K. Hofbuchdruckerei Zu Guttenberg (Carl Grüninger) in Stuttgart.
Beim Leſen einer Anzahl Legenden wollte es dem Urheber vorliegenden Büchleins ſcheinen, als ob in der überlieferten Maſſe dieſer Sagen nicht nur die kirchliche Fabulirkunſt ſich geltend mache, ſondern wohl auch die Spuren einer ehmaligen mehr profanen Er¬ zählungsluſt oder Novelliſtik zu bemerken ſeien, wenn man aufmerkſam hinblicke.
Wie nun der Maler durch ein fragmentariſches Wolkenbild, eine Gebirgslinie, durch das radirte Blättchen eines verſchollenen Meiſters zur Ausfüllung eines Rahmens gereizt wird, ſo verſpürte der Verfaſſer die Luſt zu einer Reproduktion jener abgebrochen ſchwebenden Gebilde, wobei ihnen freilich zuweilen das Antlitz nach einer anderen Himmelsgegend hin¬ gewendet wurde, als nach welcher ſie in der über¬ kommenen Geſtalt ſchauen.
VIDer ungeheure Vorrath des Stoffes ließe ein Ausſpinnen der Sache in breiteſtem Betriebe zu; allein nur bei einer mäßigen Ausdehnung des harm¬ loſen Spieles dürfte demſelben der beſcheidene Raum gerne gegönnt werden, den es in Anſpruch nimmt.
Ein Weib ſoll nicht Mannsgeräthe tragen, und ein Mann ſoll nicht Weiber¬ kleider anthun; denn wer ſolches thut, iſt dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel.
Wenn die Frauen den Ehrgeiz der Schönheit, Anmuth und Weiblichkeit hintanſetzen, um ſich in an¬ dern Dingen hervor zu thun, ſo endet die Sache oftmals damit, daß ſie ſich in Männerkleider werfen und ſo dahintrollen.
Die Sucht, den Mann zu ſpielen, kommt ſogar ſchon in der frommen Legendenwelt der erſten Chriſten¬ zeit zum Vorſchein und mehr als eine Heilige jener Tage war von dem Verlangen getrieben, ſich vom Herkommen des Hauſes und der Geſellſchaft zu be¬ freien.
Ein ſolches Beiſpiel gab auch das feine Römer¬ mädchen Eugenia, freilich mit dem nicht ungewöhn¬ lichen Endreſultat, daß ſie, in große Verlegenheit ge¬ rathen durch ihre männlichen Liebhabereien, ſchließlich doch die Hilfsquellen ihres natürlichen Geſchlechtes anrufen mußte, um ſich zu retten.
Sie war die Tochter eines angeſehenen Römers, der mit ſeiner Familie in Alexandria lebte, wo es4 von Philoſophen und Gelehrten aller Art wimmelte. Demgemäß wurde Eugenia ſehr ſorgfältig erzogen und unterrichtet, und dies ſchlug ihr ſo wohl an, daß ſie, ſobald ſie nur ein wenig in die Höhe ſchoß, alle Schulen der Philoſophen, Scholiaſten und Rhetoren beſuchte, wie ein Student, wobei ſie ſtets eine Leibwache von zwei niedlichen Knaben ihres Alters bei ſich hatte. Dies waren die Söhne von zwei Freigelaſſenen ihres Vaters, welche zur Geſellſchaft mit ihr erzogen waren und an all ihren Studien theilnehmen mußten.
Mittlerweile ward ſie das ſchönſte Mädchen, das zu finden war, und ihre Jugendgenoſſen, welche ſelt¬ ſamer Weiſe beide Hyazinthus hießen, wuchſen des¬ gleichen zu zwei zierlichen Jünglingsblumen, und wo die liebliche Roſe Eugenia zu ſehen war, da ſah man allezeit ihr zur Linken und zur Rechten auch die bei¬ den Hyazinthen ſäuſeln oder anmuthig hinter ihr her¬ gehen, indeſſen die Herrin rückwärts mit ihnen dis¬ putirte.
Und es gab nie zwei wohlgezogenere Genoſſen eines Blauſtrümpfchens; denn nie waren ſie anderer Meinung als Eugenia, und ſtets blieben ſie in ihrem Wiſſen um einen Zoll hinter ihr zurück, ſo daß ſie ſtets Recht behielt und nie befürchten mußte, etwas Ungeſchickteres zu ſagen, als ihre Geſpielen.
Alle Bücherwürmer von Alexandrien machten5 Elegien und Sinngedichte auf die muſenhafte Er¬ ſcheinung, und die guten Hyazinthen mußten dieſe Verſe ſorgfältig in goldene Schreibtafeln ſchreiben und hinter ihr her tragen.
Mit jedem halben Jahre wurde ſie nun ſchöner und gelehrter, und bereits luſtwandelte ſie in den geheimnißvollen Irrgärten der neuplatoniſchen Lehren, als der junge Prokonſul Aquilinus ſich in Eugenia verliebte und ſie von ihrem Vater zum Weibe begehrte. Dieſer empfand aber einen ſolchen Reſpekt vor ſeiner Tochter, daß er trotz des römiſchen Vaterrechtes nicht wagte, ihr den mindeſten Vorſchlag zu machen und den Freier an ihren eigenen Willen verwies, obgleich kein Eidam ihm willkommener war, als Aquilinus.
Aber auch Eugenia hatte ſeit manchen ſchönen Tagen heimlich das Auge auf ihn geworfen, da er der ſtattlichſte, angeſehenſte und ritterlichſte Mann in Alexandrien war, der überdies für einen Mann von Geiſt und Herz galt.
Doch empfing ſie den verliebten Konſul in voller Ruhe und Würde, umgeben von Pergamentrollen und ihre Hyazinthen hinter dem Seſſel. Der eine trug ein azurblaues Gewand, der andere ein roſenfarbi¬ ges und ſie ſelbſt ein blendend weißes, und ein Fremd¬ ling wäre ungewiß geweſen, ob er drei ſchöne zarte6 Knaben oder drei friſchblühende Jungfrauen vor ſich ſehe.
Vor dieſes Tribunal trat nun der männliche Aquilinus in einfacher würdiger Toga und hätte am liebſten in traulicher und zärtlicher Weiſe ſeiner Lei¬ denſchaft Worte gegeben; da er aber ſah, daß Eugenia die Jünglinge nicht fortſchickte, ſo ließ er ſich ihr gegenüber auf einen Stuhl nieder und that ihr ſeine Bewerbung in wenigen feſten Worten kund, wobei er ſich ſelbſt bezwingen mußte, weil er ſeine Augen un¬ verwandt auf ſie gerichtet hielt und ihren großen Liebreiz ſah.
Eugenia lächelte unmerklich und erröthete nicht einmal, ſo ſehr hatte ihre Wiſſenſchaft und Geiſtes¬ bildung alle feinern Regungen des gewöhnlichen Le¬ bens in ihr gebunden. Dafür nahm ſie ein ernſtes, tiefſinniges Ausſehen an und erwiederte ihm:
„ Dein Wunſch, o Aquilinus, mich zur Gattin zu nehmen, ehrt mich in hohem Grade, kann mich aber nicht zu einer Unweisheit hinreißen; und eine ſolche wäre es zu nennen, wenn wir, ohne uns zu prüfen, dem erſten rohen Antriebe folgen würden. Die erſte Be¬ dingung, welche ich von einem etwaigen Gemahl for¬ dern müßte, iſt, daß er mein Geiſtesleben und Stre¬ ben verſteht und ehrt und an demſelben theilnimmt! So biſt du mir denn willkommen, wenn du öfter7 um mich ſein und im Wetteifer mit dieſen meinen Jugendgenoſſen dich üben magſt, mit mir nach den höchſten Dingen zu forſchen. Dabei werden wir dann nicht ermangeln, zu lernen, ob wir für einander be¬ ſtimmt ſind, oder nicht, und wir werden uns nach einer Zeit gemeinſamer geiſtiger Thätigkeit ſo erken¬ nen, wie es gottgeſchaffenen Weſen geziemt, die nicht im Dunkel, ſondern im Lichte wandeln ſollen! “
Auf dieſe hochgetragene Zumuthung erwiederte Aqui¬ linus, nicht ohne eine geheime Aufwallung, doch mit ſtolzer Ruhe: „ Wenn ich dich nicht kennte, Eugenia, ſo würde ich dich nicht zum Weibe begehren, und mich kennt das große Rom ſowohl wie dieſe Pro¬ vinz! Wenn daher dein Wiſſen nicht ausreicht, ſchon jetzt zu erkennen, was und wie ich beſchaffen bin, ſo wird es, fürchte ich, nie ausreichen. Auch bin ich nicht gekommen, nochmals in die Schule zu gehen, ſondern eine Ehegenoſſin zu holen; und was dieſe beiden Kinder betrifft, ſo wäre es, wenn du mir deine Hand vergönnteſt, mein erſter Wunſch, daß du ſie endlich entlaſſen und ihren Eltern zurückgeben möchteſt, damit ſie denſelben beiſtehen und nützlich ſein könnten. Nun bitte ich dich, mir Beſcheid zu geben, nicht als ein Gelehrter, ſondern als ein Weib von Fleiſch und Blut! “
Jetzt war die ſchöne Philoſophin doch roth ge¬8 worden, und zwar wie eine Purpurnelke, und ſie ſagte, während ihr das Herz klopfte: „ Mein Beſcheid iſt bald gegeben, da ich aus deinen Worten entnehme, daß du mich nicht liebſt, o Aquilinus! Dieſes könnte mir gleichgiltig ſein, wenn es nicht beleidigend wäre für die Tochter eines edlen Römers, angelogen zu werden! “
„ Ich lüge nie! “ſagte Aquilinus kalt; „ lebe wohl! “
Eugenia wandte ſich ab, ohne ſeinen Abſchied zu erwiedern, und Aquilinus ſchritt langſam aus dem Hauſe nach ſeiner Wohnung. Jene wollte, als ob nichts geſchehen wäre, ihre Bücher vornehmen; allein die Schrift verwirrte ſich vor ihren Augen und die Hyazinthen mußten ihr vorleſen, indeſſen ſie voll heißen Aergers mit ihren Gedanken anderwärts ſchweifte.
Denn wenn ſie bis auf dieſen Tag den Conſul als denjenigen betrachtet hatte, den ſie allein unter allen Freiern zum Gemahl haben mochte, wenn es ihr allenfalls gefiele, ſo war er ihr jetzt ein Stein des Anſtoßes geworden, über den ſie nicht hinweg kommen konnte.
Aquilinus ſeinerſeits verwaltete ruhig ſeine Ge¬ ſchäfte und ſeufzte heimlich über ſeine eigene Thor¬ heit, welche ihn die pedantiſche Schöne nicht ver¬ geſſen ließ.
9Es vergiengen beinahe zwei Jahre, während welcher Eugenia womöglich immer merkwürdiger und eine wahrhaft impoſante Perſon wurde, indeſſen die Hya¬ zinthen allbereits zwei ſtarke Bengel vorſtellten, denen der Bart wuchs. Obgleich man jetzt von allen Sei¬ ten anfing, ſich über dies ſeltſame Verhältniß aufzu¬ halten, und anſtatt der bewundernden Epigramme ſatyriſche Proben dieſer Art aufzutauchen begannen, ſo konnte ſie ſich doch nicht entſchließen, ihre Leib¬ garde zu verabſchieden; denn noch war ja Aquilinus da, der ihr dieſelbe hatte verbieten wollen. Er ging ruhig ſeinen Gang fort und ſchien ſich um ſie nicht weiter zu bekümmern; aber er ſah auch kein anderes Weib an, und man hörte von keiner Bewerbung mehr, ſo daß auch er getadelt wurde, als ein ſo hoher Be¬ amter unbeweibt fortzuleben.
Um ſo mehr hütete ſich die eigenſinnige Eugenia, ihm durch Entfernung der anſtößigen Geſellen ſchein¬ bar ein Zeichen der Annäherung zu geben. Ueberdies reizte es ſie, der allgemeinen Sitte und der öffent¬ lichen Meinung zum Trotz nur ſich allein Rechen¬ ſchaft zu geben und unter Umſtänden, welche für alle andern Frauen gefährlich und unthunlich geweſen wären, das Bewußtſein eines reinen Lebens zu bewahren.
Denn alle ſolche Wunderlichkeiten lagen dazumal in der Luft.
10Mittlerweile befand ſich Eugenia doch nicht wohl und zufrieden; ihre geſchulten Diener mußten Him¬ mel, Erde und Hölle durchphiloſophiren, um plötzlich unterbrochen zu werden und ſtundenweit mit ihr im Feld herumzulaufen, ohne eines Wortes gewürdigt zu ſein. Eines Morgens verlangte ſie auf ein Land¬ gut hinauszufahren; ſie lenkte ſelbſt den Wagen und war lieblicher Laune; denn es war ein klarer Frühlingstag und die Luft mit Balſamdüften erfüllt. Die Hyazinthen freuten ſich der Fröhlichkeit, und ſo fuhren ſie durch eine ländliche Vorſtadt, wo es den Chriſten erlaubt war, ihren Gottesdienſt zu halten. Sie feierten eben den Sonntag; aus der Kirche eines Mönchskloſters ertönte ein frommer Geſang, Eugenia hielt die Pferde an, um zu hören, und vernahm die Worte des Pſalmes: „ Wie eine Hindin nach den Waſſerquellen, ſo lechzet meine Seele, o Gott! nach dir! Meine Seele dürſtet nach dem lebendigen Gott! “
Bei dem Klange dieſer Worte, aus frommen de¬ müthigen Kehlen geſungen, vereinfachte ſich endlich ihr künſtliches Weſen, ihr Herz ward getroffen und ſchien zu wiſſen, was es wolle, und langſam, ohne zu ſprechen, fuhr ſie weiter nach dem Landgute. Dort zog ſie ins geheim männliche Kleider an, winkte die Hyazinthen zu ſich und verließ das Haus mit ihnen, ohne von dem Geſinde geſehen zu werden. Und ſie11 kehrte nach dem Kloſter zurück, klopfte an der Pforte und ſtellte ſich und ihre Begleiter dem Abt als drei junge Männer vor, welche begehrten, als Mönche in das Kloſter aufgenommen zu werden, um von der Welt abzuſcheiden und dem Ewigen zu leben. Sie wußte, da ſie wohl unterrichtet war, auf die prüfen¬ den Fragen des Abtes ſo trefflich zu antworten, daß er alle drei, die er für feine und vornehme Leute halten mußte, in das Kloſter aufnahm und den geiſt¬ lichen Habit anziehen ließ.
Eugenia war ein ſchöner, faſt engelgleicher Mönch und hieß der Bruder Eugenius, und die Hyazinthen ſahen ſich wohl oder übel desgleichen in Mönche ver¬ wandelt, da ſie gar nicht gefragt worden waren und ſich längſt daran gewöhnt hatten, nicht anders zu leben, als durch den Willen ihres weiblichen Vorbil¬ des. Doch bekam ihnen das Mönchsleben nicht übel, indem ſie ungleich ruhigere Tage genoſſen, nicht mehr zu ſtudiren brauchten und ſich gänzlich einem leiden¬ den Gehorſam hingeben konnten.
Der Bruder Eugenius hingegen raſtete nicht, ſon¬ dern wurde ein berühmter Mönch, weiß wie Marmor im Geſicht, aber mit glühenden Augen und dem An¬ ſtand eines Erzengels. Er bekehrte viele Heiden, pflegte die Kranken und Elenden, vertiefte ſich in die Schrift, predigte mit goldener Glockenſtimme und12 ward ſogar, als der Abt ſtarb, zu deſſen Nachfolger erwählt, alſo daß nun die feine Eugenia ein Abt war über ſiebenzig gute Mönche, kleine und große.
Während der Zeit, als ſie ſo plötzlich verſchwun¬ den war mit ihren Gefährten und nirgends mehr aufzufinden, hatte ihr Vater ein Orakel befragen laſſen, was aus ſeiner Tochter geworden ſei, und dieſes verkündete, Eugenia ſei von den Göttern ent¬ rückt und unter die Sterne verſetzt worden. Denn die Prieſter benützten das Ereigniß, um den Chriſten gegenüber ein Mirakel aufzuweiſen, während dieſe den Haſen längſt in der Küche hatten. Man bezeichnete ſogar einen Stern am Firmament mit zwei kleineren Nebenſchnüppchen als das neue Sternbild, und die Alexandriner ſtanden auf den Straßen und den Zin¬ nen ihrer Häuſer und ſchauten hinauf, und Mancher, der ſie einſt hatte herumgehen ſehen und ſich ihrer Schönheit erinnerte, verliebte ſich nachträglich in ſie und guckte mit feuchten Augen in den Stern, der ruhig im dunkeln Blau ſchwamm.
Auch Aquilinus ſah hinauf; aber er ſchüttelte den Kopf und die Sache wollte ihm nicht einleuchten. Deſto feſter glaubte der Vater der Verſchwundenen daran, fühlte ſich nicht wenig erhoben und wußte es mit Hilfe der Prieſter durchzuſetzen, daß Eugenien eine Bildſäule errichtet und göttliche Ehren erwieſen13 wurden. Aquilinus, der die obrigkeitliche Bewilligung ertheilen mußte, that es unter der Bedingung, daß das Bild der Entrückten ähnlich gemacht würde; das war leicht zu bewerkſtelligen, da es eine ganze Menge Büſten und Bildchen von ihr gab, und ſo wurde ihre Marmorſtatue in der Vorhalle des Minerva¬ tempels aufgeſtellt und durfte ſich ſehen laſſen vor den Göttern und Menſchen, da es unbeſchadet der ſprechenden Aehnlichkeit ein Idealwerk war in Kopf, Haltung und Gewändern.
Die ſiebenzig Mönche des Kloſters, als dieſe Neuigkeit dort verhandelt wurde, ärgerten ſich höch¬ lich über den Trumpf, der von heidniſcher Seite aus¬ geſpielt worden, über die Errichtung eines neuen Götzenbildes und die freche Anbetung eines ſterblichen Weibes. Am heftigſten ſchalten ſie über das Weib ſelber als über eine Landläuferin und betrügeriſche Gauklerin, und ſie machten während des Mittags¬ mahles einen ganz ungewöhnlichen Lärm. Die Hya¬ zinthen, welche zwei gutmüthige Pfäfflein geworden und das Geheimniß des Abtes in der Bruſt begraben hielten, ſahen dieſen bedeutungsvoll an; aber er winkte ihnen zu ſchweigen und ließ das Schelten und Toben über ſich ergehen als Strafe für ſeinen heidniſchen Sündengeiſt.
In der Nacht aber, als Mitternacht vorüber war,14 erhob ſich Eugenia von ihrem Lager, nahm einen ſtarken Hammer und ging leiſe aus dem Kloſter, um das Bild aufzuſuchen und zu zerſchlagen. Leicht fand ſie den marmorglänzenden Stadttheil, wo die Tempel und öffentlichen Gebäude lagen und wo ſie ihre Jugendzeit zugebracht hatte. Keine Seele rührte ſich in der ſtillen Steinwelt; als der weibliche Mönch die Stufen zum Tempel hinaufging, erhob ſich eben der Mond über die Schatten der Stadt und warf ſein taghelles Licht zwiſchen die Säulen der Vorhalle hinein. Da ſah Eugenia ihr Bild, weiß wie der ge¬ fallene Schnee, in wunderbarer Anmuth und Schön¬ heit daſtehen, die feinfaltigen Gewänder ſittig um die Schultern gezogen, mit begeiſtertem Blick und leis lächelndem Munde vor ſich hinſehend.
Neugierig ſchritt die Chriſtin darauf zu, den er¬ hobenen Hammer in der Hand; aber ein füßer Schau¬ der durchfuhr ihr Herz, als ſie das Bild in ſeiner Deutlichkeit ſah, der Hammer ſank nieder und laut¬ los weidete ſie ſich am Anblicke ihres eigenen früheren Weſens. Eine bittere Wehmuth umfing ſie, das Ge¬ fühl, als ob ſie aus einer ſchöneren Welt ausgeſtoßen wäre und jetzt als ein glückloſer Schatten in der Oede herum irre; denn wenn das Bild auch zu einem Ideal erhoben war, ſo ſtellte es gerade dadurch das urſprüngliche innere Weſen Eugenias dar, das durch15 ihre Schulfuchſerei nur verhüllt wurde, und es war ein edleres Gefühl, als Eitelkeit, durch welches ſie ihr beſſeres Selbſt in dem magiſchen Mondglanz nun er¬ kannte. Das machte ihr eben zu Muthe, wie wenn ſie die unrechte Karte ausgeſpielt hätte, um modern zu reden, da es damals freilich keine Karten gab.
Plötzlich ließ ſich ein raſcher Männertritt hören; Eugenia verbarg ſich unwillkürlich im Schatten einer Säule und ſah die hohe Geſtalt des Aquilinus heran¬ ſchreiten. Sie ſah, wie er ſich vor die Statue ſtellte, dieſelbe lange betrachtete und endlich den Arm um ihren Hals legte, um einen leiſen Kuß auf die marmornen Lippen zu drücken. Dann hüllte er ſich in ſeinen Mantel und ging langſam hinweg, ſich mehr als einmal nach dem glänzenden Bilde um¬ ſchauend. Eugenia zitterte ſo ſtark, daß ſie es ſelbſt bemerkte; zornig und gewaltſam nahm ſie ſich zu¬ ſammen und trat wieder vor die Bildſäule mit dem erhobenen Hammer, um dem ſündhaften Spuck ein Ende zu machen; aber ſtatt das ſchöne Haupt zu zer¬ ſchlagen, drückte ſie, in Thränen ausbrechend, eben¬ falls einen Kuß auf ſeine Lippen und eilte von dan¬ nen, da ſich die Schritte der Nachtwache hören ließen. Mit wogendem Buſen ſchlich ſie in ihre Zelle und ſchlief ſelbige Nacht nicht, bis die Sonne aufging, und während ſie das Frühgebet verſäumte, träumte16 ſie in raſch folgendem Wechſel von Dingen, die das¬ ſelbe nichts angingen.
Die Mönche ehrten den Schlaf des Abtes als eine Folge geiſtlicher Nachtwachen. Allein zuletzt ſahen ſie ſich genöthigt, Eugenias Schlummer zu unter¬ brechen, da es für ſie etwas beſonderes zu thun gab. Eine vornehme Wittwe, welche krank und chriſtlicher Hilfe bedürftig darnieder zu liegen vorgab, hatte nach ihr geſandt, den geiſtlichen Zuſpruch und den Rath des Abtes Eugenius verlangend, deſſen Wirken und Perſon ſie ſeit geraumer Zeit verehrte. Die Mönche wollten daher dieſe Eroberung nicht fahren laſſen, welche ihrer Kirche zu Anſehen verhalf, und ſie weck¬ ten Eugenia. Halb verwirrt und mit hold gerötheten Wangen, wie man ſie lange nicht geſehen, machte ſie ſich auf den Weg, mit ihren Gedanken mehr in den Träumen des Morgenſchlummers und unter den nächtlichen Tempelſäulen verweilend, als bei dem, was vor ihr lag. Sie betrat das Haus der Heidin und wurde in deren Gemach geführt und mit ihr allein gelaſſen. Ein ſchönes Weib von noch nicht dreißig Jahren lag auf einem Ruhebette ausgeſtreckt, allein nicht wie eine Kranke und Zerknirſchte, ſondern glühend von Stolz und Lebensluſt. Kaum vermochte ſie ſich leidlich ruhig und beſcheiden anzuſtellen, bis der vermeintliche Mönch auf ihre Anordnung dicht17 an ihrer Seite Platz genommen; dann ergriff ſie ſeine beiden weißen Hände, drückte ihre Stirn darauf und bedeckte ſie mit Küſſen. Eugenia, welche von ihren anderweitigen Gedanken eingenommen, nicht auf das unheilige Ausſehen des Weibes geachtet hatte und ihr Gebahren für Demuth und geiſtliche Hingebung hielt, ließ ſie gewähren, und dadurch aufgemuntert, ſchlang die Heidin ihre Arme um Eugenias Hals, den ſchönſten jungen Mönch zu umarmen wähnend. Kurz, ehe der ſich's verſah, fand er ſich von der leidenſchafterfüllten Perſon umklammert und fühlte ſeinen Mund von einem Regen der heftigſten Küſſe getroffen. Ganz betäubt erwachte endlich Eugenia aus ihrer Zerſtreuung; doch dauerte es Minu¬ ten bis ſie ſich aus der wilden Umhalſung losmachen und aufrichten konnte.
Sogleich aber begann die Zunge des heidniſchen Satans ſich zu rühren; in einem Sturm von Worten that die Teufelin dem entſetzten Abt ihre Liebe und Sehnſucht kund und ſuchte ihm auf jegliche Art zu beweiſen, daß es die Pflicht ſeiner Schönheit und Jugend ſei, dieſe Sehnſucht zu ſtillen, und daß er zu nichts anderem da ſei. Dabei ließ ſie es an neuen Angriffen und zärtlichen Verlockungen nicht fehlen, ſo daß Eugenia ſich kaum zu erwehren wußte, endlich aber ſich entrüſtet zuſammenraffte und mit blitzendenKeller, Sieben Legenden. 218Augen der Unholdin ſo derb den Text las und mit ſo kräftigen Verwünſchungen, wie ſie nur einem Mönch zu Gebote ſtehen, antwortete, daß jene das Mißlingen ihres übeln Vorhabens erkannte, mit Einem Schlag ſich verwandelte und den Ausweg ein¬ ſchlug, den ſchon das Weib des Potiphar eingeſchla¬ gen und der ſeither hundert und tauſend Mal be¬ gangen wurde. Sie ſprang wie ein Tiger auf Eugenia zu, umſchlang ſie nochmals wie mit eiſernen Armen, riß ſie zu ſich auf das Bett nieder und erhob gleich¬ zeitig ein ſolches Zetergeſchrei, daß ihre Mägde von allen Seiten in das Gemach ſtürzten.
„ Helft mir! Helft mir! “ſchrie ſie, „ dieſer Mann will mir Gewalt anthun! “und zugleich ließ ſie Eu¬ genien los, die ſich athemlos, verwirrt und erſchrocken auf die Füße ſtellte.
Die herbeigelaufenen Weiber ſchrieen alſobald noch ärger als ihre Herrin, liefen dahin und dorthin und riefen auch männliche Geiſter herbei; Eugenia wußte vor Schrecken kein Wort hervorzubringen, ſondern flüchtete ſich voll Scham und Abſcheu aus, dem Hauſe, vom Lärm und den Verwünſchungen des tollen Haufens verfolgt.
Nun ſäumte die teufliſche Wittwe nicht, ſchnur¬ ſtracks und mit einem guten Gefolge zum Konſul Aquilinus zu laufen und bei ihm den Mönch der19 ärgſten Schandthat anzuklagen, wie er heuchleriſcher Weiſe in ihr Haus gekommen ſei, um ſich erſt mit Bekehrungsverſuchen aufzudrängen und, nachdem dieſe fehlgeſchlagen, ſie gewaltthätig ihrer Ehre zu berau¬ ben. Da ihr ganzes Gefolge die Wahrheit ihrer Aus¬ ſage bezeugte, ließ der entrüſtete Aquilinus ſofort das Kloſter mit Kriegsvolk beſetzen und den Abt ſammt den Mönchen vor ſich bringen, um ſie zu richten.
„ Iſt das euer Beginnen, ihr niederträchtigen Heuchler? “redete er ſie mit ſtrengem Tone an, „ ſticht euch ſchon dermaßen der Hafer, daß ihr, kaum geduldet, die Ehre unſerer Frauen beleidigt und herum ſchleicht, wie die reißenden Wölfe? Hat euer Meiſter, den ich mehr achte, als ihr Lügner! euch dergleichen gelehrt oder geboten? Mit Nichten! Ihr ſeid ein Haufen und eine Bande Elender, die ſich öffentlich einen Namen geben, um im Stillen dem Verderben zu fröhnen! Vertheidigt euch, wenn ihr könnt, gegen die Anklage! “
Die ſchändliche Wittwe wiederholte jetzt, von heuch¬ leriſchen Seufzern und Thränen unterbrochen, ihre lügenhafte Erzählung. Als ſie geendigt und ſich ſitt¬ ſam wieder in ihre Schleier hüllte, ſahen die Mönche voll Furcht einander an und auf ihren Abt, an deſſen Tugend ſie nicht zweifelten, und ſie erhoben gemein¬ ſam ihre Stimmen, um die falſche Anklage abzuwehren. 20Allein nicht nur das zahlreiche Geſinde der Lügnerin, ſondern auch mehrere Nachbarn und Vorübergehende, welche den Abt voll Scham und Verwirrung aus jenem Hauſe hatten entfliehen ſehen und ihn ſchlecht¬ weg für ſchuldig hielten, bezeugten jetzt nacheinander und zumal mit lauter Stimme die begangene Unthat, ſo daß die armen Mönche zehnmal überſtimmt und überſchrieen wurden.
Sie ſahen daher voll Zweifel auf ihren Abt, und ſeine Jugendlichkeit kam den Graubärten unter ihnen jetzt auf einmal auch verdächtig vor. Sie riefen, wenn er ſchuldig ſei, ſo würde Gottes Strafgericht nicht ausbleiben, wie ſie ihn auch dem weltlichen Rich¬ ter jetzt ſchon Preis gäben!
Aller Blicke waren nun auf Eugenia gerichtet, welche inmitten der Verſammlung verlaſſen daſtand. Sie hatte weinend in ihrer Zelle gelegen, als ſie mit den Mönchen ergriffen worden, und ſtand die ganze Zeit über mit geſenkten Augen und die Mönchskappe tief über das Haupt gezogen, da und befand ſich nun in der allerſchlimmſten Lage; denn wenn ſie das Ge¬ heimniß ihrer Herkunft und ihres Geſchlechtes be¬ wahrte, ſo unterlag ſie dem falſchen Zeugniß, und offenbarte ſie daſſelbe, ſo erhob ſich der Sturm gegen das Kloſter heftiger als vorher und ſie weihte das¬ ſelbe dem Untergange, indem ein Kloſter, das ein21 ſchönes junges Weib zum Abte hat, des unſeligſten Verdachtes und Geſpöttes der böswilligen Heidenwelt gewärtig ſein mußte. Dieſe Furcht und Ungewißheit hätte ſie nicht empfunden, wenn ſie, nach Mönchs¬ begriffen, noch reinen Herzens geweſen wäre; allein allbereits ſeit der letzten Nacht war der Zwieſpalt in ihr Gemüth eingebrochen und ſelbſt die unglückliche Begegnung mit dem ſchlimmen Weibe hatte ſie noch mehr verwirrt, ſo daß ſie nunmehr den Muth nicht fand, entſchloſſen aufzutreten und ein Wunder herbei¬ zuführen.
Doch als Aquilinus ſie aufforderte, zu reden, erinnerte ſie ſich ſeiner Neigung zu ihr, und indem ſie Vertrauen zu ihm faßte, verfiel ſie auf eine Aus¬ flucht. Mit leiſem und beſcheidenem Tone ſagte ſie, ſie ſei nicht ſchuldig und wolle es dem Konſul be¬ weiſen, wenn ſie allein mit ihm ſprechen dürfe. Der Klang ihrer Stimme rührte den Aquilinus, ohne daß er wußte warum, und er gab zu, daß ſie unter vier Augen mit ihm reden möge. Er ließ ſie des¬ halb in das Innere ſeines Hauſes führen und ver¬ ſchloß ſich dort allein mit ihr in ein Zimmer. Dort ſchlug Eugenia ihre Augen zu ihm auf, warf die Kapuze zurück und ſagte: „ Ich bin Eugenia, die du einſt zur Frau begehrt haſt! “
Sogleich erkannte er ſie und war überzeugt, daß22 ſie es ſei; aber zugleich ſtieg ein großer Aerger und eine brennende Eiferſucht in ihm auf, weil die ſo plötzlich Wiedergefundene als ein Weib zum Vor¬ ſchein kam, das die ganze Zeit über heimlich unter ſiebenzig Mönchen gelebt hatte. Er hielt daher ge¬ waltſam an ſich und ſtellte ſich, während ſeine Blicke ſie prüfend überflogen, als ob er ihren Worten nicht im mindeſten glaubte und ſagte: „ Du ſiehſt in der That jener thörichten Jungfrau ziemlich ähnlich. Doch das kümmert mich nicht; vielmehr bin ich begierig zu wiſſen, was du mit der Wittwe ge¬ macht haſt! “
Eugenia erzählte eingeſchüchtert und ängſtlich den Vorgang und Aquilinus erkannte aus der ganzen Art der Erzählung die Falſchheit und Schlechtigkeit der Anklage, erwiederte jedoch mit ſcheinbarer Kalt¬ blütigkeit: „ Und auf welche Weiſe willſt du denn, wenn du Eugenia biſt, ein Mönch geworden ſein, in welcher Abſicht und wie war es möglich? “
Auf dieſe ſeine Worte erröthete ſie und blickte verlegen auf die Erde; doch dünkte es ſie nicht unbe¬ haglich, hier zu ſein und endlich wieder einmal zu einem guten alten Bekannten von ſich und ihrem Leben zu ſprechen; ſie ſäumte auch nicht und be¬ richtete mit natürlichen Worten Alles, was ſich ſeit ihrem Verſchwinden mit ihr zugetragen, nur daß ſie23 ſeltſamer Weiſe der beiden Hyazinthen mit keiner Silbe erwähnte. Die Erzählung gefiel ihm nicht übel, überhaupt wurde es ihm jede Minute ſchwerer, ſein Wohlgefallen an der ſchönen Wiedergefundenen zu verbergen. Aber dennoch bezwang er ſich und beſchloß, durch ihr ferneres Benehmen bis zum Schluſſe zu erfahren, ob er an Zucht und reiner Sitte die frühere Eugenia vor ſich habe.
Er ſagte darum: „ Alles dies iſt eine gut vor¬ getragene Geſchichte; dennoch halte ich das Mädchen, das du jetzt zu ſein vorgibſt, trotz ſeiner Sonderlichkeit nicht für dergleichen gar zu befremdliche Abenteuer fähig; wenigſtens hätte die wahre Eugenia es gewiß vorgezogen, eine Nonne zu werden. Denn was ſoll um aller Welt willen eine Mönchskutte und das Le¬ ben unter ſiebenzig Mönchen für ein Verdienſt und Heil ſein auch für die gelehrteſte und frömmſte Frau? deshalb halte ich dich nach wie vor für einen glatten unbärtigen Kauz von Betrüger, dem ich gar nicht traue! Ueberdies iſt jene Eugenia für göttlich und in den Sternen wohnend erklärt worden, ihr Bild ſteht im Tempel geweiht und es wird dir ſchlimm genug ergehen, wenn du auf deiner läſterlichen Aus¬ ſage beharrſt! “
„ Dies Bild hat ein gewiſſer Mann die vergangene Nacht geküßt! “erwiederte Eugenia mit leiſer Stimme24 und ſah mit ſeltſamen Blicken zu dem betroffenen Aquilinus hinüber, der ſie anſtarrte, wie eine mit höherem Wiſſen Begabte. „ Wie kann der gleiche Mann das Urbild peinigen? “
Aber er bekämpfte ſeine Verwirrung, ſchien dieſe Worte zu überhören und fuhr fort, kalt und ſtreng: „ Kurz geſagt, zu Ehren der armen Chriſtenmönche, die mir unſchuldig ſcheinen, kann und will ich nie glauben, daß du ein Weib ſeieſt! Mache dich bereit, gerichtet zu werden, denn deine Mittheilungen haben mich nicht befriedigt! “
Da rief Eugenia: „ So helfe mir Gott! “und riß ihr Mönchsgewand entzwei, bleich wie eine weiße Roſe und in Scham und Verzweiflung zuſammen brechend. Aber Aquilinus fing ſie in ſeinen Armen auf, drückte ſie an ſein Herz und umhüllte ſie mit ſeinem Mantel, und ſeine Thränen fielen auf ihr ſchönes Haupt; denn er ſah wohl, daß ſie eine ehr¬ bare Frau war. Er trug ſie in das nächſte Zimmer, wo ein reichgerüſtetes Gaſtbett ſtand, legte ſie ſanft in dasſelbe hinein und deckte ſie mit Purpurdecken zu bis an's Kinn. Dann küßte er ſie auf den Mund, vielleicht drei oder vier Mal, ging hinaus und ver¬ ſchloß die Thüre wohl. Dann nahm er den noch warmen Mönchshabit, der auf dem Boden lag, und begab ſich wieder zu der harrenden Menge hinaus,25 die er alſo anredete: „ Das ſind abſonderliche Dinge. Ihr Mönche ſeid unſchuldig und könnt nach eurem Kloſter gehen! Euer Abt war ein Dämon, der euch verderben oder verführen wollte. Hier nehmt ſeine Kutte mit Euch und hängt ſie zum Andenken irgendwo auf; denn nachdem er vor meinen Augen ſeine Ge¬ ſtalt ganz abſonderlich verändert hat, iſt er vor eben dieſen Augen in ein Nichts verfloſſen und ſpurlos verſchwunden! Dies Weib hier hingegen, welches ſich des Dämons bediente, Euch zu verderben, iſt der Zauberei verdächtig und ſoll in's Gefängniß gewor¬ fen werden. Und hiemit begebt Euch allerſeits nach Hauſe und ſeid guter Dinge! “
Alles erſtaunte über dieſe Rede und ſchaute furcht¬ ſam auf das Gewand des Dämons. Die Wittib er¬ blaßte und verhüllte ihr Geſicht, wonach ſie genug¬ ſam ihr böſes Gewiſſen zu erkennen gab. Die guten Mönche erfreuten ſich ihres Sieges und zogen mit der leeren Kutte dankbarlichſt von dannen, nicht ahnend, welch 'ſüßer Kern darin geſteckt habe. Die Wittwe wurde in's Gefängniß abgeführt, und Aquili¬ nus rief ſeinen vertrauteſten Diener, mit welchem er die Stadt durchſtreifte, Kaufleute aufſuchte und eine Laſt der köſtlichſten Frauengewänder einkaufte. Dieſe mußte der Sklave ſo geheim und raſch als mög¬ lich in's Haus bringen.
26Sachte trat der Conſul in das Gemach, wo Eugenia war, ſetzte ſich auf den Rand ihres Bettes und ſah, daß ſie ganz vergnüglich ſchlief, wie Jemand der ſich von ausgeſtandenen Beſchwerden erholt. Er mußte lachen über ihren ſchwarzſammtenen geſchorenen Mönchskopf und fuhr mit leiſer Hand über das dichte kurze Haar. Da erwachte ſie und ſperrte die Augen auf.
„ Willſt Du nun endlich mein Weib ſein? “fragte er ſanft, worauf ſie weder ja noch nein ſagte, wohl aber leiſe unter ihren Purpurdecken ſchauderte, in denen ſie eingewickelt lag.
Da brachte Aquilinus an Kleidern und Schmuck Alles herein, was eine zierliche Frau damals be¬ durfte, um ſich vom Kopf bis zu den Füßen zu kleiden, und verließ ſie ſodann.
Nach Sonnenuntergang desſelben Tages fuhr er mit ihr, einzig von dem Vertrauten begleitet, nach einem ſeiner Landhäuſer hinaus, welches einſam und reizend im Schatten dichter Bäume gelegen war.
Auf dem Landhauſe vermählte ſich nun das Paar in der grüßten Einſamkeit, und ſo lange es gedauert hatte, bis ſie endlich zuſammengekommen, ſo ſchien ihnen darum doch keine Zeit verloren zu ſein, viel¬ mehr empfanden ſie die herzlichſte Dankbarkeit für das Glück, das ſie ſich gegenſeitig gewährten. Aquili¬27 nus widmete die Tage ſeinem Amte und fuhr des Abends mit den ſchnellſten Pferden zu ſeiner Gattin. Nur etwa an unfreundlichen ſtürmiſchen Regentagen liebte er es, unverſehens ſchon früher nach dem Land¬ hauſe zu eilen, um Eugenien aufzuheitern.
Dieſe gab ſich jetzt, ohne viel Worte zu machen, mit eben der gründlichen Ausdauer, welche ſie der Philoſophie und der chriſtlichen Askeſe gewidmet hatte, dem Studium ehelicher Liebe und Treue hin. Als aber ihr Haupthaar wieder die gehörige Länge erreicht hatte, führte Aquilinus ſeine Gemahlin mit Erfin¬ dung einer geſchickten Fabel endlich wieder nach Alexandrien zurück, brachte ſie zu ihren erſtaunten Eltern und feierte ein glänzendes Hochzeitsfeſt.
Der Vater war zwar überraſcht, anſtatt einer unſterblichen Göttin und eines himmliſchen Sternbil¬ des in ſeiner Tochter eine verliebte irdiſche Ehefrau wieder zu finden, und ſah mit Wehmuth die geweihte Bildſäule aus dem Tempel wegtragen; doch über¬ wog löblicher Weiſe das Vergnügen an ſeiner leib¬ haften Tochter, welche jetzt erſt ſo ſchön und liebens¬ werth erſchien, wie noch nie. Die Marmorſtatue ſtellte Aquilinus in den ſchönſten Raum ſeines Hau¬ ſes; doch hütete er ſich, dieſelbe nochmals zu küſſen, da er nun das lebenswarme Urbild zur Hand hatte.
Nachdem nun Eugenia das Weſen der Ehe genug¬28 ſam erkundet hatte, wandte ſie ihre Erkenntniß dazu an, ihren Gemahl zum Chriſtenthum zu bekehren, dem ſie nach wie vor anhing, und ſie ruhte nicht eher, als bis Aquilinus ſich öffentlich zu ihrem Glau¬ ben bekannte. Die legende erzählt nun weiter, wie die ganze Familie nach Rom zurückkehrte um die Zeit, da der chriſtenfeindliche Valerianus zur Re¬ gierung gelangte, und wie nun während der aus¬ brechenden Verfolgungen Eugenia noch eine berühmte Glaubensheldin und Märtyrerin wurde, welche vor ihrem Tode die merkwürdigſten Wunder verrichtete.
Ihre Gewalt über Aquilinus war ſo groß ge¬ worden, daß ſie auch die geiſtlichen Hyazinthen aus Alexandrien mit nach Rom nehmen konnte, allwo dieſelben ebenfalls die Märtyrerkrone gewannen. Erſt neuerlich ſind in einem Sarkophag der Katakomben ihre Leiber vereinigt gefunden worden, gleich zwei Lämm¬ chen in einer Bratpfanne, und es hat ſie Papſt Pius einer franzöſiſchen Stadt geſchenkt, welcher die Preu¬ ßen ihre Heiligen verbrannt haben. Ihre Fürſprache ſoll namentlich für träge Schülerinnen gut ſein, die in ihren Studien zurückgeblieben ſind.
(Angelus Sileſius, Cherub. Wandersmann VI. Buch 206. )Freund! wach 'und ſchau dich um, der Teufel geht ſtets runden,Kommt er dir auf den Leib, ſo liegeſt du ſchon unten.
Es war ein Graf Gebizo, der beſaß eine wunder¬ ſchöne Frau, eine prächtige Burg ſammt Stadt und ſo viele anſehnliche Güter, daß er für einen der reich¬ ſten und glücklichſten Herren im Lande galt. Dieſen Ruf ſchien er denn auch dankbar anzuerkennen, in¬ dem er nicht nur eine glänzende Gaſtfreundſchaft hielt, wobei ſein ſchönes und gutes Weib gleich einer Sonne die Gemüther der Gäſte erwärmte, ſondern auch die chriſtliche Wohlthätigkeit im weiteſten Um¬ fange übte.
Er ſtiftete und begabte Klöſter und Spitäler, ſchmückte Kirchen und Kapellen, und an allen hohen Feſttagen kleidete, ſpeiſte und tränkte er eine große Zahl von Armen, manchmal zu Hunderten, und einige Dutzend mußten täglich, ja faſt ſtündlich auf ſeinem Burghofe ſchmauſend und ihn lobpreiſend zu ſehen ſein, ſonſt hätte ihm ſeine Wohnung, ſo ſchön ſie war, verödet geſchienen.
Allein bei ſolch 'ſchrankenloſer Freigebigkeit iſt auch der größte Reichthum zu erſchöpfen, und ſo kam32 es, daß der Graf nach und nach alle ſeine Herrſchaf¬ ten verpfänden mußte, um ſeinem Hange zu gro߬ artigem Wohlthun zu fröhnen, und je mehr er ſich verſchuldete, deſto eifriger verdoppelte er ſeine Ver¬ gabungen und Armenfeſte, um dadurch den Segen des Himmels, wie er meinte, wieder zu ſeinen Gunſten zu wenden. Zuletzt verarmte er gänzlich, ſeine Burg verödete und verfiel; erfolgloſe und thörichte Stif¬ tungen und Schenkungsbriefe, welche er aus alter Gewohnheit immer noch zu ſchreiben nicht unterlaſſen konnte, trugen ihm nur Spott ein, und wenn er hie und da noch einen zerlumpten Bettler auf ſeine Burg locken konnte, ſo warf ihm dieſer das magere Süpp¬ chen, das er ihm vorſetzte, mit höhniſchen Schmäh¬ worten vor die Füße und machte ſich davon.
Nur Eines blieb ſich immer gleich, die Schönheit ſeiner Frau Bertrade; ja, je öder es im Hauſe aus¬ ſah, deſto lichter ſchien dieſe Schönheit zu werden. Und auch an Huld, Liebe und Güte nahm ſie zu, je ärmer Gebizo wurde, ſo daß aller Segen des Him¬ mels ſich in dies Weib zu legen ſchien und tauſend Männer den Grafen um dieſen einen Schatz, der ihm noch übrig blieb, beneideten. Er allein ſah nichts von alledem, und jemehr ſich die holde Bertrade be¬ mühte, ihn aufzuheitern und ſeine Armuth zu ver¬ ſüßen, deſto geringer ſchätzte er dies Kleinod und33 verfiel in einen bittern und verſtockten Trübſinn und verbarg ſich vor der Welt.
Als einſt ein herrlicher Oſtermorgen anbrach, wo er ſonſt gewohnt war, fröhliche Schaaren nach ſeiner Burg wallfahren zu ſehen, ſchämte er ſich ſeines Falles, daß er nicht einmal in die Kirche zu gehen wagte und in Verzweiflung war, wie er die ſchönen ſonnigen Feſttage zubringen ſollte. Umſonſt bat ihn ſein Weib mit perlenden Thränen und mit lächeln¬ dem Munde, ſich nicht zu grämen und unverzagt mit ihr zur Kirche zu gehen; er machte ſich unwirſch los und ging auf und davon, ſich in den Wäldern zu verbergen, bis Oſtern vorbei wäre.
Berg auf und ab lief er, bis er in eine uralte Wildniß kam, wo ungeheure bärtige Tannenbäume einen See umſchloſſen, deſſen Tiefe die nächtigen Tan¬ nen ihrer ganzen Länge nach wiederſpiegelte, ſo daß alles düſter und ſchwarz erſchien. Die Erde um den See war dicht bedeckt mit abenteuerlichem langfran¬ zigem Mooſe, in welchem kein Tritt zu hören war.
Hier ſetzte ſich Gebizo nieder und grollte mit Gott ob ſeines elenden Geſchickes, welches ihm nicht mehr erlaubte, ſeinen Hunger genugſam zu ſtillen, nachdem er Tauſende mit Freuden geſättigt, und ihm obenein ſeine Werkthätigkeit mit dem Hohn und Undank der Welt vergalt.
Keller, Sieben Legenden. 334Unverſehens bemerkte er mitten auf dem See einen Nachen und in demſelben einen hochgewachſenen Mann. Da der See nur klein und leicht zu über¬ ſehen war, ſo konnte Gebizo nicht begreifen, wo der Fährmann auf einmal herkomme, da er ihn zuvor nirgends bemerkt; genug er war jetzt da, that einen einzigen Ruderſchlag und landete alsbald dicht vor dem Ritter, und ehe dieſer ſich einen bedanken machen konnte, fragte er ihn, warum er ein ſo ſchlimmes Geſicht in die Welt ſchneide? Da der Fremde unge¬ achtet eines ſehr hübſchen Ausſehens einen Zug gründ¬ licher Unzufriedenheit um Mund und Augen hatte, erweckte dies das Vertrauen Gebizos und er klagte unverholen ſein Mißleiden und all' ſeinen Groll.
„ Du biſt ein Thor, “ſagte Jener hierauf; „ denn du beſitzeſt einen Schatz, der größer iſt, als Alles was Du verloren haſt. Wenn ich dein Weib hätte, ſo wollte ich nach allen Reichthümern, Kirchen und Klöſtern und nach allen Bettelleuten der Welt nichts fragen! “
„ Gib mir dieſe Dinge wieder und du kannſt wohl mein Weib dafür haben! “erwiederte Gebizo bitter lachend und Jener rief blitzſchnell: „ Es gilt! Suche unter dem Kopfkiſſen deiner Frau, dort wirſt du finden, was für deine ganze Lebenszeit ausreicht, alle Tage ein Kloſter zu bauen und tauſend Men¬35 ſchen zu ſpeiſen, und wenn du hundert Jahre alt würdeſt! dafür bringe mir dein Weib hier zur Stelle, unfehlbar am Abend vor Walpurgistag! “
Es ſprühte bei dieſen Worten ein ſolches Feuer aus ſeinen dunklen Augen, daß davon zwei röthliche Lichter über den Rockärmel des Grafen und von da über Moos und Tannenſtämme wegſtreiften. Da ſah Gebizo, wen er vor ſich habe, und nahm das Anerbieten des Mannes an. Dieſer rührte das Ruder und fuhr wieder auf die Mitte des Sees hinaus, wo er ſammt dem Schiffe im Waſſer verſank mit einem Getön welches dem Gelächter von vielen eher¬ nen Glocken ähnlich war.
Gebizo eilte mit einer Gänſehaut bekleidet auf dem geradeſten Wege nach ſeiner Burg, unterſuchte ſogleich Bertradens Bett und fand unter ihrem Kopf¬ kiſſen ein altes unſcheinbares Buch, das er nicht leſen konnte. Wie er aber darin blätterte, fiel ein Gold¬ ſtück nach dem andern heraus. Sobald er das merkte, machte er ſich mit dem Buche in das tiefſte Gewölbe ſeines Thurmes und blätterte dort in aller Verbor¬ genheit für's Erſte, ſo lange das Oſterfeſt dauerte, einen hinreichenden Haufen Goldes aus dem intereſſan¬ ten Werke heraus.
Dann trat er wieder auf vor der Welt, löſete alle ſeine Beſitzungen ein, rief Werkleute herbei, die36 ſein Schloß herſtellten, prächtiger als es je geweſen, und ſpendete Wohlthaten rings herum gleich einem Fürſten, der eben gekrönt worden iſt. Das Haupt¬ werk aber war die Grundlegung einer mächtigen Abtei für fünfhundert der frömmſten und vornehm¬ ſten Capitularen, eine ordentliche Stadt von Heiligen und Schriftgelehrten, in deren Mitte dereinſt ſeine Begräbnißſtätte ſein ſollte. Dieſe Vorſicht glaubte er ſeinem ewigen Seelenheil ſchuldig zu ſein. Da über ſeine Frau anders verfügt war, ſo wurde eine Grabſtätte für ſie nicht vorgeſehen.
Am Mittage vor Walpurgis befahl er zu ſatteln, und gebot ſeiner ſchönen Frau ihr weißes Jagdpferd zu beſteigen, da ſie einen weiten Weg mit ihm zu reiten hätte. Zugleich verbot er, daß irgend ein Knappe oder Diener mitkäme. Eine große Angſt be¬ fiel die Arme, ſie zitterte an allen Gliedern und be¬ log zum erſten Mal in ihrer Ehe den Gemahl, indem ſie ſich für unwohl ausgab und ihn bat, ſie zu Hauſe zu laſſen. Da ſie kurz vorher halblaut ein wenig geſungen hatte, ſo ward Gebizo zornig über dieſe Lüge und glaubte nun ein doppeltes Recht über ſie zu haben. Sie mußte, dazu noch möglichſt wohl geſchmückt, zu Pferde ſitzen und ritt traurig mit ihrem Manne von dannen, ohne zu wiſſen, wohin es gehen ſollte.
37Als ſie ungefähr die Hälfte des Weges zurückge¬ legt, kamen ſie zu einem Kirchlein, das Bertrade in früheren Tagen ſo nebenbei einſt gebaut und der Mutter Gottes gewidmet hatte. Es war einem armen Meiſter zu Gefallen geſchehen, welchem wegen ſeiner mürriſchen und unlieblichen Perſon Niemand etwas zu thun gab, ſo daß auch Gebizo, dem Jeder mit gefälligem und ehrerbietigem Weſen nahen mußte, ihn nicht leiden mochte und bei allen ſeinen Werken leer ausgehen ließ. Heimlich hatte ſie das Kirchlein bauen laſſen und der verachtete Meiſter hatte gleichſam als Feierabendarbeit zum Dank noch ein gar eigenthüm¬ lich anmuthiges Marienbild ſebſt gearbeitet und auf den Altar geſtellt.
In dieſes Kirchlein begehrte jetzt Bertrade für einen Augenblick einzutreten, um ihr Gebet zu ver¬ richten, und Gebizo ließ es geſchehen; denn er dachte, ſie könnte es wohl brauchen. Sie ſtieg alſo vom Pferde und ging, indeſſen der Mann draußen harrte, hinein, kniete vor dem Altare nieder und empfahl ſich in den Schutz der Jungfrau Maria. Da fiel ſie in einen tiefen Schlaf; die Jungfrau ſprang vom Altar herunter, nahm Geſtalt und Kleidung der Schlafen¬ den an, trat aus der Thüre friſchen Muthes und beſtieg das Pferd, worauf ſie an der Seite des Gra¬ fen und an Bertradens Statt den Weg fortſetzte.
38Der Elende wollte ſein Weib noch täuſchen und je näher ſie dem Ziele kamen, mit um ſo größerer Freundlichkeit einſchläfern und zerſtreuen; und er redete deshalb über dieſes und jenes mit ihr und die Jungfrau gab ihm trauliche Antwort in ſüßem Ge¬ plauder, ſich ſtellend, als ob ſie alle Bangigkeit ver¬ löre. So erreichten ſie die dunkle Wildniß an dem See, über welchem falbe Abendwolken hingen; die alten Tannen blühten mit Purpurknoſpen wie es nur in den üppigſten Frühlingen geſchieht; im Dickicht ſchlug eine geſpenſtige Nachtigall ſo ſtark wie mit Orgelpfeifen und Cymbeln, und aus den Tannen ritt der bewußte Mann hervor auf einem ſchwarzen Hengſt, in reicher ritterlicher Tracht, ein langes Schwert zur Seite.
Er näherte ſich ganz manierlich, obgleich er einen ſo grimmigen Blick ſchnell auf Gebizo ſchoß, daß die¬ ſem die Haut ſchauderte; ſonſt ſchienen nicht einmal die Pferde Unheil zu wittern, denn ſie blieben ruhig. Gebizo warf dem Fremden zitternd die Zügel ſeiner Frau zu und ſprengte ohne ſie von dannen und ohne ſich nach ihr umzuſehen. Der Fremde aber ergriff die Zügel mit haſtiger Fauſt und fort ging es wie ein Sturmwind durch die Tannen, daß Schleier und Gewand der ſchönen Ritterfrau flogen und flatterten, über Berg und Thal und über die fließenden Waſſer,39 daß die Hufe der Pferde kaum die Schäume der Wellen berührten. Von ſauſendem Sturme gejagt, wälzte ſich vor den Roſſen her eine roſig duftende Wolke, die in der Dämmerung leuchtete, und jene Nach¬ tigall flog unſichtbar vor dem Paare her und ſetzte ſich da und dort auf einen Baum, ſingend, daß die Lüfte ſchallten.
Endlich nahmen alle Hügel und alle Bäume ein Ende und die Beiden ritten in eine endloſe Haide hinein, in deren Mitte wie aus weiter Ferne die Nachtigall ſchlug, obgleich weder Strauch noch Zweig zu ahnen war, auf dem ſie hätte ſitzen können.
Unverſehens hielt der Reiter an, ſprang vom Pferde und half der Dame mit den Geberden eines voll¬ kommenen Ritters aus dem Sattel. Kaum berührte ihr Fuß die Haide, ſo entſproß rings um das Paar ein mannshoher Roſengarten mit einem herrlichen Brunnen und Ruheſitz, über welchem ein Sternen¬ himmel funkelte, ſo hell, daß man bei ſeinem Lichte hätte leſen können. Der Brunnen aber beſtand aus einer gro¬ ßen runden Schale, in welcher einige Teufel in der Weiſe, wie man heut zu Tage lebende Bilder macht, eine ver¬ führeriſche weiße Marmorgruppe ſchöner Nymphen bildeten oder darſtellten. Sie goſſen ſchimmerndes Waſſer aus ihren hohlen Händen, wo ſie es hernah¬ men, wußte nur ihr Herr und Meiſter; das Waſſer40 machte die lieblichſte Muſik, denn jeder Strahl gab einen andern Ton und das Ganze ſchien geſtimmt wie ein Saitenſpiel. Es war ſozuſagen eine Waſſer¬ harmonika, deren Akkorde alle Süßigkeiten der erſten Mainacht durchbebten und mit den reizenden Formen der Nymphengruppe in einander floſſen; denn das lebende Bild ſtand nicht ſtill, ſondern wandelte und drehte ſich unvermerkt.
Nicht ohne feine Bewegung führte der ſeltſame Herr die Frau zu dem Ruheſitz und lud ſie ein, Platz zu nehmen; dann aber ergriff er gewaltſam zärtlich ihre Hand und ſagte mit einer das Mark erſchütternden Stimme: „ Ich bin der ewig Einſame, der aus dem Himmel fiel! Nur die Minne eines guten irdiſchen Weibes in der Mainacht läßt mich das Paradies vergeſſen und gibt mir Kraft, den ewigen Untergang zu tragen. Sei mit mir zu Zweit und ich will dich unſterblich machen und dir die Macht geben, Gutes zu thun und Böſes zu hindern, ſo viel es dich freut! “
Er warf ſich leidenſchaftlich an die Bruſt des ſchönen Weibes, welches ſeine Arme lächelnd öffnete; aber in demſelben Augenblicke nahm die heilige Jungfrau ihre göttliche Geſtalt an und ſchloß den Betrüger, der nun gefangen war, mit aller Gewalt in ihre leuch¬ tenden Arme. Augenblicklich verſchwand der Garten41 ſammt Brunnen und Nachtigall, die kunſtreichen Dämonen, ſo das lebende Bild gemacht, entflohen als üble Geiſter mit ängſtlichem Wimmern, ihren Herrn im Stich laſſend, und dieſer rang mit Titanen¬ gewalt, ſich aus der qualvollen Umarmung loszu¬ winden, ohne aber einen Laut zu verlieren.
Die Jungfrau hielt ſich aber tapfer und entließ ihn nicht, obgleich ſie alle Kraft zuſammennehmen mußte; ſie hatte nichts Minderes im Sinn, als den überliſteten Teufel vor den Himmel zu tragen und ihn dort in all' ſeinem Elend zum Gelächter der Seligen an einen Thürpfoſten zu binden.
Allein der Böſe änderte ſeine Kampfweiſe, hielt ſich ein Weilchen ſtill und nahm die Schönheit an, welche er einſt als der ſchönſte Engel beſeſſen, ſo daß es der himmliſchen Schönheit Marias nahe ging. Sie erhöhte ſich, ſo viel als möglich; aber wenn ſie glänzte wie Venus, der ſchöne Abendſtern, ſo leuchtete Jener wie Luzifer, der helle Morgenſtern, ſo daß auf der dunklen Haide ein Leuchten begann, als wären die Himmel ſelbſt herniedergeſtiegen.
Als die Jungfrau merkte, daß ſie zu viel unter¬ nommen und ihre Kräfte ſchwanden, begnügte ſie ſich den Feind gegen Verzicht auf die Grafenfrau zu entlaſſen, und alsbald fuhren die himmliſche und die hölliſche Schönheit auseinander mit großer Gewalt. Die Jung¬42 frau begab ſich etwas ermüdet nach ihrem Kirchlein zurück; der Böſe hingegen, unfähig, länger irgend eine Verwandlung zu tragen und wie an allen Glie¬ dern zermalmt, ſchleppte ſich in grauſig dürftiger Geſtalt, wie der leibhafte geſchwänzte Gram, im Sande davon. So übel war ihm das vorgehabte Schäferſtündchen bekommen!
Gebizo indeſſen, nachdem er ſein liebliches Weib verlaſſen, war in der beginnenden Nacht irr geritten und Roß und Mann in eine Kluft geſtürzt, wo er den Kopf an einem Stein zerſchellte, ſo daß es nun überall aus mit ihm war.
Bertrade dagegen verharrte in ihrem Schlafe bis die Sonne des erſten Maitages aufging; da erwachte ſie und verwunderte ſich über die verfloſſene Zeit. Doch ſagte ſie gleich ihr Ave Maria, und als ſie geſund und munter vor das Kirchlein trat, ſtand ihr Pferd davor wie ſie es verlaſſen. Sie wartete nicht lang auf ihren Gemahl, ſondern ritt froh und eilig nach Hauſe; denn ſie ahnte, daß ſie irgend einer großen Gefahr entgangen ſei.
Bald fand und brachte man die Leiche des Gra¬ fen. Bertrade ließ ihn mit allen Ehren beſtatten und ſtiftete unzählige Meſſen für ihn. Aber alle Liebe zu ihm war unerklärlicher Weiſe für ſie aus ihrem Herzen weggetilgt, obgleich dasſelbe ſo freund¬43 lich und zärtlich blieb, als es je geweſen. Deshalb ſah ſich ihre hohe Gönnerin im Himmel nach einem andern Manne für ſie um, der ſolch anmuthiger Liebe würdiger wäre, als jener todte Gebizo, und dieſe Sache begab ſich, wie in der folgenden Legende ge¬ ſchrieben ſteht.
(Angeli Sileſii cherub. Wandersmann 2. Buch, 42. )Maria wird genenn't ein Thron und Gott's Gezelt,Ein Arche, Burg, Thurm, Haus, ein Brunn, Baum, Garten, Spiegel.Ein Meer, ein Stern, der Mond, die Morgenröth ', ein Hügel:Wie kann ſie alles ſeyn? ſie iſt ein' and're Welt.
Gebizo hatte zu ſeinen früheren Beſitzungen noch ſo viele neue erworben, daß Bertrade über eine be¬ deutende Grafſchaft gebot und ſowohl ihres Reich¬ thums als ihrer Schönheit wegen im deutſchen Reiche berühmt wurde. Da ſie zugleich eine große Beſchei¬ denheit und Freundlichkeit gegen Jedermann kund that, ſo ſchien das Kleinod ihrer Perſon allen unter¬ nehmenden und ſchüchternen, kühnen und furchtſamen, großen und kleinen Edelleuten gleich leicht zu gewin¬ nen, und männiglich, wer ſie einigemal geſehen, wun¬ derte ſich, warum er ſie eigentlich nicht ſchon an der Hand hätte. Dennoch war mehr als ein Jahr ver¬ floſſen, ohne daß man von Einem vernahm, der wirk¬ liche Hoffnung gewonnen.
Auch der Kaiſer hörte von ihr, und da er wünſchte, daß ein ſo anſehnliches Lehen in die Hand eines rechten Mannes käme, beſchloß er, auf einer Reiſe die berühmte Wittwe zu beſuchen, und zeigte ihr dies in einem gar wohlgeneigten und freundlichen Briefe an. Dieſen gab er einem jungen Ritter Zendelwald,48 welcher gerade des Weges zu reiten hatte. Der wurde von Bertrade huldreich empfangen und bewirthet wie Jeder, der auf ihrer Burg einkehrte; er beſah ſich ehrerbietig die herrlichen Säle, Zinnen und Gärten und verliebte ſich nebenbei heftig in die Beſitzerin. Doch blieb er um deswillen nicht eine Stunde länger auf der Burg, ſondern als er ſeinen Auftrag verrichtet und Alles beſehen, nahm er kurzen Abſchied von der Frau und ritt von dannen. Er war der Einzige von Allen, die je hier geweſen, der nicht daran dachte, dieſen Preis erringen zu können.
Ueberdies war er träg in Handlungen und Wor¬ ten. Wenn ſein Geiſt und ſein Herz ſich eines Dinges bemächtigt hatten, was immer vollſtändig und mit Feuer geſchah, ſo brachte es Zendelwald nicht über ſich, den erſten Schritt zu einer Verwirklichung zu thun, da die Sache für ihn abgemacht ſchien, wenn er inwendig damit im Reinen war. Obgleich er ſich gern unterhielt, wo es nicht etwa galt, etwas zu er¬ reichen, redete er doch nie ein Wort zur rechten Zeit, welches ihm Glück gebracht hätte. Aber nicht nur ſeinem Munde, auch ſeiner Hand waren ſeine Ge¬ danken ſo voraus, daß er im Kampfe von ſeinen Fein¬ den öfters beinahe beſiegt wurde, weil er zögerte, den letzten Streich zu thun, den Gegner ſchon im Voraus zu ſeinen Füßen ſehend. Deshalb erregte ſeine Kampf¬49 weiſe auf allen Turnieren Verwunderung, indem er ſtets zuerſt ſich kaum rührte und nur in der größten Noth mit einem tüchtigen Ruck obſiegte.
In voller Gedankenarbeit, deren Gegenſtand die ſchöne Bertrade war, ritt dieſer Zendelwald jetzt nach ſeinem Heimatſchlößchen, das in einem einſamen Bergwalde lag. Nur wenig Köhler und Holzſchläger waren ſeine Unterthanen, und ſeine Mutter harrte da¬ her jedesmal ſeiner Rückkunft mit bitterer Ungeduld, ob er jetzt endlich das Glück nach Hauſe bringe.
So läſſig Zendelwald war, ſo handlich und ent¬ ſchloſſen war ſeine Mutter, ohne daß es ihr viel genützt hätte, da ſie ihrerſeits dieſe Eigenſchaft eben¬ falls jederzeit übertrieben geltend gemacht und daher zur Zweckloſigkeit umgewandelt hatte. In ihrer Jugend hatte ſie ſo bald als möglich an den Mann zu kom¬ men geſucht und mehrere Gelegenheiten ſo ſchnell und eifrig überhetzt, daß ſie in der Eile gerade die ſchlech¬ teſte Wahl traf in der Perſon eines unbedachten und tollkühnen Geſellen, der ſein Erbe durch jagte, einen frühzeitigen Tod fand und ihr nichts als ein langes Wittwenthum, Armuth und einen Sohn hinterließ, der ſich nicht rühren wollte, das Glück zu erhaſchen.
Die einzige Nahrung der kleinen Familie beſtand aus der Milch einiger Ziegen, Waldfrüchten und aus Wild. Zendelwalds Mutter war eine vollkommeneKeller, Sieben Legenden. 450Jägerin und ſchoß mit der Armbruſt wilde Tauben und Waldhühner nach Gelüſten; auch fiſchte ſie Fo¬ rellen aus den Bächen und pflaſterte eigenhändig das Schlößchen mit Kalk und Steinen, wo es ſchadhaft war. Eben war ſie mit einem erlegten Haſen heim¬ gekommen und ſchaute, als ſie das Thier vor das Fenſter ihrer hochgelegenen Küche hing, nochmal in's Thal hinaus; da ſah ſie ihren Sohn den Weg her¬ aufreiten und ließ freudig die Brücke nieder, weil er ſeit Monaten fortgeweſen.
Sogleich begann ſie zu forſchen, ob er nicht irgend ein Schwänzchen oder eine Feder des Glückes erwiſcht und mitgebracht hätte, woran ſich klüglich zu halten wäre, und als er die wie gewöhnlich unerheblichen Ergebniſſe ſeiner letzten Kriegsfahrt erzählte, ſchüttelte ſie ſchon zornig den Kopf; als er aber vollends ſeiner Botſchaft zur reichen und reizenden Bertrade erwähnte und deren Huld und Schönheit rühmte, da ſchalt ſie ihn einen Faulpelz und Bärenhäuter wegen ſeines ſchimpflichen Abzuges. Bald ſah ſie auch, daß Zen¬ delwald an nichts dachte als an die ferne Herrenfrau, und nun wurde ſie erſt recht ungeduldig über ihn, da er mit einer ſo trefflichen Leidenſchaft im Herzen gar nichts anzuwenden wüßte, während ihm die ſchwere Verliebtheit eher ein Hemmniß als ein Antrieb zum Handeln war.
51So hatte er nicht die beſten Tage; die Mutter ſchmollte mit ihm und aus Aerger, um ſich zu zer¬ ſtreuen, beſſerte ſie das verfallende Dach des Schlo߬ thurmes aus, ſo daß es dem guten Zendelwald angſt und bange ward, als er ſie oben herumklettern ſah. Unwirſch warf ſie die zerbrochenen Ziegel herunter und hätte faſt einen fremden Reitersmann todt ge¬ ſchmiſſen, welcher eben in das Thor zog, um ſich ein Nachtlager auszubitten.
Es gelang dieſem aber, die Freundlichkeit der her¬ ben Dame zu wecken, als er beim Abendbrod viel gute Dinge erzählte und beſonders, wie der Kaiſer ſo eben auf der großen Burg der ſchönen Wittwe weile, wo ein Feſt das andere dränge und die won¬ nige Frau vom Kaiſer und ſeinen Herren unabläſſig beſtürmt werde, unter dieſen ſich einen Gemahl zu wählen. Sie habe aber den Ausweg ergriffen, ein großes Turnier auszuſchreiben und dem Sieger über Alle ihre Hand zu reichen, feſt vertrauend, daß ihre Beſchützerin, die göttliche Jungfrau, ſich in's Mittel legen und dem Rechten, der ihr gebühre, den Arm zum Siege lenken werde.
„ Das wäre nun eine Unternehmung für Euch, “ſchloß der Mann, ſich an Zendelwald wendend, „ ein ſo hübſcher junger Ritter ſollte ſich recht daran hin machen, das Beſte zu erwerben, was es nach irdiſchen52 Begriffen in dieſen Zeitläuften gibt; auch ſagt man allgemein, die Frau hoffe, es werde ſich auf dieſem Wege irgend ein unbekanntes Glück für ſie einfinden, ſo ein armer tugendlicher Held, welchen ſie alsdann recht hätſcheln könnte, und die großen bekannten Gra¬ fen und eiteln Freier ſeien ihr alle zuwider. “
Als der Fremde weggeritten war, ſagte die Mutter: „ Nun will ich wetten, daß niemand anders als Ber¬ trade ſelbſt dieſen Boten hergeſandt hat, dich auf die richtige Spur zu locken, mein lieber Zendelwald! Das iſt mit Händen zu greifen; was hätte der Kauz, der unſer letztes Krüglein Wein zu ſich genommen hat, ſonſt zu thun und zu reiſen in dieſem Wald? “
Der Sohn fing über ihre Worte mächtig an zu lachen und lachte immer ſtärker, theils über die offen¬ bare Unmöglichkeit der mütterlichen Einbildungen, theils weil ihm dieſe Einbildungen doch wohlgefielen. Der bloße Gedanke, Bertrade könnte wünſchen, ſeiner habhaft zu werden, ließ ihn nicht aus dem Lachen heraus kommen. Doch die Mutter, welche glaubte, er lache, um ſie zu verſpotten, gerieth in Zorn und rief: „ So höre denn! Meinen Fluch gebe ich Dir, wenn Du mir nicht gehorchſt und Dich von Stund an auf den Weg machſt, jenes Glück zu erwerben! Ohne daſſelbe kehre nicht zurück, ich mag Dich dann nie wieder ſehen! Oder wenn Du dennoch kommſt,53 ſo nehme ich mein Schießzeug und gehe ſelbſt fort, ein Grab zu ſuchen, wo ich von Deiner Dummheit unbeläſtigt bin! “
So hatte Zendelwald nun keine Wahl; um des lieben Friedens willen rüſtete er ſeufzend ſeine Waf¬ fen und ritt in Gottes Namen in der Richtung nach Bertradens Wohnſitz hin, ohne daß er überzeugt war, wirklich dort anzukommen. Doch hielt er den Weg ſo ziemlich inne und je näher er dem Ziele kam, um ſo deutlicher geſtaltete ſich der Gedanke, daß er das Ding eigentlich wohl unternehmen könnte, ſo gut wie ein Anderer, und wenn er mit den Rivalen fertig geworden ſei, ſo werde es den Kopf auch nicht koſten, mit der ſchönen Frau ein Tänzchen zu wagen. Zug für Zug fand jetzt in ſeiner Vorſtellung das Aben¬ teuer ſtatt und verlief auf das Beſte, ja er hielt be¬ reits Tage lang, während er durch das ſonnengrüne Land ritt, ſüße Zwiegeſpräche mit der Geliebten, worin er ihr die ſchönſten Erfindungen vorſagte, daß ihr Antlitz in holder Freude ſich röthete, d.h. alles dies in ſeinen Gedanken.
Als er eben wieder eine erfreuliche Begebenheit innerlich ausmalte, ſah er in Wirklichkeit an einem blauen Höhenzuge die Thürme und Zinnen der Burg in der Morgenſonne erglänzen und die vergoldeten Geländer aus der Ferne herüberfunkeln und erſchrack54 ſo darüber, daß all' ſein Traumwerk zerſtob und nur ein zages, unſchlüſſiges Herz zurückließ.
Unwillkürlich hielt er das Pferd an und ſchaute, nach Art der Zauderer, rings nach einer Zuflucht aus. Da gewahrte er ein zierliches Kirchlein, das nämliche, welches einſt Bertrade der Mutter Gottes erbaut und in welchem ſie jenen Schlaf gethan hatte. Sogleich beſchloß er, da einzukehren und ſich vor dem Altare ein wenig zu ſammeln, beſonders da es der Tag war, an welchem das Turnier abgehalten wurde.
Eben ſang der Prieſter die Meſſe, welcher bloß zwei oder drei arme Leute beiwohnten, ſo daß der Ritter der kleinen Gemeinde zur nicht geringen Zierde gereichte; als aber alles vorbei war und Pfaff und Küſter das Kirchlein verlaſſen, war es Zendelwald noch ſo wohl in dieſem Aufenthalt, daß er ganz ge¬ mächlich einſchlief und Turnier und Geliebte vergaß, wenn er nicht davon träumte.
Da ſtieg die Jungfrau Maria wieder von ihrem Altare herunter, nahm ſeine Geſtalt und Waffen¬ rüſtung an, beſtieg ſein Pferd und ritt geſchloſſenen Helmes, eine kühne Brunhilde, an Zendelwalds Statt nach der Burg.
Als ſie eine Weile geritten, lag am Wege ein Haufen grauen Schuttes und verdorrten Reiſigs. Das kam der aufmerkſamen Jungfrau verdächtig vor und55 ſie bemerkte auch, daß etwas wie das Schwanzende einer Schlange aus dem Wirrſal hervorguckte. Da ſah ſie, daß es der Teufel war, welcher, noch immer verliebt, auch in der Nähe der Burg herumgeſchlichen war und ſich vor der Jungfrau ſchnell in das Gerölle verſteckt hatte. Scheinbar achtlos ritt ſie vorüber, ließ aber geſchickt das Pferd einen kleinen Seiten¬ ſprung machen, daß es mit dem Hinterhufe auf jenes verdächtige Schwanzende trat. Pfeifend fuhr der Böſe hervor und davon und machte ſich an dieſem Tage nicht mehr bemerklich.
Durch dieſes kleine Abenteuer erheitert, ritt ſie guten Muthes vollends auf die Burg Bertrades, wo ſie eben ankam, als die zwei ſtärkſten Kämpen übrig geblieben, um die Entſcheidung unter ſich herbeizu¬ führen.
Langſam und in nachläſſiger Haltung, ganz wie Zendelwald, ritt ſie auf den Platz und ſchien unent¬ ſchloſſen, ob ſie ſich betheiligen wolle oder nicht.
„ Da kommt noch der träge Zendelwald, “hieß es, und die zwei ſtarken Ritter ſagten: „ Was will uns der? Laßt uns ihn noch ſchnell abthun, ehe wir's unter uns ausmachen! “
Der Eine nannte ſich „ Guhl der Geſchwinde “. Er pflegte ſich mit ſeinem Roſſe wie ein Wirbelwind herum zu tummeln und ſuchte ſeine Gegner mit hun¬56 dert Streichen und Liſten zu verwirren und zu be¬ ſiegen. Mit ihm mußte der vermeintliche Zendelwald zuerſt den Kampf beſtehen. Er trug einen pechſchwar¬ zen Schnurrbart, deſſen Spitzen ſo ſteif gedreht wag¬ recht in die Luft ragten, daß zwei ſilberne Glöckchen, die daran hingen, ſie nicht zu biegen vermochten und fortwährend klingelten, wenn er den Kopf bewegte. Dies nannte er das Geläute des Schreckens für ſeine Feinde, des Wohlgefallens für ſeine Dame! Sein Schild glänzte, je nachdem er ihn drehte, bald in dieſer, bald jener Farbe, und er wußte dieſen Wechſel ſo raſch zu handhaben, daß das Auge davon geblendet wurde. Sein Helmbuſch beſtand aus einem ungeheuren Hahnenſchwanz.
Der andere ſtarke Ritter nannte ſich „ Maus der Zahlloſe “, womit er zu verſtehen gab, daß er einem ungezählten Heere gleich zu achten ſei. Zum Zeichen ſeiner Stärke hatte er die aus ſeinen Naslöchern her¬ vorſtehenden Haare etwa ſechs Zoll lang wachſen laſ¬ ſen und in zwei Zöpfchen geflochten, welche ihm über den Mund herab hingen und an den Enden mit zier¬ lichen rothen Bandſchleifen geſchmückt waren. Er trug einen großen weiten Mantel über ſeine Rüſtung, der ihn faſt ſammt dem Pferde umhüllte und aus tauſend Mausfellchen künſtlich zuſammengenäht war. Als Helmzierde überſchatteten ihn die mächtig aus¬57 gebreiteten Flügel einer Fledermaus, unter welchen er drohende Blicke aus geſchlitzten Augen hervorſandte.
Als nun das Signal zum Kampfe mit Guhl dem Geſchwinden gegeben wurde, ritt dieſer gegen die Jungfrau heran und umkreiste ſie mit immer größerer Schnelligkeit, ſie mit ſeinem Schilde zu blenden ſuchend und mit der Lanze hundert Stöße nach ihr führend. Inzwiſchen verharrte die Jungfrau immer auf der¬ ſelben Stelle in der Mitte des Turnierplatzes und ſchien nur die Angriffe mit Schild und Speer ab¬ zuwehren, wobei ſie mit großer Kunſt das Pferd auf den Hinterfüßen ſich drehen ließ, ſo daß ſie ſtets dem Feinde das Angeſicht zuwendete. Als Guhl das be¬ merkte, ritt er plötzlich weit weg, kehrte dann um und rannte mit eingelegter Lanze auf ſie ein, um ſie über den Haufen zu ſtechen. Unbeweglich erwartete ihn die Jungfrau, aber Mann und Pferd ſchienen von Erz, ſo feſt ſtanden ſie da, und der arme Kerl, der nicht wußte, daß er mit einer höheren Gewalt ſtritt, flog unverſehens, als er auf ihren Speer rannte, während der ſeinige wie ein Halm an ihrem Schilde zerbrach, aus dem Sattel und lag auf der Erde. Un¬ verweilt ſprang die Jungfrau vom Pferde, kniete ihm auf die Bruſt, daß er unter der gewaltigen Stärke ſich nicht rühren konnte, und ſchnitt ihm mit ihrem Dolche die beiden Schnäuze mit den Silberglöcklein58 ab, welche ſie an ihrem Wehrgehänge befeſtigte, in¬ deſſen die Fanfaren ſie oder vielmehr den Zendelwald als Sieger begrüßten.
Nun kam Ritter Maus der Zahlloſe an den Tanz. Gewaltig ſprengte er einher, daß ſein Mantel wie eine unheildrohende graue Wolke in der Luft ſchwebte. Allein die Jungfrau-Zendelwald, welche ſich jetzt erſt an dem Kampfe zu erwärmen ſchien, ſprengte ihm ebenſo rüſtig entgegen, warf ihn auf den erſten Stoß mit Leichtigkeit aus dem Sattel und ſprang, als Maus ſich raſch erhob und das Schwert zog, ebenfalls vom Pferde, um zu Fuße mit ihm zu kämpfen. Bald aber war er betäubt von den raſchen Schlägen, mit denen ihr Schwert ihm auf Haupt und Schultern fielen, und er hielt mit der Linken ſeinen Mantel vor, um ſich dahinter zu verbergen und ihn dem Gegner bei günſtiger Gelegenheit über den Kopf zu werfen. Da fing die Jungfrau mit der Spitze ihres Schwertes einen Zipfel des Mantels und wickelte Maus den Zahlloſen mit ſolch 'zierlicher Schnelligkeit ſelbſt von Kopf bis zum Fuße in den Mantel ein, daß er in kurzer Zeit wie eine von einer Spinne eingeſponnene ungeheure Weſpe ausſah und zuckend wie eine ſolche auf der Erde lag.
Nun zerdraſch ihn die Jungfrau mit der flachen Klinge und mit ſolcher Behendigkeit, daß der Mantel59 ſich in ſeine urſprünglichen Beſtandtheile auflöſte und die umherſtäubenden Mäuſefellchen unter dem allgemei¬ nen Gelächter der Zuſchauer die Luft verfinſterten, wäh¬ rend der Ritter allmählig wieder zu Tage kam und als ein geſchlagener Mann davonhinkte, nachdem ſein Beſieger ihm die Naſenzöpfchen abgeſchnitten hatte.
So war denn die Jungfrau als Zendelwald der letzte Sieger auf dem Platze.
Sie ſchlug nun das Viſier auf, ſchritt hinauf zur Königin des Feſtes, beugte das Knie und legte die Siegestrophäen zu deren Füßen. Dann erhob ſie ſich und ſtellte einen Zendelwald dar, wie dieſer gewöhn¬ lich zu blöde war, es zu ſein. Ohne indeſſen ſeiner Beſcheidenheit zu viel zu vergeben, grüßte ſie Ber¬ traden mit einem Blicke, von deſſen Wirkung auf ein Frauenherz ſie ſicher war; kurz, ſie wußte ſich als Liebhaber wie als Ritter ſo zu benehmen, daß Ber¬ trade ihr Wort nicht zurücknahm, ſondern dem Zu¬ reden des Kaiſers, der am Ende froh war, einen ſo tapfern und edlen Mann mächtig zu ſehen, ein williges Ohr lieh.
Es geſchah jetzt ein großer Feſtzug nach dem hoch¬ ragenden Lindengarten, in welchem das Banket be¬ reitet war. Dort ſaß Bertrade zwiſchen dem Kaiſer und ihrem Zendelwald; aber es war gut, daß jenem für eine ſchöne und muntere Nachbarin geſorgt war;60 denn dieſer ließ ſeiner Braut nicht viel Zeit, mit An¬ dern zu ſprechen, ſo geſchickt und zärtlich unterhielt er ſie. Er ſchien ihr die feinſten Dinge zu ſagen, da ſie ein Mal um das andere glückſelig erröthete. Es ſchien überhaupt Alles glücklich zu ſein; in den grü¬ nen Laubgewölben in der Höhe ſangen die Vögel um die Wette mit den Muſikinſtrumenten, ein Schmetter¬ ling ſetzte ſich auf die goldene Krone des Kaiſers und die Weinpokale dufteten wie durch einen beſon¬ deren Segen gleich Veilchen nnd Reſeda.
Aber vor Allen fühlte ſich Bertrade ſo glücklich, daß ſie, während Zendelwald ſie bei der Hand hielt, in ihrem Herzen ihrer göttlichen Beſchützerin gedachte und derſelben ein heißes, ſtilles Dankgebet abſtattete.
Die Jungfrau Maria, welche ja als Zendelwald neben ihr ſaß, las dies Gebet in ihrem Herzen und war ſo erfreut über die fromme Dankbarkeit ihres Schützlings, daß ſie Bertraden zärtlich umfing und einen Kuß auf ihre Lippen drückte, der begreiflicher Weiſe das holde Weib mit himmliſcher Seligkeit er¬ füllte; denn wenn die Himmliſchen einmal Zuckerzeug backen, ſo geräth es zur Süße.
Der Kaiſer aber und die übrige Geſellſchaft riefen dem vermeintlichen Zendelwald ihren Beifall zu, er¬ hoben die Becher und tranken auf das Wohl des ſchönen Paares.
61Indeſſen war der wirkliche Zendelwald aus ſei¬ nem unzeitigen Schlaf erwacht und fand die Sonne ſo ſtark vorgeſchritten, daß das Turnier wohl vorbei ſein mußte. Obgleich er nun des Handelns glücklich enthoben war, fühlte er ſich doch ſehr unglücklich und traurig, denn er hätte doch die Frau Bertrade gar zu gerne geheirathet. Auch durfte er jetzt nicht mehr zu ſeiner Mutter zurückkehren, und ſo entſchloß er ſich, eine immerwährende freudloſe Irrfahrt anzutreten, bis ihn der Tod von ſeinem unnützen Daſein erlöſen würde. Nur wollte er vorher noch ein Mal die Ge¬ liebte ſehen und ſich ihr Bild für die übrigen Tage einprägen, damit er ſtets wüßte, was er verſcherzt habe.
Er legte alſo den Weg bis zur Burg vollends zurück. Als er das Menſchengedränge erreichte, hörte er überall das Lob und das Glück eines armen Rit¬ ters Zendelwald ausrufen, der den Preis errungen habe, und bitterlich neugierig, wer dieſer glückliche Namensvetter ſein möge, ſtieg er vom Pferde und drängte ſich durch die Menge, bis er am Rande des Gartens einen Platz gewinnen konnte, und zwar an einer erhöhten Stelle, wo er das ganze Feſt überſah.
Da erblickte er in Schmuck und Glanz und un¬ weit der funkelnden Krone des Königs das in Glück ſtrahlende Antlitz der Geliebten, aber Haupt an Haupt62 bei ihr zu ſeinem bleichen Erſtaunen ſeine eigene Per¬ ſon, wie er leibte und lebte. Wie leblos ſtarrte er hin, juſt ſah er ſeinen Doppelgänger die fromme Braut umfangen und küſſen; da ſchritt er, unbeachtet in der allgemeinen Freude, unaufhaltſam durch die Reihen, bis er dicht hinter dem Paare ſtand, von ſeltſamer Eiferſucht gepeinigt. In demſelben Augen¬ blicke war ſein Ebenbild von Bertrades Seite ver¬ ſchwunden, und dieſe ſah ſich erſchrocken nach ihm um. Als ſie aber Zendelwald hinter ſich ſah, lachte ſie voll Freude und ſagte: Wo willſt Du hin? Komm, bleibe fein bei mir! Und ſie ergriff ſeine Hand und zog ihn an ihre Seite.
So ſaß er denn, und um den vermeintlichen Traum recht zu probiren, ergriff er den vor ihm ſtehenden Becher und leerte ihn auf einen Zug. Der Wein hielt Stich und ſtrömte ein zuverſichtliches Le¬ ben in ſeine Adern; wohl aufgelegt wandte er ſich zum lächelnden Weibe und ſah ihr in die Augen, worauf dieſe zufrieden die trauliche Unterhaltung fortſetzte, in welcher ſie vorhin unterbrochen worden war. Allein Zendelwald wußte nicht, wie ihm ge¬ ſchah, als Bertrade ihm wohlbekannte Worte ſprach, auf welche er einige Male, ohne ſich zu beſinnen, Worte erwiederte, die er auch ſchon irgendwo geſpro¬ chen hatte; ja, nach einiger Zeit merkte er, daß ſein63 Vorgänger genau das nämliche Geſpräch mit ihr ge¬ führt haben mußte, welches er während der Reiſetage phantaſirend ausgedacht hatte, und welches er jetzt bedächtig fortſetzte, um zu ſehen, welches Ende das Spiel eigentlich nehmen wolle.
Aber es nahm kein Ende, vielmehr wurde es im¬ mer erbaulicher; denn als die Sonne niederging, wurden Fackeln angezündet und die ganze Verſamm¬ lung zog auf den größten Saal der Burg, um dort des Tanzes zu pflegen. Nachdem der Kaiſer den erſten Gang mit der Braut gethan, nahm Zendel¬ wald ſie in den Arm und tanzte mit ihr drei oder vier Mal um den Saal, bis die Erglühende ihn plötz¬ lich bei der Hand nahm und zur Seite führte in ein ſtilles Erkergemach, das vom Mondſchein erfüllt war. Dort warf ſie ſich an ſeine Bruſt, ſtreichelte ihm den blonden Bart und dankte ihm für ſein Kommen und ſeine Neigung. Der ehrliche Zendelwald aber wollte jetzt wiſſen, ob er träume oder wache und be¬ fragte ſie um den richtigen Sachverhalt, beſonders was ſeinen Doppelgänger betraf. Sie verſtand ihn lange nicht; doch ein Wort gab das andere, Zendel¬ wald ſagte, ſo und ſo iſt es mir ergangen, und er¬ zählte ſeine ganze Fahrt, von ſeiner Einkehr in das Kirchlein und wie er eingeſchlafen ſei und das Tur¬ nier verſäumt habe.
64Da ward Bertraden die Sache ſoweit klar, daß ſie abermals die Hand ihrer gnädigen Patronin er¬ blickte. Jetzt erſt aber durfte ſie den wackern Ritter keck als eine Himmelsgabe betrachten, und ſie war dankbar genug, das handfeſte Geſchenk recht an's Herz zu drücken und demſelben den ſüßen Kuß voll¬ wichtig zurückzugeben, den ſie vom Himmel ſelbſt empfangen.
Von jetzt an verließ aber den Ritter Zendelwald alle ſeine Trägheit und träumeriſche Unentſchloſſen¬ heit; er that und redete alles zur rechten Zeit, vor der zärtlichen Bertrade ſowohl, als vor der übrigen Welt, und wurde ein ganzer Mann im Reiche, ſo daß der Kaiſer ebenſo zufrieden mit ihm war, als ſeine Gemahlin.
Zendelwalds Mutter aber erſchien bei der Hoch¬ zeit hoch zu Roß und ſo ſtolz, als ob ſie zeitlebens im Glück geſeſſen hätte. Sie verwaltete Geld und Gut und jagte bis in ihr hohes Alter in den weit¬ läufigen Forſten, während Bertrade es ſich nicht nehmen ließ, ſich alljährlich einmal von Zendelwald in deſſen einſames Heimathſchlößchen bringen zu laſſen, wo ſie auf dem grauen Thurme mit ihrem Liebſten ſo zärtlich horſtete, wie die wilden Tauben auf den Bäumen umher. Aber niemals unterließen65 ſie, unterwegs in jenes Kirchlein zu treten und ihr Gebet zu verrichten vor der Jungfrau, die auf ihrem Altar ſo ſtill und heilig ſtand, als ob ſie nie von demſelben heruntergeſtiegen wäre.
Keller, Sieben Legenden. 5((Pſ. 55, 7.) )Wer gibt mir Taubenflügel,daß ich auffliege und Ruhe finde.
Ein Kloſter lag weit ausſchauend auf einem Berge und ſeine Mauern glänzten über die Lande. Innen aber war es voll Frauen, ſchöne und nicht ſchöne, welche alle nach ſtrenger Regel dem Herrn dienten und ſeiner jungfräulichen Mutter.
Die ſchönſte von den Nonnen hieß Beatrix und war die Küſterin des Kloſters. Herrlich gewachſen von Geſtalt, that ſie edlen Ganges ihren Dienſt, beſorgte Chor und Altar, waltete in der Sakriſtei und läutete die Glocke vor dem Morgenroth und wenn der Abendſtern aufging.
Aber dazwiſchen ſchaute ſie vielmals feuchten Blickes in das Weben der blauen Gefilde; ſie ſah Waffen funkeln, hörte das Horn der Jäger aus den Wäldern und den hellen Ruf der Männer, und ihre Bruſt war voll Sehnſucht nach der Welt.
Als ſie ihr Verlangen nicht länger bezwingen konnte, ſtand ſie in einer mondhellen Juninacht auf, bekleidete ſich mit neuen ſtarken Schuhen und trat70 vor den Altar, zum Wandern gerüſtet: „ Ich habe dir nun manches Jahr treu gedient, “ſagte ſie zur Jungfrau Maria, „ aber jetzt nimm du die Schlüſſel zu dir, denn ich vermag die Gluth in meinem Her¬ zen nicht länger zu ertragen! “ Hierauf legte ſie ihren Schlüſſelbund auf den Altar und ging aus dem Kloſter hinaus. Sie ſtieg hernieder durch die Einſamkeit des Berges und wanderte, bis ſie in einem Eichenwalde auf einen Kreuzweg gelangte, wo ſie unſchlüſſig, nach welcher Seite ſie ſich wenden ſollte, ſich an einem Quell niederſetzte, der da für die Vorüberziehenden in Stein gefaßt und mit einer Bank verſehen war. Dort ſaß ſie, bis die Sonne aufging und wurde feucht vom fallenden Thau.
Da ging die Sonne auf hinter dem Walde und ihre erſten Strahlen, welche durch die Waldſtraße ſchoſſen, trafen einen prächtigen Ritter, der völlig allein in ſeinen Waffen daher geritten kam. Die Nonne ſchaute aus ihren ſchönen Augen, ſo ſtark ſie konnte, und verlor keinen Zoll von der mannhaften Erſchei¬ nung; aber ſie hielt ſich ſo ſtill, daß der Ritter ſie nicht geſehen, wenn nicht das Geräuſch des Brunnens ſein Ohr berührt und ſeine Augen hin gelenkt hätte. Sogleich bog er ſeitwärts nach dem Quell, ſtieg vom Pferde und ließ es trinken, während er die Nonne ehrerbietig begrüßte. Er war ein Kreuz¬71 fahrer, welcher nach langer Abweſenheit einſam heim¬ wärts zog, nachdem er alle ſeine Leute verloren.
Trotz ſeiner Ehrerbietung wandte er aber kein Auge von der Schönheit der Beatrix, welche ihrer¬ ſeits es ebenſo hielt und den Kriegsmann nach wie vor anſtaunte; denn das war ein beträchtliches Stück von der Welt, nach der ſie ſich ſchon lange im Stillen geſehnt hatte. Doch jählings ſchlug ſie die Augen nieder und ſchämte ſich. Endlich fragte ſie der Rit¬ ter, welchen Weges ſie zöge und ob er ihr in etwas dienen könne? Der volle Klang ſeiner Worte ſchreckte ſie auf; ſie ſah ihn abermals an, und bethört von ſeinen Blicken geſtand ſie, daß ſie dem Kloſter entflohen ſei, um die Welt zu ſehen, daß ſie ſich aber ſchon fürchte und weder ein noch aus wiſſe.
Da lachte der Ritter, welcher nicht auf den Kopf gefallen war, aus vollem Herzen, und bot der Dame an, ſie vorläufig auf einen guten Weg zu leiten, wenn ſie ſich ihm anvertrauen wolle. Seine Burg, fügte er hinzu, ſei nicht weiter als eine Tagreiſe von hier entfernt; dort möge ſie, ſofern es ihr gefalle, in Sicherheit ſich vorbereiten und nach weislicher Er¬ wägung in die weite ſchöne Welt auslaufen.
Ohne Erwiederung, aber auch ohne Widerſtand ließ ſie ſich, immerhin ein wenig zitternd, auf das Pferd heben; der Ritter ſchwang ſich nach und, die72 rothglühende Nonne vor ſich, trabte er luſtig durch Wälder und Auen.
Zwei - oder dreihundert Pferdelängen weit hielt ſie ſich aufrecht und ſchaute unverwandt in die Weite, während ſie ihre Hand gegen ſeine Bruſt ſtemmte. Bald aber lag ihr Geſicht an dieſer Bruſt aufwärts gewendet und litt die Küſſe, welche der reiſige Herr darauf drückte; und abermals nach dreihundert Schritten erwiederte ſie dieſelben ſchon ſo eifrig, als ob ſie niemals eine Kloſterglocke geläutet hätte. Unter ſolchen Umſtänden ſahen ſie nichts vom Lande und vom Lichte, das ſie durchzogen, und die Nonne, die ſich erſt nach der weiten Welt geſehnt, ſchloß jetzt ihre Augen vor derſelben und beſchränkte ſich auf einen Bezirk, den ein Pferd auf ſeinem Rücken forttragen konnte.
Auch Wonnebold, der Ritter, dachte kaum an ſei¬ ner Väter Burg, bis die Thürme derſelben im Mond¬ lichte vor ihm glänzten. Aber ſtill war es um die Burg und noch ſtiller in derſelben und nirgends ein Licht zu erblicken. Vater und Mutter Wonnebolds waren geſtorben und alles Geſinde weggezogen bis auf ein ſteinaltes Schloßvögtchen, welches nach langem Klopfen mit einer Laterne erſchien und vor Freuden beinahe ſtarb, als es den Ritter vor dem müh¬ ſam geöffneten Thore erblickte. Doch hatte der Alte73 trotz ſeiner Einſamkeit und ſeiner Jahre das Innere der Burg in wohnlichem Zuſtande erhalten und be¬ ſonders das Gemach des Ritters in immerwährende Bereitſchaft geſetzt, damit derſelbe wohl ausruhen könne jeden Augenblick, wo er von ſeinen Fahrten zurückkäme. So ruhte denn Beatrix mit ihm und ſtillte ihr Verlangen.
Keines dachte nun daran, ſich vom andern zu trennen. Wonnebold öffnete die Truhen ſeiner Mutter. Beatrix kleidete ſich in die reichen Gewänder derſelben und ſchmückte ſich mit ihrem Geſchmeide, und ſo lebten ſie vor der Hand herrlich und in Freu¬ den, nur daß die Dame recht - und namenlos dahin lebte und von ihrem Geliebten als deſſen Leibeigene angeſehen wurde; indeſſen verlangte ſie nichts beſſeres.
Einſt aber kehrte ein fremder Baron mit Gefolge auf der Burg ein, die ſich inzwiſchen auch wieder mit Dienſtleuten belebt hatte, und es wurde zu deſſen Ehren feſtlich gelebt. Endlich geriethen die Herren auch auf das Würfelſpiel, bei welchem der Hausherr ſo glücklich und beſtändig gewann, daß er im Rauſche ſeines Glückes und ſeines Glaubens daran ſein Liebſtes, wie er ſagte, auf's Spiel ſetzte, nämlich die ſchöne Beatrix, wie ſie war, ſammt dem köſtlichen Geſchmeide, das ſie eben trug, gegen ein altes melancholiſches Bergſchloß, welches ſein Gegner lächelnd einſetzte.
74Beatrix, welche dem Spiele vergnügt zugeſchaut hatte, erbleichte, und mit Recht; denn der alſobald er¬ folgende Wurf ließ den Uebermüthigen im Stich und gab dem Baron gewonnen.
Der ſäumte nicht, ſondern brach augenblicklich auf mit ſeinem ſüßen Gewinnſt und mit ſeinem Ge¬ folge; kaum fand Beatrix noch Zeit, die unglücklichen Würfel an ſich zu nehmen und in ihrem Buſen zu verbergen, worauf ſie unter ſtrömenden Thränen dem rückſichtsloſen Gewinner folgte.
Als der kleine Zug einige Stunden geritten war, gelangte er in ein anmuthiges Gehölz von jungen Buchen, durch welches ein klarer Bach floß. Wie ein leichtes grünes Seidenzelt ſchwebte die zarte Be¬ laubung in der Höhe, von den ſchlanken Silberſtan¬ gen emporgehalten, und die offene Sommerlandſchaft ſchaute darunter herein. Hier wollte der Baron mit ſeiner Beute ausruhen. Er hieß ſeine Leute ein Stück vorwärts fahren, indeſſen er ſich mit Beatrixen in der luftigen Grüne niederließ und ſie mit Lieb¬ koſungen an ſich ziehen wollte.
Da erhob ſie ſich ſtolz und indem ſie einen flam¬ menden Blick auf ihn warf, rief ſie: wohl habe er ihre Perſon gewonnen, nicht aber ihr Herz, welches nicht für ein altes Gemäuer zu gewinnen ſei. Sei er ein Mann, ſo ſolle er etwas Rechtes dagegen ein¬75 ſetzen. Wolle er ſein Leben daran wagen, ſo wolle ſie mit ihm um ihr Herz würfeln, welches ihm, wenn er gewinne, auf ewig verpfändet und zu Eigen ſein ſolle, wenn aber ſie gewinne, ſo ſolle ſein Leben in ihrer Hand ſtehen und ſie wieder eigene Herrin ihrer ganzen Perſon ſein.
Dies ſagte ſie mit großem Ernſt, ſah ihn aber dabei ſo ſeltſam an, daß ihm jetzt erſt das Herz zu klopfen anfing und er verwirrt ſie betrachtete. Im¬ mer ſchöner ſchien ſie zu werden, als ſie mit leiſerer Stimme und fragendem Blicke fortfuhr: „ Wer wird ein Weib minnen wollen ohne Gegenminne und das von ſeinem Muthe nicht überzeugt iſt? Gebt mir Euer Schwert, nehmt hier die Würfel und wagt es, ſo mögen wir verbunden werden wie zwei rechte Liebende! Zugleich drückte ſie ihm die buſenwarmen Elfenbeinwürfel in die Hand. Bethört gab er ihr ſein Schwert ſammt dem Gehänge und warf ſofort eilf Augen mit Einem Wurfe.
Hierauf ergriff Beatrix die Würfel, ſchüttelte ſie mit einem geheimen Seufzer zur heiligen Maria, der Mutter Gottes, heftig in ihren hohlen Händen, und warf zwölf Augen, womit ſie gewann.
„ Ich ſchenk 'Euch Euer Leben! “ſagte ſie, ver¬ neigte ſich ernſthaft vor dem Baron, nahm ihre Ge¬ wänder ein wenig zuſammen und das Schwert unter76 den Arm und ging eilfertig davon in der Richtung, woher ſie gekommen waren. Als ſie jedoch dem noch ganz verblüfften und zerſtreuten Herrn aus den Au¬ gen war, ging ſie ſchlauer Weiſe nicht weiter, ſondern um das Gehölze herum, trat leiſe wieder in dasſelbe hinein und verbarg ſich, kaum fünfzig Schritte von dem Getäuſchten entfernt, hinter den Buchenſtämmchen, welche ſich in dieſer Entfernung durch ihre Menge eben hinreichend in einander ſchoben, um die kluge Frau zur Noth zu bedecken. Sie hielt ſich ganz ſtill; nur ein Sonnenſtrahl fiel auf einen edlen Stein an ihrem Hals, ſo daß derſelbe durch das Gehölz blitzte, ohne daß ſie es wußte. Der Baron ſah ſogar die¬ ſen Schein und ſtarrte in ſeiner Verwirrung einen Augenblick hin. Aber er hielt es für einen ſchim¬ mernden Thautropfen an einem Baumblatt und achtete nicht darauf.
Endlich erwachte er aus ſeiner Starrheit und ſtieß mit Macht in ſein Jagdhorn. Als ſeine Leute her¬ bei gekommen, ſprang er auf's Pferd und jagte der Entflohenen nach, um ſich ihrer wieder zu verſichern. Es dauerte wohl eine Stunde, bis die Reiter wieder zurückkamen und verdrießlich und langſam durch die Buchen zogen, ohne ſich diesmal aufzuhalten. Sobald die lauſchende Beatrix den Weg ſicher ſah, machte ſie ſich auf und eilte heimwärts, ohne ihre feinen Schuhe zu ſchonen.
77Wonnebold hatte in der Zeit einen ſehr ſchlechten Tag verbracht, von Reue und Zorn gepeinigt, und da er wohl fühlte, daß er ſich auch vor der ſo leicht¬ fertig verſpielten Geliebten ſchämte, ward er inne, wie hoch er ſie unbewußt hielt und daß er kaum ohne ſie leben mochte. Als ſie daher unverſehens vor ihm ſtand, breitete er, noch ehe er ſeine Ueber¬ raſchung ausdrückte, ſeine Arme nach ihr aus und ſie eilte ohne Klagen und ohne Vorwürfe in dieſelben hinein. Laut lachte er auf, als ſie ihm ihre Kriegs¬ liſt erzählte, und wurde nachdenklich über ihre Treue, denn jener Baron war ein ganz anſehnlicher und ſchmucker Geſell.
Um ſich nun gegen alle künftigen Unfälle zu wah¬ ren, machte er die ſchöne Beatrix zu ſeiner rechtmäßi¬ gen Gemahlin vor allen ſeinen Standesgenoſſen und Hörigen, ſo daß ſie von jetzt an eine Rittersfrau vorſtellte, die ihres Gleichen ſuchte bei Jagden, Feſten und Tänzen ſowohl als in den Hütten der Unter¬ thanen und im Herrenſtuhl der Kirche.
Die Jahre gingen wechſelvoll vorüber und wäh¬ rend zwölf reichen Herbſten gebar ſie ihrem Gatten acht Söhne, welche emporwuchſen wie junge Hirſche.
Als der älteſte achtzehn Jahre zählte, erhob ſie ſich in einer Herbſtnacht von der Seite ihres Wonne¬ boldes, ohne daß er es merkte, legte ſorgfältig all'78 ihren weltlichen Staat in die nämlichen Truhen, aus denen er einſt genommen worden, und verſchloß die¬ ſelben, die Schlüſſel an die Seite des Schlafenden legend. Dann ging ſie mit bloßen Füßen vor das Lager ihrer Söhne und küßte leiſe einen nach dem andern; zuletzt ging ſie wieder an das Bett ihres Mannes, küßte denſelben auch, und erſt jetzt ſchnitt ſie ſich das lange Haar vom Haupt, zog das dunkle Nonnengewand wieder an, welches ſie ſorgfältig auf¬ bewahrt hatte, und ſo verließ ſie heimlich die Burg und wanderte durch die brauſenden Winde der Herbſt¬ nacht und durch das fallende Laub jenem Kloſter zu, welchem ſie einſt entflohen war. Unermüdlich ließ ſie die Kugeln ihres Roſenkranzes durch die Finger rollen und überdachte betend das genoſſene Leben.
So wallte ſie unverdroſſen, bis ſie wieder vor der Kloſterpforte ſtand. Als ſie anklopfte, that die ge¬ alterte Pförtnerin auf und grüßte ſie gleichgiltig mit ihrem Namen, als ob ſie kaum eine halbe Stunde abweſend geblieben wäre. Beatrix ging an ihr vor¬ über in die Kirche, warf ſich vor dem Altar der hei¬ ligen Jungfrau auf die Kniee und dieſe begann zu ſprechen und ſagte: „ Du biſt ein bischen lange weg¬ geblieben, meine Tochter! Ich habe die ganze Zeit deinen Dienſt als Küſterin verſehen; jetzt bin ich aber doch froh, daß du da biſt und die Schlüſſel wieder übernimmſt! “
79Das Bild neigte ſich herab und gab der Beatrix die Schlüſſel, welche über das große Wunder freudig erſchrack. Sogleich that ſie ihren Dienſt und ordnete das und jenes, und als die Glocke zum Mittagsmahl erklang, ging ſie zu Tiſch. Viele Nonnen waren alt geworden, andere geſtorben, junge waren neu ange¬ kommen und eine andere Aebtiſſin ſaß oben am Tiſch; aber Niemand gewahrte, was mit Beatrix, welche ihren gewohnten Platz einnahm, vorgegangen war; denn die Maria hatte ihre Stelle in der Nonne ei¬ gener Geſtalt verſehen.
Nachdem nun abermals etwa zehn Jahre vergan¬ gen waren, feierten die Nonnen ein großes Feſt und wurden einig, daß jede von ihnen der Mutter Gottes ein Geſchenk, ſo fein ſie es zu bereiten vermöchte, darbringen ſolle. So ſtickte die Eine ein köſtliches Kirchenbanner, die Andere eine Altardecke, die Dritte ein Meßgewand. Eine dichtete einen lateiniſchen Hymnus und die Andere ſetzte ihn in Muſik, die Dritte malte und ſchrieb ein Gebetbuch. Welche gar nichts anderes konnte, nähte dem Chriſtuskinde ein neues Hemdchen und die Schweſter Köchin buck ihm eine Schüſſel Kräpflein. Einzig Beatrix hatte nichts bereitet, da ſie etwas müde war vom Leben und mit ihren Gedanken mehr in der Vergangenheit lebte als in der Gegenwart.
80Als nun der Feſttag anbrach und ſie keine Weih¬ gabe darlegte, wunderten ſich die übrigen Nonnen und ſchalten ſie darum, ſo daß ſie ſich in Demuth ſeitwärts ſtellte, als in der blumengeſchmückten Kirche alle jene prächtigen Dinge vor den Altar gelegt wur¬ den in feierlichem Umgang, während die Glocken läu¬ teten und die Weihrauchwolken emporſtiegen.
Wie hierauf die Nonnen gar herrlich zu ſingen und zu muſiciren begannen, zog ein greiſer Ritters¬ mann mit acht bildſchönen bewaffneten Jünglingen des Weges, alle auf ſtolzen Roſſen, von ebenſoviel reiſigen Knappen gefolgt. Es war Wonnebold mit ſeinen Söhnen, die er dem Reichsheere zuführte.
Das Hochamt in dem Gotteshaus vernehmend, hieß er ſeine Söhne abſteigen und ging mit ihnen hinein, um der heiligen Jungfrau ein gutes Gebet darzubringen. Jedermann erſtaunte über den herr¬ lichen Anblick, als der eiſerne Greis mit den acht jugendlichen Kriegern kniete, welche wie ebenſoviel ge¬ harniſchte Engel anzuſehen waren, und die Nonnen wurden irre in ihrer Muſik, daß ſie einen Augenblick aufhörten. Beatrix aber erkannte alle ihre Kinder an ihrem Gemahl, ſchrie auf und eilte zu ihnen, und indem ſie ſich zu erkennen gab, verkündigte ſie ihr Geheimniß und erzählte das große Wunder, ſo mit ihr geſchehen.
81So anerkannte nun Jedermann, daß ſie heute der Jungfrau die reichſte Gabe dargebracht, und daß die¬ ſelbe angenommen wurde, bezeugten acht Kränze von jungem Eichenlaub, welche plötzlich auf den Häuptern der Jünglinge zu ſehen waren, von der unſichtbaren Hand der Himmelskönigin darauf gedrückt.
Keller, Sieben Legenden. 6Meide den traulichen Umgang mit Einem Weibe, empfiehl du überhaupt lieber das ganze andächtige Geſchlecht dem lieben Gott.
Zu Anfang des achten Jahrhunderts lebte zu Alexandria in Egypten ein wunderlicher Mönch, Namens Vitalis, der es ſich zur beſondern Aufgabe gemacht hatte, verlorene weibliche Seelen vom Pfade der Sünde hinwegzulocken und zur Tugend zurück¬ zuführen. Aber der Weg, den er dabei einſchlug, war ſo eigenthümlich, und die Liebhaberei, ja Leiden¬ ſchaft, mit welcher er unabläſſig ſein Ziel verfolgte, war mit ſo ſeltſamer Selbſtentäußerung und Heuchelei vermiſcht, wie in der Welt kaum wieder vorkam.
Er führte ein genaues Verzeichniß aller jener Buhlerinnen auf einem zierlichen Pergamentſtreifen, und ſobald er in der Stadt oder deren Umgebung ein neues Wild entdeckt, merkte er Namen und Woh¬ nung unverweilt auf demſelben vor, ſo daß die ſchlimmen Patrizierſöhne von Alexandria keinen beſſeren Wegweiſer hätten finden können, als den emſigen Vitalis, wenn er einen minder heiligen Zweck hätte verfolgen wollen. Allein wohl entlockte der Mönch86 ihnen in ſchlauem ſpaßhaftem Geplauder manche neue Kunde und Notiz in dieſer Sache; nie aber ließ er ſich dergleichen ſelbſt ablauſchen von den Wildfängen.
Jenes Verzeichniß trug er zuſammengerollt in einem ſilbernen Büchſchen in ſeiner Kaputze und nahm es unzählige Male hervor, um einen neuentdeckten, leichtfertigen Namen hinzuzufügen oder die bereits vorhandenen zu überblicken, zu zählen und zu berechnen, welche der Inhaberinnen zunächſt an die Reihe kommen würde.
Zu dieſer ging er dann in Eile und halb verſchämt und ſagte haſtig: „ Gewähre mir die zweite Nacht von heute und ſage keinem Andern zu! “ Wenn er zur beſtimmten Zeit in das Haus trat, ließ er die Schöne ſtehen und machte ſich in die hinterſte Ecke der Kammer, fiel dort auf die Kniee und betete mit Inbrunſt und lauten Worten die ganze Nacht für die Beſitzerin des Hauſes. Mit der Morgenfrühe verließ er ſie und unterſagte ihr ſtreng, zu verrathen, was er bei ihr gemacht habe.
So trieb er es eine gute Zeit und brachte ſich in den allerſchlechteſten Ruf. Denn während er im Ge¬ heimen, in den verſchloſſenen Kammern der Buhlerinnen durch ſeine heißen Donnerworte und durch inbrünſtiges ſüßes Gebetlispeln manche Verlorene erſchütterte und rührte, daß ſie in ſich ging und einen frommen87 Lebenswandel begann, ſchien er es öffentlich vollſtändig darauf anzulegen, für einen laſterhaften und ſündigen Mönch zu gelten, der ſich luſtig in allem Wirrſal der Welt herumſchlüge und ſeinen geiſtlichen Habit als eine Fahne der Schmach aushänge.
Befand er ſich des Abends, wenn es dunkelte, in ehrbarer Geſellſchaft, ſo rief er etwa unverſehens: „ Ei, was mache ich doch? Bald hätt 'ich vergeſſen, daß die braune Doris meiner wartet, die kleine Freundin! Der tauſend, ich muß gleich hin, daß ſie nicht ſchmollt! “
Schalt man ihn nun, ſo rief er, wie erboſt: „ Glaubt Ihr, ich ſei ein Stein? Bildet Ihr Euch ein, daß Gott für die Mönche keine Weiblein ge¬ ſchaffen habe? “ Sagte Jemand: „ Vater, legt lieber das kirchliche Gewand ab und heirathet, damit die Andern ſich nicht ärgern! “ſo antwortete er: „ Aergere ſich, wer will und mag, und renne mit dem Kopfe gegen die Mauer! Wer iſt mein Richter? “
Alles dies ſagte er mit Geräuſch und großer Verſtellungskunſt, wie Einer, der eine ſchlechte Sache mit vielen und frechen Worten vertheidigt.
Und er ging hin und zankte ſich vor den Haus¬ thüren der Mädchen mit den Nebenbuhlern herum, ja er prügelte ſich ſogar mit ihnen und theilte manche derbe Maulſchelle aus, wenn es hieß: „ Fort mit dem88 Mönch! Will der Kleriker uns den Platz ſtreitig machen? Zieh 'ab, Glatzkopf! “
Auch war er ſo beharrlich und zudringlich, daß er in den meiſten Fällen den Sieg davontrug und unverſehens, in's Haus ſchlüpfte.
Kehrte er beim Morgengrauen in ſeine Zelle zurück, ſo warf er ſich nieder vor der Mutter Gottes, zu deren Preis und Ehre er allein dieſe Abenteuer unter¬ nahm und den Tadel der Welt auf ſich lud, und wenn es ihm gelungen war, ein verlorenes Lamm zurückzuführen und in irgend einem heiligen Kloſter unterzubringen, ſo dünkte er ſich ſeliger vor der Himmelskönigin, als wenn er tauſend Heiden bekehrt hätte. Denn dies war ſein ganz beſonderer Geſchmack, daß er das Martyrium beſtand, vor der Welt als ein Unreiner und Wüſtling dazuſtehen, während die allerreinſte Frau im Himmel wohl wüßte, daß er noch nie ein Weib berührt habe und ein Kränzlein weißer Roſen unſichtbar auf ſeinem vielgeſchmähten Haupte trage.
Einſt hörte er von einer beſonders gefährlichen Perſon, welche durch ihre Schönheit und Ungewöhn¬ lichkeit viel Unheil und ſelbſt Blutvergießen anrichte, da ein vornehmer und grimmiger Kriegsmann ihre Thüre belagere und Jeden niederſtrecke, der ſich mit ihm in Streit einlaſſe. Sogleich nahm Vitalis ſich89 vor, dieſe Hölle anzugreifen und zu überwinden. Er ſchrieb den Namen der Sünderin nicht erſt in ſein Verzeichnis, ſondern ging geraden Weges nach dem berüchtigten Hauſe und traf an der Thüre richtig mit jenem Soldaten zuſammen, der in Scharlach gekleidet hochmüthig daherſchritt und einen Wurfſpieß in der Hand trug.
„ Duck 'dich hier bei Seite, Mönchlein! “rief er höhniſch dem frommen Vitalis zu, „ was wagſt du, an meiner Löwenhöhle herumzukrabbeln? Für dich iſt der Himmel, für uns die Welt! “
„ Himmel und Erde ſammt allem, was darin iſt, “rief Vitalis, „ gehören dem Herrn und ſeinen fröhlichen Knechten! Pack 'dich, aufgeputzter Lümmel, und laß mich gehen, wo mich gelüſtet! “
Zornig erhob der Krieger den Schaft ſeines Wurf¬ ſpießes, um ihn auf den Kopf des Mönches nieder¬ zuſchlagen; doch dieſer zog flugs den Aſt eines fried¬ lichen Oelbaumes unter der Kutte hervor, parirte den Streich und traf den Raufbold ſo derb an die Stirne, daß ihm die Sinne beinahe vergingen, worauf ihm der ſtreitbare Kleriker noch viele Knüffe unter die Naſe gab, bis der Soldat ganz betäubt und fluchend ſich davon machte.
Alſo drang Vitalis ſiegreich in das Haus, wo über einem ſchmalen Treppchen die Weibsperſon ſtand,90 eine Lampe tragend, und auf das Lärmen und Schreien horchte. Es war eine ungewöhnlich große und feſte Geſtalt mit ſchönen großen aber trotzigen Geſichtszügen, um welche ein röthliches Haar in reichen wilden Wellen gleich einer Löwenmähne flatterte.
Verachtungsvoll ſchaute ſie auf den anrückenden Vitalis herab und ſagte: „ Wohin willſt du? “ „ Zu dir, mein Täubchen! “antwortete er, „ haſt du nie vom zärtlichen Mönch Vitalis gehört, vom luſtigen Vitalis? “ Allein ſie verſetzte barſch, indem ſie die Treppe ſperrte mit ihrer gewaltigen Figur: „ Haſt du Geld, Mönch? “ Verdutzt ſagte er: „ Mönche tragen nie Geld mit ſich! “ „ So trolle dich deines Weges, “rief ſie, „ oder ich laſſe dich mit Feuerbränden aus dem Hauſe peitſchen! “
Ganz verblüfft kratzte Vitalis hinter den Ohren, da er dieſen Fall noch nicht bedacht hatte; denn die Geſchöpfe, die er bisanhin bekehrt, hatten dann natür¬ licherweiſe nicht mehr an einen Sündenlohn gedacht, und die Unbekehrten begnügten ſich, ihn mit ſchnöden Worten für die koſtbare Zeit, um die er ſie gebracht, zu ſtrafen. Hier aber konnte er gar nicht in's Innere gelangen, um ſeine fromme That zu beginnen; und doch reizte es ihn über alle Maßen, gerade dieſe roth¬ ſchimmernde Satanstochter zu bändigen, weil große ſchöne Menſchenbilder immer wieder die Sinne ver¬91 leiten, ihnen einen höheren menſchlichen Werth zuzu¬ ſchreiben, als ſie wirklich haben. Verlegen ſuchte er an ſeinem Gewande herum und bekam dabei jenes Silberbüchschen in die Hand, welches mit einem ziemlich werthvollen Amethiſt geziert war. „ Ich habe nichts, als dies, “ſagte er, „ laß mich hinein dafür! “ Sie nahm das Büchschen, betrachtete es genau und hieß ihn dann mit hineingehen. In ihrem Schlaf¬ gemache angekommen, ſah er ſich nicht weiter nach ihr um, ſondern kniete nach ſeiner Gewohnheit in eine Ecke und betete mit lauter Stimme.
Die Hetäre, welche glaubte, er wolle ſeine welt¬ lichen Werke aus geiſtlicher Gewohnheit mit Gebet beginnen, erhob ein unbändiges Gelächter und ſetzte ſich auf ihr Ruhbett, um ihm zuzuſehen, da ſeine Geberden ſie höchlich beluſtigten. Da das Ding aber kein Ende nahm und anfing, ſie zu langweilen, ent¬ blößte ſie unzüchtig ihre Schultern, ſchritt auf ihn zu, umſtrickte ihn mit ihren weißen ſtarken Armen und drückte den guten Vitalis mit ſeinem geſchornen und tonſurirten Kopf ſo derb gegen ihre Bruſt, daß er zu erſticken drohte und zu pruſten begann, als ob er im Fegefeuer ſtäcke. Es dauerte aber nicht lang, ſo fing er an, nach allen Seiten auszuſchlagen, wie ein junges Pferd in der Schmiede, bis er ſich von der hölliſchen Umſchlingung befreit hatte. Dann aber92 nahm er den langen Strick, welchen er um den Leib trug, und packte das Weib, um ihr die Hände auf den Rücken zu binden, damit er Ruhe vor ihr habe. Er mußte jedoch tüchtig mit ihr ringen, bis es ihm gelang, ſie zu binden; und auch die Füße band er ihr zuſammen und warf den ganzen Pack mit einem mächtigen Ruck auf das Bett. Wonach er ſich wieder in ſeinen Winkel begab und ſeine Gebete fortſetzte, als ob nichts geſchehen wäre.
Die gefeſſelte Löwin wälzte ſich erſt zornig und unruhig hin und her, ſuchte ſich zu befreien und ſtieß hundert Flüche aus; dann wurde ſie ſtiller, während der Mönch nicht abließ, zu beten, zu predigen und zu beſchwören, und gegen Morgen ließ ſie deutliche Seufzer vernehmen, welchen bald, wie es ſchien, ein zerknirſchtes Schluchzen folgte. Kurz, als die Sonne aufging, lag ſie als eine Magdalena zu ſeinen Füßen, von ihren Banden befreit, und benetzte den Saum ſeines Gewandes mit Thränen. Würdevoll und heiter ſtreichelte ihr Vitalis das Haupt und verſprach, mit einbrechender künftiger Nacht wiederzukommen, um ihr kund zu thun, in welchem Kloſter er eine Bußzelle für ſie ausfindig gemacht hätte. Dann verließ er ſie, vergaß aber nicht, ihr vorher einzuſchärfen, daß ſie inzwiſchen nichts von ſeiner Bekehrung verlauten laſſen und vor Allem nur Jedermann, der ſie darum befragen93 würde, ſagen ſolle, er habe ſich recht luſtig bei ihr gemacht.
Allein wie erſchrack er, als er zur beſtimmten Stunde wieder erſcheinend, die Thüre feſt verſchloſſen fand, indeſſen das Frauenzimmer friſch geſchmückt und ſtattlich aus dem Fenſter ſah.
„ Was willſt du, Prieſter? “rief ſie herunter, und erſtaunt erwiederte er halblaut: „ Was ſoll das heißen, mein Lämmchen? Thu 'von dir dieſen Sündenflitter und laß mich ein, daß ich dich zu deiner Buße vor¬ bereite! “ „ Du willſt zu mir herein, ſchlimmer Mönch? “ſagte ſie lächelnd, als ob ſie ihn mißver¬ ſtanden hätte, „ haſt du Geld oder Geldeswerth bei dir? “ Mit offenem Munde ſtarrte Vitalis empor; dann rüttelte er verzweifelt an der Thüre; aber ſie war und blieb verſchloſſen und vom Fenſter war das Weib auch verſchwunden.
Das Gelächter und die Verwünſchungen der Vorübergehenden trieben den ſcheinbar verdorbenen und ſchamloſen Mönch endlich von dem verrufenen Hauſe hinweg; allein ſein einziges Sinnen und Trachten ging dahin, wieder in das nämliche Haus zu gelangen und den Böſen, der in dem Weibe ſteckte, auf jede Weiſe zu überwinden.
Von dieſem Gedanken beherrſcht lenkte er ſeine Schritte in eine Kirche, wo er, ſtatt zu beten, über94 Mittel und Wege ſann, wie er ſich den Zutritt bei der Verlorenen verſchaffen könne. Indem fiel ſein Blick auf die Lade, in welcher die Gaben der Mild¬ thätigkeit aufbewahrt lagen, und kaum war die Kirche, in welcher es dunkel geworden, leer, ſo ſchlug er die Lade mit kräftiger Fauſt auf und warf ihren Inhalt, der aus einer Menge kleiner Silberlinge beſtand, in ſeine aufgeſchürzte Kutte und eilte ſchneller, als ein Verliebter, nach der Wohnung der Sünderin.
Eben wollte ein zierlicher Stutzer in die aufgehende Thüre ſchlüpfen; Vitalis ergriff ihn hinten an den duftenden Locken, ſchleuderte ihn auf die Gaſſe und ſchlug die Thüre, indem er hineinſprang, jenem vor der Naſe zu, und ſo ſtand er nach einigen Augen¬ blicken abermals vor der ruchloſen Perſon, welche ihn mit funkelnden Augen beſah, da er ſtatt des erwarte¬ ten Stutzers erſchien. Vitalis ſchüttete aber ſchnell das geſtohlene Geld[auf] den Tiſch und ſagte: „ Ge¬ nügt das für dieſe Nacht? “ Stumm aber ſorgfältig zählte ſie das Gut und ſagte dann: „ Es genügt! “und that es beiſeite.
Nun ſtanden ſie ſich ſonderbarlich gegenüber. Das Lachen verbeißend ſchaute ſie darein, als ob ſie von nichts wüßte, und der Mönch prüfte ſie mit ungewiſſen und kummervollen Blicken und wußte nicht, wie er es anpacken ſollte, ſie zur Rede zu ſtellen. Als95 ſie aber plötzlich in verlockende Geberden überging und mit der Hand in ſeinen glänzenden dunkeln Bart fahren wollte, da brach das Gewitter ſeines geiſtlichen Gemüthes mächtig los, zornig ſchlug er ihr auf die Hand, warf ſie dann auf ihr Bett, daß es erzitterte, und indem er auf ſie hinkniete und ihre Hände feſt¬ hielt, fing er, ungerührt von ihren Reizen, dergeſtalt an ihr in die Seele zu reden, daß ihre Verſtocktheit endlich ſich zu löſen ſchien.
Sie ließ nach in den gewaltſamen Anſtrengungen, ſich zu befreien, häufige Thränen floßen über das ſchöne und kräftige Geſicht, und als der eifrige Gottes¬ mann ſie nun frei gab und aufrecht an ihrem Sün¬ denlager ſtand, lag die große Geſtalt auf demſelben mit ausgeſtreckten müden Gliedern, wie von Reue und Bitterkeit zerſchlagen, ſchluchzend und die umflor¬ ten Augen nach ihm richtend, wie verwundert über dieſe unfreiwillige Verwandlung.
Da verwandelte ſich auch das Ungewitter ſeines beredten Zornes in weiche Rührung und inniges Mit¬ leid; er pries innerlich ſeine himmliſche Beſchützerin, welcher zu Ehren ihm dieſer ſchwerſte aller Siege ge¬ lungen war, und ſeine Rede floß jetzt verſöhnend und tröſtend wie lindes Frühlingswehen über das gebro¬ chene Eis dieſes Herzens.
Fröhlicher, als wenn er das lieblichſte Glück genoſ¬96 ſen hätte, eilte er von dannen, aber nicht, um auf ſei¬ nem harten Lager noch ein Stündchen Schlaf zu finden, ſondern um vor dem Altare der Jungfrau für die arme reuevolle Seele zu beten, bis der Tag vollends angebrochen wäre; denn er gelobte, kein Auge zu ſchließen, bis das verirrte Lamm nunmehr ſicher hinter den ſchützenden Kloſtermauern verwahrt ſei.
Kaum war auch der Morgen lebendig geworden, ſo machte er ſich wieder auf den Weg nach ihrem Hauſe, ſah aber auch gleichzeitig vom andern Ende der Straße den wilden Kriegsmann daher kommen, welcher nach einer durchſchwelgten Nacht, halb betrun¬ ken, es ſich in den Kopf geſetzt hatte, die Hetäre end¬ lich wieder zu erobern.
Vitalis war näher an der unſeligen Thüre und behende ſprang er darauf zu, um ſie vollends zu er¬ reichen; da ſchleuderte jener den Speer nach ihm, der dicht neben des Mönches Kopf in der Thüre ſtecken blieb, daß der Schaft zitterte. Aber noch ehe er aus¬ gezittert, riß ihn der Mönch mit aller Kraft aus dem Holz, kehrte ſich gegen den wüthend herbeigeſprunge¬ nen Soldaten, der ein bloßes Schwert zückte, und trieb ihm mit Blitzesſchnelle den Speer durch die Bruſt; todt ſank der Mann zuſammen und Vitalis wurde faſt im ſelbigen Augenblicke durch einen Trupp Kriegs¬ knechte, die von der Nachtwache kamen und ſeine That97 geſehen, gefangen genommen, gebunden und in den Kerker geführt.
Wahrhaft kummervoll ſchaute er nach dem Häus¬ chen zurück, in welchem er ſein gutes Werk nun nicht vollenden konnte: die Wächter glaubten, er bedaure lediglich ſeinen Unſtern, von einem ſündhaften Vorſatz abgelenkt zu ſein, und traktirten den vermeintlich un¬ verbeſſerlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfwor¬ ten, bis er im Gefängniß war.
Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor den Richter geſtellt; zwar wurde er am Ende ſtraflos entlaſſen, weil er den Mann in der Nothwehr um¬ gebracht. Doch ging er immerhin als ein Todtſchläger aus dem Handel hervor und Jedermann rief, daß man ihm endlich das geiſtliche Gewand abnehmen ſollte. Der Biſchof Johannes, welcher dazumal in Alexandria vorſtand, mußte aber irgend eine Ahnung von dem wahren Sachverhalt oder ſonſt einen höhe¬ ren Plan gefaßt haben, da er ſich weigerte, den ver¬ rufenen Mönch aus der Kleriſei zu ſtoßen, und befahl, denſelben einſtweilen noch ſeinen ſeltſamen Weg wan¬ deln zu laſſen.
Dieſer führte ihn ohne Aufenthalt zu der be¬ kehrten Sünderin zurück, welche ſich mittlerweile aber¬ mals umgekehrt hatte und den erſchrockenen und be¬ kümmerten Vitalis nicht eher herein ließ, bis er wie¬Keller, Sieben Legenden. 798derum irgendwo einen Werthgegenſtand entwendet und ihr gebracht. Sie bereute und bekehrte ſich zum dritten Mal, und auf gleiche Weiſe zum vierten und fünften Mal, da ſie dieſe Bekehrungen einträglicher fand, als alles Andere, und überdies der böſe Geiſt in ihr ein hölliſches Vergnügen empfand, mit wechſelnden Künſten und Erfindungen den armen Mönch zu äffen.
Dieſer war jetzt wirklich von innen heraus ein Märtyrer; denn je ärger er getäuſcht wurde, deſto weniger konnte er von ſeinem Bemühen laſſen, und es dünkte ihn, als ob ſeine eigene Seligkeit gerade von der Beſſerung dieſer Einen Perſon abhange. Er war jetzt bereits ein Todtſchläger, Kirchenräuber und Dieb; allein lieber hätt 'er ſich eine Hand abhauen laſſen, ehe er im Geringſten ſeinen Ruf als Wüſtling aufgegeben hätte, und wenn dies alles ihm endlich in ſeinem Herzen ſchwer und ſchwerer zu tragen war, ſo beſtrebte er ſich um ſo eifriger, vor der Welt die ſchlimme Außenſeite mit frivolen Worten aufrecht zu halten. Denn dieſe märtyrliche Spezialität hatte er einmal erwählt. Doch wurde er bleich und ſchmal dabei und fing an, herumzuſchleichen, wie ein Schat¬ ten an der Wand, aber immer mit lachendem Munde.
Gegenüber jenem Hauſe der Prüfung nun wohnte ein reicher griechiſcher Kaufmann, der ein einziges Töchterchen beſaß, Jole geheißen, welche thun konnte,99 was ihr beliebte, aber doch nicht recht wußte, was ſie den langen Tag hindurch beginnen ſollte. Denn ihr Vater der ſich zur Ruhe geſetzt hatte, ſtudirte den Plato, und wenn er deſſen müde war, ſo verfaßte er zier¬ liche Xenien über die geſchnittenen antiken Steine, deren er eine Menge ſammelte und beſaß. Jole hingegen, wenn ſie ihr Saitenſpiel bei Seite geſtellt hatte, wußte ihren lebhaften Gedanken keinen Ausweg und guckte unruhig in den Himmel und in die Ferne, wo ſich eine Oeffnung bot.
So entdeckte ſie auch den Verkehr des Mönches in der Straße und erfuhr, welche Bewandtniß es mit dem berüchtigten Klerikus habe. Erſchreckt und ſcheu betrachtete ſie ihn von ihrem ſicheren Verſteck aus und konnte nicht umhin, ſeine ſtattliche Geſtalt und ſein männliches Ausſehen zu bedauern. Als ſie aber von einer Sklavin, welche mit der Sklavin der böſen Buh¬ lerin vertraut war, vernahm, wie Vitalis von letzterer betrogen würde, und wie es ſich in Wahrheit mit ihm verhalte, da verwunderte ſie ſich über alle Maßen, und weit entfernt, dies Martyrium zu verehren, be¬ fiel ſie ein ſeltſamer Zorn und ſie hielt dieſe Art Heiligkeit der Ehre ihres Geſchlechts nicht für zuträg¬ lich. Sie träumte und grübelte eine Weile darüber und immer unzufriedener wurde ſie, während gleich¬ zeitig ihre Theilnahme für den Mönch ſich erhöhte und mit jenem Zorne kreuzte.
100Plötzlich entſchloß ſie ſich, wenn die Jungfrau Maria nicht ſo viel Verſtand habe, den Verirrten auf einen wohlanſtändigeren Weg zu führen, dies ſelbſt zu übernehmen und ihr etwas in's Handwerk zu pfu¬ ſchen, nicht ahnend, daß ſie ſelbſt das unbewußte Werkzeug der bereits einſchreitenden Himmelskönigin war. Und alſogleich ging ſie zu ihrem Vater, be¬ ſchwerte ſich bitterlich über die unangemeſſene Nach¬ barſchaft der Buhldirne und beſchwor ihn, dieſelbe um jeden Preis vermittelſt ſeines Reichthums und augenblicklich zu entfernen.
Der Alte verfügte ſich, nach ihrer Anweiſung, auch ſogleich zu der Perſon und bot ihr eine gewiſſe Summe für ihr Häuschen, wenn ſie es zur Stunde verlaſſen und ganz aus dem Revier wegziehen wolle. Sie ver¬ langte nichts Beſſeres und war noch am gleichen Vor¬ mittag aus der Gegend verſchwunden, während der Alte wieder hinter ſeinem Plato ſaß und ſich nicht weiter um die Sache kümmerte.
Deſto eifriger war nun Jole, das Häuschen von unten bis oben von Allem räumen zu laſſen, was an die frühere Beſitzerin erinnern konnte, und als es gänzlich ausgefegt und gereinigt war, ließ ſie es mit feinen Spezereien ſo durchräuchern, daß die wohl¬ duftenden Rauchwolken aus allen Fenſtern drangen.
Dann ließ ſie in das leere Gemach nichts als101 einen Teppich, einen Roſenſtock und eine Lampe hinübertragen, und als ihr Vater, welcher mit der Sonne zur Ruhe ging, eingeſchlafen war, ging ſie ſelbſt hin, das Haar mit einem Roſenkränzlein ge¬ ſchmückt, und ſetzte ſich mutterſeelenallein auf den aus¬ gebreiteten Teppich, indeſſen zwei zuverläſſige alte Diener die Hausthüre bewachten.
Dieſelben jagten verſchiedene Nachtſchwärmer davon; ſobald ſie dagegen den Vitalis herankommen ſahen, verbargen ſie ſich und ließen ihn ungehindert in die offene Thüre treten. Mit vielen Seufzern ſtieg er die Treppe hinan, voll Furcht, ſich abermals genarrt zu ſehen, und voll Hoffnung, endlich von dieſer Laſt befreit zu werden durch die aufrichtige Reue eines Geſchöpfes, welches ihn verhinderte, ſo viele andere Seelen zu retten. Allein wie erſtaunte er, als er, in das Gemach getreten, dasſelbe von all' dem Flitter¬ ſtaat der wilden rothen Löwin geleert und ſtatt ihrer eine anmuthige und zarte Geſtalt auf dem Tep¬ pich ſitzend fand, das Roſenſtöckchen ſich gegenüber auf demſelben Boden.
„ Wo iſt die Unſelige, die hier wohnte? “rief er, indem er verwundert um ſich ſchaute und dann ſeine Blicke auf der lieblichen Erſcheinung ruhen ließ, die er vor ſich ſah.
„ Sie iſt fortgewandert in die Wüſte, “erwiederte102 Jole ohne aufzublicken, „ dort will ſie das Leben einer Einſiedlerin führen und büßen; denn es hat ſie dieſen Morgen plötzlich übernommen und darnieder geworfen gleich einem Grashalm, und ihr Gewiſſen iſt endlich aufgewacht. Sie rief nach einem gewiſſen Prieſter Vitalis, daß er ihr beiſtehen möchte. Allein der Geiſt, der in ſie gefahren, ließ ſie nicht länger harren; die Thörin raffte alle ihre Habe zuſammen, verkaufte ſie und gab das Geld den Armen, worauf ſie ſtehenden Fußes in einem härenen Hemd und mit abgeſchnit¬ tenem Haar, einen Stecken in der Hand, hinauszog, wo die Wildniß iſt. “
„ Geprieſen ſeiſt du, Herr, und gelobt deine gna¬ denvolle Mutter! “rief Vitalis, voll fröhlicher An¬ dacht die Hände faltend, indem es ihm wie eine Stein¬ laſt vom Herzen fiel; zugleich aber betrachtete er das Mädchen mit ſeinem Roſenkränzchen genauer und ſprach:
„ Warum ſagteſt du: die Thörin? und wer biſt du? von woher kommſt du und was haſt du vor? “
Die liebliche Jole richtete jetzt ihr dunkles Auge noch tiefer zur Erde; ſie beugte ſich vorn über und eine hohe Schamröthe übergoß ihr Geſicht, da ſie ſich ſelbſt der argen Dinge ſchämte, die ſie jetzt vor einem Mann zu ſagen im Begriffe war.
„ Ich bin, “ſagte ſie, „ eine verſtoßene Waiſe, die weder Vater noch Mutter mehr hat. Dieſer Teppich,103 dieſe Lampe und dieſer Roſenſtock ſind die letzten Ueberbleibſel von meinem Erbe, und damit habe ich mich hier niedergelaſſen, um das Leben zu beginnen, das Jene verlaſſen hat, welche vor mir hier wohnte! “
„ Ei, ſo ſoll dich doch —! “rief der Mönch und ſchlug die Hände zuſammen, „ ſeht mir einmal an, wie fleißig der Teufel iſt! Und dies harmloſe Thier¬ lein hier ſagt das Ding ſo trocken daher, wie wenn ich nicht der Vitalis wäre! Nun, mein Kätzchen, was willſt du thun? Sag's doch noch einmal! “
„ Ich will mich der Liebe weihen und den Män¬ nern dienen, ſo lange dieſe Roſe lebt! “ſagte ſie und zeigte flüchtig auf den Strauch; doch brachte ſie die Worte kaum heraus und verſank vor Scheu beinahe in den Boden, ſo duckte ſie ſich zuſammen, und dieſe natürliche Scham diente der Schelmin ſehr gut, den Mönch zu überzeugen, daß er es hier mit einer kind¬ lichen Unſchuld zu thun habe, die nur vom Teufel beſeſſen mit beiden Füßen in den Abgrund ſpringen wolle. Er ſtrich ſich vor Vergnügen den Bart, ein¬ mal ſo zu rechter Zeit auf dem Platz erſchienen zu ſein, und um ſein Behagen noch länger zu genießen ſagte er langſam und humoriſtiſch:
„ Und dann nachher, mein Täubchen? “
„ Nachher will ich in die Hölle fahren als eine allerärmſte Seele, wo die ſchöne Frau Venus iſt, oder104 vielleicht auch, wenn ich einen guten Prediger finde, etwa ſpäter in ein Kloſter gehen und Buße thun! “
„ Gut ſo, immer beſſer! “rief er, „ das iſt ja ein ordentlicher Kriegsplan und gar nicht übel errathen! Denn was den Prediger betrifft, ſo iſt er ſchon da, er ſteht vor dir, du ſchwarzäugiges Höllenbrätchen! Und das Kloſter iſt dir auch ſchon hergerichtet wie eine Mausfalle, nur daß man ungeſündigt hinein ſpaziert, verſtanden? Ungeſündigt bis auf den ſau¬ beren Vorſatz, der indeſſen einen erklecklichen Reueknochen für dein ganzes Leben abgeben und nützlich ſein mag; denn ſonſt wärſt du kleine Hexe auch gar zu poſſier¬ lich und ſcherzhaft für eine rechte Nonne! Aber nun, “fuhr er mit ernſter Stimme fort, „ herunter vorerſt mit den Roſen vom Kopf und dann aufmerkſam zu¬ gehört! “
„ Nein, “ſagte Jole etwas kecker, „ erſt will ich zu¬ hören und dann ſehen, ob ich die Roſen herunter nehme. Nachdem ich einmal mein weibliches Gefühl überwunden, genügen Worte nicht mehr mich abzu¬ halten, eh 'ich die Sünde kenne, und ohne Sünde werde ich keine Reue kennen, dieß gebe ich dir zu bedenken, ehe du dich bemühſt! Aber immerhin will ich dich anhören! “
Jetzt begann Vitalis ſeine ſchönſte Predigt, die er je gehalten. Das Mädchen hörte ihm anmuthig und105 aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen Einfluß auf die Wahl ſeiner Worte, ohne daß er deſſen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des zu bekehrenden Gegenſtandes wie von ſelbſt eine er¬ höhte Beredtſamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht im mindeſten ernſt war mit dem, was ſie frevelhafter Weiſe vorgab, ſo konnte die Rede des Mönches ſie auch nicht ſehr erſchüttern; ein liebliches Lachen ſchwebte vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und ſich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne wiſchte, ſagte Jole: „ Ich bin nur halb gerührt von deinen Worten und kann mich nicht entſchließen, mein Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig, wie es ſich in Luſt und Sünden lebe! “
Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das erſte Mal, daß ihm ſeine Bekehrungskunſt ſo rund fehlgeſchlagen. Seufzend und nachſinnend ging er im Gemach auf und nieder und beſah dann wieder die kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels ſchien ſich hier auf unheimliche Weiſe mit der Kraft der Unſchuld zu verbinden, um ihm zu widerſtehen. Aber um ſo leidenſchaftlicher gedachte er dennoch obzuſiegen.
„ Ich geh 'nicht von der Stelle, “rief er endlich, „ bis du bereuſt, und ſollt' ich drei Tage und drei Nächte hier zubringen! “
106„ Das würde mich nur hartnäckiger machen, “er¬ wiederte Jole, „ ich will mir aber Bedenkzeit nehmen und die kommende Nacht dich wieder anhören. Jetzt bricht der Tag bald an, geh 'deines Weges; indeſſen verſprech' ich, nichts in der Sache zu thun und in meinem jetzigen Zuſtand zu verbleiben, wogegen du verſprechen mußt, nirgends meiner Erwähnung zu thun und nur in dunkler Nacht hieher zu kommen! “
„ Es ſei ſo! “rief Vitalis, machte ſich fort und Jole ſchlüpfte raſch in ihr väterliches Haus zurück.
Sie ſchlief nur kurze Zeit und erwartete mit Un¬ geduld den Abend, weil ihr der Mönch, dem ſie die Nacht durch ſo nahe geweſen, noch beſſer gefallen hatte, als ſonſt aus der Ferne. Sie ſah jetzt, welch 'ein ſchwärmeriſches Feuer in ſeinen Augen glühte und wie entſchieden, trotz der geiſtlichen Kleidung, alle ſeine Bewegungen waren. Wenn ſie ſich dazu ſeine Selbſt¬ verleugnung vergegenwärtigte, ſeine Ausdauer in dem einmal Erwählten, ſo konnte ſie nicht umhin, dieſe guten Eigenſchaften zu ihrem eigenen Nutzen und Ver¬ gnügen verwendet zu wünſchen, und zwar in Geſtalt eines verliebten und getreuen Ehemannes. Ihre Auf¬ gabe war demnach, aus einem wackeren Märtyrer einen noch beſſeren Ehemann zu machen.
In der kommenden Nacht fand ſie Vitalis zeitig wieder auf ihrem Teppich und er ſetzte ſeine Be¬107 mühungen um ihre Tugend mit unvermindertem Eifer fort. Er mußte fortwährend dazu ſtehen, wenn er nicht zu einem Gebete niederkniete. Jole dagegen machte es ſich bequem; ſie legte ſich mit dem Ober¬ leib auf den Teppich zurück, ſchlang die Arme um den Kopf und betrachtete aus halb geſchloſſenen Augen unverwandt den Mönch, der vor ihr ſtand und predigte. Einigemal ſchloß ſie die Augen, wie vom Schlummer beſchlichen, und ſobald Vitalis das gewahrte, ſtieß er ſie mit dem Fuße an, um ſie zu wecken. Aber dieſe mürriſche Maßregel fiel den¬ noch jedesmal milder aus, als er beabſichtigte: denn ſobald der Fuß ſich der ſchlanken Seite des Mädchens näherte, mäßigte er von ſelbſt ſeine Schwere und be¬ rührte nur ſanft die zarten Rippen, und deſſen un¬ geachtet ſtrömte dann eine gar ſeltſamliche Empfindung den ganzen langen Mönch hinauf, eine Empfindung, die ſich bei allen den vielen ſchönen Sünderinnen, mit denen er bisher verkehrt, im Entfernteſten nie ein¬ geſtellt hatte.
Jole nickte gegen Morgen immer häufiger ein; end¬ lich rief Vitalis unwillig: „ Kind, du hörſt nicht, du biſt nicht zu erwecken, du verharrſt in Trägheit! “
„ Nicht doch, “ſagte ſie, indem ſie die Augen plötz¬ lich aufſchlug und ein ſüßes Lächeln über ihr Geſicht flog, gleichſam als wenn der nahende Tag ſchon dar¬108 auf zu ſehen wäre, „ ich habe gut aufgemerkt, ich haſſe jetzt jene elende Sünde, die mir um ſo widerwärtiger geworden, als ſie dir Aergerniß erregt, lieber Mönch; denn Nichts könnte mir mehr gefallen, was dir mi߬ fällt! “
„ Wirklich? “rief er voll Freuden, „ ſo iſt es mir doch gelungen? Jetzt komm 'nur gleich in das Kloſter, damit wir deiner ſicher ſind. Wir wollen diesmal das Eiſen ſchmieden, weil es noch warm iſt! “
Du verſtehſt mich nicht recht, erwiederte Jole und ſchlug erröthend die Augen wieder zur Erde, „ ich bin in dich verliebt und habe eine zärtliche Neigung zu dir gefaßt! “
Vitalis empfand augenblicklich, wie wenn ihn eine Hand auf's Herz ſchlüge, ohne daß es ihm jedoch dünkte, weh 'zu thun. Beklemmt ſperrte er die Augen und den Mund auf und ſtand da.
Jole aber fuhr fort, indem ſie noch röther wurde, und ſagte leiſe und ſanft: „ Nun mußt du mir auch noch dies neue Unheil ausreden und verbannen, um mich gänzlich vom Uebel zu befreien, und ich hoffe, daß es dir gelingen werde! “
Vitalis, ohne ein Wort zu ſagen, machte kehrt um und rannte aus dem Hauſe. Er lief in den ſilbergrauen Morgen hinaus, ſtatt ſein Lager aufzu¬ ſuchen, und überlegte, ob er dieſe verdächtige junge109 Perſon ein für allemal ihrem Schickſal überlaſſen oder verſuchen ſolle, ihr dieſe letzte Grille auch noch auszutreiben, welche ihm die bedenklichſte von allen und für ihn ſelbſt nicht ganz ungefährlich ſchien. Doch eine zornige Schamröthe ſtieg ihm in's Haupt bei den Gedanken, daß dergleichen für ihn ſelbſt ge¬ fährlich ſein ſollte; aber dann fiel ihm gleich wieder ein, daß der Teufel ihm ein Netz geſtellt haben könnte, und wenn dem ſo wäre, ſo ſei dieſes am Beſten bei Zeiten zu fliehen. Aber feldflüchtig werden vor ſolchem federleichten Teufelsſpuck? Und wenn das arme Geſchöpfchen wirklich es gut meinte und durch einige kräftige grobe Worte von ſeiner letzten unzu¬ kömmlichen Phantaſie zu heilen wäre? Kurz, Vitalis konnte nicht mit ſich einig werden, und das um ſo weniger, als auf dem Grunde ſeines Herzens bereits ein dunkles Wogen das Schifflein ſeiner Vernunft zum Schaukeln brachte.
Er ſchlüpfte daher in ſeiner Bedrängniß in ein Gotteshäuschen, wo vor Kurzem ein ſchönes altes Marmorbild der Göttin Juno, mit einem goldenen Heiligenſchein verſehen, als Marienbild aufgeſtellt worden war, um dieſe Gottesgabe der Kunſt nicht umkommen zu laſſen. Vor dieſer Maria warf er ſich nieder und trug ihr inbrünſtig ſeinen Zweifel vor und er bat ſeine Meiſterin um ein Zeichen. Wenn110 ſie mit dem Kopfe nickte, ſo wolle er die Bekehrung vollenden, wenn ſie ihn ſchüttle, ſo wolle er davon abſtehen.
Allein das Bild ließ ihn in der grauſamſten Un¬ gewißheit und that keins von beidem, weder nickte es, noch ſchüttelte es den Kopf. Nur als ein röth¬ licher Schein vorüberziehender Frühwolken über den Marmor flog, ſchien das Geſicht auf das holdeſte zu lächeln, mochte es nun ſein, daß die alte Göttin, die Beſchützerin ehelicher Zucht und Sitte, ſich bemerklich machte, oder daß die neue über die Noth ihres Ver¬ ehrers lachen mußte; denn im Grunde waren beides Frauen und dieſe lächert es immer, wenn ein Liebes¬ handel im Anzug iſt. Aber Vitalis wurde davon nicht klüger; im Gegentheil machte ihm die Schön¬ heit des Anblickes noch wunderlicher zu Muth, ja merkwürdiger Weiſe ſchien das Bild die Züge der erröthenden Jole anzunehmen, welche ihn aufforderte ihr die Liebe zu ihm aus dem Sinne zu treiben.
Indeſſen wandelte um die gleiche Zeit der Vater Joles unter den Cypreſſen ſeines Gartens umher; er hatte einige ſehr ſchöne neue Steine erworben, deren Bildwerke ihn ſo früh auf die Beine gebracht. Entzückt betrachtete er dieſelben, indem er ſie in der aufgehenden Sonne ſpielen ließ. Da war ein nächt¬ licher Amethyſt, worauf Luna ihren Wagen durch den111 Himmel führte, nicht ahnend, daß ſich Amor hinten aufgehockt, während umherſchwärmende Amoretten auf griechiſch ihr zuriefen: Es ſitzt Einer hintenauf! Ein prächtiger Onix zeigte Minerva, welche achtlos ſinnend den Amor auf dem Schoße hielt, der mit ſeiner Hand eifrig ihren Bruſtharniſch polirte, um ſich darin zu ſpiegeln.
Auf einem Carneol endlich tummelte ſich Amor als ein Salamander in einem veſtaliſchen Feuer herum und ſetzte die Hüterin desſelben in Verwirrung und Schrecken.
Dieſe Scenen reizten den Alten zu einigen Diſti¬ chen und er beſann ſich, welches er zuerſt in Angriff nehmen wolle, als ſein Töchterchen Jole blaß und überwacht durch den Garten kam. Beſorgt und ver¬ wundert rief er ſie an und fragte, was ihr den Schlaf geraubt habe? Ehe ſie aber antworten konnte, zeigte er ihr ſeine Kleinode und erklärte ihr den Sinn derſelben.
Da that ſie einen tiefen Seufzer und ſagte: „ Ach, wenn alle dieſe großen Mächte, die Keuſchheit ſelbſt, die Weisheit und die Religion ſich nicht vor der Liebe bewahren können, wie ſoll ich armes unbedeutendes Geſchöpf mich wider ſie befeſtigen? “
Ueber dieſe Worte erſtaunte der alte Herr nicht wenig. „ Was muß ich hören? “ſagte er, „ ſollte dich das Geſchoß des ſtarken Eros getroffen haben? “
112„ Es hat mich durchbohrt, erwiederte ſie, „ und wenn ich nicht binnen Tag und Nacht im Beſitz des Man¬ nes bin, welchen ich liebe, ſo bin ich des Todes! “
Obgleich nun der Vater gewohnt war, ihr in allem zu willfahren, was ſie begehrte, ſo war ihm dieſe Eile jetzt doch etwas zu heftig und er mahnte die Tochter zu Ruhe und Beſonnenheit. Letztere fehlte ihr aber keineswegs und ſie gebrauchte dieſelbe ſo gut, daß der Alte ausrief: „ So ſoll ich denn die elendeſte aller Vaterpflichten ausüben, indem ich nach dem Erwählten, nach dem Männchen auslaufe und es an der Naſe zum Beſten hinführe, was ich mein nenne, und ihn bitte, doch ja Beſitz davon zu neh¬ men? Hier iſt ein ſchmuckes Weibchen, lieber Herr, bitte, verſchmäh es nicht? Ich möchte dir zwar lie¬ ber einige Ohrfeigen geben, aber das Töchterchen will ſterben und ich muß höflich ſein! Alſo laß 'dir's doch in Gnaden belieben, genieße um's Himmels willen das Paſtetchen, das ſich dir bietet! Es iſt trefflich gebacken und ſchmilzt dir auf der Zunge! “
„ Alles das iſt uns erſpart, “ſagte Jole, „ denn wenn du es nur erlaubſt, ſo hoffe ich ihn dazu zu bringen, daß er von ſelbſt kommt und um mich anhält. “
„ Und wenn er alsdann, den ich gar nicht kenne, ein Schlingel und ein Taugenichts iſt? “ „ „ Dann ſoll er mit Schimpf weggejagt werden! Er iſt aber ein Heiliger! ““
113„ So geh 'denn und überlaß mich den Muſen! “ſagte der gute Alte.
Als der Abend kam, folgte die Nacht nicht ſo ſchnell der Dämmerung, als Vitalis hinter Jole her im bekannten Häuschen erſchien. Aber ſo war er noch nie hier eingetreten. Das Herz klopfte ihm und er mußte empfinden, was es heiße, ein Weſen wie¬ der zu ſehen, das einen ſolchen Trumpf ausgeſpielt hat. Ein anderer Vitalis ſtieg die Treppe hinauf, als in der Frühe heruntergeſtiegen war, obſchon er ſelbſt am wenigſten davon verſtand, da der arme Mädchenbekehrer und verrufene Mönch nicht einmal den Unterſchied zwiſchen dem Lächeln einer Buhl¬ dirne und demjenigen einer ehrlichen Frau ge¬ kannt hatte.
Doch kam er immerhin in der guten Meinung und mit dem alten Vorſatze, dem Ungeheuerchen jetzt endlich alle unnützen Gedanken aus dem Köpfchen zu treiben; nur ſchwebte ihm vor, als ob er nach gelungenem Werke dann doch etwa eine Pauſe in ſeiner Märtyrthätigkeit ſich erlauben möchte, zumal ihn dieſe ſehr zu ermüden begann.
Aber es war ihm beſchieden, daß in dieſer ver¬ hexten Behauſung ſtets neue Ueberraſchungen ſeiner warteten. Als er jetzt das Gemach betrat, war es auf's Anmuthigſte ausgeziert und mit allen Wohn¬Keller, Sieben Legenden. 8114lichkeiten verſehen. Ein fein einſchmeichelnder Blu¬ menduft erfüllte den Raum und ſtimmte zu einer ge¬ wiſſen ſittigen Weltlichkeit; auf einem blühweißen Ruhebett, an deſſen Seide kein unordentliches Fält¬ chen ſichtbar war, ſaß Jole herrlich geſchmückt, in ſüß bekümmerter Melancholie, gleich einem ſpintiſiren¬ den Engel. Unter dem ſchönfaltigen Bruſtkleide wogte es ſo rauh, wie der Sturm in einem Milchbecher, und ſo ſchön die weißen Arme erglänzten, die ſie unter der Bruſt übereinander gelegt hatte, ſo ſah doch all' dieſer Reiz ſo geſetzlich und erlaubt in die Welt, daß Vitaliſens gewohnte Redekunſt in ſeinem Halſe ſtecken blieb.
„ Du biſt verwundert, ſchönſter Mönch! “begann Jole, „ dieſen Staat und Putz hier zu finden! Wiſſe, dies iſt der Abſchied, den ich von der Welt zu nehmen gedenke, und damit will ich zugleich die Neigung ablegen, die ich leider zu dir empfinden muß. Allein dazu ſollſt du mir helfen nach deinem beſten Vermögen und auf die Art, wie ich mir aus¬ gedacht habe und wie ich von dir verlange. Wenn du nämlich in dieſem Gewande und als geiſtlicher Mann zu mir ſprichſt, ſo iſt das immer das Gleiche, und das Gebaren eines Klerikers vermag mich nicht zu überzeugen, da ich der Welt angehöre. Ich kann nicht durch einen Mönch von der Liebe geheilt wer¬115 den, da er ſie nicht kennt und nicht weiß, von was er ſpricht. Iſt es dir daher recht, mir Ruhe zu geben und mich dem Himmel zuzuwenden, ſo geh 'in jenes Kämmerlein, wo weltliche Gewänder bereit lie¬ gen. Dort vertauſche deinen Mönchshabit mit jenen, ſchmücke dich als Weltmann, ſetze dich nach¬ her zu mir, um gemeinſam mit mir ein kleines Mahl einzunehmen, und in dieſer weltlichen Lage biete alsdann all' deinen Scharfſinn und Verſtand auf, mich von dir ab und der Gottſeligkeit zuzu¬ drängen! “
Vitalis erwiederte hierauf nichts, ſondern beſann ſich eine Weile; ſodann beſchloß er, alle Beſchwerde nun mit Einem Schlage zu enden und den Welt¬ teufel wirklich mit ſeinen eigenen Waffen zu Paaren zu treiben, indem er auf Joles eigenſinnigen Vor¬ ſchlag einginge.
Er begab ſich alſo wirklich in das anſtoßende Gemach, wo ein paar Knechtlein mit prächtigen Ge¬ wändern in Linnen und Purpur ſeiner harrten. Kaum hatte er dieſelben angezogen, ſo ſchien er um einen Kopf höher zu ſein, und er ſchritt mit edlem Anſtand zu Jolen zurück, welche mit den Augen an ihm hing und freudevoll in die Hände klatſchte.
Nun geſchah aber ein wahres Wunder und eine ſeltſame Umwandelung mit dem Mönch; denn kaum116 ſaß er in ſeinem weltlichen Staat neben dem anmuth¬ vollen Weibe, ſo war die nächſte Vergangenheit wie weggeblaſen aus ſeinem Gehirn und er vergaß gänz¬ lich ſeines Vorſatzes. Anſtatt ein einziges Wort her¬ vorzubringen, lauſchte er begierig auf Joles Worte, welche ſeine Hand ergriffen hatte und ihm nun ihre wahre Geſchichte erzählte, nämlich wer ſie ſei, wo ſie wohne und wie es ihr ſehnlichſter Wunſch wäre, daß er ſeine eigenthümliche Lebensweiſe verlaſſen und bei ihrem Vater ſich um ihre Hand bewerben möchte, auf daß er ein guter und Gott gefälliger Ehemann würde. Sie ſagte noch viele wunderſame Dinge in den zierlichſten Worten, über eine glückliche und tugendreiche Liebesgeſchichte, ſchloß aber mit dem Seuf¬ zer, daß ſie wohl einſehe, wie vergeblich ihre Sehn¬ ſucht ſei, und daß er nun ſich bemühen möge, ihr alle dieſe Dinge auszureden, aber nicht, bevor er ſich durch Speiſe und Trank gehörig dazu geſtärkt habe.
Nun trugen auf ihren Wink ihre Leute Trink¬ gefäße auf den Tiſch nebſt einem Körbchen mit Back¬ werk und Früchten. Jole miſchte dem ſtillen Vitalis eine Schale Wein und reichte ihm liebevoll etwas zu eſſen, ſo daß er ſich wie zu Hauſe fühlte und ihm faſt ſeine Kinderjahre in den Sinn kamen, wo er als Knäbchen zärtlich von ſeiner Mutter geſpeiſ't worden. Er aß und trank, und als dies geſchehen, da war117 es ihm, als ob er nun vorerſt von langer Mühſal ausruhen möchte, und ſiehe da, mein Vitalis neigte ſein Haupt zur Seite, nach Jolen hin, und ſchlief ohne Säumniß ein und bis die Sonne aufging.
Als er erwachte, war er allein und Niemand weder zu ſehen noch zu hören. Heftig ſprang er auf und erſchrack über das glänzende Gewand in dem er ſteckte; haſtig ſtürmte er durch das Haus von oben bis unten, ſeine Mönchskutte zu ſuchen; aber nicht die kleinſte Spur war davon zu finden, bis er in einem kleinen Höfchen Kohlen und Aſche ſah, auf welchen ein halbverbrannter Aermel ſeines Prieſter¬ gewandes lag, ſo daß er mit Recht vermuthete, das¬ ſelbe ſei hier feierlich verbrannt worden.
Er ſteckte nun vorſichtig den Kopf bald durch dieſe, bald durch jene Oeffnung auf die Straße und zog ſich jedesmal zurück, wenn Jemand nahte. End¬ lich warf er ſich auf das ſeidene Ruhebett, ſo bequem und läßig, als ob er nie auf einem harten Mönchs¬ lager geruht hätte; dann raffte er ſich zuſammen, ordnete das Gewand und ſchlich aufgeregt an die Hausthüre. Dort zögerte er noch ein Weilchen; plötz¬ lich aber riß er ſie weit auf und ging mit Glanz und Würde in's Freie. Niemand erkannte ihn, Alles hielt ihn für einen großen Herrn aus der Ferne, welcher ſich hier zu Alexandria einige gute Tage mache.
118Er ſah indeſſen weder rechts noch links, ſonſt würde er Jole auf der Zinne ihres Hauſes geſehen haben. So ging er denn geraden Weges nach ſeinem Kloſter, wo aber ſämmtliche Mönche ſammt ihrem Vorſteher eben beſchloſſen hatten, ihn aus ihrer Mitte zu verſtoßen, weil das Maß ſeiner Sünden nun voll ſei und er nur zum Aergerniß und Schaden der Kirche gereiche. Als ſie ihn gar in ſeinem weltlichen hoffärtigen Aufzuge ankommen ſahen, ſtieß das dem Faße ihrer Langmuth vollends den Boden aus; ſie beſprengten und begoßen ihn mit Waſſer von allen Seiten und trieben ihn mit Kreuzen, Beſen, Gabeln und Kochlöffeln aus dem Kloſter.
Dieſe ſchnöde Behandlung wäre ihm zu anderer Zeit ein Hochgenuß und Triumph ſeines Märtyr¬ thums geweſen. Jetzt lachte er zwar auch innwendig, aber in ziemlich anderm Sinne. Noch ging er ein¬ mal um die Ringmauern der Stadt herum und ließ ſeinen rothen Mantel im Winde fliegen; eine herr¬ liche Luft wehte vom heiligen Lande her über das blitzende Meer, aber Vitalis wurde immer weltlicher im Gemüth und unverſehens lenkte er ſeinen Gang wieder in die geräuſchvollen Straßen der Stadt, ſuchte des Haus, wo Jole wohnte, und erfüllte deren Willen.
Er wurde jetzt ein eben ſo trefflicher und voll¬119 kommener Weltmann und Gatte, als er ein Märty¬ rer geweſen war; die Kirche aber, als ſie den wah¬ ren Thatbeſtand vernahm, war untröſtlich über den Abgang eines ſolchen Heiligen und wendete Alles an, den Flüchtigen wieder in ihren Schoß zu ziehen. Allein Jole hielt ihn feſt und meinte, er ſei bei ihr gut genug aufgehoben.
Am ſüdlichen Ufer des Pontus euxinus, unweit der Mündung des Fluſſes Halys, lag im Lichte des hellſten Frühlingsmorgens ein römiſches Landhaus. Von den Waſſern des Pontus her trug ein Nordoſt¬ wind erfriſchende Kühle durch die Gärten, daß es den Heiden und den heimlichen Chriſten ſo wohlig zu Muthe war, wie den zitternden Blättern an den Bäumen.
In einer Laube am Meere ſtand abgeſchieden von der übrigen Welt ein junges Paar, ein hübſcher jun¬ ger Mann gegenüber dem allerzarteſten Mädchen. Dieſes hielt eine große, ſchöngeſchnittene Schaale empor, aus durchſcheinendem röthlichem Steine ge¬ macht, um ſie von dem Jünglinge bewundern zu laſſen, und die Morgenſonne ſtrahlte gar herrlich durch die Schaale, deren rother Schein auf dem Ge¬ ſichte des Mädchens deſſen eigenes Erröthen verbarg.
Es war die Patrizierstochter Dorothea, um welche ſich Fabrizius, der Statthalter der Provinz Kappa¬124 docien, heftig bewarb. Da er aber ein pedantiſcher Chriſtenverfolger war und Dorotheas Eltern ſich von der neuen Weltanſchauung angezogen fühlten und dieſelbe ſich fleißig anzueignen ſuchten, ſo ſträubten ſie ſich ſo gut als möglich gegen das Andrängen des mächtigen Inquiſitoren. Nicht daß ſie etwa ihre Kinder in geiſtliche Kämpfe hineinziehen und deren Herzen als Kaufſchillinge des Glaubens verwerthen wollten; hiezu waren ſie zu edel und frei geſinnt. Allein ſie dachten eben, ein religiöſer Menſchenquäler ſei jederzeit auch ein ſchlechter Herzensbefriediger.
Dieſe Erwägung brauchte Dorothea ſelbſt zwar nicht anzuſtellen, da ſie ein anderes Schutzmittel gegen die Bewerbung des Statthalters beſaß, nämlich die Neigung zu deſſen Geheimſchreiber Theophilus, der eben jetzt bei ihr ſtand und ſeltſam in die röthliche Schaale blickte.
Theophilus war ein ſehr wohlgebildeter und feiner Menſch von helleniſcher Abkunft, der ſich aus widrigen Schickſalen emporgeſchwungen und bei Jeder¬ mann eines guten Anſehens genoß. Aber von der Noth ſeiner Jugend her war ihm ein etwas mißtrauiſches und verſchloſſenes Weſen geblieben, und indem er ſich mit dem, was er ſich ſelbſt verdankte, begnügte, glaubte er nicht leicht, daß ihm irgend Jemand aus freien Stücken beſonders zugethan ſei. Er ſah die125 junge Dorothea für ſein Leben gern; aber ſchon der Umſtand, daß der vornehmſte Mann in Kappadocien ſich um ſie bewarb, hielt ihn ab, etwas für ſich zu hoffen, und um keinen Preis hätte er neben dieſem Herrn eine lächerliche Figur machen mögen.
Nichts deſto weniger ſuchte Dorothea ihre Wünſche zu einem guten Ziele zu führen und ſich vor der Hand ſo oft als möglich ſeiner Gegenwart zu ver¬ ſichern. Und da er fortwährend ruhig und gleich¬ gültig ſchien, ſteigerte ſich ihre Leidenſchaft bis zu mißlichen kleinen Liſten und ſie ſuchte ihn durch die Eiferſucht in Bewegung zu bringen, indem ſie ſich mit dem Statthalter Fabrizius zu ſchaffen zu machen und freundlicher gegen denſelben zu werden ſchien. Aber der arme Theophil verſtand dergleichen Spaß gar nicht, und wenn er ihn verſtanden hätte, ſo wäre er viel zu ſtolz geweſen, ſich eiferſüchtig zu zeigen. Dennoch wurde er allmälig hingeriſſen und verwirrt, ſo daß er ſich zuweilen verrieth, aber ſofort wieder zuſammen nahm und verſchloß, und der zarten Ver¬ liebten blieb nichts anderes übrig, als etwas gewalt¬ ſam vorzugehen und bei Gelegenheit das Netz un¬ verſehens zuzuziehen.
Er hielt ſich in Staatsgeſchäften in der pontiſchen Landſchaft auf, und Dorothea, dies wiſſend, war ihren Eltern aus Cäſarea für die angebrochenen126 Frühlingstage auf das Landgut gefolgt. So hatte ſie ihn an dieſem Morgen auf mühevoll ausgedachte und kluge Weiſe in die Laube zu bringen gewußt, halb wie aus Zufall, halb wie mit freundlicher Ab¬ ſicht, daß beides ihn, das gute Geſchick und die er¬ zeigte Freundlichkeit, heiter und zutraulich ſtimmen ſollten und es auch thaten.
Sie wollte ihm die Vaſe zeigen, die ihr ein wohl¬ wollender Oheim zum Namensfeſt aus Trapezunt herübergeſendet hatte. Ihr Geſicht ſtrahlte in reiner Freude, den Geliebten ſo nah und einſam bei ſich ſehen und ihm etwas Schönes zeigen zu können, und auch ihm ward wirklich froh zu Muth; die Sonne ging endlich voll in ihm auf, ſo daß er nicht mehr hindern konnte, daß ſein Mund gläubig lachte und ſeine Augen glänzten.
Aber die Alten haben vergeſſen, neben dem holden Eros die neidiſche Gottheit zu nennen, welche im ent¬ ſcheidenden Augenblicke, wenn das Glück dicht am nächſten ſteht, den Liebenden einen Schleier über die Augen wirft und ihnen das Wort im Munde verdreht.
Als ſie ihm die Schaale vertrauensvoll in die Hände gab und er fragte, wer ſie geſchenkt habe, da verleitete ſie ein freudiger Uebermuth zu der Schalkheit, daß ſie antwortete: „ Fabrizius “! und ſie war dabei des ſicheren Gefühles, daß er den Scherz127 nicht mißverſtehen könne. Da ſie jedoch unfähig war, ihrem froh erregten Lächeln jenen Zug von Spott über den genannten Abweſenden beizumiſchen, welcher den Scherz deutlich gemacht hätte, ſo glaubte Theo¬ philus feſt, ihre holde ehrliche Freude gelte nur dem Geſchenk und deſſen Geber und er ſei arg in eine Falle gegangen, indem er einen Kreis übertreten, der ſchon geſchloſſen und ihm fremd ſei. Stumm und beſchämt ſchlug er die Augen nieder, fing an zu zit¬ tern und ließ das glänzende Schauſtück zu Boden fallen, wo es in Stücke zerſprang.
Im erſten Schreck vergaß Dorothea ihren Scherz gänzlich und auch ein wenig den Theophilus und bückte ſich nur bekümmert nach den Scherben, indem ſie rief: „ Wie ungeſchickt! “ohne ihn anzuſehen, ſo daß ſie jene Veränderung in ſeinem Geſichte nicht bemerkte und keine Ahnung von ſeinem Mißverſtändniſſe hatte.
Als ſie ſich wieder aufrichtete und ſich ſchnell faſſend zu ihm wendete, hatte ſich Theophilus ſchon ſtolz zuſammengerafft. Finſter und gleichgültig drein ſchauend, blickte er ſie an, bat ſie beinahe ſpöttiſch um Verzeihung, einen vollen Erſatz für das verun¬ glückte Gefäß verheißend, grüßte und verließ den Garten.
Erblaſſend und traurig ſah ſie ſeiner ſchlanken Geſtalt nach, welche die weiße Toga feſt an ſich zog128 und den ſchwarzen Krauskopf wie in fern abſchweifen¬ den Gedanken zur Seite neigte.
Die Wellen des ſilbernen Meeres ſchlugen ſanft und langſam gegen die Marmorſtufen des Ufers, ſtille war es ſonſt weit umher und Dorothea mit ihren kleinen Künſten zu Ende.
Weinend ſchlich ſie mit den zuſammengeleſenen Scherben der Schaale nach ihrem Gemach, um ſie dort zu verbergen.
Sie ſahen ſich jetzt manche Monate nicht mehr; Theophilus kehrte unverweilt nach der Hauptſtadt zurück und als auch Dorothea im Herbſte wieder kam, vermied er ſorgfältig jedes Zuſammentreffen, da ihn ſchon die Möglichkeit, ihr zu begegnen, erſchreckte und aufregte, und ſo war die ganze Herrlichkeit für ein¬ mal zu Ende.
Es begab ſich nun auf natürliche Art, daß ſie Troſt ſuchte in dem neuen Glauben ihrer Eltern und ſobald dieſe es vermerkten, ſäumten ſie nicht, ihr Kind darin zu beſtärken und ſie ganz in ihre Glaubens - und Ausdrucksweiſen einzuführen.
Inzwiſchen hatten jene ſcheinbaren Freundlichkeiten Dorotheas auf den Statthalter ebenfalls ihre unglück¬ liche Wirkung geübt, ſo daß Fabrizius mit verdoppel¬ ter Heftigkeit ſeine Bewerbung erneuerte und ſich hiezu für berechtigt hielt. Um ſo betroffener war auch er,129 als Dorothea ihn kaum mehr anzublicken vermochte und er ihr mehr zuwider geworden zu ſein ſchien, als das Unglück ſelbſt. Allein er zog ſich deßhalb nicht zurück; vielmehr ſteigerte er ſeine Zudringlich¬ keit, indem er zugleich anfing, wegen ihres neuen Glaubens zu zanken und ihr Gewiſſen zu bedrängen, Schmeicheleien mit ſchlecht verhehlten Bedrohungen vermiſchend.
Dorothea jedoch bekannte ſich offen und furchtlos zu ihrem Glauben und wendete ſich von ihm weg, wie von einem weſenloſen Schatten, den man nicht ſieht.
Theophil hörte von all dieſem und wie das gute Mädchen nicht die beſten Tage hätte. Am meiſten überraſchte ihn die Kunde, daß ſie von dem Pro¬ konſul ſchlechterdings nichts wiſſen wolle. Obgleich er in Anſehung der Religion altweltlich oder gleich¬ gültig geſinnt war, nahm er doch kein Aergerniß an dem neuen Glauben des Mädchens und begann voll Theilnahme ſich wieder mehr zu nähern, um etwa beſſer zu ſehen und zu hören, wie es ihr ginge. Aber wo ſie ſtand und ging, ſprach ſie jetzt nichts, als in den zärtlichſten und ſehnſüchtigſten Ausdrücken von einem himmliſchen Bräutigam, den ſie gefunden, der in unſterblicher Schönheit ihrer warte, um ſie an ſeine leuchtende Bruſt zu nehmen und ihr die Roſe des ewigen Lebens zu reichen u. ſ. w.
Keller, Sieben Legenden. 9130Dieſe Sprache verſtand er ganz und gar nicht, ſie ärgerte und kränkte ihn und erfüllte ſein Herz mit einer ſeltſam peinlichen Eiferſucht gegen den un¬ bekannten Gott, welcher den Sinn des ſchwachen Weibes bethöre; denn er konnte die Ausdrucksweiſe der aufgeregten und verlaſſenen Dorothea auf keine andere, als auf alt mythologiſche Manier verſtehen und erklären. Gegen einen Ueberirdiſchen aber eifer¬ ſüchtig zu ſein, verletzte ſeinen Stolz nicht mehr, ſo¬ wie auch das Mitleid für ein Weib verſtummte, welches ſich der Vereinigung mit Göttern rühmte. Und doch war es nur die fruchtloſe Liebe zu ihm, welche ihr jene Reden in den Mund gab, ſowie er ſelbſt den Stachel der Leidenſchaft fortwährend im Herzen behielt.
So zog ſich der Zuſtand eine kleine Weile hin, als Fabrizius unverſehens denſelben gewaltſam an¬ packte. Erneuerte kaiſerliche Befehle zur Chriſten¬ verfolgung zum Vorwand nehmend, ließ er Dorothea mit ihren Eltern gefangen ſetzen, die Tochter jedoch getrennt in einen Kerker werfen und um ihren Glauben peinlich verhören. Neugierig näherte er ſich ſelbſt und hörte, wie ſie laut die alten Götter ſchmähte, ſich zu Chriſto als dem alleinigen Herrn der Welt bekannte, dem ſie als Braut anverlobt ſei. Da be¬ fiel auch den Statthalter eine grimmige Eiferſucht. Er131 beſchloß ihre Vernichtung und befahl ſie zu martern, und, wenn ſie beharre, zu tödten. Dann ging er weg. Sie wurde auf einen eiſernen Roſt gelegt, unter welchem Kohlen in der Art entfacht waren, daß die Hitze nur langſam anſtieg. Aber es that dem zarten Körper doch weh. Sie ſchrie gedämpft einige Male, indem ihre an den Roſt gefeſſelten Glieder ſich bewegten und Thränen aus ihren Augen floßen. Unterdeſſen hatte Theophilus, der ſich von jeder Be¬ theiligung an ſolchen Verfolgungen fern zu halten pflegte, von der Sache gehört und war voll Unruhe und Schrecken herbeigeeilt; die eigene Sicherheit ver¬ geſſend, drängte er ſich durch das gaffende Volk, und als er nun Dorothea ſelber leiſe klagen hörte, ent¬ riß er einem Soldaten das Schwert und ſtand mit einem Sprunge vor ihrem Marterbette.
„ Thut es weh, Dorothea? “ſagte er ſchmerzlich lächelnd, im Begriffe, ihre Bande zu durchſchneiden. Aber ſie antwortete, plötzlich wie von allem Schmerz verlaſſen und von größter Wonne erfüllt: „ Wie ſollte es weh thun, Theophilus? Das ſind ja die Roſen meines vielgeliebten Bräutigams, auf denen ich liege! Siehe, heute iſt meine Hochzeit!
Gleich einem feinen lieblichen Scherze ſchwebte es um ihre Lippen, während ihre Augen voll Seligkeit auf ihn blickten. Ein überirdiſcher Glanz ſchien ſie132 ſammt ihrem Lager zu verklären, eine feierliche Stille verbreitete ſich, Theophilus ließ das Schwert ſinken, warf es weg und trat wiederum beſchämt und betre¬ ten zurück, wie an jenem Morgen in dem Gar¬ ten am Meere.
Da brannte die Gluth aufs Neue, Dorothea ſeufzte auf und verlangte nach dem Tode. Der wurde ihr denn auch gewährt, ſo daß ſie auf den Richtplatz hinausgeführt wurde, um dort enthauptet zu werden.
Leichten Schrittes ging ſie einher, gefolgt von dem gedankenloſen und lärmenden Volke. Sie ſah den Theophilus am Wege ſtehen, der kein Auge von ihr wandte. Ihre Blicke begegneten ſich, Dorothea ſtand einen Augenblick ſtill und ſagte anmuthig zu ihm: „ O Theophilus, wenn du wüßteſt, wie ſchön und herrlich die Roſengärten meines Herren ſind, in welchen ich in wenigen Augenblicken wandeln werde, und wie gut ſeine ſüßen Aepfel ſchmecken, die dort wachſen, du würdeſt mit mir kommen! “
Da erwiederte Theophilus bitter lächelnd: „ Weißt Du was, Dorothea? Sende mir einige von deinen Roſen und Aepfeln, wenn du dort biſt, zur Probe! “
Da nickte ſie freundlich und zog ihres Weges weiter.
Theophilus blickte ihr nach, bis die von der133 Abendſonne vergoldete Staubwolke, welche den Zug begleitete, in der Ferne verſchwand und die Straße leer und ſtille war. Dann ging er mit verhülltem Haupte nach ſeinem Hauſe und beſtieg wankenden Schrittes deſſen Zinne, von wo aus man nach dem Argeusgebirge hinſchauen konnte, auf deſſen Vor¬ hügeln einem der Richtplatz gelegen war. Er konnte gar wohl ein dunkles Menſchengewimmel dort erkennen und breitete ſehnſüchtig ſeine Arme nach jener Gegend aus. Da glaubte er im Glanze der ſcheidenden Sonne das fallende Beil aufblitzen zu ſehen und ſtürzte zuſammen, mit dem Geſichte auf den Boden hingeſtreckt. Und in der That war Dorothea's Haupt um dieſe Zeit gefallen.
Aber nicht lange war er reglos ſo gelegen, als ein heller Glanz die Dämmerung erleuchtete und blen¬ dend unter Theophils Hände drang, auf denen ſein Geſicht lag, und in ſeine verſchloſſenen Augen ſich er¬ goß, wie ein flüſſiges Gold. Gleichzeitig erfüllte ein feiner Wohlgeruch die Luft. Wie von einem ungekann¬ ten neuen Leben erfüllt, richtete der junge Mann ſich auf; ein wunderſchöner Knabe ſtand vor ihm, mit goldenen Ringelhaaren, in ein ſternenbeſäetes Gewand gekleidet und mit leuchtenden nackten Füßen, der in den ebenſo leuchtenden Händen ein Körbchen trug. Das Körbchen war gefüllt mit den ſchönſten Roſen,134 dergleichen man nie geſehen, und in dieſen Roſen lagen drei paradieſiſche Aepfel.
Mit einem unendlich treuherzigen und offenen Kinderlächeln und doch nicht ohne eine gewiſſe an¬ muthige Liſt ſagte das Kind: „ Dies ſchickt dir Doro¬ thea! “gab ihm das Körbchen in die Hände, indem es noch fragte: „ Hältſt du's auch? “und verſchwand.
Theophilus hielt das Körbchen wirklich in Händen, das nicht verſchwunden war; die drei Aepfel waren leicht angebiſſen von zwei zierlichen Zähnen, wie es unter den Liebenden des Alterthums gebräuchlich war. Er aß dieſelben langſam auf, den entflammten Ster¬ nenhimmel über ſich. Eine gewaltige Sehnſucht durch¬ ſtrömte ihn mit ſüßem Feuer und, das Körbchen an die Bruſt drückend, es mit dem Mantel verhüllend, eilte er vom Hausdache herunter, durch die Straßen und in den Palaſt des Statthalters, der beim Mahle ſaß und einen wilden Aerger, der ihn erfüllte, mit unvermiſchtem Cholcher Wein zu betäuben ſuchte.
Mit glänzenden Augen trat Theophilus vor ihn, ohne ſein Körbchen zu enthüllen, und rief vor dem ganzen Hauſe: „ Ich bekenne mich zu Dorothea's Glauben, die ihr ſo eben getödtet habt, es iſt der allein wahre! “
„ So fahre der Hexe nach! “antwortete der Statt¬ halter, der von jähem Zorne und von einem glühenden135 Neide gepeinigt aufſprang und den Geheimſchreiber noch in derſelben Stunde enthaupten ließ.
So war Theophilus noch am gleichen Tage für immer mit Dorotheen vereinigt. Mit dem ruhigen Blicke der Seligen empfieng ſie ihn; wie zwei Tau¬ ben, die, vom Sturme getrennt, ſich wieder gefunden und erſt in weitem Kreiſe die Heimath umziehen, ſo ſchwebten die Vereinigten Hand in Hand, eilig, eilig und ohne Raſten an den äußerſten Ringen des Him¬ mels dahin, befreit von jeder Schwere und doch ſie ſelber. Dann trennten ſie ſich ſpielend und verloren ſich in weiter Unendlichkeit, während Jedes wußte, wo das andere weile und was es denke, und zugleich mit ihm alle Creatur und alles Daſein mit ſüßer Liebe umfaßte. Dann ſuchten ſie ſich wieder mit wachſendem Verlangen, das keinen Schmerz und keine Ungeduld kannte; ſie fanden ſich und wallten wieder vereinigt dahin oder ruhten im Anſchauen ihrer ſelbſt und ſchauten die Nähe und Ferne der unendlichen Welt. Aber einſt geriethen ſie in holdeſtem Vergeſſen zu nahe an das kryſtallene Haus der heiligen Drei¬ faltigkeit und gingen hinein; dort verging ihnen das Bewußtſein, indem ſie, gleich Zwillingen unter dem Herzen ihrer Mutter, entſchliefen und wahrſcheinlich noch ſchlafen, wenn ſie inzwiſchen nicht wieder haben hinauskommen können.
Du Jungfrau Israel, du ſollſt noch fröhlich pauken, und herausgehen an den Tanz. — Alsdann werden die Jungfrauen fröhlich am Reigen ſein, dazu die junge Mannſchaft, und die Alten miteinander.
Nach der Aufzeichnung des heiligen Gregorius war Muſa die Tänzerin unter den Heiligen. Guter Leute Kind, war ſie ein anmuthvolles Jungfräulein, welches der Mutter Gottes fleißig diente und nur von einer Leidenſchaft bewegt war, nämlich von einer unbezwing¬ lichen Tanzluſt, dermaßen, daß wenn das Kind nicht betete, es unfehlbar tanzte. Und zwar auf jegliche Weiſe. Muſa tanzte mit ihren Geſpielinnen, mit Kindern, mit den Jünglingen und auch allein; ſie tanzte in ihrem Kämmerchen, im Saale, in den Gär¬ ten und auf den Wieſen, und ſelbſt wenn ſie zum Altare ging, ſo war es mehr ein liebliches Tanzen als ein Gehen, und auf den glatten Marmorplatten vor der Kirchenthüre verſäumte ſie nie, ſchnell ein Tänzchen zu probiren.
Ja, eines Tages, als ſie ſich allein in der Kirche befand, konnte ſie ſich nicht enthalten, vor dem Altar einige Figuren auszuführen und gewiſſermaßen der Jungfrau Maria ein zierliches Gebet vorzutanzen. 140Sie vergaß ſich dabei ſo ſehr, daß ſie blos zu träu¬ men wähnte, als ſie ſah, wie ein ältlicher aber ſchöner Herr ihr entgegen tanzte und ihre Figuren ſo gewandt ergänzte, daß beide zuſammen den kunſtgerechteſten Tanz begingen. Der Herr trug ein purpurnes Königs¬ kleid, eine goldene Krone auf dem Kopf und einen glänzend ſchwarzen gelockten Bart, welcher vom Silber¬ reif der Jahre wie von einem fernen Sternenſchein überhaucht war. Dazu ertönte eine Muſik vom Chore her, weil ein halbes Dutzend kleiner Engel auf der Brüſtung deſſelben ſtand oder ſaß, die dicken runden Beinchen darüber hinunterhängen ließ und die ver¬ ſchiedenen Inſtrumente handhabte oder blies. Dabei waren die Knirpſe ganz gemüthlich und praktiſch und ließen ſich die Notenhefte von ebenſoviel ſteinernen Engelsbildern halten, welche ſich als Zierrath auf dem Chorgeländer fanden; nur der Kleinſte, ein paus¬ bäckiger Pfeifenbläſer, machte eine Ausnahme, indem er die Beine übereinander ſchlug und das Notenblatt mit den roſigen Zehen zu halten wußte. Auch war der am eifrigſten: die Uebrigen baumelten mit den Füßen, dehnten, bald dieſer, bald jener, kniſternd die Schwungfedern aus, daß die Farben derſelben ſchim¬ merten wie Taubenhälſe, und neckten einander wäh¬ rend des Spieles.
Ueber alles dies ſich zu wundern, fand Muſa nicht141 Zeit, bis der Tanz beendigt war, der ziemlich lang dauerte; denn der luſtige Herr ſchien ſich dabei ſo wohl zu gefallen, als die Jungfrau, welche im Him¬ mel herumzuſpringen meinte. Allein als die Muſik aufhörte und Muſa hochaufathmend daſtand, fing ſie erſt an, ſich ordentlich zu fürchten und ſah erſtaunt auf den Alten, der weder keuchte noch warm hatte und nun zu reden begann. Er gab ſich als David, den königlichen Ahnherrn der Jungfrau Maria zu er¬ kennen und als deren Abgeſandten. Und er fragte ſie, ob ſie wohl Luſt hätte, die ewige Seligkeit in einem[unaufhörlichen] Freudentanze zu verbringen, einem Tanze, gegen welchen der ſo eben beendigte ein trübſeliges Schleichen zu nennen ſei?
Worauf ſie ſogleich erwiederte, ſie wüßte ſich nichts Beſſeres zu wünſchen! Worauf der ſelige König David wiederum ſagte: Wohlan, ſo habe ſie nichts anderes zu thun, als während ihrer irdiſchen Lebens¬ lage aller Luſt und allem Tanze zu entſagen und ſich lediglich der Buße und den geiſtlichen Uebungen zu weihen, und zwar ohne Wanken und ohne allen Rückfall.
Dieſe Bedingung machte das Jungfräulein ſtutzig und ſie ſagte: Alſo gänzlich müßte ſie auf das Tanzen verzichten? Und ſie zweifelte, ob denn auch im Him¬ mel wirklich getanzt würde? Denn Alles habe ſeine142 Zeit; dieſer Erdboden ſchiene ihr gut und zweckdien¬ lich, um darauf zu tanzen, folglich würde der Himmel wohl andere Eigenſchaften haben, anſonſt ja der Tod ein überflüſſiges Ding wäre.
Allein David ſetzte ihr auseinander, wie ſehr ſie in dieſer Beziehung im Irrthum ſei, und bewies ihr durch viele Bibelſtellen ſowie durch ſein eigenes Bei¬ ſpiel, daß das Tanzen allerdings eine geheiligte Be¬ ſchäftigung für Selige ſei. Jetzt aber erfordere es einen raſchen Entſchluß, ja oder nein, ob ſie durch zeitliche Entſagung zur ewigen Freude eingehen wolle oder nicht; wolle ſie nicht, ſo gehe er weiter; denn man habe im Himmel noch einige Tänzerinnen von Nöthen.
Muſa ſtand noch immer zweifelhaft und unſchlüſſig und ſpielte ängſtlich mit den Fingerſpitzen am Munde; es ſchien ihr zu hart, von Stund an nicht mehr zu tanzen um eines unbekannten Lohnes willen.
Da winkte David und plötzlich ſpielte die Muſik einige Takte einer ſo unerhört glückſeligen, überirdi¬ diſchen Tanzweiſe, daß dem Mädchen die Seele im Leibe hüpfte und alle Glieder zuckten; aber ſie ver¬ mochte nicht eines zum Tanze zu regen und ſie merkte, daß ihr Leib viel zu ſchwer und ſtarr ſei für dieſe Weiſe. Da ſchlug ſie voll Sehnſucht ihre Hand in diejenige des Königs und gelobte das, was er begehrte.
143Da war er nicht mehr zu ſehen und die muſizi¬ renden Engel rauſchten, flatterten und drängten ſich durch ein offenes Kirchenfenſter davon, nachdem ſie in muthwilliger Kinderweiſe ihre zuſammengerollten No¬ tenblätter den geduldigen Steinengeln um die Backen geſchlagen hatten, daß es klatſchte.
Da ging Muſa andächtigen Schrittes nach Hauſe, jene himmliſche Melodie im Ohr tragend, und ließ ſich ein grobes Gewand anfertigen, legte alle Zier¬ kleidung ab und zog jenes an. Zugleich baute ſie ſich im Hintergrunde des Gartens ihrer Eltern, wo ein dichter Schatten von Bäumen lagerte, eine Zelle, machte ein Bettchen von Moos darin und lebte dort von nun an abgeſchieden von ihren Hausgenoſſen als eine Büßerin und Heilige. Alle Zeit brachte ſie im Gebete zu und öfter ſchlug ſie ſich mit einer Geißel; aber ihre härteſte Bußübung beſtand darin, die Beine ſtill und ſteif zu halten; ſobald nur ein Ton erklang, das Zwitſchern eines Vogels oder das Rauſchen der Blätter in der Luft, ſo zuckten ihre Füße und mein¬ ten, ſie müßten tanzen.
Als dies unwillkürliche Zucken ſich nicht verlieren wollte, welches ſie, zuweilen, ehe ſie ſich deſſen verſah, zu einem kleinen Sprung verleitete, ließ ſie ſich die feinen Füßchen mit einer leichten Kette zuſammen¬ ſchmieden. Ihre Verwandten und Freunde wunderten144 ſich über die Umwandlung Tag und Nacht, freuten ſich über den Beſitz einer ſolchen Heiligen und hüteten die Einſiedelei unter den Bäumen wie einen Augapfel. Viele kamen, Rath und Fürbitte zu holen. Vorzüg¬ lich brachte man junge Mädchen zu ihr, welche etwas träg und unbeholfen auf den Füßen waren, da man bemerkt hatte, daß alle, welche ſie berührt, alſobald leichten und anmuthvollen Ganges wurden.
So brachte ſie drei Jahre in ihrer Klauſe zu; aber gegen das Ende des dritten Jahres war Muſa faſt ſo dünn und durchſichtig wie ein Sommerwölk¬ lein geworden. Sie lag beſtändig auf ihrem Bettchen von Moos und ſchaute voll Sehnſucht in den Himmel, und ſie glaubte ſchon die goldenen Sohlen der Seli¬ gen durch das Blau hindurch tanzen und ſchleifen zu ſehen.
An einem rauhen Herbſttage endlich hieß es, die Heilige liege im Sterben. Sie hatte ſich das dunkle Bußkleid ausziehen und mit blendend weißen Hochzeits¬ gewändern bekleiden laſſen. So lag ſie mit gefal¬ teten Händen und erwartete lächelnd die Todesſtunde. Der ganze Garten war mit andächtigen Menſchen angefüllt, die Lüfte rauſchten und die Blätter der Bäume ſanken von allen Seiten hernieder. Aber un¬ verſehens wandelte ſich das Wehen des Windes in Muſik, in allen Baumkronen ſchien dieſelbe zu ſpie¬145 len, und als die Leute emporſahen, ſiehe, da waren alle Zweige mit jungem Grün bekleidet, die Myrthen und Granaten blühten und dufteten, der Boden be¬ deckte ſich mit Blumen und ein roſenfarbiger Schein lagerte ſich auf die weiße zarte Geſtalt der Ster¬ benden.
In dieſem Augenblicke gab ſie ihren Geiſt auf, die Kette an ihren Füßen ſprang mit einem hellen Klange entzwei, der Himmel that ſich auf weit in der Runde, voll unendlichen Glanzes, und Jedermann konnte hinein ſehen. Da ſah man viel tauſend ſchöne Jungfern und junge Herren im höchſten Schein, tanzend im unabſehbaren Reigen. Ein herrlicher König fuhr auf einer Wolke, auf deren Rand eine kleine Extramuſik von ſechs Engelchen ſtand, ein wenig gegen die Erde und empfing die Geſtalt der ſeligen Muſa vor den Augen aller Anweſenden, die den Garten füllten. Man ſah noch, wie ſie in den offenen Himmel ſprang und augenblicklich tanzend ſich in den tönenden und leuchtenden Reihen verlor.
Im Himmel war eben hoher Feſttag; an Feſt¬ tagen aber war es, was zwar vom heiligen Gregor von Nyſſa beſtritten, von demjenigen von Razianz aber aufrecht gehalten wird, Sitte, die neun Muſen, die ſonſt in der Hölle ſaßen, einzuladen und in den Himmel zu laſſen, daß ſie da Aushülſe leiſteten. SieKeller, Sieben Legenden. 10146bekamen gute Zehrung, mußten aber nach verrichteter Sache wieder an den andern Ort gehen.
Als nun die Tänze und Geſänge und alle Cere¬ monien zu Ende und die himmliſchen Heerſchaaren ſich zu Tiſche ſetzten, da wurde Muſa an den Tiſch gebracht, an welchem die neun Muſen bedient wur¬ den. Sie ſaßen faſt verſchüchtert zuſammengedrängt und blickten mit den feurigen ſchwarzen oder tiefblauen Augen um ſich. Die emſige Martha aus dem Evan¬ gelium ſorgte in eigener Perſon für ſie, hatte ihre ſchönſte Küchenſchürze umgebunden und einen zierlichen kleinen Rußfleck an dem weißen Kinn und nöthigte den Muſen alles Gute freundlich auf. Aber erſt, als Muſa und auch die heilige Cäcilia und noch andere kunſterfahrene Frauen herbei kamen und die ſcheuen Pierinnen heiter begrüßten und ſich zu ihnen geſellten, da thauten ſie auf, wurden zutraulich und es entfaltete ſich ein anmuthig fröhliches Daſein in dem Frauenkreiſe. Muſa ſaß neben Terpſichore und Cäcilia zwiſchen Polyhymnien und Euterpen und Alle hielten ſich bei den Händen. Nun kamen auch die kleinen Muſikbübchen und ſchmeichelten den ſchönen Frauen, um von den glänzenden Früchten zu bekom¬ men, die auf dem ambroſiſchen Tiſche ſtrahlten. König David ſelbſt kam und brachte einen goldenen Becher, aus dem Alle tranken, daß holde Freude ſie erwärmte;147 er ging wohlgefällig um den Tiſch herum, nicht ohne der lieblichen Erato einen Augenblick das Kinn zu ſtreicheln im Vorbeigehen. Als es dergeſtalt hoch herging an dem Muſentiſch, erſchien ſogar unſere liebe Frau in all' ihrer Schönheit und Güte, ſetzte ſich auf ein Stündchen zu den Muſen und küßte die hehre Urania unter ihrem Sternenkranze zärtlich auf den Mund, als ſie ihr beim Abſchiede zuflüſterte, ſie werde nicht ruhen, bis die Muſen für immer im Para¬ dieſe bleiben könnten.
Es iſt freilich nicht ſo gekommen. Um ſich für die erwieſene Güte und Freundlichkeit dankbar zu erweiſen und ihren guten Willen zu zeigen, rathſchlagten die Muſen untereinander und übten in einem abgelegenen Winkel der Unterwelt einen Lobgeſang ein, dem ſie die Form der im Himmel üblichen feierlichen Choräle zu geben ſuchten. Sie theilten ſich in zwei Hälften von je vier Stimmen, über welche Urania eine Art Oberſtimme führte, und brachten ſo eine merkwürdige Vokalmuſik zuwege.
Als nun der nächſte Feſttag im Himmel gefeiert wurde und die Muſen wieder ihren Dienſt thaten, nahmen ſie einen für ihr Vorhaben günſtig ſcheinen¬ den Augenblick wahr, ſtellten ſich zuſammen auf und begannen ſänftlich ihren Geſang, der bald gar mächtig anſchwellte. Aber in dieſen Räumen klang er ſo148 düſter, ja faſt trotzig und rauh, und dabei ſo ſehn¬ ſuchtsſchwer und klagend, daß erſt eine erſchrockene Stille waltete, dann aber alles Volk von Erdenleid und Heimweh, ergriffen wurde und in ein allgemeines Weinen ausbrach.
Ein unendliches Seufzen rauſchte durch die Himmel; beſtürzt eilten alle Aelteſten und Propheten herbei, indeſſen die Muſen in ihrer guten Meinung immer lauter und melancholiſcher ſangen und das ganze Pa¬ radies mit allen Erzvätern, Aelteſten und Propheten, Alles, was je auf grüner Wieſe gegangen oder ge¬ legen, außer Faſſung gerieth. Endlich aber kam die allerhöchſte Trinität ſelber heran, um zum Rechten zu ſehen und die eifrigen Muſen mit einem lang hin¬ rollenden Donnerſchlage zum Schweigen zu bringen.
Da kehrten Ruhe und Gleichmuth in den Himmel zurück; aber die armen neun Schweſtern mußten ihn verlaſſen und durften ihn ſeither nicht wieder betreten
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