Von G. Frege.
Die Gleichheit**)Ich brauche dies Wort im Sinne von Identität und verſtehe „ a = b “in dem Sinne von „ a iſt daſſelbe wie b “oder „ a und b fallen zuſammen. “fordert das Nachdenken heraus durch Fragen, die ſich daran knüpfen und nicht ganz leicht zu beantworten ſind. Iſt ſie eine Beziehung? eine Beziehung zwiſchen Gegenſtänden? oder zwiſchen Namen oder Zeichen für Gegenſtände? Das Letzte hatte ich in meiner Begriffsſchrift angenommen. Die Gründe, die dafür zu ſprechen ſcheinen, ſind folgende: a = a und a = b ſind offenbar Sätze von verſchiedenem Erkenntniswerte: a = a gilt a priori und iſt nach Kant analytiſch zu nennen, während Sätze von der Form a = b oft ſehr wertvolle Erweiterungen unſerer Er¬ kenntnis enthalten und a priori nicht immer zu begründen ſind. Die Entdeckung, daß nicht jeden Morgen eine neue Sonne aufgeht, ſondern immer dieſelbe, iſt wohl eine der folgenreichſten in der Aſtronomie geweſen. Noch jetzt iſt die Wiedererkennung eines kleinen Planeten oder eines Kometen nicht immer etwas Selbſt¬26G. Frege:verſtändliches. Wenn wir nun in der Gleichheit eine Beziehung zwiſchen dem ſehn wollten, was die Namen „ a “und „ b “bedeuten, ſo ſchiene a = b von a = a nicht verſchieden ſein zu können, falls nämlich a = b wahr iſt. Es wäre hiermit eine Beziehung eines Dinges zu ſich ſelbſt ausgedrückt, und zwar eine ſolche, in der jedes Ding mit ſich ſelbſt, aber kein Ding mit einem andern ſteht. Was man mit a = b ſagen will, ſcheint zu ſein, daß die Zeichen oder Namen „ a “und „ b “daſſelbe bedeuten, und dann wäre eben von jenen Zeichen die Rede; es würde eine Beziehung zwiſchen ihnen behauptet. Aber dieſe Beziehung beſtände zwiſchen den Namen oder Zeichen nur, inſofern ſie etwas benennen oder bezeichnen. Sie wäre eine vermittelte durch die Verknüpfung jedes der beiden Zeichen mit demſelben Bezeichneten. Dieſe aber iſt willkürlich. Man kann Keinem verbieten, irgendeinen willkürlich hervorzubringenden Vor¬ gang oder Gegenſtand zum Zeichen für irgend etwas anzunehmen. Damit würde dann ein Satz a = b nicht mehr die Sache ſelbſt ſondern nur noch unſere Bezeichnungsweiſe betreffen; wir würden keine eigentliche Erkenntnis darin ausdrücken. Das wollen wir aber doch grade in vielen Fällen. Wenn ſich das Zeichen „ a “von dem Zeichen „ b “nur als Gegenſtand (hier durch die Geſtalt) unterſcheidet, nicht als Zeichen; das ſoll heißen: nicht in der Weiſe, wie es etwas bezeichnet: ſo würde der Erkenntnißwerth von a = a weſentlich gleich dem von a = b ſein, falls a = b wahr iſt. Eine Verſchiedenheit kann nur dadurch zu Stande kommen, daß der Unterſchied des Zeichens einem Unterſchiede in der Art des Gegeben¬ ſeins des Bezeichneten entſpricht. Es ſeien a, b, c die Geraden, welche die Ecken eines Dreiecks mit den Mitten der Gegenſeiten verbinden. Der Schnittpunkt von a und b iſt dann derſelbe wie der Schnittpunkt von b und c. Wir haben alſo verſchiedene Be¬ zeichnungen für denſelben Punkt, und dieſe Namen („ Schnittpunkt von a und b “, „ Schnittpunkt von b und c “) deuten zugleich auf die Art des Gegebenſeins, und daher iſt in dem Satze eine wirk¬ liche Erkenntnis enthalten.
Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortver¬ bindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegeben¬ ſeins enthalten iſt. Es würde danach in unſerm Beiſpiele zwar die27Über Sinn und Bedeutung. Bedeutung der Ausdrücke „ der Schnittpunkt von a und b “und „ der Schnittpunkt von b und c “dieſelbe ſein, aber nicht ihr Sinn. Es würde die Bedeutung von „ Abendſtern “und „ Morgenſtern “dieſelbe ſein, aber nicht der Sinn.
Aus dem Zuſammenhange geht hervor, daß ich hier unter „ Zeichen “und „ Namen “irgendeine Bezeichnung verſtanden habe, die einen Eigennamen vertritt, deren Bedeutung alſo ein beſtimmtes Gegenſtand iſt (dies Wort im weiteſten Umfange genommen), aber kein Begriff und keine Beziehung, auf die in einem anderen Auf¬ ſatze näher eingegangen werden ſoll. Die Bezeichnung eines ein¬ zelnen Gegenſtandes kann auch aus mehreren Worten oder ſonſtigen Zeichen beſtehn. Der Kürze wegen mag jede ſolche Bezeichnung Eigenname genannt werden.
Der Sinn eines Eigennamens wird von jedem erfaßt, der die Sprache oder das Ganze von Bezeichnungen hinreichend kennt, der er angehört*)Bei einem eigentlichen Eigennamen wie „ Ariſtoteles “können freilich die Meinungen über den Sinn auseinander gehen. Man könnte z. B. als ſolchen annehmen: der Schüler Platos und Lehrer Alexanders des Großen. Wer dies thut, wird mit dem Satze „ Ariſtoteles war aus Stagira gebürtig “einen andern Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieſes Namens an¬ nähme: der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange nur die Bedeutung dieſelbe bleibt, laſſen ſich dieſe Schwankungen des Sinnes ertragen, wiewohl auch ſie in dem Lehrgebäude einer beweiſenden Wiſſenſchaft zu vermeiden ſind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften.; damit iſt die Bedeutung aber, falls ſie vorhanden iſt, doch immer nur einſeitig beleuchtet. Zu einer allſeitigen Er¬ kenntniß der Bedeutung würde gehören, daß wir von jedem ge¬ gebenen Sinne ſogleich angeben könnten, ob er zu ihr gehöre. Dahin[gelangen] wir nie.
Die regelmäßige Verknüpfung zwiſchen dem Zeichen, deſſen Sinne und deſſen Bedeutung iſt der Art, daß dem Zeichen ein be¬ ſtimmter Sinn und dieſem wieder eine beſtimmte Bedeutung ent¬ ſpricht, während zu einer Bedeutung (einem Gegenſtande) nicht nur ein Zeichen zugehört. Derſelbe Sinn hat in verſchiedenen Sprachen, ja auch in derſelben verſchiedene Ausdrücke. Freilich kommen Ausnahmen von dieſem regelmäßigen Verhalten vor. Gewiß ſollte in einem vollkommenen Ganzen von Zeichen jedem Ausdrucke ein beſtimmter Sinn entſprechen; aber die Volksſprachen28G. Frege:erfüllen dieſe Forderung vielfach nicht, und man muß zufrieden ſein, wenn nur in demſelben Zuſammenhange daſſelbe Wort immer denſelben Sinn hat. Vielleicht kann man zugeben, daß ein gramma¬ tiſch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen ſteht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Be¬ deutung entſpreche, iſt damit nicht geſagt. Die Worte „ der von der Erde am weiteſten entfernte Himmelskörper “haben einen Sinn; ob ſie aber auch eine Bedeutung haben, iſt ſehr zweifelhaft. Der Ausdruck „ die am wenigſten convergente Reihe “hat einen Sinn; aber man beweiſt, daß er keine Bedeutung hat, da man zu jeder convergenten Reihe eine weniger convergente, aber immer noch convergente finden kann. Dadurch alſo, daß man einen Sinn auf¬ faßt, hat man noch nicht mit Sicherheit eine Bedeutung.
Wenn man in der gewöhnlichen Weiſe Worte gebraucht, ſo iſt das, wovon man ſprechen will, deren Bedeutung. Es kann aber auch vorkommen, daß man von den Worten ſelbſt oder von ihrem Sinne reden will. Jenes geſchieht z. B., wenn man die Worte eines Andern in gerader Rede anführt. Die eigenen Worte bedeuten dann zunächſt die Worte des Andern und erſt dieſe haben die ge¬ wöhnliche Bedeutung. Wir haben dann Zeichen von Zeichen. In der Schrift ſchließt man in dieſem Falle die Wortbilder in An¬ führungszeichen ein. Es darf alſo ein in Anführungszeichen ſtehendes Wortbild nicht in der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden.
Wenn man von dem Sinne eines Ausdrucks, A‘ reden will ſo kann man dies einfach durch die Wendung „ der Sinn des Aus¬ drucks, A‘ “. In der ungeraden Rede ſpricht man von dem Sinne z. B. der Rede eines Andern. Es iſt daraus klar, daß auch in dieſer Redeweiſe die Worte nicht ihre gewöhnliche Bedeutung haben, ſondern das bedeuten, was gewöhnlich ihr Sinn iſt. Um einen kurzen Ausdruck zu haben, wollen wir ſagen: die Wörter werden in der ungeraden Rede ungerade gebraucht, oder haben ihre ungerade Bedeutung. Wir unterſcheiden demnach die gewöhn¬ liche Bedeutung eines Wortes von ſeiner ungeraden und ſeinen gewöhnlichen Sinn von ſeinem ungeraden Sinne. Die un¬ gerade Bedeutung eines Wortes iſt alſo ſein gewöhnlicher Sinn. Solche Ausnahmen muß man immer im Auge behalten, wenn man die Verknüpfungsweiſe von Zeichen, Sinn und Bedeutung im einzelnen Falle richtig auffaſſen will.
29Über Sinn und Bedeutung.Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens iſt die mit ihm verknüpfte Vorſtellung zu unterſcheiden. Wenn die Be¬ deutung eines Zeichens ein ſinnlich wahrnehmbarer Gegenſtand iſt, ſo iſt meine Vorſtellung davon ein aus Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Thätigkeiten, innern ſowohl wie äußern, die ich ausgeübt habe, entſtandenes inneres Bild*)Wir können mit den Vorſtellungen gleich die Anſchauungen zu¬ ſammennehmen, bei denen die Sinneseindrücke und Thätigkeiten ſelbſt an die Stelle der Spuren treten, die ſie in der Seele zurückgelaſſen haben. Der Unterſchied iſt für unſern Zweck unerheblich, zumal wohl immer neben den Empfindungen und Thätigkeiten Erinnerungen von ſolchen das Anſchauungs¬ bild vollenden helfen. Man kann unter Anſchauung aber auch einen Gegen¬ ſtand verſtehen, ſofern er ſinnlich wahrnehmbar oder räumlich iſt., Dieſes iſt oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit ſeiner einzelnen Theile iſt verſchieden und ſchwankend. Nicht immer iſt, auch bei demſelben Menſchen, dieſelbe Vorſtellung mit demſelben Sinne verbunden. Die Vorſtellung iſt ſubjectiv: die Vorſtellung des Einen iſt nicht die des Andern. Damit ſind von ſelbſt manigfache Unterſchiede der mit demſelben Sinne verknüpften Vorſtellungen gegeben. Ein Maler, ein Reiter, ein Zoologe werden wahrſcheinlich ſehr verſchiedene Vorſtellungen mit dem Namen „ Bucephalus” verbinden. Die Vorſtellung unterſcheidet ſich da¬ durch weſentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemein¬ ſames Eigenthum von Vielen ſein kann und alſo nicht Theil oder Modus der Einzelſeele iſt; denn man wird wohl nicht leugnen können, daß die Menſchheit einen gemeinſamen Schatz von Ge¬ danken hat, den ſie von einem Geſchlechte auf das andere über¬ trägt**)Darum iſt es unzweckmäßig, mit dem Worte „ Vorſtellung “ſo Grund¬ verſchiedenes zu bezeichnen..
Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne ſchlechtweg zu ſprechen, muß man bei der Vorſtellung genau genommen hinzufügen, wem ſie angehört und zu welcher Zeit. Man könnte vielleicht ſagen; ebenſogut, wie mit demſelben Worte der Eine dieſe, der Andere jene Vorſtellung verbindet, kann auch der Eine dieſen, der Andere jenen Sinn damit verknüpfen. Doch beſteht der Unterſchied dann doch nur in der Weiſe dieſer Ver¬ knüpfung. Das hindert nicht, daß beide denſelben Sinn auffaſſen;30G. Frege:aber dieſelbe Vorſtellung können ſie nicht haben. Si duo idem faciunt, non est idem. Wenn zwei ſich daſſelbe vorſtellen ſo hat jeder doch ſeine eigene Vorſtellung. Es iſt zwar zuweilen möglich, Unterſchiede der Vorſtellungen, ja der Empfindungen ver¬ ſchiedener Menſchen feſtzuſtellen; aber eine genaue Vergleichung iſt nicht möglich, weil wir dieſe Vorſtellungen nicht in demſelben Be¬ wußtſein zuſammen haben können.
Die Bedeutung eines Eigennamens iſt der Gegenſtand ſelbſt, den wir damit bezeichen; die Vorſtellung, welche wir dabei haben, iſt ganz ſubjectiv; dazwiſchen liegt der Sinn, der zwar nicht mehr ſubjectiv wie die Vorſtellung, aber doch auch nicht der Gegenſtand ſelbſt iſt. Folgendes Gleichniß iſt vielleicht geeignet, dieſe Ver¬ hältniſſe zu verdeutlichen. Jemand betrachtet den Mond durch ein Fernrohr. Ich vergleiche den Mond ſelbſt mit der Bedeutung; er iſt der Gegenſtand der Beobachtung, die vermittelt wird durch das reelle Bild, welches vom Objectivglaſe im Innern des Fern¬ rohrs entworfen wird, und durch das Netzhautbild des Betrach¬ tenden. Jenes vergleiche ich mit dem Sinne, dieſes mit der Vor¬ ſtellung oder Anſchauung. Das Bild im Fernrohre iſt zwar nur einſeitig; es iſt abhängig vom Standorte; aber es iſt doch objectiv, inſofern es mehreren Beobachtern dienen kann. Es ließe ſich allen¬ falls einrichten, daß gleichzeitig Mehrere es benutzten. Von den Netzhautbildern aber würde jeder doch ſein eignes haben. Selbſt eine geometriſche Congruenz würde wegen der verſchiedenen Bildung der Augen[kaum] zu erreichen ſein, ein wirkliches Zuſammenfallen aber wäre ausgeſchloſſen. Dies Gleichnis ließe ſich vielleicht noch weiter ausführen, indem man annähme, das Netzhautbild des A könnte dem B ſichtbar gemacht werden; oder auch A ſelbſt könnte in einem Spiegel ſein eignes Netzhautbild ſehen. Hiermit wäre vielleicht zu zeigen, wie eine Vorſtellung zwar ſelbſt zum Gegen¬ ſtande genommen werden kann, als ſolche aber doch dem Betrachter nicht das iſt, was ſie unmittelbar dem Vor¬ ſtellenden iſt. Doch würde, dies zu verfolgen, wohl zu weit ab¬ führen.
Wir können nun drei Stufen der Verſchiedenheit von Wörtern, Ausdrücken und ganzen Sätzen erkennen. Entweder betrifft der Unterſchied höchſtens die Vorſtellungen, oder den Sinn aber nicht die Bedeutung, oder endlich auch die Bedeutung. In Bezug auf31Über Sinn und Bedeutung. die erſte Stufe iſt zu bemerken, daß, wegen der unſichern Ver¬ bindung der Vorſtellungen mit den Worten für den Einen eine Verſchiedenheit beſtehen kann, die der Andere nicht findet. Der Unterſchied der Ueberſetzung von der Urſchrift ſoll eigentlich die erſte Stufe nicht überſchreiten. Zu den hier noch möglichen Unter¬ ſchieden gehören die Färbungen und Beleuchtungen, welche Dicht¬ kunſt Beredtſamkeit dem Sinne zu geben ſuchen. Dieſe Färbungen und Beleuchtungen ſind nicht objectiv, ſondern jeder Hörer und Leſer muß ſie ſich ſelbſt nach den Winken des Dichters oder Redners hinzuſchaffen. Ohne eine Verwandtſchaft des menſchlichen Vorſtellens wäre freilich die Kunſt nicht möglich; wieweit aber den Abſichten des Dichters entſprochen wird, kann nie genau ermittelt werden.
Von den Vorſtellungen und Anſchauungen ſoll im Folgenden nicht mehr die Rede ſein; ſie ſind hier nur erwähnt worden, damit die Vorſtellung, die ein Wort bei einem Hörer erweckt, nicht mit deſſen Sinne oder deſſen Bedeutung verwechſelt werde.
Um einen kurzen und genauen Ausdruck möglich zu machen, mögen folgende Redewendungen feſtgeſetzt werden:
Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus ſeinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet ſeine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen deſſen Sinn aus und bezeichnen mit ihm deſſen Bedeutung.
Von idealiſtiſcher und ſkeptiſcher Seite iſt vielleicht ſchon längſt eingewendet worden: „ du ſprichſt hier ohne Weiteres von dem Monde als einem Gegenſtande; aber woher weißt du, daß der Name, der Mond‘ überhaupt eine Bedeutung hat, woher weißt du, daß überhaupt irgendetwas eine Bedeutung hat? “ Ich ant¬ worte, daß es nicht unſere Abſicht iſt, von unſerer Vorſtellung des Mondes zu ſprechen, und daß wir uns auch nicht mit dem Sinne begnügen, wenn wir, der Mond‘ ſagen; ſondern wir ſetzen eine Bedeutung voraus. Es hieße, den Sinn geradezu verfehlen, wenn man annehmen wollte, in dem Satze „ der Mond iſt kleiner als die Erde “ſei von einer Vorſtellung des Mondes die Rede. Wollte der Sprechende dies, ſo würde er die Wendung „ meine Vorſtellung vom Monde “gebrauchen. Nun können wir uns in jener Voraus¬ ſetzung freilich irren, und ſolche Irrthümer ſind auch vorgekommen. Die Frage aber, ob wir uns vielleicht immer darin irren, kann32G. Frege:hier unbeantwortet bleiben; es genügt zunächſt, auf unſere Abſicht beim Sprechen oder Denken hinzuweiſen, um es zu rechtfertigen, von der Bedeutung eines Zeichens zu ſprechen, wenn auch mit dem Vorbehalte: falls eine ſolche vorhanden iſt.
Bisher ſind Sinn und Bedeutung nur von ſolchen Aus¬ drücken, Wörtern, Zeichen betrachtet worden, welche wir Eigen¬ namen genannt haben. Wir fragen nun nach Sinn und Be¬ deutung eines ganzen Behauptungsſatzes. Ein ſolcher Satz enthält einen Gedanken*)Ich verſtehe unter Gedanken nicht das ſubjective Thun des Denkens, ſondern deſſen objectiven Inhalt, der fähig iſt, gemeinſames Eigenthum von Vielen zu ſein.. Iſt dieſer Gedanke nun als deſſen Sinn oder als deſſen Bedeutung anzuſehen? Nehmen wir einmal an, der Satz habe eine Bedeutung! Erſetzen wir nun in ihm ein Wort durch ein anderes von derſelben Bed[e]utung, aber anderm Sinne, ſo kann dies auf die Bedeutung des Satzes keinen Einfluß haben. Nun ſehen wir aber, daß der Gedanke ſich in ſolchem Falle ändert; denn es iſt z. B. der Gedanke des Satzes „ der Morgenſtern iſt ein von der Sonne beleuchteter Körper “verſchieden von dem des Satzes „ der Abendſtern iſt ein von der Sonne beleuchteter Körper. “ Jemand der nicht wüßte, daß der Abendſtern der Morgenſtern iſt, könnte den einen Gedanken für wahr, den andern für falſch halten. Der Gedanke kann alſo nicht die Bedeutung des Satzes ſein, viel¬ mehr werden wir ihn als den Sinn aufzufaſſen haben. Wie iſt es nun aber mit der Bedeutung? Dürfen wir überhaupt danach fragen? Hat vielleicht ein Satz als Ganzes nur einen Sinn, aber keine Bedeutung? Man wird jedenfalls erwarten können, daß ſolche Sätze vorkommen, ebenſogut, wie es Satzteile giebt, die wohl einen Sinn, aber keine Bedeutung haben. Und Sätze, welche Eigennamen ohne Bedeutung enthalten, werden von der Art ſein. Der Satz „ Odyſſeus wurde tief ſchlafend in Ithaka ans Land ge¬ ſetzt “hat offenbar einen Sinn. Da es aber zweifelhaft iſt, ob der darin vorkommende Name „ Odyſſeus “eine Bedeutung habe, ſo iſt es damit auch zweifelhaft, ob der ganze Satz eine habe. Aber ſicher iſt doch, daß jemand, der im Ernſte den Satz für wahr oder für falſch hält, auch dem Namen „ Odyſſeus “eine Bedeutung zuerkennt, nicht nur einen Sinn; denn der Bedeutung dieſes33Über Sinn und Bedeutung. Namens wird ja das Prädicat zu - oder abgeſprochen. Wer eine Bedeutung nicht anerkennt, der kann ihr ein Prädicat weder zu¬ noch abſprechen. Nun wäre aber das Vordringen bis zur Be¬ deutung des Namens überflüſſig; man könnte ſich mit dem Sinne begnügen, wenn man beim Gedanken ſtehen bleiben wollte. Käme es nur auf den Sinn des Satzes, den Gedanken, an, ſo wäre es unnöthig, ſich um die Bedeutung eines Satztheils zu kümmern; für den Sinn des Satzes kann ja nur der Sinn, nicht die Be¬ deutung dieſes Theiles in Betracht kommen. Der Gedanke bleibt derſelbe, ob der Name „ Odyſſeus “eine Bedeutung hat oder nicht. Daß wir uns überhaupt um die Bedeutung eines Satztheils be¬ mühen, iſt ein Zeichen dafür, daß wir auch für den Satz ſelbſt eine Bedeutung im Allgemeinen anerkennen und fordern. Der Gedanke verliert für uns an Werth, ſobald wir erkennen, daß zu einem ſeiner Theile die Bedeutung fehlt. Wir ſind alſo wohl be¬ rechtigt, uns nicht mit dem Sinne eines Satzes zu begnügen, ſondern auch nach ſeiner Bedeutung zu fragen. Warum wollen wir denn aber, daß jeder Eigenname nicht nur einen Sinn, ſondern auch eine Bedeutung habe? Warum genügt uns der Gedanke nicht? Weil und ſoweit es uns auf ſeinen Wahrheitswerth an¬ kommt. Nicht immer iſt dies der Fall. Beim Anhören eines Epos z. B. feſſeln uns neben dem Wohlklange der Sprache allein der Sinn der Sätze und die davon erweckten Vorſtellungen und Gefühle. Mit der Frage nach der Wahrheit würden wir den Kunſtgenuß verlaſſen und uns einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung zuwenden. Daher iſt es uns auch gleichgiltig, ob der Name „ Odyſſeus” z. B. eine Bedeutung habe, ſolange wir das Gedicht als Kunſtwerk aufnehmen*)Es wäre wünſchenswerth, für Zeichen, die nur einen Sinn haben ſollen, einen beſondern Ausdruck zu haben. Nennen wir ſolche etwa Bilder, ſo würden die Worte des Schauſpielers auf der Bühne Bilder ſein, ja der Schauſpieler ſelber wäre ein Bild.. Das Streben nach Wahrheit alſo iſt es, was uns überall vom Sinne zur Bedeutung vorzudringen treibt.
Wir haben geſehn, daß zu einem Satze immer dann eine Bedeutung zu ſuchen iſt, wenn es auf die Bedeutung der Beſtand¬ theile ankommt; und das iſt immer dann und nur dann der Fall, wenn wir nach dem Wahrheitswerthe fragen.
Zeitſchrift f. Philoſ. u. Philoſ. Kritik. 100. Bd. 334G. Frege:So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswerth[] eines Satzes als ſeine Bedeutung anzuerkennen. Ich verſtehe unter dem Wahrheitswerthe eines Satzes den Umſtand, daß er wahr oder daß er falſch iſt, Weitere Wahrheitswerthe giebt es nicht. Ich nenne der Kürze halber den einen das Wahre, den andern das Falſche. Jeder Behauptungsſatz, in dem es auf die Bedeutung der Wörter ankommt, iſt alſo als Eigenname aufzu¬ faſſen, und zwar iſt ſeine Bedeutung, falls ſie vorhanden iſt, ent¬ weder das Wahre oder das Falſche. Dieſe beiden Gegenſtände werden von Jedem, wenn auch nur ſtillſchweigend, anerkannt, der überhaupt urtheilt, der etwas für wahr hält, alſo auch vom Skeptiker. Die Bezeichnung der Wahrheitswerthe als Gegenſtände mag hier noch als willkürlicher Einfall und vielleicht als bloßes Spiel mit Worten erſcheinen, aus dem man keine tiefgehende Folgerungen ziehen dürfe. Was ich einen Gegenſtand nenne, kann genauer nur im Zuſammenhange mit Begriff und Beziehung erörtert werden. Das will ich einem andern Aufſatze vorbehalten. Aber ſoviel möchte doch ſchon hier klar ſein, daß in jedem Urtheile*)Ein Urtheil iſt mir nicht das bloße Faſſen eines Gedankens, ſondern die Anerkennung ſeiner Wahrheit. — und ſei es noch ſo ſelbſtverſtändlich — ſchon der Schritt von der Stufe der Gedanken zur Stufe der Bedeutungen (des Ob¬ jectiven) geſchehen iſt.
Man könnte verſucht ſein, das Verhältniß des Gedankens zum Wahren nicht als das des Sinnes zur Bedeutung, ſondern als das des Subjects zum Prädicate anzuſehen. Man kann ja geradezu ſagen: „ der Gedanke, daß 5 eine Primzahl iſt, iſt wahr “. Wenn man aber genauer zuſieht, ſo bemerkt man, daß damit eigentlich nichts mehr geſagt iſt als in dem einfachen Satze „ 5 iſt eine Primzahl “. Die Behauptung der Wahrheit liegt in beiden Fällen in der Form des Behauptungsſatzes, und da, wo dieſe nicht ihre gewöhnliche Kraft hat, z. B. im Munde eines Schauſpielers auf der Bühne, enthält der Satz „ der Gedanke, daß 5 eine Primzahl iſt, iſt wahr “eben auch nur einen Gedanken, und zwar denſelben Gedanken wie das einfache „ 5 iſt eine Primzahl “. Daraus iſt zu entnehmen, daß das Verhältniß des Gedankens zum Wahren doch mit dem des Subjects zum Prädicate nicht verglichen werden darf. 35Über Sinn und Bedeutung. Subject und Prädicat ſind ja (im logiſchen Sinne verſtanden) Gedankentheile; ſie ſtehen auf derſelben Stufe für das Erkennen. Man gelangt durch die Zuſammenfügung von Subject und Prä¬ dicat immer nur zu einem Gedanken, nie von einem Sinne zu deſſen Bedeutung, nie von einem Gedanken zu deſſen Wahrheits¬ werthe. Man bewegt ſich auf derſelben Stufe, aber man ſchreitet nicht von einer Stufe zur nächſten vor. Ein Wahrheitswerth kann nicht Theil eines Gedankens ſein, ſowenig wie etwa die Sonne, weil er kein Sinn iſt, ſondern ein Gegenſtand.
Wenn unſere Vermuthung richtig iſt, daß die Bedeutung eines Satzes ſein Wahrheitswerth iſt, ſo muß dieſer unverändert bleiben, wenn ein Satztheil durch einen Ausdruck von derſelben Bedeutung, aber anderm Sinne erſetzt wird. Und das iſt in der That der Fall. Leibnitz erklärt gradezu: „ Eadem sunt, quae sibi mutuo substitui possunt, ſalva veritate “. Was ſonſt als der Wahrheits¬ werth könnte auch gefunden werden, das ganz allgemein zu jedem Satze gehört, bei dem überhaupt die Bedeutung der Beſtandtheile in Betracht kommt, was bei einer Erſetzung der angegebenen Art unverändert bliebe?
Wenn nun der Wahrheitswerth eines Satzes deſſen Bedeutung iſt, ſo haben einerſeits alle wahren Sätze dieſelbe Bedeutung, andrer¬ ſeits alle falſchen. Wir ſehn daraus, daß in der Bedeutung des Satzes alles Einzelne verwiſcht iſt. Es kann uns alſo niemals auf die Bedeutung eines Satzes allein ankommen; aber auch der bloße Gedanke giebt keine Erkenntnis, ſondern erſt der Gedanke zuſammen mit ſeiner Bedeutung, d. h. ſeinem Wahrheitswerthe. Urtheilen kann als Fortſchreiten von einem Gedanken zu ſeinem Wahrheitswerthe gefaßt werden. Freilich ſoll dies keine Definition ſein. Das Urtheilen iſt eben etwas ganz Eigenartiges und Un¬ vergleichliches. Man könnte auch ſagen Urtheilen ſei Unterſcheiden von Theilen innerhalb des Wahrheitswerthes. Dieſe Unter¬ ſcheidung geſchieht durch Rückgang zum Gedanken. Jeder Sinn, der zu einem Wahrheitswerthe gehört, würde einer eignen Weiſe der Zerlegung entſprechen. Das Wort „ Theil “habe ich hier allerdings in beſondrer Weiſe gebraucht. Ich habe nämlich das Verhältniß des Ganzen und des Theils vom Satze auf ſeine Be¬ deutung übertragen, indem ich die Bedeutung eines Wortes Theil der Bedeutung des Satzes genannt habe, wenn das Wort ſelbſt3*36G. Frege:Theil dieſes Satzes iſt, eine Redeweiſe, die freilich anfechtbar iſt, weil bei der Bedeutung durch das Ganze und einen Theil der andere nicht beſtimmt iſt, und weil man bei Körpern das Wort Theil ſchon in anderm Sinne gebraucht. Es müßte ein eigner Ausdruck hierfür geſchaffen werden.
Es ſoll nun die Vermuthung, daß der Wahrheitswerth eines Satzes deſſen Bedeutung iſt, weiter geprüft werden. Wir haben gefunden, daß der Wahrheitswerth eines Satzes unberührt bleibt, wenn wir darin einen Ausdruck durch einen gleichbedeutenden erſetzen: wir haben aber dabei den Fall noch nicht betrachtet, daß der zu erſetzende Ausdruck ſelber ein Satz iſt. Wenn nun unſere Anſicht richtig iſt, ſo muß der Wahrheitswerth eines Satzes, der einen andern als Theil enthält, unverändert bleiben, wenn wir für den Theilſatz einen andern einſetzen, deſſen Wahrheitswerth derſelbe iſt. Ausnahmen ſind dann zu erwarten, wenn das Ganze oder der Theilſatz gerade oder ungerade Rede ſind; denn, wie wir geſehn haben, iſt die Bedeutung der Worte dann nicht die gewöhn¬ liche. Ein Satz bedeutet in der geraden Rede wieder einen Satz und in der ungeraden einen Gedanken.
Wir werden ſo auf die Betrachtung der Nebenſätze hingelenkt. Dieſe treten ja als Theile eines Satzgefüges auf, das vom logiſchen Geſichtspunkte aus gleichfalls als Satz, und zwar als Hauptſatz, erſcheint. Aber es tritt uns hier die Frage entgegen, ob denn von den Nebenſätzen gleichfalls gilt, daß ihre Bedeutung ein Wahrheits¬ werth ſei. Von der ungeraden Rede wiſſen wir ja ſchon das Gegentheil. Die Grammatiker ſehen die Nebenſätze als Vertreter von Satztheilen an und theilen ſie danach ein in Nennſätze, Bei¬ ſätze, Adverbſätze. Daraus könnte man die Vermuthung ſchöpfen, daß die Bedeutung eines Nebenſatzes nicht ein Wahrheitswerth, ſondern gleichartig ſei der eines Nennworts oder Beiworts oder Adverbs, kurz eines Satztheils, der als Sinn keinen Gedanken, ſondern nur einen Theil eines ſolchen hat. Nur eine eingehendere Unterſuchung kann darüber Klarheit verſchaffen. Wir werden uns dabei nicht ſtreng an den grammatiſchen Leitfaden halten, ſondern das zuſammenfaſſen, was logiſch gleichartig iſt. Suchen wir zu¬ nächſt ſolche Fälle auf, in denen der Sinn des Nebenſatzes, wie wir eben vermutheten, kein ſelbſtändiger Gedanke iſt.
37Über Sinn und Bedeutung.Zu den mit „ daß “eingeleiteten abſtracten Nennſätzen gehört auch die ungerade Rede, von der wir geſehen haben, daß in ihr die Wörter ihre ungerade Bedeutung haben, welche mit dem über¬ einſtimmt, was gewöhnlich ihr Sinn iſt. In dieſem Falle hat alſo der Nebenſatz als Bedeutung einen Gedanken, keinen Wahr¬ heitswerth; als Sinn keinen Gedanken, ſondern den Sinn der Worte „ der Gedanke, daß ..... “, welcher nur Theil des Ge¬ dankens des ganzen Satzgefüges iſt. Dies kommt vor nach „ ſagen “, „ hören “, „ meinen “, „ überzeugt ſein “, „ ſchließen “und ähnlichen Wörtern. *)In „ A log, daß er den B geſehen habe “bedeutet der Nebenſatz einen Gedanken, von dem erſtens geſagt wird, daß A ihn als wahr behauptete, und zweitens, daß A von ſeiner Falſchheit überzeugt war.Anders, und zwar ziemlich verwickelt, liegt die Sache nach Wörtern wie „ erkennen “, „ wiſſen “, „ wähnen “, was ſpäter zu betrachten ſein wird.
Daß in unſern Fällen die Bedeutung des Nebenſatzes in der That der Gedanke iſt, ſieht man auch daran, daß es für die Wahrheit des Ganzen gleichgültig iſt, ob jener Gedanke wahr iſt oder falſch. Man vergleiche z. B. die beiden Sätze: „ Copernicus glaubte, daß die Bahnen der Planeten Kreiſe ſeien “und Coper¬ nicus glaubte, daß der Schein der Sonnenbewegung durch die wirkliche Bewegung der Erde hervorgebracht werde “. Man kann hier unbeſchadet der Wahrheit den einen Nebenſatz für den andern einſetzen. Der Hauptſatz zuſammen mit dem Nebenſatze hat als Sinn nur einen einzigen Gedanken und die Wahrheit des Ganzen ſchließt weder die Wahrheit noch die Unwahrheit des Nebenſatzes ein. In dieſen Fällen iſt es nicht erlaubt, in dem Nebenſatze einen Ausdruck durch einen andern zu erſetzen, der dieſelbe gewöhnliche Bedeutung hat, ſondern nur durch einen ſolchen, welcher dieſelbe ungerade Bedeutung, d. h. denſelben gewöhnlichen Sinn hat. Wenn jemand ſchließen wollte: die Bedeutung eines Satzes iſt nicht ſein Wahrheitswerth, „ denn dann dürfte man ihn überall durch einen andern von demſelben Wahrheitswerthe erſetzen “, ſo würde er zu¬ viel beweiſen; ebenſo gut könnte man behaupten, daß die Bedeu¬ tung des Wortes „ Morgenſtern “ſei nicht die Venus; denn man dürfe nicht überall für „ Morgenſtern “„ Venus “ſagen. Mit Recht kann man nur folgern, daß die Bedeutung des Satzes nicht immer ſein Wahrheitswerth iſt, und daß „ Morgenſtern “nicht38G. Frege:immer den Planeten Venus bedeutet, nämlich dann nicht, wenn dies Wort ſeine ungerade Bedeutung hat. Ein ſolcher Ausnahme¬ fall liegt in den eben betrachteten Nebenſätzen vor, deren Bedeutung ein Gedanke iſt.
„ Wenn man ſagt „ es ſcheint, daß ... “, ſo meint man „ es ſcheint mir, daß ... “, oder „ ich meine, daß ... “. Wir haben alſo wieder den Fall. Aehnlich liegt die Sache bei Ausdrücken, wie „ ſich freuen “, „ bedauern “, „ billigen “, „ tadeln “, „ hoffen “, „ fürchten “. Wenn Wellington ſich gegen Ende der Schlacht bei Belle-Alliance freute, daß die Preußen kämen, ſo war der Grund ſeiner Freude eine Ueberzeugung. Wenn er ſich getäuſcht hätte ſo würde er ſich, ſolange ſein Wahn dauerte, nicht minder gefreut haben, und bevor er die Ueberzeugung gewann, daß die Preußen kämen, konnte er ſich nicht darüber freuen, obwohl ſie in der That ſchon anrückten.
Wie eine Ueberzeugung oder ein Glaube Grund eines Ge¬ fühls iſt, ſo kann ſie auch Grund einer Ueberzeugung ſein wie beim Schließen. In dem Satze: „ Columbus ſchloß aus der Run¬ dung der Erde, daß er nach Weſten reiſend Indien erreichen könne “, haben wir als Bedeutungen von Theilen zwei Gedanken, daß die Erde rund ſei, und daß Columbus nach Weſten reiſend Indien erreichen könne. Es kommt hier wieder nur darauf an, daß Columbus von dem einen und von dem andern überzeugt war, und daß die eine Ueberzeugung Grund der andern war. Ob die Erde wirklich rund iſt und Columbus nach Weſten reiſend wirklich Indien ſo, wie er dachte, erreichen konnte, iſt für die Wahrheit unſeres Satzes gleichgiltig; aber nicht gleichgiltig iſt, ob wir für „ die Erde “ſetzen „ der Planet, welcher von einem Monde begleitet iſt, deſſen Durchmeſſer größer als der vierte Theil ſeines eignen iſt “. Auch hier haben wir die ungerade Bedeutung der Worte.
Die Adverbſätze des Zwecks mit „ damit “gehören auch hier¬ her; denn offenbar iſt der Zweck ein Gedanke; daher: ungerade Bedeutung der Worte, Conjunctiv.
Der Nebenſatz mit „ daß “nach „ befehlen “, „ bitten “, „ ver¬ bieten “würde in gerader Rede als Imperativ erſcheinen. Ein ſolcher hat keine Bedeutung, ſondern nur einen Sinn. Ein Be¬ fehl, eine Bitte ſind zwar nicht Gedanken, aber ſie ſtehn doch mit Gedanken auf derſelben Stufe. Daher haben in den von „ befehlen “,39Über Sinn und Bedeutung. „ bitten “u. ſ. w. abhängigen Nebenſätzen die Worte ihre ungerade Bedeutung. Die Bedeutung eines ſolchen Satzes iſt alſo nicht ein Wahrheitswerth, ſondern ein Befehl, eine Bitte u. dgl.
Aehnlich iſt es bei der abhängigen Frage in Wendungen wie „ zweifeln, ob “, „ nicht wiſſen, was “. Daß auch hier die Wörter in ihrer ungeraden Bedeutung zu nehmen ſind, iſt leicht zu ſehn. Die abhängigen Frageſätze mit „ wer “, „ was “, „ wo “, „ wann “, „ wie “, „ wodurch “u. ſ. w. nähern ſich zuweilen ſcheinbar ſehr Adverbſätzen, in denen die Worte ihre gewöhnliche Bedeutung haben. Sprachlich unterſcheiden ſich dieſe Fälle durch den Modus des Verbs. Beim Conjunctiv haben wir abhängige Frage und ungerade Bedeutung der Worte, ſodaß ein Eigenname nicht all¬ gemein durch einen andern deſſelben Gegenſtandes erſetzt werden kann.
In den bisher betrachteten Fällen hatten die Worte im Neben¬ ſatze ihre ungerade Bedeutung und daraus wurde erklärlich, daß auch die Bedeutung des Nebenſatzes ſelbſt eine ungerade war; d. h. nicht ein Wahrheitswerth, ſondern ein Gedanke, ein Befehl, eine Bitte, eine Frage. Der Nebenſatz konnte als Nennwort aufgefaßt werden, ja man könnte ſagen: als Eigenname jenes Gedankens, jenes Befehls u. ſ. w., als welcher er in den Zuſammenhang des Satzgefüges eintrat.
Wir kommen jetzt zu andern Nebenſätzen, in denen die Worte zwar ihre gewöhnliche Bedeutung haben, ohne daß doch als Sinn ein Gedanke und als Bedeutung ein Wahrheitswerth auftritt. Wie das möglich iſt, wird am beſten an Beiſpielen deutlich.
„ Der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen entdeckte, ſtarb im Elend. “
Wenn hier der Nebenſatz als Sinn einen Gedanken hätte, ſo müßte es möglich ſein, dieſen auch in einem Hauptſatze auszu¬ drücken. Aber dies geht nicht, weil das grammatiſche Subject „ der “keinen ſelbſtändigen Sinn hat, ſondern die Beziehungen auf den Nachſatz „ ſtarb im Elend “vermittelt. Daher iſt auch der Sinn des Nebenſatzes kein vollſtändiger Gedanke und ſeine Be¬ deutung kein Wahrheitswerth, ſondern Kepler. Man könnte ein¬ wenden, daß der Sinn des Ganzen doch als Theil einen Gedanken einſchließe, nämlich daß es einen gab, der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen zuerſt erkannte; denn wer das Ganze für wahr40G. Frege:halte, könne dieſen Theil nicht verneinen. Das Letzte iſt zweifel¬ los; aber nur weil ſonſt der Nebenſatz „ der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen entdeckte “keine Bedeutung hätte. Wenn man etwas behauptet, ſo iſt immer die Vorausſetzung ſelbſtverſtändlich, daß die gebrauchten einfachen oder zuſammengeſetzten Eigennamen eine Bedeutung haben. Wenn man alſo behauptet, „ Kepler ſtarb im Elend “, ſo iſt dabei vorausgeſetzt, daß der Name „ Kepler “etwas bezeichne; aber darum iſt doch im Sinne des Satzes „ Kepler ſtarb im Elend “der Gedanke, daß der Name „ Kepler “etwas bezeichne nicht enthalten. Wenn das der Fall wäre, müßte die Verneinung nicht lauten‘„ Kepler ſtarb nicht im Elend “,’ſondern
„ Kepler ſtarb nicht im Elend, oder der Name, Kepler‘ iſt bedeutungslos “
Daß der Name „ Kepler “etwas bezeichne, iſt vielmehr Voraus¬ ſetzung ebenſo für die Behauptung‘„ Kepler ſtarb im Elend “’wie für die entgegengeſetzte. Nun haben die Sprachen den Mangel, daß in ihnen Ausdrücke möglich ſind, welche nach ihrer gramma¬ tiſchen Form beſtimmt erſcheinen, einen Gegenſtand zu bezeichnen, dieſe ihre Beſtimmung aber in beſondern Fällen nicht erreichen, weil das von der Wahrheit eines Satzes abhängt. So hängt es von der Wahrheit des Satzes
„ es gab einen, der die elliptiſche Geſtalt der Planeten¬ bahnen entdeckte “
ab, ob der Nebenſatz‘„ der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen entdeckte “’wirklich einen Gegenſtand bezeichnet, oder nur den Schein davon erweckt, in der That jedoch bedeutungslos iſt. Und ſo kann es ſcheinen, als ob unſer Nebenſatz als Theil ſeines Sinnes den Ge¬ danken enthalte, es habe einen gegeben, der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen entdeckte. Wäre das richtig, ſo müßte die Verneinung lauten:
„ der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen zuerſt erkannte, ſtarb nicht im Elend, oder es gab keinen der die elliptiſche Geſtalt der Planetenbahnen entdeckte. “
41Über Sinn und Bedeutung. Dies liegt alſo an einer Unvollkommenheit der Sprache, von der übrigens auch die Zeichenſprache der Analyſis nicht ganz frei iſt; auch da können Zeichenverbindungen vorkommen, die den Schein erwecken, als bedeuteten ſie etwas, die aber wenigſtens bisher noch bedeutungslos ſind, z. B. divergente unendliche Reihen. Man kann dies vermeiden, z. B. durch die beſondere Feſtſetzung, daß divergente unendliche Reihen die Zahl 0 bedeuten ſollen. Von einer logiſch vollkommenen Sprache (Begriffsſchrift) iſt zu verlangen, daß jeder Ausdruck, der aus ſchon eingeführten Zeichen in grammatiſch richtiger Weiſe als Eigenname gebildet iſt, auch in der That einen Gegen¬ ſtand bezeichne, und daß kein Zeichen als Eigenname neu ein¬ geführt werde, ohne daß ihm eine Bedeutung geſichert ſei. Man warnt in den Logiken vor der Vieldeutigkeit der Ausdrücke als einer Quelle von logiſchen Fehlern. Für mindeſtens ebenſo an¬ gebracht halte ich die Warnung vor ſcheinbaren Eigennamen, die keine Bedeutung haben. Die Geſchichte der Mathematik weiß von Irrthümern zu erzählen, die daraus entſtanden ſind. Der dema¬ gogiſche Mißbrauch liegt hierbei ebenſo nahe, vielleicht näher als bei vieldeutigen Wörtern. „ Der Wille des Volks “kann als Bei¬ ſpiel dazu dienen; denn, daß es wenigſtens keine allgemein an¬ genommene Bedeutung dieſes Ausdrucks giebt, wird leicht feſtzu¬ ſtellen ſein. Es iſt alſo durchaus nicht belanglos, die Quelle dieſer Irrthümer wenigſtens für die Wiſſenſchaft ein für alle Mal zu verſtopfen. Dann werden ſolche Einwände wie der eben be¬ ſprochene unmöglich, weil es dann nie von der Wahrheit eines Gedankens abhängen kann, ob ein Eigenname eine Bedeu¬ tung hat.
Wir können dieſen Nennſätzen eine Art der Beiſätze und Adverbſätze in der Betrachtung anſchließen, welche logiſch nahe mit ihnen verwandt ſind.
Auch Beiſätze dienen dazu, zuſammengeſetzte Eigennamen zu bilden, wenn ſie auch nicht wie die Nennſätze allein dazu hin¬ reichen. Dieſe Beiſätze ſind Beiwörtern gleich zu achten. Statt „ die Quadratwurzel aus 4, die kleiner iſt als 0 “kann man auch ſagen „ die negative Quadratwurzel aus 4 “. Wir haben hier den Fall, daß aus einem Begriffsausdrucke ein zuſammengeſetzter Eigenname mit Hilfe des beſtimmten Artikels im Singular ge¬ bildet wird, was jedenfalls dann erlaubt iſt, wenn ein Gegenſtand42G. Frege:und nur ein einziger unter den Begriff fällt*)Nach dem oben Bemerkten müßte einem ſolchen Ausdrucke eigentlich durch beſondere Feſtſetzung immer eine Bedeutung geſichert werden, z. B. durch die Beſtimmung, daß als ſeine Bedeutung die Zahl 0 zu gelten habe, wenn kein Gegenſtand oder mehr als einer unter den Begriff fällt.. Begriffsausdrücke können nun ſo gebildet werden, daß Merkmale durch Beiſätze an¬ gegeben werden, wie in unſerm Beiſpiele durch den Satz „ die kleiner iſt als 0 “. Es iſt einleuchtend, daß ein ſolcher Beiſatz ebenſowenig wie vorhin der Nennſatz als Sinn einen Gedanken noch als Bedeutung einen Wahrheitswerth haben kann, ſondern er hat als Sinn nur einen Theil eines Gedankens, der in manchen Fällen auch durch ein einzelnes Beiwort ausgedrückt werden kann. Auch hier wie bei jenen Nennſätzen fehlt das ſelbſtändige Subject und damit auch die Möglichkeit, den Sinn des Nebenſatzes in einem ſelbſtändigen Hauptſatze wiederzugeben.
Oerter, Zeitpunkte, Zeiträume ſind, logiſch betrachtet, Gegen¬ ſtände; mithin iſt die ſprachliche Bezeichnung eines beſtimmten Ortes, eines beſtimmten Augenblicks oder Zeitraums als Eigen¬ name aufzufaſſen, Adverbſätze des Orts und der Zeit können nun zur Bildung eines ſolchen Eigennamens in ähnlicher Weiſe ge¬ braucht werden, wie wir es eben von den Nenn - und Beiſätzen geſehn haben. Ebenſo können Ausdrücke für Begriffe, die Oerter u. ſ. w. unter ſich faſſen, gebildet werden. Auch hier iſt zu be¬ merken, daß der Sinn dieſer Nebenſätze nicht in einem Hauptſatze wiedergegeben werden kann, weil ein weſentlicher Beſtandtheil, nämlich die Orts - oder Zeitbeſtimmung fehlt, die durch ein Relativ¬ pronomen oder ein Fügewort nur angedeutet iſt**)Es ſind bei dieſen Sätzen übrigens leicht verſchiedene Auffaſſungen möglich. Den Sinn des Satzes „ nachdem Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen war, entzweite ſich Preußen und Oeſterreich “können wir auch wiedergeben in der Form „ nach Losreißung Schleswig-Holſteins von Däne¬ mark entzweiten ſich Preußen und Oeſterreich “. Bei dieſer Faſſung iſt es wohl hinreichend deutlich, daß als Theil dieſes Sinnes nicht der Gedanke auf¬ zufaſſen iſt, daß Schleswig-Holſtein einmal von Dänemark losgeriſſen iſt, ſondern daß dies die nothwendige Vorausſetzung dafür iſt, daß der Ausdruck „ nach der Losreißung Schleswig-Holſteins von Dänemark “überhaupt eine Bedeutung habe. Es läßt ſich freilich[unſer] Satz auch ſo auffaſſen, daß damit geſagt ſein ſoll, es ſei einmal Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen.
Auch in den Bedingungsſätzen iſt meiſtens, wie wir es eben43Über Sinn und Bedeutung. bei Nenn -, Bei - und Adverbſätzen geſehn haben, ein unbeſtimmt andeutender Beſtandtheil anzuerkennen, dem im Nachſatze ein eben¬ ſolcher entſpricht. Indem beide auf einander hinweiſen, verbinden ſie beide Sätze zu einem Ganzen, das in der Regel nur einen Gedanken ausdrückt. In dem Satze
„ wenn eine Zahl kleiner als 1 und größer als 0 iſt, ſo iſt auch ihr Quadrat kleiner als 1 und größer als 0 “
iſt dieſer Beſtandtheil „ eine Zahl “im Bedingungsſatze und „ ihr “im Nachſatze. Eben durch dieſe Unbeſtimmtheit erhält der Sinn die Allgemeinheit, welche man von einem Geſetze erwartet. Eben dadurch wird aber auch bewirkt, daß der Bedingungsſatz allein keinen vollſtändigen Gedanken als Sinn hat und mit dem Nach¬ ſatze zuſammen einen Gedanken, und zwar nur einen einzigen, ausdrückt, deſſen Theile nicht mehr Gedanken ſind. Es iſt im All¬ gemeinen unrichtig, daß im hypothetiſchen Urtheile zwei Urtheile in Wechſelbeziehung geſetzt werden. Wenn man ſo oder ähnlich ſagt, gebraucht man das Wort „ Urtheil “in demſelben Sinne, den ich mit dem Worte „ Gedanke “verbunden habe, ſodaß ich dafür ſagen würde: „ in einem hypothetiſchen Gedanken werden zwei Ge¬ danken in Wechſelbeziehung geſetzt. “ Dies könnte nur dann wahr ſein, wenn ein unbeſtimmt andeutender Beſtandtheil fehlte*)Zuweilen fehlt eine ausdrückliche ſprachliche Andeutung und muß dem ganzen Zuſammenhange entnommen werden.; dann wäre aber auch keine Allgemeinheit vorhanden.
Wenn ein Zeitpunkt im Bedingungs - und Nachſatze unbeſtimmt anzudeuten iſt, ſo geſchieht es nicht ſelten nur durch das Tempus praesens des Verbs, das in dieſem Falle nicht die Gegenwart mitbezeichnet. Dieſe grammatiſche Form iſt dann im Haupt - und Nebenſatze der unbeſtimmt andeutende Beſtandtheil. „ Wenn ſich**)worden. Dann haben wir einen Fall, der ſpäter zu betrachten ſein wird. Verſetzen wir uns, um den Unterſchied klarer zu erkennen, in die Seele eines Chineſen, der bei ſeiner geringen Kenntniß europäiſcher Geſchichte es für falſch hält, daß einmal Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen ſei. Dieſer wird unſern Satz, in der erſten Weiſe aufgefaßt, weder für wahr, noch für falſch halten, ſondern ihm jede Bedeutung abſprechen, weil dem Neben¬ ſatze eine ſolche fehlen würde. Dieſer würde nur ſcheinbar eine Zeitbeſtimmung geben. Wenn er unſern Satz dagegen in der zweiten Weiſe auffaßt, wird er in ihm einen Gedanken ausgedrückt finden, den er für falſch hielte, neben einem Theile, der für ihn bedeutungslos wäre.44G. Frege:die Sonne im Wendekreiſe des Krebſes befindet, haben wir auf der nördlichen Erdhälfte den längſten Tag “, iſt ein Beiſpiel dafür. Auch hier iſt es unmöglich den Sinn des Nebenſatzes in einem Hauptſatze auszudrücken, weil dieſer Sinn kein vollſtändiger Ge¬ danke iſt; denn, wenn wir ſagten: „ die Sonne befindet ſich im Wende¬ kreiſe des Krebſes “, ſo würden wir das auf unſere Gegenwart be¬ ziehen und damit den Sinn ändern. Ebenſowenig iſt der Sinn des Hauptſatzes ein Gedanke; erſt das aus Haupt - und Nebenſatz beſtehende Ganze enthält einen ſolchen. Uebrigens können auch mehre gemeinſame Beſtandtheile im Bedingungs - und Nachſatze unbeſtimmt angedeutet werden.
Es iſt einleuchtend, daß Nennſätze „ mit wer “, „ was “und Adverbſätze mit „ wo “, „ wann “, „ wo immer “, „ wann immer “vielfach als Bedingungsſätze dem Sinne nach aufzufaſſen ſind, z. B. „ Wer Pech angreift, beſudelt ſich. “
Auch Beiſätze können Bedingungsſätze vertreten. So können wir den Sinn unſeres vorhin angeführten Satzes auch in der Form „ das Quadrat einer Zahl, die kleiner als 1 und größer als 0 iſt, iſt kleiner als 1 und größer als 0 “ausdrücken.
Ganz anders wird die Sache, wenn der gemeinſame Be¬ ſtandtheil von Hauptſatz und Nebenſatz durch einen Eigennamen bezeichnet wird. In dem Satze:
„ Napoleon, der die Gefahr für ſeine rechte Flanke erkannte, führte ſelbſt ſeine Garden gegen die feindliche Stellung “
ſind die beiden Gedanken ausgedrückt:
Wann und wo dies geſchah, kann zwar nur aus dem Zuſammen¬ hange erkannt werden, iſt aber als dadurch beſtimmt anzuſehen. Wenn wir unſern ganzen Satz als Behauptung ausſprechen, ſo behaupten wir damit zugleich die beiden Theilſätze. Wenn einer dieſer Theilſätze falſch iſt, ſo iſt damit das Ganze falſch. Hier haben wir den Fall, daß der Nebenſatz für ſich allein als Sinn einen vollſtändigen Gedanken hat (wenn wir ihn durch Zeit - und Ortsangabe ergänzen). Die Bedeutung des Nebenſatzes iſt dem¬ nach ein Wahrheitswerth. Wir können alſo erwarten, daß er ſich unbeſchadet der Wahrheit des Ganzen durch einen Satz von dem¬45Über Sinn und Bedeutung. ſelben Wahrheitswerthe erſetzen laſſe. Dies iſt auch der Fall; nur muß beachtet werden, daß ſein Subject „ Napoleon “ſein muß aus einem rein grammatiſchen Grunde, weil er nur dann in die Form eines zu „ Napoleon “gehörenden Beiſatzes gebracht werden kann. Sieht man aber von der Forderung ab, ihn in dieſer Form zu ſehn, und läßt man auch die Anreihung mit „ und “zu, ſo fällt dieſe Beſchränkung hinweg.
Auch in Nebenſätzen mit „ obgleich “werden vollſtändige Ge¬ danken ausgedrückt. Dieſes Fügewort hat eigentlich keinen Sinn und verändert auch den Sinn des Satzes nicht, ſondern beleuchtet ihn nur in eigenthümlicher Weiſe*)Aehnliches haben wir bei „ aber “„ doch “.. Wir könnten zwar unbe¬ ſchadet der Wahrheit des Ganzen den Conceſſivſatz durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen; aber die Beleuchtung würde dann leicht unpaſſend erſcheinen, wie wenn man ein Lied traurigen Inhalts nach einer luſtigen Weiſe ſingen wollte.
In den letzten Fällen ſchloß die Wahrheit des Ganzen die Wahrheit der Theilſätze ein. Anders iſt es, wenn ein Bedingungs¬ ſatz einen vollſtändigen Gedanken ausdrückt, indem er ſtatt des nur andeutenden Beſtandtheils einen Eigennamen enthält oder etwas, was dem gleich zu achten iſt. In dem Satze
„ wenn jetzt die Sonne ſchon aufgegangen iſt, iſt der Himmel ſtark bewölkt “
iſt die Zeit die Gegenwart, alſo beſtimmt. Auch der Ort iſt als beſtimmt zu denken. Hier kann man ſagen, daß eine Beziehung zwiſchen den Wahrheitswerthen des Bedingungs - und Folgeſatzes geſetzt ſei, nämlich die, daß der Fall nicht ſtattfinde, wo der Be¬ dingungsſatz das Wahre und der Nachſatz das Falſche bedeute. Danach iſt unſer Satz wahr, ſowohl wenn jetzt die Sonne noch nicht aufgegangen iſt, ſei nun der Himmel ſtark bewölkt oder nicht, als auch wenn die Sonne ſchon aufgegangen iſt und der Himmel ſtark bewölkt iſt. Da es hierbei nur auf die Wahrheitswerthe ankommt, ſo kann man jeden der Theilſätze durch einen andern von gleichem Wahrheitswerthe erſetzen, ohne den Wahrheitswerth des Ganzen zu ändern. Freilich würde auch hier die Beleuchtung meiſtens unpaſſend werden; der Gedanke würde leicht abgeſchmackt46G. Frege:erſcheinen; aber das hat mit ſeinem Wahrheitswerthe nichts zu thun. Man muß dabei immer beachten, daß Nebengedanken mit anklingen, die aber nicht eigentlich ausgedrückt ſind und darum in den Sinn des Satzes nicht eingerechnet werden dürfen, auf deren Wahrheitswerth es alſo nicht ankommen kann*)Man könnte den Gedanken unſers Satzes auch ſo ausdrücken: „ entweder iſt jetzt die Sonne noch nicht aufgegangen, oder der Himmel iſt ſtark bewölkt “, woraus zu erſehen, wie dieſe Art der Satzverbindung aufzufaſſen iſt..
Damit möchten die einfachen Fälle beſprochen ſein. Werfen wir hier einen Blick auf das Erkannte zurück!
Der Nebenſatz hat meiſtens als Sinn keinen Gedanken, ſondern nur einen Theil eines ſolchen und folglich als Bedeutung keinen Wahrheitswerth. Dies hat entweder darin ſeinen Grund, daß im Nebenſatze die Wörter ihre ungerade Bedeutung haben, ſodaß die Bedeutung, nicht der Sinn des Nebenſatzes ein Gedanke iſt, oder darin, daß der Nebenſatz wegen eines darin nur unbeſtimmt an¬ deutenden Beſtandtheils unvollſtändig iſt, ſodaß er erſt mit dem Hauptſatze zuſammen einen Gedanken ausdrückt. Es kommen aber auch Fälle vor, wo der Sinn des Nebenſatzes ein vollſtändiger Gedanke iſt, und dann kann er unbeſchadet der Wahrheit des Ganzen durch einen andern von demſelben Wahrheitswerthe erſetzt werden, ſoweit nicht grammatiſche Hinderniſſe vorliegen.
Wenn man alle aufſtoßenden Nebenſätze hierauf anſieht, ſo wird man bald ſolche treffen, die nicht recht in dieſe Fächer paſſen wollen. Der Grund davon wird, ſoviel ich ſehe, darin liegen, daß dieſe Nebenſätze keinen ſo einfachen Sinn haben. Faſt immer ſcheint es, verbinden wir mit einem Hauptgedanken, den wir aus¬ ſprechen, Nebengedanken, die auch der Hörer, obwohl ſie nicht aus¬ gedrückt werden, mit unſern Worten verknüpft nach pſychologiſchen Geſetzen. Und weil ſie ſo von ſelbſt mit unſern Worten verbunden erſcheinen, faſt wie der Hauptgedanke ſelbſt, ſo wollen wir dann auch wohl einen ſolchen Nebengedanken mit ausdrücken. Dadurch wird der Sinn des Satzes reicher und es kann wohl geſchehn, daß wir mehr einfache Gedanken als Sätze haben. In manchen Fällen muß der Satz ſo verſtanden werden, in andern kann es zweifelhaft ſein, ob der Nebengedanke mit zum Sinne des Satzes gehört oder47Über Sinn und Bedeutung. ihn nur begleitet*)Für die Frage, ob eine Behauptung eine Lüge, ein Eid ein Meineid ſei, kann dies von Wichtigkeit werden.. So könnte man vielleicht finden, daß in dem Satze
„ Napoleon, der die Gefahr für ſeine rechte Flanke erkannte, führte ſelbſt ſeine Garden gegen die feindliche Stellung “
nicht nur die beiden oben angegebenen Gedanken ausgedrückt wären, ſondern auch der, daß die Erkenntnis der Gefahr der Grund war, weshalb er die Garden gegen die feindliche Stellung führte. Man kann in der That zweifelhaft ſein, ob dieſer Gedanke nur leicht angeregt, oder ob er wirklich ausgedrückt wird. Man lege ſich die Frage vor, ob unſer Satz falſch wäre, wenn Napoleons Entſchluß ſchon vor der Wahrnehmung der Gefahr gefaßt wäre. Könnte unſer Satz trotzdem wahr ſein, ſo wäre unſer Nebengedanke nicht als Theil des Sinnes unſers Satzes aufzufaſſen. Wahrſcheinlich wird man ſich dafür entſcheiden. Im andern Falle würde die Sachlage recht verwickelt: wir hätten dann mehr einfache Gedanken als Sätze. Wenn wir nun auch den Satz‘„ Napoleon erkannte die Gefahr für ſeine rechte Flanke “’durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzten, z. B. durch‘„ Napoleon war ſchon über 45 Jahre alt, “’ſo würde damit nicht nur unſer erſter, ſondern auch unſer dritter Gedanke geändert und damit könnte auch deſſen Wahrheitswerth ein anderer werden — dann nämlich, wenn ſein Alter nicht Grund des Entſchluſſes war, die Garden gegen den Feind zu führen. Hieraus iſt zu ſehn, weshalb in ſolchen Fällen nicht immer Sätze von demſelben Wahrheitswerthe für einander eintreten können. Der Satz drückt dann eben vermöge ſeiner Verbindung mit einem andern mehr aus, als für ſich allein.
Betrachten wir nun Fälle, wo ſolches regelmäßig vorkommt. In dem Satze
„ Bebel wähnt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können “
ſind zwei Gedanken ausgedrückt, von denen aber nicht der eine dem Haupt -, der andere dem Nebenſatze angehört, nämlich
1) Bebel glaubt, daß durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens Frankreichs Rachegelüſte beſchwichtigt werden können;
48G. Frege:2) durch die Rückgabe Elſaß-Lothringens können Frankreichs Rachegelüſte nicht beſchwichtigt werden.
In dem Ausdrucke des erſten Gedankens haben die Worte des Nebenſatzes ihre ungerade Bedeutung, während dieſelben Worte im Ausdrucke des zweiten Gedankens ihre gewöhnliche Bedeutung haben. Wir ſehn daraus, daß der Nebenſatz in unſerm urſprüng¬ lichen Satzgefüge eigentlich doppelt zu nehmen iſt mit verſchiedenen Bedeutungen, von denen die eine ein Gedanke, die andere ein Wahrheitswerth iſt. Weil nun der Wahrheitswerth nicht die ganze Bedeutung des Nebenſatzes iſt, können wir dieſen nicht einfach durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen. Aehnliches haben wir bei Ausdrücken wie „ wiſſen “, „ erkennen “, „ es iſt be¬ kannt “.
Mit einem Nebenſatze des Grundes und dem zugehörigen Hauptſatze drücken wir mehrere Gedanken aus, die aber nicht den Sätzen einzeln entſprechen. Der Satz
„ weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt, ſchwimmt es auf dem Waſſer “
haben wir
Der dritte Gedanke brauchte allenfalls nicht ausdrücklich aufgeführt zu werden als in den erſten beiden enthalten. Dagegen würden weder der erſte und dritte, noch der zweite und dritte zuſammen den Sinn unſers Satzes ausmachen. Man ſieht nun, daß in unſerm Nebenſatze‘„ weil das Eis ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt “’ſowohl unſer erſter Gedanke, als auch ein Theil unſers zweiten ausgedrückt iſt. Daher kommt es, daß wir unſern Nebenſatz nicht einfach durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen können; denn dadurch würde auch unſer zweiter Gedanke geändert und davon könnte leicht auch deſſen Wahrheitswerth berührt werden.
Aehnlich iſt die Sache in dem Satze
„ wenn Eiſen ſpecifiſch leichter als Waſſer wäre, ſo würde es auf dem Waſſer ſchwimmen. “
49Über Sinn und Bedeutung. Wir haben hier die beiden Gedanken, daß Eiſen nicht ſpecifiſch leichter iſt als Waſſer, und daß etwas auf dem Waſſer ſchwimmt, wenn es ſpecifiſch leichter als Waſſer iſt. Der Nebenſatz drückt wieder den einen und einen Theil des andern Gedankens aus.
Wenn wir den früher betrachteten Satz
„ nachdem Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen war, entzweiten ſich Preußen und Oeſterreich “
ſo auffaſſen, daß darin der Gedanke ausgedrückt iſt, es ſei einmal Schleswig-Holſtein von Dänemark losgeriſſen worden, ſo haben wir erſtens dieſen Gedanken, zweitens den Gedanken, daß zu einer Zeit, die durch den Nebenſatz näher beſtimmt iſt, Preußen und Oeſterreich ſich entzweiten. Auch hier drückt dann der Nebenſatz nicht nur einen Gedanken, ſondern auch einen Theil eines andern aus. Daher darf man ihn nicht allgemein durch einen andern deſſelben Wahrheitswerthes erſetzen.
Es iſt ſchwer, alle in der Sprache gegebenen Möglichkeiten zu erſchöpfen; aber ich hoffe doch im Weſentlichen die Gründe auf¬ gefunden zu haben, warum nicht immer unbeſchadet der Wahrheit des ganzen Satzgefüges ein Nebenſatz durch einen andrn deſſelben Wahrheitswerthes vertreten werden kann. Dieſe[ſind]
1) daß der Nebenſatz keinen Wahrheitswerth bedeutet, indem er nur einen Theil eines Gedankens ausdrückt;
2) daß der Nebenſatz zwar einen Wahrheitswerth bedeutet, aber ſich nicht darauf beſchränkt, indem ſein Sinn außer einem Gedanken auch noch einen Theil eines andern Gedankens umfaßt.
Der erſte Fall tritt ein a) bei der ungeraden Bedeutung der Worte, b) wenn ein Theil des Satzes nur unbeſtimmt andeutet, ſtatt ein Eigenname zu ſein.
Im zweiten Falle kann der Nebenſatz doppelt zu nehmen ſein, nämlich einmal in gewöhnlicher Bedeutung, das andre Mal in ungerader Bedeutung; oder es kann der Sinn eines Theiles des Nebenſatzes zugleich Beſtandtheil eines andern Gedankens ſein, den mit dem unmittelbar im Nebenſatze ausgedrückten zuſammen den ganzen Sinn des Haupt - und Nebenſatzes ausmacht.
Hieraus geht wohl mit hinreichender Wahrſcheinlichkeit hervor, daß die Fälle, wo ein Nebenſatz nicht durch einen andern deſſelben Wahrheitswertes erſetzbar iſt, nichts gegen unſere Anſicht beweiſen,Ztſchrft. f. Philoſ. u. philoſ. Kritik. 100 Bd. 450der Wahrheitswerth ſei die Bedeutung des Satzes, deſſen Sinn ein Gedanke iſt.
Kehren wir nun zu unſerm Ausgangspunkte zurück!
Wenn wir den Erkenntniswert von „ a = a “und „ a = b “im Allgemeinen verſchieden fanden, ſo erklärt ſich das dadurch, daß für den Erkenntniswerth der Sinn des Satzes, nämlich der in ihm ausgedrückte Gedanke, nicht minder in Betracht kommt als ſeine Bedeutung, das iſt ſein Wahrheitswerth. Wenn nun a = b iſt, ſo iſt zwar die Bedeutung von „ b “dieſelbe wie die von „ a “und alſo auch der Wahrheitswerth von „ a = b “derſelbe wie von „ a = a “. Trotzdem kann der Sinn von „ b “von dem Sinne von „ a “verſchieden ſein, und mithin auch der in „ a = b “ausgedrückte Gedanke verſchieden von dem „ a = a “ausgedrückten ſein; dann haben beide Sätze auch nicht denſelben Erkenntnißwerth. Wenn wir wie oben unter „ Urteil “verſtehn den Fortſchritt vom Ge¬ danken zu deſſen Wahrheitswerthe, ſo werden wir auch ſagen, daß die Urteile verſchieden ſind.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Über Sinn und Bedeutung. Gottlob Frege. . 25 S. PfefferLeipzig1892. Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Neue Folge 1892 (100/1) pp. S. 25-50.
Fraktur
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