den vollkommenen Be - ſitz ſeines Zutrauens zu ſetzen, wie er die Delikateſſe ſchonen, unſchaͤdliche Schwachheiten dulden, eingewurzelte Vorur - theile allmaͤlig ausrotten, Geſchlecht, Alter, Stand, Ver - moͤgen, Lebensart beruͤckſichtigen muͤſſe ꝛc. Hat er aber einmal das Zutrauen ſeines Kranken gewonnen: ſo iſt er da - durch auch ſeinem Ziele ſchon um ein Betraͤchtliches naͤher geruͤckt, und die Heilung iſt ihm erleichtert worden.
Sie unterſtuͤtzt den Arzt bey Unterſuchung der verwik - keltſten Krankheitsfaͤlle, hilft ihm die verborgenſten Urſachen entdecken, ja ſogar dem Kranken, welcher ſie abſichtlich verhehlen will, ſie unvermerkt ablocken: mit einem Worte, durch ſie allein wird man in den Stand geſetzt, ſich ein vollſtaͤndiges Bild vieler Krankheitsfaͤlle zu entwerfen, wel - ches die erſte Bedingung einer rationellen Heilung abgiebt.
Endlich giebt ſie ihm auch die ſchicklichſten Mittel an die Hand, welche die Heilung unmittelbar unterſtuͤtzen, ſie lehrt ihn, die beſte Art, den ſchicklichſten Zeitpunct, die Heilmittel bey jeden einzelnen Menſchen anzuwenden, und ihre Wuͤrkung zu unterſtuͤtzen; ſie zeigt ihm, wie er den Kranken Zutrauen zu dieſen Arzneymitteln nicht nur einfloͤßen, ſondern auch auf die Laͤnge erhalten koͤnne; wie er ihren Launen bald nachgeben, bald ſich ihnen ernſthafter wider - ſetzen, ihre Vorurtheile bald mehr, bald weniger deutlich hekaͤmpfen muͤſſe ꝛc.
So gewaͤhrt alſo die Klugheit dem Arzte ſichere Mittel, zu Heilung der Kranken, welche ihm weder Scharfſinn, noch Gelehrſamkeit, noch auch Erfahrung mittheilen koͤnnen, und man ſieht daher ein, wie ſehr der Arzt derauf bedacht ſeyn muß, ſich Menſchenkenntniß zu ſammeln, und ſich da - durch in den Beſitz einer ſogenannten Politik zu ſetzen.
Dann lehrt ſie den Arzt auch, die wichtige ihn adelnde Kunſt, in allen Verhaͤltniſſen der Geſellſchaft, und in demL 3Nach -166Dritter Theil.Nachgeben gegen alle ihre willkuͤhrlichen Einrichtungen, ſeine Freyheit behaupten; ſie lehrt ihn die wahre Liberalitaͤt, ſchuͤtzt ihn vor dem poͤbelhaften Hochmuthe gegen Niedere, und vor dem Kriechen bey Hoͤhern, und iſt die einzige Richtſchnur ſeines Verhaltens, um ſeine Wuͤrde in jedem Falle zu behaupten.
Um aber bloß ſein Gluͤck zu machen, bedarf der Arzt dieſer aͤchten Bildung ganz und gar nicht. Hier unterſtuͤtzt ihm nur ein gewiſſer Grad von Klugheit, mit deren Huͤlfe er die ſchwache Seite eines Jeden entdeckt, um ihr zu ſchmeicheln; denn er weiß, daß der, welcher das Stecken - pferd des Publikums liebkoſet, allgemein beliebt iſt. Dieſe Klugheit kann ihren Beſitzer bey dem großen ungebildeten Haufen geachtet, und daher auch reich und beruͤhmt machen; allein ſie ſcheitert bey dem gebildeten Theile des Publikums. Daher iſt ein bloß kluger Arzt nur ein Localgeſchoͤpf, an ſeinen Boden und an ſeines Gleichen geheftet; der Arzt aber, welcher Humanitaͤt mit Klugheit verbindet, iſt der allge - meine Menſch: nicht ſein unreines Ich, ſondern die Stim - me der Humanitaͤt in ihm beherrſcht die Welt.
Klugheit laͤßt ſich freylich nicht lehren und Humanitaͤt nicht gebieten; auf die Wege aber, welche dahin fuͤhren, kann man wohl aufmerkſam machen. Aufmerkſame Beob - achtung der Menſchen, mit welchen man umgeht, iſt der einzige Weg zur Klugheit zu gelangen, welchen man auch ſchon ſo fruͤh als moͤglich einſchlagen muß.
Hierzu genuͤgt eigentlich ein maͤßiger Kreis von Men - ſchen, weil ihre Denk - und Handlungsweiſe im Ganzen viel Uebereinſtimmendes hat; allein theils um ſich hiervon zu uͤberzeugen, theils um einen aͤußern Stoß zu bekommen, welcher zur Erforſchung des Menſchen antreibt, iſt die Wahrnehmung einer großen Menge von Menſchen vortheil - haft. Daher iſt es beſſer, wenn der Arzt in großen Staͤd - ten ſtudirt, wo er Menſchen von allen Nationen und Klaſ - ſen, Vermoͤgensumſtaͤnden, Beſchaͤftigungen ꝛc. beobachten kann, oder wenn er Reiſen macht. Doch bleibt dies immer nur die aͤußere Gelegenheit, Erfahrungen zu ſammeln, und man kann die ganze Welt durchreiſet ſeyn, ohne halb ſoviel vom Menſchen zu wiſſen, als der aufmerkſame Beobachter, welcher nie das[Gebiet] eines kleinen Staͤdtchens uͤberſchritt.
Humanitaͤt iſt die Frucht der Ausbildung des morali - ſchen Weſens im Menſchen, und wahre Aufklaͤrung durch Philoſophie verleiht ihr Nahrung und Kraft.
Dadurch, daß der Arzt Theilnahme an dem Schick - ſale des Kranken beſitzt, wird er zu Anſtrengung aller ſeiner Kraͤfte, um ihn zu heilen, ohne Ruͤckſicht auf Belohnung, aufgefordert, und durch Aeußerung dieſer Theilnahme ge - winut er das Zutrauen des Kranken, welches die erſte, ja oft die einzige Bedingung zum gluͤcklichen Erfolge der aͤrzt - lichen Bemuͤh[u] ngen ausmacht.
Leidenſchaftloſigkeit und Ruhe des Geiſtes iſt eine eben ſo noͤthige Eigenſchaft des Arztes, weil er ohneL 4die -168Dritter Theil.dieſelbe kein richtiges und lauteres Urtheil faͤllen kann, da doch hiervon das Wohl ſeiner Kranken abhaͤngt. Er muß Stetigkeit in ſeinem Charalter und Feſtigkeit in ſeinen Grundſaͤtzen ſich zu eigen machen, um unbefangen urtheilen und den angelegten Plan mit feſtem Schritte verfolgen zu koͤnnen, er muß muthig ſeyn, ohne in Verwegenheit auszu - arten.
Erſtlich muß ſich dieſe Geiſtesruhe des Arztes auf ſei - nen eigenen Zuſtand beziehen. Er muß zufrieden und ge - nuͤgſam leben und weder muͤrriſch, noch jaͤhzornig ſeyn.
Sodann darf er gegen den Kranken, was ſich von ſelbſt verſteht, weder eingenommen, und einer etwa zuge - fuͤgten Beleidigung eingedenk ſeyn, noch auch zu viel Mit - leiden fuͤr ihn empfinden; denn auch dieſe zu ſtarke Theil - nahme ſtoͤrt als Leidenſchaft die Unbefangenheit der Urtheils - kraft; weckt bald zu viel Furcht, bald zu viel Hoffnung in ihm, und laͤßt ihn daher immer den rechten Geſichtspunct verfehlen. Deshalb darf er auch diejenigen nicht behandeln, welche zu nahe mit ihm verbunden ſind.
Endlich darf er aber auch keiner Leidenſchaft gegen an - dere Aerzte ſich ſchuldig machen, noch ſich ſoweit erniedri - gen, daß er ſie verdaͤchtig macht, oder der Anwendung von Mitteln, welche ſie empfohlen haben, aus Halsſtarrigkeit und Mißgunſt ſich widerſetzt, oder bey Berathſchlagungen ſich in perſoͤnliche Streitigkeiten einlaͤßt.
Dieſe Geiſtesruhe beruht auf einer gewiſſen Staͤrke der Seele, welche man ſich durch ernſtes Beſtreben erwerben kann. Unterſtuͤtzt wird ſie aber beſonders durch koͤrperliche und geiſtige Maͤßigkeit; gewoͤhnt ſich der Arzt an dieſelbe, ſo wird er weder durch den Genuß hitzig, noch durch Er - ſchoͤpfung muͤrriſch werden.
Er muß ferner Gemeinſinn beſitzen, und von allem groben Egoismus frey ſeyn. Denn wenn irgend jemand dem Wohle des gemeinen Weſens Aufopferung bringen, und Uneigennuͤtzigkeit zeigen muß, ſo iſt es der Arzt, welcher ſeinen Namen mit Ehren tragen will. Er muß Vorurtheile bekaͤmpfen und Vorſchlaͤge zur Befoͤrderung des allgemei - nen Wohls thun, und ihre Ausfuͤhrung, ſo viel es ſeine buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe geſtatten, ſelbſt unterſtuͤtzen.
Sanftheit und Geduld muͤſſen ihn ferner cha - rakteriſiren, weil jeder Leidende derſelben bedarf, und man mit ihrer Huͤlfe, den Zweck dieſe Leiden zu mindern, viel eher und vollkommner erreicht *).
Dieſe Geduld des Arztes darf keinesweges in eine ſkla - viſche Unterwuͤrfigkeit ausarten, welche er aͤußert, um ſich bey dem Kranken beliebt zu machen, ſondern ſie darf nur ſo weit gehen, als es die Pflicht des Arztes, Heilung zu be - wuͤrken, heiſcht, und darf ſich daher nur auf das beziehen,L 5was170Dritter Theil.was im Stande iſt, die Heilung zu befoͤrdern. Nur zu oft koͤmmt er in die Verſuchung, die Kranken zu verlaſſen, wo ihre Launen, Vorwitz, Unfolgſamkeit, Mißtrauen, Vor - urtheile ihm beſchwerlich fallen. Allein ſeiner Pflicht gemaͤß iſt es, auch hier, ſelbſt mit einiger Aufopferung auszuhar - ren, um vollen Gebrauch von ſeiner Kunſt zu machen.
Alle dieſe und aͤhnliche Eigenſchaften fließen aus der Moralitaͤt des Arztes her. Ohne moraliſche Guͤte iſt er der gefaͤhrlichſte Menſch im Staate, da man ihm Leben und Geſundheit, oft ſein ganzes buͤrgerliches und haͤusliches Gluͤck anvertrauen muß.
Die Lehre von der wiſſenſchaftlichen Bildung des Arz - tes, oder die Methodologie des Studiums der Heilkunſt, giebt eine Anweiſung, die einzelnen hierher gehoͤrigen Wiſ - ſenſchaften am zweckmaͤßigſten zu ſtudiren.
Das Lernen iſt aber nur der Anfang des Studiums, man empfaͤngt dadurch nur den bloßen Stoff: das eigentli - che Studiren beſteht nicht nur in dieſem leidendlichen Aufneh - men, ſondern auch in Uebung der hoͤhern Geiſteskraͤfte, in Entwickelung eigener Ideen in und durch ſich, wozu nur eine aͤußere Veranlaſſung noͤthig iſt.
Die Methodologie bezieht ſich daher nicht auf das bloße Lernen, und uͤberlaͤßt auch die individuellen, weniger we - ſentlichen Umſtaͤnde bey dem Studiren, der Wahl eines Je - den. Sie liefert hingegen, wenn ſie formal iſt, die Geſetze, nach welchen man uͤberhaupt durch empfangenen Unterricht Ideen in ſich entwickeln muͤſſe. Als material aber, oder als bezogen auf einen beſtimmten uͤberlieferten Stoff, kann ſie nur den Geſichtspunkt aufſtellen, aus welchem man die - ſen Stoff empfangen muͤſſe, um ihn zu ſeinem hoͤchſten Zwecke anzuwenden. Letzteres iſt alſo auch das Geſchaͤft der Me - thodologie der Heilkunſt.
Zufolge der gewoͤhnlichen Eintheilungen der Wiſſen - ſchaften in hiſtoriſche und philoſophiſche, iſt die geſammteHeil -172Drittter Theil.Heilwiſſenſchaft, ſo wie jeder einzelne Theil derſelben, aus beyden Gattungen zuſammengeſetzt.
Hiſtoriſch iſt naͤmlich jeder Theil, weil uͤberall Thatſa - chen mitgetheilt werden, welche bloß das Gedaͤchtniß in An - ſpruch nehmen; philoſophiſch aber, weil keine Thatſache, keine Erſcheinung vorgetragen wird, wo man nicht auf den urfachlichen Zuſammenhang derſelben unter ſich, und mit andern, Ruͤckſicht naͤhme, wo alſo nicht auch das hoͤhere Geiſtesvermoͤgen thaͤtig ſeyn muͤßte.
Man gehe alſo zum Studium eines jeden Zweiges der Heilkunſt mit dem Gedanken, daß man nicht nur Thatſachen zu erlernen, ſandern auch durch Anſtrengung ſeiner Geiſtes - kraͤfte tiefer in ihr Weſen einzudringen, und die Grundſaͤtze der - ſelben in ſich zu entwickeln habe. Deshalb muß man fruͤh darauf bedacht ſeyn, dem Gange ſeines Geiſtes die gehoͤrige Rich - tung zu geben.
So wie bey dem Eintritte in das Gebiet irgend einer Wiſſenſchaft keine Methode vortheilhafter iſt, als die ſyn - thetiſche, ſo iſt ſie auch bey dem erſten Studium der Heil - kunſt die zweckmaͤßigſte. Man erlangt naͤmlich durch Auf - ſtellung bewieſener und eroͤrterter Lehrſaͤtze, zuerſt eine Ue - berſicht uͤber den geſammten Inhalt der Wiſſenſchaft, und man kann hierauf mit Huͤlfe der analytiſchen Methode jene Begriffe einer naͤhern Zergliederung unterwerfen, und von den einzelnen, den Sinnen gegebenen Thatſachen ſich zu den oberſten Principien erheben.
Die Geſetze unſres Erkenntnißvermoͤgens muͤſſen genau erforſcht werden, ehe man zu irgend einer vollſtaͤndigen phi - loſophiſchen Erkenntniß gelangen will, und daher wird die Elementarphiloſophie jenes Vermoͤgens mit Recht Propaͤ - deutik jedes wiſſenſchaftlichen Studiums genennt. Um aber dieſe Geſetze genau zu befolgen, und ſich derſelben bey jedem Acte des Erkenntnißvermoͤgens hinreichend bewußt zu ſeyn, dazu wird eine gewiſſe Uebung des Geiſtes erfordert: denn nur durch Uebung werden alle unſere Kraͤfte theils entwickelt, theils vervollkommt.
Die Methode des Studirens uͤberhaupt, wird deshalb auch am beſten durch Uebung im Studiren erlernt. Wer ſich daher wiſſenſchaftliche Kenntniſſe irgend einer Art, wenn ſie auch nicht im geringſten Bezuge auf die Heilkunſt ſtehen, erworben hat, iſt dadurch geſchickter, die Heilkunſt zu erler - neu; und das Studiren auf Schulen iſt die beſte Vorberei - tung dazu, geſetzt auch, daß die dadurch erlangten Kennt - niſſe keine[unmittelbare] Anwendung mehr finden. Wer hin - gegen ein Handwerk oder eine Kunſt bisher handwerksmaͤßig getrieben hat, und nun die Heilkunſt ſtudiren will, erreicht entweder nie ſeinen Zweck, oder wenn er noch auf den rech - ten Weg geleitet wird, ſo hat er doch mit unendlich mehr Schwierigkeiten zu kaͤmpfen.
Den akademiſchen Unterricht ſehe man fuͤr das an, was er wuͤrklich iſt, naͤmlich fuͤr eine bloße Anleitung zum Stu - diren, fuͤr ein Mittel, um den rechten Weg zu Beobachtung der Natur und zu Entdeckung der Wahrheit zu finden.
Er hat beſonders den Vorzug vor dem Privatſtudium 1) daß bey dem Vortrage der eigentlich hiſtoriſchen Theile der Heilkunſt die Koͤrper ſelbſt vorgezeigt werden, von wel - chen man durch Abbildungen oder Beſchreibungen in Buͤchern, nur unvollſtaͤndige Begriffe bekoͤmmt, z. B. in der Naturge - ſchichte, Anatomie, Chemie, Pharmacie. Bey dieſen Vor - leſungen alſo, wo der Vortrag des Lehrers wenig Eigen - thuͤmliches haben kann, ſey man beſonders darauf bedacht, die Kenntniß jener Koͤrper nach der Beſchreibung des Leh - rers ſeinem Gedaͤchtniſſe vollſtaͤndig einzupraͤgen. Man muß ſich alſo auf eine jede Vorleſung gehoͤrig vorbereiten, damit die Aufmerkſamkeit mehr geſpannt wird, und man ſchon im voraus weiß, worauf man zu ſehen hat; und ſo - dann muß man das Vorgetragene mit Huͤlfe der beſten Schriftſteller, Abbildungen ꝛc. wiederholen. Nachſchreiben iſt hier meiſtentheils zwecklos, oft zweckwidrig.
2) Man empfaͤngt bey den eigentlich philoſophiſchen Theilen der Heilkunſt, die eigenthuͤmlichen Ideen des Leh - rers, welche man noch in keinen Buͤchern, oder doch nicht ſo deutlich entwickelt findet. Man ſuche hier dem Gedaͤcht - niſſe[durch] Nachſchreiben zu Huͤlfe zu kommen.
3) Man lernt die wiſſenſchaftlichen Gegenſtaͤnde in einer ſo freyen Ausfuͤhrung, und daher mir ſo viel Deutlichkeit kennen, wie man ſelten in Schriften findet. Denn dieſe ſind meiſtentheils entweder ſo, daß ſie noch einer weitlaͤufi - gern muͤndlichen Entwickelung der einzelnen Saͤtze beduͤrfen(Hand -175Bildung des Arztes.(Handbuͤcher), oder ſie ſind fuͤr eine groͤßere Klaſſe des Pu - blikums, alſo auch fuͤr die, welche mit den Wiſſenſ[ch]aften ſchon bekannt ſind, beſtimmt, und daher weniger deutlich. Man vergeſſe daher nicht bey dem Nachſchreiben den Faden des Vortrags zu behalten, man vernachlaͤſſige uͤber dem Auffaſſen des Einzelnen nicht das Ganze in ſeinem Zuſam - menhange.
4. Man wird mit den neuſten Bereicherungen der Wiſ - ſenſchaften bekannt gemacht. Man ſuche nachdem hierinne durch die Lektuͤre periodiſcher und anderer neuer Schriften uͤber die ſchon bekannten Gegenſtaͤnde, auch fuͤr ſich fortzu - ſchreiten.
5) Man hoͤrt die Beurtheilung fremder Ideen weitlaͤu - figer und deutlicher, als man ſie in Schriften findet. Dieſe Urtheile benutze man, nicht, um ihre Reſultate dem Gedaͤcht - niſſe einzupraͤgen, ſondern als Muſter zu gruͤndlicher Unter - ſuchung vorgetragener Meynungen, als Leitfaden zur Erfor - ſchung der Wahrheit. Man nehme daher auch keinen Satz des Lehrers, welcher nicht unmittelbar auf einer ausge - machten Thatſache beruht, unbezweifelt an, ſondern man forſche mit eigenen Kraͤften nach deſſen Wahrheit, und uͤbe ſich ferner in dieſer Beurtheilung durch eine geordnete Lek - tuͤre anderer Schriften, an welcher die Urtheilskraft den meiſten Antheil nimmt. Demungeachtet unterdruͤcke man das Mißtrauen gegen ſeine Kraͤfte nicht ganz, und verſcherze nicht die groͤßte Zierde des Gelehrten, die Beſcheidenheit.
6) Endlich beſteht ein wichtiger Vortheil des oͤffentli - chen Unterrichtes darinne, daß man dabey taͤglich ein gewiſ -ſes176Dritter Theil.ſes gleichfoͤrmiges Maas von Ideen empfaͤngt, und da - durch mit dem ganzen Umfange der Heilkunſt ganz allmaͤh - lig bekannt wird, dahingegen man bey dem Privatſtudium wegen des geſchwinden Faſſens die Gegenſtaͤnde zu eilig verlaͤßt, und weder dem Gedaͤchtniſſe, noch der Urtheilskraft die gehoͤrige Zeit laͤßt, dieſen Stoff zu verarbeiten. — Man verhuͤte aus derſelben Urſache alle Luͤcken im Beſuchen der Vorleſungen, und halte ſich daher auch in dieſer Ruͤckſicht Manuſcripte.
Eher noch koͤnnen die Nebenwiſſenſchaften der Heilkunſt durch das Privatſtudium erlernt werden, weil hier nicht ſo - wohl neue Ideen vorgetragen, als vielmehr die ſchon be - kannten neu geordnet, und auf einen anderen beſtimmten Zweck bezogen werden.
In jedem Fache macht man groͤßere Fortſchritte, ſobald man ſich fuͤr daſſelbe intereſſirt. Man ſuche alſo bey dem Studium einer jeden einzelnen Wiſſenſchaft der Heilkunſt der - ſelben Geſchmack abzugewinnen, und da wir dieſen Zweck dadurch erreichen, daß wir unſere Kraͤfte an den Gegenſtaͤn - den der Wiſſenſchaften ſelbſt uͤben, ſo unterſuche man ſelbſt das was man kennen gelernt hat: man lege z. B. naturhiſto - riſche, anatomiſche, pharmaceutiſche Sammlungen an, man zergliedre Pflanzen und Mineralien, thieriſche und menſch - liche Koͤrper, man ſtelle chemiſche Unterſuchungen an, man nehme Verſuche uͤber phyſiologiſche Gegenſtaͤnde vor, man ſuche bey ſeiner Lektuͤre und bey andern Gelegenheiten eigne Reſultate zu finden, oder uͤber die bekannten Wahrheiten Gewißheit zu erlangen, man benutze fruͤhzeitig die Gelegen - heit, Kranke zu beobachten ꝛc.
Hierbey vernachlaͤſſige man aber nie ſeinen eigentlichen Zweck, und verwende nicht auf Koſten des Hauptſtudiums zu viel Zeit und Aufmerkſamkeit auf die Mittel deſſelben. Je naͤher daher eine Wiſſenſchaft mit der eigentlichen Heilkunſt zuſammen haͤngt, um deſto mehr Fleiß muß man darauf verwenden.
Iſt man gehoͤrig vorbereitet zum Studium einer Wiſ - ſenſchaft geſchritten, hat man alſo die Vorleſungen uͤber die - ſelbe in der rechten Ordnung und mit den noͤthigen Vor - kenntniſſen gehoͤrt (woruͤber die Encyklopaͤdie Belehrung er - theilt), und ſie uͤbrigens gehoͤrig ſtudirt, ſo reicht einmali - ges Hoͤren dieſer Vorleſungen hin. Hat man aber eine Wiſ - ſenſchaft nicht zu gehoͤriger Zeit oder nicht in der gehoͤrigen Ordnung ſtudirt, oder nicht die erforderlichen Vorkenntniſſe gehabt, oder ſonſt nicht den gehoͤrigen Fleiß darauf verwen - det, ſo bleiben viele Gegenſtaͤnde noch zu ſehr im Dunkel, man kann ſich wegen Mangel an deutlichen Begriffen, durch Privatſtudium nicht ſo leicht nachhelfen, und man iſt genoͤ - thigt, dieſe Vorleſungen noch einmal zu hoͤren.
Geſellſchaftliche Disputationsuͤbungen geben Gewinn fuͤr die Schnelligkeit der Beurtheilung, und fuͤr die Fertig - keit des Ausdrucks, weniger fuͤr die Vervollkommung der Kenntniſſe, am wenigſten fuͤr Befoͤrderung der Beſcheidenheit und der Humanitaͤt. Wiſſenſchaftliche Unterhaltungen, wo es weniger darauf ankommt, das letzte Wort zu behalten, geben gleich reichen Gewinn in allen jenen Ruͤckſichten.
Was die Lektuͤre des ſtudirenden Arztes anlangt, ſo muß er zuerſt das Handbuch, uͤber welches er Vorleſungen hoͤrt, vollkommen ſtudiren, dabey aber auch immer in einem andern weitlaͤuftigern Werke, welches die ganze Wiſſenſchaft umfaßt, nachleſen.
Monographien, oder Abhandlungen uͤber einzelne Gegen - ſtaͤnde lieſet man am vortheilhafteſten, wenn man ſchon das ganze Gebiet der Heilkunſt uͤberſieht. Daher muß man be - ſonders in den letztern Jahren des akademiſchen Lebens mit dieſer Lektuͤre anfangen, welche man das ganze Leben hin - durch fortſetzt, weil der akademiſche Unterricht nur das Fach - werk abgiebt, in welches ein Jeder noch eigen erworbene Kenntniſſe eintragen muß.
Zu derſelben Zeit wird auch die Lektuͤre der periodiſchen Schriften erſt vollkommen nuͤtzlich, mit welcher man eben - falls fortfahren muß, um nie hinter ſeinem Zeitalter zuruͤck - zubleibeu, ſondern alle neue Kenntniſſe deſſelben ſich auch er - werben zu koͤnnen.
Kurze Excerpte aus den Monographieen, und eigne Aufſaͤtze uͤber dieſelben, ſind beſondere Huͤlfsmittel der Auf - merkſamkeit ſowohl und des Gedaͤchtniſſes, als der richtigen und deutlichen Beurtheilung.
Dasjenige Studium, welches der Erlernung der Heil - kunſt nothwendig vorhergehen muß, ohne jedoch einen Theil derſelben auszumachen, und ohne Data zu uͤberliefern, Kenntniſſe beyzubringen, welche mittelbar oder unmittelbar reale Huͤlfsmittel derſelben werden koͤnnten, nennen wir das vorbereitende Studium der Kunſt.
Aus dieſer Beſtimmung erkennt man ſchon hinreichend, daß die Philoſophie die Vorbereitungswiſſenſchaft der Heil - kunſt iſt, ſo wie ſie uͤberhaupt die Vorbereitung zu allen uͤbrigen Bemuͤhungen des menſchlichen Geiſtes abgiebt.
Die Philoſophie iſt die Wiſſenſchaft der geiſtigen Natur des Menſchen, in ſofern Wahrheit, Schoͤnheit und morali - ſche Vollkommenheit ihren Zweck ausmachen, und eine Ent - wickelung der Geſetze, durch deren Befolgung ſie dieſen Zweck erreicht. (Sie iſt alſo nicht die Darſtellung der geiſtigen Erſcheinungen im Menſchen, und der Geſetze, nach welchen dieſelben erfolgen, denn ſonſt waͤre ſie eine Naturwiſſen - ſchaft, eine Summe von Erfahrungen.) Dadurch iſt ſieM 2nun180Dritter Theil.nun einzig und allein das gemeinſchaftliche Eigenthum aller Zweige der Wiſſenſchaften, und ohne ſie giebt es gar keine Wiſſenſchaft, ſondern nur Bruchſtuͤcke derſelben.
Die Heilkunſt kann in ihrem Umfange nur durch moͤg - lichſt vollkommne Menſchen realiſirt werden, denn ſie ſucht durch eine verhaͤltnißmaͤßige Modification ſaͤmmtlicher (nicht nur der koͤrperlichen, ſondern auch der geiſtigen) Kraͤfte des Menſchen, einen beſtimmten Zweck, (die Geneſung) zu er - reichen: zu einer ſolchen zweckmaͤßigen Veraͤnderung einer Kraft reicht aber eine ihr untergeordnete Kraft nicht hin. Es wird hierzu im Gegentheile die moͤglichſte Vollkommenheit erfordert, welche man dadurch erreicht, daß man von der Philoſophie Belehrung uͤber ſeinen Zweck, Begruͤndung von Weisheit und Tugend, Harmonie aller ſeiner Anlagen, und durch dieß alles aͤchte Aufklaͤrung erhaͤlt.
Was die Heilkunſt als Wiſſenſchaft anlangt, ſo be - ſtimmt die Philoſophie die Moͤglichkeit derſelben, ſie pruͤft und laͤutert ihre Erkenntnißquellen, und leitet aus den all - gemeinen Geſetzen des Denkens und Erkennens Grundſaͤtze ab, welche die mediciniſche Erfahrung oder die Einſicht in die Erſcheinungen am Menſchen, welche auf Heilung Bezug haben, ihrem Cauſſalzuſammenhange nach, begruͤnden.
Sie verweiſet die Heilkunſt, ohne ihr Hypotheſen des Ueberſinnlichen zu erlauben, lediglich an die erkennbaren Erſcheinungen unſers Weſens, lehrt die allgemeinen Geſetze auffinden, nach welchen dieſelben erfolgen, ordnet ſie, undſtellt181Bildung des Arztes.ſtellt badurch die Heilkunſt in die Reihe der Wiſſenſchaften (§ 42).
Endlich gewaͤhrt ihr Studium Schaͤrfe des Urtheils, Buͤndigkeit der Folgerung, und uͤberhaupt Vollkommenheit im Denken: Eigenſchaften, ohne welche die Heilkunſt uͤber - haupt nie vollkommen realiſirt werden kann.
Auf dieſe Art bildet die Philoſophie die Heilkunſt, giebt ihr aber keinen Stoff an die Hand, denn ſie betrachtet die geiſtige Natur des Menſchen immer nur nach dem in ihr ent - haltenen Grunde fuͤr eine ſich gleich bleibende nothwendige Form ihrer Thaͤtigkeit, und nach dem Zwecke dieſer Thaͤ - tigkeit.
Die Heilkunſt hingegen unterſucht zwar auch die geiſtige Natur des Menſchen, aber nicht nach dem Grunde oder dem Zwecke ihrer Thaͤtigkeit, ſondern uͤberhaupt nach ihren Aeuſ - ſerungen, wie dieſelben durch die Erfahrung erkannt werden, und bedient ſich dieſer Beobachtung zufolge, entweder der geiſtigen Vermoͤgen ſelbſt, oder der Wuͤrkung auf dieſelben nach ihrem beſtimmten Zwecke.
Die Geſchichte belehrt uns daher, daß in demſelben Grade, als die Philoſophie von ihrem urſpruͤnglichen Zwecke abwich, ſich in metaphyſiſchen Spitzfuͤndigkeiten und blin - dem Dogmatismus verlor, auch die Heilkunſt von der Stufe, welche ſie erreicht hatte, herab ſank. Und wenn dieſelbe in unſrem Zeitalter ſich ihrer moͤglichen Vollkommenheit mehr naͤhert, ſo hat ſie dies einzig und allein dem Lichte der Phi -M 3loſophie182Dritter Theil.loſophie zu danken, welches jetzt reiner iſt, und ſeine Strah - len weiter wirft, als vordem.
Aber auch das edelſte Geſchenk, welches das Menſchen - geſchlecht aufweiſen kann, iſt eines Mißbrauches faͤhig, und die Benutzung der Philoſophie in der Heilkunſt kann in Af - terweisheit ausarten.
Dies geſchieht, wenn die Philoſophie nicht nur als bloße Fuͤhrerin, ſondern auch als Lehrerin der Heilkunſt betrachtet wird. Man zwaͤngt dann Beobachtungen in irgend ein philoſophiſches Syſtem, bringt Meta - phyſik in eine Erfahrungswiſſenſchaft, fuͤllt die unausbleib - lichen Luͤcken durch Kunſtwoͤrter der Schule, und hoͤrt auf, die Mediciu philoſophiſch zu bearbeiten, ſondern bearbeitet die Philoſophie mediciniſch.
Dadurch ſtoͤrt man den philoſophiſchen Gang medici - niſcher Unterſuchungen, welcher unſre Ideen aufhellt, und allein die Heilkunſt vervollkommt; und man giebt uns dafuͤr philoſophiſche Kenntniſſe, welche ſeit jeher die Freyheit der Unterſuchungen einſchraͤnkten, ihre Maͤngel durch Wort - gepraͤnge verbargen, und durch den eitlen Wahn, die hoͤchſte Vollkommenheit ſchon errungen zu haben, den Fortgang der Wiſſenſchaft hinderten.
Huͤlfswiſſenſchaften der Heilkunſt ſind diejenigen Wiſ - ſenſchaften, welche man fruͤher als dieſe ſtudiren muß, und deren Inhalt die Erlernung und Ausuͤbung derſelben unter - ſtuͤtzt, ohne jedoch mit der Heilkunſt ſelbſt in unmittelbarer Verbindung zu ſtehn.
Die Nothwendigkeit der Sprachkenntniſſe fuͤr den Arzt, ergiebt ſich am deutlichſten aus den verſchiedenen Ruͤckſich - ten, in welchen er ſich derſelben bedient *).
I. Die Sprachkenntniſſe werden benutzt, um gewiſſe Begriffe in den Wiſſenſchaften durch fremde Woͤrter fuͤr die Gelehrten verſtaͤndlicher, leichter und kuͤrzer auszudruͤcken;M 4der184Dritter Theil.der Arzt braucht hier nur ſoviel von den hierzu gebraͤuchlichen Sprachen zu kennen, um den Grund dieſer Benennungen einzuſehen, oder um dieſe Kunſtausdruͤcke gehoͤrig zu verſte - hen und richtig zu gebrauchen.
Man erleichtert ſich daher das Studium der hiſtoriſchen Wiſſenſchaften der Heilkunſt außerordentlich durch genaue Kenntniß der Terminologie, ihrer Bedeutung und Ableitung nach, und bey Erlernung der Anatomie, Chemie ꝛc. findet man weit weniger Schwierigkeiten, wenn man jedes Kunſt - wort hinreichend verſteht. Diejenigen, welche mit den Sprachen ſchon einigermaaßen bekannt ſind, wiſſen ſich hier leicht nachzuhelfen; die es nicht ſind, muͤſſen mit vieler Muͤ - he das Stuͤckwerk nachholen, wovon ſie das Ganze vernach - laͤſſigt haben. Hierzu dienen mediciniſche Woͤrterbuͤcher, z. B.
a) Die Kunſtwoͤrter der todten Sprachen haben das Vorzuͤgliche, daß erſtlich ihre Begriffe genau beſtimmt und feſt, alſo auch keines Mißverſtaͤndniſſes faͤhig ſind, da hin - gegen den Woͤrtern in den lebenden Sprachen durch die Will - kuͤhr einzelner Maͤnner, oder ganzer Voͤlkerſtaͤmme, oder verſchiedner Zeitalter, verſchiedne Begriffe untergelegt wer - den; zweytens verhuͤtet ihr Gebrauch in Etwas, daß die Layen ſich anmaaſen, Krankheiten heilen zu wollen, da jeder Ungebildete alle Begriffe zu verſtehen waͤhnt, deren Wortbe - zeichnung er ausſprechen kann.
1. Die lateiniſche Sprache liefert der Heilkunſt die meiſten Kunſtwoͤrter. Theile und Verrichtungen des menſch - lichen Koͤrpers, Krankheiten und Heilmittel erhalten ihre Benennung von ihr, und jede Verordnung des Arztes muß in derſelben abgefaßt ſeyn. Es iſt alſo eine unnachlaßliche Bedingung, daß man dieſe Kenntniß ſich vor dem Studium der Heilkunſt erwirbt.
2. Die griechiſche Sprache iſt vermoͤge ihrer Bieg - ſamkeit ungemein geſchickt, zu Kunſtausdruͤcken benutzt zu werden, zumal wo zuſammengeſetzte Begriffe kurz[ausge - gruͤckt] werden ſollen. Die deutſche Sprache koͤmmt ihr zwar an Biegſamkeit gleich, wird aber an Leichtigkeit und Wohl - klang von ihr uͤbertroffen, und deshalb bleibt die griechiſche Sprache fuͤr immer ein unentbehrliches Huͤlfsmittel der Heil - kunſt.
b) Unter den lebenden Sprachen iſt beſonders die - jenige reich an mediciniſchen[Kunſtwoͤrtern], in welcher am fruͤheſten bedeutende Schriften uͤber die Heilkunſt erſchienen ſind. Dies gilt von der franzoͤſiſchen, welche ſchon ſo ausgebildet war, daß alle wiſſenſchaftliche Werke in ihr ge - ſchrieben werden konnten, indeſſen andere Nationen ſich zu gleichem Zwecke noch der todten Sprachen bedienen mußten. Sodann waren auch die Franzoſen unſere Lehrer in der Chi - rurgie und in der Geburtshuͤlfe, und deshalb haben vorzuͤg - lich dieſe beyden Kuͤnſte viel franzoͤſiſche Ausdruͤcke. — Kenntniß der uͤbrigen neuern Sprachen iſt in dieſer Hinſicht entbehrlicher.
II. Der Arzt kann ſeine Kenntniß fremder Sprachen benutzen, um Werke, welche in denſelben abgefaßt ſind, zu leſen. Hierzu gehoͤrt ſchon eine genauere Sprachkenntniß.
Die lateiniſchen und griechiſchen Schriften der alten Aerzte ſind, zumal, da wir von den meiſten brauchbare Ue - berſetzungen haben, bey dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Kunſt nicht von dem reichen Inhalte, daß ein jeder gute Praktiker ſie im Originale leſen, und deshalb eine lange Zeit auf das Studium dieſer Sprachen verwenden muͤßte. Die Geſchichtsforſcher aber, und der Literator muͤſſen ſie inne haben; fuͤr dieſe iſt ſogar der Vollſtaͤndigkeit wegen, wenn ſie die Geſchichte und Literatur der Kunſt im Mittel - alter bearbeiten, Kenntniß der orientaliſchen, beſonders der arabiſchen Sprache noͤthig.
Die Gelehrten der verſchiedenen Nationen mußten ehe - mals, theils wegen Unvollkommenheit ihrer Mutterſprache, theils wegen Unbekanntſchaft anderer Nationen mit derſel - ben, ihre Zuflucht zu der lateiniſchen Sprache nehmen: die - ſe wurde das gemeinſchaftliche Huͤlfsmittel zum Austauſch ihrer Ideen, das Band der Gelehrtenrepublik. Die groͤßten Aerzte des Mittelalters, und einige aus den neueſten Jahr - hunderten ſchrieben lateiniſch.
In den neueſten Zeiten wurden die Sprachen eines jeden Landes mehr ausgebildet, ſo daß man ſich in ihnen uͤber jedenGegen -187Bildung des Arztes.Gegenſtand hinreichend erklaͤren konnte, und die Scheide - wand fiel, welche die Nationen von einander getrennt hatte. Beydes bewuͤrkte, daß auch die Aerzte in ihrer Mutterſpra - che ſchrieben, in der Ueberzeugung, von ihrer Nation ſo - wohl, als von andern verſtanden zu werden, da jetzt nicht mehr allein die Gelehrten, ſondern auch die Voͤlker ſelbſt unter einander bekannter geworden waren.
Dies macht alſo die Kenntniß, beſonders der franzoͤſi - ſchen, engliſchen und italieniſchen Sprache noͤthig, zumal fuͤr den, welcher durch die gewoͤhnlichen Ueberſetzungen nicht befriedigt, in den Geiſt eines originellen Schriftſtellers ein - dringen, nicht nur ſeine Gedanken im Allgemeinen, ſondern ſeinen ganzen Sinn faſſen, und das eigene Vergnuͤgen, wel - ches die Lectuͤre eines Originals gewaͤhrt, genießen will.
Wer dieſe Nebenabſichten nicht hat, bedarf dieſer Sprachkenntniſſe in unſerm uͤberſetzenden Zeitalter nicht, zumal, da die meiſten unſerer Ueberſetzungen aus fremden Sprachen, vollſtaͤndiger und gehaltvoller ſind, als die Ori - ginale.
III. Der Arzt bedarf der Sprachen, um ſie zu ſprechen, und dieſes Beduͤrfniß iſt nach Maaßgabe der individuellen Verhaͤltniſſe eines Jeden verſchieden. Die Sprachen aber, welche man ſpricht, muß man ſich vollkommen eigen machen, um alle moͤgliche Mißverſtaͤudniſſe, welche von ſo großem Nachtheile fuͤr den Arzt ſowohl, als fuͤr den Kranken ſeyn koͤnnen, zu verhuͤten.
a. Von den todten Sprachen iſt eine ſolche Kenntniß der lateiniſchen auf Akademien noͤthig; ſie iſt es ferner, wenn man im Beyſeyn eines ungelehrten Kranken mit einem an - dern Arzte ſprechen will, ohne von dem Erſtern verſtanden zu werden, und um mit Gelehrten anderer Nationen, deren Sprache man nicht kennt, ſich unterhalten zu koͤnnen.
b. Unter den lebenden Sprachen ſteht die Mutterſprache eines Jeden obenan. Nur die Vorurtheile eines finſtern Jahrhunderts konnten ihren Gebrauch herabwuͤrdigen, und jeder Arzt hat die Pflicht, ſich eine gruͤndliche Kenntniß der - ſelben zu erwerben, um richtig, deutlich und angenehm ſich ausdruͤcken zu koͤnnen.
Von den uͤbrigen lebenden Sprachen waͤhle ſich ein Je - der die, welche in der Gegend ſeines Wohnortes am meiſten geſprochen werden, oder deren er wegen ſeiner Verbindung mit andern Nationen am haͤufigſten bedarf.
Beſonders waͤhle man diejenigen Sprachen, deren Ge - brauch am allgemeinſten iſt. Hierher gehoͤrt beſonders die franzoͤſiſche, weil dieſe Nation den uͤbrigen an Cultur vor - eilte. Oft bedarf auch der Arzt nur einzelner franzoͤſiſcher Ausdruͤcke, um dadurch die Delikateſſe ſeiner Kranken zu ſchonen. Sodann kann auch die Kenntniß einer ſlavoniſchen Sprache hierher gerechnet werden, weil man dadurch in den Stand geſetzt wird, Ruſſen, Pohlen, Boͤhmen, Maͤhren, Ungarn, Illyrier, Steyermaͤrker zu verſtehen.
Nur mit dieſen Kenntniſſen groͤßtentheils ſchon ausge - ruͤſtet, darf man zum Studium der Heilkunſt ſchreiten; denn je laͤnger man das Studium der Sprachen aufſchiebt, deſto ſchwieriger wird dieſe Uebung des Gedaͤchtniſſes, deſto unangenehmer und trockener wird es, beſonders bey den tod - ten Sprachen, und deſto koſtbarer wird endlich die Zeit. Man ſchiebe alſo dieſes Studium ja nicht auf, weil ſeine Vernachlaͤſſigung ſich nur zu ſehr, und fuͤr die ganze Lebens - zeit raͤcht.
In ſofern die Heilkunſt nur durch einen gebildeten Mann realiſirt werden kann, muß der Erlernung derſelben auch das Studium der Geſchichte und ihrer verſchiedenen Grund - wiſſenſchaften, beſonders der Geographie und Antiquitaͤten, vora[u] sgehen.
Denn dieſes Studium befriedigt eine edle Wißbegierde, bereichert die Erfahrung, berichtigt die Urtheile uͤber die Vor - faͤlle der Gegenwart, ſchaͤrft die Urtheilskraft, und traͤgt ganz beſonders zu einer aͤchten Aufklaͤrung bey.
Eben ſo dringend bedarf der Arzt der allgemeinen Welt - geſchichte, in wiefern er die Geſchichte ſeiner Kunſt ſtudiren muß. Dieſe wird naͤmlich, da die Ereigniſſe im Gebiete der Politik und der Wiſſenſchaften ſo nahe mit einander ver -knuͤpft190Dritter Theil.knuͤpft ſind, durch die Erſtere immer unterſtuͤtzt, und kann nie einen Schritt ohne dieſelbe thun.
Noch inniger haͤngt die Geſchichte der Heilkunſt mit der Geſchichte der uͤbrigen Wiſſenſchaften, beſonders der Philo - ſophie und der Naturgeſchichte zuſammen; ohne dieſe Ver - bindung bleibt ſie eine bloße, unfruchtbare Erzaͤhlung, denn ſie verfehlt ihren Zweck: Beobachtung der Fortſchritt des menſchlichen Geiſtes und Belehrung uͤber die deshalb kuͤnftig einzuſchlagenden Wege.
Da der Zauber der Dichtkunſt beſonders geſchickt iſt, die zarteſten Gefuͤhle des Herzens zu wecken und zu bewah - ren, den Sinn fuͤr das Gute und Schoͤne, fuͤr Menſchen - wohl und Veredlung zu beleben: ſo muß man auch vor Er - lernung der Heilkunſt mit dem Studium unſerer Dichter den Anfang machen, und es wird bey Ausuͤbung derſelben oft Troſt, Ruhe und Muth gewaͤhren.
Es erhaͤlt dadurch auch die Einbildungskraft einen hoͤ - hern Schwung, welcher ſich durch Energie der Gedanken und des Ausdrucks offenbart; und wenn dieſe thaͤtigere Phantaſie einer ſcharfen Urtheilskraft die Hand reicht: ſo entſteht der ſchoͤnſte Bund, durch welchen einige Meiſter un -ſerer191Bildung des Arztes.ſerer Kunſt den Leſer ihrer Werke unaufhaltſam mit ſich fortreißen.
Auch haben mehrere Aerzte didaktiſche Gedichte uͤber Gegenſtaͤnde ihrer Kunſt abgefaßt, unter welchen einige klaſſiſch, und des Studiums der Aerzte fuͤr immer werth ſind. Wir nennen hier nur
Außer dem allgemeinen wohlthaͤtigen Einfluſſe der ſchoͤ - nen Kuͤnſte auf die Bildung des Arztes gewaͤhrt die Kennt - niß der Zeichenkunſt noch den beſondern Vortheil, daß der Arzt zu ſeinem eigenen, oder zum oͤffentlichen Gebrauche, Gegenſtaͤnde, welche fuͤr die Kunſt wichtig ſind, z. B. aus der reinen und pathologiſchen Anatomie, aus der Heilmittel - lehre, Chirurgie und Entbindungskunſt, entweder ſelbſtzeichnen,192Dritter Theil.zeichnen, oder doch wenigſtens den Zeichner gehoͤrig anſtellen kann. Unter den groͤßten Aerzten zeichnen ſich daher auch ei - nige als Kuͤnſtler aus.
Die Mathematik, oder die Lehre von den Koͤrpern, in ſofern ſie ausgedehnt oder im Raume erſcheinen, hat wegen ihres ſichern Ganges, und ihrer Methode, zu Gewißheit zu gelangen, ſehr vortheilhaften Einfluß auf die Methode des Studirens uͤberhaupt, beſonders bey Entdeckung der Na - turgeſetze.
Deshalb iſt vorzuͤglich die Algebra, als das beſte Mit - tel, ſtetes Denken, ſtrenges Forſchen nach Wahrheit und richtigen Ideengang ſich eigen zu machen, zu Aufſuchung neuer Wahrheiten in der Heilkunſt beſonders nuͤtzlich.
Fuͤr den ausuͤbenden Arzt kann aber dieſes Studium theils wegen des hierzu erforderlichen Zeitaufwandes, theils wegen der dadurch ſehr leicht bewuͤrkten aͤngſtlichen Vorliebe zu mathematiſcher Gewißheit, oft ſehr nachtheilig werden.
Die Aufangsgruͤnde der reinen Mathematik werden aber noͤthig zur Einſicht der Phyſik, welche ohne dieſelbedunkel193Bildung des Arztes.dunkel und ungewiß bleibt, und zum Studium der ange - wandten Mathematik.
Dieſe wird naͤmlich fuͤr die Heilkunſt wichtig, in ſofern in ihr die Berechnung und Ausmeſſung einzelner Klaſſen von Koͤrpern vorgetragen wird, und der menſchliche Koͤrper auch in der Ruͤckſicht betrachtet werden muß, in ſofern er bloß als ausgedehnt erſcheint.
Die Mechanik iſt in dieſer Ruͤckſicht beſonders noͤthig fuͤr den Handarzt und Geburtshelfer, indem ſie die richtige Anwendung der Inſtrumente lehrt. Sie wird ferner benutzt, um in der Phyſiologie die Lehre von der Muskelbewegung, ſo wie die Optik, um die Lehre von der Function des Auges einzuſehen; die Hydroſtatik bietet in Ruͤckſicht auf den Blut - umlauf, wenn auch nicht Belehrung, doch Stoff zu einer lehrreichen Vergleichung dar.
Doch kann auch dieſe Anwendung der Mathematik nach - theilig werden, wenn man den Menſchen bloß, als im Rau - me exiſtirend, betrachtet, darnach alle Erſcheinungen an ihm beurtheilt, und daher die uͤbrigen Seiten ſeiner Natur zu wenig in Anſchlag bringt.
Kenntniß der Oekonomie kann dem Arzte in vielen Faͤl - len nuͤtzlich werden, beſonders wenn er die Nebenzweige ſeiner Kunſt, als Diaͤtetik, mediciniſche Polizey oder Thier - heilkunſt bearbeitet.
Die Bekanntſchaft mit den verſchiedenen Kuͤnſten und Handwerken iſt dem ausuͤbenden Arzte noch noͤthiger, weil die Krankheiten der Kuͤnſtler und Handwerker oft durch ihre Werkzeuge, Stellung ꝛc. veranlaßt oder unterhalten werden, und der Arzt darauf bedacht ſeyn muß, dieſe Umſtaͤnde un - ſchaͤdlich zu machen.
Der Plan zu irgend einem wiſſenſchaftlichen Studium kann zwar niemals fuͤr Alle gleich paſſend eingerichtet wer - den, da Jeder ſeine beſondere Faͤhigkeiten, Vorkenntniſſe, Huͤlfsmittel und Zwecke hat. Im Ganzen genommen kann aber folgender Plan zum akademiſchen Studium der Heil - kunſt binnen neun Halbjahren zur allgemeinen Norm dienen,welche195Bildung des Arztes.welche ein Jeder nach ſeiner Individualitaͤt und nach den aͤußern Umſtaͤnden abaͤndern kann.
Es koͤmmt bey dieſem Plane vorzuͤglich darauf an, 1) daß man alle noͤthige Wiſſenſchaften ſtudirt, und keine uͤber - ſieht, 2) daß man einer jeden einzelnen die gehoͤrige Auf - merkſamkeit ſchenkt, und ſie nicht zu fluͤchtig durchgeht, 3) daß man ſie in der gehoͤrigen, Naturgemaͤßen Ordnung, und keine ſtudirt, ohne mit den noͤthigen Vorkenntniſſen ſchon ausgeruͤſtet zu ſeyn.
1. Propaͤdeutik der Heilkunſt (zweytaͤgig). 2. Allgemeine Natur - geſchichte mit Zoologie (ſechstaͤgig).
Bey dem aͤußerſt wichtigen Schritte zum akademiſchen Leben muß man alle moͤgliche Uebereilung verhuͤten. Des - halb duͤrfen anfangs auch nur wenig Vorleſungen beſucht werden, damit man ſich naͤmlich weniger, dafuͤr aber auch deſto deutlichere Begriffe verſchaffe, und der Gefahr entgehe, durch die Menge von Gegenſtaͤnden uͤberhaͤuft und muthlos oder nachlaͤſſig gemacht zu werden. Das erſte Halbjahr iſt alſo beſtimmt, dem kuͤnftigen Arzte deutliche Begriffe von ſeinem eigentlichen Zwecke und den dazu erforderlichen Mit -N 2teln196Dritter Theil.teln zu verſchaffen, und ihm den Anfang einer Ueberſicht der geſammten Koͤrperwelt zu gewaͤhren.
Uebrigens muß dieſe Zeit noch andern Wiſſenſchaften und Kuͤnſten gewidmet werden, welche man entweder noch gar nicht, oder nicht hinreichend betrieben hat, oder zu deren Studium man nicht die gehoͤrige Gelegenheit gehabt hat, z. B. Philoſophie, Mathematik, Philologie, Muſik, Zei - chenkunſt ꝛc.
Im Anfauge des Studirens kann man ſich der alpha - betiſchen Realencyklopaͤdien, oder der ſogenannten medicini - ſchen und chirurgiſchen Woͤrterbuͤcher bedienen, um ſich naͤm - lich von den wiſſenſchaftlichen Gegenſtaͤnden, welche man in der Verbindung mit einer Wiſſenſchaft noch nicht kennt, ei - nen vorlaͤufigen Begriff zu verſchaffen. Doch benutze man dieſe Huͤlfsmittel nur zum vorlaͤufigen Studium, und glaube nicht, den Gegenſtand dadurch vollſtaͤndig kennen zu lernen; man kennt ihn nur fragmentariſch.
1. Die Propaͤdeutik der Heilkunſt ſetzt eigentlich ſchon die Kenntniß der allgemeinen Encyklopaͤdie voraus, damit man nicht nur ſeinen naͤchſten Umkreiß erkennt, ſondern auch einen hoͤhern Standpunct gewinnt, um die geſammten Wiſſenſchaften als ein einziges ungetheiltes Ganzes, alſo in Bezug auf den hoͤchſten Zweck des Menſchen zu uͤberſehen. Iſt dieſes Studium (welches eigentlich ſchon einen Gegen -ſtand197Bildung des Arztes.ſtand des Schulunterrichtes ausmachen ſollte) noch nicht be - trieben worden; ſo muß es jetzt noch nachgeholt werden.
2. Die allgemeine Naturgeſchichte laͤßt das ganze Ge - biet uͤberſehen, wovon die Heilkunſt nur einen einzelnen Theil bearbeitet, ihr Studium muß alſo dem der uͤbrigen Wiſſenſchaften nothwendig vorausgehen, und in dem halb - jaͤhrigen Vortrage derſelben kann die Zoologie fuͤglich mit ihr verbunden werden.
Vollſtaͤndige, inſtructive, gut geordnete Sammlungen natuͤrlicher Koͤrper ſind zum Studium der Naturgeſchichte unentbehrlich. Da jedoch der, welcher ſich zum praktiſchen Arzte bilden will, nicht gerade deshalb eine Akademie waͤh - len kann, weil gute Naturalienſammlungen auf derſelben ſind: ſo wuͤrde eine Ueberſicht der vorzuͤglichſten Sammlun - gen dieſer Art hier uͤberfluͤſſig ſeyn. Ueberdies werden auch auf Akademieen meiſtentheils Privatſammlungen benutzt, welche daher dem Wechſel der Zeit mehr unterworfen ſind.
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
Handbuch:
Hauptwerke:
Journal:
Fuͤr Zoologie:
1. Botanik (ſechstaͤgig). 2. Mineralogie (zweytaͤgig). 3. Naturgeſchichte des Menſchen (zweytaͤgig). 4. Oekonomie des menſchlichen Koͤrpers (viertaͤgig). 5. Oſteologie und Syndesmologie (viertaͤgig).
In dieſem Halbjahre wird die Lehre von der Form der einzelnen Naturkoͤrper vollendet, und dadurch der Uebergang zur erſtern Kenntniß der Form des menſchlichen Koͤrpers gemacht.
1. Botanik. Eine empiriſche Kenntniß der Pflan - zen hat derjenige, welcher ſie nach ihrem Habitus, nachihrem199Bildung des Arztes.ihrem aͤußern Anſehen im Allgemeinen kennt (wohin auch aͤußerſt zufaͤllige und betruͤgliche Merkmahle gehoͤren, z. B. die Farbe), ohne ihren eigenthuͤmlichen Charakter, oder das Merkmahl, wodurch ſie ſich von allen uͤbrigen unterſcheiden, angeben zu koͤnnen. Dieſe Kenntniß bleibt immer nur un - vollſtaͤndig, und man iſt ſich derſelben nie gewiß. Dahin - gegen verlaͤßt uns die wiſſenſchaftliche Kenntniß nie, d. h. die Fertigkeit, genau zu beſtimmen, welche einzig moͤgliche Stelle eine jede Pflanze in dem Syſteme einnehme.
Das Erſte bey dem Studium der Botanik iſt alſo, daß man ſich eine genaue Bekanntſchaft des Syſtems, und zwar des Linneiſchen, als des vollkommenſten, verſchaffe. Da - durch allein bekoͤmmt man eine hinreichende Ueberſicht des Ganzen, und ſetzt ſich in den Stand, auch ohne fremde An - leitung, einzelne Pflanzen mit Gewißheit zu erkennen, und dieſe Kenntniß zu behalten.
Auf einige Vegetabilien muß der Arzt ſeine Aufmerk - ſamkeit beſonders richten. Er muß naͤmlich zuerſt die offici - nellen Pflanzen, d. h. welche ihrer Heilkraͤfte wegen in den Officinen vorraͤthig ſind, genau kennen, weil er nicht immer den Apothekern ganz trauen kann, weil er oft den Kranken ſelbſt die ihm dienlichen Pflanzen zum Sammeln anzeigen, und ſie zuweilen auch ſelbſt muß einſammeln laſſen ꝛc. Als gerichtlicher Arzt muß er ferner auch die Guͤte und Aechtheit der in den Officinen aufbewahrten Pflanzenkoͤrper beurthei - len, auch in Rechtsfaͤllen entſcheiden koͤnnen, ob auch die Pflanzen angewendet worden ſind, welche genannt waren ꝛc.
Sodann muß er aber auch, beſonders in der letztern Ruͤckſicht, alle giftige und andere Pflanzen, welche viel Aehnlichkeit mit unſchaͤdlichen, zur Nahrung oder zu medi - ciniſchem Gebrauche dienenden Gewaͤchſen haben, vollkom - men zu unterſcheiden wiſſen.
Dieſe anſchauliche Kenntniß erlangt er nur 1) in der Natur ſelbſt, auf botaniſchen Excurſionen oder in Gaͤrten, 2) durch getrocknete und kuͤnſtlich aufbewahrte Pflanzen - ſammlungen (herbarlae viva), 3) durch Abbildungen.
Die friſchen Pflanzen ſelbſt auf Excurſionen, oder in Gaͤrten kennen zu lernen, iſt am vortheihafteſten. Wenn man ſich dieſer beyden Huͤlfsmittel bedient, ſo kann man dabey ſein Augenmerk immer auf die, dem Arzte zunaͤchſt liegenden Pflanzen vorzuͤglich richten. Uebrigens ſind die Excurſionen das beſte Mittel, Intereſſe fuͤr die Botanik zu gewinnen.
Was das Trocknen und Aufbewahren der Pflanzen an - langt, ſo iſt der Einfluß dieſer Methode auf Unterſtuͤtzung des Gedaͤchtniſſes einleuchtend; nur muß ſich der kuͤnftige Arzt hierbey noch mehr auf die officinellen Pflanzen einſchraͤn - ken, weil er, wenn er auch viel andere trocknet, ſich durch dieſe Beſchaͤftigung zu viel Zeit raubt.
Bey dem Studium der Botanik iſt es auch nuͤtzlich, ſich um ihre natuͤrlichen Eigenſchaften, und den Gebrauch, wel - chen die Menſchen in verſchiedenen Laͤndern und zu verſchie - denen (oͤkonomiſchen, techniſchen ꝛc.) Zwecken davon ma - chen, zu bekuͤmmern. Man ſtudirt dann mit noch mehr Intereſſe, und erwirbt ſich, wie im Voruͤbergehen, manche brauchbare Kenntniſſe.
Uebrigeus nehme man auch eine hoͤhere Anſicht von dem Studium der Botanik: man betrachte es als ein Huͤlfs - mittel, theils ſein Gedaͤchtniß zu ſtaͤrken (§ 510), theils ſeinen Beobachtungsgeiſt auszubilden (§ 506).
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
Handbuch:
Hauptwerk:
Kupferwerk:
Kupferwerk officineller Pflanzen
Journal:
2. Mineralogie. Der Arzt treibt dieſes Studium, theils um ſeine Kenntniß der Natur vollſtaͤndiger zu machen, theils um die mineraliſchen Heilmittel (obſchon deren nicht eine ſo große Anzahl iſt, als der vegetabiliſchen) und Gifte kennen zu lernen, theils um durch die Fertigkeit, Minera - lien zu erkennen, uͤberhaupt auch einen ſchaͤrfern Blick, und mehr Vollkommenheit in der Wahrnehmungskunſt zu gewin - nen.
Oefteres Betrachten der Mineralien ſelbſt iſt ganz un - entbehrlich, und deshalb iſt es auch rathſam, eigne Samm - lungen anzulegen, welches uͤbrigens nicht mehr Zeit koſten darf, als zu Erreichung jenes Zweckes hinreicht.
Literatur.
Einleitung in das Syſtem:
Handbuch:
Journal:
3. Naturgeſchichte des Menſchen. Nachdem man im vo - rigen Halbjahr das Thierreich in Ruͤckſicht auf aͤußere Form betrachtet hat, ſo kann nun die Vergleichung deſſelben mit dem Menſchen in derſelben Ruͤckſicht den Anfang zum Stu - dium des Menſchen abgeben.
Literatur.
Handbuch:
4. Oekonomie des menſchlichen Koͤrpers. Dieſe Vorle - ſungen ſind ganz nuͤtzlich, um ſich zuerſt allgemeine Begriffe von der Structur des menſchlichen Koͤrpers zu erwerben, ehe man das Detail durchgeht. Sie machen die Vorbereitung zum Studium der Anatomie und Phyſiologie aus.
5. Oſteologie und Syndesmologie. Die Knochenlehre macht die Grundlage der geſammten Anatomie aus, und man muß ſie daher in dieſem Halbjahre mit moͤglichſtem Fleiße und groͤßter Genauigkeit ſtudiren, weil ohne dies keine der folgenden anatomiſchen Wiſſenſchaften gehoͤrig ver - ſtanden werden kann, und man ſich durch dieſen Fleiß das Studium der ganzen Anatomie um Vieles erleichtert. Noth - wendig muß man auch ſelbſt menſchliche Knochen bey dem Privatſtudium zu Huͤlfe nehmen, weil die Abbildungen hier am wenigſten hinreichen. Die Baͤnderlehre muß beſonders die Aufmerkſamkeit des Chirurgen auf ſich ziehn.
Literatur der Anatomie.
Handbuch:
Tabellen:
Hauptwerk:
Hauptkupferwerk:
Handkupferbuch:
Journal:
Literatur der Oſteologie.
Handbuch:
Literatur der Syndesmologie.
Hauptwerk:
Jetzt kann man ſchon anfangen, ſich im Zergliedern thieriſcher Koͤrper (Zootomie) zu uͤben, wenn man auch gleich noch nicht ganz vollſtaͤndige Begriffe von den Theilen des menſchlichen Koͤrpers hat. Die Vortheile, welche man dadurch gewinnt, ſind 1) daß man ſich fuͤr die Anatomie lebhafter intereſſirt, und ſie daher mit mehr Eifer erlernt (§. 572); 2) daß man die Structur mancher Theile des menſchlichen Koͤrpers durch die Betrachtung thieriſcher Theile (z. B. des Auges) beſſer kennen lernt, als es durch Abbil - dungen moͤglich iſt; 3) daß man eine Fertigkeit im Seci - ren erlangt, welche ſowohl bey dem kuͤnftigen Studium, als in der kuͤnftigen Praxis (nicht nur bey Leichenoͤfnungen, ſondern auch bey Operationen) ſehr zu Statten koͤmmt; 4) daß ſich der Ungewohnte an den Anblick zergliederter thieri -ſcher206Dritter Theil.ſcher Koͤrper gewoͤhnt, und einen Eckel uͤberwinden lernt, welcher dem Menſchen angebohren, und deshalb nichts we - niger, als ſchimpflich iſt.
1. Chemie (ſechstaͤgig), 2. Phyſik (ſechstaͤgig), 3. Myologie und Splanchnologie (viertaͤgig), 4. Angiologie und Nevrologie (viertaͤgig).
Das dritte Halbjahr iſt beſtimmt der hoͤhern Kenntniß der Auſſenwelt (d. h. nach ihrer Miſchung und ihren auf eignen Kraͤften beruhenden Wirkungsgeſetzen), und der Vol - lendung der niedern Kenntniß des Menſchen (d. h. ſeiner aͤuſſern Form nach).
1. Chemie. Die aͤußere Form der Naturkoͤrper kennt man nun: jetzt iſt es alſo Zeit, ſich mit ihrer Miſchung be - kannt zu machen. Der Arzt bedarf nun der Chemie, theils in ſofern er Naturforſcher iſt, theils unmittelbar, um die Miſchungsveraͤnderungen des menſchlichen Koͤrpers zu erken - nen und zu heben, um die Heilmittel nach ihren Beſtand - theilen zu beurtheilen, um verſchiedene Heilmittel zu be - ſtimmten Zwecken zuſammenſetzen, um als gerichtlicher Arzt die Guͤte der officinellen Praͤparate beurtheilen, unbekannte Subſtanzen ihrer Miſchung nach unterſuchen zu koͤnnen ꝛc.
Dieſe letztern Kenntniſſe, welche ſich auf die Miſchung der Heilmittel beziehen, werden unter dem Nahmen der me -dici -207Bildung des Arztes.diciniſchen Chemie begriffen. Allein man glaube deshalb nicht, daß dieſer Auszug fuͤr den Arzt hinreichend ſey; er iſt fuͤr ſich allein nur ein duͤrftiges Bruchſtuͤck, und wer nicht bloßer Receptſchreiber, ſondern auch wuͤrklicher Arzt, alſo philoſophiſcher Forſcher des Menſchen und Alles deſſen, was auf ihn Bezug hat, ſeyn will, muß mit der geſammten Che - mie vertraut ſeyn.
Man ſtudire alſo auch hier die Theorie der Chemie, und zwar die, welche bis jetzt die vollkommenſte iſt, die anti - phogiſtiſche. Man ſehe dieſes Syſtem fuͤr eine, den Kennt - niſſen unſers Zeitalters angemeſſene Anſicht der chemiſchen Erſcheinungen an, wodurch man einen Leitfaden gewinnt, das Ganze der Chemie zu uͤberſehen, und ſich aus dem Chaos iſolirter Thatſachen heraus zu finden.
Bey dem Studium der Chemie iſt eigne Beobachtung chemiſcher Erſcheinungen und der Verſuche, wodurch dieſel - ben deutlicher werden, unentbehrlich, und hierzu wird eine gehoͤrig eingerichtete chemiſche Werkſtaͤtte erfordert. Es iſt auch vortheilhaft, wenn der ſtudirende Arzt ſelbſt, chemiſche Verſuche anſtellt: er erlangt dadurch Fertigkeit in dieſen Be - ſchaͤftigungen, welche ihm einſt als praktiſchem Arzte, zu Statten kommt, praͤgt ſich die Thatſachen tiefer ein, und lernt ſich mehr fuͤr dieſes Studium intereſſiren.
Um Verſuche anzuſtellen, kann man ſich der chemi - ſchen Probierkabinete bedienen, welche der Profeſſor Tromsdorf in Erfurt fuͤr 4½ Louisd’or verkauft. Sie enthalten 44 Reagentien, aͤuſſerſt rein bereitet, mit einigen chemiſchen Geraͤthſchaften. (S. Hartenkeil’s med. chir. Ztg. 1799, IV. Bd. S. 205.)
Zur Unterſuchung der Mineralien dienen die Enge - ſtroͤmiſchen Taſchenlaboratoria, dergleichen der Hof - mechanikus Klindworth in Goͤttingen fuͤr 1 Louis - dor verkauft. (Engeſtroͤm’s Beſchreibung eines mineraliſchen Taſchenlaboratoriums. Greifswalde 782. 8.)
Beſonders fuͤr den gerichtlichen Arzt iſt es ſehr nuͤtzlich, wenn er ein Jahr vor ſeinem akademiſchen Studium in einer pharmaceutiſchen Anſtalt zubringt, wo man in der ſpeciellen Chemie und Pharmacie ſich ſo genaue Kenntniſſe verſchafft, als nachher waͤhrend des akademiſchen Lebens nicht mehr moͤglich iſt.
Hierher gehoͤrt das pharmaceutiſche Inſtitut des Prof. Tromsdorf in Erfurt. (S. Tromsdorfs Jour - nal der Pharmacie. I. Bd. 1. Stuͤck.)
Literatur
Einleitung in das Syſtem:
Handbuch der geſammten Chemie:
Handbuch des Syſtems:
Hauptwerk:
Woͤrterbuch:
Journal:
2. Phyſik. Zu dieſem Studium darf man nicht ohne gehoͤrige mathematiſche Kenntniſſe ſchreiten, weil man ſonſt uͤber die Geſetze der hieher gehoͤrigen Erſcheinungen nie mit Sicherheit und Gewißheit belehrt wird. Uebrigens betreibt man es nicht bloß, um die ſogenannten phyſikaliſchen Heil - mittel auf den kranken menſchlichen Koͤrper anwenden zu koͤnnen, ſondern um eine moͤglichſt vollſtaͤndige Kenntniß der Natur zu erlangen. Experimente vermittelſt eines ge - hoͤrigen Apparats ſind hier ebenfalls unentbehrlich.
Literatur.
Handbuch:
Freyer Vortrag:
Woͤrterbuch:
Journal:
3. Nevrologie und Angiologie. Wenn auch die Kenntniß der letzten Nerven - und Gefaͤßzweige nichts zu einer gluͤcklichen Praxis des eigentlichen Arztes beytragen kann, ſo muß er ſich dieſelbe doch verſchaffen, um den menſchlichen Koͤrper nach allen ſeinen Theilen vollſtaͤndig zu kennen, zumal da in der Folge der Zeit dieſe Kenntniß durch den Fehler des Gedaͤchtniſſes immer ſehr reducirt wird. Der Chirurg dedarf dieſer Lehren unmittelbarer, weil er ohne ihre Kenntniß nie mit Sicherheit Operationen vornehmen kann.
Literatur der Angiologie.
1. Blutgefaͤßlehre.
Hand -211Bildung des Arztes.Handbuch:
2. Saugaderlehre:
Hauptwerk:
Zur Nevrologie.
Handbuch:
4. Myologie und Splanchnologie, wozu ge - woͤhnlich auch die Adenologie und die Lehre von den aͤuſ - ſern Theilen des menſchlichen Koͤrpers gerechnet wird. Die Splanchnologie iſt fuͤr jeden Arzt die wichtigſte Lehre, indem ſie den Grund der geſammten Phyſiologie in ſich enthaͤlt, und ſie muß daher in ihrem genanſten Detail mit moͤglich - ſtem Fleiße ſtudirt werden. Auch muß man die uͤbrigen Zweige der Anatomie in Bezug auf ſie, erlernen, weil ſie ohne dieſelben nicht gehoͤrig verſtanden werden kann.
Literatur der Myologie.
Handbuch:
Hauptwerk:
Handbuch der Splanchnologie:
Dieſe Kenntniß von dem Baue des menſchlichen Koͤr - pers erwirbt man ſich vollſtaͤndig nur durch eigenes Sehn. Man bedient ſich hierzu 1) der Demonſtration an Leichna - men, 2) an kuͤnſtlich aufbewahrten Theilen des menſchlichen Kuͤrpers, 3) an kuͤnſtlich bereiteten und der Struktur des menſchlichen Koͤrpers nachgeahmten Stuͤcken, 4) an Abbil - dungen.
Die Demonſtration an friſchen Leichnamen iſt das beſte Huͤlfsmittel, weil ſie die Theile des Koͤrpers unveraͤndert und in allen ihren natuͤrlichen Verbindungen zeigt, ſo daß vorzuͤglich der kuͤnftige Chirurg hier ſeine vorzuͤglichſte Vor - bereitung findet. Daher iſt ein gut eingerichtetes anatomi - ſches Theater uneutbehrlich, welches bey einer gehoͤrigen Menge von Leichnamen, licht, geraͤumig, trocken, und dem Zugange friſcher Luft fuͤr immer offen iſt.
Da theils nicht immer die noͤthigen Leichname vorhan - den ſind, theils gewiſſe Theile des Koͤrpers eine beſondere Zubereitung erfordern, wenn man ihre Structur genau er - kennen will, ſo werden ſie nach den Regeln der Zergliede - rungskunſt aus ihrem natuͤrlichen Zuſammenhange getrennt,zube -213Bildung des Arztes.zubereitet und aufbewahrt, und dies giebt denn die anato - miſchen Praͤparatenſammlungen, welche ebenfalls ein weſent - liches Erforderniß zum Studium der Anatomie abgeben.
Da aber die Theile des menſchlichen Koͤrpers durch dieſe Zubereitung viel von ihrer natuͤrlichen Beſchaffenheit, (Groͤße, Geſtalt, Farbe ꝛc. ) verlieren, und oft ſo verſtellt werden, daß man ſie kaum wieder erkennt, auch mit der Laͤnge der Zeit leicht verderben, ſo bildet man ſie durch die Kunſt aus verſchiedenen Maſſen nach. Man gewinnt dadurch den Vortheil, daß man zu jeder Zeit die Theile des menſchlichen Koͤrpers in ihrer natuͤrlichen Geſtalt betrachten kann; und iſt der Kuͤnſtler der Natur ganz getreu geblieben, ſo kann der Arzt ſich ſehr gute anatomiſche Kenntniſſe dadurch erwer - ben, wenn er nur ſodann auch die Natur in den Leichnamen ſelbſt, mit der Kunſt vergleichen kann.
Abbildungen ſind nur dann nuͤtzlich, wenn man wenig - ſtens die vorzuͤglichſten Theile an den Leichnamen oder an inſtruetiven Praͤparaten ſchon geſehen hat, und nun den Verlauf der einzelnen Gefaͤße, Nerven, Muskeln, ſtudiren will.
1. Anthropochemie (viertaͤgig), 2. Phyſiologie (ſechstaͤgig), 3. Pſychologie (viertaͤgig), 4. Anthropologie (zweytaͤgig).
Das vierte Halbjahr iſt beſtimmt, die Kenntniß des Menſchen im Allgemeinen, und des Geſunden inſonderheit zu vollenden, welches durch die Unterſuchung ſeiner Kraͤfte, und der Geſetze ihrer Aeuſſerungen geſchieht.
1. Die Anthropochemie vollendet die hiſtoriſche Kenntniß des menſchlichen Koͤrpers; ſie ſetzt Kenntniſſe theils der Anatomie, theils der Chemie voraus. Sie unterſucht be - ſonders auch die Saͤfte, und da man ehedem alle Lebenser - ſcheinungen als abhaͤngig von dem Zuſtande der Saͤfte dar - ſtellte, ſo wird ſie bis jetzt gewoͤhnlich in Verbindung mit der Phyſiologie vorgetragen, wo ſie denn eigentlich ihre Stelle nicht mit Recht findet.
Literatur.
Handbuch:
2. Phyſiologie. Nachdem man mit der geſammten Natur, ihrer Form (§ 636, 641, 651), ihrer Miſchung (§ 662), und ihren Wuͤrkungsgeſetzen (§ 668), ſo wie auch mit der Form (§ 654, 657, 670, 672) des menſchli - chen Koͤrpers bekannt worden iſt, ſo kann man nun zum Stu -dium215Bildung des Arztes.dium des menſchlichen Lebens, als einer ſinnlichen Erſchei - nung, ſeines Grundes, ſeiner Verhaͤltniſſe ꝛc. uͤbergehen, und zwar mit der Erinnerung, daß die Phyſiologie die Grund - lage der ganzen Heilkunſt abgiebt, und daß nur der ein gu - ter Arzt wird, welcher gruͤndliche phyſiologiſche Kenntniſſe beſitzt.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
3. Pſychologie. Nur wenn man mit den koͤrperli - chen Erſcheinungen des Menſchen gehoͤrig bekannt iſt, kann man die hoͤhern Kraͤfte des Menſchen kennen lernen, deren Wuͤrkungen ſich durch den innern Sinn offenbaren. Mit Unrecht wird dieſe Wiſſenſchaft fuͤr ein Eigenthum der Phi - loſophen angeſehen (vergl. § 256, und 582); nutzbar iſt es fuͤr den kuͤnftigen Arzt, wenn ſie ihm auch von einem Arzte vorgetragen wird.
Literatur.
Handbuch:
Journal:
4. Anthropologie. Der Vortrag dieſer Wiſſen - ſchaft muß ebenfalls von einem Arzte, und ausſchließlich fuͤr Aerzte beſtimmt ſeyn, weil ſonſt der Gegenſtand nur ober - flaͤchlich behandelt werden kann.
Literatur.
Handbuch:
1. Allgemeine Pathologie (ſechstaͤgig), 2. Pharmacie (zwey - taͤgig), 3. Diaͤtetik (zweytaͤgig), 4. Anatomiſches Praͤ - pariren (ſechstaͤgig).
In dieſem Halbjahr geſchieht der Uebergang zu den praktiſchen Wiſſenſchaften. Man lernt die Erſcheinungen und Wuͤrkungsgeſetze der menſchlichen Natur im kranken Zu - ſtande kennen, und dabey, die Kunſt, Arzneyen zu berei - ten, die Geſundheit zu erhalten, und den menſchlichen Koͤr - per zu zergliedern.
1. Die allgemeine Pathologie ſtuͤtzt ſich auf die Phy - ſtologie, und iſt die wichtigſte Wiſſenſchaft in der Heilkunſt, um welche ſich die andern Alle, als um ihren Mittelpunct bewegen. Nothwendig muß man ſie alſo in demſelben Geiſte ſtudiren, als die Phyſiologie; am Beſten iſt es, beyde Wiſſenſchaften unter Anleitung deſſelben Lehrers zu erlernen.
Literatur.
Handbuch der Pathogenie:
Handbuch der Aetiologie, Symptomatologie und Noſologie:
2. Pharmacie. Durch Naturgeſchichte und Chemie iſt man in den Stand geſetzt worden, dieſe Kunſt zu erler - nen, und man ſieht ihre Kenntniſſe gegenwaͤrtig als bloßen Stoff an, welcher in der Folge (bey dem Studium der Heil - mittellehre) eine hoͤhere Bearbeitung erhaͤlt. — Da es hier auch viel auf Avtopſie ankoͤmmt: ſo iſt es ſehr nuͤtzlich, wenn man oft in Officinen iſt, und daſelbſt die wichtigſten Bereitungen ſieht.
Litteratur.
Handbuch:
Waarenkunde:
Dispenſatorium:
Journal:
3. Diaͤtetik. Da man in der Phyſiologie mit dem Weſen und den Erſcheinungen der Geſundheit bekannt ge - macht worden iſt: ſo iſt man dadurch vorbereitet zur Einſicht der Grundſaͤtze, nach welchen man die Krankheitsurſachen verhuͤten, und nach Verſchiedenheit des Zweckes, das Leben entweder verlaͤngern, oder vervollkommnen kann. — Der Arzt bedarf der Diaͤtetik in ihrem Detail auch, um ſeinem frageluſtigen Publikum, wenn auch nicht Rath (denn er wird ſelten befolgt), doch Antwort zu ertheilen.
Literatur.
Handbuch:
Woͤrterbuch:
4. Anatomiſches Praͤpariren. Die eigene Uebung im Zergliedern des menſchlichen Koͤrpers gewaͤhrt den Vortheil, daß man 1) die Lage der Theile uͤber und neben einander, ihre Verbindung ꝛc. ſo genau kennen lernt, als es durch Betrachtung von Praͤparaten oder von Kupfern nicht moͤglich iſt; ſie iſt daher theils dem Phyſiologen, theils dem Chirurgen noͤthig; 2) daß man eine Fertigkeit im Zer - gliedern erhaͤlt, welche bey pathologiſchen und gerichtlichen Sectionen ſehr zu Statten koͤmmt; 3) daß der Chirurg da - durch Leichtigkeit und Sicherheit der Hand gewinnt, welche ihn bey jeder Operation unterſtuͤtzen muͤſſen; 4) daß man dabey auch die krankhaft veraͤnderte Structur des menſchli - chen Koͤrpers kennen lernt, Dieſe viererley Zwecke muß man bey dieſen Beſchaͤftigungen immer vor Augen haben, und ſie mit einander zu verbinden ſuchen.
Literatur.
Handbuch:
Handbuch mit pathologiſcher Ruͤckſicht:
1. Allgemeine Therapie (vierlaͤgig). 2. Semiotik (zweytaͤgig). 3. Materia Medica (ſechstaͤgig). 4. Pathologiſche Anatomie (viertaͤgig).
Dies Halbjahr iſt zum Studium der Heilkraͤfte und ih - rer Anwendung im Allgemeinen beſtimmt, verbunden mit Erkenntniß der krankhaft veraͤnderten Structur des menſch - lichen Koͤrpers.
1. Die allgemeine Therapie macht jetzt das Hauptſtudium aus, und ſobald ihre Graͤnzen richtig beſtimmt und genau beobachtet werden, ſobald ſie in den gehoͤrigen Zuſammenhang mit den uͤbrigen Wiſſenſchaften geſetzt wird, ſo iſt ſie ſowohl weniger ſchwierig, als auch weniger weit - laͤufig.
Literatur.
Handbuch der allgemeinen mediciniſchen Therapie:
Handbuch der allgemeinen chirurgiſchen Therapie:
2. Semiotik. Das Studium dieſer wichtigen Lehre wird beſonders dadurch intereſſant, daß man ſeine Aufmerk - ſamkeit auf den Zuſammenhang der Zeichen mit dem Bezeich - neten richtet.
Literatur.
Handbuch:
3. Heilmittellehre. Kenntniſſe der Naturge - ſchichte, Phyſik, Phyſiologie und Pſychologie, verbunden mit allgemeinen Begriffen uͤber die Krankheiten, muͤſſen dem Studium der Heilmittellehre vorangehen. Von allen Heil - mitteln muß man ſich moͤglichſt genaue Begriffe zu verſchaf - fen ſuchen, und da oͤftere Anſicht der Arzneykoͤrper hierzu noͤthig iſt: ſo iſt ſehr nuͤtzlich, wenn man ſich eine Samm - lung derſelben anlegen kann, und uͤbrigens Gelegenheit hat, chirurgiſche Inſtrumente oͤfters zu ſehen.
Literatur der Inſtrumentenlehre.
1. Fuͤr Chirurgie.
Handbuch:
Hauptwerk:
2. Fuͤr Geburtshuͤlfe.
Handbuch:
Hauptwerk:
Litteratur der Arzneymittellehre.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
4. Pathologiſche Anatomie. Die Kenntniß der allgemeinen Pathologie muß ihr bey dem ſynthetiſchen Vortrage der Wiſſenſchaften vorangehen. Die Huͤlfsmittel dieſes Studiums ſind dieſelben, als die der reinen Anatomie, und pathologiſche Praͤparatenſammlungen ſind von beſon - drem Werthe.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Kupferwerk:
Journal:
1. Specielle Therapie (ſechstaͤgig). 2. ſpecielle Chirurgie (vier - taͤgig). 3. Entbindungskunſt (viertaͤgig). 4. Beſuchen des Kli - nikums (ſiebentaͤgig). 5. Formulare (zweytaͤgig).
In dieſem Halbjahre wird man nun unmittelbar uͤber die Art, einzelne Krankheiten zu heilen, unterrichtet, und alle vorher erworbenen Kenntniſſe finden hier ihre Anwen - dung.
1. Specielle Therapie. Fuͤr gewoͤhnlich wird die Noſologie mit ihr verbunden, und zu Erſparung der Zeit, ſo wie zu beſſerer Vergleichung der einzelnen Krankheiten mit der Heilmethode, iſt dies allerdings ſehr ſchicklich.
Literatur.
Handbuch:
Weitlaͤuftigeres Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
2. Specielle Chirurgie wird ebenfalls mit der chirurgiſchen Noſologie, welche groͤßtentheils aus der patho - logiſchen Anatomie entlehnt iſt, verbunden.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
3. Die Entbindungskunſt wird wegen ihres ge - ringern Umfanges gewoͤhnlich nicht in ſo viel Theile getrennt, als die Arzneykunſt und Handarzneykunſt, obſchon ſie ei - gentlich dieſelben Zweige hat; es werden vielmehr die Pa - thologie, Semiotik, Inſtrumentenlehre und allgemeine und ſpecielle Therapie der Entbindungen, zuſammen vorgetra - gen.
Literatur.
Handbuch:
Journal:
4. Die Beſuche der kliniſchen Anſtalt muͤſſen jetzt ihren Anfang nehmen, obſchon man nur noch den Beobachter ab - giebt. Durch Kenntniß der Pathologie, Semiotik, allge - meinen Therapie und Heilmittellehre iſt man ſchon in den Stand geſetzt, die Hauptſache zu verſtehen, und durch ei - gene Beobachtung der Kranken wird das Studium der No -〈…〉〈…〉 ſologie ſowohl, als der ſpeciellen Therapie deutlicher, ein - euchtender und intereſſanter.
5. Das Formulare wird demjenigen ſehr leicht, welcher die gehoͤrigen chemiſchen und pharmacentiſchen Kennt - niſſe ſich erworben hat, und mit Huͤlfe eigener Uebung in Zuſammenſetzung von Formeln kann er ſich ohne Schwierig - keiten eine gewiſſe Fertigkeit in dieſer Kunſt zu eigen machen.
Literatur.
Handbuch:
Taſchenwoͤrterbuch:
1. Uebung im Kliniko (ſiebentaͤgig). 2. Fortſetzung der ſpeciel - len Therapie (ſechstaͤgig, und 3. der ſpeciellen Chirurgie (vier - taͤgig). 4. Literatur der Heilkunſt (viertaͤgig). 5. mediciniſche Polizey (zweytaͤgig). 6. chirurgiſche Operationen (viertaͤgig).
Das achte Halbjahr iſt der Vollendung des Studiums der Heilkunſt, und dem Uebergange zur Ausuͤbung derſelben, ſo wie zum Studium ihrer Neben - und Vervollkommungs - wiſſenſchaften gewidmet.
1. Eigene Uebung in der kliniſchen Anſtalt iſt jetzt das vorzuͤglichſte Geſchaͤft des ſtudirenden Arztes. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß er nur ſolche Patienten behandelt, deren Krankheit ſchon in den kliniſchen Vorleſungen abgehandelt worden iſt.
4. Literatur der Heilkunſt. Nothwendig muß zu dieſer Kenntniß ſchon auf Univerſitaͤten hinlaͤnglicher Grund gelegt werden, auf welchen man ſodann als Prakti - ker weiter bauen kann. Die Vernachlaͤſſigung derſelben raͤ - chet ſich anhaltend und ſicher.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
5. Die mediciniſche Polizey ſetzt Kenntniſſe der Phyſiologie, Pathologie und ſpeciellen Therapie voraus, und kann deshalb auch hier erſt ihre Stelle finden.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
6. Uebung in chirurgiſchen Operationen an Leichnamen iſt jetzt die noͤthigſte und nuͤtzlichſte Beſchaͤftigung des Chi - rurgen. Aber auch fuͤr den Arzt iſt ſie nicht ohne Vortheil, theils weil er bey Operationen gegenwaͤrtig ſeyn, und oft den Chirurgus leiten muß, theils weil er zuweilen in Abwe - ſenheit eines Chirurgen dringende Operationen ſelbſt unter - nehmen muß.
1. Uebung im Kliniko (ſiebentaͤgig). 2. Geſchichte der Heilkunſt (ſechstaͤgig). 3. gerichtliche Arzneywiſſenſchaft (zweytaͤgig).
In dem neunten Halbjahre erwirbt man ſich ferner die Kunſt, Kraukheiten zu erkennen und zu heilen, und ſtudirt noch die uͤbrigen Neben - und Vervollkommungswiſſenſchaf - ten.
2. Geſchichte der Heilkunſt. Zu dieſem Stu - dium iſt man erſt jetzt reif, da man das ganze Gebiet der Heilkunſt uͤberſieht.
Literatur.
Handbuch:
Hauptwerk:
Journal:
3. Die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft ſetzt ebenfalls das Studium der Anatomie, Phyſiologie, Patho - logie, Therapie, Chirurgie und Entbindungskunſt voraus. Sehr vortheilhaft ſind Uebungen in Verfertigung von Ob - ductionen ꝛc.
Literatur.
Handbuch:
Journal:
Durch das Studium aller dieſer Wiſſenſchaften hat man nur einen Theil der Bedingungen erfuͤllt, welche zu Ausuͤbung der Heilkunſt erfordert werden, aber die Kunſt ſelbſt hat man ſich dadurch noch nicht eigen gemacht. Denn bald kann man dem Gedaͤchtniſſe etwas eingepraͤgt, bald aus Vernunftbegriffen gebildet haben, ohne davon in einzeln vor - kommenden Faͤllen den gehoͤrigen Gebrauch machen zu koͤn - nen. Man kann das Abſtracte inne haben, ohne es im Con - ereto wieder finden zu koͤnnen.
Derjenige verdient, wie wir ſchon gezeigt haben, den Namen eines Arztes nicht, welcher dem Gedaͤchtniſſe den erſten Rang unter ſeinen Seelenkraͤften einraͤumt. Sein Blick gleitet an der Oberflaͤche der Dinge dahin, und daher ſieht er uͤberall eine vollkommene Analogie; er ſchließt von Analogie der Krankheit auf Analogie der Heilmethode, kann alſo nur gerade die Mittel auf dieſelbe Art anwenden, wie ſie ehemals angewendet worden ſind, und ſeine Kunſt ſchraͤnkt ſich auf eine Anzahl Recepte ein, welche die Routine mit Probatum! unterzeichnet hat. Er iſt eine bloße Receptir - maſchine, deren Feder das Gedaͤchtniß iſt. Wuͤrkliche Erfah - rung zu erwerben iſt er unvermoͤgend.
Der Arzt hingegen faßt das Einzelne und Eigenthuͤm - liche eines jeden Krankheitsfalles auf, ſetzt daraus in ſeiner Idee ein Ganzes zuſammen, vergleicht dieſes ſowohl, als die einzelnen Theile mit dem, was die Erfahrung in andern Faͤllen gelehrt hat, und ſetzt darnach eine, den individuellen Beſtimmungen des Kranken angemeſſene Heilmethode feſt, welche er in ihrem ganzen Umfange verfolgt.
Die praktiſche Bildung beſteht alſo darin, daß man die Routine fliehen, und die eigentliche Kunſt ſich erwerben lernt. Man bezweckt hier alſo, 1) die Kunſt zu beobachten, 2) die Kunſt, Erfahrungen zu machen, 3) Fertigkeit im Handeln, 4) Erwerbung einer Theorie.
I. Die Beobachtung iſt die aufmerkſame Anſchauung einer beſtimmten Reihe von durch Zeit oder Raum getrenn - ten Gegenſtaͤnden, vermittelſt unſerer innern und aͤußern Sinne, wodurch man von denſelben, als von Erſcheinun - gen, vollſtaͤndige und deutliche Begriffe erlangt *).
Die mediciniſche Beobachtung beſteht alſo in der An - ſchauung des kranken Individuums, nach ſaͤmmtlichen Er - ſcheinungen ſeines koͤrperlichen und geiſtigen Weſens, undihres233Bildung des Arztes.ihres Zuſammenhanges unter einander ſowohl, als mit den vorhergegangenen und gegenwaͤrtigen Beſtimmungen deſſel - ben, wodurch man eine vollſtaͤndige Kenntniß der Krankheit erlangt *). Die geſammte Heilkunſt beruht zuvoͤrderſt auf Beobachtung, und man ſieht deshalb den Werth und die Nothwendigkeit der Beobachtungskunſt ein.
Einen Theil dieſer Forderungen erfuͤllt man durch die muͤndliche Unterſuchung des Kranken, oder durch das ei - gentlich ſogenannte Krankenexamen. Im weitern Sinne umfaßt dieſes Wort die ganze Beobachtung, welche die Thaͤ - tigkeit aller Sinne des Arztes zu Unterſuchung des Kranken voraus ſetzt *).
Zu dieſer Beobachtungskunſt gehoͤren nun folgende we - ſentliche Erforderniſſe: 1) vorlaͤufige Kenntniß der im geſun - den und kranken Zuſtande an dem Menſchen ſich aͤußernden Erſcheinungen, zur Richtſchnur der Beobachtung und zur Vergleichung des einzelnen Falles mit andern, mehr oder weniger aͤhnlichen.
2) Schaͤrfe der Sinne, um alle Erſcheinungen auffaſ - ſen, und Feinheit der Sinne, um ſie nach allen ihren Merk - mahlen unterſcheiden zu koͤnnen.
3) Freyheit von irgend einer Vorausſetzung, oder ir - gend einem Vorurtheile, feſter Wille, nicht mehr und nicht weniger zu finden, als die Natur zeigen wird.
4) Angeſtrengte und ungeſtoͤrte Aufmerkſamkeit auf den Kranken, auf alle ſeine Aeußerungen, ſeine gegenwaͤrtigen und vorhergegangenen Verhaͤltniſſe.
5) Man muß langſam und bedaͤchtig bey der Beobach - tung zu Werke gehen; von allen Schwierigkeiten derſelben uͤberzeugt ſeyn, und ſie zu bekaͤmpfen wiſſen; ſo lange an der Beobachtung zweifeln, bis ſie von allen Seiten und auf verſchiedenen Wegen zur Gewißheit erhoben iſt, dabey me - thodiſch verfahren, um nicht den Faden der Unterſuchung zu verlieren, keinen Umſtand fuͤr zu geringfuͤgig anſehen *), aber das Weſentliche von dem Unweſentlichen unterſcheiden, die einzelnen Umſtaͤnde bis in ihr innerſtes Detail verfol - gen, und ſich dann erſt ein allgemeines Bild von dem Ganzen entwerfen.
Die Beobachtungskunſt erwirbt man ſich nun dadurch, 1) daß man dieſe Erforderniſſe kennt, zu erfuͤllen ſucht, und mit beſtaͤndiger Hinſicht auf dieſelben am Krankenbette ſich uͤbt.
2) Durch das Beyſpiel großer Aerzte, welche man ent - weder ſelbſt an Kranken Beobachtungen anſtellen ſieht, oder deren Werke man ſtudirt.
II. Erfahrung iſt die Gewißheit, daß zwiſchen gleich - zeitigen oder einander folgenden Erſcheinungen ein beſtimm - tes Cauſſalverhaͤltniß Statt findet, zu welcher man durch Vergleichung und Analyſe der Beobachtungen auf dem We - ge der Analogie und Induction gelangt.
Die mediciniſche Erfahrung beſteht in der Gewißheit, daß zwiſchen den verſchiedenen Krankheitserſcheinungen un - ter einander ſowohl, als gegen gewiſſe aͤußere Beſtimmun - gen, und zwiſchen der Geneſung und der Anwendung von Heilmitteln ein beſtimmtes Cauſſalverhaͤltniß Statt finde. Sie macht alſo den eigentlichen Inhalt der Heilkunſt aus, und liefert die ganze Theorie derſelben.
Die Erforderniſſe, um Erfahrungen zu machen, ſind 1) vorlaͤufige Kenntniß der Krankheitserſcheinungen, und der durch fremde Erfahrung ausgemittelten Kraͤfte zu Hei - lung derſelben.
2) Richtige und genau angeſtellte Beobachtungen, nach den angegebenen Grundſaͤtzen, als Stoff der Erfahrung.
3. Ein ruhiger philoſophiſcher Geiſt, welcher ſich vor allen Uebereilungen huͤtet, und nach den aus ſeinem Weſen entwickelten Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens den rech - ten Weg zu Entdeckung der Wahrheit einſchlaͤgt.
Die Kunſt, Erfahrungen zu machen, erwirbt man ſich 1) durch eigenes Beſtreben, jene Erforderniſſe zu erfuͤllen, Studium der Philoſophie und der mediciniſchen Wiſſenſchaf - ten, und durch Uebungen am Krankenbette, mit beſtaͤndi - ger Ruͤckſicht auf jene Geſetze (§ 757).
2) Durch Benutzung des Beyſpiels großer Aerzte, am Krankenbette ſowohl als in ihren Werken.
III. Fertigkeit in Ausuͤbung der Heilkunſt beſteht darinne, daß man ein gehoͤrig begruͤndetes Urtheil uͤber den gegenwaͤrtigen Krankheitsfall behend zu faͤllen, und daſſelbe durch zweckmaͤßige Mittel auf die ſchicklichſte und ſchnellſte Art zu realiſiren wiſſe *).
Die Fertigkeit in Beurtheilung der Krankheiten, be - ruht auf hinreichender Kenntniß derſelben, auf Schnelligkeitund237Bildung des Arztes.und Richtigkeit der Beobachtung, auf Uebung im Urtheilen uͤberhaupt, und uͤber Krankheitsfaͤlle inſonderheit.
Die Fertigkeit in Heilung der Krankheiten beruht auf der Geſchicklichkeit in ihrer Beurtheilung, verbunden mit Be - hendigkeit des Erinnerungsvermoͤgens, welches die Erfah - rungen uͤber aͤhnliche Faͤlle liefert, und mit dem Vermoͤgen der Urtheilskraft, das richtige Verhaͤltniß der Heilmittel zu dem Krankheitsfalle ſchnell zu treffen.
Hierzu koͤmmt noch bey Heilung innerer Krankheiten, die Uebung, die pharmaceutiſchen und chemiſchen Grund - ſaͤtze zu Abfaſſung von Formeln, und die diaͤtetiſchen zu An - ordnung der Lebensweiſe des Kranken anzuwenden.
Zur Fertigkeit der Heilung aͤußerer Krankheiten gehoͤrt noch die Geſchicklichkeit, chirurgiſche Operationen an dem menſchlichen Koͤrper vorzunehmen.
Dieſe Fertigkeit erwirbt man ſich alſo 1) durch eigne Uebung fuͤr ſich, z. B. durch Beurtheilung der Krankheits - faͤlle, welche von Aerzten aufgezeichnet (§ 751, 752) ſind, durch Abfaſſung von Formeln zu einem beſtimmt gedachten Zwecke (§ 753), durch Operationen an Leichnamen oder an Menſchen aͤhnlichen Koͤrpern (Phantomen, Puppen) (§ 754); — 2) durch Uebung am Krankenbette; 3) durch Beobachtung großer Aerzte, an dem Krankenbette und in ihren Werken.
IV. Theorie. Ohne Theorie kann die Heilkunſt gar keine Anſpruͤche auf eine gewiſſe Vollſtaͤndigkeit machen; in dieſer Ueberzeugung oder in der dunklen Ahndung hiervon, hat Jeder, auch der groͤbſte Empiriker, wenigſtens den Schat - ten einer Theorie. Unſer Beſtreben muß alſo darauf gerich - tet ſeyn, uns eine moͤglichſt vollkommene Theorie zu ver - ſchaffen.
Dieſen Zweck ſucht nun der Arzt 1) dadurch zu errei - chen, daß er die vorhandnen Syſteme der Heilkunſt nach dem Zuſammenhange ihrer Grundſaͤtze unter einander, und mit den allgemein bekannten Thatſachen und Erſcheinungen in der Natur, und nach der Uebereinſtimmung derſelben mit den Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens pruͤft.
Er ſtudirt alſo zuerſt die Syſteme, welche ihm zunaͤchſt liegen (eines Reil, Darwin, Brown, Cullen) und geht dann zu denen der Vorzeit zuruͤck (eines Hofmann, Stahl, Boerhaave, Sylvius ꝛc.)
2) Sodann muß er durch Beobachtung der Natur ſelbſt am Krankenbette unterſuchen, welches von dieſen Syſtemen die meiſte Wahrheit enthaͤlt (denn in einzelnen Ruͤckſichten ſind ſie alle wahr), welches die Erſcheinungen der Natur am leichreſten, gruͤndlichſten und befriedigendſten erklaͤrt.
Man ſieht alſo, daß die (§ 732) angegebenen vier Zwecke durch gleiche Mittel erreicht werden, denn ſie ſind 1) Studium mediciniſcher Werke, 2) Beobachtung großer Aerz - te bey Ausuͤbung ihrer Kunſt, 3) eigne Uebung.
1) Das Studium der mediciniſchen Werke iſt ein hoͤchſt nothwendiges Huͤlfsmittel, um etwas in der Heilkunſt zu leiſten, weil man dadurch mit den Erfahrungen bekannt gemacht wird, welche die Aerzte ſeit vielen Jahr - hunderten angeſtellt haben. Und obſchon es ungereimt und von den verderblichſten Folgen fuͤr die Kunſt iſt, die Werke der alten Aerzte Quellen der Heilkunſt zu nennen, ſo enthalten ſie doch, ſo wie die der ſpaͤtern Schriftſteller, einen Schatz von Kenntniſſen und Beobachtungen, wodurch die Bearbei - tung der Heilkunſt unſrem Zeitalter um ein Betraͤchtliches erleichtert wird.
Aber man huͤte ſich vor der Lectuͤre der Werke, deren Verfaſſer aus Mangel an Genie, oder an Kenntniſſen nur oberflaͤchlich beurtheilt haben. Dieſe Oberflaͤchlichkeit und Seichtigkeit geht leicht in den Leſer ſelbſt uͤber, und dieſe Lek - tuͤre ſtiftet dadurch den groͤßten Nachtheil, wenigſtens iſt ſie immer Zeitverſchwendung.
Ferner darf der angehende Arzt die Werke derjenigen nicht leſen, welche tiefer und gruͤndlicher zu beobachten meynten, aber aus Vorurtheilen falſche Erfahrungen mach - ten, und ihrer Theorie zu vielen Einfluß (einigen Einfluß finden wir uͤberall) auf ihre Anſicht der Krankheiten geſtat -ten240Dritter Theil.ten. Da nun bis jetzt noch kein vollendetes Syſtem der Heilkunſt erſchienen iſt, ſo gehoͤren hierher diejenigen Aerzte, welche zu irgend einem Syſteme geſchworen haben; und man leſe alſo anfaͤnglich die Schriften derer nicht, welche einer Theorie unbedingt huldigen (der Sectirer).
Endlich giebt es auch manche Beobachtungen, welche die Aerzte erdichtet haben, um mit ihrer Geſchicklichkeit zu prahlen, oder um irgend einer Meinung Glauben zu ver - ſchaffen, oder um Buͤcher voll zu ſchreiben, oder aus andern niedrigen Abſichten.
Die Lectuͤre des angehenden Arztes muß daher auf das ſorgfaͤltigſte ausgewaͤhlt ſeyn, und darf nur in den Werken der Klaſſiker unter den Aerzten beſtehen, mit welchen man ſo fruͤhzeitig als moͤglich, bekannt werden muß.
Uebrigens leſe man Aerzte von verſchiedeneu Syſtemen aus verſchiedenen Zeitaltern, und von verſchiedenen Natio - nen. Dadurch beugt man aller Einſeitigung vor, gewinnt Achtung fuͤr das Neue ſowohl, als fuͤr das Alte, und erhaͤlt ſich die Freyheit des Geiſtes, ohne welche man nie die Wahr - heit findet.
Fuͤr die Arzneykunſt duͤrfen folgende Beobachter vor - zuͤglich empfohlen werden:
Hip -241Bildung des Arztes.Hippocratis opera omnia. Ed. Haller. Lauſannae 784. IV Tom. gr. 8. 4 Rthlr. 16 gl. Sprengels Apo - logie des Hippocrates und ſeiner Grundſaͤtze. Leipz. 789 — 92. II Bd. gr. 8. 2 Rthlr. (Noch giebt es keine brauch - bare teutſche Ueberſetzung ſeiner ganzen Werke).
Celſi de medicina libri VIII. ed. Krauſe. Lipſ. 766. 8. 2 Rthlr.
Fernelii univerſa medicina. Cum notis Heurnii. Ultraiecti. 656. 4.
Schenk de Graffenberg obſervationum me - dicarum lib. VII. Francof. 600. 8.
Tulpii obſervationum lib. IV. Lugd. Bat. 672. 8.
Foreſti obſervationes et curationes medicinales. Francofurti 602. fol.
Plateri obſervationum libri III. Baſil 614. 8.
Piſonis ſelectiores obſervationes et conſilia de mor - bis a colluvie ſeroſa. Lugd. Bat. 650. 8.
Lommii medicinalium obſervationum libri III, Ant - verp. 560. 8.
Sydenhami opera omnia medica. Genevae 723. II Tom. 4. 2 Rthlr. 16 gl. (Noch fehlt es an einer les - baren Ueberſetzung).
van Swieten conſtitutiones epidemicae et morbi potiſſimum Lugduni Batavorum obſervati. Ed Stoll. Vienn. 782. II Tom. gr. 8. 2 Rthlr. — van S. Epidemien und Krankengeſchichten, herausg. von Weber. Leipzig 785. II Bd. gr. 8. 2 Rthlr. 16 gl.
Baglivii opera omnia medico-practica et anato - mica. Norimb. 738. 4. 1 Rthlr. 8 gl.
Boerhaave conſultationes medicae. Gotting. 772. 8. 10 gl.
QDe242Dritter Theil.de Haen ratio medendi in noſocomio practico. Vienn. 758 — 73. XV Tom. gr. 8. 10 Rthlr. 5 gl. Con - tinuat. 773 — 79. III Tomi. 4 Rthlr. 8 gl. — d. H. Hei - lungsmethode, aus deſſen groͤßern Werken gezogen, von Platner. Leipz. 779 — 85. IX Bde. gr. 8. 11 Rthlr. 12 gl.
Wepfer obſervationes medico-practicae, de affecti - bus capitis internis et externis. Tiguri 745. 4. 2 Rthlr. — W. Beobachtungen von den innern und aͤußern Krankheiten des Kopfs. Mit Anmerkungen von Weiz. Leipz. 786. gr. 8. 1 Rthlr. 16 gl.
Werlhofii opera medica. Collegit, auxit Wich - mann. Hannov. 775 — 76. III Tom. 4. 3 Rthlr.
Fr. Hofmanns medicina conſultatoria. Halle 721 — 37. XII Bde. 4. 6 Rthlr.
Mead monita et praecepta medica. Lipſ. 759. 8. 4 gl. — M. mediciniſche Erinnerungen und Lehren. Frkft. 759. 8. 12 gl. — M. opera medica. Gotting. 748. II Tom. 4. 1 Rthlr. 10 gl.
Morton opera medica. Genev. 727. II Tom. 4. 2 Rthlr. 8 gl.
Quarin de curandis febribus et inflammationibus. Vienn. 781. 8. 1 Rthlr. — Q. Heilmethode der Fieber. Kopenh. 777. 8. 6 gl.
Cleghorns Beobachtungen uͤber die epidemiſchen Krankheiten, die in den Jahren 1744 — 49 in Minorka ge - herrſcht haben. A. d. Engl. Gotha 776. 8. 16 gl.
Grants Beobachtungen uͤber die Natur und Hei - lung der Fieber. A. d. Engliſchen. Leipz. 791. II Th. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl. — G. Beobachtungen uͤber die chroniſchen Krankheiten. A. d. Engl. Leipz. 784. gr. 8. 16 gl.
Medikus Sammlung von Beobachtungen aus der Arzneywiſſenſchaft. Zuͤrich 776. 8. 1 Rthlr. 4 gl. — Ge -ſchich -243Bildung des Arztes.ſchichte Periode haltender Krankheiten. Frankfurt 794. 8. 1 Rthlr.
Stoll ratio medendi in noſocomio practico Vindo - bonenſi. Vienn. 90 — 94. VII Tom. gr. 8. 7 Rthlr. 15 gl. — S. Heilungsmethode in dem praktiſchen Krankenhauſe zu Wien. Ueberſ. v. Faber. Breslau 783 — 91. IV Bde. gr. 8. 5 Rthlr. 4 gl.
(May) Stolpertus, ein junger Arzt am Krankenbette. Manuheim 777 — 11 8. (18 gl.)
Sarcone Geſchichte der Krankheiten in Neapel. Zuͤ - rich 771 — 72. III Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Huxhami opera phyſico-medica. Curante Rei - chel. Lipſ. 764. III Tom. gr. 8. 2 Rthlr. 4 gl.
Whytts ſaͤmmtliche zur praktiſchen Arzneykunſt gehoͤ - rige Schriften. A. d. Engl. Leipz. 771. gr. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Wichmanns Ideen zur Diagnoſtik. Hannover 794 — 97. II Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 10 gl.
Rahn adverſaria medico-practica. Tiguri 779. gr. 8. 1 Rthlr. 4 gl.
Marcards mediciniſche Verſuche. Leipz. 777. II Bde. 8. 1 Rthlr. 8 gl.
Kloekhofii opuscula medica. Ed. Schlegel. Jen. 772. 8. 16 gl. — K. ſaͤmmtliche mediciniſche Schriften, uͤberſetzt von Leune. Leipz. 790. II Bde. 8.
Fothergills ſaͤmmtliche medieiniſche und philoſo - phiſche Schriften. Mit Kupf. Altenb. 785. II Bde. 8. 2 Rthlr. 6 gl.
J. P. Frank delectus opusculorum medicorum. Tici - ni 788 — 91. X Tomi. gr. 8. 10 Rthlr. — F. Opuscula medici argumenti. Lipſ. 790. gr. 8. 16 gl. — F. kleineQ 2Schrif -244Dritter Theil.Schriften praktiſchen Inhalts, aus dem Latein. von Eye - rell. Leipz. 798. gr. 8. 1 Rthlr.
Richters Bemerkungen uͤber die Entſtehung und Be - handlung verſchiedener Arten von Fiebern. Halle 785. gr. 8. 18 gl.
Weikards vermiſchte mediciniſche Schriften. 2te Aufl. Frankfurt 793. II Bde. 4 Rthlr.
Reil memorabilia clinica, medico-practica. c. fig. Hal. 790 — 95. II Vol. 8. 2 Rthlr.
Ruſh mediciniſche Unterſuchungen und Beobachtun - gen. A. d. Engl. Leipz. 792. gr. 8. 1 Rthlr. — R. Neue mediciniſche Unterſuchungen und Beobachtungen. Nuͤrnberg 797. 18 gl.
Lentins Beytraͤge zur ausuͤbenden Arzneywiſſen - ſchaft. Neue Aufl. Leipz. 797. 8. 1 Rthlr. 8 gl.
Fuͤr die Handarzneykunſt verdienen folgende Klaſſiker geleſen zu werden:
Guidonis de Cauliaco opera. Par. 498. fol.
Parei opera. Paris. 582. fol.
Fabricii Hildani obſervationes chirurgicae. Fran - cof. 598. 8.
Ruyſh obſervatt. anatom. chirurgicae. Amſtelod. 691. 4.
Stalpart van der Wiel obſervatt. chirurgicae. Lngd. Bat. 687. II Vol. 8.
Obſervations de chirurgie par Ledran. à Paris 738. 8.
Le Drans Gutachten uͤber chirurgiſche Faͤlle. A. d. Franz. Leipz. 773. 8. 18 gl.
Opuscules de chirurgie par Morand. Paris 768. 4.
Hei -245Bildung des Arztes.Heiſters mediciniſch chirurgiſche und anatomiſche Wahrnehmungen. Roſtock 759 — 70. II Bde. 4.
Potts ſaͤmmtliche chirurgiſche Werke. A. d. Engli - ſchen uͤberſetzt. Berlin 787 — 88. II Bde. gr. 8. 3 Rthlr. 8 gl.
Richteri obſervationes chirurgicae. c. fig. Götting. 770 — 76. III faſc. 8. 17 gl.
Schmuckers chirurgiſche Wahrnehmungen. Berlin 775 — 89. II Bde. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl. — S. Samm - lung vermiſchter chirurgiſcher Schriften. Berlin 783 — 87. III Bde. gr. 8. 2 Rthlr. 12 gl.
Thedens neue Bemerkungen zur Bereicherung der Wundarzneykunſt und Medicin. Berlin 782. gr. 8. 1 Rthlr. 6 gl.
G. C. Siebolds chirurgiſches Tagebuch. Mit Kupf. Nuͤrnberg 792. gr. 8. 16 gl.
Murſinna mediciniſch chirurgiſche Beobachtungen, nebſt einigen Anmerkungen. Berlin 783. 8. 20 gl.
Loders chirurgiſch-mediciniſche Beobachtungen. I Bd. m. K. Weymar 794. gr. 8. 1 Rthlr.
Hunczovskys mediciniſch-chirurgiſche Beobachtun - gen, auf ſeinen Reiſen durch England und Frankreich. Wien 783. gr. 8. 1 Rthlr.
W. Hunters ausgeſuchte mediciniſch-chirurgiſche Beobachtungen und Heilmethoden. Leipz. 784 — 85. II Bde. gr. 8. 1 Rthlr. 16 gl.
Fuͤr die Entbindungskunſt kann man folgende Beobach - tungen leſen:
Rödereri opuscula medica. Gotting. 763. II Tom. 4. 1 Rthlr. 8 gl.
Q 3Levrets246Dritter Theil.Levrets Wahrnehmungen von Urſachen ſchwerer Ge - burten. mit Kupf. Altona 758 — 61. II Bde. 8. 1 Rthlr. 20 gl.
Smellies Abhandlungen aus der Hebammenkunſt. Altenb. 755 — 70. III Bde. 8. 2 Rthlr.
Hagens Erlaͤuterung und Berichtigung des neuen Lehrgebaͤudes der praktiſchen Geburtshuͤlfe. Berlin 790. gr. 8. 16 gl.
Campers Betrachtungen uͤber Gegenſtaͤnde aus der Geburtshuͤlfe. m. Kupf. Leipz. 776. 8. 10 gl.
Boers Abhandlungen geburtshuͤlflichen Inhalts. Wien 791 — 93. III Th. gr. 8. 1 Rthlr. 12 gl.
Dabey darf der angehende Arzt auch die Zuſaͤtze und Entdeckungen nicht uͤberſehen, mit welchen die Heilkunſt in unſern Tagen bereichert wird. Es iſt ihm daher bey der ge - genwaͤrtigen Lage der Sachen, unumgaͤnglich nothwendig, die vorzuͤglichſten periodiſchen Blaͤtter zu leſen.
2. Ein noch bedeutenderes Huͤlfsmittel iſt das Be - ſuchen der Spitaͤler und kliniſchen Anſtalten, zuerſt um diedaſelbſt247Bildung des Arztes.daſelbſt angeſtellten Aerzte handeln zu ſehen, ſodann um un - ter ihrer Aufſicht ſelbſt Kranke zu uͤbernehmen. Dies iſt die beſte und unentbehrliche Vorbereitung zur Praxis.
Anfangs iſt es nichts weniger, als rathſam, große Spitaͤler zu beſuchen. Denn die Aerzte muͤſſen hier wegen Menge der Kranken, ſehr ſchnell beobachten und ihr Uttheil faͤllen, und ihren ganzen Zuſtand mit wenigen Blicken uͤber - ſehen: der Anfaͤnger kann wegen Mangel an Uebung ihnen noch nicht folgen, er geraͤth in die Verſuchung,[die] Erkennt - niß der Krankheiten fuͤr etwas ſehr Leichtes zu halten, und gewoͤhnt ſich an einen Schlendrian, welcher ihn fuͤr immer abhaͤlt, Arzt zu werden. Hierzu koͤmmt noch, daß in man - chen großen Spitaͤlern die aͤrztliche Beſorgung nicht die ge - wiſſenhafteſte und nachahmungswuͤrdigſte iſt.
Man muß alſo an das Krankenbette zuerſt von einem Arzte gefuͤhrt werden, welcher jedem einzelnen Kranken nicht nur ſeine volle Aufmerkſamkeit ſchenkt, ſondern auch die Unterſuchung ſeines Zuſtandes langſam, den Kraͤften und Kenntniſſen des Anfaͤngers gemaͤß vornimmt, und das Ur - theil daruͤber, welches er fuͤr ſich kuͤrzer zu faſſen pflegt (§ 519), zum Beſten deſſelben analyſirt, alle Beſtimmungs - gruͤnde entwickelt, und die Vortheile ſeiner beſtimmten Hand - lungsweiſe gehoͤrig auseinander ſetzt.
Dies geſchieht nun in den ſogenannten kliniſchen Anſtal - ten, welche in ſtehende (perpetua) und wandelnde (ambu -Q 4antia)248Dritter Theil.antia) eingetheilt werden. Bey den ſtehenden werden die Kranken in einem eignen Hauſe, gewoͤhnlich an einem groͤſ - ſern Spitale, aufgenommen, von eigens dazu beſtimmten Waͤrtern gepflegt, und daſelbſt von den Aerzten beobachtet. Bey den wandelnden werden ſie in ihren eigenen Wohnungen aufgeſucht, oder ſie holen ſich, wenn ſie nicht darnieder lie - gen, ſelbſt Rath.
Jede Gattung dieſer Anſtalten hat fuͤr den angehenden Arzt ihre eigenen Vortheile. Die weſentlichen Vortheile der wandelnden find, daß er ſich 1) an die Privatpraxis und an alle die Schwierigkeiten gewoͤhnt, mit welchen ſie zu kaͤm - pfen hat; 2) daß er die Unpaͤßlichkeiten und geringfuͤgige Krankheiten kennen lernt, welche in Hoſpitaͤlern gemeiniglich nicht vorkommen; 3) daß er mehr auf die Anordnung der aͤuſſern Umſtaͤnde, welche die eigentliche Kur unterſtuͤtzen muͤſſen, achten lernt.
Bey den ſtehenden hingegen hat er 1) mehr Gelegenheit, merkwuͤrdige Faͤlle zu beobachten, weil der Lehrer aus dem damit verbundenen Spitale die Kranken, welche ihm die zweckmaͤßigſten duͤnken, auswaͤhlen kann; 2) kann er ſichre Beobachtungen anſtellen, da er durch die Kranken nicht getaͤuſcht wird, ſondern ſich immer des Zeugniſſes der Waͤrter bedienen kann; 3) ſtehn ihm alle Huͤlfsmittel zur Heilung zu Gebote: Pflege, Arzneyen, Nahrung, Klei - der, Luft ꝛc.
Aus Vergleichung dieſer Vortheile ergiebt ſich: daß man in den ſtehenden richtigere Erfahrungen ſammeln, in den wandelnden aber mehr ſein ſavoir faire ausbilden, und ſich an die aͤußern unweſentlichen Schwierigkeiten der Praxis gewoͤhnen lernt.
Bey kliniſchen Anſtalten lernt man immer nur das Ver - fahren eines einzigen Arztes kennen. Es iſt daher leicht moͤglich, daß man, indem man ihn zu ſeinem einzigen Mu - ſter waͤhlt, nicht nur weſentliche, ſondern auch unweſentliche Eigenſchaften in Ruͤckſicht auf Heilmethode von ihm an - nimmt, und daher einſeitig wird. Ein Fehler, welchem man dadurch vorbeugt, daß man auch andere Aerzte beob - achtet. Hierzu giebt beſonders ein großes Spital gute Ge - legenheit, wo man ſpaͤterhin mit verſchiedenen Aerzten Kran - ke beſucht.
Denſelben Zweck erreicht man auch durch Reiſen, auf welchen man ſich nicht nur Menſchenkenntniß ſammlet, ſon - dern auch mit den verſchiedenen mediciniſchen Anſtalten be - kannt wird, und die Heilmethode der ihnen vorſtehenden Aerzte ſelbſt genauer kennen lernt.
Um dieſe wiſſenſchaftlichen Reiſen mit Nutzen zu unter - nehmen, muß man 1) außer hinreichenden mediciniſchen Kenntniſſen, auch ſchon einige Uebung in der Praxis beſiz - zen, um das Eigenthuͤmliche an einem Arzte, oder an jeder Anſtalt beſſer auffaſſen zu koͤnnen; 2) man muß mit den verſchiedenen Syſtemen, Theorien, Operationsmethoden ꝛc. ſchon vorlaͤufig bekannt ſeyn, um dadurch, da man dieſes Studiums an fremden Orten uͤberhoben iſt, mehr Zeit zum Beobachten zu gewinnen; 3) man muß wiſſen, an welchen Orten man ſeinen individuellen Zweck gerade am vollkom - menſten erreichen kann.
Bloße Beobachtung der Aerzte iſt aber noch[nicht] hin - reichend, zum Praktiker zu bilden: man kann naͤmlich die Aerzte handeln ſehen, ohne deshalb ſeine Beobachtungsgabe oder ſeine Urtheilskraft zu vervollkommnen. Wenn daher auch andere Aerzte einen Kranken behandeln, ſo muß man doch immer ſelbſt beobachten und ſelbſt beurtheilen, und dieſe Unterſuchung ſodann durch das, was die geuͤbtere Ur - theilskraft entdeckt, berichtigen.
Sodann muß man auch ſelbſt Kranke uͤbernehmen. Doch huͤte man ſich, hierin zu ſehr zu eileu. So lange man naͤmlich noch nicht eine Zeitlang gute Aerzte beobachtet und unter ihre Aufſicht prakricirt hat, uͤberſieht man vieles au den Kranken, und faͤllt einſeitige Urtheile; geneſet nun der Kranke durch andere Umſtaͤnde, ſo iſt man geneigt zu glauben, dies ausgerichtet zu haben; man faͤhrt alſo in der - ſelben Methode fort, und ſo wird die fruͤhzeitige Praxis eine gefaͤhrliche Klippe, an welcher der Arzt fuͤr immer ſcheitern kann.
Man gewoͤhne ſich fruͤhzeitig daran, von allen Krank - heiten, die man beobachtet, die Hauptdata in ſeinem Jour - nale aufzuzeichnen, und man ſetze dies in der Praxis fort[.]Dadurch beugt man dem Schaden vor, welcher aus der Un - treue des Gedaͤchtniſſes erfolgt, man vergißt keinen Um - ſtand der gegenwaͤrtigen Krankheit, und kann daher gluͤck - licher heilen, man erinnert ſich der Beſchaffenheit des Kran - ken, welchen man vormals heilte, bey neuen Krankheiten, und erleichtert ſich dadurch das Geſchaͤft ihrer Erkenntniß,ſo251Bildung des Arztes.ſo wie ihrer Heilung; endlich kann Einem auch daran lie - gen, die Geſchichte eines Falles vollſtaͤndig zu wiſſen, wel - cher in der Folge erſt merkwuͤrdig und intereſſant wird.
Altdorf. An der hieſigen Privatanſtalt fuͤr arme Kranke iſt ſeit 1795 ein mediciniſches Clinicum ambulans er - richtet; die Studirenden behandeln die Kranken unter Lei - tung des Lehrers, des Prof. Ackermann. Jaͤhrlich wer - den gegen 150 Kranke behandelt.
Bamberg. Ein eigenes muſterhaft eingerichtetes Spital, welches jaͤhrlich gegen 300 Kranke aufnimmt, dient hier zu einem mediciniſchen Kliniko, an welchem Profeſſor Roͤſchlaub Lehrer iſt.
Berlin. An der Charite, in welcher jaͤhrlich 3000 Kranke behandelt werden, iſt ein mediciniſches Klinikum von 12 Betten, welches woͤchentlich zweymal beſucht wird, an den uͤbrigen Tagen beſuchen es nur diejenigen, welche die Kranken behandeln, und dies Geſchaͤft iſt nur entwe - der zu[pruͤfenden] Candidaten, oder koͤniglichen Penſionairs zugetheilt. Lehrer iſt Geheimerrath Fritze.
Erfurt. Ein wandelndes Klinikum bey einer Kran - kenanſtalt, durch welche jaͤhrlich gegen 500 Kranke in ihren Wohnungen behandelt werden. Lehrer iſt Hofrath Hek - ker.
Erlangen. Ein mediciniſches Clinicum ambulans. Lehrer iſt Hofr. Wendt.
Goͤttingen. 1) Ein mediciniſch-chirurgiſches Kli - nikum, welches jaͤhrlich gegen 500 Kranke enthaͤlt, und welchem Prof. Arnemann vorſteht; 2) ein eigenes Ge - burtshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 80 Geburten vorfal - len. Lehrer iſt Profeſſor Oſiander.
Arne -253Bildung des Arztes.Halle. 1) Auf Koſten des Koͤnigs, welcher eine be - ſtimmte Summe dazu ausgeſetzt hat, iſt hier eine Krankenan - ſtalt und ein mediciniſches wandelndes Klinikum. Lehrer iſt Prof. Reil, 2) Ein chirurgiſches Clinicum ambulans, un - ter Aufſicht des Prof. Merkel.
Jena. 1) Ein mediciniſch-chirurgiſches Clinicum ambulans, in welchem jaͤhrlich gegen 400 Kranke aufgenom - men werden; die Zuhoͤrer ſind Praktikanten und Auſculran - ten: Erſtere beſuchen die Kranken, referiren und verordnen, Letztere recipiren, bereiten die zuſammengeſetzten Arzneyen, und beſuchen die wichtigern Kranken. Lehrer ſind die Hof - raͤthe Hufeland und Loder. 2) Ein mediciniſches Kli - nikum, unter Aufſicht des Hofrath Stark. 3) Ein eige - nes Geburtshaus mit 8 Betten; woͤchentlich werden 2 mal Acouchiruͤbungen angeſtellt; bey jeder Geburt ſind einige Studirende gegenwaͤrtig, bey ſchweren Alle. Lehrer iſt Hofr. Loder, und Unteraufſeher D. Froriep. 4) Eine Entbindungsanſtalt. Lehrer daran iſt Hofr. Stark.
Leipzig. Am hieſigen Spitale, iſt 1) ein medicini - ſches Klinikum, unter Aufſicht des Profeſſor Koch. 2) chirurgiſches Klinikum, welches D. Eckold dirigirt.
Marburg hat 1) ein mediciniſches Klinikum, an welchem Profeſſor Michaelis Lehrer iſt. 2) ein Ent - bindungshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 50 Geburten vor - fallen; die natuͤrlichen und zuweilen auch widernatuͤrlichen Entbindungen geſchehen durch die Studirenden. Der Hofr. Stein ſteht ihm vor.
Prag. Um dem hieſigen buͤrgerlichen Krankenhauſe, in welchem jaͤhrlich gegen 1200 Kranke behandelt werden, iſt 1) ein mediciniſches Klinikum, Lehrer Prof. Sebald. 2) ein chirurgiſches Klinikum, Lehrer Prof. Arnold. 3) ein Entbindungsinſtitut, Lehrer Prof. Melitſch.
Tuͤbingen. Ein Clinicum ambulans, unter Anleit. des Prof. Hopf.
Wien. In dem allgemeinen Krankenhauſe, welches fuͤr 2000 Kranke eingerichtet iſt, und in welchen jaͤhrlich gegen 8000 Kranke behandelt werden, iſt 1) ein oͤffentliches mediciniſches Klinikum mit 24 Betten; taͤglich werden die Kranken zweymal beſucht, der Zutritt iſt unentgeldlich, und jeder Arzt, der ſich meldet, kann die Beſorgung von Kran - ken unter Anleitung des Hofrath Frank uͤbernehmen. 2) ein Privaklinikum des D. Frank, von ohngefaͤhr 50 Bet - ten mit weiblichen Kranken. 3) Ein Gebaͤrhaus, in wel - chen jaͤhrlich gegen 1500 Geburten vorfallen; die Aerzte, welche ſich hier melden, haben unentgeldlichen Zutritt, fuͤh - ren der Reihe nach das Journal, verrichten die Entbindung, (koͤnnen auch auf einen Monat in dem Hauſe ſelbſt wohnen, wo ſie alle 4 Tage die Woche haben,) und beobachten die Behandlung der Woͤchnerinnen. Lehrer iſt Prof. Boer. — Außerdem kann man den Ordinationen und chirurgiſchen Operationen der uͤbrigen Spitalaͤrzte beywohnen. — In der Stadt haͤlt D. Beer ein Privatklinikum fuͤr Augen - krankheiten.
Wuͤrzburg. An dem hieſigen Juliusſpitale iſt in zwey Saͤlen, deren jeder 11 Betten hat, 1) ein mediciniſches Klinikum, unter Aufſicht des Prof. Thomann; und 2) ein chirurgiſches Klinikum, an welchem Prof. Siebold Lehrer iſt. — Ferner iſt hier ein Entbindungshaus, wel - chem Prof. Siebold vorſteht.
Paris. Hier iſt 1) ein mediciniſches Klinikum im hospice de l’unité, vorzuͤglich fuͤr Krankheiten der Armeen beſtimmt; Lehrer ſind Conviſſart und Leroux; 2) ein chirurgiſches Klinikum im grand hospice de i’humanité, wo oͤffentliche Operationen vorgenommen werden, und woran Pelletan und Boyer Lehrer ſind; 3) ein mediciniſch - chirurgiſches Klinikum fuͤr beſonders merkwuͤrdige Faͤlle (elinique de perfectionnement), mit 28 Betten in dem Ge - baͤude der Ecole de santé, unter Duͤbois und Petit - Randel. — In allen dieſen Anſtalten haben die Studiren - den keinen Antheil an der Behandlung der Kranken, ſondern es iſt dieſelbe ganz allein den Lehrern uͤberlaſſen; einige Krankheiten, fuͤr welche eigene Spitaͤler beſtimmt ſind, be - koͤmmt man hier gar nicht zu ſehen. — Leroy und Bau - delooque tragen die Entbindungskunſt am Phantom vor; bey dem Privatunterrichte werden zuweilen, jedoch ſelten, wuͤrkliche Entbindungen benutzt; allein dann wird aus der großen Zahl der Zuhoͤrer der Entbinder durch das Loos ge -waͤhlt,257Bildung des Arztes.waͤhlt, und man ſieht die Woͤchnerin weder einige Zeit vor, noch nach der Entbindung.
Strasburg hat 1) ein mediciniſches Klinikum unter Coze; 2) ein chirurgiſches Klinikum unter Flamant; 3) ein Entbindungshaus, in welchem jaͤhrlich gegen 100 Entbindungen vorfallen; bey gewoͤhnlichen Entbindungen ſind 6 bis 7 Studirende, bey ſchweren Geburten alle gegen - waͤrtig; wer die Anſtalt ein halbes Jahr beſucht hat, ent - bindet in gewoͤhnlichen Faͤllen ſelbſt. Woͤchentlich ſind 2 mal Accouchiruͤbungen, und taͤglich wird die Viſite von allen Stu - direnden gemacht.
London. In mehreren hieſigen Hoſpitaͤlern wird prak - tiſcher Unterricht ertheilt. Die groͤßten ſind das St. Tho - mas - und das Guyshoſpital. Man wird entweder Schuͤler eines Wundarztes, verhindet die Kranken, darf beyde Ho - ſpitaͤler beſuchen, und zahlt dafuͤr jaͤhrlich 25 Pf Sterling; oder man wird Schuͤler eines Arztes, ſieht dann nur die Praxis und die Operationen in dem einen Spitale, und zahlt eben ſoviel. Beyde Hoſpitaͤler enthalten gegen 900RKranke.258Dritter Theil.Kranke. Man ſieht außerordentlich viel Operationen, be - koͤmmt aber ſelbſt keine Kranken zu behandeln. — In dem Geburtshauſe (dem lying-in-hospitale zu Weſtmuͤnſter), wo jaͤhrlich gegen 5000[Geburten] vorfallen, erhaͤlt man fuͤr 40 Guineen jaͤhrlich freye Wohnung, Bekoͤſtigung, und die Erlaubniß, allen Geburten beyzuwohnen. Lehrer iſt D. Thynne.
Edinburg. Hier iſt das mediciniſch-chirurgiſche Kli - nikum in einem eigenen gut eingerichteten Gebaͤude, welches fuͤr 230 Kranke beſtimmt iſt. Die Lehrer (die Profeſſoren Duncan und Gregory), unterſuchen die Kranken ſelbſt, und dictiren die Reſultate davon und ihre Bemerkungen dar - uͤber.
Pavia. An dem daſigen Spitale, welches 400 Bet - ten zaͤhlt, iſt ein mediciniſch-chirurgiſches Klinikum von 26 Betten. Moscati iſt Lehrer der mediciniſchen, und Scarpa Lehrer der chirurgiſchen Klinik. Außerdem geben auch noch 4 am Spitale angeſtellte Aerzte praktiſchen Un - terricht am Krankenbette.
Baloin -259Bildung des Arztes.Modena. Hier iſt ein Buͤrgerſpital von 150 Betten; 84 derſelben gehoͤren zu der kliniſchen Anſtalt, an welcher Garini Lehrer iſt.
Padua. An dem hieſigen Kliniko iſt Comparetti Lehrer.
An praktiſchen Anſtalten fuͤr die Entbindungskunſt[fehlt] es in Italien gaͤnzlich.
Kopenhagen hat 1) ein mediciniſches Klinikum, unter Aufſicht des Prof. Bang; 2) ein Geburtshaus mit 55 Betten, wo jaͤhrlich gegen 1000 Geburten vorfallen; 25 Betten ſind fuͤr den oͤffentlichen Unterricht beſtimmt. Die Schwangern werden erſt aufgenommen, wenn die Geburts - arbeit ſchon ihren Anfang genommen hat, nach der Entbin - dung kommen ſie in ein daneben ſtehendes Gebaͤude. Nur 5 Aerzte (vier Innlaͤnder und ein Auslaͤnder) werden als Zoͤglinge aufgenommen, und eidlich verpflichtet; ſie entbin - den, halten das Journal, und machen nach 3 Monaten an - dern Aerzten Platz. Lehrer iſt Prof. Saxtorph, der Sohn.
Petersburg. Das hieſige kayſerliche, chirurgiſch - mediciniſche Inſtitut hat ein Klinikum von 30 Betten, welche theils fuͤr innere, theils fuͤr aͤußere Krankheiten beſtimmt ſind; jaͤhrlich werden gegen 200 Kranke hier behandelt. In dem Entbindungshauſe fallen jaͤhrlich gegen 60 Geburten vor. Beyde Anſtalten ſind fuͤr die kayſerlichen Penſionnairs beſtimmt.
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