In dem Salon der in der Behrenſtraße woh¬ nenden Frau v. Carayon und ihrer Tochter Victoire waren an ihrem gewöhnlichen Em¬ pfangsabend einige Freunde verſammelt, aber freilich wenige nur, da die große Hitze des Tages auch die treueſten Anhänger des Zirkels ins Freie gelockt hatte. Von den Offizieren des Regiments Gensdarmes, die ſelten an einem dieſer Abende fehlten, war nur einer erſchienen, ein Herr v. Alvensleben, und hatte neben der ſchönen Frau vom Hauſe Platz genommen unter gleichzeitigem ſcherzhaftem Bedauern darüber, daß gerade der fehle, dem dieſer Platz in Wahrheit gebühre.
Beiden gegenüber, an der der Mitte des Zimmers zugekehrten Tiſchſeite, ſaßen zwei Herren in Civil, die,12ſeit wenig Wochen erſt heimiſch in dieſem Kreiſe, ſich nichtsdeſtoweniger bereits eine dominierende Stellung innerhalb desſelben errungen hatten. Am entſchieden¬ ſten der um einige Jahre jüngere von beiden, ein ehemaliger Stabskapitän, der, nach einem abenteuern¬ den Leben in England und den Unionsſtaaten in die Heimat zurückgekehrt, allgemein als das Haupt jener militäriſchen Frondeurs angeſehen wurde, die damals die politiſche Meinung der Hauptſtadt machten, beziehungsweiſe terroriſierten. Sein Name war v. Bülow. Nonchalance gehörte mit zur Genialität, und ſo focht er denn, beide Füße weit vorgeſtreckt und die linke Hand in der Hoſentaſche, mit ſeiner Rechten in der Luft umher, um durch lebhafte Geſti¬ kulationen ſeinem Kathedervortrage Nachdruck zu geben. Er konnte, wie ſeine Freunde ſagten, nur ſprechen um Vortrag zu halten, und — er ſprach eigentlich immer. Der ſtarke Herr neben ihm war der Verleger ſeiner Schriften, Herr Daniel Sander, im Übrigen aber ſein vollkommener Widerpart, wenigſtens in allem was Erſcheinung anging. Ein ſchwarzer Vollbart um¬ rahmte ſein Geſicht, das ebenſoviel Behagen wie Sarkasmus ausdrückte, während ihm der in der Taille knapp anſchließende Rock von niederländiſchem Tuche ſein Embonpoint zuſammenſchnürte. Was den Gegen¬ ſatz vollendete, war die feinſte weiße Wäſche, worin Bülow keineswegs excellierte.
3Das Geſpräch, das eben geführt wurde, ſchien ſich um die kurz vorher beendete Haugwitzſche Miſſion zu drehen, die, nach Bülows Anſicht, nicht nur ein wünſchenswertes Einvernehmen zwiſchen Preußen und Frankreich wieder hergeſtellt, ſondern uns auch den Beſitz von Hannover noch als „ Morgengabe “mit ein¬ getragen habe. Frau v. Carayon aber bemängelte dieſe „ Morgengabe “, weil man nicht gut geben oder verſchenken könne, was man nicht habe, bei wel¬ chem Worte die bis dahin unbemerkt am Theetiſch beſchäftigt geweſene Tochter Victoire der Mutter einen zärtlichen Blick zuwarf, während Alvensleben der ſchönen Frau die Hand küßte.
„ Ihrer Zuſtimmung, lieber Alvensleben, “nahm Frau v. Carayon das Wort, „ war ich ſicher. Aber ſehen Sie, wie minos - und rhadamantusartig unſer Freund Bülow daſitzt. Er brütet mal wieder Sturm, Victoire, reiche Herrn v. Bülow von den Karlsbader Oblaten. Es iſt, glaub 'ich, das Einzige, was er von Öeſterreich gelten läßt. Inzwiſchen unterhält uns Herr Sander von unſeren Fortſchritten in der neuen Provinz. Ich fürchte nur, daß ſie nicht groß ſind. “
„ Oder ſagen wir lieber, gar nicht exiſtieren, “er¬ widerte Sander. „ Alles was zum welfiſchen Löwen oder zum ſpringenden Roß hält, will ſich nicht preu¬ ßiſch regieren laſſen. Und ich verdenk es Keinem. 1*4Für die Polen reichten wir allenfalls aus. Aber die Hannoveraner ſind feine Leute. “
„ Ja, das ſind ſie, “beſtätigte Frau v. Carayon, während ſie gleich danach hinzufügte: „ Vielleicht auch etwas hochmütig. “
„ Etwas! “lachte Bülow. „ O, meine Gnädigſte, wer doch allzeit einer ähnlichen Milde begegnete. Glauben Sie mir, ich kenne die Hannoveraner ſeit lange, hab ihnen in meiner Altmärker-Eigenſchaft ſo zu ſagen von Jugend auf über den Zaun gekuckt, und darf Ihnen danach verſichern, daß alles das, was mir England ſo zuwider macht, in dieſem welfiſchen Stamm¬ lande doppelt anzutreffen iſt. Ich gönn 'ihnen des¬ halb die Zuchtrute, die wir ihnen bringen. Unſere preußiſche Wirtſchaft iſt erbärmlich, und Mirabeau hatte Recht, den geprieſenen Staat Friedrichs des Großen mit einer Frucht zu vergleichen, die ſchon faul ſei, bevor ſie noch reif geworden, aber faul oder nicht, Eines haben wir wenigſtens: ein Gefühl davon, daß die Welt in dieſen letzten funfzehn Jahren einen Schritt vorwärts gemacht hat, und daß ſich die großen Geſchicke derſelben nicht notwendig zwiſchen Nuthe und Notte vollziehen müſſen. In Hannover aber glaubt man immer noch an eine Spezialaufgabe Kalenbergs und der Lüneburger Haide. Nomen et omen. Es iſt der Sitz der Stagnation, eine Brutſtätte der Vor¬ urteile. Wir wiſſen wenigſtens, daß wir nichts tau¬5 gen, und in dieſer Erkenntnis iſt die Möglichkeit der Beſſerung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen ſind wir ihnen voraus, und darin ſteckt ein Anſpruch und ein Recht, die wir geltend machen müſſen. Daß wir, trotz Sander, in Polen eigentlich geſcheitert ſind, beweiſt nichts; der Staat ſtrengte ſich nicht an und hielt ſeine Steuer¬ einnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach Oſten zu tragen. In ſoweit mit Recht, als ſelbſt ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich von der unangenehmen Seite. “
Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Geſpräch gezogen worden war, ihren Platz am Theetiſch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher hinüber und ſagte: „ Sie müſſen wiſſen, Herr v. Bülow, daß ich die Polen liebe, ſogar de tout mon coeur. “ Und dabei beugte ſie ſich aus dem Schatten in den Lichtſchein der Lampe vor, in deſſen Helle man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, das einſt dem der Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um ſeine frühere Schön¬ heit gekommen war.
Jeder mußt 'es ſehen, und der Einzige, der es nicht ſah, oder, wenn er es ſah, als abſolut gleich¬ giltig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur: „ o ja, die Polen. Es ſind die beſten Mazurkatänzer, und darum lieben Sie ſie. “
6„ Nicht doch. Ich liebe ſie, weil ſie ritterlich und unglücklich ſind. “
„ Auch das. Es läßt ſich dergleichen ſagen. Und um dies ihr Unglück könnte man ſie beinah beneiden, denn es trägt ihnen die Sympathien aller Damen¬ herzen ein. In Fraueneroberungen haben ſie, von alter Zeit her, die glänzendſte Kriegsgeſchichte. “
„ Und wer rettete .. “
„ Sie kennen meine ketzeriſchen Anſichten über Rettungen. Und nun gar Wien! Es wurde gerettet. Allerdings. Aber wozu? Meine Phantaſie ſchwelgt ordentlich in der Vorſtellung, eine Favoritſultanin in der Krypta der Kapuziner ſtehen zu ſehen. Vielleicht da, wo jetzt Maria Thereſia ſteht. Etwas vom Islam iſt bei dieſen Hahndel - und Faſahndelmännern immer zu Hauſe geweſen, und Europa hätt 'ein bischen mehr von Serail - oder Haremwirtſchaft ohne großen Schaden ertragen .. “
Ein eintretender Diener meldete den Rittmeiſter v. Schach, und ein Schimmer freudiger Über¬ raſchung überflog beide Damen, als der Ange¬ meldete gleich darnach eintrat. Er küßte der Frau v. Carayon die Hand, verneigte ſich gegen Victoire, und begrüßte dann Alvensleben mit Herzlichkeit, Bülow und Sander aber mit Zurückhaltung.
„ Ich fürchte, Herrn v. Bülow unterbrochen zu haben ... “
7„ Ein allerdings unvermeidlicher Fall, “antwortete Sander und rückte ſeinen Stuhl zur Seite. Man lachte, Bülow ſelbſt ſtimmte mit ein, und nur an Schachs mehr als gewöhnlicher Zurückhaltung ließ ſich erkennen, daß er entweder unter dem Eindruck eines ihm perſönlich unangenehmen Ereigniſſes oder aber einer politiſch unerfreulichen Nachricht in den Salon eingetreten ſein müſſe.
„ Was bringen Sie, lieber Schach? Sie ſind präokkupiert. Sind neue Stürme ... “
„ Nicht das, gnädigſte Frau, nicht das. Ich komme von der Gräfin Haugwitz, bei der ich um ſo häufiger verweile, je mehr ich mich von dem Grafen und ſeiner Politik zurückziehe. Die Gräfin weiß es und billigt mein Benehmen. Eben begannen wir ein Geſpräch, als ſich draußen vor dem Palais eine Volks¬ maſſe zu ſammeln begann, erſt Hunderte, dann Tau¬ ſende. Dabei wuchs der Lärm und zuletzt ward ein Stein geworfen und flog an dem Tiſch vorbei, daran wir ſaßen. Ein Haar breit und die Gräfin wurde getroffen. Wovon ſie aber wirklich getroffen wurde, das waren die Worte, die Verwünſchungen, die her¬ aufklangen. Endlich erſchien der Graf ſelbſt. Er war vollkommen gefaßt und verleugnete keinen Augen¬ blick den Kavalier. Es währte jedoch lang ', eh' die Straße geſäubert werden konnte. Sind wir bereits8 dahin gekommen? Emeute, Krawall. Und das im Lande Preußen, unter den Augen Seiner Majeſtät. “
„ Und ſpeziell uns wird man für dieſe Ge¬ ſchehniſſe verantwortlich machen, “unterbrach Alvensleben, „ ſpeziell uns von den Gensdarmes. Man weiß, daß wir dieſe Liebedienerei gegen Frankreich mißbilligen, von der wir ſchließlich nichts haben als geſtohlene Provinzen. Alle Welt weiß, wie wir dazu ſtehen, auch bei Hofe weiß mans, und man wird nicht ſäumen, uns dieſe Zuſammenrottung in die Schuh zu ſchieben. “
„ Ein Anblick für Götter, “ſagte Sander. „ Das Regiment Gensdarmes unter Anklage von Hochver¬ rat und Krawall. “
„ Und nicht mit Unrecht, “fuhr Bülow in jetzt wirklicher Erregung dazwiſchen. „ Nicht mit Unrecht, ſag 'ich. Und das witzeln Sie nicht fort, Sander. Warum führen die Herren, die jeden Tag klüger ſein wollen, als der König und ſeine Miniſter, warum führen ſie dieſe Sprache? Warum politiſieren ſie? Ob eine Truppe politiſieren darf, ſtehe dahin, aber wenn ſie politiſiert, ſo politiſiere ſie wenigſtens rich¬ tig. Endlich ſind wir jetzt auf dem rechten Weg, endlich ſtehen wir da, wo wir von Anfang an hätten ſtehen ſollen, endlich hat Seine Majeſtät den Vor¬ ſtellungen der Vernunft Gehör gegeben und was ge¬ ſchieht? Unſere Herren Offiziere, deren drittes Wort9 der König und ihre Loyalität iſt, und denen doch immer nur wohl wird, wenn es nach Rußland und Juchten und recht wenig nach Freiheit riecht, unſere Herren Offiziere, ſag' ich, gefallen ſich plötzlich in einer ebenſo naiven wie gefährlichen Oppoſitionsluſt, und fordern durch ihr keckes Thun und ihre noch keckeren Worte den Zorn des kaum beſänftigten Imperators heraus. Dergleichen verpflanzt ſich dann leicht auf die Gaſſe. Die Herren vom Regiment Gensdarmes werden frei¬ lich den Stein nicht ſelber heben, der ſchließlich bis an den Theetiſch der Gräfin fliegt, aber ſie ſind doch die moraliſchen Urheber dieſes Krawalles, ſie haben die Stimmung dazu gemacht. “
„ Nein, dieſe Stimmung war da. “
„ Gut. Vielleicht war ſie da. Aber wenn ſie da war, ſo galt es, ſie zu bekämpfen, nicht aber ſie zu nähren. Nähren wir ſie, ſo beſchleunigen wir unſern Untergang. Der Kaiſer wartet nur auf eine Gelegenheit, wir ſind mit vielen Poſten in ſein Schuld¬ buch eingetragen, und zählt er erſt die Summe, ſo ſind wir verloren. “
„ Glaubs nicht, “antwortete Schach. „ Ich ver¬ mag Ihnen nicht zu folgen, Herr v. Bülow. “
„ Was ich beklage. “
„ Ich deſto weniger. Es trifft ſich bequem für Sie, daß Sie mich und meine Kameraden über Lan¬ des - und Königstreue belehren und aufklären dürfen,10 denn die Grundſätze, zu denen Sie ſich bekennen, ſind momentan obenauf. Wir ſtehen jetzt nach Ihrem Wunſch und allerhöchſtem Willen am Tiſche Frankreichs und leſen die Broſamen auf, die von des Kaiſers Tiſche fallen. Aber auf wie lange? Der Staat Friedrichs des Großen muß ſich wieder auf ſich ſelbſt beſinnen. “
„ So ers nur thäte, “replizierte Bülow. „ Aber das verſäumt er eben. Iſt dies Schwanken, dies immer noch halbe Stehen zu Rußland und Öſter¬ reich, das uns dem Empereur entfremdet, iſt das Fridericianiſche Politik? Ich frage Sie? “
„ Sie mißverſtehen mich. “
„ So bitt ich, mich aus dem Mißverſtändnis zu reißen. “
„ Was ich wenigſtens verſuchen will .. Übrigens wollen Sie mich mißverſtehen, Herr v. Bülow. Ich bekämpfe nicht das franzöſiſche Bündnis, weil es ein Bündnis iſt, auch nicht deshalb, weil es nach Art aller Bündniſſe darauf aus iſt, unſere Kraft zu dieſem oder jenem Zweck zu doublieren. O, nein; wie könnt 'ich? Allianzen ſind Mittel, deren jede Politik bedarf; auch der große König hat ſich dieſer Mittel bedient und innerhalb dieſer Mittel beſtändig gewechſelt. Aber nicht gewechſelt hat er in ſeinem Endzweck. Dieſer war unverrückt: ein ſtarkes und ſelbſtändiges Preußen. Und nun frag' ich Sie, Herr11 v. Bülow, iſt das, was uns Graf Haugwitz heim¬ gebracht hat, und was ſich Ihrer Zuſtimmung ſo ſehr erfreut, iſt das ein ſtarkes und ſelbſtändiges Preußen? Sie haben mich gefragt, nun frag ich Sie. “
Bülow, deſſen Züge den Ausdruck einer äußer¬ ſten Überheblichkeit anzunehmen begannen, wollte replizieren, aber Frau v. Carayon unterbrach und ſagte: „ Lernen wir etwas aus der Politik unſerer Tage: wo nicht Friede ſein kann, da ſei wenigſtens Waffenſtillſtand. Auch hier .. Und nun raten Sie, lieber Alvensleben, wer heute hier war, uns ſeinen Beſuch zu machen? Eine Berühmt¬ heit. Und von der Rahel Lewin uns zugewieſen. “
„ Alſo der Prinz, “ſagte Alvensleben.
„ O nein, berühmter, oder doch wenigſtens tages¬ berühmter. Der Prinz iſt eine etablierte Celebrität, und Celebritäten, die zehn Jahre gedauert haben, ſind keine mehr .. Ich will Ihnen übrigens zu Hilfe13 kommen, es geht ins Litterariſche hinüber, und ſo möcht 'ich denn auch annehmen, daß uns Herr Sander das Rätſel löſen wird. “
„ Ich will es wenigſtens verſuchen, gnädigſte Frau, wobei mir Ihr Zutrauen vielleicht eine gewiſſe Weihe¬ kraft, oder ſagen wirs lieber rund heraus, eine gewiſſe, Weihe der Kraft 'verleihen wird. “
„ O vorzüglich. Ja, Zacharias Werner war hier. Leider waren wir aus, und ſo ſind wir denn um den uns zugedachten Beſuch gekommen. Ich hab es ſehr bedauert. “
„ Sie ſollten ſich umgekehrt beglückwünſchen, einer Enttäuſchung entgangen zu ſein “nahm Bülow das Wort. „ Es iſt ſelten, daß die Dichter der Vorſtellung entſprechen, die wir uns von ihnen machen. Wir erwarten einen Olym¬ pier, einen Nektar - und Ambroſia - und ſehen ſtatt deſſen einen Gourmand einen Putenbraten verzehren; wir erwarten Mitteilungen aus ſeiner geheimſten Zwieſprach mit den Göttern und hören ihn von ſeinem letzten Orden erzählen oder wohl gar die aller¬ gnädigſten Worte zitieren, die Sereniſſimus über das jüngſte Kind ſeiner Muſe geäußert hat. Vielleicht auch Sereniſſima, was immer das denkbar Albernſte bedeutet “.
„ Aber doch ſchließlich nichts Alberneres, als das Urteil ſolcher, die den Vorzug haben, in einem14 Stall oder einer Scheune geboren zu ſein, “ſagte Schach ſpitz.
„ Ich muß Ihnen zu meinem Bedauern, mein ſehr verehrter Herr v. Schach, auch auf dieſem Gebiete widerſprechen. Der Unterſchied, den Sie bezweifeln, iſt wenigſtens nach meinen Erfahrungen thatſächlich vorhanden, und zwar, wie Sie mir zu wiederholen geſtatten wollen, zu Nicht-Gunſten von Sereniſſimus. In der Welt der kleinen Leute ſteht das Urteil an und für ſich nicht höher, aber die verlegene Beſcheiden¬ heit, darin ſichs kleidet und das ſtotternde Schlechte - Gewiſſen, womit es zu Tage tritt, haben allemal etwas Verſöhnendes. Und nun ſpricht der Fürſt! Er iſt der Geſetzgeber ſeines Landes in all und jedem, in Großem und Kleinem, alſo natürlich auch in Äſthe¬ ticis. Wer über Leben und Tod entſcheidet, ſollte der nicht auch über ein Gedichtchen entſcheiden können? Ah, bah! Er mag ſprechen was er will, es ſind immer Tafeln direkt vom Sinai. Ich habe ſolche zehn Gebote mehr als einmal verkünden hören, und weiß ſeitdem was es heißt: regarder dans le Néant. “
„ Und doch ſtimm 'ich der Mama bei, “bemerkte Victoire, der daran lag das Geſpräch auf ſeinen An¬ fang, auf das Stück und ſeinen Dichter alſo zurückzuführen. „ Es wäre mir wirklich eine Freude geweſen, den ‚ tagesberühmten Herrn‘, wie Mama ihn einſchränkend genannt hat, kennen zu lernen. Sie vergeſſen, Herr15 von Bülow, daß wir Frauen ſind, und daß wir als ſolche ein Recht haben, neugierig zu ſein. An einer Berühmtheit wenig Gefallen zu finden, iſt ſchließlich immer noch beſſer, als ſie garnicht geſehen zu haben. “
„ Und wir werden ihn in der That nicht mehr ſehen, in aller Beſtimmtheit nicht, “fügte Frau v. Ca¬ rayon hinzu. „ Er verläßt Berlin in den nächſten Tagen ſchon und war überhaupt nur hier, um den erſten Proben ſeines Stückes beizuwohnen. “
„ Was alſo heißt “warf Alvensleben, ein „ daß an der Aufführung ſelbſt nicht länger mehr zu zweifeln iſt. “
„ Ich glaube, nein. Man hat den Hof dafür zu gewinnen oder wenigſtens alle beigebrachten Bedenken niederzuſchlagen gewußt. “
„ Was ich unbegreiflich finde, “fuhr Alvensleben fort. „ Ich habe das Stück geleſen. Er will Luther verherrlichen, und der Pferdefuß des Jeſuitismus guckt überall unter dem ſchwarzen Doktormantel hervor. Am rätſelhafteſten aber iſt es mir, daß ſich Iffland dafür intereſſiert, Iffland ein Freimaurer. “
„ Woraus ich einfach ſchließen möchte, daß er die Hauptrolle hat, “erwiderte Sander. „ Unſere Prinzipien dauern gerade ſo[lange], bis ſie mit unſern Leiden¬ ſchaften oder Eitelkeiten in Konflikt geraten und ziehen dann jedesmal den kürzeren. Er wird den Luther ſpielen wollen. Und das entſcheidet. “
16„ Ich bekenne, daß es mir widerſtrebt, “ſagte Vic¬ toire, „ die Geſtalt Luthers auf der Bühne zu ſehen. Oder geh 'ich darin zu weit? “
Es war Alvensleben, an den ſich die Frage ge¬ richtet hatte. „ Zu weit? O, meine teuerſte Victoire, gewiß nicht. Sie ſprechen mir ganz aus dem Herzen. Es ſind meine früheſten Erinnerungen, daß ich in unſerer Dorfkirche ſaß, und mein alter Vater neben mir, der alle Geſangbuchsverſe mitſang. Und links neben dem Altar, da hing unſer Martin Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein lebensvolles Bild, und ſah zu mir herüber. Ich darf ſagen, daß dies ernſte Mannesgeſicht an manchem Sonntage beſſer und eindringlicher zu mir gepredigt hat als unſer alter Kluckhuhn, der zwar dieſelben hohen Backenknochen und dieſelben weißen Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter nichts. Und dieſen Gottesmann, nach dem wir uns nennen und unterſcheiden, und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und Andacht aufgeſchaut habe, den will ich nicht aus den Kouliſſen oder aus einer Hinter¬ thür treten ſehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt, den ich übrigens ſchätze, nicht blos als Künſtler, ſon¬ dern auch als Mann von Grundſätzen und guter preußiſcher Geſinnung. “
„ Pectus facit oratorem, “verſicherte Sander und Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue17 Götter neben ſich duldete, warf ſich in ſeinen Stuhl zurück und ſagte, während er ſein Kinn und ſeinen Spitzbart ſtrich: „ Es wird Sie nicht überraſchen, mich im Diſſens zu finden. “
„ O, gewiß nicht, “lachte Sander.
„ Nur dagegen möcht 'ich mich verwahren, als ob ich durch einen ſolchen Diſſens irgendwie den Anwalt dieſes pfäffiſchen Zacharias Werner zu machen gedächte, der mir in ſeinen myſtiſch-romantiſchen Tendenzen ein¬ fach zuwider iſt. Ich bin Niemandes Anwalt .... “
„ Auch nicht Luthers? “fragte Schach ironiſch.
„ Auch nicht Luthers! “
„ Ein Glück, daß er deſſen entbehren kann ..... “
„ Aber auf wie lange? “fuhr Bülow ſich auf¬ richtend fort. „ Glauben Sie mir, Herr v. Schach, auch er iſt in der Decadence, wie ſo viel anderes mit ihm, und über ein Kleines wird keine Generalanwalt¬ ſchaft der Welt ihn halten können. “
„ Ich habe Napoleon von einer, Epiſode Preußen‘ ſprechen hören, “erwiderte Schach. „ Wollen uns die Herren Neuerer, und Herr v. Bülow an ihrer Spitze, vielleicht auch mit einer ‚ Epiſode Luther‘ beglücken? “
„ Es iſt ſo. Sie treffen es. Übrigens ſind nicht wir es, die dies Epiſodentum ſchaffen wollen. Der¬ gleichen ſchafft nicht der Einzelne, die Geſchichte ſchafft es. Und dabei wird ſich ein wunderbarer Zuſammen¬ hang zwiſchen der Epiſode Preußen und der Epiſode218Luther herausſtellen. Es heißt auch da wieder: ‚ Sage mir, mit wem Du umgehſt, und ich will Dir ſagen, wer Du biſt. ‘ Ich bekenne, daß ich die Tage Preußens gezählt glaube, und, wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach. ‘ Ich über¬ laſſ 'es Ihnen, die Rollen dabei zu verteilen. Die Zuſammenhänge zwiſchen Staat und Kirche werden nicht genugſam gewürdigt; jeder Staat iſt in ge¬ wiſſem Sinne zugleich auch ein Kirchenſtaat; er ſchließt eine Ehe mit der Kirche, und ſoll dieſe Ehe glücklich ſein, ſo müſſen beide zu einander paſſen. In Preußen paſſen ſie zu einander. Und warum? Weil beide gleich dürftig angelegt, gleich eng geraten ſind. Es ſind Kleinexiſtenzen, beide beſtimmt in etwas Größerem auf - oder unterzugehen. Und zwar bald. Hannibal ante portas. “
„ Ich glaubte Sie dahin verſtanden zu haben, “erwiderte Schach, „ daß uns Graf Haugwitz nicht den Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden gebracht habe. “
„ Das hat er. Aber er kann unſer Geſchick nicht wenden, wenigſtens auf die Dauer nicht. Dies Ge¬ ſchick heißt Einverleibung in das Univerſelle. Der nationale wie der konfeſſionelle Standpunkt ſind hinſchwindende Dinge, vor allem aber iſt es der preußiſche Standpunkt und ſein alter ego der lutheriſche. Beide ſind künſtliche Größen. Ich frage, was be¬19 deuten ſie? welche Miſſionen erfüllen ſie? Sie ziehen Wechſel aufeinander, ſie ſind ſich gegenſeitig Zweck und Aufgabe, das iſt alles. Und das ſoll eine Welt¬ rolle ſein! Was hat Preußen der Welt geleiſtet? Was find 'ich, wenn ich nachrechne? Die Großen Blauen König Friedrich Wilhelms I., den eiſernen Ladeſtock, den Zopf, und jene wundervolle Moral, die den Satz erfunden hat, ‚ ich hab' ihn an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefreſſen?‘ “
„ Gut, gut. Aber Luther .. “
„ Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt gekommen ſei, und beſchränkte Hiſtoriker haben es dem norddeutſchen Volke ſo lange verſichert, bis mans geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldſamkeit und Hexen¬ prozeſſe, Nüchternheit und Langeweile. Das iſt kein Kitt für Jahrtauſende. Jener Weltmonarchie, der nur noch die letzte Spitze fehlt, wird auch eine Welt¬ kirche folgen, denn wie die kleinen Dinge ſich finden und im Zuſammenhange ſtehen, ſo die großen noch viel mehr. Ich werde mir den Bühnen-Luther nicht anſehen, weil er mir in dieſes Herren Zacharias Werner Verzerrung einfach ein Ding iſt, das mich ärgert; aber ihn nicht anſehen, weil es Anſtoß gebe, weil es Entheiligung ſei, das iſt mehr als ich faſſen kann. “
2*20„ Und wir, lieber Bülow, “unterbrach Frau v. Carayon, „ wir werden ihn uns anſehen, trotzdem es uns Anſtoß giebt. Victoire hat Recht, und wenn bei Iffland die Eitelkeit ſtärker ſein darf als das Prinzip, ſo bei uns die Neugier. Ich hoffe, Herr v. Schach und Sie, lieber Alvensleben, werden uns begleiten. Übrigens ſind ein paar der eingelegten Lieder nicht übel. Wir erhielten ſie geſtern. Victoire, Du könnteſt uns das ein 'oder andere davon ſingen. “
„ Ich habe ſie kaum durchgeſpielt. “
„ O, dann bitt 'ich um ſo mehr, “bemerkte Schach. „ Alle Salonvirtuoſität iſt mir verhaßt. Aber was ich in der Kunſt liebe, das iſt ein ſolches poetiſches Suchen und Tappen. “
Bülow lächelte vor ſich hin und ſchien ſagen zu wollen: „ Ein jeder nach ſeinen Mitteln. “
Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und dieſe ſang, während er begleitete.
Eine kleine Pauſe trat ein, und Frau v. Carayon fragte: „ Nun, Herr Sander, wie beſteht es vor Ihrer21 Kritik? “ „ Es muß ſehr ſchön ſein, “antwortete dieſer. „ Ich verſteh es nicht. Aber hören wir weiter. Die Blüte, die vorläufig noch ſchläft, wird doch wohl mal erwachen. “
Ein lebhafter Beifall blieb nicht aus. Aber er galt ausſchließlich Victoiren und der Kompoſition, und als ſchließlich auch der Text an die Reihe kam, be¬ kannte ſich Alles zu Sanders ketzeriſchen Anſichten.
Nur Bülow ſchwieg. Er hatte, wie die meiſten mit Staatenuntergang beſchäftigten Frondeurs, auch ſeine ſchwachen Seiten, und eine davon war durch das Lied getroffen worden. An dem halbumwölkten Himmel draußen funkelten ein paar Sterne, die Mondſichel ſtand dazwiſchen, und er wiederholte, während er durch die Scheiben der hohen Balkonthür hinaufblickte: „ wo ſtrahlend die Brüderlein blühn. “
Wider Wiſſen und Willen, war er ein Kind ſeiner Zeit, und romantiſierte.
Noch ein zweites und drittes Lied wurde ge¬ ſungen, aber das Urteil blieb dasſelbe. Dann trennte man ſich zu nicht allzu ſpäter Stunde.
Die Turmuhren auf dem Gensdarmenmarkt ſchlugen elf, als die Gäſte der Frau v. Carayon auf die Behrenſtraße hinaus¬ traten und nach links einbiegend auf die Linden zu¬ ſchritten. Der Mond hatte ſich verſchleiert, und die Regenfeuchte, die bereits in der Luft lag und auf Wetterumſchlag deutete, that allen wohl. An der Ecke der Linden empfahl ſich Schach, allerhand Dienſtliches vorſchützend, während Alvensleben, Bülow und Sander übereinkamen, noch eine Stunde zu plaudern.
„ Aber wo? “fragte Bülow, der im Ganzen nicht wähleriſch war, aber doch einen Abſcheu gegen Lokale hatte, darin ihm „ Aufpaſſer und Kellner die Kehle zuſchnürten. “
23„ Aber wo? “wiederholte Sander. „ Sieh, das Gute liegt ſo nah, “und wies dabei auf einen Eck¬ laden, über dem in mäßig großen Buchſtaben zu leſen ſtand: Italiener -, Wein - und Delikateſſen-Handlung von Sala Tarone. Da ſchon geſchloſſen war, klopfte man an die Hausthür, an deren einer Seite ſich ein Einſchnitt mit einer Klappe befand. Und wirklich, gleich darauf öffnete ſichs von innen, ein Kopf er¬ ſchien am Kuckloch, und als Alvenslebens Uniform über den Charakter der etwas ſpäten Gäſte beruhigt hatte, drehte ſich innen der Schlüſſel im Schloß, und alle drei traten ein. Aber der Luftzug, der ging, löſchte den Blaker aus, den der Küfer in Händen hielt, und nur eine ganz im Hintergrunde, dicht über der Hofthür ſchweelende Laterne, gab gerade noch Licht genug, um das Gefährliche der Paſſage kennt¬ lich zu machen.
„ Ich bitte Sie, Bülow, was ſagen Sie zu die¬ ſem Defilé, “brummte Sander, ſich immer dünner machend, und wirklich hieß es auf der Hut ſein, denn in Front der zu beiden Seiten liegenden Öl - und Weinfäſſer, ſtanden Zitronen - und Apfelſinenkiſten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt waren. „ Ach¬ tung, “ſagte der Küfer. „ Is hier allens voll Pinnen und Nägel. Habe mir geſtern erſt einen eingetreten. “
„ Alſo auch ſpaniſche Reiter .. O, Bülow! In ſolche Lage bringt einen ein militäriſcher Verlag. “
24Dieſer Sanderſche Schmerzensſchrei ſtellte die Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Taſten war man endlich bis in Nähe der Hofthür gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fäſſer weniger dicht nebeneinander lagen. Hier zwängte man ſich denn auch durch, und gelangte mit Hilfe von vier oder fünf ſteilen Stufen in eine mäßig große Hinterſtube, die gelb geſtrichen und halbverblakt und nach Art aller „ Frühſtücksſtuben “um Mitternacht am vollſten war. Überall, an niedrigen Panelen hin, ſtanden lange, längſt eingeſeſſene Lederſophas, mit kleinen und großen Tiſchen davor, und nur eine Stelle war da, wo dieſes Mobiliar fehlte. Hier ſtand vielmehr ein mit Käſten und Realen überbautes Pult, vor welchem einer der Repräſentanten der Firma tagaus tagein auf einem Drehſchemel ritt, und ſeine Befehle (gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, deſſen Fallthür immer offen ſtand.
Unſere drei Freunde hatten in einer dem Keller¬ loch ſchräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger war, um ſich auf lukulliſche Feinheiten zu verſtehen, über¬ flog eben die Wein - und Speiſekarte. Dieſe war in ruſſiſch Leder gebunden, roch aber nach Hummer. Es ſchien nicht, daß unſer Lukull gefunden hatte, was ihm gefiel; er ſchob alſo die Karte wieder fort25 und ſagte: „ Das Geringſte, was ich von einem ſol¬ chen hundstäglichen April erwarten kann, ſind Mai¬ kräuter, Asperula odorata Linnéi. Denn ich hab auch Botaniſches verlegt. Von dem Vorhandenſein friſcher Apfelſinen haben wir uns draußen mit Ge¬ fahr unſeres Lebens überzeugt, und für den Moſel bürgt uns die Firma. “
Der Herr am Pult rührte ſich nicht, aber man ſah deutlich, daß er mit ſeinem Rücken zuſtimmte, Bülow und Alvensleben thaten desgleichen, und Sander reſolvierte kurz: „ Alſo Maibowle. “
Das Wort war abſichtlich laut und mit der Be¬ tonung einer Ordre geſprochen worden, und im ſelben Augenblicke ſcholl es auch ſchon vom Drehſtuhl her in das Kellerloch hinunter „ Fritz! “ Ein zunächſt nur mit halber Figur aus der Verſenkung auftauchender, dicker und kurzhalſiger Junge, wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, ſofort ſichtbar, über¬ ſprang dienſteifrig, indem er die Hand aufſetzte, die letzten zwei, drei Stufen und ſtand im Nu vor San¬ der, den er, allem Anſcheine nach, am beſten kannte.
„ Sagen Sie, Fritz, wie verhält ſich die Firma Sala Tarone zur Maibowle? “
„ Gut. Sehr gut. “
„ Aber wir haben erſt April, und ſo ſehr ich im allgemeinen der Mann der Surrogate bin, ſo haſſ 'ich doch eins: die Toncabohne. Die Toncabohne ge¬26 hört in die Schnupftabaksdoſe, nicht in die Mai¬ bowle. Verſtanden? “
„ Zu dienen, Herr Sander. “
„ Gut denn. Alſo Maikräuter. Und nicht lange ziehen laſſen. Waldmeiſter iſt nicht Kamillenthee. Der Moſel, ſagen wir ein Zeltlinger oder ein Braune¬ berger, wird langſam über die Büſchel gegoſſen; das genügt. Apfelſinenſchnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht Kopfweh. Und nicht zu ſüß, und eine Cliquot extra. Extra, ſag ich. Beſſer iſt beſſer. “
Damit war die Beſtellung beendet und ehe 10 Minuten um waren, erſchien die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeiſterblättchen ſchwam¬ men, nur gerade genug, den Beweis der Ächtheit zu führen.
„ Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle ſchwimmt es wie Entengrütze. Und das iſt ſchrecklich. Ich denke, wir werden Freunde bleiben. Und nun grüne Gläſer. “
Alvensleben lachte. „ Grüne? “
„ Ja. Was ſich dagegen ſagen läßt, lieber Al¬ vensleben, weiß ich und laß es gelten. Es iſt in der That eine Frage, die mich ſeit länger beſchäftigt, und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwieſpalte ge¬ hört, die ſich, wir mögen es anfangen wie wir wollen, durch unſer Leben hinziehen. Die Farbe des Weins27 geht verloren, aber die Farbe des Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das feſtliche Geſamtkolorit. Und dies erſcheint mir als der wichtigere Punkt. Unſer Eſſen und Trinken, ſo weit es nicht der gemei¬ nen Lebensnotdurft dient, muß mehr und mehr zur ſymboliſchen Handlung werden, und ich begreife Zeiten des ſpäteren Mittelalters, in denen der Tafelaufſatz und die Fruchtſchalen mehr bedeuteten, als das Mahl ſelbſt. “
„ Wie gut Ihnen das kleidet, Sander, “lachte Bülow. „ Und doch dank ich Gott, Ihre Kapaunen¬ rechnung nicht bezahlen zu müſſen. “
„ Die Sie ſchließlich doch bezahlen. “
„ Ah, das erſte Mal, daß ich einen dankbaren Verleger in Ihnen entdecke. Stoßen wir an .. Aber alle Welt, da ſteigt ja der lange Noſtitz aus der Ver¬ ſenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein Ende .. “
Wirklich, es war Noſtitz, der, unter Benutzung eines geheimen Eingangs, eben die Kellertreppe hinauf¬ ſtolperte, Noſtitz von den Gensdarmes, der längſte Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Säch¬ ſiſchen ſtammte, ſeiner 6 Fuß 3 Zoll halber ſo ziem¬ lich ohne Widerrede beim Elite-Regiment Gendarmes eingeſtellt und mit einem verbliebenen kleinen Reſte von Antagonismus mittlerweile längſt fertig gewor¬ den war. Ein tollkühner Reiter und ein noch toll¬28 kühnerer Kour - und Schuldenmacher, war er ſeit lang ein Allerbeliebteſter im Regiment, ſo beliebt, daß ihn ſich der „ Prinz “, der kein andrer war als Prinz Louis, bei Gelegenheit der vorjährigen Mobili¬ ſierung, zum Adjutanten erbeten hatte.
Neugierig, woher er komme, ſtürmte man mit Fragen auf ihn ein, aber erſt als er ſich in dem Leder¬ ſopha zurecht gerückt hatte, gab er Antwort auf all das, was man ihn fragte. „ Woher ich komme? Warum ich bei den Carayons geſchwänzt habe? Nun, weil ich in Franzöſiſch-Buchholz nachſehen wollte, ob die Störche ſchon wieder da ſind, ob der Kuckuck ſchon wieder ſchreit, und ob die Schulmeiſters Toch¬ ter noch ſo lange flachsblonde Flechten hat, wie vo¬ riges Jahr. Ein reizendes Kind. Ich laſſe mir immer die Kirche von ihr zeigen, und wir ſteigen dann in den Turm hinauf, weil ich eine Paſſion für alte Glockeninſchriften habe. Sie glauben gar nicht, was ſich in ſolchem Turme Alles entziffern läßt. Ich zähle das zu meinen glücklichſten und lehrreichſten Stunden. “
„ Und eine Blondine, ſagten Sie. Dann freilich erklärt ſich alles. Denn neben einer Prinzeſſin Flachs¬ haar kann unſer Fräulein Victoire nicht beſtehn. Und nicht einmal die ſchöne Mama, die ſchön iſt, aber doch am Ende brünett. Und blond geht immer vor ſchwarz. “
„ Ich möchte das nicht geradezu zum Axiom er¬ heben, “fuhr Noſtitz fort. „ Es hängt doch alles noch29 von Nebenumſtänden ab, die hier freilich ebenfalls zu Gunſten meiner Freundin ſprechen. Die ſchöne Mama, wie Sie ſie nennen, wird 37, bei welcher Addition ich wahrſcheinlich galant genug bin, ihr ihre vier Ehejahre halb ſtatt doppelt zu rechnen. Aber das iſt Schachs Sache, der über kurz oder lang in der Lage ſein wird, ihren Taufſchein um ſeine Geheimniſſe zu befragen. “
„ Wie das? “fragte Bülow.
„ Wie das? “wiederholte Noſtitz. „ Was doch die Gelehrten, und wenn es gelehrte Militärs wären, für ſchlechte Beobachter ſind. Iſt Ihnen denn das Ver¬ hältnis zwiſchen Beiden entgangen? Ein ziemlich vor¬ geſchrittenes, glaub 'ich. C'est le premier pas, qui coûte ... “
„ Sie drücken ſich etwas dunkel aus, Noſtitz. “
„ Sonſt nicht gerade mein Fehler. “
„ Ich meinerſeits glaube Sie zu verſtehn, “unter¬ brach Alvensleben. „ Aber Sie täuſchen ſich, Noſtitz, wenn Sie daraus auf eine Partie ſchließen. Schach iſt eine ſehr eigenartige Natur, die, was man auch an ihr ausſetzen mag, wenigſtens manche pſychologiſche Probleme ſtellt. Ich habe beiſpielsweiſe keinen Menſchen kennen gelernt, bei dem alles ſo ganz und gar auf das Äſthetiſche zurückzuführen wäre, womit es vielleicht in einem gewiſſen Zuſammenhange ſteht, daß er über¬ ſpannte Vorſtellungen von Intaktheit und Ehe hat. 30Wenigſtens von einer Ehe, wie er ſie zu ſchließen wünſcht. Und ſo bin ich denn wie von meinem Leben überzeugt, er wird niemals eine Witwe heiraten, auch die ſchönſte nicht. Könnt 'aber hierüber noch irgend ein Zweifel ſein, ſo würd' ihn ein Umſtand beſeitigen, und dieſer eine Umſtand heißt: „ Victoire. “
„ Wie das? “
„ Wie ſchon ſo mancher Heiratsplan an einer un¬ repräſentablen Mutter geſcheitert iſt, ſo würd er hier an einer unrepräſentablen Tochter ſcheitern. Er fühlt ſich durch ihre mangelnde Schönheit geradezu geniert, und erſchrickt vor dem Gedanken, ſeine Normalität, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, mit ihrer Unnorma¬ lität in irgend welche Verbindung gebracht zu ſehen. Er iſt krankhaft abhängig, abhängig bis zur Schwäche, von dem Urteile der Menſchen, ſpeziell ſeiner Standes¬ genoſſen, und würde ſich jederzeit außer Stande fühlen, irgend einer Prinzeſſin oder auch nur einer hochgeſtellten Dame, Victoiren als ſeine Tochter vor¬ zuſtellen. “
„ Möglich. Aber dergleichen läßt ſich vermeiden. “
„ Doch ſchwer. Sie zurückzuſetzen, oder ganz ein¬ fach als Aſchenbrödel zu behandeln, das widerſtreitet ſeinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu ſehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau v. Carayon das einfach nicht dulden. Denn ſo gewiß ſie Schach liebt, ſo gewiß liebt ſie Victoire, ja, ſie liebt dieſe31 noch um ein gut Teil mehr. Es iſt ein abſolut ideales Verhältnis zwiſchen Mutter und Tochter, und gerade dies Verhältnis iſt es, was mir das Haus ſo wert gemacht hat und noch macht. “
„ Alſo begraben wir die Partie, “ſagte Bülow. „ Mir perſönlich zu beſondrer Genugthuung und Freude, denn ich ſchwärme für dieſe Frau. Sie hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und ſelbſt ihre Schwächen ſind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieſer Schach! Er mag ſeine Meriten haben, meinetwegen, aber mir iſt er nichts als ein Pedant und Wichtigthuer, und zugleich die Ver¬ körperung jener preußiſchen Beſchränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat: erſtes Hauptſtück „ die Welt ruht nicht ſichrer auf den Schultern des Atlas, als der preußiſche Staat auf den Schultern der preußiſchen Armee “, zweites Hauptſtück „ der preußiſche Infanterie¬ angriff iſt unwiderſtehlich “, und drittens und letztens „ eine Schlacht iſt nie verloren, ſo lange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat “. Oder natür¬ lich auch das Regiment Gensdarmes. Denn ſie ſind Geſchwiſter, Zwillingsbrüder. Ich verabſcheue ſolche Redensarten, und der Tag iſt nahe, wo die Welt die Hohlheit ſolcher Rodomontaden erkennen wird. “
„ Und doch unterſchätzen Sie Schach. Er iſt immerhin einer unſerer Beſten. “
„ Um ſo ſchlimmer. “
32„ Einer unſrer Beſten, ſag ich, und wirklich ein Guter. Er ſpielt nicht blos den Ritterlichen, er iſt es auch. Natürlich auf ſeine Weiſe. Jedenfalls trägt er ein ehrliches Geſicht und keine Maske “.
„ Alvensleben hat Recht, “beſtätigte Noſtitz. „ Ich nicht habeviel für ihn übrig, aber das iſt wahr, alles an ihm iſt echt, auch ſeine ſteife Vornehmheit, ſo lang¬ weilig und ſo beleidigend ich ſie finde. Und darin unterſcheidet er ſich von uns. Er iſt immer er ſelbſt, gleichviel ob er in den Salon tritt, oder vorm Spiegel ſteht, oder beim Zubettegehn ſich ſeine ſaffranfarbenen Nachthandſchuh anzieht. Sander, der ihn nicht liebt ſoll entſcheiden und das letzte Wort über ihn haben. “
„ Es iſt keine drei Tage, “hob dieſer an, „ daß ich in der Haude und Spenerſchen geleſen, der Kaiſer von Braſilien habe den Heiligen Antonius zum Obriſt¬ lieutenant befördert und ſeinen Kriegsminiſter an¬ gewieſen, beſagtem Heiligen die Löhnung bis auf Weiteres gut zu ſchreiben. Welche Gutſchreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat, als die Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und Beförderungen, wird es nicht auf¬ fallen, wenn ich die Gefühle dieſer Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entſcheid und Richter¬ ſpruch, in die Worte zuſammenfaſſe: Seine Majeſtät der Rittmeiſter von Schach, er lebe hoch. “
„ O, vorzüglich Sander, “ſagte Bülow, „ damit33 haben Sies getroffen. Die ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe! “
„ Da haben wir denn zum Überfluß auch noch die Sprache von „ Sr. Majeſtät getreuſter Oppoſition, “antwortete Sander, und erhob ſich. „ Und nun Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geſchäftliche arrangiere. “
„ In beſten Händen, “ſagte Noſtitz.
Und fünf Minuten ſpäter traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte vom Thor her die Linden herauf, augenſcheinlich war ein ſtarkes Gewitter im Anzug, und die erſten großen Tropfen fielen bereits.
„ Hâtez-vous. ‟
Und Jeder folgte der Weiſung und mühte ſich, ſo raſch wie möglich und auf nächſtem Wege ſeine Wohnung zu erreichen.
3Der nächſte Morgen ſah Frau von Carayon und Tochter in demſelben Eckzimmer, in dem ſie den Abend vorher ihre Freunde bei ſich empfangen hatten. Beide liebten das Zimmer, und gaben ihm auf Koſten aller andern den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenſter, von denen die beiden unter einander im rechten Winkel ſtehenden auf die Behren - und Charlottenſtraße ſahen, während das dritte, thürartige, das ganze, breit abgeſtumpfte Eck einnahm, und auf einen mit einem vergoldeten Rokoko-Gitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es die Jahreszeit erlaubte, ſtand dieſe Balkonthür offen, und geſtattete, von beinah jeder Stelle des Zimmers aus, einen Blick auf das35 benachbarte Straßentreiben, das, der ariſtokratiſchen Gegend unerachtet, zu mancher Zeit ein beſonders belebtes war, am meiſten um die Zeit der Frühjahrs¬ paraden, wo nicht blos die berühmten alten Infanterie¬ regimenter der Berliner Garniſon, ſondern, was für die Carayons wichtiger war, auch die Regimenter der Garde du Corps und Gensdarmes unter dem Klang ihrer ſilbernen Trompeten an dem Hauſe vorüberzogen. Bei ſolcher Gelegenheit (wo ſich dann ſelbſtverſtändlich die Augen der Herrn Offiziers zu dem Balkon hinaufrichteten) hatte das Eckzimmer erſt ſeinen eigentlichen Werth, und hätte gegen kein anderes vertauſcht werden können.
Aber es war auch an ſtillen Tagen ein reizendes Zimmer, vornehm und gemütlich zugleich. Hier lag der türkiſche Teppich, der noch die glänzenden, faſt ein halbes Menſchenalter zurückliegenden Petersburger Tage des Hauſes Carayon geſehen hatte, hier ſtand die malachitne Stutzuhr, ein Geſchenk der Kaiſerin Katharina, und hier paradierte vor allem auch der große, reich vergoldete Trumeau, der der ſchönen Frau täglich aufs Neue verſichern mußte, daß ſie noch eine ſchöne Frau ſei. Victoire ließ zwar keine Gelegenheit vorübergehn, die Mutter über dieſen wichtigen Punkt zu beruhigen, aber Frau von Carayon war doch klug genug, es ſich jeden Morgen durch ihr von ihr ſelbſt zu kontrolierendes Spiegelbild neu beſtätigen zu laſſen. 3*36Ob ihr Blick in ſolchem Momente zu dem Bilde des mit einem roten Ordensband in ganzer Figur über dem Sopha hängenden Herrn v. Carayon hinüber¬ glitt, oder ob ſich ihr ein ſtattlicheres Bild vor die Seele ſtellte, war für Niemanden zweifelhaft, der die häuslichen Verhältniſſe nur einigermaßen kannte. Denn Herr v. Carayon war ein kleiner, ſchwarzer Kolonie¬ franzoſe geweſen, der außer einigen in der Nähe von Bordeaux lebenden vornehmen Carayons und einer ihn mit Stolz erfüllenden Zugehörigkeit zur Legation, nichts Erhebliches in die Ehe mitgebracht hatte. Am wenigſten aber männliche Schönheit.
Es ſchlug elf, erſt draußen, dann in dem Eck¬ zimmer, in welchem beide Damen an einem Tapiſſerie¬ rahmen beſchäftigt waren. Die Balkonthür war weit auf, denn trotz des Regens, der bis an den Morgen gedauert hatte, ſtand die Sonne ſchon wieder hell am Himmel und erzeugte ſo ziemlich dieſelbe Schwüle, die ſchon den Tag vorher geherrſcht hatte. Victoire blickte von ihrer Arbeit auf und erkannte den Schach'ſchen kleinen Groom, der mit Stulpenſtiefeln und zwei Farben am Hut, von denen ſie zu ſagen liebte, daß es die Schach'ſchen „ Landesfarben “ſeien, die Charlotten¬ ſtraße heraufkam.
„ O ſieh nur, “ſagte Victoire „ da kommt Schachs kleiner Ned. Und wie wichtig er wieder thut! Aber37 er wird auch zu ſehr verwöhnt, und immer mehr eine Puppe. Was er nur bringen mag? “
Ihre Neugier ſollte nicht lange unbefriedigt bleiben. Schon einen Augenblick ſpäter hörten beide die Klingel gehn, und ein alter Diener in Gamaſchen, der noch die vornehmen Petersburger Tage miterlebt hatte, trat ein, um auf einem ſilbernen Tellerchen ein Billet zu überreichen. Victoire nahm es. Es war an Frau von Carayon adreſſiert.
„ An Dich Mama. “
„ Lies nur, “ſagte dieſe.
„ Nein, Du ſelbſt; ich hab eine Scheu vor Ge¬ heimniſſen. “
„ Närrin, “lachte die Mutter und erbrach das Billet und las: „ Meine gnädigſte Frau. Der Regen der vorigen Nacht hat nicht nur die Wege gebeſſert, ſondern auch die Luft. Alles in allem ein ſo ſchöner Tag, wie ſie der April uns Hyperboreern nur ſelten gewährt. Ich werde 4 Uhr mit meinem Wagen vor Ihrer Wohnung halten, um Sie und Fräulein Victoire zu einer Spazierfahrt abzuholen. Über das Ziel erwarte ich Ihre Befehle. Wiſſen Sie doch wie glücklich ich bin, Ihnen gehorchen zu können. Bitte Beſcheid durch den Überbringer. Er iſt gerade firm genug im Deutſchen, um ein „ ja “oder „ nein “nicht zu ver¬ wechſeln. Unter Gruß und Empfehlungen an meine38 liebe Freundin Victoire (die zu größerer Sicherheit vielleicht eine Zeile ſchreibt) Ihr Schach. “
„ Nun, Victoire, was laſſen wir ſagen ..? “
„ Aber Du kannſt doch nicht ernſthaft fragen Mama? “
„ Nun denn alſo, ja‘. “
Victoire hatte ſich mittlerweile bereits an den Schreibtiſch geſetzt, und ihre Feder kritzelte: „ Herzlichſt acceptiert, trotzdem die Ziele vorläufig im Dunkeln bleiben. Aber iſt der Entſcheidungsmoment erſt da, ſo wird er uns auch das Richtige wählen laſſen. “
Frau von Carayon las über Victoires Schulter fort. „ Es klingt ſo vieldeutig, “ſagte ſie.
„ So will ich ein bloßes Ja ſchreiben, und Du kontraſignierſt. “
„ Nein; laß es nur. “
Und Victoire ſchloß das Blatt, und gab es dem draußen wartendem Groom.
Als ſie vom Flur her in das Zimmer zurück¬ kehrte, fand ſie die Mama nachdenklich. „ Ich liebe ſolche Pikanterien nicht, und am wenigſten ſolche Rätſelſätze. “
„ Du dürfteſt ſie auch nicht ſchreiben. Aber ich? Ich darf alles. Und nun höre mich. Es muß etwas geſchehen, Mama. Die Leute reden ſo viel, auch ſchon zu mir, und da Schach immer noch ſchweigt39 und Du nicht ſprechen darfſt, ſo muß ich es thun ſtatt Eurer und Euch verheiraten. Alles in der Welt kehrt ſich einmal um. Sonſt verheiraten Mütter ihre Tochter, hier liegt es anders, und ich verheirate Dich. Er liebt Dich und Du liebſt ihn. In den Jahren ſeid ihr gleich, und ihr werdet das ſchönſte Paar ſein, das ſeit Menſchengedenken im fränzöſiſchen Dom oder in der Dreifaltigkeitskirche getraut wurde. Du ſiehſt, ich laſſe Dir wenigſtens hinſichtlich der Prediger und der Kirche die Wahl; mehr kann ich nicht thun in dieſer Sache. Daß Du mich mit in die Ehe bringſt, iſt nicht gut, aber auch nicht ſchlimm. Wo viel Licht iſt, iſt viel Schatten. “
Frau von Carayons Auge wurde feucht. „ Ach meine ſüße Victoire, Du ſiehſt es anders, als es liegt. Ich will Dich nicht mit Bekenntniſſen über¬ raſchen, und in bloßen Andeutungen zu ſprechen, wie Du gelegentlich liebſt, widerſtreitet mir. Ich mag auch nicht philoſophieren. Aber das laß Dir ſagen, es liegt alles vorgezeichnet in uns, und was Urſach ſcheint, iſt meiſt ſchon wieder Wirkung und Folge. Glaube mir, Deine kleine Hand wird das Band nicht knüpfen, das Du knüpfen möchteſt. Es geht nicht, es kann nicht ſein. Ich weiß es beſſer. Und warum auch? Zuletzt lieb 'ich doch eigentlich nur Dich. “
Ihr Geſpräch wurde durch das Erſcheinen einer alten Dame, Schweſter des verſtorbenen Herrn40 von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienſtag ein für allemal zu Mittag geladen war, und unter „ zu Mit¬ tag “pünktlicherweiſe zwölf Uhr verſtand, trotzdem ſie wußte, daß bei den Carayons erſt um drei Uhr gegeſſen wurde. Tante Marguerite, das war ihr Name, war noch eine echte Koloniefranzöſin, d. h. eine alte Dame, die das damalige, ſich faſt ausſchlie߬ lich im Dativ bewegende Berliniſch mit geprüntem Munde ſprach, das ü dem i vorzog, entweder „ Kür¬ ſchen “aß, oder in die „ Kürche “ging, und ihre Rede ſelbſtverſtändlich mit franzöſiſchen Einſchiebſeln und Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodiſch gekleidet, trug ſie Sommer und Winter denſelben kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwach¬ ſenheit, die damals bei den alten Koloniedamen ſo allgemein war, daß Victoire einmal als Kind ge¬ fragt hatte: „ Wie kommt es nur, liebe Mama, daß faſt alle Tanten ſo, ich weiß nicht wie‘ ſind? “ Und dabei hatte ſie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar ſeidene Handſchuhe, die ſie ganz be¬ ſonders in Ehren hielt, und immer erſt auf dem oberſten Treppenabſatz anzog. Ihre Mitteilungen, an denen ſies nie fehlen ließ, entbehrten all und jedes Intereſſes, am meiſten aber dann, wenn ſie, was ſie ſehr liebte, von hohen und höchſten Perſonen ſprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prin¬41 zeſſinnen der königlichen Familie: la petite princesse Charlotte, et la petite princesse Alexandrine, die ſie gelegentlich in den Zimmern einer ihr befreundeten franzöſiſchen Erzieherin ſah, und mit denen ſie ſich derartig liiert fühlte, daß, als eines Tages die Bran¬ denburger Thorwache beim Vorüberfahren von la princesse Alexandrine verſäumt hatte, rechtzeitig ins Gewehr zu treten und die Trommel zu rühren, ſie nicht nur das allgemeine Gefühl der Empörung teilte, ſondern das Ereignis überhaupt anſah, als ob Berlin ein Erdbeben gehabt habe.
Das war das Tantchen, das eben eintrat.
Frau von Carayon ging ihr entgegen und hieß ſie herzlich willkommen, herzlicher als ſonſt wohl, und das einfach deshalb, weil durch ihr Erſcheinen ein Geſpräch unterbrochen worden war, das ſelbſt fallen zu laſſen, ſie nicht mehr die Kraft gehabt hatte. Tante Marguerite fühlte ſofort heraus, wie günſtig heute die Dinge für ſie lagen, und begann denn auch in demſelben Augenblicke, wo ſie ſich geſetzt und die Seidenhandſchuh in ihren Pompadour geſteckt hatte, ſich dem hohen Adel königlicher Reſidenzien zuzuwen¬ den, diesmal mit Umgehung der „ Allerhöchſten Herr¬ ſchaften “. Ihre Mitteilungen aus der Adelsſphäre waren ihren Hofanekdoten in der Regel weit vorzuziehn, und hätten ein für allemal paſſieren können, wenn ſie nicht die Schwäche gehabt hätte, die doch immer¬42 hin wichtige Perſonalfrage mit einer äußerſten Ge¬ ringſchätzung zu behandeln. Mit andern Worten, ſie verwechſelte beſtändig die Namen, und wenn ſie von einer Escapade der Baronin Stieglitz erzählte, ſo durfte man ſicher ſein, daß ſie die Gräfin Taube gemeint hatte. Solche Neuigkeiten eröffneten denn auch das heutige Geſpräch, Neuigkeiten, unter denen die, „ daß der Rittmeiſter von Schenk vom Regiment Garde du Corps der Prinzeſſin von Croy eine Sere¬ nade gebracht habe “die weitaus wichtigſte war, ganz beſonders als ſich nach einigem Hin - und Herfragen herausſtellte, daß der Rittmeiſter von Schenk in den Rittmeiſter von Schach, das Regiment Garde du Corps in das Regiment Gensdarmes, und die Prinzeſſin von Croy in die Prinzeſſin von Carolath zu transpo¬ nieren ſei. Solche Richtigſtellungen wurden von Seiten der Tante jedesmal ohne jede Spur von Ver¬ legenheit entgegengenommen, und ſolche Verlegenheit kam ihr denn auch heute nicht, als ihr, zum Schluß ihrer Geſchichte, mitgeteilt wurde, daß der Rittmeiſter von Schenk alias Schach noch im Laufe dieſes Nach¬ mittags erwartet werde, da man eine Fahrt über Land mit ihm verabredet habe. Vollkommener Kava¬ lier wie er ſei, werde er ſich ſicherlich freuen, eine liebe Verwandte des Hauſes an dieſer Ausfahrt mit teilnehmen zu ſehen. Eine Bemerkung, die von Tante Marguerite ſehr wohlwollend aufgenommen und von43 einem unwillkürlichen Zupfen an ihrem Taftkleide be¬ gleitet wurde.
Um Punkt drei war man zu Tiſche gegangen und um Punkt vier — l'exactitude est la politesse des rois, würde Bülow geſagt haben — erſchien eine zu¬ rückgeſchlagene Halbchaiſe vor der Thür in der Behren¬ ſtraße. Schach, der ſelbſt fuhr, wollte die Zügel dem Groom geben, beide Carayons aber grüßten ſchon reiſefertig vom Balkon her, und waren im nächſten Moment mit einer ganzen Ausſtattung von Tüchern, Sonnen - und Regenſchirmen unten am Wagenſchlag. Mit ihnen auch Tante Marguerite, die nunmehr vorgeſtellt und von Schach mit einer ihm eigentümlichen Miſchung von Artigkeit und Grandezza begrüßt wurde.
„ Und nun das dunkle Ziel, Fräulein Victoire “.
„ Nehmen wir Tempelhof, “ſagte dieſe.
„ Gut gewählt. Nur Pardon, es iſt das undunkelſte Ziel von der Welt. Namentlich heute. Sonne und wieder Sonne. “
In raſchem Trabe ging es, die Friedrichsſtraße hinunter, erſt auf das Rondel und das Halleſche Thor zu, bis der tiefe Sandweg, der zum Kreuzberg hinaufführte, zu langſamerem Fahren nötigte. Schach glaubte ſich entſchuldigen zu müſſen, aber Victoire, die rückwärts ſaß und in halber Wendung bequem mit ihm ſprechen konnte, war, als echtes Stadtkind, aufrichtig entzückt über all und jedes, was ſie zu44 beiden Seiten des Weges ſah, und wurde nicht müde Fragen zu ſtellen und ihn durch das Intereſſe, das ſie zeigte, zu beruhigen. Am meiſten amüſierten ſie die ſeltſam ausgeſtopften Alt-Weiber-Geſtalten, die zwiſchen den Sträuchern und Gartenbeeten umher ſtanden, und entweder eine Strohhutkiepe trugen oder mit ihren hundert Papilloten im Winde flatterten und klapperten.
Endlich war man den Abhang hinauf, und über den feſten Lehmweg hin, der zwiſchen den Pappeln lief, trabte man jetzt wieder raſcher auf Tempelhof zu. Neben der Straße ſtiegen Drachen auf, Schwalben ſchoſſen hin und her, und am Horizonte blitzten die Kirchthürme der nächſtgelegenen Dörfer.
Tante Marguerite, die, bei dem Winde der ging, beſtändig bemüht war, ihren kleinen Mantelkragen in Ordnung zu halten, übernahm es nichtsdeſtoweniger den Führer zu machen, und ſetzte dabei beide Cara¬ yonſche Damen ebenſo ſehr durch ihre Namensver¬ wechſelungen, wie durch Entdeckung gar nicht vorhan¬ dener Ähnlichkeiten in Erſtaunen.
„ Sieh, liebe Victoire, dieſer Wülmersdörfer Kürch¬ thürm! Ähnelt er nicht unſrer Dorotheenſtädtſchen Kürche? “
Victoire ſchwieg.
„ Ich meine nicht um ſeiner Spitze, liebe Victoire, nein, um ſeinem Corps de Logis. “
45Beide Damen erſchraken. Es geſchah aber was gewöhnlich geſchieht, das nämlich, daß alles das was die Näherſtehenden in Verlegenheit bringt, von den Fernerſtehenden entweder überhört oder aber mit Gleichgiltigkeit aufgenommen wird. Und nun gar Schach! Er hatte viel zu lang in der Welt alter Prinzeſſinnen und Hofdamen gelebt, um noch durch irgend ein Dummheits - oder Nicht-Bildungszeichen in ein beſondres Erſtaunen geſetzt werden zu können. Er lächelte nur, und benutzte das Wort „ Dorotheen¬ ſtädtſche Kirche “, das gefallen war, um Frau v. Ca¬ rayon zu fragen „ ob ſie ſchon von dem Denkmal Kenntnis genommen habe, das in ebengenannter Kirche, ſeitens des hochſeligen Königs ſeinem Sohne dem Grafen von der Mark errichtet worden ſei? “
Mutter und Tochter verneinten. Tante Marguerite jedoch, die nicht gerne zugeſtand, etwas nicht zu wiſſen oder wohl gar nicht geſehen zu haben, bemerkte ganz ins allgemeine hin: „ Ach, der liebe, kleine Prinz. Daß er ſo früh ſterben mußte. Wie jämmerlich. Und ähnelte doch ſeiner hochſeligen Frau Mutter um beiden Augen. “
Einen Augenblick war es, als ob der in ſeinem Legitimitätsgefühle ſtark verletzte Schach antworten und den „ von ſeiner hochſeligen Mutter “gebornen „ lieben kleinen Prinzen “aufs ſchmählichſte dethroni¬ ſieren wollte, raſch aber überſah er die Lächerlichkeit46 ſolcher Idee, wies alſo lieber, um doch wenigſtens etwas zu thun, auf das eben ſichtbar werdende grüne Kuppeldach des Charlottenburger Schloſſes hin, und bog im nächſten Augenblick in die große, mit alten Linden bepflanzte Dorfgaſſe von Tempelhof ein.
Gleich das zweite Haus war ein Gaſthaus. Er gab dem Groom die Zügel und ſprang ab, um den Damen beim Ausſteigen behilflich zu ſein. Aber nur Frau von Carayon und Victoire nahmen die Hilfe dankbar an, während Tante Marguerite verbindlich ablehnte „ weil ſie gefunden habe, daß man ſich auf ſeinen eigenen Händen immer am beſten verlaſſen könne “.
Der ſchöne Tag hatte viele Gäſte hinausgelockt, und der von einem Staketenzaun eingefaßte Vorplatz war denn auch an allen ſeinen Tiſchen beſetzt. Das gab eine kleine Verlegenheit. Als man aber eben ſchlüſſig geworden war, in dem Hintergarten, unter einem halboffenen Kegelbahnhäuschen, den Kaffee zu nehmen, ward einer der Ecktiſche frei, ſo daß man in Front des Hauſes, mit dem Blick auf die Dorf¬ ſtraße, verbleiben konnte. Das geſchah denn auch, und es traf ſich, daß es der hübſcheſte Tiſch war. Aus ſeiner Mitte wuchs ein Ahorn auf und wenn es auch, ein paar Spitzen abgerechnet, ihm vorläufig noch an allem Laubſchmucke fehlte, ſo ſaßen doch ſchon die Vögel in ſeinen Zweigen und zwitſcherten. Und nicht47 das blos ſah man; Equipagen hielten in der Mitte der Dorfſtraße, die Stadtkutſcher plauderten, und Bauern und Knechte, die mit Pflug und Egge vom Felde herein kamen, zogen an der Wagenreihe vorüber. Zuletzt kam eine Heerde, die der Schäferſpitz von rechts und links her zuſammenhielt, und dazwiſchen hörte man die Betglocke, die läutete. Denn es war eben die ſechſte Stunde.
Die Carayons, ſo verwöhnte Stadtkinder ſie waren, oder vielleicht auch weil ſies waren, enthu¬ ſiasmierten ſich über all und jedes, und jubelten, als Schach einen Abendſpaziergang in die Tempelhofer Kirche zur Sprache brachte. Sonnenuntergang ſei die ſchönſte Stunde. Tante Marguerite freilich, die ſich „ vor dem unvernünftigen Viehe “fürchtete, wäre lieber am Kaffeetiſche zurückgeblieben, als ihr aber der zu weiterer Beruhigung herbeigerufene Wirt aufs eindringlichſte verſichert hatte, „ daß ſie ſich um den Bullen nicht zu fürchten brauche, “nahm ſie Victoirens Arm und trat mit dieſer auf die Dorfſtraße hinaus, wäh¬ rend Schach und Frau v. Carayon folgten. Alles, was noch an dem Staketenzaune ſaß, ſah ihnen nach.
„ Es iſt nichts ſo fein geſponnen, “ſagte Frau v. Carayon und lachte.
Schach ſah ſie fragend an.
„ Ja lieber Freund, ich weiß alles. Und niemand48 Geringeres als Tante Marguerite hat uns heute Mittag davon erzählt. “
„ Wovon? “
„ Von der Serenade. Die Carolath iſt eine Dame von Welt, und vor allem eine Fürſtin. Und Sie wiſſen doch, was Ihnen nachgeſagt wird,, daß Sie der garſtigſten princesse vor der ſchönſten bougeoise den Vorzug geben würden. ' Jeder garſtigen Prinzeß ſag ich. Aber zum Überfluß iſt die Carolath auch noch ſchön. Un teint de lys et de rose. Sie wer¬ den mich eiferſüchtig machen. “
Schach küßte der ſchönen Frau die Hand. „ Tante Marguerite hat Ihnen richtig berichtet, und Sie ſollen nun alles hören. Auch das Kleinſte. Denn, wenn es mir, wie zugeſtanden, eine Freude gewährt, einen ſolchen Abend unter meinen Erlebniſſen zu haben, ſo gewährt es mir doch eine noch größere Freude, mit meiner ſchönen Freundin darüber plaudern zu können. Ihre Plaiſanterien, die ſo kritiſch und doch zugleich ſo voll guten Herzens ſind, machen mir erſt alles lieb und wert. Lächeln Sie nicht. Ach, daß ich Ihnen alles ſagen könnte. Theure Joſephine, Sie ſind mir das Ideal einer Frau: klug und doch ohne Gelehr¬ ſamkeit und Dünkel, espritvoll und doch ohne Moc¬ quanterie. Die Huldigungen, die mein Herz dar¬ bringt, gelten nach wie vor nur Ihnen, Ihnen, der Liebenswürdigſten und Beſten. Und das iſt Ihr höchſter49 Reiz, meine teure Freundin, daß Sie nicht einmal wiſſen, wie gut Sie ſind und welch ſtille Macht Sie über mich üben. “
Er hatte faſt mit Bewegung geſpochen, und das Auge der ſchönen Frau leuchtete, während ihre Hand in der ſeinen zitterte. Raſch aber nahm ſie den ſcherzhaften Ton wieder auf und ſagte: „ Wie gut Sie zu ſprechen verſtehen. Wiſſen Sie wohl, ſo gut ſpricht man nur aus der Verſchuldung heraus. “
„ Oder aus dem Herzen. Aber laſſen wirs bei der Verſchuldung, die nach Sühne verlangt. Und zu¬ nächſt nach Beichte. Deshalb kam ich geſtern. Ich hatte vergeſſen, daß Ihr Empfangsabend war, und erſchrak faſt, als ich Bülow ſah und dieſen aufgedun¬ ſenen Roturier, den Sander. Wie kommt er nur in Ihre Geſellſchaft? “
„ Er iſt der Schatten Bülows. “
„ Ein ſonderbarer Schatten, der dreimal ſchwerer wiegt als der Gegenſtand, der ihn wirft. Ein wahres Mammuth. Nur ſeine Frau ſoll ihn noch übertreffen, weshalb ich neulich ſpöttiſch erzählen hörte, ‚ Sander, wenn er ſeine Brunnenpromenade vorhabe, gehe nur dreimal um ſeine Frau herum. ‘ Und dieſer Mann Bülows Schatten! Wenn Sie lieber ſagten, ſein Sancho Panſa .. “
„ So nehmen Sie Bülow ſelbſt als Don Quixote? “
„ Ja, meine Gnädigſte .. Sie wiſſen, daß es450mir im allgemeinen widerſteht, zu mediſieren, aber dies iſt au fond nicht mediſieren, iſt eher Schmeichelei. Der gute Ritter von La Mancha war ein ehrlicher Enthuſiaſt, und nun frag ich Sie, teuerſte Freundin, läßt ſich von Bülow daſſelbe ſagen? Enthuſiaſt! Er iſt ecxentriſch, nichts weiter, und das Feuer, das in ihm brennt, iſt einfach das einer infernalen Eigenliebe. “
„ Sie verkennen ihn, lieber Schach. Er iſt ver¬ bittert, gewiß; aber ich fürchte, daß er ein Recht hat, es zu ſein. “
„ Wer an krankhafter Überſchätzung leidet, wird immer tauſend Gründe haben, verbittert zu ſein. Er zieht von Geſellſchaft zu Geſellſchaft, und predigt die billigſte der Weisheiten, die Weisheit post festum. Lächerlich. An allem, was uns das letzte Jahr an Demütigungen gebracht hat, iſt, wenn man ihn hört, nicht der Übermut oder die Kraft unſerer Feinde ſchuld, o nein, dieſer Kraft würde man mit einer größeren Kraft unſchwer haben begegnen können, wenn man ſich unſrer Talente, will alſo ſagen, der Talente Bülows rechtzeitig verſichert hätte. Das unterließ die Welt, und daran geht ſie zu Grunde. So geht es endlos weiter. Darum Ulm und darum Auſterlitz. Alles hätt ein andres Anſehen gewonnen, ſich anders zugetragen, wenn dieſem korſiſchen Thron - und Kro¬ nenräuber, dieſem Engel der Finſternis, der ſich Bo¬ naparte nennt, die Lichtgeſtalt Bülows auf dem Schlacht¬51 feld entgegengetreten wäre. Mir widerwärtig. Ich haſſe ſolche Fanfaronaden. Er ſpricht von Braun¬ ſchweig und Hohenlohe wie von lächerlichen Größen, ich aber halte zu dem fridericianiſchen Satze, daß die Welt nicht ſichrer auf den Schultern des Atlas ruht, als Preußen auf den Schultern ſeiner Armee. “
Während dieſes Geſpräch zwiſchen Schach und Frau von Carayon geführt wurde, war das ihnen voranſchreitende Paar bis an eine Wegſtelle gekommen, von der aus ein Fußpfad über ein friſch gepflügtes Ackerfeld hin ſich abzweigte.
„ Das iſt die Kürche, “ſagte das Tantchen und zeigte mit ihrem Paraſol auf ein neugedecktes Turm¬ dach, deſſen Roth aus allerlei Geſtrüpp und Gezweig hervorſchimmerte. Victoire beſtätigte, was ſich ohne¬ hin nicht beſtreiten ließ, und wandte ſich gleich danach nach rückwärts, um die Mama durch eine Kopf - und Handbewegung zu fragen, ob man den hier abzweigen¬ den Fußpfad einſchlagen wolle? Frau von Carayon nickte zuſtimmend, und Tante und Nichte ſchritten in der angedeuteten Richtung weiter. Überall aus dem braunen Acker ſtiegen Lerchen auf, die hier, noch ehe die Saat heraus war, ſchon ihr Furchenneſt gebaut hatten, ganz zuletzt aber kam ein Stück brachliegendes Feld, das bis an die Kirchhofsmauer lief, und, außer einer ſpärlichen Grasnarbe, nichts aufwies, als einen trichterförmigen Tümpel, in dem ein Unkenpaar muſi¬4*52zierte, während der Rand des Tümpels in hohen Binſen ſtand.
„ Sieh, Victoire, das ſind Binſen. “
„ Ja, liebe Tante. “
„ Kannſt Du Dir denken, ma chère, daß, als ich jung war, die Binſen als kleine Nachtlichter gebraucht wurden, und auch wirklich ganz ruhig auf einem Glaſe ſchwammen, wenn man krank war oder auch bloß nicht ſchlafen konnte ... “
„ Gewiß, “ſagte Victoire. „ Jetzt nimmt man Wachsfädchen, die man zerſchneidet, und in ein Karten¬ ſtückchen ſteckt. “
„ Ganz recht, mein Engelchen. Aber früher waren es Binſen, des joncs. Und ſie brannten auch. Und deshalb erzähl 'ich es Dir. Denn ſie müſſen doch ein natürliches Fett gehabt haben, ich möchte ſagen etwas Kienenes. “
„ Es iſt wohl möglich, “antwortete Victoire, die der Tante nie widerſprach, und horchte, während ſie dies ſagte, nach dem Tümpel hin, in dem das Muſi¬ zieren der Unken immer lauter wurde. Gleich danach aber ſah ſie, daß ein halberwachſenes Mädchen von der Kirche her im vollem Lauf auf ſie zukam und mit einem zottigen weißen Spitz ſich neckte, der bellend und beißend an der Kleinen empor ſprang. Dabei warf die Kleine, mitten im Lauf, einen an einem Strick und einem Klöppel hängenden Kirchenſchlüſſel53 in die Luft, und fing ihn ſo geſchickt wieder auf, daß weder der Schlüſſel noch der Klöppel ihr weh thun konnte. Zuletzt aber blieb ſie ſtehn und hielt die linke Hand vor die Augen, weil die niedergehende Sonne ſie blendete.
„ Biſt Du die Küſterstochter? “fragte Victoire.
„ Ja, “ſagte das Kind.
„ Dann bitte, gieb uns den Schlüſſel oder komm mit uns und ſchließ uns die Kirche wieder auf. Wir möchten ſie gerne ſehen, wir und die Herrſchaften da. “
„ Gerne, “ſagte das Kind und lief wieder vorauf, überkletterte die Kirchhofsmauer und verſchwand als¬ bald hinter den Haſelnuß - und Hagebuttenſträuchern, die hier ſo reichlich ſtanden, daß ſie, trotzdem ſie noch kahl waren, eine dichte Hecke bildeten.
Das Tantchen und Victoire folgten ihr und ſtiegen langſam über verfallene Gräber weg, die der Frühling noch nirgends mit ſeiner Hand berührt hatte; nirgends zeigte ſich ein Blatt, und nur un¬ mittelbar neben der Kirche war eine ſchattig-feuchte Stelle wie mit Veilchen überdeckt. Victoire bückte ſich, um haſtig davon zu pflücken, und als Schach und Frau von Carayon im nächſten Augenblick den eigentlichen Hauptweg des Kirchhofes heraufkamen, ging ihnen Victoire entgegen und gab der Mutter die Veilchen.
Die Kleine hatte mittlerweile ſchon aufgeſchloſſen54 und ſaß wartend auf dem Schwellſtein; als aber beide Paare heran waren, erhob ſie ſich raſch und trat, allen vorauf, in die Kirche, deren Chorſtühle faſt ſo ſchräg ſtanden, wie die Grabkreuze draußen. Alles wirkte kümmerlich und zerfallen, der eben ſinkende Sonnenball aber, der hinter den nach Abend zu gelegenen Fenſtern ſtand, übergoß die Wände mit einem rötlichen Schimmer und erneuerte, für Augenblicke wenigſtens, die längſt blind gewordene Vergoldung der alten Altarheiligen, die hier noch, aus der katholiſchen Zeit her, ihr Daſein friſteten. Es konnte nicht ausbleiben, daß das genferiſch reformierte Tantchen aufrichtig erſchrak, als ſie dieſer „ Götzen “anſichtig wurde, Schach aber, der unter ſeine Liebhabereien auch die Genealogie zählte, fragte bei der Kleinen an, ob nicht vielleicht alte Grabſteine da wären?
„ Einer iſt da, “ſagte die Kleine. „ Dieſer hier, “und wies auf ein abgetretenes aber doch noch deut¬ lich erkennbares Steinbild, das aufrecht in einen Pfeiler, dicht neben dem Altar, eingemauert war. Es war erſichtlich ein Reiteroberſt.
„ Und wer iſt es? “fragte Schach.
„ Ein Tempelritter, “erwiderte das Kind „ und hieß der Ritter von Tempelhof. Und dieſen Grab¬ ſtein ließ er ſchon bei Lebzeiten machen, weil er wollte, daß er ihm ähnlich werden ſollte. “
Hier nickte das Tantchen zuſtimmend, weil das55 Ahnlichkeitsbedürfniß des angeblichen Ritters von Tempelhof eine verwandte Saite in ihrem Herzen traf.
„ Und er baute dieſe Kirche, “fuhr die Kleine fort „ und baute zuletzt auch das Dorf, und nannt es Tempelhof, weil er ſelber Tempelhof hieß. Und die Berliner ſagen „ Templow “. Aber es iſt falſch. “
All das nahmen die Damen in Andacht hin, und nur Schach, der neugierig geworden war, fragte weiter „ ob ſie nicht das ein oder andre noch aus den Lebzeiten des Ritters wiſſe? “
„ Nein, aus ſeinen Lebzeiten nicht. Aber nachher. “
Alle horchten auf, am meiſten das ſofort einen leiſen Gruſel verſpürende Tantchen, die Kleine hin¬ gegen fuhr in ruhigem Tone fort: „ Ob es alles ſo wahr iſt, wie die Leute ſagen, das weiß ich nicht. Aber der alte Koſſäthe Maltuſch hat es noch mit erlebt. “
„ Aber was denn, Kind? “
„ Er lag hier vor dem Altar über hundert Jahre, bis es ihn ärgerte, daß die Bauern und Einſegnungs¬ kinder immer auf ihm herumſtanden, und ihm das Geſicht abſchurrten, wenn ſie zum Abendmahl gingen. Und der alte Maltutſch, der jetzt ins 90ſte geht, hat mir und meinem Vater erzählt, er hab es noch mit ſeinen eigenen Ohren gehört, daß es mitunter ſo ge¬ poltert und gerollt hätte, wie wenn es drüben über Schmargendorf donnert. “
56„ Wohl möglich. “
„ Aber ſie verſtanden nicht, was das Poltern und Rollen bedeutete “fuhr die Kleine fort. „ Und ſo ging es bis das Jahr, wo der ruſſiſche General, deſſen Namen ich immer vergeſſe, hier auf dem Tempel¬ hofer Felde lag. Da kam einen Sonnabend der vorige Küſter und wollte die Singezahlen wegwiſchen und neue für den Sonntag anſchreiben. Und nahm auch ſchon das Kreideſtück. Aber da ſah er mit einem Male, daß die Zahlen ſchon weggewiſcht und neue Geſangbuchzahlen und auch die Zahlen von einem Bibelſpruch, Kapitel und Vers, mit angeſchrieben waren. Alles altmodiſch und undeutlich, und nur ſo grade noch zu leſen. Und als ſie nachſchlugen, da fanden ſie: ‚ Du ſollſt Deinen Todten in Ehren halten und ihn nicht ſchädigen an ſeinem Antlitz. ‘ Und nun wußten ſie, wer die Zahlen geſchrieben, und nahmen den Stein auf, und mauerten ihn in dieſen Pfeiler. “
„ Ich finde doch, “ſagte Tante Marguerite, die, je ſchrecklicher ſie ſich vor Geſpenſtern fürchtete, deſto lebhafter ihr Vorhandenſein beſtritt, „ ich finde doch, die Regierung ſollte mehr gegen dem Aberglauben thun. “ Und dabei wandte ſie ſich ängſtlich von dem unheimlichen Steinbild ab, und ging mit Frau von Carayon, die, was Geſpenſterfurcht anging, mit dem Tantchen wetteifern konnte, wieder dem Aus¬ gange zu.
57Schach folgte mit Victoire, der er den Arm ge¬ reicht hatte.
„ War es wirklich ein Tempelritter? “fragte dieſe. „ Meine Tempelritter-Kenntnis beſchränkt ſich freilich nur auf den einen im ‚ Nathan, ‘aber wenn unſre Bühne die Koſtümfrage nicht zu willkürlich behandelt hat, ſo müſſen die Tempelritter durchaus anders aus¬ geſehen haben. Hab ich Recht? “
„ Immer Recht, meine liebe Victoire. “ Und der Ton dieſer Worte traf ihr Herz und zitterte darin nach, ohne daß ſich Schach deſſen bewußt geweſen wäre.
„ Wohl. Aber wenn kein Templer, was dann? “fragte ſie weiter und ſah ihn zutraulich und doch verlegen an.
„ Ein Reiteroberſt aus der Zeit des 30jährigen Krieges. Oder vielleicht auch erſt aus den Tagen von Fehrbellin. Ich las ſogar ſeinen Namen: Achim v. Haake. “
„ So halten Sie die ganze Geſchichte für ein Märchen? “
„ Nicht eigentlich das, oder wenigſtens nicht in allem. Es iſt erwieſen, daß wir Templer in dieſem Lande hatten, und die Kirche hier mit ihren vor¬ gotiſchen Formen mag ſehr wohl bis in jene Templer¬ tage zurückreichen. So viel iſt glaubhaft. “
58„ Ich höre ſo gern von dieſem Orden. “
„ Auch ich. Er iſt von der ſtrafenden Hand Gottes am ſchwerſten heimgeſucht worden und eben deshalb auch der poetiſchſte und intereſſanteſte. Sie wiſſen, was ihm vorgeworfen wird: Götzendienſt, Verleugnung Chriſti, Laſter aller Art. Und ich fürchte mit Recht. Aber groß wie ſeine Schuld, ſo groß war auch ſeine Sühne, ganz deſſen zu geſchweigen, daß auch hier wieder der unſchuldig Überlebende die Schuld voraufgegangener Geſchlechter zu büßen hatte. Das Los und Schickſal aller Erſcheinungen, die ſich, auch da noch wo ſie fehlen und irren, dem Alltäglichen entziehn. Und ſo ſehen wir denn den ſchuldbeladenen Orden, all ſeiner Unrühmlichkeiten unerachtet, ſchließlich in einem wiedergewonnenen Glorienſchein zu Grunde gehen. Es war der Neid, der ihn tötete, der Neid und der Eigennutz, und ſchuldig oder nicht, mich über¬ wältigt ſeine Größe. “
Victoire lächelte. „ Wer ſie ſo hörte, lieber Schach, könnte meinen, einen nachgebornen Templer in Ihnen zu ſehen. Und doch war es ein mönchiſcher Orden, und mönchiſch war auch ſein Gelübde. Hätten Sies vermocht als Templer zu leben und zu ſterben? “
„ Ja. “
„ Vielleicht verlockt durch das Kleid, das noch kleidſamer war, als die Supra-Weſte der Gensdarmes. “
„ Nicht durch das Kleid, Victoire. Sie verkennen59 mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das mich vor keinem Gelübde zurückſchrecken läßt. “
„ Um es zu halten? “
Aber eh er noch antworten konnte, fuhr ſie raſch in wieder ſcherzhafter werdendem Tone fort: „ Ich glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Ge¬ wiſſen. Sonderbar, daß alle hiſtoriſchen Perſonen, die den Beinamen des ‚ Schönen‘ führen, mir un¬ ſympathiſch ſind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber die Schönheit, das muß wahr ſein, macht ſelbſtiſch, und wer ſelbſtiſch iſt, iſt undankbar und treulos. “
Schach ſuchte zu widerlegen. Er wußte, daß ſich Victoirens Worte, ſo ſehr ſie Piquanterien und Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn ge¬ richtet haben konnten. Und darin traf ers auch. Es war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit gegen ihren Hang zu philoſophieren. Und doch, alles was ſie geſagt hatte, ſo gewiß es abſichtslos geſagt worden war, ſo gewiß war es doch auch aus einer dunklen Ahnung heraus geſprochen worden.
Als ihr Streit ſchwieg, hatte man den Dorf¬ eingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau von Carayon und Tante Marguerite, die ſich beide verſäumt hatten, zu warten.
Als ſie heran waren, bot er der Frau von Carayon den Arm, und führte dieſe bis an das Gaſthaus zurück.
60Victoire ſah ihnen betroffen nach, und ſann nach über den Tauſch, den Schach mit keinem Worte der Entſchuldigung begleitet hatte. „ Was war das? “ Und ſie verfärbte ſich, als ſie ſich, aus einem plötzlichen Argwohn heraus, die ſelbſtgeſtellte Frage beant¬ wortet hatte.
Von einem Wiederplatznehmen vor dem Gaſt¬ hauſe war keine Rede mehr, und man gab es um ſo leichter und lieber auf, als es inzwiſchen kühl ge¬ worden und der Wind, der den ganzen Tag über geweht hatte, nach Nordweſten hin umgeſprungen war.
Tante Marguerite bat ſich den Rückſitz aus, „ um nicht gegen dem Winde zu fahren. “
Niemand widerſprach. So nahm ſie denn den erbetenen Platz, und während jeder in Schweigen überdachte, was ihm der Nachmittag gebracht hatte, ging es in immer raſcherer Fahrt wieder auf die Stadt zurück.
Dieſe lage ſchon in Dämmer als man bis an den Abhang der Kreuzberghöhe gekommen war und nur die beiden Gensdarmentürme ragten noch mit ihren Kuppeln aus dem graublauen Nebel empor.
Berlin, den 3. Ma chère Lisette.
Wie froh war ich, endlich von Dir zu hören, und ſo Gutes. Nicht als ob ich es anders erwartet hätte; wenige Männer hab ich kennen gelernt, die mir ſo ganz eine Garantie des Glückes zu bieten ſcheinen, wie der Deinige. Geſund, wohlwollend, anſpruchslos, und von jenem ſchönen Wiſſens - und Bildungsmaß, das ein gleich gefährliches Zuviel und Zuwenig vermeidet. Wobei ein „ Zuviel “das vielleicht noch gefährlichere iſt. Denn junge Frauen ſind nur zu geneigt, die Forderung zu ſtellen „ Du ſollſt keine andren Götter haben neben mir. “ Ich ſehe das beinah täglich bei Rombergs, und Marie weiß es ihrem klugen und liebenswürdigen Gatten62 wenig Dank, daß er über Politik und franzöſiſche Zeitungen die Viſiten und Toiletten vergißt.
Was mir allein eine Sorge machte, war Deine neue maſuriſche Heimat, ein Stück Land, das ich mir immer als einen einzigen großen Wald mit hundert Seen und Sümpfen vorgeſtellt habe. Da dacht ich denn, dieſe neue Heimat könne Dich leicht in ein melancholiſches Träumen verſetzen, das dann immer der Anfang zu Heimweh oder wohl gar zu Trauer und Thränen iſt. Und davor, ſo hab ich mir ſagen laſſen, erſchrecken die Männer. Aber ich ſehe zu meiner herzlichen Freude, daß Du auch dieſer Ge¬ fahr entgangen biſt, und daß die Birken, die Dein Schloß umſtehn, grüne Pfingſtmaien und keine Trauerbirken ſind. A propos über das Birkenwaſſer mußt Du mir gelegentlich ſchreiben. Es gehört zu den Dingen, die mich immer neugierig gemacht haben, und die kennen zu lernen mir bis dieſen Augenblick verſagt geblieben iſt.
Und nun ſoll ich Dir über uns berichten. Du frägſt teilnehmend nach all und jedem, und verlangſt ſogar von Tante Margueritens neueſter Prinzeſſin und neueſter Namensverwechslung zu hören. Ich könnte Dir gerade davon erzählen, denn es ſind keine drei Tage, daß wir (wenigſtens von dieſen Ver¬ wechslungen) ein gerüttelt und geſchüttelt Maß gehabt haben.
63Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte, weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir ſie jeden Dienſtag als Gaſt in unſrem Hauſe ſehn. Sie war denn auch mit uns in der „ Kürche “, wo ſie, beim Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholiſchen Zeit her, nicht nur beſtändig auf Ausrottung des Aberglaubens drang, ſondern ſich mit eben dieſem Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie wenn dieſer im Konſiſtorium ſäße. Und da leg ich denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend habe, mir alles gleich leibhaftig vorzuſtellen) während des Schreibens die Feder hin, um mich erſt herzlich auszulachen. Au fond freilich iſt es viel weniger lächerlich, als es im erſten Augenblick erſcheint. Er hat etwas konſiſtorialrätlich Feierliches, und wenn mich nicht alles täuſcht, ſo iſt es gerade dies Feier¬ liche, was Bülow ſo ſehr gegen ihn einnimmt. Viel, viel mehr als der Unterſchied der Meinungen.
Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner Schilderung Bülow anſchlöſſe. Wirklich, wüßteſt Dus nicht beſſer, Du würdeſt dieſer Charakteriſtik unſres Freundes nicht entnehmen können, wie ſehr ich ihn ſchätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt man milde ſein, ſich tröſten, verzeihn. Hätt ich es64 nicht gelernt, wie könnt ich leben, ich, die ich ſo gern lebe! Eine Schwäche, die (wie ich einmal ge¬ leſen) alle diejenigen haben ſollen, von denen man es am wenigſten begreift.
Aber ich ſprach von manchem Schmerzlichen, und es drängt mich, Dir davon zu erzählen.
Es war erſt geſtern auf unſrer Spazierfahrt. Als wir den Gang aus dem Dorf in die Kirche machten, führte Schach Mama. Nicht zufällig, es war arrangiert, und zwar durch mich. Ich ließ beide zurück, weil ich eine Ausſprache (Du weißt welche) zwiſchen beiden herbeiführen wollte. Solche ſtillen Abende, wo man über Feld ſchreitet, und nichts hört als das Anſchlagen der Abendglocke, heben uns über kleine Rückſichten fort und machen uns freier. Und ſind wir erſt das, ſo findet ſich auch das rechte Wort. Was zwiſchen ihnen geſprochen wurde, weiß ich nicht, jedenfalls nicht das, was geſprochen werden ſollte. Zuletzt traten wir in die Kirche, die vom Abendrot wie durchglüht war, alles gewann Leben, und es war unvergeßlich ſchön. Auf dem Heimwege tauſchte Schach, und führte mich. Er ſprach ſehr anziehend, und in einem Tone, der mir ebenſo wohl¬ that, als er mich überraſchte. Jedes Wort iſt mir noch in der Erinnerung geblieben, und giebt mir zu denken. Aber was geſchah? Als wir wieder am Eingange des Dorfes waren, wurd er ſchweigſamer,65 und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den Arm, und ſo gingen ſie durch das Dorf nach dem Gaſthauſe zurück, wo die Wagen hielten und viele Leute verſammelt waren. Es gab mir einen Stich durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es ihm peinlich geweſen ſei, mit mir und an meinem Arm unter den Gäſten zu er¬ ſcheinen. In ſeiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht freiſprechen kann, iſt es ihm unmöglich, ſich über das Gerede der Leute hinwegzuſetzen, und ein ſpöttiſches Lächeln verſtimmt ihn auf eine Woche. So ſelbſt¬ bewußt er iſt, ſo ſchwach und abhängig iſt er in dieſem einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch vor der Mama nicht, würd ich ein ſolches Bekennt¬ nis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab ich Unrecht, ſo ſage mir, daß mein Unglück mich mi߬ trauiſch gemacht habe, ſo halte mir eine Strafpredigt in allerſtrengſten Worten, und ſei verſichert, daß ich ſie mit dankbarem Auge leſen werde. Denn all ſeiner Eitelkeit unerachtet, ſchätz ich ihn wie keinen andern. Es iſt ein Satz, daß Männer nicht eitel ſein dürfen, weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir ſcheint dies über¬ trieben. Iſt aber der Satz dennoch richtig, ſo be¬ deutet Schach eine Ausnahme. Ich haſſe das Wort „ ritterlich “und habe doch kein anderes für ihn. Eines iſt er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch voll natürlichen Anſehns, und ſollte ſich mir das erfüllen,566was ich um der Mama und auch um meinetwillen wünſche, ſo würd es mir nicht ſchwer werden, mich in eine Reſpektsſtellung zu ihm hinein zu finden.
Und dazu noch eins. Du haſt ihn nie für ſehr geſcheidt gehalten, und ich meinerſeits habe nur ſchüchtern widerſprochen. Er hat aber doch die beſte Geſcheit¬ heit, die mittlere, dazu die des redlichen Mannes. Ich empfinde dies jedesmal, wenn er ſeine Fehde mit Bülow führt. So ſehr ihm dieſer überlegen iſt, ſo ſehr ſteht er doch hinter ihm zurück. Dabei fällt mir mitunter auf, wie der Groll, der ſich in unſerm Freunde regt, ihm eine gewiſſe Schlagfertigkeit, ja, ſelbſt Esprit verleiht. Geſtern hat er Sander, deſſen Perſönlichkeit Du kennſt, den Bülowſchen Sancho Panſa genannt. Die weiteren Schlußfolgerungen er¬ geben ſich von ſelbſt, und ich find es nicht übel.
Sanders Publikationen machen mehr von ſich reden, denn je; die Zeit unterſtützt das Intereſſe für eine lediglich polemiſche Litteratur. Außer von Bülow ſind auch Aufſätze von Maſſenbach und Phull er¬ ſchienen, die von den Eingeweihten als etwas Beſonderes und nie Dageweſenes ausgeprieſen werden. Alles richtet ſich gegen Öſterreich, und beweiſt aufs neue, daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht ſorgen darf. Schach iſt empört über dies anmaßliche Beſſer¬ wiſſen, wie ers nennt, und wendet ſich wieder ſeinen alten Liebhabereien zu, Kupferſtichen und Rennpferden. 67Sein kleiner Groom wird immer kleiner. Was bei den Chineſinnen die kleinen Füße ſind, ſind bei den Grooms die kleinen Proportionen überhaupt. Ich meinerſeits verhalte mich ablehnend gegen beide, ganz beſonders aber gegen die chineſiſch eingeſchnürten Füßchen, und bin umgekehrt froh, in einem bequemen Pantoffel zu ſtecken. Führen, ſchwingen werd ich ihn nie; das überlaſſ ich meiner teuren Liſette. Thu es mit der Milde, die Dir eigen iſt. Empfiehl mich Deinem teuren Manne, der nur den einen Fehler hat, Dich mir entführt zu haben. Mama grüßt und küßt ihren Liebling, ich aber lege Dir den Wunſch ans Herz, vergiß in der Fülle des Glücks, die Dir zu Teil wurde, nicht ganz Deine, wie Du weißt auf ein bloßes Pflichtteil des Glückes geſetzte Victoire.
5*An demſelben Abend, an dem Victoire von Ca¬ rayon ihren Brief an Liſette von Perbandt ſchrieb, empfing Schach in ſeiner in der Wilhelmſtraße gelegenen Wohnung ein Einladungs¬ billet von der Hand des Prinzen Louis.
Es lautete:
„ Lieber Schach. Ich bin erſt ſeit drei Tagen hier im Moabiter Land und dürſte bereits nach Beſuch und Geſpräch. Eine Viertelmeile von der Hauptſtadt, hat man ſchon die Hauptſtadt nicht mehr und verlangt nach ihr. Darf ich für morgen auf Sie rechnen? Bülow und ſein verlegeriſcher Anhang haben zugeſagt, auch Maſſenbach und Phull. Alſo lauter Oppoſition, die mich erquickt, auch wenn ich ſie bekämpfe. Von69 Ihrem Regiment werden Sie noch Noſtitz und Alvensleben treffen. Im Interimsrock und um 5 Uhr. Ihr Louis, Prinz v. Pr. “
Um die feſtgeſetzte Stunde fuhr Schach, nachdem er Alvensleben und Noſtitz abgeholt hatte, vor der prinzlichen Villa vor. Dieſe lag am rechten Flußufer, umgeben von Wieſen und Werftweiden, und hatte die Front, über die Spree fort, auf die Weſtliſière des Tiergartens. Anfahrt und Aufgang waren von der Rückſeite her. Eine breite, mit Teppich belegte Treppe führte bis auf ein Podium und von dieſem auf einen Vorflur, auf dem die Gäſte vom Prinzen empfangen wurden. Bülow und Sander waren bereits da, Maſſen¬ bach und Phull dagegen hatten ſich entſchuldigen laſſen. Schach war es zufrieden, fand ſchon Bülow mehr als genug, und trug kein Verlangen die Zahl der Genia¬ litätsleute verſtärkt zu ſehen. Es war heller Tag noch, aber in dem Speiſeſaal, in den ſie von dem Veſtibul aus eintraten, brannten bereits die Lichter und waren (übrigens bei offenſtehenden Fenſtern) die Jalouſien geſchloſſen. Zu dieſem künſtlich hergeſtellten Licht, in das ſich von außen her ein Tagesſchimmer miſchte, ſtimmte das Feuer, in dem in der Mitte des Saales befindlichen Kamine. Vor eben dieſem, ihm den Rücken zukehrend, ſaß der Prinz, und ſah, zwiſchen den offenſtehenden Jalouſiebrettchen hindurch, auf die Bäume des Tiergartens.
70„ Ich bitte fürlieb zu nehmen, “begann er, als die Tafelrunde ſich arrangiert hatte. „ Wir ſind hier auf dem Lande; das muß als Entſchuldigung dienen, für alles was fehlt., A la guerre, comme à la guerre. ‘ Maſſenbach, unſer Gourmé, muß übrigens etwas der¬ art geahnt, reſpektive gefürchtet haben. Was mich auch nicht überraſchen würde. Heißt es doch, lieber Sander, Ihr guter Tiſch habe mehr noch als Ihr guter Verlag die Freundſchaft zwiſchen ihnen beſiegelt. “
„ Ein Satz, dem ich kaum zu widerſprechen wage, Königliche Hoheit. “
„ Und doch müßten Sies eigentlich. Ihr ganzer Verlag hat keine Spur von jenem, laisser passer‘, das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller geſättigten Leute iſt. Ihre Genies (Pardon, Bülow) ſchreiben alle wie Hungrige. Meinetwegen. Unſre Paradeleute geb ich Ihnen Preis, aber daß Sie mir auch die Öſterreicher ſo ſchlecht behandeln, das mißfällt mir. “
„ Bin ich es, Königliche Hoheit? Ich, für meine Perſon, habe nicht die Prätenſion höherer Strategie. Nebenher freilich, möcht ich, ſo zu ſagen aus meinem Verlage heraus, die Frage ſtellen dürfen: „ war Ulm etwas Kluges? “
„ Ach, mein lieber Sander, was iſt klug? Wir Preußen bilden uns beſtändig ein, es zu ſein; und wiſſen Sie, was Napoleon über unſre vorjährige thüringiſche Aufſtellung geſagt hat? Noſtitz, wieder¬71 holen Sies! .. Er will nicht. Nun, ſo muß ich es ſelber thun., Ah, ces Prussiens‘ hieß es, ‚ ils sont encore plus stupides, que les Autrichiens‘. Da haben Sie Kritik über unſere vielgeprieſene Klugheit, noch dazu Kritik von einer allerberufenſten Seite her. Und hätt ers damit getroffen, ſo müßten wir uns ſchließlich zu dem Frieden noch beglückwünſchen, den uns Haugwitz erſchachert hat. Ja, erſchachert. Er¬ ſchachert, indem er für ein Mitbringſel unſre Ehre preisgab. Was ſollen wir mit Hannover? Es iſt der Brocken, an dem der preußiſche Adler erſticken wird. “
„ Ich habe zu der Schluck - und Verdauungskraft unſres preußiſchen Adlers ein beſſeres Vertrauen, “er¬ widerte Bülow. „ Gerade das kann er und verſteht er von alten Zeiten her. Indeſſen darüber mag ſich ſtreiten laſſen; worüber ſich aber nicht ſtreiten läßt, das iſt der Friede, den uns Haugwitz gebracht hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und mußten ihn haben, ſo lieb uns unſer Leben iſt. König¬ liche Hoheit haben freilich einen Haß gegen den armen Haugwitz, der mich inſoweit überraſcht, als dieſer Lom¬ bard, der doch die Seele des Ganzen iſt, von jeher Gnade vor Eurer Königl. Hoheit Augen gefunden hat. “
„ Ah, Lombard! Den Lombard nehm ich nicht ernſthaft, und ſtell ihm außerdem noch in Rechnung, daß er ein halber Franzoſe iſt. Dazu hat er eine Form des Witzes, die mich entwaffnet. Sie wiſſen72 doch, ſein Vater war Friſeur und ſeiner Frau Vater ein Barbier. Und nun kommt eben dieſe Frau, die nicht nur eitel iſt bis zum Närriſchwerden, ſondern auch noch ſchlechte franzöſiſche Verſe macht, und fragt ihn, was ſchöner ſei:, L'hirondelle frise la surface des eaux‘ oder, l'hirondelle rase la sur¬ face des eaux?‘ Und was antwortet er? ‚ Ich ſehe keinen Unterſchied, meine Teure; l'hirondelle frise huldigt meinem Vater und l'hirondelle rase dem Deinigen. ‘ In In dieſem Bonmot haben Sie den ganzen Lombard. Was mich aber perſönlich angeht, ſo bekenn ich Ihnen offen, daß ich einer ſo witzigen Selbſtperſiflage nicht widerſtehen kann. Er iſt ein Poliſſon, kein Charakter. “
„ Vielleicht, daß ſich ein Gleiches auch von Haug¬ witz ſagen ließe, zum Guten wie zum Schlimmen. Und wirklich, ich geb Eurer K. Hoheit den Mann preis. Aber nicht ſeine Politik. Seine Politik iſt gut, denn ſie rechnet mit gegebenen Größen. Und Eure K. Hoheit wiſſen das beſſer als ich. Wie ſteht es denn in Wahrheit mit unſren Kräften? Wir leben von der Hand in den Mund und warum? weil der Staat Friedrichs des Großen nicht ein Land mit einer Armee, ſondern eine Armee mit einem Lande iſt. Unſer Land iſt nur Standquartier und Verpflegungsmagazin. In ſich ſelber entbehrt es aller großen Reſſourcen. Siegen wir, ſo geht es; aber Kriege führen dürfen nur73 ſolche Länder, die Niederlagen ertragen können. Das können wir nicht. Iſt die Armee hin, ſo iſt alles hin. Und wie ſchnell eine Armee hin ſein kann, das hat uns Auſterlitz gezeigt. Ein Hauch kann uns töten, gerad auch uns., Er blies, und die Armada zerſtob in alle vier Winde. ' Afflavit Deus et dissipati sunt. “
„ Herr v. Bülow, “unterbrach hier Schach, „ möge mir eine Bemerkung verzeihn. Er wird doch, denk ich, in dem Höllenbrodem, der jetzt über die Welt weht, nicht den Odem Gottes erkennen wollen, nicht den, der die Armada zerblies. “
„ Doch, Herr v. Schach. Oder glauben Sie wirklich, daß der Odem Gottes im Spezialdienſte des Proteſtantismus, oder gar Preußens und ſeiner Armee ſteht? “
„ Ich hoffe, ja. “
„ Und ich fürchte, nein. “ Wir haben die, pro¬ preſte Armee‘, das iſt alles. Aber mit der, Propre¬ tät‘ gewinnt man keine Schlachten. Erinnern ſich Königliche Hoheit der Worte des großen Königs, als General Lehwald ihm ſeine dreimal geſchlagenen Re¬ gimenter in Parade vorführte?, Propre Leute‘ hieß es., Da ſeh 'Er meine. Sehen aus wie die Gras¬ deibel, aber beißen. ‘ Ich fürchte, wir haben jetzt zu viel Lehwaldſche Regimenter und zu wenig alten¬74 fritzige. Der Geiſt iſt heraus, alles iſt Dreſſur und Spielerei geworden. Giebt es doch Offiziere, die, der bloßen Prallheit und Drallheit halber, ihren Uniform¬ rock direkt auf dem Leibe tragen. Alles Unnatur. Selbſt das Marſchieren-können, dieſe ganz gewöhnliche Fähigkeit des Menſchen, die Beine zu ſetzen, iſt uns in dem ewigen Paradeſchritt verloren gegangen. Und Marſchieren-können iſt jetzt die erſte Bedingung des Erfolges. Alle modernen Schlachten ſind mit den Beinen gewonnen worden. “
„ Und mit Gold “unterbrach hier der Prinz. „ Ihr großer Empereur, lieber Bülow, hat eine Vor¬ liebe für kleine Mittel. Ja, für allerkleinſte. Daß er lügt, iſt ſicher. Aber er iſt auch ein Meiſter in der Kunſt der Beſtechung. Und wer hat uns die Augen darüber geöffnet? Er ſelber. Leſen Sie, was er unmittelbar vor der Auſterlitzer Bataille ſagte., Soldaten‘ hieß es, ‚ der Feind wird marſchieren und unſre Flanke zu gewinnen ſuchen; bei dieſer Marſch¬ bewegung aber wird er die ſeinige preisgeben. Wir werden uns auf dieſe ſeine Flanke werfen, und ihn ſchla¬ gen und vernichten. ‘ Und genau ſo verlief die Schlacht. Es iſt unmöglich, daß er aus der bloßen Aufſtellung der Öſterreicher auch ſchon ihren Schlachtplan erraten haben könnte. “
Man ſchwieg. Da dies Schweigen aber dem lebhaften Prinzen um vieles peinlicher war als75 Widerſpruch, ſo wandt er ſich direkt an Bülow und ſagte: „ Widerlegen Sie mich. “
„ Königliche Hoheit befehlen und ſo gehorch ich denn. Der Kaiſer wußte genau was geſchehen werde, konnt es wiſſen, weil er ſich die Frage, was thut hier die Mittelmäßigkeit‘ in vorausberechnender Weiſe nicht blos geſtellt, ſondern auch beantwortet hatte. Die höchſte Dummheit, wie zuzugeſtehen iſt, entzieht ſich ebenſo der Berechnung wie die höchſte Klugheit, — das iſt eine von den großen Seiten der echten und unverfälſchten Stupidität. Aber jene ‚ Mittelklugen‘, die gerade klug genug ſind, um von der Luſt ‚ es auch einmal mit etwas Geiſtreichem zu probieren‘, an¬ gewandelt zu werden, dieſe Mittelklugen ſind allemal am leichteſten zu berechnen. Und warum? Weil ſie jederzeit nur die Mode mitmachen und heute kopieren, was ſie geſtern ſahn. Und das alles wußte der Kaiſer. Hic haeret. Er hat ſich nie glänzender bewährt, als in dieſer Auſterlitzer Aktion, auch im Nebenſächlichen nicht, auch nicht in jenen Impromptus und witzigen Einfällen auf dem Gebiete des Grauſigen, die ſo recht eigentlich das Kennzeichen des Genies ſind. “
„ Ein Beiſpiel. “
„ Eines für hundert. Als das Centrum ſchon durchbrochen war, hatte ſich ein Teil der ruſſiſchen Garde, vier Bataillone, nach ebenſo viel gefrornen Teichen hin zurückgezogen, und eine franzöſiſche76 Batterie fuhr auf, um mit Kartätſchen in die Bataillone hineinzufeuern. In dieſem Augenblick er¬ ſchien der Empereur. Er überblickte ſofort das Be¬ ſondere der Lage. ‚ Wozu hier ein ſich Abmühen en détail?‘ Und er befahl mit Vollkugeln auf das Eis zu ſchießen. Eine Minute ſpäter und das Eis barſt und brach, und alle vier Bataillone gingen en carré in die moraſtige Tiefe. Solche vom Moment ein¬ gegebenen Blitze hat nur immer das Genie. Die Ruſſen werden ſich jetzt vornehmen, es bei nächſter Gelegenheit ebenſo zu machen, aber wenn Kutuſow auf Eis wartet, wird er plötzlich in Waſſer oder Feuer ſtecken. Öſterreichiſch-ruſſiſche Tapferkeit in Ehren, nur nicht ihr Ingenium. Irgendwo heißt es: ‚ In meinem Wolfstorniſter, Regt ſich des Teufels Küſter, Ein Kobold, heißt ‚ Genie‘ — nun, in dem ruſſiſch¬ öſterreichiſchen Torniſter iſt dieſer ‚ Kobold und Teufels¬ küſter‘ nie und nimmer zu Hauſe geweſen. Und um dies Manko zu kaſſieren, bedient man ſich der alten, elenden Troſtgründe: Beſtechung und Verräterei. Jedem Beſiegten wird es ſchwer, den Grund ſeiner Niederlagen an der einzig richtigen Stelle, nämlich in ſich ſelbſt zu ſuchen, und auch Kaiſer Alexander, mein ich, verzichtet auf ein ſolches Nachforſchen am recht eigentlichſten Platz. “
„ Und wer wollt ihm darüber zürnen? “antwortete Schach. „ Er that das ſeine, ja mehr. Als die Höhe77 ſchon verloren und doch andrerſeits die Möglichkeit einer Wiederherſtellung der Schlacht noch nicht ge¬ ſchwunden war, ging er klingenden Spiels an der Spitze neuer Regimenter vor; ſein Pferd ward ihm unter dem Leibe erſchoſſen, er beſtieg ein zweites, und eine halbe Stunde lang ſchwankte die Schlacht. Wahre Wunder der Tapferkeit wurden verrichtet, und die Franzoſen ſelbſt haben es in enthuſiaſtiſchen Aus¬ drücken anerkannt. “
Der Prinz, der, bei der vorjährigen Berliner Anweſenheit des unausgeſetzt als deliciae generis humani geprieſenen Kaiſers, keinen allzu günſtigen Eindruck von ihm empfangen hatte, fand es einiger¬ maßen unbequem, den „ liebenswürdigſten der Menſchen “auch noch zum „ heldiſchſten “erhoben zu ſehen. Er lächelte deshalb und ſagte: „ Seine kaiſerliche Majeſtät in Ehren, ſo ſcheint es mir doch, lieber Schach, als ob Sie franzöſiſchen Zeitungsberichten mehr Gewicht beilegten, als ihnen beizulegen iſt. Die Franzoſen ſind kluge Leute. Je mehr Rühmens ſie von ihrem Gegner machen, deſto größer wird ihr eigner Ruhm, und dabei ſchweig ich noch von allen möglichen politiſchen Gründen, die jetzt ſicherlich mitſprechen. ‚ Man ſoll ſeinem Feinde goldene Brücken bauen ‛, ſagt das Sprichwort, und ſagt es mit Recht, denn, wer heute mein Feind war, kann morgen mein Verbündeter ſein. Und in der That, es ſpukt ſchon78 dergleichen, ja, wenn ich recht unterrichtet bin, ſo ver¬ handelt man bereits über eine neue Teilung der Welt, will ſagen über die Wiederherſtellung eines morgen¬ ländiſchen und abendländiſchen Kaiſertums. Aber laſſen wir Dinge, die noch in der Luft ſchweben, und erklären wir uns das dem Heldenkaiſer geſpendete Lob lieber einfach aus dem Rechnungsſatze: ‚ wenn der unterlegene ruſſiſche Mut einen vollen Centner wog, ſo wog der ſiegreich franzöſiſche natürlich zwei‘ “
Schach, der, ſeit Kaiſer Alexanders Beſuch in Berlin, das Andreaskreuz trug, biß ſich auf die Lippen und wollte replizieren. Aber Bülow kam ihm zuvor und bemerkte: „ Gegen, unter dem Leibe erſchoſſene Kaiſerpferde‘ bin ich überhaupt immer mißtrauiſch. Und nun gar hier. All dieſe Lobeserhebungen müſſen Seine Majeſtät ſehr in Verlegenheit gebracht haben, denn es giebt ihrer zu viele, die das Gegenteil bezeugen können. Er iſt der ‚ gute Kaiſer‘ und damit Baſta. “
„ Sie ſprechen das ſo ſpöttiſch, Herr v. Bülow, “antwortete Schach. „ Und doch frag ich Sie, giebt es einen ſchöneren Titel? “
„ O gewiß giebt es den. Ein wirklich großer Mann wird nicht um ſeiner Güte willen gefeiert und noch weniger danach benannt. Er wird umgekehrt ein Gegenſtand beſtändiger Verleumdungen ſein. Denn das Gemeine, das überall vorherrſcht, liebt nur das, was ihm gleicht. Brenkenhof, der, trotz ſeiner Para¬79 doxien, mehr geleſen werden ſollte, als er geleſen wird, behauptet geradezu, ‚ daß in unſerm Zeitalter die beſten Menſchen die ſchlechteſte Reputation haben müßten‘. Der gute Kaiſer! Ich bitte Sie. Welche Augen wohl König Friedrich gemacht haben würde, wenn man ihn den ‚ guten Friedrich‘ genannt hätte. “
„ Bravo, Bülow, “ſagte der Prinz, und grüßte mit dem Glaſe hinüber. „ Das iſt mir aus der Seele geſprochen. “
Aber es hätte dieſes Zuſpruches nicht bedurft. „ Alle Könige, “fuhr Bülow in wachſendem Eifer fort, „ die den Beinamen des ‚ guten‘ führen, ſind ſolche, die das ihnen anvertraute Reich zu Grabe getragen oder doch bis an den Rand der Revolution gebracht haben. Der letzte König von Polen war auch ein ſogenannter ‚ guter‘. In der Regel haben ſolche Fürſtlichkeiten einen großen Harem und einen kleinen Verſtand. Und geht es in den Krieg, ſo muß irgend eine Kleopatra mit ihnen, gleichviel mit oder ohne Schlange. “
„ Sie meinen doch nicht, Herr von Bülow, “ent¬ gegnete Schach, „ durch Auslaſſungen wie dieſe, den Kaiſer Alexander charakteriſiert zu haben. “
„ Wenigſtens annähernd. “
„ Da wär ich doch neugierig. “
„ Es iſt zu dieſem Behufe nur nötig, ſich den letzten Beſuch des Kaiſers in Berlin und Potsdam80 zurückzurufen. Um was handelte ſichs? Nun, an¬ erkanntermaßen um nichts Kleines und Alltägliches, um Abſchluß eines Bündniſſes auf Leben und Tod, und wirklich, bei Fackellicht trat man in die Gruft Friedrichs des Großen, um ſich, über dem Sarge desſelben, eine halbmyſtiſche Blutsfreundſchaft zu¬ zuſchwören. Und was geſchah unmittelbar danach? Ehe drei Tage vorüber waren, wußte man, daß der aus der Gruft Friedrichs des Großen glücklich wieder ans Tageslicht geſtiegene Kaiſer, die fünf an¬ erkannteſten beautés des Hofes in eben ſo viele Schönheitskategorien gebracht habe: beauté coquette und beauté triviaile, beauté céleste und beauté du diable, und endlich fünftens, beauté, qui inspire seul du vrai sentiment‘. Wobei wohl jeden die Neugier angewandelt haben mag, das Allerhöchſte ‚ vrai sentiment‘ kennen zu lernen. “
All dieſe Sprünge Bülows hatten die Hei¬ terkeit des Prinzen erregt, der denn auch eben mit einem ihm bequem liegenden Capriccio über beauté céleste und beauté du diable beginnen wollte, als er, vom Korridor her, unter dem halbzurückgeſchlagenen Portièrenteppich, einen ihm wohlbekannten kleinen Herrn von unverkennbaren Künſtlerallüren erſcheinen und gleich danach ein¬ treten ſah.
„ Ah, Duſſek, das iſt brav, “begrüßte ihn der Prinz. „ Mieux vaut tard que jamais. Rücken Sie ein. Hier. Und nun bitt ich alles was an Süßigkeiten noch da iſt, in den Bereich unſres Künſt¬ lerfreundes bringen zu wollen. Sie finden noch682tutti quanti, lieber Duſſek. Keine Einwendungen. Aber was trinken Sie? Sie haben die Wahl. Aſti, Montefiascone, Tokayer. “
„ Irgend einen Ungar. “
„ Herben? “
Duſſek lächelte.
„ Thörichte Frage, “korrigierte ſich der Prinz und fuhr in geſteigerter guter Laune fort: „ Aber nun, Duſſek, erzählen Sie. Theaterleute haben, die Tugend ſelber ausgenommen, allerlei Tugenden, und unter dieſen auch die der Mitteilſamkeit. Sie bleiben einem auf die Frage ‚ was Neues ‛ ſelten eine Antwort ſchuldig. “
„ Und auch heute nicht, Königliche Hoheit, “ant¬ wortete Duſſek, der, nachdem er genippt hatte, eben ſein Bärtchen putzte.
„ Nun, ſo laſſen Sie hören. Was ſchwimmt obenauf? “
„ Die ganze Stadt iſt in Aufregung. Verſteht ſich, wenn ich ſage, ‚ die ganze Stadt ‛, ſo mein ich das Theater. “
„ Das Theater iſt die Stadt. Sie ſind alſo ge¬ rechtfertigt. Und nun weiter. “
„ Königliche Hoheit befehlen. Nun denn, wir ſind in unſrem Haupt und Führer empfindlich ge¬ kränkt worden und haben denn auch aus eben dieſem Grunde nicht viel weniger als eine kleine Theater¬ emeute gehabt. 83Das alſo, hieß es, ſeien die neuen Zeiten, das ſei das bürgerliche Regiment, das ſei der Reſpekt vor den preußiſchen, belles lettres et beaux arts. ‘ Eine ‚ Huldigung der Künſte‘ laſſe man ſich gefallen, aber eine Huldigung gegen die Künſte, die ſei ſo fern wie je. “
„ Lieber Duſſek, “unterbrach der Prinz, „ Ihre Reflexionen in Ehren. Aber da Sie gerade von Kunſt ſprechen, ſo muß ich Sie bitten, die Kunſt der Retardierung nicht übertreiben zu wollen. Wenn es alſo möglich iſt, Thatſachen. Um was handelt es ſich? “
„ Iffland iſt geſcheitert. Er wird den Orden, von dem die Rede war, nicht erhalten. “
Alles lachte, Sander am herzlichſten, und Noſtitz ſkandierte: „ Parturiunt montes nascetur ridiculus
Aber Duſſek war in wirklicher Erregung, und dieſe wuchs noch unter der Heiterkeit ſeiner Zuhörer. Am meiſten verdroß ihn Sander. „ Sie lachen, San¬ der. Und doch trifft es in dieſem Kreiſe nur Sie und mich. Denn gegen wen anders iſt die Spitze gerichtet, als gegen das Bürgertum überhaupt. “
Der Prinz reichte dem Sprecher über den Tiſch hin die Hand. „ Recht, lieber Duſſek. Ich liebe ſolch Eintreten. Erzählen Sie. Wie kam es? “
„ Vor allem ganz unerwartet. Wie ein Blitz aus6*84heitrem Himmel. Königliche Hoheit wiſſen, daß ſeit lange von einer Dekorierung die Rede war, und wir freuten uns, alles Künſtlerneides vergeſſend, als ob wir den Orden mitempfangen und mittragen ſollten. In der That, alles ließ ſich gut an, und die, Weihe der Kraft, ‘für deren Aufführung der Hof ſich in¬ tereſſiert, ſollte den Anſtoß und zugleich die ſpezielle Gelegenheit geben. Iffland iſt Maçon (auch das ließ uns hoffen), die Loge nahm es energiſch in die Hand, und die Königin war gewonnen. Und nun doch geſcheitert. Eine kleine Sache, werden Sie ſagen; aber nein, meine Herren, es iſt eine große Sache. Dergleichen iſt immer der Strohhalm, an dem man ſieht, woher der Wind weht. Und er weht bei uns nach wie vor von der alten Seite her. Chi va piano va sano, ſagt das Sprichwort. Aber im Lande Preußen heißt es ‚ pianissimo. ‘
„ Geſcheitert, ſagten Sie, Duſſek. Aber geſcheitert woran? “
„ An dem Einfluß der Hofgeneralität. Ich habe Rüchels Namen nennen hören. Er hat den Gelehrten geſpielt und darauf hingewieſen, wie niedrig das Hiſtrionentum immer und ewig in der Welt geſtanden habe, mit alleiniger Ausnahme der neroniſchen Zeiten. Und die könnten doch kein Vorbild ſein. Das half. Denn welcher allerchriſtlichſte König will Nero ſein oder auch nur ſeinen Namen hören. Und ſo wiſſen85 wir denn, daß die Sache vorläufig ad acta verwieſen iſt. Die Königin iſt chagriniert, und an dieſem Aller¬ höchſten Chagrin müſſen wir uns vorläufig genügen laſſen. Neue Zeit und alte Vorurteile. “
„ Lieber Kapellmeiſter, “ſagte Bülow, „ ich ſehe zu meinem Bedauern, daß Ihre Reflexionen Ihren Empfindungen weit vorauf ſind. Übrigens iſt das das Allgemeine. Sie ſprechen von Vorurteilen, in denen wir ſtecken, und ſtecken ſelber drin. Sie, ſamt ihrem ganzen Bürgertum, das keinen neuen freien Geſellſchaftszuſtand ſchaffen, ſondern ſich nur eitel und eiferſüchtig in die bevorzugten alten Klaſſen einreihen will. Aber damit ſchaffen Sies nicht. An die Stelle der Eiferſüchtelei, die jetzt das Herz unſres dritten Standes verzehrt, muß eine Gleichgiltigkeit gegen alle dieſe Kindereien treten, die ſich einfach überlebt haben. Wer Geſpenſter wirklich ignoriert, für den giebt es keine mehr, und wer Orden ingnoriert, der arbeitet an ihrer Ausrottung. Und dadurch an Ausrottung einer wahren Epidemie .. “
„ Wie Herr von Bülow umgekehrt an Errichtung eines neuen Königreichs Utopien arbeitet, “unterbrach Sander. „ Ich meinerſeits nehme vorläufig an, daß die Krankheit, von der er ſpricht, in der Richtung von Oſten nach Weſten immer weiter wachſen, aber nicht umgekehrt in der Richtung von Weſten nach Oſten hin abſterben wird. Im Geiſte ſeh ich vielmehr86 immer neue Multiplikationen, und das Erblühen einer Ordens-Flora mit 24 Klaſſen wie das Linnéſche Syſtem. “
Alle traten auf die Seite Sanders, am ent¬ ſchiedenſten der Prinz. Es müſſe durchaus etwas in der menſchlichen Natur ſtecken, das, wie beiſpielsweiſe der Hang zu Schmuck und Putz, ſich auch zu dieſer Form der Quincaillerie hingezogen fühle. „ Ja, “ſo fuhr er fort, „ es giebt kaum einen Grad der Klugheit, der davor ſchützt. Sie werden doch alle Kalkreuth für einen klugen Mann halten, ja mehr, für einen Mann, der, wie wenige, von dem ‚ Alles iſt eitel‘ unſres Thuns und Trachtens durchdrungen ſein muß. Und doch, als er den roten Adler erhielt, während er den ſchwarzen erwartet hatte, warf er ihn wütend ins Schubfach und ſchrie:, Da liege, bis du ſchwarz wirſt. ‘ Eine Farbenänderung, die ſich denn auch mittlerweiſe vollzogen hat.
„ Es iſt mit Kalkreuth ein eigen Ding, “erwiderte Bülow, „ und offen geſtanden, ein andrer unſrer Generäle, der geſagt haben ſoll: ‚ ich gäbe den ſchwarzen drum, wenn ich den roten wieder los wäre, ‘gefällt mir noch beſſer. Übrigens bin ich minder ſtreng, als es den Anſchein hat. Es giebt auch Auszeichnungen, die nicht als Auszeichnung anſehn zu wollen, einfach Beſchränktheit oder niedrige Geſinnung wäre. Admiral Sidney Smith, berühmter Verteidiger von St. Jean87 d'Acre und Verächter aller Orden, legte doch Wert auf ein Schauſtück, das ihm der Biſchof von Acre mit den Worten überreicht hatte: ‚ Wir empfingen dieſes Schauſtück aus den Händen König Richards Coeur de Lion, und geben es, nach ſechshundert Jahren, einem ſeiner Landsleute zurück, der, helden¬ mütig wie er, unſre Stadt verteidigt hat. ‘ Und ein Elender und Narr, ſetz ich hinzu, der ſich einer ſolchen Auszeichnung nicht zu freuen verſteht. “
„ Schätze mich glücklich, ein ſolches Wort aus Ihrem Munde zu hören, “erwiderte der Prinz. „ Es beſtärkt mich in meinen Gefühlen für Sie, lieber Bülow, und iſt mir, Pardon, ein neuer Beweis, daß der Teufel nicht halb ſo ſchwarz iſt, als er gemalt wird. “
Der Prinz wollte weiter ſprechen. Als aber in eben dieſem Augenblick einer der Diener an ihn heran trat und ihm zuflüſterte, daß der Rauchtiſch arrangiert und der Kaffee ſerviert ſei, hob er die Tafel auf, und führte ſeine Gäſte, während er Bülows Arm nahm, auf den an den Eßſaal angebauten Balkon. Eine große, blau und weiß geſtreifte Marquiſe, deren Ringe luſtig im Winde klapperten, war ſchon vorher herabgelaſſen worden, und unter ihren weit nieder¬ hängenden Frangen hinweg, ſah man, flußaufwärts, auf die halb im Nebel liegenden Türme der Stadt, flußabwärts aber auf die Charlottenburger Park¬88 bäume, hinter deren eben ergrünendem Gezweige die Sonne niederging. Jeder blickte ſchweigend in das anmutige Landſchaftsbild hinaus, und erſt als die Dämmrung angebrochen und eine hohe Sinumbralampe gebracht worden war, nahm man Platz und ſetzte die holländiſchen Pfeifen in Brand, unter denen jeder nach Gefallen wählte. Duſſek allein, weil er die Muſikpaſſion des Prinzen kannte, war phantaſierend an dem im Eßſaale ſtehenden Flügel zurückgeblieben, und ſah nur, wenn er den Kopf zur Seite wandte, die jetzt draußen wieder lebhafter plaudernden Tiſch¬ genoſſen und ebenſo die Lichtfunken, die von Zeit zu Zeit aus ihren Thonpfeifen aufflogen.
Das Geſpräch hatte das Ordensthema nicht wieder aufgenommen, wohl aber ſich der erſten Ver¬ anlaſſung desſelben, alſo Iffland und dem in Sicht ſtehenden neuen Schauſpiele zugewandt, bei welcher Gelegenheit Alvensleben bemerkte, „ daß er einige der in den Text eingeſtreuten Geſangsſtücke während dieſer letzten Tage kennen gelernt habe. Gemeinſchaftlich mit Schach. Und zwar im Salon der liebenswür¬ digen Frau v. Carayon und ihrer Tochter Victoire. Dieſe habe geſungen und Schach begleitet. “
„ Die Carayons, “nahm der Prinz das Wort. „ Ich höre keinen Namen jetzt öfter als den. Meine teure Freundin Pauline, hat mir ſchon früher von beiden Damen erzählt, und neuerdings auch die Rahel. Alles89 vereinigt ſich, mich neugierig zu machen und An¬ knüpfungen zu ſuchen, die ſich, mein ich, unſchwer werden finden laſſen. Entſinn ich mich doch des ſchönen Fräuleins vom Maſſowſchen Kinderballe her, der, nach Art aller Kinderbälle, des Vorzugs genoß, eine ganz beſondre Schauſtellung erwachſener und voll erblühter Schönheiten zu ſein. Und wenn ich ſage,, voll erblühter‘, ſo ſag ich noch wenig. In der That, an keinem Ort und zu keiner Zeit hab ich je ſo ſchöne Dreißigerinnen auftreten ſehen, als auf Kin¬ derbällen. Es iſt, als ob die Nähe der bewußt oder unbewußt auf Umſturz ſinnenden Jugend, alles, was heute noch herrſcht, doppelt und dreifach anſpornte, ſein Übergewicht geltend zu machen, ein Übergewicht, das vielleicht morgen ſchon nicht mehr vorhanden iſt. Aber gleichviel, meine Herren, es wird ſich ein für allemal ſagen laſſen, daß Kinderbälle nur für Er¬ wachſene da ſind, und dieſer intereſſanten Erſcheinung in ihren Urſachen nachzugehen, wäre ſo recht eigentlich ein Thema für unſren Gentz. Ihr philoſophiſcher Freund Buchholtz, lieber Sander, iſt mir zu ſolchem Spiele nicht graziös genug. Übrigens nichts für ungut; er iſt Ihr Freund. “
„ Aber doch nicht ſo, “lachte Sander, „ daß ich nicht jeden Augenblick bereit wäre, ihn Eurer König¬ lichen Hoheit zu opfern. Und wie mir bei dieſer Ge¬ legenheit geſtattet ſein mag, hinzuzuſetzen, nicht bloß90 aus einem allerſpeziellſten, ſondern auch noch aus einem ganz allgemeinen Grunde. Denn wenn die Kinderbälle, nach Anſicht und Erfahrung Euer König¬ lichen Hoheit, eigentlich am beſten ohne Kinder be¬ ſtehen, ſo die Freundſchaften am beſten ohne Freunde. Die Surrogate bedeuten überhaupt alles im Leben, und ſind recht eigentlich die letzte Weisheitseſſenz. “
„ Es muß ſehr gut mit Ihnen ſtehn, lieber San¬ der, “entgegnete der Prinz, „ daß Sie ſich zu ſolchen Ungeheuerlichkeiten offen bekennen können. Mais révenons à notre belle Victoire. Sie war unter den jungen Damen, die durch lebende Bilder das Feſt damals einleiteten, und ſtellte, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, eine Hebe dar, die dem Zeus eine Schale reichte. Ja, ſo war es, und indem ich davon ſpreche, tritt mir das Bild wieder deutlich vor die Seele. Sie war kaum fünfzehn, und von jener Taille, die jeden Augenblick zu zerbrechen ſcheint. Aber ſie zerbrechen nie. ‚ Comme un ange‘, ſagte der alte Graf Neale, der neben mir ſtand, und mich durch eine Begeiſtrung langweilte, die mir einfach als eine Karrikatur der meinigen erſchien. Es wäre mir eine Freude, die Bekanntſchaft der Damen erneuern zu können. “
„ Eure Königliche Hoheit würden das Fräulein Victoire nicht wieder erkennen, “ſagte Schach, dem der Ton, in dem der Prinz ſprach, wenig angenehm war. 91„ Gleich nach dem Maſſowſchen Balle wurde ſie von den Blattern befallen, und nur wie durch ein Wun¬ der gerettet. Ein gewiſſer Reiz der Erſcheinung iſt ihr freilich geblieben, aber es ſind immer nur Mo¬ mente, wo die ſeltene Liebenswürdigkeit ihrer Natur einen Schönheitsſchleier über ſie wirft, und den Zauber ihrer früheren Tage wiederherzuſtellen ſcheint. “
„ Alſo restitutio in integrum, “ſagte Sander.
Alles lachte.
„ Wenn Sie ſo wollen, ja, “antwortete Schach in einem ſpitzen Tone, während er ſich ironiſch gegen Sander verbeugte.
Der Prinz bemerkte die Verſtimmung und wollte ſie coupieren. „ Es hilft Ihnen nichts, lieber Schach. Sie ſprechen, als ob Sie mich abſchrecken wollten. Aber weit gefehlt. Ich bitte Sie, was iſt Schönheit? Einer der allervagueſten Begriffe. Muß ich Sie an die fünf Kategorien erinnern, die wir in erſter Reihe Sr. Majeſtät dem Kaiſer Alexander und in zweiter unſrem Freunde Bülow verdanken? Alles iſt ſchön und nichts. Ich perſönlich würde der beauté du diable jederzeit den Vorzug geben, will alſo ſagen einer Erſcheinungsform, die ſich mit der des ci-devant ſchönen Fräuleins von Carayon einigermaßen decken würde. “
„ Königliche Hoheit halten zu Gnaden, “entgegnete Noſtitz, „ aber es bleibt mir doch zweifelhaft, ob K. H.92 die Kennzeichen der beauté du diable an Fräulein Victoire wahrnehmen würden. Das Fräulein hat einen witzig-elegiſchen Ton, was auf den erſten Blick als ein Widerſpruch erſcheint, und doch keiner iſt, unter allen Umſtänden aber als ihr charakteriſtiſcher Zug gelten kann. Meinen Sie nicht auch, Alvensleben? “
Alvensleben beſtätigte.
Der Prinz indeſſen, der ein ſich Einbohren in Fragen über die Maaßen liebte, fuhr, indem er ſich dieſer Neigung auch heute wieder hingab, immer leb¬ hafter werdend fort: „ Elegiſch “ſagen Sie, „ witzig¬ elegiſch; ich wüßte nicht, was einer beauté du diable beſſer anſtehn könnte. Sie faſſen den Begriff offenbar zu eng, meine Herren. Alles was Ihnen dabei vor¬ ſchwebt, iſt nur eine Spielart der alleralltäglichſten Schönheitsform, der beauté coquette: das Näschen ein wenig mehr geſtubſt, der Teint ein wenig dunkler, das Temperament ein wenig raſcher, die Manieren ein wenig kühner und rückſichtsloſer. Aber damit er¬ ſchöpfen Sie die höhere Form der beauté du diable keineswegs. Dieſe hat etwas Weltumfaſſendes, das über eine bloße Teint - und Raſſenfrage weit hinaus¬ geht. Ganz wie die Katholiſche Kirche. Dieſe wie jene ſind auf ein Innerliches geſtellt, und das Inner¬ liche, das in unſerer Frage den Ausſchlag giebt, heißt Energie, Feuer, Leidenſchaft. “
Noſtitz und Sander lächelten und nickten.
93„ Ja, meine Herren, ich gehe weiter und wieder¬ hole, was iſt Schönheit?‘ Schönheit, bah! Es kann nicht nur auf die gewöhnlichen Schönheitsformen ver¬ zichtet werden ihr Fehlen kann ſogar einen allerdirekteſten Vorzug bedeuten. In der That, lieber Schach, ich habe wunderbare Niederlagen und noch wunderbarere Siege geſehn. Es iſt auch in der Liebe wie bei Morgarten und Sempach, die ſchönen Ritter werden geſchlagen und die häßlichen Bauern triumphieren. Glauben Sie mir, das Herz entſcheidet, nur das Herz. Wer liebt, wer die Kraft der Liebe hat, iſt auch liebenswürdig, und es wäre grauſam, wenn es anders wäre. Gehen Sie die Reihe der eigenen Erfahrungen durch. Was iſt alltäglicher, als eine ſchöne Frau durch eine nicht ſchöne Geliebte verdrängt zu ſehn! Und nicht etwa nach dem Satze toujours perdrix. O nein, es hat dies viel tiefre Zuſammenhänge. Das Langweiligſte von der Welt iſt die lymphatiſch-phlegmatiſche beauté, die beauté par excellence. Sie kränkelt hier, ſie kränkelt da, ich will nicht ſagen immer und notwendig, aber doch in der Mehrzahl der Fälle, während meine beauté du diable die Trägerin einer allervollkommenſten Geſundheit iſt, jener Geſundheit, die zuletzt alles be¬ deutet und gleichwertig iſt mit höchſtem Reiz. Und nun frag ich Sie, meine Herrn, wer hätte mehr davon als die Natur, die durch die größten und gewaltigſten Läuterungsprozeſſe wie durch ein Fegefeuer gegangen94 iſt. Ein paar Grübchen in der Wange ſind das Reizendſte von der Welt, das hat ſchon bei den Römern und Griechen gegolten, und ich bin nicht ungalant und unlogiſch genug, um einer Grübchen-Vielheit einen Reſpekt und eine Huldigung zu verſagen, die der Einheit oder dem Pärchen von Alters her gebührt. Das paradoxe, le laid c'est le beau‘ hat ſeine voll¬ kommne Berechtigung, und es heißt nichts andres, als daß ſich hinter dem anſcheinend Häßlichen eine höhere Form der Schönheit verbirgt. Wäre meine teure Pauline hier, wie ſies leider nicht iſt, ſie würde mir zuſtimmen, offen und nachdrücklich, ohne durch perſön¬ liche Schickſale captiviert zu ſein. “
Der Prinz ſchwieg. Es war erſichtlich, daß er auf einen allſeitigen Ausdruck des Bedauerns wartete, Frau Pauline, die gelegentlich die Honneurs des Hauſes machte, heute nicht anweſend zu ſehn. Als aber Niemand das Schweigen brach, fuhr er fort: „ Es fehlen uns die Frauen, und damit dem Wein und unſrem Leben der Schaum. Ich nehme meinen Wunſch wieder auf und wiederhole, daß es mich glücklich machen würde, die Carayon'ſchen Damen in dem Salon meiner Freundin empfangen zu dürfen. Ich zähle darauf, daß diejenigen Herren, die dem Kreiſe der Frau von Carayon angehören, ſich zum Inter¬ preten meiner Wünſche machen. Sie Schach, oder auch Sie, lieber Alvensleben. “
95Beide verneigten ſich.
„ Alles in allem wird es das Beſte ſein, meine Freundin Pauline nimmt es perſönlich in die Hand. Ich denke, ſie wird den Carayon'ſchen Damen einen erſten Beſuch machen, und ich ſehe Stunden eines angeregteſten geiſtigen Austauſches entgegen. “
Die peinliche Stille, womit auch dieſe Schlu߬ worte hingenommen wurden, würde noch fühlbarer geweſen ſein, wenn nicht Duſſek in eben dieſem Moment auf den Balkon hinausgetreten wäre. „ Wie ſchön “, rief er und wies mit der Hand auf den weſtlichen, bis hoch hinauf in einem glühgelben Lichte ſtehenden Horizont.
Alle waren mit ihm an die Brüſtung des Bal¬ kons getreten, und ſahen flußabwärts in den Abend¬ himmel hinein. Vor dem gelben Lichtſtreifen ſtanden ſchwarz und ſchweigend die hohen Pappeln und ſelbſt die Schloßkuppel wirkte nur noch als Schattenriß.
Einen jeden der Gäſte berührte dieſe Schönheit. Am ſchönſten aber war der Anblick zahlloſer Schwäne, die, während man in den Abendhimmel ſah, vom Charlottenburger Park her in langer Reihe heran¬ kamen. Andre lagen ſchon in Front. Es war er¬ ſichtlich, daß die ganze Flottille durch irgend was bis in die Nähe der Villa gelockt ſein mußte, denn ſobald ſie die Höhe derſelben erreicht hatte, ſchwenkten96 ſie wie militäriſch ein und verlängerten die Front derer, die hier ſchon ſtill und regungslos und die Schnäbel unter dem Gefieder verborgen, wie vor Anker lagen. Nur das Rohr bewegte ſich leis in ihrem Rücken. So verging eine geraume Zeit. End¬ lich aber erſchien einer in unmittelbarer Nähe des Balkons, und reckte den Hals, als ob er etwas ſagen wollte.
„ Wem gilt es? “fragte Sander. „ Dem Prinzen oder Duſſek oder der Sinumbralampe. “
„ Natürlich dem Prinzen, “antwortete Duſſek.
„ Und warum? “
„ Weil er nicht blos Prinz iſt, ſondern auch Duſſek und ‚ sine umbra‘. “
Alles lachte (der Prinz mit), während Sander allerförmlichſt „ zum Hofkapellmeiſter “gratulierte. „ Und wenn unſer Freund, “ſo ſchloß er, „ in Zukunft wieder Strohalme ſammelt, um an ihnen zu ſehen, „ woher der Wind weht, “ſo wird dieſer Wind ihm allemal aus dem Lande geheiligter Traditionen und nicht mehr aus dem Lande der Vorurteile zu kommen ſcheinen. “
Als Sander noch ſo ſprach, ſetzte ſich die Schwanen¬ flotille, die wohl durch die Duſſekſche Muſik herbei¬ gelockt ſein mußte, wieder in Bewegung, und ſegelte flußabwärts, wie ſie bis dahin flußaufwärts gekommen war. Nur der Schwan, der den Obman gemacht,97 erſchien noch einmal, als ob er ſeinen Dank wieder¬ holen und ſich in ceremoniellſter Weiſe verabſchieden wolle.
Dann aber nahm auch er die Mitte des Fluſſes, und folgte den übrigen, deren Tête ſchon unter dem Schatten der Parkbäume verſchwunden war.
7Es war kurz nach dieſem Diner beim Prin¬ zen, daß in Berlin bekannt wurde, der König werde noch vor Schluß der Woche von Potsdam herüberkommen, um auf dem Tempelhofer Felde eine große Revue zu halten. Die Nachricht davon weckte diesmal ein mehr als gewöhnliches In¬ tereſſe, weil die geſamte Bevölkerung nicht nur dem Frieden mißtraute, den Haugwitz mit heimgebracht hatte, ſondern auch mehr und mehr der Überzeugung lebte, daß im Letzten immer nur unſre eigene Kraft auch unſre Sicherheit bez. unſre Rettung ſein werde. Welch andre Kraft aber hatten wir als die Armee, die Armee, die, was Erſcheinung und Schu¬ lung anging, immer noch die friedericianiſche war.
99In ſolcher Stimmung ſah man dem Revuetage der ein Sonnabend war, entgegen.
Das Bild, das die Stadt vom frühen Morgen an darbot, entſprach der Aufregung, die herrſchte. Tauſende ſtrömten hinaus, und bedeckten vom Halleſchen Thor an die berganſteigende Straße, zu deren beiden Seiten ſich die „ Knapphänſe “, dieſe bekannten Zivilmarketen¬ der, mit ihren Körben und Flaſchen etabliert hatten. Bald danach erſchienen auch die Equipagen der vor¬ nehmen Welt, unter dieſen die Schachs, die für den heutigen Tag den Carayonſchen Damen zur Dispo¬ ſition geſtellt worden war. Im ſelben Wagen mit ihnen befand ſich ein alter Herr v. d. Recke, früher Offizier, der, als naher Anverwandter Schachs, die Honneurs und zugleich den militäriſchen Interpreten machte. Frau v. Carayon trug ein ſtahlgraues Sei¬ denkleid und eine Mantille von gleicher Farbe, während von Victoirens breitrandigem Italienerhut ein blauer Schleier im Winde flatterte. Neben dem Kutſcher ſaß der Groom und erfreute ſich der Huld beider Damen, ganz beſonders auch der ziemlich willkürlich accentuierten engliſchen Worte, die Victoire von Zeit zu Zeit an ihn richtete.
Für elf Uhr war das Eintreffen des Königs angemeldet worden, aber lange vorher ſchon erſchienen die zur Revue befohlenen, altberühmten Infanterie¬ regimenter Alt Lariſch, v. Arnim und Möllendorff,7*100ihre Janitſcharenmuſik vorauf. Ihnen folgte die Kavallerie: Garde du Corps, Gensdarmes und Leib¬ huſaren, bis ganz zuletzt in einer immer dicker werdenden Staubwolke die Sechs - und Zwölfpfünder heran¬ raſſelten und klapperten, die zum Teil ſchon bei Prag und Leuthen und neuerdings wieder bei Valmy und Pirmaſens gedonnert hatten. Enthuſiaſtiſcher Jubel begleitete den Anmarſch, und wahrlich, wer ſie ſo heranziehen ſah, dem mußte das Herz in patriotiſch ſtolzer Erregung höher ſchlagen. Auch die Carayons teilten das allgemeine Gefühl, und nahmen es als bloße Verſtimmung oder Altersängſtlichkeit, als der alte Herr v. d. Recke ſich vorbog und mit bewegter Stimme ſagte: „ Prägen wir uns dieſen Anblick ein, meine Damen. Denn glauben Sie der Vorahnung eines alten Mannes, wir werden dieſe Pracht nicht wiederſehen. Es iſt die Abſchiedsrevue der friederi¬ cianiſchen Armee. “
Victoire hatte ſich auf dem Tempelhofer Felde leicht erkältet und blieb in ihrer Wohnung zurück, als die Mama gegen Abend ins Schauſpiel fuhr, ein Vergnügen, das ſie jederzeit geliebt hatte, zu keiner Zeit aber mehr als damals, wo ſich zu der künſtleriſchen Anregung auch noch etwas von wohlthuender politiſcher101 Emotion geſellte. Wallenſtein, die Jungfrau, Tell, erſchienen gelegentlich, am häufigſten aber Holbergs „ politiſcher Zinngießer “, der, wie Publikum und Direktion gemeinſchaftlich fühlen mochten, um ein Er¬ hebliches beſſer als die hohe Schillerſche Muſe zu lärmenden Demonſtrationen geeignet war.
Victoire war allein. Ihr that die Ruhe wohl, und in einen türkiſchen Shawl gehüllt, lag ſie träumend auf dem Sopha, vor ihr ein Brief, den ſie kurz vor ihrer Vormittagsausfahrt empfangen und in jenem Augenblicke nur flüchtig geleſen hatte. Deſto lang¬ ſamer und aufmerkſamer freilich, als ſie von der Revue wieder zurückgekommen war.
Es war ein Brief von Liſette.
Sie nahm ihn auch jetzt wieder zur Hand, und las eine Stelle, die ſie ſchon vorher mit einem Blei¬ ſtiftsſtrich bezeichnet hatte: „ .. Du mußt wiſſen, meine liebe Victoire, daß ich, Pardon für dies offne Ge¬ ſtändnis, mancher Äußerung in Deinem letzten Briefe keinen vollen Glauben ſchenke. Du ſuchſt Dich und mich zu täuſchen, wenn Du ſchreibſt, daß Du Dich in ein Reſpektsverhältnis zu S. hineindenkſt. Er würde ſelber lächeln, wenn er davon hörte. Daß Du Dich plötzlich ſo verletzt fühlen, ja, verzeihe, ſo piquiert werden konnteſt, als er den Arm Deiner Mama nahm, verrät Dich, und giebt mir allerlei zu denken, wie denn auch andres noch, was Du ſpeziell in dieſer102 Veranlaſſung ſchreibſt. Ich lerne Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte, von der argwöhniſchen nähmlich. Und nun, meine teure Victoire, hab ein freundliches Ohr für das, was ich Dir in Bezug auf dieſen wichtigen Punkt zu ſagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfſt Dich ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Perſonen hineinleben, die durchaus den entgegengeſetzten An¬ ſpruch erheben dürfen. Und zu dieſen Perſonen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative ſtehſt, und entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen laſſen mußt. Er ſei Kavalier, ſchreibſt Du mir, „ ja, das Ritterliche, “fügſt Du hinzu, „ ſei ſo recht eigentlich ſeine Natur, “und im ſelben Augenblicke, wo Du dies ſchreibſt, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handels¬ weiſe, die, träfe ſie zu, das Unritterlichſte von der Welt ſein würde. Solche Widerſprüche giebt es nicht. Man iſt entweder ein Mann von Ehre, oder man iſt es nicht. Im Übrigen, meine teure Victoire, ſei gutes Mutes, und halte Dich ein für allemal verſichert, Dir lügt der Spiegel. Es iſt nur Eines, um deſſent¬ willen wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, iſt gleichgiltig. “
Victoire faltete das Blatt wieder zuſammen. „ Es103 rät und tröſtet ſich leicht aus einem vollen Beſitz heraus; ſie hat alles und nun iſt ſie großmütig. Arme Worte, die von des Reichen Tiſche fallen. “
Und ſie bedeckte beide Augen mit ihren Händen.
In dieſem Augenblick hörte ſie die Klingel gehen, und gleich danach ein zweites Mal, ohne daß jemand von der Dienerſchaft gekommen wäre. Hatten es Beate und der alte Jannaſch überhört? Oder waren ſie fort? Eine Neugier überkam ſie. Sie ging alſo leiſe bis an die Thür und ſah auf den Vorflur hinaus. Es war Schach. Einen Augenblick ſchwankte ſie, was zu thun ſei, dann aber öffnete ſie die Glasthür und bat ihn einzutreten.
„ Sie klingelten ſo leiſe. Beate wird es über¬ hört haben. “
„ Ich komme nur, um nach dem Befinden der Damen zu fragen. Es war ein prächtiges Parade¬ wetter, kühl und ſonnig, aber der Wind ging doch ziemlich ſcharf .. “
„ Und Sie ſehen mich unter ſeinen Opfern. Ich fiebre, nicht gerade heftig, aber wenigſtens ſo, daß ich daß Theater aufgeben mußte. Der Shawl (in den ich bitte, mich wieder einwickeln zu dürfen) und dieſe Tiſane, von der Beate wahre Wunder erwartet, wer¬ den mir wahrſcheinlich zuträglicher ſein, als Wallen¬ ſteins Tod. Mama wollte mir anfänglich Geſellſchaft leiſten. Aber Sie kennen ihre Paſſion für alles,104 was Schauſpiel heißt, und ſo hab ich ſie fortgeſchickt. Freilich auch aus Selbſtſucht; denn daß ich es geſtehe, mich verlangte nach Ruhe. “
„ Die nun mein Erſcheinen doch wiederum ſtört. Aber nicht auf lange, nur gerade lange genug, um mich eines Auftrags zu entledigen, einer Anfrage, mit der ich übrigens leichtmöglicherweiſe zu ſpät komme, wenn Alvensleben ſchon geſprochen haben ſollte. “
„ Was ich nicht glaube, vorausgeſetzt, daß es nicht Dinge ſind, die Mama für gut befunden hat, ſelbſt vor mir als Geheimnis zu behandeln “
„ Ein ſehr unwahrſcheinlicher Fall. Denn es iſt ein Auftrag, der ſich an Mutter und Tochter gleich¬ zeitig richtet. Wir hatten ein Diner beim Prinzen, cercle intime, zuletzt natürlich auch Duſſek. Er ſprach vom Theater (von was andrem ſollt er) und brachte ſogar Bülow zum Schweigen, was vielleicht eine That war. “
„ Aber Sie mediſieren ja, lieber Schach. “
„ Ich verkehre lange genug im Salon der Frau v. Carayon, um wenigſtens in den Elementen dieſer Kunſt unterrichtet zu ſein. “
„ Immer ſchlimmer, immer größere Ketzereien. Ich werde Sie vor das Großinquiſitoriat der Mama bringen. Und wenigſtens der Tortur einer Sitten¬ predigt ſollen Sie nicht entgehen. “
„ Ich wüßte keine liebere Strafe. “
105„ Sie nehmen es zu leicht .. Aber nun der Prinz .. “
„ Er will Sie ſehen, beide, Mutter und Tochter. Frau Pauline, die, wie Sie vielleicht wiſſen, den Zirkel des Prinzen macht, ſoll Ihnen eine Einladung überbringen. “
„ Der zu gehorchen, Mutter und Tochter ſich zu beſondrer Ehre rechnen werden. “
„ Was mich nicht wenig überraſcht. Und Sie können, meine teure Victoire, dies kaum im Ernſte geſprochen haben. Der Prinz iſt mir ein gnädger Herr, und ich lieb ihn de tout mon coeur. Es be¬ darf keiner Worte darüber. Aber er iſt ein Licht mit einem reichlichen Schatten, oder, wenn Sie mir den Vergleich geſtatten wollen, ein Licht, das mit einem Räuber brennt. Alles in allem, er hat den zweifel¬ haften Vorzug ſo vieler Fürſtlichkeiten, in Kriegs - und in Liebesabenteuern gleich hervorragend zu ſein, oder es noch runder heraus zu ſagen, er iſt abwechſelnd ein Helden - und ein Debauchenprinz. Dabei grund¬ ſatzlos und rückſichtslos, ſogar ohne Rückſicht auf den Schein. Was vielleicht das Allerſchlimmſte iſt. Sie kennen ſeine Beziehungen zu Frau Pauline? “
„ Ja. “
„ Und ... “
„ Ich billige ſie nicht. Aber ſie nicht billigen, iſt etwas andres als ſie verurteilen. Mama hat mich106 gelehrt, mich über derlei Dinge nicht zu kümmern und zu grämen. Und hat ſie nicht Recht? Ich frage Sie, lieber Schach, was würd aus uns, ganz ſpeziell aus uns zwei Frauen, wenn wir uns innerhalb unſrer Umgangs - und Geſellſchaftsſphäre zu Sitten¬ richtern aufwerfen und Männlein und Weiblein auf die Korrektheit ihres Wandels hin prüfen wollten? Etwa durch eine Waſſer - und Feuerprobe. Die Ge¬ ſellſchaft iſt ſouverän. Was ſie gelten läßt, gilt, was ſie verwirft, iſt verwerflich. Außerdem liegt hier alles exzeptionell. Der Prinz iſt ein Prinz, Frau von Carayon iſt eine Witwe, und ich .. bin ich. “
„ Und bei dieſem Entſcheide ſoll es bleiben, Victoire? “
„ Ja. Die Götter balancieren. Und wie mir Liſette Perbandt eben ſchreibt:, wem genommen wird, dem wird auch gegeben‘. In meinem Falle liegt der Tauſch etwas ſchmerzlich, und ich wünſchte wohl, ihn nicht gemacht zu haben. Aber andrerſeits geh ich nicht blind an dem eingetauſchtem Guten vorüber, und freue mich meiner Freiheit. Wovor andre meines Alters und Geſchlechts erſchrecken, das darf ich. An dem Abende bei Maſſows, wo man mir zuerſt huldigte, war ich, ohne mir deſſen bewußt zu ſein, eine Sklavin. Oder doch abhängig von hundert Dingen. Jetzt bin ich frei. “
Schach ſah verwundert auf die Sprecherin. 107Manches, was der Prinz über ſie geſagt hatte, ging ihm durch den Kopf. Waren das Überzeugungen oder Einfälle? War es Fieber? Ihre Wangen hatten ſich gerötet, und ein aufblitzendes Feuer in ihrem Auge traf ihn mit dem Ausdruck einer trotzigen Ent¬ ſchloſſenheit. Er verſuchte jedoch ſich in den leichten Ton, in dem ihr Geſpräch begonnen hatte, zurück¬ zufinden, und ſagte: „ Meine teure Victoire ſcherzt. Ich möchte wetten, es iſt ein Band Rouſſeau, was da vor ihr liegt, und ihre Phantaſie geht mit dem Dichter. “
„ Nein, es iſt nicht Rouſſeau. Es iſt ein anderer, der mich mehr intereſſiert. “
„[Und] wer, wenn ich neugierig ſein darf? “
„ Mirabeau. “
„ Und warum mehr? “
„ Weil er mir näher ſteht. Und das Allerper¬ ſönlichſte beſtimmt immer unſer Urteil. Oder doch faſt immer. Er iſt mein Gefährte, mein ſpezieller Leidens¬ genoß. Unter Schmeicheleien wuchs er auf., Ah, das ſchöne Kind, ‘hieß es tagein, tagaus. Und dann eines Tags war alles hin, hin wie .. wie .. “
„ Nein, Victoire, Sie ſollen das Wort nicht ausſprechen. “
„ Ich will es aber, und würde den Namen meines Gefährten und Leidensgenoſſen zu meinem eigenen machen, wenn ich es könnte. Victoire108 Mirabeau de Carayon, oder ſagen wir Mirabelle de Carayon, das klingt ſchön und ungezwungen, und wenn ichs recht überſetze, ſo heißt es Wunderhold. “
Und dabei lachte ſie voll Uebermut und Bitter¬ keit. Aber die Bitterkeit klang vor.
„ Sie dürfen ſo nicht lachen, Victoire, nicht ſo. Das kleidet Ihnen nicht, das verhäßlicht Sie. Ja, werfen Sie nur die Lippen, — verhäßlicht Sie. Der Prinz hatte doch Recht, als er enthuſiaſtiſch von Ihnen ſprach. Armes Geſetz der Form und der Farbe. Was allein gilt, iſt das ewig Eine, daß ſich die Seele den Körper ſchafft oder ihn durchleuchtet und verklärt. “
Victoirens Lippen flogen, ihre Sicherheit verließ ſie, und ein Froſt ſchüttelte ſie. Sie zog den Shawl höher hinauf, und Schach nahm ihre Hand, die eis¬ kalt war, denn alles Blut drängte nach ihrem Herzen.
„ Victoire, Sie thun ſich Unrecht; Sie wüten nutzlos gegen ſich ſelbſt, und ſind um nichts beſſer als der Schwarzſeher, der nach allem Trüben ſucht und an Gottes hellem Sonnenlicht vorüber ſieht. Ich beſchwöre Sie, faſſen Sie ſich und glauben Sie wieder an Ihr Anrecht auf Leben und Liebe. War ich denn blind? In dem bittren Wort, in dem Sie ſich demütigen wollten, in eben dieſem Worte haben Sies getroffen, ein für allemal. Alles iſt Märchen und Wunder an Ihnen; ja Mirabelle, ja Wunderhold! “
109Ach, das waren die Worte, nach denen ihr Herz gebangt hatte, während es ſich in Trotz zu waffnen ſuchte.
Und nun hörte ſie ſie willenlos und ſchwieg in einer ſüßen Betäubung.
Die Zimmeruhr ſchlug neun und die Turmuhr draußen antwortete. Victoire, die den Schlägen ge¬ folgt war, ſtrich das Haar zurück, und trat ans Fenſter und ſah auf die Straße.
„ Was erregt Dich? “
„ Ich meinte, daß ich den Wagen gehört hätte. “
„ Du hörſt zu fein. “
Aber ſie ſchüttelte den Kopf, und im ſelben Augenblicke fuhr der Wagen der Frau von Carayon vor.
„ Verlaſſen Sie mich .. Bitte. “
„ Bis auf morgen. “
Und ohne zu wiſſen, ob es ihm glücken werde, der Begegnung mit Frau von Carayon auszuweichen, empfahl er ſich raſch und huſchte durch Vorzimmer und Korridor.
Alles war ſtill und dunkel unten, und nur von der Mitte des Hausflurs her, fiel ein Lichtſchimmer bis in Nähe der oberſten Stufen. Aber das Glück war ihm hold. Ein breiter Pfeiler, der bis dicht an die Treppenbrüſtung vorſprang, teilte den ſchmalen Vor¬110 flur in zwei Hälften, und hinter dieſen Pfeiler trat er und wartete.
Victoire ſtand in der Glasthür und empfing die Mama.
„ Du kommſt ſo früh. Ach, und wie hab ich Dich erwartet! “
Schach hörte jedes Wort. „ Erſt die Schuld und dann die Lüge “, klang es in ihm. „ Das alte Lied. “
Aber die Spitze ſeiner Worte richtete ſich gegen ihn und nicht gegen Victoire.
Dann trat er aus ſeinem Verſteck hervor und ſchritt raſch und geräuſchlos die Treppe hinunter.
Bis auf morgen, “war Schachs Abſchieds¬ wort geweſen, aber er kam nicht. Auch am zweiten und dritten Tage nicht. Vic¬ toire ſuchte ſichs zurechtzulegen, und wenn es nicht glücken wollte, nahm ſie Liſettens Brief und las immer wieder die Stelle, die ſie längſt auswendig wußte. „ Du darfſt Dich, ein für allemal, nicht in ein Mi߬ trauen gegen Perſonen hineinleben, die durchaus den entgegengeſetzten Anſpruch erheben dürfen. Und zu dieſen Perſonen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative ſtehſt, und entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen laſſen mußt. “ Ja, Liſette hatte Recht und112 doch blieb ihr eine Furcht im Gemüte. „ Wenn doch alles nur .. “ Und es übergoß ſie mit Blut.
Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf ſich, daß ſie kurz vorher in die Stadt gegangen war. Als ſie zurückkehrte, hörte ſie von ſeinem Beſuch; er ſei ſehr liebenswürdig geweſen, habe zwei -, dreimal nach ihr gefragt, und ein Bouquet für ſie zurückge¬ laſſen. Es waren Veilchen und Roſen, die das Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während ihr die Mama von dem Beſuche vorplauderte, be¬ mühte ſich, einen leichten und übermütigen Ton an¬ zuſchlagen, aber ihr Herz war zu voll von widerſtrei¬ tenden Gefühlen, und ſie zog ſich zurück, um ſich in zugleich glücklichen und bangen Thränen aus zuweinen.
Inzwiſchen war der Tag herangekommen, wo die „ Weihe der Kraft “gegeben weiden ſollte. Schach ſchickte ſeinen Diener und ließ anfragen, ob die Damen der Vorſtellung beizuwohnen gedächten? Es war eine bloße Form, denn er wußte, daß es ſo ſein werde.
Im Theater waren alle Plätze beſetzt. Schach ſaß den Carayons gegenüber und grüßte mit großer Artigkeit. Aber bei dieſem Gruße blieb es, und er kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhaltung, über die Frau von Carayon kaum weniger betroffen war, als Victoire. Der Streit indeſſen, den das hin¬ ſichtlich des Stücks in zwei Lager geteilte Publikum führte, war ſo heftig und aufregend, daß beide Damen113 ebenfalls mit hingeriſſen wurden und momentan wenig¬ ſtens alles Perſönliche vergaßen. Erſt auf dem Heim¬ wege kehrte die Verwunderung über Schachs Be¬ nehmen zurück.
Am andern Vormittage ließ er ſich melden. Frau von Carayon war erfreut, Victoire jedoch, die ſchärfer ſah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er hatte ganz erſichtlich dieſen Tag abgewartet, um einen be¬ quemen Plauderſtoff zu haben und mit Hilfe desſelben über die Peinlichkeit eines erſten Wiederſehens mit ihr leichter hinwegzukommen. Er küßte der Frau von Carayon die Hand und wandte ſich dann gegen Victoiren, um dieſer ſein Bedauern auszuſprechen, ſie bei ſeinem letzten Beſuche verfehlt zu haben. Man entfremde ſich faſt, anſtatt ſich feſter anzugehören. Er ſprach dies ſo, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er es mit tieferer Bedeutung oder aus bloßer Verlegen¬ heit geſagt habe. Sie ſann darüber nach, aber ehe ſie zum Abſchluß kommen konnte, wandte ſich das Geſpräch dem Stücke zu.
„ Wie finden Sies? “fragte Frau von Carayon.
„ Ich liebe nicht Komödien, “antwortete Schach, „ die fünf Stunden ſpielen. Ich wünſche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine Strapaze. “
„ Zugeſtanden. Aber dies iſt etwas Äußerliches, und beiläufig ein Mißſtand, dem eheſtens abgeholfen ſein wird. Iffland ſelbſt iſt mit erheblichen Kürzun¬8114gen einverſtanden. Ich will Ihr Urteil über das Stück. “
„ Es hat mich nicht befriedigt. “
„ Und warum nicht? “
„ Weil es alles auf den Kopf ſtellt. Solchen Luther hat es Gott ſei Dank nie gegeben, und wenn ein ſolcher je käme, ſo würd er uns einfach dahin zurückführen, von wo der echte Luther uns ſeinerzeit wegführte. Jede Zeile widerſtreitet dem Geiſt und Jahrhundert der Reformation; alles iſt Jeſuitismus oder Myſticismus, und treibt ein unerlaubtes und beinah kindiſches Spiel mit Wahrheit und Geſchichte. Nichts paßt. Ich wurde beſtändig an das Bild Albrecht Dürers erinnert, wo Pilatus mit Piſtolen¬ halftern reitet oder an ein ebenſo bekanntes Altarblatt in Soeſt, wo ſtatt des Oſterlamms ein weſtfäliſcher Schinken in der Schüſſel liegt. In dieſem ſein-wol¬ lenden Lutherſtück aber liegt ein allerpfäffichſter Pfaff in der Schüſſel. Es iſt ein Anachronismus von Anfang bis Ende. “
„ Gut. Das iſt Luther. Aber ich wiederhole, das Stück? “
„ Luther iſt das Stück. Das andre bedeutet nichts. Oder ſoll ich mich für Katharina von Bora begeiſtern, für eine Nonne, die ſchließlich keine war “.
Victoire ſenkte den Blick und ihre Hand zitterte. Schach ſah es, und über ſeinen faux pas erſchreckend,115 ſprach er jetzt haſtig und in ſich überſtürzender Weiſe von einer Parodie, die vorbereitet werde, von einem angekündigten Proteſte der lutheriſchen Geiſtlichkeit, vom Hofe, von Iffland, vom Dichter ſelbſt, und ſchloß endlich mit einer übertriebenen Lobpreiſung der eingelegten Lieder und Kompoſitionen. Er hoffe, daß Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe, wo er dieſe Lieder am Klavier begleiten durfte.
All dies wurde ſehr freundlich geſprochen, aber ſo freundlich es klang, ſo fremd klang es auch, und Victoire hörte mit feinem Ohr heraus, daß es nicht die Sprache war, die ſie fordern durfte. Sie war bemüht ihm unbefangen zu antworten, aber es blieb ein äußerliches Geſpräch bis er ging.
Den Tag nach dieſem Beſuche kam Tante Mar¬ guerite. Sie hatte bei Hofe von dem ſchönen Stücke gehört, „ das ſo ſchön ſei, wie noch gar keins, “und ſo wollte ſies gerne ſehn. Frau von Carayon war ihr zu Willen, nahm ſie mit in die zweite Vorſtellung, und da wirklich ſehr gekürzt worden war, blieb auch noch Zeit daheim eine halbe Stunde zu plaudern.
„ Nun Tante Marguerite, “fragte Victoire, „ wie hat es Dir gefallen? “
„ Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den Hauptpunkt in unſrer gereinigten Kürche. “
„ Welchen meinſt Du, liebe Tante. “
„ Nun den von der chrüſtlichen Ehe. “
8*116Victoire zwang ſich ernſthaft zu bleiben und ſagte dann: „ Ich dachte, dieſer Hauptpunkt in unſrer Kirche läge doch noch in etwas andrem, alſo z. B. in der Lehre vom Abendmahl. “
„ O nein, meine liebe Victoire, das weiß ich ganz genau. Mit oder ohne Wein, das macht keinen ſo großen Unterſchied; aber ob unſre prédicateurs in einer ſittlich getrauten Ehe leben oder nicht, das, mein Engelchen, iſt von einer würklichen importance. “
„ Und ich finde, Tante Marguerite hat ganz Recht, “ſagte Frau von Carayon.
„ Und das iſt es auch, “fuhr die gegen alles Erwarten Belobigte fort, „ was das Stück will, und was man um ſo deutlicher ſieht, als die Bethmann würklich eine ſehr hübſche Frau iſt. Oder doch zum wenigſtens viel hübſcher, als ſie würklich war. Ich meine die Nonne. Was aber nichts ſchadet, denn er war auch kein hübſcher Mann, und lange nicht ſo hübſch als er. Ja werde nur rot, meine liebe Victoire, ſo viel weiß ich auch. “
Frau von Carayon lachte herzlich.
„ Und das muß wahr ſein, unſer Herr Rittmeiſter von Schach iſt würklich ein ſehr angenehmer Mann, und ich denke noch ümmer an Tempelhof und den aufrechtſtehenden Ritter .. Und wißt Ihr denn, in Wülmersdorf ſoll auch einer ſein, und auch ebenſo weg¬ geſchubbert. Und von wem ich es habe? Nun? Von la petite Princesse Charlotte. “
Die „ Weihe der Kraft “wurde nach wie vor gegeben, und Berlin hörte nicht auf in zwei Lager geteilt zu ſein. Alles was myſtiſch-romantiſch war, war für, alles was frei¬ ſinnig war, gegen das Stück. Selbſt im Hauſe Carayon ſetzte ſich dieſe Fehde fort, und während die Mama teils um des Hofes, teils um ihrer eignen „ Gefühle “willen überſchwänglich mitſchwärmte, fühlte ſich Victoire von dieſen Sentimentalitäten abgeſtoßen. Sie fand alles unwahr und unecht, und verſicherte, daß Schach in jedem ſeiner Worte Recht gehabt habe.
Dieſer kam jetzt von Zeit zu Zeit, aber doch immer nur, wenn er ſicher ſein durfte, Victoiren in Geſellſchaft der Mutter zu treffen. Er bewegte ſich118 wieder viel in den „ großen Häuſern “, und legte, wie Noſtitz ſpottete, den Radziwills und Carolaths zu, was er den Carayons entzog. Auch Alvensleben ſcherzte darüber, und ſelbſt Victoire verſuchte, den gleichen Ton zu treffen. Aber ohne daß es ihr glücken wollte. Sie träumte ſo hin, und nur eigent¬ lich traurig war ſie nicht. Noch weniger unglücklich.
Unter denen, die ſich mit dem Stück, alſo mit der Tagesfrage beſchäftigten, waren auch die Offiziere vom Regiment Gensdarmes, obſchon ihnen nicht ein¬ fiel, ſich ernſthaft auf ein Für oder Wider einzu¬ laſſen. Sie ſahen alles ausſchließlich auf ſeine komiſche Seite hin an, und fanden in der Auflöſung eines Nonnen¬ kloſters, in Katharina von Boras „ neunjähriger Pflege¬ tochter “und endlich in dem beſtändig Flöte ſpielenden Luther, einen unerſchöpflichen Stoff für ihren Spott und Übermut.
Ihr Lieblingsverſammlungsort in jenen Tagen war die Wachtſtube des Regiments, wo die jüngeren Kameraden den dienſtthuenden Offizier zu beſuchen und ſich bis in die Nacht hinein zu divertieren pflegten. Unter den Geſprächen, die man in Veranlaſſung der neuen Komödie hier führte, kamen Spöttereien wie die vorgenannten kaum noch von der Tagesordnung, und als einer der Kameraden daran erinnerte, daß das neuerdings von ſeiner früheren Höhe herabge¬ ſtiegene Regiment eine Art patriotiſche Pflicht habe,119 ſich mal wieder „ als es ſelbſt “zu zeigen, brach ein ungeheurer Jubel aus, an deſſen Schluß alle einig waren „ daß etwas geſchehen müſſe. “ Daß es ſich dabei lediglich um eine Traveſtie der „ Weihe der Kraft “, etwa durch eine Maskerade, handeln könne, ſtand von vornherein feſt, und nur über das „ wie “gingen die Meinungen noch auseinander. In Folge davon be¬ ſchloß man, ein paar Tage ſpäter eine neue Zu¬ ſammenkunft abzuhalten, in der, nach Anhörung einiger Vorſchläge, der eigentliche Plan fixiert werden ſollte.
Raſch hatte ſichs herumgeſprochen, und als Tag und Stunde da waren, waren einige zwanzig Kameraden in dem vorerwähnten Lokal erſchienen: Itzenplitz, Jürgaß und Britzke, Billerbeck und Diricke, Graf Haeſeler, Graf Herzberg, v. Rochow, v. Putlitz, ein Kracht, ein Klitzing, und nicht zum letzten ein ſchon älterer Lieute¬ nant von Zieten, ein kleines, häßliches und ſäbelbeiniges Kerlchen, das durch entfernte Vetterſchaft mit dem be¬ rühmten General und beinahe mehr noch durch eine keck in die Welt hineinkrähende Stimme zu balanciren wußte, was ihm an ſonſtigen Tugenden abging. Auch Noſtitz und Alvensleben waren erſchienen. Schach fehlte.
„ Wer präſidiert? “fragte Klitzing.
„ Nur zwei Möglichkeiten, “antwortete Diricke. „ Der längſte oder der kürzeſte. Will alſo ſagen, Noſtitz oder Zieten. “
120„ Noſtitz, Noſtitz, “riefen alle durcheinander, und der ſo durch Akklamation Gewählte nahm auf einem ausgebuchteten Gartenſtuhle Platz. Flaſchen und Gläſer ſtanden die lange Tafel entlang.
„ Rede halten! Aſſemblée nationale .. “
Noſtitz ließ den Lärm eine Weile dauern, und klopfte dann erſt mit dem ihm als Zeichen ſeiner Würde zur Seite liegenden Pallaſch auf den Tiſch.
„ Silentium, Silentium. “
„ Kameraden vom Regiment Gensdarmes, Erben eines alten Ruhmes auf dem Felde militäriſcher und geſellſchaftlicher Ehre (denn wir haben nicht nur der Schlacht die Richtung, wir haben auch der Geſellſchaft den Ton gegeben), Kameraden, ſag ich, wir ſind ſchlüſſig geworden: es muß etwas geſchehn! “
„ Ja, ja. Es muß etwas geſchehn. “
„ Und neu geweiht durch die, Weihe der Kraft‘, haben wir, dem alten Luther und uns ſelber zu Liebe, beſchloſſen, einen Aufzug zu bewerkſtelligen, von dem die ſpäteſten Geſchlechter noch melden ſollen. Es muß etwas Großes werden! Erinnern wir uns, wer nicht vorſchreitet, der ſchreitet zurück. Ein Aufzug alſo. So viel ſteht feſt. Aber Weſen und Charakter dieſes Aufzuges bleibt noch zu fixieren, und zu dieſem Be¬ hufe haben wir uns hier verſammelt. Ich bin bereit, Ihre Vorſchläge der Reihe nach entgegen zu nehmen. Wer Vorſchläge zu machen hat, melde ſich. “
121Unter denen, die ſich meldeten, war auch Lieute¬ nant von Zieten.
„ Ich gebe den Lieutenant von Zieten das Wort. “
Dieſer erhob ſich und ſagte, während er ſich leicht auf der Stuhllehne wiegte: „ Was ich vorzuſchlagen habe, heißt Schlittenfahrt. “
Alle ſahen einander an, Einige lachten.
„ Im Juli? “
„ Im Juli, “wiederholte Zieten. „ Unter den Lin¬ den wird Salz geſtreut, und über dieſen Schnee hin, geht unſre Fahrt. Erſt ein paar aufgelöſte Nonnen; in dem großen Hauptſchlitten aber, der die Mitte des Zuges bildet, paradieren Luther und ſein Famu¬ lus, jeder mit einer Flöte, während Katharinchen auf der Pritſche reitet. Ad libitum mit Fackel oder Schlittenpeitſche. Vorreiter eröffnen den Zug. Ko¬ ſtüme werden dem Theater entnommen oder ange¬ fertigt. Ich habe geſprochen. “
Ein ungeheurer Lärm antwortete, bis der Ruhe gebietende Noſtitz endlich durchdrang. „ Ich nehme dieſen Lärm einfach als Zuſtimmung, und beglück¬ wünſche Kamerad Zieten, mit einem einzigen und erſten Meiſterſchuß gleich ins Schwarze getroffen zu haben. Alſo Schlittenfahrt. Angenommen? “
„ Ja, ja. “
„ So bleibt nur noch Rollenverteilung. Wer giebt den Luther? “
122„ Schach. “
„ Er wird ablehnen. “
„ Nicht doch, “krähte Zieten, der gegen den ſchö¬ nen, ihm bei mehr als einer Gelegenheit vorgezogenen Schach eine Spezialmalice hegte: „ wie kann man Schach ſo verkennen! Ich kenn ihn beſſer. Er wird es frei¬ lich eine halbe Stunde lang beklagen, ſich hohe Backen¬ knochen auflegen und ſein Normal-Oval in eine bäuriſche tête carré verwandeln zu müſſen. Aber ſchließlich wird er Eitelkeit gegen Eitelkeit ſetzen, und ſeinen Lohn darin finden, auf 24 Stunden der Held des Tages zu ſein. “
Ehe Zieten noch ausgeſprochen hatte, war von der Wache her ein Gefreiter eingetreten, um ein an Noſtitz adreſſiertes Schreiben abzugeben. “
„ Ah, lupus in fabula. “
„ Von Schach? “
„ Ja! “
„ Leſen, leſen! “
Und Noſtitz erbrach den Brief und las. „ Ich bitte Sie, lieber Noſtitz, bei der mutmaßlich in eben dieſem Augenblicke ſtattfindenden Verſammlung unſrer jungen Offiziere, meinen Vermittler und wenn nötig, auch meinen Anwalt machen zu wollen. Ich habe das Zirkular erhalten, und war anfänglich gewillt zu kommen. Inzwiſchen aber iſt mir mittgeteilt worden, um was es ſich aller Wahrſcheinlichkeit nach handeln123 wird, und dieſe Mitteilung hat meinen Entſchluß geändert. Es iſt Ihnen kein Geheimnis, daß all das, was man vorhat, meinem Gefühl widerſtreitet, und ſo werden Sie ſich mit Leichtigkeit herausrechnen können, wie viel oder wie wenig ich (dem ſchon ein Bühnen-Luther contre coeur war) für einen Mummenſchanz-Luther übrig habe. Daß wir dieſen Mummenſchanz in eine Zeit verlegen, die nicht einmal eine Faſtnachtsfreiheit in Anſpruch nehmen darf, beſſert ſicherlich nichts. Jüngeren Kameraden ſoll aber durch dieſe meine Stellung zur Sache kein Zwang auferlegt werden, und jedenfalls darf man ſich meiner Diskre¬ tion verſichert halten. Ich bin nicht das Gewiſſen des Regiments, noch weniger ſein Aufpaſſer. Ihr Schach. “
„ Ich wußt es, “ſagte Noſtitz in aller Ruhe, wäh¬ rend er das Schachſche Billet an dem ihm zunächſt ſtehenden Lichte verbrannte. „ Kamerad Zieten iſt größer in Vorſchlägen und Phantaſtik, als in Men¬ ſchenkenntnis. Er will mir antworten, ſeh ich, aber ich kann ihm nicht nachgeben, denn in dieſem Augen¬ blicke heißt es ausſchließlich: wer ſpielt den Luther? Ich bringe den Reformator unter den Hammer. Der Meiſt¬ bietende hat ihn. Zum Erſten, Zweiten und zum .... Dritten. Niemand? So bleibt mir nichts übrig als Ernennung. Alvensleben, Sie. “
Dieſer ſchüttelte den Kopf. „ Ich ſtehe dazu wie124 Schach; machen Sie das Spiel, ich bin kein Spielver¬ derber, aber ich ſpiele perſönlich nicht mit. Kann nicht und will nicht. Es ſteckt mir dazu zu viel Katechismus Lutheri im Leibe. “
Noſtitz wollte nicht gleich nachgeben. „ Alles zu ſeiner Zeit, “nahm er das Wort „ und wenn der Ernſt ſeinen Tag hat, ſo hat der Scherz wenigſtens ſeine Stunde. Sie nehmen alles zu gewiſſenhaft, zu feierlich, zu pe¬ dantiſch. Auch darin wie Schach. Keinerlei Ding iſt an ſich gut oder bös. Erinnern Sie ſich, daß wir den alten Luther nicht verhöhnen wollen, im Gegenteil, wir wollen ihn rächen. Was verhöhnt werden ſoll, iſt das Stück, iſt die Lutherkarrikatur, iſt der Refor¬ mator in falſchem Licht und an falſcher Stelle. Wir ſind Strafgericht, Inſtanz aller oberſter Sittlichkeit. Thuen Sies. Sie dürfen uns nicht im Stiche laſſen oder es fällt alles in den Brunnen. “
Andere ſprachen in gleichem Sinn. Aber Alvens¬ leben blieb feſt, und eine kleine Verſtimmung ſchwand erſt, als ſich unerwartet (und eben deshalb von allgemeinſtem Jubel begrüßt) der junge Graf Herzberg erhob, um ſich für die Lutherrolle zu melden.
Alles was danach noch zu ordnen war, ordnete ſich raſch, und ehe zehn Minuten um waren, waren bereits die Hauptrollen verteilt: Graf Herzberg den Luther, Diricke den Famulus, Noſtitz, wegen ſei¬ ner koloſſalen Größe, die Katharina von Bora. Der125 Reſt wurd einfach als Nonnenmaterial eingeſchrieben, und nur Zieten, dem man ſich beſonders verpflichtet fühlte, rückte zur Äbtiſſin auf. Er erklärte denn auch ſofort, auf ſeinem Schlittenſitz ein „ jeu entrieren “oder mit dem Kloſtervogt eine Partie Mariage ſpielen zu wollen. Ein neuer Jubel brach aus, und nachdem noch in aller Kürze der nächſte Montag für die Maskerade feſtgeſetzt, alles Ausplaudern aber aufs ſtrengſte ver¬ boten worden war, ſchloß Noſtitz die Sitzung.
In der Thür drehte ſich Diricke noch einmal um, und fragte: „ Aber wenns regnet? “
„ Es darf nicht regnen. “
„ Und was wird aus dem Salz? “
„ C'est pour les demostiques. “
„ Et pour la canaille, “ſchloß der jüngſte Cornet.
Schweigen war gelobt worden, und es blieb auch wirklich verſchwiegen. Ein vielleicht einzig daſtehender Fall. Wohl erzählte man ſich in der Stadt, daß die Gensdarmes „ etwas vor¬ hätten “und mal wieder über einem jener tollen Streiche brüteten, um derentwillen ſie vor andern Regimentern einen Ruf hatten, aber man erfuhr weder worauf die Tollheit hinauslaufen werde, noch auch für welchen Tag ſie geplant ſei. Selbſt die Carayon¬ ſchen Damen, an deren letztem Empfangsabende weder Schach noch Alvensleben erſchienen waren, waren ohne Mitteilung geblieben, und ſo brach denn die berühmte „ Sommer-Schlittenfahrt “über Näher - und Ferner¬ ſtehende gleichmäßig überraſchend herein.
127In einem der in der Nähe der Mittel - und Dorotheenſtraße gelegenen Stallgebäude hatte man ſich bei Dunkelwerden verſammelt, und ein Dutzend prachtvoll gekleideter und von Fakelträgern begleiteter Vorreiter vorauf, ganz alſo wie Zieten es proponiert hatte, ſchoß man mit dem Glockenſchlage neun an dem Akademiegebäude vorüber auf die Linden zu, jagte weiter abwärts erſt in die Wilhelms -, dann aber um¬ kehrend in die Behren - und Charlottenſtraße hinein und wiederholte dieſe Fahrt um das ebenbezeichnete Linden-Quarré herum in einer immer geſteigerten Eile.
Als der Zug das erſte Mal an dem Carayonſchen Hauſe vorüberkam und das Licht der voraufreitenden Fackeln grell in alle Scheiben der Bel-Etage fiel, eilte Frau von Carayon, die ſich zufällig allein befand, erſchreckt ans Fenſter und ſah auf die Straße hinaus. Aber ſtatt des Rufes „ Feuer “, den ſie zu hören er¬ wartete, hörte ſie nur, wie mitten im Winter, ein Knallen großer Hetz - und Schlittenpeitſchen mit Schellen¬ geläut dazwiſchen, und ehe ſie ſich zurecht zu finden im Stande war, war alles ſchon wieder vorüber und ließ ſie verwirrt und fragend und in einer halben Betäubung zurück. In ſolchem Zuſtande war es, daß Victoire ſie fand.
„ Um Gotteswillen, Mama, was iſt? “
Aber ehe Frau von Carayon antworten konnte,128 war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male heran, und Mutter und Tochter, die jetzt raſch und zu beſſrer Orientierung von ihrem Eckzimmer aus auf den Balkon hinausgetreten waren, waren von dieſem Augenblick an nicht länger mehr in Zweifel, was das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen und was. Erſt unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe von Aebtiſſin an der Spitze, johlend, trinkend und Karte ſpielend, und in der Mitte des Zuges ein auf Rollen laufender und in der Fülle ſeiner Vergoldung augenſcheinlich als Triumphwagen gedachter Haupt¬ ſchlitten, in dem Luther ſamt Famulus und auf der Pritſche Katharina von Bora ſaß. An der rieſigen Geſtalt erkannten ſie Noſtitz. Aber wer war der auf dem Vorderſitz? fragte ſich Victoire. Wer verbarg ſich hinter dieſer Luther-Maske? War er es? Nein, es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es nicht war, er war doch immer ein Mitſchuldiger in dieſem widerlichen Spiele, das er gutgeheißen oder wenigſtens nicht gehindert hatte. Welche verkommne Welt, wie pietätlos, wie bar aller Schicklichkeit! Wie ſchaal und ekel. Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff ſie, das Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm gezogen zu ſehen. Und warum? Um einen Tag lang von ſich reden zu machen, um einer kleinlichen Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin ſie gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin129 ſie nach Liebe verlangt, und ach das Schlimmſte von allem an Liebe geglaubt hatte!
„ Laß uns gehen, “ſagte ſie, während ſie den Arm der Mutter nahm, und wandte ſich, um in das Zimmer zurückzukehren. Aber ehe ſies erreichen konnte, wurde ſie wie von einer Ohnmacht überraſcht, und ſank auf der Schwelle des Balkons nieder.
Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und beide trugen ſie bis an das Sofa, wo ſie gleich da¬ nach von einem heftigen Bruſtkrampfe befallen wurde. Sie ſchluchzte, richtete ſich auf, ſank wieder in die Kiſſen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe mit kölniſchem Waſſer waſchen wollte, ſtieß ſie ſie heftig zurück. Aber im nächſten Augenblick riß ſie der Mama das Flacon aus der Hand und goß es ſich über Hals und Nacken. „ Ich bin mir zuwider, zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals, hab ich Gott um mein Leben gebeten .. Aber wir ſollen nicht um unſer Leben bitten .. Gott weiß am beſten, was uns frommt. Und wenn er uns zu ſich hinaufziehen will, ſo ſollen wir nicht bitten: laß uns noch .. O, wie ſchmerzlich ich das fühle! Nun leb ich .. Aber wie, wie! “
Frau von Carayon kniete neben dem Sofa nie¬ der und ſprach ihr zu. Denſelben Augenblick aber ſchoß der Schlittenzug zum dritten Mal an dem Hauſe vorüber, und wieder war es, als ob ſich ſchwarze9130phantaſtiſche Geſtalten in dem glühroten Scheine jagten und haſchten. „ Iſt es nicht wie die Hölle? “ſagte Victoire, während ſie nach dem Schattenſpiel an der Decke zeigte.
Frau von Carayon ſchickte Beaten, um den Arzt rufen zu laſſen. In Wahrheit aber lag ihr weniger an dem Arzt, als an einem Alleinſein und einer Aus¬ ſprache mit dem geliebten Kinde.
„ Was iſt Dir? Und wie Du nur fliegſt und zitterſt. Und ſiehſt ſo ſtarr. Ich erkenne meine heitre Victoire nicht mehr. Überlege, Kind, was iſt denn geſchehen? Ein toller Streich mehr, einer unter vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du dieſen Übermut mehr belacht als beklagt hätteſt. Es iſt etwas andres, was Dich quält und drückt; ich ſeh es ſeit Tagen ſchon. Aber Du verſchweigſt mirs, Du haſt ein Ge¬ heimnis. Ich beſchwöre Dich, Victoire, ſprich. Du darfſt es. Es ſei, was es ſei. “
Victoire ſchlang ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem Auge.
„ Beſte Mutter! “
Und ſie zog ſie feſter an ſich, und küßte ſie und beichtete ihr alles.
Am andern Vormittage ſaß Frau von Carayon am Bette der Tochter und ſagte, während dieſe zärtlich und mit einem wieder¬ gewonnenen ruhig-glücklichen Ausdruck zu der Mutter aufblickte: „ Habe Vertrauen, Kind. Ich kenn ihn ſo lange Zeit. Er iſt ſchwach und eitel nach Art aller ſchönen Männer, aber von einem nicht gewöhnlichen Rechtsgefühl und einer untadligen Geſinnung. “
In dieſem Augenblicke wurde Rittmeiſter von Schach gemeldet, und der alte Jannaſch ſetzte hinzu, „ daß er ihn in den Salon geführt habe “.
Frau von Carayon nickte zuſtimmend.
„ Ich wußte, das er kommen würde, “ſagte Victoire.
9*132„ Weil Dus geträumt? “
„ Nein, nicht geträumt; ich beobachte nur und rechne. Seit einiger Zeit weiß ich im voraus, an welchem Tag und bei welcher Gelegenheit er erſcheinen wird. Er kommt immer, wenn etwas geſchehen iſt oder eine Neuigkeit vorliegt, über die ſich bequem ſprechen läßt. Er geht einer intimen Unterhaltung mit mir aus dem Wege. So kam er nach der Auf¬ führung des Stücks, und heute kommt er nach der Aufführung der Schlittenfahrt. Ich bin doch begierig, ob er mit dabei war. War ers, ſo ſag ihm, wie ſehr es mich verletzt hat. Oder ſag es lieber nicht “.
Frau von Carayon war bewegt. „ Ach, meine ſüße Victoire, Du biſt zu gut, viel zu gut. Er ver¬ dient es nicht; keiner. “ Und ſie ſtreichelte die Tochter und ging über den Korridor fort in den Salon, wo Schach ihrer wartete.
Dieſer ſchien weniger befangen als ſonſt und verbeugte ſich ihr die Hand zu küſſen, was ſie freund¬ lich geſchehen ließ. Und doch war ihr Benehmen verändert. Sie wies mit einem Ceremoniell, das ihr ſonſt fremd war, auf einen der zur Seite ſtehenden japaniſchen Stühle, ſchob ſich ein Fußkiſſen heran, und nahm ihrerſeits[auf] dem Sofa Platz.
„ Ich komme, nach dem Befinden der Damen zu fragen und zugleich in Erfahrung zu bringen, ob die133 geſtrige Maskerade Gnade vor Ihren Augen gefunden hat oder nicht. “
„ Offen geſtanden, nein. Ich, für meine Perſon, fand es wenig paſſend, und Victoire fühlte ſich beinah widerwärtig davon berührt. “
„ Ein Gefühl, das ich teile. “
„ So waren Sie nicht mit von der Partie? “
„ Sicherlich nicht. Und es überraſcht mich, es noch erſt verſichern zu müſſen. Sie kennen ja meine Stellung zu dieſer Frage, meine teure Joſephine, kennen ſie ſeit jenem Abend, wo wir zuerſt über das Stück und ſeinen Verfaſſer ſprachen. Was ich damals äußerte, gilt ebenſo noch heut. Ernſte Dinge fordern auch eine ernſte Behandlung, und es freut mich auf¬ richtig, Victoiren auf meiner Seite zu ſehen. Iſt ſie zu Haus? “
„ Zu Bett. “
„ Ich hoffe nichts Ernſtliches. “
„ Ja und nein. Die Nachwirkungen eines Bruſt - und Weinkrampfes, von dem ſie geſtern Abend befallen wurde. “
„ Mutmaßlich infolge dieſer Maskeradentollheit. Ich beklag es von ganzem Herzen. “
„ Und doch bin ich eben dieſer Tollheit zu Danke verpflichtet. In dem Degoût über die Mummerei, deren Zeuge ſie ſein mußte, löſte ſich ihr die Zunge;134 ſie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen. “
Schach, der ſich doppelt ſchuldig fühlte, war wie mit Blut übergoſſen.
„ Lieber Schach, “fuhr Frau von Carayon fort, während ſie jetzt ſeine Hand nahm und ihn aus ihren klugen Augen freundlich aber feſt anſah: „ lieber Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu den Dingen, die mir am meiſten verhaßt ſind, gehört auch Tugendſchwätzerei. Ich habe von Jugend auf in der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuch¬ leriſch genug, es vor mir und andern verbergen zu wollen, wie könnt ich es vor Ihnen? “
Sie ſchwieg einen Augenblick, während ſie mit ihrem Battiſttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm ſie das Wort wieder auf und ſetzte hinzu: „ Freilich es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die den Spruch von der Linken, die nicht wiſſen ſoll was die Rechte thut, dahin deuten, daß das Heute nicht wiſſen ſoll, was das Geſtern that. Oder wohl gar das Vorgeſtern! Ich aber gehöre nicht zu dieſen Virtuoſinnen des Vergeſſens. Ich leugne nichts, will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie mich, wenn Sie können. “
Er war erſichtlich getroffen, als ſie ſo ſprach, und135 ſeine ganze Haltung zeigte, welche Gewalt ſie noch immer über ihn ausübte.
„ Lieber Schach, “fuhr ſie fort, „ Sie ſehen, ich gebe mich Ihrem Urteil preis. Aber wenn ich mich auch bedingungslos einer jeden Verteidigung oder An¬ waltſchaft für Joſephine von Carayon enthalte, für Joſephine (Verzeihung, Sie haben eben ſelbſt den alten Namen wieder heraufbeſchworen) ſo darf ich doch nicht darauf verzichten, der Anwalt der Frau von Carayon zu ſein, ihres Hauſes und ihres Namens. “
Es ſchien, daß Schach unterbrechen wollte. Sie ließ es aber nicht zu. „ Noch einen Augenblick. Ich werde gleich geſagt haben, was ich zu ſagen habe. Victoire hat mich gebeten, über alles zu ſchweigen, nichts zu verraten, auch Ihnen nicht, und nichts zu verlangen. Zur Sühne für eine halbe Schuld (und ich rechne hoch, wenn ich von einer halben Schuld ſpreche) will ſie die ganze tragen, auch vor der Welt, und will ſich in jenem romantiſchen Zuge, der ihr eigen iſt, aus ihrem Unglück ein Glück erziehen. Sie gefällt ſich in dem Hochgefühl des Opfers, in einem ſüßen Hinſterben für den, den ſie liebt, und für das, was ſie lieben wird. Aber ſo ſchwach ich in meiner Liebe zu Victoire bin, ſo bin ich doch nicht ſchwach genug, ihr in dieſer Großmutskomödie zu willen zu ſein. Ich gehöre der Geſellſchaft an, deren Be¬ dingungen ich erfülle, deren Geſetzen ich mich unter¬136 werfe; daraufhin bin ich erzogen, und ich habe nicht Luſt einer Opfermarotte meiner einzig geliebten Tochter zur Liebe, meine geſellſchaftliche Stellung mit zum Opfer zu bringen. Mit andern Worten, ich habe nicht Luſt ins Kloſter zu gehen oder die dem Irdiſchen entrückte Säulenheilige zu ſpielen, auch nicht um Victoirens willen. Und ſo muß ich denn auf Legiti¬ miſierung des Geſchehenen dringen. Dies, mein Herr Rittmeiſter, war es, was ich Ihnen zu ſagen hatte. “
Schach, der inzwiſchen Gelegenheit gefunden hatte ſich wieder zu ſammeln, erwiderte, „ daß er wohl wiſſe, wie jegliches Ding im Leben ſeine natürliche Konſequenz habe. Und ſolcher Konſequenz gedenk er ſich nicht zu entziehen. Wenn ihm das, was er jetzt wiſſe, bereits früher bekannt geworden ſei, würd er um eben die Schritte, die Frau von Cayron jetzt fordere, ſeinerſeits aus freien Stücken gebeten haben. Er habe den Wunſch gehabt, unverheiratet zu bleiben, und von einer ſolchen langgehegten Vorſtellung Abſchied zu nehmen, ſchaffe momentan eine gewiſſe Verwirrung. Aber er fühle mit nicht mindrer Gewißheit, daß er ſich zu dem Tage zu beglückwünſchen habe, der binnen kurzem dieſen Wechſel in ſein Leben bringen werde. Victoire ſei der Mutter Tochter, das ſei die beſte Gewähr ſeiner Zukunft, die Verheißung eines wirklichen Glücks. “
All dies wurde ſehr artig und verbindlich ge¬137 ſprochen, aber doch zugleich auch mit einer bemerkens¬ werten Kühle.
Dies empfand Frau von Carayon in einer ihr nicht nur ſchmerzlichen, ſondern ſie geradezu verletzenden Weiſe; das, was ſie gehört hatte, war weder die Sprache der Liebe noch der Schuld, und als Schach ſchwieg, erwiederte ſie ſpitz: „ Ich bin Ihnen ſehr dankbar für Ihre Worte, Herr von Schach, ganz be¬ ſonders auch für das, was ſich darin an meine Perſon richtete. Daß Ihr ‚ ja‘ rückhaltloſer und un¬ geſuchter hätte klingen können, empfinden Sie wohl am eignen Herzen. Aber gleichviel, mir genügt das ‚ Ja‘. Denn wonach dürſt ich denn am Ende? Nach einer Trauung im Dom und einer Galahochzeit. Ich will mich einmal wieder in gelbem Atlas ſehn, der mir kleidet, und haben wir dann erſt unſren Fackeltanz getanzt und Victoirens Strumpfband zer¬ ſchnitten — denn ein wenig prinzeßlich werden wirs doch wohl halten müſſen, ſchon um Tante Margueritens willen — nun ſo geb ich Ihnen charte blanche, Sie ſind dann wieder frei, frei wie der Vogel in der Luft, in Thun und Laſſen, in Haß und Liebe, denn es iſt dann einfach geſchehen, was geſchehen mußte. “
Schach ſchwieg.
„ Ich nehme vorläufig ein ſtilles Verlöbnis an. Über alles andre werden wir uns leicht verſtändigen. 138Wenn es ſein muß, ſchriftlich. Aber die Kranke wartet jetzt auf mich, und ſo verzeihen Sie. “
Frau von Carayon erhob ſich und gleich danach verabſchiedete ſich Schach in aller Förmlichkeit, ohne daß weiter ein Wort zwiſchen ihnen geſprochen worden wäre.
In beinah offner Gegnerſchaft hatte man ſich getrennt. Aber es ging alles beſſer, als nach dieſer gereizten Unterhaltung er¬ wartet werden konnte, wozu ſehr weſentlich ein Brief beitrug,[den] Schach andern Tags an Frau von Ca¬ rayon ſchrieb. Er bekannte ſich darin in allem Frei¬ mut ſchuldig, ſchützte, wie ſchon während des Ge¬ ſprächs ſelbſt, Überraſchung und Verwirrung vor, und traf in all dieſen Erklärungen einen wärmeren Ton, eine herzlichere Sprache. Ja, ſein Rechtsgefühl, dem er ein Genüge thun wollte, ließ ihn vielleicht mehr ſagen, als zu ſagen gut und klug war. Er ſprach von ſeiner Liebe zu Vicioiren und vermied abſichtlich oder zufällig all jene Verſicherungen von Reſpekt und140 Wertſchätzung, die ſo bitter wehe thun, wo das ein¬ fache Geſtändnis einer herzlichen Neigung gefordert wird. Victoire ſog jedes Wort ein, und als die Mama ſchließlich den Brief aus der Hand legte, ſah dieſe letztre nicht ohne Bewegung, wie zwei Minuten Glück ausgereicht hatten, ihrem armen Kinde die Hoffnung, und mit dieſer Hoffnung auch die verlorene Friſche zurückzugeben. Die Kranke ſtrahlte, fühlte ſich wie geneſen, und Frau von Carayon ſagte: „ wie hübſch Du biſt, Victoire. “
Schach empfing am ſelben Tage noch ein Ant¬ wortsbillet, das ihm unumwunden die herzliche Freude ſeiner alten Freundin ausdrückte. Manches Bittre, was ſie geſagt habe, mög er vergeſſen; ſie habe ſich, lebhaft wie ſie ſei, hinreißen laſſen. Im Übrigen ſei noch nichts Ernſtliches und Erhebliches verſäumt, und wenn, dem Sprichworte nach, aus Freude Leid er¬ blühe, ſo kehre ſichs auch wohl um. Sie ſehe wieder hell in die Zukunft und hoffe wieder. Was ſie per¬ ſönlich zum Opfer bringe, bringe ſie gern, wenn dies Opfer die Bedingung für das Glück ihrer Tochter ſei.
Schach, als er das Billet geleſen, wog es hin und her, und war erſichtlich von einer gemiſchten Empfindung. Er hatte ſich, als er in ſeinem Briefe von Victoire ſprach, einem ihr nicht leicht von irgend¬ wem zu verſagenden, freundlich-herzlichen Gefühl über¬ laſſen, und dieſem Gefühle (deſſen entſann er ſich)141 einen beſonders lebhaften Ausdruck gegeben. Aber das, woran ihn das Billet ſeiner Freundin jetzt aufs neue gemahnte, das war mehr, das hieß einfach Hochzeit, Ehe, Worte, deren bloßer Klang ihn von alter Zeit her erſchreckte. Hochzeit! Und Hochzeit mit wem? Mit einer Schönheit, die, wie der Prinz ſich auszudrücken beliebt hatte, „ durch ein Fegefeuer gegangen war. “ „ Aber, “ſo fuhr er in ſeinem Selbſt¬ geſpräche fort, „ ich ſtehe nicht auf dem Standpunkte des Prinzen, ich ſchwärme nicht für, Läuterungspro¬ zeſſe‘, hinſichtlich deren nicht feſtſteht, ob der Verluſt nicht größer iſt als der Gewinn, und wenn ich mich auch perſönlich zu dieſem Standpunkte bekehren könnte, ſo bekehr ich doch nicht die Welt ... Ich bin rettungs¬ los dem Spott und Witz der Kameraden verfallen, und das Ridikül einer allerglücklichſten, Land-Ehe‘, die wie das Veilchen im Verborgnen blüht, liegt in einem wahren Muſterexemplare vor mir. Ich ſehe genau, wies kommt: ich quittiere den Dienſt, übernehme wie¬ der Wuthenow, ackre, melioriere, ziehe Raps oder Rübſen, und befleißige mich einer allerehelichſten Treue. Welch Leben, welche Zukunft! An einem Sonntage Predigt, am andern Evangelium oder Epiſtel, und dazwiſchen Whiſt en trois, immer mit demſelben Paſtor. Und dann kommt einmal ein Prinz in die nächſte Stadt, vielleicht Prinz Louis in Perſon, und wechſelt die Pferde, während ich erſchienen bin um142 am Thor oder am Gaſthof ihm aufzuwarten. Und er muſtert mich und meinen altmodiſchen Rock, und frägt mich: ‚ wie mirs gehe?‘ Und dabei drückt jede ſeiner Mienen aus:, O Gott, was doch drei Jahr aus einem Menſchen machen können. ‘ Drei Jahr .. Und vielleicht werden es dreißig. “
Er war in ſeinem Zimmer auf und abgegangen, und blieb vor einer Spiegelkonſole ſtehn, auf der der Brief lag, den er während des Sprechens bei¬ ſeite gelegt hatte. Zwei, dreimal hob er ihn auf und ließ ihn wieder fallen. „ Mein Schickſal. Ja, ‚ der Moment entſcheidet. ‘ Ich entſinne mich noch, ſo ſchrieb ſie damals. Wußte ſie, was kommen würde? Wollte ſies? O pfui, Schach, verunglimpfe nicht das ſüße Geſchöpf. Alle Schuld liegt bei Dir. Deine Schuld iſt Dein Schickſal. Und ich will ſie tragen. “
Er klingelte, gab dem Diener einige Weiſungen, und ging zu den Carayons.
Es war, als ob er ſich durch das Selbſtgeſpräch, das er geführt, von dem Drucke, der auf ihm laſtete, frei gemacht habe. Seine Sprache der alten Freundin gegenüber war jetzt natürlich, beinah herzlich, und ohne daß auch nur eine kleinſte Wolke das wieder¬ hergeſtellte Vertrauen der Frau von Carayon getrübt hätte, beſprachen beide was zu thun ſei. Schach zeigte ſich einverſtanden mit allem: in einer Woche Ver¬143 lobung, und nach drei Wochen die Hochzeit. Un¬ mittelbar nach der Hochzeit aber ſollte das junge Paar eine Reiſe nach Italien antreten, und nicht vor Ab¬ lauf eines Jahres in die Heimat zurückkehren, Schach nach der Hauptſtadt, Victoire nach Wuthenow, dem alten Familiengute, das ihr, von einem früheren Be¬ ſuche her (als Schachs Mutter noch lebte) in dank¬ barer und freundlicher Erinnerung war. Und war auch das Gut inzwiſchen in Pacht gegeben, ſo war doch nach das Schloß da, ſtand frei zur Verfügung, und konnte jeden Augenblick bezogen werden.
Nach Feſtſetzungen wie dieſe, trennte man ſich. Ein Sonnenſchein lag über dem Hauſe Carayon, und Victoire vergaß aller Betrübnis die vorausge¬ gangen war.
Auch Schach legte ſichs zurecht. Italien wieder¬ zuſehen, war ihm ſeit ſeinem erſten, erſt um wenige Jahre zurückliegenden Aufenthalte daſelbſt, ein brennen¬ der Wunſch geblieben; der erfüllte ſich nun; und kehrten ſie dann zurück, ſo ließ ſich ohne Schwierigkeit auch aus der geplanten doppelten Wirtſchaftsführung allerlei Nutzen und Vorteil ziehen. Victoire hing an Landleben und Stille. Von Zeit zu Zeit nahm er dann Urlaub und fuhr oder ritt hinüber. Und dann gingen ſie durch die Felder und plauderten. O, ſie plauderte ja ſo gut, und war einfach und espritvoll zugleich. Und nach abermals einem Jahr, oder einem144 zweiten und dritten, je nun, da hatte ſichs verblutet, da war es tot und vergeſſen. Die Welt vergißt ſo leicht, und die Geſellſchaft noch leichter. Und dann hielt man ſeinen Einzug in das Eckhaus am Wilhelms¬ platz und freute ſich beiderſeits der Rückkehr in Ver¬ hältniſſe, die doch ſchließlich nicht blos ſeine, ſondern auch ihre Heimat bedeuteten. Alles war überſtanden und das Lebensſchiff an der Klippe des Lächerlichen nicht geſcheitert.
Armer Schach! Es war anders in den Sternen geſchrieben.
Die Woche, die bis zur Verlobungsanzeige ver¬ gehen ſollte, war noch nicht um, als ihm ein Brief mit voller Titelaufſchrift und einem großen roten Siegel ins Haus geſchickt wurde. Den erſten Augen¬ blick hielt ers für ein amtliches Schreiben (vielleicht eine Beſtallung) und zögerte mit dem Öffnen, um die Vorfreude der Erwartung nicht abzukürzen. Aber woher kam es? von wem? Er prüfte neugierig das Siegel und erkannte nun leicht, daß es überhaupt kein Siegel, ſondern ein Gemmenabdruck ſei. Son¬ derbar. Und nun erbrach ers und ein Bild fiel ihm entgegen, eine radierte Skizze mit der Unterſchrift: Le choix du Schach. Er wiederholte ſich das Wort. ohne ſich in ihm oder dem Bilde ſelbſt zurecht finden zu können und empfand nur ganz allgemein und aufs Unbeſtimmte hin etwas von Angriff und Gefahr. 145Und wirklich, als er ſich orientiert hatte, ſah er, daß ſein erſtes Gefühl ein richtiges geweſen war. Unter einem Thronhimmel ſaß der perſiſche Schach, er¬ kennbar an ſeiner hohen Lammfellmütze, während an der unterſten Thronſtufe zwei weibliche Geſtalten ſtanden und des Augenblicks harrten, wo der von ſeiner Höhe her kalt und vornehm Dreinſchauende ſeine Wahl zwiſchen ihnen getroffen haben würde. Der perſiſche Schach aber war einfach unſer Schach und zwar in allerfrappanteſter Porträtähnlichkeit, während die beiden ihn fragend anblickenden, und um vieles flüchtiger ſkizzierten Frauenköpfe, wenigſtens ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit aller Leichtigkeit erkennen zu laſſen. Alſo nicht mehr und nicht weniger als eine Karrikatur. Sein Verhältnis zu den Carayons hatte ſich in der Stadt herumgeſprochen und einer ſeiner Neider und Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegen¬ heit ergriffen, ſeinem boshaften Gelüſt ein Genüge zu thun.
Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut ſtieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.
Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Be¬ wegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeſchoſſen ſei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu10146machen. Begegnungen und Geplauder ſollten ihn zerſtreuen, ihm ſeine Ruhe wiedergeben. Was war es denn ſchließlich? Ein kleinlicher Akt der Rache.
Die Friſche draußen that ihm wohl; er atmete freier und hatte ſeine gute Laune faſt ſchon wieder¬ gewonnen, als er vom Wilhelmsplatz her in die Linden einbiegend, auf die ſchattigere Seite der Straße hinüber¬ ging, um hier ein paar Bekannte, die des Wegs kamen, anzuſprechen. Sie vermieden aber ein Geſpräch und wurden ſichtlich verlegen. Auch Zieten kam, grüßte nonchalant und wenn nicht alles täuſchte ſogar mit hämiſcher Miene. Schach ſah ihm nach, und ſann und überlegte noch, was die Suffiſance des einen und die verlegenen Geſichter der andern bedeutet haben mochten, als er, einige Hundert Schritte weiter aufwärts, einer ungewöhnlich großen Menſchenmenge gewahr wurde, die vor einem kleinen Bilderladen ſtand. Einige lachten, andre ſchwatzten, alle jedoch ſchienen zu fragen „ was es eigentlich ſei? “ Schach ging im Bogen um die Zuſchauermenge herum, warf einen Blick über ihre Köpfe weg, und wußte genug. An dem Mittelfenſter hing dieſelbe Karrikatur, und der abſichtlich niedrig normierte Preis war mit Rotſtift groß darunter ge¬ ſchrieben.
Alſo eine Verſchwörung.
Schach hatte nicht die Kraft mehr ſeinen Spazier¬147 gang fortzuſetzen, und kehrte in ſeine Wohnung zurück.
Um Mittag empfing Sander ein Billet von Bülow: „ Lieber Sander. Eben erhalt ich eine Karrikatur, die man auf Schach und die Carayonſchen Damen gemacht hat. In Zweifel darüber, ob Sie dieſelbe ſchon kennen, ſchließ ich ſie dieſen Zeilen bei. Bitte, ſuchen Sie dem Urſprunge nachzugehn. Sie wiſſen ja alles, und hören das Berliner Gras wachſen. Ich meinſeits bin empört. Nicht Schachs halber, der dieſen ‚ Schach von Perſien‘ einigermaßen verdient (denn er iſt wirklich ſo was), aber der Carayons halber. Die liebenswürdige Victoire! So bloßgeſtellt zu werden. Alles Schlechte nehmen wir uns von den Franzoſen an, und an ihrem Guten, wohin auch die Gentilezza gehört, gehen wir vorüber. Ihr B. “
Sander warf nur einen flüchtigen Blick auf das Bild, das er kannte, ſetzte ſich an ſein Pult und antwortete: „ Mon Général! Ich brauche dem Urſprunge nicht nachzugehen, er iſt mir nachgegangen. Vor etwa vier, fünf Tagen erſchien ein Herr in meinem Kontor und befragte mich, ob ich mich dazu verſtehen würde, den Vertrieb einiger Zeichnungen in die Hand zu nehmen. Als ich ſah, um was es ſich handelte, lehnt ich ab. Es waren drei Blätter, darunter auch le choix du Schach. Der bei mir erſchienene Herr gerierte ſich als ein Fremder, aber er ſprach, alles10*148gekünſtelten Radebrechens unerachtet, das Deutſche ſo gut, daß ich ſeine Fremdheit für bloße Maske halten mußte. Perſonen aus dem Prinz R. ſchen Kreiſe, nehmen Anſtoß an ſeinem Gelieble mit der Prinzeſſin, und ſtecken vermutlich dahinter. Irr ich aber in dieſer Annahme, ſo wird mit einer Art von Sicherheit auf Kameraden ſeines Regiments zu ſchließen ſein. Er iſt nichts weniger als beliebt. Wer den Aparten ſpielt, iſt es nie. Die Sache möchte hingehn, wenn nicht, wie Sie ſehr richtig hervorheben, die Carayons mit hineingezogen wären. Um ihret willen beklag ich den Streich, deſſen Gehäſſigkeit ſich in dieſem einem Bilde ſchwerlich erſchöpft haben wird. Auch die bei¬ den andern, deren ich Eingangs erwähnte, werden mutmaßlich folgen. Alles in dieſem anonymen An¬ griff iſt klug berechnet, und klug berechnet iſt auch der Einfall, das Gift nicht gleich auf einmal zu geben. Es wird ſeine Wirkung nicht verfehlen, und nur auf das ‚ wie‘ haben wir zu warten. Tout à vous. S. “
In der That, die Beſorgnis, die Sander in die¬ ſen Zeilen an Bülow ausgeſprochen hatte, ſollte ſich nur als zu gerechtfertigt erweiſen. Intermittierend wie das Fieber, erſchienen in zweitägigen Pauſen auch die beiden andern Blätter, und wurden, wie das erſte, von jedem Vorübergehenden gekauft oder wenigſtens begafft und beſprochen. Die Frage Schach-Carayon war über Nacht zu einer cause celèbre geworden,149 trotzdem das neubegierige Publikum nur die Hälfte wußte. Schach, ſo hieß es, habe ſich von der ſchönen Mutter ab - und der unſchönen Tochter zugewandt. Über das Motiv erging man ſich in allerlei Mut¬ maßungen, ohne dabei das Richtige zu treffen.
Schach empfing auch die beiden andern Blätter unter Kouvert. Das Siegel blieb dasſelbe. Blatt 2 hieß „ La gazza ladra “oder die „ diebiſche Schach - Elſter “, und ſtellte eine Elſter dar, die, zwei Ringe von ungleichem Werte muſternd, den unſcheinbareren aus der Schmuckſchale nimmt.
Am weitaus verletzendſten aber berührte das den Salon der Frau von Carayon als Szenerie nehmende dritte Blatt. Auf dem Tiſche ſtand ein Schachbrett, deſſen Figuren, wie nach einem verloren gegangenen Spiel und wie um die Niederlage zu beſiegeln, um¬ geworfen waren. Daneben ſaß Victoire, gut getroffen, und ihr zu Füßen kniete Schach, wieder in der per¬ ſiſchen Mütze des erſten Bildes. Aber diesmal be¬ zipfelt und eingedrückt. Und darunter ſtand: „ Schach — matt. “
Der Zweck dieſer wiederholten Angriffe wurde nur zu gut erreicht. Schach ließ ſich krank melden, ſah niemand und bat um Urlaub, der ihm auch um¬ gehend von ſeinem Chef, dem Oberſten von Schwerin, gewährt wurde.
150So kam es, daß er am ſelben Tag, an dem, nach gegenſeitigem Abkommen, ſeine Verlobung mit Victoire veröffentlicht werden ſollte, Berlin verließ. Er ging auf ſein Gut, ohne ſich von den Carayons (deren Haus er all die Zeit über nicht betreten hatte) verabſchiedet zu haben.
Es ſchlug Mitternacht, als Schach in Wuthe¬ now eintraf, an deſſen entgegengeſetzter Seite das auf einem Hügel erbaute, den Ruppiner See nach rechts und links hin überblickende Schloß Wuthenow lag. In den Häuſern und Hütten war alles längſt in tiefem Schlaf, und nur aus den Ställen her hörte man noch das Stampfen eines Pferds oder das halblaute Brüllen einer Kuh.
Schach paſſierte das Dorf und bog am Ausgang in einen ſchmalen Feldweg ein, der, allmählich an¬ ſteigend, auf den Schloßhügel hinauf führte. Rechts lagen die Bäume des Außenparks, links eine gemähte Wieſe, deren Heugeruch die Luft erfüllte. Das Schloß ſelbſt aber war nichts als ein alter, weißgetünchter152 und von einer ſchwarzgeteerten Balkenlage durch¬ zogener Fachwerkbau, dem erſt Schachs Mutter, die „ verſtorbene Gnädige “, durch ein Doppeldach, einen Blitzableiter und eine prächtige, nach dem Muſter von Sansſouci hergerichtete Terraſſe, das Anſehen aller¬ nüchternſter Tagtäglichkeit genommen hatte. Jetzt freilich, unter dem Sternenſchein, lag alles da wie das Schloß im Märchen, und Schach hielt öfters an und ſah hinauf, augenſcheinlich betroffen von der Schönheit des Bildes.
Endlich war er oben und ritt auf das Einfahrts¬ thor zu, das ſich in einem flachen Bogen zwiſchen dem Giebel des Schloſſes und einem danebenſtehenden Geſindehauſe wölbte. Vom Hof her vernahm er im ſelben Augenblick ein Bellen und Knurren und hörte, wie der Hund wütend aus ſeiner Hütte fuhr und mit ſeiner Kette nach rechts und links hin an der Holz¬ wandung umherſchrammte.
„ Kuſch Dich, Hektor. “ Und das Tier, die Stimme ſeines Herrn erkennend, begann jetzt vor Freude zu heulen und zu winſeln, und abwechſelnd auf die Hütte hinauf - und wieder hinunterzuſpringen.
Vor dem Geſindehauſe ſtand ein Wallnußbaum mit weitem Gezweige. Schach ſtieg ab, ſchlang den Zügel um den Aſt, und klopfte halblaut an einen der Fenſterläden. Aber erſt als er das zweite Mal ge¬ pocht hatte, wurd es lebendig drinnen, und er hörte153 von dem Alkoven her eine halb verſchlafene Stimme: „ Wat is? “
„ Ich, Kriſt. “
„ Jott, Mutter, dat's joa de junge Herr. “
„ Joa, dat is hei. Steih man upp un mach flink. “
Schach hörte jedes Wort und rief gutmütig in die Stube hinein, während er den nur angelegten Laden halb öffnete: „ Laß Dir Zeit, Alter. “
Aber der Alte war ſchon aus dem Bette heraus, und ſagte nur immer, während er hin und her ſuchte: „ Glieks, junge Herr, glieks. Man noch en beten “.
Und wirklich nicht lange, ſo ſah Schach einen Schwefelfaden brennen, und hörte, daß eine Laternen¬ thür auf - und wieder zugeknipſt wurde. Richtig, ein erſter Lichtſchein blitzte jetzt durch die Scheiben, und ein paar Holzpantinen klappten über den Lehmflur hin. Und nun wurde der Riegel zurückgeſchoben, und Kriſt, der in aller Eile nichts als ein leinenes Beinkleid übergezogen hatte, ſtand vor ſeinem jungen Herrn. Er hatte, vor manchem Jahr und Tag, als der alte „ Gnädge-Herr “geſtorben war, den durch dieſen Todesfall erledigten Ehren - und Reſpektstitel auf ſeinen jungen Herrn übertragen wollen, aber dieſer, der mit Kriſt das erſte Waſſerhuhn geſchoſſen und die erſte Bootfahrt über den See gemacht hatte, hatte von dem neuen Titel nichts wiſſen wollen.
„ Jott, junge Herr, ſunſt ſchrewens doch ümmer154 ihrſt, o'r ſchicken uns o'r den kleenen in¬ gliſchen Kierl. Un nu keen Wort nich. Awers ick wußt 'et joa, as de Poggen hüt Oabend mit ehr Gequoak nich to Enn' koam 'künn'n. ‚ Jei, jei, Mutter, ‘ſeggt ick, ‚ dat bedüt' wat‘ Awers as de Fruenslüd 'ſinn! Wat ſeggt ſe? ‚ Wat ſall et bedüden?‘ ſeggt ſe, ‚ Regen bedüt et. Un dat's man gaud. Denn unſ' Tüffeln bruken't. ‘
„ Ja, ja, “ſagte Schach, der nur mit halbem Ohr hingehört hatte, während der Alte die kleine Thür aufſchloß, die von der Giebelſeite her ins Schloß führte. „ Ja, ja. Regen iſt gut. Aber geh nur vorauf. “
Kriſt that wie ſein junger Herr ihm geheißen, und beide gingen nun einen mit Flieſen gedeckten ſchmalen Korridor entlang. Erſt in der Mitte ver¬ breiterte ſich dieſer und bildete nach links hin eine geräumige Treppenhalle, während nach rechts hin eine mit Goldleiſten und Rokokoverzierungen reich aus¬ gelegte Doppelthür in einen Gartenſalon führte, der als Wohn - und Empfangszimmer der verſtorbenen Frau Generalin von Schach, einer ſehr vornehmen und ſehr ſtolzen alten Dame gedient hatte. Hierher richteten ſich denn auch die Schritte beider, und als Kriſt die halb verquollene Thür nicht ohne Müh und Anſtrengung geöffnet hatte, trat man ein.
Unter dem Vielen, was an Kunſt - und Erinne¬ rungsgegenſtänden in dieſem Gartenſalon umherſtand,155 war auch ein bronzener Dopelleuchter, den Schach ſelber, vor drei Jahren erſt, von ſeiner italieniſchen Reiſe mit nach Hauſe gebracht und ſeiner Mutter verehrt hatte. Dieſen Leuchter nahm jetzt Kriſt vom Kamin und zündete die beiden Wachslichter an, die ſeit lange ſchon in den Leuchtertellern ſteckten, und ihrerzeit der verſtorbenen Gnädigen zum Siegeln ihrer Briefe gedient hatten. Die Gnädige ſelbſt aber war erſt ſeit einem Jahre tot, und da Schach, von jener Zeit an, nicht wieder hier geweſen war, ſo hatte noch alles den alten Platz. Ein paar kleine Sofas ſtanden wie früher an den Schmalſeiten einander gegen¬ über, während zwei größere die Mitte der Längswand einnahmen und nichts als die vergoldete Rokoko-Doppel¬ thür zwiſchen ſich hatten. Auch der runde Roſenholz¬ tiſch (ein Stolz der Generalin) und die große Mar¬ morſchale, darin alabaſterne Weintrauben und Orangen und ein Pinienapfel lagen, ſtanden unverändert an ihrem Platz. In dem ganzen Zimmer aber, das ſeit lange nicht gelüftet war, war eine ſtickige Schwüle.
„ Mach ein Fenſter auf, “ſagte Schach. „ Und dann gieb mir eine Decke. Die da. “
„ Wullen's ſich denn hier hen leggen, junge Herr? “
„ Ja, Kriſt. Ich habe ſchon ſchlechter gelegen. “
„ Ick weet. Jott, wenn de oll jnädge Herr uns156 doavunn vertellen deih! Ümmer ſo platſch in'n Kalkmodder 'rin. Nei, nei, dat wihr nix för mi. ‚ Jott, jnädge Herr‘ ſeggt ick denn ümmer, ‚ ick gloob de Huut geit em runner‘. Awers denn lachte joa de oll jnädge Herr ümmer, un ſeggte: ‚ Nei, Kriſt, unſ' Huut ſitt faſt. ‘
Während der Alte noch ſo ſprach und vergan¬ gener Zeiten gedachte, griff er zugleich doch nach einem breiten, aus Rohr geflochtenen Ausklopfer, der in einer Kaminecke ſtand, und verſuchte damit das eine Sofa, das ſich Schach als Lagerſtätt ausgewählt hatte, wenigſtens aus dem Gröbſten herauszubringen. Aber der dichte Staub, der aufſtieg, zeigte nur das Vergebliche ſolcher Bemühungen, und Schach ſagte mit einem Anfluge von guter Laune: „ Störe den Staub nicht in ſeinem Frieden. “ Und erſt als ers geſprochen hatte, fiel ihm der Doppelſinn darin auf, und er gedachte der Eltern, die drunten in der Dorf¬ kirche in großen Kupferſärgen und mit einem aufge¬ löteten Kruzifix darauf, in der alten Gruft der Fa¬ milie ſtanden.
Aber er hing dem Bilde nicht weiter nach und warf ſich aufs Sofa. „ Meinem Schimmel gieb ein Stück Brod und einen Eimer Waſſer; dann hält er aus bis morgen. Und nun ſtelle das Licht ans Fenſter und laß es brennen ... Nein, nicht da, nicht ans offene; an das daneben. Und nun gute Nacht,157 Kriſt. Und ſchließe von außen zu, daß ſie mich nicht wegtragen. “
„ Ih, ſe wihren doch nich .. “
Und Schach hörte bald danach die Pantinen, wie ſie den Korridor hinunterklappten. Ehe Kriſt aber die Giebelthür noch erreicht, und von außen her zuge¬ ſchloſſen haben konnte, legte ſichs ſchon ſchwer und bleiern auf ſeines Herrn überreiztes Gehirn.
Freilich nicht auf lang. Aller auf ihm laſtenden Schwere zum Trotz, empfand er deutlich, daß etwas über ihn hinſumme, ihn ſtreife und kitzle, und als ein ſich Drehen und Wenden und ſelbſt ein unwill¬ kürliches und halbverſchlafenes Umherſchlagen mit der Hand nichts helfen wolle, riß er ſich endlich auf und zwang ſich ins Wachen zurück. Und nun ſah er, was es war. Die beiden eben verſchweelenden Lichter, die mit ihrem Qualme die ſchon ſtickige Luft noch ſtickiger gemacht hatten, hatten allerlei Getier vom Garten her in das Zimmer gelockt, und nur über Art und Beſchaffenheit deſſelben war noch ein Zweifel. Einen Augenblick dacht er an Fledermäuſe; ſehr bald aber mußt er ſich überzeugen, daß es einfach rieſige Motten und Nachtſchmetterlinge waren, die zu ganzen Dutzenden in dem Saale hin und her flogen, an die Scheiben ſtießen und vergeblich das offne Fenſter wieder zu finden ſuchten.
Er raffte nun die Decke zuſammen und ſchlug158 mehrmals durch die Luft, um die Störenfriede wieder hinauszujagen. Aber das unter dieſem Jagen und Schlagen immer nur ängſtlicher werdende Geziefer, ſchien ſich zu verdoppeln, und ſummte nur dichter und lauter als vorher um ihn herum. An Schlaf war nicht mehr zu denken, und ſo trat er denn ans offne Fenſter und ſprang hinaus, um, draußen um¬ hergehend, den Morgen abzuwarten.
Er ſah nach der Uhr. Halb zwei. Die dicht vor dem Salon gelegene Gartenanlage beſtand aus einem Rondeel mit Sonnenuhr, um das herum, in meiſt dreieckigen und von Buchsbaum eingefaßten Beeten, allerlei Sommerblumen blühten: Reſeda und Ritterſporn, und Lilien und Levkojen. Man ſah leicht, daß eine ordnende Hand hier neuerdings gefehlt hatte, trotzdem Kriſt zu ſeinen vielfachen Ämtern auch das eines Gärtners zählte; die Zeit indeß, die ſeit dem Tode der Gnädigen vergangen war, war andrerſeits eine viel zu kurze noch, um ſchon zu vollſtändiger Verwilderung geführt zu haben. Alles hatte nur erſt den Charakter eines wuchernden Blühens ange¬ nommen, und ein ſchwerer und doch zugleich auch erquicklicher Levkojenduft lag über den Beeten, den Schach in immer volleren Zügen einſog.
Er umſchritt das Rondeel, einmal, zehnmal, und balancierte, während er einen Fuß vor den andern ſetzte, zwiſchen den nur handbreiten Stegen hin. Er159 wollte dabei ſeine Geſchicklichkeit proben und die Zeit mit guter Manier hinter ſich bringen. Aber dieſe Zeit wollte nicht ſchwinden, und als er wieder nach der Uhr ſah, war erſt eine Viertelſtunde vergangen.
Er gab nun die Blumen auf und ſchritt auf einen der beiden Laubengänge zu, die den großen Parkgarten flankierten und von der Höhe bis faſt an den Fuß des Schloßhügels herniederſtiegen. An mancher Stelle waren die Gänge nach obenhin über¬ wachſen, an andern aber offen, und es unterhielt ihn eine Weile den abwechſelnd zwiſchen Dunkel und Licht liegenden Raum in Schritten auszumeſſen. Ein paarmal erweiterte ſich der Gang zu Niſchen und Tempelrun¬ dungen, in denen allerhand Sandſteinfiguren ſtanden: Götter und Göttinnen, an denen er früher viele hundert¬ male vorübergegangen war, ohne ſich auch nur im ge¬ ringſten um ſie zu kümmern oder ihrer Bedeutung nach¬ zuforſchen; heut aber blieb er ſtehn und freute ſich be¬ ſonders aller derer, denen die Köpfe fehlten, weil ſie die dunkelſten und unverſtändlichſten waren, und ſich am ſchwerſten erraten ließen. Endlich war er den Laubengang hinunter, ſtieg ihn wieder hinauf und wieder hinunter, und ſtand nun am Dorfausgang und hörte daß es zwei ſchlug. Oder bedeuteten die beiden Schläge halb? War es halb drei? Nein, es war erſt zwei.
Er gab es auf, das Auf und Nieder ſeiner160 Promenade noch weiter fortzuſetzen und beſchrieb lieber einen Halbkreis um den Fuß des Schloßhügels herum, bis er in Front des Schloſſes ſelber war. Und nun ſah er hinauf, und ſah die große Terraſſe, die von Orangeriekübeln und Cypreſſenpyramiden eingefaßt, bis dicht an den See hinunterführte. Nur ein ſchmal Stück Wieſe lag noch dazwiſchen, und auf eben dieſer Wieſe ſtand eine uralte Eiche, deren Schatten Schach jetzt umſchritt, einmal, vielemal, als würd er in ihrem Bann gehalten. Es war erſichtlich, daß ihn der Kreis, in dem er ging, an einen andern Kreis gemahnte, denn er murmelte vor ſich hin: könnt 'ich heraus!
Das Waſſer, das hier ſo verhältnismäßig nah an die Schloßterraſſe herantrat, war ein bloßer toter Arm des Sees, nicht der See ſelbſt. Auf dieſen See hinauszufahren aber, war in ſeinen Knabenjahren immer ſeine höchſte Wonne geweſen.
„ Iſt ein Boot da, ſo fahr ich. “ Und er ſchritt auf den Schilfgürtel zu, der die tief einmündende Bucht von drei Seilen her einfaßte. Nirgends ſchien ein Zugang. Schließlich indeß fand er einen über¬ wachſenen Steg, an deſſen Ende das große Sommer¬ boot lag, das ſeine Mama viele Jahre lang benutzt hatte, wenn ſie nach Karwe hinüberfuhr, um den Kneſebecks einen Beſuch zu machen. Auch Ruder und Stangen fanden ſich, während der flache Boden des Boots, um einen trockenen Fuß zu haben, mit hoch¬161 aufgeſchüttetem Binſenſtroh überdeckt war. Schach ſprang hinein, löſte die Kette vom Pflock und ſtieß ab. Irgend welche Ruderkünſte zu zeigen, war ihm vor der Hand noch unmöglich, denn das Waſſer war ſo ſeicht und ſchmal, daß er bei jedem Schlage das Schilf getroffen haben würde. Bald aber verbreiterte ſichs und er konnte nun die Ruder einlegen. Eine tiefe Stille herrſchte; der Tag war noch nicht wach, und Schach hörte nichts als ein leiſes Wehen und Rauſchen, und den Ton des Waſſers, das ſich gluckſend an dem Schilfgürtel brach. Endlich aber war er in dem großen und eigentlichen See, durch den der Rhin fließt, und die Stelle, wo der Strom ging, ließ ſich an einem Gekräuſel der ſonſt ſpiegelglatten Fläche deutlich erkennen. In dieſe Strömung bog er jetzt ein, gab dem Boote die rechte Richtung, legte ſich und die Ruder ins Binſenſtroh, und fühlte ſofort wie das Treiben und ein leiſes Schaukeln begann.
Immer blaſſer wurden die Sterne, der Himmel rötete ſich im Oſten und er ſchlief ein.
Als er erwachte, war das mit dem Strom gehende Boot ſchon weit über die Stelle hinaus, wo der tote Arm des Sees nach Wuthenow hin abbog. Er nahm alſo die Ruder wieder in die Hand und legte ſich mit aller Kraft ein, um aus der Strömung heraus und an die verpaßte Stelle zurückzukommen, und freute ſich der Anſtrengung dies ihm koſtete.
11162Der Tag war inzwiſchen angebrochen. Über dem Firſt des Wuthenower Herrenhauſes hing die Sonne, während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬ ſchein glühten und die Waldſtreifen ihren Schatten in den See warfen. Auf dem See ſelbſt aber begann es ſich zu regen, und ein die Morgenbriſe benutzender Torf¬ kahn glitt mit ausgeſpanntem Segel an Schach vorüber. Ein Fröſteln überlief dieſen. Aber dies Fröſteln that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck, der auf ihm laſtete, ſich dabei minderte. „ Nahm er es nicht zu ſchwer? Was war es denn am Ende? Bosheit und Übelwollen. Und wer kann ſich dem entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und die Bosheit hat ſich ausgelebt. “ Aber während er ſo ſich tröſtete, zogen auch wieder andre Bilder herauf, und er ſah ſich in einem Kutſchwagen bei den prinz¬ lichen Herrſchaften vorfahren, um ihnen Victoire von Carayon als ſeine Braut vorzuſtellen. Und er hörte deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter, der ſchönen Radiziwill, zuflüſterte: „ Est-elle riche? “ „ Sans doute. “ „ Ah, je comprends. “
Unter ſo wechſelnden Bildern und Betrachtungen bog er wieder in die kurz vorher ſo ſtille Bucht ein, in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben herrſchte. Die darin niſtenden Vögel kreiſchten oder gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬ ente, die ſich neugierig umſah, tauchte nieder, als das163 Boot plötzlich in Sicht kam. Eine Minute ſpäter, und Schach hielt wieder am Steg, ſchlang die Kette feſt um den Pflock, und ſtieg unter Vermeidung jedes Umwegs die Terraſſe hinauf, auf deren oberſtem Ab¬ ſatz er Kriſts Frau, der alten Mutter Kreepſchen begegnete, die ſchon auf war, um ihrer Ziege das erſte Grünfutter zu bringen.
„ Tag, Mutter Kreepſchen. “
Die Alte ſchrak zuſammen, ihren drinnen im Garten¬ ſalon vermuteten jungen Herrn (um deſſentwillen ſie die Hühner nicht aus dem Stall gelaſſen hatte, bloß damit ihr Gackern ihn nicht im Schlafe ſtören ſollte) jetzt von der Frontſeite des Schloſſes her auf ſich zu¬ kommen zu ſehn.
„ Jott, junge Herr. Wo kümmens denn her? “
„ Ich konnte nicht ſchlafen, Mutter Kreepſchen. “
„ Wat wihr denn los? Hätt et wedder ſpökt? “
„ Beinah. Mücken und Motten warens. Ich hatte das Licht brennen laſſen. Und der eine Fenſter¬ flügel war auf. “
„ Awers worümm hebbens denn dat Licht nich utpuuſt? Dat weet doch jed-een, wo Licht is, doa ſinn ook ümmer Gnitzen un Motten. Ick weet nich! Un mien oll Kreepſch, he woahrd ook ümmer dümm¬ ſcher. Jei, jei. Un nich en Oog to. “
„ Doch, Mutter Kreepſchen. Ich habe geſchlafen, im Boot, und ganz gut und ganz feſt. Aber jetzt11*164frier ich. Und wenns Feuer brennt, dann bringt Ihr mir wohl was Warmes. Nicht wahr? 'Ne Suppe oder' nen Kaffe. “
„ Jott, et brennt joa all lang, junge Herr; Füer is ümmer dat ihrſt. Verſteiht ſich, verſteiht ſich, wat Warm's. Un ick bring et ook glieks; man blot de oll Zick, de geiht för. Se jloben joar nich, junge Herr, wie ſchabernakſch ſo'n oll 'Zick' is. De weet, as ob ſe 'ne Uhr in'n Kopp hätt, ob et feif is o'r ſöſſ. Un wenn't ſöſſ is, denn wohrd ſe falſch. Un kumm ick denn un will ehr melken, joa, wat jloben ſe woll, wat ſe denn deiht? Denn ſtött ſe mi. Un ümmer hier in't Krüz, dicht bi de Hüft'. Un worümm? Wiel ſe weet, dat ick doa miene Wehdag 'hebben deih. Awers nu kummen's man ihrſt in unſ' Stuw, un ſetten ſich en beten dahl. Mien oll Kreepſch is joa nu groad bie't Pierd und ſchütt't em wat in. Awers keen Viertel¬ ſtunn mihr, junge Herr, denn hebben's ehren Koffe. Un ook wat dato. De oll Semmelfru von Herzberg wihr joa all hier. “
Unter dieſen Worten war Schach in Kreepſchens gute Stube getreten. Alles darin war ſauber und rein, nur die Luft nicht. Ein eigentümlicher Geruch herrſchte vor, der von einem Pfeffer - und Koriander - Mixtum herrührte, das die Kreepſchen als Motten¬ vertreibungsmittel in die Sophaecken geſteckt hatte. Schach öffnete deshalb das Fenſter, kettelte den Haken165 ein, und war nun erſt im Stande, ſich all der Kleinigkeiten zu freun, die die „ gute Stube “ſchmückten. Über dem Sopha hingen zwei kleine Kalenderbildchen, Anekdoten aus dem Leben des Großen Königs dar¬ ſtellend, „ Du, du “ſtand unter dem einen, und „ Bon soir, Messieurs “unter dem andern. Um die Bilder¬ chen und ihre Goldborte herum hingen zwei dicke Immortellenkränze mit ſchwarzen und weißen Schleifen daran, während auf dem kleinen, niedrigen Ofen eine Vaſe mit Zittergras ſtand. Das Hauptſchmuckſtück aber war ein Schilderhäuschen mit rotem Dach, in dem früher, aller Wahrſcheinlichkeit nach, ein Eich¬ kätzchen gehauſt und ſeinen Futterwagen an der Kette herangezogen hatte. Jetzt war es leer, und der Wagen hatte ſtille Tage.
Schach war eben mit ſeiner Muſterung fertig, als ihm auch ſchon gemeldet wurde: „ daß drüben alles klar ſei “.
Und wirklich, als er in den Gartenſalon eintrat, der ihm ein Nachtlager ſo beharrlich verweigert hatte, war er überraſcht, was Ordnungsſinn und ein paar freundliche Hände mittlerweile daraus gemacht hatten. Thür und Fenſter ſtanden auf, die Morgenſonne füllte den Raum mit Licht und aller Staub war von Tiſch und Sopha verſchwunden. Einen Augenblick ſpäter erſchien auch ſchon Kriſts Frau mit dem Kaffe, die Semmeln in einen Korb gelegt, und als Schach eben166 den Deckel von der kleinen Meißner Kanne heben wollte, klangen vom Dorfe her die Kirchenglocken herauf.
„ Was iſt denn das? “fragte Schach. „ Es kann ja kaum ſieben ſein. “
„ Juſtement ſieben, junge Herr. “
„ Aber ſonſt war es doch erſt um elf. Und um zwölfe dann Predigt. “
„ Joa, ſo wihr et. Awers nu nich mihr. Un ümmer den dritt'n Sünndag is et anners. Twee Sünndag ', wenn de Radenslebenſche kümmt, denn is't um twölwen, wiel he joa ihrſt in Radensleben preeſtern deiht, awers den dritten Sünndag, wenn de oll Rup¬ pinſche röwer kümmt, denn is et all um achten. Un ümmer. wenn unſ oll Kriwitz von ſine Thurmluk' ut unſen Ollſchen von dröwen abſtötten ſeiht, denn treckt he joa ſien Klock. Und dat's ümmer um ſeb'n. “
„ Wie heißt denn jetzt der Ruppinſche? “
„ Na, wie ſall he heten? He heet ümmer noch ſo. Is joa ümmer noch de oll Bienengräber. “
„ Bei dem bin ich ja eingeſegnet. War immer ein ſehr guter Mann. “
„ Joa, dat is he. Man blot, he hett keene Teihn mihr, ook nich een ', un nu brummelt un mummelt he ümmerto, un keen Minſch verſteiht em. “
„ Das iſt gewiß nicht ſo ſchlimm, Mutter Kreepſchen. Aber die Leute haben immer was auszuſetzen. Und167 nun gar erſt die Bauern! Ich will hingehen und mal wieder nachſehen, was mir der alte Bienengräber zu ſagen hat, mir und den andern. Hat er denn noch in ſeiner Stube das große Hufeiſen, dran ein Zehn¬ pfundgewicht hing? Das hab ich mir immer angeſehn, wenn ich nicht aufpaßte. “
„ Dat woahrd he woll noch hebben. De Jungens paſſen joa all nich upp. “
Und nun ging ſie, um ihren jungen Herrn nicht länger zu ſtören, und verſprach ihm ein Geſangbuch zu bringen.
Schach hatte guten Appetit und ließ ſich die Herz¬ berger Semmeln ſchmecken. Denn ſeit er Berlin ver¬ laſſen, war noch kein Biſſen über ſeine Lippen ge¬ kommen. Endlich aber ſtand er auf, um in die Gar¬ tenthür zu treten und ſah von hier aus über das Rondeel und die Buchsbaumrabatten und weiter da¬ hinter über die Baumwipfel des Parkes fort, bis ſein Auge ſchließlich auf einem ſonnenbeſchienenen Storchen¬ paar ausruhte, das unten, am Fuße des Hügels, über eine mit Ampfer und Ranunkel rot und gelb gemuſterte Wieſe hinſchritt.
Er verfiel im Anblicke dieſes Bildes in allerlei Betrachtungen; aber es läutete gerade zum dritten Mal, und ſo ging er denn ins Dorf hinunter, um, von dem herrſchaftlichen Chorſtuhl aus zu hören, „ was ihm der alte Bienengräber zu ſagen habe. “
168Bienengräber ſprach gut genug, ſo recht aus dem Herzen und der Erfahrung heraus, und als der letzte Vers geſungen und die Kirche wieder leer war, wollte Schach auch wirklich in die Sakriſtei gehen, dem Al¬ ten danken für manches gute Wort aus längſt ver¬ gangener Zeit her, und ihn in ſeinem Boot über den See hin zurückbegleiten. Unterwegs aber wollt er ihm alles ſagen, ihm beichten, und ſeinen Rat erbitten. Er würde ſchon Antwort wiſſen. Das Alter ſei alle¬ mal weiſe, und wenn nicht von Weisheits -, ſo doch bloß ſchon von Alters wegen. „ Aber, “unterbrach er ſich mitten in dieſem Vorſatze, „ was ſoll mir ſchlie߬ lich ſeine Antwort? hab ich dieſe Antwort nicht ſchon vorweg? hab ich ſie nicht in mir ſelbſt? Kenn ich nicht die Gebote? Was mir fehlt, iſt bloß die Luſt, ihnen zu gehorchen. “
Und während er ſo vor ſich hinredete, ließ er den Plan eines Zwiegeſprächs fallen, und ſtieg den Schloßberg wieder hinauf.
Er hatte von dem Gottesdienſt in der Kirche nichts abgehandelt, und doch ſchlug es erſt zehn, als er wieder oben anlangte.
Hier ging er jetzt durch alle Zimmer, einmal, zweimal, und ſah ſich die Bilder aller der Schachs an, die zerſtreut und in Gruppen an den Wänden umherhingen. Alle waren in hohen Stellungen in der Armee geweſen, alle trugen ſie den Schwarzen169 Adler oder den Pour le Merite. Das hier war der General, der bei Malplaquet die große Redoute nahm, und das hier war das Bild ſeines eigenen Gro߬ vaters, des Oberſten im Regiment Itzenplitz, der den Hochkirchner Kirchhof mit 400 Mann eine Stunde lang gehalten hatte. Schließlich fiel er, zerhauen und zerſchoſſen, wie alle die, die mit ihm waren. Und dazwiſchen hingen die Frauen, einige ſchön, am ſchönſten aber ſeine Mutter.
Als er wieder in dem Gartenſalon war, ſchlug es zwölf. Er warf ſich in die Sopha-Ecke, legte die Hand über Aug und Stirn und zählte die Schläge. „ Zwölf. Jetzt bin ich zwölf Stunden hier, und mir iſt als wären es zwölf Jahre .. Wie wird es ſein? Alltags die Kreepſchen, und Sonntags Bienengräber oder der Radenslebenſche, was keinen Unterſchied macht. Einer wie der andre. Gute Leute, verſteht ſich, alle gut .. Und dann geh ich mit Victoire durch den Garten, und aus dem Park auf die Wieſe, dieſelbe Wieſe, die wir vom Schloß aus immer und ewig und ewig und immer ſehn, und auf der der Ampfer und die Ranunkeln blühn. Und dazwiſchen ſpazieren die Störche. Vielleicht ſind wir allein; aber vielleicht läuft auch ein kleiner Dreijähriger neben uns her und ſingt in einem fort:, Adebaar, Du Beſter, bring mir eine Schweſter. ‘ Und meine Schloßherrin errötet und wünſcht ſich das Schweſterchen auch. Und endlich170 ſind elf Jahre herum, und wir halten an der, erſten Station, ‘an der erſten Station, die die, ſtroherne Hochzeit‘ heißt. Ein ſonderbares Wort. Und dann iſt auch allmählich die Zeit da, ſich malen zu laſſen, malen zu laſſen für die Galerie. Denn wir dürfen doch am Ende nicht fehlen! Und zwiſchen die Generäle rück ich dann als Rittmeiſter ein, und zwiſchen die ſchönen Frauen kommt Victoire. Vorher aber hab ich eine Konferenz mit dem Maler und ſag ihm: ‚ Ich rechne darauf, daß Sie den Ausdruck zu treffen wiſſen. Die Seele macht ähnlich. ‛ Oder ſoll ich ihm geradezu ſagen: ‚ machen Sies gnädig‘ ... Nein, nein! “
Was immer geſchieht, geſchah auch diesmal: die Carayons erfuhren nichts von dem, was die halbe Stadt wußte. Dienſtag, wie ge¬ wöhnlich, erſchien Tante Marguerite, fand Victoiren „ um dem Kinn etwas ſpitz” und warf im Laufe der Tiſchunterhaltung hin: „ Wißt Ihr denn ſchon, es ſollen ja Karrikatüren erſchienen ſein?”
Aber dabei blieb es, da Tante Marguerite jenen alten Geſellſchaftsdamen zuzählte, die nur immer von allem „ gehört haben”, und als Victoire fragte: „ was denn, liebe Tante?” wiederholte ſie nur: „ Karrika¬ türen, liebes Kind. Ich weiß es ganz genau. “ Und damit ließ man den Geſprächsgegenſtand fallen.
Es war gewiß ein Glück für Mutter und Tochter,172 daß ſie von den Spott - und Zerrbildern, deren Gegen¬ ſtand ſie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenſo gewiß ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfniſſe. Hätte Frau von Carayon, als deren ſchönſter Herzenszug ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinſte Vorſtellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze Zeit über, über ihren Freund ausgeſchüttet worden war, ſo würde ſie von der ihm geſtellten Forderung zwar nicht Abſtand genommen, aber ihm doch Auf¬ ſchub gewährt und Troſt und Teilnahme geſpendet haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was in¬ zwiſchen vorgefallen war, aigrierte ſie ſich gegen Schach immer mehr und erging ſich von dem Augenblick an, wo ſie von ſeinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr, über ſeinen „ Wort - und Treubruch “als den ſies an¬ ſah, in den heftigſten und unſchmeichelhafteſten Aus¬ drücken.
Es war ſehr bald, daß ſie von dieſem Rückzuge hörte. Denſelben Abend noch, an dem Schach ſeinen Urlaub angetreten hatte, ließ ſich Alvensleben bei den Carayons melden. Victoire, der jede Geſellſchaft peinlich war, zog ſich zurück, Frau von Carayon aber ließ bitten und empfing ihn mit beſondrer Herz¬ lichkeit.
„ Daß ich Ihnen ſagen könnte, lieber Alvensleben, wie ſehr ich mich freue, Sie nach ſo vielen Wochen173 einmal wieder zu ſehen. Eine Welt von Dingen hat ſich ſeitdem zugetragen. Und ein Glück, daß Sie ſtand¬ haft blieben, als man Ihnen den Luther aufzwingen wollte. Das hätte mir Ihr Bild ein für allemal verdorben. “
„ Und doch, meine Gnädigſte, ſchwankt 'ich einen Augenblick, ob ich ablehnen ſollte. “
„ Und weshalb? “
„ Weil unſer beiderſeitiger Freund unmittelbar vorher abgelehnt hatte. Nachgerade widerſteht es mir, immer wieder und wieder in ſeine Fußtapfen zu treten. Giebt es ihrer doch ohnehin ſchon genug, die mich einfach als ſeinen Abklatſch bezeichnen, an der Spitze Zieten, der mir erſt neulich wieder zurief: ‚ Hüten Sie ſich, Alvensleben, daß Sie nicht als Schach II. in die Rang - und Quartierliſte kommen‘. “
„ Was nicht zu befürchten ſteht. Sie ſind eben doch anders. “
„ Aber nicht beſſer. “
„ Wer weiß. “
„ Ein Zweifel, der mich aus dem Munde meiner ſchönen Frau von Carayon einigermaßen überraſcht, und unſrem verwöhnten Freunde, wenn er davon hörte, ſeine Wuthenower Tage vielleicht verleiden würde. “
„ Seine Wuthenower Tage? “
„ Ja, meine Gnädigſte. Mit unbeſtimmtem Urlaub. 174Und Sie wiſſen nicht davon? Er wird ſich doch nicht ohne vorgängigen Abſchied von Ihnen in ſein altes Seeſchloß zurückgezogen haben, von dem Noſtitz neu¬ lich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb Romantik ſei. “
„ Und doch iſt es geſchehen. Er iſt launenhaft, wie Sie wiſſen. “ Sie wollte mehr ſagen, aber es ge¬ lang ihr, ſich zu bezwingen und das Geſpräch über allerhand Tagesneuigkeiten fortzuſetzen, bei welcher Gelegenheit Alvensleben zu ſeiner Beruhigung wahr¬ nahm, daß ſie von der Haupttagesneuigkeit, von dem Erſcheinen der Bilder, nicht das Geringſte wußte. Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der zwiſchenliegenden halben Woche nicht einen Augenblick in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das von dem Tantchen Angedeutete hören zu wollen.
Endlich empfahl ſich Alvensleben, und Frau von Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte, während Thränen ihren Augen entſtürzten, in Victoirens Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht zu machen. Denn eine Flucht war es.
Victoire folgte jedem Wort. Aber ob es nun ihre Hoffnung und Zuverſicht oder umgekehrt ihre Reſig¬ nation war, gleichviel, ſie blieb ruhig.
„ Ich bitte Dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung geben. Laß es uns abwarten; Du wirſt ſehn, daß175 Du Deinem Verdacht und Deiner Verſtimmung gegen ihn mehr nachgegeben haſt, als recht und billig war. “
Aber Frau von Carayon wollte ſich nicht um¬ ſtimmen laſſen.
„ Ich kannt ihn ſchon, als Du noch ein Kind warſt. Nur zur gut. Er iſt eitel und hochfahrend, und die prinzlichen Höfe haben ihn vollends über¬ ſchraubt. Er verfällt mehr und mehr ins Ridiküle. Glaube mir, er will Einfluß haben und zieht ſich im Stillen irgend einen politiſchen oder gar ſtaats¬ männiſchen Ehrgeiz groß. Was mich aber am meiſten verdrießt, iſt das, er hat ſich auch plötzlich auf ſeinen Obotritenadel beſonnen, und fängt an ſein Schach¬ oder Schachentum für etwas ganz Beſondres in der Weltgeſchichte zu halten. “
„ Und thut damit nicht mehr, als was alle thun .. Und die Schachs ſind doch wirklich eine alte Familie. “
„ Daran mag er denken und das Pfauenrad ſchlagen, wenn er über ſeinen Wuthnower Hühnerhof hingeht. Und ſolche Hühnerhöfe giebt es hier überall. Aber was ſoll uns das? Oder zum wenigſten was ſoll es Dir? An mir hätt er vorbeiſtolzieren und der bürgerlichen Generalpächterstochter, der kleinen Roturière, den Rücken kehren können. Aber Du Victoire, Du; Du biſt nicht blos meine Tochter, Du biſt auch Deines Vaters Tochter, Du biſt eine Carayon!
176Victoire ſah die Mama mit einem Anfluge ſchel¬ miſcher Verwunderung an.
„ Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dirs nicht. Haſt Du mich doch ſelber oft genug über dieſe Dinge lachen ſehen. Aber, meine ſüße Victoire, die Stunden ſind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in ſeinem Adelsſtolze, mit dem er mich zur Verzweiflung gebracht und aus ſeiner Nähe hinweg gelangweilt hat, eine willkommene Waffe gegen dieſen mir unerträg¬ lichen Dünkel in die Hand giebt. Schach, Schach! Was iſt Schach? Ich kenn ihre Geſchichte nicht und will ſie nicht kennen, aber ich wette dieſe meine Broche gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das ganze Geſchlecht auf die Tenne wirfſt, da, wo der Wind am ſchärfſten geht, daß nichts übrig bleibt, ſag ich, als ein halbes Dutzend Oberſten und Rittmeiſter, alle devoteſt erſtorben und alle mit einer Pontaknaſe. Lehre mich dieſe Leute kennen! “
„ Aber, Mama .. “
„ Und nun die Carayons! Es iſt wahr, ihre Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an der Spree geſtanden, und weder im Brandenburger noch im Havelberger Dom iſt je geläutet worden, wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces pauvres gens, ces malheureux Carayons! Sie hatten ihre Schlöſſer, beiläufig wirkliche Schlöſſer,177 ſo bloß armſelig an der Gironde hin, waren bloß Girondins und Deines Vaters leibliche Vettern fielen unter der Guillotine, weil ſie treu und frei zugleich waren und uneingeſchüchtert durch das Geſchrei des Berges für das Leben ihres Königs geſtimmt hatten. “
Immer verwunderter folgte Victoire.
„ Aber, “fuhr Frau von Carayon fort, „ ich will nicht von Jüngſtgeſchehenem ſprechen, will nicht ſprechen von heute. Denn ich weiß wohl, das von Heuteſein iſt immer ein Verbrechen in den Augen derer, die ſchon geſtern da waren, gleichviel wie. Nein, ich will von alten Zeiten ſprechen, von Zeiten, als der erſte Schach ins Land und an den Ruppiner See kam, und einen Wall und Graben zog, und eine la¬ teiniſche Meſſe hörte, von der er nichts verſtand. Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et malheureux Carayons, mit vor Jeruſalem und eroberten es und befreiten es. Und als ſie heimkamen, da kamen Sänger an ihren Hof, und ſie ſangen ſelbſt, und als Victoire de Carayon (ja ſie hieß auch Victoire) ſich dem großen Grafen von Luſignan vermählte, deſſen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens vom Spital und endlich König von Cypern war, da waren wir mit einem Königshauſe verſippt und ver¬ ſchwägert, mit den Luſignans, aus deren großem Hauſe die ſchöne Meluſine kam, unglücklichen aber Gott ſei Dank unproſaiſchen Angedenkens. Und von12178uns Carayons, die wir ganz andere Dinge geſehn haben, will ſich dieſer Schach abwenden und ſich hoch¬ mütig zurückziehn? Unſrer will er ſich ſchämen? Er, Schach. Will er es als Schach, oder will er es als Grundherr von Wuthenow? Ah, bah! Was iſt es denn mit beiden? Schach iſt ein blauer Rock mit einem roten Kragen, und Wuthenow iſt eine Lehmkathe. “
„ Mama, glaube mir, Du thuſt ihm Unrecht. Ich ſuch es nach einen andern Seite hin. Und da find ich es auch. “
Frau von Carayon beugte ſich zu Victoire nieder und küßte ſie leidenſchaftlich. „ Ach, wie gut Du biſt, viel viel beſſer, als Deine Mama. Und nur Eines iſt gut an ihr, daß ſie Dich liebt. Er aber ſollte Dich auch lieben! Schon um Deiner Demut willen. “
Victoire lächelte.
„ Nein, nicht ſo. Der Glaube, daß Du verarmt und ausgeſchieden ſeieſt, beherrſcht Dich mit der Macht einer fixen Idee. Du biſt nicht ſo verarmt. Und auch er .. “
Sie ſtockte.
„ Sieh, Du warſt ein ſchönes Kind, und Alvens¬ leben hat mir erzählt, in welch enthuſiaſtiſchen Worten der Prinz erſt neulich wieder von Deiner Schönheit auf dem Maſſowſchen Balle geſprochen habe. Das iſt nicht hin, davon blieb Dir, und jeder muß es finden, der ihm liebevoll in Deinen Zügen nachzu¬179 gehen den Sinn und das Herz hat. Und wenn wer dazu verpflichtet iſt, ſo iſt ers! Aber er ſträubt ſich, denn ſo hautain er iſt, ſo konventionell iſt er. Ein kleiner ängſtlicher Aufmerker. Er hört auf das, was die Leute ſagen, und wenn das ein Mann thut (wir müſſen's), ſo heiß ich das Feigheit und lacheté. Aber er ſoll mir Rede ſtehn. Ich habe meinen Plan jetzt fertig und will ihn demütigen, ſo gewiß er uns demütigen wollte. “
Frau von Carayon kehrte nach dieſem Zwiege¬ ſpräch in das Eckzimmer zurück, ſetzte ſich an Victoirens kleinen Schreibtiſch und ſchrieb.
„ Einer Mitteilung Herrn von Alvensleben ent¬ nehm ich, daß Sie, mein Herr von Schach, heute, Sonnabend Abend, Berlin verlaſſen und ſich für einen Landaufenthalt in Wuthenow entſchieden haben. Ich habe keine Veranlaſſung Ihnen dieſen Landaufent¬ halt zu mißgönnen oder Ihre Berechtigung dazu zu beſtreiten, muß aber Ihrem Rechte das meiner Tochter gegenüberſtellen. Und ſo geſtatten Sie mir denn, Ihnen in Erinnerung zu bringen, daß die Ver¬ öffentlichung des Verlöbniſſes für morgen, Sonntag, zwiſchen uns verabredet worden iſt. Auf dieſe Ver¬ öffentlichung beſteh ich auch heute noch. Iſt ſie bis Mittwoch früh nicht erfolgt, erfolgen meinerſeits andre, durchaus ſelbſtändige Schritte. So ſehr dies meiner Natur widerſpricht (Victoirens ganz zu geſchweigen,12*180die von dieſem meinem Schreiben nichts weiß und nur bemüht ſein würde, mich daran zu hindern), ſo laſſen mir doch die Verhältniſſe, die Sie, das Mindeſte zu ſagen, nur zu gut kennen, keine Wahl. Alſo bis auf Mittwoch! Joſephine von Carayon. “
Sie ſiegelte den Brief und übergab ihn perſön¬ lich einem Boten mit der Weiſung, ſich bei Tages¬ anbruch nach Wuthenow hin auf den Weg zu machen.
Auf Antwort zu warten, war ihm eigens unter¬ ſagt worden.
Der Mittwoch kam und ging, ohne daß ein Brief Schachs oder gar die geforderte Verlobungsankündigung erſchienen wäre. Frau von Carayon hatte dies nicht anders erwartet und ihre Vorbereitungen darauf hin getroffen.
Am Donnerſtag früh hielt ein Wagen vor ihrem Hauſe, der ſie nach Potsdam hinüber führen ſollte, wo ſich der König ſeit einigen Wochen aufhielt. Sie hatte vor, einen Fußfall zu thun, ihm den ihr wider¬ fahrenen Affront vorzuſtellen und ſeinen Beiſtand an¬ zurufen. Daß es in des Königs Macht ſtehen werde, dieſen Beiſtand zu gewähren und einen Ausgleich herbeizuführen, war ihr außer Zweifel. Auch über182 die Mittel und Wege, ſich Sr. Majeſtät zu nähern, hatte ſie nachgedacht, und mit gutem Erfolge. Sie kannte den Generaladjutanten von Köckritz, der vor dreißig Jahren und länger, als ein junger Lieutenant oder Stabskapitän, in ihrem elterlichen Hauſe ver¬ kehrt und der „ kleinen Joſephine “, dem allgemeinen Verzuge, manche Bonbonnière geſchenkt hatte. Der war jetzt Liebling des Königs, einflußreichſte Perſon ſeiner nächſten Umgebung, und durch ihn, zu dem ſie we¬ nigſtens in oberflächlichen Beziehungen geblieben war, hoffte ſie ſich einer Audienz verſichert halten zu dürfen.
Um die Mittagsſtunde war Frau von Carayon drüben, ſtieg im „ Einſiedler “ab, ordnete ihre Toilette, und begab ſich ſofort ins Schloß. Aber hier mußte ſie von einem zufällig die Freitreppe herabkommenden Kammerherrn in Erfahrung bringen, daß Seine Maje¬ ſtät Potsdam bereits wieder verlaſſen und ſich zur Begrüßung Ihrer Majeſtät der Königin, die Tags darauf aus Bad Pyrmont zurückzukehren gedenke, nach Paretz begeben habe, wo man, frei vom Zwange des Hofes, eine Woche lang in glücklicher Zurückge¬ zogenheit zu verleben gedenke.
Das war nun freilich eine böſe Nachricht. Wer ſich zu einem peinlichen Gange (und wenn es der „ hochnotpeinlichſte “wäre) anſchickt und mit Sehnſucht auf das Schreckensende wartet, für den iſt nichts183 härter als Vertagung. Nur raſch, raſch! Eine kurze Strecke geht es, aber dann verſagen die Nerven.
Schweren Herzens, und geängſtigt durch die Vorſtellung, daß ihr dieſer Fehlſchlag vielleicht einen Fehlſchlag überhaupt bedeute, kehrte Frau von Carayon in das Gaſthaus zurück. An eine Fahrt nach Paretz hinaus war für heute nicht mehr zu denken, um ſo weniger, als zu ſo ſpäter Nachmittagszeit unmöglich noch eine Audienz erbeten werden konnte. So denn alſo warten bis morgen! Sie nahm ein kleines Diner, ſetzte ſich wenigſtens zu Tiſch, und ſchien entſchloſſen, die langen langen Stunden in Einſamkeit auf ihrem Zimmer zu verbringen. Aber die Gedanken und Bilder, die vor ihr aufſtiegen und vor allem die feierlichen Anſprachen, die ſie ſich zum hundertſten Male wieder¬ holte, ſo lange wiederholte, bis ſie zuletzt fühlte, ſie werde, wenn der Augenblick da ſei, kein einziges Wort hervorbringen können, — alles das gab ihr zuletzt den geſunden Entſchluß ein, ſich gewaltſam aus ihren Grübeleien herauszureißen und in den Straßen und Umgebungen der Stadt umherzufahren. Ein Lohn¬ diener erſchien denn auch, um ihr ſeine Dienſte zur Verfügung zu ſtellen, und um die ſechſte Stunde hielt eine mittel-elegante Miethschaiſe vor dem Gaſthauſe, da ſich das von Berlin her benutzte Gefährt, nach ſeiner halbtägigen Anſtrengung im Sommerſand, als durchaus ruhebedürftig herausgeſtellt hatte.
184„ Wohin befehlen, gnädige Frau?
„ Ich überlaß es Ihnen. Nur keine Schlöſſer, oder doch ſo wenig wie möglich; aber Park und Garten, und Waſſer und Wieſen. “
„ Ah, je comprends, “radebrechte der Lohndiener, der ſich daran gewöhnt hatte, ſeine Fremden ein für allemal als Halbfranzoſen zu nehmen, oder vielleicht auch dem franzöſiſchen Namen der Frau von Carayon einige Berückſichtigung ſchuldig zu ſein glaubte. „ Je comprends. “ Und er gab dem in einem alten Treſſenhut auf dem Bock ſitzenden Kutſcher Ordre, zunächſt in den „ Neuen Garten “zu fahren.
In dem „ Neuen Garten “war es wie tot, und eine dunkle, melancholiſche Cypreſſenallee ſchien gar kein Ende nehmen zu wollen. Endlich lenkte man nach rechts hin in einen neben einem See hinlaufenden Weg ein, deſſen einreihig gepflanzte Bäume mit ihrem weit ausgeſtreckten und niederhängenden Gezweige den Waſſerſpiegel berührten. In dem Gitterwerke der Blätter aber glomm und glitzerte die niedergehende Sonne. Frau von Carayon vergaß über dieſe Schön¬ heit all ihr Leid, und fühlte ſich dem Zauber derſelben erſt wieder entriſſen, als der Wagen aus dem Ufer¬ weg abermals in den großen Mittelgang einbog, und gleich danach vor einem aus Backſtein aufgeführten, im Übrigen aber mit Gold und Marmor reich ge¬ ſchmücktem Hauſe hielt.
185„ Wem gehört es? “
„ Dem König. “
„ Und wie heißt es? “
„ Das Marmor-Palais. “
„ Ah das Marmor-Palais. Das iſt alſo das Palais ... “
„ Zu dienen, gnädige Frau. Das iſt das Palais, in dem weiland Seine Majeſtät König Friedrich Wilhelm der Zweite ſeiner langen und ſchmerzlichen Waſſerſucht allerhöchſt erlag. Und ſteht auch noch alles ebenſo, wies damals geſtanden hat. Ich kenne das Zimmer ganz genau, wo der gute gnädige Herr immer, den Lebensgas‘ trank, den ihm der Geheim¬ rat Hufeland in einem kleinen Ballon ans Bett brin¬ gen ließ oder vielleicht auch bloß in einer Kalbsblaſe. Wollen die gnädige Frau das Zimmer ſehn? Es iſt freilich ſchon ſpät. Aber ich kenne den Kammerdiener, und er thut es, denk ich, auf meinen Empfehl .. verſteht ſich .. Und iſt auch dasſelbe kleine Zimmer, worin ſich eine Figur von der Frau Rietz oder wie manche ſagen von der Mamſell Encken oder der Gräfin Lichtenau befindet, das heißt, nur eine kleine Figur, ſo bloß bis an die Hüften oder noch weniger. “
Frau von Carayon dankte. Sie war bei dem Gange, der ihr für morgen bevorſtand, nicht in der Laune, das Allerheiligſte der Rietz oder auch nur ihre Porträtbüſte kennen lernen zu wollen. Sie ſprach186 alſo den Wunſch aus, immer weiter in den Park hineinzufahren, und ließ erſt umkehren, als ſchon die Sonne nieder war und ein kühlerer Luftton den Abend ankündigte. Wirklich, es ſchlug neun, als man auf der Rückfahrt an der Garniſonkirche vorüberkam, und ehe noch das Glockenſpiel ſeinen Choral ausge¬ ſpielt hatte, hielt der Wagen wieder vor dem „ Ein¬ ſiedler “.
Die Fahrt hatte ſie gekräftigt und ihr ihren Mut zurückgegeben. Dazu kam eine wohlthuende Müdigkeit, und ſie ſchlief beſſer als ſeit lange. Selbſt was ſie träumte, war hell und licht.
Am andern Morgen erſchien, wie verabredet, ihre nun wieder ausgeruhte Berliner Equipage vor dem Hotel; da ſie jedoch allen Grund hatte, der Kenntnis und Umſicht ihres eigenen Kutſchers zu mißtrauen, engagierte ſie, wie zur Aushilfe, denſelben Lohndiener wieder, der ſich geſtern, aller kleinen Eigenheiten ſeines Standes unerachtet, ſo vorzüglich bewährt hatte. Das gelang ihm denn auch heute wieder. Er wußte von jedem Dorf und Luſtſchloß, an dem man vorüber kam, zu berichten, am meiſten von Marquardt, aus deſſen Parke, zu wenigſtens vorübergehendem Intereſſe der Frau von Carayon, jenes Gartenhäuschen her¬ vorſchimmerte, darin unter Zuthun und Anleitung des Generals von Biſchofswerder, dem „ dicken Könige “(wie ſich der immer konfidentieller werdende Cicerone187 jetzt ohne weiteres ausdrückte) die Geiſter erſchienen waren.
Eine Viertelmeile hinter Marquardt hatte man die „ Wublitz “, einen von Mummeln überblühten Havelarm zu paſſieren, dann folgten Äcker und Wie¬ ſengründe, die hoch in Gras und Blumen ſtanden, und ehe noch die Mittagsſtunde heran war, war ein Brückenſteg und alsbald auch ein offenſtehendes Gitter¬ thor erreicht, das den Paretzer Parkeingang bildete.
Frau von Carayon, die ſich ganz als Bittſtellerin empfand, ließ in dem ihr eigenen, feinen Gefühl an dieſer Stelle halten und ſtieg aus, um den Reſt des Weges zu Fuß zu machen. Es war nur eine kleine, ſonnenbeſchienene Strecke noch, aber gerade das Sonnen¬ licht war ihr peinlich, und ſo hielt ſie ſich denn ſeit¬ wärts unter den Bäumen hin, um nicht vor der Zeit geſehen zu werden.
Endlich indes war ſie bis an die Sandſteinſtufen des Schloſſes heran und ſchritt ſie tapfer hinauf. Die Nähe der Gefahr hatte ihr einen Teil ihrer natürlichen Entſchloſſenheit zurückgegeben.
„ Ich wünſchte den General von Köckritz zu ſprechen, “wandte ſie ſich an einen im Veſtibül an¬ weſenden Lakaien, der ſich gleich beim Eintritt der ſchönen Dame von ſeinem Sitz erhoben hatte.
„ Wen hab ich dem Herrn General zu melden? “
„ Frau von Carayon. “
188Der Lakai verneigte ſich und kam mit der Antwort zurück: „ Der Herr General laſſe bitten in das Vor¬ zimmer einzutreten. “
Frau von Carayon hatte nicht lange zu warten. General von Köckritz, von dem die Sage ging, daß er außer ſeiner leidenſchaftlichen Liebe zu ſeinem Könige keine weitere Paſſion als eine Pfeife Tabak und einen Rubber Whiſt habe, trat ihr von ſeinem Arbeitszimmer her entgegen, entſann ſich ſofort der alten Zeit und bat ſie mit verbindlichſter Handbewegung Platz zu nehmen. Sein ganzes Weſens hatte ſo ſehr den Ausdruck des Gütigen und Vertrauenerweckenden, daß die Frage nach ſeiner Klugheit nur ſehr wenig daneben bedeutete. Namentlich für ſolche, die wie Frau von Carayon mit einem Anliegen kamen. Und das ſind bei Hofe die meiſten. Er beſtätigte durchaus die Lehre, daß eine wohlwollende Fürſtenumgebung einer geiſtreichen immer weit vorzuziehen iſt. Nur freilich ſollen dieſe fürſtlichen Privatdiener nicht auch Staatsdiener ſein und nicht mitbeſtimmen und mit¬ regieren wollen.
General von Köckritz hatte ſich ſo geſetzt, daß ihn Frau von Carayon im Profil hatte. Sein Kopf ſteckte halb in einem überaus hohen und ſteifen Uniformkragen, aus dem nach vorn hin ein Jabot quoll, während nach hinten ein kleiner ſauber be¬ handelter Zopf fiel. Dieſer ſchien ein eigenes Leben189 zu führen, und bewegte ſich leicht und mit einer gewiſſen Koketterie hin und her, auch wenn an dem Manne ſelbſt nicht die geringſte Bewegung wahr¬ zunehmen war.
Frau von Carayon, ohne den Ernſt ihrer Lage zu vergeſſen, erheiterte ſich doch offenbar an dieſem eigentümlich neckiſchen Spiel, und erſt einmal ins Heitre gekommen, erſchien ihr das, was ihr oblag, um vieles leichter und bezwingbarer, und befähigte ſie, mit Freimut über all und jedes zu ſprechen, auch über das, was man als den „ delikaten Punkt “in ihrer oder ihrer Tochter Angelegenheit bezeichnen konnte.
Der General hatte nicht nur aufmerkſam, ſondern auch teilnahmevoll zugehört, und ſagte, als Frau von Carayon ſchwieg: „ Ja, meine gnädigſte Frau, das ſind ſehr fatale Sachen, Sachen, von denen S. Majeſtät nicht zu hören liebt, weshalb ich im allgemeinen darüber zu ſchweigen pflege, wohlver¬ ſtanden ſo lange nicht Abhilfe zu ſchaffen und über¬ haupt nichts zu beſſern iſt. Hier aber iſt zu beſſern, und ich würde meine Pflicht verſäumen und Seiner Majeſtät einen ſchlechten Dienſt erweiſen, wenn ich ihm einen Fall wie den Ihrigen vorenthalten oder da Sie ſelber gekommen ſind Ihre Sache vorzutragen, Sie, meine gnädigſte Frau, durch künſtlich erfundene190 Schwierigkeiten an ſolchem Vortrage behindern wollte. Denn ſolche Schwierigkeiten ſind allemalen erfundene Schwierigkeiten in einem Lande wie das unſre, wo von alter Zeit her die Fürſten und Könige das Recht ihres Volkes wollen, und nicht geſonnen ſind, der Forderung eines ſolchen Rechtes bequem aus dem Wege zu gehen. Am allerwenigſten aber mein Aller¬ gnädigſter König und Herr, der ein ſtarkes Gefühl für das Ebenmäßige des Rechts und eben deshalb einen wahren Widerwillen und rechten Herzensabſcheu gegen alle diejenigen hat, die ſich, wie manche Herren Offiziers, inſonderheit aber die ſonſt ſo braven und tapfren Offiziers von Dero Regiment Gensdarmes, aus einem ſchlechten Dünkel allerlei Narretei zu permittieren geneigt ſind, und es für angemeſſen und löblich oder doch zum mindeſten für nicht unſtatthaft halten, das Glück und den Ruf Andrer ihrem Über¬ mut und ihrer ſchlechten moralité zu opfern. “
Frau von Carayons Augen füllten ſich mit Thränen. „ Que vous êtes bon, mon chèr General. “
„ Nicht ich, meine teure Frau. Aber mein Aller¬ gnädigſter König und Herr, der iſt gut. Und ich denke, Sie ſollen den Beweis dieſer ſeiner Herzens¬ güte bald in Händen halten, trotzdem wir heut einen ſchlimmen oder ſagen wir lieber einen ſchwierigen Tag haben. Denn wie Sie vielleicht ſchon in Er¬ fahrung gebracht haben, der König erwartet in wenig191 Stunden die Königin zurück, und um nicht geſtört zu werden in der Freude des Wiederſehns, deshalb be¬ findet er ſich hier, deshalb iſt er hierher gegangen nach Paretz. Und nun läuft ihm in dies Idyll ein Rechtsfall und eine Streitſache nach. Und eine Streit¬ ſache von ſo delikater Natur. Ja, wirklich ein Schaber¬ nack iſt es, und ein rechtes Schnippchen, das ihm die Laune der Frau Fortuna ſchlägt. Er will ſich ſeines Liebesglückes freuen (Sie wiſſen wie ſehr er die Königin liebt) und in demſelben Augenblicke faſt, der ihm ſein Liebesglück bringen ſoll, hört er eine Ge¬ ſchichte von unglücklicher Liebe. Das verſtimmt ihn. Aber er iſt zu gütig, um dieſer Verſtimmung nicht Herr zu werden, und treffen wirs nur einigermaßen leidlich, ſo müſſen wir uns aus eben dieſem Zu¬ ſammentreffen auch noch einen beſonderen Vorteil zu ziehen wiſſen. Denn das eigne Glück, das er erwartet, wird ihn nur noch geneigter machen als ſonſt, das getrübte Glück andrer wieder herzuſtellen. Ich kenn ihn ganz in ſeinem Rechtsgefühl und in der Güte ſeines Herzens. Und ſo geh ich denn, meine teure Frau, Sie bei dem Könige zu melden. “
Er hielt aber plötzlich wie nachdenkend inne, wandte ſich noch einmal wieder und ſetzte hinzu: „ Irr ich nicht, ſo hat er ſich eben in den Park begeben. Ich kenne ſeinen Lieblingsplatz. Laſſen Sie mich alſo ſehen. In wenig Minuten bring ich Ihnen Antwort,192 ob er Sie hören will oder nicht. Und nun noch ein¬ mal, ſeien Sie gutes Mutes. Sie dürfen es. “
Und damit nahm er Hut und Stock, und trat durch eine kleine Seitentür unmittelbar in den Park hinaus.
In dem Empfangszimmer, in dem Frau von Ca¬ rayon zurückgeblieben war, hingen allerlei Buntdruck¬ bilder, wie ſie damals von England her in der Mode waren: Engelsköpfe von Joſua Reynolds, Landſchaften von Gainsborough, auch ein paar Nachbildungen italieniſcher Meiſterwerke, darunter eine büßende Mag¬ dalena. War es die von Correggio? Das wunder¬ voll tiefblau getönte Tuch, das die Büßende halb verhüllte, feſſelte Frau von Carayons Aufmerkſam¬ keit, und ſie trat heran, um ſich über den Maler zu vergewiſſern. Aber ehe ſie noch ſeinen Namen ent¬ ziffern konnte, kehrte der alte General zurück, und bat ſeinen Schützling ihm zu folgen.
Und ſo traten ſie denn in den Park, drin eine tiefe Stille herrſchte. Zwiſchen Birken und Edeltannen hin ſchlängelte ſich der Weg und führte bis an eine künſtliche, von Moos und Epheu überwachſene Fels¬ wand, in deren Front (der alte Köckritz war jetzt zu¬ rückgeblieben) der König auf einer Steinbank ſaß.
Er erhob ſich, als er die ſchöne Frau ſich nähern ſah, und trat ihr ernſt und freundlich entgegen. Frau von Carayon wollte ſich auf ein Knie niederlaſſen, der193 König aber litt es nicht, nahm ſie vielmehr aufrichtend bei der Hand, und ſagte: „ Frau von Carayon? Mir ſehr wohl bekannt .. Erinnre Kinderball .. ſchöne Tochter .. Damals .. “
Er ſchwieg einen Augenblick, entweder in Ver¬ legenheit über das ihm entſchlüpfte letzte Wort, oder aber aus Mitgefühl mit der tiefen Bewegung der unglücklichen und beinah zitternd vor ihm ſtehenden Mutter, und fuhr dann fort: „ Köckeritz mir eben An¬ deutungen gemacht .. Sehr fatal .. Aber bitte .. ſich ſetzen, meine Gnädigſte .. Mut .. Und nun ſprechen Sie. “
13Eine Woche ſpäter hatten König und Königin Paretz wieder verlaſſen, und ſchon am Tage danach ritt Rittmeiſter von Schach in Veranlaſſung eines ihm in Schloß Wuthenow über¬ gebenen Kabinetsſchreibens nach Charlottenburg hin¬ aus, wohin inzwiſchen der Hof überſiedelt war. Er nahm ſeinen Weg durchs Brandenburger Thor und die große Tiergartenallee, links hinter ihm Ordonnanz Baarſch, ein mit einem ganzen Linſengericht von Sommerſproſſen überdeckter Rotkopf mit übrigens noch röterem Backenbart, auf welchen roten und etwas abſtehenden Bart hin Zieten zu verſichern pflegte, „ daß man auch dieſen Baarſch an ſeinen Floſſen erkennen könne. “ Wuthenower Kind und ſeines Guts¬195 herrn und Rittmeiſters ehemaliger Spielgefährte, war er dieſem und allem, was Schach hieß, ſelbſtverſtändlich in unbedingten Treuen ergeben.
Es war vier Uhr Nachmittags und der Verkehr nicht groß, trotzdem die Sonne ſchien und ein er¬ quickender Wind wehte. Nur wenige Reiter begegneten ihnen, unter dieſen auch ein paar Offiziere von Schachs Regiment. Schach erwiderte ihren Gruß, paſſierte den Landwehrgraben und ritt bald danach in die breite Charlottenburger Hauptſtraße mit ihren Sommer¬ häuſern und Vorgärten ein.
Am türkiſchen Zelt, das ſonſt wohl ſein Ziel zu ſein pflegte, wollte ſein Pferd einbiegen; er zwang es aber weiter und hielt erſt bei dem Morelliſchen Kaffee¬ hauſe, das ihm heute für den Gang, den er vorhatte, bequemer gelegen war. Er ſchwang ſich aus dem Sattel, gab der Ordonnanz den Zügel und ging ohne Verſäumnis auf das Schloß zu. Hier trat er nach Paſſierung eines öden und von der Juliſonne längſt verbrannten Grasvierecks erſt in ein geräumiges Treppenhaus und bald danach in einen ſchmalen Korridor ein, an deſſen Wänden in anſcheinend über¬ lebensgroßen Porträts die glotzäugigen blauen Rieſen König Friedrich Wilhelms I. paradierten. Am Ende dieſes Ganges aber traf er einen Kammerdiener, der ihn, nach vorgängiger Meldung, in das Arbeitskabinet des Königs führte.
13*196Dieſer ſtand an einem Pult, auf dem Karten ausgebreitet lagen, ein paar Pläne der Auſterlitzer Schlacht. Er wandte ſich ſofort, trat auf Schach zu, und ſagte: „ Habe Sie rufen laſſen, lieber Schach .. Die Carayon; fatale Sache. Spiele nicht gern den Moraliſten und Splitterrichter; mir verhaßt; auch meine Verirrungen. Aber in Verirrungen nicht ſtecken bleiben; wieder gut machen. Übrigens nicht recht begreife. Schöne Frau, die Mutter; mir ſehr gefallen; kluge Frau. “
Schach verneigte ſich.
„ Und die Tochter! Weiß wohl, weiß; armes Kind .. Aber enfin, müſſen ſie doch charmant gefunden haben. Und was man einmal charmant gefunden, findet man, wenn man nur will, auch wieder. Aber das iſt Ihre Sache, geht mich nichts an. Was mich angeht, das iſt die honnêteté. Die verlang ich und um dieſer honnêteté willen verlang ich Ihre Heirat mit dem Fräulein von Carayon. Oder Sie müßten denn Ihren Abſchied nehmen und den Dienſt quittieren wollen. “
Schach ſchwieg, verriet aber durch Haltung und Miene, daß ihm dies das Schmerzlichſte ſein würde.
„ Nun denn bleiben alſo; ſchöner Mann; liebe das. Aber Remedur muß geſchafft werden, und bald, und gleich. Übrigens alte Familie, die Carayons, und wird Ihren Fräulein Töchtern (Pardon, lieber197 Schach) die Stiftsanwartſchaft auf Marienfließ oder Heiligengrabe nicht verderben. Abgemacht alſo. Rechne darauf, dringe darauf. Und werden wir Meldung machen. “
„ Zu Befehl, Ew. Majeſtät. “
„ Und noch eines; habe mit der Königin darüber geſprochen; will Sie ſehn; Frauenlaune. Werden ſie drüben in der Orangerie treffen .. Dank Ihnen. “
Schach war gnädig entlaſſen, verbeugte ſich und ging den Korridor hinunter auf das am entgegen¬ geſetzten Flügel des Schloſſes gelegene große Glas - und Gewächshaus zu, von dem der König geſprochen hatte.
Die Königin aber war noch nicht da, vielleicht noch im Park. So trat er denn in dieſen hinaus und ſchritt auf einem Flieſengange zwiſchen einer Menge hier aufgeſtellter römiſcher Kaiſer auf und ab, von denen ihn einige faunartig anzulächeln ſchienen. Endlich ſah er die Königin von der Fährbrücke her auf ſich zukommen, eine Hofdame mit ihr, allem An¬ ſcheine nach das jüngere Fräulein von Viereck. Er ging beiden Damen entgegen, und trat in gemeſſener Entfernung bei Seit, um die militäriſchen Honneurs zu machen. Das Hoffräulein aber blieb um einige Schritte zurück.
„ Ich freue mich Sie zu ſehen, Herr von Schach. Sie kommen vom Könige. “
198„ Zu Befehl, Ew. Majeſtät. “
„ Es iſt etwas gewagt, “fuhr die Königin fort, „ daß ich Sie habe bitten laſſen. Aber der König, der anfänglich dagegen war und mich darüber verſpottete, hat es ſchließlich geſtattet. Ich bin eben eine Frau, und es wäre hart, wenn ich mich meiner Frauenart entſchlagen müßte, nur weil ich eine Königin bin. Als Frau aber intereſſiert mich alles, was unſer Geſchlecht angeht, und was ging uns näher an als eine ſolche question d'amour. “
„ Majeſtät ſind ſo gnädig. “
„ Nicht gegen Sie, lieber Schach. Es iſt um des Fräuleins willen .. Der König hat mir alles er¬ zählt, und Köckritz hat von dem Seinen hinzugethan. Es war denſelben Tag, als ich von Pyrmont wieder in Paretz eintraf, und ich kann Ihnen kaum ausſprechen, wie groß meine Teilnahme mit dem Fräulein war. Und nun wollen Sie, gerade Sie, dem lieben Kinde dieſe Teilnahme verſagen und mit dieſer Teilnahme zugleich ſein Recht. Das iſt unmöglich. Ich kenne Sie ſo lange Zeit und habe Sie jederzeit als einen Kavalier und Mann von Ehre befunden. Und dabei, denk ich, belaſſen wirs. Ich habe von den Spott¬ bildern gehört, die publiziert worden ſind, und dieſe Bilder, ſo nehm ich an, haben Sie verwirrt und Ihnen Ihr ruhiges Urteil genommen. Ich begreife das, weiß ich doch aus allereigenſter Erfahrung, wie weh der¬199 gleichen thut und wie der giftige Pfeil uns nicht bloß in unſerem Gemüte verwundet, ſondern auch ver¬ wandelt und nicht verwandelt zum Beſſeren. Aber wie dem auch ſei, Sie mußten ſich auf ſich ſelbſt beſinnen, und damit zugleich auch auf das, was Pflicht und Ehre von Ihnen fordern. “
Schach ſchwieg.
„ Und Sie werden es, “fuhr die Königin immer lebhafter werdend fort, „ und werden ſich als einen Reuigen und Bußfertigen zeigen. Es kann Ihnen nicht ſchwer werden, denn ſelbſt aus der Anklage gegen Sie, ſo verſicherte mir der König, habe noch immer ein Ton der Zuneigung geſprochen. Seien Sie deſſen gedenk, wenn Ihr Entſchluß je wieder ins Schwanken kommen ſollte, was ich nicht fürchte. Wüßt ich doch kaum etwas, was mir in dieſem Augenblicke ſo lieb wäre, wie die Schlichtung dieſes Streits und der Bund zweier Herzen, die mir für einander beſtimmt erſcheinen. Auch durch eine recht eigentliche Liebe. Denn Sie werden doch, hoff ich, nicht in Abrede ſtellen wollen, daß es ein geheimnisvoller Zug war, was Sie zu dieſem lieben und einſt ſo ſchönen Kinde hinführte. Das Gegenteil anzunehmen, widerſtreitet mir. Und nun eilen Sie heim, und machen Sie glücklich und werden Sie glücklich. Meine Wünſche begleiten Sie, Sie Beide. Sie werden ſich zurückziehen, ſo lang es die Verhältniſſe gebieten; unter allen Umſtänden200 aber erwart ich, daß Sie mir Ihre Familienereigniſſe melden, und den Namen Ihrer Königin als erſte Taufpatin in Ihr Wuthenower Kirchenbuch eintragen laſſen. Und nun Gott befohlen. “
Ein Gruß und eine freundliche Handbewegung begleiteten dieſe Worte; Schach aber, als er ſich kurz vor der Gartenfront noch einmal umſah, ſah, wie beide Damen in einem Seitenweg einbogen und auf eine ſchattigere, mehr der Spree zu gelegene Partie des Parkes zuſchritten.
Er ſelbſt ſaß eine Viertelſtunde ſpäter wieder im Sattel; Ordonnanz Baarſch folgte.
Die gnädigen Worte beider Majeſtäten hatten eines Eindrucks auf ihn nicht verfehlt; trotzdem war er nur getroffen, in nichts aber umgeſtimmt worden. Er wußte, was er dem König ſchuldig ſei: Gehorſam! Aber ſein Herz widerſtritt, und ſo galt es denn für ihn, etwas ausfindig zu machen, was Gehorſam und Ungehorſam in ſich vereinigte, was dem Befehle ſeines Königs und dem Befehle ſeiner eigenen Natur gleich¬ mäßig entſprach. Und dafür gab es nur einen Weg. Ein Gedanke, den er ſchon in Wuthenow gefaßt hatte, kam ihm jetzt wieder und reifte raſch zum Entſchluß, und je feſter er ihn werden fühlte, deſto mehr fand er ſich in ſeine frühere gute Haltung und Ruhe zurück. „ Leben, “ſprach er vor ſich hin. „ Was iſt leben? Eine Frage von Minuten, eine Differenz von heut201 auf morgen. “ Und er fühlte ſich, nach Tagen ſchweren Druckes, zum erſten Male wieder leicht und frei.
Als er, heimreitend, bis an die Wegſtelle gekommen war, wo eine alte Kaſtanienallee nach dem Kurfürſten¬ damm hin abzweigte, bog er in dieſe Allee ein, winkte Baarſch an ſich heran und ſagte, während er den Zügel fallen ließ und die linke Hand auf die Kruppe ſeines Pferdes ſtemmte: „ Sage Baarſch, was hälſt Du eigentlich von heiraten? “
„ Jott, Herr Rittmeiſter, wat ſoll ich davon halten? Mein Vater ſelig ſagte man ümmer: heiraten is gut, aber nich heiraten is noch beſſer. “
„ Ja, das mag er wohl geſagt haben. Aber wenn ich nun heirate, Baarſch? “
„ Ach, Herr Rittmeiſter werden doch nich! “
„ Ja, wer weiß .. Iſt es denn ein ſolches Malheur? “
„ Jott, Herr Rittmeiſter, vor Ihnen grade nich, aber vor mir .. “
„ Wie das? “
„ Weil ich mit Untroffzier Czepanski gewett't hab, es würd 'doch nichts. Un wer verliert, muß die ganze Corporalſchaft freihalten. “
„ Aber woher wußtet Ihr denn davon? “
„ I Jott, des munkelt ja nu all lang. Un wie nu vorige Woch ooch noch die Bilders kamen .. “
202„ Ah, ſo .. Nu ſage, Baarſch, wie ſteht es denn eigentlich mit der Wette? Hoch? “
„ I nu, 's jeht, Herr Rittmeiſter. 'Ne Cottbuſſer un'n Kümmel. Aber vor jed' een. “
„ Nu, Baarſch, Du ſollſt dabei nicht zu Schaden kommen. Ich werde die Wette bezahlen. “
Und danach ſchwieg er und murmelte nur noch vor ſich hin „ et payer les pots cassés. “
Schach war zu guter Stunde wieder heim, und noch denſelben Abend ſchrieb er ein Billet an Frau von Carayon, in dem er in anſcheinend aufrichtigen Worten um ſeines Benehmens willen um Entſchuldigung bat. Ein Kabinetsſchreiben, das er vorgeſtern in Wuthenow empfangen habe, hab ihn heute Nachmittag nach Charlottenburg hinausge¬ führt, wo König und Königin ihn an das, was ſeine Pflicht ſei, gemahnt hätten. Er bedaure, ſolche Mah¬ nung verſchuldet zu haben, finde den Schritt, den Frau von Carayon gethan, gerechtfertigt, und bäte morgen im Laufe des Vormittags ſich beiden Damen vorſtellen zu dürfen, um ihnen ſein Bedauern über dieſe neuen Verſäumniſſe perſönlich zu wiederholen. 204In einer Nachſchrift, die länger als der Brief ſelbſt war, war hinzugefügt, „ daß er durch eine Kriſis ge¬ gangen ſei; dieſe Kriſis aber liege jetzt hinter ihm, und er hoffe ſagen zu dürfen, ein Grund an ihm oder ſeinem Rechtsgefühle zu zweifeln, werde nicht wiederkehren. Er lebe nur noch dem einen Wunſch und Gedanken, alles was geſchehen ſei, durch Geſetz¬ lichkeit auszugleichen. Über ein Mehr leg er ſich vor¬ läufig Schweigen auf. “
Dies Billet, das der kleine Groom überbrachte, wurde, trotz der ſchon vorgerückten Stunde, von Frau von Carayon auf der Stelle beantwortet. Sie freue ſich, in ſeinen Zeilen einer ſo verſöhnlichen Sprache zu begegnen. Über alles, was ſeinem Briefe nach als ein nunmehr Zurückliegendes anzuſehen ſei, werd es am beſten ſein zu ſchweigen; auch ſie fühle, daß ſie ruhiger und rückſichtsvoller hätte handeln ſollen, ſie habe ſich hinreißen laſſen, und nur das Eine werd ihr vielleicht zur Entſchuldigung dienen dürfen, daß ſie von jenen hämiſchen Angriffen in Wort und Bild, die ſein Benehmen im Laufe der letzten Woche beſtimmt zu haben ſchienen, erſt ſeit zwei Tagen Kennt¬ nis habe. Hätte ſie dieſe Kenntnis früher gehabt, ſo würde ſie vieles milder beurteilt, jedenfalls aber eine abwartende Haltung ihm und ſeinem Schweigen gegenüber eingenommen haben. Sie hoffe jetzt, daß alles wieder einklingen werde. Victoirens große Liebe205 (nur zu groß) und ſeine eigene Geſinnung, die, wie ſie ſich überzeugt halte, wohl ſchwanken aber nie dau¬ ernd erſchüttert werden könne, gäben ihr die Gewähr einer friedlichen und wenn ihre Bitten Erhörung fän¬ den auch einer glücklichen Zukunft.
Am andern Vormittage wurde Schach bei Frau von Carayon gemeldet. Sie ging ihm entgegen, und das ſich ſofort entſpinnende Geſpräch verriet auf bei¬ den Seiten weniger Verlegenheit, als nach dem Vor¬ gefallenen hätte vorausgeſetzt werden ſollen. Und doch erklärte ſichs auch wieder. Alles was geſchehen war, ſo ſchmerzlich es hüben und drüben berührt hatte, war doch ſchließlich von jeder der beiden Par¬ teien verſtanden worden, und wo Verſtändnis iſt, iſt auch Verzeihung oder wenigſtens die Möglichkeit einer ſolchen. Alles hatte ſich in natürlicher Konſe¬ quenz aus den Verhältniſſen heraus entwickelt, und weder die Flucht, die Schach bewerkſtelligt, noch die Klage, die Frau von Carayon an oberſter Stelle ge¬ führt hatte, hatten Übelwollen oder Gehäſſigkeit aus¬ drücken ſollen.
Als das Geſpräch einen Augenblick zu ſtocken begann, erſchien Victoire. Sie ſah ſehr gut aus, nicht abgehärmt, vielmehr friſcher als ſonſt. Er trat ihr entgegen, nicht kalt und ceremoniös, ſondern herz¬ lich, und der Ausdruck einer innigen und aufrichtigen Teilnahme, womit er auf ſie ſah und ihr die Hand206 reichte, beſiegelte den Frieden. Es war kein Zweifel, er war ergriffen, und während Victoire vor Freude ſtrahlte, füllten Thränen das Auge der Mutter.
Es war der beſte Moment, das Eiſen zu ſchmie¬ den. Sie bat alſo Schach, der ſich ſchon erhoben hatte, ſeinen Platz noch einmal auf einen kurzen Augenblick einnehmen zu wollen, um gemeinſchaftlich mit ihm die nötigſten Feſtſetzungen zu treffen. Was ſie zu ſagen habe, ſeien nur wenige Worte. So viel ſei gewiß, Zeit ſei verſäumt worden, und dieſe Ver¬ ſäumnis wieder einzubringen, empfehle ſich wohl zu¬ nächſt. Ihre langjährige freundſchaftliche Beziehung zum alten Konſiſtorialrat Bocquet, der ſie ſelber ge¬ traut und Victoiren eingeſegnet habe, böte dazu die beſte Gelegenheit. Es werde leicht ſein, an die Stelle des herkömmlichen dreimaligen Aufgebots ein ein¬ maliges zu ſetzen; das müſſe nächſten Sonntag ge¬ ſchehen, und am Freitage der nächſten Woche — denn die Freitage, die gemeinhin für Unglückstage gölten, hätte ſie perſönlich von der durchaus entgegengeſetzten Seite kennen gelernt — werde dann die Hochzeit zu folgen haben. Und zwar in ihrer eignen Wohnung, da ſie Hochzeiten in einem Hotel oder Gaſthauſe von ganzer Seele haſſe. Was dann weiter zu geſchehen habe, das ſtehe bei dem jungen Paare; ſie ſei neu¬ gierig, ob Venedig über Wuthenow oder Wuthenow über Venedig den Sieg davon tragen werde. Die207 Lagunen hätten ſie gemeinſam und die Gondel auch, und nur um Eines müſſe ſie bitten, daß der kleine Brückenſteg unterm Schilf, an dem die Gondel liege, nie zur Seufzerbrücke erhoben werde.
So ging das Geplauder, und ſo verging der Beſuch.
Am Sonntage, wie verabredet, erfolgte das Auf¬ gebot, und der Freitag, an dem die Hochzeit ſtatt¬ finden ſollte, rückte heran. Alles im Carayonſchen Hauſe war Aufregung, am aufgeregteſten Tante Marguerite, die jetzt täglich erſchien, und durch ihre naive Glückſeligkeit alles Unbequeme balancierte, das ſonſt unzertrennlich von ihrem Erſcheinen war.
Abends kam Schach. Er war heitrer und in ſeinem Urteile milder als ſonſt, und vermied nur in ebenſo bemerkenswerter wie zum Glück unbemerkt bleibender Weiſe von der Hochzeit und den Vor¬ bereitungen dazu zu ſprechen. Wurd er gefragt, ob er dies oder jenes wünſche, ſo bat er mit einer Art von Empreſſement, „ ganz nach eigenem Dafür¬ halten verfahren zu wollen; er kenne den Takt und guten Geſchmack der Damen und wiſſe, daß ohne ſein Raten und Zuthun alles am beſten entſchieden werden würde; wenn ihm dabei manches dunkel und geheim¬ nisvoll bleibe, ſo ſei dies ein Vorteil mehr für ihn, hab er doch von Jugend auf eine Neigung gehabt, ſich überraſchen zu laſſen. “
208Unter ſolchen Ausflüchten entzog er ſich jedem Geplauder, das, wie Tante Marguerite ſich ausdrückte, „ den Ehrentag en vue hatte, “war aber um ſo plauder¬ hafter, wenn das Geſpräch auf die Reiſetage nach der Hochzeit hinüberlenkte. Denn Venedig, aller halben Widerrede der Frau von Carayon zum Trotz, hatte doch ſchließlich über Wuthenow geſiegt, und Schach, wenn die Rede darauf kam, hing mit einer ihm ſonſt völlig fremden Phantaſtik allen erdenklichen Reiſe¬ plänen und Reiſebildern nach. Er wollte nach Sizi¬ lien hinüber und die Sireneninſeln paſſieren, „ ob frei oder an den Maſt gebunden, überlaß er Victoiren und ihrem Vertrauen. “ Und dann wollten ſie nach Malta. Nicht um Maltas willen, o nein. Aber auf dem Wege dahin, ſei die Stelle, wo der geheimnis¬ volle ſchwarze Weltteil in Luftbildern und Spiegelungen ein allererſtes Mal zu dem in Nebel und Schnee ge¬ bornen Hyperboreer ſpräche. Das ſei die Stelle, wo die bilderreiche Fee wohne, die ſtumme Sirene, die mit dem Zauber ihrer Farbe faſt noch verführeriſcher locke als die ſingende. Beſtändig wechſelnd ſeien die Szenen und Geſtalten ihrer Laterna magica, und während eben noch ein ermüdeter Zug über den gelben Sand ziehe, dehne ſichs plötzlich wie grüne Triften und unter der ſchattengebenden Palme ſäße die Schaar der Männer, die Köpfe gebeugt und alle Pfeifen in Brand, und ſchwarz und braune Mädchen, ihre Flech¬209 ten gelöſt und wie zum Tanze geſchürzt, erhüben die Becken und ſchlügen das Tambourin. Und mitunter ſeis, als lach es. Und dann ſchwieg es und ſchwänd es wieder. Und dieſe Spiegelung aus der geheim¬ nisvollen Ferne, das ſei das Ziel!
Und Victoire jubelte, hingeriſſen von der Leb¬ haftigkeit ſeiner Schilderung.
Aber im ſelben Augenblick überkam es ſie bang und düſter, und in ihrer Seele rief eine Stimme: Fata Morgana.
14Die Trauung hatte ſtattgefunden und um die vierte Stunde verſammelten ſich die zur Hochzeit Geladenen in dem nach dem Hofe hinaus gelegenen großen Eßſaale, der für gewöhnlich als ein bloßes unbequemes Anhängſel der Carayonſchen Wohnung angeſehen und ſeit einer ganzen Reihe von Jahren heute zum erſtenmale wieder in Gebrauch ge¬ nommen wurde. Dies erſchien thunlich, trotzdem die Zahl der Gäſte keine große war. Der alte Kon¬ ſiſtorialrat Bocquet hatte ſich bewegen laſſen, dem Mahle mit beizuwohnen, und ſaß, dem Brautpaare gegenüber, neben der Frau von Carayon; unter den anderweit Geladenen aber waren, außer dem Tantchen und einigen alten Freunden aus der Generalfinanz¬211 pächterzeit her, in erſter Reihe Noſtitz, Alvensleben und Sander zu nennen. Auf letzteren hatte Schach, aller ſonſtigen, auch bei Feſtſtellung der Einladungs¬ liſte beobachteten Indifferenz unerachtet, mit beſon¬ derem Nachdruck beſtanden, weil ihm inzwiſchen das rückſichtsvolle Benehmen desſelben bei Gelegenheit des Verlagsantrages der drei Bilder bekannt geworden war, ein Benehmen, das er um ſo höher anſchlug, als er es von dieſer Seite her nicht erwartet hatte. Bülow, Schachs alter Gegner, war nicht mehr in Berlin, und hätte wohl auch gefehlt, wenn er noch dageweſen wäre.
Die Tafelſtimmung verharrte bis zum erſten Trinkſpruch in der herkömmlichen Feierlichkeit; als in¬ deſſen der alte Konſiſtorialrat geſprochen und in einem dreigeteilten und als „ hiſtoriſcher Rückblick “zu be¬ zeichnenden Toaſt, erſt des großväterlichen General¬ finanzpächterhauſes, dann der Trauung der Frau von Carayon und drittens (und zwar unter Citierung des ihr mit auf den Lebensweg gegebenen Bibelſpruches) der Konfirmation Victoirens gedacht, endlich aber mit einem halb ehrbaren, halb ſcherzhaften Hinweis auf den „ egyptiſchen Wundervogel, in deſſen verhei¬ ßungsvolle Nähe man ſich begeben wolle “geſchloſſen hatte, war das Zeichen zu einer Wandlung der Stim¬ mung gegeben. Alles gab ſich einer ungezwungenen Heiterkeit hin, an der ſogar Victoire teilnahm, und14*212nicht zum wenigſten, als ſich ſchließlich auch das zu Ehren des Tages in einem grasgrünen Seidenkleid und einem hohen Schildpattkamme erſchienene Tant¬ chen erhob, um einen zweiten Toaſt auf das Braut¬ paar auszubringen. Ihr verſchämtes Klopfen mit dem Deſſertmeſſer an die Waſſerkaraffe war eine Zeit¬ lang unbemerkt geblieben, und kam erſt zur Geltung, als Frau von Carayon erklärte: Tante Marguerite wünſche zu ſprechen.
Dieſe verneigte ſich denn auch zum Zeichen der Zuſtimmung, und begann ihre Rede mit viel mehr Selbſtbewußtſein, als man nach ihrer anfänglichen Schüchternheit erwarten durfte. „ Der Herr Kon¬ ſiſtorialrat hat ſo ſchön und ſo lange geſprochen, und ich ähnle nur dem Weibe Ruth, das über dem Felde geht und Ähren ſammelt, was auch der Text war, worüber am letzten Sonntag in der kleinen Me¬ lonenkürche gepredigt wurde, die wieder ſehr leer war, ich glaube nicht mehr als ölf oder zwölf. Aber als Tante der lieben Braut, in welcher Beziehung ich wohl die älteſte bin, erheb ich dieſes Glas, um noch einmal auf dem Wohle des jungen Paares zu trinken. “
Und danach ſetzte ſie ſich wieder, um die Hul¬ digungen der Geſellſchaft entgegenzunehmen. Schach verſuchte der alten Dame die Hand zu küſſen, was ſie jedoch wehrte, wogegen ſie Victoirens Umarmung mit allerlei kleinen Liebkoſungen und zugleich mit der213 Verſicherung erwiderte: „ ſie hab es alles vorher ge¬ wußt, von dem Nachmittag an, wo ſie die Fahrt nach Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht hätten. Denn ſie hab es wohl geſehen, daß Victoire neben dem großen für die Mama beſtimmten Veilchen¬ ſtrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand gehalten hätte, den habe ſie dem lieben Bräutigam, dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präſen¬ tieren wollen. Aber als er dann gekommen ſei, habe ſie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es ſei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen, was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas bedeutet habe. Denn ſo ſehr ſie gegen dem Aber¬ glauben ſei, ſo glaube ſie doch an Sympathie, natür¬ lich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nach¬ mittag ſtehe noch ſo deutlich vor ihr, als wär es geſtern geweſen, und wenn manche ſo thäten, als wiſſe man nichts, ſo hätte man doch auch ſeine zwei geſunden Augen, und wiſſe recht gut wo die beſten Kürſchen hingen. “ In dieſen Satz vertiefte ſie ſich immer mehr, ohne daß die Bedeutung desſelben dadurch klarer geworden wäre.
Nach Tante Margueritens Toaſt löſte ſich die Tafelreihe; jeder verließ ſeinen Platz, um abwechſelnd hier oder dort eine Gaſtrolle geben zu können, und als bald danach auch die großen Joſtyſchen Deviſen¬ bonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie bei¬214 ſpielsweiſe „ Liebe, wunderbare Fee, Selbſt dein Wehe thut nicht weh “, aller kleinen und undeutlichen Schrift unerachtet, entziffert und verleſen worden waren, er¬ hob man ſich von der Tafel. Alvensleben führte Frau von Carayon, Sander Tante Marguerite, bei welcher Gelegenheit, und zwar über das Ruth-Thema, von Seiten Sanders allerlei kleine Neckereien verübt wurden, Neckereien, die der Tante ſo ſehr gefielen, daß ſie Victoiren, als der Kaffee ſerviert wurde, zuflüſterte: „ Charmanter Herr. Und ſo galant. Und ſo bedeu¬ tungsvoll. “
Schach ſprach viel mit Sander, erkundigte ſich nach Bülow, „ der ihm zwar nie ſympathiſch, aber trotz all ſeiner Schrullen immer ein Gegenſtand des Intereſſes geweſen ſei “und bat Sander, ihm, bei ſich darbietender Gelegenheit, dies ausdrücken zu wollen. In allem was er ſagte, ſprach ſich Freundlichkeit und ein Hang nach Verſöhnung aus.
In dieſem Hange nach Verſöhnung ſtand er aber nicht allein da, ſondern begegnete ſich darin mit Frau von Carayon. Als ihm dieſe perſönlich eine zweite Taſſe präſentierte, ſagte ſie, während er den Zucker aus der Schale nahm: „ Auf ein Wort, lieber Schach. Aber im Nebenzimmer. “
Und ſie ging ihm dahin vorauf.
„ Lieber Schach, “begann ſie, hier auf einem gro߬ geblümten Kanapee Platz nehmend, von dem aus215 beide mit Hilfe der offenſtehenden Flügelthür einen Blick auf das Eckzimmer hin frei hatten, „ es ſind dies unſere letzten Minuten, und ich möchte mir, ehe wir Abſchied von einander nehmen, noch manches von der Seele herunterſprechen. Ich will nicht mit meinem Alter kokettieren, aber ein Jahr iſt eine lange Zeit, und wer weiß, ob wir uns wiederſehen. Über Vic¬ toire kein Wort. Sie wird Ihnen keine trübe Stunde machen; ſie liebt Sie zu ſehr, um es zu können oder zu wollen. Und Sie, lieber Schach, werden ſich dieſer Liebe würdig zeigen. Sie werden ihr nicht wehe thun, dieſem ſüßen Geſchöpf, das nur Demut und Hingebung iſt. Es iſt unmöglich. Und ſo ver¬ lang ich denn kein Verſprechen von Ihnen. Ich weiß im Voraus, ich hab es. “
Schach ſah vor ſich hin, als Frau von Carayon dieſe Worte ſprach, und tröpfelte, während er die Taſſe mit der Linken hielt, den Kaffee langſam aus dem zierlichen kleinen Löffel.
„ Ich habe ſeit unſrer Verſöhnung, “fuhr ſie fort, „ mein Vertrauen wieder. Aber dies Vertrauen, wie mein Brief Ihnen ſchon ausſprach, war in Tagen, die nun glücklicherweiſe hinter uns liegen, um vieles mehr als ich es für möglich gehalten hätte, von mir gewichen, und in dieſen Tagen hab ich harte Worte gegen Sie gebraucht, harte Worte, wenn ich mit Vic¬ toiren ſprach, und noch härtere, wenn ich mit mir216 allein war. Ich habe Sie kleinlich und hochmütig, eitel und beſtimmbar geſcholten, und habe Sie, was das Schlimmſte war, der Undankbarkeit und der la¬ cheté geziehen. All das beklag ich jetzt, und ſchäme mich einer Stimmung, die mich unſre Vergangenheit ſo vergeſſen laſſen konnte. “
Sie ſchwieg einen Augenblick. Aber als Schach antworten wollte, litt ſies nicht und ſagte: „ Nur ein Wort noch. Alles was ich in jenen Tagen geſagt und gedacht habe, bedrückte mich, und verlangte nach dieſer Beichte. Nun erſt iſt alles wieder klar zwiſchen uns, und ich kann Ihnen wieder frei ins Auge ſehen. Aber nun genug. Kommen Sie. Man wird uns ohnehin ſchon vermißt haben. “
Und ſie nahm ſeinen Arm und ſcherzte: „ Nicht wahr? On revient toujours à ses premiers amours. Und ein Glück, daß ich es Ihnen lachend ausſprechen kann, und in einem Momente reiner und ganzer Freude. “
Victoire trat Schach und ihrer Mama von dem Eckzimmer her entgegen, und ſagte: „ Nun, was war es? “
„ Eine Liebeserklärung. “
„ Ich dacht es. Und ein Glück, Schach, daß wir morgen reiſen. Nicht wahr? Ich möchte der Welt um keinen Preis das Bild einer eiferſüchtigen Tochter geben. “
217Und Mutter und Tochter nahmen auf dem Sofa Platz, wo ſich Alvensleben und Noſtitz ihnen geſellten.
In dieſem Augenblick wurde Schach der Wagen gemeldet, und es war als ob er ſich bei dieſer Meldung verfärbe. Frau von Carayon ſah es auch. Er ſammelte ſich aber raſch wieder, empfahl ſich, und trat in den Korridor hinaus, wo der kleine Groom mit Mantel und Hut auf ihn wartete. Victoire war ihm bis an die Treppe hinaus gefolgt, auf der noch vom Hof her ein halber Tagesſchein flimmerte.
„ Bis auf morgen, “ſagte Schach, und trennte ſich raſch und ging.
Aber Victoire beugte ſich weit über das Geländer vor und wiederholte leiſe: „ Bis auf morgen. Hörſt Du?[]Wo ſind wir morgen? “
Und ſiehe, der ſüße Klang ihrer Stimme ver¬ fehlte ſeines Eindrucks nicht, auch in dieſem Augen¬ blicke nicht. Er ſprang die Stufen wieder hinauf, umarmte ſie, wie wenn er Abſchied nehmen wolle für immer, und küßte ſie.
„ Auf Wiederſehn, Mirabelle. “
Und nachhorchend hörte ſie noch ſeinen Schritt auf dem Flur. Dann fiel die Hausthür ins Schloß, und der Wagen rollte die Straße hinunter.
Auf dem Bocke ſaßen Ordonnanz Baarſch und der Groom, von denen jener ſichs eigens ausbedungen hatte, ſeinen Rittmeiſter und Gutsherrn an dieſem ſeinem218 Ehrentage fahren zu dürfen. Was denn auch ohne weiteres bewilligt worden war. Als der Wagen aus der Behren - in die Wilhelmsſtraße einbog, gab es einen Ruck oder Schlag, ohne daß ein Stoß von unten her verſpürt worden wäre.
„ Damm, “ſagte der Groom. „ What's that? “
„ Wat et is? Wat ſoll et ſind, Kleener? En Steen is et; en doter Feldwebel. “
„ Oh no, Baarſch. Nich stone. 't was something .. dear me .. like shooting. “
„ Schuting? Na nu. “
„ Yes; pistol-shooting .. “
Aber der Satz kam nicht mehr zu Ende, denn der Wagen hielt vor Schachs Wohnung, und der Groom ſprang in Angſt und Eile vom Bock, um ſeinem Herrn beim Ausſteigen behilflich zu ſein. Er öffnete den Wagenſchlag, ein dichter Qualm ſchlug ihm entgegen, und Schach ſaß aufrecht in der Ecke, nur wenig zurückgelehnt. Auf dem Teppich zu ſeinen Füßen lag das Piſtol. Entſetzt warf der Kleine den Schlag wieder ins Schloß und jammerte: „ Heavens, he is dead. “
Die Wirtsleute wurden alarmiert, und ſo trugen ſie den Toten in ſeine Wohnung hinauf.
Baarſch fluchte und flennte, und ſchob alles auf die „ Menſchheit “, weil ers aufs Heiraten zu ſchieben nicht den Mut hatte. Denn er war eine diplomatiſche Natur wie alle Bauern.
K önigsberg, 14. Sept. 1806. „ .. Sie ſchreiben mir, lieber Sander, auch von Schach. Das rein Thatſächliche wußt ich ſchon, die Königsberger Zeitung hatte der Sache kurz erwähnt, aber erſt Ihrem Briefe verdank ich die Aufklärung, ſo weit ſie gegeben werden kann. Sie kennen meine Neigung (und dieſer folg ich auch heut), aus dem Einzelnen aufs Ganze zu ſchließen, aber freilich auch umgekehrt aus dem Ganzen aufs Einzelne, was mit dem Generaliſieren zuſammenhängt. Es mag das ſein Mißliches haben und mich oft zu weit führen. Indeſſen wenn jemals eine Berechtigung dazu vorlag, ſo hier, und ſpeziell Sie werden es begreiflich finden, daß mich dieſer Schach-Fall, der nur ein Symptom220 iſt, um eben ſeiner ſymptomatiſchen Bedeutung willen aufs ernſteſte beſchäftigt. Er iſt durchaus Zeiter¬ ſcheinung, aber wohlverſtanden mit lokaler Begrenzung, ein in ſeinen Urſachen ganz abnormer Fall, der ſich in dieſer Art und Weiſe nur in Seiner Königlichen Majeſtät von Preußen Haupt - und Reſidenzſtadt, oder, wenn über dieſe hinaus, immer nur in den Reihen unſrer nachgeborenen fridericianiſchen Armee zutragen konnte, einer Armee, die ſtatt der Ehre nur noch den Dünkel, und ſtatt der Seele nur noch ein Uhrwerk hat — ein Uhrwerk, das bald genug abge¬ laufen ſein wird. Der große König hat dieſen ſchlimmen Zuſtand der Dinge vorbereitet, aber daß er ſo ſchlimm werden konnte, dazu mußten ſich die großen Königs¬ augen erſt ſchließen, vor denen bekanntermaßen jeder mehr erbangte, als vor Schlacht und Tot.
Ich habe lange genug dieſer Armee angehört, um zu wiſſen, ‚ daß Ehre‘ das dritte Wort in ihr iſt; eine Tänzerin iſt charmant ‚ auf Ehre‘, eine Schimmelſtute magnifique, auf Ehre‘, ja, mir ſind Wucherer empfohlen und vorgeſtellt worden, die ſüperb, auf Ehre‘ waren. Und dies beſtändige Sprechen von Ehre, von einer falſchen Ehre, hat die Begriffe verwirrt und die richtige Ehre tot gemacht.
All das ſpiegelt ſich auch in dieſem Schach-Fall, in Schach ſelbſt, der, all ſeiner Fehler unerachtet, immer noch einer der beſten war.
221Wie lag es denn? Ein Offizier verkehrt in einem adligen Hauſe; die Mutter gefällt ihm, und an einem ſchönen Maitage gefällt ihm auch die Tochter, vielleicht, oder ſagen wir lieber ſehr wahrſcheinlich, weil ihm Prinz Louis eine halbe Woche vorher einen Vortrag über „ beauté du diable “gehalten hat. Aber gleich¬ viel, ſie gefällt ihm, und die Natur zieht ihre Kon¬ ſequenzen. Was, unter ſo gegebenen Verhältniſſen, wäre nun wohl einfacher und natürlicher geweſen, als Ausgleich durch einen Eheſchluß, durch eine Verbindung, die weder gegen den äußeren Vorteil, noch gegen irgend ein Vorurteil verſtoßen hätte. Was aber geſchieht? Er flieht nach Wuthenow, einfach weil das holde Geſchöpf, um das ſichs handelt, ein paar Grübchen mehr in der Wange hat, als gerade modiſch oder herkömmlich iſt, und weil dieſe „ paar Grübchen zu¬ viel “unſren glatten und wie mit Schachtelhalm polierten Schach auf vier Wochen in eine von ſeinen Feinden bewitzelte Stellung hätten bringen können. Er flieht alſo, ſag ich, löſt ſich feige von Pflicht und Wort, und als ihn ſchließlich, um ihn ſelber ſprechen zu laſſen, „ ſein „ Allergnädigſter König und Herr “an Pflicht und Wort erinnert und ſtrikten Gehorſam fordert, da gehorcht er, aber nur, um im Momente des Gehorchens den Gehorſam in einer allerbrüskeſten Weiſe zu brechen. Er kann nun mal Zietens ſpöttiſchen Blick nicht ertragen, noch viel weniger einen neuen222 Anſturm von Karrikaturen, und in Angſt geſetzt durch einen Schatten, eine Erbſenblaſe, greift er zu dem alten Auskunftsmittel der Verzweifelten: un peu de poudre.
Da haben Sie das Weſen der falſchen Ehre. Sie macht uns abhängig von dem Schwankendſten und Willkürlichſten, was es giebt, von dem auf Trieb¬ ſand aufgebauten Urteile der Geſellſchaft, und ver¬ anlaßt uns, die heiligſten Gebote, die ſchönſten und natürlichſten Regungen eben dieſem Geſellſchaftsgötzen zum Opfer zu bringen. Und dieſem Kultus einer falſchen Ehre, die nichts iſt als Eitelkeit und Ver¬ ſchrobenheit, iſt denn auch Schach erlegen, und Größeres als er wird folgen. Erinnern Sie ſich dieſer Worte. Wir haben wie Vogel Strauß den Kopf in den Sand geſteckt, um nicht zu hören und nicht zu ſehen. Aber dieſe Straußenvorſicht hat noch nie gerettet. Als es mit der Mingdynaſtie zur Neige ging und die ſieg¬ reichen Mandſchuheere ſchon in die Palaſtgärten von Peking eingedrungen waren, erſchienen immer noch Boten und Abgeſandte, die dem Kaiſer von Siegen und wieder Siegen meldeten, weil es gegen ‚ den Ton‘ der guten Geſellſchaft und des Hofes war, von Nieder¬ lagen zu ſprechen. O, dieſer gute Ton! Eine Stunde ſpäter war ein Reich zertrümmert und ein Thron geſtürzt. Und warum? weil alles Geſchraubte zur Lüge führt und alle Lüge zum Tod.
Entſinnen Sie ſich des Abends in Frau von223 Carayons Salon, wo bei dem Thema ‚ Hannibal ante portas‘ Ähnliches über meine Lippen kam? Schach tadelte mich damals als unpatriotiſch. Un¬ patriotiſch! Die Warner ſind noch immer bei dieſem Namen genannt worden. Und nun! Was ich da¬ mals als etwas blos Wahrſcheinliches vor Augen hatte, jetzt iſt es thatſächlich da. Der Krieg iſt erklärt. Und was das bedeutet, ſteht in aller Deut¬ lichkeit vor meiner Seele. Wir werden an derſelben Welt des Scheins zugrunde gehn, an der Schach zugrunde gegangen iſt. Ihr Bülow.
Nachſchrift. Dohna (früher bei der Garde du Corps), mit dem ich eben über die Schachſche Sache geſprochen habe, hat eine Lesart, die mich an frühere Noſtitzſche Mitteilungen erinnerte. Schach habe die Mutter geliebt, was ihn, in einer Ehe mit der Tochter, in ſeltſam peinliche Herzenskonflikte geführt haben würde. Schreiben Sie mir doch darüber. Ich perſönlich ſind es pikant, aber nicht zutreffend. Schachs Eitelkeit hat ihn zeitlebens bei voller Herzenskühle gehalten, und ſeine Vorſtellungen von Ehre (hier aus¬ nahmsweiſe die richtige) würden ihn außerdem, wenn er die Ehe mit der Tochter wirklich geſchloſſen hätte, vor jedem faux pas geſichert haben. B.
R om, 18. Auguſt 1807. Ma chère Lisette. Daß ich Dir ſagen könnte, wie gerührt ich war über ſo liebe Zeilen! Aus dem Elend des Krieges, aus Kränkungen und Verluſten heraus, haſt Du mich mit Zeichen alter, unveränder¬ ter Freundſchaft überſchüttet und mir meine Verſäum¬ niſſe nicht zum Üblen gedeutet.
Mama wollte mehr als einmal ſchreiben, aber ich ſelber bat ſie, damit zu warten.
Ach, meine teure Liſette, Du nimmſt Teil an meinem Schickſal, und glaubſt der Zeitpunkt ſei nun da, mich gegen Dich auszuſprechen. Und Du haſt Recht. Ich will es thun, ſo gut ichs kann.
225„ Wie ſich das alles erklärt? “fragſt Du und ſetzeſt hinzu: „ Du ſtündeſt vor einem Rätſel, das ſich Dir nicht löſen wolle. “ Meine liebe Liſette, wie löſen ſich die Rätſel? Nie. Ein Reſt von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt, und in die letzten und geheimſten Triebfedern andrer oder auch nur unſrer eignen Handlungsweiſe hineinzublicken, iſt uns ver¬ ſagt. Er ſei, ſo verſichern die Leute, der ſchöne Schach geweſen, und ich, das Mindeſte zu ſagen, die nicht-ſchöne Victoire, — das habe den Spott heraus¬ gefordert, und dieſem Spotte Trotz zu bieten, dazu hab er nicht die Kraft gehabt. Und ſo ſei er denn aus Furcht vor dem Leben in den Tod gegangen.
So ſagt die Welt, und in vielem wird es zu¬ treffen. Schrieb er mir doch ähnliches und verklagte ſich darüber. Aber wie die Welt ſtrenger geweſen iſt, als nötig, ſo vielleicht auch er ſelbſt. Ich ſeh es in einem andern Licht. Er wußte ſehr wohl, daß aller Spott der Welt ſchließlich erlahmt und erliſcht, und war im Übrigen auch Manns genug, dieſen Spott zu bekämpfen, im Fall er nicht erlahmen und nicht erlöſchen wollte. Nein, er fürchtete ſich nicht vor die¬ ſem Kampf, oder wenigſtens nicht ſo, wie vermutet wird; aber eine kluge Stimme, die die Stimme ſeiner eigen¬ ſten und innerſten Natur war, rief ihm beſtändig zu, daß er dieſen Kampf umſonſt kämpfen, und daß er, wenn auch ſiegreich gegen die Welt, nicht ſiegreich15226gegen ſich ſelber ſein würde. Das war es. Er ge¬ hörte durchaus, und mehr als irgendwer, den ich kennen gelernt habe, zu den Männern, die nicht für die Ehe geſchaffen ſind. Ich erzählte Dir ſchon, bei früherer Gelegenheit, von einem Ausfluge nach Tem¬ pelhof, der überhaupt in mehr als einer Beziehung einen Wendepunkt für uns bedeutete. Heimkehrend aus der Kirche, ſprachen wir über Ordensritter und Ordensregeln, und der ungeſucht ernſte Ton, mit dem er, trotz meiner Neckereien, den Gegenſtand be¬ handelte, zeigte mir deutlich, welchen Idealen er nach¬ hing. Und unter dieſen Idealen — all ſeiner Liaiſons unerachtet, oder vielleicht auch um dieſer Liaiſons willen — war ſicherlich nicht die Ehe. Noch jetzt darf ich Dir verſichern, und die Sehnſucht meines Herzens ändert nichts an dieſer Erkenntnis, daß es mir ſchwer, ja faſt unmöglich iſt, ihn mir au sein de sa famille vorzuſtellen. Ein Kardinal (ich ſeh ihrer hier täglich) läßt ſich eben nicht als Ehemann denken. Und Schach auch nicht.
Da haſt Du mein Bekenntnis, und ähnliches muß er ſelber gedacht und empfunden haben, wenn er auch freilich in ſeinem Abſchiedsbriefe darüber ſchwieg. Er war ſeiner ganzen Natur nach auf Repräſentation und Geltendmachung einer gewiſſen Grandezza geſtellt, auf mehr äußerliche Dinge, woraus Du ſehen magſt, daß ich ihn nicht überſchätze. Wirklich, wenn ich ihn227 in ſeinen Fehden mit Bülow immer wieder und wie¬ der unterliegen ſah, ſo fühlt ich nur zu deutlich, daß er weder ein Mann von hervorragender geiſtiger Be¬ deutung, noch von ſuperiorem Charakter ſei; zugegeben das alles; und doch war er andererſeits durchaus befähigt, innerhalb enggezogener Kreiſe zu glänzen und zu herrſchen. Er war wie dazu beſtimmt, der Halb¬ gott eines prinzlichen Hofes zu ſein, und würde dieſe Beſtimmung, Du darfſt darüber nicht lachen, nicht bloß zu ſeiner perſönlichen Freude, ſondern auch zum Glück und Segen andrer, ja vieler anderer, erfüllt haben. Denn er war ein guter Menſch, und auch klug genug, um immer das Gute zu wollen. An dieſer Laufbahn als ein prinzlicher Liebling und Plenipoten¬ tiaire, hätt ich ihn verhindert, ja, hätt ihn, bei meinen anſpruchsloſen Gewohnheiten, aus all und jeder Kar¬ riere herausgeriſſen und ihn nach Wuthenow hinge¬ zwungen, um mit mir ein Spargelbeet anzulegen oder der Kluckhenne die Küchelchen wegzunehmen. Davor erſchrak er. Er ſah ein kleines und beſchränktes Leben vor ſich, und war, ich will nicht ſagen auf ein großes geſtellt, aber doch auf ein ſolches, das ihm als groß erſchien.
Über meine Nichtſchönheit wär er hinwegge¬ kommen. Ich hab 'ihm, ich zögre faſt es niederzu¬ ſchreiben, nicht eigentlich mißfallen, und vielleicht hat er mich wirklich geliebt. Befrag ich ſeine letzten, an15*228mich gerichteten Zeilen, ſo wär es in Wahrheit ſo. Doch ich mißtraue dieſem ſüßen Wort. Denn er war voll Weichheit und Mitgefühl, und alles Weh, was er mir bereitet hat, durch ſein Leben und ſein Sterben, er wollt es ausgleichen, ſo weit es auszugleichen war.
Alles Weh! Ach wie ſo fremd und ſtrafend mich dieſes Wort anſieht! Nein, meine liebe Liſette, nichts von Weh. Ich hatte früh reſigniert, und vermeinte kein Anrecht an jenes Schönſte zu haben, was das Leben hat. Und nun hab ich es gehabt. Liebe. Wie mich das erhebt und durchzittert, und alles Weh in Wonne verkehrt. Da liegt das Kind und ſchlägt eben die blauen Augen auf. Seine Augen. Nein, Liſette, viel Schweres iſt mir auferlegt worden, aber es federt leicht in die Luft, gewogen neben meinem Glück.
Das Kleine, Dein Pathchen, war krank bis auf den Tod, und nur durch ein Wunder iſt es mir er¬ halten geblieben.
Und davon muß ich Dir erzählen.
Als der Arzt nicht mehr Hilfe wußte, ging ich mit unſerer Wirtin (einer ächten alten Römerin in ihrem Stolz und ihrer Herzensgüte) nach der Kirche Araceli hinauf, einem neben dem Kapitol gelegenen alten Rundbogenbau, wo ſie den, Bambino, ‘das Chriſtkind, aufbewahren, eine hölzerne Wickelpuppe mit großen Glasaugen und einem ganzen Diadem von Ringen, wie ſie dem Chriſtkind, um ſeiner ge¬229 ſpendeten Hilfe willen, von unzähligen Müttern ver¬ ehrt worden ſind. Ich bracht ihm einen Ring mit, noch eh ich ſeiner Fürſprache ſicher war, und dieſes Zutrauen muß den Bambino gerührt haben. Denn ſieh, er half. Eine Kriſis kam unmittelbar, und der Dottore verkündigte ſein, va bene‘; die Wirtin aber lächelte, wie wenn ſie ſelber das Wunder verrichtet hätte.
Und dabei kommt mir die Frage, was wohl Tante Marguerite, wenn ſie davon hörte, zu all dem ‚ Aberglauben‘ ſagen würde? Sie würde mich vor der, alten Kürche‘ warnen, und mit mehr Grund, als ſie weiß.
Denn nicht nur alt iſt Araceli, ſondern auch troſtreich und labevoll, und kühl und ſchön.
Sein Schönſtes aber iſt ſein Name, der, Altar des Himmels‘ bedeutet. Und auf dieſem Altar ſteigt tagtäglich das Opfer meines Dankes auf. “
Druck von Emil Herrmann ſen., Leipzig.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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