PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Reiſeſchule für Touriſten und Curgäſte
Leipzig. Verlag von Adolf Gumprecht.1869.
[II][III]

Inhalt.

  • I. Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt der Reiſe der Touriſt von Fach und ſeine Reiſe - ſchüler apodemiſche Studien VerabredungenS. 1 6
  • II. Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher Stadtpläne Reiſepläne, deren Sclaven und Narren Muſterung und Verpackung Livrée für Gepäckgegenſtände auffällige Markirung Hauptliſte für Mitzunehmendes Reiſeapparat Vocabeln und SätzeS. 7 26
  • III. Reiſekleider Codex turisticus § 1 Wäſcherinnen Barbiere entſittlichende Eigenſchaften der Seife zur Kleiderordnung Lebensrettung Nothbehelfe in Robinſon - verhältniſſen pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerveſyſtem Gepäck ſo wenig als möglich koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranzgebühren Koſten Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe der Plaid und ſeine Verdienſte Plaidnadeln Kopfbedeckungen ſchon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe der Reinlichkeitsfanatiker und ſeine Toilettengeheimniſſe zur Farbenlehre bergauf Copie nach niederländiſchem Original Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen erlaubte Beſcheidenheit Vorſichts - maßregeln Fahrbillets Gepäckſcheine die verſteckte Fahrkarte Werthſachen zu ſichern Diebe weitere Sicher - heitsmaßregeln Papiergeld Gold chirurgiſche Hilfe IVInhalt.Goldmägen Verſicherungsſchein aus dem Wagen ſpringen todte Briefe Verluſte durch Zerſtreutheit Taſchen u. abermals Taſchen Stühle Gedächtnißkrücken TailleurKrausé Handwerkerbildungsvereine fernere mnemotechniſche Krücken bei eiliger Abreiſe Friedrich der Verſchlafene Adreſſen und Erkundigungen ſchriftliche Aufzeichnungen Gedächtniß und Phantaſie Schreiben im Freien und im Fahren Cigarrenanzünden Zündhölzer ſchriftliche Notizen Reiſetagebuch Entwürfe und Aus - arbeitungenS. 27 62
  • IV. Ausrüſtung für ſchwierige und gefährliche Gänge Schuhwerk Strümpfe Wundwerden Reiſetaſchen Mundvorrath Lang --- ſam! Vorläufer u. Nachzügler Einſpruchsrecht Rückblicke Alpenſtock auf und ab über Schnee, Geröll, Felſen ꝛc. Unglücksfälle Gras - hänge Ulyſſes fährt in die Unterwelt Hinabgleiten Gefahren und Rettungsmittel Wanderſtäbe Knieholz Felsplatten abwärts Sturz Eisſporen Seile Eisbeile Lawinen Rückweg nicht allein Ent - fernungen Narrenwagniſſe außergewöhnliche Er - ſteigungen Uebertreibungen Führer Schwindel Fußſchau Glycerin Hautpflege Schneebrillen Schleier Fußwanderung früh aufſtehen Eſſen und Trinken Höhepunkte und Fernſichten des Reiſelebens cum grano salis Veſuv Durſt Erkältungen kalter Thee und Kaffee Fleiſchbrühe Getränkkühler Waſſer Hochgebirgsbeſchwerden Bergweh Alpen - und Tigermilch Erholungs - und Vergnügungsreiſen ſich einmal ſo recht auslaufen Läuferwahnſinn hypochondriſche Studien Ode an die Nerven ſchroffe Uebergänge wie neu geboren AſchermittwochS. 63 100
  • V. Luftcurorte und Mineralquellen der neue Souverän Bedürfniß und Ueberfluß Stiftungen wohlfeile Unſterb -VInhalt.lichkeit nicht gerechtfertigte Anlagen Wege Wald - reviere Lichtungen, Schatten Sitzen im Freien Bänke Wünſche und Beſchwerden Culturgeſchichtliches Sommer - friſchen Dorfgeſchichten häusliche Einrichtungen un - willkommene Sinnesreize Curvorſtände Ohrenſchinder muſikaliſche Drangſale Lenz und Frühſommer Früh - kommen bei knapper Zeit böſes Wetter u. farbenblinde Augen Meteorologiſches Hochſommerglut für u. gegen große u. kleine Bäder naturaliſtiſche Luftcurverſuche in der Wildniß Ventilation Kaffeehäuſer Bierſtuben Siedelungsverſuche ſociale Stellung des Kranken Kunſt, mit Anſtand und guter Laune krank zu ſein geſunder Menſchenverſtand Tagesordnung wie geht’s? der junge Nachwuchs der Curorte Laienbrief an die H. H. Doctores loci Elementarunterricht Geheimeräthe und Orden Haupt - und Nebenſachen romantiſche Verführungen Verſtand und Erfahrung Reiſequeckſilber Spielart von Touriſt und Curgaſt Fahrſucht natürliche Grenzen gerecht und vollkommen Geſtändniſſe Schmuggeleien Reiſecurgäſte und ihre böſen touriſtiſchen Gelüſte Reiſe - jagden Scheu vor Wiederholungen und Rückwegen Ver - weile! Galerien wiederholte Reiſen Jahreszeit Curzeitvergeudung drückende Nahrungsſorgen Balneo - logie und Klimatologie Laienwünſche monographiſche Lücken Durchſchnittstemperatur zur Diät der Seele Geduld, Geduld, Geduld! Penſionsweſen Winter - curorte Kündigungsrecht eine Penſionsmutter mein Stubennachbar Nordlicht Satzungen Zug nach dem Süden Troſt für Zurückbleibende ewiger Frühling deutſcher und ſchweizer Unternehmungsgeiſt ſehr ent - täuſcht Hoffnungen und Wünſche an junge Aerzte Erforderniſſe Meeresküſte ſpazieren klettern verlorenes Paradies Oertliches Turnen ernſte Ueberlegungen Waffen gegen Langeweile Geographie der Langenweile Segen der Arbeit Lectionen im Müßiggang Zer - ſtreuungen, Zeitvertreibe, Beluſtigungen Rentierleben VIInhalt.Rentiers u. Sinecuriſten Tröſteinſamkeit Hantierungen Zucht der Phantaſie am Abgrunde Stundenplan Schutz der Arbeit und Bürgſchaften der Freiheit Sonnenſchirm für Curgäſte Metallklammern (Letter elips) S. 101 164
  • VI. Eingehende Wirthshausforſchungen erſte Hôtels Tantièmeſyſtem Stockſiſchfänger und Piraten Zudring - lichkeiten Händler zur Nautik wie ermittelt man gute Gaſthöfe Elephantenjagd geheime Regiſtratoren Gegenſeitigkeit poſitiver und negativer Pol Scorpione noble Herrſchaften und kleine Leute polniſche Grafen Grand Hôtel au Dindon d’Or vierſpänniges Trara Fürſten und Große Parisund London Waſſer und Brod Imperfectum und Futurum Hietzing Goethe Bier volksthümliche Gerichte Particularismen und Vandalismen Lehren der Weisheit und Tugend für Wirthe Delicateſſen Augenblendwerk Wirths - congreſſe der Küchenvirtuos gaſtroſophiſche Studien culinariſche Erziehung des Menſchengeſchlechts ein Pro - feſſeur der Gourmandiſe Geſchmacksbildung gaumen - äſthetiſche Rang - und Quartierliſte Nahrungsſorgen Kampf um’s Daſein paläontologiſche Forſchungen in Küchen - abfällen härteſte Nothzuſtände Abſchätzung der Gäſte unſer ſchwarzes Regiſter Abrechnung weitere Bitten an Wirthe welche Gaſthöfe Sparſame meiden noch ein Mittel gegen Uebertheuerung Zeche Kleingeld Kellner Verſchwendung und Knickerei Ruſſen, Engländer, Franzoſen Trinkgelder und Geſchenke Lob der Cigarre im Eiſenbahncoupé Reiſeökonomie wohlfeilſte ſchweizer Reiſe die Schweizund ihr Ruhm fernere Erſparniſſe an Zeit, Geld, Mühe und Verdruß Uebernachten im Freien, in Sennhütten und HeuſchobernS. 165 201
  • VII. In internationalen Angelegenheiten feſtlandläufige Anſichten über Engländer antibritiſches Sperrſyſtem keepVIIInhalt.your distance Würfeltintefaß I & you warum ſie reiſen wiſſenſchaftliche Baratterie verletztes Selbſt - gefühl Nord - und Süddeutſche Zurückhaltung engliſche Touriſten Subtractionsexempel Fertigkeit im Reiſen franzöſiſches Urtheil über Engländer franzöſiſche Touriſten engliſche Reiſewerke Kunſt der Reiſe - beſchreibung Comfort Yankees Scheu vor An - näherung an Fremde Berliner Alltagsmenſchen geiſtige Rangſtufen Anknüpfungen Hinderniſſe Mi - moſennaturen Muſterung Graf Zwei Störung gräfenberger Duſche Dialektſtudien Entzifferungskunſt Scherze Localpoſſen Quarteronen Fragewuth Franklin moraliſche Erzählungen vom Lohn der Tugend Griesgrame, Hypochonder, Sonderlinge Schiffszwieback - naturen Fähigkeit anzuregen Gemüthlichkeit neu - gefundene Freunde Geſprächsſtoffe Rückſichten Ueber - gangszuſtände nachgeſchickte Zeitungen Volksleben Lord B. Mittelclaſſen lange, lange Pappeln Ge - ſandte, Conſuln Empfehlungsbriefe gebildete Familien geſchloſſene Geſellſchaften Buchhandlungen Gefühl der Verlaſſenheit allein reiſen Warnung vor den beſten Freunden ſchwerſte Geduldsprüfungen kleine Ueber - raſchungen Frauen Négligé Ehemänner verſchiedene Reiſegefährten allein abreiſen HauptzweckeS. 202 235
  • VIII. Neue Geſtändniſſe, die von Rechts wegen in die Vorrede gehörten praktiſche Dinge Geſichtspunkte Beiläufig - keiten Ulyſſes wird ruhmredig und hinterhaltig Diener Erſparniſſe gelehrter Kram touriſtiſcher Stammbaum Blick in alte Zeiten die Reiſe, ihre Freunde und Feinde, Vortheile und Nachtheile Triebfedern Eitelkeits - und Phantaſietouriſten Poeſie der Reiſe Reiſefieber neue Art zu reiſen Eiſenbahnweſen und ſeine Flegeljahre Hoffnungen Techniker Ruß - und Bußfahrten feurige Kohlen Staubbrillen Bahnhofreſtaurants VIIIInhalt.Fürſprecher Widerwärtigkeiten und Strapazen Comfort Rechtfertigung allgemeine Betrachtungen geiſtige Rund - und Fernſicht Zwecke Summe der Reiſeerfahrungen der große Touriſtenſtrom Reiſemüde Grade der Empfäng - lichkeit Farbenſcheibe Nutzanwendung Monotonie des ſteten Wechſels beſtimmte Richtung Reiſemechanismus paſſives Empfangen von Eindrücken Specialität keine Zeit haben Märtyrer der Berufspflicht Mußeſtunden Jugend und Alter Einſeitigkeit ewiges Einerlei geiſtige Alpenregion Sammler und Sammlungen Excerpte Lichtſtrahlen ein Sonderling Berufswahl Wechſel der Stimmungen das beſte Geſchäft die Reiſe eine Wohlthäterin ein anderer Kauz allein und ab - getrennt Zucht von Steckenpferden Zerſtreuungsjäger pariſer Ennui große Modebäder worauf es ankommt ein gutes Reiſegewiſſen und ſeine Forderungen was wir alles beobachten ſollen Vielſeitigkeit Bienen und Fliegen Wahl treffen ſpitze Bleiſtifte weitere Mittel gegen Reiſemüdigkeit Hauptaufgaben Sehenswürdig - keiten Menſchen - und Selbſtkenntniß Probierſteine und Schleifſteine Geſelligkeitstrieb Einſiedler Ausſchließ - lichkeit Befürchtungen die Reiſe ein Maskenball öffentliche und Privatbälle Zwiegeſpräche große Geſell - ſchaften Hintergedanken betrübende Wahrnehmung unſre Geſchäftsfreunde ein Landpaſtor Stadt - und Landleute plötzlicher Geldgewinn Wohnungsmiethe Preisſteigerungen Luxusgäſte Trinkgelder, Geſchenke, Almoſen Culturfortſchritte Selbſtvertheidigung durch Cultur zur Natur zurück unſre Aufgaben Politik Heimgekehrte leichtſinniges Briefſchuldenmachen Im - ponirenwollen Abenteuer Reiſeberichte Zweifel Abſchiedswort und ReiſeſegenS. 236 278
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I.

Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt der Reiſe der Touriſt von Fach und ſeine Reiſeſchüler apodemiſche Studien Verabredungen.

An einem regneriſchen Nachmittage kam ich, der deutſche Herausgeber dieſes Büchleins, im Wirthshauſe zu Meiringenan. Am Tiſche ſaßen zwei Herren, die engliſch ſprachen und wie Briten, aber doch nicht allzu particulariſtiſch ausſahen, ſonſt war Niemand im Zimmer. Ich ſetzte mich deshalb in Sprechweite an denſelben Tiſch, entſchloſſen, mit ihnen be - kannt zu werden, nöthigenfalls ſie anzureden.

Mancher Leſer wird ſchon hier verſtimmt den Kopf ſchüt - teln und einen geſellſchaftlichen und internationalen Verſtoß darin ſehen, Fremde, und gar Engländer, anreden zu wollen. So will ich denn nur gleich geſtehen, daß ich ſelbſt bei meinen früheſten Wanderungen dieſe Scheu vor Annäherung an Un - bekannte theilte, allmählich jedoch einſah, daß ſie eines der läſtigſten und zweckwidrigſten Gepäckſtücke des Reiſenden, mit - hin daheim zu laſſen iſt. Auch der Britenhaß gehört dar - unter, eine Erörterung beider Gegenſtände mag indeß auf ſpäter vorbehalten bleiben.

Diesmal brauchte ich nicht die Koſten des erſten Schritts zu beſtreiten, denn der ältere der beiden Herren kam mir nach wenigen Minuten entgegen durch eine in deutſcher Sprache gemachte Bemerkung, welche, nach Ton und Blick zu ſchließen, keine beſtimmte Adreſſe hatte, ich nahm ſie daher für eine jener halben Einladungen zum Geſpräch, die abgelehnt oder er - griffen, fallen gelaſſen und wieder aufgenommen werden kön -12I. Erſtes Zuſammentreffen der vielgereiſte Engländer Kunſt d. Reiſe.nen, je nach Umſtänden, alles ohne Präjudiz, ſo recht für den Reiſegebrauch geeignet. Die Unterhaltung wurde bald leb - haft, ſetzte ſich fort bis in die Nacht, hatte zur Folge, daß ich mich beiden Herren für die weitere Reiſe anſchloß und daß dieſes Büchlein entſtand. Da es zur Legitimation deſſel - ben gehört (Wanderer, die ſich gar nicht ausweiſen können, laufen Gefahr, als Landſtreicher behandelt zu werden), ſo ſei es vergönnt, zunächſt auf einige Perſonalien einzugehen, die weiteren Capitel ſollen dann um ſo ausſchließlicher Realien gewidmet ſein.

Die Herren waren wirkliche, leibhaftige Engländer, Oheim und Neffe. Der Erſtere, Sohn einer deutſchen Mut - ter, hatte ſchon als Knabe mehre Jahre in einer deutſchen Lehranſtalt zugebracht und war unſrer Sprache völlig mächtig. Nachdem er lange als Officier in Oſtindiengedient und dort Frau und Kinder verloren, hatte er, tief gebeugt, dazu kränk - lich, ſeinen Abſchied genommen und war nach Europazurück - gekehrt. Auf ärztlichen Rath verbrachte er darauf geraume Zeit in deutſchen Bädern, den Alpen, Südeuropaund dem Orient. Gegenwärtig war ſein Wohnſitz London, es verging aber ſelten ein Sommer, den er nicht theilweiſe auf dem Feſt - lande zubrachte. Als ich ihm begegnete, hatte er ſeinen Neffen bei ſich, um ihn in der Kunſt der Reiſe zu unterrichten, welche nach ſeiner Anſicht nicht unter die noblen Paſſionen , ſondern höher hinauf, unter die accomplishments of a thorough gentleman, die Erforderniſſe eines vollkommenen Gentleman gehörte.

Was ich unter dieſer, ehedem Apodemik genannten Kunſt verſtehe, ſagte er, wird ſich weiterhin ſattſam ergeben, hier will ich nur bemerken, daß in dieſen Bereich meines Er - achtens Alles gehört, was beitragen kann, die Reiſe erſprieß - lich und angenehm zu machen, ein richtiges Verhältniß herzu - ſtellen zwiſchen Mitteln und Zwecken, ihre Mißlichkeiten und Gefahren zu mindern und ihre Genüſſe zu ſteigern. Nicht blos ſind dabei eigentliche Touriſten in’s Auge zu faſſen,3I. Der Touriſt von Fach u. ſ. Reiſeſchüler apodemiſche Studien.denen es gilt, Zeit, Mühe, Verdruß und Geld zu erſparen, ſondern ebenfalls Solche, die der Geſundheit halber reiſen oder ſich an fremdem Orte aufhalten, wenn auch die Bedürf - niſſe der letzteren natürlich nur ſo weit berückſichtigt werden können, als ſie nicht Sache des Arztes ſind. Mein NeffeEduard, fuhr er fort (wie ich ſpäter hörte, war der junge Mann leidend und ſollte den nächſten Winter im - den zubringen), iſt mein Erbe. Da nun aber ein Theil mei - nes Vermögens bald nach mir auch den Wanderſtab ergriffen hat und nur in Erinnerungen und Erfahrungen umgewan - delt heimgekehrt iſt, ſo möchte ich wenigſtens mit dieſer ideellen Valuta ſo viel als thunlich meine Hinterlaſſenſchaft ergänzen, damit der arme Junge nicht zu kurz kommt. Bis jetzt kann ich indeſſen ſeinen Eifer und ſeine Fortſchritte nicht ſehr rüh - men, es iſt mir darum lieb, daß Sie ihm mit gutem Beiſpiele vorangehen wollen. Der alte Herr, dem Touriſtiſches einer der liebſten Geſprächsſtoffe war, hatte nämlich bald be - merkt, daß er an mir einen aufmerkſamen und dankbaren Hörer fand. Was er ſeine Altersgeſchwätzigkeit nannte, war mir höchlich willkommen, denn ich brauchte nur irgend einen Gegenſtand aus unſrem Lieblingsgebiete zu berühren, ſo zeigte ſich, daß er darüber Erfahrungen geſammelt hatte. So machte ich alſo unter ſeiner Leitung meine apodemiſchen Stu - dien, und wir verabredeten, daß ein Buch daraus werden, in welchem er Ulyſſes minor heißen ſollte. Mich ernannte er zu ſeinem Adoptiv-Telemach und zum Univerſalerben ſeiner ganzen Reiſeweisheit, verſprach und lieferte mir auch ſeinen Vorrath von Aufzeichnungen zu unbeſchränkter Verfügung für unſer gemeinſchaftliches Buch.

Ihr ſeid das Literaturvolk, ſagte er. Von je hundert Deutſchen ſollen neunundneunzig ſchreiben gelernt haben. Ob daſſelbe günſtige Verhältniß ſich auch auf Eure Autoren erſtreckt, ich meine, ob von je hundert derſelben neunund - neunzig auch ſchreiben können, mögen die Literaturzeitungen entſcheiden, hoffentlich ſind Sie nicht gerade Einer von denen,1*4I. Verabredungen.die es nicht können. Wie nun aber Ihr das literariſche Volk ſeid, ſo ſind wir Engländer das touriſtiſche. Während Ihr mehr Literaturgeſchichten beſitzt, als alle anderen Völker zu - ſammen, gibt es bei uns mehr Reiſebeſchreibungen als im ganzen Schriftenthum der übrigen Welt und wenn viele Uebung den Meiſter macht, ſo müſſen wir die Reiſemeiſter ſein. Es würde mich freuen, wenn Ihre Landsleute aus mei - nen Erfahrungen und Einfällen einigen Nutzen zögen.

Warum eigentlich der alte Herr nicht ſelbſt ein Buch über die Kunſt der Reiſe ſchrieb, iſt mir bis heute nicht recht klar geworden. Wiederholt ſuchte ich ihn darüber auszuforſchen, immer aber antwortete er ausweichend oder ſcherzend. Hat doch auch, ſagte er einmal, SokratesSchülern überlaſſen, ſeine Weisheit der Welt zu verkünden, von Ihnen hoffe ich, daß Sie ſich zu mir wie Platozu ihm verhalten werden. Alle Lehre wird, mündlich vorgetragen, eindringlicher, ſoll jedoch ein Buch die Vermittelung übernehmen, ſo hat dieſes den Leſern gegenüber einen beſſern Stand, wenn ſein geiſtiger Urheber nicht ſelbſt für jedes Wort einzuſtehen braucht, denn Unvollkommenes daran wird dann dem Herausgeber zur Laſt gelegt und dem Anſehen des Erſteren geſchieht kein Abbruch. Ein andermal war die Entgegnung, er ſei zum Soldaten, nicht zum Schriftſteller erzogen; dann wieder munkelte er von Ver - hältniſſen, die ihn hinderten, ſelbſt Hand anzulegen, kurz, es ſchien, als ob es ihm darauf ankomme, mich im Dunkeln zu laſſen über ſeine Beweggründe. Auf ſeine ſonſtigen Abſichten und Pläne wird das letzte Capitel einiges Licht werfen, hier will ich nur noch ſeine Antwort auf ein von mir geäußertes Bedenken einſchalten, ob nicht etwa ſeine Theorie eine ſpeci - fiſch engliſche ſei, die ſich zur Mittheilung an meine Lands - leute wenig eigne.

Befürchten Sie nichts der Art, erwiderte er. Ich bin dem Blute und der Erziehung nach zur Hälfte deutſch, habe den Haupttheil meiner Reiſezeit auf deutſchem Gebiete und im geſelligen Verkehre mit Deutſchen zugebracht und könnte5I. Verabredungen.in der That der entgegengeſetzten Einſeitigkeit weit eher ver - fallen. Auch davor habe ich mich jedoch zu hüten geſucht, von der Anſicht ausgehend, daß der Touriſt als ſolcher Kosmo - polit iſt und die gediegene Touriſtenpraxis keinen nationalen Stempel trägt, ſondern die reiſegiltigen, allgemein verwerth - baren Erfahrungen aller Völker in ſich aufgenommen hat, und zwar in dem Maße, als ſie ſich am Touriſtenverkehr be - theiligen, ungefähr wie zur ſogenannten Seemannsſprache alle ſchiffahrttreibenden Völker je nach ihrer maritimen Be - deutung beitrugen.

Eins aber bitte ich mir aus, fuhr er nach anderen Be - merkungen fort: daß Sie in unſrem Buche nicht etwa ſyſte - matiſch zu Werke gehen, als ob es ſich um ein wiſſenſchaft - liches Lehrgebäude, ein Handbuch der Touriſtik, eine Reiſe - philoſophie oder dergleichen handelte. Laſſen Sie ſich nicht durch den Titel Reiſeſchule beirren. Wie Niemand zum Reiſeanzug Frack und weiße Binde wählen würde, ſo ſoll auch unſer Buch durchaus touriſtiſch angethan ſein, an - ſpruchslos und bequem für beide Theile, Verfaſſer und Leſer. Keineswegs muß Alles der Reihe nach gehen, ſondern von Dieſem und Jenem darf an verſchiedenen Stellen die Rede ſein bunte Reihe fördert die Unterhaltung : packen wir doch die einzelnen Stücke auch nicht nach Kategorien in den Koffer, ſondern je nachdem ſie ſich einfügen laſſen. Geben Sie nur am Schluſſe ein alphabetiſches Sachregiſter, wie ſie in unſren engliſchen Büchern ſelten fehlen, damit Leſer, die wenig Zeit oder Geduld haben, das aufſuchen können, was ihnen der Mühe werth ſcheint. Dann muß uns erlaubt ſein, nicht ſtreng an die vorgezeichnete Route und auf knappe Zeit - eintheilung zu halten, ſondern nach Belieben Ausflüge zu machen oder länger an einem Orte zu verweilen, auch ge - legentlich Scherz in ernſthaftes und Ernſt in ſcherzhaftes Gewand zu kleiden. Von unſren Leſern ſetzen wir ferner voraus, daß ſie der Mahnung Eines ſchickt ſich nicht für6I. Verabredungen.Alle, ſehe Jeder wie er’s treibe , am rechten Orte eingedenk ſein werden.

Manche Autoren pflegen, ſo oft ſie von alltäglichen Din - gen, Eſſen, Trinken, Kleidung, Geräth ſprechen, jedesmal mit einiger Verlegenheit ſich zu entſchuldigen, daß ſie damit be - helligen, ſodann zu verſichern, daß auch ſie, die Verfaſſer, über ſolche Lappalien hoch erhaben ſeien, und ſchließlich zu demonſtriren, daß dieſelben für die Wohlfahrt des Menſchen - geſchlechts viel wichtiger ſeien, als es den Anſchein habe. Wir verſchmähen derlei gleichfalls aus Achtung vor unſren Leſern, unter welchen wir uns in erſter Reihe Touriſten und Curgäſte denken, alſo die Blüte der Zeitgenoſſen.

Nicht verhehlen will der Herausgeber, daß ihm manches Wort des Meiſters nicht eben von großem Belang ſchien und er es dennoch aufzeichnete. Jeder Touriſt weiß aber, daß das allen Sammlern ſo geht: ſie bewahren nicht blos Cabinet - ſtücke auf, ſondern auch hin und wieder Kleinigkeiten. Be - gegnete das doch ſogar Winckelmannbei ſeiner Aufſtellung der Kunſtſchätze in der Villa Albani.

Vom folgenden bis zu den beiden letzten Capiteln docirt der alte Herr, wo er ſelbſt nicht etwa andere Perſonen re - dend aufführt, allein und wird nur ſelten unterbrochen durch Fragen oder Einwürfe eines ſeiner beiden Schüler. Die Kürze hat dadurch gewonnen, ohne daß die Klarheit gelitten. Im vorletzten Capitel wendet ſich der deutſche Herausgeber in internationalen Angelegenheiten an ſeine Landsleute, alsdann iſt bis zum Schluß die Geſprächsform wieder aufgenommen, aus Gründen, die für ſich ſelbſt reden.

Und nun friſchweg zum nächſten Capitel, welches die erſte Lection bildet, während dieſes nur ein maskirtes Vor - wort iſt.

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II.

Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher Reiſepläne Stadtpläne Reiſepläne, deren Sclaven und Narren Muſterung und Verpackung Livrée für Gepäckgegenſtände auffällige Markirung Hauptliſte für Mitzunehmendes Reiſeapparat.

Oft genug, in Verſen und in Proſa, iſt der Rath er - theilt worden, beim Antritt einer Reiſe alle Sorgen daheim zu laſſen, Entbehrungen und Ungemach jeder Art leicht zu nehmen, ihnen eine humoriſtiſche Seite abzugewinnen. Nun, es gibt ja Menſchen, denen jener gute leichte Sinn, welchen der Dichter das größte Glück und den reichlichſten Gewinn im Leben nennt, von Haus aus beſchieden iſt, Andere, die ſo weiſe waren, durch geiſtige und leibliche Turnübungen frühzeitig ihre Willenskraft, Geduld, Nerven und Muskeln zu ſtählen, ſo daß ſie den großen Leiden der Lebensreiſe, wie viel mehr den kleinen des Reiſelebens jeden Einfluß auf ihre Stimmung zu wehren vermögen. Sie Alle bedürfen des Raths nicht. Die überwiegende Mehrzahl der Badereiſenden und eine erkleckliche Menge Touriſten ſind jedoch keines - wegs ſo beſchaffen, vielmehr ſoll eben erſt die Reiſe ihnen das Heil bringen, Manche nehmen vom Hauſe ein ſchweres Herz mit, ſchwerer und gepreßter als ihr Koffer, jener Rath würde ihnen daher höchſtens ein Achſelzucken abgewinnen und für unſre weiteren Vorträge mißtrauiſch machen. So muthen wir ihnen denn nicht zu, ihre wirklichen oder gar ihre eingebildeten Leiden und Sorgen durch eine Willens -8II. Vorbereitungen ſchweres Herz Reiſehandbücher.anſtrengung zu beſeitigen, ſondern ſprechen lieber nicht da - von, enthalten uns auch aller ſonſt üblichen Eingangsbetrach - tungen von hohem Standpunkt aus: dafür iſt unterwegs noch Zeit genug, wenn wir erſt eine Weile andere Luft ge - athmet haben. Beginnt doch auch die Reiſe ſelbſt nicht mit Rigipanoramen und Aetnabeſteigungen, ſondern mit platten Alltäglichkeiten. Widmen wir uns darum einmal zunächſt einer anderen, aber nützlichen Art von Sorgen, den Reiſe - vorbereitungen, vielleicht helfen ſie, jene ſchädliche Art vertreiben. Die Prüfungen der Reiſeſchule werden wir um ſo beſſer beſtehen, rauhe Berührungen um ſo ſicherer abhalten, je ſorgfältiger wir uns präparirt haben.

Von einem bewanderten Freunde laſſen wir uns ein Reiſehandbuch nicht etwa in älterer Auflage borgen, ſondern empfehlen, um es in neueſter zu kaufen. Gewinnt es unterwegs durch gute Dienſte unſer Vertrauen, ſo ſcheuen wir die Mühe nicht, von Angaben, die ſich fehlerhaft oder veraltet erweiſen, Vormerkung zu nehmen, um dem Verfaſſer ſeiner Zeit darüber Mittheilung zu machen. Dem Editor der Murray’ſchen Handbooks for Travellers ſollen bei jeder neuen Bearbeitung Stöße von derartigen Einſendungen vor - liegen, er daraus eine Menge brauchbarer Notizen ſchöpfen, und Einſender aus allen Geſellſchaftsclaſſen darunter ſein, Herzöge, Lords, Biſchöfe, Induſtrielle, Kaufleute, Hand - werker, Pächter, Damen, von Verfaſſern deutſcher Reiſe - handbücher hört man dagegen immer nur klagen, daß ſolche freiwillige uneigennützige Beiträge ſpärlich eingehen, deſto mehr Behelligungen reclamenſüchtiger Wirthe und Händler. Dieſer John Murray, Buchhändler in London, war der Erſte, der ein den Bedürfniſſen der neuen Zeit entſprechendes Reiſe - handbuch zuſammenzuſtellen wußte. Er verſtand, ſeinen Leſern raſch über alles ihnen Wiſſenswerthe bündige Auskunft zu geben, und muthete ihnen nicht endloſe literariſche Steppen - wanderungen zu, wie es vordem Brauch war. So hatte er denn die Genugthuung, einen ſeiner dunkelrothen Bände9II. Reiſehandbücher.unter dem Arm faſt jedes Briten zu ſehen, der auf dem Conti - nent einen Wagen beſtieg. Lange blieb Mr. Murrayohne Nebenbuhler, bis endlich ein anderer Buchhändler, der ver - ſtorbene Karl Bädekerin Coblenz, die engliſche Erfindung auf deutſchen Boden verpflanzte. In der Regel hatten die alten Führer*)Unter den Ausnahmen älterer Zeit iſt das verdienſtvolle Ebel’ſche Hand - buch für die Schweizvor allen zu nennen, es litt aber lange an der unzweck - mäßigen alphabetiſchen Anordnung, bis es endlich nach Murrayauch die Routen - eintheilung einführte. Für Italienwar einſt das Förſter’ſche das erſte gute Reiſebuch, in ſeinen neuen Auflagen iſt es aber zurückgeblieben. weniger die Bequemlichkeit des Leſers als ihre eigene im Auge, viele nothwendige Angaben enthielten ſie ihm vor, weil ſie die Mühe und Koſten der Ermittelung ſcheuten, bedachten ihn dafür um ſo reichlicher mit uner - wünſchten Ablagerungen aus Chroniken und Monographien; Winke über Wege, Entfernungen, Wirthshäuſer, Preiſe ſtreu - ten ſie nur ſehr ſpärlich ein, bald hier bald da, ſo daß ſie ſich wie der Hauch eines Kameels in der Wüſte verloren; mit vornehmer Gleichgiltigkeit, etwa wie prinzliche Hofmeiſter, blickten ſie auf gewiſſe Dinge herab, die doch für die Mehr - zahl der Reiſenden von Belang ſind, z. B. Erſparniſſe; in der Einleitung empfahlen ſie dringend, recht viel zu Fuße zu gehen, ließen im Buche jedoch allenthalben durchblicken, daß ſie dieſen Rath zu reichlich geſpendet, um für ſich ſelbſt davon noch übrig zu haben; ferner doch halt! beinahe wäre ich ſelbſt in den ſchlimmſten der Führerfehler gerathen und hätte die Tour zu lang bemeſſen. So brechen wir denn eiligſt das Sündenregiſter der alten Guiden ab und wenden uns wieder zu den Verdienſten Bädeker’s. Wie Mr. MurrayVerfaſſer und Verleger in einer Perſon, ging er von dem Grundſatze aus, daß ein dickes, ſchweres, theures Buch den meiſten deutſchen Taſchen unzuträglich ſein dürfte, und ſtellte eine Sammlung von Bänden her, die ſich in ihrer hellrothen, glatten, glänzenden, biegſamen Leinwandlivree dem Auge, der Hand und der Taſche unwiderſtehlich einſchmeicheln, der10II. Reiſehandbücher.letztern auch bei ihren abgerundeten Ecken, ihrem mäßigen Umfang und Preiſe in keiner Weiſe beſchwerlich fallen. Auf jede Frage hat er eine Antwort und doch fühlt man ſich kaum je beläſtigt von aufdringlicher Führerredſeligkeit, Abſchwei - fungen, unverdauter Gelehrſamkeit, Anläufen zum Humor oder zur Rhetorik, noch von vorgreiflichen Empfindungen ; nie will er dem Ohre ſchildern, was nur das Auge begreift. So gut er bewandert iſt in den hohen Regionen der Alpen, nie verſteigt er ſich in die höheren der Wiſſenſchaft, Poeſie, Kunſt; hat er von Gemälden zu berichten, ſo ſtützt er ſich in gedrängten Auszügen auf bewährte Schriftſteller. Alles bei Bädekerſtellt ſich knapp gehalten dar, nüchtern, zur Sache, adrett wie ein Militärrapport, raſch fertig und weithin - treffend wie ein Hinterlader. Seine Leitung iſt nicht die eines mechaniſch dreſſirten Miethlings, noch die eines pedantiſchen Mentors, ſondern man empfindet ſie wie den Arm eines alten, guten Bekannten, zuweilen faſt wie die Hand einer Mutter. Jetzt fühlen wir einen leiſen Druck am Elbogen: es iſt die Warnung vor einem ſchlimmen Wirthshauſe, in das wir einzukehren, oder vor einem ſteilen, ſteinigen Pfade, den einzuſchlagen wir im Begriff waren. Jetzt ſtreckt ſich ſein Finger aus: da iſt das beſte Bier, auf dieſem Wege findeſt Du Vormittags Schat - ten, jener Pfad iſt bei naſſem Wetter zu meiden, in dem La - den kaufſt Du gut und billig u. ſ. w. Solche Zuvorkommen - heit, welche Wünſche, noch bevor ſie aufgeſtiegen, ahnet und befriedigt, über eine große Gewalt auf unſer Gemüth: wir Männer, auch wenn wir eng befreundet, pflegen uns derlei kleine Aufmerkſamkeiten nicht angedeihen zu laſſen, nur von der Gunſt und Sorgfalt weiblicher Hände zu erfahren, deſto mehr überraſchen und rühren ſie uns, wenn wir ſie in einem Buche finden, und nicht in einem Damenromane, ſondern in einem ſchlichten Reiſeführer. Ein dritter (ehemaliger) Buchhändler, Herr Berlepſch, tritt ſeit mehren Jahren als Nebenbuhler Bädeker’sauf und der unermüdlich rege Wetteifer, den er ent - wickelt, kann auch fernerhin nur zum Beſten des Publikums11II. Reiſehandbücher.ausſchlagen. Für allerhand Unterrichts - und Medicinal - angelegenheiten, botaniſche, geologiſche ꝛc. Excurſe weiß er durch gelehrte Mitarbeiter Rath zu ſchaffen, dazu iſt ſein Verleger ſehr freigebig mit gutem graphiſchen Beiwerk.

Von neueren Reiſehandhüchern ſind noch zu empfehlen für die Schweizdie Tſchudi’ſchen und für den Orient, Griechenland, Aegypten, Kleinaſienund die Türkeidie illu - ſtrirten von Moritz Buſch, einem Autor von bewährtem Rufe und vielfacher Reiſeerfahrung in vier Welttheilen.

Hier und da hört man Klagen auch ein vielgewander - ter, erfahrener Reiſeſchriftſteller ſchließt ſich ihnen an daß die Handbücher den bergſehnſüchtigen Neuling, der wenig Zeit und Geld aufzuwenden hat, häufig auf falſche Fährte locken, d. h. ihn in Gegenden leiten, die im Verhältniß zu anderen wenig Genuß bieten . Es iſt wahr, die Handbuch - verfaſſer ſind ſehr reich an zierenden Superlativen und zeich - nen ihre Bilder zuweilen wie die Chineſen, die von Per - ſpective nichts wiſſen wollen. Das kommt aber in allen Ge - bieten vor: je mehr wir uns in Einzelheiten hineinſtudiren, um ſo größer und wichtiger erſcheinen ſie uns und um ſo leichter verlieren wir das Ganze aus dem Geſichte. Sind doch auch auf den plaſtiſchen Gebirgspanoramen die Berge unverhältnißmäßig hoch dargeſtellt, und zwar hier abſichtlich, denn im richtigen, natürlichen Verhältniß würde das Relief des Einzelnen für unſer Auge faſt verſchwinden. Ein ſo großer Schaden gerade für den Neuling läßt ſich darin jedoch nicht erblicken. Er kommt ja mit friſchem, unbefangenem Sinne, nicht wie wir Vielgereiſte mit kritiſcher Brille, welche mit der Schneebrille gemein hat, daß ſie vor Verblendungen ſchützt, aber auch dem ſchönen Glanz Abbruch thut. Unſer jugendlicher Schützling wird in Bezug auf maleriſchen Reiz der Landſchaft und auf Verpflegung gewiß nicht gar an - ſpruchsvoll ſein. Möglicherweiſe iſt er die Koſt eines Stu - dentenfreitiſches in H.oder T.gewohnt, wird mithin ſelbſt vor den Tafelfreuden, die in Thüringen, Oberbayern, Tirol12II. Reiſehandbücher Reiſepläne Stadtpläne.ſeiner harren, die Faſſung kaum verlieren. Laſſen wir ihn immerhin nach dieſem oder jenem Buche ſeine Marſchroute nehmen, er wird ſich doch famos amüſiren . Weit wichtiger für ihn iſt der Geldpunkt, aber gerade da ſcheint ſich ein Rechenfehler bei dem obengedachten Schriftſteller eingeſchlichen zu haben. Er ſagt nämlich: Kein Verfärben der Wahrheit, keine patriotiſche Sentimentalität vermögen in mir die Ueber - zeugung abzuſchwächen, daß, wer die Schweiznoch nicht ge - ſehen, vier Wochen freie Zeit und (als Fußwanderer) 250 Franken in der Taſche hat, weitaus nichts Vernünftigeres thun kann, als ſich nach dem berner Oberlandund dem was daran hängt, aufzumachen. Gewiß, die Schweiziſt reicher als irgend ein anderes Alpengebietan landſchaftlich Schönem, Alles liegt nahe zuſammen und iſt maleriſch gruppirt, dazu bietet ſie Preiswürdigeres in Verpflegung und ſonſtigen touriſti - ſchen Einrichtungen, beſſere Führer, größere Auswahl an - regender Reiſegeſellſchaft, unter den Anſäſſigen findet man mehr Intelligenz und Anſtelligkeit, weniger Schwerfälligkeit; nur muß ich bezweifeln, daß ein Neuling im Stande ſein dürfte, mit 250 Franken vier Wochen im berner Oberlandezu wandern, denn er würde es in hergebrachter Weiſe machen, und ſchwerlich mit neun Franken täglich auskommen. Um das arme junge Blut aus ſeiner Verlegenheit zu reißen, wer - den ihm im VI. Capitel einige Winke gegeben. Uebrigens würde ich jungen Leuten, welche einige Ausſicht auf wieder - holte Reiſen haben, rathen, nicht zuerſt die Alpenzu be - ſuchen, ſondern ſich vorläufig mit einem der nächſtliegenden Mittelgebirge oder Flußgebiete zu begnügen, nach Grund - ſätzen, welche uns noch öfter Stoff zu Betrachtungen geben werden.

Und nun hofft unſre Reiſeſchule bei den Herren Ver - faſſern von Reiſehandbüchern, für die ſie ſoeben eine Lanze gebrochen, geneigtes Ohr für ein paar Anträge zu finden. Die Stadtpläne, denen im Buche nur eine einfache oder doppelte Seite gewidmet iſt, ſollten nicht in alter Weiſe ein -13II. Reiſehandbücher Stadtpläne.gerichtet ſein, nach welcher der Beſchauer ein Gewimmel kleiner Quadrate, Trapeze, Oblonge vor ſich hat, ſämmtlich ſchwarz ſchraffirt, untermiſcht mit winzigen, undeutlichen Buchſtaben, Ziffern, Namen, die ſich gegenſeitig im Lichte ſtehen und auf die Füße treten, kurz, ein Bild der Verwir - rung. Zum touriſtiſchen Gebrauch empfehlen ſich (wie es in einigen neuen Bänden ſchon vorkommt) für alles Figürliche rother und für die Namen ſchwarzer Druck, oder auch freund - lich und licht gehaltene Orientirungskärtchen, die lediglich Notiz nehmen von den Hauptverkehrsſtraßen, von denjenigen Plätzen und Straßen, in welchen für den Fremden Gegen - ſtände von Intereſſe ſind, vor Allem Bahnhöfe, Dampfboot - ſtationen, Poſt, Telegraphenbureau, Kunſtſammlungen, be - ſuchenswerthe Monumente, Kirchen und andere Gebäude, Ausgangspunkte für Spaziergänge u. ſ. w.; willkommen wäre ferner, wenn der Raum es erlaubt, Angabe der beſſern Gaſt -, Kaffee -, Bierhäuſer, Reſtaurants, Gartenlokale, Flußbäder. Nie darf die kartographiſche Orientirung

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ferner die netzartige Eintheilung mit Ziffern und Buchſtaben und damit correſpondirendem Alphabet der Angaben fehlen; letzteres kann, wenn es ſich auf dem Plane nicht anbringen läßt, im Buche ſtehen. Die Linien des Netzes müſſen ſchmäch - tig, kaum ſichtbar ſein, nicht durch dick und dünn gehen, ſon - dern an Stellen abbrechen, wo ihre Gegenwart ſtören könnte. Sodann will mich bedünken, daß die Reiſebücher mit jeder neuen Auflage in demſelben Maße an Leibesumfang zu - nähmen, als ihre Autoren ſich für ſie in Bewegung ſetzten; Dickleibigkeit iſt aber untouriſtiſch, auch an Büchern, denn ſie ſchmälert die Beweglichkeit und fördert die Ermüdung. Des - halb möchte ich beantragen, mit einem geſunden Rothſtifte den Spalten zu Leibe zu gehen und alles Entbehrliche zu14II. Reiſepläne.ſtreichen, im Nothfall eine Theilung in je zwei oder drei Sectionen vorzunehmen, damit nicht, wie man jetzt unter - wegs häufig ſieht, die Beſitzer die Bände auszuſchlachten genöthigt ſind.

In mein Handbuch laſſe ich einige Blätter Schreibpapier einheften für allerhand Notizen, namentlich den Reiſeplan. In Bezug auf dieſen ſei vorläufig nur gewarnt, ihn wie den Koffer (ſelbſt dieſen richte ich gern ſo ein, daß auswärts noch das Eine oder Andere hinzukommen kann; der Spielraum hat ſein Quartier über den Gurten, ſo daß innerhalb der - ſelben dennoch Alles lückenlos gepackt iſt) ſehr feſt und voll zu ſtopfen: für die Zuſammenſtellung des Erſteren gilt der umgekehrte Grundſatz. Hier muß Alles locker gefügt ſein, dort ſind Lücken ſchädlich, hier nothwendig, um nicht in Sclaverei und bei ſchlechtem Wetter in Verzweiflung zu ge - rathen. Den Plan mache ich unter Beirath des Buchs und Verweiſung auf deſſen Seitenzahlen nach meinen Bedürfniſſen, betrachte aber dieſes Scriptum nur als Entwurf, nicht, wie Neulinge zu ihrem großen Nachtheile ſo oft thun, als Geſetz. Eine andere Art, ſich zum Narren des Plans zu machen, iſt folgende. Derſelbe hat z. B. decretirt: 20. Juli Er - ſteigung des .... Man kommt in .... an, hört von allen Seiten, daß heute da oben vor Nebel nichts zu ſehen ſein werde, klettert aber doch hinauf. Will wenigſtens meine Schuldigkeit thun, vielleicht wird’s noch gut. Droben ſieht der betreffende Märtyrer des Plans gar nichts, nicht einmal, daß er einen dummen Streich gemacht hat, ſteigt herab, ſetzt ſeine Reiſe fort, Wochen lang, ſucht aber keinen anderen Höhepunkt auf, obwohl ſein Weg an mehren vorüber - führt, denn er hat ja bereits ſeine Schuldigkeit gethan. Ich habe es immer ſo gehalten, daß, ſobald der Himmel mir ein beſonders heiteres Antlitz zeigte, auch die Landleute auf deſſen Beſtändigkeit rechneten, ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als den nächſt gelegenen Berg zu erklimmen, gleichviel, welche Rangſtufe die Bücher ihm zuerkannten, wenn ſie ihn15II. Reiſepläne, deren Sclaven und Narren.nur unter die lohnenden Partien zählten. Sehr mühevolle Erſteigungen (vgl. IV. ) höheren Ranges unternehme ich nie, wenn nicht zuverläſſige Sachkundige den Zuſtand der Atmo - ſphäre für durchaus günſtig erklären, denn die großen Fern - ſichtspunkte gehören nur dann unter die lohnenden Partien. Ein Anderes iſt es mit Höhen, die ſich weniger auszeichnen durch weiten Horizont als durch eine Fülle ſchöner Bilder in bequemer Sehweite. Jene reizen mehr die Phantaſie des Poeten, den Ehrgeiz eines Alpenvereinsmitglieds oder den Geſchäftseifer eines Feuilletoniſten, dieſe entzücken mehr das Auge des Malers. Die touriſtiſche Nutzanwendung iſt die: die Poeten - und Alpenvereinsberge ſind gewagte Unter - nehmungen, die Malerberge dagegen, die auch bei wenig befriedigender Luftbeſchaffenheit nicht ohne Ausſicht auf Aus - ſicht beſtiegen werden, ſind ergiebige Verſuchsfelder für Ver - gnügungsreiſende, der Einſatz an Mühe, Zeit und Geld nicht hoch, und die Ueberraſchung, die ein plötzlicher Riß in den Nebelſchleier bereiten kann, oft von zauberhaftem Reiz.

An Ort und Stelle angekommen gehören Augen und Gedanken des Reiſenden den ſehenswerthen Gegenſtänden, nicht den Büchern, eine zu Hauſe vorgenommene Präparation iſt deshalb räthlich, wobei Waiblinger’sRath zu beachten:

Richte weiſe Dich ein, wie Du die Länder durchwanderſt,
Zu viel Seltenes iſt Dir zu betrachten beſtimmt.
Alles faſſeſt Du nicht, und es lohnt ſich auch ſelbſt oft der Müh nicht,
Siehe nur an, was Dir nützt, was Dir als Eigenthum bleibt.

Vor größeren Reiſen muſtere ich den Inhalt von Schränken, Commoden, Schubladen, laſſe von weiblichen Augen und Händen die Wäſche einem examen rigorosum unterwerfen, auch nachſehen, ob jedes Stück gezeichnet iſt, und lege alles Mitzunehmende, ehe die Verpackung beginnt, unverdeckt und überſichtlich bereit, wodurch eine richtige Raumbenutzung er - leichtert und das ganze Verfahren beſchleunigt wird. Sind drei Abtheilungen zu machen: a) durch Eil - oder Güter - zug vorauszuſchickende Colli (vgl. III. ), b) mitzunehmendes16II. Muſterung und Verpackung.Paſſagiergut (vgl. unt. ), c) Handgepäck (vgl. unt. ), ſo wird mit a) Gegenſtänden, welche ich wochenlang entbehren kann, der Anfang gemacht und dieſe untergebracht, die engere Aus - wahl für Handgepäck c) getroffen und zuletzt das Uebrig - bleibende als Rubrik b in den als Paſſagiergut aufzugebenden Koffer gepackt, dabei aber, was von häufig zu brauchenden Gegenſtänden nicht unter dem Handgepäck Platz finden konnte, in den Koffer ſo gelegt, daß es leicht zu finden iſt. Bind - faden, Siegellack, Papier und derlei kommt zuletzt an die Reihe, weil damit meiſtens noch ſchließlich zu hantiren iſt.

Beim Packen muß der Taſtſinn die entſcheidende, das Augenmaß nur eine berathende Stimme haben, denn jener findet weit beſſer als dieſes aus den vielen aufgeſtapelten weichen und harten, großen und kleinen Sachen heraus, wo und wieviel noch Raum iſt: beiläufig bemerkt, ein neuer Beweis, daß auch in praktiſchen Dingen das Gefühl zuweilen Recht haben kann gegen die ſogenannte Einſicht. Ganz unten kommen dünne breite Stücke zu liegen, Schreibmappe, Papier, Landkarten. Dann folgen in einer papiernen oder anderen Umhüllung ſchwere, eckige, ſcharfkantige Stücke, gebundene Bücher, Käſtchen, Cigarrenkiſten, Stiefel, wobei zu ſorgen, daß beide Seiten des Koffers ungefähr gleichmäßig belaſtet werden. Zur Ausfüllung der Lücken und Nivellirung dienen Strümpfe, Nachthemden, Unterkleider und andere dergl. weiche, ſchmiegſame Geſtalten, die ſich in jede Lage, auch die ge - drückteſte, zu ſchicken verſtehen, die man deshalb recht haushälteriſch vertheilen und nicht leichtſinnig irgendwohin ſtauen ſoll. Cigarrenpakete, wenn ſie nur in Papier ge - wickelt ſind, lieben die unmittelbare Nachbarſchaft von Büchern nicht, ertragen ſie aber, wenn man ihre empfindliche Epidermis durch einen wollenen Strumpf ſchützt. Iſt nun die untere aus Hartem und Weichem gemiſchte Schicht gehörig compact und geebnet, ſo kommen Hemden und Oberkleider darauf zu liegen. Die lange ſchmale Bucht, die ſich ganz oben längs den Kofferwänden bildet, nachdem die Oberkleider,17II. Muſterung und Verpackung.Außenſeite einwärts gekehrt und kunſtgerecht gefaltet, ſich ge - lagert haben, mag leer gelaſſen oder mit unzerbrechlichen Stücken langen Formats ausgefüllt werden, nicht aber mit Fernglas, Mikroſkop, Fläſchchen und dergl., dieſen iſt viel - mehr eine weiche, elaſtiſche Nachbarſchaft ringsum zu geben. Denn Gerſtäcker hat gewiß Recht, wenn er verſichert, daß die Mißhandlungen, welchen auf gewiſſen deutſchen Eiſen - bahnen das Gepäck ausgeſetzt iſt, Alles überſteigen, was ſonſt in der Welt vorkommt, ſo weit er ſie geſehen. Er rühmt ſeinen ſchwarzen Lederkoffer, der nicht blos die ſchweren Strapazen ausgehalten habe, die er in den fünf Welttheilen, zu Lande, zu Waſſer, auf Gebirgen, von Räuberhänden und feindlichen Thieren zu erdulden hatte, ſondern ſogar auch alle Gewaltthaten von deutſchen Eiſenbahndienern.

Tuchkleider, die nicht gehörig gefaltet wurden und ſich beim Auspacken verrunzelt zeigen, werden, um ſie zu glätten, leicht mit Waſſer benetzt und zum Trocknen aufgehängt.

Torniſter und Jagdtaſchen müſſen natürlich ſo gepackt ſein, daß gegen die Wand, die auf den Körper zu liegen kommt, inwendig keine ſcharfen Ecken drücken, ſondern Alles eben und weich iſt.

Das Tintefaß mag mit dem Raume in der Ferſe eines Stiefels vorlieb nehmen; in dieſer Einſamkeit haben ſeine etwaigen Herzensergießungen weniger Gefahr für das Gemein - wohl. Nie traue man ihm ganz, auch wenn es einen Patent - verſchluß hat. In den würfelförmigen Tintefäſſern muß das Glas auf Springfedern ruhen, ein dicker, ſolider Gummi - verſchluß dagegen unbeweglich im Blech des Deckels befeſtigt ſein. Die umgekehrte Einrichtung, demzufolge das Tintefaß im Gehäuſe ſitzt, der Gummideckel dagegen auf eine Spring - feder geklebt iſt, taugt nicht, denn das lockere Gummiſtückchen entſpringt gern ſeinem Hauſe, und man ertappt es dann am Halſe des Tintefaſſes, und zwar ſo feſt angeklammert, daß die gewaltſame Trennung ſein Herz zerreißt. Nun ſteht man davor, die Finger voll Tinte und den Kopf voll Sorgen.

218II. Auffällige Markirung.

Nützlich iſt es, Koffern ꝛc. ein augenfälliges, vom Ge - wöhnlichen abweichendes und in den Farben untereinander übereinſtimmendes Aeußere zu geben, ſo daß bei der Ankunft auf großen Bahnhöfen die eigenen Sachen leicht von Weitem zu erkennen und von außerhalb der Barrièren die Träger dahin zu leiten ſind. Man hat dann nicht nöthig, in dem Gewirr von Packſtücken und Menſchen bei einem Träger um Audienz zu werben, ſondern braucht nur z. B. rothcarrirter Lederkoffer oder ſchwarzgeſtreifter Mantelſack ꝛc. laut zu rufen, ſo wird wahrſcheinlich bald innerhalb der Schranken ein Echo hörbar und das Verlangte auf den Schultern eines eiligen Mannes ſichtbar werden. Demſelben leuchtete mit der auffälligen Markirung zugleich der Umſtand ein, daß die Abfertigung dieſes Stücks, das kein Umherſuchen verlangt, raſcher, mithin profitabler vor ſich gehen kann, als jede andere, er wird deshalb vermuthlich ſeine etwaigen Prioritäts - gläubiger warten laſſen und erſt den zufälligen Findling ausliefern. Wenn zum Ueberzug nicht ſchon ein buntfarbiges Zeug waſſerdicht bereitetes Segeltuch iſt eine gute, dauer - hafte Hülle für große Gepäckſtücke, auch für Reiſetaſchen verwendbar genommen wurde, ſo läßt man die gewählte Livree dem Leder, Holz, Segeltuch oder Canevas der ver - ſchiedenen Gepäckſtücke aufpinſeln. Für dunklen Grund eignet ſich der zinnoberrothe Copalſpirituslack. Eine Abkürzung für dieſes Verfahren, unterwegs für kleinere Gegenſtände anwendbar, die roth und haltbar gezeichnet werden ſollen, iſt: ein paar Tropfen Sprit oder Kölniſchwaſſer auf ein Stück Siegellack gebracht und, wenn die Löſung erfolgt iſt, mit einem Zündhölzchen aufgetragen. Wird mit Buchſtaben und Zahlen ſignirt, ſo müſſen dieſe groß und auf mehr als einer Seite angebracht ſein. Alle meine Gepäckſtücke laſſe ich von Haus aus mit Buchſtaben und Ziffern bezeichnen, damit ſie unterwegs für etwaige Vorausſendung ſtets bereit ſind. Auch der volle Name und Wohnort, aufgepinſelt oder auf eine Metallplatte gravirt und am Koffer befeſtigt, kann unter19II. Hauptliſte für Mitzunehmendes.Umſtänden Dienſte leiſten. Manche Koffer und Mantelſäcke haben äußerlich einen kleinen, mit eingravirtem Namen ver - ſehenen Meſſingrahmen, in den unter ein durchſichtiges Hornplättchen der jeweilige Beſtimmungsort geſchrieben zu liegen kommen ſoll; der Verſchluß verſchiebt ſich aber unter - wegs leicht und das darunter Liegende geht verloren, ich brauche deshalb lieber gummirte Papierblätter, die ich auf - klebe und zwar in duplo. Hellfarbige Stöcke, Regenſchirm - griffe ꝛc. werden leicht dadurch markirt, daß man mit einer Meſſerſpitze den Namen einritzt und mit Tinte nachzieht. Einzelne zeichnen ſogar ihren Plaid, wenn er zur Legion der ſchwarz und weiß carrirten gehört.

Unſer Abiturientenexamen iſt noch nicht beendigt, das Abgangszeugniß wird erſt ausgeſtellt, wenn eine gewiſſe Liſte, in welcher allerhand nützliche, leicht vergeßbare Dinge ver - zeichnet ſtehen, durchgeleſen, je nach den Erforderniſſen der Reiſe, um die es ſich gerade handelt, ein Auszug daraus gemacht und die noch nicht bereit liegenden einzelnen Stücke herbeigeſchafft ſind. Nachſtehend theile ich meine Liſte mit, obwohl ich im voraus weiß, daß faſt Jeder, der ſie ſieht, viel ihm Ueberflüſſiges und einzelne Lücken darin finden wird. Spartaniſch Gewöhnte und Solche, welche die Regel Gepäck ſo wenig als möglich (vgl. III. ) ſcharf auslegen, werden ſich mit einem ganz knappen Auszug begnügen (für Fußreiſen verſteht ſich das ohnehin von ſelbſt), Kränkliche hingegen und Reiſegourmands ſich reichlicher verſehen. Letztere haben nur auf der Hut zu ſein, daß ſie nicht einen ganzen Hausſtand darin aufnehmen. Meine Hauptliſte, die mir zu Auszügen für jeweilige Reiſen dient, lautet:

Dicke ſchwarze Filzüberſchuhe (ſ. unten) dünne der - gleichen (ſ. unten) Reſerveknöpfe für Ober - und Unter - kleider, ferner Knöpfe zum Einſchrauben (ſ. unten) Nähzeug (ſ. unten) dünner und dicker Bindfaden, Gummibänder, Riemen zum Einſchnallen Feuerzeug in duplo Paket ſchwediſche Zündhölzer (ſ. III. ) Taſchen -2*20II. Hauptliſte für Mitzunehmendes.meſſer mit Feile, Säge, Schrauben -, Pfropfenzieher, Bohrer (u. A. zu benutzen, um fehlende Löcher in Riemen zu bohren) Taſchengabel zum Zuklappen (ſ. unten) große und kleine Nägel und Stifte Plaidnadeln (ſ. III. ) Metallklammern für Papiere, letter clips, (ſ. V.) Huthakenklammer (ſ. unten) Kleider -, Haar - und Zahnbürſte, Zahnpulver, Seife, Benzin Wecker, der zugleich Reſerveuhr (ſ. III. ) Uhrſchlüſſel in duplo Brille mit grauen Gläſern (ſ. IV. ) Taſchenthermometer (ſ. unten) Aneroidbarometer (ſ. unten) Fernrohr oder Operngucker (ſ. unten) Compaß Taſchenſpiegel, der ſich aufſtellen und hängen läßt Sonnen - ſchirm zum Curgebrauch (ſ. V.) Rindertalg oder Cold cream nebſt alter Leinwand zum Verbinden engliſches Heftpflaſter oder oſtindiſches Pflanzenpapier ein Wachslichtchen Inſectenpulver und Eſſenz (ſ. unten) guten ſchwarzen Thee (ſ. V.) Opiumtinctur Rhabarber Tintefaß (ſ. S. 17) Federn, Halter und Taſchenfeder (auf einer Seite die Schreibfeder, auf der andern der Bleiſtift, beides in eine Hülſe zurückzuſchieben), Bleiſtifte, Schreib -, Zeichen - und roſtrirtes Notenpapier Couverts Oblaten Siegel - lack Trinkbecher von Leder oder Kautſchuk, zum Zuſammen - klappen Feldflaſche (platt oder oval, von Blech oder be - ledertem Glas), gummirte Etiketten, leere und mit Adreſſe, zum Aufkleben Viſitenkarten ein weiches Wildlederfell, zur Belegung unſauberer und feuchter Bettwäſche Reiſe - handbuch und Eiſenbahncoursbuch (ſ. III. ) Miniatur - ſchachſpiel Lectüre Paßkarte oder Paß (auch in Ländern, wo die Behörde derlei nicht verlangt, behufs Legitimation in beſonderen Fällen).

Die dicken Filzſchuhe ſind weich genug, um platt zuſammengepreßt zu werden, und haben ein Leinenfutteral, deſſen Inneres keinen Anſpruch auf Reinlichkeit macht. Zur Erwärmung der Füße im Winter dienen auch die aus vulcaniſirtem Kautſchuk bereiteten, mit dickem Wollenſtoff überzogenen Schläuche, welche mit heißem Waſſer gefüllt21II. Reiſeapparat.werden und nur ſehr langſam abkühlen. Die dünneren Filzſchuhe ſind in der warmen Jahreszeit bei kühlen Nachtfahrten über die Schuhe zu ziehen und in ſauberem Zuſtande auch als Pantoffeln (geſegnet ſeien ſie, dieſe Wohl - thäter müder, brennender Wanderfüße!) zu brauchen. Sie können zuſammengerollt und in einem Kattunbeutelchen in die Taſche geſteckt werden, machen ſich folglich unter dem Hand - gepäck nicht ſo breit und ſperrig, wie gewöhnliche. In der heißen Jahreszeit laſſen ſich auch aus biegſamem Baſt oder Hanfbindfaden geflochtene Pantoffeln verwenden.

Knöpfe zum Einſchrauben, neuerdings in Kurz - waarenhandlungen zu haben, ſind beſonders für Unterkleider brauchbar und beſtehen aus einer kleinen, mit einer vor - ſtehenden Schraubenſpindel verſehenen und einer zweiten etwas größeren Scheibe, die auf jene feſtzuſchrauben iſt. Die Spindel wird in ein zu dem Behufe geſtochenes Loch links - ſeitig eingeſteckt und von der oberen Seite des Zeuges der Knopf angeſchraubt. Er klemmt ſich ſo feſt, daß die Auf - löſung von allem Uebrigen eher als von ihm zu befürchten iſt. Si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinae. Die Naturgeſchichte der Knöpfe kennt keine andere Species, welche dieſe achtungswerthe Eigenſchaft hätte.

Militärs haben das Nähzeug in der, auch für den Reiſegebrauch empfehlenswerthen compendiöſen Form einer etwa fünf Zoll langen hölzernen, fingerdicken Büchſe. Sie hat äußerlich ſechs Abtheilungen, um welche verſchiedene Sorten Faden gewickelt werden; ein Pflöckchen, auf das ein Fingerhut paßt, verſchließt das Innere, welches dünne und dicke Nähnadeln enthält. Jeder Drechsler kann eine Büchſe der Art in wenigen Minuten drehen. Wie der Kriegsmann, ſo ſoll auch der Touriſt, der ohne eigene Dienerſchaft reiſt, kleine Ausbeſſerungen an ſeinen Kleidern ſelbſt vorzunehmen verſtehen, ſo daß er nicht jeder Kleinigkeit halber fremde Hände ſuchen und auf ſie warten muß.

22II. Reiſeapparat.

Die Taſchengabel iſt nicht in großem Tafelformat und mit einem eben ſo ungeſchlachten, ſchweren Meſſer ver - koppelt, in der Art, wie ſie unſere Urgroßväter zu Jagd - partien mitnahmen, ſondern ein ſelbſtändiges Geräth, leicht, zierlich und taſchenmeſſerartig zum Auf - und Zuklappen ein - gerichtet, aus Silber oder Neuſilber, die Zinken, rundum glatt polirt, laſſen ſich nach dem Gebrauche leicht reinigen. Das Ding tritt ſeinen Vicariatsdienſt ſelbſtverſtändlich nicht an in Hotels, wo blankes Tafelgeräth vorliegt, ſondern erſt, wenn bei Tiſche die entſetzliche (!) gemeine deutſche Land -, Dorf - und Waldgabel erſcheint, mit ihrem rauhen ſchwarzen hölzernen oder hirſchhornenen Stiel und drei Eiſenzinken, deren innere unpolirte Seiten ebenſo wie der Stiel allen Reinigungsverſuchen hartnäckig widerſtehen.

Huthakenklammer: ein geſpitztes ſtählernes Häkchen, durch ein Gelenk mit einer elliptiſch ringförmigen Klammer verbunden, die durch Verſchiebung eines oben angebrachten kleinen Ringes geſchloſſen werden kann. In die Klammer wird der Rand der Hutkrämpe gefaßt und das Häkchen in die Wand des Wagens eingeſtochen oder beim Wandern, wenn man baarhäuptig gehen und den Hut nicht in der Hand tragen will, in die Weſte. In vielen Eiſenbahn - und anderen Wagen fehlt es häufig an Vorrichtungen zur Aufnahme der Hüte, was bei überfülltem Raume den Beſitzer in die läſtige Wahl drängt, den Hut auf dem Kopf oder in der Hand zu halten. Auch in manchen Wirthslocalen, z. B. faſt durchweg in italieniſchen Trattorien und Kaffeehäuſern; ſetzt man da den Hut auf Stuhl, Sopha, Tiſch, ſo findet man ihn regel - mäßig auf der Erde in kläglichem Zuſtande wieder. Dort pflegte ich meinen Hut am Fenſterrahmen vermittelſt des Häkchens zu befeſtigen, eine Erfindung, die mir beifälliges Gemurmel in verſchiedenen Sprachen eintrug.

Man hat runde Thermometer, in einer Art Uhr - gehäuſe und in der Weſtentaſche zu tragen; die Kugel mit Queckſilber iſt in der Mitte und die Röhre ſchlingt ſich in23II. Reiſeapparat.einer Spirale herum. Sie leiden aber häufig an Stockungen und Blähungen im Innern, deshalb ziehe ich die lange Form vor.

Aneroidbarometer: eine luftleere, elaſtiſch federnde Kapſel, mit einem Hebelwerke und einem durch daſſelbe in Bewegung geſetzten Zeiger. Das Ganze iſt nicht viel um - fänglicher als eine ſtarke Taſchenuhr, alſo leicht, bequem in der Weſtentaſche zu tragen und nicht ſo zerbrechlich wie die alten langen Queckſilberbarometer. Touriſtiſch iſt dieſe neue Londoner Erfindung trefflich zu verwerthen, denn der Zeiger gibt dem Bergſteiger jeden Augenblick Auskunft, wie hoch er geklommen. Ein ſolcher luftleerer, büchſenförmiger Baro - meter koſtete im Frühling 1869 in Deutſchlandfünfzehn Thaler.

Fernröhre gibt es jetzt ſehr leichte mit drei Auszügen. Da auf den beſuchteſten Höhepunkten große aufgeſtellt ſind, begnüge ich mich meiſt mit einem ſogenannten Opern - gucker. Für den Reiſegebrauch zu empfehlen iſt jene Art (Pariſer Erfindung: Jumelles) mittler Größe und leicht, auf welcher durch Drehen eines Rädchens drei Veränderungen der inneren Gläſer bewirkt werden können (Théâtre, Cam - pagne, Marine): eine für nahe Gegenſtände und im Theater zu brauchen, eine zweite für entferntere und eine dritte für ganz ferne. Auch können dieſe Operngläſer dienen, um im Dämmerlicht deutlicher weit zu ſehen.

Das Inſectenpulver kaufe man in einer wohl - berufenen Droguenhandlung, denn es muß aus dem in Perſienheimiſchen und dort gewachſenen Pyrethrum roseum bereitet und nicht zu alt ſein, wenn es ſeine inſectentödtende Kraft bewähren ſoll. Auch bei uns baut man jetzt die aſterartige Pflanze, aber ohne ihr jene Eigenſchaft erhalten zu können; ein Zuſatz vom hieſigen Product dient vielfach zur Ver - fälſchung des echten. Die gewöhnliche Art, mittelſt einer kleinen Kautſchukſpritze Abends das Bett einzuſtäuben, er - fordert eine ſtarke Verproviantirung, ich ziehe deshalb den Gebrauch der Eſſenz vor, mit welcher ich den Körper flüchtig24II. Reiſeapparat.betupfe, eine Operation von wenigen Minuten, und bin gefeit gegen Flöhe und Wanzen. Auch die Benetzung des Ge - ſichts, des Halſes und der Hände im Freien hält die Mücken ab. Die Eſſenz kann man ſich ſelbſt bereiten: auf 1 Theil Pulver 2 Theile Alkohol und 2 Theile Waſſer. Noch in der ſechsfachen Verdünnung mit Waſſer iſt dieſe Miſchung brauch - bar, wenn ſie aus echtem, friſchem Pulver gemacht wurde. Um beim Uebernachten im Freien die Mücken abzuhalten, pflegte ich im Orientneben mich eine lange glimmende Lunte zu legen, in deren Fugen Inſectenpulver geſtreut war.

Von ſogenannten Néceſſaires bin ich kein Freund, auch nicht von den neumodiſchen, die aus den Schaufenſtern ihren Haifiſchrachen uns entgegenſtrecken, mit ihren aus Büchschen, Käſtchen und Etuis gebildeten Zahnreihen. Jeder weiß am beſten, was ihm nothwendig und überflüſſig iſt, was er zu - ſammen, getrennt, zur Hand oder abſeits zu legen hat, in welcher Form und Größe er dies und jenes braucht. Ich finde es bequemer, die kleinen Geräthe nach den wechſelnden Bedürfniſſen unterwegs in Koffer, Reiſe - und Rocktaſchen zu vertheilen, Einiges davon in kleine Beutel, den Schwamm oder ſtatt deſſen einen türkiſchen Leinenlappen (mit hervor - tretenden Maſchen) in ein Gummifutteral (Wachstaffet iſt nicht haltbar), ebenſo die Seife in ein kleineres dergleichen, die Nagelſcheere trägt ein Lederhöschen, das Reiſekleid des Staubkammes iſt ein Saffian-Etui, in dem er ſo ſchmuck aus - ſieht, daß man’s ihm, wenn er ſich auch einmal auf den Früh - ſtückstiſch verirrt, kaum ſehr übel nimmt. Nicht in Gefäßen von Porzellan, Glas, Holz oder Pappe verwahre ich Zahn - pulver, Pommade, Rindertalg ꝛc., ſondern in verſchiedenfarbig lackirten kleinen Blechbüchſen, welche Unzerbrechlichkeit mit Leichtigkeit verbinden.

Der Revolver, wo er nicht jugendlicher Geckenhaftig - keit als Spielzeug, ſondern, durch örtliche Verhältniſſe bedingt, der Sicherung von Leben und Eigenthum dienen ſoll, gehört unter die Stücke des Reiſeapparats, die nie Parade machen:25II. Reiſeapparat.Nachts liegt er nicht offen auf dem Nachttiſch, ſondern unter dem Kopfkiſſen oder deſſen Stellvertreter, unterwegs ſteckt er in der Rocktaſche, nicht wie beim Opernräuber offen im Gür - tel. Das Zeigen der Bewaffnung kann freilich möglicher - weiſe ein Diebsgelüſt unterdrücken, noch leichter aber dieſes erſt rege machen oder gar in einen Mordanfall verwandeln.

Als Erſatz des fehlenden Thürverſchluſſes in Häuſern und Hütten von zweifelhafter Sicherheit ( Sicilien, Spanien, Orient) nehmen Manche ein fliegendes Schloß mit, deſſen beide in Pfoſten und Thür geſchlagene Theile durch Riegel oder Kette verbunden ſind; Andere verfahren noch einfacher: ſie bohren einen Nagelbohrer (man hat jetzt dies Geräth zum Zuſammenklappen mit einem Bügel, ähnlich wie die Taſchen - korkzieher) durch die Thür in den Pfoſten; wieder An - dere ziehen derartigen Behauſungen das Uebernachten im Freien vor.

Mit Rathſchlägen, wieviel Paar Strümpfe, Schuhe, Hemden ꝛc. mitzunehmen ſeien, verſchonen wir unſere Leſer, trauen ihnen auch hinlängliche Ueberlegung zu, um zu wiſſen, daß Jeder, der zu Erkältungen neigt, wohlthut, Vorſorge zu treffen, nach gründlicher Durchnäſſung die Kleider wechſeln zu können. Nicht ſo überflüſſig erſcheint es dagegen, an ein anderes Stück Reiſeapparat zu erinnern, wenn nämlich ein Land beſucht werden ſoll, deſſen Sprache wir nicht mächtig ſind. Viele begnügen ſich, ein Taſchenwörterbuch und eine Phraſeologie einzupacken, in der Hoffnung, daß alles Weitere ſich ſchon an Ort und Stelle aus der Praxis von ſelbſt er - geben werde , ohne zu ahnen, wie viel Verlegenheiten ſie ſich erſpart hätten und wie viel mehr Wünſchenswerthes ihnen zu Theil geworden wäre, wenn ſie wenigſtens ein paar hun - dert Vocabeln und ein paar Dutzend Phraſen im Kopfe mit - genommen hätten. Die Sache iſt auch für ein Veteranen - gedächtniß nicht ſo ſchwierig und ermüdend, als ſie ausſieht. Meine erſte italieniſche Reiſe wurde vier Tage nach dem Ent - ſchluß dazu angetreten und ich hatte nur Zeit, durch einige26II. Vocabeln und Sätze.Lehrſtunden mich ein wenig in der Ausſprache, der Declination und Conjugation zu üben. Noch vor dem Aufbruch ſchrieb ich aber aus einem kleinen Buche die Formen, Wörter und Sätze ab, welche ich wohlüberlegt für die nöthigſten hielt, ſteckte dies zu mir, verwandte auf deſſen Erlernung einen Theil der Zeit im Wagen und in den Gaſthöfen und war erſtaunt, wie raſch dies kleine Capital ſich umwälzte und vergrößerte. Ein Haupthinderniß bei jungen Leuten iſt die Zurückhaltung im Sprechen, aus Furcht, ſich durch Fehler lächerlich zu machen; eine tapfere Willensanſtrengung hilft ſchnell dar - über hinweg. Um das Ohr bald an die fremden Klänge zu gewöhnen, iſt eine gute Uebung, ſich öfter von einem Ein - gebornen langſam vorleſen zu laſſen und dabei mit den Augen dem Gedruckten zu folgen.

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III.

Reiſekleider § 1 des Codex turisticus Wäſcherinnen Barbiere ent - ſittlichende Eigenſchaften der Seife zur Kleiderordnung Lebensrettung Nothbehelfe in Robinſonverhältniſſen pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerve - ſyſtem Gepäck ſo wenig als möglich koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranz - gebühren Koſten Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe der Plaid und ſeine Verdienſte Plaidnadeln Kopfbedeckungen ſchon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe der Reinlichkeitsfana - tiker und ſeine Toilettengeheimniſſe zur Farbenlehre bergauf Copie nach niederländiſchem Original Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen erlaubte Beſcheidenheit Vorſichtsmaßregeln Fahrbillets Gepäckſcheine die ver - ſteckte Fahrkarte Werthſachen zu ſichern Diebe weitere Sicherheitsmaß - regeln Papiergeld Gold chirurgiſche Hilfe Goldmägen Verſiche - rungsſchein aus dem Wagen ſpringen todte Briefe Verluſte durch Zer - ſtreutheit Taſchen und abermals Taſchen Gedächtnißkrücken TailleurKrausé Handwerkerbildungsvereine fernere mnemotechniſche Krücken bei eiliger Abreiſe Friedrich der Verſchlafene Adreſſen und Erkundigungen ſchriftliche Aufzeichnungen Gedächtniß und Phantaſie Schreiben im Freien und im Fahren Cigarrenanzünden Zündhölzer ſchriftliche Notizen Reiſetagebuch Entwürfe und Ausarbeitungen.

Das Hemd iſt mir näher als der Rock, ſagt das Sprüch - wort. Näher noch als das Hemd iſt aber dem Touriſten et - was Anderes: Wolle. So mag denn auch dieſes Ca - pitel mit § 1 des Codex turisticus, Titel Kleiderordnung, be - ginnen, welcher lautet: Jedweder Touriſt, weß Standes und Alters er auch ſei, ſoll ſich mit wollenen Unterkleidern verſehen. Wer ohne ſolche auf anſtrengenden Fußwande - rungen oder längeren, dem Witterungswechſel ausgeſetzten Wagenfahrten betreten wird, hat das Leben verwirkt. Aus28III. Reiſekleider § 1 des Codex turisticus. den Annalen der Touriſtik geht nun zwar hervor, daß dies ſtrenge Geſetz nur ſelten nach dem Wortlaute vollzogen und ſelbſt ſchwere Delinquenten oft begnadigt werden zu lebens - länglichem Rheumatismus oder Lungenſucht, unter mildern - den Umſtänden wohl auch mit Bruſtentzündung, Grippe, Huſten, Zahnſchmerzen u. dergl., zuweilen ſogar ganz ſtraf - los wegkommen; auch abgehärtete Naturen ſind jedoch immer - hin nachdrücklich vor Märſchen in die Hochregionen (vgl. IV. ) zu warnen, wenn ſie den Oberkörper nicht durch Wolle auf bloßer Haut und die Füße durch wollene Strümpfe geſchützt haben, überhaupt iſt Jedem zu rathen, wollene Unter - kleider unterwegs ſtets zur Hand zu halten und ſie anzulegen auf allen Touren, die nicht blos aus Spaziergängen und kleinen gemächlichen Fahrten beſtehen, denn jede Erkältung iſt ein läſtiger Reiſegefährte. In den Tropenländern tragen bekanntlich die Europäer auf bloßer Haut niemals Leinen, ſondern entweder Calico oder leichte Wollſtoffe, ohne vor Hitze zu vergehen , wie es in unſerer gemäßigten Zone ge - meiniglich heißt, wenn von Neulingen gegen den Rath re - monſtrirt werden ſoll. Auch bei drückendſter Sonnenglut wandert es ſich ganz leidlich in einem weitärmeligen Flanell - hemd, während Rock und Weſte der Führer trägt oder der Wanderer ſelbſt über den Arm wirft und erſt wenn es nöthig wird wieder anlegt. Wer Flanellhemden ohne Weſte anzieht, läßt ein Uhrtäſchchen, eine zweite größere Taſche und Achſel - klappen, um Tragriemen feſtzuhalten, anbringen. Statt der hochrothen Garibaldifarbe, welche nicht Stand hält, wähle ich hellgrau. Hat man längere Zeit ununterbrochen Wolle auf bloßer Haut getragen, ſo läßt ſich ein Uebergang zur alten heimiſchen Gewohnheit mit einer Jacke von Seidenkrepp machen. Für die Behauptung der Fabrikanten, daß dieſer die nämlichen Dienſte leiſte, wie Wolle, will ich keine Bürg - ſchaft übernehmen, wohl aber dafür, daß er ſich noch ange - nehmer trägt, glaube ferner, daß es der Haut nur von Vor - theil ſein kann, wenn ſie nicht länger als noththut, durch29III. Wäſcherinnen Barbiere entſittlichende Eigenſchaften d. Seife.Wollengewebe, zumal dichte, enganſchließende, in ihren eigenen Dunſtkreis gehüllt, ſondern hinterher der atmoſphäriſchen Luft wieder mehr Zugang verſtattet wird. Aus dieſem Grunde ſind auch locker geſtrickte, ſehr elaſtiſche Wollenunterjacken zu empfehlen.

Für Flanellhemden, und zwar farbige, ſpricht noch eine andere Rückſicht. Unter die kleinen Leiden der Reiſe zählt nämlich auch die Abhängigkeit von Wäſcherinnen, deren Ver - ſprechungen ſich häufig ſo hohl und vergänglich erweiſen, wie die Seifenblaſen, die ſie in ihren Trögen aufwerfen. Sollte der Ausdruck leeres Gewäſch daher ſtammen? Hängt etwa die ſchaumige, ſchlüpfrige Natur der Seife damit zuſammen? Der Umſtand, daß ein anderes auf Seife gegründetes Ge - werbe, das der Barbiere, eben ſo wenig Wort hält, ſcheint darauf zu deuten. Während ich allgemeinen Betrachtungen über dieſe entſittlichenden Eigenſchaften der Seife nachhing, mehrten ſich die Fälle, daß ich durch Schuld von Wäſcherin - nen und Barbieren Bahnzüge, Poſten und Zuſammentreffen mit Gefährten verſäumte, einigemal mußte ich auch meine Hemden naß einpacken, ſo beſchloß ich endlich, meine ganze Aufmerkſamkeit auf die praktiſche Seite der Frage zu wenden. Trugen doch, ſagte ich mir, die Touriſten des Mittelalters, die Wallfahrer, wenn ſie ſich nicht etwa ſelbſt raſirten, Voll - bart und härenes Gewand, warum ſollten wir modernen Pil - ger nicht ihrem Beiſpiele folgen? Von heute an wird für die ganze Wander - und Fahrzeit der Bart von keinem Scheer - meſſer berührt und ein Flanellhemd angezogen, ein zweites in die Reiſetaſche geſteckt; jede Dorfwirthin, Magd, Sennerin kann erforderlichen Falles deren eines nebſt Strümpfen waſchen und am Feuer trocknen, alles vom Abend bis zum Morgen, und ſo wäre wenigſtens ein großes Stück jener Sclavenketten abgeworfen. Immer erſt, wenn ich an einem Orte bin, an dem ich den großen Koffer vorfinde und längere Zeit verweile, werden wieder weiße Hemden angethan, der Wäſcherin reichliche Lieferungsfriſt bewilligt und das letzte30III. Zur Kleiderordnung eine Lebensrettung.Ziel nie kurz vor die Abreiſe geſteckt, ſondern ſtets ein Reſpect - tag in die Rechnung aufgenommen. Geſagt, gethan. Hat man auf einer kleineren Excurſion ſich nicht gehörig vor - geſehen, z. B. auf einen heißen Tag gekleidet, und es thut ſich plötzlich ein eiſiger Nordoſt auf, ſo wird das nächſte Bauern - haus, eine Sennhütte, Felshöhle, Gebüſch oder ſonſtiges ge - ſchütztes Plätzchen aufgeſucht, die Reiſetaſche geöffnet, das Nachthemd unter das Oberhemd und was ſie ſonſt noch etwa hergibt, angezogen, z. B. ein Taſchentuch über den Baumwollſtrumpf geſchlagen u. dergl. m. Strenge Kleider - ordnung iſt überhaupt nicht aufrecht zu halten, der Codex turisticus geſtattet ſogar als Nothwehr ſchwere Gewaltthaten. Einen Commentar zu dieſem Paragraphen mag folgendes Geſchichtchen liefern.

Vor geraumer Zeit machte gleichzeitig mit mir die Tour über’s Stilfſer Joch ein junges Ehepaar, um den Comerſee zu beſuchen. Wir waren zuſammen in Meranbei herrlichem Wetter in den Wagen geſtiegen, je mehr wir uns aber dem Paß näherten, je rauher wurde es. Das Geſpräch ſtockte, die Geſichter erbleichten, die Naſen errötheten. Der Mann, der am meiſten fror, war leicht gekleidet und hatte, obwohl offenbar kränklich, wie ſich ſpäter ergab, im Rauſche des Flitterwochenglücks, ſein ganzes Gepäck vorausgeſchickt, und bei ſich außer ſeiner Liebe nur Kleinigkeiten, z. B. ein Thermo - meterchen, das zwei Grad über Null nachwies, und eine Taſchenausgabe von Seneca. Nicht einmal mit einem Plaid war der Unbeſonnene verſehen! Weder die Philoſophie des Hispaniers, noch die Pracht der uns umgebenden Bergland - ſchaft konnte ihn vom Zähneklappern abhalten. Wir waren jetzt oberhalb Trafoi, von menſchlicher Hilfe weit entfernt. Auf Seite des Weibleins verſtohlenes Weinen über das Leid und die Gefahr des Gatten, denn ſie ſelbſt verſicherte, nichts von Kälte zu ſpüren, nur ein bischen kalte Füße. Meinen Vorrath von ſchlechten Wärmeleitern hatte ich bereits im eigenen Nutzen ziemlich erſchöpft, und von verfügbaren fanden31III. Eine Lebensrettung.ſich in meiner Machtſphäre nur noch ein Paar kurze und ein Paar lange Wollenſtrümpfe vor. In Zeiten großer Noth weicht ſeit jeher die Achtung vor conſtitutioneller Freiheit höheren Staatsrückſichten, ſo warf ich mich denn ohne viel Widerſtand zu finden zum Dictator auf und leitete die Vertheidigungs - maßregeln. Die kurzen Strümpfe wurden über die Stiefe - letten gezogen, die langen vermittelſt einiger Plaidnadeln in den Hemdärmeln befeſtigt und, nachdem ſie unten aufgeſchlitzt, Hände und Arme durchgeſteckt, ſo daß ſie Aermel bildeten. Endlich fand ſich noch im Strickbeutel der Frau eine beinahe fertig geſtickte Tiſchdecke, die es ſich gefallen laſſen mußte, um die Beine des Frierenden gewickelt und mit Bindfaden be - feſtigt zu werden. Schon während der Vorbereitung hellten ſich die Mienen erſt des Mannes, dann der jungen Gattin auf, und kaum war dieſer durch unſere vereinten Anſtren - gungen geborgen, als, zum großen Vortheil der Wärme - entwickelung, ein langathmiges dreiſtimmiges Gelächter ent - ſtand. Von Neuem praſſelte es auf, als ich, um alles Ver - wendbare auch zu verwenden, zwei roſenrothe Briefe, die ſich noch vorfanden, beſtimmte, über die weißbaumwollene Hülle der beiden weiblichen Füße geſchlagen zu werden. Zuerſt hielt man es für Scherz, der Mann machte verſchiedene an - zügliche Bemerkungen über unumſchränkte Gewalt und ihre Gefahren, wie unwiderſtehlich ſie zu Mißbräuchen auch ſonſt gute Menſchen reize, demonſtrirte, daß Nero, ſo lange er unter Aufſicht Seneca’sgeſtanden, ein ſanfter, liebenswürdiger Jüngling geweſen und erſt ein Scheuſal geworden ſei, als er den ganzen Erdkreis zu ſeinen Füßen geſehen habe. Nicht um Nero’sFüße und ſeine Rettung handelt es ſich aber jetzt, unterbrach ich, ſondern um die Ihrer Gemahlin. Kraft meiner Dictatorwürde befehle ich, daß Sie die Briefe ihr zu Füßen legen, während ich aus dem Wagenfenſter ſchaue. An den Geſichtern der Gatten, die jetzt ſahen, daß es mein Ernſt war, konnte ich nicht recht erkennen, ob ſie mich für plötzlich verrückt geworden oder nur für ſehr läppiſch hielten, oder ob32III. Nothbehelfe in Robinſonverhältniſſen.ihnen die Zweckmäßigkeit der Maßregel einzuleuchten anfing, kümmerte mich auch nicht weiter darum, ſondern kehrte ihnen den Rücken und betrachtete den Gletſcher, der mich wieder an - blickte, wie ein Potentat den andern, hörte bald darauf Pa - pier raſcheln und nach wenigen Minuten war Alles in Ord - nung. Neues Gelächter, neues Geplauder. In Bellaggiotrennten wir uns. Am nächſten Chriſtfeſt überraſchte mich ein Paket aus Deutſchland, welchem ich zwei Briefe, die weitere Aufklärung gaben, und eine Schreibmappe entnahm, deren Deckel eine bildliche Darſtellung der erzählten Scene enthielt, rundum in gobelinartiger Stickerei einen Lorbeer - kranz und die Worte: Dem Retter meines theuren Eheherrn.

An Hiſtörchen der Art war unſer Reiſeſchulmeiſter uner - ſchöpflich. In der Regel ſchienen ſie darauf berechnet, einen Paragraphen ſeines Geſetzbuchs anſchaulich zu machen oder einzuſchärfen und ſchloſſen mit einer Sentenz oder einem Sprüchwort. Hin und wieder fügte er in dogmatiſchem Tone allgemeine Betrachtungen hinzu, wie z. B. hier.

Je mehr wir reiſen, je häufiger iſt Gelegenheit und zugleich Urſache, das zu lernen und zu üben, was wir to make shift nennen: ſich zu helfen wiſſen, ſich durchſchlagen, denn die Reiſe verſetzt uns oft in Robinſonverhältniſſe und da gilt es, das alte deutſche Sprüchwort zu beherzigen, Alles zu brauchen, wozu es gut iſt, mit andren Worten, von der breiten Bahn des Gewohnten, ſobald ſie uns nicht zum Ziele führt, abzugehen und neue Wege zu ſuchen. Stücke des In - ventars mögen zum Opfer fallen, indem man ſie zu einem ihrer urſprünglichen Beſtimmung fremden Zwecke benutzt; denn: keine Omelette ohne zerbrochene Eier. Ein für alle - mal bemerke ich aber, daß ich Euch, Ihr Herren, nicht zu gedankenloſen Nachahmern, ſondern zu ſelbſtändigen Reiſe - virtuoſen zu erziehen wünſche, deshalb fordere ich ausdrück - lich auf, keinem meiner Rathſchläge blindlings zu folgen. Ich wäre ein ſchlechter Pädagog, wenn ich nicht auch hier und da darauf ausginge, Eure Aufmerkſamkeit, Euren Scharfſinn und33III. Pädagogiſche Attrapen Hauptanzug waſſerdichte Bereitung.Erfindungsgeiſt zu prüfen und zu ſpornen. Ueberdies gehört das Aufſpüren neuer Nothbehelfe, mögen ſie auch an’s Abenteuerliche ſtreifen, unter die Erheiterungen des Reiſe - lebens und unter die Dinge, von denen ſich am häuslichen Herde gar luſtig erzählen läßt. Je öfter Euch Beſſeres ein - fällt, als Eurem alten Lehrer, um ſo ſtolzer macht Ihr dieſen auf Euch. Paßt mir alſo nur gehörig auf den Dienſt.

Der Herausgeber würde nun zwar dem Leſer gegen - über ſolche pädagogiſche Attrapen um keinen Preis wagen, dennoch könnte es ihm ohne Wiſſen und Willen begegnet ſein, indem er Worte des Meiſters, die nicht für die Oeffentlichkeit beſtimmt waren, hier niederſchrieb. In Fällen der Art möge nur der ganze Unwille oder Spott des Leſers auf mein Her - ausgeberhaupt fallen, aber Niemand an der Reiſeweisheit des Lehrers zweifeln. Und nun zurück zu Schränken und Commoden, Schneidern und Tuchhändlern.

Zum Hauptanzug für die Reiſe wählt der Touriſt von Fach am liebſten eine der in zahlreichen Schattirungen und Muſtern vorhandenen Miſchungen von weißer und ſchwarzer Wolle, ohne Zuſatz von Farben, die dem Verſchießen unter - liegen (wie z. B. Anilin oder dem ſogenannten freundlichen Grau, das bald einen grünlichen Schimmer annimmt), ein Ge - webe aus reiner, neuer Wolle, keinen Shoddy, weder zu locker und luftig, noch ſo dicht und ſchwer, daß es bei großer Hitze unerträglich wird. Das Zeug kann man nahezu waſſerdicht (nicht luftdicht) bereiten laſſen*)Es gibt dafür eigene Fabriken, die das Verfahren als Geheimniß behan - deln. Fehlt es an einer ſolchen, ſo wird folgendes Recept empfohlen. 1 Pfund Leim und 1 Pfd. Kernſeife werden in 1 Pfd. kochenden Waſſers gelöſt, nach und nach Pfd. Alaun zugeſetzt und die milchige Miſchung bis zum Sieden erhitzt, die Stoffe mit derſelben, bevor ſie ganz erkaltet iſt, getränkt, zum Trocknen auf - gehängt ohne ſie auszuringen, ſchließlich gewaſchen, gerollt und verarbeitet.. Ganz leichte Sommer - ſachen zur gelegentlichen Benutzung an Orten, wo verweilt wird, im Koffer bei ſich zu führen, iſt Niemand verwehrt, zum Hauptreiſeanzug taugen ſie nicht.

334III. Gepäckreductionen Joppe Knöpfe Reſerveſyſtem.

Da Unterkleider Umfang und Gewicht des Gepäcks weni - ger als Oberkleider vermehren und mehr leiſten, ſo kann man dieſen letzteren, wo es ſich um Reductionen handelt, leicht viel abbrechen, wenn nur jenen ein Weniges zugelegt wird.

Die Joppe, bei längerem Aufenthalt in Gebirgsorten und kleinen Ausflügen recht verwendbar, reicht als Haupt - rock unterwegs nicht aus, weil das Lodenzeug zu locker iſt, um gehörig Stand zu halten, wenn’s einmal hart hergeht, und das Ding in ſeiner Knappheit und Kürze zu wenig Raum für Taſchen bietet. Auf alle Fälle laſſe man deren zwei oder drei übereinander mit Knöpfen verſehen äußerlich vorn an der Bruſt und innerlich zwei größere Seitentaſchen an - bringen.

Von den Knöpfen der Beinkleider, an denen der Hoſen - träger befeſtigt wird, laſſe ich eine doppelte Garnitur an - nähen, ſtatt ſechs alſo zwölf, ſo daß, wenn einer abreißt, ſein Stellvertreter ſchon bereit iſt und in den Dienſt tritt. An dieſe Knöpfe ſei gleich eine Bemerkung über das Reſerve - ſyſtem geknüpft, welches in der Touriſtenpraxis ſo gut ſeine Rolle ſpielt, wie überall. So nimmt der Vorſichtige für län - gere Reiſen (vergl. S. 19) von den ihm nöthigſten, nicht umfänglichen und ſchwer wiegenden Dingen, namentlich ſol - chen, die dem Verluſt, dem raſchen Verbrauch oder der Be - ſchädigung ausgeſetzt und nicht allerwärts leicht zu kaufen ſind, etwas über den nächſten Bedarf mit, denn Vieles kauft ſich zu Hauſe beſſer, Anderes iſt nicht zu haben, wo man es gerade braucht, endlich die Zeit an fremden Orten nützlicher zu verwenden, als in Läden und Magazinen. Die vielwieder - holte Reiſeregel: Gepäck ſo wenig als möglich, erleidet alſo hierdurch eine Einſchränkung.

Ueberhaupt gehört der Satz ſo allgemein gefaßt gar nicht in den neueren Reiſecodex und ſcheint nur eingeſchwärzt aus irgend einem alten Wanderbüchlein für Handwerksburſchen. Soll durchaus ein Geſetz daraus werden, ſo könnte ich in Erwägung, daß alles Gepäck unterwegs dem Verluſt und35III. Koſtſpielige Erſparniſſe und Aſſecuranzgebühren Koſten.Verderben ausgeſetzt iſt und entweder die Schultern oder durch Porti und Trägerlöhne das Budget belaſtet; letztere ziemlich hoch auflaufen können, wenn das Transportmittel häufig gewechſelt und lange gereiſt wird (wie z. B. auf einem achtwöchentlichen Streifzug durch die Schweizund Ober - italien, bei welchem eine erkleckliche Anzahl Bahnhöfe, Dampf - boot -, Poſt -, Omnibusbureaux, Führer, Träger und Haus - knechte betheiligt ſind); weil ferner ein Pfund mehr oder minder ſich bei längerem Tragen ſchon recht fühlbar machen kann; ſehr viel Gepäck endlich die Wirthsrechnungen ſteigert (vergl. VI. ) meine Stimme höchſtens zu folgender Faſſung geben: Jeder, der nicht alles Ueberflüſſige und Leichtentbehr - liche zu Hauſe läßt, verfällt in eine Geld - oder verhältniß - mäßige Körperſtrafe (vergl. S. 28). Alles das iſt aber ein ſo handgreifliches Naturgeſetz, daß ich für gänzliche Streichung dieſes Paragraphen votire.

Daß es nicht räthlich iſt, für Kleiderſtoffe und Geräthe, die unterweges ſchweren Dienſt thun ſollen, das Wohlfeilſte auszuſuchen, oder Altes Halbverbrauchtes als gut genug für die Reiſe zu betrachten, ſpringt nicht minder in die Augen. Sagt doch ſchon das alte Sprüchwort: Wohlfeil koſtet viel Geld. Das Alles, wie ferner die Mitnahme einer alten Auflage des Reiſehandbuchs und Eiſenbahncoursbuchs, oder der gänzliche Verzicht auf dieſe kleinen rothen und gel - ben Rathgeber, zählt unter die koſtſpieligen Erſpar - niſſe. Ueberhaupt gilt die Regel, daß in Anſehung aller Vorbereitungen kleine Ausgaben in Zeit, Geld und Mühe willig und am rechten Orte jeder zu übernehmen hat, der größeren Aufwand in dieſen drei Valuten unterwegs ver - meiden will. Wer jene billigen Aſſecuranzgebühren aus Eil - fertigkeit, Geiz oder Trägheit nicht tragen mag, darf ſich nicht beklagen, wenn ihm die Ernte verhagelt.

Mit der vielfach gedruckten Mahnung, nicht zu wenig Geld, ſondern mindeſtens ein Drittel des Koſtenanſchlags darüber hinaus als Reſervefonds mit auf die Reiſe zu nehmen,3*36III. Poſtanweiſungen Fortification nackte Knie gegen Näſſe.wagen wir unſere Leſer ebenſo wenig zu behelligen, ſie werden das Erforderliche ungemahnt thun. Für Nothfälle gibt es jetzt Poſtanweiſungen, die herbeitelegraphirt werden können.

Die Taſchen müſſen geräumig und an allen den Angriffen ſtark ausgeſetzten Punkten wohl befeſtigt ſein. An ſolchen ſtrategiſchen Pointen, z. B. den auswendigen unteren Ecken der Rock - und Hoſentaſchen, hat der Schneider beſondere for - tificatoriſche Werke anzubringen, ſogenannte Riegel, welche aus einem etwa ½ Zoll breiten und ½ Linie dicken ſeide - nen Wulſt beſtehen, der dicht unter der Ecke quer vor liegt.

Hier und da ſieht man Alpendilettanten, Tiroler und Bergſchotten nachahmend, Beinkleider tragen, die das Knie nackt laſſen. Die Tracht erleichtert allerdings das Klettern, verurſacht jedoch Ungewohnten oft Erkältungen und ſpröde, brüchige Haut, eine Unannehmlichkeit, die nicht dadurch auf - gewogen wird, daß an den Knien bald eine blühende Geſichts - farbe erſcheint und alle Augen auf ſie gerichtet ſind.

Gegen Näſſe ſchützt die Füße wohlpräparirtes Schuh - werk mit Doppelſohlen (vergl. IV.); Gummiſchuhe ſind un - touriſtiſch, denn auf ſteinigen Wegen zerreißen ſie und auf Eisfeldern vermehren ſie die Gefahr des Ausgleitens. Auch abgeſehen davon liebe ich die Gummiſchuhe nicht, denn ihr Druck iſt, wie der indirecter Steuern, anfangs kaum fühlbar, wird aber nach Verlauf einiger Zeit um ſo empfindlicher, außerdem beeinträchtigen ſie die Ausdünſtung und den Blut - lauf. Curgäſten, namentlich im Seebade, ſoll indeß damit ihr Beſitz nicht verleidet werden. In Bezug auf Schutz des übri - gen Körpers gegen Näſſe ſchreibt die touriſtiſche Kleider - ordnung nichts Beſtimmtes vor. Manche führen einen Regen - ſchirm, Andere haben Ueberzieher von Mackintoſhzeug oder von gummirtem Taffet, welche letztere in der Rocktaſche unterzubringen, aber theuer und wenig haltbar ſind. Noch Andere begnügen ſich nach Art der londoner Conſtabler mit Kragen von waſſerdichtem, ſteifem Zeuge, die etwas über die37III. Der Plaid und ſeine Verdienſte.Achſeln vorſtehen; fällt der Regen manierlich und ſenkrecht nieder, ſo thun ſolche Kragen immerhin gute Dienſte, denn ſie leiten die Rinnſale nur zum Theil auf die Knie, die Haupt - maſſe fließt nebenbei zu Boden. Ich trage waſſerdicht be - reiteten Rock und Hoſe, oder benutze, wie in allen Fällen, wo ich mir nicht anders zu helfen weiß: den Plaid.

Das Kameel leiſtet dem Sohn der Wüſte, das Rennthier dem Lappen, das Bambusrohr dem Oſtaſiaten nicht wichtigere und mannigfaltigere Dienſte, als der Plaid dem Touriſten. Von der Univerſalität dieſes wirklichen Reiſenéceſſaires der nur ſogenannten ward bereits gedacht hatte ich ſelbſt früher nur ſehr unvollkommene Begriffe, obwohl ich eins ſchon ſeit Jahren in Gebrauch gehabt. Da ſaßen einmal in unſrem Club eine Anzahl Vielgereister um den großen runden Tiſch verſammelt, als Mr. G., der Weltumſegler, ſich erhob und eine Anſprache hielt, die auf den Vorſchlag eines Geſell - ſchaftsſpiels oder Wettkampfs hinauslief, und einer beſonderen Liebhaberei der meiſten Mitglieder, Ausbildung der Reiſe - technik, Vorſchub zu leiſten beſtimmt war. Etwas der Art wurde denn auch in’s Werk geſetzt, jedes Mitglied ſchrieb auf einen Zettel alle Weiſen der Plaidbenutzung, die ihm ein - fielen, worauf die Blätter vorgeleſen und abgeſtimmt ward, wieviel Stiche jeder gemacht hatte, Strafen für frivole An - gaben verhängt einige sporting characters waren unter uns, die es darauf angelegt hatten, in Strafe zu fallen, auch wurde manche luſtige Geſchichte erzählt und viel gelacht und auf der Grundlage ſchließlich der Matricularbeitrag eines Jeden für die Bowlen, die an dem Abend geleert wur - den, feſtgeſtellt. Den reiſetechniſchen Reingewinn dieſes Spiels habe ich nachträglich ermittelt und gebe ihn hier auszüglich.

Der Plaid kann alſo dienen zum: Schutz gegen Kälte, Regen, Wind, Sonne, Menſchenaugen, als Mantel, Ueber - rock, lang talarartig über den ganzen Körper oder kurz ge - faltet für einzelne Theile, beides in verſchiedenen Varia -38III. Plaid Plaidnadel.tionen, als Poncho (mit einem Schnitt in der Mitte, um den Kopf durchzuſtecken, und Knöpfen), als Schoosdecke, Fußſack, Bettdecke, Betttuch, zum Erſatz oder zur Erhöhung des Kopf - kiſſens oder Bedeckung eines unſaubern Kiſſens oder Lakens, gerollt oder zuſammengeſchlagen zur Erhöhung niedriger Sitze beim Schreiben und Clavierſpielen, als Polſter für kalte Steine, naſſen Raſen, als Sattel beim Reiten, gerollt als Schlummerkiſſen, einen Zipfel über den Kopf gezogen als Mütze, im Freien lang ausgebreitet als Schutz gegen Feuchtigkeit oder Ameiſen beim Liegen, als Schirmwand, Zelt - decke, Gardine für Stuben - oder Wagenfenſter, als Segel, geſchnitten als Cholerabinde; mittels Bindfaden läßt er ſich auch zum Torniſter umgeſtalten oder zum Seil winden, um daran einen Felſen hinabzuklettern; endlich noch als Hand - tuch, Kehrbeſen, Kaffeeſieb, Waſſerfilter und Trinkbecher.

Der Plaid darf durch ſein Gewicht den Wanderer, deſſen ſteter Begleiter er iſt, nicht beläſtigen; ich benutze deshalb in der Regel einen der ſtärkeren Damenplaids von feiner Wolle, dünnem und dichtem Gewebe. In den Fällen, in welchen eine ſolche Hülle nicht genügt, läßt ſich, wenn man nicht einen zweiten, ſchweren mit ſich führen will, anderweitig ſorgen, z. B. durch einen ſogenannten Wetter - mantel, wie man ihn in Tirolund Oberbayernfür etwa vier Gulden kauft. Es iſt dies ein bis an die Knie reichender Kittel von grobem, locker gewebtem, braunem Lodenzeug; leicht, aber doch ziemlich warm, vermag er auch eine Zeit lang den Regen abzuhalten.

Die Plaidnadel (Sicherheits - oder Ammennadel), auch ein Kind der Neuzeit, bildet jetzt in faſt jedem Nadler - laden einen Stapelartikel. Weil ſie brocheartig mit einem Ver - ſchluß eingerichtet iſt, hat ſie vor der gewöhnlichen Stecknadel voraus, daß ſie nicht wie dieſe jede unvorſichtige Berührung blutig rächt, ferner nicht beim geringſten Anſtoß treulos ihren Poſten verläßt, muß mithin zu den Gegenſtänden39III. Kopfbedeckungen.gezählt werden, von denen der gute Touriſt eine reichliche Anzahl in verſchiedenen Größen mitnimmt.

Unter den Kopfbedeckungen die allerunbrauchbarſte iſt der Filzcylinder, und da ſelbſt die ſtrenge ſixtiniſche Capelle von ihren Gäſten an den höchſten Kirchenfeſten nur einen Frack und keinen capello francese verlangt, ſo gibt es keine Entſchuldigung für die Mitnahme dieſes ſteifen, hohlen Ge - ſellen, dieſer Krone aller häßlichen Männermoden, dieſem Gipfel geſpreizter Geckenhaftigkeit, der Hand in Hand mit ſeinem ebenſo abgeſchmackten und philiſtröſen Herrn Amts - bruder, dem Frack, einem Jahrhundert nach dem andern Trotz bietet, fort und fort die Form wechſelnd, aber un - ausrottbar, unbeſieglich, wie die menſchliche Thorheit und Eitelkeit ſelbſt. Sollteſt Du, lieber Leſer, Candidat oder Referendar ſein und Deinen Superintendenten oder Miniſter zu treffen hoffen reſp. fürchten, oder ſollten der hochverehrte Leſer Excellenz, Durchlaucht, Hoheit, kurz ſollten Rückſichten auf fremden oder eigenen Rang zu nehmen ſein, ſo ſei der Antrag geſtattet, einen Klapphut, ſogenannten Gibus, zu wählen, der in den Koffer gelegt wird und kein beſonderes Collo bildet, denn viele Gepäckſtücke mit ſich zu führen, iſt untouriſtiſch. Ein weicher niedriger Filzhut wird ſich ſtets als zuverläſſiger, anſpruchsloſer Gefährte erweiſen. Die Verdienſte des Strohhuts werden im Allgemeinen zu hoch angeſchlagen, wenigſtens iſt er als einziger Reiſehut zu ver - werfen. Allerdings tragen ihn Tauſende von Creolen im tropiſchen Amerika, dieſes leichtblütige, ſorgloſe Völkchen darf uns aber nicht zum Muſter dienen; die bedächtigen Südaſiaten und Nordafrikaner, die darin eine mehrtauſend - jährige Erfahrung hinter ſich haben, ziehen ſämmtlich Kopf - bedeckungen vor, die zwar ſchwerer wiegen und wenig Luft, dafür aber auch keinen Sonnenſtrahl durchlaſſen. Da indeſſen der kluge Arzt an Patienten Grillen, die nicht allzu ſchädlich ſind, duldet, auch ein Autor Urſache hat, mit ſeinen Leſern galant zu verfahren, ſo erlaubt unſere Reiſeſchule nicht nur den40III. Schon wieder Wäſche Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe.Ankauf eines breitkrämpigen Panamàhuts, der ſich zuſammen - falten und einpacken läßt, ſondern fügt ſogar noch gute Rath - ſchläge bei. Dient ein ſolcher Hut in heißer Mittagsſonne, ſo lege der Wanderer ein weißes Taſchentuch hinein, von dem ein Zipfel vorn umgeklappt iſt, ſo daß er das Hutfutter von der Stirn trennt; das Werk wird den Meiſter loben, ohne daß von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß. Manche legen auch graues Löſchpapier in den Hut.

Im Eingang dieſes Capitels wurde vom exact touriſtiſchen Standpunkte den farbigen Flanellhemden das Wort geredet und von weißer Wäſche in einer Weiſe geſprochen, welche zartbeſaiteten Gemüthern anſtößig erſcheinen konnte. Wenn ich nun bedenke, wie lange ich ſelbſt brauchte, um mich mit Wolle auf bloßer Haut zu befreunden, ferner, daß es Menſchen gibt, deren Lebensglück eng verknüpft iſt mit weißer Wäſche bekanntlich iſt das Glück etwas Subjectives und läßt ſich nicht ſo leicht auf logiſchem Wege von den oft gering - fügigen Objecten löſen, an die es ſich einmal geheftet hat, mag man auch noch ſo viel predigen über die kurzlebige Tyrannei einer Gewohnheit wenn ich alles das in Betracht ziehe, fühle ich ein menſchliches Rühren. So will ich denn nicht zurück - halten mit der folgenden Erzählung. Möchte ſie denen Troſt bringen, die aus der Hand ihrer Mutter die Lehre haben, daß ein reines Herz auch ſtets von einem weißen Hemd gedeckt ſein müſſe, außen blank und innen rein, und dieſe Lehre nun als ein heiliges Vermächtniß für’s Leben betrachten. Möchte ſie ferner darthun, daß die Alphabetsnachbarinnen Reiſeluſt und Reinlichkeitsliebe zwar nicht eben Schweſtern oder vertraute Freundinnen ſind, aber doch auch nicht, wie Manche wähnen, geborene oder geſchworene Antipoden ſein und bleiben müſſen. Nein, geliebte Mittouriſten, ich kann Euch beruhigen: es läßt ſich ein modus vivendi finden, welcher der Reinlichkeit, dieſem häuslichen Bürgermädchen, erträglich iſt, und dem ſich auch jene etwas emancipirte Dame, die Reiſeluſt, allenfalls fügt.

41III. Der Reinlichkeitsfanatiker und ſeine Toilettengeheimniſſe.

Ich will nämlich von einem Holländer erzählen, deſſen Bekanntſchaft ich einſt in Tirolmachte und der ein wahrer Reinlichkeitsfanatiker war, aber dabei dennoch viel und mit Paſſion reiſte. Die beiden Leidenſchaften erfüllten den Mann ganz und gar, und es war ihm in der That ge - lungen, einen Compromiß für ſie zu finden. Geraume Zeit ſchon waren wir ſelbander gewandert, geklettert, gefahren, geritten, hatten nirgend länger als eine Nacht geraſtet, als es mir auffiel, daß, obwohl auch er nur eine Jagdtaſche von mäßigem Umfang bei ſich führte, er doch bei jeder unſerer gemeinſchaftlichen Mahlzeiten ſtets in einem Hemd erſchien, das in allen ſichtbaren Theilen ſalonfähig ſauber war. Auf meine Frage, wie er das anſtelle, ſuchte er anfangs mit Scherzen auszuweichen, offenbar befürchtete er Neckereien. Als er jedoch ſah, daß ein alter Fuchsjäger, wie ich, nicht ſo leicht zu ermüden, noch von ſeiner Fährte abzulenken iſt, ließ er ſich endlich vernehmen.

Zur Strafe für Ihre Neugierde ſollen Sie nun aber auch in alle meine Toilettengeheimniſſe eingeweiht werden, und je mehr Sie ſich dabei ennuyiren, je lieber wird es mir ſein. Es hat Ihnen nicht entgehen können, daß von den größeren und wohlhabenden Culturvölkern Europa’sdie Niederlandeverhältnißmäßig das ſchwächſte Contingent liefern zum allgemeinen Touriſtenheere. Einige ſehen darin Träg - heit, oder Geiz, oder eitle Selbſtgenügſamkeit und was weiß ich Alles: ich behaupte, daß die Urſache eine andere iſt, und wir ſie nur aus Höflichkeit und Klugheit verſchweigen, denn wir haben ringsum Alles gegen uns. Sie fordern meine Aufrichtigkeit heraus, wohlan, ſo wiſſen Sie: die Luſt am Reiſen wird uns Holländern dadurch verdorben, daß unſere Anſichten und Gewohnheiten in Bezug auf Reinlichkeit von der ganzen übrigen Welt nicht getheilt, ſondern beſpöttelt und mit Füßen getreten werden, außerdem ſchon die Reiſe an und für ſich die Uebung dieſer Tugend ſehr erſchwert. Ich bin unter den Ausnahmen, bei denen der Zug nach der42III. Zur Farbenlehre.Ferne überwog, deſto mehr ſtellte ich es mir nun zur Auf - gabe, nach der Seite der Sauberkeit unterwegs das äußerſt Mögliche zu thun. Ein Stück Seife und ein kleines Tuch zum Abtrocknen führe ich ſtets bei mir und ſorge damit für Kopf und Hände. Um das Hemd unterwegs in präſentablem Zuſtande zu erhalten, es wenigſtens vor dem tiefſten Elende zu bewahren, bedarf es ſchon mehr Sorgfalt, oder ſagen wir Pedanterie. Vor Allem müſſen die Stoffe zu Weſte und Rockärmelfutter klug gewählt ſein, denn ſie beſonders lieben, das Strahlende zu ſchwärzen und das Erhab’ne in den Staub zu zieh’n. Beim Einkauf prüfe ich durch Reiben mit einem weißen Tuche, ob der Stoff farbenfeſt iſt. Schwarze und ſehr dunkle Wollenzeuge ſind es faſt nie, ich wähle deshalb lieber mittelfarbige, auch für das Futter der Aermel und der Taſchen Grau, denn Weiß ſchmutzt paſſiv zu leicht, wie Schwarz activ. Unter letzter Eigenſchaft leiden außer Hemden auch weiße Schnupftücher und Mundvorräthe, welche letztere man zuweilen genöthigt iſt, der Taſche uneingewickelt an - zuvertrauen. Eine meiner Rocktaſchen iſt deshalb ausſchließlich ihnen gewidmet, ſo daß nie derſelbe Ort, den geſtern ein mineralogiſcher oder zoologiſcher Fund einnahm, heute einem Butterbrod angewieſen wird, morgen Büchern und Hand - ſchuhen, und jeder Nachfolger die Hinterlaſſenſchaft ſeines Vorgängers pure antritt. Dieſe Taſche wird zuweilen ge - waſchen. Soviel zur Farbenlehre. Sogenanntes engliſches Leder, ein feſtes, dauerhaftes Gewebe, eignet ſich zu Taſchen von Reiſekleidern beſſer, als Kattun. Meine Hemdkragen ſind zum Anknöpfen, ſo daß ich bequem wechſeln kann, und zwar erſchrecken Sie nicht auf beiden Seiten zu tragen, alſo oben und unten von gleicher Leinwand; in Städten greife ich auch wohl zu amerikaniſchen Papierkragen. Die Manſchetten ſind angenäht und zwar doppelt und von der althergebrachten Art, nicht von der neumodiſchen mit Metall - knöpfen, von einer Pariſer Chemisière et Blanchisseuse de fin eigens für ihre Zwecke und zur Plage der Träger erſonnen. 43III. Bergauf Copie nach niederländiſchem Original.Die untere meiner Manſchetten wird zuerſt lang ausgeſtreckt getragen, während die obere ſich nach der andern Seite, die Pulsadern umſchließend, behaglich und unangefochten dehnt; ſobald der Saum der erſteren eine unliebſame Schattirung annimmt, wird er in die Verborgenheit zurückgefaltet und an ſeine Stelle tritt eine Falte von blendender Weiße; ver - liert auch ſie ihre Reinheit, ſo wird die ganze Manſchette aus der Oeffentlichkeit entfernt und führt nun ein zurück - gezogenes Leben, wie bisher ihre Zwillingsſchweſter, nur über dem Hemdärmel, während die letztere jetzt denſelben Curſus durchzumachen hat. Jede der beiden Manſchetten hat am Saume, wo ſie am Bund angenäht iſt, einen Knopf, der nur geöffnet zu werden braucht, wenn beide ganz zurück - geſchlagen werden ſollen. Zu dieſem fünften Modus greife ich in Staub - und Rußatmoſphäre. Wer auf Geputztheit hält, mag Doppelmanſchetten zum Anknöpfen wählen. Wie Sie ſehen, ſind meine Hemden nicht aus feinſtem Leinen, zur Erhöhung ihrer Widerſtandskraft inmitten der Drangſale, die ſie von Seiten eiliger, unbarmherziger Gaſthofs - und Dorfwäſcherinnen zu erdulden haben, auch ſehe ich darauf, daß an dem Bruſtſtück weder ſogenannte Hohlnähte noch Streifen des einfachen Zeugs vorkommen, ſondern überall dieſes doppelt oder dreifach liegt. Zum Schutz der Hemden gehört endlich, entweder keinen Bart zu tragen, oder den Schnurrbart kurz zu halten und den Kinnbart täglich mit dem Handtuche gründlich zu bearbeiten.

Mein holländiſcher Freund hielt nur zu redlich Wort und weihte mich in ſeine tiefſten Toilettengeheimniſſe ein, zur Strafe meiner Neugierde . Es half mir nichts, daß ich hier und da ſeinem Lehreifer Einhalt zu thun ſuchte, indem ich ihn aufmerkſam machte, daß wir bergan oder dem Wind entgegen gingen, für welchen Fall eine alte Wanderregel das Sprechen verbietet. Mynheer van der Laekenließ ſich nun ebenſowenig irre machen, als ich mich vorher, und zur Steuer der Wahrheit muß ich bekennen, daß ich Manches44III. Diener Hutbänder mit Gebirgsprofilen.von ihm lernte. Da er für ſeine Doctrinen dieſelben waren vorzugsweiſe der Sphäre entnommen, die brave Haus - frauen, wenn ſie unter ſich ſind, gern behandeln kein geiſtiges Eigenthumsrecht beanſpruchte, ſo benutzte ich dieſes niederländiſche Original, um nach ihm für meine Bedürfniſſe eine Copie in verjüngtem Maßſtabe zu machen. Aus ſeinen weiteren Mittheilungen erinnere ich mich noch des Folgenden.

Wie jedes wollene Kleidungsſtück hat auch Plaid und Weſte Anſpruch, ausgeklopft zu werden, wovon jedoch die jetzt lebende Generation der Dienſtboten*)Einen eigenen Diener auf weitere Touren mitzunehmen, iſt mehr läſtig, als förderlich, es ſei denn, daß er ſehr viel Reiſetalent und Routine hätte. Man leidet unter ſeiner Ungeſchicklichkeit, Vergeſſenheit, Nachläſſigkeit, ſeinem Mangel an Erfahrung und an Ortskenntniß. Die Conſequenzen werden geduldiger ge - tragen, wenn wir ſie uns ſelbſt zur Laſt legen müſſen. Bei Privatcourieren finden ſich zuweilen jene beiden Eigenſchaften, ſowie Kenntniß mehrer Sprachen, da - neben aber nicht ſelten gewiſſe andere (vgl. VI) unwillkommene Fertigkeiten. Sehe ſich alſo vor, wer nicht ein ſehr großer Herr oder Millionär iſt. nicht zu überzeugen iſt. Die Leute nehmen auf Befehl Beides mit hinaus, bringen es zierlich gefaltet wieder, eine Unterſuchung zeigt aber immer, daß es nicht gereinigt wurde, ich laſſe daher das Geſchäft meiſt unter meinen Augen vollziehen.

Auch gewiſſe Flecken am Hutband waren dem Scharfblick meines Holländers nicht entgangen. Sie geben, meinte er, dem Touriſten, wie die Narben dem Kriegsmann, das Zeugniß, daß er nicht die Hände in den Schoos legte, ſondern Mühſal, Staub und Hitze zu tragen verſtand, und ſind un - geſuchte, deshalb weit mehr als die eingebrannten Namen auf den Alpenſtöcken, vertrauenswerthe, ehrenvolle Atteſte. Ihr gebirgsprofilähnliches Moiré verſinnlicht gewiſſermaßen die einzelnen Erſteigungen: je mehr Linien durcheinander laufen, je mehr Pyramiden ſich übereinander thürmen, je tiefer die Schattirungen ſind, je höher ſtieg der Mann, je höher ſollte auch ſein Ruhm ſteigen. Vor den Ruhm ſetzten die45III. Hutbänder mit Gebirgsprofilen Erlaubte Beſcheidenheit.Götter den Schweiß. Aber auch hier, wie bei allem Ver - dienſt iſt der Neid geſchäftig: die unten blieben in ihrer Gemächlichkeit, denen der Sinn fehlt für Empfindungen, einige Tauſend Fuß erhaben über der platten Alltäglichkeit, blicken ſcheel dazu. Sie räumen ein, die Frucht der menſch - lichen Arbeit ſei edel, von ihrer Blüte behaupten ſie jedoch, daß ſie den Sinnen nicht ſchmeichle. Was thun wir unter ſolchen Umſtänden? Nach der Meinung eines berühmten Franzoſen iſt die Beſcheidenheit nur erlaubt, wenn ſie von ſehr hervorragendem Verdienſte getragen wird; aus dem Grunde wahrſcheinlich (alſo vor lauter Beſcheidenheit) macht der größte Theil der großen Nation ſelbſt keinen Gebrauch davon. Der hochgeſtiegene Touriſt dagegen darf beſcheiden ſein, er verſchmäht es, ſeine zackige Krone zur Schau zu tragen, und läßt entweder den Reiſehut ſo füttern, daß die Tropfen der Stirn weder den Filz noch die Fäden der Naht erreichen (das Futter wird vorn an der Front ein wenig über die innere Kante auf die Krämpe gezogen) oder, wenn das verſäumt wurde und das Band allzu viel erzählt von den alpinen Großthaten des Trägers, ſo windet er ein weißes Taſchentuch turbanartig darum, wodurch nebenbei ein vortheil - hafter Farbeneffect erzielt wird. Jede Art Hüte, auch die von Stroh, müſſen nach ſtaubigen Fahrten abgeſtäubt werden, damit ſie ihre jugendliche Anmuth nicht ſchon in den erſten Dienſttagen einbüßen, ſodann iſt ihnen eine Vorrichtung, um gelegentlich daran ein Sturmband zu befeſtigen, von Nutzen.

Unſere Reiſeſchule wendet ſich jetzt zu den Vorſichts - maßregeln.

Nichts Seltenes iſt es, daß Eiſenbahnbillets und Gepäckſcheine unter das Hutband, in einen Handſchuh, oder in eine Taſche mit anderen Sachen, Geld, Schlüſſeln, Uhr zuſammengeſteckt werden, ohne verloren zu gehen, dies kann aber mit nichten als Beweis gelten, daß der Ort dafür gut gewählt war, ſondern höchſtens, daß die Nemeſis nicht immer die Augen offen hat, zum Glück für die vielen leichtſinnigen46III. Vorſichtsmaßregeln Fahrbillets, Gepäckſcheine.Paſſagiere unter uns. Man darf nur einen Eiſenbahn - ſchaffner auf das Thema bringen, um neunundneunzig Ge - ſchichten zu hören von verlorenen, verlegten, verſtochenen Fahrkarten. So manche komiſche habe ich mit angeſehen, eine davon auch in einer Reihe von Bleiſtiftſkizzen wieder - zugeben verſucht und wünſchte nur, daß ein Genremaler von Beruf ſich des Gegenſtandes einmal bemächtigte.

Die erſte meiner Skizzen ſtellt ein gefülltes Coupé dar. Einer der Herren, ein ehrbar ausſehender Greis, hat das Wort, alle Andern hängen mit den Augen an ſeinen Lippen. Zweites Bild: das Geſpräch iſt unterbrochen, der Schaffner draußen in halber Figur ſichtbar, ihm entgegen ſtrecken ſich fünf Hände, nur die beiden des alten Herrn, der ſich in halbgebückter Stellung erhoben hat, ſtecken in verſchiedenen Taſchen und ſuchen. Folgende Bilder: er ſucht und ſucht, einige Taſchen haben ſich umgekehrt und ihren Inhalt aus - geſtreut, darunter Manches, das beſſer im Verborgenen ge - blieben wäre. In den Zügen der Zuſchauer kämpfen Mit - gefühl und Heiterkeit, aus ihren Geberden geht hervor, daß Niemand mit ſeinem Rathe zurückhält, wo das Vermißte wohl ſein könnte. Im Hintergrunde, durch das Wagenfenſter ein - gerahmt, das Bruſtſtück des Conducteurs; ſein bärtiges Ge - ſicht blickt immer amtlicher, zuletzt mißtrauiſch, criminaliſtiſch. In der Rechten, zum Schlag hereinragend, hält er die wohl - bekannte Coupirmaſchine, die anfangs wie ein gutgelaunter Nußknacker ausſieht, allmählich aber, näher und näher rückend, im Einklang mit den Gemüthsbewegungen ihres Inhabers, immer drohendere, phantaſtiſche Mienen und größere Dimen - ſionen annimmt, in ein Zahnbrecherinſtrument verwandelt ſcheint, dann in eine glühende Marterzange, zuletzt Aehnlich - keit mit einem Haifiſch - oder Höllenrachen hat. Letztes Bild: der kleine Flüchtling iſt glücklich erwiſcht, und zwar im Stiefel, wohin er durch ein Loch in der oberen Ecke der Hoſentaſche entſprungen war. Freude ringsum. Selbſt die Zange macht wieder ihr joviales Nußknackergeſicht. Nur47III. Die verſteckte Fahrkarte Reiſecaſſe.ein Cylinderhut und ein Strickkörbchen ſehen ſehr nieder - gedrückt aus.

Doch genug des Scherzes, wenden wir uns den ernſten Aufgaben des Lebens zu, fuhr unſer Reiſeprofeſſor in ver - ändertem Tone fort und legte mir die Frage vor, wo der Weiſe ſeine Fahrkarte verwahre, worauf ich etwas verdutzt erwiderte, ich hätte ſie gewöhnlich im Portemonnaie oder auch in der Weſtentaſche. Oder auch! wiederholte er im mildverweiſenden Tone eines Lehrers, der eine ungewöhn - lich einfältige Antwort von einem ſonſt guten Schüler erhält. Ich ſehe mit Betrübniß, daß Sie die Moral meines Vortrags mit Illuſtrationen nicht beherzigt haben und noch Sextaner in der Schule der Erfahrung ſind. Die höheren Claſſen dieſer Schule haben das Bahnbillet ſtets wenigſtens an einem und demſelben Ort, wie Uhr, Börſe, Schnupftuch, damit es immer raſch bei der Hand iſt und ſie im Falle eines Verluſtes ſofort wiſſen, woran ſie ſind, und die geeigneten Schritte mit Würde thun können. Der Touriſt von Fach beſitzt dafür ein, dem Stückchen Papier oder Pappe ausſchließlich gewidmetes Täſchchen innerhalb der Weſte, denn das Portemonnaie hat ſchon genug mit anderen Dingen zu ſchaffen. Soll dieſes letztere gehörig reiſemäßig eingerichtet ſein, ſo hat es vier offene und drei, durch verſchiedenfarbige Klammern geſchloſſene Abtheilungen, von letzteren je eine für Gold, Papiergeld und Gepäckſchein, ſo daß auch der letztere immer ein ruhiges Einſiedlerleben führt, fern vom zerſtreuenden Welttreiben. Die offenen Abtheilungen befaſſen ſich mit Silber - und Kupfermünze, kleinen Schlüſſeln und dergleichen.

Denken wir nun aber auch auf die Sicherheit und gute Unterkunft der großen Reiſecaſſe. Vorhin war die Rede von Taſchen und Angriffen auf ſie. Unter den Angriffen wurden dort nur die harmloſeſten von allen in Betracht ge - zogen: die von den Händen des Beſitzers. Wie viele andere ſchlimmere hat aber die Taſche des Touriſten zu beſtehen! Die gefährlichſten, die einer gewiſſen Claſſe von Gaſtwirthen,48III. Werthſachen zu ſichern Diebe.mögen hier nur noch aus dem Spiele bleiben, denn dieſer Feind hat durch ſeine numeriſche Stärke, durch die Umſicht, mit der er alle wichtigen Punkte beſetzt hält, die Ausdauer, mit welcher er ſie vertheidigt, durch ſeine Disciplin, ſeine vor - zügliche Bewaffnung, insbeſondere ſeine von Jahr zu Jahr