PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Reiſeſchule für Touriſten und Curgäſte
Leipzig. Verlag von Adolf Gumprecht.1869.
[II][III]

Inhalt.

  • I. Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt der Reiſe der Touriſt von Fach und ſeine Reiſe - ſchüler apodemiſche Studien VerabredungenS. 1 6
  • II. Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher Stadtpläne Reiſepläne, deren Sclaven und Narren Muſterung und Verpackung Livrée für Gepäckgegenſtände auffällige Markirung Hauptliſte für Mitzunehmendes Reiſeapparat Vocabeln und SätzeS. 7 26
  • III. Reiſekleider Codex turisticus § 1 Wäſcherinnen Barbiere entſittlichende Eigenſchaften der Seife zur Kleiderordnung Lebensrettung Nothbehelfe in Robinſon - verhältniſſen pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerveſyſtem Gepäck ſo wenig als möglich koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranzgebühren Koſten Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe der Plaid und ſeine Verdienſte Plaidnadeln Kopfbedeckungen ſchon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe der Reinlichkeitsfanatiker und ſeine Toilettengeheimniſſe zur Farbenlehre bergauf Copie nach niederländiſchem Original Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen erlaubte Beſcheidenheit Vorſichts - maßregeln Fahrbillets Gepäckſcheine die verſteckte Fahrkarte Werthſachen zu ſichern Diebe weitere Sicher - heitsmaßregeln Papiergeld Gold chirurgiſche Hilfe IVInhalt.Goldmägen Verſicherungsſchein aus dem Wagen ſpringen todte Briefe Verluſte durch Zerſtreutheit Taſchen u. abermals Taſchen Stühle Gedächtnißkrücken TailleurKrausé Handwerkerbildungsvereine fernere mnemotechniſche Krücken bei eiliger Abreiſe Friedrich der Verſchlafene Adreſſen und Erkundigungen ſchriftliche Aufzeichnungen Gedächtniß und Phantaſie Schreiben im Freien und im Fahren Cigarrenanzünden Zündhölzer ſchriftliche Notizen Reiſetagebuch Entwürfe und Aus - arbeitungenS. 27 62
  • IV. Ausrüſtung für ſchwierige und gefährliche Gänge Schuhwerk Strümpfe Wundwerden Reiſetaſchen Mundvorrath Lang --- ſam! Vorläufer u. Nachzügler Einſpruchsrecht Rückblicke Alpenſtock auf und ab über Schnee, Geröll, Felſen ꝛc. Unglücksfälle Gras - hänge Ulyſſes fährt in die Unterwelt Hinabgleiten Gefahren und Rettungsmittel Wanderſtäbe Knieholz Felsplatten abwärts Sturz Eisſporen Seile Eisbeile Lawinen Rückweg nicht allein Ent - fernungen Narrenwagniſſe außergewöhnliche Er - ſteigungen Uebertreibungen Führer Schwindel Fußſchau Glycerin Hautpflege Schneebrillen Schleier Fußwanderung früh aufſtehen Eſſen und Trinken Höhepunkte und Fernſichten des Reiſelebens cum grano salis Veſuv Durſt Erkältungen kalter Thee und Kaffee Fleiſchbrühe Getränkkühler Waſſer Hochgebirgsbeſchwerden Bergweh Alpen - und Tigermilch Erholungs - und Vergnügungsreiſen ſich einmal ſo recht auslaufen Läuferwahnſinn hypochondriſche Studien Ode an die Nerven ſchroffe Uebergänge wie neu geboren AſchermittwochS. 63 100
  • V. Luftcurorte und Mineralquellen der neue Souverän Bedürfniß und Ueberfluß Stiftungen wohlfeile Unſterb -VInhalt.lichkeit nicht gerechtfertigte Anlagen Wege Wald - reviere Lichtungen, Schatten Sitzen im Freien Bänke Wünſche und Beſchwerden Culturgeſchichtliches Sommer - friſchen Dorfgeſchichten häusliche Einrichtungen un - willkommene Sinnesreize Curvorſtände Ohrenſchinder muſikaliſche Drangſale Lenz und Frühſommer Früh - kommen bei knapper Zeit böſes Wetter u. farbenblinde Augen Meteorologiſches Hochſommerglut für u. gegen große u. kleine Bäder naturaliſtiſche Luftcurverſuche in der Wildniß Ventilation Kaffeehäuſer Bierſtuben Siedelungsverſuche ſociale Stellung des Kranken Kunſt, mit Anſtand und guter Laune krank zu ſein geſunder Menſchenverſtand Tagesordnung wie geht’s? der junge Nachwuchs der Curorte Laienbrief an die H. H. Doctores loci Elementarunterricht Geheimeräthe und Orden Haupt - und Nebenſachen romantiſche Verführungen Verſtand und Erfahrung Reiſequeckſilber Spielart von Touriſt und Curgaſt Fahrſucht natürliche Grenzen gerecht und vollkommen Geſtändniſſe Schmuggeleien Reiſecurgäſte und ihre böſen touriſtiſchen Gelüſte Reiſe - jagden Scheu vor Wiederholungen und Rückwegen Ver - weile! Galerien wiederholte Reiſen Jahreszeit Curzeitvergeudung drückende Nahrungsſorgen Balneo - logie und Klimatologie Laienwünſche monographiſche Lücken Durchſchnittstemperatur zur Diät der Seele Geduld, Geduld, Geduld! Penſionsweſen Winter - curorte Kündigungsrecht eine Penſionsmutter mein Stubennachbar Nordlicht Satzungen Zug nach dem Süden Troſt für Zurückbleibende ewiger Frühling deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt ſehr ent - täuſcht Hoffnungen und Wünſche an junge Aerzte Erforderniſſe Meeresküſte ſpazieren klettern verlorenes Paradies Oertliches Turnen ernſte Ueberlegungen Waffen gegen Langeweile Geographie der Langenweile Segen der Arbeit Lectionen im Müßiggang Zer - ſtreuungen, Zeitvertreibe, Beluſtigungen Rentierleben VIInhalt.Rentiers u. Sinecuriſten Tröſteinſamkeit Hantierungen Zucht der Phantaſie am Abgrunde Stundenplan Schutz der Arbeit und Bürgſchaften der Freiheit Sonnenſchirm für Curgäſte Metallklammern (Letter elips) S. 101 164
  • VI. Eingehende Wirthshausforſchungen erſte Hôtels Tantièmeſyſtem Stockſiſchfänger und Piraten Zudring - lichkeiten Händler zur Nautik wie ermittelt man gute Gaſthöfe Elephantenjagd geheime Regiſtratoren Gegenſeitigkeit poſitiver und negativer Pol Scorpione noble Herrſchaften und kleine Leute polniſche Grafen Grand Hôtel au Dindon d’Or vierſpänniges Trara Fürſten und Große Parisund London Waſſer und Brod Imperfectum und Futurum Hietzing Goethe Bier volksthümliche Gerichte Particularismen und Vandalismen Lehren der Weisheit und Tugend für Wirthe Delicateſſen Augenblendwerk Wirths - congreſſe der Küchenvirtuos gaſtroſophiſche Studien culinariſche Erziehung des Menſchengeſchlechts ein Pro - feſſeur der Gourmandiſe Geſchmacksbildung gaumen - äſthetiſche Rang - und Quartierliſte Nahrungsſorgen Kampf um’s Daſein paläontologiſche Forſchungen in Küchen - abfällen härteſte Nothzuſtände Abſchätzung der Gäſte unſer ſchwarzes Regiſter Abrechnung weitere Bitten an Wirthe welche Gaſthöfe Sparſame meiden noch ein Mittel gegen Uebertheuerung Zeche Kleingeld Kellner Verſchwendung und Knickerei Ruſſen, Engländer, Franzoſen Trinkgelder und Geſchenke Lob der Cigarre im Eiſenbahncoupé Reiſeökonomie wohlfeilſte ſchweizer Reiſe die Schweizund ihr Ruhm fernere Erſparniſſe an Zeit, Geld, Mühe und Verdruß Uebernachten im Freien, in Sennhütten und HeuſchobernS. 165 201
  • VII. In internationalen Angelegenheiten feſtlandläufige Anſichten über Engländer antibritiſches Sperrſyſtem keepVIIInhalt.your distance Würfeltintefaß I & you warum ſie reiſen wiſſenſchaftliche Baratterie verletztes Selbſt - gefühl Nord - und Süddeutſche Zurückhaltung engliſche Touriſten Subtractionsexempel Fertigkeit im Reiſen franzöſiſches Urtheil über Engländer franzöſiſche Touriſten engliſche Reiſewerke Kunſt der Reiſe - beſchreibung Comfort Yankees Scheu vor An - näherung an Fremde Berliner Alltagsmenſchen geiſtige Rangſtufen Anknüpfungen Hinderniſſe Mi - moſennaturen Muſterung Graf Zwei Störung gräfenberger Duſche Dialektſtudien Entzifferungskunſt Scherze Localpoſſen Quarteronen Fragewuth Franklin moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend Griesgrame, Hypochonder, Sonderlinge Schiffszwieback - naturen Fähigkeit anzuregen Gemüthlichkeit neu - gefundene Freunde Geſprächsſtoffe Rückſichten Ueber - gangszuſtände nachgeſchickte Zeitungen Volksleben Lord B. Mittelclaſſen lange, lange Pappeln Ge - ſandte, Conſuln Empfehlungsbriefe gebildete Familien geſchloſſene Geſellſchaften Buchhandlungen Gefühl der Verlaſſenheit allein reiſen Warnung vor den beſten Freunden ſchwerſte Geduldsprüfungen kleine Ueber - raſchungen Frauen Négligé Ehemänner verſchiedene Reiſegefährten allein abreiſen HauptzweckeS. 202 235
  • VIII. Neue Geſtändniſſe, die von Rechts wegen in die Vorrede gehörten praktiſche Dinge Geſichtspunkte Beiläufig - keiten Ulyſſes wird ruhmredig und hinterhaltig Diener Erſparniſſe gelehrter Kram touriſtiſcher Stammbaum Blick in alte Zeiten die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile Triebfedern Eitelkeits - und Phantaſietouriſten Poeſie der Reiſe Reiſefieber neue Art zu reiſen Eiſenbahnweſen und ſeine Flegeljahre Hoffnungen Techniker Ruß - und Bußfahrten feurige Kohlen Staubbrillen Bahnhofreſtaurants VIIIInhalt.Fürſprecher Widerwärtigkeiten und Strapazen Comfort Rechtfertigung allgemeine Betrachtungen geiſtige Rund - und Fernſicht Zwecke Summe der Reiſeerfahrungen der große Touriſtenſtrom Reiſemüde Grade der Empfäng - lichkeit Farbenſcheibe Nutzanwendung Monotonie des ſteten Wechſels beſtimmte Richtung Reiſemechanismus paſſives Empfangen von Eindrücken Specialität keine Zeit haben Märtyrer der Berufspflicht Mußeſtunden Jugend und Alter Einſeitigkeit ewiges Einerlei geiſtige Alpenregion Sammler und Sammlungen Excerpte Lichtſtrahlen ein Sonderling Berufswahl Wechſel der Stimmungen das beſte Geſchäft die Reiſe eine Wohlthäterin ein anderer Kauz allein und ab - getrennt Zucht von Steckenpferden Zerſtreuungsjäger pariſer Ennui große Modebäder worauf es ankommt ein gutes Reiſegewiſſen und ſeine Forderungen was wir alles beobachten ſollen Vielſeitigkeit Bienen und Fliegen Wahl treffen ſpitze Bleiſtifte weitere Mittel gegen Reiſemüdigkeit Hauptaufgaben Sehenswürdig - keiten Menſchen - und Selbſtkenntniß Probierſteine und Schleifſteine Geſelligkeitstrieb Einſiedler Ausſchließ - lichkeit Befürchtungen die Reiſe ein Maskenball öffentliche und Privatbälle Zwiegeſpräche große Geſell - ſchaften Hintergedanken betrübende Wahrnehmung unſre Geſchäftsfreunde ein Landpaſtor Stadt - und Landleute plötzlicher Geldgewinn Wohnungsmiethe Preisſteigerungen Luxusgäſte Trinkgelder, Geſchenke, Almoſen Culturfortſchritte Selbſtvertheidigung durch Cultur zur Natur zurück unſre Aufgaben Politik Heimgekehrte leichtſinniges Briefſchuldenmachen Im - ponirenwollen Abenteuer Reiſeberichte Zweifel Abſchiedswort und ReiſeſegenS. 236 278
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I.

Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt der Reiſe der Touriſt von Fach und ſeine Reiſeſchüler apodemiſche Studien Verabredungen.

An einem regneriſchen Nachmittage kam ich, der deutſche Herausgeber dieſes Büchleins, im Wirthshauſe zu Meiringenan. Am Tiſche ſaßen zwei Herren, die engliſch ſprachen und wie Briten, aber doch nicht allzu particulariſtiſch ausſahen, ſonſt war Niemand im Zimmer. Ich ſetzte mich deshalb in Sprechweite an denſelben Tiſch, entſchloſſen, mit ihnen be - kannt zu werden, nöthigenfalls ſie anzureden.

Mancher Leſer wird ſchon hier verſtimmt den Kopf ſchüt - teln und einen geſellſchaftlichen und internationalen Verſtoß darin ſehen, Fremde, und gar Engländer, anreden zu wollen. So will ich denn nur gleich geſtehen, daß ich ſelbſt bei meinen früheſten Wanderungen dieſe Scheu vor Annäherung an Un - bekannte theilte, allmählich jedoch einſah, daß ſie eines der läſtigſten und zweckwidrigſten Gepäckſtücke des Reiſenden, mit - hin daheim zu laſſen iſt. Auch der Britenhaß gehört dar - unter, eine Erörterung beider Gegenſtände mag indeß auf ſpäter vorbehalten bleiben.

Diesmal brauchte ich nicht die Koſten des erſten Schritts zu beſtreiten, denn der ältere der beiden Herren kam mir nach wenigen Minuten entgegen durch eine in deutſcher Sprache gemachte Bemerkung, welche, nach Ton und Blick zu ſchließen, keine beſtimmte Adreſſe hatte, ich nahm ſie daher für eine jener halben Einladungen zum Geſpräch, die abgelehnt oder er - griffen, fallen gelaſſen und wieder aufgenommen werden kön -12I. Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt d. Reiſe.nen, je nach Umſtänden, alles ohne Präjudiz, ſo recht für den Reiſegebrauch geeignet. Die Unterhaltung wurde bald leb - haft, ſetzte ſich fort bis in die Nacht, hatte zur Folge, daß ich mich beiden Herren für die weitere Reiſe anſchloß und daß dieſes Büchlein entſtand. Da es zur Legitimation deſſel - ben gehört (Wanderer, die ſich gar nicht ausweiſen können, laufen Gefahr, als Landſtreicher behandelt zu werden), ſo ſei es vergönnt, zunächſt auf einige Perſonalien einzugehen, die weiteren Capitel ſollen dann um ſo ausſchließlicher Realien gewidmet ſein.

Die Herren waren wirkliche, leibhaftige Engländer, Oheim und Neffe. Der Erſtere, Sohn einer deutſchen Mut - ter, hatte ſchon als Knabe mehre Jahre in einer deutſchen Lehranſtalt zugebracht und war unſrer Sprache völlig mächtig. Nachdem er lange als Officier in Oſtindiengedient und dort Frau und Kinder verloren, hatte er, tief gebeugt, dazu kränk - lich, ſeinen Abſchied genommen und war nach Europazurück - gekehrt. Auf ärztlichen Rath verbrachte er darauf geraume Zeit in deutſchen Bädern, den Alpen, Südeuropaund dem Orient. Gegenwärtig war ſein Wohnſitz London, es verging aber ſelten ein Sommer, den er nicht theilweiſe auf dem Feſt - lande zubrachte. Als ich ihm begegnete, hatte er ſeinen Neffen bei ſich, um ihn in der Kunſt der Reiſe zu unterrichten, welche nach ſeiner Anſicht nicht unter die noblen Paſſionen , ſondern höher hinauf, unter die accomplishments of a thorough gentleman, die Erforderniſſe eines vollkommenen Gentleman gehörte.

Was ich unter dieſer, ehedem Apodemik genannten Kunſt verſtehe, ſagte er, wird ſich weiterhin ſattſam ergeben, hier will ich nur bemerken, daß in dieſen Bereich meines Er - achtens Alles gehört, was beitragen kann, die Reiſe erſprieß - lich und angenehm zu machen, ein richtiges Verhältniß herzu - ſtellen zwiſchen Mitteln und Zwecken, ihre Mißlichkeiten und Gefahren zu mindern und ihre Genüſſe zu ſteigern. Nicht blos ſind dabei eigentliche Touriſten in’s Auge zu faſſen,3I. Der Touriſt von Fach u. ſ. Reiſeſchüler apodemiſche Studien.denen es gilt, Zeit, Mühe, Verdruß und Geld zu erſparen, ſondern ebenfalls Solche, die der Geſundheit halber reiſen oder ſich an fremdem Orte aufhalten, wenn auch die Bedürf - niſſe der letzteren natürlich nur ſo weit berückſichtigt werden können, als ſie nicht Sache des Arztes ſind. Mein NeffeEduard, fuhr er fort (wie ich ſpäter hörte, war der junge Mann leidend und ſollte den nächſten Winter im - den zubringen), iſt mein Erbe. Da nun aber ein Theil mei - nes Vermögens bald nach mir auch den Wanderſtab ergriffen hat und nur in Erinnerungen und Erfahrungen umgewan - delt heimgekehrt iſt, ſo möchte ich wenigſtens mit dieſer ideellen Valuta ſo viel als thunlich meine Hinterlaſſenſchaft ergänzen, damit der arme Junge nicht zu kurz kommt. Bis jetzt kann ich indeſſen ſeinen Eifer und ſeine Fortſchritte nicht ſehr rüh - men, es iſt mir darum lieb, daß Sie ihm mit gutem Beiſpiele vorangehen wollen. Der alte Herr, dem Touriſtiſches einer der liebſten Geſprächsſtoffe war, hatte nämlich bald be - merkt, daß er an mir einen aufmerkſamen und dankbaren Hörer fand. Was er ſeine Altersgeſchwätzigkeit nannte, war mir höchlich willkommen, denn ich brauchte nur irgend einen Gegenſtand aus unſrem Lieblingsgebiete zu berühren, ſo zeigte ſich, daß er darüber Erfahrungen geſammelt hatte. So machte ich alſo unter ſeiner Leitung meine apodemiſchen Stu - dien, und wir verabredeten, daß ein Buch daraus werden, in welchem er Ulyſſes minor heißen ſollte. Mich ernannte er zu ſeinem Adoptiv-Telemach und zum Univerſalerben ſeiner ganzen Reiſeweisheit, verſprach und lieferte mir auch ſeinen Vorrath von Aufzeichnungen zu unbeſchränkter Verfügung für unſer gemeinſchaftliches Buch.

Ihr ſeid das Literaturvolk, ſagte er. Von je hundert Deutſchen ſollen neunundneunzig ſchreiben gelernt haben. Ob daſſelbe günſtige Verhältniß ſich auch auf Eure Autoren erſtreckt, ich meine, ob von je hundert derſelben neunund - neunzig auch ſchreiben können, mögen die Literaturzeitungen entſcheiden, hoffentlich ſind Sie nicht gerade Einer von denen,1*4I. Verabredungen.die es nicht können. Wie nun aber Ihr das literariſche Volk ſeid, ſo ſind wir Engländer das touriſtiſche. Während Ihr mehr Literaturgeſchichten beſitzt, als alle anderen Völker zu - ſammen, gibt es bei uns mehr Reiſebeſchreibungen als im ganzen Schriftenthum der übrigen Welt und wenn viele Uebung den Meiſter macht, ſo müſſen wir die Reiſemeiſter ſein. Es würde mich freuen, wenn Ihre Landsleute aus mei - nen Erfahrungen und Einfällen einigen Nutzen zögen.

Warum eigentlich der alte Herr nicht ſelbſt ein Buch über die Kunſt der Reiſe ſchrieb, iſt mir bis heute nicht recht klar geworden. Wiederholt ſuchte ich ihn darüber auszuforſchen, immer aber antwortete er ausweichend oder ſcherzend. Hat doch auch, ſagte er einmal, SokratesSchülern überlaſſen, ſeine Weisheit der Welt zu verkünden, von Ihnen hoffe ich, daß Sie ſich zu mir wie Platozu ihm verhalten werden. Alle Lehre wird, mündlich vorgetragen, eindringlicher, ſoll jedoch ein Buch die Vermittelung übernehmen, ſo hat dieſes den Leſern gegenüber einen beſſern Stand, wenn ſein geiſtiger Urheber nicht ſelbſt für jedes Wort einzuſtehen braucht, denn Unvollkommenes daran wird dann dem Herausgeber zur Laſt gelegt und dem Anſehen des Erſteren geſchieht kein Abbruch. Ein andermal war die Entgegnung, er ſei zum Soldaten, nicht zum Schriftſteller erzogen; dann wieder munkelte er von Ver - hältniſſen, die ihn hinderten, ſelbſt Hand anzulegen, kurz, es ſchien, als ob es ihm darauf ankomme, mich im Dunkeln zu laſſen über ſeine Beweggründe. Auf ſeine ſonſtigen Abſichten und Pläne wird das letzte Capitel einiges Licht werfen, hier will ich nur noch ſeine Antwort auf ein von mir geäußertes Bedenken einſchalten, ob nicht etwa ſeine Theorie eine ſpeci - fiſch engliſche ſei, die ſich zur Mittheilung an meine Lands - leute wenig eigne.

Befürchten Sie nichts der Art, erwiderte er. Ich bin dem Blute und der Erziehung nach zur Hälfte deutſch, habe den Haupttheil meiner Reiſezeit auf deutſchem Gebiete und im geſelligen Verkehre mit Deutſchen zugebracht und könnte5I. Verabredungen.in der That der entgegengeſetzten Einſeitigkeit weit eher ver - fallen. Auch davor habe ich mich jedoch zu hüten geſucht, von der Anſicht ausgehend, daß der Touriſt als ſolcher Kosmo - polit iſt und die gediegene Touriſtenpraxis keinen nationalen Stempel trägt, ſondern die reiſegiltigen, allgemein verwerth - baren Erfahrungen aller Völker in ſich aufgenommen hat, und zwar in dem Maße, als ſie ſich am Touriſtenverkehr be - theiligen, ungefähr wie zur ſogenannten Seemannsſprache alle ſchiffahrttreibenden Völker je nach ihrer maritimen Be - deutung beitrugen.

Eins aber bitte ich mir aus, fuhr er nach anderen Be - merkungen fort: daß Sie in unſrem Buche nicht etwa ſyſte - matiſch zu Werke gehen, als ob es ſich um ein wiſſenſchaft - liches Lehrgebäude, ein Handbuch der Touriſtik, eine Reiſe - philoſophie oder dergleichen handelte. Laſſen Sie ſich nicht durch den Titel Reiſeſchule beirren. Wie Niemand zum Reiſeanzug Frack und weiße Binde wählen würde, ſo ſoll auch unſer Buch durchaus touriſtiſch angethan ſein, an - ſpruchslos und bequem für beide Theile, Verfaſſer und Leſer. Keineswegs muß Alles der Reihe nach gehen, ſondern von Dieſem und Jenem darf an verſchiedenen Stellen die Rede ſein bunte Reihe fördert die Unterhaltung : packen wir doch die einzelnen Stücke auch nicht nach Kategorien in den Koffer, ſondern je nachdem ſie ſich einfügen laſſen. Geben Sie nur am Schluſſe ein alphabetiſches Sachregiſter, wie ſie in unſren engliſchen Büchern ſelten fehlen, damit Leſer, die wenig Zeit oder Geduld haben, das aufſuchen können, was ihnen der Mühe werth ſcheint. Dann muß uns erlaubt ſein, nicht ſtreng an die vorgezeichnete Route und auf knappe Zeit - eintheilung zu halten, ſondern nach Belieben Ausflüge zu machen oder länger an einem Orte zu verweilen, auch ge - legentlich Scherz in ernſthaftes und Ernſt in ſcherzhaftes Gewand zu kleiden. Von unſren Leſern ſetzen wir ferner voraus, daß ſie der Mahnung Eines ſchickt ſich nicht für6I. Verabredungen.Alle, ſehe Jeder wie er’s treibe , am rechten Orte eingedenk ſein werden.

Manche Autoren pflegen, ſo oft ſie von alltäglichen Din - gen, Eſſen, Trinken, Kleidung, Geräth ſprechen, jedesmal mit einiger Verlegenheit ſich zu entſchuldigen, daß ſie damit be - helligen, ſodann zu verſichern, daß auch ſie, die Verfaſſer, über ſolche Lappalien hoch erhaben ſeien, und ſchließlich zu demonſtriren, daß dieſelben für die Wohlfahrt des Menſchen - geſchlechts viel wichtiger ſeien, als es den Anſchein habe. Wir verſchmähen derlei gleichfalls aus Achtung vor unſren Leſern, unter welchen wir uns in erſter Reihe Touriſten und Curgäſte denken, alſo die Blüte der Zeitgenoſſen.

Nicht verhehlen will der Herausgeber, daß ihm manches Wort des Meiſters nicht eben von großem Belang ſchien und er es dennoch aufzeichnete. Jeder Touriſt weiß aber, daß das allen Sammlern ſo geht: ſie bewahren nicht blos Cabinet - ſtücke auf, ſondern auch hin und wieder Kleinigkeiten. Be - gegnete das doch ſogar Winckelmannbei ſeiner Aufſtellung der Kunſtſchätze in der Villa Albani.

Vom folgenden bis zu den beiden letzten Capiteln docirt der alte Herr, wo er ſelbſt nicht etwa andere Perſonen re - dend aufführt, allein und wird nur ſelten unterbrochen durch Fragen oder Einwürfe eines ſeiner beiden Schüler. Die Kürze hat dadurch gewonnen, ohne daß die Klarheit gelitten. Im vorletzten Capitel wendet ſich der deutſche Herausgeber in internationalen Angelegenheiten an ſeine Landsleute, alsdann iſt bis zum Schluß die Geſprächsform wieder aufgenommen, aus Gründen, die für ſich ſelbſt reden.

Und nun friſchweg zum nächſten Capitel, welches die erſte Lection bildet, während dieſes nur ein maskirtes Vor - wort iſt.

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II.

Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher Reiſepläne Stadtpläne Reiſepläne, deren Sclaven und Narren Muſterung und Verpackung Livrée für Gepäckgegenſtände auffällige Markirung Hauptliſte für Mitzunehmendes Reiſeapparat.

Oft genug, in Verſen und in Proſa, iſt der Rath er - theilt worden, beim Antritt einer Reiſe alle Sorgen daheim zu laſſen, Entbehrungen und Ungemach jeder Art leicht zu nehmen, ihnen eine humoriſtiſche Seite abzugewinnen. Nun, es gibt ja Menſchen, denen jener gute leichte Sinn, welchen der Dichter das größte Glück und den reichlichſten Gewinn im Leben nennt, von Haus aus beſchieden iſt, Andere, die ſo weiſe waren, durch geiſtige und leibliche Turnübungen frühzeitig ihre Willenskraft, Geduld, Nerven und Muskeln zu ſtählen, ſo daß ſie den großen Leiden der Lebensreiſe, wie viel mehr den kleinen des Reiſelebens jeden Einfluß auf ihre Stimmung zu wehren vermögen. Sie Alle bedürfen des Raths nicht. Die überwiegende Mehrzahl der Badereiſenden und eine erkleckliche Menge Touriſten ſind jedoch keines - wegs ſo beſchaffen, vielmehr ſoll eben erſt die Reiſe ihnen das Heil bringen, Manche nehmen vom Hauſe ein ſchweres Herz mit, ſchwerer und gepreßter als ihr Koffer, jener Rath würde ihnen daher höchſtens ein Achſelzucken abgewinnen und für unſre weiteren Vorträge mißtrauiſch machen. So muthen wir ihnen denn nicht zu, ihre wirklichen oder gar ihre eingebildeten Leiden und Sorgen durch eine Willens -8II. Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher.anſtrengung zu beſeitigen, ſondern ſprechen lieber nicht da - von, enthalten uns auch aller ſonſt üblichen Eingangsbetrach - tungen von hohem Standpunkt aus: dafür iſt unterwegs noch Zeit genug, wenn wir erſt eine Weile andere Luft ge - athmet haben. Beginnt doch auch die Reiſe ſelbſt nicht mit Rigipanoramen und Aetnabeſteigungen, ſondern mit platten Alltäglichkeiten. Widmen wir uns darum einmal zunächſt einer anderen, aber nützlichen Art von Sorgen, den Reiſe - vorbereitungen, vielleicht helfen ſie, jene ſchädliche Art vertreiben. Die Prüfungen der Reiſeſchule werden wir um ſo beſſer beſtehen, rauhe Berührungen um ſo ſicherer abhalten, je ſorgfältiger wir uns präparirt haben.

Von einem bewanderten Freunde laſſen wir uns ein Reiſehandbuch nicht etwa in älterer Auflage borgen, ſondern empfehlen, um es in neueſter zu kaufen. Gewinnt es unterwegs durch gute Dienſte unſer Vertrauen, ſo ſcheuen wir die Mühe nicht, von Angaben, die ſich fehlerhaft oder veraltet erweiſen, Vormerkung zu nehmen, um dem Verfaſſer ſeiner Zeit darüber Mittheilung zu machen. Dem Editor der Murray’ſchen Handbooks for Travellers ſollen bei jeder neuen Bearbeitung Stöße von derartigen Einſendungen vor - liegen, er daraus eine Menge brauchbarer Notizen ſchöpfen, und Einſender aus allen Geſellſchaftsclaſſen darunter ſein, Herzöge, Lords, Biſchöfe, Induſtrielle, Kaufleute, Hand - werker, Pächter, Damen, von Verfaſſern deutſcher Reiſe - handbücher hört man dagegen immer nur klagen, daß ſolche freiwillige uneigennützige Beiträge ſpärlich eingehen, deſto mehr Behelligungen reclamenſüchtiger Wirthe und Händler. Dieſer John Murray, Buchhändler in London, war der Erſte, der ein den Bedürfniſſen der neuen Zeit entſprechendes Reiſe - handbuch zuſammenzuſtellen wußte. Er verſtand, ſeinen Leſern raſch über alles ihnen Wiſſenswerthe bündige Auskunft zu geben, und muthete ihnen nicht endloſe literariſche Steppen - wanderungen zu, wie es vordem Brauch war. So hatte er denn die Genugthuung, einen ſeiner dunkelrothen Bände9II. Reiſehandbücher.unter dem Arm faſt jedes Briten zu ſehen, der auf dem Conti - nent einen Wagen beſtieg. Lange blieb Mr. Murrayohne Nebenbuhler, bis endlich ein anderer Buchhändler, der ver - ſtorbene Karl Bädekerin Coblenz, die engliſche Erfindung auf deutſchen Boden verpflanzte. In der Regel hatten die alten Führer*)Unter den Ausnahmen älterer Zeit iſt das verdienſtvolle Ebel’ſche Hand - buch für die Schweizvor allen zu nennen, es litt aber lange an der unzweck - mäßigen alphabetiſchen Anordnung, bis es endlich nach Murrayauch die Routen - eintheilung einführte. Für Italienwar einſt das Förſter’ſche das erſte gute Reiſebuch, in ſeinen neuen Auflagen iſt es aber zurückgeblieben. weniger die Bequemlichkeit des Leſers als ihre eigene im Auge, viele nothwendige Angaben enthielten ſie ihm vor, weil ſie die Mühe und Koſten der Ermittelung ſcheuten, bedachten ihn dafür um ſo reichlicher mit uner - wünſchten Ablagerungen aus Chroniken und Monographien; Winke über Wege, Entfernungen, Wirthshäuſer, Preiſe ſtreu - ten ſie nur ſehr ſpärlich ein, bald hier bald da, ſo daß ſie ſich wie der Hauch eines Kameels in der Wüſte verloren; mit vornehmer Gleichgiltigkeit, etwa wie prinzliche Hofmeiſter, blickten ſie auf gewiſſe Dinge herab, die doch für die Mehr - zahl der Reiſenden von Belang ſind, z. B. Erſparniſſe; in der Einleitung empfahlen ſie dringend, recht viel zu Fuße zu gehen, ließen im Buche jedoch allenthalben durchblicken, daß ſie dieſen Rath zu reichlich geſpendet, um für ſich ſelbſt davon noch übrig zu haben; ferner doch halt! beinahe wäre ich ſelbſt in den ſchlimmſten der Führerfehler gerathen und hätte die Tour zu lang bemeſſen. So brechen wir denn eiligſt das Sündenregiſter der alten Guiden ab und wenden uns wieder zu den Verdienſten Bädeker’s. Wie Mr. MurrayVerfaſſer und Verleger in einer Perſon, ging er von dem Grundſatze aus, daß ein dickes, ſchweres, theures Buch den meiſten deutſchen Taſchen unzuträglich ſein dürfte, und ſtellte eine Sammlung von Bänden her, die ſich in ihrer hellrothen, glatten, glänzenden, biegſamen Leinwandlivree dem Auge, der Hand und der Taſche unwiderſtehlich einſchmeicheln, der10II. Reiſehandbücher.letztern auch bei ihren abgerundeten Ecken, ihrem mäßigen Umfang und Preiſe in keiner Weiſe beſchwerlich fallen. Auf jede Frage hat er eine Antwort und doch fühlt man ſich kaum je beläſtigt von aufdringlicher Führerredſeligkeit, Abſchwei - fungen, unverdauter Gelehrſamkeit, Anläufen zum Humor oder zur Rhetorik, noch von vorgreiflichen Empfindungen ; nie will er dem Ohre ſchildern, was nur das Auge begreift. So gut er bewandert iſt in den hohen Regionen der Alpen, nie verſteigt er ſich in die höheren der Wiſſenſchaft, Poeſie, Kunſt; hat er von Gemälden zu berichten, ſo ſtützt er ſich in gedrängten Auszügen auf bewährte Schriftſteller. Alles bei Bädekerſtellt ſich knapp gehalten dar, nüchtern, zur Sache, adrett wie ein Militärrapport, raſch fertig und weithin - treffend wie ein Hinterlader. Seine Leitung iſt nicht die eines mechaniſch dreſſirten Miethlings, noch die eines pedantiſchen Mentors, ſondern man empfindet ſie wie den Arm eines alten, guten Bekannten, zuweilen faſt wie die Hand einer Mutter. Jetzt fühlen wir einen leiſen Druck am Elbogen: es iſt die Warnung vor einem ſchlimmen Wirthshauſe, in das wir einzukehren, oder vor einem ſteilen, ſteinigen Pfade, den einzuſchlagen wir im Begriff waren. Jetzt ſtreckt ſich ſein Finger aus: da iſt das beſte Bier, auf dieſem Wege findeſt Du Vormittags Schat - ten, jener Pfad iſt bei naſſem Wetter zu meiden, in dem La - den kaufſt Du gut und billig u. ſ. w. Solche Zuvorkommen - heit, welche Wünſche, noch bevor ſie aufgeſtiegen, ahnet und befriedigt, über eine große Gewalt auf unſer Gemüth: wir Männer, auch wenn wir eng befreundet, pflegen uns derlei kleine Aufmerkſamkeiten nicht angedeihen zu laſſen, nur von der Gunſt und Sorgfalt weiblicher Hände zu erfahren, deſto mehr überraſchen und rühren ſie uns, wenn wir ſie in einem Buche finden, und nicht in einem Damenromane, ſondern in einem ſchlichten Reiſeführer. Ein dritter (ehemaliger) Buchhändler, Herr Berlepſch, tritt ſeit mehren Jahren als Nebenbuhler Bädeker’sauf und der unermüdlich rege Wetteifer, den er ent - wickelt, kann auch fernerhin nur zum Beſten des Publikums11II. Reiſehandbücher.ausſchlagen. Für allerhand Unterrichts - und Medicinal - angelegenheiten, botaniſche, geologiſche ꝛc. Excurſe weiß er durch gelehrte Mitarbeiter Rath zu ſchaffen, dazu iſt ſein Verleger ſehr freigebig mit gutem graphiſchen Beiwerk.

Von neueren Reiſehandhüchern ſind noch zu empfehlen für die Schweizdie Tſchudi’ſchen und für den Orient, Griechenland, Aegypten, Kleinaſienund die Türkeidie illu - ſtrirten von Moritz Buſch, einem Autor von bewährtem Rufe und vielfacher Reiſeerfahrung in vier Welttheilen.

Hier und da hört man Klagen auch ein vielgewander - ter, erfahrener Reiſeſchriftſteller ſchließt ſich ihnen an daß die Handbücher den bergſehnſüchtigen Neuling, der wenig Zeit und Geld aufzuwenden hat, häufig auf falſche Fährte locken, d. h. ihn in Gegenden leiten, die im Verhältniß zu anderen wenig Genuß bieten . Es iſt wahr, die Handbuch - verfaſſer ſind ſehr reich an zierenden Superlativen und zeich - nen ihre Bilder zuweilen wie die Chineſen, die von Per - ſpective nichts wiſſen wollen. Das kommt aber in allen Ge - bieten vor: je mehr wir uns in Einzelheiten hineinſtudiren, um ſo größer und wichtiger erſcheinen ſie uns und um ſo leichter verlieren wir das Ganze aus dem Geſichte. Sind doch auch auf den plaſtiſchen Gebirgspanoramen die Berge unverhältnißmäßig hoch dargeſtellt, und zwar hier abſichtlich, denn im richtigen, natürlichen Verhältniß würde das Relief des Einzelnen für unſer Auge faſt verſchwinden. Ein ſo großer Schaden gerade für den Neuling läßt ſich darin jedoch nicht erblicken. Er kommt ja mit friſchem, unbefangenem Sinne, nicht wie wir Vielgereiſte mit kritiſcher Brille, welche mit der Schneebrille gemein hat, daß ſie vor Verblendungen ſchützt, aber auch dem ſchönen Glanz Abbruch thut. Unſer jugendlicher Schützling wird in Bezug auf maleriſchen Reiz der Landſchaft und auf Verpflegung gewiß nicht gar an - ſpruchsvoll ſein. Möglicherweiſe iſt er die Koſt eines Stu - dentenfreitiſches in H.oder T.gewohnt, wird mithin ſelbſt vor den Tafelfreuden, die in Thüringen, Oberbayern, Tirol12II. Reiſehandbücher Reiſepläne Stadtpläne.ſeiner harren, die Faſſung kaum verlieren. Laſſen wir ihn immerhin nach dieſem oder jenem Buche ſeine Marſchroute nehmen, er wird ſich doch famos amüſiren . Weit wichtiger für ihn iſt der Geldpunkt, aber gerade da ſcheint ſich ein Rechenfehler bei dem obengedachten Schriftſteller eingeſchlichen zu haben. Er ſagt nämlich: Kein Verfärben der Wahrheit, keine patriotiſche Sentimentalität vermögen in mir die Ueber - zeugung abzuſchwächen, daß, wer die Schweiznoch nicht ge - ſehen, vier Wochen freie Zeit und (als Fußwanderer) 250 Franken in der Taſche hat, weitaus nichts Vernünftigeres thun kann, als ſich nach dem berner Oberlandund dem was daran hängt, aufzumachen. Gewiß, die Schweiziſt reicher als irgend ein anderes Alpengebietan landſchaftlich Schönem, Alles liegt nahe zuſammen und iſt maleriſch gruppirt, dazu bietet ſie Preiswürdigeres in Verpflegung und ſonſtigen touriſti - ſchen Einrichtungen, beſſere Führer, größere Auswahl an - regender Reiſegeſellſchaft, unter den Anſäſſigen findet man mehr Intelligenz und Anſtelligkeit, weniger Schwerfälligkeit; nur muß ich bezweifeln, daß ein Neuling im Stande ſein dürfte, mit 250 Franken vier Wochen im berner Oberlandezu wandern, denn er würde es in hergebrachter Weiſe machen, und ſchwerlich mit neun Franken täglich auskommen. Um das arme junge Blut aus ſeiner Verlegenheit zu reißen, wer - den ihm im VI. Capitel einige Winke gegeben. Uebrigens würde ich jungen Leuten, welche einige Ausſicht auf wieder - holte Reiſen haben, rathen, nicht zuerſt die Alpenzu be - ſuchen, ſondern ſich vorläufig mit einem der nächſtliegenden Mittelgebirge oder Flußgebiete zu begnügen, nach Grund - ſätzen, welche uns noch öfter Stoff zu Betrachtungen geben werden.

Und nun hofft unſre Reiſeſchule bei den Herren Ver - faſſern von Reiſehandbüchern, für die ſie ſoeben eine Lanze gebrochen, geneigtes Ohr für ein paar Anträge zu finden. Die Stadtpläne, denen im Buche nur eine einfache oder doppelte Seite gewidmet iſt, ſollten nicht in alter Weiſe ein -13II. Reiſehandbücher Stadtpläne.gerichtet ſein, nach welcher der Beſchauer ein Gewimmel kleiner Quadrate, Trapeze, Oblonge vor ſich hat, ſämmtlich ſchwarz ſchraffirt, untermiſcht mit winzigen, undeutlichen Buchſtaben, Ziffern, Namen, die ſich gegenſeitig im Lichte ſtehen und auf die Füße treten, kurz, ein Bild der Verwir - rung. Zum touriſtiſchen Gebrauch empfehlen ſich (wie es in einigen neuen Bänden ſchon vorkommt) für alles Figürliche rother und für die Namen ſchwarzer Druck, oder auch freund - lich und licht gehaltene Orientirungskärtchen, die lediglich Notiz nehmen von den Hauptverkehrsſtraßen, von denjenigen Plätzen und Straßen, in welchen für den Fremden Gegen - ſtände von Intereſſe ſind, vor Allem Bahnhöfe, Dampfboot - ſtationen, Poſt, Telegraphenbureau, Kunſtſammlungen, be - ſuchenswerthe Monumente, Kirchen und andere Gebäude, Ausgangspunkte für Spaziergänge u. ſ. w.; willkommen wäre ferner, wenn der Raum es erlaubt, Angabe der beſſern Gaſt -, Kaffee -, Bierhäuſer, Reſtaurants, Gartenlokale, Flußbäder. Nie darf die kartographiſche Orientirung

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ferner die netzartige Eintheilung mit Ziffern und Buchſtaben und damit correſpondirendem Alphabet der Angaben fehlen; letzteres kann, wenn es ſich auf dem Plane nicht anbringen läßt, im Buche ſtehen. Die Linien des Netzes müſſen ſchmäch - tig, kaum ſichtbar ſein, nicht durch dick und dünn gehen, ſon - dern an Stellen abbrechen, wo ihre Gegenwart ſtören könnte. Sodann will mich bedünken, daß die Reiſebücher mit jeder neuen Auflage in demſelben Maße an Leibesumfang zu - nähmen, als ihre Autoren ſich für ſie in Bewegung ſetzten; Dickleibigkeit iſt aber untouriſtiſch, auch an Büchern, denn ſie ſchmälert die Beweglichkeit und fördert die Ermüdung. Des - halb möchte ich beantragen, mit einem geſunden Rothſtifte den Spalten zu Leibe zu gehen und alles Entbehrliche zu14II. Reiſepläne.ſtreichen, im Nothfall eine Theilung in je zwei oder drei Sectionen vorzunehmen, damit nicht, wie man jetzt unter - wegs häufig ſieht, die Beſitzer die Bände auszuſchlachten genöthigt ſind.

In mein Handbuch laſſe ich einige Blätter Schreibpapier einheften für allerhand Notizen, namentlich den Reiſeplan. In Bezug auf dieſen ſei vorläufig nur gewarnt, ihn wie den Koffer (ſelbſt dieſen richte ich gern ſo ein, daß auswärts noch das Eine oder Andere hinzukommen kann; der Spielraum hat ſein Quartier über den Gurten, ſo daß innerhalb der - ſelben dennoch Alles lückenlos gepackt iſt) ſehr feſt und voll zu ſtopfen: für die Zuſammenſtellung des Erſteren gilt der umgekehrte Grundſatz. Hier muß Alles locker gefügt ſein, dort ſind Lücken ſchädlich, hier nothwendig, um nicht in Sclaverei und bei ſchlechtem Wetter in Verzweiflung zu ge - rathen. Den Plan mache ich unter Beirath des Buchs und Verweiſung auf deſſen Seitenzahlen nach meinen Bedürfniſſen, betrachte aber dieſes Scriptum nur als Entwurf, nicht, wie Neulinge zu ihrem großen Nachtheile ſo oft thun, als Geſetz. Eine andere Art, ſich zum Narren des Plans zu machen, iſt folgende. Derſelbe hat z. B. decretirt: 20. Juli Er - ſteigung des .... Man kommt in .... an, hört von allen Seiten, daß heute da oben vor Nebel nichts zu ſehen ſein werde, klettert aber doch hinauf. Will wenigſtens meine Schuldigkeit thun, vielleicht wird’s noch gut. Droben ſieht der betreffende Märtyrer des Plans gar nichts, nicht einmal, daß er einen dummen Streich gemacht hat, ſteigt herab, ſetzt ſeine Reiſe fort, Wochen lang, ſucht aber keinen anderen Höhepunkt auf, obwohl ſein Weg an mehren vorüber - führt, denn er hat ja bereits ſeine Schuldigkeit gethan. Ich habe es immer ſo gehalten, daß, ſobald der Himmel mir ein beſonders heiteres Antlitz zeigte, auch die Landleute auf deſſen Beſtändigkeit rechneten, ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als den nächſt gelegenen Berg zu erklimmen, gleichviel, welche Rangſtufe die Bücher ihm zuerkannten, wenn ſie ihn15II. Reiſepläne, deren Sclaven und Narren.nur unter die lohnenden Partien zählten. Sehr mühevolle Erſteigungen (vgl. IV. ) höheren Ranges unternehme ich nie, wenn nicht zuverläſſige Sachkundige den Zuſtand der Atmo - ſphäre für durchaus günſtig erklären, denn die großen Fern - ſichtspunkte gehören nur dann unter die lohnenden Partien. Ein Anderes iſt es mit Höhen, die ſich weniger auszeichnen durch weiten Horizont als durch eine Fülle ſchöner Bilder in bequemer Sehweite. Jene reizen mehr die Phantaſie des Poeten, den Ehrgeiz eines Alpenvereinsmitglieds oder den Geſchäftseifer eines Feuilletoniſten, dieſe entzücken mehr das Auge des Malers. Die touriſtiſche Nutzanwendung iſt die: die Poeten - und Alpenvereinsberge ſind gewagte Unter - nehmungen, die Malerberge dagegen, die auch bei wenig befriedigender Luftbeſchaffenheit nicht ohne Ausſicht auf Aus - ſicht beſtiegen werden, ſind ergiebige Verſuchsfelder für Ver - gnügungsreiſende, der Einſatz an Mühe, Zeit und Geld nicht hoch, und die Ueberraſchung, die ein plötzlicher Riß in den Nebelſchleier bereiten kann, oft von zauberhaftem Reiz.

An Ort und Stelle angekommen gehören Augen und Gedanken des Reiſenden den ſehenswerthen Gegenſtänden, nicht den Büchern, eine zu Hauſe vorgenommene Präparation iſt deshalb räthlich, wobei Waiblinger’sRath zu beachten:

Richte weiſe Dich ein, wie Du die Länder durchwanderſt,
Zu viel Seltenes iſt Dir zu betrachten beſtimmt.
Alles faſſeſt Du nicht, und es lohnt ſich auch ſelbſt oft der Müh nicht,
Siehe nur an, was Dir nützt, was Dir als Eigenthum bleibt.

Vor größeren Reiſen muſtere ich den Inhalt von Schränken, Commoden, Schubladen, laſſe von weiblichen Augen und Händen die Wäſche einem examen rigorosum unterwerfen, auch nachſehen, ob jedes Stück gezeichnet iſt, und lege alles Mitzunehmende, ehe die Verpackung beginnt, unverdeckt und überſichtlich bereit, wodurch eine richtige Raumbenutzung er - leichtert und das ganze Verfahren beſchleunigt wird. Sind drei Abtheilungen zu machen: a) durch Eil - oder Güter - zug vorauszuſchickende Colli (vgl. III. ), b) mitzunehmendes16II. Muſterung und Verpackung.Paſſagiergut (vgl. unt. ), c) Handgepäck (vgl. unt. ), ſo wird mit a) Gegenſtänden, welche ich wochenlang entbehren kann, der Anfang gemacht und dieſe untergebracht, die engere Aus - wahl für Handgepäck c) getroffen und zuletzt das Uebrig - bleibende als Rubrik b in den als Paſſagiergut aufzugebenden Koffer gepackt, dabei aber, was von häufig zu brauchenden Gegenſtänden nicht unter dem Handgepäck Platz finden konnte, in den Koffer ſo gelegt, daß es leicht zu finden iſt. Bind - faden, Siegellack, Papier und derlei kommt zuletzt an die Reihe, weil damit meiſtens noch ſchließlich zu hantiren iſt.

Beim Packen muß der Taſtſinn die entſcheidende, das Augenmaß nur eine berathende Stimme haben, denn jener findet weit beſſer als dieſes aus den vielen aufgeſtapelten weichen und harten, großen und kleinen Sachen heraus, wo und wieviel noch Raum iſt: beiläufig bemerkt, ein neuer Beweis, daß auch in praktiſchen Dingen das Gefühl zuweilen Recht haben kann gegen die ſogenannte Einſicht. Ganz unten kommen dünne breite Stücke zu liegen, Schreibmappe, Papier, Landkarten. Dann folgen in einer papiernen oder anderen Umhüllung ſchwere, eckige, ſcharfkantige Stücke, gebundene Bücher, Käſtchen, Cigarrenkiſten, Stiefel, wobei zu ſorgen, daß beide Seiten des Koffers ungefähr gleichmäßig belaſtet werden. Zur Ausfüllung der Lücken und Nivellirung dienen Strümpfe, Nachthemden, Unterkleider und andere dergl. weiche, ſchmiegſame Geſtalten, die ſich in jede Lage, auch die ge - drückteſte, zu ſchicken verſtehen, die man deshalb recht haushälteriſch vertheilen und nicht leichtſinnig irgendwohin ſtauen ſoll. Cigarrenpakete, wenn ſie nur in Papier ge - wickelt ſind, lieben die unmittelbare Nachbarſchaft von Büchern nicht, ertragen ſie aber, wenn man ihre empfindliche Epidermis durch einen wollenen Strumpf ſchützt. Iſt nun die untere aus Hartem und Weichem gemiſchte Schicht gehörig compact und geebnet, ſo kommen Hemden und Oberkleider darauf zu liegen. Die lange ſchmale Bucht, die ſich ganz oben längs den Kofferwänden bildet, nachdem die Oberkleider,17II. Muſterung und Verpackung.Außenſeite einwärts gekehrt und kunſtgerecht gefaltet, ſich ge - lagert haben, mag leer gelaſſen oder mit unzerbrechlichen Stücken langen Formats ausgefüllt werden, nicht aber mit Fernglas, Mikroſkop, Fläſchchen und dergl., dieſen iſt viel - mehr eine weiche, elaſtiſche Nachbarſchaft ringsum zu geben. Denn Gerſtäcker hat gewiß Recht, wenn er verſichert, daß die Mißhandlungen, welchen auf gewiſſen deutſchen Eiſen - bahnen das Gepäck ausgeſetzt iſt, Alles überſteigen, was ſonſt in der Welt vorkommt, ſo weit er ſie geſehen. Er rühmt ſeinen ſchwarzen Lederkoffer, der nicht blos die ſchweren Strapazen ausgehalten habe, die er in den fünf Welttheilen, zu Lande, zu Waſſer, auf Gebirgen, von Räuberhänden und feindlichen Thieren zu erdulden hatte, ſondern ſogar auch alle Gewaltthaten von deutſchen Eiſenbahndienern.

Tuchkleider, die nicht gehörig gefaltet wurden und ſich beim Auspacken verrunzelt zeigen, werden, um ſie zu glätten, leicht mit Waſſer benetzt und zum Trocknen aufgehängt.

Torniſter und Jagdtaſchen müſſen natürlich ſo gepackt ſein, daß gegen die Wand, die auf den Körper zu liegen kommt, inwendig keine ſcharfen Ecken drücken, ſondern Alles eben und weich iſt.

Das Tintefaß mag mit dem Raume in der Ferſe eines Stiefels vorlieb nehmen; in dieſer Einſamkeit haben ſeine etwaigen Herzensergießungen weniger Gefahr für das Gemein - wohl. Nie traue man ihm ganz, auch wenn es einen Patent - verſchluß hat. In den würfelförmigen Tintefäſſern muß das Glas auf Springfedern ruhen, ein dicker, ſolider Gummi - verſchluß dagegen unbeweglich im Blech des Deckels befeſtigt ſein. Die umgekehrte Einrichtung, demzufolge das Tintefaß im Gehäuſe ſitzt, der Gummideckel dagegen auf eine Spring - feder geklebt iſt, taugt nicht, denn das lockere Gummiſtückchen entſpringt gern ſeinem Hauſe, und man ertappt es dann am Halſe des Tintefaſſes, und zwar ſo feſt angeklammert, daß die gewaltſame Trennung ſein Herz zerreißt. Nun ſteht man davor, die Finger voll Tinte und den Kopf voll Sorgen.

218II. Auffällige Markirung.

Nützlich iſt es, Koffern ꝛc. ein augenfälliges, vom Ge - wöhnlichen abweichendes und in den Farben untereinander übereinſtimmendes Aeußere zu geben, ſo daß bei der Ankunft auf großen Bahnhöfen die eigenen Sachen leicht von Weitem zu erkennen und von außerhalb der Barrièren die Träger dahin zu leiten ſind. Man hat dann nicht nöthig, in dem Gewirr von Packſtücken und Menſchen bei einem Träger um Audienz zu werben, ſondern braucht nur z. B. rothcarrirter Lederkoffer oder ſchwarzgeſtreifter Mantelſack ꝛc. laut zu rufen, ſo wird wahrſcheinlich bald innerhalb der Schranken ein Echo hörbar und das Verlangte auf den Schultern eines eiligen Mannes ſichtbar werden. Demſelben leuchtete mit der auffälligen Markirung zugleich der Umſtand ein, daß die Abfertigung dieſes Stücks, das kein Umherſuchen verlangt, raſcher, mithin profitabler vor ſich gehen kann, als jede andere, er wird deshalb vermuthlich ſeine etwaigen Prioritäts - gläubiger warten laſſen und erſt den zufälligen Findling ausliefern. Wenn zum Ueberzug nicht ſchon ein buntfarbiges Zeug waſſerdicht bereitetes Segeltuch iſt eine gute, dauer - hafte Hülle für große Gepäckſtücke, auch für Reiſetaſchen verwendbar genommen wurde, ſo läßt man die gewählte Livree dem Leder, Holz, Segeltuch oder Canevas der ver - ſchiedenen Gepäckſtücke aufpinſeln. Für dunklen Grund eignet ſich der zinnoberrothe Copalſpirituslack. Eine Abkürzung für dieſes Verfahren, unterwegs für kleinere Gegenſtände anwendbar, die roth und haltbar gezeichnet werden ſollen, iſt: ein paar Tropfen Sprit oder Kölniſchwaſſer auf ein Stück Siegellack gebracht und, wenn die Löſung erfolgt iſt, mit einem Zündhölzchen aufgetragen. Wird mit Buchſtaben und Zahlen ſignirt, ſo müſſen dieſe groß und auf mehr als einer Seite angebracht ſein. Alle meine Gepäckſtücke laſſe ich von Haus aus mit Buchſtaben und Ziffern bezeichnen, damit ſie unterwegs für etwaige Vorausſendung ſtets bereit ſind. Auch der volle Name und Wohnort, aufgepinſelt oder auf eine Metallplatte gravirt und am Koffer befeſtigt, kann unter19II. Hauptliſte für Mitzunehmendes.Umſtänden Dienſte leiſten. Manche Koffer und Mantelſäcke haben äußerlich einen kleinen, mit eingravirtem Namen ver - ſehenen Meſſingrahmen, in den unter ein durchſichtiges Hornplättchen der jeweilige Beſtimmungsort geſchrieben zu liegen kommen ſoll; der Verſchluß verſchiebt ſich aber unter - wegs leicht und das darunter Liegende geht verloren, ich brauche deshalb lieber gummirte Papierblätter, die ich auf - klebe und zwar in duplo. Hellfarbige Stöcke, Regenſchirm - griffe ꝛc. werden leicht dadurch markirt, daß man mit einer Meſſerſpitze den Namen einritzt und mit Tinte nachzieht. Einzelne zeichnen ſogar ihren Plaid, wenn er zur Legion der ſchwarz und weiß carrirten gehört.

Unſer Abiturientenexamen iſt noch nicht beendigt, das Abgangszeugniß wird erſt ausgeſtellt, wenn eine gewiſſe Liſte, in welcher allerhand nützliche, leicht vergeßbare Dinge ver - zeichnet ſtehen, durchgeleſen, je nach den Erforderniſſen der Reiſe, um die es ſich gerade handelt, ein Auszug daraus gemacht und die noch nicht bereit liegenden einzelnen Stücke herbeigeſchafft ſind. Nachſtehend theile ich meine Liſte mit, obwohl ich im voraus weiß, daß faſt Jeder, der ſie ſieht, viel ihm Ueberflüſſiges und einzelne Lücken darin finden wird. Spartaniſch Gewöhnte und Solche, welche die Regel Gepäck ſo wenig als möglich (vgl. III. ) ſcharf auslegen, werden ſich mit einem ganz knappen Auszug begnügen (für Fußreiſen verſteht ſich das ohnehin von ſelbſt), Kränkliche hingegen und Reiſegourmands ſich reichlicher verſehen. Letztere haben nur auf der Hut zu ſein, daß ſie nicht einen ganzen Hausſtand darin aufnehmen. Meine Hauptliſte, die mir zu Auszügen für jeweilige Reiſen dient, lautet:

Dicke ſchwarze Filzüberſchuhe (ſ. unten) dünne der - gleichen (ſ. unten) Reſerveknöpfe für Ober - und Unter - kleider, ferner Knöpfe zum Einſchrauben (ſ. unten) Nähzeug (ſ. unten) dünner und dicker Bindfaden, Gummibänder, Riemen zum Einſchnallen Feuerzeug in duplo Paket ſchwediſche Zündhölzer (ſ. III. ) Taſchen -2*20II. Hauptliſte für Mitzunehmendes.meſſer mit Feile, Säge, Schrauben -, Pfropfenzieher, Bohrer (u. A. zu benutzen, um fehlende Löcher in Riemen zu bohren) Taſchengabel zum Zuklappen (ſ. unten) große und kleine Nägel und Stifte Plaidnadeln (ſ. III. ) Metallklammern für Papiere, letter clips, (ſ. V.) Huthakenklammer (ſ. unten) Kleider -, Haar - und Zahnbürſte, Zahnpulver, Seife, Benzin Wecker, der zugleich Reſerveuhr (ſ. III. ) Uhrſchlüſſel in duplo Brille mit grauen Gläſern (ſ. IV. ) Taſchenthermometer (ſ. unten) Aneroidbarometer (ſ. unten) Fernrohr oder Operngucker (ſ. unten) Compaß Taſchenſpiegel, der ſich aufſtellen und hängen läßt Sonnen - ſchirm zum Curgebrauch (ſ. V.) Rindertalg oder Cold cream nebſt alter Leinwand zum Verbinden engliſches Heftpflaſter oder oſtindiſches Pflanzenpapier ein Wachslichtchen Inſectenpulver und Eſſenz (ſ. unten) guten ſchwarzen Thee (ſ. V.) Opiumtinctur Rhabarber Tintefaß (ſ. S. 17) Federn, Halter und Taſchenfeder (auf einer Seite die Schreibfeder, auf der andern der Bleiſtift, beides in eine Hülſe zurückzuſchieben), Bleiſtifte, Schreib -, Zeichen - und roſtrirtes Notenpapier Couverts Oblaten Siegel - lack Trinkbecher von Leder oder Kautſchuk, zum Zuſammen - klappen Feldflaſche (platt oder oval, von Blech oder be - ledertem Glas), gummirte Etiketten, leere und mit Adreſſe, zum Aufkleben Viſitenkarten ein weiches Wildlederfell, zur Belegung unſauberer und feuchter Bettwäſche Reiſe - handbuch und Eiſenbahncoursbuch (ſ. III. ) Miniatur - ſchachſpiel Lectüre Paßkarte oder Paß (auch in Ländern, wo die Behörde derlei nicht verlangt, behufs Legitimation in beſonderen Fällen).

Die dicken Filzſchuhe ſind weich genug, um platt zuſammengepreßt zu werden, und haben ein Leinenfutteral, deſſen Inneres keinen Anſpruch auf Reinlichkeit macht. Zur Erwärmung der Füße im Winter dienen auch die aus vulcaniſirtem Kautſchuk bereiteten, mit dickem Wollenſtoff überzogenen Schläuche, welche mit heißem Waſſer gefüllt21II. Reiſeapparat.werden und nur ſehr langſam abkühlen. Die dünneren Filzſchuhe ſind in der warmen Jahreszeit bei kühlen Nachtfahrten über die Schuhe zu ziehen und in ſauberem Zuſtande auch als Pantoffeln (geſegnet ſeien ſie, dieſe Wohl - thäter müder, brennender Wanderfüße!) zu brauchen. Sie können zuſammengerollt und in einem Kattunbeutelchen in die Taſche geſteckt werden, machen ſich folglich unter dem Hand - gepäck nicht ſo breit und ſperrig, wie gewöhnliche. In der heißen Jahreszeit laſſen ſich auch aus biegſamem Baſt oder Hanfbindfaden geflochtene Pantoffeln verwenden.

Knöpfe zum Einſchrauben, neuerdings in Kurz - waarenhandlungen zu haben, ſind beſonders für Unterkleider brauchbar und beſtehen aus einer kleinen, mit einer vor - ſtehenden Schraubenſpindel verſehenen und einer zweiten etwas größeren Scheibe, die auf jene feſtzuſchrauben iſt. Die Spindel wird in ein zu dem Behufe geſtochenes Loch links - ſeitig eingeſteckt und von der oberen Seite des Zeuges der Knopf angeſchraubt. Er klemmt ſich ſo feſt, daß die Auf - löſung von allem Uebrigen eher als von ihm zu befürchten iſt. Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae. Die Naturgeſchichte der Knöpfe kennt keine andere Species, welche dieſe achtungswerthe Eigenſchaft hätte.

Militärs haben das Nähzeug in der, auch für den Reiſegebrauch empfehlenswerthen compendiöſen Form einer etwa fünf Zoll langen hölzernen, fingerdicken Büchſe. Sie hat äußerlich ſechs Abtheilungen, um welche verſchiedene Sorten Faden gewickelt werden; ein Pflöckchen, auf das ein Fingerhut paßt, verſchließt das Innere, welches dünne und dicke Nähnadeln enthält. Jeder Drechsler kann eine Büchſe der Art in wenigen Minuten drehen. Wie der Kriegsmann, ſo ſoll auch der Touriſt, der ohne eigene Dienerſchaft reiſt, kleine Ausbeſſerungen an ſeinen Kleidern ſelbſt vorzunehmen verſtehen, ſo daß er nicht jeder Kleinigkeit halber fremde Hände ſuchen und auf ſie warten muß.

22II. Reiſeapparat.

Die Taſchengabel iſt nicht in großem Tafelformat und mit einem eben ſo ungeſchlachten, ſchweren Meſſer ver - koppelt, in der Art, wie ſie unſere Urgroßväter zu Jagd - partien mitnahmen, ſondern ein ſelbſtändiges Geräth, leicht, zierlich und taſchenmeſſerartig zum Auf - und Zuklappen ein - gerichtet, aus Silber oder Neuſilber, die Zinken, rundum glatt polirt, laſſen ſich nach dem Gebrauche leicht reinigen. Das Ding tritt ſeinen Vicariatsdienſt ſelbſtverſtändlich nicht an in Hotels, wo blankes Tafelgeräth vorliegt, ſondern erſt, wenn bei Tiſche die entſetzliche (!) gemeine deutſche Land -, Dorf - und Waldgabel erſcheint, mit ihrem rauhen ſchwarzen hölzernen oder hirſchhornenen Stiel und drei Eiſenzinken, deren innere unpolirte Seiten ebenſo wie der Stiel allen Reinigungsverſuchen hartnäckig widerſtehen.

Huthakenklammer: ein geſpitztes ſtählernes Häkchen, durch ein Gelenk mit einer elliptiſch ringförmigen Klammer verbunden, die durch Verſchiebung eines oben angebrachten kleinen Ringes geſchloſſen werden kann. In die Klammer wird der Rand der Hutkrämpe gefaßt und das Häkchen in die Wand des Wagens eingeſtochen oder beim Wandern, wenn man baarhäuptig gehen und den Hut nicht in der Hand tragen will, in die Weſte. In vielen Eiſenbahn - und anderen Wagen fehlt es häufig an Vorrichtungen zur Aufnahme der Hüte, was bei überfülltem Raume den Beſitzer in die läſtige Wahl drängt, den Hut auf dem Kopf oder in der Hand zu halten. Auch in manchen Wirthslocalen, z. B. faſt durchweg in italieniſchen Trattorien und Kaffeehäuſern; ſetzt man da den Hut auf Stuhl, Sopha, Tiſch, ſo findet man ihn regel - mäßig auf der Erde in kläglichem Zuſtande wieder. Dort pflegte ich meinen Hut am Fenſterrahmen vermittelſt des Häkchens zu befeſtigen, eine Erfindung, die mir beifälliges Gemurmel in verſchiedenen Sprachen eintrug.

Man hat runde Thermometer, in einer Art Uhr - gehäuſe und in der Weſtentaſche zu tragen; die Kugel mit Queckſilber iſt in der Mitte und die Röhre ſchlingt ſich in23II. Reiſeapparat.einer Spirale herum. Sie leiden aber häufig an Stockungen und Blähungen im Innern, deshalb ziehe ich die lange Form vor.

Aneroidbarometer: eine luftleere, elaſtiſch federnde Kapſel, mit einem Hebelwerke und einem durch daſſelbe in Bewegung geſetzten Zeiger. Das Ganze iſt nicht viel um - fänglicher als eine ſtarke Taſchenuhr, alſo leicht, bequem in der Weſtentaſche zu tragen und nicht ſo zerbrechlich wie die alten langen Queckſilberbarometer. Touriſtiſch iſt dieſe neue Londoner Erfindung trefflich zu verwerthen, denn der Zeiger gibt dem Bergſteiger jeden Augenblick Auskunft, wie hoch er geklommen. Ein ſolcher luftleerer, büchſenförmiger Baro - meter koſtete im Frühling 1869 in Deutſchlandfünfzehn Thaler.

Fernröhre gibt es jetzt ſehr leichte mit drei Auszügen. Da auf den beſuchteſten Höhepunkten große aufgeſtellt ſind, begnüge ich mich meiſt mit einem ſogenannten Opern - gucker. Für den Reiſegebrauch zu empfehlen iſt jene Art (Pariſer Erfindung: Jumelles) mittler Größe und leicht, auf welcher durch Drehen eines Rädchens drei Veränderungen der inneren Gläſer bewirkt werden können (Théâtre, Cam - pagne, Marine): eine für nahe Gegenſtände und im Theater zu brauchen, eine zweite für entferntere und eine dritte für ganz ferne. Auch können dieſe Operngläſer dienen, um im Dämmerlicht deutlicher weit zu ſehen.

Das Inſectenpulver kaufe man in einer wohl - berufenen Droguenhandlung, denn es muß aus dem in Perſienheimiſchen und dort gewachſenen Pyrethrum roseum bereitet und nicht zu alt ſein, wenn es ſeine inſectentödtende Kraft bewähren ſoll. Auch bei uns baut man jetzt die aſterartige Pflanze, aber ohne ihr jene Eigenſchaft erhalten zu können; ein Zuſatz vom hieſigen Product dient vielfach zur Ver - fälſchung des echten. Die gewöhnliche Art, mittelſt einer kleinen Kautſchukſpritze Abends das Bett einzuſtäuben, er - fordert eine ſtarke Verproviantirung, ich ziehe deshalb den Gebrauch der Eſſenz vor, mit welcher ich den Körper flüchtig24II. Reiſeapparat.betupfe, eine Operation von wenigen Minuten, und bin gefeit gegen Flöhe und Wanzen. Auch die Benetzung des Ge - ſichts, des Halſes und der Hände im Freien hält die Mücken ab. Die Eſſenz kann man ſich ſelbſt bereiten: auf 1 Theil Pulver 2 Theile Alkohol und 2 Theile Waſſer. Noch in der ſechsfachen Verdünnung mit Waſſer iſt dieſe Miſchung brauch - bar, wenn ſie aus echtem, friſchem Pulver gemacht wurde. Um beim Uebernachten im Freien die Mücken abzuhalten, pflegte ich im Orientneben mich eine lange glimmende Lunte zu legen, in deren Fugen Inſectenpulver geſtreut war.

Von ſogenannten Néceſſaires bin ich kein Freund, auch nicht von den neumodiſchen, die aus den Schaufenſtern ihren Haifiſchrachen uns entgegenſtrecken, mit ihren aus Büchschen, Käſtchen und Etuis gebildeten Zahnreihen. Jeder weiß am beſten, was ihm nothwendig und überflüſſig iſt, was er zu - ſammen, getrennt, zur Hand oder abſeits zu legen hat, in welcher Form und Größe er dies und jenes braucht. Ich finde es bequemer, die kleinen Geräthe nach den wechſelnden Bedürfniſſen unterwegs in Koffer, Reiſe - und Rocktaſchen zu vertheilen, Einiges davon in kleine Beutel, den Schwamm oder ſtatt deſſen einen türkiſchen Leinenlappen (mit hervor - tretenden Maſchen) in ein Gummifutteral (Wachstaffet iſt nicht haltbar), ebenſo die Seife in ein kleineres dergleichen, die Nagelſcheere trägt ein Lederhöschen, das Reiſekleid des Staubkammes iſt ein Saffian-Etui, in dem er ſo ſchmuck aus - ſieht, daß man’s ihm, wenn er ſich auch einmal auf den Früh - ſtückstiſch verirrt, kaum ſehr übel nimmt. Nicht in Gefäßen von Porzellan, Glas, Holz oder Pappe verwahre ich Zahn - pulver, Pommade, Rindertalg ꝛc., ſondern in verſchiedenfarbig lackirten kleinen Blechbüchſen, welche Unzerbrechlichkeit mit Leichtigkeit verbinden.

Der Revolver, wo er nicht jugendlicher Geckenhaftig - keit als Spielzeug, ſondern, durch örtliche Verhältniſſe bedingt, der Sicherung von Leben und Eigenthum dienen ſoll, gehört unter die Stücke des Reiſeapparats, die nie Parade machen:25II. Reiſeapparat.Nachts liegt er nicht offen auf dem Nachttiſch, ſondern unter dem Kopfkiſſen oder deſſen Stellvertreter, unterwegs ſteckt er in der Rocktaſche, nicht wie beim Opernräuber offen im Gür - tel. Das Zeigen der Bewaffnung kann freilich möglicher - weiſe ein Diebsgelüſt unterdrücken, noch leichter aber dieſes erſt rege machen oder gar in einen Mordanfall verwandeln.

Als Erſatz des fehlenden Thürverſchluſſes in Häuſern und Hütten von zweifelhafter Sicherheit ( Sicilien, Spanien, Orient) nehmen Manche ein fliegendes Schloß mit, deſſen beide in Pfoſten und Thür geſchlagene Theile durch Riegel oder Kette verbunden ſind; Andere verfahren noch einfacher: ſie bohren einen Nagelbohrer (man hat jetzt dies Geräth zum Zuſammenklappen mit einem Bügel, ähnlich wie die Taſchen - korkzieher) durch die Thür in den Pfoſten; wieder An - dere ziehen derartigen Behauſungen das Uebernachten im Freien vor.

Mit Rathſchlägen, wieviel Paar Strümpfe, Schuhe, Hemden ꝛc. mitzunehmen ſeien, verſchonen wir unſere Leſer, trauen ihnen auch hinlängliche Ueberlegung zu, um zu wiſſen, daß Jeder, der zu Erkältungen neigt, wohlthut, Vorſorge zu treffen, nach gründlicher Durchnäſſung die Kleider wechſeln zu können. Nicht ſo überflüſſig erſcheint es dagegen, an ein anderes Stück Reiſeapparat zu erinnern, wenn nämlich ein Land beſucht werden ſoll, deſſen Sprache wir nicht mächtig ſind. Viele begnügen ſich, ein Taſchenwörterbuch und eine Phraſeologie einzupacken, in der Hoffnung, daß alles Weitere ſich ſchon an Ort und Stelle aus der Praxis von ſelbſt er - geben werde , ohne zu ahnen, wie viel Verlegenheiten ſie ſich erſpart hätten und wie viel mehr Wünſchenswerthes ihnen zu Theil geworden wäre, wenn ſie wenigſtens ein paar hun - dert Vocabeln und ein paar Dutzend Phraſen im Kopfe mit - genommen hätten. Die Sache iſt auch für ein Veteranen - gedächtniß nicht ſo ſchwierig und ermüdend, als ſie ausſieht. Meine erſte italieniſche Reiſe wurde vier Tage nach dem Ent - ſchluß dazu angetreten und ich hatte nur Zeit, durch einige26II. Vocabeln und Sätze.Lehrſtunden mich ein wenig in der Ausſprache, der Declination und Conjugation zu üben. Noch vor dem Aufbruch ſchrieb ich aber aus einem kleinen Buche die Formen, Wörter und Sätze ab, welche ich wohlüberlegt für die nöthigſten hielt, ſteckte dies zu mir, verwandte auf deſſen Erlernung einen Theil der Zeit im Wagen und in den Gaſthöfen und war erſtaunt, wie raſch dies kleine Capital ſich umwälzte und vergrößerte. Ein Haupthinderniß bei jungen Leuten iſt die Zurückhaltung im Sprechen, aus Furcht, ſich durch Fehler lächerlich zu machen; eine tapfere Willensanſtrengung hilft ſchnell dar - über hinweg. Um das Ohr bald an die fremden Klänge zu gewöhnen, iſt eine gute Uebung, ſich öfter von einem Ein - gebornen langſam vorleſen zu laſſen und dabei mit den Augen dem Gedruckten zu folgen.

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III.

Reiſekleider § 1 des Codex turisticus Wäſcherinnen Barbiere ent - ſittlichende Eigenſchaften der Seife zur Kleiderordnung Lebensrettung Nothbehelfe in Robinſonverhältniſſen pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerve - ſyſtem Gepäck ſo wenig als möglich koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranz - gebühren Koſten Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe der Plaid und ſeine Verdienſte Plaidnadeln Kopfbedeckungen ſchon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe der Reinlichkeitsfana - tiker und ſeine Toilettengeheimniſſe zur Farbenlehre bergauf Copie nach niederländiſchem Original Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen erlaubte Beſcheidenheit Vorſichtsmaßregeln Fahrbillets Gepäckſcheine die ver - ſteckte Fahrkarte Werthſachen zu ſichern Diebe weitere Sicherheitsmaß - regeln Papiergeld Gold chirurgiſche Hilfe Goldmägen Verſiche - rungsſchein aus dem Wagen ſpringen todte Briefe Verluſte durch Zer - ſtreutheit Taſchen und abermals Taſchen Gedächtnißkrücken TailleurKrausé Handwerkerbildungsvereine fernere mnemotechniſche Krücken bei eiliger Abreiſe Friedrich der Verſchlafene Adreſſen und Erkundigungen ſchriftliche Aufzeichnungen Gedächtniß und Phantaſie Schreiben im Freien und im Fahren Cigarrenanzünden Zündhölzer ſchriftliche Notizen Reiſetagebuch Entwürfe und Ausarbeitungen.

Das Hemd iſt mir näher als der Rock, ſagt das Sprüch - wort. Näher noch als das Hemd iſt aber dem Touriſten et - was Anderes: Wolle. So mag denn auch dieſes Ca - pitel mit § 1 des Codex turisticus, Titel Kleiderordnung, be - ginnen, welcher lautet: Jedweder Touriſt, weß Standes und Alters er auch ſei, ſoll ſich mit wollenen Unterkleidern verſehen. Wer ohne ſolche auf anſtrengenden Fußwande - rungen oder längeren, dem Witterungswechſel ausgeſetzten Wagenfahrten betreten wird, hat das Leben verwirkt. Aus28III. Reiſekleider § 1 des Codex turisticus. den Annalen der Touriſtik geht nun zwar hervor, daß dies ſtrenge Geſetz nur ſelten nach dem Wortlaute vollzogen und ſelbſt ſchwere Delinquenten oft begnadigt werden zu lebens - länglichem Rheumatismus oder Lungenſucht, unter mildern - den Umſtänden wohl auch mit Bruſtentzündung, Grippe, Huſten, Zahnſchmerzen u. dergl., zuweilen ſogar ganz ſtraf - los wegkommen; auch abgehärtete Naturen ſind jedoch immer - hin nachdrücklich vor Märſchen in die Hochregionen (vgl. IV. ) zu warnen, wenn ſie den Oberkörper nicht durch Wolle auf bloßer Haut und die Füße durch wollene Strümpfe geſchützt haben, überhaupt iſt Jedem zu rathen, wollene Unter - kleider unterwegs ſtets zur Hand zu halten und ſie anzulegen auf allen Touren, die nicht blos aus Spaziergängen und kleinen gemächlichen Fahrten beſtehen, denn jede Erkältung iſt ein läſtiger Reiſegefährte. In den Tropenländern tragen bekanntlich die Europäer auf bloßer Haut niemals Leinen, ſondern entweder Calico oder leichte Wollſtoffe, ohne vor Hitze zu vergehen , wie es in unſerer gemäßigten Zone ge - meiniglich heißt, wenn von Neulingen gegen den Rath re - monſtrirt werden ſoll. Auch bei drückendſter Sonnenglut wandert es ſich ganz leidlich in einem weitärmeligen Flanell - hemd, während Rock und Weſte der Führer trägt oder der Wanderer ſelbſt über den Arm wirft und erſt wenn es nöthig wird wieder anlegt. Wer Flanellhemden ohne Weſte anzieht, läßt ein Uhrtäſchchen, eine zweite größere Taſche und Achſel - klappen, um Tragriemen feſtzuhalten, anbringen. Statt der hochrothen Garibaldifarbe, welche nicht Stand hält, wähle ich hellgrau. Hat man längere Zeit ununterbrochen Wolle auf bloßer Haut getragen, ſo läßt ſich ein Uebergang zur alten heimiſchen Gewohnheit mit einer Jacke von Seidenkrepp machen. Für die Behauptung der Fabrikanten, daß dieſer die nämlichen Dienſte leiſte, wie Wolle, will ich keine Bürg - ſchaft übernehmen, wohl aber dafür, daß er ſich noch ange - nehmer trägt, glaube ferner, daß es der Haut nur von Vor - theil ſein kann, wenn ſie nicht länger als noththut, durch29III. Wäſcherinnen Barbiere entſittlichende Eigenſchaften d. Seife.Wollengewebe, zumal dichte, enganſchließende, in ihren eigenen Dunſtkreis gehüllt, ſondern hinterher der atmoſphäriſchen Luft wieder mehr Zugang verſtattet wird. Aus dieſem Grunde ſind auch locker geſtrickte, ſehr elaſtiſche Wollenunterjacken zu empfehlen.

Für Flanellhemden, und zwar farbige, ſpricht noch eine andere Rückſicht. Unter die kleinen Leiden der Reiſe zählt nämlich auch die Abhängigkeit von Wäſcherinnen, deren Ver - ſprechungen ſich häufig ſo hohl und vergänglich erweiſen, wie die Seifenblaſen, die ſie in ihren Trögen aufwerfen. Sollte der Ausdruck leeres Gewäſch daher ſtammen? Hängt etwa die ſchaumige, ſchlüpfrige Natur der Seife damit zuſammen? Der Umſtand, daß ein anderes auf Seife gegründetes Ge - werbe, das der Barbiere, eben ſo wenig Wort hält, ſcheint darauf zu deuten. Während ich allgemeinen Betrachtungen über dieſe entſittlichenden Eigenſchaften der Seife nachhing, mehrten ſich die Fälle, daß ich durch Schuld von Wäſcherin - nen und Barbieren Bahnzüge, Poſten und Zuſammentreffen mit Gefährten verſäumte, einigemal mußte ich auch meine Hemden naß einpacken, ſo beſchloß ich endlich, meine ganze Aufmerkſamkeit auf die praktiſche Seite der Frage zu wenden. Trugen doch, ſagte ich mir, die Touriſten des Mittelalters, die Wallfahrer, wenn ſie ſich nicht etwa ſelbſt raſirten, Voll - bart und härenes Gewand, warum ſollten wir modernen Pil - ger nicht ihrem Beiſpiele folgen? Von heute an wird für die ganze Wander - und Fahrzeit der Bart von keinem Scheer - meſſer berührt und ein Flanellhemd angezogen, ein zweites in die Reiſetaſche geſteckt; jede Dorfwirthin, Magd, Sennerin kann erforderlichen Falles deren eines nebſt Strümpfen waſchen und am Feuer trocknen, alles vom Abend bis zum Morgen, und ſo wäre wenigſtens ein großes Stück jener Sclavenketten abgeworfen. Immer erſt, wenn ich an einem Orte bin, an dem ich den großen Koffer vorfinde und längere Zeit verweile, werden wieder weiße Hemden angethan, der Wäſcherin reichliche Lieferungsfriſt bewilligt und das letzte30III. Zur Kleiderordnung eine Lebensrettung.Ziel nie kurz vor die Abreiſe geſteckt, ſondern ſtets ein Reſpect - tag in die Rechnung aufgenommen. Geſagt, gethan. Hat man auf einer kleineren Excurſion ſich nicht gehörig vor - geſehen, z. B. auf einen heißen Tag gekleidet, und es thut ſich plötzlich ein eiſiger Nordoſt auf, ſo wird das nächſte Bauern - haus, eine Sennhütte, Felshöhle, Gebüſch oder ſonſtiges ge - ſchütztes Plätzchen aufgeſucht, die Reiſetaſche geöffnet, das Nachthemd unter das Oberhemd und was ſie ſonſt noch etwa hergibt, angezogen, z. B. ein Taſchentuch über den Baumwollſtrumpf geſchlagen u. dergl. m. Strenge Kleider - ordnung iſt überhaupt nicht aufrecht zu halten, der Codex turisticus geſtattet ſogar als Nothwehr ſchwere Gewaltthaten. Einen Commentar zu dieſem Paragraphen mag folgendes Geſchichtchen liefern.

Vor geraumer Zeit machte gleichzeitig mit mir die Tour über’s Stilfſer Joch ein junges Ehepaar, um den Comerſee zu beſuchen. Wir waren zuſammen in Meranbei herrlichem Wetter in den Wagen geſtiegen, je mehr wir uns aber dem Paß näherten, je rauher wurde es. Das Geſpräch ſtockte, die Geſichter erbleichten, die Naſen errötheten. Der Mann, der am meiſten fror, war leicht gekleidet und hatte, obwohl offenbar kränklich, wie ſich ſpäter ergab, im Rauſche des Flitterwochenglücks, ſein ganzes Gepäck vorausgeſchickt, und bei ſich außer ſeiner Liebe nur Kleinigkeiten, z. B. ein Thermo - meterchen, das zwei Grad über Null nachwies, und eine Taſchenausgabe von Seneca. Nicht einmal mit einem Plaid war der Unbeſonnene verſehen! Weder die Philoſophie des Hispaniers, noch die Pracht der uns umgebenden Bergland - ſchaft konnte ihn vom Zähneklappern abhalten. Wir waren jetzt oberhalb Trafoi, von menſchlicher Hilfe weit entfernt. Auf Seite des Weibleins verſtohlenes Weinen über das Leid und die Gefahr des Gatten, denn ſie ſelbſt verſicherte, nichts von Kälte zu ſpüren, nur ein bischen kalte Füße. Meinen Vorrath von ſchlechten Wärmeleitern hatte ich bereits im eigenen Nutzen ziemlich erſchöpft, und von verfügbaren fanden31III. Eine Lebensrettung.ſich in meiner Machtſphäre nur noch ein Paar kurze und ein Paar lange Wollenſtrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht ſeit jeher die Achtung vor conſtitutioneller Freiheit höheren Staatsrückſichten, ſo warf ich mich denn ohne viel Widerſtand zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs - maßregeln. Die kurzen Strümpfe wurden über die Stiefe - letten gezogen, die langen vermittelſt einiger Plaidnadeln in den Hemdärmeln befeſtigt und, nachdem ſie unten aufgeſchlitzt, Hände und Arme durchgeſteckt, ſo daß ſie Aermel bildeten. Endlich fand ſich noch im Strickbeutel der Frau eine beinahe fertig geſtickte Tiſchdecke, die es ſich gefallen laſſen mußte, um die Beine des Frierenden gewickelt und mit Bindfaden be - feſtigt zu werden. Schon während der Vorbereitung hellten ſich die Mienen erſt des Mannes, dann der jungen Gattin auf, und kaum war dieſer durch unſere vereinten Anſtren - gungen geborgen, als, zum großen Vortheil der Wärme - entwickelung, ein langathmiges dreiſtimmiges Gelächter ent - ſtand. Von Neuem praſſelte es auf, als ich, um alles Ver - wendbare auch zu verwenden, zwei roſenrothe Briefe, die ſich noch vorfanden, beſtimmte, über die weißbaumwollene Hülle der beiden weiblichen Füße geſchlagen zu werden. Zuerſt hielt man es für Scherz, der Mann machte verſchiedene an - zügliche Bemerkungen über unumſchränkte Gewalt und ihre Gefahren, wie unwiderſtehlich ſie zu Mißbräuchen auch ſonſt gute Menſchen reize, demonſtrirte, daß Nero, ſo lange er unter Aufſicht Seneca’sgeſtanden, ein ſanfter, liebenswürdiger Jüngling geweſen und erſt ein Scheuſal geworden ſei, als er den ganzen Erdkreis zu ſeinen Füßen geſehen habe. Nicht um Nero’sFüße und ſeine Rettung handelt es ſich aber jetzt, unterbrach ich, ſondern um die Ihrer Gemahlin. Kraft meiner Dictatorwürde befehle ich, daß Sie die Briefe ihr zu Füßen legen, während ich aus dem Wagenfenſter ſchaue. An den Geſichtern der Gatten, die jetzt ſahen, daß es mein Ernſt war, konnte ich nicht recht erkennen, ob ſie mich für plötzlich verrückt geworden oder nur für ſehr läppiſch hielten, oder ob32III. Nothbehelfe in Robinſonverhältniſſen.ihnen die Zweckmäßigkeit der Maßregel einzuleuchten anfing, kümmerte mich auch nicht weiter darum, ſondern kehrte ihnen den Rücken und betrachtete den Gletſcher, der mich wieder an - blickte, wie ein Potentat den andern, hörte bald darauf Pa - pier raſcheln und nach wenigen Minuten war Alles in Ord - nung. Neues Gelächter, neues Geplauder. In Bellaggiotrennten wir uns. Am nächſten Chriſtfeſt überraſchte mich ein Paket aus Deutſchland, welchem ich zwei Briefe, die weitere Aufklärung gaben, und eine Schreibmappe entnahm, deren Deckel eine bildliche Darſtellung der erzählten Scene enthielt, rundum in gobelinartiger Stickerei einen Lorbeer - kranz und die Worte: Dem Retter meines theuren Eheherrn.

An Hiſtörchen der Art war unſer Reiſeſchulmeiſter uner - ſchöpflich. In der Regel ſchienen ſie darauf berechnet, einen Paragraphen ſeines Geſetzbuchs anſchaulich zu machen oder einzuſchärfen und ſchloſſen mit einer Sentenz oder einem Sprüchwort. Hin und wieder fügte er in dogmatiſchem Tone allgemeine Betrachtungen hinzu, wie z. B. hier.

Je mehr wir reiſen, je häufiger iſt Gelegenheit und zugleich Urſache, das zu lernen und zu üben, was wir to make shift nennen: ſich zu helfen wiſſen, ſich durchſchlagen, denn die Reiſe verſetzt uns oft in Robinſonverhältniſſe und da gilt es, das alte deutſche Sprüchwort zu beherzigen, Alles zu brauchen, wozu es gut iſt, mit andren Worten, von der breiten Bahn des Gewohnten, ſobald ſie uns nicht zum Ziele führt, abzugehen und neue Wege zu ſuchen. Stücke des In - ventars mögen zum Opfer fallen, indem man ſie zu einem ihrer urſprünglichen Beſtimmung fremden Zwecke benutzt; denn: keine Omelette ohne zerbrochene Eier. Ein für alle - mal bemerke ich aber, daß ich Euch, Ihr Herren, nicht zu gedankenloſen Nachahmern, ſondern zu ſelbſtändigen Reiſe - virtuoſen zu erziehen wünſche, deshalb fordere ich ausdrück - lich auf, keinem meiner Rathſchläge blindlings zu folgen. Ich wäre ein ſchlechter Pädagog, wenn ich nicht auch hier und da darauf ausginge, Eure Aufmerkſamkeit, Euren Scharfſinn und33III. Pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung.Erfindungsgeiſt zu prüfen und zu ſpornen. Ueberdies gehört das Aufſpüren neuer Nothbehelfe, mögen ſie auch an’s Abenteuerliche ſtreifen, unter die Erheiterungen des Reiſe - lebens und unter die Dinge, von denen ſich am häuslichen Herde gar luſtig erzählen läßt. Je öfter Euch Beſſeres ein - fällt, als Eurem alten Lehrer, um ſo ſtolzer macht Ihr dieſen auf Euch. Paßt mir alſo nur gehörig auf den Dienſt.

Der Herausgeber würde nun zwar dem Leſer gegen - über ſolche pädagogiſche Attrapen um keinen Preis wagen, dennoch könnte es ihm ohne Wiſſen und Willen begegnet ſein, indem er Worte des Meiſters, die nicht für die Oeffentlichkeit beſtimmt waren, hier niederſchrieb. In Fällen der Art möge nur der ganze Unwille oder Spott des Leſers auf mein Her - ausgeberhaupt fallen, aber Niemand an der Reiſeweisheit des Lehrers zweifeln. Und nun zurück zu Schränken und Commoden, Schneidern und Tuchhändlern.

Zum Hauptanzug für die Reiſe wählt der Touriſt von Fach am liebſten eine der in zahlreichen Schattirungen und Muſtern vorhandenen Miſchungen von weißer und ſchwarzer Wolle, ohne Zuſatz von Farben, die dem Verſchießen unter - liegen (wie z. B. Anilin oder dem ſogenannten freundlichen Grau, das bald einen grünlichen Schimmer annimmt), ein Ge - webe aus reiner, neuer Wolle, keinen Shoddy, weder zu locker und luftig, noch ſo dicht und ſchwer, daß es bei großer Hitze unerträglich wird. Das Zeug kann man nahezu waſſerdicht (nicht luftdicht) bereiten laſſen*)Es gibt dafür eigene Fabriken, die das Verfahren als Geheimniß behan - deln. Fehlt es an einer ſolchen, ſo wird folgendes Recept empfohlen. 1 Pfund Leim und 1 Pfd. Kernſeife werden in 1 Pfd. kochenden Waſſers gelöſt, nach und nach Pfd. Alaun zugeſetzt und die milchige Miſchung bis zum Sieden erhitzt, die Stoffe mit derſelben, bevor ſie ganz erkaltet iſt, getränkt, zum Trocknen auf - gehängt ohne ſie auszuringen, ſchließlich gewaſchen, gerollt und verarbeitet.. Ganz leichte Sommer - ſachen zur gelegentlichen Benutzung an Orten, wo verweilt wird, im Koffer bei ſich zu führen, iſt Niemand verwehrt, zum Hauptreiſeanzug taugen ſie nicht.

334III. Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerveſyſtem.

Da Unterkleider Umfang und Gewicht des Gepäcks weni - ger als Oberkleider vermehren und mehr leiſten, ſo kann man dieſen letzteren, wo es ſich um Reductionen handelt, leicht viel abbrechen, wenn nur jenen ein Weniges zugelegt wird.

Die Joppe, bei längerem Aufenthalt in Gebirgsorten und kleinen Ausflügen recht verwendbar, reicht als Haupt - rock unterwegs nicht aus, weil das Lodenzeug zu locker iſt, um gehörig Stand zu halten, wenn’s einmal hart hergeht, und das Ding in ſeiner Knappheit und Kürze zu wenig Raum für Taſchen bietet. Auf alle Fälle laſſe man deren zwei oder drei übereinander mit Knöpfen verſehen äußerlich vorn an der Bruſt und innerlich zwei größere Seitentaſchen an - bringen.

Von den Knöpfen der Beinkleider, an denen der Hoſen - träger befeſtigt wird, laſſe ich eine doppelte Garnitur an - nähen, ſtatt ſechs alſo zwölf, ſo daß, wenn einer abreißt, ſein Stellvertreter ſchon bereit iſt und in den Dienſt tritt. An dieſe Knöpfe ſei gleich eine Bemerkung über das Reſerve - ſyſtem geknüpft, welches in der Touriſtenpraxis ſo gut ſeine Rolle ſpielt, wie überall. So nimmt der Vorſichtige für län - gere Reiſen (vergl. S. 19) von den ihm nöthigſten, nicht umfänglichen und ſchwer wiegenden Dingen, namentlich ſol - chen, die dem Verluſt, dem raſchen Verbrauch oder der Be - ſchädigung ausgeſetzt und nicht allerwärts leicht zu kaufen ſind, etwas über den nächſten Bedarf mit, denn Vieles kauft ſich zu Hauſe beſſer, Anderes iſt nicht zu haben, wo man es gerade braucht, endlich die Zeit an fremden Orten nützlicher zu verwenden, als in Läden und Magazinen. Die vielwieder - holte Reiſeregel: Gepäck ſo wenig als möglich, erleidet alſo hierdurch eine Einſchränkung.

Ueberhaupt gehört der Satz ſo allgemein gefaßt gar nicht in den neueren Reiſecodex und ſcheint nur eingeſchwärzt aus irgend einem alten Wanderbüchlein für Handwerksburſchen. Soll durchaus ein Geſetz daraus werden, ſo könnte ich in Erwägung, daß alles Gepäck unterwegs dem Verluſt und35III. Koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranzgebühren Koſten.Verderben ausgeſetzt iſt und entweder die Schultern oder durch Porti und Trägerlöhne das Budget belaſtet; letztere ziemlich hoch auflaufen können, wenn das Transportmittel häufig gewechſelt und lange gereiſt wird (wie z. B. auf einem achtwöchentlichen Streifzug durch die Schweizund Ober - italien, bei welchem eine erkleckliche Anzahl Bahnhöfe, Dampf - boot -, Poſt -, Omnibusbureaux, Führer, Träger und Haus - knechte betheiligt ſind); weil ferner ein Pfund mehr oder minder ſich bei längerem Tragen ſchon recht fühlbar machen kann; ſehr viel Gepäck endlich die Wirthsrechnungen ſteigert (vergl. VI. ) meine Stimme höchſtens zu folgender Faſſung geben: Jeder, der nicht alles Ueberflüſſige und Leichtentbehr - liche zu Hauſe läßt, verfällt in eine Geld - oder verhältniß - mäßige Körperſtrafe (vergl. S. 28). Alles das iſt aber ein ſo handgreifliches Naturgeſetz, daß ich für gänzliche Streichung dieſes Paragraphen votire.

Daß es nicht räthlich iſt, für Kleiderſtoffe und Geräthe, die unterweges ſchweren Dienſt thun ſollen, das Wohlfeilſte auszuſuchen, oder Altes Halbverbrauchtes als gut genug für die Reiſe zu betrachten, ſpringt nicht minder in die Augen. Sagt doch ſchon das alte Sprüchwort: Wohlfeil koſtet viel Geld. Das Alles, wie ferner die Mitnahme einer alten Auflage des Reiſehandbuchs und Eiſenbahncoursbuchs, oder der gänzliche Verzicht auf dieſe kleinen rothen und gel - ben Rathgeber, zählt unter die koſtſpieligen Erſpar - niſſe. Ueberhaupt gilt die Regel, daß in Anſehung aller Vorbereitungen kleine Ausgaben in Zeit, Geld und Mühe willig und am rechten Orte jeder zu übernehmen hat, der größeren Aufwand in dieſen drei Valuten unterwegs ver - meiden will. Wer jene billigen Aſſecuranzgebühren aus Eil - fertigkeit, Geiz oder Trägheit nicht tragen mag, darf ſich nicht beklagen, wenn ihm die Ernte verhagelt.

Mit der vielfach gedruckten Mahnung, nicht zu wenig Geld, ſondern mindeſtens ein Drittel des Koſtenanſchlags darüber hinaus als Reſervefonds mit auf die Reiſe zu nehmen,3*36III. Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe.wagen wir unſere Leſer ebenſo wenig zu behelligen, ſie werden das Erforderliche ungemahnt thun. Für Nothfälle gibt es jetzt Poſtanweiſungen, die herbeitelegraphirt werden können.

Die Taſchen müſſen geräumig und an allen den Angriffen ſtark ausgeſetzten Punkten wohl befeſtigt ſein. An ſolchen ſtrategiſchen Pointen, z. B. den auswendigen unteren Ecken der Rock - und Hoſentaſchen, hat der Schneider beſondere for - tificatoriſche Werke anzubringen, ſogenannte Riegel, welche aus einem etwa ½ Zoll breiten und ½ Linie dicken ſeide - nen Wulſt beſtehen, der dicht unter der Ecke quer vor liegt.

Hier und da ſieht man Alpendilettanten, Tiroler und Bergſchotten nachahmend, Beinkleider tragen, die das Knie nackt laſſen. Die Tracht erleichtert allerdings das Klettern, verurſacht jedoch Ungewohnten oft Erkältungen und ſpröde, brüchige Haut, eine Unannehmlichkeit, die nicht dadurch auf - gewogen wird, daß an den Knien bald eine blühende Geſichts - farbe erſcheint und alle Augen auf ſie gerichtet ſind.

Gegen Näſſe ſchützt die Füße wohlpräparirtes Schuh - werk mit Doppelſohlen (vergl. IV.); Gummiſchuhe ſind un - touriſtiſch, denn auf ſteinigen Wegen zerreißen ſie und auf Eisfeldern vermehren ſie die Gefahr des Ausgleitens. Auch abgeſehen davon liebe ich die Gummiſchuhe nicht, denn ihr Druck iſt, wie der indirecter Steuern, anfangs kaum fühlbar, wird aber nach Verlauf einiger Zeit um ſo empfindlicher, außerdem beeinträchtigen ſie die Ausdünſtung und den Blut - lauf. Curgäſten, namentlich im Seebade, ſoll indeß damit ihr Beſitz nicht verleidet werden. In Bezug auf Schutz des übri - gen Körpers gegen Näſſe ſchreibt die touriſtiſche Kleider - ordnung nichts Beſtimmtes vor. Manche führen einen Regen - ſchirm, Andere haben Ueberzieher von Mackintoſhzeug oder von gummirtem Taffet, welche letztere in der Rocktaſche unterzubringen, aber theuer und wenig haltbar ſind. Noch Andere begnügen ſich nach Art der londoner Conſtabler mit Kragen von waſſerdichtem, ſteifem Zeuge, die etwas über die37III. Der Plaid und ſeine Verdienſte.Achſeln vorſtehen; fällt der Regen manierlich und ſenkrecht nieder, ſo thun ſolche Kragen immerhin gute Dienſte, denn ſie leiten die Rinnſale nur zum Theil auf die Knie, die Haupt - maſſe fließt nebenbei zu Boden. Ich trage waſſerdicht be - reiteten Rock und Hoſe, oder benutze, wie in allen Fällen, wo ich mir nicht anders zu helfen weiß: den Plaid.

Das Kameel leiſtet dem Sohn der Wüſte, das Rennthier dem Lappen, das Bambusrohr dem Oſtaſiaten nicht wichtigere und mannigfaltigere Dienſte, als der Plaid dem Touriſten. Von der Univerſalität dieſes wirklichen Reiſenéceſſaires der nur ſogenannten ward bereits gedacht hatte ich ſelbſt früher nur ſehr unvollkommene Begriffe, obwohl ich eins ſchon ſeit Jahren in Gebrauch gehabt. Da ſaßen einmal in unſrem Club eine Anzahl Vielgereister um den großen runden Tiſch verſammelt, als Mr. G., der Weltumſegler, ſich erhob und eine Anſprache hielt, die auf den Vorſchlag eines Geſell - ſchaftsſpiels oder Wettkampfs hinauslief, und einer beſonderen Liebhaberei der meiſten Mitglieder, Ausbildung der Reiſe - technik, Vorſchub zu leiſten beſtimmt war. Etwas der Art wurde denn auch in’s Werk geſetzt, jedes Mitglied ſchrieb auf einen Zettel alle Weiſen der Plaidbenutzung, die ihm ein - fielen, worauf die Blätter vorgeleſen und abgeſtimmt ward, wieviel Stiche jeder gemacht hatte, Strafen für frivole An - gaben verhängt einige sporting characters waren unter uns, die es darauf angelegt hatten, in Strafe zu fallen, auch wurde manche luſtige Geſchichte erzählt und viel gelacht und auf der Grundlage ſchließlich der Matricularbeitrag eines Jeden für die Bowlen, die an dem Abend geleert wur - den, feſtgeſtellt. Den reiſetechniſchen Reingewinn dieſes Spiels habe ich nachträglich ermittelt und gebe ihn hier auszüglich.

Der Plaid kann alſo dienen zum: Schutz gegen Kälte, Regen, Wind, Sonne, Menſchenaugen, als Mantel, Ueber - rock, lang talarartig über den ganzen Körper oder kurz ge - faltet für einzelne Theile, beides in verſchiedenen Varia -38III. Plaid Plaidnadel.tionen, als Poncho (mit einem Schnitt in der Mitte, um den Kopf durchzuſtecken, und Knöpfen), als Schoosdecke, Fußſack, Bettdecke, Betttuch, zum Erſatz oder zur Erhöhung des Kopf - kiſſens oder Bedeckung eines unſaubern Kiſſens oder Lakens, gerollt oder zuſammengeſchlagen zur Erhöhung niedriger Sitze beim Schreiben und Clavierſpielen, als Polſter für kalte Steine, naſſen Raſen, als Sattel beim Reiten, gerollt als Schlummerkiſſen, einen Zipfel über den Kopf gezogen als Mütze, im Freien lang ausgebreitet als Schutz gegen Feuchtigkeit oder Ameiſen beim Liegen, als Schirmwand, Zelt - decke, Gardine für Stuben - oder Wagenfenſter, als Segel, geſchnitten als Cholerabinde; mittels Bindfaden läßt er ſich auch zum Torniſter umgeſtalten oder zum Seil winden, um daran einen Felſen hinabzuklettern; endlich noch als Hand - tuch, Kehrbeſen, Kaffeeſieb, Waſſerfilter und Trinkbecher.

Der Plaid darf durch ſein Gewicht den Wanderer, deſſen ſteter Begleiter er iſt, nicht beläſtigen; ich benutze deshalb in der Regel einen der ſtärkeren Damenplaids von feiner Wolle, dünnem und dichtem Gewebe. In den Fällen, in welchen eine ſolche Hülle nicht genügt, läßt ſich, wenn man nicht einen zweiten, ſchweren mit ſich führen will, anderweitig ſorgen, z. B. durch einen ſogenannten Wetter - mantel, wie man ihn in Tirolund Oberbayernfür etwa vier Gulden kauft. Es iſt dies ein bis an die Knie reichender Kittel von grobem, locker gewebtem, braunem Lodenzeug; leicht, aber doch ziemlich warm, vermag er auch eine Zeit lang den Regen abzuhalten.

Die Plaidnadel (Sicherheits - oder Ammennadel), auch ein Kind der Neuzeit, bildet jetzt in faſt jedem Nadler - laden einen Stapelartikel. Weil ſie brocheartig mit einem Ver - ſchluß eingerichtet iſt, hat ſie vor der gewöhnlichen Stecknadel voraus, daß ſie nicht wie dieſe jede unvorſichtige Berührung blutig rächt, ferner nicht beim geringſten Anſtoß treulos ihren Poſten verläßt, muß mithin zu den Gegenſtänden39III. Kopfbedeckungen.gezählt werden, von denen der gute Touriſt eine reichliche Anzahl in verſchiedenen Größen mitnimmt.

Unter den Kopfbedeckungen die allerunbrauchbarſte iſt der Filzcylinder, und da ſelbſt die ſtrenge ſixtiniſche Capelle von ihren Gäſten an den höchſten Kirchenfeſten nur einen Frack und keinen capello francese verlangt, ſo gibt es keine Entſchuldigung für die Mitnahme dieſes ſteifen, hohlen Ge - ſellen, dieſer Krone aller häßlichen Männermoden, dieſem Gipfel geſpreizter Geckenhaftigkeit, der Hand in Hand mit ſeinem ebenſo abgeſchmackten und philiſtröſen Herrn Amts - bruder, dem Frack, einem Jahrhundert nach dem andern Trotz bietet, fort und fort die Form wechſelnd, aber un - ausrottbar, unbeſieglich, wie die menſchliche Thorheit und Eitelkeit ſelbſt. Sollteſt Du, lieber Leſer, Candidat oder Referendar ſein und Deinen Superintendenten oder Miniſter zu treffen hoffen reſp. fürchten, oder ſollten der hochverehrte Leſer Excellenz, Durchlaucht, Hoheit, kurz ſollten Rückſichten auf fremden oder eigenen Rang zu nehmen ſein, ſo ſei der Antrag geſtattet, einen Klapphut, ſogenannten Gibus, zu wählen, der in den Koffer gelegt wird und kein beſonderes Collo bildet, denn viele Gepäckſtücke mit ſich zu führen, iſt untouriſtiſch. Ein weicher niedriger Filzhut wird ſich ſtets als zuverläſſiger, anſpruchsloſer Gefährte erweiſen. Die Verdienſte des Strohhuts werden im Allgemeinen zu hoch angeſchlagen, wenigſtens iſt er als einziger Reiſehut zu ver - werfen. Allerdings tragen ihn Tauſende von Creolen im tropiſchen Amerika, dieſes leichtblütige, ſorgloſe Völkchen darf uns aber nicht zum Muſter dienen; die bedächtigen Südaſiaten und Nordafrikaner, die darin eine mehrtauſend - jährige Erfahrung hinter ſich haben, ziehen ſämmtlich Kopf - bedeckungen vor, die zwar ſchwerer wiegen und wenig Luft, dafür aber auch keinen Sonnenſtrahl durchlaſſen. Da indeſſen der kluge Arzt an Patienten Grillen, die nicht allzu ſchädlich ſind, duldet, auch ein Autor Urſache hat, mit ſeinen Leſern galant zu verfahren, ſo erlaubt unſere Reiſeſchule nicht nur den40III. Schon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe.Ankauf eines breitkrämpigen Panamàhuts, der ſich zuſammen - falten und einpacken läßt, ſondern fügt ſogar noch gute Rath - ſchläge bei. Dient ein ſolcher Hut in heißer Mittagsſonne, ſo lege der Wanderer ein weißes Taſchentuch hinein, von dem ein Zipfel vorn umgeklappt iſt, ſo daß er das Hutfutter von der Stirn trennt; das Werk wird den Meiſter loben, ohne daß von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß. Manche legen auch graues Löſchpapier in den Hut.

Im Eingang dieſes Capitels wurde vom exact touriſtiſchen Standpunkte den farbigen Flanellhemden das Wort geredet und von weißer Wäſche in einer Weiſe geſprochen, welche zartbeſaiteten Gemüthern anſtößig erſcheinen konnte. Wenn ich nun bedenke, wie lange ich ſelbſt brauchte, um mich mit Wolle auf bloßer Haut zu befreunden, ferner, daß es Menſchen gibt, deren Lebensglück eng verknüpft iſt mit weißer Wäſche bekanntlich iſt das Glück etwas Subjectives und läßt ſich nicht ſo leicht auf logiſchem Wege von den oft gering - fügigen Objecten löſen, an die es ſich einmal geheftet hat, mag man auch noch ſo viel predigen über die kurzlebige Tyrannei einer Gewohnheit wenn ich alles das in Betracht ziehe, fühle ich ein menſchliches Rühren. So will ich denn nicht zurück - halten mit der folgenden Erzählung. Möchte ſie denen Troſt bringen, die aus der Hand ihrer Mutter die Lehre haben, daß ein reines Herz auch ſtets von einem weißen Hemd gedeckt ſein müſſe, außen blank und innen rein, und dieſe Lehre nun als ein heiliges Vermächtniß für’s Leben betrachten. Möchte ſie ferner darthun, daß die Alphabetsnachbarinnen Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe zwar nicht eben Schweſtern oder vertraute Freundinnen ſind, aber doch auch nicht, wie Manche wähnen, geborene oder geſchworene Antipoden ſein und bleiben müſſen. Nein, geliebte Mittouriſten, ich kann Euch beruhigen: es läßt ſich ein modus vivendi finden, welcher der Reinlichkeit, dieſem häuslichen Bürgermädchen, erträglich iſt, und dem ſich auch jene etwas emancipirte Dame, die Reiſeluſt, allenfalls fügt.

41III. Der Reinlichkeitsfanatiker und ſeine Toilettengeheimniſſe.

Ich will nämlich von einem Holländer erzählen, deſſen Bekanntſchaft ich einſt in Tirolmachte und der ein wahrer Reinlichkeitsfanatiker war, aber dabei dennoch viel und mit Paſſion reiſte. Die beiden Leidenſchaften erfüllten den Mann ganz und gar, und es war ihm in der That ge - lungen, einen Compromiß für ſie zu finden. Geraume Zeit ſchon waren wir ſelbander gewandert, geklettert, gefahren, geritten, hatten nirgend länger als eine Nacht geraſtet, als es mir auffiel, daß, obwohl auch er nur eine Jagdtaſche von mäßigem Umfang bei ſich führte, er doch bei jeder unſerer gemeinſchaftlichen Mahlzeiten ſtets in einem Hemd erſchien, das in allen ſichtbaren Theilen ſalonfähig ſauber war. Auf meine Frage, wie er das anſtelle, ſuchte er anfangs mit Scherzen auszuweichen, offenbar befürchtete er Neckereien. Als er jedoch ſah, daß ein alter Fuchsjäger, wie ich, nicht ſo leicht zu ermüden, noch von ſeiner Fährte abzulenken iſt, ließ er ſich endlich vernehmen.

Zur Strafe für Ihre Neugierde ſollen Sie nun aber auch in alle meine Toilettengeheimniſſe eingeweiht werden, und je mehr Sie ſich dabei ennuyiren, je lieber wird es mir ſein. Es hat Ihnen nicht entgehen können, daß von den größeren und wohlhabenden Culturvölkern Europa’sdie Niederlandeverhältnißmäßig das ſchwächſte Contingent liefern zum allgemeinen Touriſtenheere. Einige ſehen darin Träg - heit, oder Geiz, oder eitle Selbſtgenügſamkeit und was weiß ich Alles: ich behaupte, daß die Urſache eine andere iſt, und wir ſie nur aus Höflichkeit und Klugheit verſchweigen, denn wir haben ringsum Alles gegen uns. Sie fordern meine Aufrichtigkeit heraus, wohlan, ſo wiſſen Sie: die Luſt am Reiſen wird uns Holländern dadurch verdorben, daß unſere Anſichten und Gewohnheiten in Bezug auf Reinlichkeit von der ganzen übrigen Welt nicht getheilt, ſondern beſpöttelt und mit Füßen getreten werden, außerdem ſchon die Reiſe an und für ſich die Uebung dieſer Tugend ſehr erſchwert. Ich bin unter den Ausnahmen, bei denen der Zug nach der42III. Zur Farbenlehre.Ferne überwog, deſto mehr ſtellte ich es mir nun zur Auf - gabe, nach der Seite der Sauberkeit unterwegs das äußerſt Mögliche zu thun. Ein Stück Seife und ein kleines Tuch zum Abtrocknen führe ich ſtets bei mir und ſorge damit für Kopf und Hände. Um das Hemd unterwegs in präſentablem Zuſtande zu erhalten, es wenigſtens vor dem tiefſten Elende zu bewahren, bedarf es ſchon mehr Sorgfalt, oder ſagen wir Pedanterie. Vor Allem müſſen die Stoffe zu Weſte und Rockärmelfutter klug gewählt ſein, denn ſie beſonders lieben, das Strahlende zu ſchwärzen und das Erhab’ne in den Staub zu zieh’n. Beim Einkauf prüfe ich durch Reiben mit einem weißen Tuche, ob der Stoff farbenfeſt iſt. Schwarze und ſehr dunkle Wollenzeuge ſind es faſt nie, ich wähle deshalb lieber mittelfarbige, auch für das Futter der Aermel und der Taſchen Grau, denn Weiß ſchmutzt paſſiv zu leicht, wie Schwarz activ. Unter letzter Eigenſchaft leiden außer Hemden auch weiße Schnupftücher und Mundvorräthe, welche letztere man zuweilen genöthigt iſt, der Taſche uneingewickelt an - zuvertrauen. Eine meiner Rocktaſchen iſt deshalb ausſchließlich ihnen gewidmet, ſo daß nie derſelbe Ort, den geſtern ein mineralogiſcher oder zoologiſcher Fund einnahm, heute einem Butterbrod angewieſen wird, morgen Büchern und Hand - ſchuhen, und jeder Nachfolger die Hinterlaſſenſchaft ſeines Vorgängers pure antritt. Dieſe Taſche wird zuweilen ge - waſchen. Soviel zur Farbenlehre. Sogenanntes engliſches Leder, ein feſtes, dauerhaftes Gewebe, eignet ſich zu Taſchen von Reiſekleidern beſſer, als Kattun. Meine Hemdkragen ſind zum Anknöpfen, ſo daß ich bequem wechſeln kann, und zwar erſchrecken Sie nicht auf beiden Seiten zu tragen, alſo oben und unten von gleicher Leinwand; in Städten greife ich auch wohl zu amerikaniſchen Papierkragen. Die Manſchetten ſind angenäht und zwar doppelt und von der althergebrachten Art, nicht von der neumodiſchen mit Metall - knöpfen, von einer Pariſer Chemisière et Blanchisseuse de fin eigens für ihre Zwecke und zur Plage der Träger erſonnen. 43III. Bergauf Copie nach niederländiſchem Original.Die untere meiner Manſchetten wird zuerſt lang ausgeſtreckt getragen, während die obere ſich nach der andern Seite, die Pulsadern umſchließend, behaglich und unangefochten dehnt; ſobald der Saum der erſteren eine unliebſame Schattirung annimmt, wird er in die Verborgenheit zurückgefaltet und an ſeine Stelle tritt eine Falte von blendender Weiße; ver - liert auch ſie ihre Reinheit, ſo wird die ganze Manſchette aus der Oeffentlichkeit entfernt und führt nun ein zurück - gezogenes Leben, wie bisher ihre Zwillingsſchweſter, nur über dem Hemdärmel, während die letztere jetzt denſelben Curſus durchzumachen hat. Jede der beiden Manſchetten hat am Saume, wo ſie am Bund angenäht iſt, einen Knopf, der nur geöffnet zu werden braucht, wenn beide ganz zurück - geſchlagen werden ſollen. Zu dieſem fünften Modus greife ich in Staub - und Rußatmoſphäre. Wer auf Geputztheit hält, mag Doppelmanſchetten zum Anknöpfen wählen. Wie Sie ſehen, ſind meine Hemden nicht aus feinſtem Leinen, zur Erhöhung ihrer Widerſtandskraft inmitten der Drangſale, die ſie von Seiten eiliger, unbarmherziger Gaſthofs - und Dorfwäſcherinnen zu erdulden haben, auch ſehe ich darauf, daß an dem Bruſtſtück weder ſogenannte Hohlnähte noch Streifen des einfachen Zeugs vorkommen, ſondern überall dieſes doppelt oder dreifach liegt. Zum Schutz der Hemden gehört endlich, entweder keinen Bart zu tragen, oder den Schnurrbart kurz zu halten und den Kinnbart täglich mit dem Handtuche gründlich zu bearbeiten.

Mein holländiſcher Freund hielt nur zu redlich Wort und weihte mich in ſeine tiefſten Toilettengeheimniſſe ein, zur Strafe meiner Neugierde . Es half mir nichts, daß ich hier und da ſeinem Lehreifer Einhalt zu thun ſuchte, indem ich ihn aufmerkſam machte, daß wir bergan oder dem Wind entgegen gingen, für welchen Fall eine alte Wanderregel das Sprechen verbietet. Mynheer van der Laekenließ ſich nun ebenſowenig irre machen, als ich mich vorher, und zur Steuer der Wahrheit muß ich bekennen, daß ich Manches44III. Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen.von ihm lernte. Da er für ſeine Doctrinen dieſelben waren vorzugsweiſe der Sphäre entnommen, die brave Haus - frauen, wenn ſie unter ſich ſind, gern behandeln kein geiſtiges Eigenthumsrecht beanſpruchte, ſo benutzte ich dieſes niederländiſche Original, um nach ihm für meine Bedürfniſſe eine Copie in verjüngtem Maßſtabe zu machen. Aus ſeinen weiteren Mittheilungen erinnere ich mich noch des Folgenden.

Wie jedes wollene Kleidungsſtück hat auch Plaid und Weſte Anſpruch, ausgeklopft zu werden, wovon jedoch die jetzt lebende Generation der Dienſtboten*)Einen eigenen Diener auf weitere Touren mitzunehmen, iſt mehr läſtig, als förderlich, es ſei denn, daß er ſehr viel Reiſetalent und Routine hätte. Man leidet unter ſeiner Ungeſchicklichkeit, Vergeſſenheit, Nachläſſigkeit, ſeinem Mangel an Erfahrung und an Ortskenntniß. Die Conſequenzen werden geduldiger ge - tragen, wenn wir ſie uns ſelbſt zur Laſt legen müſſen. Bei Privatcourieren finden ſich zuweilen jene beiden Eigenſchaften, ſowie Kenntniß mehrer Sprachen, da - neben aber nicht ſelten gewiſſe andere (vgl. VI) unwillkommene Fertigkeiten. Sehe ſich alſo vor, wer nicht ein ſehr großer Herr oder Millionär iſt. nicht zu überzeugen iſt. Die Leute nehmen auf Befehl Beides mit hinaus, bringen es zierlich gefaltet wieder, eine Unterſuchung zeigt aber immer, daß es nicht gereinigt wurde, ich laſſe daher das Geſchäft meiſt unter meinen Augen vollziehen.

Auch gewiſſe Flecken am Hutband waren dem Scharfblick meines Holländers nicht entgangen. Sie geben, meinte er, dem Touriſten, wie die Narben dem Kriegsmann, das Zeugniß, daß er nicht die Hände in den Schoos legte, ſondern Mühſal, Staub und Hitze zu tragen verſtand, und ſind un - geſuchte, deshalb weit mehr als die eingebrannten Namen auf den Alpenſtöcken, vertrauenswerthe, ehrenvolle Atteſte. Ihr gebirgsprofilähnliches Moiré verſinnlicht gewiſſermaßen die einzelnen Erſteigungen: je mehr Linien durcheinander laufen, je mehr Pyramiden ſich übereinander thürmen, je tiefer die Schattirungen ſind, je höher ſtieg der Mann, je höher ſollte auch ſein Ruhm ſteigen. Vor den Ruhm ſetzten die45III. Hutbänder mit Gebirgsprofilen Erlaubte Beſcheidenheit.Götter den Schweiß. Aber auch hier, wie bei allem Ver - dienſt iſt der Neid geſchäftig: die unten blieben in ihrer Gemächlichkeit, denen der Sinn fehlt für Empfindungen, einige Tauſend Fuß erhaben über der platten Alltäglichkeit, blicken ſcheel dazu. Sie räumen ein, die Frucht der menſch - lichen Arbeit ſei edel, von ihrer Blüte behaupten ſie jedoch, daß ſie den Sinnen nicht ſchmeichle. Was thun wir unter ſolchen Umſtänden? Nach der Meinung eines berühmten Franzoſen iſt die Beſcheidenheit nur erlaubt, wenn ſie von ſehr hervorragendem Verdienſte getragen wird; aus dem Grunde wahrſcheinlich (alſo vor lauter Beſcheidenheit) macht der größte Theil der großen Nation ſelbſt keinen Gebrauch davon. Der hochgeſtiegene Touriſt dagegen darf beſcheiden ſein, er verſchmäht es, ſeine zackige Krone zur Schau zu tragen, und läßt entweder den Reiſehut ſo füttern, daß die Tropfen der Stirn weder den Filz noch die Fäden der Naht erreichen (das Futter wird vorn an der Front ein wenig über die innere Kante auf die Krämpe gezogen) oder, wenn das verſäumt wurde und das Band allzu viel erzählt von den alpinen Großthaten des Trägers, ſo windet er ein weißes Taſchentuch turbanartig darum, wodurch nebenbei ein vortheil - hafter Farbeneffect erzielt wird. Jede Art Hüte, auch die von Stroh, müſſen nach ſtaubigen Fahrten abgeſtäubt werden, damit ſie ihre jugendliche Anmuth nicht ſchon in den erſten Dienſttagen einbüßen, ſodann iſt ihnen eine Vorrichtung, um gelegentlich daran ein Sturmband zu befeſtigen, von Nutzen.

Unſere Reiſeſchule wendet ſich jetzt zu den Vorſichts - maßregeln.

Nichts Seltenes iſt es, daß Eiſenbahnbillets und Gepäckſcheine unter das Hutband, in einen Handſchuh, oder in eine Taſche mit anderen Sachen, Geld, Schlüſſeln, Uhr zuſammengeſteckt werden, ohne verloren zu gehen, dies kann aber mit nichten als Beweis gelten, daß der Ort dafür gut gewählt war, ſondern höchſtens, daß die Nemeſis nicht immer die Augen offen hat, zum Glück für die vielen leichtſinnigen46III. Vorſichtsmaßregeln Fahrbillets, Gepäckſcheine.Paſſagiere unter uns. Man darf nur einen Eiſenbahn - ſchaffner auf das Thema bringen, um neunundneunzig Ge - ſchichten zu hören von verlorenen, verlegten, verſtochenen Fahrkarten. So manche komiſche habe ich mit angeſehen, eine davon auch in einer Reihe von Bleiſtiftſkizzen wieder - zugeben verſucht und wünſchte nur, daß ein Genremaler von Beruf ſich des Gegenſtandes einmal bemächtigte.

Die erſte meiner Skizzen ſtellt ein gefülltes Coupé dar. Einer der Herren, ein ehrbar ausſehender Greis, hat das Wort, alle Andern hängen mit den Augen an ſeinen Lippen. Zweites Bild: das Geſpräch iſt unterbrochen, der Schaffner draußen in halber Figur ſichtbar, ihm entgegen ſtrecken ſich fünf Hände, nur die beiden des alten Herrn, der ſich in halbgebückter Stellung erhoben hat, ſtecken in verſchiedenen Taſchen und ſuchen. Folgende Bilder: er ſucht und ſucht, einige Taſchen haben ſich umgekehrt und ihren Inhalt aus - geſtreut, darunter Manches, das beſſer im Verborgenen ge - blieben wäre. In den Zügen der Zuſchauer kämpfen Mit - gefühl und Heiterkeit, aus ihren Geberden geht hervor, daß Niemand mit ſeinem Rathe zurückhält, wo das Vermißte wohl ſein könnte. Im Hintergrunde, durch das Wagenfenſter ein - gerahmt, das Bruſtſtück des Conducteurs; ſein bärtiges Ge - ſicht blickt immer amtlicher, zuletzt mißtrauiſch, criminaliſtiſch. In der Rechten, zum Schlag hereinragend, hält er die wohl - bekannte Coupirmaſchine, die anfangs wie ein gutgelaunter Nußknacker ausſieht, allmählich aber, näher und näher rückend, im Einklang mit den Gemüthsbewegungen ihres Inhabers, immer drohendere, phantaſtiſche Mienen und größere Dimen - ſionen annimmt, in ein Zahnbrecherinſtrument verwandelt ſcheint, dann in eine glühende Marterzange, zuletzt Aehnlich - keit mit einem Haifiſch - oder Höllenrachen hat. Letztes Bild: der kleine Flüchtling iſt glücklich erwiſcht, und zwar im Stiefel, wohin er durch ein Loch in der oberen Ecke der Hoſentaſche entſprungen war. Freude ringsum. Selbſt die Zange macht wieder ihr joviales Nußknackergeſicht. Nur47III. Die verſteckte Fahrkarte Reiſecaſſe.ein Cylinderhut und ein Strickkörbchen ſehen ſehr nieder - gedrückt aus.

Doch genug des Scherzes, wenden wir uns den ernſten Aufgaben des Lebens zu, fuhr unſer Reiſeprofeſſor in ver - ändertem Tone fort und legte mir die Frage vor, wo der Weiſe ſeine Fahrkarte verwahre, worauf ich etwas verdutzt erwiderte, ich hätte ſie gewöhnlich im Portemonnaie oder auch in der Weſtentaſche. Oder auch! wiederholte er im mildverweiſenden Tone eines Lehrers, der eine ungewöhn - lich einfältige Antwort von einem ſonſt guten Schüler erhält. Ich ſehe mit Betrübniß, daß Sie die Moral meines Vortrags mit Illuſtrationen nicht beherzigt haben und noch Sextaner in der Schule der Erfahrung ſind. Die höheren Claſſen dieſer Schule haben das Bahnbillet ſtets wenigſtens an einem und demſelben Ort, wie Uhr, Börſe, Schnupftuch, damit es immer raſch bei der Hand iſt und ſie im Falle eines Verluſtes ſofort wiſſen, woran ſie ſind, und die geeigneten Schritte mit Würde thun können. Der Touriſt von Fach beſitzt dafür ein, dem Stückchen Papier oder Pappe ausſchließlich gewidmetes Täſchchen innerhalb der Weſte, denn das Portemonnaie hat ſchon genug mit anderen Dingen zu ſchaffen. Soll dieſes letztere gehörig reiſemäßig eingerichtet ſein, ſo hat es vier offene und drei, durch verſchiedenfarbige Klammern geſchloſſene Abtheilungen, von letzteren je eine für Gold, Papiergeld und Gepäckſchein, ſo daß auch der letztere immer ein ruhiges Einſiedlerleben führt, fern vom zerſtreuenden Welttreiben. Die offenen Abtheilungen befaſſen ſich mit Silber - und Kupfermünze, kleinen Schlüſſeln und dergleichen.

Denken wir nun aber auch auf die Sicherheit und gute Unterkunft der großen Reiſecaſſe. Vorhin war die Rede von Taſchen und Angriffen auf ſie. Unter den Angriffen wurden dort nur die harmloſeſten von allen in Betracht ge - zogen: die von den Händen des Beſitzers. Wie viele andere ſchlimmere hat aber die Taſche des Touriſten zu beſtehen! Die gefährlichſten, die einer gewiſſen Claſſe von Gaſtwirthen,48III. Werthſachen zu ſichern Diebe.mögen hier nur noch aus dem Spiele bleiben, denn dieſer Feind hat durch ſeine numeriſche Stärke, durch die Umſicht, mit der er alle wichtigen Punkte beſetzt hält, die Ausdauer, mit welcher er ſie vertheidigt, durch ſeine Disciplin, ſeine vor - zügliche Bewaffnung, insbeſondere ſeine von Jahr zu Jahr ſteigende Unerſchrockenheit allen Anſpruch auf unſere un - getheilte Aufmerkſamkeit. Ihm wird deshalb ein beſonderes Capitel gewidmet ſein. Auch iſt hier noch nicht der Ort, um uns mit den Freiſchaaren von falſch addirenden Kellnern, überſpannten Lohnkutſchern und zudringlichen Trinkgeldjägern der verſchiedenſten Art einzulaſſen. Vielmehr richten wir unſeren Sinn zunächſt nur auf die minder furchtbaren Wider - ſacher des Reiſenden die Diebe. Sie unterſcheiden ſich von der vorgenannten Art dadurch, daß ſie, die Finger nach unten gekrümmt, zu Werke gehen, während jene, der beherzte, ſiegesgewohnte Feind, uns offen und kühn in’s Antlitz blicken und die Hand mit einem Blatt Papier wie eine gebotene Freundeshand entgegenſtrecken.

Vor Taſchen -, Straßen -, Hausdieben und Einbrechern ſchützt man ſich dadurch am ſicherſten, daß man Geld - und Werthſachen nicht an ſolche Orte legt, wo, in der Meinung ſie da am beſten zu verwahren, alle Welt ſie hat. Wie viele Tauſende von Brieftaſchen mit Banknoten ſind nicht aus der linken Bruſttaſche des Rockes geſtohlen worden! Nach der Verſicherung eines Londoner Detectives vermag ein geübtes Gaunerauge ſchon in ziemlicher Entfernung zu[erkennen], ob in einer Bruſttaſche Inhalt zu erwarten iſt, der einen Angriff verdient, und daß es auch diesſeits Finger gibt, die auf die unglückliche Taſche eigens dreſſirt ſind, geht aus den Polizeiberichten hervor. Größere Geldſummen in Gold Kleidungsſtücken einnähen zu laſſen, wäre eine gute Maß - regel, wenn dieſelben, ſo lange ſie goldhaltig, nicht gereinigt zu werden brauchten oder alle Hausknechte ehrliche Leute wären; leider iſt aber die Bildung des Gefühls, d. h. des Taſt - und Spürſinns bei einigen dieſer Klopfgeiſter ſo weit vor -49III. Weitere Vorſichtsmaßregeln Papiergeld, Gold.geſchritten, daß ſie ſolche verſteckte kleine Goldgruben bald aufzufinden und auszubeuten wiſſen. Andere Reiſende tragen ihre Hauptcaſſe äußerlich über dem Rock an einem Riemen in beſonderen Schatullen, das gibt jedoch ein ganzes Gepäck - ſtück mehr und hat den Uebelſtand, daß dieſe Behälter ſich augenfällig als Inhaberinnen von Geldſummen kennzeichnen, deshalb ſchon in Ländern mit guter Polizei, geſchweige im Süden und Oſten, Raubanfälle herbeilocken können. Sicherer zwar, aber noch beſchwerlicher ſind die alterthümlichen, jetzt nur noch bei Viehhändlern beliebten ſogenannten Geldkatzen, die unter die Oberkleider um den Leib geſchnallt werden. Ebenſoviel Schutz bieten und minder Beſchwerde verurſachen Taſchen von weichem Wildleder, die man an einem Gurt unter dem Hemd oder unter der Weſte trägt. Sie haben eine Abtheilung für Papiergeld und eine andere für Gold, die letzte mit vier Unterabtheilungen, in welche die Goldſtücke, reihenweiſe platt ſchuppenartig geſchichtet und feſt in Papier geſchlagen, ver - theilt werden, ſo daß das Ganze nicht zu dick und unbiegſam wird. Aus dieſen Taſchen laſſen ſich mühelos Stücke heraus - nehmen und in’s Portemonnaie übertragen. Iſt die mit - geführte Summe zu groß, ſo können zwei dergleichen, jede mit drei wagerechten durch eine Klappe mit Knopf zu ver - ſchließenden Unterabtheilungen, in der Weiſe angebracht ſein, daß ſie nebeneinander auf die Bruſt zu liegen kommen, die Gurte hoſenträgerartig geknöpft und auf Bruſt und Rücken ſowie über den Hüften verbunden ſind. Als ſchlechteſten Platz für Werthſachen müſſen die ſogenannten geheimen Schubfächer bezeichnet werden, deren Geheimniß ein längſt offenkundiges iſt. Bei längerem Aufenthalt an einem Ort verwahre ich die Baarſchaft, wenn ich ſie nicht bei meinem Wirthe deponire, meiſtens in einem Futterale, das von außen wie ein Buch ausſieht und in einer verſchloſſenen Schublade der Commode oder des Secretärs, oder im großen ſchweren Koffer, mit ein paar anderen äußerlich ähnlichen, wirklichen Büchern zu - ſammenliegt, neben Wäſche, Cigarren u. dgl., in der Ueber -450III. Chirurgiſche Hilfe.zeugung, daß unberufene Hände eher nach allem Uebrigen greifen würden, als danach. (In dieſer Weiſe werden be - kanntlich Bücher kaum jemals verloren, ſondern nur durch Ausleihen an Bekannte, die ſie nicht zurückſtellen.) Sind nur ein paar Scheine aufzubewahren, ſo läßt ſich auch ein wirkliches Buch dazu verwenden: die beiden Blätter, zwiſchen denen das Geld liegt, können leicht aneinander geklebt werden, wobei Einer, der mit viel Vorſicht und wenig Gedächtniß begabt iſt, die Seitenzahl vormerkt. Papiergeld liegt ferner wohlgebettet unter alten Scripturen, wenn der Beſitzer nicht die Gewohnheit hat, ſolche Pakete ohne vorherige Durchſicht zu verbrennen. Wer Geldſcheine in größeren Summen bei ſich tragen und bequem zur Hand haben will, ſteckt ſie nicht in ein großes, dickes Portefeuille, deſſen Umriſſe ſich äußerlich markiren, ſondern in ein dünnes Futteral von Leder oder Buchbinderleinwand, und dieſes nicht in die Bruſttaſche des Rockes, ſondern in eine an der innern rechten Seite der Weſte angebrachte Taſche. Größere als Fünfthaler - oder Zehngulden-Scheine mitzubringen an Orte, wo die Aus - wechſelung nicht leicht zu bewirken, iſt zu vermeiden. So oft ich Goldſtücke mit auf die Reiſe nehme, vergeſſe ich nie, eine tüchtige Anzahl von halben und Viertel-Napoleond’or gleich einzuwechſeln.

Wer in allem Dieſem noch nicht hinlängliche Sicherheit vor Verluſt und Raub ſieht, dem mag das anheim geſtellt ſein, was bisweilen in Arabiengeſchieht, wie Burtonerzählt. Dort kauft man einige Zeit vor Antritt einer Reiſe in räuberiſche Diſtricte Edelſteine und Perlen, ſteckt ſie in ein ſilbernes Büchschen mit abgerundeten Ecken und dieſes in eine zu dem Behuf geſchnittene Wunde, welche man dann wieder zuheilen läßt. Als beſten Platz dafür wird am linken Oberarm die Stelle empfohlen, wo geimpft wird, und ver - ſichert, daß es keine ſonderlichen Beſchwerden verurſache, ſo wenig als Soldaten die Bleikugel, die ihren Weg in ihr Fleiſch gefunden, nicht hat entfernt werden können und ihnen51III. Goldmägen Verſicherungsſchein.nun dauernd einverleibt iſt. Dieſer ſubcutane Nothpfennig bietet dem Beſitzer auch dann noch eine Hilfsquelle, wenn er das Unglück hatte, bis auf die Haut ausgeplündert zu werden, ſo lange man ihm nur dieſe gelaſſen hat.

Von allen Arten, Werthgegenſtände zu ſichern, die miß - lichſte iſt eine ſchon im Alterthume geübte. Daß ſie leider noch nicht in Vergeſſenheit gerathen, beweiſt eine Mittheilung H. v. Maltzan’sin Weſtermann’sMonatsheften. Nach der - ſelben hauſt nämlich im ſüdlichen Tuniſienein räuberiſcher Stamm, die Faraſchiſch, unter denen ſich die Meinung ein - geniſtet hat, daß einige der durch ihr Gebiet reiſenden Fremden Goldmägen ſeien. Den Ausdruck Goldmagen haben ſie eigens erſonnen zur Bezeichnung eines Menſchen, der ſeine Baarſchaft in Goldmünzen zwiſchen Seele und Körper d. h. in ſeinen Eingeweiden verborgen hat. Einſt herrſchte unter den Räubern die Gewohnheit, einem ge - fangenen vermeintlichen Goldmagen kurzweg den Bauch auf - zuſchlitzen, ſie gingen aber ſpäter davon ab und beſchränkten ſich auf mediciniſche Behandlung ihrer Opfer. Hadſch Hamed, der alte Diener unſeres Berichterſtatters, erzählte ihm einen Fall der Art aus dem eigenen Jugendleben: er gerieth in die Hände der Faraſchiſch, erhielt einen vollen Monat hindurch ſtatt aller Speiſe nur heißes Waſſer und bitteres Salz und wäre verhungert, wenn ihn nicht eine Tochter des Stammes, die ſpäter ihn befreite, mit ihm entfloh und ſein Weib ward, heimlich mit Nahrung verſehen hätte.

Zu den wohlbedachten löblichen Vorſichtsmaßregeln, namentlich wenn es ſich um Vorausſendung von Koffern und Kiſten handelt, gehört die Verſicherung gegen Schein; die Aſſecuranzgebühren ſind äußerſt gering und jedenfalls iſt der Schutz, den ſie bietet, unter Anderm auch gegen die leider nicht ſelten vorkommenden Irrthümer und Nachläſſigkeiten von Eiſenbahnbeamten und Spediteurs, ſowie gegen unterwegs dieſerhalb erwachende Beſorgniſſe, hoch anzuſchlagen. Wer nicht aſſecurirt hat, thut ſtets wohl, wo4*52III. Aus dem Wagen ſpringen todte Briefe Zerſtreutheit.ſich Gelegenheit bietet, auf die Umladung ſeines Paſſagier - gepäcks ein Auge zu haben.

Ehe wir die Rubrik Vorſichtsmaßregeln verlaſſen, muß noch eine erwähnt werden, die ſich auf die Sicherung von Leben und Geſundheit bezieht. Viele Hälſe und Beine ſind ſchon dadurch gebrochen worden, daß während raſcher Fahrt aus dem Wagen geſprungen wurde, ſei es, weil die Pferde durchgingen oder aus anderen Gründen. Die Regel iſt, in zweifelhaften Fällen lieber ſitzen zu bleiben, muß aber durchaus geſprungen ſein, ſo werde beachtet, daß vom Ent - ſchluß bis zur Ausführung mindeſtens einige Secunden ver - fließen, die muthmaßliche Ankunftsſtelle mithin nicht dieſelbe iſt, die wir im Augenblick des Entſchluſſes ſeitwärts gerade vor uns ſehen. Zweitens lehrt die Erfahrung und die Phyſik erklärt es, daß der Körper, der einen fahrenden Wagen plötz - lich verläßt, deſſen Zug nach vorn theilt, alſo, wer einen har - ten Fall vermeiden will, nicht rück - oder ſeitwärts, ſondern der Richtung der Fahrt möglichſt parallel nach vorn zu ſpringen hat.

Vor der Abreiſe aus einem Orte, an dem ich längere Zeit verweile, hinterlege ich im Gaſthof ſowohl als beim Poſtamt ſchriftliche Angabe meines nächſten Stationsplatzes. Die Nützlichkeit dieſer Maßregel in’s Licht zu ſtellen, genügt ein Blick auf die in Wirthshäuſern und Poſtexpeditionen ausgehängten Käſten mit todten Briefen.

Gedenken wir noch der Verluſte, die wir uns durch eigene Zerſtreutheit bereiten, ſo findet ſich dieſelbe Bruſttaſche, die wir ſchon als Helfershelferin der Taſchendiebe ertappten, in ähnlicher Eigenſchaft zu Gunſten unehrlicher Finder thätig. Sie iſt es, die, wenn wir in der Hitze eines Marſches den Rock über die Achſel werfen, nichts Eiligeres zu thun hat, als das ihr anvertraute Gut hinter unſrem Rücken auf den Weg zu ſtreuen. Ihr Vertheidiger könnte nun zwar geltend machen, daß ſie in allen dieſen Fällen unſchuldig ſei, ſogar ſtreng geſetzmäßig gehandelt habe, nämlich nach dem Geſetz53III. Zerſtreutheit Taſchen u. abermals Taſchen Stühle.der Schwere, daß genau genommen gar nicht von einem Han - deln, einer Thätigkeit, die Rede ſein könne, vielmehr lediglich von einem paſſiven Gehorſam gegen jenes Weltgeſetz. Wir laſſen uns durch alle Advocatenkünſte nicht beſtechen, ſondern ſprechen über die Angeklagte das Schuldig: die untreue Bruſttaſche wird in Reiſeröcken und Paletots zugenäht oder weggelaſſen, überhaupt nur in der unteren Rockhälfte Taſchen angebracht, ſo daß jenes Naturgeſetz ſich nie mehr zum Nach - theil des Inhalts geltend machen kann, wenn auch der Schwer - punkt der oberen Hälfte verändert wird. Jede Taſche weniger an einem Reiſekleide iſt freilich eine Einbuße an Bequemlich - keit, indeſſen, wenn einmal die Rock - oder die Brieftaſche zum Opfer fallen ſoll, die Wahl nicht ſchwierig. Im unteren Theile des Rocks ſind vier äußere und zwei innere Taſchen. Von den letztern, meinen beſonderen Lieblingen, benutze ich die eine, um die Brieftaſche, welche zugleich Cigarren, Brille und Zündhölzer beherbergt, hineinzuſtecken, die andere für Unvorgeſehenes. So z. B. hatte ich darin einen erborgten Malerſtuhl*)Die in den Läden vorräthigen eiſernen Touriſtenſtühle finde ich zu ſchwer, ließ mir deshalb einen leichten hölzernen Seſſel anfertigen, deſſen drei in halber Höhe verbundene, Fuß hohe Stützen ſich unten zu einem Dreifuß ausſpreizen und an ihren oberen Enden drei Gurten aufnehmen, welche den Sitz abgeben. Die Stühle ſind aus Eſchenholz ſo geſchnitten, daß ſie, zuſammen - geſchloſſen, eine mäßig dicke Rolle bilden., den ich bei großen Kirchenfeſten in Rommit in den St. Peter nahm, um nach mehrſtündigem Stehen mir eine kurze Ruhe gönnen zu können, ohne den Platz zu ver - lieren; auch mein Filzhut hat oft in dieſer Taſche gewohnt.

Aber, lieber Onkel, ließ ſich jetzt BabyEduardverneh - men, von Deinem pädagogiſchen Standpunkte dürfteſt Du doch derlei Auskunftsmittelchen nicht gutheißen, die Du ſicher - lich, wenn ich ſie brauchte, Eſelsbrücken nennen würdeſt. Sehr richtig, Säugling, antwortete raſch gefaßt Odyſſeus, das wären ſie auch für Dich, denn in Deinem zarten Alter ſoll das Gedächtniß und die Aufmerkſamkeit durch Uebung54III. Gedächtnißkrücken TailleurKrausé. für’s ganze Leben geſtärkt werden, ich habe das jedoch leider in der Jugend verſäumt, muß mir deshalb im Alter durch Krücken zu helfen ſuchen. Solcher Gedächtnißkrücken werde ich nachher noch einige mittheilen, eine Lection, von der die ſtrebſame Jugend ausgeſchloſſen bleibt, zuvor muß ich noch ein Wort der Warnung anknüpfen. Ich muthmaße nämlich auch in dem ſonſt ſo ehrſamen Schneidergewerk Mit - glieder, die mit den unehrlichen Findern unter einer Decke ſpielen. Hören Sie, wie es mir mit dem meinigen erging. Es war ein Deutſcher, obwohl er ſich Tailleur nannte und ſeinen NamenKrauſemit é ſchrieb. Bei ihm hatte ich einen Reiſeanzug nach obigen Grundſätzen beſtellt, mündlich das Nöthige auseinandergeſetzt und zum Ueberfluß noch ſchrift - lich mitgegeben, in acht Tagen ſollte Alles fertig ſein, war es auch nach drei Wochen, aber ſämmtliche neue Einrich - tungen fand ich nicht vollzogen. Auf meine Beſchwerde dar - über eröffnete er mir, er habe es gut gemeint , innere Taſchen im Schoos brächten das Ganze aus der Faſſong , dafür habe er indeß die oberen ſehr groß gemacht; wenn ich übrigens, ſetzte er begütigend hinzu, dieſe bardu nicht be - nutzen wollte, dann brauchte ich es ja nicht, das hinge ganz von meinem Bangſchang ab, Extrakoſten wären dadurch nicht verurſacht worden. Da verfiel ich auf ein Mittel, das auch raſch anſchlug. Ich bedeutete ihn, es ſei die neueſte Mode in Paris, bis jetzt nur in den Hofkreiſen bekannt, das Schornal werde es wohl nächſte Woche bringen, und noch denſelben Tag war Alles nach meinen Wünſchen um - geändert.

Um nicht von unſerer Touriſtenſtraße weit abſeits zu kommen, will ich von den Bemerkungen, die mein kritiſcher britiſcher Freund bei dieſer Gelegenheit über deutſche, eng - liſche und franzöſiſche Handwerker machte, nur noch mit - theilen, daß auch er die Wurzel des Uebels in den Nach - wehen unſres zu lange künſtlich aufrecht erhaltenen Zunftweſens ſah und überzeugt war, die tüchtigen und vorzüglichen Eigen -55III. Handwerkerbildungsvereine weitere mnemotechniſche Krücken.ſchaften der deutſchen Nation würden ſich auch im Hand - werkerſtande nun immer allgemeiner geltend machen. Schon jetzt erkenne man, daß er ſich mehr als früher beeifere, nicht nur mit der Hand zu wirken, ſondern den Kopf zu Hilfe zu nehmen; auch ſei nicht zu befürchten, daß ſich der größere und beſſere Theil der Arbeiter und Gewerbsleute den Thor - heiten und Träumereien hingebe, zu denen ſie gewiſſe Schran - zen am Hofe der Volksſouveränetät verführen möchten. Ein ſehr geeignetes Thema für Vorträge in Hand - werkerbildungsvereinen wäre übrigens: die Lügen - peſt, oder Verſprechen und Nichtworthalten. Viele ſonſt brave Gewerbsmänner können leider noch nicht von dem ge - polſterten Lehnſtuhle laſſen, auf dem ihr Großvater und Vater ſelig geſeſſen, obwohl der alte Lederüberzug an vielen Stellen zerplatzt, die weiche Unterlage herausgefallen iſt und die engen Armlehnen ſie in der Arbeit hindern.

Weitere Gedächtnißkrücken: Vor Verluſten durch Liegen - laſſen bei eiliger Abreiſe ſchütze ich mich u. A. dadurch, daß ich in Gaſthöfen Abends meine kleinen Effecten unverdeckt, augenfällig und nahe bei einander lege, nicht in die dafür anberaumten Deckelbüchſen, Toilettenkaſten und Nachttiſche, das Nachthemd werfe ich morgens nicht auf’s Bett, ſondern lege Alles, z. B. auch die Seife, vor und nach dem Gebrauche auf die Commode neben die übrigen Sachen. Um meine Garnitur von Plaidnadeln, die ihren Nachtdienſt (vgl. S. 38) verrichtet hat, morgens bei der Abreiſe nicht zu vergeſſen, pflege ich die Weſte mit in den großen Verband zu ziehen.

Muß außergewöhnlich früh aufgebrochen werden, ſo ge - ſtattet der Touriſtencodex in ſeinem Anhang, gewiſſe Toiletten - geſchäfte, z. B. Waſchen und Zähneputzen, Abends vor Schlafengehen zu beſeitigen, ferner, wenn beim Aufſtehen das geſtern ausgezogene Paar Schuhe noch ungewichſt daſteht und nicht reichlich Zeit iſt, ſie in dieſem Zuſtande anzulegen, bevor dieſelben Friedrich der Verſchlafene mit der Verſicherung, ſie auf der Stelle wiederzubringen, mitnehmen kann. Um56III. Bei eiliger Abreiſe Friedrich der Verſchlafene Erkundigungen.ſo dienſtbefliſſener ſtürzt er ſich nun auf den Rock und die Bein - kleider, wenn ihr Beſitzer ſie nicht auch ſchon angezogen hat; ich bemächtige mich deshalb in ſolchen drangvollen Augen - blicken, ſobald das ſchuldbewußte, ſtruppige Friedrichsgeſicht in der Thür erſcheint, raſch entſchloſſen auch dieſer Stücke. Findet ſich dann ſchließlich noch Zeit, Verſäumtes nachzu - holen, ſo mag’s geſchehen. Als Wecker ziehe ich vom Uhr - macher verfertigte Schlagwerke in Büchſenform allen Gaſthofs - Friedrichs und Johanns vor und rathe jedem Reiſenden, der nicht etwa das Talent hat, zu ungewöhnlicher Stunde aus eigenem Antriebe zu erwachen, eine ſolche Weckuhr bei ſich zu führen. Denn obwohl bei Hausknechten keinenfalls wie bei Wäſcherinnen und Barbieren (vgl. S. 29) die Seife materia peccans ſein kann, ſo erweiſen ſich doch auch ihre heiligſten Betheuerungen als eines Menſchen eitler Odem .

Adreſſen von Handwerkern und Händlern erfrage ich, wo es ſich um größere Beſtellungen oder Einkäufe handelt, nie von Kellnern, Hausknechten oder Lohndienern, kaufe und beſtelle auch in eleganten Badeorten oder großen Hauptſtädten nicht leicht in einem Laden des eigentlichen faſhionablen Fremdenquartiers, wenn er mir nicht von guter Hand empfohlen iſt, lieber wähle ich auf’s Gerathewohl im geſchäftlichen Mittel - punkt des Orts, in der Nähe des Hauptmarktplatzes.

Da Erkundigungen zum täglichen Brot des Reiſenden gehören, ſo ſei hier noch bemerkt, daß über Unzuverläſſigkeit der erlangten Auskünfte gewiß nicht ſo häufig geklagt würde, wenn wir der Sache etwas mehr Aufmerkſamkeit ſchenkten. Weder böſer Wille noch Unkunde des Befragten iſt meiſtens die Quelle von Irrungen, ſondern in der Regel war dieſem die Fragſtellung nicht gleich deutlich, und er fürchtete, dumm zu erſcheinen, wenn er zum zweiten, dritten Male Wie? fragte, oder ſich beſänne, antwortete deshalb querfeldein; oder wir hatten nicht die Geduld, zu warten, bis er ſich ge - ſammelt. Außer Mundart, Tonfall, Wahl und Conſtruction57III. Adreſſen und Erkundigungen.der Worte ſpielen dabei noch andere Umſtände ihre Rolle. In ſehr entlegenen Thälern hat die bloße Erſcheinung eines Fremden und ſeine Anrede ſchon an und für ſich etwas Ver - blüffendes für die Leute. Zuerſt iſt ihnen über die Wunder - erſcheinung Hören und Sehen vergangen, auch auf Wieder - holung der Frage erfolgt vielleicht nur ein He? , worauf dann meiſt der Fremde achſelzuckend weitergeht, der Meinung, der Betreffende ſei harthörig oder ein Trottel . In der - artigen Fällen beginne ich nicht mit dem Gegenſtand, auf den es mir ankommt, ſondern mache nach dem erſten Gruß eine Bemerkung über’s Wetter. Sie iſt der Diener, der voraus - läuft, um für ſeinen nachfolgenden Herrn Einlaß zu begehren. Zeigt ſich nun aus der Erwiderung, daß der Mann die ſchwerbewegliche Pforte ſeines Geiſtes mir aufgethan hat, ſo rücke ich mit meiner Erkundigung nach Weg und Steg her - aus, und faſſe bei der Trennung Frage und Antwort noch einmal zuſammen, was nicht hindert, dieſelbe Frage aber - mals dem nächſt Begegnenden vorzulegen. In Städten er - kundige ich mich auf der Straße nach örtlichen Dingen, wenn es ſich nicht um Einkäufe handelt, am liebſten bei müßig vor ihrer Thür ſtehenden Ladenhaltern oder auch wohlgekleideten, älteren, nicht zu raſch einherſchreitenden Herren, nie aber, wenn es zu vermeiden iſt, bei Dienſtmädchen, Soldaten oder Kindern.

Wer viel reist, hat oft Gelegenheit und ſtets Urſache, ſeine Phyſiognomik auszubilden, um aus dem Gewimmel fremder Geſichter die für ſein jeweiliges Anliegen geeigneten Individuen herauszufinden. Ein Freund von mir, zugleich Kenner von Getränken, verſichert, es ſchlage ihm ſelten fehl, den richtigen Mann zu treffen, wenn ſich’s um eine Frage der Art handelt. Meiſtens bedarf es nur weniger Worte. Sie können mir gewiß ſagen, wo man hier ein gutes Bier trinkt. Komme Se, bin ebe auf de Weg dahin, werd Se führe. Der Bayer pflegt die Entdeckung eines achtungswerthen Gebräus mit derſelben Verſchwiegenheit vor58III. Schriftliche Aufzeichnungen Gedächtniß und Phantaſie.ſeinen einheimiſchen Nebenbuhlern zu behandeln, auch wenn ſie ihm befreundet ſind, wie etwa ein Knabe die Auskund - ſchaftung eines Vogelneſtes, das er ausnehmen will; dem Fremden gegenüber ſchweigt aber meiſtens die Stimme der Selbſtſucht, oder vielmehr ſie flüſtert: der iſt ungefährlich, dem willſt du doch zeigen, daß auch du Kenner und Liebhaber biſt und daß auch bei uns ein guter Tropfen zu haben iſt. Ueber die Wahl eines Führers (vergl. VI. ) in entlegenen Gebirgsorten höre ich gern den Geiſtlichen.

Nicht als Krücke, ſondern als rechten Wanderſtab und Stütze für jedes Gedächtniß iſt die Art von ſchriftlichen Auf - zeichnungen zu rühmen, die nicht auf Ausarbeitungen und Beſchreibungen ausgeht, ſondern ſich mit Wörtern, Zahlen, kurzen Sätzen im Telegrammenſtil begnügt, grundſätzlich aber keinen Tag ohne einige Zeilen läßt. Nehmen wir, wie ſchwärmeriſche Jünglinge und Jungfrauen zu thun pflegen, den Vorſatz mit, gleich unterwegs ununterbrochenes voll - ſtändiges Tagebuch zu führen, ſo kommt das nur zu raſch ganz in’s Stocken, weil es bald an Zeit, Luſt, Friſche, bald an einer zum Schreiben geeigneten Oertlichkeit und an Un - geſtörtheit fehlt. Keinen Dispens gibt dagegen ein gutes Reiſegewiſſen von der regelmäßigen Aufzeichnung kurzer Notizen. Je ſtärker unſer Gedächtniß und unſere Phantaſie und je aufmerkſamer unſer Auge iſt, je mehr Nutzen und Freude haben wir von ſolchen Schreibereien, je kärglicher wir in dieſer Beziehung begabt ſind, je mehr bedürfen wir ihrer. Sie dienen theils als Grundlage für Briefe, mündliche Er - zählungen, Ausarbeitungen, theils um an ihrer Hand nach langen Jahren im Geiſte die Reiſe wieder und wieder machen zu können, wobei noch der große Gewinn iſt, daß in der Er - innerung alles Schöne hervor, alles Häßliche und Gleich - giltige hingegen zurücktritt.

Es iſt damit gar ſeltſam. Gemälde dunkeln nach im Laufe der Jahre oder verblaſſen, anders verhält es ſich mit den Bildern, die unſer Gedächtniß aufbewahrt. Dieſer treue,59III. Gedächtniß und Phantaſie.pedantiſche Diener hat eine Schweſter, ein recht flinkes, ſchmuckes Ding, nur etwas leichtfertig: die Phantaſie. Er, der gewiſſenhafte Cuſtos, ſorgt, daß das anvertraute Gut keinen Schaden leidet, und ſtäubt es täglich behutſam ab, ſie jedoch hantirt hinter ſeinem Rücken mit den Sachen in einer geheimnißvollen Weiſe ſo, daß ſie im Laufe der Zeit unver - merkt anders werden. Beſſer oder ſchlechter? ....

Im Uetli-Wirthshaus bei Zürichwar es, wo ich in eine erleſene Geſellſchaft von Gelehrten und Künſtlern zu kommen das Glück, aber bald darauf das Unglück hatte, einen Zank - apfel unter die Fröhlichen durch obige Frage zu werfen. Der Streit wurde ebenſo lebhaft als fruchtlos, denn Jeder wollte ſprechen und ſprach, hören wollte und konnte Niemand. Nur einzelne Schlagwörter drangen durch das Getöſe, wie Berg - ſpitzen durch Nebel. Der kluge Touriſt bleibt einem Streite fern, der überlaut geführt wird, ich trat daher an’s Fenſter, nahm mein Büchlein zur Hand und die Miene an, als ob ich Berge zeichnete, ſchrieb aber: 25 / IV 186., Uetliwhs., Dr. A. aus B., Prof. C. aus D., Maler E. und F. aus G. und J. K. L. M. Gedächtniß und Phantaſie. Bruder treuer Cuſtos, Schweſter ſchmuckes Ding, aber leichtfertig. Ihre oder ſeine Dienſte beſſer? Gelehrte (einig!): ſeine beſſer. Künſtler (auch einig, pünktlich und raſch fertig!): die ihrigen beſſer, weit beſſer. Exacte Wiſſenſchaft: blauer Dunſt, nebel - hafte Ferne, phantaſtiſche Gaukeleien. Poeten und Künſtler: was iſt Wahrheit, gelehrter Zopf, verklärende Beleuchtung. Dr. philos. A. vermittelnd, objectiv, ſubjectiv, höhere Ein - heit ....... Gute Mahlzeit fr., Bier mittelmäßig, An - theil an Bowle fr., Rückweg, Sturz, linkes Knie verletzt. In der Weiſe pflege ich Notizen zu machen, bunt durch - einander, gelegentlich wohl auch ein Geſicht oder einen Berg zu zeichnen, entweder gleich an Ort und Stelle, oder an einem Halteplatze während eines Anſtiegs, oder im Wagen.

Zum bequemen Schreiben in freier Hand, namentlich im Wagen, gehört eine ſteife Unterlage von nicht zu kleinem For -60III. Schreiben im Freien und im Fahren.mate, welche die rechte Hand ſtützt. Ich habe mir deshalb vom Buchbinder aus dünner ſteifer Pappe eine mit Leder über - zogene Mappe machen laſſen, ähnlich einem Bucheinband, zum Auf - und Zuklappen, in welcher ein Päckchen gleichmäßig be - ſchnittener loſer Blätter liegt, von denen mehr Vorrath im Koffer iſt. Der Verbrauch davon iſt um ſo ſtärker, da ich nur eine Seite beſchreibe. Jedes Blatt erhält zuoberſt Ort und Datum an Stelle der Seitenzahl, die etwa geſtörte Reihenfolge der einzelnen Schriftſtücke iſt mithin ſtets leicht wiederherzuſtellen. Die Form lockerer Zettel hat vor der buchförmig gehefteten den Vortheil, daß ich immer nur das zum Handgebrauch nöthige Quantum in der Taſche führen kann, und erlaubt bei der einſeitigen Beſchreibung, jeden ein - zelnen zu zerſchneiden. Ich kann nun, je nachdem ich Luſt und Zeit finde, die flüchtigen Bleiſtiftnotate zu weiteren Aus - arbeitungen beliebig anders ordnen, oder ganze Stöße auf die lange Bank ſchieben, vergeſſen, vernichten. Von dieſer letzteren Freiheit habe ich ausgiebigen Gebrauch gemacht, ſonſt würde das vorliegende Buch wohl noch dicker geworden ſein. Vielleicht wären ſogar noch weitere Verluſte ein Gewinn geweſen, denn Bücherumfang und Attractionskraft auf die Leſerkreiſe folgen nicht den phyſikaliſchen Geſetzen, ſondern progrediren umgekehrt. Doch fort mit ſolchen Betrachtungen, überlaſſen wir das den Kritikern.

Das Schreiben im Eiſenbahnwagen wird erleichtert, wenn man die beiden Handgelenke auf einander legt, ſo daß die untere Linke, welche Papier und Portefeuille, mit der oberen Rechten, die den Bleiſtift hält, ziemlich gleichmäßig den An - ſtößen folgt, beide ihre Bewegungen ſonach einigermaßen übereinſtimmend machen. Auch das Cigarrenanzünden kann in ähnlicher Weiſe geſchehen, nur daß hier noch ein dritter Factor, der Kopf des Rauchers, in die Bundesgenoſſenſchaft aufzunehmen iſt. Das Kinn vermittelt ſie, indem es auf das rechte Daumengelenk geſetzt wird. Zum Reiſegebrauche eig - nen ſich beſonders die ſchwediſchen Sicherheitszündhölzer61III. Zündhölzer ſchriftliche Notizen Reiſetagebuch.(Säkerhets-Tändstickor). Sie ſind ohne Schwefel und Phos - phor bereitet und entzünden ſich nur, wenn ſie an einer ge - wiſſen Maſſe gerieben werden, welche auf ihrem Futteral an - gebracht iſt, ſonſt verſetzt ſie keinerlei Reibung oder Stoß in Brand, ſie können alſo ohne Gefahr in den Koffer gepackt werden, brennen gut, verlöſchen auch in Zugluft nicht, ſchleu - dern nicht brennenden Phosphor umher und ſind den alten Lances flammigères weit vorzuziehen.

Jetzt zurück zu den ſchriftlichen Notizen. Auch Gleich - giltiges verſchiedenſter Art ſchreibe ich nicht ſelten auf, z. B. Namen von Perſonen und Orten ꝛc., weil es oft als Ge - dächtnißnachhilfe dient für Scenen der Natur oder des Volks - lebens, die ich mit ihren Einzelheiten in der Erinnerung zu behalten wünſche, ohne Zeitaufwand aber nicht in Worten oder Linien zu Papier bringen kann. So z. B. fand ich einmal, daß Gonzo, der Name des Maulthiers, auf dem ich von Scarricatojonach Sorrentgeritten, genügte, um mir ein Stück irdiſches Himmelreich und den rauhen, dornenvollen Weg dahin mit vielen Details in’s Gedächtniß zurückzurufen.

Wie ein eigentliches Reiſetagebuch zu führen iſt, hängt von Gewohnheiten, Intereſſen, Anlagen, Bildung, Zeit und Umſtänden ab. Wer ſich eines geſammelten, ſtets zah - lungsfähigen Geiſtes erfreut, wird ſeine Stoffe innerlich zu - recht und in der Form fertig machen, bevor er ſie zu Papier bringt, ſo daß das Niederſchreiben ſehr raſch vor ſich gehen kann, ein anders Ausgeſtatteter erſt Entwürfe machen und mit der Ausarbeitung auf Muße und Stimmung warten. Auch für ſolche Schreibereien habe ich (wie für die täglichen Notizen, nur größer) ein Pack gleichformatiger Blätter, deren jedes ebenfalls mit Ort und Datum verſehen wird. Die Bezeichnung Tagebuch gebührt dem Ding offenbar nicht, weil es weder ein Buch iſt, noch Tag für Tag fortgeführt wird, in ſeinem bisherigen Privatleben bei mir blieb es auch namen - los; da es nun jedoch die Ehre hat, der Welt vorgeſtellt zu62III. Reiſetagebuch, Entwürfe und Ausarbeitungen.werden, ſo ſei ihm zur Feier dieſer Handlung der Name Blätter für Entwürfe und Ausarbeitungen gegeben, die andere kleinere Sammlung mögen Merkzettel heißen. Einige verſchiedenfarbige Umſchläge von Papier und von Buchbinderleinwand dienen zum Zwecke der Sonderung und Gruppirung jener Schriftſtücke.

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IV.

Ausrüſtung für ſchwierige und gefährliche Gänge Schuhwerk Strümpfe Wundwerden Reiſetaſchen Mundvorrath Lang --- ſam! Vorläufer und Nachzügler Einſpruchsrecht Rückblicke Alpenſtock auf und ab über Schnee, Geröll, Felſen ꝛc. Unglücksfälle Grashänge Odyſſeus fährt in die Unterwelt Hinabgleiten Gefahren und Rettungsmittel Wander - ſtäbe Knieholz Felsplatten abwärts Sturz Eisſporen Seile Eisbeile Lawinen Rückweg nicht allein Entfernungen Narren - wagniſſe außergewöhnliche Erſteigungen Uebertreibungen Führer Schwindel Fußſchau Glycerin Hautpflege Schneebrillen Schleier Fußwanderung früh aufſtehen Eſſen und Trinken Höhepunkte und Fernſichten des Reiſelebens cum grano salis Veſuv Durſt Erkäl - tungen kalter Thee und Kaffee Fleiſchbrühe Getränkkühler Waſſer Hochgebirgsbeſchwerden Bergweh Alpen - und Tigermilch Erholungs - und Vergnügungsreiſen ſich einmal ſo recht auslaufen Läuferwahnſinn hypochondriſche Studien Ode an die Nerven ſchroffe Uebergänge wie neu geboren Aſchermittwoch.

Wer eine Fahrt in’s Hochgebirge beabſichtigt, hat ſich zu entſcheiden, ob er die bekannten großen Touriſtenſtraßen einhalten und ſich begnügen will, auf dem untern Rande der Gletſcher, die auch Damenbeſuche annehmen, umherzuwandeln, eine Hand voll körnigen, kaviarartigen Eiſes aufgehoben, be - trachtet und die Brechung des Lichtſtrahls in einer Eis - ſpalte bewundert zu haben. In dem Falle bedarf es keiner anderen Vorbereitungen, als für eine Wanderung in den Harzoder Thüringerwald, höchſtens, daß den Doppel - ſohlen ein paar weitere Nägel zugeſetzt werden. Trägt er jedoch Verlangen, in die höheren und höchſten Regionen ein - geführt zu werden, ſo hat er zu prüfen und prüfen zu laſſen,64IV. Ausrüſtung für ſchwierige und gefährliche Gänge.ob nicht ein organiſcher Fehler, z. B. des Herzens oder der Lunge, Kurzathmigkeit, große Kurzſichtigkeit, ſtarker Blut - andrang nach dem Kopfe oder dergleichen dies verbieten. Liegt kein Hinderniß vor, iſt er geſund, kräftig, nicht zu alt, im Bergſteigen nicht ganz ungeübt, dann, geliebter Reiſe - ſchüler in der Freude meines Herzens iſt es mir Bedürf - niß, Du zu ſagen ſinge Deinem Schöpfer ein Loblied, denn Du darfſt hoffen, ein Stück Herrlichkeit dieſer Welt zu ſchauen, von dem Du noch keine Vorſtellung haſt! Glück und Segen begleite Deine Schritte, Sonne, Mond und Sterne, Wind, Wetter und Wolken ſeien Dir hold!

Doch gemach, junger Freund, keine Uebereilung! Beim Abſchiednehmen ſind wir noch lange nicht, erſt muß daheim Einiges erledigt werden. Zuvörderſt bitte ich Dich, einmal auf die nachfolgenden Mittheilungen zu achten: ihr Eis und Schnee wird beitragen, Deine ungeſtüme Hitze etwas zu kühlen. Diesmal handelt es ſich nicht um Manſchetten, Hut und Hutbänder und ſonſtige Quisquilien, ſondern einfach um Kopf und Kragen, Hals und Beine, die Deinigen nämlich. Um Dein Blut nicht auf mein Haupt zu laden, bemerke ich hiermit ausdrücklich, obſchon es ſich von ſelbſt verſteht, daß meine Rathſchläge keineswegs den Führer von Beruf erſetzen oder ihm vorgreifen wollen. Denn dieſer hat unterwegs, ſo - bald Du Dich ihm einmal anvertrauteſt, unumſchränkte Ge - walt über Deine Perſon, deren Schritte und Tritte, wie der Lootſe am Bord die Befugniſſe und die Verantwortlichkeit des Capitäns und Steuermanns in ſich vereinigt. Auch ſpielt in allen dieſen Dingen (wie in der Medicin) die Wiſſenſchaft im Verhältniß zur Kunſt eine ſehr beſcheidene Rolle. Trotz - dem glaube ich, daß die folgenden Winke Dir nicht ohne Nutzen ſein werden. Meine eigenen und meiner Wander - genoſſen Erfahrungen habe ich vervollſtändigt durch einiges den Jahrbüchern der drei Alpenvereine, ferner dem Schriftchen von Charles Boner(Verfaſſer von Chamois Hunting in Bavaria) und verſchiedenen Reiſebeſchreibungen Entnommene,65IV. Schuhwerk.endlich ſind einzelne Notizen dem Handbüchlein für Fuß - reiſende und dem Noë’ſchen Schriftchen über Alpenwande - rungen entlehnt.

Zuvörderſt ſehen wir uns nach einem tüchtigen Schuh - macher um, womöglich einem, der ſchon in dem Fache gearbeitet hat, wenigſtens Angaben pünktlich folgt, nicht ſelbſtändige Politik treibt. Magasin de Chaussures, Cordonnier & Bottier braucht nicht auf dem Schilde zu ſtehen, auch von großen Spiegelſcheiben, Glanzleder und ſonſtigen Vorſpiegelungen laſſen wir uns nicht blenden: uns kommt es nicht auf modiſche Zierlichkeit, ſondern Zweckmäßigkeit, Bequemlichkeit und Dauerhaftigkeit der Arbeit und des Materials an. Das letztere muß, damit es ſich nicht raſch abnutze und der Feuchtigkeit widerſtehe, Rindsleder ſein, am beſten Juchten, deſſen rothe Seite nach innen kommt. Stiefeln vorzuziehen ſind Schuhe, die weder vorn über dem Spann noch hinten an der Achillesflechſe drücken und die Knöchel frei laſſen, indem ſie hoch über den Spann reichen und halbbogenförmig um die Knöchel herum ausgeſchnitten ſind. Sodann müſſen ſie, der Sicherheit des Tritts halber, gehörige Weite haben, beſonders die Sohlen reichlich breit ſein, ſo daß der Fuß auf ihnen in ſeiner natürlichen Form und vollen Ausdehnung ruhen kann; bei ſchmalen Sohlen iſt die Gefahr der Verrenkung weit größer. Von welchen Folgen eine ſolche begleitet ſein kann, wenn ſie am Rande eines Abgrunds oder nur auf einem von Menſchenwohnungen entlegenen Platze vorkommt, bedarf keiner Ausführung. Auch das Oberleder iſt geſchützter gegen Geröll und ſcharfe Felskanten, wenn die Sohle ein wenig über die Naht des Oberleders vorſteht. Unter gehöriger Weite iſt gemeint, daß der Fuß nicht gepreßt wird, keineswegs, daß er ſehr locker im Schuh ſitze, auf alle Fälle darf dies über dem Spann nicht ſein, hier ſoll das Oberleder knapp anſchließen, weil ſonſt die Zehenſpitzen ungebührlich belaſtet würden. Ob der Schuh vorn rund oder eckig geſchnitten, iſt gleichgiltig. Ein566IV. Schuhwerk.Grund mehr für breite Sohlen iſt, daß an ihnen Eisſporen feſter anzuſchnallen ſind. Endlich müſſen die Erſtern dick und wohl benagelt, die Abſätze niedrig und breit ſein; hohe Abſätze ſind unbequem und gefährlich. Die Benagelung dient theils, das Leder zu ſchützen, theils dem Tritt feſteren Halt zu geben. Die Nägel ſollen nicht dicht gedrängt rundum angebracht ſein, weil ſie ſo die Gefahr des Ausgleitens und das Gewicht der Schuhe, ihre Steifheit und Unbeholfenheit vermehren, ſondern in lockerer Reihe ſtehen, ſo daß zwiſchen je zweien ein kleiner Raum bleibt. Die eine Reihe beginnt am Ballen, läuft an der Kante hin, vorn an den Zehen herum bis an die entſprechende Stelle der anderen Seite; eine zweite Reihe bildet einen Halbkreis unter dem Abſatze, welchem noch etwa vier Nägel in der Mitte beigefügt werden, die ſchmale Stelle unter dem Spann bleibt leer. In alle Geheimniſſe der Benagelungskunſt eingeweihte und mit ihren Erforderniſſen verſehene Schuhmacher gibt es in Deutſchlandnoch heute nur wenige, ich habe deshalb meine Bergſchuhe meiſtens erſt im nächſten größeren Orte des Alpengebiets, den ich berührte, benageln laſſen. Für die Ferſe ſind ſpitze Nägel (öſterreich. Scheanken), für die Sohle ſogenannte Mausköpfe beſtimmt. Neuerdings verwendet man vielfach Schrauben, welche noch feſtſitzen, auch wenn ſie den Kopf verloren haben. Natürlich iſt es ſo einzurichten, daß alle Fußbekleidungen, beſonders Bergſchuhe, nicht erſt aus der Werkſtatt eintreffen, wenn der Koffer gepackt wird, ſondern jedes Stück die Probe beſtanden, ſich auch in der Näſſe bewährt hat. Die Vorprobe geſchieht durch die Hand, welche die innere ſogenannte Brandſohle betaſtet, um ſie dem Bringer zur Abhilfe gleich wieder mitzugeben, ſofern Stifte oder Nägel durchgeſchlagen wären; der beſtrümpfte Fuß be - handelt dieſe Unterſuchung zu oberflächlich und hat ſpäter den Schaden davon. Wer es mit ſeinen Füßen gut meint, nimmt keinerlei Schuhwerk mit, ohne es in jenen vertrauen - erweckenden Zuſtand geſetzt zu haben, der durch mehrfaches67IV. Schuhwerk.Tragen auf tüchtigen Märſchen herbeigeführt wird. Schon mit Rückſicht hierauf iſt es wohlgethan, die Bergſchuhe (ohne Benagelung) zu Hauſe fertigen zu laſſen, nicht im erſten beſten Gebirgsörtchen; ein zweiter Grund iſt der, daß die meiſten Dorfſchuſter ſich gewöhnen, Wohlfeilheit als das Ausſchlaggebende anzuſehen, hiernach den Rohſtoff kaufen und arbeiten, mithin Großſtädter nicht leicht befriedigen können. Unterwegs ziehe der Ungewohnte die ſchweren Bergſchuhe nur an, wenn es nothwendig iſt, und ſchicke ſie unter Um - ſtänden voraus. Um das Leder durchaus weich, geſchmeidig und waſſerdicht zu machen und ſo zu erhalten, inmitten der härteſten Prüfungen durch Regen, Eiswaſſer und Sonnen - glut, genügt nicht eine flüchtige Beſtreichung, ſondern es muß mit ſogenannter Schmiere bis zur Sättigung eingerieben und das Verfahren dann und wann wiederholt werden, zu welchem Behufe man etwas davon bei ſich führt. *)In Englandwird folgendes Recept empfohlen: 2 Gewichtstheile Theer, 6 Talg, 6 Schweinefett, 5 Thran, 5 Butter, 5 Olivenöl, 1 Terpentin, 2 aufgelöſter Kautſchuk, 2 Wachs. Der Brennbarkeit wegen geſchieht die Bereitung im Freien. Sobald der Theer kocht, wird der Talg hinzugethan und ſo fortgefahren, bei jedem Aufkochen der Maſſe der nächſte Beſtandtheil unter Rühren zugefügt; Terpentin und Kautſchuk werden vorher in einem beſondern Gefäße zuſammengekocht und ſiedend zugeſetzt. Die Schuhe ſtellt man nach jeder Einreibung zum Trocknen warm (nicht heiß). Zum täglichen Gebrauche in den Zwiſchenzeiten dient auch Talg oder anderes ungeſalzenes Fett. Die Nähte ſind beſonders reichlich zu bedenken. In halbfeuchtem Zuſtande nimmt das Leder die Maſſe beſſer an, als wenn es nach ſtarker Durchnäſſung hart und trocken geworden iſt. Ein einfacheres, in der Schweizbeliebtes Recept iſt: ½ Loth Kautſchuk, in kleine Stücke ge - ſchnitten, in Loth Schweinefett über gelindem Feuer zerlaſſen und um - gerührt; dann kommen 2 Loth Thran hinzu.Ich will kein Hehl daraus machen, daß meine Hände, als es zum erſten Male nöthig wurde, die unholde Arbeit ſelbſt zu ver - richten, einen horror naturalis kundgaben und den Dienſt verſagen wollten, ich hielt ihnen aber, wie Reiter mit ſcheuen Pferden thun, eine kleine Standrede in liebreichem, nachdrücklichem Tone: wißt ihr Unbeſonnenen nicht, welch wichtige Sache auf Gletſcherwanderungen warme, trockene,5*68IV. Strümpfe Wundwerden.heile Füße ſind, und daß das Wohl des ganzen Körpers, alſo auch eures, davon abhängt? Und ſchämt ihr euch nicht, ihr unnützen Knechte, die ihr in ſchlotternder Ruhe anſeht, wie ſchwer die armen Glieder da unten arbeiten, daß ihr nicht einmal die Kleinigkeit zu ihrer Erleichterung leiſten mögt! Das wirkte ſo weit, daß ein paar Finger der Rechten zur Botmäßigkeit zurückkehrten, in die ſcheußliche Flüſſigkeit herz - haft tauchten und ihr Werk begannen; bald ſahen ihre Nachbarn, daß ſie auch ohne mitzuthun nicht ungehudelt und unbeſudelt blieben, und halfen rüſtig. Die Linke betheiligte ſich nur mit drei Fingerſpitzen, machte das aber hinterher gut, indem ſie ihrer Schweſter bei der Toilette half. Dieſe garſtige Viertelſtunde habe ich in Knittelverſen in einem Schweizer Fremdenbuche beſungen, fand das Blatt aber wenige Wochen darauf ausgeriſſen. Sei nun der Thäter ein Bewunderer meiner Muſe oder ein Verächter, ich kann ihm möchten ihm dieſe Zeilen doch zu Geſicht kommen die Bemerkung nicht erſparen, daß er beſſer gethan hätte, in demſelben Buche durch gute Verſe mich zu verhöhnen, denn das gehört zu den conſtitutionellen Rechten des Reiſenden, Blätter aus Fremdenbüchern zu reißen aber nicht.

Mit ausreichender Gründlichkeit wäre nun abgehandelt, was dem gewiſſensſtrengen Touriſten ſeinen Schuhen gegen - über obliegt; jetzt zu den Strümpfen. Dieſe, kurze Socken, müſſen aus dickem, nicht zu grobem Wollengarn geſtrickt ſein, ſowohl der Wärme als der Elaſticität halber, denn ſie haben wie Eiſenbahnpuffer manchen harten Stoß aufzufangen. Nur für gewöhnliche Märſche ſind dünnere wollene und halbwollene Strümpfe, Angora, Vigogne, erlaubt; baumwollene verhärten leicht. An heißen Ruhetagen belohnt man ſich für correcte Haltung durch Geſtattung eines leichten Paares. Gegen Wundwerden empfiehlt das Jahrbuch des öſterreichiſchen Alpenvereins feine, unter die wollenen gezogene Socken von Leinwand. Manche ſeifen auch die be - treffenden Stellen der Innenſeite des Wollenſtrumpfs. Mit69IV. Reiſetaſchen Mundvorrath.Talg ihn zu beſtreichen, iſt verwerflich, denn dadurch wird er hart. Als Schutz gegen Näſſe bei Wanderungen über lockere Gletſchermaſſe, oder vielmehr Durchwaten derſelben ziehen Einzelne noch über die Beinkleider dicke grobwollene, bis an’s Knie reichende Strümpfe ohne Sohlen.

Die Reiſetaſche ſoll nicht blos an der Seite und in einer Hand, ſondern auch torniſterartig auf dem Rücken zu tragen ſein, weil ſo die Bürde auf ſtärkere Muskelgruppen vertheilt, am mindeſten ſchwer fällt. Die von Bädekerbe - ſchriebene Art, an den Ecken mit Oeſen, durch welche der Riemen läuft, und Henkeln, äußerlich mit zwei durch Knöpfe ſchließbaren kleinen Unterabtheilungen verſehen, iſt in einzelnen Läden vorräthig.

Auf ausgedehnten, ohne Führer und Träger unter - nommenen Märſchen, wo es auf äußerſte Beſchränkung des todten Gewichts ankommt (vergl. S. 34), dienen ſtatt der ledernen oft Taſchen von grobem Leinen oder Segeltuch mit überfallender Klappe von amerikaniſchem Ledertuch , einer Art leichten, ſehr dauerhaften Wachstuchs, auch ganz von ſolchem oder anderem waſſerdichten Zeuge verfertigte. In Tirolvorräthig, ſehr billig und gut zu tragen iſt der Ruckſack , ein viereckiger Beutel von grobem, grünem Canevas, an deſſen oberem, offenem Theil eine Schnur locker überſäumt iſt, ſo daß der Rand Falte an Falte zuſammen - geſchoben und zugebunden werden kann. Die Schnur hängt in der Mitte an zwei an den unteren Sackzipfeln befeſtigten Gurten, welche auf die Schultern kommen. Als Mund - vorrath dient in ſolchen Fällen am beſten Compactes, Con - centrirtes*)Wie ſich auch von den geiſtigen Nahrungsmitteln für den Reiſegebrauch am beſten kleine Ausgaben claſſiſcher Dichter eignen., Fleiſchextract, Schiffszwieback, hartgeſottene Eier, Schokolade, Fleiſchzwieback**)Eine Vorſchrift zu letzterem iſt, aus 12 Pfund Rindfleiſch Maaß Brühe kochen, ſie von Faſern und Fett befreit eindampfen und mit feinem Mehle kneten zu laſſen; aus dieſem Teige werden zollgroße, dem Judenbrode ähnliche.

70IV. Lang --- ſam! Vorläufer und Nachzügler.

Die alte Regel, langſam, gleichmäßig, in kurzen Schritten und mit geſchloſſenem Munde bergan zu ſteigen, iſt den meiſten Anfängern, wie es ſcheint, auf theoretiſchem Wege nicht beizubringen, ſo wenig es in den erſten Schwimm - ſtunden gelingt, den Schüler von haſtigen, zappelnden Be - wegungen mit Armen und Beinen abzuhalten, der Lehrer mag ſich auch heiſer commandiren: lang -- ſam, lang --- ſam, a -- ins, zwa -- i, dra -- i, langſam!! Wie der Schwimmer ſich an ruhige, ebenmäßige Bewegungen erſt gewöhnt, wenn er zum Elemente Vertrauen gefaßt und ſich überzeugt hat, daß es ihn nicht ſinken läßt, hingegen ſtürmiſche Behandlung ſtraft, ſo ergeht es auch Hochgebirgsſtudenten, die comment - widrig trotz Warnungen voraneilen. Laſſen wir alſo dieſe Heißſporne für Erfahrungen, die ſie von uns bemooſten Häuptern nicht unentgeltlich annehmen mögen, den laufenden Preis zahlen.

Wer in Geſellſchaft wandert, hüte ſich, auf eigene Hand zu raſten und dann den Uebrigen alla breve nach zu jagen, denn das ermüdet mehr, als die vierfache in gleichmäßigem Tempo gemachte Anſtrengung. Nicht minder iſt das lang - ſame Nachzügeln zu widerrathen. Der Erſchöpfte ſcheue nicht, eine Pauſe oder mäßigeres Tempo zu beantragen; Billigkeit und Klugheit verlangen, daß in dieſem Stück der Einzelne nicht majoriſirt wird; glauben die Anderen, daß er ſein Einſpruchsrecht*)In dieſelbe Rubrik, wo nämlich der Minderheit ein Veto naturrechtmäßig zuſteht, gehört auch die Frage, ob beim Fahren das Wagenfenſter geöffnet werden ſoll. Fürſt Pückler Muskauräth zwar dem Ueberſtimmten im umgekehrten Falle, um ſich Luft zu machen, das Fenſter mit dem Elbogen ſcheinbar aus Ver - ſehen zu zerſtoßen und hinterher zu bezahlen, ich würde jedoch, obwohl grundſätzlich für Offenheit, den nicht allzu ſehr bedauern, der ſich dabei an den Glasſcherben in den Arm ſchnitt, alſo die Scheibe mit Gut und Blut zu bezahlen hätte. mißbraucht, ſo mögen ſie ihn künftig von der Gemeinſchaft ausſchließen, vorläufig bleibt nichts**)Kuchen von einer Linie Dicke geformt und auf einem mäßig erhitzten Ofen gebacken, bis ſie leicht zu brechen ſind. So erhält man 6 Loth Zwieback. Manche miſchen auch Wein mit Fleiſchextract.71IV. Rückblick Alpenſtock Geröll.übrig, als ſich ihm zu fügen. Ein Halt wird ungezwungen vermittelt, indem man von Zeit zu Zeit einen Rückblick in’s Thal beantragt und ſo zugleich der ganzen Geſellſchaft einen Dienſt leiſtet, welche ihre großſtädtiſche Gewohnheit, ſich nie umzuſehen, meiſt mit in’s Gebirg nimmt, ohne zu ahnen, wie häufig die wechſelnde Scenerie im Rücken eine Betrachtung verdient. Solche kurze Raſten ſollen ſtehend gehalten werden; muß durchaus niedergeſeſſen ſein, ſo iſt wenigſtens der Plaid umzuthun, nicht minder auf Gipfeln, wo wir erhitzt an - kommen. Vor dem plötzlichen Uebergang (vgl. V.) aus anhaltender, ſehr angeſtrengter Bewegung in längere Ruhe hat ſich der Ungewohnte ſtets zu hüten; die erſte halbe Stunde muß durch einiges Auf - und Abſchreiten dann und wann unterbrochen werden. Nach völliger Abkühlung thut ein nicht zu kaltes, kurzes Bad oder eine allgemeine Waſchung wohl, worauf dann die ſchmerzenden Stellen der Beine mit Brannt - wein eingerieben werden können.

Der Alpenſtock ſoll ſeinem Träger bis zum Kinn reichen, aus feſtem, unbiegſamem Eſchenholz gemacht, unten mit einer eiſernen Spitze und oben mit einer Zwinge ver - ſehen, aber nicht zu ſchwer ſein. Seine Feſtigkeit wird da - durch geprüft, daß man beide Enden auflegt und ſich in die Mitte ſetzt, bricht er dabei nicht, ſo gilt er für tauglich. Beim Wandern ſtemmt man ihn weder zur Seite noch rück - wärts, ſondern vorwärts, ſo daß er das Gewicht des ein wenig nach vorn geneigten Körpers auf ſich nimmt. An ab - ſchüſſigen, hartgefrorenen Stellen wird ſeine Eiſenſpitze in Ermangelung einer Axt, deren es bei größeren Expeditionen bedarf u. A. dazu verwendet, kleine Staffeln in den Boden oder das Eis zu ſtechen, die nur ganz ſchmal zu ſein brauchen, um dem Fuße ſchon einen feſteren Tritt zu bereiten. Eistreppen ſoll man möglichſt gerade anſteigend, das Geſicht dem Berge zugekehrt, beſchreiten, weil der Fuß ſicherer mit der Spitze, als mit der Seitenkante auftritt.

Führt der Weg über Abhänge mit Geröll, ſo gilt es,72IV. Felſen Unglücksfälle Grashänge.raſch und leichtfüßig darüber hinweg zu ſchlüpfen, nicht etwa aus übelangebrachter Vorſicht auf einem Fuße ſtehend mit dem andern vorwärts zu ſondiren. Iſt Jemand voran - gegangen, ſo trete der folgende in ſeine Fußſtapfen. Beim Hinabſteigen über Geröll wird der Alpenſtock wieder mit beiden Händen gefaßt, aber die Spitze ſeitwärts, etwas nach hinten eingeſtemmt und der Oberkörper rückwärts gebeugt; je mehr wir uns vorbögen, je mehr würde die Bewegung beſchleunigt. Dabei iſt zu achten, daß die Abſätze hinten tief und die Zehen etwas aufwärts gekehrt ſind, um Verrenkungen zu verhüten. Das empfohlene Einhalten der Fußſtapfen des Vorgängers iſt indeß zu vermeiden, wenn der Weg über brüchigen, nackten Boden geht (auf welchem nur einzelne größere Steine umhergeſtreut ſind, die ſich leicht löſen und niederrollen), oder über morſchen, bröckelnden Felſen, faules Geſtein , z. B. verſchiedene Kalkarten und Nagelflue. In ſolchen Fällen hält man ſich etwas ſeitwärts vom Vorder - mann und ruft, wenn ſich Blöcke löſen, dem Nachfolger zu.

Nach der Verſicherung der Aelpler kommen Unglücks - fälle faſt nie an Punkten vor, die als gefährlich berüchtigt ſind und wo alle Mittel zu richtigem Verhalten aufgeboten werden, vielmehr in der Regel an ſcheinbar harmloſen Stellen, die aber eben dadurch zur Unachtſamkeit verführten. So z. B. gibt es auf Grasabhängen etwas vertiefte Strecken, in welchen ſich ein kaum ſichtbares Rinnſal bildet, das Halme, Wurzeln und Untergrund dermaßen verquickt, daß die blankſte Eisbahn nicht glatter ſein kann. Solche verrätheriſche feuchte*)Auch trockene, ſonnverbrannte Matten ſind häufig von gefährlicher Glätte, und theilen dieſe Eigenſchaft außerdem den Sohlen mit, ganz wie Fichtennadeln. Auberhat in einer Oper die Wahrnehmung in Muſik geſetzt, daß es auf Raſen gefährlicher iſt, auszugleiten, als auf Schnee. Bergwieſen koſteten ſchon vielen ein - heimiſchen armen Mädchen und Burſchen und manchen Reiſenden das Leben. Meiſt ſind ſie gar nicht einmal ſonder - lich ſteil und lächeln ſo unſchuldig und gewinnend, daß man73IV. Odyſſeus fährt in die Unterwelt Hinabgleiten.ſich ihnen vertrauensvoll nähert, ſo recht mit dem Gefühle des Behagens über ſie hinſchlendert, wie auf heimiſcher Frühlingsflur.

Die Bekanntſchaft einer derartigen verrätheriſchen Matte machte ich ſchon in meiner erſten ſchweizer Reiſewoche; hören Sie, wie es mir dabei erging. Ich fühle plötzlich beide Füße ſeitwärts gleiten und den Oberkörper ſanft zu Boden ziehen. Alles verläuft ſo gelind und ſäuberlich, der Fall iſt ſo weich und ſchmerzlos, daß ich, wenn ich mich recht erinnere, zuerſt lachte. Keine Viertelminute währt es jedoch, ſo hat ſich die Scene ganz und gar verändert und jede Spur von komiſchem Reiz verloren, denn es bleibt nicht beim Fall auf weichen Raſen, ſondern ich ſehe mich unaufhaltſam abwärts getrieben, erſt langſam, dann ſchneller und bald mit ſauſender Ge - ſchwindigkeit. Das Bewußtſein der Lebensgefahr ließ nicht auf ſich warten, glücklicherweiſe ahnte ich aber doch nicht ihre Größe, ſonſt wäre ich vielleicht in Verwirrung gerathen und hätte im rechten Augenblick das Nöthige verſäumt. Ich trieb nämlich auf eine tief und ſteil abfallende Felswand zu, deren Opfer ich unzweifelhaft geworden wäre, wenn nicht ſechs Schritte vor dem Abgrunde eine Klippe mich aufgefangen hätte. Eine zweite glückliche Fügung war es, daß der heftige Anprall, obwohl ich in Folge einiger unfreiwilligen Achſen - drehungen mit dem Kopfe voran hinabtrieb, nicht dieſen, ſondern die Schulter traf und ich trotz heftiger Schmerzen die Beſinnung behielt. An meine ſteinerne Retterin geklammert, wartete ich auf die Gefährten, die mich ſchon verloren geglaubt hatten.

Ueber geneigte Schneeflächen läßt ſich auch mittels des Alpenſtocks rittlings hinab gleiten, nur darf, weil hier ohnehin ſchon die Bewegung ſchwerer zu zügeln iſt, unter dem Schnee kein Eis ſein, denn ſelbſt im beſten Falle würde ſich dann die Niederfahrt bald unerwünſcht geſtalten. Ein ſolcher Weg ſoll nicht ohne Eisſporen gemacht werden, welche auf ſchlüpfrigen Grashängen gleichfalls von Nutzen ſind.

74IV. Gefahren und Rettungsmittel Wanderſtäbe Knieholz.

Auf einem ſchmalen, zu beiden Seiten ſteil abfallenden Grat erheiſcht die Anweſenheit von Schnee die äußerſte Be - dächtigkeit: Schritt für Schritt muß der Grund mit dem Stabe unterſucht und möglichſt von Schnee blosgelegt werden. Iſt auf einer Seite der Abgrund, auf der andern ein ſchroff emporſtrebender Berg und der Raum beengt, ſo iſt es ge - boten, den Rock zuzuknöpfen, den Plaid und was man ſonſt trägt ſo zu legen, daß nichts anſtoßen, anhaken, hangen bleiben kann, kurz alles das Gleichgewicht und die freie Bewegung Störende zu beſeitigen, ferner auf den Stab und ſeine Zwinge oben zu achten; iſt ſie darauf eingerichtet, ſo wird ſie abgeſchraubt; auch die Schuhbänder werden vorher feſt - gezogen, wenn ſie gelockert wären. Der Stab wird mit beiden Händen gefaßt, aber wieder vorn aufgeſetzt; ihn tiefer als die Füße zu ſtellen, ſo daß ein Theil des Körpers ihn über - ragt, iſt nutzlos und gefährlich. Im Gebrauch des Alpen - ſtocks, der überhaupt eine längere Uebung fordert, hat der einen weſentlichen Vortheil, der von Haus aus die Bildung des linken Arms und der linken Hand nicht vernachläſſigte. Manche Reiſende handhaben dieſe für Eingeweihte ſo wichtige Stütze mit ſolchem Ungeſchick, daß ſie beſſer thäten, ſie ganz wegzulaſſen und ihren gewohnten Wanderſtab beizubehalten. Geſchieht dies, ſo ſei derſelbe von kräftiger Art und habe oben einen bequemen Griff, welcher letztere aber vorſchrifts - mäßig nicht angeſteckt, geleimt, geſchraubt, ſondern an - gewachſen ſein muß.

Eine große Hilfe beim Aufwärtsklimmen in Regionen, in denen noch nicht alles Pflanzenleben erſtorben, gewährt das Knieholz (Legföhren, Sprutföhren, Latſchen), deſſen Stämmchen ächte ſchweizer Naturen, ihrem Heimatsboden, ſei er auch noch ſo hart und karg, mit unverbrüchlicher Treue anhänglich oft ſcheinbar ohne Spur von Erde mit ihren Wurzeln an und in dem Felſen ſich ſo feſt klammern, daß ſie eine treffliche Handhabe bieten und in der Regel die Laſt eines ausgewachſenen Mannes zu tragen vermögen. 75IV. Felsplatten Abwärtsſteigen.Nur hüte man ſich, die Bäumchen rund über die Hand zu biegen, denn das dulden ſie ſelten, ohne zu brechen. Abwärts über Knieholz zu ſteigen, iſt nicht ohne Gefahr, weil dieſes leicht zum Fallſtrick wird; läßt ſich nicht ausweichen, ſo gehe man langſamſten Schrittes.

Sind glatte geneigte Felsplatten zu überſchreiten, ſo werden die Schuhe ausgezogen und in bloßen Wollenſocken die Strecke zurückgelegt, denn Schuhnägel hindern dabei, während anſchmiegendes weiches Wollengarn dem Tritte Sicherheit gibt. Manche bedienen ſich auch hier der Eisſporen.

Beim Abwärtsſteigen, nicht ſelten ſchwieriger und ermüdender, als das Aufwärts, gilt im Allgemeinen die Vor - ſchrift, nie rücklings zu gehen, wie auf einer Leiter, es ſei denn, daß der Führer es für wenige Schritte verlangte. Denn abgeſehen davon, daß beim Rückwärtsgehen welches doch nur geſchieht, um ſich mit den Händen an Felſen und Geſträuch zu halten der ſo wichtige Alpenſtock hinderlich wäre, entfallen und in der Tiefe verſchwinden könnte, ſo gewährt auch derſelbe, beim Hinabſteigen nach hinten ſeitwärts geſetzt, mehr Sicherheit, als ergriffene Steine, Felskanten und Ge - ſträuch. Ferner iſt nicht zu vergeſſen, daß der vorſchreitende Fuß das ganze Körpergewicht auf ſich zu nehmen hat, außer - dem noch oft mit einer nicht vorher zu berechnenden Fall - geſchwindigkeit aufſetzt, mithin viel Urſache zur Vorſicht iſt, wenn der Weg über unebenen Grund und Geröll führt: je raſcher der Schritt, je weniger hat man die Haltung des Fußes in der Gewalt, je heftiger werden die Stöße, je größer die Gefahr einer Verrenkung, eines Beinbruchs. Es kommt vor, daß der Alpenſtock bei ſteilem Bergab gegen die Regel vorn hinabgeſenkt wird, um als Stütze zu dienen. In ſolchen Fällen muß abermals, namentlich wenn unten Eis iſt, vor eilfertigem Weſen gewarnt, der Stab nicht auf’s Gerathewohl hinabgeſtoßen, ſondern vorher ein paſſender Platz für ihn er - ſehen und nicht eher das ganze Körpergewicht auf ihn geſtützt werden, als bis er feſten Widerſtand leiſtet.

76IV. Sturz Eisſporen.

Wer das Unglück hat, auf ſchlüpfrigen, abſchüſſigen Gras - abhängen oder Schneefeldern zu ſtürzen und abwärts zu treiben, bemühe ſich, wenn er auf dem Rücken liegt, ſo ſchnell als möglich eine Wendung zu bewerkſtelligen, ſo daß die Bruſt zur Erde gekehrt iſt, denn auf dieſe Weiſe bietet ſich mehr Ausſicht, eine Handhabe zu erfaſſen, mit den Fin - gern oder der Schuhkante ſich einzugraben und außerdem den Kopf oben zu behalten, letzteres im wörtlichen und im figür - lichen Sinne gemeint. Verſäumt er eine ſolche Volte oder miß - lingt ſie, ſo iſt der Fall ziemlich hoffnungslos, denn in der Regel treibt dann, wie es mir geſchah, der Kopf bald nach unten vorwärts und die Beſinnung ſchwindet. Glückt es, Halt zu machen, ſo ſei das Nächſte, einige Augenblicke liegen zu bleiben, um Gedanken und Körperkräfte zu ſammeln. Nicht eher ſuche man ſich zu erheben, als bis etwas Ruhe ge - wonnen und das umliegende Terrain in’s Auge gefaßt iſt; erſt dann darf der Verſuch gewagt werden, langſam ſich aufzu - richten, unter Umſtänden die ſcharfe Kante des Schuhs ein - wühlend.

Zu entſcheiden, ob Eisſporen (Steigeiſen, Fußeiſen) anzulegen ſind, iſt Sache des Führers. Die Schmiede der den Eisregionen benachbarten Dörfer ſind meiſt recht geſchickt in der Anfertigung jener. Sie nehmen dazu das zähe Eiſen alter Senſen, welches ſchwere Proben beſteht. Zwei, wie eine halbgeöffnete Scheere kreuzweis über einander liegende, vorn längere, hinten kürzere Eiſenſtreifen, die an jedem ihrer vier Enden in einen mit der Spitze nach unten gekehrten Stachel auslaufen, bilden eine Art Roſt, auf deſſen Schneidepunkt ein Bügel angebracht iſt, der unten auf jeder Seite einen ähn - lichen Stachel und oben zwei Hefte hat, in welchen Riemen mit Schnallen ſich befinden. Auf dies Geſtell wird der Fuß geſetzt und feſt eingeſchnallt, wobei es darauf ankommt, daß die ſchmalſte Stelle der Sohle zwiſchen Ballen und Ferſe ge - nau in den Bügel paßt, ſo daß auch nicht eine Linie Spiel - raum bleibt. Da Füße von Bauern breiter als die von Tou -77IV. Seile.riſten zu ſein pflegen, ſo wird ſich ſchwerlich ein paſſendes Paar Sporen vorräthig finden, man läßt deshalb eins eigens anfertigen und beſtellt es etwas leichter als die landesüblichen. Die Schuhſohle darf, wie bemerkt, an der Stelle, wo ſie im Bügel ſitzt, keine Nägel haben. Vorn ſoll das Geſtell etwas über die Zehen hinausreichen, mit dem hinteren kurzen Theile jedoch gerade unter dem Abſatz abſchließen. Von den vielen verſchiedenen Arten Steigeiſen ſcheint mir die entſprechendſte die beſchriebene, und zwar nur oberflächlich zum Zweck der Unterſcheidung beſchriebene, nicht um einen Leitfaden zur An - fertigung an Schmiede zu geben.

Das wichtigſte Schutzmittel gegen die Gefahr des Aus - gleitens oder bei Einbrechen von ſogenannten Schneebrücken, Weheten (Schneevorſprüngen) und Sturz in Schründe nach der Verſicherung aller Alpenkenner leider immer noch nicht häufig genug angewandt ſind Stricke, mittels deren ſich Führer und Geführte in Zwiſchenräumen von vier Schritten anbinden. Das Alpine Journal warnt nachdrück - lich vor dem Leichtſinn, mit welchem Manche, ohne mit dem Führer vermittelſt eines ſoliden Stricks das einigende Band herzuſtellen, der höchſten Lebensgefahr trotzend, über trüge - riſche Schneefelder, die tiefe Eisſpalten verdecken, hinwegeilen, um zehn Minuten früher bei Tiſche anzukommen. Auch dem Journal gilt das Seil als einzig mögliches, freilich nicht immer wirkſames Mittel bei der Hauptgefahr, dem Ueber - ſteigen ſteiler Eisfelder, falls ſie nicht mit Schnee bedeckt ſind. Hier hängt Alles von der Feſtigkeit des Tritts auf der ge - hauenen Stufe und dem Bewußtſein des Einzelnen ab, daß ſein Fall alle Anderen in die Tiefe reißen kann. In ſolchen Lagen verhütet das Seil Haſt und Eilfertigkeit und bewirkt wie eine Brüſtung das Gefühl der Sicherheit. Iſt die Leine ſtraff geſpannt, ſo hat ſie den Nutzen, einen Strauchelnden durch das Gegengewicht des Vor - und Hintermannes vor dem Fallen zu bewahren, vermehrt alſo nicht blos das Gefühl der78IV. Seile Eisbeile Lawinen Führer.Sicherheit, ſondern auch, was die ſchlaffe nicht vermag, die Sicherheit ſelbſt.

Ueber Stoff, Bereitung und Handhabung der Seile, Schürzung der Knoten (jeder Knoten ſchwächt natürlich den Strick um ſo mehr, je feſter er gezogen, deshalb gehört die Schürzung unter die wichtigen Angelegenheiten), Einrich - tung der Eisbeile und Alpenſtöcke hat namentlich der londoner Club eine Reihe von Verſuchen gemacht, und deren Ergebniſſe im Alpine Journal I, 253 255, 321 331, II, 96 und 217 219 mitgetheilt. Einiges davon wurde hier benutzt, die nähere Erörterung der einzelnen techniſchen Fragen iſt nicht unſres Amts und mag den Vereinen über - laſſen bleiben.

Daß die Gefahr von Lawinen für den Sommergaſt nicht von Belang iſt, beſtätigt das Journal, weil ſie in der gewöhnlichen Jahreszeit der Bergbeſteigungen ſelten vorkom - men. Tritt freilich einmal ein ſolcher Fall ein, ſo iſt man ganz hilflos. Der Inſtinct des Führers überwiegt dann alles Geſchick des Touriſten. Das Jahrbuch des ſchweizer Alpenvereins, nachdem es die Nothwendigkeit betont, ſich durch geeignete Vorübungen für ſchwere Aufgaben zu be - fähigen, um ſich nicht ganz auf den Führer verlaſſen zu müſſen, hebt hervor, daß dieſer am Seil durchaus die volle Gefahr mit dem Touriſten theilen müſſe; denn wo daſſelbe unzuläſſig, weil ſonſt der Eine auch den Anderen ins Ver - derben bringen könnte, da ſei der Gang überhaupt zu unter - laſſen. Dagegen iſt es ein ſchweres Unrecht, wenn der Tou - riſt ein Vorangehen verlangt, deſſen ſich der Führer weigert. Furchtſamkeit iſt ſelten der Fehler dieſer Leute, und wo ſie urſprünglich vorhanden ſein mag, wirkt als genügendes Gegengewicht der Gedanke, der Reiſende werde des Betreffen - den Dienſt nicht wieder begehren.

So dringend bisher vor Eile gewarnt wurde, beim Auf - wie beim Abwärtsklimmen, ſo nachdrücklich muß im Gegen - theil gemahnt werden, den Rückweg von einem Gipfel recht -79IV. Rückweg nicht allein Narrenwagniſſe Entfernungen.zeitig anzutreten. Ueberwindung koſtet es freilich, den Lohn aller vorangegangenen und nachfolgenden Anſtrengungen und Gefahren ſich ſelbſt zu kürzen; Ahriman flüſtert, die Sonne ſtehe ja noch hoch, bis zur Dämmerung hab’s noch lange Zeit, bergab ſteige ſich’s leichter als auf, bleibe, Freund, bleibe ſiehe, alles Land liegt zu deinen Füßen, bleibe, ſei kein Thor, genieße, ſchwelge, wer weiß, ob je im Leben dir’s wieder ſo vergönnt iſt! O Wanderer, verſchließe dem Verſucher Dein Ohr und folge der Stimme des weiſen Ormuzd, laute ſie auch nicht ſüßer, als etwa ſo: Chommet, chommet, s iſch Zit, m’r hawwe no räiachliach zwäi Stund bis zum Senn. Drunne macht’s bälder dunkchal als hier owwe.

Eine Mahnung, obwohl ſie in keinem Reiſehandbuche fehlt, ſei hier wiederholt: man hüte ſich, im Hochgebirge allein zu wandern, und nehme, auch wenn zwei und mehr Gefährten zuſammen ſind, überall, wo nicht feſtſteht, daß es deſſen nicht bedarf, Führer und die nöthigen Ausrüſtungs - gegenſtände mit. Junge, kräftige Leute, die vor einem Wege ſtehen, den ſie von ihrem Standort meinen völlig überſehen zu können, und der ihnen gar leicht und gefahrlos ſcheint, ſind oft geneigt, Warnungen zu verachten. Sie wollen nicht glauben, daß kein noch ſo geübtes Auge die Beſchaffenheit von Schnee - und Eisfeldern von Weitem beurtheilen kann, daß für die Beſtändigkeit des Wetters niemals Bürgſchaft iſt, daß Richtpunkte, die ſie von fern meinen feſt im Auge be - halten zu können, oft unvermerkt ihr Ausſehen verändern oder ganz verſchwinden, daß auch in der Schätzung der Entfernungen der Fremde im Hochgebirg ſich ungemein leicht täuſcht, wozu die ungewohnte Größe der Berge und die Luftbeſchaffenheit beitragen. Auch das Ohr vermittelt manche Täuſchung, verführt durch eigenthümliche akuſtiſche Verhält - niſſe von Felswänden, oder durch den Nebel, welcher die Schallwellen unter geringem Verluſt nach oben trägt. Was Ihr Euch als Muth anrechnet, möchte man ihnen zurufen,80IV. Außergewöhnliche Erſteigungen.iſt ein prahleriſches Narrenwagniß, deſſen Ihr Euch ſelbſt im Falle des Gelingens mit nichten zu rühmen, ſon - dern lediglich zu ſchämen habt.

[Dieſe] Apoſtrophe, welche beweiſen mag, daß ich frivole Klettereien keineswegs zu vertheidigen ſuche, ſeien aber nun noch ein paar Worte pro domo angeſchloſſen, die ich in aller Beſcheidenheit blos als meine perſönliche Anſicht hinſtelle, gegenüber den Stimmen, welche nur zu wiſſenſchaftlichen oder künſtleriſchen Zwecken außergewöhnliche Erſtei - gungen gelten laſſen und jede von einfachen Touriſten unternommene als Eitelkeit verſpotten oder als leichtſinnig verdammen. Woher wißt Ihr ſtrengen Richter denn, daß es uns ohne Ausnahme allein auf das Sagenkönnen an - kommt, oder daß lediglich banale Neugier, blinder Nach - ahmungstrieb oder eitel Langeweile es iſt, die uns hinauf - treibt in’s Reich der Erſtarrung? Vom Reiz der Gefahr will ich nicht ſprechen, denn Ihr würdet ohne Weiteres auf Blaſirtheit und ſchnöde Emotionsſucht erkennen. Sagt mir aber doch, findet Ihr es ſo lächerlich, wenn Einer das Ver - langen hat, Bilder zu ſehen, die kein Griffel und kein Pinſel wiederzugeben vermag, Naturſcenen, die ihn erheben und be - glücken, deren Eindruck ihm bis in’s Greiſenalter treu bleibt? Und findet Ihr es unſittlich, wenn es uns ver - langt, die Kraft unſrer Muskeln und unſres Willens, Muth, Ausdauer, Geiſtesgegenwart, alles Eigenſchaften, die in unſrem weichlichen Stadtleben ſo leicht verkümmern, aber doch dem Einzelnen und dem Ganzen vielfach zu Statten kommen, zuweilen unentbehrlich ſind an würdigen Gegen - ſtänden zu verſuchen, zu üben, zu ſteigern, mit dem Geſichts - kreis auch das Herz zu erweitern? Auf einen Berg ſteigt der Menſch, wie das Kind auf einen Stuhl, um näher am Angeſicht der unendlichen Mutter zu ſtehen und ſie zu er - langen mit ſeiner kleinen Umarmung. ( Jean Paul.) Das Gefühl geiſtiger Kraft iſt es, das die Menſchen durchglüht und die todten Schrecken der Materie zu überwinden treibt;81IV. Uebertreibungen Führer.der Reiz, das eigene Menſchenvermögen am rohen Wider - ſtande des Staubes zu meſſen. Es iſt vielleicht die Sehnſucht des Herrn der Erde, auf der letzten überwundenen Höhe im Ueberblick der ihm zu Füßen liegenden Welt das Bewußtſein ſeiner Verwandtſchaft mit dem Unendlichen durch eine einzige freie That zu beſiegeln. ( Tſchudi.)

Im Allgemeinen läßt ſich behaupten, daß die Gefahren und Schwierigkeiten der Erſteigungen ſelbſt der höchſten Alpengipfel bei weitem nicht ſo groß ſind, wie es nach münd - lichen und gedruckten Berichten den Anſchein hat. Je häufiger ſie in neuerer Zeit werden, je mehr überzeugt man ſich da - von. Hierin wieder beſtätigt ſich der alte Satz, daß wir Ge - fahren und Schwierigkeiten, wenn ſie zum erſten Male an uns herantreten, viel zu hoch anſchlagen. Vermochten ſogar Männer, wie Sauſſure, an deren Muth, Entſchloſſenheit, geiſtiger Klarheit und gutem Glauben kein Zweifel erlaubt iſt, ſich von Uebertreibungen nicht frei zu halten, wie dürfen wir von jungen Leuten, die vom Montblancoder Monte Roſa herabkommen und die es drängt, von ihren Eindrücken und Leiſtungen zu berichten, erwarten, daß jede ihrer An - gaben richtig und genau iſt! Hr. Lesley Stephen, der Vor - ſitzende des londoner Alpenclubs, erzählt in ſeinem Aufſatz über alpine Gefahren (Alp. Journ. 1866. II, 273 285), daß ſeit dem erſten Sommer, den er in den Alpenzugebracht, mehr als ein Berg in der öffentlichen Meinung alle Stadien abwärts durchgemacht hat, von unerſteiglich und der ſchwierigſte Punkt der Alpen bis eine tüchtige Kletterpartie, aber keine Hexerei , ein regelrechtes Stück Arbeit und ſchließlich ein leichtes Tagewerk für Damen .

Das Führerweſen iſt in der Schweizvon den Be - hörden ſchon ſeit langer Zeit geregelt, wird fortwährend von ihnen beaufſichtigt, und von vielen Führern (freilich nicht von allen) läßt ſich ſagen, daß ſie an Ortskenntniß, Beſonnen - heit, Aufmerkſamkeit, Ausdauer und Pflichttreue nichts zu wünſchen übrig laſſen; einige ſogar ſind unter ihnen, welche682IV. Führer.in Augenblicken der Gefahr eine wahrhaft rührende Selbſt - verleugnung, bewundernswürdigen Scharfſinn, Spürtalent, Sichzuhelfenwiſſen, Muth und Unermüdlichkeit bethätigen. Solche Leute wird nicht leicht Jemand wie Dienſtboten ge - wöhnlichen Schlags behandeln, zumal ſie gar nicht ſelten aus dem Verkehr mit Gebildeten ſich hübſche Kenntniſſe und ge - fällige Umgangsformen erworben haben. Deutſchen gegen - über bedarf es überhaupt ſchwerlich jener Aufforderungen, welche engliſche Schriftſteller ihren Landsleuten ſo oft wieder - holen: ſeid freundlich mit Euren Führern, zeigt ihnen Ver - trauen, Wohlwollen, denn Ihr werdet den Vortheil davon haben. In Tirolund Salzburgwird hoffentlich das Führerweſen nun bald auch auf einen beſſeren Standpunkt kommen. Vor Leuten, die ihre Führung um einen auffallend wohlfeilen Preis anbieten, warnt Bädekermit Recht. Wer Führer zu ſchwierigen Erſteigungen braucht, bitte ein Alpenver - einsmitglied um Auskunft, verlaſſe ſich nicht auf die Empfehlung durch einen Wirth, auch nicht auf das äußere Abzeichen, die über der Schulter getragene, vielfach geſchlungene Leine, denn Mancher, der ſich dadurch das Anſehen zu geben trachtet, als gehöre er in die Claſſe des hochſteigenden Edelthiers , zählt ſeiner Natur nach zum Genus gemeiner Packeſel . Wo ich die Wahl habe, ziehe ich Männer in reiferen Jahren vor, denn ſie haben außer der längeren Erfahrung die Ruhe und Beſonnenheit für ſich. Keineswegs blos jüngere Leute übri - gens, ſondern auch einzelne ältere, ſonſt tüchtige Führer nei - gen zur Eilfertigkeit. Für den Grund halte ich weniger Hab - ſucht als Ehrgeiz. Sie wollen ihre Aufgabe nicht nur löſen, ſondern auch elegant, d. h. raſch löſen, um Nebenbuhler aus - zuſtechen. Hier und da habe ich noch einen andern Fehler an Führern erſten Ranges bemerkt. Während ſie einem mittel - mäßigen Bergſteiger gegenüber alle ihre Talente aufbieten, bis die Gefahr vorüber iſt, pflegen ſie wohl einem Touriſten, an dem ihr Kennerauge nach der erſten ernſthaften Probe, welche ſie ſcharf beobachten, gute Befähigung und Uebung83IV. Führer Schwindel.ſieht, nicht mehr gar viel Aufmerkſamkeit zu widmen. Sie nehmen an, daß er in ähnlichen Fällen ſich ſtets ähnlich be - nehmen werde, faſt ſo wie Einer der Ihrigen, der Jahr aus Jahr ein mit dem Hochgebirg und ſeinen Gefahren auf in - timſtem Fuße verkehrt. Kommt dann irgend etwas vor, wor - aus der Mann merkt, daß ſeine Meinung von der alpinen Bildung des Touriſten doch eine zu hohe war, ſo kann er wohl, wenn nicht etwa ein Unglück geſchehen, recht herzlich grob werden. Wie es ſcheint, ſtürmen in ſolchen Augen - blicken auf die wackere Führerſeele zu mächtige und wider - ſtreitende Gefühle ein, als daß er nicht das Verhältniß vom Herrn zum Diener, das Atteſt, das Trinkgeld, alles Dinge, die ſonſt ſeinem Herzen nahe genug ſind, vergeſſen und ganz naiv ſein ſollte. Schrecken und Beſchämung über eigene und fremde Unvorſichtigkeit und Freude darüber, daß Alles noch gut abgelaufen, theilt natürlich der Geführte mit dem Führer, wird deshalb mehr geneigt ſein, die Sache von ihrer komi - ſchen Seite aufzufaſſen, als dieſen hart anzulaſſen.

Wer Luſt und Liebe hat zum Bergſteigen und körperlich befähigt dafür iſt, braucht ſich nicht gleich abſchrecken zu laſſen, wenn er etwas Anlage zum Schwindel an ſich bemerkt, denn derſelbe kann durch methodiſche Uebung unterdrückt wer - den, wie ich an mir ſelbſt erfahren habe. Meine Natur neigte von Haus aus ſehr zum Schwindel und doch iſt es mir ge - lungen, mich dahin zu bringen, daß ich, allerdings erſt nach längerer Uebung, mit Aelplern um die Wette zu klettern ver - mochte und von ſolchen auch von unbezahlten Aner - kennung erntete, welcher man die Aufrichtigkeit anfühlte. In meinen Uebungen verfuhr ich nach alten pädagogiſchen und pſychologiſchen Regeln: beſtieg anfangs geſchützte Höhe - punkte wieder und wieder, heftete, ſo wie die erſten Anzeichen des Schwindels ſich bemerkbar machten (principiis obsta), die Augen auf einen nahen Punkt, richtete aber die Gedanken auf eine entfernte Sache oder Perſon, auf denen ſie gern zu weilen pflegten, z. B. Angehörige, Freunde, Studienobjecte,6*84IV. Schwindel Fußſchau.eine erlebte komiſche oder rührende Scene ꝛc. Auf der näch - ſten Vorbildungsſtufe ſuchte ich meine Augen in der Betrach - tung tiefer und tiefer zu meinen Füßen liegender Punkte zu gewöhnen, verfolgte hinabrollende Steine, beugte mich über Geländer, ſchaute ſenkrecht in die Tiefe hinabgeworfenen Papierbällchen nach, kletterte mit dem Blick an der ſenk - rechten Wand auf und ab u. dergl. m. Geraume Zeit koſtete es, mit derartigen Exercitien auf Gipfeln mich zu befreun - den, wenn ſtarker Wind wehte. Erſt als ich mich auch aus dieſer Claſſe mit dem Zeugniß der Reife entlaſſen konnte, begannen, natürlich nie ohne Begleitung, die ſchwierigeren Aufgaben, unter mehrfacher Wiederholung derſelben, und langſam ſteigender Doſis.

Jeder, der einmal in einem öffentlichen Bade die an - weſenden nackten Menſchenfüße betrachtet hat, muß bemerkt haben, daß ſie faſt ohne Ausnahme als Vorlagen zu einem pathologiſchen Atlas dienen könnten. Was die Urſache davon ſein mag, Ungeſchick der Schuhmacher? Kann unmöglich ſo allgemein verbreitet ſein. Sollte das ganze Gewerk den Ruin eines der ſchönſten menſchlichen Körpertheile zu ſeiner Lebensaufgabe gemacht haben, blos aus teufliſcher Freude am Böſen? Auch nicht anzunehmen. Nach meiner Anſicht iſt die Wurzel der Hühneraugen und vieler ſonſtiger Fuß - gebreſte ein falſcher Idealismus, welcher die Phantaſie und die bildneriſche Thätigkeit der ehrſamen Meiſter beherrſcht, im Bunde mit der mißverſtandenen Eitelkeit des verehrlichen Publicums. Im gewöhnlichen Laufe der Dinge rächt nun zwar die Natur derlei nur durch Schwielen, Leichdorn und eingewachſene Nägel, handelt es ſich jedoch darum, den Fuß für anſtrengende Wanderungen zu befähigen, wo von der Sicherheit des Tritts ſo viel abhängt, ſo muß Sorge getra - gen werden, die Folgen früherer Mißhandlungen möglichſt wieder gut zu machen.

Auch Deine Füße, mein lieber Wanderſchüler, ich weiß es, ohne ſie zu ſehen, haben unter dem Druck der Verhält -85IV. Glycerin Hautpflege Schleier.niſſe gelitten. Sollten ſchmerzhafte Stellen daran ſein, ſo muß ihnen durch einen geſchickten Operateur geholfen wer - den. Dieſer wird, wenn eingewachſene Nägel im Spiele ſind, vielleicht einen Keilſchnitt machen und an der Seite ein Stück Nagel bis zur Wurzel abſpalten wollen. Laß ihn tapfer gewähren, junger Freund, Dein Wanderglück ſteht ſonſt auf ſchwachen Füßen; kurz iſt der Schmerz, lang die Freude über geſunde Füße. Wurde eine Radicalcur verſäumt, ſo läßt ſich unterwegs nothdürftig Rath ſchaffen, indem man die in’s Fleiſch gewachſenen Nägel mit einer Glasſcherbe in der Mitte längshin dünn ſchabt und ſie ſo, daß beide Flanken gegen die Mitte des Nagels nicht zurückſtehen, alſo nicht bogenförmig, ſondern in gerader Linie beſchneidet. Hühneraugen, wenn gründliche Behandlung verſäumt wurde, laſſen ſich durch Iſolirpfläſterchen oder Beſchneiden mit einer Lancette beſänf - tigen. Froſtballen, ſofern ſie nicht ſchmerzhaft entzündet ſind, ſollen oft mit Schnee gerieben und in kaltes Waſſer getaucht, dann abgetrocknet und mit Collodium beſtrichen werden, wobei man aber dem Lichte nicht zu nahe kommen darf.

Die dem Sonnenbrande ausgeſetzten Theile des Geſichts und der Hände erhalten ſich geſchmeidig durch (friſches) Glyce - rin (in Amerikaiſt eine Salbe gebräuchlich von 1 Loth Wallrath, ¼ weißes Wachs, 4 fettes Mandelöl und 2 Glycerin; letz - teres kommt hinzu, nachdem das Uebrige bei gelindem Feuer zergangen iſt), dem ſonſt dazu benutzten Schießpulver, das die Haut ſtaubtrocken macht, weit vorzuziehen. Allenfalls thut’s auch ein Stück Talglicht, es braucht nicht juſt Lippen - pommade, Coldcream oder Rinderfett zu ſein, welches letztere im Apothekerrothwelſch Hirſchtalg benannt wird. Ein großes Verdienſt um die Alpenſteiger hat ſich das Glycerin dadurch erworben, daß es ſie befreit hat von den leidigen, früher zum Schutz der Geſichtshaut gegen Sprödigkeit und der Augen gegen Schneeblindheit viel getragenen Schleiern, welche die Ausſicht verkümmern, die Augen erhitzen, die Athemluft verderben und ſonſt vielfach beläſtigen. Denn daß auch die86IV. Schneebrillen Fußwanderung.Augen gegen das blendende Licht ſonnenbeſchienener Schnee - felder beſſer durch Brillen mit grauen Gläſern (Rauchbrillen) geſchützt werden, iſt längſt feſtgeſtellt. Hinweg alſo mit den grünen und blauen Flatterlappen, für läſtige Verſchleierungen ſorgen die Nebel ſchon hinlänglich. Dieſe Gläſer ſind in mehren Schattirungen zu haben; ich wähle eine mittlere, nicht zu dunkle. Den minder als die Ge - ſichtshaut abgehärteten Hals entblößt anhaltendem Sonnen - brand auszuſetzen, iſt nicht gut. Die Hände können gegen Braunwerden durch[Leinwandhandſchuhe] geſchützt werden.

Einer Lobrede auf das Fußwandern bedarf es hier nicht, denn ſie fehlt in keinem Reiſehandbuche, und alle Welt weiß, daß dieſe Art der Bewegung die geſundeſte, Geiſt und Körper erfriſchendſte und bildendſte, daß ſie eine Unabhängig - keit gewährt und Genüſſe bereitet, welche der Fahrende nicht kennt, daß der Wanderer leichter bekannt wird mit den und dem Einheimiſchen, daß ſie ein toniſirendes Mittel nach ſtarken Gemüthsaufregungen, auch ſehr geeignet iſt, vor großen Entſchlüſſen den Geiſt zu ſammeln und zu ſchärfen. Eher wäre daran zu erinnern, daß die Wanderung immer erſt von einem geeigneten Punkte angetreten werden und nicht, weil es ja doch eine Fußreiſe ſein ſoll, immer und immer gelaufen werden muß, ferner, daß Neulinge das Penſum der erſten Tage nicht zu ſtark nehmen und es erſt allmählich ſteigern dürfen, vor Allem, daß in der Bewegung Maß zu halten iſt. Doch davon ſpäter.

Reiſebücher, die in alten Auflagen und Vorurtheilen be - fangen ſind, munkeln noch immer, daß Fußwanderer von Wirthen oft nicht für voll angeſehen und nachläſſig be - handelt würden. Aengſtlichkeiten der Art, geliebter Reiſe - ſchüler, verbanne nur ganz aus Deinem Gemüthe und ſei überzeugt, daß in allen deutſchen Gebirgen, den Alpen, Pyre - näen, Apenninen, Sabinerbergenꝛc. heutzutage kein Wirth mehr lebt, der nicht ſehr wohl zu unterſcheiden wüßte zwiſchen Fußtouriſten und Strolchen. Auch in ihren Berechnungen87IV. Frühaufſtehen Eſſen und Trinken.habe ich nie einen Unterſchied finden können, ob ich zu Fuße, zu Waſſer, zu Wagen oder beritten ankam.

Was in den Büchern ſowie in den Sprüchwörtern aller Völker über Frühaufſtehen an’s Herz gelegt wird, braucht hier auch nicht ausgeführt zu werden, denn wir wiſſen Alle, daß zu Leiſtungen jeder Art, körperlichen wie geiſtigen, der Morgen die beſte Zeit iſt. Wer ihn durch ſpätes Aufſtehen verkürzt oder in nichtigen Dingen vergeudet, weiß nicht was er thut. Der Verſtändige bricht lieber im Dunkel auf, um nicht im ſpäten Abenddunkel das Ziel zu erreichen. Von be - ſonderem Werthe ſind die frühen Morgenſtunden, wenn es gilt, Firnfelder und Schneebrücken zu überſchreiten, bevor die Sonne ſie bearbeitet hat.

Vor ſtarken Märſchen iſt ein Frühſtück von Kaffee, Weiß - brod und Butter räthlicher, als ſchwere Fleiſchkoſt, weil große Körperanſtrengung und Verdauungsthätigkeit ſich gegenſeitig erſchweren und viel Fleiſcheſſen den Durſt ſteigert. Andrer - ſeits ſoll aber auch nicht ganz nüchtern aufgebrochen oder zu lange und bis zur Erſchöpfung gewandert werden, ohne von Neuem etwas zu ſich zu nehmen. Daß zwei Taſſen Kaffee durch eine verſäumte Morgenſtunde unter Umſtänden theuer erkauft ſein können, wir alſo in ſolchen Ausnahmefällen uns mit einem Trunk Milch oder Waſſer und einem Mund voll Brod zu begnügen haben, leuchtet ein. Manche kauen ein paar Kaffeebohnen und ein Stück Zucker und verſichern, daß Zunge und Magen dies als billige Abſchlagszahlung an - nehmen. Jedenfalls ſchmeckt das warme Frühſtück um ſo köſt - licher, wenn es erſt nach zweiſtündiger Wanderung einge - nommen wird. Ein Schluck feuriger Wein mit einigen Biſſen Brod und Fleiſch genügen als zweites Frühſtück zur Auf - munterung der Kräfte und Abhaltung oder Dämpfung des in hohen Regionen nicht ſeltenen Gefühls der Schwere in den Gliedern. Namentlich gönne ſich der Neuling von Zeit zu Zeit einen weiteren Imbiß. Die eigentliche Malzeit iſt erſt gegen Abend nach vollbrachtem Tagewerk zu nehmen. 88IV. Höhepunkte und Fernſichten des Reiſelebens.Engländer und Franzoſen, von Haus aus gewohnt, nicht vor fünf Uhr zu Mittag zu eſſen, haben wie im Felde ſo auch auf der Reiſe einen Vortheil vor den Deutſchen, die den Tag und das Tagewerk gerade in der Mitte um ein oder zwei Uhr durch die Hauptmalzeit unterbrechen zu müſſen glauben. Wird dieſelbe auf eine ſpäte Nachmittags - oder frühe Abendſtunde verlegt, ſo vertheilt ſich das ganze Wanderpenſum beſſer. Iſt der Tag nicht übermäßig heiß, ſo ſchreiten wir auch in den Mittagsſtunden rüſtig fürbaß und erreichen das Ziel um ſo früher. Am erſten oder zweiten Raſtpunkt im Freien und Grünen öffnen wir die Jagdtaſche, ſchmauſen das Cotelett oder halbe Huhn, das wir von der geſtrigen Malzeit bedächtig zurücklegten und mitnahmen, thun dazu einen kurzen Trunk, rauchen eine Cigarette und plaudern oder träumen. Der einſame Wanderer zieht vielleicht die Miniaturausgabe eines Lieblingsdichters aus der Taſche und lieſt einige Seiten, um der leiblichen Nahrung auch noch die geiſtige zu geſellen. Auf dieſe Weiſe kommen zuweilen Stimmungen zu Stande, die ſich mit unverlöſchlicher Schrift in die Erinnerung graben. Mir ſind ſolche Viertelſtunden, die ungerufen und unverhofft uns beſuchen, immer die eigentlichen Höhepunkte und Fern - ſichten des Reiſelebens geweſen, mehr als die an berühmten Oertlichkeiten, denn an ſolchen angekommen, verhalten wir uns in der Regel kritiſch, vergleichen, was wir ſehen, mit dem Phantaſiebilde, das wir uns davon gemacht, oder mit andrem früher Geſchauten und reflectiren und recenſiren uns aus aller Lyrik heraus.

Wird das zweite Frühſtück im Freien aus der Taſche heraus eingenommen, ſo haben wir nicht auf das gleich, Herr, gleich! der betreffenden Babetten, Vronis und Ur - ſcheln, welches durchſchnittlich dreiviertel Stunden bedeutet, zu warten. Der ſtarke Eſſer braucht zu Gunſten dieſes Reſerveſyſtems ſich nichts abzudarben, ſondern kann Abends vorher eine doppelte Fleiſchportion beſtellen. Der kluge Touriſt ißt aber nie ſehr ſtark.

89IV. Cum grano salis Veſuv Durſt.

Bei Ausflügen mit obligatem Mundvorrath vergeſſen von zehn Touriſten neun, Salz mitzunehmen. Auf Tabellen beruht dieſe ſtatiſtiſche Notiz zwar nicht, wohl aber kann ich ſie einigermaßen annehmbar machen durch ein Geſchichtchen. Im Frühling 186〈…〉〈…〉. traf ich eines Morgens im Zöpf-Weber - ſchen Kaffeehaus in Neapelmit drei Anderen zum Zweck einer gemeinſchaftlichen Beſteigung des Veſuvszuſammen. Der Wagen nach Reſinaſtand vor der Thür, unſren Imbiß von kaltem Geflügel hatten wir eben eingeſteckt, am Schenktiſch ließ ich mir noch etwas Salz geben und bemerkte, daß jeder der drei Herren dies flugs nachahmte. Als wir nun oben in dem von Lavablöcken erbauten kleinen Circus ſaßen, dem herkömmlichen Speiſeſaal der Beſteiger des Aſchenkegels, in dichtgedrängter Reihe um uns herum andere Beſucher, zeigte ſich, daß keiner von allen dieſen cum grano salis war, und ihre Blicke verlangend an dem kleinen Salzlager ſchleckten, das wir vor uns auf dem Schooße hatten. Da wandte ich mich an meine Gefährten, die meiner Erinnerung ihren Vor - rath verdankten, mit dem Antrag, unſer Salzmonopol nicht ſelbſtſüchtig auszubeuten, ſondern bedürftigen Nebenmenſchen davon mitzutheilen. Wir hatten die Genugthuung, im ganzen Kreiſe ringsum Heiterkeit zu verbreiten, und machten einige willkommene Bekanntſchaften; die wenigen Meſſerſpitzen Salz hatten eine befreundende Wirkung, die nach dem Sprüchworte ſonſt nur an einem Tiſche gemeinſam verzehrte Scheffel haben ſollen. Seit der Zeit vergeſſe ich den Artikel nicht mehr.

Vor und während ſchweren Tagewerks viel zu trin - ken, trägt nicht zur Beförderung der Spannkraft bei, eben - ſowenig iſt aber, namentlich bei großer Sonnenhitze, das entgegengeſetzte Extrem zu rühmen, wie es in Büchern ſo oft geſchieht; denn allerdings ſchwitzt man bei ſtrenger Ent - haltung und ſtoiſcher Ertragung des Durſtes nicht leicht, doch keineswegs zum Vortheil der Haut und des ganzen Körpers, welche hierdurch nur um ſo heißer und unbehaglicher werden, während die Feuchtigkeit kühlend wirkt. Ueberhaupt ſollten90IV. Durſt Erkältungen kalter Thee und Kaffee Fleiſchbrühe.kräftige, wohlgenährte Naturen den treuen, nützlichen Wan - dergefährten, den Schweiß, nicht ſo ängſtlich ſcheuen, nur ſelbſtverſtändlich ſich nicht jäher Abkühlung in Zugluft aus - ſetzen, beſonders nach großen Gewaltmärſchen eines heißen Tages ſich nicht dem Nachtthau preisgeben. Iſt nach der Seite hin dennoch geſündigt, ſo daß eine Erkältung winkt, ſo läßt ſich dieſer oft dadurch vorbeugen, daß man ſich raſch von Neuem tüchtig heiß läuft und dann wohlverhüllt langſam abkühlt. Auch den folterndſten Durſt er tritt ohne Appetit auf und wird in der SchweizDurſthunger, anderwärts Magenblödigkeit genannt ſuche man nie durch Schnee zu dämpfen, denn der ſteigert ihn. Das beſte Mittel dagegen iſt kalter Thee oder Kaffee, jeder Branntweinmiſchung durchaus vorzuziehen. Franzöſiſche Rothweine verurſachen bei Einigen Trockenheit des Schlundes. Um dieſe zu ver - meiden, nehmen Manche einen Grashalm in den Mund, Andere kauen ein Stückchen Cigarre. Bei äußerſter Er - ſchöpfung trinken Vorſichtige vermittelſt Theelöffeln, und es ſcheint, daß ſo eine mäßige Quantität durſtlöſchender wirkt und den Magen weniger beläſtigt, als die mehrfache in langen Zügen getrunkene. Wohl noch lange wird es dauern, bis unſre Köchinnen ihr Vorurtheil abgelegt haben, daß in Fleiſchbrühe nur der Eidotter ohne das Weiße gehöre, ich beſtelle deshalb immer neben der Brühe rohe Eier in der Schale und rühre deren ganzen Inhalt eigenhändig hinein, ſchäme mich auch nicht, dies der Welt offen einzugeſtehen.

Getränk bei großer Hitze zu kühlen, dienen unglaſirte Thonkrüge; fehlt es an ſolchen, ſo ſchlägt man um das Ge - fäß ein feuchtes Tuch und ſetzt es ſo der Sonne aus. Auf Wanderungen und beim Aufenthalt an fremden Orten ver - meidet der Vorſichtige, von dem ungewohnten Waſſer viel auf einmal unvermiſcht und kalt zu trinken, ſei daſſelbe an ſich auch noch ſo vortrefflich und ſein Magen noch ſo gut, ſondern begnügt ſich mit mäßiger Quantität, ſetzt auch ent -91IV. Hochgebirgsbeſchwerden Bergweh.weder ein Minimum von Spirituoſen hinzu, oder wählt ein kohlenſaures Waſſer.

Hier und da ruft der Aufenthalt in der Hochregion neben peinigendem Durſte noch andere Erſcheinungen hervor, z. B. beſchleunigten Herzſchlag, Heiſerkeit, Athemnoth, Kopfweh, Mattigkeit, Schlafſucht oder Schlafloſigkeit, Schlaffheit der Gelenke. Treten die Erſcheinungen heftig auf, ſo muß ein Arzt befragt werden. Vermuthlich erkennt er auf Bergweh und räth, erſt einige Stunden nach Aufgang der Sonne in’s Freie zu gehen und vor Untergang wieder das Zimmer auf - zuſuchen, bei ſtarkem Winde und wenn Gewitter oder Regen droht, ganz zu Hauſe zu bleiben und, will die Acclimatiſation nicht gelingen, widerräth er dem Leidenden das fernere Ver - weilen. In minderem Grade ſind derlei Beſchwerden bei Gäſten, die aus dem Tieflande in hochgelegene Curorte un - vorbereitet kommen, auch bei Touriſten, die zum erſten Male in der Schneeregion wandern, nichts Seltenes, pflegen aber meiſt raſch vorüberzugehen. Erklärt werden ſie durch die ver - änderte Beſchaffenheit der atmoſphäriſchen Luft. Dieſe wird je höher ihre Lage, um ſo kälter, dünner, leichter; Lunge und Herz, um die zur Blutbereitung nöthige Maſſe Sauerſtoff ſich anzueignen, ſind zu raſcheren Bewegungen genöthigt. Die aus Gletſchern ſtrömende Luft iſt außerdem noch ärmer an Sauerſtoff, als an ſchnee - und eisfreien Stellen von gleicher Höhe. Auch poſitive und negative Elektricität ſoll dabei eine Rolle ſpielen. Vom Grade dieſer Luftverände - rungen, von der Plötzlichkeit des Uebergangs und von indivi - dueller Beſchaffenheit hängt es nun ab, ob ihre Wirkung die erwähnten Störungen, oder im Gegentheil geſteigertes Wohl - befinden, freieres Athmen, beſſere Blutbereitung, Verdauung und Ernährung und erhöhte Stimmung zur Folge hat.

Die fette Alpenmilch iſt mit Vorſicht zu genießen und lieber zu meiden von Einem, der auf zweifelhaftem Fuße mit ſeinem Magen ſteht. Etwas verdaulicher wird ſie durch eine kleine Zuthat von Kirſchgeiſt, Rum oder dergleichen. Ein92IV. Alpen - und Tigermilch.in Oſtindienbeliebtes Getränk der Art führt den Namen Tigermilch ; es wird bereitet, indem man der Milch Ma - deira oder Arak, ferner ein paar Eidotter, auf Citronenſchale abgeriebenen Zucker und ein wenig Cardamom oder Vanille zuſetzt. In einer aus verſchiedenen Nationen gemiſchten Geſellſchaft, die ſich in einem ſchweizer Gaſthof zuſammen - gefunden hatte, war einſt die Rede auf engliſche Küche ge - kommen, und die anweſenden Franzoſen, Ruſſen und Deut - ſchen hatten einſtimmig den Stab über ſie gebrochen. An rohem Fleiſche, hieß es, könnten nur reißende Thiere Geſchmack finden, der Erfinder der Plumpuddings verdiente in ſeinen Rumſaucen zu brennen, und die Bereitung der Gemüſe in Englandſei die unverhüllte Barbarei. Für den nächſten Tag war eine gemeinſame Partie nach einer benachbarten Sennhütte verabredet. Da kam mir der Einfall, die nöthigen Zuthaten zu jenem Getränk hinaufzuſchicken und oben ganz verſtohlen eine Bowle davon zu machen. Nach dem Kaffee wurde die Tigermilch aufgetragen und jeder Perſon eine Taſſe voll credenzt. Große Ueberraſchung. Man ſchien einen Schabernack zu vermuthen und Niemand wollte an - fangs verſuchen. Ob ich dieſes neue Nahrungsmittel aus Indienmitgebracht, etwa condenſirt, oder ob ich es aus einer Menagerie bezogen hätte, und mehr dergleichen Fragen be - kam ich zu hören, bis endlich eine junge Ruſſin Muth faßte, zu koſten, und in Lobeserhebungen ausbrach. Einer nach dem Andern folgte und bald war Alles einig darüber, daß ein Miſchkrug der Art von Göttern getrunken und von Homerbeſungen zu werden verdiene. Es wurde der Beſchluß ge - faßt, künftig nicht mehr abzuſprechen über Engländer und reißende Thiere.

Einige Worte der Polemik mögen hier einer Begriffs - verwechslung gewidmet werden, die ſchon viel Unheil in der Touriſtenwelt angerichtet hat und deren Urſprung ſich viel - leicht auf die alten Paßbeamten zurückführen läßt. Dieſe vom heutigen freizügigen Geſchlecht nur noch wenig gekannte,93IV. Erholungs - u. Vergnügungsreiſen ſich einmal ſo recht auslaufen.kaum bemerkte, ehedem aber mächtige, gefürchtete Menſchen - claſſe deren Hauptaufgabe zu ſein ſchien, unſren Vor - fahren das Reiſen zu verleiden, Stetigkeit, Liebe zum häus - lichen Herde und zum Vaterlande zu fördern war nämlich verpflichtet, jedem, der die Abſicht einer Ortsveränderung kund gab und ſich ſomit als Landſtreicher verdächtigte, eine Reihe von Fragen vorzulegen, darunter unbeſcheidene, zumal für Damen peinliche. Die letzte Frage lautete ſtets: Zweck der Reiſe, Geſchäfte? Erfolgte darauf verneinende Ant - wort, ſo wartete der Beamte, im Gegenſatze zu ſeiner bis dahin bewieſenen Gründlichkeit, keine weiteren Erklärungen ab, ſondern ſchrieb nach eigener Eingebung friſchweg entweder Erholung oder Vergnügen . So geſchah es denn be - greiflicherweiſe oft, daß einer Reiſe, die recht eigentlich zur Erholung dienen ſollte, der amtliche Stempel als bloße Luſt - fahrt aufgedrückt und wer weiß, ob nicht mancher Paßinhaber dadurch verführt wurde, ſie auch als ſolche zu behandeln, was zur weiteren Folge hatte, daß die Merkmale beider Begriffe ſich allgemach verwiſchten, ein Uebel, an dem noch ein Theil unſrer Zeitgenoſſen ſiecht. Daß z. B. ein berliner Geheimer - rath von ſeiner kurzen Urlaubszeit behufs einer Erholungs - reiſe im Salzkammergutedie Hälfte dem Studium der mün - chener Bierhäuſer und Galerien widmet, oder ein hamburger Kaufmann, der zur Stärkung ſeiner Augen nach Appenzellgeſchickt wird, anſtatt deſſen Wieſen den grünen Teppich in Baden-Badenmit ſeinen gelben und weißen Blumen wochen - lang beſichtigt, und zahlloſe ähnliche Verſtöße gehören ver - muthlich unter die Nachwehen des alten Paßzwangs.

Was hier durch Säumigkeit, wird in anderen Fällen durch Uebermaß des Eifers verfehlt. Ein ſehr norddeutſcher Univerſitätslehrer machte einſtmals, erzählte er mir ſelbſt einige Jahre ſpäter, die ganze Route bis Thun in einem Ruck. Ich kam mit dem Vorſatz an, mich nun einmal ſo recht aus - zulaufen. Damit meinte ich nicht nur das ganze ſeit meiner Studentenzeit aufgeſammelte Deficit an Bewegung auf94IV. Läuferwahnſinn.einmal zu decken, ſondern auch noch durch überſchüſſige gute Werke ein Capital für die nächſten Jahre zu erwerben, mein Ganglienſyſtem und den nervus sympathicus wieder auf den Normalton hinauf zu ſtimmen, mit den Unterleibs - organen auf den Friedensfuß zu gelangen, kurz einen neuen Menſchen anzuziehen. Zu meinem Unglück traf ich noch zwei Studioſen, welche, als ſie meinen Namen zufällig erfahren, über ihre Begegnung mit einem ſo berühmten Manne die rührendſte Freude äußerten; in meinen Schriften wußten die wackern Jungen beſſer als ich ſelbſt Beſcheid, mit einem Worte, ſie nahmen mein Gelehrtengemüth dermaßen ge - fangen eine Beredtſamkeit des Herzens, deren nicht jeder Lehrer von ſeinen Schülern theilhaftig wird, ſchaltete der er - zählende Meiſter ein, mit einem Seitenblicke auf ſeine beiden Gefährten daß ich nicht umhin konnte, ihrer Augen ſtilles Sehnen zu erfüllen, und ſie aufforderte, ſich mir anzuſchließen. Beide ſchwelgten in Entzücken über den erſten Anblick der Alpenund waren unerſättlich im Klettern. Zwiſchen ihrer Begeiſterung und Jugendkraft und meiner mißverſtandenen Pflichttreue und Geneſungsſehnſucht entſtand nun ein förm - liches Wettrennen, das bald einen fieberhaften Charakter annahm. Dieſe neue Krankheit, die ich Läuferwahnſinn nenne, hat mit dem Säuferwahnſinn gemein, daß ſie ihr Opfer mit dämoniſcher Gewalt feſthält und der Schaden erſt erkannt wird, wenn er nicht mehr gut zu machen iſt ..... Nun, die Frucht dieſer vermeintlichen Erholungsreiſe war eine Krankheit, die mich bis tief in den Herbſt hinein in Luzernfeſthielt, und eine ſehr erhöhte Reizbarkeit. Mein Unfall gab mir aber eine Lehre, aus der ich ein ganzes Lehr - gebäude zu zimmern im Begriffe bin, ſo viel Material von Beobachtungen und Folgerungen ſteht mir zu Gebote. Warum lächeln Sie? Die Wiſſenſchaft muß Capital aus Allem machen.

Was werden, warf ich ein, Ihre Collegen von der mediciniſchen Facultät dazu ſagen, welcher Sie doch nicht95IV. Hypochondriſche Studien.angehören, daß Sie Gebäude auf ihrem Grund und Boden aufführen, was wird Ihr Hausarzt dazu ſagen?

O, was das anlangt, ſo könnte ich nur auf Nord - amerikaverweiſen, wo die Squatter, Leute, die ſich auf Ländereien anbauten, auf welche ſie kein Eigenthumsrecht hatten, für die Coloniſation des Welttheils ſo wichtig ge - worden ſind. Einer Vertheidigung bedarf es aber gar nicht, denn dieſe Herren Aerzte und Phyſiologen beſchränken ſich ja auch keineswegs auf ihr Revier, ſondern machen weite Streifzüge ringsum in andere Gebiete, nur daß ſie dabei weniger aufbauen als niederreißen, ſengen und brennen, auch Weiber und Kinder nicht ſchonen. Geſteht doch jeder der Herren unter vier Augen, daß man mit den Nerven ſo wenig fertig werde, wie mit der Cholera und ſo vielem Andern, trotzdem unabſehbare Batterien von meſſingenen und gläſernen Röhren mit und ohne Kolben, Legionen von anatomiſchen, chemiſchen, phyſikaliſchen, mathematiſchen Ge - räthen aus allen Arſenalen der Wiſſenſchaft dafür in Be - wegung ſind.

Um ſo weniger werden ſie zugeben, daß ein Laie klüger ſein will, als ſie ſelber.

Müſſen ſich doch auch die Aſtronomen gefallen laſſen, daß Uhrmacher und Poſtſecretäre Cometen entdecken. Der Verſtand der Verſtändigen ſieht oft vor Bäumen den Wald nicht. Uebrigens können mich die zünftigen Heilkünſtler nicht der Medicinalpfuſcherei anklagen, denn mein Syſtem baue ich nur zu meinem Privatgebrauche, und ſchon das Sprüchwort ſagt, daß Jeder ſelbſt ſein beſter Arzt ſei.

Kein Sprüchwort duldet allgemeine Anwendung, die beſten ſind nur halbwahr. Ich möchte in dieſem Falle gerade umgekehrt behaupten, daß ein nervöſer Menſch ſich ſelbſt der ſchlechteſte Arzt iſt und der ärgſte Pfuſcher ihn ſchwerlich ſo herunterbringen kann, wie er ſich ſelbſt. Denn während die meiſten anderen Organe unſeres Körpers ſehr bald und ſehr deutlich es kund geben, wenn wir durch irgend ein Thun96IV. Hypochondriſche Studien.oder Laſſen ihre Geſetze übertreten haben, Achtung vor ihnen hingegen belohnen und ſo uns förmliche Anleitung ertheilen, was ihren Zorn verſöhnen kann, ſcheinen die Nerven, wenn ſie erſt einmal aufſäſſig geworden, an Unbeſtändigkeit, Launenhaftigkeit, Unberechenbarkeit und Tyrannei Alles zu überbieten, was je den Frauen nachgeſagt ward. Ihre Orakelſprüche ſind bald völlig unverſtändlich, bald zweideutig; jetzt ſcheint ein Rath klar, lichtvoll wie die Sonne, bei ſeiner Anwendung ergibt ſich jedoch, daß er eitel Dunſt war; jetzt wieder bewährt ſich einer eine Zeit lang ſcheinbar trefflich, wir preiſen ihn als treuen Diener, plötzlich findet ſich, daß der treue Diener uns ſchmählich beſtohlen hat. Curirt nun ein Arzt an einem ſolchen Patienten erfolglos herum, ſo ſchafft dieſer ihn ab, wendet ſich an einen zweiten, dritten, vierten. Hat er daheim alle namhaften Doctoren vergebens durchconſultirt, ſo verſucht er es in anderen Städten, wirft ſich dieſer und jener neuen Methode in die Arme. Dabei vergeht viel Zeit, und das iſt der erſte Gewinn, denn, um Ihnen nun auch mit Sprüchwörtern zu dienen, kommt Zeit, kommt Rath , Zeit heilt Alles . Der zweite Gewinn iſt, daß ſein Grimm ſich nur gegen einen Arzt nach dem andern, zuletzt gegen alle Aerzte, alſo immer nur nach außen richtet, nicht gegen ſich ſelbſt. Im Hintergrunde ſeiner angſtvollen Seele ſitzt immer noch die Hoffnung, die ihm Muth und Troſt zuſpricht. Du haſt das Deinige gethan, ſagt er ſich, keine Koſten, keine Mühe geſcheut, vielleicht findet ſich doch noch der rechte Mann, der Dir hilft. Denken wir uns nun aber in die Lage eines Menſchen, der ſeine wirkliche, oder gar ſeine eingebildete Krankheit ſelbſt curiren will, wie er aus Büchern ſich Rath holt, hin und her experimentirt, grübelt und griesgrämelt, Tagebücher und Tabellen führt über ſeine täglichen Wahr - nehmungen, Empfindungen, Leiſtungen und Leiden, vier Abſtufungen von Unterjacken und Ueberröcken hat u. ſ. w., ſo haben wir ein Stück Menſchheit vor uns, das zu all97IV. Hypochondriſche Studien Ode an die Nerven.ſeinem ſonſtigen realen und idealen Elend noch mit dem Fluche der Lächerlichkeit beladen iſt und deſſen Freunde, deſſen Familie, ja deſſen Dienſtboten die Achſeln über ihn zucken. Das Schlimmſte bei alle dem iſt, daß der Gegenſtand der Beobachtung zugleich den Träger für das Medium derſelben bildet, mit anderen Worten, daß die Nerven das Gehirn beherrſchen, folglich Urtheilsvermögen, Gedächtniß, Stimmung und Alles, was damit zuſammenhängt, fortwährend be - einfluſſen. Wo ſoll unter ſolchen Umſtänden Klarheit und Gegenſtändlichkeit herkommen? Die Schüſſe eines Kanonen - bootes auf ſtürmiſch bewegter See und bei trüber Atmoſphäre mögen kaum ihres Zieles unſicherer ſein, als die Wahr - nehmungen und Schlüſſe eines Leidenden dieſer Gattung. Ich beſchwöre Sie, laſſen Sie ab von Ihren hypochondriſchen Studien, ſuchen Sie lieber Ihre durch ein Uebermaß von Arbeit erzürnten Nerven durch Müßiggang zu verſöhnen.

Jetzt merkte ich erſt an den Mienen meines Akademikers, daß er ſich einen Scherz mit mir erlaubt hatte. Ich möchte, ſagte er, Sie umarmen, ſo freue ich mich, in Ihren Anſichten die meinigen beſtätigt zu finden. Nur dieſe herauszulocken, war es mir zu thun, denn ich ahnte, daß auch Sie in dem Gebiete Erfahrungen haben. Als ich mich darauf in Boxerpoſitur ſetzte und mit der Fauſt ſein Ganglien - ſyſtem bedrohte, zog er ſich um Pardon bittend zurück und nahm ein Blatt aus der Brieftaſche.

Ich greife in die Leier, um den Zorn des britiſchen Leoparden zu beſänftigen. Hierauf las er mir ſeine Ode an die Nerven vor, von welcher ich jetzt nur noch wenig berichten kann. Das Geflecht der Nerven, in dem unſer leibliches und geiſtiges Ich verſtrickt iſt, wurde mit dem Netze des Knaben verglichen, in dem er Schmetterlinge fängt, dann mit den Netzen, die dem Vogelſteller, dem Fiſcher, der Spinne eine Quelle des Lebens und des Genuſſes ſind. Sodann wurden die Nerven unſeres Erdballs, die Telegraphen, betrachtet, die uns bald zum Leitfaden, bald798IV. Schroffe Uebergänge Wie neu geboren.zum Narrenſeil werden, die Frieden, Krieg, Leben, Tod, Wahrheit, Lüge durch die Welt ſchleudern. Von Jahr zu Jahr ſpanne ſich das unheimliche Gewebe weiter und weiter über unſren Planeten aus, ziehe ſeine Maſchen enger und enger. Den Schluß machte ein ſehr phantaſtiſch ausgeführtes Bild des Welttreibens in tauſend Jahren.

In die von meinem akademiſchen Freunde mit dem Namen Läuferwahnſinn belegte Geiſteskrankheit fallen nicht ſelten auch Badegäſte und zwar eingeſtändlich aus purer Langerweile , in der Meinung, weil ihre Muskeln ſich bereit - willig dazu hergeben, daß auch ihre Nerven ſich wohl dabei befänden. So laufen und laufen ſie, Einigen gelingt es, eine kurze Weile der Langenweile zu entlaufen, Anderen bleibt ſie hart auf den Ferſen, was aber Allen ſicher nach - folgt, iſt die Strafe. Ihr Organismus würde es vielleicht dankbar aufgenommen haben, wenn ſie daſſelbe Maß von körperlicher Anſtrengung erſt nach längerer, ſtufenweiſe fort - ſchreitender Vorübung hätten eintreten laſſen, ſo aber pro - teſtirt er dagegen, denn unſere Nerven laſſen ſich Manches abſchmeicheln, abbitten, ablocken, ſelten jedoch etwas ab - trotzen, abjagen, mit Gewalt entreißen, wie das ſehr ge - ſunden, kräftigen Naturen gelingt, die dann ihr Verfahren als Schutz - und Heilmittel für Alle anſehen und anpreiſen, geringſchätzig auf jeden herabblickend, der es nicht wie ſie macht.

Uebergänge aus langjährig gewohnter Lebensweiſe in eine neue, ſei dieſe an ſich noch ſo gut und zweckmäßig und jene noch ſo naturwidrig, pflegen, wenn ſie ſchroff und plötzlich ſtattfinden, keineswegs immer, am ſeltenſten im ſpäteren Lebensalter, heilſam einzuwirken. Nicht ſelten iſt es ſcheinbar der Fall: der Patient fühlt ſich wie neu - geboren und glaubt ſeine alte Reizbarkeit und ſeinen Trüb - ſinn ein für allemal beſeitigt, früher oder ſpäter erfolgt aber der Rückſchlag in eine Depreſſion, tiefer als zuvor: ein99IV. Schroffe Uebergänge Aſchermittwoch.Zeichen, daß der neue Zuſtand nicht Geneſung war, ſondern ein höherer Grad krankhafter Erregung, auf welche dann ſtets eine um ſo heftigere Reaction folgt.

Wer eine Bade -, Trink -, Reiſe -, Luftcur vorhat, thut immer wohl, ſich der durch dieſelbe bedingten Lebensweiſe ſchon vorher ſchrittweiſe zu nähern. Gerade das Umgekehrte geſchieht in der Regel. Der Patient iſt überzeugt, daß die bisherigen Verſtöße gegen eine vernünftige Diät mit dieſem Worte iſt hier nicht blos Eſſen und Trinken gemeint ſeine Geſundheit untergraben und ſeine Zukunft gefährdet hat, nichtsdeſtoweniger ſetzt er die Gewohnheit fort, ſteigert ſie ſogar, denn das Bad macht ja doch bald alles wieder gut, redet er ſich ein. Ganz wie in alter Zeit Heiden, um ihre Seele zu retten, den Uebertritt zum Chriſtenthume beſchloſſen, die Taufe aber verſchoben, um den Becher der Luſt erſt noch gründlich zu leeren. Dieſelbe Anſchauung finden wir noch an anderen Stellen wieder. Oft hört man z. B. die Aeußerung: heute kann ich mir ſchon etwas bieten, denn er - kältet bin ich ohnehin dermaßen, daß es gar nicht ärger werden kann.

Alles ſehr menſchlich, wird entgegnet, jeder Abſchied will gefeiert ſein, der Abſchied von alten Freunden wie von alten Gewohnheiten, mögen dieſe ſich auch nicht als Freunde erwieſen haben. Nun meinetwegen. Nur beklagt Euch nicht, Ihr Herren Abſchiednehmer, wenn der Aſchermittwoch Euch um ſo ſchwerer fällt, je toller Ihr die Ausgelaſſenheit am Faſchingsdienstag getrieben; beklagt Euch nicht, wenn Jahre, Jahrzehnde ſtrenger Buße nicht ſühnen, was Ihr gerade dann noch ſündigtet, als Ihr es ſchon mit Bewußtſein der Schuld thatet.

Auch im geiſtigen Gebiete können Manche die ſchroffen Uebergänge nicht vertragen, z. B. aus langjähriger an - geſtrengter, zerrüttender Thätigkeit in völlige Ruhe, vielmehr gerathen ſie dadurch in Grillenfängerei oder auf ſonſtige7*100IV. Aſchermittwoch.Abwege. Mögen ſie nun vier Wochen oder ſieben Monate zu ihren Erholungsferien haben, ſie würden gewiß cur - gemäßer handeln, wenn ſie die Uebergänge vor - und rück - wärts, wie die Maler ſagen, etwas abtönten, u. A. ein Stück ihres alten oder eines ähnlichen Tagewerks mit herübernähmen in den Anfang des neuen Interims. Gifte in geringer Doſis ſind oft gute Heilmittel.

Die beiden vornehmſten aller Mittel, rebelliſche Ner - ven zur Botmäßigkeit zurückzuführen, Luftveränderung und Ruhe, werden wir im folgenden Abſchnitte näher be - trachten.

[101]

V.

Luftcurorte und Mineralquellen der neue Souverän Bedürfniß und Ueber - fluß Stiftungen wohlfeile Unſterblichkeit nicht gerechtfertigte Anlagen Wege Lichtungen Schatten Sitzen im Freien Bänke Wünſche und Beſchwerden Culturgeſchichtliches Sommerfriſchen Dorfgeſchichten häusliche Einrichtungen unwillkommene Sinnesreize Curvorſtände Ohrenſchinder muſikaliſche Drangſale Lenz und Frühſommer bei knapper Zeit böſes Wetter farbenblinde Augen Meteorologiſches Hochſommer - glut für und gegen große und kleine Bäder naturaliſtiſche Luftcurverſuche in der Wildniß Ventilation Kaffeehäuſer Bierſtuben Siedelungsverſuche ſociale Stellung des Kranken Kunſt, mit Anſtand und guter Laune krank zu ſein geſunder Menſchenverſtand Tagesordnung wie geht’s? der junge Nachwuchs der Curorte Laienbrief an die H. H. D. D. loci Elementarunterricht Geheimeräthe Orden Haupt - und Nebenſachen romantiſche Verführungen Verſtand und Erfahrung Reiſequeckſilber Spielart von Touriſt und Curgaſt Fahrſucht natürliche Grenzen gerecht und vollkommen Geſtändniſſe Schmuggeleien Reiſecurgäſte und ihre böſen touriſtiſchen Gelüſte Reiſejagden Scheu vor Wiederholungen und Rückwegen Verweile! Galerien wiederholte Reiſen Jahreszeit Curzeitvergeudung drückende Nahrungsſorgen Balneologie und Klima - tologie Laienwünſche monographiſche Lücken Durchſchnittstemperatur zur Diät der Seele Geduld, Geduld, Geduld! Penſionsweſen Winter - curorte Kündigungsrecht eine Penſionsmutter mein Stubennachbar Nordlicht Satzungen Zug nach dem Süden Troſt für Zurückbleibende ewiger Frühling deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt ſehr ent - täuſcht Hoffnungen und Wünſche an junge Aerzte Erforderniſſe Meeresküſte ſpazieren klettern verlorenes Paradies Oertliches Tur - nen ernſte Ueberlegungen Waffen gegen Langeweile Geographie der Langenweile Segen der Arbeit Lectionen im Müßiggang Zerſtreuungen, Zeitvertreibe, Beluſtigungen Rentierleben Rentiers und Sinecuriſten Tröſteinſamkeit Zucht der Phantaſie am Abgrunde Stundenplan Schutz der Arbeit und Bürgſchaften der Freiheit Sonnenſchirm für Cur - gäſte Metallklammern.

Mehr und mehr befeſtigt ſich in unſerer Zeit die Ueber - zeugung, daß eine Menge Stoffe, welche einſt für Heilmittel102V. Der neue Souverän Luftcurorte und Mineralquellen.galten, keine ſind, und daß bei den althergebrachten Methoden die Apotheker beſſer als die Kranken gedeihen. So gewöhnt man ſich, Geneſung weniger in Büchſen, Käſten und Gläſern mit lateiniſchen Aufſchriften zu ſuchen, als dort, wo alle jene Kräuter und Wurzeln wuchſen: in der freien Natur, in Feld und Flur, Gebirg und Wald. Die materia medica ſchrumpft zuſammen, ihr größter Theil verflüchtigt ſich, hat ſich bereits aufgelöſt in Luft. Der enge Kreis der ſouveränen Heilmittel hat ſich dieſem Parvenü von geſtern öffnen, wie zu Anfang unſres Jahrhunderts Kaiſer und Könige ſich haben entſchließen müſſen, einen Emporkömmling als ihres Gleichen, ja als primus inter pares anzuerkennen und Familien - verbindungen mit ihm ſich zur Ehre zu ſchätzen. An der Wiege des Neugeborenen ſtanden die Allopathen, Homöopathen, Hydropathen, blickten ſcheel auf einander, konnten ihm aber ihren Segen nicht vorenthalten. Wer weiß, ob nicht ihre Eiferſucht erregt worden wäre, wenn die Eltern dem Kinde einen gelehrten griechiſchen Namen gegeben hätten, z. B. Aëropathie. Das thaten ſie aber klüglich nicht, ſondern gaben gar keinen Namen, ließen ihn vielmehr in der Luft ſchweben. So wuchs das Kind unvermerkt empor zum Mann und zum Eroberer. Raſtlos wie der alte Napoleon, iſt auch der Dynaſt neueſten Datums, gleichfalls Sohn der Revolution (in der Medicin), geſchäftig, neue Throne für ſich und die Seinigen aufzurichten: jedes Jahr treten neue Oertlichkeiten in die Reihe der Heilbäder, die ihre Legitimation nicht auf Mineral - quellen gründen, ſondern lediglich oder doch vorzugsweiſe auf gute Luft (in der Schweizallein zählt man ſchon jetzt beinahe 200 Luftcurorte), nebenbei erwähnend, daß ſie auch mit andern Curmitteln, wie den und den Mineralwäſſern, natür - lichen und künſtlichen, Kaltwaſſer, Molken, Trauben, Erd - beeren, Kräuterſäften, Inhalations -, pneumatiſchen, elektri - ſchen Apparaten, Sool -, Malz -, Kleien -, Mutterlaugen -, Loh -, Kalk -, Kiefernadel - und Moorbädern, römiſchen und ruſſiſchen Dampfbädern, ſchwediſcher und Schreber’ſcher Heil -103V. Bedürfniß und Ueberfluß Stiftungen.gymnaſtik, deutſchen Turnanſtalten ꝛc. aufwarten können. Ja, großmächtige Trink - und Badequellen, deren Ruhm zurückdatirt bis in altrömiſche Kaiſerzeit, verſchmähen es nicht, ſich zugleich als Luftbäder zu empfehlen. Kurz, die Machtſtellung des neuen Souveräns iſt allſeitig anerkannt, befeſtigt, ſeine Zukunft geſichert. Auch Goethe, ſo ſehr er den Karlsbader Mineralquellenzugethan war, wußte, daß man ſich im Thau der Berge geſund baden könne, und Guſtav Schwabräth:

Geh in ein Bad, doch nicht um da zu baden,
Zum Brunnen, doch das Glas nicht an den Mund,
Viel lieber laß zum Firnewein Dich laden,
Hinab zur Kühle dort im Felſengrund,
Empor im Schweiß auf ſteilen Tannenpfaden,
Lern wieder leben und du wirſt geſund.

Betrachten wir nun aber die Reſidenzen des neuen Sou - veräns, ſo zeigt ſich, daß es da in vielen recht windig aus - ſieht. Nur zu oft fehlt es gerade am Nothwendigen, während man allerhand Ueberflüſſigkeiten auf Koſten der erſten Be - dürfniſſe herbeizuſchaffen wußte: ein Zeichen, daß es weniger an Geld und gutem Willen, als an Ueberlegung und Er - fahrung gebricht. Was hier unter Nothwendigem verſtanden iſt, wird weiterhin hinlänglich erhellen, kurz und bündig läßt es ſich in abstracto nicht wohl ſagen, weil für den einen Ort ein Bedürfniß ſein kann, was für den andern entbehrlich iſt, und eine Prüfung der einzelnen Curorte außerhalb der Auf - gabe dieſes Büchleins liegt. Was nicht darunter zu rechnen, iſt deſto leichter geſagt. Es ſind zunächſt perſönliche Artig - keiten und Liebedienereien, jene Unzahl von Dedications - tafeln, Gedenkſäulen, Büſten, Medaillons, von denen unſre Badeorte ſtrotzen und in deren Anlage Ortsvorſtände und Fremde wetteifern. Auf öffentliche Koſten ſollte derlei über - haupt nie angelegt werden, denn jeder dafür verausgabte Gulden wäre vortheilhafter für die Beſucher und die ein - heimiſchen Armen auf Anlage neuer und Verbeſſerung alter104V. Stiftungen wohlfeile Unſterblichkeit.Wege und auf Ruhebänke verwandt um nur gleich ein Stück vom Nothwendigſten zu nennen.

Gäſten, welche das Bedürfniß fühlen, ihrer Dankbarkeit für den heilbringenden Ort einen dauernden Ausdruck zu geben, ſoll ein beſcheidenes Wort der Mahnung nicht vor - enthalten werden. In alter Zeit wurden im Drange dieſes Gefühls Kirchen, Klöſter, Capellen, Kreuze errichtet, je nach Rang und Mitteln des Stifters, meiſtens ein Zeugniß, daß die - ſer dabei nicht blos an ſein liebes Ich und deſſen Verherrlichung dachte. Derſelbe Sinn ſucht in neuerer Zeit ſich zu bethätigen durch Stiftung eines Krankenhauſes oder ein Geldgeſchenk für öffentliche Zwecke. Wünſcht der Geneſene etwas zu thun, das Beſuchern aus allen Claſſen zu Gute kommt, ſo läßt er einen Waldweg bahnen, oder baut eine Zufluchtsſtätte gegen Regen (weniger auf entlegenen, ſelten beſuchten Gipfeln, ſondern vor - züglich an Stellen, wo ſie der Maſſe der Spaziergänger zugute kommt), oder nur eine Bank. Findet er jedoch für ſeine Ge - fühle und Gedanken keinen andern Ausdruck, als vergoldete Worte in Marmor oder Granit, die nur Vorwand ſcheinen, auch ſeine werthe Adreſſe bekannt zu geben, ſo ſtellt er ſich damit auf eine geiſtige Rangſtufe mit den Beſitzern der Hände, welche in ihren Namen dermaßen verliebt ſind, daß ſie ihn gern in jede Rinde ſchnitten, in jeden Stein grüben und auf jedes Brett ſchrieben. ME SAXA LOQVVNTVR! Könn - ten jene Liebhaber wohlfeiler Unſterblichkeit nur einige der Bemerkungen hören, die ihre ſteinerne Selbſtgefälligkeit her - vorruft, ſo würden ſie gewiß für ihre Lyrik die mindere Oeffentlichkeit des Druckpapiers vorgezogen haben. Man denke ſich nur in die Stimmung von Leuten, denen es obliegt, ein Dutzend täglich wiederkehrender Mußeſtunden auszufüllen! Schlägt das Heilverfahren gut an, ſo iſt der Gaſt luſtig, ausgelaſſen, rückſichtslos; will’s mit ihm nicht recht vorwärts, ſo ſucht er ſich luſtig zu machen über Alles, was ihm in den Weg kommt, und iſt noch rückſichtsloſer. Seine gute wie ſeine üble Laune läßt er beſonders gern aus an Monumenten der105V. Nicht gerechtfertigte Anlagen Wege.Liebe und Freundſchaft, deren Benennungen ihren Urſprung nicht verheimlichen, oft ſchriftlich, was die zahlreichen Epi - gramme bezeugen auf Tiſchen, Bänken und Wänden der A - bis Z-Sitze, - Blicke, - Einſamkeiten, - Glorietten, - Himmel - reichs, - Belvederen, - Ruhen, - Lieblingsplätzchen, - Idyllen ꝛc., Gloſſen, welche fort und fort ausgekratzt oder übertüncht wer - den, aber immer wiedererſtehen, wie die Pilze im Tannicht daneben. Stiftungsluſtigen iſt deshalb zu rathen, ihre Frei - gebigkeit minder in Worten als in Werken zu bethätigen.

Ebenſowenig zu den gerechtfertigten Anlagen, wenn nicht Mittel im Ueberfluß vorhanden und für alles Nothwendige, Nützliche und Naheliegende geſorgt iſt, gehören glänzende Ausſtattung der Geſellſchaftsräume, Fresken, Statuen, Büſten und Waſſerkünſte, theure exotiſche Pflanzen, Garten - novitäten und Raritäten. Die Lieblingsblume gewiſſer Vor - ſtände und ihre Wahlverwandte iſt die prunkende, ſteife Geor - gine, von deren neueſten etikettirten Schattirungen alle Beete ſtrotzen, während die dankbare, beſcheidene, anſpruchsloſe Reſeda, desgleichen Levkoie, Aurikel, Geisblatt und viele andre liebe Jugendfreunde bäuriſch und altfränkiſch gefunden werden und verbannt ſind. Selbſt die herrliche blaßrothe Centifolie iſt ſchon nahezu verdrängt von hochrothen Gärtner - neuheiten mit franzöſiſchen Generals - und Banquiersnamen, deren Ruhm und Anſehn längſt verblichen.

Bei Anlagen der Wege wird ferner zu ſelten unter - ſchieden zwiſchen Haupt - und Nebenſachen. Wo reiche Hilfs - quellen zu Gebote ſtehen, mag man ſogenannte Promenaden - wege auf alle benachbarten Bergſpitzen führen, die erſte Sorge ſoll aber ſtets ſein, wenigſtens Einen Pfad zu bauen, der in möglichſt ebener Linie und im Walde eine tüchtige Strecke weit fortläuft und nahe am Orte beginnt, denn ſchwächere Kräfte müſſen ſonſt auf die Labung eines Waldſpaziergangs ganz verzichten. Rüſtige Wanderfüße pflegen auch durch rauhe Pfade ſich nicht abhalten zu laſſen, Berge mit Fern - ſichten zu erklimmen. Mehre deutſche Badeorte erſten Ranges106V. Wege Waldreviere, Lichtungen, Schatten.wären zu nennen, in denen die benachbarten Berge wimmeln von Wegen, die eigens für Curgäſte angelegt wurden, kein einziger aber auch nur fünf Minuten weit auf gleicher Höhe gehalten iſt, ſondern alle, als ob eine Ziege ſie vorgezeichnet hätte, muthwillig bergauf und ab laufen. Endlich ſollte die leidliche Inſtandhaltung der alten Promenadenwege der An - lage neuer immer vorgehen. Eine gute Pflege duldet darauf nicht Mineralienſammlungen mit Stücken verſchiedenſten Calibers bis zur Größe der Hühnereier, ebenſowenig dicke Schichten Kies, in denen der Fuß einſinkt wie der des Storchs auf dem Moor, ſchont ferner nicht Zeugniſſe neptuniſcher Ein - wirkungen, wie blosgelegte Felsriffe, Baumwurzeln und ſchluchtartige Aushöhlungen. Daß das Nothwendige ohne großen Aufwand zu erreichen iſt, beweiſen einige wenig ge - nannte Oertchen, wo aber Männer im Vorſtand ſind, die Zeit, Luſt und Fähigkeit haben, ſich der öffentlichen Angelegen - heiten anzunehmen und die verfügbaren mäßigen Mittel nicht für Allotrien vertändeln.

Ausgedehnte Waldreviere ſind bekanntlich in Deutſchlandwie im ganzen ſüdlichen und weſtlichen Europaſchon an ſich nicht häufig und innerhalb derſelben der zum mediciniſchen Gebrauch günſtig gelegenen und einigermaßen eingerichteten Orte ungemein wenige. Um ſo mehr iſt es zu bedauern, daß in dieſen faſt durchweg bei Lichtungen lediglich der forſtliche Geſichtspunkt in Anwendung kommt, und ſo wenig Rückſicht genommen wird auf die Bedürfniſſe des Curorts als ſolchen. So gut eine Anzahl römiſcher Maler den Fürſten Chigi in Aricciazu beſtimmen wußte, ſeine herrlichen Park - bäume, die bereits zum Beil verurtheilt waren, zu ſchonen, ſo gut, ſollte man meinen, könnte auch manchem Promenaden - wege der Schatten gerettet werden, wenn Vorſtände, Aerzte, Hausbeſitzer und Beſucher in geeigneten Fällen zu einer Petition bei der betreffenden Behörde zuſammenträten. Die finanzielle Einbuße kann nur ſehr unerheblich ſein, denn es handelt ſich blos darum, bei Holzſchlägen diejenige ſchmale107V. Sitzen im Freien Bänke Wünſche und Beſchwerden.Reihe alter Bäume, welche den Weg in den heißeſten Stunden beſchattet, ſo lange ſtehen zu laſſen, bis der Nachwuchs ſie vertritt. Forſtmänner wiſſen vielleicht noch in anderer Weiſe Rath zu ſchaffen.

Zu Wegweiſern genügen Brettchen, an einen Baum genagelt oder, wo ein Felsblock vorhanden, eingemeißelt. Je mehr die leitende Behörde ſolcher Inſchriften auf Brettern und Steinen anbringen läßt, je mehr Steine im Brett wird ſie bei ihren Gäſten haben, je wärmer werden dieſe daheim ihre Sorgfalt rühmen und je zahlreicheren Beſuch nach - ziehen.

Für die Geneſung ebenſo wichtig als Körperbewegung iſt die Ruhe, der ſitzende Aufenthalt im Freien, darum kann in der Zahl der Bänke des Guten nie zu viel gethan werden. Eichenholz und Gußeiſen iſt nicht erforderlich, nur Lehnen müſſen ſie haben und auf Wieſen - und Waldwege ſo vertheilt ſein, daß ſie einige Auswahl bieten, je nach der Beſchaffenheit des Wetters, ſchattig, ſonnig, windgeſchützt oder frei liegend.

Hier und da geht die Fürſorge für Ankommende ſo weit, daß ein Verzeichniß bereit liegt, aus dem ſie ohne viel Laufen und Fragen ſehen können, welche Wohnungen zur Verfügung ſtehen, eine Aufmerkſamkeit, die dem erſten Eindruck mehr zu ſtatten kommt, als ein Muſikſtändchen. Zuweilen ſind Bücher vorhanden für Beſchwerden und Wünſche, anderswo werden ſie durch Anſchläge am ſchwarzen Brett des Curhauſes kund - gethan, oder durch Rundſchreiben mit geſammelten Unter - ſchriften. Viel Gebrauch wird von alledem nicht gemacht, weil man ſich ſcheut, mit ſeiner Perſon dafür einzutreten. Ein eifriger Vorſtand, von der Ahnung geleitet, daß unter den anweſenden Fremden noch ſo manches Sehnen, das nicht laut ſein will vorhanden ſein möge, und mit dem Wunſche, dieſes herauszulocken, iſt einmal auf die Idee verfallen, einen Brief - und Zettelkaſten für derlei anzulegen, eine Einrichtung, die beiläufig regiſtrirt ſein mag.

108V. Culturgeſchichtliches Sommerfriſchen.

Die vorangegangenen Betrachtungen hatten mehr Plätze im Auge, die ſchon ſeit geraumer Zeit alle Sommer eine größere Anzahl Heilungſuchender beherbergen, deren Wünſche zu erforſchen und zu befriedigen einer Behörde oder einem Vereine obliegt. An dieſe größeren, bekannteren reihen ſich alljährlich neue in den verſchiedenſten Stadien der Entwicke - lung. Kein Wunder! Der Drang, Athem zu ſchöpfen, wird mächtiger und allgemeiner, die Städte werden größer, volkreicher, ihre Häuſer ſind in Großſtädten ſchon zu vier - ſtöckigen Miethscaſernen emporgewachſen, die wenigen von der Axt verſchonten Bäume innerhalb der Stadt kränkeln und ſter - ben an Blutvergiftung und Markvertrocknung; Staub, Schorn - ſteinrauch, Ammoniak, Kohlenſäure, Schwefel - und Phosphor - waſſerſtoff, Leuchtgas, Petroldünſte und andre tückiſche Gaſe erfüllen Alles rings umher und die Eiſenbahnhöfe an Sommerſonntagen erzählen davon expediren oder vielmehr explodiren die halberſtickten Menſchen hinaus auf’s Land. Zum abnehmenden Wohlbefinden kommen zunehmender Wohl - ſtand, Raſchheit und Billigkeit des Transports und ſteigern den centrifugalen Drang. So entſtehen immer neue Som - merfriſchen . Der hübſche Name iſt Erfindung eines Landes, das ſich ſonſt nicht durch Erfindungsgeiſt aus - zeichnet, Tirols.

Die Entſtehungsgeſchichte einer ſolchen Sommerfriſche iſt etwa die folgende. Zuerſt entdeckt ein Maler, welche Fülle von landſchaftlichen Reizen ein entlegenes Thal birgt, hört in der Schenke des nächſten Dörfleins, daß daſelbſt vor ihm ſchon ein angelnder Engländer verweilt hat, und wird deſſen Zimmernachfolger. Dieſer erſte Pionier der Cultur hat am Fenſterkreuz einen Nagel für ſeinen Raſierſpiegel eingeſchlagen, ſonſt iſt Alles noch auf der Stufe, die unmittelbar nach der Pfahlbautenperiode eingetreten ſein mag und ſich ſeitdem, eine Fundgrube für Alterthumsforſcher, unverſehrt erhalten hat. Auch die Bewohner ſind völlig frei von Bildung , ein körperlich und geiſtig unbeholfenes, aber gutmüthiges,109V. Culturgeſchichtliches Sommerfriſchen.ſorgloſes Völkchen, von rührender Anſpruchsloſigkeit in Geld - ſachen, ſehr unähnlich jenen Händlern und Jodlern, die in der ganzen Welt umherziehen, ſie duzen, ihre Brüderlichkeit und Gemüthlichkeit aber hierbei bewenden laſſen. Die An - weſenheit des Malers geht nicht vorüber ohne verfeinernde Einflüſſe. Von ihm lernt die Wirthin, deren Bildniß er mit Kohle auf die Wand gezeichnet hat, daß eine wollene Pferdedecke in einen Leinenüberzug genäht, dem Bette zum Vortheil gereicht, daß der Strohſack darunter nicht ſo gebirgig ſein muß, wie das Land umher, und mehr dergleichen Einzel - heiten des höheren Raffinements. Der heimgekehrte Maler erzählt in ſeiner Stammkneipe von den Reizen und der Wohl - feilheit des Lebens in Sanct X, einer ſeiner literariſchen Freunde ſucht den Ort auf und ſchildert ihn in einer Zeitung, darauf hin finden ſich neue Beſucher ein, welche andere in den folgenden Jahren nachziehen. Mittlerweile züngelt die Cultur weiter und weiter, binnen fünf Jahren ſind zwei lebensgefährliche Treppenſtufen ausgebeſſert, auch die Wirths - leute haben gelernt, leſen und ſchreiben zwar noch nicht, wohl aber rechnen. Jener Nagel des Engländers war der erſte zum Sarge ihrer Herzenseinfalt. Schon kommt es vor, daß ſie gleich zum erſten Male einen nicht in ihrer Mundart ausgedrückten Satz verſtehen. Schwieriger iſt die Ver - ſtändigung freilich, wenn es ſich um große Unternehmungen handelt, wie z. B. Errichtung einer Laube im Obſtgarten, oder um Beſeitigung eines Balkens, an welchem ſich ſeit Menſchengedenken alle Erwachſenen, die im Hauſe über - nachteten, bei ihrem erſten Ausgang am nächſten Morgen die Stirn blutig geſtoßen haben.

In der That ſcheint der Gedanke in jenem rauhen, ſteilen Hochgebirg eben ſo mühevoll und langſam als der Wanderfuß fortzuſchreiten. Micheletnennt die Gebirge die Klöſter des Geiſtes. Trotzdem dürfen wir Touriſten nicht müde werden, Saatkörner der Erkenntniß auszuſtreuen, einzelne werden ſchon aufgehen. Die Langſamkeit, mit der dies zu geſchehen110V. Dorfgeſchichten häusliche Einrichtungen.pflegt, ſei uns ein Sporn, um ſo zeitiger damit zu beginnen. Viel gewonnen wäre ſchon, wenn die Leute nur erſt einmal einſähen, daß ſie manchen unſrer Wünſche weit leichter ent - gegenkommen könnten, als ſie meinen; daß uns Vieles gleich - giltig oder läſtig iſt, worauf ſie Werth legen und umgekehrt. Ein bemittelter Landmann z. B. beſitzt ein geräumiges Haus mit viel mehr Zimmern, als er nebſt Familie braucht. Die nach ſeiner Meinung beſten, nämlich die nach der geräuſch - vollen, ſtaubigen Straße liegenden, richtet er für Fremde ein, er, ſeine Familie und das Geſinde begnügt ſich mit den andern, auf Garten, Wieſen, Felder ſchauenden Zimmern, die zwar etwas kleiner ſind, dem Miether aber wegen ihrer Ruhe und Freundlichkeit viel lieber und erſprießlicher ge - weſen wären. Oder ein ländlicher Wirth, bei dem ſchon ſeit Jahrzehnden viele Sommergäſte hauſen, hat einen großen Obſtgarten, baut darin für dieſe einen Pavillon (oberbairiſch: Salettel), ſucht für ihn aber nicht etwa ein ruhiges, grünes, heimeliges Plätzchen aus, woran kein Mangel iſt, ſondern ſtellt ihn hart an die Landſtraße, damit durch vorübergetriebe - nes Vieh, Wagen und tobende Dorfjugend für Unter - haltung geſorgt ſei. Legt er noch eine Laube an, ſo muß ſie dicht an der luſchtigen Kegelbahn ſtehen, oder an einem Gänſeſtall. Noch Dutzende von Beiſpielen der Art ließen ſich anführen, die alle beweiſen, daß die Urſache der Miß - ſtände nicht in Armuth, Geiz oder böſem Willen zu ſuchen iſt.

Den abgehärteten Organen des Landmanns bereitet einen angenehmen Kitzel, was denen eines kränklichen Großſtädters eine ausgeſuchte Marter iſt, wie Schüſſe, Peitſchenknall, Kindergeſchrei, Geknarr von Thürangeln, Schmettern von Kegelkugeln, überlauter Meinungsaustauſch, Geſang und Heiterkeit einer Dorfſchenke, Gebrüll, Gebell, Geheul, Ge - grunz, Geſchnatter großer und kleiner Thiere, alles das be - läſtigt ihn ſo wenig, als einen Schloſſer ſein Hämmern, unterhält ihn im Gegentheil, während Stille ihn langweilt. Seine Nerven ſcheinen an Stärke und Widerſtandskraft mit111V. Unwillkommene Sinnesreize Curvorſtände.unterſeeiſchen Kabeln zu wetteifern. Beiläufig bemerkt: die Majorität der Menſchen kann zur Zeit noch nicht, wie be - hauptet wird, nervenſchwach ſein, denn ſonſt wäre es uner - klärlich, daß ſie ſich von der ſtarknervigen Minderheit der - maßen mißhandeln läßt.

Aehnlich iſt’s im Gebiet des Geruchſinns. Wie ſich für Ludwig XI. Gefühl der Sicherheit, Rettung aus Gefahr und befriedigter Rache an Verräthern in dem Geruche ſym - boliſirten, welchen Leichname verbreiteten, die an den Bäumen ſeines Schloßparks aufgeknüpft hingen, ſo iſt für den Bauer der Düngerduft, in dem ſich ihm die Frucht - barkeit ſeiner Felder verſinnlicht, ein ſtets willkommener Gefährte. Oft ſieht man deshalb auf Bauerhöfen das Wohnzimmer der Familie unmittelbar an dem Platze ange - bracht, der für den Abgang der Ställe beſtimmt iſt, wo außerdem im Sommer Heere von Fliegen ihr Hauptquartier haben und durch Patrouillen unabläſſig die inneren Räume beunruhigen.

Wenn es nun aber auch von Bauern nicht zu verlangen iſt, ſo ſollte man doch wenigſtens von Curvorſtänden erwarten, daß ſie wüßten, wie werthvoll, wie nothwendig Geneſungſuchenden Ruhe iſt, und demgemäß Veranſtal - tungen träfen. Aber ebenſowenig als Bauern und noch weniger als Hôteliers (vgl. VI. ) denken viele Vorſtände daran. Wie würde ſonſt z. B. geduldet werden, daß am Eingang des Hauptſpaziergangs eine Bude für Schießübungen ſteht, mit obligatem Getrommel und Kanonenſchlägen? Hier und da beſteht ein polizeiliches Verbot des Peitſchenknallens innerhalb der Orte, aber nur auf dem Papiere, gehandhabt wird es nirgend. Iſt unter den Sprechern in Landtagen und Gemeinden Keiner, der ſich dieſer Miſère einmal an - nehmen möchte? Viehtreiber, Fuhrleute, Kutſcher, ſobald ſie anderen Leuten begegnen, ſcheinen einige weithin dröhnende Salutſchüſſe auf der Peitſche für ihre Höflichkeitspflicht anzu - ſehen, müßige Straßenbuben ſuchen ſich am liebſten belebte112V. Ohrenſchinder.Plätze und Promenaden für ihre Knallübungen aus, und kein Arm der Behörde ſtört ſie. Nächſt dieſen erbarmungsloſeſten aller Ohrenſchinder gibt es aber noch eine Legion bös - artiger anderer. Man braucht in der That nicht Schopen - hauer’sWeltanſicht zu theilen, um ihm doch aufrichtig beizu - ſtimmen in dem, was er über die Verſchwörung der Hand - arbeit gegen die Kopfarbeit ſagt*) Dieſer plötzliche, ſcharfe, hirnzerſchneidende und gedankenmörderiſche Knall muß von Jedem, der nur irgend etwas einem Gedanken Aehnliches im Kopfe herumträgt, ſchmerzlich empfunden werden .... Hiezu nun aber nehme man, daß das vermaledeite Peitſchenknallen nicht nur unnöthig, ſondern ſogar unnütz iſt; die beabſichtigte Wirkung auf die Pferde iſt durch die Gewohnheit, welche der unabläſſige Mißbrauch der Sache herbeigeführt hat, ganz abgeſtumpft und bleibt aus: ſie be - ſchleunigen ihren Schritt nicht danach, die leiſeſte Berührung mit der Peitſche wirkt mehr Durch polizeiliche Verordnung eines Knotens am Ende jeder Schnur wäre die Barbarei beſeitigt Daß nun aber ein Kerl, der, mit ledigen Poſtpferden oder auf einem Karrengaul die engen Straßen einer Stadt durchreitend, mit einer klafter - langen Peitſche aus Leibeskräften unaufhörlich klatſcht, nicht verdiene, ſogleich abzuſitzen, um fünf aufrichtig gemeinte Stockprügel zu empfangen, das werden mir alle Philanthropen der Welt nicht einreden. .

Wo fange ich an und wo höre ich auf, um alle Arten von Attentaten aufzuzählen, die empfindliche Ohren und Nerven in Stadt und Land zu erdulden haben! Soll ich eine Eintheilung verſuchen in tägliche und nächtliche Ruheſtörer, in berufsmäßige, gedankenloſe, muth - und böswillige? Manche Behörden widmen der Sache eine dankenswerthe Fürſorge, ſo z. B. erinnere ich mich, daß in W.durch öffent - lichen Aufruf die Dienſtboten ermahnt wurden, ſich alles unnöthigen Lärmens zu enthalten und Abends nach neun Uhr hübſch zu Hauſe zu bleiben. Ein Gegenſtück dazu bildet die Polizei in B., welche nicht Auge noch Ohr hat für Straßenunfug von Bauerburſchen, Kindern und Hunden, nur ſtreng darauf hält, daß jeder Droſchkenkutſcher beim Fahren weiße Handſchuhe angezogen hat, ihre ganze Thätigkeit ſcheint ſich darin zu erſchöpfen.

Kleinere Curorte würden auch ihr eigenes Intereſſe för -113V. Muſikaliſche Drangſale Lenz und Frühſommer.dern, wenn ſie, von dem leidigen Vorurtheil ablaſſend, daß ſelbſt die ſchlechteſte Muſik immer noch beſſer ſei, als keine, vorläufig ganz auf Orcheſter verzichteten und die erſparte Summe nützlich anwendeten. Ein einziger Gaſt, der den Ort befriedigt verläßt, iſt eine wirkſamere Reclame für ihn, als alle Inſtrumentaleffecte der Muſikbanden (und der Zei - tungsanzeigen). Jene Vorſtände bedenken nicht, daß unter den Ankömmlingen Viele ſind, die verwöhnte, empfindliche Ohren mitbringen, muſikaliſche Genüſſe und Drangſale den ganzen Winter hindurch zur Genüge gehabt haben, einſchließ - lich der beiden Klaviere im oberen und unteren Stockwerk ihres Hauſes, auf denen Kinder und Erwachſene ihre Finger und die Geduld der übrigen Hausbewohner Tag für Tag bis zur Erſchöpfung übten; ſie bedenken nicht, daß ſie an der Wohlfahrt ihres Landes einen Frevel begehen, wenn ſie hart - ſchaffende Leute, Hände, die für nützliche und ehrenwerthe Arbeiten am Ambos, in der Scheune und am Pfluge geboren und erzogen ſind, dieſen entfremden und ſie verleiten, mehre Tagesſtunden durch Poſaunen, Trompeten, Hörner und Kla - rinetten ſchnöde in den Wind zu blaſen, was überdies nur zu oft auf ihr ferneres Leben den Einfluß hat, wie wenn junge Mädchen ſich einer Seiltänzerbande anſchließen oder Kellne - rinnen in einer Branntweinſchenke werden ganz zu ge - ſchweigen des Klangs der Inſtrumente und der Wahl der Tonſtücke! Auch beſſere Gartenorcheſter ſollten ſtets ſo angebracht ſein, daß Jeder ihre unmittelbarſte Nähe meiden kann.

In Bädern, die ſchon auf einer höheren Entwickelungs - ſtufe ſtehen und im Hochſommer überfüllt ſind, wiſſen die Inſerate der Vorſtände in der beredteſten Weiſe die Reize ihres Lenzes und Frühſommers zu ſchildern und zu ihrem Genuß die erholungsbedürftige Menſchheit einzuladen. Leider vergeſſen ſie aber wie es zerſtreuten Ehemännern begegnet, die, ohne ihre Frauen vorher zu benachrichtigen, zu deren Schrecken und Betrübniß plötzlich Freunde mit zu Tiſch8114V. Lenz und Frühſommer Frühkommen.bringen die Einwohnerſchaft ihres Orts davon in Kennt - niß und dafür in Trab zu ſetzen. So erſcheint denn nun der eine oder andere vertrauensvolle Fremdling. Er erwägt: regneriſche Tage habe ich allerdings mehr zu erwarten, als ſpäter, dafür aber beut die Flur das friſche Grün weit ſchöner, als das ganze übrige Jahr hindurch, drückende Hitze iſt nicht zu befürchten, die beſten Wohnungen ſind noch zu haben, Alles iſt billiger, als ſpäter, ich finde eine an Zahl geringe, doch um ſo traulichere Geſellſchaft und meine Frau kann einige Kleider weniger mitnehmen. Er reiſt hin, hat indeſſen die größte Mühe, nur zwei fertig eingerichtete Zimmer zu finden. Zu rüſten haben die Leute theils noch gar nicht, theils eben erſt begonnen, da wird gepflaſtert, gehämmert, getüncht, tapeziert, Alles duftet nach Lack, Firniß, Kleiſter, beſſere Mittagstiſche gibts noch nicht, geſellige Anſprache auch nicht, die Einheimiſchen ſtarren den Ankömmling verdutzt an, die größeren öffentlichen Locale haben ſich gegen ihn in Ver - theidigungszuſtand geſetzt, Barricaden von hoch übereinander gethürmten Tiſchen und Stühlen und eine Eiskelleratmoſphäre empfangen ihn, wenn er die Thür eines Gartenſaals öffnet, kurz Alles ruft ihm zu: Unglücklicher, was willſt du denn nur jetzt ſchon?

Nichtsdeſtoweniger hat das Frühkommen erhebliche Vortheile, und Allen, die in der Zeit unbeſchränkt ſind und lange bleiben wollen, iſt zu rathen, etwas vor der Saiſon einzutreffen und die kleinen Laſten der erſten Zeit zu tragen, denn der deutſche Lenz und Frühſommer ſind in guter Laune liebenswürdiger und wohlthätiger, als Juli und Auguſt, und der Vortheil einer paſſenden Wohnung für die ganze Dauer des Aufenthalts fällt in die Wagſchale. Allgemach fängt man ſchon an, das einzuſehen, und es wird hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis, zum Vortheile Aller, die naturdurſtige Menſchheit, anſtatt fünf Hochſommerwochen ſich gegenſeitig eine erdrückende Concurrenz zu machen, auch von der ver - wendbaren Zeit vorher und nachher Beſitz ergreift.

115V. Bei knapper Zeit böſes Wetter.

Je knapper die aufzuwendende Zeit iſt, je vorſichtiger wähle man den Aufenthalt und ſuche ohne Nothwendigkeit nicht Oertlichkeiten auf, die allzuſehr von Gunſt und Ungunſt des Wetters abhängig ſind. In einzelnen Krankheitsfällen mag eine beſtimmte Quelle angezeigt und dieſe durch keine andere zu erſetzen ſein, dem Hilfeſuchenden bleibt dann, wenn der Ruf dem Orte ſehr viel böſes Wetter zuſchreibt, nur übrig, ſich mit Lectüre, warmen Kleidern, Ueberſchuhen und waſſerdichter Geduld auszurüſten. Auch die ſo und ſoviel Tauſend Fuß hohe Berglage mag zuweilen von entſcheidender Wichtigkeit ſein, gemeiniglich handelt es ſich jedoch in erſter Linie gar nicht um ſolche Specialitäten, und für die Wahl iſt ein weiter Spielraum geboten. Warum alſo z. B. muß es gerade ein über 5000 Fuß hohes Gelände ſein, wohin ein Leidender geſchickt wird, der blos drei Wochen verwenden kann und eingeſtandenermaßen nur Bergluft braucht, warum muß es ein Hochland ſein, wo die heiligen Pancratiusund Servatiusauch in den Hundstagen ihre Feſte feiern, wo es ſchneit, wenn es anderswo regnet? Warum muß ein Anderer, der gleichfalls nur eine kurze Spanne Zeit hat, juſt nach einer Inſel geſchickt werden, von der die Ueberfahrt nach dem Badeſtrand häufig durch hohle See gehindert iſt? Zu dem unmittelbaren Verluſt, der aus der geſchmälerten Materia medica erwächſt, iſt dann immer noch der indirecte Schaden, der aus Kummer über die verlorenen Tage und übler Laune entſteht, hinzuzurechnen oder vielmehr damit zu multipliciren.

Der Mann von Methode erkieſt alſo bei beſchränkter Zeit nicht Villeggiaturen, die ein Monopol haben auf rauhe Winde, Nebel und atmoſphäriſche Niederſchläge in flüſſiger und feſter Geſtalt, Orte, in denen der April im Juni beginnt und der November im Auguſt Gaſtrollen gibt, ſondern be - gnügt ſich mit ſolchen, denen Fama einen mittleren Durch - ſchnitt von Regen und Sonne zugeſteht, macht trotzdem von Haus aus ſeine Rechnung auf fünfzehn Procent Ausfall durch übles Wetter, gelangt, wenn er Glück hat, zu einer Ueber -8*116V. Farbenblinde Augen Meteorologiſches.bilanz, kann auf Reſerveconto gutſchreiben und kehrt vergnügt zurück. Auf vereinzelte Stimmen iſt dabei übrigens nichts zu geben, denn an faſt allen ſchön gelegenen Punkten Deutſch - landsund der Alpenkann man Verſicherungen hören, ſo viel als da regne es ſonſt nirgend . Dieſe gehen von un - geduldigen Beſuchern aus, welche vor der Abreiſe verſäumt haben, ihre Seele von unbilligen Anſprüchen und Schwärme - reien gründlich zu purgiren, während ihrer Ferien ein Recht auf ununterbrochen ſchönes Wetter zu haben meinen, und, wenn dann einige Regentage kommen, großes Geſchrei erheben und mit dem Orte und ſeinen Schutzgeiſtern ſchmollen. Sie haben ſich ein Phantaſiebild von Normalwetter gemacht und ſind entrüſtet, wenn die Wirklichkeit dem nicht entſpricht, wie es auch Menſchen gibt, von denen jeder ſchwörte, daß er der größte Pechvogel ſei, ſo ’was kann nur mir paſſiren ꝛc. Ihr geiſtiges Auge iſt farbenblind, es ſieht nur die dunklen Farben. Die Meteorologie, eine der jüngſten naturwiſſen - ſchaftlichen Disciplinen, welche an Aufmerkſamkeit und Fleiß ſeit einigen Jahren ihren älteren Schweſtern gleichkommt, wird wohl nun bald hierüber ſoviel feſtgeſtellt haben, als ein Badegaſt für ſeine Zwecke braucht. Im Hochgebirge noch häufiger als anderswo kommt es vor, daß ein Regenwetter in einem Thale ſich feſtſetzt und zwei, drei Wochen lang nicht weichen will. Die Einheimiſchen ſehen dies aus gewiſſen Zeichen oft ſchon in den erſten Tagen vorher und Einige von ihnen, die am Fremdenbeſuch ihres Thales nicht unmittelbar betheiligt ſind, machen kein Hehl daraus. In ſolchen Fällen halte ich mich für berechtigt, auf gut Glück abzureiſen in eine andere Gegend. Treffe ich’s dort abermals ſchlecht, ſo tröſte ich mich durch die Annahme, daß es ein Charakterfehler dieſes Sommers ſei, und beſtärke mich darin durch Leſung der Wetterberichte in den Zeitungen.

Wer der Hitze des Hochſommers ausweichen will, ſucht den Seeſtrand auf oder ein hochliegendes Gelände. Am offenen Meere ( Nordſee) muß er aber dann meiſt auf Wald117V. Hochſommerglut für und gegen große und kleine Bäder.verzichten, droben in der Höhe dagegen ſich auf viel rauhes Wetter gefaßt machen und darf Gehölz höchſtens in der Vogelſchau erwarten. Wählt er ein niedrig gelegenes Wald - revier, ſei es das ausgedehnteſte, ſo hat er, wenn der Sommer heiß ausfällt, darunter zu leiden, trotz allem Schatten, im entgegengeſetzten Falle von langen Regenperioden und Kälte. Beide Extreme, dauernde Glut oder anhaltender Regen, kommen am Seeſtrande faſt nie vor, und gerade beim böſe - ſten Wetter iſt das Meer am glorreichſten und der Wellen - ſchlag am kräftigſten; dort iſt man aber wieder vor plötzlichen Ueberraſchungen keine Stunde ſicher und muß öde Sanddünen oder kahle Felſen in den Kauf nehmen. Vollkommenes gibt’s eben nicht unter der Sonne.

Wer die Wahl unter vielen Punkten hat, mag ferner vor ſeiner Entſcheidung Folgendes erwägen. In Bädern erſten Ranges iſt für Bedürfniſſe, Bequemlichkeit, Luxus, Zer - ſtreuung am reichlichſten geſorgt, die beſten Wohnungen, die meiſte Ausſicht, unter den vielen Gäſten Bekannte zu treffen; der geſellige Ton iſt aber der nordiſch großſtädtiſche, d. h. wenn nicht beſondere Umſtände vermittelnd eintreten, bleibt man einander fremd, die zufälligen Berührungen ſind flüch - tigſter Natur. Ganz kleine Sommerſtationen mit ſehr wohl - feilen Preiſen ſind hingegen in der Regel nur von der nächſten Nachbarſchaft beſucht und geſtatten keine Auswahl der ge - ſelligen Elemente, ebenſowenig, wenn man ſich nicht ganz einſam halten will, Vermeidung der unliebſamſten. Der Einzelne, der Werth auf Anſprache legt, hat deshalb immer noch die meiſte Anwartſchaft darauf, wenn er ein Bad mitt - lerer Größe (und zwar vor Eintritt der hohen Saiſon) auf - ſucht, er kann ſich dann der Gruppe oder den Einzelnen anſchließen, denen er ſich wahlverwandt fühlt. In Bade - orten, in denen ein Arzt, der zugleich Unternehmer iſt, den Mittelpunkt der Geſellſchaft bildet, z. B. Kaltwaſſeranſtalten, kommt auf deſſen Perſönlichkeit viel an. Hat er den Takt und die Muße, in der richtigen Weiſe und mit leiſer Hand118V. Naturaliſtiſche Luftcurverſuche in der Wildniß Ventilation.einzugreifen, ſo geſtaltet ſich da zuweilen die heiterſte Ge - ſelligkeit, wenn überhaupt unter den Anweſenden Stoff dafür vorhanden iſt; häufig ſcheitert die Sache an ſeinem Eifer, alle, auch die widerſtrebenden Elemente unter einen Hut zu bringen.

Empfindliche, beſonders Nervöſe, mögen ſie auch nur des Luftbades bedürfen und von ſonſtigen Heilmitteln aus dem Mineral -, Pflanzen - und Thierreich keinen Gebrauch machen wollen, gehen ſtets ſicherer, wenn ſie einen Curort wählen, der ſchon einigermaßen in Aufnahme iſt, und ſich nicht auf Entdeckungsreiſen in der Wildniß einlaſſen. Als Beiſpiel, in welch bittere Täuſchungen Unerfahrene fallen können, mag derſelbe alte Herr dienen, deſſen Bekanntſchaft wir im Eiſenbahnwagen machten. Die Geſchichte ſeines erſten Ver - ſuchs, die er mir ſelbſt erzählte, im Vertrauen, daß ich weiteren Gebrauch davon machen würde, bildet das Seiten - ſtück zu der im vorigen Capitel mitgetheilten. Auch er war norddeutſcher Schulmann, Oberlehrer an einem Gymnaſium und in ähnlicher Weiſe, in ähnlichem Grade und aus ähnlichen Gründen leidend. Hören wir ihn ſelbſt.

In die berüchtigte Stickluft deutſcher Schulſtuben*)Bei neuen Schulgebäuden fängt man hier und da endlich an, für Ventilation zu ſorgen, und da iſt es allerdings am dringendſten nöthig. Hoffen wir, daß das in dieſen Anſtalten erzogene Geſchlecht lernt, wie wichtig friſche Luft zur Erhaltung der Geſundheit iſt, und dereinſt danach baut und ein - richtet. Es wird dann wenigſtens unſren Nachkommen nicht an Gerichts -, Concert -, Hörſälen, Theatern, Fabriken, Buchdruckereien fehlen, in denen kein Orchideenhaus - klima herrſcht, ſelbſt Kaffeehäuſer werden erſtehen, in welchen Nachmittags, und Bierſtuben, in denen Abends ſich athmen läßt. Nicht blos um die Hitze handelt es ſich, nicht blos um den Tabaksqualm, ſondern auch um die Nothwendigkeit der Erneuerung einer Luft, in welcher ſo und ſo viele Lungen und Gasflammen ſtoffwechſeln! , die ich als Kind und Knabe geathmet hatte, bannte mich mein Beruf leider auch als Mann den größten Theil des Tages, deſſen Reſt ich zu Hauſe am Schreibtiſch verbrachte, in Tabakswolken eingehüllt. Bewegung machte ich mir ge -119V. Siedelungsverſuche.wiſſenhaft eine Stunde täglich gleich nach Tiſch, anderthalb Abendſtunden wurden der Unterhaltung mit Freunden bei bairiſchem Biere gewidmet, natürlich auch im dickſten Tabaks - rauch*)Im londoner Punch erſchien ein Bild, welches eine deutſche Mutter mit einem Säugling auf dem Schooße zeigt, dem ſie ſtatt der Bruſt die Tabakspfeife in den Mund ſteckt. Der Spott trifft in der That eine ſchwache Stelle des deutſchen Körpers, denn ſchwerlich wird irgendwo in einem der fünf Welttheile ſo viel gepafft, auch von Kindern, als in Deutſchland. Das Zollparlament ſollte eine hohe Steuer auf Tabak legen, vielleicht trüge das bei, dieſes Nationallaſter, das viele Dampfen, etwas zu dämpfen. eines kleinen niedrigen Zimmers, an deſſen Athem - luft außer einem Dutzend Menſchen eine Anzahl Gasflammen und ein eiſerner Steinkohlenofen zehrten. Jetzt wo ich die Wirkung dieſer Dinge kenne, begreife ich nicht, daß meine Natur ſo lange Stand hielt. Als es höchſte Zeit oder vielmehr als ſie ſchon vorüber und ich in einem Zuſtande war, der eine gründliche Heilung unmöglich macht, ſagte endlich mein Arzt: herumdoctern an Ihnen will ich nun nicht länger, denn es hilft nichts. Ich wußte aber, wie ſchwer Sie ſich entſchließen würden, Ihre Arbeiten, Familie, Freunde, Ge - wohnheiten zu verlaſſen, ſonſt hätte ich ſchon früher darauf gedrungen. Für Sie gibt es nur ein Recept und das iſt geiſtige Ruhe, mäßige, geregelte körperliche Bewegung und Aufenthalt in Berg - und Waldluft mehre Monate hindurch. Suchen Sie ſich in den Alpenoder einem deutſchen Mittel - gebirge ein Eckchen, das Ihnen gefällt, und ſchlagen Sie dort Ihr Zelt auf. Der letzte Theil des Rathes ſöhnte mich mit dem Uebrigen aus. Ich haſſe nämlich elegante Modebäder, die nur ein Stück Großſtadt in Sommerkleidern ſind, wo die Langeweile in Lackſtiefeln auf den Schlangenwegen eines Parks hin und her promenirt und von ungeſtörtem Natur - genuß keine Rede iſt. Ich ſuchte und fand im nächſten Wald - revier ein Dutzend Plätzchen, an denen meine Augen Wohl - gefallen hatten, die mich entzückten und von denen ich mir Alles verſprach, was ich zu bedürfen meinte, machte hinter -120V. Siedelungsverſuche ſociale Stellung des Kranken.einander in vier verſchiedenen eine Reihe Siedelungsverſuche, die alle fehlſchlugen, und nahm endlich meine Zuflucht zu einem bekannten Bade. Ich hatte mich überzeugt, daß die Landleute andere Bedürfniſſe, Wünſche und Gewohnheiten haben, und ſelbſtverſtändlich nach ihnen bauen und ſich ein - richten, als wir kränklichen Stadtleute. Die Maſſe ihrer Behauſungen, der Gaſthof in der Mitte, ſteht in Reih und Glied, Fühlung rechts und links; die wenigen vorgeſchobenen Poſten, vereinzelt im Grünen liegende Häuschen, haben die Allerärmſten inne, und wenn ſich da auch einmal ein oder zwei erträgliche Stüblein finden, ſo lebt unter demſelben Dache faſt immer ein ſo überſchwenglicher Segen an Kindern in den Hauptſchrei - und Tobjahren, Kleinvieh, gefiedertes und vierfüßiges, fehlt auch nicht, ein Kettenhund iſt ſtets vor - handen, deſſen Gemüth die Feſſeln der Knechtſchaft dermaßen verbittert haben, daß er nur noch durch unabläſſiges Gebell und Geheul ſich Luft macht, ſo daß von Ruhe und Behagen keine Rede ſein kann, ganz zu geſchweigen der Betten, deren bloßer Anblick Schauder erregt, und Einem, der ohnehin ſchon wenig Talent zum Schlafe mitbringt, nichts Gutes in Ausſicht ſtellt; zu geſchweigen ferner der nicht ſchließenden Thüren, Fenſter, Schubladen, der räumlichen Verhältniſſe, die einer Schiffscajüte entſprechen, u. a. Mißſtände. Denken wir uns nun in den vier Wänden einer ſolchen Stätte nur eine Regenwoche lang einen reizbaren Melancholicus, gelöſt von Allem, was ihm lieb und gewohnt iſt! Ein Anderes iſt es mit jungem, leichtem Blut, leidenſchaftlichen Fußtouriſten, geſunden Naturenthuſiaſten, Malern, Poeten: bei ihnen überſtrahlt das ſubjective Behagen, verbunden mit dem Reiz der Landſchaft, Alles mit einem roſigen Schimmer. Sie mögen vorlieb nehmen mit ſolchen Verhältniſſen und über uns Weichlinge lächeln.

Geſunden und Kräftigen gegenüber, nahm unſer Reiſe - profeſſor ſeine Lection wieder auf, hat überhaupt der Kranke in geſelliger Beziehung ſchweren Stand. Schleppt121V. Geſunder Menſchenverſtand Tagesordnung wie geht’s Ihnen?er ſich auf Krücken einher, muß er im Handwagen gefahren werden oder ſtehen ihm ſeine Gebreſte mit großer Schrift im Geſicht geſchrieben, ſo weicht man ihm theils ſchon von Weitem aus, um ſich nicht niederdrücken zu laſſen , theils bekommt er Mienen zu ſehen und Aeußerungen zu hören, die wenig geeignet ſind, ihm wohlzuthun, denn auch das un - geheuchelte Mitgefühl iſt nicht immer mit Zartgefühl gepaart, und Achtung findet das Unglück faſt nur, wenn es maleriſch coſtümirt iſt. Das eigentlichſte Unglück aber, das bohrende Gefühl der Troſtloſigkeit, das nach jeder Unterbrechung mit neugeſchärftem Stachel wiederkehrt, wohnt in der That weit minder bei dieſer Claſſe der ſchwer Leidenden , als bei jener anderen, den Nervöſen. Sie ſehen aus und gehen einher, wie alle Welt ausſieht und einhergeht, in guten Stunden können ſie aufgeräumt ſein, Eſſen und Trinken ſchmeckt ihnen, Nahrungsſorgen haben ſie nicht, dennoch läßt ſich erkennen, daß es ihnen ſehr übel zu Muthe iſt: folglich müſſen ſie ohne Unterſchied Menſchen ſein, die ſelbſt nicht wiſſen, was ihnen fehlt und was ſie wollen, wunderliche Käuze, eingebildete Kranke, Sonderlinge, Hypochonder. So urtheilt der geſunde Menſchenverſtand , d. h. der Ver - ſtand geſunder Menſchen, welcher raſch fertig iſt mit dem Wort und Jeden abſurd findet, der nicht ſeine Anſicht theilt, der es auch in der Regel für ſeine Pflicht erachtet, dieſer abgeſchmackten Geſpenſterſeherei dadurch entgegenzuarbeiten, daß er ſeinen Unglauben an die thatſächliche Begründung jenes Wehgefühls offen zur Schau trägt und daſſelbe als eine Unwürdigkeit und Lächerlichkeit behandelt.

Schon die Allerweltsfragen: wie geht’s Ihnen? , wie haben Sie geſchlafen? ſollten an Leidende der Art nicht ge - richtet, ſondern durch irgend einen andern Gemeinplatz oder einen Scherz erſetzt werden, der Gelegenheit gibt zur An - knüpfung einer Unterhaltung über beliebte Gegenſtände. Denn was ſollen ſie antworten auf die verhängnißvollen Fragen? So verbreitet die Meinung auch iſt, daß laute122V. Kunſt mit guter Laune krank zu ſein.Klagen das Herz erleichtern, ſo irrig iſt ſie. Aus den Landtagsverhandlungen wiſſen wir, daß man unangenehme Dinge, die nicht zu ändern ſind, am beſten ohne Debatte durch einfache Tagesordnung bei Seite ſchiebt. Iſt der Fragende ein Leidensgenoſſe, ſo iſt ein Seufzer, ein kurzer leiſer Schmerzensſchrei oder eine Grimaſſe erlaubt, zuweilen gut angebracht, nur müſſen dieſe durchaus komiſch gehalten ſein, nicht pathetiſch oder epiſch. Die Komik iſt freilich nur Komödie, jedoch ſchon des Echos wegen, das ſie auf der andern Seite weckt, vorzuziehen. Antwortet der Gefragte mit einer eingehenden, ernſthaften, deutlichen Schilderung ſeines Zuſtandes, ſo erregt er im beſten Falle irgend eine Art Mitleid, ein erſchrockenes, ſcheues, oder ein vielfragendes, red - und rathſeliges, in den meiſten Fällen wird man ihn der Uebertreibung, Unmännlichkeit und vor Allem eines Verſtoßes gegen den guten Ton zeihen, des ſchwerſten nächſt Beleidigung und Anmaßung: langweilig zu ſein. Schweigt er ganz über ſeine Leiden, ſo heißt es zwar: man kann aus dieſem ſtillen Dulder nicht klug werden, er iſt ein ver - ſchloſſener Menſch , es wird eine Fülle von Phantaſie und Scharfſinn aufgeboten, um der Natur ſeines Uebels auf die Spur zu kommen, daß es ein verſchuldetes ſein müſſe, be - zweifelt kaum Jemand, immerhin nimmt man ihm indeſſen die ſchwerſten Verſchuldungen der Art nicht ſo übel, als ver - urſachtes Mißbehagen. Läßt der Befragte in die Antwort etwas Selbſtironie einfließen, um ſo beſſer, hinter ſeinem Rücken wird dann über ihn ſo geſprochen, daß er, ohne ſich verletzt zu fühlen, wenigſtens die Hälfte mit anhören könnte. Davon überzeugte ich mich einſt in einer Jasminlaube, die mich zum unfreiwilligen geheimen Zeugen eines Geſprächs machte, das einige Schritte von mir über mich geführt wurde.

Am niedergeſchlagenſten pflegen Kranke in dem Stadium zu ſein, in welchem ihnen zuerſt klar geworden, daß ihr Lei - den ein tiefgreifendes chroniſches iſt, deſſen Heilung auch im günſtigſten Falle viel Zeit und Opfer fordert. Solchen kön -123V. Nachwuchs der Curorte Laienbrief an die HH. DD. loci. nen ältere Leidensgenoſſen einen wahren Samariter - dienſt leiſten, wenn ſie über ihren eigenen ähnlichen Zuſtand in jenem leichten Scherzando-Tone ſprechen, welcher dem An - dern den handgreiflichen Beweis gibt, daß die Uebung im Tragen ſchwerer Bürden die Kräfte ſteigert und daß ſich die große, ſchwierige, ſeltene Kunſt, mit guter Laune krank zu ſein, erlernen läßt.

Zur Berichtigung der Anſichten und Förderung beſſerer Inſtitutionen im jungen Nachwuchs der Curorte und Sommerfriſchen könnten Sie, meine Herren doctores loci, ſehr viel beitragen! Nehmen Sie ſich der Sache freund - lich an, wir Patienten in partibus bitten Sie angelegentlich darum! Wir verſprechen Ihnen dagegen, Sie ſo wenig als irgend möglich mit Fragen und Klagen zu behelligen. Wir wollen von jeder Stunde, die Sie uns widmen, höchſtens fünf Minuten von langweiligen Krankheitsgeſchichten, den Reſt dagegen von Ihren Lieblingsſachen ſprechen, es ſei nun Politik oder Gärtnerei, Muſik oder künſtliche Fiſchzucht, Mikroſkopie oder ſonſt etwas, wollen Ihnen die neueſten nicht druckfähigen Anekdoten aus der Reſidenz erzählen, jedes - mal eine auserleſene Havanna präſentiren, kurz, ſehr liebens - würdig und wenig läſtig ſein. Bitte, fangen Sie einmal an, m. HH., den Leuten geeignete Winke zu geben, ganz con amore, etwa in der Schenke beim Biere. Bei Ihrer dia - lektiſchen und dialektlichen Gewandtheit kann es Ihnen nicht fehlen. Bekanntſchaft mit den goldenen Früchten des Fremden - beſuchs und Geſchmack daran iſt ſchon vielfach in den Wald - revieren vorhanden und man möchte die curioſen Herrſchaften aus der Stadt ſo gern alle Sommer lange bei ſich ſehen und es ihnen in allen Stücken recht machen. Bald hier bald da werden Sie Gutes zu veranlaſſen und Verkehrtes zu hindern Gelegenheit finden. Mancher Neubau wird in größerem Stile unternommen, weil der Beſitzer auf Sommergäſte rech - net; würde dem Hauſe eine Stelle ſtatt dicht an der Kreuzung zweier Straßen an der entgegengeſetzten Ecke des Grundſtücks124V. Laienbrief an die HH. DD. loci Elementarunterricht.angewieſen, ſo hätten ſämmtliche Zimmer für Stadtgäſte mehr Anziehungskraft und brächten höhere Miethe; ebenſo, wenn Balcons oder vorſpringende Holzgalerien angebracht wären, auf denen auch bei feuchtem Wetter trockenen Fußes zu ſitzen iſt. Möglicherweiſe gelingt es, den Unternehmer rechtzeitig davon zu überzeugen. Mehr als Einen habe ich geſprochen, der bedauerte, derlei nicht früher gewußt zu haben. Fehlt es an einem Garten, fehlt es ſogar an einem Raſenplatze, ſo läßt ſich doch vielleicht an der geeigneten Seite dicht am Hauſe durch einige Bohnenſtangen und ein Stück Sackleinen eine Laube herſtellen, in welcher Tiſch und Stuhl ſtehen können. Iſt es auch nur eine Bank im Freien, ſo liegt ſelbſt darin ſchon ein Magnet für den nach Unterkunft im Dorfe umher - ſpähenden Sommerfriſchling, vorausgeſetzt freilich, daß dieſe Bank weder von landwirthſchaftlichen oder induſtriellen Ge - rüchen umweht, noch von einem Bullenbeißer bewacht wird, der, ſobald der Fremde ſich von ferne zeigt, ihm mit weithin dröhnendem Wuthgebell entgegenrast, ſo weit die Kette reicht.

Eine Belehrung über das Ganze des modernen Bettes wäre auch nicht überflüſſig, damit dem Bauernverſtande ein - leuchtet, daß nicht Jedermann befähigt iſt, im Monat Juli zwiſchen zwei dicken Schichten Federn zu ſchlafen, daß ferner die Raumverhältniſſe des Bettes nicht nach denen eines Sar - ges bemeſſen ſein dürfen, denn ſelbſt Trappiſtenmönche unter - ziehen ſich derartigen Sargübungen nicht zum Heile ihres Körpers, worauf es doch von Curgäſten als ſolchen abgeſehen iſt; daß ferner die Rouleaux nicht ſo angebracht ſein dürfen, daß die oberen Fenſter, alſo gerade die beſten Ventilatoren, nicht zu öffnen ſind. Ihre Gemahlinnen werden gewiß eine Ehre darin ſuchen, als Lichtträgerinnen unter den Töchtern der Wildniß aufzutreten und den Bauer - und Arbeiter - weibern, die ſich auf ſtädtiſchen Beſuch vorbereiten wollen, mit gutem Rathe an die Hand gehen, ihnen auch erlauben, die eigenen Wohn - und Schlafzimmer zu beſichtigen, behufs Nacheiferung.

125V. Geheimeräthe Orden Haupt - und Rebenſachen.

Aber, wo ſollen denn nur dieſe armen Weiber das Geld hernehmen zu Matratzen und ſonſtigem Comfort?

Wenn ſie nur erſt einmal überzeugt ſind, daß bei verhältnißmäßig geringer Geldanlage mit Sicherheit viel zu erwerben iſt, ſo werden ſie dafür ſchon Rath ſchaffen. Und übrigens ſind bei der allgemeinen Werthſteigerung von Grund und Boden und der verhältnißmäßigen Wohlfeilheit von Er - zeugniſſen der Induſtrie, ſelbſt die kleinſten Grundbeſitzer nicht mehr ſo gar hilflos, zeigt ſich das doch auch an ihren baulichen Veränderungen und Vergrößerungen.

Nächſt den einheimiſchen könnten gaſtirende Aerzte viel durchſetzen, beſonders wenn ſie betitelt und decorirt ſind, werden ſie auf Vorſtände beſtrickend und beſtimmend wirken. Geheime Räthe richten bei Behörden immer mehr aus, als öffentliche, in Zeitungen oder Büchern gegebene Räthe, und unter die günſtigſten Sterne, die ſolchen Zwiegeſprächen leuchten können, gehören die des rothen Adlerordens und der verſchiedenen Hausorden. Dieſer Artikel hätte eigentlich im Vademecum (S. 19) verzeichnet ſein ſollen, da mir aber kein Fall bekannt geworden iſt, daß auf einer Badereiſe ein Orden von ſeinem Beſitzer vergeſſen worden wäre, ſo glaubte ich, die Erinnerung unterlaſſen zu dürfen; dazu weiß man ja, daß nur für die Reiſe Manche einen Orden erſtreben.

Auch wenn es ſich weniger um eine förmliche Cur als Wahl eines ſtärkenden Sommeraufenthalts handelt, wird oft mit derſelben Sorgloſigkeit verfahren, mit welcher junge Leute einen Beruf oder eine Lebensgefährtin wählen. Der Eine z. B. ſucht ein verſtecktes Gebirgswinkelchen auf, wo er - fahrungsmäßig faſt nie genießbares Fleiſch auf den Tiſch kommt, nur weil das Gerücht geht, daß unter ſeinen Gäſten noch nie ein Berliner geweſen ſei; ein Anderer bringt die heißen Sommermonate am Genferſeezu, weil er ein viel - gerühmtes Paradies für die Augen iſt. Der Weiſe prüft und claſſificirt bedächtig das Nothwendige, Nützliche, Wünſchens - werthe, Entbehrliche, Ueberflüſſige, Zweckwidrige, zählt unter126V. Romantiſche Verführungen Verſtand und Erfahrung.die erſten Bedürfniſſe ſtaubfreie Waldluft, Schattenwege, nahrhafte verdauliche Koſt, und geht in der Schätzung der Einzelheiten nach den Erforderniſſen ſeiner Nerven, ſeiner Lunge, ſeiner Augen, wenn dieſe leiden, nicht nach deren Wohlgefallen zu Werke. Ein majeſtätiſches Bergpanorama, ein weiter Waſſerſpiegel, großartige Felſen - partien, Cascaden, alles das ſind herrliche Dinge, auch treff - liche Nahrungsmittel für die Phantaſie, der Verſtand jedoch, der bekannte nüchterne Magiſter, hinter ſich die Erfahrung, ſeine alte Haushälterin mit der großen Hornbrille und dem dicken Schlüſſelbunde, docirt, daß primo loco ganz andere Dinge gehören. In ſeiner nörgelnden Weiſe ſchilt er über die Romantiker, die ſich von einem Anblick, der ſo bald den Reiz der Neuheit verliert, verführen laſſen; ſchilt über die Ideologen, die von prachtvollen Weinbergen ſchwär - men, weil die Einbildungskraft dieſer Ritter vom blauen Dunſte den Wohlgeſchmack und die anregende Wirkung des Weins unbewußt der landſchaftlichen Glorie der Oertlichkeit zu Gute rechnet, während der Weinberg doch nur ein paar Monate im Jahre erfreulich, die übrige Zeit mit ſeinen Pfählen und ſeinem verſchnittenen kahlen oder trocken be - laubten Krummholz unſchön ausſieht ſo ſehr geneigt auch nordiſche ſtraßenmüde Großſtädteraugen ſind, Rebſtöcke unter die ländlichen Schönheiten zu rechnen, ebenſo wie Obſtbäume und Getreidefelder; daß ferner Weinlage nie eine froh - müthige Villeggiatur abgeben kann und die hohen Mauern (ſchrecklichen Andenkens!), welche die Wege einfaſſen, nur be - ſtimmt ſcheinen, den aufwirbelnben Staub gehörig zuſammen zu halten, jeden Lufthauch abzuwehren und die Ausſicht zu ſperren.

Noch häufiger als durch Wahl eines unpaſſenden Auf - enthaltsorts wird ein anderer Fehler begangen, und zwar von Solchen, denen die bloße Reiſe zur Heilung dienen ſoll: ſie wenden eine zu ſtarke Doſis des an ſich vortrefflichen Mit - tels an, bringen ſich dadurch um den gehofften Erfolg und127V. Reiſequeckſilber Spielart von Touriſt u. Curgaſt Fahrſucht.fügen ſich noch poſitiven Schaden zu. So oft auch ſonſt den Arzt ein Vorwurf treffen, es wenigſtens zweifelhaft ſein mag, ob er, die Krankheit oder der Kranke die Hauptſchuld am Miß - erfolg der Behandlung trägt, dies iſt einer der Fälle, in denen die Aerzte von jeglicher Verſchuldung freizuſprechen ſind. Denn die Annalen der Medicin wiſſen nichts davon, daß je ein Doctor das Reiſequeckſilber in der Doſis verordnet hätte, in welcher es von Geſundheitstouriſten ſo oft ein - genommen wird, im Gegentheil heißt es immer: aber, thun Sie des Guten nicht zu viel! An tugendhaften Vorſätzen der Art fehlt es zwar bei der Abreiſe nie, offenbar können dieſe Vorſätze jedoch den Transport nicht vertragen, oder, wie die Franzoſen von gewiſſen feurigen Weinſorten ſagen: ſie reiſen nicht. Die Rheinlande, die Walddiſtricte, die Alpenwimmeln im Sommer, die Küſtenſtriche des Mittel - meersim Winter von ſolchen Reiſecurgäſten, einer patho - logiſch intereſſanten Spielart von Touriſt und Cur - gaſt, die unſere volle Aufmerkſamkeit verdient. In der That ſcheint ihnen das Reiſequeckſilber dermaßen in den Gliedern zu ſtecken, daß ſie weder gehen, noch ſtehen, noch liegen können fahren müſſen ſie, unabläſſig fahren, fahren und fahren!

Die Fahrſucht iſt im Grunde nur eine andere Form des Läuferwahnſinns (vergl. S. 94), minder lebensgefähr - lich zwar als er, aber noch unglücklicher, denn ſie verfehlt ihren Zweck, Fernhaltung der Langenweile, noch weit gründ - licher: es leuchtet ein, daß die Abwechslung, wenn ſie conſtant wird, zur Eintönigkeit ausarten muß. Schon das Alterthum kannte dieſe Krankheitsform, oder richtiger geſagt dieſes Laſter, denn Horaz(Brief 11 anBullaz) ſpottet:

Jagend dahin über Meer, verändern ſie Luft, doch nicht Stimmung.
Nichtsthun wird uns zur Arbeit. Auf Viergeſpannen und Schiffen
Strebt man umſonſt nach Genuß.

Die Monotonie des ſteten Wechſels laſtet um ſo ſchwerer auf dem Gemüthe, als ſie ihm an die Stelle der Hoffnung und der Sehnſucht die Enttäuſchung ſetzt. Wenn man doch nur die128V. Natürliche Grenzen Darwin.hungernden Armen überzeugen könnte, daß ſie immer noch mehr Urſache zur Zufriedenheit haben, thatſächlich ſich auch nie ſo unglücklich fühlen, als verſchwelgte Reiche! Die Weisheit liegt durchweg im Maßhalten.

Im Eingang dieſes Buchs wurde kein Geheimniß daraus gemacht, daß deſſen geiſtiger Urheber, mein Freund und Lehrer, mich warnte, methodiſch zu Werke zu gehen. Ich hielt das damals für eine engliſche Schrulle , jetzt ſehe ich indeß ein, daß er Recht hatte und mir dadurch eine Verlegen - heit erſparte. Denn ich hätte ſonſt gleich von vorn herein eine Eintheilung verſuchen müſſen. Wie hätte ich nun aber eintheilen ſollen? Etwa wie Sterne (in ſeiner empfind - ſamen Reiſe , dem berühmteſten Reiſeromane des vorigen Jahrhunderts), der die Motive der Reiſe unterſucht und nun claſſificirt in einfache, müßige, neugierige, lügende, ſtolze, eitle, milzſüchtige, ſentimentale Reiſende? Das hätte mich zu tief in Subtilitäten geführt und abſeits von den Zwecken dieſes Büchleins. Oder ſollte ich, wie die alten Paßbeamten, nur unterſcheiden zwiſchen geſchäftlichen und ungeſchäftlichen Reiſenden, und unter die letzteren Touriſten, Vergnügungs -, Erholungsreiſende und Curgäſte rechnen? Touriſten nennen ſich aber auch Gelehrte, die zu wiſſenſchaftlichen, Schriftſteller, die zu literariſchen, junge Leute, die zu Bildungszwecken rei - ſen, Handlungscommis, die umherfahren, um Beſtellungen zu ſammeln. Und warum ſollte eine Cur in Carlsbadoder Aachennicht unter die Geſchäfte zu zählen ſein? In der That, aus dieſen und andren Schwierigkeiten hätte ich keinen Ausweg gefunden. Dazu wiſſen wir von Charles Darwin, daß in Allem, was da lebt und webt, die Grenzlinien zwi - ſchen den Gattungen ſchwer zu ziehen ſind, und überall ein mächtiger und ſteter Drang zu erkennen iſt, neue Arten und Abarten zu bilden. Ich zog deshalb vor, jedem Streit über die natürlichen Grenzen der einzelnen Species aus dem Wege zu gehen, auch nicht ſcharf zu ſcheiden zwiſchen Touriſt und Curgaſt, nur allzeit eine deutliche Marke zu machen zwiſchen129V. Der gerechte und vollkommene Touriſt.Weiſe und Unweiſe, zwiſchen erfahrenen, eingeweihten, gerechten und vollkommenen Touriſten und Curgäſten einer - ſeits und Neulingen, Sonntagstouriſten, Naturaliſten, Di - lettanten, Pfuſchern. An dieſer Stelle muß ich mir nun aber eine Ausnahme erlauben, ſchematiſiren und alle Reiſen nach ihren Zwecken eintheilen. Da ergeben ſich denn vier Rubri - ken: A Geſundheit, B Berufsgeſchäfte der verſchiedenen Art, C allgemeine Bildung, D Vergnügen. Den Gattungen B und C, Geſchäfts - und Bildungsreiſenden, iſt nachzurühmen, daß ſie ſich am correcteſten halten, am wenigſten ihre beſon - deren Zwecke aus den Augen verlieren, guten Rath in Bezug auf D, Vergnügen, dankbar und in Sachen A, Geſundheit, wenigſtens nicht übel aufnehmen. Auch Claſſe D, die Luſt - reiſenden, laſſen es nicht an gutem Willen und Eifer fehlen. Am ſchlimmſten ſteht es mit Rubrik A, den Geſundheits - reiſenden. Obwohl ſie am meiſten darunter leidet, iſt doch gerade ſie es, welche die häufigſten Verſtöße begeht und, macht man ſie darauf aufmerkſam, den Rath ganz in den Wind ſchlägt, oder ſtreitet, oder die Geduld verliert. Am ſchwerſten haben es darin die Aerzte, deren Berufspflicht ſolche Winke ſind; je mehr Vorſtellungen ſie machen, je weniger werden ſie gehört, dieſerhalb haben ſich denn auch die meiſten Bade - ärzte entſchloſſen, ſehr zurückhaltend mit eingehenden diäte - tiſchen Vorſchriften zu ſein und ſich mit einigen Hauptſachen zu begnügen, z. B. Warnung vor Gurkenſalat, nächtlichen Trinkgelagen, Erkältungen u. dergl. Die Herren ſetzen vor - aus, daß ältere Curgenoſſen, die mit jüngeren in’s Geſpräch kommen, ſie über alle ſolche Einzelheiten belehren, zumal dem Ernſt Eingang in die gute Geſellſchaft nur geſtattet iſt, wenn er in die leichten flatternden Gewänder der Unterhaltung ge - kleidet iſt, nicht in ſeine hergebrachte ſteife Amtstracht. Nar - ren und Luſtigmacher ſind immer hoffähig geweſen. Dies Büchlein ſieht nun aber eine ſeiner Hauptaufgaben darin, gewiſſe Dinge zur Sprache zu bringen, die für Badegäſte ebenſo langweilig als nützlich, ihnen jedoch weder von Aerzten noch9130V. Schmuggeleien Reiſecurgäſte und ihre böſen touriſt. Gelüſte.von Büchern mit Erfolg zu inſinuiren ſind, unſre Reiſeſchule glaubte deshalb zu einer Liſt greifen zu dürfen, die ſie den öſterreichiſchen Buchhändlern in der alten Cenſurzeit abgeſehen hat. Wenn dieſe nämlich Schriften, die unter die Rubrik damnatur fielen, Eingang in die K. K. Staaten verſchaffen wollten, ſo riſſen ſie die Titel ab und klebten andere darauf, z. B. von Kochbüchern, faulen Rechenknechten, Anekdoten - ſammlungen u. dgl. mehr. Das iſt auch der Grund, weshalb die Ueberſchriften unſrer Capitel und Seiten weder vollſtändig noch genau ſind, und allerhand Capriolen machen. Das Sachregiſter iſt ſchon weit aufrichtiger. Dieſe in die Vorrede gehörige, dort aber aus den hier eingeſtandenen Gründen unterdrückte Enthüllung braucht nun nicht länger verzögert zu werden. Im Uebrigen iſt unſre Reiſeſchule keine Freundin von Schmuggelverſuchen und kann auch jedem Reiſenden nur rathen, ſich ihrer zu enthalten.

Noch einmal alſo: es beſteht ein Unterſchied zwiſchen Touriſt und Curgaſt und zwar in der Art und dem Maße der Bewegung. Wenn auch der Erſtere verweilen, der Letztere reiſen und wandern darf und ſoll, ſo iſt doch das charakteriſtiſche Merkmal dort die Bewegung, hier die Ruhe und Stetigkeit. Der gute Curgaſt hat darum ſtets auf der Hut zu ſein vor ſeinen böſen touriſtiſchen Begierden und dieſelben, ſie mögen nun in die Rubrik Beruf, Bildung oder Vergnügen fallen, ſobald ſie den Zweck Litera A, Geſundheit, kreuzen, zu bekämpfen. Wohlberathene Reiſecurgäſte erblicken ihren ärgſten Feind in dem geſchilderten laſterhaften Triebe zu unabläſſiger Ortsveränderung, der ein Vetter der Neugierde iſt und mit dieſer ſeiner Frau Baſe die Neigung zur Ge - ſchwätzigkeit, Uebertreibung und eiteln Aufſchneiderei gemein hat. Sie nehmen mithin nie den erſten beſten gedruckten Reiſeplan zur Richtſchnur, denn dieſe Pläne ſind durchweg für Luſt reiſende berechnet, oder vielmehr für Solche, deren Luſt es iſt, möglichſt viel mitzunehmen, ohne Rückſicht darauf, wieviel ſie behalten; ſie legen ihre Raſten ſo, daß ſie nicht131V. Reiſejagden Scheu vor Wiederholungen und Rückwegen.jede Nacht in einem andren Bette ſchlafen, ſondern von Hauptquartier zu Hauptquartier ziehen. Von dieſer Reiſe - methode wird in Bezug auf Erſparniſſe im VI. Capitel noch weiter gehandelt werden.

Von Geſundheit und Krankheit iſt nun aber in dieſem Abſchnitt ſo viel die Rede, daß ich hier einmal unſre läſtige A B C ſtunde der Diätetik unterbreche, und an Sie, meine Herren und Damen der vierten Claſſe D, ein paar Fragen mir erlaube. Iſt es denn ſo gar ennuyant , eine herr - liche Alpenlandſchaft mehr als einmal zu betrachten? Sollten Sie nicht, ganz abgeſehen von der Bequemlichkeit, auch mehr Genuß finden, wenn Sie auf Reiſejagden verzichteten, welche Sie zu Sclaven des Minutenzeigers Ihrer Uhr, der Coursbücher, Dampfmaſchinen, Pferde, Kutſcher machen? Sollte nicht der Sättigungspunkt um ſo früher eintreten, je mehr durcheinander und je raſcher Sie genießen? Und müſſen nicht auch die geſelligen Berührungen, je ununter - brochener Sie in Bewegung ſind, um ſo oberflächlicher und unergiebiger ausfallen? Ehrlich geſtanden: auch ich hatte ehemals eine heftige Scheu vor Rückwegen und beſonders vor Wiederholungen, ich kam mir dabei vor wie ein Schulbube, dem ſeine Arbeit vom Lehrer zerriſſen wird mit der Aufforderung, ſie noch einmal zu machen. Als ich jedoch bemerkte, wie ſpurlos neue Eindrücke blieben, die raſch auf einander folgten, daß ſogar manche erſt bei öfterer Wieder - holung zu wirklichen Eindrücken wurden, bekämpfte ich jene Scheu methodiſch und vertrieb ſie.

Die touriſtiſche Nutzanwendung hiervon iſt nun die: wer nicht mit außerordentlichem Gedächtniß, unwandelbarer Klar - heit und ſtets reger Empfänglichkeit ausgerüſtet iſt, thut wohl, alle ihm beſonders werthvollen Gegenſtände, um ihren Ein - druck ſich zu erhalten, mehr als einmal zu betrachten.

Ganz beſonders verlangen Hochgebirgslandſchaften mit Muße und wiederholt beobachtet zu werden. Nur ſo lernt man die Berge kennen, noch mehr, man lernt ſie lieben. Die9*132V. Verweile! Galerien wiederholte Reiſen.Linien haben Zeit, ſich fühlen zu laſſen; man belauſcht ihre Bewegungen bis auf die zarteſten Biegungen; die Höhen offenbaren, verſchieden beleuchtet nach Tag und Stunde, die reichſte Mannigfaltigkeit und Fülle des Ausdrucks. Auf jede Berghalde ſchreibt ſich ein Gedicht, jede Stunde vervoll - ſtändigt es und bringt ihr Ereigniß: die eine einen Sonnen - blick, die andere einen Windſtoß, eine Wolkengruppe, ein Gewitter, einen ſtürzenden Block, eine Lawine, die Erweite - rung einer Eisſpalte, eine Bewegung des Gletſchers, ein inneres Krachen. Beim bloßen Vorbeieilen läßt ſich nur ein Vers der Epopöe belauſchen, bei oft wiederholtem Beſuche jedoch enthüllen ſich ganze Geſänge, und die Einbildungskraft iſt bemüht, das ganze Gedicht wiederherzuſtellen.

Auch mit Gemäldegalerien, beiläufig bemerkt, halte ich es (als Touriſt von Fach aber Kunſtdilettant) gern ähnlich: ich laufe nicht mit den Augen flüchtig von Nummer zu Nummer jedes Saales, wie Kinder ein Bilderbuch durch - blättern, noch verweile ich mit Kennermiene übermäßig lange bei Einzelnem, ſondern hole mir vorher aus Büchern oder von Sachkundigen Rath über das Betrachtenswertheſte, be - ſichtige dies wiederholt mit Muße und Samm - lung, und befaſſe mich mit dem Uebrigen gar nicht. Fühle ich die Aufmerkſamkeit oder die Augen ermatten, ſo ſehe ich es keineswegs wie ſo Viele für eine Ehrenſache an, die vorher beſtimmte Zeit einzuhalten, ſondern gönne mir entweder eine Erholungspauſe im Freien, oder breche für den Tag ganz ab. Erzwungenes, unluſtiges, mechaniſches Abdreſchen eines Pen - ſums bleibt an und für ſich fruchtlos, wirkt erſchlaffend und ſetzt ſich leicht zur Gewohnheit feſt.

Selbſt die Wiederholung ganzer Reiſen ver - dient empfohlen zu werden, zumal wenn ſie beſonders reich ausgeſtatteten Ländern gilt; denn erſt nachdem der blendende, verwirrende Reiz der Neuheit geſchwunden, wird die Be - obachtung unbefangener, gegenſtändlicher und die Zeitein - theilung entſprechender. Daß Mancher ſehr enttäuſcht 133V. Jahreszeit.zurückkommt von einer Reiſe, die er nach langer Zwiſchenzeit von Neuem macht und nach welcher er brennendes Verlangen empfand, hat ſeinen Grund einfach darin, daß dieſes Ver - langen ſich auf den Ort nur zu beziehen ſchien, während es ſich thatſächlich auf die Zeit bezog, in der er mit jüngerem, friſcherem Sinne betrachtete und ſeine Phantaſie mittlerweile geſchäftig war, dem Orte Reize zu leihen, die er nie be - ſeſſen.

Wer in ſehr ſpäter Jahreszeit zur Erholung reiſt, ſollte, zumal ſeitdem die Brennerbahn vollendet iſt, beſonders auf das Gebiet jenſeits der Alpenſein Augenmerk richten, denn die dafür zu bringenden Opfer an Zeit und Geld ſind in der That gering im Verhältniß zu den Vortheilen, die es bietet: die weit größere Zuverläſſigkeit des Wetters, im Herbſte Gewißheit heiteren Himmels (ſchon von andern Seiten iſt das vielfach hervorgehoben worden), Trauben, Pfirſichen, Aprikoſen, Aepfel, Kaſtanien gut und wohlfeil, vor Allem die glänzende Folie, welche die dem Nordländer neue herrliche Pflanzenwelt und die Eis - und Schneeregion, ſo nahe zu - ſammengerückt, ſich gegenſeitig bereiten. Für den Spät - frühling wählt man gern das Gebiet der Voralpen. Da ſich der Hauptbeſuch des Hochgebirgs auf wenige Wochen zu - ſammendrängt, in welchen Gaſthöfe, Dampfboote, Wege und Stege überfüllt ſind, Unterkunft unſicher, Bedienung und Verpflegung mangelhaft, Preiſe hoch geſpannt, ſo entſchließen ſich Touriſten, die nicht auf eine beſtimmte Zeit angewieſen ſind, neuerdings immer häufiger, mit ihrer Perſon nicht den großen Strom verſtärken zu helfen, ſondern früher oder ſpäter zu gehen und lieber auf Gletſcherbeſteigungen zu verzichten, ſofern ſie das Wetter nicht ausnahmsweiſe begünſtigt. Ziehen ſie den Frühling und Frühſommer vor, ſo entſchädigt er ſie reichlich durch herrliches Wieſengrün, milde, klare Luft, mächtige Waſſerfälle, Baumblüte; auch die Gewitter ſind ſeltener, das Wetter beſtändiger als im Hochſommer, und das ſchlechte, wenn es eintritt, nicht ſo nachhaltig und bösartig134V. Curzeitvergeudung.wie im Herbſt. Immerhin ſind die Winke der Handbücher in Bezug auf Jahreszeit und Wahl des Ziels zu beachten.

Eine goldene Regel für Leidende, deren einziges oder hauptſächliches Heilmittel in Luft beſteht ſelbſt noch für die Glücklichen, welche eine ganze Saiſon auf ihre Geſundheit verwenden können, wie viel mehr für Solche, denen dazu nur wenige Wochen zu Gebote ſtehen iſt die: jede Viertel - ſtunde zu Rathe zu halten. So manche Tage und Stunden gehen ohnehin ſchon verloren, zumal im Hochgebirg, durch Kälte, rauhe Winde, Regen, Nebel, Unvorhergeſehenes; der Reſt von wirklich verwerthbarer Luftcurzeit iſt daher als ein eben ſo koſtbares Gut zu behandeln, wie Mundvorrath und Schießbedarf in einer belagerten Feſtung. Kleine häus - liche Geſchäfte, die es geſtatten, müſſen auf die Pauſen der Curzeit, die frühen Morgenſtunden und die Abende verlegt werden. Mit welcher Gedankenloſigkeit wird nun aber gegen dieſe ſo augenfällige Regel von der Mehrzahl der Gäſte ver - ſtoßen, auch von Solchen, die in Eſſen, Trinken und ſonſtigen diätetiſchen Einzelheiten peinlich genau ſind! Stundenlang ſtehen ſie, nachdem Frühſtück, Zeitung und Toilette ſchon ein gutes Stück des Vormittags im Zimmer verſchlungen haben, dicht gedrängt in einer Atmoſphäre von Tabaksqualm, Men - ſchenathem und Staub um eine Muſikbande herum! Natür - lich fühlen ſie ſich hinterher ganz erſchöpft und müſſen ſich auf dem Sofa erholen. Ein Theil der beſten Tageszeit wird im heißen Speiſeſaal, im dampfigen Kaffeehaus, am Billard - tiſch, im Zeitungszimmer zugebracht, und ſo fort. Wer dieſes Subtractionsexempel mit deſſen Moral vor Augen hat, wird täglich, ſtündlich Gelegenheit finden zu Erſparniſſen an Curzeit und ein Capital zuſammenſchlagen, deſſen Zinſen ſeinem ganzen Organismus zu Gute kommen, namentlich ſeinen Nerven, ſeinem Blute, ſeiner Lunge und ſeiner Haut, welche letztere es abhärtet und (mehr als alles kalte Waſſer) von den üblen Einflüſſen unſrer heißen Stuben im Winter befreit. Er wird ferner die Stunden, welche im Freien zu135V. Drückende Nahrungsſorgen.ſitzen geſtatten, dafür benutzen und nicht für Spaziergänge, dieſe vielmehr auf die kühleren Stunden vorher und nachher verlegen eine Vorſchrift, die ſelbſtverſtändlich gewiſſe Aus - nahmen erfährt, z. B. bei empfindlichen Lungenkranken er wird ferner möglichſt im Freien, im Garten oder auf dem Balcon, Beſuche empfangen, Mittags - und Abendmal halten, Schreibereien vornehmen ꝛc. (Vergl. Schluß dieſes Abſchnitts.)

So hoch nun aber auch der Werth der Luft anzuſchlagen iſt, ſo muß ich mich doch ausdrücklich gegen den Verdacht wehren, daß ich nach der Seite hin die Anſicht faſt ſämmt - licher Curplatzwirthe theilte, welche geradezu glauben, der Menſch, wenigſtens der Curgaſt, könne von Luft allein leben, und deshalb ihr Dichten und Trachten darauf richten, alle nährenden Beſtandtheile aus den Speiſen zu entfernen. Es wird geſtritten, ob dies auf Rechnung der Viehſeuchen und der allgemeinen Preiserhöhung der Lebensmittel oder der geſteigerten Habgier der Wirthe zu ſchreiben ſei. Ich könnte eine lange Reihe von Oertlichkeiten nennen, in welchen ehedem eine gute, nahrhafte Koſt zu finden war, und die erſt, ſeitdem ſie auch vielfach als Luftbäder dienen, die Auskochkunſt in höchſter Vollkommenheit betreiben, möchte deshalb die Urſache eher darin ſuchen, daß Badeärzte und Hausbeſitzer ſo viel von unſrer herrlichen Luft und deren an’s Wunderbare gren - zenden kräftigenden Wirkungen geſprochen haben, daß Wirthe und Garköche es für Pflicht halten, der Erneuerung des Bluts nicht durch Verabreichung althergebrachter Nahrungs - ſtoffe entgegen zu arbeiten. So ſieht man denn jetzt häufig Gäſte bei Tiſche eine Büchſe mit Fleiſchextract neben ſich ſtellen und aus dieſer den Suppen und Saucen, noch bevor ſie gekoſtet haben, zuſetzen, denn ſie wiſſen im voraus, daß das Deficit mit derſelben Regelmäßigkeit wiederkehrt, wie im öſterreichiſchen und franzöſiſchen Finanzbudget. Die Speiſen betrachten ſie nicht als Nahrungsmittel, ſondern nur als Vehikel für die aus der münchener Hofapotheke bezogene Latwerge.

136V. Balneologie und Klimatologie.

Jetzt noch ein paar Laienbemerkungen über balneolo - giſche Literatur. Daß bei Verfaſſern von Monographien der Localpatriotismus immer ſehr ſtark entwickelt iſt, Miß - ſtände des eigenen Orts und Vorzüge anderer, mit denen er verglichen wird, ihnen entgehen, ſoll Niemand zum ſchweren Vorwurf gemacht werden. Der Patriotismus hat einmal mit dem Egoismus jene optiſchen Täuſchungen gemein, von denen das Gleichniß vom Splitter und Balken ſpricht. Auch ſoll unſre Anerkennung der Gründlichkeit ſo manches Mono - grammatikers nicht vorenthalten werden, mit der er alle Beſtandtheile ſeines Mineralwaſſers auffand, bis auf 0,001 Extractivſtoff, Spuren von Eiſenoxydul und Thonerde; eben - ſowenig ſeinem Scharfblick, welcher erkannte, daß ſo förmlich für Heilzwecke geſchaffen , wie der ſeinige, kein andrer Ort der Welt iſt, daß derſelbe z. B. Bergtriften behufs Bereitung von Molke und Kräuterſäften beſitzt, wie ſie ſonſt auf dem Erdenrund nicht vorkommen, daß ſeine Quelle, die ſtille Freundin des vegetativen Lebens , die ſanft in den Orga - nismus ſich ſchleichende Schmeichlerin , beim Trinken ein balſamartiges Gefühl bewirke. Und obwohl die Natur juſt auf dieſen Ort das überſchwänglichſte ihrer Füllhörner aus - gegoſſen, ſo ſei dennoch der Vorſtand weit entfernt, deshalb die Hände in den Schooß zu legen, vielmehr unermüdlich beſtrebt, um jeder Anforderung zu genügen, auch alle übrigen Curmittel herbeizuſchaffen. Unter Anderem halte Herr Apo - thekerGaugengigglein Lager aller natürlichen und künſtlichen Brunnen, könne auch zum mediciniſchen Gebrauch Trauben aus den beſten Bezugsquellen beſorgen. Dem genannten Herrn ſei es ferner gelungen, ein chemiſch reines natrum sulphuricum der Credit dieſes bekannten thätigen Stoff - wechſelagenten würde leiden, wenn ſtatt ſeines wiſſenſchaft - lichen Titels ſein Vulgarname Glauberſalz genannt würde darzuſtellen, welches als Zuſatz zum Mineralwaſſer, die discret eröffnende Wirkung ſteigernd, treffliche Dienſte leiſte.

137V. Laienwünſche.

Wie geht es nun aber wohl zu, daß viele dieſer Schrift - ſteller, die wir als patriotiſch, gründlich, ſcharfblickend, beredt, vielſeitig kennen lernten, die eben abgehandelten allgemeinen Verhältniſſe, welche Gäſte jeder Art nahe angehen und derent - willen allein Viele den Punkt aufſuchen, gar nicht oder nur oberflächlich berühren? Ein Ort hat z. B. das Glück, in weite Nadelholzwaldungen förmlich gebettet zu ſein, ſo daß jeder Windhauch erfüllt iſt von würzigem Athem; ein anderer genießt des ſeltenen Vorzugs, daß viele ſeiner Privathäuſer villaartig gebaut und mit Gärten umgeben ſind; ein dritter ſtreckt ſich einem Park entlang, daß die Inſaſſen von Gaſt - und Privathäuſern den Fuß gar nicht auf leidiges Straßen - pflaſter zu ſetzen brauchen, ſondern im vertrauteſten Umgang mit einer durch Kunſt veredelten Natur leben; ein vierter hat eine Fülle promenadenartig gehaltener Waldwege. Von alledem iſt entweder gar nicht die Rede, oder es wird mit nichtsſagenden Floskeln abgefertigt, wie herrliche Wald - ſpaziergänge , freundlicher Ort , Comfort aller Art , tief vergraben in einem Wuſt geſchichtlicher und topographiſcher Notizen. Iſt es Geringſchätzung oder im Gegentheil Furcht vor der ſteigenden Macht des neuen Souveräns, der Luft, von dem Sie, meine Herren Verfaſſer, Ihre mineraliſchen Schützlinge nicht verdunkeln laſſen wollen, daß Sie ſo wenig Nachrichten aus deſſen Reich geben? Nein, ich errathe, Sie wollen auch den Schein der Parteilichkeit meiden . Im Intereſſe der Sache laſſen Sie ſich beſchwören, werfen Sie das Uebermaß von Zartgefühl ab, belehren Sie uns ein - gehend über Alles, was zu Gunſten Ihres Curorts ſpricht.

Oft ſucht man in einer dicken Monographie vergebens nach Angaben, wie hoch der Punkt über dem Meere gelegen, ob Wald in der Nähe, in welcher Entfernung er iſt, ob dieſer aus Nadel - oder Laubholz beſteht, ob es ausgedehnte Reviere oder nur kleine Gehölzparcellen, wie die Wege beſchaffen, ob ſie ſchattig, ſtaubfrei ſind u. ſ. w. Es will uns bedünken, daß in einem Buche, das nur einem Orte gewidmet iſt, nicht138V. Monographiſche Lücken Durchſchnittstemperatur.noch weniger auf touriſtiſche Localfragen eingegangen ſein dürfe, wie z. B. im Bädekeroder Berlepſch, die für denſelben nur eine Seite oder weniger Raum haben. Die Eintheilung in nähere Spaziergänge und weitere Umgebungen ge - nügt nicht, es müſſen die Entfernungen in Stunden und Minuten angegeben ſein. Wenn außer dem Curhauſe Privat - wohnungen zu Gebote ſtehen, ſo darf dies nicht verheimlicht werden, zumal wenn es abgeſondert inmitten von Gärten, Wieſen, Feldern gelegene ſind, welche dauernde Ruhe ver - ſprechen und ehrlich Wort halten, Böswillige könnten ſonſt vermuthen, daß Sie im Solde des Curhauspächters ſchreiben. Auch ſollte nicht ſo ſehr ängſtlich jede Art von Preisnotiz vermieden ſein; durch Mittheilſamkeit und Zuverläſſigkeit in dieſem Gebiete hat ſich z. B. Bädekerviele Freunde er - worben. Wenn es nur hieße, im Sommer 1869 wurde für ...... gezahlt, Vermiethung für die Saiſon, für Monate oder Wochen gebräuchlich, ſo böte das ſchon einigen Anhalt.

Ueberhaupt ſind wir Laien nicht mehr ſo leicht zufrieden - geſtellt, wie ehemals, ſondern haben dies und jenes geleſen, geſehen, gelernt. Mit allgemeinen Redensarten über Tempe - raturverhältniſſe, wie milde Luft oder geſchützte Lage laſſen wir uns nicht abſpeiſen. Angaben, wie die von einem bekannten Badearzt über ſeinen Curort, daß derſelbe um einen Paletot wärmer als X, aber um einen Sonnenſchirm friſcher als Y ſei, mögen wohl angebracht ſein im münd - lichen Verkehr mit einem Geſundheitshypochonder oder einer hyſteriſchen Dame, um weitere 99 Fragen abzuſchneiden, uns genügen ſie nicht, und ſchwerlich werden unſre Hausärzte daraus entnehmen können, wen ſie dahin ſchicken dürfen. Be - fürchten Sie nicht, meine Herren, uns durch trockene Zahlen zu ermüden, ſondern theilen Sie uns nur in Tabellenform mit, was Sie beobachtet haben in Bezug auf Wärmegrade Morgens, Mittags, Abends, Verhältniß der heitern, wind - freien Tage zu rauhen, bewölkten, Conſtellation der umliegen -139V. Klimatologie zur Seelendiätetik.den Berge u. ſ. w. Mit Durchſchnittstemperatur wiſſen wir nicht viel anzufangen, denn unſre kranken Lungen empfinden keineswegs dieſes Facit eines Additions - und Diviſionsexempels, ſondern die Extreme von Kälte; eben - ſowenig laſſen ſich danach Schlüſſe machen, wie weit ungefähr auf die Möglichkeit des ſitzenden Aufenthalts im Freien zu rechnen iſt. In Nordamerikakommen im Sommer hohe Wärme - und im Winter deſto extremere Kältegrade vor, die durchſchnittliche Jahrestemperatur ſtellt ſich mithin nicht un - günſtig, die Ausgleichung findet indeß nur auf dem Papiere ſtatt und die Statiſtik weiſt ſchlimme Zahlen nach in Bezug auf Tuberculoſe und Erkältungskrankheiten. In manchen Thälern herrſcht im Hochſommer drückende Schwüle, die aber zeitweilig durch ſchneidend kalte Winde aus der Schneeregion oder aus feuchten, dichtbewaldeten Schluchten unterbrochen wird, wovon Durchſchnittszahlen nichts erzählen.

Die klimatologiſche Literatur iſt jünger und noch weit unerfahrener als die balneologiſche, namentlich fehlt es an einem Werke, das von allen nennenswerthen ſüdeuropäi - ſchen und nordafrikaniſchen Geſundheitsſtationen für den Winter eine unparteiiſche vergleichende Zuſammenſtellung gibt, die ſich nicht allein auf das vorhandene monographiſche Material, ſondern auch auf eigene eingehende Studien ſtützt die großen Schwierigkeiten eines ſolchen Unternehmens, bei den weiten Entfernungen der einzelnen Punkte und den eigenthümlichen Verhältniſſen ſo vieler, leuchten ein und daneben auch Touriſtiſches nicht ganz vernachläſſigt.

Ueber Heilbäder wäre noch Manches zu ſagen, z. B. über Aerzte, die zugleich Unternehmer ſind, über Vergnügungs - räthe, Curtaxen, Hazardſpiele ꝛc. ꝛc., wir wollen jedoch den Stoff lieber nicht erſchöpfen und ſo mag es dabei bewenden. Ehe wir weitergehen, jedoch noch Eins, Ihr lieben Curgäſte, jung und alt, Herren und Damen: vergeßt nicht, daß es auch eine Diät der Seele gibt, die mindeſtens eben ſo wichtig iſt, wie die des Körpers. Fühlt Ihr den Ballon140V. Zur Diät der Seele.Eurer Hoffnungen allzu hoch in den blauen Aether fliegen und die irdiſchen Dinge Euren Augen entſchwinden, ſo öffnet ein Ventil und laßt Gas ausſtrömen. Noch mehr noth thut’s aber andrerſeits, jenen Mühſeligen und Beladenen, von denen vorhin die Rede war, eine Mahnung zu wiederholen: ſo oft Ihr Euch auf Grübeleien über Euer Leiden und den möglichen Mißerfolg der Behandlung ertappt, gebt zunächſt ungeſäumt Euren Händen und Augen eine beſtimmte Thätig - keit, die Gedanken werden dann ſchon allmählich folgen. Die Hoffnung, die Lebensluft unſrer Seele, läßt ſich freilich nicht rufen, wir alle jedoch, auch Erzhypochonder, ſind glücklicher - weiſe ſo organiſirt, daß ſie früher oder ſpäter unvermerkt zurückkehrt, ſobald wir nur aufhören, ſie durch Selbſtquäle - reien zu verſcheuchen. Darum beſchäftigt Euch, iſt’s vor der Abreiſe, mit den Vorbereitungen, und iſt’s im Badeort ſelbſt und nichts Beſſeres zur Hand, mit den kleinen Obliegenheiten des Tagewerks recht eifrig, als ob’s wichtige Dinge wären. Das vorliegende Buch will Anleitung dazu geben, und ſein Verfaſſer würde ſich glücklich ſchätzen, wenn ihm das hier und da gelungen wäre. Er hat ſelbſt lange in verſchieden - artigen Curorten verweilt, mit Leidenden aller Art und vielen, vielen (!) Aerzten verkehrt und geſehen, wie mancher ſcheinbar rettungsloſe Fall doch noch Heilung fand, er war ſelbſt lange Zeit ſehr elend und gelangte doch endlich zu einem ganz er - träglichen Zuſtand, darf alſo Allen, die da auszogen, um Geneſung zu ſuchen, dieſe nicht ſo raſch, als ſie hofften, herankommen ſehen und nun ungeduldig und traurig werden, mit Shakeſpearezurufen:

Wie arm ſind die, die nicht Geduld beſitzen,
Wie heilten Wunden, als nur nach und nach?

Unſren ſchönen Leſerinnen, wenn ſie ihrem kränklichen Oheim zum Geburtstag eine Reiſetaſche verehren wollen, ſei hiermit gerathen, ſtatt der üblichen Roſen und Vergißmein - nichtigkeiten jenes oder ein anderes Wort, das Geduld141V. Geduld, Geduld, Geduld! Penſionsweſen Wintercurorte.empfiehlt, mit Goldperlen darauf zu ſticken. Alle Dichter ſind reich daran. Z. B. ſagt Rückert:

Wenn dir es übel geht, nimm es für gut nur immer,
Wenn du es übel nimmſt, ſo geht es dir noch ſchlimmer,
Und wenn der Freund dich kränkt, verzeih’s ihm und verſteh,
Es iſt ihm ſelbſt nicht wohl, ſonſt thät er dir nicht weh.

Die folgenden Zeilen:

Und wenn die Lieb dich kränkt, ſei’s dir zur Lieb ein Sporn,
Daß du die Roſe haſt, das ſpürſt du erſt am Dorn.

dürfen ſie für ſich behalten. Auch an Sprüchwörtern fehlt’s nicht, z. B. Leichter trägt, was er trägt, wer Geduld zur Bürde legt, oder Schweig, leid und lach, Geduld über - wind’t all Sach.

In Curorten jeder Art, namentlich den für den Winter - aufenthalt beſtimmten klimatiſchen, ſpielt eine große Rolle das Penſionsweſen. Urſprünglich ſchweizer Erfindung, breitet es ſich von Jahr zu Jahr weiter aus über die Touriſten - gebiete, obwohl die wahre, echte Penſion allerwärts ſelten iſt. Eine ſolche nur für ſtändige Gäſte berechnete Anſtalt halte ich für kaum vereinbar mit dem eigentlichen Wirthshauſe, denn das Weſen derſelben ſehe ich nicht darin, daß ein Hôtel mit großen Buchſtaben zugleich als Pension Suisse und Boarding House bezeichnet iſt, noch darin, daß länger ver - weilende Gäſte ermäßigte Pauſchpreiſe ausmachen können. Eine Penſion im engern Sinne kann ſchon ein Wirth, der nur einige Zimmer der Sache widmet, um ein paar Wochen vor und nach der Fremdenſchwarmzeit ſein Haus mehr zu füllen, beim beſten Willen nicht leicht zu Stande bringen, denn die täglich ſich verändernde Geſellſchaft am Eßtiſch, die Störungen ſpät Abends und früh Morgens, das unabläſſige Klingelſturmgeläute im zwei -, drei - und vierſchlägigen Rhyth - mus, das Auf - und Abrennen der Kellner und Hausknechte, das geſchäftige und geſchäftliche Weſen des Wirths u. ſ. w. verſcheuchen die Genien des Friedens und der Ruhe, die in einer Penſion wohnen und walten ſollen. Eine ſolche glücklich142V. Penſionsweſen.gefundene kann einem Leidenden zur wahren Wohlthat werden, denn er ſieht ſich oft Verhältniſſen, die ſeine Krankheit verurſacht oder gefördert haben, entrückt, in eine geregelte, behagliche Häuslichkeit verſetzt, deren Mechanismus pünktlich, geräuſch - los, ohne Knarren und Stocken der Räder wie ein gutes Uhrwerk Tag für Tag arbeitet, alles ohne ſein Dazuthun: nur einmal wöchentlich hat er das Werk mit einem goldenen Schlüſſel aufzuziehen. Blickt er aus dem Fenſter, ſo ſchaut er nicht wie zu Hauſe auf Pflaſterſteine, Rinnſteine, Back - ſteine, Mauern und Mauern, Fenſter und Fenſter, ſondern auf Bäume, Wieſen, Felder, Höhen, Waſſer, vielleicht groß - artig ſchöne Bergſcenerie; draußen hört er nicht raſſelnde Omnibus, heulende Milchkarrenhunde und noch heulendere Gemüſeweiber und Sandfuhrleute. Im Hauſe ſelbſt findet er immer vorausgeſetzt, daß ſeine Wahl eine glückliche war eine Geſellſchaft, mit welcher er ſchon nach wenig Tagen Fühlung gewonnen hat, Alles um ihn athmet Eintracht und Behagen.

Freilich, ein Beiſpiel iſt mir bekannt, und es wird deren wohl mehr geben, daß ein junger Mann krank in ein Haus der Art eintrat, dort nach einiger Zeit völlig genas, anſtatt nun aber ſich ſeiner Berufsthätigkeit wiederzugeben, von Jahr zu Jahr damit zögerte, haften blieb und ſein Leben ver - tändelte. Dafür weiß ich jedoch mehre andere Beiſpiele, daß in einer Penſion Leidende ankamen, Heilung und Verlobungs - ringe fanden, zufriedene, langlebige Gatten, gute Familien - häupter und thätige Staatsbürger wurden. Sagt mir alſo nichts gegen die Penſionen, auch ſie zählen unter die men - ſchenfreundlichen Anſtalten. Vor den alten Klöſtern haben ſie den Vorzug, daß ſie nicht wie dieſe Beſchlag legen auf die ganze Zukunft eines Menſchen.

Viel hängt hier von Dingen ab, über die ſich erſt ein Urtheil gewinnen läßt, wenn man die neuen Verhältniſſe eine Zeit lang ſich anprobirt hat. Es können Mißſtände in143V. Penſionsweſen Kündigungsrecht.der Oertlichkeit, der Hausverwaltung, der Verpflegung*)Ein Uebelſtand z. B., welcher erſt in den letzten Jahren in einigen wohl - feileren ſchweizer Penſionen ſtärker hervortritt, iſt der: anſtatt die Forderung den geſteigerten Lebensmittelpreiſen und dem Sinken des Geldwerths entſprechend zu erhöhen, knauſert man am Mittagstiſche, ſchneidet namentlich die Fleiſchpor - tionen ſo knapp zu, daß ein geſunder Mann ſich nicht ſatt eſſen, geſchweige ein Kranker, dem reichliche Ernährung noththut, dabei wieder zu Kräften kommen kann., es können Elemente in der Geſellſchaft ſein, die beim Ankömm - ling eine empfindliche Stelle treffen und ihm den Aufenthalt verleiden. Deshalb konnte ich mich nie entſchließen, einem Penſionshalter ohne vorherige Probe für eine ganze Saiſon mich zu verſchreiben, auch wenn er mir noch ſo dringend empfohlen war. Vielfach wird dies zwar zur Bedingung gemacht, ich habe jedoch geſehen, daß ſich davon loskommen läßt, wenn man nicht brieflich, ſondern perſönlich an Ort und Stelle acht oder vierzehn Tage vor Beginn der Saiſon dem Betreffenden das Nöthige offen mittheilt und ihn über - zeugt, daß der Vorſchlag einer Probezeit keine Maske iſt. Für ganze Familien ſtellt ſich die Sache ſchwieriger, zumal in Orten, wie Nizza, wo die meiſten Gaſthalter und Ver - miether wetteifern, wenig zu gewähren und viel zu fordern, und verſtehen, in drei Sprachen unverſchämt zu ſein; indeß ſelbſt hier dürfte einer Familie, die frühzeitig vor Beginn der Saiſon eintrifft, oft gelingen, ein Abkommen zu treffen, z. B. ſo, daß für Rücktritt ein Reugeld feſtgeſetzt wird. Wo ich die Wahl habe, ziehe ich Penſionen vor, die nicht die Dépendance eines Gaſthofs bilden, deren Haus vielmehr nur auf Penſionsfuß eingerichtet iſt, die auch blos mäßig groß ſind, ſo daß der Dienſt nicht blos auf queckſilberne Kellner geſtellt iſt, ſondern wo der Einziehende mehr das Gefühl hat, in ein Privathaus, eine Familie und deren Freundes - kreis zu treten. Dem glattpolirten, faſhionablen, welt - männiſchen, inſinuanten, rechnenden und berechneten, eil - fertigen, polyglotten Geſchäftseifer großer Hôteliers einen Winter hindurch Tag für Tag preisgegeben zu ſein mag144V. Eine Penſionsmutter.Gefallen daran finden, wer will, nach meinem Geſchmacke iſt es nicht.

Wollte ich einen Roman ſchreiben, ſo würde ich den Schauplatz in die Penſion verlegen, in der ich einſt einen Winter zubrachte, die Beſitzerin, ihre Tochter und einige meiner Hausgenoſſen auftreten laſſen, und hätte guten Stoff für drei Bände, ich brauchte nur zu berichten, nichts zu er - finden. Das wäre jedoch gegen unſre Verabredung, der - zufolge ich die Zeit zu Rathe halten ſoll für Mittheilung der nüchternen, praktiſchen Dinge, denen unſer Buch gewidmet iſt, und in höhere, ſchönere Regionen nur gelegentliche Blicke thun darf. So mag denn blos erzählt werden, wie ich die erſte Bekanntſchaft dort machte, weil ſie ein Streiflicht wirft auf den geſelligen Ton, der in einem Hauſe der Art herrſchen kann, wenn die Perſönlichkeit, die dem Ganzen vorſteht, gewiſſe Eigenſchaften vereinigt. Ob eine ſolche wirklich blos beſſere Elemente der Geſellſchaft in geheimnißvoller Weiſe anzieht oder ob ſie verſteht, aus gewöhnlichen Durchſchnitts - menſchen ihre beſten Regungen hervorzulocken und zu ent - wickeln, oder ob Alles nur ein günſtiger Zufall war, darüber mag Jeder nach ſeinen Erfahrungen und ſeiner Betrachtungs - weiſe urtheilen, ich kann nur ſagen, die Zeit, die ich in dem Hauſe zubrachte, hat mich darüber belehrt, daß es noch glückliche Inſeln im ſtürmiſchen, klippenreichen Ocean des Lebens gibt.

In meiner Penſion kam ich um Mitternacht an und vergaß in meiner Ermüdung die Rückſichten der Nächſtenliebe dermaßen, daß durch meine Nagelſchuhe und den Alpenſtock Gepolter entſtand und meinem Stubennachbar Alles dies erfuhr ich erſt, nachdem ich längſt in dem Manne einen Freund gefunden dadurch die ganze Nacht verdorben war. Es war ein Landſchaftsmaler, der an Kopfſchmerz und Schlafloſigkeit litt. Am andern Morgen hatte der Aermſte ſein Leid der Hausfrau geklagt und verlangt, daß entweder er oder ich ausquartiert werde, dieſe ihn jedoch gebeten, die145V. Mein Stubennachbar.Sache ihr zu überlaſſen, und verſprochen, ſie in einer be - friedigenden Weiſe zu erledigen. Das brachte ſie auch wirklich ſchon am nächſten Mittag zu Stande, trotz der erſchwerenden Umſtände. Mir führte ſie mit keinem Worte meine nächtliche Unthat zu Gemüthe, ſondern warf nur hin, daß ich mir gegenüber, ihr zur Seite, meinen Stubennachbar ſehen würde, zugleich bat ſie um die Erlaubniß, uns bekannt mit - einander zu machen, wobei ſie die Ueberzeugung durch - ſchimmern ließ, daß ich Gefallen an ihm finden würde. Dem Maler dagegen hatte ſie alle Mißſtimmung zu be - nehmen, ſogar Intereſſe für mich einzuflößen verſtanden, obwohl ihr von mir nichts weiter als der Name bekannt war. Während meines Morgenſpaziergangs hatte ſie aber die ver - zeihliche, ich möchte ſagen berufspflichtmäßige Neugier gehabt, als ſie mit dem Dienſtmädchen meine umherliegenden Sieben - ſachen ordnete, auch auf die mitgebrachten Bücher, Mappen und Anderes einen Blick zu werfen, und daraus allerhand errathen, z. B. daß ich viel in der Welt umhergekommen, Tiger und Elephanten gejagt hatte, und war zu der Anſicht gelangt, daß ich trotz meinem nächtlichen ſchlafmörderiſchen Ueberfall ein vortrefflicher Menſch ſei, ein Schatz von Unterhaltung und Belehrung für die ganze Geſellſchaft, ins - beſondere eine Fundgrube für Landſchaftsmaler. So un - gefähr hatte ſie meinem Schlachtopfer von mir geſprochen, und dieſes wohl die Abſicht gemerkt, ſich dadurch aber nicht verſtimmen laſſen, im Gegentheil war es begierig geworden auf meine Bekanntſchaft. Alles Weitere machte ſich dann halb von ſelbſt, halb durch wenige von ihr in die Unter - haltung geſtreute Worte.

Dieſe fiel bald auf das Reiſecapitel und ſchon ehe wir den Tiſch verließen, war Friede hergeſtellt, Freundſchaft vorbereitet und die letztere ſpäter auf Lebenszeit befeſtigt. Der Mann hatte lange in Norwegenzugebracht, einmal ſogar im höchſten Norden überwintert und eine Menge Studien mitgebracht, Felsmaſſen, an denen das Meer10146V. Nordlicht.brandet, groteske Eisformationen, ferner einen Cyklus von Darſtellungen des Nordlichts, das er in allen Phaſen beobachtet und wiederzugeben verſucht hatte. Er mag wohl Recht haben, daß kaum eine andere Naturſcene einen Maler dermaßen in Entzücken und zur Verzweiflung bringen kann, in Entzücken über die Pracht, Mannigfaltigkeit, Seltſamkeit der Erſcheinungen, in Verzweiflung über das eigene Un - vermögen, ſie nur annähernd wiederzugeben. Da liegen nun alle dieſe Sächelchen, rief er mit komiſchem Pathos, und machen ſich luſtig über mich. Ich komme mir vor wie Einer, der Traumgeſichte beſchreiben will. Ich fühle, daß ich nur einen kleinen Theil der Wirklichkeit auf’s Papier zu heften vermochte und doch jeder Beſchauer mich der Ueber - treibung und Phantaſterei zeihen wird. Wer ſie nicht geſehen hat, dieſe Wunder von blauen, grünen, rothen, gelben, weißen Strahlen, die bald blitzartig zum Zenith hinaufzucken, bald ſich durchkreuzen, Fächer, Kronen bilden, jetzt den ganzen Horizont wie ein großes weißes, faltiges Gewand erſcheinen laſſen und jetzt wieder wie mit Feuer übergießen wer alle dieſe Formen -, Licht - und Farbenwunder nicht geſchaut hat, hält jede Abbildung für müßiges Pinſelſpiel. Damit ich wenigſtens bei kindlichen Gemüthern Glauben finde, möchte ich ein Märchen vom Winterkönig ſchreiben und mit jenen Motiven illuſtriren.

Die Königin der glücklichen Inſel, unſere Penſions - mutter oder Providenz, wie ſie gewöhnlich von ihren Pfleg - lingen genannt wurde, war ein Weſen eigenthümlicher Art. Seit jeher hatte ſie die Satzung einzuführen und trotz allen Anfechtungen aufrecht zu halten gewußt, daß der Platz beim Mittagstiſch nicht vom Belieben der Einzelnen abhing, eben ſo wenig überließ ſie einem Zufall, wie dem Tage der Ankunft, die Rolle des Quartiermeiſters, vielmehr nahm ſie dieſe als ihr Recht in Anſpruch. Im Speiſeſaal und in den Stuben hing ein Placat, worin das in drei Sprachen147V. Satzungen.proclamirt wurde, neben anderen Paragraphen der Haus - ordnung über Rauchen, Klavierſpielen, Singen, Zimmer - turnen, geſtiefelte Zimmerpromenaden u. ſ. w. Dabei aber war unter uns die Meinung vorherrſchend, daß dieſe Tyrannei in der Tiſchordnung und andere unerhörte Beſtimmungen von der alten Dame ſo gehandhabt wurden, daß dadurch Quellen der Unterhaltung geöffnet und der Disharmonie verſtopft wurden. Wie ihre gleichfalls verwittwete Tochter, ſaß ſie ſelbſt bald hier bald da. Einige behaupteten, daß ſie ein feineres Senſorium für die Intereſſen ihrer Pfleglinge habe, als dieſe in der Regel ſelbſt, daß ſie z. B. zwei Nachbaren, die oft von ihren körperlichen Angelegenheiten ſprachen, ebenſo Solche, die ſich ſtreitſüchtig, oder allzu redſelig, oder allzu ſchweigſam zeigten, unbarmherzig aus - einander zu reißen pflegte, dagegen wieder Andere, die bis dahin noch wenig wechſelſeitige Berührungen gehabt, bei denen ſie jedoch Wahlverwandtſchaft vermuthete, plötzlich wochenlang zuſammenſetzte. Die in Form und Farbe ver - ſchiedenen Serviettenbänder ſignaliſirten für jeden Mittag die Quartierliſte. Wie ſich denken läßt, fehlte es von Seite neuer Ankömmlinge nicht an erſtaunten, gereizten Fragen, Bitten, Vorſtellungen, Spöttereien, Allem ſetzte ſie jedoch einen ſanften zähen Widerſtand entgegen, ließ ſich nie auf eine ernſthafte Motivirung ein, gab auch nie zu, daß ſie nach gewiſſen Grundſätzen und zu beſtimmten Zwecken ſo verfahre, vermuthlich um alle Empfindlichkeiten zu ſchonen. Von Redensarten wie: gönnen Sie mir alten Frau doch dies Spielwerk , laſſen Sie mir doch dies kleine Stück Freiheit, in allem Uebrigen bin ich ja doch Ihre Sclavin , es iſt einmal meine Grille , bin’s mal ſo gewohnt , Zufall, nichts als Zufall u. dgl. hatte ſie ſtets in ihrer Vorrathskammer eine reiche Auswahl, wie von eingemachten Früchten mit und ohne Zuſatz von Eſſig oder Citronenſäure. Ihre Feinde ſie hatte deren nur unter benachbarten Penſionshaltern erklärten ſie für herrſchſüchtig, eitel,10*148V. Satzungen Zug nach dem Süden.launiſch und geizig, mehr wagte ſelbſt der Neid nicht, gegen ſie auszuſagen.

Monatliches Kündigungsrecht war beiden Theilen vor - behalten, wurde aber faſt nie ausgeübt, überhaupt zeigte ſich das Haus mit Ausnahme der heißen Monate immer gefüllt, obwohl ſeine Preiſe höher als in anderen Anſtalten der Art waren, denn dieſe galt für ein Muſter der Gattung. Und doch konnte man die Ausſtattung keineswegs ſplendid nennen, auch die Schüſſeln bei Tiſche ſagten der Zunge und dem Magen zu, glänzten jedoch weder durch Menge noch durch Namen. Alles bis auf’s Kleinſte war aber darauf berechnet, dem Gaſte bald nach ſeinem Eintritt jene wohlthuende Empfindung zu geben, die ich nicht mit Einem Adjectiv be - zeichnen kann, ſondern für die ich unſer comfortable, snug und Euer behaglich, wohnlich, gut aufgehoben, traulich, heimiſch in Anſpruch nehme. Vielleicht meint ſie Goethemit dem Worte Wohngefühl . Wahrſcheinlich hätte ich mein Leben in dem Hauſe beſchloſſen, wenn es nicht durch Familien - verhältniſſe in andre Hände übergegangen wäre.

Wie die Sommerreiſeluſt und der Trieb, durch und auf Reiſen Vergnügen, Erholung, Geneſung zu ſuchen, ſo ſteigert ſich auch der winterliche Zug nach dem Süden. Unſre Singvögel wußten es ſeit jeher, wie gut ſich die Lunge in der kalten Jahreszeit drüben jenſeits der Berge befindet, und ſangen uns jeden Frühling ein Lied davon. Aber wir ver - ſtanden es nicht, oder wir dachten vielleicht auch, ihr Droſſeln, Nachtigallen, Grasmücken habt gut jauchzen, euch ſind Schwingen gewachſen, euren Tiſch findet ihr überall gedeckt, jeder Baum gibt euch Obdach; oder wir merkten, daß es nicht lauter luſtige Lieder waren, die im Mai von Bäumen und Büſchen ertönten, ſondern daß viele Klagelieder ſich darunter miſchten. Endlich entſchloſſen ſich aber doch einige von uns Ungeflügelten es waren Engländer den Verſuch zu machen, andere folgten, und immer fort wächſt die Zahl der Nordeuropäer und Amerikaner, die dort über -149V. Ewiger Mai deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt.wintern. So ſchlimm, wie den kleinen gefiederten Sängern ergeht es ihnen drüben zwar nicht, ſie werden nur gefangen und gerupft*)Damit es Euch, die Ihr zurückbleiben müßt im nordiſchen Winter, nicht an weiterem Troſte fehle und Ihr uns Andere nicht allzuſehr beneidet: bedenkt, daß im Süden, wo der Lenz dem Herbſt die Hand reicht und die Zeit der Früchte unmittelbar in die der Blüten übergeht, die Frühlingswonne nicht ſo tief gefühlt wird, als im Norden, weil die Contraſtwirkung fehlt. Von deutſchen, engliſchen, ſchottiſchen Dichtern ſind die ſchönſten Frühlingslieder geſungen worden, nicht dort, wo ein ewiger Mai herrſcht. Der Südländer ſcheint auch für landſchaftlichen Reiz überhaupt minder empfänglich, als der Bewohner des Nordens. Ueberall iſt geſorgt, daß es uns auf der Erde nicht gar zu wohl, aber auch nicht gar zu übel werde, und wo viele Entbehrungen und wenig Ge - nüſſe ſind, werden dieſe um ſo lebhafter empfunden., nicht dazu noch gebraten und verſchlungen. Vielleicht wird es aber auch damit einmal beſſer. Denkt man doch bereits an internationale Verträge zum Schutze der Zug - vögel, warum ſollte nicht auch unter den Gaſt - und Hauswirthen der Riviera di Ponente endlich die Einſicht erwachen, daß das zur Zeit noch vorherrſchende Ausbeutungsſyſtem ihnen nicht zu dauerndem Vortheil gereicht? Auch am Genferſeehat erſt die mit der Frequenz ſteigende Concurrenz die jetzigen geſunden, den Lebensmittelpreiſen und dem Grundwerthe im Ganzen angemeſſenen Penſionsbedingungen hervorgerufen, hoffen wir, daß dies bald auch in dem Lande geſchehe, wo ſtill die Myrthe, hoch der Lorbeer ſteht . Auf der ganzen Halbinſel ſind übrigens die Preiſe nirgend ſo übertrieben, als im franzöſiſchen Stück Italien.

Deutſchem und ſchweizer Unternehmungs - geiſt eröffnet ſich dort ein gutes Feld, verſäumen wir nicht, hierauf aufmerkſam zu machen. Seitdem durch die Brenner - bahn der Weg nach dem Süden geebnet und auch auf der Halbinſel das Schienennetz nahezu vollſtändig geworden, kann es nicht fehlen, daß die Mittelmeerküſten, Feſt - land und Inſeln, mit Penſionshäuſern mehr und mehr beſiedelt werden. Unter Engländern, Amerikanern, Ruſſen, Deutſchen, Schweden habe ich ſo150V. Sehr enttäuſcht Hoffnungen und Wünſche an junge Aerzte.manchen kennen gelernt es wird deren gewiß eine gute Anzahl geben der ſich mit dem Wunſche trug, dem es ärztlich gerathen, zur Pflicht gemacht wurde, einen oder einige Winter im Süden zuzubringen, oder ganz dahin über - zuſiedeln, dennoch kommen ſie nicht zum Entſchluſſe. Dieſer und jener hat auch wohl einen Verſuch gemacht, iſt aber ſehr enttäuſcht zurückgekehrt. Warum? Einer hat eine Stelle gewählt, die nicht weit genug ſüdlich lag, oder gerade einen ſehr ungünſtigen Winter getroffen; ein Anderer hat ſich nicht tröſten können, daß unſer Wieſengrün, unſre Eichen - und Buchenwälder in jenen Breiten fehlen; ein Dritter hat ſeinen heimiſchen Gewohnheiten dort zu wenig nachhängen können, Eſſen und Trinken hat einem Andern nicht geſchmeckt, in ſeinem Quartier hat es an Sauberkeit, Bequemlichkeit, freundlichen Wirthsleuten gemangelt, oder der Aufenthalt hat viel mehr gekoſtet, als berechnet, die fremden Sprachen, die ihn umſchwirrten, ſind ihm läſtig gefallen, ganz beſonders, bewußt und eingeſtändlich oder nicht, iſt Vielen die Zeit entſetzlich lang geworden , weil ſie zu wenig Anſprache und Anregung fanden. Manches wird ſich hoffentlich durch Wechſelwirkung allmählich anders geſtalten: ſobald der Beſuch noch mehr als bisher gewachſen iſt, werden ſich an günſtigen Punkten, an denen es nicht fehlt, mehr und mehr Leute auf den Empfang von Winter - gäſten rüſten, neue Penſionscolonien mit nahezu ſchweizer Preiſen und Einrichtungen ſich bilden, welche auch Minder - bemittelten Wintercuren ermöglichen, und dieſe Erleichterungen wieder ihrerſeits den Beſuch weiter ſteigern. In den letzten Jahren ſoll bereits in einigen Gaſt - und Hauswirthen in Nizzader Glaube an die Ewigkeit und Unverletzlichkeit ihres Monopols auf milde Winterluft, welches ſie in der ſchnödeſten Weiſe ausbeuteten, etwas erſchüttert ſein.

Zu den altbekannten geſellen ſich alljährlich neue Geſundheitsſtationen für Wintergäſte. Mancher junge deutſche Arzt, deſſen Bruſt unter dem nordiſchen Winter151V. Erforderniſſe Meeresküſte ſpazieren klettern.leidet, wäre der Mann, Entdeckungsreiſen in dem Gebiete zu machen und Einrichtungen zu treffen oder anzuregen. Er und ſeine Collegen mögen entſcheiden, welche Oertlichkeiten zu derartigen Anſiedelungen in geſundheitlicher Beziehung paſſen, meine Rathſchläge nach der Seite hin beſchränken ſich auf touriſtiſche Dinge. Was in einer Winterpenſion mir nöthig, wünſchenswerth und überflüſſig ſcheint, ergibt ſich zum Theil ſchon aus dem, im nächſten Capitel in Sachen Gaſtwirth - ſchaften Geſagten, hier will ich nur noch Folgendes bemerken.

Liegt der Ort diesſeits des Mittelländiſchen Meeres, mit Einſchluß Siciliens, ſo muß das Haus vor Allem heizbare Zimmer haben, dieſe müſſen nach Süden gelegen, die volle, unverkümmerte Mittagsſonne, wohlſchließende Fenſter und Thüren haben und der Boden, wenn er von Stein oder Eſtrich iſt, mit Wollendecken belegt ſein. Die Nähe der Meeresküſte iſt von großem Werthe, nicht blos ihres unerſchöpflichen maleriſchen Reizes halber, namentlich auch weil der Genuß der Seeluft und die Gelegenheit zu See - bädern Vielen ein Heilmittel, Allen eine Wohlthat und eine Luſt iſt. Die unmittelbare Seeluft mit ihren aufregenden Einflüſſen ſagt einzelnen Organismen nicht zu, auch iſt die Gruppirung der umliegenden Höhen nicht gleichgiltig in Bezug auf Schutz gegen erkältende, ſtaubbringende, austrocknende und erſchlaffende Winde doch das iſt Sache der Aerzte, nicht unſre. Manche ziehen Wohnungen mitten in einem Orte vor, Andere, z. B. ich, abſeits einſam gelegene, in’s Freie blickende. Im letzteren Falle iſt es gut., wenn das Haus nicht allzu fern von einem Orte liegt und dieſer durch Schienen, Dampfboote, oder wenigſtens Poſtwagen mit der übrigen Welt in Verbindung ſteht. Schattige Gänge ſind für Herbſt und Frühling willkommen, doch allenfalls ent - behrlich, deſto nöthiger mindeſtens Ein gangbarer Weg, damit wer ſich Bewegung macht, nicht gezwungen iſt, ent - weder über ſchlechtes Pflaſter und Felstrümmer ſpazieren152V. Verlorenes Paradies Oertliches Turnen.zu klettern, oder mit einem ſtaubigen reſpective kothigen Fahrweg vorlieb zu nehmen, welcher zum Ueberfluß noch von Mauern eingefaßt iſt (vgl. S. 126). Mögen auch die lieblichſten Orangenblütendüfte ihn umſpielen, mag er die See koſen, mag er ſie branden hören, mag er wiſſen, daß rund um ihn ein Paradies ſich ausbreitet, er ſieht es nicht, es iſt ein verlorenes Paradies für ihn, er hat das traurige Gefühl der Gefangenſchaft. Liegt das Haus im Ort ſelbſt, ſo dürfen nicht in nächſter Nachbarſchaft Gewerbe betrieben werden, die den Gehörs - oder Geruchsſinn beleidigen. Die Nähe eines Ortes, in dem andere nordiſche Gäſte und gebildete Einheimiſche wohnen, hat noch manche Vortheile, z. B. daß die Geſelligkeit nicht blos auf die Elemente geſtellt iſt, die ſich zufällig in den vier Wänden einer Penſion zuſammen - finden, daß ärztliche Hilfe nicht allzufern, daß Handwerker und Händler für Beſtellungen und Einkäufe zu Gebote ſtehen u. ſ. w. Jeder Penſionshalter handelt ferner im Intereſſe ſeiner Anſtalt, wenn er auch Fremden, die nicht bei ihm wohnen, Speiſen und Getränke auf Verlangen verabreichen läßt. Nicht bedarf es koſtbarer Garten - und Parkanlagen, wenn nur geſorgt iſt für windgeſchützte, ſonnige Ruheplätze; halbkreisförmige, nach Süden offene Anpflanzungen der ſchönen immergrünen Stechpalme (Ilex) ſind dazu recht geeignet. Barren und Reck für Turn - übungen laſſen ſich auch leicht anbringen. *)Auf der Tagesordnung meiner Winterpenſion ſtand auch eine Turnſtunde, in der theils Herren - und Damen-Riege geſondert, theils beide vereinigt übten, bei ſchlechtem Wetter in einem Saale. Eine Quelle der Heiterkeit waren namentlich die Freiübungen , welche den Namen epileptiſche Exercitien er - halten hatten.Von ſonſtigen Einrichtungen ſei nur noch namhaft gemacht eine kleine aus - gewählte deutſche, engliſche und franzöſiſche Bibliothek und eine Anzahl Muſikhefte alles das iſt jetzt ſehr wohlfeil und ein paar Zeitungen. Dem für letztere ausgeſetzten Geld - betrage würde mancher Gaſt aus eigenen Mitteln gern zu -153V. Ernſte Ueberlegungen Waffen gegen Langeweile.legen, wenn ihm eine berathende Stimme über die Auswahl zugeſtanden würde.

Jeder, der im Süden ſein Winterquartier als Curgaſt nehmen will, hat übrigens vorher alles Ernſtes nicht nur mit ſeinem Hausarzte, ſondern auch mit ſich ſelber zu Rathe zu gehen. Unter Umſtänden, z. B. wenn ſeine Krankheit ſchon ſehr weit vorgeſchritten, oder es ihm gar zu ſchwer wird, ſich von den Seinigen zu trennen, oder wenn er überaus weichlich und abhängig von Gewohnheiten iſt, thut er gewiß oft beſſer, daheim zu bleiben. In vielen Winterſtationen (der Buchſtabe M. führt deren allein vier erſten Ranges auf: Meran, Montreux, Mentone, Madeira) ſieht man nur zu häufig Geſtalten, denen im Geſicht ge - ſchrieben ſteht, daß an ihrem Herzen der Gram des Heimweh nagt, verheerender noch als die Tuberculoſe an ihrer Lunge. Ich glaube, einige von Euch, Ihr Herren Hausärzte, geben das consilium abeundi etwas zu raſch. Nichts für ungut!

Eine Ideenverbindung, die keiner Erläuterung bedarf, führt uns von Curorten und Penſionen auf die Langeweile.

So Mancher, der durch Noth, Ehrgeiz, Pflichtgefühl oder andere ſtarke Triebfedern Jahr aus Jahr ein in an - geſtrengter Thätigkeit gehalten wird, benutzt gern die kurzen Raſten, die ihm bei ſeiner Familie und ſeinen Freunden vergönnt ſind, um über die Laſt der Arbeit zu klagen und ſeine brennende Sehnſucht nach Ruhe auszuſprechen. Erſt wenn ihm einmal dieſe Ruhe für längere Zeit auferlegt iſt, ſei es zwangsweiſe, durch Kränklichkeit, Alter, Verhältniſſe, Perſonen, oder ſei es, daß ihn ſein eigener freier Entſchluß in Ruheſtand verſetzt hat, weil er nun endlich einmal ſein Leben, die Früchte ſeiner Thätigkeit, genießen möchte erſt dann bemerkt er, welcher Segen auf der Arbeit, der berufs - mäßigen, geregelten, zwingenden Arbeit liegt. Selbſt das ehemalige Uebermaß, welches er ſo oft verwünſchte, tauſchte er gern ein gegen den jetzigen völligen Mangel. Bevorzugte, hochgeborene Naturen gibt es zwar, Dichter und Denker, die154V. Geographie der Langenweile.emporragen über den Dunſtkreis der Langenweile; ihr Geiſt arbeitet in ihnen, für ſie, ſie brauchen nicht Hand noch Fuß zu regen, um ihn zu ſpornen, wieder andere gibt es, die nur ein dumpfes Pflanzenleben führen und ſich nicht bis zur Höhe der Langenweile erheben, wir Uebrigen jedoch, die Mehrzahl der Culturmenſchen, bedürfen irgend einer Art von Arbeit.

In den Ländern, wo die Sonne wärmere Strahlen hat und die Erde befliſſen iſt, den Menſchen aller Mühe zu ent - heben, mag man vom dolce far niente ſprechen, noch weiter gen Mittag mögen Tauſende die Tage hinbringen, ihre Naſenſpitze zu betrachten, Millionen ſich in Nirvana ein - wiegen, wir Nordländer ſind einmal auf Thätigkeit an - gewieſen. Die Menſchheit iſt in’s Mannesalter getreten, die Cultur hat ſich in nördlichen Breiten angeſiedelt, weit ab vom irdiſchen Paradieſe, die Sehnen unſres Körpers und Geiſtes ſollen ſtraffer werden, wir ſollen lernen, mehr zu arbeiten und weniger zu ruhen. Wiſſenſchaft, Kunſt, Handel, Induſtrie haben ſich aus allen jenen geſegneten Ländern der Milch und des Honigs, der Datteln, der Feigen und der Trägen zurückgezogen und ihren Sitz dorthin verlegt, wo Eiſen und Kohlen wuchſen, wo der Menſch alle Kräfte auf - bieten muß, um dem Boden Brod abzugewinnen. Auch der Gott der Schlachten begünſtigt den Norden, ſo in Deutſch - land, in Italien, in Amerika. Während auf der einen Seite der Fleiß ſich belohnt ſieht durch materielle und geiſtige Güter, droht auf der andern der Trägheit die Strafe. Ueber die Schlaffen ſchwingt ihre furchtbare Geißel die Langeweile, eine Zuchtruthe, die in unſren Zeiten und Zonen gefährliche Wunden ſchlägt, in ihrem Gefolge Lebensüberdruß, Irrſinn und Selbſtmord. Alle dieſe Schrecken waren in alten Zeiten und ſind noch heute im Süden ſelten. *)Auch dabei ſcheint der Einfluß der freien Luft, mit welcher alle dieſe Völker - ſtämme auf vertrauterem Fuße leben, als wir Nordländer, ſich geltend zu machen, wenngleich noch andere Dinge mitwirken mögen, wie z. B. daß der Süden in geiſtigen Anſtrengungen und geiſtigen Getränken mäßiger iſt, als der Norden.

155V. Segen der Arbeit Lectionen im Müßiggang.

So halte ich denn an der Meinung feſt, die Arbeit, ſo lange ſie innerhalb gewiſſer Schranken bleibt, iſt unſre Freundin und Wohlthäterin. Wohlthäter ſind aber nie zu - gleich Schmeichler, ſondern ernſte, ſtrenge Lehrer, deshalb wenig geliebt, viel verkannt, geſchmäht, verläumdet. Auch die Arbeit hat dieſes Schickſal. Hören wir die Curgäſte, ſie werden faſt alle behaupten, die meiſten auch wirklich glauben, daß es allein oder doch hauptſächlich das Tagewerk war, das ihre Geſundheit untergrub und ihre Nerven rebelliſch machte: der Beruf mit ſeinen Anſprüchen und Schädlichkeiten. Stellt nun aber der Arzt mit jedem dieſer Märtyrer der Arbeit ein Verhör an über ihre Lebensweiſe, ſo zeigt ſich, daß überall ſo viel Anderes geſchah, welches auch, welches allein an Allem ſchuld ſein kann, daß ich keck behaupte nein, ich will nichts behaupten, ſondern nur eine Frage thun: wie viele unter tauſend Fällen mögen wohl ſein, in denen eine abſolute Nothwendigkeit vorlag für jenes Uebermaß von Thätigkeit, deſſen Folge Zerrüttung der Geſundheit iſt, wo ſonſt nichts hinzukam, das mindeſtens als Miturſache zu betrachten wäre?

Was ſoll nun aber jenem Weltgeſetze gegenüber Einer thun, der mit ſeiner Geburt in unſrer Zone auf Thätigkeit gewieſen, und doch durch körperliche oder geiſtige Dinge daran gehindert und zu Müßiggang verurtheilt iſt? Auswandern in die Länder der Palmen, wo ſich leichter ungeſtraft faulenzen läßt? Wer in Indiengelebt hat, weiß, daß dort die Europäer von der Langenweile weit ärger als von Inſecten und Fiebern geplagt werden, und auch in Sicilien, Madeira, Algier, Aegyptenertappen ſich Nordländer oft auf den ärgerlichſten Grillen, der Himmel iſt ihnen zu blau, die immergrünen Laubbäume machen ſie ungeduldig und die ewig lächelnde Flora iſt eine ennuyante, zudringliche Perſon. Mit Flucht iſt alſo nichts gethan, im Gegentheil lauern überall geheime Agenten, um Deſerteurs, die ſich der von Land und Stamm ihnen auferlegten Dienſtpflicht entziehen wollen, zu156V. Lectionen im Müßiggang.greifen und zur Verantwortung zu ziehen. Sollten ſich denn aber nicht Wege finden laſſen, der Strenge dieſes Geſetzes zu entgehen, gibt es nicht irgend ein Löſegeld, das auch ſchwache Kräfte bei gutem Willen aufbringen können? Läßt ſich nicht vielleicht, wie jede andere Kunſtfertigkeit, auch der Müßig - gang erlernen? Dann wäre ja ſtatt des aufgegebenen ein neuer Beruf geſchaffen und wir hätten nicht abzurechnen mit täglichen ſo und ſoviel unerbittlichen Stunden, deren jede aus wohlgezählten ſechzig bleiernen Minuten beſteht? Dieſen Betrachtungen gab ich mich hin, als meine Aerzte mich von einem Badeort zum andern ordinirten.

Nun, theurer Meiſter, Ihr ſchweigt? Beim Styx, redet, wie läßt ſich’s anſtellen, um ohne Arbeit den Erinnyen - klauen der Langenweile zu entgehen? Curgäſte, Rentiers, Sinecuriſten jeder Art würden dem Wohlthäter, der ſie dieſe Kunſt lehrt, ein Denkmal ſetzen. Läßt ſich der Müßig - gang, ich meine den behaglichen, anſtändigen Müßiggang, der nicht wie der Gähner die Hand vorzuhalten braucht, läßt er ſich in der That erlernen?

Erlernen läßt ſich etwas der Art, aber nicht lehren, mein vielfragender junger Freund, ſo lauteten die erſten ge - flügelten Worte, die der Weiſe endlich kundgab. Alle anderen Künſte und Fertigkeiten können beigebracht werden, die Kunſt des Müßiggangs hingegen iſt eine freie, die aller Regeln ſpottet. Wer vermöchte vorauszuſehen und zu claſſificiren, welche Gebote und Verbote dem Einzelnen ſeine Verhältniſſe auferlegen? Ich kann nur mahnen, eifrig und unermüdlich zu ſuchen. Das Wort Müßiggang faſſe ich hier im weiteſten Sinne, verſtehe darunter Alles, was außerhalb des gewohn - ten Berufstreibens liegt, und glaube allerdings, daß Einer, der durch zwingende Umſtände aus ſeinem gewohnten Treiben geriſſen iſt, ein neues, ihm angemeſſenes, ſeine Zeit und ihn ſelbſt einigermaßen ausfüllendes in den meiſten Fällen nicht lange vergebens ſuchen wird.

Die vornehmſte Warnung, die ich an einen Solchen richten157V. Zerſtreuungen, Zeitvertreibe, Beluſtigungen Rentierleben.möchte, iſt die: Wähne nicht, daß die Dinge, welche die we - nigen freien Stunden Deines bisherigen arbeitſamen Lebens verſüßten, dieſe angenehme Süßigkeit nun auch behalten, wenn Du ſie zum Tagewerk machſt, denn das wäre dieſelbe Anſchauung, welche naſchhafte Kinder beherrſcht, wenn ſie Kuchenbäcker beneiden und dereinſt werden möchten. Im Gegentheile ſei überzeugt, daß von dem Augenblicke an, wo Du zum erſten Male die Bemerkung machſt, daß dieſe Zer - ſtreuungen ihren Reiz zu verlieren anfangen, das Gefühl der Verlaſſenheit über Dich kommen wird, wie das Gefühl des Schwindels den Bergſteiger ergreift, der ſich an Geſträuch hält, deſſen Wurzeln unter ſeiner Hand ſich lockern. Beide Empfindungen haben in der That Verwandtes. In beiden iſt es der leere Raum, der horror vacui, der Mangel an Stütze, die Verrückung des Schwerpunkts, welcher die Ein - bildungskraft ängſtigt und umtreibt. Geplauder, Spazier - gänge, Kartenſpiel, Muſiknäſcherei, Romane, Zeitſchriften vertreiben wohl Stunden, aber wehe Dir, wenn Du meinſt, daß auch Monate und Jahre ſich vertreiben laſſen, blos durch Vermehrung der Treiber! Du würdeſt bald inne werden, daß Du durch Mißbrauch dieſer Hilfsmittel ihre Hilfe ganz verſcherzt haſt. Leichte Unterhaltungs - und humoriſtiſche Lectüre iſt es beſonders, die dann am raſcheſten ihren Reiz verliert. Es handelt ſich hier um das Stück Lebensklugheit, das ſeit Salomo, Aeſopund Sokratesalle Weiſen des Morgen - und Abendlandes gepredigt haben, mithin bei der Mehrzahl der Zeitgenoſſen, die keine alten Geſchichten hören mag noch gelten läßt, verachtet wird. Man glaubt, ein Reizmittel zum Nahrungsmittel, Würze zur Koſt machen zu können. Daher zum Theil die athemloſe Jagd auf neue Eindrücke und An - regungen und der chroniſche Gähnkrampf, an dem unſre Zeit leidet.

Solltet Ihr, geliebte Schüler, einmal in den Fall kom - men Gott bewahre Euch davor, denn der Weg, der dann Euer harrte, iſt eine mißliche Gletſcherwanderung, voller158V. Rentiers und Sinecuriſten Tröſteinſamkeit.Schründen und Klüfte ſolltet Ihr dereinſt einmal in den Fall kommen, Euren Beruf verlaſſen zu müſſen und zum Rentierleben verurtheilt zu ſein, ſo beſchwöre ich Euch, ver - ſucht nicht, den Stier bei den Hörnern zu faſſen, bemüht Euch nicht, die Zeit zu vertreiben , ſondern trachtet, ſie auszu - füllen. Sucht alsdann zuerſt unter den ernſten, mühſamen, unbeliebten Dingen, laßt Euch nicht abſchrecken, wenn ſie ein - förmig ausſehen, ermüdet nicht, wenn ſie anfangs wenig an - ziehen und feſſeln, bedenkt, daß auch das Berufsgeſchäft, als wir es einſt erlernten, keineswegs immer wie Marzipan ſchmeckte, und doch waren wir zu der Zeit noch in den Lehr - jahren, in denen es ſich leicht lernt, leicht arbeitet, leicht vor - lieb genommen wird. Später, wo es ſich darum handelt, einen Erſatz dafür zu ſchaffen, wo unſere Kräfte halbirt ſind, dürfen wir doch unmöglich die Anſprüche verdoppeln und verlangen, daß das Surrogat beſſer munde als einſt das Echte! Und ſo gar übel ſchmeckt auch jenes nicht einmal, wenn nur erſt die Gewohnheit, unſere alte Tröſterin, heran - gehinkt iſt, deren Amt ſeit jeher war, die Thorheiten und Uebereilungen unſrer Phantaſie und unſres Urtheils wieder gut zu machen.

Wer in der Jugend ſich übte, geiſtig zu produciren, ſtelle neue Verſuche damit an. Wohl ihm, wenn es gelingt, einen unter der Aſche glimmenden poetiſchen Funken zur Flamme anzufachen. Er componire in Tönen, Farben oder Worten friſch drauf los, mache Verſe, ſchreibe Novellen, Erzählungen und was weiß ich alles. Dieſe Kinder der Muße der Oeffent - lichkeit zu übergeben, hat keine Eile. Solche Thätigkeit bietet noch den Nebenvortheil, daß ſie keine weitſchichtige Zurüſtung erheiſcht und weder an Oertlichkeiten noch an Jahreszeiten gebunden iſt, paßt mithin ſo recht als Tröſteinſamkeit für das Exil in entlegenen Geſundheitsſtationen. Will’s nicht glücken, Eigenes zu ſchaffen, ſo findet ſich doch wahrſcheinlich im weiten Gebiet der Reproduction ein Feld der Thätigkeit, wie z. B. Ueberſetzungen oder Bearbeitungen aus fremden159V. Tröſteinſamkeit Hantierungen.Sprachen. Auch das Anlegen von Sammlungen (vergl. VIII. ), welche Umherziehen, Nachſchlagen in Büchern und Schreiberei verlangen, iſt ein ganz annehmbares Mittel der Aushilfe. Ich z. B. habe geraume Zeit hindurch Probeſtücke von Mundarten geſammelt, charakteriſtiſche Redensarten und Wendungen des Volksmunds, Lieder, Schnaderhupfeln, Mär - chen, Schwänke. Anfangs dienten ſie mir nur als Uebung in Dialekten, bald aber nahm ich Intereſſe an der Sache und fühlte mich zu fortgeſetztem Sammeln angeregt. Geiſtliche, Lehrer, Händler, Wirthe, Senner, Stadt - und Landleute wurden meine Lieferanten. Auch im Unterrichtgeben finden Manche eine willkommene Beſchäftigung, zumal Solche, die es nicht vorher berufsmäßig getrieben und das Glück haben, gelehrige Schüler zu finden. Eine Winterpenſionärin (es war eine ſehr ariſtokratiſch erzogene junge Comteſſe) wurde von ihrem Arzte bewogen, dem Töchterchen eines Feld - arbeiters täglich zwei Lehrſtunden zu geben, und ſchon nach Verlauf einer Woche verſicherte ſie, die beſte Unterhaltung dabei zu finden, ſetzte es eifrig fort und es währte nicht lange, ſo hatte ſich zwiſchen beiden, geſellſchaftlich einander ſo fern geſtellten Weſen eine gegenſeitige Anhänglichkeit gebildet, die ſeitdem vorgehalten hat und beiden zu dauerndem Nutzen gereichte.

Wären nun aber die Umſtände der leidigen Art, daß jenes ganze Zeughaus von Waffen gegen Langeweile und Trübſinn verſchloſſen iſt, forderten die Aerzte jede körperliche und geiſtige Anſtrengung zu fliehen, auch Muſik zu meiden, wie dann?

Dann ſucht wenigſtens etwas auszumitteln, das irgend einen Mechanismus hat, ſei es auch nur ein leichtes Handwerk oder ſonſtige Hantierung, womöglich eine, die ſich unter freiem Himmel vornehmen läßt, z. B. im Garten. Gärtnerei wurde ſchon im Alterthum als Heilmittel empfohlen und vielfach von Großen bis hinauf zum Kaiſer geübt. Tre - lawneyverſichert, daß nach ſeinen Erfahrungen unter die zu -160V. Tröſteinſamkeit Gärtnerei Zucht der Phantaſie.friedenſten Menſchen die Gärtner gehören. Auch gegen Nach - bildungen vermittelſt Bleiſtift, Kreide, Pinſel wird Euer Arzt ſchwerlich etwas einwenden, wenn nicht etwa die Augen leiden. Muß und ſoll ſchlechterdings das Haupttagewerk aus Leſen oder Vorleſenlaſſen beſtehen, ſo ſeien wenigſtens ein paar Stunden täglich ſolchen Büchern gewidmet, die nicht in die Rubrik leichte Unterhaltungslectüre fallen. Fertigt, wenn’s Euer Doctor erlaubt, ſchriftliche Auszüge an aus dem Geleſenen und lest lieber ein Buch öfter als viele Bücher einmal. Das Geheimniß beſteht darin, die Art und den Grad der Thätigkeit zu ermitteln, der im vorliegenden Falle angemeſſen iſt.

Sehr weſentlich iſt in allen dieſen Dingen die Zucht der Phantaſie. In den meiſten Nervenleiden hat dieſe den Hang, ſich in die Krankheit ſelbſt, ihre Urſachen und Wir - kungen, ihren möglichen Verlauf und ſonſtige peinigende Vor - ſtellungen, Erinnerungen, Befürchtungen zu vertiefen. Was die Aerzte dabei zu verordnen haben, iſt ihre Sache, wir Pa - tienten thun auf alle Fälle wohl, Hilfe nicht allein von ihnen zu erwarten, ſondern ſelbſt Hand anzulegen. Hufelandnennt eine lieblich gerichtete Einbildungskraft eines der wichtig - ſten Lebensverlängerungsmittel. Ebenſo wichtig als dieſe Verlängerung ſcheint es, unſren Lebensweg möglichſt zu ebnen, an die vorhandenen Steine nicht hart zu ſtoßen, vor Allem nicht neue eigenhändig herbeizutragen. Auch hier ſpielt die Phantaſie die Hauptrolle. Bei Einem, der dieſer traurigen Gewohnheit verfallen iſt, würden wir jedoch mit dem Rathe, ſeine Einbildungskraft lieblich zu richten, wenig Glück machen, wahrſcheinlich würde er ihn ſo aufnehmen, wie ein Lahmer, dem wir riethen, nicht zu hinken, denn auf ein - mal wäre es zu viel verlangt. Vielleicht findet derſelbe Rath in anderer Faſſung Eingang, wenn wir ihn z. B. an das erinnern, was im IV. Capitel Einem empfohlen wurde, der das Unglück hatte, im Hochgebirg auf glatter, abſchüſſiger Fläche zu ſtürzen und abwärts zu treiben. Mehre dort auf -161V. Zucht der Phantaſie am Abgrunde Stundenplan.geſtellte Regeln gelten im figürlichen Sinne auch hier. Je tiefer wir auf der unfreiwilligen Fahrt ſchon gerathen ſind, je raſcher zieht es uns abwärts, je mehr nehmen Willenskraft und Beſinnung ab; aus eignem innern Impuls Einhalt zu thun, iſt unmöglich, deshalb muß auch hier nach einer äußeren Hilfe geſucht werden. Wie dort mit Händen und Füßen, ſo trachten wir hier, mit den Gedanken und der Phan - taſie uns einzugraben in eine Stelle des geiſtigen Bodens, auf dem wir uns befinden, an irgend einen Gegenſtand das Herz zu hängen . Nur in einem Stücke wird jetzt anders verfahren: iſt ein augenblicklicher Halt gefunden, ſo muß unver - weilt die neue Richtung eingeſchlagen und, nicht rechts noch links blickend, eifrig verfolgt werden. Auf zahlreiche Rück - fälle in die alten Selbſtquälereien und gemüthskränklichen Grübeleien müſſen wir auf den erſten Schritten des Rückwegs jeden Augenblick gefaßt ſein, je raſcher aber in die neue Rich - tung wieder eingelenkt wird, je leichter geſchieht es, denn die Fallgeſchwindigkeit iſt anfangs die geringſte. Mit der Zeit ver - liert der verhängnißvolle Zug nach unten an dämoniſcher Gewalt, die gelähmte Willens - und Widerſtandskraft dagegen erwacht und erſtarkt. Die auch von einzelnen Aerzten ge - theilte Anſicht, daß melancholiſch-hypochondriſches Weſen eine Folge des Cölibats ſei, halte ich übrigens für eine Verwechs - lung von Urſache und Wirkung, und glaube, daß umgekehrt die Scheu, ſich durch ein feſtes Band für’s Leben zu binden, nur die Folge jenes Temperaments zu ſein pflegt, weil es am Entſchluſſe zur Verehelichung hindert. Eine Wechſelwirkung findet dann aber allerdings ſtatt zwiſchen Beidem: der ein - ſame Wanderer iſt auch in dieſem Gebiete, wie in der Eis - region, mehr gefährdet, als der durch feſte Bande (Familie) mit Welt und Leben verknüpfte. Auch für ihn gibt es indeß Mittel, ſich vor dem Abgrunde zu retten, er mag nur um ſo eifriger danach ſuchen.

Oft iſt es gut, ſich einen beſtimmten Tages - und Stunden - plan zu machen, nicht der augenblicklichen Laune Alles zu11162V. Schutz der Arbeit u. Bürgſchaften der Freiheit Sonnenſchirm.überlaſſen. Ein ſelbſtauferlegtes Geſetz kommt vielfach zu ſtatten, indem es entweder an die Stelle des gewohnten, nun ſchmerzlich entbehrten Berufs tritt, oder Solche, die ohne ge - regelte Thätigkeit ſich zu behelfen vermochten, unter einen, in den neuen ſchwierigeren Verhältniſſen nützlichen Zwang bringt.

Nachdem im Vorhergehenden alle leidensgenöſſiſchen Leſer zu dauerndem Aufenthalt im Freien und Entwickelung einer angemeſſenen Thätigkeit daſelbſt ermahnt wurden, halte ich es für Pflicht, ihnen nun auch die Ausführung dieſes Raths einigermaßen zu erleichtern. Da iſt es denn zuerſt nöthig, ein Vorurtheil abzulegen, welches wir Alle mit der Muttermilch eingeſogen: daß ein Sonnenſchirm ſich für uns Männer ſo wenig ſchicke, wie ein Regenſchirm für Soldaten oder Jäger. Die Landſchaftsmaler machten ſich längſt davon los, von continentalen Curgäſten aber bis jetzt nur wenige. Sie haben über den Nutzen des Sonnenſchirms nicht nachgedacht und finden es beſchwerlich, ihn ſtundenlang über ſich in der Hand zu halten, ſonſt würde er wenigſtens in klimatiſchen Wintercurorten auch beim männlichen Geſchlecht wohl bereits eingebürgert ſein und nicht mehr für ein Stück Verweich - lichung, Ueberraffinement, engliſche Schrulle gelten. Es handelt ſich nämlich nicht um Erhaltung einer zarten Haut - farbe oder um Anlaß zur vortheilhaften Darſtellung einer kleinen weißen Hand oder eines ziegelrothen Handſchuhs, ſondern in erſter Reihe um die Vermeidung der Gelegenheit zur Erkältung, alſo für Bruſtkranke nicht um Kleinigkeiten. Ein Sonnenſchirm? Ja wohl, ein Sonnenſchirm. Und außerdem handelt es ſich um Schutz der Augen, welche doch auch nicht unter die Luxusgegenſtände zählen. Die Sache iſt einfach die.

In Südeuropaiſt der winterliche Sonnenſchein oft eben ſo drückend, wie der gleichzeitige Schatten froſtig. Natürlich wird dadurch der Patient, welcher ſich in ſeiner luftgeſchützten Promenadenniſche ſchon ein paar Stunden pflichtmäßig hat163V. Sonnenſchirm für Curgäſte.röſten und blenden laſſen und noch weitere paar Stunden Prüfungszeit vor ſich ſieht, leicht verführt, ſich eine Er - friſchungspauſe auf irgend einer ſchattigen, luftigen Steinbank zu gönnen, eine Pauſe von kürzeſter Dauer, doch völlig genügend, eine tüchtige Erkältung zu Stande zu bringen. Alle War - nungen vermögen nicht, Jeden von ſolchen Verſtößen abzu - halten. Halbſchattige Plätze, z. B. Lauben, gibt es nicht überall, ſie erfüllen auch ſelten ihren Zweck und beläſtigen das Auge mit ihren zuckenden Lichtern noch mehr, als voller Sonnenſchein. Ein Schirm dagegen ſchützt vor dem Ueber - maß von Wärme und vor Blendung, ohne eine Schatten - temperatur zu erzeugen. Wie Maler ihren Schirm benutzen, iſt bekannt. Sie ſtellen ihn auf die Erde und kauern ſich dar - unter auf ihr Stühlchen. Maleriſch mag die Stellung ſein, be - quem iſt ſie jedenfalls nicht, dann ſteht zu bezweifeln, daß unſre wohlwollendſten Leſer und Leſerinnen, wenn wir ſie auch noch ſo flehentlich bäten, ſich entſchließen würden, auf der Promenade des Anglais in Nizzaoder der Waſſermauer in Meranunter einem derartigen Schirmungethüm in der nothwendigen Poſe, ohne zu malen, fünf Stunden täglich zuzubringen. Nach - gerade ſcheint ſelbſt einigen Malern, denen doch ſonſt über - triebener Hang zur Bequemlichkeit nicht vorzuwerfen iſt, die Geduld ausgegangen zu ſein, denn ſie benutzen jetzt häufiger als Fußgeſtell einen Stock, der mit ſeinem Eiſenſtachel in die Erde geſtoßen und auf den der Schirm geſchraubt wird, ſo daß ſie aufrecht darunter ſitzen können. Am Stock iſt über der Eiſenſpitze eine Platte oder ein Querbalken aus Metall angebracht, auf welchen die Füße geſetzt werden, um dem Gerüſt mehr Halt zu geben. Curgebrauch iſt aber von dieſer Einrichtung meines Wiſſens nicht gemacht worden, dagegen tragen einzelne Engländer und Franzoſen den Schirm in einem mit Täſchchen verſehenen Ledergürtel. Er begleitet wie ein Kleidungsſtück alle ihre Bewegungen, ohne die Freiheit der Hände zu beeinträchtigen. Gerade in den wärmſten Sonnenſtunden ſollen jedoch die meiſten Heilgäſte im Freien11*164V. Schutz der Arbeit und Bürgſchaften der Freiheit.ſitzen, nicht gehen (vergl. S. 139), deshalb bin ich auf ein anderes Auskunftsmittel gefallen: ich habe mir vom Schloſſer eine Schraube machen laſſen, ähnlich den ſogenannten Nähſchrauben der Frauen, an Tiſche, Stühle, Bänke leicht zu befeſtigen. Statt des Nadelkiſſens iſt eine Klammer, in welche der Stock des Schirms gefaßt wird, ſo angebracht, daß ſie gedreht werden kann, außerdem ihr Fuß mit einem gleich - falls durch eine Schraube feſtzuſtellenden Gelenke verſehen, ſo daß dem Schirme jede beliebige Stellung zu geben iſt. Endlich hat er noch oben, wie die ſogenannten Damenknicker, ein Gelenk, damit das Schirmdach gegen die erſten und letz - ten ſchrägen Sonnenſtrahlen Front machen, auch als Para - vent benutzt werden kann, und ein zweites Gelenk weiter unten, damit ſich der Stock umlegen und das Ganze in den Koffer packen läßt. Für den Ueberzug wählte ich ein gelb - liches Wollenzeug, für das Futter blauen Taffet. Auch im deutſchen Sommer iſt ein derartiger Schraubeſchirm zu - weilen recht brauchbar, z. B. um beim Leſen und Schreiben in einer halbſchattigen Laube Streiflichter abzuhalten.

Zum Schutz der Arbeit und zu den Bürgſchaften der Freiheit gehört übrigens noch Eins, ein Kleines. Damit nicht jeder Lufthauch die Papierblätter in flatternde Bewegung ſetzt, faſſe ich die beiden oberen Ecken in ſogenannte Letter - clips, metallene, durch Springfedern ſchließende Klammern, jetzt in jeder Eiſenhandlung zu haben.

Und nun, Ihr Herren, bitte ich mir aus: ſeid zufrieden und lobt mich ob meiner Fürſorge.

[165]

VI.

Eingehende Wirthshausforſchungen erſte Hôtels Tantièmeſyſtem Stock - fiſchfänger und Piraten Zudringlichkeiten Händler zur Nautik wie ermittelt man gute Gaſthöfe Elephantenjagd geheime Regiſtratoren Gegen - ſeitigkeit poſitiver und negativer Pol Scorpione noble Herrſchaften und kleine Leute polniſche Grafen Grand Hôtel au Dindon d’Or vierſpänniges Trara Fürſten und Große Parisund London Waſſer und Brod Imperfectum und Futurum Hietzing Goethe Bier volksthümliche Gerichte Particularismen und Vandalismen Lehren der Weisheit und Tugend für Wirthe Delicateſſen Augenblendwerk Wirths - congreſſe der Küchenvirtuos gaſtroſophiſche Studien culinariſche Er - ziehung des Menſchengeſchlechts ein Profeſſeur der Gourmandiſe Geſchmacks - bildung zungenäſthetiſche Rang - und Quartierliſte Nahrungsſorgen Kampf um’s Daſein paläontologiſche Forſchungen in Küchenabfällen härteſte Nothzuſtände Abſchätzung der Gäſte unſer ſchwarzes Regiſter Abrechnung weitere Bitten an Wirthe welche Gaſthöfe Sparſame meiden noch ein Mittel gegen Uebertheuerung Zeche Kleingeld Kellner Verſchwendung und Knickerei Ruſſen, Engländer, Franzoſen Trinkgelder und Geſchenke Lob der Cigarre im Eiſenbahncoupé Reiſeökonomie wohlfeilſte ſchweizer Reiſe die Schweizund ihr Ruhm fernere Erſparniſſe an Zeit, Geld, Mühe und Verdruß Uebernachten im Freien, in Sennhütten und Heuſchobern.

Immer im erſten Gaſthof einkehren! hört man von Dilettanten als vornehmſtes Gebot der Reiſeklugheit auf - ſtellen, weil man da für ſein Geld doch noch am eheſten et - was habe . Als Abſchreckungsbeiſpiel wird dann erzählt, daß man einſt in N., von einem Gefährten verleitet, dem Grundſatz untreu ward, die und die ſchlimmen Erfahrungen machte. Der Rath paßt in Bezug auf Brennpunkte des Verkehrs nicht einmal für ſolche Reiſende, denen es voll -166VI. Wirthshausforſchungen erſte Hotels Tantiemeſyſtem.kommen gleichgiltig iſt, was ſie zahlen, denn ein erſtes Hôtel iſt in jenen oft nicht zu ermitteln, weil ſich mehre in den Vorrang theilen, dann ſind unter dieſen Erſten oft gerade die überfüllteſten und geräuſchvollſten, ſie muthen einzeln er - ſcheinenden Wanderern unwillkommene Kletterpartien zu und laſſen in der Bedienung zu wünſchen; elektriſche Klingelzüge ſind zwar oft angebracht, was hilft das aber, wenn das Per - ſonal um ſo weniger elektriſch oder zu vielfach beanſprucht iſt. Das Gegenſtück bilden junge Leute, die, um ihre Reiſe - caſſe zu ſchonen, auf ihrer erſten Ferienreiſe anſtändig aus - ſehende Häuſer meidend, Fuhrmannsherbergen aufſuchen und da wie Dienſtboten verpflegt aber wie Herren beſteuert wer - den. Viele verlaſſen ſich auf ihr Reiſehandbuch und deſſen Sterne, wieder Andere bevorzugen dort nicht empfohlene Wirthſchaften und verſichern, daß das von ſolchen Himmels - körpern ausgeſtrahlte Licht ein trügeriſches ſei, weil das Lob meiſt auf früheren Verhältniſſen beruhe, die mittlerweile an - deren Platz gemacht, und zwar dieſes nicht ſelten eben in Folge der Anpreiſung und des dadurch herbeigeführten Andrangs, während die mangelnde Empfehlung als Correctiv gewirkt habe. Alſo immer einen der in Reiſebüchern nicht genann - ten Gaſthöfe wählen? Das ebenſowenig. Nun was denn?

Die Praxis, die ich ſeit Jahren feſthalte, iſt die. Zu - vörderſt meide ich ſorgſam Wirthshäuſer, die mir, ohne daß ich danach gefragt, empfohlen werden, entweder mündlich oder von eigens dafür angeſtellten Agenten, ſogenannten Enga - geurs, die auf Dampfſchiffen, Eiſenbahnwagen u. a. öffent - lichen Orten ihr ſeelenverkäuferiſches Weſen treiben nicht ſelten ſind die Gaſthalter ſelbſt ihre eigenen Geſchäftsreiſen - den oder von Kutſchern, Führern, Poſt - und Eiſenbahn - ſchaffnern, durch gedruckte Zettel, die auf Straßen, Bahn - höfen vertheilt, in Waggons geworfen werden; ebenſo kehre ich nie in ſolchen ein, deren Omnibuskutſcher und Hausknechte auf dem Bahnhof ſich durch Zudringlichkeit auszeichnen: 167VI. Stockfiſchfänger u. Piraten Zudringlichkeiten Händler.faſt ſtets Frucht des Prämien - und Tantièmeſyſtems. Um - gekehrt iſt auch auf Warnungen ſolcher Leute nichts zu geben. Hier und da pflegen zwar ſonſt lobenswerthe Wirthe zu derlei Mitteln zu greifen oder ſie von Untergebenen zu dulden (wie es auch in Kunſt und Wiſſenſchaft Männer von Verdienſt gibt, die trotzdem ſich der Marktſchreierei nicht enthalten kön - nen), dieſe Ausnahmen ſind aber doch ungemein ſelten: unter zehn gehören neun in die Claſſe der gewöhnlichen Stock - fiſchfänger, einige ſind auch für gelegentliche Piraterie in großem Stile ausgerüſtet und bewaffnet. Beiläufig bemerkt, halte ich es ſo auch in Bezug auf Handwerker, Händler, Führer, die mir von anderen Leuten unaufgefordert mit wein - reiſender Befliſſenheit angeprieſen werden, denn auch ſolche Empfehlungen beruhen auf Proviſionsreiterei oder Camera - derie. Wirthe, mit denen ich ſehr unzufrieden war, frage ich ſtets nach Collegen in anderen Orten, nur um mich vor ihren Schützlingen zu hüten.

Ich mochte wohl Zeichen der Ungeduld gegeben haben, daß wir uns ſo lange beim Negativen aufhielten, denn ich bemerkte, daß Vater Ulyſſes ſein maliciöſes Geſicht machte, was er ſtets that, wenn er noch nicht Luſt hatte, direct zu antworten, und mir ſo recht zu Gemüthe führen wollte, wie ſehr ich ſeiner Unterweiſung bedürfe. Ihr Deutſchen, ließ er ſich endlich vernehmen, ſeid auf dem Wege, Euer parla - mentariſches Leben auszubilden. Dazu gehört aber auch, daß Ihr lernt, einen Redner anzuhören. Mag er Euch ermüdend, inhaltslos erſcheinen, mag er es wirklich ſein, habt Ihr ihn gewählt und hat er das Wort, ſo laßt ihn ſprechen und unter - brecht ihn nicht. In ſanfterem Tone fuhr er nach neuer Pauſe fort. Sie wiſſen, Telemach, daß unſer Ahnherr aus Ithakaund ſein Steuermann ſich hauptſächlich leiten ließen von Eingebungen der Pallas Athene, denn was ihnen der feindlich geſinnte Umuferer zublies, überwog das von ihrem ſchwächlichen Freunde Aeolus Ausgegangene weit und würde ſie verdorben haben, hätte nicht die glutäugige Tochter des168VI. Nautik wie findet man gute Gaſthöfe? Geheime Regiſtratoren.Zeus ſich ihrer angenommen. Demungeachtet gelang es ihnen nicht immer, Klippen, Sandbänken und Verlockungen zu ent - gehen und im feindlichen Ocean geeignete Landungsplätze zu finden. Seitdem hat ſich Vieles geändert, die alten Götter ſind in Ruheſtand verſetzt, dagegen nautiſche Erfindungen gemacht, vielleicht gelingt es mit ihrer Hilfe, uns zurecht zu finden. Als Leuchtthürme, Zeichen, wohin nicht geſteuert werden darf, dienen die erwähnten Merkmale, was benutzen wir nun aber als Seekarte, um gute Ankerplätze zu ermitteln?

So fing unſer Mentor in ſeiner Weiſe wieder an zu katechiſiren und zu ſchelten über unſren Mangel an Reiſe - ernſt, an eingehendem Scharfſinn und an ſchöpferiſchen Ge - danken, denn Keiner von uns gab eine Antwort nach ſeinem Sinne. Ich ſehe, rief er endlich, ich muß noch einmal von vorn anfangen. Die Bücherangaben fußen, wie wir wiſſen und wie Murrayund Bädeker, die Wirthshaus-Leſſings, ſelbſt eingeſtehen, auf ſchmaler, unſicherer Grundlage, und fortwährend hört man unterwegs Klagen über unverdiente, unverſtändige, unverantwortliche Sterne, unſchmackhafte und unverdauliche Rechnungen, Speiſen und Getränke. Um mich vor ſolchen Aſteroidalbeſchwerden zu bewahren, benutze ich wie man in Indienvermittelſt Elephanten andren Elephanten beikommt einen Wirth zur Ermittelung anderer.

Eduardund ich brachen in ein Gelächter aus, das reſpect - widrig genug klang. Unſer Reiſeprofeſſor fuhr unbeirrt fort: So weit her hätte ich freilich meine Motive nicht holen dürfen, ich glaubte aber, daß Eurem Verſtändniß der Um - weg über Indienimmer noch leichter fallen würde, als der directe der Logik. Pauſe.

Ich räume ein, verſetzte ich endlich, daß ein Wirth über Geſchäftsgenoſſen der nächſten Stationen richtiges Ur - theil haben mag, denn kennt er ſie und ihre Leiſtungen auch nicht aus perſönlicher Anſchauung, ſo hört er doch über ſie Kritiken von Leuten, die dort einkehrten, er iſt Regiſtrator und Calculator der öffentlichen Meinung, aber geheimer. 169VI. Gegenſeitigkeit poſitiver und negativer Pol Scorpione.Ueber den Inhalt der Archive legt ihm ſein Intereſſe Ver - ſchwiegenheit auf. Ich fürchte, der Mann wird nur ſolche Collegen empfehlen, die ihm den gleichen Liebesdienſt erweiſen, mögen ſie es verdienen oder nicht.

Fürchten Sie nichts, Zögling, verlaſſen Sie ſich vielmehr darauf, daß gerade die Rückſicht auf Gegenſeitigkeit Alles hinlänglich regulirt. Eben weil der Andere ſich nicht in den Schatten ſtellen will, iſt in jenem Falle von ihm keine Reciprocität zu erwarten und feurige Kohlen auf Häupter zu ſammeln kommt im Geſchäftsleben wenig vor. Nun will ich zwar nicht dafür bürgen, daß jeder Gelbſchnabel, wenn er z. B. von Bremenzu Lande nach Neapelreiſen und auf die beſchriebene Weiſe ſich nur von einer Wirthshand in die andere legen laſſen wollte, ohne blaue Flecken dort ankommen würde, die überall gedruckte Lehre jedoch, nichts darauf zu geben, was ein Gaſtwirth über den andern ſagt, iſt grund - falſch, im Gegentheil das immer noch der beſte Compaß, wenn nur ſein poſitiver und negativer Pol gehörig unter - ſchieden, d. h. Empfehlungen, die von Leuten ausgehen, welche ſelbſt keine verdienen, als Warnungen betrachtet werden. So pflege ich denn meinen jeweiligen Wirth ſtets nach Gaſthof - adreſſen in mehren nächſten Raſtpunkten zu fragen und davon Vormerkung zu nehmen; erweiſt ſich bei der Abreiſe die Rechnung übertrieben, oder war ich unzufrieden mit der Be - wirthung, ſo ſetze ich zu ſeiner Firma ein , das Zeichen des Scorpions, und zu den von ihm genannten ein ? dies iſt das ABC meiner Steuermannskunſt.

In Anlage und Ausſtattung der Gaſthöfe gibt ſich nur zu oft daſſelbe, den eigenen Vortheil verkennende Streben der Beſitzer kund, wie in der Behandlung mancher Badeorte von Seiten der Vorſtände: für leeren Schimmer werden Tauſende geopfert, hingegen geknickert, wo es ſich um Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit handelt. Ein großer Hôtelier, mit dem ich einſt darüber ſprach, geſtand mir unverhohlen, durch dieſe Eleganz wolle er noble Herrſchaften anziehen, an kleinen170VI. Noble Herrſchaften und kleine Leute polniſche Grafen.Leuten, die wenig aufgehen laſſen, liege ihm nichts. Die Rechnung ſtimmt aber mit nichten, vielmehr habe ich gefunden, daß gerade die vornehmſten Leute, denen ein Hôtel nie das bieten kann, deſſen ſie zu Hauſe gewohnt ſind, ein Mehr oder Minder von Luxus kaum bemerken, jedenfalls darauf weniger Werth legen, als auf Comfort, Sauberkeit, Ruhe, flinke, gute Bedienung und Bewirthung. Die wenig bemittelte Claſſe iſt es, welcher jene Dinge imponiren, kleine Induſtrielle und Kaufleute nebſt ihren Trabanten, Oekonomieverwalter und ärmere ländliche Beſitzer ſind es, die ſich davon locken laſſen, damit ſie von der Holzſculptur der Möbel, den geſtickten Gardinen, den Tapeten, Teppichen, Marmortreppen erzählen können; bei Bezahlung finden ſie dann, daß ihr Beitrag zu alle dem doch etwas hoch berechnet iſt, kommen deshalb nicht wieder und warnen Andere vor dem theuren Hauſe. An - ziehungskraft mag der hohle Prunk noch für eine gewiſſe Gattung polniſcher Grafen und Gräfinnen haben, welche Rechnungen nicht zu prüfen aber auch nicht zu zahlen pflegen. Das aufgeblaſene Weſen mancher Gaſtgeber und ihrer Häuſer dieſe ſollten Alle Zum Goldnen Truthahn heißen, oder vielmehr Grand Hôtel au Dindon d’Or drückt ſich ſchon in ihren Placaten und Empfehlungskarten aus, auf denen die vierſpännige Extrapoſt, in unſrem eiſenbahnernen Zeit - alter ein verſchollenes Stück Alterthum, nie fehlt, mit dem die Peitſche ſchwingenden, in’s Horn ſtoßenden Poſtillion. Machten Wirthe, deren Haus das Glück hat, an Gehölz, Parks, Promenaden, Gärten zu liegen, dies dadurch anſchau - lich, daß ſie für das Bildchen die Vogelperſpective wählen und von der Umgebung einen ſchmalen Saum mit aufnehmen ließen, ſo würden ſie gerade die hohen und höchſten Herr - ſchaften und andern viel verzehrenden Leute eher herbeiziehen, als durch vierſpänniges Trara. Ferner würden ſie ihre Zwecke beſſer erreichen, wenn Placate, Empfehlungskarten und Annoncen nicht blos Redensarten enthielten, wie mit äußerſter Eleganz hergerichtet ꝛc. ꝛc., ſondern andeuteten,171VI. Vierſpänniges Trara Fürſten und Große Parisund London.daß gewiſſe (noch näher zu erörternde) Bedürfniſſe und Wünſche verwöhnter und kränklicher Gäſte ihnen bekannt und berückſichtigt ſeien.

Fürſten und Großen wird oft Undankbarkeit vorgeworfen. Für wichtige Dienſte, die nicht zu bezahlen ſind, mag das oft zutreffen, nicht aber für kleine Aufmerkſamkeiten, gute Be - dienung und Bewirthung: Kammerdiener und Köche be - klagen ſich nie über Undankbarkeit ihrer Herren.

Viele angeſehene Gaſthalter ſind als Köche oder Kellner in Parisund Londongeweſen, der hohen Schule des Wohllebens, verſäumen auch nie, davon zu ſprechen, aus ihren Werken geht aber nicht hervor, daß ſie den rechten Nutzen daraus gezogen; ſie würden ſonſt Manches gelernt haben, das ihnen erſprießlicher wäre, als alle mitgebrachten Vocabeln, Manieren und Allüren. So z. B. würden ſie bemerkt haben, daß gerade von der Claſſe, nach welcher ihr Sinnen und Trachten ſteht, Hôtels von mäßiger Größe bevor - zugt werden, daß es auch ſelten Häuſer von coloſſalem Umfang ſind, die das beſte Geſchäft machen und ihre Unternehmer bereichern, ſchon darum, weil ein Heer von Kellnern nicht recht zu beaufſichtigen iſt, viel verdirbt, verſchleudert, weil Ein Koch nicht viele Dutzende von Gäſten vollkommen be - friedigen kann und mehre Köche in Einer Küche nicht taugen. Sie würden ferner bemerkt haben, daß ſolche Herrſchaften nicht auf Maſſe und Benennung der Speiſen, ſondern auf ihre Vorzüglichkeit und gute Zuſammenſtellung Werth legen, denn zu wohl iſt ihnen bekannt, daß hochklingende Namen und Titel nicht immer von entſprechenden Verdienſten be - gleitet ſind. So entgeht auch der Kritik derartiger Gäſte nicht leicht die Beſchaffenheit des Trinkwaſſers, des Brodes, der Kartoffeln, während unverſtändige deutſche Wirthe ſich hoch erhaben dünken über ſolchen gemeinen Dingen, auch als Pflicht der Nächſtenliebe es anſehen, daß das Brod vom nächſten Bäcker geholt werde, anſtatt vom beſten.

Waſſer und Brod nebſt Salz ſind Lebensbedürfniſſe,172VI. Waſſer u. Brod. Imperfectum u. Futurum. Hietzing. Goethe. Bier.die auch Strafgefangenen in vollem Maße gewährt werden, und doch pflegt man ſo karg damit zu ſein, daß an einer langen Tafel oft nur eine oder zwei Waſſer - und ebenſo viel Salzquellen vorhanden ſind, der Brodkorb am Saum des Horizonts hängt und jeder Gaſt auf die in der äußerſten Serviettenniſche verkrochene, ameiſeneiförmige Semmel und die Gefälligkeit einer Kette von Nachbarsnachbarn angewieſen iſt, denn die Kellner gehen meiſtens in der Sorge für’s Allgemeine ſo völlig auf, daß ſie für das Beſondere und ſeine Anliegen keinen Sinn, überhaupt wie gewiſſe Verba kein Präſens, ſondern nur Imperfectum und Futurum haben. Glauben die Herren vielleicht, daß der Schmachtende um ſo mehr Wein trinken werde? Warum iſt ferner nicht ſtets für mehrerlei Brod, ſchwarzes und weißes, geſorgt? Sogar auf die königliche Tafel in Hietzingkommt regelmäßig beides, obwohl S. M. ſonſt gegen dieſe Farben den leidenſchaftlichſten Widerwillen hat. Auch Goethe er war zwar nur Dichter, gehörte aber als Miniſter doch unter die Vornehmen ſelbſt Mittags Roggenbrod, ließ jedoch ſeinen Gäſten ſtets gleichzeitig Weizengebäck vorſetzen, wie ſeine Biographen ge - treulich berichten.

Wenig verſtehen auch Hôteliers ihren Vortheil, die das von Jahr zu Jahr faſhionabler und kosmopolitiſcher werdende germaniſche Lieblingsgetränk grundſätzlich von ihren Tafeln ausſchließen, theils weil ſie fürchten, eine unerwünſchte Sorte von Gäſten anzuziehen, theils weil ihr Kalkül auf Weinzwang fußt. Auch dieſe Wirthsrechnung iſt ohne Wirth gemacht, aus Gründen, die Jedem einleuchten, der einigen Geſchäfts - blick hat, daher kommt neuerdings gerade in den eleganteſten Touriſtenhôtels dies thörichte Prohibitivſyſtem ganz ab. Man hält oder beſorgt auf Verlangen ein gutes Bier, berechnet es ſo, daß nicht leicht Sparſamkeitsrückſichten zu einer Bevor - zugung des Gambrinus vor dem Bacchus veranlaſſen können, und geht nicht darauf aus, Leute, die einmal Bier für den173VI. Volksthümliche Gerichte Particularismen und Vandalismen.beſten Schlaftrunk halten, durch Vorenthaltung umzuſtimmen und zu verſtimmen.

Ein Vorurtheil vieler Wirthe iſt ferner, daß ſie ihre Mittagstafel zu ſchänden und noble Herrſchaften zu ver - ſcheuchen meinen, wenn ſie nicht landesübliche, volksthüm - liche Gerichte ganz ausſchließen. Es entgeht ihnen, daß juſt jene ſolche ihnen neue Schüſſeln gern ſehen, koſten, davon plaudern, daß hingegen Tadel oder Spöttereien über deren Erſcheinen aus Kreiſen ſtammen, an deren Beſuch und guter Meinung ihnen nichts liegt, von Leuten, die nicht weit her ſind und von einem feinen Hôtel erwarten, daß darin alles anders iſt, als ſie es zu Hauſe gewohnt ſind, einen beſſern Maßſtab haben ſie nicht. Daß ſolchen Stücken Volksthum ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuerlichkeit erhalten bleibt, iſt nicht vonnöthen, im Gegentheil darf die Hausfrau zum Ruhme ihres Vaterlands gemeinſchaftlich mit dem Küchenchef ſtreben ſie kann dann den Triumph erleben, daß ein Biſchof das Recept zu der betreffenden Speiſe erbitten läßt, oder eine ruſſiſche Fürſtin ſelbſt in die Küche kommt ſie darf ſtreben, das Urwüchſige zu veredeln. Nicht zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten zu zählen iſt hingegen Alles, was den Bedürfniſſen der Geſammtheit in’s Ge - hege kommt und an den Grundſäulen guter Tafeln und guten Geſchmacks zu Gunſten irgend eines Particularismus rüttelt: ich meine, wenn Speiſen, die Jeder braucht oder mindeſtens Jeder gern ißt, ſo zubereitet werden, wie ſie nur den Be - wohnern eines kleinen Gebietes zuſagen, und nicht der Mehr - zahl der Fremden, für deren Bewirthung doch gerade das Hôtel beſtimmt iſt, im Gegenſatze zu Speiſehäuſern, kleinen Garküchen, Suppenanſtalten u. ſ. w. Dahin gehört vor Allem Auswahl und Doſis der Gewürze. Viele können einzelne Gewürze nicht vertragen oder lieben ſie nicht, auf eine Table d’hôte paſſen ſomit nur Gerichte, die, wenn über - haupt, dann ſehr beſcheiden gewürzt und geſalzen ſind. So ſehr jedoch jene Herren an der Tafel zurückhalten mit den174VI. Lehren der Weisheit und Tugend für Wirthe Delicateſſen.beiden wichtigſten Gewürzen, Salz und Pfeffer, ſo aufdring - lich ſind im Gegentheil ihre Köche mit dieſer Zuthat, ebenſo mit anderen entbehrlichen. Viele Leute z. B. haben einen Widerwillen gegen Zwiebeln, noch mehr gegen Knoblauch, die Freunde dieſer Knollengewächſe andrerſeits können ihrer wohl entrathen, es iſt deshalb nur recht und billig, daß den Speiſen entweder gar keine oder ſehr wenig Zwiebeln zugeſetzt, ſelbſt dem Hammelbraten jeder Soupçon von Knoblauch erſpart wird; ferner, daß Suppen und Brühen nicht von Fett ſtrotzen, daß die Kartoffel, der Allerweltsliebling, nicht blos in geſchmortem Zuſtande erſcheint, daß der Senf, den Jeder braucht, nicht mit Esdragon verſetzt iſt, welcher ihn Manchen widerlich macht (damit glauben dieſe Speculanten ihre Sache noch abſonderlich gut zu thun, weil nach ihrer Meinung das Theurere immer das Beſſere iſt), daß der Salat nicht mit Rahm oder Zucker vermiſcht, daß daneben ſtets Compot vor - handen iſt, Hülſenfrüchte ohne Eſſig, Mehlſpeiſen ohne Safran, Gebäcke und Fiſche nicht mit Oel bereitet ſind, vor Allem, daß das Brod, das wichtigſte Nahrungsmittel, nicht mit Kümmel, Anis, Fenchel, Coriander ꝛc. ꝛc. gebacken iſt. Ebenſo leuchtet ein, daß Delicateſſen ihr Naturgeſchmack un - beeinträchtigt von außergewöhnlichen Zuthaten zu halten iſt, z. B. Wildpret und beſſere Fiſche nicht in einer Eſſigbrühe ſchwimmen, letztere nicht gebacken ſein dürfen, ſondern alle ſolche Abſonderlichkeiten dem Einzelnen überlaſſen bleiben ſollen. Er mag für ſeine Perſon nachſalzen, nachpfeffern, Eſſig zugießen, Citronenſaft auftröpfen (zu Fiſch, Wild - pret ꝛc. gehören Citronenſchnitte, und zwar nicht blos als tellerzierende Schaugerichte), Butter, Zucker, Zwiebeln hinzu - thun, Forellen backen laſſen, ganz nach ſeinem Ungeſchmack. Es gibt ja Barbaren, die den Salat zuckern, Zimmet in den Thee thun, Citronenſaft auf Auſtern und Caviar tröpfen; mögen ſie meinetwegen den Auſtern Himbeerſaft und dem Caviar Schokolade zuſetzen, das iſt ihre Privatſache, nur ſoll der Hausherr ſeinem Koch keinerlei Vandalismen erlauben.

175VI. Augenblendwerk Wirthscongreſſe.

Ein anderer Wirthswahn iſt, daß alle Begehungs - und Unterlaſſungsſünden der Küche geſühnt würden, wenn zu - weilen koſtſpielige Beliebtheiten, wie Forellen, Salblinge, Turbot, Haſelhuhn, Schneehuhn, Faſan, Artiſchocken, ſtäm - miger Spargel, Schildkrötenſuppe, Ananasgefrorenes u. dgl. auf dem Tiſch erſcheinen, während doch durch Außergewöhn - liches nur Dilettanten ſich beſtechen laſſen, der Beifall des Kenners hingegen durch die Ordinaria erworben wird, wenn ſie in Stoff und Bereitung nichts wünſchen laſſen: das Fleiſch mürbe und ſaftig, Suppen und Saucen kräftig und ſchmackhaft, nicht lang und dünn ſind, die verwendete Butter friſch, Salat mit feinem Oel und Weineſſig kunſtgerecht be - netzt, nicht in ein tiefes Bad von gemeinem Eſſig verſenkt iſt, u. ſ. w. In den beſſeren Hôtels iſt alles das längſt erkannt und die Beſitzer haben ſich den Anſprüchen der Reiſe - welt theils anbequemt, theils einen Compromiß geſchloſſen und gefunden, daß ſie ſich gut dabei ſtehen. Ich kann deshalb nicht einſtimmen in die Klage einzelner Schriftſteller, daß die meiſten anſpruchsvolleren Gaſthöfe der verſchiedenen Länder uniformirt ſind. Wer Landeseigenthümlichkeiten in voller Urſprünglichkeit kennen lernen will, darf ſie nicht im Hôtel ſuchen, welches ſeiner Natur nach kosmopolitiſch iſt. Berech - tigt erſcheint eine Klage nur, wenn, wie es allerdings nur zu oft vorkommt, an Stelle einfacher, kernhafter Bürgerlichkeit der Küche eine mit franzöſiſchen Namen und Bereitungs - fineſſen verbrämte, durch Menge und Aufputz der Schüſſeln auf Augenblendwerk angelegte Armſeligkeit der Subſtanz getreten iſt.

Hoffen wir, daß Vieles nun bald beſſer werde durch die fleißig abgehaltenen Wirthscongreſſe, denn in allem Geſchäfts - verkehr gilt ja der Grundſatz, daß auf die Dauer kein Theil ſich wohl ſteht, wenn er nicht auch auf den anderen billige Rückſicht nimmt. Wollen die Herren nicht in’s eigene Fleiſch ſchneiden, ſo dürfen ſie z. B. im Zuſchnitt von Fleiſch und176VI. Der Küchenvirtuos gaſtroſophiſche Studien.Anderem nicht blos auf ihren einſeitigen augenblicklichen Nutzen bedacht ſein.

Von volksthümlichen Gerichten meines Landes laſſe ich bald das eine bald das andere ſerviren, aber idealiſirt, ſo drückte ſich einſt eine Gaſtgeberin aus, deren Haus im Reiſebuche nicht * ſondern , das Zeichen der Sonne, ver - diente. Es war eine vortreffliche Dame, mit der ich wieder - holt über die Kunſt der Bewirthung plauderte. Schon ihr Aeußeres war vertrauenerweckend: ſie ſah aus, wie eine wandelnde geſegnete Mahlzeit. Sie hatte die Aufmerkſamkeit, als ſie meine Aufmerkſamkeit und Wißbegierde ſah, mir ihren Küchenchef vorzuſtellen, der gleichfalls manche ſchätzenswerthe Aufklärung gab. In der weißen Mütze des dicken Mannes ſteckte ein etwas kahler, aber denkender Kopf. Seine Welt - anſchauung war eine epikuräiſch-materialiſtiſche, den Stoicis - mus verwarf er ganz, ebenſo wie den Cynismus. In ſeinem Studierzimmer hinter der Küche befanden ſich auch die Schriften vonMoleſchottund Liebig, mehre chemiſche Werke, ein Reagentienkaſten und ein Mikroſkop, behufs Unterſuchung in Fällen, wo die eingekauften Stoffe Verdacht erregten. Von Kochbüchern, deren keines in ſeiner Biblio - thek zu ſehen war, ſprach er mit lächelnder Erhabenheit. Dieſem würdigen Chef, der an einem Werke arbeitete, welches, auf Grundlage von Brillat-Savarinund Baron Vaerſtweiter bauend, die culinariſch äſthetiſche Erziehung des Menſchengeſchlechts anſtrebt, verdanke ich das eben Voran - gegangene, ſowie auch die nachfolgenden Belehrungen über gaſtroſophiſche Angelegenheiten.

Dem Vetter Michel, wenn er nach Parisgeht, wird ge - wöhnlich eingeſchärft, willſt du dort in den erleſenſten Gaumengenüſſen ſchwelgen, ſo begib dich mit einem Freunde ſechs Uhr Abends zu Frères Provençaux oder Chevet, und wähle nach der carte du jour beliebige Speiſen, immer eine Portion, denn die reicht aus für zwei Perſonen. Der Rath iſt médiocre, denn die addition für Herrn Michel und ſeinen177VI. Culinariſche Erziehung Ein Profeſſeur der Gourmandiſe.Freund wird, wenn ſie bei gutem Appetite ſind, ein paar Gold - ſtücke betragen, die Sitzung ſehr lange dauern (ſofern ſie nicht gleich anfangs durch einen Bleiſtiftzettel ihr Programm entwarfen), weil zwiſchen Beſtellung und Erſcheinung der Gerichte ſtarke Pauſen eintreten, und wahrſcheinlich werden beide Herren nicht viel Genuß und Belehrung davontragen, denn ſie müſſen ſchon beſonderes Glück haben, wenn ſie nur die glänzenden Seiten der franzöſiſchen Küche zu ſchmecken bekämen. Beſſer dürften ſie gefahren ſein, hätten ſie die - ſelbe Summe verwendet, um nach einander die Table d’hôte einiger Hôtels comme il faut durchzumachen. Aber auch das ſind nur Stümpereien. Jeder, dem es um ernſtere gaſtro - ſophiſche Studien zu thun iſt, macht dieſe weder auf eigene Fauſt noch nach Büchern, ſondern ſucht ſich einen professeur (nicht mit Profeſſor zu überſetzen, denn die deutſche Sprache verbindet damit einen andern Begriff) von bewährtem Rufe, der ihm die Anfangsgründe beibringt, ihn renſeignirt, wer die zeitweilig beſten Kochvirtuoſen, welches die ſtarken Seiten eines jeden ſind, und ihn oft begleitet. Ein Profeſſeur der Gourmandiſe wird vor Allem den Künſtlern, die er durch ſeine Kundſchaft auszeichnet, ſo viel Ehrfurcht vor ſeiner Kennerſchaft eingeflößt haben, daß Keiner wagt, ihm Mittel - mäßiges vorzuſetzen, im Gegentheil wird man ihn beſcheiden warnen, ſofern er etwas beſtellt, das in der Zubereitung nicht völlig gelungen oder im Material mangelhaft iſt. Geſetzt er verlangte ein Stück von einem Reh, das ſeine Laufbahn um ein Jahr zu ſpät oder um einen Tag zu früh für ſeinen Nachruhm beſchloſſen, im erſten Falle alſo zähes Fleiſch hätte, im zweiten zuviel haut goût, oder ſeine Wahl fiel auf ge - trüffelten Truthahn, die letzte Sendung des edlen Pilzes aus Périgord hätte jedoch einen leiſen Schimmelgeſchmack, oder der Ernährungsproceß des unvergleichlichen Vogels wäre nicht in erwünſchter Weiſe vor ſich gegangen, ſo würde ent - weder ſchon der Kellner bei der Beſtellung mit der Unterlippe leiſe zucken, als Zeichen, daß eine andre Wahl räthlich, oder12178VI. Geſchmacksbildung gaumenäſthetiſche Rangliſte.der Künſtler in Perſon erſcheinen und den Wink in einer für Uneingeweihte unmerklichen Weiſe geben, ebenſo auch, wenn irgend eine der Aufmerkſamkeit vorzüglich würdige Delicateſſe, eine primeur oder dergleichen vorhanden und vom Profeſſeur unbeachtet geblieben wäre. Der Rath, bei je zwei, drei ver - ſchiedenen Reſtaurants die einzelnen Theile ſeines Diners einzunehmen, während draußen das Cabriolet wartet, iſt wohlgemeint aber verwerflich: auch die Gaumenäſthetik ver - langt Einheit des Orts . Einen wirklichen Kenner zu finden und zum Lehrer zu gewinnen, iſt Sache des Glücks, darum nur noch wenige Worte über den Gegenſtand. Man halte ſich nie an den Rath jüngerer Leute. Bildung des Geſchmacks in Literatur und Kunſt läßt ſich allenfalls bis zum erſten Mannesalter erwerben, zur höheren Entwickelung der Zungenkritik jedoch gehört ein volles und reiches Menſchenleben bis zu den Jahren der rückbildenden Meta - morphoſe. Wie es ſcheint, flüchten ſich dann alle geiſtigen und körperlichen Kräfte des Menſchen in Zunge und Ge - ſchmacksorgane. Nach der Berufsart wäre etwa ſo zu claſſi - ficiren. In die höchſte Rangclaſſe der Kenner zählen Prälaten (nicht italieniſche und ſpaniſche, ſondern mitteleuropäiſche), einzelne, nicht zu ſehr beſchäftigte Diplomaten, an denen zur Zeit noch kein Mangel iſt, ein Theil des reichen Stadtadels, bedeutende Induſtrielle und Kaufherren großer Städte, ebenſo haute finance (das Prädicat à la financière iſt ſtets eine Auszeichnung) ohne Unterſchied der Nationalität. Manche wollen dem ſemitiſchen Stamme den meiſten Credit geben. In zweiter Ordnung, mehr Liebhaber als Kenner, aber letzteren Titel beanſpruchend, ſtehen reiche Landwirthe, höhere Officiere a. D., einige kleine Hofkreiſe, Aerzte und Anwälte mit vielen Clienten und Patienten. Die dritte Claſſe umfaßt die übrigen Berufskreiſe der gebildeten und bemittelten Stände, mit Ausnahme der Schulmänner, proteſtantiſchen Geiſtlichen, Dichter und Marineofficiere, welche ſämmtlich auf die unterſte Rangſtufe der Gaumenäſthetiker gehören. 179VI. Nahrungsſorgen Kampf um’s Daſein.Was der Kochkünſtler mir ſonſt noch über die Materie ver - rieth, laſſe ich unberührt, um ſeinem Werke nicht vorzugreifen, und hebe nur noch hervor, daß es untouriſtiſch iſt, in Spei - ſen, Cigarren, Kaffee, Wein ꝛc. leidenſchaftlicher Feinſchmecker zu ſein. Der gerechte und vollkommene Touriſt muß immer Herr und Meiſter bleiben über ſeine küchenäſthetiſchen An - ſprüche, ſogar den Ekel nöthigenfalls unterdrücken können, damit, wenn etwa ſein Verhängniß ihn in ein Spaccio di vino con cucina oder eine ſpaniſche Poſſada ſchleudert, bittere Nahrungsſorgen ihn nicht ganz überwältigen. Um ſeine touriſtiſche Erziehung nach der Seite vorzubereiten, iſt eine Reiſe z. B. in Thüringenoder dem Erzgebirgeſchon recht geeignet.

Steigen wir jetzt aus den Regionen der Feinſchmeckerei, in denen wir uns ſchon zu lange aufhielten und verweich - lichten, hinab in jene ſchauerlichen Tiefen, wo der Kampf um’s nackte Leben geführt wird, wo es ſich um Befriedigung des Hungers handelt. Einen Speiſezettel gibt es da ent - weder nicht, weil Niemand da iſt, der ihn ſchreiben könnte, oder es gibt einen, aber ſchon ſeine Schriftzüge ſind für die Augen, was die Gerichte ſelbſt für Zähne und Magen, was junker Kampsprade benannt iſt, erweiſt ſich als zähes Ziegenbockfleiſch und das Beffſtäck von Fülleh ſtammt aus den ſehnigſten Theilen einer alten Kuh.

Die Karte ſoll eine Wahrheit ſein , verſprach einſt Louis Philippſeinen Franzoſen, allein es ſcheint, daß die einzigen ehrlichen in der Welt die Landkarten ſind, alle übrigen dagegen, von den Spielkarten bis zu den conſtitutio - nellen, Viſiten - und Speiſekarten, zu eitel Spiel und Täuſchung mißbraucht werden. Auch in ſofern lügen die letzteren oft, daß ſie Gerichte aufführen, die nie vorhanden waren, in der Kellnerſprache eben ausgegangen . Nie vorhanden finden Sie leichtfertig behauptet? So trete ich den Beweis an, durch Zeugen und Indicien. Zeugen: MalerN.und Bild - hauerM., die ſeit Jahren in der Antica Trattoria del 12*180VI. Paläontologiſche Forſchungen in Küchenabfällen.in RomAbends acht Uhr zu Mittag eſſen und beim Bajocco - orden verſichern, daß viele der aufgeführten Herrlichkeiten blos nominell ſind und lediglich zum Schmuck der Karte dienen. Die Arme, ihr mangelt ſonſt jedweder Schmuck, Schönheit und Liebreiz hat ſie nie beſeſſen, Jugend, Unſchuld und Reinheit, alles iſt längſt dahin, ein großer Riß geht durch ihr Herz, mißgönnen wir ihr dieſe einzige Zierde nicht. Hier iſt ſie ſelbſt, ich habe ſie mitgebracht, wie ich ſie einſt an Ort und Stelle fand, zwei Quadratfuß groß, bedruckt und beſchrieben. Ueberzeugen Sie ſich. Nur Muth, ein ge - wiſſenhafter Richter darf vor keinem Anblick zurückſchrecken. Indicien: Sie erkennen, daß dieſes Blatt mindeſtens ſchon eine Winter - und eine Sommerſaiſon ausgelegen hat. Jetzt prüfen Sie die Ablagerungen, die ſich von Arosti, Fritti, Legumi, Pesce, Umidi gebildet haben, nehmen Sie meinet - wegen chemiſche Reagentien zu Hilfe, um den unterſten Spu - ren beizukommen: Sie werden finden, daß etwa ein Drittel der Gerichte nicht vertreten iſt. Die Behauptung, daß in einer italieniſchen Trattorie eine Speiſe aufgetragen werden könnte, ohne Merkmale zurückzulaſſen, wird Niemand wagen, der dort geweſen iſt. Jetzt folgen Sie mir in die Antica Trattoria della Hier iſt das ſchriftliche Ver - fahren unbekannt, kein Blatt Papier zwiſchen Wirth und Gäſten, vielmehr trägtCenzo, der dicke Kellner, mündlich vor, was zu haben iſt. Auf ſeinem Anzug erſcheint eine hand - breite Zone, auf der Proben von Saucen ausgeſtellt ſind, vielleicht als Illuſtration zu ſeinen eiligen mündlichen Mit - theilungen.

Von weiteren paläontologiſchen Forſchungen in Küchen - abfällen glaube ich aber nun Abſtand nehmen zu dürfen.

Machte oder ahnete ich ſehr trübe Erfahrungen an einem Gaſttiſche, ſo überließ ich mich dem Wirth ohne Lenkverſuche, wie Reiter auf unſicheren Gebirgswegen mit Maulthieren thun, wählte alſo nicht, ſondern wandte nur leiſe Sporen - hilfen in ſofern an, als ich merken ließ, daß ich mürbes,181VI. Härteſte Nothzuſtände Abſchätzung der Gäſte.ſaftiges Fleiſch von zähem, trocknem zu unterſcheiden wiſſe, ferner andeutete, ich gedächte wiederzukommen, und eine theurere Weinſorte beſtellte, eine Artigkeit, die jedes nicht ganz ver - härtete Wirthsherz rührt. Ich erhielt dann das Beſte, was zu haben war, wenigſtens unter mehren Uebeln das kleinſte.

Wirthstiſche und Häuſer verſchiedenſter Beſchaffenheit hätten wir nun fleißig beſucht und geprüft, ſind aber doch noch nicht im Reinen mit ihnen. Wir ſind noch nicht aus - einander, ſprach der Hahn zum Regenwurm, und da fraß er die andre Hälfte. Anders lägen die Dinge, wenn wir Gäſte die Examinaten wären: da gälte es, raſch ſein. Setzen wir z. B. den Fall, der vierzehnſitzige Omnibus des Grand Hôtel de la Sangsue d’Or oder Zur Stadt Maroccokäme eben gefüllt vom Bahnhof, das Alarmſignal der Glocke dröhnte durch’s Haus und von allen Seiten ſtürzte man herbei, die Ausſteigenden zu empfangen. Binnen zwei Minuten müßte ihre vorläufige Abſchätzung vollzogen ſein, denn ihre Be - quartierung hängt davon ab, müßte entſchieden ſein, wer von ihnen einen Salon im erſten Stock und wer ein einfenſtriges Hofzimmer im oberſten verdient, beziehungsweiſe vertragen kann. Bis zur Lunge dringt die Diagnoſe freilich nicht, wohl aber weiß ſie Vermögen, Rang, Anſprüche des Einzelnen zu errathen, den Grad der Feinheit des Hemds, die Haltung der Fingernägel zu auscultiren und daraus Schlüſſe zu ziehen. Nach derlei tiefverſteckten Signaturen vermag ſie die Zimmernummer für jeden Ankömmling zu berechnen, alles im Handumdrehen, was indeſſen nicht ausſchließt, daß die erſte Gelegenheit ergriffen wird, die Probe auf das Exempel zu machen, durch angeknüpftes Geſpräch, Unterſuchung der ausgezogenen Stiefel oder ſonſtwie. Uns Touriſten eilt es hier nicht mit der Prüfung unſrer Obdachgeber, gehen wir deshalb hübſch gründlich zu Werke.

Inmitten aller Bemerkungen über Wirthe und Dienſt - perſonal wollen wir doch aber erſt einmal der Thatſache ge - denken, daß auch bei uns Gäſten nicht Alles ſo iſt, wie es182VI. Unſer ſchwarzes Regiſter.ſein ſollte, daß um aus unſrem ſchwarzen Regiſter hier nur deſſen zu erwähnen, was mit Wirthshausangelegenheiten in Verbindung ſteht ſogar einzelne es arg treiben. Manche demoraliſirt der Gedanke, daß ſie an der Stelle zum erſten und letzten Male ſind, in verſchiedener Weiſe und ſteigert die üblen Seiten ihres Naturells oder ihrer Erziehung, denen ſie zu Hauſe Zügel anlegen mußten. Viele, angeregt durch die Reiſe und ihre Eindrücke, welche ſo leicht Herz und Hand öffnet, werden verſchwenderiſch, oder werfen aus Prahlerei mit Geld um ſich, was daheim nicht durchzuführen wäre, dulden die offenbarſten Uebervortheilungen, weil ſie ſich nicht ärgern wollen , oder weil ſie fürchten, für arm, geizig, klein - lich, zänkiſch gehalten zu werden. Die Mehrzahl der Er - holungs - und Luſtreiſenden gilt überhaupt für reich, ſo ge - wöhnen ſich die Leute, um ſicher zu gehen und keinen Anſtoß zu geben, gleich alle wie Standesperſonen zu behandeln, für die keine feſten Preiſe exiſtiren, ſondern die nach Belieben zahlen, nur nicht nach ihrem eigenen Belieben. Die meiſten erſcheinen und verſchwinden, auf Seite der Anſäſſigen fällt alſo auch die Ausſicht auf Erwerbung treuer Kunden weg. Uebt ihr keine Treue, ſo üben wir keine Redlichkeit, denkt man, und beutet ſie aus. Hinzukommt, daß der Reiſeſtrom naturgemäß aus dem theuren Norden nach dem wohlfeilen Süden gerichtet iſt, aus den Thaler -, Pfundſterling - und Rubelländern in die Gulden -, Franken - und Lireländer, daß die Ankömmlinge über die Niedrigkeit der Preiſe ſtaunen und auch vor den Einheimiſchen kein Hehl daraus machen; endlich daß Touriſten überwiegend männlichen Geſchlechts ſind, wel - ches weniger Anlage zur Sparſamkeit hat, auch für ſchlechter bewandert gilt in Preiſen der täglichen Bedürfniſſe, als Frauen. Manche werden durch unerwartete Ausgaben ſchäbig karg, quälen die Kellner, brutaliſiren das Geſinde, hadern und nörgeln, verderben Zimmergeräth ꝛc. Kränkliche ſind auch Viele unter der Maſſe, Mancher macht eine Erholungs - reiſe für ſeine Familie und ſeinen Arzt, d. h. dieſer ſchickt183VI. Abrechnung.ihn fort, damit er, der Arzt, und die Angehörigen des Pa - tienten ſich zu Hauſe einmal erholen können. Von den hieraus entſpringenden Unzuträglichkeiten caſſiren der Wirth und ſeine Leute neben Rechnungen und Trinkgeldern erkleck - liche Summen in jedem Geſchäftsjahr ein, welche auch wir, wenn wir Bilanz ziehen, zu buchen haben.

Vergeben wir ihnen dagegen ſelbſtverſtändlich bin ich weit entfernt, es gutzuheißen wenn ſie Bedienung eigens berechnen, aber dennoch dulden, daß der Kellner dem Fremden über die Natur dieſes Poſtens An - deutungen gibt, welche unbeachtet zu laſſen Jedem zuſteht; ver - zeihen wir ihnen, wenn ſie nicht benutzte Lichte*)Wer ſpät Abends eintrifft, blos um zu nächtigen, und gewahrt, daß der Kellner zwei neue Kerzen für ihn anzünden will, damit das berüchtigte Bougies - Item auf der Rechnung erſcheint, darf dies ſehr füglich verbieten und ſich ent - weder ein Stück Licht geben laſſen, oder ſein eigenes Wachslichtchen aus der Taſche ziehen und es die wenigen Minuten anbrennen. Aus der Betonung des Gutenacht des Kellners kann er dann ſchon berechnen, ob die Lichtſteuer nieder -, oder zum logement geſchlagen wird. beſonders anſetzen; wenn ſie die Zimmermiethe von Mitternacht zu Mitternacht und jeden Bruchtag für voll rechnen, ſo daß für acht Stunden Nießbrauch zwei Tage angekreidet werden, mithin Bevortheilung weit über die Hälfte. Erweiſt ſich die Totalſumme nicht allzu hoch getrieben und war die Ver - pflegung gut, ſo mag’s drum ſein. Vielleicht geſchieht es aus Zartgefühl, ſie wollen uns nicht erſchrecken durch hohen Satz für Zimmermiethe, machen deshalb mehre kleinere Ziffern unter verſchiedenen Benennungen daraus, weil, wie ſie an den Packträgern täglich bemerken, jede Laſt minder drückt, wenn ſie über den Rücken breit vertheilt, als wenn ſie auf eine Schulter gepackt iſt. Nehmen wir es ihnen ferner nicht allzu übel, wenn ſie ihr Intereſſe an unſrer Perſon in oben angedeuteter tief eingehender Weiſe bethätigen. Meinet - wegen mögen Einzelne ſogar, wie vorkommen ſoll, unſren Ausgängen auf der Straße von ferne nachſpähen, ja an184VI. Weitere Bitten an Wirthe.Thüren horchen, und zwar ſo ungeſchickt, daß ſie ſich dabei verrathen: Credit müſſen ſie doch einmal allen Einkehrenden gewähren, deren Einige ihn monatelang beanſpruchen, und nicht unerhört ſind Fälle, daß er mißbraucht wurde (z. B. fanden ſich einſt bei amtlicher Oeffnung eines großen ſchweren Koffers, der als Pfand zurückgelaſſen ward, nur mit Stroh umwickelte Backſteine) gehen wir alſo mit unſren Gläu - bigern nicht ſtreng in’s Gericht. Auch wollen wir ihnen keine patriotiſchen Vorwürfe machen über ihre Franzöſeleien, denn ſie können zu ihrer Entſchuldigung anführen, daß in ihrem Bereiche unſre ſüdlichen Nachbarn eine un - beſtreitbar große Nation ſind und der Civiliſation die Bahn gebrochen haben; ſodann können ſie geltend machen, daß, obwohl Franzoſen ſelbſt wenig reiſen, ihre Sprache doch oft das einzige Mittel der Verſtändigung mit Gliedern anderer Völker iſt. Ueberſehen wir endlich nicht, daß es unter den Wirthen eine erkleckliche Anzahl braver, gewiſſenhafter, achtungswerther, liebenswürdiger, unterrichteter Männer gibt und daß wir aus dem Verkehr mit ihnen manche willkommene Belehrung über Land und Leute ſchöpfen, mit Recht wird daher empfohlen, auf dem Lande, in kleinen Orten und in weiterer Ferne die Bekanntſchaft der Wirthsfamilie zu ſuchen.

Soviel als Zeichen, daß unter uns Gäſten die Billig - keit nicht blos geliebt ſondern auch geübt wird. Jetzt, meine Herren Hôteliers, werden Sie wohl in der Laune ſein und auch Zeit haben , einige Bitten und Beſchwerden an - zuhören. Erſchrecken Sie nicht, die Erfüllung und Abſtellung iſt nicht koſtſpielig. Erwägen Sie, daß Ihre Caſſe ſich um ſo beſſer ſteht, je mehr Sie Rückſicht nehmen auf unſre Ge - ſundheit und Behaglichkeit, je mehr Sie von unſren kleinen Capricen errathen und je ſchonender Sie ſie behandeln. Wir verzichten dagegen auf tiefe, bücklingsvolle Unterwürfigkeit und honigſüße Redensarten.

Das erſte Anliegen, nächſt dem ſchon Angedeuteten, iſt:185VI. Weitere Bitten an Wirthe.für Ruhe bei Tag und Nacht ſorgen zu wollen. Unterbrechen Sie mich nicht, bitte, ich weiß, daß Sie nicht hindern können, daß andere Gäſte ungebührlichen Lärm machen, wohl aber können Sie hindern, daß Vieles davon uns dermaßen zu Ohren kommt, wie es der Fall iſt. Sie vergeſſen, daß wir Ihre Häuſer aufſuchen, um zu ruhen, denn eſſen und trinken könnten wir auch anderswo, ferner, daß gerade unter uns nichtgeſchäftlichen Reiſenden ſo viele ſind, deren Schlaf leicht geſtört iſt. Einigen von Ihnen iſt es gelungen, dicht am Bahnhof ein Grundſtück zu erwerben, ein palaſtartiges Hôtel darauf zu erbauen und mit allem denkbaren Glanz auszuſtatten. Wäre es nicht beſſer, dieſem Glanz etwas abzubrechen und für die erſparte Summe ge - wiſſe nothwendige Einrichtungen zu treffen? So bequem und erwünſcht bei Ankunft und Abreiſe die Nähe des Bahn - hofs Vielen ſein mag, ſo wenig iſt ſie es, während wir ſchlafen möchten, denn der Ton, den wüthende Elephanten in der Brunſtzeit ausſtoßen, iſt ſanft und lieblich gegen die gellenden, langgehaltenen, markerſchütternden Locomotiven - pfiffe. Könnten denn nicht dieſerhalb und um den Straßen - lärm abzuhalten vor den Fenſtern Rouleaux von Stroh (oder dickem Wollenzeug) angebracht ſein, die Abends herab - gelaſſen werden? Beſſer als Jalouſien und Markiſen dienen auch ſolche Strohrouleaux, die Sonnenglut abzuhalten. Wieſen Sie Ihre Leute an, ſobald der Bewohner eines ſüd - lichen oder weſtlichen Zimmers an heißen Tagen ausgegangen, jene herabzulaſſen, und er fände bei Rückkunft eine kühle Stube, ſo dürften Sie ſeiner wärmſten Anerkennung ver - ſichert ſein. Die Pflege der Zimmer im Sommer kennt und übt man in deutſchen Wirths - und Privathäuſern noch ebenſo wenig, wie inSüd -und Mitteldeutſchlandrichtige Heizung im Winter. So würden ferner, anſtatt der farbenſtrahlenden Teppiche vor den Sofas, einfachere, jedoch über den ganzen Stubenboden ſich ausbreitende, den Schall der Tritte dämpfende Decken ſehr wohl an ihrer Stelle ſein, desgleichen186VI. Weitere Bitten an Wirthe.Cocosbaſtmatten als Sordinen in Gängen und auf Treppen. Könnten ferner nicht Stubenthüren doppelt angebracht und mit Vorhängen oder anſchließenden Polſtern verſehen ſein? Beſonders ſollte ſtreng darauf gehalten werden, daß Kellner und Hausknechte ſich eines ſtilleren Wandels befleißigen, nicht Thüren zuſchmettern und mit Tiſchgeräth unnütz raſſeln. Corridorthüren könnten ſo eingerichtet ſein, daß ſie nach innen und außen ſich öffnen und ſelbſtthätig wieder feſt und geräuſchlos ſchließen. Die Anſichten über gute und ſchlechte Muſik ſind bekanntlich ungemein verſchieden, Manche ziehen keine der beſten vor, ein vorſichtiger Wirth da er ein oft wechſelndes Publikum hat, deſſen Geſchmack er nicht vorher auskundſchaften kann, und Muſik kaum je einen Gaſt herein - ziehen wird, dagegen Manche verſcheucht hält daher lieber alle Tafelmuſik fern, unter keinen Umſtänden duldet er plötz - liche ohrenmeuchleriſche Ueberfälle umherziehender Bläſer, Fiedler und Orgler, ſondern überläßt dieſe der Straße, den Bierkneipen und den eigens dafür beſtimmten Localen.

Wo es die Verhältniſſe geſtatten, ſollten Anſtalten ge - troffen ſein, daß, wer es wünſcht, bei günſtigem Wetter im Freien ſpeiſen kann. Wird der Andrang zu groß, ſo mag der Preis erhöht werden.

Nur in wenig Gaſthöfen ſtellt man im Winter eine leichte Federdecke von entſprechender Größe oder eine doppelte Wollendecke den Uebernachtenden zur Verfügung, nöthigt ſie vielmehr, allerhand aus eigenen Mitteln zuzulegen, Plaid, Kleidungsſtücke u. dergl., denn das kleine quadratförmige Plumeau *)Wenn dieſes Wort überhaupt einmal in Frankreichexiſtirt hat, ſo muß es ſchon lange her ſein, denn ein heutiger Franzos kennt es in der Bedeutung nicht, auchMozin,Littréꝛc. wiſſen nichts von ihm. Möchten wir Deutſche doch endlich einmal aufhören, fremde Sprachlappen vollends abzutragen. dient nur der unteren Körperhälfte, hat außerdem die Neigung, nächtlicher Weile ſeinen Poſten zu verlaſſen und den arglos Schlafenden einer Erkältung preis - zugeben. Nachts heizen laſſen? Bei Vielen, die es nicht187VI. Welche Gaſthöfe Sparſame meiden.gewohnt ſind, das ſicherſte Mittel, den Schlaf zu ſtören. Was thut nun der Mann von Erfahrung in ſolchen harten Nothzuſtänden? Er nimmt eine Anzahl Plaidnadeln und ſtellt damit eine Verbindung her zwiſchen den Beſtandtheilen ſeiner Hülle.

Durch übermäßige Preiſe bei ſchlechten Leiſtungen zeichnen ſich beſonders Wirthſchaften aus, welche dicht an oder auf dem Wege zu einem vielbeſuchten Punkte vereinzelt liegen, faſt nur für Ein Frühſtück, Ein Mittagsmal, Eine Nacht be - nutzt werden und täglich wechſelndes, buntgemiſchtes Publikum haben. Solcher mit zu bezeichnender Häuſer (vgl. S. 169) könnte ich eine gute Anzahl namhaft machen, begnüge mich jedoch mit der Bemerkung, daß Scorpione nicht blos in ſüd - lichen Breiten hauſen, ſondern auch im Norden bis nach Schottlandund Norwegen, und daß ſie ſich ebenſo gern in Paläſten aufhalten wie in Hütten und altem Gemäuer. In dieſelbe Kategorie gehören auch viele Wirthe, Zimmer - vermiether, Händler, Kutſcher ꝛc. in Orten, die eben erſt angefangen haben, in Mode zu kommen, und zeitweilig in einem Uebergangszuſtande ſind: ihre alte, unſchuldige, an - ſpruchsloſe Dorfmäßigkeit oder Kleinbürgerlichkeit haben ſie verloren, die Gewiegtheit großer Geſchäftsleute noch nicht erworben und ſo ſind ſie in einem Zuſtand des Rauſches und der phantaſtiſchen Willkür. In allen von ernſthaft Kranken vielbeſuchten, ſeit lange dafür eingerichteten Bädern hat die regelmäßige, ſtetige Nachfrage meiſtens geſundere, den örtlichen Umſtänden angemeſſene Preiſe hervorgerufen.

Den Reiſehandbüchern muß überlaſſen bleiben, über die Behandlung der unſicheren Diſtricte Näheres anzugeben, nur eines in vielen Fällen der Art anwendbaren Schutzmittels ſoll hier noch Erwähnung geſchehen: der Gaſt macht ſelbſt und nennt ausdrücklich bei Beſtellung den Preis, natürlich unter Rückſicht auf die Oertlichkeit, anſtatt die Speiſekarte zu fordern, nach der Table-d’hôte zu fragen, oder zu be - ſtellen und Berechnung abzuwarten. Zumal wenn man in188VI. Noch ein Mittel gegen Uebertheuerung.Geſellſchaft reiſt, ſchlägt das Mittel kaum fehl, aber auch allein hat es mir oft Dienſte geleiſtet. Wir ſind Per - ſonen und wünſchen ein Frühſtück, ein Mittagseſſen zu Franken für die Perſon, einſchließlich Wein. Dieſe Worte, nicht an einen dienenden Geiſt, welchen ſie wie alles Außergewöhnliche verwirren, ſondern an den oberſten Macht - haber mit richtigem Accente geſprochen, thun Wunder. Zum richtigen Accente gehört, daß jeder Schimmer von Frage, alſo von Unſicherheit vermieden wird. Der Inſtinct ſagt dann dem Manne: der da iſt kein Neuling, der iſt im Stande und geht mit allen Andern weiter, oder beſtellt nur Wein und Brot, woran ich noch weniger verdiente, da will ich doch lieber das Gebotene annehmen. Nicht ſelten ſchüſſelt er dann daſſelbe auf, wofür er geſtern das Doppelte zahlen ließ, auf alle Fälle bleibt der Kreide und der Phantaſie kein verführeriſcher Spielraum. Dies Preismachen von Seite des Reiſenden, ehe noch beſtellt iſt, hat übrigens nicht blos ſeine Vortheile bei Gaſthaltern von Fach, ſondern mehr noch bei Leuten, welche die Bewirthung als Nebengeſchäft treiben. So begegnete es vor Jahren einem meiner Gefährten in einer ſchmutzigen Sennhütte des berner Oberlands, daß ihm ein Franken abgefordert wurde für einen Trunk Milch, während wir Anderen vom Senner unbemerkt hinter einem Hügel botaniſirten. Als der Geprellte wieder zu uns ge - ſtoßen war und ſeinem Unwillen Luft machte, ſchlug ich den Beweis vor, daß er in einiger Entfernung auf uns warten ſolle, und wettete, daß wir Anderen in derſelben Hütte für 20 Centimes Milch für uns Beide verlangen und erhalten würden. Und ſo geſchah es.

Jeder Rothbuchleſer weiß, daß es wohlgethan iſt, ſchrift - liche Rechnung Abends vor der Abreiſe zu verlangen und nachzuſummiren. Der Kellner erwidert zwar ſtets, es ſei auch am nächſten Morgen noch vollauf Zeit dafür offenbar hält er es für ſeine Pflicht, den Argwohn nicht aufkommen zu laſſen, daß ſein Herr des Geldes ſo eilig bedürfe bringt189VI. Zeche Kleingeld Kellner Verſchwendung.das Begehrte jedoch, wenn die Aufforderung mit Nachdruck wiederholt wird. Bei der Zahlung iſt es ſo einzurichten, daß eine reichliche Menge Kleingeld zurückerfolgt. Hat der Kellner augenblicklich nicht ſo viel, ſo ſtreichen wir, was er zurückgibt, ein, und bemerken, daß er morgen ſeinen Tribut empfangen werde, ſobald er Münze bringe. Im Uebrigen beſchränke ich den mündlichen Verkehr mit Kellnern auf das Nothwendige, denn er iſt durch die Bank unergiebig und unerfreulich. Ohne Unfreundlichkeit begegne ich ihnen kurz, ernſt, ermuntere ſie nie zu Plaudereien, titulire ſie auch nicht, wie die höflichen Sachſen und ihre Nachahmer, Herr Oberkellner , erlaube ihnen endlich nie, wenn ſie mit mir Billard ſpielen, franzöſiſch zu zählen (dieſe abgeſchmackte Lächerlichkeit erſter Claſſe niſtet überhaupt nur noch in Kneipen letzter Claſſe). Ein Unrecht iſt es dagegen, dem Kellner, wenn nicht Service auf der Rechnung ſteht, ein Trinkgeld vorzuenthalten, denn er iſt darauf angewieſen und oft in ſeinen Einnahmen ſchlechter geſtellt, als Hausknechte.

Um Kindern die Sparſamkeit zu erleichtern, pflegt man ihnen wohl größere Geldſtücke für ihre Baarſchaft ein - zuwechſeln. Für den Reiſenden iſt zu gleichem Zwecke das Umgekehrte der richtige Weg, und er kann, wenn er ſparen will, nicht leicht zu viel Münze bei ſich haben. Darum zahlt man in Gaſthöfen immer größere Stücke, um mit dem Herausgegebenen den eigenen Vorrath von Kleingeld zu ver - ſtärken, und greift ihn nur an, wenn es nöthig wird. Dieſer kleine Schatz darf profanen Blicken ſo wenig preisgegeben werden wie der große, nur aus anderen Gründen.

In der Verſchwendung (u. A. von Trinkgeldern, welche ſchon im Intereſſe der Beſchenkten, die man dadurch verderben hilft, vermieden werden ſollte) pflegen Ruſſen, Ungarn, junge Franzoſen und Hanſeaten am weiteſten zu gehen. Einzelne ſuchen in Freigebigkeit mit depoſſedirten Fürſten (!) zu wetteifern. Ein charakteriſtiſcher Unterſchied zwiſchen reichen Ruſſen und Südſlaven einerſeits und reichen190VI. Verſchwendung und Knickerei Ruſſen, Engländer, Franzoſen.Briten iſt, daß dieſe, um Vorzügliches zu erhalten, zwar keine Koſten ſcheuen, aber nicht gern und nicht leicht ſich geradezu betrügen laſſen, weil ſie in der Regel den Werth des Materials und der Arbeit zu beurtheilen verſtehen, während jene Oſteuropäer von Jugend auf gewohnt ſind, durch ihre Lieferanten übervortheilt zu werden, und es für ein Attribut ihres Ranges und Reichthums halten, dies ruhig hinzunehmen. Ihr Werthmeſſer der Gegenſtände iſt faſt nur Geld; was ſie wohlfeil haben, achten ſie gering. Impoſantes oder be - ſtechendes Aeußere wird in ihren Ländern, in denen eine Miſchung von Uncultur und hochgetriebenem, pariſeriſch auf - geputztem Luxus zu Hauſe iſt, vor Allem geſchätzt, einfache, ſchlichte Tüchtigkeit gilt wenig und kommt auch ſelten vor, Sinnen und Trachten iſt der Laune des Augenblicks hingegeben. Der Engländer dagegen iſt ein Menſch der Methode; bei deren Durchführung fällt er allerdings oft in Uebertreibungen, Eigenſinn, Pedanterie, Härte, faſt immer aber läßt ſich durch alles das hindurch ein vernünftiger, berechtigter Grundſatz erkennen. Die alte Erfahrung, daß Jugend zur Ver - ſchwendung, Alter zum Geiz neigt, tritt kaum an einem anderen Volke ſo ſehr zu Tage, als an Franzoſen. Dieſelben Leute, die heute mit Geld um ſich werfen, ſehen wir vielleicht in fünfzehn Jahren als Knauſer wieder, in beiden Fällen handeln ſie ganz außer Verhältniß zu ihren Vermögens - umſtänden. Wenn Briten kargen, was nicht ſelten auch bei reichen vorkommt, ſo geſchieht es, wie geſagt, meiſt nicht ſowohl aus Geiz als aus Principienreiterei. In dem ſonſt unleugbar großen Reiſetalent der Inſulaner iſt das eine Lücke: ſie wollen anfangs den Bräuchen des fremden Landes nicht einen Finger breit nachgeben, bis ſie ſich endlich überzeugen, daß gewiſſe Zugeſtändniſſe, ſelbſt offenbaren Mißbräuchen gegenüber, nicht immer ganz zu vermeiden ſind. Hier nur ein Beiſpiel, und zwar aus Italien. Dort pflegt bekanntlich die dienende Claſſe mit dem bedungenen Lohne, er ſei noch ſo hoch, ſich nicht zu begnügen, ſondern einen Nachſchuß zu191VI. Trinkgelder und Geſchenke.erbitten, auch wohl zu erpreſſen, und meiſtens kann man leichter und raſcher ein Drittel und mehr von der Forderung gleich anfangs abhandeln, als ſich der nachträglichen Spende einiger Bajocchi oder Soldi entziehen. Den ausgemachten Lohn betrachtet ſo ein Facchino, Caroſſiere oder Guida als einfaches Aequivalent für ſeine Mühwaltung. Da er nun aber nach ſeiner Meinung ſtets beſondere Verdienſte um den Signor Foreſtiere ſich erworben hat, ſo ſcheint es ihm auch anſtändig, daß dieſe gleichfalls honorirt werden. Als ſolche rechnet etwa ein Kutſcher, daß er raſch gefahren iſt ohne umzuwerfen oder gegen einen Prellſtein zu ſtoßen, ein Träger, daß er einige Namen von Kirchen und Paläſten genannt hat, ein Maulthiertreiber, daß er höflich und geſprächig, ein Zweiter, daß er humoriſtiſch geweſen, ein Anderer, daß er drei italieniſirte franzöſiſche Vocabeln angebracht hat ꝛc. Von mehr als einem in Italienreiſenden engliſchen fresco habe ich äußern hören, daß er nie feilſchen werde, lieber etwas mehr bezahle, andererſeits auch ſich nichts abbetteln laſſe. Iſt er erſt einige Wochen im Lande, ſo überzeugt er ſich, daß ſeine Methode nicht blos äußerſt koſtſpielig, ſondern auch, weil ſie ihn ſofort in den Ruf großen Reichthums und noch größerer Einfalt bringt, mit Zeitopfern und Be - läſtigungen verknüpft, und daß der allgemeine Landesbrauch nicht immer ganz zu umgehen iſt. Copia verborum iſt nicht nöthig, ſondern nur, daß man die üblichen Preiſe kennt und auch bei der ungeheuerlichſten Forderung ruhig bleibt. Wer der Sprache oder gar des Dialekts mächtig iſt, hat leichtes Spiel, zur Noth geht’s auch ohne Worte, am beſten in Neapel, wenn man ſich die kleine Mühe nimmt, einige Vocabeln aus der Geberdenſprache zu erlernen, welche gerade in dieſem Gebiete ſehr ausdrucksvoll iſt und eine Muſterkarte von Zeichen hat für den, der eine zu hohe Forderung ab - wehren will.

Eine Sorte von Dienſtleiſtungen gibt es, von der man nicht recht weiß, ob und wie ſie zu belohnen ſei, in ſolchen192VI. Lob der Cigarre im Eiſenbahncoupé.Fällen dient oft eine Cigarre. Sie läßt ſich ohne Weiteres darbieten und annehmen, macht nicht gleich aus Geber und Nehmer Herr und Knecht, wie eine Geldbelohnung oder das Verſprechen einer ſolchen, kann ſogar in verbindlicher Weiſe Gleichgeſtellten gereicht werden, ſchließt ein nachträgliches Geſchenk in Baarem nicht aus, bedingt es aber auch nicht; ferner iſt die Spende an keine Zeit gebunden, wie ein Trink - geld, kann pränumerando gereicht, öfter wiederholt werden, mit einem Worte ſie iſt ein Stück Entoutcas. Auch die Feinde des Tabaks geſtehen zu, erſtens und zweitens, daß er ein Genuß - und ein Reizmittel iſt, drittens daß er über - mäßigen Appetit dämpft, viertens daß er beruhigend wirkt. Alle dieſe Eigenſchaften bewähren ſich in der Touriſten - praxis trefflich. Hinſichtlich des Appetits ſei bemerkt, daß dies wörtlich und figürlich gemeint iſt. Ferner erweiſt ſich die Cigarre z. B. am Briefträger als gedächtnißſtärkend, wenn es ſich um Poſtereſtante-Briefe handelt, welche wir zu - geſchickt wünſchen. Seine Vortheile hat es auch, dem Schaffner gleich anfangs eine keine Freundlichkeit dieſer oder anderer Art, z. B. einen Schluck Wein, angedeihen zu laſſen. Schlägt ein dankbares Herz unter ſeinem Paletot, ſo ſchlägt es ſofort wärmer für den Geber; iſt der Mann nur kalter Verſtandes - menſch, ſo ſagt er ſich: wenn dieſer Herr ſchon jetzt ſo mit - theilſam iſt, wie freigebig wird er erſt ſein, wenn Du ihm Dienſte leiſteſt, und befleißigt ſich deren. Solchen Aufmerk - ſamkeiten verdanke ich manchen nützlichen Rath, z. B. über ſchätzbare Eigenthümlichkeiten von Bahnhofsſchenktiſchen, bei Nachtfahrten Winke über die Herrichtung eines Lagers durch Entfernung der Scheidewand oder Vorziehen der Polſter u. dgl. Einmal hatte ich den Einfall, das Fahrbillet um eine Cigarre zu wickeln und beides dem Schaffner mit der Bemerkung zu präſentiren: koſtbares Deckblatt, Werth fünf Thaler zwanzig Groſchen (Fahrpreis). Dieſer kleine Spaß erheiterte den wackeren Beamten ſichtlich und ſtimmte ihn für die ganze Tour mir günſtig, wie überhaupt die meiſten Menſchen für193VI. Reiſeökonomie wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.Unterhaltung dankbarer zu ſein und ein beſſeres Gedächtniß zu haben pflegen, als für Wohlthaten, Dienſte und Geſchenke, vielleicht weil letztere ihnen Verpflichtungen alſo eine Laſt auflegen, erſtere aber Freiheit und Gleichheit fördert. Dem ſei, wie ihm wolle, jedenfalls kann ich berichten, daß mein Schaffner bei Aufenthalten unaufgefordert den Schlag öffnete, der Ueberfüllung des Coupé’s ſteuerte, mehrmals vorher mir leiſe meldete, auf welcher Seite ſich die beſten Ausſichten aufthaten, kurz die Gefälligkeit ſelbſt war, ſo daß ich zuletzt nicht umhin konnte, ihm noch ein Zeichen meiner Erkenntlich - keit in die Hand zu drücken. Von einem anderen, dem ich meinen Becher credenzt hatte, lernte ich allerhand kleine für Eiſenbahnreiſende paſſende Auskunftsmittel, z. B. ſchürzte er in den Zugriemen des Fenſters, an dem der Knopf zur Be - feſtigung fehlte, als ich es halb ſchließen wollte, einen Knoten und der Zweck war erreicht. Endlich iſt die Spende einer guten Cigarre oft einziges Mittel, ſich vom Dampfe der ſchlechten eines Gefährten zu befreien.

Um an Reiſekoſten zu ſparen, iſt der Weg, den Unerfahrene zuweilen einſchlagen, nur in Gaſthöfen unterſter Claſſe zu übernachten, wie wir ſahen, übelgewählt. Ueber den Punkt plauderte ich einſt mit zwei Studenten auf der Wartburg. Beide hatten in beweglichem Tone ihre Sehn - ſucht nach einer Reiſe in die Schweizausgeſprochen, woher ich eben kam. Für einen Sprung in den Thüringerwaldoder das Fichtelgebirgereiche ihre Baarſchaft allenfalls aus, Helvetienjedoch gehe über ihre Kräfte. Ich hielt ihnen darauf eine kleine Vorleſung über Reiſeökonomie und kam bei der Gelegenheit auf einen Einfall, der mir ſelber anfangs etwas abſonderlich ſchien, der aber doch vielleicht nicht unausführbar iſt. Jedermanns Sache mag das Ding freilich nicht ſein, vor den Augen Eines der beiden jungen Leute fand meine Idee indeſſen Gnade und er verſicherte, daß er eine Probe damit machen wolle. Ich vergaß, ihn zum Bericht über den Erfolg aufzufordern, ſtelle Ihnen aber13194VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.anheim, in unſerm Buche den Vorſchlag zu wiederholen; vielleicht finden ſich unternehmende Jünglinge, welche gleich - falls zu dem Verſuche Luſt haben.

Mein Vorſchlag fußt auf der bekannten Thatſache, daß gerade in der theuren Schweizfür den geringen Preis von etwa fünf Franken täglich (vgl. S. 141) ein Zimmer mit gutem Bett, Frühſtück und zwei anſtändige Malzeiten zu finden ſind, und zwar unter Umſtänden ſchon auf einige Tage , während der Touriſt, der in hergebrachter Weiſe verfährt, in denſelben Häuſern ſehr viel mehr verzehrt, blos weil es dort weder üblich noch räthlich iſt, vorher, wie in Italien, zu accordiren. Ein paar Andeutungen hatte ich noch gegeben, als einer der An - geredeten, wie wenn ich ihn gekränkt hätte, herausfuhr: das könne doch nur Scherz ſein, denn zum Penſionskrüppel würde ich ſie ſo jung hoffentlich nicht machen wollen, und ſollte er täglich zu beſtimmten Stunden am beſtimmten Orte erſcheinen müſſen, ſo könne nicht von Ausflügen, höchſtens von Spazier - gängen die Rede ſein. Er würde ſich dann vorkommen, wie ein Schaf, das, an einen Pflock gebunden, umhergraſt und bei jedem Schritte den Strick am Halſe fühlt. Soll ich nach der freien Schweizgehen, rief er, um die daheim endlich geſicherte Freizügigkeit einzubüßen? Nein, bin ich einmal dort, ſo will ich auch alles mitnehmen , was ſie bietet, ſonſt bleibe ich lieber zu Hauſe. Du haſt gut ſpröde thun, fiel der Andere ein, denn Du weißt, daß Dein Alter ſchließlich doch heraus - rückt mit dem Nöthigen, ich hingegen, wandte er ſich an mich, würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie Näheres über Ihre Idee mittheilen wollten, denn ich bin der Sohn eines Dorfſchullehrers, lebe von Stipendien und Unterrichtgeben und betrachtete bis heute die berner Oberlandbergeals eben ſo unerreichbar für mich, wie die Berge im Monde. Sähe ich nun die Möglichkeit, einige ihrer ſchönſten Punkte zu ſchauen und zu zeichnen, ſo wäre ich zu allen denkbaren Opfern bereit.

Wohlan denn, junger Herr, ſo ermahne ich Sie zu -195VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.vörderſt, Ihre Freunde daheim entweder gar nichts von Ihren Plänen merken zu laſſen dies rieth für alle Reiſen ſchon der weiſeFranklin oder höchſtens zu verlautbaren, daß Sie nur ein paar Gletſcher beſichtigen und malen woll - ten, die Route ſtehe noch nicht feſt, jedenfalls würden Sie nicht viel umherſchwärmen, ſondern verweilen, wo es Ihnen gefällt und von da Partien machen. Laſſen Sie ſich herbei, Namen von Oertlichkeiten zu nennen, ſo können Sie einem Sturzbade von Rathſchlägen nicht entgehen. Aber Du wirſt doch , unmöglich können Sie doch dringt von allen Seiten auf Sie ein. Folgen Sie mir, nennen Sie keinen Namen. Auch die alten Lateiner wußten, daß nomina odiosa ſind, und bei uns bedeutet to tell names, Namen nennen, nahezu Aergerniß geben. Einfließen laſſen können Sie, daß Ihr Ehrgeiz nicht danach ringe, alle touriſtiſchen Gemein - plätze abgelaufen zu haben, um, zurückgekehrt, ſagen zu kön - nen, da und da war ich, auch das und das ſah ich, ja wohl, und über die Reize jeder Fernſicht, jedes Waſſerfalls zu ſtrei - ten. Im Gegentheile, wie Ihre Gewohnheit ſei, nicht viele Bücher, ſondern gute wiederholt zu leſen, ſo gedächten Sie es auch mit den Alpenzu halten. Immer mit dem Strome ſchwimmen, ſei nicht Ihre Sache, ihm direct entgegen reichten die Kräfte nicht, wohl aber, ihn hier und da zu kreuzen und am Ufer die beſten Plätzchen zu wählen. Wer nur immer neue Landſchaften in raſcher Folge ſehen wolle, thue beſſer, an einem Stereoſkopenkaſten ſich die erſehnte Abwechslung zu erdrehen. Baſta.

Haben Sie nun Ihr Bahnbillet dritter Claſſe, die nöthigen Goldſtücke und Mundvorrath bei ſich, ſo bringen Sie getroſt die folgende Nacht im Wagen zu, um etwa in Zürich, wo Sie Quartier nehmen und einige Tage ver - weilen, auszuſchlafen. Auf der Hinreiſe beſuchen Sie ſüd - deutſche Städte gar nicht; ob und wie lange dies geſchehen ſoll, iſt eine Frage für den Rückweg, bei der Ihr Seckel als - dann mitzuſprechen hat. Im Alpengebieteangekommen, mei -13*196VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.den Sie vereinzelt gelegene Hôtels an berühmten, vielbeſuchten Punkten (vergl. S. 187), wählen auch in Städten und Dör - fern möglichſt Häuſer, wo der Wirth, wenn nicht mit bedient, doch den Gäſten ſichtbar und die Machtſtellung des Portiers und des Oberkellners keine unbegrenzte iſt. An den Herrn oder die Frau des Hauſes haben Sie ſich zu wenden, nicht beim Eintritt ſtehenden Fußes, vielmehr bitte ich, ſich Zeit und Platz zu nehmen. Beſtellen Sie einen Schoppen des Ge - tränks, dem Sie andere Gäſte zuſprechen ſehen, das Weitere eilt nicht. Bevor Ihr Glas geleert, betrachten Sie das Haus vom Hof aus, thun auch einen Blick in die Küche. Bot ſich nicht bereits Gelegenheit, mit dem Wirthe ein Geſpräch an - zuknüpfen, ſo laſſen Sie ihn herbeicitiren, und jetzt iſt es Sache Ihres Taktes, das Nöthige zu vermitteln. Sprechen Sie ohne Schüchternheit, ohne die Stimme zu dämpfen, ohne der Wahrheit oder ſich ſelber zu vergeben; machen Sie kein Hehl daraus, daß Sie vier Wochen in der herrlichen Schweizſich aufhalten, einige Berge zeichnen aber mit ſehr wenig Geld auskommen wollen und müſſen. Darum ſeien Sie entſchloſſen, nicht die alten Touriſtenfußſtapfen einzuhalten, ſondern nur an Punkten, die ſich zu Standquartieren für Ausflüge eignen, mindeſtens einige Tage oder vielmehr Nächte zu verweilen, vielleicht länger. Ihre Malzeiten würden Sie Abends ein - nehmen, theils mündlich, theils eingewickelt, um ſie Tags darauf zu verzehren. Da Sie ſtets zeitig aufbrechen, genüge als Frühſtück ein Glas Milch. Das Zimmer diene nur zur Schlafſtelle, Sie würden daher mit dem beſcheidenſten Raum vorlieb nehmen. Zuweilen werde es vielleicht paſſen, behufs weiterer Tour eine oder zwei Nächte auswärts zu bleiben, in ſolchen Fällen laufe die Zimmermiethe für Ihre Rechnung. Ich wette, der Angeredete hat bereits Intereſſe für Sie und Ihre Zwecke genommen und macht einen Preis, über deſſen Wohlfeilheit Sie ſtaunen. Abſichtlich nenne ich keine Zahl, um der Ueberraſchung nicht vorzugreifen. Gerade in der Schweizſind die Wirthe meiſt gewiegte, einſichtige und, falls197VI. Wohlfeilſte ſchweizer Reiſe.nicht allzu große Herren, auch geſchmeidige Geſchäftsleute, die ihren Vortheil zu wohl verſtehen, um nicht auf billige Anerbieten einzugehen. Der Mann ſieht, daß mit Ihnen ent - weder ein kleines Geſchäft oder keines zu machen iſt, hat er alſo nicht gerade ſein Haus ſehr gefüllt, ſo wird er wohl Erſteres vorziehen. Deshalb verlegen Sie eine Reiſe der Art nicht auf die hohe Saiſon, ſondern etwas vorher oder nachher, treffen in den Morgen - oder Nachmittagsſtunden ein, nur mit Reiſetaſche, ohne Koffer, welcher nachgeſchickt wird oder anderswohin vorausgeſandt iſt. Gefällt Ihnen der Wirth nicht, ſo iſt nichts verloren, Sie zahlen Ihren Schop - pen und ſetzen den Wanderſtab fürbaß.

Nebenvortheile dieſer Reiſemethode: Sie ſind auch bei ſpätem Eintreffen von einem Ausfluge Ihres Nachtquartiers ſicher, brauchen nicht zu gaſthauſiren; ſparen an Gefährt, Führern, Trägern; werden häufig durch Vermittelung des Wirths und ſeiner Leute, deren Theilnahme für Sie von Tag zu Tag wächſt, Gelegenheit finden, ſich Geſellſchaften zu Par - tien anzuſchließen, angenehme Bekanntſchaften machen, viel - fach von der Ortskenntniß des Perſonals Nutzen ziehen, end - lich friſcher zu Ihren Examenvorbereitungen zurückkehren. Derſelbe brave Wirth, der Sie beköſtigte, bis Sie ſeinen Be - zirk touriſtiſch ausgebeutet, iſt auch der Rechte, um Sie für Ihr nächſtes Hauptquartier an einen paſſenden Collegen zu adreſſiren. Bei dieſem können Sie dann, geſtützt auf dieſe gewichtige Empfehlung (das Wirthsgewerbe iſt in der Schweizhöher angeſehen, als irgendwo anders) mit noch mehr Sicher - heit auftreten. Endlich aber dies fällt nicht unter die Nebenvortheile, ſondern überwiegt alles Andere Sie ſehen, was Sie ſehen, gut (vergl. S. 131).

Schon S. 12 wurde auf die Verdienſte der Schweizvom touriſtiſchen Geſichtspunkte hingewieſen. Hier mag noch bei - befügt werden, daß in ihr allerdings neben den höchſten Bergen die höchſten Preiſe finden kann, wer ſie ſucht oder nicht ſcheut, dennoch meine ich nicht, daß die ärgſte Ueber -198VI. Die Schweizund ihr Ruhm.theuerung dort zu Hauſe ſei, ſondern finde das Mißverhält - niß zwiſchen Leiſtung und Bezifferung in gewiſſen anderen Ländern durchſchnittlich größer. In Anſchlag kommt, daß die Schweizſeit Langem das Lieblingswandergebiet aller Na - tionen iſt, weil in der That kein anderes Gebirge ſo reich ge - ſegnet iſt mit Erhabenem, Schönem, Lieblichem, Alles ver - hältnißmäßig nahe zuſammen liegt, wodurch ſein touriſtiſcher Werth, folglich auch Zahl und Anſprüche der Speculanten darauf erhöht werden; Behörden, Stadt - und Landleute, ſeit Generationen vertraut mit Allem, was ein Touriſtenherz nur wünſchen kann, haben Blick und Schick dafür; die beſuchteſten Landestheile ſind auf eine kurze Saiſon beſchränkt; Brodſtoffe müſſen eingeführt werden, das Land gehört alſo nicht unter die geſegneten , obwohl viel Milch und Honig da fließt. Mit alledem ſoll indeß nicht geleugnet werden, daß auch hier noch Manches zu wünſchen bleibt, namentlich brauchte der Patrio - tismus der Wirthe nicht, wie es häufig vorkommt, ſich ſo weit zu erſtrecken, daß Jeder von uns Anderen, der nicht im Beſitz des Schwytzerdütſch iſt, von ihnen mit Geldbußen belegt wird. Wenn Sie, m. HH. ſchweizer Gaſthalter, uns Alle wie Lands - leute behandeln wollten, würden wir Ihnen dagegen den Ge - fallen thun, die deutſche Orthographie verleugnend, ſo oft wir Briefe an Sie richten, nie aus Ihrem Lande ein Adjectiv mit kleinem Anfangsbuchſtaben zu machen, ſondern daſſelbe, wie es das eidgenöſſiſche Nationalgefühl will, ſtets ſubſtan - tiviſch groß ſchreiben, alſo: Schweizerwirth, Schweizerreiſe, Schweizerkäſe, Schweizerſoldat. Kehren wir nun zurück zu unſren ökonomiſchen Beſtrebu[ngen].

Wird im Gaſthofe länger verweilt, ſo iſt es wohlgethan, die Rechnung nicht wochenlang auflaufen zu laſſen, ferner Außergewöhnliches gleich baar zu bezahlen, ſo daß blos die täglich wiederkehrenden Sätze auf dem Papier erſcheinen und alles überſichtlich und glatt bleibt. Nur jugendlicher Leichtſinn oder Verſchwendung nimmt, wo es größere Ein - käufe zu machen oder zu miethen gibt, Kellner, Hausknechte,199VI. Fernere Erſparniſſe an Zeit, Geld, Mühe und Verdruß.Lohndiener oder gar Leute, die ſich auf der Straße anbieten, mit. Ebenſowenig dürfen Kutſcher, Träger, Führer durch Wirthe oder Kellner für unſre Rechnung ausgezahlt, oder Letztere bei Streitigkeiten mit Erſteren als Schiedsrichter auf - gerufen werden. Die Begründung dieſes Rathes gehört unter die Erſparniſſe, die ſich der Verfaſſer erlauben darf.

Außergewöhnliches in Speiſen, Getränken und Dienſt - leiſtungen, weil es ſtets höhere, oft phantaſtiſche Preiſe her - vorruft, überhaupt alles, was den Speculationsgeiſt der Wirthe, Kutſcher, Händler, welche nicht an gedruckte oder ge - ſchriebene Speiſezettel, Tarife, Preiscourante gebunden ſind, erhitzen kann, hat der Sparſame möglichſt zu meiden. Je ge - wohnter, alltäglicher das Begehrte iſt, je weniger er die Leute in den Fall bringt, die Frage, wie berechneſt du das? zu ſtudiren, je nüchterner, beſonnener gerathen die Preiſe. Auf - fallend elegante Kleidung, ungewöhnlicher Schmuck, viel oder reich ausgeſtattetes Gepäck, ſind für den Inhaber koſtſpielige Reizmittel der Phantaſie unſrer Geſchäftsfreunde. Dieſelben normiren nämlich meiſtens ihre Anſätze nach Principien der Vermögensſteuer. Von einem Freunde gewann ich einſt in einer Handicap-Wette ein allerliebſt gearbeitetes juchtenes, ſilberausgelegtes Néceſſaire und hatte den Einfall, es mit auf die Reiſe zu nehmen. Das Ding ſtand gewöhnlich halb - geöffnet auf dem Tiſche meines Zimmers, und anfangs be - luſtigte es mich, die ſinnbeſtrickende Wirkung anzuſehen, die es auf die Kellner übte, bald ſchien mir jedoch, daß der fieber - hafte Zuſtand, in den die Leute geriethen, verhängnißvollen Ausdruck fand in ihren Rechnungen, beſtärkt wurde ich in dieſer Anſicht durch den EarlR, der einen Juchtenkoffer mit ſich führte und Aehnliches erfahren hatte; ſo packten wir denn die beiden koſtſpieligen Begleiter zuſammen, ſchickten ſie zurück und alles war wieder im alten Geleiſe. Seitdem ſteht unter meinen Reiſeregeln: Juchtenleder (Berg - ſchuhe ausgenommen), ja der bloße Geruch davon, erhöht die Reiſekoſten, iſt mithin zu beſeitigen.

200VI. Fernere Erſparniſſe an Zeit, Geld, Mühe und Verdruß.

Beſchwerden jeder Art werden an den Wirth ſelbſt oder, wo dieſer nicht ſichtbar, an deſſen Stellvertreter gerichtet, nie an den Zimmerkellner oder andere Bedienſtete.

Wer ſehr wenig Anſprüche macht in Bezug auf das Zim - mer, darf dies füglich gleich bei Ankunft zu erkennen geben.

Unter die Mittel, Zeit, Mühe und Geld zu ſparen, ge - hören noch: die Schlüſſel von Koffern und Säcken, auch wenn ſie leer ſtehen, abzuziehen und aufzubewahren, in Städten angekommen, wo man länger verweilen will, Franco - marken einzukaufen und die werthe Bekanntſchaft des Brief - trägers der betreffenden Straße zu machen, dem man ſeine Karte dedicirt.

Bei Erſparniſſen (vgl. S. 35, 166, 187 ꝛc. ) iſt natür - lich zu unterſcheiden, ob ſie unter die wirklichen, anſtändigen, zweckmäßigen, billigen gehören, oder unter die nur ſchein - baren, unüberlegten, koſtſpieligen. In die letzte Rubrik der koſtſpieligen Erſparniſſe (auch von dieſen wurden ſchon verſchiedene mitgetheilt) fällt noch Anderes. Wer z. B., um Groſchen zu ſparen, Thaler wegwerfen und noch viel Scheererei haben will, der unterlaſſe, wenn er in ſtark be - ſuchten Diſtricten im Hochſommer ſpät Abends einzutreffen gedenkt, telegraphiſch Nachtquartier zu beſtellen. Je mehr dies üblich wird, je ſchlechter fahren alle, die es ver - geſſen. Wird in größerer Geſellſchaft gewandert und man hat keinen elektriſchen Draht zur Verfügung, ſo iſt es oft gut, wenn Einer oder Zwei voraus gehen oder fahren, um Malzeit und Quartier zu beſtellen. Wo es gebräuchlich iſt, Fuhrwerk vom Bahnhof in die Stadt telegraphiſch vor - aus zu belegen, thue ich auch das in der Regel.

Jetzt noch einen Wink für Alpenſteiger. Der tapfere Wandersmann erſchrickt nicht, wenn die Nothwendigkeit, in Sennhütten oder Heuſtadeln zu übernachten, an ihn herantritt, hat er jedoch die Wahl, ſo ſteht er lieber ein paar Stunden früher auf, um in einem ordentlichen Bette die Nacht zuzubringen, denn auf Lagern jener Art findet man in201VI. Uebernachten im Freien, in Sennhütten und Heuſchobern.der Regel weniger Ruhe als Ungeziefer, und Mancher nimmt einen ſchweren Kopf und matte Glieder mit in das bevor - ſtehende ſtarke Tagewerk. Denn das Heu, das ſeit Monaten einen Bretterverſchlag gefüllt und irgend einem Nazi oder Sepperl zur Lagerſtätte gedient, hat einen andern Athem, als das, Großſtädtern bekannte, friſch gemähte, auf einer Wieſe ausgebreitete. Im Alpine Journal II. 1 11 unterſucht Mr. Whymperdie verſchiedenen Arten, im Freien zu näch - tigen, und kommt zu dem Schluſſe, daß eine waſſerdichte Unter - lage und eine dergleichen Decke räthlicher ſeien, als der ſonſt benutzte Sack aus ſolchem Zeuge. Auch die Beſchreibung eines paſſenden Zelts und kleiner Geräthe zum Kochen wird gegeben. Endlich warnt er, nach Einbruch der Dunkelheit in die erſte beſte aufgefundene Höhle zu kriechen, und erzählt ſein Abenteuer in einer ſolchen. Er wurde von Ameiſen über - fallen.

[202]

VII.

In internationalen Angelegenheiten feſtländiſche Anſichten über Engländer antibritiſches Sperrſyſtem keep your distance I & you Würfeltinte - faß warum ſie reiſen wiſſenſchaftliche Baratterie verletztes Selbſt - gefühl Nord - u. Süddeutſche Zurückhaltung engliſche Touriſten Sub - tractionsexempel Fertigkeit im Reiſen franzöſiſches Urtheil über Engländer franzöſiſche Touriſten engliſche Reiſewerke Kunſt der Reiſebeſchreibung Comfort Yankees Scheu vor Annäherung an Fremde Berliner Alltagsmenſchen geiſtige Rangſtufen Anknüpfungen Hinderniſſe Mi - moſennaturen Muſterung Graf Zwei Störung gräfenberger Duſche Dialektſtudien Entzifferungskunſt Scherze Localpoſſen Quarte - ronen Fragewuth Franklin moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend Griesgrame, Hypochonder, Sonderlinge Schiffszwiebacknaturen Fähigkeit anzuregen Gemüthlichkeit neugefundene Freunde Geſprächs - ſtoffe Rückſichten Uebergangszuſtände nachgeſchickte Zeitungen Volks - leben Lord B. Mittelclaſſen lange, lange Pappeln Geſandte, Con - ſuln Empfehlungsbriefe gebildete Familien geſchloſſene Geſellſchaften Buchhandlungen Gefühl der Verlaſſenheit allein reiſen Warnung vor den beſten Freunden ſchwerſte Geduldsprüfungen kleine Ueberraſchungen Frauen Négligé Ehemänner verſchiedene Reiſegefährten allein ab - reiſen Hauptzwecke.

Nachdem im erſten Capitel der Herausgeber die Ehre gehabt, ſeinen engliſchen Freund und Reiſeprofeſſor vorzu - ſtellen, hat er ihm das Wort faſt allein gelaſſen. Was nun der Leſer darin ſehen, ob er Schüchternheit, Mangel an eige - ner Meinung darin erblicken, wie er über Lehrer und Schüler urtheilen will, alles das, ſei es auch Tadel und Spott, ziemt mir, in ſchweigender Ergebung abzuwarten und hinzunehmen: es iſt eine Privatangelegenheit. Was ich aber nicht auf ſich und mir beruhen laſſen darf ließ doch auch Schiller’s203VII. In internationalen Angelegenheiten.Lady Milford von Ferdinand Walter alles über ſich ergehen, nur auf jenen einen Vorwurf, durch den in ihr ihre ganze Nation beleidigt war, fühlte ſie ſich gedrungen, zu antwor - ten das iſt die internationale Anklage, die ſchon ſo lange auf mir laſtet. Ich kann hier unbeſorgt weiter ausholen, denn es handelt ſich nicht um dieſe Vertheidigung allein, ſon - dern um allgemeine touriſtiſche Angelegenheiten: geſellige Anknüpfungen auf Reiſen überhaupt, in er - ſter Linie mit Engländern. Wir begegnen dieſen, je entlegenere Gebiete wir aufſuchen, immer häufiger und aus - ſchließlicher, oft ſind ſie unſre einzigen Mittonriſten, wir würden darum mit unſrem Brod und Butter hadern (um eins ihrer Sprüchwörter zu citiren), wenn wir ſie, an alten Gebräuchen feſthaltend, grundſätzlich mieden. Um zu erör - tern, ob die Gewohnheit berechtigt iſt, mag die Anknüpfung ein Geſpräch bieten, dem ich einſt, bald nachdem meine beiden Gefährten heimwärts gezogen, beiwohnte, weil es eine Muſterſammlung der feſtlandläufigen Meinungen über den Gegenſtand enthält.

Ein junger Rheinpreuße äußerte: Nicht weniger als fünf Nationalitäten ſind an dieſem Tiſche vertreten, wie ich ſehe, nur, merkwürdig genug, kein Engliſhman darunter. Das nenne ich Glück! Nie kann ich mich auch entſchließen, einen anzureden. Ich würde mich und mein Land dadurch herab - zuſetzen glauben, denn John Bull kommt mir vor wie der reiche Handelsherr, der auf ſeinen Vetter Michel, den armen, kleinſtädtiſchen Studenten, mit einer Miene ſieht, von der man nicht recht weiß, ob ſie mehr auf Geringſchätzung oder die Beſorgniß deutet, daß der junge Mann ihn anborgen, vielleicht gar ein Concurrenzgeſchäft anlegen will.

Ganz Ihrer Meinung, fiel ein Belgier ein, auch ich meide dieſe Herren mit feuerrothen Backenbärten und dunkel - rothen Büchern ſo viel ich kann. Betrachten wir doch nur einmal einige, etwa auf einem rheiniſchen Dampfboote. Kaum widmen ſie einander ein Wort, auch zwiſchen Mann und204VII. Feſtländiſche Anſichten über Engländer.Frau, Eltern und Kindern, Freund und Freund, werden nur abgeriſſene Phraſen gewechſelt. Ich verſtehe keine Silbe ihrer Sprache, ſchon der Klang ſchreckt mich von ihr ab; ſie macht auf mich den Eindruck, als ob die Worte mit einge - ſtemmten Elbogen rückwärts über die Achſel geworfen wür - den. Und wie langweilig und gelangweilt ſehen die Men - ſchen aus! Auf die herrlichſten Landſchaftsbilder werfen ſie kaum einen Blick, ungerührt ziehen ſie vorüber, die Augen im Buche, auf der Karte, auf ihren Gamaſchen oder auf dem Schaumgekräuſel der Schaufelräder im Waſſer.

Halt, ſein wir nicht ungerecht, begütigt ein Sachſe. Nicht von der ganzen Nation gilt dieſer Hang zur Abſonderung und Sonderbarkeit, ſondern nur von vielen auf dem Conti - nent Reiſenden. Die Menſchen ahmen ihr Land nach, wel - ches auch gerade an dem Punkte, wo es ſich dem übrigen Europanähert, aus unzugänglichen, unwirthbaren Felſen beſteht. Darum rufen ihnen auch ihre Schriftſteller beſtändig zu: wenn ihr reiſet, ſo miſcht euch unter die Landeskinder, ſprecht mit ihnen, ſeid freundlich, ſeid Gentlemen in euren Handlungen, nicht in euren Anſprüchen, verlangt nicht, daß alles bei ihnen ſo iſt, wie bei uns zu Hauſe, denn wäre das, warum reiſtet ihr dann?

Und wer ſind denn dieſe Pilger, denen wir überall begegnen, wo es zu ſehen und nicht zu ſehen gibt? fuhr der Erſte fort. Entweder ſind ſie aus den ungebildeten Claſſen, Schneider, Schuſter, Metzger, Bäcker, oder deren Söhne und Töchter, von plumper herausfordernder Arroganz, oder geld - ſtolze Patricier und ſchroff abgeſchloſſene Ariſtokraten, gebiete - riſch, froſchkalt, ſcheinheilig, rückſichtslos, voll ſeltſamer Ge - wohnheiten und Vorurtheile, gegen alles Nichtengliſche mit Verachtung erfüllt. Es ſcheint, der beſte Theil der Nation, die gediegenen Familien des Landes und der kleineren Städte, in denen wahre Humanität vertreten iſt, reiſt wenig. Ueber - laſſen wir alſo die unlieben Zugvögel den Lohndienern und Wirthen.

205VII. Antibritiſches Sperrſyſtem keep your distance.

Muß für meinen Theil ſehr danken, fällt ein rheini - ſcher Hôtelier mit gedämpfter Stimme ein. Mein Geſchäfts - grundſatz iſt: keine Engländer aufzunehmen. Mein Perſonal iſt darauf eingeübt, ſie als ſolche, auch wenn ſie nicht engliſch ſprechen, zu erkennen und Mittel zu finden, ſie los zu wer - den, ohne geradezu unhöflich zu ſein. Von Mitgliedern aller übrigen Nationen, die ich beherbergt, einſchließlich zweier Neuſeeländer und eines Hottentotten, habe ich zuſammen - genommen nicht ſo viel Mühe und Aerger gehabt, als von John Bull die Jahre hindurch, in denen ich das antibritiſche Sperrſyſtem noch nicht eingeführt. Kein anderes menſchliches Weſen macht ſo viele, mannigfaltige, unbillige Anſprüche, iſt ſo halsſtarrig in ſeinen Eigenheiten und Wunderlichkeiten, ſo mißtrauiſch, ungeberdig, anmaßend, vor Allem ſo knickerig und zur Chicane geneigt, als der Engländer. Außerdem ge - hört es zu den Eigenthümlichkeiten dieſes Volksſtamms, Löcher in die Wände zu bohren und die Sofas mit Wichſe zu be - ſudeln.

Kaum hat der Gaſtwirth ſeinem Herzen Luft gemacht und ſchöpft Athem, ſo wendet ſich der Rheinländer gegen den Ver - mittler. Sie irren. Wie auf dem Feſtlande, ſo ſchließt ſich der Engländer auch drüben auf ſeiner Inſel ab. Sein Haus, von außen düſter und abſtoßend, iſt Tag und Nacht verſchloſſen, zum Ueberfluß hat er es noch mit Mauern und Gittern eingefaßt: es iſt ſeine Burg . Auch ſeine Felder umgibt er mit Dornenhecken. Genau ſo hält er es mit ſeiner Perſon. Dieſe ſperrt ſich entweder in ihr Haus ab, oder in ihren Club (zu Deutſch: Keule, geballte Fauſt, Grobian) oder, wenn er ein Kaffeehaus beſucht, zwiſchen Bretter - verſchläge. Nie ſieht man Gold, Koſtbarkeiten, Schmuck an ihm, als ob er ſich unter Dieben und Räubern dünkte. Nir - gend blüht die Schloſſerei mehr als in London, deſſen Caſſen - ſchränke für die feſteſten gelten; die Eiſenpanzer ſind an eng - liſchen Schiffen am dickſten, waſſerdichtes Kautſchukzeug iſt engliſche Erfindung, kurz: keep your distance, bleib mir206VII. Wurfeltintefaß I & you warum ſie reiſen.vom Leibe, iſt durchweg die Loſung. Die große Inſel iſt aus lauter kleinen Inſeln zuſammengeſetzt. Auch das bekannte würfelförmige Reiſetintefaß natürlich abermals ſeine Er - findung iſt ein echter Engländer: eben ſo ſcharfeckig und kantig, hart, rauh und ledern, wie er, nur Eins hat es vor ihm voraus: es beſitzt eine nachgiebige Stelle, an welcher es zu öffnen iſt, die ich am Menſchen nie habe entdecken können. Sogar in ſeiner Schrift drückt ſich die Selbſtüberhebung aus. Sein liebes Ich. I, iſt ein einzelner, großer Buchſtabe, der wie ein Maſtbaum ſtolz in die Luft ragt; zur Anrede you braucht er einige kleine, tief zur Erde gebückte, ſchweifwedelnde Buchſtaben. Wie der Einzelne, ſo die Nation. Alle Meere ſind nur für ihre Flotten, alle Länder für ihre Waaren ge - ſchaffen, und ſtets wiſſen ſie es einzurichten, daß ſie den Hauptvortheil haben, was im Völkerverkehr außer Geld noch Ruhm und Macht bedeutet. Unabläſſig trachten ſie, auf Koſten Aermerer ihren coloſſalen Reichthum noch zu ver - mehren. Ihre Politik iſt die ſelbſtſüchtigſte, ſchnödeſte, perfi - deſte, die ſich denken läßt.

Daß ſie ſo viel reiſen, iſt kein Wunder, eifert der Belgier weiter. Sie wollen den Nebeln und Steinkohlen - dämpfen drüben entgehen, die ſie verhindern, den Mund zu öffnen, und vermuthlich ſchuld ſind, daß ihre Sprache ſo garſtig klingt. Ferner ſuchen ſie dem Schmiedehammergetöſe ihrer Fabriken auszuweichen, oder geiſtige Luftveränderung iſt es, nach der es ſie drängt; ſie wollen heraus aus dem Lande des Schweigens, der langen Geſichter und der langen Zeitungsſpalten, wo jeder Menſch, der nicht arbeitet, ein Journal in der Hand hält, um ungeſtört gähnen zu können. Vielen ſoll es auch darum zu thun ſein, den theuren Preiſen der Heimat, oder ihren Gläubigern ſich zu entziehen. Andere haben zuviel Geld und Zeit übrig blicken wir nur in die Fremdenbücher, ſie ſind ja alle Rentiers , wiſſen zuhauſe mit beiden und mit ſich ſelber nichts anzufangen und ſuchen ſich dadurch einigermaßen zu unterhalten, daß ſie uns Uebri -207VII. Wiſſenſchaftliche Baratterie verletztes Selbſtgefühl.gen die Preiſe vertheuern. Andere ſpeculiren auf eine Gas - anſtalt, Waſſerleitung, Guanofabrik, Agentur oder dergleichen. Auch junge Bären gibt es, die in Paris, Wien, Dresdengeleckt werden ſollen. Die Meiſten ſcheinen ſelbſt nicht zu wiſſen, warum ſie reiſen, und haben weder Freude noch Nutzen davon. Von der Anarchie, die in der Schreibung fremder Namen durch die haarſträubende Conſonantenverſtümmelung und Vocalmengerei der Engländer in unſren geographiſchen Handbüchern eingeriſſen iſt, will ich gar nicht ſprechen. Gäbe es ein Admiralitätsgericht der Wiſſenſchaft, ſo würden ſie von ihm wegen Baratterie verurtheilt, denn ſie verfälſchen oder vertauſchen jedes Stück geographiſchen Importguts, das durch ihre unbarmherzigen Hände geht.

Allmählich erhitzte ſich auch der einzige zu Worte ge - kommene Anwalt der von allen Seiten Beſchuldigten: Es ſcheint in der That, meine Herren, daß Sie Ihre Kenntniß engliſchen Weſens theils pariſer Caricaturblättern entnommen, theils von Wirthen haben, die allerdings nicht gut auf dieſe Nation zu ſprechen ſind, weil keine andere ihren Ungebühr - lichkeiten ſo nachhaltigen Widerſtand entgegenſetzt.

Um die Gemüther ruhiger werden zu laſſen, riß ich jetzt das Wort an mich, hielt es feſt, ſo lange mein Athem reichte, und hatte ſchließlich die Genugthuung, wenigſtens Einige der Anweſenden in den Hauptſachen mir beiſtimmen zu ſehen.

Viele jener Vorwürfe haben ſchon im Tone ſo auffallende Familienähnlichkeit mit denen, die uns Preußen von unſren feindlichen Brüdern in Süddeutſchlandgemacht werden, daß man verſucht iſt, auf Stammverwandtſchaft in den Urſachen zu ſchließen. Und ſo ſehr auch öffentliche Reden und Zei - tungen die Feindſchaft blos mit politiſchen und wirthſchaft - lichen Gründen zu ſtützen ſuchen, ſo glaube ich doch, ihre Hauptwurzel, abgeſehen von confeſſionellen Fragen, anderswo ſuchen zu dürfen, und zwar an derſelben Stelle, wo der Britenhaß gewachſen iſt. Denn jene Art von Erbitterung wird nach allen Erfahrungen des Privat - und öffentlichen208VII. Süd - und Norddeutſche Norden und Süden.Lebens nicht ſowohl durch Schädigung oder Bedrohung wirk - licher Intereſſen hervorgerufen, als vielmehr: durch ver - letztes Selbſtgefühl. Wurden oder glauben wir unſre mate - riellen Intereſſen angetaſtet, ſo ſind wir minder geneigt, viel Worte zu machen, greifen auch nicht ſo leicht fehl in der Wahl der Mittel, dagegen laſſen wir uns zu Bitterkeiten, Uebertreibungen und Ungerechtigkeiten vorzüglich dann hin - reißen, wenn unſre Eigenliebe ſich gekränkt fühlt. Tiefer einzugehen auf politiſche Controverſen, iſt hier nicht der Ort, nur die Bemerkung kann ich nicht unterdrücken, daß der Continentale, angenommen, die Engländer wären in der That durchweg hochfahrend, ungeſellig, gemüthlos, offenbar ſehr Recht hätte, ihre Geſellſchaft zu meiden, daß hingegen, geſetzt auch, die Wirklichkeit entſpräche dem Bilde, welches gewiſſe Zeitungen von den Preußen ſechs Mal wöchentlich zeichnen, angenommen, die letzteren wären ſämmtlich kalte Verſtandesmenſchen ꝛc. und das deutſche Gemüth nur im Süden zu finden, die aufrichtigen Preußenfeinde ſich doch ein - mal ernſtlich fragen ſollten, ob nicht dieſes Bild, das mit der Politik ſo wenig zu ſchaffen hat, ihnen den Blick für ihre materiellen und immateriellen Intereſſen mehr als ſie ſich ſelbſt eingeſtehen, getrübt hat.

Der Nordländer iſt von Natur zurückhaltender, kühler, ernſter, arbeitſamer, der Südländer leicht - und warmblütiger, geſelliger, anſchlüſſiger, heiterer, geſprächsluſtiger, unter - haltungsbedürftiger, vergnüglicher. Für allen menſchlichen Verkehr ſind Zugeſtändniſſe an Individuelles auch Volks - ſtämme ſind in dem Sinne Individuen die nothwendige Grundlage, und werden uns um ſo leichter, je mehr wir einſehen, daß Vorzüge ſowohl wie Schwächen ſtets ihre Licht - und ihre Kehrſeite haben. Auf alle Fälle iſt es für unſer perſönliches und nationales Ehrgefühl keine Verletzung, wenn der andere Theil ſeinem Volksgebrauche folgt und uns gegenüber ſich ſo paſſiv verhält, wie er es gegen jeden, ihm unbekannten Landsmann gethan hätte; ebenſowenig gibt es209VII. Engliſche Zurückhaltung.aber eine Richtſchnur für unſer Benehmen, wir dürfen viel - mehr aus unſrer Volksart heraus handeln und jenem Anderen entgegenkommen, vorausgeſetzt, daß eine ſchickliche Gelegenheit geboten iſt und ſeine Perſönlichkeit und ſein Be - nehmen dies nicht von Haus aus widerrathen. Häufige Reiſen und Berührungen mit Fremden wirken denn auch meiſtens jener Scheu vor Annäherung entgegen und bilden zugleich die Fähigkeit aus, welche Mißgriffe in der Wahl der Perſonen und der Art des Entgegenkommens verhindert.

Der Engländer reiſt nicht, um andere Engländer kennen zu lernen, darum nehmen wir unterwegs von einander keine Notiz, iſt die gewöhnliche, auf eine dahin gerichtete Frage gegebene Antwort, oder vielmehr Ausrede. Die wahren Gründe liegen tiefer. Ein Befreundeter gab mir einſt folgende Erklärung. Es wirkt mancherlei zuſammen. Unſer Hang zur Abſonderung mag ſich wohl ſchon in alten Zeiten entwickelt haben, als die gewaltthätigen Normannen die Angelſachſen überfielen, ſie weder zu vertreiben noch auszu - rotten vermochten, und beide grundverſchiedene Stämme unter langen Kämpfen ſich endlich nebeneinander feſtſetzten. An ſchwerer Arbeit, einſchließlich politiſcher, hat es ſeit jeher nicht gefehlt, ebenſo wenig an gefahrvollen Reiſen und rauhen Berührungen mit wilden Völkerſchaften, und alles das ſeine Spuren im Volksgemüth zurückgelaſſen. Daß bei uns auch Rang - und Claſſenvorurtheile ſehr tief gewurzelt ſind, will ich nicht leugnen, behaupte aber, daß dieſe und andere hier nicht zu berührende Dinge in unſren Beziehungen zum Ausländer auf dem Continente kaum in’s Spiel kommen.

Vor Allem iſt zu beachten, daß nicht ein Theil, ſondern wir dürfen faſt ſagen, die ganze Nation gern und viel reiſt, und zwar bis hinab in die niederen Schichten der Geſellſchaft, wo die zu einem Ausflug auf’s Feſtland nöthigen Geldmittel noch vorhanden ſind, mehr als in anderen Ländern. So fällt natürlich auf die geſammte britiſche Touriſtenſchaft ein größerer Procentſatz unliebſamer Elemente und die Kleidung14210VII. Engliſche Touriſten Subtractionsexempel.gibt noch weniger als anderwärts Bürgſchaft für einen ge - wiſſen ſocialen Bildungsgrad. Das Verhältniß ſtellt ſich jedoch um ſo günſtiger, je weiter wir uns entfernen von den großen touriſtiſchen Tummelplätzen: vorzüglich volle Körner ſind es, die weiter fliegen, die Spreu fällt meiſt früher zu Boden. Gerade in den Gegenden alſo, wo der Deutſche am ſeltenſten Landsleute und am häufigſten Briten trifft, iſt auch die größte Wahrſcheinlichkeit, bei ihnen die wünſchenswerthen Elemente zu finden. Unter Weitergereiſten herrſchen in der Regel wiſſenſchaftliche und andere ernſte Beſtrebungen vor, mit denen auch gediegene, den Verkehr lohnende Eigenſchaften verbunden ſind. Wenigſtens muß ich geſtehen, daß, ſeitdem ich meine urſprünglichen Vorurtheile abgeworfen, dieſe Ueber - zeugung ſich mir immer mehr aufdrängte, und daß ich dem aus ihr hervorgegangenen Benehmen eine Reihe von Be - kanntſchaften verdanke, die unter meine liebſten Reiſeerlebniſſe zählen. Von Deutſchen, die in den letzten beiden Jahr - zehnden jenſeits des Canalsden Wohnſitz nahmen, hört und lieſt man das vielfach beſtätigen und verſichern, daß der Gentleman an einer geſchloſſenen Freundſchaft mit Zähigkeit feſthalte; um ſo weniger iſt es zu erwarten, daß er bei der Anknüpfung raſch zu Werke gehe. So liebt er denn auch nicht, ſein Haus und ſeine Perſon herauszuputzen, er will nicht locken, blenden, ſchmeicheln, wie es z. B. dem Franzoſen eigen iſt, welcher ihn allerdings an Glätte, Geſchmeidigkeit, Anmuth der Form, lebhaften, raſch gewinnendem Weſen übertrifft. Dort ſehen wir mehr Stolz, hier mehr Eitelkeit und Koketterie. Ziehen wir das Nationelle mit ſeinen Licht - und Schattenſeiten vom Individuellen ab, ſo ſtellt ſich dort das Exempel für den Einzelnen durch die Bank günſtiger, in andren Worten: nähere Bekanntſchaften mit Engländern ſind ſchwerer gemacht, aber durchſchnittlich lohnender und dauernder, als mit Franzoſen und Südeuropäern. Daß der Kern jenes Stammes weder ein unedler noch ein dürftiger ſein kann, ſondern daß in ihm alle wichtigen Eigenſchaften211VII. Fertigkeit im Reiſen franzöſiſches Urtheil über Engländer.des Menſchen und des Mannes vertreten ſein müſſen, wird ſchon Niemand bezweifeln, der ihre Literatur kennt. Was uns Deutſche am meiſten und mit Recht aufgebracht hat, iſt die Haltung der auswärtigen Politik und der Preſſe des Inſelreichs deutſchen Lebensfragen und Herzensangelegenheiten gegenüber, neuerdings hat ſich das jedoch geändert und die öffentliche Meinung drüben weſentliche Erfahrungen gemacht.

Betrachten wir nun aber die Sache von unſrem touriſti - ſchen Standpunkte, ſo gewinnt ſie ein ganz neues Geſicht, denn der Engländer hat die meiſte Uebung und Fertigkeit im Reiſen, die muſterhafteſte Ausrüſtung, die entſchiedenſte An - lage und Liebe zur Reiſe, iſt mithin für jeden Liebhaber der - ſelben, er gehöre irgendwelcher anderen Nation an, persona grata. Hören wir darüber einmal, damit ich nicht immer allein als Anwalt plädire, die Anſicht eines Franzoſen (( E. Montégut, Revue des deux Mondes 1860)):

Der Typus des modernen Reiſenden ſcheint mir vorzugsweis der Eng - länder, der die Welt durchmißt, ohne daß ihn etwas in Erſtaunen und in Ver - wirrung ſetzt, der allerwärts ſeine Individualität aufrecht zu halten weiß, Gentleman unter Wilden, Engländer unter civiliſirten Völkern, Chriſt unter Türken iſt, der es ſehr begreiflich findet, daß man auch Perſer ſein kann, aber ſich nie entſchlöſſe, es nur eine Minute zu ſein. Die Dinge treten vor ſeine Augen zu ſeinem Vergnügen, zu ſeinem Nutzen, zur Befriedigung ſeiner Wißbegierde, niemals aber erlaubt er ihnen, ſeinem unerſchütterlichen Selbſtbewußtſein zu nahe zu treten. Er allein ſcheint den Grundſatz zu verſtehen, daß das beſte Mittel, die, mit denen man umgeht, nicht kennen zu lernen, das iſt, daß man daſſelbe Leben wie ſie lebt, weil man über Gewohnheiten, die man ſelbſt annimmt, das unbefangene Urtheil verliert .... Dieſe Eigenthümlichkeit des engliſchen Nationalcharakters läßt ſich vortrefflich aus dem weſentlich britiſchen Literaturzweige, den Reiſeſchriften, kennen lernen, reich an ſittlicher Ausbeute, bemerkenswerthen Thatſachen und Beweistücken für die Ge - ſchichte der Menſchheit. Dieſe Literatur fehlt Frankreichund es iſt zu bezweifeln, daß je die Lücke ausgefüllt werde .... Seltſam: die Franzoſen ſind zugleich das abenteuerluſtigſte und das häuslichſte aller Völker Sie lieben nicht zu reiſen, verſtehen es auch nicht ſonderlich. Sie beſuchen fremde Länder ohne Wißbegierde, ohne Nutzen für ſich und Andere. Des Franzoſen gute Eigenſchaften wie ſeine Fehler tragen bei, die Reiſeluſt in ihm zu erſticken, vor Allem ſein Uebermaß von Geſelligkeitstrieb, welchen die unvermeidlichen Prüfungen des Reiſelebens ein - ſchüchtern und entmuthigen. Gern würde er in Geſellſchaft ſeiner Landsleute die Welt durchziehen, aber die aufgenöthigte Einſamkeit, die eiſige Gleichgiltigkeit14*212VII. Franzöſiſche Touriſten. Engl. Reiſewerke. Kunſt d. Reiſebeſchreibung.unbekannter Geſichter, der Zwang der fremden Sitten und Gebräuche ſind für ihn zu harte Prüfungen Jene zu weitgetriebene Geſelligkeitsliebe iſt vielleicht der Grund, daß der Franzoſe die Welt faſt nur in der Eigenſchaft als Soldat durch - zogen Den erſten Tag in der Fremde ſtößt ihn Alles ab und ärgert ihn, bald jedoch iſt er überwunden und gewonnen Niemanden widerſtrebt es mehr, ſeine Perſönlichkeit abzuthun und Niemand vollbringt es leichter: üble Eigenſchaften um die beſuchten Länder richtig zu ſehen und Geheimniſſe fremder Völker zu erforſchen. Dies zu können, ſoll man ſich gleich weit von Verachtung und redſeliger Vertraulich - keit angeſichts der Dinge halten, ohne allzuhingebend ſich in ſie einzumiſchen Die franzöſiſchen Reiſewerke ſind vor Allem maleriſch, die Oberfläche beſchreibend, erſtreben weniger, gut zu ſehen, als gut zu erzählen; trachten, unterhaltend, farben - reich, pikant zu ſein, aber nicht die Reiſe iſt ihnen Hauptſache, ſondern ihr Bericht. Ganz anders iſt es mit der engliſchen. Künſtleriſche Gebilde ſind ſie faſt nie, wimmeln von Ungeſchicklichkeiten des Ausdrucks, aber ein unſchätzbares Verdienſt haben ſie: das der Wahrheit. Da dieſe Reiſenden keine Künſtler ſind, ſo ſuchen ſie weit lieber nach dem, was menſchlich als was maleriſch iſt, entſchädigen durch das lebhafte Gefühl der Wirklichkeit, das ihrem Volke eigen, für den literariſchen Zauber, der ihnen gebricht. Sie ſind mehr mit der moraliſchen Perſönlichkeit beſchäftigt, als mit der materiellen, und ſind ihre Beſchreibungen von Landſchaften häufig ver - wirrt und linkiſch, ſo verſtehen ſie dafür, uns den ſittlichen Bau eines Brahmanen zu veranſchaulichen und den Gedankengang eines Wilden zu zeigen. Zwiſchen der aller Hilfsmittel der Kunſt entkleideten Wahrheit und einer Kunſt, die ſich mit der oberflächlichſten Wahrheit begnügt, iſt die Wahl nicht ſchwer Ein Verein von Beidem wäre freilich auch in dem Gebiete die Vollkommenheit ſelbſt, er iſt aber nur ſehr wenig Erleſenen verliehen. Das Ideal eines Reiſeſchilderers muß erſtens umfaſſenden Geiſt haben, aber nicht ſo ſehr, um allzuleicht über die Beſonderheiten hinwegzukommen und ſie zu generaliſiren; zweitens ernſthaft ſein, doch nicht zu ſeh[r], damit der Ernſt nicht ſeiner Unterhaltungsgabe ſchade. Iſt er phantaſiereich, deſto beſſer, ſo wird er um ſo fähiger ſein, die Schönheit zu begreifen; ſein Träumen muß aber verſtehen, zur rechten Zeit zu kommen und zu gehen, nicht ſeine Geiſtes - freiheit beeinträchtigen, noch ſeine Wißbegierde lähmen. Etwas Skepſis iſt will - kommen in dieſem bunten Strauße von Geiſtesblumen, denn ſie wird das allzu - bereitwillige Vertrauen der Bewunderung zügeln, und Abſchweifungen zuvorkommen, zu denen ſich die Einbildungskraft etwa hinreißen läßt, gefährlich wäre es jedoch, nähme dieſe Zweifelſucht überhand, denn ſie würde leicht zu planmäßiger Anſchwär - zung und ſyſtematiſcher Verneinung. Vor Allem muß dieſer Reiſende lebendiges Gefühl haben, damit er die den verſchiedenſten Dingen innewohnende Seele empfinden, belauſchen könne, ſich aber ſorgſam hüten, in Dilettantismus zu fallen, dieſen ſchlimmſten aller Fehler des Reiſenden; er muß ferner womöglich kein Berufsgeſchäft haben, dazu die liberalſte Geiſtesbildung, um nicht excluſiv in ſeinen Bemerkungen zu werden; endlich muß er ſeine Individualität bewahren und darf bei aller Sympathie für das Volk, in deſſen Mitte er weilt, wohl ſeine Gebräuche und Sitten zeitweilig mitmachen, ſie aber ſich nicht völlig aneignen. Man ſieht, daß unſer Ideal eines Reiſenden, wenn auch keine ſonderlich ſeltenen einzelnen213VII. Kunſt der Reiſebeſchreibung Comfort.Befähigungen, doch eine Summe von Eigenſchaften vorausſetzt, die wohl ſelten in einer Perſon vereinigt iſt.

So weit der franzöſiſche Schriftſteller. Gegenüber den Anſprüchen, die er an die Reiſebeſchreibung ſtellt, iſt darauf hinzuweiſen, daß die deutſche Literatur, die bei ihm nicht einmal Erwähnung findet, wenn auch weit minder um - fangreich, als die engliſche, doch mehre vorzügliche Werke beſitzt, und daß nach deutſcher Auffaſſung der mit Recht ge - tadelte Dilettantismus bei der Summe von Eigenſchaften, die von franzöſiſcher Seite begehrt wird, wohl kaum zu ver - meiden iſt. Wir Deutſche ſind deswegen geneigt, auf jene Univerſalität zu verzichten, oder vielmehr wir glauben nicht an ihre Möglichkeit, verlangen daher von einem Autor nur, daß er unter den Gegenſtänden ſeiner Schilderungen die Wahl ſo treffe, daß ſie ſeinem Talent entſpricht, und ſchätzen ihn um ſo höher, je mehr er uns dafür zu erwärmen verſteht, je näher ſeine Intereſſen den unſrigen ſtehen und je mehr wir unſre Anſchauungen und Kenntniſſe durch ihn bereichert ſehen. Strenge Objectivität, wie ſie das Trauerſpiel, das Epos, die wiſſenſchaftliche Darſtellung bedingen, gehört nicht unter die Erforderniſſe der Reiſeſchilderung, der Autor mag von ſeiner Perſönlichkeit, deren Erlebniſſen, Betrachtungen, Empfin - dungen, einmiſchen, was ihm paſſend ſcheint, nur muß alles dies der Theilnahme würdig ſein und die Perſon des Ver - faſſers darf nicht zwiſchen den Leſer und den Gegenſtand der Beſchreibung in der Art treten, wie bei Sonnenfinſterniſſen der Mond vor die Sonne, ſo daß von dieſer nur die Protu - beranzen zur Erſcheinung kommen.

Wenn wir aber auch nichts weiter vom Engländer lernen könnten, als die Bereitung des Comforts der Reiſe, ſo wäre ſchon das nicht zu verachten. Denn gar viele von uns ſind einmal ſo geartet, daß die Unbefangenheit ihrer Betrach - tung, die Klarheit, Gegenſtändlichkeit ihres Urtheils beein - trächtigt wird, wenn es ihnen nicht gelingt, ſich einen gewiſſen Grad von Behagen und Ruhe zu verſchaffen. Dieſe Fertig -214VII. Comfort Yankees Scheu vor Annäherung an Fremde.keit iſt im Kleinen, was das Coloniſationstalent im Großen, wenigſtens eine Seite deſſelben, und eine Menge gering - fügiger, alltäglicher Dinge tragen das Ihrige bei, den Weg zu den höheren Zielen der Reiſe zu ebnen, dem Körper die Spannkraft und dem Geiſte die Empfänglichkeit zu erhalten. Die deutſche Sprache hat denn auch das Wort Comfort ſich angeeignet, deſſen Bedeutung weit hinausgeht über den Begriff, den wir mit Bequemlichkeit verbinden, und keinen Anflug von Weichlichkeit und Trägheit hat, ſondern alles umſchließt, was das geiſtige und körperliche Wohlbehagen fördert, auch Troſt, Beiſtand, Labſal bezeichnet. Die Erfinder des Worts haben unverkennbar die meiſten Ver - dienſte um Einführung der Sache in die Touriſtendiſtricte. Der Süden kennt und ſucht den Comfort nicht, ihm genügt ſchon bloßes Nichtsthun, um ſich wohl zu fühlen, nicht einmal der Reinlichkeit bedarf er. Ein Fortſchritt nach der Seite hin iſt indeß ſtets da bemerkbar, wo häufiger Briten hin - kommen. Sei es nun, daß ſie gegenüber den Wirthen und dem Dienſtperſonal mehr erzieheriſches Talent oder weniger Langmuth als wir Anderen haben, oder daß ihr wirklicher oder vermeintlicher Reichthum ihnen mehr Gewicht gibt, die Thatſache iſt nicht zu leugnen. Auch ihre transatlantiſchen Vettern, die Yankees, entwickeln neuerdings ein bemerkens - werthes Talent der Reiſe und der Wirthshauspädagogik, und werden nicht müde, diesſeits von gewiſſen muſterhaften häus - lichen Einrichtungen ihres Vaterlands zu predigen, was hier und da ſchon Früchte trägt.

Bevor ich meinem Reiſeprofeſſor das Wort zurückgebe, muß ich noch ein Thema berühren, das ſich eng anſchließt an das eben abgehandelte.

Nächſt John Bull die unbeliebteſte und verbreitetſte Touriſtenclaſſe iſt der Berliner . Die Abneigung gegen ihn iſt der Punkt, in dem ganz Deutſchlandnahezu einig iſt, und ſelbſt von Vollblut-Berlinern kann man hören: nach N. N. gehe ich nicht, da ſind zu viele Berliner . Auf gewiſſe215VII. Berliner.bei Betrachtung der Engländer geltend gemachte Geſichts - punkte, die hier gleichfalls Anwendung finden, braucht nicht von Neuem eingegangen zu werden, auch ſteht der Gegenſtand in Verbindung mit großen deutſchen Fragen, deren Erörte - rung ſich unſre Reiſeſchule zu enthalten hat, nur die Bemerkung ſei geſtattet, daß wir hier wieder Gelegenheit haben, uns auf einer Selbſttäuſchung zu ertappen. Im Ernſte glaubt Keiner von uns, daß der Bürger der nord - deutſchen Hauptſtadt ſeine Haſenhaide ſchöner als das berner Oberlandfindet, daß er vor dem Traualtar die Frage des Geiſtlichen: Willſt du ihr treu ſein? mit: Allerdings beantwortet, daß ihm Alles in der Welt höchſt gleichgiltig iſt, daß er ſelbſt ſeiner Beiſtimmung ſtets eine impertinente Form gibt, wie z. B. die Redensart: auffallend richtig, daß in Berlinnur Aufſchneiderei und Windbeutelei zu Hauſe iſt, daß die von da kommenden Alpendilettanten alle von der Art des Herrn vonStrietzowſeien u. ſ. w. Nur aus Mißfallen an gewiſſen Manieren, durch die ſich unſre Selbſtſchätzung verletzt fühlt, überreden wir uns, daß die rauhe, bittere Schale auch einen ungenießbaren oder gar keinen Kern berge. Deutſchlandhat doch nun aber das Be - dürfniß, einig zu werden, und der Reiſende viel Urſache, eine Touriſtengattung, der er auf Schritt und Tritt begegnet, nicht ohne jede Prüfung zu excommuniciren, ſo ſchlage ich denn vor, wir Anderen wollen dem Berliner wie dem Eng - länder gegenüber Gnade für Recht ergehen und uns nicht von Aeußerlichkeiten zu raſchen, abſprechenden Urtheilen über eine ganze Bevölkerung verleiten laſſen, denn wir würden ſonſt gerade in den Fehler fallen, der jenem hauptſächlich zum Vorwurf gemacht wird. Unter den dreiviertel Millionen, die zwiſchen Kreuzbergund Weddingwohnen, lebt in der That eine gute Anzahl Menſchen, die es verdienen, daß wir ihren näheren Umgang nicht ablehnen ſondern ſuchen, und je mehr wir denen, mit welchen wir unterwegs in Contact kommen, zeigen, daß ſie keine Urſache haben, ſich für Beſſeres216VII. Alltagsmenſchen geiſtige Rangſtufen.zu halten, als uns, je mehr werden ſich gewiſſe Gegenſätze zum gemeinſamen Beſten endlich ausgleichen.

Als unſer Meiſter einmal ſo recht im Zuge war, ſein Lieblingsthema, Anknüpfung von Bekanntſchaften mit Leuten und Nationalitäten allerlei Art zu behandeln, fiel ihm mein MitſchülerEduardin’s Wort. Nun gut, ich will ja thun, was ich kann, wie fange ich’s aber an, um aus der Maſſe fremder Leute, denen ich täglich begegne, die herauszufinden, welchen ich und die mir nicht unwillkommen ſind, namentlich, wie vermeide ich die Alltagsmenſchen, von denen die Welt wimmelt und aus deren Anſprache weder Belehrung noch Unterhaltung zu ſchöpfen iſt?

Auf dieſe jugendlich kecke Frage habe ich keine Antwort, fuhr der Oheim in ſcharfem Tone heraus. Einen Talisman be - ſitze ich nicht, kann dir auch keinen verſchaffen. Mir ſelbſt würde ich ſagen: entweder bin auch ich ein Alltagsmenſch, und dann fehlt mir die Berechtigung, Geiſtesverwandte zu fliehen, ich bin vielmehr auf ihre Geſellſchaft angewieſen; oder ich bin keiner, dann will ich doch, um dies zu[beſthätigen], wenigſtens den Verſuch machen, an Alltagsmenſchen, mit denen mich der Zufall zuſammenführt, eine Seite zu finden, die meine Be - achtung verdient, meine Menſchenkenntniß vervollſtändigen, mich anregen, von der ich lernen kann, poſitiv oder negativ. Finde ich ſie nicht, ſo liegt es vermuthlich an mir, ſuche ich gar nicht danach, ſo iſt die Ausſicht, Sonntagsmenſchen zu begegnen, um ſo geringer. Wenn ſchon auf einem Masken - balle das Errathen und Erkennen für den Hauptreiz gilt, warum ſollte ich nicht die durch das Reiſeleben gewährte Maskenfreiheit benutzen, bald hier bald da leiſe anzuklopfen, um unter der Menge Fremder und Fremdartiger Wahlver - wandte zu finden, und neue Blicke zu thun in’s Menſchen - leben, die mir in den heimatlichen Kreiſen verſagt ſind? Auf der Reiſe verſchiebt ſich leicht die Maske, fällt, wird abge - worfen, der Beobachtung iſt alſo weites Feld gegeben. Je höher meine geiſtige Rangſtufe, je ſeltener zwar werde ich217VII. Anknüpfungen Hinderniſſe Mimoſennaturen Muſterung.Ebenbürtige und Ueberlegene antreffen, um ſo mehr aber auch, wenn es glückt, Freude und Anregung daraus ſchöpfen. Und ſo wenig ich wünſche, daß an Geiſt und Kenntniſſen mir Ueberlegene deshalb mir fern bleiben, ſo wenig darf ich nach unten hin abwehrend ſein.

Warum wohl mögen Viele nicht den erſten Schritt thun? Blicken wir doch zurück in unſre Erinnerung und entnehmen ihr eine Anzahl Fälle, um ſie zu prüfen.

Da iſt Einer zu beſcheiden, um mich anzureden, weil ich zehn Jahr älter als er ausſehe oder mein Aeußeres eine höhere geſellſchaftliche Stellung anzudeuten ſcheint, und er beſorgt, kurzerhand abgefertigt zu werden; beim Zweiten iſt es umgekehrt, er fürchtet, ſeinem Range, den er höher als meinen ſchätzt, dadurch zu vergeben; der Dritte, Jüngling noch an Jahren und Knabe an Erfahrung, hat in einem Buche eine Warnung vor dem Anſchluß an den erſten Beſten geleſen, weil er ein Gauner ſein könnte; der Vierte iſt zu bequem; der Fünfte zu unbeholfen; der Sechſte bringt aus der Heimat, wo tauſend Rückſichten obwalten, die Gewohn - heit der Zurückhaltung mit, ohne ſich über das Warum Rechenſchaft zu geben, oder gehört unter die Mimoſennaturen, die jede Annäherung zuerſt erſchreckt, die alle Berührungen mit Fremden ſcheuen, um nur jede unſanfte ſicher zu ver - meiden. Jeder von dieſen hat aber vielleicht Eigenſchaften, die im gegebenen Falle mir ſeine und ihm meine Geſellſchaft annehmbar machen. Soll ich nun auch mir Zurückhaltung auferlegen? Nummer Eins, Vier, Fünf und Sechs geben bald zu erkennen, daß es ihnen lieb war, mich die Koſten des erſten Schrittes übernehmen zu ſehen, Zwei und Drei be - luſtigen mich zunächſt durch ihre Vertheidigungsmaßregeln, Drei capitulirt nach einiger Zeit, Graf Zwei dagegen (Schau - platz ein Badeort) hält ſich ritterlich und ſeine Antworten ſo knapp als möglich, ohne geradezu unartig zu ſein. So plänkeln wir eine Weile, bis ſich zeigt, daß auch ich mich für Pferdezucht und Spanienintereſſire. Das veranlaßt ihn,218VII. Graf Zwei Störung.mir meine Namenloſigkeit zu verzeihen und nun ſeinerſeits den Faden des Geſprächs emſig weiter zu ſpinnen. Offen - bar langweilte er ſich in Xbad entſetzlich und wünſchte nichts ſehnlicher, als von ſeiner einſamen Höhe herabzuſteigen und Menſch mit Menſchen ſein zu können, wußte nur die herab - führende Treppe nicht zu finden. Die nächſten Tage machen wir unſre Morgenſpaziergänge mit einander, tauſchen Cigarren aus und ſind gute Cameraden, bis nach einiger Zeit ein Prinzvon Bullerhauſenkommt. Ihm ſchließt ſich der Herr Graf natürlich an und hat die Zartheit, mich dieſem Kreiſe nicht vorzuſtellen, denn deſſen ſteifes Cere - moniell würde mir, dem Ungewohnten, doch nur läſtig fallen. Weiter.

Ein Regenſchauer treibt mich in’s Borkenhäuschen bei Z.Da ſitzt bereits ein Herr, in der Hand Brieftaſche und Bleiſtift, welche er einſteckt, als er meiner anſichtig wird. Vielleicht ein Poet, denke ich, der lieber mit ſeiner Muſe allein geblieben wäre, und nun verſcheuche ich das Götterkind durch meine profane Gegenwart. Die Störung iſt aber nicht rückgängig zu machen, die Brieftaſche beſeitigt. Ich ſetze mich auf’s andere Bankende, ziehe ein Buch aus der Taſche und leſe, um ihm Gelegenheit zu geben, ſeine ſchöpfe - riſche Thätigkeit wieder aufzunehmen. Sollte es die Zu - eignung ſein, an der er dichtet und nur die letzten Verſe des Sonetts fehlen noch? Doch die Brieftaſche bleibt in ihrem Verſteck und ſo oft ich aufſehe, begegne ich ſeinem Blicke. Hat er etwa das Bedürfniß, ſeine üble Laune an mir aus - zulaſſen? Dieſe Genugthuung bin ich ihm ſchuldig. Wohlan denn, er ſoll Gelegenheit haben. Ich las da eben .... Ein Geſpräch iſt bald im Gange und es findet ſich, daß der Mann nicht Lyriker ſondern im Gegentheil Landwirth iſt, eben nur mit einer proſaiſchen Rechnung beſchäftigt war und über mecklenburgiſche Verhältniſſe belehrende Mitthei - lungen machen kann.

Dieſe erſten ſechs Entdeckungsreiſen wären alſo ohne219VII. Dialektſtudien Gräfenberger Duſche.große Havarie abgelaufen. Als Graf Zwei den Prinzen mir vorzog, las ich zwar in den Mienen meiner anderen Bekannten: geſchieht Ihnen ganz recht , aber auch dieſe Wunde meiner Eigenliebe hatte bald ausgeblutet. Muſtern wir nun die nächſten uns begegnenden Reiſe - und Bade - genoſſen.

Nummer Sieben, Acht und Neun anzureden, fühlen wir keine Neigung, wiſſen auch ihrer etwaigen Näherung auszuweichen durch Vorkehrungen mit den Augen. Da iſt aber ein Zehnter, den ich zu einer Unterhaltung veranlaßte, die mir bald läſtig fällt. Des Mannes Beredtſamkeit ſtrömt, wie eine gräfenberger Duſche, deren Zug ſich verhängt hat. Er ſcheint jedoch gutmüthig, laſſen wir ihm eine Weile ſein Vergnügen. Sollte ſich nicht aus der Fluth etwas Genieß - bares, Erfriſchendes, Erfreuliches herausfiſchen oder deſtilliren laſſen? Richtig, ich hab’s: Dialektſtudien, beiläufig bemerkt, auf Reiſen ein ganz annehmbarer Zeitvertreib. Die Mundart des Redſeligen iſt ein Gemiſch, mithin ein verwickelter Fall, der Mühe einer Unterſuchung werth. Er ſpricht auch gar nicht ſo übel, wie konnte ich ihn nur anfangs unerträglich finden? Ungeduld, Ueberhebung, pfui, beſſern wir uns. Jetzt aber aufgepaßt! Zehn Minuten ſind verfloſſen, hinweggeſchwemmt von den Redefluthen. Sie ſind aus dem Anhalt’ſchen gebürtig, dann geraume Zeit in Holſteingeweſen, und nun in Deutſch-Ungarnanſäſſig. Das Erſtaunen, das dieſe meine Einſchaltung über den Mann brachte, war höchſt ergötzlich, denn der Zufall hatte es gewollt, daß meine Diagnoſe alle drei Oertlichkeiten, ſogar die Reihenfolge richtig getroffen. War die Klappe der Duſche bisher nicht zu ſchließen, ſo ſchien es jetzt, als ob ſie auf einmal ſich feſt zugeklemmt hätte. Auch ich ſchwieg, denn die Lektüre in den Mienen des Redners beluſtigte mich nun ebenſo, wie bisher die in den ſprachlichen Ablagerungen. Endlich lieferte ich ihm den Schlüſſel meiner Wahrſage - kunſt aus. Gewiß wird er die Geſchichte des Wunder -220VII. Entzifferungskunſt.manns Jedem erzählen, der ſie hören will, bis an ſein Lebensende.

Unterhaltung finde ich ferner oft darin, daß ich aus Kleidung, Mienen, Geberden, Reden und Schweigen eines Reiſe - oder Badegenoſſen deſſen Stand, Sinnesart u. ſ. w. zu errathen mich bemühe. Dabei erwächſt mir der Vortheil, daß ich in die ſonſt meiſt unfruchtbaren Anfangsgründe neuer Bekanntſchaften, die im Austauſch von Gemeinplätzen be - ſtehen (müſſen wir doch auch, um ſchöne Landſchaften zu finden, meiſtens erſt lange Strecken Landſtraße zurücklegen, dann rauhe Seitenwege einſchlagen, bis endlich die Höhe mit freiem Ausblick erreicht iſt) durch ſolche Uebungen in der Ent - zifferungskunſt Reiz bringe, welcher ſich auch weiter - hin, ſei die betrachtete Perſönlichkeit an und für ſich noch ſo ſteril, nicht ſchnell verliert, weil Alles, was ſie ſagt und thut, neuen Stoff liefert, mein Charakterbild auszumalen und zu prüfen. Ich verfahre dabei, wie die Gelehrten, welche aus Knochen, Zähnen und Bruchſtücken von Steinen mit Schriftzügen ganze Thiergattungen und Menſchengeſchlechter nebſt ihrem Thun und Treiben, Inſtincten und Sitten zu erkennen wiſſen. Auch der Gegenſtand der Beobachtung kommt nicht zu kurz, denn da er Aufmerkſamkeit und Ein - gehen auf ſeine Intereſſen findet, ſo hält er nicht zurück mit ſeinem geiſtigen Beſitzthum und gibt was er hat. Menſchen ohne Bildung entſchädigen nicht ſelten durch mehr Urſprüng - lichkeit.

Weiter in unſrer Muſterung. Nummer Elf iſt an der Reihe. Schauplatz ein Eiſenbahnwagen. Dieſer junge Herr hätte mich beinahe an meiner ganzen Theorie irre gemacht, wenn ich’s aber recht überlege, ſo bin ich ſelber ſchuld an Allem. Hätte ich mit ihm eingehend Wirthshäuſer, Getränke, Cigarren abgehandelt, lauter Gegenſtände, in welchen er gebildetes Urtheil bekundete, oder auch die Baumwollenbranche, Spinnerei, Weberei und Vertrieb , in denen er ſchöne Kenntniſſe beſaß, ſo wäre alles gut ab -221VII. Scherze Localpoſſen Quarteronen Fragewuth.gelaufen. Unbeſonnener Weiſe gab ich indeß, nachdem die Cigarren ausgegangen und der Baumwollfaden abgeriſſen, dem Roß der Rede Sporen - und Zügelhilfen, die zu ſeiner Natur und Dreſſur nicht paßten, denn es wurde muthwillig, ausgelaſſen, bockig, gerieth in’s Gehege gewiſſer Localpoſſen, in welchem es ſich wälzte, daß deren Inhalt weit umherflog. Mit einigen kurzen Worten und einem langen Geſicht wurde dieſe Bekanntſchaft glatt abgeſchnitten. Kälte nur bändigt den Schlamm, damit er den Fuß nicht beſchmutze, heißt es in Sakuntala. Ich nahm mir von da an zur Regel, künftig mit Unbekannten anfangs vorſichtig zu ſein, namentlich ſie nicht zu Scherzen zu ermuntern. Mit ſogenannten pikanten Erzählungen einem Fremden auf den Leib zu rücken, iſt noch zudringlicher und taktloſer, als mit politiſchen Extravaganzen. Menſchen von der Art unſrer letzten Begegnung ſind mit Quarteronen zu vergleichen, die in kühlem Zuſtande ſich wie weiße Gentlemen darſtellen, ſobald ſie aber warm werden, durch den garſtigen Neger - geruch die Qualität ihres Bluts verrathen.

Weiter in unſerer Muſterung. Da iſt ein Zwölfter, der gleich nach den erſten Worten zeigt, daß er an der Frage - wuth leidet. WieFranklindieſe Krankheit heilte, oder doch ſich der Mitleidenſchaft entzog, iſt bekannt. Seit hundert Jahren iſt die Welt aber höflicher geworden. Ich ſagte meinem Manne darum nicht, ich heiße A., bin aus B. gebürtig, wohne in C., bin x Jahre alt, meines Zeichens das und das, habe jährlich ſo und ſo viel zu verzehren, meine religiöſe Farbe iſt die, meine politiſche die, und nun laſſen Sie mich in Ruhe; vielmehr gab ich auf jede ſeiner Fragen eine höfliche, ausweichende Antwort, manchmal wendete ich auch die Erwiederung in eine Rückfrage, wie es die Quaker gern thun und hatte bald die Genugthung, ihn in Frieden los zu ſein.

Auf der eigentlichen Reiſe können wir in der Regel eine Bekanntſchaft, die uns nicht gefällt, leichter und gelinder222VII. Moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend.fallen laſſen, als in Badeorten, in denen man ſich ſo häufig wieder begegnet, hier gilt es mithin, noch vorſichtiger in der Annäherung zu ſein, immerhin iſt jedoch, wenn einmal Zufall oder Abſicht eine ſolche eingeleitet hat, der Bruch nicht zu übereilen. Früher hatte ich dieſe üble Gewohnheit und verfuhr oft recht unſanft, den Einflüſterungen der Ungeduld nachgebend, welche Mutter der Rückſichtsloſigkeit und Tante der Grobheit iſt, bin aber durch eine Reihe von Erfahrungen belehrt davon zurückgekommen. Die für mich unliebſamen, nur für Andere luſtigen dieſer Erlebniſſe verſchweige ich, blos zwei kleine moraliſche Erzählungen, wie Tugend belohnt wird, mögen hier ſtehen.

Eine Poſtfahrt aus Sachſennach Carlsbadhatte mich mit einem ſchwarzgalligen alten Herrn zuſammengeführt. Seitdem jeden Morgen vor fünf Uhr traf ich dort mit ihm am Sprudel zuſammen, wo bekanntlich um dieſe Zeit der engere Ausſchuß der europäiſchen Hypochonder tagt. Jeder ſteht, den Rücken nach der Verſammlung gekehrt, bläſt in den Becher und wirft unholde Blicke rückwärts über die Achſel. Ich war der Einzige, dem mein Wagengefährte an - vertrauen konnte, wieviel Stunden er nicht geſchlafen, wie - viel Becher Mühlbrunn er hinterher trinken werde, was ihm geſtern DoctorH.ſonſt noch verordnet hatte und wie ſchlecht wieder die Suppe im Nn’ſchen Hofe geweſen ſei. Schon überlegte ich, wie es wohl anzuſtellen ſei, um los - zukommen, als ſich plötzlich die Scene ändert: am Arme des verdrießlichen Alten erſcheint eines Morgens ein wunderbar ſchönes Mädchen, ſeine Tochter. Nun, dachte ich, es gibt ja garſtige, ſtachelige Cacteen, die prachtvolle Blüten treiben. Der Cactus verlor aber auch ſeine Stacheln, wurde ein um - gänglicher, unterhaltender Mann, wenigſtens war das die Anſicht des fröhlichen, belebten Kreiſes, der ſich ſchon nach drei Tagen um Papa, Tochter und mich gebildet hatte, ſoviel ich weiß, des einzigen derartigen, den damals Carlsbadbeſaß. Sogar mehre der Fünfuhrſtammgäſte des Sprudels hatten223VII. Moraliſche Erzählungen Griesgrame, Sonderlinge, Hypochonder.Kehrt gemacht und blickten nach ihr, ſo oft ſie ſich zeigte, den älteſten Traditionen dieſes Orts zufolge ein unerhörter Fall, und der Brunnen ſchien höher als gewöhnlich zu ſpringen.

In einem andren Badeorte traf ich ein, als er bereits überfüllt, und meine erſte Bekanntſchaft war ein dem eben geſchilderten ähnlicher Griesgram, ein Mann von aus - gebildet hämorrhoidaler Weltanſchauung, mit dem die anderen Gäſte augenſcheinlich nichts zu thun haben mochten, der jedoch, wie es oft mit ſolchen Sonderlingen der Fall iſt, einige ſehr ſchätzbare, ſolide Eigenſchaften beſaß, die erſt nach und nach zum Vorſchein kamen. Abgeſehen davon, daß er Weg und Steg in der Umgegend kannte, erwies er ſich, nachdem ich ein paar Becher ſeiner üblen Laune zwiſchen den Mineral - brunnen hinein mit guter Miene verſchluckt, als ein Mann von feinem Gefühle, reicher Lebenserfahrung und namentlich großer Originalität des Gedankens. Man ſah überall, auch wo man ihm nicht zuſtimmen konnte, daß er ſeine Urtheile ſich ſelbſt bildete und ſie nicht als fertige Waare aus Fabriken bezog. Dieſer Eigenſchaft, auf welcher die Anregungs - fähigkeit beruht, ermangeln die Proletarier des Geiſtes, die nur ihre Quote am Nationalvermögen, aber kein Privat - eigenthum beſitzen. Geiſter der Art hat man mit kleinen Staaten verglichen, deren Geldumlauf aus lauter fremden Münzen beſteht, weil ſie nicht ſelbſt prägen.

Nach den berichteten und anderen ähnlichen Erlebniſſen pflege ich denn neue Bekannte, wenn ſie mir auch anfangs etwas unergiebig vorkommen, nicht ſo ſehr eilig abzuſchütteln. Namentlich mag hier zu Gunſten der Hypochonder , jener in Badeorten und auf Reiſen ſo zahlreich vertretenen Claſſe (nicht alle gehören ſie zu den Schwächlingen, die ſich nur mit ihrem trübſeligen kleinen Ich beſchäftigen) ein Wort eingelegt ſein. Zu Hauſe haben die Bejammernswerthen entweder gar keine oder allzu viele, zu ängſtliche, peinliche Rückſicht erfahren, im Bade werden ſie von den andern An - weſenden theils beſpöttelt und geneckt, theils gemieden, finden224Schiffszwiebacknaturen Fähigkeit anzuregen Gemüthlichkeit.ſie nun einmal einen Fremden, der ſie mit weicher Hand anfaßt, ſie ruhig anhört, mit ihnen plaudert, ſo iſt das eine wahre Wohlthat und ein gutes Stück Cur für ſie. Auch rein egoiſtiſch angeſehen, dürfen wir nicht zu raſch auf Ab - weſenheit aller Eigenſchaften ſchließen, die den geſelligen Verkehr lieb und erſprießlich machen. Mehr als einmal traf ich auf Menſchen, die mir zuerſt hart und trocken wie Schiffs - zwieback erſchienen, allmählich aber erkennen ließen, daß ſie aus edlem Stoff gebildet und nur einer gewiſſen Behandlung bedürfen, um genießbar zu werden, und daß die anfängliche Steifheit und Trockenheit nur ein Product ihrer körperlichen Beſchwerden oder ihrer Lebensſchickſale war. Gerade ſie ſind es vorzugsweiſe, welche dann jene für den Umgang ſo wichtige Eigenſchaft, die Fähigkeit anzuregen, entwickeln. Sie mag zum Theil Sache des Temperaments ſein, mehr aber noch entſpringt ſie wohl einem ſcharfen geiſtigen Gepräge, das ſehr oft denen fehlt, welchen die viel beliebte Gemüth - lichkeit nicht ſelten nur eine Miſchung gemeiner Metalle, verſteckt unter einem galvaniſchen Niederſchlage von Zuthun - lichkeit und Allerweltsfreundlichkeit nachgerühmt wird. Eines hohen Maßes von Bildung ſcheint es zu jener Fähigkeit nicht zu bedürfen, nicht einmal der Heiterkeit, denn ſie wird zuweilen getroffen, wo beides fehlt, und vermißt, wo es vorhanden.

Neue ſehr willkommene Bekanntſchaften gleich anfangs in jener übereifrigen Weiſe zu pflegen, wie es enthuſiaſtiſch an - gelegte Naturen gern thun, iſt zu vermeiden, um erſt gründ - licher zu unterſuchen, ob die vermuthete Wahlverwandtſchaft auch wirklich beſteht. Sind zwei Menſchen, die ſich vorher nicht kannten, erſt einmal mehre Tage lang von früh bis ſpät zuſammen geweſen, in belebtem, traulichem Zwiegeſpräch intim geworden, und es findet ſich ein leiſer Mißklang, oder nur Einer von Beiden fühlt das Bedürfniß zeitweiliger Ver - änderung, ſo iſt in der Regel ein völliger Bruch oder eine dauernde Erkaltung die Folge, während die junge Freund -225VII. Neugefundene Freunde Geſprächsſtoffe.ſchaft, wenn man ihr Zeit zum Wachsthum gelaſſen und ſie nicht künſtlich getrieben hätte, ein kräftiger, tiefgewurzelter Baum geworden wäre. Auch der Genuß der Freundſchaft und des geiſtigen Verkehrs, wie jeder andere, muß in Schranken gehalten werden, wenn er dauern ſoll.

Einen anderen Mißgriff begehen junge Leute, die mit einem Manne, an deſſen guter Meinung ihnen beſonders ge - legen iſt, in Berührung kommen, dadurch, daß ſie ſich nicht zuerſt begnügen, beſcheiden und ſinnig zu antworten, ſondern nach Geſprächsſtoffen in höheren Gebieten, Politik, Kunſt, Literatur haſchen, ſpringen und klettern, während ſie auf ihrem Turnplatze ſchon hätten bemerken können, daß beim Springen und Klettern leicht unſre unvortheilhafteſten Seiten zum Vorſchein kommen. Im täglichen Leben ſowohl wie aus den Biographien bedeutender Männer habe ich denn auch ſtets geſehen, daß dieſe mit einem Menſchen, welchen der Zu - fall in ihre Nähe führte, ſofern ſie ſich überhaupt in ein Ge - ſpräch einließen, zu deſſen Gegenſtand immer Naheliegendes, Gewöhnliches machten und erſt, wenn er hierin kundgab, daß er nicht unter die gewöhnlichen Köpfe zähle, Luſt hatten, näher an ihn heran und mit ihm höher hinauf zu ſchreiten. Nicht der Gegenſtand der Unterhaltung, ſondern deſſen Behandlung iſt es, die ſie anziehend oder fade macht. In der Wahl des - ſelben bewähren manche Frauen einen Takt, von dem die meiſten Männer lernen könnten. Namentlich verſtehen ſie, Gebiete leiſe zu ſtreifen, um zu ermitteln, ob der Andere ge - neigt iſt, darauf einzugehen. Im Allgemeinen gilt die Regel, daß von einem Manne, je höher ſeine bürgerliche und geiſtige Stufe iſt, um ſo weniger erwartet werden darf, daß er Nei - gung habe, auf ſeine Berufsgegenſtände einzugehen, daß wir hingegen am eheſten hoffen dürfen, ſein Intereſſe zu erregen, wenn wir über Dinge ſprechen, die wir in unſrer Stellung beſſer als er kennen müſſen. Dabei kommt es aber darauf an, den Faden des Geſprächs nicht zu emſig und lang zu ſpinnen, ſo daß, ihn fallen zu laſſen oder neue Anknüpfungen15226VII. Rückſichten Uebergangszuſtände nachgeſchickte Zeitungen.zu ſuchen, dem Hörer immer Spielraum bleibt. Der Touriſt iſt oft in der Lage, mit ganz Ungebildeten zu plaudern, wobei er ſich am beſten ſteht, wenn er die Rede auf deren Metier - angelegenheiten bringt. Hier iſt es jedoch gut, zumal Land - leuten gegenüber, wenn er die Form der directen Frage, die ſie leicht mißtrauiſch und einſilbig macht, möglichſt umgeht.

Reiſe - und Badegefährten, die täglich viel zuſammen ſind, dürfen ferner anfangs nicht vergeſſen, daß ihr gegenſeitiges Verhältniß ein Uebergangszuſtand iſt, der nicht mehr, wie das erſte Stadium einer Bekanntſchaft, gewiſſe zarte Rück - ſichten bedingt, andrerſeits aber ſich auch noch nicht zu einer Freundſchaft befeſtigt hat, welcher ſchon etwas geboten werden kann. Jeder Einzelne thut wohl, den letzteren Geſichtspunkt für ſein eigenes Betragen, den erſteren hingegen für die Be - urtheilung etwaiger kleiner Verſtöße von der andren Seite vorherrſchen zu laſſen. Dieſe Ungleichheit von Maaß und Gewicht iſt doch nur eine ſcheinbare, in Wirklichkeit die einzig billige, richtige, mögliche Grundlage des geſelligen Verkehrs, denn Jeder muß von der Ueberzeugung ausgehen, daß er in allen perſönlichen Angelegenheiten von Natur aus parteiiſch urtheilt. Stellt er ſich auf den Standpunkt der ſtrengen Rechtsſphäre und ſucht hiernach die Mein - und Dein-Linie zu reguliren, ſo wird er nicht aus dem Kriegs - oder ſchwer - bewaffneten Friedenszuſtande herauskommen, weil ihn nie das Gefühl verläßt, daß der andere Theil in der Offenſive iſt und zur Abwehr herausfordert. Im Gebiete der Ton - harmonie macht ſich, wie jeder Muſiker weiß, daſſelbe Geſetz geltend: ſind auf einem Claviere die Quinten rein und ſcharf geſtimmt, ſo ſtimmen die Octaven nicht und umgekehrt; für beide Intervalle muß daher ein Compromiß gefunden werden. Ferner iſt auf Neigungen und Gewohnheiten des Andern in Bezug auf viel oder wenig ſprechen, Pauſen, Unterbrechung durch Lektüre u. ſ. w. zu achten. Gute Dienſte als Inter - mezzo und Ableitung leiſten oft ein paar Zeitungs -227VII. Volksleben Lord B.nummern, die man aus der Taſche zieht und mit dem Ge - fährten theilt. Nach der jetzigen Poſteinrichtung kann man unter geringer Extravergütung auch mitten im Quartal ſeine gewohnten Blätter an den neuen Aufenthaltsort nachſchicken laſſen und ich verſäume dies nicht leicht, unter Anderem auch, um bei günſtigem Wetter im Freien zu beliebiger Zeit leſen zu können und von den öffentlichen Localen, die häufig überfüllt, dumpfig, verräuchert, ſchlecht beleuchtet ſind, minder abhängig zu ſein.

In meiner Portraitsſammlung könnte ich noch viel umher - führen, in Galerien verweilt aber der Touriſt nicht gern ſehr lange, weil das wüſten Kopf und müde Beine macht, treten wir deshalb hinaus, nähern uns den Einheimiſchen, miſchen uns unter’s Volk . Wir ſind nicht ſo thöricht, wie Lord B. da oben, der nur von ſeinem Balcon oder Wagen aus das Treiben der Straße, des Hafens, eines Feſtes durch’s Opern - glas betrachtet. Für ihn exiſtiren nur bewegte Gruppen und Maſſen, hier und da trifft ſein Blick auf eine beſonders auf - fällige Geſtalt, von den Einzelnen, aus denen dieſe Gruppen und Maſſen zuſammengeſetzt ſind, von ihrem Thun und Trei - ben, Empfinden und Denken ſieht und fühlt er nichts. Um das Leben des Volks kennen zu lernen, begnügen wir uns nicht mit Anſichten aus der Vogelperſpective, ſo vortreff - lich dieſe ſich auch eignet zur graphiſchen[Darſtellung] von Städten und Landſchaften, Panoramen, halb Bild, halb Plan ſondern ſtellen uns auf gleichen Boden mit ihm, fahren letzte Claſſe Eiſenbahn und Dampfſchiff, benutzen Stell - und Bauerwagen, ſetzen uns zu Landvolk und Hand - werksburſchen, alles den Bücherrathſchlägen gemäß. Da tritt nun aber gleich eine Schwierigkeit hervor. Die drei Haupt - ſprachen ſind uns geläufig, auch italieniſch einigermaßen, vom Volke wird jedoch immer dieſer oder jener Dialekt ge - ſprochen; um aus dem Vollen zu ſchöpfen, müſſen wir ihn erlernen, ſo viel Zeit und Mühe verwendet aber ein Touriſt, der nicht etwa ein Buch ſchreiben will, nicht leicht. Abgeſehen15*228VII. Mittelclaſſen lange, lange Pappeln.davon wären jedoch noch Eigenſchaften nöthig, welche die Wenigſten beſitzen, um den rechten Nutzen aus ſolchen Beob - achtungen zu ziehen; wir ſind darauf beſchränkt, Mienen, Geberden und aufgefangene Worte zu errathen, Aufmerkſam - keit und Fleiß ermüden, und ſchließlich ſagen wir uns, daß unſre Localſtudien auf ebener Erde kaum mehr gefruchtet haben, als Lord B. ’s von oben herab, im Grunde weniger, denn die Augen ſeiner Herrlichkeit haben in Genrebildern ge - ſchmaust, unſren Augen iſt hingegen der Genuß des Landes hauptſächlich in Form von Staub zu Theil geworden. So ſteigen wir denn eine Staffel höher und nehmen Platz an einem der großen Tiſche, um den Mittelclaſſe ſitzt, trinkt und plaudert. Der Dialekt tritt ſchon ſo weit zurück, daß wir der Unterhaltung folgen können, wahrſcheinlich wird ſie in - deß der Art ſein, daß nichts daraus zu ſchöpfen iſt. Einzelne der Theilnehmer würden vielleicht im Zwiegeſpräch, oder wenn einige Fremde unter die Geſellſchaft gemiſcht und nicht lauter Ortsgenoſſen zuſammen wären, ergiebiger ſein, ſo aber trottelt die Converſation die breite, von langen, langen Pappeln eingefaßte Heerſtraße einher: Perſonalien und Localien gleichgiltigſter Art werden abgehandelt.

Einem andern gedruckten Rathe folgend, machen wir dem Geſandten des Heimatlandes die Aufwartung. Seine Excellenz empfängt den Ankömmling, wenn er von Rang, oder ſehr reich, oder berühmter Dichter, Gelehrter, Künſtler iſt, demgemäß, lädt ihn zum Diner, zum Ball, zu einer Spazierfahrt ein und bedauert, durch überhäufte Amts - geſchäfte abgehalten zu ſein, ſich ihm mehr zu widmen. Beim Conſul ſpielt daſſelbe Stück eine Terz tiefer, es ſei denn, daß die Erſcheinung und Unterhaltung des Fremden, notabene ohne Befürchtungen eines Anleiheverſuchs aufkommen zu laſſen, den Mann bezauberten. In dem Falle würden möglicherweiſe an ihm oder durch ihn geſellige Anknüpfungen förderlicher Art gewonnen. Nach dieſer Seite hin dürfen wir aber immer - hin keine großen Erwartungen hegen, ſo wichtig auch die229VII. Geſandte, Conſuln Empfehlungsbriefe gebildete Familien.Befolgung des Rathes in anderer Beziehung ſein mag, zumal in fernen Ländern, wie in der Levante, wo es eins der erſten Geſchäfte ſein muß, ſich dem Vertreter des Heimatlandes vor - zuſtellen.

Wer Gelegenheit hat, ſich Empfehlungsbriefe zu verſchaffen, mag ſie nur auch ja nicht verſäumen, denn wenn dieſe rechter Art ſind und nicht blos auf einige Höflichkeiten und Einladungen auslaufen, ſo können ſie alles vermitteln, was in den vorangegangenen Verſuchen fehlſchlug. Zunächſt führen ſie den Fremden in gebildete Familien ein und geben ihm Gelegenheit, Blicke zu thun in Sitten, Sinnesart und Anſchauungen des Volks. Daß ſolche Familien nicht auch zum Volke gehörten und daß man in ihnen nur verputztes, verſchminktes, verwaſchenes, ſchablonirtes Weſen , lediglich bei Arbeitern die unverfälſchte Menſchennatur ſuchen dürfe, dort Selbſtſucht und Sittenloſigkeit, hier allein Güte und Reinheit fände wie gewiſſe Schriftſteller nicht müde werden, bald von dieſem, bald von jenem Lande unter Donnerwortgepolter zu verſichern davon habe ich mich nicht überzeugen können. Allerdings beſteht in Familien jener Art mehr als in den unterſten Kreiſen die Neigung, gewiſſe nationelle Eigenthümlichkeiten abzuthun, gerade die werth - volleren, außerhalb der Tracht und Mundart liegenden blei - ben aber doch in der Regel unverſehrt. In ſolchem Hauſe findet ſich dann auch vielleicht Einer, an deſſen Hand wir die Züge der Volkscharakteriſtik tiefer hinab verfolgen können, der als Dialektdolmetſcher dient, auf die rechten Fundgruben aufmerkſam macht und aus ſeinen Erfahrungen Beiträge und Erläuterungen gibt. Die große Maſſe der Empfehlungs - briefe bleibt fruchtlos durch Schuld der Perſönlichkeit oder der Verhältniſſe eines der drei Betheiligten, oder ſind gar nur in der Abſicht geſchrieben, dem Ueberbringer eine wohl - feile Artigkeit zu erweiſen, zuweilen ſo ungeſchickt, daß dieſe Abſicht zwiſchen den Zeilen des unverſchloſſenen Briefes auch für den Andern deutlich genug durchſchimmert. Da die Offen -230VII. Geſchloſſene Geſellſchaften Buchhandlungen Verlaſſenheit.heit eines Briefs für die Offenheit der Sprache darin ſchlechte Bürgſchaft leiſtet, ſo wählt für nichtgeſchäftliche Empfehlungen Jeder, der ſie aufrichtig meint und allen Theilen gern Ver - legenheiten erſpart, beſſer den directen Poſtweg und händigt dem Betreffenden blos eine Grußkarte mit Adreſſe ein.

Unter allen Umſtänden thut, wer längere Zeit an frem - dem Orte verweilt, wohl, auf noch andere Mittel und Wege für ſeine Ziele zu denken. So z. B. mag er in einen ge - ſchloſſenen Cirkel, Muſeum, Caſino, Reſſource, Zutritt ſuchen. Kann es ſein Gaſt - oder Hauswirth nicht vermitteln, ſo läßt ſich’s vielleicht auf andere Weiſe bewerkſtelligen, etwa durch Beſuch bei einem Manne der guten Geſellſchaft, dem man ſich als Landsmann, Berufsgenoſſen oder Collegen in irgend einer Liebhaberei, als Sammler (vgl. S. 159) u. ſ. w. vorſtellt. Je entfernter von der Heimat, je werthvoller und zugleich je leichter pflegen Anknüpfungen der Art zu ſein. Um dem bloßen Zufall, gebildete Einheimiſche kennen zu lernen, das Glückspförtchen zu öffnen, werden Orte beſucht, wo ſie verkehren, Theater, Concerte ꝛc. Iſt eine Buchhandlung vor - handen, ſo ſpricht man auch da vor, um unter Büchern, Kar - ten und Photographien vielleicht ein Weſen zu finden, deſſen Anſprache und Ortskenntniß uns zu Gute kommen kann. Der Deutſche verſäumt nicht, ein Bierhaus auszukundſchaften, wo er unfehlbar in den Abendſtunden Landsleute trifft. Be - merkt er durch allen Tabaksqualm hindurch ein Geſicht, das er bereits im Bureau des Geſandten oder Conſuls geſehen, ſo ſetzt er ſich in deſſen Nähe, vielleicht iſt es eine mild - geſtimmte Seele, die ſich des Einſamen annimmt.

Wie viele unter hundert Touriſten mögen aber ſein, die auf einem dieſer Wege zu ihrem Ziele gelangen, und wie viele dergeſtalt verwertheter Stunden kommen im günſtigſten Falle auf hundert Reiſetage? Das iſt es alſo wohl ſchwerlich, worauf die Maſſe der Touriſten in erſter Linie angewieſen und was geeignet iſt, das Gefühl der Verlaſſenheit und des zweckloſen Umhertreibens abzuwehren, ihre Zeit und ihren231VII. Allein reiſen? Warnung vor den beſten Freunden.Geiſt ausfüllen zu helfen. Die Anſäſſigen haben auch in der Regel ihre feſte Tagesordnung, in welcher der Fremde nicht leicht Raum für ſeine Perſon und ſeine Intereſſen findet.

Hier fiel mein Profeſſor der Touriſtik wieder in eine ſei - ner beliebten Pauſen und ſah uns Schüler fragend an, wie es ſchien, um uns Zeit zu laſſen, etwas Unweiſes zu ſagen, das ſeiner Lehre zur Folie dienen konnte. Ich warf deshalb hin: um das Gefühl der Einſamkeit und Verlaſſenheit fern zu halten, müſſe man nicht allein reiſen, ſondern einen Freund zum Begleiter ſuchen, oder die Frau mitnehmen, kurz, ein Stück Heimat unterwegs in ſeiner Nähe haben. Mentor machte das erwartete, ſchon oft geſehene Geſicht, welches deut - lich ſagte: ich ſchäme mich dieſes Zöglings, ſchwieg aber. Ich fuhr fort. Aber ich bitte Sie, theurer Meiſter, warum ſoll ich denn nicht, wenn ſich’s thun läßt, mit meinem beſten Freunde reiſen? Gibt es etwas Schöneres, als Empfin - dungen, die für eine Bruſt zu groß, zu gewaltig ſind, zur Hälfte in eine gleichgeſtimmte gießen zu können? O, ich er - innere mich nur zu wohl, wie ſchmerzlich ich es in Valle dei mulini bei Amalfiempfand, inmitten alles Entzückens über die bezauberndſte aller irdiſchen Landſchaften, daß ich nicht anſtatt des FührersMiloniund eines aus Dänemarkgebür - tigen Eiszapfens, den ich mir Tags zuvor unvorſichtigerweiſe hatte anfrieren laſſen, meinenHermannneben mir haben konnte! Auch als ich im Vaticanvor Raphael’sTrans - figuration ſtand und bei ſo mancher anderen Gelegenheit hätte ich alles darum gegeben, wenn er an meiner Seite geweſen wäre, mit mir hätte ſchwelgen können.

Wie ſo oft unſer Schutzengel beſſer für uns ſorgt, als wir ſelber, wenn es nach unſrem Kopfe geht, ſo wird er es auch vermuthlich bei Amalfiund in Rommit Ihnen und mit IhremHermannbeſſer als Sie ſelbſt gemacht haben. Mit beſten Freunden am allerwenigſten ſollen größere Reiſen unternommen werden. Die Freundſchaft iſt ein zu koſtbares Gut, als daß ....

232VII. Schwerſte Geduldsprüfungen kleine Ueberraſchungen.

Ah, Sie meinen, fiel ich in’s Wort, daß auch ſie ein Artikel iſt, der den Transport nicht vertragen kann? Unſre Freundſchaft,Hermann’sund meine, hat ſchon die ſchwerſten Prüfungen überdauert.

Die ſchwerſten Prüfungen der Freundſchaft, verſetzte der alte Herr, ſind nicht die großen, tiefgreifenden, für die wir alle unſre Kräfte zuſammenzunehmen pflegen, auch nicht die gewohnten des täglichen Lebens, für welche unſre Geduld be - reits eingeübt iſt, ſondern jene kleinen Ueberraſchungen, die uns unvorbereitet finden. Noch aus der Schulzeit her erinnere ich mich und Sie wahrſcheinlich auch, daß die feier - lichen Oſterexamina immer glänzend ausfielen, auch bei den regelmäßigen Exercitien Alles noch leidlich ging, nur wenn einmal ein neuer Lehrer des erkrankten Collegen Stelle ver - trat und uns auf den Zahn fühlte, da war die Noth groß. Auf einer längeren Reiſe kann ſo Manches vorkommen, auf das wir nicht gefaßt ſind, vielerlei wirkt zuſammen, das un - unterbrochene Beieinanderſein, Mangel der gewohnten Thätig - keit, Entbehrungen, Ermüdung. So trifft es ſich, daß beide Freunde einmal gleichzeitig in üble Laune gerathen, Einer den Anderen herrſchſüchtig, rückſichtslos, rechthaberiſch findet, wenn er’s auch nicht ausſpricht, oder eine ſonſtige Falte in ſeinem Herzen oder einen Defect in ſeinem Hirn entdeckt und die Freundſchaft eine Wunde empfängt, die vielleicht bald wieder zuheilt, aber dann doch bei Wetterveränderungen ſich fühlbar macht. Je höher wir eine Freundſchaft anſchlagen, je mehr iſt Urſache, ſie in keine ſolche Verſuchung zu führen. Wie manche ſcheiterte ſchon daran, daß ein Herzenswunſch beider Theile endlich in Erfüllung ging, daß dieſelben z. B. ein Haus beziehen konnten, oder Geſchäftsgenoſſen wurden, oder ihre Familien ſich verſchwägerten. Kurz, wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, ſo ſchreiben Sie Ihren Freun - den recht fleißig, ſchicken, bringen ihnen meinetwegen von jeder ſchönen Stelle, wo Sie ihrer gedenken, ein Erinnerungs - zeichen mit, bedauern in jedem Briefe, daß ſie den Genuß233VII. Frauen Négligé Ehemänner.nicht theilen und dieſer darum für Sie ſelbſt nur ein halber ſei, machen Sie allenfalls, wenn Gelegenheit iſt, mit dem einen oder anderen Freunde eine kürzere, vorher beſtimmt verab - redete Tour, hüten Sie ſich aber, einen zum Gefährten für eine größere Reiſe zu erkieſen. Nur beſondere Fälle nehme ich aus, z. B. wenn der Freund ſich auch in dieſer Eigenſchaft ſchon bewährt hätte, daß Ihre Freundſchaft vielleicht gerade auf der Reiſe zur Welt gekommen wäre.

Da müßten Sie ja aber, wandte ich ein, folgerichtiger Weiſe noch mehr warnen, die eigene Frau mit auf die Reiſe zu nehmen, denn deren Freundſchaft iſt jedem Manne doch die wichtigſte von allen.

Und dennoch iſt hier die Gefahr geringer, erwiederte er. Eine Reiſe, die jedes Paar macht, das irgend kann, die Hochzeitsreiſe, würde längſt abgeſchafft ſein, wenn ſie dem Eheglück ſich nachtheilig erwieſe. Aber auch von dieſer be - ſondern Art abgeſehen: das eheliche Band, welches über - haupt dieſen Namen verdient, iſt aus feſterem Stoffe, als das der Freundſchaft. Einer der Gatten, hoffentlich die Frau, hat bereits Uebung im Sichfügen, beide ſind gewohnt, viel zuſammen zu ſein, ſich auch in geiſtigem Négligé zu ſehen. Gemeiniglich verlangt es aber die Damen gar nicht ſo ſehr nach Reiſen, und in der That iſt ihnen in dieſem Stücke kein Mangel an Logik vorzuwerfen. Begleiten wir, ſagen ſie, unſre Männer, ſo verurſacht das dreifache Koſten, Un - bequemlichkeit, Mühſal, manche Unternehmung muß unſret - halben wegfallen, Alles geht langſamer, ſchwerfälliger, abge - kürzter, auszüglicher vor ſich. Die Beſtimmung des Weibes iſt das Haus, nicht die Welt. Die Eine oder Andere denkt vielleicht auch: ſchadet meinem lieben Manne gar nicht, wenn er einmal wieder an die Vorzüge des heimiſchen Herdes und des Familienlebens erinnert wird, und daß es auch andren Leuten als ſeiner kleinen Frau paſſiren kann, daß ein Hemd - knöpfchen fehlt oder die Milch anbrennt. Mir iſt ein Fall234VII. Verſchiedene Reiſegefährten.bekannt geworden und es wird wohl nicht der einzige der Art ſein daß ein Mann nur reiste, um ſeiner Gattin die Schweizund Italienzu zeigen und die Frau lediglich dem Manne zu Gefallen mitging: beiden gelang es, ſich gegen - ſeitig zu verbergen, welche Ueberwindung ihnen der Entſchluß und die Ausführung gekoſtet. Die überwiegende Mehrzahl der Touriſten iſt denn auch männlichen Geſchlechts, jüngere und ältere Unverheirathete oder Witwer, die einzelnen Ehe - männer darunter ſind entweder der Art, wie wir ſie unſren Töchtern, oder ſie haben Frauen, wie wir ſie unſren Söhnen nicht wünſchen. Gehören ſie zu ihrem Glücke keiner dieſer beiden Claſſen an, ſo bringen ſie auch kein rechtes Herz für die Reiſe mit, ſind mithin keine echten Touriſten. Ein unglücklicher Ehemann geſtand mir, er fühle ſich überall aus - wärts daheim, nur nicht zu Hauſe. Immerhin eignen ſich aber als dauernde Reiſebegleiter Frauen, Söhne, Töchter, Schüler, Pflegebefohlene angenehme Begleiter auf Fuß - wanderungen ſind oft nicht zu junge Knaben, deren Natur - freude und Jugendluſt uns Aeltere erwärmen und erfriſchen hilft beſſer, als Freunde und Gleichgeſtellte (in grader oder ungrader Zahl), welche ihren Willen, ihre beſonderen Intereſſen und Gewohnheiten nicht zurücklaſſen, der Be - rathungen, der Abſtimmungen, des Opferbringens iſt ſonſt kein Ende.

Mit Begleitung mögen ſonach die weitere Reiſen an - treten, deren ſpecielle Zwecke eine ſolche bedingen, ferner große Herren, die nicht ohne Gefolge reiſen können, Neuvermählte*)Ein Fall wird zwar erzählt, in welchem eine Hochzeitsreiſe von einem Theile allein unternommen wurde. Es war ein Candidat, der eben ſein Amt antreten ſollte und es mit ſeiner jungen Frau ſo verabredet hatte, um dem Brauche zu folgen aber Koſten zu ſparen: ſie blieb zu Hauſe und er reiste, beide nannten das aber unſre Hochzeitsreiſe . Das Beiſpiel iſt meines Wiſſens ohne Nachahmung geblieben., Alte, Gebrechliche, körperlich oder geiſtig Unbehilfliche, die neben dem Wanderſtab noch menſchlicher Stützen bedürfen,235VII. Allein abreiſen Hauptzwecke.ſodann Leute, denen es an Willen oder an Fähigkeit fehlt, unterwegs Bekanntſchaften zu machen, endlich Menſchen, die nur höchſt ungern allein ſind (weil ſie verſäumten, dieſe wichtige Kunſt zu erlernen) und jede andere Geſellſchaft ihrer eigenen vorziehen. Der Touriſt wie er ſein ſoll reist allein ab und ſucht ſich unterwegs geeignete Gefährten. Dieſen Satz motivire ich aber nicht blos aus den angeführten Gründen, behaupte vielmehr, nur wenn es geſchieht, können wir den Hauptzwecken der Reiſe ungeſtört nachgehen und fühlen uns zur Verfolgung derſelben um ſo mehr geſpornt. Solchen Sporns bedürfen wir Alle.

[236]

VIII.

Neue Geſtändniſſe, die von Rechts wegen in die Vorrede gehörten praktiſche Dinge Geſichtspunkte Beiläufigkeiten Ulyſſes wird ruhmredig und hinter - haltig Diener Erſparniſſe gelehrter Kram touriſtiſcher Stammbaum Blick in alte Zeiten die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile Triebfedern Eitelkeits - und Phantaſietouriſten Poeſie der Reiſe Reiſefieber neue Art zu reiſen Eiſenbahnweſen und ſeine Flegel - jahre Hoffnungen Techniker Ruß - und Bußfahrten feurige Kohlen Staubbrillen Bahnhofsreſtaurants Fürſprecher Widerwärtigkeiten und Strapazen Comfort Rechtfertigung allgemeine Betrachtungen geiſtige Rund - und Fernſicht Zwecke Summe der Reiſeerfahrungen der große Touriſtenſtrom Reiſemüde Grade der Empfänglichkeit Farbenſcheibe Nutzanwendung Monotonie des ſteten Wechſels beſtimmte Richtung Reiſemechanismus paſſives Empfangen von Eindrücken Specialität keine Zeit haben Märtyrer der Berufspflicht Mußeſtunden Jugend und Alter Einſeitigkeit ewiges Einerlei geiſtige Alpenregion Sammler und Sammlungen Excerpte Lichtſtrahlen ein Sonderling Berufswahl Wechſel der Stimmungen das beſte Geſchäft die Reiſe eine Wohlthäterin ein anderer Kauz allein und abgetrennt Zucht von Steckenpferden Zerſtreuungsjäger pariſer Ennui große Modebäder worauf es ankommt ein gutes Reiſegewiſſen u. ſeine Forderungen was wir alles beobachten ſollen Vielſeitigkeit Bienen und Fliegen Wahl treffen ſpitze Bleiſtifte weitere Mittel gegen Reiſemüdigkeit Hauptaufgaben Sehenswürdigkeiten Menſchen und Selbſtkenntniß Probierſteine und Schleifſteine Geſelligkeits - trieb Einſiedler Ausſchließlichkeit Befürchtungen die Reiſe ein Maskenball öffentliche und Privatbälle Zwiegeſpräche große Geſellſchaften Hintergedanken betrübende Wahrnehmung unſre Geſchäftsfreunde ein Landpaſtor Stadt - und Landleute plötzlicher Geldgewinn Wohnungs - miethe Preisſteigerungen Luxusgäſte Trinkgelder, Geſchenke, Almoſen Culturfortſchritte Selbſtvertheidigung durch Cultur zur Natur zurück unſre Aufgaben Politik Heimgekehrte leichtſinniges Briefſchuldenmachen Imponirenwollen Abenteuer Reiſeberichte Zweifel Abſchiedswort und Reiſeſegen.

Keinem Leſer dieſes Büchleins wird es entgangen ſein, daß daſſelbe viel von der Technik der Reiſe, weniger von237VIII. Neue Geſtändniſſe, die von Rechts wegen in die Vorrede gehörten.ihrer Wiſſenſchaft, noch minder von ihrer Kunſt und am ſeltenſten von ihrer Moral gehandelt hat. Alles das geſchah nach dem Vorbild unſres Lehrers. Auf ſeine Anſichten in der Beziehung wurde ſchon früher gedeutet, ſeine weiteren Gründe dafür mögen aus folgendem Geſpräche hervorgehen, welches am letzten Tage unſres Zuſammenſeins gepflogen ward. Es knüpfte ſich an ſeine Aeußerung über die Haupt - zwecke der Reiſe und meine Frage, welches denn nun dieſe ſeien.

Geduld, Geduld, ſo weit ſind wir noch nicht, war die Antwort.

Ah, ich merke, Sie ſparen das bis zuletzt auf, es ſoll eine Ueberraſchung werden, ſo ein melodramatiſches Schluß tableau mit bengaliſcher Beleuchtung.

O nein, erwiederte der alte Herr, nicht überraſchen möchte ich, auf keinen Lichteffect, ſondern nur auf ein wenig Wärmeentwickelung iſt das ganze Experiment abgeſehen. Hätte ich nicht von Anfang an etwas der Art im Schilde geführt, ſo würde ich, trotz allen väterlichen Gefühlen für Sie, mein hoffnungsvoller Jünger, mir ſchwerlich ſo viel Mühe mit Ihrer touriſtiſchen Erziehung gegeben haben. Gleich damals in Meiringen, als wir unſer Buch verab - redeten und ich das Nähere überlegte, fragte ich mich, wie es wohl kommen möge, daß noch nichts Aehnliches verſucht worden iſt, weder bei uns, noch bei Euch Deutſchen, die Ihr doch Bücher ſchreibt über alles Mögliche. Ganz kurze Leit - faden ſind zwar vorhanden, welche Regeln für Fußwanderer und Bergſteiger geben, ein paar verlorene Winke für Reiſende überhaupt ſind auch beigefügt, Alles aber augenſcheinlich, zum Theil eingeſtändlich, nur für unerfahrene, anſpruchsloſe Jünglinge beſtimmt, die zum erſten Mal das Vaterhaus ver - laſſen, Niemand noch hat es verſucht, auch die Touriſten - gattungen in’s Auge zu faſſen, welche heutzutage in Hôtels, Eiſenbahnwagen erſter und zweiter Claſſe und Curorten ſo zahlreich und glänzend vertreten ſind, ebenſowenig ſind die238VIII. Praktiſche Dinge Geſichtspunkte Beiläufigkeiten.touriſtiſchen Bedürfniſſe der Curgäſte einer eingehenden Be - handlung gewürdigt worden. Was mag die Urſache ſein? Ich fand keine andere Erklärung als die: nur Vielgereiſte haben die hierzu nöthige Erfahrung geſammelt, dieſe geben ſich aber entweder nicht mit Bücherſchreiben ab, oder verfolgen nur wiſſenſchaftliche, künſtleriſche, äſthetiſche, belletriſtiſche Zwecke und verſchmähen es, über praktiſche Dinge zu ſchreiben, haben auch in der Regel weder Geduld noch Auge dafür, vielmehr als Gelehrte, Künſtler, Dichter das Recht, unpraktiſch zu ſein. Wie ſind nun wohl, fragte ich mich weiter, alle jene anſpruchsvollen, verwöhnten, ungeduldigen Herren und Damen zu gewinnen? Alle? Unmöglich! Da fiel mir zur rechten Zeit Euer Dichterwort ein:

Kannſt du nicht Allen gefallen durch deine That und dein Kunſtwerk,
Mach es Wenigen recht. Vielen gefallen iſt ſchlimm.

und wies den Weg, wenn es ſich hier auch nicht um ein Kunſtwerk, nur um ein kleines Buch handelt. Wer Vieles bringt, wird Vielen Etwas bringen und unter den Vielen werden hoffentlich Einige ſein, denen das, was wir ihnen bringen, nützt, vielleicht auch Unterhaltung gewährt. Suchen wir denn alſo vor den Augen einiger Weniger Gnade zu finden. Bei Vornehmen, bis hinauf zu Miniſtern und Fürſten, iſt am leichteſten etwas zu erreichen, wenn alle Can - didaten - und Magiſtermanieren vermieden werden, die An - gelegenheit nicht mit Wichtigkeit und Ernſt behandelt wird, ſondern nur beiläufig einfließt, z. B. in ein Geſpräch über Küche und Keller, oder auf der Promenade, am ſicherſten, wenn ein Kammerdiener beim An - und Auskleiden es vor - trägt. Wiſſen Sie was? Laſſen wir unſren Ulyſſes ſeine Laufbahn wie Rouſſeauals Diener antreten, nebenbei mag er ſich als Küchengehilfe und in ſonſtigen Geſchäften nützlich machen, vielleicht ſteigt er dann zu höheren Poſten auf, wird Haushofmeiſter, Vertrauter, Factotum. Zunächſt ſpiele er die Rolle eines jener jocoſen Diener, die in der239VIII. Ulyſſes wird ruhmredig und hinterhaltig Diener Erſparniſſe.Wirklichkeit ſehr ſelten, deſto öfter in Komödien und Romanen vorkommen. Ein ſolcher Chriſtian oder Hans hat allemal einen Theil ſeiner Herrſchaft, den Herrn oder die Dame, ſchon in deren Kindheit bedient und verziehen geholfen, darum darf er ſich manches erlauben, was Andern übel genommen würde, ſelbſt die unbeliebteſten Dinge, Predigten, verzeiht man ihm, denn man weiß, daß er nie ſeine untergeordnete Stellung vergißt, daß er bei aller Pedanterie, allen curioſen Einfällen doch eine ehrliche Haut iſt und für ſeine Herr - ſchaft durch Feuer und Waſſer ginge. Gibt’s etwas zu ſchuſtern, zu ſchneidern, zu flicken, zu waſchen, zu tragen, zu fragen, zu laufen, zu kaufen, zu packen, zu placken, ſo muß Ulyſſes bei der Hand ſein, immer flink, unverdroſſen, auf - geräumt, anſtellig, geräuſchlos, redlich, treu, ſparſam, reinlich. Hat ſeine Herrſchaft etwas vergeſſen, ſo läßt er ſich dafür ſchelten und macht das Verſäumte wieder gut, hat ſie Lange - weile, ſorgt er für Unterhaltung, iſt ſie übler Laune, ſo nennt er das Nervoſität und verdoppelt ſeine Sorgfalt, läſtige Be - ſuche weiß er abzuhalten, auf beachtenswerthe Menſchen und Dinge aufmerkſam zu machen, eine eigene Meinung wagt er nur ſelten zu haben, und, iſt es nicht zu vermeiden, ſo ſucht er, weit entfernt ſich damit zu brüſten oder aufzudrängen, es einzurichten, daß es ausſieht, als handelte er auf Befehl der Herrſchaft ſelbſt oder des Arztes.

Werden denn aber, warf ich ein, die hohen Herren und Damen unſerm Ulyſſes nicht übel nehmen, wenn er z. B. auf Erſparniſſe bedacht iſt?

Im Gegentheil, um ſo mehr ſchätzen werden ſie das an ihm, als es ſich für ſie nicht ſchickt. Laſſen wir ihn nur tüchtig feilſchen mit Kutſchern und mit Gaſtwirthen hadern, Kellner ſchelten, Hausknechten in die Rippen ſtoßen, alles das iſt ſeines Amts. Auch daß er Badeärzten und Cur - vorſtänden kleine Anzüglichkeiten ſagt, wird höheren Orts nur wohlgefällig vermerkt werden. Seiner Rolle getreu, hat ſich Ulyſſes auch zu hüten, mit hiſtoriſchen Rückblicken,240VIII. Gelehrter Kram touriſtiſcher Stammbaum.etymologiſchen Erklärungen des Wortes Touriſt und der - gleichen gelehrtem Krame beſchwerlich zu fallen. Ueber alles das gibt jedes Converſationslexicon Auskunft. Zwar könnte er, um Theilnahme zu erregen, die Sache genealogiſch behandeln und nachweiſen, daß die geiſtigen Ahnherren des modernen Touriſten die Columbus, Vasco de Gama, Diazund Magellanſind was dieſe Großen für die Welt ent - deckten, entdecken wir Epigonen für uns, unſre Zuhörer, die Leſer unſrer Briefe, Tagebücher, Reiſeſchilderungen den Stammbaum alsdann rückwärts führend zu den vornehmen, Luſt - und Erholungsreiſen in die Gebirge, in die Schwefel - und Seebäder machenden Römern, zu den griechiſchen Reiſe - beſchreibern Arrian, Strabo, Herodot, bis zu dem erlauchten Stammvater aus Ithaka. Kenner des Alterthums verſichern aber, daß daſſelbe wenig Freude am Reiſen hatte, und erklären das nicht blos aus dem Mangel an Straßen, der Beſchwer - lichkeit, Koſtbarkeit, Unſicherheit größerer Fahrten, ſondern meinen auch, daß es den alten Griechen und Römern an Auge und Herz für landſchaftlichen Reiz gebrach. Hier und da reiſte man zu wiſſenſchaftlichen oder anderen Zwecken, ſchwerlich aber aus bloßer Luſt am Reiſen ſelbſt. Horazeifert gegen das Fortziehen aus Rom, leugnet, daß die äußere Umgebung weſentlichen Einfluß auf die Stimmung des Menſchen üben könne, und ſpottet über blaſirte Reiſe - wuth (vgl. S. 127). Auch im Mittelalter ſcheint es nicht viel anders geweſen zu ſein. Venetianer und Genueſer kannten nur Handelsreiſen. Blos eine aber glänzende Aus - nahme macht der Venetianer Marco Polo( 1323); ſeine Reiſebeſchreibung iſt aus der nachclaſſiſchen Zeit die vorzüglichſte ältere. Die großen Entdeckungsfahrten der Columbuszeit gaben dem Handelsſinn, nebenbei der Aben - teuerluſt reiche Nahrung, auch wiſſen wir, daß im Reforma - tionszeitalter mit der erwachten Theilnahme am claſſiſchen Alterthum und an der bildenden Kunſt in den höheren Sphären der Bewegungstrieb der Geiſter ſich auch einzelnen241VIII. Die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile.Körpern mittheilte, die Reiſen waren aber doch nur dem Erwerb, oder beſtimmten Studien gewidmet, oder ſie wurden von jungen Edelleuten und Patricierſöhnen unternommen, um ſich für den Staatsdienſt und die Geſellſchaft vorzu - bereiten, von eigentlichen Vergnügungsreiſen wußte man nichts. In den übrigen Volksſchichten reiſte man ſo viel als gar nicht. Luthererzählt von einem Studenten, welcher, als er ſeinen Kirchthurm aus dem Geſichte verloren, Heimweh bekam und umkehrte. Die Ortsveränderung, ohne geſchäft - lichen oder kirchlichen Grund, war damals ſchon an und für ſich etwas Verdächtiges. Wer kein Heimweſen hatte, keinen ehrlichen Erwerb finden konnte, oder ihn nicht ſuchen mochte, ging unter die fahrenden Leute , vor denen, wenn ſie nahten, die Wäſche vom Zaun genommen und die Hunde losgelaſſen wurden. Schon ein aus der Ferne zurückkommen - der Verwandter oder Freund wurde zwar mit Neugierde aber Mißtrauen betrachtet. Unter dieſen Umſtänden laſſen wir lieber die Abſtammungsfrage auf ſich beruhen und hören ſtatt deſſen einige Stimmen, freundliche und feindliche, über die Reiſe und ihre Wirkungen.

Eine alte, gegründete Wahrnehmung iſt es, daß ſelten jemand auf der Reiſe oder im Bräutigamsſtande ſtirbt, ſagt Feuchtersleben, und wenn auch ihm für die Richtigkeit dieſer Angabe die Verantwortlichkeit bleiben muß, ſo ließe ſich doch eine lange Reihe von Autoritäten anführen, die den wichtigen und vielfältigen Einfluß der Reiſe auf die Geſundheit be - tonen. Zu dem hierüber von uns ſeines Orts ſchon Ab - gehandelten mag hier nur noch regiſtrirt werden, daß die Aerzte die durch Umherſpähen im Freien verſchaffte Uebung im Fernſehen, deren Mangel uns Großſtädter ſo kurz - und ſchwachſichtig macht, hervorheben. Obenan unter den Ruhmestiteln der Reiſe ſteht immer die Wirkung, welche ſie, richtig benutzt, auf Geiſt und Charakter hat, indem ſie jenen in der Erwerbung neuer und Verwerthung bereits geſammelter Kenntniſſe, ebenſo die Urtheilskraft übt, endlich16242VIII. Triebfedern.Selbſtändigkeit des Charakters, Feſtigkeit und Unerſchrocken - heit ausbildet.

Hinſichtlich der Erſprießlichkeit großer Reiſen ſind die Anſichten getheilt. Ein franzöſiſcher Schriftſteller meint, nur Madeirawein gewinne dadurch, ein anderer ſieht in jeder Reiſe, die nicht in Geſchäften unternommen wird, weniger eine Sehnſucht nach der Ferne und dem was ſie verſpricht, als vielmehr einen Zug der Seele von den Perſonen und Dingen hinweg, die man verläßt. Beide Ausſprüche ſind[charakteriſtiſch] für die Franzoſen, die ungern reiſen. Haben doch von jeher zu ihren ſchwachen Seiten Geographie und fremde Sprachen gehört. Der Franzoſe liebt nur eine Reiſe: die in ſeine Hauptſtadt, wenn er den Schmerz und die Be - ſchämung hat, nicht in derſelben zu wohnen. Auch Frau v. Staëlnennt das Reiſen eines der traurigſten Vergnügen des Lebens. Nur ein franzöſiſcher Autor, wenn ich nicht irre Cuſtine, rühmt von der Reiſe, daß ſie ein Mittel biete, das Gefängniß, welches unſre Erde doch einmal ſei, einiger - maßen zu erweitern. Börneempfiehlt, um ſo weiter und öfter zu reiſen, je älter und nüchterner wir werden, dann ſagt er, man gewinne dadurch die Fertigkeit, ſich überall zu Hauſe zu fühlen. Jean Paulbemerkt, es nehme dem Men - ſchen das Hölzerne wie das Verſetzen den Kohlrüben das Holzige. Platoräth, nicht vor dem ſechzigſten Jahre zu reiſen, um es mit Nutzen zu thun.

Unter den Triebfedern zur Reiſe iſt bisher einer noch nicht gedacht worden, die, wer Touriſtenherzen und Nieren prüfen könnte, häufig genug finden würde, und welche Urſache ſein mag, daß Mancher von ſeinem erſten größeren Ausfluge reiſeſatt zurückkehrt und nie einen zweiten wagt: er wählte Weg und Ziel nicht ſeinen Intereſſen gemäß, nicht weil er ſich von ihnen Belehrung, Anregung, Genuß verſprach, ſondern lediglich, weil er etwas Apartes haben, weil er Gebiete ſehen wollte, die noch Keiner aus ſeinem heimiſchen Kreiſe ſah. Laſſen wir ihn ſeine Straße ziehen, laſſen wir243VIII. Eitelkeits - und Phantaſietouriſten Poeſie der Reiſe.ihn, wenn er ſchließlich Gewinn und Verluſt berechnet, ſtarkes Deficit finden, denn alle Ermahnungen der Reiſeſchule ver - mögen nichts gegen die liebe Eitelkeit, die ſchlaue Gauklerin, die ihre Proſpecte eben ſo trügeriſch zu faſſen verſteht, wie gewiſſe induſtrielle Speculanten. Auch mit jenen Phantaſie - touriſten haben wir nichts zu ſchaffen, welche in einem ver - ſteckten Neſtchen, etwa im Odenwaldoder Fichtelgebirge, einen Sommer zubringen, dort ſich dem Studium einiger Reiſewerke widmen, dann zurückkehren und von den Welt - fahrten erzählen, die ihre Einbildungskraft gemacht hat. In einer mitteldeutſchen Reſidenz war ich einſt Zeuge, wie ein derartiges Lügengewebe, das über eine ganze Geſellſchaft geworfen war und lange feſtgehalten hatte, plötzlich ſich um - kehrte, über den Erzähler fiel und ihn in einer ſo lächerlichen Poſitur zeigte, daß er bald darauf gerathen fand, den Schau - platz ſeiner Niederlage ganz und gar zu verlaſſen. Wir fahren fort, Freud und Leid der Reiſe, ihre Freunde und Feinde zu betrachten.

Eine der Anklagen, die heutzutage am häufigſten erhoben und ohne Prüfung nachgeſprochen werden, iſt die: mit den Eiſenbahnen ſei alle Poeſie der Reiſe verſchwunden. Die Poeſie liegt doch aber gewiß weniger in den Dingen, als in der Betrachtungsweiſe, die wir ihnen widmen, und eine Großthat des Menſchengeiſtes, die eine dämoniſche Naturkraft unterjochte, über Zeit und Raum, die alten Gewalthaber der Welt, einen glänzenden Sieg davontrug, mithin der Phantaſie reiche Nahrung bietet, kann doch wohl nichts Un - poetiſches ſein. Im ſpäteren Lebensalter ſchauen wir aber mit einer ſehnſüchtigen Wehmuth auf die Vergangenheit zurück, ſie erſcheint uns in verklärtem Lichte, wieviel Antheil an dieſem jedoch unſren jugendlichen Anſchauungen und wieviel den Gegenſtänden ſelbſt zukommt, das zu ergründen wird nicht leicht gelingen. Traulicher, idylliſcher und in gewiſſem Sinne behaglicher war allerdings die alte Art der Reiſe, die Klänge des Poſthorns thaten dem Ohre wohler, als die16*244VIII. Reiſefieber neue Art zu reiſen.gellenden Pfiffe der Locomotiven, auch das Schnurren der Räder, das Trappen der Pferde und ſanfte Klappern des Wagens hörte ſich beſſer an, als das jetzige betäubende Ge - raſſel der Waggonfenſter und das ewige Tftftftftftf der Ma - ſchine, welches als basso ostinato jedes Geſpräch verfolgt und bald müdehetzt. Die langſame Bewegung und das lange Beiſammenſein waren auch geeigneter, Meinungsaustauſch und nähere Bekanntſchaften zu vermitteln, während man jetzt in den Coupés kaum Notiz von einander nimmt: jede Station kann Nachbarn auseinanderreißen und neue zu - ſammenführen. Auch iſt nicht zu verkennen, daß das ſoge - nannte Reiſefieber jene Unruhe, die unterwegs Manche befällt, ſie fort und fort nach der Uhr zu ſehen treibt, ihnen Nachts den Schlaf, am Tage klares, geſammeltes Denken ſtört ſeitdem es Eiſenbahnen gibt, einen hitzigeren, conta - giöſeren Charakter angenommen hat. Alles das räume ich willig ein, behaupte aber, die Poeſie der Reiſe hat nichts verloren und ihre Ergiebigkeit weſentlich gewonnen. Niemanden iſt es verwehrt, den Schienenweg nur als Mittel zu betrachten, um ſich raſch dahin ſchleudern zu laſſen, wo die eigentliche Reiſe erſt beginnen ſoll; dieſe ſelbſt können wir unzweifelhaft mit weniger Aufwand an Zeit, Mühe und Geld ihren Zwecken und unſren geiſtigen, poetiſchen, gemüth - lichen Anſprüchen gemäß geſtalten. Sie iſt ferner nicht mehr Vorrecht der Reichen. Wir können öfter und brauchen nicht mehr ſo lange zu reiſen, können ohne große Opfer, ſobald ſich Sättigung einſtellt, zurückkehren und die Fortſetzung verſchieben, bis die empfangenen Eindrücke innerlich verar - beitet und wir für neue wieder friſch geworden ſind, können Verſäumtes leicht nachholen, und unſre Geduld hat minder harte Prüfungen zu beſtehen. Während ein junger Mann ehemals, gleich nachdem er ſeine wiſſenſchaftlichen Studien oder die kaufmänniſche Vorbereitungszeit zurückgelegt, auf halbe und ganze Jahre in die Welt ging, dann heimkehrte, ein Amt übernahm oder ein Geſchäft eröffnete, heirathete und245VIII. Eiſenbahnweſen ſeine Flegeljahre Hoffnungen.Kindern und Enkeln von ſeiner großen Reiſe erzählte, nie aber an eine zweite dachte, iſt jetzt oft Entſchluß, Vorbereitung und Aufbruch die Sache eines oder weniger Tage. Viele Großſtädter betrachten eine jährliche Reiſe als eine Lebens - bedingung, Einige erheitern ſich Winterabende durch Aus - arbeitung und Ausmalung ihres nächſten Sommerfahrplans, die meiſten überlegen und berathen nicht lange, welche Länder zu beſuchen, welche Punkte zu berühren ſeien.

Hat nur erſt einmal unſer Eiſenbahnweſen ſeine Flegeljahre hinter ſich ihren grellſten Ausdruck finden dieſe in der Behandlung des Gepäcks von Seite der Bahndiener (vgl. S. 17) ſo wird auch gewiß noch manches bisher Läſtige und Mißliche abgeſtellt werden, wie ſchon in neueſter Zeit ein Anfang gemacht iſt. Man wird neue Mittel und Wege finden, für die Sicherheit der lebendigen Fracht zu ſorgen, ohne ihre perſönliche Freiheit mehr als nothwendig und rathſam zu beſchränken, auch die Befugniſſe der Bahn - beamten werden theils engere, theils weitere Grenzen erhalten. Die Handhabung des Dampfboot - und Eiſenbahnbetriebs in Amerikazeigt zwar, daß dort Menſchenleben wenig gilt, andrerſeits ſcheint aber die ſtrenge Praxis, die auf europäi - ſchen Bahnen zur Zeit noch herrſcht, in Bezug auf Selbſt - hilfe bei plötzlich eintretender Gefahr, Auf - und Abſteigen während der Zug in Bewegung iſt u. ſ. w. nicht durchweg ihrem Zweck zu entſprechen. Hoffentlich wird man ferner immer allgemeiner einſehen, daß auch die Inſaſſen der Schnellzüge leibliche Bedürfniſſe haben, die Rückſicht ver - dienen. So z. B. ſind, abgeſehen von anderen Bequemlich - keiten, ſchon hier und da Menagekörbe eingeführt, welche ein civiliſirtes Mal ermöglichen, ſo daß man nicht ſiedend Heißes verſchlingen, oder bezahlen und ſeinem Nachfolger überlaſſen muß, anderwärts gibt es beſondere Speiſe - und Schlafwaggons, Schlaffauteuils ꝛc. Auch der Wagenwechſel ſollte noch mehr als bisher eingeſchränkt, ferner das ſo oft246VIII. Techniker. Ruß - und Bußfahrten. Feurige Kohlen. Staubbrillen.ganz unnöthige Zuſammenpferchen der Paſſanten vermieden, endlich kein Muſikantenunfug geduldet werden.

Geſchickte und menſchenfreundliche Techniker werden alsdann Mittel aufgefunden haben (ſollte Verkleidung der Fenſterrahmen mit Kautſchuk oder Wollenzeug nicht dienen können?), um das entſetzliche Raſſeln etwas zu dämpfen, durch welches für Viele die Bahnfahrt zur Strapaze wird. Ganz beſonders arg iſt es auf einigen Schienenwegen, auch in der zweiten und erſten Claſſe, ebenſo ſcheinen auf denſelben die Zugführer die Locomotivenpfiffe nicht blos zu Signalen, ſondern auch oft als Spielzeug zu benutzen. Ich kenne eine Dame, die bei ihrer allſommerlichen Badereiſe einen Umweg nicht ſcheut, um dieſe beſonders geräuſchvollen Linien zu um - gehen. Feurige Kohlen würden die Techniker ferner auf unſren Häuptern ſammeln, wenn ſie durch eine Vorrich - tung dafür ſorgten, daß dies nicht mehr im buchſtäblichen Sinne geſchähe, und die Dampfwagenreiſe nicht mehr zu einer Ruß - und Bußfahrt würde, welche wir, die Gewänder mit Aſche beſtreut, die Augen thränengefüllt (ob der Kohlen - ſchlacken, die hineingeſchleudert werden ſofern wir uns nicht etwa mit Staubbrillen von Drahtgeflecht dagegen bewaffnet haben) zurücklegen*)Dieſes goldene Zeitalter der Touriſten wird jedoch, fürchte ich, noch nicht ſo ſchnell anbrechen, Ihr Herren Bahnhofreſtaurants könntet daher mittler - weile durch eine Vorrichtung zum Händewaſchen unſer Loos etwas mildern. Auch Euer Vortheil würde es ſein, denn ein Blick auf unſer Aeußeres genügt jetzt, uns bei der Ankunft allen Appetit zu nehmen. Ich glaube ſogar, daß dann ſelbſt in gewiſſen Reſtaurationen häufiger als bisher ein Angriff gewagt würde auf den wahrhaft eiſernen Beſtand von Beefſteaks, Coteletten und Schmor - kartoffeln, die, aber - und abermals aufgewärmt, nur durch ihre Preiſe an Hôtels erſten Ranges erinnern. Auch mit den Getränken iſt es übel beſtellt. Unter ſolchen Umſtänden kann es nicht Wunder nehmen, daß man jetzt oft erſte Claſſe fahrende Herren und Damen, die dabei ſchwerlich an Erſparniſſe denken, im Wagen ihre Malzeit aus mitgebrachtem Mundvorrath halten ſieht. Die Wurzel des Uebels liegt entweder darin, daß die oberſte Leitung einiger Bahnen bei Verpachtung der Reſtaurationen den Grundſätzen des Paſchaſyſtems huldigt, oder ſchlechte Aufſicht.

247VIII. Bahnhofreſtaurants Fürſprecher Strapazen Comfort.

Die eifrigſten Fürſprecher hat das Reiſen unter den Engländern gefunden. Eines ihrer Sprüchwörter mahnt zwar daran, daß ein rollender Stein kein Moos anſetze , hiermit ſcheint aber entweder nur vor Raſtloſigkeit gewarnt oder vielleicht auch auf den reinigenden und abſchleifenden Einfluß der Bewegung hingewieſen zu ſein. Rogersſagt: Keiner braucht ſich zu entſchuldigen, wenn er reiſt. Iſt er reich, ſo geht er, um zu genießen, iſt er arm, um zu ſparen, iſt er krank, um zu geneſen, iſt er wißbegierig, um zu lernen, iſt er gelehrt, um ſich von ſeinen Studien auszuruhen. Was er aber auch ſage und glaube, die Meiſten gehen in derſelben Abſicht und wer darüber nachdenkt, wird ſie für keine eitle halten. Im Reiſen vervollkommnen wir uns, nicht blos unſer Geiſt gewinnt, auch unſer Herz. Vorurtheile laſſen wir fallen, Meere und Gebirge ſind uns nicht länger Gren - zen, wir lernen jenſeits derſelben lieben, achten, bewundern. Der Genuß des Reiſens muß indeſſen wie jeder andere erkauft werden, und weſſen gute Laune durch kleine Wider - wärtigkeiten geſtört wird, thäte beſſer, zu Hauſe zu bleiben. Wie? Sollte ein Solcher nicht um ſo mehr Urſache haben, eine Schule aufzuſuchen, in welcher er Selbſtbeherrſchung lernen kann, um den Reſt ſeines Lebens von dieſer wichtigen Erwerbung zu zehren? Was meint Ihr Herren?

Gewiß, verſetzte ich, haben Sie Recht und Mr.Rogershat wohl ſeinen letzten Satz nicht ernſthaft gemeint. Mir wird indeſſen bange für unſer Buch. Dieſes beſchäftigt ſich ja ſo emſig u. A. damit, für den Comfort der Reiſe zu ſorgen, wir handeln alſo wie gewiſſenloſe Hauslehrer, die ihren Zöglingen die Schulexercitien machen helfen: ſchreiben anſtatt einer Reiſeſchule eine Schule der Weichlichkeit und Trägheit.

Sein Sie außer Sorge. Was wir unſren Schülern*)führt, oder daß Begünſtigungen aus Privatrückſichten vorkommen. Die Kritik der Reiſehandbücher ſollte ſich auch hierauf erſtrecken.248VIII. Geiſtige Rund - und Fernſicht der große Touriſtenſtrom.abnehmen, iſt nur das, was ſie verhindern könnte, ſich friſchen Körpers und Geiſtes ihren wahren Aufgaben zu widmen, Uebungen und Prüfungen bleiben ihnen noch genug übrig, ohne daß ſie mit wunden Füßen, Huſten, Gliederſchmerzen, Zahnweh u. ſ. w. umherziehen, ohne daß ſie Fahrkarten, Gepäckſtücke, Geld und Zeit verlieren, ohne daß ſie ſich über - theuern und beſtehlen laſſen. Die Reiſe bietet immer noch Hinlängliches, die Kräfte, den Willen, die Standhaftigkeit und den Erfindungsgeiſt zu üben.

In vielen Beziehungen, nahm ich wieder das Wort, bangt mir aber immer noch ſehr für unſer Buch, das eine Allerweltsangelegenheit wie die Reiſe behandelt, in welcher jeder Leſer mehr oder minder auch Kritiker iſt. Sie wiſſen, ein anderer Ihrer Landsleute hat uns ein Volk von Denkern genannt. Wie können wir dieſem Volke eine Schrift an - bieten, die ſich Reiſeſchule nennt und keine Philoſophie der Reiſe, keine große geiſtige Rund - und Fernſicht von hohem Standpunkt aus enthält? Wenn ich Ihnen z. B. die Bitte ſtellte, die Summe Ihrer an ſich und Anderen ge - machten Reiſeerfahrungen in einen kurzen Satz zu faſſen?

So würde ich, entgegnete er, in Verlegenheit ge - rathen und Ausflüchte ſuchen, drängen Sie aber in mich (Ihr Deutſche thut’s einmal nicht ohne Abſtractionen), ſo würde ich einen ſolchen allgemeinen Satz etwa ſo formuliren: Je höher in geiſtiger und ſittlicher Beziehung der Zweck der Reiſe ſteht, je wichtiger und ernſter er iſt, je mehr verlangt er nicht nur Ausſchließlichkeit, je mehr (bis zu einer gewiſſen Grenze) belohnt ſich auch dieſelbe; je mehr hingegen der Hauptzweck Vergnügen, Zerſtreuung, Unterhaltung, Ver - änderung iſt, um ſo leichter verfehlen wir ihn, je aus - ſchließlicher wir uns ihm widmen.

Dieſe Ueberzeugung muß ſich jedem aufdrängen, der die einzelnen Elemente des großen Touriſtenſtroms betrachtet: er bemerkt, wie freud -, fried - und fruchtlos die Mehrzahl dieſer Vergnügungsreiſenden von Berg zu Berg, von249VIII. Zwecke Reiſemüde Farbenſcheibe Empfänglichkeit.Muſeum zu Muſeum, von Wagen zu Wagen eilt oder ſchleicht. Tag für Tag zeigt ſich ihnen, daß ſie nicht finden, was ſie ſuchen. Warum kehren ſie nicht um? Viele mögen es nicht, weil ſie ſich einmal vorgenommen haben , die und die Tour zu machen, die und die Punkte zu ſehen, ſo und ſo lange auszubleiben. Was würden die Freunde zu Hauſe dazu ſagen! Nur immer charakterfeſt! Viele tröſten ſich, daß die Langeweile unterwegs wenigſtens andrer Art ſei, als die zu Hauſe; Manche hoffen, daß zurückgekehrt ihr heimiſches Leben ihnen in beſſerem Lichte erſcheinen werde; Andere geben ſich überhaupt nicht Rechenſchaft über ihr Thun und Laſſen, ſondern folgen gedankenlos dem Strome der Mode. Blicken wir auf die Minderzahl, die augenſcheinlich mit Luſt und Liebe reiſt, ſo ſind es vor Allem junge Menſchen, die ihren erſten Ausflug machen, ſodann Leute, denen ihr Ge - ſchäft oder ihre Mittel nur ſeltene, kurze Excurſionen ge - ſtatten. Schon die Muße derſelben an und für ſich empfinden ſie als ein Vergnügen, welches von den neuen Eindrücken geſteigert wird, je nach dem Grade ihrer Empfänglichkeit. An den Nämlichen, wenn man ihnen nach einiger Zeit wieder begegnet, läßt ſich jedoch beobachten, wie verſchieden, wie eng gezogen bei Vielen die Grenzen der Genußfähigkeit ſind, wie raſch der Reiz der Neuheit ſich abſtumpft, wie leicht der anhaltende Wechſel des Schauplatzes und der Gegenſtände zur Eintönigkeit wird, ermüdet und verwirrt, auch wenn, den Bücherrathſchlägen gemäß, Stadt und Land, Kirchen und Felſenpartien, Sennhütten mit Kaffeehäuſern gemiſcht werden, Trottoris mit Wieſenwegen abwechſeln: eine Scheibe, auf welcher alle Regenbogenfarben angebracht ſind, läßt, raſch gedreht, keine von allen erblicken, ſondern erſcheint weiß. Oft kommt hinzu, daß inmitten der er - ſehnten Muße bald die Gewohnheit einer beſtimmten Thätig - keit ihr Recht geltend macht und deren Mangel als eine Lücke gefühlt wird.

O Meiſter, wie ſtimmt aber die Nutzanwendung, die250VIII. Monotonie des ſteten Wechſels beſtimmte Richtung.Sie aus der Farbenſcheibe ziehen, zu Ihrem touriſtiſchen Lehrgang, demſelben, den ich auch in unſrer Reiſeſchule einhalten ſoll? Sie ſpringen von einem Thema zum andern, ſpringe ich Ihnen nun ſeiner Zeit mit der Feder nach, ſo werden vielleicht unſre Leſer gar nichts ſehen, oder es wird ihnen grün und blau vor den Augen.

Die Antwort übernahmEduard: o Mitſchüler, be - merkſt Du nicht, daß unſer Lehrer die Farbenſcheibe ſo ſacht und behutſam dreht, daß auch das langſame Leſerauge ge - mächlich folgen kann?

Die Weisheit dieſes Knaben ſei tief Dir in das Herz gegraben, ſang Ulyſſes auf Mozart’ſche Melodie. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß mancher Leſer, der an Dampfwagen - und Telegraphengeſchwindigkeit gewöhnt iſt, meinen wird, daß unſer Lehrgang zu langſam ſchreite, ſich auch zu viel mit Beiläufigem aufhalte. Laſſen wir uns das nicht anfechten, wenn nur der Zweck erreicht wird.

Außer den vorerwähnten Touriſtengattungen gibt es nun aber noch eine, welcher zwar kein aufjauchzendes Frohlocken im Geſichte geſchrieben ſteht, die aber doch aus ihrem ganzen Gebahren Befriedigung erkennen läßt, nie über Langeweile klagt und von den Entbehrungen und Beſchwerden der Reiſe und des Aufenthalts in der Fremde, ſeien ſie auch noch ſo groß, kaum berührt wird. Nicht erinnere ich mich jedoch, unter dieſen Befriedigten Einen gefunden zu haben, der längere Zeit umhergezogen wäre und ſich begnügt hätte, Eindrücke zu empfangen , ohne auf deren Vertiefung und Verwerthung bedacht zu ſein und ohne ſeinem Tagewerke eine beſtimmte Richtung gegeben zu haben.

Denn je weiter und je länger wir reiſen, je weniger dürfen wir uns darauf verlaſſen, daß der bloße Reiſe - mechanismus, das Fahren, Wandern und paſſive Be - ſchauen, uns Befriedigung gewährt und ein Gefühl der Leere fernhält. Bei den erſten Regungen dieſes Gefühls täuſchen wir uns leicht und ſchlagen den verkehrten Weg ein: fahren251VIII. Paſſives Empfangen der Eindrücke Specialität.und laufen mehr und immer mehr, beſichtigen Neues und wieder Neues, immer haſtiger und flüchtiger, vermehren die Eindrücke, anſtatt ſie zu klären, zu befeſtigen, zu vertiefen und ihnen ſo eine Frucht abzugewinnen, die auch für den Zurück - gekehrten Werth hat. Darum iſt es nothwendig, neben dem allgemeinen nach einem beſondern Inhalt für ſein Tagewerk zu ſuchen, und es hängt von Temperament, Begabung, Er - ziehung und Gewohnheiten des Einzelnen ab, welche Ziele ihm erreichbar und dienlich ſind. Jede außerhalb jenes Mechanismus und außerhalb gewöhnlicher Zerſtreuungen, Geplauders, Spieles liegende Bethätigung, ja ſchon das Suchen danach bringt Gewinn. Näher betrachtet, bildet dieſer Gegenſtand ein Hauptſtück der Lebenskunſt: es handelt ſich um die große Frage, wie der Einzelne es an - zufangen hat, um dem Theile ſeines Daſeins, welchen der Beruf nicht ausfüllt, einen ſeiner Perſönlichkeit ent - ſprechenden Gehalt zu geben, liegt alſo Allen nahe genug, deren Metier nicht etwa eine der ſeltenen Ausnahmen iſt, welche den Mann ganz ausfüllen und die auch andererſeits nicht mit einem Pflanzen - oder Thierleben ſich begnügen mögen. Denn jede Lebensreiſe, auch wenn ſie an einem und demſelben Orte verläuft, ſofern ſie nicht vorzeitig ihren Abſchluß findet, kann an einem Punkte ankommen, wo die Berufsthätigkeit aufhört, der Tag eine neue Verwendung fordert und die gewohnten Zeitvertreibe der Nebenſtunden den Dienſt verſagen, theils ſind auch vorher ſchon Zwiſchen - zeiten, die daſſelbe Verlangen ſtellen. Viele mißverſtehen und mißhandeln dieſes Verlangen bei ſeinen erſten Regungen und fallen ſo allgemach in den Selbſtbetrug, daß ihnen ihr Tagewerk ſchlechterdings keine Muße verſtatte. Dieſe be - nutzen zu lernen, fehlt es ihnen an ernſtem Willen, mehrfach haben ſie die Erfahrung gemacht, daß in ſolchen Stunden das unheimliche Gefühl des leeren Raums ſie beſchleicht, was nicht der Fall iſt, während ſie ihr Geſchäft treiben oder viel - mehr dieſes ſie treibt, und ſo überreden ſie ſich bald, daß252VIII. Keine Zeit haben Märtyrer der Berufspflicht Mußeſtunden.jene athemloſe Alltagsarbeit, zu der ſie anfangs weder Er - werbſucht noch Ehrgeiz ſpornte, eine zwingende Nothwendig - keit ſei. Daß ihr Körper, ihr Geiſt, die Erziehung ihrer ſelbſt und ihrer Kinder dabei verkommt, ſehen ſie hier und da ein, nichtsdeſtoweniger fahren ſie fort, keine Zeit zu haben für irgend etwas außer ihrem Berufsgeſchäft, und verknöchern ſo in ihrer Gewohnheit. Mit der Antwort dafür habe ich keine Zeit meinen ſie jede weitere Erwiderung nieder - zuſchlagen. Sieht man näher zu, ſo haben ſie dennoch Zeit für eine Menge Lieblings-Allotrien. Sollte nicht das Goethe’ſche Wort

Viele Gewohnheiten darfſt du haben, aber keine Gewohnheit.
Dieſes Wort unter des Dichters Gaben halte nicht für Thorheit!

an Menſchen der Art gerichtet ſein und hieße in nüchterne Proſa überſetzt: Du darfſt allenfalls ein Gewohnheitsmenſch ſein, aber kein Gewohnheitsthier, ein Weſen, das in Einer Gewohnheit völlig aufgeht? Von ihrer Umgebung ver - langen ſolche Geſchäftsphiliſter natürlich als Märtyrer der Berufspflicht bewundert zu werden, namentlich ſollen ihre Frau und ihre Freunde alle daraus entſpringenden Uebel als unabwendbare Naturereigniſſe betrachten. Mancher von ihnen würde vielleicht das Gleichgewicht ſeiner Seele wieder - finden, wenn er ſich rechtzeitig hier und da eine Reiſe gönnte und auf dieſer Uebungen machte in der Benutzung der Mußeſtunden.

Schopenhauer(Parerga) ſagt: In der Kindheit bringt die Neuheit aller Gegenſtände und Begebenheiten Jegliches zum Bewußtſein: daher iſt der Tag unabſehbar lang. Das - ſelbe widerfährt uns auf Reiſen, wo deshalb ein Monat länger erſcheint, als vier zu Hauſe. Dieſe Neuheit der Dinge verhindert jedoch nicht, daß die in beiden Fällen länger ſcheinende Zeit uns auch in beiden oft wirklich lang wird, mehr als im Alter und mehr als zu Hauſe. Ich glaube, daß eine Zeit, in der unſere Empfänglichkeit noch friſch iſt253VIII. Jugend und Alter Einſeitigkeit.und die Neuheit und Mannigfaltigkeit der Eindrücke noch reizt, uns, während wir ſie durchleben, kurz, nur im Rückblick lang erſcheint, weil in dieſem das geiſtige Auge eine lange inhaltsvolle Reihe zu durchwandern hat, im Durchleben aber immer von einem Gegenſtande zu ſehr be - ſchäftigt iſt, um rückwärts zu blicken; daß dagegen umgekehrt die Zeit in der Gegenwart ſich um ſo mehr dehnt, je weniger wir uns dem Einzelnen hinzugeben vermögen, deshalb jedoch in der Rückſchau, in der der Blick wenig Feſſelndes findet, kurz erſcheinen muß. Im optiſchen Gebiete gilt daſſelbe: ein Berg, der nur durch eine weite, einfarbige Fläche, z. B. Waſſer, Wieſe, Sandwüſte, von uns getrennt iſt, ſtellt ſich uns viel näher dar, als er wirklich liegt. Das Alter hat gewiß häufiger als die Jugend Anlaß zur Langenweile, empfindet ſie indeſſen minder, theils weil ſeine Gefühle über - haupt nicht ſo lebhaft ſind, theils weil es durch lange Uebung gelernt hat, Unvermeidliches zu tragen.

Was verſtehen Sie, frug ich, unter einer beſtimmten Richtung? Wollen Sie der Einſeitigkeit das Wort reden?

Im Grunde ja, denn alles einigermaßen Rechte und Tüchtige in unſrer Welt der Unvollkommenheit iſt einſeitig. So viele große Männer, jeder in ſeiner Weiſe, haben das ausgeſprochen, daß wir es ſchon auf Treu und Glauben an - nehmen dürfen. Die Nothwendigkeit der Beſchränkung kann nur von der Beſchränktheit verkannt werden. Sogenannte Vielſeitigkeit und Oberflächlichkeit ſind untrennbar verbunden, und was in der Regel Einſeitigkeit geſcholten wird, iſt ent - weder Keinſeitigkeit oder eine löbliche Eigenſchaft.

Ich meinte gerade, der rechte Touriſt müſſe ſein Auge gewöhnen, auf Alles Acht zu haben, für ihn dürfe es nichts Gleichgiltiges geben, ſo wenig wie für den Unterſuchungs - richter, denn aus den ſcheinbar unbedeutendſten Dingen können ihm werthvolle Aufſchlüſſe werden über Land und Leute, ihre Sitte und Sinnesart, ihr Thun und Treiben.

254VIII. Ewiges Einerlei geiſtige Alpenregion Sammler.

Der rechte Touriſt reist natürlich mit offnem Auge und Ohr, doch nur ſofern er ſeiner Aufmerkſamkeit eine beſtimmte Richtung gibt, werden die in den Bereich derſelben fallenden Dinge ihn auf die Dauer anregen und belehren, im andern Falle, wenn er, nach dem Beiſpiele des großen Schwarms, ſie umherflattern läßt, wird er unfehlbar ſich zerſplittern und abſtumpfen.

Sollte nicht vielmehr durch das ewige Einerlei das Intereſſe gleich von Haus aus verſcheucht werden, während es durch reiche Abwechslung wenigſtens eine Zeit lang rege geblieben wäre?

Zögling, Sie ſcheinen nicht gut geſchlafen zu haben: Ihr Urtheilsvermögen ſteckt wieder einmal in ſchweren, zu eng benagelten Schuhen, genau ſo beſchaffenen, wie ſie es für die Beſchreitung der geiſtigen Alpenregionnicht ſein dürfen. Von Dieſem und Verwandtem haben wir ſchon geſprochen und ich hoffte, Ihnen ein Verſtändniß eröffnet zu haben. Betrachten Sie doch nur die Sammler. In Italienheißt man den Sammler mezzo matto, halbverrückt, womit der Volkswitz nur ſagen will: ich begreife nicht, wie dieſer Menſch an ſeinem Kram einen ſolchen Narren gefreſſen haben kann. Auch die deutſche Sprache hat den Ausdruck Sammelwuth . Jeder, der ſelbſt Sammler iſt, begreift ſehr wohl und lächelt blos über die Seltſamkeit, die an einer andern Art von Sammlung als der ſeinigen Freude finden kann. Noch mehr: die öffentliche Meinung, die in dieſem Stücke möglicherweiſe Recht hat, hält dafür, daß nicht jedem Sammler, möge er auch in allem Uebrigen, Großen und Kleinen, der gewiſſenhafteſte Mann ſein, durchaus zu trauen ſei, wenn es ſich um Anfertigung ſeines Katalogs, Austauſch von Dubletten, Beurtheilung von Nebenbuhlern ꝛc., kurz, um ſeine Specialität handelt. Ich ſage mir nun: kann nach alledem das Sammeln ſo leicht zur Liebhaberei, unter Umſtänden zur wilden Paſſion werden, ſo muß es doch wohl ein geeignetes Mittel ſein, die Lange - weile zu verſcheuchen, und es kommt nur auf dreierlei an,255VIII. Sammler und Sammlungen.erſtens: daß wir unabläſſig bemüht ſind, gewiſſe Grenzen einzuhalten, um nicht in Verblendungen und noch Schlimmeres zu fallen; zweitens: daß wir nicht Zweck und Ziel in Aeußer - lichkeiten ſuchen, es nicht an bloßem Zuſammenſchleppen, Anhäufen, Katalogiſiren, Numeriren, Etikettiren und Blaguiren bewenden laſſen; drittens: daß wir eine unſren Fähigkeiten, ſowie unſren geiſtigen und gemüthlichen Be - dürfniſſen, endlich unſren Mitteln entſprechende Art zu finden wiſſen. Gerade in dieſem unerſchöpflichen Gebiete iſt aber für hochgewachſene Geiſter wie für Zwerge geſorgt, es iſt ein Waſſer, in dem ein Elephant ſchwimmen und eine Maus waten kann. Auch die Armen an Geiſt, an Vorkenntniſſen und an Geld können ihnen Angemeſſenes und Erreichbares ermitteln und etwas vor ſich bringen , wenn ſie nur Willenskraft und Nachhaltigkeit beſitzen. Eben der Touriſt, der ſo vielerlei durchmuſtert, hat die beſte Gelegenheit, ſeine Neigungen und Anlagen zu ſondiren. Bedeutungsvolles, Kunſtwerke, Seltenheiten, Koſtbarkeiten zuſammenzubringen, iſt Wenigen vergönnt, jeder ernſtlich Suchende findet aber ſicher irgend eine Specialität, beſtehe ſie nun aus Metall, Glas, Porzellan, Holz, Papier, Büchern, Kupferſtichen, Holzſchnitten, Karten; ſei ſie eine der Literatur, der Ge - ſchichte, den Naturwiſſenſchaften, dem Thier -, Pflanzen -, Steinreich, dem öffentlichen Leben u. ſ. w. angehörige. Die Sammlung braucht nicht durchaus auf Dinge gerichtet zu ſein, die zu kaufen, zu tauſchen oder außerhalb der Menſchen - wohnungen zu erbeuten ſind, ſie kann ſich auch mit bloßer Aufzeichnung und Gruppirung von Thatſachen, hiſtoriſchen, ſtatiſtiſchen, volkswirthſchaftlichen, politiſchen Notizen der verſchiedenſten Art befaſſen, nur darf ſie nicht in luftigem Gedächtnißwerk, in Erinnerungen beſtehen; mit dem bloßen Lernen iſt es nicht abgethan, es muß noch etwas Anderes dabei ſein, ein ſinnliches Subſtrat, eine greifbare Unterlage, es muß da etwas zu ſchreiben, zu vergleichen, nachzuſchlagen, zu ſuchen, zu arbeiten, zu ſchaffen geben. Der Beſitz von256VIII. Sammler und Sammlungen Excerpte.Gegenſtänden iſt nicht die Hauptſache, ſondern der eigentliche Reiz beruht im Aufſpüren, Erlegen, Erlangen. Es gibt leidenſchaftliche Jäger, die kein Wildpret, und Angler, die keine Fiſche eſſen. Ein großer Freund der Wahrheit, Leſſing, bekannte, daß ihm das Suchen und Streben danach lieber ſei, als die Wahrheit ſelbſt. Findet ſich nicht gleich etwas von beſonderer Anziehungskraft, ſo werde mit dem erſten Beſten angefangen, der Appetit kommt vielleicht im Eſſen. Zuletzt läuft ja alles Lernen auf Sammeln hinaus. Wer eine Reiſe - ſchilderung ſchreiben will, ſammelt Beobachtungen nebſt ſeinen Gedanken und Empfindungen dabei, richtet ſeine Aufmerk - ſamkeit auf alles, was dafür brauchbar ſcheint, und verhält ſich gleichgiltig oder abwehrend gegen das Uebrige.

Ich kenne einen alten Herrn, der ſeit Langem ſich mit engliſcher und deutſcher Literatur beſchäftigt, vorzüglich in der Abſicht, darin nach Schilderungen von Landſchaften zu ſuchen. Was er der Art findet, ſchreibt er aus, ordnet und gruppirt die Bruchſtücke nach ſeinem Sinne, nimmt die ganze Collection mit auf jede ſeiner Reiſen und verſichert, daß alle Naturſcenen, welche die Wirklichkeit ihm vorführt, ihn an dieſen oder jenen Theil ſeiner Sammlung, und umgekehrt jeder Theil derſelben, den er zu Hauſe lieſt, an genoſſene Naturſchönheiten in der anregendſten Weiſe erinnere. Ge - wiſſermaßen, ſagt er, habe ich mir Poetenaugen geborgt, die immer mit meinen Herzensempfindungen im Einklang ſind, weil ich jene mir nach dieſen ausſuchen kann, während ich mich über die Citate in den Büchern, welche mir ſo oft Gefühlsrecepte aufdrängen wollen, meiſtens ärgere.

In einer Winterpenſion waren verſchiedene literariſche Excerpte unter den Damen Mode geworden und dieſe ver - fuhren mit ihnen, wie Damen mit Moden verfahren, ſehr ernſt und eifrig. Eine ſammelte Lichtſtrahlen über Muſik, eine andere über bildende Kunſt, eine dritte charakteriſtiſche Ausſprüche über Dichter, eine vierte im Gebiete der Religion und Pſychologie, alle behandelten jedoch ihre Schätze ohne257VIII. Lichtſtrahlen ein Sonderling Wechſel der Stimmungen.Eiferſucht, und ihr Auge glänzte, wenn Andere ſie auch ſchön und liebenswürdig fanden.

Aus meiner Sammlung von Sammlern will ich doch eines Sonderlings Erwähnung thun, der ſich in derſelben Penſion angeſiedelt hatte. Er ſtand in mittlerem Lebens - alter, ſah geſund aus und war auch, wie er ſelbſt ſagte, nur in mäßigem Grade körperlich leidend, dennoch hatte er ſich ſchon ſeit Jahren zurückgezogen. Ich habe meinen Beruf ver - fehlt, geſtand er mir einſt. Mein Unſtern wollte, daß ich ein Fach ergriff, für das ich nicht tauge. Das meinige beruht auf einer halb mechaniſchen und halb geiſtigen Thätigkeit, ſeine geſchäftliche Grundlage iſt eine eigenthümlich ſchwan - kende, die Unternehmungen ſind langathmiger Natur und verlangen viel Kaltblütigkeit, Beſtändigkeit, Geduld, Selbſt - vertrauen, alles Eigenſchaften, an denen es mir gebricht, ge - rade für die wichtigſten Entſcheidungen darin gibt es keine feſten, zu erlernenden Normen, ſie ſind nicht auf einen reinen Verſtandescalcül geſtellt, ſondern, wenn ich ſo ſagen darf, auf den praktiſchen Inſtinct, auf allgemeine Anſchauungen und Stimmungen . Stimmungen wechſeln nun zwar in ge - wiſſem Grade bei jedem Menſchen, ich gehöre aber unter die, bei welchen ſie durch alle Nüancen vom lieblichſten Roſenroth bis in’s Aſchgrau und Schwarz auf und ab ſteigen. Welchen Einfluß dieſer Wechſel auf mein geſchäftliches Gebahren haben mußte, läßt ſich leicht ermeſſen. So oft eine roſenrothe An - ſchauung mich beherrſchte, traf ich Anſtalt zu größeren Unter - nehmungen, die immer wieder rückgängig gemacht oder lahm geleitet wurden, ſobald die graue Brille ſich mir aufklemmte. Unter ſolchen Umſtänden hätte ich mich auf einen andren Zweig werfen ſollen, konnte aber, als es noch Zeit dazu war, den Entſchluß nicht finden, lavirte, experimentirte, dilettändelte hin und her, haderte mit mir ſelbſt und der Welt, verhage - ſtolzte und hätte eigentlich verdient, alles zu verlieren, was ich beſaß; ſtatt deſſen ergab ſich, daß ich ſoviel hinzuerworben hatte, um an einen gedeckten Rückzug denken zu können. In17258VIII. Das beſte Geſchäft die Reiſe eine Wohlthbisheriger Weiſe in kleinſtem Stile fortfahren, mein Metier nur als Zeitvertreib behandeln, mochte ich nicht, ſchon des - halb, weil es mir dieſen Dienſt nicht leiſtete, im Gegentheile ſein Mechanismus kläglich auf mich drückte und meinen Ge - danken verſtattete, die allertrübſeligſten Wege zu laufen, zu melancholiſiren und hypochondriſiren. Vor dem Tode fürchtete ich mich nicht, deſto mehr vor dem Leben, hielt Hamlet - Monologe u. ſ. w. Meine Thätigkeit behufs beſſerer Unter - haltung auf einen größeren Fuß, dabei mein Vermögen auf’s Spiel zu ſetzen, wagte ich auch nicht. Dieſer peinliche Schwebezuſtand währte Jahre. Viele haben Aehnliches durch - lebt, Manche ſtürzen ſich darüber in’s Waſſer, Andere in Wein und Bier, noch Andere werden gemüthskrank. Bei Einigen bringt die Krankheit einen Wendepunkt, ſie ſehen in ihrem verzweifelten Zuſtande das, was ihnen vorher, als ſie noch bei Troſte waren, verborgen blieb: den Rückweg, ſchlagen ihn ein und geneſen von einer verfehlten Lebens - bahn. Ich reiſte längere Zeit, fand unterwegs mich ſelbſt wieder, Klarheit, Lebensmuth, heilſame Einſichten, Entſchlüſſe, Ausführungen und Uebungen gingen Hand in Hand, und ſeitdem betrachte ich die Reiſe als meine Wohlthäte - rin. Zwar kehren die auch ehedem ſeltenen roſigen Fär - bungen des Seelenzuſtandes nicht mehr zurück, ebenſowenig aber die ſonſt ſo häufigen dunklen Schattirungen, und ich glaube damit das beſte Geſchäft meines Lebens gemacht zu haben. Eine Specialität zu finden, habe ich viele Jahre umhergeſucht. Für eigentliches Studium mangeln mir theils gehörige Vor - kenntniſſe, theils iſt mein Gedächtniß dafür zu alt und ſpröde, für Naturwiſſenſchaftliches fehlt mir der innere Zug, eine Zeit lang feſſelten mich mikroſkopiſche Unterſuchungen, meiner Augen wegen mußte ich ſie wieder aufgeben, ſo fiel ich endlich auf eine Sammlung im literariſchen Gebiete, die mir nach und nach ſehr lieb wurde. Die Hauptſache dabei iſt Kärrner - arbeit, vielleicht hilft aber die meinige einmal einem Könige bauen.

259VIII. Ein anderer Kauz allein und abgetrennt Grübeleien.

Was der Mann ſammelte, hat er mir nicht verrathen.

Einem anderen Sammler begegnete ich einſt in Schleſien. Der Kauz hätte ſich ſeit Jahren auf Zeitungen und Local - blätter geworfen, brachte aus jedem Kaffeehaus, das er be - ſuchte, einige alte Nummern mit, mochten ſie auch noch ſo abſcheulich ausſehen, muſterte ſie durch, ſchnitt heraus, was ihm von öffentlichen und Privatanzeigen bemerkenswerth ſchien, rubricirte es, klebte es auf große Bogen, ſchrieb ſeine Bemerkungen hinzu, und unterhielt ſich dabei allem Anſcheine nach vortrefflich. Nach ſeinen Ausſchnittarchiven zu urtheilen, mußte er ganze Rieſengebirge von Blättern im Laufe der[Zeit] eingeheimſt haben. Ob dieſe Thätigkeit noch eine andere Frucht als flüchtige Unterhaltung trug, weiß ich nicht, mir warf ſie einige Tagebuchzeilen ab, deren Werth oder Unwerth zu beurtheilen ich anheimſtelle. Ich ſchrieb den Abend in meine Merk - und Denkzettel: Allein und abgetrennt von Menſchen und Dingen ſein Leben zu verbringen, iſt das Schlimmſte. Lieber auf das Geringfügigſte fallen, als gar nichts zu haben, woran wir unſer Herz hängen, und das zu - gleich hinreichende Anziehungskraft beſitzt, unſre Gedanken von Grübeleien und Grämeleien ablenken zu können. Das beſſere Theil erwählt hat freilich Einer, der ſich keine leere Spielerei ausſucht.

Unſer Intereſſe an einen unbedeutenden Gegenſtand zu feſſeln, ſcheint es in der That nur des Einen zu bedürfen: Mühe auf ihn zu verwenden und ihn unter unſren Händen wachſen zu ſehen, wie ja auch Mütter die ihrer Kinder am meiſten lieben, deren Pflege ihnen die größte Anſtrengung koſtet, mögen dieſe Kinder innerlich und äußerlich noch ſo mangelhaft ausgeſtattet ſein. In manch andrem Gebiete läßt ſich gleichfalls bemerken, daß das Auge, welches ſich anhaltend und aufmerkſam einem und demſelben Objecte zuwendet, nicht ſelten einen verſchönernden Blick gewinnt, hingegen müde und unluſtig wird, wenn es flüchtig und raſtlos umherſchweift. Um die Abwechslung als einen Reiz zu empfinden, muß ihr17*260VIII. Steckenpferdezucht Zerſtreuungsjäger pariſer Ennui.eine geſammelte, nachdrückliche Thätigkeit vorausgegangen ſein, während die fortgeſetzte Jagd auf Zerſtreuung in die ſchlimmſte aller Sammlungen ausläuft: eine Sammlung von Spirituoſen im Leibe oder von Grillen und Schrullen, Ge - ſpinnſten und Dünſten im Kopfe. So ſind denn auch auf der Reiſe die ſogenannten Steckenpferde (über deren Zucht ſchon S. 157 und 230 geſprochen wurde), wie z. B. eben Sammlungen, beſſere Vehikel, als alle Vierfüßler und Loco - motiven. Im Sentenzenſtil ließe ſich ſagen: wollt Ihr Euch zerſtreuen, ſo ſammelt.

Gewiſſe Zeitalter und große Luxusplätze liefern bündige Beweiſe für alles das. Keine Stadt exiſtirt, in welcher man größere Scheu vor Langerweile hat und die eine reichere Mannigfaltigkeit von Waffen gegen ſie ſchmiedet und feil - bietet, als Paris, und nirgend ſonſt hört und lieſt man ſo viel jammern über Langeweile. An der Kriegsluſt (im Vorbeigehen bemerkt, auch an der pariſer Duellwuth, die in der Wirklichkeit faſt ebenſo heftig graſſirt, als in Comödien und Romanen) gewiſſer Bevölkerungsſchichten hat auch eingeſtänd - lich noch mehr, als die Ruhmſucht und der militäriſche Kitzel, die Emotionsſucht Antheil. Parislangweilt ſich, was die franzöſiſche Stiliſtik ohne Weiteres la Frances’ennuie ausdrückt. Darum muß die Welt mit Krieg überzogen wer - den. Parisiſt der Kopf von Frankreich, Frankreichder Kopf der Welt, dieſe muß ſich mithin fügen, wenn jener beſchließt.

Aehnlich iſt es mit Badeorten. In allen, den großen und kleinen, kann man zwar ſeufzen hören: dieſes X Y Z iſt doch ein langweiliges Neſt , am häufigſten und im Tone vollſter Ueberzeugung und tiefſter Entrüſtung glaube ich die Klage aber gerade in den großen Modebädern vernommen zu haben, die in der That das Menſchenmögliche thun, um ihren hochverehrten p. t. Gäſten alles das zu bieten, was in der Welt für unterhaltend gilt: Spiel, Theater, Concerte, Bälle, Schauſtellungen verſchiedenſter Art, Treibjagden, Wett - rennen, Feuerwerke, Regatten, reizende Garten - und Park -261VIII. Modebäder Ein gutes Reiſegewiſſen u. ſ. Forderungen.anlagen, Zeitungen in ſechs Sprachen, bändereiche Leih - bibliotheken, glänzende Geſellſchaftsräume, lange Reihen von bunten Verkaufsläden, große Baſars ꝛc. Die Schuld wird immer dem Orte aufgebürdet, niemand denkt daran, ſie ſich ſelbſt, ſeiner Beſchäftigungsloſigkeit und dem an ſolchen Plätzen vorherrſchenden conventionellen Tone der Zurückhaltung we - nigſtens theilweiſe zuzuſchreiben. Hier, ſollte man meinen, müßte ſelbſt dem befangenſten Auge klar werden, worauf es ankommt.

Wenn Sie, warf ich ein, unter beſtimmtem Inhalt nicht blos Sammlungen in engerem Sinne verſtehen, ſondern überhaupt Alles, was Stoff zu geiſtiger Sammlung und einer daran geknüpften nachhaltigen Thätigkeit gibt, ſo wird Ihr Programm kaum auf Widerſpruch ſtoßen. Sagen Sie aber doch, Meiſter, meinen Sie nicht, daß eine fleißige Biene in jeder Blume Honig finden kann, mithin auch jede, die ihr auf dem Wege liegt, auszubeuten hat? Ich habe geleſen, daß ein gutes Reiſegewiſſen uns verpflichte, Alles und Jedes zu be - merken. Wir ſollen in Stadt und Land vom Thun und Treiben, Tracht, Sitte, Körper -, Geſichts - und Geiſtesbildung der Leute Kenntniß nehmen, ſollen ihre Familien - und öffent - lichen Feſte, Luſtbarkeiten, Kirchgänge, Kirmeſſen, Schießen, Märkte muſtern, ſollen beobachten, ob ſie der Pflanzen -, Fleiſch -, Fiſchkoſt, dem Wein, Bier, Branntwein ergeben ſind, ob ſie zur Mäßigkeit neigen oder nicht, ob ſie viel oder wenig und was ſie eſſen, wie die Preiſe der Lebensmittel ſtehen, auf die Thätigkeit der Stadt - und Landleute Acht ha - ben, ob ſie flink und geſchickt oder langſam und plump zu Werke gehen, welche Arbeiten vorzüglich betrieben werden, wie ſie ihre Häuſer bauen und einrichten, wie ſie Zäune, Stakete, Gräben, Garben, Heuſchober machen, ob ſie viel fahren und reiten, wie ſie ihr Vieh behandeln, ob ſie viel rauchen, ſchnupfen, Tabak kauen; wir ſollen, etwa um einen Trunk Waſſer zu begehren, oder nach dem Wege zu fragen, in die Wohnungen der Land - und Waldleute treten, ihren262VIII. Was wir beobachten ſollen. Wahl treffen. Bienen u. Fliegen.Hausrath, ihre Kochkunſt betrachten, ob ſie reinhalten, ihre Fenſter mit Blumen ſchmücken; in und an den Häuſern und Kirchen und auf den Kirchhöfen die Inſchriften und Bild - werke prüfen; ſollen Acker - und Hauswirthſchaftsgeräth in Augenſchein nehmen, um zu erkennen, wie ſinnreich der Naturmenſch mit den einfachſten Mitteln ſeine Zwecke er - reicht, um dabei einen Blick in die vorgeſchichtliche Zeit des Menſchengeſchlechts zu thun, einen Beitrag zur Geſchichte der Arbeit, der Erfindungen und Entdeckungen zu erhalten, uns dadurch mahnen laſſen, wie weit wir Großſtädter uns von der Natur entfernt haben, wie hilflos und auskunftsarm der Einzelne iſt, ſobald es gilt, Dinge zu bewerkſtelligen, die außerhalb ſeiner gewohnten Thätigkeit liegen, Gegenſtände ſelbſt zu beſchaffen oder zu erſetzen, die wir fertig zu kaufen oder anfertigen zu laſſen pflegen; wir ſollen Kenntniß neh - men vom Glauben und Aberglauben der Leute und deren Bräuchen, ob die öffentlichen Gebäude Reichthum, Geſchmack, Kunſt kundgeben, Vergleichungen anſtellen z. B. über einen prachtvoll ausgeſtatteten bairiſchen Eiſenbahnhof und einen nüchtern gehaltenen, blos dem Bedürfniß dienenden engliſchen oder amerikaniſchen dort hat und nimmt ſich Jeder Zeit, zu betrachten, es geht Alles gemächlich, im ſchroffen Gegen - ſatz zu Englandund Amerika, wo man weder Muße noch Luſt hat, Warteſäle und Gänge zu beſichtigen, denn Niemand kommt eher, als er muß, Jeder hat nur ſein Geſchäft vor Augen; wir ſollen

Dieſe Dinge, unterbrach er, nehmen ſich auf dem Papiere recht ſtattlich aus, gewiß iſt auch manches darunter, das dem Einen oder Andern einen Fingerzeig geben dürfte, dennoch kann ich mir wohl vorſtellen, daß unter zwanzig Le - ſern dieſer langen Liſte von Einzelheiten, die ihrer Beachtung empfohlen werden, neunzehn ſein könnten, welche beim beſten Willen nichts daraus zu machen wiſſen. Darin unterſcheidet ſich eben die Biene von der Fliege, daß dieſe ſich auf Alles ſetzt und Alles benaſcht, die Biene aber nur Honigblumen263VIII. Spitze Bleiſtifte. Weitere Mittel gegen Reiſemüdigkeit.aufſucht und nicht heimkehrt, ohne etwas mitzubringen. Ich bleibe bei meiner Anſicht, daß wir ſchlechterdings eine Wahl treffen müſſen und nicht darauf ausgehen, unſre Aufmerkſam - keit allem Möglichen zuzuwenden; ferner, daß bei dieſer Vielſeitigkeit die Gefahr, die ganze Arbeit den Beinen und Augen zu überlaſſen, allzunahe liegt. Um den Kopf mit in die Bundesgenoſſenſchaft zu ziehen, iſt endlich gerathen, fleißig den Bleiſtift und die Feder in die Hand zu nehmen (vergl. S. 60), nicht blos als Stütze für’s Gedächtniß, auch als Sporn für Auffaſſung und Beurtheilung.

Wenn ich nun aber gar nicht mit mir ſelber im Rei - nen bin, auf welche Dinge ich mein leibliches und geiſtiges Auge zu richten habe, welche Specialität mir angemeſſen iſt, thue ich dann nicht wenigſtens wohl, um zu prüfen, mit mehrerlei gleichzeitig den Anfang zu machen? Soll ich fer - ner mit dem läſtigen, zeitraubenden Aufzeichnen nicht lieber warten, bis ich etwas Müdigkeit und Stumpfheit fühle, alſo des Sporns bedarf?

Im Gegentheil, den Bleiſtift müſſen Sie gleich und oft von Neuem ſpitzen und ſtumpf ſchreiben, damit Sie nicht ſelbſt ſtumpf werden. Sind Sie’s erſt einmal, ſo ſtachelt Sie der Griffel nicht ſo leicht zur Lebhaftigkeit zurück. Mit zwei, drei, vier Beſonderheiten beginnen Sie meinethalben, je eher aber Eine die übrigen zurückdrängt, Sie packt und fortreißt, um ſo beſſer für Sie und ſie.

Sie werden indeſſen doch zugeben, Meiſter, daß auch Jemand, der einen für ihn vollkommen paſſenden Gegenſtand gefunden hat und ſich darin befriedigt fühlt, dennoch nicht ganz und gar in ihm aufgehen kann und ſoll, theils weil Jeder eines gewiſſen Maßes von Abwechslung bedarf, theils weil er noch andere, allgemeine geiſtige Bedürfniſſe hat?

Allerdings meine ich das und habe dieſen Einwurf längſt erwartet. Wie Alles im Leben ſeine Zeit hat und ha - ben muß, wie die Tages - und Jahreszeiten wechſeln, in Kleidertrachten, Eſſen und Trinken, Ruhe und Thätigkeit,264VIII. Sehenswürdigkeiten Menſchen - u. Selbſtkenntniß.kurz in allem Thun und Treiben der Menſchen das Bedürf - niß nach Veränderung ſich geltend macht, ſo kann auch der Reiſende ihrer nicht entrathen und es offenbarte völlige Ver - blendung, vor jeder Art von Abwechslung zu warnen. Meine Bemerkungen bezogen ſich natürlich nur auf Grad und Aus - wahl der Beſchäftigungen. Ebenſowenig habe ich leugnen wollen, muß vielmehr beſonders betonen, daß die wichtig - ſten Aufgaben des Touriſten in jenem allgemeinen Ge - biete liegen. Für dieſe wichtigſten Aufgaben halte ich nämlich nicht Beſichtigung von Naturſchönheiten, Sehenswürdig - keiten, Seltenheiten, Curioſitäten, ſondern: Menſchen, andere ſowohl als ſich ſelbſt, beſſer beurtheilen und behandeln zu lernen, zu lernen, neue Blicke in das eigene Innere und in das ganze Menſchenweſen zu thun, in ſeinem Ich Mängel und ebenſo Fähigkeiten zu entdecken, von denen wir bisher nichts wußten, im Menſchen überhaupt die allgemeinen, aller - wärts wiederkehrenden, weſenhaften Grundzüge von den Zu - fälligkeiten des Individuums unterſcheiden: nicht blos Menſchen, auch den Menſchen näher kennen zu lernen.

Wer Jahr aus Jahr ein in gewohnten Kreiſen ſich be - wegt, in denen Rang, Vermögen, Amt, Beruf, Gewohn - heiten, Familienverbindungen, Vorangegangenes verſchieden - ſter Art ihren Einfluß üben, hat ſelten Gelegenheit zu ſehen, welchen Eindruck ſeine innerſte Perſönlichkeit, gelöſt von die - ſem Beiwerk, auf Andere macht, und doch iſt ein Experiment der Art um ſo belehrender, je höher, und um ſo wohlthuender, je tiefer wir auf der geſellſchaftlichen Stufenleiter ſtehen, es iſt ein Probirſtein für den Feingehalt des eigenen Weſens und ein Schleifſtein für deſſen Ecken.

Die Reiſemüdigkeit, die wir im großen Touriſtenſtrom ſo vielfach wahrnehmen, beweiſt, daß die Mehrzahl jener Herren und Damen ihren Vortheil verkennt, indem ſie weder auf das Allgemeine noch auf ein Beſonderes bedacht ſind. Denn auch was Natur und Kunſt des Herrlichſten bieten, der reichſte Wechſel großartiger und lieblicher Landſchaften, Alter -265VIII. Geſelligkeitstrieb Einſiedler.thum, Gemälde, Sculpturen, Bauwerke, ernſtes Studium, Zerſtreuungen und Genüſſe, nichts vermag auf die Dauer die Sehnſucht nach menſchlicher Anſprache fern zu halten. Vor - handen iſt dieſer tiefgewurzelte, mächtige Trieb bei Jedem; theils verhindern aber unſre großſtädtiſchen Gewohnheiten und Vorurtheile, ihm auswärts Befriedigung zu gönnen, theils ſuchen wir uns oberflächlich mit ihm abzufinden (z. B. durch aus der Heimat mitgenommene Begleiter, welche neue Anknüpfungen nur erſchweren), anſtatt den Drang, wie der Schiffer den Wind, zu benutzen, um uns dem Hauptziele zutreiben zu laſſen.

Mancher ſucht doch aber, gab ich zu bedenken, eben die Einſamkeit der Wälder und Berge auf, weil er gar keine Menſchengeſichter mehr ſehen will

Täuſcht ſich jedoch, wenn er ſeinen Geſelligkeitstrieb erſtorben glaubt. Dieſer Schelm von Geſelligkeitstrieb ſtellt ſich zuweilen, als ob er den freiwilligen Hungertod gewählt habe. Um ihn zu heilen und für ſeinen Trotz zu ſtrafen, laſſe man ihm nur eine Zeit lang ſeinen Willen, völlige Ein - ſamkeit, das wird ihn ſchon zur Beſinnung bringen. Wäre ich indeß auch eingefleiſchter Einſiedler, ſo verböte mir doch der touriſtiſche Corpsgeiſt, mich abzuſchließen. Ich muß mir ſagen, ein gütiges Geſchick hat mich mit allem zur Reiſe Nöthigen ausgeſtattet, ich bin nicht zu alt, noch zu gebrech - lich, habe Zeit, Mittel und Luſt dazu, keinerlei Verpflichtungen hindern mich, meinen Wohnort längere Zeit zu verlaſſen: ſoll ich alle dieſe ſchönen Geſchenke hinnehmen, ohne nach einer Bethätigung meines Dankgefühls zu ſuchen? Bin ich als Touriſt entbunden von der allgemeinen Pflicht, nicht blos meinem lieben Ich, ſondern auch ein wenig Anderen zu leben? Als Künſtler, als Archäolog, als Naturforſcher dürfte ich ein - wenden, ich will mich nicht abziehen laſſen von meinen Be - ſtrebungen; als Patient höheren Grades hätte ich die Aus - rede, ich bin zu krank für die Geſelligkeit; womit ſoll ich mich aber als Touriſt entſchuldigen? Und wenn nun gar jene266VIII. Ausſchließlichkeit Befürchtungen.Pflicht zugleich der Hauptreiz und der bleibendſte Gewinn der ganzen Reiſe wäre? Selbſt Reiſende, welche hohe, ernſte Zwecke verfolgen, die ihnen ſehr am Herzen liegen mit einem und dem andren Manne dieſes Schlags hatte ich im Laufe meiner Wanderjahre das Glück, bekannt zu werden, und entſinne mich mancher darauf hinausgehenden Aeußerung, aber keiner entgegengeſetzten dürfen, wenn anders ſie ſich friſch erhalten wollen, die Ausſchließlichkeit nicht ſo weit trei - ben, daß ſie weder Zeit noch Sinn übrig behalten für ge - ſelligen Umgang. Deshalb machte ich zu jenem allgemeinen Satze die einſchränkende Parentheſe: bis zu einer gewiſſen Grenze .

Hier fielEduardein: Camerad, ich beſchwöre Sie, predigen Sie in Ihrem Buche nicht derlei gefährliche Fourie - riſtiſche Schwärmereien, man iſt ſonſt trotz allen Parentheſen nirgend mehr ſicher vor Zudringlichkeiten und freundſchaft - lichen Anſprachen, das goldene Zeitalter der Taſchendiebe, Schuldenmacher, Schwindler und Schwätzer bricht an und die Sprechruhr aus in Waggons, Wäldern und Feldern, die Gletſcher zerfließen vor lauter Wärmeentwickelung

Es freut mich, Säugling, daß Du meinen Lehren und Deines Milchbruders Beredtſamkeit ſo viele Geiſtes - macht und Ueberzeugungskraft zutrauſt. Vorläufig beruhige Dich indeß nur. Die Naturgeſetze der Anziehung und Ab - ſtoßung, der Affinität ꝛc., nationaler und individueller Ab - ſtammung und Artung werden ſich immer noch hinlänglich geltend machen. Mein gelehriger Adoptivſohn wird auch ge - wiß nicht mißverſtanden haben, was von alledem meine ernſtliche Ueberzeugung und was nur ſcherzhafte Zuthat iſt.

Verehrter Meiſter, ſagte ich ſchüchtern, tauſend Dank für Ihre gute Meinung, ich bitte aber doch um die Erlaub - niß, unſer heutiges Geſpräch gedruckt mittheilen zu dür - fen, damit nicht die volle Laſt der Verantwortlichkeit auf mich fällt.

Thun Sie das getroſt, mein ſchüchterner Freund. 267VIII. Die Reiſe ein Maskenball Zwiegeſpräche.Die Leſer, an welche ſich unſer Buch vorzugsweiſe wendet, werden nicht in Mißverſtändniſſe fallen, uns z. B. auch nicht zutrauen, daß wir für die geſellige Annäherung Grundſätze aufſtellen wollen, als deren Vertreter Weinreiſende und Stubenfliegen gelten können. Ich verglich die Reiſe einem Maskenball. Am liebſten trete ich in leichtem Domino auf, um volle Freiheit der Action zu haben. Eine Kunſt, die ich eifrig übe, iſt die Demaskirung. Harlekinen gegenüber ver - halte ich mich abwartend, laſſe mich aber eine Weile necken und kehre ihnen erſt den Rücken, wenn ich merke, daß, was ich für Maske hielt, ihr Fleiſch und Blut iſt und daß ſie ein ernſthaftes Geſicht weder haben noch ſehen mögen. Bei Charaktermasken und andren Dominos klopfe ich nicht ſelten leiſe an, warte, bis es ihnen beliebt, die Larve abzuwerfen, und thue dann entweder ein Gleiches oder wandre fürbaß, je nachdem mir ihr wahres Antlitz gefällt. Der Touriſt braucht, wie ſchon angedeutet, nicht ſo vorſichtig zu ſein, als der Cur - gaſt, denn er hat nicht ſo lange als dieſer für Fehlgriffe zu büßen. Einen Unterſchied mache ich zwiſchen großen touriſti - ſchen Sammelplätzen und Luxusbädern einerſeits und ent - legenen, wenig beſuchten Reiſegebieten und kleinen Curorten andererſeits: die Erſteren ſehe ich wie öffentliche Maskeraden an, wo man auf Alles und Jedes gefaßt ſein muß, vermeide die Initiative, ſo lange nicht beſonders günſtiger Anlaß vor - handen; die Letzteren dagegen betrachte ich wie Privatbälle und behandle Jeden, der mir nahe kommt, nicht als wild - fremde gleichgiltige Perſon, ſondern etwa ſo, wie ein Mit - glied einer geſchloſſenen Geſellſchaft oder eines Vereins inner - halb deſſelben Jemanden begegnen würde, der zwar fremd ſcheint, aber doch möglicherweiſe von einem ſeiner Freunde eingeführt iſt, wenigſtens muthmaßlich nicht unter die Leute gehört, die wir grundſätzlich meiden. Selten gehe ich an Gruppen oder Paare heran, deſto häufiger an Einzelne, über - haupt ziehe ich das Zwiegeſpräch der Unterhaltung in größeren Kreiſen vor, denn daß die letzteren der Geſelligkeit268VIII. Große Geſellſchaften.im höheren Wortſinn ungünſtig ſind, läßt ſich nicht verkennen. Irgend ein Schriftſteller äußert einmal mit mehr Aufrichtig - keit als Höflichkeit, es ſei ihm, wenn er einer Geſellſchaft bei - gewohnt habe, immer ſo, wie einem Waſſer zu Muthe ſein möge, durch das eine Heerde gelaufen iſt und das nun einige Zeit braucht, um wieder klar zu werden. Von Oliver Gold - ſmithſagte ein berühmter Zeitgenoſſe, der ihn in einem Club hörte, er ſei erſtaunt, denſelben Mann, der wie ein Engel ſchreibe, wie einen Eſel ſprechen zu hören. Der Vorſitz in großen Geſellſchaften, deren Zweck bloße Unter - haltung iſt, ſcheint nun einmal der Göttin der Trivia - lität auf die Länge nicht ſtreitig zu machen, und das Er - gebniß ſtellt ſich kaum beſſer, wenn auch geſcheute Menſchen zugegen ſind. Ob nun dieſe ſelbſt oder nur ihr Geiſt ſich aus dem Dialog zurückziehen, kommt auf Eins heraus, jedenfalls hat mir immer geſchienen, daß das Beſte, was ich gehört, von vorbereiteten Reden abgeſehen, im Austauſch von Zweien oder Dreien zum Vorſchein gekommen ſei. Iſt der Kreis aus Einem hervorragenden und einer Anzahl mittel - und untermittelmäßiger Köpfe zuſammengeſetzt, ſo rückt jener raſch herab auf’s allgemeine Niveau, weil es ihm an Anregung fehlt; zählt er mehre bedeutende, ſo iſt der Friede bald geſtört, jeder von ihnen hat kleine Parteigänger um ſich herum, denen er Zugeſtändniſſe macht u. ſ. w. Im Zwiegeſpräche gibt man ſich unbefangener, die Rede kann für Eine beſtimmte Perſon zugeſpitzt ſein, die Eitelkeit miſcht ſich nicht ſo leicht ein, wird auch nicht ſo leicht verletzt, und das Ganze verläuft ergiebiger für beide Theile. Zwei Menſchen können allenfalls für einander paſſen, die Wahrſcheinlichkeit verringert ſich aber, je mehr deren ſind. Der Muſen waren zwar Neun, ihre Biographen berichten jedoch nicht, daß ſie ſich alle neun an einen Tiſch geſetzt und Converſation gemacht hätten. Einen Wink könnten uns auch Abſtimmungen man - cher Körperſchaften geben, denen es notoriſch nicht an ein - ſichtigen Männern fehlt, die aber doch oft verhandeln, als ob269VIII. Hintergedanken.kein Einziger darunter wäre. Der Geiſt ſcheut große Geſell - ſchaften ebenſo wie Geiſter und Geſpenſter ſie ſcheuen.

Worin beſteht nun aber das Anliegen, worauf Sie ſo geheimnißvoll deuteten? fragte ich endlich.

Oh, das habe ich längſt errathen, kam wieder der Neffe in die Quere, und es iſt ein Glück für mich, daß ich vor unſrem Abſchied meinem ſtrengen Oheim noch zeigen kann, daß auch ich auf ſeine Ideen einzugehen verſtehe und nicht verdiene, Ihnen immer hintangeſetzt zu werden. Miß - trauiſche Leſer mögen zwar vermuthen, daß die Gemüther und die Caſſenſchränke der Capitaliſten vorbereitet werden ſollen für ein Actienunternehmen in großem Stile, wie z. B. eine Kette von deutſch-engliſchen Muſterpenſionen an den Küſten des Mittelländiſchen Meereszur Aufnahme winter - flüchtiger Nordländer oder etwas der Art. Ich glaube aber, daß unſer Mentor im Sinne hat, mit Hilfe Eures ränke - vollen Buches einen großen internationalen Touriſtenbund anzubahnen, welcher ungefähr wie der Freimaurerorden ge - ſtaltet ſein, geheime Erkennungszeichen, hierarchiſche Gliede - rung, Probezeit ꝛc. haben ſoll

So hoch fliegen meine Pläne nicht, entgegnete unſer alter Freund, ich bin ſchon zufrieden, wenn Sie mir ver - ſprechen, für alle Grundſätze der Reiſemoral und Reiſe - äſthetik, die ich meinen Mittheilungen aus praktiſchem Gebiete eingeſtreut habe, unter Ihren Landsleuten zu werben, wie ich es ſchon lange unter den meinigen thue.

Merken Sie wohl, wißbegieriger Commilitone, ſpotteteEduardweiter, Sie ſollen nicht blos ſelbſt das Heulen mit den Wölfen unterlaſſen, nein, Sie ſollen ihnen auch Sing - unterricht geben. Wenn alle Wölfe der beiden Hauptreiſe - völker ſolfeggiren gelernt haben, werden die andern Nationen nachfolgen müſſen, und das europäiſche Concert beginnt.

Zu dem Concerte hat jeder der guten Geſellſchaft Angehörige freien Eintritt, Niemand aber wird herein - genöthigt, ließ ſich Ulyſſes vernehmen.

270VIII. Betrübende Wahrnehmung unſre Geſchäftsfreunde.

Um mein Herz ganz zu erleichtern, hob er nach einer Pauſe wieder an, muß ich einen Gegenſtand, der ſchon flüchtig berührt ward, hier noch einmal abhandeln. Eine betrübende Wahrnehmung für jedes rechtſchaffene Touriſten - gemüth, leider aber unverkennbare Thatſache iſt es, daß in den Claſſen, die viel mit ungeſchäftlichem Reiſepublikum ver - kehren, gewiſſe Eigenſchaften ſich entwickeln, die ihnen nicht zur Zierde gereichen. In dieſe Claſſen gehören, von zahl - reichen ehrenwerthen Ausnahmen abgeſehen, nächſt den Wirthen der Touriſtendiſtricte nebſt Perſonale, die Lohndiener, Träger, Führer niederer Gattung, ferner Kutſcher, Vermiether von Reit - und Zugthieren*)Bei Leuten, die berufsmäßig mit Pferden, Maulthieren, Eſeln umgehen, ſcheinen den ſonſtigen üblen Eigenſchaften und Inſtincten oft noch gewiſſe thieriſche ſich beizugeſellen, wie Rohheit, Jähzorn und Rachſucht., Sänften und Kähnen, Kunſt - und Kunſtſtückſpeculanten, Induſtrie - ritter und Knappen bis hinab zu den Echoweckern, Murmel - thierjungen, Harmonicaſtrolchen und anderen verhohlenen und unverhohlenen Bettlern und Wegelagerern, ſelbſt viele Handwerker, Händler und ihr Anhang in den faſhionabeln Fremdenquartieren. Sie betrachten den Fremden als ihr zuſtändiges Jagdwild, behandeln dieſes Wild aber nicht nach verſtändigem Weidmannsbrauch, ſondern pürſchen drauf los wie Wilderer, nur auf die Beute des Augenblicks bedacht. Neben all dem Schlimmen kommt freilich auch einiges Gute heraus, jedes Stück bringt aber ſein zehnfaches Gegengewicht mit. So wird z. B. die Genugthuung über die Gewandt - heit, Flinkheit, befliſſene Dienſtfertigkeit und Höflichkeit der Leute weſentlich getrübt durch die Wahrnehmung, daß ſie dieſe Tugenden zum Handelsartikel machen und übermäßig beziffern, auch würde man gern darauf verzichten, daß ſie mehre Sprachen verſtehen, wenn ſtatt deren eine Sprache, die der Beſcheidenheit und Biederkeit, ihnen nicht ganz fremd geworden wäre. Viele Uebelſtände der Art, die ſich natürlich271VIII. Ein Landpaſtor Stadt - und Landleute.auch auf Curplätze erſtrecken, bildeten einſt den Gegenſtand einer Unterredung mit einem Landpaſtor. Ich hatte ihn gefragt, warum er nicht von ſeinem vortrefflich gelegenen, ſehr geräumigen, in allen Beziehungen wohl geeigneten Hauſe eine Anzahl Zimmer an Sommercurgäſte vermiethe, die fort - während ihn darum beſtürmten. Es war ein würdiger, in der ganzen Gegend hochgeſchätzter alter Herr, ehemals Miſſio - när in Südafrica, Vieler Wohlthäter und einſichtiger Be - rather. Kranken in ihrer Heilung behilflich zu ſein, ant - wortete er, würde ja einem Geiſtlichen durchaus anſtehen, auch wiſſe er wohl, daß viele ſeiner Amtsbrüder anderwärts keinen Anſtand an der Sache nehmen; er könne ſich aber nicht dazu entſchließen, weil ſein Gewiſſen ihm verbiete, mit - zuhelfen, ſeine Landleute mit Stadtleuten in Berührung zu bringen, denn gewinne auch ihr materieller und geiſtiger, ſo verliere doch der Wohlſtand ihrer Seele zehnfach dabei.

Als eine perſönliche Kränkung konnte ich dieſe Worte von dem Manne offenbar nicht auffaſſen, dennoch machten ſie einen peinlichen Eindruck auf mich. Er mochte das bemerkt haben, denn er nahm jetzt meinen Arm und entwickelte, während wir im Garten auf und ab gingen, ſeine Anſichten über die Angelegenheit in einer, von gewöhnlichem Kanzelton ſo weit entfernten, ſchlichten, eindringlichen Weiſe, daß ich ausrufen mußte: es iſt wahr, man ſollte ſich faſt ſchämen, zur Kaſte der Touriſten und Curgäſte zu gehören.

Das habe ich nicht ſagen wollen, erwiederte er. Jeder hat ſich nur deſſen zu ſchämen, was er ſelbſt verſchuldet, und daran ſchon hinlänglich. Die erſte Veranlaſſung liegt aber auch weniger in Perſonen als in Sachen. Plötzlicher, mühe - loſer Geldgewinn hat auf Einzelne wie auf ganze Völker den ſchlimmſten Einfluß, macht ſie habgierig, ſelbſtſüchtig, ſchlaff, üppig, übermüthig, treulos. Dieſer Geldgewinn wird nun ſchon dadurch herbeigeführt, daß Reiche mit Armen in geſchäftliche Berührungen treten. Das Beiſpiel des Luxus und des Müßiggangs kommt hinzu. Ueber Dinge, die nicht272VIII. Plötzlicher Geldgewinn. Wohnungsmiethe. Preisſteigerungen.zu ändern ſind, will ich mich nicht verbreiten, die Bemerkung kann ich aber nicht unterdrücken, daß das Verfahren der meiſten Curgäſte von ihrer Ankunft bis zur Abreiſe eine förmliche Herausforderung zur Uebertheuerung, Erpreſſung und Bettelei iſt. Wer nicht aus Büchern oder durch perſön - liche Erkundigungen an Ort und Stelle über die zeitweiligen localen Preisverhältniſſe ſich unterrichten kann, ſollte wenig - ſtens die Privatwohnung nicht eher miethen, als bis er im Ort umhergegangen, eine Anzahl Quartiere beſichtigt, ihre Miethpreiſe notirt hat, und beim Weggehen in jedem offen erklären: ich werde mir noch andere Wohnungen anſehen, ſagen Sie mir gleich Ihren feſten Preis. Statt deſſen iſt gewöhn - lich am Morgen nach der Ankunft das Erſte der Kaffee, das Zweite, daß man in das nächſte freundlich blickende Haus, an dem ein Schild Möblirte Zimmer hängt, ein - tritt, Stuben und Betten beſichtigt und dann ſofort den Vertrag ſchließt, ſei die Forderung auch die unerhörteſte. Dieſe ſo raſch bewilligte wird nun vom Hausbeſitzer als eine unüberlegte, unſinnige Schleuderei betrachtet und bitter bereut. Für die Zukunft iſt er gewitzigt , vielleicht ſucht er auch das Verſäumte innerhalb ſeines jetzigen Contracts durch gewiſſe Mittelchen der Berechnung nachzuholen. Ferner läuft er in ſeiner Freundſchaft und Gevatterſchaft umher, klärt ſie auf über die neuen Coursverhältniſſe des Platzes und findet für ſeine Lehren den fruchtbarſten Boden. Stehen - der Artikel der Unterhaltungen in der Schenke und an den Brunnen ſind nun Miethpreiſe. Für meinen Salong und Angtree (anderthalb niedrige Stübchen mit drittehalb Fenſter - lein werden ſo benannt) habe ich gekriegt, wenn du nicht dumm biſt, forderſt du u. ſ. w. Ein toller Wettſtreit entflammt die Leute, und aus dem beſcheidenen Walddörfchen iſt bald ein faſhionabler Ort geworden. So lange er Mode bleibt, geht, geſchäftlich betrachtet, alles gut. Es entſtehen Häuſer über Häuſer und Hypotheken über Hypotheken (damit dieſe ſicher auf jenen ſtehen können, werden die Dächer platt273VIII. Luxusgäſte Trinkgelder, Geſchenke, Almoſen.gebaut und mit Gittern umgeben), nur ein ſchlechtes Jahr braucht aber zu kommen, ſo ſtürzen die Schwindelbauten zu - ſammen, die Beſitzer ſind ausgewandert und die Gläubiger liegen unter den Trümmern. Durch die verſchwenderiſchen Luxusgäſte wird natürlich der Landaufenthalt Mäßigbemittel - ten, ſo dringend ſie ſeiner auch bedürften, dermaßen ver - theuert, daß ſie darauf verzichten müſſen. Hinzu kommt die verkehrte Art, Geſchenke, Trinkgelder und Almoſen auszutheilen. Unter den mündlichen und ſchriftlichen Bitt - ſtellern wie unter der Armuth, die an den Wegen ſteht und die Hand aufhält oder mit Blicken bettelt, ſind nur die Aus - nahmen der Unterſtützung werth und benöthigt. Wer ſich ſelbſt die Mittel, wahrhaft Hilfsbedürftigen wirkſam beizu - ſtehen, nicht ſchmälern will, ſollte dieſe unter dem Beirath kundiger und gewiſſenhafter Ortsangehöriger aufſuchen und das Ausſtreuen von kleiner Münze in’s Blaue hinein denen überlaſſen, die es zu eigener flüchtiger Unterhaltung thun. In meinem Dorfe iſt’s, Gott ſei Dank, heute noch nicht ſo weit, allein ich fürchte, es werden keine zehn Jahre vergehen und wir haben auch hier franzöſiſche und engliſche Schilder, ruſſiſche Preiſe und aſiatiſchen Luxus, d. h. die Art von Proſperität , die ich für einen Fluch halte. Dabei mithelfen will ich nicht, deshalb vermiethe ich nicht an Stadtgäſte.

Daß viel Wahres in dieſen Herzensergießungen meines geiſtlichen Freundes liegt, wird Niemand in Abrede ſtellen wollen, ich geſtehe ſogar, daß ich damals verblüfft und traurig darüber war und nichts zu erwiedern wußte. Seitdem habe ich über die ernſte Sache die Frage nämlich, ob die nähere Berührung der Gebildeten und Ungebildeten, der Reichen und Armen die letzteren nothwendig verderben müſſe weiter nachgedacht, und da ſcheint mir denn doch, daß, von jenem Standpunkt ausgehend, wir in grader Linie bei der Lebensanſchauung ankommen, die im ganzen neuen Verkehrs - leben ein verkehrtes Leben und das alleinige Heil in klöſter -18274VIII. Selbſtvertheidigung durch Cultur zur Natur zurück.licher Abgeſchloſſenheit ſieht, oder wie Rouſſeau, der gewiß weit entfernt war von Möncherei, in ſeiner berühmten Preis - ſchrift ausführt daß wir wohlthäten, alle Kunſt und Wiſſenſchaft fortzuwerfen und zur Unwiſſenheit und Armuth zurückzukehren. Wir müßten dann die geiſtige, politiſche und wirthſchaftliche Entwickelung unſrer Zeit, den verbeſſerten Schulunterricht, den Aufſchwung des Landbaus, der Gewerbe und des Handels verdammen, die Gewerbefreiheit, das Ver - eins - und Genoſſenſchaftsweſen, die allgemeine Wehrpflicht, die wachſende Ausbeutung der Dampfkraft und Ausbildung des Transportweſens, die Auswanderung, die Freizügigkeit ꝛc. verwerfen, denn alles das ſind Erſcheinungen, Urſachen und Wirkungen, die eine Umwälzung der bisherigen Zuſtände hervorgerufen haben und täglich mehr hervorrufen müſſen. Der Reiſeverkehr bildet zwar nur einen kleinen Theil des großen Ganzen, aber auch über ihn wäre der Stab gebrochen, gleichzeitig über dieſes arme Schriftlein, welches touriſtiſchen, alſo unſittlichen Zwecken diente. Nicht die Vertheidigung der Weltentwickelung liegt uns ob, nur das damit zuſammen - hängende Nichtſchuldig unſres inculpirten Buches, ſo ſei es denn geſtattet, auf Folgendes hinzuweiſen. Mögen wir ſo oder anders über den Fortſchritt denken, ſich gegen ihn zu ſtemmen vermag Keiner, weder Papſt, Kaiſer, König, Prieſter noch Laie; ſie Alle ſehen das auch längſt ein, obgleich ſie es nicht immer ausſprechen und kundgeben. Unaufhaltſam ver - folgt die Cultur ihren Weg, und ihre Begleiter, die guten und die ſchlimmen, bleiben nicht zurück. Leben wir der Hoff - nung, daß das Menſchengeſchlecht und alles Gute in ihm nicht untergehen wird, leben wir der Ueberzeugung, daß Ver - nunft in der Weltgeſchichte, ein auf das Gute gerichteter Wille und eine das Gute endlich durchſetzende Kraft in ihr waltet, daß unſre Beſtimmung iſt, durch die Cultur zur Natur zurückzukehren, nicht alle Cultur zu verbannen. Sorgen wir alſo nicht um die Weltgeſchicke und tröſten wir uns über jeden zeitweiligen Verfall durch das Vertrauen, daß275VIII. Unſre Aufgaben Politik Heimgekehrte.er zum Vorbereiter eines neuen Aufſchwungs werden muß. Mögen in die ländliche wie ſchon früher in die untere ſtädtiſche Bevölkerung zerſetzende Elemente getragen werden, dieſe Fäulniß befruchtet neues Leben. Keime für neues Wachsthum führen alle Ströme mit ſich, warum ſollte es dem Touriſtenſtrome daran fehlen? Trachten wir Jeder, nur zu den guten Keimen und nicht zu den zerſetzenden Elementen beizuſteuern. Seine Aufgabe kann finden, wer danach ſucht.

Der Reiſende tritt aus dem engeren Kreiſe ſeines Wohn - ſitzes heraus in den Weltverkehr, hat vor dem Ausländer ſeine Nation zu vertreten, ſein Benehmen gibt dem Fremden Stoff für deſſen Urtheil, deſſen Zu - und Abneigungen. Ihr Deutſche habt an dem Bande, das dereinſt Euer Vaterland umſchließen ſoll, weben zu helfen, uns Engländern liegt ob, darzuthun, daß wir nicht neunzöllige Eiſenpanzer um uns haben, daß vielmehr jeder wahre Gentleman meines Volkes, der mit einem ſolchen des Ihrigen auf dem Feſtland zu - ſammentrifft, gern die Gelegenheit ergreift, mit ihm bekannt zu werden.

Geſchrieben ſteht doch aber, warf ich ein, wir ſollen auswärts noch mehr als zu Hauſe vermeiden, über Dinge zu ſprechen, die Leidenſchaften und Streit aufregen können, namentlich Politik aus Politik bei Seite laſſen?

Auch der Rath iſt an Unerfahrene, nicht an Männer von einiger geiſtiger Reiſe gerichtet, die im Beſitze gewiſſer Eigenſchaften ſind, welche gerade die Reiſe auszubilden ſich trefflich eignet, wie z. B. Milde des Urtheils, Duldſamkeit, Gewandtheit, Sicherheit und Leichtigkeit in den geſellſchaft - lichen Umgangsformen.

An Lehren der Weisheit und Tugend für die Zeit vor und auf der Reiſe dürfte zur Genüge vorhanden ſein, hob jetzt der Neffe an. Du willſt doch nicht unſren Freund verlaſſen, ohne ihm zu ſagen, was dem Heimgekehrten zu Nutz und Frommen dienen kann?

18*276VIII. Leichtſinniges Briefſchuldenmachen Imponirenwollen.

Du haſt Recht, lieberEduard, werfen wir noch raſch einen Blick in den Bereich. Vorher jedoch noch ein Haupt - ſtück aus unſrem ſchwarzen Regiſter, in dem wir faſt allzumal Sünder ſind: daß wir unſre Lieben daheim oft ungebührlich lange auf Briefe warten laſſen. Säumige ſollten we - nigſtens vorläufig das erſte beſte Zeitungsblatt unter Kreuz - band nach Hauſe ſchicken, damit die Angehörigen aus der Handſchrift der Adreſſe ſehen, daß und wo das ferne Familienglied lebt und ihrer gedenkt. Mein erprobtes Mittelchen, um mir ſelbſt leichtſinniges Briefſchul - denmachen zu erſchweren, will ich doch hier nicht ver - ſchweigen: ich lege an eine Stelle, auf die täglich mein Blick fallen muß, ein Franco-Couvert mit der betreffenden Adreſſe und erinnere mich nur eines Falles, daß ich länger als drei Wochen einem ſolchen unermüdlichen, beſcheidenen, ſtummen, aber darum deſto vorwurfsvolleren, ärgerlicheren Mahner widerſtanden hätte.

Jüngere Leute, die aus weiter Ferne nach längerer Ab - weſenheit zurückkehren, mißfallen am häufigſten ihren Freunden in der Heimat durch Imponirenwollen. An - ſtatt Fragen abzuwarten und dann beſcheiden, ſinnig und bündig zu antworten, drängen ſie ſich hervor mit romantiſch ausſtaffirten Abenteuern, Jagd - und Räubergeſchichten, in denen ſie Heldenrollen ſpielen, mit unzeitigen Kritiken und liebloſen Vergleichen, in ihrer Tracht, vielleicht auch in Brauch und Sitte (ſchon Addiſon rügt das) haben ſie gutes Heimiſches vertauſcht gegen fremde Seltſamkeiten und Un - würdigkeiten; Andere brüſten ſich mit künſtlicher Begeiſte - rung, die in banalen Ausrufungen und Augenverdrehungen ſich gütlich thut, noch Andere geben auf die höflich theil - nehmende Frage wo ſie denn nun alles waren die unartigſte, undankbarſte, langathmigſte Antwort: jede Malzeit nach Zeit und Stunde wird erwähnt, jeder Orts - und Wirths - hausname muß herbei. Der Hörer ſitzt auf Kohlen, ſieht bange nach der Uhr, will abſpringen, aufbrechen, der Erzähler277VIII. Abenteuer Reiſeberichte Zweifel.faßt aber ſeinen Arm, wirft verſtörte Blicke umher wie hieß nur in aller Welt das verdammte Neſt? und zwingt ſein unglückliches Opfer, abzuwarten, bis er ſich aller Namen entſonnen hat. Er vergißt, daß dieſe, obwohl ſich für ihn allerhand ſchöne Erinnerungen an ſie knüpfen, dem Hörer nur leerer Hall und Schall ſind. Treffen nun gar zwei ſolche Schwärmer, welche dieſelbe Tour gemacht haben, zu - ſammen, und überbieten ſich in Erinnerungen da wendet ſich der Gaſt mit Grauſen!

In den Zügen jedes Leſers ſehe ich hier ein ſympathiſches Lächeln ſpielen, denn jeder erinnert ſich ſolcher unlieber Viertelſtunden, die ſich zu ganzen Abenden ausdehnten. Keineswegs leicht iſt es übrigens, heimiſchen Kreiſen in einer befriedigenden Weiſe ſeine Reiſeerlebniſſe vorzutragen, und ich kann nur rathen, recht ſparſam und vorſichtig in Mit - theilungen zu ſein (weit ſparſamer und vorſichtiger, als z. B. ich es geweſen bin), damit dem Erzähler von den Hörern verziehen wird, daß er etwas voraus hat vor ihnen. Auch Herrn Urian’s Erfahrung im Claudius’ſchen Liede iſt zu beherzigen.

Vater, mahnte ich, in einigen Minuten wird das Zeichen zur Abfahrt ertönen. Darf ich noch nicht wiſſen ?

Telemach, ſpielen Sie nicht Komödie mit Ihrem alten Lehrer, ich entziehe Ihnen ſonſt die Erlaubniß, ſich meinen Schüler nennen und unſer Buch ſchreiben zu dürfen. Oder ſollten Sie wirklich noch im Dunklen darüber ſein, wie ich die allgemeinen und beſonderen Haupt - und Nebenzwecke der Reiſe claſſiſicire und welches meine ſpeciellen Anliegen ſind?

Setzen wir den Fall, ich wäre im Klaren darüber, wird es auch der Leſer ſein, der nicht das Glück Ihres per - ſönlichen Unterrichts genoſſen, ſondern ſich mit meiner ſchüler - haften Wiedergabe begnügen muß?

Laſſen wir’s darauf ankommen. Nur Eins will ich noch ſagen: Jener § 1 des Geſetzbuchs, von dem anfangs die Rede war, wurde dort erſt zur Hälfte mitgetheilt. Der278VIII. Abſchiedswort und Reiſeſegen.Schluß lautet: Mit bloßer Erwärmung des Körpers iſt’s aber nicht abgethan, auch die Seele darf keiner Erkältung ausgeſetzt werden, und das iſt allein möglich durch Annähe - rung an Menſchen, gleichviel ob ſie Einheimiſche oder Fremde ſind. Alle rothgebundenen Anweiſungen ſind im Verhältniß hierzu unweſentlich. Wer das verſäumt, verfehlt die Haupt - zwecke der Reiſe und iſt des Ehrentitels Touriſt‘ unwerth. Dieſes Wort betrachten Sie als meinen Reiſeſegen. Und nun leben Sie wohl.

Allen unſren touriſtiſchen Collegen: Glück auf den Weg, gute Geſundheit, gutes Wetter, gute Geſellſchaft!

[279]

Alphabetiſches Sachregiſter.

(Macht keinen Anſpruch auf Vollſtändigkeit.)

  • Abenteuer276.
  • Abiturientenexamen19.
  • Abreiſe52 .55.231.
  • Abwechslung127 .249.254.259.263.
  • Actienunternehmen269.
  • Adreſſen56 .166.230.
  • Allein reiſen79 .231.
  • Alltagsmenſchen214.
  • Almoſen270 .273.
  • Alpenmilch92.
  • Alpenſtöcke44 .71.74.78.
  • Alpenvereine64 .77.
  • Amerikaner214.
  • Aneroidbarometer23.
  • Anknüpfungen, geſell., 1.203.214.230.
  • Anzug27 .33.
  • Apodemik2.
  • Arbeit153 .259.
  • Aerzte95 .123.150.
  • Aſſecuranz51.
  • Aufzeichnungen58 .263.
  • Ausgleiten72.
  • Auskünfte56 .166.
  • Ausrüſtung8 .28.63.
  • Ausſchließlichkeit266.
  • Badeärzte ſ. Aerzte.
  • Bäder ſ. Curorte.
  • Bahnhöfe18 .246.262.
  • Balneologie136.
  • Bänke107.
  • Baratterie207.
  • Barbiere29.
  • Barometer23.
  • Bauten, ländl.,124.
  • Begleiter232.
  • Bekanntſchaften217 .224.
  • Beluſtigungen157 .248.
  • Bergab72 .75.
  • Bergauf43 .70.74.
  • Bergſchuhe65.
  • Bergweh91.
  • Berliner125 .214.
  • Beſchäftigung153.
  • Beſcheidenheit, er - laubte,45.
  • Beſchwerden91 .107.200.
  • Bettelei270.
  • Betten124 .186.
  • Bewegung130 .151.
  • Bewirthung169.
  • Bienen u. Fliegen262.
  • Bier172 .230.
  • Bohrer25.
  • Briefe52 .200.
  • Brieſſchuldenmachen, leichtſinniges,276.
  • Brieftaſche49 .52.
  • Brille, graue11 .86.
  • Briten1 .190.202.
  • Brod171.
  • Buchhandlungen230.
  • Cameraderie167.
  • Caſino230.
  • Cigarren60 .192.
  • Claſſification128 .181.
  • Comfort124 .170.213.247.
  • Consilium abeundi153.
  • Conſuln228.
  • Contraſtwirkung149.
  • Coursbücher35.
  • Culturfortſchritte271.
  • [280]
  • Curen, Curorte93 .101.260.267.270.
  • Curvorſtände105 .111.113.
  • Curzeitvergeudung134.
  • Damen225 .233.
  • Delicateſſen174.
  • Dialekte219 .229.
  • Diät87 .99.101.139.
  • Diebe48.
  • Diener44.
  • Durchſchnittstempera - tur139.
  • Durſt89.
  • Eindrücke249.
  • Einheimiſche227.
  • Einrichtungen, häusl., 110.124.151.185.
  • Einſamkeit230 .259.265.
  • Einſeitigkeit253.
  • Eintönigkeit249.
  • Eisbeile78.
  • Eiſenbahnen17 .45.192.244.
  • Eiſenbahnhöfe18 .246.262.
  • Eisſporen66 .76.173.
  • Eitelkeitstouriſten242.
  • Eleganz169.
  • Empfänglichkeit131 .249.252.
  • Empfehlungsbriefe229.
  • Engageurs166.
  • Engländer1 .190.202.
  • Entfernungen79 .253.
  • Entzifferungskunſt220.
  • Erholungsreiſen93 .128.182.
  • Erkältungen25 .30.36.90.162.
  • Erkundigungen56 .166.
  • Ernährung135 .143.
  • Erſparniſſe35 .166.187.193.199.239.272.
  • Erſteigungen14 .23.64.70.80.87.
  • Erzählungen276.
  • Eſſen87 .171.186.
  • Excerpte256.
  • Fahrkarte45.
  • Fahrſucht127.
  • Farbenſcheibe249.
  • Feinſchmecker176.
  • Felsplatten75.
  • Fenſter124.
  • Fernröhre23.
  • Fernſehen242.
  • Fernſichten88 .248.
  • Filzüberſchuhe20.
  • Flanellhemden28 .40.
  • Fleiſchextract69 .135.
  • Fleiſchkoſt87.
  • Fleiſchzwieback69.
  • Fragen56 .221.226.
  • Franzoſen212 .242.
  • Frauen225 .233.
  • Freunde225 .231.
  • Froſtballen85.
  • Frühaufftehen87.
  • Frühkommen113.
  • Frühling113.
  • Frühſtück87.
  • Führer58 .64.78.81.167.197.270.
  • Fußeiſen73 .76.
  • Fußwanderung14 .38.63.86.225.233.
  • Futterzeug42.
  • G bel22.
  • Galerien132 .227.
  • Gärtnerei159.
  • Gaſtroſophie176.
  • Gaſtwirthe47 .135.141.152.165.270.
  • Gebirgspanoramen11.
  • Gedächtnißkrücken52 .54.58.
  • Geduld140 .232.
  • Gefährten232 .265.
  • Gefühlsrecepte256.
  • Geld35 .48.271.
  • Geldtaſchen49.
  • Gemäldegalerien132 .227.
  • Gemüthlichkeit224.
  • Genußfähigkeit131 .249.
  • Geographie der Langen - weile154.
  • Gepäck15 .19.34.45.51.69.199.
  • Geräuſch ſ. Lärm.
  • Geröll71.
  • Gerüche111.
  • Geſandte228.
  • Geſchäft251.
  • Geſchente104 .191.270.273.
  • Geſchichtliches240.
  • Geſchwätzigkeit219.
  • Geſelligkeit1 .117.120.203.265.
  • Geſellſchaft200 .231.268.
  • Geſprächsſtoffe225 .267.
  • Geſundheitstouriſten129.
  • Getränkkühler90.
  • Gewicht, todtes69.
  • Gewohnheit158 .252.
  • Gewürze163.
  • Glycerin85.
  • Gold49.
  • [281]
  • Goldmägen51.
  • Gourmands176.
  • Grasabhänge72.
  • Griesgrame223.
  • Grübeleien140 .259.
  • Gummiſchuhe36.
  • Händler56 .167.270.
  • Handwerker54 .56.167.270.
  • Hantierungen159.
  • Hausknechte48.
  • Hausmannskoſt173.
  • Hauswirthe120 .124.272.
  • Haut, aufgeſpr.,85.
  • Heilbäder ſ. Curorte.
  • Heimgekehrte263 .275.
  • Hemden27 .41.
  • Herrſchaften169.
  • Hiſtoriſches240.
  • Hochgebirg63 .72.91.131.
  • Hochſommer116.
  • Hochzeitsreiſen233.
  • Höhepunkte88 .248.
  • Hôtels ſ. Gaſtwirthe.
  • Hühneraugen84.
  • Hüte22 .39.44.
  • Hypochonder95 .140.223.
  • Jahreszeit133.
  • Imponirenwollen276.
  • Inſectenpulver23.
  • Joppe34.
  • Journale152 .226.
  • Italien179.163.190.
  • Juchten65 .199.
  • Kaffeehäuſer118 .227.
  • Kammerdiener44 .238.
  • Kellner172 .189.270.
  • Kerzen183.
  • Kleidung17 .27.33.
  • Kleingeld189.
  • Klimatologie136.
  • Knie, nackte36.
  • Knieholz74 .157.
  • Knöpfe21 .34.
  • Koffer14 .17.200.
  • Kopfbedeckung22 .39.44.
  • Koſten35.
  • Küchenvirtuos176.
  • Kündigungsrecht143 .148.
  • Kunſt der Reiſe2.
  • Kunſtgalerien132 .227.
  • Kur ſ. Cur.
  • Kutſcher191 .199.270.
  • Landpaſtor271.
  • Langeweile98 .127.153.242.260.
  • Lärm110 .120.185.246.
  • Latſchen74 .157.
  • Läuferwahnſinn94.
  • Lawinen78.
  • Leder, engl .42.
  • Leinen77.
  • Letter clips164.
  • Lichte183.
  • Lichtungen106.
  • Literatur136 .212.
  • Livrée f. Gepäck18.
  • Luft, Luftcur102 .134.154.
  • Luſtreiſen93 .129.182.242.248.
  • Luxus170.
  • Luxusbäder ſ. Curorte.
  • Markirung15 .18.
  • Maskenball216 .267.
  • Mauern126 .152.
  • Mechanismus159 .250.
  • Meer116 .151.
  • Menſchenkenntniß216 .264.
  • Merkzettel58 .259.
  • Metallklammer164.
  • Milch91.
  • Mimoſen217.
  • Mineralquellen ſ. Cur - orte.
  • Mittelklaſſen228.
  • Monographien136.
  • Monotonie249.
  • Mundvorrath69 .89.
  • Muſeen132 .227.230.
  • Muſik113 .186.
  • Muße251.
  • Müßiggang154.
  • Nachtheile der Reiſe, ſ. Wirkungen.
  • Nachtquartier197 .200.
  • Nachzügler70.
  • Nägel, eingewachſ .85.
  • Nahrungsſorgen135 .175.
  • Nähzeug21.
  • Narrenwagniſſe79.
  • Näſſe, gegen,36 .69.
  • Néceſſaires24.
  • Nerven, Nervöſe95 .111.118.121.160.239.
  • Neubauten123.
  • Neuvermählte234.
  • Norddeutſche208.
  • Nordlicht146.
  • Nothbehelfe32.
  • Notizbücher58 .263.
  • Nutzen der Reiſe, ſ. Wirkungen.
  • Ohrenſchinder112.
  • Operngucker23.
  • Orden125.
  • Packen14.
  • [282]
  • Paläontologiſches180.
  • Pantoffeln21.
  • Papiergeld49.
  • Papierklammer164.
  • Paris171.176.260.
  • Paſchen130.
  • Peitſchenknall111.
  • Penſionen141 .194.269.
  • Poeſie d. Reiſe243.
  • Politik208 .275.
  • Phantaſie58 .126.160.
  • Phantaſietouriſten242.
  • Phyſiognomik57 .220.
  • Piraten187.
  • Plaid37.
  • Plaidnadeln38 .55.
  • Portemonnaie47.
  • Poſſada179.
  • Poſtanweiſungen36.
  • Praktiſche Dinge238.
  • Prämienſyſtem167.
  • Probirſteine264.
  • Promenadenwege105.
  • Prodiſionsreiterei167.
  • Quarteronen221.
  • Räthe, Geheime,125.
  • Rauchen119.
  • Rechnungen188 .198.
  • Regen36 .115.
  • Regiſter, unſer ſchwar - zes,182 .270.
  • Reinlichkeit40 .154.
  • Reiſeapparat19.
  • Reiſeäſthetik269.
  • Reiſebeſchreibung212 .240.256.
  • Reiſecaſſe47.
  • Reiſecur126.
  • Reiſediät87 .99.101.139.
  • Reiſefeinde241.
  • Reiſefieber244.
  • Reiſegabel22.
  • Reiſegefährten232 .265.
  • Reiſegeld35.
  • Reiſehandbücher8 .35.131.166.247.
  • Reiſejagden127.
  • Reiſekleider17 .27.33.
  • Reiſekoſten12 .35.193.
  • Reiſekunſt2.
  • Reiſeluſt40 .131.242.264.
  • Reiſemechanismus250.
  • Reiſemeiſter4 .211.
  • Reiſemoral269.
  • Reiſemüdigkeit131 .242.263.
  • Reiſenotizen58.
  • Reiſeökonomie ſ. Er - ſparniſſe.
  • Reiſepläne12 .14.130.195.242.
  • Reiſepoeſie243.
  • Reiſequeckſilber127.
  • Reiſetagebuch58 .61.
  • Reiſetalent211.
  • Reiſetaſche17 .69.140.
  • Reiſetintefaß17 .206.
  • Reiſevorbereitungen7 .99.
  • Reiſewerke212 .240.256.
  • Reiſeziel115 .242.
  • Reiſezwecke ſ. Zwecke.
  • Reizmittel157.
  • Rentierleben156.
  • Reſerveſyſtem34.
  • Reſſourcen230.
  • Reſtaurants ſ. Gaſt - wirthe.
  • Rettungsmittel74.
  • Revolver24.
  • Riviera di Ponente149.269.
  • Robinſonverhältniſſe32.
  • Romantiker126.
  • Rückblicke71.
  • Ruckſack69.
  • Rückwege78 .131.197.
  • Ruhe152.
  • Ruhebänke104 .107152.
  • Ruheſtörungen110 .120.185.246.
  • Rundſichten88 .248.
  • Salz89 .171.
  • Sammler, Sammlun - gen6 .159.230.254.257.
  • Sättigungspunkt131 .244.263.
  • Schaffner192.
  • Schatten106 .151.
  • Schatullen49.
  • Schiffszwiebacknaturen224.
  • Schleier85.
  • Schleiſſteine264.
  • Schloß, flieg .25.
  • Schmuggeleien130.
  • Schneeblindheit85.
  • Schneebrillen11.
  • Schneider54.
  • Schreiben im Fahren60.
  • Schuhwerk36 .65.
  • Schwätzer219 .266.
  • Schweiß44 .89.
  • Schweiz12.193.197.
  • Schwere der Glieder91.
  • Schwindel83 .91.157.
  • [283]
  • See, Seebäder36 .116.151.
  • Seelendiät7 .139.161.251.254.278.
  • Sehenswürdigkeiten249 .261.264.
  • Seidenkreppjacken28.
  • Seife29.
  • Seile77.
  • Selbſtgefübl208 .215.
  • Selbſtkenntniß264.
  • Sicherheitsmaßregeln45.
  • Siedelungsverſuche119 .153.214.
  • Signatur15 .18.
  • Sinnestäuſchungen79 .253.
  • Sitzen im Freien107 .139.152.162.
  • Sommerfriſchen102 .108.
  • Sonderlinge223 .257.
  • Sonnenſchirm für Cur - gäſte162.
  • Spaccio di vino179.
  • Spazierenklettern151.
  • Specialität251 .258.263.
  • Speiſen87 .171.186.
  • Speiſezettel179.
  • Sprache25 .227.
  • Springen, aus dem Wagen,52.
  • Städtepläne13.
  • Stammbaum, touriſt.,240.
  • Staubbrille246.
  • Steckenpferdezucht157 .260.
  • Steigeiſen73 .76.
  • Steuermannskunſt169.
  • Stiftungen102.
  • Stimmungen257.
  • Stöcke44 .71.74.78.
  • Stockfiſchfänger187.
  • Stricke77.
  • Strümpſe36 .68.
  • Studien, hypochon - driſche,95.
  • Stühle53.
  • Stundenplan161.
  • Sturz72 .76.
  • Tabaksrauch119.
  • Tafelmuſik186.
  • Tagebuch58 .61.
  • Tantièmeſyſtem167.
  • Taſchen36 .53.69.
  • Taſchengabel22.
  • Techniker246.
  • Telegramme200.
  • Temperatur139.
  • Teppiche185.
  • Thermometer22.
  • Thätigkeit153 .259.
  • Thürverſchluß25.
  • Tigermilch92.
  • Tintefaß17 .206.
  • Toilettengeheimniſſe41.
  • Torniſter69.
  • Touriſtenſtrom194 .242.264.275.
  • Träger191 .197.199.270.
  • Trägheit154.
  • Trattorien179.
  • Triebfedern ſ. Zwecke.
  • Trinken87.
  • Trinkgelder183 .189.270.273.
  • Tröſteinſamkeit158.
  • Turnen152.
  • Ueberflüſſigkeiten105.
  • Uebergänge, ſchroffe71 .91.98.
  • Uebernachten183 .197.200.
  • Ueberraſchungen232.
  • Unbefriedigte150 .249.
  • Unglücksfälle72.
  • Unterkleider27 .34.
  • Unterhaltung157 .267.
  • Unternehmungsgeiſt149.
  • Vademecum19.
  • Ventilation118.
  • Vergnügungsreiſen93 .129.182.242.248.
  • Verkauſsläden56.
  • Verluſte durch Zer - ſtreutheit52 .54.
  • Verpackung14 .24.
  • Verſicherungsſchein51.
  • Verſtand u. Erfahrung126.
  • Vieljeitigkeit253 .261.
  • Vocabeln25.
  • Volksleben227.
  • Volksthümliche Gerichte173.
  • Vorausſendungen51.
  • Vorbereitungen8 .98.
  • Vorläufer70.
  • Vorſichtsmaßregeln45 .49.
  • Vortheile der Reiſe, ſ. Wirkungen.
  • Waldreviere105 .117.
  • Wagniſſe79.
  • Wanderſtäbe58 .74.
  • Wanderung14 .38.63.86.94.
  • Wäſche, Wäſcherinnen29 .42.
  • Waſſer90 .171.
  • Waſſerdicht33 .67.
  • [284]
  • Wecker56.
  • Wege105 .151.
  • Wegweiſer107.
  • Weinberge126.
  • Werthſachen ſichern47.
  • Wetter36 .115.139.
  • Wettermantel38.
  • Widerwärtigkeiten247.
  • Wie geht’s Ihnen?121.
  • Wiederholungen131 .197.
  • Wintercuren134 .141.256.
  • Wirkung der Reiſe32 .86.241.264.
  • Wirthe ſ. Gaſtwirthe.
  • Wohnung107 .120.183.272.
  • Wollene Unterkleider27.
  • Wundwerden68.
  • Yankees214.
  • Zeichnung18.
  • Zeit, bei knapper,115 .252.
  • Zeiteintheilung161 .252.
  • Zeitungen152 .226.
  • Zeitvertreibe156 .251.258.
  • Zelt201.
  • Zerſtreutheit52.
  • Zerſtreuungen157 .248.260.
  • Zimmer107 .120.183.272.
  • Zudringlichkeit167 .266.
  • Zug nach dem Süden148.
  • Zündhölzer61.
  • Zungenäſthetik178.
  • Zurückgekehrte263 .275.
  • Zurückhaltung209 .261.
  • Zwecke der Reiſe93 .129.235.241.248.261.264.275.
  • Zwiegeſpräche224 .267.

Druck von Otto Wigand in Leipzig.

About this transcription

TextReiseschule für Touristen und Curgäste
Author Arthur Michelis
Extent301 images; 82308 tokens; 17087 types; 606891 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReiseschule für Touristen und Curgäste Arthur MichelisGumprecht, Adolf. . VIII, 284 S. SelbstverlagLeipzig1869.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, II 461

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Gebrauchsliteratur; Reiseliteratur; core; ready; china

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:12Z
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ShelfmarkBerlin ZLB, II 461
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