Aus den Papieren des Grafen von O**.
A[2][3]Ich erzähle eine Begebenheit, die vielen unglaub¬ lich ſcheinen wird, und von der ich großentheils ſelbſt Augenzeuge war. Den wenigen, welche von einem gewiſſen politiſchen Vorfalle unterrichtet ſind, wird ſie — wenn anders dieſe Blätter ſie noch am Leben finden — einen willkommenen Aufſchluß darüber geben; und auch ohne dieſen Schlüſſel wird ſie den übrigen, als ein Beytrag zur Geſchich¬ te des Betrugs und der Verirrungen des menſch¬ lichen Geiſtes vielleicht wichtig ſeyn. Man wird über die Kühnheit des Zwecks erſtaunen, den die Bosheit zu entwerfen und zu verfolgen im Stan¬ de iſt; man wird über die Mittel erſtaunen, die ſie aufzubieten vermag, um ſich dieſes Zwecks zu verſichern. Reine, ſtrenge Wahrheit wird meine Feder leiten, denn wenn dieſe Blätter an die Welt treten, bin ich nicht mehr, und nie werde ich ihr Schickſal erfahren.
Es war auf meiner Zurückreiſe nach Kurland, im Jahr 17** um die Karnevalszeit, als ich denPrin¬A 24Prinzen von ** in Venedig beſuchte. Wir hatten uns in ** ſchen Kriegsdienſten kennen lernen, und er¬ neuerten hier eine Bekanntſchaft, die der Friede unterbrochen hatte. Weil ich ohnedies wünſchte, das Merkwürdige dieſer Stadt zu ſehen, und der Prinz nur noch Wechſel erwartete, um nach ** zurück zu reiſen, ſo beredete er mich leicht, ihm Geſellſchaft zu leiſten, und meine Abreiſe ſo lange zu verſchieben. Wir kamen überein uns nicht von einander zu trennen, ſo lange unſer Aufenthalt in Venedig dauern würde, und der Prinz war ſo ge¬ fällig, mir ſeine eigene Wohnung im Mohren an¬ zubieten.
Er lebte hier unter dem ſtrengſten Incognito, weil er ſich ſelbſt leben wollte, und ſeine geringe Apa¬ nage ihm auch nicht verſtattet hätte, die Hoheit ſei¬ nes Rangs zu behaupten. Zwey Kavaliere, auf deren Verſchwiegenheit er ſich vollkommen verlaſ¬ ſen konnte, waren nebſt einigen treuen Bedienten ſein ganzes Gefolge. Den Aufwand vermied er mehr aus Temperament als aus Sparſamkeit. Er floh die Vergnügungen; bis zu ſeinem fünf und dreyßigſten Jahre hatte er allen Reizungen dieſer wollüſtigen Stadt widerſtanden. Das ſchöne Ge¬ ſchlecht war ihm gleichgültig. Tiefer Ernſt und eine ſchwärmeriſche Melancholie herrſchte in ſeiner Ge¬ müthsart. Seine Neigungen waren ſtill, aber hartnäckig bis zum Uebermaaß, ſeine Wahl lang¬ ſam und ſchüchtern, ſeine Anhänglichkeit warm und ewig; mitten in einem geräuſchvollen Gewühle von Menſchen ging er einſam. In ſeine eigene Phan¬taſien¬5taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬ ling in der wirklichen — und weil er wohl wußte, wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬ theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬ des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬ herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und für ein anderes zu ſterben.
Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬ ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften hatten eine andre Richtung genommen.
Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬ gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬ vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬ her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund gebauet waren.
Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie — durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden.
EinesA 36Eines Abends, als wir nach Gewohnheit in tiefer Maſke und abgeſondert, auf dem Platze St. Markus ſpazieren giengen — es fing an ſpät zu werden, und das Gedränge hatte ſich verloren — bemerkte der Prinz, daß eine Maſke uns überall folgte. Die Maſke war ein Armenier und ging al¬ lein. Wir beſchleunigten unſere Schritte und ſuchten ſie durch öftere Veränderung unſeres We¬ ges irre zu machen — umſonſt, die Maſke blieb immer dicht hinter uns. „ Sie haben doch keine Intrigue hier gehabt? ſagte endlich der Prinz zu mir. Die Ehemänner in Venedig ſind gefährlich. “— Ich kenne keine einzige Dame, gab ich zur Antwort. „ Laſſen Sie uns hier niederſetzen und deutſch ſprechen, fuhr er fort. Ich bilde mir ein, man verkennt uns. “ Wir ſezten uns auf eine ſtei¬ nerne Bank und erwarteten, daß die Maſke vor¬ über gehen ſollte. Sie kam gerade auf uns zu, und nahm ihren Platz dicht an der Seite des Prin¬ zen Er zog die Uhr heraus und ſagte mir laut auf franzöſiſch, indem er aufſtund: „ Neun Uhr vorbey. Kommen Sie. Wir vergeſſen, daß man uns im Louvre erwartet. “ Dieß erdichtete er nur, um die Maſke von unſerer Spur zu entfernen. „ Neun Uhr “wiederholte ſie in eben der Spra¬ che nachdrücklich und langſam. „ Wünſchen Sie ſich Glück, Prinz (indem ſie ihn bey ſeinem wah¬ ren Namen nannte). Um neun Uhr iſt er geſtorben. “— Damit ſtand ſie auf und ging. Wir ſahen uns beſtürzt an. — „ Wer iſt geſtor¬ ben? “ſagte endlich der Prinz nach einer langenStille. 7Stille. „ Laſſen Sie uns ihr nachgehen, ſagte ich, und eine Erklärung fordern. “ Wir durchkrochen alle Winkel des Markus — die Maſke war nicht mehr zu finden. Unbefriedigt kehrten wir nach unſerm Gaſthof zurück. Der Prinz ſagte mir un¬ terwegens nicht ein Wort, ſondern ging ſeitwärts und allein, und ſchien einen gewaltſamen Kampf zu kämpfen, wie er mir auch nachher geſtanden hat. Als wir zu Hauſe waren, öffnete er zum erſtenma¬ le wieder den Mund. „ Es iſt doch lächerlich, ſagte er, daß ein Wahnſinniger die Ruhe eines Mannes mit zwey Worten ſo erſchüttern ſoll. “ Wir wünſch¬ ten uns eine gute Nacht, und ſo bald ich auf mei¬ nem Zimmer war, merkte ich mir in meiner Schreibtafel den Tag und die Stunde wo es ge¬ ſchehen war. Es war ein Donnerſtag.
Am folgenden Abend ſagte mir der Prinz: „ Wollen wir nicht einen Gang über den Markus¬ platz machen, und unſern geheimnißvollen Arme¬ nier aufſuchen? Mich verlangt doch nach der Ent¬ wickelung dieſer Komödie. “ Ich wars zufrieden. Wir blieben bis eilf Uhr auf dem Platz. Der Armenier war nirgends zu ſehen. Das nehmliche wiederholten wir die vier folgenden Abende, und je¬ desmal mit demſelben ſchlechten Erfolge.
Als wir am ſechſten Abend unſer Hotel ver¬ ließen, hatte ich den Einfall — ob unwillkührlich oder aus Abſicht, beſinne ich mich nicht mehr — den Bedienten zu hinterlaſſen, wo wir zu finden ſeyn würden, wenn nach uns gefragt werden ſollte. DerA 48Der Prinz bemerkte meine Vorſicht, und lobte ſie mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes Gedränge auf dem Markusplatz, als wir da anka¬ men. Wir hatten kaum dreyßig Schritte gemacht, ſo bemerkte ich den Armenier wieder, der ſich mit ſchnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und mit den Augen Jemand zu ſuchen ſchien. Eben waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Ba¬ ron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf uns zukam, und dem Prinzen einen Brief über¬ brachte. „ Er iſt ſchwarz geſiegelt, ſezte er hinzu. Wir vermutheten, daß es Eile hätte. “ Das fiel auf mich wie ein Donnerſchlag. Der Prinz war zu einem Flambeau getreten und fing an zu leſen. „ Mein Kouſin iſt geſtorben, “rief er. Wann? ſtürzte ich ihm heftig ins Wort. Er ſah noch ein¬ mal in den Brief. „ Vorigen Donnerſtag. Abends um neun Uhr. “
Wir hatten nicht Zeit, von unſerm Erſtaunen zurück zu kommen, ſo ſtand der Armenier unter uns. „ Sie ſind hier erkannt, gnädigſter Herr, ſagte er zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren. Sie werden die Abgeordneten des Senats dort fin¬ den. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzu¬ nehmen, die man Ihnen erweiſen will. Der Ba¬ ron von F** vergaß, Ihnen zu ſagen, daß Ihre Wechſel angekommen ſind. “ Er verlor ſich in dem Gedränge.
Wir eilten nach unſerm Hotel. Alles fand ſich, wie der Armenier es verkündigt hatte. DreyNobili9Nobili der Republik ſtanden bereit, den Prinzen zu bewillkommen, und ihn mit Pracht nach der Aſ¬ ſemblee zu begleiten, wo der hohe Adel, der Stadt ihn erwartete. Er hatte kaum ſo viel Zeit, mir durch einen flüchtigen Wink zu verſtehen zu geben, daß ich für ihn wach bleiben möchte.
Nachts gegen eilf kam er wieder. Ernſt und gedankenvoll trat er ins Zimmer, und ergriff mei¬ ne Hand, nachdem er die Bedienten entlaſſen hat¬ te. „ Graf, ſagte er mit den Worten Hamlets zu mir, es giebt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als wir in unſern Philoſophien träumen. “
Gnädigſter Herr, antwortete ich, Sie ſcheinen zu vergeſſen, daß Sie um eine große Hoffnung rei¬ cher zu Bette gehen. “ (Der Verſtorbene war der Erbprinz.)
„ Erinnern Sie mich nicht daran, ſagte der Prinz. Und wenn eine Krone für mich wäre ge¬ wonnen worden, ich hätte jezt mehr zu thun, als dieſer Kleinigkeit nachzudenken. — — Wenn die¬ ſer Armenier nicht bloß errathen hat “— —
„ Wie iſt das möglich, Prinz? “fiel ich ein. —
„ So will ich Ihnen alle meine fürſtlichen Hoff¬ nungen für eine Mönchskutte abtreten. “
Ich führe dieſes mit Fleiß hier an, weil ich glaube, daß es zu einem Beweiſe dienen kann, wie entfernt er noch damals von jeder herrſchſüchtigen Abſicht geweſen iſt.
A 5Den10Den folgenden Abend fanden wir uns zeitiger, als gewöhnlich, auf dem Markusplatz ein. Ein plötzlicher Regenguß nöthigte uns, in ein Kaffee¬ haus einzukehren, wo geſpielt wurde. Der Prinz ſtellte ſich hinter den Stuhl eines Spaniers, und beobachtete das Spiel. Ich war in ein an¬ ſtoßendes Zimmer gegangen, wo ich Zeitungen las. Eine Weile darauf hörte ich Lermen. Vor der Ankunft des Prinzen war der Spanier unauf¬ hörlich im Verluſte geweſen, jezt gewann er auf alle Karten. Das ganze Spiel ward auffallend verändert, und die Bank war in Gefahr, von dem Pointeur, den dieſe glückliche Wendung kühner ge¬ macht hatte, aufgefordert zu werden. Ein Vene¬ tianer, der ſie hielt, ſagte dem Prinzen mit belei¬ digendem Ton — er ſtöhre das Glück, und er ſolle den Tiſch verlaſſen. Dieſer ſah ihn kalt an und blieb; dieſelbe Faſſung behielt er, als der Ve¬ netianer ſeine Beleidigung franzöſiſch wiederholte. Der leztere glaubte, daß der Prinz beyde Spra¬ chen nicht verſtehe, und wandte ſich mit verach¬ tungsvollem Lachen zu den übrigen: „ Sagen Sie mir doch, meine Herren, wie ich mich dieſem Ba¬ lardo verſtändlich machen ſoll? “ Zugleich ſtand er auf und wollte den Prinzen beym Arm ergrei¬ fen; dieſen verließ hier die Geduld, er packte den Venetianer mit ſtarker Hand, und warf ihn un¬ ſanft zu Boden. Das ganze Haus kam in Bewe¬ gung. Auf das Geräuſch ſtürzte ich herein, un¬ willkührlich rief ich ihn bey ſeinem Namen. „ Neh¬ men Sie ſich in Acht, Prinz, ſezte ich mit Unbe¬ſonnen¬11ſonnenheit hinzu, wir ſind in Venedig. “ Der Name des Prinzen gebot eine allgemeine Stille, woraus bald ein Gemurmel wurde, das mir gefähr¬ lich ſchien. Alle anweſenden Italiener rotteten ſich zu Haufen, und traten bey Seite. Einer um den andern verließ den Saal, bis wir uns beide mit dem Spanier und einigen Franzoſen allein fan¬ den. „ Sie ſind verloren, gnädigſter Herr, ſag¬ ten dieſe, wenn Sie nicht ſogleich die Stadt verlaſ¬ ſen. Der Venetianer, den Sie ſo übel behandelt haben, iſt reich genug, einen Bravo zu dingen. Es koſtet ihm nur funfzig Zechinen, Sie aus der Welt zu ſchaffen. “ Der Spanier bot ſich an, zur Sicherheit des Prinzen Wache zu holen, und uns ſelbſt nach Hauſe zu begleiten. Daſſelbe wollten auch die Franzoſen. Wir ſtanden noch, und über¬ legten was zu thun wäre, als die Thüre ſich öffne¬ te und einige Bedienten der Staatsinquiſition her¬ eintraten. Sie zeigten uns eine Ordre der Regie¬ rung, worinn uns beyden befohlen ward, ihnen ſchleu¬ nig zu folgen. Unter einer ſtarken Bedeckung führte man uns bis zum Kanal. Hier erwartete uns eine Gondel, in die wir uns ſetzen mußten. Ehe wir ausſtiegen, wurden uns die Augen verbunden. Man führte uns eine große ſteinerne Treppe hin¬ auf, und dann durch einen langen gewundenen Gang über Gewölber, wie ich aus dem vielfachen Echo ſchloß, das unter unſern Füßen hallte. Endlich gelangten wir vor eine andere Treppe, welche uns ſechs und zwanzig Stufen in die Tiefe hinunter führte. Hier öffnete ſich ein Saal, wo man unsdie12die Binde wieder von den Augen nahm. Wir be¬ fanden uns in einem Kreiſe ehrwürdiger alter Männer, alle ſchwarz gekleidet, der ganze Saal mit ſchwarzen Tüchern behangen und ſparſam er¬ leuchtet, eine Todtenſtille in der ganzen Verſamm¬ lung, welches einen ſchreckhaften Eindruck machte. Einer von dieſen Greiſen, wahrſcheinlich der ober¬ ſte Staatsinquiſitor, näherte ſich dem Prinzen, und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer vorführete:
„ Erkennen Sie dieſen Menſchen für den nehm¬ lichen, der Sie auf dem Kaffeehauſe beleidigt hat? “
„ Ja, “antwortete der Prinz.
Darauf wandte Jener ſich zu dem Gefangenen: „ Iſt das dieſelbe Perſon, die Sie heute Abend wollten ermorden laſſen? “
Der Gefangene antwortete mit Ja.
Sogleich öffnete ſich der Kreis, und mit Ent¬ ſetzen ſahen wir den Kopf des Venetianers vom Rumpfe trennen, „ Sind Sie mit dieſer Genug¬ thuung zufrieden? “fragte der Staatsinquiſitor. — Der Prinz lag ohnmächtig in den Armen ſeiner Begleiter — „ Gehen Sie nun, “fuhr Jener mit einer ſchrecklichen Stimme fort, indem er ſich gegen mich wandte, „ und urtheilen Sie künftig weniger vorſchnell von der Gerechtigkeit in Venedig. “
Wer der verborgene Freund geweſen, der uns durch den ſchnellen Arm der Juſtiz von einem ge¬wiſſen13wiſſen Tode errettet hatte, konnten wir nicht erra¬ then. Starr von Schrecken erreichten wir unſre Wohnung. Es war nach Mitternacht. Der Kam¬ merjunker von Z** erwartete uns mit Ungeduld an der Treppe. —
„ Wie gut war es, daß Sie geſchickt haben! “ſagte er zum Prinzen, indem er uns leuchtete. — „ Eine Nachricht die der Baron von F** gleich nachher von dem St. Markusplatze nach Hauſe brachte, hatte uns wegen Ihrer in die tödtlichſte Angſt geſezt. “
„ Geſchickt hätte ich? Wann? Ich weiß nichts davon. “
„ Dieſen Abend nach acht Uhr. Sie ließen uns ſagen, daß wir ganz außer Sorgen ſeyn dürften, wenn Sie heute ſpäter nach Hauſe kämen. “
Hier ſahe der Prinz mich an. „ Haben Sie vielleicht ohne mein Wiſſen dieſe Sorgfalt ge¬ braucht? “
Ich wußte von gar nichts.
„ Es muß doch wohl ſo ſeyn, Ihro Durch¬ laucht, “ſagte der Kammerjunker — „ denn hier iſt ja Ihre Repetieruhr, die Sie zur Sicherheit mit ſchickten. “ Der Prinz griff nach der Uhrtaſche. Die Uhr war wirklich fort, und er erkannte jene für die ſeinige. „ Wer brachte ſie, “fragte er mit Beſtürzung.
„ Eine unbekannte Maſke, in armeniſcher Klei¬ dung, die ſich ſogleich wieder entfernte. “
Wir14Wir ſtanden und ſahen uns an. — „ Was halten Sie davon? ſagte endlich der Prinz nach einem langen Stillſchweigen. „ Ich habe hier ei¬ nen verborgenen Aufſeher in Venedig. “
Der ſchreckliche Auftritt dieſer Nacht hatte dem Prinzen ein Fieber zugezogen, das ihn acht Tage nöthigte, das Zimmer zu hüten. In dieſer Zeit wimmelte unſer Hotel von Einheimiſchen und Frem¬ den, die der entdeckte Stand des Prinzen herbey gelockt hatte. Man wetteiferte unter einander, ihm Dienſte anzubieten, und wir bemerkten mit Vergnügen, wie immer der nächſtfolgende den weg¬ gehenden verdächtig machte. Liebesbriefe und Ar¬ kana überſchwemmten uns von allen Seiten. Je¬ der ſuchte nach ſeiner Art, ſich geltend zu machen. Des ganzen Vorgangs in der Staatsinquiſition wurde nicht mehr erwähnt. Weil der Hof zu ** die Abreiſe des Prinzen noch aufgeſchoben wünſchte, ſo erhielten einige Banquiers in Venedig Anwei¬ ſung, ihm beträchtliche Summen auszuzahlen. So ward er wider Willen in den Stand geſetzt, ſeinen Aufenthalt in Italien zu verlängern, und auf ſein Bitten entſchloß ich mich auch, meine Abreiſe noch zu verſchieben.
So bald er ſo weit geneſen war, um das Zim¬ mer wieder verlaſſen zu können, beredete ihn der Arzt eine Spazierfahrt auf der Brenta zu machen, um die Luft zu verändern. Das Wetter war helle und die Parthie ward angenommen. Als wir eben im Begriff waren in die Gondel zu ſteigen,ver¬15vermißte der Prinz den Schlüſſel zu einer kleinen Schatulle, die ſehr wichtige Papiere enthielt. Sogleich kehrten wir um, ihn zu ſuchen. Er be¬ ſann ſich auf das genaueſte, die Schatulle noch den vorigen Tag verſchloſſen zu haben, und ſeit dieſer Zeit war er nicht aus dem Zimmer gekommen. Aber alles Suchen war umſonſt, wir mußten da¬ von abſtehen, um die Zeit nicht zu verlieren. Der Prinz, deſſen Seele über jeden Argwohn erhaben war, erklärte ihn für verloren, und bat uns, nicht weiter davon zu ſprechen.
Die Fahrt war die angenehmſte. Eine mah¬ leriſche Landſchaft, die mit jeder Krümmung des Fluſſes ſich an Reichthum und Schönheit zu über¬ treffen ſchien — der heiterſte Himmel, der mitten im Hornung einen Maientag bildete — reizende Gärten und geſchmackvolle Landhäuſer ohne Zahl, welche beyde Ufer der Brenta ſchmücken — hin¬ ter uns das majeſtätiſche Venedig, mit hundert aus dem Waſſer ſpringenden Thürmen und Maſten, alles dieß gab uns das herrlichſte Schauſpiel von der Welt. Wir überließen uns ganz dem wohlthä¬ tigen Zauber dieſer ſchönen Natur, unſere Laune war die heiterſte, der Prinz ſelbſt verlor ſeinen Ernſt, und wetteiferte mit uns in fröhlichen Scher¬ zen. Eine luſtige Muſik ſchallte uns entgegen, als wir zwey italieniſche Meilen von der Stadt ans Land ſtiegen. Sie kam aus einem kleinen Dorfe, wo eben Jahrmarkt gehalten wurde; hier wimmelte es von Geſellſchaft aller Art. Ein Trupp jungerMäd¬16Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz. Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben, welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬ nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Verſammlung und ſie ſtand da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬ fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich her — „ Ein König iſt unter uns, “rief ſie, riß ihre Krone vom Haupt, und legte ſie — zu den Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬ täuſcht — Ein allgemeines Händeklatſchen des Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab, den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬ chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte, aus dem Gewühle zu kommen.
Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬ beitete, und dem Prinzen in den Weg trat. „ Herr, “ſagte der Mönch, „ gieb der Madonna von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen. “Er17Er ſprach dieß mit einem Tone, der uns betreten machte. Das Gedränge riß ihn weg.
Unſer Gefolge war unterdeſſen gewachſen. Ein engliſcher Lord, den der Prinz ſchon in Nizza geſe¬ hen hatte, einige Kaufleute aus Livorno, ein deut¬ ſcher Domherr, ein franzöſiſcher Abbe 'mit einigen Damen, und ein ruſſiſcher Offizier geſellten ſich zu uns. Die Phyſiognomie des leztern hatte etwas ganz ungewöhnliches, das unſere Aufmerkſamkeit an ſich zog. Nie in meinem Leben ſah ich ſo viele Züge, und ſo wenig Charakter, ſo viel anlo¬ ckendes Wohlwollen mit ſo viel zurückſtoßendem Froſt in Einem Menſchengeſichte beyſammen woh¬ nen. Alle Leidenſchaften ſchienen darin gewühlt und es wieder verlaſſen zu haben. Nichts war übrig, als der ſtille, durchdringende Blick eines vollendeten Menſchenkenners, der jedes Auge ver¬ ſcheuchte, worauf er traf. Dieſer ſeltſame Menſch folgte uns von weitem, ſchien aber an allem was vorging, nur einen nachläſſigen Antheil zu nehmen.
Wir kamen vor eine Bude zu ſtehen, wo Lotte¬ rie gezogen wurde. Die Damen ſezten ein, wir andern folgten ihrem Beyſpiel; auch der Prinz fo¬ derte ein Loos. Es gewann eine Tabatiere. Als er ſie aufmachte, ſah ich ihn blaß zurückfahren. — Der Schlüſſel lag darin.
„ Was iſt das? “ſagte der Prinz zu mir, als wir einen Augenblick allein waren. „ Eine höhere Gewalt jagt mich. Allwiſſenheit ſchwebt um mich. Eind. Geiſterſeher. B18Ein unſichtbares Weſen, dem ich nicht entfliehen kann, bewacht alle meine Schritte. Ich muß den Armenier aufſuchen und muß Licht von ihm haben. “
Die Sonne neigte ſich zum Untergang, als wir vor dem Luſthauſe ankamen, wo das Abendeſſen ſervirt war. Der Name des Prinzen hatte unſere Geſellſchaft bis zu ſechzehn Perſonen vergrößert. Auſſer den oben erwähnten war noch ein Virtuoſe aus Rom, einige Schweizer und ein Avanturier aus Palermo, der Uniform trug und ſich für einen Kapitain ausgab, zu uns geſtoßen. Es ward be¬ ſchloſſen, den ganzen Abend hier zuzubringen, und mit Fackeln nach Hauſe zu fahren. Die Unterhal¬ tung bey Tiſche war ſehr lebhaft, und der Prinz konnte nicht umhin, die Begebenheit mit dem Schlüſſel zu erzählen, welche eine allgemeine Ver¬ wunderung erregte. Es wurde heftig über dieſe Materie geſtritten. Die meiſten aus der Geſellſchaft behaupteten dreiſt weg, daß alle dieſe geheimen Künſte auf eine Taſchenſpielerey hinausliefen; der Abbe ', der ſchon viel Wein bey ſich hatte, foderte das ganze Geiſterreich in die Schranken heraus; der Engländer ſagte Blaſphemien; der Muſikus mach¬ te das Kreuz vor dem Teufel. Wenige, worunter der Prinz war, hielten dafür, daß man ſein Urtheil über dieſe Dinge zurückhalten müſſe; während deſ¬ ſen unterhielt ſich der ruſſiſche Offizier mit den Frauenzimmern, und ſchien das ganze Geſpräch nicht zu achten. In der Hitze des Streits hatte man nicht bemerkt, daß der Sicilianer hinaus ge¬gangen19gangen war. Nach Verfluß einer kleinen halben Stunde kam er wieder in einen Mantel gehüllt, und ſtellte ſich hinter den Stuhl des Franzoſen. „ Sie haben vorhin die Bravour geäuſſert, es mit allen Geiſtern aufzunehmen — wollen Sie es mit einem verſuchen? “
„ Topp! “ſagte der Abbé — „ wenn Sie es auf ſich nehmen wollen, mir einen herbey zu ſchaffen. “
„ Das will ich, “antwortete der Sicilianer (in¬ dem er ſich gegen uns kehrte) wenn dieſe Herren und Damen uns werden verlaſſen haben. “
„ Warum das? “rief der Engländer. „ Ein herzhafter Geiſt fürchtet ſich vor keiner luſtigen Ge¬ ſellſchaft. “
„ Ich ſtehe nicht für den Ausgang, “ſagte der Sicilianer.
„ Um des Himmels willen! Nein! “ſchrieen die Frauenzimmer an dem Tiſche, und fuhren erſchro¬ cken von ihren Stühlen.
„ Laſſen Sie Ihren Geiſt kommen, “ſagte der Abbe 'trotzig, „ aber warnen Sie ihn vorher, daß es hier ſpitzige Klingen giebt, “(indem er einen von den Gäſten um ſeinen Degen bat).
„ Das mögen Sie alsdann halten, wie Sie wollen, “antwortete der Sicilianer kalt, „ wenn Sie nachher noch Luſt dazu haben “Hier kehrte er ſich zum Prinzen. „ Gnädigſter Herr, “ſagte erB 2zu20zu dieſem, „ Sie behaupten, daß Ihr Schlüſſel in fremden Händen geweſen — Können Sie vermu¬ then, in welchen? “
„ Nein. “
„ Rathen Sie auch auf niemand? “
„ Ich hatte freylich einen Gedanken “—
„ Würden Sie die Perſon erkennen, wenn Sie ſie vor ſich ſähen? “
„ Ohne Zweifel. “
Hier ſchlug der Sicilianer ſeinen Mantel zurück, und zog einen Spiegel hervor, den er dem Prinzen vor die Augen hielt.
„ Iſt es dieſe? “
Der Prinz trat mit Schrecken zurück.
„ Was haben Sie geſehen? “fragte ich.
„ Den Armenier. “
Der Sicilianer verbarg ſeinen Spiegel wieder unter den Mantel. „ War es dieſelbe Perſon, die Sie meynen? “fragte die ganze Geſellſchaft.
„ Die nehmliche. “
Hier veränderte ſich jedes Geſicht, man hörte auf zu lachen. Alle Augen hingen neugierig an dem Sicilianer.
„ Monſieur l'Abbé, das Ding wird ernſthaft, “ſagte der Engländer, „ ich rieth Ihnen, auf den Rückzug zu denken. “
„ Der Kerl hat den Teufel im Leibe, “ſchrie der Franzoſe, und flog aus dem Hauſe — die Frauenzimmer ſtürzten mit Geſchrey aus dem Saal — der Virtuoſe folgte ihnen — der deutſcheDom¬21Domherr ſchnarchte in einem Seſſel — der Ruſſe blieb wie bisher gleichgültig ſitzen.
„ Sie wollten vielleicht nur einen Großſprecher zum Gelächter[machen], “fing der Prinz wieder an, nachdem jene hinaus waren — „ oder hätten Sie wohl Luſt uns Wort zu halten? “
„ Es iſt wahr, “ſagte der Sicilianer. „ Mit dem Abbe 'war es mein Ernſt nicht. Ich habe ihn beym Wort genommen, weil ich wohl wußte, daß die Memme es nicht ſo weit würde kommen laſſen. Die Sache ſelbſt iſt übrigens zu ernſthaft, um bloß einen Scherz damit auszuführen. “
„ Sie räumen alſo doch ein, daß ſie in Ihrer Gewalt iſt? “
Der Magier ſchwieg eine lange Zeit, und ſchien den Prinzen ſorgfältig mit den Augen zu prüfen.
„ Ja, “antwortete er endlich.
Die Neugierde des Prinzen war bereits auf den höchſten Grad geſpannt. Dieß war jederzeit ſeine Lieblingsſchwärmerey geweſen, und ſeit jener erſten Erſcheinung des Armeniers hatten ſich alle Ideen wieder bey ihm gemeldet, die ſeine reifere Vernunft und eine beſſere Lektüre ſo lange abge¬ wieſen hatten. Er ging mit dem Sicilianer bey Seite, und ich hörte ihn ſehr angelegentlich mit ihm unterhandeln.
„ Sie haben hier einen Mann vor ſich, “fuhr er fort, „ der von Ungeduld brennt, in dieſer wich¬ tigen Materie es zu einer Ueberzeugung zu bringen. Ich würde denjenigen als meinen Wohlthäter, als meinen erſten Freund umarmen, der hier meineZweifelB 322Zweifel zerſtreute, und die Decke von meinen Au¬ gen zöge — Wollen Sie ſich dieſes große Ver¬ dienſt um mich erwerben? “
Was verlangen Sie von mir? “ſagte der Magier mit Bedenken.
„ Vor jezt nur eine Probe Ihrer Kunſt. Laſſen Sie mich eine Erſcheinung ſehen. “
„ Wozu ſoll das führen? “
„ Dann mögen Sie aus meiner nähern Bekannt¬ ſchaft urtheilen, ob ich eines höhern Unterrichts werth bin. “
„ Ich ſchätze Sie über alles, durchlauchtigſter Prinz. Eine geheime Gewalt in Ihrem Angeſich¬ te, die Sie ſelbſt noch nicht kennen, hat mich beym erſten Anblick unwiderſtehlich an Sie gebun¬ den. Sie ſind mächtiger als Sie ſelbſt wiſſen. Sie haben unumſchränkt über meine ganze Gewalt zu gebieten — aber —
„ Alſo laſſen Sie mich eine Erſcheinung ſehen. “
„ Aber ich muß erſt gewiß ſeyn, daß Sie dieſe Foderung nicht aus Neugierde an mich machen. Wenn gleich die unſichtbaren Kräfte mir einiger¬ maſen zu Willen ſind, ſo iſt es unter der heiligen Bedingung, daß ich meine Gewalt nicht mi߬ brauche. “
Meine Abſichten ſind die reinſten. Ich will Wahrheit.
Hier verließen ſie ihren Platz, und traten zu einem entfernten Fenſter, wo ich ſie nicht weiter hören konnte. Der Engländer, der dieſe Unter¬redung23redung gleichfalls mit angehört hatte, zog mich auf die Seite.
„ Ihr Prinz iſt ein edler Mann; es thut mir leid um ihn. Ich verwette meine Seele, daß er mit einem Schurken zu thun hat. “
„ Es wird darauf ankommen, “ſagte ich, „ wie er ſich aus dem Handel zieht. “
„ Wiſſen Sie was? “ſagte der Engländer: „ Jezt macht der arme Teufel ſich koſtbar. Er wird ſeine Kunſt nicht auskramen, bis er Geld klingen hört. Es ſind unſer Neune. Wir wollen eine Collekte machen. Das bricht ihm den Hals und öffnet vielleicht Ihrem Prinzen die Augen. “
„ Ich bins zufrieden. “
Der Engländer warf ſechs Guineen auf einen Teller, und ſammelte in der Reihe herum. Jeder gab einige Louis; dem Ruſſen beſonders gefiel un¬ ſer Vorſchlag ungemein, er legte eine Banknote von hundert Zechinen auf den Teller — eine Ver¬ ſchwendung, über welche der Engländer erſchrak. Wir brachten die Collekte dem Prinzen. „ Haben Sie die Güte, “ſagte der Engländer, „ bey dieſem Herrn für uns fürzuſprechen, daß er uns eine Probe ſeiner Kunſt ſehen laſſe und dieſen kleinen Beweis unſrer Er¬ kenntlichkeit annehme. “ Der Prinz legte noch einen koſtbaren Ring auf den Teller, und reichte ihn dem Si¬ cilianer. Dieſer bedachte ſich einige Sekunden. — „ Meine Herren, “fing er darauf an, „ dieſe Gro߬ muth erniedrigt mich — aber ich gebe Ihrem Ver¬ langen nach. Ihr Wunſch ſoll erfüllt werden, (in¬ dem er eine Glocke zog.) Was dieſes Gold betrifft,B 4wor¬24worauf ich ſelber kein Recht habe, ſo werden Sie mir erlauben, daß ich es in dem nächſten Benedik¬ tinerkloſter für milde Stiftungen niederlege. Die¬ ſen Ring behalte ich als ein ſchätzbares Denkmal, das mich an den würdigſten Prinzen erinnern ſoll. “
Hier kam der Wirth, dem er das Geld ſogleich überlieferte.
„ Und er iſt dennoch ein Schurke, “ſagte mir der Engländer ins Ohr. „ Das Geld ſchlägt er aus, weil ihm jezt mehr an dem Prinzen gele¬ gen iſt.
„ Was verlangen Sie? “fragte jezt der Ma¬ gier den leztern.
„ Der Prinz beſann ſich einen Augenblick — „ Lieber gleich einen großen Mann, “rief der Lord. „ Fodern Sie den Pabſt Ganganelli. Dem Herrn wird das gleich wenig koſten. “
Der Sicilianer biß ſich in die Lippen — „ Ich darf keinen zitiren, der die Weihung empfangen hat, “
„ Das iſt ſchlimm, “ſagte der Engländer. „ Vielleicht hätten wir von ihm erfahren, an wel¬ cher Krankheit er geſtorben iſt. “
„ Der Marquis von Lanoy, “nahm der Prinz jezt das Wort, „ war franzöſiſcher Brigadier im vorigen Kriege, und mein vertrauteſter Freund. In der Bataille bey Haſtinbeck empfing er eine töd¬ liche Wunde, man trug ihn nach meinem Zelte, wo er bald darauf in meinen Armen ſtarb. Als er ſchon mit dem Tode rang, winkte er mich noch zuſich. 25ſich. “ „ Prinz, “fing er an, „ ich werde mein Va¬ terland nicht wieder ſehen, erfahren Sie alſo ein Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüſſel hat. In einem Kloſter auf der flandriſchen Grän¬ ze lebt eine — — “hier verſchied er. Die Hand des Todes zertrennte den Faden ſeiner Rede, ich möchte ihn hier haben und die Fortſetzung hören. “
„ Viel gefodert, bey Gott! “rief der Englän¬ der. „ Ich erkläre Sie für den größten Künſtler des Erdbodens, wenn Sie dieſe Aufgabe lö¬ ſen. “—
Wir bewunderten die ſinnreiche Wahl des Prinzen, und gaben ihr einſtimmig unſern Bey¬ fall. Unterdeſſen ging der Magier mit ſtarken Schritten auf und nieder, und ſchien unentſchloſſen mit ſich ſelbſt zu kämpfen.
„ Und das war alles, was der Sterbende Ih¬ nen zu hinterlaſſen hatte? “ „ Alles. “
„ Thaten Sie keine weiteren Nachfragen des¬ wegen in ſeinem Vaterlande? “
„ Sie waren alle vergebens. “
„ Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft gelebt? — Ich darf nicht jeden Todten rufen. “
„ Er ſtarb mit Reue über die Ausſchweifungen ſeiner Jugend. “
„ Tragen Sie irgend etwa ein Andenken von ihm bey ſich? “
„ Ja. “ (Der Prinz führte wirklich eine Ta¬ batiere bey ſich, worauf das Miniaturbild des Mar¬B 5quis26quis in Emaille war, und die er bey der Tafel ne¬ ben ſich hatte liegen gehabt.)
„ Ich verlange es nicht zu wiſſen — — laſſen Sie mich allein. Sie ſollen den Verſtorbenen ſehen. “
Wir wurden gebeten, uns ſo lange in den an¬ dern Pavillon zu begeben, bis er uns rufen würde. Zugleich ließ er alle Meublen aus dem Saale räu¬ men, die Fenſter ausheben, und die Läden auf das genaueſte verſchließen. Dem Wirth, mit dem er ſchon vertraut zu ſeyn ſchien, befahl er, ein Gefäß mit glühenden Kohlen zu bringen, und alle Feuer im Hauſe ſorgfältig, mit Waſſer zu löſchen. Ehe wir weggingen, nahm er von jedem insbeſondere das Ehrenwort, ein ewiges Stillſchweigen über das zu beobachten, was wir ſehen und hören wür¬ den. Hinter uns wurden alle Zimmer auf dieſem Pavillon verriegelt.
Es war nach eilf Uhr, und eine Todtenſtille herrſchte im ganzen Hauſe. Beym hinausgehen fragte mich der Ruſſe, ob wir geladene Piſtolen bey uns hätten? — „ Wozu? “ſagte ich -- „ Es iſt auf alle Fälle, “verſetzte er. „ Warten Sie ei¬ nen Augenblick, ich will mich darnach umſehen. “ Er entfernte ſich. Der Baron von F** und ich öffneten ein Fenſter, das jenem Pavillon gegenüber ſah, und es kam uns vor, als hörten wir zwey Menſchen zuſammen flüſtern, und ein Geräuſch, als ob man eine Leiter anlegte. Doch war das nur eine Muthmaßung, und ich getraute mir nicht, ſie für wahr auszugeben. Der Ruſſe kam mit ei¬nem27nem Paar Piſtolen zurück, nachdem er eine halbe Stunde ausgeblieben war. Wir ſahen ſie ihn ſcharf laden. Es war beynahe zwey Uhr, als der Ma¬ gier wieder erſchien, und uns ankündigte, daß es Zeit wäre. Ehe wir hinein traten, ward uns be¬ fohlen, die Schuhe auszuziehen, und im bloßen Hemde, Strümpfen und Unterkleidern zu erſchei¬ nen. Hinter uns wurde, wie das erſtemal, ver¬ riegelt.
Wir fanden, als wir in den Saal zurück kamen, mit einer Kohle einen weiten Kreis beſchrieben, der uns alle zehn bequem faſſen konnte. Rings herum an allen vier Wänden des Zimmers waren die Dielen weggehoben, daß wir gleichſam auf einer Inſel ſtanden. Ein Altar mit ſchwarzem Tuch be¬ hangen, ſtand mitten im Kreis errichtet, unter welchen ein Teppich von rothem Atlas gebreitet war. Eine chaldäiſche Bibel lag bey einem Tod¬ tenkopf aufgeſchlagen aus dem Altar, und ein ſil¬ bernes Kruzifix war darauf feſt gemacht. Statt der Kerzen brannte Spiritus in einer ſilbernen Kapſel. Ein dicker Rauch von Olibanum verfin¬ ſterte den Saal, davon das Licht beynahe erſtickte. Der Beſchwörer war entkleidet wie wir, aber bar¬ fuß; um den bloßen Hals trug er ein Amulet an einer Kette von Menſchenhaaren, um die Lenden hatte er eine weiße Schürze geſchlagen, die mit geheimen Chiffern und ſymboliſchen Figuren bezeichnet war. Er hieß uns einander die Hände reichen, und eine tiefe Stille beobachten; vorzüglich empfahl er uns,ja28ja keine Frage an die Erſcheinung zu thun. Den Engländer und mich (gegen uns beyde ſchien er das meiſte Mißtrauen zu hegen) erſuchte er, zwey bloße Degen unverrückt und kreuzweiſe, einen Zoll hoch, über ſeinem Scheitel zu halten, ſo lange die Hand¬ lung dauern würde. Wir ſtanden in einem halben Mond um ihn herum, der ruſſiſche Offizier dräng¬ te ſich dicht an den Engländer, und ſtand zunächſt an dem Altar. Das Geſicht gegen Morgen ge¬ richtet, ſtellte ſich der Magier jezt auf den Teppich, ſprengte Weihwaſſer nach allen vier Weltgegenden, und neigte ſich dreymal gegen die Bibel. Eine halbe Viertelſtunde dauerte die Beſchwörung, von welcher wir nichts verſtanden; nach Endigung der¬ ſelben gab er denen, die zunächſt hinter ihm ſtan¬ den, ein Zeichen, daß ſie ihn jezt feſt bey den Haa¬ ren faſſen ſollten. Unter den heftigſten Zuckungen rief er den Verſtorbenen dreymal mit Namen, und das drittemal ſtreckte er nach dem Kruzifixe die Hand aus — —
Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen Streich, wie vom Blitze, daß unſere Hände aus¬ einander flogen; ein plötzlicher Donnerſchlag er¬ ſchütterte das Haus, alle Schlöſſer klangen, alle Thüren ſchlugen zuſammen, der Deckel an der Kapſel fiel zu, das Licht löſchte aus, und an der entgegenſtehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬ te ſich eine menſchliche Figur, in blutigem Hemde, bleich und mit dem Geſicht eines Sterbenden.
„ Wer ruft mich? “ſagte eine hohle, kaum hör¬ bare Stimme.
„ Dein29„ Dein Freund, “antwortete der Beſchwörer, „ der dein Andenken ehret, und für deine Seele betet, “zugleich nannte er den Namen des Prinzen.
Die Antworten erfolgten immer nach einem ſehr großen Zwiſchenraum.
„ Was verlangt er? “fuhr dieſe Stimme fort.
„ Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das du in dieſer Welt angefangen und nicht beſchloſſen haſt. „
„ In einem Kloſter auf der flandriſchen Gränze lebt — — —
Hier erzitterte das Haus von neuem. Die Thüre ſprang freywillig unter einem heftigen Don¬ nerſchlag auf, ein Blitz erleuchtete das Zimmer, und eine andere körperliche Geſtalt, blutig und blaß wie die erſte, aber ſchrecklicher, erſchien an der Schwelle. Der Spiritus fing von ſelbſt an wieder zu brennen, und der Saal wurde helle wie zuvor. „ Wer iſt unter uns? “rief der Magier erſchrocken, und warf einen Blick des Entſetzens durch die Verſammlung — „ Dich habe ich nicht gewollt. “ Die Geſtalt ging mit majeſtätiſchem lei¬ ſem Schritt gerade auf den Altar zu, ſtellte ſich auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das Kruzifix. Die erſte Figur ſahen wir nicht mehr.
„ Wer ruft mich? “ſagte dieſe zwote Er¬ ſcheinung.
Der Magier fing an, heftig zu zittern. Schre¬ cken und Erſtaunen hatten uns gefeſſelt. Ich griff nach einer Piſtole, der Magier riß ſie mir aus der Hand, und drückte ſie auf die Geſtalt ab. DieKugel30Kugel rollte langſam auf dem Altar, und die Ge¬ ſtalt trat unverändert aus dem Rauche. Jezt ſank der Magier ohnmächtig nieder.
„ Was wird das? “rief der Engländer voll Er¬ ſtaunen, und wollte einen Streich mit dem Degen nach ihr thun. Die Geſtalt berührte ſeinen Arm, und die Klinge fiel zu Boden. Hier trat der Angſt¬ ſchweiß auf meine Stirn. Baron F** geſtand uns nachher, daß er gebetet habe. Dieſe ganze Zeit über ſtand der Prinz furchtlos und ruhig, die Augen ſtarr auf die Erſcheinung gerichtet.
Ja! Ich erkenne dich, “rief er endlich voll Rührung aus, „ du biſt Lanoy, du biſt mein Freund — — Woher kömmſt du? “
„ Die Ewigkeit iſt ſtumm. Frage mich aus dem vergangenen Leben. “
„ Wer lebt in dem Kloſter, das du mir bezeich¬ net haſt? “
„ Meine Tochter. “
„ Wie? Du biſt Vater geweſen?
„ Weh mir, daß ich es nicht war! “
„ Biſt du nicht glücklich, Lanoy? “
„ Gott hat gerichtet. “
„ Kann ich dir auf dieſer Welt noch einen Dienſt erzeigen? “
„ Keinen, als an dich ſelbſt zu denken. “
„ Wie muß ich das?
„ In Rom wirſt du es erfahren. “
Hier erfolgte ein neuer Donnerſchlag — eine ſchwarze Rauchwolke erfüllte das Zimmer; als ſie zerfloſſen war, fanden wir keine Geſtalt mehr. Ich31Ich ſtieß einen Fenſterladen auf. Es war Morgen.
Jezt kam auch der Magier aus ſeiner Betäu¬ bung zurück. „ Wo ſind wir? “rief er aus, als er Tageslicht erblickte. Der ruſſiſche Offizier ſtand dicht hinter ihm, und ſah ihm über die Schulter. „ Taſchenſpieler, “ſagte er mit ſchrecklichem Blick zu ihm, du wirſt keinen Geiſt mehr rufen. “
Der Sicilianer drehte ſich um, ſah ihm genauer ins Geſicht, that einen lauten Schrey und ſtürzte zu ſeinen Füßen.
Jezt ſahen wir alle auf einmal den vermeintli¬ chen Ruſſen an. Der Prinz erkannte in ihm ohne Mühe die Züge ſeines Armeniers wieder, und das Wort, das er eben hervorſtottern wollte, erſtarb auf ſeinem Munde. Schrecken und Ueberraſchung hatten uns alle wie verſteinert. Lautlos und un¬ beweglich ſtarrten wir dieſes geheimnißvolle Weſen an, das uns mit einem Blicke ſtiller Gewalt und Größe durchſchaute. Eine Minute dauerte dieß Schweigen — und wieder eine. Kein Odem war in der ganzen Verſammlung.
Einige kräftige Schläge an die Thür brachten uns endlich wieder zu uns ſelbſt. Die Thür fiel zertrümmert in den Saal, und herein drangen Gerichtsdiener mit Wache. „ Hier finden wir ſie ja beyſammen! “rief der Anführer, und wandte ſich zu ſeinen Begleitern. „ Im Namen der Re¬ gierung! “rief er uns zu. verhafte euch. “ Wir hatten nicht ſo viel Zeit uns zu beſinnen; inwenig32wenig Augenblicken waren wir umringt. Der ruſ¬ ſiſche Offizier, den ich jezt wieder den Armenier nenne, zog den Anführer der Häſcher auf die Sei¬ te, und, ſo viel mir dieſe Verwirrung zuließ, be¬ merkte ich, daß er ihm einige Worte heimlich ins Ohr ſagte, und etwas ſchriftliches vorzeigte. So¬ gleich verließ ihn der Häſcher mit einer ſtummen und ehrerbietigen Verbeugung, wandte ſich darauf zu uns und nahm ſeinen Hut ab. „ Vergeben Sie meine Herren, “ſagte er, „ daß ich Sie mit dieſem Betrüger vermengen konnte. Ich will nicht fra¬ gen, wer Sie ſind — aber dieſer Herr verſichert mir, daß ich Männer von Ehre vor mir habe. “ Zugleich winkte er ſeinen Begleitern, von uns ab¬ zulaſſen Den Sicilianer befahl er wohl zu bewa¬ chen und zu binden. „ Der Burſche da iſt über¬ reif, “ſezte er hinzu. „ Wir haben ſchon ſieben Monate auf ihn gelauert. “
Dieſer elende Menſch war wirklich ein Gegen¬ ſtand des Jammers. Das doppelte Schrecken der zwoten Geiſtererſcheinung und dieſes unerwarteten Ueberfalls hatte ſeine Beſinnungskraft überwältigt. Er ließ ſich binden wie ein Kind; die Augen lagen weit aufgeſperrt und ſtier in einem todtenähnlichen Geſichte, und ſeine Lippen bebten in ſtillen Zuckun¬ gen, ohne einen Laut auszuſtoßen. Jeden Augen¬ blick erwarteten wir einen Ausbruch von Convulſio¬ nen. Der Prinz fühlte Mitleid mit ſeinem Zuſtand, und unternahm es, ſeine Loslaſſung bey dem Ge¬ richtsdiener auszuwirken, dem er ſich zu erkennen gab.
„ Gnädig¬33„ Gnädigſter Herr, “ſagte dieſer, „ wiſſen Sie auch, wer der Menſch iſt, für welchen Sie ſich ſo großmüthig verwenden? Der Betrug, den er Ih¬ nen zu ſpielen gedachte, iſt ſein geringſtes Verbre¬ chen. Wir haben ſeine Helfershelfer. Sie ſagen abſcheuliche Dinge von ihm aus. Er mag ſich noch glücklich preiſen, wenn er mit der Galeere davon kommt. “
Unterdeſſen ſahen wir auch den Wirth nebſt ſei¬ nen Hausgenoſſen mit Stricken gebunden über den Hof führen — „ Auch dieſer? “rief der Prinz. „ Was hat denn dieſer verſchuldet? “— Er war ſein Mitſchuldiger und Hehler, “antwortete der Anführer der Häſcher, „ der ihm zu ſeinen Taſchen¬ ſpielerſtückchen und Diebereyen behülflich geweſen, und ſeinen Raub mit ihm getheilt hat. Gleich ſollen Sie überzeugt ſeyn, gnädigſter Herr, (in¬ dem er ſich zu ſeinen Begleitern kehrte.) Man durchſuche das ganze Haus, und bringe mir ſo¬ gleich Nachricht, was man gefunden hat. “
Jezt ſahe ſich der Prinz nach dem Armenier um — aber er war nicht mehr vorhanden; in der all¬ gemeinen Verwirrung, welche dieſer Ueberfall anrichtete, hatte er Mittel gefunden, unbemerkt zu entkommen. Der Prinz war untröſtlich; gleich, wollte er ihm alle ſeine Leute nachſchicken; er ſelbſt wollte ihn aufſuchen und mich mit ſich fortreißen. Ich eilte ans Fenſter; das ganze Haus war von Neugierigen umringt, die das Gerücht dieſer Be¬ gebenheit herbey geführt hatte. Unmöglich war es,d. Geiſterſeher. Cdurch34durch das Gedränge zu kommen. Ich ſtellte dem Prinzen dieſes vor. „ Wenn es dieſem Armenier ein Ernſt iſt, ſich vor uns zu verbergen, ſo weiß er unfehlbar die Schliche beſſer als wir, und alle unſre Nachforſchungen werden vergebens ſeyn. Lieber laſſen Sie uns noch hier bleiben, gnädigſter Prinz. Vielleicht kann uns dieſer Gerichtsdiener etwas näheres von ihm ſagen, dem er ſich, wenn ich anders recht geſehen, entdeckt hat. “
Jezt erinnerten wir uns, daß wir noch aus¬ gekleidet waren. Wir eilten nach unſerm Zimmer, uns in der Geſchwindigkeit in unſre Kleider zu wer¬ fen. Als wir zurück kamen, war die Hausſuchung geſchehen.
Nachdem man den Altar weggeräumt, und die Dielen des Saals aufgebrochen, entdeckte man ein geräumiges Gewölbe, worin ein Menſch gemäch¬ lich aufrecht ſitzen konnte, mit einer Thüre verſe¬ hen, die durch eine ſchmale Treppe nach dem Keller führte. In dieſem Gewölbe fand man eine Elek¬ triſiermaſchine, eine Uhr und eine kleine ſilberne Glocke, welche leztere, ſo wie die Elektriſiermaſchi¬ ne, mit dem Altar und dem darauf befeſtigten Kruzifixe Communication hatte. Ein Fenſterladen, der dem Kamine gerade gegenüber ſtand, war durchbrochen und mit einem Schieber verſehen, um, wie wir nachher erfuhren, eine magiſche Laterne in ſeine Oeffnung einzupaſſen, aus welcher die ver¬ langte Geſtalt auf die Wand über dem Kamine ge¬ fallen war. Vom Dachboden und aus dem Kellerbrachte35brachte man verſchiedne Trommeln, woran große bleyerne Kugeln an Schnüren befeſtigt hingen, wahrſcheinlich um das Geräuſche des Donners her¬ vorzubringen, das wir gehört hatten. Als man die Kleider des Sicilianers durchſuchte, fand man in einem Etui verſchiedene Pulver, wie auch leben¬ digen Merkur in Phiolen und Büchſen, Phospho¬ rus in einer gläſernen Flaſche, einen Ring, den wir gleich für einen magnetiſchen erkannten, weil er an einem ſtählernen Knopfe hängen blieb, dem er von ohngefähr nahe gebracht worden, in den Rocktaſchen ein Paternoſter, einen Judenbart, Terzerole und einen Dolch. „ Laß doch ſehen, ob ſie geladen ſind, “ſagte einer von den Häſchern, indem er eines von den Terzerolen nahm, und ins Kamin abſchoß. „ Jeſus Maria! “rief eine hoh¬ le menſchliche Stimme, eben die, welche wir von der erſten Erſcheinung gehört hatten — und in demſelben Augenblick ſahen wir einen blutenden Körper aus dem Schlot herunter ſtürzen. — „ Noch nicht zur Ruhe, armer Geiſt? “rief der Englän¬ der, während daß wir andern mit Schrecken zurück fuhren. „ Gehe heim zu deinem Grabe. Du haſt geſchienen, was du nicht warſt; jezt wirſt du ſeyn, was du ſchieneſt. “
„ Jeſus Maria! Ich bin verwundet, “wieder¬ holte der Menſch im Kamine. Die Kugel hatte ihm das rechte Bein zerſchmettert. Sogleich be¬ ſorgte man, daß die Wunde verbunden wurde.
„ Aber wer biſt du denn, und was für ein bö¬ ſer Dämon muß dich hieher führen? “
C 2„ Ein36„ Ein armer Barfüßer, “antwortete der Ver¬ wundete. „ Ein fremder Herr hier hat mir eine Zechine geboten, daß ich — “
„ Eine Formel herſagen ſollte? Und warum haſt du dich denn nicht gleich wieder davon ge¬ macht? “
„ Er wollte mir ein Zeichen geben, wenn ich fortfahren ſollte; aber das Zeichen blieb aus, und wie ich hinaus ſteigen wollte, war die Leiter weg¬ gezogen. “
„ Und wie heißt denn die Formel, die er dir eingelernt hat? “
Der Menſch bekam hier eine Ohnmacht, daß nichts weiter aus ihm herauszubringen war. Un¬ terdeſſen hatte ſich der Prinz zu dem Anführer der Häſcher gewendet.
„ Sie haben uns, “ſagte er, indem er ihm zugleich einige Goldſtücke in die Hand drückte, „ Sie haben uns aus den Händen eines Betrügers geret¬ tet, und uns, ohne uns noch zu kennen, Gerech¬ tigkeit widerfahren laſſen. Wollen Sie nun unſre Verbindlichkeit vollkommen machen, und uns entdecken, wer der Unbekannte war, dem es nur ein paar Worte koſtete, uns in Freyheit zu ſetzen? “
„ Wen meynen Sie? “fragte der Anführer der Häſcher mit einer Miene, die deutlich zeigte, wie unnöthig dieſe Frage war.
„ Den Herrn in ruſſiſcher Uniform meyne ich, der Sie vorhin bey Seite zog, Ihnen etwas ſchrift¬liches37liches vorwies und einige Worte ins Ohr ſagte, worauf Sie uns ſogleich wieder losgaben. “
„ Sie kennen dieſen Herrn alſo nicht? “fragte der Häſcher wieder. „ Er war nicht von Ihrer Geſellſchaft? “
„ Nein, “ſagte der Prinz — „ und aus ſehr wichtigen Urſachen wünſchte ich näher mit ihm be¬ kannt zu werden. “
„ Näher, “antwortete der Häſcher, „ kenn ich ihn auch nicht. Sein Name ſelbſt iſt mir unbe¬ kannt, und heute hab ich ihn zum erſtenmal in meinem Leben geſehen. “
„ Wie? und in ſo kurzer Zeit, durch ein paar Worte konnte er ſo viel über Sie vermögen, daß Sie ihn ſelbſt und uns alle für unſchuldig er¬ klärten? “
„ Allerdings durch ein einziges Wort. “
„ Und dieſes war? — Ich geſtehe, daß ich es wiſſen möchte. “
„ Dieſer Unbekannte, gnädigſter Herr, “— indem er die Zechinen in ſeiner Hand wog — „ Sie ſind zu großmüthig gegen mich geweſen, um Ih¬ nen länger ein Geheimniß daraus zu machen — dieſer Unbekannte war — ein Offizier der Staats¬ inquiſition. “
„ Der Staatsinquiſition! — Dieſer! — “
„ Nicht anders, gnädigſter Herr — und da¬ von überzeugte mich das Papier, welches er mir vorzeigte. “
„ Dieſer Menſch, ſagten Sie? Es iſt nicht möglich. “
C 3„ Ich38„ Ich will Ihnen noch mehr ſagen, gnädigſter Herr. Eben dieſer war es, auf deſſen Denuncia¬ tion ich hieher geſchickt worden bin, den Geiſterbe¬ ſchwörer zu verhaften. “
Wir ſahen uns mit noch größerm Erſtaunen an.
„ Da hätten wir es ja heraus, “rief endlich der Engländer, warum der arme Teufel von Beſchwö¬ rer ſo erſchrocken zuſammenfuhr, als er ihm näher ins Geſicht, ſah. Er erkannte ihn für einen Spion, und darum that er jenen Schrey und ſtürzte zu ſeinen Füßen. “
„ Nimmermehr, “rief der Prinz. „ Dieſer Menſch iſt alles was er ſeyn will, und alles was der Augenblick will, daß er ſeyn ſoll. Was er wirklich iſt, hat keines Menſchen Sohn erfahren. Sahen ſie den Sicilianer zuſammenſinken, als er ihm die Worte ins Ohr ſchrie: Du wirſt keinen Geiſt mehr rufen? Dahinter iſt mehr. Daß man vor etwas menſchlichem ſo zu erſchrecken pflegt, ſoll mich niemand überreden. “
„ Darüber wird uns der Magier ſelbſt wohl am beſten zurecht weiſen können, ſagte der Lord, „ wenn uns dieſer Herr (ſich zu dem Anführer der Gerichtsdiener wendend) Gelegenheit verſchaffen will, ſeinen Gefangenen zu ſprechen. “
Der Anführer der Häſcher verſprach es uns, und wir redeten mit dem Engländer ab, daß wir ihn gleich den andern Morgen aufſuchen wollten. Jezt begaben wir uns nach Venedig zurück.
Mit[39]gehn,40gehn, ließ ſich der Banquier des Prinzen mel¬ den, an den der Auftrag ergangen war, für einen neuen Bedienten zu ſorgen. Dieſer ſtellte dem Prinzen einen gut gebildeten und wohl gekleideten Menſchen in mittlern Jahren vor, der lange Zeit in Dienſten eines Prokurators als Sekretär geſtan¬ den, franzöſiſch und auch etwas deutſch ſprach, übri¬ gens mit den beſten Zeugniſſen verſehen war. Seine Phyſionomie gefiel, und da er ſich übrigens erklärte, daß ſein Gehalt von der Zufriedenheit des Prinzen mit ſeinen Dienſten abhängen ſollte, ſo ließ er ihn ohne Verzug eintreten.
Wir fanden den Sicilianer in einem Privatge¬ fängniß, wohin er, dem Prinzen zu Gefallen, wie der Gerichtsdiener ſagte, einſtweilen gebracht wor¬ den war, ehe er unter die Bleydächer geſetzt wur¬ de, zu denen kein Zugang mehr offen ſteht. Die¬ ſe Bleydächer ſind das fürchterlichſte Gefängniß in Venedig, unter dem Dach des St. Markuspalla¬ ſtes, worin die unglücklichen Verbrecher von der dörrenden Sonnenhitze, die ſich auf der Bleyfläche ſammelt, oft bis zum Wahnwitze leiden. Der Si¬ cilianer hatte ſich von dem geiſtigen Zufalle wieder erholt, und ſtand ehrerbietig auf, als er den Prin¬ zen anſichtig wurde. Ein Bein und eine Hand waren gefeſſelt, ſonſt aber konnte er frey durch das Zim¬ mer gehen. Bey unſerm Eintritt entfernte ſich die Wache vor die Thüre.
„ Ich komme, “ſagte der Prinz, „ über zwey Punkte eine Erklärung von Ihnen zu verlangen. Die41Die eine ſind Sie mir ſchuldig, und es wird Ihr Schade nicht ſeyn, wenn Sie mich über den andern befriedigen. “
„ Meine Rolle iſt ausgeſpielt, “verſezte der Si¬ cilianer. „ Mein Schickſal ſteht in Ihren Händen. “
„ Ihre Aufrichtigkeit allein iſt es, die es erleich¬ tern kann. “
„ Fragen Sie, gnädigſter Herr. Ich bin be¬ reit zu antworten, denn ich habe nichts mehr zu verlieren. “
„ Sie haben mich das Geſicht des Armeniers in Ihrem Spiegel ſehen laſſen. Wodurch bewirk¬ ten Sie dieſes? “
„ Es war kein Spiegel, was Sie geſehen ha¬ ben. Ein bloßes Paſtellgemählde hinter einem Glas, das einen Mann in armeniſcher Kleidung vorſtellte, hat Sie getäuſcht. Meine Geſchwindigkeit, die Dämmerung, Ihr Erſtaunen unterſtützten dieſen Betrug. Das Bild ſelbſt wird ſich unter den übri¬ gen Sachen finden, die man in dem Gaſthof in Beſchlag genommen hat. “
„ Aber wie konnten Sie meine Gedanken ſo gut wiſſen, und gerade auf den Armenier rathen? “
„ Dieſes war gar nicht ſchwer, gnädigſter Herr. Ohne Zweifel haben Sie ſich bey Tiſche in Gegenwart Ihrer Bedienten über die Begebenheit öfters herausgelaſſen, die ſich zwiſchen Ihnen und dieſem Armenier ereignet hat. Einer von meinen Leuten machte mit einem Jäger zufälliger Weiſe in der Giudecca Bekanntſchaft, aus welchem er nachundC 542und nach ſo viel zu ziehen wußte, als mir zu wiſ¬ ſen nöthig war. “
„ Wo iſt dieſer Jäger? “fragte der Prinz. „ Ich vermiſſe ihn, und ganz gewiß wiſſen Sie um ſeine Entweichung. “
„ Ich ſchwöre Ihnen, daß ich nicht das gering¬ ſte davon weiß, gnädigſter Herr. Ich ſelbſt hab 'ihn nie geſehen, und nie eine andre Abſicht mit ihm gehabt, als die eben gemeldete. “ „ Fahren Sie fort, “ſagte der Prinz.
„ Auf dieſem Wege nun erhielt ich überhaupt auch die erſte Nachricht von Ihrem Aufenthalt und Ihren Begebenheiten in Venedig, und ſogleich ent¬ ſchloß ich mich, ſie zu nützen. Sie ſehen, gnä¬ digſter Herr, daß ich aufrichtig bin. Ich wußte von Ihrer vorhabenden Spazierfahrt auf der Brenta; ich hatte mich darauf verſehen, und ein Schlüſſel, der Ihnen von ungefähr entfiel, gab mir die erſte Gelegenheit, meine Kunſt an Ihnen zu verſuchen. “
„ Wie? So hätte ich mich alſo geirret? Das Stückchen mit dem Schlüſſel war Ihr Werk, und nicht des Armeniers? Der Schlüſſel, ſagen Sie, wäre mir entfallen? “
„ Als Sie die Börſe zogen — und ich nahm den Augenblick wahr, da mich niemand beobachte¬ te, ihn ſchnell mit dem Fuße zu verdecken. Die Perſon, bey der Sie die Lotterielooſe nahmen, war im Verſtändniß mit mir. Sie ließ Sie aus einem Gefäße ziehen, wo keine Niete zu holen war,und43und der Schlüſſel lag längſt in der Doſe, ehe ſie von Ihnen gewonnen wurde. “
„ Nunmehr begreif 'ich's. Und der Barfüßer¬ mönch, der ſich mir in den Weg warf, und mich ſo feyerlich anredete? “
„ War der nehmliche, den man, wie ich höre, verwundet aus dem Kamine gezogen. Es iſt einer von meinen Kameraden, der mir unter dieſer Ver¬ hüllung ſchon manche gute Dienſte geleiſtet. “
„ Aber zu welchem Ende ſtellten Sie dieſes an? “
„ Um Sie nachdenkend zu machen — um einen Gemüthszuſtand in Ihnen vorzubereiten, der Sie für das Wunderbare, das ich mit Ihnen im Sinn hatte, empfänglich machen ſollte. “
„ Aber der pantomimiſche Tanz, der eine ſo über¬ raſchende ſeltſame Wendung nahm — dieſer war doch wenigſtens nicht von Ihrer Erfindung? “
„ Das Mädchen, welches die Königinn vorſtellte, war von mir unterrichtet, und ihre ganze Rolle mein Werk. Ich vermuthete, daß es Eure Durch¬ laucht nicht wenig befremden würde, an dieſem Or¬ te gekannt zu ſeyn, und, verzeihen Sie mir, gnä¬ digſter Herr, das Abentheuer mit dem Armenier ließ mich hoffen, daß Sie bereits ſchon geneigt ſeyn würden, natürliche Auslegungen zu verſchmähen, und nach höhern Quellen des Außerordentlichen zu ſpüren. “
„ In der That, “rief der Prinz mit einer Miene zugleich des Verdruſſes und der Verwunderung, indem er mir, beſonders einen bedeutenden Blickgab,44gab, „ in der That, “rief er aus, „ das habe ich nicht erwartet. “*)Und wahrſcheinlich auch die wenigſten meiner Le¬ ſer. Dieſe zu den Füßen des Prinzen ſo uner¬ wartet und ſo feyerlich niedergelegte Krone mit der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers zuſammen genommen, ſcheint ſo natürlich und un¬ gezwungen auf einen gewiſſen Zweck zu zielen, daß mir beym erſten Leſen dieſer Memoires ſogleich die verfängliche Anrede der Zauberſchweſtern im Macbeth: Heil dir Than von Glamis, der einſt König ſeyn wird! dabey einge¬ fallen iſt; und vermuthlich iſt es mehrern ſo er¬ gangen. Wenn eine gewiſſe Vorſtellung auf eine feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬ bracht worden, ſo kann es nicht fehlen, daß alle darauf folgende, welche nur der geringſten Be¬ ziehung auf ſie fähig ſind, ſich an dieſelbe an¬ ſchließen, und in einen gewiſſen Rapport mit ihr ſetzen. Der Sicilianer, der, wie es ſcheint, mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬ ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬ raſchen, daß er ihn merken ließ, ſein Stand ſey entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬ ken, in die Hand gearbeitet: aber ſo ſehr die Sa¬ che auch an Intereſſe verliert, wenn man den hö¬ hern Zweck zurück nimmt, auf welchen ſie anfangs angelegt ſchien, ſo wenig darf ich doch der hiſtori¬ ſchen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle das Factum, wie ich es gefunden.Anm. d. Herausg.
„ Aber, “fuhr der Prinz nach einem langen Still¬ ſchweigen wieder fort, „ wie brachten Sie die Ge¬ſtalt45ſtalt hervor, die an der Wand über dem Kamine erſchien? “
„ Durch die Zauberlaterne, welche an dem ge¬ genüber ſtehenden Fenſterladen angebracht war, wo Sie auch die Oeffnung dazu bemerkt haben werden. “
„ Aber wie kam es denn, daß kein einziger un¬ ter uns ſie gewahr wurde? “fragte Lord Sey¬ mour.
„ Sie erinnern ſich, gnädigſter Herr, daß ein dicker Rauch von Olibanum den ganzen Saal ver¬ finſterte, als Sie zurück gekommen waren. Zu¬ gleich hatte ich die Vorſicht gebraucht, die Dielen, welche man weggehoben, neben demjenigen Fenſter anlehnen zu laſſen, wo die Laterna magica ein¬ gefügt war; dadurch verhinderte ich, daß Ih¬ nen dieſer Fenſterladen nicht ſogleich ins Geſichte fiel. Uebrigens blieb die Laterne auch ſo lange durch einen Schieber verdeckt, bis Sie alle Ihre Plätze genommen hatten, und keine Unterſuchung im Zimmer mehr von Ihnen zu fürchten war. “
„ Mir kam vor, “fiel ich ein, „ als hörte ich in der Nähe dieſes Saals eine Leiter anlegen, als ich in dem andern Pavillon aus dem Fenſter ſah. War dem wirklich ſo? “
„ Ganz recht. Eben dieſe Leiter, auf welcher mein Gehülfe zu dem bewußten Fenſter empor klet¬ terte, um die Zauberlaterne zu dirigiren. “
„ Die Geſtalt, “fuhr der Prinz fort, „ ſchien wirklich eine flüchtige Aehnlichkeit mit meinem ver¬ ſtorbenen Freunde zu haben; beſonders traf es ein,daß46daß ſie ſehr blond war. War dieſes bloßer Zu¬ fall oder woher ſchöpften Sie dieſelbe? “
„ Eure Durchlaucht erinnern ſich, daß Sie über Tiſche eine Doſe neben ſich hatten liegen gehabt, auf welcher das Portrait eines Offiziers in ** ſcher Uniform in Emaille war. Ich fragte Sie, ob Sie von Ihrem Freunde nicht irgend ein Andenken bey ſich führten? worauf Sie mit Ja antworteten; daraus ſchloß ich, daß es vielleicht die Doſe ſeyn möchte. Ich hatte das Bild über Tiſche gut ins Auge gefaßt, und weil ich im Zeichnen ſehr geübt, auch im Treffen ſehr glücklich bin, ſo war es mir ein leichtes, dem Bilde dieſe flüchtige Aehnlichkeit zu geben, die Sie wahrgenommen haben; und um ſo mehr, da die Geſichtszüge des Marquis ſehr ins Auge fallen.
„ Aber die Geſtalt ſchien ſich doch zu bewe¬ gen. — “
„ So ſchien es — aber es war nicht die Ge¬ ſtalt, ſondern der Rauch, der von ihrem Scheine beleuchtet war. “
„ Und der Menſch, welcher aus dem Schlot her¬ ab ſtürzte, antwortete alſo für die Erſcheinung? “
„ Eben dieſer. “
„ Aber er konnte ja die Fragen nicht wohl hören. “
„ Dieſes brauchte er auch nicht. Sie beſinnen ſich, gnädigſter Prinz, daß ich Ihnen allen auf das ſtrengſte verbot, ſelbſt eine Frage an das Ge¬ ſpenſt zu richten. Was ich ihn fragen würde und er mir antworten ſollte, war abgeredet; und da¬ mit ja kein Verſehen vorfiele, ließ ich ihn großePauſen47Pauſen beobachten, die er an den Schlägen einer Uhr abzählen mußte. “
„ Sie gaben dem Wirthe Befehl, alle Feuer im Hauſe ſorgfältig mit Waſſer löſchen zu laſſen; dieß geſchah ohne Zweifel — “
„ Um meinen Mann im Kamine außer Gefahr des Erſtickens zu ſetzen, weil die Schornſteine im Hauſe in einander laufen, und ich vor ihrer Suite nicht ſo recht ſicher zu ſeyn glaubte. “
„ Wie kam es aber, “fragte Lord Seymour, „ daß Ihr Geiſt weder früher noch ſpäter da war, als Sie ihn brauchten? “
„ Mein Geiſt war ſchon eine gute Weile im Zim¬ mer, ehe ich ihn citirte; aber ſo lange der Spiri¬ tus brannte, konnte man dieſen matten Schein nicht ſehen. Als meine Beſchwörungsformel geen¬ digt war, ließ ich das Gefäß, worin der Spiritus flammte, zuſammen fallen, es wurde Nacht im Saal, und jezt erſt wurde man die Figur an der Wand gewahr, die ſich ſchon längſt darauf reflek¬ tirt hatte. “
„ Aber in eben dem Moment, als der Geiſt er¬ ſchien, empfanden wir alle einen elektriſchen Schlag. Wie bewirkten Sie dieſen? “
„ Die Maſchine unter dem Altar haben Sie ent¬ deckt. Sie ſahen auch, daß ich auf einem ſeidnen Fußteppich ſtand. Ich ließ Sie in einem halben Mond um mich herum ſtehen und einander die Hände reichen; als es nahe dabey war, winkte ich einem von Ihnen, mich bey den Haaren zu faſſen. Das ſilberne Kruzifix war der Konductor, und Sieempfin¬48empfingen den Schlag, als ich es mit der Hand be¬ rührte. “
„ Sie befahlen uns, dem Grafen von O** und mir, “ſagte Lord Seymour, „ zwey bloße Degen kreuzweiſe über Ihrem Scheitel zu halten, ſo lan¬ ge die Beſchwörung dauern würde. Wozu nun dieſes? “
„ Zu nichts weiter als um Sie beyde, denen ich am wenigſten traute, während des ganzen Actus zu beſchäftigen. Sie erinnern ſich, daß ich Ihnen ausdrücklich einen Zoll hoch beſtimmte; dadurch, daß Sie dieſe Entfernung immer in Acht nehmen mußten, waren ſie verhindert, Ihre Blicke dahin zu richten, wo ich ſie nicht gerne haben wollte. Meinen ſchlimmſten Feind hatte ich damals noch gar nicht ins Auge gefaßt. “
„ Ich geſtehe, “rief Lord Seymour, „ daß dieß vorſichtig gehandelt heißt — aber warum mußten wir ausgekleidet ſeyn? “
„ Bloß um der Handlung eine Feyerlichkeit mehr zu geben, und durch das Ungewöhnliche Ihre Einbildungskraft zu ſpannen.
„ Die zwote Erſcheinung ließ Ihren Geiſt nicht zum Wort kommen, “ſagte der Prinz. „ Was hät¬ ten wir eigentlich von ihm erfahren ſollen? “
„ Beynahe daſſelbe, was Sie nachher gehört haben. Ich fragte Eure Durchlaucht nicht ohne Abſicht, ob Sie mir auch alles geſagt, was Ihnen der Sterbende aufgetragen, und ob Sie keine wei¬ tere Nachfragen wegen ſeiner in ſeinem Vaterlande gethan; dieſes fand ich nöthig, um nicht gegenThat¬49Thatſachen anzuſtoßen, die der Auſſage meines Gei¬ ſtes hätten widerſprechen können. Ich fragte ge¬ wiſſer Jugendſünden wegen, ob der Verſtorbene untadelhaft gelebt; und auf die Antwort, welche Sie mir gaben, gründete ich alsdann meine Er¬ findung. “
„ Ueber dieſe Sache, “fing der Prinz nach eini¬ gem Stillſchweigen an, „ haben Sie mir einen be¬ friedigenden Aufſchluß gegeben. Aber ein Haupt¬ umſtand iſt noch zurück, worüber ich Licht von Ih¬ nen verlange. “
„ Wenn es in meiner Gewalt ſteht, und — “
„ Keine Bedingungen! Die Gerechtigkeit, in deren Händen Sie ſind, dürfte ſo beſcheiden nicht fragen. Wer war dieſer Unbekannte, vor dem wir Sie niederſtürzen ſahen? Was wiſſen Sie von ihm? Woher kennen Sie ihn? Und was hat es für eine Bewandtniß mit dieſer zweyten Erſchei¬ nung? “
„ Gnädigſter Prinz — “
„ Als Sie ihm genauer ins Geſicht ſahen, ſtießen Sie einen lauten Schrey aus und ſtürzten nieder. Warum das? Was bedeutete das? “
„ Dieſer Unbekannte, gnädigſter Prinz “— — Er hielt inne, wurde ſichtbarlich unruhiger, und ſah uns alle in der Reihe herum mit verlegenen Blicken an. — „ Ja bey Gott, gnädigſter Prinz, dieſer Unbekannte iſt ein ſchreckliches Weſen. “
„ Was wiſſen Sie von ihm? Wie ſteht er mit Ihnen in Verbindung? — Hoffen Sie nicht, uns die Wahrheit zu verhehlen. “—
d. Geiſterſeher. D„ Dafür50„ Dafür werd 'ich mich wohl hüten — denn wer ſteht mir dafür, daß er nicht in dieſem Augen¬ blicke mitten unter uns ſtehet? “
„ Wo? Wer? “riefen wir alle zugleich, und ſchauten uns halb lachend, halb beſtürzt im Zim¬ mer um — „ Das iſt ja nicht möglich. “
„ O! dieſem Menſchen — oder wer er ſeyn mag — ſind Dinge möglich, die noch weit weniger zu begreifen ſind. “
„ Aber wer iſt er denn? Woher ſtammt er? Ar¬ menier oder Ruſſe? Was iſt das Wahre an dem, wofür er ſich ausgiebt? “
„ Keines von allem, was er ſcheint. Es wird wenige Stände und Nationen geben, davon er nicht ſchon die Maſke getragen. Wer er ſey? Woher er gekommen? Wohin er gehe? weiß niemand. Daß er lang 'in Aegypten geweſen, wie viele be¬ haupten, und dort aus einer Katakombe ſeine ver¬ borgene Weisheit geholt habe, will ich weder beja¬ hen noch verneinen. Bey uns kennt man ihn nur unter dem Namen des Unergründlichen. Wie alt, zum Beyſpiel, ſchätzen Sie ihn?
„ Nach dem äußern Anſchein zu urtheilen, kann er kaum vierzig zurück gelegt haben. “
„ Und wie alt denken Sie, daß ich ſey? “
„ Nicht weit von funfzig. “
„ Ganz recht — und wenn ich Ihnen nun ſage, daß ich noch ein Burſche von ſiebenzehn Jahren war, als mir mein Großvater von dieſem Wundermann erzählte, der ihn ungefähr in eben dem Alter,worin51worin er jezt zu ſeyn ſcheint, in Famaguſta geſehen hat. — “
„ Das iſt lächerlich, unglaublich und über¬ trieben. “
„ Nicht um einen Zug. Hielten mich dieſe Feſſeln nicht ab, ich wollte Ihnen Bürgen ſtellen, deren ehrwürdiges Anſehen Ihnen keinen Zweifel mehr übrig laſſen ſollte. Es giebt glaubwürdige Leute, die ſich erinnern, ihn in verſchiedenen Weltgegen¬ den zu gleicher Zeit geſehen zu haben. Keines De¬ gens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann ihm etwas anhaben, kein Feuer ſengt ihn, kein Schiff geht unter, worauf er ſich befindet. Die Zeit ſelbſt ſcheint an ihm ihre Macht zu verlieren, die Jahre trocknen ſeine Säfte nicht aus, und das Alter kann ſeine Haare nicht bleichen. Niemand iſt, der ihn Speiſe nehmen ſah, nie iſt ein Weib von ihm berührt worden, kein Schlaf beſucht ſeine Augen, von allen Stunden des Tages weiß man nur eine einzige, über die er nicht Herr iſt, in wel¬ cher niemand ihn geſehen, in welcher er kein irdi¬ ſches Geſchäft verrichtet hat. “
„ So? “ſagte der Prinz. „ Und was iſt dieß für eine Stunde? “
„ Die zwölfte in der Nacht. Sobald die Glocke den zwölften Schlag thut, gehört er den Lebendi¬ gen nicht mehr. Wo er auch ſeyn mag, er muß fort, welches Geſchäft er auch verrichtet, er muß es abbrechen. Dieſer ſchreckliche Glockenſchlag reißt ihn aus den Armen der Freundſchaft, reißt ihn ſelbſt vom Altar, und würde ihn auch aus demD 2To¬52Todeskampf abrufen. Niemand weiß wo er dann hingehet, noch was er da verrichtet. Niemand wagt es, ihn darum zu befragen, noch weniger ihm zu folgen, denn ſeine Geſichtszüge ziehen ſich auf einmal, ſobald dieſe gefürchtete Stunde ſchlägt, in einen ſo finſtern und ſchreckhaften Ernſt zuſam¬ men, daß jedem der Muth entfällt, ihm in's Ge¬ ſicht zu blicken, oder ihn anzureden. Eine tiefe Todesſtille endigt dann plötzlich das lebhafteſte Geſpräch, und alle, die um ihn ſind, erwarten mit ehrerbietigem Schaudern ſeine Wiederkunft, ohne es nur zu wagen, ſich von der Stelle zu he¬ ben, oder die Thüre zu öffnen, durch die er gegan¬ gen iſt. “
„ Aber, “fragte einer von uns, „ bemerkt man nichts außerordentliches an ihm bey ſeiner Zurück¬ kunft? “
„ Nichts als daß er bleich und abgemattet aus¬ ſieht, ungefähr wie ein Menſch, der eine ſchmerz¬ hafte Operation ausgeſtanden, oder eine ſchreckliche Zeitung erhält. Einige wollen Blutstropfen auf ſeinem Hemde geſehen haben; dieſes aber laſſe ich dahin geſtellt ſeyn. “
„ Und hat man es zum wenigſten nie verſucht, ihm dieſe Stunde zu verbergen, oder ihn ſo in Zer¬ ſtreuung zu verwickeln, daß er ſie überſehen mußte? “
„ Ein einzigesmal, ſagt man, überſchritt er den Termin. Die Geſellſchaft war zahlreich, man verſpätete ſich bis tief in die Nacht, alle Uhren waren mit Fleiß falſch gerichtet, und das Feuerder53der Unterredung riß ihn dahin. Als die geſezte Stunde da war, verſtummte er plötzlich, und wur¬ de ſtarr, alle ſeine Gliedmaßen verharrten in der¬ ſelben Richtung, worin dieſer Zufall ſie überraſch¬ te, ſeine Augen ſtanden, ſein Puls ſchlug nicht mehr, alle Mittel die man anwendete, ihn wieder zu erwecken, waren fruchtlos; und dieſer Zuſtand hielt an, bis die Stunde verſtrichen war. Dann belebte er ſich plötzlich von ſelbſt wieder, ſchlug die Augen auf, und fuhr in der nehmlichen Sylbe fort, worin er war unterbrochen worden. Die allgemei¬ ne Beſtürzung verrieth ihm, was geſchehen war, und da erklärte er mit einem fürchterlichen Ernſt, daß man ſich glücklich preiſen dürfte, mit dem bloßen Schrecken davon gekommen zu ſeyn. Aber die Stadt, worin ihm dieſes begegnet war, verließ er noch an demſelben Abend auf immer. Der all¬ gemeine Glaube iſt, daß er in dieſer geheimnißvol¬ len Stunde Unterredungen mit ſeinem Genius hal¬ te. Einige meynen gar, er ſey ein Verſtorbener, dem es verſtattet ſey, drey und zwanzig Stunden vom Tage unter den Lebenden zu wandeln; in der lezten aber müſſe ſeine Seele zur Unterwelt heim¬ kehren, um dort ihr Gericht auszuhalten. Viele halten ihn auch für den berühmten Apollonius von Thyana, und andre gar für den Jünger Johannes, von dem es heißt, daß er bleiben würde bis zum lezten Gericht. “
„ Ueber einen ſo außerordentlichen Mann kann es freylich nicht an abentheuerlichen Muthmaßun¬ gen fehlen. Alles bisherige aber haben Sie bloßD 3von54von Hörenſagen; und doch ſchien mir ſein Beneh¬ men gegen Sie, und das Ihrige gegen ihn auf ei¬ ne genauere Bekanntſchaft zu deuten. Liegt hier nicht irgend eine beſondre Geſchichte zum Grunde, bey der Sie ſelbſt mit verwickelt geweſen? Verheh¬ len Sie uns nichts. “
„ Der Sicilianer ſah uns mit einem zweifelhaf¬ ten Blick an, und ſchwieg. “
„ Wenn es eine Sache betrifft, “fuhr der Prinz fort, „ die Sie nicht gerne laut machen wollen, ſo verſichre ich Sie im Namen dieſer beyden Herrn der unverbrüchlichſten Verſchwiegenheit. Aber reden Sie aufrichtig und unverhohlen. “
„ Wenn ich hoffen kann, “fing der Mann nach einem langen Stillſchweigen endlich an, „ daß Sie ſolche nicht gegen mich zeugen laſſen wollen, ſo will ich Ihnen wohl eine merkwürdige Begebenheit mit dieſem Armenier erzählen, von der ich Augenzeuge war, und die Ihnen über die verborgene Gewalt dieſes Menſchen keinen Zweifel mehr übrig laſſen wird. Aber es muß mir erlaubt ſeyn, ſezte er hin¬ zu, einige Namen dabey zu verſchweigen. “
„ Kann es nicht auch ohne dieſe Bedingung ge¬ ſchehen? “
„ Nein, gnädigſter Herr. Es iſt eine Familie darein verwickelt, die ich Urſache habe zu ehren. “
„ Laſſen Sie uns hören, “ſagte der Prinz.
„ Es mögen nun fünf Jahre ſeyn, “fing der Si¬ cilianer an, „ daß ich in Neapel, wo ich mit ziem¬ lichem Glück meine Künſte trieb, mit einem gewiſ¬ ſen Lorenzo del M**nte, Chevalier des Ordensvon55von S. Stephan, Bekanntſchaft machte, einem jungen und reichen Kavalier aus einem der erſten Häuſer des Königreichs, der mich mit Verbindlich¬ keiten überhäufte, und für meine Geheimniſſe große Achtung zu tragen ſchien. Er entdeckte mir, daß der Marcheſe del M***nte, ſein Vater, ein eifri¬ ger Verehrer der Kabbala wäre, und ſich glücklich ſchätzen würde, einen Weltweiſen (wie er mich zu nennen beliebte,) unter ſeinem Dache zu wiſſen. Der Greis wohnte auf einem ſeiner Landgüter an der See, ungefähr ſieben Meilen von Neapel, wo er beynahe in gänzlicher Abgeſchiedenheit von Men¬ ſchen das Andenken eines theuern Sohnes beweinte, der ihm durch ein ſchreckliches Schickſal entriſſen ward. Der Chevalier ließ mich merken, daß er und ſeine Familie in einer ſehr ernſthaften Angele¬ genheit meiner wohl gar einmal bedürfen könnten, um von meiner geheimen Wiſſenſchaft vielleicht ei¬ nen Aufſchluß über etwas zu erhalten, wobey alle natürlichen Mittel fruchtlos erſchöpft worden wä¬ ren. Er ins beſondere, ſezte er ſehr bedeutungsvoll hinzu, würde einſt vielleicht Urſache haben, mich als den Schöpfer ſeiner Ruhe und ſeines ganzen irdiſchen Glücks zu betrachten. Die Sache ſelbſt aber verhielt ſich folgender Geſtalt. Dieſer Loren¬ zo war der jüngere Sohn des Marcheſe. weswegen er auch zu dem geiſtlichen Stand beſtimmt war; die Güter der Familie ſollten an ſeinen ältern Bru¬ der fallen. Jeronymo, ſo hieß dieſer ältere Bru¬ der, hatte mehrere Jahre auf Reiſen zugebracht, und kam ungefähr ſieben Jahre vor der Begeben¬heit. D 456heit, die jezt erzählt wird, in ſein Vaterland zu¬ rück, um eine Heirath mit der einzigen Tochter ei¬ nes benachbarten gräflichen Hauſes von C***tti zu vollziehen, worüber beyde Familien ſchon ſeit der Geburt dieſer Kinder übereingekommen waren, um ihre anſehnlichen Güter dadurch zu ver¬ einigen. Ungeachtet dieſe Verbindung bloß das Werk der älterlichen Konvenienz war, und die Her¬ zen beyder Verlobten bey der Wahl nicht um Rath gefragt wurden, ſo hatten ſie ſie doch ſtillſchweigend ſchon beſchworen. Jeronymo del M**nte und Antonie C**tti waren mit einander auferzogen worden, und der wenige Zwang, den man dem Umgang zweyer Kinder auflegte, die man ſchon da¬ mals gewohnt war, als ein Paar zu betrachten, hatte frühzeitig ein zärtliches Verſtändniß zwiſchen beyden entſtehen laſſen, das durch die Harmonie ihrer Charaktere noch mehr befeſtigt ward, und ſich in reifern Jahren leicht zur Liebe erhöhte. Eine vierjährige Entfernung hatte es vielmehr angefeuert als erkältet, und Jeronymo kehrte eben ſo treu und eben ſo feurig in die Arme ſeiner Braut zurück, als wenn er ſich niemals daraus geriſſen hätte. “
„ Die Entzückungen des Wiederſehens waren noch nicht vorüber, und die Anſtalten zur Vermäh¬ lung wurden auf das lebhafteſte betrieben, als der Bräutigam — verſchwand. Er pflegte öfters ganze Abende auf einem Landhauſe zuzubringen, das die Ausſicht auf's Meer hatte, und ſich da zu¬ weilen mit einer Waſſerfahrt zu vergnügen. Nacheinem57einem ſolchen Abende geſchah es, daß er ungewöhn¬ lich lang 'ausblieb. Man ſchickte Boten nach ihm aus, Fahrzeuge ſuchten ihn auf der See; niemand wollte ihn geſehen haben; von ſeinen Bedienten wurde keiner vermißt, daß ihn alſo keiner begleitet haben konnte. Es wurde Nacht, und er erſchien nicht. Es wurde Morgen — es wurde Mittag und Abend, und noch kein Jeronymo. Schon fing man an, den ſchrecklichſten Muthmaßungen Raum zu geben, als die Nachricht einlief, ein algieri¬ ſcher Korſar habe vorigen Tages an dieſer Küſte ge¬ landet, und verſchiedene von den Einwohnern ſeyen gefangen weggeführt worden. Sogleich werden zwey Galeeren bemannt, die eben ſegelfertig lie¬ gen; der alte Marcheſe beſteigt ſelbſt die erſte, ent¬ ſchloſſen, ſeinen Sohn mit Gefahr ſeines eigenen Lebens zu befreyen. Am dritten Morgen erblick¬ ten ſie den Korſaren, vor welchem ſie den Vortheil des Windes voraus haben; ſie haben ihn bald er¬ reicht, ſie kommen ihm ſo nahe, daß Lorenzo, der ſich auf der erſten Galeere befindet, das Zeichen ſeines Bruders auf dem feindlichen Ver¬ deck zu erkennen glaubt, als plötzlich ein Sturm ſie wieder von einander trennt. Mit Mühe ſtehen ihn die beſchädigten Schiffe aus; aber die Priſe iſt verſchwunden, und die Noth zwingt ſie, auf Mal¬ tha zu landen. Der Schmerz der Familie iſt ohne Grenzen; troſtlos rauft ſich der alte Marcheſe die eisgrauen Haare aus, man fürchtet für das Leben der jungen Gräfin. “
„ FünfD 558„ Fünf Jahre gehen in fruchtloſen Erkundigun¬ gen hin. Nachfragen geſchehen längs der ganzen barbariſchen Küſte; ungeheure Preiſe werden für die Freiheit des jungen Marcheſe geboten; aber niemand meldet ſich, ſie zu verdienen. Endlich blieb es bey der wahrſcheinlichen Vermuthung, daß jener Sturm, welcher beyde Fahrzeuge trennte, das Räuberſchiff zu Grunde gerichtet habe, und daß ſeine ganze Mannſchaft in den Fluthen umgekom¬ men ſey. “
„ So ſcheinbar dieſe Vermuthung war, ſo fehl¬ te ihr doch noch viel zur Gewißheit, und nichts be¬ rechtigte, die Hoffnung ganz aufzugeben, daß der Verlorne nicht einmal wieder ſichtbar werden könn¬ te. Aber geſezt nun, er würde es nicht mehr, ſo erloſch mit ihm zugleich die Familie, oder der zweyte Bruder mußte dem geiſtlichen Stande entſa¬ gen, und in die Rechte des Erſtgebornen eintreten. So wenig dieſes die Gerechtigkeit gegen den leztern zu erlauben ſchien, ſo wenig durfte auf der andern Seite die Familie durch eine zu weit getriebene Ge¬ wiſſenhaftigkeit der Gefahr des Ausſterbens ausge¬ ſezt werden. Gram und Alter näherten den alten Marcheſe dem Grabe; mit jedem neu vereitelten Verſuch ſank die Hoffnung, den Verſchwundenen wieder zu finden; er ſah den Untergang ſeines Hau¬ ſes, der durch eine kleine Ungerechtigkeit zu verhü¬ ten war, wenn er ſich nehmlich nur entſchließen wollte, den jüngern Bruder auf Unkoſten des äl¬ tern zu begünſtigen. Um ſeine Verbindungen mitdem59dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen, brauchte nur ein Name geändert zu werden; der Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht, Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬ nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬ keit einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬ gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬ lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung, und der alte Marcheſe, der die Annäherung des Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit Ungeduld[v]on dieſer Unruhe wenigſtens frey zu ſterben. “
„ Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das meiſte dabey gewann — Lorenzo. Ungerührt von dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs, das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre, und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬ nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬ tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich den Himmel um ſeine Wiederkunft anflehen, wenn ſein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns zurück bringt, entgegen eilen? Und geſezt, er iſtuns60uns auf ewig entriſſen, wodurch können wir ſein Andenken beſſer ehren, als wenn wir die Lücke ewig unausgefüllt laſſen, die ſein Tod in unſern Zirkel geriſſen hat? als wenn wir alle unſre Hoff¬ nungen auf ſeinem Grabe opfern, und das, was ſein war, gleich einem Heiligthum unberührt laſſen? “
„ Aber alle Gründe, welche die brüderliche De¬ likateſſe ausfand, waren nicht vermögend, den al¬ ten Marcheſe mit der Idee auszuſöhnen, einen Stamm erlöſchen zu ſehen, der bereits neun Jahr¬ hunderte geblüht. Alles, was Lorenzo ihm abgewann, war noch eine Friſt von zwey Jahren, ehe er die Braut ſeines Bruders zum Altare führte. Während dieſes Zeitraums wurden die Nachforſchungen auf's eifrigſte fortgeſezt. Lorenzo ſelbſt that verſchiedene Seereiſen, ſezte ſeine Perſon manchen Gefahren aus; keine Mühe, keine Koſten wurden geſpart, den Verſchwundenen wieder zu finden. Aber auch dieſe zwey Jahre verſtrichen fruchtlos, wie alle vo¬ rigen. “
„ Und Gräfinn Antonie? “fragte der Prinz. „ Von ihrem Zuſtande ſagen Sie uns nichts. Soll¬ te ſie ſich ſo gelaſſen in ihr Schickſal ergeben haben? Ich kann es nicht glauben. “
„ Antoniens Zuſtand war der ſchrecklichſte Kampf zwiſchen Pflicht und Neigung, Haß und Bewunde¬ rung. Die uneigennützige Großmuth der brüderli¬ chen Liebe rührte ſie; ſie fühlte ſich hingeriſſen, den Mann zu verehren, den ſie nimmermehr lie¬ben61ben konnte; zerriſſen von widerſprechenden Gefüh¬ len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen den Chevalier ſchien in eben dem Grade zu wachſen, wie ſich ſeine Anſprüche auf ihre Achtung vermehr¬ ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den ſtillen Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬ gültigkeit, mit der er ſie bisher betrachtet hatte; aber dieſe verrätheriſche Empfindung hinterging ihn, und eine wüthende Leidenſchaft fing an, ihm die Ausübung einer Tugend zu erſchweren, die bis jezt ohne Beyſpiel geweſen war. Doch ſelbſt noch auf Unkoſten der Liebe gab er den Eingebungen ſei¬ nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie in Schutz nahm. Aber alle ſeine Bemühungen mi߬ langen; jeder Sieg, den er über ſeine Leidenſchaft davon trug, zeigte ihn ihrer nur um ſo würdi¬ ger, und die Großmuth, mit der er ſie ausſchlug, diente nur dazu, ihre Widerſetzlichkeit jeder Ent¬ ſchuldigung zu berauben. “
„ So ſtanden die Sachen, als der Chevalier mich beredete, ihn auf ſeinem Landgute zu beſu¬ chen Die warme Empfehlung meines Gönners bereitete mir da einen Empfang, der alle meine Wünſche übertraf. Ich darf nicht vergeſſen, hier noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬ würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬ men unter den dortigen Logen berühmt zu machen, welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauendes62des alten Marcheſe zu vermehren und ſeine Erwar¬ tungen von mir zu erhöhen. Wie weit ich es mit ihm gebracht, und welche Wege ich dabey gegan¬ gen, erlaſſen ſie mir zu erzählen; aus den Ge¬ ſtändniſſen, die ich Ihnen bereits gethan, können Sie auf alles übrige ſchließen. Da ich mir alle myſtiſche Bücher zu nutze machte, die ſich in der ſehr anſehnlichen Bibliothek des Marcheſe befan¬ den, ſo gelang es mir bald, in ſeiner Sprache mit ihm zu reden, und mein Syſtem von der unſicht¬ baren Welt mit den abentheuerlichſten Erfindun¬ gen aufzuſtutzen. In kurzem glaubte er was ich wollte, und hätte eben ſo zuverſichtlich auf die Be¬ gattungen der Philoſophen mit Salamandrinnen und Sylphiden, als auf einen Artikel des Kanons geſchworen. Da er überdies ſehr religiös war, und ſeine Anlage zum Glauben in dieſer Schule zu einem hohen Grade ausgebildet hatte, ſo fanden meine Mährchen bey ihm deſto leichter Eingang, und zulezt hatte ich ihn mit Myſtizität ſo umſtrickt und umwunden, daß nichts mehr bey ihm Credit hatte, ſobald es natürlich war. In kurzem war ich der angebetete Apoſtel des Hauſes. Der ge¬ wöhnliche Inhalt meiner Vorleſungen war die Ex¬ altation der menſchlichen Natur, und der Umgang mit höhern Weſen, mein Gewährsmann der un¬ trügliche Graf von Gabalis. Die junge Gräfinn, die ſeit dem Verluſt ihres Geliebten ohnehin mehr in der Geiſterwelt als in der wirklichen lebte, und überdieß eine große Miſchung von Melancholie in ihrem Charakter hatte, fing meine hingeworfenenWinke63Winke mit ſchauderndem Wohlbehagen auf; ja ſo¬ gar die Bedienten des Hauſes ſuchten ſich im Zim¬ mer zu thun zu machen, wenn ich redete, um hie und da eins meiner Worte aufzuhaſchen, welche Bruchſtücke ſie alsdann nach ihrer Art an einander reihten. “
„ Ungefähr zwey Monate mochte ich ſo auf die¬ ſem Ritterſitze zugebracht haben, als eines Mor¬ gens der Chevalier auf mein Zimmer trat. Tiefer Gram mahlte ſich auf ſeinem Geſichte, alle ſeine Züge waren zerſtört, er warf ſich in einen Stuhl mit allen Geberden der Verzweiflung. “
„ Kapitain, ſagte er, mit mir iſt es vorbey. Ich muß fort. Ich kann es nicht länger hier aus¬ halten. “
„ Was iſt Ihnen, Chevalier? Was haben Sie? “
„ O dieſe fürchterliche Leidenſchaft! (Hier fuhr er mit Heftigkeit von dem Stuhle auf, und warf ſich in meine Arme) — Ich habe ſie bekämpft wie ein Mann — Jezt kann ich nicht mehr. “
„ Aber an wem liegt es denn, liebſter Freund, als an Ihnen? Steht nicht alles in Ihrer Gewalt? Vater, Familie — “
„ Vater! Familie! Was iſt mir das? — Will ich eine erzwungene Hand, oder eine freywillige Neigung? — Hab 'ich nicht einen Nebenbuhler? — Ach! Und welchen? Einen Nebenbuhler vielleicht unter den Todten! O laſſen Sie mich! Laſſen Sie mich! Ging es auch bis an's Ende der Welt. Ich muß meinen Bruder finden. “
„ Wie? 64„ Wie? Nach ſo viel fehlgeſchlagenen Verſu¬ chen können Sie noch Hoffnung — “
„ Hoffnung! — In meinem Herzen ſtarb ſie längſt. Aber auch in jenem? — Was liegt daran, ob ich hoffe? — Bin ich glücklich, ſo lange noch ein Schimmer dieſer Hoffnung in Anto¬ niens Herzen glimmt? — Zwey Worte, Freund, könnten meine Marter enden — Aber umſonſt! Mein Schickſal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich zeugen. “
„ Iſt es dieſe Gewißheit alſo, die Sie glücklich machen kann? “
„ Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder ſeyn kann! — Aber Ungewißheit iſt die ſchrecklich¬ ſte Verdammniß! (Nach einigem Stillſchweigen mäßigte er ſich, und fuhr mit Wehmuth fort) Daß er meine Leiden ſähe! — Kann ſie ihn glücklich machen dieſe Treue, die das Elend ſeines Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten wegen ſchmachten, der nicht mehr genießen kann? — Wüßte er meine Qual — (hier fing er an, heftig zu weinen, und drückte ſein Geſicht auf mei¬ ne Bruſt) vielleicht — ja vielleicht würde er ſie ſelbſt in meine Arme führen. “
„ Aber ſollte dieſer Wunſch ſo ganz unerfüllbar ſeyn? “
„ Freund! Was ſagen Sie? — Er ſah mich erſchrocken an. “
„ Weit geringere Anläſſe, fuhr ich fort, haben die Abgeſchiedenen in das Schickſal der Lebendenver¬65verflochten. Sollte das ganze zeitliche Glück eines Menſchen — eines Bruders — “
„ Das ganze zeitliche Glück! O das fühl 'ich! Wie wahr haben Sie geſagt! Meine ganze Glück¬ ſeligkeit! “
„ Und die Ruhe einer trauernden Familie keine würdige Aufforderung ſeyn? Gewiß! wenn je eine irdiſche Angelegenheit dazu berechtigen kann, die Ruhe der Seligen zu ſtören — von einer Gewalt Gebrauch zu machen — “
„ Um Gottes willen, Freund! unterbrach er mich, nichts mehr davon. Ehmals wohl, ich ge¬ ſteh 'es, hegte ich einen ſolchen Gedanken — mir däucht, ich ſagte Ihnen davon — aber ich hab' ihn längſt als ruchlos und abſcheulich verworfen. “
„ Sie ſehen nun ſchon, “fuhr der Sicilianer fort, „ wohin uns dieſes führte. Ich bemühte mich, die Bedenklichkeiten des Ritters zu zerſtreuen, welches mir endlich auch gelang. Es ward beſchloſ¬ ſen, den Geiſt des Verſtorbenen zu zitiren, wobey ich mir nur vierzehn Tage Friſt ausbedingte, um mich, wie ich vorgab, würdig darauf vorzuberei¬ ten. Nachdem dieſer Zeitraum verſtrichen und meine Maſchinen gehörig gerichtet waren, benuz¬ te ich einen ſchauerlichen Abend, wo die Familie auf die gewöhnliche Art um mich verſammelt war, ihr die Einwilligung dazu abzulocken, oder ſie viel¬ mehr unvermerkt dahin zu leiten, daß ſie ſelbſt dieſe Bitte an mich that. Den ſchwerſten Standd. Geiſterſeher. Ehatte66hatte man bey der jungen Gräfinn, deren Gegen¬ wart doch ſo weſentlich war, aber hier kam uns der ſchwärmeriſche Flug ihrer Leidenſchaft zu Hülfe, und vielleicht mehr noch ein ſchwacher Schimmer von Hoffnung, daß der Todtgeglaubte noch lebe, und auf den Ruf nicht erſcheinen werde. Mi߬ trauen in die Sache ſelbſt, Zweifel in meine Kunſt war das einzige Hinderniß, welches ich nicht zu be¬ kämpfen hatte. “
„ Sobald die Einwilligung der Familie da war, wurde der dritte Tag zu dem Werk angeſezt. Ge¬ bete, die bis in die Mitternacht verlängert werden mußten, Faſten, Wachen, Einſamkeit und myſti¬ ſcher Unterricht waren, verbunden mit dem Ge¬ brauch eines gewiſſen noch unbekannten muſikali¬ ſchen Inſtruments, das ich in ähnlichen Fällen ſehr wirkſam fand, die Vorbereitungen zu dieſem feyerlichen Akt, welche auch ſo ſehr nach Wunſche einſchlugen, daß die fanatiſche Begeiſterung meiner Zuhörer meine eigene Phantaſie erhitzte, und die Illuſion nicht wenig vermehrte, zu der ich mich bey dieſer Gelegenheit anſtrengen mußte. Endlich kam die erwartete Stunde — “
„ Ich errathe, “rief der Prinz, „ wen Sie uns jezt aufführen werden — Aber fahren Sie nur fort — fahren Sie fort — “
„ Nein, gnädigſter Herr. Die Beſchwörung ging nach Wunſche vorüber. “
„ Aber wie? Wo bleibt denn der Armenier? “
„ Fürch¬67„ Fürchten Sie nicht, “antwortete der Sicilia¬ ner, „ der Armenier wird nur zu zeitig erſcheinen. “
„ Ich laſſe mich in keine Beſchreibung des Gau¬ kelſpiels ein, die mich ohnehin auch zu weit führen würde. Genug es erfüllte alle meine Erwartun¬ gen. Der alte Marcheſe, die junge Gräfinn nebſt ihrer Mutter, der Chevalier und noch einige Ver¬ wandte waren zugegen. Sie können leicht denken, daß es mir in der langen Zeit, die ich in dieſem Hauſe zugebracht, nicht an Gelegenheit werde ge¬ mangelt haben, von allem, was den Verſtorbenen anbetraf, die genaueſte Erkundigung einzuziehen. Verſchiedne Gemählde, die ich da von ihm vor¬ fand, ſezten mich in den Stand, der Erſcheinung die täuſchendſte Aehnlichkeit zu geben, und weil ich den Geiſt nur durch Zeichen ſprechen ließ, ſo konn¬ te auch ſeine Stimme keinen Verdacht erwecken. Der Todte ſelbſt erſchien in barbariſchem Sklaven¬ kleid, eine tiefe Wunde am Halſe. Sie bemer¬ ken, “ſagte der Sicilianer, „ daß ich hierin von der allgemeinen Muthmaßung abging, die ihn in den Wellen umkommen laſſen; weil ich Urſache hat¬ te zu hoffen, daß gerade das Unerwartete dieſer Wendung die Glaubwürdigkeit der Viſion ſelbſt nicht wenig vermehren würde; ſo wie mir im Ge¬ gentheil nichts gefährlicher ſchien, als eine zu ge¬ wiſſenhafte Annäherung an das Natürliche. “
„ Ich glaube, daß dieß ſehr richtig geurtheilt war, “ſagte der Prinz. „ In einer Reihe außer¬ ordentlicher Erſcheinungen mußte, däucht mir, juſtE 2die68die wahrſcheinlichere ſtören; die Leichtigkeit, die erhaltene Entdeckung zu begreifen, würde hier nur das Mittel, durch welches man dazu gelangt war, herabgewürdigt haben; die Leichtigkeit, ſie zu erfinden, dieſes wohl gar verdächtig gemacht[ha¬ ben]; denn wozu einen Geiſt bemühen, wenn man nichts weiteres von ihm erfahren ſoll, als was auch ohne ihn, mit Hülfe der bloß gewöhnlichen Vernunft herauszubringen war? Aber die über¬ raſchende Neuheit und Schwierigkeit der Entdeckung iſt hier gleichſam eine Gewährleiſtung des Wunders, wodurch ſie erhalten wird — denn wer wird nun das Uebernatürliche einer Operation in Zwei¬ fel ziehen, wenn das, was ſie leiſtete, durch na¬ türliche Kräfte nicht geleiſtet werden kann? — Ich habe Sie unterbrochen, “ſezte der Prinz hinzu. „ Vollenden Sie Ihre Erzählung. “
„ Ich ließ, “fuhr dieſer fort, „ die Frage an den Geiſt ergehen, ob er nichts mehr ſein nenne auf dieſer Welt, und nichts darauf hinterlaſſen ha¬ be, was ihm theuer wäre? Der Geiſt ſchüttelte dreymal das Haupt, und ſtreckte eine ſeiner Hän¬ de gen Himmel. Ehe er wegging, ſtreifte er noch einen Ring vom Finger, den man nach ſeiner Ver¬ ſchwindung auf dem Fußboden liegend fand. Als die Gräfinn ihn genauer in's Geſicht faßte, war es ihr Trauring. “
„ Ihr Trauring! “rief der Prinz mit Befrem¬ dung. „ Ihr Trauring! Aber wie gelangten Sie zu dieſem? “
„ Ich69„ Ich — — — Es war nicht der rechte, gnädigſter Prinz — — Ich hatte ihn — — Es war nur ein nachgemachter. — “
„ Ein nachgemachter! “wiederholte der Prinz. „ Zum Nachmachen brauchten Sie ja den rechten, und wie kamen Sie zu dieſem, da ihn der Verſtor¬ bene gewiß nie vom Finger brachte? “
„ Das iſt wohl wahr, “ſagte der Sicilianer, nicht ohne Zeichen der Verwirrung — „ aber aus einer Beſchreibung, die man mir von dem wirkli¬ chen Trauring gemacht hatte — “
„ Die Ihnen wer gemacht hatte? “
„ Schon vor langer Zeit, “ſagte der Sicilia¬ ner — — „ Es war ein ganz einfacher goldner Ring, mit dem Namen der jungen Gräfinn, glaub 'ich, — — aber Sie haben mich ganz aus der Ordnung gebracht — “
Wie erging es weiter? “ſagte der Prinz mit ſehr unbefriedigter und zweydeutiger Miene.
„ Jezt hielt man ſich für überzeugt, daß Je¬ ronymo nicht mehr am Leben ſey. Die Familie machte von dieſem Tag an ſeinen Tod öffentlich be¬ kannt, und legte förmlich die Trauer um ihn an. Der Umſtand mit dem Ringe erlaubte auch Anto¬ nien keinen Zweifel mehr, und gab den Bewerbun¬ gen des Chevaliers einen größern Nachdruck. Aber der heftige Eindruck, den dieſe Erſcheinung auf ſie gemacht, ſtürzte ſie in eine gefährliche Krankheit, welche die Hoffnungen ihres Liebhabers bald auf ewig vereitelt hätte. Als ſie wieder geneſen war, beſtand ſie darauf, den Schleyer zu nehmen, wo¬E 3von70von ſie nur durch die nachdrücklichſten Gegenvorſtel¬ lungen ihres Beichtvaters, in welchen ſie ein un¬ umſchränktes Vertrauen ſezte, abzubringen war. Endlich gelang es den vereinigten Bemühungen die¬ ſes Mannes und der Familie, ihr das Jawort ab¬ zuängſtigen. Der lezte Tag der Trauer ſollte der glückliche Tag ſeyn, den der alte Marcheſe durch Abtretung aller ſeiner Güter an den rechtmäßigen Erben noch feſtlicher zu machen geſonnen war. “
„ Es erſchien dieſer Tag, und Lorenzo empfing ſeine bebende Braut am Altare. Der Tag ging unter, ein prächtiges Mahl erwartete die frohen Gäſte im hellerleuchteten Hochzeitſaal, und eine lär¬ mende Muſik begleitete die ausgelaſſene Freude. Der glückliche Greis hatte gewollt, daß alle Welt ſeine Fröhlichkeit theilte; alle Zugänge zum Palla¬ ſte waren geöffnet, und willkommen war jeder, der ihn glücklich pries. Unter dieſem Gedränge nun — “
Der Sicilianer hielt hier inne, und ein Schau¬ der der Erwartung hemmte unſern Odem — —
„ Unter dieſem Gedränge alſo, “fuhr er fort. „ ließ mich derjenige, welcher zunächſt an mir ſaß, einen Franziskanermönch bemerken, der un¬ beweglich wie eine Säule ſtand, langer hagrer Statur und aſchbleichen Angeſichts, einen ernſten und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Die Freude, welche rings herum auf allen Geſich¬ tern lachte, ſchien an dieſem einzigen vorüber zu gehen, ſeine Miene blieb unwandelbar dieſelbe, wie eine Büſte unter lebenden Figuren. Das Außer¬ordent¬71ordentliche dieſes Anblicks, der, weil er mich mit¬ ten in der Luſt überraſchte, und gegen alles, was mich in dieſem Augenblick umgab, auf eine ſo grel¬ le Art abſtach, um ſo tiefer auf mich wirkte, ließ einen unauslöſchlichen Eindruck in meiner Seele zu¬ rück, daß ich dadurch allein in den Stand geſezt worden bin, die Geſichtszüge dieſes Mönchs in der Phyſionomie des Ruſſen (denn Sie begreifen wohl ſchon, daß er mit dieſem und Ihrem Armenier eine und dieſelbe Perſon war) wieder zu erkennen, wel¬ ches ſonſt ſchlechterdings unmöglich würde geweſen ſeyn. Oft verſucht 'ich's, die Augen von dieſer ſchreckhaften Geſtalt abzuwenden, aber unfreywil¬ lig fielen ſie wieder darauf, und fanden ſie jedes¬ mal unverändert. Ich ſtieß meinen Nachbar an, dieſer den ſeinigen, dieſelbe Neugierde, dieſelbe Befremdung durchlief die ganze Tafel, das Ge¬ ſpräch ſtockte, eine allgemeine plötzliche Stille, den Mönch ſtörte ſie nicht. Der Mönch ſtand unbeweg¬ lich und immer derſelbe, einen ernſten und trauri¬ gen Blick auf das Brautpaar geheftet. Einen je¬ den entſezte dieſe Erſcheinung; die junge Gräfinn allein fand ihren eigenen Kummer im Geſicht die¬ ſes Fremdlings wi der, und hing mit ſtiller Wol¬ luſt an dem einzigen Gegenſtand in der Verſamm¬ lung, der ihren Gram zu verſtehen, zu theilen ſchien. Allgemach verlief ſich das Gedränge, Mit¬ ternacht war vorüber, die Muſik fing an ſtiller und verlorner zu tönen; die Kerzen dunkler und endlich nur einzeln zu brennen, das Geſpräch leiſer und immer leiſer zu flüſtern — und öder ward es, undE 4immer72immer öder im trüberleuchteten Hochzeitſaal; der Mönch ſtand unbeweglich, und immer derſelbe, einen ſtillen und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Die Tafel wird aufgehoben, die Gäſte zerſtreuen ſich dahin und dorthin, die Familie tritt in einen engeren Kreis zuſammen, der Mönch bleibt ungeladen in dieſem engeren Kreis. Ich weiß nicht, woher es kam, daß niemand ihn anreden wollte; niemand redete ihn an. Schon drängen ſich ihre weiblichen Bekannte um die zitternde Braut herum, die einen bittenden Hülfe ſuchenden Blick auf den ehrwürdigen Fremdling richtet; der Fremd¬ ling erwiedert ihn nicht. Die Männer ſammeln ſich auf gleiche Art um den Bräutigam — Eine gepreßte erwartungsvolle Stille — „ Daß wir un¬ ter einander da ſo glücklich ſind, “hub endlich der Greis an, der allein unter uns allen den Unbe¬ kannten nicht zu bemerken, oder ſich doch nicht über ihn zu verwundern ſchien: „ Daß wir ſo glücklich ſind, ſagte er, und mein Sohn Jerony¬ mo muß fehlen! “— „ Haſt du ihn denn gela¬ den und er iſt ausgeblieben? “fragte der Mönch. Es war das erſtemal, daß er den Mund öffnete. Mit Schrecken ſahen wir ihn an. “
„ Ach! er iſt hingegangen, wo man auf ewig ausbleibt, verſezte der Alte. Ehrwürdiger Herr, ihr verſteht mich unrecht. Mein Sohn Jeronymo iſt todt. “
„ Vielleicht fürchtet er ſich auch nur, ſich in ſol¬ cher Geſellſchaft zu zeigen, fuhr der Mönch fort —Wer73Wer weiß, wie er ausſehen mag, dein Sohn Je¬ ronymo! — Laß ihn die Stimme hören, die er zum leztenmal hörte! — Bitte deinen Sohn Lo¬ renzo, daß er ihn rufe. “
„ Was ſoll das bedeuten? murmelte alles. Lorenzo veränderte die Farbe. Ich läugne nicht, daß mir das Haar anfing zu ſteigen. “
„ Der Mönch war unterdeſſen zum Schenktiſch getreten, wo er ein volles Weinglas ergriff, und an die Lippen ſezte — „ Das Andenken unſers theuern Jeronymo! “rief er. „ Wer den Verſtor¬ benen lieb hatte, thue mir's nach. “
„ Woher ihr auch ſeyn mögt, ehrwürdiger Herr, rief endlich der Marcheſe. Ihr habt einen theuern Namen genannt. Seyd mir willkommen! — Kommt, meine Freunde! (indem er ſich gegen uns kehrte, und die Gläſer herum gehen ließ) laßt einen Fremdling uns nicht beſchämen! — Dem Andenken meines Sohnes Jeronymo! “
„ Nie, glaube ich, ward eine Geſundheit mit ſo ſchlimmen Muthe getrunken. “
„ Ein Glas ſteht noch voll da — Warum weigert ſich mein Sohn Lorenzo, auf dieſen freund¬ lichen Trunk Beſcheid zu thun? “
„ Bebend empfing Lorenzo das Glas aus des Franziskaners Hand — bebend brachte er's an den Mund — „ Meinem vielgeliebten Bruder Jero¬ nymo! “ſtammelte er, und ſchauernd ſezte er's nieder. “
„ Das iſt meines Mörders Stimme, rief eine fürchterliche Geſtalt, die auf einmal in unſrer Mit¬E 5te74te ſtand, mit bluttriefendem Kleid und entſtellt von gräßlichen Wunden. “— —
„ Aber um das weitere frage man mich nicht mehr, “ſagte der Sicilianer, alle Zeichen des Ent¬ ſetzens in ſeinem Angeſicht. „ Meine Sinne hatten mich von dem Augenblicke an verlaſſen, als ich die Augen auf die Geſtalt warf, ſo wie jeden, der zu¬ gegen war. Da wir wieder zu uns ſelber kamen, rang Lorenzo mit dem Tode, Mönch und Erſchei¬ nung waren verſchwunden. Den Ritter brachte man unter ſchrecklichen Zuckungen zu Bette; nie¬ mand als der Geiſtliche war um den Sterbenden, und der jammervolle Greis, der ihm, wenige Wo¬ chen nachher, im Tode folgte. Seine Geſtändniſſe liegen in der Bruſt des Paters verſenkt, der ſeine lezte Beichte hörte, und kein lebendiger Menſch hat ſie erfahren. Nicht lange nach dieſer Begebenheit geſchah es, daß man einen Brunnen auszuräumen hatte, der im Hinterhofe des Landhauſes unter wil¬ dem Geſträuche verſteckt, und viele Jahre lang ver¬ ſchüttet war; da man den Schutt durch einander ſtörte, entdeckte man ein Todtengerippe. Das Haus, wo