Dieſe Theorie der Tonſetzkunſt; wenn ich ſie ſo nennen darf, iſt zwar die Frucht eines ſchnellen Entſchluſſes und einer raſchen Ausfuͤhrung, jedoch das Reſultat eines mehrjaͤhrigen Nachdenkens und mancher Bemerkungen, die ſich mir bei Anhoͤrung aller Arten von Muſik oft unwillkuͤhrlich aufdraͤngten. Es hat mich dabei weiter keine andre Abſicht geleitet als die: zu nuͤtzen, ich wuͤnſchte daher wohl, daß wenigſtens mein guter Wille dieſen Zweck zu errei - chen, gefaͤllig aufgenommen werden moͤchte. Die mir dazu verbleibende Zeit erlaubte mir nicht, auf irgend eine Eleganz der Schreibart denken und das Ganze hier und da verbeſſern zu koͤnnen; auch geſtattete der Plan des Werks nicht, mehreres ſo ausfuͤhrlich zu behandeln wie ich wohl gewuͤnſcht haͤtte.
Die Idee, die Harmonie zu erklaͤren, gehoͤrt mir urſpruͤnglich nicht, ſon - dern dem achtungswerthen Portmann, ob ich ſchon geſtehen muß, daß mir von der Zeit her, wo ich ſein Syſtem las, nichts weiter im Gedaͤchtniße ver - blieben war als die Grundzuͤge ſeines Planes.
Wenn manches in den Abhandlungen dunkel geblieben iſt, ſo liegt die Schuld nicht an einem fehlerhaften Zuſammenhange der Theorie ſelbſt, ſondern an dem Mangel einer vollkommenen Erklaͤrung, und daher ruͤhrt es auch, daß ich einiges vielleicht wiederholt, und hin und wieder etwas weſentliches weg - gelaſſen habe.
Ich laͤugne es nicht, daß ich mehr die Abſicht gehabt habe, den Grund der Schoͤnheiten in der Muſik aufzuſuchen und wo moͤglich einen Fingerzeig zu Erreichung der Stufe, zu geben, worauf Mozart, Gluck und Haydn ſtanden, als der Welt noch einmal alle Regeln fruͤherer General-Baß-Schu - len und Theorien zu wiederholen, deren Qualitaͤt und Quantitaͤt oft gerade* 2IVdaran Schuld iſt, daß ſich unſre Phantaſie der Ketten nicht entledigen kann. Indem ich jedoch uͤberzeugt bin, daß die außerordentlichſten Faͤhigkeiten eines Menſchen nicht hinreichend ſind ein Intereſſe in der Muſik zu erregen, welches der Cultur derſelben in unſern Zeitalter angemeſſen iſt, ferner, da ich glaube, daß die Kenntniß des Kontrapunkts und der Fuge weſentlich nothwendig ſind, um ſich uͤber das Gemeine und die Regelloſigkeit vieler Componiſten zu erhe - ben und den Arbeiten einen klaſſiſchen Werth zu geben, ſo habe ich die vor - trefflichen Lehren Marpurgs uͤber dieſe Gegenſtaͤnde zuſammengedraͤngt und das Hauptſaͤchlichſte, ſoviel es der Raum geſtattete, faſt woͤrtlich mit aufge - nommen. Die wahre Kunſt ſchließt alles Vorurtheil und ihren Erbfeind: den Neid aus, und nimmt alles Gute wie und wo ſie es findet ohne Neben - abſicht auf, weshalb ich auch hoffe, daß, wenn ich meinen Zweck verfehlt ha - ben ſollte, wenigſtens mein Wunſch ihn zu erreichen, entſchuldigt werden kann.
Wenn man die aͤltern Lehren der muſikaliſchen Compoſition genau be - trachtet, ſo findet man, daß ſich auffallende Meinungen und zweckloſe Regeln in dieſelben eingeſchlichen haben, wahrſcheinlich theils dadurch, daß die Sy - ſteme nicht einfach genug waren, wodurch immer Ausnahmen entſtehen muß - ten; theils daß die Regeln derſelben auf Tonſtuͤcke gegruͤndet wurden, die keine Muſter haͤtten abgeben ſollen, weil ſie nicht immer harmoniſch richtig waren. Was den erſten Fall betrifft, ſo geben faſt alle General-Baß-Schulen aͤlterer Zeit das Beiſpiel einer ungeheuern Ausdehnung und Unfaßlichkeit ab, und das Ganze iſt oft nichts mehr und nichts weniger als eine Compilation einzelner Faͤlle und der daraus entſprungenen Regeln. Der zweite Fall mußte eintreten, weil eben noch kein ganz uͤbereinſtimmendes Syſtem vorhanden war, wonach einzelne falſche Harmonien oft ſchon beruͤhmter Componiſten, gepruͤft werden konnten, und man wußte nicht genau, ob man die Regeln nach den Tonſtuͤcken oder die Tonſtuͤcke nach den Regeln anfertigen ſollte. Das Ohr und Gefuͤhl proteſtirt zwar oft gegen Barbarismen der Muſik, aber das Vorurtheil: daß dergleichen Tonſtuͤcke nur fuͤr Kenner geſchrieben ſein ſollen, benimmt uns allen Muth, eine uns vorgeworfne Unwiſſenheit abzulehnen.
Es giebt aber in der Muſik eben ſo gut eine Wahrheit die ſich auf die Richtigkeit der harmoniſchen Natur der Toͤne gruͤndet, wie in andern KuͤnſtenV und Wiſſenſchaften, und mithin auch eine Beſtaͤtigung des Ausſpruchs Leſ - ſings „ Nichts iſt ſchoͤn, was nicht wahr iſt “. Solche muſikaliſche Unwahr - heiten ſind aber leider haͤufig anzutreffen; um jedoch kein Beiſpiel anfuͤhren zu duͤrfen, will ich nur im Allgemeinen bemerken; daß diejenigen Stellen eines Tonſtuͤcks immer ſolche Unwahrheiten ſind, die einem gebildeten Gehoͤre mißfallen, ſie moͤgen ihren Grund in der Harmonie oder in der Melodie oder im Rhythmus haben. Da nun aber die Genialitaͤt in der Muſik nicht in der Kenntniß einzelner ſondern in der Erfindungsgabe aller weſentli - chen Theile und in der beſondern Zuſammenſtellung der letztern zu einem vollkommenen ſchoͤnen Ganzen beſteht, ſo kann auch in der Muſik etwas rich - tig oder wahr ſein ohne daß es deswegen ſchoͤn iſt. Und dies unterſcheidet den blos guten Arbeiter von dem Genie, denn die Kenntniß iſt Sache des Ver - ſtandes und der Urtheilskraft, die Genialitaͤt aber Eigenſchaft der Erfin - dungsgabe und der Urtheilskraft zugleich.
Man hat haͤufig angenommen, daß die Phantaſie des Tonkuͤnſtlers bei Erfindung ſeiner Tonſtuͤcke ganz allein, (gleich dem Fatum der Alten uͤber die menſchlichen Schickſale) walte, und den techniſchen Theil mit wenigerer Auf - merkſamkeit in Hinſicht auf Erfindung behandelt. Es iſt zwar wahr, daß ein gluͤcklicher und freundlicher Genius den Kuͤnſtler umſchweben muß, allein es iſt auch nicht weniger wahr, daß die Schoͤnheiten der Kunſtwerke groͤßten - theils nur aus der Vervollkommung aller, ſelbſt der kleinſten ma - teriellen Theile entſtehen, und daß die Phantaſie nur die Fackel haͤlt das Ganze zu erleuchten, um ſich mit ungewoͤhnlichen Schwunge uͤber alle Hinderniſſe und Unvollkommenheiten erheben zu koͤnnen. Die Phan - taſie muß mit der Wiſſenſchaft unter Controlle der Urtheilskraft und des gu - ten Geſchmacks, gleichen Schritt gehen, denn faſt alle große Werke ſind, naͤchſt einer lebhaften Phantaſie (die vorauszuſetzen iſt) Fruͤchte der Kenntniß und des Fleißes, und wenn ſo wenig Menſchen bei ſolchen Eigenſchaften einen großen Zweck erreichen, ſo liegt die Urſache groͤßtentheils an dem Mangel einer rich - tigen Anſicht der Kunſt-Produkte und an einem gewiſſen feindlichen Geſchicke der Lebens-Verhaͤltniſſe, die auf das Gelingen und dem Beifall unſerer Ar - beiten einen ſo bedeutenden Einfluß haben.
VIWenn der Tonkuͤnſtler ſich nicht im Geiſte den ganzen Effect ſeiner Ar - beit vorſtellen, ſeine Gedanken nicht ohne Inſtrument niederſchreiben, die fol[-]genden Ideen nicht aus den erſtern entwickeln kann und nur der Eingebung mechaniſch folgen muß, ſo kann er nichts großes und ſchoͤnes erwarten. Die ganze Sphaͤre der Toͤne muß klar vor ſeiner Seele ſtehen, um ſich die Melo - dien und Harmonien daraus zu bilden. Iſt ſein Begriff von den Schoͤnhei - ten der Muſik berichtigt, und ſein Sinn dafuͤr gebildet, ſo wird ihm ſeine Phantaſie die Gedanken erfinden und vor das Ohr ſeiner Seele ſtellen; ge - fallen ſie ihm, ſo wird ſeine auf die Kenntniß aller, ſelbſt der kleinſten Theile geſtuͤtzte Urtheilskraft ſie ſondern, und ſchreibt er ſie wieder ſo wahr und rich - tig nieder als er ſie empfunden hat, ſo muͤſſen ſie auch bei andern ein gleiches Gefuͤhl erwecken. Iſt ſein eignes Urtheil aber mit den vorgeſtellten Ideen nicht zufrieden, ſo iſt es ein Beweis, daß die Phantaſie nicht thaͤtig genug ge - weſen iſt, dem Begriffe von wahrer Schoͤnheit zu entſprechen. Ueberhaͤuft im Gegentheil die Phantaſie die Urtheilskraft, ſo faͤllt oft der Stempel der Deut - lichkeit und Klarheit hinweg.
Es haben viel gute Theoretiker uͤber die Lehre der Compoſition geſchrieben, uns aber practiſch keinen Beweis gegeben ob ſie recht hatten oder nicht; und diejenigen, die uns durch ihre Kunſtwerke begeiſtern, haben nichts daruͤber ge - ſagt, entweder weil ihnen eine dergleichen Arbeit zu geringe ſchien oder zu ſchwierig, etwas zu beſchreiben was nicht gut zu beſchreiben iſt.
Ich bin weit entfernt mir einzubilden, daß ich erſetzen koͤnne, was jene Auserwaͤhlten unterlaſſen haben, ich habe mich jedoch auch nicht von dem Verſuche: etwas zum Beſten der Kunſt beizutragen, abſchrecken laſſen. Ich wage es daher, dem Leſer nachſtehende Kapitel vorzulegen und die Entſchei - dung ſeiner gefaͤlligen Pruͤfung anheim zu ſtellen.
Berlin, den 1ſten Mai 1822.
Der Verfaſſer.
Bevor zu der Abhandlung der einzelnen Theile der Tonſetzkunſt geſchritten werden kann, iſt es noͤthig, vorher mit wenig Worten zu bemerken, daß; um andern die Kunſt: die Toͤne nach gewiſſen Regeln zu einem vollkommen Muſikſtuͤcke zu bilden, mittheilen zu koͤnnen, ſchriftliche Zeichen noͤthig wurden, die man nach und nach in ein vollkommenes Syſtem gebracht hat.
Da dieſem Syſteme (Noten Syſtem) weiterhin eine eigene Abhandlung gewidmet worden iſt, ſo kann das Naͤhere hier uͤbergangen werden, da ohnehin vorauszuſetzen iſt, daß dem Leſer die Noten, die Leitern, die Pauſen und andre Zeichen der Muſik - Sprache bekannt ſein werden.
Es iſt wohl mit Gewißheit vorauszuſetzen, daß; wer ſich der Tonkunſt widmen will, wiße, was ein auf eine beſtimmte Tonart ſich beziehender Ton iſt.
Es giebt in der Natur nur 7 Toͤne die ſich unſerm Gehoͤre am ſchaͤrfſten einpraͤgen, als:
und außer dieſen noch 5 andere, durch deren Dazwiſchentretung ſie die Namen: halbe Toͤne erhalten, als:
Vergleicht man dieſe Scala mit der erſten, ſo ergiebt ſich, daß zwiſchen dem 3ten und 4ten Ton kein halber tritt, was auch der Fall iſt, wenn man auf den 7ten Ton den 8ten (im Grunde wieder der erſte) folgen laͤßt.
Dieſe Abweichung hat Veranlaßung zu der Vermuthung und ſelbſt zu vielen unnuͤtzen gelehrten Abhandlungen gegeben, daß wir noch kein regelmaͤßiges Tonverhaͤltniß beſaͤßen; allein jedes richtige Gefuͤhl in Betreff der Toͤne widerlegt jede Behauptung dieſer Art, und das beſtehende Tonverhaͤltniß iſt hinreichend, unſern Scharfſinn: aus ihnen eine Sprache unſerer Empfindungen (Muſik) zu bilden, daran uͤben zu koͤnnen.
Vorbemerkte Toͤne ſind die einzigen Elemente der Muſik, aus deren Uebereinan - derſetzung, (Harmonie) und Hintereinanderſetzung (Melodie) die Art und Weiſe entſtanden iſt, die Tonſetzkunſt genannt wird. Welchen Grad der Kultur dieſe Kunſt bis jetzt erreicht hat, iſt bekannt, welchen ſie aber noch erreichen wird, laͤßt ſich nicht beſtimmen.
Nimmt man einen dieſer Toͤne, er ſei welcher er wolle, wieder als Grundton an, und laͤßt darauf die andern in einer gleichen Entfernung folgen, wie in vorher angefuͤhr - ter Tonart C dur geſchehen iſt, ſo entſteht eine andre Tonart.
Eine ſtufenweiſe Fortſchreitung von 7 Toͤnen bis zum 8ten, die auf fuͤnf großen und zwei kleinen Tonſtufen geſchieht und unſer Ohr befriedigt, iſt unter dem Namen der diatoniſchen Tonleiter (Tonart) bekannt. Sie koͤmmt in zweierlei Geſtalten vor und zwar:
Beide unterſcheiden ſich durch die Lage der kleinen Tonſtufen. Folgen nach dem erſten Tone (den man Grundton, Tonika, Prime nennt) zwei große Tonſtufen und darauf eine kleine, ſo heißt die Tonleiter hart (Dur), folgt hingegen nach der erſten großen Tonſtufe eine kleine, ſo heißt die Tonart weich (Moll).
Das Unterſcheidungszeichen beider Tonleitern beſteht in der großen und kleinen Terz vom Grundton an gerechnet. In die Dur Tonart gehoͤrt die große, und in die Moll Tonart die kleine Terz.
3In der Dur Tonart geſchieht die Fortſchreitung der Intervalle auf und abwaͤrts auf gleiche Weiſe, oder auf den nehmlichen Tonſtufen. In der Moll Tonart aber veraͤndern ſich die Intervalle, nehmlich abwaͤrts erniedrigt man die der Octave naͤchſten zwei Stu - fen oder Toͤne um einen halben Ton.
Es iſt nicht zu laͤugnen, daß dieſe Abweichung der Moll Tonleiter einigen Irrthum veranlaſſen kann, weil in der Praxis, abwaͤrts wieder eine Abaͤnderung eintritt; ſie gruͤn - det ſich jedoch nur auf die zwei Faͤlle: ob die kleine Septime in der Harmonie oder Melodie vorkoͤmmt. In harmoniſcher Verbindung kommt ſie nicht klein vor, aber in der Melodie, weil ſonſt im letzten Falle der Sprung von der großen Septime auf die kleine Sexte zu groß ſein wuͤrde. Beide Tonleitern ſind folgende:
aufwaͤrtsabwaͤrts
beide melodisch richtig.
aufwaͤrts
melodiſch und harmoniſch anwendbarblos harmoniſch anwendbar.
Der Grund liegt darin, daß nur die Intervalle der letzten Tonleiter in der Haupt - harmonie, naͤmlich: in der zuſammengeſetzten Primen und Dominantenharmonie, liegen.
Da innerhalb einer Octave der Tonleiter 12 halbe Toͤne (die auch die chromatiſche Tonleiter genannt wird) melodiſch hinter einander folgen koͤnnen, ſo kann auch von je - dem halben Tone an gerechnet, wieder eine andre chromatiſche Tonleiter gebildet wer -A 24den, woraus im Ganzen 24 Tonarten entſtehen, naͤmlich 12 harte (Dur) und 12 weiche (Moll). Eine Harmoniſche Tonleiter iſt in den Dur und Moll Tonarten ganz gleich, nur unterſcheiden ſie ſich durch die Vorzeichnung.
Chromatiſche Tonleiter.
Bei der diatoniſchen Tonleiter in den Moll Tonarten wird die Vorzeichnung ge - waͤhlt wie ſie abwaͤrts noͤthig iſt z. B.
in C Moll.
Die Regel, daß der ſiebente Ton der Tonleiter; den man auch den Leiteton (Sub - semitonium modi) nennt, durch ein chromatiſches Zeichen in der harmoniſchen Fortſchrei - tung nicht veraͤndert werden darf, faͤllt von ſelbſt weg, wenn nach obiger Erklaͤrung die Septime nur melodiſch anwendbar iſt.
Unter den ſieben weſentlichen Intervallen einer Tonart ſind in der Fortſchreitung einige dem Gehoͤre annehmbarer und faßlicher als andre. Z. B. Die große und kleine Terz, die reine Quinte, die Octave, die kleine und große Quarte, die kleine und große Sexte nebſt ihren Umkehrungen. Der richtige Gebrauch geht jedoch aus der Art und Weiſe hervor, ob ſie harmoniſch oder melodiſch fortſchreitend vorkommen. Entweder eine harte oder weiche Tonart muß jedem Stuͤcke zu Grunde liegen, ſo wie jede Melo - die und harmoniſche Begleitung ſich auf eine beſtimmte Tonleiter beziehen muß.
Tabelle der Vorzeichnung aller Tonarten.
Dur Tonarten mit ♯
Dur Tonarten mit B.
Moll Tonarten mit ♯
Moll Tonarten mit B.
Wenn man den 7 ſogenannten ganzen Toͤnen noch den 8ten hinzufuͤgt, ſo nennt man einen ſolchen Tonumfang eine Octave. Die menſchliche Stimme und der groͤßte Theil der Inſtrumente geht uͤber einen ſolchen Umfang hinaus, und es iſt auch noͤthig, daß ſich die Tonwerkzeuge nicht blos auf einen ſolchen Umfang erſtrecken, weil jedes Muſik - Stuͤck, wenn es auf harmoniſche und melodiſche Schoͤnheiten Anſpruch machen will we - nigſtens eine Sphaͤre von zwei Octaven haben muß.
Der Raum der zwiſchen zwei Toͤnen ſtatt findet, wird Intervall auch Tonſtufe ge - nannt. Z. B. zwiſchen c und d iſt eine Tonſtufe, zwiſchen c und cis eine halbe.
6Nach den Stufen werden gewoͤhnlich die Toͤne genannt, die man von einem gewi - ßen Grundton ab gerechnet, bezeichnen will, z. B. wenn C als Grundton angenommen wird und man will den nachfolgenden ganzen Ton benennen, ſo ſagt man die Secunde, und zwar die große Secunde zum Unterſchied der kleinen oder uͤbermaͤßigen.
Auf dieſe Weiſe zaͤhlt man weiter, naͤmlich von C iſt e die Terz, f die Quarte, g die Quinte, a die Sexte, h die Septime. Will man einen dieſer Toͤne um eine halbe Stufe hoͤher oder niedriger bezeichnen, ſo ſagt man die uͤbermaͤßige oder kleine Se - cunde ꝛc.
Ein auf dieſe Weiſe bezeichneter Ton wird im allgemeinen auch ſehr haͤufig Inter - vall genannt.
Da der Zweck, auf dieſe Weiſe zu zaͤhlen und Noten zu beziffern, beſonders die Har - monie angeht, und auch nicht leicht eher eine voͤllige Deutlichkeit zu erlangen iſt als bis man dieſe kennt, ſo iſt die naͤhere Erlaͤuterung erſt in den Kapitel: Von den In - tervallen einer Tonart und ihren Benennungen nach den Noten und Zahlen Syſteme geſchehen.
Man hat ſchon laͤngſt die Bemerkung gemacht, daß jede Tonart mit einer andern entweder eine naͤhere oder entferntere Verwandſchaft hat, und den Umſtand zum Grunde angenommen, daß diejenigen Tonarten mit einander in einer naͤheren Verwandſchaft ſte - hen, die mit einander die mehreſten weſentlichen ſieben ganzen Toͤne gemein haben. Im allgemeinen iſt dieſe Bemerkung richtig und wird auch gewoͤhnlich bei der Compoſition in ſofern beobachtet, daß man mit Verlauf des erſten Theils in die zunaͤchſt verwandte Tonart durch die Dominante uͤbergeht. Ich finde dies Verfahren, ohne damit ſagen zu wollen, daß es als Geſetz gelten ſolle, richtig, doch koͤnnten viele Belege aus den Werken beruͤhmter Componiſten beigebracht werden, die das Gegentheil beweiſen. Wenn ich vorher geſagt habe, daß eine Tonart der anderen naͤher verwandt iſt, wenn ſie mit ihr die mehreſten weſentlichen Toͤne gemein hat, ſo bleibt dabei zu bemerken, daß eine Ton - art immer zwei andern gleich verwandt iſt. Z. B. C dur hat die weſentlichen Toͤne.
G dur, die fuͤr die naͤchſte verwandte Tonart genommen wird, hat außer der großen Septime fis, alle Toͤne mit ihr gemein:
F dur hat auch alle Toͤne mit C dur gemein außer der kleinen Quarte b:
Folglich iſt die Tonart C dur, mit F dur eben ſo nahe verwandt als G dur, ja noch naͤher, und zwar aus folgenden Gruͤnden: In der Harmonie C dur.
liegen von unten herauf bereits alle Toͤne in den Septimen Accorde der Dominanten harmonie F dur, und man braucht derſelben blos die kleine Septime zu zuſetzen um in der Tonart F dur zu ſein:
Nicht ſo kurz iſt der Uebergang aus C dur in G dur, weil ſtreng genommen, der Weg erſt durch die Dominantenharmonie gehen muß, z. B.
Die Entfernung liegt nur in der Veraͤnderung der erſten Harmonie.
Man kann dieſe beiden Verwandſchaften ſehr gut als gleich nahe beſtehen laſſen, und ſie mit aufſteigender und abſteigender Linie vergleichen. Die Verwandſchaft durch die Dominante fuͤhrt bis Fis dur auf die hoͤchſte Stufe der Veraͤnderung des Notenſyſtems. Faͤngt man von dieſer Stufe an durch die kleine Septime und die Vorzeichnung die Tonart Fis dur in des zu veraͤndern, ſo koͤmmt man ſtufenweiſe wieder nach C dur zuruͤck.
Außer dieſen zwei Tonarten ſind der Tonart C dur unmittelbar am naͤchſten ver - wandt, E moll und dur, nicht wegen den mit einander gemeinhabenden weſentlichen ſie - ben ganzen Toͤnen, ſondern weil ihr[Grundton] E in der Primenharmonie von C dur be - reits liegt. Aus letzterem Grunde liegt C moll der Dur-Tonart natuͤrlich noch naͤher.
Ferner folgen unmittelbar auf C dur außer den genannten, die Tonarten Amoll und dur, D moll und dur, und H moll und dur.
Die letztern ſind deshalb am entfernteſten von C unmittelbar verwandt, weil ihre Grundtoͤne als Diſſonanzen von C zu betrachten ſind, wodurch eine fehlerhafte Octaven Fortſchreitung erfolgen kann. Sollen die Tonarten nicht bald unmittelbar auf den Drei - klang C dur folgen, ſo giebt es weit entferntere, die doch weit naͤher liegen. Cis dur iſt naͤmlich von C dur unmittelbar gewiß am entfernteſten verwandt, mittelbar aber nicht, wie dies Beiſpiel beweißt:
Man ſieht daher, daß die Verwandſchaften der Tonarten dem Componiſten keinen Zwang auflegen koͤnnen, denn die Phantaſie muß ohne Feſſeln herrſchen und die Harmonie ſich fuͤgen. Es koͤnnen mithin alle Verwandſchaftstafeln nur als ein Zeitvertreib der Theorie betrachtet werden.
Die Harmonie beſteht aus einer Verbindung von mehrern Toͤnen, die zu gleicher Zeit gehoͤrt werden und einen Wohlklang bilden. Eine Harmonie, die alle 7 weſent - lichen Intervalle einer Tonart durch einen terzenweiſen Bau uͤber einander in - nerhalb zweier Octaven enthaͤlt, heißt die Hauptharmonie, und beſteht aus der Prime, Terz, Quinte, Septime, None, Undecime und Terzdecime, der Grund - ton dieſer Harmonie iſt die Prime.
Beiſpiel.
Alle dieſe Toͤne koͤnnen moͤglicherweiſe, zu gleicher Zeit gehoͤrt werden. Da nun eine jede Tonart aus 12 halben Toͤnen beſteht, auf deren Primen gleiche Harmonien ge - baut werden koͤnnen, und zwar auf jede halbe eine Dur und Moll Hauptharmonie, ſo entſtehen 24 derſelben, wie ſie hier ſaͤmmtlich angegeben ſind.
B10Außer dieſen 24 Haupt Harmonien, die alle unſerm Gehoͤre faßliche Toͤne enthalten, giebt es im Reiche der Muſik weiter keine, die ſich nach den Geſetzen der Tonarten rechtfertigen laſſen, und jeder Harmonieſchritt, der in der Modulation eines Tonſtuͤcks geſchieht, muß eine dieſer Harmonien zum Grunde haben.
Jede dieſer Haupt-Harmonien zerfaͤllt wieder in zwei Theile, wovon der erſte die Primenharmonie heißt, weil ſie auf den Grundton: die Prime gebaut iſt, und der zweite die Dominantenharmonie, weil ſie die Quinte oder Dominante zum Grundtone hat.
Beiſpiel.
Primen Harm. Domin. Harm.
PrimenHarm. Domin. Harm.
Die Toͤne beider Har - monien koͤnnen ſo viel - mal verdoppelt werden, als zu Erreichung eines Zwecks noͤthig iſt. Z. B.
1., Jede von der Prime aufwaͤrts aus 3 terzweiſe uͤbereinander geſetzten Toͤnen be - heſtende Harmonie heißt mithin eine Primenharmonie, und
2., Jede von der Quintſtufe oder Dominante aufwaͤrts aus 5 terzweiſe uͤbereinan - der geſetzten Toͤnen beſtehende Harmonie, eine Dominanten Harmonie.
Bei der Dominanten Harmonie, wenn die Toͤne verdoppelt werden, faͤllt die Sexte der Tonort (hier a) aus, weil ſich die Harmonie allemal zwiſchen der Quarte und Quinte der Tonart (hier f und g) ſcheidet, und die Sexte blos zur Baſis des leitereig - nen Dreiklangs, des Terz Dezimen Accords der Primen Harmonie, und des Nonen Ac - cords der Dominanten Harmonie; wie in der weiterhin folgenden Tabelle der Accorde zu erſehen iſt, angewendet wird. Wenn nun gleich aus dieſen zwei Harmonien einer Tonart der groͤßte Theil der Accorde gebildet werden kann, ſo umfaſſen ſie aber doch nicht alle Zuſammenſtimmungen der Accorde die es giebt, ohne durch einen Ton aus der Tonart zu fuͤhren.
Es wird mithin der Haupt Harmonie eine zweite Haupt Harmonie zur Seite geſetzt, und zwar die auf die Quintſtufe oder Dominante ſich gruͤndende, nur mit dem Unter - ſchiede, daß ſie nur 6 Toͤne terzweiſe uͤbereinander gebauet; enthaͤlt, und daß darinnen nicht die große ſondern kleine Septime vorkommt, weil die erſtere aus der Tonart fuͤhren wuͤrde, (ſiehe die zweite Hauptharmonie pag. 10. auf der Prime G.)
Dieſe Hauptharmonie zerfaͤllt wieder in zwei Theile, wovon der erſte die Wechſel Primen Harmonie heißt, weil die Accorde, die daraus gebildet werden denen der Primen Harmonie der Tonart ganz gleich ſind und nur immer mit einander abwechſeln, um eine Licht und eine Schattenſeite (Melodie) zu bilden, der zweite aber die Wechſel Dominanten Harmonie, weil die Accorde, die daraus gebildet werden, wiederum12 als Schattenſeiten der Accorde aus der eigentlichen Dominanten Harmonie betrachtet werden koͤnnen. Hier folgen die zwei Harmonien:
Beiſpiel,
Wechſel Wechſel Primen Harm. Domin. Harm.
Die Toͤne beider Harmonien koͤnnen ſo vielmal verdoppelt werden, als zu Erreichung eines Zwecks noͤthig iſt. Z. B.
Wechſel Wechſel PrimenHarm. Domin. Harm.
Aus dieſen vorhergenannten zweierlei Haupt-Harmonien, die wieder in zweierlei Primen und zweierlei Dominanten Harmonien zerfallen, werden zwar die Harmonien einer Tonart erſchoͤpft, aber es koͤnnen immer noch nicht alle Accorde aus ihnen gebildet werden, die in einer Tonart exiſtiren, weil es außer der Prime und Quinte, worauf ſich dieſe Harmonien gruͤnden noch 5 andere weſentliche oder leitereigne Toͤne giebt, die oft Neben Primen genannt werden und worauf ſich noch Accorde gruͤnden, die nicht aus der Tonart fuͤhren.
Wenn ſpaͤterhin in dem Kapitel: von den Noten - und Zahlenſyſteme, gruͤnd - lich und anſchaulich bewieſen werden ſoll, warum es nicht gleichviel iſt, ob vor einer Note ein ♮ oder ♭ oder doppel ♭ oder ⩨ oder doppel ⩨ ſtehen muß, ſo iſt hier zu erin - nern, daß dort eine deutliche Anſicht nicht eher hervorgehen kann, als bis der Leſer die Accorde aller Dur und Moll Tonarten ſo ſpezifiſch ausgearbeitet und dabei die Zahl der Tonſtufen ſo genau beruͤckſicht hat, als es in den hiernaͤchſt folgenben zum Bei - ſpiele angenommenen zwei Tonarten C dur und C moll, geſchehen iſt.
In nachſtehenden Tabellen folgen alle Accorde welche die Sphaͤre einer Dur und einer Moll Tonart erſchoͤpfen.
Tabelle aller in der Tonart C dur vorkommender Accorde mit ihren Umkehrungen, wie ſie ſich auf die Primen, Dominanten, Wechſel Primen und Wechſel Dominanten Harmonie gruͤnden.
Aus der Primen Harmonie.
Aus der Wechſel Primen Harmonie.
Aus der Primen Harmonie. Aus der Dominanten Harmonie. auch ſo:
Aus der Dominanten Harmonie. auch ſo: Aus der Dominanten Harmonie. auch ſo:
Aus der Primen und Dominanten Harmonie. Aus der Primen und Dominanten Harmonie.
Aus der Wechſel Dominanten Harmonie. Aus der Wechſel Domin. Harmonie.
Um alle dieſe Accorde zweckmaͤßig zu benutzen, ſind die Kapitel von der Verdoppe - lung und Auslaſſung einiger Intervalle, zu beruͤckſichtigen.
Tabelle aller Accorde, die ſich noch auf die weſentlichen Toͤne der Tonart C dur gruͤnden oder leitereigen*)Die Dreiklänge, die ſich auf die leitereignen Töne gründen ohne daß ſie aus der Tonart füh - ren, können auch Neben Primen Harmonien genannt werden. Die Primen Harmonie mit ihren dreierlei Accorden auf der Dominante, kommt in vorherge - hender Tabelle unter der Wechſel Primen Harmonie vor, und fällt mithin hier weg. ſind und in ſofern zu ihr gehoͤren als ſie nicht aus der Tonart fuͤhren.
Aus der Primen Harmonie D moll.
Aus der Primen Harmonie E moll.
Aus der Primen Harmonie F dur.
Aus der Primen Harmonie A moll.
Aus der Dominanten Harmonie der Tonart.
Dieſe dreierlei Accorde gruͤnden ſich auf keine Primen Harmonie.
Um alle dieſe Accorde zweckmaͤßig zu benutzen, ſind die Kapitel von der Verdoppe - lung und Auslaſſung einiger Intervalle, zu beruͤckſichtigen.
Außer den dreierlei Accorden auf den Neben Primen Harmonien, hat man bisher den jedesmaligen erſten Dreiklange, eine Septime hinzugefuͤgt und mithin noch eben ſo viel Septimen Accorde geſchaffen. Da ſie aber in der harmoniſchen Fortſchreitung nicht alle gleich gute Wirkung machen, ſo bleibt es einem jeden anheimgeſtellt, ob er ſie noch als weſentliche Accorde einer Tonart betrachten will oder nicht. Ich kann ſie als ſolche nicht annehmen, weil ſie groͤßtentheils den reinen Satz verdunkeln.
C moll. Aus der Primen Harmonie.
Aus der Wechſel Primen Harmonie.
Aus der Primen Harmonie. Aus der Domin. Harm. Aus der Domin. Harm. auch ſo:
Aus der Dominanten Harmonie. auch ſo: Aus der Domin. Harmonie. auch ſo:
Aus der Primen und Dominanten Harmonie. Aus der Primen und Dominanten Harmonie.
Aus der Domin. Harm. Aus der Wechſel Dominanten Harmonie.
Tabelle aller Accorde, die ſich noch auf die weſentlichen Toͤne der Tonart C moll gruͤnden und in ſolcher leitereigen ſind.
Aus der Dominanten Harmonie der Tonart.
Aus der Primen Harmonie Es dur.
Aus der Primen Harmonie F moll.
Die Primen Harmonie mit ihren dreierlei Accorden kommt in vorher - gehender Tabelle unter der Wechſel Primen Harmonie vor.
Aus der Primen Harmonie As dur.
Aus der Dominanten Harmonie der Tonart.
Diejenigen Accorde, deren Toͤne alle in die Primenharmonie gehoͤren, ſind beruhi - gend und zu einem harmoniſchen Schluſſe geeignet. Sie werden Conſonanzen genannt. Da hingegen diejenigen Accorde, deren Toͤne alle in die Dominantenharmonie gehoͤren, außer dem Grundtone der Dominante, nicht beruhigen, ſondern das Gefuͤhl zur Auf - loͤſung in die zunaͤchſtliegenden Toͤne der Primenharmonie erwecken. Sie werden Diſſo - nanzen genannt. Beſtehen die Accorde aus Toͤnen beiderlei Harmonien, ſo loͤſen ſich blos die Diſſonirenden auf.
Wie die Intervalle einer Tonart ſich aufloͤſen, und warum ſie aufgeloͤßt werden muͤſſen, iſt in dem Kapitel von den Conſonanzen und Diſſonanzen der Intervalle einer Tonart naͤher erlaͤutert worden.
Außer den 20 ſpezifiſch angefuͤhrten Accorden jeder Tonart giebt es noch 15 nebſt ihren Umkehrungen, die noch zu der jedesmaligen Tonart gerechnet werden koͤnnen und andere weſentliche oder leitereigene Intervalle; außer der Prime und Quinte, deren Accorde ſchon angegeben ſind, zu Grundtoͤnen haben. Dieſe Accorde beſtehen blos in den Primenharmonien fremder Tonarten, koͤnnen aber als weſentliche Accorde der Hauptton - art betrachtet werden, weil ſie nicht aus der Tonart durch irgend einen Leiteton herausfuͤhren.
Außer dieſen Harmonien und Akkorden giebt es keine weiter, die ſich auf den Grund eines beſtimmten Syſtems rechtfertigen laſſen, und ſollten die Lehren der Harmonie mehr enthalten, ſo ſind ſie entweder falſch oder einzelne Toͤne derſelben ſind Wechſel oder durchgehende Toͤne, die nicht der Harmonie, ſondern der Melodie angehoͤren.
Wie die Accorde benannt werden, iſt in vorſtehender Tabelle bemerkt worden.
Die Accorde aus der Primenharmonie ſind mit dem Lichte, und die aus der Do - minantenharmonie mit dem Schatten in der Malerei zu vergleichen.
21Wie die Accorde aus den Harmonien entſtehen und durch Zahlen bezeichnet werden, was man Generalbaß nennt, iſt in dem Kapitel: Von den Intervallen einer Tonart und ihren Benennungen nach dem Noten und Zahlenſyſteme, naͤher eroͤrtert worden.
So oft ein Ton der Primen Harmonie mit einem der Dominanten Harmonie oder einer von dieſen mit einem andern aus den Harmonien einer andern Tonart wechſelt, ſo entſteht eine melodiſche Fortbewegung, was aber nicht der Fall iſt, wenn die Toͤne einer Harmonie hinter einander gehoͤrt werden.
Sowohl die Hauptharmonien, als auch die Primen und Dominantenharmonien und Accorde einer Dur und Moll Tonart ſind denen der andern Tonarten voͤllig gleich.
Die Harmonien und Accorde liegen der Melodie zum Grunde, wie unter dem Ka - pitel von der Melodie das naͤhere eroͤrtert worden iſt.
Es iſt bisher viel daruͤber geſtritten worden, ob die Harmonie der Melodie, oder dieſe der erſtern unterzuordnen ſei; die Entſcheidung iſt aber zweifelhaft geblieben und wird es bleiben. Am beſten iſt es, man betrachtet beide als gleich wichtige Gegenſtaͤnde die einander zur Erreichung eines vollkommenen muſikaliſchen Zwecks die Hand bieten. Wer in beiden nicht gleich ſtark iſt, wird wohl ſchwerlich in die Reihe beruͤhmter Ton - kuͤnſtler geſetzt werden koͤnnen. So gern ich der Harmonie als der Baſis der Melodien den Vorzug einraͤumen moͤchte, ſo ſehe ich mich doch genoͤthigt, ſie der Melodie in ſofern unterzuordnen als ſie, ohne gerade eine große Genialitaͤt vorauszuſetzen, erlernt werden kann (wenn man nicht die Modulation dahin rechnet, die ein beſonderer Gegenſtand iſt und ſtreng genommen zur Melodie gehoͤrt) was bei Erfindung der Melodie nicht der Fall iſt. Beſonders iſt der Umſtand zu bedenken, daß jede harmoniſche Fortſchreitung zugleich eine Melodie bilden muß, wenn ſie richtig ſein ſoll, die man harmoniſche Me - lodie nennen koͤnnte, bei Erfindung der Melodie kann aber die harmoniſche Begleitung verſchieden hinzugefuͤgt werden, und die Melodie wird leider oft genug ohne Ruͤckſicht auf Harmonie erfunden.
Nachdem alle Harmonien und Accorde einer Tonart, und dadurch auch aller an - dern beſtimmt worden ſind, ſo gehoͤrt zu der Lehre der Harmonie weiter nichts, als die Kenntniß derſelben, denn mehrere andere Kapitel als z. B. die Umgeſtaltung der Harmo - nien durch leiterfremde Toͤne u. ſ. w. gehoͤren nicht hierher. Ich habe nicht fuͤr noͤthig ge - halten die Tabellen uͤber die Accorde aller Dur und Moll Tonarten ſelbſt auszuſchreiben ſondern es dem Leſer zur Uebung uͤberlaſſen, muß jedoch auf den großen Nutzen; es zu thun, aufmerkſam machen, weil mich die Erfahrung gelehrt hat, daß man ſonſt in der Lehre der Harmonie bei der Oberflaͤchlichkeit und den leichten Tonarten ſtehen bleibt. Wenn dies nicht der Fall waͤre, ſo wuͤrden wir nicht ſo viele Harmoniefehler, die auch einen ſo bedeutenden Einfluß auf die Melodie haben, in Tonſtuͤcken antreffen, die an ſich oft nicht ſchlecht gearbeitet ſind. Und wie will man die Zuſammenſtimmung der22 ganzen Harmonieſphaͤre; wo gar keine Ausnahmen ſtatt finden koͤnnen, wenn man ſie nach allen Tonarten und weſentlichen Accorden betrachtet, ohne eine vollſtaͤndige Ueberſicht kennen lernen?
Die Intervalle einer Tonart werden auf zweierlei Art benannt und bezeichnet:
a) Die Benennung nach Buchſtaben findet ſtatt: wenn man einen beſtimmten Ton; der nach dem Notenſyſteme und der mathematiſchen Eintheilung der Toͤne eines Inſtruments z. B. der Taſtatur des Forte Piano, ſtets unveraͤndert bleibt, benennen will, als c, d, e, f, g, a, h, c. Dieſe Benennung iſt allgemein eingefuͤhrt und leicht zu mer - ken, weil nur einige auf zweierlei Art die Namen erhalten, z. B. c. Cis und d. Des ꝛc. welche doppelte Benennung im Grunde auch nur das Noten Syſtem und nicht die Na - men der Toͤne eines Inſtruments ſelbſt, betrift.
Auf den vollkommenen Inſtrumenten finden naͤmlich 12 Toͤne ſtatt, die eingetheilt werden in 7 ganze und 5 halbe.
Daß dieſe Benennungen falſch ſind, bedarf wohl keines weitern Streits, denn dieje - nigen Toͤne, die in der Tonart C dur, ganze genannt werden, veraͤndern ſich in Cis dur oder moll ꝛc. zum Theil in halbe. Dieſe Verwirrung betrifft daher mehr die Ver - wechſelung des Noten Syſtems mit den Toͤnen des Inſtruments.
Alle 12 Toͤne ſind im allgemeinen als halbe zu betrachten, von welchen immer 7, zu einer Tonart gebildet werden, und man mag die Tonarten betrachten wie man will, ſo findet man, daß dieſe Eintheilung ganz uͤbereinſtimmt.
Bei einer harten Tonart liegen zwiſchen den 7 Toͤnen jedesmal halbe, außer zwi - ſchen den 3ten und 4ten, und zwiſchen den 7ten und 8ten aufwaͤrts, (welcher letztere wieder als der 1ſte der Tonart zu betrachten iſt) nicht.
Bei einer Moll Tonart iſt die Scala aufwaͤrts anders als herunterwaͤrts. Aufwaͤrts naͤmlich, liegen zwiſchen den 7 Toͤnen jedesmal wieder halbe Toͤne, außer zwi - ſchen den 2ten und 3ten und zwiſchen den 7ten und 8ten, (inſofern der 8te wieder als Anfang zu betrachten iſt) nicht. Herunterwaͤrts aͤndert ſich aber die Lage derſelben,23 naͤmlich: wenn man von oben heruntergeht, ſo liegen zwiſchen allen Toͤnen halbe, außer zwiſchen den 3ten und 4ten und zwiſchen den 6ten und 7ten, nicht.
Der letzte Umſtand zeigt von einer Unregelmaͤßigkeit, die weniger die Natur der Toͤne als die mathematiſche Eintheilung betrift. Dieſe ſcheinbare Unregelmaͤßigkeit iſt leicht zu beſeitigen, wenn man die Grundſaͤtze genau beobachtet: bei der Harmonie die Scala aufwaͤrts und bei der Melodie die Scala abwaͤrts zu nehmen. Dieſe Abweichung iſt leicht zu begreifen wenn man bedenkt, daß in der weichen Tonart die Septime oder der 7te Ton nicht ein Ton ſondern zweierlei Toͤne ſind; denn aufwaͤrts heißt der 7te z. B. in C moll, H, abwaͤrts aber heißt er B, und der 6te Ton aufwaͤrts A und ab - waͤrts As. Aufwaͤrts kann aber B nicht genommen werden, weil die Harmonie nicht die kleine Septime ſondern die große als weſentlichen Ton in ihrem Baue hat; ſelbſt wenn eine Stimme ſich melodiſch herunter jedoch nicht weiter als uͤber die Septime bewegt, ſo kann die kleine Septime nicht eintreten, weil eine Aufloͤſung aufwaͤrts noͤthig wird. z. B.
Es haben ſich einige Lehrer des General Baſſes bemuͤht, die Scala abwaͤrts fuͤr falſch zu erklaͤren und die aufwaͤrts fuͤr beide Faͤlle vorzuſchlagen, allein die Erfahrung ſtimmt dagegen.
Von jedem der 12 halben Toͤne an, kann eine Tonart in Dur und eine in Moll ge - bildet werden. Es giebt mithin 12 Dur und 12 Moll Tonarten. Alle ſind in der Ent - fernung ihrer Toͤne und ihres Klanges genau uͤbereinſtimmend, die Benen - nung der Toͤne iſt aber, wie geſagt, verſchieden.
Die halben Toͤne heißen:
C cis | D dis | E eis | F fis | G gis | A ais |
des | es | — | ges | as | b. |
Einige haben, wie vorſtehend zu erſehen iſt, eine doppelte Benennung, die bloß 1) aus der Unvollkommenheit des Noten Syſtems, oder vielmehr aus der Nothwendig - keit, die 5 Linien der Scala; worauf und wozwiſchen alle Tonarten bezeichnet ſein muͤſ - ſen, nicht zu vermehren, 2) durch die verſchiedene Bezeichnung, daß ein Tonſtuͤck aus Cisdur oder moll auch aus Des dur oder moll geſetzt werden kann; obſchon die Toͤne,24 die eine doppelte Benennung haben, ein und dieſelben ſind, entſtehen. Nach dem Noten Sy - ſteme und der Vorzeichnung heißen ſie:
u. ſ. w. durch alle Tonarten.
Man ſieht hieraus, daß die naͤmlichen Toͤne auf oder zwiſchen den Linien durch ein ⩨ oder ♭ oftmals andre Benennungen erhalten. Z. B. in Es dur heißt die Note auf der 1ſten Linie es, in C dur aber e u. ſ. w.
Fuͤnf Linien heißen eine Tonleiter (Scala) in folgender Geſtalt:
Fuͤr die hoͤhern Toͤne finden noch beſondre ſogenannte Schluͤſſel ſtatt, z. B. fuͤr die Violine ꝛc. der Violinſchluͤſſel
Fuͤr die Sopran Stimme der Klavierſchluͤſſel
Fuͤr die Alt Stimme und die Viole der Altſchluͤſſel
Fuͤr die Tenor Stimme der Tenorſchluͤſſel
Fuͤr die Baͤſſe den Baßſchluͤſſel
b.) Die Benennung der Toͤne durch Zahlen gruͤndet ſich blos auf die Lehre der Harmonie, beſonders aber auf die Baß oder Grundtoͤne, denn man kann nicht ſagen E ſei die Terz, wenn man nicht vorher C genannt hat, weil E auch eben ſo gut die Sekunde ſein kann, wenn man von D an rechnet.
Da nun die Harmonie-Lehre keine andere Sprache hat als ſich durch Zahlen auszu - druͤcken; die gleichſam das Syſtem vertreten, nach welchen die daruͤber gebaueten Toͤne bezeichnet werden koͤnnen, ſo iſt es noͤthig, ſie als Vorſchriften und Geſetze, nach welchen die Harmonien und Accorde entſtehen, zu betrachten. Man kann ſie nun um ſo zuver - ſichtlicher zum Syſtem annehmen, als die Toͤne, die man damit bezeichnet, in einer Ton - art wie in der andern, einander nicht allein aͤhnlich, ſondern voͤllig gleich ſind, und nur in ſofern in der Vorzeichnung differiren wuͤrden, wenn ſie ſich auf verſchiedene Tonar - ten zu gleicher Zeit gruͤndeten. Z. B. Wenn man den zweiten Accord in dieſem Beiſpiele:
Der in der Tonart C dur vorkommen kann ſo ſetzen wollte
D26ſo waͤre nicht allein die Vorzeichnung fehlerhaft, ſondern auch das Zahlen Sy - ſtem, und aus dieſem Fehler koͤnnte ein dritter Betrug entſpringen, der aͤrger ſein wuͤrde als die zwei erſten, indem letzterer nicht blos die Theorie, ſondern die Praxim betreffen und eine fehlerhafte Fortſchreitung der Stimmen herbeifuͤhren koͤnnte; denn in dem er - ſten Beiſpiele im zweiten Accorde iſt Cis ein Ton, der nicht in die Tonart C dur; aus welcher das Beiſpiel zu betrachten iſt, gehoͤrt, ſondern er muß ſeiner Vorzeichnung und des folgenden Tones nach, beſonders aber wegen der zweiten Stimme des letztern, naͤmlich des Tones fis, als Septime von D dur betrachtet und mithin aufwaͤrts aufgeloͤßt wer - den. In den naͤmlichen Accorden[befindet] ſich Es, ein ebenfalls nicht zur Tonart C dur gehoͤrender Ton, und iſt mithin als kleine Terz (die es aber aus nachfolgenden Gruͤnden nicht ſein kann) oder als kleine Sexte von G zu betrachten oder als Rone von der Do - minanten Harmonie G moll (ſiehe das Capitel von der Harmonie) In allen drei Faͤllen muß ſich Es herunterwaͤrts bewegen, wenn nicht das Grundgeſetz des Wohlklanges ver - letzt werden ſoll.
Wuͤrde dieſer Accord nun aber auf dem Noten Syſteme ſo vorgeſchrieben, wie es im zweiten Beiſpiele der Fall iſt, ſo koͤnnte der Ton des mit der unterſten Stimme dis aus keiner Harmonie erklaͤrt, und die unterſte Stimme dis koͤnnte fuͤr die Septime von E dur gehalten, und wiewohl ganz richtig aufwaͤrts aufgekoͤßt werden, allein der nach - folgende Accord wuͤrde gar nicht zu erklaͤren und auch falſch ſein. Wenn indeſſen in den zweiten Accorde, des oben ſtehen bleiben ſollte, ſo muͤßte die unterſte Stimme eine an - dre Vorzeichnung, und der letzte Accord einen andern Schluß in As dur, erhalten, und zwar ſo:
Dies eine Beiſpiel wird hinreichend ſein zu beweiſen, daß das Syſtem der Zahlen in der Harmonie, ſtrenge beobachtet werden muß.
Nimmt man nun an, daß nach dem Capitel von der Harmonie, alle Accorde beſtimmt ſind, und in keinen einzigen die Rede von verminderten oder uͤbermaͤßigen Se - kunden, Terzen ꝛc. ſein kann, ſo muß auch das Capitel von den verminderten oder uͤber - maͤßigen Toͤnen; die hoͤchſtens nur melodiſch vorkommen koͤnnen, hier wegfallen, was auch um ſo mehr zu wuͤnſchen iſt, als das Daſein dieſes Schein-Syſtems in der Har - monie unendliche Verwirrung angerichtet hat; des Irrthums nicht zu gedenken, der ſich in das Noten oder Tonart-Syſtem eingeſchlichen hat.
27Ich will aber dem Leſer das Syſtem der Mehrdeutigkeit der Toͤne nicht vorenthal - ten und die Annahme ſeiner eigenen Beurtheilung uͤberlaſſen.
Alle dieſe Toͤne gehoͤren Tonarten und Harmonien weſentlich an, und exiſtiren mit - hin niemals vermindert und uͤbermaͤßig. Nur in Tonſtuͤcken, beſonders in den Moll Tonarten gis ꝛc. treten Faͤlle ein, wo; um die Richtigkeit des Zahlen Syſtems zu erhal - ten, doppel + und doppel B. vorkommen und mithin nur in das Noten Syſtem gehoͤren.
Die Zahlen vertreten, wie ſchon erwaͤhnt, die Stelle eines Syſtems fuͤr die Harmo - nie, und es iſt zum Grundſatze angenommen (da ſich die ganze Harmonie auf den un - terſten Ton oder den Baß gruͤndet) von unten herauf zu zaͤhlen. So beſteht z. B. ein Dreiklang aus der Prime, Terz und Quinte, wird aber bei der Bezifferung gewoͤhnlichD 228mit 3 oder gar nicht bezeichnet, wenn es nicht der welche Dreiklang iſt, der noch mit 3b verſehen wird
Von den vorhererwaͤhnten 12 chromatiſchen Toͤnen, bilden ſich 7 zu einer Tonart auf die zu Anfange des Capitels erwaͤhnte Art und Weiſe, und aus letztern wieder zwei Harmonien, die innerhalb zweier Octaven alle Toͤne einer Tonart in ſich faſſen die weſentlich harmoniſch noͤthig ſind. Die erſte iſt die Primen-Harmonie und beſteht aus nachſtehenden Toͤnen.
die aber ſo oft verdoppelt werden koͤnnen als es der Umfang der Inſtrumente verſtattet. z. B.
Die zweite iſt die Dominanten Harmonie und beſteht aus nachſtehenden Toͤnen.
29 die außer der None a eben ſo oft verdoppelt werden koͤnnen, als es der Umfang der In - ſtrumente geſtattet. Z. B.
Von der erſten Harmonie iſt jeder Ton harmoniſch und ſchlußfaͤhig, von der zweiten aber iſt es nur der Grundton (Dominante) die andern alle diſſoniren und muͤſſen auf - geloͤßt werden. Eine Aufloͤſung derſelben iſt aber nicht noͤthig, wenn ſie durch Veraͤn - derung der Tonart zu andern harmoniſchen und ſchlußfaͤhigen Toͤnen, kurz, zu weſent - Toͤnen einer andern Primen Harmonie umgeſchaffen werden. Beide Harmonien haben ihre Namen von den Grundtoͤnen, naͤmlich der Prime und Dominante, die in allen Ton - arten vorherrſchend ſind.
Aus der Dominantenharmonie entſpringt von der Dominante als Grundbaß an ge - rechnet, wieder eine andre terzenweiſe uͤbereinandergeſetzte Hauptharmonie naͤmlich:
Sie iſt im Grunde weiter nichts als die Hauptharmonie der Tonart G dur, aus - genommen die Abweichung, daß ſtatt fis, f als weſentliches Intervall angenommen wird, um nicht aus der Tonart C dur heraus zu fuͤhren.
Da die Accorde einer Tonart allein, hintereinander gehoͤrt eine Einfoͤrmigkeit her - vorbringen wuͤrden, die den Namen Muſik wohl nicht verdienen moͤchte, eben ſo wenig wie30 eine Melodie, die blos aus den Toͤnen der Primenharmonie beſteht, ſo vollkommen ſie auch ſind dem Namen einer Melodie entſprechen wuͤrde, ſo liegt es in der Natur der Muſik, daß die Toͤne zweier einander verwandter Harmonien mit einander abwechſeln. Dies geſchieht durch die Primen und Dominantenharmonie.
Um jedoch der letztern wieder eine ihr zunaͤchſt verwandte, die noch nicht aus der Tonart fuͤhrt, an die Seite zu ſtellen, und eine neue Mannigfaltigkeit hervorzubringen, wird ihr die in dem letzten Beiſpiele angegebene wiederum an die Seite geſetzt, und dieſe zwei wieder miteinander abwechſelnden Harmonien werden Wechſel Primen und Wechſel Dominanten Harmonieen genannt.
Die Wechſel-Harmonie zerfaͤllt, wie ſchon geſagt in zwei Harmonien als: in die Wechſel Primen Harmonie.
und in die Wechſel Dominantenharmonie.
Ihre Toͤne koͤnnen wie die der Primen und Dominantenharmonie ſo oft verdoppelt werden, als es Toͤne auf den Tonwerkzeugen giebt.
Beide Hauptharmonien beſtehen, dem Zahlenſyſteme nach: aus Prime, Terz, Quinte, Septime, Rone, Undecime und Terzdecime, und folglich jede Primenharmonie aus der Prime, Terz und Quinte und jede Dominantenharmonie aus der Quinte, Septime, None, Undecime und Terzdecime, von der Prime der Tonart angerechnet.
Aus dieſen zwei Hauptharmonien, oder wenn man ſie ſich einzeln denken will, aus den zwei Primen und zwei Dominantenharmonien einer Tonart entſtehen 20 Accorde von welchen ſich einige umkehren laſſen (ſiehe Tabellen Pag. 12.) und zwar:
Durch den Zuſammentritt zweier Harmonien entſtehen folgende Accorde.
Alle dieſe Accorde haben ihre Ramen von den Intervallen, aus welchen ſie von dem jedesmaligen Grundtone (Baß) an gerechnet beſtehen, und ihre Grundbaͤße werden auch ſo beziffert. Es moͤgen daher Accorde vorkommen, aus welcher Tonart ſie wollen, ſobald uͤber dem Grundbaß die Zahlen ſtehen, ſo nimmt man ſie an, und die Accorde muͤſſen der Abſicht des Componiſten entſprechen.
Natuͤrlich muß aber Ruͤckſicht darauf genommen werden, daß wenn z. B. in einem Tonſtuͤcke aus C dur eine Grundnote vorkoͤmmt, auf welche ein Accord aus einer an - dern Tonart gebaut werden ſoll, wo auch eine andre Vorzeichnung ſtatt findet, ſo muß die Abweichung den Zahlen auch beigefuͤgt werden.
Ich nehme den Fall an, daß der Componiſt den Dreiklang aus Cmoll in einem Ton - ſtuͤck aus C dur gebrauchen will, in welchem die kleine Terz vorkommt, ſo muß der uͤber der Grundnote angegebenen Zahl 3, noch ein ♭ beigefuͤgt werden.
Ein gleiches Verfahren muß auch bei Accorden ſtatt finden, wo die großen oder klei - nen Sexten oder Septimen vorkommen, die aus der Vorzeichnung des Stuͤcks nicht zu errathen ſeyn wuͤrden.
Ich nenne dies Verfahren, die Toͤne der Accorde durch Zahlen zu bezeichnen, das Zahlenſyſtem, und habe die zwei Tabellen der Tonart C dur und C moll, (ſiehe Pag. 12.) welchen alle Accorde anderer Tonarten gleich ſind, als Beiſpiele beziffert.
32Es wird nicht weiter noͤthig ſein, weitlaͤuftig aus einander zu ſetzen, daß die Be - zeichnung der Baͤſſe in den Moll Tonarten von der in den Dur Tonarten abweicht, weil die Vorzeichnung der erſtern der Gewohnheit nach, nach dem melodiſchen Gange ab - waͤrts die kleine Septime beſtimmt, wo aber nach dem Harmoniegange aufwaͤrts ſtets die große Septime eintreten muß. Das naͤhere iſt in der genannten Tabelle der Tonart C moll unter dem Capitel, von der Harmonie zu erſehen, auf welche ich mich auch, um die Accorde jeder Tonart nicht wiederholen zu muͤſſen, beziehen zu duͤrfen glaube.
Außer dieſen 20 Accorden in jeder Tonart giebt es noch 15, die von den Primen - harmonien der uͤbrigen weſentlichen oder leitereigenen Toͤne der Tonart abgeleitet wer - den. Ihre Harmonien werden Neben Primenharmonien genannt. Von jeder koͤn - nen nur 3 Accorde abgeleitet werden, wenn ſie nicht aus der Tonart fuͤhren ſollen und zwar:
Sie werden ebenfalls wie jene erſten, ihren Namen und Intervallen nach, auf den Grund des Zahlenſyſtems beziffert.
Wenn man nun die 24 Dur und Moll Tonarten annimmt, und natuͤrlich auch eben ſo viel Hauptharmonien, von welchen jede die 7 weſentlichen Toͤne enthaͤlt, aus welchen von einer jeden 35 Unterabtheilungen oder Accorde entſpringen, ſo erhaͤlt man 840 Ac - corde, die alle Toͤne in der Sphaͤre der Muſik enthalten muͤſſen.
So wenig nun auch den angefuͤhrten Gruͤnden nach, eine harmoniſche Verbindung weiter ſtatt finden kann, ſo ſcheint es in mancher Betrachtung doch ſo zu ſein, wenn man in Erwaͤgung zieht, daß zu den zwei Grundtoͤnen jeder, Tonart der Prime und Quinte Verbindungen von Toͤnen klingen, die ſonſt nicht zu ihrer Tonart gehoͤren. Dergleichen Toͤne oder auch ſelbſt Accorde aber ſind bei jeder Tonart, in welcher ſich die Modulation aufhaͤlt, entweder als durchgehende Toͤne und Accorde oder als Wechſeltoͤne und Accorde zu betrachten, und koͤnnen; da ſie außer der Tonart liegen, in das Sy - ſtem der Harmonie und Accorde nicht aufgenommen werden.
Bevor etwas uͤber die Conſonanzen und Diſſonanzen der Intervalle geſagt werden kann, iſt zu erwaͤhnen, daß beide Arten von Toͤnen nicht in das Namen, ſondern in das Zahlenſyſtem gehoͤren, und ſich mithin allemal erſt auf eine beſtimmte Tonart gruͤnden. Wenn in der Tonart C dur, h eine Diſſonanz iſt, ſo kann man h nicht immer als ſolche betrachten, denn ſo wie ſich die Tonart z. B. in E dur aͤndert, iſt h als Conſonanz und zwar als vollkommene anzuſehen. Um beide Arten von Intervallen alſo gehoͤrig un - terſcheiden zu koͤnnen, muͤſſen ſie nach Zahlen benannt werden. Welche nun der Zahl nach in einer Tonart als Conſonanzen oder Diſſonanzen zu betrachten ſind, muͤſſen auch in jeder andern als ſolche betrachtet werden, weil alle Tonarten in dur und alle in moll einander gleich ſind.
Unter den ſieben zu einer Tonart gehoͤrenden Intervallen befinden ſich 3 Conſonan - zen und zwar die Prime, die Terz, und die Quinte, und 4 Diſſonanzen: die Sekunde, die Quarte, die Sexte und die Septime. Beide Arten ſind aber nur als ſolche zu be - trachten, als ihnen zwei gewiſſe Toͤne zum Grunde gelegt ſind und zwar den Conſonan - zen die Prime, und den Diſſonanzen die Quinte, wodurch zwei Harmonien entſtehen, die man Licht und Schatten nennen kann. Die zwei Harmonien werden die Primen und Dominantenharmonie genannt und ſind in C dur:
Die erſten ſind in Hinſicht auf Harmonie dem Gehoͤre beruhigend und zu Bildung eines Schluſſes geeignet. Die zweiten aber, wenn ſie unmittelbar nach den erſten gehoͤrt werden, beruhigen nicht, ſondern verlangen eine Aufloͤſung in die erſten. Dieſe Aufloͤſung iſt beſtimmten Naturgeſetzen unterworfen, die unbedingt befolgt werden muͤſſen. Naͤm - lich die Sekunde, Quarte und Sexte muß abwaͤrts, und die Septime aufwaͤrts auf - geloͤßt werden. In melodiſcher Beziehung tritt dieſe Nothwendigkeit nicht ein.
E34So oft nun dieſe Toͤne in Accorden vorkommen, die entweder zur Primen oder Do - minantenharmonie oder in beide zugleich gehoͤren, ſo oft muß die Befolgung des Na - turgeſetzes eintreten, kommen welche von dieſen beiden Arten von Intervallen in Accor - den vor, die ſich nicht auf die benannten zwei Harmonien gruͤnden, ſo iſt das Naturge - ſetz ſogleich veraͤndert. Z. B. wenn drei Diſſonanzen in C dur
ſich ſo aufloͤſen
ſo werden auf eine andere Art die zwei oberſten nicht als Diſſonanzen betrachtet, wenn ihnen ein Intervall zum Grunde liegt, was ſie in ihrer Verbindung mit ihm zu einem Accorde aus einer andern Harmonie macht z. B.
Dies iſt der Sext Quarten Accord aus F dur, und folglich ſind alle Intervalle Con - ſonanzen, und beduͤrfen keiner Aufloͤſung. In wiefern die Dreiklaͤnge mit ihren Umkeh - rungen, wenn ſie ſich auf die leitereigenen Intervalle einer Tonart gruͤnden und Neben Primen Harmonien genannt werden, zu der Haupttonart zu rechnen ſind, iſt in dem Ka - pitel von der Harmonie naͤher eroͤrtert worden. Ich widerhole es alſo: Es koͤmmt blos auf den Grundbaß an, von welchen alle Accorde, folglich auch die Diſſonanzen abhaͤngig ſind.
Bei der Fortſchreitung der Stimmen oder der ganzen Harmonie eines Stuͤcks hat man von alten Zeiten her bemerkt, daß ſich die Stimmen auf dreierlei Art bewegen, um neue Accorde oder Harmonien zu bilden. Nach dieſer Bemerkung hat man 3 Regeln feſtgeſetzt, um ſich bei der Compoſition eines Stuͤcks darnach zu richten. Die drei Re - geln ſind unter den Namen der drei Bewegungen bekannt:
Die erſte heißt: gerade Bewegung (motus rectus)
Die zweite heißt: Gegenbewegung (motus contrarius)
Die dritte heißt: Seitenbewegung (motus obliquus)
Die gerade Bewegung findet bei Fortſchreitungen ſtatt, wo zwei oder mehrere Stim - men ohne den Wohlklang zu beleidigen auf oder herunterwaͤrts gehen. Man ſieht leicht ein, in welchen Faͤllen es ſtatt findet, wenn man in Erwaͤgung zieht, daß dies natuͤr - lich uͤberall geſchehen kann, wo nicht zwei Quinten oder zwei Octaven ſich hintereinan - der fortbewegen wie in dieſem Beiſpiele:
Wo aber dergleichen Quinten oder Octaven weder hintereinander noch ſprungweiſe, eintreten, koͤnnen ſich die Stimmen auch gerade fortbewegen, was bei Terzen, Quarten, Sexten ſelbſt Septimen Verbindungen der Fall iſt. Z. B.
E 236Zweiſtimmig
Dreiftimmig.
Bei vierſtimmigen Saͤtzen hat man ſich ſchon mehr in Acht zu nehmen um keine fehlerhaften Fortſchreitungen zu machen, und entgeht man dieſem Fehler, ſo verfaͤllt man in einem andern, naͤmlich: man iſt entweder genoͤthigt eine Stimme zu verdoppeln, die auf manchen Intervallen nicht verdoppelt werden darf z. B. die Terz u. ſ. w. oder der Gang des Stuͤcks wird ſteif und unbeholfen.
Die Gegenbewegung iſt die natuͤrlichſte in der Muſik und die ſicherſte, weil es in der Natur der diſſonirenden Intervalle einer Tonart oder den Intervallen der Dominan - ten Harmonie liegt, daß einige ſich nur abwaͤrts andre aufwaͤrts aufloͤſen. Zu den erſten gehoͤren: die Sekunde, die Quarte, die Sexte (die auch als ſelbſtſtaͤndig betrachtet wer - den kann, und oft nicht aufgeloͤßt zu werden braucht,) zu den andern gehoͤrt blos die Septime. Beobachtet man dieſe Regeln ganz genau, ſo entſtehen die ſchoͤnſten harmo - niſchen Verbindungen. Wer ſich von der Wahrheit dieſer Ermahnung uͤberzeugen will, ſtudire nur die Werke Mozarts, und er wird mit Erſtaunen den Zauber bewundern, den ſeine Harmonien durch ſtrenge Beobachtung dieſer Naturgeſetze erhalten haben. Die37 Gegenbewegung iſt demjenigen, der nicht ganz unerfahren in der Muſik iſt, zu bekannt, als daß es noͤthig ſein duͤrfte mehr Beiſpiele anzufuͤhren, als:
Wo in den Stimmen uͤberall die Gegenbewegung richtig eintritt, kann weder Quinte noch Octave entſtehen. Auch drei und vierſtimmige Sachen laſſen ſich bei dieſer Bewe - gung gut ſetzen.
Die Seitenbewegung iſt genau betrachtet weiter nichts als, entweder die gerade oder Gegenbewegung, denn ihre Ausweichung oder Bewegung zur Seite gehoͤrt der wahren Harmonie nicht an, ſondern gehoͤrt zur Melodie, oder es bleibt eine Stimme ſtehen, um der anderen Gelegenheit zu geben, ſich andere mit ihr harmonirende Intervalle zu waͤhlen, um der Melodie neues Feuer und Leben zu geben.
Die ſtehenbleibende Stimme iſt in den erſten Tacten f, und die obern Stimmen machen die Seitenbewegung. In den letzten Tacten iſt c im Discant die ſtehenblei - bende Stimme, und die zwei untern Stimmen machen die Seitenbewegung.
Aus dem Beiſpiele No. 1. wird man ſehen, daß die Gegenbewegung blos der Melo - die angehoͤrt, denn die wahre Fortſchreitung der Harmonie iſt:
In den erſten zwei Tacten findet ſich eigentlich die gerade Bewegung, und in den letzten die Gegenbewegung.
Da die Bewegungen an ſich nichts weiter als Formen ſind, die von der richtigen Fuͤhrung der Stimmen abhaͤngen, ſo mag es bei der Ermahnung: ihrer zu achten ſein Bewenden haben.
Ich finde Veranlaſſung genug die Fortſchreitung in Quinten und Octaven mit ei - nigen Worten in einem eigenen Capitel zu erwaͤhnen, weil die Bemerkungen, die in die - ſem Werke daruͤber hin und wieder vorkommen, leicht uͤberſehen werden koͤnnten.
Bei ganz genauer Betrachtung aller harmoniſchen Verhaͤltniſſe bin ich in den Stand geſetzt worden folgendes Reſultat anerkennen zu muͤſſen.
1) Daß blos der Dreiklang der Dominantenharmonie und der Dreiklang, der ſich auf die Neben-Prime, die Quarte gruͤndet, auf den Dreiklang der Primenharmonie fol - gen kann, worinnen eine Fortſchreitung der Quinten richtig iſt, ſonſt aber nicht.
2) Daß eine fehlerhafte Fortſchreitung in Octaven nur immer erſt entſteht, wenn eine Quinten Fortſchreitung geſchieht, ſelbſt die erlaubte aus der Prime in die Domi - nante z. B.
39Richtig iſt die Fortſetzung ſo:
wenn gleich Quinten in der Harmonie enthalten ſind.
Daß aber obige Vaͤſſe an ſich nicht falſch ſind, beweißt dies Beiſpiel:
es geht daraus wieder hervor, daß die Urſache 1) an der Quinten Fortſchreitung 2) an der Verdoppelung einiger Intervalle liegt, die nicht verdoppelt werden duͤrfen als: die Secunde, Terz, Septime u. ſ. w. 3) daß die Baͤſſe gegen den melodiſchen Fortgang mit voller Harmonie falſch ſind, denn wer wuͤrde z. B. zu einem ſolchen melodiſchen Fortgange40
auch die naͤmlichen Toͤne im Baß waͤhlen
Daher geſchieht es auch oft, daß verſteckte Octaven zum Vorſchein kommen, wenn der Baß mit einer der Mittelſtimmen in gleicher Bewegung fortſchreitet, wodurch In - tervalle verdoppelt werden, die nicht verdoppelt werden ſollten.
Die Octaven werden immer leichter vermieden, weil ſie zu auffallend gegen das Gehoͤr anſtoßen, aber die Quinten Fortſchreitung (worunter ich auch melodiſche rechne) kann leicht eintreten, wenn der Componiſt nicht ganz auf ſeiner Huth iſt, denn es giebt viel Faͤlle, wo ſie entweder ſprungweiſe oder ſo vorkommen, daß ſie keinen widrigen Effect machen.
In dem vorher angegebenen Beiſpiele No. 2. iſt dargethan worden, daß zwei Ac - corde, in welchen Quinten enthalten ſind, einander folgen koͤnnen. Der zweite Fall, wo ein ſolcher Harmonieſchritt folgen kann, findet in nachſtehenden Beiſpiele ſtatt:
Wenn alſo 5 Toͤne von dem Grundbaß ab, Quinten bilden, ſo machen in dem erſten Accorde c und g aufwaͤrts und im zweiten Accorde f und c aufwaͤrts Quinten. Da, wie ſchon erwaͤhnt, dieſe Quinten; die durch den Wechſel des Dreiklangs der Primen Harmonie mit dem Dreiklange der Dominanten Harmonie und dem auf der Quarte entſtehen, nicht verworfen werden koͤnnen, weil dieſe Dreiklaͤnge die naͤchſten natuͤrlichen Stufen ſind, uͤber welche die Modulation hinwegſchreitet, ſo muß man ſich doch in Acht[nehmen], ſie zu verdoppeln oder gar ohne die uͤbrigen Stimmen zu gebrauchen, denn wie falſch ſie an ſich ſelbſt ſind, wenn ſie hintereinander ohne die andern Stimmen gehoͤrt werden, kann ihr Klang in dieſem Beiſpiele beweiſen.
Jede andre Art von Quinten aber vermeidet jeder gute Componiſt, und laͤßt oft lieber eine Stimme aus oder verdoppelt eine andre, ehe er ſie in Anwendung bringt. Doch iſt wie geſagt der Fall da, daß ſich dergleichen ſelbſt in Mozarts Werken finden. Ob er ſie bemerkt hat oder nicht, iſt ungewiß. Doch glaube ich, daß auch hin und wieder ein bloßer Schreibfehler ſie verurſacht hat, wie es gewiß in dieſem Beiſpiele der Fall iſt:
Die mit + bezeichneten Quinten find zu auffallend, als daß Mozart ſie nicht ge - ſtrichen haben ſollte, wenn er ſie bemerkt haͤtte, zumal da der Satz leicht zu aͤndern war; und er ſich keiner Caprice uͤberließ, wo es den reinen Satz galt. So oft Quinten in Harmonie oder Melodie Schritten einander folgen (ausgenommen der Dreiklang aus der Primenharmonie in den Dreiklang der Domin. und Quart. Harmonie) ferner, ſo oft verbo - tene Octaven hintereinander folgen, ſie moͤgen noch ſo wenig einen widrigen Effect ma - chen als ſie wollen, ſo iſt es immer ein Beweis, daß der Satz nicht rein, und ein Feh - ler in der Stimmenfuͤhrung vorgefallen ſein muß. Wenn es auch Fehler ſind, die den groͤßten Meiſtern entgehen koͤnnen, ſo hoͤren ſie demungeachtet nicht auf ſolche zu ſein, und ſind durchaus nicht nachahmungswuͤrdig, weil auch der Unbefangendſte das Widrige dabei empfinden muß.
Wenn zu Ende des zweiten Capitels erwaͤhnt worden iſt, daß zu den zwei Grund - toͤnen der Primen und Dominanten Harmonie: der Prime (oder auch Octave, welches einerlei iſt) und Quinte, Toͤne und Accorde klingen, die nicht in das Syſtem der Har - monie einer Tonart gehoͤren, und entweder als durchgehende Toͤne und Accorde oder als Wechſel Toͤne und Accorde zu betrachten ſind, ſo folgt hier eine naͤhere Erklaͤrung der Mehrdeutigkeit eines jeden Tons, zunaͤchſt aber erſt die erwaͤhnten Verbindungen, die nur auf beſagten zwei Intervallen vorkommen koͤnnen, ſo lange die Modulation in C dur geſchieht, denn ſobald ſich die Tonart aͤndert, ſo treten natuͤrlich andre Primen (oder Octaven) und Quinten an deren Stelle.
Mehrdeutigkeit der Prime in C dur.
Es verſteht ſich jedoch, daß nicht alle dieſe Accorde hintereinander und auch ſelbſt oft nicht einzeln ohne Vorbereitung gewaͤhlt werden koͤnnen, weil die Fortſchreitung der Intervalle fremder Tonarten doch eine gewiſſe Melodie bilden muß. Fehler hierin koͤn - nen am beſten vermieden werden, wenn die in den Mittelſtimmen liegenden Terzen und Sekunden ſo mit einander abwechſeln, daß ſie keinen Querſtand bilden wie:
Außerdem klingen alle Intervalle der Accorde, die in der Tabelle der Harmonien von C dur angegeben ſind, ja es laſſen ſich noch mehr Verbindungen der Art machen, deren ſchickliche Wahl aber dem geſchickten Tonkuͤnſtler anheim geſtellt werden muß.
Alle hier angegebenen Verbindungen, mit wenig Ausnahmen, laſſen ſich nun auch zur Quinte der Tonart C dur benutzen, weshalb ich ſie nicht wiederhohlen zu duͤrfen glaube.
Die nachfolgenden Verbindungen, die alle zu dem Intervall C klingen, ſind aus den 24 Tabellen aller Dur und Moll Tonarten gezogen. Sie haben den Nutzen zu wiſſen, wie vielſeitig ein Ton harmoniſch benutzt werden kann, um dem melodiſchen Fortgange durch geſchickte Wahl einen neuen piquanten Reitz zu geben. Ich brauche wohl nicht zu erinnern, daß die Accorde nicht ſo aufeinander folgen koͤnnen, wie ſie hier angegeben ſind, weil ich eine richtige Modulation vorausſetze.
Mehrdeutigkeit des Tons C ohne Ruͤckſicht auf ſeine Eigenſchaft als Prime.
Die Harmonie von C, abwaͤrts geleitet.
Die Harmonie von C, aufwaͤrts geleitet.
Wie ſich die Verbindungen zu dem Tone C verhalten, ſo verhalten ſie ſich aus trans - ponirt zu den 11 uͤbrigen halben Toͤnen cis, d, es, e u. ſ. w. und hat man genaue Kenntniß von ihnen, ſo kann es auch nicht ſchwer halten, eine ſehr große Mannigfaltig - keit in die harmoniſche Melodie zu bringen, wenn man beſonders aus den Tabellen er - lernt hat, in welche Tonart jede dieſer Verbindungen gehoͤrt, und wie die in ihnen diſſonirenden Toͤne aufgeloͤßt werden muͤſſen.
Bei der Stimmenfuͤhrung iſt es Hauptſache: daß jede Stimme beſonders den Aus - druck und Zweck des melodiſchen Gedankens unterſtuͤtze und erheben helfe, wie es ins - beſondere bei Orcheſter und mehrſtimmigen Sachen erforderlich iſt. Um eine Klarheit und Richtigkeit bei der Stimmenfuͤhrung zu erreichen, iſt es noͤthig, den melodiſchen Haupt Gedanken in mehrern Stimmen und andern Toͤnen; jedoch in der naͤmlichen Sphaͤre der Harmonie, worinnen ſich die Modulation aufhaͤlt, ſo wie in anderer rhyth - miſcher Eintheilung, nachzuahmen. Oftmals werden ſogar zwei oder drei Stim - men contrapunctiſch der melodiſchen Haupt-Idee entgegengefetzt, wodurch der ganze Satz eine groͤßere Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit erhaͤlt. Die Sphaͤre der Harmonie muß aber genau beobachtet werden, ſonſt bilden die einzelnen Stimmen im Ganzen ei - nen falſchen Ausdruck.
Um dieſe Anſicht etwas deutlicher zu machen, wie ſich die Stimmen an einander knuͤpfen, vergroͤßern und verkleinern, ohne aus den Harmonieſchritten heraus zu gehen, will ich hier nur ein Beiſpiel von Mozart; deſſen Werke davon ſo voll ſind, anfuͤhren: ſiehe Beilage.
Es iſt darinnen kein einzelner Gedanke, keine Luͤcke anzutreffen und alle Inſtru - mente bezwecken den Effeckt des Haupt Gedankens.
Ich glaube aber wohl nicht erinnern zu duͤrfen, daß nicht eine jede Stimme eine beſondere Melodie durchfuͤhren kann, weil dadurch eine Verwirrung und Ueberladung der Haupt Idee eintreten muͤßte, und ſich oft durchgehende Toͤne mit Wechſel Toͤnen beruͤhren, einen Querſtand bilden oder ganz unharmoniſch gegen einander ver - halten wuͤrden. Vorzuͤglich verdient angemerkt zu werden, daß die Baͤße eine kraͤftigere und im Gange eine ganz andre Melodie fuͤhren muͤſſen als die Mittelſtimmen, wenn letztere nicht aus beſonderer Abſicht hervorgehoben werden ſollen, denn außerdem die - nen ſie mehr zur Begleitung und Unterſtuͤtzung der Haupt Melodie.
Der Baß und die hoͤchſte Stimme muͤſſen als Extreme (die in der Natur immer einander beruͤhren) die Modulation beſtimmen; es waͤre denn, daß eine der Mittelſtim - men die Melodie fuͤhrte, und von ihrer klugen Wahl haͤngt gewoͤhnlich das Intereſſe und der Effect des ganzen Tonſtuͤcks ab. Schweigt der Baß, und eine andre Stimme vertritt ſeine Stelle, ſo gilt die naͤmliche Bemerkung auch dieſer Stimme.
WemWem iſt nicht ſchon der herrliche Satz der Baͤſſe in den Opern des Spontini, Gluck und Cherubini bemerklich geworden?
Schluͤßlich moͤchte ich Anfaͤngern den wohlgemeinten Rath geben, ſich erſt lange mit den reinen Satze zweier Stimmen und mit den einfachen Contrapuncte; wo Note gegen Note geſetzt wird, zu beſchaͤftigen, ehe ſie ſich an mehrſtimmige und doppelt contrapunctiſche wagen, denn nur in ſolchen Arbeiten kann man etwas Ausge - zeichnetes leiſten, in welchen man Meiſter ihrer Elemente iſt. Die Stimmenfuͤhrung ſetzt den reinen Satz, folglich die Kenntniß faſt aller in dieſen Werke beruͤhrten Capitel voraus, weshalb ich glaube, den Leſer nur auf genaue Befolgung derſelben verweiſen zu duͤrfen, um gewiß zu ſein, daß ſich eine richtige Stimmenfuͤhrung daraus ergeben werde.
Wenn hier von Verdoppelung einiger Intervalle die Rede iſt, ſo ſind allemal die mit Zahlen benannten Toͤne einer Tonart zu verſtehen, in welche der Accord oder die Harmonie gehoͤrt. Wenn z. B. geſagt wird, daß die Terz nicht verdoppelt werden darf, ſo iſt e darunter zu verſtehen, wenn der Accord in C dur gehoͤrt; gehoͤrt er aber in D dur, ſo iſt fis zu verſtehen. Man hat die Erfahrung, daß gewiſſe Inter - valle ein Mißfallen erregen, wenn ſie verdoppelt werden, und dieſe Erfahrung hat einen richtigen Grund. Es erfolgen naͤmlich gewoͤhnlich fehlerhafte Fortſchreitungen der Stimmen, wodurch Octaven entſtehen; jedoch nicht immer, wenn man den Gang der Stimmen genau beobachtet. So verdoppelt man z. B. die Terz nur ungern, und doch kann es geſchehen ohne daß die Wirkung widrig iſt, wie nachſtehende Fortſchreitung der Accorde beweißt:
Das naͤmliche gilt auch von der Sekunde und Sexte der Tonart, wie wohl ſie auch ebenfalls verdoppelt werden koͤnnen z. B.
Der Grund davon, daß ſie demohngeachtet hart klingen, liegt darin, daß der Baß gegen eine der Stimmen gewoͤhnlich nicht contrapunctiſch richtig iſt, was man gleich findet, wenn man bei dem gezeigten Beiſpiele die Probe anſtellt, in welcher die darin enthaltenen Stimmen ſo klingen:
Wenn es nicht unumgaͤnglich noͤthig ſein ſollte ſie zu verdoppeln, ſo iſt es beſſer entweder die Stimmen pauſiren zu laſſen oder ihnen durch Verdoppelung eines anderen Intervalls als der Prime, Quarte, Quinte eine andere Richtung zu geben. Die Septime der Primen - harmonie darf aber gar nicht verdoppelt werden, und wenn ſie auch als Terz der Do - minantenharmonie vorkoͤmmt. Sie iſt im Tone zu durchſchneidend, obſchon ihre Fort - ſchreitung manchesmal gebilligt werden koͤnnte, wie es in den nachfolgenden Accorden der Fall iſt:51
In octavenweiſer Verbindung koͤnnen die genannten Intervalle verdoppelt werden.
Ueber die Weglaſſung der Stimmen in allen Faͤllen, koͤnnen keine beſtimmten Re - geln gegeben werden, weil die Weglaſſung theils davon abhaͤngt, eine fehlerhafte Fort - ſchreitung zu vermeiden, theils um den melodiſchen Gange; der durch gleiche Fortſchrei - tung aller Stimmen eine große Unbeholfenheit erhalten wuͤrde, ein beſſern Schwung zu geben. Daß die Weglaſſung noͤthig iſt, beweißt der Umſtand, welche ſchlechte Wirkung ein Stuͤck machen wuͤrde, wenn jeder Ton der Hauptmelodie, die aus viel Zergliederun -G 252gen des Rythmus beſteht harmoniſch begleitet werden ſollte. Die Auslaſſung muß demnach dem Urtheile des Componiſten uͤberlaſſen bleiben. Einige Faͤlle ſind aber zu be - ſtimmen. In der Dreiklangsharmonie kann die Terz nicht gut wegbleiben, aber die Quinte. In dem Sexten Accorde kann die Terz von dem Grundton ab gerechnet weg - bleiben, aber nicht die Sexte weil der Accord ſonſt nicht mehr als Sexten Accord zu betrachten ſein wuͤrde. Im Sext Quinten Accorde kann die Terz eher weggelaſſen werden, als die Quinte. In dieſen drei Accorden beſtimmt die unterſte Note jederzeit ihre Namen, und wenn nur ein dem Accorde angehoͤriges Intervall dabei iſt, ſo iſt es ſchon[genug], wenigſtens kein Fehler, obſchon eins beſſer als das andere dazu klingt. Welche Stimmen bei dem uͤbrigen Accorden wegbleiben koͤnnen iſt willkuͤrlich, nur duͤr - fen diejenigen Intervalle, von welchen ſie die Namen haben, nicht wegbleiben, z. B. beim Septimen Accorde das 7te, beim Quint-Sexten Accord das 5te und 6te Intervall (das 6te eher als das fuͤnfte, obſchon der Accord dadurch zweideutig wird und fuͤr den Dreiklang auf der Septime der Tonart gehalten werden koͤnnte) beim Terz-Quarten Accord kann das dritte und vierte Intervall nicht wegbleiben, wenigſtens das dritte nicht, weil der Grundbaß blos in Verbindung mit dem vierten die Vermuthung erregen koͤnn - te, als ſei der Sext-Quarten Accord der Dominantenharmonie damit gemeint. Beim Secunden Accorde muß wenigſtens der Grundton und deſſen Sekunde genommen wer - den, alle uͤbrigen Intervalle koͤnnen wegbleiben. Ein gleiches gilt von dem Nonen und Undezimen Accorden, bei welchen außer dem Grundtone wenigſtens das 9te und 11te In - tervalle gehoͤrt werden muß. Die Auslaſſung der Intervalle iſt inſofern wichtig, als da - durch beurkundet wird, ob der Componiſt den reinen Satz verſteht und ein gutes harmo - niſches Gefuͤhl hat. In Terzen, Quarten und Sexten Fortſchreitungen kann natuͤrlich keines der Intervalle wegbleiben. Uebrigens fuͤhle ich mich zum beſten des Leſers ver - pflichtet, ihn auf die aͤußerſt ſchoͤnen Bemerkungen des Herrn Kapellmeiſters Friedrich Schneider zu Deßau in ſeinem Elementarbuche der Harmonie und Tonſetzkunſt §. 203 und 204 aufmerkſam zu machen.
Die Hauptgrundſaͤtze der Modulation oder der Fortſchreitung der harmoniſchen Me - lodie ſind folgende:
53Um folglich dem ganz natuͤrlichen Verbote der Quinten und Octaven auszuweichen muß man vermeiden, daß zwei Accorde, in welchen die Stimmen um 5 Toͤne von einan - der entfernt liegen, und wo der Baß mit einer der Stimmen octavenweiſe fortſchreitet, hinter einander folgen. Dieſes Verbot erſtreckt ſich jedoch nicht auf den Fortgang zweier oder mehrerer Stimmen in der Octave oder Uniſono,
54 oder des Dreiklangs der Tonart in der Dreiklang der Dominante, z. B.
oder des Dreiklangs der Tonart in den der Quarte, z. B.
weil die Fortſchreitung dieſer Dreiklaͤnge, wo zwar offenbare Quinten vorkommen, ſogar eine Vorſchrift der Natur der Muſik iſt.
Man mag die harmoniſche Fortſchreitung betrachten von welcher Seite man will, ſo findet man immer, daß ſie groͤßtentheils von der melodiſchen Fort - ſchreitung abhaͤngig iſt, weil alle Stimmen blos zur Unterſtuͤtzung der Melodie ge - braucht werden, um einen gewiſſen Zweck zu erreichen. Aus der Vereinigung aller Stim - men geht erſt die Modulation hervor. Es wuͤrde unnuͤtz ſein, alle Faͤlle zu beſtimmen, welche Accorde auf einander folgen koͤnnen und welche nicht, wenn man bedenkt, daß ſie nothwendig alle auf einander folgen duͤrfen, ſobald die gegen die Natur der Tonarten ſtreitende fehlerhafte Quinten und Octaven Fortſchreitung vermieden wird. Auf die me - lodiſche Fortſchreitung kommt es daher an, die richtige Modulation zu beſtimmen, und um dies deutlicher zu machen, iſt es noͤthig, vorher etwas von der melodiſchen Fort - ſchreitung anzufuͤhren.
Wenn ſich eine einzelne Stimme fortbewegt, ſo wird es eine Melodie genannt, de - ren hinter einander gewaͤhlten Toͤne ſich auf eine Harmonie oder auf Accorde gruͤnden,55 die in irgend eine Tonart gehoͤren und richtig ſind, denn man kann nicht jede Reihe von Toͤnen hintereinander eine Melodie nennen. Z. B.
Von dieſen Toͤnen gruͤnden ſich wenige auf eine Harmoniſche Verbindung und zu - ſammengenommen koͤnnen ſie gar keine Melodie ausmachen.
Sind aber wenigſtens zwei Toͤne in einer Melodie enthalten, die ſich auf eine Har - monie oder einen Accord gruͤnden, und der dritte Ton kann aus einer Harmonie (oder einen Accorde) genommen werden, die auf die erſte folgen kann. Z. B.
ſo kann daraus ſchon eine Melodie entwickelt werden, und zwar ohngefehr folgende:
Beiſpiel:
Die erſten zwei Toͤne koͤnnen uͤbereinander geſetzt werden, wodurch ſie eine Quart - Verbindung machen. Dieſe Verbindung giebt Anzeige, daß ſie in C dur gehoͤren. Will ihnen aber der Componift eine andere melodiſche Bedeutung geben, ſo darf er nur noch eine andre Stimme dazu ſetzen, z. B.
Wollte man nun den zweiten Ton (ſiehe Beiſpiel) wieder mit den dritten zuſammenſetzen ſo wuͤrden die zwei Toͤne
wieder eine Terzverbindung bilden, die zu mehrern Tonarten gehoͤren kann, als: zu F dur und A moll ꝛc. Die zweite hinzukommende Stimme muß daher entſcheiden, in welcher Harmoniefolge der dritte Ton eintreten ſoll. Die Harmoniſche Begleitung des dritten Tones kann daher verſchieden gewaͤhlt werden. Z. B.
Es kommt nun auf den vierten Ton (ſiehe Beiſpiel) an, welche Stimme ihn har - moniſch begleiten kann. Da er mit dem dritten eine Secunden Verbindung:
ausmacht, die nur in E dur oder moll vorkommen kann, der 5te und letzte Ton C aber einen Schluß noͤthig macht, ſo kann der begleitende Ton aus E dur oder moll nicht ge - waͤhlt werden, ſondern einer aus der Dominanten Harmonie von C dur, worinnen die Secunden Verbindung (deren Toͤne hier mit × bezeichnet ſind) auch vorkommt.
Soll aber der Schluß nicht in C dur, ſondern A moll geſchehen, ſo kann ein Ton aus der Haupt Harmonie von A moll ihn begleiten, weil in derſelben die Secunden Verbindung ebenfalls enthalten iſt, wie die mit × bezeichneten Toͤne beweiſen.
Auf dieſe Weiſe iſt der Grund leicht aufzufinden, warum ein Ton den andern be - gleiten kann. Zufolge dieſer Erklaͤrung wird hier das Beiſpiel mit dem vierten Tone, wie er zu begleiten iſt, angegeben.
Der letzte Ton C als der Schlußton, der hier zum Beiſpiel aufgeſtellten Melodie, kann auf verſchiedene Art begleitet werden, weil er in viel Accorden und Harmonien enthal - ten iſt. Z. B. in C dur als Prime, in A moll als Prime, in C moll als Septime von der Dominantenharmonie G dur, als Terz in As dur. Aus dieſen Accorden kann folg - lich ein Ton gewaͤhlt werden um den Ton C zu begleiten, als:
H58Durch den Gang der Stimmen in fremde Tonarten bei kurzen Melodien, wird na - tuͤrlich die harmoniſche Begleitung oft gezwungen und unfreundlich; und dieſes kurze Beiſpiel ſoll nur beweiſen, welcher verſchiedener Begleitung oder harmoniſcher Veraͤn - derungen eine Melodie faͤhig iſt, und wie durch ſolche Veraͤnderung; wenn ſie oͤcono - miſch angewendet wird, die unbedeutendſte Melodie gewinnen kann, wenn zumal noch die rhythmiſchen Schoͤnheiten und andre Huͤlfsmittel des Ausdrucks, hinzukommen.
Man hat ſich bisher viele Muͤhe gegeben, alle Faͤlle der Modulation zu beſtimmen, und Regeln auf Regeln gehaͤuft, welche Accorde moͤglicherwelſe auf einander folgen koͤnnen, und doch den Zweck: ein untruͤgliches Syſtem daruͤber aufzuſtellen, nicht erreicht. Viel ſicherer erreicht man den Zweck, wenn ein Harmonieſchritt; das heißt: die Fort - ſchreitung von einem Accorde zum andern, ſo behandelt wird, daß man entweder die zwei oberſten Toͤne, oder auch zwei der mittlern Stimmen, hintereinander als eine melo - diſche Fortſchreitung betrachtet. Gruͤnden ſie ſich auf eine Harmonie, ſo muͤſſen ſie auch Anzeige geben, zu welcher Harmonie ſie gehoͤren, oder gehoͤren koͤnnen. Wird ein Ton davon zu einem gewißen Accorde beſtimmt, ſo muͤſſen auch alle ſeine Stimmen zu ihm gehoͤren. Unterſucht man nun die Fortſchreitung aller Stimmen, und findet, daß nicht Quinten und Octaven hintereinander folgen, die unter allen Umſtaͤnden verwerf - lich, wenigſtens nicht zu recommandiren ſind, ſo muß der Harmonie Schritt oder die Mo - dulation richtig ſein.
Folgten aber zwei Toͤne hintereinander, die ſich auf keine Harmonie gruͤndeten (was aber gar nicht denkbar iſt, weil wenigſtens ein Ton davon als Wechſel Note wird be - trachtet werden koͤnnen) ſo wuͤrde auch keine richtige Modulation moͤglich ſein. Wenn dieſer Fall aber nicht eintritt, und man vermeidet die falſche Quinten und Octaven Folge, ſo kann man mit voͤlliger Gewißheit den Schluß machen, daß in allen Faͤllen die Harmonie ſich der Herrſchaft der Melodie unterwerfen muß.
59Es koͤnnen daher der Phantaſie des Componiſten durch die Modulation keine Graͤn - zen geſetzt werden, wenn er ſonſt die Pag. 10 ꝛc. feſtgeſtellten Harmonien und Accorde ge - nau kennt.
Da eine richtige Modulation zu Erlernung der Tonſetzkunſt hoͤchſt noͤthig iſt, ſo wird es nicht ſchaden, noch etwas weitlaͤuftiger daruͤber zu werden und noch einige Re - geln und Beiſpiele anzufuͤhren.
Der erſte Punkt bedarf keine Erklaͤrung, ſondern nur ſtrenge Befo[lg]ung. Was den zweiten Punkt betrift, ſo nennt man das Folgen einer Harmonie auf die andre: einen Harmonieſchritt. Ein ſolcher Schritt kann auf zweierlei Art geſchehen.
Sind ſolche ausweichende Harmonieſchritte nicht ſo lange von Dauer, als ſich die Hauptmelodie darinnen begruͤnden kann und das Gehoͤr ganz darein geſtimmt wird, ſo iſt die Ausweichung unvollkommen und man kann ſie nur zum Schmuck der har - moniſchen Melodie rechnen.
Hier folgt ein Beiſpiel aus Mozarts Zauberfloͤte, was beide Arten von Modula - tion und auch die unvollkommene, mehr zum melodiſchen Schmuck gehoͤrende, deutlich macht.
H 260Bis zum × gehoͤren die Accorde alle in die Tonart des Stuͤcks und ſind folglich leitereigne Harmonie Schritte.
Von den × an bis zu den ×× weichen die Accorde in A moll aus, ſelbſt der letzte Accord iſt wieder eine Ausweichung in C dur. Dies iſt alſo eine ausweichende Modu - lation oder fremde Harmoniefolge.
Der letzte Accord in C dur (ſiehe ××) iſt auch eine Ausweichung, da aber das Gehoͤr gleich wieder in G dur geſtimmt wird ſo iſt ſie mehr zum Schmuck der melodi - ſchen Harmonie zu rechnen.
61Wie die Accorde auf einander folgen koͤnnen, lehren gar viel General Baß Schulen, aber eine voͤllige Gewißheit mangelt ihnen. Sie ſtellen unzaͤhlige, ſelbſt fehlerhafte Bei - ſpiele auf und ſetzen nach ſolchen, Regeln feſt, die immer wieder der Ausnahmen beduͤr - fen; und wollte man ſie bei Compoſitionen zum Grunde legen, ſo wuͤrden die wahren Schoͤnheiten eines Muſik Stuͤcks gar ſehr eingeſchnuͤrt und bizarr werden. Was fuͤhrt man nicht fuͤr ſonderbare Einfaͤlle, die aus der Laune dieſes oder jenes Componiſten hervorgegangen ſind, als Muſter an, und welche traurige Nachahmungen haben nicht die natuͤrlichen Anlagen manches angehenden Componiſten gaͤnzlich zerſtoͤrt! muß man nicht erſchrecken, wenn man ließt, daß es nur nach einem Syſteme, welches von 7 Grund Harmonien ausgeht, 6888 moͤgliche Harmoniefolgen giebt, und nach andern Syſtemen noch mehr geben koͤnne!
Wenn nun in einem Muſik Stuͤcke moͤglicherweiſe die Accorde aller Tonarten vor - kommen koͤnnten, und der Phantaſie des Componiſten, wenn er ſeine Melodieen richtig erfindet, von Seiten der Harmonie durchaus kein Hinderniß in den Weg gelegt werden darf, ſo entſteht die Frage: iſt die bisherige Lehre der Modulation, wenn ſie mit vieler Muͤhe in allen ihren Theilen erlernt wird, hinreichend, jede kuͤhne Idee des Componi - ſten untruͤglich zu unterſtuͤtzen, oder giebt es einen kuͤrzern, der Phantaſie ſchnellerer und ſicherer entſprechenden Weg, die Harmoniſche Fortſchreitung gleich bei Erfindung der Gedanken zu bewirken?
Was die erſte Frage betrift ſo kommt es auf eine große Uebung an, ſich durch das Heer der Beiſpiele von moͤglichen Faͤllen zu winden und feſte Grundſaͤtze zu erlangen, ſonſt moͤchte manche Regel zu Mißgriſſen verleiten, von welchen nur ein Beiſpiel hier folgt.
Es hat bisher die Regel gegolten: daß nach einer Dreiklangs Harmonie eine andre Dreiklangs Harmonie derſelben Tonart folgen koͤnne.
Man ſieht leicht ein, zu welchen Irrthum dieſe Regel verleiten kann, wenn man zwei Dreiklaͤnge auf einander folgen laͤßt, wo die fehlerhafte Quinten Folge nicht zu vermeiden iſt. Z. B.
Dieſe Dreiklaͤnge gehoͤren nach den Lehren, woraus die Regel entnommen iſt, zu ein und derſelben Tonart, und koͤnnen, wenn ſie nicht umgekehrt werden, ohne uͤble Wirkung einander nicht folgen ꝛc.
62Was die zweite Frage betrift, ſo ſtehe ich nicht an, meine Anſichten hieruͤber naͤher zu eroͤrtern.
Wenn man annimmt, daß in jeder Harmoniefolge auch eine Melodie ſein muͤße und die erſte von der letzten groͤßtentheils abhaͤngig iſt, auch eine Mehrdeutigkeit, wie ſie Pag. 44 ꝛc. angegeben iſt, nur von dem Zwecke abhaͤngt den ihr der Componiſt geben will; wenn ferner die Melodie als geiſtiger und die Harmonie als materieller Theil betrachtet wird, ſo muß der harmoniſche Fortgang durch den melodiſchen beſtimmt werden.
Ich habe vorher bemerkt, daß eine richtige melodiſche Folge die Harmonie be - ſtimmt und dies muß hier wiederholt werden. Das Gegentheil wuͤrde freilich zu Miß - verſtaͤndnißen fuͤhren. Wenn z. B. eine Melodie, die in C dur bis zu dem Accorde
gefuͤhrt worden iſt, mit dem naͤchſten Tone in Fis dur
ſchließen ſollte, ſo hieße dies die Natur der Harmonie mißbrauchen, weil alle Stimmen ſich unharmoniſch zu ihren neuen Plaͤtzen bewegen muͤßten. Dergleichen Harmoniefolgen koͤnnen ohne Vorbereitung nicht bewirkt werden. Wird aber nur ein einziger Ton ſo wie in den nachfolgenden zweiten Accorde durch cis geſchieht
vorbereitet, ſo kann der Schluß entweder in D dur oder Fis dur
wie er im zweiten Beiſpiele angegeben iſt, folgen.
63Der Grund liegt darinnen. Tritt eine Stimme aus der Sphaͤre einer Harmonie in eine andre, ſo muͤſſen alle andre Stimmen ihre neuen Plaͤtze entweder durch die Toͤne der neuen Dominanten Harmonie, (ohne Quinten - und OctavenFolgen,) ſuchen, oder wenn welche von ihnen bereits ihre kuͤnftigen Plaͤtze haben, ſtehen bleiben. Der Uebergang mag daher ſo auffallend und uͤberraſchend ſein als er nur im - mer wolle, ſo muß die Harmonie ſich doch darnach fuͤgen, wenn den Stimmen nur ſo viel Zeit gelaſſen wird, ſich in die Sphaͤre der neuen Harmonie melodiſch richtig be - wegen zu koͤnnen.
Man kann daher zwei Regeln feſtſetzen:
Folgende Beiſpiele koͤnnen dieſe Regeln etwas deutlicher machen.
In den erſten Beiſpiele bleibt die oberſte und unterſte Stimme liegen, und die zwei Mittelſtimmen bewegen ſich nach den beabſichtigten Accorde. Im zweiten Beiſpiele, in welchen die zwei erſten Accorde die naͤmlichen ſind, bleiben bei den Fortgange des zwei - ten Accords zum dritten, die untern Stimmen liegen, und nur die obere Stimme bewegt ſich nach den ihr im letzten Accorde zukommenden Platz. In den erſten Beiſpiele ſind die Accorde 1) der Dreiklang aus C dur und der Sext Quarten Accord aus F moll. In den zweiten Beiſpiele gehen die naͤmlichen Accorde in den Sexten Accord von Des dur uͤber.
In beiden Beiſpielen finden auch melodiſche Bewegungen ſtatt, indem in den erſten die unterſten Stimmen auf Intervalle uͤbergehen, die in d n vorhergehenden Accorde nicht enthalten ſind; was auch in den zweiten Beiſpiele der Fall iſt.
64Schreiten die Accorde aber ſo fort:
ſo geſchieht im Grunde keine melodiſche Fortſchreitung, ſondern die Stimmen nehmen nur andre Stellen der Primen Harmonie ein, obſchon andre Accorde entſtanden ſind, naͤmlich: der erſte iſt der Sexten Accord aus C dur, der andre der Sext Quarten Accord, der dritte wieder der Sexten Accord, und der vierte der Dreiklang aus C dur.
So lange daher die Stimmen einer Harmonie nur unter einander wechſeln, kann man nicht ſagen, daß dadurch nur die geringſte Melodie entſtehe; ſobald aber nur ein Ton eintritt der nicht in die Harmonie gehoͤrt, ſo iſt gleich die Entſtehung der Melodie bewirkt. Z. B.
Hier bewegen ſich außer G, was durch
bezeichnet iſt, alle Stimmen aus der Primen Harmonie von C dur in die Primen Harmonie G dur und werden alle melo - diſch. Selbſt wenn ſich die Stimmen einer Primen Harmonie aus dur, in eine der - gleichen aus moll bewegen, entſteht eine Melodie. Z. B.
Die Stimmen in dieſen Sexten Accorden bleiben alle in ihrer Lage, außer daß ſich die große Terz in die kleine begiebt und dadurch einen melodiſchen Satz bildet.
Ich65Ich will bei dieſer Gelegenheit noch ein Beiſpiel erlaͤutern, in welchem die Stim - men zweier Dominanten Harmonien zuſammentreten, um in die Primen Harmonie uͤberzugehen, die entweder Dur oder Moll werden kann, je nachdem die Abſicht iſt.
der Schluß kann in einen dieſer Accorde geſchehen
Aus dem erſten Accorde geht die oberſte Stimme in Cis; was die Septime von D dur anzeigt, in D dur uͤber. Der Ton Cis gehoͤrt in folgende Harmonie, und iſt mit × be - zeichnet.
Genannter Ton iſt entweder als Septime der Primen Harmonie zu betrachten, oder als Terz der Dominanten Harmonie von D dur, die ſo heißt:
Auf beiderlei Weiſe, ſowohl als Septime der Primen Harmonie, oder als Terz der Dominantenharmonie, wird die Tonart D entweder Dur oder Moll beſtimmt, und auf beiderlei Art bewegt ſich der Ton Cis, in D. Nun geht in obigen Beiſpiele des erſten Accords, die Stimme e, in es uͤber, wo ſie nicht ſtehen bleiben kann, weil ſie; ſowie der oberſte Ton cis, diſſoniren und aufgeloͤßt ſein wollen. Es iſt mithin als ein Inter - vall von einer Dominanten Harmonie zu betrachten, die in D leitet und zwar in eineJ66Primen Harmonie (was auch ſchon das Gefuͤhl andeutet) dieſer Ton kommt nun vor in der Primen Harmonie 1) G dur und moll 2) Dur und moll 3) B dur und moll. Im erſten Falle und zwar in G moll
iſt die Dominanten Harmonie:
Die mit × bezeichnete Note iſt mithin der in dem Beiſpiele angegebne Ton, der in D moll leitet; da nun aber eine Dominanten Harmonie der Moll Tonart auch in eine Dur Tonart leitet, ſo koͤnnte auch die Primen Harmonie von G dur darauf folgen.
Im zweiten Falle naͤmlich in D dur und moll, iſt in der Dominanten Harmonie derſelben Es nicht enthalten weil ſie ſo heißen
folglich kann ſie auch nicht fuͤr diejenige Harmonie betrachtet werden, aus welcher die Stimme genommen iſt. Aber der Schluß in Dur kann doch geſchehen, und geſchieht auch hier in dieſem Beiſpiele ganz unerwartet, weil ſich die uͤbrigen Stimmen des Accords
bewegen. Es iſt daher ein Trug - oder unerwarteter Schluß von guter Wirkung.
67Im dritten Falle, naͤmlich in B dur, iſt in der Dominanten Harmonie Es enthal - ten, weil die Harmonie ſo heißt:
der Ton Es in derſelben leitet wieder in D, und zwar in die Primen Harmonie B dur Es ſteht mithin in der Willkuͤhr des Componiſten, in welche Harmonie er gehen will, wie das erſte Beiſpiel beweißt, daß man ſowohl in Dur als auch in G moll, G dur, B dur, gehen kann.
Im vierten Falle kann man auch in B moll uͤbergehen, weil der Ton Es, auch in der Dominanten Harmonie derſelben enthalten iſt, naͤmlich:
Der Uebergang der Stimmen iſt hier anders, weil Cis nicht mehr als Septime von D dur erſcheinen kann, die Eigenſchaft, ſich aufwaͤrts zu bewegen, aufhoͤrt, und mithin die Ueberraſchung nicht ſo auffallend iſt. Das Beiſpiel wuͤrde ſo heißen:
Ich habe fuͤr noͤthig erachtet, dies Beiſpiel anzufuͤhren, weil es mehr Faͤlle giebt, wo verſchiedene Harmonien zuſammen treten, und eine uͤberraſchend ſchoͤne Wirkung machen.
So koͤnnten gar noch viele Faͤlle angefuͤhrt werden, wo man entweder mit einem mal oder doch nur durch Veraͤnderung einer oder zweier Stimmen in die entfernteſten Tonarten moduliren kann.
J 268Sobald man alſo vergleicht, ob die Toͤne eines niedergeſchriebenen Accords auch als Toͤne des beabſichtigten nachfolgenden Accords liegen bleiben, oder ob ſie, ohne eine falſche Quinten und Octavenfolge, melodiſch in die Sphaͤre des neuen Accords bewegt werden koͤnnen, ſo kann man das große Raͤthſel von der muſterhaften Stimmenfuͤhrung in den Werken des unſterblichen Mozart, loͤſen.
Da nun uͤberhaupt bei Compoſitionen ſelten der Fall eintritt, daß man die hetero - genſten Accorde unmittelbar auf einander folgen laͤßt, und die Kunſt nicht zur Haupt Sache macht, weil keine Muſik an ſich gut iſt, die nichts weiter als die Conſtruction der General-Baßlehren enthaͤlt, ſo kann ich mit guten Gewißen unter Anrathung ei - nes fleißigen Studiums guter Werke, dieſes Kapitel beſchließen.
Ich ſehe mich genoͤthigt, dieſes Capitel blos darum in Erwaͤhnung zu bringen, weil es in vielen General Baß Schulen als ein wichtiger Gegenſtand, und zwar weitlaͤuftig genug abgehandelt iſt.
Im allgemeinen laͤßt ſich hieruͤber wenig beſtimmtes ſagen, weil es in dieſer Lehre faſt keinen Fall giebt, wo man nicht auch einmal das Gegentheil beweiſen koͤnnte. Es ſind eine Menge Vorſchriften vorhanden, wie lange man in der Haupt Tonart verwei - len und wenn man in andre ausweichen ſoll, worunter gewiß die wichtigſte mit iſt, daß man kein Tonſtuͤck ohne einen vollkommnen Schluß in die Tonika oder Prime, endigen koͤnne, und doch faͤllt auch dieſe Regel hinweg, wenn wir die Ouvertuͤre aus Don Juan anfuͤhren, die im erſten Theile in D moll anhebt, und zweifelhaft in dieſem Theile en - digt; im zweiten Theile in D dur anfaͤngt und in C dur mit einem ſogenannten unvoll - kommenen Schluße endigt.
Was wuͤrden wohl die Herren Recenſenten dazu ſagen, wenn ein weniger beruͤhmter Componiſt oder gar ein Anfaͤnger dieſes Wagſtuͤck unternommen haͤtte!
Ferner war es bisher allgemeine Regel, daß ein Tonſtuͤck ſich gleich Anfangs in der Haupt Tonart ankuͤndigen muͤße, und doch hat Beethoven ſeine Simphonie aus C moll ſo zweifelhaft angefangen, daß man erſt im 7ten Tacte den Dreiklang C moll hoͤrt. Und ſo koͤnnten eine Menge Faͤlle angefuͤhrt werden, die zum Beweiſe dienen wuͤrden, daß ſich hieruͤber keine beſtimmten Vorſchriften geben laſſen.
69Der verſtaͤndige Kuͤnſiler, welcher von jeder Art der Tonſtuͤcke, als: der Simpho - nien, Sonaten, Concerte, Arien, Finalen in Opern, Duverturen ꝛc. einen richtigen Be - griff hat, wird ſeinem Zwecke gemaͤß, auch den rechten Ausdruck, die rechte Modulation zu waͤhlen wißen, ohne ſich vorſchreiben zu laſſen, welchen Flug ſeine Phantaſie nehmen ſoll; und ich kann nichts beſſeres thun, als den Anfaͤngern der Compoſition das Stu - dium aller dieſer beſondern Tonſtuͤcke beruͤhmter Kuͤnſtler anzuempfehlen, denn es herrſcht in jedem allerdings ein beſonderer Charakter der mit andern nicht gut verwechſelt werden kann.
Die Warnung, ein Tonſtuͤck oder gar einen einzelnen Gedanken in einfacher Har - monie oder durch alle Tonarten hindurch, ins Unendliche auszudehnen und ſich, wie man zu ſagen pflegt, darinnen uͤber die Dauer eines gebildeten Gefuͤhls, zu gefallen, kann ich hier nicht unberuͤhrt laſſen, weil leider! taͤglich noch ſolche unaͤſithetiſche Pro - ducte unſre Geduld auf die Probe ſtellen.
Die Melodie iſt eine Verbindung mehrerer Toͤne hintereinander, die ſich auf eine beſtimmte Tonart und auf eine von den Grundharmonien, die Pag. 10 ſpezifiſch ange - geben ſind, gruͤnden. Unter zwei hintereinander folgenden Toͤnen, wovon einer zu ei - ner Primenharmonie, der andere zu einer Dominantenharmonie gehoͤren muß, iſt keine Harmonie denkbar. Sobald aber zwei dergleichen hintereinander folgen, ſo iſt eine Me - lodie entſtanden. Dies Geſetz iſt auch auf mehrere Toͤne hintereinander auszudehnen. Eine ſolche melodiſche Fortſchreitung kann in einfachen Toͤnen beſtehen, die man melodiſche Fortſchreitung nennt, und auch in der Fortſchreitung mehrerer Stimmen der aus der Hauptharmonie beſtehenden ſpeciellen, naͤmlich: der Primen und Dominantenharmonie,*)Der Hauptfaden der Melodie beſteht in den Ha[r]monie Schritten (Modulation).70 die man harmoniſche Fortſchreitung nennt. Dieſe Melodie, die aus der letzten Fort - ſchreitung entſteht, liegt allen uͤbrigen Stimmen zum Grunde, denn es giebt keinen Ac - cordwechſel wo nicht die zwei Toͤne, die Prime und die Quinte dazu klingen ſollten z. B.
u. ſ. w. ſiehe Kapitel von der harmoniſchen Mehrdeutigkeit eines jeden Intervalls.
Daß die zwei Grundtoͤne einer Tonart zu allen ſelbſt chromatiſchen Accorden gehoͤrt werden koͤnnen, kann mit vielen Beiſpielen aus den Werken beruͤhmter Componiſten bewieſen werden.
Sie werden daher am ſchicklichſten den Inſtrumenten zugeſchrieben, die den tiefſten Baß haben, oftmals aber auch den hohen Blasinſtrumenten, wenn ſie dieſe Toͤne lange aushalten ſollen, wie es in Mozarts Zauberfloͤte im Finale: Zum Ziele fuͤhrt dich dieſe Bahn u. ſ. w. der Fall iſt.
Dieſe beiden Toͤne koͤnnen alſo, als die erſte Hauptmelodie betrachtet werden, ob ſie ſchon groͤßtentheils im Baß liegt. Daß die Quinte oder Dominante davon die Schat - tenſeite, naͤhmlich die Dominantenharmonie mit ihren Accorden; die Prime aber die Lichtſeite, die Primenharmonie mit ihren Accorden regiert, iſt ſchon auf das Gefuͤhl begruͤndet, und darf alſo hier nur noch in Erinnerung gebracht werden.
Jede Melodie, iſt auf den Grund der Harmonie der ſtrengen Regel unterworfen, daß zwei Quinten nicht aufeinander folgen duͤrfen, es mag ſtufen oder ſprungweiſe ge - ſchehen z. B. wenn die Toͤne der Grundmelodie oder auch einer andern geweſen ſind
ſo duͤrfen nicht dieſe Toͤne darauf folgen
Es wechſeln daher mit dieſen Toͤnen die andern aus der Primen und Dominanten - harmonie ab. Bevor wir aber ein Beiſpiel davon anfuͤhren, ſo iſt es noͤthig, von den erſten zwei Toͤnen, die eine Melodie bilden ein Beiſpiel anzufuͤhren:
Melodiſche Fortſchreitung.
Die erſte harmoniſche Fortſchreitung dazu geſchieht durch die erwaͤhnten Grundtoͤne beider Harmonien, die Prime und die Quinte.
Die Harmoniſche Fortſchreitung iſt im Grunde ebenfalls weiter nichts, als eine me - lodiſche, denn wie viele Beiſpiele giebt es nicht, wo die Hauptmelodie im Baſſe liegt.
Wir wollen nun die harmoniſche Melodie, die bisher den Namen Modulation gefuͤhrt hat, weiter verfolgen. Nimmt man nun zu einer andern Melodie zwei andre Toͤne und zwar wieder einen aus der Primenharmonie und einen aus der Dominantenharmonie, ſo bilden dieſe zwei Toͤne wieder eine Gegenmelodie
72 die wieder mit zwei Toͤnen aus dieſen Harmonien begleitet werden kann z. B.
Die letzte Melodie ſchattirt die erſtere dadurch, daß ihre Toͤne durch die Begleitung in zwei andere Accorde der Primen und Dominantenharmonie verwandelt werden.
Faͤhrt man wieder mit zwei andern Toͤnen der erwaͤhnten Harmonien fort z. B.
und giebt ihnen wieder andere Toͤne der zwei Harmonien zur Begleitung, ſo entſteht wieder ein andres Colorit durch andre Accorde
Durch die Toͤne, welche die erſten jeder dieſer Melodien*)Die erſten Toͤne der Melodien ſind mit × und die zweiten mit ⩨ bezeichnet. begleiten ſind die Accorde entſtanden, 1) der Dreiklang 2) der Sexten Accord 3) der Sext Quarten Accord. Durch die Toͤne, welche die zweiten Toͤne der Melodie begleiten, ſind die Accorde entſtanden 1) derDrei -73Dreiklang aus G dur, oder zur Dominanten Harmonie gehoͤrig 2) der Dreiklang auf der Septime der Tonart, aber zur Dominantenharmonie gehoͤrig, der Sext Quarten Accord aus G dur zur Dominantenharmonie gehoͤrig, ſiehe Tabelle aller Accorde Pag. 12. ꝛc.
Wenn mehrere Toͤne aus der Primenharmonie oder Dominantenharmonie hinterein - ander gehoͤrt werden, entweder ohne Begleitung z. B.
ſo kann man ſie keine Melodie nennen; auch nicht, wenn nur ein Ton aus der Harmo - nie ſie begleitet, als:
So lang dieſe Strophe iſt, ſo iſt ſie in Hinſicht auf melodiſche Natur doch nur ein Ton, wenn aber der Gegenſatz hinzu kommt als:
K74obſchon dieſe Strophe auch nur als ein Ton betrachtet werden kann, ſo iſt beides zu - ſammen eine Melodie von zwei Toͤnen in vergroͤßerten Maaßſtabe. Es giebt nun zwar ganze Stuͤcke, die in Hinſicht der Melodie und der Begleitung weiter aus keinen andern Toͤnen, als aus denen der Primen und Dominantenharmonie beſtehn, weswegen ſie aber auch nicht immer auf Schoͤnheit und Intereſſe Anſpruch machen koͤnnen.
Eine Periode kann nicht fuͤr beendigt angeſehen werden, wenn nicht der letzte Ton durch die Prime der Tonart begleitet iſt. Die erſten drei Tacte ſind Beiſpiele davon. Fuͤr beendigt kann nur der letzte Tact angeſehen werden.
Sobald ein Ton aus der Dominantenharmonie auf einen der Primenharmonie folgt, (ausgenommen die Dominante ſelbſt) ſo kann keine Melodie fuͤr geſchloſſen