Druck der Universitäts-Buchdruckerei von E. Th. Jacob in Erlangen.
Unter den Leistungen der letzten fünfzig Jahre auf dem Gebiete der Geometrie nimmt die Ausbildung der projectivischen1)Vergl. Note I. des Anhangs. Geometrie die erste Stelle ein. Wenn es anfänglich schien, als sollten die sogenannten metrischen Beziehungen ihrer Behandlung nicht zugänglich sein, da sie beim Projiciren nicht ungeändert bleiben, so hat man in neuerer Zeit gelernt, auch sie vom projectivischen Standpuncte aufzufassen, so dass nun die projectivische Methode die gesammte Geometrie umspannt. Die metri - schen Eigenschaften erscheinen in ihr nur nicht mehr als Eigenschaften der räumlichen Dinge an sich, sondern als Be - ziehungen derselben zu einem Fundamental-Gebilde, dem unendlich fernen Kugelkreise.
Vergleicht man mit der so allmählich gewonnenen Auffassungsweise der räumlichen Dinge die Vorstellungen der gewöhnlichen (elementaren) Geometrie, so entsteht die Frage nach einem allgemeinen Principe, nach welchem die beiden Methoden sich ausbilden konnten. Diese Frage erscheint um so wichtiger als sich neben die elementare und die projectivische Geometrie, ob auch minder entwickelt, eine Reihe anderer Methoden stellt, denen man dasselbe Recht selbständiger Existenz zugestehen muss. Dahin gehören die Geometrie der reciproken Radien, die Geometrie der rationalen Umformungen etc., wie sie in der Folge noch erwähnt und dargestellt werden sollen.
Wenn wir es im Nachstehenden unternehmen, ein sol - ches Princip aufzustellen, so entwickeln wir wohl keinen eigentlich neuen Gedanken, sondern umgränzen nur klar und deutlich, was mehr oder minder bestimmt von Manchem1 *4gedacht worden ist. Aber es schien um so berechtigter, derartige zusammenfassende Betrachtungen zu publiciren, als die Geometrie, die doch ihrem Stoffe nach einheitlich ist, bei der raschen Entwicklung, die sie in der letzten Zeit genommen hat, nur zu sehr in eine Reihe von beinahe getrennten Disciplinen zerfallen ist1)Vergl. Note II., die sich ziemlich un - abhängig von einander weiter bilden. Es lag dabei aber auch noch die besondere Absicht vor, Methoden und Ge - sichtspuncte darzulegen, welche von Lie und mir in neu - eren Arbeiten entwickelt wurden. Es haben unsere bei - derseitigen Arbeiten, auf wie verschiedenartige Gegenstände sie sich auch bezogen, übereinstimmend auf die hier dar - gelegte allgemeine Auffassungsweise hingedrängt, so dass es eine Art von Nothwendigkeit war, auch einmal diese zu erörtern und von ihr aus die betr. Arbeiten nach In - halt und Tendenz zu characterisiren.
War bisher nur von geometrischen Forschungen die Rede, so sollen darunter mit verstanden sein die Unter - suchungen über beliebig ausgedehnte Mannigfaltigkeiten, die sich, unter Abstreifung des für die rein mathemathische Betrachtung unwesentlichen räumlichen Bildes2)Vergl. Note III., aus der Geometrie entwickelt haben3)Vergl. Note IV.. Es gibt bei der Untersuch - ung von Mannigfaltigkeiten eben solche verschiedene Ty - pen, wie in der Geometrie, und es gilt, wie bei der Geo - metrie, das Gemeinsame und das Unterscheidende unab - hängig von einander unternommener Forschungen hervor - zuheben. Abstract genommen wär es im Folgenden nur nöthig, schlechthin von mehrfach ausgedehnten Mannigfal - tigkeiten zu reden; aber durch Anknüpfung an die geläu - figeren räumlichen Vorstellungen wird die Auseinandersetz - ung einfacher und verständlicher. Indem wir von der Betrach - tung der geometrischen Dinge ausgehen und an ihnen als ei - nem Beispiele die allgemeinen Gedanken entwickeln, verfol - gen wir den Gang, den die Wissenschaft in ihrer Ausbil - dung genommen hat, und den bei der Darstellung zu Grunde zu legen gewöhnlich das Vortheilhafteste ist. —
5Eine vorläufige Exposition des im Folgenden bespro - chenen Inhaltes ist hier wohl nicht möglich, da sich derselbe kaum in eine knappere Form1)Diese knappe Form ist ein Mangel der im Folgenden gegebenen Darstellung, der das Verständniss, wie ich fürchte, wesentlich erschwe - ren wird. Aber dem hätte wohl nur durch eine sehr viel weitere Aus - einandersetzung abgeholfen werden können, in der die Einzel-Theorien, die hier nur berührt werden, ausführlich entwickelt worden wären. fügen will; die Ueberschrif - ten der Paragraphen werden den allgemeinen Fortschritt des Gedanken’s angeben. Ich habe zum Schlusse eine Reihe von Noten zugefügt, in welchen ich entweder, wo es im Interesse der allgemeinen Auseinandersetzung des Textes nützlich schien, besondere Punkte weiter entwickelt habe, oder in denen ich bemüht war, den abstract mathe - matischen Standpunkt, der für die Betrachtungen des Tex - tes massgebend ist, gegen verwandte abzugränzen.
Der wesentlichste Begriff, der bei den folgenden Auseinandersetzungen nothwendig ist, ist der einer Gruppe von räumlichen Aenderungen.
Beliebig viele Transformationen des Raumes2)Wir denken von den Transformationen immer die Gesammtheit der räumlichen Gebilde gleichzeitig betroffen und reden desshalb schlecht - hin von Transformationen des Raumes. Die Transformationen können, wie z. B. die dualistischen, statt der Puncte andere Elemente einführen; es wird dies im Texte nicht unterschieden. ergeben zusammengesetzt immer wieder eine Transformation. Hat nun eine gegebene Reihe von Transformationen die Eigen - schaft, dass jede Aenderung, die aus den ihr angehörigen durch Zusammensetzung hervorgeht, ihr selbst wieder an - gehört, so soll die Reihe eine Transformations - gruppe3)Begriffsbildung wie Bezeichnung sind herübergenommen von der Substitutionstheorie, in der nur an Stelle der Transforma - tionen eines continuirlichen Gebietes die Vertauschungen einer end - lichen Zahl discreter Grössen auftreten. genannt werden.
6Ein Beispiel für eine Transformationsgruppe bildet die Gesammtheit der Bewegungen (jede Bewegung als eine auf den ganzen Raum ausgeführte Operation betrachtet). Eine in ihr enthaltene Gruppe bilden etwa die Rotationen um einen Punct1)Camille Jordan hat alle Gruppen aufgestellt, die überhaupt in der Gruppe der Bewegungen enthalten sind: Sur les groupes de mouvements. Annali di Matematica. t. II.. Eine Gruppe, welche umgekehrt die Gruppe der Bewegungen umfasst, wird durch die Gesammt - heit der Collineationen vorgestellt. Die Gesammtheit der dualistischen Umformungen bildet dagegen keine Gruppe — denn zwei dualistische Umformungen ergeben zusammen wieder eine Collineation —, wohl aber wird wieder eine Gruppe erzeugt, wenn man die Gesammtheit der dualisti - schen mit der Gesammtheit der collinearen zusammenfügt2)Die Transformationen einer Gruppe brauchen übrigens durchaus nicht, wie das bei den im Texte zu nennenden Gruppen allerdings im - mer der Fall sein wird, in stetiger Aufeinanderfolge vorhanden zu sein. Eine Gruppe bildet z. B. auch die endliche Reihe von Bewegungen, die einen regelmässigen Körper mit sich selbst zur Deckung bringen, oder die unendliche, aber discrete Reihe, welche eine Sinuslinie sich selber superponiren..
Es gibt nun räumliche Transformationen, welche die geometrischen Eigenschaften räumlicher Gebilde über - haupt ungeändert lassen. Geometrische Eigenschaften sind nämlich ihrem Begriffe nach unabhängig von der Lage, die das zu untersuchende Gebilde im Raume einnimmt, von seiner absoluten Grösse, endlich auch von dem Sinne3)Unter dem Sinne verstehe ich hier die Eigenschaft der Anord - nung, welche den Unterschied von der symmetrischen Figur (dem Spie - gelbilde) begründet. Ihrem Sinne nach unterschieden sind also z. B. eine rechts - und eine linksgewundene Schraubenlinie., in welchem seine Theile geordnet sind. Die Eigenschaften eines räumlichen Gebildes bleiben also ungeändert durch alle Bewegungen des Raumes, durch seine Aehnlichkeitstrans - formationen, durch den Process der Spiegelung, sowie durch alle Transformationen, die sich aus diesen zusammensetzen. Den Inbegriff aller dieser Transformationen bezeichnen wir als die Hauptgruppe4)Dass diese Transformationen eine Gruppe bilden, ist begrifflich nothwendig. räumlicher Aenderungen; geo - metrische Eigenschaften werden durch die7 Transformationen der Hauptgruppe nicht geän - dert. Auch umgekehrt kann man sagen: Geometrische Eigenschaften sind durch ihre Unveränderlich - keit gegenüber den Transformationen der Haupt - gruppe characterisirt. Betrachtet man nämlich den Raum einen Augenblick als unbeweglich etc., als eine starre Mannigfaltigkeit, so hat jede Figur ein individuelles Interesse; von den Eigenschaften, die sie als Individuum hat, sind es nur die eigentlich geometrischen, welche bei den Aen - derungen der Hauptgruppe erhalten bleiben. Dieser hier etwas unbestimmt formulirte Gedanke wird im weiteren Verlaufe der Auseinandersetzung deutlicher erscheinen.
Streifen wird jetzt das mathematisch unwesentliche sinnliche Bild ab, und erblicken im Raume nur eine mehr - fach ausgedehnte Mannigfaltigkeit, also, indem wir an der gewohnten Vorstellung des Punctes als Raumelement fest - halten, eine dreifach ausgedehnte. Nach Analogie mit den räumlichen Transformationen reden wir von Transforma - tionen der Mannigfaltigkeit; auch sie bilden Gruppen. Nur ist nicht mehr, wie im Raume, eine Gruppe vor den übrigen durch ihre Bedeutung ausgezeichnet; jede Gruppe ist mit jeder anderen gleichberechtigt. Als Verallgemeiner - ung der Geometrie entsteht so das folgende umfassende Problem:
Es ist eine Mannigfaltigkeit und in dersel - ben eine Transformationsgruppe gegeben; man soll die der Mannigfaltigkeit angehörigen Ge - bilde hinsichtlich solcher Eigenschaften unter - suchen, die durch die Transformationen der Gruppe nicht geändert werden.
In Anlehnung an die moderne Ausdrucksweise, die man freilich nur auf eine bestimmte Gruppe, die Gruppe aller linearen Umformungen, zu beziehen pflegt, mag man auch so sagen:
Es ist eine Mannigfaltigkeit und in dersel - ben eine Transformationsgruppe gegeben. Man entwickele die auf die Gruppe bezügliche Inva - riantentheorie.
8Dies ist das allgemeine Problem, welches die gewöhn - liche Geometrie nicht nur, sondern namentlich auch die hier zu nennenden neueren geometrischen Methoden und die verschiedenen Behandlungsweisen beliebig ausgedehnter Mannigfaltigkeiten unter sich begreift. Was besonders betont sein mag, ist die Willkürlichkeit, die hinsichtlich der Wahl der zu adjungirenden Transformationsgruppe be - steht, und die daraus fliessende und in diesem Sinne zu verstehende gleiche Berechtigung aller sich unter die all - gemeine Forderung subsumirenden Betrachtungsweisen.
Da die geometrischen Eigenschaften räumlicher Dinge durch alle Transformationen der Hauptgruppe ungeändert bleiben, so ist es an und für sich absurd, nach solchen Eigenschaften derselben zu fragen, bei denen dies nur gegenüber einem Theile dieser Transformationen der Fall ist. Diese Fragestellung wird indess berechtigt, ob auch nur formal, wenn wir die räumlichen Gebilde in ihrer Beziehung zu fest gedachten Elementen untersuchen. Be - trachten wir z. B., wie in der sphärischen Trigonometrie, die räumlichen Dinge unter Auszeichnung eines Punctes. Dann ist zunächst die Forderung: die unter Adjunction der Hauptgruppe invarianten Eigenschaften nicht mehr der räumlichen Dinge an sich sondern des von ihnen mit dem ge - gebenen Puncte gebildeten System’s zu entwickeln. Aber dieser Forderung können wir die andere Form ertheilen: Man untersuche die räumlichen Gebilde an sich hinsichtlich solcher Eigenschaften, welche ungeändert bleiben durch diejenigen Transformationen der Hauptgruppe, welche noch stattfinden können, wenn wir den Punct fest halten. Mit anderen Worten: Es ist dasselbe, ob wir die räumlichen Gebilde im Sinne der Hauptgruppe untersuchen und ihnen den gegebenen Punct hinzufügen, oder ob wir, ohne ihnen irgend ein Gegebenes hinzuzufügen, die Hauptgruppe durch9 die in ihr enthaltene Gruppe ersetzen, deren Transforma - tionen den bez. Punct ungeändert lassen.
Es ist dies ein in der Folge häufig angewandtes Princip, das wir desshalb gleich hier allgemein formuliren wollen; etwa in der folgenden Weise:
Es sei eine Mannigfaltigkeit und zu ihrer Behandlung eine auf sie bezügliche Transformationsgruppe gegeben. Es werde das Problem vorgelegt, die in der Mannigfaltigkeit enthaltenen Gebilde hinsichtlich eines gegebenen Gebildes zu untersuchen. So kann man entweder dem Sy - steme der Gebilde das gegebene hinzufügen, und es fragt sich dann nach den Eigenschaften des erweiterten System’s im Sinne der gegebe - nen Gruppe — oder, man lasse das System un - erweitert, beschränke aber die Transformatio - nen, die man bei der Behandlung zu Grunde legt, auf diejenigen in der gegebenen Gruppe ent - haltenen, welche das gegebene Gebilde ungeän - dert lassen (und die nothwendig wieder eine Gruppe bilden). —
Im Gegensatze zu der zu Anfang des Paragraphen aufgeworfenen Frage beschäftige uns nun die umgekehrte, die von Vornherein verständlich ist. Wir fragen nach den - jenigen Eigenschaften räumlicher Dinge, welche bei einer Transformationsgruppe erhalten bleiben, die die Haupt - gruppe als einen Theil umfasst. Jede Eigenschaft, die wir bei einer solchen Untersuchung finden, ist eine geometri - sche Eigenschaft des Ding’s an sich, aber das Umgekehrte gilt nicht. Bei der Umkehr tritt vielmehr das eben vorge - tragene Princip in Kraft, wobei die Hauptgruppe nun die kleinere Gruppe ist. Wir erhalten so:
Ersetzt man die Hauptgruppe durch eine umfassendere Gruppe, so bleibt nur ein Theil der geometrischen Eigenschaften erhalten. Die übrigen erscheinen nicht mehr als Eigenschaf - ten der räumlichen Dinge an sich, sondern als Eigenschaften des System’s, welches hervorgeht, wenn man denselben ein ausgezeichnetes Gebilde10 hinzufügt. Dieses ausgezeichnete Gebilde ist (soweit es überhaupt ein bestimmtes1)Man erzeugt ein solches Gebilde beispielsweise, indem man auf ein beliebiges Anfangselement, das durch keine Transformation der ge - gebenen Gruppe in sich selbst überzuführen ist, die Transformationen der Hauptgruppe anwendet. ist) da - durch definirt, dass es, festgedacht, dem Raume unter den Transformationen der gegebenen Gruppe nur noch die Transformationen der Hauptgruppe gestattet.
In diesem Satze beruht die Eigenart der hier zu be - sprechenden neueren geometrischen Richtungen und ihr Verhältniss zur elementaren Methode. Sie sind dadurch eben zu characterisiren, dass sie an Stelle der Hauptgruppe eine erweiterte Gruppe räumlicher Umformungen der Be - trachtung zu Grunde legen. Ihr gegenseitiges Verhältniss ist, sofern sich ihre Gruppen einschliessen, durch einen entsprechenden Satz bestimmt. Dasselbe gilt von den ver - schiedenen hier zu betrachtenden Behandlungsweisen mehr - fach ausgedehnter Mannigfaltigkeiten. Es soll dies nun an den einzelnen Methoden gezeigt werden, wobei denn die Sätze, die in diesem und dem vorigen Paragraphen allge - mein hingestellt wurden, ihre Erläuterung an concreten Gegenständen finden.
Jede räumliche Umformung, die nicht gerade der Hauptgruppe angehört, kann dazu benutzt werden, um Eigenschaften bekannter Gebilde auf neue Gebilde zu über - tragen. So verwerthen wir die Geometrie der Ebene für die Geometrie der Flächen, die sich auf die Ebene ab - bilden lassen; so schloss man schon lange vor dem Ent - stehen einer eigentlichen projectivischen Geometrie von den Eigenschaften einer gegebenen Figur auf Eigenschaften anderer, die durch Projection aus ihr hervorgingen. Aber die projectivische Geometrie erwuchs erst, als man sich11 gewöhnte, die ursprüngliche Figur mit allen aus ihr pro - jectivisch ableitbaren als wesentlich identisch zu erachten und die Eigenschaften, welche sich beim Projiciren über - tragen, so auszusprechen, dass ihre Unabhängigkeit von der mit dem Projiciren verknüpften Aenderung in Evidenz tritt. Hiermit war denn der Behandlung im Sinne von §. 1 die Gruppe aller projectivischen Umformun - gen zu Grunde gelegt und dadurch eben der Gegen - satz zwischen projectivischer und gewöhnlicher Geometrie geschaffen.
Ein ähnlicher Entwicklungsgang, wie der hier geschil - derte, kann bei jeder Art von räumlicher Transformation als möglich gedacht werden; wir werden noch öfter darauf zurückkommen. Er hat sich innerhalb der projectivischen Geometrie selbst noch nach zwei Seiten vollzogen. Die eine Weiterbildung der Auffassung geschah durch Auf - nahme der dualistischen Umformungen in die Gruppe der zu Grunde gelegten Aenderungen. Für den heutigen Stand - punct sind zwei einander dualistisch entgegenstehende Fi - guren nicht mehr als zwei unterschiedene sondern als we - sentlich dieselben Figuren anzusehen. Ein anderer Schritt bestand in der Erweiterung der zu Grunde gelegten Gruppe collinearer und dualistischer Umformungen durch Auf - nahme der bez. imaginären Transformationen. Dieser Schritt bedingt, dass man vorher den Kreis der eigentlichen Raumelemente durch Hinzunahme der imaginären erweitert habe — ganz dem entsprechend, wie die Aufnahme der dualistischen Umformungen in die zu Grunde gelegte Gruppe die gleichzeitige Einführung von Punct und Ebene als Raumelement nach sich zieht. Es ist hier nicht der Ort, auf die Zweckmässigkeit der Einführung imaginärer Ele - mente zu verweisen, durch welche allein der genaue An - schluss der Raumlehre an das einmal gewählte Gebiet algebraischer Operationen erreicht wird. Dagegen muss betont werden, dass der Grund für die Einführung eben in der Betrachtung algebraischer Operationen, nicht aber in der Gruppe der projectivischen und dualistischen Um - formungen liegt. So gut wir uns bei den letzteren auf12 reelle Transformationen beschränken können, da schon die reellen Collineationen und dualistischen Transformationen eine Gruppe bilden; — so gut können wir imaginäre Raum - elemente einführen, auch wenn wir nicht auf projektivischem Standpuncte stehen, und sollen es, sofern wir principiell algebraische Gebilde untersuchen.
Wie man vom projectivischem Standpuncte aus die metrischen Eigenschaften aufzufassen hat, bestimmt sich nach dem allgemeinen Satze des vorangehenden Paragra - phen. Die metrischen Eigenschaften sind als projectivische Beziehungen zu einem Fundamentalgebilde, dem unendlich fernen Kugelkreise1)Diese Anschauungsweise ist als eine der schönsten Leistungen von Chasles zu betrachten; durch sie erst gewinnt die Eintheilung in Eigenschaften der Lage und Eigenschaften des Masses, wie man sie gern an die Spitze der projectivischen Geometrie stellt, einen präcisen Inhalt., zu betrachten, einem Gebilde, das die Eigenschaft hat, nur durch diejenigen Transformationen der projéctivischen Gruppe, die eben auch Transformationen der Hauptgruppe sind, in sich überzugehen. Der so schlecht - hin ausgesprochene Satz bedarf noch einer wesentlichen Ergänzung, die der Beschränkung der gewöhnlichen An - schauungsweise auf reelle Raumelemente (und reelle Trans - formationen) entspricht. Man muss dem Kugelkreise, um diesem Standpuncte gerecht zu werden, noch das System der rellen Raumelemente (Puncte) ausdrücklich hinzufügen; Eigenschaften im Sinne der elementaren Geometrie sind projectivisch entweder Eigenschaften der Dinge an sich oder Beziehungen zu diesem Systeme der reellen Elemente, oder zum Kugelkreise oder endlich zu beiden.
Es mag hier noch der Art gedacht werden, wie v. Staudt in seiner Geometrie der Lage die projectivische Geometrie aufbaut — d. h. diejenige projectivische Geo - metrie, welche sich auf Zugrundelegung der Gruppe aller reeller projectivisch-dualistischer Umformung beschränkt2)Den erweiterten Kreis, der auch imaginäre Umformungen um - spannt, hat v. Staudt erst in den „ Beiträgen zur Geometrie der Lage “zu Grunde gelegt..
Es ist bekannt, wie er dabei aus dem gewöhnlichen13 Anschauungsmaterial nur solche Momente herausgreift, die auch bei projectivischen Umformungen erhalten bleiben. Wollte man weiterhin zur Betrachtung auch metrischer Eigenschaften übergehen, so hätte man die letzteren ge - radezu als Beziehungen zum Kugelkreise einzuführen. Der so vervollständigte Gedankengang ist für die hier vorlie - genden Betrachtungen insofern von grosser Bedeutung, als ein entsprechender Aufbau der Geometrie im Sinne jeder einzelnen der noch anzuführenden Methoden möglich ist.
Ehe wir in der Besprechung der geometrischen Me - thoden, die sich neben die elementare und die projectivische Geometrie stellen, weiter gehen, mögen allgemein einige Betrachtungen entwickelt werden, die im Folgenden immer wieder vorkommen und zu denen die bisher berührten Dinge bereits hinreichend viele Beispiele liefern. Auf diese Erörterungen bezieht sich der gegenwärtige und der nächst - folgende Paragraph.
Gesetzt, man habe eine Mannigfaltigkeit A unter Zu - grundelegung einer Gruppe B untersucht. Führt man so - dann A durch irgendwelche Transformation in eine andere Mannigfaltigkeit A' über, so wird aus der Gruppe B von Aenderungen, die A in sich transformirten, nunmehr eine Gruppe B', deren Transformationen sich auf A' beziehen. Dann ist es ein selbstverständliches Princip, dass die Behandlungsweise von A unter Zugrundelegung von B die Behandlungsweise von A' unter Zu - grundelegung von B' ergibt, d. h. jede Eigenschaft, welche ein in A enthaltenes Gebilde mit Bezug auf die Gruppe B hat, ergibt eine Eigenschaft des entsprechenden Gebildes in A' mit Bezug auf die Gruppe B'.
Lassen wir z. B. A eine gerade Linie, B die dreifach unendlich vielen linearen Transformationen bedeuten, welche dieselbe in sich überführen. Die Behandlungsweise von A ist dann eben diejenige, welche die neuere Algebra als14 Theorie der binären Formen bezeichnet. Nun kann man die gerade Linie auf einen Kegelschnitt A' der Ebene durch Projection von einem Puncte des letzteren aus be - ziehen. Aus den linearen Transformationen B der Geraden in sich selbst werden dann die linearen Transformationen B' des Kegelschnittes in sich selbst, wie man leicht zeigt, d. h. diejenigen Aenderungen des Kegelschnittes, welche mit den linearen Transformationen der Ebene, die den Ke - gelschnitt in sich überführen, verknüpft sind.
Es ist nun aber nach dem Princip des zweiten Para - graphen1)Wenn man will, ist hier das Princip unter etwas erweiterter Form angewendet. dasselbe: nach der Geometrie auf einem Kegel - schnitte zu fragen, wenn man sich den Kegelschnitt als fest denkt und nur auf diejenigen linearen Transformatio - nen der Ebene achtet, welche ihn in sich überführen, oder die Geometrie auf dem Kegelschnitte zu studiren, indem man überhaupt die linearen Transformationen der Ebene betrachtet und sich den Kegelschnitt mit ändern lässt. Die Eigenschaften, welche wir an den Punctsystemen auf dem Kegelschnitte auffassten, sind mithin im gewöhnlichen Sinne projectivische. Die Verknüpfung der letzten Ueberlegung mit dem eben abgeleiteten Resultate gibt also:
Binäre Formentheorie und projectivische Geometrie der Punctsysteme auf einem Kegel - schnitte ist dasselbe, d. h. jedem binären Satze entspricht ein Satz über derartige Punctsy - steme und umgekehrt2)Statt des Kegelschnittes in der Ebene kann man mit gleichem Erfolge eine Raumcurve dritter Ordnung einführen, überhaupt bei n Dimensionen etwas Entsprechendes aufstellen..
Ein anderes Beispiel, welches geeignet ist, diese Art von Betrachtungen zu veranschaulichen, ist das folgende: Wenn man eine Fläche zweiten Grades mit einer Ebene durch stereographische Projection in Verbindung setzt, so tritt auf der Fläche ein Fundamentalpunct auf: der Pro - jectionspunct, in der Ebene sind es zwei: die Bilder der durch den Projectionspunct gehenden Erzeugenden. Man15 zeigt nun ohne Weiteres: Die linearen Transformationen der Ebene, welche die beiden Fundamentalpuncte dersel - ben ungeändert lassen, gehen durch die Abbildung in lineare Transformationen der Fläche zweiten Grades in sich selbst über, aber nur in diejenigen, welche den Pro - jectionspunct ungeändert lassen. Unter linearen Transfor - mationen der Fläche in sich selbst sind dabei diejenigen Aenderungen verstanden, welche die Fläche erfährt, wenn man lineare Raumtransformationen ausführt, welche die Fläche mit sich selbst zur Deckung bringen. Hiernach wird also die projectivische Untersuchung einer Ebene un - ter Zugrundelegung zweier Puncte und die projectivische Untersuchung einer Fläche zweiten Grades unter Zugrunde - legung eines Punctes identisch. Die erstere ist nun — so - fern man imaginäre Elemente mit in Betracht zieht — nichts Anderes, als die Untersuchung der Ebene im Sinne der elementaren Geometrie. Denn die Hauptgruppe der ebenen Transformationen besteht eben in den linearen Um - formungen, welche ein Punctepaar (die unendlich fernen Kreispuncte) ungeändert lassen. Wir erhalten also schliess - lich:
Die elementare Geometrie der Ebene und die projectivische Untersuchung einer Fläche zweiten Grades unter Hinzunahme eines ihrer Puncte sind dasselbe.
Diese Beispiele liessen sich beliebig vervielfachen1)Bez. anderer Beispiele, sowie namentlich der Erweiterungen auf mehr Dimensionen, deren die angeführten fähig sind, verweise ich auf bez. Auseinandersetzungen in einem Aufsatze von mir: Ueber Li - niengeometrie und metrische Geometrie. Math. Annalen, t. V, 2, sowie auf die sogleich noch zu nennenden Lie’schen Arbeiten.; die beiden hier entwickelten sind gewählt worden, da wir in der Folge noch Gelegenheit haben werden, auf dieselben zurückzukommen.
Als Element der geraden Linie, der Ebene, des Rau - mes, überhaupt einer zu untersuchenden Mannigfaltigkeit kann statt des Punctes jedes in der Mannigfaltigkeit ent - haltene Gebilde: die Punctgruppe, ev. die Curve, die Fläche u. s. w. verwandt werden1)Vergl. Note III.. Indem über die Zahl willkürlicher Parameter, von denen man diese Gebilde ab - hängig setzen will, von Vornherein gar Nichts fest steht, erscheinen Linie, Ebene, Raum etc. je nach der Wahl des Elementes mit beliebig vielen Dimensionen behaftet. Aber so lange wir der geometrischen Untersuchung dieselbe Gruppe von Aenderungen zu Grunde legen, bleibt der Inhalt der Geometrie unver - ändert, das heisst, jeder Satz, der bei einer Annahme des Raumelements sich ergab, ist auch ein Satz bei belie - biger anderer Annahme, nur die Anordnung und Ver - knüpfung der Sätze ist geändert.
Das Wesentliche ist also die Transformationsgruppe; die Zahl der Dimensionen, die wir einer Mannigfaltigkeit beilegen wollen, erscheint als etwas Secundäres.
Die Verknüpfung dieser Bemerkung mit dem Princip des vorigen Paragraphen ergibt eine Reihe schöner Anwen - dungen, von denen hier einige entwickelt werden mögen, da diese Beispiele mehr als alle lange Auseinandersetzung geeignet scheinen, den Sinn der allgemeinen Betrachtung darzulegen.
Die projectivische Geometrie auf der Geraden (die Theorie der binären Formen) ist nach dem vorigen Para - graphen mit der projectivischen Geometrie auf dem Kegel - schnitte gleichbedeutend. Auf letzterem mögen wir jetzt statt des Punctes das Punctepaar als Element betrachten. 17Die Gesammtheit der Punctepaare des Kegelschnitts lässt sich aber auf die Gesammtheit der Geraden der Ebene be - ziehen, indem man jede Gerade dem Punctepaare zuordnet, in welchem sie den Kegelschnitt trifft. Bei dieser Abbild - ung gehen die linearen Transformationen des Kegelschnitts in sich selbst in die linearen Transformationen der (aus Geraden bestehend gedachten) Ebene über, welche den Kegelschnitt ungeändert lassen. Ob wir aber die aus den letzteren bestehende Gruppe betrachten, oder die Gesammt - heit der linearen Transformationen der Ebene zu Grunde legen und den zu untersuchenden Gebilden der Ebene den Kegelschnitt allemal hinzufügen, ist nach §. 2 gleichbedeu - tend. Indem wir alle diese Ueberlegungen zusammen neh - men, haben wir:
Die Theorie der binären Formen und die pro - jectivische Geometrie der Ebene unter Zugrunde - legung eines Kegelschnittes sind gleichbedeu - tend.
Da endlich projectivische Geometrie der Ebene unter Zugrundelegung eines Kegelschnittes eben wegen der Gleich - heit der Gruppe mit der projectivischen Massgeometrie coïn - cidirt, die man in der Ebene auf einen Kegelschnitt grün - den kann1)Vergl. Note V., so mögen wir auch so sagen:
Die Theorie der binären Formen und die all - gemeine projectivische Massgeometrie in der Ebene sind dasselbe.
Statt des Kegelschnitts in der Ebene können wir in der vorstehenden Betrachtung die Curve dritter Ordnung im Raume setzen etc., doch mag dies unausgeführt bleiben. Der hier dargelegte Zusammenhang zwischen der Geometrie der Ebene, weiterhin des Raumes oder einer beliebig aus - gedehnten Mannigfaltigkeit deckt sich im Wesentlichen mit dem von Hesse vorgeschlagenen Uebertragungsprincipe (Borchardt’s Journal Bd. 66).
Ein Beispiel ganz ähnlicher Art ergibt die projectivische Geometrie des Raumes, oder, anders ausgedrückt, die Theo -218rie der quaternären Formen. Fasst man die gerade Linie als Raumelement und ertheilt ihr, wie in der Linien - geometrie geschieht, sechs homogene Coordinaten, zwischen denen eine Bedingungsgleichung vom zweiten Grade Statt findet, so erscheinen die linearen und dualistischen Trans - formationen des Raumes als diejenigen linearen Transfor - mationen der unabhängig gedachten sechs Veränderlichen, welche die Bedingungsgleichung in sich überführen. Durch eine Verknüpfung ähnlicher Ueberlegungen, wie sie soeben entwickelt wurden, erhält man hieraus den Satz:
Die Theorie der quaternären Formen deckt sich mit der projectivischen Massbestimmung in einer durch 6 homogene Veränderliche er - zeugten Mannigfaltigkeit.
Wegen der näheren Ausführung dieser Auffassung ver - weise ich auf einen demnächst in den Math. Annalen (Bd. VI) erscheinenden Aufsatz: „ Ueber die sogenannte Nicht - Euklidische Geometrie “, sowie auf eine Note am Schlusse dieser Mittheilung1)Vergl. Note VI..
Ich knüpfe an die vorstehenden Auseinandersetzungen noch zwei Bemerkungen, von denen die erste zwar schon implicite in dem Bisherigen enthalten ist, aber ausgeführt werden soll, weil der Gegenstand, auf den sie sich bezieht, zu leicht Missverständnissen ausgesetzt ist.
Wenn wir beliebige Gebilde als Raumelemente ein - führen, so erhält der Raum beliebig viele Dimensionen. Wenn wir dann aber an der uns geläufigen (elementaren oder projectivischen) Anschauungsweise festhalten, so ist die Gruppe, welche wir für die mehrfach ausgedehnte Mannig - faltigkeit zu Grunde zu legen haben, von Vorne herein ge - geben; es ist eben die Hauptgruppe bez. die Gruppe der projectivischen Umformungen. Wollten wir eine andere Gruppe zu Grunde legen, so müssten wir von der gewöhn - lichen bez. der projectivischen Anschauung abgehen. So richtig es also ist, dass bei geschickter Wahl der Raum - elemente der Raum Mannigfaltigkeiten von beliebig vielen19 Ausdehnungen repräsentirt, so wichtig ist es, hinzuzufügen, dass bei dieser Repräsentation entweder von Vorneherein eine bestimmte Gruppe der Behand - lung der Mannigfaltigkeit zu Grunde zu legen ist, oder dass wir, wollen wir über die Gruppe verfügen, unsere geometrische Auffassung ent - sprechend auszubilden haben. — Es könnte, ohne diese Bemerkung, z. B. eine Repräsentation der Linien - geometrie in der folgenden Weise gesucht werden. Die Gerade erhält in der Liniengeometrie sechs Coordinaten; eben so viele Coëfficienten besitzt der Kegelschnitt in der Ebene. Das Bild der Liniengeometrie würde also die Geo - metrie in einem Kegelschnittsysteme sein, das aus der Ge - sammtheit der Kegelschnitte durch eine quadratische Gleich - ung zwischen den Coëfficienten ausgesondert wird. Das ist richtig, sowie wir als Gruppe der ebenen Geometrie die Gesammtheit der Transformationen zu Grunde legen, die durch lineare Umformungen der Kegelschnitts-Coëfficien - ten repräsentirt werden, welche die quadratische Beding - ungsgleichung in sich überführen. Halten wir aber an der elementaren bez. der projectivischen Auffassung der ebenen Geometrie fest, so haben wir eben kein Bild.
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf folgende Be - griffsbildung. Sei im Raume irgend eine Gruppe, etwa die Hauptgruppe gegeben. So wähle man ein einzelnes räumliches Gebilde, etwa einen Punct, oder eine Gerade, oder auch ein Ellipsoid etc. aus und wende auf dasselbe alle Transformationen der Hauptgruppe an. Man erhält dann eine mehrfach unendliche Mannigfaltigkeit mit einer An - zahl von Dimensionen, die im Allgemeinen gleich der Zahl der in der Gruppe enthaltenen willkürlichen Parameter ist, die in besonderen Fällen herabsinkt, wenn nämlich das ursprünglich gewählte Gebilde die Eigenschaft besitzt, durch unendlich viele Transformationen der Gruppe in sich über - geführt zu werden. Jede so erzeugte Mannigfaltigkeit heisse mit Bezug auf die erzeugende Gruppe ein Körper. 1)Ich wähle den Namen nach dem Vorgange von Dedekind, der in der Zahlentheorie ein Zahlengebiet als Körper bezeichnet, wenn2 *20Wollen wir nun den Raum im Sinne der Gruppe unter - suchen und dabei bestimmte Gebilde als Raumelemente auszeichnen, und wollen wir nicht, dass Gleichberechtigtes ungleichartig dargestellt werde, so müssen wir die Raum - elemente ersichtlich so wählen, dass ihre Man - nigfaltigkeit entweder selbst einen Körper bil - det oder in Körper zerlegt werden kann. Von dieser evidenten Bemerkung soll später (§. 9) eine Anwen - dung gemacht werden. Der Körper-Begriff selbst wird im Schlussparagraphen in Verbindung mit verwandten Begrif - fen noch einmal zur Sprache kommen.
Wir kehren mit diesem Paragraphen zur Besprechung der verschiedenen Richtungen der geometrischen Forschung zurück, wie sie in §§. 2. 3 begonnen wurde.
Als ein Seitenstück zu den Betrachtungsweisen der projectivischen Geometrie kann man in vielfacher Hinsicht eine Classe geometrischer Ueberlegungen betrachten, bei denen von der Umformung durch reciproke Radien fort - laufender Gebrauch gemacht wird. Es gehören hierher die Untersuchungen über die sog. Cycliden und anallagmatische Flächen, über die allgemeine Theorie der Orthogonalsy - steme, ferner Untersuchungen über das Potential etc. Wenn man die in denselben enthaltenen Betrachtungen noch nicht gleich den projectivischen zu einer besonderen Geometrie zusammengefasst hat, die dann als Gruppe die Ge - sammtheit derjenigen Umformungen zu Grunde zu legen hätte, welche durch Verbindung der Hauptgruppe mit der Transformation durch re - ciproke Radien entstehen, so ist das wohl dem zu - fälligen Umstande zuzuschreiben, dass die genannten Theo - rien seither nicht im Zusammenhange dargestellt worden1)es aus gegebenen Elementen durch gegebene Operationen entstanden ist. (Zweite Auflage von Dirichlet’s Vorlesungen.)21 sind; den einzelnen Autoren, die in dieser Richtung arbei - teten, wird eine solche methodische Auffassung nicht fern gelegen haben.
Die Parallele zwischen dieser Geometrie der reciproken Radien und der projectivischen ergibt sich, sowie einmal die Frage nach einem Vergleiche vorhanden ist, von selbst, und es mag daher nur ganz im Allgemeinen auf die fol - genden Puncte aufmerksam gemacht werden:
In der projectivischen Geometrie sind Punct, Gerade, Ebene die Elementar-Begriffe. Kreis und Kugel sind nur specielle Fälle von Kegelschnitt und Fläche zweiten Gra - des. Das unendlich Ferne der elementaren Geometrie er - scheint als Ebene; das Fundamentalgebilde, auf welches sich die elementare Geometrie bezieht, ist ein unendlich ferner, imaginärer Kegelschnitt.
In der Geometrie der reciproken Radien sind Punct, Kreis und Kugel die Elementarbegriffe. Gerade und Ebene sind specielle Fälle der letzteren, dadurch charakterisirt, dass sie einen, im Sinne der Methode übrigens nicht weiter ausgezeichneten Punct, den unendlich fernen Punct ent - halten. Die elementare Geometrie erwächst, so wie man diesen Punct fest denkt.
Die Geometrie der reciproken Radien ist einer Ein - kleidung fähig, welche sie neben die Theorie der binären Formen und die Liniengeometrie stellt, falls man die letz - teren in der Weise behandelt, wie das im vorigen Para - graphen angedeutet wurde. Wir mögen zu diesem Zwecke die Betrachtung zunächst auf ebene Geometrie und also auf Geometrie der reciproken Radien in der Ebene1)Geometrie der reciproken Radien auf der Geraden ist mit der projectivischen Untersuchung der Geraden gleichbedeutend, da die bez. Umformungen die nämlichen sind. Man kann daher auch in der Geo - metrie der reciproken Radien von einem Doppelverhältnisse von vier Puncten einer Geraden und weiterhin eines Kreises reden. be - schränken.
Es wurde bereits des Zusammenhangs gedacht, der zwischen der elementaren Geometrie der Ebene und der projectivischen Geometrie der mit einem ausgezeichneten22 Puncte versehenen Fläche zweiten Grades besteht (§. 4). Sieht man von dem ausgezeichneten Puncte ab und betrach - tet also die projectivische Geometrie auf der Fläche an sich, so hat man ein Bild der Geometrie der reciproken Radien in der Ebene. Denn man überzeugt sich leicht1)Vergleiche die bereits genannte Arbeit: Ueber Liniengeometrie und metrische Geometrie. Math. Annalen Bd. V., dass der Transformationsgruppe der reciproken Radien in der Ebene vermöge der Abbildung der Fläché zweiten Grades die Ge - sammtheit der linearen Transformationen der letzteren in sich selbst entspricht. Man hat also:
Geometrie der reciproken Radien in der Ebene und projectivische Geometrie auf einer Fläche zweiten Grades ist dasselbe, und ganz entsprechend:
Geometrie der reciproken Radien im Raume ist mit der projectivischen Behandlung einer Mannigfaltigkeit gleichbedeutend, die durch eine quadratische Gleichung zwischen fünf ho - mogenen Veränderlichen dargestellt wird.
Die Raumgeometrie ist also durch die Geometrie der reciproken Radien in ganz dieselbe Verbindung mit einer Mannigfaltigkeit von vier Dimensionen gesetzt, wie vermöge der Liniengeometrie mit einer Mannigfaltigkeit von fünf Ausdehnungen.
Die Geometrie der reciproken Radien in der Ebene gestattet, sofern man nur auf reelle Transformationen achten will, noch nach einer anderen Seite eine interessante Darstellung, resp. Verwendung. Breitet man nämlich eine complexe Variable x+iy in gewöhnlicher Weise in der Ebene aus, so entspricht ihren linearen Transformationen die Gruppe der reciproken Radien, mit der erwähnten Beschränk - ung auf das Reelle. Die Untersuchung der Functionen einer complexen Veränderlichen, die beliebigen linearen Transformationen unterworfen gedacht ist, ist aber nichts Anderes, als was bei einer etwas abgeänderten Darstellungs - weise Theorie der binären Formen genannt wird. Also:
23Die Theorie der binären Formen findet ihre Darstellung durch die Geometrie der reciproken Radien in der reellen Ebene, so zwar, dass auch die complexen Werthe der Variabeln repräsen - tirt werden.
Von der Ebene mögen wir, um in den gewohnteren Vorstellungskreis der projectivischen Umformungen zu ge - langen, zur Fläche zweiten Grades aufsteigen. Da wir nur reelle Elemente der Ebene betrachteten, ist es nicht mehr gleichgültig, wie man die Fläche wählt; sie ist ersichtlich nicht geradlinig zu nehmen. Insbesondere können wir uns dieselbe — wie man das zur Interpretation einer complexen Veränderlichen auch sonst thut — als Kugelfläche denken und erhalten so den Satz:
Die Theorie der binären Formen complexer Variablen findet ihre Repräsentation in der pro - jectivischen Geometrie der reellen Kugelfläche.
Ich habe mir nicht versagen mögen, in einer Note1)Vergl. Note VII. noch auseinanderzusetzen, wie schön dieses Bild die Theorie der binären cubischen und biquadratischen Formen erläutert.
An die Theorie der binären Formen, die Geometrie der reciproken Radien und die Liniengeometrie, welche im Vorstehenden coordinirt und nur durch die Zahl der Ver - änderlichen unterschieden scheinen, lassen sich gewisse Er - weiterungen knüpfen, die nun auseinandergesetzt werden mögen. Dieselben sollen einmal dazu beitragen, den Ge - danken, dass die Gruppe, welche die Behandlungsweise ge - gebener Gebiete bestimmt, beliebig erweitert werden kann, an neuen Beispielen zu erläutern; dann aber ist namentlieh die Absicht gewesen, Betrachtungen, welche Lie in einer neueren Abhandlung niedergelegt hat2)Partielle Differentialgleichungen und Complexe. Math. Anna - len V., in ihrer Beziehung24 zu den hier vorgetragenen Ueberlegungen darzulegen. Der Weg, auf welchem wir zu Lie’s Kugelgeometrie gelangen, weicht insofern von dem von Lie eingeschlagenen ab, als Lie an liniengeometrische Vorstellungen anknüpft, während wir, um uns mehr der gewöhnlichen geometrischen Anschau - ung anzuschliessen und im Zusammenhange mit dem Vor - hergehenden zu bleiben, bei den bez. Auseinandersetzun - gen eine geringere Zahl von Veränderlichen voraussetzen. Die Betrachtungen sind, wie bereits Lie selbst hervorge - hoben hat (Göttinger Nachrichten 1871. N. 7, 22) von der Zahl der Variabeln unabhängig. Sie gehören dem grossen Kreise von Untersuchungen an, welche sich mit der pro - jectivischen Untersuchung quadratischer Gleichungen zwi - schen beliebig vielen Veränderlichen beschäftigen, Unter - suchungen, die wir bereits öfter berührt haben und die uns noch wiederholt begegnen werden (vergl. §. 10 u. a.)
Ich knüpfe an den Zusammenhang an, der zwischen der reellen Ebene und der Kugelfläche durch stereogra - phische Projection hergestellt wird. Wir setzten bereits in §. 5 die Geometrie der Ebene mit der Geometrie auf ei - nem Kegelschnitte in Verbindung, indem wir der Geraden der Ebene das Punctepaar zuordneten, in welchem sie den Kegelschnitt trifft. Entsprechend können wir einen Zu - sammenhang zwischen der Raumgeometrie und der Geo - metrie auf der Kugel aufstellen, indem wir jeder Ebene des Raumes den Kreis zuordnen, in welchem sie die Ku - gel schneidet. Uebertragen wir dann durch stereographi - sche Projection die Geometrie auf der Kugel von derselben auf die Ebene, wobei jeder Kreis in einen Kreis übergeht, so entsprechen einander also:
die Raumgeometrie, welche als Element die Ebene, als Gruppe diejenigen linearen Transformationen benutzt, welche eine Kugel in sich überführen;
die ebene Geometrie, deren Element der Kreis, deren Gruppe die Gruppe der reciproken Radien ist.
Die erstere Geometrie wollen wir nun nach zwei Sei - ten verallgemeinern, indem wir statt ihrer Gruppe eine umfassendere setzen. Die resultirende Erweiterung über -25 trägt sich dann durch die Abbildung ohne Weiteres auf ebene Geometrie.
Statt der linearen Transformationen des aus Ebenen bestehenden Raumes, welche die Kugel in sich überführen, liegt es nahe, entweder die Gesammtheit der linearen Trans - formationen des Raumes, oder die Gesammtheit der Ebenen - Transformationen des Raumes zu wählen, welche die Ku - gel ungeändert lassen, indem wir das eine Mal von der Kugel, das andere Mal von dem linearen Character der anzuwendenden Transformationen absehen. Die erste Ver - allgemeinerung ist ohne Weiteres verständlich und wir mögen sie also zuerst betrachten und in ihrer Bedeutung für ebene Geometrie verfolgen; auf die zweite kommen wir hernach zurück, wobei es sich denn zunächst darum handelt, die allgemeinste betreffende Transformation zu be - stimmen.
Die linearen Transformationen des Raumes haben die Eigenschaft gemein, Ebenenbüschel und Ebenenbündel wie - der in solche überzuführen. Aber auf die Kugel übertra - gen ergibt das Ebenenbüschel ein Kreisbüschel, d. h. eine einfach unendliche Reihe von Kreisen mit gemeinsamen Schnittpunkten; das Ebenenbündel ergibt ein Kreisbündel, d. h. eine zweifach unendliche Schaar von Kreisen, die auf einem festen Kreise senkrecht stehen (dem Kreise, des - sen Ebene die Polarebene des den Ebenen des geg. Bün - dels gemeinsamen Punctes ist). Den linearen Transforma - tionen des Raumes entsprechen also auf der Kugel und weiterhin in der Ebene Kreistransformationen von der cha - racteristischen Eigenschaft, Kreisbüschel und Kreisbündel in ebensolche überzuführen1)Diese Transformationen werden gelegentlich in Grassmann’s Ausdehnungslehre betrachtet (in der Auflage von 1862, p. 278).. Die ebene Geometrie welche die Gruppe der so gewonnenen Trans - formationen benutzt, ist das Bild der gewöhn - lichen projectivischen Raumgeometrie. Als Ele - ment der Ebene wird man in dieser Geometrie nicht den Punct benutzen können, da die Puncte für die gewählte26 Transformationsgruppe keinen Körper bilden (§. 5), son - dern man wird die Kreise als Elemente wählen.
Bei der zweiten Erweiterung, die wir nannten, gilt es zunächst die Frage nach der Art der bez. Transformations - gruppe erledigen. Es handelt sich darum, Ebenen-Trans - formationen zu finden, die aus jedem Ebenenbündel, des - sen Scheitel auf der Kugel liegt, wieder ein solches Bün - del machen. Wir mögen der kürzeren Ausdrucksweise wegen zunächst die Frage dualistisch umkehren und über - dies einen Schritt in der Zahl der Dimensionen hinab gehen; wir wollen also nach Puncttransformationen der Ebene fragen, welche aus jeder Tangente eines gegebenen Kegelschnittes wiederum eine Tangente erzeugen. Zu dem Zwecke betrachten wir die Ebene mit ihrem Kegelschnitte als Bild einer Fläche zweiten Grades, die man von einem nicht auf ihr befindlichen Raumpuncte aus so auf die Ebene projicirt hat, dass der bez. Kegelschnitt die Ueber - gangscurve vorstellt. Den Tangenten des Kegelschnitt’s entsprechen die Erzeugenden der Fläche, und die Frage ist auf die andere zurückgeführt nach der Gesammtheit der Puncttransformationen der Fläche in sich selbst, bei denen die Erzeugenden Erzeugende bleiben.
Solcher Transformationen gibt es nun zwar beliebig unendlich viele: denn man braucht nur den Punct der Fläche als Durchschnitt der Erzeugenden zweierlei Art zu betrachten und jedes der Geraden-Systeme beliebig in sich zu transformiren. Aber unter den Transformationen sind insbesondere die linearen. Nur auf diese wollen wir ach - ten. Hätten wir nämlich nicht mit einer Fläche, sondern mit einer mehrfach ausgedehnten Mannigfaltigkeit zu thun, die durch eine quadratische Gleichung repräsentirt wird, so blieben nur die linearen Transformationen, die anderen kämen in Wegfall1)Projicirt man die Mannigfaltigkeit stereographisch, so erhält man den bekannten Satz: In mehrfach ausgedehnten Gebieten (schon im Raume) gibt es ausser den Transformationen, die sich in der Gruppe der reciproken Radien befinden, keine conformen Puncttransformationen. In der Ebene gibt es dagegen beliebig viele andere. Vergl. auch die citirten Arbeiten von Lie..
27Diese linearen Transformationen der Fläche in sich selbst ergeben, durch (nicht stereographische) Projection auf die Ebene übertragen, zweideutige Puncttransformatio - nen, vermöge deren aus jeder Tangente des Kegelschnittes, der die Uebergangscurve bildet, allerdings wieder eine Tangente wird, aus jeder anderen Geraden aber im Allge - meinen ein Kegelschnitt, der die Uebergangscurve doppelt berührt. Es lässt sich diese Transformationsgruppe passend characterisiren, wenn man auf den Kegelschnitt, der die Uebergangscurve bildet, eine projectivische Massbestimmung gründet. Die Transformationen haben dann die Eigen - schaft, Puncte, welche im Sinne der Massbestimmung von einander eine Entfernung gleich Null haben, sowie Puncte, welche von einem anderen Puncte eine constante Entfer - nung haben, wieder in solche Puncte zu verwandeln.
Alle diese Betrachtungen lassen sich auf beliebig viele Variabeln übertragen, insbesondere also für die ursprüng - liche Fragestellung, die sich auf die Kugel und die Ebene als Element bezog, verwerthen. Man kann dem Resultate dabei eine besonders anschauliche Form geben, weil der Winkel, den zwei Ebenen im Sinne der auf eine Kugel gegründeten projectivischen Massbestimmung mit einander bilden, mit dem Winkel gleich ist, den ihre Durchschnitts - kreise mit der Kugel im gewöhnlichen Sinne mit einander bilden.
Wir erhalten also auf der Kugel und weiterhin auf der Ebene eine Gruppe von Kreistransformationen, welche die Eigenschaft haben, Kreise, die einander berüh - ren (einen Winkel gleich Null einschliessen), so - wie Kreise, die einen anderen Kreis unter glei - chem Winkel schneiden, in eben solche Kreise überzuführen. In der Gruppe dieser Transformationen sind auf der Kugel die bez. linearen, in der Ebene die Transformationen der Gruppe der reciproken Radien ent - halten.
Die auf diese Gruppe zu gründende Kreisgeometrie ist nun das Analogon zu der Kugelgeometrie, wie sie Lie für den Raum entworfen hat, und wie sie bei Unter -28 suchungen über Krümmung der Flächen von ausgezeichneter Bedeutung scheint. Sie schliesst die Geometrie der reci - proken Radien in demselben Sinne in sich, wie letztere wieder die elementare Geometrie. —
Die nunmehr gewonnenen Kreis - (Kugel -) Transforma - tionen haben insbesondere die Eigenschaft, sich berührende Kreise (Kugeln) in eben solche überzuführen. Betrachtet man alle Curven (Flächen) als Umhüllungsgebilde von Kreisen (Kugeln), so werden in Folge dessen Curven (Flä - chen), die sich berühren, immer in wieder solche über - gehen. Die fraglichen Transformationen gehören also in die Classe der später allgemein zu betrachtenden Berüh - rungstransformationen, d. h. solcher Umformungen, bei denen Berührung von Punctgebilden eine invariante Beziehung ist. Die im vorliegenden Paragraphen zuerst erwähnten Kreistransformationen, denen man analoge Ku - geltransformationen an die Seite stellen kann, sind keine Berührungstransformationen. —
Wurden vorstehend die zweierlei Erweiterungen nur an die Geometrie der reciproken Radien angeknüpft, so gelten dieselben in entsprechender Weise für Liniengeo - metrie, überhaupt für die projectivische Untersuchung einer durch eine quadratische Gleichung ausgeschiedenen Man - nigfaltigkeit, wie bereits angedeutet wurde, hier aber nicht weiter ausgeführt werden soll.
Elementare Geometrie, Geometrie der reciproken Radien und auch projectivische Geometrie, sofern man von den mit Wechsel des Raumelement’s verknüpften dualistischen Umformungen absieht, subsumiren sich als einzelne Glieder unter die grosse Menge von denkbaren Betrachtungswei - sen, welche überhaupt Gruppen von Puncttransformationen zu Grunde legen. Wir mögen hier nur die folgenden drei Methoden, die hierin mit den genannten übereinstimmen,29 hervorheben. Sind diese Methoden auch lange nicht in dem Masse, wie die projectivische Geometrie, zu selb - ständigen Disciplinen entwickelt, so treten sie doch deut - lich erkennbar in den neueren Untersuchungen auf.
Bei rationalen Umformungen muss wohl unterschieden werden, ob dieselben für alle Puncte des Gebietes, in welchem man operirt, also des Raumes oder der Ebene etc., rational sind, oder nur für die Puncte einer in dem Gebiete enthaltenen Mannigfaltigkeit, einer Fläche, einer Curve. Nur die ersteren sind zu verwenden, wenn es gilt, im bis - herigen Sinne eine Geometrie des Raumes, der Ebene zu entwerfen; die letzteren gewinnen von dem hier gegebenen Standpuncte aus erst Bedeutung, wenn Geometrie auf einer gegebenen Fläche, Curve studirt werden soll. Dieselbe Unterscheidung gilt bei der sogleich anzuführenden Ana - lysis situs.
Die seitherigen Untersuchungen, hier wie dort, haben sich aber wesentlich mit Transformationen der zweiten Art beschäftigt. Insofern dabei nicht die Frage nach der Geo - metrie auf der Fläche, der Curve war, es sich vielmehr darum handelte, Criterien zu finden, damit zwei Flächen, Curven in einander transformirt werden können, treten diese Untersuchungen aus dem Kreise der hier zu betrach - tenden heraus. Der hier aufgestellte allgemeine Schema - tismus umspannt eben nicht die Gesammtheit mathemati - scher Forschung überhaupt, sondern er bringt nur gewisse Richtungen unter einen gemeinsamen Gesichtspunct.
Für eine Geometrie der rationalen Umformungen, wie sie sich unter Zugrundelegung der Transformationen der ersten Art ergeben muss, sind bis jetzt erst die Anfänge vorhanden. Im Gebiete erster Stufe, auf der geraden Linie, sind die rationalen Umformungen mit den linearen identisch und liefern also nichts Neues. In der Ebene kennt man freilich die Gesammtheit der rationalen Umfor - mungen (der Cremona’schen Transformationen), man30 weiss, dass sie sich durch Zusammensetzung quadratischer erzeugen lassen. Man kennt auch invariante Charactere der ebenen Curven: ihr Geschlecht, die Existenz der Moduln; aber eigentlich zu einer Geometrie der Ebene in dem hier gemeinten Sinne entwickelt sind diese Betrach - tungen noch nicht. Im Raume ist die ganze Theorie noch erst im Entstehen begriffen. Von den rationalen Umfor - mungen kennt man bis jetzt nur wenige und benutzt die - selben, um bekannte Flächen mit unbekannten durch Ab - bildung in Verbindung zu setzen. —
In der sog. Analysis situs sucht man das Bleibende gegenüber solchen Umformungen, die aus unendlich kleinen Verzerrungen durch Zusammensetzung entstehen. Auch hier muss man, wie bereits gesagt, unterscheiden, ob das ganze Gebiet, also etwa der Raum, als Object der Trans - formationen gedacht werden soll, oder nur eine aus ihm ausgesonderte Mannigfaltigkeit, eine Fläche. Die Trans - formationen der ersten Art sind es, die man einer Raum - geometrie würde zu Grunde legen können. Ihre Gruppe wäre wesentlich anders constituirt, als die bisher betrach - teten es waren. Indem sie alle Transformationen umfasst, die sich aus reell gedachten unendlich kleinen Puncttrans - formationen zusammensetzen, trägt sie die principielle Be - schränkung auf reelle Raumelemente in sich, und bewegt sich auf dem Gebiete der willkürlichen Function. Man kann diese Transformationsgruppe nicht ungeschickt erwei - tern, indem man sie noch mit den reellen Collineationen, die auch das unendlich Ferne modificiren, verbindet. —
Wenn gegenüber dieser Gruppe keine Fläche mehr individuelle Eigenschaften besitzt, da jede in jede andere durch Transformationen der Gruppe übergeführt werden kann, so sind es höhere Gebilde, bei deren Untersuchung die Gruppe mit Vortheil Anwendung findet. Bei der Auf -31 fassung der Geometrie, wie sie hier zu Grunde gelegt ist, kann es gleichgültig sein, wenn diese Gebilde seither nicht sowohl als geometrische sondern nur als analytische betrach - tet wurden, die gelegentlich geometrische Anwendung fan - den, und wenn man bei ihrer Untersuchung Processe an - wandte (wie eben beliebige Puncttransformationen), die man erst in neuerer Zeit bewusst als geometrische Umform - ungen aufzufassen begonnen hat. Unter diese analytischen Gebilde gehören vor allen die homogenen Differentialaus - drücke, sodann auch die partiellen Differentialgleichungen. Bei der allgemeinen Discussion der letzteren scheint aber, wie in dem folgenden Paragraphen ausgeführt wird, die umfassendere Gruppe aller Berührungstransformationen noch vortheilhafter.
Der Hauptsatz, der in der Geometrie, welche die Gruppe aller Puncttransformationen zu Grunde legt, in Geltung ist, ist der, dass eine Puncttransformation für eine unendlich kleine Partie des Raumes immer den Werth einer linearen Transformation hat. Die Entwickelungen der projectivischen Geometrie haben also nun ihren Werth für das Unendlichkleine, und hierin liegt, mag sonst die Wahl der Gruppe bei Behandlung von Mannigfaltigkeiten willkürlich sein — hierin liegt ein auszeichnender Character für die projectivische Anschauungsweise.
Nachdem nun schon lange von dem Verhältnisse der Betrachtungsweisen, die einander einschliessende Gruppen zu Grunde legen, nicht mehr die Rede war, mag hier noch einmal ein Beispiel für die allgemeine Theorie des §. 2 gegeben werden. Wir mögen uns die Frage vorlegen, wie denn vom Standpuncte „ aller Puncttransformationen “projectivische Eigenschaften aufzufassen sind, wobei von den dualistischen Umformungen, die eigentlich mit zur Gruppe der projectivischen Geometrie gehören, abgesehen werden mag. Die Frage deckt sich dann mit der andern: durch welche Bedingung aus der Gesammtheit der Punct - transformationen die Gruppe der linearen ausgeschieden wird. Das Characteristische der letzteren ist, dass sie jeder32 Ebene eine Ebene zuordnen: sie sind diejenigen Puncttrans - formationen, vermöge deren die Mannigfaltigkeit der Ebenen (oder, was auf dasselbe hinaus kommt, der geraden Linien) erhalten bleibt. Die projectivische Geometrie ist aus der Geometrie aller Puncttransformation ebenso durch Adjunction der Mannigfaltigkeit der Ebenen zu gewinnen, wie die elementare Geometrie aus der projectivischen durch Ad - junction des unendlich fernen Kugelkreises. Insbesondere haben wir z. B. vom Standpuncte aller Punct - transformationen die Bezeichnung einer Fläche als einer algebraischen von einer gewissen Ordnung als eine invari - ante Beziehung zur Mannigfaltigkeit der Ebenen aufzufas - sen. Es wird dies recht deutlich, wenn man, mit Grass - mann, die Erzeugung der algebraischen Gebilde an ihre lineale Construction knüpft.
Berührungstransformationen sind zwar in einzelnen Fällen schon lange betrachtet; auch hat Jacobi bei ana - lytischen Untersuchungen bereits von den allgemeinsten Berührungstransformationen Gebrauch gemacht; aber in die lebendige geometrische Anschauung wurden sie erst durch neuere Arbeiten von Lie eingeführt1)Vergl. bes. die bereits citirte Arbeit: Ueber partielle Differen - tialgleichungen und Complexe. Math. Ann. V. Die im Texte gegebenen Ausführungen betr. partielle Differentialgleichungen habe ich wesent - lich mündlichen Mittheilungen von Lie entnommen; vergl. dessen Note: Zur Theorie partieller Differentialgleichungen. Göttinger Nachrichten. Oct. 1872.. Es ist daher wohl nicht überflüssig, hier ausdrücklich auseinanderzusetzen, was eine Berührungstransformation ist, wobei wir uns, wie immer, auf den Punctraum mit seinen drei Dimensionen beschränken.
Unter einer Berührungstransformation hat man, analy - tisch zu reden, jede Substitution zu verstehen, welche die33 Variabel-Werthe x, y, z und ihre partiellen Differential - quotienten 〈…〉 durch neue x ', y', z', p', q' aus - drückt. Dabei gehen, wie ersichtlich, sich berührende Flächen im Allgemeinen wieder in sich berührende Flächen über, was den Namen Berührungstransformation begründet. Die Berührungstransformationen zerfallen, wenn man vom Puncte als Raumelement ausgeht, in drei Classen: solche, die den dreifach unendlich vielen Puncten wieder Puncte zuordnen — das sind die eben betrachteten Puncttransfor - mationen —, solche, die sie in Curven, endlich solche, die sie in Flächen überführen. Diese Eintheilung hat man insofern nicht als eine wesentliche zu betrachten, als bei Benutzung anderer dreifach unendlich vieler Raumelemente, etwa der Ebenen, allerdings wieder eine Theilung in drei Gruppen eintritt, die aber mit der Theilung, die unter Zugrunde - legung der Puncte statt fand, nicht coïncidirt.
Wenden wir auf einen Punct alle Berührungstransfor - mationen an, so geht er in die Gesammtheit aller Puncte, Curven und Flächen über. In ihrer Gesammtheit erst bil - den also Puncte, Curven und Flächen einen Körper un - serer Gruppe. Man mag daraus die allgemeine Regel ab - nehmen, dass die formale Behandlung eines Problem’s im Sinne aller Berührungstransformationen (also etwa die so - gleich vorzutragende Theorie der partiellen Differential - gleichungen) eine unvollkommene werden muss, sowie man mit Punct - (oder Ebenen -) Coordinaten operirt, da die zu Grunde gelegten Raumelemente eben keinen Körper bilden.
Alle in dem gen. Körper enthaltene Individuen als Raumelemente einzuführen, geht aber, will man in Verbin - dung mit den gewöhnlichen Methoden bleiben, nicht an, da deren Zahl unendlichfach unendlich ist. Hierin liegt die Nothwendigkeit, bei diesen Betrachtungen nicht den Punct, nicht die Curve oder die Fläche, sondern das Flä - chenelement, d. h. das Werthsystem x, y, z, p, q als Raumelement einzuführen. Bei jeder Berührungstrans - formation wird aus jedem Flächenelemente ein neues; die334fünffach unendlich vielen Flächenelemente bilden also ei - nen Körper.
Bei diesem Standpuncte muss man Punct, Curve, Flä - che gleichmässig als Aggregate von Flächenelementen auf - fassen, und zwar von zweifach unendlich vielen. Denn die Fläche wird von ∞ 2 Elementen bedeckt, die Curve von ebenso vielen berührt, durch den Punct gehen ∞ 2 hindurch. Aber diese zweifach unendlichen Aggregate von Elementen haben noch eine characteristische Eigenschaft gemein. Man bezeichne als vereinigte Lage zweier consecutiven Flä - chenelemente x, y, z, p, q und x+dx, y+dy, z+dz, p+dp, q+dq die Beziehung, welche durch dz — pdx — qdy = 0 dargestellt wird. So sind Punct, Curve, Fläche über - einstimmend zweifach unendliche Mannigfaltig - keiten von Elementen, deren jedes mit den ein - fach unendlich vielen ihm benachbarten verei - nigt liegt. Dadurch sind Punct, Curve, Fläche gemein - sam characterisirt, und so müssen sie auch, wenn man die Gruppe der Berührungstransformationen zu Grunde legen will, analytisch repräsentirt werden.
Die vereinigte Lage consecutiver Elemente ist eine bei beliebiger Berührungstransformation invariante Beziehung. Aber auch umgekehrt können die Berührungstransformationen definirt werden als diejenigen Substitutionen der fünf Veränderlichen x, y, z, p, q, vermöge deren die Relation dz — pdx — qdy = 0 in sich selbst über - geführt wird. Der Raum ist also bei diesen Untersuch - ungen als eine Mannigfaltigkeit von fünf Dimensionen an - zusehen und diese Mannigfaltigkeit hat man zu behandeln, indem man als Gruppe die Gesammtheit aller Transforma - tionen der Variabeln zu Grunde legt, welche eine bestimmte Relation zwischen den Differentialen ungeändert lassen.
Gegenstand der Untersuchung werden in erster Linie diejenigen Mannigfaltigkeiten, welche durch eine oder meh - rere Gleichungen zwischen den Variabeln dargestellt wer - den, d. h. die partiellen Differentialgleichungen erster Ordnung und ihre Systeme. Eine Hauptfrage35 wird, wie sich aus den Mannigfaltigkeiten von Elementen, die gegebenen Gleichungen genügen, einfach, zweifach un - endliche Reihen von Elementen ausscheiden lassen, deren jedes mit einem benachbarten vereinigt liegt. Auf eine solche Frage läuft z. B. die Aufgabe der Lösung einer partiellen Differentialgleichung erster Ordnung hinaus. Man soll — so kann man sie formuliren — aus den vierfach unendlich vielen Elementen, die der Gleichung genügen, alle zweifach unendlichen Mannigfaltigkeiten der bewussten Art ausschei - den. Insbesondere die Aufgabe der vollständigen Lösung nimmt jetzt die präcise Form an: man soll die vierfach unendlich vielen Elemente, die der Gleichung genügen, auf eine Weise in zweifach unendlich viele derartige Mannig - faltigkeiten zerlegen.
Ein Verfolg dieser Betrachtung über partielle Differen - tialgleichungen kann hier nicht in der Absicht liegen; ich verweise in Bezug hierauf auf die citirten Lie’schen Ar - beiten. Es sei nur noch hervorgehoben, dass für den Standpunct der Berührungstransformationen eine partielle Differentialgleichung erster Ordnung keine Invariante hat, dass jede in jede andere übergeführt werden kann, dass also namentlich die linearen Gleichungen nicht weiter aus - gezeichnet sind. Unterscheidungen treten erst ein, wenn man zu dem Standpuncte der Puncttransformationen zu - rückgeht.
Die Gruppen der Berührungstransformationen, der Puncttransformationen, endlich der projectivischen Umform - ungen lassen sich in einer einheitlichen Weise character - isiren, die ich hier nicht unterdrücken mag1)Ich verdanke diese Definitionen einer Bemerkung von Lie.. Berührungs - transformationen wurden bereits definirt als diejenigen Um - formungen, bei denen die vereinigte Lage consecutiver Flächenelemente erhalten bleibt. Die Puncttransforma - tionen haben dagegen die characteristische Eigenschaft, vereinigt gelegene consecutive Linienelemente in eben solche zu verwandeln: die linearen und dualistischen Trans - formationen endlich bewahren die vereinigte Lage consecu -3 *36tiver Connex-Elemente. Unter einem Connex-Elemente verstehe ich die Vereinigung eines Flächenelementes mit einem in ihm enthaltenen Linienelemente; consecutive Con - nexelemente heissen vereinigt gelegen, wenn nicht nur der Punct sondern auch das Linienelement des einen in dem Flächenelemente des anderen enthalten ist. Die (übrigens vorläufige) Bezeichnung: Connexelement bezieht sich auf die von Clebsch neuerdings1)Gött. Abhandlungen. 1872. (Bd. 17): Ueber eine Fundamental - aufgabe der Invariantentheorie, sowie namentlich Gött. Nachrichten 1872. Nr. 22: Ueber ein neues Grundgebilde der analytischen Geometrie der Ebene. in die Geometrie einge - führten Gebilde, welche durch eine Gleichung dargestellt werden, die gleichzeitig eine Reihe Punct - eine Reihe Ebenen - und eine Reihe Liniencoordinaten enthalten, und deren Analoga in der Ebene Clebsch als Connexe be - zeichnet.
Es wurde bereits wiederholt hervorgehoben, wie bei der Anknüpfung der bisherigen Auseinandersetzungen an d räumliche Vorstellung nur der Wunsch massgebend war, die abstracten Begriffe durch Anlehnung an anschauliche Beispiele leichter entwickeln zu können. An und für sich sind die Betrachtungen von dem sinnlichen Bilde unab - hängig und gehören dem allgemeinen Gebiete mathematischer Forschung an, das man als die Lehre von den ausgedehn - ten Mannigfaltigkeiten, oder (nach Grassmann) kurz als Ausdehnungslehre bezeichnet. Wie man die Ueber - tragung des Vorhergehenden vom Raume auf den blossen Mannigfaltigkeitsbegriff zu bewerkstelligen hat, ist ersicht - lich. Es sei dabei nur noch einmal bemerkt, dass wir bei der abstracten Untersuchung, der Geometrie gegenüber, den Vortheil haben, die Gruppe von Transformationen, welche wir zu Grunde legen wollen, ganz willkürlich wäh - len zu können, während in der Geometrie eine kleinste Gruppe, die Hauptgruppe, von Vornherein gegeben war.
37Wir mögen hier nur die folgenden drei Behandlungs - weisen, und auch diese ganz kurz berühren.
Ihre Gruppe besteht in der Gesammtheit der linearen und dualistischen Transformationen der zur Darstellung des Einzelnen in der Mannigfaltigkeit verwendeten Veränder - lichen; sie ist die Verallgemeinerung der projectivischen Geometrie. Es wurde bereits hervorgehoben wie diese Behandlungsweise bei der Discussion des unendlich Kleinen in einer um eine Dimension mehr ausgedehnten Mannig - faltigkeit zur Verwendung kommt. Sie schliesst die beiden noch zu nennenden Behandlungsweisen in dem Sinne ein, als ihre Gruppe die bei jenen zu Grunde zu legende Gruppe umfasst.
Die Vorstellung einer solchen erwuchs bei Riemann aus der allgemeineren einer Mannigfaltigkeit, in der ein Differentialausdruck der Veränderlichen gegeben ist. Die Gruppe besteht bei ihm aus der Gesammtheit der Trans - formationen der Variabeln, welche den gegebenen Ausdruck ungeändert lassen. Von einer andern Seite kommt man zur Vorstellung einer Mannigfaltigkeit von constanter Krümmung, wenn man im projectivischen Sinne auf eine zwischen den Veränderlichen gegebene quadratische Gleich - ung eine Massbestimmung gründet. Bei dieser Weise tritt gegenüber der Riemann’schen die Erweiterung ein, dass die Variabeln als complex gedacht werden; man mag hin - terher die Veränderlichkeit auf das reelle Gebiet beschrän - ken. Hierher gehören die grosse Reihe von Untersuchungen, die wir in §§. 5, 6, 7 berührt haben.
Als ebene Mannigfaltigkeit bezeichnet Riemann die Mannigfaltigkeit von constantem verschwindenden Krümm - ungsmasse. Ihre Theorie ist die unmittelbare Verallge - meinerung der elementaren Geometrie. Ihre Gruppe kann, — wie die Hauptgruppe der Geometrie — aus der Gruppe38 der projectivischen dadurch ausgeschieden werden, dass man ein Gebilde fest hält, welches durch zwei Gleichungen, eine lineare und eine quadratische, dargestellt wird. Dabei hat man zwischen Reellem und Imaginärem zu unterscheiden, wenn man sich der Form, unter der die Theorie gewöhn - lich dargestellt wird, anschliessen will. Hierher zu rechnen sind vor Allem die elementare Geometrie selbst, dann z. B. die in neuerer Zeit entwickelten Verallgemeinerungen der gewöhnlichen Krümmungstheorie u. s. w.
Zum Schlusse mögen noch zwei Bemerkungen ihre Stelle finden, die mit dem bisher Vorgetragenen in enger Beziehung stehen; die eine betrifft den Formalismus, durch welche man die begrifflichen Entwickelungen den Voran - gehenden repräsentiren will, die andere soll einige Probleme kennzeichnen, deren Inangriffnahme nach den hier gegebenen Auseinandersetzungen als wichtig und lohnend erscheint.
Man hat der analytischen Geometrie häufig den Vor - wurf gemacht, durch Einführung des Coordinatensystem’s willkürliche Elemente zu bevorzugen, und dieser Vorwurf trifft gleichmässig jede Behandlungsweise ausgedehnter Mannigfaltigkeiten, welche das Einzelne durch die Werthe von Veränderlichen characterisirt. War dieser Vorwurf bei der mangelhaften Art, mit der man namentlich früher die Coordinatenmethode handhabte, nur zu oft gerechtfertigt, so verschwindet er bei einer rationellen Behandlung der Methode. Die analytischen Ausdrücke, welche bei der Untersuchung einer Mannigfaltigkeit im Sinne einer Gruppe entstehen können, müssen, ihrer Bedeutung nach, von dem Coordinatensysteme, insofern es zufällig gewählt ist, unab - hängig sein, und es gilt nun, diese Unabhängigkeit auch formal in Evidenz zu setzen. Dass dies möglich ist und wie es zu geschehen hat, zeigt die moderne Algebra, in der der formale Invariantenbegriff, um den es sich hier handelt, am deutlichsten ausgeprägt ist. Sie besitzt ein allgemeines und erschöpfendes Bildungsgesetz für invariante39 Ausdrücke und operirt principiell nur mit solchen. Die gleiche Forderung soll man an die formale Behandlung stel - len, auch wenn andere Gruppen, als die projectivische, zu Grunde gelegt sind. Denn der Formalismus soll sich doch mit der Begriffsbildung decken, mag man nun den Formalismus nur als präcisen und durchsichtigen Ausdruck der Begriffs - bildung verwerthen, oder will man ihn benutzen, um an seiner Hand in noch unerforschte Gebiete einzudringen. —
Die Problemstellung, deren wir noch erwähnen wollten, erwächst durch einen Vergleich der vorgetragenen Anschau - ungen mit der sog. Galois’schen Theorie der Gleichungen.
In der Galois’schen Theorie, wie hier, concentrirt sich das Interesse auf Gruppen von Aenderungen. Die Objecte, auf welche sich die Aenderungen beziehen, sind allerdings verschieden; man hat es dort mit einer endlichen Zahl discreter Elemente, hier mit der unendlichen Zahl von Elementen einer stetigen Mannigfaltigkeit zu thun. Aber der Vergleich lässt sich bei der Identität des Gruppenbe - griffes doch weiter verfolgen1)Ich erinnere hier daran, dass Grassmann bereits in der Ein - leitung zur ersten Auflage seiner Ausdehnungslehre (1844) die Combina - torik und die Ausdehnungslehre parallelisirt., und es mag dies hier um so lieber angedeutet werden, als dadurch die Stellung cha - racterisirt wird, die man gewissen von Lie und mir begon - nenen Untersuchungen2)Vergleiche den gemeinsamen Aufsatz: Ueber diejenigen ebenen Curven, welche durch ein geschlossenes System von einfach unendlich vielen vertauschbaren linearen Transformationen in sich übergehen. Math. Annalen Bd. IV. im Sinne der hier entwickelten An - schauungen zuzuweisen hat.
In der Galois’schen Theorie, wie sie z. B. in Serret’s Traité d’Algèbre supérieure oder in C. Jordan’s Traité des substitutions dargestellt wird, ist der eigentliche Unter - suchungsgegenstand die Gruppen - oder Substitutionstheorie selbst, die Gleichungstheorie fliesst aus ihr als eine An - wendung. Entsprechend verlangen wir eine Transfor - mationstheorie, eine Lehre von den Gruppen, welche von Transformationen gegebener Beschaffenheit erzeugt werden können. Die Begriffe der Vertauschbarkeit, der40 Aehnlichkeit u. s. w. kommen, wie in der Substitutions - theorie, zur Verwendung. Als eine Anwendung der Trans - formationstheorie erscheint die aus der Zugrundelegung der Transformationsgruppen fliessende Behandlung der Mannig - faltigkeit.
In der Gleichungstheorie sind es zunächst die symme - trischen Functionen der Coefficienten, die das Interesse auf sich ziehen, sodann aber diejenigen Ausdrücke, welche, wenn nicht bei allen, so durch eine grössere Reihe von Vertauschungen der Wurzeln ungeändert bleiben. Bei der Behandlung einer Mannigfaltigkeit unter Zugrundelegung einer Gruppe fragen wir entsprechend zunächst nach den Körpern (§. 5), nach den Gebilden, die durch alle Trans - formationen der Gruppe ungeändert bleiben. Aber es gibt Gebilde, welche nicht alle aber einige Transformationen der Gruppe zulassen, und diese sind dann im Sinne der auf die Gruppe gegründeten Behandlung besonders interes - sant, sie haben ausgezeichnete Eigenschaften. Es kommt das also darauf hinaus, im Sinne der gewöhnlichen Geo - metrie symmetrische, reguläre Körper, Rotations - und Schrau - benflächen auszuzeichnen. Stellt man sich auf den Stand - punct der projectivischen Geometrie und verlangt insbeson - dere, dass die Transformationen, durch welche die Gebilde in sich übergehen, vertauschbar sein sollen, so kommt man auf die von Lie und mir in dem citirten Aufsatze betrach - teten Gebilde und auf das in §. 6. desselben gestellte allgemeine Problem. Die dort in §§. 1, 3 gegebene Be - stimmung aller Gruppen unendlich vieler vertauschbarer linearer Transformationen in der Ebene gehört als ein Theil in die soeben genannte allgemeine Transformationstheorie1)Ich muss mir versagen, im Texte auf die Fruchtbarkeit hinzu - weisen, welche die Betrachtung unendlich kleiner Transformationen in der Theorie der Differentialgleichungen hat. In §. 7. der citirten Arbeit haben Lie und ich gezeigt: Gewöhnliche Differentialgleich - ungen, welche gleiche unendlich kleine Transformationen zugeben, bie - ten gleiche Integrationsschwierigkeiten. Wie die Betrachtungen für partielle Differentialgleichungen zu verwerthen seien, hat Lie an ver - schiedenen Orten, so bes. in dem früher genannten Aufsatze (Math. Ann. V.) an verschiedenen Beispielen auseinandergesetzt, (vergl. nament - lich auch Mittheilungen der Academie zu Christiania. Mai 1872.).
Den Unterschied zwischen neuerer Synthese und neuerer analytischer Geometrie hat man zur Zeit nicht mehr als einen wesentlichen zu betrachten, da der gedankliche Inhalt sowohl als die Schlussweise sich auf beiden Seiten allmählich ganz ähn - lich gestaltet haben. Daher wählen wir im Texte zur gemein - samen Bezeichnung beider das Wort „ projectivische Geometrie “. Wenn die synthetische Methode mehr mit räumlicher Anschauung arbeitet und ihren ersten, einfachen Entwickelungen dadurch einen ungemeinen Reiz ertheilt, so ist das Gebiet räumlicher Anschauung der analytischen Methode nicht verschlossen, und man kann die Formeln der analytischen Geometrie als einen präcisen und durchsichtigen Ausdruck der geometrischen Bezieh - ungen auffassen. Man hat auf der anderen Seite den Vortheil nicht zu unterschätzen, den ein gut angelegter Formalismus der Weiterforschung dadurch leistet, dass er gewissermassen dem Gedanken vorauseilt. Es ist zwar immer an der For - derung festzuhalten, dass man einen mathematischen Gegen - stand noch nicht als erledigt betrachten soll, so lange er nicht begrifflich evident geworden ist, und es ist das Vordringen an der Hand des Formalismus eben nur ein erster aber schon sehr wichtiger Schritt.
Wenn man z. B. beachtet, wie der mathematische Physiker sich durchgängig der Vortheile entschlägt, die ihm eine nur eini - germassen ausgebildete projectivische Anschauung in vielen Fällen gewähren kann, wie auf der anderen Seite der Projectiviker die reiche Fundgrube mathematischer Wahrheiten unberührt lässt, welche die Theorie der Krümmung der Flächen aufgedeckt hat, so muss man den gegenwärtigen Zustand des geometri - schen Wissen’s als recht unvollkommen und als hoffentlich vor - übergehend betrachten.
Wenn wir im Texte die räumliche Anschauung als etwas Beiläufiges bezeichnen, so ist dies mit Bezug auf den rein mathematischen Inhalt der zu formulirenden Betrachtungen42 gemeint. Die Anschauung hat für ihn nur den Werth der Veranschaulichung, der allerdings in pädagogischer Beziehung sehr hoch anzuschlagen ist. Ein geometrisches Modell z. B. ist auf diesem Standpuncte sehr lehrreich und interessant.
Ganz anders stellt sich aber die Frage nach dem Werthe der räumlichen Anschauung überhaupt. Ich stelle denselben als etwas selbständiges hin. Es gibt eine eigentliche Geometrie, die nicht, wie die im Texte besprochenen Untersuchungen, nur eine veranschaulichte Form abstracterer Untersuchungen sein will. In ihr gilt es, die räumlichen Figuren nach ihrer vollen gestaltlichen Wirklichkeit aufzufassen und (was die mathema - tische Seite ist) die für sie geltenden Beziehungen als evidente Folgen der Grundsätze räumlicher Anschauung zu verstehen. Ein Modell — mag es nun ausgeführt und angeschaut oder nur lebhaft vorgestellt sein — ist für diese Geometrie nicht ein Mittel zum Zwecke sondern die Sache selbst.
Wenn wir so, neben und unabhängig von der reinen Ma - thematik, Geometrie als etwas Selbständiges hinstellen, so ist das an und für sich gewiss nichts Neues. Es ist aber wün - schenswerth, diesen Gesichtspunct ausdrücklich einmal wieder hervorzuheben, da die neuere Forschung ihn fast ganz übergeht. Hiermit hängt zusammen, dass umgekehrt die neuere Forschung selten dazu verwendet wurde, wenn es galt, gestaltliche Ver - hältnisse räumlicher Erzeugnisse zu beherrschen, und doch scheint sie gerade in dieser Richtung sehr fruchtbar.
Dass der Raum, als Ort für Puncte aufgefasst, nur drei Dimensionen hat, braucht vom mathematischen Standpuncte aus nicht discutirt zu werden; ebenso wenig kann man aber vom mathematischen Standpuncte aus Jemanden hindern, zu behaupten, der Raum habe eigentlich vier, oder unbegränzt viele Dimensionen, wir seien aber nur im Stande, drei wahr - zunehmen. Die Theorie der mehrfach ausgedehnten Mannig - faltigkeiten, wie sie je länger je mehr in den Vordergrund neuerer mathematischer Forschung tritt, ist, ihrem Wesen nach, von einer solchen Behauptung vollkommen unabhängig. Es hat sich in ihr aber eine Redeweise eingebürgert, die aller - dings dieser Vorstellung entflossen ist. Man spricht, statt von den Individuen einer Mannigfaltigkeit, von den Puncten eines43 höheren Raumes etc. An und für sich hat diese Redeweise manches Gute, insofern sie durch Erinnern an die geometrischen Anschauungen das Verständniss erleichtert. Sie hat aber die nachtheilige Folge gehabt, dass in ausgedehnten Kreisen die Untersuchungen über Mannigfaltigkeiten mit beliebig vielen Dimensionen als solidarisch erachtet werden mit der erwähnten Vorstellung von der Beschaffenheit des Raumes. Nichts ist grundloser als diese Auffassung. Die betr. mathematischen Untersuchungen würden allerdings sofort geometrische Ver - wendung finden, wenn die Vorstellung richtig wäre, — aber ihr Werth und ihre Absicht ruht, gänzlich unabhängig von dieser Vorstellung, in ihrem eigenen mathematischen Inhalte.
Etwas ganz anders ist es, wenn Plücker gelehrt hat, den wirklichen Raum als eine Mannigfaltigkeit von beliebig vielen Dimensionen aufzufassen, indem man als Element des Raumes ein von beliebig vielen Parametern abhängendes Gebilde (Curve, Fläche etc.) einführt (vergl. §. 5 des Textes).
Die Vorstellungsweise, welche das Element der beliebig ausgedehnten Mannigfaltigkeit als ein Analogon zum Puncte des Raumes betrachtet, ist wohl zuerst von Grassmann in seiner Ausdehnungslehre (1844) entwickelt worden. Bei ihm ist der Gedanke völlig frei von der erwähnten Vorstellung von der Natur des Raumes; letztere geht auf gelegentliche Be - merkungen von Gauss zurück und wurde durch Riemann’s Untersuchungen über mehrfach ausgedehnte Mannigfaltigkeiten, in welche sie mit eingeflochten ist, in weiteren Kreisen bekannt.
Beide Auffassungsweisen — die Grassmann’sche wie die Plücker’sche — haben ihre eigenthümlichen Vorzüge; man verwendet sie beide, zwischen ihnen abwechselnd, mit Vortheil.
Die im Texte gemeinte projectivische Massgeometrie coïn - cidirt, wie neuere Untersuchungen gelehrt haben, dem Wesen nach mit der Massgeometrie, welche unter Nicht-Annahme des Parallelen-Axiom’s entworfen werden kann und die zur Zeit unter dem Namen der Nicht-Euklidischen Geometrie vielfach besprochen und disputirt wird. Wenn wir im Texte diesen Namen überhaupt nicht berührt haben, so geschah es aus einem Grunde, der mit den in der vorstehenden Note gegebenen Aus -44 einandersetzungen verwandt ist. Man verknüpft mit dem Na - men Nicht-Euklidische Geometrie eine Menge unmathematischer Vorstellungen, die auf der einen Seite mit eben so viel Eifer gepflegt als auf der anderen perhorrescirt werden, mit denen aber unsere rein mathematischen Betrachtungen gar Nichts zu schaffen haben. Der Wunsch, in dieser Richtung etwas zur Klärung der Begriffe beizutragen, mag die folgenden Ausein - andersetzungen motiviren.
Die gemeinten Untersuchungen über Parallelentheorie haben mit ihren Weiterbildungen mathematisch nach zwei Seiten einen bestimmten Werth.
Sie zeigen einmal — und dieses ihr Geschäft kann man als ein einmaliges, abgeschlossenes betrachten —, dass das Parallelen - axiom keine mathematische Folge der gewöhnlich vorangestellten Axiome ist, sondern dass ein wesentlich neues Anschauungs - element, welches in den vorhergehenden Untersuchungen nicht berührt wurde, in ihm zum Ausdruck gelangt. Aehnliche Untersuchungen könnte man und sollte man mit Bezug auf jedes Axiom nicht nur der Geometrie durchführen; man würde dadurch an Einsicht in die gegenseitige Stellung der Axiome gewinnen.
Dann aber haben uns diese Untersuchungen mit einem werthvollen mathematischen Begriffe beschenkt: dem Begriffe einer Mannigfaltigkeit von constanter Krümmung. Er hängt, wie bereits bemerkt und wie in §. 10 des Textes noch weiter ausgeführt ist, mit der unabhängig von aller Parallelentheorie erwachsenen projectivischen Massbestimmung auf das Innigste zusammen. Wenn das Studium dieser Massbestimmung an und für sich hohes mathematisches Interesse bietet und zahlreiche Anwendungen gestattet, so kommt hinzu, dass sie die in der Geometrie gegebene Massbestimmung als speciellen Fall (Gränz - fall) umfasst und uns lehrt, dieselbe von einem erhöhten Stand - puncte aufzufassen.
Völlig unabhängig von den entwickelten Gesichtspunkten steht die Frage, welche Gründe das Parallelen-Axiom stützen, ob wir dasselbe als absolut gegeben — wie die Einen wollen — oder als durch Erfahrung nur approximativ erwiesen — wie die Anderen sagen — betrachten wollen. Sollten Gründe sein, das letztere anzunehmen, so geben uns die fragl. mathemati - schen Untersuchungen an die Hand, wie man dann eine exac -45 tere Geometrie zu construiren habe. Aber die Fragestellung ist offenbar eine philosophische, welche die allgemeinsten Grund - lagen unserer Erkenntniss betrifft. Den Mathematiker als solchen interessirt die Fragestellung nicht, und er wünscht, dass seine Untersuchungen nicht als abhängig betrachtet wer - den von der Antwort, die man von der einen oder der anderen Seite auf die Frage geben mag.
Wenn wir Liniengeometrie mit der projectivischen Mass - bestimmung in einer fünffach ausgedehnten Mannigfaltigkeit in Verbindung setzen, müssen wir beachten, dass wir in den ge - raden Linien nur die (im Sinne der Massbestimmung) unend - lich fernen Elemente der Mannigfaltigkeit vor uns haben. Es wird daher nöthig, zu überlegen, welchen Werth eine projec - tivische Massbestimmung für ihre unendlich fernen Elemente hat, und das mag hier etwas auseinandergesetzt werden, um Schwierigkeiten, die sich sonst der Auffassung der Linien - geometrie als einer Massgeometrie entgegen stellen, zu entfernen. Wir knüpfen diese Auseinandersetzungen an das anschauliche Beispiel, welches die auf eine Fläche zweiten Grades gegrün - dete projectivische Massbestimmung ergibt.
Zwei beliebig angenommene Puncte des Raumes haben in Bezug auf die Fläche eine absolute Invariante: ihr Doppelver - hältniss zu den beiden Durchschnittspuncten ihrer Verbindungs - geraden mit der Fläche. Rücken aber die beiden Puncte auf die Fläche, so wird dies Doppelverhältniss unabhängig von der Lage der Puncte gleich Null, ausser in dem Falle, dass die beiden Puncte auf eine Erzeugende zu liegen kommen, wo es unbestimmt wird. Dies ist die einzige Particularisation, die in ihrer Beziehung eintreten kann, wenn sie nicht zusammenfallen, und wir haben also den Satz:
Die projectivische Massbestimmung, welche man im Raume auf eine Fläche zweiten Grades gründen kann, ergibt für die Geometrie auf der Fläche noch keine Massbestimmung.
Hiermit hängt zusammen, dass man durch lineare Trans -46 formationen der Fläche in sich selbst drei beliebige Puncte derselben mit drei anderen zusammenfallen lassen kann1)Diese Verhältnisse ändern sich bei der gew. Massgeometrie; zwei unendlich ferne Puncte haben für sie freilich eine absolute Invariante. Der Widerspruch, den man in der Abzählung der linearen Transfor - mationen der unendlich fernen Fläche in sich selbst hiermit finden könnte, erledigt sich dadurch, dass die unter ihnen befindlichen Trans - lationen und Aehnlichkeitstransformationen das Unendlich-Ferne über - haupt nicht ändern..
Will man auf der Fläche selbst eine Massbestimmung haben, so muss man die Gruppe der Transformationen beschränken, und dies erreicht man, indem man einen beliebigen Raumpunct (oder seine Polarebene) festhält. Der Raumpunct sei zunächst nicht auf der Fläche gelegen. So projicire man die Fläche von dem Puncte auf eine Ebene, wobei ein Kegelschnitt als Uebergangscurve auftritt. Auf diesen Kegelschnitt gründe man in der Ebene eine projectivische Massbestimmung, die man dann rückwärts auf die Fläche überträgt2)Vergl. §. 7 des Textes.. Dies ist eine eigent - liche Massbestimmung von constanter Krümmung und man hat also den Satz:
Auf der Fläche erhält man eine solche Mass - bestimmung, sowie man einen ausserhalb der Fläche gelegenen Punct festhält.
Entsprechend findet man3)Vergl. §. 4 des Textes.:
Eine Massbestimmung von verschwindender Krümmung erhält man auf der Fläche, wenn man für den festen Punct einen Punct der Fläche selbst wählt.
Für alle diese Massbestimmungen auf der Fläche sind die Erzeugenden der Fläche Linien von verschwindender Länge Der Ausdruck für das Bogenelement auf der Fläche ist also für die verschiedenen Bestimmungen nur um einen Factor ver - schieden. Ein absolutes Bogenelement auf der Fläche gibt es nicht. Wohl aber kann man von dem Winkel sprechen, den Fortschreitungsrichtungen auf der Fläche mit einander bilden. —
Alle diese Sätze und Betrachtungen können nun ohne Weiteres für Liniengeometrie benutzt werden. Für den Linien - raum selbst existirt zunächst keine eigentliche Massbestimmung. Eine solche erwächst erst, wenn wir einen linearen Complex fest halten, und zwar erhält sie constante oder verschwindende47 Krümmung, je nachdem der Complex ein allgemeiner oder ein specieller (eine Gerade) ist. An die Auszeichnung eines Com - plexes ist namentlich auch die Geltung eines absoluten Bogen - element’s geknüpft. Unabhängig davon sind die Fortschreit - ungsrichtungen zu benachbarten Geraden, welche die gegebene schneiden, von der Länge Null, und auch kann man von einem Winkel reden, den zwei beliebige Fortschreitungsrichtungen mit einander bilden1)Vergl. den Aufsatz: Ueber Liniengeometrie und metrische Geo - metrie. Math. Ann. Bd. V. p. 271..
Es mag hier der übersichtlichen Gestalt gedacht werden, welche, unter Zugrundelegung der Interpretation von x+iy auf der Kugelfläche, dem Formensysteme der cubischen und der biquadratischen binären Form ertheilt werden kann.
Eine cubische binäre Form f hat eine cubische Covariante Q, eine quadratische ∆, und eine Invariante R2)Vergl. hiezu die betr. Abschnitte von Clebsch: Theorie der binären Formen.. Aus f und Q setzt sich eine ganze Reihe von Covarianten sechsten Grades 〈…〉 zusammen, unter denen auch ∆ 3 enthalten ist. Man kann zeigen3)Durch Betrachtung der linearen Transformationen von f in sich selbst. vergl. Math. Ann. IV. p. 352., dass jede Covariante der cubischen Form in solche Gruppen von sechs Puncten zerfallen muss. Insofern λ complexe Werthe annehmen kann, gibt es zweifach unendlich viele derselben.
Das ganze so umgrenzte Formensystem kann auf der Kugel nun folgendermassen repräsentirt werden. Durch geeignete lineare Transformation der Kugel in sich selbst bringe man die drei Puncte, welche f repräsentiren, in drei äquidistante Puncte eines grössten Kreises. Derselbe mag als Aequator be - zeichnet sein; auf ihm haben die drei Puncte f die geogra - phische Länge 0°, 120°, 240°. So wird Q durch die Puncte des Aequator’s mit der Länge 60°, 180°, 300°, ∆ durch die beiden Pole vorgestellt. Jede Form Q2+λRf2 ist durch 6 Puncte repräsentirt, deren geographische Breite und Länge, unter α und β beliebige Zahlen verstanden, in dem folgenden Schema enthalten ist: 〈…〉
48Verfolgt man diese Punctsysteme auf der Kugel, so ist es interessant, zu sehen, wie f und Q doppelt, ∆ dreifach zählend aus denselben entsteht.
Eine biquadratische Form f hat eine ebensolche Covariante H, eine Covariante sechsten Grades T, zwei Invarianten i und j. Besonders zu bemerken ist die Schaar biquadratischer Formen iH+λjf, die alle zu dem nämlichen T gehören, und unter denen die drei quadratischen Factoren, in welche man T zer - legen kann, doppelt zählend enthalten sind. —
Man lege jetzt durch den Mittelpunct der Kugel drei zu einander rechtwinklige Axen OX, OY, OZ. Ihre 6 Durchstoss - puncte mit der Kugel bilden die Form T. Die 4 Puncte eines Quadrupels iH+λjf sind, unter x, y, z Coordinaten eines be - liebigen Kugelpunctes verstanden, durch das Schema x, y, z, x, — y, — z, — x, y, — z, — x, — y, z vorgestellt. Die vier Puncte bilden jedesmal die Ecken eines symmetrischen Tetraeder’s, dessen gegenüberstehende Seiten von den Axen des Coordinatensystem’s halbirt werden, wodurch die Rolle, welche T in der Theorie der biquadratischen Gleichungen als Resolvente von iH+λjf spielt, gekennzeichnet ist.
Erlangen im October 1872.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Antiqua
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