Es liegt mir daran, gleich in den erſten Zeilen dieſer Niederſchrift zu beweiſen oder darzu - thun, daß ich noch zu den Gebildeten mich zählen darf. Nämlich ich habe es in Südafrika zu einem Vermögen gebracht, und das bringen Leute ohne todte Sprachen, Litteratur, Kunſt-Geſchichte und Philoſophie eigentlich am leichteſten und beſten zu Stande. Und ſo iſt es im Grunde auch das Richtige und Dien - lichſte zur Ausbreitung der Kultur; denn man kann doch nicht von jedem deutſchen Profeſſor verlangen, daß er auch nach Afrika gehe und ſein Wiſſen an den Mann, das heißt an den Buſchmann bringe; oder es im Buſche ſitzen laſſe, bloß — um ein Ver - mögen zu machen.
„ Geben wir den Beweis aus der ‚ verhängniß - vollen Gabel‘, Eduard, daß wir immer noch unſere Litteraturkunde am Bändchen haben! “ Eduard iſt nämlich mein Taufname, und Mopſus heißt bei Auguſt von Platen der Schäfer in Arkadien, welcher auf dem Vorgebürg der guten Hoffnung mit derW. Raabe. Stopfkuchen. 12Zeit ein Rittergut zu kaufen wünſcht, und Alles dieſem Zweck erſpart. “
Wie kam er drauf? fragt Damon, der Schult - heiß von Arkadien, und dieſelbe Frage an mich zu ſtellen, iſt die Welt vollauf berechtigt.
Aber vielleicht weiß grade ſie das mir mitzu - theilen! Wie kommen Menſchen dahin, wo ſie ſich, ſich beſinnend, zu eigener Verwunderung dann und wann finden?
Ich an dieſer Stelle kann nur ſo viel ſagen, daß ich glaube, den Landbriefträger Störzer als dafür verantwortlich halten zu dürfen. Meinen alten Freund Störzer. Meinen alten guten Freund von der Landſtraße der Kinderzeit in der nächſten Um - gebung meiner Heimathſtadt in Arkadien, alſo — von allen Landſtraßen und Seewegen der weiteſten Welt.
Nachdem man alſo ſeinen Berechtigungsgrund, im alten Vaterlande mitzuſprechen, wo gebildete Leute reden, auf den Tiſch gelegt hat, kann man hoffentlich weiter gehen. Dieſes thue ich jetzt mit der Zwiſchen - bemerkung, daß ich abſolut nicht ſagen kann, ob ich für das heutige Vaterland bloß nur allein ortho - graphiſch noch recht oder richtig ſchreiben kann. Es ſind ſelbſt in dieſer Richtung während meiner Ab - weſenheit zu große kleine Leute am Werke geweſen, und können unter polizeilicher Beglaubigung das wunder - volle ironiſche Wort des franzöſiſchen Erbfeindes ge - brauchen: Nous avons changé tout cela. Das haben wir am verkehrten Ende aufgenommen, ſagt freilich leider der deutſche Mann nicht! Der nimmt immer3 die Sache ernſt, vorzüglich wo ſein Vortheil, ſein Ehrgeiz, oder ſeine Eitelkeit mit im Spiel iſt.
Aber es iſt doch hübſch im Vaterlande, und wenn dem nicht ſo wäre ſo würde ich Dieſes ſicher - lich nicht der Rückreiſe-Unterhaltung wegen an Bord des Hagebucher auf den langen Wogen des Atlan - tiſchen Oceans niederſchreiben. Zum wenigſten werde ich mir, wenn das Wetter gut bleibt, dreißig nicht ganz unnütz verträumte Seefahrtstage — von Ham - burg aus gerechnet — durch die ungewohnte Feder - arbeit verſchaffen. Wie aber würden ſich meine Nachbarn am Oranjefluß und im Transvaalſchen über unſern gemeinſamen Vetter Stopfkuchen wundern und freuen, wenn ſie das Kajüten-Gekritzel leſen könnten, ſo ſie es in die Hände kriegten! Zu dem Letzteren iſt aber ſo wenig eine Ausſicht wie zu dem Erſteren, und unſer Präſident, mein guter Freund daheim im Burenlande, hat wirklich auch wenig Zeit zu ſo was, ſonſt thäte er mir wohl den Gefallen und ſagte mir ſeine Meinung über mein Manuſkript.
Es war eine ſternenklare Nacht, und wir waren auf dem Heimwege. Nicht nach dem Kap der guten Hoffnung ſondern vom „ Brummerſumm “. Einer gottlob unter einem ganzen, ja auch unter einem1*4halben Dutzend deutſcher Männer hat immer Aſtro - nomie ein wenig gründlicher getrieben als die Uebrigen und weiß Auskunft zu geben, Namen zu nennen und mit ſeinem Stabe zu deuten, wo die Andern vorüber - gehend in der ſchauerlichen Pracht des Weltalls ver - loren gehen und kopfſchüttelnd ſagen: Es iſt großartig.
Man kann in vielen Wiſſenſchaften Beſcheid wiſſen und ſich doch bei paſſender, ſtimmungsvoller Gelegenheit belehren laſſen müſſen, wo der Sirius zu finden iſt, wo die Beteigeuze und wo der Arctur und der Aldebaran. Die den Orion kennen, ſind den Andern ſchon weit voraus; denn auch was die Sternbilder anbetrifft, tappen die Meiſten im Dunkeln. So allein und einfach wie mein ſüdliches Kreuz ſteht das nicht am Himmel, und wenn nördliche Männer den großen Bären zu finden wiſſen, iſt das ſchon viel, doch verfallen auch hierbei nicht üble Kenner manchmal in den Irrthum, das ſie den Polarſtern ihm zurechnen und nicht dem kleinen Bären.
Wir ſahen auf dem Heimwege vom Brummer - ſumm nach den Sternen. So gegen Mitternacht, wo ſie dann und wann am ſchönſten zu ſehen ſind, und Einer am wenigſten bei ſeiner Betrachtung ge - ſtört wird. Zu den Stunden auf einem Feldwege allein mit den noch übrigen Genoſſen ſeiner Jugend zu ſein — das iſt etwas! Wovon man reden mag, ob Politik, Börſengeſchäften, Fabrikangelegenheiten, Aeſthetik: jeder Mann und berufenſte Mitredner in allem Dieſen, darf ungehöhnt ſein geſcheiteſtes Wort abbrechen und aufblinzelnd bemerken: Da liegt auch5 was drin! — Nachher darf er natürlich eine Priſe nehmen, wenn er ſchnupft; ich für meinen Theil rauche und zünde mir gern beim Anblick des unendlichen Heeres der himmliſchen Lichter eine friſche Cigarre an, denn das leuchtet doch auch; und der Menſch auf Erden iſt darauf angewieſen, gegen Alles und alſo auch gegen das „ Uebermaaß der Sterne “zu reagiren.
Ja ja, un[d]wenn man auch noch ein Deutſcher älterer Generation iſt, ſo bleibt man doch am liebſten bei dem Nächſtliegenden, dem angenehmen Abend, der guten Geſellſchaft und was ſonſt ſo dazu gehört, wenn man ſich auch, der Abwechslung wegen, ein - mal auf „ Siriusweiten “in das Glitzern und Flimmern überm Kopfe davon entfernt. Und das iſt unſer gutes Erdenrecht. Es iſt uns, wenigſtens fürs Erſte, wich - tiger, zu wiſſen, was für Menſchen hier mit uns leben und mit welchen von ihnen man es zu thun gekriegt hat, eben kriegt und morgen kriegen wird, als herauszukriegen, ob der Mond und der Mars bewohnt ſind und von Wem oder Was. —
Nun mußte mir aber die Weggenoſſenſchaft grade dieſes Abends näher liegen, als Alles, was auf dem Mars, dem Monde, dem Sirius und der Beteigeuze, der Venus und dem Jupiter herumlaufen konnte. Es waren die Leute, mit denen man ging, die Einem in der Fremde im Wachen und im Träumen, vorzüglich im Halbwachen und im Halbtraume plötz - lich vorübergleiten, oder ſich in den Weg ſtellen! Die, an welche man lange Jahre nicht gedacht und an die man dann um ſo intenſiver zu denken hat:
6I, Der und Der! Ob der gute alte Kerl wohl noch lebt und es ihm nach Verdienſt wohl ergeht? ... Und nun — da — guck den Stänker — den hämiſchen Schulbankpetzer! wie kommt mir der Burſche in ſeinen zu kurzen Hoſen und Rockärmeln grade jetzt, hier an dieſer Straßenecke am Hafen in den Sinn? hier unter den Palmen und Sykomoren und andern Mohren und bei der äquatorialen Hitze? Aber es freut Einen doch, grade bei der Hitze und unter dem exotiſchen, heidniſchen Niggerpack, daß man in kühlerer Zeit mal mit dem heimathländiſchen, germaniſchen Chriſten zu thun gehabt hat und von ihm mit der Naſe darauf geſtoßen worden iſt, wie treuherzig es in der Welt und unter den Leuten zugeht! ... Herr - gott, da kommt ja Maier! ... Maier! aber wie von einer Theekiſtenbemalung, mit dem ſeligen Porzellan - turm von Nanking hinter ſich! wie kommt denn der liebe alte Junge und Schafskopf zu dem wunder - vollen Zopf und dem Mandarinenknopf vierter Rang - klaſſe? ... Herr Je, und Stopfkuchen? wie komme ich denn gerade hier auf Stopfkuchen? auf meinen dicken Freund Stopfkuchen, den Erſten auf unſerer Bank in der Tertia von unten auf gerechnet? Ei, Stopfkuchen! ... Stopfkuchen! —
Ich hatte weder in der Stadt noch im Brummer - ſumm Alle wieder beieinander angetroffen. Den Einen hatte der Tod, den Andern das Leben daraus weg - geholt. Und was den Brummerſumm im beſondern anbetraf, ſo war der Eine zu gut verheirathet und der Andere zu ſchlecht, als daß ſie noch die gehörige7 Stimmung für die abendliche, ja manchmal auch nächtliche Geſellſchaft und Geſelligkeit dort aus ihrem Eheleben hätten herausſchlagen können. Einer von uns hatte auf den Brummerſumm Verzicht geleiſtet und blieb bei ſeinem Weibe aus ganz beſonderem Grunde, und ſein Name, oder vielmehr ſein Spitz - name war:
Stopfkuchen.
Er wird ſehr häufig auf dieſen Blättern das Wort haben; es war aber auch eine längere Zeit in der alten Schenke die Rede von ihm geweſen, und auf dem Heimwege unter dem glitzernden Sternen - himmel und in der langen Pappelallee auch. Ich aber war eine geraume Zeit hinter den Andern ge - gangen, ohne an der Unterhaltung Theil zu nehmen und hatte nur wiederum alte Erinnerungen lebendig werden laſſen und hatte nur gedacht:
Stopfkuchen! Und Stopfkuchen auf der rothen Schanze! Eduard, ſollteſt Du das Dir als den beſten Biſſen vom Kuchen bis zuletzt aufgehoben haben? Welch ein Gott hat Dir den wunderlichen Geſellen und guten Jungen hier bis jetzt aus dem Wege ge - ſchoben? Alſo Stopfkuchen wirklich auf der rothen Schanze! Und wenn ſich Afrika und Europa Dir morgen in den Weg ſtellt: Du ſchiebſt ſie zur Seite und biſt morgen ſo früh als möglich auf dem Wege nach der rothen Schanze und zu Deinem dickſten Freunde Stopfkuchen. Alſo Stopfkuchen wirklich und wahrhaftig auf der rothen Schanze!
8Ich war, wie geſagt, nach Jahren der Abweſen - heit einmal wieder ihr Gaſt, der Gaſt der Heimath - ſtadt, im Kruge zum Brummerſumm geweſen, oder hatte vielmehr endlich einmal wieder daſelbſt einen Stuhl eingenommen.
Natürlich könnte man hier Gedanken, Gefühle, Stimmungen und Anmerkungen aus der Tiefe des deutſchen Herzens, Buſens und Gemüthes heraus, noch recht erklecklich weiter und zwar ins Behaglichſte ausmalen; man thut es aber nicht, ſondern bemerkt nur das Nothwendige.
Nämlich als Kind ſchon begleitete ich meinen jetzt[längſt] verſtorbenen Vater dorthin. Er hatte ſeine Pfeife da ſtehen, doch dann und wann hatte ich ihm auch eine neue hinauszutragen. Viele Leute werden nun[ſagen]: Der ſelige alte Herr gab da ſeinem Jungen ein recht ſauberes Beiſpiel! Und ſie haben Recht, und wiſſen gar nicht wie ſehr ſie Recht haben. Er that es auch und gab mir ein nettes Beiſpiel; — freilich nicht bloß in dieſer Hinſicht.
Ich bin alſo Stammgaſt des Brummerſumms von Kindesbeinen an geweſen, und habe ſchon um deſſentwegen mit geheirathet, um gleich dem wackern alten Vater, Allerlei von dorther an meine eigenen Jungen drunten im „ heißen Afrika “weiter geben zu können. Die verwilderten halbſchlächtig deutſch-hol - ländiſchen Schlingel geben gottlob unter den Buren, Kaffern und Hottentotten manch ein Kulturmoment weiter, was aus dem Brummerſumm ſtammt. Sie ſagen dann gewöhnlich dabei: Mein Vater hat's9 geſagt, und der hat's ſchon von ſeinem Vater, unſerm Großvater in Deutſchland.
Ja, ſo ein richtiger deutſcher Spießbürger in in ſeiner Kneipe!
Man zieht die Achſeln nur deßhalb über ihn, weil man ſelbſtverſtändlich ſtets den unrichtigen für den richtigen nimmt. Wo in aller Welt, als wie ſo im Brummerſumm läßt ſich denn der Spieß leichter um - drehen, auf daß man die langweilige, die dumme, die abgeſchmackte, die boshafte, die neidiſche Welt drauf - laufen laſſe? Und wo kann man kräftiger nachſtoßen, um das überleidige Unthier völlig zu Boden zu bringen?
Wie ſich freilich die Frau Spießbürgerin zu dem Brummerſumm verhält, das ſteht auf einem ganz andern Blatte. Auf einem ganz beſondern Blatte aber ſteht, wie ſich meine ſelige Mutter zu ihm ver - hielt. Erſt in reifern Jahren natürlich habe ich den Sachverhalt herausgekriegt durch wehmüthig-fröhliche Rückerinnerung, und da iſt der Geſammteindruck ein höchſt erfreulicher. Das brave Weib hatte ſich nicht nur mit dem Brummerſumm abgefunden, ſondern ſie ermahnte dann und wann meinen Vater: „ Du, es iſt wohl Zeit für Deinen Abendweg! “ Und ſelt - ſamerweiſe geſchah dieſes am häufigſten dann, wenn Sorge, Kummer und Verdruß unſer Haus in der Stadt umkrochen und böſer Lebensdunſt ſich darüber, und alſo zumeiſt über ihrem theuren Haupte, zu - ſammengezogen hatte. Es gibt wohl nichts, was mehr für die Frau und den Brummerſumm ſpricht.
Ich hatte auch an dem Abend, unter deſſen10 Sternconſtellationen dieſe Blätter ſich aufthaten, alle möglichen alten Erinnerungen von Neuem aufgefriſcht. Sie hatten im Brummerſumm gemeint, ich ſei doch recht ſchweigſam aus dem Kaffernlande auf Beſuch nach Hauſe gekommen; und ſie bedachten wie ge - wöhnlich nicht, daß man den Mund halten und doch die lebendigſte Unterhaltung mit Einem, mit Meh - reren, mit Vielen führen kann. Dazu hatte ich wirk - lich das Meiſte vernommen, was an dieſem Abend um mich her geſprochen worden war, und ein im Vorübergehen raſch und leicht hingeſprochenes Ge - ſprächsthema hatte mich in der That länger und ein - gehender beſchäftigt und nachdenklicher bei ſich feſt - gehalten als die Andern um den alten Tiſch herum.
Es gehört nämlich jetzt Einer von uns der kaiſerlichen Reichspoſt als Beamter an, und der er - zählte, oder gab vielmehr beiläufig in die Unter - haltung hinein:
„ Es wird vielleicht Einige der Herren intereſſiren, daß man uns heute angezeigt hat, daß Störzer todt iſt. Unſer älteſter und weitgelaufenſter Landpoſtbote. Es ſollte mich wundern, wenn Einer hier unter uns wäre, dem er nicht über den Weg gelaufen wäre. “
„ I, natürlich! “klang es im Kreiſe. „ Der alte Störzer! Alſo der hat endlich auch ſeinen Pilger - ſtab in den Winkel geſtellt. “
„ Mit allen Ehren. Volle einunddreißig Jahre iſt er gelaufen, und wir haben uns unter dem erſten Eindruck der Nachricht dran gemacht und haben es ihm poſtamtlich nachgerechnet, welchen Weg er in11 ſeinem Dienſte treu und redlich, ohne einen einzigen Urlaubstag zu verlangen, zurückgelegt hat. Wie viele Male glauben die Herren, daß er hätte rund um die Erde herum geweſen ſein können? “
„ Da bin ich doch neugierig! “ſagte der ganze Brummerſumm.
„ Fünf Mal. Rund um den Erdball. Sieben - undzwanzigtauſend und zweiundachtzig Meilen in vier - undfünfzigtauſendeinhundertvierundſechzig Berufs-Geh - ſtunden! Und, wie geſagt, keinen Tag hat der Glücks - pilz in ſeinen einunddreißig Dienſtjahren ausgeſetzt — ausſetzen müſſen aus Geſundheitsrückſichten. Wie viele der Herren würden gegen ſeine Beine die ihrigen mit anhängendem Rheuma, mehr oder minder aus - geſprochener Iſchias und was ſonſt ſo zu den Bei - gaben einer ſeßhaften Lebensſtellung gehört, mit Ver - gnügen ausgetauſcht haben. Ach, und wenn er ſie hätte vererben können! “
„ Das weiß der liebe Gott! “ſeufzten verſchiedene der Herren, indem ſie noch einmal hinzufügten: „ Alſo der alte Störzer iſt todt! “—
„ Alſo der alte Störzer iſt todt! “hatte auch ich gemurmelt. „ Hat ſich zur Ruhe geſetzt, nachdem er fünf Mal die Weglänge um den Erdball zurückge - legt hat. Hm, hm, Den hätteſt Du gern auch noch einmal geſehen und geſprochen vor ſeinem allerletzten Wege, der nicht mehr zu ſeinen irdiſchen, amtlichen gehörte! “— Und ein unbehagliches Ge - fühl, eine Pflicht und Verpflichtung leichthin ver - ſäumt zu haben, überkam mich. „ Mußte der Mann12 es denn diesmal ſo eilig haben? Konnte er es keinen Augenblick ruhig abwarten, bis Du Dich auch ſeiner erinnern würdeſt, Eduard, um auch ihm ſeinen ihm zukommenden Freundſchaftsbeſuch bei dieſem Deinen Beſuch in der Heimath abzuſtatten? “
„ Du mußt Dich doch Seiner vor uns Allen gut erinnern, Eduard? “hatte vorhin Einer am Lebens - tiſch mich gefragt.
„ Jawohl, ich erinnere mich Seiner ſehr gut, “hatte ich geantwortet; und nun ſind die folgenden Blätter Seinetwegen, Störzers wegen, mit geſchrieben worden.
„ Jawohl, jawohl, wie gut ich mich ſeiner er - innere! “wiederholte ich mir, eine halbe Stunde oder eine Stunde ſpäter, als ich im Wirthshauſe, in meinem Abſteigequartier in hieſiger Stadt, mit mir und den Heimathseindrücken des eben abgelaufenen Tages allein war. Er, Störzer, gehörte freilich zu meinen aller - beſten Jugendbekannten, und mein Vater war's ge - weſen, der mich mit ihm bekannt gemacht und auf ſeinen Umgang hingewieſen hatte indem er mir rieth:
„ Sieh einmal, mein Junge, an Dem nimm Dir ein Beiſpiel. Der macht ſich weder aus dem Wege noch aus dem Wetter was. Und was Alles trägt13 er täglich den Leuten in ſeiner Ledertaſche zu und macht dabei an dem einem wie an dem andern Tage das gleiche Geſicht. “
Der letztere Teil dieſer Rede war mir damals wohl etwas dunkel geblieben; heute weiß ich, daß mein ſeliger Papa vor dem Worte: Geſicht, wohl die dazu gehörigen Beiwörter: dumm, gleichgültig, ſtill - vergnügt, unterſchlagen hatte. Aber welch ein rich - tiger Junge achtet nicht einen Menſchen, der ihm als ein Muſter aufgeſtellt wird, weil er ſich weder aus dem Wetter noch aus dem Wege etwas macht?
„ Wo das Kind eigentlich wieder ſtecken mag? “pflegte in jenen glücklichen Tagen meine arme ſelige Mutter zu fragen.
Das Kind ſteckte bei Störzern, ſeiner Kunſt, ſämmtlichen autochthonen und auch einigen exotiſchen Vögeln nachzupfeifen, flöten, zirpen und ſchnarren, bei ſeiner „ Kriegsbereitſchaft “Anno Achtzehnhundert - fünfzig und bei ſeiner — Geographie. Die Sache war doch ganz klar, ſo dunkel ſie auch einem den Deckel vom Suppennapf abhebenden und vergeblich um ſich ſchauenden Muttergemüth ſein mochte. Bei - läufig, daß wir ebenfalls zur Poſt (damals noch nicht kaiſerlichen) gehörten und daß mein Vater in ſeinen letzten Lebensjahren ſogar Herr Poſtrath genannt wurde, trug wohl auch das Seinige zu dem ange - nehmen und innigen Verhältniß zwiſchen mir und Störzer bei. Wir rechneten uns einander, wie man das ausdrückt, zu einander; und auf meinen Wegen nicht um, ſondern durch die Welt habe ich niemals14 ein ſelten Poſthorn zu Ohr bekommen, ohne dabei an meinen ſeligen Vater, meine ſelige Mutter und den Landbriefträger Störzer zu denken. Uebrigens bekam Störzer auch jedesmal eine Cigarre mit auf den Weg, wenn er dem Vater und mir draußen vor der Stadt begegnete. Da war's wohl kein Wunder, wenn er jedesmal, wo er mich allein traf, zu fragen pflegte:
„ Nu, Eduard, wie iſt es? willſt Du mit? darfſt Du mit? “—
Ich hätte ihm doch, wenn nicht zuerſt, ſo doch unter den Erſten meinen Beſuch machen ſollen. Jetzt war es wieder einmal zu ſpät für etwas. Auch die kaiſerliche Reichspoſtverwaltung hatte ihr Recht an ihm verloren, holte ihn ſich nicht mehr zu neuem Marſch durch gutes und böſes Wetter vor Tage aus den Federn, oder beſſer, von ſeinem Strohſack; und ich — ich ſaß bei meinem Freunde Sichert, dem Wirth zu den drei Königen, und gedachte Seiner, wie man Eines gedenkt, zu dem man in ſeiner Kindheit aufgeſehen hat und mit dem man Wege gegangen iſt, aller Phantaſien, Wunder und Abenteuer der Welt voll.
Man hat ſo Stunden, wo Einem alles übrige Leben und alle ſonſtige Lebendigkeit zu einem fernen Geſumm wird, und man nur eine einzelne Stimme ganz in der Nähe und ganz laut und genau ver - nimmt.
„ Damit iſt es nun nichts, Eduard! “hörte ich Störzer ganz deutlich ſeufzen. Er hatte mir aber,15 das heißt an dem Tage, damals, ein Kuckucksei in einem Finkenneſte zeigen wollen, und es hatte ſich gefunden, daß ſchon andere Naturforſcher vor uns dageweſen waren, und daß der Kuckuck die ganze naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit aus dem Buſch in dem alten Steinbruche, rechts abſeits der Landſtraße und des Poſtdienſtweges, geholt hatte.
Und wieder, von einem andern Tage her, höre ich dieſe Stimme:
„ Siehſt Du, Eduard, wenn ich heute Deine Mutter geweſen wäre, ſo hätte ich Dich an dieſem Morgen doch vielleicht nicht mit mir gehen laſſen, und wenn es auch hundertmal die großen Ferien ſind. Noch hält dies zwar Jeder, der nichts davon verſteht, für einen recht ſchönen Tag; aber, aber, ich ſage nichts, wie ich die Gegend hier herum und die Wetterausſichten kenne. Mir wölkt es ſich trotz allem gegenwärtigen Sonnenſchein dahinten und von ſo ganz herum, aber grade aus unſerer Wetterecke hinter Maiholzen, doch ein bischen zu verdächtig auf. Willſt Du lieber noch umkehren, Eduard, ſo thuſt Du viel - leicht Deinen lieben Eltern und Deinem Anzug einen großen Gefallen. Ich will nichts ſagen, aber es könnte doch eine Stunde kommen, wo ſie Dich am liebſten zu Hauſe wüßten. “
Es iſt nicht immer dieſelbe Stimme. Es fällt noch eine andere ein, und das iſt die meinige, die ſich aber noch lange nicht „ geſetzt “hat, und ſich erſt in einigen Jahren „ ſetzen “wird.
„ In Südamerika iſt ein großes Erdbeben geweſen,16 Störzer. Mein Vater hat es heute früh beim Kaffee aus der Zeitung vorgeleſen. Das hat viele Ort - ſchaften übereinandergeſchmiſſen und darunter eine Stadt ſo groß wie unſere. Donnerwetter, wer da hätte bei ſein können, Störzer! “
„ Ja, Eduard, das ſagten Anno Fünfzig auch Viele von uns bei der großen Mobilmachung, wenn alte Leute, die dabei geweſen waren von der Schlacht bei Leipzig oder der Schlacht bei Waterloo und den Drangſalen auf den Märſchen erzählten. Nachher war's uns Allen aber doch recht lieb, daß es diesmal zu nichts Rechtem kam. Das größte Großmaul von uns hatte die Geſchichte bloß nur auf dem Exerzir - platz bald ſatt. Und ſelbſt Karl Drönemann, den ſie zu einem reitenden Poſtillon bei der Kriegs - poſt gemacht hatten, meinte: zu Hauſe davon nachher zu erzählen, wiege es doch nicht auf, es vorher mit ſeinem eigenen menſchlichen Leben ſelber durchgemacht zu haben. Das iſt wie mit den Reiſebeſchreibungen. Nimm da nur unſern Levalljang, wie hübſch ſich das lieſt, weil er es ſo hübſch zu Hauſe beſchrieben hat. ... Alſo in Südamerika iſt das große Erdbeben diesmal geweſen? Ja, ja die Geographie iſt doch die allerhöchſte Wiſſenſchaft für uns Alle von der Poſt! Wieviele ſind wohl umgekommen, Eduard? “
„ Na, ſo an die Hunderttauſend. Auf das Ge - nauſte kann man das wohl nicht ausrechnen. “
„ Hm, ein paar Tauſend mehr oder weniger! Einer mehr oder weniger! Ja, Einer mehr oder weniger — weniger. Eduard, unſer Herrgott muß17 es doch wohl verantworten können. Iſt das nicht auch Deine Meinung? “
„ Das weiß ich nicht; aber ihre dortige Brief - und Packetbeſtellung muß das hölliſch in Unordnung bringen, ſagt mein Vater, und da kommt doch ſicher - lich Vieles als unbeſtellbar zurück. Meinſt Du nicht auch, Störzer? “
„ Eines mehr oder weniger in der Welt. “
„ Kaufmann Katerfeld, der da einen reichen Bruder hat, wie meine Mutter ſagte, iſt auch ſchon heute beim Kaffee beim Vater geweſen und hat danach angefragt. “
„ I, ſieh mal, Eduard! Auch Einer mehr oder weniger! Ja, dieſen auswärtigen Katerfeld, er heißt mit Vornamen Sekkel, kenne ich noch ganz gut aus meinen Jungensjahren. Das muß alſo in Chile geweſen ſein, Dein Erdbeben; denn dahin iſt der ausgewandert und hat's zum Millionär gebracht. Und das ſollten wir Alle thun. Er iſt unverheirathet geblieben, weil ihn hier eine Gewiſſe nicht gewollt hat. Das kannſt Du halten wie Du willſt, Eduard, denn das iſt doch die Nebenſache. Sieh, ſieh, alſo der iſt mit in das Erdbeben hineingerathen! ja, da hätte ich in Herrn Samuel Katerfelds Stelle mich auch gleich bei Deinem Herrn Vater, dem Herrn Poſtmeiſter nach dem Nähern erkundigt. Aber — das verſtehſt Du noch nicht, Eduard. Alſo Du willſt auf gut und ſchlecht Wetter heute Morgen wieder mit. Nun, denn nimm den Weg unter die Füße und laß uns von dem Levalljang ſprechen. Das iſt doch unſer Buch! und der Welt -W. Raabe. Stopfkuchen. 218und Reiſebeſchreiber treibt Einem die trüben Grillen aus dem Kopf. Und ſo ein Leben wie der ſollten wir Alle führen unter den wilden und zahmen Hotten - totten. Ich habe wieder die halbe Nacht in dem Buche ſtudirt. “
„ Du haſt heute eine ſchwere Taſche. “
„ Eine ſchwere Taſche! ... Ja, was ſchreiben die Leute! Allein die rothe Schanze! der Bauer von der rothen Schanze! Wer mir im Amte von der rothen Schanze und ihren Poſtſtücken hülfe, Eduard, dem wollte ich auf den Knieen für die Erlöſung danken. Es iſt freilich heute bloß nur die Zeitung. Die trägſt Du mir wohl wieder einmal über den Graben nach der Schanze hinüber. Nicht wahr, Du thuſt mir den Gefallen? Ich ſortire mir derweilen die übrigen Briefe und Gartenlauben und Modenzeitungen an die Herrn Oekonomen und Paſtöre und Fabrikinſpektoren ein bischen handgerechter diesſeits des Grabens. “
Was hätte ich damals nicht dem Landpoſtboten Störzer zu Gefallen gethan?
„ Natürlich bringe ich Deine Sachen zu Quakatz, Fritze, und wenn er auch noch ſehr ſein Sauerampfer - geſicht mir ſchneidet, und ſeine wilde Katze mir am liebſten in mein Geſicht ſpringen möchte. Setze Du Dich dreiſt untern Baum vor dem Graben und ſortire Deine Geſchichten. Ich ſpringe ſchon hinüber zur rothen Schanze und nehme ſie mit Sturm, wie Stopf - kuchen ſie nehmen will. Damit werden wir noch fertig, ehe Dein Gewitter heraufkommt, Störzer! “
„ Je, ſo raſch kommt's hoffentlich nicht, Eduard. “
19Wir ſteigen nun trotz aller ſchlimmen Wetterzeichen rundum am Horizont, in der Morgenſonne wacker zu.
„ Eine ſchwere Taſche! “höre ich in meinem Ab - ſteigequartier zu den heiligen drei Königen meinen harmloſen Jugendbekannten Störzer noch einmal ſtöhnen oder vielmehr ſeufzen; aber wenn ich auch noch ſo ſehr ein Herz und eine Seele mit ihm war: was kümmerte mich die Korreſpondenz der Bauern, der Gutherrſchaften, der Fabrikleute, die er in der Taſche über Land trug? Dafür kroch, flog, lief, ſchwirrte, leuchtete, flimmerte und glänzte doch allzu viel Wichtigeres ſowohl an der Landſtraße wie an den Beiwegen. Ja, wenn ſich der Kuckuck, die Gras - mücke, der Igel, der Haſe und dieſe übrige Geſell - ſchaft, eingeſchloſſen die Sonne, der Schatten, der Wind, der Regen, der Blitz und der Donner, auch auf ſchriftlichen Verkehr untereinander durch Störzers Vermittelung eingelaſſen haben würden, dann hätte es vielleicht noch wundervoller ſein können. Aber es war auch ſo ganz gut, wo der Roggen und der Weizen, die Kornblume und die Klatſchroſe rund um ohne Dinte, Feder und Papier auskamen und ſich ohne fortgeſchrittene Bildung innerhalb ihrer Iſotheren und Iſothermen, freundſchaftlich und geſchäftlich bei einander zu halten wußten.
Iſotheren! Iſothermen! Wie dieſe gelehrten Worten zu den lieben Namen, den Heimathsnamen von Allem, was „ auf dem Felde “(Sehet die Lilien u. ſ. w.) wächſt, paßten, ſo paßten ſie auch zu unſerer übrigen Erdkunde (Geographie) damals. Und doch,2*20was für wundervolle Geographen, Erdkundige, Erd - beſchreiber, wir damals waren, Störzer und ich. Wir wären die rechten Leute damals für den alten freundlichen und gelehrten Karl Ritter geweſen, wenn er ſeine Landſchaftsbilder auf die große ſchwarze Tafel hinter ſeinem Katheder in Berlin malte.
Und wie weit man um dieſe Lebenszeit auf den paar Stunden Weges von einem Dorf, Paſtorhaus und Gutshof zum andern in die weite unermeßliche Welt hinaus kam!
Zu Hauſe, in Neuteutoburg, weiß ich nur zu gut, daß die Welt, oder in dieſem Falle der Erdball, durch - aus nicht unabmeßlich iſt, ſondern daß dieſer im Aether ſchwimmende Kloß gar nicht ſo dick iſt, wie er ſich einbildet. Aber wenn ich wenigſtens bis zu den Kaffern und Buren und zu einem anſtändigen Vermögen gekommen bin; wem anders verdanke ich das, als dem Landbriefträger Friedrich Störzer und ſeinem Lieblingsbuch Le Vaillants Reiſen in das Innere von Afrika, aus dem Franzöſiſchen überſetzt und mit Anmerkungen von Johann Reinhold Forſter?
Wie deutlich ich in den Heiligen Drei Königen die Stimme höre: „ Die Geographie, die Geographie, Eduard! Und ſo ein Mann wie dieſer Levalljang! Was wäre und wo bliebe Unſereiner ohne die Geographie und ſolch ein Muſter von Menſchen und Reiſenden? Nimm nur mal an, ſo Tag für Tag, Jahr ein Jahr aus die nämlichen Wege. Jedes Dorf wie Deine Taſche. In jedem Hauſe von der älteſten Großmutter bis zum eben ausgekrochenen, jüngſten Wurm, Alles21 wie Deine eigenen Leute in Deinem eigenen Hauſe! Und aus jedem Hauſe der Ruf: da kommt Störzer! Und in jedwedem Hauſe: Störzer hat die Zeitung ge - bracht, Störzer bringt 'n Brief! — Könnteſt Du das auf Lebenszeit und immer auf denſelben Wegen aus - halten, Eduard, ohne Deine Gedanken und Ein - bildungskraft und[Phantaſien] und Lektüre, Eduard? Müßte Dir das nicht auch auf die Länge langweilig werden ohne die Geographie? “
„ Ne, Störzer! Denn wir haben ſie auf dem Gym - naſium, und da haben ſie mich geſtern erſt ihretwegen eine Stunde länger in der Schule behalten. By - thinien, Paphlagonien und Pontus wußte ich; aber ich ſollte alle alten Staaten von Kleinaſien wiſſen. “
„ Das thut mir Deinetwegen ja ſehr leid, Eduard, aber mir hätteſt Du doch einen Gefallen gethan, wenn Du ſie beim Nachſitzen noch auswendig gelernt hätteſt, wenn auch bloß für mich. “
„ Für Dich, Fritze? Nun denn: Myſia, Lydia, Karia, Lycia, Piſidia, Phrygia, Galatia, Lycaonia, Cilicia, Kappadocia, Armenia minor, das ſind ſie alle; denn Bythinien, Paphlagonien und Pontus habe ich Dir ſchon genannt. “
„ Donnerwetter, Eduard, das iſt ja grade als ob Du uns Deutſche in allen unſern Unterabtheilungen aufzählteſt! Es klingt bloß 'n bischen hübſcher und ausländiſcher. Nun ſieh mal, was für ein Vergnügen muß das für Dich ſein, daß Du dieſes Alles ſo an der Schnur herſagen kannſt und Dir dabei was denken kannſt, hier auf der Landſtraße mit der ganzen22 altbekannten Umgebung rundherum und da — hier — der rothen Schanze vor der Naſe. “
„ Campes Reiſebeſchreibungen ſind mir lieber. Und Du biſt mir auch lieber, Störzer. Myſien, Lydien, Karien, bringe Du das da unten in dem dumpfigen Schulſtall mal in Deinen Kopf und ſehne Dich mal nicht nach dem Le Vaillant, ſeinem Afrika und ſeinen Hottentotten, Giraffen, Löwen und Elephanten. Stopf - kuchen haben ſie auch mit mir eine Stunde über den Unſinn dabehalten. Der frägt aber nichts nach Afrika. Denn ſeine tägliche Sehnſucht iſt dort die rothe Schanze; na, das weißt Du ja. “
„ Das weiß ich freilich, und es iſt närriſch genug von dem Dicken — Deinem närriſchen Kameraden. Weißt Du, Eduard, wenn ich mir aus der Weltkunde ein Faulthier vorſtelle, ſo muß ich mir dabei immer dieſen Deinen Freund und Schulkameraden mit vor - ſtellen. Der und die rothe Schanze! “
Die rothe Schanze! Ich hatte doch allmählich ein wenig in all dieſe Erinnerungen, in dieſen Wechſel von Stimmen und Geſtalten hineingegähnt und das Bedürfniß gefühlt, nun auch Störzer ſeiner ewigen Ruhe zu überlaſſen und ſelber für dieſe Nacht zur Ruhe zu gehen; als mich dieſer Name doch noch eine23 Weile wach und bei meinem Jugendleben lebendigſt feſt hielt. Die rothe Schanze!
Es überkam mich ein lachendes Behagen über die rothe Schanze in ihrer Verbindung mit dem Dickſten, dem Faulſten, dem Gefräßigſten unter uns von damals.
„ Im Bette habe ich ſie am feſteſten beim Wickel, Eduard, “pflegte Stopfkuchen zu ſagen. „ Wenn ich mal träume, dann träume ich von ihr, und wer dann Herr auf ihr iſt und keinen Schulrath, Oberlehrer und Kollaborator über den Graben läßt, das iſt nicht der Bauer Quakatz, ſondern das bin ich. Ich! ſage ich Dir, Eduard. “
Und in den Traum nahm auch ich ſie, die rothe Schanze mit hinein in dieſer Nacht in den Heiligen drei Königen der Heimathſtadt. In dieſem Traume ſah ich ihn noch einmal in meinem Leben, ſo traum - haft aller Wunder voll, wie ich ihn von der Ober - quarta und[Untertertia] aus geſehen hatte, dieſen Bauerhof, dieſe rothe Schanze, dieſen alten herrlichen Kriegs - und Belagerungs-Aufwurf des Prinzen Xaverius von Sachſen, den Hof des Bauern Andreas Quakatz, aus welchem der kurſächſiſche Herr Prinz in den ſechziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts nicht nur die Stadt da unten, ſondern auch die hohe Schule, unſer Gymnaſium, darin, ſo gründlich be - ſchoſſen hatte, daß ſie beide ſich ihm ſofort übergeben mußten, obgleich er wahrlich nicht der erſte und größte Held des ſiebenjährigen Krieges war. Der ſiebenjährige Krieg war ein paar Jahre länger vor - über als meine und Stopfkuchens Kindheit; aber die24 rothe Schanze war noch immer vorhanden in dieſem Traume, wie ſie unſer Jugendideal geweſen war.
Da ſtieg ſie auf im wohlerhaltenen Viereck. Nur durch einen Dammweg über den tiefen Graben mit der übrigen Welt in Verbindung! Mit Allem, was ſie der Knabenphantaſie zu einem Entzücken und Geheimniß gemacht hatte: mit den Kanonen und Mörſern des Prinzen Xaver und mit der undurch - dringlichen Dornenhecke, die der böſe Bauer Andreas Quakatz auf ihrer Höhe um ſich, ſein Tinchen, ſein Haus, ſeine Ställe und Scheunen und Alles was ſonſt ſein war, zum Abſchluß gegen die ſchlimme Welt gezogen hatte!
Ich höre ein dumpfes Rollen und Krachen in meinen Traum von der rothen Schanze hinein, aber es iſt nicht der kurſächſiſche Kanonendonner gegen den König Fritz von Preußen, es iſt das Gewitter, bei dem Störzer ſagt:
„ Es kommt doch noch raſcher über uns, als ich mir dachte. Da, Eduard, nun thu mir den Gefallen und laufe zu dem Adreſſaten Quakatz mit ſeinen Sachen hinüber. Da, ſeine Zeitung, hier ein, zwei, drei Briefe. Was der Mann eine Schreiberei um ſich hat! ach, Eduard, und immer ein paar mit den Ge - richtsſiegeln! Da, das Kind, ſein Tinchen kuckt ſchon um den Thorpfeiler! gib ſie ihm ab, die Sachen; ich ſortire hier unter der Hainbuche derweil das Uebrige, ehe das Unwetter ganz da iſt. “
„ Was willſt Du von uns, dummer Junge? “höre ich nun ein feines Stimmchen, das gar böſe25 thut, und zwar inmitten des Gekläffs von einem halben Dutzend vor Wuth und Gift außer ſich ge - rathener Haus - und Hof-Köter aller Sorten und Gattungen. Und ſie laſſen es nicht bei dem Blaffen und Zähnegefletſch. Sie fahren mir nach der Hoſe und ſpringen mir gegen die Kehle: man hätte das vollſte Recht, dabei aus jedem Traume, ſelbſt als älterer Herr und ſüdafrikaniſcher Buer mit einem hellen Schrei zu erwachen.
Ich bleibe aber doch darin, auf dem Damm, vor den beiden Thorpfeilern vom Quakatzenhof auf der rothen Schanze, und die Kinderſtimme kreiſcht lachend und höhniſch: „ Laßt ihn! Wollt ihr herein! Das ganze Gerichte! Präſendent, Akzeſſor, Reffrendar! Kuſch Alle! kuſch Geſchworener Vahldick! kuſch Meier, kuſch Brauneberg! kuſch das ganze Geſchworenen - gerichte! “
„ Da ſind eure Poſtſachen! eure Schreibſachen und die Zeitung, Du Giftkatze! “rufe ich, der roth - köpfigen Krabbe des Bauern von der rothen Schanze die Korreſpondenz des Bauern in die aufgehaltene Schürze werfend, und von dem ungaſtlichen Anweſen über den Fahrdamm auf das freie Feld und zu der Hainbuche und zu Störzer zurückweichend.
„ Komm, Eduard, “ſagt Störzer, wir wollen den Weg zwiſchen die Beine nehmen, daß wir wenigſtens Maiholzen noch trocken erreichen. Da, ſieh mal hin, wie es dahinten ſchon gießt. Das iſt nun ſo 'n ſchöner Sommertag. Na, gottlob, daß26 wir wenigſtens die rothe Schanze und Quakatz hinter uns haben. “
Nun war es ſeltſam, wie ſich in dieſer Nacht in den Heiligen drei Königen Vergangenheit und Gegenwart im Bett, Schlaf, Traum und Halbtraum vermiſchte. Es rauſchte und rollte, wie großer Platzregen und ſchwerer Donner: ich lag im Bett in den Heiligen drei Königen als Gatte, Vater, Grundbeſitzer und großer Schafzüchter am Orange - fluß, und lief zu gleicher Zeit mit dem Landbrief - träger Störzer als zwölfjähriger Schuljunge im ſtrömenden Gewitterſchauer, unter Blitz und Donner über das freie Feld, um Maiholzen, das gute Dorf hinter der rothen Schanze zu erreichen — wenn nicht mit trockenen Kleidern, ſo doch wenigſtens bei lebendigem Leibe.
Erſt als der Kellner mit dem Raſirwaſſer kam, erfuhr ich, daß es wirklich gegen Morgen noch ein heftiges Gewitter gegeben habe, und es war wirklich nichts dagegen zu ſagen, daß der junge Mann den höflichen Wunſch äußerte, ich möge „ die Sache an - genehm verſchlafen haben. “
Das wirkliche Gewitter der Nacht hatte ich an - genehm verſchlafen, oder ſein Getöſe hatte ſich doch ſo ſehr mit dem Rollen und Rauſchen der Vergangen - heit vermiſcht, daß ein Unterſcheiden von Traum und27 Wahrheit nicht möglich war. Nun aber hatte ich, ehe der Kellner anklopfte, längere Zeit auf etwas Anderes horchen müſſen, was ebenfalls in Traum - beſchreibungen häufig litterariſch vorkommt: die Thurm - glocken der Heimathſtadt. Ich hatte es Sechs ſchlagen hören und Halbſieben und Sieben. Und dabei, gerade bei dieſem angenehmſten wachen Liegen und Dehnen und Strecken im Bette und dem Glocken - klang dieſer Stunden, war mir ein Anderes von Neuem lebendig in der Seele geworden — ſüß und ſchaurig lebendig! Die Stunde nämlich, in welcher man in der Schule zu ſein hatte — im Sommer um Sieben, im Winter um Acht, und, von mir ganz abgeſehen, Stopfkuchen ſchändlicher Weiſe auch! Stopfkuchen! er, den „ der ganze Quark garnichts anging, wenigſtens ein Beträchtliches weniger, als den ganzen übrigen Cötus zuſammen. “
Er fragte wahrhaftig garnichts danach, was „ die Leute “(er meinte die Herren Lehrer) wußten und lächerlicherweiſe ihm mitzutheilen wünſchten. Er war ganz gut ſo wie er war, und — kurz und gut, es war eine Niederträchtigkeit im Sommer um Sieben und im Winter um Acht „ da ſein “zu müſſen, um ſich doch nur mit völliger Verachtung ſtrafen zu laſſen; da „ alles Andere doch nichts half. “
Stopfkuchen! Wahrlich nicht der Kirchenglocken wegen (obgleich er auch den Verſuch gemacht hatte, Theologie zu ſtudiren) ſondern einzig und allein der Thurmuhr halber, ſtieg er mir nun ſo hell wie Störzer in der Seele empor, mein Freund Stopfkuchen, mein28 anderer Kindheits -, Feld -, Wald - und Wieſen-Freund Stopfkuchen, den ich nur dann ſeinen Schritt etwas beſchleunigen ſah, wenn ihn der alte Konrektor mit der Haſelnußgerte im Kreiſe nicht um die Welt, ſondern um die ſchwarze Schultafel und die un - gelöſte mathematiſche Aufgabe jagte.
Ja, zu unſerer Zeit kriegte man noch die Prügel, die Einem gebührten ... Gott ſei Dank! — „ Stopf - kuchen “nannten wir ihn auf der Schule. Eigentlich hieß er Heinrich Schaumann, und war das einzige Kind ſo dürrer, eingeſchrumpfelter, zaunkönighaft - nervös-lebendiger Eltern, daß Die in der Stadt nicht Unrecht zu haben ſchienen, die da behaupteten, er habe in einem Kuckucksei gelegen, und ſei ſchändlich doloſer Weiſe dem Herrn Regiſtrator und der Frau Regiſtratorin Schaumann ins Neſt geſchoben worden. Wie dem auch ſein mochte: ſie hatten ihn heran - gefüttert und ihm zu und in den Schnabel getragen, was ſie vermochten; und es war ihm gediehen.
Und wie ein Zaunkönigspaar ſeine Freude und ſeinen Stolz an ſeinem dicken Neſtling hat, ſo hatten auch Vater und Mutter Schaumann ihren Stolz und ihre Freude an ihrem „ Dicken “, und wollten ſelbſt - verſtändlich auch noch nach einer andern Dimenſion hin etwas aus ihm machen, nämlich etwas Großes. Natürlich einen Paſtor, Regierungsrath, Sanitätsrath oder dergleichen.
„ Die Sache könnte mir ſchon paſſen, Eduard, “ſagte Heinrich damals häufig zu mir. „ Wenn nur nicht die verdammten Vorſtrapazen wären; das29 ſchauderhafte Latein, und gar Griechiſch, und nach - her um Einen verrückt zu machen das Hebräiſche! “ſeufzte er dazu und rieb ſich nicht ſelten die Schultern dabei.
„ Und die rothe Schanze, Heinrich. “
„ Die auch, Eduard, obgleich das nur eine Dummheit von euch Andern iſt. Na, mir iſt's übrigens eins, was ihr Eſel von mir ſagt und denkt! Und dann läßt ſich das auch garnicht in Einem Athem nennen: das Gymnaſium und Quakatzen ſeine rothe Schanze. Herr Du mein Gott, wenn mich Einer zum Bauer auf der rothen Schanze machen wollte; ich hinge jedes Paſtorhaus in der Welt drum an den Nagel und ſchlüge Kienbaum mit Vergnügen dreimal todt. “
„ Aber Stopfkuchen? “
„ Jawohl, Stopfkuchen! Nennt mich nur ſo; ich mache mir auch daraus nichts. Wenn ich Kuchen kriege, ſo ſtopfe ich; darauf könnt ihr euch verlaſſen. Und nochmals was Quakatzen anbetrifft, ſo mache ich mir garnichts daraus, was die ganze Welt über ihn ſpricht. Meinetwegen kann er Kienbaum ſechsmal todtgeſchlagen haben; darum bleibt er doch der Bauer auf der rothen Schanze und hat's am beſten in der ganzen Welt. Und übrigens bewieſen iſt ihm ja von keinem Gerichte was, und wenn jetzt die ganze Welt auf ihn hetzt, beweiſt das garnichts gegen ihn. Auf mich hetzt auch die ganze Welt, und wenn ihr morgen Blechhammern, euren Herrn Oberlehrer Doktor Blechhammer, irgendwo am Wege abgegurgelt30 fändet, dann könntet ihr dreiſt auch mir die Geſchichte in die Schuhe ſchieben und behaupten: ich ſei's ge - weſen und habe mir endlich das Vergnügen gegönnt und meine Rache ausgeübt. Quakatz auf der rothen Schanze hat ganz Recht, wenn er am liebſten ſeinen Wall vom Prinzen Xaver her, auch lieber mit Kanonen als bloß mit ſeinen Dornbüſchen beſpicken möchte gegen die ganze Welt, die ganze Menſchheit. Hu, wenn ich mal von der rothen Schanze aus drunter pfeffern dürfte — unter die ganze Menſchheit nämlich; und nachher noch die Hunde loslaſſen! Du weißt es, Eduard, und kannſt es bezeugen, wie reif ich diesmal wenigſtens war. Und ſie haben mich doch wieder ſitzen laſſen und nicht mitgenommen in die Obertertia! Da komme Du mal nach Hauſe und habe Freude an Deinen Eltern und ſonſt am Leben. Na, da ſoll man wohl zum Eremiten werden und ſich hinter ſeine Kanonen zurückziehen. Da hilft mir nichts als wie die rothe Schanze und die Idee, daß ich ihr Herr wäre! Du läufſt mit Störzern, Eduard; und ich liege vor der rothen Schanze — Jeder nach ſeinem Geſchmack — und ich denke mich, mit der ganzen Welt und Schule hinter mir, in ſie hinein, und wie mir da das Rindvieh Blechhammer kommen könnte. Hier — ſieh mal her, Eduard! daß mich Tinchen Quakatz geſtern hier in die Hand gebiſſen hat, die biſſige Katze, das paßt mir ganz. Da ſoll wohl Einer nicht beißen, wenn ihm Keiner ſeine Ruhe laſſen will? Uebrigens hat die Kröte die Maulſchelle, die ich ihr darauf verſetzt habe, auch31 geſpürt; und als der Alte dazu gekommen iſt, hat er Jedem von uns Recht geben müſſen. Spuckt euer Gift aus, hat er geſagt. Es iſt beſſer als es in ſich hineinzufreſſen, hat er geſagt. Und wenn Einer weiß, wie Recht er da gehabt hat, ſo bin ich das. Auf der unterſten Bank zu ſitzen und zu all' Blechhammers Redensarten keinen Muck ſagen zu dürfen, das iſt zehntauſendmal ſchlimmer, als Kien - baum nicht todtgeſchlagen zu haben und doch dafür angeſehen zu werden. Ja, ſieh mich nur ſo drauf an, Eduard. Du biſt auch ſo Einer von Denen, die ſich ſtündlich gratuliren, daß ſie nicht der Mörder - bauer von der rothen Schanze oder Heinrich Schau - mann ſind. “
„ Da verkennſt Du mich aber rieſig, Heinrich. “
„ Garnicht, Eduard; ich kenne euch und — Alle kenne ich euch, in - und auswendig. “
Ich hatte mich raſirt. Nämlich ich raſire mich ſelber: da drüben oder da hinten im Kaffernlande könnte man lange auf den Barbier warten, und wenn er einen Vogel Strauß beſtiege, um mit ſeinem Handwerkszeug eiligſt von einem Kraal zum andern, von einem Bauernhof zum andern zu reiten und die32 Kundſchaft zu bedienen. Die Sonne ſtand hell am Himmel und ſchien mir auf den Kaffeetiſch. Ich durfte meinem Wirthshausbett in den Heiligen drei Königen das Kompliment machen, daß ich trotz Allem einen ausgezeichnet guten Schlaf in ihm gethan hatte; einerlei wie es zehntauſend Andern vor mir darin ergangen ſein mochte.
Es war ein ſchöner Morgen heraufgekommen mit Hülfe des Nachtgewitters. So friſch und licht und leicht in ſeinem Anfang, daß man die Ausſicht auf einen neuen heißen Tag wohl mit in den Kauf nehmen konnte.
„ Alſo der alte Störzer iſt todt! “ſeufzte ich be - haglich-wehmüthig über dem Kaffeetiſch und der neueſten Zeitung, die mir der Kellner mit den Worten gebracht hatte: „ Unſer Herr ſchickt ſie dem Herrn zuerſt, weil er meint, ſie intereſſire ihn wohl zuerſt im Hauſe, da — Sie ſo weit aus der Fremde nach Hauſe kämen. Es hätte diesmal Zeit damit bis ſie in das Gaſtzimmer zu den übrigen Herren herunterkäme. “
In dieſem Worte des jungen höflichen Menſchen kam auch wieder ein Stück Bekanntſchaft aus alter Zeit zum Vorſchein. Es war ſehr freundlich von mine host in den Heiligen drei Königen; aber diesmal verlangte mich nicht gerade allzuſehr danach, das Neueſte vom Weltgericht, nämlich von der Welt - geſchichte vor die Naſe zu bekommen. Ich ſchob das Tagblatt ſehr bald zurück und dachte nochmals:
„ Der alte Störzer todt! Schade! Den haſt Du nun alſo ſchon durch eigene Schuld verſäumt, Eduard. 33Alſo nun heute unter allen Umſtänden nach der rothen Schanze zu — Stopfkuchen! ... Wie dies Alles doch ſo wieder aufwacht und auflebt, ohne daß man für ſeine Perſon weiter etwas dazu thut, als daß man hinhorcht und hinſieht! Stopfkuchen! Was war mir vor vierzehn Tagen noch viel übrig geblieben von Stopfkuchen — meinem alten närriſchen Freunde Heinrich Schaumann, dem guten, dem lieben, dem faulen, dem dicken, dem braven Freunde Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen? “
Und nun hatte ich ihn plötzlich wieder ganz! Gerade wie ich den eben geſtorbenen Störzer wieder ganz hatte. Und es wäre ſehr unrecht von mir ge - weſen, wenn ich dem Erſteren nicht ſofort einen Be - ſuch gemacht hätte — jetzt, da es noch Zeit war. Ich hatte es doch eben wieder an dem Letzeren er - fahren, wie bald man ſo einen letzten günſtigen Augenblick verſäumen kann.
Ja freilich, als wir von Schulen liefen hätte er, Heinrich, zehntauſendmal leben und ſterben können, ohne daß ich, eigenen Lebens und Sterbens wegen einen kürzeſten Augenblick Zeit für ihn übrig gehabt hätte.
Wir kamen eben von einander um die Zeit, wo man am allerwenigſten Zeit für einander hat. Die heutige Leichtigkeit der Korreſpondenz thut da garnichts zu; denn — wer ſchreibt heute in der Poſtkarten - periode noch Briefe?
Ich ſehe die ganze zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts und ein gut Drittel des neunzehnten den Kopf ſchütteln und denke an meinem Frühſtücks -W. Raabe. Stopfkuchen. 334tiſche im Gaſthauſe der Heimathſtadt: „ Wenigſtens einmal hättet ihr auch doch ſchreiben können — Du und Dein Freund Heinrich. “
Na, Alles in Allem genommen und dazu ehrlich geſprochen: was man ſo nennt, zärtlich hatten wir uns auch im perſönlichen Verkehr gegeneinander nicht gehalten. Aber was man und vorzüglich in jener Lebensepoche gute Schulkameraden nennt, das waren wir doch geweſen, Stopfkuchen und ich. Wer von uns Beiden dem Andern dann und wann die meiſten Haare ausgerauft, die blaueſten Beulen und dick - geſchwollenſten Augen beigebracht hatte, das mochte heute dahin geſtellt bleiben. Es kam jetzt darauf an, was die Zeit aus dem dicken, guten Jungen gemacht hatte, ob er ſich ſehr verändert hatte, und ob er in Folge dieſer Veränderung im Stande war, jetzt ebenfalls, wie ſeinerzeit der Bauer Quakatz, der ganzen Welt und alſo auch mir die Pforte der rothen Schanze vor der Naſe zuzuſchlagen; oder ob er nach der gewöhnlichen, verlegen-rathloſen Frage: „ Mit wem habe ich die Ehre? “mir beide Hände entgegenzuſtrecken und mit halbwegs dem alten Schulton ſagen werde: „ Hurrjeſes, Du biſt's, Eduard? nu, das iſt aber ſchön, daß Du Dich meiner noch erinnerſt! “
In Anbetracht, daß er „ weit draußen im Felde “wohnte, hielt ich es nicht für nothwendig, die durch Sitte und Gewohnheit feſtgeſetzten groß - mittel - und kleinſtädtiſchen Beſuchsſtunden innezuhalten und war gegen neun Uhr Morgens auf dem Wege zu ihm.
35Ein wirklich feiner Morgen. In der Stadt hatte die Polizei ſich löblichſt dafür an die Laden gelegt, daß die Gaſſen ſauber gekehrt worden waren, und draußen im Freien, im „ Felde “hatte Mutter Natur dafür geſorgt, daß ſich Alles hübſch gewaſchen hatte. Ja, ſie hatte es ſelber beſorgt, mit Seife und Schwamm, mit Donner und Blitz; und wie friſch ge - waſchenen Kindern hingen Baum, Buſch, Gras und Blume noch die Thränen ob der Operation an den Wimpern, und manchem ſah man es auch recht gut an, wie es ſich mit Strampeln und Zappeln gewehrt hatte. Aber einerlei, überſtanden war's noch mal, und hübſch war's doch jetzt ſo. Die Welt glänzte, und daß ein friſch wohlig Wehen darüber hinfuhr, machte den Morgen auch nicht verdrießlicher; — drüben im jungfräulichen Kaffernlande bei den Betſchuanen und Buren konnte nach einem Nachtgewitter die Land - ſchaft nicht jugendlicher ausſehen, als wie hier im alten durch das Bedürfniß ungezählter Jahrtauſende abgebrauchten, ausgenutzten Europa.
„ Und Alles noch ganz ſo, wie zu Deiner Zeit, Eduard! “ſeufzte ich mit wehmüthiger Befriedigung. Dem war aber doch nicht vollſtändig ſo.
Da war zum Beiſpiel, bei näherer Betrachtung früher rechts vom Wege, der nach der rothen Schanze führt, ein ungefähr vier bis fünf Ar großer Teich, oder eigentlich Sumpf; — der war nicht mehr da.
Früher aller geheimnißvoll wimmelnden Wunder voll hatte man ihn jetzt zu einem Stück mehr oder weniger fruchtbaren Kartoffellandes gemacht, und ſo3*36nützlich das auch ſein mochte, ſchöner war's doch früher geweſen und „ erziehlicher “auch. Der Lurkenteich hatte das volle Recht dazu, zu verlangen, daß ich mich mit Verwunderung nach ihm umſehe und nachher ſchmerzlich ihn vermiſſe. Solch ein guter Bekannter, ja vertrauter Freund! ſo voll von Kalmus, Schilfrohr, Kolben, Fröſchen, Schnecken, Waſſerkäfern, ſo überſchwirrt von Waſſerjungfern, ſo überflattert von Schmetterlingen, ſo weidenumkränzt, und ſo — wohl - riechend. Ja, wohlriechend! ja ſüß anheimelnd übel - duftend, vorzüglich an heißen Sommertagen und wenn man uns in der nachmittäglichen Naturgeſchichtsſtunde geſagt hatte:
„ Im Lurkenteich findet man Alles, was zur heutigen Lektion gehört, in ſeltener Vollſtändigkeit. “
„ Weiß Gott, ſie hätten ihn laſſen können, wo er war. Sie hätten ihn laſſen ſollen, wie er war, “murrte ich auf meinem diesmaligen Wege zur rothen Schanze. „ Auf die paar Säcke voll Feldfrüchte für ihr Vieh oder ſich ſelber brauchte es ihnen doch nicht anzukommen! “
Es war ihnen aber doch darauf angekommen und ſo war heute denn nichts mehr dagegen zu machen, und ich hatte mich einfach in den Verluſt zu fügen. Da ich es nicht wußte, was ging es mich an, daß die „ Melioration “einen langjährigen, durch alle In - ſtanzen ausgefochtenen Prozeß bedeutete und das irdiſche Behagen von drei oder vier ſtädtiſchen Ge - müſegärtnerfamilien gekoſtet hatte?
Da war ein anderer Prozeß, der ſchon von37 meinen früheren Jugenderinnerungen her eine ganz andere Bedeutung hatte: der böſe Fall Quakatz in Sachen Kienbaum.
Je weiter ich auf dem engen hübſchen Feldwege, zwiſchen den wogenden, morgenſonnebeglänzten, feucht - friſchen, der Ernte zureifenden Kornfeldern der rothen Schanze zu wanderte, deſto deutlicher kam mir die jetzt ſo völlig verhallte Aufregung von Stadt und Land meiner Jugendzeit über den Mord an Kienbaum in das Gedächtniß zurück. Mit immer neuen Einzel - heiten — eine immer intereſſanter als die andere!
Dreimal hatten ſie den damaligen Herrn der rothen Schanze, den Bauer Andreas Quakatz gefänglich eingezogen, weil ſich neue „ Indizien “in Sachen Kienbaum ergeben hatten. Und dreimal hatten ſie ihn wieder ungeköpft loslaſſen müſſen, den Bauer Quakatz, weil dieſe neuen Anzeichen und Vermuthungs - gründe ſich doch abermals als das auswieſen, was ſie waren, nämlich mehr oder weniger leichtfertige, und einige Male auch heimtückiſch und boshaft auf - gebrachte Verdachtserregungen.
„ Ja, Eduard, wer erſchlug den Hahn Gockel? “fragte Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, trübſelig, kopfſchüttelnd und ſich hinter den etwas ſehr abſtehenden Ohren kratzend, als ich mit ihm zum letzten Mal nach unſerm Abgang von der Schule auf der Höhe des Weges ſtand, von wo aus man das Kriegs - werk des Comte de Lusace, des Prinzen Xaver von Sachſen zuerſt — auch heute noch — vollſtändig in ſeiner ganzen Wohlerhaltenheit vor Augen hat. Es38 iſt dieſelbe Höhe, auf welcher ich im nächtlichen Halb - und Ganz-Traum anhielt zum Briefſortiren unter der alten Hainbuche, gegenüber dem Dammwege, der — heute auch noch — über den Graben zu dem Eingangsthore von Quakatzenhof führt.
Die Hainbuche hatte ich nun zu vermiſſen. Auch ſie war wie der Lurkenteich der Melioration, der Feld - verbeſſerung zum Opfer gefallen. Sie hatte wahr - ſcheinlich für das Bedürfniß der hungerigen Gegen - wart zu viel Schatten über das Ackerland geworfen, oder zu ſehr ihre Wurzeln im Grund und Boden ausgebreitet. Doch, gottlob, die rothe Schanze war noch vorhanden, wie ſie, freilich wahrhaftig damals nicht zur Melioration der Gegend, im Jahre Siebenzehnhunderteinundſechzig aus dem Grund und Boden vom alten grimmigen Maulwurf Krieg aufgeworfen worden war. Und ich ſtand ihr nun wieder gegenüber und dachte zurück an uns Zwei: Heinrich Schaumann, genannt Stopf - kuchen, und mich, und an das, was Stopfkuchen damals aus dem friſcheſten Miterleben heraus über den Fall Kienbaum contra Quakatz, oder Quakatz contra Kienbaum, und was mehr oder weniger damit zuſammenhing, über Tinchen Quakatz zu bemerken hatte.
Wie ein angehender Befliſſener der Gottesgelahrt - heit ſah er nicht aus; denn bei den jungen Herren pflegt die Wohlbeleibtheit, die er, Stopfkuchen, ſchon damals aufzuweiſen hatte, erſt ſpäter zu kommen, wenn ſie auf nahrhafter Pfarre am eigenen Tiſche nachholen, was ſie am Freitiſche ſeinerzeit verſäumt39 haben. Aber er war gut, herzensgut. Er verſuchte es wenigſtens, ſeinen Eltern zu Liebe, ſich in das gedeihlichſte Amt der Erde hinein zu hungern. „ Was thut man nicht, einer nicht nur verbohrten, ſondern auch verweinten Mama und einem wahrhaft wüthend auf das nächſtliegende beſte Brodſtudium für den Herrn Sohn erpichten Alten gegenüber? Man will doch dem Greiſenpaar nicht die ſchönſten Hoffnungen knicken. Und etwas wünſchen die beiden guten Leute doch auch dafür zu haben, daß ſie Einen in dieſe Welt voll abgenagter Knochen, trockner Brodrinden und höchſt geſunden, klaren, erquickenden und vor Allem billigen Brunnenwaſſers hineingeſetzt haben, Eduard! “
Eben von mir niedergeſchriebene und von einem treuen, herzlichen, kindlichen Gemüthe zeugende Eräuße - rungen ſind ſelbſtverſtändlich auch eine Erinnerung. Er tröſtete ſich nur von der Sekunda bis zum Abiturienten - examen recht häufig damit. Aber damals — an jenem Tage des Abſchiednehmens wenn nicht von der Jugend - zeit, ſo doch von der Kinderzeit; an jenem Tage, wo wir Beiden: ich und er, für lange, lange Zeit zum letzten Male unter Störzers Hainbuche vor der rothen Schanze ſtanden, ſagte er ganz was Anderes; er ſagte:
„ Da iſt ſie! Mitten unter ihrem Kriegsvolk. Nun höre und ſieh nur die Hunde, wie ſie hier herüber blaffen und uns die Zähne zeigen! Famoſe Köter! wenn ich an irgend etwas im Leben meine Freude habe, ſo ſind ſie es. Nu guck nur, wie gut ſie die Parole gefaßt haben, und wie ſie es verſtehen, alles unnöthige Pack vom Tinchen Quakatz und von der40 rothen Schanze abzuwehren. Sag ſelber: hätte der lächerliche Musjeh in franzöſiſchen Dienſten, der Herr Graf von der Lauſitz, der Herr Prinz Xaver von Kurſachſen, den Wall da drüben beſſer ſpicken können, als der Bauer Quakatz? “
„ Nu ja, Heinrich; es paßt eins zum andern: Haus, Hof und Graben — Vater, Tochter und Wachtmannſchaft. “
„ Das thut's. Gottlob! Und nun will ich Dir noch etwas ſagen, Eduard, wenn Du es mir nicht übel nehmen willſt. Nämlich jetzt wär's mir doch lieber, wenn Du Dich auf dem Wege hierher mir nicht aufgehängt hätteſt. Den Damon und Pythias, den David und Jonathan, und wie die Muſterfreunde[ſonſt] noch heißen mögen, hätten wir bei anderer Ge - legenheit, auf einem andern Spazierpfade in entgegen - geſetzter Richtung von der Stadt und der rothen Schanze vor unſerer demnächſtigen Trennung ſpielen können. Aber da Du ein guter Kerl und wirklich mein Freund biſt, ſo bleib meinswegen, da ich es nicht ändern kann. Aber die Liebe thuſt Du mir, und löſeſt Dich möglichſt in Luft und unverbrüchliches Schweigen auf, und nachher, drunten in der Stadt, machſt Du mich in der übrigen Bekanntſchaft nicht lächerlicher, als es unbedingt nöthig iſt. Die rothe Schanze hat es mir nun einmal angethan, und das arme Mädchen darüber unter ſeiner Hundebande kann auch nichts dafür, wenn es mich gleichfalls zu einem Narren gemacht hat. Es iſt eben ſo geſchrieben und41 ich habe einfach das Schickſal in mich hineinzufreſſen. Guten Tag, Fräulein Valentine! “
„ Guten Tag, Herr Schaumann. “
Sie ſah, wie ſie mit untergeſchlagenen Armen am Thorpfeiler lehnte, nicht danach aus, als ob es in Wahrheit ihr Ernſt damit ſei, Jemandem in der Welt einen guten Tag zu bieten. Man blickte un - willkürlich danach um, ob nicht eine geladene Büchs - flinte neben ihr am Eingang der Schanze lehne, oder ob ſie nicht ein ſcharfes, ſpitzes Meſſer in der rechten Fauſt unter der linken Achſel verborgen und zum ſchnellen Gebrauch bereit halte. Auch ſo was wie von einer wilden Katze hatte ſie an ſich, die im Noth - fall keiner künſtlichen Waffe bedurfte, ſondern nur Jedem mit den echtgewachſenen Krallen ins Geſicht zu fahren brauchte und ſich mit den Zähnen feſtzu - beißen, um in jedem Kampfe für ſich und um ihres Vaters Haus, Hof und Herd die Oberhand zu be - halten.
Nicht groß und nicht klein, nicht mager und nicht fett, nicht hübſch und nicht häßlich, nicht ſtädtiſch und nicht dörfiſch, nicht Kind und nicht Jungfrau ſtand ſie, Valentine Quakatz, des Mordbauern Andreas Quakatzen einzige Tochter und bewachte ihres blutig berüchtigten Vaters Anweſen, die rothe Schanze, in der friedlichen, ſonnebeglänzten, laubgrünen und ähren - blonden Landſchaft.
Ich rufe nicht mehr: „ Da ſind eure Poſtſachen, eure Schreibſachen, eure Zeitung, Du rothe Giftkatze, “Störzers Amtsgeſchäfte am Eingangsthor der rothen42 Schanze ausrichtend. Sie aber, Fräulein Quakatz, duckt die Hunde wie damals und faſt mit den nämlichen wunderlichen Zurufen wie damals. Die Köter be - ruhigen ſich langſam und widerwillig, und behalten uns, leiſe fortknurrend, feſt und mißtrauiſch im Auge.
„ Der Vater iſt nicht zu Hauſe, “ſagt Valentine. „ Und die Leute ſind im Felde, “fügt ſie hinzu.
„ Schön! “ſagt Stopfkuchen. „ Da ſind wir ja wieder einmal unter uns Beiden, Tinchen; denn Dem da habe ich es eben ſchon klar genug ausein - andergeſetzt, daß er ſich gegenwärtig vollſtändig als Luft zu betrachten habe. Natürlich, wenn er nicht mein beſter Freund wäre, würde ich ihm meine Meinung in Hinſicht auf ſeine heutige völlige Ueberflüſſigkeit hier noch deutlicher zum Bewußtſein gebracht haben. Aber er iſt mein Freund, und alſo auch, natürlich ſo weit das mir paßt, der Deinige, Tinchen; und ſo dumm biſt Du nicht, Mädchen, daß Du nicht Be - ſcheid wüßteſt, daß er über euch, die rothe Schanze, ſo gut Beſcheid weiß, wie die übrige edle, chriſtliche Menſchheit auf fünf Meilen im Umkreis. Herrgott, darum allein könnte man ſchon mit Wonne Theologie ſtudiren, um einmal ſo recht von der Kanzel aus unter ſie fahren zu dürfen, die edle Menſchheit nämlich! Und nun kommt endlich ins Haus. Die letzte Naſe voll des üblen Geruches der rothen Schanze zum Mitnehmen in die reinere, die beſſere Luft da draußen, jenſeits der eben erwähnten fünf Meilen! “
Zum „ Sich äußern “— zum „ Worte machen “— zum „ Reden halten “, kurz zum „ Predigen “war er43 immer ſofort da, der dicke Heinrich. Wenn es darauf angekommen wäre, müßte er unbedingt heute, wenn nicht cismontaner Pabſt, ſo doch Kardinal oder zum mindeſten Archiepiscopus; aber wahrhaftig nicht der jetzige Bauer auf der rothen Schanze ſein.
„ Wo iſt denn der alte Mann? “fragt er für's Erſte noch.
„ Wieder vor'm Gericht in der Stadt, “ſpricht grimmig die Tochter und Erbin der rothen Schanze. „ Er hat's ja wieder mit dem Schulzen von Maiholzen da gehabt und ihm die Fauſt vor's dumme Geſicht gehalten und ihn in der alten Sache wegen Kienbaum von Neuem einen Verleumder geheißen. Da iſt er denn von Neuem verklagt worden. “
Und Stopfkuchen zeigt, daß er ungemein melodiſch zu flöten verſteht. Er läßt ſeine Gefühle in einer langgezogenen Kadenz verklingen und nimmt ſie thät - lich wieder auf, indem er den Arm dem Mädchen um die Hüften legt, und, zu mir gewandt, ſagt:
„ Schöner konnten wir's ja wieder mal nicht treffen. “
Da aber begibt ſich etwas, was vor Allem dieſen längſt vergangenen Jugendtag mir wieder in vollſter Lebendigkeit vor die Seele ſtellt: Valentine Quakatz gibt ihre Wacht am Eingangsthor der rothen Schanze auf, — vollſtändig! Der bösverkniffene Mund wird zu einem weinerlichen verzogen; — das Mädchen kämpft, kämpft mit ſeinen Thränen, aber ſie ſind mächtiger als es. Tinchen ſchluchzt, weint laut hinaus und ſpringt Stopfkuchen nicht mit den Fingernägeln44 ins Geſicht, ſondern legt ſich ihm um den Hals, hängt ihm am Halſe und jammert:
„ Heinrich, Du biſt zu ſchlecht! “
„ Na, na! “
„ Du biſt ſo ſchlecht wie die ganze andere Welt. “
„ Na, ſo hetze mir doch Deine Köter an den Hals, verrücktes Frauenzimmer! Was ſagſt Du dazu, Eduard? ich ſo ſchlecht wie die ganze übrige Welt? “
Ich ſage garnichts. Ich ſtehe nur wie ein dummer Junge mit offenem Munde und ſehe wie der dicke Freund das Mädchen — ein Mädchen, wie als was ganz Selbſtverſtändliches, ebenfalls im Arme hält, ihm auf den Rücken klopft, ihm über die Haare ſtreichelt, ihm das Kinn aufhebt und ihm einen Kuß gibt. Ich ſehe wie er mühſam hinten an der Rock - taſche nach ſeinem Taſchentuch angelt, wie es ihm gelingt, daſſelbe hervorzuholen, und wie er mit dem - ſelben dem Mädchen — einem Mädchen, einem fremden, erwachſenen Mädchen die Thränen aus den Augen wiſcht, und ich ſehe Stopfkuchen mit einem Male mit ganz anderen Augen an, als mit welchen ich ihn bis zu dieſer verblüffenden Stunde geſehen habe. Blutübergoſſen wünſche ich mich bis in die fernſten Fernen weg und möchte zugleich Den mal ſehen, dem ich folgte, wenn er mich beim Ellbogen nähme und ſagte: „ Komm Eduard, Du haſt doch hier garnichts zu ſuchen! “—
Glücklicherweiſe hat Stopfkuchen aber viel zu viel mit dem Mädchen zu thun, und widmet mir nur dann und wann beiläufig eine höfliche Bemerkung.
45„ Herze von 'ner Gans, kann ich denn was dafür? Gehe ich etwa aus freien Stücken? Muß ich nicht? habe ich nicht die Verpflichtung, wenigſtens einmal durchs Examen zu fallen, meinen guten Eltern zu Liebe? Wie gerne ich Dir zu Liebe hierbliebe, Tinchen, das weißt Du, alſo ſei ein gutes Mädchen und laß das dumme Gewimmer. Guck nur wie der Tapps, der Eduard guckt und ſich überlegt, was er zu Hauſe Alles erzählen kann! Da — haſt Du noch mal mein Taſchentuch, und nun blamire uns nicht länger in freier Luft. Glaubſt Du, daß darum der Herr Graf von der Lauſitz dieſen Wall aufgeworfen habe, daß Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, von ihm herab ſich dem Neſt drunten von ſeiner weichſten Seite zeige? Bilde Dir das nicht ein. Bombardiren werde ich noch mal von ihm aus das Philiſterthum da unten, daß der kurſächſiſche Staberl-Xaverl ſich heute noch als balſamirtes Leder - und Knochenbündel in ſeiner Fürſtengruft darüber freuen ſoll. Komm mit, Eduard, da Du da biſt. Wir wollen endlich hinein ins Haus; denn nämlich, Eduard, nicht immer holt man draußen in der freien Luft am freiſten Athem, welche Erfahrung ich Dir, mein Junge, zu möglichem Gebrauche gern gratis überlaſſe. Dumme Witze verbitte ich mir natürlich, jetzt hier und nachher drunten in der Stadt im Kreiſe Deiner lieben Verwandten und nähern und weitern Bekannten. Wir Drei ſind alſo ganz allein auf der rothen Schanze? Wundervoll! Sag's Deinen Kötern ſo eindringlich als möglich, was ſie zu thun haben,46 Tinchen. “ Fräulein Valentine wendet ſich zu ihrer vierbeinigen Wachtmannſchaft, das heißt, ſie hebt die Fauſt gegen ſie und ſchüttelt dieſelbe dann gegen die lachende, freundliche Sommerlandſchaft jenſeit des Grabens. Das bedeutet, daß das Vieh noch weniger als ſonſt Jemandem ungeſtraft den Eintritt in das Bollwerk des Grafen von der Lauſitz gewähren ſoll. Und es verſteht das und antwortet mit einem dumpfen giftigen Gewinſel und Geknurr: wir Drei aber haben jetzt wahrhaftig wundervoll den Nachmittag allein auf der rothen Schanze. —
Erfreulich war der Anblick gerade nicht, wenn man die Hunde und das Thor hinter ſich hatte. Verwildert und verwahrloſt erſchien Alles umher, jede Arbeit nur halb und widerwillig und nachläſſig gethan. Es war keine rechte Ordnung im Garten, im Hofe, im Hauſe, und in der Scheune wahrſcheinlich auch nicht. Alles Geräthe lag und ſtand umher wie man es eben aus der Hand hatte fallen laſſen oder bei Seite ge - ſtellt hatte. Das Gebüſch und Unkraut wuchs unge - hindert. Die Jauche konnte ſich keine beſſeren Tage wünſchen, als wie auf der rothen Schanze, und ſie ſuchte ſich denn auch ihre Rinnſale, wo es ihr be - liebte. Die Hühner ſcharrten, wo ſie wollten im Garten. Enten und Gänſe watſchelten ebenſo, wo ſie wollten im Hofe und im Hauſe. Dem Stallvieh ſah man es an, daß der Herr häufig nicht zu Hauſe war und auch dann nicht ſein Auge, wie es ſein ſollte, bei ihm hatte. Daß das Kind vom Hauſe nicht Alles allein beſorgen konnte, und daß das Ge -47 ſinde es deshalb ſehr „ ſachte angehen ließ “, das war nur zu augenſcheinlich. Was aber den letzteren Punkt, das Geſinde, anbetraf, ſo hatte das mit deſſen Nichts - nützigkeit ſeine beſten Gründe. Der Bauer auf der rothen Schanze hatte ſich, was Knechte, Mägde und Jungen anging, eben mit dem zu begnügen, was Niemand ſonſt mochte — mit dem Abhub und dem Bodenſatz der Gegend.
Es that für einen rechtlichen Menſchen, für ein ordentliches Mädchen nicht gut, auf der rothen Schanze zu dienen und da ehrlich nach der Ordnung zu ſehen. Hoher Lohn und gute Behandlung kamen dort gar - nicht in Betracht. Jeder Groſchen, den der Bauer Quakatz hergab, hatte ja einen Blutgeruch an ſich. Wer von der rothen Schanze kam und einen anderen Dienſt ſuchte, der brachte denſelben Geruch in den Kleidern mit, und man ließ es mit verzogener Naſe ihm merken und ſchickte ihn um ein Haus weiter. Bis der Bauer Andreas Quakatz endlich eingeſtand, daß er Kienbaum todtgeſchlagen habe, oder bis der Hof auf der rothen Schanze im Ganzen unter den Hammer gebracht, oder noch beſſer für Maiholzen, im Einzelnen aus - geſchlachtet worden war, konnte ſich hieran nichts, garnichts ändern. Und die Erbtochter der rothen Schanze, Valentine Quakatz, änderte auch nichts, garnichts daran; ſie hatte nur ihr bitter Teil an der böſen Vervehmung mitzutragen. Es iſt Stopfkuchen, der wie die langen Wogen des Weltmeeres mich wieder auf dem „ Hagebucher “der neuen Heimath zu tragen, fragt:
48„ Was meinſt Du, Eduard? Sieht das hier nicht niedlich aus? “—
Knecht und Magd haben, da der Herr wieder mal in „ Beleidigungs - und Ehrenſachen-Kränkungs - geſchäften “vom Hauſe iſt, ſich ihre Arbeit nach Gut - dünken draußen geſucht, liegen vielleicht auch irgend - wo unter einem Buſch und laſſen unſern Herrgott den beſten Meiſter ſein. Kein Laut ringsumher als das Schrillen der Grillen oder das Gekreiſch zankender Spatzen auf den Dächern und in den Hecken! Auch Tinchen ſchluchzt nicht mehr zornig aus ſich heraus oder erbittert-giftig in ſich hinein. Sie iſt uns voran in die Stube gegangen, ohne ſich danach um - geſehen zu haben, ob wir ihr auch gefolgt ſind. Wir ſind ihr, doch ein wenig ſcheu und befangen, gefolgt, und nun ſitzt ſie am Tiſche, mit dem Rücken an der Wand und hat beide Arme, die Hände flach ausge - breitet, auf die altersſchwarze Eichenplatte gelegt, und Stopfkuchen und ich ſtehen vor ihr und ſehen in der dunklen niederen Bauernſtube vom Licht da draußen geblendet, auf ſie hin; — man kann eine Meile weit jede Fliege ſummen hören. Ja, die Fliegen der rothen Schanze! ſie haben das Schanzwerk des Prinzen Xaver von Sachſen auch nicht aufgegeben. Sie ſind noch vorhanden in der Stube des Bauern Quakatz, einerlei, ob er Kienbaum todtgeſchlagen hat oder nicht. Es giebt nichts innerhalb der vier Wände was ſie nicht beſchmitzt haben; vor Allem die Bilder an den Wänden: die zehn Gebote, des Jägers Begräbniß, den unter die Räuber gefallenen49 Mann im Evangelio. An des Jägers Begräbniß haben ſie mit allen übrigen Thieren ſehr Theil ge - nommen und dem Sarge alle Ehre erwieſen. Eben - ſo dem Wort: Du ſollſt nicht tödten. Es hängt übrigens kein neues Bild zu ihrer Begutachtung an der Wand. An der Schanze des ſiebenjährigen Krieges iſt ſelbſt die neueſte Weltgeſchichte vorbeige - zogen, ohne ein Zeichen hinterlaſſen zu haben. Kein Schlachtenbild aus Neu-Ruppin vom Düppelſturm, keins von Sechsundſechzig, keins von Siebenzig. Nicht Kaiſer Wilhelm, Fürſt Bismarck und Graf Moltke! was ging die Weltgeſchichte den Bauer von der rothen Schanze an? Er hatte ſeinen Kienbaum; er hatte viel zu ſchwer an ſeinem eigenen Daſein auf dieſer Erde zu tragen, um ſich viel um das anderer Leute kümmern zu können und wenn es die Erſten dieſer Welt waren! Ihm hatte dieſe Welt, überall in ſeinem Hauſe, wo er auf eine Wand ſah, Kienbaum daran gehängt, und er brauchte dazu nicht Malerkunſt und Glas und Rahmen: er ſah den Mann jederzeit und ſelbſt bei geſchloſſenen Augen ſo genau und deutlich vor ſich, wie kein Maler, und wenn es der allerbeſte geweſen wäre, ihn ihm hätte malen können.
Ich gaffe von dem bunten Bilderbogen der zehn Gebote verlegen und unruhig auf das uns anſtarrende Mädchen, da ſagt Heinrich:
„ Nun, Tinchen, laß das dumme Zeug und ſtiere die beiden beſten Lateiner und firmſten Griechen des diesmaligen Oſter-Abgangs-Schwindels, — grinſe nicht, Eduard! — aus ihrer guten Meinung von ſichW. Raabe. Stopfkuchen. 450ſelber heraus. Ja, armes Wurm, die ſüße Kinder - zeit liegt nun unwiderruflich hinter uns, der Ernſt des Lebens — weine nicht, Eduard! — beginnt, und lebten wir noch in vernünftigeren Zeiten, ſo würde ich Dir vorſchlagen, Herze: ſteig hinter Deinem Ritter auf den Gaul, faße mich um die Taille, und halte Dich feſt. Komm kurz und gut mit mir. Aber es geht nicht, Eduard. Was können wir dafür, daß wir wenigſtens das eine Mal nicht von den Eſeln aufs Pferd kommen? daß wir einfach morgen mit der Eiſenbahn fortmüſſen? Tinchen, mein Herzens - tinchen, ſieh mich nicht ſo dumm an; was ich meinen Herren Eltern aus dem erſten Semeſter mitbringen werde, weiß ich nicht; aber Dir bringe ich den alten Stopfkuchen wieder. So wahr jetzt der Himmel blau über uns iſt, und die Erde grün wird und immer grüner: ich will nicht umſonſt meine täglichen Prügel der rothen Schanze wegen gekriegt haben! ich will nicht umſonſt meine einzigen guten Stunden in dieſem Jammerthal auf dem Anſtand dem alten Quakatz und ſeinem kleinen Tinchen gegenüber verlebt haben! Wenn Sie es verlangen, Fräulein Valen - tine, ſo hinterlaſſe ich Ihnen das auch ſchriftlich! “
Es fuhr wie ein Schauder durch den ganzen Körper der Tochter des alten Quakatz; dann aber ſagte Valentine:
„ Ich will nichts Schriftliches. Was von Schrift - lichem hierher kommt, das nimmt auch mein Vater am liebſten nur, wenn es ihm auf die Miſtgabel gelegt und zugereicht wird. Nachher faßt er es an wie eine51 glühende Kohle. Und Du, Du — noch beſſer wär's wenn gar kein Menſch eine Zunge hätte zum Sprechen, zum Lügen, zum Sticheln — Du auch! “
„ Ich auch? “fragte Stopfkuchen; aber ohne jeden Ausdruck der Ueberraſchung, des Gekränktſeins oder gar der Entrüſtung. Indem er ſich halb zu mir wendete, ſagte er:
„ Ein bischen mehr könnteſt Du ſelbſt bei den heutigen tragiſchen Umſtänden bei Dir ſelber bleiben, Tinchen; und Du, Eduard, jetzt kannſt Du wirklich mal für die Lebenspraxis was lernen. Du auch! Dies Wort iſt großartig, und dann ſieh Dir mal das Geſicht an, was ſie mir zu der Sottiſe ſchneidet. Das hat man nun davon, daß man einem Frauenzimmer von Kindesbeinen an ſeine ſchönſten freien Sommer - und Winternachmittage und die Ferien ganz gewidmet hat. Hat die Perſon wohl eine Ahnung davon, wie viele Prügel etcetera man ihretwegen von Er - zeugern und Lehrern hingenommen hat ohne einen Muck zu ſagen? — Du auch! Mädchen, Mädchen, wenn das Schaf, dieſer Eduard, hier nicht bei uns ſtände, ich würde Dir und Deinem verrückten Alten und der rothen Schanze meine Zuneigung noch einmal in einer Weiſe deutlich machen, die ſich wahrhaftig nicht gewaſchen haben ſollte. “
Nun läuft wieder ein Zucken über die Schultern unter dem buntbäuerlichen Bruſttuch. Die Erbtochter der rothen Schanze ſchielt wie ein nur halb gebändigtes und zum Beſſern überredetes oder vielmehr ver - ſchüchtertes Thier zu dem angehenden Kandidaten aller4*52denkbaren Brodſtudien, Schaumann, auf; ſie will mit beiden Fäuſten auf den Tiſch ſchlagen, aber es geht nicht. Sie läßt die Arme ſchlaff am Leibe herunter ſinken und ſchluchzt:
„ Ich habe Keinen gerufen, um ſich um mich zu bekümmern! “
„ Ne, “ſagt Stopfkuchen. „ Ja, da hat ſie Recht, Eduard! Ich bin ganz von ſelber gekommen und habe mich ihrer angenommen. Du weißt es ja, Eduard. “
Ganz ſo genau, wie der Freund zu meinen ſchien, wußte ich es doch nicht. Nur das wußte ich, daß es während unſerer ganzen „ Jugendzeit “in dieſer Hinſicht und nach der[Anſchauung] ſowohl des Hauſes wie der Schule keinen verrücktern Bengel gegeben hatte, als Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. Wie ich mit dem Landpoſtboten Friedrich Störzer gelaufen war, ſo hatte er ſich vor der rothen Schanze feſtgelegt — „ wie die Katze vor dem Mauſeloch, “wie er ſich ſelber ausdrückte. Um mit Einem zu gehen oder gar zu laufen dazu war der gemüthliche Knabe viel zu faul; aber ſich durch einen Reisbrei - wall ins Schlaraffenland hineinzufreſſen, dazu war er im Stande, und dieſes war bis jetzt die Meinung der Welt und alſo auch die meinige über ihn ge - weſen. Das war es einzig und allein, was ich damals an jenem Abſchiedstage über ſein Verhältniß zu — dem Mädchen, zu Tinchen — Valentine Quakatz wußte. Meine Dumme-Jungens-Seele dachte nicht daran, daß die verſchüchterte, verwilderte, rothhaarige53 Krabbe des Bauern Quakatz etwas anderes als eine ſehr beiläufige Rolle bei ſeiner Verliebtheit in die rothe Schanze des Prinzen Xaver von Sachſen ſpielen könne. Ich und die Welt von damals konnten es doch wahrhaftig nicht wiſſen, daß Stopfkuchen auch nach ſolcher Richtung hin romantiſcher Gefühle fähig ſei.
Es war eine Luft in der niedern ſchwarzen Bauernſtube, die Keinem gefallen konnte. Und der Bauer Andreas hatte einen deutlichen Gang auf ihrem ſchwarzen Fußboden ausgetreten, vom Fenſter bis nach dem Ofen.
„ Da geht er, ſo lange ich weiß, “ſagt ſeine Tochter, „ und ich ſitze hier und höre ihn mit ſich ſelber ſprechen, die halbe Nacht durch, bis er mich zu Bette jagt. Du mußt es wiſſen, Heinrich, weshalb Du zu mir gekommen biſt und Dich an die rothe Schanze herangemacht haſt; aber Dein Herr Freund, der Herr Eduard kann nichts davon wiſſen, wie es jetzt mir hier bei Deinem Abſchiede zu Sinnen ſein muß. Aber wenn er ſo freundlich ſein will, kann er ſpäter viel - leicht einmal Zeuge ſein, daß ich Dir nach meinem Tode die rothe Schanze vermacht habe mit Allem was dazu gehört; denn mein Vater hat doch keinen Andern, dem er ſie in ſein Teſtament ſetzen kann, als nur mich, außer den Hunden draußen am Thorweg. Wollen Sie ſo gut ſein, Herr Eduard, da Sie heute mitgekommen ſind, daß Sie es ſpäter einmal vor dem Gerichte mit bezeugen, daß die rothe Schanze, wenn mein Vater und ich nichts mehr von der Welt54 brauchen, einzig und allein Herrn Schaumann ge - hört? “
Wie es für den Menſchen, einen körperlich ſo angelegten Menſchen ſo raſch möglich zu machen ge - weſen war, weiß ich nicht; aber das Faktum war vorhanden: er, Stopfkuchen, ſitzt hinter dem alten Eßtiſch des Quakatzenhofes neben der Erbtochter des - ſelben und hat ſeinen Arm ihr um die Schulter gelegt und ruft:
„ Jetzt hört es aber auf! Dummheit läßt man ſich wohl gefallen, aber doch nur bis zu einem ge - wiſſen Grade, ſagt Kollege Blechhammer da unten, Eduard. Sieh Dir noch einmal die Quakatzenburg von inwendig an, alter Junge. Wer weiß, ob Du ſie ſo in Deinem Leben wieder zu ſehen kriegſt! Hier mein Ideal — meine Burg, mein Haus! da draußen die holde Flur, wo wir als Knaben ſpielten. Morgen alſo die Universitas litterarum und das hohe Meer des Lebens! Verflucht poetiſch und verlockend für zwei abgehende Pennäler. Wiſch Dir die Augen, Du liebſte närriſche Bauergans und thu mir den Ge - fallen und komm wieder mit ins Freie. So wie man den erſten Athemzug hier innen thut, hat man genug davon und ſchnappt nach der Luft da draußen. Vivant omnes virgines — komm, virgo — kratze und ſpucke nicht, virago! Ja wehre Dich nur, Fräulein! Sie ſollen mich nicht umſonſt da unten Stopfkuchen benamſet haben; ich werde ihnen zeigen, was dem Herz und dem Magen bekommt. “
Er hatte das Mädchen um den Leib gefaßt, er55 hob es hinter dem Bauerneßtiſch hervor, er trug es weg, trug es aus dem Hauſe und ſetzte es wieder hin auf den Wall des[Prinzen] Xaver von Sachſen. Valentine ließ es ſich ruhig gefallen, und ich — ich folgte verblüfft, betäubt, zweifelnd — kurz, Stopf - kuchen hätte geſagt: „ wie ein Schaf! “ Wenn aber Stopfkuchen jetzt auch noch Flügel entfaltet hätte und mit der Erbtochter von der rothen Schanze, mit dem Kinde von Kienbaums Mörder langſam, aber immer höher, höher, höher in den blauen Frühlingshimmel aufgeſtiegen wäre, ſo hätte ich willenlos mir auch das gefallen laſſen müſſen und hätte höchſtens fragen dürfen: „ Iſt es denn die Möglichkeit? “
Wir ſtanden wieder auf der grüngraſigen Wall - höhe des alten Kriegskunſtſtücks des Herrn Grafen von der Lauſitz — wir beiden angehenden Studenten und Valentine Quakatz: Heinrich und Tinchen Arm in Arm.
Plötzlich ſtieß der närriſche Menſch, Stopfkuchen, einen jauchzenden Ruf aus, ſchlug mich auf die Schulter, daß ich in die Kniee ſchoß und ſagte wie aus tiefſtem Magen heraus:
„ Und es iſt, Eines ins Andere gerechnet, doch ſo ungemüthlich nicht, daß der Sachſe und der Franzos Anno Siebenzehnhunderteinundſechzig das Neſt da unten nicht gänzlich ausgerottet, und alſo auch uns unmöglich gemacht haben. Wie nett es eigentlich, ſo im Ganzen, da doch liegt und durch die Güte des Herrn dem ſiebenjährigen Kriege zum Trotz liegen geblieben iſt. Ja, Flur, wo wir als Knaben ſpielten —56 Eduard! ſieh ſie Dir noch mal an, alter Junge, und gehe hin und lerne was, auf daß Du ihr einmal ebenfalls Ehre machſt und ihren guten Ruf bei den Leuten aufrecht erhältſt. Du aber, Tinchen, kümmere Dich gar nicht um ſie. Was ich und Du und Dein Papa von ihr zu halten haben, das wiſſen wir und von dem — unſerm Standpunkt mach 'ich es viel - leicht doch möglich, Prediger oder Staatsanwalt in ihr zu werden. Eine ſtandfeſte, haltbar[e]Kanzel würde freilich zu erſterm Lehr - und Straffach wohl gehören, “ſeufzte er, ſeine derbe biedere Rechte erſt betrachtend und ſie dann zur Fauſt geballt der Heimathſtadt drunten im Thal ebenfalls wie zu vor - ſichtiger, genauer Betrachtung hinhaltend.
„ Da ſitzen ſie nun auf ihren Bockſtühlen, Dein und mein Alter, Eduard, und haben keine Ahnung davon, von welcher Höhe aus Stopfkuchen ſie betrachtet, oder, nach Eurer Ausdrucksweiſe, auf ſie 'runterkuckt. “
„ Goldne Abendſonne, wie biſt Du ſo ſchön! “ſummte ich, wie um die Rede auf was Anderes zu bringen; aber Stopfkuchen ließ ſelten von einem einmal begonnenen Gedankengange leicht ab.
„ Natürlich iſt ſie ſchön; — vorzüglich wie wir hier an des Herrn Prinzen von Sachſen Wallböſchung der endlich gewonnenen Freiheit wirklich Menſch ſein zu dürfen, uns erfreuen. Sieh 'mal da flammt ſie grade in den Fenſtern des Schulkarzers, ſowie in denen unſeres Provinzialgefangenhauſes. Der reine Märchen - zauber! Hätteſt Du wirklich nie das Bedürfniß ge - fühlt, Freund meiner Kindheit, o Du mein Eduard,57 Deinen greuligen Alten, ſo wie ich den meinigen, und vorzüglich um die Zeit der Verſetzung in eine höhere Klaſſe edelſter deutſcher Menſchenbildung, dort hinter einem jener Gitter unſchädlich gemacht, in Sicherheit ſitzend zu wiſſen? “
Und dieſen Menſchen hatten wir nicht nur für den Dickſten, Faulſten und Gefräßigſten unter uns, ſondern auch nicht nur für den Dummſten unter uns, ſondern auch überhaupt für einen Dummkopf gehalten, o wir Eſel!
Und wer ihn auch jetzt wieder, nicht etwa von ſeinem Gedankengange abbrachte, ſondern ihn darin im bedachtſamen, ruhigen Schritt beſtärkte, das war nicht der feine, wohlgeſittete, mit dem beſten Schul - Abgangs-Zeugniß verſehene Eduard aus dem Poſt - hauſe, ſondern das war Tinchen Quakatz von der rothen Schanze, deren Vater man es leider nur nicht hatte beweiſen können, daß er Kienbaum todtgeſchlagen habe, und der darum im Bann, wenn nicht der Welt, ſo doch ſeiner nächſten Umgebung, was daſſelbe iſt, ging, und ſein Kind natürlich mit.
Valentine Quakatz hatte auch von der Schanze des[Prinzen] Xaver, von ihrem vervehmten Wall aus auf die Stadt und die in der Sonne blitzenden Fenſter derſelben hinabgeſehen, nun wendete ſie ſich ab und wiſchte ſich mit der Hand und dem Schürzen - zipfel die Augen.
„ Mir iſt ein Thier hineingekommen, oder der Glanz beißt mich, daß ſie thränen; und ihr — Du denkſt wieder, ich heule. “
58Und jetzt ballte ſie die Hand und ſchüttelte ſie gegen die glitzernden Fenſter des Provinzialgefangen - hauſes:
„ Aber ich heule nicht. Heinrich hat ganz Recht, es iſt dumm, nur zu weinen. Es beißt mich der Glanz auch nur in die Augen, weil ich ſo lange und ſo oft hier habe ſtehen müſſen, wenn er dahinter ſaß, da unten, hinter den Fenſtern, in ſeinem Ge - fängniß, mein Vater, mein lieber, liebſter Vater. Und weil ich Keinen hatte — “
„ Und weil ſie Keinen weiter hatte als mich, Eduard. Und weil ich auch nun wieder gehe, in Abweſenheit ihres Alten. Na ja, da ſiehſt Du mal wieder, lieber Eduard, was das Leben iſt, und wie das Vergnügen denn immer bloß als bloßer Schaum droben aufſchwimmt. Jetzt bitte ich Dich, ſetze Dich mal in meine Stelle und ſuche mit euch dummen Jungen, ſeinen lieben Eltern und was ſonſt dazu gehört, zum Trotz, aus ſo 'ner verſchüchterten, zur Feld - katze verwilderten Dorfmieze wieder ein niedliches, nettes, reinliches, ſchnurrendes, gurrendes, liebes, liebſtes kleines Mädchen zu machen. Na, nun thu noch mal die Schürze von den Augen und ſieh mich mit ihnen an; ſonſt beißt es mich in meinen Augen auch, und das möchte ich doch hier des klugen, ge - bildeten Eduards wegen lieber vermeiden. So iſt's Recht, und nun laß uns die Zähne aufeinanderbeißen. Ich kann wahrhaftig nichts dafür, daß andere Leute das Recht zu haben behaupten, etwas Anderes aus mir, zu machen als was in mir ſteckt. Da haſt Du meine59 Hand darauf, Jungfer Quakatz: ich komme wieder und behalte mir bis dahin alle meine Rechte hier an dieſer Erdſtelle vor, und den ſeligen Kienbaum ſoll doch noch der Teufel holen. Sage es Deinem Vater, wenn er nach Hauſe kommt, daß ich es geſagt habe, Tinchen. Und Du, feiner Eduard, bitte, ſieh gütigſt noch mal hinein in die ſchöne Landſchaft und auf die liebe Vaterſtadt — Schade daß jetzt grade nicht die Glocken dazu läuten. So iſt's recht, verlegener Jüngling — — —
Ich ſehe mich wirklich um — verſchüchtert, ver - ſtört, verlegen. Ich ſehe hinaus in die Landſchaft und auf die Stadt drunten im Thale — kurz, — ich ſehe weg, und vernehme im klingenden, ſummen - den Ohre, hinter meinem Rücken, auf der alten Wall - höhe des ſiebenjährigen Krieges, raſch hintereinander folgende Töne, die ich nur mit dem Namen Stopf - kuchen ganz und gar in Einklang zu bringen weiß. Dazwiſchen ein unterdrücktes Geſchluchz und Gekicher und dazu die Worte: „ Ach Heinrich, Heinrich! “
— — — — — — — — — — —
Als ich wieder aufſehe, iſt weiter nichts vorge - fallen, als daß die Jahre hingegangen ſind, und daß die langen Wogen des großen Meeres unter dem Schiffe weiter rollen, und es gegenwärtig gutmüthig, ohne zu arges Rollen, Schütteln und Schüttern weiter tragen, dem Kap der guten Hoff - nung zu.
60Zuerſt ſah das Ding noch grade ſo aus, wie es vor Jahren ausgeſehen hatte. Nur daß es heute in anderer Beleuchtung, als an jenem Abſchiedstage vor mir lag; nämlich im friſchen, hellen Tagesſchein, ſo um zehn Uhr Morgens.
Noch immer derſelbe alte Wall und Graben, wie er ſich aus dem achtzehnten Jahrhundert in die zweite Hälfte des neunzehnten wohl erhalten hatte. Die alten Hecken im Viereck um das jetzige bäuer - liche Anweſen, die alten Baumwipfel darüber. Nur das Ziegeldach des Haupthauſes, das man ſonſt über das Gezweig weg und durch es hindurch noch von der Feldmark von Maiholzen aus geſehen hatte, er - blickte man heute nicht mehr. Dieſes brachte mich denn darauf, daß die Hecken doch wohl gewachſen und die Baumkronen noch mehr über der Quakatzen - burg ſich verdichtet haben müßten. Es mußte un - bedingt im Sommer noch ſchattiger als ſonſt auf der rothen Schanze geworden ſein, und um dieſes wür - digen zu können, mußte man eben wie ich die Linie gekreuzt haben, um noch einmal nach Hauſe zu kommen, und ſonſt auch überhaupt jetzt dort zu Hauſe ſein, wo es durchſchnittlich im Jahre recht heiß iſt, und wo der Scha[t]ten manchmal ganz bedenklich mangelt.
Ich ſah hin, die Hände vor dem Leibe über - einandergelegt; und ich ſah mir Alles, da ich j[a]Zeit hatte, und Niemand auf der weiten Flur mich ſtörte, und die Lerchen in den Lüften nicht ſtörten, ſehr genau an, ehe ich den Graben des Grafen von der Lauſitz überſchritt.
61Da fiel mir denn bald noch ein Anderes auf. Wie es innerhalb der rothen Schanze ausſehen mochte, außerhalb derſelben, ſo weit ihr Reich ging, erſchien mir das Ding verwahrloſter denn je.
Sonſt ſah man es doch, trotz aller Vervehmung, dem Dammweg ſehr an, daß der kriegeriſche Auf - wurf im fetten Ackerboden dieſer Landſchaft zu der Umwallung eines friedlichen Bauerhofes geworden war, daß Menſchen und Vieh darüberhin ein - und ausgingen, daß Miſt - und Erntewagen darüberhin fuhren, daß der Menſch, trotzdem daß Kienbaum von hieraus todtgeſchlagen worden war, auch hier noch ſeiner Nahrung und ſeinem Behagen nachging.
Dem ſchien jetzt nicht mehr ſo zu ſein. Eine Römerſtraße, auf der vor, während und nach der Völkerwanderung Tauſende todtgeſchlagen worden waren, konnte im laufenden Saekulo nicht mehr überwachſen und von Grasnarbe überzogen ſein, wie die alten Radgleiſe und Fußſpuren, die über den Graben des Prinzen Xaverius von Sachſen auf dem Dammwege des Bauern zu der rothen Schanze führ - ten. Es leitete jetzt nur noch ein ganz ſchmaler, ſchmaler Fußpfad, ohne Radgleiſen, Huf - und Klauen - ſpuren daneben, durch das hohe Gras. Quendel, blaue Glockenblumen, Löwenzahn, Thymian und was ſonſt im Grunde das meiſte Recht hier hatte, brauchte ſich nicht mehr ſcheu wegzuducken, oder ſich von Huf, Klaue und Schuhſohle Alles gefallen zu laſſen.
„ Nun ſoll es mich doch wundern, “dachte ich. „ Es iſt doch wirklich, als ob das Gras auch hinter62 Ihm wieder aufgeſtanden ſei! “und damit ſetzte ich den Fuß auf den Damm und in den engen Pfad, der zu Stopfkuchen hinüberführte, wie er vordem zum Bauer Andreas Quakatz hinübergeführt hatte, und — hielt noch einmal an. Es war noch ein Drittes jetzt hier am Eingange anders geworden als ſonſt: wo ſteckten die Hunde?
Ja, wo waren die Hunde der rothen Schanze? Die Wächter der Quakatzenburg? Wo war die durch ſtille Winter - und Sommernächte, vorzüglich wenn in ihnen der Vollmond am Himmel ſtand, weithin ins Land, ob ihrer guten aber lauten Wacht bekannte und berüchtigte Wachtmannſchaft?
Wir haben im Kaffernlande auf unſern Gehöften ihrer auch und haben ſie nöthig; aber nun war es mir wieder ganz deutlich: ich war nie in der Welt auf böſere Hunde getroffen, als die der rothen Schanze, und ich hatte nie ein Gebell böſer Hunde — ſelbſt wo ich wieder an es zurückdachte, ſo vermißt, als wie hier am Eingangsthor dieſes deutſchen Bauerhofes.
Die nächſten Schritte gegen die Quakatzenburg belehrten mich, daß dieſe Wache abgelöſt, aber keines - wegs aufgegeben worden ſei. Eine andere Mann - ſchaft hatte ſie bezogen und der Empfang durch die - ſelbe ſprach wahrlich für friedlichere Zuſtände als die von vergangenen Zeiten.
Wir kennen Alle die alten hübſchen behaglichen Bilder, auf welchen am Thor mittelalterlicher Städte der Stadtſoldat auf der Bank unter dem letzten Edikt ſeines Senatus populusque, die Brille auf der Naſe,63 den Bierkrug zur Rechten, die Feuer-Schloß - und Stein-loſe Flinte zur Linken, in idylliſcher Ruhe und Beſchaulichkeit an ſeinem Strumpf ſtrickt. Ich habe ſelber ſolch ein Bild, Spitzweg gezeichnet, draußen zu Hauſe, drunten in Afrika, an der Wand über dem Sopha und Sophatiſch meiner Frau, (es muthet mich dann und wann um ſo mehr an, weil unter dem letztern, dem Sophatiſch meiner Frau nämlich, ein Löwenfell zum Fußteppich dient) und ich fand es nicht ohne Behagen wieder, hier zu Hauſe am Thor der rothen Schanze. Nur wurde von dem jetzigen Wachtinhaber des weiland Prinzen Xaverius von Sachſen und Kienbaums Mörder, des Bauern Qua - katz, nicht geſtrickt.
Es wurde geſponnen.
Er ſaß nicht an, ſondern auf dem rechten Thor - pfeiler, der jetzige Wachtmann der rothen Schanze. Er ſaß mit Würde da in der Morgenſonne und ſah ruhig, gelaſſen, zu mir hinüber — und er ſpann dabei. Sein Spinnen hinderte ihn aber nicht, auch den Schnurrbart zu ſtreichen, ja, er fuhr ſich mit der wehrhaften Fauſt ſogar über die Ohren (was beiläufig in ſeiner Kompagnie bedeutet, daß Beſuch kommt) und ſtrich ſich die Naſe und nieſte dabei. Ich war ganz dicht bei ihm, als er einen Satz that, und langſam, ſtattlich und über die Schulter gleichmüthig nach mir zurückſehend, mir voranging, hinein in Quakatzenhof: der „ Kapitän Hinze “, der „ weiße Mann “, der wirklich fleckenlos weiße Kater — der Hauskater der Schanze des Comte de Lusace.
64Er blieb noch einmal ſtehen und ſchlenkerte erſt die rechte, dann die linke Pfote ab; denn es hing da immer noch etwelcher Thau am Graſe, wo der Lindenſchatten noch auf letzterem lag. Er ſah mich noch einmal an und ging langſam wieder weiter, als wolle er mir den Weg zeigen; er betrachtete mich unbedingt nicht als Feind, und ging auch wahrlich nicht mehr, um die Hunde zu holen und Tinchen Quakatz mit einem Feldſtein in der Kinderfauſt, und den Vater Quakatz mit dem erſten beſten Prügel, oder gar der Miſtgabel, oder der Holzaxt! Es gab wohl nichts Einladenderes als ihn, den Hauptmann Hinze; und das wozu der neue Wachtkommandant der rothen Schanze einlud, winkte ebenfalls nicht ab und rieth zu ſchleuniger Umkehr und eiligem Rückzug.
Ganz Stopfkuchen!
Stopfkuchen, wie er ſich ſelber wohl tauſendmal in ſeinen ſchönſten, elegiſchſten Jugendträumen als Ideal geſehen hatte.
O welch ein Frühſtückstiſch vor dem Binſen - hüttchen, das heißt dem behaglichen, auch auf Winter - ſchnee und Regenſturm behaglich zugerichteten deutſchen Bauerhauſe, — vor dem Hauſe, am deutſchen Sommer - morgen, zwiſchen hochſtämmigen Roſen, unter Holunder - büſchen, im Baumſchatten mit der Sonne drüber und der Frau, der Katze, dem Hunde (jetzt ein ruhiger, verſtändiger, alter Spitz) den Hühnern, den Gänſen, Enten, Spatzen und ſo weiter, und ſo weiter, rundum! Und ſolch ein grauer, der Jahreszeit an - gemeſſener, jedem Recken und Dehnen gewachſener65 Schlaf - oder vielmehr Hausrock! und ſolch eine offene Weſte und ſolch eine würdige, lange Paſtorenpfeife, mit dem dazu gehörigen angenehmen Paſtorenknaſter in blauen Ringeln in der ſtillen Luft!
„ Stopfkuchen! “
Es gab nur ein Wort, und dieſes war es, was ich murmeln konnte, wie ich jetzt ſtand, und, wie der Marquis von Carabas, dem Kapitän Hinze meine weitere Einführung in die Behaglichkeit überließ.
„ Stopfkuchen! “murmelte ich, während ich ſtand und darauf wartete, daß man, juſt aus ſeinem Wohl - ſein heraus, noch einmal in meinem Leben Notiz von mir nehme auf der rothen Schanze.
Selbſtverſtändlich war's die Frau, welche die Störung zuerſt bemerkte, zu dem Fremden haſtig auf - ſah und ihren Mann anſtieß:
„ Aber Heinrich? Ein Herr! Da iſt ja wer! “
Ich habe es nicht gehört, aber ich bin nicht nur feſt überzeugt, ſondern ich weiß es gewiß, daß ihr Heinrich nichts weiter als: „ Na?! “geſagt hat, als er wenig erfreut, die Zeitung ſinken ließ und die Naſe erſt ſeinem Wachtkapitän zu, ſodann nach ſeinem Thoreingang hin und zuletzt dem Eindringling in ſeinen Morgenfrieden entgegen hob.
„ Entſchuldige den Störenfried, lieber Alter. Eduard nannteſt Du, freilich vor langen Jahren, einen Freund, wenn er auch kein junger Baron war, ſondern nur aus dem Poſthauſe da unten ſtammte, Schaumann, “ſagte ich, wie vollſtändig aus demW. Raabe. Stopfkuchen. 566heißen Afrika in ſeine wonnige Kühle hinein ihm näher tretend. Die Frau legte das Strickzeug auf den Kaffeetiſch, der Mann legte beide fleiſchigen Hände auf beide Lehnen ſeines Gartenarmſtuhls, wand ſich langſam in die Höhe. in ſeiner gediegenen Breite nun noch mehr zur Erſcheinung kommend, und — ſprang vor. Er that einen Sprung! Es war der Sprung eines überfetten Froſches, aber ein Sprung war es!
Das Wort nahm ihm jedoch noch einmal die kleine, zarte Frau vom Munde weg.
„ Jeſus, Heinrich, “rief Valentine Schaumann, geborene Quakatz, „ es iſt wirklich und wahrhaftig Dein Freund Eduard! “
„ Halte doch mal meine Pfeife, Tinchen, “ſagte Stopfkuchen, und dann nahm er mich, wenn auch nicht in ſeine Arme, ſo doch an meinen beiden Ober - armen, hielt mich ſo eine Weile feſt, aber doch von ſich, beſah mich ganz genau und fragte:
„ Biſt Du es? Biſt Du es wirklich doch noch einmal? Die Möglichkeit iſt es ja! “ſetzte er hinzu.
„ Es iſt die Wirklichkeit, alter Heinz, und ich freue mich, Dich — die rothe Schanze — nein, Dich und Deine Frau ſo wohl zu ſehen! Du haſt — “
„ Dich garnicht verändert. Bleibe mir, an jedem warmen Tage wenigſtens, mit der verruchten Redens - art vom Wanſte. Der andere Hohn: Menſch, aber wie dick biſt Du geworden! kommt ja doch gleich hinterdrein. In der Beziehung könnt ihr Alle — “
67„ Schaumann, ich freue mich ſo ſehr, Dich ſo, gerade ſo, wieder zu finden! “
„ Na, na, im Schatten geht es ja wohl noch an. Da zerfließt man ſeinem beſtem Jugendfreund nicht ſofort als ein Schemen in den Armen. Er iſt es wirklich, Tinchen! er hat wahrhaftig die Freundlichkeit gehabt, ſich auch Unſerer noch zu erinnern. “
„ Stopfkuchen?! “
„ Das Wort ſchmeckt wenigſtens noch ein Bischen nach andern jüngern Tagen und lebendigeren Gefühlen; aber die Thatſache bleibe deſſenungeachtet beſtehen. Geehrter, weshalb kommſt Du jetzt erſt auch zu Uns? Soweit leſen wir die Zeitungen hier oben auf Quakatzenburg noch, daß wir aus der Gaſthofsliſte wiſſen, wie lange Du Dich da unten bereits aufge - halten und natürlich einer Menge Anderer das Ver - gnügen Dich wiederzuſehen, geſchenkt haſt. Nu denn, das iſt denn ja ſehr freundlich von Dir. “
Wie Jeder, der mit Recht wegen einer Ver - ſäumniß am Ohr genommen wird, ſuchte ich nach einer Ausrede und fand diesmal folgende:
„ Das Beſte erſpart ſich der verſtändige Erden - bewohner ſtets bis zuletzt. Dieſes war, wie ich mich ungemein deutlich erinnere, auch Dein Grundſatz in den Tagen unſerer Kindheit und Jugend, lieber Heinrich. “
„ Davon bin ich völlig abgekommen, “erwiederte Stopfkuchen. „ Seit einigen Jahren ſchon nehme ich das Beſte zuerſt, lieber Eduard, und verlaſſe mich nicht mehr darauf, daß man ja Zeit habe und das5*68Butterbrod ſicher und feſt in beiden Fäuſten halte. Na, laſſen wir die Komplimente! das Glück iſt Dir diesmal wenigſtens noch günſtig geweſen: einen fetten Happen haſt Du Dir an mir aufgehoben! was? “
„ Nun, nun, beſter Schaumann — “
„ Und Du — wie ſtehſt Du denn ſo dumm da, Mieze? Quakätzchen? Da der Mann ſich als Menſch, Bruder und Freund wenigſtens annäherungsweiſe legitimirt hat nach Menſchenbrauch, ſo biete ihm wenigſtens ein Stuhl, und noch eine Taſſe Kaffee an, wenn der noch warm iſt. Setze Dich wenigſtens einen Augenblick, Eduard, wenn Du Zeit haſt; und dann — Du, ſieh ſie Dir einmal an! — Das iſt ſie! Tinchen; Tinchen Quakatz. Na, was meinſt Du, Eduard? Ueber mich haſt Du Deine Meinung, Dir unbewußt, durch Blick, Mundaufſperren, Hand - und Fußmimik bereits geäußert. Jetzt ſage es mir dreiſt aufrichtig, wie Du ſie konſervirt findeſt? “
Die Handbewegung, der Blick und, was ſonſt zu dieſer Vorſtellung der Frau Valentine Schaumann gehörte, nichts iſt davon zu beſchreiben. Auch von dem Ton nicht, mit dem das Wort „ Mieze “ge - ſprochen wurde.
Und Quakätzchen?!
Eine geborene Quakatz, die Tochter von Kien - baums Mörder, Andreas Quakatz, die ſich bei ihrem Eheherrn zu einer „ Mieze “, ja, wie ich nachher merkte, ſogar zu einem „ Müſchen “, mit längſter, zärtlichſter Dehnung auf dem ü ausgewachſen hatte, und jetzt mir Platz im Sommermorgen und am Frühſtücks -69 tiſch auf der rothen Schanze machte, die muß doch beſchrieben werden!
Ich hatte ſie als Kind nur hager gekannt; — „ klapperig “nannte es Stopfkuchen; aber ſie hatte es nicht ſo wie Stopfkuchen gemacht, ſie hatte nicht ihre Körperveranlagung im Laufe der Jahre zur höchſten Potenz ausgebildet. Sie war nicht in dem Grade dürr geworden, wie er dick geworden war. Sie war nicht eingehuzzelt unter ſeinem Regimente, in dem Schatten, dem beträchtlichen Schatten, den er warf.
Sie war ein wohlgebautes, behagliches Perſön - chen geworden, mit einigem Grau im Haar, wie man es ſo gegen das vierzigſte Jahr wohl gelten laſſen muß. Ich ſah ſie mir natürlich zuerſt darauf an, ob ſie wohl noch die Hunde über den Dammweg auf „ uns Jungens “und die übrige Welt hetzen könne; ich ſah ſie mir ſehr genau darauf an, und ich freute mich. Vollſtändig hatte ſie den wilden, manchmal halb irren Blick ihrer Kindheit und „ Jugendblüthe, “der aus[ihrer] troſtloſen Vervehmung damals ſtammte, verloren. Und als ſie lächelnd die erſten Worte auch an mich gerichtet hatte, wußte ich nach dieſen erſten Worten, daß ſie ſeit lange nicht mehr das verſchüchterte, mit böſen Worten, Steinen und Erdklößen beworfene Bauermädchen vom Quakatzenhof war. Es war durchaus nicht nöthig, daß mein Freund Schaumann es für nothwendig zu halten ſchien, meine Aufmerkſam - keit noch reger zu machen und zwar mit den abge - ſchmackten Worten:
„ Ja, ja, Eduard, Bildung ſteckt an, und ich bin70 immer ein ſehr gebildeter Menſch geweſen, wenn ihr da unten es auch nicht immer Wort haben wolltet. Und dann, Eduard, ſtudirt man manchmal auch nicht ganz ohne Nutzen für die oder den Neben - menſchen — das Kochbuch. “
„ Wer es nicht wüßte, daß wir ſeit lange recht gute, gute Bekannte ſind, der müßte das hieraus doch ſofort merken, “ſagte freundlich zierlich Frau Valentine Schaumann, und weder im Salon der Madame Recamier, noch dem der Madame de Staël, noch dem der Frau Varnhagen von Enſe, die ihrer Zeit Rahel genannt wurde, konnte etwas Feineres und Beſſeres mit einem beſſern und feinern Lächeln bemerkt werden.
Ich hatte es damit vollſtändig heraus, daß ich hier am Ort in der Heimath den Fuß zuerſt auf einen verzauberten Boden geſetzt habe, auf welchem die Enttäuſchungen der Heimkehr doch vielleicht noch einem rechten, echten, wahrhaftigen, wirklichen Heimathsbe - hagen Raum geben konnten. Nach zehn Minuten einer Unterhaltung, die ſich nur auf unſer Wieder - aneinanderherantreten bezog und garnichts Bemerkens - werthes an ſich hatte, wollte uns die Frau verlaſſen und ins Haus gehen, dem Gatten verſtändnißvoll zu - nickend, nachdem Stopfkuchen geſagt hatte:
„ Du Mieze, natürlich raſtet der Fremdling heute im gelobten Lande. In der Abendkühle können wir ihn dann ja ein bischen auf ſeinem Wege nach der Stadt und Afrika zurückbegleiten. “
Ich war wohl nicht mit der Abſicht gekommen,71 ſo lange zu verweilen; aber ich bin doch wirklich gern den Tag über auf der rothen Schanze geblieben; nach - dem ich meinerſeits gerufen hatte:
„ O, Frau Valentine, wohin wollen Sie? Bleiben Sie ſitzen. Man muß aus Südkaffraria und über die Tropen auf Beſuch nach Hauſe gekommen ſein, um wirklich zu erproben, wie wohlig es ſich zu Hauſe, an einem Morgen wie der heutige vor einem ſolchen Hauſe ſitzen läßt! “
„ Nicht wahr? “ſagte Stopfkuchen. „ Da hörſt Du's mal wieder, Tinchen Quakatz! Uebrigens geh 'Du nur ruhig hin; der fremde Herr erzählt uns nach - her wohl das Genauere von ſeinem Hausweſen da unten, dahinten. Das macht man wahrhaftig am beſten und gemüthlichſten bei Tiſche ab. Laß Du Dich nicht von ihm jetzt abhalten; geh' Du ruhig an Dein Geſchäft, Müſchen. Dieſer abenteuernde Afrikaner wird ſeine richtige Desdemona wohl auch ſchon anderswo ge - funden haben, und Du kriegſt doch nur die ſchönen Reſte ſeiner Schnurren und Seelenſtimmungen. Geh Du ruhig in Deine Küche — doch die Hauptſache. Auch ihm! “
Und der Gatte warf der Gattin einen ſchmunzelnd verſtändnißinnigen Blick zu und zog ſich mit der Handkante vor der Gurgel her, den Geſtus des Hals - abſchneidens aufs Vollkommenſte zur Darſtellung bringend.
„ Heinz hat wahrhaftig Recht, Herr Eduard. Die Herren müſſen mich wirklich für einige Augen -72 blicke entſchuldigen. Sei nur ruhig, Schaumann, ich weiß ſchon! “
Sie entſchlüpfte, und ein Weib, das von einem alten Mörder, von Kienbaums Mörder abſtammte und ebenfalls mit Mordgedanken umging, konnte wahrlich dabei nicht lieber und gutmüthiger und be - haglicher mir zunicken und mir ihre Freude darob zu erkennen geben, daß ſie mich heute Mittag bei Tiſch haben werde. Aber es lag auch eine Welt voll Vertrauen in der Rauchwolke, die ihr der Gatte aus ſeiner Pfeife nachblies mit den Worten:
„ Alte — Achtung! Das Afrika verwöhnt ſeine Leute. Ein in der Aſche gebratener Elephantenfuß ſoll keine Kleinigkeit ſein. Tinchen, das wäre doch endlich ein wahrer, guter Ruf, wenn dieſer fremde Herr daheim, zu Hauſe, bei ſich, von uns Beiden mit Vergnügen erzählen — müßte! “
„ Welch eine wirklich liebe Frau, “ſagte ich.
„ Nicht wahr? “fragte Stopfkuchen, und fügte hinzu: „ Was — und wie gut konſervirt? “
Und dann ſaßen wir einige Zeit in Nachdenken und die Behaglichkeit der Stunde verſunken, und be - merkten es währenddem erſt allmählich, daß nach und nach um uns her eine Bewegung entſtand. Es kam nämlich ein Aufhorchen, ein Umherſehen, ein Schnabel - zuſammenſtecken in das Federviehvolk um den Früh - ſtückstiſch der rothen Schanze, — Alles in Folge eines heftigen Gegackers und Gekreiſches aus dem Hofraum hinter dem Hauſe. Und nicht ohne Grund, denn von dorther über das niedrige Gatter um den obbe -73 meldeten Hof, war ein einzeln Huhn mit geſträubten Flügeln und einigen Federn im Schwanze weniger, gelaufen gekommen und hatte böſe Mär gebracht.
„ Was hat denn das Vieh? wer hat denn jetzt wieder Kienbaum todtgeſchlagen? “fragte Stopfkuchen, ſeinen Tauben nachſtarrend, die plötzlich von ihrem Schlage ſich erhoben und in angſtvollen Kreiſen über unſern Häuptern und über den grünen Linden - wipfeln der rothen Schanze, allmählich zu ſilbernen Pünktchen im Himmelblau werdend, ſich entſetzt um - ſchwangen.
„ Das Zeugs iſt ja wie rein toll! “ſagte er; ich aber that natürlich, als ob ich nicht die geringſte Ahnung davon habe, daß der ganze Aufruhr und Schrecken der Natur ſich von mir herleite, daß meinet - wegen Frau Valentine Stopfkuchen auf der rothen Schanze in der Küche gerufen habe: „ Stine, wir haben heute einen Gaſt, und wenn mich nicht Alles täuſcht, einen aus fremden Ländern her ſehr verwöhnten. Was fangen wir an? Mein Mann hat ihn zu Tiſche gebeten,[und] wir haben für ſo Einen, der von ſo weit herkommt, eigentlich garnichts Ordentliches im Hauſe. “
„ Na ja, ſo muß es uns immer zur unrechten Zeit über den Hals kommen, “hatte dann wahrſchein - lich Stopfkuchens guter, zweitbeſter Küchengenius ge - rufen und — ſicherlich hinzugeſetzt: „ Na, ganz ſo ſchlimm iſt es wohl noch nicht mit ihm, dem fremden Herrn, und uns hier auf der rothen Schanze. Die74 Hühner und den Taubenſchlag haben wir ja immer gottlob noch bei der Hand. “
Ich wußte es auch noch von meiner ſeligen Mutter her, was die Antwort und der Troſt war: „ Für eine gute Bouillon wollen wir jedenfalls ſorgen, Stine. Die laſſen ſich auch die Verwöhnteſten gefallen. “
Frau Tinchen Schaumann hat an dem Tage aber noch aus ihrer eigenen Speiſekammer und was noch beſſer: aus ihrer eigenen guten Seele „ mit einem Stein vom Herzen “hinzugeſetzt: „ Und dann haben wir ja auch, Gott ſei Dank, den Schinken in Bur - gunder liegen. Alſo denn, Stine, raſch in den Hühnerhof und auf den Taubenſchlag. Der fremde Herr bleibt bis zum Abend, und es iſt ein alter Freund von meinem Mann, und es iſt auch mir eine große Freude, daß er nach ſo langen Jahren und von ſo weit her hier noch einmal auf der Schanze zu Beſuch iſt! “
Es möchten vielleicht Manche auf dem Schiffe gern wiſſen, womit ſich eigentlich der Herr aus der Burenrepublik ſo eifrig litterariſch beſchäftige? was er ſchreibe, worüber er jetzt knurre, jetzt ſeufze und jetzt lache? Es iſt aber Keiner unter der ganzen Reiſegeſellſchaft, dem ich es vollſtändig klar machen könnte, wie ſich ein vernünftiger Menſch auf einer75 ſolchen Fahrt, ſo mit einem längſt gegeſſenen und verdauten Schinken, und wenn auch in Burgunder, ſo eingehend noch einmal beſchäftigen könne. Wir haben Deutſche, Niederländer, Engländer, Norweger, Dänen und Schweden, die ganze germaniſche Vettern - ſchaft, an Bord des Leonhard Hagebucher; aber ſie würden mich Alle mehr für einen Narren, als einen mit ein wenig Weltverſchönerungsſinn begabten Teutonen nehmen, wenn ich heute Abend im Rauchſalon ihnen einige Seiten aus meinem diesmaligen Logbuch und Reiſemanuſkript, aus der Kriminalgeſchichte Stopfkuchen vorleſen würde. Ich laſſe das wohl bleiben; aber ich bleibe auch bei meinem Manuſkript, wenn das Wetter und der Wogengang es erlauben. Ich bin eben oft genug im Leben zu Schiffe geweſen, um zu wiſſen was das Behaglichere iſt auf einer längern Fahrt. Es iſt eine große Täuſchung, zu meinen, daß auf den großen Waſſern alle Augenblicke etwas Merk - würdiges vorkomme, und daß eine germaniſche Reiſe - verwandtſchaft immer ungemein humoriſtiſch, gemüth - voll, feinfühlig und — intereſſant ſei ....
Nämlich den friſchen Schinken in Burgunder und die gute Hühnerſuppe fanden wir auf dem Mittagstiſch; aber ſoweit ſind wir ja wohl noch nicht. Wir ſitzen noch hinter Stopfkuchens zweitem Früh - ſtück unter den alten Linden von der Quakatzenburg auf der rothen Schanze, Freund Heinrich Schaumann und ich, und der Eßtiſch drinnen im Hauſe wird eben erſt in die Mitte der Stube gezogen, um von Frau Tinchen und einer zweiten Magd derſelben für das76 Haupttreffen, die Hauptbefriedigung des täglichen Nahrungsbedürfniſſes „ gedeckt “zu werden.
„ Endlich doch einmal ein Menſch, der ein vor - geſetztes Ziel erreicht hat, ohne daß es ihn nach dem Anlangen enttäuſcht hat! “ſagte und ſeufzte ich, in die nochmals dargereichte Cigarrenkiſte greifend.
„ Ein bischen viel Uebergewicht, “brummte Stopf - kuchen. „ An heißen Tagen etwas beſchwerlich, lieber Eduard. Vorzüglich bei den doch immer nothwendigen Geſchäftsgängen. “
„ Ja, haſt Du denn wirklich noch ſolche noth - wendige Gänge zu machen, lieber Heinrich? Haſt Du wahrhaftig noch nicht mit Allem was für Unſer - einen ſo draußen herum liegt und beſorgt werden muß, abgeſchloſſen? Liegt nicht alles das draußen vor Deinen wundervollen Wällen des Prinzen Xaver von Sachſen? “
„ Was wohl ſoviel heißen ſoll als: biſt Du nur dazu da, auf der rothen Schanze nach dem Lebens - unbehagen des Vaters Quakatz die Behaglichkeit des Daſeins in Deiner feiſten Perſon zur Darſtellung zu bringen? Jetzt leihe mir mal gütigſt Deinen Arm, Eduard. Eine Weile dauert es wohl, ehe wir zu Tiſch gerufen werden; alſo kann ich Dir, wenn es Dir gefällig iſt, vorher noch Feſtung, Haus und Hof — my house and my castle — wie das Alles unter meiner und Tinchens Herrſchaft geworden iſt, etwas genauer zeigen. Uf! — langſam! nur nicht zu haſtig. Weshalb ſollen wir uns nicht Zeit nehmen? Was könnte ich Hinhocker einem Weltwanderer gleich Dir77 Merkwürdiges zu weiſen haben, was ein ſolch raſendes Drauflosſtürzen erforderte? Nur mit aller Bequem - lichkeit, Freund! Wandeln wir langſam, langſam, und zwar zuerſt noch einmal um den Wall des Herrn Grafen von der Lauſitz, ſegensreichen, wenn auch nicht glorioſen Angedenkens. “
„ Segensreichen Angedenkens? Das ſagte die Stadt da unten, ſo wie die Umgegend im Jahre Chriſti Siebenzehnhunderteinundſechzig grade nicht. “
„ Aber ich ſage es heute. Was geht mich die hieſige Gegend und Umgegend an? Die ſchöne Ausſicht darauf von Quakatzenburg aus natürlich abgerechnet. “
Ich war jetzt ſo geſpannt auf das, was er mir zu zeigen hatte, daß ich wirklich mit einiger Mühe meinen Schritt aus den Goldfeldern von Kaffraria nach ſeinem Schritt von der rothen Schanze mäßigte. Und zum erſtenmal nun in meinem Leben umging ich auf dem Walle ſelbſt das Schanzenviereck des Prinzen Xaver; als Junge und als junger Menſch hatte ich es mir ja nur von jenſeits des Grabens, vom Felde, von dem „ Glacis “dann und wann an - ſehen können. Und die Jahre zählten! Es ging freilich heute etwas langſam damit; denn der Jugend - freund hatte in Wahrheit meinen Arm nicht bloß der Zierde und Zärtlichkeit wegen genommen. Seine Pfeife nahm er natürlich auch mit, hielt ſie im Brande und deutete mit ihrer Spitze hierhin und dorthin, wo er meine, nach ſeiner Meinung durch allerlei Weltumſegelungen zerſtreute Aufmerkſamkeit, hinzuwenden wünſchte.
78Wir wandelten oder watſchelten wieder durch ſeinen Gartenweg, zwiſchen ſeinen Johannis - und Stachelbeerbüſchen, ſeiner brennenden Liebe, ſeinen Roſen und Lilien, ſeinem Ritterſporn und Venus - wagen empor zu der Brüſtung ſeiner Feſtung. Als Geſchichtsforſcher und als Philoſoph der rothen Schanze erwies er ſich von Augenblick zu Augenblick größer — bedeutender. Und dabei hatte er ſich in ſeiner wohl - gefütterten Einſamkeit und in den Armen ſeiner kleinen, herzigen Frau zu einem Selbſtredner ſondergleichen ausgebildet. Er fragte, und er gab gewöhnlich die Antwort ſelber, was für den Gefragten ſtets ſeine große Bequemlichkeit hat.
„ Woher ſtammen im Grunde des Menſchen Schickſale, Eduard? “fragte er zuerſt, und ehe ich antworten konnte (was hätte ich antworten können?) meinte er: „ Gewöhnlich, wenn nicht immer aus Einem Punkte. Von meinem Kinderwagen her — Du weißt, Eduard, ich war ſeit früheſter Jugend etwas ſchwach auf den Beinen — erinnere ich mich noch ganz gut jener Sonntagsnachmittagsſpazierfahrt - ſtunde, wo mein Dämon mich zum erſtenmal hierauf anwies, in welcher mein Vater ſagte: ‚ Hinter der rothen Schanze, Frau, kommen wir gottlob bald in den Schatten. Der Bengel da könnte übrigens auch bald zu Fuße laufen! Meinſt Du nicht?‘ — ‚ Er iſt ſo ſchwach auf den Füßen, ‘ſeufzte meine ſelige Mutter, und dieſes Wort vergeſſe ich ihr nimmer. Ja, Eduard, ich bin immer etwas ſchwach, nicht nur von Begriffen, ſondern auch auf den Füßen geweſen, und das iſt79 der beſagte Punkt! Ich habe mich wahrhaftig nicht weiter in der Welt bringen können, als bis in den Schatten der rothen Schanze. Ich kann wirklich nichts dafür. Hier war mein ſchwacher oder, wenn Du willſt, ſtarker Punkt. Hier faßte mich das Schickſal. Ich habe mich gewehrt, aber ich habe mich fügen müſſen, und ich habe mich ſeufzend ge - fügt. Dich, lieber Eduard, haben Störzer und Mr. Le Vaillant nach dem heißen Afrika gebracht, und mich haben meine ſchwachen Verſtandeskräfte und noch ſchwächeren Füße im kühlen Schatten von Quakatzenhof feſtgehalten. Eduard, das Schickſal be - nutzt meiſtens doch unſere ſchwachen Punkte um uns auf das uns Dienliche aufmerkſam zu machen. “
Dieſer Menſch war ſo frech-undankbar, hier wahr - haftig einen Seufzer aus der Tiefe ſeines Wanſtes hervorzuholen. Natürlich nur um mir ſein Behagen noch beneidenswerther vorzurücken. Ich ging aber nicht darauf ein. Den Gefallen meinerſeits jetzt noch tiefer und mit beſſerer Berechtigung zu ſeufzen, that ich ihm nicht.
„ Ruhig, Eduard, “ſagte ich mir. „ Sollſt doch zu erfahren ſuchen, was er noch weiter mehr weiß als Du. “
Ich ließ ihn alſo am Worte, ſtill von einer Ecke des alten jetzt ſo friedlichen Kriegsbollwerkes, aus dem Schatten heraus, in die ſonnige, weite Landſchaft mit meiner Heimathſtadt, ihren Dörfern, Wäldern, nahen Hügeln und fernem Gebirge hinaus - ſchauend.
80„ Ja, da haſt Du den ganzen Kriegsſchauplatz von Schaumann contra Quakatz vor Dir, “ſprach Stopfkuchen. „ Sieh Dir die Landſchaft ja noch einmal an, ehe Du Dich wieder nach Deinem herrlichen Afrika verziehſt. Es iſt und bleibt doch eine nette Gegend! was? “
„ Freilich, freilich! Man braucht gerade nicht aus Lybien zu kommen oder wieder dorthin abreiſen zu müſſen, um das dreiſt behaupten zu können. “
„ Und dann was Alles in ihr paſſirt iſt, Eduard, “ſagte Stopfkuchen, mich leicht mit dem Ellbogen in die Seite ſtoßend. „ Von alten Hiſtorien will ich garnicht anfangen; aber nimm nur bloß dieſen himmliſchen ſiebenjährigen Krieg an! “
„ Beſter Freund — “
„ Für dieſen göttlichen ſiebenjährigen Krieg und den wundervollen alten Streithahnen, den alten Fritz habe ich immer meine ſtillſte aber innigſte Zuneigung gehabt. “
„ Liebſter Heinrich — “
„ Jawohl, etwas von dieſer herzlichen Neigung in mir dämmert Dir vielleicht heute auch noch wohl aus unſchuldigen Kinder - und nichtsnutzigſten Flegel - jahren auf. Eduard, wäre ich heute nicht Stopf - kuchen, ſo möchte ich nur Friedrich der Andere in Preußen — in der ganzen Weltgeſchichte nur Fritz der Zweite geweſen ſein. Ich weiß nicht wie es mit Deiner Bibliothek im Kaffernlande beſtellt iſt, aber, bitte, nenne mir einen Andern aus der Welt Haupt - und Staatsaktionen, der für Unſereinen etwas81 Sympathiſcheres als Der an ſich haben kann! So dürr — ausgetrocknet, mit ſeinem vom Rheinwein ſeines Herrn Vaters her angeerbten Podagra etwas ſchwach auf den Füßen, aber immer in den Stiefeln! Immer munter bei ſich ſelber im Halloh, Geheul und Gebrüll der Parzen und der Kanonen. Mit ſeinem Krückſtock, ſeiner Naſe voll Schnupftaback, ſeiner mit Siegellack eigenhändigſt reparirten Degenſcheide — ſcharfklingig, frech und ſpitzig, was man jetzt ſchnoddrig nennt, gegen die allerhöchſten Damen, Frau Marie Thereſe, Frau Eliſabeth, Frau Jeanne Antoinette; was ich freilich meiner allerhöchſten Dame, meines Tinchens wegen, nicht ganz und gar billigen kann. Aber dagegen ſein Appetit. Tadellos! Gut in ſeiner Kindheit, in ſeiner Jugend; aber über alles Lob er - haben bei zunehmendem Alter. Hätte ich wo ein Wort zu verlieren, ſo wäre es bei dieſer Betrachtung, ſo wäre es hier. Der Mann verdaute Alles! Ver - druß, Provinzen, eigenes und fremdes Pech, und vor Allem ſeine jeden Tag eigenhändig geſchriebene Speiſekarte. Eduard, dieſer Menſch wäre auch Herr der rothen Schanze geworden, wenn er ich geweſen wäre. Eduard, wenn ein Menſch was dazu gethan hat, mich zum Herrn, Eigenthümer und Beſitzer von der rothen Schanze und ſomit auch von Tinchen Quakatz zu machen, ſo iſt das immer der alte Fritz von Preußen, ſelbſtverſtändlich immer in Verbindung mit ſeinem herzigen, mir ſo unendlich werthvollen Gegner auf dieſer Erdſtelle, dem Prinzen Xaverius von Sachſen, kurfürſtlicher Hoheit. “
W. Raabe. Stopfkuchen. 682Der Menſch, Heinrich Schaumann genannt Stopf - kuchen redete einen ſolchen Haufen von Gegenſätzen zuſammen, daß ich garnicht mehr im Stande war, zu ſeufzen: „ Nun, das ſoll mich doch weiter wundern, worauf dieſes hinauslaufen kann. “
„ Setzen wir uns doch lieber, “meinte Heinrich. „ Ich ſehe es Dir an, daß ich Dir noch ein wenig konfus erſcheine. Vielleicht kommt das noch beſſer; aber ich kann es nicht ändern. Dieſe Bank hier habe ich übrigens nur aufſtellen laſſen, um dann und wann nicht ſelber meinen hiſtoriſchen Boden unter den Füßen weg zu verlieren. Wenn ich Dir aber langweilig werde, höre ich auf der Stelle auf, Intereſſanteſter aller Afrikaner und Beſter aller alten Freunde. “
„ Ich bitte Dich, Stopf — beſter Freund! “
„ Sage dreiſt, Stopfkuchen, Eduard. Ich höre gern auch heute noch auf das alte liebe Wort; und von den alten Freunden, die es mir in ſchönern Jahren ſo ſehr ſcherzhaft aufhingen, muß ich Dir doch zuerſt reden, um meinem ſeligen Schwieger - papa von Kienbaums Angedenken allmählich näher zu kommen. Alſo — dieſes war der Anfang der Hiſtorie von Heinrich und Valentine, von Kienbaum, vom Meiſter Andreas Quakatz und von der rothen Schanze. Du ſitzeſt doch gemüthlich, Eduard? “
„ Ich habe ſelten in meinem Leben gemüthlicher geſeſſen. Aber unterbrich Dich doch nicht immer ſelbſt, alter, wunderlicher Freund! Mir ſcheint es jetzt wahrlich, ich ſei nur deshalb einzig und allein83 in die alte Heimath auf Beſuch gekommen, um Dich zu hören. “
„ Sehr ſchmeichelhaft! alſo auch deshalb zuerſt von den alten Freunden! von euch nichtsnutzigen, boshaftigen, unverſchämten Schlingeln, die ihr, ſo lange ich euch zu denken vermag, euer Beſtes gethan habt, mir die Tage meiner Kindheit und Jugend zu verekeln. “
„ Stopfkuchen, ich bitte Dich — “
„ Jawohl, Stopfkuchen! Was konnte ich denn dafür, daß ich ſchwach von Beinen und ſtark von Magen und Verdauung war? hatte ich mir die Kraft und Macht meiner periſtaltiſchen Bewegungen und die Hinfälligkeit meiner Extremitäten und über - haupt meine Veranlagung zum Idiotenthum aner - ſchaffen? Hätte ich die Wahl gehabt, ſo wäre ich ja zehntauſendmal lieber als Qualle in der bittern Salzfluth, denn als Schaumanns Junge, der dicke, dumme Heinrich Schaumann, in die Erſcheinung getreten. Sauber ſeid ihr mit mir umgegangen, und habt euer ſchändliches Menſchenrecht genommen. Leugne es nicht, Eduard! “
„ Du gibſt keine Ausnahme zu, Heinrich? “
„ Keine! Soll ich etwa Dich ausnehmen, Du mein beſter, liebſter Freund? Bilde Dir das nicht ein! frage nachher nur Tinchen bei Tiſche, was ſie darüber denkt. Sie hat Dich ja auch damals mit den Andern vor ihres Vaters Burgwall gehabt. Haſt Du nicht mit den Wölfen geheult, ſo haſt Du mit den Eſeln geyhaet, und jedenfalls biſt auch Du mit6*84den Andern gelaufen und haſt Stopfkuchen mit ſeiner unverſtandenen Seele gleich wie mit einem auf die gute Seite gefallenen Butterbrod auf der Hausthür - treppe, auf der faulen Bank in der Schule und am Feldrain vor der rothen Schanze ſitzen laſſen. Jawohl, haſt Du Dich ſchön nach mir umgeſehen, wenn Du, nicht etwa etwas Beſſeres, ſondern wenn Du etwas Vergnüglicheres wußteſt. “
„ Heinrich, das kannſt Du doch wirklich nicht ſagen! “
„ Eduard, ſäße ich ſonſt ſo hier? Und dann — übrigens, mache ich Dir einen Vorwurf daraus? Habe ich euch — Dich nicht laufen laſſen, und habe ich nicht etwa mein Butterbrod aus dem Erdenſtaube aufgehoben und es gefreſſen — mit einem Viertel Wehmuth und drei Vierteln Hochgenuß in meiner — Einſamkeit? Habe ich euch — habe ich Dich etwa nicht ruhig laufen laſſen? Habe ich mich je euch durch Gewinſel hinter euren leichter beſchwingten Seelen und bewegungsluſtigern Körpern her, noch lächerlicher als ich ſchon war, gemacht? “
„ Wahrhaftig nicht! Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich — wir haben Dich einfach ſitzen laſſen, wie und wo Du Dich hingeſetzt hatteſt. “
„ Seht ihr! Siehſt Du! Und ich hoffe es Dir im Laufe des Tages doch noch zu beweiſen, daß auch die einſame Hausthürtreppe, der unterſte Platz in jeder Schulklaſſe, der thränenreiche Sitz am Wieſen - rain den Menſchen doch noch zu einem gewiſſen Weltüberblick und einem Zweck und Ziel im Erden -85 daſein gelangen laſſen können. Zum Laufen hilft eben immer nicht ſchnell ſein, lieber Eduard. “
„ Das weiß der liebe Gott! “ſeufzte ich aus voller Seele, aus allen Lebenserrungenſchaften und vom untern Ende Afrikas her.
„ Ein Indianer am Pfahl konnte es unter dem Kriegsgeheul und Hohngebrüll ſeiner Feinde nicht ſchöner haben als Stopfkuchen in eurem muntern Kreiſe. Nette Siegestänze eurer Ueberlegenheit habt ihr um mich armen maulfaulen, feiſten, ſchwitzenden Tropf aufgeführt. Und ſo helle Köpfe waret ihr alleſammt! Jawohl habe ich mein Brod mit Thränen gegeſſen in eurer lieben Kameradſchaft. Was blieb mir da anders übrig, als mich an meinen Appetit zu halten und mich auf mich ſelber zu beſchränken und euch mit meinen herzlichſten Segenswünſchen die Rückſeite zuzudrehen. “
„ Heinrich — “
„ Na, na, laß das nur ſein. Es liegt jetzt hinter uns Beiden, und Tinchen iſt in ihrer Küche für Dein und mein Wohl heute beſchäftigt, wie es ſich gehört. Das Herzblatt! laß uns jetzt dem näher zu kommen ſuchen, und alſo — Vivat der Prinz Xaver von Sachſen, und nochmals und zum dritten Male hoch der Comte de Lusace, Prinz Xaverius von Sachſen! “
86„ Er lebe! aber was er mit Deiner — meiner — unſerer und Deiner Frau Geſchichte zu thun hat, das bleibt mir augenblicklich noch ein Räthſel, Schau - mann! Du haſt eben wohlberechtigte Worte zu mir geſprochen; aber Deinen Grafen von der Lauſitz, Deinen mir völlig unbekannten Prinzen von Sachſen brauche ich mir doch nicht ſo ohne Weiteres gefallen zu laſſen, Heinrich! Jetzt, ehe Deine Frau zum Eſſen ruft, was hat dieſer ſonderbare Prinz Xaverius mit ihr, mit Dir, mit mir noch zu thun an dieſem wundervollen, windſtillen, himmelblauen, blätter - grünen, ſonnigen Sommermorgen? “
Das Schiff ſtößt heute ein wenig mehr als geſtern.
„ Und wenn Du auch die halbe neue Weltge - ſchichte mit erlebt und in Afrika ſelber mitgemacht haſt, Eduard; Das mußt Du doch auch noch wiſſen, daß in meines Vaters Hausgiebel eine Kanonenkugel ſtak und heute noch ſteckt, die er — der Xaverl — damals, im ſiebenjährigen Kriege zu uns in die Stadt hineingeſchoſſen hat! Sei nur ganz ſtill und unterbrich mich nicht; wir kommen dem Tinchen an ihrem Küchenherde auf der rothen Schanze näher und immer näher. Nämlich ſie war meines Vaters Stolz, nicht das Tinchen, ſondern die Kanonenkugel. Sie87 war ja eine Merkwürdigkeit der Stadt, und mein erſtes Denken haftet an ihr: „ Die iſt von der rothen Schanze gekommen, Junge, “ſagte mein Vater, und nun ſage mir, Eduard, haſt Du da hinten in Prä - toria oder wie ihr es und euch nennt, etwas Beſſeres als eine Kugel im Gebälk oder in der Hauswand, um Deinem Jungen oder Deinen Jungen den Ver - ſtand für irgend etwas aufzuknöpfen? So ein Wort ſchlägt ein und haftet im Gehirn und in der Phantaſie wie die Kugel ſelber in der Mauer. „ Sie kommt noch aus dem Kriege des alten Fritz her, Heinrich, “ſagte mein Vater. „ Paß in der Schule ordentlich auf, denn da können ſie Dir das Genauere darüber erzählen! “— Na, ich habe um alles Andere in der Schule Prügel gekriegt, nur um den ſiebenjährigen Krieg nicht; und daran iſt die Geſchützkugel des Prinzen Xaver an unſerer Hauswand, die Kugel, die von der rothen Schanze hergekommen war, Schuld geweſen, und ſie hat mir denn auch ſo im Laufe der Zeiten zum Tinchen Quakatz und zu der rothen Schanze verholfen. Nachher bei Tiſche, hoffe ich, ſollſt Du es mir ganz aufrichtig ſagen müſſen, daß Du es doch recht behaglich bei uns findeſt. “
„ Habe ich denn das nicht ſchon verſchiedene Male geſagt? “
„ Nein. Wenigſtens noch lange nicht nach Würden. Denn was weißt Du denn eigentlich bis jetzt Ge - naueſtes von uns? Aber Menſchenkind mußt Du denn immer unterbrechen? Menſchenkind, begreifſt Du denn gar nicht, wie viele verhaltene Reden, wie88 viel verhaltener Wortſchwall in einem nicht zum Zweck und auf die Kanzel gekommenen Kandidaten der Theologie ſtecken können? Da, ſitze ſtill und gucke in die ſchöne Gegend und auf die Heimathsgefilde und laß mich mir endlich mal Luft machen! einem Menſchen gegenüber Luft machen, der nicht da unten in das alte Neſt hineingehört, ſondern der morgen ſchon wieder auf dem Wege nach dem unterſten Ende vom allerunterſten Südafrika iſt, alſo nicht die Geſchichte vom Stopfkuchen und ſeiner rothen Schanze in ſein nachbarliches Ehebett und in ſeine Stamm-Kneipe weiterträgt. “
„ Ich ſage gar nichts mehr, bis Du ſelbſt mich dazu aufforderſt, oder bis Deine liebe Frau es wünſcht. “
„ Schön, lieber Junge! Damit thuſt Du mir eine wahre Wohlthat an. Alſo kommen wir zuerſt zu der Schickſalskugel an Rendanten Schaumanns Hauſe. Allein that ſie es natürlich nicht. Es hatte ſich im Hauſe auch ein alter Schmöker erhalten. Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unter - zuſchieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank, ſondern der Schmöker! Es war ein Lokalprodukt, das die Geſchichte der Belagerung unſerer ſüßen[Kind - heitswiege] durch den Prinzen Xaver von Sachſen, wenn nicht wahr, ſo doch für ein Kindergemüth um ein Bedeutendes deutlicher ausmalte. Den Klaſſiker zog ich unter dem Schranke vor, den las ich lieber als den Cornelius Nepos, und von dem aus kam ich, Eduard,89 ſei ruhig, wir kommen Tinchen immer näher! zu dem lebendigen alten Schmöker Schwartner. Selbſtverſtänd - lich erinnerſt Du Dich noch an den alten Schwartner, den Regiſtrator Schwartner? “
Ich erinnerte mich ſelbſtverſtändlich, aber ſchüttelte natürlich eben ſo ſelbſtverſtändlich das Haupt.
„ Ja ſo: Er ſoll ja nicht dreinreden! “brummte der Herr der rothen Schanze und fuhr fort in ſeiner Seelenerleichterung, ohne daß er durch mich aufgehalten worden war. „ Der alte Schwartner in ſeinem alten ſchwarzen Hauſe unter den dunkeln Kaſtanien der Kirche gegenüber. Es ſpukte in ihm, weißt Du noch, Eduard? In dem Hauſe natürlich; aber — in dem alten Herrn auch. In dem alten Herrn haben nach ſeinem Tode oder vielmehr end - lichen völligen Austrocknen die Doktoren nicht einen Tropfen Flüſſigkeit mehr gefunden; obgleich er aller Humore voller ſteckte als die ganze übrige Stadt. Und beim Abbruch ſeines Familienhauſes, nachdem man vorher die Kaſtanienbäume niedergeſchlagen hatte, haben die Arbeiter mehr als einmal am hellen Mittage die Aexte, Schaufeln und Spitzhacken hingeworfen und haben ſich unter den Schutz der Hauptkirche gegen - über geflüchtet, weil plötzlich ein Schrecken über ſie kam. Ihr Gelehrten ſchiebt das ja wohl auf den alten Bockfüßler Pan; die ſtädtiſche Arbeiterbummler - ſchaft aber ſchob's auf den alten Bockfüßler Schwartner. Na, mit dem letztern Alten habe ich denn ſo ganz hinter euerem Rücken, ihr lieben hellen Schulkameraden, Kameradſchaft gemacht, und zwar mit Nutzen in vielen90 Dingen, von denen Ihr Feldhaſen nicht die geringſte Ahnung haben konntet. Sitze nur ruhig, Eduard; ich führe Dich nicht zu weit ab: wir bleiben einfach bei der rothen Schanze und kommen meinem Tinchen immer näher. Uebrigens wird ſie hoffentlich nun auch bald uns zu Tiſche rufen. “
Ich hätte hier wirklich etwas ſagen können; aber ich bezwang mich und that es nicht. Stopfkuchen fuhr, ſeine Pfeife beſſer in Brand ziehend fort:
„ Alſo die Kugel an meines Vaters Hauſe hatte zuerſt auf meine kindliche Phantaſie gewirkt; der alte Schwartner wirkte zuerſt auf meinen hiſtoriſchen Sinn. Und den hiſtoriſchen Sinn im Menſchen erklären heut zu Tage ja viele Gelehrte für das Vorzüglichſte was es überhaupt im Menſchen gibt. Ich bin nicht dieſer Anſicht. Ja wenn man ſich immer nur an was An - genehmes erinnerte! ... Aber, einerlei, der alte Schwartner hatte hiſtoriſchen Sinn und erweckte den - ſelben auch ſoweit es möglich war, in mir. Daß ich mich mit ihm, immer dem hiſtoriſchen Sinn! einzig und allein auf die rothe Schanze zu beſchränken wußte, ſpricht, meines Erachtens zuletzt denn doch dafür, daß noch Etwas in mir lag, was ſelbſt über den hiſtoriſchen Sinn hinausging. Wie ich eigentlich zuerſt in ſein Haus gekommen bin, weiß ich nicht recht. Er hat mich wahrſcheinlich die Kanonenkugel an unſerm Haus - giebel oder die rothe Schanze angaffend gefunden, eine verwandte Seele in mir gewittert und mich mal mit ſich genommen. Wir kamen jedenfalls bald auf den kameradſchaftlichſten Fuß. Wer mich brauchte und91 in meines Vaters Hauſe nicht vorfand, der hatte mich nur beim alten Regiſtrator Schwartner zu ſuchen, da fand er mich ziemlich ſicher. ‚ Schulkenntniſſe, Heinrich, ‘ſagte der alte Schwartner. ‚ Erwirb Dir ja Schulkenntniſſe und vorzüglich Geſchichte. Ohne Geſchichtskenntniſſe bleibt der Geſcheuteſte ein dummer Eſel, mit ihr ſteckt er als überlegener Menſch eine ganze Stadt, ein ganz Gemeinweſen wiſſenſchaftlich in die Taſche. Brauchſt da bloß mich anzuſehen, den bloßen Subalternenbeamten, der ihnen allen doch allein ſagen kann, wie es mit ihnen eigentlich ſteht. ‘ Viele allgemeine Geſchichtskenntniß habe ich nun frei - lich doch nicht aus der Freundſchaft des alten Herrn gezogen; aber die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges und der rothen Schanze die weiß ich von ihm, mag es meinetwegen mit dem Uebrigen beſtellt ſein und bleiben wie es iſt. Ja, ja, Eduard, ſein, des alten Schwartners Großonkel oder Urgroßonkel hatte als damaliger Stadtſyndikus den Prinzen Xaverius perſönlich geſprochen. Der Prinz hatte ihm ſeine Doſe geboten, aber ihm ſeinen Beitrag zur Contribution und Brandſchatzung nach gewonnener Stadt leider nicht erlaſſen. Er, der Herr Regiſtrator, bewahrte auch noch viele andere Sachen in ſeinem geſpenſtiſchen Familienhauſe zum Angedenken an jene unruhige Zeit auf: ein Sponton in der Ecke hinter ſeinem Schreibtiſche, Pläne und Kupferſtiche an den Wänden, Stühle, auf welchen die Urgroßmutter und die Groß - mutter mit dem preußiſchen Stadtkommandanten geſeſſen hatten, einen Tiſch, von welchem die Einquartierung92 eine Ecke abgeſchlagen hatte, und vor allen Dingen Rechnungen, Rechnungsbücher, Abrechnungen! Na, ſie hatten blechen müſſen, das ſage ich Dir, Eduard! Der liebe Gott beſchirme Deine Urenkel in Afrika vor derartigen lieben Angedenken; oder gebe ihnen wenigſtens den behaglichen hiſtoriſchen Sinn des alten Schwartner, der durchaus keinen Groll darüber mehr in ſich trug, der nur noch ſein Vergnügen aus der Sache zog, und dem nichts als ſein Intereſſe an dem Dinge geblieben war. Er hatte einen ziemlich großen Plan der Stadt aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts an der Wand neben ſeinem Sopha hängen, und wenn er nicht draußen im Felde dieſe närriſche verjährte Belagerung mit mir traktirte, ſo docirte er ſie mir von dieſem Sopha aus, und ich mußte auf der Karte mit dem Finger nachfahren, meiſtens natürlich zwiſchen der Stadt und der rothen Schanze hin und her. Und nun ſteh 'mal auf und komm mal her, Eduard. “
Und nun, wie als ob ich aus meinem Leben und aus Afrika nicht das geringſte Neue und für ihn vielleicht auch Merkwürdige zu erzählen gehabt hätte, zog er mich an den Rand ſeines Burgwalls und deutete mir mit dem Finger dieſes ſo grenzenlos unbedeutende Stück Welthiſtorie, Kanonenlärm, Bürger - angſt, Weiber - und Kindergekreiſch, Brand und Blut - vergießen: da und da ſtand Der und Der. Das Corps combiné der Royal François et des Saxons war zwanzigtauſend Mann ſtark. So und ſo viel Franzoſen und ſo und ſo viel Sachſen. In der Stadt lag eine93 Beſatzung von ſieben bis achthundert Mann Invaliden und Landmiliz unterm alten Platzmajor von Stummel, ſein Nachkomme lebt noch in der Stadt als quiescirter Gerichtsaſſeſſor, und man ſieht es ihm wahrhaftig nicht an, daß er einen Heros zum Ahnherrn gehabt hat; nach dem Brummerſumm geht er, wie ich höre, jeden Nachmittag, und auch Du haſt ihn da vielleicht noch wieder angetroffen, Eduard, und auch um ſeinet - willen, Deinen Freund Stopfkuchen und deſſen rothe Schanze bis heute verabſäumt. Es war doch eigentlich nicht hübſch von Dir. “
Letzteres mochte ſein; aber wenn mir natürlich jetzt Alles an Stopfkuchen und der rothen Schanze von Neuem ſehr intereſſant und ſympathiſch war, ſo war ich doch eigentlich nicht um das was er mir bis jetzt von ſich und allem Seinigen vorgetragen hatte, nach ſeiner Feſtung, ſeiner Xavers - Quakatzen - und — Valentinenburg hinausgegangen. Ich hatte wenigſtens nach Möglichkeit nachgeholt, was ich un - freundlicher Weiſe verabſäumt haben mochte an dem fürchterlichen Langweiler, dem feiſteſten meiner Jugend - freunde.
Dem mochte nun ſein wie ihm wollte: in einer Beziehung hatte ich etwas ganz Wunderbares ganz ſicher noch vor mir — Stopfkuchens Mittageſſen. Nachdem die Düfte vom Hauſe her immer nahrhafter und delikater geworden waren, ſchaute Frau Valentine Schaumann, geborene Quakatz, um den Buſch hinter unſerer Bank und fragte mit dem liebſten, einladendſten94 Lächeln auf dem Geſicht: Ob es den Herren ge - fällig ſei? —
Es war den Herren gefällig.
Heute, unter der Linie, habe ich zwar die Glocke des Schiffskochs nicht überhört, aber ich habe ihr doch auch nicht Folge geleiſtet. Ich bin von Tiſche fort und bei meinem Manuſkript geblieben. Mit dem Appetit des Nordländers iſt es zwiſchen den Wende - kreiſen des Krebſes und des Steinbocks leider nur zu häufig ſo ſo, und Die ſind ſchon gut dran, die in jenen ſchönen Gegenden ſich wenigſtens noch mit Be - hagen oder doch ohne Mißbehagen an frühern Tafel - genuß und beſſere Verdauung erinnern dürfen.
„ Na, Tinchen, da haſt Du denn endlich einmal wieder einen Andern, der Dir ſeinen Arm bietet, “ſagte Heinrich, ſeine Pfeife an die Gartenbank lehnend und ſeinen Schlafrock um ſich zuſammenziehend, was die einzige Verbeſſerung und Verſchönerung ſeiner Diner-Toilette blieb, während ſeine Frau im hübſchen und geſchmackvollen, im tadelloſen, feiertäglichen Haus - kleide zu uns gekommen war. „ Nämlich, “fügte er hinzu, Stopfkuchen nämlich: „ So habe ich ſie ge - wöhnt, Eduard, daß ich mich in dieſer Hinſicht all - mählich auf ſie verlaſſen kann. Sie reicht mir ſtets unaufgefordert den Arm und ich habe ihn nöthig. Aber, wie geſagt, Weib, reiche ihn heute ihm. Eines95 ſo werthen und ſeltenen Gaſtes wegen verzichte ich auch mal darauf. Alſo geht nur voran, ihr Beiden, ich folge langſam in eurer lieben Spur. “
Das that er wirklich, und da es jetzt in Wahrheit zu Tiſche ging, auch ohne ſich nochmals unterwegs niederzulaſſen, oder gar in den ſiebenjährigen Krieg, auf den Prinzen Xaver von Sachſen und die Be - lagerung unſerer Heimathsſtadt zu fallen. Dicht hinter uns her erreichte er das Haus, welchem auch ich jetzt, ſonderbarerweiſe, zuerſt am heutigen Tage in nächſte Nähe trat. Bis jetzt war es aber zu gemüthlich unter den Linden vor ihm — dem Hauſe — geweſen. Und was aus einer blutigen Kriegesſchanze und aus dem vervehmten, verrufenen Unterſchlupf von Kienbaums Mörder zu machen geweſen war, das hatte Stopfkuchen daraus gemacht. Solches konnte ich ihm zugeben und darauf konnte er unbedingt ſtolz ſein. Er hatte es verſtanden, hier die böſen Geiſter auszutreiben, das bemerkte man auf den erſten Blick, wenn man Quakatzens Heimweſen noch gekannt hatte. Er aber ſagte, ohne ſich auf der Schwelle etwas zu Gute zu thun:
„ Komm denn herein, lieber Junge. Wenn der Menſch mit ſeinen höheren Zwecken, nach dem Dichter - wort, in die Höhe wachſen ſoll, ſo ſollte er von rechts - wegen mit ſeinem zweckloſen guten Gewiſſen ſich un - angegrinſt in eben dem Verhältniß ruhig in die Breite ausdehnen dürfen. Aber komme der ſchlechten Welt mit dieſem beſcheidenen Anſpruch! Na die Hausthür des alten Quakatz habe ich übrigens meinet - wegen noch nicht breiter machen laſſen müſſen. Eduard,96 es freut mich ungemein, Arm in Arm mit Dir dieſe Schwelle überſchreiten zu können. “
Damit ſchob er ſeine Frau von mir ab und ſie vor uns ins Haus. Er watſchelte richtig Arm in Arm mit mir hinterdrein, nicht ohne vorher noch einen Augenblick ſtehen geblieben zu ſein und mich auf die Ueberſchrift ſeiner Thür aufmerkſam gemacht zu haben. Ich traute meinen Augen nicht; aber es ſtand wahr - haftig da, in großen weißen Lettern auf ſchwarzem Grunde angemalt, zu leſen:
Da redete Gott mit Noah und ſprach: Gehe aus dem Kaſten.
Und als ich den Dicken darob wirklich nicht ganz ohne Verwunderung anſah, lächelte dieſer behaglichſte aller Lehnſtuhlmenſchen überlegen und ſprach:
„ Weil ihr ein bischen weiter als ich in die Welt hinein euch die Füße vertreten habt, meint ihr ſelbſtverſtändlich, daß ich ganz und gar im Kaſten ſitzen geblieben ſei. Ne, ne, lieber Eduard, es iſt wirklich mein Lebensmotto: Gehe heraus aus dem Kaſten! “
Ich würde Einiges zu erwiedern gehabt haben, aber er ließ mich wahrlich wiederum nicht zum Worte, ſondern fuhr fort:
„ Was ſagſt Du aber ſchon hier draußen zu den kleinen Verſchönerungen, die ich an Tinchen Quakatzens Erbſitz vorgenommen habe. Hier auswendig am Hauſe, meine ich. Nicht wahr, hell und freundlich? — alles was Pinſel und Farbentopf in dieſer Hinſicht ins Erheiternde zu thun vermochten! “
97Er hatte gewiß nicht nöthig, mich noch beſonders aufmerkſam zu machen. Die Verſchönerungen mußten jedem der die Mördergrube auf der rothen Schanze ehedem in ihrer ärgſten Verwahrloſung gekannt hatte, auffallen.
„ Sieh mal, “ſagte Stopfkuchen, „ auf den Noah - kaſten habe ich Dich bereits aufmerkſam gemacht; jetzt ſchüttele einmal in der Phantaſie eine andere Deiner Weihnachtsſchachteln aus. Dorf oder Stadt — ſteht auf dem Deckel derjenigen, die ich meine. Kippe dreiſt um auf den Tiſch und ſuche mir mein Weih - nachtsmuſterhaus heraus! Was? Haſt Du's? Schön himmelblau die Mauern, ſchön zinnoberroth das Dach, Fenſter und Thür kohlenpechrabenſchwarz, nur der Schornſtein ſchön weiß. Es gibt auch nette Paläſte, Häuſer und Hütten in anderen Farben in der Schachtel, aber ich habe Tinchens wegen ein helles Himmelblau gewählt. Dem ſieht hoffentlich Niemand mehr Kienbaums Blut ab, ſondern es ſagt höchſtens dann und wann Jemand: ‚ Dieſer alte Schaumann auf der rothen Schanze iſt doch ein ganz verrückter Hahn, und es iſt nur zu hoffen, daß ihn ſeine brave Frau feſt unter ihrer Kuratel hält‘. “
Die brave Frau auf dem Hausflur wendete ſich auf dieſes letzte Wort um und ſagte lächelnd:
„ Heinrich, ich bitte Dich! vor dieſem Deinem Freunde brauchſt Du Dich doch nicht ganz ſo närriſch wie vor den Anderen anzuſtellen. “
„ Aber immer doch ein bischen darf ich — was alter Schatz? “
W. Raabe. Stopfkuchen. 798„ Was kann ich dagegen machen? ſagen Sie ſelber aus älteſter Bekanntſchaft mit ihm, Herr Eduard! “lachte Frau Valentine, und dabei ſtand auch ich an Stopfkuchens Arm auf ſeinem Hausflur und fiel in ein neues Erſtaunen.
„ Ja aber, was iſt denn Das? “entrang ſich, um im gehobenen Ton zu bleiben, das Wort meinen Lippen.
„ Ein Bruchtheil meines geologiſchen Muſeums. Die Pièce de résistance, die Krone, mein Mammuth, werde ich Dir nach Tiſche zeigen, “ſagte Schau - mann.
Ich ſtand ſtarr.
„ Es iſt die Liebhaberei meiner alten Tage, “fuhr der dicke Freund fort. „ Etwas muß der Menſch doch immer haben, woran er ſich hält, wenn er dem Gebote des Herrn nachkommt und aus dem Kaſten geht. Was wunderſt Du Dich? Für alle Ewigkeit reicht doch ſelbſt der Prinz Xaver von Sachſen nicht aus, um einem Einſiedler oder vielmehr Zweiſiedler durch die Stunden, Tage, Wochen und Jahre ein Liebhabereibedürfniß behaglich zu ſtillen. Aber ſei nur ruhig, Eduard; dies iſt meine Sache, dieſes ſind meine Knochen! Du kriegſt die Suppe von ihnen nicht, Tinchen hält ſich mehr an was Friſcheres mit mehr Fleiſch darauf. Ich hoffe, Du wirſt ihre Koch - kunſt, meinem oſteologiſchen Muſeum zum Trotz loben und draußen im Säkulum gleichfalls beſtätigen, daß man auf der rothen Schanze nicht bloß an den Knochen nagt. Uebrigens ſehe ich zu meinem Erſtaunen, daß99 Du derartigen Dilettantenwahnſinn bei mir am wenigſten geſucht haſt. “
„ Das muß ich ſagen! “
„ Der Zauber des Gegenſatzes, Eduard. Einfach der Zauber des Gegenſatzes! Werde Du mal ſo fett wie ich und ſuche Du nicht Deinen Gegenſatz — alſo hier dieſe Knochen! Dein Hausarzt wird ſicherlich nichts dagegen einzuwenden haben. Der meinige hält zum Beiſpiel mein Herum - Kriechen - Keuchen und - Klettern in den umliegenden Kiesgruben und Steinbrüchen der Feldmark um die rothe Schanze für ſehr wohlthätig für meine Konſtitution. Seinen Redensarten nach ſollte es mir manchmal vorkommen, als ſei die Sintfluth nur meinetwegen eingetreten; nämlich blos damit ich mir unter ihren Ruderibus, ihren ſchönen Reſten die mir ſo nothwendige Bewegung mache. Und mit ganz ähnlichen Redensarten legt auch Tinchen, wie ſie ſich ausdrückt, meiner Narrheit nichts in den Weg. ‚ Das kommt davon‘, fügt ſie höchſtens hinzu, ‚ wenn der dicke Bauer der rothen Schanze ſein ganzes Ackerland der Zuckerfabrik Mai - holzen als Rübenacker hingibt. ‘“
„ Menſch! “rief ich. „ Jetzt laß uns endlich zu Tiſch! Deine Frau wartet und ich habe es unbe - dingt nöthig, auch mit Deiner Frau über Dich zu reden! “
„ Aber erſt nach Tiſche! “grinſte Stopfkuchen. Er „ bat “darum, wie man das in ſolchen Fällen ſittiger zu bezeichnen pflegt, fügte auch noch hinzu: „ Daß ich mich auf dem Wege zum Eſſen und beim7*100Eſſen ungern aufhalten und nur ſehr ungern ſtören laſſe, weißt Du ja wohl noch aus alter lieber Jugend - erinnerung? “
Ich warf noch einen Blick auf die an den Wänden der alten „ Bauerndehle “auf Börten und in offenen Schränken aufgeſtapelten Verſteinerungen aus der Umgegend der rothen Schanze, und trat noch einmal in meinem Leben in die Wohnſtube des Bauern Andreas Quakatz zur linken Seite des Haus - flurs, und an den Tiſch, den auch Stopfkuchen zu einem Eßtiſch gemacht hatte, und auf welchem Tinchen Quakatz vor ſo vielen Jahren in meiner Gegenwart in Trotz, Grimm, Angſt und Verzweiflung mit den Armen und mit dem Kopfe lag.
„ Wie freue ich mich, Sie wieder hier zu ſehen, Herr Eduard, “ſagte Frau Valentine Schaumann.
— — — — — — — — — — —
Ich reichte ihr in Wahrheit bewegt die Hand über Stopfkuchens in Wahrheit wunderbar gedeckten Eß - und Lebenstiſch. Aber Stopfkuchen drängte: ich hatte die Serviette zu entfalten und zu Löffel, Meſſer und Gabel zu greifen. So konnte er, Heinrich, doch nicht drängen, daß ich mich nicht auch hier ſchnell noch umgeſehen hätte. Es hatte ſich auch hier Manches verändert.
101„ Ja, guck nur, “ſagte er. „ Hier kannſt Du es richtig ſehen, wie ſie mich gegen den Strich zu kämmen pflegt. Nichts als meinen Koprolithenſchrank habe ich hier hereinſchmuggeln können. Da ſteht er in der Ecke und da ſitzt ſie Dir gegenüber und erwartet, daß Du ihr Deine Komplimente über ihren guten Geſchmack machſt. Sie hat den Raum von ihren Jugenderinnerungen gründlich gereinigt haben wollen, und der Schatz hat das Recht dazu gehabt. Erfreuliches hing nicht an den Wänden, ſtand nicht umher — dieſen Eßtiſch ausgenommen — und verkroch ſich noch weniger in den Winkeln. Wir haben aber den väter - lichen und urväterlichen Hausrath vom Quakatzenhof nicht verauktionirt. Wir haben ihn den Flammen übergeben, theilweiſe auf dem Küchenherde, zum größten Theil aber da draußen unter den Lindenbäumen. Da haben wir ein Feuer angezündet, am ſchönen Sommer - tage im Sonnenſchein zwiſchen zehn und elf Uhr Morgens. Da haben wir den alten wüſten Wuſt in die reinen blauen Lüfte geſchickt. O, wie haben wir alle ſüßen, heimlichen, ſentimentalen Gemüths - ſtimmungen auf den Kopf geſtellt! Ei ja, wie haben wir die rothe Schanze durch Feuer von ihrer Krankheit geheilt! Sieh, Eduard, wie das Kind ſich heute noch ihrer, wie die Leute umher ſagten: unzurechnungs - fähigen, grenzenloſen Herzloſigkeit freut — dieſe Mord - brennerin. Sieht ſie aus, als ob ſie ſich durch das Auf - wärmen ihrer eigenſten That jetzt noch den Appetit verderben laſſen würde? “
So ſah ſie wahrlich nicht aus! Frau Valentine102 Schaumann lächelte über unſern Suppennapf mich an und ſagte:
„ Merken Sie es wohl, wie gründlich Heinrich mich erzogen hat? Ich habe auch garnichts dagegen, wenn er es Ihnen nach Tiſch noch gründlicher er - zählt, wie er das angefangen hat, und wie er mich auch heute noch auf der Schulbank ſitzen hat. Das heißt, Alter, Dein Nachmittagsſchläfchen hältſt Du erſt wie gewöhnlich, d[e]nn Herr Eduard wird aus ſeinem heißen Afrika wohl auch ein wenig daran ge - wöhnt ſein. “
„ Wenn Eduard zu ſchlummern wünſcht, ſchlummre ich gewiß auch ein wenig ihm zu Liebe. Mit den gewöhnlichen Gewiſſensbiſſen der ärztlichen Rathſchläge wegen. Und hat Dir Gott 'nen Wanſt beſchert, ſo halte ihn — und ſo weiter. Na, der Herr beſchere uns Allen einen ſanften Sophatod. “
„ Du gehſt mir heute und von heute an jeden Tag auf der Stelle nach dem Eſſen mit Deinem Freunde oder mit mir in den Garten und auf den Wall! “rief Frau Valentine. „ Heinrich, ich bin im Stande und blaſe noch einmal ein Feuer unter den Linden an und verbrenne Dir alle unſere Sophas unterm Leibe. “
„ O Du ſüße, umgekehrte indiſche Wittwe in spe! “grinſte Stopfkuchen, und dann war er eine geraume Zeit wieder einmal ganz bei der Sache, nämlich nur bei Tiſche, ganz und gar, einzig und allein, nur bei Tiſche! Wir ſpeiſten vorzüglich, und eine Viertel - ſtunde lang ſagte er einmal kein Wort. Der Behag -103 lichkeit und der Kühle wegen blieben wir auch mit dem Kaffee und bei der Cigarre fürs Erſte im Hauſe, und Tinchen Quakatz ſaß bei uns, und ging ab und zu, freute ſich ihres Mannes, und, wie es gottlob ſchien, auch des Jugendfreundes deſſelben, und wir verzichteten alle Drei auf den Nachmittagsſchlummer zur „ Feier meines Beſuchs. “
Im behaglichſten Moment des Verdauungspro - zeſſes legte ſich dann Stopfkuchen in ſeinem Seſſel zurück, ſchlang über dem weitaufgeknöpften Buſen die Hände ineinander, drehte die Daumen umeinander, ſeufzte wollüſtig und — fragte:
„ Und nun Eduard, machen wir Dir noch den Eindruck einer Mörderhöhle? Würdeſt Du Dich vor dem ſeligen Kienbaum und der Mitternacht fürchten und dankend ablehnen, wenn wir Dir ein Bett im Hauſe anböten? Sag es ganz offen heraus, wenn es Dir im Geringſten noch nach Blut und Moder auf der rothen Schanze riecht. “
Hoffentlich erwartete er, daß ich nun aufſpränge, mit Händen und Füßen abwehrend, donnernd drei - mal: Nein! brülle. Aber den Gefallen that ich dem faſt unheimlich behaglichen feiſten Geſchöpf doch nicht. Ich ſagte ihm ganz ruhig;
„ Auch Deine antediluvianiſchen verſteinerten Ge - beine draußen riechen mir nach nichts mehr. Selbſt Deine Koprolithen da im Schrank kann die feinſte Dame dreiſt als Briefbeſchwerer gebrauchen, wenn Niemand ſie fragt, und ſie Keinem mittheilt, was das eigentlich iſt. In die Geſpenſterkammer von Qua -104 katzenhof würde ich mit Vergnügen ziehen, wenn meine Zeitumſtände es erlaubten. Daß Deine liebe Frau mir im Schlafe den Hals abſchneiden könne, glaube ich nicht; aber — was Dich ſelber freilich anbetrifft, ſo möchte ich Dich wirklich jetzt noch am freundlichen Nachmittage ausfragen, ehe die ſpukhafte Nacht kommt. Wundervolle Menſchenkinder — unbegreiflicher Menſch — wie habt ihr — wie haſt Du es angefangen, den böſen Geiſt und Gaſt der rothen Schanze zu bändigen? “
„ Ich habe Kienbaum völlig todtgeſchlagen, “ſagte Stopfkuchen. „ Weiter brauchte es ja nichts. Der Schlingel — will ſagen, der arme Teufel hatte frei - lich ein zähes Leben; aber — ich — ich habe ihn untergekriegt. Wenn ein Menſch Kienbaum todtge - ſchlagen hat, ſo bin ich der Menſch und Mörder. “
„ Du? Heinrich, mir — “
„ Willſt Du dabei ſein, wenn ich's ihm ins Genauere auseinanderſetze, Tinchen? “wendete ſich Heinrich an ſeine Frau, und ſie meinte lächelnd:
„ Du weißt es ja, daß Du mich nicht dabei nöthig haſt, Alter. Wenn Dein Herr Freund es ge - ſtattet, ſo horche ich lieber wie bisher von Zeit zu Zeit ein wenig hin, daß Du mir nicht allzuſehr ins Phantaſtiſche und Breite fällſt. “
„ Ich ins Breite und Phantaſtiſche, Eduard?! “
„ Aber ich würde den Herren vorſchlagen, ſich doch lieber mit dem alten Elend wieder draußen unter die grünen Bäume zu ſetzen. Sie, Herr Eduard,105 hören gewiß lieber draußen im Freien davon. Ich räume derweilen hier auf und komme nachher — “
„ Mit meinem Strickzeug, “ſchloß Heinrich Schau - mann den herzigen Rath und Vorſchlag ab.
Er nahm ſeine Cigarrenkiſte unter den Arm, ich bot ihm wieder den meinen; die Frau trug ein brennendes Licht in die ſtille Sommerluft hinaus, und ſo ſaßen wir noch einmal unter den Linden, und ich wehrte eine letzte Taſſe Kaffee ab, und — jetzt könnte ich Jeden fragen, ob's nicht merkwürdig ſei, auf einem Schiffe, auf dem ſogenannten hohen Meer, auf der Rückreiſe in das ödeſte, langgedehnteſte wenn auch nahrhafteſte Fremdenleben ſo von dem ſogenannten heimiſchen, vaterländiſchen Philiſterleben zu ſchreiben? ...
„ Ja, ja, Eduard, “ſagte Stopfkuchen, „ gehe heraus aus dem Kaſten! Einige werden in die Welt hinausgeſchickt, um ein König - oder Kaiſerreich zu ſtiften, Andere um ein Rittergut am Kap der guten Hoffnung zu erobern, und wieder Andere blos um ein kleines Bauernmädchen mit unterdrückten Anlagen zur Behaglichkeit und einem armen Teufel von ge - plagtem, halb verrückt gemachtem Papa einzufangen und es mit Henriette Davidis Kochbuche und mit106 Heinrich Schaumanns ebenfalls ſchändlich unterdrückten Anlagen zur Gemüthlichkeit und Menſchenwürde etwas bekannter zu machen. “
„ Gehe heraus aus dem Kaſten, Heinrich. “
„ Ihr Anderen, als ihr noch auf Schulen ginget, glaubtet vielleicht, eure Ideale zu haben. Ich hatte das meinige feſt. “
„ Das weiß ich zur Genüge; Du haſt es mir heute ſchon öfter geſagt: die rothe Schanze “
„ Nein, durchaus nicht. “
„ Nun dann ſoll es mich doch wundern, was denn! “
„ Mich! “ſprach Stopfkuchen mit unerſchütterlicher Gelaſſenheit. Dann aber ſah er ſich über die Schulter nach ſeinem Hauſe um, ob auch Niemand von dort komme und horche. Er hielt die Hand an den Mund und flüſterte mir hinter ihr zu:
„ Ich kann Dir ſagen, Eduard, ſie iſt ein Pracht - mädchen und bedurfte zur richtigen Zeit nur eines verſtändigen Mannes, alſo eines Idealmenſchen, um das zu werden, was ich aus ihr gemacht habe. Das ſiehſt Du doch wohl ein, Eduard, obgleich es freilich die reine Zwickmühle iſt: damit ich ihr Ideal werde, mußte ich doch unbedingt vorher erſt meines ſein? “
„ Aus dem Kaſten, nur immer weiter heraus aus dem Kaſten! “murmelte ich. Was hätte ich ſonſt murmeln ſollen?
„ Ihr hattet mich mal wieder allein unter der Hecke ſitzen laſſen, ihr Anderen, und waret eurem Ver - gnügen an der Welt ohne mich nachgelaufen. Und107 am Morgen in der Schule hatte mich Blechhammer mal wieder wiſſenſchaftlich zum abſchreckenden Beiſpiel verwendet als Bradypus. Ich kann ihn heute noch nicht nur citiren, ſondern lebendig auf die Bühne bringen, mit ſeinem: ‚ Seht ihn euch an, ihr Anderen, den Schaumann, das Faulthier. Da ſitzt er wieder auf der faulen Bank, der Schaumann, wie der Bradypus, das Faulthier. Hat fahle Haare, wie welkes Laub, vier Backenzähne. Klettert langſam in eine andere Klaſſe — wollt 'ich ſagen: klettert auf einen Baum, auf dem es bleibt, bis es das letzte Blatt abgefreſſen hat. Schuberts Lehrbuch der Natur - geſchichte, Seite dreihundertachtundfünfzig: kriecht auf einen anderen Baum, aber ſo langſam, daß es ein Jäger, der es am Morgen an einem Fleck geſehen hat, auch am Abend noch ganz in der Nähe findet. Und dem ſoll man klaſſiſche Bildung und Geſchmack an den Wiſſenſchaften und Verſtändniß für die Alten beibringen!‘ — Na, Eduard, Du biſt auch mit einer von meinen Jägern geweſen, wenn auch keiner von den allerſchlimmſten: wie findeſt Du mich, nachdem Du mich am Morgen an einem Flecke gefunden haſt und mich jetzt am Abend noch ganz in der Nähe deſſelben wiederfindeſt? “
Was ſollte ich anders ſagen, als:
„ Du wollteſt von den grünen, den lebendigen Hecken unſerer Jugend reden, alter Heinrich, alter lieber Freund! Erzähle weiter. Erzähle, wie Du erzählſt. “
„ Meinetwegen. Ja wohl, ihr habt ſie ja wohl108 noch in voller grüner Fülle und möglichſt unbeſchnitten um eure Felder und Gärten in Afrika? Hier reuten ſie ſie allmählich überall aus, die Hecken. Da drunten um das Neſt herum, in welchem wir jung geworden ſind und grüne Jungen waren, haben ſie ſie glücklich alle durch ihre Gartenmauern, Eiſengitter und Haus - mauern erſetzt. Es iſt wirklich als könnten ſie nichts Grünes mehr ſehen! Selbſt hier draußen fangen ſie ſchon an ein Ende damit zu machen. Na, laß ſie, ich habe für mein Theil noch die Wonne genoſſen, mich drunter zu legen, heute in die Sonne, morgen lieber in den Schatten. Unter der Hecke hätte ich überhaupt geboren werden ſollen und nicht in ſo einer muffigen Stadtkammer nach dem Hofe hinaus. Ueber die Hecken hätten meine Windeln gehängt werden ſollen und nicht um den überheizten Ofen herum. Heinrich von der Hecke oder vom Hagen! nicht wahr, das wäre etwas für mich, den Eroberer der rothen Schanze und der dazu gehörigen Tine Quakatz ge - weſen, lieber Eduard? Herr Heinrich von der Hecke, wieviel würdiger, edler, bedeutungsvoller das doch klänge als Kandidat Schaumann, ehelicher Sohn weiland Oberundunterreviſors Schaumann und deſſen Ehefrau und ſo weiter mit allen bürgerlichen Ehren - haftigkeiten. Und noch dazu da ich im Grunde doch auch es, mein Tinchen, unter ihr, der Hecke, der grünen, ſonnigen, wonnigen, der ganz und gar lebendigen Hecke gefunden habe, da ich unter ihr mein Fräulein, die mir beſtimmte Jungfer, meinen ſcheuen Hecken - ſpatz für dieſe diesmalige ſauerſüße Zeitlichkeit einge -109 fangen habe. ‚ Geh 'da weg, Junge, ‘ſprach die junge Dame, mir die Zunge zeigend: ‚ Die Hecke gehört meinem Vater, und da hat Keiner ein Recht daran als wir. ‘— ‚ Bauergans! dumme Trine, ‘ſagte ich, und damit war die erſte Bekanntſchaft gemacht. Sehr mit eurem Zuthun, lieber Eduard; denn was ließet ihr mich ſo allein im Graſe unterm Haſelnußbuſch in Vater Quakatzens Reich? ‚ Ich bin keine Bauern - gans, und ich bin keine Trine, ‘rief die Krabbe. ‚ Ich bin Tine Quakatz. Geh' weg von unſerem Brinke, Stadtjunge! Das ſind meine Nüſſe, dies iſt unſere Hecke und unſer Brink; und weil es unſer Brink und unſere Hecke iſt, ſo werfen ſie auch gleich mit Dreck. Sie haben's mir wieder in der Nach - mittagsſchule verabredet und es ſich verſprochen. ‘— Ob das eine Warnung ſein ſollte, kann ich nicht ſagen; jedenfalls kam die Benachrichtigung zu ſpät. Denn im ſelbigen Augenblick ſchon hatte ich die Paſtete über den Kopf, an die Naſe, in die Augen und theil - weiſe auch ins weitoffene Auslaßthor der Rede; war jedoch, trotz meiner weichen Füße, wieder im nächſten Augenblick über die Hecke und hatte den ländlich - ſittlichen Attentäter mit ſeiner Fauſt voll friſchaufge - griffener Ackerkrume am Kragen und zu Boden. Im allernächſten Augenblick die ganze junge Dorfsbande, Jungen und Mädchen und Köter über mich her, und Tinchen mit den Nägeln in den Geſichtern und den Fäuſten in den Haaren der Geſpielen und Geſpielinnen, und ſämmtliche Hundewachtmannſchaft von der rothen Schanze über den Dammweg uns zu Hülfe! Reizend!110 ich fühle die Püffe heute noch und greife heute noch nach hinten und vorn mir am Leibe herum. Dann mit einem Male der Graben des Prinzen Xaver und die Wallhecke des Bauern Quakatz zwiſchen uns und dem Feinde! Herrgott, wie lief mir das Blut aus der Naſe, und wie wiſchten ſie drüben mit den Jackenärmeln das ihrige von den Mäulern und kreiſchten und ſchimpften und warfen mit Steinen herüber: ‚ Kopfab! kopfab! Kienbaum! Kienbaum! Tine Quakatz, kopfab, kopfab!‘ Herrgott, und dann der wirkliche Schrecken bis ins Mark, ſo - wohl bei mir, wie bei der Menſchheits-Entrüſtungs - Kundgebung von drüben, jenſeit des Grabens. Da ſtand Er — die drüben riſſen aus wie die Spatzen vor dem Steinwurf, da ſtand er hinter mir, zum erſten Mal in meinem Leben dicht neben mir: der Mord - bauer von der rothen Schanze, der vervehmte Mann von der rothen Schanze, der Bauer Andres Quakatz, Kienbaums Mörder! Im Grunde war es doch eigentlich nur eure Schuld, daß ich ſeine Bekanntſchaft ſo zuerſt machte und nachher ſie mehr und mehr ſuchte. Ein Menſch, den ſeine Zeitgenoſſen unter der Hecke liegen laſſen, der ſucht ſich eben einſam ſein eigenes Vergnügen und läßt den Andern das ihrige. — Ja, mein ſeliger Schwiegervater an jenem Tage! mich ſchien er gar nicht zu ſehen; er ſah nur auch über die Hecke nach dem kreiſchenden, immer noch mit allem möglichen Wurfmaterial ſchleudernden Schwarm unſerer und ſeiner Gegner. Und ſtatt etwas dazu zu be - merken, wandte er ſich wieder und ging gegen das111 Haus zu, Kienbaums Mörder. Er konnte hier nichts auch für ſein Kind thun und er mußte uns allein mit der Sache fertig werden laſſen. Doch die einzige Be - wegung, die er gemacht hatte, hatte freilich ſchon genügt, das junge Dorfvolk im paniſchen Schrecken aus dem Felde zu ſcheuchen. ‚ Komm, Junge, an den Brunnen!‘ ſagte Tinchen. ‚ Wie ſiehſt Du aus! Deine Mutter, wenn Du noch eine haſt, ſchlägt Dich todt, wenn ſie Dich ſo ſieht. ‘ Siehſt Du, Eduard, da ſteht er noch. Es iſt derſelbe alte Ziehbrunnen, und liefert ein braves Waſſer. Der Schacht geht ziemlich tief durch das Schanzenwerk des Grafen von der Lauſitz, bis in den Grund der Erde. In Afrika habt Ihr kein beſſeres Waſſer meine ich, und wenn Du einen Trunk daraus wünſcheſt, ſo wende Dich nachher nur an Tinchen. Sie windet den Eimer heute noch ſo wie damals auf. Damals aber ſagte ſie: ‚ Wenn wir und unſer Vieh nicht daraus trinken müßten, ſo hätte ich ſchon längſt ein paar von ihnen drunten liegen!‘ und dabei drohte ſie mit der Fauſt nach dem Dorfe zu, und alle Köter der rothen Schanze bellten nach derſelben Richtung hin. Nun wuſch ich mir das Blut ab, und dann tranken wir Beide aus dem Eimer, indem wir daneben knieten und die Köpfe neben ein - ander in ihn hinein verſenkten. Es war auch eine Art Blutsbruder - oder ſchweſterſchaft, die da auf ſolche Weiſe gemacht wurde. Als wir uns aber die Mäuler getrocknet hatten, meinte das Burgfräulein von Quakatzenburg: ‚ Wenn Du Dich fürchteſt, jetzt bei Hellem allein nach Hauſe zu gehen, ſo kannſt Du112 hierbleiben bis es dunkel geworden iſt, Stadtjunge. Sie lauern Dir ſicher am Dorfe auf; da kenne ich ſie. Sie prügeln Dich durch, und ſo iſt es Dir viel - leicht lieber, Du läßt Dich Abends wegen Ausbleiben von Deinem Vater oder Deiner Mutter durchprügeln. ‘ Ihr habt mich nie in der Schaar eurer Helden mit - gezählt, Eduard. Von euch hellumſchienten Achaiern hätte ich nimmer das beſte und alſo auch ehrenvollſte Stück vom Schweinebraten in die Hände gelegt be - kommen. Wieviel mehr Heroenthum, unter Umſtänden, in mir als wie in euch ſteckte, davon hattet ihr natürlich keine Ahnung. Wenn ich mein Rückenſtück vom Spieß mit gebräuntem Mehl beſtreut haben wollte, ſo hatte ich es mir hinter eurem Rücken ſelber anzurenommiren: ‚ Ich fürchte mich vor nichts in der Welt und vor dem Pack aus Maiholzen garnicht. Derentwegen gehe ich ſchon bei Tage zu jeder Zeit; aber weil Du dies geſagt haſt bleibe ich doch hier, jetzt gerade!‘ Der Herr Regiſtrator Schwartner und der Prinz Xaver von Sachſen hatten in dieſem Augenblick nichts mit dem gruſelnd-ſüßen Gefühl, endlich innerhalb der verrufenen, geheimnißvollen rothen Schanze zu ſtehen, zu thun. ‚ Der Vater iſt wieder im Haus, und wir ſind vor ihm ſicher, ‘ſagte meine jetzige Frau. ‚ Du biſt gut gegen mich ge - weſen, Stadtjunge, Du brauchſt Dich diesmal alſo nicht vor mir zu fürchten. Ich werfe Dich nicht in den Brunnen. Sollen wir zuerſt in den Birnbaum ſteigen, oder willſt Du lieber erſt meine Kaninchen ſehen und meine Ziegen? Wir haben auch kleine113 Hunde. Von denen läßt der Vater aber diesmal nur einen bei der Alten liegen; wir haben noch genug auf dem Wall. Wenn es der Vater mir nicht ver - boten hätte und ich ſie mit nach draußen, da nach der Hecke im Felde draußen, nehmen dürfte, und wenn ich ſie hetzen dürfte; ſo ſollte mir Keiner aus Maiholzen noch mit geſunden Beinen und heilen Schürzen, Röcken und Hoſen herumlaufen. Guck nur, wie ſie auch Dich drauf anſehen, daß ich ſagen ſoll: Pack an! faß, faß, faß an!‘ Dem war gewiß ſo. Sie hielten mich alle giftig genug im Auge und um - knurrten mich böſe. Na, ich bin ihnen allmählich doch näher gekommen, Eduard. Da, Du da, komm Du mal her, Prinz! Siehſt Du, das iſt noch einer von der alten Garde, oder ſtammt wenigſtens noch von ihr her. Auch er hätte eigentlich ſchon längſt den neun Gewehrläufen oder der Blauſäure verfallen müſſen, wenn ich das Herz dazu aufbrächte. Meine Frau will natürlich auch nichts von ſo einer wohl - thätigen Gewaltthat hören, und ſelbſt meinem guten Kater da würde die Sache gewiß leid thun. Nun, ich hoffe, eines Morgens finden wir ihn mal in einem Winkel heimgegangen zu ſeinen Vätern und aus dieſer biſſigen Welt heraus im Hafen als angelangt ver - zeichnet. “
„ Sollte ich ſeine Bekanntſchaft vielleicht ſchon gemacht haben, als wir vor unſerm Abgang zur Uni - verſität hier Abſchied von einander nahmen, Heinrich? “
„ Kaum möglich. So alt wird kein verſtändiger Hund. Höchſtens ein vernünftiger Menſch. “
W. Raabe. Stopfkuchen. 8114„ Entſchuldige, daß ich Dich unterbrochen habe. Erzähle weiter, Stopfkuchen. “
„ Nicht wahr, für den Schwiegerſohn von Kien - baums Mörder erzähle ich hübſch gemüthlich? Ja, ja, es war im vollſten Sinne des Wortes eine Mord - wirthſchaft, in welcher ich mich zum einzigen Haus - und Familienfreunde auswuchs! Die Verſicherung kann ich Dir geben, Freund, daß nur ſehr ſelten ein Schwiegervater ſich ſeinen Schwiegerſohn in ſo kurioſer Weiſe groß und allgemach ans Herz gezogen hat wie Vater Quakatz mich, ſeinen dicken, braven Heinrich. Und dann der Heckenſpatz, dem ich im Getümmel des Kampfes Salz auf den Schwanz geſtreut hatte, oder vielmehr der Schmetterling, auf den ich mit blutender Naſe und blauem Buckel die Schülermütze gedeckt hatte. Ja, ja, ſo einen ſaubern fängt ſich nicht jeder ein, der auf dieſe Jagd ausgeht! Herrjeh, wie das Frauenzimmer in jenen Tagen ausſah! ſolch ein Bündel, wie meine ſelige Mutter geſagt haben würde, ſolch ein vom Regen gewaſchenes, von der Sonne getrocknetes, vom Winde zerzauſtes, hülfloſes, mutter - loſes, ſich ſelber die Kleider flickendes, ſich nach dem Modejournal der rothen Schanze ſelber zuſammen koſtümirendes Bündel! und mit dieſem Haut-gout von Blut, Moder und ungeſühntem Todtſchlag, dieſem Kienbaums-Geruch an ſich! Weißt Du, was ſie, Frau Schaumann ſagte, als ſie mir unten im Graſe von oben aus den Zweigen des Birnbaums ihre Birnen zuwarf? Sie meinte: ‚ Er iſt jetzt im Hauſe, mein Vater, und wenn er Dich nicht ſieht, iſt es mir115 doch lieb und das Beſte. Ich weiß es von Allen im Dorfe und auch unten in der Stadt, daß er Kienbaum todtgeſchlagen hat, und ich glaube es nicht. Darauf laſſe ich mich todtſchlagen von euch Allen, daß er es nicht gethan hat, aber das weiß ich auch, daß er die ganze Welt, und Dich auch, Stadtjunge, vergiften könnte. Das glaube ich feſt! Er ſagt es, daß er alle unſere Hausmäuſe und unſere Feldmäuſe und die Hamäuſe auch gern frei laufen und Schaden thun läßt, weil er euch nicht an den Hals kann. ‘ Was konnte ich darauf anders ſagen als: Tinchen Quakatz, dann ſieh nur zu, daß er mich in der Naturgeſchichte als Haus -, Feld - und Hamaus mitzählt; denn morgen komme ich noch einmal wieder nach der rothen Schanze, wenn ich nicht nachſitzen muß. ‚ Mein Vater hat auch ſitzen müſſen; aber ſie haben ihn doch immer wieder frei geben müſſen. Sie können ihm mit aller Gewalt nichts anhaben. Es kann ihm Keiner be - weiſen, daß er Kienbaum todtgeſchlagen hat. ‘“
In dieſem Augenblick trat Frau Valentine wieder einmal aus dem Hauſe, kam aber diesmal mit ihrem Arbeitskörbchen und ſetzte ſich zu uns, indem ſie ihren Stuhl dicht an den ihres Mannes rückte.
„ Nicht ſo nahe auf den Leib, Kind! “ſeufzte Stopfkuchen. „ Iſt das ein gedeihlicher Sommer8*116Guter Gott, die Leute draußen auf dem Felde, die keinen Schatten haben, oder ſich doch nicht in ihn hineinlegen dürfen. Wir ſind nämlich eben im Schatten der rothen Schanze angelangt, Eduard und ich, und ich erzähle ihm grade, wie Du mir zum erſten Mal den Kopf, das heißt das Maul, die blutende Naſe gewaſchen haſt, und wie ich ein Held war, und wie gern unſer ſeliger Papa die Mäuſe hätte laufen laſſen und die ganze Menſchheit vergiftet hätte. “
„ Laſſen Sie ſich nur nicht zu argen Unſinn von ihm aufreden, “ſagte Frau Schaumann freundlich, indem ſie ihre Nadel ruhig einfädelte. „ Manchmal iſt er auch heute noch ganz in der Stille zu Allem fähig, grade wie als dummer, kleiner Junge. Nun, Sie kennen ihn ja, Herr Eduard! “
„ So wie das Weib kommt, geht die Kritik und der Zank los! “ſprach Heinrich, mit ausgebreitetſtem Bauch und Behagen ſeinem Weibe die Hand auf den Kopf legend. „ Das arme Wurm! wenn es mich mit meinen Dummheiten nicht gefunden hätte! Nun, wo waren wir denn ſtehen geblieben, Herr Eduard? “
„ Unter dem Birnbaum. Wahrſcheinlich unter jenem dort. “
Wir ſahen alle drei nach der Richtung hin, und Frau Valentine nickte nachdrücklich.
„ Richtig, “ſagte ihr Mann. „ Sie ſaß drin und ich ſaß drunter. Sie pflückte und ich fraß. Eduard, ihr habt meiner körperlichen Anlagen wegen meine geiſtigen ſtets verkannt. Ihr Schlaumichel, Schnell - füße, gymnaſiaſtiſche Affenrepublik hattet keine Ahnung117 davon, was in einem Bradypus bohren und treiben kann. Mit der Krabbe, dem Mädchen da, war ich im Reinen. Die war nunmehr meine Freundin und meine Schutzbefohlene, und ich ihr Schutzpatron, ihr Sankt Heinrich von der Hecke; das war ja ſelbſtver - ſtändlich — “
„ Lieber Mann — “
„ Liebe Frau, und ebenſo ſelbſtverſtändlich, ich will lieber ſagen folgerecht, kam jetzt, unterbrich mich nicht immer, Alte, kam jetzt der Alte dran. Und da machte ſich die Sache denn natürlich auch. Ihr, Eduard, hieltet mich für dumm und gefräßig; er hielt mich wohl auch für gefräßig, jedoch aber auch, meine all - gemeine Unſchädlichkeit dazu gerechnet, für ein Licht in einem gewiſſen Theil des Dunkels, das ſein Leben umgab, ſein armes Leben, Tine! “
Die letzten paar Worte waren ſo geſprochen, daß ſein Weib doch den Stuhl wieder dicht an ihn heranrückte. Sie legte auch ihre Hand auf die ſeine, und er ſchlug den Arm um ſie und ſagte auf ein - mal: „ Tine, meine alte Tine Quakatz. “
Dann wendete er ſich wieder zu mir, und ich wußte jetzt ſchon, den Wechſel im Ton zurecht zu legen.
„ Nämlich am nächſten Tage nach der Hecken - ſchlacht fand ich mich natürlich zum zweiten Mal in Regiſtrator Schwartners Zauberreich, und diesmal ſaß ich im Baum, einem niedern Apfelbaum — dem dort. Und diesmal ſtand Tinchen drunter mit auf - gehaltener Schürze, und wieder ſtand der Alte plötz -118 lich da und ſah nun ſtumm zu mir hinauf, und das Wetterglas ſchien auf Sturm zu weiſen. ‚ Vater, er will nur unſere Befeſtigung verſtudiren, ‘ſagte Tinchen, vielleicht doch auch etwas zaghaft. ‚ Er kommt mit den Geſchichtsbüchern von der Belagerung her und ſie haben ſein Haus von hieraus beſchoſſen. ‘— ‚ Komm lieber doch erſt mal da herunter, ‘ſagte Vater Quakatz. Und wie raſch ſelbſt ein Bradypus, ein Faulthier, von einem Baum herabſteigen kann, das bewies ich jetzt. Da ſtand ich vor Kienbaums Mörder, und wenn ich nicht erwartete, nun gleichfalls todtgeſchlagen zu werden, ſo war doch auch Tinchen der Meinung: der alte Herr werde wenigſtens über den Graben ins freie Feld deuten und mit Nachdruck ſagen: ‚ Jetzt ſcher Dich. ‘— Es kam aber anders, er ſagte nur: ‚ Meinetwegen; ‘was ſich doch nur auf mein Ver - ſtudiren ſeines Anweſens beziehen konnte. Nachher dachten wir, er werde ſich nun wieder nach ſeiner Art umdrehen und weg gehen; aber auch das kam anders. Er blieb und fragte: ‚ Du gehſt auf die Lateinſchule? — ‚ J, j, j, ja, Herr Quakatz. ‘— ‚ Kannſt Du es leſen? das Lateiniſche meine ich. ‘— ‚ J, j, ja, ‘ſtotterte ich und dachte an nichts Böſes. — ‚ Dann theilt Euch die Aepfel, und nachher komm mal in die Stube. Du ſollſt mir was aus dem Latein überſetzen. ‘— Da ſaß ich denn freilich feſt drin. So hatte ich das Wort vom Latein-Leſen nicht verſtanden. Da rufe ich den gelehrten Afrikaner, den Eduard, zum Zeugniß auf, wie gründlich ich von Papa mißverſtanden worden war, Frau! Wer aber119 in der Falle ſitzt, der ſitzt drin; und nach einer un - heimlichen, zögernden, apfelkauenden Viertelſtunde noch draußen ſaß ich noch mehr drinnen, ſaß ich mit dem vervehmten Mann von der rothen Schanze in ſeiner Stube, unſerer heutigen Eßſtube, Eduard, der Stube da, die Du in ihrer damaligen dumpfigen Unge - müthlichkeit bei unſerm Jünglingsabſchied kennen ge - lernt haſt, Eduard. Da mein Zögern dem alten Herrn zu lange gedauert hatte, war er noch mal in den Garten gekommen, hatte mich am Oberarm ge - packt, in ſeine Mörderhöhle geführt und mich am Tiſche unter dem Groſchenbild von Kain und Abel auf die Bank gedrückt und zwar mit den Worten: ‚ Was ſchlotterſt Du, Junge? ich ſchneide Dir den Hals nicht ab. ‘— Nachher ging er zu einem Schrank ich habe ihn heute durch meinen Koprolithenbehälter erſetzt, nahm ein dickes Buch in Schweinsleder hervor, legte es vor mich hin auf den Tiſch, nachdem er eine Weile darin geblättert hatte, ſetzte ſich zu mir, wie zu einem erwachſenen Mann und Rechtsanwalt, ſetzte den harten, knochigen Zeigefinger auf eine Stelle und ſagte: ‚ Hier, Lateiner! Mache Du das mir mal auf Deine Art deutſch klar, ein Wort nach dem andern. Es iſt das Korpusjuris, das Korpusjuris, das Korpusjuris, und ich will es mal von Einem auf deutſch vernehmen, der noch nichts von dem Korpusjuris, von dem Korpusjuris weiß!‘ Die Stelle war mit Rothkreide kräftig unterſtrichen und ein Ohr war ins Blatt eingeſchlagen, und Alles deutete darauf hin, daß hier öfters ein vor Aufregung zitternder120 Daumen und Zeigefinger geſtanden hatten. Ich aber ſaß vor dem Buch und rieb mir weinerlich mit den Handknöcheln die Augen: ſo weit waren wir noch nicht in der Schule, daß wir dem Bauer Andreas Quakatz das Buch aller juriſtiſchen Bücher hätten aus - legen können. Und wie in der Schule mich duckend ſtotterte ich endlich: ‚ Herr Quakatz, blos wenn ich die Worte wiſſen ſollte, müßte ich mein Wörterbuch hier haben, und das habe ich unten in der Stadt. ‘— ‚ Dann hole es und bringe es morgen mit heraus. Ich bin ein Narr, daß ich ſo mit Dir rede; aber die Welt hat mich ja ſo gewollt, und Du biſt mir gerade ſo gut als wie ein Anderer, wenn ich zu Einem über meine Sache reden will. Es iſt aus, ich will keine Gelehrten, keine Afkaten, keine Großgewachſenen mehr bei mir und meiner Sache. Du ſollſt mir klug genug ſein, daß ich auf Dich hereinreden kann, wie zu einem Vernunftmenſchen. Die Alten, unſere Vor - fahren haben es auch ſo gemacht, daß ſie ſich an die Dummen und Unmündigen gehalten haben. Junge, Junge, meine Tine ſagt, daß Du heraus gekommen biſt, um die rothe Schanze zu verſtudiren. Verſtudire ſie, und kriege es mir heraus, wer Recht hat, die Welt oder der Bauer auf der rothen Schanze! Du haſt Dich meiner Krabbe aus Gerechtigkeitsgefühl an - genommen, ich habe es hinter der Hecke vom Wall mit angeſehen, nun will ich's mal darauf hin probiren, ob es wahr iſt, wie es geſchrieben ſteht: in den Mäulern der Unmündigen will ich der Wahrheit eine Stätte bereiten. Kriegſt Du es mir heraus, wer121 Kienbaum todtgeſchlagen hat, ſo ſchenke ich Dir und dem Herrn Regiſtrator Schwartner die rothe Schanze mit allen Hiſtorien vom ſiebenjährigen und dreißig - jährigen Kriege, und ziehe ab von ihr mit meinem Kinde und dem weißen Stabe in der Hand. Das Mädchen erzählt mir, ſie laſſen Dich auch allein ſitzen, ſo probire es, kriege heraus, wer Kienbaum todtge - ſchlagen hat, und ich verſchreibe die rothe Schanze Dir und allen Deinen Rechtsnachfolgern. ‘ Ja, ja, Frau Valentine Schaumann, geborenes Quakätzlein, ſo ging er mit allen Deinen Rechtsanſprüchen an die Welt um; aber wenn ein unzurechnungsfähiger, gefräßiger, weichfüßiger Bradypus im Stande war, Dir zu dem Deinigen in ihr zu verhelfen, ſo bin ich das geweſen, Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. Zuerſt aber winſelte ich den Bauer von der rothen Schanze noch einmal an. ‚ Herr Quakatz, ich weiß doch gar - nicht ob ich es kann. Ich bin bei der letzten Ver - ſetzung wieder nicht mit nach der Obertertia gekommen. ‘— ‚ Probir's!‘ ſagte der zukünftige Schwiegervater, und ſein Töchterlein ſtieß mir den Ellbogen in die Seite, als wolle ſie ſagen: ‚ Thu auch mir den Ge - fallen; ‘und als wir wieder draußen im Garten ſtanden, flüſterte ſie mir zu: ‚ Sei doch nicht ſo dumm, er weiß ja ſelbſt vor dem ſchlimmen Buch nicht was er will. Es iſt ja auch nur weil e[r]Keinen, Keinen, Keinen hat, außer den Afkaten, die er nicht mehr will, mit dem er reden kann. Und morgen redet er Dich wohl gar nicht mehr darauf an: es iſt ihm juſt eben nur in den Sinn gekommen, weil Du ihm als122 Gelehrter in den Weg gekommen biſt. Bring Du Dein dickſtes Buch mit heraus. Er kann Dich ja jetzt hier auf unſerm Hofe ſehen, und Du kannſt zuſehen und es probiren, was Du für uns herauskriegſt. ‘—
„ Na ja, Frau, Du kannſt es dem Eduard eigent - lich viel beſſer berichten, wie ich denn ſo von Zeit zu Zeit herausgekommen bin nach der rothen Schanze, um endlich ganz da zu bleiben. Daß ich dem Mord - bauer auf der rothen Schanze nicht das Corpus juris ins Deutſche übertragen habe, das ſteht feſt. Aber das ſteht auch feſt, mein Herz, mein Kind, Du altes, gutes Weib, und Du afrikaniſcher Freund, daß ich es beiläufig, und faſt ohne mein Zuthun herausgekriegt habe: wer Kienbaums Mörder geweſen iſt — wer Kienbaum todtgeſchlagen hat. “
Ohne Sturm oder gar Wirbelſturm ſind wir bis jetzt glücklich durchgekommen. Aber geſtern Mittag ging plötzlich über den „ Hagebucher “der Ruf: „ Feuer auf dem Schiff! “und es blieb nur der Schiffskoch ruhig; denn der wußte es ja anfangs allein, woher der Brandgeruch ſtammte. Er wußte allein von dem alten wollenen Strumpf, welcher ihm unter ſeine Steinkohlen und auf ſeinen Küchenherd gerathen war. Der nichtsnutzige Nigger hatte ihn im nordiſchen Hamburg noch am eigenen Fuße gehabt; aber unterm123 Äquator hatte er die ſchönen Reſte davon eben ent - behrlich gefunden.
Wie als wenn eben vom Hauſe her auch der Ruf: „ Feuer! Feuer auf der rothen Schanze! “er - ſchollen wäre, war ich aufgeſprungen und ſtand Frau Valentine aufrecht am Tiſche und hatte ihr Strick - zeug weit von ſich geſchleudert.
„ Iſt es die Möglichkeit? “ſtammelte ich. „ Frau Valentine — “
Die Frau ſtand nur bleich und wortlos und ſtarrte aus weit offenen Augen auf ihren Mann.
„ Es iſt die Möglichkeit geweſen, “ſagte dieſer. „ Es iſt eine altbekannte Sache, auch der Dummſte kann einen Zweck erreichen, wenn er nur ſeinen Dickkopf feſt dran und draufſetzt. Ja, Kinder, ich weiß es heute, wer Kienbaum todtgeſchlagen hat. “
„ Aber Deine Frau! So ſieh doch nur Deine Frau an! Menſch, Menſch, hat denn Deine Frau ebenfalls bis heute, wie alle andern — “
„ Meine Frau erfährt von meinem Wiſſen in dieſem Augenblick gleichfalls das erſte Wort. Das kannſt Du ihr doch anſehen, Eduard. Aber ſo ſetze Dich doch wieder, Tinchen! Liebes Herz, Alte, liebe, gute Alte, bleib doch ruhig. Erinnere Dich, was wir ausgemacht haben. Erſt wenn mir die Pfeife über einer Sache ausgeht, kommt an Dich die Reihe Jodute! zu rufen, mit den Beinen zu ſtrampeln, die Arme aufzuwerfen und der Welt mit Thränen oder Grobheiten aufzuwarten. Kinder, thut mir den Ge - fallen und ſitzt ſtill! “
124Wie es mit ſeiner Tabakspfeifenverabredung be - ſchaffen ſein mochte: dem Ausgehen war ſeine Pfeife eben doch nahe. Aber er brachte ſie durch einiges Saugen daran richtig wieder zu hellem Brande, blies eine blaue Wolke in die liebe Sommerluft, und — ja, kurz, war eben nicht ohne Grund von uns Stopfkuchen genannt worden! Da ſein Weib ſich wirklich wieder hinſetzte, blieb mir nichts Anderes übrig, als dasſelbe zu thun.
„ Heinrich! “murmelte angſtvoll, flehend die Frau. Ich brummte unwillkürlich: „ So gehe doch heraus aus dem Kaſten, Ungeheuer! “aber Stopfkuchen ſagte, ſtoß - weiſe, immer noch an ſeinem Weichſelrohr ſaugend, „ Aber — Kinder — ſo — laßt mich doch — die Geſchichte von der völligen Eroberung von Quakatzen - burg in Ruhe erzählen, wenn ihr ſie wiſſen wollt. Unterbrecht mich doch nicht immer! Dieſe ewige Aufgeregtheit in der jedesmaligen, eben vorhandenen Menſchheit, bis ſie ſich hinlegt und todt iſt! Fallt mir doch nicht bei jedem dritten Worte ins Wort, wenn wir bis zum Abendeſſen mit der Sache fertig ſein ſollen. “
Der Menſch ſprach wahrhaftig vom Abendeſſen wie von der Hauptſache bei der Sache. Es blieb nichts übrig als ihn faulthierhaft in ſeinen Baum hinauf - ſteigen zu laſſen; aber ſelbſt für jemand, der auf allerlei Kreuz - und Querzügen rund um den Erdball auch das Seinige ruhig erlebt zu haben glaubte, wurde dieſe Kaltblütigkeit allgemach zu unheimlich.
„ Herze, ſchenk mir noch eine Taſſe Kaffee ein125 und gib Eduard auch eine. Du regſt Dich doch nicht auf, Kind? Welch 'ein wundervoller Tag hier in der Kühle mit der heißen Welt da draußen! So — noch ein Stück Zucker. “
Das arme Weib kam dem Wunſche nach; aber wie eine Traumwandlerin, wie eine Hypnotiſirte. Auf den Topf und die Taſſen blickte ſie nicht; — nur immerfort auf den Mann, und zwar wie auf einen, von dem man nicht weiß, ob man ihn ferner liebbehalten, oder ſich vor ihm zu Tode fürchten ſoll.
„ Ich bitte Dich, Heinrich — “
„ Thue das nicht. Du weißt doch, Kind, daß Du das nicht nöthig haſt! Kenne ich nicht alle Deine Wünſche im voraus? Ich ſage Dir, Eduard, nicht einmal an den Augen brauche ich ſie ihr abzuſehen, wie andere, gewöhnlichere gute Ehemänner. Du er - fährſt alles, Tinchen. Es thut ja nun Niemand mehr Schaden und hilft keinem zu Schadenfreude, den alten verjährten, muffigen Schrecken mit der Zange anzufaſſen, ans Licht zu ziehen und in der Sonne vorſichtig mit der Fußſpitze umzuwenden. Übrigens ſteht es bei euch: ſoll ich fortfahren, wie ich angefangen habe, oder wünſcht ihr einen kurzen Aufſchluß in drei Worten? “
„ Fahre fort, Menſchenkind! “mußte ich nun doch rufen, und die Frau ſagte, mehr denn je wie im Banne gehend: „ Ich kann nichts dagegen machen; es wird ja auch wohl das Beſte ſein, wie Du es verſtehſt. “
„ Dann bleiben wir noch ein Weilchen in der Idylle und laſſen Kienbaum Kienbaum ſein, ſo126 lange als möglich, “ſagte Stopfkuchen. „ Was ſollen auch die verſteinerten Geſichter? ziehe ich euch eines? Ne, dafür hat man ſich eben das ſchlechte Beiſpiel des Bauern auf der rothen Schanze zur Warnung dienen laſſen. An ſeinem Elend konnte man wohl lernen, ruhig, gleichmüthig den Weltlauf an ſich heran - kommen zu laſſen. Natürlich mit einer Anlage hierzu muß einer auch in die Welt hineingeſetzt worden ſein: es braucht nicht jeder die Forſche zu haben, das neue Deutſche Reich aufzurichten, hinzuſtellen und zu ſagen: Nun könnt ihr und ſo weiter ... Jawohl, lieber Eduard, laß nur jeden auf ſeine Weiſe heraus aus dem Heerdenkaſten gehen. Da war zum Exempel der Heinrich Schaumann, den ihr Stopfkuchen nanntet. Er hat wenigſtens mal ganz und gar nach ſeiner Natur gelebt, hat gethan und hat gelaſſen was er thun oder was er laſſen mußte; — iſt es dann am Ende nachher ſeine Schuld, wenn in irgend einer Weiſe doch etwas Vernünftiges dabei herauskommt? Garnicht. Für dieſe Verantwortlichkeit danke ich ganz und gar. Da ich nicht in einer netten, ſaubern, durchaus behaglichen Welt leben kann: was kümmert's mich, ob ich in einer verſtändigen und vernünftigen lebe? Plato, Ariſtoteles, der ſelige Kant — “
„ Menſch, Menſch, Menſch, mach mich nicht ganz verrückt! “rief ich, mit beiden Händen nach beiden Ohren faſſend, und Stopfkuchen ſprach lachend:
„ Siehſt Du, Eduard, ſo zahlt der überlegene Menſch nach Jahren ruhigen Wartens geduldig er - tragene Verſpottung und Zurückſetzung heim. Darauf,127 auf dieſe Genugthuung habe ich hier in der Kühle ge - wartet, während Du mit Deinem Le Vaillant im heißen Afrika auf die Elephanten -, Nashorn - und Giraffenjagd gingeſt oder Dich auf andere unnöthige Weiſe ab - und ausſchwitzteſt. Alſo bleiben wir noch ein wenig in der Idylle, ehe wir von Kienbaum und wie er zu Tode kam, weiter reden. Nachher magſt Du ja ſelber beurtheilen, ob Du Deine, ſeine oder meine Geſchichte für die wichtigere hältſt. Sei nur ruhig, Tinchen, und verlaß Dich auch heute noch einmal auf Deinen Mann! Du biſt Partei, aber Du weißt es ja: Dein Mann nimmt immer Deine Partei! “
Wir ließen alſo, da wir mußten, Kienbaum fürs Erſte noch ungerächt weiter modern und blieben in der Idylle.
„ Ich glaube, ich habe Dich ſchon einige Male aufgefordert, Eduard, meine Frau Dir anzuſehen; aber jetzt bitte ich Dich von Neuem: Guck ſie Dir noch einmal an. Wie ſie da ſo niedlich ſitzt! Kannſt Du es heute noch für möglich halten, daß ſie einmal wie eine in eine Wildkatze verzauberte Jungfer, die auf ihren Erlöſungsritter wartet, dageſeſſen hat? Mich brauchſt Du wohl ja nicht weiter darauf an - zuſehen: mein Ritterthum fiel euch, und alſo auch Dir, von früher Jugend an, umfänglich imponirend128 in die Augen, und ihr habt's mich genug entgelten laſſen. Aber die Narren haben mich doch unterſchätzt. Sage Du es ihm, Alte, wie viele Schock Leih - bibliothekspaladine ich eigentlich in mir hatte und ſie offenbarte, als Du mir zum erſtenmal geſagt hatteſt: ‚ Du, mein Vater mag Dich, alſo beſuche uns nur. ‘ Nein, ſage es dem guten, lieben Eduard nicht, er benutzt ſonſt ſofort die Gelegenheit, ſich mir als bloß verleumdeten Pylades aufzuſpielen und zu behaupten, er habe mich nie verkannt. Bleiben wir bei Deinem Alten, Weib. ‚ Natürlich komme ich morgen wieder und nicht bloß eurer Birnen wegen. Dein Alter iſt ein ganz[famoser] Kerl, und wenn der wen todt - geſchlagen hat, ſo hat der's dreidoppelt verdient ge - habt. Mit ſeinem dicken Geſetzbuche und mit meinem Latein iſt das natürlich nur dummes Zeug; aber mit der Kugel, die von der rothen Schanze bis an unſer Haus geflogen iſt, nicht. Und wenn ich dem alten Schwartner erzähle, daß Dein Vater mich in die rothe Schanze hineingelaſſen hat, ſo ſchenkt er mir vier Groſchen und dann paß auf, dann gibt's hier auch Kuchen und nicht bloß Äpfel und Birnen. Morgen bin ich wieder da. ‘
Da am folgenden Tage weder Vater und Mutter, noch der Klaſſenlehrer den Riegel vorſchob, war ich wieder da. Na, Tinchen, und wer durfte gründlicher Triumph krähen. Der Prinz Xaverius von Sachſen von der rothen Schanze aus über die Stadt, oder Schaumanns dicker, dummer Junge von der Stadt aus über die rothe Schanze? “
129„ Du! “ſagte Frau Valentine, und zu mir ſich wendend, fügte ſie hinzu: „ Es hilft uns nichts; wir müſſen ihm ſeinen Willen und Weg laſſen. “
Wir ließen ihm ſeinen Willen und Weg, und er watſchelte auf dem letzteren weiter, mit dem ſichern Bewußtſein, uns in ſeiner Hand zu haben.
Erſt ſtopfte er ſeine Pfeife von Neuem, dann ſeufzte er: „ Da die Welt von ihm, dem Schanzen - bauer, nichts mehr wiſſen wollte, weil ſie nicht genug von ihm herausgekriegt hatte; ſo ſuchte er, nach ſeinem angeborenen Menſchenrecht, ohne ſie auszukommen, ſo gut es ging. Eigentlich ging es ſchlecht, denn er ſteckte zu der Aufgabe weder in meiner Haut noch in meinem Gemüthe. Er war viel zu dürr und viel zu lebendig und viel zu geſellig dafür angelegt. Die Räthſel und die harten Nüſſe kommen nur zu häufig an die Unrechten. Was hätte es mir Feiſtling ge - macht, unter dem Verdachte, Kienbaum todtgeſchlagen zu haben, durch die Welt zu vegetiren? Garnichts! Oder die Sache würde ſogar einen gewiſſen Glanz auf mich geworfen haben; denn die Welt würde ſicherlich geſagt haben: ‚ I ſieh mal! eigentlich ſollte man es dem faulen Strick garnicht zutrauen, und zu dumm iſt der Bengel im Grunde auch dazu. ‘ Aber der Vater Quakatz? was blieb ihm übrig, umW. Raabe. Stopfkuchen. 9130nicht ganz verrückt zu werden, als ſeinen Sinn und ſeine Gedanken auf allerlei Dinge zu richten, auf die vor ihm noch kein Bauer auf der rothen Schanze ge - kommen war? Daß ich, Heinrich Schaumann, ge - nannt Stopfkuchen, ihm dabei zu Hülfe kommen konnte, mochte Zufall ſein, war aber unbedingt Schickſal. — Da war zuerſt die Geſchichte ſeiner Burg; und ich ſagte ihm: ‚ Herr Quakatz, von hier aus hat der Prinz von Sachſen eine ganze Menge Menſchen drunten in der Stadt ums Leben gebracht. ‘
‚ Ja, Junge, in der Schwedenzeit. ‘
‚ Nein, Herr Quakatz. So lange iſt's noch gar nicht her. Im ſiebenjährigen Kriege iſt's geweſen. ‘
‚ Kannſt Du mir welche mit Namen nennen?‘
‚ Nein, aber ich kann den Herrn Regiſtrator Schwartner nach ihnen fragen und ſie Ihnen bei ihm aufſchreiben. Er hat ſie alle ſchriftlich. ‘
‚ Dann bring mir mal das Regiſter mit heraus, Dicker. Aber ſag 'nicht, daß ich es habe haben wollen. Sie möchten ſich ſonſt wieder was denken. ‘
„ Und an einem der nächſten Tage ſchon ſteckten wir ſtatt über dem Corpus juris, die Köpfe über meiner Abſchrift aus der Sammlung des alten Schwartner zuſammen, und der Bauer auf der rothen Schanze ſuchte herauszubringen, welche Leute heute die Rechtsnachfolger der Todtgeſchlagenen von Sieben - zehnhunderteinundſechzig waren und möglicherweiſe die Rechtsnachfolger des Grafen von der Lauſitz darob verklagen konnten. Was für ein Troſt damals für den Papa hierin lag, Tinchen, war mir zu jener131 Zeit dunkel. Heute glaube ich es zu wiſſen. Von den Knochen der jüngern Vergangenheit gingen wir ſodann zu denen der wirklichen Vorwelt über; und groß und bedeutend für mich war der Tag, lieber Eduard, an welchem mich der Bauer Quakatz zum erſtenmal in einen verſchloſſenen Stall führte und auf einen ſonderbaren Haufen zeigend fragte: ‚ Was iſt das Junge?‘ Ja, was war es? ein ziemlich voll - ſtändiges Mammuthsgerippe war's und — ‚ ich bin beim Kiesgraben hinterm Hofe drauf geſtoßen, ‘ſagte der Bauer; ‚ es liegt wohl noch mehr da; denn dieſe Schanze iſt wohl ſo eine Anſchwemmung von der Sündfluth her. Junge, Junge, von der Sündfluth her! Du weißt es nicht, wie es dem Bauer auf der rothen Schanze zu Muthe iſt, wenn er in der Bibel von der Sündfluth lieſt; aber wenn Du in Deinen Büchern über das Knochenzeug was haſt, ſo bringe es auch mit heraus; aber ſage keinem Menſchen davon, welch einen verſteinerten Drachen Kienbaums Mörder zu ſeinem Troſte in ſeiner Kiesgrube gefunden hat. ‘— Ich habe keinem Menſchen damals davon geſagt, welch intereſſanten Fund Tinchens Vater gemacht hat; aber wenn heute der Briefträger — nicht mehr Freund Störzer — nach der rothen Schanze herauskommt, ſo hat er, außer der Zeitung, gewöhnlich irgend etwas von irgend einer geologiſchen oder ſonſt in das Fach ſchlagenden Geſellſchaft für Herrn Schaumann. Die Vorſtellung, in einer ſpätern Schicht auch mal unter den merkwürdigen Verſteinerungen gefunden zu werden, hat für den gemüthlich angelegten, denkenden Menſchen,9*132ſo viel Anregendes, daß ſie ihn, und noch dazu wenn er Zeit dafür hat, unbedingt in die Petrefaktenkunde und die Paläontologie führt. Und Du brauchſt bloß noch einmal die paar Schritte an die Brüſtung unſerer Schanze zu thun, Eduard, und Dir die Umgegend noch einmal in Beziehung hierauf zu betrachten, um ſie plötzlich auch noch nach einer ganz neuen Richtung hin, höchſt intereſſant zu finden. Zwiſchen der Trias und der Kreide nichts als Waſſer, und die erſte nächſte Inſel, dort der blaue Berg im Süden! Wenn das Feuchte ſich in der Eocänzeit etwas zurückzog, in der Miocänzeit es, was man jetzt nennt, trocken wurde, und wenn es in der Pliocänzeit ſogar dann und wann hier über der rothen Schanze ſchon ſtaubte: ſo war das dem Bauer auf derſelben ganz einerlei; der fragte nur danach, wer in der Welt etwas von ſeinem Verhältniß zu Kienbaum wußte, oder gewußt haben konnte. Aber mir, dem heutigen Bauer auf der rothen Schanze, iſt es im Laufe der Jahre nicht einerlei geblieben. Der Doktor hatte Tinchen nämlich geſagt: ‚ Bei der Körperbeſchaffenheit ihres Herrn Gemahls giebt es garnichts Vernünftigeres für ihn als dieſe Liebhaberei und ſein Herumkriechen in Steinbrüchen und Kies - und Mergelgruben; — je mehr er bei ſeinem Knochenſuchen ſchwitzt, deſto beſſer iſt's für ihn und Sie. ‘ Und, lieber Eduard, wenn je ein Weib eine närriſche Liebhaberei ihres Gatten befördert hat, ſo iſt es Valentine Quakatz auf dieſen ärztlichen Ausſpruch hin geweſen. O Eduard, in der Tertiärzeit ſoll es hier noch ſo heiß geweſen ſein, wie133 heute bei Dir zu Hauſe im heißeſten Afrika, und wäre ich damals hierhergekommen, ſo wollte und könnte ich ja garnichts dagegen ſagen. Aber ich bitte Dich, erſt in der Eiszeit — in der Eiszeit — iſt unter den erſten Säugethieren auch der Menſch hier auf der rothen Schanze aus Aſien eingewandert — und da ſoll ein Nachkömmling von ihm heute im Sommer nicht ſchwitzen, wenn er pietätvoll und wiſſenſchaftlich nach den erſten Spuren ſeiner Vorfahren hier um den Aufwurf des Prinzen Xaver von Sachſen herum nachſucht! “
— — — — — — — — — — —
Keine Möglichkeit, heute weiter zu ſchreiben. Das Schiff ſtößt allzuſehr. Hohle See. Kapitän unnahbar. Matroſen ſehr beſchäftigt und vernünf - tigerweiſe ungemein grob. Niggerſteward beſoffen. Paſſagiere — „ hol der Henker das Heulen! ſie über - ſchreien das Ungewitter und unſere Verrichtungen! Heigh, my hearts! cheerly, cheerly, my hearts! yare, yare! “— Siehe den Sturm, ein Zauber - märchen von William Shakeſpeare, aber ſieh ihn — wenn es Dir irgend möglich iſt — ja nur von einem ſichern Sperrſitz oder ſonſt behaglichen Theater - platz aus mit an.
Zwei Tage und zwei Nächte durch hat das Un - wetter gedauert. Die „ Rieſen ängſteten ſich unter den Waſſern, “und „ die bei ihnen wohnen “auch. 134Wer wäre da nicht gern herausgegangen aus dem Kaſten, wenn er's nur gekonnt hätte?! Wahrlich der Herr hat mir wieder einmal große Wunder auf dem großen Meere gewieſen, und wie gemüthlich iſt's nun um ſo mehr jetzt, immer noch mit ſeinen kleinen und großen Heimaths-Erinnerungen und Erfahrungen auf Quakatzenburg bei Heinrich Schaumann, genannt Stopf - kuchen zu Gaſt zu ſein und den dicken Freund zu ſeiner Frau ſagen zu hören:
„ Aber, Kind, was geht Dich und Eduard eigent - lich Deines Vaters und meine Spezialliebhaberei und die Petrefaktenkunde überhaupt an? Was geht es euch an, wie lange der Ocean über der rothen Schanze ge - ſtanden hat, ehe die Möglichkeit vorhanden war, daß Kienbaum in ihrer Umgebung todtgeſchlagen werden konnte? Wieviel ergötzlicher iſt es doch, davon zu reden, daß der Herr nach der Sintfluth wieder aufgehen ließ Gras, Buſch und Baum, und daß er Blüthen gleich Weihnachtslichtern dran ſteckte und allerlei Früchte daran hing, lieblich dem Auge und angenehm dem Gaumen! Eduard, wie oft ſoll ich es Dir ſagen, daß man den edlen Namen Stopfkuchen nicht ohne die dazu gehörigen Leiſtungen trägt? Welch ein Leben und Futter in dieſer Hinſicht hier auf der Schanze! O Tinchen, o Valen — ti — ne, und ſo mit Dir unterm Buſch, kauend und ſchmatzend, und der Andern lächerliche, müheſame Papierdrachen über dem Herbſtfelde im Blau! “
„ O Heinrich, “unterbrach hier noch einmal die135 arme Frau, „ beſter Heinrich, ich bitte Dich himmel - hoch, mach Dich nicht ſchlechter — “
„ Gefräßiger willſt Du ſagen — “
„ Meinetwegen auch! aber bitte, bitte, mach Dich doch in dieſem ſchrecklichen Augenblick, wo mir alle Glieder beben von Deinem Worte über Kienbaum, mach Dich jetzt nicht gräßlicher als Du biſt. Biſt Du denn allein der Obſtbäume und der Stachel - beeren wegen zu — mir — uns herausgekommen aus der Stadt? “
„ Ganz gewiß nicht, Schatz. Die Speiſekammer und die Milchkammer hatten auch ihre Reize. Nimm nur mal die friſche Butter und das Bauernbrot an! Und Euren Käſe! Für mich hatte die ganze klaſſiſche und moderne Welt nur deshalb geſchrieben und drucken laſſen, um das nöthige Einwickelpapier herzu - ſtellen. Nämlich, Eduard, ich ſtopfte mir nicht nur den Hals, ſondern auch die Taſchen voll. “
„ Er iſt unverbeſſerlich! “ſeufzte die Frau, ſich zu mir wendend. „ Ich habe es eigentlich auch ſchon von unſerer erſten Bekanntſchaft an aufgegeben, ihn zu beſſern und verſuche es nur manchmal noch bloß des Anſtandes wegen vor fremden Leuten und liebem Beſuch. Aber jetzt im Ernſt, o Gott ja, im herzbebenden Ernſt, ich rede nun wohl ſelber zu Deinem Freunde ein Wort von unſerm damaligen Verhältniß, wenn — wenn Du uns nicht doch vorher ſagen willſt — “
„ Nein, das will ich nicht. Wann etwas heute gottlob Zeit hat, ſo iſt es das! Du hängſt und köpfſt ihn nicht mehr, Schatz. Es iſt zu ſpät. Es136 geht heute Keiner mehr Kienbaums Mörder an den Kragen als der Todtenrichter; und freilich, wer weiß, ob nicht gerade der uns Drei heute hierher beſtellt hat zu ſeinen Schöffen und Beiſitzern? “
„ Heinrich, meines armen Vaters Tag - und Nachtgeſpenſt — “
„ Laß es noch einen Augenblick, Kind. Sieh in das wonnige Blau über uns, blicke in Eduards dürres, aber wohlwollendes, wenngleich auch etwas verlegen geſpanntes Kafferngeſicht, und bleib noch ein klein bischen in unſerm Idyll. Erzähle ihm meinet - wegen auf Deine Weiſe unſere Liebesgeſchichte. Ich gebe Dir mein Wort darauf: was das andere an - betrifft, ſo kommt es wahrhaftig nicht darauf an, ob Du das Genauere ein paar Minuten früher oder ſpäter erfährſt. Dein Vater, unſer Vater iſt mit unſerer Hülfe in Frieden beruhigt hinübergegangen, und Kienbaums Mörder wird die Mitwelt und die Nachwelt auch nichts mehr anhaben können, als mit dem ungewaſchenen Maul. Und letzteres auch dann vielleicht nur, wenn ihr — Du und Eduard — morgen den Mund darüber nicht würdet halten können. “
Die Frau ſchüttelte noch einmal über das beſſere Wiſſen und Verſtehen ihres Mannes den Kopf, dann legte ſie die gefalteten Hände auf den Tiſch und blieb ebenfalls noch bei ihrem und ſeinem Lebens - idyll, und es kam freilich, trotz aller Melancholie und der Aufregung und Spannung der Stunde, herzig und lieblich heraus, wie ſie — erzählte, ehe Stopf - kuchen das Geheimniß der rothen Schanze offenbarte.
137„ Ich kann es gar nicht ſagen, wie lieb es mir war, daß der Junge zu uns kam, “ſagte ſie. „ So wie mich, weiß ich doch Keinen in meiner Bekanntſchaft, dem es als Kind ſo ergangen wäre, als wie mir. Armes Volk in der Stadt und auf dem Lande muß auch wohl das Seinige ausſtehen; aber wir hier auf der Schanze gehörten ja gar nicht zu dem armen Volk, und doch — wenn ich unter der Hecke geboren wäre und meiner Mutter aus der Kiepe in das öffent - liche Mitleid gefallen wäre, hätte ich es beſſer gehabt wie als des Bauern von der rothen Schanze einziges wohlhabendes Kind und ſeine Tochter! Daß ich bei meinen Erlebniſſen und Erfahrungen im Dorfe, in der Schule, auf dem Felde, auf der Wieſe nicht hundertmal mehr als mein ſeliger Vater ein wirklicher Mörder geworden bin, das iſt nichts weiter als ein unendliches großes Wunder. Was ich habe ſehen, hören und fühlen müſſen, ſeit ich mich zuerſt in die Welt finden mußte, das ſteht in gar kein Buch zu ſchreiben. “
„ Hm, “murrte Stopfkuchen, „ vielleicht lohnte es ſich gerade gegenwärtig mehr als manches andere. “
„ Nein, Heinrich! es war doch zu häßlich. “
„ Gerade darum, “brummte Heinrich Schaumann, doch ſeine Frau rief jetzt:
„ Ich habe Dich reden laſſen, nun laß auch mir das Wort, da Du mich doch einmal dazu aufgefordert haſt. Und Herr — Herr — “
„ Eduard — “
„ Ja denn, wenn unſer lieber Freund, Herr138 Eduard, ſo gut ſein will, mit unſern kleinen Erleb - niſſen hier in der Einſamkeit heute vorlieb zu nehmen. “
„ Einſamkeit?! “grinſte Stopfkuchen. „ Na ja, Dem da wird es in ſeiner afrikaniſchen Wüſte freilich wohl manchmal zu lebendig um ihn her. Wenn ich mir wo eine ewige Sabbathſtille hindenke, ſo iſt's grade die Gegend, die er ſich ausgeſucht hat, unſer lieber Freund — Herr — Eduard. “
Ich bezwang mich und ſchlug den Dicken mit ſeinem lächelnden Verſtändniß für mein Daſein und meine exotiſchen Errungenſchaften nicht hinter die Ohren, ich nahm die Hand ſeiner Frau und ſagte: „ Laſſen Sie alles, liebe Freundin, liebe Frau Valen - tine und erzählen Sie mir für meine Einſamkeit von ſich und dem Vater und der rothen Schanze. “
„ Ja von uns dreien alleine weiß ich auch nur was. Ich bin niemals auf einer Inſel im Meere geweſen, aber wie ich mir das vorſtelle, ſo waren wir drei zuſammen wie eine Inſel im Meere. “
„ Aber ein ſauberer Brei, dickflüſſig, graugelb, mit grünen Schimmelflecken qualmte ſtatt der blauen, karaibiſchen See drumherum und roch nach Pech, Schwefel und noch viel Schlimmern! “brummte der Unverbeſſerliche.
„ Können Sie ſich, Herr Eduard, wenn Sie ſich als ein gehetztes Thier und alleingelaſſenes Kind in der Welt finden, einen beſſern Aufenthaltsort für ſich denken, als wie dieſe unſere alte vergeſſene Kriegesburg? “
„ Ganz gewiß nicht, Frau Valentine. “
139„ War es nicht ſchlimm, daß ich ſelber als ſo junges Kind die Hunde habe mit bösartig gegen die armen Menſchen machen müſſen? Aber war es nicht gut, nach der Schule in Sicherheit da auf dem Walle zu ſitzen und das Dorf und die Stadt und die böſen Blicke und böſen Worte und das Geflüſter und Gucken auch der Beſten und Vernünftigſten unter ſich zu haben? O Gott, man ſollte ſich heute noch ſchämen, weil man ſo oft, eigentlich tagtäglich aus ſeiner letzten Schanze heraus die Zunge hat ausſtrecken und mit Steinen werfen und die armen treuen Tiere hat hetzen müſſen! Heinrich hat's eben erzählt, wie mein ſeliger Vater auch hinter ihm ſtand und kein Wort ſagte. Großer Gott, ſo hat er ja immer hinter mir geſtanden, ſeit ich ins Denken und Nachdenken hinein - gekommen bin. Es konnte mir ja auch nur ganz langſam ins Klare wachſen, weshalb er ſo wild auf die Menſchen war und Keinem gut, als dann und wann einem Advokaten, der ihm nach dem Munde geſprochen hatte. Es iſt ſchlimm, es als Kind von Kindern erfahren zu müſſen, daß man allein ſein ſoll in der ſchönen Gotteswelt! Und wenn ich auch tauſendmal ſagte und weinte und ſchrie: ‚ Lügner!‘ ſie machten mir doch hinterm Rücken des Schullehrers immer dieſelben Zeichen, wie als wenn man Einem einen Strick um den Hals legt oder nach einem Schlachtochſen mit dem Beile ausholt. Wenn der Vater mir dann und wann über die Haare fuhr, wenn wir den Winterabend ohne ein Wort geſeſſen hatten, ich im Winkel und er im Winkel, und wenn140 er ſagte: ‚ Ich kann nicht helfen, Du, Wurm, geh 'zu Bett und ſchlafe Du, ich komme und ſehe nach, ob Du nichts mehr von Dir weißt!‘ ja, dann hatte ich einen Troſt, der mir das Herz in die Kehle trieb. Manchmal bin ich wieder in ſpäter Nacht aus dem Bette gekrochen und bin an die Stubenthür auf nackten Füßen geſchlichen und habe ihn dann noch ohne Schlaf ſitzen ſehen. Ach, Herr Eduard, es haben wohl wenige Leute ſo wenig geſchlafen, wie mein armer ſeliger Vater! Und dann die Dienſt - boten, — die Knechte und Mägde: o wie hat es da an einem Haar gehangen, daß ich wirklich ſchlecht, wirklich vielleicht zu einer Mörderin oder Todtſchläge - rin wurde! Sie brachten mir jedes Orgellied und alles was ſich ſonſt in der Art auf dem Jahrmarkte kaufen läßt, und ſangen es mir, und pfiffen mir es und, wenn ſie zu einander davon redeten und bloß nach mir dabei hinüberſahen, ſo war's noch ſchlimmer. Auf jede grüne Wieſe, wo andere Kinder Blumen pflücken und Ringelkränze von Kuhblumenſtielen machen durften, wurde mir ein Galgen hingebaut; und mitten unter die Erdbeeren, die Heidelbeeren und Himbeeren im Wald ein Schaffot. Der Hirte und der Pflug - knecht im Felde, die Weiber und Mädchen beim Rübenjäten und Kartoffelroden, hatten alle ihre Ge - ſchichten für mich und gaben ſie mir mit nach Hauſe, auf den Wall von meines Vaters Schanze und nachts mit unter das Deckbett, das ich im heißeſten Sommer oft über mich zog, auf die Gefahr hin, darunter vor Herzbeben und Grauen zu erſticken. O wie manche141 Nacht habe ich mich in den Kleidern ins Bett ge - ſteckt, weil es mir, und nicht bloß beim Winterſturm, ſondern auch im Sommermondſchein davor zu arg graute, die Schuhe und die Röcke auszuziehen. “
„ Du armes Kind, “murmelte ich unwillkürlich.
„ Ja wohl, Du armes Kind, Eduard, “brummte Stopfkuchen. „ Ich armes Kind habe mich natürlich in meiner Jugend ſo kläglich anſtellen können, wie's mir beliebte: das machte auf Niemanden einen be - merkenswerthen Eindruck. ‚ Der Bengel wird von Tag zu Tag muffiger!‘ das war das Einzige was ich zu hören kriegte. “
Dabei fingen aber des Dicken Äuglein an ſonder - bar zu leuchten und er klopfte mich aufs Knie und fragte:
„ War es nicht Zeit, daß ich mich der Sache an - nahm? war es nicht das Beſte was wir thun konnten, als unſer Elend zuſammen zu werfen und unſern Jammer in Einem Topfe ans Feuer zu rücken? Und iſt nicht das Reſultat erquicklich? Habe ich die hagere Wildkatze von Quakatzenburg nicht recht hübſch und rund und nett und fett herausgefüttert und ſie be - haglich mit dem gewöhnlichen und deshalb um ſo komfortabelern Weiberſtrickzeug in die behagliche Sopha - ecke niedergedrückt? Na, Du ſollteſt Mieze jetzt einmal beim Winterſturm und Sommermondſchein drin ſpin - nen — ſchnurren und purren hören! “
„ Ich habe das Wort, Heinrich! “meinte lächelnd die liebe Frau.
„ Das haſt Du. Haſt es immer. Und immer142 das letzte. Behalt es auch meinetwegen; ich wollte nichts weiter bemerken, als daß wir heute nicht mehr des Abends weder das große noch das kleine Male - fizbuch leſen, Tinchen. Nämlich, Eduard, höchſtens ſtört ſie mir jetzt mit der Frau Davidis in der Hand das Nachdenken und paläontologiſche Studium, indem ſie kommt und mit dem Zünglein um die Lippen neue Triumphe vorkoſtend, die Frage ſtellt: ‚ Du, Alter, ſollen wir uns mal an dieſes Rezept wagen?‘ Ich, lieber Eduard, habe ſelbſtverſtändlich auch für dieſen Verdruß nur die eine Antwort: dem Muthigen gehört die Welt. Heraus aus dem Kaſten! “
Frau Valentine behandelte vernünftigerweiſe ihren Feinſchmecker mit ſeinem berühmten Kochbuch als Luft und fuhr, gegen mich gewendet, in ihrem Recht, jetzt einmal ſelber zu erzählen, fort. Gottlob, wirklich wie aus der Sophaecke heraus, wenn auch mit einem feuchten Leuchten in den Augen und einem verſchluckten Aufſteigen in der Kehle, gleich einem Kinde, das aus erlittenem, aber vergangenem Kummer in das Lachen der Gegenwart übergeht.
„ Ja, es war ſchlimm. Und es war die höchſte Zeit, ſowohl für meinen Vater wie für mich, daß wir endlich einen Kameraden kriegten — einen, den unſere Hunde über unſern Graben und Dammweg paſſiren ließen, ohne daß ſie ihm an die Kehle fuhren und ihm unſer häuslich Glück und Behagen entgegen kläfften und heulten. Anfangs konnte ich es doch nicht wiſſen, daß der Junge aus der Stadt auch für meinen Vater brauchbar war. Zuerſt war er ja nur143 für mich gegen die Dorfkinder eingetreten und hatte ſich die Naſe blutig ſchlagen laſſen. Da nahm ich ihn auch nur meinetwegen zwiſchen den Hunden durch mit auf die Schanze und brachte ihn an den Brunnen, daß er ſich wenigſtens ein bischen wieder waſchen konnte. Aber es wieß ſich zum Segen für Vater und Kind, für die rothe Schanze aus, daß es doch mehr mit ihm an ſich hatte durch Gottes Güte. Nicht wahr Heinrich? “
Das letzte Wort war ein Fehler von der Frau. Damit hatte ſie ihrem dicken Haupt und Herrn voll - ſtändig wieder das Heft in die Hand gegeben. Glück - licherweiſe hatte er aber eben etwas zerſtreut den Wolken ſeiner Pfeife in die Baumwipfel nachgeſehen und brummte nur: „ Haſt immer Recht, Alte! Was war es denn eigentlich — wo warſt Du ſtehen ge - blieben? ja ſo! na, Eduard, gewinnſt Du bald die Überzeugung, daß wir drei, Vater Quakatz, ſein Tinchen und der faule Schaumann aus der Stadt hier — hier keinen Vierten zwiſchen uns gebrauchen konnten? “
„ Nein, den brauchten wir damals nicht! “rief Frau Valentine Schauman, ohne meine Meinung über die Sache abzuwarten. „ Wenn meinem Vater und mir der liebe Gott nur Einen gab, ſo war das völlig genug! Aber Dem mußte ebenfalls alles andere gleichgültig oder zuwider ſein: nur wir und die rothe Schanze nicht! Der mußte alles mögen, was der Bauer Quakatz und ſein kleines Mädchen geben konnten, ohne ſich vor dem Mord - und Schinder - kuhlengeruch, der dran hing, zu ekeln und zu fürchten. 144Und, Herr Eduard, dazu, dazu hatte der Stadtjunge, der mich vor den Dorfjungen und Mädchen in ſeinen Schutz genommen hatte, unter der Hecke da drüben auf der ſtädtiſchen Feldmark gelegen! Und dazu hatte er auch genug Latein, daß er es meinem Vater in ſeinem dicken Wörterbuch nachſchlug und überſetzte für ſeine Schriften und Akten, wo der ſelbſt ſeinem Advokaten nicht mehr traute. Herr Eduard, bitte, achten Sie jetzt gar nicht auf meinen Mann! Er mag nachher, bis er mit Ihnen als angehender Student hier ſtand und von uns Abſchied nahm, in ſeinen Schulzeiten noch etwas mehr gelernt haben, — das kann ich nicht beurtheilen, aber für die rothe Schanze war er damals genügend mit allen Kennt - niſſen ausgeſtattet. Er brachte nicht bloß die Hunde zur Ruhe, er brachte auch meinem ſeligen Vater ruhigere Stunden. “
„ Nu höre ſie, Eduard! Ja, ja, aber ſie hat Recht: die Klugen haben wahrhaftig lange nicht ſo viel Behaglichkeit in die Welt gebracht und ſo viele Glückliche drin gemacht, wie die Einfältigen. “
„ Ganz ſicher, Heinrich! Mein ſeliger Vater meinte das wenigſtens auch. Er drückte ſich nur etwas anders aus. ‚ Tinchen, ‘ſagte er, ‚ ich will nichts dagegen ſagen, daß dieſer dicke, ſtille Junge ſich an uns herangemacht hat. Wenn Du mit ihm auskommen kannſt, ſoll es mir Recht ſein. Mich ſtört er nicht, und man hat doch Einen in der Stube, der nicht zu den Andern gehört. ‘“
„ Das war ein großes Wort von Deinem ver -145 ſtorbenen Herrn Vater, Frau Valentine Stopfkuchen, “grinſte Heinrich Schaumann unverbeſſerlich drein.
„ Es war nur das Wort von einem Manne, der ſeinen Kopf und ſein Herz ſeit Jahren, Jahren, Jahren mit beiden Händen hatte zuſammenhalten müſſen, auf daß ihm beides nicht in Wuth und Angſt und Grimm und Schaam zerſpringe. Wenn Einer damals nicht zu den Andern gehörte, Herr Eduard, ſo war das mein Mann. Nicht etwa weil er gerade ſo was Beſonderes an ſich gehabt hätte, ſondern gerade vielleicht weil er das nicht hatte, und auch an uns in unſerer Verſcheuchung und Verſchüchterung nichts Beſonderes fand und mit uns wie mit ganz gewöhnlichen ſonſtigen Menſchen in Verkehr und Umgang kam! “—
Frau Valentine hatte natürlich nicht im ge - ringſten eine Ahnung davon, welch ein wunderbar Zeugniß und Lob ſie jetzt meinem Freunde ausſtellte, und wie ſehr ſie mich zu den ganz Gewöhnlichen, den ganz Gemeinen, an jedem Wege Wachſenden warf: zu denen, die nur dreiſt in die Welt hinaus und nach Afrika laufen mochten, um ihre trivialen Aben - teurerhiſtorien zu erleben. Mein dickſter Freund grinſte wieder nur, war ſich aber ſicherlich klar über alles.
Die Frau fuhr fort:
„ Er ſaß mit meinem Vater in der Stube und er lag mit mir auf unſerm Wall gegen die Menſch - heit unterm Buſch. Ja, gegen die Menſchheit, Herr Eduard; denn jetzt warfen ſie mit ihren Steinen auchW. Raabe. Stopfkuchen. 10146nach ihm über den Graben; aber nicht lange. Ihre jungen Herren Kollegen und Schulkameraden haben doch nicht ganz genau gewußt, was mein Mann damals war — “
„ Alte! “lachte Stopfkuchen.
„ Ach ja! ich drücke mich wieder falſch aus[. ]Nun denn: ſie wußten nicht ganz vollkommen, was Du alles in Dir hatteſt, Heinrich, und was Du alles thun und ſagen konnteſt, wenn Dir ein Erdkloß, der eigentlich doch nur für Kienbaums Mörder beſtimmt war, an Deinen Kopf flog. O Herr Eduard, Ihr da - maliger Freund konnte ſich damals ſchon in den erſten großen Sommerferien als den Herrn der rothen Schanze betrachten. Er hatte ſie, und zwar für mich mit, einem ſchlimmen Feinde abgewonnen; und nun, da ich mich nun nicht mehr nachts ſo arg vor Anderen zu fürchten brauchte, lag ich manchmal ganz wütend und fragte mich, weshalb ich es eben von ihm litte?! Denn, Herr Eduard, er behandelte mich eigentlich garnicht gut bei ſeinem Ritteramt! Dumme Gans war noch der mildeſte Ehrentitel, den er mir zukommen ließ. Und wehe mir, wenn ich es merken ließ, daß auch ich meinen Vorrath von Koſenamen zur Hand hatte aus meinem Verkehr und Krieg mit den andern Kindern! Und wenn ich mich durch Thränen wehren wollte, da war's noch ſchlimmer. Da hieß es höchſtens: ‚ Sie hat den beſten Platz in ganz Deutſchland und ſie mault! Mädchen, ſitze Du mal auf meinem — ‘„
„ Podex, “rieth Freund Heinrich.
„ Platz in der Schule, “fuhr Frau Tine fort,147 doch lieber einen zarten Ausdruck für das Ding wählend. „ Freilich, es mochte ihm, was den anbe - traf, manchmal zu Hauſe und in der Schule auch nicht zum Beſten gehen. Nun, auf der rothen Schanze ſaß er dann mit ſeinen Sünden ebenſo ſicher als wie ich. Beim Mordbauern Quakatz that ihm keiner noch mehr was darum zuleide, ſondern im Gegen - theil! Er war mir vielleicht auch darum gerade recht und zu meinem und meines ſeligen Vaters Umgang paſſend, weil auch er recht häufig was auf dem Ge - wiſſen hatte und noch mit den Thränenſpuren auf den Backen zu uns heraus kam und dort von der Wallbrüſtung auf die ganze Stadt und die ganze Schule ungeſtört hinunterbrummen und grummeln und ſchimpfen konnte. Schrecklich faul muß er da - mals geweſen ſein, Herr Eduard. “
„ Meine jetzigen ſüßen Daſeinsbedingungen in dieſer Hinſicht läßt ſie gelten, Eduard. Aber ich imponire ihr doch auch ein wenig durch meine Petre - fakten und die gelehrte Korreſpondenz, die ſich daran knüpft. Man kann ſchon ſeinem Weibe was unter die Naſe halten, wenn man Mitglied von einem halben Dutzend paläontologiſcher Geſellſchaften iſt. Und Eines blüht ihr noch. Meine Abhandlung über das Mammuth und ſeine Beziehungen zu der rothen Schanze, dem Prinzen Xaver von Sachſen und dem Bauer Andreas Quakatz nebſt angehängtem Exkurs über das Megatherium wird ihr unbedingt gewidmet. Wer weiß, ob das Rieſenfaulthier ihr nicht noch den10*148Kranz der Unſterblichkeit auf die Haube — wollt 'ich ſagen die Locken drückt? “
„ Gott ſoll mich bewahren! “lachte Frau Valentine, fügte aber hinzu: „ O Gott, wohin bringt er mich und uns durch ſeine Art und Weiſe, Herr Eduard. Er weiß es, wer Kienbaum todtgeſchlagen hat, und hier ſitze ich und rede alles dumme Zeug durchein - ander, bloß weil er's ſo haben will. O mein armer, armer Vater! Und wenn er, meinen Mann meine ich, mit dem Ärmel um die Augen Staub und Feuchtigkeit durcheinander gerieben hatte — “
„ Dreck und Thränen willſt Du ſagen, Herze. “
„ Jawohl, und mit dem Jackenärmel! Und wenn er dann zuweilen noch nach dem — Rücken griff und ſich zwiſchen den Schulterblättern rieb, dann ſagte mein ſeliger Vater — “
„ ‚ Geh 'hin und ſchneid' ihm erſt ein ordentliches Butterbrot und gib ihm ein ordentlich Stück Wurſt dazu. Der hat auch das Seinige ausgeſtanden und weiß in ſeinen jungen Jahren ſchon, was an der Welt iſt. ‘ Nun, das that ich denn auch, und dann gingen wir zu den Käſen, den Stachelbeeren, den Birnen, Äpfeln und Pflaumen und was ſonſt ſo die Jahreszeit zu ſeinem und meinem Troſte gab. Ja, Herr Eduard, in dieſer Hinſicht war die rothe Schanze vom ſächſiſchen Prinzen ganz für ihn geſchaffen. O, was er aber auch durch ſeinen Herrn Schwartner von ihr alles wußte! O Gott, wie ich ſie noch ſitzen ſehe, ihn und meinen armen Vater, wie ſie die Ge - ſchichte vom ſiebenjährigen Kriege traktirten und wie149 es ſo Schade ſei, daß die arme Stadt da unten damals nicht ganz in'n Klump geſchoſſen worden ſei! “
„ Das Wort traktiren hat ſie von mir, Eduard, “ſchmunzelte Stopfkuchen; doch Frau Valentine lächelte und ſeufzte weiter:
„ Ich hielt ihn ſchon damals für den gelehrteſten und weiſeſten aller Menſchen. Daß ich ihm das aber damals ſchon auf die Naſe band, konnte doch keiner von mir verlangen; denn dazu war er doch noch zu dumm, und ich zu ſehr in der Wildheit und Wuth gegen alles aufgewachſen. Er brachte mir, ohne daß ich es ihm merken ließ, von ſo vielen Dingen ein Verſtändniß und an ſo manchen Sachen Geſchmack bei — “
„ Das Wort Geſchmack hat ſie von mir, Eduard. “
„ Und da kam er mit meinem Vater zu der Überzeugung, daß kein Hahn mehr nach dem hoch - berühmten Herrn Prinzen von Sachſen und ſeinem Mordkriege krähe, und daß auch einmal nach dem Herrn Oberlehrer Blechhammer und uns Andern, und — und — und Kienbaum auch kein Hahn mehr krähen, kein Hund mehr bellen und kein Menſch mehr die Naſe verziehen werde, und daß es bei allem auf der Erde nur ankomme auf ein gutes Gewiſſen und Genügſamkeit — “
„ Genügſamkeit hat ſie von mir. “
„ Natürlich! Alles habe ich von Dir! “rief Frau Valentine jetzt wirklich etwas zitterig, aufgeregt, ärgerlich. „ Nun, da iſt es ja noch ein Troſt, daß Du mir wenigſtens das gute Gewiſſen als mein150 eigenſtes Eigenthum läßt! Und wenn ich denn einmal die Genügſamkeit auch von Dir haben ſoll, ſo hat doch gewiß wenigſtens etwas davon auch ſchon in mir gelegen, und Du haſt mir nur — “
„ Das Verſtändniß aufgeknöpft. Da hat ſie Recht, Eduard. Ich ſage Dir, Eduard, Du haſt in der Hinſicht gar keinen Begriff davon, was und wieweit Alles in ihr verſtöpſelt lag und darauf wartete, daß ich komme und den Korkzieher mitbringe. O Alte, Alte, liebe, beſte, alte Alte: wie hätten wir zwei auch ſonſt ſo gut zu einander gepaßt. O Tine, Tine, Du und ich, des Gottes ſchöne Trümmer — na, haben wir denn nicht von Anfang an zu ein - ander gehört und halten wir nicht bei einander bis zum allerletzten? Du vom alleräußerſten Ende von Afrika, Du, Eduard, was iſt Deine Meinung? “
Vor Jahren hatte ich weggeguckt; diesmal ſah ich genau hin, wie ſich die Zwei den Arm um die Schulter legten und ſich aneinanderdrückten und ſich einen lauten Kuß gaben. Sie zierten ſich diesmal garnicht mehr vor mir; aber Heinrich hatte freilich heute auch eine glänzende Glatze und in Valentinens Haar miſchte ſich hier und da ein vorzeitig ſilbernes Fädchen; aber hübſch war's doch, und es that der Sache durchaus keinen Abbruch, daß Stopfkuchen ein bischen fett war und ſeine kleine, gute, tapfere Frau der Aphrodite von Melos garnicht glich.
„ Ich ſage Ihnen, lieber Herr Eduard, “ſagte Valentine, ihre Haube unbefangen wieder zurecht - rückend, „ wenn ich mich jetzt als erwachſene alte151 Frau in meinen Zuſtand als Quakatzens Mädchen von der rothen Schanze zurückdenke, und es mir über - lege, wie es gekommen iſt und wie es die Vorſehung angefangen hat, daß ich durch Heinrichs Bekanntſchaft aus einem verwilderten Thier zur Ruhe und ins Menſchliche hineinkam, ſo ſoll mir Keiner meinen Glauben an den lieben Gott aus der Bibel und dem Geſangbuche ſtreichen: auch ſelbſt der, mein Alter, nicht mit ſeinen Knochen und Verſteinerungen und ſeinen Briefen und Druckſachen von ſeinen ge - lehrten Geſellſchaften. Und wenn er tauſendmal nicht mehr an ein Wunder glaubt und eine höhere Re - gierung: zu einem halben Wunder muß er ſich mit ſeinem wiſſenſchaftlichen Beſſerwiſſen doch bequemen. Denn daß ſo ein Junge ſo einen ſegensreichen Ein - fluß auf ſo ein Frauenzimmer ausübt, von meinem armen ſeligen Vater dabei garnicht zu reden, das iſt doch nicht bloß ein halbes Wunder, das iſt ein ganzes, ein doppeltes, ein dreidoppeltes! Sie haben es wohl geleſen, was er über unſere Hausthür ge - ſchrieben hat: Gehe heraus aus dem Kaſten. Das iſt eigentlich dummes Zeug; denn das hat auf uns hier gar keine Beziehung. Ich habe darüber die Bücher Moſes nachgeleſen; es betrifft bloß die Arche Noah und den Vater Noah und möglicherweiſe noch ſeine Familie und ſeinen Thierbeſtand. Die Redensart hatte damals mein Heinrich auch noch nicht an ſich. Vielleicht erinnern Sie ſich noch an ſeinen damaligen ewigen Troſt, Herr Eduard? “
Leider erinnerte ich mich nicht mehr, und Stopf -152 kuchen ſah mich nur erwartend, grinſend an und half mir nicht ein. Wenn ich ihm in unſern Schultagen „ einhelfen “ſollte, dann grinſte er nicht; dann ſah er anders aus als wie heute.
„ Na, Eduard? “ Das war das einzige, auf was er ſich heute einließ.
„ ‚ Friß es aus und friß Dich durch!‘ lautete ſeine damalige Redensart, “ſagte Frau Valentine und ließ es in Ton und Ausdruck zweifelhaft, ob ſie heute noch völlig ihre Billigung habe. Doch jetzt ergriff Schaumann genannt Stopfkuchen wieder das Wort und ſeufzte zwar weich und elegiſch, aber voll Behagen:
„ Und meinetwegen könnt ihr ſie mir auch mal in Goldſchrift auf meinen Grabſtein ſetzen laſſen. Natürlich ohne irgendwem die Möglichkeit zu nehmen, eine noch beſſere zu finden. “
„ O Gott, “ſeufzte ſeine Frau, „ damals ſetzte er gewöhnlich noch hinzu: ‚ Es gibt keine andere um durch's Leben zu kommen, Tinchen!‘ “
„ Meinſt Du nicht auch, daß alle anderen mehr oder weniger auf Schwindel beruhen, Eduard? Oder haſt Du in dieſer Beziehung wirklich einige neue Erfahrungen vom alten nobeln Onkel Ketſchwayo mitgebracht? Na, mal 'raus damit: was habt ihr dem Manne auf ſein Heldengrab geſetzt, nachdem der brave Kaffer ſein ſtolzes Königsleben aus und ſich durch Euch Engliſhmen, Dutchmen und Deutſche Burengeſellſchaft durchgefreſſen hatte? Aber ent - ſchuldige, Schatz, ich meine Dich, Madame Stopf -153 kuchen, wir ſind immer noch bei Deiner Idylle und nicht der unſeres theuern afrikaniſchen Gaſtfreundes. “
Die Frau Valentine warf mir einen Blick zu, der wieder nur bedeuten konnte: Wer kann wider Gott und Groß-Nowgorod? Es war gegen den Menſchen nicht anzuerzählen. Sie gab es auf, nahm dafür ihr Strickzeug wieder und überließ ihren Dicken ſeiner Rednergabe und, wie ſie ſich ausdrückte, ſeinem doch beſſeren Verſtändniß. Daß ſie wohl hoffte, auf dieſe Art am Ende doch noch etwas früher zu er - fahren, wer Kienbaum todtgeſchlagen und das Lebens - elend ihres Vaters dazu auf dem Gewiſſen gehabt hatte, trug wohl dazu bei, daß ſie ſich den Anſchein gab, von jetzt an ruhig weiter zu ſtricken.
„ Ich ſagte ihr alſo ganz einfach, wenn mal die Welt wieder ein wenig mehr als gewöhnlich die Katze gegen ſie geſpielt hatte, oder, was auch vorkam, ſie die Katze gegen die Welt zu ſpielen wünſchte und mit ausgeſpreizten Krallen fauchend gegen ſie anfuhr, bemerke beiläufig die ſich hier ganz von ſelber gebende, weich hinfließende Alliteration, Eduard; ich ſagte ihr alſo: ‚ Schatz, friß mich nicht; aber Mädchen friß es aus und friß Dich durch und, bei Gott, ich helfe Dir dabei! [‘]Mit dem herzigen Wort und Rath nahm ich ſie am Wickel, holte ſie ſo peu à peu aus ſich heraus und mir allgemach die ganze rothe Schanze, den Papa Quakatz eingeſchloſſen. Wir fraßen es zu - ſammen aus und fraßen uns durch, wir armen Würmer. Für Alles, mit welchem ich meinerſeits da unten in der Stadt und in eurer Schule nicht aus154 mir herauskommen durfte, hatte ich hier oben freieſten Spielraum. Da entwickelte ſich was ich an Lyriſchem und Epiſchem in dem hatte, was ihr da unten als mein gemüthliches Fett zu bezeichnen pflegtet. Was ich an Dramatiſchem in mir hatte, ließ ich natürlich ruhig in dem, was Ihr meinen Wanſt benamſetet, latent bleiben. Das erfordert zu viel Kapriolen, Fratzen und Phraſen, und es iſt, Gott ſei Dank, immer noch hie und da Einem geſtattet, ore rotundo, ſeine Serviette oder, wie man itzo im teutſchen Vater - lande ſagt, ſein Tellertuch unterm Kinn feſtzuſtecken und über ſeinen Sesquipedalien die Hände in ein - ander zu legen und die Daumen um einander zu drehen. Würde ich hier heute bei dem Tinchen, dieſem Quakätzchen hier, ſo ſitzen wie ich ſitze, wenn ich der rothen Schanze damals ebenfalls dramatiſch gekommen wäre? Gewiß nicht, lieber Eduard. Dieſem Kriegsaufwurf des Herrn Grafen von der Lauſitz, dieſem Punktum auf hieſiger Feldmark hinter dem Wort: Kindlein liebet Euch unter einander! war nur durch die Lyrik und Epik beizukommen, und Das habe ich denn auch beſorgt! was, Tinchen Quakatz? Ich kann es nur immer von Neuem wiederholen, Eduard: ihr habt mich verkannt; die Schätze in meinem Buſen lagen euch, offen geſagt, dummen Jungen viel zu tief. Dazu gehörte eben ein ſchlaues kleines Mädchen, um die herauf zu angeln. Du per - ſönlich, Eduard, lieſeſt höchſtens mit Deinem Freunde Störzer und bereiteteſt Dich durch des alten Le Vaillants Geſchichte von wilden Eſeln, Giraffen,155 Elephanten, Nashörnern, ſauberen Namaquamädchen und aus der Hiſtorie vom bravſten der braven aller Hottentotten Swanepöl auf Dein Kaffern-Eldorado vor. Den biedern Bauern Klaas Baſter wirſt Du wahrſcheinlich allmählich auch gefunden haben und ihn in ſentimentalen afrikaniſchen Stimmungen an den Buſen ſchließen; aber den biedern Heinrich Schau - mann haſt Du jenerzeit auch nicht gefunden, ſondern ihn nur mit den Übrigen von uns als Stopfkuchen unter der Hecke belaſſen. Verzeihe die Abſchweifung: bei dem Bauer Quakatz und ſeinem verwilderten, zerzauſten Kätzchen, da erklang die Zauberharfe, da griffen die Geiſter der rothen Schanze hinein und[ent - lockten] ihr die Töne, welche euch europäiſchen ge - zähmten Eſeln, Affen und Rhinozeroſſen, ſo das fürſtliche Gymnaſium alle Nachmittage um vier aus dem Kulturpferch herausließ, auf, wie ihr euch freundlich ausdrücktet, auf kompletten Blödſinn hin - zudeuten ſchienen. O Eduard, wenn ich heute, jetzt, endlich doch einmal zu dem Genuß käme, ein theatra - liſches Intereſſe an meiner eigenen Perſon zu nehmen! Aber damit iſt es ſelbſt heute, heute, wo Du wieder da biſt, nichts! Ich kriege es nicht fertig, und ſo bleibe ich ohne Arme - und Beine-Schlenkern ſitzen, wo ich mich hingeſetzt habe: auf der rothen Schanze. Mach 'nur keine Geſichter, Tinchen, ich bleibe bei der Sache. Du weißt es ja; wie närriſch ich reden mag, ich bin immer bei Dir. Da ſei nur ganz ruhig; kein Kind hält ſich ſo krampfhaft feſt am Rocke ſeiner Mutter, wie ich mich an Deiner Schürze156 und — Eduard hat ja heute bei uns gegeſſen und wird mir alſo einmal in ſeinem Leben beiſtimmen — vor allem an Deiner Küchenſchürze! Ja, lieber Eduard, kein Winkel im Hauſe, kein Fleckchen im Garten, kein Mauerwerk, keine Bank, kein Buſch und Baum und, wieder vor allem, kein Viehzeug auf der rothen Schanze, die nicht allgemach ein lieber Schein und Schimmer überlief aus dem Robinſon, aus dem Ferdinand Freiligrath, aus den Gebrüdern Grimm, dem Hans Chriſtian Anderſen und dem alten Muſäus! Ich war feiſt und faul; aber doch nun gerade, euch Allen zum Trotz, noch vor meiner Kenntnißnahme des Weiſen von Frankfurts beſter Table d'hote ein Poet erſten Ranges: der Begriff war mir garnichts; ich nahm Alles unter der Hecke weg, mit dem Sonnenſchein des Daſeins warm auf dem Bauche, aus der Anſchauung! Es zog Einer den Andern in ſeine Kreiſe oder vielmehr in ſeinen Kreis: Tinchen mich, ich Tinchen. Aber an dem Tage, an welchem auch der Papa Quakatz hinter mir zum erſtenmal fragte: ‚ Wie war die Geſchichte, Junge?‘ da hatte ich ihn ebenfalls beim Wickel. Erinnerſt Du Dich noch, Valentine? Es war die Geſchichte von den beiden unüberwindlichen, kugelrunden Müllern, die ſein Intereſſe erweckte. Ja, dahin hatte es die Welt mit ihm und Kienbaums Morde gebracht, daß er auch ſo Einer hätte ſein, und ſo ſich wappnen mögen. Ein Wamms mit Kalk und Sand und, zur Ver - bindung, mit geſchmolzenem Pech gefüttert, hinten und vorn beblecht mit alten Reibeiſen und Topfdeckeln,157 darunter drei bis vier Hemden, darüber neun lodene Röcke; zur Abwehr und zum Angriff zwei Spieße, eine Armbruſt, ein Zweihander eine Manneslänge lang und auf die Wirkung in die Ferne ein Bogen mit Pfeilköcher! “
„ Ja, ja, “ſeufzte Frau Valentine, „ und endlich eine Wohnung in einer Wüſte hinten an der Welt! Ach ja, und wenn auch er nicht geſtorben wäre, ſo lebte auch er heute noch, wie die Märchen endigen. Der arme, arme, liebe Vater! Und er, er hätte es ſicherlich nicht ertragen, daß Du uns ſo lange darauf warten läßt, wer an ſeiner Statt Kienbaum todt - geſchlagen hat! für wen er, er, der Arme, Arme, durch ſein ganzes Leben hat unſchuldig büßen müſſen! “
In dieſem Augenblick wurde die arme[Frau] abgerufen, und Stopfkuchen benutzte die Gelegenheit, um mir zuzuflüſtern:
„ Hoffentlich bleibt ſie uns jetzt fünf Minuten vom Halſe. Vom Papa ſpreche ich, jetzt im Ver - trauen ganz offen geſagt, am liebſten hinter ihrem Rücken, wenn ich einmal davon ſprechen muß. Und ſie hat es auch eigentlich nicht gern, wenn ich in ihrer Gehörweite wirklich mal aufrichtig an meine innerſte Meinung über ihn anſtreife. “
158Schön Wetter auf See! Wie hätte ich mein Garn aber auch ſo fortſpinnen dürfen, wie es eben geſchehen iſt, wenn dem nicht ſo geweſen wäre? Halcyoniſche Tage haben uns, die letzte Woche durch, das Geleit über das große Meer gegeben. Infolge davon angenehme Stimmung auf dem Schiff und wenig Störung des „ ſonderbaren Herrn im Rauch - zimmer, der von Hamburg an ununterbrochen über ſeinem Geſchäftskonto brütet und wahrſcheinlich erſt am jüngſten Tage damit zu Stande kommen wird. “
Die Herrſchaften und die Leute haben aber Recht mit ihrer Verwunderung, ihrem Lächeln und Kopf - ſchütteln, Kopfzuſammenſtecken und Flüſtern. Da ſitzt ein ſonderbarer Herr auf dem guten Schiff Hagebucher, und ſonderbar von ihm iſt's im hohen Grade, gerade auf dem hohen Meer den Verſuch zu wiederholen, das Leben mit einem Fingerhut ausſchöpfen zu wollen! ......
Was aber würden die Herren und Damen, die einigemale ſogar den Verſuch gemacht haben, mir beim freundſchaftlichen Auf-die-Schulter-Klopfen über die Schulter auf die „ abſonderliche Schreiberei “zu ſehen, ſagen, wenn ihnen der Verſuch gelungen wäre?
Wahrſcheinlich nichts weiter als:
„ Nun, das hätte er zu Hauſe auch bequemer haben können. “
Darin würden ſie ſich aber doch auch irren. Ich hätte das nicht zu Hauſe bequemer haben können, und deshalb eben ſchrieb ich's auf dem Schiffe mir auf, um es ſpäterhin, zu Hauſe, im Wirrſal der159 Tage für einen möglichen ſtillern Augenblick bequem zur Hand zu haben. — — —
Seinen Stuhl mir näher rückend, ſagte Stopf - kuchen, noch einmal einen vorſichtigen Blick nach dem Hauſe ſendend: „ Evasit — ſie trippelte ab. Jawohl, Eduard, wenn die Welt irgendwo und wann das Recht hatte, einem ducknackigen, mürriſchen, wider - wärtigen Patron, kurz einem unangenehmen Menſchen mit dicker, die Oberlippe einſaugender Unterlippe und malayiſchen Wülſten hinter den Ohren — einen Mord als ſein kleinſtes Verbrechen zuzutrauen, ſo war das bei meinem ſeligen Schwiegervater — Gott hab ihn ſelig! — der Fall. Im Grunde war er ein greuliger Kerl, dem keiner Deiner bösartigſten ſchlimmſten Kaffern das Waſſer reichte. Eine miß - trauiſche, ſtänkerhafte, auf Kiſten und Kaſten hockende Bauernſeele vom faulſten Waſſer! Ob er Kienbaum todtgeſchlagen hat, der alte Quakatz, wirſt Du ja wohl nachher noch erfahren; aber daß ich ihn nicht drei oder drei Dutzend Male todtgeſchlagen habe, das war keine Kleinigkeit, das ſage ich Dir jetzt ſchon. Es gehörte eben eine Natur, oder wenn Du lieber willſt, ein Gemüth wie das meinige dazu, um ſo einem mißglückten Ebenbilde Gottes an den Kern zu kommen! Nun, weißt Du, Eduard, Apfel, Reis und Mandelkern frißt der kleine Affe gern; aber auch Nüſſe mag er, und knackt ſie ihres ſüßen Inhalts wegen: ſeines ſüßen Inhalts wegen habe ich denn auch den Bauer Andreas Quakatz auf der rothen Schanze, mit der rothen Schanze geknackt. Freilich160 nicht ohne die harte Nuß eine erkleckliche Weile aus einer Backentaſche in die andere gewälzt zu haben und mit allen Backenzähnen und aller Kinnbacken - kraft dran geweſen zu ſein. Ob er Kienbaums wegen gehängt zu werden verdient hätte, wollen wir immer noch auf ſich beruhen laſſen. Aber aus manchem andern Grunde hätte er ſicherlich verdient, wenn nicht gehängt, ſo doch geprügelt zu werden. Vor allen Dingen ſeines Tinchens wegen. Sie läßt ſich immer abrufen, wenn darauf die Rede kommt. Dieſen närriſchen Frauenzimmern iſt eben die Pietät auf keine Weiſe auszutreiben; und, beiläufig, man mag ſich manchmal darüber ärgern wie man will; man ſtellt ſich und Andern doch nur ſehr ſelten die Frage, wozu dieſes gut ſei? Gut — das heißt, großer Gott, die Welt war ſchlecht gegen das Kind von der rothen Schanze; aber ſo ſchlimm wie der Papa, der Bauer auf der rothen Schanze war ſie doch nicht gegen es. Da hielt ſie ihm noch lange nicht die Stange! Die Schule war arg und meine Herren Eltern waren gerade auch nicht von der liebenswürdigſten Sorte; aber ſo verſchüchterten ſie mich doch nicht, wie der alte Quakatz ſeine Krabbe zu verſchüchtern verſtand. Aus der allerunterſten Schublade ſeiner verſtockten Seele holte er ſein Weſen gegen ſie; und tauſendmal mochte er meinetwegen Kienbaum todtgeſchlagen haben und der Menſchheit, ihr jüngſtes Gericht eingeſchloſſen, es ableugnen: ſo — in ſolcher Weiſe brauchte er ſeinen Verdacht nicht auf ſein eigen Fleiſch und Blut abzuladen! Eduard, leugne es nicht: ihr habt mich161 dann und wann nicht bloß für einen faulen, ſondern auch für einen feigen Burſchen taxirt; doch wirklich mit Unrecht. Ihr armen Haſen, deren ganzes Heldenthum auf dann und wann eine zerriſſene Hoſe, einen Buckel voll Schläge, oder ein paar Stunden Karzer hinaus - lief! Die rothe Schanze hättet ihr mal erobern ſollen! Das wäre etwas geweſen, was einen neuen Plutarch auch für euch wünſchenwerth gemacht haben würde. Und dann der Oberlehrer Blechhammer, wenn der mal wieder in meinem Kopfe mit der Stange geſtört, nach der Eule der Minerva geforſcht hatte und von Neuem zu der Überzeugung gekommen war, daß da vielleicht eben noch eine Eule, aber freilich nicht die der Pallas Athene geſeſſen hatte! War der brave Mann — Gott erfülle alle ſeine Verheißungen an ihm und rangire ihn unter ſeine beflügeltſten Engel! — war der alte ciceronianiſche Kochinchinaknarrhahn einer Würdigung meiner Lebensaufgabe fähig? Wahr - lich nicht! im höchſten Pathos dieſes aus der Er - innerung herausgeſprochen. Doch ich ſchweife ab; — der warme Tag öffnet Einem ſo angenehm alle Poren des Leibes und der Seele! Wo war ich denn eigentlich, was die Hauptſache anbetrifft? Ja wohl, natürlich, immer noch beim Vater Quakatz. Du großer Gott, wo in aller Welt haben wir, ich und Tinchen uns vor Dem verkrochen? wie und wo haben wir hier unter dem Schutze Sancti Xaverii, comitis Lusatiae vor ſeiner Unvernunft Unterſchlupf ſuchen müſſen, nachdem ich ſchon längſt Vernunft zu ihmW. Raabe. Stopfkuchen. 11162geredet hatte und ſtellenweiſe auch damit durchgedrungen war?! Im Taubenſchlag, im Schweineſtall, auf dem Heuboden, im Wandſchrank, hinter und unter dem Bett. Wo ſuchte er nicht ſein Kind mit dem Prügel und der Peitſche in der Hand? Ihr Helden führtet der - weilen eure Indianergeſchichten, euren Fenimore Cooper draußen im Felde dumm und phantaſielos genug auf: ich ſchützte Cora und verſteckte Alice im Leben und in der Wirklichkeit, wenn nicht in der Felshöhle, ſo doch hinter dem Küchenſchrank und ließ den verrückten, wüthenden alten Mingo mit geheimſtem wollüſtigſtem Grauſen ſuchen und hörte ihn ſchnüffeln und ſein Kriegsgeheul erheben. Wenn dann Tinchen flüſterte: ‚ ich habe ihm die Schnapsflaſche auf den Küchentiſch geſtellt!‘ ſo weiß ich es heute ganz genau zu taxiren, wie viel mehr ſie auf Miß Cora als auf Miß Alice zugeſchnitten war. Damals wußte ich es noch nicht ſo und hielt mich mehr als mir zukam für den edlen urwalderfahrenen Lederſtrumpf. Aber die Hauptſache war natürlich, daß der Alte die Flaſche fand. So wie wir ſein ‚ Hugh‘ vor ihr hörten, waren wir einmal noch gerettet, und die Welt und die rothe Schanze gehörten uns wieder allein! Aus Pietät ſteht ſein Sorgenſtuhl, wie Du bei Tiſche bemerkt haben wirſt, noch immer hinter dem Ofen, und wenn ich jetzt darin ſitze und mir überlege, wie ich damals ſchon den Fall Kienbaum gegen Quakatz frühreif anſah und ſagamorenhaft dem aus ſeinem Feuerwaſſerduſel erwachenden armen Kerl ſagte: Herr Quakatz — — — Du liebſter Himmel, da iſt ſie ſchon wieder!163 keinen Augenblick hat man doch Ruhe vor ihr. Na, Eduard, dann das Weitere vielleicht bei Sonnen - untergang. “
Da war ſie wieder, und wenn ich ſie wieder anſah, wie ſie vom Hauſe her näher kam und wieder zu uns trat und ihrem Mann die Hand auf die Schulter legte, hätte ich mir dreiſt alles „ Weitere “von ihm ſchenken laſſen dürfen. Die Hauptſache wußte ich jedenfalls.
Der ſchöne Nachmittag aber war, ohne daß ich es gemerkt hatte, was freilich ſelbſtverſtändlich war, ruhig immer mehr gegen den Abend hin vorgeſchritten. Es war ſelbſt für unſern Dicken allgemach angenehm kühl unterm Lindenbaum geworden, und er bezeigte nun Luſt, „ ſich ein wenig die Füße zu vertreten. “ Er bot ſeiner Frau den Arm, und bei ſinkender Sonne umſchritten wir jetzt das Viereck des alten Kriegswalles auf ſeinem äußerſten Rande: Stopfkuchen natürlich ohne die lange Pfeife dabei aufzugeben. „ Du bemerkſt, ich habe mir hier wie ein anderer Gefangener von Chillon einen Pfad ausgetreten; aber dazu auch einige Bänke hingeſetzt. Seine Ausſicht in die Weite wünſcht der Genügſamſte in dieſer Be - ziehung zu haben; behält er ſeine Bequemlichkeit ſich11*164dabei vor, ſo verdenke ich es ihm nicht, ſondern lobe ihn. Wie Du gleichfalls bemerkſt, Eduard, bin ich auch hier immer unter der Hecke geblieben. “
Dem war ſo. Die vier Bänke auf den vier Ecken der rothen Schanze hatten alle ein ſchattig Gebüſch hinter ſich, und man konnte ſich wohl auf ihnen in die Luſt der Jugend: unter der Hecke zu liegen — zurückträumen. Der Pfad war wohl be - treten aber auch wohlgepflegt: „ ich pflege hier auch im Winter meine Welt und die der Übrigen ins Auge zu faſſen, “ſagte Stopfkuchen. — Die Ausſicht nach Norden und Süden, nach Oſten und Weſten war ſo ziemlich geblieben wie ſie in unſerer Kinder - zeit war. Da war in der Tiefe die Stadt, da zur Seite Dorf Maiholzen, da der Wald, da das freie Feld und da die fernen blauen Berge liegen geblieben. Behaglich ſchliefen darunter und darin Heinrich Schau - manns Floren und Faunen ſämmtlicher wiſſenſchaftlichen Erdballsperioden, Formationen und Übergangs - perioden, das Rieſenfaulthier eingeſchloſſen und mit eingeſchlafen. Darüber der Sommerſpätnachmittags - ſonnenſchein. Nur eine oder zwei neue Eiſenbahn - linien durchſchnitten jetzt die Ebene. Und der Zug, der eben auf der einen die Stadt verlaſſen hatte und mit langgezogener weißer Lokomotivenwolke der Ferne zuglitt, erinnerte mich in dieſem Augenblick wieder daran, wie wenig Halt und Anhalt ich jetzt noch in der Geburtsſtadt, in den Heimathsgefilden habe.
Statt mir aber mit einem Hinweis auf die neuen Verkehrsmittel aufzuwarten, zog Heinrich165 Schaumann ſonderbarerweiſe ſein Tinchen nur noch ein bißchen zärtlicher an ſich und ſagte:
„ Ja, Alte, nicht wahr, auch der Winter iſt hübſch hier, es läßt ſich leben auf Quakatzenburg, und man ſehnt ſich ſo leicht nicht fort? Das kann man aber im Grunde überall haben, lieber Eduard, den ich doch wohl auch einen Baron, und noch dazu einen ſüdafrikaniſchen nennen darf. Man muß nur von jedem Ort den von Rechts - und Ewigkeitswegen dran haftenden Spuk auszutreiben verſtehen, und man ſitzt immer gut. Eine gute Frau iſt freilich nicht von Überfluß dabei. Sitze Du ſelbſt hier mal mit einer böſen, Eduard. “
„ Ein vernünftiger, wenn auch halb närriſcher Mann gehört doch aber auch dazu, “meinte Frau Valentine zugleich ſeufzend und lächelnd, und Stopf - kuchen ſprach mit allem Nachdruck:
„ Selbſtverſtändlich! “
Wir ſaßen ebenſo ſelbſtverſtändlich bereits wieder. Auf einer der Bänke, von denen aus man die Stadt und Dorf Maiholzen vor ſich hatte.
„ Ein halbvernünftiger wenn auch ganz und gar nicht närriſcher Mann und Menſch kann Einem überall den weichſten Sitz und die ſchönſte Ausſicht und Gegend verleiden, “fuhr Heinrich fort. „ Ja, ja unſer guter, ſeliger Vater! Weißt Du wohl noch, Tine, wie der mich hier mal um den Wall jagte, wie der un - zurechnungsfähige, alberne wüthende Achill den einzigen anſtändigen, ordentlichen Charakter in der ganzen Ilias? Und weißt Du wohl noch, wie damals die166 Sache ganz anders ausging als wie vor Troja und in der Iliade? Damals ſtellte ich dem unberechtigten Verfolger das Bein und ſo kam er kopfüber kopfunter hinunter in den Graben des Prinzen Xaver von Sachſen, und Du, Tinchen, konnteſt wieder aus Deinem Verſteck im Keller zum Vorſchein kommen und mir behilflich ſein, den armen Teufel fernerweit zu Bette und zu beſſerer Beſinnung zu bringen. “
„ Der Vater, der arme Vater! O Gott ja, ja! aber, Heinrich, ſo haben wir ja noch niemals hiervon vor anderen Leuten geſprochen! “
„ Ich glaube, ich habe es Dir ſchon bemerkt, Schatz, daß wir heute eben auch nicht mit anderen Leuten, ſondern mit einem von uns zu thun haben. Dieſer hier zeigte doch ſchon in ſeiner Kindheit Mit - gefühl, und ging als der letzte, wenn die andern mich unter der Hecke liegen ließen. Und als Jüngling — na, Eduard, nicht wahr, Du nimmſt in diskreter Weiſe theil an der letzten Entwickelung deſſen, was Dir vor Jahren, als wir nicht mehr unſchuldige Kinder, ſondern mehr und weniger ſchuldenbehaftete Jünglinge waren, hier — da drüben jenſeits des Grabens aus dem Geſichte kam? “
Ich nickte, nicht zu dem Dicken, ſondern zu ſeiner Frau hinüber, wie man nickt, wenn man innigſtes Mitgefühl nicht durch Worte kundgeben kann.
Valentine ſagte:
„ Als mein Mann, das heißt, damals Heinrich, auf die Univerſität abgehen wollte, und Sie, Herr Eduard mitbrachte am letzten Tage, da drüben hin167 auf den Feldrain zum Abſchiednehmen, da hatte ſich ſchon vieles hier verändert, und wo es zum Beſſern war, da war er, mein Mann — Heinrich wirklich ſehr betheiligt. Wie er das auf ſeine närriſche Weiſe Ihnen ja auch bereits ſchon mitgetheilt hat. In dieſer Hinſicht braucht er freilich vor keinem Menſchen was zu verſchweigen von uns, der rothen Schanze und meinem armen ſeligen Vater. “
„ Ja, es iſt eine reizende Gegend heute im Sommergewande, Eduard, “ſeufzte Stopfkuchen, mit der Pfeifenſpitze um den Horizont herumdeutend, als ob er mir da etwas ganz Neues zeige. „ Aber ſchön war doch auch die Winternacht, in der ich hier auf Quakatzenburg bei der verlorenen Tochter als ver - lorener Sohn im Ernſt an den Fenſterladen klopfte! was, Tinchen Quakatz? wie, kleine Mieze? “
„ Heinrich, Heinrich, es iſt ja Dein Buſenfreund, der Dich jetzt ſo ausführlich hierüber ſprechen läßt, und ſo will ich ihm zu liebe auf Deine ſpaßigen Dummheiten nicht eingehen, ſondern es auch ihm ſagen: wenn ich tauſend Jahre alt würde, ſo könnte ich doch die Nacht nicht vergeſſen. Ja, Herr Eduard, es iſt ſo wie er ſagt. Und er iſt ein viel klügerer und gelehrterer Menſch als wie er ſich ſtellt, und mir gegenüber ſtellt er ſich auch nur ſo an, weil er weiß, daß wir von Anfang an zu einander gehören und nicht ohne einander leben können. Glauben Sie ihm ja nur nicht Alles was er an Dummheiten vorbringt: er hat es ſelbſt in den ſchlimmſten und beſten Augenblicken, die der Menſch auf dieſer Erde168 erleben muß, zu dick hinter den Ohren[. ]Ja, ja, ja, er kam damals zur rechten Zeit! meinen Vater hatte zum erſtenmale der Schlag gerührt, und ich war einundzwanzig Jahre alt geworden und die Herrin auf der rothen Schanze. O du grundgütige Barm - herzigkeit, was für eine Herrin! Mit was für einer Welt auf dem Hofe und rund umher! Seine Witze konnte Heinrich ja natürlich auch dabei nicht laſſen. Ich habe es aber in ſeinem Konverſationslexikon nachgeſchlagen, weshalb er mich mitten in meinen Thränen Kaiſerliche Majeſtät nannte. Die Frau Kaiſerin Maria Thereſia meinte er mit mir und hatte wohl nicht Unrecht. “
„ Moriamur pro rege nostro Maria Theresia, “brummte Stopfkuchen. „ Sie will die Schmeichelei bloß wieder hören in Deiner Gegenwart, Eduard. “
„ Der Doktor hatte mich wohl getröſtet, daß es für diesmal noch nichts auf ſich habe, und der Vater war auch ſchon wieder aus dem Bett und ging an meinem Arm und an einem Stocke herum, aber daß er ſein geſundes Menſchenverſtändniß ganz und völlig wiedererhalte, das wollte der Doktor mir nicht verſprechen. Auf Alles mußte ich mich für ihn be - ſinnen, für Alles was er ſagen wollte, die Worte finden. Und er wollte immer reden und mir ſo Vieles ſagen und hatte doch für nichts mehr das richtige Wort. Und von keinem Menſchen, und wenn er noch ſo gut wußte, wie er hieß, konnte er den richtigen Namen finden. Da erfand er auch neue, o was für ſchlimme für alle ſeine Bekannten! “
169„ Höre ſie nur, Eduard! “rief Stopfkuchen.
„ Nein, hören Sie ſie nicht, Herr Eduard, ſondern laſſen Sie mich ſo ſchnell als möglich hierüber weg - kommen. Ach ja, und der Knecht hatte mir an dem ganz beſondern Nachmittage wiedermal die Fauſt unter die Naſe gehalten und die Magd mir den Kochlöffel vor die Füße geworfen. Einen von den Hunden wenigſtens hatte ich ja immer bei mir, um mich mit ihm im letzten Nothfall zu wehren; aber an dem Sonntage hatten ſie mir auch gedroht, ſie mir alle zu vergiften. Ei freilich, wenn ſie dieſes aus - geführt hätten, ehe Heinrich kam, ſo wäre ich freilich bis dahin ganz verrathen und verkauft und in ihren Händen geweſen. “
Es läßt ſich nicht ſchildern, wie ruhig die Frau alles dieſes jetzt erzählte: man mußte ſie dabei ſehen, anſehen. Stopfkuchen ſtopfte ſeine Pfeife aus einer Schweinsblaſe, die er mühſam, ächzend aus ſeiner Schlafrocktaſche emporwand. Frau Valentine erzählte weiter:
„ Es war Sonntag und in Maiholzen Durchtanz; Knecht und Magd mir gegen meinen Willen durch - gegangen und im Dorf und auf dem Tanzboden. Es war ein wüſter Wintertag geweſen, und am Abend wurde es noch wüſter, und es kam ein Schnee - wehen — “
ſummte Stopfkuchen: aber ſein Weib rief:
„ O nein, das that damals das fromme Mütterlein170 garnicht. Sie redete nur auf ihren Vater im Lehn - ſtuhl hinein, denn der war unruhiger als wie je, und immer verwirrter aus ſeinen eigenen und Anderer Mordgeſchichten und Jurisprudenzen und Scharf - richterſachen. Den Namen Kienbaum, ja den konnte er immer finden und ſagen! an dieſem Abend; immer hatte er ihn auf der Zunge. Ja wohl, ſingen — an dem Abend, Heinrich? In jedem Schneeanwehen gegen die Fenſter und das Haus und die Gräben der rothen Schanze: Kienbaum! Kienbaum! Kienbaum! Singen? Nicht mal vor Angſt! Aber todt wäre ich gerne geweſen, Herr Eduard! und da kam es mir faſt wie eine Erlöſung: ja, wenn jetzt ſo eine Bande bei euch einbräche, Deinen armen hülfloſen Vater und Dich unnützes Geſchöpf todtſchlüge, und Alles nähme, was ich ihnen gerne gönnte, Alles, Alles, und über euch das Haus in Brand ſetzte und ſo dem Jammer, der Verlaſſenheit, dem Schimpf und der Schande auf einmal ein Ende machte! Singen? Ja wohl, nach dem Fenſter hinhorchen und zwiſchen den Sturmſtößen darauf paſſen, ob es nicht endlich, endlich als eine Gnade von Gott ſo komme! ob ſich nicht endlich in dieſer Hinſicht draußen was rühre! Aber es rührte ſich nichts als, wie geſagt, der Wind und die Fenſterläden, und dann und wann eine Stall - thür, die der Knecht offen gelaſſen hatte, und die hin und her ſchlug. Dazu im Haus allerlei Spuktöne und ein Eulenſchrei vom Scheunengiebel. O, ſo da zu ſitzen und mit den krampfigen Händen zwiſchen den Knieen, den Vater von Kienbaum, Galgen und171 Rad murmeln zu hören, bis die Hunde alleſammt mit einemmale anſchlugen, als ob auch noch der ganze ſiebenjährige Krieg auf der rothen Schanze von Neuem angehe! “
„ Philoſophie der Geſchichte, Eduard! “brummte Heinrich. „ Auch der alte Fritze hatte keine Ahnung davon, wie nahe er dem Hubertusburger Frieden war, als die Kaiſerin Katharine ihm ſeinen guten Freund Peter abgurgelte und ihre Ruſſen ihm wieder aus den Händen, unter der Naſe und aus ſeiner Ordre de bataille wegnahm. Es kam nur der Hu - bertusburger Frieden für die rothe Schanze, Eduard. “
„ Nämlich ſelbſt der Vater, den ſonſt ſo etwas damals gar nicht mehr aufregte, fuhr aus dem Stuhl und zitterte und wimmerte leiſe: ‚ Jetzt kommen ſie!‘ Und ich, die ich mir alles ſchon längſt für ſolche Fälle zurechtphantaſiert hatte: was thuſt Du, wenn es mal mitten in der Nacht ſo kommt? ich griff nach dem Hackemeſſer, das ich mir immer unter die Kommode geſchoben hielt und faßte es hiebgerecht und ſagte ſo gelaſſen wie möglich: ‚ Einer wenigſtens geht mit, wenn es endlich ſo ſein ſoll!‘ Es kam aber gottlob anders. “
„ Selbſtverſtändlich! “brummte Heinrich.
„ Die Hunde, die ſich eben noch die Seele aus dem Leibe gebellt hatten, gaben mit einemmale keinen Laut mehr; und ich dachte auch da ſchon wieder an Gift, ohne zu bedenken, daß das doch recht ſchnell gewirkt haben müßte. Ich hatte das Ohr am Fenſter - laden und das Hackmeſſer mit der Schärfe auf der172 Fenſterbank zum Schlag bereit; da — da — na, Herr Eduard, wie fuhr ich zurück! “
Jawohl, wie fuhr auch ich, der Herr Eduard, der Gaſtfreund der rothen Schanze zurück, als mein Freund Heinrich trotz ſeines Fettes mit jugendlich - friſcheſtem Nachdruck anſtimmte:
„ Stopfkuchen?! “
„ Ja wohl, Stopfkuchen, Herr Eduard! “ſagte Frau Valentine lächelnd. „ Sollten Sie es für möglich halten, Herr Eduard, daß dieſes närriſche Menſchenkind ſich in dieſer Nacht vor unſern Fenſter - laden wirklich und wahrhaftig mit dem dummen Liede bemerklich machte? und natürlich umwinſelt und umſchmeichelt von allem Hundevolk der rothen Schanze? Nach dem erſten Blaff Alles ſo ſtill und ſtumm vor Verwunderung wie ich nach ſeinem erſten albernen Verſe! aber es dauerte doch eine geraume Weile, ehe ich mich ſo weit gefaßt hatte auf den Schrecken, daß ich dem Narren die Hausthür auf - ſchließen konnte; ich — “
173„ Da hörſt Du eben wieder einmal wie ſie, ſeit wir uns kennen, von ihrem ihr von Gott vor - und aufgeſetzten Herrn und Haupte redet. Tinchen, nimm Rath an und blamire euer Geſchlecht hier in Europa nicht unnöthigerweiſe. Bedenke, der Mann, dieſer Eduard, kommt als Gatte aus Afrika: da ſind die Weiber äußerlich wohl etwas ſchwärzer als ihr; aber inwendig — “
„ Natürlich viel weißer. Ich weiß das ja, oder wenn ich es nicht weiß, ſo geſtehe ich es gern zu; aber laß mich dafür auch ausreden, beſter Heinrich. Ich öffnete ihm alſo, Herr Eduard, und er kam her - ein. Ja, Herr Eduard, und wie von der Vorſehung geſchickt zur richtigen Stunde; denn gleich nach ihm kam der Knecht betrunken und wollte mich erſt küſſen und mir dann die Kehle zuſammendrücken. Und die Magd, die ein Sonntagstuch von mir trug, nannte in meiner Gegenwart meinen Vater noch einmal einen alten Mörder und rieth ihm, ſich doch ſelber an dem Nagel an der Thür aufzuhängen, da er dem öffentlichen Galgen entgangen ſei. Sie waren beide ſehr luſtig und ſpaßhaft und hatten beide keine Ahnung davon, wer da jetzt hinter dem Schrank ſtand und ſich die Scene mit anhörte und mit anſah. Ja, er trat zur rechten Zeit hinter dem Schranke vor und ſeinerſeits auf die Scene: der Herr und Meiſter und das Haupt der rothen Schanze, mein — “
„ Liebes Dickerchen — Heinrich Stopfkuchen — in wohlthuendſter Fülle der Erſcheinung, Eduard, und174 mit allem Humor und Animus, aber auch mit der dazu gehörigen Fauſt für die Sache. “
„ Ja, ja, und wem nicht die Kehle in dieſer Nacht zuſammengedrückt wurde, das war die Tochter von der rothen Schanze! und wer der Magd nicht das Schuhband aufzubinden hatte, das war ebenfalls die Tochter von der rothen Schanze. “
„ Und wer einfach und ganz gemüthlich auf den Tiſch ſchlug, die nöthige Ordnung wieder herſtellte und dem alten Herrn im Lehnſtuhl das Kiſſen zurecht - rückte und das junge Mädel mit dem blutdürſtigſten aller Hackmeſſer um die Hüften nahm und ihr den ihr in dieſer Nacht beſtimmten Kuß aufdrückte, daß der Schmatz alles Sturmgeheul draußen übertönte, das war ich! Wenn es Dich langweilt, Eduard, ſag 'es ja! wir Beide von der rothen Schanze können jeden Augen - blick mit unſern Dummheiten aufhören, und Dich von Deinen erzählen laſſen. Auf meine Frau brauchſt Du nicht die geringſte Rückſicht zu nehmen in Deinen Gefühlen. Ich thue es in den meinigen auch nie. “
„ Dieſe Redewendung wird jedenfalls allmählich langweilig, Schaumann. “
„ Schön! “ſagte Schaumann und behielt jetzt das Wort wiederum für längere Zeit allein. Ich legte nur einen Augenblick leiſe wieder meine Hand auf die der Frau Valentine, was ſoviel hieß als: „ Es iſt wundervoll! “
„ Die Geſchichte war ganz einfach, “ſagte Stopf - kuchen, und einfach ſo: Draußen, und im wiſſenſchaft - lichen Brotſtudium, hatte es mir abſolut nicht ge -175 paßt. Ich fiel dabei für meine Natur viel zu ſehr vom Fleiſch. Es mag der Welt unglaublich erſcheinen, aber es iſt deſſenungeachtet doch lächerlich wahr: auch die vergnüglichſte Seite des Univerſitätslebens war nichts für mich. So eine deutſche alma mater iſt doch die reine Amazone. Sie hält Dir die eine Bruſt hin und Du ſaugſt oder ſaufſt. Sie dreht Dir die andere zu und Du empfindeſt Dich in der That als das bekannte Thier auf dürrer Haide. Jeder Blick in eure Gerichtsſtuben, auf eure Schulkatheder und Kirchenkanzeln und in eure Landtage und vor allem in den deutſchen Reichstag zeigt, was dabei herauskommt, ſoweit es unſere leitenden gelehrten Geſellſchaftsklaſſen anbetrifft. Entſchuldige, Tine, ich bin gleich wieder bei Dir; aber wenn man ſo einem alten lieben gelehrten Afrikaner gegenüber auf ſein Studentenleben kommt, geht Einem das Herz auf, wie die Welt ſagt. Da iſt es denn aber für Dich gleich ein wahres Glück, Tinchen, daß mich der Burſche hier ſchon auf Schulen da unten in dem Neſte im Thal nicht für den Gerichtsſtuhl, das Katheder, die Kanzel und das Reichstagsmandat, ſondern für die rothe Schanze hat mit erziehen helfen, indem auch er mich unter der Hecke hat liegen laſſen, meiner ſchwachen Füße wegen. Von meinen Fäuſten hatte er eben meiner angeborenen Gutmüthigkeit wegen, nicht die genügende Ahnung. Aber es iſt einerlei, denn es iſt ſo: was ein Menſch bei mäßigen Geiſtes - gaben, ſchwachen Füßen und einer unmäßigen Anlage zum Fettwerden aus ſich für die Jungfer Quakatz176 und den Prinzen Xaver und die rothe Schanze machen konnte, das iſt gemacht worden. Was, Tine Schau - mann? wie, Tine Quakatz? Für Dich, armen, zerzauſten Spatz ließ mich die Weltentwickelung unter der Hecke in der Sonne liegen und auf der Studentenbude im Schatten und Tabacksgewölk. Um Dich, Himmliſche, nach Deinem vollen Werthe zu erkennen, machte es mir für ſechs Semeſter einen Platz am Freitiſche der Univer - sitas litterarum aus. Faſſe es ganz, Eduard, Stopf - kuchen am Freitiſche! Das alte Mädchen da neben Dir ſchiebt ihr Entſetzen in jener ſtürmiſchen Winternacht auf alles Mögliche, nur nicht auf das Richtige, nämlich auf den Knochenfinger, mit welchem ich an ihren Fenſterladen pochte. Laß Du Dir mal, um Mitternacht in Afrika, von Freund Hein an den Laden klopfen und erſchrick nicht vor ſeinem dürren Knöchel! Hat mich nicht das Studiren meines eigenen Knochengerüſtes im achten Semeſter auf meine jetzige Liebhaberei gebracht? Hat mir nicht mein ſogenanntes Brotſtudium die fürchterlichſt günſtigſte gute Gelegenheit geboten, das vorſintflut - lichſte Rieſenfaulthier wiſſenſchaftlich einwandsfrei tadel - los zu rekonſtruiren? Auf dieſe Wiſſenſchaft hin hätte ich freilich Doktor werden können; aber — ſchweigen wir davon, die Erinnerung an das Studiren greift mich heute noch zu ſehr an! ... Als ich wieder zu Hauſe ankam, roch es hinter mir ganz verdammt nach verbrannten Schiffen, und zwar nach meinen eigenen. Ich wußte es ganz genau, daß ich weder das Katheder, noch die Kanzel und den Richterſtuhl177 je beſteigen werde! Auch zur praktiſchen Ausübung der Arzneikunſt reichte meine Kenntniß der Oſteologie doch nicht aus. Meine Mutter war todt. Freunde hatte ich nicht — auch Du theuerſter meiner Freunde, warſt in der Ferne, wenn ich nicht irre bereits als Schiffsarzt ununterbrochen auf dem Wege zwiſchen Hamburg und New-York und New-York und Ham - burg. Was mein Vater ſagte? nun ſo juckt es mich natürlich, das meinige dazu zu bemerken; aber ich laſſe es doch lieber. Es miſcht ſich da zum biſſigen Nach - tragen doch etwas wie Gewiſſensbiſſe ein. Er war recht grob und hatte ſehr das Recht dazu. Als er mir erklärte, da die Welt nichts mit mir anzufangen wiſſe, ſo könne ich nicht verlangen, daß er zum zehnten Male den Verſuch mache, mit mir was zu beginnen, war mir in der That nichts geblieben, was ich da - gegen einwenden konnte. ‚ Geh zu Deinem Mord - bauern, dem Quakatz!‘ brauchte er gerade nicht mir vorzuſchlagen; aber es war kein übler Rath. Ob er an jenem unbehaglichen Abend, an welchem wir das Fazit unſeres gegenſeitigen Verhältniſſes in der Welt und im Leben zogen, der Meinung war, daß ich ihn auf der Stelle befolgen werde, weiß ich nicht, glaube ich eigentlich auch nicht. Aber er rief mich auch nicht zurück, als ich ihm von der Thürſchwelle zumurrte: ‚ Moriturus te salutat! [‘]Der gute Alte! Er hätte freilich für ſeine dürren Subalternbeamtengefühle einen ſtrebenderen, einen weniger gemüthlichen, einen weniger bequemen, einen weniger feiſten Sprößling verdient: aber konnte ich dafür, daß ich ſein SohnW. Raabe. Stopfkuchen. 12178war und er nicht der meinige? ... Gottlob, wir können ja jetzt ohne Gewiſſensbiſſe und Reuegefühle darüber lächeln — was, Tinchen, alte Sibylle? Wir ſind doch noch auf den allerbeſten Fuß mit einander gekommen. Dort, hinter uns, unter den Linden hat auch er noch manchmal ſich ſeinen Nachmittagskaffee von meiner Frau einſchenken laſſen. Und er hat ſich ſogar auch noch für meine und Tinchens Knochen — unſere Urweltsknochen meine ich — intereſſirt. Er ſtieg nämlich nach ſeiner Penſionierung mit Vorliebe, weniger der ſchönen Natur wegen, als um ihrer ſelbſt willen um die rothe Schanze herum und hat mir mehr als einmal von ſeinen Spazirwegen einen aufge - pflügten Kalbsſchädel oder ein Schinkenbein mit - gebracht und es meiner Sammlung einverleiben wollen mit der Überzeugung einen Fund für mich gethan und alte Sünden durch ihn an mir wieder gutgemacht zu haben. Nun, in jener Nacht, oder vielmehr an jenem Nachmittag und Abend waren wir natürlich ſo weit in Güte noch nicht mit einander. Der alte Herr hatte eben die Überzeugung gewonnen, daß ich ihm jetzt bis zum längſten auf der Taſche ge - legen habe, und gab es mir zu verſtehen, wie der Vater Jobs ſeinem Hieronymus. Laß mich Dich ver - ſchonen, Eduard, mit Einzelheiten, die ſich in die Tage und Stunden zwiſchen meiner letzten Heimkehr ins Vaterhaus und meinem endgültigen Verlaſſen desſelben drängten. Ich ſtand plötzlich mit ſehr be - unruhigtem Gewiſſen und mit einem herzlichen Mit - leid mit dem alten Mann draußen in der Straße179 im wehenden Sturm und treibenden Schnee und konnte dreiſt von Neuem die bittere Frage an das ewige Dunkel und die gegenwärtige Finſterniß ſtellen: Wer hatte eigentlich das Recht Dich ſo als geiſtigen und körperlichen Kretin ſo hier hin zu ſtellen: So! —? “— Glücklicherweiſe war im Goldenen Arm Licht, und da ich doch in der Straße nicht ſtehen bleiben konnte, ging ich hinüber und fand die Geſellſchaft, die mir augenblicklich allein gemäß war, und mit ihr die Löſung der eben aufgeworfenen Frage. Es war gottlob noch ſo früh am Tage, daß ſelbſt die troſt - loſeſten Philiſter der Stadt noch nicht zu Bette waren. Da fand ich und nahm ich meinen Troſt, wo mir aller Welt Schönheit, Weisheit und Tugend zu garnichts von Nutzen geweſen ſein würde. Juchhe, lauter gute alte Bekannte, die ſich zwiſchen Schoppen und Schoppen immer das Beſte wünſchten, und mir natürlich auch — an dieſem Abend ſogar in aus - gibigſter Fülle! Ich kam ihnen gerade zur rechten Zeit bei ſinkender Unterhaltung und epidemiſcher Maulfäule wahrhaftig als ein gefundenes Freſſen; und ich hatte bloß hinzuhorchen, um von ihnen die Antwort auf jenes große fragende Warum hinzu - nehmen. Es hätte mir jedermann im Kreiſe gern auch einen Bleiſtift geliehen, wenn ich den Wunſch ausgeſprochen haben würde, mir den Schickſalsſpruch ihres Mundes lieber doch auch noch zu notiren. Dies war aber durchaus nicht nöthig. Gottlob haben es mir die Götter, die mir ſo Vieles verſagte ge - geben, mich betreffende Reden und Redensarten an12*180mich herankommen zu laſſen, das dazu paſſende Ge - ſicht dabei zu machen und nöthigenfalls mit den darauf paſſenden Gegenbemerkungen aufzuwarten. Ihr habt dieſe Gabe lange nicht genug an mir gewürdigt, lieber Eduard; ihr waret wohl noch nicht reif genug dafür. Nun, für ein paar Schoppen reichte es an jenem hiſtoriſchen Abend auch noch, und bei denen vernahm ich denn das Meinige, überlegte mir das Meinige und fand das Richtige. Selbſtverſtändlich kam ſofort bei meinem Eintritt in das alte wohl - bekannte Eckzimmer die Rede auf mich. Man war ſo freundlich, ſich zu freuen, mich noch zu ſehen: je ſpäter der Abend, deſto ſchöner die Leute! Aber daß man bereits ziemlich genau wußte, wie es mit mir daheim im Vaterhauſe ſtehe, war klar und quoll rundum auf in jedem lautern Wort und leiſen Ge - flüſter. Wenn ſie auch um alles in der Welt nicht gern in meiner Haut geſteckt hätten, ſo hätten ſie doch alleſammt unmenſchlich gern gewußt wie ich mich bei ſo bewandter Lebenslage in ihr fühle. Mit dem Humor der Verzweiflung, wie ja wohl das Wort lautet, ſchenkte ich ihnen denn reinſten Wein ein, nahm dieſen Herren vom Spieß, dieſe, ihre edle Väterwaffe ab und ließ ſie kneipengerecht darauf - laufen. Was hätte ich an dieſem in der That recht ungemüthlichen Abend vor dem Sturz in den Abgrund Beſſeres beginnen können, um — deutſches Gemüth zu zeigen? Daß ich von Univerſitäten endgültig weg - gegangen ſei, gab ich zu; aber die genauen Umſtände ſtellte ich nunmehr in das rechte Licht. Daß von181 Zwang oder dergleichen die Rede geweſen ſei, lag ja vollſtändig außer Frage; doch daß ich herzlicher Bitte und langem wiederholtem, inſtändigem Zureden endlich, vielleicht allzu gutmüthig Folge gegeben habe, mußte jetzt doch, und noch dazu bei ſo paſſender Ge - legenheit und in ſo trautem, teilnehmendem Kreiſe beſter Bekannter, Schul - und anderer Freunde, klar geſtellt werden. Eduard, ich hatte Humor an jenem Abend! Nicht den des Satans, aber den eines armen Teufels, welchen ein Mißverhältniß zwiſchen körper - licher und geiſtiger Veranlagung faktiſch unfähig machte, mit dem was gedeihlich durch den Lebenstag haſtet, wettzulaufen. Ja, Denen zeigte ich an jenem Abend, wie man einer öden Welt auf dem Wege zum Ideal voranlaufen, und welche üble Folgen ein zu gutes Beiſpiel in dieſer Hinſicht haben könne. Da ſtanden in meiner Generalbeichte die Wirthe vor den leeren Bänken, die vollen Fäſſer hinter ſich, da ſaßen die Mädchen im Kämmerlein und verſchluchzten ihre jungen Seelen, weil ſich meine ſämmtlichen Mit - ſtrebenden ein zu gutes Exempel an meinem Streben genommen hatten. Sämmtliche Studirende ſämmtlicher Brotwiſſenſchaften ſaßen ſo ſehr über ihren Büchern, daß verſchiedene Male die Feuerwehr alarmirt werden mußte, ob des Dampfes der von ihren Köpfen auf - ſtieg. Da ging es denn nicht anders: die Ärzte — Sanitäts - und Medizinal-Räthe mußten ſich einmiſchen, der Verein für öffentliche Geſundheitspflege mußte einſchreiten. Die erſten gingen ſelber in corpore, der letztere ſchickte ſeinen Vorſitzenden ſowie zwei Ab -182 geordnete, und alle verlangten ſie ein und dasſelbe vom Profax, nämlich meine ſchleunige Abreiſe; (guck mal, Eduard, wie das Tinchen hierbei ſo vergnügt wie die Maus aus der Heede guckt!) gerade als ob Mutter Eruditia, unſer germaniſches verſchleiertes Bild zu Sais, einen Menſchen von meinem Gewicht ſo leicht wie einen Floh aus dem Gewande ſchüttele! Sie kamen auch zu mir. Sie ſchickten auch mir eine Deputation, eine Abordnung. Wenn nicht mit der Aufforderung, ſo doch mit der Bitte: ‚ Gehe uns aus dem Kaſten!‘ Wer hätte ſo herzlichem Anflehen widerſtehen können; zumal da auch von Hauſe ein ähnliches Rufen kam. Ich ging ihnen aus dem Kaſten, und noch am Bahnhof war mancher, der ſich ſchluchzend mir an den Hals hing: ‚ Bruder, laß uns das wenigſtens von Deinem Wiſſen, wofür Du zu Hauſe gar keine Verwendung haſt. ‘ Natürlich ſagte ich, mit einem Fuße im Wagen: ‚ Gerne!‘ und ſagte damit keine Unwahrheit. Ich konnte ihnen in dieſer Hinſicht mit Vergnügen Vieles da laſſen. Ich war im Goldenen Arm wirklich gut im Zuge, ſpaß - haft in das Nichts zu ſehen, bis ich plötzlich die Maulſchelle heiß und brennend ſpürte, den Schlag auf die ironiſche Naſe, den ich mir ſo wohl verdient hatte, nicht bloß an meinem armen kümmerlichen Erzeuger, ſondern auch an dieſen wohlverdienten und wohlverdienenden braven Philiſtern und guten Leuten und Staatsbürgern. — Sagte Einer: ‚ Es geht alſo aus allem dieſem einzig und allein hervor, Heinrich, daß Du Dich allein und einzig die ganzen Jahre durch183 auf Deine rothe Schanze, den ſeligen Kienbaum und Deinen Freund Quakatz einſtudirt haſt. ‘— ‚ Was?‘ frage ich. — ‚ Nu, was ich ſage, und worin mir die andern Herren hier am Tiſche beiſtimmen werden: ſo wie Du jetzt biſt, können ſie gerade jetzt Dich wirklich vielleicht recht gut da brauchen. Vermißt haben ſie Dich da oben ja wohl lange genug. ‘— O, wie der Menſch Recht hatte! nicht wahr, Valen - tine Quakatz? Das ganze große Wort: Volkes Stimme, Gottesſtimme! hielt mir in ihm grinſend das Gehörorgan hin, und ich konnte ihm nicht hinter den Löffel ſchlagen. — Wie, Valentinchen Quakatz? Ich konnte dem Manne, der da für Tauſende ſprach, nur freundſchaftlichſt näherrücken, die Allgemeinunter - haltung abbrechen und mich noch eine Viertelſtunde ihm allein widmen, das heißt, ihn, und durch ihn die Tauſende hinter ihm gemüthlich ausfragen. Nachher ging ich; aber nie vorher hatte ich mich und nie nachher habe ich mich ſo feſt auf den Beinen ge - fühlt wie an jenem Abend als ich nun aus der überheizten Kneipe, aus dem Bier -, Grog - und Tabaksdunſt in den wehenden Winterſturm hinaus trat und die weichen Füße in den fußhohen Schnee ſetzte. Willſt Du genau erfahren, Eduard, was im bürgerlichen Leben das Richtige iſt, ſo frage nur beim nächſten Spießbürger an. Der ſagt es Dir ſchon! Ich kann es natürlich nicht wiſſen, wie das bei euch in Afrika iſt, aber hier in Deutſchland ſpricht man immer dann nachher von Intuition, Führung von Oben, Zuge des Herzens, Stimme des Schickſals,184 Vorſehung und dergleichen. — Gegen den Wind wäre es mir wohl unmöglich geweſen. Mit dem Winde ging es, und merkwürdigerweiſe um ſo beſſer, je weiter ich die Gaſſen der Stadt und ihre Gärten hinter mir ließ. Er fegte gegen die rothe Schanze, der Wind, und über die Höhenrücken trieb er den Schnee vom Pfade und ſchob mich ſchnarchend aber gutmüthig, als meine auch er: ‚ Wo wollteſt Du an dieſem Abend wohl anders hin als zum Vater Quakatz, Heinrich?‘ — Auch den Graben des Prinzen Xaver hatte der gute Dämon zugeweht und den Übergang klar gemacht; aber dann kam die weiße Mauer am Thor und an der Hecke, durch den Garten bis an die Fenſterladen: na, ob Schnee oder Reisbrei: Stimme des Schickſals, Zug des Herzens, Führung von Oben, und nicht zu vergeſſen, von Unten der Stammgaſt im Goldenen Arm, Alles half. Ich war dazu geboren worden, mich durchzufreſſen ins Schlaraffenland und in Jungfer Quakatzens weiche, weitgeöffnete Arme. “
„ O, aber Heinrich! “rief erröthend Frau Valen - tine Schaumann.
„ Sammetpfötchen, behalte die Krallen eingezogen! wir erzählen ja nur Eduard aus Afrika hiervon, und der ſagt es unter ſeinen Kaffern und ſeiner Frau nicht weiter. “
185Auf dieſes Wort hin wendete ſich die Frau Valentine wieder zu mir und ſagte:
„ Sie haben ja die Thiere jetzt auch wohl per - ſönlich kennen gelernt: ſagen Sie doch mal, beſter Herr Freund aus Afrika, haben Sie es zu Ihrer Zeit, ich meine Ihrer Jung — jüngern Zeit, wohl je für möglich gehalten, daß mein Heinrich Löwen - augen machen könne? “
„ Nein! “erwiderte ich ſofort und kurzweg. Wenn es einen Helden gab, den die ſchroffe Verneinung nicht kränken konnte, ſo war das mein Freund Schaumann.
Er lachte auch nur herzlich; nahm aber doch, ebenſo raſch und kurzweg, ſeiner Gattin das Wort wieder vom Munde und ſagte:
„ Aber ich habe ſie gemacht, Eduard. Ich habe ſie um mich herumgeworfen. Löwenaugen! Prinz Xaver von Sachſen konnte, als er von der rothen Schanze aus die Kapitulation eures Neſtes drunten entgegen nahm, keine größern in die Welt hinein - werfen. ‚ Die Augen wurden Teller‘, ſingt ein Dichter jener Tage, kannte aber natürlich noch nicht die, mit welchen ich, von unſerm Neſte da unten aus, Beſitz von der rothen Schanze, Tinchen Quakatz und dem Vater Quakatz, ſammt Knecht, Magd, Kienbaum — kurz von der ganzen Mordgeſchichte nahm. Da reichten Teller lange nicht. Er ſoll auch, eurem Komman - danten gegenüber, auf den Tiſch geſchlagen haben, Eduard, dieſer erhabene Siebenjährige “Kriegs-Heros; aber ich bezweifle es, daß er nach dem Schlage ſo186 mit der brennenden Fauſt an den Mund fuhr und den ſchmerzlichen Übereifer wegſog wie ich, nachdem ich das unbotmäßige Vaſallengeſindel der rothen Schanze geduckt hatte. Nachher machte ich mich ſelbſtverſtänd - lich näher an dies kleine Mädchen hier und triumphirte auch da über allerhand Dummheiten und Wider - ſpenſtigkeiten. Sollteſt Du es für möglich halten, Eduard, daß ſie mich halb durch ihre Thränen und halb durch ihr Lachen fragte: ‚ Aber ſage mal Hein - rich, geht denn dieſes ſo? und ſchickt es ſich ſo für mich und für uns mit dem ganzen Dorf und der ganzen Stadt mit allen Augen und Brillen auf uns?‘ Im Grunde genommen war dieſes nur eine andere, das heißt den Umſtänden angemeſſene Wendung für das ſchämige Wort: ‚ Sprechen Sie mit meiner Mutter!‘ Und ich that dem Gänslein den Gefallen, klopfte diesmal nicht auf den Tiſch, ſondern dem guten Kind auf die Schulter, ſeufzte ſchmachtend: ‚ Sie ſollen mich nicht umſonſt Stopfkuchen benamſet haben, Fräulein, und da ſitzt ja der Papa, den können wir um das Übrige fragen; Den hat die Welt ſicherlich ganz genau gelehrt, was ſich auf der rothen Schanze ſchickt. ‘ An dieſem Abend wurde es freilich mit ſolcher Frage noch nichts. Ein vernünftiges Wort war an dieſem Abend mit Vater Quakatz noch nicht zu ſprechen; die Scene von vorhin war ihm zu arg auf die Nerven gefallen. Er ſaß da, ſchlotternd vor Angſt, blödſinnig weiner - lich jetzt; aber doch immer feſt bei ſeiner Behaup - tung: ‚ Mord und Todtſchlag! Mord und Todtſchlag! aber ich bin's doch nicht geweſen, Herr Präſidente!‘ 187Gott ſei Dank, erkannte er mich aber doch zuletzt und begriff, daß ich für dieſe Nacht eine Schlafſtelle in ſeiner Burg brauche, und nahm die Hausmütze ab und murmelte: ‚ S'iſt der dicke gelehrte Junge aus der Stadt! ſ'iſt Heinrich! wenn er ſein Latein bei ſich hat, kann er dableiben. Gib ihm eine Birne, Tine und mach ihm ein Bett; aber gib ihm auch die Axt mit. Mit der ſoll er jedem den Schädel einſchlagen, der ſagt, daß ich Kienbaum todtgeſchlagen habe. ‘— Das ſah ſelbſt Tine ein, daß ſie hier nichts weiter machen konnte, als mich machen zu laſſen. Und es ging ja denn auch ganz gut. Ich bekam meine Schlafſtelle zum erſtenmal auf der rothen Schanze, und am andern Morgen ſchien die Sonne auf den Schnee, und — ich werde heute noch poetiſch! — wie auf ein ausgebreitetes Brautkleid aus der Krinolinen - zeit. An dieſem andern Morgen hatte das Herze na - türlich auch einen außergewöhnlich guten Kaffee ge - kocht, und bei demſelben ließ ich das Ingeſinde vortreten, und der Bauer auf der rothen Schanze ſtellte mich bei vollſtändig klarem Bewußtſein dem Reich als Major domus, oder, wie er ſich ausdrückte, als den neuen Adminiſtrator vor. Das Gericht, das ſich früher in ſeinem Leben ſo viel um ihn gekümmert hatte, ſchien ihn in der letzten Zeit gänzlich aus den Augen verloren zu haben. Es ſchien ſein Intereſſe an ihm nur als an Kienbaums Mörder genommen zu haben; und das war jetzt und zwar was alle be - theiligten Parteien anging, ein Glück und ein Segen; wenn Du die Freundlichkeit haben willſt, Eduard, nach188 dem heutigen Tage zu ſchließen. Emerentia, ich glaube Sie werden gerufen. “
„ Er war noch nicht von Gerichtswegen ent - mündigt worden, unſer armer, lieber Vater, Herr Freund! “ſchluchzte Frau Schaumann. „ Heinrich, Du brauchſt jetzt wirklich nicht mehr mit Litteratur - Perſonen und Geſchichten zu kommen, um zu ſagen was Du zu ſagen haſt. Ja, Herr Eduard, es war ſo! ſie hatten dem Vater nur noch keinen Vormund be - ſtellt von Gerichtswegen bis Heinrich kam, wenn es auch manchmal noch ſo nöthig geweſen wäre. Und es war auch noch nicht ſo nöthig; denn am nächſten Morgen begriff er ganz gut, um was es ſich für ihn und für mich handelte, und jetzt kam es erſt heraus, wie ſehr die Vorſehung ihre Hand im Spiel gehabt hatte als ſie Heinrich mit dem unglücklichen Bauern von der rothen Schanze bekannt machte. “
„ Der Blindeſte konnte die Sterne ſehen, die hier geleuchtet hatten. Erſt mit Dreck ſchmeißen und dann einander in die Arme. Und was die Be - fähigung, eine Landwirtſchaft zu führen, anbetrifft, na, Eduard, ſo weißt Du ja auch wohl ein wenig aus Deinem afrikaniſchen Bauernleben wie ſich das macht. Dir kam die Geſchicklichkeit aus der[in]nerſten lebendigen Natur, mir flog ſie unter der Hecke an und auf Tinchens Birnenbaum und in der Speiſe - kammer der rothen Schanze. Ich hatte Tinchen Miſt aufladen ſehen, und — was thut die Liebe nicht? — ich nahm ihr die Gabel aus der Hand und probirte die Kunſt ächzend ebenfalls. Der Menſch iſt doch189 nicht allein auf Meſſer und Gabel angewieſen in dieſer Welt, und eine Serviette bekommt er auch nicht umgebunden bei jedem Lebensgericht ſo ihm auf den Tiſch geſetzt wird. Braucht ſie auch nicht. Aber das Kind, das gnädige Fräulein, das Burgfräulein von Quakatzenburg ſchickte ich doch lieber wieder mit wiedergewaſchenen Händen in die Küche. Reinlich - keit iſt doch eine Tugend, Eduard! Man ſchätzt ſie an der Hottentottin und man nimmt ſie als etwas Selbſtverſtändliches an ſeiner europäiſchen Geliebten. O Gott, wie dankbar war mir dies kätzlich reinliche, gute alte junge Mädchen da, als ich ihr die Möglichkeit bot, unterzutauchen wie Schundkönigs Tochter und aufzutauchen wie Prinzeß Schwanhilde. Sag es ſelber: iſt es nicht ſo, Lichtalfe, o Du Herrin meines Lebens? “
„ Er erzählt das wie er es weder vor Gott und den Menſchen und ſelber kaum vor ſeinem beſten Freunde verantworten kann; aber es iſt ſo — es war ſo! “rief Frau Valentine zwiſchen Lachen und Weinen. Und wie ihr ging es mir beinahe auch, was das Lachen und das Weinen anbetraf. Zu einer Äußerung darüber aber kam ich nicht; denn natürlich grinſte Stopfkuchen:
„ Was für mich die Hauptſache bei der Geſchichte war, war das Vergn[ü]gen, das ich mir in den Ge - fühlen, durch die Gefühle der Gegend und der Um - gegend bereitete. Nur ſo lange der Schnee hoch lag, und er thürmte ſich in den Tagen nach meiner An - kunft auf Quakatzenburg ſehr hoch, hatte ich das190 Tinchen, den Papa und das Ingeſinde ganz allein für mich. Kein Gott hatte ſich je in einer dichtern, weißen Wolke dem Nachſtarren der Menſchheit ſo entzogen als wie ich. Die Welt hatte fürs Erſte Thauwetter abzuwarten, ehe ſie mich wiederbekam. Nachher aber hatte ſie mich als die merkwürdigſte Thatſache ſeit dem deutſch-franzöſiſchen Kriege; und wochenlang war der hiſtoriſche Vorgang in der Spiegelgallerie zu Verſailles garnichts gegen das geſchichtliche Faktum: ‚ der dicke Schaumann iſt Groß - knecht auf der rothen Schanze geworden! Wer will, kann hinausgehen und ihn im Februarſchmadder Klüten treten ſehen und Quakatzens Hofgeſinde zu - ſammenreißen hören!‘ — Und ſie gingen hin und kamen und ſahen ſich fürs Erſte vorſichtig von Weitem über den Graben des Prinzen Xaver das Phänomen, das Portentum an. Nach Tinchen hatte beim Miſt - auf - und abladen natürlich Niemand geguckt; aber nach mir ſchauten ſie aus, und wenn ich jemals einen Spaß in der Welt gehabt habe, ſo war's da - mals, wo ich zum erſtenmal nicht bloß Geſchmack ſondern auch Geſchick entwickelte. “
„ Herr Eduard, er erzählt greulig; aber es iſt wirklich, wirklich ſo geweſen, wie er's auf ſeine alberne Weiſe vorbringt! “rief die Frau hier wieder drein. „ Er iſt unſer erſter und letzter Knecht geworden, als ob er's von Ewigkeit an geweſen wäre; als ob ihn nie mein ſeliger Vater hingeſchickt hätte, um ſein la - teiniſches Wörterbuch zu holen. Es iſt ihm von der Hand gegangen, als ob er von Jugend auf dabei191 geweſen wäre als Ökonom, als Landwirth, als Bauer auf der rothen Schanze. O guter Gott, wie habe ich damals geſchluchzt oder meine Thränen verbiſſen, wie habe ich geweint vor Jammer und Frohlocken! na - türlich nur vom Küchenfenſter aus, wo er nichts da - von merken konnte. Es war ja zu unnatürlich! “
„ Natürlich war es zu unnatürlich; nämlich daß Jakob um Rahel ſieben Jahre lang dienete, “grinſte Stopfkuchen. „ Etwas kürzer machten wir doch die Sache ab. Ich nahm ſie, und ſie nahm mich be - deutend früher; und jetzt ganz kurz, o Du mein Jugendfreund: es war jammerſchade, daß Du nicht mit bei der Hochzeit warſt; denn da würdeſt Du mich zum erſtenmal nach Verdienſt gewürdigt haben. Und wenn Du an dem Tage gerufen hätteſt: ‚ O, dieſer Stopfkuchen!‘ ſo würdeſt Du zum erſtenmal vollkommen Recht mit dem Worte gehabt haben, ſowohl was die Braut wie was das Feſtmahl an - betraf. Die reine Hochzeit des Camacho, nur daß ich auch die Maid für mich ſelber behielt! Du weißt, Eduard, daß ich, unter meiner Hecke, allerlei durch - einander zuſammenlas. Aber Du erfährſt vielleicht erſt heute, daß es in der ganzen Weltpoeſie nur eine Schilderung gibt, welche mich ſelber poetiſch ſtimmt, ſtimmte und ſtimmen wird: die Hochzeit des Camacho! O welch einen Hunger muß der Sennor Miguel bei der Ausmalung der Vorbereitungen zu der wunder - baren ſchmalzreichen, bratenfettglänzenden, zuckerig - inkruſtirenden Abfütterung gehabt haben! ſeinen ſüd - ländiſchen, mäßigen, nach Ziegenfellſchläuchen duftenden192 Durſt ſelbſtverſtändlich gar nicht mitgerechnet. Unter der Hecke noch hatte ich mir ſchon als Junge feſt vorgenommen, nur bei ähnlichen, oder vielmehr nur bei gleichen Keſſeln, Pfannen, Töpfen[und] Bratenwen - dern auch einmal ein Mädchen glücklich zu machen! Jetzt war ich ſo weit und konnte die Gegend einladen, mir über die Hecke bei dem Vergnügen zuzuſehen. Tinchens Meinung war das ſo; aber nicht die mei - nige, und das bräutliche Kind gab nach, wenn auch ſeufzend: ‚ Aber es hat ja Keiner das um uns ver - dient!‘ — ‚ Grade deshalb, ‘ſprach ich, ‚ einen Spaß will doch der Menſch an ſeinem ernſten Hochzeitstage haben, alſo laß mir dies Vergnügen. Und dann ſollſt Du mal ſehen: der Scherz lohnt ſich zugleich und hat Folgen. ‘— ‚ Du meinſt, ſie vergeben uns nachher das Leid, das ſie uns angethan haben, und die rothe Schanze darf ſich wieder ſehen laſſen unter den Leuten?‘ — Auf dieſe lächerliche Frage antwortete ich gar nicht; ſie war zu entſchuldigen, aber zeugte doch von allzuwenig Menſchenkenntniß. Ich wuſch, wie Euer Ketſchwayo ſich ausgedrückt haben würde, Eduard, meine Speere in den Eingeweiden der um - wohnenden feindlichen Stämme: frei Futter wurde für den Tag ausgerufen, ſo weit das Gerücht von Kienbaum und Kienbaums Mörder gereicht hatte, und ich habe ſie Alle, oder doch beinahe Alle, auf Quakatzens Hofe gehabt an dem menſchenfreund - lichſten Tage meines Lebens. Sie haben uns Alle, bis auf Wenige, welche ich für magenkrank hielt, die Ehre gegeben: der Fleiſchtopf rief, und Alle, Alle193 kamen, und ich ſtand am Thor und empfing ſie, begrüßte ſie und lud ſie ein, noch näher zu treten: mit allen Kulturerrungenſchaften der Jahrtauſende im Buſen. Ich bin feſt überzeugt, ich habe der Welt nie ſo dick und zwar ſo dick-deutſch-gemüthlich ausge - ſehen, wie an jenem ſonnigen Sommermorgen. Die Hunde hatte ich eingeſperrt, doch davon ſpäter! “
„ Ich kann dies nicht mehr anhören! “rief Frau Valentine. „ Ich kann es wirklich nicht, Herr Eduard. O, und Dein alter, guter Vater, Heinrich?! “
„ Jawohl, der kam auch, zum erſtenmal in ſeinem Leben über den Graben des Prinzen Xaverius, und zwar in ſeinem Hochzeitsfrack, und bedauerte an dieſem feſtlichen Tage zum erſtenmal in ſeinem Leben es nicht mehr, mich in die Welt geſetzt zu haben. Hätte ich Dich denn genommen, Wurm, wenn ich nicht genau gewußt hätte, wie niedlich und töchterlich, ſchwieger - töchterlich Du Dich gegen den braven alten Hämorrhoi - darier benehmen würdeſt? Wie er ſich mir zu liebe nachher ſogar auf die Paläontologie geworfen hat, habe ich Dir ja wohl ſchon erzählt, Eduard? Die Hauptſache übrigens an jenem Tage, Tinchen, war nicht mein Vater, ſondern Deiner. “
„ O Gott, ja, ja, ja! “
„ Wir hatten ihn nämlich ausnehmend wohl unter uns, Eduard. Auch Doktor Oberwaſſer, Du kennſt ihn ja als Langdarm, wie ihr ihn zu unſerer Zeit im Gegenſatz zu mir nanntet, und haſt ihn viel - leicht im Brummerſumm eben ſo feiſt jetzt als wie mich wiedergefunden — alſo auch Doktor Oberwaſſer warW. Raabe. Stopfkuchen. 13194mit herausgekommen und gab uns die Verſicherung: ‚ Unter guter Pflege, bei freundlichem Eingehen auf ſeine Schrullen und bei möglichſter Vermeidung alles Widerſpruchs kann euch der alte Sünder noch lange auf dem Halſe liegen. ‘— Nun, wir haben ihn gott - lob noch eine geraume Zeit bei uns behalten, und an jenem feſtlichen Tage als leuchtend pſychologiſch Exempel des Wandels des Menſchen unter Menſchen. Was war mir Freund Oberwaſſer? Ich rieb mir ver - ſtohlen die Hände, ob meiner eigenen pſychiatriſchen Be - handlung des Vaters Quakatz! Der nahm, weiß Gott, ganz ſelbſtverſtändlich, den Honorationenzuſammenlauf auf der rothen Schanze, der fröhlich meinetwegen ſtatt - fand, für eine Ehre und Ehrenerklärung, die ihm ange - than wurde. Und das brauchte mir Freund Langdarm wahrlich nicht noch anzuempfehlen, und dem Tinchen auch nicht, daß wir ihn bei ſeiner Höflichkeit, ſeinen Komplimenten und ſeiner innerlichen Genugthuung ließen. Übrigens ſaß er dann doch auch wieder in ſeinem Ehrenſtuhl wie ein echter Roi des gueux; denn das hatte ich mir auch nicht nehmen laſſen, ich hatte ihm auch Die eingeladen, welche ihn niemals aufgegeben hatten. Ein ausnehmend reichhaltiges Lumpenkontingent von unter den Hecken und Land - ſtraßen weg war nicht von dem Wall und Graben ſeiner kurſächſiſchen und königlich polniſchen Hoheit zurückgewieſen worden. Die Fahne mit dem Salve hospes wehte für Alle, und alle Hunde lagen, wenn nicht an der Kette, ſo doch im feſt umfriedeten Hof - raum, für heute und von nun an für immer ihrer195 Wacht auf der rothen Schanze entledigt. Wenn aber wer vor den gefüllteſten Freßnäpfen und umgeben von Bergen abgenagter Knochen mit Hochzeit feierte, ſo war ſie es, die alte, treue, gute Wachtmannſchaft der alten rothen Schanze und meiner jungen Frau! Ich ſtahl mich gleich nach dem Tuſch oder Trink - ſpruch aufs Brautpaar, aus dem Kreiſe der Freunde und Bekannten fort und ging mal zu ihnen hinein in ihren abgeſchloſſenen Bezirk hinter dem Hühner - hofe. Sie lächelten mich ſämmtlich an, das heißt, ſie wedelten ſämmtlich mit den Schwänzen bis auf den Braven, der es nicht konnte, weil ihm ein Mai - holzener Halunke den wohlwollenden Appendix dicht an der Wurzel abgehackt hatte. Der aber rieb zärt - lich winſelnd ſeine Naſe an meinem Bein und ge - ſtand mir ſo zu: ‚ Na ja, Du weißt es wirklich, was das Beſte für uns hier auf der rothen Schanze iſt!‘ — ‚ Nach meinem Mädchen habt ihr das wohl zuerſt herausgeſchnüffelt?‘ fragte ich dagegen, dem alten Veteranen die Hand aufs Haupt legend. Ich meine, Eduard, wir hatten Beide recht: der Eine mit ſeiner Bemerkung, der Andere mit ſeiner Frage. “
„ Ich ſage garnichts mehr! “ſagte Frau Valen - tine Schaumann.
„ Und da haſt wieder Du Recht, “ſeufzte Heinrich, trotz der Abendkühle ſich immer doch noch mit dem Taſchentuch über die Stirn fahrend. „ Aber wenn Du doch noch etwas ſagen willſt, ſo komm jetzt damit heraus und nicht wenn Eduard wieder weg iſt, ſo -13*196wohl heute Abend wie ſpäter auf ſeinem weitern Wege nach Afrika. Nun? Sprich aus! “
„ Nein! “ſagte Frau Valentine, mit dem Taſchen - tuch ſich an die Augen fahrend.
„ Schön. Es wird Eduarden aber auch wohl ſo am liebſten ſein; denn was ſoll dieſer Weltwanderer und Abenteurer auf ſeiner demnächſtigen Fahrt über das große Weltmeer eigentlich von uns denken, wenn das mit unſern Lebensabenteuern und unſerer Er - zählungsweiſe noch lange auf dieſe Weiſe weitergeht? “
[E]twas Beſonderes iſt auf dem Schiffe nicht vor - gefallen und ſcheint auch nicht paſſiren zu ſollen. Wir haben Sankt Helena angelaufen. Aber ich war ſchon einmal in Longwood und habe mir nicht zum zweitenmal die Mühe gegeben, die entſetzlichen Treppen zu ſteigen, um die abgebleichten, zerfetzten Tapeten zu ſehen, auf welchen das Auge von den Pyramiden, von Auſterlitz, Jena, Leipzig und Waterloo in ſeinen letzten Lebensfieber-Tagen und - Nächten das Muſter gezählt hatte. Ich gehe an Deck, wo der Kapitän den Kindern auf ſeinem Schiffe, natürlich aus der erſten Kajüte, den Kindern zu liebe, noch einmal einen Haifiſch hat fangen laſſen, aus deſſen Bauche ſich aber gottlob diesmal nichts dem Menſchen allzu Greuliges entwickelt. Das Vieh hat natur -197 geſchichtlich-ausnahmsweiſe keinen Menſchen gefreſſen, hat kein halb verdautes Matroſenbein, oder keine, noch auf ein Brett gebundene Kindesleiche in ſich. Es hat nur gegeſſen, was ihm ſonſt aus der Natur - geſchichte als zu ſeiner Nahrung gehörig geboten wurde, und ich gehe bei ruhigſtem Wogengang wieder hinunter in den Rauchſalon und laſſe Stopfkuchen weiter erzählen.
Er that's; denn die Unterbrechung an dieſer Stelle meines Logbuchs kam nicht auf ſeine Kappe. Er berichtete:
„ Am Morgen nach der Hochzeit traf natürlich nur das ein, was ich ſchon längſt im voraus gewußt hatte. Ich lag auf der rothen Schanze, wenn auch nicht an der Kette,[ſo doch] im beſchloſſenen Bezirk. Und daß der gefüllte Freßnapf dazu gehörte, war für ſämmtliche Feſtgäſte des vergangenen ſchönen Tages im mehr oder weniger behaglichen Nach-Verdauungs - gefühl Glaubensartikel Numero Eins im antheil - nehmenden Hinblick auf mein ferneres Lebensglück. Ja, ich hatte es nun, was ich hatte haben wollen. Ich ſaß mitten drin in meinem Ideal, und ich war mit meinem Ideal allein auf der rothen Schanze. Am Lendemain ſtand ich mit meiner jungen Roſigen auf dem Wall, der unſer junges Glück umſchloß und ſah auf Dorf und Stadt hinunter und in die ſchöne Natur hinaus und ließ mich recht unnöthigerweiſe auf eine Verſtändigung ein. ‚ Kind, ‘ſagte ich, ‚ daß wir jetzt ins Weite gehen, geht nicht. Dazu habe ich mir doch nicht ſo große Mühe um Dich gegeben. 198Wir haben annähernd den Papa wieder unter uns Menſchen. Es war zwar nicht hübſch anzuſehen, wie die Verbindung ſich wiederherſtellte; aber was hilft es? es muß doch unſere Sorge ſein, daß ſich der Zuſammenhang nicht wieder löſe. Alſo — pflegen wir den Vater weiter, wie ich angefangen habe! Sollteſt Du ſpäter einmal Berlin, Petersburg, Paris, London, Rom und dergleichen doch zu ſehen wünſchen, ſo watſchele ich natürlich mit, oder hinter Dir drein. Aber Eile hat es damit nicht. Augenblicklich haben wir noch ganz andere Dinge und Herrlichkeiten vor der Hand. ‘ Das hatten wir in der That. Die rothe Schanze zu erobern, war verhältnißmäßig recht leicht gegen die Aufgabe, ſie zu erhalten und ſich in ihr, und das letztere noch dazu mit Sack und Pack, mit Weib und Schwiegervater. Tinchen, es iſt mein beſter Freund, dem ich hiervon jetzt erzähle, und er kan[n]Alles hören. “
„ Mich haſt Du freilich ſchon lange gewöhnt, Alles von Dir zu hören, “ſeufzte Frau Valentine Schaumann.
„ Meinſt Du? “fragte ihr Mann. „ Heute Abend noch hoffe ich Dir das Gegentheil zu beweiſen. Wenn es irgend möglich iſt, laſſe ich Dir morgen von Andern zutragen, was ich Dir heute Abend noch ſagen könnte. “
„ O Gott, doch nicht in Sachen Kienbaums? “
„ Ich war unbedingt der ſchwerwiegendſte latei - niſche Bauer, den die Göttin der Geſchichte der Land - wirthſchaft je auf ihre Wagſchaale gelegt hat, Eduard. 199Ich beſtellte den Acker, von dem ich aß, aber ich ſah auch die dazu gehörigen ſchriftlichen Dokumente und ſonſtigen Papiere im Schreibſchranke meines armen närriſchen Schwiegervaters nach. Ich beſtellte auch das Vermögen, welches er in Schuldverſchreibungen, alſo nicht bloß in rund um die rothe Schanze liegenden, nicht nur in paläontologiſcher Hinſicht fruchtreichen Gründen beſaß. Des Volkes Stimme erklärte mich darob für den Schlaueſten aber auch Gewiſſensloſeſten aus ſeiner Mitte. Es hat ſo was, wie Du weißt, lieber Freund, von Zeit zu Zeit nöthig, um ſich ſelber vor ſich ſelbſt eine ethiſche Haltung zu geben. Du lieber Himmel, wie waren ſie mit dem Andres Quakatz, mit Kienbaums Mörder, trotzdem, daß ſie garnichts von ihm wiſſen wollten, in Geldangelegenheiten intim umgegangen! Was Alles hatte ſich vertraulich, Zu - trauen gegen Zutrauen ſetzend, an ihn gemacht mit ſchlechten und guten Aktien, mit Pfandſcheinen, H[y]po - theken, Bürgſchaften und was ſonſt im wechſelnden Verkehrsleben vorkommt. Bei drei Feuerverſicherungs - agenten hatte der alte Herr die rothe Schanze ver - ſichert, weil ſie ihm verſichert hatten, daß ſie feſt überzeugt ſeien, er habe Kienbaum nicht todtgeſchlagen. Ich gebe Dir da einen Faden in die Hand, an dem Du Dich, ſo weit es Dir beliebt, in das dunkle Labyrinth, in das ich den Tag einzulaſſen hatte, zurücktaſten magſt. Mir erlaß eine weitere Ausführlichkeit. Kurz und gut, der Fluch Adams, ſoweit er den Acker, das Graben, Hacken, Pflügen, die Kartoffel -, Heu - und Getreideernte angeht, war eine Erholung gegen das200 nächtliche Graben, Pflügen und Roden am Schreib - tiſche. Uh je, Eduard, hätte ich da nicht das Tinchen, das Kind mit ſeinem Strickzeuge, ſeiner Welterfahrung, ſeinen, am Abend öfters recht altklugen, aber am andern Morgen manchmal zum Erſtaunen ſchlauen Zuflüſterungen bei mir gehabt! und die beiden arbeits - harten Bauernpfötchen, wenn ſie mir meine zwei weichen Bildungsmenſchenhände von den fiebernden Schläfen ſanft herniederzog: ‚ O Heinrich, Du thuſt es ja mir zu liebe, und, ſieh nun mal zu, den fehlenden Reſt von Kleynkauers Schuld findeſt Du vielleicht noch auf ſeinen Schwiegerſohn, der den Ausſpann drunten in der Stadt hat, und auf ſeine zugekaufte Wieſe hinter ſeinem Hauſe, ins Schuldbuch einge - tragen!‘ — Eduard, auch Du haſt es im Kaffern - lande zu einem Vermögen gebracht: bitte, überhebe Dich nicht Deiner Anſtrengungen dabei! Sieh, da fängt das Kind zu guterletzt auch noch an zu weinen, weil ſie es mir überlaſſen muß, Dir zum Schluß mitzutheilen, daß es uns — ihr und mir — gelungen iſt, dem Vater ein bißchen von ſeinem Recht[a]n der Lebensſonne in den Belagerungsaufwurf des Comte de Lusace, den Ofenwinkel hinein und auf das wirre Haupt und über die geſchwollenen Kniee und die tauben Füße leuchten zu laſſen. “
„ Ja, ja, ja, Herr Eduard! “ſchluchzte die Erb - tochter der rothen Schanze, Quakatzens Tochter; doch Heinrich Schaumann ſchien weniger denn je in dieſem Logbuch des Lebens Sinn zu haben für ſolche Rührung. Er zog bloß die Augenbrauen etwas tiefer herunter201 und murrte (zum erſtenmal in ſeiner Erzählung machte ſich hier ſo etwas wie ein leiſes Knurren geltend) und murrte: „ Ja, ja, ja! da ſie mich zu grüßen hatten, ſo grüßten ſie auch ihn wieder, und der Menſch iſt ſo, Eduard! es machte dem greiſen Sünder wirklich Spaß, es machte ihm das höchſte Vergnügen, noch einmal ſeine Zipfelkappe vor der albernen Welt freundlich zum Gegengruß lupfen zu dürfen. Er iſt hinübergegangen in der vollen Über - zeugung, unter der Menſchheit in integrum reſtituirt wor[de]n zu ſein. Was für eine Ehrenerklärung ihm drüben, droben, vom aller - allerhöchſten Thron und Gerichtsſitz zu theil geworden iſt, kann ich leider nicht ſagen. Und nun — nun, Tinchen, altes, tapferes Herz, und Du, Eduard, fernſter, das heißt entfernteſt wohnender Freund meiner Jugend, nun werde auch ich ihm ſein letztes Recht zu theil werden laſſen. Wer weiß, ob der höchſte und letzte Richter mich nicht bloß deshal[b]ſo fett und ſo gelaſſen in die hieſige Gegend abgeſetzt hat? Was die Gelaſſenheit anbe - trifft,[ſo]ll er wirklich den Richtigen an mir gefunden habe[n]. Alſo, wenn Du nichts dagegen haſt, begleite ich Dich nachher ein Stück Weges auf Deiner Rück - fahrt nach Afrika. “
„ Heinrich?! “rief die Frau, beide Hände zu - ſammenſchlagend.
„ Frau Valentine Schaumann?! “mimte der Gatte ihr den Ton alleräußerſter Verwunderung nach.
„ Herr Eduard, “rief die Frau, „ er hat mir Rom, Neapel, Berlin und Paris und dergleichen nicht ge -202 zeigt, und ich hatte auch nie ein Bedürfniß danach; aber er hat ſelber auch nie ein Bedürfniß danach gehabt! Er hat ſeit unſerer Verheirathung keine ſechsmal den Fuß über unſer Beſitzthum und ſeine Knochenſucherei in der nächſten Nähe hinausgeſetzt. In die Stadt geht er nur, wenn ihm eine Behörde dreimal ein Mandat geſchickt hat und zuletzt mit Ge - fängniß droht! Er macht mich ſchwindlig mit ſo einem Wort, wie er eben geſprochen hat! “
„ So ſind die Weiber! “ſeufzte Stopfkuchen. „ In Paris, Berlin und Rom hatten wir eben nicht das Mindeſte zu ſuchen; aber in der Stadt dort unten haben wir heute Abend ausnahmsweiſe noch ein Geſchäft. Wir, Frau Valentine Schaumann, geborene Quakatz! Sollteſt Dich doch auch heute Abend noch einmal darauf verlaſſen, daß ich weiß, was für unſere Ge - müthlichkeit das Zweckmäßigſte iſt? “
„ O Heinrich, das weiß ich ja! “rief die Frau, zitternd den Arm ihres Mannes faſſend und ihm ängſtlich in die Augen ſehend. „ Aber das iſt heute Abend doch ganz was Anderes als wie ſonſt! Du erzählſt freilich den ganzen Tag durch nach Deiner gewöhnlichen Art das Schlimmſte und das Beſte, das Herzbrechendſte und das Dummſte wie als wenn man einen alten Strumpf aufriwwelt; aber jetzt ſollteſt Du damit aufhören und Rückſicht auf mich nehmen: gerade wenn Du mich auch zu allen übrigen Frauen auf Erden rechneſt. Es iſt mein Vater, von dem Du ſo erzählſt! es iſt meine kümmerliche Kinder - angſt und Jugendnoth, von der Du ſo ſprichſt! 203Und — Herr Eduard, er ſtellt ſich ja auch nur des - halb ſo albern, weil er es wieder nicht an die große Glocke hängen will, was er eigentlich Gutes an uns gethan hat! Nun ſieh mir in die Augen, beſter Heinrich, beſter Mann, und habe noch einmal Mitleid mit mir! Es iſt des Vaters letzter vollſtändiger Rechtfertigung wegen, weshalb Du jetzt mit Deinem Freunde in die Stadt willſt; und — und Du willſt mich nicht dabei haben! O Mann, Mann, ich ge - höre aber doch dazu, und Du mußt mich dabei ſein laſſen. Nicht wahr, Du nimmſt mich mit Dir in die Stadt? “
„ Nehme ich Dich mit in die Stadt? “murmelte der jetzige unbeſtrittene Herr auf der rothen Schanze, trotz aller rührenden Bitten ſeinem Weibe nicht in die Augen ſchauend, ſondern, nachdenklich und zweifelnd, nur nach oben ſehend. Erſt nach einer geraumen Weile ſagte er: „ Wie Du willſt, mein Kind. Hm, hm, wenn Deine Küche — wenn Du nicht meinſt, daß Du in Deiner Küche — Eduard bleibt doch auch wohl zum Abendeſſen — “
„ Menſch, Menſch, “rief aber jetzt ich, „ Unmenſch, ich bin ſatt! Jetzt hörſt Du endlich hiermit auf, und quälſt mir Deine Frau in dieſem Augenblick nicht länger! Was haſt Du ihr? was haſt Du uns zu ſagen? Kannſt Du es denn wirklich nicht hier auf Deiner Verſchanzung, in dieſer Stille, bei dieſem Abendſchein über unſerer Erde mittheilen? “
„ Du wünſcheſt lieber hier im Freien mit dem204 Graun zu Nacht zu ſpeiſen und Dich zu ſättigen mit Entſetzen, Eduard? Hm, hm, hm — “
Und jetzt nahm er zärtlich ſein Weib in ſeine Arme und küßte es und ſtreichelte ihm die Wangen und fuhr ihm koſend, beruhigend über das Haar:
„ Mein Herz, mein Kind, mein Troſt und Segen, es iſt ſo ein alberner, alter, abgeſtunkener Unrath, den ich aufzuwühlen habe, weil es am Ende wohl nicht anders geht. Wie gern hielte ich den letzten, öden, faden Geruch, der davon aufſteigen wird, ganz fern von unſerer Verſchanzung, wie Eduard eben die Sache mit dem ganz richtigen Namen genannt hat! Das kann ich nicht; aber — ich kann Dir davon erzählen in dieſer Nacht, ſo nach Mitternacht, wenn wir Beid[e]die Nachtmützen übergezogen haben, — ich kann Dir dann auch beſſer, wenn alles ſtill iſt, über Quakatzen - burg — oben die Sterne und unten die Gräber, ſagt der alte Goethe — die dazu gehörigen Bemer - kungen machen — “
„ Ich bleibe zu Hauſe und warte wieder auf Dich, Heinrich, “ſagte die Frau. Sie weinte, ſie war in großer Aufregung, und ihr Dicker war unerträglich für jeden Andern, in ſeiner Art, ſich zu geben und Andere dran theilnehmen zu laſſen; aber ſie war nicht bloß eine gute, ſondern ſie war auch eine glückliche Frau.
„ Siehſt Du, das war wirklich im Grunde meine Meinung, Tinchen! Da — hier dieſer gute Freund, dieſer Eduard, reiſt morgen — übermorgen, oder in drei Wochen ab und zwar zu Schiffe. Er geht, wie205 man das im hohen Ton nennt: aufs hohe Meer. Dort weht gewöhnlich ein friſcher Wind, und der Mann ſieht auch unterwegs nur lauter andere Ge - ſichter, nicht wie wir hier immer dieſelbigen. Dem glücklichen Kerl will ich friſch dieſen Duft der Heimath von der Lagerſtelle aus mit auf die Reiſe geben, und dann iſt er gewiſſermaßen auch ſogar dazu be - rechtigt. Er ſteckt perſönlich viel tiefer mit drin, als er es ſich jetzt noch vermuthet. Ja, ja, guck nur, mein Junge! mach 'mir nur große Augen! Alſo, Du willſt wirklich nicht mit uns zu Abend eſſen? Na, dann unterhalte Du jetzt meine Frau ſo lange, bis ich die nöthige Toilette gemacht habe. “
Er erhob ſich ſchwerſtöhnend von der Bank auf dem Walle des Prinzen Xaverius, griff, die erloſchene Pfeife in der Linken, mit der Rechten zärtlich ſeinem Weibe unters Kinn und ſagte:
„ Ja, bleib Du lieber hier Oben in der guten, lieben Luft unſerer Schanze, Herz. Es iſt ein zu angenehmer Abend und zu hübſch ſtill, nur noch mit den ſpäten Lerchen in der Luft! Dieſem Weltwanderer wird der Seewind und vielleicht ſo 'n kleiner Schiff - bruch mit intereſſanter Rettung und dergleichen den fatalen Geruch von da unten wieder aus der Naſe fegen. Und dann ſehe ich ihn leider vielleicht in meinem ganzen Leben, nach ſeiner Abreiſe natürlich, nicht wieder und habe ihm alſo auch nicht Beruhigung, Seelenruhe zuzuſprechen und Geſpenſtergeſindel aus der Phantaſie weg zu kehren. Aber mit Dir — zwiſchen uns, mein armes Herz, iſt das eben eine andere206 Sache. Dich habe ich nun einmal bei gutem und bei ſchlechtem Wetter, bei Zahn - und Leibweh und allen übrigen Lebensnöthen und Gebreſten auf dem Halſe, und zugleich die Pflicht, doch auch mich in jeglichem Verdruß und Elend, bei jedwedem Geſpenſter - ſehen aufrecht zu erhalten. Was willſt Du jetzt perſönlich Dein altes Näschen in den Olimsblutund - verweſungsquark hinein ſtecken? Siehſt Du, ich bringe nur Eduard ein Stück Weges auf den Weg und nachher — nach Mitternacht; — na, wie geſagt, Eduard, jetzt unterhalte Du meine Frau ein bißchen: ich bin ſofort wieder bei euch. “
Er wackelte ſchwerfällig dem Hauſe zu, und ſein Weib und ich ſahen ihm von der Bank aus über die Schultern nach, ſahen ihn unterwegs noch einmal anhalten, um ſeinen Kater zu ſtreicheln und ſahen ihn in der Thür mit der Überſchrift: Gehe heraus aus dem Kaſten! verſchwinden. Dann erſt griff die Frau wieder nach ihrem Taſchentuch und rief:
„ Was ſagen Sie nun zu ihm? Hier ſitze ich nun in der lieben Abendſonne ſo ſtill und gut, wie er ſagt. O ja! und Sie, lieber Herr Freund, ſehen es mir auch nicht zu ſehr an, wie ſehr dieſe heutige Nachricht mich innerlich aufregt! Ein Anderer als wie Sie, der ſelber ſoviel durchgemacht hat, würde207 auch ganz gewiß meinen: dies iſt denn doch eigentlich zu arg! und er hätte ganz gewiß nicht Unrecht. Aber ſo iſt er nun, — meinen Heinrich meine ich. Er erfährt das Wichtigſte und Schrecklichſte, was Herz und Seele bewegen kann und läßt dabei ſeine Pfeife nicht ausgehen. Sagt keinen Laut bis es ihm paßt! Und ich — ich, meines armen Vaters Tochter, ich habe ſo eine unruhvolle, ſchlimme Kinderzeit, mit Steinwerfen, Fingernägelkratzen gegen Jedermann durchlebt, daß ich mich gern und willig nun in meinen jetzigen Jahren in Alles füge und bei ſeinem Beſſerverſtehen nach nichts frage, ſondern auch meine Ruhe behalte, obgleich das eigentlich leider Gottes garnicht in meiner Natur liegt. Ich weiß es ja wohl, daß wir jetzt, Gott ſei Dank, hier auf der Schanze ſo ſtill für uns hinleben, daß wir für Alles Zeit haben. Daß wir für Alles die Zeit abwarten können, wo wir uns Alles ſagen, am Mittage oder um Mitternacht: das Schlimmſte und das Beſte. Ich kenne auch gottlob, jede Fiber in ſeiner Seele und daß er kein Geheimniß vor mir hat; denn ſonſt würden wir ja auch nicht ſo leben, wie wir leben: aber was zu arg iſt, iſt zu arg! und eine Tochter bleibt doch immer eine Tochter, und eine Frau eine Frau, ja und, Herr Eduard, und ein Frauenzimmer ein Frauenzimmer: er kennt Kienbaums Mörder, er kann ihn vielleicht heute ſchon aufs Schaffot bringen, und er hat des Bauern Quakatz Tochter von der rothen Schanze zum Weibe und nimmt die Sache ſo, als ſtecke er den Kopf aus dem Fenſter und ſage:208 ‚ Schwül genug war's den Tag über, vielleicht giebt es doch ein kleines Gewitter!‘ .... Ich bitte Sie, beſter Herr, was ſagen Sie hierzu? “
„ Daß ihr Zwei das glücklichſte Ehepaar ſeid, das ſich je zu einander gefunden und in einander hinein gelebt hat! Und daß Stopf — mein Freund Heinrich vollkommen Recht hatte, wenn er unter ſeiner Hecke liegen blieb und hinter uns anderen jungen Narren höchſtens dreingrinſte, wenn er uns unſere Wege laufen ließ, oder wie wir damals meinten, laufen laſſen mußte. “
„ O, Herr Eduard, nennen Sie meinen Mann dreiſt auch vor meinen Ohren Stopfkuchen! den Namen verdient er ebenfalls mit vollem Rechte, “lächelte trotz ihrer Aufregung und durch ihre Thränen Frau Valentine. „ Das heißt, “fuhr ſie dann aber doch zärtlich allem Mißverſtändnis vorbeugend fort, „ daß er das Leben und ſein Gutes haſtig und gierig in ſich hineinſtopfe, kann man wirklich auch nicht ſagen. O nein, wie er ſich die gehörige Zeit beim Eſſen nimmt, ſo thut er's auch in allen anderen Angelegenheiten und Dingen. Wir erfahren's ja eben gerade zu jetziger Stunde im allerhöchſten Maaße! Aber es iſt nun einmal ſo, und daß ihn der liebe Gott ſo zu meinem Beſten erſchaffen hat, davon bin ich nicht bloß im Großen und Ganzen feſt überzeugt. Ich hoffe es in meinen ſtillen liebſten Stunden gleich - falls, daß ich auch meinerſeits ſo von der Vorſehung wie ich bin für ihn gemacht bin, und daß es wohl auch ihm recht einſam und elend in der Welt wäre,209 wenn er mich nicht darin gefunden hätte! Aber daß wir hier auf der rothen Schanze Jedermann draußen als ein wunderliches, wunderliches Geſpann vor - kommen müſſen, das glaube ich Jedem, der es mir ſagt, auf ſein Wort, da ich es mir ſelber oft genug ſelbſt ſage ..... Liebſter Himmel, iſt er denn ſchon mit ſeinem Anzuge fertig? ohne mich dreißig Mal dazu gerufen zu haben, ſelbſt wenn er bloß auf ſeine verſteinerten Knochenexpeditionen gehen will? O Gott ja, ja, auf welche noch ältere und viel ſchlimmere Todtengräberei will er aber auch jetzt gehen? “
Da war er wieder. Halb Pfarrherr, halb Land - bebauer, aber ganz der dicke Schaumann! — Er trug jetzt einen langen, ſchwarzen Laſtingrock, eine aufge - knöpfte Sommerweſte, ein loſes Halstuch, einen breit - rändigen braunen Strohhut und war in ſeinen hellen Sommerhoſen geblieben. Einen derben Gehſtock führte er auch mit ſich und hatte ihn jedenfalls zu ſeiner Stütze nöthig. Gegenwärtig aber nahm er ihn unter den einen Arm und legte den anderen um ſein Weib:
„ Küſſe mich, Andromache, und ſieh mir nach von der Mauer von Ilion; aber ängſtige Dich um Gotteswillen nicht um mich. Den hellumſchienten Achaier von da unten, möchte ich ſehen, der es fertig kriegte, Patroklos Schatten zu Ehren und zur Rache, den dicken Schaumann um ſeinen Burgwall herum in Trab oder Galopp zu bringen. Da haſt Du noch einen Kuß und nun laß mich aus Deinen Armen. Ich gebe Dir mein Wort darauf, ich komme heil und möglichſt unverſchwitzt wieder nach Hauſe undW. Raabe. Stopfkuchen. 14210bringe Dir auch, wenn nichts Hübſches ſo doch recht Beruhigendes mit. Eduard wird dabei ſein, wie ich das Blut beſpreche, Kienbaums Manen Genugthuung verſchaffe, und auch meinerſeits die Erynnien veran - laſſe, endlich hübſch die Thür hinter ſich zuzumachen und die rothe Schanze in Ruhe zu laſſen. “—
Ich hatte nun Abſchied von der lieben Frau Valentine zu nehmen, und natürlich zu verſprechen, daß mein erſter Beſuch nicht der letzte geweſen ſein ſolle. Der Freund ſchritt mir über ſeinen verwachſenen Dammweg voran, ohne ſich um zu blicken; ich aber that das noch mehrere Male und ſah des Bauern Quakatz Tochter auf der Höhe der Kriegsſchanze des Prinzen Xaver von Sachſen ſtehen. Eine tiefe Rührung, doch eine behagliche, überkam mich dabei und aus vollem Herzen ſagte ich:
„ Die Gute! Sie hat es wahrhaftig wohl ver - dient, daß ihr weich gebettet werde. Heinrich, möget ihr noch lange unter euren grünen Sommerbäumen und an eurem Winterofen ſitzen und der Welt ihren Lauf laſſen. “
„ Amen! und nachher in Ein Grab gelegt werden und ein Menſchenalter durch ſpuken gehen und einer reſpektablen Nachbarſchaft zum Überdruß werden, “ſagte Stopfkuchen. —
Es begegneten uns bald Leute, die uns erſt verwundert anſtarrten, und wenn wir ihnen vorbei waren, ſtehen blieben, uns nachblickten und ſicherlich murmelten:
„ Jeſes, der dicke Schaumann hier draußen?! “
211Dieſes Aufſehen, das wir machten, nahm zu, je mehr wir uns der Stadt näherten und bürgerliche, ſtädtiſche Gruppen oder Einzelläufer als Abendſpazier - gänger uns entgegen kamen.
Einige Male wurden wir nun auch angehalten und die verwunderte Frage: was ihn denn in die Stadt treibe? wurde dem Freunde in Worten und perſönlichſt nahe gelegt.
„ Höflichkeitsgeſchäfte! Mein Freund Eduard fährt nach dem Kap der guten Hoffnung nach Hauſe, und ich bringe ihn bloß ein bißchen auf den Weg. Übrigens hat er auch heute Mittag bei mir gegeſſen. “
Mehr als einmal vernahm ich dann das Wort:
„ Iſt es die Möglichkeit? “....
War der Tag ſchön geweſen, ſo war der Abend wundervoll. Tiefer Friede in der Natur, und die Stadt ſtill und reinlich! Es war immer ein Ge - meinweſen geweſen, das auf Reinlichkeit, Ordnung, grüne Bäume auf den Marktplätzen und in den breiteren Straßen, auf ſprudelnde Brunnen und was ſonſt hierzu gehört, viel gehalten hatte. Auch die Weltgeſchichte, das heißt in dieſem Falle der Prinz Xaver von Sachſen mit ſeinem Bombardement und nach ihm mehrere große Brände hatten das Ihrige gethan, die Stadt dem laufenden Tage hübſch und wohl erhalten zu überliefern, indem ſie manch altes Gerümpel aus dem Wege geräumt hatten. Es war, alles in allem ein Gemeinweſen, in das man gern Abends vom Felde und aus dem Walde nach Hauſe kam, und in welchem man dreiſt die Fenſter öffnen14*212durfte, ohne ſie ſofort wieder ſchließen zu müſſen mit dem Ächzwort: „ Pfui Deibel, ſtinkt das heute mal wieder! “—
„ Lecker, was? “meinte Stopfkuchen, als wir die zierlichen Anlagen, die ſich rund um den Ort zogen, erreichten. „ Es mußte Dich doch recht anheimeln, Eduard, als Du neulich den Fuß wieder herſetzteſt? Der verwöhnteſte Kaffer muß hier Bürgermeiſter, Magiſtrat und Stadtverordnete loben! wie? “
„ Ja wohl, ja wohl! “
„ Hm, hm, und die Kindermädchen mit den ſüßen Kleinen auf den Bänken — alle dieſe lieben Abend - luſtwandler und Wandlerinnen. Alles ſo gemüthlich, ſo behaglich — ſo — unſchuldig! und nun verſetze Dich mal in meine Stimmung, wie ich hier neben Dir wandle, mit der Macht und eigentlich auch der höchſten Verpflichtung, dieſe Idylle heute abend noch in den nächſten Band des neuen Pitaval zu bringen! Jawohl, ja wohl, hier gehe ich neben Dir bis jetzt bloß als der dicke Schaumann durch den Stadtfrieden — wenn ſie morgen von ihm aus nach der rothen Schanze hinüber - und hinaufſehen, werden ſie nur noch vom geheimnißſchwangern, ſühneträchtigen Schau - mann reden, und mich den giftgeſchwollenen Bauch blähen ſehen: Eduard, Du ahnſt es doch nicht ganz, wie unangenehm mir dieſe Geſchichte mit Kienbaum iſt, und wie fürchterlich es mir gegen die Natur geht, daß gerade mir die endliche Abwickelung der Sache aufgeladen worden iſt! Mir! mir! und noch dazu wenn ich mir dabei vorſtelle, was für eine Menge213 Volks ich im Namen der ſogenannten ewigen Ge - rechtigkeit in das himmliſchſte Entzücken verſetze! Denke Dich in meine Nächte, wie ich mir die Leute ſämmtlich perſönlichſt in der Phantaſie vor die Seele halte und bei jedem Einzelnen mich frage: ‚ Was? Dem zum Spaße? Dem zum Vergnügen? Dem zur Genugthuung?‘ — Du lieber Gott, wenn ich nicht doch auch in dieſer Hinſicht eine gewiſſe Ver - pflichtung gegen das Herz — ich meine meine Frau hätte, Eduard! Eine geborene Quakatz bleibt ſie ja nun einmal; und ſo geht es Einem hier immer noch in Europa, wenn man in anrüchige Familien hinein - heirathet. “
Wie die Stadtidylle morgen ſich zu dem Körper - umfange meines Freundes ſtellen mochte: mir ſchwoll er heute ſchon von Augenblick zu Augenblick mehr über jeglichen Rahmen hinaus. Und wie ſeine brave, gute, nette, niedliche Frau war ich ihm ohne jegliches Wort und Widerwort verfallen: mußte ihn reden laſſen, ließ ihn reden, und wartete, jedesmal wenn er mal aufhörte mit innerlichſter Spannung, daß er wieder anfange, ſich gehen zu laſſen und zu reden. —
Trotz aller Annehmlichkeit der Heimathſtadt ver - mieden wir ſie doch fürs erſte: Stopfkuchen führte mich um den „ Wall. “ Weshalb, ſagte er nicht und ich fragte auch nicht danach. Ich hielt es wirklich allmählich für das Beſte, mich ruhig in ſeiner Weiſe von ihm führen zu laſſen.
Dieſer Wall, den einſt der Prinz Xaverius von der rothen Schanze aus beſchoſſen hatte, war jetzt in214 allerliebſte Spaziergänge umgewandelt worden. Theile des früheren Stadtgrabens waren auch noch vorhanden zu hübſchen Teichen auseinandergezogen, umkränzt von Pappeln, Trauerweiden und Luſtgebüſch. Es liefen vom Kern der Stadt Haupt - und Nebenſtraßen auf dieſe Luſtwege hinaus, und eine der Nebenſtraßen führte gleich hinter den Baumreihen und dem Zier-Buſch - werk auch zu dem Viertel der „ kleinen Leute “. Wir nannten das zu meiner Zeit: „ Matthäi am Letzten “, und es hieß auch wohl noch ſo.
Als wir uns der Gegend näherten, fiel es mir recht aufs Herz, wie gut bekannt ich vor Zeiten da - ſelbſt geweſen war, wie gute Freunde ich auch dort gehabt hatte, und was nun Alles zwiſchen den Kinder - tagen und dem heutigen Tage für mich lag.
„ Herrgott, und auch Störzer! “fiel mir ein. „ Auch Der! Und Du wollteſt wieder an ihm vor - beigehen? “ Der Gedanke kam mir wirklich zur rechten Zeit. Was ich nach der Nachricht von Brummerſumm her verſäumt hatte, konnte ich ja jetzt noch nachholen und dem alten, treuen Freunde einen Beſuch abſtatten. Er war in ſeinem Leben und Berufe fünfmal um die Erde geweſen, ohne von Hauſe fortgekommen zu ſein: nun konnte ich, den ſeine Lebensfahrten ſo weit von Hauſe weggeführt hatten, doch noch einmal im Vorbeigehen bei ihm eintreten, und ihm vielleicht überm unteren Ende des Sarges die Hand auf die müden Füße legen.
Ich nahm den Arm meines[Führers]:
215„ Heinrich, ich erinnere mich eben! Es ſind kaum hundert Schritte weit. Da liegt ſein Haus — “
„ Weſſen Haus? “
„ Ja wohl, Du haſt Recht mit der Frage. Der Menſch kommt nie über den Egoismus weg, Alles nur in ſeinen eigenen Gedankenzuſammenhang hin - einzuziehen. Eben fällt mir ein, daß der alte, ſelige Freund, mein alter Landſtraßenfreund Fritz Störzer dort hinter dem Buſchwerk liegt. Wenn es Dir nicht ein zu weiter Umweg iſt, Heinrich, ſo laß uns einen Augenblick abbiegen. Jetzt möchte ich dem alten zur Ruhe gelangten Wanderer doch noch einen Beſuch machen. Was Du nachher noch zu ſagen haſt, weiß ich ja noch nicht; aber ſei Deine Räthſellöſung auch noch ſo grimmig; ich glaube, ich kann mir ein Stück beruhigender Antheilnahme jetzt am beſten von dorther holen. “
„ Wenn Du meinſt? Ei wohl, das iſt ſein Schornſtein hinter den Baumwipfeln. Der brave Störzer! Nun, Zeit haben wir zu dem, was Du meine Räthſellöſung nennſt nachher immer noch, und ein großer Umweg zu dem alten, guten Kerl iſt's gerade auch nicht. Ich bin ganz zu Deiner Ver - fügung. “
So bogen wir ab von dem „ Wall “, hatten aber gerade jetzt noch einem Ehepaar, das mit Töchtern ſeinen Abendſpazirgang um ihn herum machte, und den dicken Schaumann auch kannte, Rede zu ſtehen auf die verwunderte Frage: „ Herrje, wie kommt denn das, daß man Sie einmal in der Stadt ſieht? “
216„ Es macht ſich eben ſo “, erwiederte Stopfkuchen gemüthlich. „ Ich weiß im Grunde eigentlich auch ſelber nicht, wie ich zu dem Vergnügen komme. “
Es war ein Glück, daß unſer Weg zur Seite ab in das am wenigſten reſpektable Viertel der Stadt führte; die Herrſchaften würden uns ſonſt wohl gern ein Stück weit drauf begleitet haben: dieſe Begegnung war doch zu intereſſant! —
Es giebt viele Unmündige in jenem, durchaus nicht nach dem Muſter größerer Städte unfreund - lichen, unheimlichen Stadttheile; und ſie befanden ſich um dieſe liebe Abendſtunde natürlich alle in den Gäßchen und Sackgäßchen. Vollkommene Rührung überkam mich nun, wie ich daran dachte, wie lange und doch wie kurz es her ſei, daß auch ich, unter den Augen Störzers hier die Rinnſteine abgedämmt und den Leuten den Weg verſperrt habe. Und noch immer ſtanden die Mütter mit den Kleinſten auf dem Arm in den Hausthüren, und noch immer roch es nach Eierkuchen und Ziegenſtällen, und noch immer wurde Salat gewaſchen. Der ſymboliſche Begleiter des Evangeliſten Matthäus iſt ja eigentlich ein recht ſchöner Engel; aber im Sankt Matthäusviertel da war und iſt das nicht der Fall. Da iſt es das Schwein, das Haupt - Segens - und Glücksthier des „ kleinen Mannes “, und man hörte es behaglich grunzen aus einem näheren oder ferneren Stall. Es roch auch wohl nach ihm; aber — mir ſollte einer im Viertel Matthäi am Letzten mit kölniſchem Waſſer und dergleichen kommen! zumal in einer Zeit, wo auch die217 türkiſche Bohne noch blühte — roth! das ſchönſte Roth der Erde — ein Wunder von Schönheit und Nutzbar - keit, wenn ſie ſich zwiſchen den Häuſern des kleinen Mannes über die Zäune hängt oder hinter denſelben an ihren Stangen ſich aufrankt. Man muß freilich eben für dies Alles riechen, ſehen und fühlen können, und wer das nicht kann, der gehe hin und werde Liebhaber-Photograph. Es iſt aber nicht nöthig, daß er ſich ſelber photographiren laſſe, ich habe ihn ſchon in meinem Album in Südafrika, und der dicke Schau - mann hat ihn auch in dem ſeinigen auf ſeiner Schanze Quakatzenburg. —
Von der abendlichen Stille draußen im freien Felde habe ich ſchon geſchrieben; aber die friedlichſte Landſchaft macht längſt nicht den Eindruck der Ruhe wie ſo ein Gäßchen am Feierabend bei den „ kleinen Leuten “, wie man ſich heute ausdrückt; oder „ an der Mauer “, nämlich an der Stadtmauer, wie man im Mittelalter ſagte. Und ich hatte auch einſt hier hineingehört hinter dem Rücken meiner Eltern und unter der Protektion meines guten Freundes Fritz Störzer, und das Herz ging mir auf und zog ſich wieder zuſammen unter dem Gefühl: wie ſehr das Alles vergangen ſei, und als was für ein Held und mit was für einem Sack voll Erfahrungen und Er - rungenſchaften auf dem Buckel ich nun hier wieder ankomme!
Wir bogen jetzt um die Ecke, hinein in das Sackgäßchen, in dem das Haus, das ich noch ſo gut kannte, lag; und auch da fand ich auch heute wieder218 das, was ich in meiner Kinderzeit ſo oft hier mit ſchauerlichem aber gar nicht unangenehmen Nerven - und Seelenkitzel mitgenoſſen hatte: ein Hineingucken auf einen Hausflur, wo ein Sarg ſteht.
Alles wie ſonſt! Nur Alles noch ein wenig mehr zuſammengeſchrumpft: der kleine Platz enger, die Häuſer niedriger, die Fenſter zuſammengedrückter, die Hausthüren ſchmaler.
Und ſie drängten ſich Alle wieder um eine Haus - thür; die Kinder und die Frauen mit Kindern auf dem Arme, die alten Frauen und zwei oder drei alte Männer, dieſe alle mit den Abendpfeifen im Munde: es ſtand ja wieder einmal ein Sarg auf einem Hausflur!
Sie drehten alle uns den Rücken zu, und machten uns verwundert Platz, als wir ihnen über die Schultern auch mit in die Thür zu ſehen wünſchten. Sie verwunderten ſich aber noch viel mehr als wir gar in die Thür traten.
Es ſchien Niemand zu Hauſe zu ſein als der alte Störzer, und auch der ſchlief; lag ruhig in dem engen ſchwarzen Gehäuſe, welches da auf drei Stühlen ſtand, mit den Lichtern, die morgen früh beim ehren - vollen Begängniß angezündet werden ſollten, auf einem vierten Stuhle neben ſich. Daß der liebe Freund, der getreue, müde Wandersmann auch unter Blumen und Kränzen lag, verſtand ſich von ſelber. Das koſtete um dieſe Jahreszeit im Matthäusviertel nichts, und die Nachbarſchaft that gern das Ihrige hierin, ihre Theilnahme zu bezeigen.
219Es ſtand noch ein Stuhl auf dem Flur, auf welchem die Hauskatze ſaß und ernſthaft auf die alten und jungen Geſichter ſah, die in die Hausthür guckten.
„ Puh, “ſeufzte Stopfkuchen, „ ich habe doch meine Energie ein wenig überſchätzt. Schwül und heiß! “ Er hob den Strohhut von der ſchweißglänzenden Stirn und trocknete ſich den Kopf mit dem Sacktuch. „ Entſchuldige, Eduard, “ſagte er, hob den Stuhl an der Lehne, ließ das Thier hinuntergleiten und ſetzte ſich ſelber: „ Einen Augenblick, Eduard, und ich bin vollſtändig wieder zu Deiner Verfügung. “
Das oder dergleichen ſagte er, während ich ſtand und augenblicklich wenigſtens nichts zu ſagen, ſondern nur recht viel mit dem mehr oder weniger dunkelen Gefühl, das bei ſolchen Gelegenheiten die Oberhand gewinnt, zu thun hatte.
„ Fritze Störzer! Der alte Störzer! “... und ich that, was ich vorhin mir vorgenommen hatte: ich legte die Hand auf den Sarg, dahin wo die Füße ruhten, die, wie die Herren im Brummerſumm aus - gerechnet hatten, fünfmal um die Welt geweſen waren. Stopfkuchen fächelte ſich immer noch mit dem Taſchen - tuch kühlere Luft zu.
Der Menſch aber muß bei ſolchen Gelegenheiten irgend etwas ſagen.
„ Du konnteſt nichts dafür; aber Du biſt eben unter Deiner Hecke liegen geblieben, Heinrich! “ſagte ich. „ Ich aber bin mit ihm gegangen, gelaufen, habe mit ihm ſeinen trefflichen Tröſter, den Le Vaillant ſtudirt! Und wenn mich ein Menſch von ſeinen220 Wegen auf die meinigen hingeſchoben und mich nach Afrika befördert hat, ſo iſt dieſer hier, mein alter, guter Freund, mein älteſter Freund Friedrich Störzer es geweſen. Möge er ſanft ruhen! “
„ Amen! “ſagte mein Freund Heinrich Schau - mann wieder aufſtehend. „ Jawohl! das kann ich ihm ja wohl auch wünſchen — von unter meiner Hecke weg! Er gehörte nicht zu den ſchlimmſten Lebens - und Weggenoſſen. Er war ein halber Idiot, aber er war ein braver, ein guter Kerl. Na, — dann ruhe auch meinetwegen ſanft, grauer Sünder, Du alter Weltwanderer und Wegſchleicher. Nun laßt endlich aber auch mich aus dem Spiel und macht die Geſchichte drüben unter euch Dreien aus, ihr Drei: Kienbaum, Störzer und Quakatz! “
Er hatte eine Fauſt gemacht; aber er legte ſie ſo leiſe auf das Kopfende des Sarges, wie ich meine offene Hand auf das Fußende.
„ Was? “fragte ich zuſammenfahrend, und Schau - mann ſagte:
„ Ja. “
Der Kapitän behauptet, daß er ſo einen Menſchen wie mich (er drückte ſich engliſch aus und ſagte Gentleman), ſo lange er fahre, noch nicht auf ſeinem Schiffe gehabt habe. Er war eigens meinetwegen221 hinuntergekommen, um mich heraufzuholen und auch mir die Berge von Angra Pequeña auf unſerer Lee - ſeite zu zeigen, und ich hatte nur geantwortet: „ Komme gleich, “und hatte vergeſſen, zu kommen und hatte den braven Alten nicht einmal davon be - nachrichtigt, daß ich dieſe Berge bereits kenne. — Ich wollte nach ſeiner Hand greifen, nicht nach der des Kapitäns, ſondern nach der Stopfkuchens, als er, Heinrich, mir warnend zunickte und mit dem Daumen kurz zur Seite deutete. Da ſah ich, daß wir Beide jetzt nicht mehr allein neben dem Sarge ſtanden.
Es war eine Frau, auch mit einem Kinde auf dem Arme und einem andern an der Schürze, aus der Stube gekommen und ſtand verweinten Geſichtes, verlegen, verwundert und ſagte:
„ Guten Tag die Herren! das iſt doch zu gütig von Ihnen. Ja, da liegt nun der Vater! ſo ein guter Mann für uns! Sie kenne ich wohl, auch durch Ihre liebe Frau, Herr Schaumann; aber der andere Herr, der uns hier auch die Ehre ſchenkt in unſerem Kummer, hat er ihn auch gekannt, unſeren lieben Großvater? “
„ Freilich, liebe Frau Störzer. Es iſt ja recht, Sie haben erſt nachher hier ins Haus geheirathet: dieſer Herr hat ſeinerzeit den Schwiegerpapa ganz gut gekannt, wenn auch nicht ſo gut wie ich. Das iſt wohl Ihr Kleiner da auf dem Arm — der Enkel? und hier am Rock die Enkelin? “
„ Ja, ja, liebe Herren! und wir Drei ſind nun nur noch allein übrig und wiſſen heute noch nicht in222 unſerer Verlaſſenheit, was aus uns werden ſoll, da der Großvater nicht mehr da iſt. Wer hätte das ſo ſchnell für möglich halten ſollen? Er war noch ſo rüſtig zu Fuße! Er hätte gut noch manch liebes Jahr gehen können in ſeinem Amte! Es war ja immer eine Verwunderung hier im Viertel über ihn und ſein Stolz dazu, daß er immer noch auf den Beinen ſich hielt wie der Jüngſte. “
„ Nun, das kann in einem Alter wie das ſeinige freilich nicht jeder von ſich behaupten, und das iſt doch auch ein Troſt, liebe Frau; und das Übrige wird ſich ja auch wohl finden und machen. So eine rüſtige, junge Frau bloß mit Einem auf dem Arm und Einem an der Schürze! Man ſchlägt ſich ſchon durch und im Nothfall helfen auch wohl Andere. Was hat er denn für einen Tod gehabt, Frau Störzer? “
„ Ja, Gott ſei wenigſtens dafür Dank! einen recht guten! ... Viel leiden hat er nicht müſſen, ſagt der Herr Doktor. Und das ſoll man ihm auch wohl gönnen; denn auf der Seele hat ihm wohl Nichts zu ſchwer gelegen. Daß aber jetzt gerade Sie ſo gütig ſind und hier zu uns an ſein letztes Ruhebett treten, das iſt mir faſt wie eine Schickung, Herr Schau - mann! Nämlich gerade bei Ihnen, Herr Schaumann, oder auf Ihrer rothen Schanze iſt er in ſeinen letzten Tagen und Stunden recht häufig anweſend geweſen. Er hat immerfort nach der Schanze hinausgewollt: da hätte er noch eine wichtige Sache und Beſtellung. Davon hat er immerzu geſprochen und von einer Beſtellung bei Ihnen, das heißt bei Ihrem ſeligen223 Herrn Schwiegervater, dem ſeligen Herrn Quakatz, dem man — nun Sie wiſſen ja und nehmen's wohl nicht übel — geredet. Wir mochten ihm zuſprechen, wie wir wollten; er iſt immer dabei geblieben, daß er nach der rothen Schanze hinaus müße: er hätte da noch etwas abzugeben gegen Quittung. Aber dies waren auch ſeine unruhigſten Einbildungen, und dabei iſt er zuletzt, ohne daß es Einer gemerkt hat, ſanft eingeſchlafen.
Heinrich zuckte die Achſeln, ſah mich an und nach den Kinder -, Weiber - und Alt-Männergeſichtern, die in der Hausthür auf den Sarg gafften. Er deutete auch nach dieſen hin und fragte:
„ Nun, was iſt Deine Meinung, Eduard? Seinen Schlaf ſtöre ich nicht dadurch: ſoll ich jetzt die Welt da von der Gaſſe hereinrufen an ſein Kiſſen? Soll ich nun ſelber von dieſer Stelle aus ore rotundo das Geheimnis ihr kundmachen? Oder findet ſich doch noch ein paſſenderes Organ der Mittheilung? Oder — vielleicht — wünſcheſt Du ſelber — “
Ich brauchte nicht zu antworten, ſelbſt wenn ich es gekonnt hätte. Der Mann von der rothen Schanze nahm meinen Arm, ſagte der Schwiegertochter des Seligen noch einige tröſtende Worte, die ſich auf den Gemüſegarten, den Butter - und Eierhandel von Quakatzenburg bezogen, täſchelte die Enkel auf die Köpfe und ſo traten wir wieder hinaus in die Welt vor der Thür, ſchritten durch die Gaffer und brachten den Abendhimmel nicht zum Einfallen über dem Sankt Matthäusviertel.
224Ja, ich ſelber! in der nächſten Gaſſe erſt fragte ich, aus meiner Betäubung durch einen halben Welt - einſturz erwachend:
„ Was nun? Wohin nun? Willſt Du mich in meinen Gaſthof begleiten, Heinrich? “
„ In Deinen Gaſthof? Hm! Wieder in ein Privatzimmer daſelbſt? Hm, hm! Weißt Du, Eduard, ich bin ſo lange nicht aus dem Kaſten gekommen, habe ſeit Jahren in keiner echten und gerechten Kneipe geſeſſen: ich hatte es wohl zu behaglich kneipgerecht bei meinem alten Mädchen zu Hauſe, unter unſern Bäumen, hinterm Ofen, hinter unſern Wällen, kurz im Kaſten! Aber jetzt ſpüre ich das Bedürfniß danach, die Ellbogen ſo auf ſo einen Tiſch am Wege zu ſtemmen und das Leben durch die große Gaſtſtube und auf der allgemeinen Landſtraße vorbeipaſſiren zu ſehen. Komm Alter, wir ſitzen vor Deinem Abſchied und Deiner Abreiſe noch einmal im Goldenen Arm! “
Ich ſah noch alles nur wie durch einen Schleier: die Gaſſen, die mit uns gehenden oder uns begegnen - den Menſchen, vernahm die Stimmen, das Wagen - geraſſel wie im Traum und fand mich plötzlich wirklich an einem Fenſtertiſch im Goldenen Arm ſitzend, indem ich Stopfkuchen puſtend Platz nehmen ſah und ihn aufathmend ſeufzen hörte:
„ So! “und nach einer Weile:
„ Ja, ja, ja, ja, wer erſchlug den Hahn Gockel? “
225Um dieſe Stunde des Tages war in einer ſo ſoliden Stadt wie die unſerige noch Niemand in der Schenkſtube des Goldenen Arms vorhanden als das Schenkmädchen, die Sommerfliegen, die für den Abend blank geſcheuerten Lindenholztiſche, die Stühle und Bänke, die auswärtigen Zeitungen vom geſtrigen Tage, nebſt dem heutigen „ Abendblatt “der ſtädtiſchen Preſſen. Wir kamen ſo früh, daß die Kellnerin ganz verwundert aufſchaute, als wir eintraten. Aber es fand ſich auch hier, daß man den dicken Schaumann von der rothen Schanze ganz gut perſönlich kannte, ohne daß er oft den Fuß von ſeinem Wall in die große Welt hinausſetzte.
Heinrich wurde natürlich von der jungen Dame mit ſeinem Namen begrüßt und indem ſich dieſelbe nach unſeren Befehlen erkundigte, fragte ſie höflich auch nach dem Befinden meines Freundes.
„ Kind, erſt etwas Kühles, dann die warme An - theilnahme. Herz, früher pflegte des dicken Schau - manns wegen immer friſch angeſtochen zu werden! “
„ Und es iſt auch diesmal geſchehen. Grad als wenn wir Sie erwartet hätten, Herr Schaumann. “
Es kam ein ſäuberlich Getränke. Stopfkuchen hob den Krug, beäugelte Farbe und Blume, ſog, ſetzte ab, reichte den Humpen geleert hin, kniff wahr - haftig die Mamſell in die Backen, als komme er noch jeden Abend als Stammgaſt. Dazu nannte er ſie dann ſein „ liebes Mäuschen. “ Der Stoff mußte alſo ganz ſeinen Beifall haben.
W. Raabe. Stopfkuchen. 15226Es wurden zwiſchen ihm und dem Mädchen noch einige Scherzreden gewechſelt, bis er mit einem Male ſich wieder zu mir wendete:
„ Nun aber zu unſerm Geſchäft, lieber Eduard. “
Das Fräulein verſtand den Wink, zog ſich in ihren dunkeln Winkel hinter dem Schanktiſche zu ihrem Strickſtrumpf zurück und ſah nur von Zeit zu Zeit um die Schranckecke nach unſern Bedürfniſſen aus. Wir beiden Andern am offenen Fenſter, mit dem Ellenbogen nach alter Weiſe auf dem Tiſche und dem Bierkruge vor uns, hatten hier am Platze Quakatzenburg, das Viertel Sankt Matthäi am Letzten, das deutſche Volk und die Welt „ ſo im Ganzen “eine genügende Zeit für uns allein.
„ So macht es ſich ja wirklich ganz behaglich, und jedenfalls viel beſſer als wie ich es mir in un - nöthigerweiſe überreizter Phantaſie manchmal zurecht gerückt habe, “brummte der Freund. „ Du glaubſt es mir vielleicht nicht, Eduard, aber es iſt doch ſo: ich habe mir manchmal den Kopf darüber zerbrochen, zu welcher Tagesſtunde, an welchem Orte, und zu wem ich am bequemſten und liebſten von, von — nun von dem Hahn Gockel reden würde. Es macht ſich Alles, Alles doch gewöhnlich leichter, als man es ſich unter ſeinen Beängſtigungen einbildet. Dieſe Stunde gefällt mir ausnehmend, dieſer Ort paßt mir ganz, und das Kind hinter ſeinem Schenkentiſch, kann mir auch nur von der allerhöchſten Weltregierung dahin geſetzt worden ſein. “
„ Heinrich?! “
227„ Eduard? .. Nun bitte ich Dich aber dringend, Eduard, daß Du Dich auch fernerhin als bloßen Chorus in der Tragödie betrachteſt. Fahre Du dreiſt morgen wieder ab nach Deinem Kaffernlande und ſinge mir da meinetwegen ſoviele Begleitſtrophen und Begleitgegenſtrophen zu der Geſchichte wie Du willſt: ich für mein Theil denke doch nur: da habe ich dem guten alten Kerl doch noch eine nette Erinnerung an die alte gemüthliche Heimath mit aufs Schiff gegeben. “
Ich konnte nur durch eine matte Handbewegung antworten; Stopfkuchen warf noch einen Blick in die Gaſſe und einen hinter den Schenktiſch und ſagte:
„ Von allen Menſchen, ſo auf Erden um dieſe grauſame und erſchreckliche Hiſtorie herumwandelten, ſchnüffelten und ſich die Köpfe zerbrachen, hätte von rechtswegen ich der letzte ſein ſollen, dem das Ver - gnügen, ſie vor einer gemalten Leinwand und zu einer Drehorgel kund zu machen, aufgehalſt werden durfte. Meinſt Du nicht, Eduard? “
„ Aber nein — nein! Du, der Mann und Er - oberer der rothen Schanze! der Schützer und Troſt - bringer der armen Valentine, der — Rechtsnachfolger, ja der Rechtsnachfolger des Bauern Quakatz! “
„ Ach was! ich meine natürlich dem Charakter und der körperlichen Veranlagung nach, Menſchen - kind! Ich hatte doch ſowohl dem einen, wie der andern nach garnichts damit zu thun. Was hatte der dicke Schaumann vor und von der rothen Schanze mit Kienbaums Morde und Kienbaums Mörder zu ſchaffen, ſoweit es auf die juriſtiſche Löſung der Frage15*228ankam? Nichts! Garnichts! Nun, das Schickſal hat's mir ſo beſtimmt, und ich kann denn weiter nichts dagegen machen, als mir wenigſtens die Form vor - zubehalten oder auszuwählen. Kommt dieſelbe der Weltregierung und allerhöchſten Juſtiz nicht dramatiſch effektvoll genug heraus, ſo iſt das nicht meine Schuld. Na, wenn mich Meta, da hinter der Anrichte, noch nicht ganz verſteht, ſo würde mich ein gewiſſer Strat - forder Poet gewiß ſchon verſtehen und ſich auf der Stelle vornehmen, auch aus mir mal was Dramatiſches zu machen. “
„ Riefen Sie, Herr Schaumann? “fragte es über die ‚ Anrichte‘ und um den Gläſerſchrank herum. „ Wünſchen Sie etwas? “
„ Nein, Herz. Jetzt noch nicht; aber bald. Bleib jedenfalls in der Nähe: wir brauchen Dich ganz ge - wiß noch und ich kann durchaus nicht ohne Dich fertig werden. “
„ Ich bin immer hier und höre mit beiden Ohren. “
„ Schön, biſt ein gutes Mädchen. Alſo, lieber Eduard, wir, meine Frau und ich, haben Dir vorhin den Tag über unter unſern Bäumen und hinterm Wall des Prinzen Xaver Einiges über die letzten Jahre unſeres alten Herrn, unſeres Vaters Andres, mitgetheilt und Du wirſt daraus entnommen haben, daß es unſer Beſtreben geweſen ſein mußte, ſie ihm ſo behaglich als möglich zu machen. Das iſt uns gottlob, ſoweit es eben möglich war, gelungen. Zu dieſer Aufgabe konnte mich die ewige Gerechtigkeit229 ſchon eher, ſowohl meiner Körper - wie Geiſtes - Konſtitution nach, auch mehr nach meinem Geſchmack nützlich verwerthen. Dagegen hatte ich garnichts ein - zuwenden. So gut wie mir ſelber konnte ich auch einem Andern und noch dazu dem Vater meiner Frau vulgo Schwiegervater, ein Kopfkiſſen unter den Kopf legen. Das ländliche Geſchäft hob ich uns natürlich bald ſo viel als möglich vom Nacken. Der Herrgott hatte es wohlwollend ſo eingerichtet, daß die beſten Zuckerrüben der ganzen Gegend auf unſerm Grund und Boden wuchſen. So verpachtete ich den größten Theil der Äcker vortrefflich an die nächſte Zuckerfabrik; und führte auf dem Reſte von Tinchens Erbgute perſönlich den Pflug nur ſoweit zu Felde als das eben zu dem gewohnten Behagen meines Bauer - mädchens gehörte. Dein afrikaniſches Koloniſtenauge wird es Dir gezeigt haben, lieber Eduard, daß es heute gar ſo übel nicht ausſieht, ſowohl auf der rothen Schanze, wie um ſie her. Ich mache übrigens gar kein Hehl daraus, daß der Schwiegervater, der Bauer Andreas Quakatz, auch abgeſehen von ſeinem Grund - beſitz, ein vermöglicher Mann war; daß er Geld hatte, einerlei woher das ſtammte, ob von Kienbaums Morde oder nicht. “
Es fuhr haſtig ein Weiberkopf aus dem Winkel vor.
„ Ja, es iſt recht, Schatz! komm her und fülle ein. Dem Herrn da auch noch einen Schoppen, “ſagte Stopfkuchen. „ Er, Eduard, ich meine der alte Andres, wußte nur nichts mit dem Mammon anzu -230 fangen, als ihn höchſtens den Advokaten in ſeiner Sache in die Taſchen zu ſtecken. Dabei ſteckte ich einen Pfahl mit einem Strohwiſch und der Inſchrift: ‚ Laſſet die Todten ihre Todten begraben. In andern Geſchäftsangelegenheiten wende man ſich an Heinrich Schaumann, Rentner. Sprechſtunden nach Verab - redung. ‘ Einen Hinweis auf Euern Scherznamen ‚ Stopfkuchen‘ ließ ich aus, denn der verſtand ſich ja bei Jedermann auf Meilen Weges in der Runde von ſelber, wo es ſich um mich und gar noch in meiner jetzigen Verbindung mit der rothen Schanze handelte. Bleiben wir bei dem richtigen Herrn derſelben. Sie hatten ihm Knochen genug in den Weg geworfen: ich gewann ihn für die Paläontologie. Ich nahm ihn mit auf mein Feld hinaus. Am Stock, auf Krücken, im Rollſtuhl, nahm ich ihn mit an meine Steinbrüche, Kies - und Mergelgruben und überzeugte ſein armes, konfuſes Gehirn vollſtändig, daß dieſe Knochenſuche ſehr genau mit der Zuckerraffinerie und alſo auch mit dem Steigen und Fallen unſerer Fabrik - aktien zuſammenhänge. Hatte ich ihm als dummer Junge durch mein Latein imponirt, ſo imponirte ich ihm jetzt durch Paläozoologie und Paläophytologie. Tinchen, der ich von Frauenrechtswegen, mit meiner Lieberhaberei lächerlich vorkommen mußte, wußte ſie in dieſer Hinſicht aber doch zu ſchätzen, ja, weinte Thränen der Rührung, der dankbarſten Rührung über ſie. Als wir unſer Olimsfaulthier gefunden hatten, und ihr Papa, kindiſch-kichernd und behaglich grunzend ſich die Hände in ſeinem Lehnſtuhle rieb, nannte auch231 ſie es ein herziges Geſchöpf und großartig, und räumte ihre beſte Wäſchekammer aus, um einen würdigen Aufbewahrungsplatz für das Scheuſal zu ſchaffen. — Was ſoll ich Dir noch viel davon reden, Eduard? Wir halfen unſerm Vater ſo gut als möglich über ſeine letzten Lebensjahre weg, und ließen, nach Ver - ordnung des Arztes, Kienbaum ſo wenig als möglich an ihn heran. Wenn ich mich beſcheiden mal rühmen will, ſo ſage ich: ja, es iſt mein Stolz und darf mein Stolz ſein, daß ich dieſem langweiligen Spuk ein Ende gemacht habe, daß ich dieſem Geſpenſt die dürre Lemurengurgel zudrücken und ihm mit den Knieen den modrigen Bruſtkaſten einſtoßen durfte, daß der dicke Schaumann es war, der das Gerippe zu Staub ver - rieb. Das andere Gerippe, unſern allgemeinen Freund Hein hielt ich freilich nicht dadurch von der rothen Schanze ab. Das fraß den Bauer Quakatz wie es den Prinzen Xaver von Sachſen gefreſſen hat, von Kienbaum garnicht mehr zu reden. Und wenn ich meinerſeits zuletzt doch noch einmal einen Wall hätte gegen es aufwerfen können: wer weiß, ob ich es gethan hätte? Es war doch eine Erlöſung, als wir dem alten Herrn das letzte ſchwere Deckbett aus guter Dammerde auflegten. Er ſelber hat ſich wohl in ſeinem Leben kein leichteres über den Kopf gezogen, und er thut jedenfalls heute noch einen guten Schlaf darunter nach den ungemüthlichen Träumen, die ihm der ſogenannte helle lichte Tag ſeines Vorhandenſeins in der Präſenz - und Steuerliſte des Menſchenthums beſchert hatte. Wir begruben ihn in Maiholzen an232 einem wunderſchönen Sommermorgen, ganz in der Frühe. Das Dorf war natürlich vollſtändig an der Verſenkung verſammelt; aber wir hatten auch Herr - ſchaften aus der Stadt dabei. Da war zum Beiſpiel der Exekutor Kahlert, der in der heiligen Frühe in Amtsgeſchäften bei uns draußen ſich eingefunden hatte, da war Schneidermeiſter Buſchs Junge, der unſerm Paſtor die neue Hoſe herausgebracht hatte, in welcher, wie ich Dir gleich auseinanderſetzen werde, der geiſt - liche Hirt meine Rede hielt. Da war Fräulein Eyweiß, die durch ihre Brunnenkur zu uns hinaus - geführt worden war und die ihre Karlsbader Brunnen - flaſche auf einem der nächſten Grabſteine abgeſtellt hatte, um ſich freier ihrer angenehm-gerührten Theil - nahme an dem immer intereſſanten Vorgang über - laſſen zu können. Auch den Landbriefträger Störzer, der auch in ſeinem Amte ſchon draußen war, ſah ich in der Verſammlung am Grabe. Meta, Sie ſind doch noch da? Grauſame Schöne, willſt Du denn wirklich den dicken Schaumann von der rothen Schanze verdurſten laſſen? “
„ O, Gott, ja, ja! gleich! Oh, wie Sie das Alles ſo erzählen, Herr Schaumann, da muß man ja zu - hören! “
„ Nicht wahr, Kind? .. Alſo Eduard, da auch Du noch zuhörſt: wenn es einen Menſchen in der Welt gibt, außer Dir natürlich, mit dem ich mich gut ſtehe, ſo iſt dies mein angepfarrter Seelſorger, der Paſtor von Maiholzen. Wir thun uns einander garnichts; aber wir halten das behagliche Nebenein -233 anderleben in der gemüthlichſten Weiſe aufrecht. In der letztern Hinſicht thun wir einander ſogar alles zu Gefallen was wir nur können. Er weiß in allen menſchlichen Dingen Stopfkuchen zu ſchätzen und ich ihn. Selbſtverſtändlich war ich am Tage vorher, das heißt vor dem Begräbniß, bei ihm und beſprach mit ihm die Sache. Ich traf ihn, oben an ſeiner Dachrinne hängend. Es hatte einer ſeiner Bienen - ſtöcke geſchwärmt, und der Weiſel war auf die Idee gekommen, ſich dort feſtzuſetzen. Ich hielt dem zweit - dickſten Mann der Gegend die Leiter und korrigirte ihm nachher in der Laube ein wenig in ſein Manuſkript hinein. Letzteres iſt aber nur eine kulturelle Redens - art: der Mann ſpricht aus freier Hand und — gut, wenn er in der Stimmung iſt. Und zu der Stimmung des Menſchen kann der Nebenmenſch ein Erkleckliches beitragen. Ich that dies, und als wir ſpäter an dem warmen Abend mit einem Wetterleuchten am Horizont an ſeiner Gartenpforte von einander Abſchied nahmen, ſagte er: ‚ Seien Sie ganz ruhig, Herr Nachbar; ich bin vollſtändig Ihrer Anſicht. ‘ Am andern Morgen redete er denn auch, möglichſt annähernd Das, was ich zu ſagen hatte. Ich räuſperte mich — nein, er räuſperte ſich und ſprach: ‚ Nun ſieh mal, chriſtliche Gemeinde, da liegt er — mauſetodt!‘
„ O Gott, Herr Schaumann, das kann der Herr Paſtor doch nicht geſagt haben! “klang es hinter dem Schenktiſche hervor.
„ Ich bin dabei geweſen, Kind. — Todt iſt er und ihr lebt. Er iſt ſo todt wie Kienbaum, den er, nach234 der Meinung der Mehrzahl von uns, todtgeſchlagen haben ſoll. Er ſteht nun vor dem Richter, der das letzte Wort in dieſer dunkeln Sache ſprechen wird: ſollten wir jetzt wenigſtens nicht doch ein wenig mehr, hier am Ort, in uns gehen und uns fragen: haben wir dem ſtillen Mann hier vor uns nicht doch viel - leicht zu viele Steine des Ärgerniſſes in den Weg geworfen? Chriſtliche Gemeinde, meine lieben Brüder und Schweſtern, haben wir nicht doch vielleicht etwas zu lauthalſig Racha über ihn geſchrien? Wenn er nun da an den ſchwarzen Deckel pochte, und noch einmal wenigſtens für einen Augenblick herausver - langte, um ſein Verdikt von da oben her ſchriftlich uns zuzureichen, was würden wir da thun? wer würde die Hand ohne Bangniß nach dem Blatt aus - ſtrecken? O, liebe Brüder und Schweſtern, beim Hochzeitsmahl der beiden verehrten Hauptleidtragenden ſind wir wohl ſo ziemlich alle hier im Kreiſe an - weſend geweſen; aber ich wünſchte auch, es wären wenigſtens Einige von euch vorgeſtern Abend mit mir nach der rothen Schanze gegangen, daß ſie ſich das friedliche Geſicht des eben Entſchlafenen hätten an - ſehen können. Da hätten wohl Einige, die ſchon in ſolche Geſichter haben ſehen müſſen, ſicherlich geſagt: Dieſer muß trotz allem eines ſanften Todes geſtorben ſein! —
Chriſtliche Gemeinde, wenn er Kienbaum nun doch nicht todtgeſchlagen hätte? ... Hätte er da nicht vor dem letzten Richter ſein Wort ſprechen dürfen? Ich glaube, er hat die Erlaubniß erhalten; und wie235 ich ihn kennen gelernt habe (er war kein weicher Mann) hat er geächzt: ‚ Herr, Herr, was ich ſonſten geſündigt haben mag, das haben ſie da unten mich ſchon reichlich büßen laſſen durch Mißachtung, ſcheele Blicke, Fingerdeuten, Abrücken im Kruge und Allein - laſſen bei jeder Haushaltsnoth. Wenn ich nun als ein vergrellter, in ſeinen Erdengrimm verbiſſener Mann zu Dir komme, Herr des Himmels und der Erden, ſo zieh von meiner Strafe im ewigen Leben meine tagtägliche und allnächtliche Büßung da unten in der Sterblichkeit ab, grundgütiger Gott. Und ver - gib ihnen in Maiholzen und der Umgegend auch, was ſie nach unſerer armen Menſchenweiſe an mir zuviel gethan haben. ‘— Liebe Brüder und Schweſtern, wir wiſſen alle bis zu dieſer Stunde noch nicht, wer eigentlich Kienbaum todtgeſchlagen hat. Der Bauer Andreas Quakatz von der rothen Schanze iſt todt und hat Rechenſchaft über ſein Leben abgelegt; aber vielleicht — chriſtliche Gemeinde, ich ſage viel - leicht! — vielleicht geht noch ein Anderer im Leben umher als ein lebendiges Beiſpiel davon, was der Menſch aushalten kann mit einer Blutthat auf der Seele und dem täglichen und nächtlichen Bewußtſein, einen Andern, einen Unſchuldigen dafür aufkommen zu laſſen! Wenn dieſes der Fall iſt — wenn Kien - baums Mörder noch lebt; dann — o dann, chriſtliche Gemeinde, laß uns auch für ihn, ihn — hier, hier an dieſem Grabe ein ſtilles Gebet ſprechen, wie für den beruhigten Todten in dieſem Sarge vor unſern Füßen. Den beiden Hauptleidtragenden, vor allem236 der Tochter, ſage ich noch: ‚ Der Herr ſprach: Weine nicht! und er gab ihn ſeiner Mutter. ‘ Wer aber von uns, geliebte Brüder und Schweſtern, noch über das Grab hinaus, über den Bauer Andreas Quakatz auf der rothen Schanze, ſeine Nachkommen und ſein Erbe mit ſeinen ſchlimmen Gedanken anhalten will, der laſſe wenigſtens ſeine Hand von dieſer Schaufel, auf welche ich jetzt die meinige lege. Dies Grab will deſſen Beihülfe zu ſeiner Ausfüllung nicht. Amen. “
„ Amen! o Gott, o Gott! “murmelte es hinter dem Schenktiſch.
„ Es kam nun das, zwiſchen den übrigen litur - giſchen Formeln nie ſeine Wirkung verfehlende: ‚ Von Erde biſt Du genommen; zu Erde ſollſt Du wieder werden, ‘und die Schaufeln gingen von Hand zu Hand mit einer bangen Haſt, mit einem Eifer, wie ich noch nicht bei ähnlichen Fällen zu bemerken die Ge - legenheit hatte. Sie warfen alle dem übelberüchtigſten Menſchen der Gegend die drei Spaten voll Mutter - boden nach. Alle bis auf Einen! — Es gab das bekannte dumpfe Gepolter und die dazu gehörigen Gefühle: letztere diesmal im verſtärkten Maaße. Es war als wünſchte Jedermann, ſich wenigſtens zuletzt noch auf dieſe Weiſe mit dem Andres Quakatz im Guten abzufinden. Sie wünſchten vielleicht doch auch ein wenig Dorf Maiholzen in der Wertſchätzung der rothen Schanze zu rehabilitiren. Ich als der jetzt am nächſten zu dem alten Bollwerk des Prinzen Xaver von Sachſen Stehende, bekam natürlich zuerſt vom Todtengräber die Schaufel in die Hand und that die237 drei Würfe. Und nun weiß ich wirklich nicht, liebſter Eduard, wie es kam, daß ich bei dem dritten ſo für mich hinmurmelte: ‚ Für Kienbaums Mörder. ‘ Schö - nen guten Abend Herr Müller! “
Der Gruß galt einem draußen in der Gaſſe unter dem Fenſter vorbei Wandelnden, und dieſer hielt verwundert an: „ I, Herr Schaumann, auch mal wieder am alten guten Ort? Nun, das iſt brav. Na, dann halten Sie mir den Platz feſt; ich denke in einem halben Stündchen iſt unſer Stammtiſch wieder ſo ziemlich vollzählig beieinander. “
„ Ich reichte den Spaten dem mir jetzt nächſt Stehenden und ſah in ein ſehr merkwürdiges Geſicht. Den Spaten hätte ich eben ſo gut ins Leere reichen können. Er fiel zu Boden und wurde erſt von einem Nachdrängenden, dem Ortsvorſteher aufgegriffen. Der, dem ich die Höflichkeit hatte erweiſen wollen, war unter das Volk, das heißt unter die Weiber und Kinder zurückgewichen, und hatte ſie, meine Höflich - keit meine ich, wahrſcheinlich nicht bemerkt. Mich aber durchfuhr es: ‚ Was iſt das? was ſoll das?‘ und dann: ‚ Biſt Du verrückt, Stopfkuchen, oder kann dies wirklich etwas zu bedeuten haben?‘ — Es hatte Niemand außer mir, auch meine Frau nicht, im Kreiſe um das Grab des Bauern von der rothen238 Schanze bemerkt, daß eben etwas Abſonderliches ge - ſchehen ſei, daß Einer die drei Schaufeln für den Todten mit dem Zeichen Kains auf der Stirne ver - weigert habe. “
„ Herr Schaumann! “klang es hinter dem Schenk - tiſche, und ich hörte trotz aller eigenen Erregung, das Mädchen die Hände zuſammenſchlagen.
„ Und Du, Du, Heinrich, was thateſt Du? “
„ Ich? Ich führte fürs Erſte meine Frau nach Hauſe. Für dieſe armen Würmer iſt's wirklich nichts, ſo blind, betäubt, verbieſtert durch ihre Thränen in ſolche Grube auf den erdkloßüberhäuften Sarg hin - unter zu gucken und lange dabei ſtehen gelaſſen zu werden. Ich hatte doch vor allem ihr erſt das zu ſagen, auf was man einem liebſten Menſchen gegen - über unter ſolchen Umſtänden an Kirchhofsgemein - plätzen angewieſen iſt. Maiholzen half mir übrigens dabei mit beſtem Willen. Sie wollten Alle auf dem engen Wege zwiſchen den Gräbern uns die Hand drücken, und Einige kamen auch und redeten: ‚ Herr Schaumann, wenn es Ihnen und der Frau recht iſt, ſo laſſen wir Alles nun vergeſſen und begraben ſein. Es iſt ja ganz richtig wie der Herr Paſtor ſagte, zu ſcharf ſoll Keiner mit dem Andern ins Gericht gehen, und, Alles in Allem genommen, hatte der Selige doch auch ſeine guten Seiten, und Mancher hätte ſich da ein Muſter an nehmen können. ‘ Darauf ant - wortete ich denn höflich, und dann überſchritten Tinchen und ich, Gott ſei Dank, den Graben des Herrn Grafen von der Lauſitz und waren alſo wieder in239 unſerer Schanze, und die Welt lag draußen, und im Hauſe war es ſtill, und kühl unter den Bäumen. Und die Hunde kamen, und in ihren Augen lag ein gewiſſer Vorwurf, daß ſie nicht mit zum Grabe ge - nommen worden waren — ſie. Und Miezchen kam und rieb ſich zärtlich an Frau Valentine Schaumann, einer geborenen Quakatz. Und Valentine ſank in der dämmerigen Eßſtube auf einen Stuhl, und ſchluchzte ſich weiter aus. Die halbe Dämmerung und die Kühle mußten aber doch auch ihr wohlthun nach dem hellen, heißen Licht auf dem Friedhofe — “
„ Und Du, Du — Du? “
„ Ich? Nun was ſollte ich denn anders thun, als ſie ſich ausweinen laſſen und ſie dabei von Zeit zu Zeit ſanft auf den Rücken klopfen? Als ſie dann in die Küche hinausgerufen wurde, ſtopfte ich mir natürlich eine Pfeife und überlegte.
„ Du überlegteſt! “
„ Was ſollte ich denn anders thun? Auf was Anderes iſt denn ein Menſch angewieſen, den man unter der Hecke hat liegen laſſen? Vor allen Dingen ruhig Blut, ſagte ich mir. Zeit nehmen, Stopfkuchen! und die fünf Sinne zuſammen, Dicker! ... Ja, was war das nun? Haſt Du wirklich da Etwas geſehen? Der? ... Der? Dieſer brave, alte Biedermann und Dummkopf? Die Sache iſt eigentlich zu dumm und es wird Einem ſelber immer dummer, je mehr man darüber nachdenkt. Einfältig und gutmüthig genug ſieht er freilich aus; aber das hindert nicht bei der - gleichen. Hm, die Kraniche des Ibykus über dem240 Maiholzener Dorfkirchhofe? Großartig wäre es, wenn jetzt eine Schaufel Erde weniger in die Grube es Dir zuwege gebracht hätte, in die Welt zu ſchreien: Hier iſt er! der iſt's! Fort mit ihm zum Prytanen! — — Hm, hm, aber Der? Zu dumm! das reine Friedhofs - Morgenſonne-Geſpenſt! weiter nichts, dicker Schau - mann! ... Dann aber wieder: Du haſt aber doch etwas geſehen, und nicht bloß geſehen, ſondern auch gefühlt. Was ſteckte in der plötzlichen tauben Em - pfindung im Magen, dem Summen und Glocken - geläut in den Ohren und dem ſcharfen, klaren, gei - ſtigen Ruck: Da, da, da! Jetzt, jetzt, jetzt!? ... Sollte ſich nicht auch einmal unter Deiner Speckhülle etwas melden, was — na, Eduard, der Überlegung war das doch werth: mir ging glücklicherweiſe die Pfeife dabei aus, und ich hatte ſie wieder anzu - zünden. “
„ Du hatteſt ſie wieder anzuzünden. “
„ Es iſt nämlich eine häufige Erfahrung von mir, daß man bei rathloſem Nachdenken, in ausnehmend ſeeliſcher Konfuſion nichts Beſſeres thun kann, als die ausgegangene Pfeife von Neuem anzuſtecken. Die Zündhölzer habe ich gewöhnlich zur Hand, aber eine liebe Gewohnheit iſt es mir, trotz ihnen in die Küche zu gehen, zu meiner Frau, und mir vom Herde einen brennenden Span zu holen. ‚ Ja, gehen Sie nur zu ihr, Herr, ‘ſagte mir die Magd in der Stuben - thür. ‚ Sie weint doch zu bitter allein in das Feuer!‘ — Und ſo ging ich und ſtellte mich zu dem Tinchen und ſagte ihr: ‚ Nun hör auf, Herz!‘ Sagt ſie: ‚ Es241 iſt ja auch nur noch zur Erleichterung, Heinrich; und ich bin ja in Sicherheit und Ruhe hier bei Dir auf der rothen Schanze; und es iſt jetzt ja alles ſo einerlei, wer Kienbaum todtgeſchlagen und dem Vater das Leben verbittert hat. Ach, wenn mir doch nur Keiner mehr davon ſpräche!‘ — Da war denn die Erleuch - tung! — Sie hob die Bratpfanne vom praſſelnden, knackenden, flackernden Feuer, und ich nickte dem Funkenſprühen und den Rauchwolken in den dunkeln Rauchfang hinauf nach. Da ſie es wieder ſelber ſagt, daß Du der rechte Mann für ſie geweſen biſt, ſo bleibe das ferner. Verdirb ihr die Sicherheit und Ruhe nicht, laß ihr die guten Tage, und — was das Andere anbetrifft: na, ſo frage den alten Mann ſelber! Aber, Stopfkuchen, hat es für unſern Herr - gott dieſe langen Jahre Zeit gehabt, ſo wird's jetzt auf ein paar Tage mehr auch nicht ankommen. Frage bei paſſender Gelegenheit ſo ruhig als möglich den alten Mann ſelber aus, Stopfkuchen. Mach es fürs Erſte mal mit ihm alleine ab. Bleib fürs Erſte mit der Geſchichte mal wieder ganz für Dich unter der Hecke. “—
Die Kellnerin ſetzte dem feiſten Folterknecht ein friſches Glas hin und[] zwar mit unſicherer Hand. Aus weit geöffneten Augen ſtarrte ſie ihn an; aber aber auch ſie war nicht mehr fähig, ihm darein zu reden.
„ Dein Wohl, Eduard! Einige Tage nach dem Begräbniß gab ſich denn auch ſchon die erſte Ge - legenheit. Ich bekomme einen Brief und ſage: Na,W. Raabe. Stopfkuchen. 16242Störzer, das ſoll mich doch wundern, was für eine Unruhe Sie da wieder mir ins Haus ſchleppen. Iſt Antwort darauf? — Der Alte ſieht mich natürlich ob der Dummheit der Frage verwundert an und meint: ‚ Wie kann ich denn das wiſſen, Herr Schau - mann? Das Briefgeheimniß iſt uns ja doch garan - tirt, und ich bin wohl der Letzte, der es bricht. ‘— Richtig, alter Freund! Jawohl, mit den Geheim - niſſen anderer Leute ſoll man vorſichtig umgehen. Nun, wiſſen Sie, es iſt wieder ein heißer Morgen; laſſen Sie ſich draußen einen kühlen Trunk geben. Ich möchte wiſſen, ob ich Ihnen, wenn Sie heute wieder vorbeikommen, eine Antwort auf die Moleſti - rung mit nach der Stadt zu geben habe. — ‚ Ich danke Ihnen freundlich für die Erfriſchung; aber ich — ich will doch auch ohne ſie auf Sie draußen auf der Bank warten. So lange Zeit habe ich hier wohl. ‘— Sind Sie nicht wohl, Störzer? Wo fehlt es denn? — ‚ In allen Gliedern; man wird doch eben mit der Zeit auch alt, Herr Schaumann. ‘— Da haben Sie Recht, grauer Lebenskamerad. Na, es kommt Jeder einmal zur Ruhe, das haben wir ja auch vorigen Mittwoch mal wieder geſehen. Auch der Bauer Quakatz, mein Schwiegervater, hat das Warten auf - gegeben und endgültig das Geſicht nach der Wand ge - dreht. — Der Alte wendet ſich ohne was zu ſagen und geht vors Haus. Ich erbreche im Hausgange den Briefumſchlag und kann mich, Gott ſei Dank, auch in jetziger Stimmung noch über den Inhalt erboßen. S'iſt eine Einladung zum nächſten pa -243 läontologiſchen Kongreß in Berlin und weiter nichts. Unſinn! das möchten ſie wohl! Dich da in dem Neſte mit Deinem Mammuth Arm in Arm! Ja ſchön! Mir das? Lächerlich! Sind denn die Leute ſo dumm, oder kennt die Welt Stopfkuchen ſo wenig? Was Der aufgegraben hat, das behält er und läßt es ſich keinesfalls durch ſchöne Redensarten und weltlichen Mammon abſchwindeln. — Ich gehe alſo zu meinem Alten hinaus und ſage ihm: ‚ Es iſt wirklich keine Antwort nöthig, Störzer. Um das Briefſchreiben ſind wir noch einmal glücklich herumgekommen. ‘— ‚ Kann mir auch Recht ſein, Herr Schaumann. Was kommt auch bei dem vielen Geſchreibe heraus? Guten Morgen alſo, Herr Schaumann!‘ — ‚ Leben Sie wohl, Störzer, und ſchonen Sie Ihre alten Beine. Denken Sie wirklich immer noch nicht daran, ſich endlich auch mal zur Ruhe zu ſetzen?‘ — Da zuckt der Graukopf die Achſeln; aber es zuckt ihm zugleich etwas durch das dumm-gutmüthige wetterfeſte Geſicht. ‚ Es thut es noch nicht, Herr Schaumann. Man iſt das eben ſo gewohnt geworden, und ſo hat Unſer - einer eigentlich ſeine Ruhe mehr auf der Landſtraße als wenn er ſo hinterm Ofen oder auf der Altvater - bank vor dem Hauſe ſtille ſitzen ſollte. Ja, wenn man nur des Nachts ſeine Ruhe im Bette hat, ſo iſt man ſchon zufrieden. ‘— ‚ Hm, ja — des Nachts im Bette! Ja freilich, das ſagte ſchon der weiſe Salomo oder Sirach, wenn man da liegen und ſchlafen ſoll, ſo kommen Einem die Gedanken, die man des Tages bei Regen und Sonnenſchein auf der Land -16*244ſtraße vertreten hat, und leiden es nicht. Wie oft bin ich da zu meinem ſeligen Schwiegervater hinge - treten und habe ihm zugeredet: Na, Vater? ſo laſſen Sie doch die Knie zwiſchen den Armen weg und legen Sie ſich nieder; — es iſt Alles in Sicherheit und Frieden auf und um der rothen Schanze. Ja, Störzer, alter Freund, Sie hätten ſich doch einen Trunk von meiner Frau einſchenken laſſen ſollen zur Auffriſchung. Was haben Sie denn? Tine Quakatz gibt's gern und ein freundlich Geſicht dazu, vor - züglich ſo einem langjährigen guten Bekannten, wie Sie. Wirklich, Störzer, Sie machen ja wieder ein Geſicht wie, wie — neulich — dort auf dem Mai - holzener Kirchhofe, als ich Ihnen an unſeres ſeligen Vaters Grube den Spaten zureichen wollte. Wiſſen Sie wohl, lieber Störzer, daß Sie mich eben lebhaft an des Bauern Quakatz Mienen erinnerten, wenn man ihm wieder mal ſo durch die Blume zu ver - ſtehen gegeben hatte, daß doch er — er — Kienbaum todtgeſchlagen habe? Störzer, Sie ſollten doch daran denken, ſich endlich zur Ruhe zu ſetzen! Sie werden doch zu alt und knickebeinig für die Laſt, die Ihnen das Schickſal als Ihr Theil vom Gewicht der Welt auf den Buckel gelegt hat. ‘— Darauf antwortete, ſagte er denn — wenn man es antworten, ſagen nennen konnte — ja, ich möge wohl Recht haben, er wolle es noch einmal mit ſeinen Kindern bereden. Und dann ging er — wenn man das Gehen nennen konnte, und ich ließ ihn laufen und ſah ihm bloß ſo lange nach vom Wall des Herrn Grafen von der245 Lauſitz, bis er auf dem Wege nach Maiholzen um die Buſchecke bog. Ändern ließ ſich nun für mich nichts mehr an der Sachlage, ſo gern ich es gemocht hätte; aber die Beruhigung, endlich mal über Etwas ganz im Klaren zu ſein, bedeutet oder bringt nicht immer dem Menſchen Das, was er, erleichtert aufathmend, eine Beruhigung nennt. Was nun? iſt gewöhnlich für beſagten armen Teufel und geplagten Erdentropf an ſeine genauere Kenntnißnahme im gegebenen Fall geknüpft, und ſo auch bei mir. Was würdeſt Du in meiner Stelle auf die Frage in dieſem Falle ge - than haben, Eduard? “
Es kommt wirklich nichts darauf an, was ich damals geantwortet habe oder antworten konnte. Es genügt, daß Er, wahrſcheinlich ohne meine Antwort abzuwarten, fortfuhr: „ Was mich anbetrifft, ſo glaubſt Du ſicherlich, daß ich wieder zuerſt zu meiner Frau ging, irrſt Dich jedoch. Diesmal ging ich zuerſt hinten in die Kammer zu meinem Rieſenfaulthier, beſah mir deſſen ſaubere Reſte noch einmal und ſagte: ‚ Alter Geſell was hätte es denn Dir ausgemacht, wenn Stopfkuchen ein paar Wochen oder ein paar Jahre Dich ſpäter aufgedeckt hätte?‘ Und nachdem das gute Thier mir die genügende Antwort gegeben hatte, ging ich wieder zum Tinchen und beſah auch das mir246 wieder einmal genau, von der Friſur bis zu den Schuhſpitzen; und dabei dachte ich denn ausnahms - weiſe auch mal ein bißchen an mich. Ich ſtreichelte dem Herzen die Backen: ſo unſägliche Mühe hatte es mich gekoſtet, dies behagliche, reinliche, zierliche Rom aufzuerbauen — und nun ſollte das alles umſonſt ſein? Und warum? wegen weſſen? wofür und wozu? Kienbaums wegen? Der ewigen und der menſchlichen Gerechtigkeit wegen? Ich ſah mir mein Weib an, ſah mir die Zeitgenoſſenſchaft an und nahm Jeden aus der letzteren, ſo weit ſie um die rothe Schanze herum wohnte, vor. Um nachher von der Geſammt - heit keinen Vorwurf zu verdienen, nahm ich es mit jedem Einzelnen ernſt; und — ich fand nicht Einen drunter, dem ich perſönlich verpflichtet geweſen wäre, ihm ſofort bekannt zu machen, wer in der That Kienbaum todtgeſchlagen hatte. ‚ Aber die ewige Ge - rechtigkeit?‘ wirſt Du fragen, Eduard. Ja, ſieh mal, lieber Freund, in deren Belieben hatte es, meiner Meinung nach, denn doch lange genug gelegen, das Ihrige zur Sache zu thun. Da ſie es nicht gethan hatte und den Vater Quakatz allein hatte ſuchen laſſen, ſo hatte ſie, ſo hatte ſie von ſeinem Schwiegerſohn garnichts zu verlangen: ich aber durfte ſie dreiſt er - ſuchen, jetzt meine Frau mit den widerwärtigen Ge - ſchichten wenigſtens ſo lange als es garnicht anders ging, in Ruhe und Frieden zu laſſen. Blieb alſo nur die Frage: Aber Du? Nämlich ich, lieber Eduard, Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen. — Dir ſitzt doch nun mal der Floh im Ohr, Heinrich! willſt247 und kannſt Du ihn wirklich ruhig ſitzen laſſen, ohne den Kitzel wenigſtens weg zu jucken? Ein Gott hätte man ſein müſſen, um das zu können, und, wie ich mich auch ſchätzte, auf dieſen hohen Stand - punkt, oder bis zu dieſer, wenn Du lieber willſt, Dickfelligkeit hatte ich mich noch nicht erhoben, und da ſagte ich mir denn: Na, ſo kratze Dich, da es juckt und wo es juckt! ſitze erſt mal ſelber zu Gerichte über den verjährten Sünder: nimm ihn mal unter - wegs vor, aber allein! Iſt Dir in der Sache ſchon einmal allein der Präſentirteller unter die Naſe ge - halten worden, ſo macht ſich das ſicherlich auch zum andern Male. Laß ſie Dich nicht umſonſt Stopf - kuchen genannt haben. Friß auch dieſes für Dich allein herunter. Und am liebſten auch wieder unter der Hecke, ſo unterm Brombeerbuſch, bei ruhigem blauem Himmel und heller Sonne, mit den Feld - grillen als Beiſitzern und dem Angeklagten, dem Landbriefträger Friedrich Störzer auf dem Chauſſee - grabenrand Dir gegenüber .... Aber, Kind, Meta, ſo laß Dich doch endlich mal wieder ſehen! Heraus da aus dem dunkeln Winkel und hier an den Tiſch, Mädchen! “
Der Folterer klappte mit dem Hammer an die Daumſchrauben — nein, er klopfte mit dem Deckel ſeines Kruges, und Meta bleich, aufgeregt, mit fliegendem Athem wankte hinter ihrem Schenktiſche hervor.
„ O Gott, Gott, Herr Stopf — Herr Schaumann,248 lieber Herr Schaumann, ich kann ja nichts dafür, aber — “
„ Gehorcht haſt Du. Nun, weißt Du, dann mach es Dir bequemer, ſetz Dich her und höre weiter. Aber erſt noch einen Schoppen und dem Herrn da — nein, der ſcheint nicht mehr zu wollen; aber er hat auch nur zugehört und ſeinen genaueſten Freund reden laſſen. So! jetzt rücke her, Herz, und laß Dir erzählen. Deine Abend-Stammgäſte kommen ja wohl bald? Ich höre die Schritte der großen Bruderſchaft der Erde nahen, und ſiehſt Du, Eduard: beſſer konnte ſich die Sache garnicht machen: der alte Störzer iſt todt, hat ſeinen fünfmaligen Marſch um die Erde vollendet, und zu dem Tinchen kommt morgen Frau Fama auf ein halbes Stündchen zum Beſuch und ſetzt ſich zu der Erbtochter der rothen Schanze eine Weile auf den Grabenrand des Prinzen Xaver von Sachſen; und ich habe es nachher wirklich behaglicher mit meinen dazugehörigen Kommentaren. Das Glas iſt aber ſchlecht eingeſchenkt, Jungfer! “
„ O Gott, darauf achten Sie noch? Darauf können Sie jetzt achten, Herr Schaumann? “ſchluchzte das entſetzte, zitternde junge Ding.
„ Da, ſetz Dich her, Krabbe, und ſperre jetzt weiter die Ohren auf, und nachher den Schnabel meinetwegen ſo weit Du willſt: des Menſchen Maul thut heute in dieſer Angelegenheit keinen Schaden mehr. Wenn das Schickſal will, daß Leute zuſammen - kommen, weiß es das ſchon einzurichten. Ich that in dieſem Falle garnichts dazu: ich ging meine Wege249 und ließ Störzer die ſeinigen gehen: ihm irgendwie hinter einem Buſch einer meiner Hecken aufzupaſſen und ihn beim Kragen zu nehmen, lag nicht in meiner Natur. Meine Wege? Sie führten mich nimmer weit über meinen Grenzwall hinaus; aber doch von Zeit zu Zeit wenigſtens ein wenig hinein in die Feldmark. Biſt Du Mitgründer und Aktieninhaber einer Zuckerfabrik, ſo ſiehſt Du auch in Afrika dann und wann nach Deinen und der Andern Rüben, ſo faul Du auch ſonſt auf Deiner Löwenhaut liegen und Gier-Maul-Affen feil halten magſt. Auf einem dieſer beſchwerlichen Gänge kam es denn zu der Auseinanderſetzung. Du weißt, wo die kaiſerliche Poſtſtraße von der Stadt her nach Gleimekendorf durch das Bauerngehölz, den Papenbuſch, führt. Die Schlupfpfade unſerer Jungenszeit laufen heute noch kreuz und quer, aber theilweiſe immer auch noch auf die Landſtraße zu. Der Buſch iſt ein wenig höher geworden; aber der Graben, der ihn auf beiden Seiten der Landſtraße von derſelben ſcheidet, iſt ganz derſelbe geblieben. Man muß ihn überſpringen, oder hindurch - ſteigen, wenn man auf den Heerweg will. Und letzteres war meine Abſicht. Ja, ja, nur nicht zappeln, Mariechen oder Metachen! Ich bin ein wenig breit — auch in meiner Schöne-Geſchichten-Erzählungsweiſe. Aber dafür ſind andere Leute deſto kürzer, und ſo gleicht auch das ſich im Großen und Ganzen immer wieder aus. Ob die Zweige auf dem lieben Wald - pfade um mich her ſehr rauſchten und raſchelten, als ich fürderſchiebend ſie auseinander bog, weiß ich250 nicht. Jedenfalls wurde der Mann, der da mit dem Rücken gegen den Buſch auf dem Grabenrande ſaß, durch mein und der Erinnyen Näherkommen nicht ſofort aus ſeiner Beſchaulichkeit aufgeſtört. Ausnahms - weiſe kamen die Letzteren auch mal wieder als Eu - meniden. Meinetwegen, wenn ſich Zürnen und Wohlwollen im gegebenen Falle vereinigen ließen, war das mir wahrhaftig Recht! — ‚ Guten Tag, Alter! Hier iſt's ja wohl geweſen?‘ und er gab den Gruß nicht zurück, und die Frage beantwortete er dadurch, daß er herum und emporfuhr und ſeinen Wanderſtab mit ſo verzerrtem Geſicht und mit ſolch einem feſten Griffe faßte, daß ich unwillkürlich auch den meinigen erhob und rief: ‚ Sind Sie verrückt, Störzer? Soll etwa hier am Ort der gute Freund Schaumann dran? Na, ich meine, wir laſſen es bei dem Einen bewenden, und die Welt hat auch wohl genug gehabt an — Kienbaum!‘ Darauf begab ſich etwas, was ich mir ſo nicht voraus hingemalt hatte. Daß das arme Menſchenkind ſeinen Knüttel fallen ließ und den dicken Stopfkuchen für den Jüngſten - gerichts-Boten in Perſon nahm und abwehrend beide zitternde alte Arme ihm entgegenſtreckte, das war in der Ordnung; aber von Überfluß war's, daß es ſich ſelbſt fallen ließ und mit einem: ‚ Herr! Herr! o Jeſus, Sie wieder?‘ die Böſchung hinabrutſchte, ſich in ſeinen Chauſſeegraben legte und zwar auf's Geſicht — beide Hände drunter, vor den Augen, wie ein Kind, mit racheanlockend-hochgehobenem Hintertheil. Da hatte ich die Beſcherung! Ich bin feſt überzeugt,251 wenn ich je in meinem Daſein ein Nußknackergeſicht gemacht habe, ſo iſt's damals geweſen. Was blieb mir nun anderes übrig, als ebenfalls in den Graben hinunter zu ächzen und den armen Schächer an der Schulter zu rütteln und ihm zuzureden: ‚ So be - ruhigen Sie ſich doch nur, Störzer! Es iſt ja die ganzen langen Jahre für Sie recht gut gegangen; alſo richten Sie ſich wenigſtens auch jetzt noch mal auf und zeigen Sie noch einmal Ihr Geſicht. Ich gebe Ihnen mein heiliges Wort darauf, Alter, daß ich mit Ihnen ganz verſtändig und ruhig über die Sache reden werde. ‘ Ja rede einmal Einer zu Einem von euch, lieber Eduard, in einem ſolchen Falle mit Ruhe vernünftig! Es dauerte eine geraume Weile ehe auch dieſem betrübten Sünder das bekannte Zucken über die Schulterblätter lief und er noch durch andere Zeichen und auch Laute bewies, daß er verſtehe, was der gute Bruder im Erdendurcheinander auf ihn hinein - ſpreche. Nachher haben wir denn freilich[eine] ziem - lich inhaltvolle Vertrauensſtunde auf dem Grabenrande beieinander ſitzend mit einander zugebracht. Es würde gewiß ein zu ſtarkes Stück geweſen ſein, wenn der alte Burſche mit ſeinem beneidenswertheſt dickſten Fell der ganzen Gegend auch jetzt noch nichts von ſeinem Geheimniſſe durch die Poren hätte durchſickern laſſen wollen. Meinſt Du nicht auch, lieber Eduard? “
Ich meinte gar nichts mehr. Ich hörte den jetzigen Mann von der rothen Schanze, den Erbnehmer des Mordbauern Quakatz ſo ſprechen im Goldenen Arm, und ſaß zu gleicher Zeit auch am Grabenrand im252 Papenbuſch mit meinem Freund Friedrich Störzer und hörte Den reden von Afrika und wie ſchön es da ſein müſſe und wie angenehm es ſich von den Abenteuern und der Friedfertigkeit dorten leſen laſſe in dem wunderſchönen Buche vom Herrn Levalljang.
Stopfkuchen legte die Hand auf den Deckel ſeines Kruges.
„ Jetzt noch nicht, liebes Kind. Nachher vielleicht noch einen letzten mit dem fremden Herrn hier zum guten Beſchluſſe. Ja, ja, ja, Eduard, was liegt doch Alles zwiſchen des Lebens Anfang und Ende? Und wie klar und nett legt ſich ſo Alles auseinander und nebeneinander, wenn man mal dazu kommt, es ſich zu überlegen, wie die Sachen denn eigentlich möglich geweſen ſind. Von Dir, den Dein Freund Störzer mit ſeinem Monſieur Le Vaillant nach dem Kaffern - lande beförderte, rede ich nicht; von Störzer ſelber und dem Bauer Quakatz und ſeinem Tinchen und ſo ein bißchen beizu von mir iſt die Rede. Und da ſagte Störzer denn jetzt zu mir: ‚ Ja, ich bin's ge - weſen, und ich habe es die ganzen langen Jahre ge - tragen, daß ich es geweſen bin, und daß ſie nach mir vergeblich geſucht haben. ‘— ‚ Hm, und weiter haben Sie ſich nichts dabei gedacht, als ob man Sie wohl finden werde?‘ — ‚ O, du meine Güte!‘ — ‚ An meinen armen Schwiegervater haben Sie zum Exempel nicht gedacht?‘ — ‚ O Gotte doch ja, Herre! aber nur ſo recht eigentlich nicht, liebſter Herre! Es hat mir zwar wohl recht leid gethan, wie er ſo um Nichts und wieder Nichts hat verkümmern müſſen253 in ſeiner unverdienten Verlaſſenheit; aber ändern habe ich ja doch nichts dran können! Und er war dabei ja auch immer ein wohlhabender Menſche und hatte ſein reichliches Auskommen und hat auch zurück - gelegt. Das war doch ein Troſt, und ſie konnten ihm ja auch niemals viel anhaben von Gerichtswegen! Aber denken Sie nur ja nicht, daß es mir nicht immer ein Angehen geweſen iſt, der rothen Schanze von Amtswegen nahe zu kommen. Und wenn es möglich war, ſchickte ich auch immer einen Andern mit den Briefſchaften und der Zeitung hinein. O, Herr Schaumann, Herr Schaumann, von Amtswegen mußte ich ja auch tagtäglich, tagtäglich, tagtäglich da vorbei, wo — wo ich die That begangen habe. Von dem Elend half mir auch Keiner; gerade wie ich dem Andres auf der rothen Schanze nicht von ſeinem Verdruß meinetwegen helfen konnte!‘ — ‚ Nicht helfen konnte, Störzer?‘ — Nein, Herr! leider nicht! denn es war gegen die Natur. Ach, Barmherziger, wenn ich es nur ausdrücken könnte, wie ganz und gar es gegen meine Natur war!‘ — ‚ Eine ſaubere Natur, Störzer!‘ — ‚ Wie oft, Herr, habe ich dasſelbe mir geſagt, hier wo wir ſitzen, auf den Knieen, wenn ich den Buſch und die Straße für mich allein hatte!‘ — ‚ Hier?‘ — ‚ Ja, hier im Papenbuſch auf der Stelle, wo ich's ihm heimgezahlt habe, was er von Kindesbeinen an an mir geſündigt hatte. Wenn es über das rechte Maaß dabei gegangen iſt, ſo habe ich vor dem barm - herzigen Gott die langen, langen Jahre ſchwer an der Verſchuldigung und der Bangniß getragen. Es hat254 mir zu gar keinem Troſte verholfen, was Kienbaum für ein Menſch und im Beſondern gegen mich geweſen iſt. Ich habe es aber auch zuerſt am andern Tage vernommen, was meine That geweſen iſt! Hätte ich ihn hier vor mir liegen ſehen, hätte der Bauer von der rothen Schanze, der Herr Schwiegervater, wohl nicht meine Schuld auf ſich zu nehmen brauchen: da hätten ſie mich ganz gewiß bei der Leiche gefunden und mich gleich mit ſich nehmen können vor den Richter. Die eine Nacht zwiſchen dem einen Abend und dem einen Morgen hat es gemacht, daß mich mein Gewiſſen doch verhältnißmäßig in Ruhe gelaſſen hat, daß aber dafür mir und dem Herrn Papa die ſchwere, ſchwere Lebenslaſt aufgelegt worden iſt. ‘— ‚ Hm, hm, Störzer, es läßt ſich hören, was Sie da ſagen; aber ein etwas zu gemüthliches und jedenfalls ſehr be - quemes Gewiſſen iſt's doch, was Sie in Ihrer Bruſt tragen. Ihre Poſttaſche da könnte ungefähr dieſelben Gefühle, wie Sie für den Inhalt der Briefſchaften in ihr hegen. ‘— ‚ Ich verſtehe nicht recht, was Sie meinen, Herr Schaumann, und wie es in ſo ſchrecklichen Sachen mit Anderen iſt, weiß ich auch nicht; aber Eines weiß ich, daß es ja nun heraus iſt, und durch Ihre gütige Vermittelung die Menſchheit ſich ja nun wird beruhigen können. Und was den lieben Herr - gott angeht, ach Gott, ſo muß ich mich in bitterer Reue damit vertröſten, daß er Kienbaum gekannt hat, und mich in meinen jungen Jahren auch gekannt hat und beſſer als ein Anderer Beſcheid weiß, wie es gekommen iſt. ‘— ‚ Ja wohl, aber beſſer Beſcheid255 möchte doch auch ich jetzt darum wiſſen. ‘— ‚ Was Sie nachher mit mir machen wollen, das liegt ja nun ganz bei Ihnen. Um mich ſelbſt iſt es mir nicht mehr — Kinder und Kindeskinder müſſen aber zu ſehen, wie ſie ſich mit dem Geruch, den der alte Großvater ihnen hinterläßt, abfinden. So ein oder zwei Jahre fehlen wohl noch an der Verjährung. Ich dachte ich brächte es noch bis dahin! aber das iſt nun eben wieder mal ganz anders gekommen. Alſo, wenn auch nur des Herrn Schwiegervaters wegen, thun Sie was Sie müſſen, Herr Schaumann, und für Recht halten!‘ — ‚ Darüber ſpäter. Erzählen Sie jetzt, wie die Sache war und ſich zugetragen hat. ‘— ‚ Ach, das iſt es ja gerade, daß da garnicht viel zu erzählen iſt, ſo ſchlimm es auch ausgegangen iſt. Es iſt nicht einmal über ein Mädchen oder über Geld und Geldeswerth, wie es ſonſt zwiſchen Anderen zugeht, zwiſchen uns beiden hergekommen. Es hat ſich nur bloß gemacht durch den böſen Feind, wie es ſich hat machen ſollen. Wir ſind nämlich in einem Alter, Kienbaum und ich, und haben in zwei Wiegen gelegen, die, ſozuſagen, Wand an Wand ſtanden und ſind miteinander aufgewachſen und haben Einer den Anderen ganz genau kennen lernen können. Es war nicht viel an ihm, Herr Schaumann, und es iſt mir dieſe lieben langen Jahre durch, manchmal wenigſtens ein kleiner Troſt geweſen, wenn ich dieſes Wort über ihn auch aus Anderer Munde habe vernehmen dürfen. ‘— ‚ Ein ſauberer Troſt, unglückſeliges Menſchenkind!‘ — ‚ Jawohl, unglückſeliges Menſchen -256 kind! da haben Sie Recht; aber dafür und deſſenun - geachtet und gerade darum hat man wohl das Recht, jede Tröſtung auf dem ſchweren Wege mitzunehmen. Herr, Herr, wie hat mir Der meine Wege ſchwer gemacht von Kindsbeinen an, von Schulwegen an bis auf dieſe königliche Landſtraße hier! Er iſt es geweſen, der mir auf der Schulbank den Schimpf - namen Storzhammel erfunden und für mein Leben angehängt hat. Er iſt es geweſen, der mir von der Schulbank an von allen Menſchen am meiſten den Unterſchied zwiſchen Armuth und Wohlſtand und zwiſchen einer langſamen Beſinnlichkeit und einem hellen Kopf mit Bosheit und großem Maul zu er - kennen gegeben hat. Herr, Herr, ſein Blut klebt an mir, und ich will es heute noch durch meines gerne abwaſchen, wenn das ſo wie jetzt ſo von ſelber ſich macht, ohne mein Zuthun: aber Herr, Herr, er — Kienbaum muß auch für das Seinige aufkommen, was er mir an Angſt vor ihm und Zorn und Wuth und Verdruß gegen ihn von Kindesbeinen an faſt tagtäglich aufgelegt hat. Denn der liebe Herrgott hatte ihn ja auch in ſeinem Beruf nachher auf die Chauſſee geſetzt als reichen Viehhändler. Herr, wenn da an jeder Ecke ein früherer alter Raubritter auf mich und meine Briefſchaften gelauert hätte, hätte es nicht ſchlimmer ſein können, als ſich ewig ſagen zu müſſen: ‚ Gleich kommt wieder Kienbaum angefahren und bietet Dir die Tageszeit auf ſeine Weiſe. ‘ Herr Schaumann, Sie ſind hier als ein guter, ſtiller Menſch bekannt, und ein ſtiller Menſch bin auch ich257 mein Lebtag geweſen und für mich hingegangen, und habe Alles gehen laſſen und auch ihm jahrelang ſeine Briefe in Gleimekendorf ins Haus getragen und mir von Amtswegen ſeinen Gift und Hohnſpott gefallen laſſen, bis mir in der Schreckensſtunde hier, hier im Papenbuſch ſein und mein Schickſal, und des Herrn Schwiegervaters kummervolles Schickſal auch, auf den Hals gefallen iſt. Herr, Herr, und ſo wahr ich lebe, nur durch mein halbes Zuthun und ganz durch den ſchrecklichen Zufall! Daß es nur ein Zu - fall geweſen iſt, das weiß der höchſte Richter und hat mich auch wohl nur deſſentwegen doch in ein verhältnißmäßig ruhiges hohes Alter kommen laſſen, und das iſt denn ſo mein zweiter Lebenstroſt ge - weſen bei Gewitterſturm und Hagel, Schnee und Hitze auf der Chauſſee, tagein tagaus mit ſich ſelber alleine und ſeinen Gedanken. Ja, Herr Schaumann, Jeder macht ſich das auf ſeine Weiſe zurecht. Nicht wahr, Sie machen es ſich auch eben auf Ihre Weiſe zurecht, was nun Ihre Pflicht gegen mich und Ihre liebe Frau und den alten Quakatz und Kienbaum iſt?‘ — ‚ Ich wollte freilich Ihr lieber Herrgott hätte einen Andern damit betraut, Störzer!‘ — ‚ O laſſen Sie ſich Das nicht anfechten; ich bin bereit, da es jetzt ſo mit der Offenbarung gekommen iſt. Heute — morgen — übermorgen! Und es ſoll mir kein irdiſcher Gerichtsherr beim Verhör eine Lüge nach - ſagen. Darauf lege ich Ihnen ſchon jetzt einen hei - ligen Eid ab. ‘— Stopfkuchen mit Storzhammel im Beichtſtuhl als Beichtvater und Kind, mein guterW. Raabe. Stopfkuchen. 17258Eduard! — ‚ Was ſoll man machen, ‘ſpricht das Letztere, das Beichtkind, ‚ wenn man eigentlich ohne jegliche Wehr und Waffe gegen jeglichen Schlingel von Jugend auf geboren iſt? O Gott, Gott, Gott, es iſt ja gewißlich ein Mord geweſen, den ich an Kien - baum begangen habe; aber es gehört eben Alles dazu, im Kleinen und Allerkleinſten, wie im Groben und Allergröbſten was mir der Mann als Junge und junger Menſch und Mannsmenſch angethan hat. Und mir hat Kienbaum ſo ziemlich Alles angethan, was kein Junge vom andern erträgt! Wenn ſeine Püffe und Knüffe beim alten Kantor Fuhrhans mir an der Haut haften geblieben wären, ſo wäre heute kein weißer Chriſtenflecken mehr an mir, ſondern Alles blau, grün und gelb. Und wenn die Wuththränen, die ich hinter ihm drein verſchluckt habe, jetzt ausbrächen, ſo gäb's drei Eimer voll! Ich habe Ihnen wohl vorhin geſagt, es ſei über kein Mädchen ſo gekommen, aber dabei iſt doch eins geweſen. Nämlich beim Mi - litär. Als wir zwei beim Militär auch vom Herrgott wie aneinander genagelt waren. Ich wollte nichts von ihr, aber ich habe ſie ihm, mit ſeinem Kind bei ſich aus dem Waſſer geholt, in der ganzen Garnitur Numero zwei, und es wäre beſſer geweſen, ich hätte ſie drin gelaſſen die zwei armen Geſchöpfe. Um die Alimente hat er ſich nachher weggeſchworen, und ſo iſt das Kind unter der Hecke verkommen und ſie im Zuchthauſe. Aber davon will ich garnichts ſagen; denn im Grunde ging das mich doch eigentlich weiter nichts an als im allgemeinen menſchlichen259 Gefühl. Aber ſein Wohlſtand! ... Ich habe auch vorhin bemerkt, daß es nicht um Geld und Gel - deswerth zwiſchen uns zum Schlimmſten gekommen iſt, und das verhält ſich auch ſo. Ich war ihm nichts ſchuldig und er mir nichts. Doch daß ihn ſein Geſchäft und Reichthum auf die Landſtraße führen mußte, das war das Böſe. Daß der Viehhandel das Richtige für ihn war, wenn auch nicht immer für ſeine Käufer und Verkäufer, das iſt ſicher; aber wes - halb konnte ihn der liebe Gott denn nicht auf eine andere Weiſe zu ſeinem Beſitz kommen laſſen und mußte mich ihm immer tagtäglich, tagtäglich, tagtäg - lich mit ſeinem Hohn und Spott und Stolz zuſammen - bringen? Er hatte den Hof in Gleimekendorf ge - kauft, mitten in meinem Amtsberufsbezirk, und ſo mußte er an mir vorbei, aufgepuſtet zu Pferde oder zu Wagen — an mir zu Fuße. Unſere jungen Herren auf der Poſt haben es ſich ſchon lange vor - genommen, ſich es mal auszurechnen, wie oft ich jetzt zu Fuße um die Welt gelaufen bin. Damals mochte ich nach meiner Berechnung wohl einmal drum herum geweſen ſein, aber es genügte, wenn mir tagtäglich ſo ein Halunke begegnen mußte, der von ſeinem Wagen, wenn er Sie von hinten treffen kann, Ihnen auch mit der Peitſche einen Schnipſer giebt und im Davonjagen Sie hohnneckt: ‚ Bäh, bäh, Storzhammel! lauf Dich zum Teckel, bring mir die Lujedors und hol Dir Deinen Briefgroſchen; Kienbaum iſt mein Name!‘ Herr Schaumann, damit geht es denn bis einmal zum Überfließen. Und zum Überfließen iſt es ge -17*260kommen; und wenn es nicht eine ſo ſchauderhafte That wäre, wäre garnichts Beſonderes dran. O Du lieber, barmherziger Himmel, wovon hängt es doch ab, daß der Menſch ſeine ruhigen Lebensſtunden und Nächte und ſein reines Gewiſſen behält; oder ſie ſich oder einem Andern wie Ihrem Herrn Schwiegervater, Herr Schau - mann, hier ſein ganzes Daſein verderben muß? Gerad ſo ein ſchöner Abend wie heute war's, bloß ein bißchen gewitterſchwüler als wie heute. Und ich hatte einen ſauern Tag gehabt — die Taſche voll und dazu ein halb Dutzend Geldbriefe, was mir immer das Beſchwerlichſte geweſen iſt, von wegen der Ver - antwortlichkeit und genauer Eintragung und nach - heriger Abrechnung im Bureau. Ich fühle es durch alle Knochen, wie ich von Kräften bin, und ſchleiche her und komme hierher in den Papenbuſch, als die Dämmerung ſich eben ins Gehölz geniſtet hat. ‚ Der ewige Jude biſt Du doch nicht, Störzer, ‘ſage ich mir. ‚ Fünf Minuten wird's ja mal Zeit haben, ‘und da faßt mich der Teufel, oder der liebe Herrgott will's, und ich ſetze mich die fünf Minuten hier auf den Grabenrand: o hätte mir doch der Himmel lieber fünf Minuten vorher einen durchgehenden, vier - ſpännigen Heuwagen über den Leib gehen laſſen! ‚ Und jetzt fehlte Dir noch Kienbaum bei Deinem jetzigen Kaputſein, ‘muß ich auch noch ſagen. Und in dem nämlichen Augenblick muß ich auch ſchon aufhorchen, denn dort um die Ecke her kommt Räderwerk, und ich höre ſchon von Weitem wie Einer auf ſeine Gäule haut und ſchreit; ‚ Verfluchte Karnaljen!‘ Da fährt's261 mir giftig durch: ‚ Na, da haben wir das Vergnügen ſchon!‘ und ich wußte, daß mir heute wieder mal garnichts von meinen Moleſten geſchenkt werden ſollte. Ich mache mich auch auf Alles gefaßt; aber, ich faſſe diesmal in der Gewitterluft auch nach meinem Stocke neben mir und ſage mir: ‚ Störzer, im Nothfall ſei mal 'n Mann und wehre Dich gegen den höhniſchen Grobſack!‘ Aber auch dies kommt anders, wie meiſtens bei ſolchen Gelegenheiten. Als mich Kienbaum ſitzen ſieht, zieht er die Zügel an und hält mit ſeinem leeren Viehwagen. Ich denke: ‚ na heute hat er's gut im Sinne, ‘und ſo iſt's auch geweſen. Er hat mal ausnahmsweiſe einen noch Schlauern als wie er gefunden. Wie ſich nachher ausgewieſen hat, Ihren Herrn Schwiegervater, den Bauer von der rothen Schanze, Herr Schaumann. Der Ochſenhandel iſt nachher vor Gericht breit genug getreten worden als Indizium gegen den Bauer Quakatz von der rothen Schanze. Daß der Herr Schwiegervater nach dem Geſchäft am Morgen, am ſpäten Abend auf dem Wege nach Gleimekendorf geſehen worden iſt, das war das zweite Indizium, wie Sie wiſſen, Herr Schau - mann. Es hatten zu Viele in der Stadt, im blauen Engel vernommen, wie ſie ſich um Mittag einen Schuft, Halunken und Spitzbuben um den andern an die Köpfe geworfen haben; aber an wem ſoll's denn nachher ſo ein Menſch wie Kienbaum, wenn er die unterſte Hand im Spiel gehabt hat, beſſer aus - laſſen, als an ſo Einem wie ich? ich bitte Sie! ... Ihr Herr Schwiegervater und er haben ſich nicht262 mehr im Papenbuſch getroffen, aber auf mich, ſeinen Storzhammel, trifft Kienbaum daſelbſt — hier — hier — an dieſem Platze gerade zur richtigen Stunde für ſeine Gefühle. Er hält ſeinen Wagen an, und ich bin aufgeſtanden und habe meine Taſche zurecht gerückt und meinen Stock feſt gefaßt. Ich ſehe ihn in der Dämmerung ſein Geſicht auf ſeine Weiſe ver - ziehen, und da ſchreit er mich ſchon an: ‚ Richtig, Storzhammel! Na, ſitzt er wieder und brütet An - deren die Eier aus? Haſt Dich heute mal wieder für fünf Groſchen zum Teckelhund gelaufen, Du Blödbock? Nimmſt es mir doch nicht übel? ſind ja die beſten Kameraden von der Schulbank und dem Regiment her! Da, — reich mir die Hand mein Leben!‘ und damit haut er mit ſeiner Peitſche, was er nach ſeiner Manier für einen guten Spaß hält, nach mir hin, daß ſich die Schwippe mir um den Arm legt und mir einen blutigen Striemen über die Hand zieht. So arg hatte er's wohl nicht im Sinn gehabt; aber was nun kam, das mußte eben dadurch kommen. Ich laſſe den Stock fallen und greife im Schmerz nach ihm auf dem Erdboden; aber dafür kommt mir, barmherziger Gott, an ſeiner Statt, der nächſtliegende Feldſtein in die Hand. Gedacht habe ich mir nichts bei dem Wurfe und gezielt habe ich auch nicht; aber getroffen hat er — durch Gottes und des Satans Willen. Ich ſehe, wie der Mann nach der Seite ſchwankt und den Zügel ſchüttelt. Die Pferde ziehen an, der Wagen fährt an mir vorbei in die nächtliche Dämmerung herein. ‚ Nimm's mit263 nach Hauſe und leg eine kalte Meſſerklinge drauf, Du Lump!‘ rufe ich nach. Ob er es noch vernommen hat, kann ich nicht ſagen. Meine Meinung iſt nach - her in mancher bangen Nacht und Stunde geweſen, daß er's nicht gehört haben kann. Es iſt mir trotz meiner Wuth wohl etwas kurios, daß er mit ſeinem Kurs nicht auf der Straße nach Gleimeken - dorf bleibt, ſondern rechts um, dort in den Wald - und Holzweg nach der rothen Schanze einbiegt, aber geachtet hab ich in meiner Wuth auch nicht weiter drauf, ſondern bin nach Hauſe gegangen und habe bis nach Hauſe an meinem wunden Handgelenk ge - ſogen wie ein geſchlagenes Kind. Was nachher ſich her - ausgeſtellt hat, Herr Schaumann, wiſſen Sie ja ſelber eben ſo gut als ich. Sie wiſſen, wie die Gäule auf dem Holzwege in den Schlenkerſchritt gefallen ſein müſſen und auch wohl ſtundenlang ganz ſtille gehalten haben, bis ſie ſich auf dem Feldwege um Mitternacht nach Gleimekendorf auf ihren Hof und vor ihren Stall gefunden haben. Da kommen ſie mit Laternen und gucken in den Wagen und finden Kienbaum im Stroh, und die Doktoren haben es herausgekriegt, daß es ein Schlag oder Wurf an die linke Schläfe geweſen ſein muß, der das Unglück gemacht hat. Alles ſteht in den Akten ganz genau, nur ich nicht. Ich komme nur beiläufig darin vor, als wie Einer, den Kienbaum auch noch auf der Chauſſee getroffen und mit dem er ſich unterhalten hat. Ach Gott, Herr Schaumann, weshalb hat mich der Herrgott ſo ge - ſchaffen wie er mich geſchaffen hat, wenn er mir dies264 Schreckniß dazu ſchaffen wollte? Der Menſchheit und der Juriſterei iſt es nicht zu verdenken, daß ſie in dieſer Sache ſich an Quakatz gehalten hat und nicht an den Landbriefträger Störzer. In ſeiner Natur und Stellung zu ihm lag's, Kienbaum todtzuſchlagen. In meiner nicht! Gott ſei Lob und Dank, ſie haben mich wenigſtens nicht zum Zeugen gegen ihn, Ihren Herrn Schwiegerpapa, aufgerufen. Da hätte ich mein ſchweres Herz auf den grünen Tiſch legen können; aber mich ſo nach angſtvollen Nächten und einſamem Tagesmarſch von ſelber angeben — — ich habe es verſucht, aber es iſt nicht gegangen — ich habe es wollen, aber ich habe es verſchoben — immer weiter verſchoben, und ſo ſind die Jahre hingegangen, und dem Bauer auf der rothen Schanze iſt es trotz ſeinem Verdruß immer beſſer ergangen. Die ſtille Angſt, die ſtille Angſt durch ein Menſchenalter, Herr Schau - mann! Mit jedem Briefe habe ich ſie tagtäglich durch ein Menſchenalter rund um die rothe Schanze her und auf ihr den Menſchen abgeben müſſen und habe es doch nicht können — habe mich doch nicht ſelber angeben können als den Thäter von der That, als Kienbaums Mörder. Herr, Herr, es iſt zwar eigentlich zu ſpät, aber ich lege Ihnen kein Hinderniß in den Weg; — Sie brauchen mich nicht an der Schulter zu nehmen: ich folge gern und gutwillig, wenn Sie mich jetzt, heute Abend, in die Stadt bringen und dem Erſten am Thor ſagen: ‚ Der iſt's geweſen! er hat es eben ganz von ſelber geſtanden!‘ “— — — — — — — — — — —
265„ Was iſt denn das? Noch kein Licht hier? “ſagte der erſte Stammgaſt. „ Bald ſollen wir uns unſere Erleuchtung wohl ſelber mitbringen? Meta, Sie! wo ſtecken Sie denn? “
„ Hier, Herr Staatsanwalt! o Gott, ja, gleich! “rief das Mädchen mit zitternder Stimme. Auch das an - gezündete Streichholz zitterte in ihrer Hand, und es gelang ihr nur nach wiederholt mißlungenen Ver - ſuchen, das Separatzimmer der beſten Männer im Goldenen Arm in ein helleres Licht zu ſetzen.
„ Siehe da, die Herren! “ſagte der Staatsanwalt. „ Was Schaumann, und nun wollen Sie gehen, da wir eben kommen? Ei was, Stopfkuchen, alter dicker Freund, und Du, Eduard, jetzt bleibt einmal ſitzen wie in andern ſchönern Zeiten. Was noch von der alten Corona in dieſem Jammerthal vorhan - den iſt, verzeiht es mir nie, wenn ich euch jetzt ruhig laufen laſſe; den Einen nach ſeiner rothen Schanze, den Andern nach ſeinem ſchwarzen Afrika. Meta, jedem der Herren auch noch einen Schoppen! Kinder, das iſt ja zu famos, das kann ja endlich mal wieder ein fideler Abend nach der guten alten Art werden. Na, ihr bleibt? was? “
„ Wie gerne, wenn es ginge, und mein Leib - arzt es mir nicht unterſagt hätte, “lachte Stopfkuchen. „ Ach, wenn Sie nur eine Ahnung davon hätten, Schellbaum, wie ſtreng mir der Menſch, der Ober - waſſer geiſtige Aufregung jeder Art unterſagt hat, Sie ließen mich wie in anderen ſchöneren Zeiten ruhig unter meiner Hecke. “
266Wir nahmen unſere Hüte. Das Zimmer hatte ſich jetzt ſchon mehr gefüllt; aber glücklicherweiſe mit Stammgäſten, die nichts mehr von Joſeph wußten und den dicken Schaumann nur von Hörenſagen und von Ferne kannten. So kamen wir glücklich endlich hinaus auf den Vorplatz, und dorthin kam die arme Meta, zitternd vor Aufregung, uns nach.
„ O Gott, o Gott, Herr Schaumann; aber ich habe ja Alles mit angehört! iſt es denn möglich? Und die Herren da drinnen! darf es denn jetzt Jeder wiſſen? darf Auch ich jetzt Alles den Herren heute Abend ſagen? “
„ Alles, mein Kind. “
Dem Kapitän wird die Sache immer unheim - licher. Eben ſagt er:
„ Herr, daß das Trinkwaſſer auf dem Schiffe ausgeht, das paſſirte früher öfter, kann auch heute noch vorkommen und hat ſeine Unbequemlichkeiten; aber was ſagen Sie, wenn ich Ihnen thränenden Herzens ſignaliſiren muß: Sir, wir ſind beim letzten Droppen Dinte angekommen? Well, da iſt es ja ein wahres Glück, daß wir von morgen an nach dem Tafelberg ausgucken können. “
„ Das iſt es, old friend! “
Und der alte Seebär ſtieg wieder auf Deck kopf -267 ſchüttelnd, und vor ſich hinbrummend, daß ſo 'ne verdammte Schreiberei gottlob doch nur eine Aus - nahme auf dem Waſſer ſei. Ich bin feſt überzeugt, in drängender Noth hätte er mich für den Unheils - vogel auf ſeinem Schiff genommen und ohne große Gewiſſensbiſſe über Bord in die toſende See be - fördert, um die übrige Ladung durch das ſühnende Opfer zu retten. — —
Wir, Stopfkuchen und ich, aberſtanden wieder vor dem Goldenen Arm unter dem ſtillen, warmen, dunkeln Sommerabendhimmel, und ich trocknete mir die Stirn nicht weniger ab wie der erſtaunliche, dicke Freund. Er hatte die Geſchichte von Kienbaums Morde nicht bloß mit ſeiner dröhnigen, langweiligen Redegabe von ſich gegeben; er hatte ſie auch ausgeſchwitzt, ſie durch die Poren aus ſich herausgelaſſen. Ich aber, hatte ich darum draußen ſoviel zu Waſſer und zu Lande erlebt, um in dem ſtillen Heimathwinkel vor Stopfkuchen und Storzhammel zu ſtehen wie vor etwas weder von mir noch von irgend einem andern Menſchen je Erlebten?
Wer von Beiden war mir nun der Unbegreif - lichſte, der Unheimlichſte geworden? O dieſer Störzer! O dieſer Schaumann! — Mein alter, älteſter Kinder - freund und Spielkamerad Kienbaums Mörder! Er der mich im Grunde doch ganz allein auf die See und in die Wüſte durch ſeinen Le Vaillant gebracht hatte, dem ich mein „ Rittergut “am Kap der guten Hoffnung einzig und allein durch ſeine Unterhaltungen auf ſeinen Weltwanderungen auf ſeinen Landſtraßen268 und Feldwegen zu danken hatte. Es war nicht aus - zudenken: jedenfalls jetzt — augenblicklich nicht weiter darüber zu reden.
Stopfkuchen begleitete mich zu meinem Gaſthofe, und an deſſen Thür that ich wenigſtens noch eine Frage an ihn.
„ Willſt Du nicht noch einen Augenblick mit heraufkommen? “
„ Lieber nicht, “meinte Heinrich. „ Meine Frau hat ſich ſchon ſeit Jahren nicht mehr um mich ge - ängſtigt. Um dieſe Tageszeit bin ich immer zu Hauſe. Nun, es iſt freilich heute mal eine gerechtfertigte Ausnahme. Was thut man ſo einem lieben, alten, fremdgewordenen Freunde nicht Alles zu Gefallen, um ihm das alte Neſt wieder heimelig und vertraulich zu machen! Wir ſehen Dich doch noch einmal vor Deiner Abreiſe, Alter? Du mußt Dir doch noch das Geſicht anſehen, was meine Alte macht, nachdem ſie auf die mir angemeſſenſte Weiſe durch Andere er - fahren haben wird, was ich ihr — nach der ſicheren Meinung der Welt morgen — ſchon längſt ſelber hätte ſagen ſollen. Gute Nacht denn für diesmal, Eduard! Habe Dank für Deinen Beſuch: das war wirklich heute endlich mal wieder ein etwas unge - wöhnlicherer Tag für die rothe Schanze. “
„ Gute Nacht, Heinrich, “ſagte ich; augenblicklich nicht im Stande, ihm noch etwas Anderes zu bemerken, und er ſchien dieſes auch für ganz ſelbſtverſtändlich zu nehmen, denn er watſchelte ruhig durch die an - genehme Nacht ſeiner feſten Burg im Leben zu, mich269 mit ihm, ſeiner Frau, ſeinem ſeligen Schwiegervater, mit Störzer und mit Kienbaum nun im „ Hotel “allein laſſend. Wenn ich ihn je in vergangenen Jahren, wie er ſich ausdrückte, unter ſeiner Hecke ſeinen Gedanken, Gefühlen, Stimmungen, kurz ſich ſelber allein als eigenſter Auſträgalinſtanz anbefohlen hatte, ſo zahlte er mir das heute mit tauſendfachen Zinſen zurück und ließ mich ihm nachgucken in die Nacht hinein, wie ſelten einem Menſchen nachgeguckt worden iſt.
Nun war ich unter meiner Hecke, in meinem heimathlichen Abſteigequartier allein, und hatte die Nacht vor mir, um zu überlegen, was ich den Tag über erlebt hatte. Als aber die Morgenſonne mir ins Fenſter und auf die Bettdecke ſchien, und ich das Facit von Wachen und Traum zog, fand ich, daß ich mich ſonderbarerweiſe eigentlich nur mit Frau Valentine Schaumann geborener Quakatz, und ver - hältnißmäßig recht wenig mit Kienbaum, Störzer, dem Papa Quakatz und mit Stopfkuchen beſchäftigt hatte.
Die Gute! Die Arme und Gute! ...
Und konnte man es Stopfkuchen verdenken, daß er um ſie und ihre rothe Schanze, um deren Behag - lichkeit willen, endlich auch die irdiſche Gerechtig - keit als das Gleichgültigere, das weniger in Betracht Kommende angeſehen hatte? So wahrſcheinlich bald nach Mitternacht hatte ich mich ganz in des Dicken Stelle, das heißt ſeine Haut verſetzt, das heißt, war in dieſelbe hineinverſetzt worden. Ich war zu ſeinem270 Leibesumfang angeſchwollen und hatte mich auf die Höhe ſeiner behaglichen Weltverachtung erhoben und hatte geſagt: „ Dem dürren Afrikaner, dieſem Eduard, wollen wir nun doch einmal aus dem alten Neſte heraus imponiren und ihm beweiſen, daß man auch von der rothen Schanze aus aller Philiſterweltan - ſchauung den Fuß auf den Kopf ſetzen kann. Dem wollen wir einmal zeigen, wie Zeit und Ewigkeit ſich Einem geſtalten können, den man jung allein unter der Hecke liegen läßt, und der da liegen bleibt, und um die Seele auszufüllen nach Tinchen Quakatz ſucht, und um den Leib bei Rundung zu erhalten, die rothe Schanze erobert, und in Mußeſtunden von letzterer aus auch den geſtern vergangenen Tag als wie einen ſeit Jahrtauſenden begrabenen Mammuthsknochen auf - gräbt.
Da überlegte ich mir in dieſer Nacht, erſt außer - halb des Wirthshausbettes und dann in demſelben, den mir eben vergangenen Tag noch einmal von Stunde zu Stunde, von Wort zu Wort. Und mehr und mehr kam mir wieder zum vollen Bewußtſein der alte ganz richtige Satz vom zureichenden Grunde, wie ihn der alte Wolf hat: Nihil est sine ratione cur potius sit, quam non sit; und wie es der Frankfurter Buddha überſetzt: „ Nichts iſt ohne Grund, warum es ſey. “— Wie mich der Le Vaillant, über - ſetzt von Johann Reinhold Forſter, in der Bibliothek des Landbriefträgers Störzer zu den Buren in Prätoria gebracht hatte, ſo hatte der Steinwurf aus Störzers Hand nach Kienbaums Kopfe den Freund zu Tinchen271 Quakatz geführt und ihn zum Herrn der rothen Schanze gemacht. Und ſo, wenn Kienbaum nicht Kienbaum, wenn Störzer nicht Störzer, wenn Stopfkuchen nicht Stopfkuchen und Tinchen nicht Tinchen geweſen wären, ſo wäre auch ich nicht ich geweſen und hätte gegen Morgen über dieſe Mordgeſchichte in den ruhigſten Schlaf verſinken und daraus erwachen können mit den beruhigenden Gedanken an das „ afrikaniſche Rittergut “, und an mein Weib und meine Kinder daheim:
„ Nun, die Sache hat ſich ja noch ganz erträglich gemacht. “
Fertig war ich freilich noch nicht mit ihr, der Sache nämlich. Das ſollte ich ſofort von dem Geſicht des Kellners ableſen, als ich die Zimmerglocke gezogen hatte, und der Jüngling mich erſt eine ge - raume Weile angaffte, ehe er meinen Wunſch nach friſchem und nach warmem Waſſer begriff. Und ſchon erſchien Freund Sichert, der Wirth ſelber hinter ihm und ſtarrte mich gleichfalls an und rief:
„ Aber, Herr, iſt es denn möglich? Ich bitte tauſendmal um Entſchuldigung, aber Sie ſind ja der Erſte aus der Stadt, der's ganz genau von Herrn Schaumann vernommen hat, wie es eigentlich geweſen iſt! Und es ſind auch ſchon einige von Ihren ver - ehrten Herrn Bekannten unten im Speiſeſaal geweſen, und haben ſich erkundigt, ob Sie noch nicht auf ſeien, und ob es ſich denn wirklich ſo verhalte mit Kienbaum und mit Störzer? “
„ Nun ja, lieber Sichert. Es wird es ja wohl. “
272„ Es iſt doch nicht möglich! Ein Theil der Stadt iſt ja freilich ſchon geſtern Abend, geſtern Nacht, vom goldenen Arm aus darüber in die größte Aufregung gerathen. Leider waren Sie bereits zur Ruhe ge - gangen als die Überraſchung auch noch zu mir drang, und ich nahm mir die Freiheit nicht — “
„ Mich zu wecken und ſofort um die genaueſte Auskunft anzugehen. Ich danke Ihnen verbindlichſt lieber — “
„ Aber, mein Gott, Sie verzeihen, beſter, ver - ehrteſter Herr, Sie ſind doch auch ein Stadtkind und gehören ſo zu ſagen noch zu uns, und womit man ſich die langen Jahre ſo ſchwer und intereſſirt herumgetragen hat — wenn da nun mit einem Male eine ſo merkwürdige Aufklärung kommt! ... Und dieſer alte Störzer! Es hielt ihn ja Keiner für mehr als für einen guten, unſchädlichen, alten Mann und Hammel! und heute Morgen begraben ſie ihn, dem Arme der irdiſchen Gerechtigkeit vollſtändig entzogen! Und unſer verehrter Herr Schaumann von der rothen Schanze, der doch ſchon längſt ſo viel zur völligen Aufklärung hätte thun können! der ſo viel dazu hätte thun können — “
„ Uns noch eine letzte angenehm-unheimliche Auf - regung zu verſchaffen. Na, na, lieber Sichert, dazu war er eben zu dick, zu unbeholfen, zu ſchwerfällig, oder wie Sie es ſonſt nennen wollen. Auch wohl ein wenig zu gutmüthig und für ſeine Bequemlichkeit be - ſorgt. Und dann — na, dann war es ja doch auch eine ſo alte Geſchichte, eine ſo verjährte Sache, die273 im Grunde ja Niemand mehr was anging als vielleicht noch ein wenig ſeine Frau — Herrn Schaumanns Frau, eine geborene Quakatz. Ja, weshalb ſollten die Beiden und noch dazu von ihrer jetzigen ganz ſichern Schanze aus um den alten, guten Störzer die hohe Juſtiz bemühen, ihr auf die Sprünge helfen, um ſie eigentlich doch nur dadurch zu beſchämen? Überlegen Sie das einmal. “
„ Ich kann es doch nicht faſſen! “ſeufzte mein Herr Wirth und ging, kopfſchüttelnd und durchaus nicht befriedigt von mir. Ich aber faßte mich an die Stirn: Du lieber Himmel, wie ſehr hatte Stopfkuchen Recht! Schon was ich jetzt über mich nur kommen ſah, genügte vollſtändig, um mich nun - mehr ganz in ſeine Situation während der Zeit nach einem plötzlichen Aufmerken an dem ſchönen Sommer - morgen beim Begräbniß ſeines Schwiegervaters zu verſetzen. Sofort aber folgte auch die Überlegung: „ Und nun kannſt auch Du mit ausbaden, was der Dicke hinter aufgezogener Zugbrücke der Welt ſo lange als möglich ſo ſchnöde als möglich vorenthalten hat! Und der Feiſtling iſt auch jetzt noch im Stande, ſeine Schanze um ſich und ſein Weib herum noch mehr in Vertheidigungszuſtand zu ſetzen, die Bulldoggen, Fleiſcher - und Schäferhunde, die giftigen Spitze, kurz alle die biſſigen Wächter ſeines ſeligen Schwiegervaters wieder aus der Gruft zu beſchwören, und Dir, Eduard es ganz allein zu überlaſſen, die Sache Störzer-Kien - baum gegen die Menſchheit auszutragen! “
W. Raabe. Stopfkuchen. 18274Daß der Menſch trotz ſeiner einladenden Worte noch einen zweiten Beſuch von mir erwartete, glaubte ich nicht mehr. Und ich habe es ſchon geſagt: die rothe Schanze war der letzte Ort der Heimath, dem ich noch einen Beſuch ſchuldig geweſen war. Geſchäfte hatte ich nicht mehr zu Hauſe. Alle lieben und alle ſchlimmen Erinnerungen hatte ich von Neuem geweckt und konnte ſie aufgefriſcht mit nach Kaffraria nehmen. Wenn ich durchging vor den Manen Kienbaums, ließ ich kaum ein Bedauern, ſondern nur höchſtens eine kurzlebige Verwunderung über den raſchen Aufbruch hinter mir zurück. Es war niemand von beiden Geſchlechtern vorhanden, der mir den Rock zerriſſen haben würde bei dem Verſuche, mich „ wenigſtens noch ein paar Tage “zurückzuhalten.
Wie wäre es denn, wenn Du den Kopf aus der Geſchichte zögeſt, Eduard; und Dein Theil daran ſofort mit auf das Schiff nähmeſt?
Mit dem Wort oder vielmehr Gedanken ſtand ich bereits nicht mehr auf dem feſten Boden des Vaterlandes, ich ſtand wieder auf meinen Seebeinen auf den beweglichen Planken über dem großen Ge - woge des Oceans, und es blies mir ein ſehr er - friſchender Meerwind ins Geſicht.
„ Ich gehe! “ſagte ich, und — ich ging wirklich und wahrhaftig. Stille Vorwürfe ließ ich dabei außer Acht, und für laute war ich ja immer noch in Afrika zu finden, und hätte da gern Jedem Rechen - ſchaft abgelegt, das heißt ihm dies, mein Schiffstage - buch zu leſen gegeben.
275Übrigens koſtete es doch einige Liſt und Mühe, bloß die Heiligen drei Könige unverhindert hinter ſich zu laſſen. Nur durch etwas was einer Beſtechung recht ähnlich ſah, gelang es mir, meine Rechnung ſogleich und hinterm Rücken meines Herrn Wirthes zu erhalten. Es koſtete mich Geld, aber ich fand einen dienſtwilligen Geiſt, der mich des Hotelwagens überhob und mir mein Gepäck ganz verſtohlen auf einem Schubkarren zum Bahnhof beförderte. Ich verkleidete mich nicht, ich ſchlug mir nicht den Theater - mantel um die Ohren und zog den Schlapphut über die Naſe herab; aber ich verzog mich auch nicht auf dem offenen geradeſten Wege, ſondern entſchlüpfte durch die Hinterpforte und den Hausgarten der Heiligen drei Könige. Aus dem Garten brachte mich ein zweites Pförtchen in einen mir aus der Kinderzeit wohlbekannten, gottlob noch vorhandenen engen Pfad zwiſchen andern Gärten, Stallungen und ſonſtigen Hintergebäuden. Hätte ich Kienbaum todtgeſchlagen und wären mir die Häſcher auf den Ferſen geweſen, ich hätte nicht behutſamer verduften können; und ich pries es jetzt als ein wahres Glück für mich, daß ſich in der Stadt doch verhältnißmäßig wenig während meiner letzten Abweſenheit verändert hatte und ich mit dem alten Haus - und Ortsſinn auch auf den weniger be - gangenen Wegen auskam.
Es war gegen neun Uhr als ich nicht durch die Stadt, ſondern um ſie herum hinter den Gärten zum Bahnhof wanderte. Daß dieſer Weg durch das Matthäiviertel führte, hatte ich bei meinem Wunſche,18*276die Hauptſtraßen zu vermeiden, nicht mit in Betracht gezogen und mich alſo nicht zu ſehr zu verwundern über das Getümmel, in welches ich trotz aller augen - blicklichen vorſichtigen Menſchenſcheu gerieth.
Es wäre übertrieben, wenn ich ſagen wollte, daß die halbe Stadt auf den Beinen war, um dem Be - gräbniß des Landbriefträgers Störzer mit anzuwohnen: aber ein gut Theil der Bevölkerung war doch ver - ſammelt in den Gaſſen und Gäßchen, um ſeine Be - hauſung her. Und darunter nicht bloß Fräulein Eyweiß mit ihrer Brunnenkruke, ſondern auch mehrere Bekannte aus dem Brummerſumm.
Daß man da ſtehe und auf den Zug warte, um dem Alten mit ein ehrenvolles Geleit zu ſeinem Grabe zu geben, äußerte Niemand. Aber Jedermann hatte gewiß das Recht, ſeiner Morgenbequemlichkeit oder ſeinen Geſchäften ein paar Augenblicke abzuzwacken, um jetzt, im letzten Augenblick, einen Blick auf die ſchwarze Truhe zu werfen, die den augenblicklich merkwürdigſten Menſchen, nicht bloß der Stadt ſondern auch der Umgegend auf weithin, barg. Sie wollten Alle den guten, alten, dummen Kerl, dieſen alten Störzer, der in ſeinen vierundfünfzigtauſendein - hundertvierundſechzig Amts-Gehſtunden mit ſeinem ſchweren Gewiſſen fünfmal um die Erde herum ge - weſen war, und der die ganze Stadt von oben bis unten ſo lange, lange Jahre hatte reden laſſen, ohne ein Wort zu ſagen, — ſie wollten ihn, Kienbaums Mörder — ihn oder wenigſtens ſeinen Sarg doch noch einmal ſehen!
277Und ſchon bekam ich einen freundſchaftlichen Schlag auf die Schulter:
„ Je, Eduard! Du mußteſt freilich vom Kap der guten Hoffnung mal nach Hauſe kommen, um uns hier dieſe Überraſchung mitzubereiten. Wir haben es geſtern Abend im Arm ſchon ziemlich zu einander gebracht wie ihr — Du und Schaumann geſtern auf der rothen Schanze euren Gefühlen Luft gemacht haben werdet. Das war aber vortrefflich von Dir, daß Du dem Dicken endlich zu einer mittheilſamen, redefreudigen Stimmung verholfen haſt. Dieſer Stopf - kuchen! Ja, ſo iſt er immer geweſen! Ja, ja, Du mußteſt erſt kommen, daß es ſo kommen konnte! Ohne Dich, Eduard, hätten wir noch lange darauf warten können, zu erfahren, wer eigentlich Kienbaum todtgeſchlagen habe. Und dieſer alte Störzer: man weiß wirklich nicht, ob die Geſchichte durch ihn un - heimlicher oder ſo zu ſagen, ganz gemüthlich wird. Aber wie geſagt, hauptſächlich was ſagſt Du zu Stopfkuchen? Iſt er nicht göttlich? Iſt er nicht immer noch ganz der Alte? “
„ Ganz der Alte. So leicht verändern wir uns nicht. Aber Du verzeihſt: geht Deine Uhr richtig? “
Der Freund ſah nach ihr:
„ Auf die Minute. In zehn Minuten halb zehn. “
„ Dann hab ich keinen Augenblick mehr zu ver - ſäumen. Der Zug nach Hamburg geht in zwanzig Minuten ab. “
„ Du reiſeſt nach Hamburg? “
„ Und ein wenig weiter. Ich reiſe ab nach Afrika. 278Es freut mich ſehr, daß ich Dich eben noch getroffen habe, um auch Dir für diesmal aufs Herzlichſte Lebe - wohl zu ſagen. “
„ Aber Eduard? Eduard, Du ſcherzeſt! wie kommt denn das ſo raſch, ſo plötzlich? “
Glücklicherweiſe kam in dieſem Augenblick der kümmerliche, ärmliche Leichenzug um die Ecke und überhob mich der Antwort. Der ſo wunderlich aller irdiſchen Sühne entſchlüpfte Todtſchläger ging dem Freunde doch noch mehr über allen Spaß als wie meine plötzliche Abreiſe. Das Schauſpiel feſſelte ſo ſehr ſeine ganze Aufmerkſamkeit, daß ich gleichfalls entſchlüpfen konnte, nachdem auch ich dem Sarge meines älteſten Freundes in der Stadt noch einen letzten kurzen Blick hatte ſchenken können.
Dieſer arme Sarg — jetzt mit einem Gefolge, das nur aus einer Frau mit einem Kinde auf dem Arme und einem an der Schürze beſtand! ...
Sie hatten alle das Geleit verweigert, die ſonſt wohl dazu gehört haben würden. Auch die kaiſerliche Poſt hatte es nicht mehr für ſchicklich erachtet, ihre niedern Bedienſteten dem alten Weltwanderer, dem guten Beamten aber ſehr verſtohlenen Mordgeſellen hinterdrein zu ſchicken; und ſie war ganz gewiß dabei nicht im Unrecht, ſie hatte vollkommen Recht.
„ Nun, er hat es ſich und dem unglücklichen Frauenzimmer ja ſchon geſtern Abend verſprochen, hier an Kinder und Enkel zu denken, “ſagte ich, den Bahnhof erreichend. Es ging gerade ein früher Ver - gnügungszug ſüdwärts durch, und es wimmelte von279 luſtigen Fahrgäſten mit grünen Zweigen an den Hüten, Liederbüchern in den Taſchen, Futterkobern und Körben und allem, was ſonſt zu ſolchem beſchwerdenſchwangern Ausflug aus dem Alltage heraus gehört: ich hätte in kein richtigeres Getümme[l]für meine Stimmung hineingerathen können. So war die Welt!
Mit einiger Mühe gelangte ich in den nach dem Norden abgehenden Zug; aber es war keine unliebe Mühe, und ein Kind habe ich dabei nicht über den Haufen gerannt, auch keinem Weibe durch einen über - eiligen Ellbogenſtoß den Ausruf: „ O mein Gott! “entlockt. Aber mich feſt hinſetzend in gottlob der Wagenecke ſeufzte ich:
„ So, Stopfkuchen! “... und fügte erſt nach einer Weile hinzu: „ Ja, im Grunde läuft es doch auf ein und dasſelbe hinaus, ob man unter der Hecke liegen bleibt und das Abenteuer an ſich herankommen läßt, oder ob man ſich von ſeinem guten Freunde Fritz Störzer und deſſen altem Le Vaillant und Johann Reinhold Forſter hinausſchicken läßt, um es draußen auf den Waſſern und in den Wüſten auf - zuſuchen! “
Ein ſchriller Pfiff, ein Ziſchen, ein Schnaufen und Schnauben, ein immer beſchleunigteres Athemholen und Ächzen und die Heimathſtadt mit allem geiſtigen und körperlichen eiſernen Beſtand des Menſchen, mit Lebenden und Todten, mit Vater und Mutter, Onkel und Tante, mit Freunden, Schulmeiſtern, guten und böſen Kneipgeſellen, mit Kirche und Markt lag hinter280 mir. Und der Brummerſumm, der goldene Arm und die heiligen drei Könige und — Stopfkuchen auch.
Nein! der Letztere doch nicht. Dafür zog ſich doch mein ganzer Aufenthalt in der Heimath jetzt zu ſehr um ſeine dicke Perſon zuſammen ſeit dem geſtrigen Tage. Sie konnten auch daheim, ohne ſich unter ihren Hecken weg zu rühren, was erleben und es in wundervoll erleuchteter, in lichter Seele zum Austrag bringen. Die Menſchheit hatte immer noch die Macht, ſich aus dem Fett, der Ruhe, der Stille heraus dem ſehnigſten, hageren, fahrigen Conquiſta - dorenthum gegenüber zur Geltung zu bringen. Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, hatte dieſes mir gegenüber gründlich beſorgt. Ich fuhr wahrlich nicht ab und vorbei, ohne nach ſeiner Schanze auszuſehen von meinem Eilzuge.
Anderthalb Eiſenbahnminuten von der Stadt fü[hr]te ja die Bahn unter der rothen Schanze hin, und man hatte, einen Augenblick lang, einen recht guten Überblick über den Kriegsmaulwurfshaufen Seiner Hoheit, des Herrn Grafen von der Lauſi[t]z, Prinz Xaver von Sachſen. Wallböſchung, Baumwuc[h]s und Hausdach hoben ſich ſcharf und klar ab vom blauen Sommermorgenhimmel, und mit ſchärfſter, wunderlich wehmüthiger und vergnüglicher Aufmerkſam - keit wartete ich auf das Vorbeifliegen und das Ab - ſchiednehmen im Vorbeifliegen.
Und ich erfaßte alles nach Wunſch genau. Es waren nur zwei helle Pünktchen, aber ſie waren da in der ſonnenhellen, grüngoldnen Heimathslandſchaft. 281Er ſtand auf ſeinem Wall in ſeinem Sommerſchlaf - rock und hatte ſein Tinchen bei ſich — eben ſo ſicher wie ſeine lange Philiſterpfeife. Sicherlich auch hatte ſeine Frau ihren Arm in den ſeinigen geſchoben, und wenn ſie nun endlich auch wußte, wer Kienbaum todtge - ſchlagen habe, ſo wartete ſie doch im vollen Verlaß auf ihren Heinrich das Anſpülen jener Welt draußen ab, die geſtern Abend ebenfalls erfahren hatte, wer Kienbaum totgeſchlagen habe. Sie ge[n]oſſen trotz allem, was ihnen aus der letzteren Thatſache aufwuchs, den ſchönen Morgen. Es lagen da jetzt Zwei, die man vordem hatte abſeits liegen laſſen, unter der Hecke, und blieben nun ruhig liegen, was auch die Welt, die Welt da draußen, zu ihrer unbegreiflichen Indolenz ſagen mochte:
„ O dieſer Stopfkuchen! “—
Hätte er eine Ahnung davon gehabt, daß ſein „ guter Freund Eduard “da unten an ihm vorbei[fah]re, ſo würde er ſicherlich ſeine Pfeife in die Luft er[h]oben und ſeine Hauskappe geſchwenkt haben. Und dann würde auch Frau Valentine Stopfkuchen, geborene Quakatz ihr Taſchentuch haben wehen laſſen. Die aber würde vielleicht dazu geſagt haben:
„ Das iſt doch aber eigentlich unbegreiflich von ihm! “
Was mein dicker Freund Heinrich Schaumann anderes als: „ Hm! “hätte erwiedern können, kann ich nicht ſagen.
Vorbei die rothe Schanze! aber doch ein Glück dieſe Sicherheit, daß ſie ruhig liegen blieb, wo ſie lag282 und wie ſie lag; daß ich ſie wie ſie war, im Ge - dächtniß behalten konnte: als einen ſonnenbeleuchteten Punkt im ſchönſten Heimathsgrün.
Schon erſuchte mein Wagengegenüber mich höflichſt, des Zuges wegen doch lieber das Fenſter auf dieſer Seite zu ſchließen, da der Wind von der Seite komme und das entgegengeſetzte offen ſtehe. Da auch die Sonne als Hitzeſpenderin in das be - treffende Fenſter ſchien, kam ich gern dem Wunſch der Dame nach. Ich zog die Scheibe herauf und die blauen Vorhänge zuſammen, und ich kann es nicht leugnen, daß mir die blaue Dämmerung ganz wohl that nach dem kurz-ſcharf-angeſtrengten Aus - ſchauen in den ſcharf-hellen Morgen hinein mit ſeinem blendenden Gelb und Grün und den beiden winzigen Figürchen auf dem Walle der rothen Schanze — nach dem letzten Ausgucken nach dem guten dicken Freunde und der lieben, guten Freundin Valentine Schaumann in der Jugendheimath! So etwas von Kohlenſtaub aus der Lokomotive war mir ſo ſchon ins rechte Auge geweht.
Aber noch etwas will ich nicht leugnen: nämlich daß mich das blaue Licht oder die lichtblaue Dämmerung, in der ich bei der Abfahrt von der Heimath di[e]Augen ſchloß, um mich erſt wieder an die rechte Beleuchtung zu gewöhnen, trotz dieſer Gewöhnung dennoch bis Hamburg, bis auf das Schiff — bis in dieſe Stunde begleitet hat. Vernünftige Leute werden wohl ſagen: „ Ja, worauf fällt der[Me]nſch nicht, um ſich bei günſtiger Fahrt und auf faſt zu ruhiger See die283 Zeit zu vertreiben? Na, das iſt eben Geſchmacksſache, nach was für einem Auskunftsmittel man in der Langenweile greift. “
Ganz etwas Ähnliches ſagte der Kapitän, der eben herunter kam und meinte:
„ Wiſſen Sie wohl, lieber Herr, daß Sie das einzige Merkwürdige ſind, was ich auf dieſer Fahrt erlebt habe? Etwas von ſchlechtem Wetter kommt doch immer vor, aber diesmal nicht das Geringſte; denn den Squall von neulich rechnen Sie wohl ſelber nicht. Da oben fangen wir jetzt an, nach dem Tafel - berg auszugucken, aber, zum Henker, Herr, mir wäre es doch jetzt die Hauptſache, wenn Sie mich mal ſehen ließen, was Sie dieſen ganzen Monat hier auf meinem Schiffe zuſammengeſchrieben haben. “
„ Es würde Sie wirklich wenig intereſſiren, Kapitän. Die reine Privatſache! “ſagte ich und klappte das Manuſkript zu.
A〈…〉〈…〉 n auch auf Deck ſtieg, um mit den Ander〈…〉〈…〉 elberg aus dem Meer aufſteigen zu ſehen, und als wirklich ein blaues Wölkchen am[H]orizont vom Schiffsvolk für den berühmten Berg〈…〉〈…〉 lärt wurde, mußte ich mich doch an die Stirn〈…〉〈…〉 en und fragen:
„ Eduard, wie iſt[de]nn das? Du biſt wieder „ — — — —
284Es dauerte noch anderthalb Tage, ehe wir landen konnten, und während dieſer Zeit wanderte ich noch recht oft auf der Landſtraße der Heimath mit dem Landbriefträger Störzer, und hörte Den mit ſonder - baren Seitenblicken auf die rothe Schanze vom Le Vaillant und von dem Innern Südafrikas erzählen; zu aller froh-unruhigen Gewißheit: nun hängt bald Dein Weib wieder an Deinem Halſe und dazu Deine doppelläſchgige deutſch-holländiſche Brut Dir an den Rockſchößen:
„ Vader, wat hebt gij uns mitgebracht uit het Vaderland, aus dem Deutſchland? “
Ende.
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