PRIMS Full-text transcription (HTML)
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GERHART HAUPTMANN.
Vor Sonnenaufgang.
Soziales Drama.
Berlin1889. C. F. Conrad's Buchhandlung.
[2][3]

Bjarne P. Holmsen, dem conſequenteſten Realiſten, Verfaſſer von Papa Hamlet zugeeignet, in freudiger Anerkennung der durch ſein Buch empfangenen, entſcheidenden Anregung.

Erkner, den 8. Juli 1889

Gerhart Hauptmann.

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Handelnde Menſchen.

  • Krauſe, Bauerngutsbeſitzer.
  • Frau Krauſe, ſeine zweite Frau.
    • Helene,
    • Martha,
    • Krauſe's Töchter erſter Ehe.

  • Hoffmann, Ingenieur, verheirathet mit Martha.
  • Wilhelm Kahl, Neffe der Frau Krauſe.
  • Frau Spiller, Geſellſchafterin bei Frau Krauſe.
  • Alfred Loth.
  • Dr. Schimmelpfennig.
  • Beibſt, Arbeitsmann auf Krauſe's Gut.
    • Guſte,
    • Mägde auf Krauſe's Gut.

    • Lieſe,
    • Marie,
  • Baer, genannt Hopslabaer.
  • Eduard, Hoffmann's Diener.
  • Miele, Hausmädchen bei Frau Krauſe.
  • Die Kutſchenfrau.
  • Goliſch, genannt Goſch, Kuhjunge.
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Erſter Akt.

[figure]
Das Zimmer iſt niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen belegt. Moderner Luxus auf bäueriſche Dürftigkeit gepfropft. An der Wand hinter dem Eßtiſch ein Gemälde, darſtellend einen vier - ſpännigen Frachtwagen von einem Fuhrknecht in blauer Blouſe geleitet.
(Miele, eine robuſte Bauernmagd mit rothem, etwas ſtumpfſinnigen Geſicht; ſie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth iſt mittelgroß, breitſchultrig, unterſetzt, in ſeinen Bewegungen beſtimmt, doch ein wenig un - gelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurr -8 bärtchen, ſein ganzes Geſicht iſt knochig und hat einen gleichmäßig ernſten Aus - druck. Er iſt ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommer - paletot, Umhängetäſchchen, Stock.)
Miele.

Bitte! Ich werde den Herrn Inſchinnär glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!

(Die Glas - thür zum Wintergarten wird heftig aufgeſtoßen; ein Bauernweib, im Geſicht blauroth vor Wuth, ſtürzt herein, ſie iſt nicht viel beſſer als eine Waſchfrau gekleidet. Nackte, rothe Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes Bruſttuch. Alter: Anfang 40, Geſicht hart, ſinnlich, bösartig. Die ganze Ge - ſtalt ſonſt gut conſervirt.)
Frau Krauſe
(ſchreit).

Ihr Madel!! ... Richtig! .. Doas Loſter vu Froovulk! ... Naus!!! mir gahn niſcht! ...

(halb zu Miele, halb zu Loth:)

a koan orbeita, a hoot Oarme. Naus! hier gibbt's niſcht!

Loth.

Aber Frau ... Sie werden doch ... ich ... ich heiße Loth, bin ... wünſche zu ... habe auch nicht die Ab ....

Miele.

A wull ock a Herr Inſchinnär ſprechen.

Frau Krauſe.

Beim Schwiegerſuhne batteln: doas kenn 'mer ſchunn. A hoot au niſcht, a hoot's au ock vu ins, niſcht iis ſeine!

(Die Thür rechts wird aufgemacht. Hoffmann ſteckt den Kopf heraus.)
Hoffmann.

Schwiegermama! Ich muß doch bitten ...

(er tritt heraus, wendet ſich an Loth)

Was ſteht zu ... Alfred!!! Kerl!!! Wahrhaftig 'n Gott Du!? Das iſt aber' mal ... nein das is doch 'mal' n Gedanke!

(Hoffmann iſt etwa dreiunddreißig alt, ſchlank, groß, hager. Er kleidet ſich nach der neueſten Mode, iſt elegant friſirt, trägt koſtbare Ringe, Brillantknöpfe im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart ſchwarz, der letztere ſehr üppig, äußerſt ſorgfältig gepflegt. Geſicht ſpitz, vogelartig. Ausdruck verſchwommen, Augen ſchwarz, lebhaft zuweilen unruhig.)
Loth.

Ich bin nämlich ganz zufällig ....

Hoffmann
(aufgeregt):

Etwas Lieberes ... nun aber zunächſt leg ab!

(Er verſucht ihm das Umhängetäſchchen abzunehmen.)

Etwas Lieberes und ſo Unerwartetes hätte mir jetzt

(er hat ihm Hut und Stock abgenommen und legt Beides auf einen Stuhl neben der Thür)

hätte mir jetzt entſchieden nicht paſſiren können,

(indem er zurückkommt:)

ent .... ſchieden nicht.

Loth
(ſich ſelbſt das Täſchchen abnehmend).

Ich bin nämlich nur ſo per Zufall auf Dich

(er legt das Täſchchen auf den Tiſch im Vordergrund).
Hoffmann.

Setz 'Dich! Du mußt müde ſein, ſetz' Dich bitte. Weißt De noch? wenn Du mich9 beſuchteſt, da hatt'ſt Du ſo 'ne Manier, Dich lang auf das Sopha hinfallen zu laſſen, daß die Federn krachten; mitunter ſprangen ſie nämlich auch. Alſo Du, höre! mach's wie damals.

(Frau Krauſe hat ein ſehr erſtauntes Geſicht gemacht und ſich dann zurück - gezogen. Loth läßt ſich auf einen der Seſſel nieder, welche rings um den Tiſch im Vordergrunde ſtehen.)
Hoffmann.

Trinkſt Du was? Sag '! Bier? Wein? Cognac? Kaffee, Thee? Es iſt Alles im Hauſe.

(Helene kommt leſend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu ſtarke Geſtalt, die Friſur ihres blonden, ganz ungewöhnlich reichen Haares, ihr Geſichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Er - ſcheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.)
Helene.

Schwager, Du könnteſt ...

(ſie entdeckt Loth und zieht ſich ſchnell zurück).

Ach! ich bitte um Verzeihung

(ab).
Hoffmann.

Bleib 'doch, bleib'!

Loth.

Deine Frau?

Hoffmann.

Nein, ihre Schweſter. Hörteſt Du nicht, wie ſie mich betitelte?

Loth.

Nein.

Hoffmann.

Hübſch! Wie? Nu aber erklär 'Dich! Kaffee? Thee? Grog?

Loth.

Danke, danke für Alles.

Hoffmann
(präſentirt ihm Cigarren).

Aber das iſt was für Dich nicht?! ... auch nicht?!

Loth.

Nein, danke.

Hoffmann.

Beneidenswerthe Bedürfnißloſigkeit!

(er raucht ſich ſelbſt eine Cigarre an und ſpricht dabei.)

Die A.. Aſche, wollte ſagen der ... der Tabak ... ä! Rauch natürlich ... der Rauch beläſtigt Dich doch wohl nicht?

Loth.

Nein.

Hoffmann.

Wenn ich das nicht noch hätte ... ach Gott ja, das bischen Leben! nu aber thu 'mir den Gefallen, erzähle was. Zehn Jahre biſt übrigens kaum ſehr verändert zehn Jahre,' n ekliger Fetzen Zeit was macht Schn ... Schnurz nannten wir ihn ja wohl? Fips, die ganze heitere Blaſe von damals? Haſt Du den Einen oder Anderen im Auge behalten?

10
Loth.

Sach 'mal, ſollteſt Du das nicht wiſſen?

Hoffmann.

Was?

Loth.

Daß er ſich erſchoſſen hat.

Hoffmann.

Wer? hat ſich wieder 'mal er - ſchoſſen?

Loth.

Fips! Friedrich Hildebrandt.

Hoffmann.

I warum nich gar!

Loth.

Ja! er hat ſich erſchoſſen im Grune - wald, an einer ſehr ſchönen Stelle der Havelſeeufer. Ich war dort, man hat den Blick auf Spandau.

Hoffmann.

Hm! Hätt 'ihm das nicht zugetraut, war doch ſonſt keine Heldennatur.

Loth.

Deswegen hat er ſich eben erſchoſſen. Gewiſſenhaft war er, ſehr gewiſſenhaft.

Hoffmann.

Gewiſſenhaft? Woſo?

Loth.

Nun, darum eben .... ſonſt hätte er ſich wohl nicht erſchoſſen.

Hoffmann.

Verſteh 'nicht recht.

Loth.

Na, die Farbe ſeiner politiſchen Anſchauungen kennſt Du doch?

Hoffmann.

Ja, grün.

Loth.

Du kannſt ſie gern ſo nennen. Er war, dies wirſt Du ihm wohl laſſen müſſen, ein talentvoller Jung. Fünf Jahre hat er als Stuccateur arbeiten müſſen, andere fünf Jahre dann, ſo zu ſagen, auf eigene Fauſt durchgehungert und dazu kleine Statuetten modellirt.

Hoffmann.

Abſtoßendes Zeug. Ich will von der Kunſt erheitert ſein .... Nee! dieſe Sorte Kunſt war durchaus nicht mein Geſchmack.

Loth.

Meiner war es auch nicht, aber er hatte ſich nun doch einmal drauf verſteift. Voriges Frühjahr ſchrieben ſie da ein Denkmal aus; irgend ein Duodez - fürſtchen, glaub 'ich, ſollte verewigt werden. Fips hatte ſich betheiligt und gewonnen; kurz darauf ſchoß er ſich todt.

Hoffmann.

Wo da die Gewiſſenhaftigkeit ſtecken11 ſoll, iſt mir völlig ſchleierhaft. Für ſo was habe ich nur eine Benennung: Spahn auch Wurm Spleen ſo was.

Loth.

Das iſt ja das allgemeine Urtheil.

Hoffmann.

Thut mir leid, kann aber nicht umhin mich ihm anzuſchließen. ..................

Loth.

Es iſt ja für ihn auch ganz gleichgültig, was ...

Hoffmann.

Ach überhaupt laſſen wir das. Ich bedauere ihn im Grunde ganz ebenſo ſehr wie Du, aber nun iſt er doch einmal todt, der gute Kerl; erzähle mir lieber was von Dir, was Du getrieben haſt, wie's Dir ergangen iſt.

Loth.

Es iſt mir ſo ergangen, wie ich's erwarten mußte. Haſt Du gar nichts von mir gehört? durch die Zeitungen mein 'ich.

Hoffmann
(ein wenig befangen).

Wüßte nicht.

Loth.

Nichts von der Leipziger Geſchichte?

Hoffmann.

Ach ſo, das! Ja! Ich glaube .... nichts Genaues.

Loth.

Alſo, die Sache war folgende:

Hoffmann
(ſeine Hand auf Loth's Arm legend).

Ehe Du an - fängſt: willſt Du denn gar nichts zu Dir nehmen?

Loth.

Später vielleicht.

Hoffmann.

Auch nicht ein Gläschen Cognac?

Loth.

Nein. Das am allerwenigſten.

Hoffmann.

Nun, dann werde ich ein Gläschen .... Nichts beſſer für den Magen

(holt Flaſche und zwei Gläschen vom Buffet, ſetzt Alles auf den Tiſch vor Loth).

Grand Champagne, feinſte Nummer; ich kann ihn empfehlen. Möchteſt Du nicht ....?

Loth.

Danke!

Hoffmann
(kippt das Gläschen in den Mund).

Oah! na, nu bin ich ganz Ohr.

Loth.

Kurz und gut: da bin ich eben ſehr ſtark hineingefallen.

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Hoffmann.

Mit zwei Jahren, glaub ich?!

Loth.

Ganz recht! Du ſcheinſt es ja doch alſo zu wiſſen. Zwei Jahre Gefängniß bekam ich, und nach - dem haben ſie mich noch von der Univerſität relegirt. Damals war ich einundzwanzig nun! in dieſen zwei Gefängnißjahren habe ich mein erſtes volkswirth - ſchaftliches Buch geſchrieben. Daß es gerade ein Ver - gnügen geweſen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.

Hoffmann.

Wie man doch einmal ſo ſein konnte! merkwürdig! Sowas hat man ſich nun allen Ernſtes in den Kopf geſetzt. Baare Kindereien ſind es geweſen, kann mir nicht helfen, Du! nach Amerika auswandern, 'n Dutzend Gelbſchnäbel wie wir! wir und Muſter - ſtaat gründen! Köſtliche Vorſtellung!

Loth.

Kindereien?! tjaa! In gewiſſer Be - ziehung ſind es auch wirklich Kindereien geweſen; wir unterſchätzten die Schwierigkeiten eines ſolchen Unter - nehmens.

Hoffmann.

Und daß Du nun wirk lich hinaus gingſt nach Amerika all len Ernſtes mit leeren Händen .... Denk doch mal an, was es heißt, Grund und Boden für einen Muſterſtaat mit leeren Händen erwerben zu wollen: das iſt ja beinah ver ....., jedenfalls iſt es einzig naiv.

Loth.

Ach, gerade mit dem Ergebniß meiner Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.

Hoffmann
(laut auflachend):

Kaltwaſſerkur, vorzügliche Reſultate, wenn Du es ſo meinſt ...

Loth.

Kann ſein, ich bin etwas abgekühlt worden; damit iſt mir aber gar nichts Beſonderes geſchehen. Jeder Menſch macht ſeinen Abkühlungsprozeß durch. Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Werth der .... nun, ſagen wir hitzigen Zeit zu verkennen, ſie war auch gar nicht ſo furchtbar naiv, wie Du ſie hinſtellſt.

Hoffmann.

Na, ich weiß nicht?!

Loth.

Du brauchſt nur an die Durchſchnitts - kindereien unſerer Tage denken: das Couleurweſen auf13 den Univerſitäten, das Saufen, das Pauken. Warum all' der Lärm? Wie Fips zu ſagen pflegte: um Hekuba!

Um Hekuba drehte es ſich bei uns doch wohl nicht; wir hatten die allerhöchſten menſchheitlichen Ziele im Auge. Und abgeſehen davon, dieſe naive Zeit hat bei mir gründlich mit Vorurtheilen aufgeräumt, ich bin mit der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch manchem anderen ....

Hoffmann.

Das kann ich Dir ja auch ohne Weiteres zugeben: Wenn ich jetzt doch immerhin ein vorurtheilsloſer, aufgeklärter Menſch bin, dann verdanke ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen unſeres Umgangs. Natürlicherweiſe! Ich bin der Letzte, das zu leugnen. Ich bin überhaupt in keiner Beziehung Unmenſch. Nur muß man nicht mit dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. Man muß nicht die Uebel, an denen die gegenwärtige Gene - ration, leider Gottes, krankt, durch noch größere ver - drängen wollen; man muß Alles ruhig ſeinen natür - lichen Gang gehen laſſen. Was kommen ſoll, kommt! Praktiſch, praktiſch muß man verfahren! Erinnere Dich! Ich habe das früher gerade ſo betont: Und dieſer Grundſatz hat ſich bezahlt gemacht. Das iſt es ja eben. Ihr Alle Du mit eingerechnet , Ihr verfahrt höchſt unpraktiſch.

Loth.

Erklär 'mir eben mal, wie Du das meinſt.

Hoffmann.

Einfach! Ihr nützt Eure Fähig - keiten nicht aus. Zum Beiſpiel Du: 'n Kerl wie Du, mit Kenntniſſen, Energie etc., was hätte Dir nicht offen geſtanden! Statt deſſen, was machſt Du? Com pro mit tirſt Dich von vornherein der art .... na, Hand aufs Herz! Haſt Du das nicht manchmal bereut?

Loth.

Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne Schuld verurtheilt worden bin.

Hoffmann.

Kann ich ja nicht beurtheilen, weißt Du.

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Loth.

Du wirſt das gleich können, wenn ich Dir ſage: die Anklageſchrift führte aus, ich hätte unſeren Verein Vancover-Island nur zum Zwecke parteilicher Agitation ins Leben gerufen, dann ſollte ich auch Geld zu Parteizwecken geſammelt haben. Du weißt ja nun, daß es uns mit unſeren colonialen Beſtrebungen Ernſt war, und was das Geldſammeln anlangt, ſo haſt Du ja ſelbſt geſagt, daß wir Alle miteinander leere Hände hatten. Die Anklage enthält alſo kein wahres Wort, und als Mitglied ſollteſt Du das doch ....

Hoffmann.

Na Mitglied war ich doch wohl eigentlich nicht ſo recht. Uebrigens glaube ich Dir ſelbſt - redend. Die Richter ſind halt immer nur Menſchen, muß man nehmen. Jedenfalls hätteſt Du, um praktiſch zu handeln, auch den Schein meiden müſſen. Ueber - haupt: ich habe mich in der Folge manchmal daß ge - wundert über Dich: Redacteur der Arbeiterkanzel, des obſcurſten aller Käſeblättchen Reichstagscandidat des ſüßen Pöbels! Und was haſt Du nu davon? ver - ſteh 'mich nicht falſch! Ich bin der Letzte, der es an Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn etwas geſchieht, dann mag es von Oben herab ge - ſchehen! Es muß ſogar von Oben herab geſchehen, das Volk weiß nun mal nicht, was ihm noth thut das Von-unten-herauf , ſiehſt Du, das eben nenne ich das Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen.

Loth.

Ich bin aus dem, was Du eben geſagt haſt, nicht klug geworden.

Hoffmann.

Na, ich meine eben: ſieh mich an! ich habe die Hände frei: ich könnte nu ſchon anfangen, was für die Ideale zu thun. Ich kann wohl ſagen, mein praktiſches Programm iſt nahezu durchgeführt. Aber Ihr .... immer mit leeren Händen, was wollt denn Ihr machen?

Loth.

Ja, wie man ſo hört: Du ſegelſt ſtark auf Bleichröder zu.

Hoffmann
(geſchmeichelt).

Zu viel Ehre vorläufig15 noch. Wer ſagt das? Man arbeitet eben ſeinen ſoliden Stiefel fort: das belohnt ſich naturgemäß wer ſagt das übrigens?

Loth.

Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren am Nebentiſch davon reden.

Hoffmann.

Ä! Du! Ich habe Feinde! Was ſagten die denn übrigens?

Loth.

Nichts Beſonderes. Durch ſie erfuhr ich: daß Du Dich zur Zeit eben hier auf das Gut Deiner Schwiegereltern zurückgezogen haſt.

Hoffmann.

Was die Menſchen nicht alles aus - ſchnüffeln! Lieber Freund! Du glaubſt nicht, wie ein Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt be - obachtet wird: Das iſt auch ſo 'n Uebelſtand des Reich .... Die Sache iſt nämlich die: ich erwarte der größeren Ruhe und geſünderen Luft wegen die Nieder - kunft meiner Frau hier.

Loth.

Wie paßt denn das aber mit dem Arzt? Ein guter Arzt iſt doch in ſolchen Fällen von aller - größter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe ....

Hoffmann.

Das iſt es eben, der Arzt hier iſt ganz beſonders tüchtig; und, weißt Du, ſo viel habe ich bereits weg: Gewiſſenhaftigkeit geht beim Arzt über Genie.

Loth.

Vielleicht iſt ſie eine Begleiterſcheinung des Genie's im Arzt.

Hoffmann.

Mein'twegen, jedenfalls hat unſer Arzt Gewiſſen. Er iſt nämlich auch ſo'n Stück Ideo - loge, halb und halb unſer Schlag reuſſirt ſchauder - haft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk. Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens 'n recht unverdaulicher Patron,' n Miſchmaſch von Härte und Sentimentalität. Aber, wie geſagt, Gewiſſenhaftig - keit weiß ich zu ſchätzen! Unbedingt! Eh 'ich's vergeſſe .... es iſt mir nämlich darum zu thun ... man muß immer wiſſen, weſſen man ſich zu verſehen hat .... Höre! .... ſage mir doch .... ich16 ſeh' Dir's an, die Herren am Nebentiſche haben nichts Gutes über mich geſprochen. Sag 'mir doch, bitte! was ſie geſprochen haben.

Loth.

Das ſollte ich wohl nicht thun, denn ich will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, gerade - zu bitten, denn ich werde ſie Dir wohl kaum je wieder - geben können.

Hoffmann
(zieht ein Checbuch aus der Bruſttaſche, füllt Chec aus, übergiebt ihn Loth).

Bei irgend einer Reichsbankfiliale .... Es iſt mir 'n Vergnügen ....

Loth.

Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Er - wartungen. Na! ich nehm 'es dankbar an und Du weißt ja, übel angewandt iſt es auch nicht.

Hoffmann
(mit Anflug von Pathos).

Ein Arbeiter iſt ſeines Lohnes werth! doch jetzt, Loth! ſei ſo gut, ſag mir, was die Herren am Nebentiſch ....

Loth.

Sie haben wohl Unſinn geſprochen.

Hoffmann.

Sag mir's trotzdem, bitte! Es iſt mir lediglich intereſſant, ledig-lich intereſſant

Loth.

Es war davon die Rede, daß Du hier einen Anderen aus der Poſition verdrängt hätteſt, einen Bauunternehmer Müller.

Hoffmann.

Na-tür-lich! dieſe Geſchichte!

Loth.

Ich glaube, der Mann ſollte mit Deiner jetzigen Frau verlobt geweſen ſein.

Hoffmann.

War er auch. Und was weiter?

Loth.

Ich erzähle Dir Alles, wie ich es hörte, weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Ver - leumdung möglichſt getreu kennen zu lernen.

Hoffmann

Ganz recht! Alſo?

Loth.

So viel ich heraus hörte, ſoll dieſer Müller den Bau einer Strecke der hieſigen Gebirgsbahn über - nommen haben.

Hoffmann.

Ja! Mit lumpigen zehntauſend Tha - lern Vermögen. Als er einſah, daß dieſes Geld nicht zureichte, wollte er ſchnell eine Witzdorfer Bauerntochter fiſchen; meine jetzige Frau ſollte diejenige ſein, welche.

17
Loth.

Er hätte es, ſagten ſie, mit der Tochter, Du mit dem Alten gemacht. Dann hat er ſich ja wohl erſchoſſen?! Auch ſeine Strecke hätteſt Du zu Ende gebaut und noch ſehr viel Geld dabei verdient.

Hoffmann.

Darin iſt einiges Wahre enthalten, doch ich könnte Dir eine Verknüpfung der Thatſachen geben .... Wußten ſie am Ende noch mehr dergleichen erbaulichen Dinge?

Loth.

Ganz beſonders muß ich Dir ſagen regten ſie ſich über Etwas auf: ſie rechneten ſich vor, welch ein enormes Geſchäft in Kohlen Du jetzt machteſt und nannten Dich einen .... na, ſchmeichelhaft war es eben nicht für Dich. Kurz geſagt, ſie erzählten, Du hätteſt die hieſigen dummen Bauern beim Champagner überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem Dir der alleinige Verſchleiß aller in ihren Gruben ge - förderter Kohle übertragen worden iſt gegen eine Pacht - ſumme, die fabelhaft gering ſein ſollte.

Hoffmann
(ſichtlich peinlich berührt, ſteht auf).

Ich will Dir was ſagen, Loth .... Ach, warum auch noch darin rühren? Ich ſchlage vor, wir denken an's Abendbrod, mein Hunger iſt mörderiſch. Mörderiſchen Hunger habe ich.

(Er drückt auf den Knopf einer elektriſchen Leitung, deren Draht in Form einer grünen Schnur auf das Sopha herunter hängt; man hört das Läuten einer elektriſchen Klingel.)
Loth.

Nun, wenn Du mich hier behalten willſt dann ſei ſo gut ..... ich möchte mich eben 'n bischen ſäubern.

Hoffmann.

Gleich ſollſt Du alles Nöthige ....

(Eduard tritt ein, Diener in Livree.)

Eduard! führen Sie den Herrn in's Gaſtzimmer.

Eduard.

Sehr wohl, gnädiger Herr.

Hoffmann
(Loth die Hand drückend).

In ſpäteſtens fünf - zehn Minuten möchte ich Dich bitten, zum Eſſen her - unter zu kommen.

Loth.

Uebrig Zeit, alſo, Wiederſehen!

Hoffmann.

Wiederſehen!

(Eduard öffnet die Thür und läßt Loth vorangehen. Beide ab Hoffmann218kratzt ſich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den Fußboden, geht dann auf die Thür rechts zu, deren Klinke er bereits gefaßt hat, als Helene, welche haſtig durch die Glasthür eingetreten iſt, ihn anruft.)
Helene.

Schwager! Wer war das?

Hoffmann.

Das war einer von meinen Gym - naſialfreunden, der älteſte ſogar, Alfred Loth.

Helene.
(ſchnell).

Iſt er ſchon wieder fort?

Hoffmann.

Nein! Er wird mit uns zu Abend eſſen. Womöglich .... ja, womöglich auch hier übernachten.

Helene.

Oh Jeſes! Da komme ich nicht zum Abendeſſen.

Hoffmann.

Aber Helene!

Helene.

Was brauche ich auch unter gebildete Menſchen zu kommen, ich will nur ruhig weiter ver - bauern.

Hoffmann.

Ach, immer dieſe Schrullen! Du wirſt mir ſogar den großen Dienſt erweiſen und die An - ordnungen für den Abendtiſch treffen. Sei ſo gut! Wir machen's 'n bischen feierlich. Ich vermuthe nämlich, er führt irgend was im Schilde.

Helene.

Was meinſt Du, im Schilde führen?

Hoffmann.

Maulwurfsarbeit Wühlen, Wühlen. Davon verſtehſt Du nun freilich nichts. Kann mich übrigens täuſchen, denn ich habe bis jetzt vermieden auf dieſen Gegenſtand zu kommen. Jedenfalls mach 'Alles recht einladend, auf dieſe Weiſe iſt den Leuten noch am leichteſten ... Champagner natürlich! Die Hummern von Hamburg ſind angekommen?

Helene.

Ich glaube, ſie ſind heut früh angekommen.

Hoffmann.

Alſo, Hummern!

(es klopft ſehr ſtark)

herein!

Poſtpacketträger
(eine Kiſte unter'm Arm, eintretend, ſpricht er in ſingendem Tone):

eine Kiſ-te.

Helene.

Von wo?

Packetträger.

Ber-lin.

Hoffmann.

Richtig! es werden die Kinderſachen von Herzog ſein.

(Er beſieht das Packet und nimmt den Abſchnitt).

Ja, ja, es ſind die Sachen von Herzog.

19
Helene.

Die-ſe Kiſte voll? Du übertreibſt.

Hoffmann.
(Lohnt den Packetträger ab.)
Packetträger
(ebenſo halb ſingend).

Schön'n gu'n A-bend

(ab.)
Hoffmann.

Wieſo übertreiben?

Helene.

Nun, hiermit kann man doch wenigſtens drei Kinder ausſtatten.

Hoffmann.

Biſt Du mit meiner Frau ſpazieren gegangen?

Helene.

Was ſoll ich machen, wenn ſie immer gleich müde wird?

Hoffmann.

Ach was! immer gleich müde. Sie macht mich unglücklich! Ein und eine halbe Stunde ... ſie ſoll doch um Gottes Willen thun was der Arzt ſagt. Zu was hat man denn den Arzt, wenn ...

Helene.

Dann greife Du ein, ſchaff 'die Spillern fort! Was ſoll ich gegen ſo' n altes Weib machen, die ihr immer nach dem Munde geht.

Hoffmann.

Was denn? ... ich als Mann ... was ſoll ich als Mann? ... und außerdem, Du kennſt doch die Schwiegermama.

Helene
(bitter)

Allerdings.

Hoffmann.

Wo iſt ſie denn jetzt?

Helene.

Die Spillern ſtutzt ſie heraus, ſeit Herr Loth hier iſt; ſie wird wahrſcheinlich zum Abendbrod wieder ihr Rad ſchlagen.

Hoffmann
(ſchon wieder in eigenen Gedanken, macht einen Gang durch's Zimmer; heftig).

Es iſt das letzte Mal, auf Ehre! daß ich ſo etwas hier in dieſem Hauſe abwarte. Auf Ehre!

Helene.

Ja, Du haſt es eben gut, Du kannſt gehen, wohin Du willſt.

Hoffmann.

Bei mir zu Hauſe wäre der un - glückliche Rückfall in dies ſchauderhafte Laſter auch ſicher nicht vorgekommen.

Helene.

Mich mache dafür nicht verantwortlich! Von mir hat ſie den Branntwein nicht bekommen. Schaff 'Du nur die Spillern fort, ich ſollte bloß' n Mann ſein.

2*20
Hoffmann
(ſeufzend).

Ach, wenn es nur erſt wieder vorüber wär '!

(in der Thür rechts)

alſo Schwägerin, Du thuſt mir den Gefallen: einen recht apetitlichen Abendtiſch! Ich erledige ſchnell noch eine Kleinigkeit.

Helene
(drückt auf den Klingelknopf. Miele kommt).

Miele, decken Sie den Tiſch! Eduard ſoll Sekt kalt ſtellen und vier Dutzend Auſtern öffnen.

Miele
(unterdrückt, batzig).

Sie kinn'n 's 'm ſalber ſagen, a nimmt niſcht oa vu mir, a meent immer: a wär ok beim Inſchinnär gemit't.

Helene.

Dann ſchick 'ihn wenigſtens rein.

(Miele ab. Helene tritt vor den Spiegel, ordnet dies und das an ihrer Toilette; währenddeß tritt Eduard ein.)
Helene
(immer noch vor dem Spiegel).

Eduard, ſtellen Sie Sekt kalt und öffnen Sie Auſtern! Herr Hoffmann hat es befohlen.

Eduard.

Sehr wohl, Fräulein.

(Eduard ab. Gleich darauf klopft es an die Mittelthür.)
Helene
(fährt zuſammen).

Großer Gott!

(zaghaft:)

Herein!

(lauter und feſter:)

herein!

Loth
(tritt ein ohne Verbeugung).

Ach, um Verzeihung! ich wollte nicht ſtören, mein Name iſt Loth.

Helene
(verbeugt ſich tanzſtundenmäßig).
Stimme Hoffmann's
(durch die geſchloſſene Zimmerthür):

Kinder! keine Umſtände! ich komme gleich heraus. Loth! es iſt meine Schwägerin Helene Krauſe! und Schwägerin! es iſt mein Freund Alfred Loth! Be - trachtet Euch als vorgeſtellt.

Helene.

Nein, über Dich aber auch!

Loth.

Ich nehme es ihm nicht übel, Fräulein! bin ſelbſt, wie man mir ſehr oft geſagt hat, in Sachen des guten Tons ein halber Barbar. Aber wenn ich Sie geſtört habe, ſo ...

Helene.

Bitte, Sie haben mich gar nicht ge - ſtört, durchaus nicht.

(Befangenheitspauſe, hierauf:)

Es iſt .... es iſt ſchön von Ihnen, daß Sie meinen Schwager aufgeſucht haben. Er beklagt ſich immer von ... er21 bedauert immer, von ſeinen Jugendfreunden ſo ganz ver - geſſen zu ſein.

Loth.

Ja, es hat ſich zufällig ſo getroffen. Ich war immer in Berlin und daherum wußte eigentlich nicht wo Hoffmann ſteckte. Seit meiner Breslauer Studienzeit war ich nicht mehr in Schleſien.

Helene.

Alſo nur ſo zufällig ſind Sie auf ihn geſtoßen?

Loth.

Nur ganz zufällig und zwar gerade an dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.

Helene.

Ach, Spaß! Witzdorf und Studien machen, nicht möglich! in dieſem armſeligen Neſte?!

Loth.

Armſelig nennen Sie es? Aber es liegt doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum.

Helene.

Ja doch! in der Hinſicht ...

Loth.

Ich habe nur immer geſtaunt. Ich kann Sie verſichern, ſolche Bauernhöfe giebt es nirgend wo anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren und Fenſtern.

Helene.

Da haben Sie recht: in mehr als einem Stalle hier freſſen Kühe und Pferde aus marmornen Krippen und neuſilbernen Raufen! das hat die Kohle gemacht, die unter unſeren Feldern gemuthet worden iſt, die hat die armen Bauern im Handumdrehen ſtein - reich gemacht

(ſie weiſt auf das Bild an der Hinterwand).

Sehen Sie da mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht, da mußte er Fuhren machen. Das dort iſt er ſelbſt in der blauen Blouſe man trug damals noch ſolche blaue Blouſen. Auch mein Vater als junger Menſch iſt darin gegangen. Nein! ſo meinte ich es nicht mit dem armſelig ; nur iſt es ſo öde hier. So ... gar nichts für den Geiſt giebt es. Zum Sterben lang - weilig iſt es.

(Miele und Eduard ab - und zugehend decken den Tiſch rechts im Hintergrunde.)
Loth.

Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder Kränzchen?

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Helene.

Nicht 'mal das giebt es. Die Bauern ſpielen, jagen, trinken ... was ſieht man den ganzen Tag?

(ſie iſt vor das Fenſter getreten und weiſt mit der Hand hinaus)

hauptſächlich ſolche Geſtalten.

Loth.

Hm! Bergleute.

Helene.

Welche gehen zur Grube, welche kommen von der Grube: das hört nicht auf. Wenigſtens ich ſehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine auf die Straße mag? höchſtens auf die Felder, durch das Hinterthor. Es iſt ein zu rohes Pack! und wie ſie einen immer anglotzen, ſo ſchrecklich finſter als ob man geradezu was verbrochen hätte.

Im Winter, wenn wir ſo manchmal Schlitten ge - fahren ſind und ſie kommen dann in der Dunkelei in großen Trupps über die Berge, im Schneegeſtöber und ſie ſollen ausweichen, da gehen ſie vor den Pferden her und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch - mal den Peitſchenſtiel, anders kommen ſie nicht durch. Ach, und dann ſchimpfen ſie hinterher. Hu! ich habe mich manchmal ſo entſetzlich geängſtigt.

Loth.

Und nun denken Sie an: Gerade um dieſer Menſchen willen vor denen Sie ſich ſo ſehr fürchten, bin ich hierher gekommen.

Helene.

Neinaber ...

Loth.

Ganz im Ernſt, ſie intereſſiren mich hier mehr als Alles andere.

Helene.

Niemand ausgenommen?

Loth.

Nein.

Helene.

Auch mein Schwager nicht ausgenommen?

Loth.

Nein! das Intereſſe für dieſe Menſchen iſt ein ganz anderes, höheres ... verzeihen Sie, Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht verſtehen.

Helene.

Wieſo nicht? ich verſtehe Sie ſehr gut, Sie ...

(ſie läßt einen Brief aus der Taſche gleiten, Loth bückt ſich darnach)

ach, laſſen Sie ... es iſt nicht wichtig, nur eine gleich - gültige Penſionscorreſpondenz.

23
Loth.

Sie ſind in Penſion geweſen?

Helene.

Ja, in Herrnhut. Sie müſſen nicht denken, daß ich ... nein, nein, ich verſtehe Sie ſchon.

Loth.

Ich meine die Arbeiter intereſſiren mich um ihrer ſelbſt willen.

Helene.

Ja, freilich, es iſt ja ſehr intereſſant ... ſo ein Bergmann ... wenn man's ſo nehmen will ... es giebt ja Gegenden, wo man gar keine findet, aber wenn man ſie ſo täglich ...

Loth.

Auch wenn man ſie täglich ſieht, Fräulein ... man muß ſie ſogar täglich ſehen, um das Intereſſante an ihnen herauszufinden.

Helene.

Nun, wenn es ſo ſchwer herauszufinden ... was iſt es denn dann? das Intereſſante mein 'ich.

Loth.

Es iſt zum Beiſpiel intereſſant, daß dieſe Menſchen, wie Sie ſagen, immer ſo gehäſſig oder finſter blicken.

Helene.

Wieſo meinen Sie, daß das beſonders intereſſant iſt?

Loth.

Weil es nicht das Gewöhnliche iſt. Wir Anderen pflegen doch nur zeitweilig und keineswegs immer ſo zu blicken.

Helene.

Ja, weshalb blicken ſie denn nur immer ſo ... ſo gehäſſig, ſo mürriſch? es muß doch einen Grund haben.

Loth.

Ganz recht! und den möchte ich gern herausfinden.

Helene.

Ach Sie ſind! Sie lügen mir was vor. Was hätten Sie denn davon, wenn Sie das auch wüßten?

Loth.

Man könnte vielleicht Mittel finden, den Grund, warum dieſe Leute immer ſo freudlos und gehäſſig ſein müſſen, wegzuräumen; man könnte ſie vielleicht glücklicher machen.

Helene
(ein wenig verwirrt).

Ich muß Ihnen ehrlich ſagen, daß ... aber gerade jetzt verſtehe ich Sie doch vielleicht ein ganz klein wenig. Es iſt mir nur ... nur ſo ganz neu, ſo ganz neu!

24
Hoffmann
(durch die Thüre rechts eintretend, er hat eine Anzahl Briefe in der Hand).

So! da bin ich wieder. Eduard! daß die Briefe noch vor 8 auf der Poſt ſind

(er händigt dem Diener die Briefe ein, der Diener ab).

So, Kinder! jetzt können wir ſpeiſen. Unerlaubte Hitze hier! September und ſolche Hitze!

(er hebt den Cham - pagner aus dem Eiskübel.)

Veuve Cliquot: Eduard kennt meine ſtille Liebe;

(zu Loth gewendet:)

habt ja furchtbar eifrig disputirt.

(Tritt an den fertig gedeckten, mit Delicateſſen überladenen Abendtiſch, reibt ſich die Hände.)

Na! das ſieht ja recht gut aus!

(mit einem verſchmitzten Blick zu Loth hinüber:)

meinſt Du nicht auch? Uebrigens, Schwägerin! wir bekommen Beſuch: Kahl - Wilhelm. Er war auf den Hof.

Helene
(macht eine ungezogene Geberde).
Hoffmann.

Aber Beſte! Du thuſt faſt, als ob ich ihn ... was kann denn ich dafür? hab 'ich ihn etwa gerufen?

(Man hört ſchwere Schritte draußen im Hausflur.)

Ach! das Unheil ſchreitet ſchnelle.

(Kahl tritt ein ohne vorher angeklopft zu haben. Er iſt ein vierundzwanzig - jähriger, plumper Bauernburſch, dem man es anſieht, daß er, ſo weit möglich, gern den feinen, noch mehr aber den reichen Mann herausſtecken möchte. Seine Geſichtszüge ſind grob, der Geſichtsausdruck vorwiegend dumm-pfiffig Er iſt bekleidet mit einem grünen Jaquet, bunter Sammtweſte, dunklen Beinkleidern und Glanzlack-Schaftſtiefeln. Als Kopfbedeckung dient ihm ein grüner Jägerhut mit Spielhahnfeder. Das Jaquet hat Hirſchhornknöpfe, an der Uhrkette Hirſch - zähne etc., ſtottert.)
Kahl.

Gun'n Abend mi'nander!

(Er erblickt Loth, wird ſehr verlegen und macht ſtillſtehend eine ziemlich klägliche Figur.)
Hoffmann
(tritt zu ihm und reicht ihm die Hand aufmunternd).

Guten Abend, Herr Kahl!

Helene
(unfreundlich).

Guten Abend.

Kahl
(geht mit ſchweren Schritten quer durch das ganze Zimmer auf Helene zu und giebt ihr die Hand).

'n Abend och, Lene.

Hoffmann
(zu Loth).

Ich ſtelle Dir hiermit Herrn Kahl vor, unſeren Nachbarsſohn.

Kahl
(grinſt und dreht den Hut. Verlegenheitsſtille).
Hoffmann.

Zu Tiſch Kinder! fehlt noch Jemand? Ach, die Schwiegermama. Miele! bitten Sie Frau Krauſe zu Tiſch.

(Miele ab durch die Mittelthür.)
25
Miele
(draußen im Hausflur ſchreiend):

Frau!! Frau!! Aſſa kumma! Se ſill'n aſſa kumma!

(Helene und Hoffmann blicken einander an und lachen verſtändnißinnig, dann blicken ſie vereint auf Loth.
Hoffmann
(zu Loth):

Ländlich, ſittlich!

(Frau Krauſe erſcheint, furchtbar aufgedonnert. Seide und koſtbarer Schmuck. Haltung und Kleidung verrathen Hoffart, Dummſtolz, unſinnige Eitelkeit.
Hoffmann.

Ah! da iſt Mama! Du geſtatteſt, daß ich Dir meinen Freund Dr. Loth vorſtelle.

Frau Krauſe
(macht einen undefinirbaren Knix).

Ich bin ſo frei!

(Nach einer kleinen Pauſe:)

Nein, aber auch, Herr Doctor, nahmen Sie mir's ock bei Leibe nicht ibel! Ich muß mich zurerſcht muß ich mich vor ihn'n vertefentiren,

(ſie ſpricht je länger, um ſo ſchneller)

vertefentiren wegen meiner vor - hinigten Benehmigung. Wiſſen Se, verſtihn Se, es komm 'ein der Drehe bei uns eine ſo ane grußmächtige Menge Stremer .... Se kinn's ni gleba, ma hoot mit dan Battelvulke ſeine liebe Noth. A ſu Enner, dar mauſt akrat wie a Ilſter; uf da Pfennig kimmt's ins ne ernt oa, ne ock ne, ma braucht a ni dreimol rimzudrehn, au ken'n Thoaler nich, eeb ma'n ausgibbt. De Krauſa-Ludwig'n, die iis geizig, ſchlimmer wie a Homſter egelganz, die ginnt ke'm Luder niſcht. Ihrer is geſturba aus Arjer, weil a lumpigte zwetauſend ei Braſſel verloern hoot. Ne, ne! a ſu ſein mir dorchaus nicht. Sahn Se, doas Buffett kuſt't mich zwehundert Thoaler, a Transpurt ni gerechent; na, d'r Beron Klinkow koans au ne anderſch honn.

(Frau Spiller iſt kurz nach Frau Krauſe ebenfalls eingetreten, ſie iſt klein, ſchief und mit den zurückgelegten Sachen der Frau Krauſe herausgeſtutzt. Wäh - rend Frau Krauſe ſpricht, hält ſie mit einer Art Andacht die Augen zu ihr auf - geſchlagen. Sie iſt etwa fünfundfünfzig Jahre alt, ihr Ausathmen geſchieht jedesmal mit einem leiſen Stöhnen, welches auch, wenn ſie redet, regelmäßig wie m hörbar wird.)
Frau Spiller
(mit unterwürfigem, wehmüthig gezierten moll - Ton, ſehr leiſe):

Der Baron Klinkow haben genau dasſelbe Buffet m .

Helene
(zu Frau Krauſe).

Mama! wollen wir uns nicht erſt ſetzen, dann .....

26
Frau Krauſe
(wendet ſich blitzſchnell und trifft Helene mit einem vernichtenden Blick; kurz und herriſch):

Schickt ſich doas?

(Frau Krauſe, im Begriff ſich zu ſetzen, erinnert ſich, daß das Tiſchgebet noch nicht geſprochen iſt, und faltet mechaniſch, doch ohne ihrer Bosheit im Uebrigen Herr zu ſein, die Hände.)
Frau Spiller
(ſpricht das Tiſchgebet).

Komm ', Herr Jeſu, ſei unſer Gaſt, Segne, was Du uns beſcheeret haſt. Amen.

(Alle ſetzen ſich mit Geräuſch. Mit dem Zulangen und Zureichen, welches einige Zeit in Anſpruch nimmt, kommt man über die peinliche Situation hinweg.)
Hoffmann
(zu Loth).

Lieber Freund, Du bedienſt Dich wohl?! Auſtern?

Loth.

Nun, will probiren, es ſind die erſten Auſtern, die ich eſſe.

Frau Krauſe
(hat ſoeben eine Auſter geſchlürft. Mit vollem Munde):

In dar Seiſong mein'n Se woll?

Loth.

Ich meine überhaupt.

(Frau Krauſe und Frau Spiller wechſeln Blicke.)
Hoffmann
(zu Kahl, der eine Citrone mit den Zähnen auspreßt):

Zwei Tage nicht geſehen, Herr Kahl! Tüchtig Mäuſe gejagt in der Zeit?

Kahl.

N ... n. .ne!

Hoffmann
(zu Loth):

Herr Kahl iſt nämlich ein leiden - ſchaftlicher Jäger.

Kahl.

D. .d..die M. .mm..maus, das iſt 'n in ... in. .infamtes Am. .am..amf..ff .. fibium.

Helene
(platzt heraus):

Zu lächerlich iſt das, Alles ſchießt er todt, Zahmes und Wildes.

Kahl.

N. .nächten hab ich d. .d..die alte Szſſ. .ſau vu ins t. .todt g. .g..geſchoſſen.

Loth.

Da iſt wohl Schießen Ihre Hauptbeſchäftigung?

Frau Krauſe.

Herr Kahl thut's ock bloßig zum Prifatvergnigen.

Frau Spillern.

Wald, Wild, Weib pflegten Seine Exellenz der Herr Miniſter von Schadendorf oft - mals zu ſagen.

27
Kahl.

I. .i..iberm..m..murne hab'n mer T. .t..tau..t..taubenſchießen.

Loth.

Was iſt denn das: Taubenſchießen?

Helene.

Ach, ich kann ſo was nicht leiden; es iſt doch nichts als eine recht unbarmherzige Spielerei. Un - gezogene Jungens, die mit Steinen nach Fenſterſcheiben zielen, thun etwas Beſſeres.

Hoffmann.

Du gehſt zu weit, Helene.

Helene.

Ich weiß nicht , meinem Gefühl nach hat es weit mehr Sinn, Fenſter einzuſchmeißen, als Tauben an einem Pfahl feſtzubinden und dann mit Kugeln nach ihnen zu ſchießen.

Hoffmann.

Na, Helene, man muß doch aber bedenken ....

Loth
(irgend etwas mit Meſſer und Gabel zerſchneidend):

Es iſt ein ſchandbarer Unfug.

Kahl.

Um die p poar Tauba ....!

Frau Spiller
(zu Loth).

Der Herr Kahl m , müſſen Sie wiſſen, haben zweihundert Stück im Schlage.

Loth.

Die ganze Jagd iſt ein Unfug.

Hoffmann.

Aber ein unausrottbarer. Da wer - den zum Beiſpiel eben jetzt wieder fünfhundert lebende Füchſe geſucht, alle Förſter hier herum und auch ſonſt in Deutſchland verlegen ſich auf's Fuchsgraben.

Loth.

Was macht man denn mit den vielen Füchſen?

Hoffmann.

Sie kommen nach England, wo ſie die Ehre haben, von Lords und Ladys gleich vom Käfig weg zu Tode gehetzt zu werden.

Loth.

Muhamedaner oder Chriſt, Beſtie bleibt Beſtie.

Hoffmann.

Darf ich Dir Hummer reichen, Mama?

Frau Krauſe.

Meinswejen, ei dieſer Seiſong ſind ſe ſehr gutt!

Frau Spiller.

Gnädige Frau haben eine ſo feine Zunge m !

28
Frau Krauſe
(zu Loth):

Hummer ha'n Sie woll auch noch nich gegaſſen, Herr Ducter?

Loth.

Ja, Hummer habe ich ſchon hin und wieder gegeſſen , an der See oben, in Warnemünde, wo ich ge - boren bin.

Frau Krauſe
(zu Kahl).

Gell, Wilhelm, ma weeß wirklich'n Gott manchmal nich mee, was ma aſſen ſull?

Kahl.

J. .j..ja, w. .w..weeß ... weeß G.. Gott, Muhme.

Eduard
(will Loth Champagner eingießen).

Champagner

Loth
(hält ſein Glas zu).

Nein! ... danke!

Hoffmann.

Mach 'keinen Unſinn.

Helene.

Wie, Sie trinken nicht?

Loth.

Nein, Fräulein.

Hoffmann.

Na, hör mal an: das iſt aber doch ... das iſt langweilig.

Loth.

Wenn ich tränke, würde ich noch lang - weiliger werden.

Helene.

Das iſt intereſſant, Herr Doctor.

Loth
(ohne Tact).

Daß ich langweiliger werde, wenn ich Wein trinke?

Helene
(etwas betreten).

Nein, ach nein, daß .... daß Sie nicht trinken ...., daß Sie überhaupt nicht trinken, meine ich.

Loth.

Warum ſoll das intereſſant ſein?

Helene
(ſehr roth werdend).

Es iſt .... iſt nicht das Gewöhnliche.

(Wird noch röther und ſehr verlegen.)
Loth
(tollpatſchig).

Da haben Sie Recht, leider.

Frau Krauſe
(zu Loth).

De Flaſche kuſt uns fufza Mark, Sie kinn 'a dreiſte trink'n. Direct vu Rheims iis a, mir ſatz'n Ihn' gewiß niſcht Schlechtes vier, mir mieja ſalber niſcht Schlechtes.

Frau Spiller.

Ach, glauben Sie mich m , Herr Doctor, wenn Seine Exellenz der Herr Miniſter von Schadendorf m ſo eine Tafel geführt hätten ....

Kahl.

Ohne men'n Wein kennt ich nich laben.

29
Helene
(zu Loth).

Sagen Sie uns doch, warum Sie nicht trinken?

Loth.

Das kann gerne geſchehen, ich ....

Hoffmann.

Ae, was! alter Freund!

(Er nimmt dem Diener die Flaſche ab, um nun ſeinerſeits Loth zu bedrängen.)

Denk dran, wie manche hochfidele Stunde wir früher mit einander ...

Loth.

Nein, bitte bemühe Dich nicht, es ...

Hoffmann.

Trink heut mal!

Loth.

Es iſt Alles vergebens.

Hoffmann.

Mir zu Liebe!

(Hoffmann will eingießen, Loth wehrt ab; es entſteht ein kleines Handgemenge.)
Loth.

Nein! ... nein, wie geſagt ... nein! ... nein danke.

Hoffmann.

Aber nimm mir's nicht übel ... das iſt eine Marotte.

Kahl
(zu Fr. Spiller).

Wer nich will, dar hat ſchunn '.

Frau Spiller
(nicht ergeben).
Hoffmann.

Uebrigens, des Menſchen Wille ... und ſo weiter. So viel ſage ich nur: ohne ein Glas Wein bei Tiſch ...

Loth.

Ein Glas Bier zum Frühſtück ...

Hoffmann.

Nun ja, warum nicht? ein Glas Bier iſt was ſehr geſundes.

Loth.

Ein Cognac hie und da ...

Hoffmann.

Na, wenn man das nicht 'mal haben ſollte ... zum Asceten machſt Du mich nun und nimmer, das heißt ja dem Leben allen Reiz nehmen.

Loth.

Das kann ich nicht ſagen. Ich bin mit den normalen Reizen, die mein Nervenſyſtem treffen, durchaus zufrieden.

Hoffmann.

Eine Geſellſchaft, die trockenen Gaumens beiſammen hockt, iſt und bleibt eine verzweifelt öde und langweilige, für die ich mich im Allgemeinen bedanke.

Frau Krauſe.

Bei a Adlijen wird doch auch a ſo viel getrunk'n.

30
Frau Spiller
(durch eine Verbeugung des Oberkörpers ergebenſt beſtätigend).

Es iſt Schentelmen leicht viel Wein zu trinken.

Loth
(zu Hoffmann).

Mir geht es umgekehrt: mich langweilt im Allgemeinen eine Tafel, an der viel ge - trunken wird.

Hoffmann.

Es muß natürlich mäßig geſchehen.

Loth.

Was nennſt Du mäßig?

Hoffmann.

Nun, ... daß man noch immer bei Beſinnung bleibt.

Loth.

Aaah! ... alſo Du giebſt zu: die Beſinnung iſt im Allgemeinen durch den Alkohol-Genuß ſehr gefährdet. Siehſt Du! deshalb ſind mir Kneiptafeln langweilig.

Hoffmann.

Fürchteſt Du denn ſo leicht Deine Beſinnung zu verlieren?

Kahl.

Iiii ..... i. .ich habe n. n..neulich ene Flaſche Rrr ... r. .rü ... rüd. .desheimer, ene Flaſche Sſſſſekt get. .t..trunken. Oben drauf d. .d..d .. dann nnoch eine Flaſche B. .b..bordeaux, aber beſuffen woar ich no n. .nich.

Loth
(zu Hoffmann).

Ach nein, Du weißt ja wohl, daß ich es war, der Euch nach Hauſe brachte, wenn Ihr Euch übernommen hattet. Ich hab 'immer noch die alte Bärennatur: nein, deshalb bin ich nicht ſo ängſtlich.

Hoffmann.

Weshalb denn ſonſt?

Helene.

Ja, warum trinken Sie denn eigentlich nicht? bitte ſagen Sie es doch.

Loth
(zu Hoffmann).

Damit Du doch beruhigt biſt: ich trinke heut ſchon deshalb nicht, weil ich mich ehren - wörtlich verpflichtet habe, geiſtige Getränke zu meiden.

Hoffmann.

Mit anderen Worten, Du biſt glücklich bis zum Mäßigkeitsvereinshelden herabgeſunken.

Loth.

Ich bin völliger Abſtinent.

Hoffmann.

Und auf wie lange, wenn man fragen darf, machſt Du dieſe ....

Loth.

Auf Lebenszeit.

31
Hoffmann
(wirft Gabel und Meſſer weg und fährt halb vom Stuhle auf).

Pf! gerechter Strohſack!!

(Er ſetzt ſich wieder.)

Offen geſagt, für ſo kindiſch ... verzeih 'das harte Wort.

Loth.

Du kannſt es gerne ſo benennen.

Hoffmann.

Wie in aller Welt biſt Du nur darauf gekommen.

Helene.

Für ſo etwas müſſen Sie einen ſehr gewichtigen Grund haben denke ich mir wenigſtens.

Loth.

Der exiſtirt allerdings. Sie, Fräulein! und Du, Hoffmann! weißt wahrſcheinlich nicht, welche furchtbare Rolle der Alkohol in unſerem modernen Leben ſpielt ... Lies Bunge, wenn Du Dir einen Begriff davon machen willſt. Mir iſt noch gerade in Erinnerung, was ein gewiſſer Everett über die Be - deutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten geſagt hat. Notabene es bezieht ſich auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Er meint alſo: der Alkohol hat direct eine Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen Dollars verſchlungen. Er hat 300000 Menſchen ge - tödtet, 100000 Kinder in die Armenhäuſer geſchickt, weitere Tauſende in die Gefängniſſe und Arbeitshäuſer getrieben, er hat mindeſtens 2000 Selbſtmorde ver - urſacht. Er hat den Verluſt von wenigſtens 10 Millionen Dollars durch Brand und gewaltſame Zerſtörung ver - urſacht, er hat 20000 Wittwen und ſchließlich nicht weniger als 1 Million Waiſen geſchaffen. Die Wirkung des Alkohols, das iſt das Schlimmſte, äußert ſich ſo zu ſagen bis in's dritte und vierte Glied. Hätte ich nun das ehrenwörtliche Verſprechen abgelegt, nicht zu heirathen, dann könnte ich ſchon eher trinken, ſo aber ... meine Vorfahren ſind alle geſunde, kernige und wie ich weiß, äußerſt mäßige Menſchen geweſen. Jede Be - wegung die ich mache, jede Strapaze, die ich überſtehe, jeder Athemzug gleichſam führt mir zu Gemüth, was ich ihnen verdanke. Und dies, ſiehſt Du, iſt der Punkt: ich bin abſolut feſt entſchloſſen die Erbſchaft,32 die ich gemacht habe, ganz ungeſchmälert auf meine Nachkommen zu bringen.

Frau Krauſe.

Du! Schwiegerſuhn! inſe Bargleute ſaufen woarhaftig zu viel: Doas muuß woar ſein.

Kahl.

Die ſaufen wie d' Schweine.

Helene.

Ach! ſo etwas vererbt ſich?

Loth.

Es giebt Familien die daran zu Grunde gehen, Trinkerfamilien.

Kahl
(halb zu Frau Krauſe, halb zu Helene).

Euer Aaler, dar treibt's au a wing zu tull.

Helene
(weiß wie ein Tuch im Geſicht, heftig).

Ach, ſchwatzen Sie keinen Unſinn!!!

Frau Krauſe.

Ne, do hier Enner a ſu ein patziges Froovulk oa; a ſu ne Prinzeſſen. Hängſt de wieder a mol de Gnädige raus, wie? A ſu fährt ſe a Zukinftigen oa.

(Zu Loth, auf Kahl deutend.)

's is nämlich d'r Zukinftige, miſſen Se nahmen, Herr Ducter, 's is Alles eim Renen.

Helene
(aufſpringend).

Hör auf! oder ... hör auf, Mutter! oder ...

Frau Krauſe.

Do hiert doch aber werklich .... na, do ſprecha Se, Herr Ducter, iis das wull Bildung, ? Weeß Gott, ich hal 'ſe wie mei egnes Kind, aber die treibt's reen zu tull.

Hoffmann
(beſchwichtigend).

Ach, Mama! thu 'mir doch den Gefallen ....

Frau Krauſe.

Neee!! groade iich ſah doas nich ein a ſu ane Goans wie die iis .... do hiert olle Gerechtigkeet uff .... ſu ane Titte!

Hoffmann.

Mama, ich muß Dich aber wirklich doch jetzt bitten, Dich ....

Frau Krauſe
(immer wüthender).

Stats doaß doas Froovulk ei der Wertſchoft woas oagreft ... bewoare ne! Doa zeucht ſe an Flunſch biis hinger beede Leffel. Oaber da Schillerich, oaber a Gethemoan, a ſune tumme Scheißkarle, die de niſcht kinn'n als lieja: vu dan'n33 läßt ſe ſich a Kupp verdrehn. Urnar zum Kränke krieja iis doas

(ſchweigt bebend vor Wuth).

....... ..................

Hoffmann
(begütigend).

Nun ſie wird ja nun wieder ... es war ja vielleicht nicht ganz Recht ... es

(giebt Helenen, die in Erregung abſeits getreten iſt, einen Wink, auf den hin ſich das Mädchen, die Thränen gewaltſam zurückhaltend, wieder auf ſeinen Platz begiebt.)
Hoffmann
(das nunmehr eingetretene peinliche Schweigen unter - brechend, zu Loth):

Ja ... von was ſprachen wir doch? ... Richtig! vom biederen Alkohol.

(Er hebt ſein Glas.)

Nun, Mama: Frieden! Komm, ſtoßen wir an, ſeien wir friedlich, machen wir dem Alkohol Ehre, indem wir fried - lich ſind.

(Frau Krauſe, wenn auch etwas widerwillig, ſtößt doch mit ihm an. Hoffmann, zu Helene gewendet.)

Was, Helene?! Dein Glas iſt leer? ... Ei der Tauſend, Loth! Du haſt Schule gemacht.

Helene.

Ach ... nein ... ich ...

Frau Spiller.

Mein gnädiges Fräulein, ſo etwas läßt tief ....

Hoffmann.

Aber Du warſt doch ſonſt keine von den Zimperlichen.

Helene
(batzig).

Ich hab eben heut keine Neigung zum Trinken, einfach!

Hoffmann.

Bitte, bitte, bitte ſeeehr um Ver - zeihung ................ Ja, von was ſprachen wir doch?

Loth.

Wir ſprachen davon, daß es Trinker - familien gäbe.

Hoffmann
(auf's Neue betreten).

Schon recht, ſchon recht, aber ...

(Man bemerkt zunehmenden Aerger in dem Benehmen der Frau Krauſe, während Herr Kahl ſichtlich Mühe hat, das Lachen über etwas, das ihn inner - lich furchtbar zu amüſiren ſcheint, zurückzuhalten. Helene beobachtet Kahl ihrer - ſeits mit brennenden Augen, und bereits mehrmals hat ſie durch einen drohen - den Blick Kahl davon zurückgehalten, etwas auszuſprechen, was ihm ſo zu ſagen auf der Zunge liegt. Loth, ziemlich gleichmüthig, mit Schälen eines Apfels beſchäftigt, bemerkt von alledem nichts.)
Loth.

Ihr ſcheint übrigens hier ziemlich damit geſegnet zu ſein.

334
Hoffmann
(nahezu faſſungslos):

Wieſo? ... mit ... mit was geſegnet?

Loth.

Mit Trinkern natürlicherweiſe.

Hoffmann.

Hm! ... meinſt Du? .., ach ... jaja ..., allerdings, die Bergleute .....

Loth.

Nicht nur die Bergleute. Zum Beiſpiel hier in dem Wirthshaus, wo ich abſtieg, bevor ich zu Dir kam, da ſaß ein Kerl ſo:

(er ſtützt beide Ellenbogen auf den Tiſch, nimmt den Kopf in die Hände und ſtiert auf die Tiſchplatte).
Hoffmann.

Wirklich?

Seine Verlegenheit hat den höchſten Grad erreicht; Frau Krauſe huſtet, Helene ſtarrt noch immer auf Kahl, welcher jetzt am ganzen Körper vor innerlichem Lachen bebt; ſich aber doch noch ſo weit bändigt, nicht laut herauszuplatzen.)
Loth.

Es wundert mich, daß Du dieſes Ori - ginal könnte man beinahe ſagen, noch nicht kennſt. Das Wirthshaus iſt ja gleich hier nebenan das. Mir wurde geſagt, es ſei ein hieſiger ſteinreicher Bauer, der ſeine Tage und Jahre buchſtäblich in dieſem ſelben Gaſt - zimmer mit Schnapstrinken zubrächte. Das reine Thier iſt er natürlich. Dieſe furchtbar öden, verſoffenen Augen, mit denen er mich anſtierte.

(Kahl, der bis hierher ſich zurückgehalten hat, bricht in ein rohes, lautes, unaufhaltſames Gelächter aus, ſo daß Loth und Hoffmann, ſtarr vor Staunen, ihn anblicken.)
Kahl
(unter dem Lachen hervorſtammelnd):

Woahrhaftig!!! das is ja .... das is ja woahrhaftig der ... der Alte geweſen.

Helene
(iſt entſetzt und empört aufgeſprungen. Zerknüllt die Serviette und ſchleudert ſie auf den Tiſch. Bricht aus).

Sie ſind ...

(macht die Bewegung des Ausſpeiens)

pfui!!!

(Sie geht ſchnell ab.)
Kahl
(die aus dem Bewußtſein, eine große Dummheit gemacht zu haben, entſtandene Verlegenheit gewaltſam abreißend).

Ach woas! ... Unſinn! 's iis ju zu tumm! iich gieh menner Wege.

(Er ſetzt ſeinen Hut auf und ſagt, indem er abgeht, ohne ſich noch einmal um - zuwenden)

'n Obend!!!

Frau Krauſe
(ruft ihm nach):

Koan Der'ſch nich ver - denken, Willem!

(Sie legt die Serviette zuſammen und ruft dabei)

Miele!

(Miele kommt.)

Räum 'ab!

(Für ſich, aber doch laut

Su ane Gans.

35
Hoffmann
(etwas aufgebracht):

Ich muß aber doch ehr - lich ſagen, Mama ..!.

Frau Krauſe.

Mahr Dich aus.

(Steht auf, ſchnell ab.)
Frau Spiller.

Die gnädige Frau m haben heut manches häusliche Aergerniß gehabt m . Ich empfehle mich ganz ergebenſt.

(Sie ſteht auf und betet ſtill, unter Augenaufſchlag, dann ab.)
(Miele und Eduard decken den Tiſch ab, Hoffmann iſt aufgeſtanden und kommt mit einem Zahnſtocher im Mund nach dem Vordergrund, Loth folgt ihm.)
Hoffmann.

Ja, ſiehſt Du, ſo ſind die Weiber!

Loth.

Ich begreife gar nichts von alledem.

Hoffmann.

Iſt auch nicht der Rede werth. So etwas kommt wie bekannt in den allerfeinſten Familien vor, das darf Dich nicht abhalten ein paar Tage bei uns ...

Loth.

Hätte gern Deine Frau kennen gelernt, warum läßt ſie ſich denn nicht blicken?

Hoffmann
(die Spitze einer friſchen Cigarre abſchneidend).

Du begreifſt, in ihrem Zuſtand ... die Frauen laſſen nun 'mal nicht von der Eitelkeit. Komm! wollen uns draußen im Garten bischen ergehen. Eduard! den Kaffee in die Laube.

Eduard.

Sehr wohl.

(Hoffmann und Loth ab durch den Wintergarten. Eduard ab durch die Mittelthür, hierauf Miele, ein Brett voll Geſchirr tragend, ebenfalls ab durch die Mittelthür. Einige Augenblicke bleibt das Zimmer leer, dann erſcheint
Helene
(erregt, mit verweinten Augen, das Taſchentuch vor den Mund haltend. Von der Mittelthür, durch welche ſie eingetreten iſt, macht ſie haſtig ein paar Schritte nach links und lauſcht an der Thür von Hoffmann's Zimmer).

Oh! nicht fort!

(Da ſie hier nichts vernimmt, fliegt ſie zur Thür des Wintergartens hinüber, wo ſie ebenfalls mit geſpanntem Ausdruck einige Se - cunden lauſcht. Bittend und mit gefalteten Händen, inbrünſtig:)

Oh! nicht fort, geh 'nicht fort!

(Der Vorhang fällt.)
3*36

Zweiter Akt.

[figure]
Morgens gegen vier Uhr.
Im Wirthshaus ſind die Fenſter erleuchtet, ein grau-fahler Morgenſchein durch den Thorweg, der ſich ganz allmälig im Laufe des Vorgangs zu einer dunklen Röthe entwickelt, die ſich dann, eben ſo allmälig, in helles Tageslicht auflöſt. Unter dem Thor - weg, auf der Erde ſitzt Beibſt (etwa 60jährig) und dengelt ſeine Senſe. Wie der Vorhang aufgeht, ſieht man kaum mehr als ſeine Silhouette, die gegen den grauen Morgenhimmel abſticht,37 vernimmt aber das eintönige, ununterbrochene, regelmäßige Auf - ſchlagen des Dengelhammers auf den Dengelambos Dieſes Geräuſch bleibt während einiger Minuten allein hörbar, hierauf die feierliche Morgenſtille unterbrochen durch das Geſchrei aus dem Wirthshaus abziehender Gäſte. Die Wirthshausthür fliegt krachend in's Schloß. Die Lichter in den Fenſtern verlöſchen. Hundebellen fern, Hähne krähen laut durcheinander. Auf dem Gange vom Wirthshaus her wird eine dunkle Geſtalt bemerklich, dieſelbe bewegt ſich in Zickzack - linien dem Hofe zu; es iſt der Bauer Krauſe, welcher wie immer als letzter Gaſt das Wirthshaus verlaſſen hat.
Bauer Krauſe
(iſt gegen den Gartenzaun getaumelt, klammert ſich mit den Händen daran feſt und brüllt mit einer etwas näſelnden, betrun - kenen Stimme nach dem Wirthshaus zurück).

's Gaartla iis mei ne! ... d'r Kratſch'm iis mei ne ... du Goſtwerth - lops! Dohie !

(Er macht ſich, nachdem er noch einiges Unverſtänd - liche gemurmelt und gemurrt hat, vom Zaune los und ſtürzt in den Hof, wo er glücklich den Stärzen eines Pfluges zu faſſen bekommt.)

's Gittla iis mei ne.

(Er quaſſelt halb ſingend:)

Trink ... ei ... Briderla, trink ... ei ... 'iderla, Branntw .... wwein ...' acht Kuraſche. Dohie

(laut brüllend:)

bien iich nee a hibſcher Moan? .... Hoa iich nee a hibſch Weibla dohie ? ... Hoa iich nee a poar hibſche Madel?

Helene
(kommt haſtig aus dem Hauſe. Man ſieht, ſie hat an Klei - dern nur umgenommen, ſoviel in aller Eile ihr möglich geweſen war).

Papa! ... lieber Papa!! ſo komm doch ſchon.

(Sie faßt ihn unterm Arm, verſucht ihn zu ſtützen und in's Haus zu ziehen.)

K omm doch ... nur ... ſchn ell in's Haus, komm doch n ur ſchn ell! Ach!

Bauer Krauſe
(hat ſich aufgerichtet, verſucht gerade zu ſtehen, bringt mit einiger Mühe und unter Zuhilfenahme beider Hände einen ledernen, ſtrotzenden Geldbeutel aus der Taſche ſeiner Hoſe. In dem ein wenig helleren Morgenlichte erkennt man die ſehr ſchäbige Bekleidung des etwa 50 jährigen Mannes, die um nichts beſſer iſt, als die des allergeringſten Landarbeiters. Er iſt im bloßen Kopf, ſein graues, ſpärliches Haar ungekämmt und ſtruppig. Das ſchmutzige Hemd ſteht bis auf den Nabel herab weit offen; an einem ein - zigen geſtickten Hoſenträger hängt die ehemals gelbe, jetzt ſchmutzig glänzende, an den Knöcheln zugebundene Lederhoſe; die nackten Füße ſtecken in einem Paar geſtickter Schlafſchuhe, deren Stickerei noch ſehr neu zu ſein ſcheint. Jacke und Weſte trägt der Bauer nicht, die Hemdärmel ſind nicht zugeknöpft. Nach - dem er den Geldbeutel glücklich herausgebracht hat, ſetzt er ihn mit der Rechten mehrmals auf die Handfläche der linken Hand, ſo daß das Geld darin laut klimpert und klingt, dabei fixirt er ſeine Tochter mit laſcivem Blicke.)

Dohie ! 's Gald iis mei neee! ? Mech'ſt a poar Thoalerla?

Helene.

Ach, gr oßer Gott!

(Sie verſucht mehrmals38 vergebens, ihn mitzuziehen. Bei einem dieſer Verſuche umarmt er ſie mit der Plumpheit eines Gorillas und macht einige unzüchtige Griffe. Helene ſtößt unterdrückte Hilfeſchreie aus.)

Gl eich läßt Du l os! laß l os! bitte, Papa, ach!

(Sie weint, ſchreit dann, plötzlich in äußerſter Angſt, Abſcheu und Wuth)

Thier, Schwein!!

(Sie ſtößt ihn von ſich. Der Bauer fällt lang hin auf die Erde. Beibſt kommt von ſeinem Platz unter dem Thor - weg herbeigehinkt. Helene und Beibſt machen ſich daran, den Bauer aufzuheben.)
Bauer Krauſe
(lallt).

Tr ink mei Bri'erla, tr ....

(Der Bauer wird aufgehoben und ſtürzt, Beibſt und Helene mit ſich reißend, in das Haus. Einen Augenblick bleibt die Bühne leer. Im Hauſe hört man Lärm, Thürenſchlagen. In einem Fenſter wird Licht, hierauf Beibſt wieder aus dem Hauſe. Er reißt an ſeiner Lederhoſe ein Schwefelholz an, um die kurze Pfeife, welche ihm faſt nie aus dem Munde kommt, damit in Brand zu ſtecken. Als er damit noch beſchäftigt iſt, ſchleicht Kahl aus der Hausthüre. Er iſt in Strümpfen, hat ſein Jaquet über dem linken Arm hängen und trägt mit der linken Hand ſeine Schlafſchuhe. Mit der Rechten hält er ſeinen Hut, mit dem Munde ſeinen Hemdkragen. Etwa bis in die Mitte des Hofes gelangt, wendet er ſich und ſieht das Geſicht des Beibſt auf ſich gerichtet. Einen Augen - blick ſcheint er unſchlüſſig, dann bringt er Hut und Hemdkragen in der Linken unter, greift in die Hoſentaſche und geht auf Beibſt zu, dem er etwas in die Hand drückt.)
Kahl.

Do hot 'r an Thoaler .... oaber halt't Eure Guſche!

(Er geht eiligſt über den Hof und ſteigt über den Stacheten - zaun rechts. Ab. Beibſt hat mittels eines neuen Streichholzes ſeine Pfeife angezündet, hinkt bis unter den Thorweg, läßt ſich nieder und nimmt ſeine Dengelarbeit von Neuem auf. Wieder eine Zeit lang nichts als das eintönige Aufſchlagen des Dengelhammers und das Aechzen des alten Mannes, von kurzen Flüchen unterbrochen, wenn ihm etwas bei ſeiner Arbeit nicht nach Wunſch geht. Es iſt um ein Beträchtliches heller geworden.
Loth
(tritt aus der Hausthür, ſteht ſtill, dehnt ſich, thut mehrere tiefe Athemzüge).

H!. .h! .. Morgenluft!

(Er geht langſam nach dem Hintergrunde zu bis unter den Thorweg. Zu Beibſt)

Guten Morgen! Schon ſo früh wach?

Beibſt
(mißtrauiſch aufſchielend, unfreundlich).

'Murja!

(Kleine Pauſe, hierauf Beibſt, ohne Loth's Anweſenheit weiter zu beachten, gleichſam im Zwiegeſpräch mit ſeiner Senſe, die er mehrmals aufgebracht hin und herreißt)

Krummes Oos! na, werd's glei?! ekch! Himmel - dunnerſchlag ja!

(Er dengelt weiter.)
Loth
(hat ſich zwiſchen die Stärzen eines Extirpators niedergelaſſen).

Es giebt wohl Heuernte heut?

Beibſt
(grob):

De Äſel gihn ei's itzunder.

Loth.

Nun, Ihr dengelt doch aber die Senſe ...?

Beibſt
(zur Senſe).

Ekch! tumme Dare.

(Kleine Pauſe, hierauf)
Loth.

Wollt Ihr mir nicht ſagen, wozu Ihr die Senſe ſcharf macht, wenn doch nicht Heuernte iſt?

39
Beibſt.

Na, braucht ma ernt keene Sahnſe zum Futter macha?

Loth.

Ach ſo! Futter ſoll alſo geſchnitten werden.

Beibſt.

Woas d'n ſuſte?

Loth.

Wird das alle Morgen geſchnitten?

Beibſt.

Na! ſool's Viech derhingern?

Loth.

Ihr müßt ſchon 'n Bischen Nachſicht mit mir haben! ich bin eben ein Städter; da kann man nicht Alles ſo genau wiſſen von der Landwirthſchaft.

Beibſt.

Die Staadter glee ekch! de Staadter, die wiſſa doo glee oals beſſer wie de Menſche vum Lande, ?

Loth.

Das trifft bei mir nicht zu. Könnt Ihr mir nicht vielleicht erklären, was das für ein In - ſtrument iſt? ich hab's wohl ſchon 'mal wo geſehen, aber der Name ...

Beibſt.

Doasjenigte uf dan Se ſitza?! woas ma ſu ſoat Extrabater nennt ma doas.

Loth.

Richtig, ein Extirpator; wird der hier auch gebraucht?

Beibſt.

Leeder Goott's, nee. A läßt a ver - ludern ... a ganza Acker, reen verludern läßt a'n, d'r Pauer. A Oarmes mecht a Fleckla hoa'nn ei inſa Bärta wächſt kee Getreide oaber nee, lieberſcht läßt a'n ver - ludern! niſcht thit wachſa, ok blußig Seide und Quecka.

Loth.

Ja, die kriegt man ſchon damit heraus. Ich weiß, bei den Ikariern hatte man auch ſolche Extirpatoren um das urbar gemachte Land vollends zu reinigen.

Beibſt.

Wu ſein denn die I ... wie Se glei ſoa'n: I ...

Loth.

Die Ikarier?! in Amerika.

Beibſt.

Doo gibbts au ſchunn a ſune Dinger?

Loth.

Ja freilich.

Beibſt.

Woas iis denn doas fer a Vulk: die I ... I ...

Loth.

Die Ikarier?! es iſt gar kein beſonderes40 Volk; es ſind Leute aus allen Nationen, die ſich zu - ſammen gethan haben; ſie beſitzen in Amerika ein hübſches Stück Land, das ſie gemeinſam bewirthſchaften; alle Arbeit und allen Verdienſt theilen ſie gleichmäßig. Keiner iſt arm, es giebt keine Armen unter ihnen.

Beibſt
(deſſen Geſichtsausdruck ein wenig freundlicher geworden war, nimmt bei den letzten Worten Loth's wieder das alte mißtrauiſch feindſelige Gepräge an; ohne Loth weiter zu beachten, hat er ſich neuerdings wieder ganz ſeiner Arbeit zugewendet und zwar mit den Eingangsworten).

Oaſt vu enner Sahnſe!

Loth
(immer noch ſitzend, betrachtet den Alten zuerſt mit einem ruhigen Lächeln und blickt dann hinaus in den erwachenden Morgen. Durch den Thor - weg erblickt man weitgedehnte Kleefelder und Wieſenflächen, zwiſchendurch ſchlängelt ſich ein Bach, deſſen Lauf durch Erlen und Weiden verrathen wird. Am Horizonte ein einzelner Bergkegel. Allerorten haben die Lerchen eingeſetzt, und ihr ununterbrochenes Getriller ſchallt bald näher, bald ferner her bis in den Gutshof herein. Jetzt erhebt ſich Loth mit den Worten).

Man muß ſpazieren geh'n, der Morgen iſt zu prächtig.

(Er geht durch den Thorweg hinaus. Man hört das Klappen von Holzpantinen. Jemand kommt ſehr ſchnell über die Bodentreppe des Stallgebäudes herunter: es iſt Guſte.)
Guſte
(eine ziemlich dicke Magd: bloßes Mieder, nackte Arme und Waden, die bloßen Füße in Holzpantinen. Sie trägt eine brennende Laterne).

Guda Murja, Voater Beibſt.

Beibſt
(brummt).
Guſte
(blickt, die Augen mit der Hand beſchattend, durch das Thor Loth nach).

Woas iis denn doas fer Enner?

Beibſt
(verärgert).

Dar koan Battelleute zum Noarr'n hoa'nn ... dar leugt egelganz wie a Forr ... vu dan luuß der de Hucke vuul liega.

(Beibſt ſteht auf).

Macht enk de Roawer zerecht Madel!

Guſte
(welche dabei war, ihre Waden am Brunnen abzuwaſchen, iſt damit fertig und ſagt, bevor ſie im Innern des Kuhſtalls verſchwindet)

Glei, glei! Voater Beibſt.

Loth
kommt zurück, giebt Beibſt Geld).

Da iſt 'ne Kleinig - keit. Geld kann man immer brauchen.

Beibſt
(aufthauend, wie umgewandelt, mit aufrichtiger Gutmüthigkeit):

Ju, ju! do ha'n Se au Recht ... na do dank ich au vielmools. Se ſein wull d'r Beſuch zum Schwieger - ſuhne?

(auf einmal ſehr geſprächig):

Wiſſa Se: wenn Se, und Se wull'n da naus gihn auf a Barch zu, wiſſa Se, do haal'n Se ſiich links, wiſſa Se, zängſt 'nunder links,41 rechts gibt's Riſſe. Mei Suhn meente, 's käm do der - voone, meent' a, weil ſe zu ſchlecht verzimmern thäten, meent 'a, de Barchmoanne, 's ſoatzt zu wing Luhn, meent' a, und do giht's ok a ſu: woas huſt'de, woas koanſt'de, ei a Gruba, verſtiehn Se. Sahn Se! doo! immer links, rechts gibt's Lecher. Vurigtes Johr erſcht iis a Putterweib wie ſe ging und ſtoand iis ſe ei's Ardreich verſunka, iich wiß nee amool wie viel Kloaftern tief. Kee Menſch wußte wuhie wie geſoa't, links, immer links, doo gihn Se ſicher.

(Ein Schuß fällt, Beibſt wie electriſirt hinkt einige Schritt in's Freie).
Loth.

Wer ſchießt denn da ſchon ſo frühe?

Beibſt.

Na, war denn ſuſte? d'r Junge, dar meſchante Junge.

Loth.

Welcher Junge denn?

Beibſt.

Na, Kahl-Willem d'r Nupperſchſuhn ... na woart 'ok blußig due! ich hoa's geſahn, a ſchißt meiner Gitte de Lärcha.

Loth.

Ihr hinkt ja.

Beibſt.

Doas 's Goot erbarm 'ja.

(Droht mit der Fauſt nach dem Felde.)

Na woart Du! woart Du! ...

Loth.

Was habt Ihr denn mit dem Bein gemacht?

Beibſt.

Iich?

Loth

Ja.

Beibſt.

's iis a ſu 'nei kumma.

Loth.

Habt Ihr Schmerzen?

Beibſt
(nach dem Bein greifend).

's zerrt a ſu, 's zerrt infamt.

Loth.

Habt Ihr keinen Arzt?

Beibſt.

Wiſſa Se, de Ducter, doas ſein Oaffa, enner wie d'r andere! blußig inſe Ducter, doas iis a ticht'er Moan.

Loth.

Hat er Ihnen was genützt?

Beibſt.

Na verlecht a klee Wing wull au oam Ende. A hoot mer'ſch Been geknet't: Sahn Se, a ſu geknutſcht un gehackt un ... oaber nee! derwegen nich! A iis ... na kurz un gutt a hoot mit'n42 oarma Menſche a Mitleed: A keeft'n de Med'zin und a verlangt niſcht. A kimmt zu jeder Zeet ...

Loth.

Sie müſſen ſich das doch aber irgend wo zugezogen haben?! haben Sie immer ſo gehinkt?

Beibſt.

Nich die Oahnung!

Loth.

Dann verſtehe ich nicht recht, es muß doch eine Urſache ....

Beibſt.

Weeß iich's?

(Er droht wieder mit der Fauſt).

Woart ok Due! woart ok mit dem Geknackſe.

Kahl
(erſcheint innerhalb ſeines Gartens, er trägt in der Rechten eine Flinte am Lauf, ſeine linke Hand iſt geſchloſſen. Ruft herüber).

Guten Morjen ooch, Herr Ducter!

(Loth geht quer durch den Hof auf ihn zu. Inzwiſchen hat Guſte ſowie eine andere Magd mit Namen Lieſe je eine Radwer zurecht gemacht, worauf Harke und Dunggabel liegen. Damit fahren ſie durch den Thorweg hinaus auf's Feld, an Beibſt vorüber, der nach einigen grimmigen Blicken und ver - ſtohlenen Zornesgeſten zu Kahl hinüber ſeine Senſe ſchultert und ihnen nach - humpelt. Beibſt und die Mägde ab.
Loth
(zu Kahl).

Guten Morgen!

Kahl.

Wull'n ſ 'amol was Hibſches ſahn?

(Er ſtreckt den Arm mit der geſchloſſenen Hand über den Zaun.)
Loth
nähergehend).

Was haben Sie denn da?

Kahl.

Rootha Se!

(Er öffnet gleich darauf ſeine Hand.)
Loth.

Waas?! es iſt alſo wirklich wahr: Sie ſchießen Lerchen! nun für dieſen Unfug, Sie nichts - nutziger Burſche, verdienten Sie geohrfeigt zu werden; verſtehen Sie mich!

(Er kehrt ihm den Rücken zu und geht quer durch den Hof zurück. Beibſt und den Mägden nach. Ab.)
Kahl
(ſtarrt Loth einige Augenblicke dumm verblüfft nach, dann ballt er die Fauſt verſtohlen, ſagt:)

Ducterluder!

(wendet ſich und verſchwindet rechts. Während einiger Augenblicke bleibt der Hof leer.)
Helene, aus der Hausthür tretend, helles Sommerkleid, großer Garten - hut. Sie blickt ſich ringsum, thut dann einige Schritte auf den Thorweg zu, ſteht ſtill und ſpäht hinaus. Hierauf ſchlendert ſie rechts durch den Hof und biegt in den Weg ein, welcher nach dem Wirthshaus führt. Große Packete von allerhand Thee hängen zum Trocknen über dem Zaune: daran riecht ſie im Vorübergehen. Sie biegt auch Zweige von den Obſtbäumen und betrachtet die ſehr niedrig hängenden, rothwangigen Aepfel Als ſie bemerkt, daß Loth vom Wirthshaus her ihr entgegen kommt, bemächtigt ſich ihrer eine noch ſtärkere Unruhe, ſo daß ſie ſich ſchließlich umwendet und vor Loth her in den Hof zu - rückgeht. Hier bemerkt ſie, daß der Taubenſchlag noch geſchloſſen iſt und begiebt ſich dorthin durch das kleine Zaunpförtchen des Obſtgartens. Noch damit be - ſchäftigt, die Leine, welche, vom Winde getrieben, irgendwo feſtgehakt iſt, her - unter zu ziehen, wird ſie von Loth, der inzwiſchen herangekommen iſt, angeredet.)
Loth.

Guten Morgen, Fräulein!

43
Helene.

Guten Morgen! Der Wind hat die Schnur hinaufgejagt.

Loth.

Erlauben Sie!

(Geht ebenfalls durch das Pförtchen, bringt die Schnur herunter und zieht den Schlag auf. Die Tauben fliegen aus.)
Helene.

Ich danke ſehr.

Loth
(iſt durch das Pförtchen wieder herausgetreten, bleibt aber außer - halb des Zaunes und an dieſen gelehnt ſtehen. Helene innerhalb deſſelben. Nach einer kleinen Pauſe:)

Pflegen Sie immer ſo früh auf zu ſein, Fräulein?

Helene.

Das eben wollte ich Sie auch fragen.

Loth.

Ich ? nein! die erſte Nacht in einem fremden Hauſe paſſirt es mir jedoch gewöhnlich.

Helene.

Wie ... kommt das?

Loth.

Ich habe darüber noch nicht nachgedacht, es hat keinen Zweck.

Helene.

Ach, wieſo denn nicht.

Loth.

Wenigſtens keinen erſichtlichen, praktiſchen Zweck.

Helene.

Alſo wenn Sie irgend etwas thun oder denken, muß es einem praktiſchen Zweck dienen?

Loth.

Ganz recht! Uebrigens ...

Helene.

Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.

Loth.

Was, Fräulein?

Helene.

Genau das meinte die Stiefmutter, als ſie mir vorgeſtern den Werther aus der Hand riß.

Loth.

Das iſt ein dummes Buch.

Helene.

Sagen Sie das nicht.

Loth.

Das ſage ich nochmal, Fräulein. Es iſt ein Buch für Schwächlinge.

Helene.

Das kann wohl möglich ſein.

Loth.

Wie kommen Sie gerade auf dieſes Buch? Iſt es Ihnen denn verſtändlich?

Helene.

Ich hoffe, ich ... zum Theil ganz ge - wiß. Es beruhigt ſo, darin zu leſen.

(Nach einer Pauſe:)

Wenn's ein dummes Buch iſt, wie Sie ſagen, könnten Sie mir etwas Beſſeres empfehlen?

Loth.

Le ... leſen Sie ... noa! ... kennen Sie den Kampf um Rom von Dahn?

44
Helene.

Nein! das Buch werde ich mir aber nun kaufen. Dient es einem praktiſchen Zweck?

Loth.

Einem vernünftigen Zweck überhaupt. Es malt die Menſchen nicht wie ſie ſind, ſondern wie ſie einmal werden ſollen. Es wirkt vorbildlich.

Helene
(mit Ueberzeugung).

Das iſt ſchön.

(Kleine Pauſe, dann.)

Vielleicht geben Sie mir Auskunft, man redet ſo viel von Zola und Ibſen in den Zeitungen: ſind das große Dichter?

Loth.

Es ſind gar keine Dichter, ſondern noth - wendige Uebel, Fräulein. Ich bin ehrlich durſtig und verlange von der Dichtkunſt einen klaren, erfriſchenden Trunk. Ich bin nicht krank. Was Zola und Ibſen bieten, iſt Medicin.

Helene
(gleichſam unwillkürlich).

Ach, dann wäre es doch vielleicht für mich etwas.

Loth
(bisher theilweiſe, jetzt ausſchließlich in den Anblick des thauigen Obſtgartens vertieft).

Es iſt prächtig hier. Sehen Sie, wie die Sonne über der Bergkuppe herauskommt. Viel Aepfel giebt es in Ihrem Garten: eine ſchöne Ernte.

Helene.

Drei Viertel davon wird auch dies Jahr wieder geſtohlen werden. Die Armuth hier herum iſt zu groß.

Loth.

Sie glauben gar nicht, wie ſehr ich das Land liebe! Leider wächſt mein Weizen zum größten Theile in der Stadt. Aber nun will ich's Mal durch - genießen, das Landleben. Unſereiner hat ſo'n Bischen Sonne und Friſche mehr nöthig, als ſonſt Jemand.

Helene
(ſeufzend).

Mehr nöthig, als .... inwiefern?

Loth.

Weil man in einem harten Kampfe ſteht, deſſen Ende man nicht erleben kann.

Helene.

Stehen wir Anderen nicht in einem ſolchen Kampfe?

Loth.

Nein.

Helene.

Aber in einem Kampfe ſtehen wir doch auch?!

Loth.

Natürlicherweiſe! aber der kann enden.

45
Helene.

Kann da haben Sie Recht! und wieſo kann der nicht endigen der, den Sie kämpfen, Herr Loth?

Loth.

Ihr Kampf, das kann nur ein Kampf ſein um perſönliches Wohlergehen. Der Einzelne kann dies, ſo weit menſchenmöglich, erreichen. Mein Kampf iſt ein Kampf um das Glück Aller; ſollte ich glücklich ſein, ſo müßten es erſt alle anderen Menſchen um mich her - um ſein; ich müßte um mich herum weder Krankheit noch Armuth, weder Knechtſchaft noch Gemeinheit ſehen. Ich könnte mich ſo zu ſagen nur als Letzter an die Tafel ſetzen.

Helene
(mit Ueberzeugung).

Dann ſind Sie ja ein ſehr, ſehr guter Menſch!

Loth
(ein wenig betreten).

Verdienſt iſt weiter nicht da - bei, Fräulein, ich bin ſo veranlagt. Ich muß übrigens ſagen, daß mir der Kampf im Intereſſe des Fortſchritts doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die ich weit höher anſchlage, als die, mit der ſich der ge - meine Egoiſt zufrieden giebt.

Helene.

Es giebt wohl nur ſehr wenige Menſchen, die ſo veranlagt ſind. Es muß ein Glück ſein, mit ſolcher Veranlagung geboren zu ſein.

Loth.

Geboren wird man wohl auch nicht damit. Man kommt dazu durch die Verkehrtheit unſerer Ver - hältniſſe, ſcheint mir; nur muß man für das Verkehrte einen Sinn haben: das iſt es! Hat man den und leidet man ſo bewußt unter den verkehrten Verhältniſſen, dann wird man mit Nothwendigkeit zu dem, was ich bin.

Helene.

Wenn ich Sie nur beſſer .... welche Verhältniſſe nennen Sie zum Beiſpiel verkehrt?

Loth.

Es iſt zum Beiſpiel verkehrt, wenn der im Schweiße ſeines Angeſichts Arbeitende hungert und der Faule im Ueberfluſſe leben darf. Es iſt verkehrt, den Mord im Frieden zu beſtrafen und den Mord im Krieg zu belohnen. Es iſt verkehrt, den Henker zu ver - achten und ſelbſt, wie es die Soldaten thun, mit einem46 Menſchenabſchlachtungs-Inſtrument, wie es der Degen oder der Säbel iſt an der Seite, ſtolz herumzulaufen. Den Henker, der das mit dem Beile thäte, würde man zweifels ohne ſteinigen. Verkehrt iſt es dann, die Religion Chriſti, dieſe Religion der Duldung, Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben und dabei ganze Völker zu vollendeten Menſchenſchläch - tern heranzubilden. Dies ſind einige unter Millionen, müſſen Sie bedenken. Es koſtet Mühe, ſich durch alle dieſe Verkehrtheiten hindurchzuringen; man muß früh anfangen.

Helene.

Wie ſind Sie denn nur ſo auf Alles dies gekommen? Es iſt ſo einfach und doch kommt man nicht darauf.

Loth.

Ich mag wohl durch meinen Entwickelungs - gang darauf gekommen ſein, durch Geſpräche mit Freun - den, durch Lecture, durch eigenes Denken. Hinter die erſte Verkehrtheit kam ich als kleiner Junge. Ich log mal ſehr ſtark und bekam dafür die ſchrecklichſten Prügel von meinem Vater; kurz darauf fuhr ich mit ihm auf der Eiſenbahn und da merkte ich, daß mein Vater auch log und es für ganz ſelbſtverſtändlich hielt, zu lügen; ich war damals fünf Jahre und mein Vater ſagte dem Schaffner, ich ſei noch nicht vier, der freien Fahrt halber, welche Kinder unter vier Jahren genießen. Dann ſagte der Lehrer auch mal: Sei fleißig, halt Dich brav, dann wird es Dir auch unfehlbar gut gehen im Leben. Der Mann lehrte uns eine Verkehrtheit, da - hinter kam ich ſehr bald Mein Vater war brav, ehr - lich, durch und durch bieder, und ein Schuft, der noch jetzt als reicher Mann lebt, betrog ihn um ſeine paar Tauſend Thaler. Bei eben dieſem Schuft, der eine große Seifenfabrik beſaß, mußte mein Vater ſogar, durch die Noth getrieben, in Stellung treten.

Helene.

Unſereins wagt es gar nicht wagt es gar nicht, ſo etwas für verkehrt anzuſehen, höchſtens ganz im Stillen empfindet man es. Man empfindet es47 oft ſogar, und dann wird einem ganz verzweifelt zu Muth.

Loth.

Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die mir ganz beſonders klar als ſolche vor Augen trat. Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen Umſtänden als ein Verbrechen beſtraft, danach wurde mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des Mordes ungeſetzlich ſind.

Helene.

Wie wäre das wohl ....

Loth.

Mein Vater war Siedemeiſter, wir wohnten dicht an der Fabrik, unſere Fenſter gingen auf den Fabrikhof. Da ſah ich auch noch Manches außerdem: Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge - arbeitet hatte. Er fing an ſtark zu huſten und abzu - magern ... ich weiß, wie uns mein Vater bei Tiſch erzählte: Burmeiſter ſo hieß der Arbeiter be - kommt die Lungenſchwindſucht, wenn er noch länger bei der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm geſagt. Der Mann hatte acht Kinder, und ausge - mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit finden. Er mußte alſo in der Seifenfabrik bleiben, und der Prinzipal that ſich viel darauf zu Gute, daß er ihn beibehielt. Er kam ſich unbedingt äußerſt human vor. Eines Nachmittags, im Auguſt, es war eine furchtbare Hitze, da quälte er ſich mit einer Karre Kalk über den Fabrikhof. Ich ſah gerade aus dem Fenſter, da merke ich, wie er ſtill ſteht wieder ſtill ſteht und ſchließlich ſchlägt er lang auf die Steine. Ich lief hinzu mein Vater kam, andere Arbeiter kamen, aber er röchelte nur noch, und ſein ganzer Mund war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien ſtinkender Lumpen war er; bevor wir ihn im Hauſe hatten, war er ſchon geſtorben.

Helene.

Ach, ſchrecklich iſt das.

Loth.

Kaum acht Tage ſpäter zogen wir ſeine Frau aus dem Fluß, in den die verbrauchte Lauge48 unſerer Fabrik abfloß. Ja, Fräulein! wenn man dies Alles kennt, wie ich es jetzt kenne glauben Sie mir! dann läßt es Einem keine Ruhe mehr. Ein einfaches Stückchen Seife, bei dem ſich in der Welt ſonſt Niemand etwas denkt, ja, ein Paar rein gewaſchene, gepflegte Hände ſchon können Einen in die bitterſte Laune verſetzen.

Helene.

Ich hab auch mal ſo was geſehen. Hu! ſchrecklich war das, ſchrecklich!

Loth.

Was?

Helene.

Der Sohn von einem Arbeitsmann wurde halbtodt hier hereingetragen. Es iſt nun ... drei Jahre vielleicht iſt es her.

Loth.

War er verunglückt?

Helene.

Ja, drüben im Bärenſtollen.

Loth.

Ein Bergmann alſo?

Helene.

Ja, die meiſten jungen Leute hier herum gehen auf die Grube. Ein zweiter Sohn deſſelben Vaters war auch Schlepper und iſt auch verunglückt.

Loth.

Beide todt?

Helene.

Beide todt .......... .................. Einmal riß etwas an der Fahrkunſt, das andere Mal waren es ſchlagende Wetter. Der alte Beibſt hat aber noch einen dritten Sohn, der fährt auch ſeit Oſtern ein.

Loth.

Was Sie ſagen! hat er Nichts dawider?

Helene.

Gar nichts, nein! Er iſt nur jetzt noch weit mürriſcher als früher. Haben Sie ihn nicht ſchon geſehen?

Loth.

Wieſo ich?

Helene.

Er ſaß ja heut früh nebenan, unter der Durchfahrt.

Loth.

Ach! wie? .... Er arbeitet hier im Hofe?

Helene.

Schon ſeit Jahren.

Loth.

Er hinkt?

49
Helene.

Ziemlich ſtark ſogar.

Loth.

Sooſoo was iſt ihm denn da paſſirt mit dem Bein?

Helene.

Das iſt 'ne heikle Geſchichte. Sie kennen doch den Herrn Kahl? .... da muß ich Ihnen aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müſſen Sie wiſſen, war genau ſo ein Jagdnarr wie er. Er ſchoß hinter den Handwerksburſchen her, die auf den Hof kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken einzujagen. Er war auch ſehr jähzornig, wiſſen Sie, wenn er getrunken hatte erſt recht. Nu hat wohl der Beibſt mal gemuckſcht er muckſcht gern, wiſſen Sie und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt und ihm eine Ladung gegeben. Beibſt, wiſſen Sie, war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutſcher.

Loth.

Frevel über Frevel, wohin man hört.

Helene
(immer unſicherer und erregter).

Ich hab auch ſchon manchmal ſo bei mir gedacht .... ſie haben mir Alle mitunter ſchon ſo furchtbar leid gethan : der alte Beibſt und ...... Wenn die Bauern ſo roh und dumm ſind wie der wie der Streckmann, der läßt ſeine Knechte hungern und füttert die Hunde mit Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, ſeit ich aus der Penſion zurück bin ............ Ich hab auch mein Päckchen! aber ich rede ja wohl Unſinn es intereſſirt Sie ja gar nicht Sie lachen mich im Stillen blos aus.

Loth.

Aber Fräulein, wie können Sie nur .... weshalb ſollte ich Sie denn ....

Helene.

Nun, etwa nicht? Sie denken doch: die iſt auch nicht beſſer wie die Anderen hier.

Loth.

Ich denke von Niemand ſchlecht, Fräulein!

Helene.

Das machen Sie mir nicht weiß .... nein, nein!

Loth.

Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver - anlaſſung ...

Helene
(nahe am Weinen).

Ach, reden Sie doch nicht! 450Sie verachten uns, verlaſſen Sie ſich d'rauf: Sie müſſen uns ja doch verachten,

(weinerlich)

den Schwager mit, mich mit. Mich vor allen Dingen und dazu, da zu haben Sie wahr ... wahrhaftig auch Grund.

(Sie wendet Loth ſchnell den Rücken und geht, ihrer Bewegung nicht mehr Herr, durch den Obſtgarten nach dem Hintergrunde zu ab. Loth tritt durch das Pförtchen und folgt ihr langſam.)
Frau Krauſe
(in überladener Morgentoilette, puterroth im Ge - ſicht, aus der Hausthür, ſchreit).

Doas Loaſter vu Froovulk! Marie! Ma rie!! unter men'n Dache! weg muuß doas Froovulk!

(Sie rennt über den Hof und verſchwindet in der Stall - thür. Frau Spiller, mit Häkelarbeit, erſcheint in der Hausthür. Im Stalle hört man Schimpfen und Heulen.)
Frau Krauſe
(die heulende Magd vor ſich her treibend, aus dem Stall).

Du Huernfroovulk Du!

(die Magd heult ſtärker)

uuf der Stelle 'naus! Sich Deine ſieba Sacha z'ſamma und dann,' naus!

(Helene, mit rothen Augen, kommt durch den Thorweg, be - merkt die Scene und ſteht abwartend ſtill.)
Die Magd
(entdeckt Frau Spiller, wirft Schemel und Milchgelte weg und geht wüthend auf ſie zu).

Doas biin iich Ihn'n ſchuldig! doas war iich Ihn'n eitränka!!

(Sie rennt ſchluchzend davon, die Bodentreppe hinauf. Ab.)
Helene
(zu Frau Krauſe tretend).

Was hat ſie denn ge - macht?

Frau Krauſe
(grob).

Gieht's Diich oan, Goans?

Helene
(heftig, faſt weinend).

Ja, mich geht's an.

Frau Spiller
(ſchnell hinzutretend).

Mein gnädiges Fräulein, ſo etwas iſt nicht für das Ohr eines jungen Mädchens wie ...

Frau Krauſe.

Worum ok ne goar, Spillern! die iis au ne vu Marzepane: Mit'n Grußknecht zu - ſoamma gelah'n hot ſe ei en Bette. Do wißt de's.

Helene
(in befehlendem Tone).

Die Magd wird aber doch bleiben.

Frau Krauſe.

Weibsſtück!!

Helene.

Gut! dann will ich dem Vater erzählen, daß Du mit Kahl Wilhelm die Nächte ebenſo verbringſt.

Frau Krauſe
(ſchlägt ihr eine Maulſchelle).

Do huſt 'an' Denkzettel!

51
Helene
(todtbleich, aber noch feſter).

Die Magd bleibt aber doch, ſonſt .... ſonſt bring ich's herum! Mit Kahl Wilhelm, Du! Dein Vetter .... mein Bräut'jam .... Ich bring's herum.

Frau Krauſe
(mit wankender Faſſung).

Wer koan doas ſoa'n?

Helene.

Ich! denn ich hab ihn heut Morgen aus Deinem Schlafzimmer .....

(Schnell ab in's Haus.)
(Frau Krauſe, taumelnd, nahe einer Ohnmacht. Frau Spiller mit Riech - fläſchchen zu ihr.)
Frau Spiller.

Gnädige Frau, gnädige Frau!

Frau Krauſe.

Sp .... illern, die Moa'd ſſſ .... ſool dooblei'n.

(Vorhang fällt ſchnell.)
4*52

Dritter Akt.

Zeit: wenige Minuten nach dem Vorfall zwiſchen Helene und ihrer Stiefmutter im Hofe. Der Schauplatz iſt der des erſten Vorgangs.
(Dr. Schimmelpfennig ſitzt, ein Recept ſchreibend, Schlapphut, Zwirnhandſchuhe und Stock vor ſich auf der Tiſchplatte, an dem Tiſch links im Vordergrunde. Er iſt von Geſtalt klein und gedrungen, hat ſchwarzes Wollhaar und einen ziemlich ſtarken Schnurrbart. Schwarzer Rock im Schnitt der Jäger - ſchen Normalröcke. Die Kleidung im Ganzen ſolid, aber nicht elegant. Hat die Gewohnheit, faſt ununterbrochen ſeinen Schnurrbart zu ſtreichen oder zu drehen, um ſo ſtärker, je erregter er innerlich wird. Sein Geſichtsausdruck, wenn er mit Hoffmann redet, iſt gezwungen ruhig, ein Zug von Sarkasmus liegt um ſeine Mundwinkel. Seine Bewegungen ſind lebhaft, feſt und eckig, durchaus natürlich. Hoffmann, in ſeidenem Schlafrock und Pantoffeln, geht umher. Der Tiſch rechts im Hintergrunde iſt zum Frühſtück hergerichtet. Feines Porzellan. Gebäck, Rumcaraffe etc.
Hoffmann.

Herr Doctor, ſind Sie mit dem Aus - ſehen meiner Frau zufrieden?

Dr. Schimmelpfennig.

Sie ſieht ja ganz gut aus, warum nicht.

Hoffmann.

Denken Sie, daß Alles gut vorüber - gehen wird?

Dr. Schimmelpfennig.

Ich hoffe.

Hoffmann
(nach einer Pauſe zögernd).

Herr Doctor, ich habe mir vorgenommen ſchon ſeit Wochen Sie, ſobald ich hierher käme, in einer ganz beſtimmten Sache um Ihren Rath zu bitten.

Dr. Schimmelpfennig
(der bis jetzt unter dem Schreiben geantwortet hat, legt die Feder beiſeite, ſteht auf und übergiebt Hoffmann das geſchriebene Recept).

So! ... das laſſen Sie wohl bald machen;

(indem er Hut, Handſchuhe und Stock nimmt)

über Kopf - ſchmerz klagt Ihre Frau,

(in ſeinen Hut blickend, geſchäftsmäßig)

ehe ich es vergeſſe: ſuchen Sie doch Ihrer Frau be - greiflich zu machen, daß ſie für das kommende Lebeweſen53 einigermaßen verantwortlich iſt, ich habe ihr bereits ſelbſt einiges geſagt über die Folgen des Schnürens.

Hoffmann.

Ganz gewiß, Herr Doctor ... ich will ganz gewiß mein Möglichſtes thun, ihr ...

Dr. Schimmelpfennig
(ſich ein wenig linkiſch verbeugend)

Empfehle mich

(geht, bleibt wieder ſtehen),

ach ſo! ... Sie wollten ja meinen Rath hören

(er blickt Hoffmann kalt an).
Hoffmann.

Ja, wenn Sie noch einen Augenblick Zeit hätten ...

(nicht ohne Affectirtheit:)

Sie kennen das ent - ſetzliche Ende meines erſten Jungen. Sie haben es ja ganz aus der Nähe geſehen. Wie weit ich damals war, wiſſen Sie ja wohl auch. Man glaubt es nicht dennoch: die Zeit mildert! .......... Schließlich habe ich ſogar noch Grund zur Dankbarkeit, mein ſehnlichſter Wunſch ſoll, wie es ſcheint, erfüllt werden. Sie werden begreifen, daß ich Alles thun muß ... es hat mich ſchlafloſe Nächte genug gekoſtet und doch weiß ich noch nicht, noch immer nicht, wie ich es anſtellen ſoll, um das jetzt noch ungeborene Geſchöpf vor dem furcht - baren Schickſale ſeines Brüderchens zu bewahren. Und das iſt es, weshalb ich Sie ....

Dr. Schimmelpfennig
(trocken und geſchäftsmäßig).

Von ſeiner Mutter trennen: Grundbedingung einer gedeih - lichen Entwickelung.

Hoffmann.

Alſo doch?! meinen Sie, völlig trennen? ... ſoll es auch nicht in demſelben Hauſe mit ihr ...?

Dr. Schimmelpfennig.

Nein, wenn es Ihnen ernſt iſt um die Erhaltung Ihres Kindes, dann nicht. Ihr Vermögen geſtattet Ihnen ja in dieſer Beziehung die freieſte Bewegung.

Hoffmann.

Gott ſei Dank, ja! Ich habe auch ſchon in der Nähe von Hirſchberg eine Villa mit ſehr großem Park angekauft. Nur wollte ich auch meine Frau ...

Dr. Schimmelpfennig
(dreht ſeinen Bart und ſtarrt auf die Erde. Unter Nachdenken).

Kaufen Sie doch Ihrer Frau irgend wo anders eine Villa ...

54
Hoffmann
(zuckt die Achſeln).
Dr. Schimmelpfennig
(wie vorher).

Könnten Sie nicht Ihre Schwägerin für die Aufgabe, dieſes Kind zu erziehen, intereſſiren?

Hoffmann.

Wenn Sie wüßten, Herr Doctor, was für Hinderniſſe ... außerdem: ein unerfahrenes, junges Ding ... Mutter iſt doch Mutter.

Dr. Schimmelpfennig.

Sie wiſſen meine Meinung. Empfehle mich.

Hoffmann
(mit Ueberfreundlichkeit um ihn herum complimentirend).

Empfehle mich ebenfalls! ich bin Ihnen äußerſt dankbar ...

(Beide ab durch die Mittelthür.)
(Helene, das Taſchentuch vor den Mund gepreßt, ſchluchzend, außer ſich, kommt herein und läßt ſich auf das Sopha links vorn hinfallen. Nach einigen Augenblicken tritt Hoffmann, Zeitungsblätter in den Händen haltend, aber - mals ein.)
Hoffmann.

Was iſt denn das ? ſag '' mal, Schwägerin! ſoll denn das noch lange ſo fort gehen? Seit ich hier bin, vergeht nicht ein Tag, an dem ich Dich nicht weinen ſehe.

Helene.

Ach! was weißt Du!? wenn Du überhaupt Sinn für ſo was hätt'ſt, dann würd'ſt Du Dich vielmehr wundern, wenn ich 'mal nicht weinte.

Hoffmann.

Das leuchtet mir nicht ein, Schwägerin!

Helene.

Mir um ſo mehr!

Hoffmann

.......... Es muß doch wieder was paſſirt ſein, hör '' mal!

Helene
(ſpringt auf, ſtampft mit dem Fuße).

Pfui! Pfui ... und ich mag's nicht mehr leiden ... das hört auf! ich laſſe mir das nicht mehr bieten! ich ſehe nicht ein warum ... ich ...

(in Weinen erſtickend).
Hoffmann.

Willſt Du mir denn nicht wenigſtens ſagen, worum ſich's handelt, damit ..........

Helene
(auf's Neue heftig ausbrechend).

Alles iſt mir egal! ſchlimmer kann's nicht mehr kommen: einen Trunken - bold von Vater hat man, ein Thier vor dem die .... die eigene Tochter nicht ſicher iſt. Eine55 ehebrecheriſche Stiefmutter, die mich an ihren Galan ver - kuppeln möchte .. Dieſes ganze Daſein überhaupt. Nein ! ich ſehe nicht ein, wer mich zwingen kann, durchaus ſchlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne fort und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann .... Strick, Meſſer, Revolver! .... mir egal! ich will nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schweſter.

Hoffmann
(erſchrocken, packt ſie am Arm).

Lene!!! .... ich ſag 'Dir, ſtill! ... davon ſtill!

Helene.

Mir egal! ... mir ganz egal! man iſt ... man muß ſich ſchämen bis in die Seele 'nein. Man möchte was wiſſen, was ſein, was ſein können und was iſt man nu?

Hoffmann
(der ihren Arm noch nicht wieder losgelaſſen, fängt an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone ſeiner Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichſam vibrirende Milde).

Lenchen ! ich weiß ja recht gut, daß Du hier Manches auszuſtehen haſt. Sei nur ruhig ....! brauchſt es mir gar nicht zu ſagen.

(Er legt die Rechte liebkoſend auf ihre Schulter, bringt ſein Geſicht nahe dem ihren.)

Ich kann Dich gar nicht weinen ſehen. Wahrhaftig! 's thut mir weh. Sieh doch nur aber die Verhältniſſe nicht ſchwärzer, als ſie ſind ; und dann: haſt Du vergeſſen, daß wir Beide, Du und ich ſo zu ſagen in der gleichen Lage ſind? Ich bin in dieſe Bauernatmoſphäre hinein gekommen .... paſſe ich hinein? Genau ſo wenig wie Du hoffentlich.

Helene
(immer noch weinend).

Hätte mein gutes M Muttelchen das geahnt als ſie .... als ſie beſtimmte daß ich in Herrnhut erzogen .... erzogen werden ſollte. Hätte ſie mich lieber ... mich lieber zu Hauſe gelaſſen, dann hätte ich ... hätte ich wenigſtens nichts Anderes kennen gelernt, wäre in dem Sumpf hier auf .... aufgewachſen Aber ſo ...

Hoffmann
(hat Helene ſanft auf das Sopha gezwungen und ſitzt nun, eng an ſie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth ſich in ſeinen Tröſtungen das ſinnliche Element).

Lenchen ! ſieh mich an, laß56 das gut ſein, tröſte Dich mit mir. Ich brauche Dir von Deiner Schweſter nicht zu ſprechen.

(Heiß und mit Innig - keit, indem er ſie enger umſchlingt:)

Ja, wäre ſie wie Du biſt! ...... So aber ... ſag ſelbſt: Was kann ſie mir ſein? Wo lebt ein Mann, Lenchen, ein gebildeter Mann,

(leiſer)

deſſen Frau von einer ſo unglückſeligen Leidenſchaft befallen iſt? Man darf es gar nicht laut ſagen: eine Frau und Branntwein ................ Nun, ſprich, bin ich glücklicher? .... Denk an mein Fritzchen! nun? ..... bin ich am Ende beſſer dran, wie? .........

(Immer leidenſchaftlicher)

Siehſt Du: ſo hat's das Schickſal ſchließlich noch gut gemeint. Es hat uns zu einander gebracht. Wir gehören für ein - ander! Wir ſind zu Freunden voraus beſtimmt, mit unſren gleichen Leiden. Nicht, Lenchen?

(Er umſchlingt ſie ganz. Sie läßt es geſchehen, aber mit einem Ausdruck, der beſagt, daß ſie ſich zum Dulden zwingt. Sie iſt ſtill geworden und ſcheint mit zitternder Spannung etwas zu erwarten, irgend eine Gewißheit, eine Enthüllung, die unfehlbar herankommt.
Hoffmann
(zärtlich).

Du ſollteſt meinem Vorſchlag folgen, ſollteſt dies Haus verlaſſen, bei uns wohnen. Das Kindchen das kommt braucht eine Mutter. Komm! ſei Du ihm das

(leidenſchaftlich gerührt, ſentimental),

ſonſt hat es eben keine Mutter. Und dann: bring 'ein wenig, nur ein ganz, ganz klein wenig Licht in mein Leben. Thuu's! thu ' s!

(Er will ſeinen Kopf an ihre Bruſt lehnen. Sie ſpringt auf, empört. In ihren Mienen verräth ſich Ver - achtung, Ueberraſchung, Ekel, Haß.)
Helene.

Schwager! Du biſt, Du biſt ..... jetzt kenn 'ich Dich durch und durch. Bisher hab ich's nur ſo dunkel gefühlt. Jetzt weiß ich's ganz gewiß.

Hoffmann
(überraſcht, faſſungslos).

Was ...? Helene .... .einzig, wirklich.

Helene.

Jetzt weiß ich ganz gewiß, daß Du nicht um ein Haar beſſer biſt .... was denn! ſchlechter biſt Du, der Schlecht'ſte von Allen hier!

Hoffmann
(ſteht auf; mit angenommener Kälte).

Dein Be - tragen heut iſt ſehr eigenthümlich, weißt Du!

Helene
(tritt nahe zu ihm).

Du gehſt doch nur auf das57 eine Ziel los.

(Halblaut in ſein Ohr:)

Aber Du haſt ganz an - dere Waffen als Vater und Stiefmutter oder der ehren - feſte Herr Bräutigam, ganz andere. Gegen Dich gehalten ſind ſie Lämmer, Alle mit 'nander. Jetzt, jetzt auf ein - mal, jetzt eben iſt mir das ſonnenklar geworden.

Hoffmann
(in erheuchelter Entrüſtung).

Lene! Du biſt ..... Du biſt nicht bei Troſt, das iſt ja heller Wahn ....

(Er unterbricht ſich, ſchlägt ſich vor den Kopf.)

Gott, wie wird mir denn auf einmal, natürlich! ......... Du haſt .... es iſt freilich noch ſehr früh am Tage, aber ich wette, Du haſt .... Helene, Du haſt heut früh ſchon mit Fritz Loth geredet.

Helene.

Weshalb ſollte ich denn nicht mit ihm geredet haben? Es iſt ein Mann, vor dem wir uns Alle verſtecken müßten vor Scham, wenn es mit rechten Dingen zuginge.

Hoffmann.

Alſo wirklich! .... ach ſooo! .... na jaaa! .... allerdings ..... da darf ich mich weiter nicht wundern. So, ſo, ſo, hat alſo die Ge - legenheit benützt, über ſeinen Wohlthäter 'n bischen her - zuziehen. Man ſollte immer auf dergleichen gefaßt ſein, freilich!

Helene.

Schwager! das iſt nun geradezu gemein.

Hoffmann.

Finde ich beinah auch!

Helene.

Kein Sterbenswort, nicht ein Sterbens - wort hat er geſagt über Dich.

Hoffmann
(ohne darauf einzugehen).

Wenn die Sachen ſo liegen, dann iſt es geradezu meine Pflicht, ich ſage, meine Pflicht, als Verwandter, einem ſo unerfahrenen Mädchen gegenüber wie Du biſt .....

Helene.

Unerfahrenes Mädchen ? wie Du mir vorkommſt!

Hoffmann
(aufgebracht).

Auf meine Verantwortung iſt Loth hier in's Haus gekommen. Nun mußt Du wiſſen: er iſt gelinde geſprochen ein höchſt ge fähr licher Schwärmer, dieſer Herr Loth.

Helene.

Daß Du das von Herrn Loth ſagſt,58 hat für mich ſo etwas Verkehrtes etwas lächerlich Verkehrtes.

Hoffmann.

Ein Schwärmer, der die Gabe hat, nicht nur Weibern, ſondern auch vernünftigen Leuten die Köpfe zu verwirren.

Helene.

Siehſt Du: wieder ſo eine Verkehrtheit! Mir iſt es nach den wenigen Worten, die ich mit Herrn Loth geredet habe, ſo wohlthuend klar im Kopfe ....

Hoffmann
(im Tone eines Verweiſes).

Was ich Dir ſage, iſt durchaus nichts Verkehrtes.

Helene.

Man muß für das Verkehrte einen Sinn haben, und den haſt Du eben nicht.

Hoffmann
(wie vorher).

Davon iſt jetzt nicht die Rede, ich erkläre Dir nochmals, daß ich Dir nichts Ver - kehrtes ſage, ſondern etwas, was ich Dich bitten muß, als thatſächlich wahr hinzunehmen ........ Ich habe es an mir erfahren: er benebelt Einem den Kopf, und dann ſchwärmt man von Völkerverbrüderung, von Frei - heit und Gleichheit, ſetzt ſich über Sitte und Moral hinweg .... wir wären damals um dieſer Hirn - geſpinſte willen weiß der Himmel über die Leichen unſerer Eltern hinweggeſchritten, um zum Ziele zu ge - langen. Und er, ſage ich Dir, würde erforderlichen Falls noch heute daſſelbe thun.

Helene.

Wie viele Eltern mögen wohl alljährlich über die Leichen ihrer Kinder ſchreiten, ohne daß Je - mand .....

Hoffmann
(ihr in die Rede fallend).

Das iſt Unſinn! da hört Alles auf! ..... Ich ſage Dir, nimm Dich vor ihm in Acht, in jeder .... ich ſage ganz ausdrück - lich in jeder Beziehung. Von moraliſchen Skru - peln iſt da keine Spur.

Helene.

Ne, wie verkehrt dies nun wieder iſt. Glaub mir, Schwager, fängt man erſt mal an, d'rauf zu achten ..... es iſt ſo ſchrecklich intereſſant .....

Hoffmann.

Sag 'doch, was Du willſt, gewarnt biſt Du nun. Ich will Dir nur noch ganz im Ver -59 trauen mittheilen: ein Haar, und ich wäre damals durch ihn und mit ihm greulich in die Tinte gerathen.

Helene.

Wenn dieſer Menſch ſo gefährlich iſt, warum freuteſt Du Dich denn geſtern ſo aufrichtig, als .....

Hoffmann.

Gott ja, er iſt eben ein Jugend - bekannter! Weißt Du denn, ob nicht ganz beſtimmte Gründe vorlagen ....

Helene.

Gründe? wie denn .....?

Hoffmann.

Nur ſo. Käme er allerdings heut und wüßte ich, was ich jetzt weiß

Helene.

Was weißt Du denn nur? Ich ſagte Dir doch bereits, er hat kein Sterbenswort über Dich verlauten laſſen.

Hoffmann.

Verlaß Dich d'rauf! Ich hätte mir's zweimal überlegt und mich wahrſcheinlich ſehr in Acht genommen, ihn hierzubehalten. Loth iſt und bleibt 'n Menſch, deſſen Umgang compromittirt. Die Behörden haben ihn im Auge.

Helene.

Ja, hat er denn ein Verbrechen be - gangen?

Hoffmann.

Sprechen wir lieber darüber nicht. Laß es Dir genug ſein, Schwägerin, wenn ich Dir die Verſicherung gebe: mit Anſichten, wie er ſie hat, in der Welt umherzulaufen, iſt heutzutage weit ſchlimmer und vor Allem weit gefährlicher, als Stehlen.

Helene.

Ich will's mir merken. Nun aber Schwager! hörſt Du? Frag mich nicht wie ich nach Deinen Reden über Herrn Loth noch von Dir denke Hörſt Du?

Hoffmann
(cyniſch kalt).

Denkſt Du denn wirklich, daß mir ſo ganz beſonders viel daran liegt, das zu wiſſen?

(Er drückt den Klingelknopf.)

Uebrigens höre ich ihn da eben hereinkommen.

(Loth tritt ein.)
Hoffmann.

Nun ? gut geſchlafen, alter Freund?

Loth.

Gut, aber nicht lange. Sag doch mal:60 ich ſah da vorhin Jemand aus dem Haus kommen, einen Herrn.

Hoffmann.

Vermuthlich der Doctor, der ſoeben hier war. Ich erzählte Dir ja .... dieſer eigenthüm - liche Miſchmaſch von Härte und Sentimentalität.

(Helene verhandelt mit Eduard, der eben eingetreten iſt. Er geht ab und ſervirt kurz darauf Thee und Kaffee.)
Loth.

Dieſer Miſchmaſch, wie Du Dich aus - drückſt, ſah nämlich einem alten Univerſitätsfreunde von mir furchtbar ähnlich ich hätte ſchwören können, daß er es ſei einem gewiſſen Schimmelpfennig.

Hoffmann
(ſich am Frühſtückstiſch niederlaſſend).

Nu ja, ganz recht: Schimmelpfennig!

Loth.

Ganz recht? Was?

Hoffmann.

Er heißt in der That Schimmel - pfennig.

Loth.

Wer? der Doctor hier?

Hoffmann.

Du ſagteſt es doch eben. Ja, der Doctor.

Loth.

Dann .... das iſt aber auch wirklich wunderlich! Unbedingt iſt er's dann.

Hoffmann.

Siehſt Du wohl, ſchöne Seelen finden ſich zu Waſſer und zu Lande. Du nimmſt mir's nicht übel, wenn ich anfange, wir wollten uns nämlich gerade zum Frühſtück ſetzen. Bitte, nimm Platz! Du haſt doch wohl nicht ſchon irgend wo gefrühſtückt?

Loth.

Nein!

Hoffmann.

Nun dann, alſo.

(Er rückt, ſelbſt ſitzend, Loth einen Stuhl zurecht. Hierauf zu Eduard, der mit Thee und Kaffee kommt:)

Ae! wird .... e ... meine Frau Schwiegermama nicht kommen?

Eduard.

Die gnädige Frau und Frau Spiller werden auf ihrem Zimmer frühſtücken.

Hoffmann.

Das iſt aber doch noch nie ....

Helene
(das Service zurechtrückend).

Laß nur! es hat ſeinen Grund.

Hoffmann.

Ach ſo! ......... Loth! lang zu .... ein Ei? Thee?

61
Loth.

Könnte ich vielleicht lieber ein Glas Milch bekommen?

Hoffmann.

Mit dem größten Vergnügen.

Helene.

Eduard! Miele ſoll friſch einmelken.

Hoffmann
(ſchält ein Ei ab).

Milch brrr! mich ſchüttelt's.

(Salz und Pfeffer nehmend)

Sag mal, Loth, was führt Dich eigentlich in unſre Gegend? Ich hab bisher ganz vergeſſen, Dich danach zu fragen.

Loth
(beſtreicht eine Semmel mit Butter).

Ich möchte die hieſigen Verhältniſſe ſtudiren.

Hoffmann
(mit einem Aufblick).

Bitte ....? .... was für Verhältniſſe?

Loth.

Präciſe geſprochen: Ich will die Lage der hieſigen Bergleute ſtudiren.

Hoffmann.

Ach, die iſt im Allgemeinen doch eine ſehr gute.

Loth.

Glaubſt Du? Das wäre ja übrigens recht ſchön .... Doch eh 'ich's vergeſſe: Du mußt mir dabei einen Dienſt leiſten. Du kannſt Dich um die Volkswirthſchaft ſehr verdient machen, wenn .....

Hoffmann.

Ich? i! wieſo ich?

Loth.

Nun, Du haſt doch den Verſchleiß der hieſigen Gruben?

Hoffmann.

Ja! und was dann?

Loth.

Dann wird es Dir auch ein Leichtes ſein, mir die Erlaubniß zur Beſichtigung der Gruben auszu - wirken. Das heißt: ich will mindeſtens vier Wochen lang täglich einfahren, damit ich den Betrieb einiger - maßen kennen lerne.

Hoffmann
(leichthin).

Was Du da unten zu ſehen bekommſt, willſt Du dann wohl ſchildern?

Loth.

Ja. Meine Arbeit ſoll vorzugsweiſe eine deſcriptive werden.

Hoffmann.

Das thut mir nun wirklich leid, mit der Sache habe ich gar nichts zu thun. Du willſt blos über die Bergleute ſchreiben, wie?

62
Loth.

Aus dieſer Frage hört man, daß Du kein Volkswirthſchaftler biſt.

Hoffmann
(in ſeinem Dünkel gekränkt).

Bitte ſehr um Entſchuldigung! Du wirſt mir wohl zutrauen ..... warum? ich ſehe nicht ein, wieſo man dieſe Frage nicht thun kann? und ſchließlich: es wäre kein Wunder .... Alles kann man nicht wiſſen.

Loth.

Na, beruhige Dich nur, die Sache iſt ein - fach die: wenn ich die Lage der hieſigen Bergarbeiter ſtudiren will, ſo iſt es unumgänglich, auch alle die Ver - hältniſſe, welche dieſe Lage bedingen, zu berühren.

Hoffmann.

In ſolchen Schriften wird mitunter ſchauderhaft übertrieben.

Loth.

Von dieſem Fehler gedenke ich mich frei zu halten.

Hoffmann.

Das wird ſehr löblich ſein.

(Er hat bereits mehrmals und jetzt wiederum mit einem kurzen und prüfenden Blick Helenen geſtreift, die mit naiver Andacht an Loth's Lippen hängt, und fährt nun fort.)

Doch .... es iſt urkomiſch, wie Einem ſo was ganz urplötzlich in den Sinn kommt. Wie ſo etwas im Gehirn nur vor ſich gehen mag?

Loth.

Was iſt Dir denn auf einmal in den Sinn gekommen?

Hoffmann.

Es betrifft Dich. Ich dachte an Deine Ver ..... nein, es iſt am Ende tactlos, in Gegenwart von einer jungen Dame von Deinen Herzens - geheimniſſen zu reden.

Helene.

Ja, dann will ich doch lieber ....

Loth.

Bitte ſehr, Fräulein! ..... bleiben Sie ruhig, meinetwegen wenigſtens ich merke längſt, worauf er hinaus will. Iſt auch durchaus nichts Ge - fährliches.

(Zu Hoffmann)

Meine Verlobung, nicht wahr?

Hoffmann.

Wenn Du ſelbſt darauf kommſt, ja! ich dachte in der That an Deine Verlobung mit Anna Faber.

Loth.

Die ging auseinander naturgemäß als ich damals in's Gefängniß mußte.

63
Hoffmann.

Das war aber nicht hübſch von Deiner .......

Loth.

Es war jedenfalls ehrlich von ihr! Ihr Abſagebrief enthielt ihr wahres Geſicht; hätte ſie mir dies Geſicht früher gezeigt, dann hätte ſie ſich ſelbſt und auch mir Manches erſparen können.

Hoffmann.

Und ſeither hat Dein Herz nicht irgendwo feſtgehakt?

Loth.

Nein!

Hoffmann.

Natürlich! Nun: Büchſe in's Korn geworfen heirathen verſchworen! verſchworen wie den Alkohol! Was? Uebrigens chacun à son goût.

Loth.

Mein Geſchmack iſt es eben nicht, aber vielleicht mein Schickſal. Auch habe ich Dir, ſoviel ich weiß, bereits einmal geſagt, daß ich in Bezug auf das Heirathen nichts verſchworen habe; was ich fürchte, iſt: daß es keine Frau geben wird, die ſich für mich eignet.

Hoffmann.

Ein großes Wort, Lothchen!

Loth.

Im Ernſt! Mag ſein, daß man mit den Jahren zu kritiſch wird und zu wenig gefunden Inſtinkt beſitzt. Ich halte den Inſtinkt für die beſte Garantie einer geeigneten Wahl.

Hoffmann
(frivol).

Der wird ſich ſchon noch 'mal wiederfinden

(lachend),

der Inſtinkt nämlich.

Loth.

Schließlich was kann ich einer Frau bieten? ich werde immer mehr zweifelhaft, ob ich einer Frau zumuthen darf, mit dem kleinen Theile meiner Perſönlichkeit vorlieb zu nehmen, der nicht meiner Lebens - arbeit gehört dann fürchte ich mich auch vor der Sorge um die Familie.

Hoffmann.

Wa ... was? vor der Sorge um die Familie? Kerl! haſt Du denn nicht Kopf, Arme, he?

Loth.

Wie Du ſiehſt. Aber ich ſagte Dir ja ſchon, meine Arbeitskraft gehört zum größten Theil meiner Lebensaufgabe und wird ihr immer zum größten64 Theil gehören: ſie iſt alſo nicht mehr mein, ich hätte außerdem mit ganz beſonderen Schwierigkeiten ......

Hoffmann.

Pſt! klingelt da nicht Jemand?

Loth.

Du hälſt das für Phraſengebimmel?

Hoffmann.

Ehrlich geſprochen, es klingt etwas hohl! unſer einer iſt ſchließlich auch kein Buſchmann, trotzdem man verheirathet iſt. Gewiſſe Menſchen ge - berden ſich immer, als ob ſie ein Privilegium auf alle in der Welt zu vollbringenden guten Thaten hätten.

Loth
(heftig).

Gar nicht! denk 'ich gar nicht d'ran! Wenn Du von Deiner Lebensaufgabe nicht abgekommen wärſt, ſo würde das an Deiner glücklichen materiellen Lebenslage mitliegen.

Hoffmann
(mit Ironie).

Dann wäre das wohl auch eine Deiner Forderungen.

Loth

Wie? Forderungen? was?

Hoffmann.

Ich meine: Du würdeſt bei einer Heirath auf Geld ſehen.

Loth.

Unbedingt.

Hoffmann.

Und dann giebt es wie ich Dich kenne noch eine lange Zaspel anderer Forderungen.

Loth.

Sind vorhanden! leibliche und geiſtige Geſundheit der Braut zum Beiſpiel iſt conditio sine qua non.

Hoffmann
(lachend).

Vorzüglich, dann wird ja wohl vorher eine ärztliche Unterſuchung der Braut nothwendig werden. Göttlicher Hecht!

Loth
(immer ernſt).

Ich ſtelle aber auch an mich Forderungen, mußt Du nehmen.

Hoffmann
(immer heiterer).

Ich weiß, weiß! ... wie Du 'mal die Literatur über Liebe durchgingſt, um auf das Gewiſſenhafteſte feſtzuſtellen ob das, was Du damals für irgend eine Dame empfandeſt, auch wirklich Liebe ſei. Alſo ſag' doch 'mal noch einige Deiner Forderungen.

Loth.

Meine Frau müßte zum Beiſpiel entſagen können.

Helene.

Wenn ... wenn ... ach! ich will65 lieber nicht reden ... ich wollte nur ſagen: die Frau iſt doch im Allgemeinen an's Entſagen gewöhnt.

Loth.

Um's Himmels willen! Sie verſtehen mich durchaus falſch. So iſt das Entſagen nicht gemeint. Nur in ſofern verlange ich Entſagung, oder beſſer, nur auf den Theil meines Weſens, der meiner Lebensaufgabe gehört, müßte ſie freiwillig und mit Freuden verzichten. Nein, nein! im Uebrigen ſoll meine Frau fordern, und immer fordern Alles was ihr Geſchlecht im Laufe der Jahrtauſende eingebüßt hat.

Hoffmann.

Au! au! au! ... Frauenemancipation! wirklich Deine Schwenkung war bewunderungswürdig nun biſt Du ja im rechten Fahrwaſſer. Fritz Loth, oder der Agitator in der Weſtentaſche! ......... Wie würdeſt Du denn hierin Deine Forderungen formuliren, oder beſſer: wie weit müßte Deine Frau emancipirt ſein? Es amüſirt mich wirklich Dich an - zuhören Cigarren rauchen? Hoſen tragen?

Loth.

Das nun weniger aber ſie müßte allerdings, über gewiſſe geſellſchaftliche Vorurtheile hinaus ſein. Sie müßte zum Beiſpiel nicht davor zurückſchrecken zuerſt falls ſie nämlich wirklich Liebe zu mir empfände das bewußte Bekenntniß abzulegen.

Hoffmann
(iſt mit frühſtücken zu Ende. Springt auf, in halb ernſter, halb komiſcher Entrüſtung).

Weißt Du! das ... das iſt ... eine geradezu unverſchämte Forderung! mit der Du allerdings auch wie ich Dir hiermit prophezeihe wenn Du nicht etwa vorziehſt, ſie fallen zu laſſen, bis an Dein Lebensende herumlaufen wirſt.

Helene
(mit ſchwer bewältigter, innerer Erregung).

Ich bitte die Herren mich jetzt zu entſchuldigen die Wirth - ſchaft ... Du weißt, Schwager: Mama iſt in der Stube und da ...

Hoffmann.

Laß Dich nicht abhalten.

(Helene verbeugt ſich; ab.)
Hoffmann
(mit dem Streichholzetui nach dem Cigarrenkiſtchen, das auf dem Buffet ſteht, zuſchreitend).

Das muß wahr ſein ... 566Du bringſt einen in Hitze, ... ordentlich unheimlich.

(Nimmt eine Cigarre aus der Kiſte und läßt ſich dann auf das Sopha links vorn nieder. Er ſchneidet die Spitze der Cigarre ab und hält während des Folgenden die Cigarre in der Linken, das abgetrennte Spitzchen zwiſchen den Fingern der rechten Hand.)

Bei alledem ... es amüſirt doch. Und dann: Du glaubſt nicht, wie wohl es thut, ſo'n paar Tage auf dem Lande, abſeit von den Geſchäften zuzubringen. Wenn nur nicht heute dies verwünſchte ... wie ſpät iſt es denn eigentlich? Ich muß nämlich leider Gottes heute zu einem Eſſen nach der Stadt. Es war unumgänglich: dies Diner mußte ich geben. Was ſoll man machen, als Geſchäftsmann? Eine Hand wäſcht die andere. Die Bergbeamten ſind nun 'mal d'ran gewöhnt. Na! eine Cigarre kann man noch rauchen, in aller Gemüthsruhe.

(Er trägt das Spitz - chen nach dem Spucknapf, läßt ſich dann abermals auf dem Sopha nieder und ſetzt ſeine Cigarre in Brand.)
Loth
(am Tiſch; blättert ſtehend in einem Prachtwerk).

Die Aben - teuer des Grafen Sandor.

Hoffmann.

Dieſen Unſinn findeſt Du hier bei den meiſten Bauern aufliegen.

Loth
(unter dem Blättern).

Wie alt iſt eigentlich Deine Schwägerin?

Hoffmann.

Im Auguſt einundzwanzig geweſen.

Loth.

Iſt ſie leidend?

Hoffmann.

Weiß nicht. Glaube übrigens nicht macht Sie Dir den Eindruck?

Loth.

Sie ſieht allerdings mehr verhärmt als krank aus.

Hoffmann.

Na ja! die Scherereien mit der Stief - mutter ......

Loth.

Auch ziemlich reizbar ſcheint ſie zu ſein!?

Hoffmann.

Unter ſolchen Verhältniſſen ..... Ich möchte den ſehen, der unter ſolchen Verhältniſſen nicht reizbar werden würde.

..................

Loth.

Viel Energie ſcheint ſie zu beſitzen.

Hoffmann.

Eigenſinn!

Loth.

Auch Gemüth, nicht?

67
Hoffmann.

Zu viel mitunter ...... ..................

Loth.

Wenn die Verhältniſſe hier ſo mißlich für ſie ſind warum lebt Deine Schwägerin dann nicht in Deiner Familie?

Hoffmann.

Frag ſie, warum! Oft genug hab ich's ihr angeboten. Frauenzimmer haben eben ihre Schrullen.

(Die Cigarre im Munde, zieht Hoffmann ein Notizbuch und ſummirt einige Poſten.)

Du nimmſt es mir doch wohl nicht übel, wenn ich ..... wenn ich Dich dann allein laſſen muß?

Loth.

Nein, gar nicht.

Hoffmann.

Wie lange gedenkſt Du denn noch ....?

Loth.

Ich werde mir bald nachher eine Wohnung ſuchen. Wo wohnt denn eigentlich Schimmelpfennig? Am beſten, ich gehe zu ihm, der wird mir gewiß etwas vermitteln können; hoffentlich findet ſich bald etwas Ge - eignetes, ſonſt würde ich die nächſte Nacht im Gaſthaus nebenan zubringen.

Hoffmann.

Wieſo denn? Natürlich bleibſt Du dann bis morgen bei uns. Freilich, ich bin ſelbſt nur Gaſt in dieſem Hauſe ſonſt würde ich Dich natürlich auffordern ........ Du begreifſt ......!

Loth.

Vollkommen! ......... ..................

Hoffmann.

Aber, ſag doch mal ſollte das wirklich Dein Ernſt geweſen ſein ....?

Loth.

Daß ich die nächſte Nacht im Gaſt ....?

Hoffmann.

Unſinn! ... Bewahre! Was Du vorhin ſagteſt, meine ich. Die Geſchichte da mit Deiner vertrackten deſcriptiven Arbeit?

Loth.

Weshalb nicht?

Hoffmann.

Ich muß Dir geſtehen, ich hielt es für Scherz.

(Er erhebt ſich, vertraulich, halb und halb im Scherz.)

Wie? Du ſollteſt wirklich fähig ſein, hier .... gerade hier, wo ein Freund von Dir glücklich feſten Fuß gefaßt hat, den Boden zu unterwühlen?

5*68
Loth.

Mein Ehrenwort, Hoffmann! Ich hatte keine Ahnung davon, daß Du Dich hier befändeſt. Hätte ich das gewußt .....

Hoffmann
(ſpringt auf, hocherfreut).

Schon gut! ſchon gut! Wenn die Sachen ſo liegen .... ſiehſt Du, das freut mich aufrichtig, daß ich mich nicht in Dir getäuſcht habe. Alſo, Du weißt es nun, und ſelbſtredend erhältſt Du die Koſten der Reiſe und Alles, was drum und dran baumelt, von mir vergütet. Ziere Dich nicht! es iſt einfach meine Freundespflicht .... Daran erkenne ich meinen alten, biederen Loth! Denke mal an: ich hatte Dich wirklich eine Zeit lang ernſtlich im Verdacht .... Aber nun muß ich Dir auch ehrlich ſagen, ſo ſchlecht, wie ich mich zuweilen hinſtelle, bin ich keineswegs. Ich habe Dich immer hochgeſchätzt: Dich und Dein ehrliches, conſequentes Streben. Ich bin der Letzte, der gewiſſe leider, leider mehr als berechtigte Anſprüche der aus - gebeuteten, unterdrückten Maſſen nicht gelten läßt. Ja, lächle nur, ich gehe ſogar ſo weit, zu bekennen, daß es im Reichstag nur eine Partei giebt, die Ideale hat: und das iſt dieſelbe, der Du angehörſt! .......... Nur wie geſagt langſam! langſam! nichts überſtürzen. Es kommt Alles, kommt Alles, wie es kommen ſoll. Nur Geduld! Geduld ....!

Loth.

Geduld muß man allerdings haben. Des - halb aber iſt man noch nicht berechtigt, die Hände in den Schooß zu legen.

Hoffmann.

Ganz meine Anſicht! Ich hab 'Dir überhaupt in Gedanken weit öfter zugeſtimmt, als mit Worten. Es iſt' ne Unſitte, ich geb's zu. Ich hab mir's angewöhnt, im Verkehr mit Leuten, die ich nicht gern in meine Karten ſehen laſſe .... Auch in der Frauenfrage .... Du haſt Manches ſehr treffend geäußert.

(Er iſt inzwiſchen an's Telephon getreten, weckt und ſpricht theils in's Telephon, theils zu Loth.)

Die kleine Schwägerin war übri - gens ganz Ohr..

(Ins Telephon.)

Franz! In zehn Minuten muß angeſpannt ſein ....

(Zu Loth.)

Es hat ihr Eindruck69 gemacht ....

(Ins Telephon.)

Was? ach was, Unſinn! Na, da hört doch aber ..... dann ſchirren Sie ſchleunigſt die Rappen an .....

(Zu Loth.)

Warum ſollte es ihr keinen Eindruck machen? ...

(Ins Telephon.)

Gerechter Strohſack, zur Putzmacherin ſagen Sie? die gnädige Frau .... die gnä ... Ja na ja! aber ſofort na ja! ja! ſchön! Schluß!

(Nachdem er darauf den Knopf der Hausklingel gedrückt, zu Loth.)

Wart nur ab, Du! Laß mich nur erſt den entſprechen - den Monetenberg aufgeſchichtet haben, vielleicht geſchieht dann etwas ...

(Eduard iſt eingetreten.)

Eduard! Meine Ga - maſchen, meinen Gehrock!

(Eduard ab.)

Vielleicht geſchieht dann etwas, was Ihr mir Alle jetzt nicht zutraut .... Wenn Du in zwei oder drei Tagen bis dahin wohnſt Du unbedingt bei uns ich müßte es ſonſt als eine grobe Beleidigung anſehen

(er legt den Schlafrock ab)

in zwei bis drei Tagen alſo, wenn Du abzureiſen ge - denkſt, bringe ich Dich mit meiner Kutſche zur Bahn.

(Eduard mit Gehrock und Gamaſchen tritt ein.)
Hoffmann
(indem er ſich den Rock überziehen läßt).

So!

(Auf einen Stuhl niederſitzend).

Nun die Stiefel!

(Nachdem er einen derſelben angezogen).

Das wäre einer!

Loth.

Du haſt mich doch wohl nicht ganz ver - ſtanden.

Hoffmann.

Ach ja! das iſt leicht möglich. Man iſt ſo raus aus all den Sachen. Nur immer lederne Geſchäftsangelegenheiten. Eduard! iſt denn noch keine Poſt gekommen? Warten Sie mal! Gehen Sie doch mal in mein Zimmer! Auf dem Pult links liegt ein Schriftſtück mit blauem Deckel, bringen Sie's raus in die Wagentaſche.

(Eduard ab in die Thür rechts, dann zurück und ab durch die Mittelthür.)
Loth.

Ich meine ja nur: Du haſt mich in einer Beziehung nicht verſtanden.

Hoffmann
(ſich immer noch mit dem zweiten Schuh herumquälend).

Upſa! .... So!

(er ſteht auf und tritt die Schuhe ein)

da wären wir. Nichts iſt unangenehmer als enge Schuhe .... Was meinteſt Du eben?

70
Loth.

Du ſprachſt von meiner Abreiſe ....

Hoffmann.

Nun?

Loth.

Ich habe Dir doch bereits geſagt, daß ich um eines ganz beſtimmten Zweckes willen hier am Ort bleiben muß.

Hoffmann
(auf's Aeußerſte verblüfft und entrüſtet zugleich).

Hör mal ....! das iſt aber beinahe nichtswürdig!!! Weißt Du denn nicht, was Du mir als Freund ſchuldeſt?

Loth.

Doch wohl nicht den Verrath meiner Sache!?

Hoffmann
(außer ſich).

Nun, dann ... dann habe ich auch nicht die kleinſte Veranlaſſung, Dir gegenüber als Freund zu verfahren. Ich ſage Dir alſo: daß ich Dein Auftreten hier gelinde geſprochen für fabelhaft dreiſt halte.

Loth
(ſehr ruhig).

Vielleicht erklärſt Du mir, was Dich berechtigt, mich mit dergleichen Epitheta .....

Hoffmann.

Das ſoll ich Dir auch noch erklären? Da hört eben Verſchiedenes auf! Um ſo was nicht zu fühlen, muß man Rhinoceroshaut auf dem Leibe haben! Du kommſt hierher, genieß'ſt meine Gaſtfreund - ſchaft, driſch'ſt mir ein paar Schock Deiner abgegriffnen Phraſen vor, verdrehſt meiner Schwägerin den Kopf, ſchwatzeſt von alter Freundſchaft und ſo was Gut's und dann erzählſt Du ganz naiv: Du wollteſt eine deſcriptive Arbeit über hieſige Verhältniſſe verfertigen. Ja, für was hältſt Du mich denn eigentlich? Meinſt Du viel - leicht, ich wüßte nicht, daß ſolche ſogenannte Arbeiten nichts als ſchamloſe Pamphlete ſind? .... Solch eine Schmähſchrift willſt Du ſchreiben und zwar über unſeren Kohlendiſtrict. Sollteſt Du denn wirklich nicht begreifen, wen dieſe Schmähſchrift am allerſchärfſten ſchädigen müßte? doch nur mich! Ich ſage: man ſollte Euch das Handwerk noch gründlicher legen, als es bisher ge - ſchehen iſt, Volksverführer! die Ihr ſeid. Was thut Ihr? Ihr macht den Bergmann unzufrieden, anſpruchs - voll, reizt ihn, erbittert ihn, macht ihn aufſäſſig, ungehorſam, unglücklich, ſpiegelt ihm goldene Berge vor71 und grapſcht ihm unter der Hand ſeine paar Hunger - pfennige aus der Taſche.

Loth.

Erachteſt Du Dich nun als demaskirt?

Hoffmann
(roh).

Ach was! Du lächerlicher, ge - ſpreizter Tugendmeier! Was mir das wohl ausmacht, vor Dir demaskirt zu ſein! Arbeite lieber! Laß Deine albernen Faſeleien! Thu was! Komm zu was! Ich brauche Niemand um zweihundert Mark an - zupumpen.

(Schnell ab durch die Mittelthür.)
(Loth ſieht ihm einige Augenblicke ruhig nach, dann greift er, nicht minder ruhig, in ſeine Bruſttaſche, zieht ein Portefeuille und entnimmt ihm ein Stück Papier (den Chec Hoffmann's), das er mehrmals durchreißt, um die Schnitzel dann langſam in den Kohlenkaſten fallen zu laſſen. Hierauf nimmt er Hut und Stock und wendet ſich zum Gehen. Jetzt erſcheint Helene auf der Schwelle des Wintergartens.)
Helene
(leiſe).

Herr Loth!

Loth
(zuckt zuſammen, wendet ſich).

Ah! Sie ſind es. Nun dann kann ich Ihnen doch wenigſtens ein Lebewohl ſagen.

Helene
(unwillkürlich).

War Ihnen das Bedürfniß?

Loth.

Ja! es war mir Bedürfniß ! Ver - muthlich wenn Sie da drin geweſen ſind haben Sie den Auftritt hier mit angehört und dann .....

Helene.

Ich habe Alles mit angehört.

Loth.

Nun dann wird es Sie nicht in Erſtaunen ſetzen, wenn ich dieſes Haus ſo ohne Sang und Klang verlaſſe.

Helene.

N nein! ich begreife ! ... .................. Vielleicht kann's Sie milder gegen ihn ſtimmen ... mein Schwager bereut immer ſehr ſchnell. Ich hab's oft ...

Loth.

Ganz möglich ! Vielleicht gerade des - halb aber iſt das, was er über mich ſagte, ſeine wahre Meinung von mir. Es iſt ſogar unbedingt ſeine wahre Meinung.

Helene.

Glauben Sie das im Ernſt?

Loth.

Ja! im Ernſt! Alſo ....

(er geht auf ſie zu und giebt ihr die Hand)

leben Sie recht glücklich!

(Er wendet72 ſich und ſteht ſogleich wieder ſtill.)

Ich weiß nicht ....! oder beſſer:

(Helenen klar und ruhig in's Geſicht blickend.)

Ich weiß, weiß erſt ſeit ... ſeit dieſem Augenblick, daß es mir nicht ganz leicht iſt, von hier fortzugehen .... und .... ja ... und ... na ja!

Helene.

Wenn ich Sie aber recht ſchön bäte .... recht ſehr ... noch weiter hier zu bleiben ?

Loth.

Sie theilen alſo nicht die Meinung Ihres Schwagers?

Helene.

Nein!! und das wollte ich Ihnen unbedingt ... unbedingt noch ſagen, bevor ... bevor Sie gingen.

Loth
(ergreift abermals ihre Hand).

Das thut mir wirk - lich wohl.

Helene
(mit ſich kämpfend. In einer ſich ſchnell bis zur Bewußt - loſigkeit ſteigernden Erregung. Mühſam hervorſtammelnd).

Auch noch mehr w ollte ich Ihnen ... Ihnen ſagen, nämlich .... näm lich: daß ich Sie ſehr hoch achte und verehre wie ich bis jetzt .... bis jetzt noch keinen Mann ...., daß ich Ihnen vertraue, daß ich be reit bin, das ..... das zu beweiſen daß ich etwas für Dich, Sie fühle

(ſinkt ohnmächtig in ſeine Arme),
Loth.

Helene!

Vorhang fällt ſchnell.
73

Vierter Akt.

(Wie im zweiten Akt: der Gutshof. Zeit: eine Viertelſtunde nach Helenens Liebeserklärung.)
(Marie und Goliſch, der Kuhjunge, ſchleppen ſich mit einer hölzernen Lade die Bodentreppe herunter. Loth kommt reiſefertig aus dem Hauſe und geht langſam und nachdenklich quer über den Hof. Bevor er in den Wirthshaus - ſteg einbiegt, ſtößt er auf Hoffmann, der mit ziemlicher Eile durch den Hof - eingang ihm entgegen kommt.)
Hoffmann
(Cylinder, Glacéhandſchuhe).

Sei mir nicht böſe.

(Er verſtellt Loth den Weg und faßt ſeine beiden Hände.)

Ich nehme hier - mit Alles zurück! ... nenne mir eine Genugthuung! ... Ich bin zu jeder Genugthuung bereit! ... ich bereue, bereue Alles aufrichtig.

Loth.

Das hilft Dir und mir wenig.

Hoffmann.

Ach! wenn Du doch .... ſieh mal ....! mehr kann man doch eigentlich nicht thun. .................. Ich ſage Dir: mein Gewiſſen hat mir keine Ruhe ge - laſſen! Dicht vor Jauer bin ich umgekehrt, .... daran ſollteſt Du doch ſchon erkennen, daß es mir Ernſt iſt. Wo wollteſt Du hin ....?

Loth.

In's Wirthshaus einſtweilen.

Hoffmann.

Ach, das darfſt Du mir nicht an - thun .....! das thu mir nur nicht an! Ich glaube ja, daß es Dich tief kränken mußte. 's iſt ja auch viel - leicht nicht ſo mit ein paar Worten wieder gut zu machen. Nur nimm mir nicht jede Gelegenheit ..... jede Möglichkeit, Dir zu beweiſen ...... hörſt Du? Kehr um! .... Bleib wenigſtens bis ... bis morgen. Oder bis ... bis ich zurückkomme. Ich muß mich noch74 einmal in Muße mit Dir ausſprechen darüber; das kannſt Du mir nicht abſchlagen.

Loth.

Wenn Dir daran beſonders viel gelegen iſt ....

Hoffmann.

Alles! ... auf Ehre! iſt mir daran gelegen, Alles! .... alſo komm! ... komm!! Kneif ja nicht aus! komm!

(Er führt Loth, der ſich nun nicht mehr ſträubt, in das Haus zurück. Beide ab.)

(Die entlaſſene Magd und der Kuhjunge haben inzwiſchen die Lade auf den Schubkarren geſetzt, Goliſch hat die Traggurte umgenommen.)
Marie
(während ſie Goliſch etwas in die Hand drückt).

Doo! Gooſchla! huſt a woas!

Der Junge
(weiſt es ab).

Behaal 'Den'n Biema!

Marie.

Ae! tumme Dare!

Der Junge.

Na, wegen menner.

(Er nimmt das Geld und thut es in ſeinen ledernen Geldbeutel.)
Frau Spiller
(von einem der Wohnhausfenſter aus, ruft).

Marie!

Marie.

Woas wullt er noo?

Frau Spiller
(nach einer Minute aus der Hausthür tretend).

Die gnädige Frau will Dich behalten, wenn Du ver - ſprichſt ....

Marie.

Dreck!!! war ich er verſprecha! Foahr zu, Gooſch!

Frau Spiller
(näher tretend).

Die gnädige Frau will Dir auch etwas am Lohn zulegen, wenn Du ....

(plötzlich flüſternd:)

Mach Der niſcht draus, Moad! ſe werd ok manchmal ſo'n Bisken kullerig.

Marie
(wüthend).

Se maag ſiich ihre poar Greſchla fer ſiich behahl'n!

(Weinerlich:)

Ehnder derhingern!

(Sie folgt Goſch, der mit dem Schubkarren voran gefahren iſt.)

Nee, a ſu woas oaber oo! Do ſool eens do glei '...

(Ab.) (Frau Spiller ihr nach ab.)

(Durch den Haupteingang kommt Baer, genannt Hopslabaer. Ein langer Menſch mit einem Geierhalſe und Kropfe dran. Er geht barfuß und ohne Kopfbedeckung, die Beinkleider reichen, unten ſtark ausgefranſt, bis wenig unter die Knie herab. Er hat eine Glatze; das vorhandene braune, verſtaubte und verklebte Haar reicht ihm bis über die Schulter. Sein Gang iſt ſtraußen - artig. An einer Schnur führt er ein Kinderwägelchen voll Sand mit ſich. Sein Geſicht iſt bartlos, die ganze Erſcheinung deutet auf einen einige Zwanzig alten verwahrloſten Bauerburſchen.)
75
Baer
(mit merkwürdig blökender Stimme).

Saaa a and! Saa and!

(Er geht durch den Hof und verſchwindet zwiſchen Wohnhaus und Stall - gebäude. Hoffmann und Helene aus dem Wohnhaus. Helene ſieht bleich aus und trägt ein leeres Waſſerglas in der Hand.)
Hoffmann
(zu Helene).

Unterhalt ihn biſſel! verſtehſt Du? Laß ihn nicht fort es liegt mir ſehr viel daran. So'n beleidigter Ehrgeiz ... Adieu! Ach! Soll ich am Ende nicht fahren? Wie geht's mit Martha? Ich hab ſo'n eigenthümliches Gefühl, als ob's bald ..... Unſinn! Adieu! ... höchſte Eile!

(Ruft).

Franz! Was die Pferde laufen können!

(Schnell ab durch den Haupteingang.)

(Helene geht zur Pumpe, pumpt das leere Glas voll und leert es auf einen Zug. Ein zweites Glas Waſſer leert ſie zur Hälfte. Das Glas ſetzt ſie dann auf das Pumpenrohr und ſchlendert langſam, von Zeit zu Zeit rückwärts ſchauend, durch den Thorweg hinaus. Baer kommt zwiſchen Wohnhaus und Stallung hervor und hält mit ſeinem Wagen vor der Wohnhausthür ſtill, wo Miele ihm Sand abnimmt. Indeß iſt Kahl von rechts innerhalb des Grenz - zaunes ſichtbar geworden, im Geſpräch mit Frau Spiller, die außerhalb des Zaunes, alſo auf dem Terrain des Hofeingangs, ſich befindet. Beide bewegen ſich im Geſpräch langſam längs des Zaunes hin.)
Frau Spiller
(leidend).

Ach ja m gnädiger Herr Kahl! Ich hab m manchmal ſo an Sie m gedacht m wenn ..... wenn das gnädige Freilein ....... Sie iſt doch nun mal m ſo zu ſagen m mit Sie verlobt, und da .... ach! m zu meiner Zeit ....!

Kahl
(ſteigt auf die Bank unter der Eiche und befeſtigt einen Meiſe - kaſten auf dem unterſten Aſt).

W wenn werd denn d. .dd..doas D ... d ... d ... ducterluder amol ſſſenner W ... wwwege gihn? ?

Frau Spiller.

Ach, Herr Kahl! Ich glaube m nicht ſo bald. A. .ach, Herr m Kahl, ich bin zwar ſo zu ſagen m etwas m herabjekommen, aber ich weiß ſo zu ſagen m was Bildung iſt. In dieſer Hinſicht, Herr Kahl ... das Freilein m das gnädige Freilein ..., das handeln nicht gut gegen Ihnen nein! m darin, ſo zu ſagen m habe ich mir nie etwas zu Schulden kommen laſſen m mein Gewiſſen 76 m gnädiger Herr Kahl, iſt darin ſo rein ... ſo zu ſagen, wie reiner Schnee.

(Baer hat ſein Sandgeſchäft abgewickelt und verläßt in dieſem Augenblick, an Kahl vorübergehend, den Hof.)
Kahl
(entdeckt Baer und ruft).

Hopslabaer, hops amool!!

(Baer macht einen rieſigen Luftſprung.)
Kahl
(vor Lachen wiehernd, ruft ein zweites Mal).

Hopslabaer, hops amool!!

Frau Spiller.

Nun da m ja, Herr Kahl! ..... ich meine es nur gut mit Sie. Sie müſſen Obacht geben m gnädiger Herr! Es m es iſt was im Gange mit dem gnädigen Fräulein und m m

Kahl.

D. .doas Ducterluder ... ok bbbblußig emool vor a Hunden blußig e. .e..e..emool!

Frau Spiller
(geheimnißvoll).

Und was das nun noch m für ein Indifidium iſt. Ach m das gnädige Freilein thut mir auch ſoo leid. Die Frau m vom Polizeidiener, die hat's vom Amte, glaub ich. Es ſoll ein ganz m gefährlicher Menſch ſein. Ihr Mann m ſoll ihn ſo zu ſagen m denken Sie nur, ſoll ihn m geradezu im Auge behalten.

(Loth aus dem Hauſe. Sieht ſich um.)
Frau Spiller.

Seh'n Sie, nun jeht er dem gnädigen Freilein nach m . Aa. .ach, zuu leid thut es einem.

Kahl.

Na wart!

(Ab.)
(Frau Spiller geht nach der Hausthüre, als ſie an Loth vorbeikommt, macht ſie eine tiefe Verbeugung. Ab in das Haus.)
(Loth langſam durch den Thorweg ab. Die Kutſchenfrau, eine magere, abgehärmte und ausgehungerte Frauensperſon, kommt zwiſchen Stallgebäude und Wohnhaus hervor. Sie trägt einen großen Topf unter ihrer Schürze verſteckt und ſchleicht damit, ſich überall ängſtlich umblickend, nach dem Kuhſtall. Ab in die Kuhſtallthür. Die beiden Mägde, jede eine Schubkarre, hoch mit Klee beladen, vor ſich herſtoßend, kommen durch den Thorweg herein. Beibſt, die Senſe über der Schulter, die kurze Pfeife im Munde, folgt ihnen nach. Lieſe hat ihre Schub - karre vor die linke, Auguſte vor die rechte Stallthür gefahren, und beide Mädchen beginnen große Arme voll Klee in den Stall hinein zu ſchaffen.)
Lieſe
(leer aus dem Stalle herauskommend).

Du, Guſte! de Marie iis furt.

77
Auguſte.

Joa wull doch?!

Lieſe.

Gih nei! freu 'die Kutſcha-Franzen, ſe milkt er an Truppen Milch ei.

Beibſt
(hängt ſeine Senſe an der Wand auf).

Na! doa lußt ok de Spillern nee ernt derzune kumma.

Auguſte.

Oh jechtich! nee ok nee! bei Leibe nich!

Lieſe.

A ſu a oarm Weib miit achta.

Auguſte.

Acht kleene Bälge! die wull'n laba.

Lieſe.

Nee amool an Truppen Milch thun ſ 'er ginn'n ... meſchant iis doas.

Auguſte.

Wu milkt ſe denn?

Lieſe.

Ganz derhinga, de neumalke Fenus!

Beibſt
(ſtopft ſeine Pfeife; den Tabaksbeutel mit den Zähnen feſt - haltend, nuſchelt er).

De Marie wär weg?

Lieſe.

Ju, ju, 's iis ſer gewiß! der Pfaar - knecht hot gle bein er geſchloofa.

Beibſt
(den Tabaksbeutel in die Taſche ſteckend).

Amool wiil Jedes! au 'de Frau.

(Er zündet ſich die Pfeife an, darauf durch den Haupteingang ab. Im Abgehen:)

Ich gih a wing frihſticka!

Die Kutſchenfrau
(den Topf voll Milch vorſichtig unter der Schürze, guckt aus der Stallthür heraus).

Sitt ma Jemanda?

Lieſe.

Koanſt kumma, Kutſchen, ma ſitt ken'n. Kumm! kumm ſchnell!

Kutſchenfrau
(im Vorübergehen zu den Mägden).

Ok ferſch Pappekindla!

Lieſe
(ihr nachrufend).

Schnell! 's kimmt Jemand.

(Kutſchenfrau zwiſchen Wohnhaus und Stallung ab.)
Auguſte.

Blußig ok inſe Frele.

(Die Mägde räumen nun weiter die Schubkarren ab und ſchieben ſie, wenn ſie leer ſind unter den Thorweg, hierauf Beide ab in den Kuhſtall.)
(Loth und Helene kommen zum Thorweg herein.)
Loth.

Widerlicher Menſch! dieſer Kahl, frecher Spion!

Helene.

In der Laube vorn, glaub ich ...

( Sie gehen durch das Pförtchen in das Gartenſtückchen links vorn und in die Laube daſelbſt.)

Es iſt mein Lieblingsplatz. Hier bin ich noch am ungeſtörteſten, wenn ich mal was leſen will.

Loth.

Ein hübſcher Platz hier. Wirklich! 78

Beide ſetzen ſich, ein wenig von einander getrennt, in der Laube nieder Schweigen. Darauf Loth:)

Sie haben ſo ſehr ſchönes und reiches Haar, Fräulein!

Helene.

Ach ja, mein Schwager ſagt das auch. Er meinte, er hätte es kaum ſo geſehen auch in der Stadt nicht ........ Der Zopf iſt oben ſo dick wie mein Handgelenk .......... Wenn ich es losmache, dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie mal ! Es fühlt ſich wie Seide an, gelt?

Loth.

Ganz wie Seide.

(Ein Zittern durchläuft ihn, er beugt ſich und küßt das Haar.)
Helene
(erſchreckt).

Ach nicht doch! Wenn ......

Loth.

Helene ! War das vorhin nicht Dein Ernſt?

Helene.

Ach! ich ſchäme mich ſo ſchrecklich. Was habe ich nur gemacht? Dir ... Ihnen an den Hals geworfen habe ich mich. Für was müſſen Sie mich halten ...!

Loth
(rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die ſeine).

Wenn Sie ſich doch darüber beruhigen wollten!

Helene
(ſeufzend).

Ach, das müßte Schweſter Schmitt - gen wiſſen .... ich ſehe gar nicht hin!

Loth.

Wer iſt Schweſter Schmittgen?

Helene.

Eine Lehrerin aus der Penſion.

Loth.

Wie können Sie ſich nur über Schweſter Schmittgen Gedanken machen!

Helene.

Sie war ſehr gut ....!

(Sie lacht plötzlich heftig in ſich hinein.)
Loth.

Warum lachſt Du denn ſo auf einmal?

Helene
(zwiſchen Pietät und Laune).

Ach! .... Wenn ſie auf dem Chor ſtand und ſang ..... Sie hatte nur noch einen einzigen langen Zahn .... da ſollte es immer heißen: Tröſte, tröſte mein Volk! und es kam immer heraus: 'Röſte,' röſte mein Volk! Das war zu drollig .... da mußten wir immer ſo lachen .... wenn ſie ſo durch den Saal .... 'röſte! röſte!

(Sie kann ſich vor Lachen nicht laſſen, Loth iſt von ihrer Heiterkeit angeſteckt. Sie kommt ihm dabei ſo lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um ſie79 zu legen. Helene wehrt es ab.)

Ach nein doch ....! Ich habe mich Dir ... Ihnen an den Hals geworfen.

Loth.

Ach! ſagen Sie doch nicht ſo etwas.

Helene.

Aber ich bin nicht ſchuld, Sie haben ſich's ſelbſt zuzuſchreiben. Warum verlangen Sie .....

(Loth legt nochmals ſeinen Arm um ſie, zieht ſie feſter an ſich. Anfangs ſträubt ſie ſich ein wenig, dann giebt ſie ſich drein und blickt nun mit freier Glückſeligkeit in Loth's glücktrunkenes Geſicht, das ſich über dasihre beugt. Unverſehens, aus einer gewiſſen Schüchternheit heraus küßt ſie ihn zuerſt auf den Mund. Beide werden roth, dann giebt Loth ihr den Kuß zurück; lang, innig, feſt drückt ſich ſein Mund auf den ihren. Ein Geben und Nehmen von Küſſen iſt eine Zeit hindurch die einzige Unterhaltung ſtumm und beredt zugleich der Beiden. Loth ſpricht dann zuerſt.)
Loth.

Lene, nicht? Lene heißt Du hier ſo?

Helene
(küßt ihn ....).

Nenn mich anders ...... Nenne mich, wie Du gern möcht'ſt.

Loth.

Liebſte! ...........

(Das Spiel mit dem Küſſetauſchen und ſich gegenſeitig Betrachten wiederholt ſich.)
Helene
(von Loth's Armen feſt umſchlungen, ihren Kopf an ſeiner Bruſt, mit verſchleierten glückſeligen Augen, flüſtert im Ueberſchwang).

Ach! wie ſchön! Wie ſchön !!!

Loth.

So mit Dir ſterben!

Helene
(mit Inbrunſt).

Leben! ....

( Sie löſt ſich aus ſeinen Armen).

Warum denn jetzt ſterben? ..... jetzt ...

Loth.

Das mußt Du nicht falſch auffaſſen. Von jeher berauſche ich mich .... beſonders in glücklichen Momenten berauſche ich mich in dem Bewußtſein, es in der Hand zu haben, weißt Du!

Helene.

Den Tod in der Hand zu haben?

Loth
(ohne jede Sentimentalität).

Ja! und ſo hat er gar nichts Grauſiges, im Gegentheil, ſo etwas Freundſchaft - liches hat er für mich. Man ruft und weiß beſtimmt, daß er kommt. Man kann ſich dadurch über alles Mög - liche hinwegheben, Vergangenes und Zukünftiges ....

Helenen's Hand betrachtend).

Du haſt eine ſo wunderhübſche Hand.

(Er ſtreichelt ſie.)
Helene.

Ach ja! ſo .....

( Sie drückt ſich auf's Neue in ſeine Arme.)

............. ..................

80
Loth.

Nein, weißt Du! ich hab nicht gelebt! ..... bisher nicht!

Helene.

Denkſt Du ich? ........ .................. Mir iſt faſt taumlig .... taumelig bin ich vor Glück. Gott! wie iſt das nur ſo auf einmal .....

Loth.

Ja, ſo auf ein mal ...... ..................

Helene.

Hör mal! ſo iſt mir: die ganze Zeit meines Lebens, ein Tag! geſtern und heut, ein Jahr! gelt?

Loth.

Erſt geſtern bin ich gekommen?

Helene.

Ganz gewiß! eben! natürlich! ..... Ach, ach! Du weißt es nicht mal!

Loth.

Es kommt mir wahrhaftig auch vor .......

Helene.

Nicht ? Wie 'n ganzes geſchlagnes Jahr! Nicht ?

(Halb aufſpringend:)

Wart ....! Kommt da nicht ....

(Sie rücken aus einander.)

... .................. Ach! es iſt mir auch egal. Ich bin jetzt ſo muthig

(ſie bleibt ſitzen und muntert Loth mit einem Blick auf, näher zu rücken, was dieſer ſogleich thut).
Helene
(in Loth's Armen).

......... Du! Was thun wir denn nu zuerſt?

Loth.

Deine Stiefmutter würde mich wohl abweiſen.

Helene.

Ach, meine Stiefmutter .... das wird wohl gar nicht .... gar nichts geht's die an! Ich mache, was ich will ..... Ich hab mein mütterliches Erbtheil, mußt Du wiſſen.

Loth.

Deshalb meinſt Du ....

Helene.

Ich bin majorenn, Vater muß mir's auszahlen.

Loth.

Du ſtehſt wohl nicht gut mit Allen hier? Wohin iſt denn Dein Vater verreiſt?

Helene.

Verr ... Du haſt ...? ach, Du haſt Vater noch nicht geſehen?

81
Loth.

Nein! Hoffmann ſagte mir ....

Helene.

Doch! ... haſt Du ihn ſchon einmal geſehen.

Loth.

Ich wüßte nicht! ... Wo denn, Liebſte?

Helene.

Ich ...

(ſie bricht in Thränen aus)

nein, ich kann kann Dir's noch nicht ſagen .... zu furchtbar ſchrecklich iſt das.

Loth.

Furchtbar ſchrecklich? Aber Helene! iſt denn Deinem Vater etwas ...

Helene.

Ach! frag mich nicht! jetzt nicht! ſpäter!

Loth.

Was Du mir nicht freiwillig ſagen willſt, danach werde ich Dich auch gewiß nicht mehr fragen .................. Sieh mal, was das Geld anlangt ..... im ſchlimmſten Falle .... ich verdiene ja mit dem Artikelſchreiben nicht gerade überflüſſig viel, aber ich denke, es müßte am Ende für uns Beide ganz leidlich hinreichen.

Helene.

Und ich würde doch auch nicht müßig ſein. Aber beſſer iſt beſſer. Das Erbtheil iſt vollauf genug. Und Du ſollſt Deine Aufgabe .... nein, die ſollſt Du unter keiner Bedingung aufgeben, jetzt erſt recht ....! jetzt ſollſt Du erſt recht die Hände frei be - kommen.

Loth
(ſie innig küſſend).

Liebes, edles Geſchöpf! ...... ..................

Helene.

Haſt Du mich wirklich lieb ....? ... Wirklich? ... wirklich?

Loth.

Wirklich.

Helene.

Sag hundert Mal wirklich!

Loth.

Wirklich, wirklich und wahrhaftig.

Helene.

Ach, weißt Du! Du ſchummelſt!

Loth.

Das wahrhaftig gilt hundert wirklich.

Helene.

Soo!? wohl in Berlin?

Loth.

Nein, eben in Witzdorf.

Helene.

Ach, Du! .......... .................. Sieh meinen kleinen Finger an und lache nicht.

682
Loth.

Gern.

Helene.

Haſt Du au ßer Dei ner er ſten Braut noch Andere ge ....? Du!!! Du lachſt.

Loth.

Ich will Dir was im Ernſt ſagen, Liebſte, ich halte es für meine Pflicht .... Ich habe mit einer großen Anzahl Frauen ....

Helene
(ſchnell und heftig auffahrend, drückt ihm den Mund zu).

Um Gott ...! ſag mir das einmal ſpäter wenn wir alt ſind .... nach Jahren wenn ich Dir ſagen werde: jetzt hörſt Du! nicht eher.

Loth.

Gut! wie Du willſt.

Helene.

Lieber was Schönes jetzt! ..... Paß auf! Sprich mir mal das nach:

Loth.

Was?

Helene.

Ich hab Dich

Loth.

Ich hab Dich

Helene.

und nur immer Dich

Loth.

und nur immer Dich

Helene.

geliebt geliebt Zeit meines Lebens

Loth.

geliebt geliebt Zeit meines Lebens

Helene.

und werde nur Dich allein Zeit meines Lebens lieben

Loth.

und werde nur Dich allein Zeit meines Lebens lieben, und das iſt wahr, ſo wahr ich ein ehr - licher Mann bin.

Helene
(freudig).

Das hab ich nicht geſagt.

Loth.

Aber ich.

( Küſſe.)

......... ..................

Helene
(ſummt ganz leiſe).

Du, Du liegſt mir im Her zen ..................

Loth.

Jetzt ſollſt Du auch beichten.

Helene.

Alles, was Du willſt.

Loth.

Beichte! Bin ich der Erſte?

Helene.

Nein.

Loth.

Wer?

Helene
(übermüthig herauslachend).

Koahl-Willem!

Loth
(lachend).

Wer noch?

83
Helene.

Ach nein! weiter iſt es wirklich Keiner. Du mußt mir glauben .......... Wirklich nicht. Warum ſollte ich denn lügen .....?

Loth.

Alſo doch noch Jemand?

Helene
(heftig).

Bitte, bitte, bitte, bitte, frag mich jetzt nicht darum.

(Verſteckt das Geſicht in den Händen, weint ſcheinbar ganz unvermittelt.)
Loth.

Aber .... aber Lenchen! ich dringe ja durchaus nicht in Dich.

Helene.

Später! Alles, Alles ſpäter.

Loth.

Wie geſagt, Liebſte ....

Helene.

's war Jemand mußt Du wiſſen den ich, .... weil .... weil er unter Schlechten mir weniger ſchlecht vorkam. Jetzt iſt das ganz anders.

(Weinend an Loth's Halſe, ſtürmiſch:)

Ach, wenn ich doch gar nicht mehr von Dir fort müßte! Am liebſten ginge ich gleich auf der Stelle mit Dir.

Loth.

Du haſt es wohl ſehr ſchlimm hier im Hauſe?

Helene.

Ach, Du! Es iſt ganz entſetzlich, wie es hier zugeht; ein Leben wie das .... wie das liebe Vieh, ich wäre darin umgekommen ohne Dich mich ſchaudert's!

Loth.

Ich glaube, es würde Dich beruhigen, wenn Du mir Alles offen ſagteſt, Liebſte!

Helene.

Ja freilich! aber ich bring's nicht über mich. Jetzt nicht .... jetzt noch nicht! Ich fürcht 'mich förmlich.

Loth.

Du warſt in der Penſion?!

Helene.

Die Mutter hat es beſtimmt auf dem Sterbebett noch.

Loth.

Auch Deine Schweſter war ....?

Helene.

Nein! die war immer zu Hauſe ..... und als ich dann nun vor vier Jahren wiederkam, da fand ich einen Vater der .... eine Stiefmutter die .... eine Schweſter ......... rath mal, was ich meine!

6*84
Loth.

Deine Stiefmutter iſt zänkiſch. Nicht? Vielleicht eiferſüchtig? lieblos?

Helene.

Der Vater ....?

Loth.

Nun! der wird aller Wahrſcheinlichkeit nach in ihr Horn blaſen. Tyranniſirt ſie ihn vielleicht?

Helene.

Wenn's weiter nichts wär ... nein! ... es iſt zu entſetzlich! Du kannſt nicht darauf kommen daß .... daß der mein Vater .... daß es mein Vater war den Du ....

Loth.

Weine nur nicht, Lenchen! ... ſiehſt Du nun möcht ich beinah ernſtlich darauf dringen, daß Du mir ...

Helene.

Nein! es geht nicht! ich habe noch nicht die Kraft es Dir ....

Loth.

Du reibſt Dich auf, ſo.

Helene.

Ich ſchäme mich zu bodenlos! Du ... Du wirſt mich fortſtoßen, fortjagen ...! Es iſt über alle Begriffe .... Ekelhaft iſt es!

Loth.

Lenchen, Du kennſt mich nicht ſonſt würd'ſt Du mir ſo etwas nicht zutrauen. Fortſtoßen! fortjagen! Komm ich Dir denn wirklich ſo brutal vor?

Helene.

Schwager Hoffmann ſagte: Du würdeſt kaltblütig .... Ach nein! nein! nein! das thuſt Du doch nicht! gelt? Du ſchreiteſt nich über mich weg? thu 'es nicht!! Ich weiß nicht was dann noch aus mir werden ſollte.

Loth.

Ja, aber das iſt ja Unſinn! Ich hätte ja gar keinen Grund dazu.

Helene.

Alſo Du hältſt es doch für möglich?!

Loth.

Nein! eben nicht.

Helene.

Aber wenn Du Dir einen Grund aus - denken kannſt.

Loth.

Es gäbe allerdings Gründe, aber die ſtehen nicht in Frage.

Helene.

Und ſolche Gründe?

85
Loth.

Nur, wer mich zum Verräther meiner ſelbſt machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.

Helene.

Das will ich gewiß nicht aber ich werde halt das Gefühl nicht los.

Loth.

Was für ein Gefühl, Liebſte?

Helene

Es kommt vielleicht daher: ich bin ſo dumm! Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht mal, was das iſt, Grundſätze. Gelt? das iſt doch ſchrecklich. Ich lieb Dich nur ſo einfach! aber Du biſt ſo gut, ſo groß und haſt ſo viel in Dir. Ich habe ſolche Angſt, Du könnteſt doch noch mal merken wenn ich was Dummes ſage oder mache daß es doch nicht geht, .... daß ich doch viel zu einfältig für Dich bin ........... Ich bin wirklich ſchlecht und dumm wie Bohnenſtroh.

Loth.

Was ſoll ich dazu ſagen?! Du biſt mir Alles in Allem! Alles in Allem biſt Du mir! Mehr weiß ich nicht.

Helene.

Und geſund bin ich ja auch .....

Loth.

Sag mal! ſind Deine Eltern geſund?

Helene.

Ja, das wohl! das heißt: die Mutter iſt am Kindbettfieber geſtorben. Vater iſt noch geſund; er muß ſogar eine ſehr ſtarke Natur haben. Aber ....

Loth.

Na! ſiehſt Du! alſo ...

Helene.

Und wenn die Eltern nun nicht geſund wären ?

Loth
(küßt Helene).

Sie ſind's ja doch, Lenchen.

Helene.

Aber wenn ſie es nicht wären ?

(Frau Krauſe ſtößt ein Wohnhausfenſter auf und ruft in den Hof.)
Frau Krauſe.

Ihr Madel! Ihr Maa. .del!!

Lieſe
(aus dem Kuhſtall).

Frau Krauſen!?

Frau Krauſe.

Renn 'zur Müllern! 's giht luus!

Lieſe.

Wa a, zur Hebomme Millern, meen 'Se?

Frau Krauſe.

Na? lei'ſt uff a Uhr'n?

(ſie ſchlägt das Fenſter zu.)
(Lieſe rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf zum Hofe hinaus. Frau Spiller erſcheint in der Hausthür.)
86
Frau Spiller
(ruft).

Fräulein Helene! ... ......... gnädiges Fräulein Helene!

Helene.

Was nur da los ſein mag.

Frau Spiller
(ſich der Laube nähernd).

Fräulein Helene.

Helene.

Ach! das wird's ſein! die Schweſter. Geh fort! da herum.

(Loth ſchnell links vorn ab. Helene tritt aus der Laube.)
Frau Spiller.

Fräulein .....! ach da ſind Sie endlich.

Helene.

Was is denn?

Frau Spiller.

Aach m bei Frau Schweſter

(flüſtert ihr etwas in's Ohr)

m m

Helene.

Mein Schwager hat anbefohlen, für den Fall, ſofort nach dem Arzt zu ſchicken.

Frau Spiller.

Gnädiges Fräulein m ſie will doch aber m will doch aber keinen Arzt m die Aerzte, aach die m Aerzte! m mit Gottes Beiſtand ...

(Miele kommt aus dem Hauſe.)
Helene.

Miele! gehen Sie augenblicklich zum Dr. Schimmelpfennig.

Frau Spiller.

Aber Fräulein ....

Frau Krauſe
(aus dem Fenſter, gebieteriſch).

Miele! Du kimmſt ruff!

Helene
(ebenſo).

Sie gehen zum Arzt, Miele.

(Miele zieht ſich in's Haus zurück.)

Nun, dann will ich ſelbſt ....

ſie geht in's Haus und kommt, den Strohhut am Arm, ſogleich zurück).
Frau Spiller.

Dann m wird es ſchlimm. Wenn Sie den Arzt holen m gnädiges Fräulein, dann m wird es gewiß ſchlimm.

(Helene geht an ihr vorüber. Frau Spiller zieht ſich kopfſchüttelnd ins Haus zurück. Als Helene in die Hofeinfahrt biegt, ſteht Kahl am Grenzzaun.)
Kahl
(ruft Helenen zu:)

Woas iis denn bei Eich luus?

(Helene hält im Lauf nicht inne, noch würdigt ſie Kahl eines Blickes oder einer Antwort.)
Kahl
(lachend).

Ihr ha't wull Schweinſchlachta?

87

Fünfter Akt.

(Das Zimmer wie im erſten Akt. Zeit: gegen 2 Uhr Nachts. Im Zimmer herrſcht Dunkelheit. Durch die offene Mittelthür dringt Licht aus dem erleuchteten Hausflur. Deutlich beleuchtet iſt auch noch die Holztreppe in dem erſten Stock. Alles in dieſem Akt bis auf wenige Ausnahmen wird in einem gedämpften Tone geſprochen.
(Eduard mit Licht tritt durch die Mittelthür ein. Er entzündet die Hängelampe über dem Eßtiſch (Gasbeleuchtung). Als er damit beſchäftigt iſt, kommt Loth ebenfalls durch die Mittelthür.)
Eduard.

Ja ja! bei die Zucht .... 't muß reen unmenſchen meglich ſint, een Oge zuzuthun.

Loth.

Ich wollte nicht 'mal ſchlafen. Ich habe geſchrieben.

Eduard.

Ach wat!

(Er ſteckt an.)

So! na jewiß! et mag ja woll ſchwer jenug ſin ..... Wünſchen der Herr Doctor vielleicht Dinte und Feder?

Loth.

Am Ende ... wenn Sie ſo freundlich ſein wollen, Herr Eduard.

Eduard
(indem er Dinte und Feder auf den Tiſch ſetzt).

Ik meen all immer: was 'n ehrlicher Mann is, der muß Haut und Knochen dranſetzen um jeden lumpichten Jroſchen. Nich' mal det bisken Nachtruhe hat man.

(Immer ver - traulicher.)

Aber die Nation hier, die duht reen jar niſcht; ſo'n faules, nichtsnutziges Pack, ſo'n ... der Herr Doctor muſſen jewiß ooch all dichtig in't Zeuch jehn, um det bisken Lebensunterhalt, wie alle ehrlichen Leute.

Loth.

Wünſchte, ich brauchte es nicht!

Eduard.

Na, wat meen 'Se woll! ik ooch!

Loth.

Fräulein Helene iſt wohl bei ihrer Schweſter?

88
Eduard.

Allet wat wahr is: d' is 'n jutes Mä'chen! jeht ihr nich von der Seite.

Loth
(ſieht an die Uhr).

Um 11 Uhr früh begannen die Wehen. Sie dauern alſo ... fünfzehn Stunden dauern ſie jetzt bereits. Fünfzehn lange Stunden !

Eduard.

Weeß Jott! und det benimen ſe nu 't ſchwache Jeſchlecht ſie jappt aber ooch man nur noch ſo.

Loth.

Herr Hoffmann iſt auch oben!?

Eduard.

Und ick ſag Ihnen, 't reene Weib.

Loth.

Das mit anzuſehen iſt wohl auch keine Kleinigkeit.

Eduard.

I! nu! det will ik meenen! Na! eben is Doctor Schimmelpfennig zujekommen. Det is 'n Mann ſag' ik Ihnen: jrob wie 'ne Sackſtrippe, aber Zucker is' n dummer Junge dajejen. Sagen Sie man blos, wat is aus det olle Berlin ....

(Er unterbricht ſich mit einem.)

Jott Strambach!

(Da Hoffmann und der Doctor die Treppe herunter kommen.)
(Hoffmann und Doctor Schimmelpfennig treten ein.)
Hoffmann.

Jetzt bleiben Sie doch wohl bei uns.

Dr. Schimmelpfennig.

Ja! jetzt werde ich hier bleiben.

Hoffmann.

Das iſt mir eine große, große Be - ruhigung. Ein Glas Wein ...? Sie trinken doch ein Glas Wein, Herr Doctor!?

Dr. Schimmelpfennig.

Wenn Sie etwas thun wollen, dann laſſen Sie mir ſchon lieber eine Taſſe Caffee brauen.

Hoffmann.

Mit Vergnügen. Eduard! Caffee für Herrn Doctor!

(Eduard ab.)

Sie ſind .....? Sind Sie zufrieden mit dem Verlauf?

Dr. Schimmelpfennig.

So lange Ihre Frau Kraft behält iſt jedenfalls directe Gefahr nicht vorhanden. Warum haben Sie übrigens die junge Hebamme nicht zugezogen? Ich hatte Ihnen doch eine empfohlen ſo viel ich weiß.

89
Hoffmann.

Meine Schwiegermama ... was ſoll man machen? Wenn ich ehrlich ſein ſoll: auch meine Frau hatte kein Vertrauen zu der jungen Perſon.

Dr. Schimmelpfennig.

Und zu dieſem foſſilen Geſpenſt haben Ihre Damen Vertrauen?! wohl bekomms! Sie möchten gern wieder hinauf?

Hoffmann.

Ehrlich geſagt: ich habe nicht viel Ruhe hier unten.

Dr. Schimmelpfennig.

Beſſer wär's freilich Sie gingen irgend wohin, aus dem Hauſe.

Hoffmann.

Beim beſten Willen das .... ach, Loth! da biſt Du ja auch noch.

(Loth erhebt ſich von dem Sopha im dunklen Vordergrunde und geht auf die Beiden zu.)
Dr. Schimmelpfennig
(aufs Aeußerſte überraſcht).

Donner - wetter!

Loth.

Ich hörte ſchon, daß Du hier ſeiſt. Morgen hätte ich Dich unbedingt aufgeſucht.

(Beide ſchütteln ſich tüchtig die Hände. Hoffmann benutzt den Augenblick am Buffet ſchnell ein Glas Cognac hinunterzuſpülen, darauf dann ſich auf den Zehen hinaus und die Holz - treppe hinauf zu ſchleichen.)
(Das Geſpräch der beiden Freunde ſteht am Anfang unverkennbar unter dem Einfluß einer gewiſſen leiſen Zurückhaltung.)
Dr. Schimmelpfennig.

Du haſt alſo wohl ... ha ha ha die alte, dumme Geſchichte vergeſſen?

(Er legt Hut und Stock bei Seite.)
Loth.

Längſt vergeſſen, Schimmel!

Dr. Schimmelpfennig.

Na, ich auch! das kannſt Du Dir denken.

(Sie ſchütteln ſich nochmals die Hände.)

Ich habe in dem Neſt hier ſo wenig freudige Ueber - raſchungen gehabt, daß mir die Sache ganz curios vor - kommt. Merkwürdig! Gerade hier treffen wir uns. Merkwürdig!

Loth.

Rein verſchollen biſt Du ja, Schimmel! hätte Dich ſonſt längſt mal umgeſtoßen.

Dr. Schimmelpfennig.

Unter Waſſer gegangen wie ein Seehund. Tiefſeeforſchungen gemacht. In andert - halb Jahren etwa hoffe ich wieder aufzutauchen. Man muß materiell unabhängig ſein, wiſſen Sie ... weißt Du! wenn man etwas Brauchbares leiſten will.

90
Loth.

Alſo Du machſt auch Geld hier?

Dr. Schimmelpfennig.

Natürlicherweiſe und zwar ſo viel als möglich. Was ſollte man hier auch anderes thun?

Loth.

Du hätt'ſt doch 'mal was von Dir hören laſſen ſollen.

Dr. Schimmelpfennig.

Erlauben Sie ... er - laube, hätte ich von mir was hören laſſen, dann hätte ich von Euch was wieder gehört, und ich wollte durchaus nichts hören. Nichts, gar nichts, das hätte mich höchſtens von meiner Goldwäſcherei abhalten können.

(Beide gehen langſamen Schritts auf und ab im Zimmer.)
Loth.

Na ja Du kannſt Dich dann aber auch nicht wundern, daß ſie ... nämlich ich muß Dir ſagen, ſie haben Dich eigentlich Alle, durch die Bank, aufgegeben.

Dr. Schimmelpfennig.

Sieht ihnen ähnlich. Bande! ſollen ſchon was merken.

Loth.

Schimmel, genannt: das Rauhbein!

Dr. Schimmelpfennig.

Du ſollteſt nur ſechs Jahre unter dieſen Bauern gelebt haben. Himmelhunde alle miteinander.

Loth.

Das kann ich mir denken. Wie biſt Du denn gerade nach Witzdorf gekommen?

Dr. Schimmelpfennig.

Wie's ſo geht: damals mußte ich doch auskneifen, von Jena weg.

Loth.

War das vor meinem Reinfall?

Dr. Schimmelpfennig.

Ja wohl. Kurze Zeit nachdem wir unſer Zuſammenleben aufgeſteckt hatten. In Zürich legte ich mich dann auf die Medicinerei, zunächſt um etwas für den Nothfall zu haben; dann fing aber die Sache an mich zu intereſſiren, und jetzt bin ich mit Leib und Seele Medicus.

Loth.

Und hierher ...? Wie kamſt Du hier her?

Dr. Schimmelpfennig.

Ach ſo! einfach! als ich fertig war, da ſagte ich mir: nun vor allen Dingen einen hinreichenden Haufen Kies. Ich dachte an Amerika, Süd - und Nord-Amerika, an Afrika, Auſtralien, die91 Sundainſeln ..... am Ende fiel mir ein, daß mein Knabenſtreich ja mittlerweile verjährt war, da habe ich mich denn entſchloſſen in die Mauſefalle zurückzukriechen.

Loth.

Und Dein Schweizer Examen?

Dr. Schimmelpfennig.

Ich mußte eben die Geſchichte hier noch mal über mich ergehen laſſen.

Loth.

Du haſt alſo das Staatsexamen zwei Mal gemacht, Kerl!?

Dr. Schimmelpfennig.

Ja! ſchließlich habe ich dann glücklicherweiſe dieſe fette Weide hier ausfindig gemacht.

Loth.

Du biſt zähe, zum beneiden.

Dr. Schimmelpfennig.

Wenn man nur nicht plötzlich mal zuſammenklappt. Na! ſchließlich iſt's auch kein Unglück.

Loth.

Haſt Du denn 'ne große Praxis?

Dr. Schimmelpfennig.

Ja! Mitunter komme ich erſt um fünf Uhr früh zu Bett, um ſieben Uhr fängt dann bereits wieder meine Sprechſtunde an.

(Eduard kommt und bringt Caffee.)
Dr. Schimmelpfennig
(indem er ſich am Tiſch niederläßt, zu Eduard).

Danke Eduard!

(zu Loth.)

Caffee ſaufe ich ... unheimlich.

Loth.

Du ſollteſt das lieber laſſen mit dem Caffee.

Dr. Schimmelpfennig.

Was ſoll man machen.

(Er nimmt kleine Schlucke.)

Wie geſagt ein Jahr noch, dann hört's auf ... hoffentlich wenigſtens.

Loth.

Willſt Du dann gar nicht mehr practicieren?

Dr. Schimmelpfennig.

Glaube nicht. Nein ... nicht mehr.

(Er ſchiebt das Tablet mit dem Caffeegeſchirr zurück, wiſcht ſich den Mund.)

Uebrigens zeig 'mal Deine Hand.

(Loth hält ihm beide Hände hin.)

Nein? keine Dalekarlierin heim - geführt? keine gefunden, wie? .... Wollteſt doch immer ſo 'n Ur - und Kernweib von wegen des geſunden Blutes. Haſt übrigens recht: wenn ſchon, denn ſchon ... oder nimmſt Du's in dieſer Beziehung etwa nicht mehr ſo genau?

92
Loth.

Na ob ...! und wie!

Dr. Schimmelpfennig.

Ach, wenn die Bauern hier doch auch ſolche Ideen hätten. Damit ſieht's aber jämmerlich aus, ſage ich Dir, Degeneration auf der ganzen ...

(Er hat ſeine Cigarrentaſche halb aus der Bruſttaſche gezogen, läßt ſie aber wieder zurückgleiten und ſteht auf, als irgend ein Laut durch die nur angelehnte Hausflurthür hereindringt.)

Wart mal!

(Er geht auf den Zehen bis zur Hausflurthür und horcht. Eine Thür geht draußen, man hört einige Augenblicke deutlich das Wimmern der Wöchnerin. Der Doctor ſagt, zu Loth gewandt, leiſe.)

Entſchuldige!

(und geht hinaus.)
(Einige Augenblicke durchmißt Loth, während draußen Thüren ſchlagen, Menſchen die Treppe auf und ablaufen, das Zimmer; dann ſetzt er ſich in den Lehnſeſſel rechts vorn. Helene huſcht herein und umſchlingt Loth, der ihr Kommen nicht bemerkt hat, von rückwärts.)
Loth
(ſich umblickend, ſie ebenfalls umfaſſend).

Lenchen!!

(Er zieht ſie zu ſich herunter und trotz gelinden Sträubens auf ſein Knie. Helene weint unter den Küſſen, die er ihr giebt.)
Loth.

Ach weine doch nicht, Lenchen! warum weinſt Du denn ſo ſehr?

Helene.

Warum? weiß ich's?! ...... Ich denk 'immer, ich treff' Dich nicht mehr. Vorhin habe ich mich ſo erſchrocken ....

Loth.

Weshalb denn?

Helene.

Weil ich Dich aus Deinem Zimmer treten hörte ach! ... und die Schweſter wir armen, armen Weiber! die muß zu ſehr ausſtehen.

Loth.

Der Schmerz vergißt ſich ſchnell und auf den Tod geht's ja nicht.

Helene.

Ach, Du! ſie wünſcht ſich ihn ja ... ſie jammert nur immer ſo: laßt mich doch ſterben; ... der Doctor!

(Sie ſpringt auf und huſcht in den Wintergarten.)
Dr. Schimmelpfennig
(im Hereintreten).

Nun wünſchte ich wirklich, daß ſich das Frauchen da oben 'n Biſſel beeilte!

(Er läßt ſich am Tiſch nieder, zieht neuerdings die Cigarrentaſche, entnimmt ihr eine Cigarre und legt dieſe neben ſich).

Du kommſt mit zu mir dann, wie? hab 'draußen ſo' n nothwendiges Uebel mit zwei Gäulen davor, da können wir drin zu mir fahren.

(Seine Cigarre an der Tiſchkante klopfend.)

Der ſüße Eheſtand! ja, ja!

(ein Zündholz anſtreichend)

alſo noch friſch, frei, fromm, froh?

93
Loth.

Hätteſt noch gut ein paar Tage warten können mit Deiner Frage.

Dr. Schimmelpfennig
(bereits mit brennender Cigarre).

Wie? ... ach ... ach ſo!

(lachend)

alſo endlich doch auf meine Sprünge gekommen.

Loth.

Biſt Du wirklich noch ſo entſetzlich peſſimiſtiſch in Bezug auf Weiber?

Dr. Schimmelpfennig.

Ent ſetzlich!!!

(Dem Rauch ſeiner Cigarre nachblickend.)

Früher war ich Peſſimiſt ſo zu ſagen ahnungsweiſe ...

Loth.

Haſt Du denn inzwiſchen ſo beſondere Er - fahrungen gemacht?

Dr. Schimmelpfennig.

Ja, allerdings! auf meinem Schilde ſteht nämlich: Specialiſt für Frauen - krankheiten. Die mediciniſche Praxis macht nämlich furchtbar klug ... furchtbar geſund, ... iſt Specificum gegen ... allerlei Staupen!

Loth
(lacht).

Na, da könnten wir ja gleich wieder in der alten Tonart anfangen. Ich hab 'nämlich ... ich bin nämlich keineswegs auf Deine Sprünge gekommen. Jetzt weniger als je! ........... auf dieſe Weiſe haſt Du wohl auch Dein Steckenpferd vertauſcht?

Dr. Schimmelpfennig.

Steckenpferd?

Loth.

Die Frauenfrage war doch zu damaliger Zeit gewiſſermaßen Dein Steckenpferd!

Dr. Schimmelpfennig.

Ach ſo! warum ſollte ich es vertauſcht haben?

Loth.

Wenn Du über die Weiber noch ſchlechter denkſt, als ...

Dr. Schimmelpfennig
(ein wenig in Harniſch, erhebt ſich und geht hin und her, dabei ſpricht er).

Ich denke nicht ſchlecht von den Weibern. Kein Bein! nur über das Heirathen denke ich ſchlecht ... über die Ehe ... über die Ehe, und dann höchſtens noch über die Männer denke ich ſchlecht ............ Die Frauenfrage ſoll mich nicht mehr intereſſieren? Ja,94 weshalb hätte ich denn ſonſt ſechs lange Jahre hier wie 'n Laſtpferd gearbeitet? doch nur um alle meine ver - fügbaren Kräfte endlich' mal ganz der Löſung dieſer Frage zu widmen. Wußteſt Du denn das nicht von Anfang an?

Loth.

Wo hätte ich's denn her wiſſen ſollen?

Dr. Schimmelpfennig.

Na, wie geſagt ... ich hab 'auch ſchon ein ziemlich ausgiebiges Material ge - ſammelt, das mir gute Dienſte leiſten ... bſſt! ich hab' mir das Schreien ſo angewöhnt.

(Er ſchweigt, horcht, geht zur Thür und kommt zurück).

Was hat Dich denn eigentlich unter die Goldbauern geführt?

Loth.

Ich möchte die hieſigen Verhältniſſe ſtudiren.

Dr. Schimmelpfennig
(mit gedämpfter Stimme).

Idee!

(noch leiſer)

da kannſt Du bei mir auch Material bekommen.

Loth.

Freilich, Du mußt ja ſehr unterrichtet ſein über die Zuſtände hier. Wie ſieht es denn ſo in den Familien aus?

Dr. Schimmelpfennig.

E lend! ..... durch - gängig ... Suff! Völlerei, Inzucht und in Folge davon, Degenerationen auf der ganzen Linie.

Loth.

Mit Ausnahmen doch!?

Dr. Schimmelpfennig.

Kaum!

Loth
(unruhig).

Biſt Du denn nicht zuweilen in ... in Verſuchung gerathen eine ... eine Witzdorfer Gold - tochter zu heirathen?

Dr. Schimmelpfennig.

Pfui Teufel!!! Kerl, für was hältſt Du mich? ebenſo könnteſt Du mich fragen, ob ich ...

Loth
(ſehr bleich).

Wie ... wieſo?

Dr. Schimmelpfennig.

Weil ... iſt Dir was?

(Er fixirt ihn einige Augenblicke.)
Loth.

Gar nichts! was ſoll mir denn ſein?

Dr. Schimmelpfennig
(iſt plötzlich ſehr nachdenklich, geht und ſteht jäh und mit einem leiſen Pfiff ſtill, blickt Loth abermals flüchtig an und ſagt dann halblaut zu ſich ſelbſt).

Schlimm!

Loth.

Du biſt ja ſo ſonderbar plötzlich.

95
Dr. Schimmelpfennig.

Still!

(Er horcht auf und verläßt dann ſchnell das Zimmer durch die Mittelthür).
Helene
(nach einigen Augenblicken durch die Mittelthür, ſie ruft).

Alfred! Alfred! ... ach da biſt Du Gott ſei Dank!

Loth.

Nun, ich ſollte wohl am Ende gar fort - gelaufen ſein?

(Umarmung.)
Helene
(biegt ſich zurück. Mit unverkennbarem Schrecken im Aus - druck).

Alfred!

Loth.

Was denn Liebſte?

Helene.

Nichts, nichts!

Loth.

Aber Du mußt doch was haben?

Helene.

Du kamſt mir ſo ... ſo kalt ... Ach, ich hab 'ſolche ſchrecklich dumme Einbildungen.

Loth.

Wie ſteht's denn oben?

Helene.

Der Doctor zankt mit der Hebamme.

Loth.

Wird's nicht bald zu Ende gehen?

Helene.

Weiß ich's? Aber wenn's ... wenn's zu Ende iſt, meine ich, dann ...

Loth.

Was dann? ....... ſag 'doch, bitte! was wollteſt Du ſagen?

Helene.

Dann ſollten wir bald von hier fort - gehen. Gleich! auf der Stelle.

Loth.

Wenn Du das wirklich für das Beſte hältſt, Lenchen

Helene.

Ja, ja! wir dürfen nicht warten! Es iſt das Beſte für Dich und mich. Wenn Du mich nicht jetzt bald nimmſt, dann läßt Du mich heilig noch ſitzen, und dann ... dann ... muß ich doch noch zu Grunde gehen.

Loth.

Wie Du doch mißtrauiſch biſt, Lenchen!

Helene.

Sag das nicht, Liebſter! Dir traut man, Dir muß man trauen! .... Wenn ich erſt Dein bin, dann ... Du verläßt mich dann ganz gewiß nicht mehr.

(Wie außer ſich.)

Ich beſchwöre Dich! geh 'nicht fort! Ver - laß mich doch nur nicht. Geh' nicht fort, Alfred! Alles iſt aus, Alles, wenn Du einmal ohne mich von hier fortgehſt.

96
Loth.

Merkwürdig biſt Du doch! ..... Und da willſt Du nicht mißtrauiſch ſein? ... Oder ſie plagen Dich, martern Dich hier ganz entſetzlich, mehr als ich mir je .... Jedenfalls gehen wir aber noch dieſe Nacht. Ich bin bereit. Sobald Du willſt, gehen wir alſo.

Helene
(gleichſam mit aufjauchzendem Dank ihm um den Hals fallend).

Geliebter!

(Sie küßt ihn wie raſend und eilt ſchnell davon.)
Dr. Schimmelpfennig tritt durch die Mitte ein; er bemerkt noch, wie Helene in der Wintergartenthür verſchwindet.)
Dr. Schimmelpfennig.

Wer war das? Ach ſo!

(In ſich hinein:)

Armes Ding!

(Er läßt ſich mit einem Seufzer am Tiſch nieder, findet die alte Cigarre, wirft ſie bei Seite, entnimmt dem Etui eine friſche Cigarre und fängt an, ſie an der Tiſchkante zu klopfen, wobei er nachdenklich darüber hinausſtarrt.)
Loth
(der ihm zuſchaut).

Genau ſo pflegteſt Du vor acht Jahren jede Cigarre abzuklopfen, eh 'Du zu rauchen anfingſt.

Dr. Schimmelpfennig.

Möglich !

(Als er mit Anrauchen fertig iſt).

Hör 'mal, Du!

Loth.

Ja, was denn?

Dr. Schimmelpfennig.

Du wirſt doch ſo bald die Geſchichte oben vorüber iſt, mit zu mir kommen?

Loth.

Das geht wirklich nicht! Leider.

Dr. Schimmelpfennig.

Man hat ſo das Be - dürfniß, ſich mal wieder gründlich von der Leber weg zu äußern.

Loth.

Das hab ich genau ſo wie Du. Aber gerade daraus kannſt Du ſehen, daß es abſolut heut nicht in meiner Macht ſteht, mit Dir .....

Dr. Schimmelpfennig.

Wenn ich Dir nun aber ausdrücklich und gewiſſermaßen feierlich erkläre: Es iſt eine beſtimmte, äußerſt wichtige Angelegenheit, die ich mit Dir noch dieſe Nacht beſprechen möchte .... beſprechen muß ſogar, Loth!

Loth

Curios! Für blutigen Ernſt ſoll ich doch das nicht etwa hinnehmen?! doch wohl nicht? So viel Jahre hätt'ſt Du damit gewartet und nun hätte97 es nicht einen Tag mehr Zeit damit? Du kannſt Dir doch wohl denken, daß ich Dir keine Flauſen vor - mache.

Dr. Schimmelpfennig.

Alſo hat's doch ſeine Richtigkeit!

(Er ſteht auf und geht umher.)
Loth.

Was hat ſeine Richtigkeit?

Dr. Schimmelpfennig
(vor Loth ſtill ſtehend, mit einem geraden Blick in ſeine Augen).

Es iſt alſo wirklich etwas im Gange zwiſchen Dir und Helene Krauſe?

Loth.

Ich? Wer hat Dir denn ...?

Dr. Schimmelpfennig.

Wie biſt Du nur in dieſe Familie ....?

Loth.

Woher weißt Du denn das, Menſch?

Dr. Schimmelpfennig.

Das war ja doch nicht ſchwer zu errathen.

Loth.

Na, dann halt um Gottes Willen den Mund, daß nicht ....

Dr. Schimmelpfennig.

Ihr ſeid alſo richtig verlobt?!

Loth.

Wie man's nimmt. Jedenfalls ſind wir Beiden einig.

Dr. Schimmelpfennig.

Hm ! wie biſt Du denn hier herein gerathen, gerade in dieſe Familie?

Loth.

Hoffmann iſt ja doch mein Schulfreund. Er war auch Mitglied auswärtiges allerdings Mitglied meines Colonial-Vereins.

Dr. Schimmelpfennig.

Von der Sache hörte ich in Zürich. Alſo mit Dir iſt er umgegangen! Auf die Weiſe wird mir der traurige Zwitter erklärlich.

Loth.

Ein Zwitter iſt er allerdings.

Dr. Schimmelpfennig.

Eigentlich nicht mal das. Ehrlich, Du! Iſt das wirklich Dein Ernſt? die Geſchichte mit der Krauſe?

Loth.

Na, ſelbſtverſtändlich! Zweifelſt Du daran? Du wirſt mich doch nicht etwa für einen Schuft ...

Dr. Schimmelpfennig.

Schon gut! Ereifere798Dich nur nicht. Hättſt Dich ja verändert haben können während der langen Zeit. Warum nicht? Wär auch gar kein Nachtheil! 'n biſſel Humor könnte Dir gar nicht ſchaden! Ich ſeh nicht ein, warum man Alles ſo verflucht ernſthaft nehmen ſollte.

Loth.

Ernſt iſt es mir mehr als je.

(Er erhebt ſich und geht, immer ein wenig zurück, neben Schimmelpfennig her.)

Du kannſt es ja nicht wiſſen, auch ſagen kann ich's Dir nicht mal, was dieſes Verhältniß für mich bedeutet.

Dr. Schimmelpfennig.

Hm!

Loth.

Kerl, Du haſt keine Idee, was das für ein Zuſtand iſt. Man kennt ihn nicht, wenn man ſich danach ſehnt. Kennte man ihn, dann, dann müßte man geradezu unſinnig werden vor Sehnſucht.

Dr. Schimmelpfennig.

Das begreife der Teufel, wie Ihr zu dieſer unſinnigen Sehnſucht kommt.

Loth.

Du biſt auch noch nicht ſicher davor.

Dr. Schimmelpfennig.

Das möcht ich mal ſehen!

Loth.

Du redſt wie der Blinde von der Farbe.

Dr. Schimmelpfennig.

Was ich mir für das bischen Rauſch koofe! lächerlich. Darauf eine lebens - längliche Ehe zu bauen .... da baut man noch nicht mal ſo ſicher, als auf 'n Sandhaufen.

Loth.

Rauſch Rauſch wer von einem Rauſch redet na! der kennt die Sache eben nicht. 'n Rauſch iſt flüchtig. Solche Räuſche hab ich ſchon gehabt, ich geb's zu. Aber das iſt was ganz Anderes.

Dr. Schimmelpfennig.

Hm!

Loth.

Ich bin dabei vollſtändig nüchtern. Denkſt Du, daß ich meine Liebſte ſo na, wie ſoll ich ſagen ſo mit 'ner na, wie ſoll ich ſagen, mit' ner großen Glorie ſehe? Gar nicht! Sie hat Fehler, iſt auch nicht beſonders ſchön, wenigſtens na, häßlich iſt ſie auch gerade nicht. Ganz objectiv geurtheilt, ich das iſt ja ſchließlich Geſchmacksſache ich hab ſo'n hübſches Mädel noch nicht geſehen. Alſo, Rauſch 99 Unſinn! Ich bin ja ſo nüchtern, wie nur möglich. Aber, ſiehſt Du! das iſt eben das Merkwürdige: ich kann mich gar nicht mehr ohne ſie denken das kommt mir ſo vor wie 'ne Legirung, weißt Du, wie wenn zwei Metalle ſo recht innig legirt ſind, daß man gar nicht mehr ſagen kann, das iſt das, das iſt das. Und Alles ſo furchtbar ſelbſtverſtändlich kurzum, ich quatſche vielleicht Unſinn oder was ich ſage iſt vielleicht in Deinen Augen Unſinn, aber ſo viel ſteht feſt: wer das nicht kennt, iſt' n erbärmlicher Froſch. Und ſo'n Froſch war ich bisher und ſo'n Jammerfroſch biſt Du noch.

Dr. Schimmelpfennig.

Da iſt ja richtig der ganze Symptomen-Complex. Daß Ihr Kerls doch immer bis über die Ohren in Dinge hineingerathet, die Ihr theoretiſch längſt verworfen habt, wie zum Beiſpiel Du die Ehe. So lange ich Dich kenne, laborirſt Du an dieſer unglückſeligen Ehemanie.

Loth.

Es iſt Trieb bei mir, geradezu Trieb. Weiß Gott! mag ich mich wenden, wie ich will.

Dr. Schimmelpfennig.

Man kann ſchließlich auch einen Trieb niederkämpfen.

Loth.

Ja, wenn's 'n Zweck hat, warum nicht?

Dr. Schimmelpfennig.

Hat's Heirathen etwa Zweck?

Loth.

Das will ich meinen. Das hat Zweck! Bei mir hat es Zweck. Du weißt nicht, wie ich mich durchgefreſſen hab bis hierher. Ich mag nicht ſenti - mental werden. Ich hab's auch vielleicht nicht ſo ge - fühlt, es iſt mir vielleicht nicht ganz ſo klar bewußt geworden wie jetzt, daß ich in meinem Streben etwas entſetzlich ödes, gleichſam maſchinenmäßiges angenommen hatte. Kein Geiſt, kein Temperament, kein Leben, ja wer weiß, war noch Glauben in mir? Das Alles kommt ſeit ... ſeit heut wieder in mich gezogen. So merk - würdig voll, ſo urſprünglich, ſo fröhlich ... Unſinn, Du capirſt's ja doch nicht.

Dr. Schimmelpfennig.

Was Ihr da Alles7*100nöthig habt, um flott zu bleiben, Glaube, Liebe, Hoffnung. Für mich iſt das Kram. Es iſt eine ganz ſimple Sache: die Menſchheit liegt in der Agonie, und unſer einer macht ihr mit Narkoticis die Sache ſo erträglich als möglich.

Loth.

Dein neueſter Standpunkt?

Dr. Schimmelpfennig.

Schon fünf bis ſechs Jahre alt und immer derſelbe.

Loth.

Gratulire!

Dr. Schimmelpfennig.

Danke!

(Eine lange Pauſe.)
Dr. Schimmelpfennig
(nach einigen unruhigen Anläufen).

Die Geſchichte iſt leider die: ich halte mich für ver - pflichtet ... ich ſchulde Dir unbedingt eine Aufklärung. Du wirſt Helene Krauſe, glaub 'ich, nicht heirathen können.

Loth
(kalt).

So, glaubſt Du?

Dr. Schimmelpfennig.

Ja, ich bin der Meinung. Es ſind da Hinderniſſe vorhanden, die gerade Dir ...

Loth.

Hör '' mal Du: mach 'Dir darüber um Gottes Willen keine Scrupel. Die Verhältniſſe liegen auch gar nicht' mal ſo complicirt, ſind im Grunde ſogar furchtbar einfach.

Dr. Schimmelpfennig.

Einfach furchtbar ſollteſt Du eher ſagen.

Loth.

Ich meine was die Hinderniſſe anbetrifft.

Dr. Schimmelpfennig.

Ich auch zum Theil. Aber auch überhaupt: ich kann mir nicht denken, daß Du dieſe Verhältniſſe hier kennen ſollteſt.

Loth.

Ich kenne ſie aber doch ziemlich genau.

Dr. Schimmelpfennig.

Dann mußt Du noth - wendigerweiſe Deine Grundſätze geändert haben.

Loth.

Bitte, Schimmel, drück 'Dich etwas deut - licher aus.

Dr. Schimmelpfennig.

Du mußt unbedingt Deine Hauptforderung in Bezug auf die Ehe fallen gelaſſen haben, obgleich Du vorhin durchblicken ließt, es101 käme Dir nach wie vor darauf an, ein an Leib und Seele geſundes Geſchlecht in die Welt zu ſetzen.

Loth.

Fallen gelaſſen? .... fallen gelaſſen? wie ſoll ich denn das ...

Dr. Schimmelpfennig.

Dann bleibt nichts übrig .... dann kennſt Du eben doch die Verhältniſſe nicht. Dann weißt Du zum Beiſpiel nicht, daß Hoffmann einen Sohn hatte, der mit drei Jahren bereits am Alkoholismus zu Grunde ging.

Loth.

Wa ... was ſagſt Du?

Dr. Schimmelpfennig.

's thut mir leid, Loth, aber ſagen muß ich Dir's doch, Du kannſt ja dann noch machen, was Du willſt. Die Sache war kein Spaß. Sie waren gerade wie jetzt zum Beſuch hier. Sie ließen mich holen, eine halbe Stunde zu ſpät. Der kleine Kerl hatte längſt verblutet.

(Loth mit den Zeichen tiefer, furchtbarer Erſchütterung an des Doctor's Munde hängend.)
Dr. Schimmelpfennig.

Nach der Eſſigflaſche hatte das dumme Kerlchen gelangt in der Meinung, ſein geliebter Fuſel ſei darin. Die Flaſche war herunter und das Kind in die Scherben gefallen. Hier unten ſiehſt Du die vena saphena, die hatte es ſich voll - ſtändig durchſchnitten.

Loth.

W ... w ... eſſen Kind ſagſt Du ....?

Dr. Schimmelpfennig.

Hoffmann's und eben derſelben Frau Kind, die da oben wieder ... und auch die trinkt, trinkt bis zur Beſinnungsloſigkeit, trinkt ſoviel ſie bekommen kann.

Loth.

Alſo von Hoffmann ... Hoffmann geht es nicht aus?!

Dr. Schimmelpfennig.

Bewahre! das iſt tragiſch an dem Menſchen, er leidet darunter ſo viel er über - haupt leiden kann. Im Uebrigen hat er's gewußt, das er in eine Potatorenfamilie hinein kam. Der Bauer nämlich kommt überhaupt gar nicht mehr aus dem Wirthshaus.

102
Loth.

Dann freilich begreife ich Manches nein! Alles begreife ich Alles.

(Nach einem dumpfen Schweigen.)

Dann iſt ihr Leben hier .... Helenens Leben ein ... ein wie ſoll ich ſagen? mir fehlt der Ausdruck dafür ... nicht?

Dr. Schimmelpfennig.

Horrend geradezu! das kann ich beurtheilen. Daß Du bei ihr hängen bliebſt, war mir auch von Anfang an ſehr begreiflich. Aber wie geſ ...

Loth.

Schon gut! verſtehe! ..... .................. thut denn ...? könnte man nicht vielleicht ...? vielleicht könnte man Hoffmann bewegen etwas ... etwas zu thun? Könnteſt Du nicht vielleicht ihn zu etwas bewegen? man müßte ſie fortbringen aus dieſer Sumpfluft.

Dr. Schimmelpfennig.

Hoffmann?

Loth.

Ja, Hoffmann.

Dr. Schimmelpfennig.

Du kennſt ihn ſchlecht ... ich glaube zwar nicht, daß er ſie ſchon verdorben hat. Aber ihren Ruf hat er ſicherlich jetzt ſchon verdorben.

Loth
(aufbrauſend).

Wenn das iſt: ich ſchlag ihn .................. glaubſt Du wirklich ...? hältſt Du Hoffmann wirklich für fähig ...?

Dr. Schimmelpfennig.

Zu Allem, zu Allem halte ich ihn fähig, wenn für ihn ein Vergnügen dabei heraus ſpringt.

Loth.

Dann iſt ſie das keuſcheſte Geſchöpf, was es giebt .............

(Loth nimmt langſam Hut und Stock und hängt ſich ſein Täſchchen um.)
Dr. Schimmelpfennig.

Was gedenkſt Du zu thun, Loth?

Loth.

...... nicht begegnen ....!

Dr. Schimmelpfennig.

Du biſt alſo entſchloſſen?

Loth.

Wozu entſchloſſen?

Dr. Schimmelpfennig.

Euer Verhältniß auf - zulöſen.

103
Loth.

Wie ſollt ich wohl dazu nicht entſchloſſen ſein?

Dr. Schimmelpfennig.

Ich kann Dir als Arzt noch ſagen, daß Fälle bekannt ſind, wo ſolche vererbte Uebel unterdrückt worden ſind, und Du würdeſt ja gewiß Deinen Kindern eine rationelle Erziehung geben.

Loth.

Es mögen ſolche Fälle vorkommen.

Dr. Schimmelpfennig.

Und die Wahrſcheinlichkeit iſt vielleicht nicht ſo gering, daß ...

Loth.

Das kann uns nichts helfen, Schimmel. So ſteht es: es giebt drei Möglichkeiten! entweder ich heirathe ſie, und dann .... nein, dieſer Ausweg exiſtirt überhaupt nicht. Oder die bewußte Kugel. Na ja, dann hätte man wenigſtens Ruhe. Aber nein! ſo weit ſind wir noch nicht, ſo was kann man ſich einſtweilen noch nicht leiſten alſo: Leben! kämpfen! Weiter immer weiter.

(Sein Blick fällt auf den Tiſch, er bemerkt, das von Eduard zurecht geſtellte Schreibzeug, ſetzt ſich, ergreift die Feder, zaudert, und ſagt.)

Oder am Ende ...?

Dr. Schimmelpfennig.

Ich verſpreche Dir, ihr die Lage ſo deutlich als möglich vorzuſtellen.

Loth.

Ja, ja! nur eben .... ich kann nicht anders.

(Er ſchreibt, adreſſirt und cuvertirt. Er ſteht auf und reicht Schimmelpfennig die Hand.)

Im Uebrigen verlaſſe ich mich auf Dich.

Dr. Schimmelpfennig.

Du gehſt zu mir, wie? Mein Kutſcher ſoll Dich zu mir fahren.

Loth.

Sag mal, ſollte man denn nicht wenigſtens verſuchen ſie aus den Händen dieſes ... dieſes Menſchen zu ziehen? .... Auf dieſe Weiſe wird ſie doch unfehlbar noch ſeine Beute.

Dr. Schimmelpfennig.

Guter, bedauernswür - diger Kerl! Soll ich Dir was rathen? Nimm ihr nicht das .... das Wenige, was Du ihr noch übrig läßt.

Loth
(tiefer Seufzer).

Qual über .... haſt vielleicht Recht ja wohl, unbedingt ſogar.

(Man hört Jemand haſtig die Treppe herunter kommen, im nächſten Augenblick ſtürzt Hoffmann herein.)
104
Hoffmann.

Herr Doctor, ich bitte Sie um Gottes Willen ... ſie iſt ohnmächtig ..... die Wehen ſetzen aus ... wollen Sie nicht endlich .....

Dr. Schimmelpfennig.

Ich komme hinauf.

Zu Loth bedeutungsvoll.)

Auf Wiederſehen!

(Zu Hoffmann, der ihm nachfolgen will.)

Herr Hoffmann, ich muß Sie bitten ... eine Ablenkung oder Störung könnte verhängnißvoll .... am liebſten wäre es mir, Sie blieben hier unten.

Hoffmann.

Sie verlangen ſehr viel, aber ... na!

Dr. Schimmelpfennig.

Nicht mehr als billig.

(Ab.)
(Hoffmann bleibt zurück.)
Hoffmann
(bemerkt Loth).

Ich zittere, die Aufregung ſteckt mir in allen Gliedern. Sag 'mal, Du willſt fort?

Loth.

Ja.

Hoffmann.

Jetzt mitten in der Nacht?

Loth.

Nur bis zu Schimmelpfennig.

Hoffmann.

Ach ſo! Nun .... wie die Ver - hältniſſe ſich geſtaltet haben, iſt es am Ende kein Ver - gnügen mehr bei uns ... Alſo leb recht ...

Loth.

Ich danke für die Gaſtfreundſchaft.

Hoffmann.

Und mit Deinem Plan, wie ſteht es da?

Loth.

Plan?

Hoffmann.

Deine Arbeit, Deine volkswirth - ſchaftliche Arbeit über unſeren Diſtrict, meine ich. Ich muß Dir ſagen ... ich möchte Dich ſogar als Freund inſtändig und herzlich bitten ...

Loth.

Beunruhige Dich weiter nicht, morgen ſchon bin ich über alle Berge.

Hoffmann.

Das iſt wirklich

(unterbricht ſich).
Loth.

Schön von Dir, wollt'ſt Du wohl ſagen?

Hoffmann.

Das heißt ja in gewiſſer Hinſicht; übrigens Du entſchuldigſt mich, ich bin ſo ent - ſetzlich aufgeregt. Zähle auf mich! die alten Freunde ſind immer noch die beſten. Adieu, Adieu.

(Ab durch die Mitte.)
Loth
(wendet ſich, bevor er zur Thür hinaustritt, noch einmal nach105 rückwärts und nimmt mit den Augen noch einmal den ganzen Raum in ſein Gedächtniß auf. Hierauf zu ſich).

Da könnt 'ich ja nun wohl gehen.

(Nach einem letzten Blick ab.)
(Das Zimmer bleibt für einige Augenblicke leer. Man vernimmt ge - dämpfte Rufe und das Geräuſch von Schritten, dann erſcheint Hoffmann. Er zieht, ſobald er die Thür hinter ſich geſchloſſen hat, unverhältnißmäßig ruhig ſein Notizbuch und rechnet etwas, hierbei unterbricht er ſich und lauſcht, wird unruhig, ſchreitet zur Thür und lauſcht wieder. Plötzlich rennt Jemand die Treppe herunter und herein ſtürzt Helene.)
Helene
(noch außen).

Schwager!

(In der Thür:)

Schwager!

Hoffmann.

Was iſt denn los?

Helene.

Mach Dich gefaßt: todtgeboren!

Hoffmann.

Jeſus Chriſtus!!!

(Er ſtürzt davon.)
(Helene allein.)
(Sie ſieht ſich um und ruft leiſe:

Alfred! Alfred!

und dann, als ſie keine Antwort erhält, in ſchneller Folge:

Alfred! Alfred!

Da - bei iſt ſie bis zur Thür des Wintergartens geeilt, durch die ſie ſpähend blickt. Dann ab in den Wintergarten. Nach einer Weile erſcheint ſie wieder:

Alfred!

Immer unruhiger werdend, am Fenſter, durch das ſie hinausblickt:

Alfred!

Sie öffnet das Fenſter und ſteigt auf einen davor ſtehenden Stuhl. In dieſem Augenblick klingt deutlich vom Hofe herein das Geſchrei des betrunkenen, aus dem Wirthshaus heimkehrenden Bauern, ihres Vaters:

Dohie '. biin iich nee a hibſcher Moan? Hoa' iich nee a hibſch Weib? Hoa 'iich nee a poar hibſche Tächter dohie ?

Helene ſtößt einen kurzen Schrei aus und rennt wie gejagt nach der Mittelthür. Von dort aus entdeckt ſie den Brief, welchen Loth auf dem Tiſch zurückgelaſſen, ſie ſtürzt ſich darauf, reißt ihn auf und durchfliegt ihn, ein - zelne Worte aus ſeinem Inhalt laut hervorſtoßend:

Unüberſteig - lich! ... Niemals wieder!

Sie läßt den Brief fallen, wankt:

Zu Ende!

Rafft ſich auf, hält ſich den Kopf mit beiden Händen, kurz und ſcharf ſchreiend:

Zu En de!

Stürzt ab durch die Mitte. Der Bauer draußen, ſchon aus geringerer Entfernung:

Dohie ? iis ernt's Gittla ne mei ne? Hoa 'iich ne a hibſch Weib? Bin iich nee a hibſcher Moan?

Helene, immer noch ſuchend, wie eine halb Irrſinnige aus dem Wintergarten hereinkommend, trifft auf Eduard, der etwas aus Hoffmann's Zimmer zu holen geht. Sie redet ihn an:

Eduard!

Er antwortet:

Gnädiges Fräulein?

Darauf ſie:

Ich möchte ... möchte den Herrn Dr. Loth ...

Eduard antwortet:

Herr Dr. Loth ſind in des Herrn Dr. Schimmelpfennig's Wagen fort - gefahren!

Damit verſchwindet er im Zimmer Hoffmanns.

Wahr!

ſtößt Helene hervor und hat einen Augenblick Mühe, aufrecht zu ſtehen. Im nächſten durchfährt ſie eine verzweifelte Energie. Sie rennt nach dem Vorder -106 grunde und ergreift den Hirſchfänger ſammt Gehänge, der an dem Hirſchgeweih über dem Sopha befeſtigt iſt. Sie verbirgt ihn und hält ſich ſtill im dunklen Vordergrund, bis Eduard, aus Hoffmanns Zimmer kommend, zur Mittelthür hinaus iſt. Die Stimme des Bauern, immer deutlicher:

Dohie , biin iich nee a hibſcher Moan?

Auf dieſe Laute, wie auf ein Signal hin, ſpringt Helene auf und verſchwindet ihrerſeits in Hoffmanns Zimmer. Das Haupt - zimmer iſt leer, und man hört fortgeſetzt die Stimme des Bauern:

Dohie , hoa iich nee die ſchinſten Zähne, ? Hoa iich nee a hibſch Gittla?

Miele kommt durch die Mittelthür. Sie blickt ſuchend umher und ruft:

Freilein Helene!

und wieder:

Freilein Helene!

Dazwiſchen die Stimme des Bauern:

's Gald iis mei ne!

Jetzt iſt Miele ohne weiteres Zögern in Hoffmanns Zimmer verſchwunden, deſſen Thüre ſie offen läßt. Im nächſten Augenblick ſtürzt ſie heraus mit den Zeichen eines wahnſinnigen Schrecks; ſchreiend dreht ſie ſich zwei dreimal um ſich ſelber, ſchreiend jagt ſie durch die Mittelthür. Ihr ununterbrochenes Schreien, mit der Entfernung immer ſchwächer werdend, iſt noch einige weitere Secunden vernehmlich. Man hört nun die ſchwere Hausthüre aufgehen und dröhnend ins Schloß fallen, das Schrittegeräuſch des im Hausflur herum - taumelnden Bauern, ſchließlich ſeine rohe, näſelnde, lallende Trinkerſtimme ganz aus der Nähe durch den Raum gellen:

Dohie ? Hoa iich nee a poar hibſche Tächter?

(Der Vorhang fällt ſchnell.)

Druck von Wilhelm & Braſch. Berlin SW.

[107][108]

About this transcription

TextVor Sonnenaufgang
Author Gerhart Hauptmann
Extent115 images; 26543 tokens; 5880 types; 180695 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationVor Sonnenaufgang Soziales Drama Gerhart Hauptmann. . 106 S. ConradBerlin1889.

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Zentral- und Landesbibliothek Berlin Berlin ZLB, o C 34561

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; mts

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