PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Vorleſungen über die Methode des academiſchen Studium.
Tuͤbingen,in derJ. G. Cotta'ſchen Buchhandlung1803.
[II][III]

Dieſe Vorleſungen ſind im Sommer 1802. auf der Univerſitaͤt zu Jena gehalten. Ihre Wirkung auf eine betraͤchtliche An¬ zahl von Zuhoͤrern: die Hoffnung, daß manche Ideen derſelben, außer andern Folgen, auch fuͤr die naͤchſten oder doch zukuͤnftigen Beſtimmungen der Academieen von einigem Gewicht ſeyn koͤnnten: der Gedanke, daß, wenn ſie ihrem Zwecke nach keine neuen Enthuͤllungen uͤber die Principien erwarten laſſen, doch die dem allgemeinfaßlichen Vortrag genaͤhertere Dar¬ ſtellung der letzteren, ſo wie die aus ih¬ nen hervorgehende Anſicht des Ganzen derIV Wiſſenſchaften, nicht ohne allgemeineres Intereſſe ſeyn wuͤrde: ſchienen dem Ver¬ faſſer hinreichende Beſtimmungsgruͤnde zur oͤffentlichen Bekanntmachung derſelben.

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Erſte Vorleſung.

Ueber den abſoluten Begriff der Wiſſenſchaft.

1[2]3

Die beſondern Gruͤnde kurz anzugeben, die mich beſtimmen, dieſe Vorleſungen zu halten, moͤchte nicht uͤberfluͤſſig ſeyn; uͤberfluͤſſiger waͤre es ohne Zweifel, ſich bey dem allgemeinen Be¬ weis lange zu verweilen, daß Vorleſungen uͤber die Methode des akademiſchen Studium fuͤr den ſtudierenden Juͤngling nicht allein nuͤtzlich, ſondern nothwendig, fuͤr die Belebung und die beſſere Richtung der Wiſſenſchaft ſelbſt erſprie߬ lich ſind.

Der Juͤngling, wenn er mit dem Beginn der akademiſchen Laufbahn zuerſt in die Welt der Wiſſenſchaften eintritt, kann, jemehr er ſelbſt Sinn und Trieb fuͤr das Ganze hat, de¬ ſto weniger einen andern Eindruck davon erhal¬ ten, als den eines Chaos, in dem er noch nichts unterſcheidet, oder eines weiten Oceans, auf den er ſich ohne Compaß und Leitſtern verſetzt1 *4ſteht. Die Ausnahmen der Wenigen, welchen fruͤhzeitig ein ſicheres Licht den Weg bezeichnet, der ſie zu ihrem Ziele fuͤhret, koͤnnen hier nicht in Betracht kommen. Die gewoͤhnliche Folge jenes Zuſtandes iſt: bey beſſer organiſirten Koͤp¬ fen, daß ſie ſich regel - und ordnungslos allen moͤglichen Studien hingeben, nach allen Rich¬ tungen ſchweifen, ohne in irgend einer bis zu dem Kern vorzudringen, welcher der Anſatz ei¬ ner allſeitigen und unendlichen Bildung iſt, oder ihren fruchtloſen Verſuchen im beſten Fall etwas anders als, am Ende der akademiſchen Laufbahn, die Einſicht zu verdanken, wie vie¬ les ſie umſonſt gethan und wie vieles We¬ ſentliche vernachlaͤſſigt; bey andern, die von minder gutem Stoffe gebildet ſind, daß ſie gleich anfangs die Reſignation uͤben, alsbald ſich der Gemeinheit ergeben und hoͤchſtens durch mechaniſchen Fleiß und bloßes Auffaſſen mit dem Gedaͤchtniſſe ſo viel von ihrem beſondern Fach ſich anzueignen ſuchen, als ſie glauben, daß zu ihrer kuͤnftigen aͤußeren Exiſtenz noth¬ wendig ſey.

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Die Verlegenheit, in der ſich der Beſſere in Anſehung der Wahl ſowohl der Gegen¬ ſtaͤnde, als der Art ſeines Studierens befindet, macht, daß er ſein Vertrauen nicht ſelten Un¬ wuͤrdigen zuwendet, die ihn mit der Niedrigkeit ihrer eigenen Vorſtellungen von den Wiſſen¬ ſchaften oder ihrem Haß dagegen erfuͤllen.

Es iſt alſo nothwendig, daß auf Univer¬ ſitaͤten oͤffentlicher allgemeiner Unterricht uͤber den Zweck, die Art, das Ganze und die be¬ ſondern Gegenſtaͤnde des akademiſchen Studium ertheilt werde.

Eine andere Ruͤckſicht kommt noch in Be¬ tracht. Auch in der Wiſſenſchaft und Kunſt hat das Beſondere nur Werth, ſofern es das Allgemeine und Abſolute in ſich empfaͤngt. Es geſchieht aber, wie die meiſten Beyſpiele zei¬ gen, nur zu haͤufig, daß uͤber der beſtimmten Beſchaͤftigung die allgemeine der univerſellen Ausbildung, uͤber dem Beſtreben, ein vorzuͤg¬ licher Rechtsgelehrter oder Arzt zu werden, die weit hoͤhere Beſtimmung des Gelehrten uͤber¬ haupt, des durch Wiſſenſchaft veredelten Gei¬6 ſtes vergeſſen wird. Man koͤnnte erinnern, daß gegen dieſe Einſeitigkeit der Bildung das Studium der allgemeineren Wiſſenſchaften ein zureichendes Gegenmittel ſey. Ich bin nicht geſonnen, dieß im Allgemeinen zu laͤugnen und behaupte es vielmehr ſelbſt. Die Geometrie und Mathematik laͤutert den Geiſt zur rein vernunftmaͤßigen Erkenntniß, die des Stoffes nicht bedarf. Die Philoſophie, welche den ganzen Menſchen ergreift und alle Seiten ſei¬ ner Natur beruͤhrt, iſt noch mehr geeignet, den Geiſt von den Beſchraͤnktheiten einer einſei¬ tigen Bildung zu befreyen und in das Reich des Allgemeinen und Abſoluten zu erheben. Allein entweder exiſtirt zwiſchen der allgemei¬ nern Wiſſenſchaft und dem beſondern Zweig der Erkenntniß, dem der Einzelne ſich widmet, uͤberhaupt keine Beziehung, oder die Wiſſen¬ ſchaft in ihrer Allgemeinheit kann ſich wenig¬ ſtens nicht ſo weit herunterlaſſen, dieſe Bezie¬ hungen aufzuzeigen, ſo daß der, welcher ſie nicht ſelbſt zu erkennen im Stande iſt, ſich in Anſehung der beſondern Wiſſenſchaften doch7 von der Leitung der abſoluten verlaſſen ſieht und lieber abſichtlich ſich von dem lebendigen Ganzen iſoliren, als durch ein vergebliches Streben nach der Einheit mit demſelben ſeine Kraͤfte nutzlos verſchwenden will.

Der beſondern Bildung zu einem einzel¬ nen Fach muß alſo die Erkenntniß des organi¬ ſchen Ganzen der Wiſſenſchaften vorangehen. Derjenige, welcher ſich einer beſtimmten ergiebt, muß die Stelle, die ſie in dieſem Ganzen ein¬ nimmt, und den beſondern Geiſt, der ſie beſeelt, ſo wie die Art der Ausbildung kennen lernen, wodurch ſie dem harmoniſchen Bau des Ganzen ſich anſchließt, die Art alſo auch, wie er ſelbſt dieſe Wiſſenſchaft zu nehmen hat, um ſie nicht als ein Sklave, ſondern als ein Freier und im Geiſte des Ganzen zu denken.

Sie erkennen aus dem eben Geſagten ſchon, daß eine Methodenlehre des akademi¬ ſchen Studium nur aus der wirklichen und wahren Erkenntniß des lebendigen Zuſammen¬ hangs aller Wiſſenſchaften hervorgehen koͤnne, daß ohne dieſe jede Anweiſung todt, geiſtlos,8 einſeitig, ſelbſt beſchraͤnkt ſeyn muͤſſe. Viel¬ leicht aber war dieſe Foderung nie dringender, als zu der gegenwaͤrtigen Zeit, wo ſich alles in Wiſſenſchaft und Kunſt gewaltiger zur Einheit hinzudraͤngen ſcheint, auch das ſcheinbar entle¬ genſte in ihrem Gebiet ſich beruͤhrt, jede Er¬ ſchuͤtterung, die im Centrum oder der Naͤhe deſſelben geſchieht, ſchneller und gleichſam un¬ mittelbarer auch in die Theile ſich fortleitet, und ein neues Organ der Anſchauung allgemei¬ ner und faſt fuͤr alle Gegenſtaͤnde ſich bildet. Nie kann eine ſolche Zeit vorbeygehen ohne die Geburt einer neuen Welt, welche diejenigen, die nicht thaͤtigen Theil an ihr haben, unfehl¬ bar in die Nichtigkeit begraͤbt. Vorzuͤglich nur den friſchen und unverdorbenen Kraͤften der ju¬ gendlichen Welt kann die Bewahrung und Aus¬ bildung einer edlen Sache vertraut werden. Keiner iſt von der Mitwirkung ausgeſchloſſen, da in jeden Theil, den er ſich nimmt, ein Mo¬ ment des allgemeinen Wiedergebaͤhrungs-Pro¬ ceſſes faͤllt. Um mit Erfolg einzugreifen, muß er, ſelbſt vom Geiſt des Ganzen ergriffen, ſeine9 Wiſſenſchaft als organiſches Glied begreifen, und ihre Beſtimmung in der ſich bildenden Welt zum Voraus erkennen. Hiezu muß er entweder durch ſich ſelbſt oder durch andere zu einer Zeit gelangen, wo er nicht ſelbſt ſchon in obſoleten Formen verhaͤrtet, noch nicht durch lange Einwirkung fremder oder Ausuͤbung ei¬ gener Geiſtloſigkeit der hoͤhere Funken in ihm erſtickt iſt, in der fruͤheren Jugend alſo, und nach unſern Einrichtungen im Anfang des aka¬ demiſchen Studium.

Von wem ſoll er dieſe Erkenntniß erlangen und wem ſoll er ſich in dieſer Ruͤckſicht ver¬ trauen? Am meiſten ſich ſelbſt und dem beſ¬ ſern Genius, der ſicher leitet; dann denenje¬ nigen, von denen ſich am beſtimmteſten einſe¬ hen laͤßt, daß ſie durch ihre beſondere Wiſſen¬ ſchaft ſchon verbunden waren, ſich die hoͤchſten und allgemeinſten Anſichten von dem Ganzen der Wiſſenſchaften zu erwerben. Derjenige, welcher ſelbſt nicht die allgemeine Idee der Wiſſenſchaft hat, iſt ohne Zweifel am wenig¬ ſten faͤhig, ſie in andern zu erwecken; der ei¬10 ner untergeordneten und beſchraͤnkten Wiſſen¬ ſchaft ſeinen uͤbrigens ruͤhmlichen Fleiß widmet, nicht geeignet, ſich zur Anſchauung eines orga¬ niſchen Ganzen der Wiſſenſchaft zu erheben. Dieſe Anſchauung iſt uͤberhaupt und im Allge¬ meinen nur von der Wiſſenſchaft aller Wiſſen¬ ſchaften, der Philoſophie; im Beſondern alſo nur von dem Philoſophen zu erwarten, deſſen beſondere Wiſſenſchaft zugleich die abſolut all¬ gemeine, deſſen Streben alſo an ſich ſchon auf die Totalitaͤt der Erkenntniß gerichtet ſeyn muß.

Dieſe Betrachtungen ſind es, M. H., die mich beſtimmt haben, dieſe Vorleſungen zu er¬ oͤffnen, deren Abſicht Sie aus dem Vorherge¬ henden ohne Muͤhe erkennen. In wie weit ich im Stande ſeyn werde, meiner eignen Idee eines ſolchen Vortrags und demnach meinen Abſichten ein Genuͤge zu thun? dieſe Frage vorlaͤufig zu beantworten, uͤberlaſſe ich ruhig dem Zutrauen, welches Sie mir jederzeit ge¬ ſchenkt haben und deſſen mich werth zu zeigen, ich auch bey dieſer Gelegenheit ſtreben werde.

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Laſſen Sie mich alles, was doch bloß Einleitung, Vorbereitung ſeyn koͤnnte, abkuͤr¬ zen und gleich unmittelbar zu dem Einen gelan¬ gen, wovon unſre ganze folgende Unterſuchung abhaͤngig ſeyn wird, und ohne das wir keinen Schritt zur Aufloͤſung unſerer Aufgabe thun koͤnnen. Es iſt die Idee des an ſich ſelbſt un¬ bedingten Wiſſens, welches ſchlechthin nur Ei¬ nes und in dem auch alles Wiſſen nur Eines iſt, desjenigen Urwiſſens, welches, nur auf verſchiedenen Stufen der erſcheinenden idealen Welt ſich in Zweige zerſpaltend, in den gan¬ zen unermeßlichen Baum der Erkenntniß ſich ausbreitet. Als das Wiſſen alles Wiſſens muß es dasjenige ſeyn, was die Foderung oder Vor¬ ausſetzung, die in jeder Art deſſelben gemacht wird, aufs vollkommenſte und nicht nur fuͤr den beſondern Fall, ſondern ſchlechthin allge¬ mein erfuͤllt und enthaͤlt. Man mag nun dieſe Vorausſetzung als Uebereinſtimmung mit dem Gegenſtande, als reine Aufloͤſung des Beſon¬ dern in's Allgemeine oder wie immer ausdruͤ¬ cken, ſo iſt dieſe weder uͤberhaupt, noch in ir¬12 gend einem Falle ohne die hoͤhere Vorausſe¬ tzung denkbar, daß das wahre Ideale allein und ohne weitere Vermittlung auch das wahre Reale und außer jenem kein anderes ſey. Wir koͤnnen dieſe weſentliche Einheit ſelbſt in der Philoſophie nicht eigentlich beweiſen, da ſie vielmehr der Eingang zu aller Wiſſenſchaftlich¬ keit iſt; es laͤßt ſich nur eben dieß beweiſen, daß ohne ſie uͤberhaupt keine Wiſſenſchaft ſey, und es laͤßt ſich nachweiſen, daß in allem, was nur Anſpruch macht, Wiſſenſchaft zu ſeyn, eigent¬ lich dieſe Identitaͤt oder dieſes gaͤnzliche Aufge¬ hen des Realen im Idealen beabſichtigt werde.

Bewußtlos, liegt dieſe Vorausſetzung al¬ lem dem, was die verſchiedenen Wiſſenſchaften von allgemeinen Geſetzen der Dinge oder der Natur uͤberhaupt ruͤhmen, ſo wie ihrem Be¬ ſtreben nach Erkenntniß derſelben zu Grunde. Sie wollen, daß das Concrete und das in be¬ ſondern Erſcheinungen Undurchdringliche ſich fuͤr ſie in die reine Evidenz und die Durchſich¬ tigkeit einer allgemeinen Vernunfterkenntniß aufloͤſe. Man laͤßt dieſe Vorausſetzung in13 den beſchraͤnkteren Sphaͤren des Wiſſens und fuͤr den einzelnen Fall gelten, wenn man ſie auch allgemein und abſolut, wie ſie von der Philoſophie ausgeſprochen wird, weder verſte¬ hen, noch eben deswegen zugeben ſollte.

Mehr oder weniger mit Bewußtſeyn gruͤn¬ det der Geometer ſeine Wiſſenſchaft auf die ab¬ ſolute Realitaͤt des ſchlechthin Idealen, der, wenn er beweiſt: daß in jedem moͤglichen Drey¬ eck alle drey Winkel zuſammen zweyen rechten gleich ſind, dieſes ſein Wiſſen nicht durch Ver¬ gleichung mit concreten oder wirklichen Triangeln, auch nicht unmittelbar von ihnen, ſondern von dem Urbild beweiſt: er weiß dieß unmittelbar aus dem Wiſſen ſelbſt, welches ſchlechthin-ideal, und aus dieſem Grunde auch ſchlechthin real iſt. Aber wenn man auch die Frage nach der Moͤglichkeit des Wiſſens auf die des bloß endlichen Wiſſens einſchraͤnken wollte, ſo waͤre ſelbſt die Art empiriſcher Wahrheit, welche dieſes hat, nimmer durch irgend ein Verhaͤltniß zu Etwas, das man Gegenſtand nennt, denn wie koͤnnte man zu dieſem14 anders als immer nur durch das Wiſſen hin¬ durchkommen? es waͤre alſo uͤberhaupt nicht begreiflich, wenn nicht jenes an ſich Ideale, das in dem zeitlichen Wiſſen nur der Endlich¬ keit eingebildet erſcheint, die Realitaͤt und die Subſtanz der Dinge ſelbſt waͤre.

Aber eben dieſe erſte Vorausſetzung aller Wiſſenſchaft, jene weſentliche Einheit des unbe¬ dingt Idealen und des unbedingt Realen iſt nur dadurch moͤglich, daß Daſſelbe, welches das eine iſt, auch das andere iſt. Dieſes aber iſt die Idee des Abſoluten, welche die iſt: daß die Idee in Anſehung ſeiner auch das Seyn iſt. So daß das Abſolute auch jene oberſte Vorausſetzung des Wiſſens und das erſte Wiſſen ſelbſt iſt.

Durch dieſes erſte Wiſſen iſt alles andre Wiſſen im Abſoluten und ſelbſt abſolut. Denn obwohl das Urwiſſen in ſeiner vollkommenen Abſolutheit urſpruͤnglich nur in jenem, als dem abſolut: Idealen, wohnt, iſt es doch uns ſelbſt als das Weſen aller Dinge und der ewige Be15 griff von uns ſelbſt eingebildet, und unſer Wiſ¬ ſen in ſeiner Totalitaͤt iſt beſtimmt, ein Abbild jenes ewigen Wiſſens zu ſeyn. Es verſteht ſich, daß ich nicht von den einzelnen Wiſſen¬ ſchaften rede, welche und in wie fern ſie ſich von dieſer Totalitaͤt abgeſondert und von ihrem wahren Urbild entfernt haben. Allerdings kann nur das Wiſſen in ſeiner Allheit der vollkom¬ mene Reflex jenes vorbildlichen Wiſſens ſeyn, aber alles einzelne Wiſſen und jede beſondere Wiſſenſchaft iſt in dieſem Ganzen als organi¬ ſcher Theil begriffen; und alles Wiſſen daher, das nicht mittelbar oder unmittelbar, und ſey es durch noch ſo viele Mittelglieder hindurch, ſich auf das Urwiſſen bezieht, iſt ohne Realitaͤt und Bedeutung.

Von der Faͤhigkeit, alles, auch das ein¬ zelne Wiſſen, in dem Zuſammenhang mit dem urſpruͤnglichen und Einen zu erblicken, haͤngt es ab, ob man in der einzelnen Wiſſenſchaft mit Geiſt und mit derjenigen hoͤhern Eingebung ar¬ beite, die man wiſſenſchaftliches Genie nennt. Jeder Gedanke, der nicht in dieſem Geiſte der Ein¬16 und Allheit gedacht iſt, iſt in ſich ſelbſt leer und verwerflich; was nicht harmoniſch einzugreifen faͤhig iſt in dieſes treibende und lebende Ganze, iſt ein todter Abſatz, der nach organiſchen Ge¬ ſetzen fruͤher oder ſpaͤter ausgeſtoßen wird, und freylich giebt es auch im Reiche der Wiſſenſchaft geſchlechtsloſe Bienen genug, die, weil ihnen zu produciren verſagt iſt, durch anorgiſche Ab¬ ſaͤtze nach außen, ihre eigene Geiſtloſigkeit in Abdruͤcken vervielfaͤltigen.

Indem ich jene Idee von der Beſtim¬ mung alles Wiſſens ausgeſprochen habe, habe ich von der Wuͤrde der Wiſſenſchaft an ſich ſelbſt nichts mehr hinzuzufuͤgen: keine Norm der Ausbildung oder der Aufnahme der Wiſſen¬ ſchaft in ſich ſelbſt, die ich in dem Folgenden aufſtellen kann, wird aus einem andern Grun¬ de als dieſer Einen Idee fließen.

Von Pythagoras erzaͤhlen die Geſchicht¬ ſchreiber der Philoſophie, daß er den bis auf ſeine Zeit gangbaren Namen der Wiſſenſchaft, σοφία, zuerſt in den der φιλοσοφία, der Liebe zur Weisheit, verwandelt habe, aus dem17 Grunde, weil außer Gott niemand weiſe ſey. Wie es ſich mit der hiſtoriſchen Wahrheit dieſes Berichts verhalte, ſo iſt doch in jener Umaͤnde¬ rung ſelbſt, wie dem angegebenen Grund aner¬ kannt: daß alles Wiſſen ein Streben nach Ge¬ meinſchaft mit dem goͤttlichen Weſen, eine Theilnahme an demjenigen Urwiſſen ſey, deſ¬ ſen Bild das ſichtbare Univerſum und deſſen Geburtsſtaͤtte das Haupt der ewigen Macht iſt. Nach derſelbigen Anſicht, da alles Wiſſen nur Eines iſt, und jede Art deſſelben nur als Glied eintritt in den Organismus des Ganzen, ſind alle Wiſſenſchaften und Arten des Wiſſens Theile der Einen Philoſophie, naͤmlich des Strebens, an dem Urwiſſen Theil zu nehmen.

Alles nun, was unmittelbar aus dem Ab¬ ſoluten als ſeiner Wurzel ſtammt, iſt ſelbſt ab¬ ſolut, demnach ohne Zweck außer ſich, ſelbſt Zweck. Das Wiſſen, in ſeiner Allheit, iſt aber die eine, gleich abſolute, Erſcheinung des Einen Univerſum, von dem das Seyn oder die Natur die andre iſt. Im Gebiet des Rea¬218len herrſcht die Endlichkeit, im Gebiet des Idealen die Unendlichkeit; jenes iſt durch Nothwendigkeit das, was es iſt, dieſes ſoll es durch Freyheit ſeyn. Der Menſch, das Ver¬ nunftweſen uͤberhaupt, iſt hingeſtellt, eine Er¬ gaͤnzung der Welterſcheinung zu ſeyn: aus ihm aus ſeiner Thaͤtigkeit ſoll ſich entwickeln, was zur Totalitaͤt der Offenbarung Gottes fehlt, da die Natur zwar das ganze goͤttliche Weſen, aber nur im Realen empfaͤngt; das Vernunft¬ weſen ſoll das Bild derſelben goͤttlichen Natur, wie ſie an ſich ſelbſt iſt, demnach im Idealen ausdruͤcken.

Wir haben gegen die Unbedingtheit der Wiſſenſchaft einen ſehr gangbaren Einwurf zu erwarten, dem wir einen hoͤhern Ausdruck lei¬ hen wollen, als er gewoͤhnlich annimmt, naͤm¬ lich: daß von jener in der Unendlichkeit zu entwerfenden Darſtellung des Abſoluten das Wiſſen ſelbſt nur ein Theil, in ihr wie¬ der nur als Mittel begriffen ſey, zu dem ſich das Handeln als Zweck verhalte.

Handeln, Handeln! iſt der Ruf, der zwar von vielen Seiten ertoͤnt, am lauteſten19 aber von denjenigen angeſtimmt wird, bey denen es mit dem Wiſſen nicht fort will.

Es hat viel Empfehlendes fuͤr ſich, zum Handeln aufzufordern. Handeln, denkt man, kann jeder, denn dieß haͤngt nur vom freyen Willen ab. Wiſſen aber, beſonders philoſo¬ phiſches, iſt nicht jedermanns Ding, und, ohne andre Bedingungen, auch mit dem beſten Willen nichts darinn auszurichten.

Wir ſtellen die Frage uͤber den vorliegen¬ den Einwurf gleich ſo: Was mag das fuͤr ein Handeln ſeyn, zu dem ſich das Wiſſen als Mittel, und das fuͤr ein Wiſſen, welches ſich zum Handeln als dem Zweck verhaͤlt?

Welcher Grund, uͤberhaupt nur der Moͤg¬ lichkeit einer ſolchen Entgegenſetzung laͤßt ſich aufzeigen?

Wenn die Saͤtze, die ich hier in Anre¬ gung bringen muß, nur in der Philoſophie ihr vollkommenes Licht von allen Seiten erhalten koͤnnen, ſo verhindert dieß nicht, daß ſie wenig¬ ſtens fuͤr die gegenwaͤrtige Anwendung verſtaͤnd¬ lich ſeyn. Wer nur uͤberhaupt die Idee des2 *20Abſoluten gefaßt hat, ſieht auch ein, daß in ihm nur Ein Grund moͤglicher Entgegenſetzung gedacht werden kann, und daß alſo, wenn uͤber¬ haupt aus ihm Gegenſaͤtze begriffen werden koͤnnen, alle aus jenem Einen fließen muͤſſen. Die Natur des Abſoluten iſt: als das abſolut Ideale auch das Reale zu ſeyn. In dieſer Be¬ ſtimmung liegen die zwey Moͤglichkeiten, daß es als Ideales ſeine Weſenheit in die Form, als das Reale, bildet, und daß es, weil dieſe in ihm nur eine abſolute ſeyn kann, auf ewig gleiche Weiſe auch die Form wieder in das We¬ ſen aufloͤſt, ſo daß es Weſen und Form in voll¬ kommener Durchdringung iſt. In dieſen zwey Moͤglichkeiten beſteht die Eine Handlung des Urwiſſens; da es aber ſchlechthin untheilbar, alſo ganz und durchaus Realitaͤt und Idealitaͤt iſt, ſo muß von dieſer untrennbaren Duplicitaͤt auch in jedem Act des abſoluten Wiſſens ein Ausdruck, und in dem, was im Ganzen als das Reale, wie in dem, was als das Ideale erſcheint, beides in Eins gebildet ſeyn. Wie alſo in der Natur als Bild der goͤttlichen Ver¬21 wandlung der Idealitaͤt in die Realitaͤt auch wieder die Umwandlung der letzten in die erſte durch das Licht, und vollendet durch die Ver¬ nunft erſcheint, ſo muß dagegen in dem, was im Ganzen als das Ideale begriffen wird, gleichfalls wieder eine reale und ideale Seite angetroffen werden, wovon jene die Idealitaͤt in der Realitaͤt, aber als ideal, dieſe die entge¬ gengeſetzte Art der Einheit erkennen laͤßt. Die erſte Erſcheinungsart iſt das Wiſſen, in wie fern in dieſem die Subjectivitaͤt in der Objecti¬ vitaͤt erſcheint, die andere iſt das Handeln, in wie fern in dieſem vielmehr eine Aufnahme der Beſonderheit in die Allgemeinheit gedacht wird.

Es iſt hinreichend, dieſe Verhaͤltniſſe auch nur in der hoͤchſten Abſtraction zu faſſen, um einzuſehen, daß die Entgegenſetzung, in wel¬ cher die beiden Einheiten innerhalb der gleichen Identitaͤt des Urwiſſens, als Wiſſen und Han¬ deln erſcheinen, nur fuͤr die bloß endliche Auf¬ faſſung ſtatt findet; denn es iſt von ſich ſelbſt klar, daß wenn in dem Wiſſen das Unendliche22 ſich dem Endlichen auf ideale Art, im Handeln auf gleiche Weiſe die Endlichkeit ſich der Unend¬ lichkeit einbildet, jede von beyden in der Idee oder dem An-ſich die gleiche abſolute Einheit des Urwiſſens ausdruͤcke.

Das zeitliche Wiſſen eben ſo wie das zeit¬ liche Handeln ſetzt nur auf bedingte Weiſe und ſucceſſiv, was in der Idee auf unbedingte Weiſe und zumal iſt; deshalb erſcheinen in je¬ nem Wiſſen und Handeln eben ſo nothwendig getrennt, als ſie in dieſer, wegen der gleichen Ab¬ ſolutheit, Eines ſind, wie in Gott als der Idee aller Ideen die abſolute Weisheit unmit¬ telbar dadurch, daß ſie abſolut iſt, auch unbe¬ dingte Macht, ohne Vorausgehen der Idee als Abſicht, wodurch das Handeln beſtimmt waͤre, demnach zugleich abſolute Nothwendig¬ keit iſt.

Es verhaͤlt ſich mit dieſen, wie mit allen andern Gegenſaͤtzen, daß ſie nur ſind, ſo lange jedes Glied nicht fuͤr ſich abſolut, demnach bloß mit dem endlichen Verſtand aufgefaßt wird. Der Grund der gemachten Entgegenſetzung23 liegt demnach allein in einem gleich unvollkom¬ menen Begriff vom Wiſſen und vom Handeln, welches dadurch erhoben werden ſoll, daß man das Wiſſen als Mittel zu ihm begreift. Zu dem wahrhaft abſoluten Handeln kann das Wiſſen kein ſolches Verhaͤltniß haben; denn dieſes kann, eben weil es abſolut iſt, nicht durch ein Wiſſen beſtimmt ſeyn. Dieſelbe Einheit, die im Wiſſen, bildet ſich auch im Handeln zu einer abſoluten in ſich gegruͤndeten Welt aus. Vom erſcheinenden Handeln iſt hier ſo wenig die Rede, als vom erſcheinenden Wiſ¬ ſen: eines ſteht und faͤllt mit dem andern, denn jedes hat allerdings nur im Gegenſatz gegen das andere Realitaͤt.

Diejenigen, welche das Wiſſen zum Mittel, das Handeln zum Zweck machen, haben von jenem keinen Begriff, als den ſie aus dem taͤg¬ lichen Thun und Treiben genommen haben, ſo wie dann auch das Wiſſen darnach ſeyn muß, um das Mittel zu dieſem zu werden. Die Phi¬ loſophie ſoll ſie lehren, im Leben ihre Pflicht zu thun; dazu beduͤrfen ſie alſo der Philoſophie:24 ſie thun ſolche nicht aus freyer Nothwendigkeit, ſondern als Unterworfne eines Begriffs, den ih¬ nen die Wiſſenſchaft an die Hand giebt. All¬ gemein ſoll die Wiſſenſchaft dienen, ihnen das Feld zu beſtellen, die Gewerbe zu vervollkomm¬ nen oder ihre verdorbenen Saͤfte zu verbeſſern. Die Geometrie, meynen ſie, iſt eine ſchoͤne Wiſſenſchaft, nicht zwar, weil ſie die reinſte Evidenz, der objectivſte Ausdruck der Vernunft ſelbſt iſt, ſondern weil ſie das Feld meſſen und Haͤuſer bauen lehrt, oder die Handelsſchifffahrt moͤglich macht; denn daß ſie auch zum Krieg¬ fuͤhren dient, mindert ihren Werth, weil der Krieg doch ganz gegen die allgemeine Menſchen¬ liebe iſt. Die Philoſophie iſt nicht einmal zu jenem und hoͤchſtens zu dem letzten gut, naͤm¬ lich gegen die ſeichten Koͤpfe und die Nuͤtzlich¬ keitsapoſtel in der Wiſſenſchaft Krieg zu fuͤh¬ ren, und darum auch im Grunde hoͤchſt ver¬ werflich.

Die den Sinn jener abſoluten Einheit des Wiſſens und Handelns nicht faſſen, bringen dagegen ſolche Popularitaͤten vor, daß, wenn25 das Wiſſen mit dem Handeln Eins waͤre, die¬ ſes immer aus jenem folgen muͤßte, da man doch ſehr gut das Rechte wiſſen koͤnne, ohne es deswegen zu thun, und was dergleichen mehr iſt. Sie haben ganz Recht, daß das Handeln aus dem Wiſſen nicht folge, und ſie ſprechen eben in jener Reflexion aus, daß das Wiſſen nicht Mittel des Handelns ſey. Sie haben nur darin Unrecht, eine ſolche Folge zu erwarten. Sie begreifen keine Verhaͤltniſſe zwiſchen Abſo¬ luten; nicht, wie jedes Beſondere fuͤr ſich un¬ bedingt ſeyn kann, und machen das eine im Verhaͤltniß des Zwecks ſo gut wie das andere im Verhaͤltniß des Mittels zu einem Abhaͤn¬ gigen.

Wiſſen und Handeln koͤnnen nie anders in wahrer Harmonie ſeyn, als durch die gleiche Abſolutheit. Wie es kein wahres Wiſſen giebt, welches nicht mittelbar oder unmittelbar Aus¬ druck des Urwiſſens iſt, ſo kein wahres Han¬ deln, welches nicht, und waͤr 'es durch noch ſo viele Mittelglieder, das Urhandeln und in ihm das goͤttliche Weſen ausdruͤckt. Diejenige Frey¬26 heit, die man in dem empiriſchen Handeln ſucht, oder zu erblicken glaubt, iſt eben ſo we¬ nig wahre Freyheit und eben ſo Taͤuſchung, wie die Wahrheit, die im empiriſchen Wiſſen. Es giebt keine wahre Freyheit, als durch abſo¬ lute Nothwendigkeit, und zwiſchen jener und dieſer iſt ſelbſt wieder das Verhaͤltniß, wie zwi¬ ſchen abſolutem Wiſſen und abſolutem Handeln.

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Zweyte Vorleſung.

Ueber die wiſſenſchaftliche und ſittliche Beſtimmung der Academieen.

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Der Begriff des academiſchen Studium wies uns einerſeits zu dem hoͤhern Begriff eines vorhandenen Ganzen von Wiſſenſchaften zu¬ ruͤck, welches wir in ſeiner oberſten Idee, dem Urwiſſen, zu faſſen ſuchten; andrerſeits fuͤhrt er uns auf die beſondern Bedingungen, unter welchen die Wiſſenſchaften auf unſern Academieen gelehrt und mitgetheilt werden.

Wohl koͤnnte es des Philoſophen wuͤr¬ diger ſcheinen, von dem Ganzen der Wiſſen¬ ſchaften ein unabhaͤngiges Bild zu entwerfen und die Art der erſten Erkenntniß deſſelben an ſich ſelbſt, ohne Beziehung auf die For¬ men bloß gegenwaͤrtiger Einrichtungen, vor¬ zuſchreiben. Allein ich glaube in dem Fol¬ genden beweiſen zu koͤnnen, daß eben auch dieſe Formen in dem Geiſt der neueren Welt nothwendig waren, und wenig¬ ſtens aͤußere Bedingungen der Wechſeldurch¬ dringung der verſchiedenartigen Elemente ihrer Bildung ſo lange ſeyn werden, bis durch30 jene die truͤbe Miſchung der letztern ſich zu ſchoͤnern Organiſationen gelaͤutert haben wird.

Der Grund, warum das Wiſſen uͤber¬ haupt ſeiner Erſcheinung nach in die Zeit faͤllt, iſt ſchon in dem zuvor Abgehandelten enthalten. Wie die ſich in der Endlichkeit reflectirende Einheit des Idealen und Realen als beſchloſſene Totalitaͤt, als Natur, im Raum ſich ausdruͤckt, ſo erſcheint dieſelbe im Unendlichen angeſchaut unter der allgemeinen Form der endloſen Zeit. Aber die Zeit ſchließt die Ewigkeit nicht aus, und die Wiſſenſchaft, wenn ſie ihrer Erſcheinung nach eine Geburt der Zeit iſt, geht doch auf Gruͤndung einer Ewigkeit mitten in der Zeit. Was wahr iſt, iſt wie das, was an ſich ſelbſt recht und ſchoͤn iſt, ſeiner Natur nach ewig und hat mitten in der Zeit kein Verhaͤlniß zu der Zeit. Sache der Zeit iſt die Wiſſenſchaft nur, in wie fern ſie durch das Individuum ſich aus¬ ſpricht. Das Wiſſen an ſich iſt aber ſo we¬ nig Sache der Individualitaͤt als das Han¬ deln an ſich. Wie die wahre Handlung die¬31 jenige iſt, die gleichſam im Namen der gan¬ zen Gattung geſchehen koͤnnte, ſo das wahre Wiſſen dasjenige, worin nicht das Indivi¬ duum, ſondern die Vernunft weiß. Dieſe Un¬ abhaͤngigkeit des Weſens der Wiſſenſchaft von der Zeit druͤckt ſich in dem aus, daß ſie Sa¬ che der Gattung iſt, welche ſelbſt ewig iſt. Es iſt alſo nothwendig, daß wie das Leben und Daſeyn, ſo die Wiſſenſchaft ſich von Individuum an Individuum, von Geſchlecht zu Geſchlecht mittheile. Ueberlieferung iſt der Ausdruck ihres ewigen Lebens. Es waͤre hier nicht der Ort, mit allen Gruͤnden, deren dieſe Behauptung faͤhig iſt, zu beweiſen, daß alle Wiſſenſchaft und Kunſt des gegenwaͤrti¬ gen Menſchengeſchlechts eine uͤberlieferte iſt. Es iſt undenkbar, daß der Menſch, wie er jetzt erſcheint, durch ſich ſelbſt ſich vom In¬ ſtinct zum Bewußtſeyn, von der Thierheit zur Vernuͤnftigkeit erhoben habe. Es mußte alſo dem gegenwaͤrtigen Menſchengeſchlecht ein an¬ deres vorangegangen ſeyn, welches die alte Sage unter dem Bilde der Goͤtter und erſten32 Wohlthaͤter des menſchlichen Geſchlechts vere¬ wigt hat. Die Hypotheſe eines Urvolks er¬ klaͤrt bloß etwa die Spuren einer hohen Kul¬ tur in der Vorwelt, von der wir die ſchon entſtellten Reſte nach der erſten Trennung der Voͤlker finden, und etwa die Uebereinſtim¬ mung in den Sagen der aͤlteſten Voͤlker, wenn man nichts auf die Einheit des allem einge¬ bohrnen Erdgeiſtes rechnen will: aber ſie er¬ klaͤrt keinen erſten Anfang und ſchiebt, wie jede empiriſche Hypotheſe, die Erklaͤrung nur weiter zuruͤck.

Wie dem auch ſey, ſo iſt bekannt, daß das erſte Ueberlieferungsmittel der hoͤheren Ideen, Handlungen, Lebensweiſe, Gebraͤuche, Symbole geweſen ſind, wie ſelbſt die Dog¬ men der fruͤheſten Religionen nur in Anwei¬ ſungen zu religioͤſen Gebraͤuchen enthalten wa¬ ren. Die Staatenbildungen, die Geſetze, die einzelnen Anſtalten, die errichtet waren, das Uebergewicht des goͤttlichen Princips in der Menſchheit zu erhalten, waren ihrer Na¬ tur nach eben ſo viele Ausdruͤcke ſpeculativer33 Ideen. Die Erfindung der Schrift gab der Ueberlieferung zunaͤchſt nur eine groͤßere Si¬ cherheit; der Gedanke, in dem geiſtigen Stoff der Rede auch einen Ausdruck der Form und Kunſt niederzulegen, der einen dauernden Werth haͤtte, konnte erſt ſpaͤter erwachen. Wie in der ſchoͤnſten Bluͤthe der Menſchheit ſelbſt die Sittlichkeit nicht gleichſam dem In¬ dividuum eignete, ſondern Geiſt des Ganzen war, aus dem ſie aus: und in das ſie zu¬ ruͤckfloß, ſo lebte auch die Wiſſenſchaft in dem Licht und Aether des oͤffentlichen Lebens und einer allgemeinen Organiſation. Wie uͤber¬ haupt die ſpaͤtere Zeit das Reale zuruͤckdraͤng¬ te und das Leben innerlicher machte, ſo auch das der Wiſſenſchaft. Die neuere Welt iſt in allem, und beſonders in der Wiſſenſchaft eine getheilte Welt, die in der Vergangen¬ heit und Gegenwart zugleich lebt. In dem Charakter aller Wiſſenſchaften druͤckt es ſich aus, daß die ſpaͤtere Zeit von dem hiſtori¬ ſchen Wiſſen ausgehen mußte, daß ſie eine untergegangene Welt der herrlichſten und groͤ߬334ten Erſcheinungen der Kunſt und Wiſſenſchaft hinter ſich hatte, mit der ſie, durch eine un¬ uͤberſteigliche Kluft von ihr getrennt, nicht durch das innere Band einer organiſch-fort¬ gehenden Bildung, ſondern einzig durch das aͤußere Band der hiſtoriſchen Ueberlieferung zuſammenhieng. Der auflebende Trieb konnte ſich im erſten Wiederbeginn der Wiſſenſchaf¬ ten in unſerm Welttheil nicht ruhig oder aus¬ ſchließlich auf das eigne Produciren, ſondern nur unmittelbar zugleich auf das Verſtehen, Be¬ wundern und Erklaͤren der vergangenen Herr¬ lichkeiten richten. Zu den urſpruͤnglichen Ge¬ genſtaͤnden des Wiſſens trat das vergangene Wiſſen daruͤber als ein neuer Gegenſtand hin¬ zu; daher und weil zur tiefen Ergruͤndung des Vorhandenen ſelbſt gegenwaͤrtiger Geiſt er¬ fodert wird, wurden Gelehrter, Kuͤnſtler und Philoſoph gleichbedeutende Begriffe, und das erſte Praͤdicat auch demjenigen zuerkannt, der das Vorhandene mit keinem eignen Gedanken vermehrt hatte; und wenn die Griechen, wie ein Aegyptiſcher Prieſter zu Solon ſagte,35 ewig jung waren, ſo war die moderne Welt dagegen in ihrer Jugend ſchon alt und er¬ fahren.

Das Studium der Wiſſenſchaften wie der Kuͤnſte in ihrer hiſtoriſchen Entwicklung iſt zu einer Art der Religion geworden: in ihrer Geſchichte erkennt der Philoſoph noch unenthuͤllter gleichſam die Abſichten des Welt¬ geiſtes, die tiefſte Wiſſenſchaft, das gruͤnd¬ lichſte Genie hat ſich in dieſe Kenntniß er¬ goſſen.

Ein anderes iſt, das Vergangene ſelbſt zum Gegenſtand der Wiſſenſchaft zu machen, ein anderes, die Kenntniß davon an die Stelle des Wiſſens ſelbſt zu ſetzen. Durch das hiſtoriſche Wiſſen in dieſem Sinn wird der Zugang zu dem Urbild verſchloſſen; es fragt ſich dann nicht mehr, ob irgend etwas mit dem An-ſich des Wiſſens, ſondern ob es mit irgend etwas abgeleitetem, welches von jenem ein bloß unvollkommenes Abbild iſt, uͤber¬ einſtimme? Ariſtoteles hatte in ſeinen Schrif¬ ten die Naturlehre und Naturgeſchichte be¬3 *36treffend die Natur ſelbſt gefragt; in den ſpaͤ¬ tern Zeiten hatte ſich das Andenken davon ſo voͤllig verloren, daß er ſelbſt an die Stelle des Urbilds trat und gegen die deutlichen Aus¬ ſpruͤche der Natur durch Carteſius, Kepler u. a. ſeine Auctoritaͤt zum Zeugen aufgeru¬ fen wurde. Nach derſelben Art hiſtoriſcher Bildung hat fuͤr einen großen Theil der ſo¬ genannten Gelehrten bis auf dieſen Tag keine Idee Bedeutung und Realitaͤt, ehe ſie durch andere Koͤpfe gegangen, hiſtoriſch und eine Ver¬ gangenheit geworden iſt.

Mehr oder weniger in dieſem Geiſt des hiſtoriſchen Wiſſens ſind, nicht ſo ſehr viel¬ leicht im erſten Beginn der wiedererwachen¬ den Literatur, als in viel ſpaͤteren Zeiten, unſre Academieen errichtet worden. Ihre ganze wiſſenſchaftliche Organiſation moͤchte ſich nur vollſtaͤndig aus dieſem Abtrennen des Wiſ¬ ſens von ſeinem Urbild durch hiſtoriſche Ge¬ lehrſamkeit ableiten laſſen. Vorerſt iſt die große Maſſe deſſen, was gelernt werden muß, nur um im Beſitz des Vorhandenen zu ſeyn,37 die Urſache geweſen, daß man das Wiſſen ſo weit wie moͤglich in verſchiedene Zweige zer¬ ſpaltet, und den lebendigen organiſchen Bau des Ganzen bis ins Kleinſte zerfaſert hat. Da alle iſolirten Theile des Wiſ¬ ſens, alle beſonderen Wiſſenſchaften alſo, ſo fern der univerſelle Geiſt aus ihnen gewichen iſt, uͤberhaupt nur Mittel zum abſoluten Wiſſen ſeyn koͤnnen, ſo war die nothwendige Folge jenes Zerſtuͤckelns, daß uͤber den Mit¬ teln und Anſtalten zum Wiſſen das Wiſſen ſelbſt ſo gut wie verloren gegangen iſt, und waͤhrend eine geſchaͤftige Menge die Mit¬ tel fuͤr den Zweck ſelbſt hielt und als Zweck geltend zu machen ſuchte, jenes, welches nur Eines und in ſeiner Einheit abſolut iſt, ſich ganz in die oberſten Theile zuruͤck¬ zog und auch in dieſen zu jeder Zeit nur ſelt¬ ne Erſcheinungen eines unbeſchraͤnkten Lebens gegeben hat.

Wir haben in dieſer Ruͤckſicht vorzuͤglich die Frage zu beantworten: welche Foderun¬ gen ſelbſt innerhalb der angenommenen Be¬38 ſchraͤnkung und in den gegenwaͤrtigen Formen unſerer Academieen an dieſe gemacht werden koͤnnen, damit aus dieſer durchgaͤngigen Tren¬ nung im Einzelnen gleichwohl wieder eine Einheit im Ganzen entſpringe? Ich werde dieſe Frage nicht beantworten koͤnnen, ohne zu¬ gleich von den nothwendigen Foderungen an die¬ jenigen, welche eine Academie permanent con¬ ſtituiren, an die Lehrer alſo, zu reden. Ich werde mich nicht ſcheuen, hieruͤber vor Ih¬ nen mit aller Freymuͤthigkeit zu ſprechen. Der Eintritt in das academiſche Leben iſt in Anſehung des ſtudierenden Juͤnglings zugleich die erſte Befreyung vom blinden Glauben, er ſoll hier zuerſt lernen und ſich uͤben, ſelbſt zu urtheilen. Kein Lehrer, der ſeines Berufs wuͤrdig iſt, wird eine andere Achtung verlan¬ gen, als die er ſich durch Geiſtesuͤbergewicht, durch wiſſenſchaftliche Bildung und ſeinen Ei¬ fer, dieſe allgemeiner zu verbreiten, er¬ werben kann. Nur der Unwiſſende, der Unfaͤhige wird dieſe Achtung auf ande¬ re Stuͤtzen zu gruͤnden ſuchen. Was mich39 noch mehr beſtimmen muß, in dieſer Sache ohne Ruͤckhalt zu reden, iſt folgende Betrach¬ tung. Von den Anſpruͤchen, welche die Stu¬ dierenden ſelbſt an eine Academie und die Leh¬ rer derſelben machen, haͤngt zum Theil die Er¬ fuͤllung derſelben ab, und der einmal unter ih¬ nen geweckte wiſſenſchaftliche Geiſt wirkt vor¬ theilhaft auf das Ganze zuruͤck, indem er den Untuͤchtigen durch die hoͤheren Forderungen, die an ihn gemacht werden, zuruͤckſchreckt; den, welcher ſie zu erfuͤllen faͤhig iſt, zur Ergreifung dieſes Wirkungskreiſes beſtimmt.

Gegen die aus der Idee der Sache ſelbſt fließende Foderung der Behandlung aller Wiſ¬ ſenſchaften im Geiſt des Allgemeinen und eines abſoluten Wiſſens kann es kein Einwurf ſeyn zu fragen: woher die Lehrer ſaͤmmtlich zu nehmen waͤren, die dieſes zu leiſten vermoͤchten? Die Academieen ſind es ja eben, auf welchen jene ihre erſte Bildung erhalten: man gebe dieſen nur die geiſtige Freyheit und beſchraͤnke ſie nicht durch Ruͤckſichten, die auf das wiſſenſchaftliche Verhaͤltniß keine Anwendung haben, ſo werden40 ſich die Lehrer von ſelbſt bilden, die jenen Fode¬ rungen Genuͤge thun koͤnnen und wiederum im Stande ſind andere zu bilden.

Man koͤnnte fragen, ob es uͤberhaupt zie¬ me, gleichſam im Namen der Wiſſenſchaft Fo¬ derungen an Academieen zu machen, dn es hin¬ laͤnglich bekannt und angenommen ſey, daß ſie Inſtrumente des Staats ſind, die das ſeyn muͤſ¬ ſen, wozu dieſer ſie beſtimmt. Wenn es nun ſeine Abſicht waͤre, daß in Anſehung der Wiſ¬ ſenſchaft durchgehends eine gewiſſe Maͤßigkeit, Zuruͤckhaltung, Einſchraͤnkung auf das Gewoͤhn¬ liche oder Nuͤtzliche beobachtet wuͤrde, wie ſollte dann von den Lehrern progreſſive Tendenz und Luſt zur Ausbildung ihrer Wiſſenſchaft nach Ideen erwartet werden koͤnnen?

Es verſteht ſich wohl von ſelbſt, daß wir gemeinſchaftlich vorausſetzen und vorausſetzen muͤſſen: der Staat wolle in den Academieen wirklich wiſſenſchaftliche Anſtalten ſehen, und daß alles, was wir in Anſehung ihrer behaup¬ ten, nur unter dieſer Bedingung gilt. Der Staat waͤre unſtreitig befugt, die Academieen41 ganz aufzuheben oder in Induſtrie - und andere Schulen von aͤhnlichen Zwecken umzuwandeln: aber er kann nicht das erſte beabſichtigen, ohne zugleich auch das Leben der Ideen und die freye¬ ſte wiſſenſchaftliche Bewegung zu wollen, durch deren Verſagung aus kleinlichen, meiſtens nur die Ruhe der Unfaͤhigen in Schutz nehmenden, Ruͤckſichten das Genie zuruͤckgeſtoßen, das Ta¬ lent gelaͤhmt wird.

Die aͤußere Vollſtaͤndigkeit bringt noch kei¬ nesweges das wahre organiſche Leben aller Thei¬ le des Wiſſens hervor, welches durch die Uni¬ verſitaͤten, die hiervon ihren Namen tragen, er¬ reicht werden ſoll. Hiezu bedarf es des gemein¬ ſchaftlichen Geiſtes, der aus der abſoluten Wiſ¬ ſenſchaft kommt, von der die einzelnen Wiſſen¬ ſchaften die Werkzeuge oder die objective reale Seite ſeyn ſollen. Ich kann dieſe Anſicht hier noch nicht ausfuͤhren: indeß iſt klar, daß von keiner Anwendung der Philoſophie die Rede iſt, dergleichen auf beynahe alle Faͤcher nach und nach verſucht worden, ja ſogar auf die, in Be¬ zug auf ſie, niedrigſten Gegenſtaͤnde, ſo daß42 man faſt auch die Landwirthſchaft, die Entbin¬ dungskunſt oder Bandagenlehre philoſophiſch zu machen ſich beſtrebt hat. Es kann nicht leicht etwas thoͤrichteres geben, als das Beſtreben von Rechtsgelehrten oder Aerzten, ihre Scienz mit einem philoſophiſchen Anſehen zu bekleiden, waͤhrend ſie uͤber die erſten Grundſaͤtze der Phi¬ loſophie in Unwiſſenheit ſind, gleich wie wenn jemand eine Kugel, einen Cylinder oder ein an¬ deres Solidum ausmeſſen wollte, dem nicht ein¬ mal der erſte Satz des Euklides bekannt waͤre.

Nur von der Formloſigkeit in den meiſten objectiven Wiſſenſchaften rede ich, worinn ſich auch nicht eine Ahndung von Kunſt, oder nur die logiſchen Geſetze des Denkens ausdruͤcken, von derjenigen Stumpfheit, die mit keinem Gedanken ſich uͤber das Beſondere erhebt, noch ſich vorzuſtellen vermag, daß ſie, auch in dem ſinnlichen Stoff, das Unſinnliche, das Allge¬ meine darzuſtellen habe.

Nur das ſchlechthin Allgemeine iſt die Quelle der Ideen, und Ideen ſind das Leben¬ dige der Wiſſenſchaft. Wer ſein beſonderes43 Lehrfach nur als beſonderes kennt, und nicht faͤhig iſt, weder das Allgemeine in ihm zu er¬ kennen, noch den Ausdruck einer univerſell¬ wiſſenſchaftlichen Bildung in ihm niederzulegen, iſt unwuͤrdig, Lehrer und Bewahrer der Wiſ¬ ſenſchaft zu ſeyn. Er wird ſich auf vielfache Weiſe nuͤtzlich machen koͤnnen, als Phyſiker mit Errichtung von Blitzableitern, als Aſtronom mit Kalendermachen, als Arzt mit der Anwen¬ dung des Galvanismus in Krankheiten oder auf welche andere Weiſe er will; aber der Be¬ ruf des Lehrers fodert hoͤhere als Handwerkerta¬ lente. Das Abpfloͤcken der Felder der Wiſſen¬ ſchaften, ſagt Lichtenberg, mag ſeinen großen Nutzen haben bey der Vertheilung unter die Paͤchter; aber den Philoſophen, der immer den Zuſammenhang des Ganzen vor Augen hat, warnt ſeine nach Einheit ſtrebende Vernunft bey jedem Schritte, auf keine Pfloͤcke zu achten, die oft Bequemlichkeit und oft Eingeſchraͤnktheit eingeſchlagen haben. Ohne Zweifel war es nicht die beſondere Geſchicklichkeit in ſeiner Wiſ¬ ſenſchaft, ſondern das Vermoͤgen, ſie mit den44 Ideen eines bis zur Allgemeinheit ausgebilde¬ ten Geiſtes zu durchdringen, wodurch Lichten¬ berg der geiſtreichſte Phyſiker ſeiner Zeit und der vortrefflichſte Lehrer ſeines Fachs gewe¬ ſen iſt.

Ich muß hier eine Vorſtellung beruͤhren, die ſich diejenigen, an welche die Foderung, ihr beſonderes Fach im Geiſt des Ganzen zu behan¬ deln, gemacht wird, gewoͤhnlich davon machen, naͤmlich, als werde verlangt, ſie ſollen es als bloßes Mittel betrachten; es iſt aber viel¬ mehr das gerade Gegentheil der Fall, daß jeder ſeine Wiſſenſchaft in dem Verhaͤltniß im Geiſt des Ganzen betreibt, in welchem er ſie als Zweck an ſich ſelbſt und als abſolut betrachtet. Schon an ſich ſelbſt kann nichts als Glied in einer wahren Totalitaͤt begriffen ſeyn, was in ihm bloß als Mittel wirkt. Jeder Staat iſt in dem Verhaͤltniß vollkommen, in welchem je¬ des einzelne Glied, indem es Mittel zum Gan¬ zen, zugleich in ſich ſelbſt Zweck iſt. Ebenda¬ durch, daß das Beſondere in ſich abſolut iſt,45 iſt es auch wieder im Abſoluten und integran¬ ter Theil deſſelben, und umgekehrt.

Je mehr ein Gelehrter ſeinen beſondern Kreis als Zweck an ſich ſelbſt begreift, ja ihn fuͤr ſich wieder zum Mittelpunkt alles Wiſſens macht, den er zur allbefaſſenden Totalitaͤt er¬ weitern moͤchte, deſto mehr beſtrebt er ſich, All¬ gemeines und Ideen in ihm auszudruͤcken. Da¬ gegen je weniger er vermag, ihn mit univerſellem Sinn zu faſſen, deſto mehr wird er ihn, er mag ſich nun deſſen bewußt oder nicht bewußt ſeyn, weil das, was nicht Zweck an ſich ſelbſt iſt, nur Mittel ſeyn kann, nur als Mittel begreifen. Dieß muͤßte nun billig jedem, der ſich ſelbſt ehrt, unertraͤglich ſeyn; daher mit dieſer Be¬ ſchraͤnktheit gewoͤhnlich auch die gemeine Ge¬ ſinnung und der Mangel des wahren In¬ tereſſe an der Wiſſenſchaft, außer dem, welches ſie als Mittel fuͤr ſehr reale, aͤußere Zwecke hat, vergeſellſchaftet iſt.

Ich weiß recht gut, daß ſehr viele, und vor¬ nehmlich alle die, welche die Wiſſenſchaft uͤber¬ haupt nur als Nuͤtzlichkeit begreifen, die Univerſi¬46 taͤten als bloße Anſtalten zur Ueberlieferung des Wiſſens, als einen Verein betrachten, der bloß die Abſicht haͤtte, daß jeder in der Jugend ler¬ nen koͤnnte, was bis zu ſeiner Zeit in den Wiſ¬ ſenſchaften geleiſtet worden iſt, ſo daß es auch als eine Zufaͤlligkeit betrachtet werden muͤßte, wenn die Lehrer, außer dem daß ſie das Vorhandene mittheilen, auch noch die Wiſſen¬ ſchaft durch eigne Erfindungen bereichern: allein ſelbſt angenommen, daß mit den Acade¬ mieen zunaͤchſt nicht mehr, als dieſes, beab¬ ſichtigt wuͤrde und werden ſollte, ſo fodert man doch ohne Zweifel zugleich, daß die Ueberliefe¬ rung mit Geiſt geſchehe, widrigenfalls begreift man nicht, wofuͤr nur uͤberhaupt der lebendige Vortrag auf Academieen nothwendig waͤre; man koͤnnte alsdann den Lehrling unmittelbar nur an die ausdruͤcklich fuͤr ihn geſchriebenen, ge¬ meinfaßlichen Handbuͤcher oder an die dicken Com¬ pilationen in allen Faͤchern verweiſen. Zu ei¬ ner geiſtreichen Ueberlieferung gehoͤrt aber ohne Zweifel, daß man im Stande ſey, die Erfin¬ dungen anderer aus der vergangenen und gegen¬47 waͤrtigen Zeit richtig, ſcharf und in allen Be¬ ziehungen aufzufaſſen. Viele derſelben ſind von der Art, daß ihr innerſter Geiſt nur durch ho¬ mogenes Genie, durch wirkliches Nacherfinden gefaßt werden kann. Jemand, der bloß uͤber¬ liefert, wird alſo in vielen Faͤllen in manchen Wiſſenſchaften durchaus falſch uͤberliefern. Wo iſt denn diejenige hiſtoriſche Darſtellung der Philoſophie der alten Zeit oder nur eines einzelnen Philoſophen der alten oder ſelbſt der neueren Welt, die man als eine gelungene, wahre, ihren Gegenſtand erreichende Darſtel¬ lung, mit Sicherheit bezeichnen koͤnnte? Aber uͤberhaupt, wer in ſeiner Wiſſenſchaft nur wie in einem fremden Eigenthume lebt, wer ſie nicht perſoͤnlich beſitzt, ſich ein ſicheres und lebendiges Organ fuͤr ſie erworben hat, ſie nicht in jedem Augenblick neu aus ſich zu erzeugen an¬ fangen koͤnnte, iſt ein Unwuͤrdiger, der ſchon in dem Verſuch, die Gedanken der Vorwelt oder Gegenwart bloß hiſtoriſch zu uͤberliefern, uͤber ſeine Graͤnze geht und etwas uͤbernimmt, das er nicht leiſten kann. Ohne Zweifel rechnet48 man zu einer geiſtreichen Ueberlieferung, daß ſie mit Urtheil verbunden ſey; aber wenn ſchon das allſeitige und richtige Auffaſſen fremder Er¬ findungen, ohne eignes Vermoͤgen zu Ideen, unmoͤglich iſt, wie viel unmoͤglicher noch das Urtheilen? Daß in Deutſchland ſo viel von ſolchen geurtheilt wird, aus denen, wenn man ſie auf den Kopf ſtellte, kein eigner Gedanke herausfiele, beweiſt nichts; mit ſolchen Ur¬ theilen, als dieſe zu geben im Stande ſind, waͤre der Wiſſenſchaft gewiß nicht gedient.

Die nothwendige Folge des Unvermoͤgens, das Ganze ſeiner Wiſſenſchaft ſich aus ſich ſelbſt zu conſtruiren und aus innerer, lebendiger An¬ ſchauung darzuſtellen, iſt der bloß hiſtoriſche Vortrag derſelben, z. B. der bekannte in der Philoſophie: Wenn wir unſere Aufmerkſam¬ keit auf uns ſelbſt richten, ſo werden wir ver¬ ſchiedene Aeußerungen deſſen gewahr, was man die Seele nennt. Man hat dieſe verſchied¬ nen Wirkungen auf verſchiedene Vermoͤgen zu¬ ruͤckgebracht. Man nennt dieſe Vermoͤgen49 nach der Verſchiedenheit der Aeußerungen Sinn¬ lichkeit, Verſtand, Einbildungskraft u. ſ. w.

Nun iſt aber an ſich nichts geiſtloſer nicht nur, ſondern auch geiſttoͤdtender als eine ſolche Darſtellung; aber es kommt noch uͤberdieß die beſondere Beſtimmung des academiſchen Vor¬ trags in Betracht, genetiſch zu ſeyn. Dieß iſt der wahre Vorzug der lebendigen Lehrart, daß der Lehrer nicht Reſultate hinſtellt, wie es der Schriftſteller pflegt, ſondern daß er, in allen hoͤ¬ heren Scienzen wenigſtens, die Art zu ihnen zu gelangen ſelbſt darſtellt, und in jedem Fall das Ganze der Wiſſenſchaft gleichſam erſt vor den Augen des Lehrlings entſtehen laͤßt. Wie ſoll nun derjenige, der ſeine Wiſſenſchaft ſelbſt nicht aus eigner Conſtruction beſitzt, faͤhig ſeyn, ſie nicht als ein Gegebenes, ſondern als ein zu Erfindendes darzuſtellen?

So wenig aber als die bloße Ueberliefe¬ rung ohne ſelbſtthaͤtigen Geiſt hinreichend iſt, um als Lehrer mit dem gehoͤrigen Erfolg zu450wirken, eben ſo ſehr wird erfodert, daß derje¬ nige, welcher in irgend einer Wiſſenſchaft leh¬ ren will, dieſe zuvor ſoweit gelernt habe, als moͤglich iſt. In jeder, auch der gemeinſten Kunſt, wird gefodert, daß man erſt Proben des vollendeten Lernens abgelegt habe, ehe man die Kunſt als Meiſter ausuͤben kann. Wenn man die Leichtigkeit bedenkt, mit der auf man¬ chen Univerſitaͤten der Lehrſtuhl beſtiegen wird, ſollte man aber faſt keinen Beruf fuͤr leichter halten, als den des Lehrers; und man wuͤrde ſich in der Regel ſogar ſehr irren, einen Trieb der eignen Productivitaͤt fuͤr den Grund des ſchnellen Lehrerberufs zu halten, da gerade den, der am eheſten zu produciren im Stande iſt, das Lernen am wenigſten Verlaͤugnung koſten kann.

Wir haben bisher unterſucht, wie die Uni¬ verſitaͤten auch nur der erſten Abſicht nach, in der ſie errichtet wurden, ſeyn koͤnnten. Es ſcheint aber, daß ſie wegen der Einſeitigkeit der Idee, die ihnen urſpruͤnglich zu Grunde liegt,51 weiter zu ſtreben haben. Wir betrachteten ſie dieſer Idee gemaͤß bisher als Anſtalten, die bloß fuͤr das Wiſſen errichtet ſind.

Da wir keine Gegenſaͤtze als wahr zuge¬ ben, z. B. den des Wiſſens und Handelns, ſo iſt allgemein nothwendig, daß in dem Verhaͤlt¬ niß, in welchem ſich irgend etwas, das ſeinen Gegenſatz in einem andern hat, ſeiner Abſolut¬ heit annaͤhert, auch der Gegenſatz, in dem es mit dem andern iſt, ſich aufhebt. So iſt es demnach eine bloße Folge der Rohheit des Wiſ¬ ſens, wenn die Academieen noch nicht angefan¬ gen haben, als Pflanzſchulen der Wiſſenſchaft zugleich allgemeine Bildungsanſtalten zu ſeyn.

Es iſt nothwendig, hier zugleich die Ver¬ faſſung der Academieen zu beruͤhren, in wie fern dieſe auf ihre ſittliche Beſtimmung einen weſentlichen Einfluß hat.

Wenn die buͤrgerliche Geſellſchaft uns gro¬ ßentheils eine entſchiedene Disharmonie der4 *52Idee und der Wirklichkeit zeigt, ſo iſt es, weil ſie vorlaͤufig ganz andre Zwecke zu verfolgen hat, als aus jener hervorgehen, und die Mit¬ tel ſo uͤbermaͤchtig geworden ſind, daß ſie den Zweck ſelbſt, zu dem ſie erfunden ſind, unter graben. Die Univerſitaͤten, da ſie nur Verbin¬ dungen fuͤr die Wiſſenſchaften ſind, brauchen, außer dem, was der Staat freywillig und ſei¬ nes eignen Vortheils wegen fuͤr ihre aͤußere Exi¬ ſtenz thun muß, keine andern Veranſtaltungen fuͤr das Reale, als welche aus der Idee ſelbſt fließen: die Weisheit vereinigt ſich hier unmit¬ telbar mit der Klugheit; man hat nur das zu thun, was die Idee des Vereins fuͤr die Wiſ¬ ſenſchaft ohnehin vorſchreibt, um auch die Ver¬ faſſung der Academieen vollkommen zu machen.

Die buͤrgerliche Geſellſchaft, ſo lange ſie noch empiriſche Zwecke zum Nachtheil der abſo¬ luten verfolgen muß, kann nur eine ſcheinbare und gezwungene, keine wahrhaft innere Iden¬ titaͤt herſtellen. Academieen koͤnnen nur einen ab¬ ſoluten Zweck haben: außer dieſem haben ſie gar53 keinen. Der Staat hat zur Erreichung ſeiner Abſichten Trennungen noͤthig, nicht die in der Un¬ gleichheit der Staͤnde beſtehende, ſondern die weit mehr innerliche, durch das Iſoliren und Entge¬ genſetzen des einzelnen Talents, die Unterdruͤ¬ ckung ſo vieler Individualitaͤten, die Richtung der Kraͤfte nach ſo ganz verſchiedenen Seiten, um ſie zu deſto tauglicheren Inſtrumenten fuͤr ihn ſelbſt zu machen. In einem wiſſenſchaftli¬ chen Verein haben alle Mitglieder der Natur der Sache nach Einen Zweck: es ſoll auf Academieen nichts gelten, als die Wiſſenſchaft, und kein anderer Unterſchied ſeyn, als welchen das Talent und die Bildung macht. Men¬ ſchen, die bloß da ſind, um ſich auf andere Weiſe geltend zu machen, durch Verſchwendung, durch nutzloſe Hinbringung der Zeit in geiſtlo¬ ſen Vergnuͤgungen, mit Einem Wort privile¬ girte Muͤſſiggaͤnger, wie es in der buͤrgerlichen Geſellſchaft giebt und gewoͤhnlich ſind es dieſe, die auf Univerſitaͤten am meiſten Rohheit verbreiten ſollen hier nicht geduldet, und wer ſeinen Fleiß und ſeine auf die Wiſſenſchaft54 gerichtete Abſicht nicht beweiſen kann, ſoll ent¬ fernt werden.

Wenn die Wiſſenſchaft allein regiert, alle Geiſter nur fuͤr dieſe in Beſitz genommen ſind, ſo werden von ſelbſt keine andern Misleitungen der ſo edlen und herrlichen, am Ende doch vor¬ zuͤglich auf Beſchaͤftigung mit Ideen gerichteten Triebe der Jugend ſtatt finden koͤnnen. Wenn auf Univerſitaͤten Rohheit herrſchend geweſen iſt, oder je wieder werden koͤnnte, ſo waͤre es großentheils die Schuld der Lehrer oder der¬ jenigen, welchen die Aufſicht uͤber den Geiſt, der von dieſen aus ſich verbreitet, zukommt.

Wenn die Lehrer ſelbſt keinen andern als den aͤchten Geiſt um ſich verbreiten, und keine andere Ruͤckſichten, als die des Wiſſens und ſeiner Vervollkommnung gelten: wenn die Aus¬ bruͤche der Poͤbelhaftigkeit unwuͤrdiger, den Be¬ ruf der Lehrer ſchaͤndender Menſchen nicht durch die Niedrigkeit des jeweiligen gemeinen Weſens ſelbſt geduldet werden, ſo werden von ſelbſt55 aus der Reihe der ſtudierenden Juͤnglinge die¬ jenigen verſchwinden, die ſich nicht anders als durch Rohheit auszuzeichnen vermoͤgen.

Das Reich der Wiſſenſchaften iſt keine De¬ mokratie, noch weniger Ochlokratie, ſondern Ariſtokratie im edelſten Sinne. Die Beſten ſollen herrſchen. Auch die bloß Unfaͤhigen, welche irgend eine Convenienz empfiehlt, die bloßen ſich vordraͤngenden Schwaͤtzer, die den wiſſenſchaftlichen Stand durch kleine Arten von Induſtrie entehren, ſollen in der gaͤnzlichen Paſſivitaͤt erhalten werden. Von ſelbſt kann ſchon niemand der Verachtung entgehen, die ihm in dieſen Verhaͤltniſſen Unwiſſenheit und geiſtige Ohnmacht zuziehen, ja, da dieſe dann meiſtens mit Laͤcherlichkeit oder wahrer Nie¬ dertraͤchtigkeit gepaart ſind, dienen ſie der Ju¬ gend zum Spiel und ſtumpfen allzufruͤh den natuͤrlichen Eckel eines noch nicht erfahrnen Ge¬ muͤthes ab.

Das Talent bedarf keines Schutzes, wenn56 nur das Gegentheil nicht beguͤnſtigt iſt; das Vermoͤgen zu Ideen verſchafft ſich von ſelbſt die oberſte und entſchiedenſte Wirkung.

Dieß iſt die einzige Politik, die in Anſe¬ hung aller Anſtalten fuͤr Wiſſenſchaft ſtatt hat, um ſie bluͤhend zu machen, um ihnen ſo viel moͤglich Wuͤrde nach innen und Anſehen nach außen zu geben. Um die Academieen insbe¬ ſondere zu Muſtern von Verfaſſungen zu ma¬ chen, erfoderte es nichts, als was man, ohne ei¬ nen Widerſpruch zu begehen, gar nicht umhin kann zu wollen; und da ich wie geſagt die Kluft zwiſchen Wiſſen und Handeln uͤberhaupt nicht zugebe, ſo kann ich ſie unter jener Bedingung, auch in Anſehung der Academieen nicht zulaſſen.

Die Bildung zum vernunftmaͤßigen Den¬ ken, worunter ich freylich keine bloß oberflaͤch¬ liche Angewoͤhnung, ſondern eine in das We¬ ſen des Menſchen ſelbſt uͤbergehende Bildung, die allein auch die aͤchtwiſſenſchaftliche iſt, ver¬ ſtehe, iſt auch die einzige zum vernunftmaͤßigen57 Handeln; Zwecke, die außer dieſer abſoluten Sphaͤre ſcientifiſcher Ausbildung liegen, ſind durch die erſte Beſtimmung der Academieen ſchon von ihnen ausgeſchloſſen.

Derjenige, welcher von ſeiner beſondern Wiſſenſchaft aus die vollkommne Durchbil¬ dung bis zum abſoluten Wiſſen erhalten hat, iſt von ſelbſt in das Reich der Klarheit, der Beſonnenheit gehoben; das gefaͤhrlichſte fuͤr den Menſchen iſt die Herrſchaft dunkler Be¬ griffe, es iſt fuͤr ihn ſchon vieles gewonnen, wenn dieſe nur uͤberhaupt beſchraͤnkt iſt, es iſt alles gewonnen, wenn er zum abſoluten Be¬ wußtſeyn durchgedrungen iſt, wenn er ganz im Licht wandelt.

Die Wiſſenſchaft richtet gleich unmittelbar den Sinn auf diejenige Anſchauung, die, eine daurende Selbſtgeſtaltung, unmittelbar zu der Identitaͤt mit ſich und dadurch zu einem wahr¬ haft ſeeligen Leben fuͤhrt. Langſam erzieht die Erfahrung und das Leben, nicht ohne vielen58 Verluſt der Zeit und der Kraft. Dem, der ſich der Wiſſenſchaft weiht, iſt es vergoͤnnt, die Erfahrung ſich vorauszunehmen und das, was doch am Ende einziges Reſultat des durchge¬ bildetſten und erfahrungsreichſten Lebens ſeyn kann, gleich unmittelbar und an ſich ſelbſt zu erkennen.

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Dritte Vorleſung.

Ueber die erſten Vorausſetzungen des academiſchen Studium.

[60]61

Den hohen Zweck desjenigen, der ſich uͤberhaupt der Wiſſenſchaft weiht, glaube ich im Vorher¬ gehenden durch die Idee der letztern ſchon hin¬ laͤnglich ausgeſprochen zu haben. Deſto kuͤrzer werde ich mich uͤber die allgemeinen Foderun¬ gen, die an den gemacht werden muͤſſen, der dieſen Beruf erwaͤhlt, faſſen koͤnnen.

Der Begriff des Studierens ſchließt an ſich ſchon und beſonders nach den Verhaͤltniſſen der neueren Kultur eine doppelte Seite in ſich. Die erſte iſt die hiſtoriſche. In Anſehung der¬ ſelben findet das bloße Lernen ſtatt. Die unumgaͤngliche Nothwendigkeit der Gefangen¬ nehmung und Ergebung ſeines Willens unter den Gehorſam des Lernens in allen Wiſſenſchaf¬ ten folgt ſchon aus dem fruͤher Bewiesnen. Was auch beſſere Koͤpfe in Erfuͤllung dieſer Be¬ dingung misleitet, iſt eine ſehr gewoͤhnliche Taͤuſchung.

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Sie fuͤhlen ſich naͤmlich bey dem Lernen mehr angeſtrengt als eigentlich thaͤtig, und weil die Thaͤtigkeit der natuͤrlichere Zuſtand iſt, hal¬ ten ſie jede Art derſelben fuͤr eine hoͤhere Aeu¬ ßerung des angebohrnen Vermoͤgens, wenn auch die Leichtigkeit, welche das eigne Denken und Entwerfen fuͤr ſie hat, ſeinen Grund mehr in der Unkenntniß der wahren Gegenſtaͤnde und eigentlichen Aufgaben des Wiſſens, als in einer aͤchten Fuͤlle des productiven Triebs haben ſoll¬ te. Im Lernen, ſelbſt wo es durch lebendigen Vortrag geleitet wird, findet wenigſtens keine Wahl ſtatt: man muß durch alles, durch das Schwere wie das Leichte, durch das Anziehende wie das minder Anziehende hindurch; die Auf¬ gaben werden hier nicht willkuͤhrlich, nach Ideenaſſociation oder Neigung genommen, ſondern mit Nothwendigkeit. In dem Gedankenſpiel, bey mittelmaͤßig reger Ein¬ bildungskraft, die mit geringer Kenntniß der wiſſenſchaftlichen Foderungen verbunden iſt, nimmt man heraus, was gefaͤllt, und laͤßt lie¬ gen, was nicht gefaͤllt oder was auch im Erfin¬63 den und eignen Denken nicht ohne Anſtrengung ergruͤndet werden kann.

Selbſt derjenige, der von Natur berufen iſt, zuvor nicht bearbeitete Gegenſtaͤnde in neuen Gebieten ſich zu ſeiner Aufgabe zu neh¬ men, muß doch den Geiſt auf jene Weiſe geuͤbt haben, um in dieſen einſt durchzudringen. Ohne dieß wird ihm auch im Selbſtconſtruiren immer nur ein deſultoriſches Verfahren und fragmentariſches Denken eigenthuͤmlich bleiben. Die Wiſſenſchaft zu durchdringen, vermag nur, wer ſie bis zur Totalitaͤt geſtalten und bis zu der Gewißheit in ſich ausbilden kann, kein we¬ ſentliches Mittelglied uͤberſprungen, das Noth¬ wendige erſchoͤpft zu haben.

Ein gewiſſer Ton der Popularitaͤt in den oberſten Wiſſenſchaften, kraft deſſen ſie gerade¬ zu jedermanns Ding und jeder Faſſungskraft angemeſſen ſeyn ſollten, hat die Scheu vor An¬ ſtrengung ſo allgemein verbreitet, daß die Schlaffheit die es mit den Begriffen nicht zu genau nimmt, die angenehme Oberflaͤchlichkeit und wohlgefaͤllige Seichtigkeit ſogar zur ſoge¬64 nannten feineren Ausbildung gehoͤrte, und man endlich auch den Zweck der academiſchen Bil¬ dung darauf beſchraͤnkte, von dem Wein der hoͤheren Wiſſenſchaften eben nur ſo viel zu ko¬ ſten, als man mit Anſtand auch einer Dame anbieten koͤnnte.

Man muß den Univerſitaͤten zum Theil die Ehre widerfahren laſſen, daß ſie vorzuͤglich den einbrechenden Strom der Ungruͤndlichkeit, den die neuere Paͤdagogik noch vermehrte, auf¬ gehalten haben, obgleich es andrerſeits auch der Ueberdruß an ihrer langweiligen, breiten und von keinem Geiſt belebten Gruͤndlichkeit war, was jenem den meiſten Eingang verſchaffte.

Jede Wiſſenſchaft hat außer ihrer eigen¬ thuͤmlichen Seite eine andere noch, die ihr mit der Kunſt gemein iſt. Es iſt die Seite der Form, welche in einigen derſelben ſogar vom Stoff ganz unzertrennlich iſt. Alle Vortrefflich¬ keit in der Kunſt, alle Bildung eines edlen Stoffs in angemeßner Form, geht aus der Be¬ ſchraͤnkung hervor, die der Geiſt ſich ſelbſt ſetzt. Die Form wird nur durch Uebung vollſtaͤndig65 erlangt, und aller wahre Unterricht ſoll ſeiner Beſtimmung nach mehr auf dieſe als auf den Stoff gehen.

Es giebt vergaͤngliche und hinfaͤllige For¬ men, und als beſondere ſind alle diejenigen, in die ſich der Geiſt der Wiſſenſchaft huͤllt, auch nur verſchiedene Erſcheinungsweiſen des ſich in ewig neuen Geſtalten verjuͤngenden und wieder¬ gebaͤhrenden Genius. Aber in den beſondern Formen iſt eine allgemeine und abſolute Form, von der jene ſelbſt nur wieder die Symbole ſind: und ihr Kunſtwerth ſteigt in dem Maaße, in welchem ihnen gelingt, jene zu offenbaren. Alle Kunſt aber hat eine Seite, von der ſie durch Lernen erworben wird. Die Scheu vor Formen und angeblichen Schranken derſelben iſt die Scheu vor der Kunſt in der Wiſſen¬ ſchaft.

Aber nicht in der gegebenen und beſondern Form, die nur gelernt ſeyn kann, ſondern in eigenthuͤmlicher, ſelbſtgebildeter, den gegebe¬ nen Stoff reproduciren, vollendet auch erſt das Aufnehmen ſelbſt. Lernen iſt nur negative566Bedingung, wahre Intusſuſception nicht ohne innere Verwandlung in ſich ſelbſt moͤglich. Al¬ le Regeln, die man dem Studieren vorſchrei¬ ben koͤnnte, faſſen ſich in der einen zuſammen: Lerne nur, um ſelbſt zu ſchaffen. Nur durch dieſes goͤttliche Vermoͤgen der Production iſt man wahrer Menſch, ohne daſſelbe nur eine leidlich klug eingerichtete Maſchine. Wer nicht mit demſelben hoͤheren Antrieb, womit der Kuͤnſtler aus einer rohen Maſſe das Bild ſeiner Seele und der eignen Erfindung hervorruft, es zur vollkommnen Herausarbeitung des Bildes ſeiner Wiſſenſchaft in allen Zuͤgen und Theilen bis zur vollkommnen Einheit mit dem Urbild gebracht hat, hat ſie uͤberhaupt nicht durch¬ drungen.

Alles Produciren ruht auf einer Begeg¬ nung oder Wechſeldurchdringung des Allgemei¬ nen und Beſondern. Den Gegenſatz jeder Be¬ ſonderheit gegen die Abſolutheit ſcharf zu faſ¬ ſen, und zugleich in demſelben untheilbaren Act jene in dieſer und dieſe in jener zu begreifen, iſt das Geheimniß der Production. Hierdurch67 bilden ſich jene hoͤheren Einheitspuncte, wo¬ durch das Getrennte zur Idee zuſammenfließt, jene hoͤheren Formeln, in die ſich das Concrete aufloͤſt, die Geſetze aus dem himmliſchen Ae¬ ther gebohren, die nicht die ſterbliche Natur des Menſchen gezeugt hat.

Die gewoͤhnliche Eintheilung der Erkennt¬ niß in die rationale und hiſtoriſche wird ſo be¬ ſtimmt, daß jene mit der Erkenntniß der Gruͤn¬ de verbunden, dieſe eine bloße Wiſſenſchaft des Factum ſey. Man koͤnnte einwenden, daß ja auch die Gruͤnde wieder bloß hiſtoriſch gewußt werden koͤnnen: allein dann wuͤrden ſie eben nicht als Gruͤnde aufgefaßt. Man hat den Ekelnamen der Brodwiſſenſchaften allgemein denjenigen ge¬ geben, welche unmittelbarer als andere zum Ge¬ brauch des Lebens dienen. Aber keine Wiſſen¬ ſchaft verdient an ſich dieſe Benennung. Wer die Philoſophie oder Mathematik als Mittel behandelt, fuͤr den iſt ſie ſo gut bloßes Brod¬ ſtudium, als die Rechtsgelehrſamkeit oder Me¬ dicin fuͤr denjenigen, der kein hoͤheres Intereſſe fuͤr ſie hat, als das der Nuͤtzlichkeit fuͤr ihn5 *68ſelbſt. Der Zweck alles Brodſtudium iſt, daß man die bloßen Reſultate kennen lernt, entwe¬ der mit gaͤnzlicher Vernachlaͤſſigung der Gruͤnde, oder daß man auch dieſe nur um eines aͤußeren Zwecks willen, z. B. um bey angeordneten Pruͤfungen nothduͤrftige Rechenſchaft geben zu koͤnnen, hiſtoriſch kennen lernt.

Man kann ſich dazu entſchließen, einzig, weil man die Wiſſenſchaft zu einem bloß empi¬ riſchen Gebrauch erlernen will, d. h. ſich ſelbſt bloß als Mittel betrachtet. Nun kann gewiß niemand, der nur einen Funken von Achtung fuͤr ſich ſelbſt hat, ſich gegenuͤber von der Wiſ¬ ſenſchaft ſelbſt ſo niedrig fuͤhlen, daß ſie fuͤr ihn nur als Abrichtung fuͤr empiriſche Zwecke Werth haͤtte. Die nothwendigen Folgen einer ſolchen Art zu ſtudieren, ſind dieſe.

Erſtens iſt es unmoͤglich, ſich auch nur das Empfangene richtig anzueignen, nothwen¬ dig alſo, daß man es falſch anwende, da der Beſitz deſſelben nicht auf einem lebendigen Or¬ gan der Anſchauung, ſondern nur auf dem Ge¬ daͤchtniß beruht. Wie oft ſenden Univerſitaͤten69 aus ihren Schulen ſolche Brodgelehrte zuruͤck, die ſich alles, was ſich in ihrem Fach von Ge¬ lehrſamkeit da vorfindet, vortrefflich eingepraͤgt haben, denen es aber fuͤr die Aufnahme des Beſondern unter das Allgemeine gaͤnzlich an Urtheil fehlt! Lebendige Wiſſenſchaftlichkeit bildet zur Anſchauung; in dieſer aber iſt das Allgemeine und Beſondere immer Eins. Der Brodgelehrte dagegen iſt anſchauungslos, er kann ſich im vorkommenden Falle nichts con¬ ſtruiren, ſelbſtthaͤtig zuſammenſetzen, und da er im Lernen doch nicht auf alle moͤgliche Faͤlle vorbereitet werden konnte, ſo iſt er in den mei¬ ſten von ſeinem Wiſſen verlaſſen.

Eine andere nothwendige Folge iſt, daß ein ſolcher gaͤnzlich unfaͤhig iſt, fortzuſchreiten; auch damit legt er den Hauptcharakter des Men¬ ſchen und des wahren Gelehrten insbeſondere ab. Er kann nicht fortſchreiten, denn wahre Fortſchritte ſind nicht nach dem Maaßſtab fruͤ¬ herer Lehren, ſondern nur aus ſich ſelbſt und aus abſoluten Principien zu beurtheilen. Hoͤch¬ ſtens faßt er auf, was ſelbſt keinen Geiſt hat,70 neu angeprieſene Mittel, dieſe oder jene fade Theorie, die eben entſteht und die Neugier reizt, oder einige neue Formeln, gelehrte No¬ vitaͤten u. ſ. w. Alles muß ihn als eine Be¬ ſonderheit erſcheinen, um von ihm aufgenom¬ men zu werden. Denn nur das Beſondere kann gelernt werden und in der Qualitaͤt des Gelerntſeyns iſt alles nur ein Beſonderes. Deswegen iſt er der geſchworne Feind jeder aͤch¬ ten Entdeckung, die im Allgemeinen gemacht wird, jeder Idee, weil er ſie nicht faßt, jeder wirklichen Wahrheit, die ihn in ſeiner Ruhe ſtoͤrt. Vergißt er ſich noch uͤberdieß ſo weit, ſich dagegen aufzulehnen, ſo benimmt er ſich entweder auf die bekannte ungeſchickte Art, das Neue nach Principien und Anſichten zu beur¬ theilen, die jenes eben in Anſpruͤche nimmt, mit Gruͤnden oder gar Auctoritaͤten zu ſtreiten, die in dem vorhergehenden Zuſtand der Wiſſen¬ ſchaft etwa gelten konnten: oder es bleiben ihm im Gefuͤhl ſeiner Nichtigkeit nur Schmaͤhun¬ gen oder die[Waffen] der Verlaͤumdung uͤbrig, zu denen er ſich innerlich berechtigt fuͤhlt, weil71 jede neue Entdeckung wirklich ein perſoͤnlicher Angriff auf ihn iſt.

Der Erfolg ihres Studierens oder wenig¬ ſtens die erſte Richtung deſſelben haͤngt fuͤr alle mehr oder weniger von der Art und dem Grad von Bildung und Kenntniß ab, den ſie auf die Academie mitbringen. Von der erſten aͤußeren und ſittlichen Bildung, die fuͤr dieſe Erzie¬ hungsſtufe ſchon erfodert wird, ſage ich nichts, da alles, was hieruͤber zu ſagen waͤre, ſich von ſelbſt verſteht.

Die ſogenannten Vorkenntniſſe betreffend, ſo kann man die Art von Wiſſen, die vor dem academiſchen erworben wird, nicht wohl anders denn als Kenntniſſe bezeichnen. Fuͤr die Aus¬ dehnung derſelben giebt es ohne Zweifel auch ei¬ nen Punct, jenſeits und dieſſeits deſſen das Rechte nicht beſteht.

Die hoͤheren Wiſſenſchaften laſſen ſich nicht in der Qualitaͤt von Kenntniſſen beſitzen oder72 erlangen. Es wuͤrde nicht rathſam ſeyn, zu einer Zeit, wo doch in keiner Richtung die Ab¬ ſolutheit wahrhaft erreicht werden kann, dasje¬ nige Wiſſen zu anticipiren, das ſeiner Natur nach darauf beruht und dieſen Charakter zugleich allem anderen Wiſſen mittheilt. Ja auch von Wiſſenſchaften, deren Stoff zum Theil in Kenntniſſen beſteht, die nur im Zuſammen¬ hang des Ganzen ihren wahren Werth erlan¬ gen koͤnnen, jene mitzutheilen, ehe der Geiſt durch die hoͤheren Wiſſenſchaften in dieſen ein¬ geweiht iſt, koͤnnte nur die ſpaͤtere Vernachlaͤſ¬ ſigung, aber keinen Vortheil zur Folge haben. Der Erziehungseifer der letzten Zeit hat auch die niedrern Schulen nur nicht ganz zu Acade¬ mieen umzuſchaffen zum Theil verſucht, aber nur der Halbheit in der Wiſſenſchaft neuen Vorſchub gethan.

Es iſt uͤberhaupt noͤthig, auf jeder Stufe zu verweilen, bis man das ſichre Gefuͤhl hat, ſich auf ihr feſtgeſetzt zu haben. Nur wenigen ſcheint es verſtattet, Stufen zu uͤberſpringen,73 obgleich dieß eigentlich nie der Fall iſt. New¬ ton las in zartem Alter die Elemente des Eu¬ klides, wie ein ſelbſtgeſchriebenes Werk oder wie Andere unterhaltende Schriften leſen. Er konnte daher von der Elementargeometrie un¬ mittelbar zu den hoͤheren Unterſuchungen uͤber¬ gehen.

In der Regel iſt das andere Extrem des obigen der Fall, naͤmlich die tiefſte Vernachlaͤſ¬ ſigung der Vorbereitungsſchulen. Was vor dem Eintritt in das academiſche Studium ſchlechthin ſchon erworben ſeyn ſollte, iſt alles, was zum Mechaniſchen in den Wiſſenſchaften gehoͤrt. Theils hat uͤberhaupt jede Scienz ei¬ nen beſtimmten Mechanismus, theils macht die allgemeine Verfaſſung der Wiſſenſchaften mechaniſche Huͤlfsmittel, zu denſelben zu gelan¬ gen, unentbehrlich. Ein Beyſpiel des erſten Falls ſind die allgemeinſten und erſten Opera¬ tionen der Analyſis des Endlichen; der acade¬ miſche Lehrer kann wohl ihre wiſſenſchaftlichen Gruͤnde entwickeln, aber nicht den Rechenmei¬74 ſter machen. Ein Beyſpiel des andern Falls iſt die Kenntniß der Sprachen, alter und neuer, da dieſe allein den Zugang zu den vornehm¬ ſten Quellen der Bildung und der Wiſſenſchaft oͤffnen. Es gehoͤrt hieher uͤberhaupt alles, was mehr oder weniger durch Gedaͤchtniß aufgefaßt ſeyn will, da dieß im fruͤheren Alter theils am ſchaͤrfſten iſt, theils am meiſten geuͤbt ſeyn will.

Ich werde hier nur vorzuͤglich von dem fruͤheren Studium der Sprachen reden, welches nicht bloß als nothwendige Stufe zu jeder fer¬ neren in der wiſſenſchaftlichen Bildung unum¬ gaͤnglich iſt, ſondern einen unabhaͤngigen Werth in ſich ſelbſt hat.

Die elenden Gruͤnde, aus welchen vorzuͤg¬ lich das Erlernen der alten Sprachen im fruͤhe¬ ren Alter von der modernen Erziehungskunſt beſtritten wird, beduͤrfen keiner Widerlegung mehr. Sie gelten nur fuͤr eben ſo viele beſon¬ dere Beweiſe der Gemeinheit der Begriffe, die75 dieſer zu Grunde lagen, und ſind vorzuͤglich von einem misverſtandenen Eifer gegen uͤberwiegen¬ de Ausbildung des Gedaͤchtniſſes nach den Vor¬ ſtellungen einer empiriſchen Pſychologie einge¬ geben. Die angeblichen Erfahrungen daruͤber waren von gewiſſen Gedaͤchtnißgelehrten herge¬ nommen, die ſich zwar mit Kenntniſſen aller Art angefuͤllt, aber dadurch freylich nicht hatten erwerben koͤnnen, was ihnen die Natur verſagt hatte. Daß uͤbrigens weder ein großer Feld¬ herr, noch ein großer Mathematiker, oder Philo¬ ſoph, oder Dichter ohne Umfang und Energie des Gedaͤchtniſſes moͤglich war, konnte fuͤr ſie nicht in Betracht kommen, da es auch gar nicht darauf angeſehen war, große Feldherrn, Mathemati¬ ker, Dichter oder Philoſophen, ſondern nuͤtz¬ liche, buͤrgerliche, gewerbſame Menſchen zu bilden.

Ich kenne keine Beſchaͤftigungsart, welche mehr geeignet waͤre, im fruͤheren Alter dem er¬ wachenden Witz, Scharfſinn, Erfindungskraft die erſte Uebung zu geben, als die vornehmlich76 mit den alten Sprachen. Ich rede hier naͤm¬ lich nicht von der Wiſſenſchaft der Sprache im abſtracten Sinn, in wie fern dieſe als unmit¬ telbarer Abdruck des inneren Typus der Ver¬ nunft Gegenſtand einer wiſſenſchaftlichen Con¬ ſtruction iſt. Eben ſo wenig von der Philolo¬ gie, zu der ſich Sprachkenntniß nur wie das Mittel zu ſeinem viel hoͤheren Zwecke verhaͤlt. Der bloße Sprachgelehrte heißt nur durch Mis¬ brauch Philolog; dieſer ſteht mit dem Kuͤnſtler und Philoſophen auf den hoͤchſten Stufen, oder vielmehr durchdringen ſich beyde in ihm. Seine Sache iſt die hiſtoriſche Conſtruction der Werke der Kunſt und Wiſſenſchaft, deren Ge¬ ſchichte er in lebendiger Anſchauung zu begrei¬ fen und darzuſtellen hat. Auf Univerſitaͤten ſoll eigentlich nur Philologie, in dieſem Sinne behandelt, gelehrt werden; der academiſche Lehrer ſoll nicht Sprachmeiſter ſeyn. Ich kehre zu meiner erſten Behauptung zuruͤck.

Die Sprache an und fuͤr ſich ſelbſt ſchon und bloß grammatiſch angeſehen, iſt eine fort¬77 gehende angewandte Logik. Alle wiſſenſchaft¬ liche Bildung beſteht in der Fertigkeit, die Moͤglichkeiten zu erkennen, da im Gegentheil das gemeine Wiſſen nur Wirklichkeiten begreift. Der Phyſiker, wenn er erkannt hat, daß unter gewiſſen Bedingungen eine Erſcheinung wahr¬ haft moͤglich ſey, hat auch erkannt, daß ſie wirklich iſt. Das Studium der Sprache als Auslegung, vorzuͤglich aber als Verbeſſerung der Lesart durch Conjectur, uͤbt dieſes Er¬ kennen der Moͤglichkeiten auf eine dem Kna¬ benalter angemeſſene Art, wie es noch im maͤnn¬ lichen Alter auch einen knabenhaft bleibenden Sinn angenehm beſchaͤftigen kann.

Es iſt unmittelbare Bildung des Sinns, aus einer fuͤr uns erſtorbenen Rede den lebendi¬ gen Geiſt zu erkennen, und es findet darin kein anderes Verhaͤltniß ſtatt, als welches auch der Naturforſcher zu der Natur hat. Die Natur iſt fuͤr uns ein uralter Autor, der in Hierogly¬ phen geſchrieben hat, deſſen Blaͤtter coloſſal ſind, wie der Kuͤnſtler bey Goͤthe ſagt. Eben der¬78 jenige, der die Natur bloß auf dem empiriſchen Wege erforſchen will, bedarf gleichſam am mei¬ ſten Sprach-Kenntniß von ihr, um die fuͤr ihn ausgeſtorbene Rede zu verſtehen. Im hoͤ¬ heren Sinn der Philologie iſt daſſelbe wahr. Die Erde iſt ein Buch, das aus Bruchſtuͤcken und Rhapſodieen ſehr verſchiedener Zeiten zu¬ ſammengeſetzt iſt. Jedes Mineral iſt ein wah¬ res philologiſches Problem. In der Geologie wird der Wolf noch erwartet, der die Erde eben ſo wie den Homer zerlegt und ihre Zuſam¬ menſetzung zeigt.

In die beſondern Theile des academiſchen Studium jetzt einzugehen und gleichſam das ganze Gebaͤude deſſelben auf den erſten Grund¬ lagen aufzufuͤhren, iſt nicht moͤglich, ohne zu¬ gleich die Verzweigungen der Wiſſenſchaft ſelbſt zu verfolgen und das organiſche Ganze derſelben zu conſtruiren.

79

Ich werde demnach zunaͤchſt den Zuſam¬ menhang aller Wiſſenſchaften unter ſich, und die Objectivitaͤt, welche dieſe innere, organi¬ ſche Einheit durch die aͤußere Organiſation der Univerſitaͤten erhalten hat, darſtellen muͤſſen.

Gewiſſermaßen wuͤrde dieſer Grundriß die Stelle einer allgemeinen Encyclopaͤdie der Wiſ¬ ſenſchaften vertreten koͤnnen; da ich aber dieſe nie rein an ſich, ſondern immer zugleich in der beſondern Beziehung meines Vortrags betrach¬ ten werde, ſo kann natuͤrlich kein aus den hoͤch¬ ſten Principien auf die ſtrengſte Art abgeleite¬ tes Syſtem der Erkenntniſſe hier erwartet wer¬ den. Ich kann, ſo wie uͤberhaupt in dieſen Vorleſungen, nicht darauf ausgehen, meinen Gegenſtand zu erſchoͤpfen. Dieß kann man nur in der wirklichen Conſtruction und Demon¬ ſtration erreichen: ich werde vieles nicht ſagen, was vielleicht geſagt zu werden verdiente, deſto mehr aber mich huͤten, etwas zu ſagen, was80 nicht geſagt werden ſollte, entweder an ſich oder weil es die gegenwaͤrtige Zeit und der Zuſtand der Wiſſenſchaften nothwendig machten.

[81]

Vierte Vorleſung.

Ueber das Studium der reinen Vernunftwiſſenſchaften: der Mathematik, und der Philo¬ ſophie im Allgemeinen.

6[82]83

Das ſchlechthin Eine, von dem alle Wiſſen¬ ſchaften ausfließen und in das ſie zuruͤckkehren, iſt das Urwiſſen, durch deſſen Einbildung in's Concrete ſich von Einem Centralpunkt aus das Ganze des Erkennens bis in die aͤußerſten Glie¬ der geſtaltet. Diejenigen Wiſſenſchaften, in welchen es ſich als in ſeinen unmittelbarſten Orga¬ nen reflectirt, und das Wiſſen als Reflectiren¬ des mit dem Urwiſſen als Reflectirtem in Eins zuſammenfaͤllt, ſind wie die allgemeinen Sen¬ ſoria in dem organiſchen Leib des Wiſſens. Wir haben von dieſen Centralorganen aus¬ zugehen, um das Leben von ihnen aus durch verſchiedene Quellen bis in die aͤußerſten Thei¬ le zu leiten.

Fuͤr denjenigen, der noch nicht ſelbſt im Beſitz desjenigen Wiſſens iſt, welches mit dem Urwiſſen Eins und es ſelbſt iſt, giebt es keinen andern Weg, zur Anerkennung deſſelben geleitet zu werden, als durch den Gegenſatz mit dem andern Wiſſen.

6*84

Ich kann hier unmoͤglich begreiflich ma¬ chen, wie wir dazu kommen, uͤberhaupt etwas Beſonderes zu erkennen; nur ſo viel laͤßt ſich beſtimmt auch hier zeigen, daß ein ſolches Er¬ kennen kein abſolutes und ebendarum auch nicht unbedingt wahres ſeyn kann.

Man verſtehe dies nicht im Sinne eines gewiſſen empiriſchen Skepticismus, der die Wahrheit der ſinnlichen, d. i. ganz aufs Be¬ ſondere gerichteten Vorſtellungen aus dem Grunde der Sinnentaͤuſchungen bezweifelt, ſo daß wenn es keine optiſchen und andere Be¬ truͤge gaͤbe, wir alsdann unſerer ſinnlichen Erkenntniß ſo ziemlich gewiß ſeyn koͤnnten; eben ſo wenig in dem eines rohen Empirismus uͤberhaupt, der die Wahrheit der ſinnlichen Vorſtellungen allgemein darum bezweifelt, weil doch die Affectionen, aus denen ſie entſpringen, erſt durch die Seele zur Seele gelangen und auf dieſem Wege viel von ihrer Urſpruͤnglichkeit verlieren muͤſſen. Aller Cauſalbezug zwiſchen Wiſſen und Seyn gehoͤrt ſelbſt mit zu der ſinn¬ lichen Taͤuſchung und wenn jenes ein end¬85 liches iſt, ſo iſt es dieß vermoͤge einer Deter¬ mination, die in ihm ſelbſt und nicht außer ihm liegt.

Aber eben dieß, daß es uͤberhaupt ein be¬ ſtimmtes Wiſſen iſt, macht es zu einem abhaͤn¬ gigen, bedingten, ſtets veraͤnderlichen; das Beſtimmte an ihm iſt, wodurch es ein Man¬ nichfaltiges und Verſchiedenes iſt, die Form. Das Weſen des Wiſſens iſt Eines, in allem das gleich, und kann eben deswegen auch nicht determinirt ſeyn. Wodurch ſich alſo Wiſſen von Wiſſen unterſcheidet, iſt die Form, die im Beſonderen aus der Indifferenz mit dem Weſen tritt, welches wir in ſo fern auch das Allgemeine nennen koͤnnen. Form getrennt von Weſen aber iſt nicht reell, iſt bloß Schein; das beſondere Wiſſen rein als ſolches demnach kein wahres Wiſſen.

Dem beſondern ſteht das rein allgemeine gegenuͤber, welches als ein von jenem abgeſon¬ dertes das abſtracte heißt. Es kann hier eben ſo wenig die Entſtehung dieſes Wiſſens begreif¬ lich gemacht, es kann nur gezeigt werden, daß,86 wenn in dem beſondern die Form dem Weſen unangemeſſen iſt, das rein allgemeine dagegen dem Verſtand als Weſen ohne Form erſcheinen muͤſſe. Wo die Form nicht im We¬ ſen und durch daſſelbe erkannt wird, wird eine Wirklichkeit erkannt, die nicht aus der Moͤglich¬ keit begriffen wird, wie die beſondern und ſinnlichen Beſtimmungen der Subſtanz in Ewigkeit nicht aus dem Allgemeinbegriff derſelben eingeſehen werden koͤnnen; weshalb diejenigen, die bey dieſem Gegenſatz ſtehen bleiben, ſich außer dem Allgemeinen noch das Beſondere unter dem Namen des Stoffs als eines allgemeinen Inbegriffs der ſinnlichen Ver¬ ſchiedenheiten zugeben laſſen. Im entgegenge¬ ſetzten Fall wird die reine, abſtracte Moͤglich¬ keit begriffen, aus der man nicht zu der Wirk¬ lichkeit herauskommen kann, und dies und jenes iſt, mit Leſſing zu reden, der breite Graben, vor dem der große Haufen der Philoſophen von jeher ſtehen geblieben iſt.

Es iſt klar genug, daß der letzte Grund und die Moͤglichkeit aller wahrhaft abſoluten87 Erkenntniß darin ruhen muß, daß eben das Allgemeine zugleich auch das Beſondere und daſſelbe, was dem Verſtand als bloße Moͤglich¬ keit ohne Wirklichkeit, Weſen ohne Form er¬ ſcheint, eben dieſes auch die Wirklichkeit und die Form ſey: dieß iſt die Idee aller Ideen und aus dieſem Grunde die des Abſoluten ſelbſt. Es iſt nicht minder offenbar, daß das Abſolute an ſich betrachtet, da es eben nur dieſe Iden¬ titaͤt iſt, an ſich weder das eine noch das an¬ dere der Entgegengeſetzten ſey, daß es aber als das gleiche Weſen beyder, und demnach als Identitaͤt, in der Erſcheinung nur entweder im Realen oder im Idealen ſich darſtellen koͤnne.

Die beyden Seiten der Erkenntniß, die, in welcher die Wirklichkeit der Moͤglichkeit, und die, in welcher die letzte der erſten vorangeht, laſſen ſich naͤmlich unter ſich wieder als reale und ideale entgegenſetzen. Waͤre es nun denk¬ bar, daß im Realen oder Idealen ſelbſt wie¬ der nicht das eine oder das andere der beyden Entgegengeſetzten, ſondern die reine Identi¬88 taͤt beyder, als ſolche, durchbraͤche, ſo waͤre da¬ mit ohne Zweifel die Moͤglichkeit einer abſolu¬ ten Erkenntniß ſelbſt innerhalb der Erſcheinung gegeben.

Wenn demnach, um von dieſem Punct aus weiter zu ſchließen, von der Identitaͤt der Moͤglichkeit und Wirklichkeit rein als ſolcher im Realen ein Reflex waͤre, ſo koͤnnte ſie eben ſo wenig als ein abſtracter Begriff, wie als con¬ cretes Ding erſcheinen: das erſte nicht, weil ſie alsdann eine Moͤglichkeit waͤre, der die Wirklichkeit, das andere nicht, weil ſie eine Wirklichkeit waͤre, der die Moͤglichkeit gegenuͤ¬ ber ſtuͤnde.

Da ſie ferner als Identitaͤt rein im Rea¬ len erſcheinen ſollte, muͤßte ſie ſich als reines Seyn, und in wie fern dem Seyn die Thaͤ¬ tigkeit entgegengeſetzt iſt, als Negation aller Thaͤtigkeit erſcheinen. Daſſelbe iſt nach dem fruͤher aufgeſtellten Grundſatz einzuſehen: daß jedes, was ſeinen Gegenſatz in einem andern hat, nur, wie fern es in ſich abſolut iſt, zu¬ gleich wieder die Identitaͤt von ſich ſelbſt und89 ſeinem Entgegengeſetzten iſt; denn das Reale wird dieſem zufolge als Identitaͤt von Moͤglich¬ keit und Wirklichkeit nur erſcheinen koͤnnen, in wie fern es in ſich ſelbſt abſolutes Seyn, alles Entgegengeſetzte daher von ihm negirt iſt.

Ein ſolches reines Seyn mit Vernei¬ nung aller Thaͤtigkeit iſt nun ohne Zweifel der Raum; aber eben derſelbe iſt auch weder ein Abſtractum, denn ſonſt muͤßten mehrere Raͤume ſeyn, da der Raum in allen Raͤumen nur Ei¬ ner iſt, noch ein Concretum, denn ſonſt muͤßte ein abſtracter Begriff von ihm ſeyn, dem er als Beſonderes nur unvollkommen angemeſſen waͤre; er iſt aber ganz, was er iſt, das Seyn erſchoͤpft in ihm den Begriff und er iſt ebendeswegen und nur, weil er abſolut real iſt, auch wieder abſolut ideal.

Zu Beſtimmung der gleichen Identitaͤt, ſo fern ſie im Idealen erſcheint, koͤnnen wir uns unmittelbar des Gegenſatzes mit dem Raum bedienen; denn da dieſer als reines Seyn mit Negation aller Thaͤtigkeit erſcheint, ſo wird jene dagegen ſich als reine Thaͤtigkeit90 mit Verneinung alles Seyns darſtellen muͤſ¬ ſen; aber aus dem Grunde, daß ſie reine Thaͤtigkeit iſt, wird ſie nach dem angegebenen Princip auch wieder die Identitaͤt von ſich und dem Entgegengeſetzten, von Moͤglichkeit alſo und Wirklichkeit ſeyn. Eine ſolche Identitaͤt iſt die reine Zeit. Kein Seyn als ſolches iſt in der Zeit, ſondern nur die Veraͤnderungen des Seyns, welche als Thaͤtigkeitsaͤußerungen und als Negationen des Seyns erſcheinen. In der empiriſchen Zeit geht die Moͤglichkeit, als Urſache, der Wirklichkeit voran, in der rei¬ nen Zeit iſt die erſte auch die andere. Als Identitaͤt des Allgemeinen und Beſondern iſt die Zeit ſo wenig ein abſtracter Begriff als ein concretes Ding, und es gilt von ihr in dieſer Beziehung alles, was von dem Raume gilt.

Dieſe Beweiſe ſind hinreichend, einzuſe¬ hen, ſowohl daß in der reinen Anſchauung des Raums und der Zeit eine wahrhaft objective Anſchauung der Identitaͤt von Moͤglichkeit und Wirklichkeit als ſolcher gegeben iſt, als auch: daß beyde bloß relative Abſolute ſind, da weder91 Raum noch Zeit die Idee aller Ideen an ſich, ſondern nur in getrenntem Reflex darſtellen; daß aus demſelben Grunde weder jener noch dieſe Beſtimmungen des An-ſich ſind, und daß, wenn die in beyden ausgedruͤckte Einheit Grund einer Erkenntniß oder Wiſſenſchaft iſt, dieſe ſelbſt bloß zur reflectirten Welt gehoͤren, aber nichts deſto weniger der Form nach abſolut ſeyn muͤſſe.

Wenn nun, was ich hier nicht beweiſen, ſondern nur als bewieſen in der Philoſophie vorausſetzen kann, Mathematik, als Analyſis und Geometrie, ganz in jenen beyden An¬ ſchauungsarten gegruͤndet iſt, ſo folgt, daß in jeder dieſer Wiſſenſchaften eine Erkenntnißart herrſchend ſeyn muͤſſe, die der Form nach abſo¬ lut iſt.

Die Realitaͤt uͤberhaupt und die der Er¬ kenntniß insbeſondere beruht weder allein auf dem Allgemeinbegriff, noch allein auf der Be¬ ſonderheit; die mathematiſche Erkenntniß iſt aber weder die eines bloßen Abſtractum, noch die eines Concretum, ſondern der in der A[n]¬92 ſchauung dargeſtellten Idee. Die Darſtellung des Allgemeinen und Beſondern in der Einheit, heißt uͤberhaupt Conſtruction, die von der De¬ monſtration wahrhaft nicht unterſchieden iſt. Die Einheit ſelbſt druͤckt ſich auf doppelte Weiſe aus. Erſtens darinn, daß um uns an das Beyſpiel der Geometrie zu halten allen Conſtructionen derſelben, die ſich unter ſich wie¬ der unterſcheiden, als Triangel, Quadrat, Cir¬ kel u. ſ. w. dieſelbe abſolute Form zu Grunde liegt, und zum wiſſenſchaftlichen Begreifen derſel¬ ben in ihrer Beſonderheit nichts außer der Einen allgemeinen und abſoluten Einheit erfodert wird. Zweytens darinn, daß das Allgemeine jeder be¬ ſondern Einheit, z. B. das allgemeine Dreyeck mit dem beſonderen wieder Eins iſt, und hin¬ wiederum das beſondere Dreyeck ſtatt aller gilt und Einheit und Allheit zugleich iſt. Dieſelbe Einheit druͤckt ſich als die der Form und Weſen aus, da die Conſtruction, welche als Erkennt¬ niß bloß Form ſcheinen wuͤrde, zugleich das Weſen des Conſtruirten ſelbſt iſt.

93

Es iſt leicht, die Anwendung von dem Al¬ len auf die Analyſis zu machen.

Die Stelle der Mathematik im allgemei¬ nen Syſtem des Wiſſens iſt zur Genuͤge be¬ ſtimmt, ihre Beziehung auf das academiſche Studium ergiebt ſich daraus von ſelbſt. Eine Erkenntnißart, welche das Wiſſen uͤber das Geſetz der Cauſalverbindung, das im gemeinen Wiſſen, wie in einem großen Theil der ſoge¬ nannten Wiſſenſchaften herrſchend iſt, in das Gebiet einer reinen Vernunftidentitaͤt er¬ hebt, bedarf keines aͤußern Zwecks. So ſehr man auch uͤbrigens die großen Wirkungen der Mathematik in ihrer Anwendung auf die allge¬ meinen Bewegungsgeſetze, in der Aſtronomie und Phyſik uͤberhaupt, anerkennte, ſo waͤre derje¬ nige doch nicht zur Erkenntniß der Abſolutheit dieſer Wiſſenſchaft gelangt, der ſie nur um die¬ ſer Folgen willen hochſchaͤtzte, und dieß uͤber¬ haupt ſowohl, als insbeſondere weil dieſe zum Theil nur einem Misbrauch der reinen Ver¬ nunftevidenz ihren Urſprung verdanken. Die neuere Aſtronomie geht als Theorie auf nichts94 anders, als Umwandlung abſoluter, aus der Idee fließender, Geſetze in empiriſche Noth¬ wendigkeiten aus und hat dieſen Zweck zu ihrer vollkommenen Befriedigung erreicht; uͤbrigens kann es durchaus nicht Sache der Mathematik, in dieſem Sinn und wie ſie jetzt begriffen wird, ſeyn, uͤber das Weſen oder An-ſich der Na¬ tur und ihrer Gegenſtaͤnde das Geringſte zu verſtehen. Dazu waͤre noͤthig, daß ſie ſelbſt vorerſt in ihren Urſprung zuruͤckginge und den in ihr ausgedruͤckten Typus der Ver¬ nunft allgemeiner begriffe. In wie fern die Mathematik eben ſo im Abſtracten, wie die Natur im Concreten, der vollkommenſte objec¬ tivſte Ausdruck der Vernunft ſelbſt iſt, in ſo fern muͤſſen alle Naturgeſetze, wie ſie in reine Vernunftgeſetze ſich aufloͤſen, ihre entſprechen¬ den Formen auch in der Mathematik finden: aber nicht ſo, wie man dieß bisher angenom¬ men hat, daß dieſe fuͤr jene nur beſtimmend, und die Natur uͤbrigens in dieſer Identitaͤt ſich nur mechaniſch verhalte, ſondern ſo, daß Ma¬ thematik und Naturwiſſenſchaft nur Eine und95 dieſelbe von verſchiedenen Seiten angeſehene Wiſſenſchaft ſeyn.

Die Formen der Mathematik, wie ſie jetzt verſtanden werden, ſind Symbole, fuͤr welche denen, die ſie beſitzen, der Schluͤſſel verloren gegangen iſt, den, nach ſichern Spu¬ ren und Nachrichten der Alten, noch Euklides beſaß. Der Weg zur Wiedererfindung kann nur der ſeyn, ſie durchaus als Formen reiner Vernunft und Ausdruͤcke von Ideen zu begrei¬ fen, die ſich in der objectiven Geſtalt in ein anderes verwandelt zeigen. Je weniger der ge¬ genwaͤrtige Unterricht der Mathematik geeignet ſeyn moͤchte, zu dem urſpruͤnglichen Sinn die¬ ſer Formen zuruͤckzufuͤhren, deſto mehr wird die Philoſophie auf dem nun betretenen Wege auch die Mittel der Entraͤthſelung und der Wiederherſtellung jener uralten Wiſſenſchaft an die Hand geben.

Der Lehrling achte fuͤrnehmlich ja einzig auf dieſe Moͤglichkeit, ſo wie auf den bedeuten¬ den Gegenſatz der Geometrie und Analyſis, der96 dem des Realismus und Idealismus in der Philoſophie auffallend entſpricht.

Wir haben an der Mathematik den bloß formellen Charakter der abſoluten Erkenntnißart, den ſie ſo lange behalten wird, als ſie nicht voll¬ kommen ſymboliſch begriffen iſt, aufgezeigt. Die Mathematik gehoͤrt in ſo fern noch zur bloß abgebildeten Welt, als ſie das Urwiſſen, die abſolute Identitaͤt nur im Reflex und, wel¬ ches davon eine nothwendige Folge iſt, in ge¬ trennter Erſcheinung zeigt. Die ſchlechthin und in jeder Beziehung abſolute Erkenntnißart wuͤrde demnach diejenige ſeyn, welche das Ur¬ wiſſen unmittelbar und an ſich ſelbſt zum Grund und Gegenſtand haͤtte. Die Wiſſenſchaft aber, die außer jenem kein anderes Urbild hat, iſt nothwendig die Wiſſenſchaft alles Wiſſens, dem¬ nach die Philoſophie.

Es kann nicht, weder uͤberhaupt noch ins¬ beſondere, hier ein Beweis gefuͤhrt werden, wodurch jedermaͤnniglich gezwungen wuͤrde, zu geſtehen, Philoſophie ſey eben Wiſſenſchaft des Urwiſſens; es kann nur bewieſen werden, eine97 ſolche Wiſſenſchaft ſey uͤberhaupt nothwendig, und man kann ſicher ſeyn, beweiſen zu koͤnnen, daß jeder andere Begriff, den man etwa von Philoſophie aufſtellen moͤchte, kein Begriff, nicht etwa nur dieſer, ſondern uͤberhaupt einer moͤglichen Wiſſenſchaft ſey.

Philoſophie und Mathematik ſind ſich da¬ rinn gleich, daß beyde in der abſoluten Iden¬ titaͤt des Allgemeinen und Beſondern gegruͤn¬ det, beyde alſo auch, in wie fern jede Einheit dieſer Art Anſchauung iſt, uͤberhaupt in der Anſchauung ſind; aber die Anſchauung der er¬ ſten kann nicht wieder wie die der letzten eine reflectirte ſeyn, ſie iſt eine unmittelbare Ver¬ nunft - oder intellectuelle Anſchauung, die mit ih¬ rem Gegenſtande, dem Urwiſſen ſelbſt, ſchlechthin identiſch iſt. Darſtellung in intellectueller An¬ ſchauung iſt philoſophiſche Conſtruction, aber wie die allgemeine Einheit, die allen zu Grunde liegt, ſo koͤnnen auch die beſondern, in deren jeder die gleiche Abſolutheit des Urwiſſens auf¬ genommen wird, nur in der Vernunftanſchau¬ ung enthalten ſeyn und ſind in ſo fern Ideen.

798

Die Philoſophie iſt alſo die Wiſſenſchaft der Ideen oder der ewigen Urbilder der Dinge.

Ohne intellectuelle Anſchauung keine Philo¬ ſophie! Auch die reine Anſchauung des Raums und der Zeit iſt nicht im gemeinen Bewußt¬ ſeyn, als ſolchem; denn auch ſie iſt die, nur im Sinnlichen reflectirte, intellectuelle. Aber der Mathematiker hat das Mittel der aͤußern Dar¬ ſtellung voraus: in der Philoſophie faͤllt auch die Anſchauung ganz in die Vernunft zuruͤck. Wer ſie nicht hat, verſteht auch nicht, was von ihr geſagt wird; ſie kann alſo uͤberhaupt nicht gegeben werden. Eine negative Bedin¬ gung ihres Beſitzes iſt die klare und innige Einſicht der Nichtigkeit aller bloß endlichen Erkenntniß. Man kann ſie in ſich bilden: in dem Philoſophen muß ſie gleichſam zum Karakter werden, zum unwandelbaren Organ, zur Fertigkeit, alles nur zu ſehen, wie es in der Idee ſich darſtellt.

Ich habe hier nicht von der Philoſophie uͤberhaupt, ich habe mir ſo weit von ihr zu re¬99 den, als ſie ſich auf die erſte wiſſenſchaftliche Bildung bezieht.

Von dem Nutzen der Philoſophie zu re¬ den, achte ich unter der Wuͤrde dieſer Wiſſen¬ ſchaft. Wer nur uͤberhaupt darnach fragen kann, iſt ſicher noch nicht einmal faͤhig, ihre Idee zu haben. Sie iſt durch ſich ſelbſt von der Nuͤtzlichkeitsbeziehung frey geſprochen. Sie iſt nur um ihrer ſelbſt willen; um eines An¬ dern willen zu ſeyn, wuͤrde unmittelbar ihr We¬ ſen ſelbſt aufheben.

Von den Vorwuͤrfen, die ihr gemacht werden, halte ich nicht ganz unnoͤthig zu ſpre¬ chen: ſie ſoll ſich nicht durch Nuͤtzlichkeit em¬ pfehlen, aber auch nicht durch Vorſpiegelungen ſchaͤdlicher Wirkungen, die man ihr zuſchreibt, wenigſtens in aͤußern Beziehungen eingeſchraͤnkt werden.

7 *
[100][101]

Fuͤnfte Vorleſung.

Ueber die gewoͤhnlichen Einwen¬ dungen gegen das Studium der Philoſophie.

[102]103

Wenn ich den ſehr gemein gewordenen Vorwurf, daß die Philoſophie der Religion und dem Staate gefaͤhrlich ſey, nicht mit Stillſchweigen uͤbergehe, ſo iſt es, weil ich glaube, daß die meiſten, die ſich hierauf entgeg¬ nend haben vernehmen laſſen, nicht im Stande geweſen ſind, das gehoͤrige zu ſagen.

Die naͤchſte Antwort waͤre wohl die: was mag das fuͤr ein Staat und was mag das fuͤr eine Religion ſeyn, denen die Philoſophie ge¬ faͤhrlich ſeyn kann? Waͤre dies wirklich der Fall, ſo muͤßte die Schuld an der vorgeblichen Religion und dem angeblichen Staat liegen. Die Philoſophie folgt nur ihren innern Gruͤn¬ den und kann ſich wenig bekuͤmmern, ob alles, was von Menſchen gemacht iſt, damit uͤberein¬ ſtimme. Von der Religion rede ich hier nicht; ich behalte mir vor, in der Folge die innigſte Einheit beyder, und wie die eine die andere er¬ zeugt, darzuthun.

Was den Staat betrifft, ſo will ich die104 Frage allgemein ſtellen: Wovon kann man in der wiſſenſchaftlichen Beziehung mit Recht ſa¬ gen oder fuͤrchten, daß es dem Staat gefaͤhrlich ſey? Es wird ſich alsdann ohne Zweifel von ſelbſt ergeben, ob die Philoſophie etwas der Art ſey oder ob etwas der Art aus ihr hervor¬ gehen koͤnne?

Eine Richtung in der Wiſſenſchaft halte ich in Beziehung auf den Staat fuͤr verderblich und die andere fuͤr untergrabend.

Die erſte iſt, wenn das gemeine Wiſſen ſich zum abſoluten oder zur Beurtheilung deſſel¬ ben aufrichten will. Der Staat beguͤnſtige nur erſt, daß der gemeine Verſtand Schiedsrichter uͤber Ideen ſey, ſo wird dieſer ſich bald auch uͤber den Staat erheben, deſſen auf Vernunft und in Ideen gegruͤndete Verfaſſung er ſo wenig wie dieſe begreift. Mit denſelben populaͤren Gruͤnden, mit welchen er gegen die Philoſophie zu ſtreiten meynt, kann er und noch viel ein¬ leuchtender die erſten Formen des Staates an¬ greifen. Ich muß erklaͤren, was ich unter ge¬ meinem Verſtand begreife. Keineswegs allein105 oder vorzuͤglich den rohen, ſchlechthin ungebil¬ deten Verſtand, ſondern gleicherweiſe den durch falſche und oberflaͤchliche Kultur zum hohlen und leeren Raͤſonniren gebildeten Verſtand, der ſich fuͤr abſolut gebildet haͤlt, und der in der neueren Zeit ſich durch Herabwuͤrdigung alles deſſen, was auf Ideen beruht, vorzuͤglich ge¬ aͤußert hat.

Dieſer Ideenleerheit, die ſich Aufklaͤrung zu nennen unterſteht, iſt die Philoſophie am meiſten entgegengeſetzt. Man wird zugeben muͤſſen, daß es keine Nation in dieſer Erhe¬ bung eines raͤſonnirenden Verſtandes uͤber die Vernunft weiter gebracht hat, als die franzoͤſi¬ ſche. Es iſt demnach die groͤßte auch hiſtori¬ ſche Ungereimtheit, zu ſagen: Philoſophie ſey fuͤr Erhaltung der Rechtsgrundſaͤtze gefaͤhrlich, (denn ich will mich ſo ausdruͤcken, da es aller¬ dings Verfaſſungen oder Zuſtaͤnde derſelben ge¬ ben koͤnnte, denen die Philoſophie zwar nicht gefaͤhrlich, aber eben auch nicht guͤnſtig ſeyn kann). Gerade diejenige Nation, die, einige wenige Individuen fruͤherer Zeiten ausgenom¬106 men, (denen man aber gewiß keinen Einfluß auf die politiſchen Begebenheiten der ſpaͤteren zuſchreiben wird), in keiner Epoche, am wenig¬ ſten in derjenigen, welche der Revolution voran¬ ging, Philoſophen hatte, war es, die das Beyſpiel einer durch rohe Graͤuel bezeichneten Umwaͤl¬ zung mit derſelben Frevelhaftigkeit gab, mit welcher ſie nachher zu neuen Formen der Sklaverey zuruͤckgekehrt iſt. Ich laͤugne nicht, daß Raͤſonneurs in allen Wiſſenſchaften und nach allen Richtungen in Frankreich den Na¬ men der Philoſophen uſurpirt haben; es moͤchte aber wohl keiner von denjenigen ſeyn, denen unter uns dieſer Karakter unbeſtreitbar zukommt, der einem einzigen von jenen ihn zu¬ geſtuͤnde. Es iſt nicht zu verwundern und waͤre an ſich, wenn man nicht auf andere Weiſe uͤber den Werth und die Bedeutung davon aufgeklaͤrt wuͤrde, ſogar preiswuͤrdig, daß eine kraftvolle Re¬ gierung unter dieſem Volk jene leeren Abſtractio¬ nen proſcribirt, in welchen allerdings großentheils oder allein beſtand, was die Franzoſen von wiſſen¬ ſchaftlichen Begriffen hatten. Mit hohlen Ver¬107 ſtandesbegriffen laͤßt ſich freylich ſo wenig ein Staat als eine Philoſophie bauen, und eine Nation, die den Zugang zu den Ideen nicht hat, thut Recht, wenigſtens Reſte von ſolchen aus Truͤmmern vorhanden geweſener Formen hervorzuſuchen.

Die Erhebung des gemeinen Verſtandes zum Schiedsrichter in Sachen der Vernunft, fuͤhrt ganz nothwendig die Ochlokratie im Reiche der Wiſſenſchaften und mit dieſer fruͤher oder ſpaͤ¬ ter die allgemeine Erhebung des Poͤbels herbey. Fade oder heuchleriſche Schwaͤtzer, die da mey¬ nen, ein gewiſſes ſuͤßlichtes Gemenge ſogenann¬ ter ſittlicher Grundſaͤtze an die Stelle der Ideen¬ herrſchaft zu ſetzen, verrathen nur, wie wenig ſie ſelbſt von Sittlichkeit wiſſen. Es giebt keine ohne Ideen, und alles ſittliche Handeln iſt es nur als Ausdruck von Ideen.

Die andere Richtung, in welche ſich die erſte verliert und welche die Aufloͤſung alles deſ¬ ſen, was auf Ideen gegruͤndet iſt, herbeyfuͤh¬ ren muß, iſt die auf das bloß Nuͤtzliche. Wenn Einmal dieſes der hoͤchſte Maaßſtab fuͤr alles108 iſt, ſo gilt er auch fuͤr die Staatsverfaſſung. Nun giebt es aber wohl uͤberhaupt keine wan¬ delbarere Sicherheit, als jene; denn von dem, was heute nuͤtzlich iſt, iſt es morgen das Ge¬ gentheil. Aber noch uͤberdieß muß dieſer, es ſey durch welche Wirkung, ſich verbreitende Trieb alles Große und jede Energie unter einer Na¬ tion erſticken. Nach dem Maaßſtabe deſſelben waͤre die Erfindung des Spinnrads wichtiger, als die eines Weltſyſtems, und die Einfuͤhrung der Spaniſchen Schafzucht in einem Lande fuͤr ein groͤßeres Werk zu achten, als die Umgeſtal¬ tung einer Welt durch die faſt goͤttlichen Kraͤfte eines Eroberers. Wenn Philoſophie eine Na¬ tion groß machen koͤnnte, ſo waͤre es eine ſol¬ che, die ganz in Ideen iſt, die nicht uͤber den Genuß gruͤbelte oder die Liebe zum Leben als erſte Triebfeder obenanſetzte, ſondern die Ver¬ achtung des Todes lehrte und nicht die Tugen¬ den großer Karaktere pſychologiſch zergliederte. In Deutſchland koͤnnte, da kein aͤußeres Band es vermag, nur ein inneres, eine herrſchende Religion oder Philoſophie, den alten National¬109 karakter hervorrufen, der in der Einzelnheit zerfallen iſt und immer mehr zerfaͤllt. Es iſt gewiß, daß ein kleines, friedliches, zu keinen großen Beſtimmungen berufenes Voͤlklein auch keiner großen Motive bedarf; fuͤr dieſes ſcheint es hinreichend, daß es leidlich zu eſſen und zu trinken habe und der Induſtrie ſich ergebe. Selbſt in groͤßeren Staaten zwingt die Un¬ verhaͤltnißmaͤßigkeit der Mittel, die ein ar¬ mer Boden darreicht, zu den Zwecken, die Regierungen ſelbſt, ſich mit dieſem Nuͤtzlich¬ keitsgeiſt zu befreunden und alle Kuͤnſte und Wiſſenſchaften einzig auf das Streben darnach anzuweiſen. Es leidet keinen Zweifel, daß ſolchen Staaten die Philoſophie nichts nuͤtzen kann, und wenn die Fuͤrſten anfangen, immer mehr populaͤr zu werden, die Koͤnige ſelbſt ſich ſchaͤmen, Koͤnige zu ſeyn und nur die er¬ ſten Buͤrger ſeyn wollen, auch die Philoſo¬ phie nur anfangen kann, ſich in eine buͤr¬ gerliche Moral umzuwandeln und von ihren hohen Regionen in das gemeine Leben herab¬ zuſteigen.

110

Die Staatsverfaſſung iſt ein Bild der Verfaſſung des Ideenreichs. In dieſem iſt das Abſolute als die Macht, von der alles ausfließt, der Monarch, die Ideen ſind nicht der Adel oder das Volk, weil das Be¬ griffe ſind, die nur im Gegenſatz gegen ein¬ ander Realitaͤt haben, ſondern die Freyen: die einzelnen wirklichen Dinge ſind die Sclaven und Leibeigenen. Eine gleiche Stufenfolge iſt unter den Wiſſenſchaften. Die Philoſo¬ phie lebt nur in Ideen, die Beſchaͤftigung mit den einzelnen wirklichen Dingen uͤberlaͤßt ſie den Phyſicis, Aſtronomis u. ſ. w. Al¬ lein dieß ſind ja ſelbſt nur uͤberſpannte Ideen und wer glaubt in dieſer Humanitaͤt und Auf¬ geklaͤrtheit der Zeiten noch an ſo hohe Bezie¬ hungen des Staats?

Wenn dem einbrechenden Strom, der im¬ mer ſichtbarer Hohes und Niederes vermiſcht, ſeit auch der Poͤbel zu ſchreiben anhebt und jeder Plebejer in den Rang der Urtheiler ſich erhebt, irgend etwas Einhalt zu thun vermag,111 ſo iſt es die Philoſophie, deren natuͤrlicher Wahlſpruch das Wort iſt:

Odi profanum volgus et arceo.

Nachdem man angefangen hatte, die Philoſophie, nicht ohne Wirkung, als gefaͤhr¬ lich fuͤr Staat und Kirche zu verſchreyen, ha¬ ben endlich auch die Inhaber verſchiedentlicher Wiſſenſchaften ihre Stimme gegen ſie erhoben, als ob ſie, auch in dieſer Beziehung, verderb¬ lich waͤre, dadurch, daß ſie von den gruͤndli¬ chen Wiſſenſchaften abziehe, ſie als entbehr¬ lich darſtelle u. ſ. w.

Es waͤre freylich vortrefflich, wenn auch die Gelehrten gewiſſer Faͤcher in den Rang der privilegirten Claſſen treten koͤnnten und von Staats wegen feſtgeſetzt wuͤrde, es ſoll in keinem Zweig des Wiſſens ein Fortſchritt, oder gar eine Umwandelung Statt finden. So weit iſt es bis jetzt, wenigſtens allgemein, noch nicht gekommen, wird auch wohl nie da¬ hin kommen. Es iſt keine Wiſſenſchaft, die an ſich in Entgegenſetzung mit der Philoſo¬ phie waͤre, vielmehr ſind alle eben durch ſie112 und in ihr Eins. Es iſt alſo immer nur die Wiſſenſchaft, wie ſie in irgend eines Men¬ ſchen Kopf exiſtiert; und iſt dieſe mit der Wiſſenſchaft aller Wiſſenſchaften im Wider¬ ſtreit, deſto ſchlimmer fuͤr ſie! Warum iſt denn die Geometrie ſeit langen Zeiten im un¬ geſtoͤrten Beſitz ihrer Lehrſaͤtze und im ruhigen Fortſchreiten?

Ich weiß, daß nichts ſo ſehr, wie das gruͤndliche Studium der Philoſophie, geſchickt iſt, Achtung fuͤr die Wiſſenſchaft einzufloͤßen, obgleich dieſe Achtung fuͤr die Wiſſenſchaft nicht immer eben eine Achtung fuͤr die Wiſ¬ ſenſchaften ſeyn mag, wie ſie jetzt ſind; und wenn denn nun auch diejenigen, welche in der Philoſophie eine Idee der Wahrheit er¬ langt haben, von dem grund - und bo¬ denloſen und unzuſammenhaͤngenden Weſen, das ihnen in andern Faͤchern unter jenem Na¬ men angeboten wird, ſich hinweg wenden und das Tiefere, das Begruͤndetere, Zuſammen¬ haͤngendere ſuchen, ſo iſt ja dies reiner Ge¬ winn fuͤr die Wiſſenſchaft ſelbſt.

113

Daß diejenigen, die noch friſch, ohne vorgefaßte Meynungen, mit dem erſten noch unverfaͤlſchten Sinn fuͤr Wahrheit zu den Wiſ¬ ſenſchaften kommen, vor jeder Luft eines Zwei¬ fels an dem, was bisher gegolten oder ſelbſt der Gewißheit der Unguͤltigkeit ſorgfaͤltig be¬ wahrt und wie geiſtige Mumien einbalſamirt werden ſollen, dafuͤr habe ich wenigſtens kei¬ nen Sinn.

Um nur in die andern Wiſſenſchaften ein¬ dringen zu koͤnnen, muͤſſen ſie die Idee der Wahrheit aus der Philoſophie empfangen ha¬ ben, und gewiß wird jeder mit deſto groͤßerem Intereſſe zu einer Wiſſenſchaft kommen, je mehr Ideen er zu ihr bringt; wie ich ſelbſt waͤhrend der Zeit, daß ich hier gelehrt habe, einen allgemeineren Eifer fuͤr alle Theile der Naturwiſſenſchaft, durch die Wirkung der Phi¬ loſophie habe aufleben ſehen. Die von dem Schaden, welchen Philoſophie bey der Ju¬ gend ſtiftet, ſo viel zu ſagen wiſſen, befinden ſich in einem von beyden folgenden Faͤllen. Entweder haben ſie ſich wirklich die Wiſſen¬8114ſchaft dieſer Philoſophie verſchafft oder nicht. In der Regel iſt das letzte der Fall: wie koͤn¬ nen ſie alſo urtheilen? Oder das erſte: ſo verdanken ſie ſelbſt dem Studium der Philo¬ ſophie den Nutzen, einzuſehen, daß ſie keinen Nutzen habe; wie man von Sokrates zu ſa¬ gen pflegt, er habe ſeinem Wiſſen wenigſtens ſo viel verdankt, zu wiſſen, daß er nichts wiſſe; dieſen Nutzen ſollten ſie doch auch an¬ dern zu Theil werden laſſen, und nicht ver¬ langen, daß man ihnen aufs Wort glaube, da die eigene Erfahrung doch ohnehin einen ſtaͤrkeren Eindruck machen wird, als ihre Ver¬ ſicherung: davon nichts zu ſagen, daß, ohne jene Kenntniß, fuͤr die Jugend auch ihre ſcharfſinnige Polemik gegen dieſe Philoſophie unverſtaͤndlich, und ihre Anſpielungen dagegen, ſo grob ſie uͤbrigens ſeyn moͤgen, verloren waren.

Der gewoͤhnliche Troſt, den ſie bey der Fruchtloſigkeit ihrer Warnungen und Vermah¬ nungen ſich ſelbſt und unter einander geben, iſt dann der: daß es mit der Philoſophie115 doch keinen langen Beſtand haben werde, daß ſie nur die Sache einer Mode ſey, die aber, wie noch immer geſchehen, zu ihrer Zeit auch vorbeygehen werde, daß ja ohnehin alle Au¬ genblicke neue Philoſophieen entſtehen und was dergleichen mehr iſt.

Was das Erſte betrifft, ſo befinden ſie ſich ganz in dem Fall des Bauren, der an einen tiefen Strom kommend, ihn nur vom Regen geſchwellt meynt und wartet, bis er ablaufen wird,

Rusticus expectat, dum defluat amnis; at ille Labitur et labetur in omne volubilis aeuum.

Was das Letzte betrifft, den ſchnellen Wechſel der Philoſophieen, ſo ſind ſie wirklich nicht im Stande zu beurtheilen, ob das, was ſie ſo nennen, wirklich verſchiedene Philo¬ ſophieen ſind. Die ſcheinbaren Veraͤnde¬ rungen der Philoſophie exiſtiren nur fuͤr die Unwiſſenden. Sie gehen entweder jene uͤber¬ haupt nicht an, indem es allerdings und8*116eben auch jetzt Beſtrebungen genug giebt, die ſich fuͤr philoſophiſche ausgeben, in denen aber keine Spur davon anzutreffen iſt; allein eben um das, was ſich Philoſophie nennt, ohne es zu ſeyn, von der Philoſophie abzuſcheiden, muß ja unterſucht, und weil die, die jetzt jung ſind, kuͤnftig doch auch unterſuchen ſol¬ len, Philoſophie ſtudiert werden. Oder ſie ſind Verwandlungen, die einen wirklichen Be¬ zug auf Philoſophie haben, ſo ſind es Me¬ tamorphoſen ihrer Form. Ihr Weſen iſt un¬ wandelbar daſſelbe, ſeit dem erſten, der es ausgeſprochen hat: aber ſie iſt eine leben¬ dige Wiſſenſchaft, und es giebt einen philo¬ ſophiſchen Kunſttrieb, wie es einen poetiſchen giebt.

Wenn noch Umgeſtaltungen in der Phi¬ loſophie ſtatt finden, ſo iſt dieß Beweis, daß ſie ihre letzte Form und abſolute Geſtalt noch nicht gewonnen hat. Es giebt untergeordne¬ tere und hoͤhere, es giebt einſeitigere und umfaſſendere Formen: jede ſogenannte neue Philoſophie muß aber einen neuen Schritt in117 der Form gethan haben. Daß die Erſchei¬ nungen ſich draͤngen, iſt begreiflich, weil die vorhergehende unmittelbarer den Sinn ſchaͤrft, den Trieb entzuͤndet. Selbſt aber auch, wenn die Philoſophie in der abſoluten Form wird dargeſtellt ſeyn und war ſie es denn noch nicht, ſo weit dieß uͤberhaupt moͤglich iſt? wird es niemand verwehrt ſeyn, ſie wieder in beſondere Formen zu faſſen. Die Philo¬ ſophen haben das ganz eigenthuͤmlich voraus, daß ſie in ihrer Wiſſenſchaft eben ſo einig, als die Mathematiker ſind, (alle waren es, die uͤberhaupt dafuͤr gelten konnten), und daß doch jeder gleich original ſeyn kann, was jene nicht koͤnnen. Die andern Wiſſenſchaften koͤnnten ſich Gluͤck wuͤnſchen, wenn erſt bey ihnen jener Wechſel der Formen ernſtlicher eintraͤte. Um die abſolute Form zu gewin¬ nen, muß ſich der Geiſt in allen verſuchen, dieß iſt das allgemeine Geſetz jeder freyen Bildung.

Mit der Nachrede, daß die Philoſophie eine bloße Sache der Mode ſey, kann es118 auch nicht ſo ernſtlich gemeynt ſeyn. Die ſie vorbringen, wuͤrden gerade darum ſich nur um ſo leichter damit vertragen. Wenn ſie nicht ganz nach der Mode ſeyn wollen, ſo wollen ſie doch auch nicht ganz altmodiſch ſeyn, und wenn ſie nur hie und da etwas, und waͤr 'es bloß ein Wort, von der neueren oder neueſten Philoſophie er¬ haſchen koͤnnen, verſchmaͤhen ſie es ja doch nicht, ſich damit auszuſchmuͤcken. Waͤr' es wirklich nur eine Sache der Mode, wie ſie vorgeben, und demnach eben ſo leicht, als es iſt, einen Kleiderſchnitt oder Hut mit dem andern zu verwechſeln, auch ein Syſtem der Medicin, der Theologie u. ſ. w. nach den neueſten Grundſaͤtzen aufzuſtellen, ſo wuͤrden ſie gewiß nicht ſaͤumen es zu thun. Es muß alſo doch mit der Philoſophie ſeine ganz eigen¬ thuͤmlichen Schwierigkeiten haben.

[119]

Sechſte Vorleſung.

Ueber das Studium der Phi¬ loſophie insbeſondre.

[120]121

Wenn das Wiſſen uͤberhaupt an ſich ſelbſt Zweck iſt, ſo muß dieß noch vielmehr und im vorzuͤglichſten Sinne von demjenigen Wiſ¬ ſen gelten, in welchem alles andere Eins und welches die Seele und das Leben von ihm iſt.

Kann Philoſophie erlernt, kann ſie uͤber¬ haupt durch Uebung, durch Fleiß erworben werden: oder iſt ſie ein angebohrnes Vermoͤ¬ gen, ein freyes Geſchenk und durch Schi¬ ckung verliehen? Daß ſie als ſolche nicht gelernt werden koͤnne, iſt in dem Vorherge¬ henden ſchon enthalten. Nur die Kenntniß von ihren beſondern Formen laͤßt ſich auf die¬ ſem Wege erlangen. Jene ſoll aber, bey dem Studium der Philoſophie, außer der Aus¬ bildung des nicht zu erwerbenden Vermoͤgens, das Abſolute zu faſſen, mit beabſichtigt wer¬ den. Wenn geſagt wird, daß Philoſophie nicht gelernt werden koͤnne, ſo iſt die Mey¬ nung nicht, daß deswegen nun jeder ſie ohne Uebung beſitze, und daß man etwa eben ſo122 von Natur philoſophiren koͤnne, als man ſich von Natur beſinnen oder Gedanken verbin¬ den kann. Die Meiſten derjenigen, wel¬ che gegenwaͤrtig in der Philoſophie urtheilen oder gar ſich einfallen laſſen, eigne Syſteme auf die Bahn zu bringen, koͤnnten ſich von dieſem Duͤnkel ſchon durch die Kenntniß des zu¬ vor Geweſenen ſattſam heilen. Es wuͤrde dann ſeltner geſchehen, was ſo ſehr gewoͤhnlich iſt: daß man zu Irrthuͤmern, die man ſchon ab¬ gelegt hat, durch ſeichtere Gruͤnde, als welche man ſelbſt dafuͤr zu haben glaubte, bekehrt werden ſoll; ſeltner, daß jemand ſich uͤberre¬ dete, mit ein Paar Wortformeln den Geiſt der Philoſophie zu beſchwoͤren und die großen Gegenſtaͤnde derſelben zu faſſen.

Das, was von der Philoſophie, nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Un¬ terricht geuͤbt werden kann, iſt die Kunſtſeite dieſer Wiſſenſchaft, oder was man allgemein Dialektik nennen kann. Ohne dialektiſche Kunſt iſt keine wiſſenſchaftliche Philoſophie! Schon ihre Abſicht, Alles als Eins darzuſtellen und123 in Formen, die urſpruͤnglich dem Reflex angehoͤ¬ ren, dennoch das Urwiſſen auszudruͤcken, iſt Be¬ weis davon. Es iſt dieſes Verhaͤltniß der Speculation zur Reflexion, worauf alle Dia¬ lektik beruht.

Aber eben dieſes Princip der Antinomie des Abſoluten und der bloß endlichen Formen, ſo wie daß in der Philoſophie Kunſt und Pro¬ duction ſo wenig, als Form und Stoff in der Poeſie getrennt ſeyn koͤnnen, beweiſt, daß auch die Dialektik eine Seite hat, von welcher ſie nicht gelernt werden kann, und daß ſie nicht minder, wie das, was man, der urſpruͤnglichen Bedeutung des Worts gemaͤß die Poeſie in der Philoſophie nennen koͤnnte, auf dem productiven Vermoͤgen beruht.

Von dem innern Weſen des Abſoluten, welches die ewige In-Eins-Bildung des Allgemeinen und Beſondern ſelbſt iſt, iſt in der erſcheinenden Welt ein Ausfluß in der Vernunft und der Einbildungskraft, welche beyde Ein und daſſelbige ſind, nur jene im Idealen, dieſe im Realen. Moͤgen diejeni¬124 gen, denen nichts als ein duͤrrer und un¬ fruchtbarer Verſtand zu Theil geworden iſt, ſich durch ihre Verwunderung ſchadlos halten, daß man zur Philoſophie Einbildungskraft fo¬ dere. Statt desjenigen, was allein ſo genannt werden kann, iſt Ihnen nur die lebhafte Ideen¬ aſſociation, die das Denken erſchwert oder die falſche Imagination als eine regelloſe Repro¬ duction ſinnlicher Bilder bekannt. Jedes wah¬ re durch Einbildungskraft geſchaffene Kunſtwerk iſt die Aufloͤſung des gleichen Widerſpruchs mit dem, der in den Ideen, vereinigt, dargeſtellt iſt. Der bloß reflectirende Verſtand begreift nur einfache Reihen und die Idee, als Syn¬ theſis von Entgegengeſetzten, als Widerſpruch.

Das productive Vermoͤgen laͤßt ſich, wo es iſt, bilden, erhoͤhen und in's Unendliche durch ſich ſelbſt potenziiren: es laͤßt ſich im Gegentheil auch im Keim erſticken oder wenig¬ ſtens in der Entwickelung hemmen. Wenn es daher eine Anweiſung uͤber das Studium der Philoſophie geben kann, ſo muß dieſe mehr ne¬ gativer Art ſeyn. Man kann den Sinn fuͤr125 Ideen nicht ſchaffen, wo er nicht iſt; man kann aber verhindern, daß er nicht erdruͤckt oder falſch geleitet werde.

Der Trieb und die Begierde, das Weſen der Dinge zu erforſchen, iſt den Menſchen all¬ gemein ſo tief eingepflanzt, daß ſie auch das Halbe, das Falſche mit Eifer ergreifen, wenn es nur den Schein und einige Hoffnung giebt, daß es ſie zu dieſer Erkenntniß fuͤhre. An¬ ders begreift man nicht, wie bey einem, im Ganzen recht ernſtlichen Ernſt, die oberflaͤch¬ lichſten Verſuche in der Philoſophie Theil¬ nahme erregen konnten, wenn ſie nur in ir¬ gend einer Richtung Gewißheit verſprachen.

Der Verſtand, den die Unphiloſophie den geſunden nennt, da er nur der gemeine iſt, verlangt gleichſam die baare und klin¬ gende Muͤnze der Wahrheit, und ſucht ſie ſich ohne Ruͤckſicht auf das Unzureichende ſei¬ ner Mittel zu verſchaffen. In die Philoſo¬ phie uͤbergreifend erzeugt er die Ungeheuer ei¬ ner rohen dogmatiſchen Philoſophie, die mit126 dem Bedingten das Unbedingte zu ermeſſen, das Endliche zum Unendlichen auszudehnen ſucht. Die Art zu ſchließen, welche in dem Gebiet des Abhaͤngigen von dem einen zum an¬ dern reicht, ſoll ihm hier uͤber die Kluft vom Abgeleiteten zum Abſoluten helfen. In der Regel verſteigt er ſich nicht einmal ſo weit, ſondern bleibt unmittelbar bey dem, was er ſeine Thatſachen nennt, ſtehen. Die beſcheidenſte Philoſophie in dieſer Richtung iſt die, welche allgemein zwar die Erfahrung als die einzige oder Hauptquelle realer Er¬ kenntniß ausgiebt: uͤbrigens aber von den Ideen zulaͤßt, daß ſie vielleicht Realitaͤt ha¬ ben, die ihnen nur fuͤr unſer Wiſſen gaͤnzlich fehle. Man kann wohl ſagen, daß eine ſol¬ che Philoſophie ſtudieren ſchlimmer iſt, als uͤberhaupt keine kennen. Eben uͤber die That¬ ſachen des Bewußtſeyns zu Etwas, was an ſich ſelbſt abſolut waͤre, hinaus zu kommen, iſt die urſpruͤngliche Abſicht aller Philoſophie: dieſe Thatſachen-Erzaͤhlung dafuͤr auszuge¬ ben, wuͤrde denen, die es pflegen, nicht ein¬127 mal eingekommen ſeyn, waͤre nicht wahre Philoſophie vorausgegangen.

Der bloße Zweifel an der gemeinen und endlichen Anſicht der Dinge iſt eben ſo wenig Philoſophie; es muß zum kategoriſchen Wiſ¬ ſen der Nichtigkeit deſſelben kommen und die¬ ſes negative Wiſſen muß der poſitiven Anſchau¬ ung der Abſolutheit gleich werden, wenn es ſich auch nur zum aͤchten Skepticismus erheben ſoll.

Ganz zu den empiriſchen Verſuchen in der Philoſophie gehoͤrt auch, was man ins¬ gemein Logik nennt. Wenn dieſe eine Wiſ¬ ſenſchaft der Form, gleichſam die reine Kunſt¬ lehre der Philoſophie ſeyn ſollte, ſo muͤßte ſie das ſeyn, was wir oben unter dem Na¬ men der Dialektik charakteriſirt haben. Eine ſolche exiſtirt noch nicht. Sollte ſie eine reine Darſtellung der Formen der Endlichkeit in ih¬ rer Beziehung aufs Abſolute ſeyn, ſo muͤßte ſie wiſſenſchaftlicher Skepticismus ſeyn: da¬ fuͤr kann auch Kants transſcendentale Logik nicht gehalten werden. Verſteht man aber un¬128 ter Logik eine rein formale, ſich den Inhalt oder die Materie des Wiſſens entgegenſetzende, Wiſſenſchaft, ſo waͤre dieſe an ſich eine der Philoſophie direct entgegengeſetzte Scienz, da dieſe eben auf die abſolute Einheit der Form und des Weſens geht, oder; in wie fern ſie den Stoff, in empiriſcher Bedeutung, als das Concrete, von ſich abſondert; eben die abſolute Realitaͤt, die zugleich abſolute Idea¬ litaͤt iſt, darſtellt. Sie iſt demnach eine ganz empiriſche Doctrin, welche die Geſetze des ge¬ meinen Verſtandes als abſolute aufſtellt, z. B. daß von zwey contradictoriſch entgegen¬ geſetzten Begriffen jedem Weſen nur Einer zu¬ komme, was in der Sphaͤre der Endlichkeit ſeine vollkommne Richtigkeit hat, nicht aber in der Spekulation, die nur in der Gleich¬ ſetzung Entgegengeſetzter ihren Anfang hat. Auf gleiche Weiſe ſtellt ſie Geſetze des Ver¬ ſtandesgebrauchs in ſeinen verſchiedenen Func¬ tionen als Urtheilen, Eintheilen, Schließen auf. Aber wie? Ganz empiriſch, ohne ihre Nothwendigkeit zu beweiſen, wegen der ſie129 an die Erfahrung verweiſt, z. B. daß mit vier Begriffen zu ſchließen, oder in einer Ein¬ theilung Glieder ſich entgegenzuſetzen, die in andrer Beziehung nicht wieder etwas Gemein¬ ſchaftliches haben, eine Ungereimtheit er¬ zeuge.

Geſetzt aber, die Logik ließe ſich darauf ein, dieſe Geſetze aus ſpekulativen Gruͤnden als nothwendige fuͤr dies reflectirte Erkennen zu beweiſen, ſo waͤre ſie alsdann keine abſo¬ lute Wiſſenſchaft mehr, ſondern eine beſondere Potenz in dem allgemeinen Syſtem der Ver¬ nunftwiſſenſchaft. Auf die vorausgeſetzte Ab¬ ſolutheit der Logik gruͤndet ſich ganz die ſoge¬ nannte Kritik der reinen Vernunft, welche dieſe nur in der Unterordnung unter den Ver¬ ſtand kennt. In dieſer wird die Vernunft als das Vermoͤgen zu ſchließen erklaͤrt, da ſie vielmehr eine abſolute Erkenntnißart iſt, wie die durch Schluß eine durchaus bedingte. Waͤre keine andere Erkenntniß des Abſoluten, als die durch Vernunftſchluͤſſe und keine an¬ dere Vernunft, als die in der Form des Ver¬9130ſtandes, ſo muͤßten wir allerdings auf alle unmittelbare und kategoriſche Erkenntniß des Unbedingten und Ueberſinnlichen, wie Kant lehrt, Verzicht thun.

Solch ein großer Misgriff, als es Kant vorgeſtellt hat, iſt es nach dieſem nicht, daß man der natuͤrlichen Trockenheit der Logik durch anthropologiſche und pſychologiſche Vor¬ kenntniſſe aufzuhelfen gewußt hat, welches vielmehr ein recht geſundes Gefuͤhl von dem Werth der erſten vorausſetzt, wie auch alle, welche die Philoſophie in Logik ſetzen, gleich¬ ſam eine angebohrne Hinneigung zur Pſycho¬ logie haben.

Was uͤbrigens von dieſer ſogenannten Wiſſenſchaft an ſich ſelbſt zu halten ſey, be¬ greift ſich aus dem Vorhergehenden von ſelbſt. Sie beruht auf der angenommenen Entgegen¬ ſetzung der Seele und des Leibes und man kann leicht urtheilen, was bey Nachforſchun¬ gen uͤber etwas, das gar nicht exiſtirt, naͤm¬ lich eine dem Leib entgegengeſetzte Seele, her¬ auskommen kann. Alle wahre Wiſſenſchaft131 des Menſchen kann nur in der weſentlichen und abſoluten Einheit der Seele und des Lei¬ bes, d. h. in der Idee des Menſchen, alſo uͤberhaupt nicht in dem wirklichen und empi¬ riſchen Menſchen, der von dieſer nur eine re¬ lative Erſcheinung iſt, geſucht werden.

Eigentlich muͤßte von der Pſychologie bey der Phyſik die Rede ſeyn, die nun ihrerſeits mit dem gleichen Grunde das bloß Leibliche betrachtet, und die Materie und die Natur fuͤr todt annimmt. Die wahre Naturwiſſenſchaft kann eben ſo wenig aus dieſer Trennung, ſondern ihrerſeits ebenſo nur aus der Identitaͤt der Seele und des Leibes aller Dinge hervorgehen: ſo daß zwiſchen Phyſik und Pſychologie kein realer Ge¬ genſatz denkbar iſt. Selbſt aber wenn man dieſen zugeben wollte, wuͤrde man doch von der Pſycho¬ logie ſo wenig als etwa von der Phyſik in derſel¬ ben Entgegenſetzung begreifen, wie ſie an die Stelle der Philoſophie geſetzt werden koͤnnte.

Da die Pſychologie die Seele nicht in der Idee, ſondern der Erſcheinungsweiſe nach und allein im Gegenſatz gegen dasjenige9 *132kennt, womit ſie in jener Eins iſt, ſo hat ſie die nothwendige Tendenz, alles im Menſchen ei¬ nem Cauſalzuſammenhang unterzuordnen, nichts zuzugeben, was unmittelbar aus dem Abſolu¬ ten oder Weſen ſelbſt kaͤme, und hiemit alles Hohe und Ungemeine herabzuwuͤrdigen. Die großen Thaten der vergangenen Zeit erſcheinen, unter das pſychologiſche Meſſer genommen, als das natuͤrliche Reſultat einiger ganz begreifli¬ chen Motive. Die Ideen der Philoſophie er¬ klaͤren ſich aus mehreren ſehr groben pſychologi¬ ſchen Taͤuſchungen. Die Werke der alten gro¬ ßen Meiſter der Kunſt erſcheinen als das na¬ tuͤrliche Spiel einiger beſondern Gemuͤthskraͤfte, und wenn z. B. Shakeſpeare ein großer Dich¬ ter iſt, ſo iſt es wegen ſeiner vortrefflichen Kenntniß des menſchlichen Herzens und ſeiner aͤußerſt feinen Pſychologie. Ein Hauptreſultat dieſer Lehre iſt das allgemeine Applanirungsſy¬ ſtem der Kraͤfte. Wozu ſoll es doch etwas wie Einbildungskraft, Genie u. ſ. w. geben? Im Grunde ſind doch alle einander gleich, und was man mit jenen Worten bezeichnet, iſt doch nur133 das Uebergewicht der einen Seelenkraft uͤber die andere und in ſo fern eine Krankheit, eine Abnormitaͤt, ſtatt daß bey den vernuͤnftigen, ordentlichen, nuͤchternen Menſchen alles in be¬ haglichem Gleichgewicht und darum in voll¬ kommner Geſundheit iſt.

Eine bloß empiriſche, auf Thatſachen be¬ ruhende, eben ſo wie eine bloß analytiſche und formale Philoſophie, kann uͤberhaupt nicht zum Wiſſen bilden; eine einſeitige Philoſophie we¬ nigſtens nicht zum abſoluten Wiſſen, da ſie viel¬ mehr fuͤr alle Gegenſtaͤnde deſſelben nur einen eingeſchraͤnkten Geſichtspunct beſtimmt.

Die Moͤglichkeit einer zwar ſpekulativen, aber uͤbrigens beſchraͤnkten Philoſophie iſt da¬ durch gegeben, daß weil Alles in Allem wieder¬ kehrt und auf allen moͤglichen Stufen dieſelbe Identitaͤt nur unter verſchiedenen Geſtalten ſich wiederholt, dieſe an einem untergeordneten Punct der Reflexion aufgefaßt und in der be¬ ſondern Form, in der ſie auf dieſem erſcheint, zum Princip der abſoluten Wiſſenſchaft gemacht werden kann. Die Philoſophie, die aus ei¬134 nem ſolchen Princip hervorgeht, iſt ſpekulativ, weil es nur der Abſtraction von der Beſchraͤnkt¬ heit der Auffaſſung und des Denkens der beſon¬ dern Identitaͤt in der Abſolutheit bedarf, um ſich zu dem rein und ſchlechthin Allgemeinen zu erheben; ſie iſt einſeitig, in wie fern ſie dies nicht thut, und von dem Ganzen ein nach die¬ ſem Geſichtspunct verzogenes und verſchobenes Bild entwirft.

Die neuere Welt iſt allgemein die Welt der Gegenſaͤtze, und wenn in der alten, aller ein¬ zelnen Regungen ungeachtet, doch im Ganzen das Unendliche mit dem Endlichen unter einer gemeinſchaftlichen Huͤlle vereinigt liegt, ſo hat der Geiſt der ſpaͤteren Zeit zuerſt dieſe Huͤlle geſprengt und jenes in abſoluter Entgegenſe¬ tzung mit dieſem erſcheinen laſſen. Von der unbeſtimmbar groͤßeren Bahn, welche dieſer durch das Schickſal vorgezeichnet iſt, uͤberſehen wir nur einen ſo kleinen Theil, daß uns der Gegenſatz leicht als das Weſentliche und die Einheit, in die er ſich aufzuloͤſen beſtimmt iſt, jederzeit nur als einzelne Erſcheinung auffallen135 kann. Dennoch iſt gewiß, daß dieſe hoͤhere Einheit, welche der gleichſam aus der unendli¬ chen Flucht zuruͤckgerufne Begriff mit dem End ichen darſtellen wird, gegen die gewiſ¬ ſermaßen bewußtlos und noch vor der Trennung vorhandene Identitaͤt der alten Welt ſich im Ganzen wiederum eben ſo, wie das Kunſtwerk zu dem organiſchen Werk der Natur verhalten wird. Hiermit ſey es uͤbrigens, wie es wolle, ſo iſt offenbar, daß in der neuern Welt Mittel¬ erſcheinungen nothwendig ſind, in denen der reine Gegenſatz hervor tritt: es iſt nothwendig ſogar, daß dieſer in der Wiſſenſchaft wie in der Kunſt unter den verſchiedenſten Formen im¬ mer wiederkehre, bevor er ſich zur wahrhaft ab¬ ſoluten Identitaͤt verklaͤrt hat.

Der Dualismus als eine nicht nur uͤber¬ haupt, ſondern auch in ſeiner Wiederkehr noth¬ wendige Erſcheinung der neueren Welt muß alſo das Uebergewicht durchaus auf ſeiner Seite haben, wie denn die in einzelnen Individuen durchgebrochene Identitaͤt faſt fuͤr nichts gerech¬136 net werden kann, da dieſe ja von ihrer Zeit ausgeſtoßen und verbannt, von der Nachwelt nur als merkwuͤrdige Beyſpiele des Irrthums begriffen worden ſind.

Da in dem Verhaͤltniß, in welchem die großen Objectivitaͤten der Staatsverfaſſungen und ſelbſt des allgemeinen religioͤſen Vereins verſchwanden, ſich das goͤttliche Princip von der Welt zuruͤckzog, ſo konnte in dem Aeußeren der Natur nichts als der reine entſeelte Leib des Endlichen zuruͤckbleiben, das Licht hatte ſich ganz nach innen gewandt und die Entgegenſe¬ tzung des Subjectiven und Objectiven mußte ih¬ ren hoͤchſten Gipfel erreichen. Wenn man von Spinoza abſieht, ſo iſt ſeit Carteſius, in wel¬ chem die Entzweyung ſich wiſſenſchaftlich be¬ ſtimmt ausgeſprochen hatte, bis auf dieſe Zeit keine ihr entgegengeſetzte Erſcheinung, da auch Leibnitz ſeine Lehre in einer Form aus¬ ſprach, die der Dualismus ſich wieder aneig¬ nen konnte. Durch dieſe Zerreißung der Idee hatte auch das Unendliche ſeine Bedeutung ver¬ loren und diejenige, die es hatte, war eben ſo,137 wie jene Entgegenſetzung, ſelbſt eine bloß ſubje¬ ctive. Dieſe Subjectivitaͤt vollkommen bis zur gaͤnzlichen Verneinung der Realitaͤt des Abſolu¬ ten geltend zu machen, war der erſte Schritt, der zur Wiederherſtellung der Philoſophie ge¬ ſchehen konnte und durch die ſogenannte kriti¬ ſche Philoſophie wirklich geſchehen iſt. Der Idealismus der Wiſſenſchaftslehre hat nachher dieſe Richtung der Philoſophie vollendet. Der Dualismus naͤmlich iſt auch in dem letztern un¬ aufgehoben zuruͤckgeblieben. Aber das Unend¬ liche oder Abſolute im Sinn des Dogmatismus iſt beſtimmter und mit der letzten Wurzel von Realitaͤt, die es in jenem hatte, aufgehoben worden. Als das An-ſich mußte es ein ab¬ ſolut-Objectives ſchlechthin außer dem Ich ſeyn. Dieß iſt undenkbar, indem ja eben die¬ ſes Außer-dem-Ich-Setzen wieder ein Se¬ tzen fuͤr das Ich und demnach auch im Ich iſt. Dieſes iſt der ewige und unaufloͤsliche Cirkel der Reflexion, der durch die Wiſſenſchaftslehre aufs vollkommenſte dargeſtellt iſt. Die Idee des Abſoluten iſt in die Subjectivitaͤt, die ſie der Rich¬138 tung der ſpaͤtern Philoſophie zufolge nothwendig hatte, und aus welcher ſie nur durch einen, ſich ſelbſt misverſtehenden, Dogmatismus ſcheinbar geſetzt worden war, dadurch reſtituirt, daß ſie als eine bloß im Handeln und fuͤr das Handeln ſtattfindende Realitaͤt anerkannt iſt, und man muß demnach den Idealismus in dieſer Form als die vollkommen ausgeſprochene, zum Be¬ wußtſeyn ihrer ſelbſt gekommene, Philoſophie der neuern Welt betrachten.

Im Carteſius, welcher ihr die erſte Rich¬ tung auf die Subjectivitaͤt durch das cogito ergo ſum gab, und deſſen Einleitung der Phi¬ loſophie (in ſeinen Meditationen) mit den ſpaͤ¬ teren Begruͤndungen derſelben im Idealismus in der That ganz gleichlautend iſt, konnten ſich die Richtungen noch nicht rein geſondert darſtel¬ len, die Subjectivitaͤt von der Objectivitaͤt nicht vollkommen geſchieden erſcheinen. Aber ſeine eigentliche Abſicht, ſeine wahre Vorſtel¬ lung von Gott, Welt, Seele hat er deutlicher als durch ſeine Philoſophie, uͤber welche man ihn wegen des Ruhens auf dem ontologiſchen139 Beweis der Realitaͤt Gottes, dieſes Reſtes aͤchter Philoſophie, noch misverſtehen konnte, in ſeiner Phyſik ausgeſprochen. Merkwuͤrdig muß es allgemein erſcheinen, daß durch denſelbi¬ gen Geiſt, in welchem der Dualismus der Philoſophie ſich entſchieden ausbildete, die me¬ chaniſche Phyſik in der neueren Welt zuerſt die Geſtalt des Syſtems annahm. Mit dem um¬ faſſenden Geiſt des Carteſius ließe ſich die An¬ nihilation der Natur, welcher ſich der Idea¬ lismus in der oben angegebenen Geſtalt ruͤhmt, eben ſo wahr und factiſch machen, als ſie es in ſeiner Phyſik wirklich war. Es kann naͤmlich fuͤr die Spekulation nicht den geringſten Unter¬ ſchied machen, ob die Natur in ihrer empiri¬ ſchen Geſtalt, im realen Sinn oder im idealen wirklich iſt. Es iſt voͤllig gleichguͤltig, ob die einzelnen wirklichen Dinge auf die Weiſe wirk¬ lich ſind, wie ſie ein grober Empirismus ſich denkt, oder ob ſie nur, als Affectionen und Beſtimmungen eines jeden Ich, als der abſoluten Subſtanz, dieſem aber wirklich und real inhaͤriren.

140

Die wahre Vernichtung der Natur iſt allerdings die, ſie zu einem Ganzen abſoluter Qualitaͤten, Beſchraͤnktheiten und Affectionen zu machen, welche gleichſam fuͤr ideale Atomen gelten koͤnnen. Im Uebrigen bedarf es keines Beweiſes, daß eine Philoſophie, die irgend ei¬ nen Gegenſatz zuruͤcklaͤßt und nicht wahrhaft die abſolute Harmonie hergeſtellt hat, auch nicht zum abſoluten Wiſſen durchgedrungen ſey und noch weniger dazu bilden koͤnne.

Die Aufgabe, die ſich jeder ſetzen muß, unmittelbar, wie er zur Philoſophie gelangt, iſt: die Eine wahrhaft abſolute Erkenntniß, die ihrer Natur nach auch eine Erkenntniß des Abſoluten iſt, bis zur Totalitaͤt und bis zum vollkommnen Begreifen des Allen in Einem zu verfolgen. Die Philoſophie oͤffnet in dem Ab¬ ſoluten und der Entfernung aller Gegenſaͤtze, wodurch dieſes ſelbſt wieder, es ſey auf ſubje¬ ctive oder objective Weiſe, in eine Beſchraͤnktheit verwandelt worden iſt, nicht nur uͤberhaupt das Reich der Ideen, ſondern auch den wahren Ur¬141 quell aller Erkenntniß der Natur, welche von jenen ſelbſt nur das Werkzeug iſt.

Ich habe die letzte Beſtimmung der neue¬ ren Welt ſchon im Vorhergehenden ausgeſpro¬ chen, eine hoͤhere, wahrhaft alles begreifende, Einheit darzuſtellen; ſie gilt eben ſo ſehr fuͤr die Wiſſenſchaft als fuͤr die Kunſt, und eben damit jene ſey, muͤſſen alle Gegenſaͤtze ſich ent¬ zweyen.

Bisher war von innern Gegenſaͤtzen in der Philoſophie ſelbſt die Rede, ich werde noch ei¬ niger aͤußeren erwaͤhnen muͤſſen, welche ihr Einſeitigkeit, falſche Richtung der Zeit und un¬ vollkommne Begriffe gegeben haben.

[142][143]

Siebente Vorleſung.

Ueber einige aͤußre Gegenſaͤtze der Philoſophie, vornaͤmlich den der poſitiven Wiſſenſchaften.

[144]145

Als ein aͤußerer Gegenſatz der Philoſophie iſt der ſchon fruͤher angefuͤhrte von Wiſſen und Handeln, in ſeiner Anwendung auf jene, zu betrachten. Dieſer iſt keineswegs ein ſolcher, der in dem Geiſt der modernen Kultur uͤberhaupt gegruͤndet waͤre, er iſt ein Produkt der neueſten Zeit, ein unmittelbarer Sproͤßling der wohl¬ bekannten Aufklaͤrerey. Dieſer Richtung zufolge giebt es eigentlich nur eine praktiſche und keine theoretiſche Philoſophie. Wie Kant, nachdem er in der theoretiſchen Philoſophie die Idee Gottes, der Ewigkeit der Seele u. ſ. w. zu bloßen Ideen gemacht hatte, dieſen dagegen in der ſittlichen Geſinnung eine Art von Beglau¬ bigung zu geben ſuchte, ſo ſpricht ſich in jenen Beſtrebungen nur die endlich gluͤckliche Errei¬ chung der vollkommenen Befreyung von Ideen aus, fuͤr welche eine angebliche Sittlichkeit das Aequivalent ſeyn ſoll.

Sittlichkeit iſt Gottaͤhnliche Geſinnung, Erhebung uͤber die Beſtimmung durch das Con¬ crete, ins Reich des ſchlechthin Allgemeinen. 10146Philoſophie iſt gleiche Erhebung und darum mit der Sittlichkeit innig Eins, nicht durch Un¬ teordnung, ſondern durch weſentliche und inne¬ re Gleichheit. Es iſt nur Eine Welt, welche ſo, wie ſie im Abſoluten iſt, jedes in ſeiner Art und Weiſe abzubilden ſtrebt, das Wiſſen als Wiſſen, das Handeln als Handeln. Die Welt des letzten iſt daher in ſich eben ſo abſolut, als die des erſten, und die Moral eine nicht min¬ der ſpekulative Wiſſenſchaft, als die theoreti¬ ſche Philoſophie. Jede beſondere Pflicht ent¬ ſpricht einer beſondern Idee und iſt eine Welt fuͤr ſich, wie jede Gattung in der Natur ihr Ur¬ bild hat, dem ſie ſo viel moͤglich aͤhnlich zu ſeyn trachtet. Die Moral kann daher ſo wenig als Philoſophie ohne Conſtruction gedacht werden. Ich weiß, daß eine Sittenlehre in dieſem Sinne noch nicht exiſtirt, aber die Principien und Elemente einer ſolchen liegen in der hergeſtell¬ ten Abſolutheit der Philoſophie.

Die Sittlichkeit wird in der allgemeinen Freyheit objectivirt und dieſe iſt ſelbſt nur gleich¬ ſam die oͤffentliche Sittlichkeit. Die Conſtruc¬147 tion dieſer ſittlichen Organiſation iſt eine ganz gleiche Aufgabe mit der der Conſtruction der Natur, und ruht auf ſpekulativen Ideen. Der Zerfall der aͤußern und innern ſittlichen Einheit muͤßte ſich durch den Zerfall der Philoſophie und die Aufloͤſung der Ideen ausdruͤcken. So lange es aber nur die ſichtbare Ohnmacht iſt, welche die Sache des gemeinen Verſtandes, da er in ſeiner natuͤrlichen Geſtalt nicht mehr er¬ ſcheinen kann, unter dem erborgten Namen der Sittlichkeit fuͤhrt, iſt dieſer kraftloſe Chor nur die nothwendige, der Schwachheit zugegebene, Begleitung des energiſchen Rhythmus der Zeit.

Die Sittlichkeit, nachdem der Begriff derſelben lange genug bloß negativ geweſen, in ihren poſitiven Formen zu offenbaren, wird ein Werk der Philoſophie ſeyn. Die Scheu vor der Spekulation, das angebliche Forteilen vom bloß Theoretiſchen zum Praktiſchen, bewirkt im Handeln nothwendig die gleiche Flachheit wie im Wiſſen. Das Studium einer ſtreng theo¬ retiſchen Philoſophie macht uns am unmittel¬ barſten mit Ideen vertraut, und nur Ideen10 *148geben dem Handeln Nachdruck und ſittliche Be¬ deutung.

Ich erwaͤhne noch eines andern aͤußern Gegenſatzes, den die Philoſophie gefunden hat, des der Religion. Nicht in dem Sinn, in welchem zu andrer Zeit Vernunft und Glauben im Widerſtreit vorgeſtellt wurden, ſondern in einem, neueren Urſprungs, nach welchem Reli¬ gion als reine Anſchauung des Unendlichen, und Philoſophie, welche als Wiſſenſchaft nothwen¬ dig aus der Identitaͤt derſelben herausgeht, entgegengeſetzt werden. Wir ſuchen vorerſt, uns dieſen Gegenſatz verſtaͤndlich zu machen, um nachher zu finden, worauf es mit ihm ab¬ geſehen ſey.

Daß die Philoſophie ihrem Weſen nach ganz in der Abſolutheit iſt, und auf keine Weiſe aus ihr herausgeht, iſt eine vielfach ausgeſpro¬ chene Behauptung. Sie kennt vom Unendli¬ chen zum Endlichen keinen Uebergang, und be¬ ruht ganz auf der Moͤglichkeit, die Beſonder¬ heit in der Abſolutheit und dieſe in jener zu be¬ greifen, welches der Grund der Lehre von den149 Ideen iſt. Aber eben daß der Philoſoph die Beſonderheit in der Abſolutheit darſtellt, und nicht unmittelbar, wie von Natur, jene in die¬ ſer und dieſe in jener anſchaut, ſetzt ſchon eine vorhergegangene Differenziirung und ein Her¬ ausgehen aus der Identitaͤt voraus. Nach dieſer naͤheren Beſtimmung wuͤrde der hoͤchſte Zuſtand des Geiſtes in Bezug aus das Abſolute ein ſo viel moͤglich bewußtloſes Bruͤten oder ein Stand der gaͤnzlichen Unſchuld ſeyn muͤſſen, in welchem jenes Anſchauen ſich ſogar ſelbſt nicht als Religion begriffe, weil damit ſchon Refle¬ xion und ein Heraustreten aus der Identitaͤt geſetzt waͤre.

Nachdem alſo die Philoſophie die Idee des Abſoluten hergeſtellt, von der Beſchraͤn¬ kung der Subjectivitaͤt befreyt, und in objecti¬ ven Formen, ſo weit ihr dieß verſtattet iſt, dar¬ zuſtellen verſucht hat, iſt jenes als ein neues und gleichſam das letzte Mittel der Subjectivi¬ rung ergriffen worden, die Wiſſenſchaft zu ver¬ achten, weil dieſe allgemeinguͤltig, der Form¬ loſigkeit entgegengeſetzt, und mit Einem Wort,150 weil ſie Wiſſenſchaft iſt. Es iſt nicht zu ver¬ wundern, daß in einem Zeitalter, wo ein be¬ ſtimmter Dilettantismus ſich faſt uͤber alle Ge¬ genſtaͤnde verbreitet hat, auch das Heiligſte ihm nicht entgehen konnte, und dieſe Art des Nichtkoͤnnens oder Nichtwollens ſich in die Re¬ ligion zuruͤckzieht, um den hoͤhern Anfoderun¬ gen zu entgehen.

Preis denen, die das Weſen der Religion neu verkuͤndet, mit Leben und Energie darge¬ ſtellt und ihre Unabhaͤngigkeit von Moral und Philoſophie behauptet haben! Wenn ſie wol¬ len, daß Religion nicht durch Philoſophie er¬ langt werde, ſo muͤſſen ſie mit dem gleichen Grunde wollen, daß Religion nicht die Philo¬ ſophie geben, oder an ihre Stelle treten koͤnne. Was unabhaͤngig von allem objectiven Vermoͤ¬ gen erreicht werden kann, iſt jene Harmonie mit ſich ſelbſt, die zur innern Schoͤnheit wird; aber dieſe auch objectiv, es ſey in Wiſſenſchaft oder Kunſt, darzuſtellen, iſt eine von jener bloß ſubjectiven Genialitaͤt ſehr verſchiedene Auf¬ gabe. Die daher ihr an ſich loͤbliches Beſtre¬151 ben nach jener Harmonie, oder wohl gar nur das lebhaft gefuͤhlte Beduͤrfniß derſelben, fuͤr das Vermoͤgen halten, ſie auch aͤußerlich zu of¬ fenbaren, werden ohne die hoͤhere Bedingung mehr nur die Sehnſucht nach Poeſie und Phi¬ loſophie, als ſie ſelbſt, ausdruͤcken, in beyden auf das Formloſe wirken, in der Philoſophie das Syſtem verrufen, das ſie, gleicherweiſe, zu machen und als Symbolik zu verſtehen unfaͤ¬ hig ſind.

Auch Poeſie alſo und Philoſophie, welche eine andere Art des Dilettantismus entgegen¬ ſetzt, ſind ſich darin gleich, daß zu beyden ein aus ſich ſelbſt gezeugtes, urſpruͤnglich ausge¬ bohrnes Bild der Welt erfodert wird. Der groͤßere Theil haͤlt ſich mit einem bloß ſocialen Bild der Welt zur Kunſt hinlaͤnglich ausgeruͤ¬ ſtet und faͤhig, die ewigen Ideen derſelben aus¬ zudruͤcken: immer noch der beſſere im Ver¬ gleich mit jenen, die ohne die geringſte Erfah¬ rung der Welt, mit der Einfalt der Kinder, truͤbſelig dichten. Der Empirismus iſt in der Poeſie eben ſo wohl und allgemeiner als in der152 Philoſophie herrſchend. Diejenigen, die auch etwa zufaͤlligerweiſe in Erfahrung gebracht, daß alle Kunſt von der Anſchauung der Natur und des Univerſum aus und in ſie zuruͤckkehre, hal¬ ten dieſer Vorſtellung zufolge die einzelnen Er¬ ſcheinungen oder uͤberhaupt Beſonderheiten fuͤr die Natur, und meynen, die ihr eingebohrne Poeſie aufs vollkommenſte zu faſſen, indem ſie jene zu Allegorieen von Empfindungen und Ge¬ muͤthszuſtaͤnden machen, womit denn, wie leicht zu ſehen, dem Empirismus und der Sub¬ jectivitaͤt, beyden ihr hoͤchſtes Recht widerfaͤhrt.

In der oberſten Wiſſenſchaft iſt alles Eins und urſpruͤnglich verknuͤpft, Natur und Gott, Wiſſenſchaft und Kunſt, Religion und Poeſie, und wenn ſie in ſich alle Gegenſaͤtze aufhebt, ſteht ſie auch mit nichts anderm nach außen in wahrhafter oder anderer Entgegenſetzung, als welche die Unwiſſenſchaftlichkeit, der Empiris¬ mus, oder eine oberflaͤchliche Liebhaberey, ohne Gehalt und Ernſt, machen moͤgen.

Die Philoſophie iſt unmittelbare Darſtel¬ lung und Wiſſenſchaft des Urwiſſens ſelbſt, aber153 ſie iſt es nur ideal, nicht real. Koͤnnte die Intelligenz, in Einem Akt des Wiſſens, das abſolute Ganze, als ein in allen Theilen vollen¬ detes Syſtem real begreifen, ſo hoͤrte ſie eben damit auf endlich zu ſeyn, ſie begriffe Alles wirklich als Eines, aber ſie begriffe eben des¬ wegen Nichts als Beſtimmtes.

Die reale Darſtellung des Urwiſſens iſt alles andere Wiſſen, aber in dieſem herrſcht auch die Abſonderung und Trennung, und es kann nie in dem Individuum real Eins wer¬ den, ſondern allein in der Gattung, und auch in dieſer nur fuͤr eine intellectuelle Anſchauung, die den unendlichen Fortſchritt als Gegenwart erblickt.

Nun iſt aber allgemein einzuſehen, daß das Reell-Werden einer Idee in beſtaͤndigem Fortſchritt, ſo daß zwar nie das Einzelne, aber doch das Ganze ihr angemeſſen iſt, ſich als Ge¬ ſchichte ausdruͤcke. Geſchichte iſt weder das rein Verſtandes-Geſetzmaͤßige, dem Begriff Unterworfene, noch das rein Geſetzloſe, ſon¬ dern was, mit dem Schein der Freyheit im154 Einzelnen, Nothwendigkeit im Ganzen verbin¬ det. Das wirkliche Wiſſen, da es ſucceſſive Offenbarung des Urwiſſens iſt, hat demnach nothwendig eine hiſtoriſche Seite, und in wie fern alle Geſchichte auf die Realiſirung eines aͤußern Organismus als Ausdrucks von Ideen geht, hat die Wiſſenſchaft auch das nothwen¬ dige Streben, ſich eine objective Erſcheinung und aͤußere Exiſtenz zu geben.

Dieſe aͤußere Erſcheinung kann nur der Abdruck des innern Organismus des Urwiſſens ſelbſt, und alſo der Philoſophie ſeyn, nur daß ſie getrennt darſtellt, was in jenem, und eben ſo in dieſer, Eines iſt.

Wir haben demnach vorerſt den innern Typus der Philoſophie von dem gemeinſchaft¬ lichen Quell der Form und des Stoffes abzulei¬ ten, um jenem gemaͤß die Form eines aͤußern Organismus, in welchem das Wiſſen wahrhaft objectiv wird, zu beſtimmen.

Die reine Abſolutheit fuͤr ſich iſt nothwen¬ dig auch reine Identitaͤt, aber die abſolute Form dieſer Identitaͤt iſt: ſich ſelbſt auf ewige155 Weiſe Subject und Object zu ſeyn; dieſes koͤn¬ nen wir als bereits bewieſen vorausſetzen. Nicht das Subjective oder Objective in dieſem ewigen Erkenntnißakt, als ſolches, iſt die Abſo¬ lutheit, ſondern das, was von beyden das gleiche Weſen iſt, und was eben deswegen durch keine Differenz getruͤbt wird. Dieſelbe identiſche Weſenheit iſt in dem, was wir die objective Seite jenes abſoluten Producirens nennen koͤnnen, als Idealitaͤt in die Realitaͤt, und in dem, was die ſubjective, als Realitaͤt in die Idealitaͤt gebildet, ſo daß in jeder von bey¬ den die gleiche Subject-Objectivitaͤt, und in der abſoluten Form auch das ganze Weſen des Abſoluten geſetzt iſt.

Bezeichnen wir dieſe zwey Seiten als zwey Einheiten, ſo iſt das Abſolute an ſich weder die eine noch die andere dieſer Einheiten, denn es ſelbſt iſt ja eben nur die Identitaͤt, das gleiche Weſen einer jeden und dadurch beydes, und demnach ſind beyde im Abſoluten, obwohl auf eine nicht unterſchiedene Weiſe, da in bey¬156 den der Form und dem Weſen nach daſſel¬ bige iſt.

Wird nun das Abſolute als dasjenige auf¬ gefaßt, was an ſich reine Identitaͤt, aber als dieſe zugleich das nothwendige Weſen der bey¬ den Einheiten iſt, ſo haben wir damit den abſoluten Indifferenzpunct der Form und des Weſens aufgefaßt, denjenigen, von dem alle Wiſſenſchaft und Erkenntniß ausfließt.

Jede der beyden Einheiten iſt in der Ab¬ ſolutheit was die andere iſt. Aber ſo nothwendig die weſentliche Einheit beyder der Karakter der Abſolutheit ſelbſt iſt, ſo nothwendig iſt es, daß beyde in der Nicht-Abſolutheit als Nicht-Ei¬ nes und verſchieden erſcheinen. Denn geſetzt in der Erſcheinung wuͤrde nur die eine unter¬ ſchieden, ſo waͤre dieſe auch als die eine im Abſoluten; demnach als ausſchließend die ent¬ gegengeſetzte, und ſonach ſelbſt als nicht abſo¬ lut, welches gegen die Vorausſetzung iſt.

Beyde differenziiren ſich alſo fuͤr die Er¬ ſcheinung nothwendig, wie ſich das abſolute Le¬157 ben der Weltkoͤrper durch zwey relativ-verſchie¬ dene Brennpuncte ausdruͤckt. Die Form, die in der Abſolutheit mit dem Weſen Eines und es ſelbſt war, wird als Form unterſchieden. In der erſten als Einbildung der ewigen Ein¬ heit in die Vielheit, der Unendlichkeit in die Endlichkeit. Dieſes iſt die Form der Natur, welche, wie ſie erſcheint, jederzeit nur ein Mo¬ ment oder Durchgangspunct in dem ewigen Akt der Einbildung der Identitaͤt in die Differenz iſt. Nein fuͤr ſich betrachtet iſt ſie die Einheit, wo¬ durch ſich die Dinge oder Ideen von der Iden¬ titaͤt als ihrem Centro entfernen und in ſich ſelbſt ſind. Die Naturſeite iſt alſo an ſich ſelbſt nur die eine Seite aller Dinge.

Die Form der andern Einheit wird als Einbildung der Vielheit in die Einheit, der Endlichkeit in die Unendlichkeit unterſchieden und iſt die der idealen oder geiſtigen Welt. Dieſe rein fuͤr ſich betrachtet iſt die Einheit, wodurch die Dinge in die Identitaͤt als ihr Centrum zuruͤckgehen und im Unendlichen ſind, wie ſie durch die erſte in ſich ſelbſt ſind.

158

Die Philoſophie betrachtet die beyden Ein¬ heiten nur in der Abſolutheit und demnach auch nur in[i]deeller, nicht reeller Entgegenſetzung. Ihr nothwendiger Typus iſt: den abſoluten Centralpunct gleicherweiſe in den beyden relati¬ ven und hinwiederum dieſe in jenem darzuſtel¬ len, und dieſe Grundform, welche im Ganzen ihrer Wiſſenſchaft herrſchend iſt, wiederholt ſich nothwendig auch im Einzelnen.

Dieſer innere Organismus des Urwiſſens und der Philoſophie iſt es nun auch, welcher in dem aͤußeren Ganzen der Wiſſenſchaften ſich ausdruͤcken, und durch Trennung und Ver¬ bindung derſelben zu einem Koͤrper conſtruiren muß.

Alles Objectivwerden des Wiſſens geſchieht nur durch Handeln, welches ſelbſt wieder ſich aͤußerlich durch ideale Producte ausdruͤckt. Das allgemeinſte derſelben iſt der Staat, der, wie ſchon fruͤher bemerkt wurde, nach dem Urbild der Ideenwelt geformt iſt. Aber eben weil der Staat ſelbſt nur ein objectiv gewordenes Wiſſen iſt, begreift er nothwendig in ſich wieder einen159 aͤußern Organismus fuͤr das Wiſſen als ſolches, gleichſam einen ideellen und geiſtigen Staat: die Wiſſenſchaften aber, in ſo fern ſie durch oder in Bezug auf den Staat Objectivitaͤt er¬ langen, heißen poſitive Wiſſenſchaften. Der Uebergang in die Objectivitaͤt ſetzt nothwendig die allgemeine Trennung der Wiſſenſchaften als beſonderer, da ſie nur im Urwiſſen Eins ſind. Aber der aͤußere Schematismus ihrer Tren¬ nung und ihrer Vereinigung muß doch wieder nach dem Bild des innern Typus der Philoſo¬ phie entworfen ſeyn. Nun beruht dieſer vor¬ zuͤglich auf drey Puncten, dem abſoluten In¬ differenzpunct, in welchem reale und ideale Welt als Eins erblickt werden, und den zwey nur relativ oder ideell entgegengeſetzten, wovon der eine der im Realen ausgedruͤckte abſolute und das Centrum der realen Welt, der andere der im Idealen ausgedruͤckte abſolute und das Centrum der idealen Welt iſt. Es wird alſo auch der aͤußere Organismus des Wiſſens vor¬ zuͤglich auf drey von einander geſchiedenen und160 doch aͤußerlich verbundenen Wiſſenſchaften be¬ ruhen.

Die erſte, welche den abſoluten Indiffe¬ renzpunct objectiv darſtellt, wird die unmittel¬ bare Wiſſenſchaft des abſoluten und goͤttlichen Weſens, demnach die Theologie ſeyn.

Von den beyden andern wird diejenige, welche die reelle Seite der Philoſophie fuͤr ſich nimmt und dieſe aͤußerlich repraͤſentirt, die Wiſſenſchaft der Natur, und in ſo fern dieſe nicht nur uͤberhaupt ſich in der des Organis¬ mus concentrirt, ſondern auch, wie nachher naͤher gezeigt werden ſoll, nur in der Bezie¬ hung auf denſelben poſitiv ſeyn kann, die Wiſſen¬ ſchaft des Organismus, alſo die Medicin, ſeyn.

Die, welche die ideelle Seite der Philoſo¬ phie in ſich getrennt objectivirt, wird allgemein die Wiſſenſchaft der Geſchichte, und in wie fern das vorzuͤglichſte Werk der letzten die Bil¬ dung der Rechtsverfaſſung iſt, die Wiſſenſchaft des Rechts, oder die Jurisprudenz, ſeyn.

In ſo fern die Wiſſenſchaften durch den Staat und in ihm eine wirklich objective Exi¬161 ſtenz erlangen, eine Macht werden, heißen die Verbindungen fuͤr jede derſelben insbeſondere, Facultaͤten. Um von den Verhaͤltniſſen derſel¬ ben unter einander das Noͤthige zu bemerken, beſonders da Kant in der Schrift: Streit der Facultaͤten, dieſe Frage nach ſehr einſeitigen Geſichtspuncten betrachtet zu haben ſcheint, ſo iſt offenbar, daß die Theologie, als diejenige, in welcher das Innerſte der Philoſophie objec¬ tivirt iſt, die erſte und oberſte ſeyn muͤſſe: in ſo fern das Ideale die hoͤhere Potenz des Rea¬ len iſt, folgt, daß die juridiſche Fakultaͤt der mediciniſchen vorangehe. Was aber die philo¬ ſophiſche betrifft, ſo iſt meine Behauptung, daß es uͤberhaupt keine ſolche gebe, noch geben koͤnne, und der ganz einfache Beweis dafuͤr iſt: daß das, was Alles iſt, eben deswegen nichts insbeſondere ſeyn kann.

Es iſt die Philoſophie ſelbſt, welche in den drey poſitiven Wiſſenſchaften objectiv wird, aber ſie wird durch keine einzelne derſelben in ihrer Totalitaͤt objectiv. Die wahre Objectivi¬ taͤt der Philoſophie in ihrer Totalitaͤt iſt nur11162die Kunſt; es koͤnnte alſo auf jeden Fall keine philoſophiſche, ſondern nur eine Facultaͤt der Kuͤnſte geben. Allein die Kuͤnſte koͤnnen nie eine aͤußere Macht und eben ſo wenig durch den Staat privilegirt als beſchraͤnkt ſeyn. Es giebt alſo nur freye Verbindungen fuͤr die Kunſt: und dieß war auch auf den aͤlteren Univerſitaͤten der Sinn der jetzt ſogenannten philoſophiſchen Facultaͤt, welche Collegium Artium hieß, wie die Mitglieder deſſelben Ar¬ tiſten. Dieſe Verſchiedenheit der philoſophi¬ ſchen Facultaͤt von den uͤbrigen hat ſich bis jetzt noch darin erhalten, daß jene nicht wie dieſe privilegirte, dagegen auch in Staatspflicht ge¬ nommene Meiſter (Doctores), ſondern Lehrer (Magistros) der freyen Kuͤnſte creirt.

Man koͤnnte ſich uͤber die aufgeſtellte Be¬ hauptung auch darauf berufen, daß wo philo¬ ſophiſche Facultaͤten ſich nicht, ihrer erſten Be¬ ſtimmung gemaͤß, als freye Vereinigungen fuͤr die Kunſt betrachtet haben, und der beſondere Geiſt der Innung in ihnen herrſchend war, ſie im Ganzen und Einzelnen Carricatur und Ge¬163 genſtand des allgemeinen Spottes wurden, da ſie ihrem Beruf nach billig die hoͤchſte und all¬ gemeinſte Achtung genießen ſollten.

Daß Theologie und Jurisprudenz eine po¬ ſitive Seite haben, wird allgemein angenom¬ men; verwickelter iſt es, dieſelbe fuͤr die Na¬ turwiſſenſchaft aufzuzeigen. Die Natur iſt eine geſchloſſene in ſich ruhende Objectivwerdung des Urwiſſens; ihr Geſetz iſt die Endlichkeit wie das der Geſchichte die Unendlichkeit. Hier kann alſo das Hiſtoriſche des Wiſſens nicht in den Gegenſtand an und fuͤr ſich, ſondern nur in das Subject fallen: die Natur handelt im¬ mer in ihrer Integritaͤt und mit offenbarer Nothwendigkeit, und in wie fern ein einzelnes Handeln oder eine Begebenheit als ſolche in ihr geſetzt werden ſoll, muß es durch die Beſtim¬ mung des Subjects geſchehen. Ein ſolches Beſtimmen der Natur zum Handeln, unter ge¬ wiſſen Bedingungen mit Ausſchluß anderer, iſt, was Experiment heißt. Dieſes alſo giebt der Naturlehre eine hiſtoriſche Seite, da es eine veranſtaltete Begebenheit iſt, von welcher, wer11*164ſie veranſtaltet, den Zeugen macht. Aber auch in dieſem Sinne hat die Naturwiſſenſchaft doch nicht jene aͤußere Exiſtenz, wie z. B. die Rechtsgelehrſamkeit; ſie wird daher zu den po¬ ſitiven nur in ſo fern gezaͤhlt, als das Wiſſen in ihr zur aͤußern und oͤffentlichen Pflicht wird. Dieſes iſt allein in der Medicin der Fall.

Damit haben wir den ganzen Koͤrper der poſitiven Wiſſenſchaften in ſeinem Gegenſatz gegen Philoſophie, und den Widerſtreit des abſoluten und hiſtoriſchen Wiſſens in ſeiner ganzen Ausdehnung. Was im allgemeinen uͤber die Behandlung aller beſondern Faͤcher im Geiſt der Ein - und Allheit geſagt wurde, wird erſt jetzt die Probe der Ausfuͤhrbarkeit beſtehen, und ſeiner Moͤglichkeit nach gerechtfertigt wer¬ den muͤſſen.

[165]

Achte Vorleſung.

Ueber die hiſtoriſche Conſtru¬ ction des Chriſtenthums.

[166]167

Die realen Wiſſenſchaften uͤberhaupt koͤnnen von der abſoluten als der idealen allein durch das hiſtoriſche Element geſchieden oder beſon¬ dere ſeyn. Aber die Theologie hat außer die¬ ſer allgemeinen Beziehung auf die Geſchichte noch eine, die ihr ganz eigenthuͤmlich iſt und zu ihrem Weſen insbeſondere gehoͤrt.

Da ſie als das wahre Centrum des Objec¬ tivwerdens der Philoſophie vorzugsweiſe in ſpe¬ culativen Ideen iſt, ſo iſt ſie uͤberhaupt die hoͤchſte Syntheſe des philoſophiſchen und hiſto¬ riſchen Wiſſens; und als ſolche ſie darzuſtellen, iſt der Hauptzweck folgender Betrachtungen.

Ich gruͤnde die hiſtoriſche Beziehung der Theologie nicht allein darauf: daß der erſte Ur¬ ſprung der Religion uͤberhaupt, ſo wie jeder andern Erkenntniß und Cultur allein aus dem Unterricht hoͤherer Naturen begreiflich iſt, alle Religion alſo in ihrem erſten Daſeyn ſchon Ue¬ berlieferung war; denn was die ſonſt gangba¬168 ren empiriſchen Erklaͤrungsalten betrifft, de¬ ren einige die erſte Idee von Gott oder Goͤt¬ tern aus Furcht, aus Dankbarkeit, oder an¬ dern Gemuͤthsbewegungen, andere durch eine ſchlaue Erfindung der erſten Geſetzgeber entſte¬ hen laſſen, ſo begreifen jene die Idee Gottes uͤberhaupt nur als die pſychologiſche Erſchei¬ nung, ſo wie dieſe weder erklaͤren, wie nur uͤberhaupt jemand zuerſt den Gedanken gefaßt, ſich zum Geſetzgeber eines Volkes zu machen, noch wie er Religion insbeſondere als Schreckmittel zu brauchen ſich einfallen laſſen konnte, ohne zuvor die Idee derſelben aus einer andern Quelle zu haben. Unter der Menge falſcher und ideenloſer Verſuche der letzten Zeit ſtehen die ſogenannten Geſchichten der Menſchheit oben an, welche ihre Vorſtellungen von dem erſten Zuſtand unſers Geſchlechts von den aus Rei¬ ſebeſchreibungen compilirten Zuͤgen der Rohheit wilder Voͤlker hernehmen, welche daher auch in ihnen die vornehmſte Rolle ſpielen. Es giebt keinen Zuſtand der Barbarey, der nicht aus ei¬ ner untergegangenen Cultur herſtammte. Den169 kuͤnftigen Bemuͤhungen der Erdgeſchichte iſt es vorbehalten, zu zeigen, wie auch jene, in einem Zuſtand der Wildheit lebende, Voͤlker nur von dem Zuſammenhang mit der uͤbrigen Welt durch Revolutionen losgeriſſene und zum Theil zerſprengte Voͤlkerſchaften ſind, die der Verbin¬ dung und der ſchon erworbenen Mittel der Cul¬ tur beraubt in den gegenwaͤrtigen Zuſtand zu¬ ruͤckſanken. Ich halte den Zuſtand der Cultur durchaus fuͤr den erſten des Menſchengeſchlechts, und die erſte Gruͤndung der Staaten, der Wiſ¬ ſenſchaften, der Religion und der Kuͤnſte fuͤr gleichzeitig oder vielmehr fuͤr Eins, ſo daß dieß alles nicht wahrhaft geſondert, ſondern in der vollkommenſten Durchdringung war, wie es einſt in der letzten Vollendung wieder ſeyn wird.

Auch darauf gruͤndet ſich die hiſtoriſche Beziehung der Theologie nicht allein, daß die beſondern Formen des Chriſtenthums, in wel¬ chen die Religion unter uns exiſtirt, nur ge¬ ſchichtlich erkannt werden koͤnnen.

Die abſolute Beziehung iſt, daß in dem170 Chriſtenthum das Univerſum uͤberhaupt als Geſchichte, als moraliſches Reich, angeſchaut wird, und daß dieſe allgemeine Anſchauung den Grundkarakter deſſelben ausmacht. Voll¬ kommen koͤnnen wir dieß nur im Gegenſatz ge¬ gen die Religion hauptſaͤchlich des griechiſchen Alterthums einſehen. Wenn ich der noch aͤl¬ teren, vorzuͤglich der Indiſchen nicht erwaͤhne, ſo iſt es, weil ſie in dieſer Beziehung keinen Gegenſatz bildet, ohne deswegen, nach meiner Meynung, die Einheit zu ſeyn. Die Anſicht von dieſer hier vollſtaͤndig mitzutheilen, erlau¬ ben die nothwendigen Schranken dieſer Unter¬ ſuchung nicht, wir werden ſie daher nur beylaͤu¬ fig ausſprechen oder beruͤhren koͤnnen. Die Mythologie der Griechen war eine geſchloſſene Welt von Symbolen der Ideen, welche real nur als Goͤtter angeſchaut werden koͤnnen. Reine Begraͤnzung von der einen und unge¬ theilte Abſolutheit von der andern Seite iſt das beſtimmende Geſetz jeder einzelnen Goͤtter¬ geſtalt, eben ſo wie der Goͤtterwelt im Ganzen. Das Unendliche wurde nur im Endlichen an¬171 geſchaut und auf dieſe Weiſe ſelbſt der Endlich¬ keit untergeordnet. Die Goͤtter waren Weſen einer hoͤhern Natur, bleibende unwandelbare Geſtalten. Ganz anders iſt das Verhaͤltniß ei¬ ner Religion, die auf das Unendliche unmittel¬ bar an ſich ſelbſt geht, in welcher das Endliche nicht als Symbol des Unendlichen, zugleich um ſeiner ſelbſt willen, ſondern nur als Allegorie des erſten und in der gaͤnzlichen Unterordnung un¬ ter daſſelbe gedacht wird. Das Ganze, worin die Ideen einer ſolchen Religion objectiv wer¬ den, iſt nothwendig ſelbſt ein Unendliches, keine nach allen Seiten vollendete und begraͤnzte Welt: die Geſtalten nicht bleibend, ſondern erſcheinend, nicht ewige Naturweſen, ſondern hiſtoriſche Geſtalten, in denen ſich das Goͤtt¬ liche nur voruͤbergehend offenbaret, und deren fluͤchtige Erſcheinung allein durch den Glauben feſtgehalten werden kann, niemals aber in eine abſolute Gegenwart verwandelt wird.

Da, wo das Unendliche ſelbſt endlich wer¬ den kann, kann es auch Vielheit werden; es iſt Polytheismus moͤglich: da, wo es durch das172 Endliche nur bedeutet wird, bleibt es nothwen¬ dig Eins und es iſt kein Polytheismus als ein Zugleichſeyn goͤttlicher Geſtalten moͤglich. Er entſpringt durch Syntheſe der Abſolutheit mit der Begraͤnzung, ſo daß in derſelben weder die Abſolutheit der Form nach, noch die Begraͤn¬ zung aufgehoben wird. In einer Religion wie das Chriſtenthum kann dieſe nicht von der Na¬ tur hergenommen werden, da ſie das Endliche uͤberhaupt nicht als Symbol des Unendlichen und in unabhaͤngiger Bedeutung begreift. Sie kann alſo nur von dem, was in die Zeit faͤllt, demnach der Geſchichte hergenommen ſeyn und darum iſt das Chriſtenthum ſeinem inner¬ ſten Geiſt nach und im hoͤchſten Sinne hiſto¬ riſch. Jeder beſondere Moment der Zeit iſt Offenbarung einer beſondern Seite Gottes, in deren jeder er abſolut iſt; was die griechiſche Religion als ein Zumal hatte, hat das Chri¬ ſtenthum als ein Nacheinander, wenn gleich die Zeit der Sonderung der Erſcheinungen und mit ihr der Geſtaltung noch nicht gekommen iſt.

Es iſt ſchon fruͤher angedeutet worden, daß173 ſich Natur und Geſchichte uͤberhaupt als die reale und ideale Einheit verhalten; aber eben ſo verhaͤlt ſich die Religion der griechiſchen Welt zu der chriſtlichen, in welcher das Goͤttliche aufgehoͤrt hat, ſich in der Natur zu offenbaren und nur in der Geſchichte erkennbar iſt. Die Natur iſt allgemein die Sphaͤre des In-ſich - ſelbſt-Seyns der Dinge, in der dieſe, kraft der Einbildung des Unendlichen in ihr Endli¬ ches, als Symbole der Ideen zugleich ein von ihrer Bedeutung unabhaͤngiges Leben haben. Gott wird daher in der Natur gleichſam exote¬ riſch, das Ideale erſcheint durch ein Anderes als es ſelbſt, durch ein Seyn; aber nur in wie fern dieſes Seyn fuͤr das Weſen, das Sym¬ bol unabhaͤngig von der Idee, genommen wird, iſt das Goͤttliche wahrhaft exoteriſch, der Idee nach aber eſoteriſch. In der idealen Welt, alſo vornehmlich der Geſchichte, legt das Goͤttliche die Huͤlle ab, ſie iſt das lautgewordene Myſte¬ rium des goͤttlichen Reiches.

Wie in den Sinnbildern der Natur lag in den griechiſchen Dichtungen die Intellectual¬174 welt wie in einer Knoſpe verſchloſſen, verhuͤllt im Gegenſtand und unausgeſprochen im Sub¬ ject. Das Chriſtenthum dagegen iſt das geof¬ fenbarte Myſterium und, wie das Heidenthum ſeiner Natur nach exoteriſch, eben ſo ſeiner Na¬ tur nach eſoteriſch.

Mit dem Chriſtenthum mußte ſich eben deswegen auch das ganze Verhaͤltniß der Natur und der idealen Welt umkehren, und wie jene im Heidenthum das Offenbare war, dagegen dieſe als Myſterium zuruͤcktrat, ſo mußte im Chriſtenthum vielmehr, in dem Verhaͤltniß als die ideelle Welt offenbar wurde, die Natur als Geheimniß zuruͤcktreten. Den Griechen war die Natur unmittelbar und an ſich ſelbſt goͤtt¬ lich, weil auch ihre Goͤtter nicht außer - und uͤbernatuͤrlich waren. Der neueren Welt war ſie verſchloſſen, weil dieſe ſie nicht an ſich ſelbſt, ſondern als Gleichniß der unſichtbaren und gei¬ ſtigen Welt begriff. Die lebendigſten Erſchei¬ nungen der Natur, wie die der Electricitaͤt und der Koͤrper, wenn ſie ſich chemiſch veraͤndern, waren den Alten kaum bekannt, oder erweckten175 wenigſtens unter ihnen nicht den allgemeinen Enthuſiasmus, mit dem ſie in der neueren Welt aufgenommen wurden. Die hoͤchſte Re¬ ligioſitaͤt, die ſich in dem chriſtlichen Myſticis¬ mus ausdruͤckte, hielt das Geheimniß der Na¬ tur und das der Menſchwerdung Gottes fuͤr Eins und Daſſelbe.

Ich habe ſchon anderwaͤrts (im Syſtem des transcendentalen Idealismus) gezeigt, daß wir uͤberhaupt drey Perioden der Geſchichte, die der Natur, des Schickſals und der Vorſe¬ hung annehmen muͤſſen. Dieſe drey Ideen druͤcken dieſelbe Identitaͤt, aber auf verſchiedene Weiſe aus. Auch das Schickſal iſt Vorſehung, aber im Realen erkannt, wie die Vorſehung auch Schickſal iſt, aber im Idealen angeſchaut. Die ewige Nothwendigkeit offenbart ſich, in der Zeit der Identitaͤt mit ihr, als Natur, wo der Widerſtreit des Unendlichen und Endlichen noch im gemeinſchaftlichen Keim des Endlichen verſchloſſen ruht. So in der Zeit der ſchoͤnſten Bluͤthe der griechiſchen Religion und Poeſie. Mit dem Abfall von ihr offenbart ſie ſich als176 Schickſal, indem ſie in den wirklichen Wider¬ ſtreit mit der Freyheit tritt. Dieß war das Ende der alten Welt, deren Geſchichte eben deswegen im Ganzen genommen als die tragi¬ ſche Periode betrachtet werden kann. Die neue Welt beginnt mit einem allgemeinen Suͤnden¬ fall, einem Abbrechen des Menſchen von der Natur. Nicht die Hingabe an dieſe ſelbſt iſt die Suͤnde, ſondern, ſo lange ſie ohne Bewußt¬ ſeyn des Gegentheils iſt, vielmehr das goldne Zeitalter. Das Bewußtſeyn daruͤber hebt die Unſchuld auf und fodert daher auch unmittel¬ bar die Verſoͤhnung und die freywillige Unter¬ werfung, in der die Freyheit als beſiegt und ſiegend zugleich aus dem Kampf hervorgeht. Dieſe bewußte Verſoͤhnung, die an die Stelle der bewußtloſen Identitaͤt mit der Natur und an die der Entzweyung mit dem Schickſal tritt, und auf einer hoͤhern Stufe die Einheit wieder¬ herſtellt, iſt in der Idee der Vorſehung ausge¬ druͤckt. Das Chriſtenthum alſo leitet in der Geſchichte jene Periode der Vorſehung ein, wie die in ihm herrſchende Anſchauung des Univer¬177 ſum, die Anſchauung deſſelben als Geſchichte und als einer Welt der Vorſehung iſt.

Dieß iſt die große hiſtoriſche Richtung des Chriſtenthums: dieß der Grund, warum die Wiſſenſchaft der Religion in ihm von der Ge¬ ſchichte unzertrennlich, ja mit ihr voͤllig Eins ſeyn muß. Jene Syntheſe mit der Geſchichte, oh¬ ne welche Theologie ſelbſt nicht gedacht werden kann, fodert aber hinwiederum zu ihrer Bedin¬ gung die hoͤhere chriſtliche Anſicht der Ge¬ ſchichte.

Der Gegenſatz, der insgemein zwiſchen Hiſtorie und Philoſophie gemacht wird, be¬ ſteht nur, ſo lange die Geſchichte als eine Rei¬ he zufaͤlliger Begebenheiten, oder als bloß em¬ piriſche Nothwendigkeit begriffen wird: das erſte iſt die ganz gemeine Anſicht, uͤber die ſich die andere zu erheben meynt, da ſie ihr an Be¬ ſchraͤnkung gleich iſt. Auch die Geſchichte kommt aus einer ewigen Einheit, und hat ihre Wurzel eben ſo im Abſoluten wie die Natur, oder irgend ein anderer Gegenſtand des Wiſ¬ ſens. Die Zufaͤlligkeit der Begebenheiten und12178Handlungen findet der gemeine Verſtand vor¬ zuͤglich durch die Zufaͤlligkeit der Individuen begruͤndet. Ich frage dagegen: was iſt denn dieſes oder jenes Individuum anders, als eben das, welches dieſe oder jene beſtimmte Handlung ausgefuͤhrt hat; einen andern Be¬ griff giebt es von ihm nicht: war alſo die Handlung nothwendig, ſo war es auch das In¬ dividuum. Was ſelbſt von einem noch unter¬ geordneten Standpunct allein als frey und demnach objectiv zufaͤllig in allem Handeln er¬ ſcheinen kann, iſt bloß, daß das Individuum von dem, was vorherbeſtimmt und nothwen¬ dig iſt, dieſes Beſtimmte gerade zu ſeiner That macht: uͤbrigens aber und was den Er¬ folg betrifft, iſt es, im Guten wie im Boͤſen, Werkzeug der abſoluten Nothwendigkeit.

Die empiriſche Nothwendigkeit iſt nichts anders als eine Art, die Zufaͤlligkeit durch ein Zuruͤckſchieben der Nothwendigkeit ins Unend¬ liche zu verlaͤngern. Wenn wir dieſe Art der Nothwendigkeit in der Natur nur fuͤr die Er¬ ſcheinung gelten laſſen, wie vielmehr in der179 Geſchichte? Wer, von hoͤherem Sinn, wird ſich bereden, daß Begebenheiten, wie die Aus¬ bildung des Chriſtenthums, die Voͤlkerwande¬ rung, die Kreuzzuͤge und ſo viele andere große Ereigniſſe, ihren wahren Grund in den empi¬ riſchen Urſachen gehabt haben, die man ge¬ woͤhnlich dafuͤr ausgiebt? Und wenn dieſe wirklich obwalteten, ſo ſind ſie in dieſer Bezie¬ hung wiederum nur die Werkzeuge einer ewi¬ gen Ordnung der Dinge.

Was von Geſchichte uͤberhaupt gilt, muß insbeſondere von der der Religion gelten, naͤm¬ lich daß ſie in einer ewigen Nothwendigkeit ge¬ gruͤndet und alſo eine Conſtruction derſelben moͤglich ſey, wodurch ſie mit der Wiſſenſchaft der Religion innigſt Eins und verbunden wird.

Die hiſtoriſche Conſtruction des Chriſten¬ thums kann von keinem andern Punct, als der allgemeinen Anſicht ausgehen, daß das Univerſum uͤberhaupt und ſo auch in wie fern es Geſchichte iſt nothwendig nach zwey Sei¬ ten differenziirt erſcheine, und dieſer Gegenſatz, welchen die neuere Welt gegen die alte macht,12 *180ſt fuͤr ſich zureichend, das Weſen und alle be¬ ſondere Beſtimmungen des Chriſtenthums ein¬ zuſehen.

Die alte Welt iſt in ſo fern wieder die Naturſeite der Geſchichte, als die in ihr herr¬ ſchende Einheit oder Idee, Seyn des Unend¬ lichen im Endlichen iſt. Der Schluß der alten Zeit und die Graͤnze einer neuen, deren herr¬ ſchendes Princip das Unendliche war, konnte nur dadurch gemacht werden, daß das wahre Unendliche in das Endliche kam, nicht um die¬ ſes zu vergoͤttern, ſondern um es in ſeiner ei¬ genen Perſon Gott zu opfern und dadurch zu verſoͤhnen. Die erſte Idee des Chriſtenthums iſt daher nothwendig der Menſchgewordene Gott, Chriſtus als Gipfel und Ende der alten Goͤtterwelt. Auch er verendlicht in ſich das Goͤttliche, aber er zieht nicht die Menſchheit in ihrer Hohheit, ſondern in ihrer Niedrigkeit an, und ſteht als eine von Ewigkeit zwar be¬ ſchloſſene, aber in der Zeit vergaͤngliche Erſchei¬ nung da, als Graͤnze der beyden Welten; er ſelbſt geht zuruͤck ins Unſichtbare und verheißt181 ſtatt ſeiner nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Princip, ſondern den Geiſt, das ideale Princip, welches vielmehr das Endliche zum Unendlichen zuruͤckfuͤhrt und als ſolches das Licht der neuen Welt iſt.

An dieſe erſte Idee knuͤpfen ſich alle Be¬ ſtimmungen des Chriſtenthums. Die Einheit des Unendlichen und Endlichen objectiv durch eine Symbolik, wie die griechiſche Religion, darzuſtellen, iſt ſeiner ideellen Richtung nach unmoͤglich. Alle Symbolik faͤllt ins Subject zuruͤck, und die nicht aͤußerlich, ſondern bloß innerlich zu ſchauende Aufloͤſung des Gegenſa¬ tzes bleibt daher Myſterium, Geheimniß. Die durch alles hindurchgehende Antinomie des Goͤttlichen und Natuͤrlichen hebt ſich allein durch die ſubjective Beſtimmung auf, beyde auf eine unbegreifliche Weiſe als Eins zu den¬ ken. Eine ſolche ſubjective Einheit druͤckt der Begriff des Wunders aus. Der Urſprung je¬ der Idee iſt nach dieſer Vorſtellung ein Wun¬ der, da ſie in der Zeit entſteht, ohne ein Ver¬ haͤltniß zu ihr zu haben. Keine derſelben kann182 auf zeitliche Weiſe entſtehen, es iſt das Abſo¬ lute, d. h. es iſt Gott ſelbſt, der ſie offenbart, und darum der Begriff der Offenbarung ein ſchlechthin nothwendiger im Chriſtenthum.

Eine Religion, die als Poeſie in der Gat¬ tung lebt, bedarf ſo wenig einer hiſtoriſchen Grundlage, als die immer offene Natur ihrer bedarf. Wo das Goͤttliche nicht in bleibenden Geſtalten lebt, ſondern in fluͤchtigen Erſchei¬ nungen voruͤbergeht, bedarf es der Mittel, dieſe feſt zu halten und durch Ueberlieferung zu verewigen. Außer den eigentlichen Myſterien der Religion giebt es nothwendig eine Mytho¬ logie, welche die exoteriſche Seite derſelben iſt, und die ſich auf die Religion gruͤndet, wie ſich die Religion der erſten Art vielmehr umgekehrt auf die Mythologie gruͤndete.

Die Ideen einer auf Anſchauung des Un¬ endlichen im Endlichen gerichteten Religion muͤſſen vorzugsweiſe im Seyn ausgedruͤckt ſeyn, die Ideen der entgegengeſetzten, in der alle Symbolik nur dem Subject angehoͤrt, koͤn¬ nen allein durch Handeln objectiv werden.

183

Das urſpruͤngliche Symbol aller Anſchauung Gottes in ihr iſt die Geſchichte, aber dieſe iſt endlos, unermeßlich, ſie muß alſo durch eine zugleich unendliche und doch begraͤnzte Erſchei¬ nung repraͤſentirt werden, die ſelbſt nicht wie¬ der real iſt, wie der Staat, ſondern ideal, und die Einheit aller im Geiſt bey der Ge¬ trenntheit im Einzelnen als unmittelbare Ge¬ genwart darſtellt. Dieſe ſymboliſche Anſchau¬ ung iſt die Kirche, als lebendiges Kunſtwerk.

Wie nun die Handlung, welche die Ein¬ heit des Unendlichen und Endlichen aͤußerlich ausdruͤckt, ſymboliſch heißen kann, ſo iſt die¬ ſelbe, als innerlich, myſtiſch und Myſticismus uͤberhaupt eine ſubjective Symbolik. Wenn die Aeußerungen dieſer Anſchauungsart faſt zu jeder Zeit in der Kirche Widerſpruch und zum Theil Verfolgung gefunden haben, ſo iſt es, weil ſie das Eſoteriſche des Chriſtenthums exo¬ teriſch zu machen ſuchten: nicht aber als ob der innerſte Geiſt dieſer Religion ein anderer, als der jener Anſchauung waͤre.

Wenn man die Handlungen und Gebraͤu¬184 che der Kirche fuͤr objectiv ſymboliſch halten will, da ihre Bedeutung doch bloß myſtiſch ge¬ faßt werden kann, ſo haben wenigſtens diejeni¬ gen Ideen des Chriſtenthums, die in den Dogmen ſymboliſirt wurden, in dieſen nicht aufgehoͤrt, von ganz ſpeculativer Bedeutung zu ſeyn, da ihre Symbole kein von der Bedeu¬ tung unabhaͤngiges Leben in ſich ſelbſt erlangt haben, wie die der griechiſchen Mythologie.

Verſoͤhnung des von Gott abgefallenen Endlichen durch ſeine eigne Geburt in die End¬ lichkeit, iſt der erſte Gedanke des Chriſten¬ thums und die Vollendung ſeiner ganzen An¬ ſicht des Univerſum und der Geſchichte deſſel¬ ben in der Idee der Dreyeinigkeit, welche eben deswegen in ihm ſchlechthin nothwendig iſt. Bekanntlich hat ſchon Leſſing in der Schrift: Erziehung des Menſchengeſchlechts, die philo¬ ſophiſche Bedeutung dieſer Lehre zu enthuͤllen geſucht, und was er daruͤber geſagt hat, iſt vielleicht das Speculativſte was er uͤberhaupt geſchrieben. Es fehlt aber ſeiner Anſicht noch an der Beziehung dieſer Idee auf die Geſchichte185 der Welt, welche darinn liegt, daß der ewige, aus dem Weſen des Vaters aller Dinge ge¬ bohrene, Sohn Gottes das Endliche ſelbſt iſt, wie es in der ewigen Anſchauung Gottes iſt, und welches als ein leidender und den Ver¬ haͤngniſſen der Zeit untergeordneter Gott er¬ ſcheint, der in dem Gipfel ſeiner Erſcheinung, in Chriſto, die Welt der Endlichkeit ſchließt und die der Unendlichkeit, oder der Herrſchaft des Geiſtes, eroͤffnet.

Waͤre es fuͤr den gegenwaͤrtigen Zweck verſtattet, weiter in dieſe hiſtoriſche Conſtru¬ ction einzugehen, ſo wuͤrden wir auf die gleiche Weiſe alle Gegenſaͤtze des Chriſtenthums und Heidenthums, ſo wie die in jenem herrſchen¬ den Ideen und ſubjective Symbole der Ideen als nothwendige erkennen. Es genuͤgt mir, im Allgemeinen die Moͤglichkeit davon gezeigt zu haben. Wenn das Chriſtenthum nicht nur uͤberhaupt, ſondern auch in ſeinen vornehmſten Formen hiſtoriſch nothwendig iſt, und wir hier¬ mit die hoͤhere Anſicht der Geſchichte ſelbſt als eines Ausfluſſes der ewigen Nothwendigkeit ver¬186 binden: ſo iſt darinn auch die Moͤglichkeit gege¬ ben, es hiſtoriſch als eine goͤttliche und abſolute Erſcheinung zu begreifen, alſo die einer wahr¬ haft hiſtoriſchen Wiſſenſchaft der Religion, oder der Theologie.

[187]

Neunte Vorleſung.

Ueber das Studium der Theologie.

[188]189

Wenn ich es ſchwer finde, von dem Stu¬ dium der Theologie zu reden, ſo iſt es, weil ich die Erkenntnißart und den ganzen Stand¬ punct, aus welchem ihre Wahrheiten gefaßt ſeyn wollen, als verloren und vergeſſen ach¬ ten muß. Die ſaͤmtlichen Lehren dieſer Wiſ¬ ſenſchaft ſind empiriſch verſtanden und als ſol¬ che ſowohl behauptet als beſtritten worden. Auf dieſem Boden aber ſind ſie uͤberall nicht einheimiſch und verlieren durchaus allen Sinn und Bedeutung.

Die Theologen behaupten, das Chriſten¬ thum ſey eine goͤttliche Offenbarung, die ſie als eine Handlung Gottes in der Zeit vor¬ ſtellen. Sie begeben ſich alſo eben damit ſelbſt auf den Standpunct, von welchem aus betrachtet, es keine Frage ſeyn kann, ob das Chriſtenthum ſeinem Urſprung nach natuͤrlich erklaͤrbar iſt. Derjenige muͤßte die Geſchichte und Bildung der Zeit ſeines Entſtehens ſehr190 wenig kennen, der ſich dieſe Aufgabe nicht befriedigend loͤſen koͤnnte. Man leſe nur die Schriften der Gelehrten, in welchen der Keim des Chriſtenthums nicht nur im Judenthum, ſondern ſelbſt in einem einzelnen religioͤſen Verein, der vor jenem exiſtirte, nachgewie¬ ſen iſt; ja man bedarf deſſen nicht einmal, obgleich, um dieſen Zuſammenhang darzule¬ gen, der Bericht des Joſephus und die Spu¬ ren der chriſtlichen Geſchichtsbuͤcher ſelbſt noch nicht einmal gehoͤrig benutzt ſind. Genug, Chriſtus als der Einzelne, iſt eine voͤllig be¬ greifliche Perſon, und es war eine abſolute Nothwendigkeit, ihn als ſymboliſche Perſon und in hoͤherer Bedeutung zu faſſen.

Will man die Ausbreitung des Chriſten¬ thums als ein beſonderes Werk der goͤttlichen Vorſehung betrachten? Man lerne die Zeit kennen, in der es ſeine erſten Eroberungen machte, um es als eine bloß einzelne Erſchei¬ nung des allgemeinen Geiſtes derſelben zu er¬ kennen. Nicht das Chriſtenthum hat dieſen erſchaffen, ſondern es ſelbſt war nur eine vor¬191 ahndende Anticipation deſſelben, das Erſte, wodurch er ausgeſprochen wurde. Das roͤmi¬ ſche Reich war Jahrhunderte zuvor reif zum Chriſtenthum, ehe Conſtantin das Kreuz zum Panier der neuen Weltherrſchaft waͤhlte; die vollſte Befriedigung durch alles Aeußere fuͤhr¬ te die Sehnſucht nach dem Innern und Un¬ ſichtbaren herbey, ein zerfallendes Reich, deſ¬ ſen Macht bloß zeitlich war, der verlorne Muth zum Objectiven, das Ungluͤck der Zeit mußten die allgemeine Empfaͤnglichkeit fuͤr ei¬ ne Religion ſchaffen, welche den Menſchen an das Ideale zuruͤckwieß, Verlaͤugnung lehrte und zum Gluͤck machte.

Die chriſtlichen Religionslehrer koͤnnen keine ihrer hiſtoriſchen Behauptungen recht¬ fertigen, ohne zuvor die hoͤhere Anſicht der Geſchichte ſelbſt, welche durch die Philoſo¬ phie wie durch das Chriſtenthum vorge¬ ſchrieben iſt, zu der ihrigen gemacht zu ha¬ ben. Sie haben lange genug mit dem Un¬ glauben auf ſeinem eigenen Boden gekaͤmpft, anſtatt dieſen, als den Standpunct, auf wel¬192 chem er ſteht, ſelbſt anzugreifen. Ihr habt, koͤnnten ſie den Naturaliſten ſagen, fuͤr die Betrachtungsweiſe, die ihr annehmt, voll¬ kommen Recht, und unſere Anſicht ſchließt es ein, daß ihr auf euerm Standpunct richtig urtheilet. Wir laͤugnen nur dieſen ſelbſt oder laſ¬ ſen ihn als einen bloß untergeordneten gelten. Es iſt derſelbe Fall wie mit dem Empiriker, der dem Philoſophen unwiderſprechlich beweiſt, daß alles Wiſſen nur durch die aͤußere Noth¬ wendigkeit der Eindruͤcke geſetzt iſt.

Daſſelbe Verhaͤltniß findet eben ſo in Anſehung aller Dogmen der Theologie ſtatt. Von der Idee der Dreyeinigkeit iſt es klar, daß ſie, nicht ſpeculativ aufgefaßt, uͤberhaupt ohne Sinn iſt. Die Menſchwerdung Gottes in Chriſto deuten die Theologen eben ſo em¬ piriſch, naͤmlich daß Gott in einem beſtimm¬ ten Moment der Zeit menſchliche Natur an¬ genommen habe, wobey ſchlechterdings nichts zu denken ſeyn kann, da Gott ewig außer aller Zeit iſt. Die Menſchwerdung Gottes iſt alſo eine Menſchwerdung von Ewigkeit. Der193 Menſch Chriſtus iſt in der Erſcheinung nur der Gipfel und in ſo fern auch wieder der Anfang derſelben, denn von ihm aus ſollte ſie dadurch ſich fortſetzen, daß alle ſeine Nach¬ folger Glieder eines und deſſelben Leibes waͤ¬ ren, von dem er das Haupt iſt. Daß in Chriſto zuerſt Gott wahrhaft objectiv gewor¬ den, zeugt die Geſchichte, denn wer vor ihm hat das Unendliche auf ſolche Weiſe ge¬ offenbaret?

Es moͤchte ſich beweiſen laſſen, daß ſo weit die hiſtoriſche Kenntniß nur immer zu¬ ruͤckgeht, ſchon zwey beſtimmt verſchiedene Stroͤme von Religion und Poeſie unterſcheid¬ bar ſind: der Eine, welcher, ſchon in der Indiſchen Religion der herrſchende, das In¬ tellectualſyſtem und den aͤlteſten Idealismus uͤberliefert hat, der Andere, welcher die rea¬ liſtiſche Anſicht der Welt in ſich faßte. Jener hat, nachdem er durch den ganzen Orient gefloſſen, im Chriſtenthum ſein bleibendes Beet gefunden, und mit dem fuͤr ſich unfrucht¬ baren Boden des Occidents vermiſcht, die13194Geburten der ſpaͤteren Welt erzeugt; der an¬ dere hat in der griechiſchen Mythologie durch Ergaͤnzung mit der entgegengeſetzten Einheit, dem Idealiſchen der Kunſt, die hoͤchſte Schoͤn¬ heit gebohren. Und will man die Regungen des entgegengeſetzten Pols in der griechiſchen Bildung fuͤr nichts rechnen, die myſtiſchen Elemente einer abgeſonderten Art der Poeſie, die Verwerfung der Mythologie und Verban¬ nung der Dichter durch die Philoſophen, vor¬ naͤmlich Plato, der in einer ganz fremden und entfernten Welt eine Prophezeyhung des Chriſtenthums iſt?

Aber eben, daß das Chriſtenthum ſchon vor und außer demſelben exiſtirt hat, beweiſt die Nothwendigkeit ſeiner Idee, und daß auch in dieſer Beziehung keine abſoluten Ge¬ genſaͤtze exiſtiren. Die chriſtlichen Miſſonarien, die nach Indien kamen, glaubten den Bewoh¬ nern etwas Unerhoͤrtes zu verkuͤndigen, wenn ſie lehrten, daß der Gott der Chriſten Menſch geworden ſey. Jene waren daruͤber nicht ver¬ wundert, ſie beſtritten die Fleiſchwerdung Got¬195 tes in Chriſto keineswegs und fanden bloß ſeltſam, daß bey den Chriſten nur Einmal geſchehen ſey, was ſich bey ihnen oftmals und in ſteter Wiederholung zutrage. Man kann nicht laͤugnen, daß ſie von ihrer Reli¬ gion mehr Verſtand gehabt haben, wie die chriſtlichen Miſſionarien von der ihrigen.

Die hiſtoriſche Conſtruction des Chriſten¬ thums kann wegen dieſer Univerſalitaͤt ſeiner Idee nicht ohne die religioͤſe Conſtruction der ganzen Geſchichte gedacht werden. Sie iſt alſo eben ſo wenig mit dem, was man bis¬ her allgemeine Religionsgeſchichten genannt hat, (obgleich von nichts weniger als Reli¬ gion darinn die Rede iſt), als mit der par¬ tieliern Geſchichte der chriſtlichen Religion und Kirche zu vergleichen.

Eine ſolche Conſtruction iſt ſchon an ſich ſelbſt nur der hoͤhern Erkenntnißart moͤglich, welche ſich uͤber die empiriſche Verkettung der Dinge erhebt; ſie iſt alſo nicht ohne Phi¬ loſophie, welche das wahre Organ der Theo¬13*196logie als Wiſſenſchaft iſt, worinn die hoͤchſten Ideen von dem goͤttlichen Weſen, der Na¬ tur als dem Werkzeug und der Geſchichte als der Offenbarung Gottes objectiv werden. Es wird von ſelbſt niemand die Behauptung der ſpeculativen Bedeutung der vornehmſten Leh¬ ren der Theologie mit der Kantiſchen verwech¬ ſeln, deren Hauptabſicht am Ende allein dar¬ auf geht, das Poſitive und Hiſtoriſche aus dem Chriſtenthum gaͤnzlich zu entfernen und zur reinen Vernunftreligion zu laͤutern. Die wahre Vernunftreligion iſt, einzuſehen, daß nur zwey Erſcheinungen der Religion uͤber¬ haupt ſind, die wirkliche Naturreligion, welche nothwendig Polytheismus im Sinn der Grie¬ chen iſt, und die, welche, ganz ſittlich, Gott in der Geſchichte anſchaut. In der Kanti¬ ſchen Laͤuterung iſt auch keinesweges ein ſpe¬ culativer, ſondern ein moraliſcher Sinn je¬ ner Lehren beabſichtigt, wodurch der empiri¬ ſche Standpunct im Grunde nicht verlaſſen, auch die Wahrheit derſelben nicht an ſich, ſon¬ dern allein in der ſubjectiven Beziehung moͤg¬197 licher Motive der Sittlichkeit angenommen wird.

Wie der Dogmatismus in der Philoſo¬ phie iſt der gleiche in der Theologie ein Ver¬ ſetzen deſſen, was nur abſolut erkannt wer¬ den kann, auf den empiriſchen Geſichtspunct des Verſtandes. Kant hat weder den einen noch den andern in der Wurzel angegriffen, da er nichts poſitives an ihre Stelle zu ſetzen wußte. Insbeſondere nach ſeinem Vorſchlag, beym Volksunterricht die Bibel moraliſch aus¬ legen, hieße nur die empiriſche Erſcheinung des Chriſtenthums zu Zwecken, die ohne Mis¬ deutung gar nicht erreicht werden koͤnnen, ge¬ brauchen, aber nicht ſich uͤber dieſelbe zur Idee erheben.

Die erſten Buͤcher der Geſchichte und Lehre des Chriſtenthums ſind ſelbſt nichts, als auch eine beſondere, noch dazu unvollkommne Erſcheinung deſſelben; ſeine Idee iſt nicht in dieſen Buͤchern zu ſuchen, deren Werth erſt nach dem Maaß beſtimmt werden muß, in welchem ſie jene ausdruͤcken und ihr angemeſ¬198 ſen ſind. Schon in dem Geiſte des Heiden¬ bekehrers Paulus iſt das Chriſtenthum etwas anderes geworden, als es in dem des erſten Stifters war: nicht bey der einzelnen Zeit ſollen wir ſtehen bleiben, die nur willkuͤhr¬ lich angenommen werden kann, ſondern ſeine ganze Geſchichte und die Welt, die es ge¬ ſchaffen, vor Augen haben.

Zu den Operationen der neueren Aufklaͤ¬ rerey, welche in Bezug auf das Chriſten¬ thum eher die Ausklaͤrerey heißen koͤnnte, ge¬ hoͤrt allerdings auch das Vorgeben, es, wie man ſagt, auf ſeinen urſpruͤnglichen Sinn, ſeine erſte Einfachheit zuruͤckzufuͤhren, in wel¬ cher Geſtalt ſie es auch das Urchriſtenthum nen¬ nen. Man ſollte denken, die chriſtlichen Re¬ ligionslehrer muͤßten es den ſpaͤteren Zeiten Dank wiſſen, daß ſie aus dem duͤrftigen In¬ halt der erſten Religionsbuͤcher ſo viel ſpecu¬ lativen Stoff gezogen und dieſen zu einem Syſtem ausgebildet haben. Bequemer mag es freylich ſeyn, von dem ſcholaſtiſchen Wuſt der alten Dogmatik zu reden, dagegen popu¬199 laͤre Dogmatiken zu ſchreiben und ſich mit der Sylbenſtecherey und Worterklaͤrung zu beſchaͤf¬ tigen, als das Chriſtenthum und ſeine Leh¬ ren in univerſeller Beziehung zu faſſen. Man kann ſich indeſſen nicht des Gedankens erweh¬ ren, welch ein Hinderniß der Vollendung die ſogenannten bibliſchen Buͤcher fuͤr daſſelbe ge¬ weſen ſind, die an aͤcht religioͤſem Gehalt keine Vergleichung mit ſo vielen andern der fruͤheren und ſpaͤteren Zeit, vornehmlich den Indiſchen, auch nur von ferne aushalten.

Man hat dem Gedanken der Hierarchie, dem Volk dieſe Buͤcher zu entziehen, eine bloß politiſche Abſicht untergelegt: er moͤchte wohl den tiefern Grund haben, daß das Chri¬ ſtenthum als eine lebendige Religion, nicht als eine Vergangenheit, ſondern als eine ewi¬ ge Gegenwart fortdaure, wie auch die Wun¬ der in der Kirche nicht aufhoͤrten, welche der Proteſtantismus, auch darinn inconſequent, nur als vor Zeiten geſchehen zulaͤßt. Eigentlich waren es dieſe Buͤcher, die als Urkunden, deren bloß die Geſchichtforſchung, nicht aber200 der Glaube bedarf, beſtaͤndig von neuem das empiriſche Chriſtenthum an die Stelle der Idee geſetzt haben, welche unabhaͤngig von ihnen beſtehen kann, und lauter durch die ganze Geſchichte der neuen Welt in Vergleich mit der alten, als durch jene verkuͤndet wird, wo ſie noch ſehr unentwickelt liegt.

Der Geiſt der neuen Zeit geht mit ſicht¬ barer Conſequenz auf Vernichtung aller bloß endlichen Formen und es iſt Religion, ihn auch hierin zu erkennen. Nach dieſem Geſetz mu߬ te der Zuſtand eines allgemeinen und oͤffentli¬ chen Lebens, den die Religion im Chriſten¬ thum mehr oder weniger erreicht hatte, ver¬ gaͤnglich ſeyn, da er nur einen Theil der Abſichten des Weltgeiſtes realiſirt darſtellte. Der Proteſtantismus entſtand und war auch zur Zeit ſeines Urſprungs eine neue Zuruͤck¬ fuͤhrung des Geiſtes zum Unſinnlichen, ob¬ gleich dieſes bloß negative Beſtreben, außer¬ dem daß es die Stetigkeit in der Ent¬ wickelung des Chriſtenthums aufhob, nie eine poſitive Vereinung und eine aͤußere ſym¬201 bollſche Erſcheinung derſelben, als Kirche, ſchaffen konnte. An die Stelle der lebendi¬ gen Auctoritaͤt trat die andere, todter in aus¬ geſtorbnen Sprachen geſchriebener Buͤcher, und da dieſe ihrer Natur nach nicht bindend ſeyn konnte, eine viel unwuͤrdigere Sclaverey, die Abhaͤngigkeit von Symbolen, die ein bloß menſchliches Anſehen fuͤr ſich hatten. Es war nothwendig, daß der Proteſtantismus, da er ſeinem Begriff nach antiuniverſell iſt, wie¬ der in Secten zerfiel und daß der Unglaube ſich an die einzelnen Formen und die empiri¬ ſche Erſcheinung heftete, da die ganze Reli¬ gion an dieſe gewieſen war.

Nicht geiſtreich aber unglaͤubig, nicht fromm und doch auch nicht witzig und frivol, aͤhnlich den Unſeligen, wie ſie Dante im Vor¬ grund der Hoͤlle exiſtiren laͤßt, die weder re¬ belliſch gegen Gott noch treu waren, die der Himmel ausſtieß und die Hoͤlle nicht aufnahm, weil auch die Verdammten keine Ehre von ih¬ nen haben wuͤrden, haben, vornehmlich deut¬ ſche Gelehrte, mit Huͤlfe einer ſogenannten202 geſunden Exegeſe, einer aufklaͤrenden Pſycho¬ logie und ſchlaffen Moral, alles Speculative und ſelbſt das ſubjectiv-Symboliſche aus dem Chriſtenthum entfernt. Der Glaube an ſeine Goͤttlichkeit wurde auf empiriſch-hiſtoriſche Argumente gebaut, das Wunder der Offen¬ barung in einem ſehr handgreiflichen Zirkel durch andere Wunder bewieſen. Da das Goͤttliche ſeiner Natur nach empiriſch weder erkennbar noch demonſtrabel iſt, ſo hatten hiemit die Naturaliſten gewonnenes Spiel. Man hatte ſchon mit ihnen unterhandelt, als man die Unterſuchungen uͤber die Aechtheit der chriſtlichen Buͤcher, den Beweis ihrer Eingebung aus einzelnen Stellen, zum Fun¬ dament der Theologie machte. Die Zuruͤck¬ weiſung auf den Buchſtaben einiger Buͤcher machte nothwendig, daß die ganze Wiſſen¬ ſchaft ſich in Philologie und Auslegungskunſt verwandelte, wodurch ſie eine gaͤnzlich profane Scienz geworden iſt, und, wo man das Pal¬ ladium der Rechtglaͤubigkeit in der ſogenann¬ ten Sprachkenntniß ſucht, iſt die Theologie203 am tiefſten geſunken und am weiteſten von ih¬ rer Idee entfernt. Hier beſteht eine Haupt¬ kunſt darin, ſo viel Wunder als moͤglich aus der Bibel weg oder heraus zu erklaͤren, wel¬ ches ein eben ſo klaͤgliches Beginnen iſt, als das umgekehrte, aus dieſen empiriſchen, noch dazu hoͤchſt duͤrftigen, Factis die Goͤttlichkeit der Religion zu beweiſen. Was hilft es, noch ſo viele hinwegzuſchaffen, wenn es nicht mit allen moͤglich iſt, denn auch nur Eines wuͤr¬ de, wenn dieſe Beweisart uͤberhaupt Sinn haͤtte, ſo viel wie tauſend beweiſen.

Zu dieſem phil[o]logiſchen Beſtreben hat ſich das pſychologiſche geſellt, indem man ſich große Muͤhe gegeben, viele Erzaͤhlungen, die offenbar juͤdiſche Fabeln ſind, erfunden nach der Anleitung meſſianiſcher Weiſſagungen des alten Teſtaments, (uͤber welche Quelle die Ur¬ heber ſogar ſelbſt keinen Zweifel zulaſſen, in¬ dem ſie hinzuſetzen: es habe geſchehen muͤſ¬ ſen, damit erfuͤllet wuͤrde, was geſchrieben ſtehe), aus pſychologiſchen Taͤuſchungen begreif¬ lich zu machen.

204

Verbunden hiemit iſt die beliebte Ver¬ waͤſſerungs-Methode, kraft welcher, unter dem Vorwand, dieſes oder jenes ſeyen nur Redensarten orientaliſchen Schwulſtes, die flachen Begriffe des behaglichſten gemeinen Verſtandes, der modernen Moral und Reli¬ gion in die Urkunden hinein erklaͤrt werden.

Zuletzt hat ſich dieſe Entfernung der Wiſ¬ ſenſchaft von der Speculation auch auf den Volksunterricht verbreitet, welcher rein mo¬ raliſch, ohne alle Ideen ſeyn ſollte. Die Moral iſt ohne Zweifel nichts auszeichnendes des Chriſtenthums; um einiger Sittenſpruͤche willen, wie die von der Liebe des Naͤchſten u. ſ. w. wuͤrde es nicht in der Welt und der Geſchichte exiſtirt haben. Es iſt nicht die Schuld dieſer gemeinen Menſchenverſtaͤndigkeit, wenn jenes moraliſche Predigen ſich nicht noch tiefer herabgelaſſen und zu einem oͤkonomiſchen geworden iſt. Die Prediger ſollten wirklich zu verſchiedenen Zeiten Landwirthe, Aerzte und was nicht alles ſeyn, und nicht allein die Kuhpocken von der Kanzel empfehlen, ſondern205 auch die beſte Art Kartoffeln zu erziehen, lehren.

Ich mußte uͤber den Zuſtand der Theo¬ logie reden, weil ich das, was mir uͤber das Studium dieſer Wiſſenſchaft zu ſagen noͤ¬ thig ſchien, nicht anders, als durch den Ge¬ genſatz gegen die herrſchende Art deſſelben deutlich zu machen hoffen konnte.

Die Goͤttlichkeit des Chriſtenthums kann ſchlechterdings auf keine mittelbare Weiſe, ſon¬ dern nur eine unmittelbare und im Zuſam¬ menhang mit der abſoluten Anſicht der Ge¬ ſchichte erkannt werden. Deshalb iſt unter andern der Begriff einer mittelbaren Offenba¬ rung, außerdem daß er nur zum Behuf ei¬ ner Zweydeutigkeit in der Rede ausgedacht iſt, ein durchaus unzulaͤſſiger, da er ganz empiriſch iſt.

Was an dem Studium der Theologie wirklich bloß Sache der Empirie iſt, wie die kritiſche und philologiſche Behandlung der er¬ ſten chriſtlichen Buͤcher, iſt von dem Stu¬ dium der Wiſſenſchaft an und fuͤr ſich ganz206 abzuſondern. Auf die Auslegung derſelben koͤnnen die hoͤheren Ideen keinen Einfluß ha¬ ben, dieſe muß ganz unabhaͤngig wie bey jedem andern Schriftſteller geſchehen, wo nicht gefragt wird, ob das, was er ſagt, ver¬ nunftgemaͤß, hiſtoriſch wahr oder religioͤs iſt, ſondern ob er es wirklich geſagt hat. Hin¬ wiederum ob dieſe Buͤcher aͤcht oder unaͤcht, die darinn enthaltenen Erzaͤhlungen wirkliche unentſtellte Facta ſind, ob ihr Inhalt ſelbſt der Idee des Chriſtenthums angemeſſen iſt oder nicht, kann an der Realitaͤt derſelben nichts aͤndern, da ſie nicht von dieſer Ein¬ zelheit abhaͤngig, ſondern allgemein und ab¬ ſolut iſt. Und ſchon laͤngſt, wenn man nicht das Chriſtenthum ſelbſt als bloß zeitliche Er¬ ſcheinung begriffen haͤtte, waͤre die Auslegung frey gegeben, ſo daß wir in der hiſtoriſchen Wuͤrdigung dieſer fuͤr die erſte Geſchichte deſ¬ ſelben ſo wichtigen Urkunden ſchon viel wei¬ ter gelangt ſeyn, und in einer ſo einfachen Sache nicht bis jetzt noch ſo viele Umwege und Verwickelungen geſucht wuͤrden.

207

Das Weſentliche im Studium der Theo¬ logie iſt die Verbindung der ſpekulativen und hiſtoriſchen Conſtruction des Chriſtenthums und ſeiner vornehmſten Lehren.

Zwar an die Stelle des Exoteriſchen und Buchſtaͤblichen des Chriſtenthums das Eſote¬ riſche und Geiſtige treten zu laſſen: dieſem Beginnen widerſpricht allerdings die offenbare Abſicht der fruͤheſten Lehrer und der Kirche ſelbſt, da dieſe wie jene zu jeder Zeit daruͤ¬ ber einverſtanden waren, ſich dem Eindrin¬ gen alles deſſen, was nicht Sache aller Men¬ ſchen und voͤllig exoteriſch ſeyn koͤnnte, zu wi¬ derſetzen. Es beweiſt ein richtiges Gefuͤhl, ein ſicheres Bewußtſeyn deſſen, was ſie wol¬ len mußten, in den erſten Gruͤndern, wie in den ſpaͤtern Haͤuptern des Chriſtenthums, daß ſie mit Ueberlegung entfernten, was der Oeffentlichkeit deſſelben Eintrag thun konnte, und es ausdruͤcklich als Hareſis, als der Uni¬ verſalitaͤt entgegenwirkend, ausſchloſſen. Selbſt unter denjenigen, die zu der Kirche und den208 Orthodoxen gehoͤrten, erlangten doch die, wel¬ che am meiſten auf den Buchſtaben drangen, das groͤßte Anſehen, ja ſie haben eigentlich das Chriſtenthum als univerſelle Religions¬ form erſchaffen. Nur der Buchſtabe des Oc¬ cidentes konnte dem vom Orient kommenden idealen Princip einen Leib und die aͤußere Geſtalt geben, wie das Licht der Sonne nu in dem Stoff der Erde ſeine herrlichen Ideen ausgebiert.

Aber eben dieſes Verhaͤltniß, welches den erſten Formen des Chriſtenthums den Ur¬ ſprung gab, kehrt, nachdem jene dem Ge¬ ſetz der Endlichkeit gemaͤß zerfallen ſind, und die offenbare Unmoͤglichkeit iſt, das Chriſten¬ thum in der exoteriſchen Geſtalt zu behaup¬ ten, aufs Neue zuruͤck. Das Eſoteriſche muß alſo hervortreten und, von ſeiner Huͤlle be¬ freyt, fuͤr ſich leuchten. Der ewig lebendige Geiſt aller Bildung und Erſchaffung wird es in neue und daurendere Formen kleiden, da es an dem dem Idealen entgegengeſetzten Stoff209 nicht fehlt, der Occident und Orient ſich in Einer und derſelbigen Bildung nahe geruͤckt ſind, und uͤberall, wo Entgegengeſetzte ſich beruͤhren, neues Leben entzuͤndet wird. Der Geiſt der neueren Welt hat in der Schonungs¬ loſigkeit, womit er auch die ſchoͤnſten aber endlichen Formen, nach Zuruͤckziehung ihres Lebensprincips, in ſich zerfallen ließ, hin¬ laͤnglich ſeine Abſicht offenbart, das Unend¬ liche in ewig neuen Formen zu gebaͤhren. Daß er das Chriſtenthum nicht als einzelne empiriſche Erſcheinung, ſondern als jene ewige Idee ſelbſt wolle, hat er eben ſo klar bezeugt. Die nicht auf die Vergangenheit eingeſchraͤnk¬ ten, ſondern auf eine ungemeſſene Zeit ſich er¬ ſtreckenden Beſtimmungen des Chriſtenthums laſſen ſich deutlich genug in der Poeſie und Philoſophie erkennen. Jene fodert die Reli¬ gion als die oberſte, ja einzige Moͤglichkeit auch der poetiſchen Verſoͤhnung: dieſe hat mit dem wahrhaft ſpekulativen Standpunct auch den der Religion wieder errungen, den Empirismus und ihm gleichen Naturalismus14210nicht bloß partiell, ſondern allgemein aufge¬ hoben, und die Wiedergeburt des eſoteriſchen Chriſtenthums, wie die Verkuͤndigung des ab¬ ſoluten Evangelium in ſich vorbereitet.

[211]

Zehnte Vorleſung.

Ueber das Studium der Hi¬ ſtorie und der Jurisprudenz.

14 *[212]213

Wie das Abſolute ſelbſt in der Doppelgeſtalt der Natur und Geſchichte als Ein und Daſſel¬ bige erſcheint, zerlegt die Theolgie als Indiffe¬ renzpunct der realen Wiſſenſchaften ſich von der einen Seite in die Hiſtorie, von der andern in die Naturwiſſenſchaft, deren jede ihren Gegen¬ ſtand getrennt von dem andern und eben damit auch von der oberſten Einheit betrachtet.

Dieß verhindert nicht, daß nicht jede der¬ ſelben in ſich den Centralpunct herſtellen, und ſo in das Urwiſſen zuruͤckgehen koͤnne.

Die gemeine Vorſtellung der Natur und Geſchichte iſt, daß in jener alles durch empiri¬ ſche Nothwendigkeit, in dieſer alles durch Frey¬ heit geſchehe. Aber eben dieß ſind ſelbſt nur die Formen oder Arten, außer dem Abſoluten zu ſeyn. Die Geſchichte iſt in ſo fern die hoͤhere Potenz der Natur, als ſie im Idealen aus¬ druͤckt, was dieſe im Realen: dem Weſen nach aber iſt ebendeswegen daſſelbe in beyden, nur214 veraͤndert durch die Beſtimmung oder Potenz, unter der es geſetzt iſt. Koͤnnte in beyden das reine An-ſich erblickt werden, ſo wuͤrden wir daſſelbe, was in der Geſchichte ideal, in der Natur real vorgebildet erkennen. Die Freyheit, als Erſcheinung, kann nichts erſchaffen: es iſt Ein Univerſum, welches die zwiefache Form der abgebildeten Welt jede fuͤr ſich und in ihrer Art ausdruͤckt. Die vollendete Welt der Geſchichte waͤre demnach ſelbſt eine ideale Natur, der Staat, als der aͤußere Organismus einer in der Freyheit ſelbſt erreichten Harmonie der Nothwen¬ digkeit und der Freyheit. Die Geſchichte, ſo fern ſie die Bildung dieſes Vereins zum vor¬ zuͤglichſten Gegenſtand hat, waͤre Geſchichte im engern Sinn des Wortes.

Die Frage, welche uns hier zunaͤchſt ent¬ gegenkommt, naͤmlich ob Hiſtorie Wiſſenſchaft ſeyn koͤnne? ſcheint wegen ihrer Beantwortung keinen Zweifel zuzulaſſen. Wenn naͤmlich Hiſtorie, als ſolche, und von dieſer iſt die Rede, der letzten entgegengeſetzt iſt, wie im Vorhergehenden allgemein angenommen wurde,215 ſo iſt klar, daß ſie nicht ſelbſt Wiſſenſchaft ſeyn koͤnne, und wenn die realen Wiſſenſchaften Syn¬ theſen des Philoſophiſchen und Hiſtoriſchen ſind, ſo kann ebendeswegen die Hiſtorie ſelbſt nicht wieder eine ſolche ſeyn, ſo wenig als es Philoſophie ſeyn kann. Sie traͤte alſo in der letzten Beziehung mit dieſer auf gleichen Rang.

Um dieſes Verhaͤltniß noch beſtimmter ein¬ zuſehen, unterſcheiden wir die verſchiedenen Standpuncte, auf welchen Hiſtorie gedacht werden koͤnnte.

Der hoͤchſte, der von uns im Vorherge¬ henden erkannt wurde, iſt der religioͤſe oder derjenige, in welchem die ganze Geſchichte als Werk der Vorſehung begriffen wird. Daß die¬ ſer nicht in der Hiſtorie als ſolcher geltend ge¬ macht werden koͤnne, folgt daraus, daß er von dem philoſophiſchen nicht weſentlich verſchieden iſt. Es verſteht ſich, daß ich hiemit weder die re¬ ligioͤſe noch die philoſophiſche Conſtruction der Ge¬ ſchichte laͤugne; allein jene gehoͤrt der Theolo¬216 gie, dieſe der Philoſophie an, und iſt von der Hiſtorie als ſolcher nothwendig verſchieden.

Der entgegengeſetzte Standpunct des ab¬ ſoluten iſt der empiriſche, welcher wieder zwey Seiten hat. Die der reinen Aufnahme und Aus¬ mittlung des Geſchehenen, welche Sache des Ge¬ ſchichtforſchers iſt, der von dem Hiſtoriker als ſol¬ chen nur eine Seite repraͤſentirt. Die der Ver¬ bindung des empiriſchen Stoffs nach einer Ver¬ ſtandes-Identitaͤt, oder, weil die letztere nicht in den Begebenheiten an und fuͤr ſich ſelbſt lie¬ gen kann, indem dieſe empiriſch viel mehr zufaͤl¬ lig und nicht harmoniſch erſcheinen, der An¬ ordnung nach einem durch das Subject entwor¬ fenen Zweck, der in ſo fern didaktiſch oder po¬ litiſch iſt. Dieſe Behandlung der Geſchichte in ganz beſtimmter, nicht allgemeiner Abſicht, iſt, was, der von den Alten feſtgeſetzten Bedeu¬ tung zufolge, die pragmatiſche heißt. So iſt Polybius, der ſich uͤber dieſen Begriff ausdruͤck¬ lich erklaͤrt, pragmatiſch wegen der ganz be¬ ſtimmten auf die Technik des Kriegs gerichte¬ ten Abſicht ſeiner Geſchichtsbuͤcher: ſo Tacitus,217 weil er Schritt vor Schritt an dem Verfall des roͤmiſchen Staats die Wirkungen der Sittenlo¬ ſigkeit und des Deſpotismus darſtellt.

Die Modernen ſind geneigt, den pragma¬ tiſchen Geiſt fuͤr das Hoͤchſte in der Hiſtorie zu halten und zieren ſich ſelbſt untereinander mit dem Praͤdicat deſſelben, als mit dem groͤßten Lob. Aber eben wegen ihrer ſubjectiven Ab¬ haͤngigkeit wird Niemand, der Sinn hat, die Darſtellungen der beyden angefuͤhrten Ge¬ ſchichtſchreiber in den erſten Rang der Hiſtorie ſetzen. Bey den Deutſchen hat es nun uͤber¬ dieß mit dem pragmatiſchen Geiſt in der Regel die Bewandtniß, wie bey dem Famulus in Goe¬ the's Fauſt: Was ſie den Geiſt der Zeiten nen¬ nen, iſt ihr eigner Geiſt, worinn die Zeiten ſich beſpiegeln. In Griechenland ergriffen die erhabenſten, gereiſteſten, erfahrungsreichſten Geiſter den Griffel der Geſchichte, um ſie wie mit ewigen Charakteren zu ſchreiben. Herodo¬ tus iſt ein wahrhaft Homeriſcher Kopf, im Thucydides concentrirt ſich die ganze Bildung des Perikleiſchen Zeitalters zu einer goͤtt¬218 lichen Anſchauung. In Deutſchland, wo die Wiſſenſchaft immer mehr eine Sache der In¬ duſtrie wird, wagen ſich gerade die geiſtloſeſten Koͤpfe an die Geſchichte. Welch ein widerli¬ cher Anblick, das Bild großer Begebenheiten und Karaktere im Organ eines kurzſichtigen und einfaͤltigen Menſchen entworfen, beſonders wenn er ſich noch Gewalt anthut, Verſtand zu haben und dieſen etwa darein ſetzt, die Groͤße der Zeiten und Voͤlker nach beſchraͤnkten Anſich¬ ten, z. B. Wichtigkeit des Handels, dieſen oder jenen nuͤtzlichen oder verderblichen Erfindun¬ gen zu ſchaͤtzen und uͤberhaupt einen ſo viel moͤglich gemeinen Maasſtab an alles Erhabene zu legen: oder wenn er auf der andern Seite den hiſtoriſchen Pragmatismus darinn ſucht, ſich ſelbſt durch Raͤſonniren uͤber die Begeben¬ heiten oder Ausſchmuͤcken des Stoffs mit leeren rhetoriſchen Floskeln geltend zu machen, z. B. von den beſtaͤndigen Fortſchritten der Menſch¬ heit und wie Wir's denn zuletzt ſo herrlich weit gebracht.

Dennoch iſt ſelbſt unter dem Heiligſten219 nichts, das heiliger waͤre als die Geſchichte, dieſer große Spiegel des Weltgeiſtes, dieſes ewige Gedicht des goͤttlichen Verſtandes: nichts das weniger die Beruͤhrung unreiner Haͤnde er¬ truͤge.

Der pragmatiſche Zweck der Geſchichte ſchließt von ſelbſt die Univerſalitaͤt aus und fo¬ dert nothwendig auch einen beſchraͤnkten Gegen¬ ſtand. Der Zweck der Belehrung verlangt eine richtige und empiriſch begruͤndete Verknuͤpfung der Begebenheiten, durch welche der Verſtand zwar aufgeklaͤrt wird, die Vernunft aber ohne andere Zuthat unbefriedigt bleibt. Auch Kants Plan einer Geſchichte im weltbuͤrgerlichen Sinn beabſichtigt eine bloße Verſtandesgeſetzmaͤßigkeit im Ganzen derſelben, die nur hoͤher, naͤmlich in der allgemeinen Nothwendigkeit der Natur, geſucht wird, durch welche aus dem Krieg der Friede, zuletzt ſogar der ewige und aus vielen andern Verirrungen endlich die aͤchte Rechtsver¬ faſſung entſtehen ſoll. Allein dieſer Plan der Natur iſt ſelbſt nur der empiriſche Widerſchein der wahren Nothwendigkeit, ſo wie die Ab¬220 ſicht einer darnach geordneten Geſchichte nicht ſowohl eine weltbuͤrgerliche als eine buͤrgerliche heißen muͤßte, den Fortgang naͤmlich der Menſchheit zum ruhigen Verkehr, Gewerbe und Handelsbetrieb unter ſich, und dieſes ſo¬ nach uͤberhaupt als die hoͤchſten Fruͤchte des Menſchenlebens und ſeiner Anſtrengungen dar¬ zuſtellen.

Es iſt klar, daß, da die bloße Verknuͤp¬ fung der Begebenheiten nach empiriſcher Noth¬ wendigkeit immer nur pragmatiſch ſeyn kann, die Hiſtorie aber in ihrer hoͤchſten Idee von aller ſubjectiven Beziehung unabhaͤngig und befreyt ſeyn muß, auch uͤberhaupt der em¬ piriſche Standpunct nicht der hoͤchſte ihrer Darſtellungen ſeyn koͤnne.

Auch die wahre Hiſtorie beruht auf einer Syntheſis des Gegebenen und Wirklichen mit dem Idealen, aber nicht durch Philoſophie, da dieſe die Wirklichkeit vielmehr aufhebt und ganz ideal iſt: Hiſtorie aber ganz in jener und doch zugleich ideal ſeyn ſoll. Dieſes iſt nirgend als in der Kunſt moͤglich, welche das Wirkliche221 ganz beſtehen laͤßt, wie die Buͤhne reale Be¬ gebenheiten oder Geſchichten, aber in einer Vol¬ lendung und Einheit darſtellt, wodurch ſie Aus¬ druck der hoͤchſten Ideen werden. Die Kunſt alſo iſt es, wodurch die Hiſtorie, indem ſie Wiſſenſchaft des Wirklichen als ſolchen iſt, zu¬ gleich uͤber daſſelbe auf das hoͤhere Gebiet des Idealen erhoben wird, auf dem die Wiſſen¬ ſchaft ſteht; und der dritte und abſolute Stand¬ punct der Hiſtorie iſt demnach der der hiſtori¬ ſchen Kunſt.

Wir haben das Verhaͤltniß deſſelben zu den vorherangegebenen zu zeigen.

Es verſteht ſich, daß der Hiſtoriker nicht, einer vermeynten Kunſt zu lieb, den Stoff der Geſchichte veraͤndern kann, deren oberſtes Ge¬ ſetz Wahrheit ſeyn ſoll. Eben ſo wenig kann die Meynung ſeyn, daß die hoͤhere Darſtellung den wirklichen Zuſammenhang der Begebenhei¬ ten vernachlaͤſſige, es hat vielmehr hiermit ganz dieſelbe Bewandtniß, wie mit der Be¬ gruͤndung der Handlungen im Drama, wo zwar die einzelne aus der vorhergehenden und222 zuletzt alles aus der erſten Syntheſis mit Noth¬ wendigkeit entſpringen muß, die Aufeinander¬ folge ſelbſt aber nicht empiriſch, ſondern nur aus einer hoͤhern Ordnung der Dinge begreif¬ lich ſeyn muß. Erſt dann erhaͤlt die Geſchichte ihre Vollendung fuͤr die Vernunft, wenn die empiriſchen Urſachen, indem ſie den Verſtand befriedigen, als Werkzeuge und Mittel der Er¬ ſcheinung einer hoͤheren Nothwendigkeit ge¬ braucht werden. In ſolcher Darſtellung kann die Geſchichte die Wirkung des groͤßten und erſtaunenswuͤrdigſten Drama nicht verfehlen, das nur in einem unendlichen Geiſte gedichtet ſeyn kann.

Wir haben die Hiſtorie auf die gleiche Stufe mit der Kunſt geſetzt. Aber, was dieſe darſtellt, iſt immer eine Identitaͤt der Noth¬ wendigkeit und Freyheit, und dieſe Erſcheinung, vornehmlich in der Tragoͤdie, iſt der eigentliche Gegenſtand unſerer Bewunderung. Dieſe ſelbe Identitaͤt aber iſt zugleich der Standpunct der Philoſophie und ſelbſt der Religion fuͤr die Ge¬ ſchichte, da dieſe in der Vorſehung nichts an¬223 ders, als die Weisheit erkennt, welche in dem Plane der Welt die Freyheit der Menſchen mit der allgemeinen Nothwendigkeit und umgekehrt dieſe mit jener vereinigt. Nun ſoll aber die Hiſtorie wahrhaft weder auf dem philoſophi¬ ſchen noch auf dem religioͤſen Standpunct ſte¬ hen. Sie wird demnach auch jene Identitaͤt der Freyheit und Nothwendigkeit in dem Sin¬ ne darſtellen muͤſſen, wie ſie vom Geſichtspunct der Wirklichkeit aus erſcheint, den ſie auf keine Weiſe verlaſſen ſoll. Von dieſem aus iſt ſie aber nur als unbegriffene und ganz objective Identitaͤt erkennbar, als Schickſal. Die Mey¬ nung iſt nicht, daß der Geſchichtſchreiber das Schickſal im Munde fuͤhre, ſondern daß es durch die Objectivitaͤt ſeiner Darſtellung von ſelbſt und ohne ſein Zuthun erſcheine. Durch die Geſchichtsbuͤcher des Herodotus gehen Ver¬ haͤngniß und Vergeltung als unſichtbare uͤberall waltende Gottheiten; in dem hoͤheren und voͤllig unabhaͤngigen Styl des Thucydides, der ſich ſchon durch die Einfuͤhrung der Reden dra¬ matiſch zeigt, iſt jene hoͤhere Einheit in der224 Form ausgedruͤckt und ganz bis zur aͤußern Er¬ ſcheinung gebracht.

Ueber die Art, wie Hiſtorie ſtudiert wer¬ den ſoll, moͤge folgendes hinreichen. Sie muß im Ganzen nach Art des Epos betrachtet wer¬ den, das keinen beſtimmten Anfang und kein be¬ ſtimmtes Ende hat: man nehme denjenigen Punct heraus, den man fuͤr den bedeutendſten oder intereſſanteſten haͤlt, und von dieſem aus bilde und erweitere ſich das Ganze nach allen Richtungen.

Man meide die ſogenannten Univerſalhi¬ ſtorien, die nichts lehren; andere giebt es noch nicht. Die wahre Univerſalgeſchichte muͤßte im epiſchen Styl, alſo in dem Geiſte verfaßt ſeyn, deren Anlage im Herodotus iſt. Was man jetzt ſo nennt, ſind Compendien, da¬ rinn alles Beſondere und Bedeutende verwiſcht iſt: auch derjenige aber, der Hiſtorie nicht zu ſeinem beſondern Fach waͤhlt, gehe ſo viel moͤg¬ lich zu den Quellen und den Particulargeſchichten, die ihn bey weitem mehr unterrichten. Er lerne fuͤr die neuere Geſchichte die naive Ein¬225 falt der Chroniken liebgewinnen, die keine praͤ¬ tenſionvollen Karakterſchilderungen machen, oder pſychologiſch motiviren.

Wer ſich zum hiſtoriſchen Kuͤnſtler bilden will, halte ſich einzig an die großen Muſter der Alten, welche, nach dem Zerfall des allgemeinen und oͤffentlichen Lebens, nie wieder erreicht wer¬ den konnten. Wenn wir von Gibbon abſehen, deſſen Werk die umfaſſende Conception und die ganze Macht des großen Wendepunctes der neueren Zeit fuͤr ſich hat, obgleich er nur Red¬ ner nicht Geſchichtſchreiber iſt, exiſtiren bloß wahrhaft nationelle Hiſtoriker, unter denen die ſpaͤtere Zeit nur Macchiavelli und Joh. Muͤller nennen wird.

Welche Stufen derjenige zu erklimmen hat, der wuͤrdiger Weiſe die Geſchichte ver¬ zeichnen will, koͤnnten die, ſo dieſem Beruf ſich weihen, vorerſt nur aus den Briefen, welche dieſer als Juͤngling geſchrieben, ohngefaͤhr er¬ meſſen. Aber uͤberhaupt alles, was Wiſſen¬ ſchaft und Kunſt, was ein erfahrungsreiches15226und oͤffentliches Leben vermoͤgen, muß dazu beytragen, den Hiſtoriker zu bilden.

Die erſten Urbilder des hiſtoriſchen Styls ſind das Epos in ſeiner urſpruͤnglichen Ge¬ ſtalt und die Tragoͤdie; denn wenn die univer¬ ſelle Geſchichte, deren Anfaͤnge, wie die Quel¬ len des Nils, unerkennbar, die epiſche Form und Fuͤlle liebt, will die beſondere dagegen mehr concentriſch um einen gemeinſchaftlichen Mittelpunct gebildet ſeyn; davon zu ſchweigen, daß fuͤr den Hiſtoriker die Tragoͤdie die wahre Quelle großer Ideen und der erhabenen Den¬ kungsart iſt, zu welcher er gebildet ſeyn muß.

Als den Gegenſtand der Hiſtorie im en¬ gern Sinne beſtimmten wir die Bildung eines objectiven Organismus der Freyheit oder des Staats. Es giebt eine Wiſſenſchaft deſſelben, ſo nothwendig es eine Wiſſenſchaft der Natur giebt. Seine Idee kann um ſo weniger aus der Erfahrung genommen ſeyn, da dieſe hier vielmehr ſelbſt erſt nach Ideen geſchaffen und der Staat als Kunſtwerk erſcheinen ſoll.

Wenn die realen Wiſſenſchaften uͤberhaupt227 nur durch das hiſtoriſche Element von der Phi¬ loſophie geſchieden ſind, ſo wird daſſelbe auch von der Rechtswiſſenſchaft gelten; aber nur ſo viel von dem Hiſtoriſchen derſelben kann der Wiſſenſchaft angehoͤren, als Ausdruck von Ideen iſt, nicht alſo, was ſeiner Natur nach bloß endlich iſt, wie alle Formen der Geſetze, die ſich allein auf den aͤußeren Mechanismus des Staats beziehen, wohin faſt der ganze Inbe¬ griff derjenigen gehoͤrt, welche in der gegenwaͤr¬ tigen Rechtswiſſenſchaft gelehrt werden, und in denen man den Geiſt eines oͤffentlichen Zuſtan¬ des nur noch wie in Truͤmmern wohnen ſieht.

In Anſehung derſelben giebt es keine an¬ dere Vorſchrift, als ſie empiriſch, wie es zu dem Gebrauch in einzelnen Faͤllen vor Gerichts¬ hoͤfen oder in oͤffentlichen Verhaͤltniſſen noͤthig iſt, zu erlernen und zu lehren, und nicht die Philoſophie zu entweihen, indem man ſie in Dinge einmiſcht, welche an ihr keinen Theil haben. Die wiſſenſchaftliche Conſtruction des Staats wuͤrde, was das innere Leben deſſelben betrifft, kein entſprechendes hiſtoriſches Element15 *228in den ſpaͤteren Zeiten finden, außer in wie fern ſelbſt das Entgegengeſetzte wieder zum Re¬ flex desjenigen dient, von dem es dieß iſt. Das Privatleben und mit ihm auch das Pri¬ vatrecht hat ſich von dem oͤffentlichen getrennt; jenes aber hat, abgeſondert von dieſem, ſo we¬ nig Abſolutheit, als es in der Natur das Seyn der einzelnen Koͤrper und ihr beſonderes Ver¬ haͤltniß unter einander hat. Da in der gaͤnz¬ lichen Zuruͤckziehung des allgemeinen und oͤf¬ fentlichen Geiſtes von dem einzelnen Leben die ſes als die rein endliche Seite des Staats und voͤllig todt zuruͤckgeblieben iſt, ſo iſt auf die Geſetzmaͤßigkeit, die in ihm herrſcht, durchaus keine Anwendung von Ideen und hoͤchſtens die eines mechaniſchen Scharfſinnes moͤglich, um die empiriſchen Gruͤnde derſelben in einzel¬ nen Faͤllen darzuthun oder ſtreitige Faͤlle nach jenen zu entſcheiden.

Was allein von dieſer Wiſſenſchaft einer univerſell-hiſtoriſchen Anſicht faͤhig ſeyn moͤch¬ te, iſt die Form des oͤffentlichen Lebens, in wie fern dieſe, auch ihren beſondern Beſtimmun¬229 gen nach, aus dem Gegenſatz der neuen mit der alten Welt begriffen werden kann und eine allgemeine Nothwendigkeit hat.

Die Harmonie der Nothwendigkeit und Freyheit, die ſich nothwendig aͤußerlich und in einer objectiven Einheit ausdruͤckt, dif¬ ferenziirt ſich in dieſer Erſcheinung ſelbſt wie¬ der nach zwey Seiten, und hat eine verſchie¬ dene Geſtalt, je nachdem ſie im Realen oder Idealen ausgedruͤckt wird. Die vollkomme¬ ne Erſcheinung derſelben im Erſten iſt der vollkommene Staat, deſſen Idee erreicht iſt, ſobald das Beſondere und das Allgemeine ab¬ ſolut Eins, alles was nothwendig zugleich frey und alles frey geſchehende zugleich nothwendig iſt. Indem das aͤußere und oͤffentliche Leben, in einer objectiven Harmonie jener beyden, ver¬ ſchwand, mußte es durch das ſubjective in ei¬ ner idealen Einheit erſetzt werden, welche die Kirche iſt. Der Staat, in ſeiner Entgegenſe¬ tzung gegen die Kirche, iſt ſelbſt wieder die Na¬ turſeite des Ganzen, worinn beyde Eins ſind. In ſeiner Abſolutheit mußte er das Entgegen¬230 geſetzte Erſcheinung verdraͤngen, eben des¬ wegen weil er es begriff: wie der griechiſche Staat keine Kirche kannte, wenn man nicht die Myſte¬ rien dafuͤr rechnen will, die aber ſelbſt nur ein Zweig des oͤffentlichen Lebens waren; ſeit die Myſterien exoteriſch ſind, iſt der Staat dage¬ gen eſoteriſch, da in ihm nur das Einzelne im Ganzen, zu welchem es im Verhaͤltniß der Dif¬ ferenz iſt, nicht aber das Ganze auch im Ein¬ zelnen lebt. In der realen Erſcheinung des Staats exiſtirte die Einheit in der Vielheit, ſo daß ſie voͤllig mit ihr eins war: mit der Ent¬ gegenſetzung beyder ſind auch alle andere in dieſer begriffnen Gegenſaͤtze im Staat hervor¬ getreten. Die Einheit mußte das Herrſchende werden, aber nicht in der abſoluten ſondern ab¬ ſtracten Geſtalt, in der Monarchie, deren Be¬ griff mit dem der Kirche weſentlich verflochten iſt. Im Gegentheil mußte die Vielheit oder Menge, durch ihre Entgegenſetzung mit der Einheit ſelbſt, ganz in Einzelnheit zerfallen, und hoͤrte auf, Werkzeug des Allgemeinen zu ſeyn. Wie die Vielheit in der Natur als Ein¬231 bildung der Unendlichkeit in die Endlichkeit wieder abſolut, in ſich Einheit und Vielheit iſt, ſo war in dem vollkommenen Staat die Viel¬ heit eben dadurch, daß ſie zu einer abgeſchloſſe¬ nen Welt (im Sklavenſtand) organiſirt war, innerhalb derſelben abſolut, die geſonderte, aber eben deswegen in ſich beſtehende, reale Seite des Staats, waͤhrend aus dem gleichen Grunde die Freyen in dem reinen Aether eines idealen und dem der Ideen gleichen Lebens ſich bewegten. Die neue Welt iſt in allen Bezie¬ hungen die Welt der Miſchung, wie die alte die der reinen Sonderung und Beſchraͤnkung. Die ſogenannte buͤrgerliche Freyheit hat nur die truͤbſte Vermengung der Sklaverey mit der Freyheit, aber kein abſolutes und eben dadurch[w]ieder freyes Beſtehen der einen oder andern hervorgebracht. Die Entgegenſetzung der Ein¬ heit und der Vielheit machte in dem Staat die Mittler nothwendig, die aber in dieſer Mitte von Herrſchen und Beherrſchtſeyn zu keiner ab¬ ſoluten Welt ſich ausbildeten, und nur in der Entgegenſetzung waren, niemals aber eine un¬232 abhaͤngige, ihnen eigenthuͤmlich inwohnende und weſentliche Realitaͤt erlangten.

Das erſte Streben eines jeden, der die po¬ ſitive Wiſſenſchaft des Rechts und des Staats ſelbſt als ein Freyer begreifen will, muͤßte die¬ ſes ſeyn, ſich durch Philoſophie und Geſchichte die lebendige Anſchauung der ſpaͤteren Welt und der in ihr nothwendigen Formen des oͤf¬ fentlichen Lebens zu verſchaffen: es iſt nicht zu berechnen, welche Quelle der Bildung in dieſer Wiſſenſchaft eroͤffnet werden koͤnnte, wenn ſie mit unabhaͤngigem Geiſte, frey von der Bezie¬ hung auf den Gebrauch und an ſich behandelt wuͤrde.

Die weſentliche Vorausſetzung hiezu iſt die aͤchte und aus Ideen gefuͤhrte Conſtruction des Staats, eine Aufgabe, von welcher bis jetzt die Republik des Plato die einzige Aufloͤ¬ ſung iſt. Obgleich wir auch hierinn den Ge¬ genſatz des Modernen und Antiken anerkennen muͤſſen, wird dieſes goͤttliche Werk doch im¬ mer das Urbild und Muſter bleiben. Was ſich uͤber die wahre Syntheſis des Staats,233 in dem gegenwaͤrtigen Zuſammenhang, aus¬ ſprechen ließ, iſt im Vorhergehenden wenig¬ ſtens angedeutet, und kann ohne die Ausfuͤh¬ rung oder die Hinweiſung auf ein vorhandenes Document nicht weiter erklaͤrt werden. Ich beſchraͤnke mich daher auf die Anzeige desjeni¬ gen, was in der bisherigen Behandlung des ſogenannten Naturrechts allein beabſichtigt und geleiſtet worden iſt.

Faſt am hartnaͤckigſten hat in dieſem Theil der Philoſophie ſich das analytiſche Weſen und der Formalismus erhalten. Die erſten Be¬ griffe wurden entweder aus dem roͤmiſchen Recht oder von irgend einer eben gangbaren Form hergenommen, ſo daß das Naturrecht nicht nur alle moͤglichen Triebe der menſchlichen Natur, die ganze Pſychologie, ſondern auch alle er¬ denkliche Formeln nach und nach durchgewan¬ dert iſt. Durch Analyſe derſelben wurde eine Reihe formaler Saͤtze gefunden, mit deren Huͤlfe man nachher in der poſitiven Jurisprudenz auf¬ zuraͤumen hoffte.

Beſonders haben Kantiſche Juriſten dieſe234 Philoſophie als Magd ihrer Scienz zu brau¬ chen, fleißig angefangen und zu dieſem Behuf auch richtig immer das Naturrecht reformirt. Dieſe Art des Philoſophirens aͤußert ſich als ein Schnappen nach Begriffen, gleich viel wel¬ cher Art ſie ſind, nur daß ſie eine Einzelheit ſeyen, damit der, welcher ſie aufgefangen, durch die Muͤhe, die er ſich giebt, die uͤbrige Maſſe nach ihr zu verziehen, ſich das Anſehen eines eignen Syſtems geben koͤnne, das aber dann in kurzer Zeit wieder durch ein anderes eigenes verdraͤngt wird u. ſ. w.

Das erſte Unternehmen, den Staat wie¬ der als reale Organiſation zu conſtruiren, war Fichte's Naturrecht. Wenn die bloß negative Seite der Verfaſſung, die nur auf Sicherſtel¬ lung der Rechte geht, iſolirt, und wenn von aller poſitiven Veranſtaltung fuͤr die Energie die rhythmiſche Bewegung und die Schoͤnheit des oͤffentlichen Lebens abſtrahirt werden koͤnn¬ te: ſo wuͤrde ſich ſchwerlich uͤberhaupt ein an¬ deres Reſultat oder eine andere Form des Staats ausfindig machen laſſen, als in jenem235 dargeſtellt iſt. Aber das Herausheben der bloß endlichen Seite dehnt den Organismus der Verfaſſung in einen endloſen Mechanismus aus, in dem nichts Unbedingtes angetroffen wird. Ueberhaupt aber kann allen bisherigen Verſuchen die Abhaͤngigkeit ihres Beſtrebens vorgeworfen werden, naͤmlich eine Einrichtung des Staats zu erſinnen, damit jenes oder dieſes erreicht werde. Ob man dieſen Zweck in die allgemeine Gluͤckſeligkeit, in die Befriedi¬ gung der ſocialen Triebe der menſchlichen Na¬ tur, oder in etwas rein Formales, wie das Zuſammenleben freyer Weſen unter den Bedin¬ gungen der moͤglichſten Freyheit, ſetzt, iſt in jener Beziehung voͤllig gleichguͤltig: denn in jedem Fall wird der Staat nur als Mittel, als bedingt und abhaͤngig begriffen. Alle wahre Conſtruction iſt ihrer Natur nach abſolut und immer nur auf Eines, auch in der beſondern Form, gerichtet. Sie iſt z. B. nicht Conſtru¬ ction des Staats als ſolchen, ſondern des ab¬ ſoluten Organismus in der Form des Staats. Dieſen conſtruiren heißt alſo nicht, ihn als Be¬236 dingung der Moͤglichkeit von irgend etwas aͤu¬ ßerem faſſen und uͤbrigens, wenn er nur vor¬ erſt als das unmittelbare und ſichtbare Bild des abſoluten Lebens dargeſtellt iſt, wird er auch von ſelbſt alle Zwecke erfuͤllen: wie die Natur nicht iſt, damit ein Gleichgewicht der Materie ſey, ſondern dieſes Gleichgewicht iſt, weil die Natur iſt.

[237]

Eilfte Vorleſung.

Ueber die Naturwiſſenſchaft im Allgemeinen.

[238]239

Wenn wir von der Natur abſolut reden wol¬ len, ſo verſtehen wir darunter das Univerſum ohne Gegenſatz, und unterſcheiden nur in die¬ ſem wieder die zwey Seiten: die, in welcher die Ideen auf reale, und die, in welcher ſie auf ideale Weiſe gebohren werden. Beydes geſchieht durch eine und dieſelbe Wirkung des abſoluten Producirens und nach den gleichen Ge¬ ſetzen, ſo daß in dem Univerſum an und fuͤr ſich ſelbſt kein Zwieſpalt, ſondern die vollkom¬ mene Einheit iſt.

Um die Natur als die allgemeine Geburt der Ideen zu faſſen, muͤſſen wir auf den Ur¬ ſprung und die Bedeutung von dieſen ſelbſt zu¬ ruͤckgehen.

Jener liegt in dem ewigen Geſetze der Ab¬ ſolutheit: ſich ſelbſt Object zu ſeyn: denn kraft deſſelben iſt das Produciren Gottes eine Ein¬ bildung der ganzen Allgemeinheit und Weſen¬ heit in beſondere Formen, wodurch dieſe, als240 beſondere, doch zugleich Univerſa und das ſind, was die Philoſophen Monaden oder Ideen ge¬ nannt haben.

Es wird in der Philoſophie ausfuͤhrlicher gezeigt, daß die Ideen die einzigen Mittler ſind, wodurch die beſondern Dinge in Gott ſeyn koͤnnen, und daß nach dieſem Geſetz ſo viel Univerſa als beſondere Dinge ſind, und doch, wegen der Gleichheit des Weſens, in allen nur Ein Univerſum. Obgleich nun die Ideen in Gott rein und abſolut ideal ſind, ſind ſie doch nicht todt, ſondern lebendig, die erſten Organismen der goͤttlichen Selbſtanſchauung, die eben deswegen an allen Eigenſchaften ſeines Weſens und in der beſondern Form dennoch an der ungetheilten und abſoluten Realitaͤt theil¬ nehmen.

Kraft dieſer Mittheilung ſind ſie, gleich Gott, productiv und wirken nach demſelben Geſetze und auf die gleiche Weiſe, indem ſie ihre Weſenheit in das Beſondere bilden, und durch einzelne und beſondere Dinge erkennbar machen, in ihnen ſelbſt und fuͤr ſich ohne Zeit,241 vom Standpunct der einzelnen Dinge aber und fuͤr dieſe in der Zeit. Die Ideen verhalten ſich als die Seelen der Dinge, dieſe als ihre Leiber; jene ſind in dieſer Beziehung nothwen¬ dig unendlich, dieſe endlich. Das Unendliche kann aber mit dem Endlichen nie anders, als durch innere und weſentliche Gleichheit Eins werden. Wenn alſo dieſes nicht in ſich ſelbſt, und als endlich, das ganze Unendliche ſchon be¬ greift und ausdruͤckt, und es ſelbſt iſt, nur von der objectiven Seite angeſehen, kann auch die Idee nicht als Seele eintreten, und das Weſen erſcheint nicht an ſich ſelbſt, ſondern durch ein anderes, naͤmlich das Seyn. Wenn dagegen das Endliche, als ſolches, das ganze Unendliche in ſich gebildet traͤgt, wie der voll¬ kommenſte Organismus, der fuͤr ſich ſchon die ganze Idee iſt, tritt auch das Weſen des Dinges als Seele, als Idee hinzu und die Realitaͤt loͤſt ſich wieder in die Idealitaͤt auf. Dieß geſchieht in der Vernunft, welche dem¬ nach das Centrum der Natur und des Objectiv¬ werdens der Ideen iſt.

16242

Wie alſo das Abſolute in dem ewigen Er¬ kenntnißact ſich ſelbſt in den Ideen objectiv wird, ſo wirken dieſe auf eine ewige Weiſe in der Natur, welche ſinnlich, d. i. vom Stand¬ punct der einzelnen Dinge angeſchaut, dieſe auf zeitliche Weiſe gebiert, und, indem ſie den goͤttlichen Saamen der Ideen empfangen hat, endlos fruchtbar erſcheint.

Wir ſind bey dem Puncte, wo wir die beyden Erkenntniß - und Betrachtungsarten der Natur in ihrer Entgegenſetzung verſtaͤndlich machen koͤnnen. Die eine, welche die Natur als das Werkzeug der Ideen, oder allgemein als die reale Seite des Abſoluten und demnach ſelbſt abſolut, die andere, welche ſie fuͤr ſich als getrennt vom Idealen und in ihrer Relativitaͤt betrachtet. Wir koͤnnen die erſte allgemein die philoſophiſche, die andere die empiriſche nen¬ nen, und ſtellen die Frage uͤber den Werth der¬ ſelben ſo, daß wir unterſuchen: ob die empi¬ riſche Betrachtungsart uͤberhaupt und in irgend einem Sinn zu einer Wiſſenſchaft der Na¬ tur fuͤhren koͤnne?

243

Es iſt klar, daß die empiriſche Anſicht ſich nicht uͤber die Koͤrperlichkeit erhebt und dieſe als etwas, das an ſich ſelbſt iſt, betrachtet, da jene dagegen ſie nur als das in ein Reales (durch den Act der Subject-Objectivirung) verwandelte Ideale begreift. Die Ideen ſym¬ boliſiren ſich in den Dingen, und da ſie an ſich Formen des abſoluten Erkennens ſind, erſchei¬ nen ſie in dieſen als Formen des Seyns, wie auch die plaſtiſche Kunſt ihre Ideen toͤdtet, um ihnen die Objectivitaͤt zu geben. Der Empi¬ rismus nimmt das Seyn ganz unabhaͤngig von ſeiner Bedeutung, da es die Natur des Sym¬ bols iſt, ein eigenes Leben in ſich ſelbſt zu ha¬ ben. In dieſer Trennung kann es nur als rein Endliches, mit gaͤnzlicher Negation des Unend¬ lichen erſcheinen. Und wenn nur dieſe Anſicht in der ſpaͤteren Phyſik ſich zur Allgemeinheit ausgebildet haͤtte, und jenem Begriff der Ma¬ terie, als dem rein Leiblichen, nicht dennoch der des Geiſtes, abſolut entgegenſtuͤnde, wo¬ durch ſie verhindert wird, wenigſtens in ſich ſelbſt ein Ganzes zu ſeyn, und diejenige Vollen¬16*244dung zu haben, die ſie im Syſtem der alten Atomiſtik, vorzuͤglich des Epikurus, erlangt hat. Dieſes befreyt durch die Vernichtung der Natur ſelbſt das Gemuͤth von der Sehnſucht und Furcht, anſtatt daß jene vielmehr ſich mit allen Vorſtellungen des Dogmatismus befreun¬ det und ſelbſt dient, die Entzweyung zu erhal¬ ten, aus der ſie hervorgegangen iſt.

Dieſes Denkſyſtem, welches ſeinen Ur¬ ſprung vom Carteſius herſchreibt, hat das Ver¬ haͤltniß des Geiſtes und der Wiſſenſchaft zur Natur ſelbſt weſentlich veraͤndert. Ohne hoͤ¬ here Vorſtellungen der Materie und der Natur, als die Atomenlehre, und doch ohne den Muth, dieſe zum umfaſſenden Ganzen zu erweitern, betrachtet es die Natur im Allgemeinen als ein verſchloſſenes Buch, als ein Geheimniß, das man immer nur im Einzelnen, und auch die¬ ſes nur durch Zufall oder Gluͤck, niemals aber im Ganzen erforſchen koͤnne. Wenn es we¬ ſentlich zum Begriff der Wiſſenſchaft iſt, daß ſie ſelbſt nicht atomiſtiſch, ſondern aus Ei¬ nem Geiſte gebildet ſey und die Idee des Gan¬245 zen den Theilen, nicht umgekehrt, dieſe jener vorangehen, ſo iſt ſchon hieraus klar, daß eine wahre Wiſſenſchaft der Natur auf dieſem Wege unmoͤglich und unerreichbar ſey.

Die rein-endliche Auffaſſung hebt an und fuͤr ſich ſchon alle organiſche Anſicht auf, und ſetzt an die Stelle derſelben die einfache Reihe des Mechanismus, ſo wie an die Stelle der Con¬ ſtruction die Erklaͤrung. In dieſer wird von den beobachteten Wirkungen auf die Urſachen zuruͤckgeſchloſſen; allein daß es eben dieſe und keine andern ſind, wuͤrde, wenn auch uͤbrigens die Schlußart zulaͤſſig und keine Erſcheinung waͤre, die unmittelbar aus einem abſoluten Princip kaͤme, ſelbſt daraus nicht gewiß ſeyn, daß jene durch ſie begreiflich waͤren. Denn es folgt nicht, daß ſie es nicht auch aus andern ſeyn koͤnnen. Nur wenn die Urſachen an ſich ſelbſt gekannt waͤren und von dieſen auf die Wirkungen geſchloſſen wuͤrde, koͤnnte der Zuſam¬ menhang beyder Nothwendigkeit und Evidenz haben; davon nichts zu ſagen, daß die Wir¬ kungen nothduͤrftig wohl aus den Urſachen fol¬246 gen muͤſſen, nachdem man dieſe erſt ſo ausge¬ dacht hat, als noͤthig war, jene daraus abzu¬ leiten.

Das Innere aller Dinge und das, wor¬ aus alle lebendigen Erſcheinungen derſelben quillen, iſt die Einheit des Realen und Idea¬ len, welche an ſich abſolute Ruhe nur durch Dif¬ ferenz[i]irung von außen zum Handeln beſtimmt wird. Da der Grund aller Thaͤtigkeit in der Natur Einer iſt, der allgegenwaͤrtig, durch kei¬ nen andern bedingt und in Bezug auf jedes Ding abſolut iſt, ſo koͤnnen ſich die verſchiede¬ nen Thaͤtigkeiten von einander bloß der Form nach unterſcheiden, keine dieſer Formen aber kann wieder aus einer andern begriffen werden, da jede in ihrer Art daſſelbe, was die andere iſt. Nicht daß eine Erſcheinung von der an¬ dern abhaͤngig, ſondern daß alle aus einem ge¬ meinſchaftlichen Grunde fließen, macht die Ein¬ heit der Natur aus.

Selbſt die Ahndung des Empirismus, daß alles in der Natur durch die praͤſtabilirte Harmonie aller Dinge vermittelt ſey und kein247 Ding das andere anders als durch Vermittlung der allgemeinen Subſtanz veraͤndere oder affi¬ cire, wurde von ihm wieder mechaniſch begrif¬ fen und zu dem Unding einer Wirkung in die Ferne (in der Bedeutung, welche dieſer Aus¬ druck bey Newton und ſeinen Nachfolgern hat), umgedeutet.

Da die Materie kein Lebensprincip in ſich ſelbſt hatte und man eine Einwirkung des Gei¬ ſtes auf ſie als Erklaͤrungsgrund fuͤr die hoͤch¬ ſten Erſcheinungen, der willkuͤhrlichen Bewe¬ gung und aͤhnlicher, aufſparen wollte, ſo wurde fuͤr die naͤchſten Wirkungen etwas außer ihr angenommen, das nur gleichſam Materie ſeyn und durch Negation der vornehmſten Eigen¬ ſchaften derſelben, der Schwere, u. a. ſich dem negativen Begriff des Geiſtes (als immateriel¬ ler Subſtanz) annaͤhern ſollte, als ob der Ge¬ genſatz zwiſchen beyden dadurch umgangen oder wenigſtens vermindert werden koͤnnte. Auch die Moͤglichkeit des Begriffs imponderabler und incoercibler Materien zugegeben, wuͤrde doch jener Erklaͤrungsart zufolge alles in der Materie248 durch aͤußere Einwirkung geſetzt, der Tod das Erſte, das Leben das Abgeleitete ſeyn.

Selbſt aber wenn von Seiten des Mecha¬ nismus jede Erſcheinung vollkommen durch die Erklaͤrung begriffen wuͤrde, bliebe der Fall der¬ ſelbe, wie wenn jemand den Homer oder irgend einen Autor ſo erklaͤren wollte, daß er anfienge, die Form der Drucklettern begreiflich zu ma¬ chen, dann zu zeigen, auf welche Weiſe ſie zu¬ ſammengeſtellt und endlich abgedruckt worden, und wie zuletzt jenes Werk daraus entſtanden ſey. Mehr oder weniger iſt dieß der Fall vor¬ zuͤglich mit dem, was man bisher in der Na¬ turlehre fuͤr mathematiſche Conſtructionen aus¬ gegeben hat. Schon fruͤher wurde bemerkt, daß die mathematiſchen Formen dabey von ei¬ nem ganz bloß mechaniſchen Gebrauch ſeyen. Sie ſind nicht die weſentlichen Gruͤnde der Er¬ ſcheinungen ſelbſt, welche vielmehr in etwas ganz Fremdartigem, Empiriſchen liegen, wie in Anſehung der Bewegungen der Weltkoͤrper in einem Stoß, den dieſe nach der Seite249 bekommen haben. Es iſt wahr, daß man durch Anwendung der Mathematik die Abſtaͤn¬ de der Planeten, die Zeit ihrer Umlaͤufe und Wiedererſcheinungen mit Genauigkeit vorher¬ beſtimmen gelernt hat, aber uͤber das Weſen oder An-ſich dieſer Bewegungen iſt dadurch nicht der mindeſte Aufſchluß gegeben worden. Die ſogenannte mathematiſche Naturlehre iſt alſo bis jetzt leerer Formalismus, in welchem von einer wahren Wiſſenſchaft der Natur nichts anzutreffen iſt.

Der Gegenſatz, der zwiſchen Theorie und Erfahrung gemacht zu werden pflegt, hat ſchon darum keinen rechten Sinn, da in dem Begriff der Theorie bereits die Beziehung auf eine Beſonderheit und demnach auf Erfah¬ rung liegt. Die abſolute Wiſſenſchaft iſt nicht Theorie, und der Begriff der letztern gehoͤrt ſelbſt der truͤben Miſchung von Allgemeinem und Beſonderm an, worinn das gemeine Wiſ¬ ſen befangen iſt. Theorie kann ſich von der Erfahrung nur dadurch unterſcheiden, daß ſie dieſe abſtracter, geſonderter von zufaͤlligen250 Bedingungen und in ihrer urſpruͤnglichſten Form ausſpricht. Aber eben dieſe herauszu¬ heben und in jeder Erſcheinung das Handeln der Natur rein darzuſtellen, iſt auch die Sache des Experiments: beyde ſtehen alſo auf gleicher Stufe. Man ſieht daher nicht ein, wie das experimentirende Naturforſchen ſich uͤber die Theorie auf irgend eine Weiſe erheben koͤnne, da es einzig dieſe iſt, von der jenes geleitet wird, ohne deren Eingebung es auch nicht einmal die Fragen (wie man es nennt) an die Natur thun koͤnnte, von deren Sinnigkeit die Klarheit der Antworten abhaͤngt, welche ſie ertheilt. Beyde haben das gemein, daß ihr Ausgangspunct immer der beſtimmte Gegen¬ ſtand, nicht ein allgemeines und abſolutes Wiſ¬ ſen iſt. Beyde, wenn ſie ihrem Begriff treu bleiben, unterſcheiden ſich von dem falſchen Theoretiſiren, welches auf Erklaͤrung der Na¬ turerſcheinungen geht und zu dieſem Behuf die Urſachen erdichtet: denn beyde beſchraͤnken ſich auf das bloße Ausſprechen oder Darſtellen der Erſcheinungen ſelbſt, und ſind hierinn der Con¬251 ſtruction gleich, welche eben ſo wenig ſich mit Erklaͤren abgiebt. Waͤre ihr Beſtreben mit Be¬ wußtſeyn verbunden, ſo koͤnnten ſich beyde kein anderes Ziel denken, als von der Peripherie ge¬ gen das Centrum zu dringen, wie die Conſtru¬ ction vom Centro gegen die Peripherie geht. Allein der Weg in der erſten Richtung iſt, wie der in der andern, unendlich, ſo daß, weil der Beſitz des Mittelpuncts erſte Bedingung der Wiſſenſchaft iſt, dieſe in der erſten nothwendig unerreichbar iſt.

Jede Wiſſenſchaft fodert zu ihrer objecti¬ ven Exiſtenz eine exoteriſche Seite; eine ſolche muß es alſo auch fuͤr die Naturwiſſenſchaft oder fuͤr die Seite der Philoſophie geben, durch welche ſie Conſtruction der Natur iſt. Dieſe kann nur in dem Experiment und ſeinem noth¬ wendigen Correlat, der Theorie, (in der ange¬ gebenen Bedeutung) gefunden werden; aber dieſe muß nicht fodern, die Wiſſenſchaft ſelbſt, oder etwas anders, als die reale Seite derſel¬ ben zu ſeyn, in welcher das außer einander und in der Zeit ausgedehnt iſt, was in den Ideen252 der erſten zumal iſt. Nur dann wird die Em¬ pirie der Wiſſenſchaft ſich als Leib anſchließen, wenn ſie in ihrer Art daſſelbe zu ſeyn ſich be¬ ſtrebt, was jene in der ihrigen iſt, naͤmlich, empiriſche Conſtruction: dann wird ſie im Gei¬ ſte des Ganzen ſowohl gelehrt als betrieben, wenn ſie, mit Enthaltung von Erklaͤrungen und Hypotheſen, reine objective Darſtellung der Erſcheinung ſelbſt iſt und keine Idee anders, als durch dieſe auszuſprechen ſucht: nicht aber wenn duͤrftige Empirie aus ihren verſchobenen Anſichten heraus Blicke in das Univerſum wer¬ fen, oder ſie den Gegenſtaͤnden aufdringen will, oder wenn dieſes empiriſche Beginnen gar gegen allgemein bewieſne und allgemein einzu¬ ſehende Wahrheiten, oder ein Syſtem von ſol¬ chen mit einzelnen abgerißnen Erfahrungen, aus der Mitte einer Folge von Faͤllen, die ſie ſelbſt nicht uͤberſehen kann, oder einer Menge ſich durchkreuzender und verwirrender Bedin¬ gungen, ſich erhebt, ein Beſtreben, das in ſei¬ ner Abſicht gegen die Wiſſenſchaft eben ſo viel iſt, als, um mich dieſes bekannten Gleichniſſes253 zu bedienen, den Durchbruch des Oceans mit Stroh ſtopfen zu wollen.

Die abſolute, in Ideen gegruͤndete Wiſ¬ ſenſchaft der Natur iſt demnach das erſte und die Bedingung, unter welcher zuerſt die empi¬ riſche Naturlehre an die Stelle ihres blinden Umherſchweifens ein methodiſches, auf ein be¬ ſtimmtes Ziel gerichtetes Verfahren ſetzen kann. Denn die Geſchichte der Wiſſenſchaft zeigt, daß ein ſolches Conſtruiren der Erſcheinungen durch das Experiment, als wir gefodert haben, jeder¬ zeit nur in einzelnen Faͤllen, wie durch Inſtinct geleiſtet worden iſt, daß alſo, um dieſe Me¬ thode der Naturforſchung allgemein geltend zu machen, ſelbſt das Vorbild der Conſtruction in einer abſoluten Wiſſenſchaft erfodert wird.

Die Idee einer ſolchen habe ich zu oft und zu wiederholt vor Ihnen entwickelt, als daß ich noͤthig achtete, ſie hier weiter als in den allgemeinſten Beziehungen darzuſtellen.

Wiſſenſchaft der Natur iſt an ſich ſelbſt ſchon Erhebung uͤber die einzelnen Erſcheinun¬ gen und Producte zur Idee deſſen, worinn ſie254 Eins ſind und aus dem ſie als gemeinſchaftli¬ chem Quell hervorgehen. Auch die Empirie hat doch eine dunkle Vorſtellung von der Na¬ tur als einem Ganzen, worinn Eines durch Alles und Alles durch Eines beſtimmt iſt. Es hilft alſo nicht, das Einzelne zu kennen, wenn man das Ganze nicht weiß. Aber eben der Punct, in welchem Einheit und Allheit ſelbſt Eines ſind, wird nur durch Philoſophie er¬ kannt, oder vielmehr die Erkenntniß von ihm iſt die Philoſophie ſelbſt.

Von dieſer iſt die erſte und nothwendige Abſicht, die Geburt aller Dinge aus Gott oder dem Abſoluten zu begreifen und in wie fern die Natur die ganze reale Seite in dem ewigen Act der Subject-Objectivirung iſt, iſt Philo¬ ſophie der Natur die erſte und nothwendige Seite der Philoſophie uͤberhaupt.

Das Princip und das Element von ihr iſt die abſolute Idealitaͤt, aber dieſe waͤre ewig unerkennbar, verhuͤllt in ſich ſelbſt, wenn ſie nicht ſich als Subjectivitaͤt in die Objectivitaͤt verwandelte, von welcher Verwandlung die er¬255 ſcheinende und endliche Natur das Symbol iſt. Die Philoſophie im Ganzen iſt demnach abſo¬ luter Idealismus, da auch jener Act im goͤttli¬ chen Erkennen begriffen iſt, und die Naturphi¬ loſophie hat in dem erſten keinen Gegenſatz, ſondern nur in dem relativen Idealismus, wel¬ cher von dem abſolut-Idealen bloß die eine Seite begreift. Denn die vollendete Einbil¬ dung ſeiner Weſenheit in die Beſonderheit, bis zur Identitaͤt beyder, producirt in Gott die Ideen, ſo daß die Einheit, wodurch dieſe in ſich ſelbſt und real ſind, mit der, wodurch ſie im Abſoluten und ideal ſind, unmittelbar eine und dieſelbige iſt. In den beſondern Dingen aber, welche von den Ideen die bloßen Abbil¬ der ſind, erſcheinen dieſe Einheiten nicht als Eines, ſondern in der Natur als der bloß re¬ lativ-realen Seite iſt die erſte im Uebergewicht, ſo daß ſie im Gegenſatz gegen die andere Seite, wo das Ideale huͤllenlos, unverſtellt in ein an¬ deres hervortritt, als das Negative, die letz¬ tere dagegen als das Poſitive und das Princip von jener erſcheint, da doch beyde nur die rela¬256 tiven Erſcheinungsweiſen des abſolut-Idealen und in ihm ſchlechthin Eins ſind. Nach dieſer Anſicht iſt die Natur, nicht nur in ihrem An¬ ſich, wo ſie der ganze abſolute Act der Subject - Objectivirung ſelbſt iſt, ſondern auch der Erſchei¬ nung nach, wo ſie ſich als die relativ-reale, oder objective Seite deſſelben darſtellt, dem Weſen nach Eins und keine innerliche Verſchie¬ denheit in ihr, in allen Dingen Ein Leben, die gleiche Macht zu ſeyn, dieſelbe Legirung durch die Ideen. Es iſt keine reine Leiblich¬ keit in ihr, ſondern uͤberall Seele in Leib ſym¬ boliſch umgewandelt und fuͤr die Erſcheinung nur ein Uebergewicht des einen oder andern. Aus dem gleichen Grunde kann auch die Wiſ¬ ſenſchaft der Natur nur Eine ſeyn, und die Theile, in welche ſie der Verſtand zerſplittert, ſind nur Zweige Einer abſoluten Erkenntniß.

Conſtruction uͤberhaupt iſt Darſtellung des Realen im Idealen, des Beſondern im ſchlecht¬ hin Allgemeinen, der Idee. Alles Beſondere als ſolches iſt Form, von allen Formen aber iſt die nothwendige, ewige und abſolute257 Form der Quell und Urſprung. Der Act der Subject-Objectivirung geht durch alle Dinge hindurch, und pflanzt ſich in den be¬ ſonderen Formen fort, die, da ſie alle nur verſchiedene Erſcheinungsweiſen der allgemeinen und unbedingten, in dieſer ſelbſt unbedingt ſind.

Da ferner der innere Typus aller Dinge wegen der gemeinſchaftlichen Abkunft Einer ſeyn muß, und dieſer mit Nothwendigkeit ein¬ geſehen werden kann, ſo wohnt dieſelbe Noth¬ wendigkeit auch der in ihm gegruͤndeten Con¬ ſtruction bey, welche demnach der Beſtaͤtigung der Erfahrung nicht bedarf, ſondern ſich ſelbſt genuͤgt und auch bis dahin fortgeſetzt werden kann, wohin zu dringen die Erfahrung durch unuͤberſteigliche Graͤnzen gehindert iſt, wie in das innere Triebwerk des organiſchen Lebens und der allgemeinen Bewegung.

Nicht nur fuͤr das Handeln giebt es ein Schickſal: auch dem Wiſſen ſteht das An-ſich des Univerſum und der Natur als eine unbe¬ dingte Nothwendigkeit vor, und wenn, nach17258dem Ausſpruch eines Alten, der tapfere Mann im Kampf mit dem Verhaͤngniß ein Schauſpiel iſt, auf das ſelbſt die Gottheit mit Luſt herab¬ ſieht, ſo iſt das Ringen des Geiſtes nach der Anſchauung der urſpruͤnglichen Natur und des ewigen Innern ihrer Erſcheinungen ein nicht minder erhebender Anblick. Wie in der Tra¬ goͤdie der Streit weder dadurch, daß die Noth¬ wendigkeit, noch dadurch, daß die Freyheit un¬ terliegt, ſondern allein durch die Erhebung der einen zur vollkommenen Gleichheit mit der an¬ dern wahrhaft geloͤſt wird: ſo kann auch der Geiſt aus jenem Kampf mit der Natur allein dadurch verſoͤhnt heraustreten, daß ſie fuͤr ihn zur vollkommenen Indifferenz mit ihm ſelbſt, und zum Idealen ſich verklaͤrt.

An jenen Widerſtreit, der aus unbefrie¬ digter Begier nach Erkenntniß der Dinge ent¬ ſpringt, hat der Dichter ſeine Erfindungen in dem eigenthuͤmlichſten Gedicht der Deutſchen geknuͤpft und einen ewig friſchen Quell der Be¬ geiſterung geoͤffnet, der allein zureichend war, die Wiſſenſchaft zu dieſer Zeit zu verjuͤngen und259 den Hauch eines neuen Lebens uͤber ſie zu ver¬ breiten. Wer in das Heiligthum der Natur eindringen will, naͤhre ſich mit dieſen Toͤnen einer hoͤheren Welt und ſauge in fruͤher Ju¬ gend die Kraft in ſich, die wie in dichten Licht¬ ſtrahlen von dieſem Gedicht ausgeht und das Innerſte der Welt bewegt.

17 *
[260][261]

Zwoͤlfte Vorleſung.

Ueber das Studium der Phyſik und Chemie.

[262]263

Den beſondern Erſcheinungen und Formen, welche durch Erfahrung allein erkannt werden, geht nothwendig das vorher, wovon ſie es ſind, die Materie oder Subſtanz. Die Empirie kennt dieſe nur als Koͤrper, d. h. als Materie mit veraͤnderlicher Form, und denkt ſelbſt den Ur¬ ſtoff, wenn ſie anders darauf zuruͤckgeht, nur als eine unbeſtimmbare Menge von Koͤrpern unveraͤnderlicher Form, die deswegen Atomen heißen. Es fehlt ihr alſo die Erkenntniß der erſten Einheit, aus der alles in der Natur her¬ vorgeht, und in die alles zuruͤckkehrt.

Um zum Weſen der Materie zu gelangen, muß durchaus das Bild jeder beſondern Art derſelben, z. B. der ſogenannten unorganiſchen oder der organiſchen entfernt werden, da ſie an ſich nur der gemeinſchaftliche Keim dieſer ver¬ ſchiedenen Formen iſt. Abſolut betrachtet iſt ſie der Act der ewigen Selbſtanſchauung des Ab¬ ſoluten, ſo fern dieſes in jenem ſich objectiv und264 real macht; ſowohl dieſes An-ſich der Mate¬ rie, als wie die beſondern Dinge mit den Be¬ ſtimmungen der Erſcheinung aus ihm hervorge¬ hen, zu zeigen, kann allein Sache der Philoſo¬ phie ſeyn.

Von dem erſten habe ich hinlaͤnglich ſchon im Vorhergehenden geredet und beſchraͤnke mich alſo auf das andere. Die Idee jedes beſondern Dinges iſt ſchlechthin Eine und zu dem Wer¬ den unendlich vieler Dinge derſelben Art iſt die Eine Idee zureichend, deren unendliche Moͤg¬ lichkeit durch keine Wirklichkeit erſchoͤpft wird. Da das erſte Geſetz der Abſolutheit dieſes iſt, ſchlechthin untheilbar zu ſeyn, ſo kann die Be¬ ſonderheit der Ideen nicht in einer Negation der andern Ideen, ſondern allein darinn beſte¬ hen, daß in jeder alle, aber angemeſſen der be¬ ſondern Form derſelben, gebildet ſeyn. Von dieſer Ordnung in der Ideenwelt muß das Vorbild fuͤr die Erkenntniß der ſichtbaren hergenommen werden. Auch in dieſer werden die erſten For¬ men Einheiten ſeyn, welche alle andere For¬ men als beſondere in ſich tragen und aus ſich265 produciren, die alſo ebendeswegen ſelbſt als Univerſa erſcheinen. Die Art, wie ſie in die Ausdehnung uͤbergehen, und den Raum erfuͤl¬ len, muß aus der ewigen Form der Einbil¬ dung der Einheit in die Vielheit ſelbſt abgelei¬ tet werden, die in den Ideen mit der entgegen¬ geſetzten (wie gezeigt) Eins, in der Erſcheinung aber als dieſe unterſcheidbar und unterſchieden iſt. Der erſte und allgemeine Typus der Raum¬ erfuͤllung iſt nothwendig, daß die ſinnlichen Einheiten, wie ſie als Ideen aus dem Abſolu¬ ten, als dem Centro, hervorgehen, ebenſo in der Erſcheinung aus einem gemeinſchaftlichen Mittelpunct, oder, weil jede Idee ſelbſt wie¬ der productiv iſt und ein Centrum ſeyn kann, aus gemeinſchaftlichen Centris gebohren wer¬ den, und wie ihre Vorbilder zugleich abhaͤngig und ſelbſtſtaͤndig ſeyen.

Nach der Conſtruction der Materie iſt alſo die Erkenntniß des Weltbaues und ſeiner Geſetze die erſte und vornehmſte in der Phy¬ ſik. Was die mathematiſche Naturlehre, ſeit266 der Zeit, daß durch Keplers goͤttliches Genie jene Geſetze ausgeſprochen ſind, fuͤr Erkenntniß derſelben geleiſtet, iſt, wie bekannt, daß ſie eine den Gruͤnden nach ganz empiriſche Conſtru¬ ction davon verſucht hat. Man kann als all¬ gemeine Regel annehmen, daß was in einer angeblichen Conſtruction nicht reine allgemeine Form iſt, auch keinen wiſſenſchaftlichen Gehalt noch Wahrheit haben koͤnne. Der Grund, aus welchem die Centrifugalbewegung der Weltkoͤr¬ per abgeleitet wird, iſt keine nothwendige Form, iſt empiriſches Factum. Die Newto¬ niſche Attractivkraft, wenn ſie auch fuͤr die auf dem Standpunct der Reflexion haftende Betrachtung eine nothwendige Annahme ſeyn mag, iſt doch fuͤr die Vernunft, die nur abſolute Verhaͤltniſſe kennt, und alſo fuͤr die Conſtruction von keiner Bedeutung. Die Gruͤnde der Kepler'ſchen Geſetze laſſen ſich, ohne allen empiriſchen Zuſatz, rein aus der Lehre von den Ideen und den zwey Einhei¬ ten einſehen, die an ſich ſelbſt Eine Einheit ſind, und kraft deren jedes Weſen, indem267 es in ſich ſelbſt abſolut, zugleich im Abſoluten iſt und umgekehrt.

Die phyſiſche Aſtronomie oder die Wiſ¬ ſenſchaft der beſondern Qualitaͤten und Ver¬ haͤltniſſe der Geſtirne beruht ihren vorzuͤg¬ lichſten Gruͤnden nach ganz auf allgemeinen An¬ ſichten, und in Beziehung auf das Planeten¬ ſyſtem insbeſondere auf der Uebereinſtimmung, welche zwiſchen dieſen und den Producten der Erde ſtatt findet.

Der Weltkoͤrper gleicht der Idee, deren Abdruck er iſt, darinn, daß er wie dieſe pro¬ ductiv iſt und alle Formen des Univerſum aus ſich hervorbringt. Die Materie, obgleich der Erſcheinung nach der Leib des Univer¬ ſum, differenziirt ſich in ſich ſelbſt wieder zu Seele und Leib. Der Leib der Materie ſind die einzelnen koͤrperlichen Dinge, in wel¬ chen die Einheit ganz in die Vielheit und Ausdehnung verloren iſt, und die deswegen als unorganiſch erſcheinen.

Die rein-hiſtoriſche Darſtellung der un¬ organiſchen Formen iſt zu einem abgeſonderten268 Zweig der Kenntniß gebildet worden: nicht ohne richtigen Sinn mit Enthaltung von al¬ ler Berufung auf innere qualitative Beſtim¬ mungen. Nachdem die ſpecifiſche Verſchieden¬ heit der Materie ſelbſt quantitativ begriffen und die Moͤglichkeit gegeben iſt, ſie als Me¬ tamorphoſe einer und derſelben Subſtanz durch bloße Formaͤnderung darzuſtellen: iſt auch der Weg zu einer hiſtoriſchen Conſtruction der Koͤrperreihe geoͤffnet, zu welcher bereits durch Steffens Ideen ein entſchiedener Anfang ge¬ macht iſt.

Die Geologie, welche das Gleiche in An¬ ſehung der ganzen Erde ſeyn muͤßte, duͤrfte keine ihrer Hervorbringungen ausſchließen und muͤßte die Geneſis aller in hiſtoriſcher Ste¬ tigkeit und Wechſelbeſtimmung zeigen. Da die reale Seite der Wiſſenſchaft immer nur hiſtoriſch ſeyn kann, (weil außer der Wiſſen¬ ſchaft nichts iſt, was unmittelbar und ur¬ ſpruͤnglich auf Wahrheit geht, als die Hi¬ ſtorie), ſo wuͤrde die Geologie, in der Fuͤlle der hoͤchſten Ausbildung, als Hiſtorie der269 Natur ſelbſt, fuͤr welche die Erde nur Mit¬ tel - und Ausgangspunct waͤre, die wahre Integration und rein objective Darſtellung der Wiſſenſchaft der Natur ſeyn, zu welcher auch die experimentirende Phyſik nur einen Ueber¬ gang bildet und das Mittel ſeyn kann.

Wie die koͤrperlichen Dinge der Leib der Materie ſind, ſo iſt die ihr eingebildete Seele das Licht. Durch die Beziehung auf die Dif¬ ferenz und als der unmittelbare Begriff der¬ ſelben, wird das Ideale ſelbſt endlich, und erſcheint in der Unterordnung unter die Aus¬ dehnung, als ein Ideales, das den Raum zwar beſchreibt, aber nicht erfuͤllt. Es iſt alſo in der Erſcheinung ſelbſt, zwar das Ideale, aber nicht das ganze Ideale des Acts der Subject-Objectivirung, (indem es die eine Seite außer ſich in dem Koͤrperlichen zuruͤck¬ laͤßt), ſondern das bloß relativ-Ideale.

Die Erkenntniß des Lichts iſt der der Materie gleich, ja mit ihr Eins, da beyde nur im Gegenſatz gegen einander, als die ſubjective und objective Seite wahrhaft begrif¬270 fen werden koͤnnen. Seitdem dieſer Geiſt der Natur von der Phyſik gewichen iſt, iſt fuͤr ſie das Leben in allen Theilen derſelben erlo¬ ſchen, wie es fuͤr ſie keinen moͤglichen Ueber¬ gang von der allgemeinen zu der organiſchen Natur giebt. Die Newtoniſche Optik iſt der groͤßte Beweis der Moͤglichkeit eines ganzen Gebaͤudes von Fehlſchluͤſſen, das in allen ſei¬ nen Theilen auf Erfahrung und Experiment gegruͤndet iſt. Als ob es nicht die, mehr oder minder bewußt, ſchon vorhandene Theo¬ rie waͤre, welche den Sinn und die Folge der Verſuche nach ſich, eigenwillig beſtimmt, wenn nicht ein ſeltner, aber gluͤcklicher Inſtinct, oder ein durch Conſtruction gewonnener allge¬ meiner Schematismus die natuͤrliche Ordnung vorſchreibt, wird das Experiment, welches wohl Einzelheiten lehren, aber nie eine ganze Anſicht geben kann, fuͤr das untruͤgliche Prin¬ cip der Naturerkenntniß geachtet.

Der Keim der Erde wird nur durch das Licht entfaltet. Denn die Materie muß Form werden und in die Beſonderheit uͤbergehen,271 damit das Licht als Weſen und Allgemeines eintreten kann.

Die allgemeine Form der Beſonderwer¬ dung der Koͤrper iſt das, wodurch ſie ſich ſelbſt gleich und in ſich zuſammenhaͤngend ſind. Aus den Verhaͤltniſſen zu dieſer allgemeinen Form, welche die der Einbildung der Einheit in die Differenz iſt, muß ſich alſo auch alle ſpecifiſche Verſchiedenheit der Materie einſe¬ hen laſſen.

Das Hervorgehen aus der Identitaͤt iſt in Anſehung aller Dinge unmittelbar zugleich das Zuruͤckſtreben in die Einheit, welches ihre ideale Seite iſt, das wodurch ſie beſeelt erſcheinen.

Den Inbegriff der lebendigen Erſcheinun¬ gen der Koͤrper darzuſtellen, iſt nach den be¬ reits bezeichneten Gegenſtaͤnden der vorzuͤg¬ lichſte und einzige der Phyſik, auch in wie fern ſie in der gewoͤhnlichen Begraͤnzung und Trennung von der Wiſſenſchaft der organi¬ ſchen Natur gedacht wird.

Jene Erſcheinungen ſind, als den Koͤr¬272 pern weſentlich inhaͤrirende Thaͤtigkeitsaͤuße¬ rungen, uͤberhaupt dynamiſch genannt wor¬ den, ſo wie der Inbegriff derſelben nach ih¬ ren verſchieden beſtimmten Formen der dyna¬ miſche Proceß heißt.

Es iſt nothwendig, daß dieſe Formen auf einen gewiſſen Kreis eingeſchloſſen ſeyn und einen allgemeinen Typus befolgen. Nur durch den Beſitz deſſelben kann man gewiß ſeyn, weder ein nothwendiges Glied zu uͤber¬ ſehen, noch Erſcheinungen, die weſentlich Ei¬ nes ſind, als verſchiedene zu betrachten. Die gewoͤhnliche Experimentalphyſik findet ſich in Ruͤckſicht der Mannichfaltigkeit und Einheit dieſer Formen in der groͤßten Ungewißheit, ſo daß jede neue Art der Erſcheinung fuͤr ſie Grund der Annahme eines neuen von allen verſchiedenen Princips wird, und daß bald dieſe Form aus jener, bald jene aus dieſer abgeleitet wird.

Stellen wir die gangbaren Theorieen und die Erklaͤrungsart jener Phaͤnomene im All¬ gemeinen unter den ſchon beſtimmten Maas¬273 ſtab, ſo iſt in keiner derſelben irgend eines als nothwendige und allgemeine Form, ſon¬ dern durchaus bloß als Zufaͤlligkeit begriffen. Denn daß es ſolche imponderable Fluͤſſigkeiten giebt, als zu jenem Behuf angenommen wer¬ den, iſt ohne alle Nothwendigkeit, und daß dieſe eben ſo beſchaffen ſind, daß ihre homo¬ genen Elemente ſich abſtoßen, die heterogenen ſich anziehen, wie zur Erklaͤrung der magne¬ tiſchen und elektriſchen Erſcheinungen angenom¬ men wird, iſt eine vollkommene Zufaͤlligkeit. Wenn man die Welt dieſer hypothetiſchen Ele¬ mente ſich zuſammenſetzt, ſo erhaͤlt man fol¬ gendes Bild ihrer Verfaſſung. Zunaͤchſt in den Poren der groͤberen Stoffe iſt die Luft, in den Poren der Luft der Waͤrmeſtoff, in den Poren von dieſem die elektriſche Fluͤſſigkeit, welche wieder in den ihrigen die magnetiſche, ſo wie dieſe in den Zwiſchenraͤumen, welche auch ſie hat, den Aether begreift. Gleich¬ wohl ſtoͤren ſich dieſe verſchiedenen in einan¬ der eingeſchachtelten Fluͤſſigkeiten nicht und er¬ ſcheinen nach dem Gefallen des Phyſikers jede18274in ihrer Art, ohne mit der andern vermiſcht zu ſeyn, und finden ſich ebenſo ohne alle Verwirrung jede wieder an ihre Stelle.

Dieſe Erklaͤrungsart iſt alſo außerdem, daß ſie ganz ohne wiſſenſchaftlichen Gehalt iſt, nicht einmal der empiriſchen Anſchaulichkeit faͤhig.

Aus der Kantiſchen Conſtruction der Ma¬ terie entwickelte ſich zunaͤchſt eine hoͤhere, ge¬ gen die materielle Betrachtung der Phaͤnome¬ ne gerichtete Anſicht, die aber in allem, was ſie Poſitives dagegen aufſtellt, ſelbſt auf ei¬ nem zu untergeordneten Standpunct zuruͤck¬ blieb. Die beyden Kraͤfte der Anziehung und Zuruͤckſtoßung, wie ſie Kant beſtimmt, ſind bloß formelle Factoren, durch Analyſis ge¬ fundene Verſtandesbegriffe, die von dem Le¬ ben und dem Weſen der Materie keine Ideen geben. Es kommt dazu, daß nach denſelben die Verſchiedenheit der Materie aus dem Ver¬ haͤltniß dieſer Kraͤfte, das er als ein bloß arithmetiſches kannte, einzuſehen unmoͤglich iſt. Die Nachfolger von Kant und die Phy¬275 ſiker, welche eine Anwendung ſeiner Lehren verſuchten, beſchraͤnkten ſich in Anſehung der dynamiſchen Vorſtellung auf das bloß Nega¬ tive, wie in Anſehung des Lichts, von dem ſie eine hoͤhere Meynung ausgeſprochen zu haben glaubten, wenn ſie es nur uͤberhaupt als immateriell bezeichneten, womit ſich dann uͤbrigens jede andere mechaniſche Hypotheſe des Euler u. a. vertrug.

Der Irrthum, der allen dieſen Anſich¬ ten gemeinſchaftlich zu Grunde lag, iſt die Vorſtellung der Materie als reiner Realitaͤt: es mußte erſt die allgemeine Subject-Objec¬ tivitaͤt der Dinge und der Materie insbeſon¬ dere wiſſenſchaftlich hergeſtellt ſeyn, ehe man dieſe Formen, in denen ihr inneres Leben ſich ausdruͤckt, begreifen konnte.

Das Seyn jedes Dinges in der Identi¬ taͤt als der allgemeinen Seele, und das Stre¬ ben zur Wiedervereinigung mit ihr, wenn es aus der Einheit geſetzt iſt, iſt als allgemei¬ ner Grund der lebendigen Erſcheinungen ſchon im Vorhergehenden angegeben. Die beſon¬18 *276dern Formen der Thaͤtigkeit ſind keine der Materie zufaͤllige, ſondern urſpruͤnglich einge¬ bohrne und nothwendige Formen. Denn wie die Einheit der Idee im Seyn zu drey Di¬ menſionen ſich ausbreitet, druͤckt auch das Le¬ ben und die Thaͤtigkeit ſich in demſelben Ty¬ pus und durch drey Formen aus, welche dem¬ nach dem Weſen der Materie ſo nothwendig als jene inhaͤriren. Durch dieſe Conſtruction iſt nicht allein gewiß, daß es nur dieſe drey For¬ men der lebendigen Bewegung der Koͤrper giebt, ſondern es iſt auch fuͤr alle beſondren Beſtim¬ mungen derſelben das allgemeine Geſetz ge¬ funden, aus dem ſie als nothwendige einge¬ ſehen werden koͤnnen.

Ich beſchraͤnke mich hier zunaͤchſt auf den chemiſchen Proceß, da die Wiſſenſchaft ſeiner Erſcheinungen zu einem beſondern Zweig der Naturkenntniß gebildet worden iſt.

Das Verhaͤltniß der Phyſik zur Chemie hat ſich in der neueren Zeit faſt zu einer gaͤnz¬ lichen Unterordnung der erſten unter die letz¬ te entſchieden. Der Schluͤſſel zur Erklaͤrung277 aller Naturerſcheinungen, auch der hoͤheren Formen, des Magnetismus, der Elektricitaͤt u. ſ. w. ſollte in der Chemie gegeben ſeyn, und je mehr allmaͤhlig alle Naturerklaͤrung auf dieſe zuruͤckgebracht wurde, deſto mehr verlor ſie ſelbſt die Mittel, ihre eigenen Er¬ ſcheinungen zu begreifen. Noch von der Ju¬ gendzeit der Wiſſenſchaft her, wo die Ahn¬ dung der innern Einheit aller Dinge dem menſchlichen Geiſt naͤher lag, hatte die jetzige Chemie einige bildliche Ausdruͤcke, wie Ver¬ wandtſchaft u. a. behalten, die aber, weit entfernt Andeutungen einer Idee zu ſeyn, in ihr vielmehr nur Freyſtaͤtten der Unwiſſenheit wurden. Das oberſte Princip und die aͤuſ¬ ſerſte Graͤnze aller Erkenntniß wurde immer mehr das, was ſich durch das Gewicht er¬ kennen laͤßt, und jene der Natur eingebohrnen, in ihr waltenden Geiſter, welche die unver¬ tilgbaren Qualitaͤten wirken, wurden ſelbſt Materien, die in Gefaͤßen aufgefangen und eingeſperrt werden konnten.

Ich laͤugne nicht, daß die neuere Che¬278 mie uns mit vielen Thatſachen bereichert hat, obgleich es immer wuͤnſchenswerth bleibt, daß dieſe neue Welt gleich anfangs durch ein hoͤ¬ heres Organ entdeckt worden waͤre, und die Einbildung laͤcherlich iſt, in der Aneinander¬ reihung jener Thatſachen, die durch nichts als die unverſtaͤndlichen Worte Stoff, Anzie¬ hung u. ſ. w. zuſammengehalten wird, eine Theorie erlangt zu haben, da man nicht ein¬ mal einen Begriff von Qualitaͤt, von Zuſam¬ menſetzung, Zerlegung u. ſ. w. hatte.

Es mag vortheilhaft ſeyn, die Chemie von der Phyſik abgeſondert zu behandeln: aber dann muß ſie auch als bloße experimen¬ tirende Kunſt, ohne allen Anſpruch auf Wiſ¬ ſenſchaft, betrachtet werden. Die Conſtruction der chemiſchen Erſcheinungen gehoͤrt nicht ei¬ ner beſondern S[c]ienz, ſondern der allgemei¬ nen und umfaſſenden Wiſſenſchaft der Natur an, in der ſie nicht außer dem Zuſammen¬ hang des Ganzen und als Phaͤnomene von eigenthuͤmlicher Geſetzmaͤßigkeit, ſondern als279 einzelne Erſcheinungsweiſen des allgemeinen Lebens der Natur erkannt werden.

Die Darſtellung des allgemeinen dyna¬ miſchen Proceſſes, der im Weltſyſtem uͤber¬ haupt und in Anſehung des Ganzen der Erde ſtatt findet, iſt im weiteſten Sinn Meteoro¬ logie und in ſo fern ein Theil der phyſiſchen Aſtronomie, da auch die allgemeinen Veraͤn¬ derungen der Erde nur durch ihr Verhaͤltniß zum allgemeinen Weltbau vollkommen gefaßt werden koͤnnen.

Die Mechanik betreffend, von der ein großer Theil in die Phyſik aufgenommen wor¬ den iſt, ſo gehoͤrt dieſe der angewandten Ma¬ thematik an; der allgemeine Typus ihrer For¬ men aber, welche nur die, rein objectiv aus¬ gedruͤckten, gleichſam getoͤdteten Formen des dynamiſchen Proceſſes ſind, iſt ihr durch die Phyſik vorgezeichnet.

Das Gebiet der letztern in ihrer gewoͤhn¬ lichen Abſonderung beſchraͤnkt ſich auf die Sphaͤre des allgemeinen Gegenſatzes zwiſchen dem Licht und der Materie oder Schwere.

280

Die abſolute Wiſſenſchaft der Natur begreift in einem und demſelben Ganzen ſowohl dieſe Erſcheinungen der getrennten Einheit, als die der hoͤheren, organiſchen Welt, durch deren Producte die ganze Subject-Objectivirung, in ihren zwey Seiten zugleich, erſcheint.

[281]

Dreyzehnte Vorleſung.

Ueber das Studium der Medicin und der organiſchen Naturleh¬ re uͤberhaupt.

[282]283

Wie der Organismus, nach der aͤlteſten An¬ ſicht, nichts anderes als die Natur im Klei¬ nen und in der vollkommenſten Selbſtanſchau¬ ung iſt, ſo muß auch die Wiſſenſchaft deſſel¬ ben alle Strahlen der allgemeinen Erkenntniß der Natur, wie in einen Brennpunct zuſam¬ menbrechen und Eins machen. Faſt zu jeder Zeit wurde die Kenntniß der allgemeinen Phy¬ ſik wenigſtens als nothwendige Stufe und Zu¬ gang zu dem Heiligthum des organiſchen Le¬ bens betrachtet. Aber welches wiſſenſchaftliche Vorbild konnte die organiſche Naturlehre von der Phyſik entlehnen, die ſelbſt ohne die all¬ gemeine Idee der Natur, jene nur mit ih¬ ren eigenen Hypotheſen beſchweren und ver¬ unſtalten konnte, wie es allgemein genug ge¬ ſchehen iſt, ſeitdem die Schranken, wodurch man die allgemeine und die lebende Natur von einander getrennt glaubte, mehr oder weniger durchbrochen wurden.

284

Der Enthuſiasmus des Zeitalters fuͤr Che¬ mie hat dieſe auch zum Erkenntnißgrund aller organiſchen Erſcheinungen und das Leben ſelbſt zu einem chemiſchen Proceß gemacht. Die Erklaͤrungen der erſten Bildung des Lebendi¬ gen durch Wahlanziehung oder Kryſtalliſation, der organiſchen Bewegungen und ſelbſt der ſo¬ genannten Sinneswirkungen durch Miſchungs¬ veraͤnderungen und Zerſetzungen, gehen vor¬ trefflich von ſtatten, nur daß diejenigen, die ſie machen, vorerſt noch zu erklaͤren haben, was denn Wahlanziehung und Miſchungsver¬ aͤnderung ſelbſt ſey, eine Frage, welche be¬ antworten zu koͤnnen, ſie ſich ohne Zweifel beſcheiden.

Mit dem bloßen Uebertragen, Anwenden von dem einen Theil der Naturwiſſenſchaft auf den andern iſt es nicht gethan: jeder iſt in ſich abſolut, keiner von dem andern abzu¬ leiten und alle koͤnnen nur dadurch wahrhaft Eins werden, daß in jedem fuͤr ſich das Beſon¬ dere aus dem Allgemeinen und aus einer ab¬ ſoluten Geſetzmaͤßigkeit begriffen wird.

285

Daß nun erſtens die Medicin allgemeine Wiſſenſchaft der organiſchen Natur werden muͤſſe, von welcher die ſonſt getrennten Thei¬ le derſelben ſaͤmmtlich nur Zweige waͤren, und daß um ihr ſowohl dieſen Umfang und innere Einheit, als den Rang einer Wiſſenſchaft zu ge¬ ben, die erſten Grundſaͤtze, auf denen ſie ruht, nicht empiriſch oder hypothetiſch, ſondern durch ſich ſelbſt gewiß und philoſophiſch ſeyn muͤſſen: dieß iſt zwar ſeit einiger Zeit allge¬ meiner gefuͤhlt und anerkannt worden, als es in Anſehung der uͤbrigen Theile der Natur¬ lehre der Fall iſt. Aber auch hier ſollte die Philoſophie vorerſt kein weiteres Geſchaͤft ha¬ ben, als in die vorhandene und gegebene Mannichfaltigkeit die aͤußere formale Einheit zu bringen und den Aerzten, deren Wiſſen¬ ſchaft durch Dichter und Philoſophen ſeit ge¬ raumer Zeit zweydeutig geworden war, wie¬ der einen guten Namen zu machen. Wenn Browns Lehre durch nichts ausgezeichnet waͤ¬ re, als durch die Reinheit von empiri¬ ſchen Erklaͤrungen und Hypotheſen, die Aner¬286 kennung und Durchfuͤhrung des großen Grund¬ ſatzes der bloß quantitativen Verſchiedenheit aller Erſcheinungen, und die Conſequenz, mit der ſie aus Einem erſten Princip folgert, oh¬ ne ſich etwas anderes zugeben zu laſſen, oder je von der Bahn der Wiſſenſchaft abzuſchwei¬ fen: ſo waͤre ihr Urheber ſchon dadurch ein¬ zig in der bisherigen Geſchichte der Medicin und der Schoͤpfer einer neuen Welt auf die¬ ſem Gebiet des Wiſſens. Es iſt wahr, er bleibt bey dem Begriff der Erregbarkeit ſte¬ hen und hat von dieſem ſelbſt keine wiſſen¬ ſchaftliche Erkenntniß, aber er verweigert zu¬ gleich alle empiriſche Erklaͤrung davon und warnt, ſich nicht auf die ungewiſſe Unterſu¬ chung der Urſachen, das Verderben der Phi¬ loſophie, einzulaſſen. Ohne Zweifel hat er da¬ mit nicht gelaͤugnet, daß es eine hoͤhere Sphaͤ¬ re des Wiſſens gebe, in welcher jener Begriff ſelbſt wieder als ein abzuleitender eintreten und aus hoͤheren eben ſo conſtruirt werden koͤnne, wie er ſelbſt aus ihm die abgeleiteten Formen der Krankheit hervorgehen laͤßt.

287

Der Begriff der Erregbarkeit iſt ein blo¬ ßer Verſtandesbegriff, wodurch zwar das ein¬ zelne organiſche Ding, aber nicht das Weſen des Organismus beſtimmt iſt. Denn das Abſolut-Ideale, welches in ihm ganz objec¬ tiv und ſubjectiv zugleich, als Leib und als Seele erſcheint, iſt an ſich außer aller Be¬ ſtimmbarkeit; das einzelne Ding aber, der organiſche Leib, den es ſich als Tempel er¬ baut, iſt durch aͤußere Dinge beſtimmbar und nothwendig beſtimmt. Da nun jenes uͤber die Einheit der Form und des Weſens im Organismus wacht, als in welcher allein die¬ ſer das Symbol von ihm iſt, ſo wird es durch jede Beſtimmung von außen, wodurch die erſte veraͤndert wird, zur Wiederherſtel¬ lung und demnach zum Handeln beſtimmt. Es iſt alſo immer nur indirect, naͤmlich durch Veraͤnderung der aͤußern Bedingungen des Lebens, niemals aber an ſich ſelbſt be¬ ſtimmbar.

Das, wodurch der Organismus Aus¬ druck der ganzen Subject-Objectivirung iſt,288 iſt, daß die Materie, welche auf der tiefe¬ ren Stufe dem Licht entgegengeſetzt und als Subſtanz erſchien, in ihm dem Licht verbun¬ den (und weil beyde, vereinigt, ſich nur als Attribute von Einem und demſelbigen ver¬ halten koͤnnen) bloßes Accidens des An-ſich des Organismus und demnach ganz Form wird. In dem ewigen Act der Umwandlung der Subjectivitaͤt in die Objectivitaͤt kann die Objektivitaͤt oder die Materie nur Accidens ſeyn, dem die Subjectivitaͤt als das Weſen oder die Subſtanz entgegenſteht, welche aber in der Entgegenſetzung ſelbſt die Abſolut¬ heit ablegt und als bloß relativ-Ideales (im Licht) erſcheint. Der Organismus iſt es alſo, welcher Subſtanz und Accidens als vollkom¬ men Eins und, wie in dem abſoluten Act der Subject-Objectivirung, in Eins gebildet darſtellt.

Dieſes Princip der Formwerdung der Materie beſtimmt nicht allein die Erkenntniß des Weſens, ſondern auch der einzelnen Fun¬ ctionen des Organismus, deren Typus mit289 dem allgemeinen der lebendigen Bewegungen derſelbe ſeyn muß, nur daß die Formen, wie geſagt, mit der Materie ſelbſt Eins ſind und ganz in ſie uͤbergehen. Wenn man alle Ver¬ ſuche der Empirie, dieſe Functionen ſowohl uͤber¬ haupt, als ihren beſondern Beſtimmungen nach zu erklaͤren, durchgeht, ſo findet ſich auch nicht in Einer derſelben eine Spur des Gedankens, ſie als allgemeine und nothwendige Formen zu faſſen. Die zufaͤllige Exiſtenz unwaͤgbarer Fluͤſſigkeiten in der Natur, fuͤr welche eben ſo zufaͤlligerweiſe in der Conformation des Orga¬ nismus gewiſſe Bedingungen der Anziehung, der Zuſammenſetzung und Zerlegung gegeben ſind, iſt auch hier das letzte troſtloſe Aſyl der Unwiſſenheit. Und dennoch iſt ſelbſt mit die¬ ſen Annahmen noch keine Erklaͤrung dahin ge¬ langt, irgend eine organiſche Bewegung z. B. der Contraction auch nur von Seiten ihres Mechanismus begreiflich zu machen. Man fiel zwar ſehr fruͤhzeitig auf die Analogie zwi¬ ſchen dieſen Erſcheinungen und denen der Elek¬ tricitaͤt: aber da man dieſe ſelbſt nicht als all¬19290gemeine, ſondern nur als beſondere Form kannte und auch keinen Begriff von Potenzen in der Natur hatte, ſo wuͤrden die erſten, an¬ ſtatt mit den andern auf die gleiche Stufe, wenn nicht auf die hoͤhere, geſetzt zu werden, vielmehr von ihnen abgeleitet und als bloße Wirkungen von ihnen begriffen: wobey, auch das elektriſche Weſen als Thaͤtigkeitsprincip zugegeben, den eigenthuͤmlichen Typus der Zu¬ ſammenziehung zu erklaͤren, noch neue Hypo¬ theſen erfodert wurden.

Die Formen der Bewegung, welche in der anorgiſchen Natur ſchon durch Magnetis¬ mus, Elektricitat und chemiſchen Proceß aus¬ gedruͤckt ſind, ſind allgemeine Formen, die in den letzteren ſelbſt bloß auf eine beſondere Weiſe er¬ ſcheinen. In ihrer Geſtalt als Magnetismus u. ſ. w., ſtellen ſie ſich als bloße von der Sub¬ ſtanz der Materie verſchiedene Accidenzen dar. In der hoͤheren Geſtalt, welche ſie durch den Organismus erhalten, ſind ſie Formen, die zugleich das Weſen der Materie ſelbſt ſind.

Fuͤr die koͤrperlichen Dinge, deren Be¬291 griff bloß der unmittelbare Begriff von ihnen ſelbſt iſt, faͤllt die unendliche Moͤglichkeit aller als Licht außer ihnen: im Organismus, deſſen Begriff unmittelbar zugleich der Begriff ande¬ rer Dinge iſt, faͤllt das Licht in das Ding ſelbſt und in gleichem Verhaͤltniß wird auch die zuvor als Subſtanz angeſchaute Materie ganz als Accidens geſetzt.

Entweder iſt nun das ideelle Princip der Materie nur fuͤr die erſte Dimenſion verbun¬ den: in dieſem Fall iſt jene auch nur fuͤr die letztere als Dimenſion des In-ſich-ſelbſt - Seyns von der Form durchdrungen und mit ihr Eins: das organiſche Weſen enthaͤlt bloß die unendliche Moͤglichkeit von ſich ſelbſt als Individuum oder als Gattung. Oder das Licht hat auch in der andern Dimenſion der Schwere ſich vermaͤhlt: ſo iſt die Materie zu¬ gleich fuͤr dieſe, welche die des Seyns in an¬ dern Dingen iſt, als Accidens geſetzt, und das organiſche Weſen enthaͤlt die unendliche Moͤg¬ lichkeit anderer Dinge außer ihm. In dem er¬ ſten Verhaͤltniß, welches das der Reproduction19 *292iſt, waren Moͤglichkeit und Wirklichkeit beyde auf das Individuum beſchraͤnkt und dadurch ſelbſt eins: in dem andern, welches das der ſelbſtſtaͤndigen Bewegung iſt, geht das Indi¬ viduum uͤber ſeinen Kreis hinaus auf andere Dinge: Moͤglichkeit und Wirklichkeit koͤnnen hier alſo nicht in Ein und daſſelbige fallen, weil die andern Dinge ausdruͤcklich als andere, als außer dem Individuum befindliche, geſetzt ſeyn ſollen. Wenn aber die beyden vorherge¬ henden Verhaͤltniſſe in dem hoͤhern verknuͤpft werden und die unendliche Moͤglichkeit anderer Dinge doch zugleich als Wirklichkeit in daſſel¬ bige faͤllt, worein jene, ſo iſt damit die hoͤchſte Function des ganzen Organismus geſetzt; die Materie iſt in jeder Beziehung und ganz Acci¬ dens des Weſens, des Idealen, welches an ſich productiv, aber hier, in der Beziehung auf ein endliches Ding, als ideal zugleich ſinn¬ lich-producirend, alſo anſchauend iſt.

Wie auch die allgemeine Natur nur in der goͤttlichen Selbſtbeſchauung beſteht und die Wirkung von ihr iſt, ſo iſt in den lebenden293 Weſen dieſes ewige Produciren ſelbſt erkennbar gemacht und objectiv geworden. Es bedarf kaum des Beweiſes, daß in dieſem hoͤheren Ge¬ biet der organiſchen Natur, wo der ihr einge¬ bohrne Geiſt ſeine Schranken durchbricht, jede Erklaͤrung, die ſich auf die gemeinen Vorſtel¬ lungen von der Materie ſtuͤtzt, ſo wie alle Hy¬ potheſen, durch welche die untergeordnetern Er¬ ſcheinungen noch nothduͤrftig begreiflich gemacht werden, voͤllig unzureichend werden: weßhalb auch die Empirie dieſes Gebiet allmaͤhlich ganz geraͤumt, und ſich theils hinter die Vorſtellun¬ gen des Dualismus, theils in die Teleologie zuruͤckgezogen hat.

Nach Erkenntniß der organiſchen Functio¬ nen in der Allgemeinheit und Nothwendigkeit ihrer Formen, iſt die der Geſetze, nach welchen ihr Verhaͤltniß unter einander, ſowohl im In¬ dividuum als in der geſammten Welt der Or¬ ganiſationen beſtimmt iſt, die erſte und wich¬ tigſte.

Das Individuum iſt in Anſehung deſſel¬ ben auf eine gewiſſe Graͤnze eingeſchraͤnkt,294 welche nicht uͤberſchritten werden kann, ohne ſein Beſtehen als Product unmoͤglich zu ma¬ chen: es iſt dadurch der Krankheit unterwor¬ fen. Die Conſtructi[o][n]dieſes Zuſtandes iſt ein nothwendiger Theil der allgemeinen organiſchen Naturlehre, und von dem, was man Phyſiolo¬ gie genannt hat, nicht zu trennen. In der groͤ߬ ten Allgemeinheit kann ſie vollkommen aus den hoͤchſten Gegenſatzen der Moͤglichkeit und Wirk¬ lichkeit im Organismus und der Stoͤrung des Gleichgewichtes beyder gefuͤhrt werden: die be¬ ſondern Formen und Erſcheinungen der Krank¬ heit aber ſind allein aus dem veraͤnderten Ver¬ haͤltniß der drey Grundformen der organiſchen Thaͤtigkeit erkennbar. Es giebt ein doppeltes Verhaͤltniß des Organismus, wovon ich das erſte das natuͤrliche nennen moͤchte, weil es, als ein rein quantitatives der inneren Factoren des Lebens, zugleich ein Verhaͤltniß zu der Natur und den aͤußern Dingen iſt. Das andere, wel¬ ches ein Verhaͤltniß der beyden Factoren in Be¬ zug auf die Dimenſionen iſt, und die Vollkom¬ menheit bezeichnet, in welcher der Organismus295 Bild des Univerſum, Ausdruck des Abſolu¬ ten iſt, nenne ich das goͤttliche Verhaͤltniß. Brown hat allein auf das erſte als das vor¬ nehmſte fuͤr die mediciniſche Kunſt reflectirt, aber deshalb das andere nicht poſitiv ausge¬ ſchloſſen, deſſen Geſetze allein den Arzt die Gruͤnde der Formen, den erſten und hauptſaͤch¬ lichſten Sitz des Misverhaͤltniſſes lehren, ihn in der Wahl der Mittel leiten, und uͤber das, was der Mangel an Abſtraction das Specifiſche in der Wirkung der letztern ſowohl als in den Er¬ ſcheinungen der Krankheit genannt hat, verſtaͤn¬ digen. Daß nach dieſer Anſicht auch die Lehre von den Arzneymitteln keine eigene Scienz, ſondern nur ein Element der allgemeinen Wiſ¬ ſenſchaft der organiſchen Natur ſey, verſteht ſich von ſelbſt.

Ich muͤßte nur das, von wuͤrdigen Maͤn¬ nern, vielfach Geſagte wiederholen, wenn ich beweiſen wollte, daß die Wiſſenſchaft der Me¬ dicin in dieſem Sinne nicht nur uͤberhaupt phi¬ loſophiſche Bildung des Geiſtes, ſondern auch Grundſaͤtze der Philoſophie vorausſetze: und,296 wenn es zur Ueberzeugung von dieſer Wahr¬ heit fuͤr die Verſtaͤndigen noch etwas außer den allgemeinen Gruͤnden beduͤrfte, waͤren es fol¬ gende Betrachtungen: daß in Anſehung dieſes Gegenſtandes das Experiment, die einzig moͤg¬ liche Art der Conſtruction fuͤr die Empirie, an ſich unmoͤglich iſt, daß alle angebliche medici¬ niſch: Erfahrung ihrer Natur nach zweydeutig iſt, und mittelſt derſelben uͤber Werth oder Un¬ werth einer Lehre niemals entſchieden werden kann, weil in jedem Fall die Moͤglichkeit bleibt, daß ſie falſch angewendet worden: daß in dieſem Theile des Wiſſens, wenn in irgend einem andern, die Erfahrung erſt durch die Theorie moͤglich gemacht werde, wie die durch die Erregungstheorie gaͤnzlich veraͤnderte An¬ ſicht aller vergangenen Erfahrung hinlaͤnglich beurkundet. Zum Ueberfluß koͤnnte man ſich auf die Werke und Hervorbringungen derjeni¬ gen berufen, die ohne den geringſten Begriff oder einige Wiſſenſchaft erſter Grundſaͤtze durch die Macht der Zeit getrieben die neue Lehre, obgleich ſie ihnen unverſtaͤndlich iſt, dennoch in297 Schriften oder Lehrvortraͤgen behaupten wol¬ len, und ſelbſt den Schuͤlern laͤcherlich werden, indem ſie das Unvereinbare und Widerſprechen¬ de damit zu vereinen ſuchen, auch das Wiſſen¬ ſchaftliche wie einen hiſtoriſchen Gegenſtand behandeln, und da ſie von Beweiſen reden, doch immer nur zu erzaͤhlen vermoͤgen: auf die man anwenden moͤchte, was zu ſeiner Zeit Ga¬ lenus von dem großen Haufen der Aerzte ge¬ ſagt hat: So ungeuͤbt und ungebildet und da¬ bey ſo frech und ſchnell im Beweiſen, wenn ſie ſchon nicht wiſſen, was ein Beweis iſt wie ſoll man mit dieſen vernunftloſen Weſen noch laͤnger ſtreiten und ſeine Zeit an ihren Erbaͤrm¬ lichkeiten verlieren!

Dieſelben Geſetze, welche die Metamor¬ phoſen der Krankheit beſtimmen, beſtimmen auch die allgemeinen und bleibenden Verwand¬ lungen, welche die Natur in der Production der verſchiedenen Gattungen uͤbt. Denn auch dieſe beruhen einzig auf der ſteten Wiederholung eines und deſſelben Grundtypus mit beſtaͤndig veraͤn¬ derten Verhaͤltniſſen, und es iſt offenbar, daß298 die Medicin erſt dann in die allgemeine orga¬ niſche Naturlehre vollkommen ſich aufloͤſen wird, wenn ſie die Geſchlechter der Krankhei¬ ten, dieſer idealen Organismen, mit der glei¬ chen Beſtimmtheit, wie die aͤchte Naturge¬ ſchichte die Geſchlechter der realen Organismen conſtruirt, wo denn beyde nothwendig als ſich entſprechend erſcheinen muͤſſen.

Aber was kann die hiſtoriſche Conſtru¬ ction der Organismen, welche den ſchaffenden Geiſt durch ſeine Labyrinthe verfolgt, anders leiten, als die Form der aͤußern Bildung, da kraft des ewigen Geſetzes der Subject-Objecti¬ virung das Aeußere in der ganzen Natur Aus¬ druck und Symbol des Inneren iſt, und ſich eben ſo regelmaͤßig und beſtimmt wie dieſes ver¬ aͤndert?

Die Denkmaͤler einer wahren Geſchichte der organiſch-zeugenden Natur ſind alſo die ſichtbaren Formen lebendiger Bildungen, von der Pflanze bis zum Gipfel des Thiers, deren Kenntniß man bisher, in einſeitigem Sinne, als vergleichende Anatomie bezeichnet hat. Zwar299 leidet es keinen Zweifel, daß in dieſer Art des Wiſſens Vergleichung das erſte leitende Princip iſt: aber nicht Vergleichung mit irgend einem empiriſchen Vorbild, am wenigſten mit der menſchlichen Bildung, welche als die vollen¬ detſte nach Einer Richtung zugleich an der Graͤnze der Organiſation ſteht. Die erſte Be¬ ſchraͤnkung der Anatomie uͤberhaupt auf die des menſchlichen Koͤrpers hatte zwar in dem Ge¬ brauch, der von derſelben in der Arzneykunſt beabſichtigt wurde, einen ſehr einleuchtenden Grund, war aber der Wiſſenſchaft ſelbſt in kei¬ nem Betracht vortheilhaft. Nicht nur weil die menſchliche Organiſation ſo verborgen iſt, daß um der Anatomie derſelben auch nur diejenige Vollkommenheit zu geben, die ſie jetzt hat, die Vergleichung mit andern Organiſationen noth¬ wendig war, ſondern auch, weil ſie, durch ihre Potenzirtheit ſelbſt, den Geſichtspunct fuͤr die uͤbrigen verruͤckt und die Erhebung zu einfachen und allgemeinen Anſichten erſchwert. Die Un¬ moͤglichkeit, uͤber die Gruͤnde einer ſo verwickel¬ ten Bildung im Einzelnen die geringſte Re¬300 chenſchaft abzulegen, nachdem man ſich ſelbſt den Weg dazu verſperrt hatte, fuͤhrte die Tren¬ nung der Anatomie und Phyſiologie, die ſich beyde wie Aeußeres und Inneres entſprechen muͤßten, und jene ganz mechaniſche Art des Vortrags herbey, der in den meiſten Lehrbuͤ¬ chern und auf Academieen der herrſchende iſt. Der Anatom, welcher ſeine Wiſſenſchaft zugleich als Naturforſcher und im allgemeinen Geiſte behandeln wollte, muͤßte zuvoͤrderſt erken¬ nen, daß es einer Abſtraction, einer Erhebung uͤber die gemeine Anſicht bedarf, um die wirkli¬ chen Formen auch nur hiſtoriſch wahr auszuſpre¬ chen. Er begreife das Symboliſche aller Geſtal¬ ten und daß auch in dem Beſondern immer eine allgemeine Form, wie in dem Aeußern ein in¬ nerer Typus ausgedruͤckt iſt. Er frage nicht, wozu dient dieſes oder jenes Organ? ſondern, wie iſt es entſtanden? und zeige die reine Noth¬ wendigkeit ſeiner Formation. Je allgemeiner, je weniger auf den beſondern Fall eingerichtet die Anſichten ſind, aus denen er die Geneſis der Formen herleitet, deſto eher wird er die301 unausſprechliche Naivetaͤt der Natur in ſo vielen ihrer Bildungen erreichen und faſſen. Am we¬ nigſten wolle er, indem er die Weisheit und Vernunft Gottes zu bewundern meynt, ſeine eigene Unweisheit und Unvernunft zu bewun¬ dern geben.

Beſtaͤndig ſey in ihm die Idee von der Einheit und inneren Verwandtſchaft aller Or¬ ganiſationen, der Abſtammung von Einem Ur¬ bild, deſſen Objectives allein veraͤnderlich, das Subjective aber unveraͤnderlich iſt: und jene darzuſtellen, halte er fuͤr ſein einziges wahres Geſchaͤft. Er bemuͤhe ſich vor allem um das Geſetz, nach welchem jene Veraͤnderlichkeit ſtatt findet: er wird erkennen: daß weil das Urbild an ſich immer daſſelbige bleibt, auch das, wo¬ durch es ausgedruͤckt wird, nur der Form nach veraͤnderlich ſeyn koͤnne, daß alſo eine gleiche Summe von Realitaͤt in allen Organiſationen verwendet und nur verſchiedentlich genutzt wird: daß eine Erſetzung des Zuruͤckſtehens der einen Form durch das Hervortreten der andern und des Uebergewichts von dieſer durch das Zuruͤck¬302 draͤngen von jener ſtatt habe. Er wird ſich aus Vernunft und Erfahrung einen Schematismus aller innern und aͤußern Dimenſionen entwer¬ fen, in welche ſich der productive Trieb werfen kann: wodurch er fuͤr die Einbildungskraft ein Prototyp aller Organiſationen gewinnt, das in ſeinen aͤußerſten Graͤnzen unbeweglich, innerhalb derſelben aber der groͤßten Freyheit der Bewegung faͤhig iſt.

Die hiſtoriſche Conſtruction der organi¬ ſchen Natur wuͤrde, in ſich vollendet, die reale und objective Seite der allgemeinen Wiſſen¬ ſchaft derſelben zum vollkommenen Ausdruck der Ideen in dieſer, und dadurch mit ihr ſelbſt wahrhaft Eins machen.

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Vierzehnte Vorleſung.

Ueber Wiſſenſchaft der Kunſt, in Bezug auf das academi¬ ſche Studium.

[304]305

Wiſſenſchaft der Kunſt kann vorerſt die hiſto¬ riſche Conſtruction derſelben bedeuten. In die¬ ſem Sinne fodert ſie als aͤußere Bedingung nothwendig unmittelbare Anſchauung der vor¬ handenen Denkmaͤler. Da dieſe in Anſehung der Werke der Dichtkunſt allgemein moͤglich iſt, wird auch jene in der angegebenen Beziehung, als Philologie, ausdruͤcklich unter die Gegen¬ ſtaͤnde des academiſchen Vortrags gezaͤhlt. Demungeachtet wird auf Univerſitaͤten nichts ſeltener gelehrt als Philologie in dem zu¬ vor beſtimmten Sinne, welches nicht zu ver¬ wundern, da jene eben ſo ſehr Kunſt iſt, wie die Poeſie und der Philologe nicht minder als der Dichter gebohren wird.

Noch viel weniger alſo iſt die Idee einer hiſtoriſchen Conſtruction der Werke bildender Kunſt auf Univerſitaͤten zu ſuchen, da ſie der unmittelbaren Anſchauung derſelben beraubt ſind, und wo etwa auch Ehrenhalber, mit Un¬20306terſtuͤtzung einer reichen Bibliothek, ſolche Vor¬ traͤge verſucht werden, ſchraͤnken ſie ſich von ſelbſt auf die bloß gelehrte Kenntniß der Kunſt¬ geſchichte ein.

Univerſitaͤten ſind nicht Kunſtſchulen. Noch weniger alſo kann die Wiſſenſchaft derſelben in practiſcher oder techniſcher Abſicht auf ihnen gelehrt werden.

Es bleibt alſo nur die ganz ſpeculative uͤbrig, welche nicht auf Ausbildung der empi¬ riſchen, ſondern der intellectuellen Anſchauung der Kunſt gerichtet waͤre. Aber eben hiemit wird die Vorausſetzung einer philoſophiſchen Conſtruction der letztern gemacht, gegen welche ſich von Seiten der Philoſophie, wie der Kunſt, bedeutende Zweifel erheben.

Sollte zuvoͤrderſt der Philoſoph, deſſen in¬ tellectuelle Anſchauung allein auf die, ſinnlichen Augen verborgene und unerreichbare, nur dem Geiſte zugaͤngliche Wahrheit gerichtet ſeyn ſoll, ſich mit der Wiſſenſchaft der Kunſt befaſſen, welche, nur die Hervorbringung des ſchoͤnen Scheins zur Abſicht hat, und entweder bloß307 die taͤuſchenden Nachbilder von jener zeigt oder ganz ſinnlich iſt, wie ſie der groͤßte Theil der Menſchen begreift, der ſie als Sinnenreiz, als Erholung, Abſpannung des durch ernſtere Ge¬ ſchaͤfte ermuͤdeten Geiſtes anſieht, als ange¬ nehme Erregung, die vor jeder andern nur das voraus hat, daß ſie durch ein zarteres Me¬ dium geſchieht, wodurch ſie aber fuͤr das Ur¬ theil des Philoſophen, außer dem, daß er ſie als eine Wirkung des ſinnlichen Triebes betrachten muß, nur das noch verwerflichere Gepraͤge der Verderbniß und der Civiliſation erhalten kann. Nach dieſer Vorſtellung derſelben koͤnnte Philoſo¬ phie ſich von der ſchlaffen Sinnlichkeit, welche die Kunſt ſich wegen dieſer Beziehung gefallen laͤßt, nur durch abſolute Verdammung derſel¬ ben unterſcheiden.

Ich rede von einer heiligeren Kunſt, der¬ jenigen, welche, nach den Ausdruͤcken der Al¬ ten, ein Werkzeug der Goͤtter, eine Verkuͤndi¬ gerin goͤttlicher Geheimniſſe, die Enthuͤllerin der Ideen iſt, von der ungebohrnen Schoͤn¬ heit, deren unentweihter Strahl nur reine20 *308Seelen inwohnend erleuchtet, und deren Ge¬ ſtalt dem ſinnlichen Auge eben ſo verborgen und unzugaͤnglich iſt, als die der gleichen Wahrheit. Nichts von dem, was der gemeinere Sinn Kunſt nennt, kann den Philoſophen beſchaͤfti¬ gen: ſie iſt ihm eine nothwendige, aus dem Ab¬ ſoluten unmittelbar ausfließende Erſcheinung, und nur ſo fern ſie als ſolche dargethan und be¬ wieſen werden kann, hat ſie Realitaͤt fuͤr ihn.

Aber hat nicht ſelbſt der goͤttliche Plato in ſeiner Republik die nachahmende Kunſt ver¬ dammt, die Poeten aus ſeinem Vernunftſtaat verbannt, nicht nur als unnuͤtze, ſondern als verderbliche Glieder, und kann irgend eine Au¬ toritaͤt beweiſender fuͤr die Unvertraͤglichkeit der Poeſie und Philoſophie ſeyn, als dieſes Urtheil des Koͤniges der Philoſophen?

Es iſt weſentlich, den beſtimmten Stand¬ punct zu erkennen, aus welchem Plato jenes Urtheil uͤber die Dichter ſpricht: denn wenn ir¬ gend ein Philoſoph die Abſonderung der Stand¬ puncte beobachtet hat, iſt es dieſer, und ohne jene Unterſcheidung wuͤrde es, wie uͤberall, ſo309 hier insbeſondere, unmoͤglich ſeyn, ſeinen bezie¬ hungsreichen Sinn zu faſſen, oder die Wider¬ ſpruͤche ſeiner Werke uͤber denſelbigen Gegen¬ ſtand zu vereinigen. Wir muͤſſen uns vorerſt entſchließen, die hoͤhere Philoſophie und die des Plato insbeſondere als den entſchiedenen Gegenſatz in der griechiſchen Bildung, nicht nur in Beziehung auf die ſinnlichen Vorſtellun¬ gen der Religion, ſondern auch auf die objecti¬ ven und durchaus realen Formen des Staates zu denken. Ob nun in einem ganz idealen und gleichſam innerlichen Staat, wie der Platoni¬ ſche, von der Poeſie auf andere Weiſe die Re¬ de ſeyn koͤnne und jene Beſchraͤnkung, die er ihr auferlegt, nicht eine nothwendige ſey? die Beantwortung dieſer Frage wuͤrde uns hier zu weit fuͤhren. Jener Gegenſatz aller oͤffentli¬ chen Formen gegen die Philoſophie mußte noth¬ wendig eine gleiche Entgegenſetzung der letztern gegen die erſtere hervorbringen, wovon Plato weder das fruͤheſte noch das einzige Beyſpiel iſt. Von Pythagoras an und noch weiter zu¬ ruͤck, bis auf Plato herab, erkennt ſich die310 Philoſophie ſelbſt als eine exotiſche Pflanze im griechiſchen Boden, ein Gefuͤhl, das ſchon in dem allgemeinen Trieb ſich ausdruͤckte, welcher diejenigen, die entweder durch die Weisheit fruͤ¬ herer Philoſophen oder die Myſterien in hoͤhere Lehren eingeweiht waren, nach dem Mutter¬ land der Ideen, dem Orient fuͤhrte.

Aber auch abgeſehen von dieſer bloß hiſto¬ riſchen, nicht philoſophiſchen, Entgegenſetzung, die letztere vielmehr zugegeben, was iſt Plato's Verwerfung der Dichtkunſt, verglichen insbe¬ ſondere mit dem, was er in andern Werken zum Lob der enthuſiaſtiſchen Poeſie ſagt, an¬ ders, als Polemik gegen den poetiſchen Rea¬ lismus, eine Vorahndung der ſpaͤtern Rich¬ tung des Geiſtes uͤberhaupt und der Poeſie ins¬ beſondere? Am wenigſten koͤnnte jenes Urtheil gegen die chriſtliche Poeſie geltend gemacht werden, welche im Ganzen eben ſo beſtimmt den Charakter des Unendlichen traͤgt, wie die antike im Ganzen den des Endlichen. Daß wir die Graͤnzen, welche die letztere hat, ge¬ nauer beſtimmen koͤnnen, als Plato, der ih¬311 ren Gegenſatz nicht kannte, daß wir eben des¬ wegen uns zu einer umfaſſenderen Idee und Conſtruction der Poeſie als er erheben und das, was er als das Verwerfliche der Poeſie ſeiner Zeit betrachtete, nur als die ſchoͤne Schranke derſelben bezeichnen, verdanken wir der Erfahrung der ſpaͤteren Zeit und ſehen als Erfuͤllung, was Plato weiſſagend vermißte. Die chriſtliche Religion und mit ihr der aufs Intellectuelle gerichtete Sinn, der in der alten Poeſie weder ſeine vollkommene Befriedigung, noch ſelbſt die Mittel der Darſtellung finden konnte, hat ſich eine eigene Poeſie und Kunſt geſchaffen, in der er ſie findet: dadurch ſind die Bedingungen der vollſtaͤndigen und ganz obje¬ ctiven Anſicht der Kunſt, auch der antiken, ge¬ geben.

Es erhellt hieraus, daß die Conſtruction derſelben ein wuͤrdiger Gegenſtand nicht nur uͤberhaupt des Philoſophen, ſondern auch ins¬ beſondere des chriſtlichen Philoſophen ſey, der ſich ein eigenes Geſchaͤft daraus zu machen hat,312 das Univerſum derſelben zu ermeſſen und dar¬ zuſtellen.

Aber iſt, um die andere Seite dieſes Ge¬ genſtandes herauszukehren, ſeinerſeits nun der Philoſoph geeignet, das Weſen der Kunſt zu durchdringen und mit Wahrheit darzuſtellen?

Wer kann, ſo hoͤre ich fragen, von je¬ nem goͤttlichen Princip, das den Kuͤnſtler treibt, jenem geiſtigen Hauch, der ſeine Werke beſeelt, wuͤrdig reden, als wer ſelbſt von die¬ ſer heiligen Flamme ergriffen iſt? Kann man verſuchen, dasjenige der Conſtruction zu unter¬ werfen, was eben ſo unbegreiflich in ſeinem Urſprung, als wundervoll in ſeinen Wirkungen iſt? Kann man das unter Geſetze bringen und beſtimmen wollen, deſſen Weſen es iſt, kein Geſetz als ſich ſelbſt anzuerkennen? Oder iſt nicht das Genie durch Begriffe ſo wenig zu faſſen, als es durch Geſetze erſchaffen werden kann? Wer wagt es, noch uͤber das hinaus einen Gedanken haben zu wollen, was offen¬ bar das Freyeſte, das Abſoluteſte iſt im gan¬ zen Univerſum, wer uͤber die letzten Graͤnzen313 hinaus ſeinen Geſichtskreis zu erweitern, um dort neue Graͤnzen zu ſtecken.

So koͤnnte ein gewiſſer Enthuſiasmus re¬ den, der die Kunſt nur in ihren Wirkungen aufgefaßt haͤtte, und weder ſie ſelbſt wahrhaft noch die Stelle kennte, welche der Philoſophie im Univerſum angewieſen iſt. Denn auch an¬ genommen, daß die Kunſt aus nichts hoͤherem begreiflich ſey, ſo iſt doch ſo durchgreifend, ſo allwaltend das Geſetz des Univerſum, daß al¬ les, was in ihm begriffen iſt, in einem andern ſein Vorbild oder Gegenbild habe, ſo abſolut die Form der allgemeinen Entgegenſtellung des Realen und Idealen, daß auch auf der letzten Graͤnze des Unendlichen und Endlichen, da wo die Gegenſaͤtze der Erſcheinung in die rein¬ ſte Abſolutheit verſchwinden, daſſelbe Verhaͤlt¬ niß ſeine Rechte behauptet und in der letzten Potenz wiederkehrt. Dieſes Verhaͤltniß iſt das der Philoſophie und der Kunſt.

Die letztere, obgleich ganz abſolut, voll¬ kommene In-Eins-Bildung des Realen und Idealen verhaͤlt ſich doch ſelbſt wieder zur Phi¬314 loſophie wie Reales zum Idealen. In dieſer loͤſt der letzte Gegenſatz des Wiſſens ſich in die reine Identitaͤt auf und nichts deſto weniger bleibt auch ſie im Gegenſatz gegen die Kunſt immer nur ideal. Beyde begegnen ſich alſo auf dem letzten Gipfel und ſind ſich, eben kraft der gemeinſchaftlichen Abſolutheit, Vorbild und Gegenbild. Dieß iſt der Grund, daß in das In¬ nere der Kunſt wiſſenſchaftlich kein Sinn tiefer eindringen kann, als der der Philoſophie, ja daß der Philoſoph in dem Weſen der Kunſt ſo gar kla¬ rer, als der Kuͤnſtler ſelbſt zu ſehen vermag. In ſo fern das Ideelle immer ein hoͤherer Re¬ flex des Reellen iſt, in ſo fern iſt in dem Phi¬ loſophen nothwendig auch noch ein hoͤherer ide¬ eller Reflex von dem, was in dem Kuͤnſtler reell iſt. Hieraus erhellt nicht nur uͤberhaupt, daß in der Philoſophie die Kunſt Gegenſtand eines Wiſſens werden koͤnne, ſondern auch, daß außer der Philoſophie und anders als durch Philoſophie von der Kunſt nichts auf abſolute Art gewußt werden koͤnne.

Der Kuͤnſtler, da in ihm daſſelbe Prin¬315 cip objectiv iſt, was ſich in dem Philoſophen ſubjectiv reflectirt, verhaͤlt ſich darum auch zu jenem nicht ſubjectiv oder bewußt, nicht als ob er nicht gleichfalls durch einen hoͤheren Reflex ſich deſſelben bewußt werden koͤnnte: aber dieß iſt er nicht in der Qualitaͤt des Kuͤnſtlers. Als ſolcher iſt er von jenem Princip getrieben und beſitzt es eben darum ſelbſt nicht; wenn er es mit demſelben zum idealen Reflex bringt, ſo erhebt er ſich eben dadurch als Kuͤnſtler zu ei¬ ner hoͤheren Potenz, verhaͤlt ſich aber als ſol¬ cher auch in dieſer ſtets objectiv: das Sub¬ jective in ihm tritt wieder zum Objectiven, wie im Philoſophen ſtets das Objective ins Sub¬ jective aufgenommen wird. Darum bleibt die Philoſophie der innern Identitaͤt mit der Kunſt ungeachtet doch immer und nothwendig Wiſſen¬ ſchaft d. h. ideal, die Kunſt immer und noth¬ wendig Kunſt d. h. real.

Wie alſo der Philoſoph die Kunſt ſogar bis zu der geheimen Urquelle und in die erſte Werkſtaͤtte ihrer Hervorbringungen ſelbſt verfol¬ gen koͤnne, iſt nur vom rein objectiven Stand¬316 punct, oder von dem einer Philoſophie aus, die nicht im Idealen zu der gleichen Hoͤhe mit der Kunſt im Realen geht, unbegreiflich. Die¬ jenigen Regeln, die das Genie abwerfen kann, ſind ſolche, welche ein bloß mechaniſcher Ver¬ ſtand vorſchreibt; das Genie iſt autonomiſch, nur der fremden Geſetzgebung entzieht es ſich, nicht der eigenen, denn es iſt nur Genie, ſofern es die hoͤchſte Geſetzmaͤßigkeit iſt; aber eben dieſe abſolute Geſetzgebung erkennt die Philoſophie in ihm, welche nicht allein ſelbſt autonomiſch iſt, ſondern auch zum Princip aller Autonomie vordringt. Zu jeder Zeit hat man daher ge¬ ſehen, daß die wahren Kuͤnſtler ſtill, einfach, groß und nothwendig ſind in ihrer Art, wie die Natur. Jener Enthuſiasmus, der in ih¬ nen nichts erblickt, als das von Regeln freye Genie, entſteht ſelbſt erſt durch die Reflexion, die von dem Genie nur die negative Seite er¬ kennt: es iſt ein Enthuſiasmus der zweyten Hand, nicht der, welcher den Kuͤnſtler beſeelt und der in einer gottaͤhnlichen Freyheit zugleich die reinſte und hoͤchſte Nothwendigkeit iſt.

317

Allein wenn nun der Philoſoph auch am eheſten das Unbegreifliche der Kunſt darzuſtel¬ len, das Abſolute in ihr zu erkennen faͤhig iſt: wird er eben ſo geſchickt ſeyn, das Begreifliche in ihr zu begreifen und durch Geſetze zu beſtim¬ men? Ich meyne die techniſche Seite der Kunſt: wird ſich die Philoſophie zu dem Em¬ piriſchen der Ausfuͤhrung und der Mittel und Bedingungen derſelben herablaſſen koͤnnen?

Die Philoſophie, die ganz allein mit Ideen ſich beſchaͤftigt, hat in Anſehung des Empiriſchen der Kunſt nur die allgemeinen Ge¬ ſetze der Erſcheinung, und auch dieſe nur in der Form der Ideen aufzuzeigen: denn die Formen der Kunſt ſind die Formen der Dinge an ſich und wie ſie in den Urbildern ſind. So weit alſo jene allgemein und aus dem Univer¬ ſum an und fuͤr ſich eingeſehen werden koͤnnen, iſt ihre Darſtellung ein nothwendiger Theil der Philoſophie der Kunſt, nicht aber in ſo fern ſie Regeln der Ausfuͤhrung und Kunſtausuͤbung enthaͤlt. Denn uͤberhaupt iſt Philoſophie der Kunſt Darſtellung der abſoluten Welt in der318 Form der Kunſt. Nur die Theorie bezieht ſich unmittelbar auf das Beſondere oder einen Zweck, und iſt das, wornach eine Sache em¬ piriſch zu Stande gebracht werden kann. Die Philoſophie dagegen iſt durchaus unbedingt, ohne Zweck außer ſich. Wenn man auch dar¬ auf ſich berufen wollte, daß das Techniſche der Kunſt dasjenige iſt, wodurch ſie den Schein der Wahrheit erhaͤlt, was alſo dem Philoſo¬ phen anheim fallen koͤnnte, ſo iſt dieſe Wahr¬ heit doch bloß empiriſch: diejenige, welche der Philoſoph in ihr erkennen und darſtellen ſoll, iſt hoͤherer Art, und mit der abſoluten Schoͤn¬ heit Eins und daſſelbe, die Wahrheit der Ideen.

Der Zuſtand des Widerſpruchs und der Entzweyung, auch uͤber die erſten Begriffe, worinn ſich das Kunſturtheil nothwendig in ei¬ nem Zeitalter befindet, welches die verſiegten Quellen derſelben durch die Reflexion wieder oͤffnen will, macht es doppelt wuͤnſchenswuͤrdig, daß die abſolute Anſicht der Kunſt auch in Be¬ zug auf die Formen, in denen dieſe ſich aus¬319 druͤckt, auf wiſſenſchaftliche Art, von den er¬ ſten Grundſaͤtzen aus, durchgefuͤhrt wuͤrde, da, ſo lange dieß nicht geſchehen iſt, im Urtheil wie in der Foderung, neben dem, was an ſich gemein und platt iſt, auch das Beſchraͤnkte, das Einſeitige, das Grillenhafte beſtehen kann. Die Conſtruction der Kunſt in jeder ihrer beſtimmten Formen bis ins Concrete herab fuͤhrt von ſelbſt zur Beſtimmung derſelben durch Bedingungen der Zeit und geht alſo da¬ durch in die hiſtoriſche Conſtruction uͤber. An der vollſtaͤndigen Moͤglichkeit einer ſolchen und Ausdehnung auf die ganze Geſchichte der Kunſt iſt um ſo weniger zu zweifeln, nachdem der allgemeine Dualismus des Univerſum, in dem Gegenſatz der antiken und modernen Kunſt, auch in dieſem Gebiet dargeſtellt und auf die bedeutendſte Weiſe, theils durch das Organ der Poeſie ſelbſt, theils durch die Kritik geltend ge¬ macht worden iſt. Da Conſtruction allgemein Aufhebung von Gegenſaͤtzen iſt, und die, wel¬ che in Anſehung der Kunſt durch ihre Zeitab¬ haͤngigkeit geſetzt ſind, wie die Zeit ſelbſt, un¬320 weſentlich und bloß formell ſeyn muͤſſen, ſo wird die wiſſenſchaftliche Conſtruction in der Darſtellung der gemeinſchaftlichen Einheit be¬ ſtehen, aus der jene ausgefloſſen ſind und ſich ebendadurch uͤber ſie zum umfaſſenderen Standpunct erheben.

Eine ſolche Conſtruction der Kunſt iſt al¬ lerdings mit nichts von dem zu vergleichen, was bis auf die gegenwaͤrtige Zeit unter dem Namen von Aeſthetik, Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, oder irgend einem andern exiſtirt hat. In den allgemeinſten Grundſaͤtzen des erſten Urhebers jener Bezeich¬ nung lag wenigſtens noch die Spur der Idee des Schoͤnen, als des in der concreten und abgebildeten Welt erſcheinenden Urbildlichen. Seit der Zeit erhielt dieſe eine immer beſtimm¬ tere Abhaͤngigkeit vom Sittlichen und Nuͤtzli¬ chen: ſo wie in den pſychologiſchen Theorieen ihre Erſcheinungen ohngefaͤhr gleich den Ge¬ ſpenſter-Geſchichten oder anderm Aberglauben wegerklaͤrt wurden, bis der hierauf folgende Kantiſche Formalismus zwar eine neue und hoͤ¬321 here Anſicht, mit dieſer aber eine Menge kunſt¬ leerer Kunſtlehren gebohren hat.

Die Saamen einer aͤchten Wiſſenſchaft der Kunſt, welche treffliche Geiſter ſeitdem ausgeſtreut haben, ſind noch nicht zum wiſſen¬ ſchaftlichen Ganzen gebildet, das ſie jedoch er¬ warten laſſen. Philoſophie der Kunſt iſt noth¬ wendiges Ziel Philoſophen, der in dieſer das innere Weſen ſeiner Wiſſenſchaft, wie in einem magiſchen und ſymboliſchen Spiegel ſchaut; ſie iſt ihm als Wiſſenſchaft an und fuͤr ſich wichtig, wie es z. B. die Naturphiloſophie iſt, als Conſtruction der merkwuͤrdigſten aller Producte und Erſcheinungen, oder Conſtruction einer eben ſo in ſich geſchloſſenen und vollende¬ ten Welt, als es die Natur iſt. Der begei¬ ſterte Naturforſcher lernt durch ſie die wahren Urbilder der Formen, die in der Natur nur verworren ausgedruͤckt findet, in den Werken der Kunſt und die Art, wie die ſinnlichen Din¬ ge aus jenen hervorgehen, durch dieſe ſelbſt ſinnbildlich erkennen.

Der innige Bund, welcher die Kunſt und21322Religion vereint, die gaͤnzliche Unmoͤglichkeit, einerſeits der erſten eine andere poetiſche Welt als innerhalb der Religion und durch Religion zu geben, die Unmoͤglichkeit auf der andern Seite, die letztere zu einer wahrhaft objectiven Erſcheinung anders als durch die Kunſt zu brin¬ gen, machen die wiſſenſchaftliche Erkenntniß derſelben dem aͤchten Religioͤſen auch ſchon in dieſer Beziehung zur Nothwendigkeit.

Endlich gereicht es demjenigen, der un¬ mittelbar oder mittelbar Antheil an der Staats¬ verwaltung hat, zu nicht geringer Schande, weder uͤberhaupt fuͤr die Kunſt empfaͤnglich zu ſeyn, noch eine wahre Kenntniß von ihr zu haben. Denn wie Fuͤrſten und Gewalthaber nichts mehr ehrt, als die Kuͤnſte zu ſchaͤtzen, ihre Werke zu achten und durch Aufmunterung hervorzurufen: ſo gewaͤhrt dagegen nichts einen traurigern und fuͤr ſie ſchimpflichern Anblick, als wenn diejenigen, welche die Mittel haben, dieſe zu ihrem hoͤchſten Flor zu befoͤrdern, dieſel¬ ben an Geſchmackloſigkeit, Barbarey oder ein¬ ſchmeichelnde Niedrigkeit verſchwenden. Wenn323 es auch nicht allgemein eingeſehen werden koͤnn¬ te, daß die Kunſt ein nothwendiger und inte¬ granter Theil einer nach Ideen entworfenen Staatsverfaſſung iſt, ſo muͤßte wenigſtens das Alterthum daran erinnern, deſſen allgemeine Feſte, verewigende Denkmaͤler, Schauſpiele, ſo wie alle Handlungen des oͤffentlichen Lebens nur verſchiedene Zweige Eines allgemeinen ob¬ jectiven und lebendigen Kunſtwerks waren.

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Inhalt.

  • Erſte Vorleſung. Ueber den abſoluten Begriff der Wiſſenſchaft S. 1
  • Zweite Vorleſung. Ueber die wiſſen¬ ſchaftliche und ſittliche Beſtimmung der Academieen 27
  • Dritte Vorleſung. Ueber die erſten Vorausſetzungen des akademiſchen Stu¬ dium 59
  • Vierte Vorleſung. Ueber das Stu¬ dium der reinen Vernunftwiſſenſchaf¬ ten: der Mathematik, und der Philo¬ ſophie im Allgemeinen 81
  • Fuͤnfte Vorleſung. Ueber die ge¬ woͤhnlichen Einwendungen gegen das Studium der Philoſophie 101
  • Sechſte Vorleſung. Ueber das Stu¬ dium der Philoſophie insbeſondre 119
  • 326
  • Siebente Vorleſung. Ueber einige aͤußre Gegenſaͤtze der Philoſophie, vor¬ naͤmlich den der poſitiven Wiſſenſchaf¬ ten143
  • Achte Vorleſung. Ueber die hiſtoriſche Conſtruction des Chriſtenthums165
  • Neunte Vorleſung. Ueber das Stu¬ dium der Theologie187
  • Zehnte Vorleſung. Ueber das Stu¬ dium der Hiſtorie und der Jurispru¬ denz211
  • Eilfte Vorleſung. Ueber die Natur¬ wiſſenſchaft im Allgemeinen237
  • Zwoͤlfte Vorleſung. Ueber das Stu¬ dium der Phyſik und Chemie261
  • Dreyzehnte Vorleſung. Ueber das Studium der Medicin und der organi¬ ſchen Naturlehre uͤberhaupt281
  • Vierzehnte Vorleſung. Ueber Wiſ¬ ſenſchaft der Kunſt, in Bezug auf das academiſche Studium303

About this transcription

TextVorlesungen über die Methode des academischen Studium
Author Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
Extent338 images; 41811 tokens; 5806 types; 306104 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationVorlesungen über die Methode des academischen Studium Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling. . IV, 326 S., [1] Bl. CottaTübingen1803.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 3 A 51 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=435447769

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LanguageGerman
ClassificationFachtext; Philosophie; Wissenschaft; Theologie; core; ready; ocr

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