Non quidem me fugit nebulis ſubinde hoc emerſuris iter offundi, iſtae tamen diſſipabuntur facile ubi plurimum uti licebit experimentorum luce, natura enim ſibi ſemper eſt ſimilis licet nobis ſaepe ob neceſſariarum defectum obſerva - tionum a ſe diſſentire videatur.(Linnaei Prolepſis Plantarum. Diſſ. 1. )
EIN jeder, der nur das Wachsthum der Pflanzen einigermaſsen beobachtet, wird leicht bemerken, daſs gewiſse äuſsere Theile derſelben, ſich manchmal verwandeln und in die Geſtalt der nächſtliegenden Theile bald ganz, bald mehr oder weniger übergehen.
So verändert ſich, zum Beyſpiel, meiſtens die einfache Blume dann in eine gefüllte, wenn ſich anſtatt der Staubfäden und Staubbeutel, Blumenblätter entwickeln, die entweder an Geſtalt und Farbe vollkommen den übrigen Blättern der Krone gleich ſind, oder noch ſicht - bare Zeichen ihres Urſprungs an ſich tragen.
Wenn wir nun bemerken daſs es auf dieſe Weiſe, der Pflanze möglich iſt einen Schritt rückwärts zu thun, und die Ordnung des Wachs - thums umzukehren; ſo werden wir auf den regel - mäſsigen Weg der Natur deſto aufmerkſamer gemacht, und wir lernen die Geſetze der Um - wandlung kennen, nach welchen ſie Einen Theil durch den andern hervorbringt, und die ver - ſchiedenſten Geſtalten durch Modification eines einzigen Organs darſtellt.
Die geheime Verwandtſchaft der verſchiedenen äuſsern Pflanzentheile, als der Blätter, des Kelchs, der Krone, der Staubfäden, welche ſich nach einander und gleichſam aus einander entwickeln, iſt von den Forſchern im allgemeinen längſt erkannt, ja auch beſonders bearbeitet worden, und man hat die Wirkung, wodurch ein und daſſelbe Organ ſich uns manigfaltig verändert ſehen läſst, die Metamorphoſe der Pflanzen genannt.
Es zeigt ſich uns dieſe Metamorphoſe auf dreyerley Art; regelmäſsig, unregelmäſsig, und zufällig.
Die regelmäſsige Metamorphoſe, können wir auch die fortſchreitende nennen: denn ſie iſt es, welche ſich von den erſten Samenblättern bis zur letzten Ausbildung der Frucht immer ſtufen - weiſe wirkſam bemerken läſst, und durch Um - wandlung einer Geſtalt in die andere, gleichſam auf einer geiſtigen Leiter, zu jenem Gipfel der Natur, der Fortpflanzung durch zwey Geſchlechter hinauf ſteigt. Dieſe iſt es welche ich mehrere Jahre aufmerkſam beobachtet habe, und welche zu erklären ich gegenwärtigen Verſuch unter - nehme. Wir werden auch deſswegen bey der folgenden Demonſtration, die Pflanze nur in ſo fern betrachten, als ſie Einjährig iſt, und aus dem Samenkrone zur Befruchtung unaufhaltſam vorwärts ſchreitet.
Die unregelmäſsige Metamorphoſe könnten wir auch die rückſchreitende nennen. Denn wie in jenem Fall, die Natur vorwärts zu dem groſsen Zwecke hineilt, tritt ſie hier um eine oder einige Stufen rückwärts. Wie ſie dort mit unwider - ſtehlichem Trieb und kräftiger Anſtrengung die Blumen bildet, und zu den Werken der Liebe rüſtet; ſo erſchlafft ſie hier gleichſam, und läſst unentſchloſſen ihr Geſchöpf in einem unent - ſcheidenen, weichen, unſern Augen oft gefälligen, aber innerlich unkräftigen und unwirkſamen Zu - ſtande. Durch die Erfahrungen, welche wir an dieſer Metamorphoſe zu machen Gelegenheit haben, werden wir dasjenige enthüllen können was uns die regelmäſsige verheimlicht, deutlich ſehen, was wir dort nur ſchlieſsen dürfen; und auf dieſe Weiſe ſteht es zu hoffen, daſs wir unſere Abſicht am ſicherſten erreichen.
Dagegen werden wir von der dritten Meta - morphoſe welche zufällig, von auſsen, beſonders durch Inſeckten gewirkt wird, unſere Aufmerk - ſamkeit wegwenden, weil ſie uns von dem einfachen Wege, welchem wir zu folgen haben, ableiten und unſern Zweck verrücken könnte. Vielleicht findet ſich an einem andern Orte Gelegenheit von dieſen monſtröſen, und doch in gewiſſe Gränzen eingeſchränkten Auswüchſen zu ſprechen.
Ich habe es gewagt gegenwärtigen Verſuch ohne Beziehung auf erläuternde Kupfer auszu - arbeiten, die jedoch in manchem Betracht nöthig ſcheinen möchten. Ich behalte mir vor, ſie in der Folge nachzubringen, welches um ſo bequemer geſchehen kann, da noch Stoff genug übrig iſt gegenwärtige kleine, nur vorläufige Abhandlung zu erläutern und weiter auszuführen. Es wird alsdann nicht nöthig ſeyn einen ſo gemeſſenen Schritt wie gegenwärtig zu halten. Ich werde manches verwandte herbey führen können, und6 mehrere Stellen aus gleichgeſinnten Schriftſtellern geſammlet, werden an ihrem rechten Platze ſtehen. Beſonders werde ich, von allen Erin - nerungen gleichzeitiger Meiſter, deren ſich dieſe edle Wiſſenſchaft zu rühmen hat, Gebrauch zu machen nicht verfehlen. Dieſen übergebe und widme ich hiermit gegenwärtige Blätter.
DA wir die Stufenfolge des Pflanzen - Wachs - thums zu beobachten uns vorgenommen haben, ſo richten wir unſere Aufmerkſamkeit ſogleich in dem Augenblick auf die Pflanze da ſie ſich aus dem Samenkorn entwickelt. In dieſer Epoche, können wir die Theile, welche unmittelbar zu ihr gehören, leicht und genau erkennen. Sie läſst ihre Hüllen mehr oder weniger in der Erde zurück, welche wir auch gegenwärtig nicht unterſuchen, und bringt in vielen Fällen, wenn die Wurzel ſich in den Boden befeſtigt hat, die erſten Organe ihres oberen Wachsthums, welche ſchon unter der Samendecke verborgen gegen - wärtig geweſen, an das Licht hervor.
Es ſind dieſe erſten Organe unter dem Nahmen Cotyledonen bekannt; man hat ſie auch Samen - klappen, Kernſtücke, Samenlappen, Samenblätter genannt, und ſo die verſchiedenen Geſtalten, in denen wir ſie gewahr werden zu bezeichnen geſucht.
Sie erſcheinen oft unförmlich, mit einer rohen Materie gleichſam ausgeſtopft, und eben ſo ſehr in die Dicke als in die Breite ausgedehnt; ihre Gefäſse ſind unkenntlich, und von der Maſſe des Ganzen kaum zu unterſcheiden; ſie haben faſt nichts ähnliches von einem Blatte, und wir können verleitet werden ſie für beſondere Organe anzuſehen.
Doch nähern ſie ſich bey vielen Pflanzen der Blattgeſtalt; ſie werden flächer, ſie nehmen, dem Licht und der Luft ausgeſezt, die grüne Farbe9 in einem höhern Grade an, die in ihnen ent - haltenen Gefäſse werden kenntlicher, den Blatt - rippen ähnlicher.
Endlich erſcheinen ſie uns als wirkliche Blätter, ihre Gefäſse ſind der feinſten Ausbildung fähig, ihre Aehnlichkeit mit den folgenden Blättern erlaubt uns nicht ſie für beſondere Organe zu halten, wir erkennen ſie vielmehr für die erſten Blätter des Stengels.
Läſst ſich nun aber ein Blatt, nicht ohne Knoten, und ein Knoten nicht ohne Auge denken, ſo dürfen wir folgern daſs derjenige Punct wo die Cotyledonen angeheftet ſind, der wahre erſte Knotenpunct der Pflanze ſey. Es wird dieſes durch diejenigen Pflanzen bekräftiget, welche unmittelbar unter den Flügeln der Cotyledonen, junge Augen hervortreiben, und aus dieſen erſten Knoten vollkommene Zweige entwickeln, wie z. B. Vicia Faba zu thun pflegt.
Die Cotyledonen ſind meiſt gedoppelt, und wir finden hierbey eine Bemerkung zu machen, welche uns in der Folge noch wichtiger ſcheinen wird. Es ſind nehmlich die Blätter dieſes erſten Knotens oft auch dann gepaart, wenn die folgen - den Blätter des Stengels wechſelsweiſe ſtehen, es zeigt ſich alſo hier eine Annäherung und Ver - bindung der Theile welche die Natur in der Folge trennt und von einander entfernt. Noch merkwürdiger iſt es wenn die Cotyledonen als viele Blättchen um Eine Axe verſammlet erſcheinen, und der aus ihrer Mitte ſich nach und nach ent - wickelnde Stengel, die folgenden Blätter einzeln um ſich herum hervorbringt, welcher Fall ſehr genau an dem Wachsthum der Pinusarten ſich bemerken läſst. Hier bildet ein Kranz von Nadeln gleichſam einen Kelch, und wir werden in der Folge, bey ähnlichen Erſcheinungen, uns des gegenwärtigen Falles wieder zu erinnern haben.
Ganz unförmliche einzelne Kernſtücke ſolcher Pflanzen, welche nur mit Einem Blatte keimen, gehen wir gegenwärtig vorbey.
Dagegen bemerken wir, daſs auch ſelbſt die blattähnlichſten Cotyledonen, gegen die folgenden Blätter des Stengels gehalten, immer unausge - bildeter ſind. Vorzüglich iſt ihre Peripherie höchſt einfach, und an derſelben ſind ſo wenig Spuren von Einſchnitten zu ſehen als auf ihren Flächen ſich Haare oder andere Gefäſse aus - gebildeter Blätter bemerken laſſen.
WIR können nunmehr die ſucceſsive Ausbil - dung der Blätter genau betrachten, da die fort - ſchreitenden Wirkungen der Natur alle vor unſern Augen vorgehen. Einige oder mehrere der nun folgenden Blätter ſind oft ſchon in dem Samen gegenwärtig, und liegen zwiſchen den Cotyledonen eingeſchloſsen; ſie ſind in ihrem zuſammengefal - teten Zuſtande unter dem Nahmen des Federchens bekannt. Ihre Geſtalt verhält ſich gegen die Geſtalt der Cotyledonen und der folgenden Blätter an verſchiedenen Pflanzen verſchieden, doch weichen ſie meiſt von den Cotyledonen ſchon darin ab, daſs ſie flach, zart und überhaupt als wahre Blätter gebildet ſind, ſich völlig grün färben, auf einem ſichtbaren Knoten ruhen, und13 ihre Verwandtſchaft mit den folgenden Stengel - blättern nicht mehr verläugnen können; welchen ſie aber noch gewöhnlich darin nachſtehen, daſs ihre Peripherie, ihr Rand nicht vollkommen ausgebildet iſt.
Doch breitet ſich die fernere Ausbildung unaufhaltſam von Knoten zu Knoten durch das Blatt aus, indem ſich die mittlere Rippe deſſelben verlängert und die von ihr entſpringende Neben - rippen ſich mehr oder weniger nach den Seiten ausſtrecken. Dieſe verſchiedenen Verhältniſſe der Rippen gegen einander ſind die vornehmſte Urſache der manigfaltigen Blattgeſtalten. Die Blätter erſcheinen nunmehr eingekerbt, tief eingeſchnitten, aus mehreren Blättchen zuſammengeſezt, in welchem letzten Falle ſie uns vollkommene kleine Zweige vorbilden. Von einer ſolchen ſucceſſiven höchſten Vermanigfaltigung der einfachſten Blatt - geſtalt giebt uns die Dattelpalme ein auffallendes Beyſpiel. In einer Folge von mehreren Blättern ſchiebt ſich die Mittelrippe vor, das fächerartige einfache Blatt wird zerriſſen, abgetheilt, und ein höchſt zuſammengeſeztes mit einem Zweige wett - eiferndes Blatt wird entwickelt.
In eben dem Maſse, in welchem das Blatt ſelbſt an Ausbildung zunimmt, bildet ſich auch der Blattſtiel aus, es ſey nun daſs er unmittelbar mit ſeinem Blatte zuſammen hange, oder ein beſonderes in der Folge leicht abzutrennendes Stielchen ausmache.
Daſs dieſer für ſich beſtehende Blattſtiel gleichfalls eine Neigung habe ſich in Blättergeſtalt zu verwandeln, ſehen wir bey verſchiedenen Gewächſen z. B. an den Agrumen, und es wird uns ſeine Organiſation in der Folge noch zu einigen Betrachtungen auffordern, welchen wir gegenwärtig ausweichen.
Auch können wir uns vorerſt in die nähere Beobachtung der Afterblätter nicht einlaſſen; wir bemerken nur im Vorbeygehn, daſs ſie, beſonders wenn ſie einen Theil des Stiels ausmachen, bey15 der künftigen Umbildung deſſelben gleichfalls ſonderbar verwandelt werden.
Wie nun die Blätter hauptſächlich ihre erſte Nahrung den mehr oder weniger modificirten wäſſerigten Theilen zu verdanken haben, welche ſie dem Stamme entziehen, ſo ſind ſie ihre gröſsere Ausbildung und Verfeinerung dem Lichte und der Luft ſchuldig. Wenn wir jene in der verſchloſsenen Samenhülle erzeugte Cotyledonen, mit einem rohen Safte nur gleichſam ausgeſtopft, faſt gar nicht, oder nur grob organiſirt und ungebildet finden: ſo zeigen ſich uns die Blätter der Pflanzen welche unter dem Waſser wachſen, gröber organiſirt als andere, der freyen Luft ausgeſezte; ja ſogar entwickelt dieſelbige Pflan - zenart glättere und weniger verfeinerte Blätter, wenn ſie in tiefen feuchten Orten wächſt; da ſie hingegen, in höhere Gegenden verſezt, rauhe, mit Haaren verſehene, feiner ausgearbeitete Blätter hervorbringt.
Auf gleiche Weiſe wird die Anaſtomoſe der aus den Rippen entſpringenden und ſieh mit16 ihren Enden einander aufſuchenden, die Blatt - häutchen bildenden Gefäſse, durch feinere Luftarten wo nicht allein bewirkt, doch wenigſtenſ ſehr befördert. Wenn Blätter vieler Pflanzen, die unter dem Waſſer wachſen, fadenförmig ſind, oder die Geſtalt von Geweihen annehmen, ſo ſind wir geneigt eſ dem Mangel einer vollkommenen Anaſtomoſe zu zuſchreiben. Augenſcheinlich belehrt uns hiervon das Wachsthum des Ranun - culus aquaticus, deſsen unter dem Waſser erzeugte Blätter aus fadenförmigen Rippen beſtehen, die oberhalb des Waſsers entwickelten aber völlig anaſtomoſirt und zu einer zuſammenhängenden Fläche ausgebildet ſind. Ja es läſst ſich an halb anaſtomoſirten, halb fadenförmigen Blättern dieſer Pflanze der Uebergang genau bemerken.
Man hat ſich durch Erfahrungen unterrichtet, daſs die Blätter verſchiedene Luftarten einſaugen, und ſie mit den in ihrem Innern enthaltenen Feuchtigkeiten verbinden; auch bleibt wohl kein Zweifel übrig, daſs ſie dieſe feineren Säfte wieder in den Stengel zurück bringen, und die Ausbildung der in ihrer Nähe liegenden Augen dadurchvorzüglich17vorzüglich befördern. Man hat die, aus den Blättern mehrerer Pflanzen, ja aus den Hölungen der Rohre entwickelten Luftarten unterſucht, und ſich alſo vollkommen überzeugen können.
Wir bemerken bey mehreren Pflanzen daſs ein Knoten aus dem andern entſpringt. Bey Stengeln welche von Knoten zu Knoten geſchloſſen ſind, bey den Cerealien, den Gräſern, Rohren, iſt es in die Augen fallend; nicht eben ſo ſehr bey andern Pflanzen, welche in der Mitte durchaus hohl und mit einem Mark oder vielmehr einem zelligten Gewebe ausgefüllt erſcheinen. Da man nun aber dieſem ehemals ſogenannten Mark ſeinen bisher behaupteten Rang, neben den andern inneren Theilen der Pflanze, und wie uns ſcheint, mit überwiegenden Gründen, ſtreitig gemacht(a)Hedwig, in des Leipziger Magazins drittem Stück., ihm den ſcheinbar behaupteten Einfluſs in das Wachsthum abgeſprochen und der innern Seite der zweiten Rinde, dem ſogenannten Fleiſch, alle Trieb - und Hervorbringungskraft zu zuſchreiben nicht gezweifelt hat: ſo wird man ſich gegenwärtigB18eher überzeugen, daſs ein oberer Knoten, indem er aus dem vorhergehenden entſteht und die Säfte mittelbar durch ihn empfängt, ſolche feiner und filtrierter erhalten, auch von der inzwiſchen geſchehenen Einwirkung der Blätter genieſsen, ſich ſelbſt ſeiner ausbilden und ſeinen Blättern und Augen feinere Säfte zubringen müſſe.
Indem nun auf dieſe Weiſe die roheren Flüſ - ſigkeiten immer abgeleitet, reinere herbey geführt werden, und die Pflanze ſich ſtufenweiſe feiner auſarbeitet, erreicht ſie den von der Natur vorge - ſchriebenen Punct. Wir ſehen endlich die Blätter in ihrer gröſten Ausbreitung und Ausbildung, und werden bald darauf eine neue Erſcheinung gewahr, welche uns unterrichtet: die bisher beobachtete Epoche ſey vorbey, es nahe ſich eine zweyte, die Epoche der Blüthe.
Den Uebergang zum Blüthenſtande ſehen wir ſchneller oder langſamer geſchehen. In dem letzten Falle bemerken wir gewöhnlich, daſs die ſtengel - blätter von ihrer Peripherie herein ſich wieder anfangen zuſammen zu ziehen, beſonders ihre mannigfaltigen äuſsern Eintheilungen zu verlieren, ſich dagegen an ihren untern Theilen wo ſie mit dem ſtengel zuſammen hängen, mehr oder weniger auszudehnen; in gleicher Zeit ſehen wir wo nicht die Räume des ſtengels von Knoten zu Knoten merklich verlängert, doch wenigſtens denſelben gegen ſeinen vorigen Zuſtand viel feiner und ſchmächtiger gebildet.
Man hat bemerkt, daſs häufige Nahrung den Blüthenſtand einer Pflanze verhindere, mäſsíge, ja kärgliche Nahrung ihn beſchleunige. Es zeigt ſich hierdurch die Wirkung der ſtammblätter, von welcher oben die Rede geweſen, noch deutlicher. ſo lange noch rohere ſäfte abzuführen ſind, ſo lange müſſen ſich die möglichen Organe der Pflanze zu Werkzeugen dieſes Bedürfniſſes ausbilden. Dringt übermäſsige Nahrung zu, ſo muſs jene Operation immer wiederholt werden, und der Blüthenſtand wird gleichſam unmöglich. Entzieht man der Pflanze die Nahrung, ſo erleichtert und verkürzt man dagegen jene Wirkung der Natur; die Organe der Knoten werden ver - feinert, die Wirkung der unverfälſchten ſäfte reiner und kräftiger, die Umwandlung der Theile wird möglich, und geſchieht unaufhaltſam.
Oft ſehen wir dieſe Umwandlung ſchnell vor ſich gehn, und in dieſem Falle ruckt der ſtengel, von dem Knoten des letzten ausgebildeten Blattes an, auf einmal verlängt und verfeinert, in die Höhe; und verſammlet an ſeinem Ende mehrere Blätter um eine Axe.
Daſs die Blätter des Kelches eben dieſelbigen Organe ſeyen, welche ſich bisher als ſtengelblätter ausgebildet ſehen laſſen, nun aber oft in ſehr veränderter Geſtalt, um Einen gemeinſchaftlichen Mittelpunct verſammlet ſtehen, läſst ſich wie uns dünkt auf das deutlichſte beweiſen.
Wir haben ſchon oben bey den Cotyledonen eine ähnliche Wirkung der Natur bemerkt, und mehrere Blätter, ja offenbar mehrere Knoten, um Einen Punct verſammlet und neben einander gerückt geſehen. Es zeigen die Fichtenarten, indem ſie ſich aus dem ſamenkorn entwickeln, einen ſtrahlenkranz von unverkennbaren Nadeln, welche, gegen die Gewohnheit anderer Coty - ledonen, ſchon ſehr ausgebildet ſind; und wir ſehen in der erſten Kindheit dieſer Pflanze ſchon diejenige Kraft der Natur gleichſam angedeutet, wodurch in ihrem höhren Alter der Blüthen und Fruchtſtand gewirkt werden ſoll.
Ferner ſehen wir bey mehreren Blumen unver - änderte ſtengelblätter gleich unter der Krone zu einer Art von Kelch zuſammengerückt. Da ſie ihre Geſtalt noch vollkommen an ſich tragen, ſo dürfen wir uns hier nur auf den Augenſchein und auf die botaniſche Terminologie berufen, welche ſie mit dem Nahmen Blüthenblätter Folia floria bezeichnet hat.
Mit mehrerer Aufmerkſamkeit haben wir den oben ſchon angeführten Fall zu beobachten, wo der Uebergang zum Blüthenſtande langſam vorgeht, die Stengelblätter nach und nach ſich zuſammen - ziehen, ſich verändern, und ſich ſachte in den Kelch gleichſam einſchleichen, wie man ſolches bey Kelchen der Strahlenblumen, beſonders der Sonnenblumen, der Calendeln, gar leicht beobach - ten kann.
Dieſe Kraft der Natur, welche mehrere Blätter um eine Axe verſammlet, ſehen wir eine noch innigere Verbindung bewirken und ſogar dieſe zuſammengebrachten modificirten Blätter noch unkenntlicher machen, indem ſie ſolche unter einander manchmal ganz, oft aber nur zum Theil verbindet, und an ihren Seiten zuſammengewachſen hervorbringt. Die ſo nahe an einander gerückten und gedrängten Blätter berühren ſich auf das genauſte in ihrem zarten Zuſtande, anaſtomoſiren ſich durch die Einwirkung der höchſt reinen, in der Pflanze nunmehr gegenwärtigen Säfte, und24 ſtellen uns die glockenförmigen oder ſogenannten einblätterigen Kelche dar, welche mehr oder weniger von oben herein eingeſchnitten, oder getheilt, uns ihren zuſammengeſezten Urſprung deutlich zeigen. Wir können uns durch den Augenſchein hiervon belehren, wenn wir eine Anzahl tief eingeſchnittener Kelche gegen mehrblätterige halten; beſonders wenn wir die Kelche mancher Strahlenblumen genau betrachten. So werden wir zum Exempel ſehen, daſs ein Kelch der Calendel, welcher in der ſyſtematiſchen Beſchreibung als einfach und vielgetheilt aufgeführt wird, aus mehreren zuſammen und übereinander gewachſenen Blät - tern beſtehe, zu welchen ſich, wie ſchon oben geſagt, zuſammengezogene Stammblätter gleichſam hinzuſchleichen.
Bey vielen Pflanzen iſt die Zahl und die Geſtalt in welcher die Kelchblätter, entweder einzeln oder zuſammengewachſen, um die Axe des Stiels gereihet werden, beſtändig, ſo wie die übrigen folgenden Theile. Auf dieſer Beſtändigkeit beruhet gröſtentheils die Zunahme, die Sicherheit, die Ehre der botaniſchen Wiſſenſchaft, welche25 wir in dieſen lezteren Zeiten immer mehr haben zunehmen ſehn. Bey andern Pflanzen iſt die Anzahl und Bildung dieſer Theile nicht gleich beſtändig, aber auch dieſer Unbeſtand hat die ſcharfe Beobachtungsgabe der Meiſter dieſer Wiſſenſchaft nicht hintergehen können; ſondern ſie haben durch genaue Beſtimmungen auch dieſe Abweichungen der Natur gleichſam in einen engern Kreis einzuſchlieſsen geſucht.
Auf dieſe Weiſe bildete alſo die Natur den Kelch; daſs ſie mehrere Blätter und folglich mehrere Knoten, welche ſie ſonſt nach einander, und in einiger Entfernung von einander hervorge - bracht hätte, zuſammen, meiſt in einer gewiſſen beſtimmten Zahl und Ordnung um Einen Mittel - punct verbindet. Wäre durch zudringende über - flüſſige Nahrung der Blüthenſtand verhindert worden; ſo würden ſie alsdann aus einander geruckt, und in ihrer erſten Geſtalt erſchienen ſeyn. Die Natur bildet alſo im Kelch kein neues Organ, ſondern ſie verbindet und modificirt nur die uns ſchon bekannt gewordenen Organe, und bereitet ſich dadurch eine Stufe näher zum Ziel.
WIR haben geſehen daſs der Kelch durch verfeinerte Säfte, welche nach und nach in der Pflanze ſich erzeugen, hervorgebracht werde, und ſo iſt er nun wieder zum Organe einer künftigen weitern Verfeinerung beſtimmt. Es wird uns dieſes ſchon glaublich, wenn wir ſeine Wirkung auch bloſs mechaniſch erklären. Denn wie höchſt zart und zur feinſten Filtration geſchickt müſsen Gefäſse werden, welche, wie wir oben geſehen haben, in dem höchſten Grade zuſammen gezogen und an einander gedrängt ſind.
Den Uebergang des Kelchs zur Krone, können wir in mehr als Einem Fall bemerken; denn,27 obgleich die Farbe des Kelchs noch gewöhnlich grün und der Farbe der Stengelblätter ähnlich bleibt; ſo verändert ſich dieſelbe doch oft, an einem oder dem andern ſeiner Theile, an den Spitzen, den Rändern, dem Rücken, oder gar an ſeiner inwendigen Seite, indeſſen die äuſsere noch grün bleibt; und wir ſehen mit dieſer Färbung jederzeit eine Verfeinerung verbunden. Dadurch entſtehen zweydeutige Kelche, welche mit gleichem Rechte für Kronen gehalten werden können.
Haben wir nun bemerkt, daſs von den Samenblättern herauf eine groſse Ausdehnung und Ausbildung der Blätter beſonders ihrer Peripherie, und von da zu dem Kelche, eine Zuſammenziehung des Umkreiſes vor ſich gehe; ſo bemerken wir daſs die Krone abermals durch eine Ausdehnung hervorgebracht werde. Die Kronenblätter ſind gewöhnlich gröſser als die Kelchblätter, und es läſst ſich bemerken, daſs wie die Organe im Kelch zuſammengezogen werden, ſie ſich nunmehr als Kronenblätter durch den Einfluſs reinerer, durch den Kelch28 abermals filtrirter Säfte, in einem hohen Grade verfeint wieder ausdehnen, und uns, neue ganz verſchiedene Organe vorbilden. Ihre feine Organiſation, ihre Farbe, ihr Geruch, würden uns ihren Urſprung ganz unkenntlich machen, wenn wir die Natur nicht in mehreren auſser - ordentlichen Fällen belauſchen könnten.
So findet ſich z. B., innerhalb des Kelches einer Nelke, manchmal ein zweiter Kelch, welcher zum Theil vollkommen grün, die Anlage zu einem einblätterigen eingeſchnittenen Kelche zeigt; zum Theil zerriſſen und an ſeinen Spitzen und Rändern, zu zarten, ausgedehnten, gefärbten wirklichen Anfängen der Kronenblätter umge - bildet wird, wodurch wir denn die Verwandt - ſchaft der Krone und des Kelches abermals deutlich erkennen.
Die Verwandtſchaft der Krone mit den Stengelblättern zeigt ſich uns auch auf mehr als eine Art: denn es erſcheinen an mehreren Pflanzen29 Stengelblätter ſchon mehr oder weniger gefärbt, lange ehe ſie ſich dem Blüthenſtande nähern; andere färben ſich vollkommen in der Nähe des Blüthenſtandes.
Auch gehet die Natur manchmal, indem ſie das Organ des Kelchs gleichſam überſpringt, unmittelbar zur Krone, und wir haben Gelegen - heit in dieſem Falle gleichfals zu beobachten, daſs Stengelblätter zu Kronenblättern übergehen. So zeigt ſich z. B. manchmal an den Tulpen - ſtengeln ein beynahe völlig ausgebildetes und gefärbtes Kronenblatt. Ja noch merkwürdiger iſt der Fall; wenn ein ſolches Blatt halb grün, mit ſeiner einen Hälfte zum Stengel gehörig an demſelben befeſtigt bleibt, indeſs ſein anderer und gefärbter Theil mit der Krone empor gehoben, und das Blatt in zwey Theile zerriſſen wird.
Es iſt eine ſehr wahrſcheinliche Meynung daſs Farbe und Geruch der Kronenblätter, der Gegenwart des männlichen Samens in denſelben30 zu zuſchreiben ſey. Wahrſcheinlich befindet er ſich in ihnen noch nicht genugſam abgeſondert, vielmehr mit andern Säften verbunden und diluirt; und die ſchönen Erſcheinungen der Farben führen unſ auf den Gedanken daſs die Materie womit die Blätter ausgefüllt ſind, zwar in einem hohen Grad von Reinheit, aber noch nicht auf dem höchſten ſtehe, auf welchem ſie uns weiſs und ungefärbt erſcheint.
ES wird uns dieſes noch wahrſcheinlicher, wenn wir die nahe Verwandtſchaft der Kronen - blätter mit den Staubwerkzeugen bedenken. Wäre die Verwandtſchaft aller übrigen Theile untereinander eben ſo in die Augen fallend, ſo allgemein bemerkt und auſser allen Zweifel geſezt; ſo würde man gegenwärtigen Vortrag für über - flüſsig halten können.
Die Natur zeigt uns in einigen Fällen dieſen Uebergang regelmäſsig, z. B. bey der Canna, und mehreren Pflanzen dieſer Familie. Ein wahres, wenig verändertes Kronenblatt zieht ſich am obern Rande zuſammen, und es zeigt ſich ein Staubbeutel, bey welchem das übrige Blatt die Stelle des Staubfadens vertritt.
An Blumen welche öfters gefüllt erſcheinen, können wir dieſen Uebergang in allen ſeinen Stufen beobachten. Bey mehreren Roſenarten zeigen ſich innerhalb der vollkommen gebildeten und gefärbten Kronenblätter, andere, welche theils in der Mitte theils an der Seite zuſammen gezogen ſind; dieſe Zuſammenziehung wird von einer kleinen Schwiele bewirkt, welche ſich mehr oder weniger als ein vollkommener Staubbeutel ſehen läſst, und in eben dieſem Grade nähert ſich das Blatt der einfacheren Geſtalt eines Staub - werkzeugs. Bey einigen gefüllten Mohnen ruhen völlig ausgebildete Antheren, auf wenig veränderten Blättern der ſtark gefüllten Kronen, bey andern ziehen Staubbeutelähnliche Schwielen die Blätter mehr oder weniger zuſammen.
Verwandeln ſich nun alle Staubwerkzeuge in Kronenblätter, ſo werden die Blumen unfruchtbar; werden aber in einer Blume, indem ſie ſich füllt, doch noch Staubwerkzeuge entwickelt, ſo gehet die Befruchtung vor ſich.
Und ſo entſtehet ein Staubwerkzeug, wenn die Organe, die wir bisher als Kronenblätter ſich ausbreiten geſehen, wieder in einem höchſt zuſammengezogenen und zugleich in einem höchſt verfeinten Zuſtande erſcheinen. Die oben vor - getragne Bemerkung wird dadurch abermals beſtätigt und wir werden auf dieſe abwechſelnde Wirkung der Zuſammenziehung und Ausdehnung, wodurch die Natur endlich ans Ziel gelangt, immer aufmerkſamer gemacht.
SO ſchnell der Uebergang bey manchen Pflanzen von der Krone zu den Staubwerkzeugen iſt, ſo bemerken wir doch, daſs die Natur nicht immer dieſen Weg mit Einem Schritt zurücklegen kann. Sie bringt vielmehr Zwiſchenwerkzeuge hervor, welche an Geſtalt und Beſtimmung ſich bald dem einen bald dem andern Theile nähern, und obgleich ihre Bildung höchſt verſchieden iſt, ſich dennoch meiſt unter Einen Begriff vereinigen laſſen: Daſs es langſame Uebergänge von den Kelch - blättern zu den Staubgefäſsen ſeyen.
Die meiſten jener verſchieden gebildeten Organe, welche Linné mit dem Nahmen Necktarien bezeichnet, laſſen ſich unter dieſem Begriff35 vereinigen; und wir finden auch hier Gelegenheit den groſsen Scharfſinn des auſserordentlichen Mannes zu bewundern, der ohne ſich die Beſtimmung dieſer Theile ganz deutlich zu machen, ſich auf eine Ahndung verlieſs und ſehr verſchieden ſcheinende Organe mit Einem Nahmen zu belegen wagte.
Es zeigen uns verſchiedene Kronenblätter, ſchon ihre Verwandtſchaft mit den Staubgefäſsen dadurch, daſs ſie, ohne ihre Geſtalt merklich zu verändern, Grübchen oder Glandeln an ſich tragen, welche einen honigartigen Saft abſcheiden. Daſs dieſer eine noch unauſgearbeitete nicht völlig determinirte Befruchtungs-Feuchtigkeit ſey, können wir in denen ſchon oben angeführten Rückſichten einigermaſſen vermuthen, und dieſe Vermuthung wird durch Gründe welche wir unten anführen werden, noch einen höhern Grad von Wahrſcheinlichkeit erreichen.
Nun zeigen ſich auch die ſogenannten Neck - tarien als für ſich beſtehende Theile; und dann nähert ſich ihre Bildung bald den Kronenblättern bald den Staubwerkzeugen. So ſind z. E. die dreyzehn Fäden, mit ihren eben ſo viel rothen Kügelchen auf den Necktarien der Parnaſſia den Staubwerkzeugen höchſt ähnlich. Andere zeigen ſich als Staubfäden ohne Antheren, als an der Valliſneria, der Fewillèa; wir finden ſie an der Pentapetes in einem Kreiſe mit den Staubwerk - zeugen regelmäſsig abwechſeln, und zwar ſchon in Blattgeſtalt; auch werden ſie in der ſyſte - matiſchen Beſchreibung, als Filamenta caſtrata petaliformia aufgeführt. Eben ſolche ſchwankende Bildungen ſehen wir, an der Kiggellaria und der Paſſionsblume.
Gleichfalls ſcheinen uns die eigentlichen Nebenkronen den Nahmen der Necktarien in dem oben angegebenen Sinne zu verdienen. Denn wenn die Bildung der Kronenblätter durch eine37 Ausdehnung geſchieht, ſo werden dagegen die Nebenkronen durch eine Zuſammenziehung, folglich auf eben die Weiſe wie die Staubwerkzeuge gebildet. So ſehen wir innerhalb vollkommener, ausgebreiteter Kronen, kleinere, zuſammenge - zogene Nebenkronen wie im Narciſſus, dem Nerium, dem Agroſtemma.
Noch ſehen wir bey verſchiedenen Geſchlechtern andere Veränderungen der Blätter, welche auf - fallender und merkwürdiger ſind. Wir bemerken an verſchiedenen Blumen, daſs ihre Blätter in - wendig, unten, eine kleine Vertiefung haben, welche mit einem honigartigen Safte ausgefüllt iſt. Dieſes Grübchen indem es ſich bey andern Blumengeſchlechtern und Arten, mehr vertieft, bringt auf der Rückſeite des Blatts eine Sporn - oder Hornartige Verlängerung hervor, und die Geſtalt des übrigen Blattes wird ſogleich mehr oder weniger modificirt. Wir können dieſes an verſchiedenen Arten und Varietäten des Agleys genau bemerken.
Im höchſten Grad der Verwandlung findet man dieſes Organ, z. B. bey dem Aconitum und der Nigella, wo man aber doch mit geringer Aufmerkſamkeit ihre Blattähnlichkeit bemerken wird; beſonders wachſen ſie bey der Nigella leicht wieder in Blätter aus, und die Blume wird durch die Umwandlung der Necktarien gefüllt. Bey dem Aconito wird man mit einiger aufmerkſamen Beſchauung die Aehnlichkeit der Necktarien und des gewölbten Blattes, unter welchen ſie verdeckt ſtehen, erkennen.
Haben wir nun oben geſagt; daſs die Neck - tarien Annäherungen der Kronenblätter zu den Staubgefäſsen ſeyen, ſo können wir bey dieſer Gelegenheit über die unregelmäſsigen Blumen einige Bemerkungen machen. So könnten z. E. die fünf äuſsern Blätter des Melianthus als wahre Kronenblätter aufgeführt, die fünf innern aber als eine Nebenkrone, aus ſechs Necktarien beſtehend, beſchrieben werden, wovon das obere ſich der39 Blattgeſtalt am meiſten nähert, das untere, das auch jezt ſchon Necktarium heiſst, ſich am weitſten von ihr entfernt. In eben dem Sinne könnte man die Carina der Schmetterlings-Blumen ein Neck - tarium nennen, indem ſie unter den Blättern dieſer Blume ſich an die Geſtalt der Staubwerk - zeuge am nächſten heran bildet, und ſich ſehr weit von der Blattgeſtalt des ſogenannten Vexilli entfernt. Wir werden auf dieſe Weiſe die pinſelförmigen Körper, welche an dem Ende der Carina einiger Arten der Polygala befeſtigt ſind, gar leicht erklären, und uns von der Beſtimmung dieſer Theile einen deutlichen Begriff machen können.
Unnöthig würde es ſeyn, ſich hier ernſtlich zu verwahren, daſs es bey dieſen Bemerkungen die Abſicht nicht ſey, das durch die Bemühungen der Beobachter und Ordner biſher abgeſonderte und in Fächer gebrachte zu verwirren; man wünſcht nur durch dieſe Betrachtungen die abweichenden Bildungen der Pflanzen erklärbarer zu machen.
DASS die Geſchlechtstheile der Pflanzen durch die Spiralgefäſse wie die übrigen Theile hervor - gebracht werden, iſt durch mikroſcopiſche Beobachtungen auſser allen Zweifel geſezt. Wir nehmen darauſ ein Argument für die innere Identität der verſchiedenen Pflanzentheile, welche uns biſher in ſo manigfaltigen Geſtalten erſchienen ſind.
Wenn nun die Spiralgefäſse in der Mitte der Saftgefäſs-Bündel liegen, und von ihnen umſchloſſen werden: ſo können wir uns jene ſtarke Zuſammenziehung, einigermaſſen näher denken, wenn wir die Spiralgefäſse, die uns wirklich als elaſtiſche Federn erſcheinen, in ihrer höchſten Kraft gedenken, ſo daſs ſie überwiegend,41 hingegen die Ausdehnung der Saftgefäſse ſubor - dinirt wird.
Die verkürzten Gefäſsbündel können ſich nun nicht mehr ausbreiten, ſich einander nicht mehr aufſuchen und durch Anaſtomoſe kein Netz mehr bilden; die Schlauchgefäſse, welche ſonſt die Zwiſchenräume des Netzes auſfüllen, können ſich nicht mehr entwickeln, alle Urſachen wodurch Stengel - Kelch - und Blumenblätter ſich in die Breite ausgedehnt haben, fallen hier völlig weg und es entſteht ein ſchwacher höchſt einfacher Faden.
Kaum daſs noch die feinen Häutchen der Staubbeutel gebildet werden, zwiſchen welchen ſich die höchſt zarten Gefäſse nunmehr endigen. Wenn wir nun annehmen, daſs hier eben jene Gefäſse, welche ſich ſonſt verlängerten, ausbrei - teten und ſich einander wieder aufſuchten, gegenwärtig in einem höchſt zuſammen gezogenen Zuſtande ſind: wenn wir aus ihnen nunmehr den höchſt ausgebildeten Samenſtaub hervor dringen42 ſehen, welcher das durch ſeine Thätigkeit erſezt, was den Gefäſsen die ihn hervorbringen an Aus - breitung entzogen iſt: wenn er nun mehr losgelöſst die weiblichen Theile aufſucht, welche den Staub - gefäſsen durch gleiche Wirkung der Natur entgegen gewachſen ſind, wenn er ſich feſt an ſie anhängt, und ſeine Einflüſſe ihnen mittheilt: ſo ſind wir nicht abgeneigt, die Verbindung der beyden Geſchlechter eine geiſtige Anaſtomoſe zu nennen, und glauben wenigſtens einen Augenblick die Begriffe von Wachsthum und Zeugung, einander näher gerückt zu haben.
Die feine Materie welche ſich in den Antheren entwickelt, erſcheint uns als ein Staub; dieſe Staubkügelchen ſind aber nur Gefäſse worin höchſt feiner Saft aufbewahrt iſt. Wir pflichten daher der Meynung derjenigen bey, welche behaupten daſs dieſer Saft von den Piſtillen an denen ſich die Staubkügelchen anhängen, eingeſogen und ſo die Befruchtung bewirkt werde. Es wird dieſes um ſo wahrſcheinlicher, da einige Pflanzen keinen Samenſtaub, vielmehr nur eine bloſse Feuchtigkeit abſondern.
Wir erinnern uns hier des honigartigen Saftes der Necktarien, und deſſen wahrſcheinlicher Verwandtſchaft mit der ausgearbeitetern Feuchtig - keit der Samenbläſschen. Vielleicht ſind die Necktarien vorbereitende Werkzeuge, vielleicht wird ihre honigartige Feuchtigkeit von den Staub - gefäſsen eingeſogen, mehr determinirt und völlig ausgearbeitet; eine Meynung die um ſo wahr - ſcheinlicher wird, da man nach der Befruchtung dieſen Saft nicht mehr bemerkt.
Wir laſſen hier, obgleich nur im Vorbeygehen, nicht unbemerkt; daſs ſowohl die Staubfäden als Antheren verſchiedentlich zuſammengewachſen ſind, und uns die wunderbarſten Beyſpiele der ſchon mehrmals von uns angeführten Anaſtomoſe und Verbindung der in ihren erſten Anfängen wahrhaft getrennten Pflanzentheile zeigen.
WAR ich bisher bemüht, die innere Identität der verſchiedenen, nach einander entwickelten Pflanzentheile, bey der gröſten Abweichung der äuſsern Geſtalt, ſo viel es möglich geweſen anſchaulich zu machen; ſo wird man leicht ver - muthen können daſs nunmehr meine Abſicht ſey, auch die Strucktur der weiblichen Theile auf dieſem Wege zu erklären.
Wir betrachten zuförderſt den Griffel von der Frucht abgeſondert, wie wir ihn auch oft in der Natur finden; und um ſo mehr können wir es thun, da er ſich in dieſer Geſtalt von der Frucht unterſchieden zeigt.
Wir bemerken nehmlich daſs der Griffel auf eben der Stufe des Wachsthums ſtehe, wo wir die Staubgefäſse gefunden haben. Wir konnten nehmlich beobachten, daſs die Staubgefäſse durch eine Zuſammenziehung hervorgebracht werden; die Griffel ſind oft in demſelbigen Falle, und wir ſehen ſie, wenn auch nicht immer mit den Staub - gefäſsen von gleichem Maſse, doch nur um weniges länger oder kürzer gebildet. In vielen Fällen ſieht der Griffel faſt einem Staubfaden ohne Anthere gleich, und die Verwandtſchaft ihrer Bildung iſt äuſserlich gröſser als bey den übrigen Theilen. Da ſie nun beyderſeits durch Spiralgefäſse hervorgebracht werden, ſo ſehen wir deſto deut - licher, daſs der weibliche Theil ſo wenig als der männliche ein beſonderes Organ ſey, und wenn die genaue Verwandtſchaft deſſelben mit dem männlichen, uns durch dieſe Betrachtung recht anſchaulich wird, ſo finden wir jenen Gedanken die Begattung eine Anaſtomoſe zu nennen paſſender und einleuchtender.
Wir finden den Griffel ſehr oft aus mehreren einzelnen Griffeln zuſammengewachſen, und die Theile aus denen er beſtehet laſſen ſich kaum am Ende, wo ſie nicht einmal immer getrennt ſind, erkennen. Dieſes Zuſammenwachſen, deſſen Wirkung wir ſchon öfters bemerkt haben, wird hier am meiſten möglich; ja es muſs geſchehen, weil die feinen Theile vor ihrer gänzlichen Ent - wickelung in der Mitte des Blüthenſtandes zuſammengedrängt ſind, und ſich auf das innigſte mit einander verbinden können.
Die nahe Verwandtſchaft mit den vorherge - henden Theilen des Blüthenſtandes zeigt uns die Natur in verſchiedenen regelmäſsigen Fällen mehr oder weniger deutlich. So iſt z. B. das Piſtill der Iris mit feiner Narbe, in völliger Geſtalt eines Blumenblattes vor unſern Augen. Die ſchirm - förmige Narbe der Saracenie zeigt ſich zwar nicht ſo auffallend aus mehreren Blättern zuſammenge - ſezt, doch verläugnet ſie ſogar die grüne Farbe nicht. Wollen wir das Mikroſcop zu Hülfe47 nehmen, ſo finden wir mehrere Narben, z. E. des Crocus, der Zanichella, als völlige ein - oder mehrblätterige Kelche gebildet.
Rückſchreitend zeigt uns die Natur öfters den Fall, daſs ſie die Griffel und Narben wieder in Blumenblätter verwandelt; z. B. füllt ſich der Ranunculus aſiaticus dadurch, daſs ſich die Narben und Piſtille des Fruchtbehälters zu wahren Kronen - blättern umbilden, indeſſen die Staubwerkzeuge, gleich hinter der Krone, oft unverändert gefunden werden. Einige andere bedeutende Fälle werden unten vorkommen.
Wir wiederholen hier jene oben angezeigte Bemerkungen, daſs Griffel und Staubfäden auf der gleichen Stufe des Wachsthums ſtehen, und erläutern jenen Grund des wechſelsweiſen Ausdeh - nens und Zuſammenziehens dadurch abermals. Vom Samen bis zu der höchſten Entwickelung des Stengelblattes, bemerkten wir zuerſt eine Ausdehnung, darauf ſahen wir durch eine Zuſam - menziehung den Kelch entſtehen, die Blumenblätter48 durch eine Ausdehnung, die Geſchlechtstheile abermals durch eine Zuſammenziehung; und wir werden nun bald die gröſste Ausdehnung in der Frucht, und die gröſste Concentration in dem Samen gewahr werden. In dieſen ſechs Schritten vollendet die Natur unaufhaltſam das ewige Werk der Fortpflanzung der Vegetabilien durch zwey Geſchlechter.
WIR werden nunmehr die Früchte zu beo - bachten haben, und uns bald überzeugen, daſs dieſelben gleichen Urſprungs und gleichen Geſezen unterworfen ſeyen. Wir reden hier eigentlich von ſolchen Gehäuſen welche die Natur bildet, um die ſogenannten bedeckten Samen einzuſchlieſsen, oder vielmehr aus dem Innerſten dieſer Gehäuſe durch die Begattung eine gröſsere oder geringere Anzahl Samen zu entwickeln. Daſs dieſe Behältniſſe gleichfalls aus der Natur und Organiſation der bisher betrachteten Theile zu erklären ſeyen, wird ſich mit wenigem zeigen laſſen.
Die rückſchreitende Metamorphoſe macht uns hier abermals auf dieſes Naturgeſez aufmerkſam. So läſst ſich zum Beyſpiel an den Nelken, dieſenD50eben wegen ihrer Auſartung ſo bekannten und beliebten Blumen, oft bemerken, daſs die Samen - kapſeln ſich wieder in kelchähnliche Blätter ver - ändern, und daſs in eben dieſem Maſse die aufgeſezten Griffel an Länge abnehmen; ja es finden ſich Nelken, an denen ſich das Fruchtbehältniſs in einen wirklichen vollkommenen Kelch ver - wandelt hat, indeſs die Einſchnitte deſſelben an der Spitze noch zarte Ueberbleibſel der Griffel und Narben tragen, und ſich aus dem Innerſten dieſes zweyten Kelchs, wieder eine mehr oder weniger vollſtändige Blätterkrone ſtatt der Samen entwickelt.
Ferner hat uns die Natur ſelbſt durch regel - mäſsige und beſtändige Bildungen, auf eine ſehr manigfaltige Weiſe die Fruchtbarkeit geoffenbart, welche in einem Blatt verborgen liegt. So bringt ein zwar verändertes doch noch völlig kenntliches Blatt der Linde aus ſeiner Mittelrippe ein Stielchen und an demſelben eine vollkommene Blüthe und Frucht hervor. Bey dem Ruſcus iſt die Art wie Blüthen und Früchte auf den Blättern aufſitzen noch merkwürdiger.
Noch ſtärker und gleichſam ungeheuer wird uns die unmittelbare Fruchtbarkeit der Stengel - blätter in den Farrenkräutern vor Augen gelegt; welche durch einen innern Trieb, und vielleicht gar ohne beſtimmte Wirkung zweyer Geſchlechter, unzählige, des Wachsthums fähige Samen, oder vielmehr Keime entwickeln und umherſtreuen, wo alſo ein Blatt an Fruchtbarkeit mit einer ausgebreiteten Pflanze, mit einem groſsen und äſtereichen Baume wetteifert.
Wenn wir dieſe Beobachtungen gegenwärtig behalten; ſo werden wir in den Samenbehältern, ohnerachtet ihrer manigfaltigen Bildung, ihrer beſonderen Beſtimmung und Verbindung unter ſich, die Blattgeſtalt nicht verkennen. So wäre z. B. die Hülſe ein einfaches zuſammengeſchlagenes, an ſeinen Rändern verwachſenes Blatt, die Schoten würden aus mehr übereinander gewach - ſenen Blättern beſtehen, die zuſammengeſezten Gehäuſe erklärten ſich aus mehreren BlätternD 252welche ſich um einen Mittelpunct vereiniget, ihr Innerſtes gegen einander aufgeſchloſſen, und ihre Ränder mit einander verbunden hätten. Wir können uns hiervon durch den Augenſchein überzeugen, wenn ſolche zuſammengeſezte Kap - ſeln nach der Reife von einander ſpringen, da denn jeder Theil derſelben ſich uns als eine eröfnete Hülſe oder Schote zeigt. Eben ſo ſehen wir bey verſchiedenen Arten eines und deſſelben Geſchlechts, eine ähnliche Wirkung regelmäſsig vorgehen; z. B. ſind die Fruchtkapſeln der Nigella orientalis, in der Geſtalt von halb mit einander verwachſnen Hülſen, um eine Axe ver - ſammlet, wenn ſie bey der Nigella Damaſcena völlig zuſammen gewachſen erſcheinen.
Am meiſten rückt uns die Natur dieſe Blatt - ähnlichkeit aus den Augen, indem ſie ſaftige und weiche oder holzartige und feſte Samenbehälter bildet; allein ſie wird unſerer Aufmerkſamkeit nicht entſchlüpfen können, wenn wir ihr in allen Uebergängen ſorgfältig zu folgen wiſſen. Hier ſey es genug, den allgemeinen Begriff davon angezeigt und die Uebereinſtimmung der Natur53 an einigen Beyſpielen gewieſen zu haben. Die groſse Manigfaltigkeit der Samenkapſeln gibt uns künftig Stoff zu mehrerer Betrachtung.
Die Verwandtſchaft der Samenkapſeln mit den vorhergehenden Theilen zeigt ſich auch durch das Stigma, welches bey vielen unmittelbar auf - ſizt und mit der Kapſel unzertrennlich verbunden iſt. Wir haben die Verwandtſchaft der Narbe mit der Blattgeſtalt ſchon oben gezeigt und können hier ſie nochmals aufführen; indem ſich bey gefüllten Mohnen bemerken läſst, daſs die Narben der Samenkapſeln in farbige, zarte, Kronenblättern völlig ähnliche Blättchen ver - wandelt werden.
Die lezte und gröſte Ausdehnung welche die Pflanze in ihrem Wachsthum vornimmt; zeigt ſich in der Frucht. Sie iſt ſowohl an innerer Kraft als äuſserer Geſtalt oft ſehr groſs, ja ungeheuer. Da ſie gewöhnlich nach der Befruchtung vor ſich gehet; ſo ſcheinet der nun mehr determinirte Same, indem er zu einem Wachsthum aus der54 ganzen Pflanze die Säfte herbeyziehet, ihnen die Hauptrichtung nach der Samenkapſel zu geben, wodurch denn ihre Gefäſse genährt, erweitert, und oft in dem höchſten Grade ausgefüllt und ausgeſpannt werden. Daſs hieran reinere Luftarten einen groſsen Antheil haben, läſst ſich ſchon aus dem vorigen ſchlieſſen und es beſtätigt ſich durch die Erfahrung daſs die aufgetriebnen Hülſen der Colutea reine Luft enthalten.
DAGEGEN finden wir, daſs der Same in dem höchſten Grade von Zuſammenziehung und Aus - bildung ſeines Innern ſich befindet. Es läſst ſich bey verſchiedenen Samen bemerken daſs er Blätter zu ſeinen nächſten Hüllen umbilde, mehr oder weniger ſich anpaſſe, ja meiſtens durch ſeine Gewalt, ſie völlig an ſich ſchlieſſe und ihre Geſtalt gänzlich verwandle. Da wir oben mehrere Samen ſich aus und in Einem Blatt entwickeln geſehn, ſo werden wir uns nicht wundern, wenn ein einzelner Samenkeim ſich in eine Blatthülle kleidet.
Die Spuren ſolcher nicht völlig den Samen angepaſsten Blattgeſtalten, ſehen wir an vielen geflügelten Samen z. B. des Ahorns, der Rüſter, der Eſche, der Birke. Ein ſehr merkwürdiges Beyſpiel, wie der Samenkeim breitere Hüllen56 nach und nach zuſammen zieht und ſich anpaſst, geben uns die drey verſchiedenen Kreiſe verſchie - dengeſtalteter Samen der Calendel. Der äuſserſte Kreis behält noch eine mit den Kelchblättern verwandte Geſtalt; nur daſs eine, die Rippe auſdehnende Samenanlage das Blatt krümmt, und die Krümmung inwendig der Länge nach durch ein Häutchen in zwey Theile abgeſondert wird. Der folgende Kreis hat ſich ſchon mehr verändert, die Breite des Blättchens und das Häutchen haben ſich gänzlich verlohren; dagegen iſt die Geſtalt etwas weniger verlängert, die in dem Rücken befindliche Samenanlage zeigt ſich deut - licher und die kleinen Erhöhungen auf derſelben ſind ſtärker; dieſe beyden Reihen ſcheinen entweder gar nicht, oder nur unvollkommen befruchtet zu ſeyn. Auf ſie folgt die dritte Samen - reihe in ihrer ächten Geſtalt ſtark gekrümmt, und mit einem völlig angepaſsten, und in allen ſeinen Striefen und Erhöhungen völlig ausge - bildeten Involucro. Wir ſehen hier abermals eine gewaltſame Zuſammenziehung ausgebreiteter, blattähnlicher Theile, und zwar durch die innere Kraft des Samens, wie wir oben durch die Kraft der Anthere das Blumenblatt zuſammengezogen geſehen haben.
UND ſo wären wir der Natur auf ihren Schritten, ſo bedachtſam als möglich gefolgt; wir hätten die äuſsere Geſtalt der Pflanze in allen ihren Umwandlungen, von ihrer Entwickelung aus dem Samenkorn, bis zur neuen Bildung deſſelben begleitet. Und ohne Anmaſsung die erſten Trieb - federn der Naturwirkungen entdecken zu wollen, auf Aeuſserung der Kräfte, durch welche die Pflanze ein und eben daſſelbe Organ nach und nach umbildet, unſre Aufmerkſamkeit gerichtet. Um den einmal ergriffenen Faden nicht zu ver - laſſen, haben wir die Pflanze durchgehends nur als einjährig betrachtet, wir haben nur die Umwandlung der Blätter welche die Knoten begleiten bemerkt, und alle Geſtalten aus ihnen hergeleitet. Allein es wird, um dieſem Verſuch58 die nöthige Vollſtändigkeit zu geben, nunmehr noch nöthig, von den Augen zu ſprechen welche unter jedem Blatt verborgen liegen, ſich unter gewiſſen Umſtänden entwickeln, und unter andern völlig zu verſchwinden ſcheinen.
JEDER Knoten hat von der Natur die Kraft, ein oder mehrere Augen hervorzubringen; und zwar geſchieht ſolches in der Nähe der ihn bekleidenden Blätter, welche die Bildung und das Wachsthum der Augen vorzubereiten und mit zu bewirken ſcheinen.
In der ſucceſſiven Entwickelung eines Knotens aus dem andern, in der Bildung eines Blattes an jedem Knoten und eines Auges in deſſen Nähe, beruhet die erſte, einfache, langſam fortſchrei - tende Fortpflanzung der Vegetabilien.
Es iſt bekannt, daſs ein ſolches Auge in ſeinen Wirkungen eine groſse Aehnlichkeit mit dem reifen Samen hat; und daſs oft in jenem noch mehr als in dieſem die ganze Geſtalt der künftigen Pflanze erkannt werden kann.
Ob ſich gleich an dem Auge ein Wurzelpunct ſo leicht nicht bemerken läſst, ſo iſt doch derſelbe eben ſo darin wie in dem Samen gegenwärtig, und entwickelt ſich, beſonders durch feuchte Einflüſse, leicht und ſchnell.
Das Auge bedarf keiner Cotyledonen; weil es mit ſeiner ſchon völlig organiſirten Mutterpflanze zuſammenhängt, und aus derſelbigen, ſo lang es mit ihr verbunden iſt, oder, nach der Trennung, von der neuen Pflanze auf welche man es gebracht hat; oder durch die alſobald gebildeten Wurzeln, wenn man einen Zweig in die Erde bringt, hinreichende Nahrung erhält.
Das Auge beſteht aus mehr oder weniger entwickelten Knoten und Blättern, welche den künftigen Wachsthum weiter verbreiten ſollen. Die Seitenzweige alſo welche aus den Knoten der Pflanzen entſpringen, laſſen ſich als beſondere Pflänzchen, welche eben ſo auf dem Mutterkörper ſtehen wie dieſer an der Erde befeſtigt iſt, betrachten.
Die Vergleichung und Unterſcheidung beyder iſt ſchon öfters, beſonders aber vor kurzem ſo ſcharfſinnig und mit ſo vieler Genauigkeit ausge - führt worden, daſs wir uns hier bloſs mit einem unbedingten Beyfall darauf berufen können(b)Gaertner de fructibus et feminibus plantarum. Cap. 1..
Wir führen davon nur ſo viel an. Die Natur unterſcheidet bey auſgebildeten Pflanzen, Augen und Samen deutlich von einander. Steigen wir aber62 von da zu den unausgebildeten Pflanzen herab, ſo ſcheint ſich der Unterſchied zwiſchen beyden ſelbſt vor den Blicken des ſchärfſten Beobachters zu verlieren. Es giebt unbezweifelte Samen, unbezweifelte Gemmen; aber der Punct, wo wirklich befruchtete, durch die Wirkung zweyer Geſchlechter von der Mutterpflanze iſolirte Samen mit Gemmen zuſammentreffen, welche aus der Pflanze nur hervordringen und ſich ohne bemerk - bare Urſache loſlöſen, iſt wohl mit dem Verſtande, keineswegs aber mit den Sinnen zu erkennen.
Dieſes wohlerwogen, werden wir folgern dürfen: daſs die Samen welche ſich durch ihren eingeſchloſsenen Zuſtand von den Augen, durch die ſichtbare Urſache ihrer Bildung und Abſondrung von den Gemmen unterſcheiden, dennoch mit beyden nahe verwandt ſind.
WIR haben biſher die einfachen Blüthenſtände, ingleichen die Samen welche in Kapſeln befeſtiget hervorgebracht werden, durch die Umwandlung der Knotenblätter zu erklären geſucht, und es wird ſich bey näherer Unterſuchung finden; daſs in dieſem Falle ſich keine Augen entwickeln, vielmehr die Möglichkeit einer ſolchen Entwickelung ganz und gar aufgehoben wird. Um aber die zuſam - mengeſezten Blüthenſtände ſowohl, als die gemein - ſchaftlichen Fruchtſtände, um Einen Kegel, Eine Spindel, auf Einem Boden, und ſo weiter zu erklären, müſſen wir nun die Entwickelung der Augen zu Hülfe nehmen.
Wir bemerken ſehr oft, daſs Stengel ohne zu einem einzelnen Blüthenſtande ſich lange vorzu - bereiten und aufzuſparen, ſchon aus den Knoten ihre Blüthen hervortreiben, und ſo bis an ihre Spitze oft ununterbrochen fortfahren. Doch laſſen ſich die dabey vorkommenden Erſcheinungen aus der oben vorgetragenen Theorie erklären. Alle Blumen welche ſich aus den Augen entwickeln, ſind als ganze Pflanzen anzuſehen, welche auf der Mutterpflanze eben ſo wie dieſe auf der Erde ſtehen. Da ſie nun aus den Knoten reinere Säfte erhalten; ſo erſcheinen ſelbſt die erſten Blätter der Zweiglein viel ausgebildeter, als die erſten Blätter der Mutterpflanze welche auf die Cotyledonen folgen; ja es wird die Ausbildung des Kelches und der Blume oft ſogleich möglich.
Eben dieſe aus den Augen ſich bildende Blüthen würden bey mehr zudringender Nahrung, Zweige geworden ſeyn, und das Schickſal des Mutter - ſtengels, dem er ſich unter ſolchen Umſtänden unterwerfen müſste, gleichfalls erduldet haben.
So wie nun von Knoten zu Knoten ſich, dergleichen Blüthen entwickeln, ſo bemerken wir gleichfalls jene Veränderung der Stengelblätter, die wir oben bey dem langſamen Uebergange zum Kelch beobachtet haben. Sie ziehen ſich immer mehr und mehr zuſammen, und verſchwinden endlich beynahe ganz. Man nennt ſie alsdann Bracteas, indem ſie ſich von der Blattgeſtalt mehr oder weniger entfernen. In eben dieſem Maſse wird der Stiel verdünnt, die Knoten rücken mehr zuſammen, und alle oben bemerkte Erſchein - ungen gehen vor, nur daſs am Ende des Stengels kein entſchiedener Blüthenſtand folgt, weil die Natur ihr Recht ſchon von Auge zu Auge aus - geübt hat.
Haben wir nun einen ſolchen an jedem Knoten mit einer Blume gezierten Stengel wohl betrachtet; ſo werden wir uns gar bald einen gemeinſchaftlichen Blüthenſtand erklären können: wenn wir das was oben von Entſtehung des Kelches geſagt iſt mit zu Hülfe nehmen.
Die Natur bildet einen gemeinſchaftlichen Kelch, aus vielen Blättern, welche ſie auf einander drängt und um Eine Axe verſammlet; mit eben dieſem ſtarken Triebe des Wachsthums entwickelt ſie einen gleichſam unendlichen Stengel, mit allen ſeinen Augen in Blüthengeſtalt, auf einmal, in der möglichſten an einander gedrängten Nähe, und jedes Blümchen befruchtet das unter ihm ſchon vorbereitete Samen - gefäſs. Bey dieſer ungeheuren Zuſammenziehung verlieren ſich die Knotenblätter nicht immer; bey den Diſteln begleitet das Blättchen getreulich das Blümchen, das ſich aus den Augen neben ihnen entwickelt. Man vergleiche mit dieſem Paragraph die Geſtalt des Dipſacus laciniatus. Bey vielen Gräſern wird eine jede Blüthe durch ein ſolches Blättchen, das in dieſem Falle der Balg genannt wird, begleitet.
Auf dieſe Weiſe wird es uns nun anſchaulich ſeyn, wie die, um einen gemeinſamen Blüthen - ſtand entwickelte Samen, wahre, durch die Wirkung67 beyder Geſchlechter ausgebildete und entwickelte Augen ſeyen. Faſsen wir dieſen Begriff feſt, und betrachten in dieſem Sinne mehrere Pflanzen, ihren Wachs - thum und Fruchtſtände, ſo wird der Augenſchein bey einiger Vergleichung uns am beſten überzeugen.
Es wird uns ſodann auch nicht ſchwer ſeyn, den Fruchtſtand der in der Mitte einer einzelnen Blume, oft um eine Spindel verſammleten, bedeck - ten oder unbedeckten Samen zu erklären. Denn es iſt ganz einerley, ob eine einzelne Blume einen gemeinſamen Fruchtſtand umgiebt, und die zuſam - mengewachſenen Piſtille von den Antheren der Blume die Zeugungsſäfte einſaugen und ſie den Samenkörnern einflöſsen, oder ob ein jedes Samen - korn ſein eigenes Piſtill, ſeine eigenen Antheren, ſeine eigene Kronenblätter um ſich habe.
Wir ſind überzeugt daſs mit einiger Uebung es nicht ſchwer ſey, ſich auf dieſem Wege die manigfaltigen Geſtalten der Blumen und Früchte zu erklären; nur wird freylich dazu erfordert,E 268daſs man mit jenen oben feſtgeſtellten Begriffen der Ausdehnung und Zuſammenziehung, der Zuſammendrängung und Anaſtomoſe, wie mit Algebraiſchen Formeln bequem zu operiren, und ſie da, wo ſie hingehören anzuwenden wiſse. Da nun hierbey viel darauf ankommt, daſs man die verſchiedenen Stufen, welche die Natur ſo wohl in der Bildung der Geſchlechter, der Arten, der Varietäten, als in dem Wachsthum einer jeden einzelnen Pflanze betritt, genau beobachte und mit einander vergleiche: ſo würde eine Sammlung Abbildungen zu dieſem Endzwecke neben einander geſtellt, und eine Anwendung der botaniſchen Terminologie auf die verſchiedenen Pflanzentheile bloſs in dieſer Rückſicht angenehm und nicht ohne Nutzen ſeyn. Es würden zwey Fälle von durchgewachſenen Blumen, welche der oben angeführten Theorie ſehr zu ſtatten kommen, den Augen vorgelegt, ſehr entſcheidend gefunden werden.
ALLES was wir bisher nur mit der Einbildungs - kraft und dem Verſtande zu ergreifen geſucht, zeigt uns das Beyſpiel einer durchgewachſenen Roſe auf das deutlichſte. Kelch und Krone ſind um die Axe geordnet und entwickelt, anſtatt aber, daſs nun im Centro das Samenbehältniſs zuſammengezogen, an demſelben und um daſſelbe die männlichen und weiblichen Zeugungstheile geordnet ſeyn ſollten, begiebt ſich der Stiel halb röthlich halb grünlich wieder in die Höhe; kleinere dunkel - rothe zuſammengefaltete Kronenblätter, deren einige die Spur der Antheren an ſich tragen, entwickeln ſich ſucceſſiv an demſelben. Der Stiel wächſt fort, ſchon laſſen ſich daran wieder Dornen ſehn, die folgenden einzelnen gefärbten Blätter werden kleiner und gehen zulezt vor unſern Augen in halb roth halb grün gefärbte Stengelblätter70 über, es bildet ſich eine Folge von regelmäſsigen Knoten, aus deren Augen abermals, obgleich unvollkommene Roſenknöſpchen zum Vorſchein kommen.
Es giebt uns eben dieſes Exemplar auch noch einen ſichtbaren Beweis des oben ausgeführten: daſs nehmlich alle Kelche nur in ihrer Peripherie zuſammengezogene Folia Floralia ſeyen. Denn hier beſtehet der regelmäſsige um die Axe verſammlete Kelch aus fünf völlig entwickelten, drey oder fünffach zuſammengeſezten Blättern, dergleichen ſonſt die Roſenzweige an ihren Knoten hervor - bringen.
WENN wir dieſe Erſcheinung recht beobachtet haben, ſo wird uns eine andere, welche ſich an einer durchgewachſenen Nelke zeigt, faſt noch merkwürdiger werden. Wir ſehen eine vollkom - mene, mit Kelch und überdies mit einer gefüllten Krone verſehene, auch in der Mitte mit einer, zwar nicht ganz ausgebildeten, Samenkapſel völlig geendigte Blume. Aus den Seiten der Krone entwickeln ſich vier vollkommene neue Blumen, welche durch drey und mehrknotige Stengel von der Mutterblume entfernt ſind; ſie haben abermals Kelche, ſind wieder gefüllt, und zwar nicht ſo wohl durch einzelne Blätter als durch Blatt - kronen, deren Nägel zuſammengewachſen ſind, meiſtens aber durch Blumenblätter, welche wie Zweiglein zuſammengewachſen, und um einen Stiel entwickelt ſind. Ohngeachtet dieſer unge - heuren Entwickelung ſind die Staubfäden, und72 Antheren in einigen gegenwärtig. Die Frucht - hüllen mit den Griffeln ſind zu ſehen und die Receptakel der Samen wieder zu Blättern ent - faltet, ja in einer dieſer Blumen waren die Samendecken zu einem völligen Kelch verbunden, und enthielten die Anlage zu einer vollkommen gefüllten Blume wieder in ſich.
Haben wir bey der Roſe einen gleichſam nur halbdeterminirten Blüthenſtand, aus deſſen Mitte einen abermals hervortreibenden Stengel, und an demſelbigen neue Stengelblätter ſich entwickeln geſehen: ſo finden wir an dieſer Nelke, bey wohlgebildetem Kelche und vollkommener Krone, bey wirklich in der Mitte beſtehenden Frucht - gehäuſen, aus dem Kreiſe der Kronenblätter, ſich Augen entwickeln, und wirkliche Zweige und Blumen darſtellen. Und ſo zeigen uns denn beyde Fälle, daſs die Natur gewöhnlich in den Blumen ihren Wachsthum ſchlieſse und gleichſam eine Summe ziehe, daſs ſie der Möglichkeit ins Unendliche mit einzelnen Schritten fortzugehen Einhalt thue, um durch die Ausbildung der Samen ſchneller zum Ziel zu gelangen.
WENN ich, auf dieſem Wege, den einer meiner Vorgänger, welcher ihn noch dazu, an der Hand ſeines groſsen Lehrers verſuchte, ſo fürchterlich und gefährlich beſchreibt(c)Ferber in Præfatione Diſſertationis ſecundæ de Prolepſi Plantarum., auch hie und da geſtrauchelt hätte, wenn ich ihn nicht genugſam geebnet und zum beſten meiner Nach - folger von allen Hinderniſsen gereiniget hätte; ſo hoffe ich doch dieſe Bemühung nicht fruchtlos unternommen zu haben.
Es iſt hier Zeit, der Theorie zu gedenken, welche Linné zu Erklärung eben dieſer Erſchein -74 ungen aufgeſtellt. Seinem ſcharfen Blick konnten die Bemerkungen, welche auch gegenwärtigen Vortrag veranlaſst, nicht entgehen. Und wenn wir nunmehr da fortſchreiten können wo er ſtehen blieb, ſo ſind wir es den gemeinſchaftlichen Bemühungen ſo vieler Beobachter und Denker ſchuldig, welche manches Hinderniſs aus dem Wege geräumt, manches Vorurtheil zerſtreut haben. Eine genaue Vergleichung ſeiner Theorie und des oben ausgeführten würde uns hier zu lange aufhalten. Kenner werden ſie leicht ſelbſt machen, und ſie müſste zu umſtändlich ſeyn, um denen anſchaulich zu werden die über dieſen Gegenſtand noch nicht gedacht haben. Nur bemerken wir kürzlich was ihn hinderte weiter fort und bis ans Ziel zu ſchreiten.
Er machte ſeine Bemerkung zuerſt an Bäumen, dieſen zuſammengeſezten und lange daurenden Pflanzen. Er beobachtete, daſs ein Baum, in einem weitern Gefäſse überflüſsig genährt, mehrere Jahre hintereinander Zweige aus Zweigen hervor - bringe, da derſelbe, in ein engeres Gefäſs ein -75 geſchloſsen, ſchnell Blüthen und Früchte trage. Er ſahe daſs jene ſucceſſive Entwickelung hier auf einmal zuſammengedrängt hervorgebracht werde. Daher nannte er dieſe Wirkung der Natur Prolepſis, eine Anticipation, weil die Pflanze, durch die ſechſ Schritte welche wir oben bemerkt haben, ſechs Jahre voraus zu nehmen ſchien. Und ſo führte er auch ſeine Theorie, bezüglich auf die Knoſpen der Bäume aus, ohne auf die einjährigen Pflanzen beſonders Rückſicht zu nehmen, weil er wohl bemerken konnte daſs ſeine Theorie nicht ſo gut auf dieſe als auf jene paſſe. Denn nach ſeiner Lehre müſste man annehmen daſs jede einjährige Pflanze eigentlich von der Natur beſtimmt geweſen ſey ſechs Jahre zu wachſen und dieſe längere Friſt in dem Blüthen - und Fruchtſtande auf einmal anticipire und ſodann verwelke.
Wir ſind dagegen zuerſt dem Wachsthum der einjährigen Pflanze gefolgt; nun läſst ſich die Anwendung auf die daurenden Gewächſe leicht machen, da eine aufbrechende Knoſpe des älteſten76 Baumes als eine einjährige Pflanze anzuſehen iſt, ob ſie ſich gleich aus einem ſchon lange beſtehenden Stamme entwickelt und ſelbſt eine längere Dauer haben kann.
Die zweyte Urſache, welche Linnéen verhinderte weiter vorwärts zu gehen, war, daſs er die verſchiedenen in einander geſchloſſenen Kreiſe des Pflanzenkörpers, die äuſsere Rinde, die innere, das Holz, das Mark, zu ſehr als gleichwirkende, in gleichem Grad lebendige und nothwendige Theile anſah, und den Urſprung der Blumen und Fruchttheile dieſen verſchiedenen Kreiſen des Stammes zuſchrieb, weil jene, eben ſo wie dieſe, von einander umſchloſſen und ſich auseinander zu entwickeln ſcheinen. Es war dieſes aber nur eine oberflächliche Bemerkung, welche näher betrachtet ſich nirgend beſtätiget. So iſt die äuſsere Rinde zu weiterer Hervorbringung unge - ſchickt, und bey daurenden Bäumen eine nach auſsen zu verhärtete und abgeſonderte Maſse, wie das Holz nach innen zu verhärtet wird. Sie fällt bey vielen Bäumen ab, andern Bäumen77 kann ſie, ohne den geringſten Schaden derſelben, genommen werden; ſie wird alſo weder einen Kelch, noch irgend einen lebendigen Pflanzen - theil hervorbringen. Die zweyte Rinde iſt es, welche alle Kraft des Lebens und Wachsthums enthält. In dem Grad in welchem ſie verlezt wird, wird auch das Wachsthum geſtöhrt, ſie iſt es welche bey genauer Betrachtung alle äuſsere Pflanzentheile nach und nach im Stengel, oder auf einmal in Blüthe und Frucht hervor - bringt. Ihr wurde von Linnéen nur das ſubor - dinirte Geſchäft die Blumenblätter hervorzu - bringen zugeſchrieben. Dem Holze ward dagegen die wichtige Hervorbringung der männ - lichen Staubwerkzeuge zu theil; anſtatt daſs man gar wohl bemerken kann, es ſey daſſelbe ein durch Solideſcenz zur Ruhe gebrachter, wenn gleich daurender, doch der Lebens - wirkung abgeſtorbener Theil. Das Mark ſollte endlich die wichtigſte Function verrichten, die weiblichen Geſchlechtstheile und eine zahl - reiche Nachkommenſchaft hervorbringen. Die Zweifel welche man gegen dieſe groſse Würde des Markes erregt, die Gründe die man dagegen angeführt hat ſind auch mir wichtig und entſcheidend. Es war nur ſcheinbar als78 wenn ſich Griffel und Frucht aus dem Mark entwickelten, weil dieſe Geſtalten, wenn wir ſie zum erſtenmal erblicken, in einem weichen, unbeſtimmten markähnlichen, parenchymatoſen Zuſtande ſich befinden, und eben in der Mitte des Stengels, wo wir uns nur Mark zu ſehen gewöhnt haben, zuſammengedrängt ſind.
ICH wünſche daſs gegenwärtiger Verſuch die Metamorphoſe der Pflanzen zu erklären, zu Auflöſung dieſer Zweifel einiges beytragen, und zu weiteren Bemerkungen und Schlüſſen Gele - genheit geben möge. Die Beobachtungen worauf er ſich gründet, ſind ſchon einzeln gemacht, auch geſammlet und gereihet worden(d)Batſch Anleitung zur Kenntniſs und Geſchichte der Pflanzen. 1 Theil, 19 Capitel.; und es wird ſich bald entſcheiden, ob der Schritt den wir gegenwärtig gethan, ſich der Wahrheit nähere. So kurz als möglich faſſen wir die Haupt - reſultate des bisherigen Vortrags zuſammen.
Betrachten wir eine Pflanze in ſofern ſie ihre Lebenskraft äuſsert, ſo ſehen wir dieſes auf eine doppelte Art geſchehen, zuerſt, durch das Wachsthum indem ſie Stengel und Blätter hervor - bringt, und ſodann durch die Fortpflanzung, welche in dem Blüthen - und Fruchtbau vollendet wird. Beſchauen wir das Wachsthum näher, ſo ſehen wir, daſs, indem die Pflanze ſich von Knoten zu Knoten, von Blatt zu Blatt fortſezt, indem ſie ſproſst, gleichfalls eine Fortpflanzung geſchehe, die ſich von der Fortpflanzung durch Blüthe und Frucht, welche auf einmal geſchiehet, darinn unterſcheidet, daſs ſie ſucceſſiv iſt, daſs ſie ſich in einer Folge einzelner Entwicke - lungen zeigt. Dieſe ſproſsende, nach und nach ſich äuſsernde Kraft iſt mit jener, welche auf einmal eine groſse Fortpflanzung entwickelt, auf das genauſte[verwandt]. Man kann unter verſchiedenen Umſtänden eine Pflanze nöthigen, daſs ſie immerfort ſproſse, man kann dagegen den Blüthenſtand beſchleunigen. Jenes geſchieht, wenn rohere Säfte der Pflanze in einem gröſseren Maſse zudringen; dieſes, wenn die geiſtigeren Kräfte in derſelben überwiegen.
Schon dadurch daſs wir das Sproſsen eine ſucceſsive, den Blüthen - und Fruchtſtand aber eine ſimultane Fortpflanzung genannt haben, iſt auch die Art wie ſich beyde äuſsern, bezeichnet worden. Eine Pflanze welche ſproſst, dehnt ſich mehr oder weniger aus, ſie entwickelt einen Stiel oder Stengel, die Zwiſchenräume von Knoten zu Knoten ſind meiſt bemerkbar, und ihre Blätter breiten ſich von dem Stengel nach allen Seiten zu aus. Eine Pflanze dagegen welche blüht, hat ſich in allen ihren Theilen zuſammengezogen, Länge und Breite ſind gleich - ſam aufgehoben und alle ihre Organe ſind in einem höchſt concentrirten Zuſtande, zunächſt an einander entwickelt.
Es mag nun die Pflanze ſproſsen, blühen oder Früchte bringen, ſo ſind es doch nur immer dieſelbigen Organe welche in vielfältigen Beſtim - mungen und unter oft veränderten GeſtaltenF82die Vorſchrift der Natur erfüllen. Daſſelbe Organ welches am Stengel als Blatt ſich aus - gedehnt und eine höchſt manigfaltige Geſtalt angenommen hat, zieht ſich nun im Kelche zuſammen, dehnt ſich in Blumenblatte wieder aus, zieht ſich in den Geſchlechtſwerkzeugen zuſammen, um ſich als Frucht zum leztenmal auszudehnen.
Dieſe Wirkung der Natur iſt zugleich mit einer andern verbunden, mit der Verſammlung verſchiedener Organe um ein Centrum nach gewiſsen Zahlen und Maſsen, welche jedoch bey manchen Blumen oft unter gewiſsen Umſtänden weit überſchritten und vielfach verändert werden.
Auf gleiche Weiſe wirkt bey der Bildung der Blüthen und Früchte eine Anaſtomoſe mit, wodurch die nahe an einander gedrängten, höchſt feinen Theile der Fructification, entweder auf die Zeit ihrer ganzen Dauer, oder auch nur auf einen Theil derſelben innigſt verbunden werden.
Doch ſind dieſe Erſcheinungen der Annähe - rung, Centralſtellung und Anaſtomoſe nicht allein dem Blüthen - und Fruchtſtande eigen; wir können vielmehr etwas ähnliches bey den Cotyle - donen wahrnehmen und andere Pflanzentheile werden uns in der Folge reichen Stoff zu ähn - lichen Betrachtungen geben.
So wie wir nun die verſchiedenſcheinenden Organe der ſproſsenden und blühenden Pflanze alle aus einem einzigen nehmlich dem Blatte, welches ſich gewöhnlich an jedem Knoten ent - wickelt, zu erklären geſucht haben; ſo haben wir auch diejenigen Früchte, welche ihre Samen feſt in ſich zu verſchlieſsen pflegen, aus der Blattgeſtalt herzuleiten gewagt.
Es verſtehet ſich hier von ſelbſt, daſs wir ein allgemeines Wort haben müſsten wodurch wir dieſes in ſo verſchiedene Geſtalten meta - morphoſirte Organ bezeichnen, und alle Erſchein - ungen ſeiner Geſtalt damit vergleichen könnten: gegenwärtig müſsen wir uns damit begnügen, daſs wir uns gewöhnen die Erſcheinungen vorwärts und rückwärts gegen einander zu halten. Denn wir können eben ſo gut ſagen: ein Staubwerkzeug ſey ein zuſammengezogenes Blumenblatt, als wir von dem Blumenblatte ſagen können: es ſey ein Staubgefäſs im Zuſtande der Ausdehnung; ein Kelchblatt ſey ein zuſammengezogenes, einem gewiſsen Grad der Verfeinerung ſich näherndes Stengelblatt, als wir von einem Stengelblatt ſagen können es ſey ein, durch Zudringen roherer Säfte auſge - dehntes Kelchblatt.
Eben ſo läſst ſich von dem Stengel ſagen; er ſey ein auſgedehnter Blüthen - und Fruchtſtand, wie wir von dieſem prädicirt haben: er ſey ein zuſammengezogener Stengel.
Auſserdem habe ich am Schluſse des Vortrags noch die Entwickelung der Augen in Betrach - tung gezogen und dadurch die zuſammengeſezten Blumen, wie auch die unbedeckten Fruchtſtände zu erklären geſucht.
Und auf dieſe Weiſe habe ich mich bemüht, eine Meynung welche viel überzeugendes für mich hat, ſo klar und vollſtändig als es mir möglich ſeyn wollte, darzulegen. Wenn ſolche dem ohngeachtet noch nicht völlig zur Evidenz gebracht iſt; wenn ſie noch manchen Wider - ſprüchen auſgeſezt ſeyn, und die vorgetragne Erklärungsart nicht überall anwendbar ſcheinen86 möchte: ſo wird es mir deſto mehr Pflicht werden, auf alle Erinnerungen zu merken, und dieſe Materie in der Folge genauer und umſtänd - licher abzuhandeln, um dieſe Vorſtellungsart anſchaulicher zu machen, und ihr einen allge - meinern Beyfall zu erwerben, als ſie vielleicht gegenwärtig nicht erwarten kann.
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