PRIMS Full-text transcription (HTML)
Der Geiſterſeher.
Eine Geſchichte aus den Memoires des Grafen von O**.
Leipzig,bey Georg Joachim Göſchen,1789.
[1]

Der Geiſterſeher.

Aus den Papieren des Grafen von O**.

A[2][3]

Erſtes Buch.

Ich erzähle eine Begebenheit, die vielen unglaub¬ lich ſcheinen wird, und von der ich großentheils ſelbſt Augenzeuge war. Den wenigen, welche von einem gewiſſen politiſchen Vorfalle unterrichtet ſind, wird ſie wenn anders dieſe Blätter ſie noch am Leben finden einen willkommenen Aufſchluß darüber geben; und auch ohne dieſen Schlüſſel wird ſie den übrigen, als ein Beytrag zur Geſchich¬ te des Betrugs und der Verirrungen des menſch¬ lichen Geiſtes vielleicht wichtig ſeyn. Man wird über die Kühnheit des Zwecks erſtaunen, den die Bosheit zu entwerfen und zu verfolgen im Stan¬ de iſt; man wird über die Mittel erſtaunen, die ſie aufzubieten vermag, um ſich dieſes Zwecks zu verſichern. Reine, ſtrenge Wahrheit wird meine Feder leiten, denn wenn dieſe Blätter an die Welt treten, bin ich nicht mehr, und nie werde ich ihr Schickſal erfahren.

Es war auf meiner Zurückreiſe nach Kurland, im Jahr 17** um die Karnevalszeit, als ich denPrin¬A 24Prinzen von ** in Venedig beſuchte. Wir hatten uns in ** ſchen Kriegsdienſten kennen lernen, und er¬ neuerten hier eine Bekanntſchaft, die der Friede unterbrochen hatte. Weil ich ohnedies wünſchte, das Merkwürdige dieſer Stadt zu ſehen, und der Prinz nur noch Wechſel erwartete, um nach ** zurück zu reiſen, ſo beredete er mich leicht, ihm Geſellſchaft zu leiſten, und meine Abreiſe ſo lange zu verſchieben. Wir kamen überein uns nicht von einander zu trennen, ſo lange unſer Aufenthalt in Venedig dauern würde, und der Prinz war ſo ge¬ fällig, mir ſeine eigene Wohnung im Mohren an¬ zubieten.

Er lebte hier unter dem ſtrengſten Incognito, weil er ſich ſelbſt leben wollte, und ſeine geringe Apa¬ nage ihm auch nicht verſtattet hätte, die Hoheit ſei¬ nes Rangs zu behaupten. Zwey Kavaliere, auf deren Verſchwiegenheit er ſich vollkommen verlaſ¬ ſen konnte, waren nebſt einigen treuen Bedienten ſein ganzes Gefolge. Den Aufwand vermied er mehr aus Temperament als aus Sparſamkeit. Er floh die Vergnügungen; bis zu ſeinem fünf und dreyßigſten Jahre hatte er allen Reizungen dieſer wollüſtigen Stadt widerſtanden. Das ſchöne Ge¬ ſchlecht war ihm gleichgültig. Tiefer Ernſt und eine ſchwärmeriſche Melancholie herrſchte in ſeiner Ge¬ müthsart. Seine Neigungen waren ſtill, aber hartnäckig bis zum Uebermaaß, ſeine Wahl lang¬ ſam und ſchüchtern, ſeine Anhänglichkeit warm und ewig; mitten in einem geräuſchvollen Gewühle von Menſchen ging er einſam. In ſeine eigene Phan¬taſien¬5taſienwelt verſchloſſen, war er ſehr oft ein Fremd¬ ling in der wirklichen und weil er wohl wußte, wie ſchlecht er beobachtete, ſo verbot er ſich jedes Ur¬ theil, und übertrieb die Gerechtigkeit gegen frem¬ des. Niemand war mehr dazu gebohren, ſich be¬ herrſchen zu laſſen, ohne ſchwach zu ſeyn. Dabey war er unerſchrocken und zuverläſſig, ſobald er einmal überzeugt war, und beſaß gleich großen Muth, ein erkanntes Vorurtheil zu bekämpfen und für ein anderes zu ſterben.

Als der dritte Prinz ſeines Hauſes hatte er kei¬ ne wahrſcheinliche Ausſicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenſchaften hatten eine andre Richtung genommen.

Zufrieden von keinem fremden Willen abzuhän¬ gen, drang er den ſeinigen niemand zum Geſetze auf; die geräuſchloſe Ruhe eines zwangloſen Pri¬ vatlebens begränzte alle ſeine Wünſche. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine nachläſſige Erziehung und frühe Kriegsdienſte hatten ſeinen Geiſt nicht zur Reife kommen laſſen. Alle Kenntniſſe die er nach¬ her ſchöpfte, vermehrten nur das verworrene Chaos ſeiner Begriffe, weil ſie auf keinen feſten Grund gebauet waren.

Er war Proteſtant, wie ſeine ganze Familie durch Geburt, nicht nach Unterſuchung, die er nie angeſtellt hatte, ob er gleich in einer Epoche ſeines Lebens, Schwärmer darin geweſen war. Maçon iſt er, ſo viel ich weiß, nie geworden.

EinesA 36

Eines Abends, als wir nach Gewohnheit in tiefer Maſke und abgeſondert, auf dem Platze St. Markus ſpazieren giengen es fing an ſpät zu werden, und das Gedränge hatte ſich verloren bemerkte der Prinz, daß eine Maſke uns überall folgte. Die Maſke war ein Armenier und ging al¬ lein. Wir beſchleunigten unſere Schritte und ſuchten ſie durch öftere Veränderung unſeres We¬ ges irre zu machen umſonſt, die Maſke blieb immer dicht hinter uns. Sie haben doch keine Intrigue hier gehabt? ſagte endlich der Prinz zu mir. Die Ehemänner in Venedig ſind gefährlich. Ich kenne keine einzige Dame, gab ich zur Antwort. Laſſen Sie uns hier niederſetzen und deutſch ſprechen, fuhr er fort. Ich bilde mir ein, man verkennt uns. Wir ſezten uns auf eine ſtei¬ nerne Bank und erwarteten, daß die Maſke vor¬ über gehen ſollte. Sie kam gerade auf uns zu, und nahm ihren Platz dicht an der Seite des Prin¬ zen Er zog die Uhr heraus und ſagte mir laut auf franzöſiſch, indem er aufſtund: Neun Uhr vorbey. Kommen Sie. Wir vergeſſen, daß man uns im Louvre erwartet. Dieß erdichtete er nur, um die Maſke von unſerer Spur zu entfernen. Neun Uhr wiederholte ſie in eben der Spra¬ che nachdrücklich und langſam. Wünſchen Sie ſich Glück, Prinz (indem ſie ihn bey ſeinem wah¬ ren Namen nannte). Um neun Uhr iſt er geſtorben. Damit ſtand ſie auf und ging. Wir ſahen uns beſtürzt an. Wer iſt geſtor¬ ben? ſagte endlich der Prinz nach einer langenStille. 7Stille. Laſſen Sie uns ihr nachgehen, ſagte ich, und eine Erklärung fordern. Wir durchkrochen alle Winkel des Markus die Maſke war nicht mehr zu finden. Unbefriedigt kehrten wir nach unſerm Gaſthof zurück. Der Prinz ſagte mir un¬ terwegens nicht ein Wort, ſondern ging ſeitwärts und allein, und ſchien einen gewaltſamen Kampf zu kämpfen, wie er mir auch nachher geſtanden hat. Als wir zu Hauſe waren, öffnete er zum erſtenma¬ le wieder den Mund. Es iſt doch lächerlich, ſagte er, daß ein Wahnſinniger die Ruhe eines Mannes mit zwey Worten ſo erſchüttern ſoll. Wir wünſch¬ ten uns eine gute Nacht, und ſo bald ich auf mei¬ nem Zimmer war, merkte ich mir in meiner Schreibtafel den Tag und die Stunde wo es ge¬ ſchehen war. Es war ein Donnerſtag.

Am folgenden Abend ſagte mir der Prinz: Wollen wir nicht einen Gang über den Markus¬ platz machen, und unſern geheimnißvollen Arme¬ nier aufſuchen? Mich verlangt doch nach der Ent¬ wickelung dieſer Komödie. Ich wars zufrieden. Wir blieben bis eilf Uhr auf dem Platz. Der Armenier war nirgends zu ſehen. Das nehmliche wiederholten wir die vier folgenden Abende, und je¬ desmal mit demſelben ſchlechten Erfolge.

Als wir am ſechſten Abend unſer Hotel ver¬ ließen, hatte ich den Einfall ob unwillkührlich oder aus Abſicht, beſinne ich mich nicht mehr den Bedienten zu hinterlaſſen, wo wir zu finden ſeyn würden, wenn nach uns gefragt werden ſollte. DerA 48Der Prinz bemerkte meine Vorſicht, und lobte ſie mit einer lächelnden Miene. Es war ein großes Gedränge auf dem Markusplatz, als wir da anka¬ men. Wir hatten kaum dreyßig Schritte gemacht, ſo bemerkte ich den Armenier wieder, der ſich mit ſchnellen Schritten durch die Menge arbeitete, und mit den Augen Jemand zu ſuchen ſchien. Eben waren wir im Begriff ihn zu erreichen, als der Ba¬ ron von F. aus der Suite des Prinzen athemlos auf uns zukam, und dem Prinzen einen Brief über¬ brachte. Er iſt ſchwarz geſiegelt, ſezte er hinzu. Wir vermutheten, daß es Eile hätte. Das fiel auf mich wie ein Donnerſchlag. Der Prinz war zu einem Flambeau getreten und fing an zu leſen. Mein Kouſin iſt geſtorben, rief er. Wann? ſtürzte ich ihm heftig ins Wort. Er ſah noch ein¬ mal in den Brief. Vorigen Donnerſtag. Abends um neun Uhr.

Wir hatten nicht Zeit, von unſerm Erſtaunen zurück zu kommen, ſo ſtand der Armenier unter uns. Sie ſind hier erkannt, gnädigſter Herr, ſagte er zu dem Prinzen. Eilen Sie nach dem Mohren. Sie werden die Abgeordneten des Senats dort fin¬ den. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzu¬ nehmen, die man Ihnen erweiſen will. Der Ba¬ ron von F** vergaß, Ihnen zu ſagen, daß Ihre Wechſel angekommen ſind. Er verlor ſich in dem Gedränge.

Wir eilten nach unſerm Hotel. Alles fand ſich, wie der Armenier es verkündigt hatte. DreyNobili9Nobili der Republik ſtanden bereit, den Prinzen zu bewillkommen, und ihn mit Pracht nach der Aſ¬ ſemblee zu begleiten, wo der hohe Adel, der Stadt ihn erwartete. Er hatte kaum ſo viel Zeit, mir durch einen flüchtigen Wink zu verſtehen zu geben, daß ich für ihn wach bleiben möchte.

Nachts gegen eilf kam er wieder. Ernſt und gedankenvoll trat er ins Zimmer, und ergriff mei¬ ne Hand, nachdem er die Bedienten entlaſſen hat¬ te. Graf, ſagte er mit den Worten Hamlets zu mir, es giebt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als wir in unſern Philoſophien träumen.

Gnädigſter Herr, antwortete ich, Sie ſcheinen zu vergeſſen, daß Sie um eine große Hoffnung rei¬ cher zu Bette gehen. (Der Verſtorbene war der Erbprinz.)

Erinnern Sie mich nicht daran, ſagte der Prinz. Und wenn eine Krone für mich wäre ge¬ wonnen worden, ich hätte jezt mehr zu thun, als dieſer Kleinigkeit nachzudenken. Wenn die¬ ſer Armenier nicht bloß errathen hat

Wie iſt das möglich, Prinz? fiel ich ein.

So will ich Ihnen alle meine fürſtlichen Hoff¬ nungen für eine Mönchskutte abtreten.

Ich führe dieſes mit Fleiß hier an, weil ich glaube, daß es zu einem Beweiſe dienen kann, wie entfernt er noch damals von jeder herrſchſüchtigen Abſicht geweſen iſt.

A 5Den10

Den folgenden Abend fanden wir uns zeitiger, als gewöhnlich, auf dem Markusplatz ein. Ein plötzlicher Regenguß nöthigte uns, in ein Kaffee¬ haus einzukehren, wo geſpielt wurde. Der Prinz ſtellte ſich hinter den Stuhl eines Spaniers, und beobachtete das Spiel. Ich war in ein an¬ ſtoßendes Zimmer gegangen, wo ich Zeitungen las. Eine Weile darauf hörte ich Lermen. Vor der Ankunft des Prinzen war der Spanier unauf¬ hörlich im Verluſte geweſen, jezt gewann er auf alle Karten. Das ganze Spiel ward auffallend verändert, und die Bank war in Gefahr, von dem Pointeur, den dieſe glückliche Wendung kühner ge¬ macht hatte, aufgefordert zu werden. Ein Vene¬ tianer, der ſie hielt, ſagte dem Prinzen mit belei¬ digendem Ton er ſtöhre das Glück, und er ſolle den Tiſch verlaſſen. Dieſer ſah ihn kalt an und blieb; dieſelbe Faſſung behielt er, als der Ve¬ netianer ſeine Beleidigung franzöſiſch wiederholte. Der leztere glaubte, daß der Prinz beyde Spra¬ chen nicht verſtehe, und wandte ſich mit verach¬ tungsvollem Lachen zu den übrigen: Sagen Sie mir doch, meine Herren, wie ich mich dieſem Ba¬ lardo verſtändlich machen ſoll? Zugleich ſtand er auf und wollte den Prinzen beym Arm ergrei¬ fen; dieſen verließ hier die Geduld, er packte den Venetianer mit ſtarker Hand, und warf ihn un¬ ſanft zu Boden. Das ganze Haus kam in Bewe¬ gung. Auf das Geräuſch ſtürzte ich herein, un¬ willkührlich rief ich ihn bey ſeinem Namen. Neh¬ men Sie ſich in Acht, Prinz, ſezte ich mit Unbe¬ſonnen¬11ſonnenheit hinzu, wir ſind in Venedig. Der Name des Prinzen gebot eine allgemeine Stille, woraus bald ein Gemurmel wurde, das mir gefähr¬ lich ſchien. Alle anweſenden Italiener rotteten ſich zu Haufen, und traten bey Seite. Einer um den andern verließ den Saal, bis wir uns beide mit dem Spanier und einigen Franzoſen allein fan¬ den. Sie ſind verloren, gnädigſter Herr, ſag¬ ten dieſe, wenn Sie nicht ſogleich die Stadt verlaſ¬ ſen. Der Venetianer, den Sie ſo übel behandelt haben, iſt reich genug, einen Bravo zu dingen. Es koſtet ihm nur funfzig Zechinen, Sie aus der Welt zu ſchaffen. Der Spanier bot ſich an, zur Sicherheit des Prinzen Wache zu holen, und uns ſelbſt nach Hauſe zu begleiten. Daſſelbe wollten auch die Franzoſen. Wir ſtanden noch, und über¬ legten was zu thun wäre, als die Thüre ſich öffne¬ te und einige Bedienten der Staatsinquiſition her¬ eintraten. Sie zeigten uns eine Ordre der Regie¬ rung, worinn uns beyden befohlen ward, ihnen ſchleu¬ nig zu folgen. Unter einer ſtarken Bedeckung führte man uns bis zum Kanal. Hier erwartete uns eine Gondel, in die wir uns ſetzen mußten. Ehe wir ausſtiegen, wurden uns die Augen verbunden. Man führte uns eine große ſteinerne Treppe hin¬ auf, und dann durch einen langen gewundenen Gang über Gewölber, wie ich aus dem vielfachen Echo ſchloß, das unter unſern Füßen hallte. Endlich gelangten wir vor eine andere Treppe, welche uns ſechs und zwanzig Stufen in die Tiefe hinunter führte. Hier öffnete ſich ein Saal, wo man unsdie12die Binde wieder von den Augen nahm. Wir be¬ fanden uns in einem Kreiſe ehrwürdiger alter Männer, alle ſchwarz gekleidet, der ganze Saal mit ſchwarzen Tüchern behangen und ſparſam er¬ leuchtet, eine Todtenſtille in der ganzen Verſamm¬ lung, welches einen ſchreckhaften Eindruck machte. Einer von dieſen Greiſen, wahrſcheinlich der ober¬ ſte Staatsinquiſitor, näherte ſich dem Prinzen, und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer vorführete:

Erkennen Sie dieſen Menſchen für den nehm¬ lichen, der Sie auf dem Kaffeehauſe beleidigt hat?

Ja, antwortete der Prinz.

Darauf wandte Jener ſich zu dem Gefangenen: Iſt das dieſelbe Perſon, die Sie heute Abend wollten ermorden laſſen?

Der Gefangene antwortete mit Ja.

Sogleich öffnete ſich der Kreis, und mit Ent¬ ſetzen ſahen wir den Kopf des Venetianers vom Rumpfe trennen, Sind Sie mit dieſer Genug¬ thuung zufrieden? fragte der Staatsinquiſitor. Der Prinz lag ohnmächtig in den Armen ſeiner Begleiter Gehen Sie nun, fuhr Jener mit einer ſchrecklichen Stimme fort, indem er ſich gegen mich wandte, und urtheilen Sie künftig weniger vorſchnell von der Gerechtigkeit in Venedig.

Wer der verborgene Freund geweſen, der uns durch den ſchnellen Arm der Juſtiz von einem ge¬wiſſen13wiſſen Tode errettet hatte, konnten wir nicht erra¬ then. Starr von Schrecken erreichten wir unſre Wohnung. Es war nach Mitternacht. Der Kam¬ merjunker von Z** erwartete uns mit Ungeduld an der Treppe.

Wie gut war es, daß Sie geſchickt haben! ſagte er zum Prinzen, indem er uns leuchtete. Eine Nachricht die der Baron von F** gleich nachher von dem St. Markusplatze nach Hauſe brachte, hatte uns wegen Ihrer in die tödtlichſte Angſt geſezt.

Geſchickt hätte ich? Wann? Ich weiß nichts davon.

Dieſen Abend nach acht Uhr. Sie ließen uns ſagen, daß wir ganz außer Sorgen ſeyn dürften, wenn Sie heute ſpäter nach Hauſe kämen.

Hier ſahe der Prinz mich an. Haben Sie vielleicht ohne mein Wiſſen dieſe Sorgfalt ge¬ braucht?

Ich wußte von gar nichts.

Es muß doch wohl ſo ſeyn, Ihro Durch¬ laucht, ſagte der Kammerjunker denn hier iſt ja Ihre Repetieruhr, die Sie zur Sicherheit mit ſchickten. Der Prinz griff nach der Uhrtaſche. Die Uhr war wirklich fort, und er erkannte jene für die ſeinige. Wer brachte ſie, fragte er mit Beſtürzung.

Eine unbekannte Maſke, in armeniſcher Klei¬ dung, die ſich ſogleich wieder entfernte.

Wir14

Wir ſtanden und ſahen uns an. Was halten Sie davon? ſagte endlich der Prinz nach einem langen Stillſchweigen. Ich habe hier ei¬ nen verborgenen Aufſeher in Venedig.

Der ſchreckliche Auftritt dieſer Nacht hatte dem Prinzen ein Fieber zugezogen, das ihn acht Tage nöthigte, das Zimmer zu hüten. In dieſer Zeit wimmelte unſer Hotel von Einheimiſchen und Frem¬ den, die der entdeckte Stand des Prinzen herbey gelockt hatte. Man wetteiferte unter einander, ihm Dienſte anzubieten, und wir bemerkten mit Vergnügen, wie immer der nächſtfolgende den weg¬ gehenden verdächtig machte. Liebesbriefe und Ar¬ kana überſchwemmten uns von allen Seiten. Je¬ der ſuchte nach ſeiner Art, ſich geltend zu machen. Des ganzen Vorgangs in der Staatsinquiſition wurde nicht mehr erwähnt. Weil der Hof zu ** die Abreiſe des Prinzen noch aufgeſchoben wünſchte, ſo erhielten einige Banquiers in Venedig Anwei¬ ſung, ihm beträchtliche Summen auszuzahlen. So ward er wider Willen in den Stand geſetzt, ſeinen Aufenthalt in Italien zu verlängern, und auf ſein Bitten entſchloß ich mich auch, meine Abreiſe noch zu verſchieben.

So bald er ſo weit geneſen war, um das Zim¬ mer wieder verlaſſen zu können, beredete ihn der Arzt eine Spazierfahrt auf der Brenta zu machen, um die Luft zu verändern. Das Wetter war helle und die Parthie ward angenommen. Als wir eben im Begriff waren in die Gondel zu ſteigen,ver¬15vermißte der Prinz den Schlüſſel zu einer kleinen Schatulle, die ſehr wichtige Papiere enthielt. Sogleich kehrten wir um, ihn zu ſuchen. Er be¬ ſann ſich auf das genaueſte, die Schatulle noch den vorigen Tag verſchloſſen zu haben, und ſeit dieſer Zeit war er nicht aus dem Zimmer gekommen. Aber alles Suchen war umſonſt, wir mußten da¬ von abſtehen, um die Zeit nicht zu verlieren. Der Prinz, deſſen Seele über jeden Argwohn erhaben war, erklärte ihn für verloren, und bat uns, nicht weiter davon zu ſprechen.

Die Fahrt war die angenehmſte. Eine mah¬ leriſche Landſchaft, die mit jeder Krümmung des Fluſſes ſich an Reichthum und Schönheit zu über¬ treffen ſchien der heiterſte Himmel, der mitten im Hornung einen Maientag bildete reizende Gärten und geſchmackvolle Landhäuſer ohne Zahl, welche beyde Ufer der Brenta ſchmücken hin¬ ter uns das majeſtätiſche Venedig, mit hundert aus dem Waſſer ſpringenden Thürmen und Maſten, alles dieß gab uns das herrlichſte Schauſpiel von der Welt. Wir überließen uns ganz dem wohlthä¬ tigen Zauber dieſer ſchönen Natur, unſere Laune war die heiterſte, der Prinz ſelbſt verlor ſeinen Ernſt, und wetteiferte mit uns in fröhlichen Scher¬ zen. Eine luſtige Muſik ſchallte uns entgegen, als wir zwey italieniſche Meilen von der Stadt ans Land ſtiegen. Sie kam aus einem kleinen Dorfe, wo eben Jahrmarkt gehalten wurde; hier wimmelte es von Geſellſchaft aller Art. Ein Trupp jungerMäd¬16Mädchen und Knaben, alle theatraliſch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimiſchen Tanz. Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie beſeelten jede Bewegung. Eh der Tanz noch völlig zu Ende war, ſchien die Anführerinn deſſelben, welche eine Königinn vorſtellte, plötzlich wie von ei¬ nem unſichtbaren Arme gehalten. Leblos ſtand ſie und Alles. Die Muſik ſchwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Verſammlung und ſie ſtand da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tie¬ fen Erſtarrung. Auf einmal fuhr ſie mit der Wuth der Begeiſterung in die Höhe, blickte wild um ſich her Ein König iſt unter uns, rief ſie, riß ihre Krone vom Haupt, und legte ſie zu den Füßen des Prinzen. Alles, was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiß, ob Bedeutung in dieſem Gaukelſpiel wäre, ſo ſehr hatte der affektvolle Ernſt dieſer Spielerinn ge¬ täuſcht Ein allgemeines Händeklatſchen des Beyfalls unterbrach endlich dieſe Stille. Meine Augen ſuchten den Prinzen. Ich bemerkte, daß er nicht wenig betroffen war und ſich Mühe gab, den forſchenden Blicken der Zuſchauer auszuwei¬ chen. Er warf Geld unter dieſe Kinder und eilte, aus dem Gewühle zu kommen.

Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüßer ſich durch das Volk ar¬ beitete, und dem Prinzen in den Weg trat. Herr, ſagte der Mönch, gieb der Madonna von deinem Gelde, du wirſt ihr Gebet brauchen. Er17Er ſprach dieß mit einem Tone, der uns betreten machte. Das Gedränge riß ihn weg.

Unſer Gefolge war unterdeſſen gewachſen. Ein engliſcher Lord, den der Prinz ſchon in Nizza geſe¬ hen hatte, einige Kaufleute aus Livorno, ein deut¬ ſcher Domherr, ein franzöſiſcher Abbe 'mit einigen Damen, und ein ruſſiſcher Offizier geſellten ſich zu uns. Die Phyſiognomie des leztern hatte etwas ganz ungewöhnliches, das unſere Aufmerkſamkeit an ſich zog. Nie in meinem Leben ſah ich ſo viele Züge, und ſo wenig Charakter, ſo viel anlo¬ ckendes Wohlwollen mit ſo viel zurückſtoßendem Froſt in Einem Menſchengeſichte beyſammen woh¬ nen. Alle Leidenſchaften ſchienen darin gewühlt und es wieder verlaſſen zu haben. Nichts war übrig, als der ſtille, durchdringende Blick eines vollendeten Menſchenkenners, der jedes Auge ver¬ ſcheuchte, worauf er traf. Dieſer ſeltſame Menſch folgte uns von weitem, ſchien aber an allem was vorging, nur einen nachläſſigen Antheil zu nehmen.

Wir kamen vor eine Bude zu ſtehen, wo Lotte¬ rie gezogen wurde. Die Damen ſezten ein, wir andern folgten ihrem Beyſpiel; auch der Prinz fo¬ derte ein Loos. Es gewann eine Tabatiere. Als er ſie aufmachte, ſah ich ihn blaß zurückfahren. Der Schlüſſel lag darin.

Was iſt das? ſagte der Prinz zu mir, als wir einen Augenblick allein waren. Eine höhere Gewalt jagt mich. Allwiſſenheit ſchwebt um mich. Eind. Geiſterſeher. B18Ein unſichtbares Weſen, dem ich nicht entfliehen kann, bewacht alle meine Schritte. Ich muß den Armenier aufſuchen und muß Licht von ihm haben.

Die Sonne neigte ſich zum Untergang, als wir vor dem Luſthauſe ankamen, wo das Abendeſſen ſervirt war. Der Name des Prinzen hatte unſere Geſellſchaft bis zu ſechzehn Perſonen vergrößert. Auſſer den oben erwähnten war noch ein Virtuoſe aus Rom, einige Schweizer und ein Avanturier aus Palermo, der Uniform trug und ſich für einen Kapitain ausgab, zu uns geſtoßen. Es ward be¬ ſchloſſen, den ganzen Abend hier zuzubringen, und mit Fackeln nach Hauſe zu fahren. Die Unterhal¬ tung bey Tiſche war ſehr lebhaft, und der Prinz konnte nicht umhin, die Begebenheit mit dem Schlüſſel zu erzählen, welche eine allgemeine Ver¬ wunderung erregte. Es wurde heftig über dieſe Materie geſtritten. Die meiſten aus der Geſellſchaft behaupteten dreiſt weg, daß alle dieſe geheimen Künſte auf eine Taſchenſpielerey hinausliefen; der Abbe ', der ſchon viel Wein bey ſich hatte, foderte das ganze Geiſterreich in die Schranken heraus; der Engländer ſagte Blaſphemien; der Muſikus mach¬ te das Kreuz vor dem Teufel. Wenige, worunter der Prinz war, hielten dafür, daß man ſein Urtheil über dieſe Dinge zurückhalten müſſe; während deſ¬ ſen unterhielt ſich der ruſſiſche Offizier mit den Frauenzimmern, und ſchien das ganze Geſpräch nicht zu achten. In der Hitze des Streits hatte man nicht bemerkt, daß der Sicilianer hinaus ge¬gangen19gangen war. Nach Verfluß einer kleinen halben Stunde kam er wieder in einen Mantel gehüllt, und ſtellte ſich hinter den Stuhl des Franzoſen. Sie haben vorhin die Bravour geäuſſert, es mit allen Geiſtern aufzunehmen wollen Sie es mit einem verſuchen?

Topp! ſagte der Abbé wenn Sie es auf ſich nehmen wollen, mir einen herbey zu ſchaffen.

Das will ich, antwortete der Sicilianer (in¬ dem er ſich gegen uns kehrte) wenn dieſe Herren und Damen uns werden verlaſſen haben.

Warum das? rief der Engländer. Ein herzhafter Geiſt fürchtet ſich vor keiner luſtigen Ge¬ ſellſchaft.

Ich ſtehe nicht für den Ausgang, ſagte der Sicilianer.

Um des Himmels willen! Nein! ſchrieen die Frauenzimmer an dem Tiſche, und fuhren erſchro¬ cken von ihren Stühlen.

Laſſen Sie Ihren Geiſt kommen, ſagte der Abbe 'trotzig, aber warnen Sie ihn vorher, daß es hier ſpitzige Klingen giebt, (indem er einen von den Gäſten um ſeinen Degen bat).

Das mögen Sie alsdann halten, wie Sie wollen, antwortete der Sicilianer kalt, wenn Sie nachher noch Luſt dazu haben Hier kehrte er ſich zum Prinzen. Gnädigſter Herr, ſagte erB 2zu20zu dieſem, Sie behaupten, daß Ihr Schlüſſel in fremden Händen geweſen Können Sie vermu¬ then, in welchen?

Nein.

Rathen Sie auch auf niemand?

Ich hatte freylich einen Gedanken

Würden Sie die Perſon erkennen, wenn Sie ſie vor ſich ſähen?

Ohne Zweifel.

Hier ſchlug der Sicilianer ſeinen Mantel zurück, und zog einen Spiegel hervor, den er dem Prinzen vor die Augen hielt.

Iſt es dieſe?

Der Prinz trat mit Schrecken zurück.

Was haben Sie geſehen? fragte ich.

Den Armenier.

Der Sicilianer verbarg ſeinen Spiegel wieder unter den Mantel. War es dieſelbe Perſon, die Sie meynen? fragte die ganze Geſellſchaft.

Die nehmliche.

Hier veränderte ſich jedes Geſicht, man hörte auf zu lachen. Alle Augen hingen neugierig an dem Sicilianer.

Monſieur l'Abbé, das Ding wird ernſthaft, ſagte der Engländer, ich rieth Ihnen, auf den Rückzug zu denken.

Der Kerl hat den Teufel im Leibe, ſchrie der Franzoſe, und flog aus dem Hauſe die Frauenzimmer ſtürzten mit Geſchrey aus dem Saal der Virtuoſe folgte ihnen der deutſcheDom¬21Domherr ſchnarchte in einem Seſſel der Ruſſe blieb wie bisher gleichgültig ſitzen.

Sie wollten vielleicht nur einen Großſprecher zum Gelächter[machen], fing der Prinz wieder an, nachdem jene hinaus waren oder hätten Sie wohl Luſt uns Wort zu halten?

Es iſt wahr, ſagte der Sicilianer. Mit dem Abbe 'war es mein Ernſt nicht. Ich habe ihn beym Wort genommen, weil ich wohl wußte, daß die Memme es nicht ſo weit würde kommen laſſen. Die Sache ſelbſt iſt übrigens zu ernſthaft, um bloß einen Scherz damit auszuführen.

Sie räumen alſo doch ein, daß ſie in Ihrer Gewalt iſt?

Der Magier ſchwieg eine lange Zeit, und ſchien den Prinzen ſorgfältig mit den Augen zu prüfen.

Ja, antwortete er endlich.

Die Neugierde des Prinzen war bereits auf den höchſten Grad geſpannt. Dieß war jederzeit ſeine Lieblingsſchwärmerey geweſen, und ſeit jener erſten Erſcheinung des Armeniers hatten ſich alle Ideen wieder bey ihm gemeldet, die ſeine reifere Vernunft und eine beſſere Lektüre ſo lange abge¬ wieſen hatten. Er ging mit dem Sicilianer bey Seite, und ich hörte ihn ſehr angelegentlich mit ihm unterhandeln.

Sie haben hier einen Mann vor ſich, fuhr er fort, der von Ungeduld brennt, in dieſer wich¬ tigen Materie es zu einer Ueberzeugung zu bringen. Ich würde denjenigen als meinen Wohlthäter, als meinen erſten Freund umarmen, der hier meineZweifelB 322Zweifel zerſtreute, und die Decke von meinen Au¬ gen zöge Wollen Sie ſich dieſes große Ver¬ dienſt um mich erwerben?

Was verlangen Sie von mir? ſagte der Magier mit Bedenken.

Vor jezt nur eine Probe Ihrer Kunſt. Laſſen Sie mich eine Erſcheinung ſehen.

Wozu ſoll das führen?

Dann mögen Sie aus meiner nähern Bekannt¬ ſchaft urtheilen, ob ich eines höhern Unterrichts werth bin.

Ich ſchätze Sie über alles, durchlauchtigſter Prinz. Eine geheime Gewalt in Ihrem Angeſich¬ te, die Sie ſelbſt noch nicht kennen, hat mich beym erſten Anblick unwiderſtehlich an Sie gebun¬ den. Sie ſind mächtiger als Sie ſelbſt wiſſen. Sie haben unumſchränkt über meine ganze Gewalt zu gebieten aber

Alſo laſſen Sie mich eine Erſcheinung ſehen.

Aber ich muß erſt gewiß ſeyn, daß Sie dieſe Foderung nicht aus Neugierde an mich machen. Wenn gleich die unſichtbaren Kräfte mir einiger¬ maſen zu Willen ſind, ſo iſt es unter der heiligen Bedingung, daß ich meine Gewalt nicht mi߬ brauche.

Meine Abſichten ſind die reinſten. Ich will Wahrheit.

Hier verließen ſie ihren Platz, und traten zu einem entfernten Fenſter, wo ich ſie nicht weiter hören konnte. Der Engländer, der dieſe Unter¬redung23redung gleichfalls mit angehört hatte, zog mich auf die Seite.

Ihr Prinz iſt ein edler Mann; es thut mir leid um ihn. Ich verwette meine Seele, daß er mit einem Schurken zu thun hat.

Es wird darauf ankommen, ſagte ich, wie er ſich aus dem Handel zieht.

Wiſſen Sie was? ſagte der Engländer: Jezt macht der arme Teufel ſich koſtbar. Er wird ſeine Kunſt nicht auskramen, bis er Geld klingen hört. Es ſind unſer Neune. Wir wollen eine Collekte machen. Das bricht ihm den Hals und öffnet vielleicht Ihrem Prinzen die Augen.

Ich bins zufrieden.

Der Engländer warf ſechs Guineen auf einen Teller, und ſammelte in der Reihe herum. Jeder gab einige Louis; dem Ruſſen beſonders gefiel un¬ ſer Vorſchlag ungemein, er legte eine Banknote von hundert Zechinen auf den Teller eine Ver¬ ſchwendung, über welche der Engländer erſchrak. Wir brachten die Collekte dem Prinzen. Haben Sie die Güte, ſagte der Engländer, bey dieſem Herrn für uns fürzuſprechen, daß er uns eine Probe ſeiner Kunſt ſehen laſſe und dieſen kleinen Beweis unſrer Er¬ kenntlichkeit annehme. Der Prinz legte noch einen koſtbaren Ring auf den Teller, und reichte ihn dem Si¬ cilianer. Dieſer bedachte ſich einige Sekunden. Meine Herren, fing er darauf an, dieſe Gro߬ muth erniedrigt mich aber ich gebe Ihrem Ver¬ langen nach. Ihr Wunſch ſoll erfüllt werden, (in¬ dem er eine Glocke zog.) Was dieſes Gold betrifft,B 4wor¬24worauf ich ſelber kein Recht habe, ſo werden Sie mir erlauben, daß ich es in dem nächſten Benedik¬ tinerkloſter für milde Stiftungen niederlege. Die¬ ſen Ring behalte ich als ein ſchätzbares Denkmal, das mich an den würdigſten Prinzen erinnern ſoll.

Hier kam der Wirth, dem er das Geld ſogleich überlieferte.

Und er iſt dennoch ein Schurke, ſagte mir der Engländer ins Ohr. Das Geld ſchlägt er aus, weil ihm jezt mehr an dem Prinzen gele¬ gen iſt.

Was verlangen Sie? fragte jezt der Ma¬ gier den leztern.

Der Prinz beſann ſich einen Augenblick Lieber gleich einen großen Mann, rief der Lord. Fodern Sie den Pabſt Ganganelli. Dem Herrn wird das gleich wenig koſten.

Der Sicilianer biß ſich in die Lippen Ich darf keinen zitiren, der die Weihung empfangen hat,

Das iſt ſchlimm, ſagte der Engländer. Vielleicht hätten wir von ihm erfahren, an wel¬ cher Krankheit er geſtorben iſt.

Der Marquis von Lanoy, nahm der Prinz jezt das Wort, war franzöſiſcher Brigadier im vorigen Kriege, und mein vertrauteſter Freund. In der Bataille bey Haſtinbeck empfing er eine töd¬ liche Wunde, man trug ihn nach meinem Zelte, wo er bald darauf in meinen Armen ſtarb. Als er ſchon mit dem Tode rang, winkte er mich noch zuſich. 25ſich. Prinz, fing er an, ich werde mein Va¬ terland nicht wieder ſehen, erfahren Sie alſo ein Geheimniß, wozu niemand als ich den Schlüſſel hat. In einem Kloſter auf der flandriſchen Grän¬ ze lebt eine hier verſchied er. Die Hand des Todes zertrennte den Faden ſeiner Rede, ich möchte ihn hier haben und die Fortſetzung hören.

Viel gefodert, bey Gott! rief der Englän¬ der. Ich erkläre Sie für den größten Künſtler des Erdbodens, wenn Sie dieſe Aufgabe lö¬ ſen.

Wir bewunderten die ſinnreiche Wahl des Prinzen, und gaben ihr einſtimmig unſern Bey¬ fall. Unterdeſſen ging der Magier mit ſtarken Schritten auf und nieder, und ſchien unentſchloſſen mit ſich ſelbſt zu kämpfen.

Und das war alles, was der Sterbende Ih¬ nen zu hinterlaſſen hatte? Alles.

Thaten Sie keine weiteren Nachfragen des¬ wegen in ſeinem Vaterlande?

Sie waren alle vergebens.

Der Marquis von Lanoy hatte untadelhaft gelebt? Ich darf nicht jeden Todten rufen.

Er ſtarb mit Reue über die Ausſchweifungen ſeiner Jugend.

Tragen Sie irgend etwa ein Andenken von ihm bey ſich?

Ja. (Der Prinz führte wirklich eine Ta¬ batiere bey ſich, worauf das Miniaturbild des Mar¬B 5quis26quis in Emaille war, und die er bey der Tafel ne¬ ben ſich hatte liegen gehabt.)

Ich verlange es nicht zu wiſſen laſſen Sie mich allein. Sie ſollen den Verſtorbenen ſehen.

Wir wurden gebeten, uns ſo lange in den an¬ dern Pavillon zu begeben, bis er uns rufen würde. Zugleich ließ er alle Meublen aus dem Saale räu¬ men, die Fenſter ausheben, und die Läden auf das genaueſte verſchließen. Dem Wirth, mit dem er ſchon vertraut zu ſeyn ſchien, befahl er, ein Gefäß mit glühenden Kohlen zu bringen, und alle Feuer im Hauſe ſorgfältig, mit Waſſer zu löſchen. Ehe wir weggingen, nahm er von jedem insbeſondere das Ehrenwort, ein ewiges Stillſchweigen über das zu beobachten, was wir ſehen und hören wür¬ den. Hinter uns wurden alle Zimmer auf dieſem Pavillon verriegelt.

Es war nach eilf Uhr, und eine Todtenſtille herrſchte im ganzen Hauſe. Beym hinausgehen fragte mich der Ruſſe, ob wir geladene Piſtolen bey uns hätten? Wozu? ſagte ich -- Es iſt auf alle Fälle, verſetzte er. Warten Sie ei¬ nen Augenblick, ich will mich darnach umſehen. Er entfernte ſich. Der Baron von F** und ich öffneten ein Fenſter, das jenem Pavillon gegenüber ſah, und es kam uns vor, als hörten wir zwey Menſchen zuſammen flüſtern, und ein Geräuſch, als ob man eine Leiter anlegte. Doch war das nur eine Muthmaßung, und ich getraute mir nicht, ſie für wahr auszugeben. Der Ruſſe kam mit ei¬nem27nem Paar Piſtolen zurück, nachdem er eine halbe Stunde ausgeblieben war. Wir ſahen ſie ihn ſcharf laden. Es war beynahe zwey Uhr, als der Ma¬ gier wieder erſchien, und uns ankündigte, daß es Zeit wäre. Ehe wir hinein traten, ward uns be¬ fohlen, die Schuhe auszuziehen, und im bloßen Hemde, Strümpfen und Unterkleidern zu erſchei¬ nen. Hinter uns wurde, wie das erſtemal, ver¬ riegelt.

Wir fanden, als wir in den Saal zurück kamen, mit einer Kohle einen weiten Kreis beſchrieben, der uns alle zehn bequem faſſen konnte. Rings herum an allen vier Wänden des Zimmers waren die Dielen weggehoben, daß wir gleichſam auf einer Inſel ſtanden. Ein Altar mit ſchwarzem Tuch be¬ hangen, ſtand mitten im Kreis errichtet, unter welchen ein Teppich von rothem Atlas gebreitet war. Eine chaldäiſche Bibel lag bey einem Tod¬ tenkopf aufgeſchlagen aus dem Altar, und ein ſil¬ bernes Kruzifix war darauf feſt gemacht. Statt der Kerzen brannte Spiritus in einer ſilbernen Kapſel. Ein dicker Rauch von Olibanum verfin¬ ſterte den Saal, davon das Licht beynahe erſtickte. Der Beſchwörer war entkleidet wie wir, aber bar¬ fuß; um den bloßen Hals trug er ein Amulet an einer Kette von Menſchenhaaren, um die Lenden hatte er eine weiße Schürze geſchlagen, die mit geheimen Chiffern und ſymboliſchen Figuren bezeichnet war. Er hieß uns einander die Hände reichen, und eine tiefe Stille beobachten; vorzüglich empfahl er uns,ja28ja keine Frage an die Erſcheinung zu thun. Den Engländer und mich (gegen uns beyde ſchien er das meiſte Mißtrauen zu hegen) erſuchte er, zwey bloße Degen unverrückt und kreuzweiſe, einen Zoll hoch, über ſeinem Scheitel zu halten, ſo lange die Hand¬ lung dauern würde. Wir ſtanden in einem halben Mond um ihn herum, der ruſſiſche Offizier dräng¬ te ſich dicht an den Engländer, und ſtand zunächſt an dem Altar. Das Geſicht gegen Morgen ge¬ richtet, ſtellte ſich der Magier jezt auf den Teppich, ſprengte Weihwaſſer nach allen vier Weltgegenden, und neigte ſich dreymal gegen die Bibel. Eine halbe Viertelſtunde dauerte die Beſchwörung, von welcher wir nichts verſtanden; nach Endigung der¬ ſelben gab er denen, die zunächſt hinter ihm ſtan¬ den, ein Zeichen, daß ſie ihn jezt feſt bey den Haa¬ ren faſſen ſollten. Unter den heftigſten Zuckungen rief er den Verſtorbenen dreymal mit Namen, und das drittemal ſtreckte er nach dem Kruzifixe die Hand aus

Auf einmal empfanden wir alle zugleich einen Streich, wie vom Blitze, daß unſere Hände aus¬ einander flogen; ein plötzlicher Donnerſchlag er¬ ſchütterte das Haus, alle Schlöſſer klangen, alle Thüren ſchlugen zuſammen, der Deckel an der Kapſel fiel zu, das Licht löſchte aus, und an der entgegenſtehenden Wand, über dem Kamine, zeig¬ te ſich eine menſchliche Figur, in blutigem Hemde, bleich und mit dem Geſicht eines Sterbenden.

Wer ruft mich? ſagte eine hohle, kaum hör¬ bare Stimme.

Dein29

Dein Freund, antwortete der Beſchwörer, der dein Andenken ehret, und für deine Seele betet, zugleich nannte er den Namen des Prinzen.

Die Antworten erfolgten immer nach einem ſehr großen Zwiſchenraum.

Was verlangt er? fuhr dieſe Stimme fort.

Dein Bekenntniß will er zu Ende hören, das du in dieſer Welt angefangen und nicht beſchloſſen haſt.

In einem Kloſter auf der flandriſchen Gränze lebt

Hier erzitterte das Haus von neuem. Die Thüre ſprang freywillig unter einem heftigen Don¬ nerſchlag auf, ein Blitz erleuchtete das Zimmer, und eine andere körperliche Geſtalt, blutig und blaß wie die erſte, aber ſchrecklicher, erſchien an der Schwelle. Der Spiritus fing von ſelbſt an wieder zu brennen, und der Saal wurde helle wie zuvor. Wer iſt unter uns? rief der Magier erſchrocken, und warf einen Blick des Entſetzens durch die Verſammlung Dich habe ich nicht gewollt. Die Geſtalt ging mit majeſtätiſchem lei¬ ſem Schritt gerade auf den Altar zu, ſtellte ſich auf den Teppich, uns gegenüber, und faßte das Kruzifix. Die erſte Figur ſahen wir nicht mehr.

Wer ruft mich? ſagte dieſe zwote Er¬ ſcheinung.

Der Magier fing an, heftig zu zittern. Schre¬ cken und Erſtaunen hatten uns gefeſſelt. Ich griff nach einer Piſtole, der Magier riß ſie mir aus der Hand, und drückte ſie auf die Geſtalt ab. DieKugel30Kugel rollte langſam auf dem Altar, und die Ge¬ ſtalt trat unverändert aus dem Rauche. Jezt ſank der Magier ohnmächtig nieder.

Was wird das? rief der Engländer voll Er¬ ſtaunen, und wollte einen Streich mit dem Degen nach ihr thun. Die Geſtalt berührte ſeinen Arm, und die Klinge fiel zu Boden. Hier trat der Angſt¬ ſchweiß auf meine Stirn. Baron F** geſtand uns nachher, daß er gebetet habe. Dieſe ganze Zeit über ſtand der Prinz furchtlos und ruhig, die Augen ſtarr auf die Erſcheinung gerichtet.

Ja! Ich erkenne dich, rief er endlich voll Rührung aus, du biſt Lanoy, du biſt mein Freund Woher kömmſt du?

Die Ewigkeit iſt ſtumm. Frage mich aus dem vergangenen Leben.

Wer lebt in dem Kloſter, das du mir bezeich¬ net haſt?

Meine Tochter.

Wie? Du biſt Vater geweſen?

Weh mir, daß ich es nicht war!

Biſt du nicht glücklich, Lanoy?

Gott hat gerichtet.

Kann ich dir auf dieſer Welt noch einen Dienſt erzeigen?

Keinen, als an dich ſelbſt zu denken.

Wie muß ich das?

In Rom wirſt du es erfahren.

Hier erfolgte ein neuer Donnerſchlag eine ſchwarze Rauchwolke erfüllte das Zimmer; als ſie zerfloſſen war, fanden wir keine Geſtalt mehr. Ich31Ich ſtieß einen Fenſterladen auf. Es war Morgen.

Jezt kam auch der Magier aus ſeiner Betäu¬ bung zurück. Wo ſind wir? rief er aus, als er Tageslicht erblickte. Der ruſſiſche Offizier ſtand dicht hinter ihm, und ſah ihm über die Schulter. Taſchenſpieler, ſagte er mit ſchrecklichem Blick zu ihm, du wirſt keinen Geiſt mehr rufen.

Der Sicilianer drehte ſich um, ſah ihm genauer ins Geſicht, that einen lauten Schrey und ſtürzte zu ſeinen Füßen.

Jezt ſahen wir alle auf einmal den vermeintli¬ chen Ruſſen an. Der Prinz erkannte in ihm ohne Mühe die Züge ſeines Armeniers wieder, und das Wort, das er eben hervorſtottern wollte, erſtarb auf ſeinem Munde. Schrecken und Ueberraſchung hatten uns alle wie verſteinert. Lautlos und un¬ beweglich ſtarrten wir dieſes geheimnißvolle Weſen an, das uns mit einem Blicke ſtiller Gewalt und Größe durchſchaute. Eine Minute dauerte dieß Schweigen und wieder eine. Kein Odem war in der ganzen Verſammlung.

Einige kräftige Schläge an die Thür brachten uns endlich wieder zu uns ſelbſt. Die Thür fiel zertrümmert in den Saal, und herein drangen Gerichtsdiener mit Wache. Hier finden wir ſie ja beyſammen! rief der Anführer, und wandte ſich zu ſeinen Begleitern. Im Namen der Re¬ gierung! rief er uns zu. verhafte euch. Wir hatten nicht ſo viel Zeit uns zu beſinnen; inwenig32wenig Augenblicken waren wir umringt. Der ruſ¬ ſiſche Offizier, den ich jezt wieder den Armenier nenne, zog den Anführer der Häſcher auf die Sei¬ te, und, ſo viel mir dieſe Verwirrung zuließ, be¬ merkte ich, daß er ihm einige Worte heimlich ins Ohr ſagte, und etwas ſchriftliches vorzeigte. So¬ gleich verließ ihn der Häſcher mit einer ſtummen und ehrerbietigen Verbeugung, wandte ſich darauf zu uns und nahm ſeinen Hut ab. Vergeben Sie meine Herren, ſagte er, daß ich Sie mit dieſem Betrüger vermengen konnte. Ich will nicht fra¬ gen, wer Sie ſind aber dieſer Herr verſichert mir, daß ich Männer von Ehre vor mir habe. Zugleich winkte er ſeinen Begleitern, von uns ab¬ zulaſſen Den Sicilianer befahl er wohl zu bewa¬ chen und zu binden. Der Burſche da iſt über¬ reif, ſezte er hinzu. Wir haben ſchon ſieben Monate auf ihn gelauert.

Dieſer elende Menſch war wirklich ein Gegen¬ ſtand des Jammers. Das doppelte Schrecken der zwoten Geiſtererſcheinung und dieſes unerwarteten Ueberfalls hatte ſeine Beſinnungskraft überwältigt. Er ließ ſich binden wie ein Kind; die Augen lagen weit aufgeſperrt und ſtier in einem todtenähnlichen Geſichte, und ſeine Lippen bebten in ſtillen Zuckun¬ gen, ohne einen Laut auszuſtoßen. Jeden Augen¬ blick erwarteten wir einen Ausbruch von Convulſio¬ nen. Der Prinz fühlte Mitleid mit ſeinem Zuſtand, und unternahm es, ſeine Loslaſſung bey dem Ge¬ richtsdiener auszuwirken, dem er ſich zu erkennen gab.

Gnädig¬33

Gnädigſter Herr, ſagte dieſer, wiſſen Sie auch, wer der Menſch iſt, für welchen Sie ſich ſo großmüthig verwenden? Der Betrug, den er Ih¬ nen zu ſpielen gedachte, iſt ſein geringſtes Verbre¬ chen. Wir haben ſeine Helfershelfer. Sie ſagen abſcheuliche Dinge von ihm aus. Er mag ſich noch glücklich preiſen, wenn er mit der Galeere davon kommt.

Unterdeſſen ſahen wir auch den Wirth nebſt ſei¬ nen Hausgenoſſen mit Stricken gebunden über den Hof führen Auch dieſer? rief der Prinz. Was hat denn dieſer verſchuldet? Er war ſein Mitſchuldiger und Hehler, antwortete der Anführer der Häſcher, der ihm zu ſeinen Taſchen¬ ſpielerſtückchen und Diebereyen behülflich geweſen, und ſeinen Raub mit ihm getheilt hat. Gleich ſollen Sie überzeugt ſeyn, gnädigſter Herr, (in¬ dem er ſich zu ſeinen Begleitern kehrte.) Man durchſuche das ganze Haus, und bringe mir ſo¬ gleich Nachricht, was man gefunden hat.

Jezt ſahe ſich der Prinz nach dem Armenier um aber er war nicht mehr vorhanden; in der all¬ gemeinen Verwirrung, welche dieſer Ueberfall anrichtete, hatte er Mittel gefunden, unbemerkt zu entkommen. Der Prinz war untröſtlich; gleich, wollte er ihm alle ſeine Leute nachſchicken; er ſelbſt wollte ihn aufſuchen und mich mit ſich fortreißen. Ich eilte ans Fenſter; das ganze Haus war von Neugierigen umringt, die das Gerücht dieſer Be¬ gebenheit herbey geführt hatte. Unmöglich war es,d. Geiſterſeher. Cdurch34durch das Gedränge zu kommen. Ich ſtellte dem Prinzen dieſes vor. Wenn es dieſem Armenier ein Ernſt iſt, ſich vor uns zu verbergen, ſo weiß er unfehlbar die Schliche beſſer als wir, und alle unſre Nachforſchungen werden vergebens ſeyn. Lieber laſſen Sie uns noch hier bleiben, gnädigſter Prinz. Vielleicht kann uns dieſer Gerichtsdiener etwas näheres von ihm ſagen, dem er ſich, wenn ich anders recht geſehen, entdeckt hat.

Jezt erinnerten wir uns, daß wir noch aus¬ gekleidet waren. Wir eilten nach unſerm Zimmer, uns in der Geſchwindigkeit in unſre Kleider zu wer¬ fen. Als wir zurück kamen, war die Hausſuchung geſchehen.

Nachdem man den Altar weggeräumt, und die Dielen des Saals aufgebrochen, entdeckte man ein geräumiges Gewölbe, worin ein Menſch gemäch¬ lich aufrecht ſitzen konnte, mit einer Thüre verſe¬ hen, die durch eine ſchmale Treppe nach dem Keller führte. In dieſem Gewölbe fand man eine Elek¬ triſiermaſchine, eine Uhr und eine kleine ſilberne Glocke, welche leztere, ſo wie die Elektriſiermaſchi¬ ne, mit dem Altar und dem darauf befeſtigten Kruzifixe Communication hatte. Ein Fenſterladen, der dem Kamine gerade gegenüber ſtand, war durchbrochen und mit einem Schieber verſehen, um, wie wir nachher erfuhren, eine magiſche Laterne in ſeine Oeffnung einzupaſſen, aus welcher die ver¬ langte Geſtalt auf die Wand über dem Kamine ge¬ fallen war. Vom Dachboden und aus dem Kellerbrachte35brachte man verſchiedne Trommeln, woran große bleyerne Kugeln an Schnüren befeſtigt hingen, wahrſcheinlich um das Geräuſche des Donners her¬ vorzubringen, das wir gehört hatten. Als man die Kleider des Sicilianers durchſuchte, fand man in einem Etui verſchiedene Pulver, wie auch leben¬ digen Merkur in Phiolen und Büchſen, Phospho¬ rus in einer gläſernen Flaſche, einen Ring, den wir gleich für einen magnetiſchen erkannten, weil er an einem ſtählernen Knopfe hängen blieb, dem er von ohngefähr nahe gebracht worden, in den Rocktaſchen ein Paternoſter, einen Judenbart, Terzerole und einen Dolch. Laß doch ſehen, ob ſie geladen ſind, ſagte einer von den Häſchern, indem er eines von den Terzerolen nahm, und ins Kamin abſchoß. Jeſus Maria! rief eine hoh¬ le menſchliche Stimme, eben die, welche wir von der erſten Erſcheinung gehört hatten und in demſelben Augenblick ſahen wir einen blutenden Körper aus dem Schlot herunter ſtürzen. Noch nicht zur Ruhe, armer Geiſt? rief der Englän¬ der, während daß wir andern mit Schrecken zurück fuhren. Gehe heim zu deinem Grabe. Du haſt geſchienen, was du nicht warſt; jezt wirſt du ſeyn, was du ſchieneſt.

Jeſus Maria! Ich bin verwundet, wieder¬ holte der Menſch im Kamine. Die Kugel hatte ihm das rechte Bein zerſchmettert. Sogleich be¬ ſorgte man, daß die Wunde verbunden wurde.

Aber wer biſt du denn, und was für ein bö¬ ſer Dämon muß dich hieher führen?

C 2 Ein36

Ein armer Barfüßer, antwortete der Ver¬ wundete. Ein fremder Herr hier hat mir eine Zechine geboten, daß ich

Eine Formel herſagen ſollte? Und warum haſt du dich denn nicht gleich wieder davon ge¬ macht?

Er wollte mir ein Zeichen geben, wenn ich fortfahren ſollte; aber das Zeichen blieb aus, und wie ich hinaus ſteigen wollte, war die Leiter weg¬ gezogen.

Und wie heißt denn die Formel, die er dir eingelernt hat?

Der Menſch bekam hier eine Ohnmacht, daß nichts weiter aus ihm herauszubringen war. Un¬ terdeſſen hatte ſich der Prinz zu dem Anführer der Häſcher gewendet.

Sie haben uns, ſagte er, indem er ihm zugleich einige Goldſtücke in die Hand drückte, Sie haben uns aus den Händen eines Betrügers geret¬ tet, und uns, ohne uns noch zu kennen, Gerech¬ tigkeit widerfahren laſſen. Wollen Sie nun unſre Verbindlichkeit vollkommen machen, und uns entdecken, wer der Unbekannte war, dem es nur ein paar Worte koſtete, uns in Freyheit zu ſetzen?

Wen meynen Sie? fragte der Anführer der Häſcher mit einer Miene, die deutlich zeigte, wie unnöthig dieſe Frage war.

Den Herrn in ruſſiſcher Uniform meyne ich, der Sie vorhin bey Seite zog, Ihnen etwas ſchrift¬liches37liches vorwies und einige Worte ins Ohr ſagte, worauf Sie uns ſogleich wieder losgaben.

Sie kennen dieſen Herrn alſo nicht? fragte der Häſcher wieder. Er war nicht von Ihrer Geſellſchaft?

Nein, ſagte der Prinz und aus ſehr wichtigen Urſachen wünſchte ich näher mit ihm be¬ kannt zu werden.

Näher, antwortete der Häſcher, kenn ich ihn auch nicht. Sein Name ſelbſt iſt mir unbe¬ kannt, und heute hab ich ihn zum erſtenmal in meinem Leben geſehen.

Wie? und in ſo kurzer Zeit, durch ein paar Worte konnte er ſo viel über Sie vermögen, daß Sie ihn ſelbſt und uns alle für unſchuldig er¬ klärten?

Allerdings durch ein einziges Wort.

Und dieſes war? Ich geſtehe, daß ich es wiſſen möchte.

Dieſer Unbekannte, gnädigſter Herr, indem er die Zechinen in ſeiner Hand wog Sie ſind zu großmüthig gegen mich geweſen, um Ih¬ nen länger ein Geheimniß daraus zu machen dieſer Unbekannte war ein Offizier der Staats¬ inquiſition.

Der Staatsinquiſition! Dieſer!

Nicht anders, gnädigſter Herr und da¬ von überzeugte mich das Papier, welches er mir vorzeigte.

Dieſer Menſch, ſagten Sie? Es iſt nicht möglich.

C 3 Ich38

Ich will Ihnen noch mehr ſagen, gnädigſter Herr. Eben dieſer war es, auf deſſen Denuncia¬ tion ich hieher geſchickt worden bin, den Geiſterbe¬ ſchwörer zu verhaften.

Wir ſahen uns mit noch größerm Erſtaunen an.

Da hätten wir es ja heraus, rief endlich der Engländer, warum der arme Teufel von Beſchwö¬ rer ſo erſchrocken zuſammenfuhr, als er ihm näher ins Geſicht, ſah. Er erkannte ihn für einen Spion, und darum that er jenen Schrey und ſtürzte zu ſeinen Füßen.

Nimmermehr, rief der Prinz. Dieſer Menſch iſt alles was er ſeyn will, und alles was der Augenblick will, daß er ſeyn ſoll. Was er wirklich iſt, hat keines Menſchen Sohn erfahren. Sahen ſie den Sicilianer zuſammenſinken, als er ihm die Worte ins Ohr ſchrie: Du wirſt keinen Geiſt mehr rufen? Dahinter iſt mehr. Daß man vor etwas menſchlichem ſo zu erſchrecken pflegt, ſoll mich niemand überreden.

Darüber wird uns der Magier ſelbſt wohl am beſten zurecht weiſen können, ſagte der Lord, wenn uns dieſer Herr (ſich zu dem Anführer der Gerichtsdiener wendend) Gelegenheit verſchaffen will, ſeinen Gefangenen zu ſprechen.

Der Anführer der Häſcher verſprach es uns, und wir redeten mit dem Engländer ab, daß wir ihn gleich den andern Morgen aufſuchen wollten. Jezt begaben wir uns nach Venedig zurück.

Mit[39]

gehn,40gehn, ließ ſich der Banquier des Prinzen mel¬ den, an den der Auftrag ergangen war, für einen neuen Bedienten zu ſorgen. Dieſer ſtellte dem Prinzen einen gut gebildeten und wohl gekleideten Menſchen in mittlern Jahren vor, der lange Zeit in Dienſten eines Prokurators als Sekretär geſtan¬ den, franzöſiſch und auch etwas deutſch ſprach, übri¬ gens mit den beſten Zeugniſſen verſehen war. Seine Phyſionomie gefiel, und da er ſich übrigens erklärte, daß ſein Gehalt von der Zufriedenheit des Prinzen mit ſeinen Dienſten abhängen ſollte, ſo ließ er ihn ohne Verzug eintreten.

Wir fanden den Sicilianer in einem Privatge¬ fängniß, wohin er, dem Prinzen zu Gefallen, wie der Gerichtsdiener ſagte, einſtweilen gebracht wor¬ den war, ehe er unter die Bleydächer geſetzt wur¬ de, zu denen kein Zugang mehr offen ſteht. Die¬ ſe Bleydächer ſind das fürchterlichſte Gefängniß in Venedig, unter dem Dach des St. Markuspalla¬ ſtes, worin die unglücklichen Verbrecher von der dörrenden Sonnenhitze, die ſich auf der Bleyfläche ſammelt, oft bis zum Wahnwitze leiden. Der Si¬ cilianer hatte ſich von dem geiſtigen Zufalle wieder erholt, und ſtand ehrerbietig auf, als er den Prin¬ zen anſichtig wurde. Ein Bein und eine Hand waren gefeſſelt, ſonſt aber konnte er frey durch das Zim¬ mer gehen. Bey unſerm Eintritt entfernte ſich die Wache vor die Thüre.

Ich komme, ſagte der Prinz, über zwey Punkte eine Erklärung von Ihnen zu verlangen. Die41Die eine ſind Sie mir ſchuldig, und es wird Ihr Schade nicht ſeyn, wenn Sie mich über den andern befriedigen.

Meine Rolle iſt ausgeſpielt, verſezte der Si¬ cilianer. Mein Schickſal ſteht in Ihren Händen.

Ihre Aufrichtigkeit allein iſt es, die es erleich¬ tern kann.

Fragen Sie, gnädigſter Herr. Ich bin be¬ reit zu antworten, denn ich habe nichts mehr zu verlieren.

Sie haben mich das Geſicht des Armeniers in Ihrem Spiegel ſehen laſſen. Wodurch bewirk¬ ten Sie dieſes?

Es war kein Spiegel, was Sie geſehen ha¬ ben. Ein bloßes Paſtellgemählde hinter einem Glas, das einen Mann in armeniſcher Kleidung vorſtellte, hat Sie getäuſcht. Meine Geſchwindigkeit, die Dämmerung, Ihr Erſtaunen unterſtützten dieſen Betrug. Das Bild ſelbſt wird ſich unter den übri¬ gen Sachen finden, die man in dem Gaſthof in Beſchlag genommen hat.

Aber wie konnten Sie meine Gedanken ſo gut wiſſen, und gerade auf den Armenier rathen?

Dieſes war gar nicht ſchwer, gnädigſter Herr. Ohne Zweifel haben Sie ſich bey Tiſche in Gegenwart Ihrer Bedienten über die Begebenheit öfters herausgelaſſen, die ſich zwiſchen Ihnen und dieſem Armenier ereignet hat. Einer von meinen Leuten machte mit einem Jäger zufälliger Weiſe in der Giudecca Bekanntſchaft, aus welchem er nachundC 542und nach ſo viel zu ziehen wußte, als mir zu wiſ¬ ſen nöthig war.

Wo iſt dieſer Jäger? fragte der Prinz. Ich vermiſſe ihn, und ganz gewiß wiſſen Sie um ſeine Entweichung.

Ich ſchwöre Ihnen, daß ich nicht das gering¬ ſte davon weiß, gnädigſter Herr. Ich ſelbſt hab 'ihn nie geſehen, und nie eine andre Abſicht mit ihm gehabt, als die eben gemeldete. Fahren Sie fort, ſagte der Prinz.

Auf dieſem Wege nun erhielt ich überhaupt auch die erſte Nachricht von Ihrem Aufenthalt und Ihren Begebenheiten in Venedig, und ſogleich ent¬ ſchloß ich mich, ſie zu nützen. Sie ſehen, gnä¬ digſter Herr, daß ich aufrichtig bin. Ich wußte von Ihrer vorhabenden Spazierfahrt auf der Brenta; ich hatte mich darauf verſehen, und ein Schlüſſel, der Ihnen von ungefähr entfiel, gab mir die erſte Gelegenheit, meine Kunſt an Ihnen zu verſuchen.

Wie? So hätte ich mich alſo geirret? Das Stückchen mit dem Schlüſſel war Ihr Werk, und nicht des Armeniers? Der Schlüſſel, ſagen Sie, wäre mir entfallen?

Als Sie die Börſe zogen und ich nahm den Augenblick wahr, da mich niemand beobachte¬ te, ihn ſchnell mit dem Fuße zu verdecken. Die Perſon, bey der Sie die Lotterielooſe nahmen, war im Verſtändniß mit mir. Sie ließ Sie aus einem Gefäße ziehen, wo keine Niete zu holen war,und43und der Schlüſſel lag längſt in der Doſe, ehe ſie von Ihnen gewonnen wurde.

Nunmehr begreif 'ich's. Und der Barfüßer¬ mönch, der ſich mir in den Weg warf, und mich ſo feyerlich anredete?

War der nehmliche, den man, wie ich höre, verwundet aus dem Kamine gezogen. Es iſt einer von meinen Kameraden, der mir unter dieſer Ver¬ hüllung ſchon manche gute Dienſte geleiſtet.

Aber zu welchem Ende ſtellten Sie dieſes an?

Um Sie nachdenkend zu machen um einen Gemüthszuſtand in Ihnen vorzubereiten, der Sie für das Wunderbare, das ich mit Ihnen im Sinn hatte, empfänglich machen ſollte.

Aber der pantomimiſche Tanz, der eine ſo über¬ raſchende ſeltſame Wendung nahm dieſer war doch wenigſtens nicht von Ihrer Erfindung?

Das Mädchen, welches die Königinn vorſtellte, war von mir unterrichtet, und ihre ganze Rolle mein Werk. Ich vermuthete, daß es Eure Durch¬ laucht nicht wenig befremden würde, an dieſem Or¬ te gekannt zu ſeyn, und, verzeihen Sie mir, gnä¬ digſter Herr, das Abentheuer mit dem Armenier ließ mich hoffen, daß Sie bereits ſchon geneigt ſeyn würden, natürliche Auslegungen zu verſchmähen, und nach höhern Quellen des Außerordentlichen zu ſpüren.

In der That, rief der Prinz mit einer Miene zugleich des Verdruſſes und der Verwunderung, indem er mir, beſonders einen bedeutenden Blickgab,44gab, in der That, rief er aus, das habe ich nicht erwartet. *)Und wahrſcheinlich auch die wenigſten meiner Le¬ ſer. Dieſe zu den Füßen des Prinzen ſo uner¬ wartet und ſo feyerlich niedergelegte Krone mit der vorhergehenden Prophezeihung des Armeniers zuſammen genommen, ſcheint ſo natürlich und un¬ gezwungen auf einen gewiſſen Zweck zu zielen, daß mir beym erſten Leſen dieſer Memoires ſogleich die verfängliche Anrede der Zauberſchweſtern im Macbeth: Heil dir Than von Glamis, der einſt König ſeyn wird! dabey einge¬ fallen iſt; und vermuthlich iſt es mehrern ſo er¬ gangen. Wenn eine gewiſſe Vorſtellung auf eine feyerliche und ungewöhnliche Art in die Seele ge¬ bracht worden, ſo kann es nicht fehlen, daß alle darauf folgende, welche nur der geringſten Be¬ ziehung auf ſie fähig ſind, ſich an dieſelbe an¬ ſchließen, und in einen gewiſſen Rapport mit ihr ſetzen. Der Sicilianer, der, wie es ſcheint, mit der ganzen Sache nicht mehr und nicht weni¬ ger gewollt hat, als den Prinzen dadurch zu über¬ raſchen, daß er ihn merken ließ, ſein Stand ſey entdeckt, hat dem Armenier, ohne daran zu den¬ ken, in die Hand gearbeitet: aber ſo ſehr die Sa¬ che auch an Intereſſe verliert, wenn man den hö¬ hern Zweck zurück nimmt, auf welchen ſie anfangs angelegt ſchien, ſo wenig darf ich doch der hiſtori¬ ſchen Wahrheit zu nahe treten, und ich erzähle das Factum, wie ich es gefunden.Anm. d. Herausg.

Aber, fuhr der Prinz nach einem langen Still¬ ſchweigen wieder fort, wie brachten Sie die Ge¬ſtalt45ſtalt hervor, die an der Wand über dem Kamine erſchien?

Durch die Zauberlaterne, welche an dem ge¬ genüber ſtehenden Fenſterladen angebracht war, wo Sie auch die Oeffnung dazu bemerkt haben werden.

Aber wie kam es denn, daß kein einziger un¬ ter uns ſie gewahr wurde? fragte Lord Sey¬ mour.

Sie erinnern ſich, gnädigſter Herr, daß ein dicker Rauch von Olibanum den ganzen Saal ver¬ finſterte, als Sie zurück gekommen waren. Zu¬ gleich hatte ich die Vorſicht gebraucht, die Dielen, welche man weggehoben, neben demjenigen Fenſter anlehnen zu laſſen, wo die Laterna magica ein¬ gefügt war; dadurch verhinderte ich, daß Ih¬ nen dieſer Fenſterladen nicht ſogleich ins Geſichte fiel. Uebrigens blieb die Laterne auch ſo lange durch einen Schieber verdeckt, bis Sie alle Ihre Plätze genommen hatten, und keine Unterſuchung im Zimmer mehr von Ihnen zu fürchten war.

Mir kam vor, fiel ich ein, als hörte ich in der Nähe dieſes Saals eine Leiter anlegen, als ich in dem andern Pavillon aus dem Fenſter ſah. War dem wirklich ſo?

Ganz recht. Eben dieſe Leiter, auf welcher mein Gehülfe zu dem bewußten Fenſter empor klet¬ terte, um die Zauberlaterne zu dirigiren.

Die Geſtalt, fuhr der Prinz fort, ſchien wirklich eine flüchtige Aehnlichkeit mit meinem ver¬ ſtorbenen Freunde zu haben; beſonders traf es ein,daß46daß ſie ſehr blond war. War dieſes bloßer Zu¬ fall oder woher ſchöpften Sie dieſelbe?

Eure Durchlaucht erinnern ſich, daß Sie über Tiſche eine Doſe neben ſich hatten liegen gehabt, auf welcher das Portrait eines Offiziers in ** ſcher Uniform in Emaille war. Ich fragte Sie, ob Sie von Ihrem Freunde nicht irgend ein Andenken bey ſich führten? worauf Sie mit Ja antworteten; daraus ſchloß ich, daß es vielleicht die Doſe ſeyn möchte. Ich hatte das Bild über Tiſche gut ins Auge gefaßt, und weil ich im Zeichnen ſehr geübt, auch im Treffen ſehr glücklich bin, ſo war es mir ein leichtes, dem Bilde dieſe flüchtige Aehnlichkeit zu geben, die Sie wahrgenommen haben; und um ſo mehr, da die Geſichtszüge des Marquis ſehr ins Auge fallen.

Aber die Geſtalt ſchien ſich doch zu bewe¬ gen.

So ſchien es aber es war nicht die Ge¬ ſtalt, ſondern der Rauch, der von ihrem Scheine beleuchtet war.

Und der Menſch, welcher aus dem Schlot her¬ ab ſtürzte, antwortete alſo für die Erſcheinung?

Eben dieſer.

Aber er konnte ja die Fragen nicht wohl hören.

Dieſes brauchte er auch nicht. Sie beſinnen ſich, gnädigſter Prinz, daß ich Ihnen allen auf das ſtrengſte verbot, ſelbſt eine Frage an das Ge¬ ſpenſt zu richten. Was ich ihn fragen würde und er mir antworten ſollte, war abgeredet; und da¬ mit ja kein Verſehen vorfiele, ließ ich ihn großePauſen47Pauſen beobachten, die er an den Schlägen einer Uhr abzählen mußte.

Sie gaben dem Wirthe Befehl, alle Feuer im Hauſe ſorgfältig mit Waſſer löſchen zu laſſen; dieß geſchah ohne Zweifel

Um meinen Mann im Kamine außer Gefahr des Erſtickens zu ſetzen, weil die Schornſteine im Hauſe in einander laufen, und ich vor ihrer Suite nicht ſo recht ſicher zu ſeyn glaubte.

Wie kam es aber, fragte Lord Seymour, daß Ihr Geiſt weder früher noch ſpäter da war, als Sie ihn brauchten?

Mein Geiſt war ſchon eine gute Weile im Zim¬ mer, ehe ich ihn citirte; aber ſo lange der Spiri¬ tus brannte, konnte man dieſen matten Schein nicht ſehen. Als meine Beſchwörungsformel geen¬ digt war, ließ ich das Gefäß, worin der Spiritus flammte, zuſammen fallen, es wurde Nacht im Saal, und jezt erſt wurde man die Figur an der Wand gewahr, die ſich ſchon längſt darauf reflek¬ tirt hatte.

Aber in eben dem Moment, als der Geiſt er¬ ſchien, empfanden wir alle einen elektriſchen Schlag. Wie bewirkten Sie dieſen?

Die Maſchine unter dem Altar haben Sie ent¬ deckt. Sie ſahen auch, daß ich auf einem ſeidnen Fußteppich ſtand. Ich ließ Sie in einem halben Mond um mich herum ſtehen und einander die Hände reichen; als es nahe dabey war, winkte ich einem von Ihnen, mich bey den Haaren zu faſſen. Das ſilberne Kruzifix war der Konductor, und Sieempfin¬48empfingen den Schlag, als ich es mit der Hand be¬ rührte.

Sie befahlen uns, dem Grafen von O** und mir, ſagte Lord Seymour, zwey bloße Degen kreuzweiſe über Ihrem Scheitel zu halten, ſo lan¬ ge die Beſchwörung dauern würde. Wozu nun dieſes?

Zu nichts weiter als um Sie beyde, denen ich am wenigſten traute, während des ganzen Actus zu beſchäftigen. Sie erinnern ſich, daß ich Ihnen ausdrücklich einen Zoll hoch beſtimmte; dadurch, daß Sie dieſe Entfernung immer in Acht nehmen mußten, waren ſie verhindert, Ihre Blicke dahin zu richten, wo ich ſie nicht gerne haben wollte. Meinen ſchlimmſten Feind hatte ich damals noch gar nicht ins Auge gefaßt.

Ich geſtehe, rief Lord Seymour, daß dieß vorſichtig gehandelt heißt aber warum mußten wir ausgekleidet ſeyn?

Bloß um der Handlung eine Feyerlichkeit mehr zu geben, und durch das Ungewöhnliche Ihre Einbildungskraft zu ſpannen.

Die zwote Erſcheinung ließ Ihren Geiſt nicht zum Wort kommen, ſagte der Prinz. Was hät¬ ten wir eigentlich von ihm erfahren ſollen?

Beynahe daſſelbe, was Sie nachher gehört haben. Ich fragte Eure Durchlaucht nicht ohne Abſicht, ob Sie mir auch alles geſagt, was Ihnen der Sterbende aufgetragen, und ob Sie keine wei¬ tere Nachfragen wegen ſeiner in ſeinem Vaterlande gethan; dieſes fand ich nöthig, um nicht gegenThat¬49Thatſachen anzuſtoßen, die der Auſſage meines Gei¬ ſtes hätten widerſprechen können. Ich fragte ge¬ wiſſer Jugendſünden wegen, ob der Verſtorbene untadelhaft gelebt; und auf die Antwort, welche Sie mir gaben, gründete ich alsdann meine Er¬ findung.

Ueber dieſe Sache, fing der Prinz nach eini¬ gem Stillſchweigen an, haben Sie mir einen be¬ friedigenden Aufſchluß gegeben. Aber ein Haupt¬ umſtand iſt noch zurück, worüber ich Licht von Ih¬ nen verlange.

Wenn es in meiner Gewalt ſteht, und

Keine Bedingungen! Die Gerechtigkeit, in deren Händen Sie ſind, dürfte ſo beſcheiden nicht fragen. Wer war dieſer Unbekannte, vor dem wir Sie niederſtürzen ſahen? Was wiſſen Sie von ihm? Woher kennen Sie ihn? Und was hat es für eine Bewandtniß mit dieſer zweyten Erſchei¬ nung?

Gnädigſter Prinz

Als Sie ihm genauer ins Geſicht ſahen, ſtießen Sie einen lauten Schrey aus und ſtürzten nieder. Warum das? Was bedeutete das?

Dieſer Unbekannte, gnädigſter Prinz Er hielt inne, wurde ſichtbarlich unruhiger, und ſah uns alle in der Reihe herum mit verlegenen Blicken an. Ja bey Gott, gnädigſter Prinz, dieſer Unbekannte iſt ein ſchreckliches Weſen.

Was wiſſen Sie von ihm? Wie ſteht er mit Ihnen in Verbindung? Hoffen Sie nicht, uns die Wahrheit zu verhehlen.

d. Geiſterſeher. D Dafür50

Dafür werd 'ich mich wohl hüten denn wer ſteht mir dafür, daß er nicht in dieſem Augen¬ blicke mitten unter uns ſtehet?

Wo? Wer? riefen wir alle zugleich, und ſchauten uns halb lachend, halb beſtürzt im Zim¬ mer um Das iſt ja nicht möglich.

O! dieſem Menſchen oder wer er ſeyn mag ſind Dinge möglich, die noch weit weniger zu begreifen ſind.

Aber wer iſt er denn? Woher ſtammt er? Ar¬ menier oder Ruſſe? Was iſt das Wahre an dem, wofür er ſich ausgiebt?

Keines von allem, was er ſcheint. Es wird wenige Stände und Nationen geben, davon er nicht ſchon die Maſke getragen. Wer er ſey? Woher er gekommen? Wohin er gehe? weiß niemand. Daß er lang 'in Aegypten geweſen, wie viele be¬ haupten, und dort aus einer Katakombe ſeine ver¬ borgene Weisheit geholt habe, will ich weder beja¬ hen noch verneinen. Bey uns kennt man ihn nur unter dem Namen des Unergründlichen. Wie alt, zum Beyſpiel, ſchätzen Sie ihn?

Nach dem äußern Anſchein zu urtheilen, kann er kaum vierzig zurück gelegt haben.

Und wie alt denken Sie, daß ich ſey?

Nicht weit von funfzig.

Ganz recht und wenn ich Ihnen nun ſage, daß ich noch ein Burſche von ſiebenzehn Jahren war, als mir mein Großvater von dieſem Wundermann erzählte, der ihn ungefähr in eben dem Alter,worin51worin er jezt zu ſeyn ſcheint, in Famaguſta geſehen hat.

Das iſt lächerlich, unglaublich und über¬ trieben.

Nicht um einen Zug. Hielten mich dieſe Feſſeln nicht ab, ich wollte Ihnen Bürgen ſtellen, deren ehrwürdiges Anſehen Ihnen keinen Zweifel mehr übrig laſſen ſollte. Es giebt glaubwürdige Leute, die ſich erinnern, ihn in verſchiedenen Weltgegen¬ den zu gleicher Zeit geſehen zu haben. Keines De¬ gens Spitze kann ihn durchbohren, kein Gift kann ihm etwas anhaben, kein Feuer ſengt ihn, kein Schiff geht unter, worauf er ſich befindet. Die Zeit ſelbſt ſcheint an ihm ihre Macht zu verlieren, die Jahre trocknen ſeine Säfte nicht aus, und das Alter kann ſeine Haare nicht bleichen. Niemand iſt, der ihn Speiſe nehmen ſah, nie iſt ein Weib von ihm berührt worden, kein Schlaf beſucht ſeine Augen, von allen Stunden des Tages weiß man nur eine einzige, über die er nicht Herr iſt, in wel¬ cher niemand ihn geſehen, in welcher er kein irdi¬ ſches Geſchäft verrichtet hat.

So? ſagte der Prinz. Und was iſt dieß für eine Stunde?

Die zwölfte in der Nacht. Sobald die Glocke den zwölften Schlag thut, gehört er den Lebendi¬ gen nicht mehr. Wo er auch ſeyn mag, er muß fort, welches Geſchäft er auch verrichtet, er muß es abbrechen. Dieſer ſchreckliche Glockenſchlag reißt ihn aus den Armen der Freundſchaft, reißt ihn ſelbſt vom Altar, und würde ihn auch aus demD 2To¬52Todeskampf abrufen. Niemand weiß wo er dann hingehet, noch was er da verrichtet. Niemand wagt es, ihn darum zu befragen, noch weniger ihm zu folgen, denn ſeine Geſichtszüge ziehen ſich auf einmal, ſobald dieſe gefürchtete Stunde ſchlägt, in einen ſo finſtern und ſchreckhaften Ernſt zuſam¬ men, daß jedem der Muth entfällt, ihm in's Ge¬ ſicht zu blicken, oder ihn anzureden. Eine tiefe Todesſtille endigt dann plötzlich das lebhafteſte Geſpräch, und alle, die um ihn ſind, erwarten mit ehrerbietigem Schaudern ſeine Wiederkunft, ohne es nur zu wagen, ſich von der Stelle zu he¬ ben, oder die Thüre zu öffnen, durch die er gegan¬ gen iſt.

Aber, fragte einer von uns, bemerkt man nichts außerordentliches an ihm bey ſeiner Zurück¬ kunft?

Nichts als daß er bleich und abgemattet aus¬ ſieht, ungefähr wie ein Menſch, der eine ſchmerz¬ hafte Operation ausgeſtanden, oder eine ſchreckliche Zeitung erhält. Einige wollen Blutstropfen auf ſeinem Hemde geſehen haben; dieſes aber laſſe ich dahin geſtellt ſeyn.

Und hat man es zum wenigſten nie verſucht, ihm dieſe Stunde zu verbergen, oder ihn ſo in Zer¬ ſtreuung zu verwickeln, daß er ſie überſehen mußte?

Ein einzigesmal, ſagt man, überſchritt er den Termin. Die Geſellſchaft war zahlreich, man verſpätete ſich bis tief in die Nacht, alle Uhren waren mit Fleiß falſch gerichtet, und das Feuerder53der Unterredung riß ihn dahin. Als die geſezte Stunde da war, verſtummte er plötzlich, und wur¬ de ſtarr, alle ſeine Gliedmaßen verharrten in der¬ ſelben Richtung, worin dieſer Zufall ſie überraſch¬ te, ſeine Augen ſtanden, ſein Puls ſchlug nicht mehr, alle Mittel die man anwendete, ihn wieder zu erwecken, waren fruchtlos; und dieſer Zuſtand hielt an, bis die Stunde verſtrichen war. Dann belebte er ſich plötzlich von ſelbſt wieder, ſchlug die Augen auf, und fuhr in der nehmlichen Sylbe fort, worin er war unterbrochen worden. Die allgemei¬ ne Beſtürzung verrieth ihm, was geſchehen war, und da erklärte er mit einem fürchterlichen Ernſt, daß man ſich glücklich preiſen dürfte, mit dem bloßen Schrecken davon gekommen zu ſeyn. Aber die Stadt, worin ihm dieſes begegnet war, verließ er noch an demſelben Abend auf immer. Der all¬ gemeine Glaube iſt, daß er in dieſer geheimnißvol¬ len Stunde Unterredungen mit ſeinem Genius hal¬ te. Einige meynen gar, er ſey ein Verſtorbener, dem es verſtattet ſey, drey und zwanzig Stunden vom Tage unter den Lebenden zu wandeln; in der lezten aber müſſe ſeine Seele zur Unterwelt heim¬ kehren, um dort ihr Gericht auszuhalten. Viele halten ihn auch für den berühmten Apollonius von Thyana, und andre gar für den Jünger Johannes, von dem es heißt, daß er bleiben würde bis zum lezten Gericht.

Ueber einen ſo außerordentlichen Mann kann es freylich nicht an abentheuerlichen Muthmaßun¬ gen fehlen. Alles bisherige aber haben Sie bloßD 3von54von Hörenſagen; und doch ſchien mir ſein Beneh¬ men gegen Sie, und das Ihrige gegen ihn auf ei¬ ne genauere Bekanntſchaft zu deuten. Liegt hier nicht irgend eine beſondre Geſchichte zum Grunde, bey der Sie ſelbſt mit verwickelt geweſen? Verheh¬ len Sie uns nichts.

Der Sicilianer ſah uns mit einem zweifelhaf¬ ten Blick an, und ſchwieg.

Wenn es eine Sache betrifft, fuhr der Prinz fort, die Sie nicht gerne laut machen wollen, ſo verſichre ich Sie im Namen dieſer beyden Herrn der unverbrüchlichſten Verſchwiegenheit. Aber reden Sie aufrichtig und unverhohlen.

Wenn ich hoffen kann, fing der Mann nach einem langen Stillſchweigen endlich an, daß Sie ſolche nicht gegen mich zeugen laſſen wollen, ſo will ich Ihnen wohl eine merkwürdige Begebenheit mit dieſem Armenier erzählen, von der ich Augenzeuge war, und die Ihnen über die verborgene Gewalt dieſes Menſchen keinen Zweifel mehr übrig laſſen wird. Aber es muß mir erlaubt ſeyn, ſezte er hin¬ zu, einige Namen dabey zu verſchweigen.

Kann es nicht auch ohne dieſe Bedingung ge¬ ſchehen?

Nein, gnädigſter Herr. Es iſt eine Familie darein verwickelt, die ich Urſache habe zu ehren.

Laſſen Sie uns hören, ſagte der Prinz.

Es mögen nun fünf Jahre ſeyn, fing der Si¬ cilianer an, daß ich in Neapel, wo ich mit ziem¬ lichem Glück meine Künſte trieb, mit einem gewiſ¬ ſen Lorenzo del M**nte, Chevalier des Ordensvon55von S. Stephan, Bekanntſchaft machte, einem jungen und reichen Kavalier aus einem der erſten Häuſer des Königreichs, der mich mit Verbindlich¬ keiten überhäufte, und für meine Geheimniſſe große Achtung zu tragen ſchien. Er entdeckte mir, daß der Marcheſe del M***nte, ſein Vater, ein eifri¬ ger Verehrer der Kabbala wäre, und ſich glücklich ſchätzen würde, einen Weltweiſen (wie er mich zu nennen beliebte,) unter ſeinem Dache zu wiſſen. Der Greis wohnte auf einem ſeiner Landgüter an der See, ungefähr ſieben Meilen von Neapel, wo er beynahe in gänzlicher Abgeſchiedenheit von Men¬ ſchen das Andenken eines theuern Sohnes beweinte, der ihm durch ein ſchreckliches Schickſal entriſſen ward. Der Chevalier ließ mich merken, daß er und ſeine Familie in einer ſehr ernſthaften Angele¬ genheit meiner wohl gar einmal bedürfen könnten, um von meiner geheimen Wiſſenſchaft vielleicht ei¬ nen Aufſchluß über etwas zu erhalten, wobey alle natürlichen Mittel fruchtlos erſchöpft worden wä¬ ren. Er ins beſondere, ſezte er ſehr bedeutungsvoll hinzu, würde einſt vielleicht Urſache haben, mich als den Schöpfer ſeiner Ruhe und ſeines ganzen irdiſchen Glücks zu betrachten. Die Sache ſelbſt aber verhielt ſich folgender Geſtalt. Dieſer Loren¬ zo war der jüngere Sohn des Marcheſe. weswegen er auch zu dem geiſtlichen Stand beſtimmt war; die Güter der Familie ſollten an ſeinen ältern Bru¬ der fallen. Jeronymo, ſo hieß dieſer ältere Bru¬ der, hatte mehrere Jahre auf Reiſen zugebracht, und kam ungefähr ſieben Jahre vor der Begeben¬heit. D 456heit, die jezt erzählt wird, in ſein Vaterland zu¬ rück, um eine Heirath mit der einzigen Tochter ei¬ nes benachbarten gräflichen Hauſes von C***tti zu vollziehen, worüber beyde Familien ſchon ſeit der Geburt dieſer Kinder übereingekommen waren, um ihre anſehnlichen Güter dadurch zu ver¬ einigen. Ungeachtet dieſe Verbindung bloß das Werk der älterlichen Konvenienz war, und die Her¬ zen beyder Verlobten bey der Wahl nicht um Rath gefragt wurden, ſo hatten ſie ſie doch ſtillſchweigend ſchon beſchworen. Jeronymo del M**nte und Antonie C**tti waren mit einander auferzogen worden, und der wenige Zwang, den man dem Umgang zweyer Kinder auflegte, die man ſchon da¬ mals gewohnt war, als ein Paar zu betrachten, hatte frühzeitig ein zärtliches Verſtändniß zwiſchen beyden entſtehen laſſen, das durch die Harmonie ihrer Charaktere noch mehr befeſtigt ward, und ſich in reifern Jahren leicht zur Liebe erhöhte. Eine vierjährige Entfernung hatte es vielmehr angefeuert als erkältet, und Jeronymo kehrte eben ſo treu und eben ſo feurig in die Arme ſeiner Braut zurück, als wenn er ſich niemals daraus geriſſen hätte.

Die Entzückungen des Wiederſehens waren noch nicht vorüber, und die Anſtalten zur Vermäh¬ lung wurden auf das lebhafteſte betrieben, als der Bräutigam verſchwand. Er pflegte öfters ganze Abende auf einem Landhauſe zuzubringen, das die Ausſicht auf's Meer hatte, und ſich da zu¬ weilen mit einer Waſſerfahrt zu vergnügen. Nacheinem57einem ſolchen Abende geſchah es, daß er ungewöhn¬ lich lang 'ausblieb. Man ſchickte Boten nach ihm aus, Fahrzeuge ſuchten ihn auf der See; niemand wollte ihn geſehen haben; von ſeinen Bedienten wurde keiner vermißt, daß ihn alſo keiner begleitet haben konnte. Es wurde Nacht, und er erſchien nicht. Es wurde Morgen es wurde Mittag und Abend, und noch kein Jeronymo. Schon fing man an, den ſchrecklichſten Muthmaßungen Raum zu geben, als die Nachricht einlief, ein algieri¬ ſcher Korſar habe vorigen Tages an dieſer Küſte ge¬ landet, und verſchiedene von den Einwohnern ſeyen gefangen weggeführt worden. Sogleich werden zwey Galeeren bemannt, die eben ſegelfertig lie¬ gen; der alte Marcheſe beſteigt ſelbſt die erſte, ent¬ ſchloſſen, ſeinen Sohn mit Gefahr ſeines eigenen Lebens zu befreyen. Am dritten Morgen erblick¬ ten ſie den Korſaren, vor welchem ſie den Vortheil des Windes voraus haben; ſie haben ihn bald er¬ reicht, ſie kommen ihm ſo nahe, daß Lorenzo, der ſich auf der erſten Galeere befindet, das Zeichen ſeines Bruders auf dem feindlichen Ver¬ deck zu erkennen glaubt, als plötzlich ein Sturm ſie wieder von einander trennt. Mit Mühe ſtehen ihn die beſchädigten Schiffe aus; aber die Priſe iſt verſchwunden, und die Noth zwingt ſie, auf Mal¬ tha zu landen. Der Schmerz der Familie iſt ohne Grenzen; troſtlos rauft ſich der alte Marcheſe die eisgrauen Haare aus, man fürchtet für das Leben der jungen Gräfin.

FünfD 558

Fünf Jahre gehen in fruchtloſen Erkundigun¬ gen hin. Nachfragen geſchehen längs der ganzen barbariſchen Küſte; ungeheure Preiſe werden für die Freiheit des jungen Marcheſe geboten; aber niemand meldet ſich, ſie zu verdienen. Endlich blieb es bey der wahrſcheinlichen Vermuthung, daß jener Sturm, welcher beyde Fahrzeuge trennte, das Räuberſchiff zu Grunde gerichtet habe, und daß ſeine ganze Mannſchaft in den Fluthen umgekom¬ men ſey.

So ſcheinbar dieſe Vermuthung war, ſo fehl¬ te ihr doch noch viel zur Gewißheit, und nichts be¬ rechtigte, die Hoffnung ganz aufzugeben, daß der Verlorne nicht einmal wieder ſichtbar werden könn¬ te. Aber geſezt nun, er würde es nicht mehr, ſo erloſch mit ihm zugleich die Familie, oder der zweyte Bruder mußte dem geiſtlichen Stande entſa¬ gen, und in die Rechte des Erſtgebornen eintreten. So wenig dieſes die Gerechtigkeit gegen den leztern zu erlauben ſchien, ſo wenig durfte auf der andern Seite die Familie durch eine zu weit getriebene Ge¬ wiſſenhaftigkeit der Gefahr des Ausſterbens ausge¬ ſezt werden. Gram und Alter näherten den alten Marcheſe dem Grabe; mit jedem neu vereitelten Verſuch ſank die Hoffnung, den Verſchwundenen wieder zu finden; er ſah den Untergang ſeines Hau¬ ſes, der durch eine kleine Ungerechtigkeit zu verhü¬ ten war, wenn er ſich nehmlich nur entſchließen wollte, den jüngern Bruder auf Unkoſten des äl¬ tern zu begünſtigen. Um ſeine Verbindungen mitdem59dem gräflichen Hauſe von C***tti zu erfüllen, brauchte nur ein Name geändert zu werden; der Zweck beyder Familien war auf gleiche Art erreicht, Gräfinn Antonie mochte nun Lorenzos oder Jero¬ nymos Gattinn heißen. Die ſchwache Möglich¬ keit einer Wiedererſcheinung des leztern kam ge¬ gen das gewiſſe und dringende Uebel, den gänz¬ lichen Untergang der Familie, in keine Betrachtung, und der alte Marcheſe, der die Annäherung des Todes mit jedem Tag ſtärker fühlte, wünſchte mit Ungeduld[v]on dieſer Unruhe wenigſtens frey zu ſterben.

Wer dieſen Schritt allein verzögerte und am hartnäckigſten bekämpfte, war derjenige, der das meiſte dabey gewann Lorenzo. Ungerührt von dem Reiz unermeßlicher Güter, unempfindlich ſelbſt gegen den Beſitz des liebenswürdigſten Geſchöpfs, das ſeinen Armen überliefert werden ſollte, weigerte er ſich mit der edelmüthigſten Gewiſſenhaftigkeit, einen Bruder zu berauben, der vielleicht noch am Leben wäre, und ſein Eigenthum zurück fodern könnte. Iſt das Schickſal meines theuern Jeronymo, ſagte er, durch dieſe lange Gefangenſchaft nicht ſchon ſchrecklich ge¬ nug, daß ich es noch durch einen Diebſtahl verbit¬ tern ſollte, der ihn um alles bringt, was ihm das theuerſte war? Mit welchem Herzen würde ich den Himmel um ſeine Wiederkunft anflehen, wenn ſein Weib in meinen Armen liegt? Mit welcher Stirne ihm, wenn endlich ein Wunder ihn uns zurück bringt, entgegen eilen? Und geſezt, er iſtuns60uns auf ewig entriſſen, wodurch können wir ſein Andenken beſſer ehren, als wenn wir die Lücke ewig unausgefüllt laſſen, die ſein Tod in unſern Zirkel geriſſen hat? als wenn wir alle unſre Hoff¬ nungen auf ſeinem Grabe opfern, und das, was ſein war, gleich einem Heiligthum unberührt laſſen?

Aber alle Gründe, welche die brüderliche De¬ likateſſe ausfand, waren nicht vermögend, den al¬ ten Marcheſe mit der Idee auszuſöhnen, einen Stamm erlöſchen zu ſehen, der bereits neun Jahr¬ hunderte geblüht. Alles, was Lorenzo ihm abgewann, war noch eine Friſt von zwey Jahren, ehe er die Braut ſeines Bruders zum Altare führte. Während dieſes Zeitraums wurden die Nachforſchungen auf's eifrigſte fortgeſezt. Lorenzo ſelbſt that verſchiedene Seereiſen, ſezte ſeine Perſon manchen Gefahren aus; keine Mühe, keine Koſten wurden geſpart, den Verſchwundenen wieder zu finden. Aber auch dieſe zwey Jahre verſtrichen fruchtlos, wie alle vo¬ rigen.

Und Gräfinn Antonie? fragte der Prinz. Von ihrem Zuſtande ſagen Sie uns nichts. Soll¬ te ſie ſich ſo gelaſſen in ihr Schickſal ergeben haben? Ich kann es nicht glauben.

Antoniens Zuſtand war der ſchrecklichſte Kampf zwiſchen Pflicht und Neigung, Haß und Bewunde¬ rung. Die uneigennützige Großmuth der brüderli¬ chen Liebe rührte ſie; ſie fühlte ſich hingeriſſen, den Mann zu verehren, den ſie nimmermehr lie¬ben61ben konnte; zerriſſen von widerſprechenden Gefüh¬ len blutete ihr Herz. Aber ihr Widerwille gegen den Chevalier ſchien in eben dem Grade zu wachſen, wie ſich ſeine Anſprüche auf ihre Achtung vermehr¬ ten. Mit tiefem Leiden bemerkte er den ſtillen Gram, der ihre Jugend verzehrte. Ein zärtliches Mitleid trat unvermerkt an die Stelle der Gleich¬ gültigkeit, mit der er ſie bisher betrachtet hatte; aber dieſe verrätheriſche Empfindung hinterging ihn, und eine wüthende Leidenſchaft fing an, ihm die Ausübung einer Tugend zu erſchweren, die bis jezt ohne Beyſpiel geweſen war. Doch ſelbſt noch auf Unkoſten der Liebe gab er den Eingebungen ſei¬ nes Edelmuths Gehör: er allein war es, der das unglückliche Opfer gegen die Willkühr der Familie in Schutz nahm. Aber alle ſeine Bemühungen mi߬ langen; jeder Sieg, den er über ſeine Leidenſchaft davon trug, zeigte ihn ihrer nur um ſo würdi¬ ger, und die Großmuth, mit der er ſie ausſchlug, diente nur dazu, ihre Widerſetzlichkeit jeder Ent¬ ſchuldigung zu berauben.

So ſtanden die Sachen, als der Chevalier mich beredete, ihn auf ſeinem Landgute zu beſu¬ chen Die warme Empfehlung meines Gönners bereitete mir da einen Empfang, der alle meine Wünſche übertraf. Ich darf nicht vergeſſen, hier noch anzuführen, daß es mir durch einige merk¬ würdige Operationen gelungen war, meinen Na¬ men unter den dortigen Logen berühmt zu machen, welches mit dazu beytragen mochte, das Vertrauendes62des alten Marcheſe zu vermehren und ſeine Erwar¬ tungen von mir zu erhöhen. Wie weit ich es mit ihm gebracht, und welche Wege ich dabey gegan¬ gen, erlaſſen ſie mir zu erzählen; aus den Ge¬ ſtändniſſen, die ich Ihnen bereits gethan, können Sie auf alles übrige ſchließen. Da ich mir alle myſtiſche Bücher zu nutze machte, die ſich in der ſehr anſehnlichen Bibliothek des Marcheſe befan¬ den, ſo gelang es mir bald, in ſeiner Sprache mit ihm zu reden, und mein Syſtem von der unſicht¬ baren Welt mit den abentheuerlichſten Erfindun¬ gen aufzuſtutzen. In kurzem glaubte er was ich wollte, und hätte eben ſo zuverſichtlich auf die Be¬ gattungen der Philoſophen mit Salamandrinnen und Sylphiden, als auf einen Artikel des Kanons geſchworen. Da er überdies ſehr religiös war, und ſeine Anlage zum Glauben in dieſer Schule zu einem hohen Grade ausgebildet hatte, ſo fanden meine Mährchen bey ihm deſto leichter Eingang, und zulezt hatte ich ihn mit Myſtizität ſo umſtrickt und umwunden, daß nichts mehr bey ihm Credit hatte, ſobald es natürlich war. In kurzem war ich der angebetete Apoſtel des Hauſes. Der ge¬ wöhnliche Inhalt meiner Vorleſungen war die Ex¬ altation der menſchlichen Natur, und der Umgang mit höhern Weſen, mein Gewährsmann der un¬ trügliche Graf von Gabalis. Die junge Gräfinn, die ſeit dem Verluſt ihres Geliebten ohnehin mehr in der Geiſterwelt als in der wirklichen lebte, und überdieß eine große Miſchung von Melancholie in ihrem Charakter hatte, fing meine hingeworfenenWinke63Winke mit ſchauderndem Wohlbehagen auf; ja ſo¬ gar die Bedienten des Hauſes ſuchten ſich im Zim¬ mer zu thun zu machen, wenn ich redete, um hie und da eins meiner Worte aufzuhaſchen, welche Bruchſtücke ſie alsdann nach ihrer Art an einander reihten.

Ungefähr zwey Monate mochte ich ſo auf die¬ ſem Ritterſitze zugebracht haben, als eines Mor¬ gens der Chevalier auf mein Zimmer trat. Tiefer Gram mahlte ſich auf ſeinem Geſichte, alle ſeine Züge waren zerſtört, er warf ſich in einen Stuhl mit allen Geberden der Verzweiflung.

Kapitain, ſagte er, mit mir iſt es vorbey. Ich muß fort. Ich kann es nicht länger hier aus¬ halten.

Was iſt Ihnen, Chevalier? Was haben Sie?

O dieſe fürchterliche Leidenſchaft! (Hier fuhr er mit Heftigkeit von dem Stuhle auf, und warf ſich in meine Arme) Ich habe ſie bekämpft wie ein Mann Jezt kann ich nicht mehr.

Aber an wem liegt es denn, liebſter Freund, als an Ihnen? Steht nicht alles in Ihrer Gewalt? Vater, Familie

Vater! Familie! Was iſt mir das? Will ich eine erzwungene Hand, oder eine freywillige Neigung? Hab 'ich nicht einen Nebenbuhler? Ach! Und welchen? Einen Nebenbuhler vielleicht unter den Todten! O laſſen Sie mich! Laſſen Sie mich! Ging es auch bis an's Ende der Welt. Ich muß meinen Bruder finden.

Wie? 64

Wie? Nach ſo viel fehlgeſchlagenen Verſu¬ chen können Sie noch Hoffnung

Hoffnung! In meinem Herzen ſtarb ſie längſt. Aber auch in jenem? Was liegt daran, ob ich hoffe? Bin ich glücklich, ſo lange noch ein Schimmer dieſer Hoffnung in Anto¬ niens Herzen glimmt? Zwey Worte, Freund, könnten meine Marter enden Aber umſonſt! Mein Schickſal wird elend bleiben, bis die Ewigkeit ihr langes Schweigen bricht, und Gräber für mich zeugen.

Iſt es dieſe Gewißheit alſo, die Sie glücklich machen kann?

Glücklich? O ich zweifle, ob ich es je wieder ſeyn kann! Aber Ungewißheit iſt die ſchrecklich¬ ſte Verdammniß! (Nach einigem Stillſchweigen mäßigte er ſich, und fuhr mit Wehmuth fort) Daß er meine Leiden ſähe! Kann ſie ihn glücklich machen dieſe Treue, die das Elend ſeines Bruders macht? Soll ein Lebendiger eines Todten wegen ſchmachten, der nicht mehr genießen kann? Wüßte er meine Qual (hier fing er an, heftig zu weinen, und drückte ſein Geſicht auf mei¬ ne Bruſt) vielleicht ja vielleicht würde er ſie ſelbſt in meine Arme führen.

Aber ſollte dieſer Wunſch ſo ganz unerfüllbar ſeyn?

Freund! Was ſagen Sie? Er ſah mich erſchrocken an.

Weit geringere Anläſſe, fuhr ich fort, haben die Abgeſchiedenen in das Schickſal der Lebendenver¬65verflochten. Sollte das ganze zeitliche Glück eines Menſchen eines Bruders

Das ganze zeitliche Glück! O das fühl 'ich! Wie wahr haben Sie geſagt! Meine ganze Glück¬ ſeligkeit!

Und die Ruhe einer trauernden Familie keine würdige Aufforderung ſeyn? Gewiß! wenn je eine irdiſche Angelegenheit dazu berechtigen kann, die Ruhe der Seligen zu ſtören von einer Gewalt Gebrauch zu machen

Um Gottes willen, Freund! unterbrach er mich, nichts mehr davon. Ehmals wohl, ich ge¬ ſteh 'es, hegte ich einen ſolchen Gedanken mir däucht, ich ſagte Ihnen davon aber ich hab' ihn längſt als ruchlos und abſcheulich verworfen.

Sie ſehen nun ſchon, fuhr der Sicilianer fort, wohin uns dieſes führte. Ich bemühte mich, die Bedenklichkeiten des Ritters zu zerſtreuen, welches mir endlich auch gelang. Es ward beſchloſ¬ ſen, den Geiſt des Verſtorbenen zu zitiren, wobey ich mir nur vierzehn Tage Friſt ausbedingte, um mich, wie ich vorgab, würdig darauf vorzuberei¬ ten. Nachdem dieſer Zeitraum verſtrichen und meine Maſchinen gehörig gerichtet waren, benuz¬ te ich einen ſchauerlichen Abend, wo die Familie auf die gewöhnliche Art um mich verſammelt war, ihr die Einwilligung dazu abzulocken, oder ſie viel¬ mehr unvermerkt dahin zu leiten, daß ſie ſelbſt dieſe Bitte an mich that. Den ſchwerſten Standd. Geiſterſeher. Ehatte66hatte man bey der jungen Gräfinn, deren Gegen¬ wart doch ſo weſentlich war, aber hier kam uns der ſchwärmeriſche Flug ihrer Leidenſchaft zu Hülfe, und vielleicht mehr noch ein ſchwacher Schimmer von Hoffnung, daß der Todtgeglaubte noch lebe, und auf den Ruf nicht erſcheinen werde. Mi߬ trauen in die Sache ſelbſt, Zweifel in meine Kunſt war das einzige Hinderniß, welches ich nicht zu be¬ kämpfen hatte.

Sobald die Einwilligung der Familie da war, wurde der dritte Tag zu dem Werk angeſezt. Ge¬ bete, die bis in die Mitternacht verlängert werden mußten, Faſten, Wachen, Einſamkeit und myſti¬ ſcher Unterricht waren, verbunden mit dem Ge¬ brauch eines gewiſſen noch unbekannten muſikali¬ ſchen Inſtruments, das ich in ähnlichen Fällen ſehr wirkſam fand, die Vorbereitungen zu dieſem feyerlichen Akt, welche auch ſo ſehr nach Wunſche einſchlugen, daß die fanatiſche Begeiſterung meiner Zuhörer meine eigene Phantaſie erhitzte, und die Illuſion nicht wenig vermehrte, zu der ich mich bey dieſer Gelegenheit anſtrengen mußte. Endlich kam die erwartete Stunde

Ich errathe, rief der Prinz, wen Sie uns jezt aufführen werden Aber fahren Sie nur fort fahren Sie fort

Nein, gnädigſter Herr. Die Beſchwörung ging nach Wunſche vorüber.

Aber wie? Wo bleibt denn der Armenier?

Fürch¬67

Fürchten Sie nicht, antwortete der Sicilia¬ ner, der Armenier wird nur zu zeitig erſcheinen.

Ich laſſe mich in keine Beſchreibung des Gau¬ kelſpiels ein, die mich ohnehin auch zu weit führen würde. Genug es erfüllte alle meine Erwartun¬ gen. Der alte Marcheſe, die junge Gräfinn nebſt ihrer Mutter, der Chevalier und noch einige Ver¬ wandte waren zugegen. Sie können leicht denken, daß es mir in der langen Zeit, die ich in dieſem Hauſe zugebracht, nicht an Gelegenheit werde ge¬ mangelt haben, von allem, was den Verſtorbenen anbetraf, die genaueſte Erkundigung einzuziehen. Verſchiedne Gemählde, die ich da von ihm vor¬ fand, ſezten mich in den Stand, der Erſcheinung die täuſchendſte Aehnlichkeit zu geben, und weil ich den Geiſt nur durch Zeichen ſprechen ließ, ſo konn¬ te auch ſeine Stimme keinen Verdacht erwecken. Der Todte ſelbſt erſchien in barbariſchem Sklaven¬ kleid, eine tiefe Wunde am Halſe. Sie bemer¬ ken, ſagte der Sicilianer, daß ich hierin von der allgemeinen Muthmaßung abging, die ihn in den Wellen umkommen laſſen; weil ich Urſache hat¬ te zu hoffen, daß gerade das Unerwartete dieſer Wendung die Glaubwürdigkeit der Viſion ſelbſt nicht wenig vermehren würde; ſo wie mir im Ge¬ gentheil nichts gefährlicher ſchien, als eine zu ge¬ wiſſenhafte Annäherung an das Natürliche.

Ich glaube, daß dieß ſehr richtig geurtheilt war, ſagte der Prinz. In einer Reihe außer¬ ordentlicher Erſcheinungen mußte, däucht mir, juſtE 2die68die wahrſcheinlichere ſtören; die Leichtigkeit, die erhaltene Entdeckung zu begreifen, würde hier nur das Mittel, durch welches man dazu gelangt war, herabgewürdigt haben; die Leichtigkeit, ſie zu erfinden, dieſes wohl gar verdächtig gemacht[ha¬ ben]; denn wozu einen Geiſt bemühen, wenn man nichts weiteres von ihm erfahren ſoll, als was auch ohne ihn, mit Hülfe der bloß gewöhnlichen Vernunft herauszubringen war? Aber die über¬ raſchende Neuheit und Schwierigkeit der Entdeckung iſt hier gleichſam eine Gewährleiſtung des Wunders, wodurch ſie erhalten wird denn wer wird nun das Uebernatürliche einer Operation in Zwei¬ fel ziehen, wenn das, was ſie leiſtete, durch na¬ türliche Kräfte nicht geleiſtet werden kann? Ich habe Sie unterbrochen, ſezte der Prinz hinzu. Vollenden Sie Ihre Erzählung.

Ich ließ, fuhr dieſer fort, die Frage an den Geiſt ergehen, ob er nichts mehr ſein nenne auf dieſer Welt, und nichts darauf hinterlaſſen ha¬ be, was ihm theuer wäre? Der Geiſt ſchüttelte dreymal das Haupt, und ſtreckte eine ſeiner Hän¬ de gen Himmel. Ehe er wegging, ſtreifte er noch einen Ring vom Finger, den man nach ſeiner Ver¬ ſchwindung auf dem Fußboden liegend fand. Als die Gräfinn ihn genauer in's Geſicht faßte, war es ihr Trauring.

Ihr Trauring! rief der Prinz mit Befrem¬ dung. Ihr Trauring! Aber wie gelangten Sie zu dieſem?

Ich69

Ich Es war nicht der rechte, gnädigſter Prinz Ich hatte ihn Es war nur ein nachgemachter.

Ein nachgemachter! wiederholte der Prinz. Zum Nachmachen brauchten Sie ja den rechten, und wie kamen Sie zu dieſem, da ihn der Verſtor¬ bene gewiß nie vom Finger brachte?

Das iſt wohl wahr, ſagte der Sicilianer, nicht ohne Zeichen der Verwirrung aber aus einer Beſchreibung, die man mir von dem wirkli¬ chen Trauring gemacht hatte

Die Ihnen wer gemacht hatte?

Schon vor langer Zeit, ſagte der Sicilia¬ ner Es war ein ganz einfacher goldner Ring, mit dem Namen der jungen Gräfinn, glaub 'ich, aber Sie haben mich ganz aus der Ordnung gebracht

Wie erging es weiter? ſagte der Prinz mit ſehr unbefriedigter und zweydeutiger Miene.

Jezt hielt man ſich für überzeugt, daß Je¬ ronymo nicht mehr am Leben ſey. Die Familie machte von dieſem Tag an ſeinen Tod öffentlich be¬ kannt, und legte förmlich die Trauer um ihn an. Der Umſtand mit dem Ringe erlaubte auch Anto¬ nien keinen Zweifel mehr, und gab den Bewerbun¬ gen des Chevaliers einen größern Nachdruck. Aber der heftige Eindruck, den dieſe Erſcheinung auf ſie gemacht, ſtürzte ſie in eine gefährliche Krankheit, welche die Hoffnungen ihres Liebhabers bald auf ewig vereitelt hätte. Als ſie wieder geneſen war, beſtand ſie darauf, den Schleyer zu nehmen, wo¬E 3von70von ſie nur durch die nachdrücklichſten Gegenvorſtel¬ lungen ihres Beichtvaters, in welchen ſie ein un¬ umſchränktes Vertrauen ſezte, abzubringen war. Endlich gelang es den vereinigten Bemühungen die¬ ſes Mannes und der Familie, ihr das Jawort ab¬ zuängſtigen. Der lezte Tag der Trauer ſollte der glückliche Tag ſeyn, den der alte Marcheſe durch Abtretung aller ſeiner Güter an den rechtmäßigen Erben noch feſtlicher zu machen geſonnen war.

Es erſchien dieſer Tag, und Lorenzo empfing ſeine bebende Braut am Altare. Der Tag ging unter, ein prächtiges Mahl erwartete die frohen Gäſte im hellerleuchteten Hochzeitſaal, und eine lär¬ mende Muſik begleitete die ausgelaſſene Freude. Der glückliche Greis hatte gewollt, daß alle Welt ſeine Fröhlichkeit theilte; alle Zugänge zum Palla¬ ſte waren geöffnet, und willkommen war jeder, der ihn glücklich pries. Unter dieſem Gedränge nun

Der Sicilianer hielt hier inne, und ein Schau¬ der der Erwartung hemmte unſern Odem

Unter dieſem Gedränge alſo, fuhr er fort. ließ mich derjenige, welcher zunächſt an mir ſaß, einen Franziskanermönch bemerken, der un¬ beweglich wie eine Säule ſtand, langer hagrer Statur und aſchbleichen Angeſichts, einen ernſten und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Die Freude, welche rings herum auf allen Geſich¬ tern lachte, ſchien an dieſem einzigen vorüber zu gehen, ſeine Miene blieb unwandelbar dieſelbe, wie eine Büſte unter lebenden Figuren. Das Außer¬ordent¬71ordentliche dieſes Anblicks, der, weil er mich mit¬ ten in der Luſt überraſchte, und gegen alles, was mich in dieſem Augenblick umgab, auf eine ſo grel¬ le Art abſtach, um ſo tiefer auf mich wirkte, ließ einen unauslöſchlichen Eindruck in meiner Seele zu¬ rück, daß ich dadurch allein in den Stand geſezt worden bin, die Geſichtszüge dieſes Mönchs in der Phyſionomie des Ruſſen (denn Sie begreifen wohl ſchon, daß er mit dieſem und Ihrem Armenier eine und dieſelbe Perſon war) wieder zu erkennen, wel¬ ches ſonſt ſchlechterdings unmöglich würde geweſen ſeyn. Oft verſucht 'ich's, die Augen von dieſer ſchreckhaften Geſtalt abzuwenden, aber unfreywil¬ lig fielen ſie wieder darauf, und fanden ſie jedes¬ mal unverändert. Ich ſtieß meinen Nachbar an, dieſer den ſeinigen, dieſelbe Neugierde, dieſelbe Befremdung durchlief die ganze Tafel, das Ge¬ ſpräch ſtockte, eine allgemeine plötzliche Stille, den Mönch ſtörte ſie nicht. Der Mönch ſtand unbeweg¬ lich und immer derſelbe, einen ernſten und trauri¬ gen Blick auf das Brautpaar geheftet. Einen je¬ den entſezte dieſe Erſcheinung; die junge Gräfinn allein fand ihren eigenen Kummer im Geſicht die¬ ſes Fremdlings wi der, und hing mit ſtiller Wol¬ luſt an dem einzigen Gegenſtand in der Verſamm¬ lung, der ihren Gram zu verſtehen, zu theilen ſchien. Allgemach verlief ſich das Gedränge, Mit¬ ternacht war vorüber, die Muſik fing an ſtiller und verlorner zu tönen; die Kerzen dunkler und endlich nur einzeln zu brennen, das Geſpräch leiſer und immer leiſer zu flüſtern und öder ward es, undE 4immer72immer öder im trüberleuchteten Hochzeitſaal; der Mönch ſtand unbeweglich, und immer derſelbe, einen ſtillen und traurigen Blick auf das Brautpaar geheftet. Die Tafel wird aufgehoben, die Gäſte zerſtreuen ſich dahin und dorthin, die Familie tritt in einen engeren Kreis zuſammen, der Mönch bleibt ungeladen in dieſem engeren Kreis. Ich weiß nicht, woher es kam, daß niemand ihn anreden wollte; niemand redete ihn an. Schon drängen ſich ihre weiblichen Bekannte um die zitternde Braut herum, die einen bittenden Hülfe ſuchenden Blick auf den ehrwürdigen Fremdling richtet; der Fremd¬ ling erwiedert ihn nicht. Die Männer ſammeln ſich auf gleiche Art um den Bräutigam Eine gepreßte erwartungsvolle Stille Daß wir un¬ ter einander da ſo glücklich ſind, hub endlich der Greis an, der allein unter uns allen den Unbe¬ kannten nicht zu bemerken, oder ſich doch nicht über ihn zu verwundern ſchien: Daß wir ſo glücklich ſind, ſagte er, und mein Sohn Jerony¬ mo muß fehlen! Haſt du ihn denn gela¬ den und er iſt ausgeblieben? fragte der Mönch. Es war das erſtemal, daß er den Mund öffnete. Mit Schrecken ſahen wir ihn an.

Ach! er iſt hingegangen, wo man auf ewig ausbleibt, verſezte der Alte. Ehrwürdiger Herr, ihr verſteht mich unrecht. Mein Sohn Jeronymo iſt todt.

Vielleicht fürchtet er ſich auch nur, ſich in ſol¬ cher Geſellſchaft zu zeigen, fuhr der Mönch fort Wer73Wer weiß, wie er ausſehen mag, dein Sohn Je¬ ronymo! Laß ihn die Stimme hören, die er zum leztenmal hörte! Bitte deinen Sohn Lo¬ renzo, daß er ihn rufe.

Was ſoll das bedeuten? murmelte alles. Lorenzo veränderte die Farbe. Ich läugne nicht, daß mir das Haar anfing zu ſteigen.

Der Mönch war unterdeſſen zum Schenktiſch getreten, wo er ein volles Weinglas ergriff, und an die Lippen ſezte Das Andenken unſers theuern Jeronymo! rief er. Wer den Verſtor¬ benen lieb hatte, thue mir's nach.

Woher ihr auch ſeyn mögt, ehrwürdiger Herr, rief endlich der Marcheſe. Ihr habt einen theuern Namen genannt. Seyd mir willkommen! Kommt, meine Freunde! (indem er ſich gegen uns kehrte, und die Gläſer herum gehen ließ) laßt einen Fremdling uns nicht beſchämen! Dem Andenken meines Sohnes Jeronymo!

Nie, glaube ich, ward eine Geſundheit mit ſo ſchlimmen Muthe getrunken.

Ein Glas ſteht noch voll da Warum weigert ſich mein Sohn Lorenzo, auf dieſen freund¬ lichen Trunk Beſcheid zu thun?

Bebend empfing Lorenzo das Glas aus des Franziskaners Hand bebend brachte er's an den Mund Meinem vielgeliebten Bruder Jero¬ nymo! ſtammelte er, und ſchauernd ſezte er's nieder.

Das iſt meines Mörders Stimme, rief eine fürchterliche Geſtalt, die auf einmal in unſrer Mit¬E 5te74te ſtand, mit bluttriefendem Kleid und entſtellt von gräßlichen Wunden.

Aber um das weitere frage man mich nicht mehr, ſagte der Sicilianer, alle Zeichen des Ent¬ ſetzens in ſeinem Angeſicht. Meine Sinne hatten mich von dem Augenblicke an verlaſſen, als ich die Augen auf die Geſtalt warf, ſo wie jeden, der zu¬ gegen war. Da wir wieder zu uns ſelber kamen, rang Lorenzo mit dem Tode, Mönch und Erſchei¬ nung waren verſchwunden. Den Ritter brachte man unter ſchrecklichen Zuckungen zu Bette; nie¬ mand als der Geiſtliche war um den Sterbenden, und der jammervolle Greis, der ihm, wenige Wo¬ chen nachher, im Tode folgte. Seine Geſtändniſſe liegen in der Bruſt des Paters verſenkt, der ſeine lezte Beichte hörte, und kein lebendiger Menſch hat ſie erfahren. Nicht lange nach dieſer Begebenheit geſchah es, daß man einen Brunnen auszuräumen hatte, der im Hinterhofe des Landhauſes unter wil¬ dem Geſträuche verſteckt, und viele Jahre lang ver¬ ſchüttet war; da man den Schutt durch einander ſtörte, entdeckte man ein Todtengerippe. Das Haus, wo ſich dieſes zutrug, ſteht nicht mehr; die Familie del M**nte iſt erloſchen, und in einem Kloſter, ohnweit Salerno, zeigt man Ihnen An¬ toniens Grab.

Sie ſehen nun, fuhr der Sicilianer fort, als er ſah, daß wir noch alle ſtumm und betreten ſtanden, und niemand das Wort nehmen wollte, Sie ſehen nun, worauf ſich meine Bekanntſchaftmit75mit dieſem Ruſſiſchen Offizier, oder dieſem Fran¬ ziskanermönch, oder dieſem Armenier gründet. Urtheilen Sie jezt, ob ich Urſache gehabt habe, vor einem Weſen zu zittern, das ſich mir zweymal auf eine ſo ſchreckliche Art in den Weg warf.

Beantworten Sie mir noch eine einzige Fra¬ ge, ſagte der Prinz, und ſtund auf. Sind Sie in Ihrer Erzählung über alles, was den Ritter betraf, immer aufrichtig geweſen?

Ich weiß nicht anders, verſezte der Sici¬ lianer.

Sie haben ihn alſo wirklich für einen recht¬ ſchaffenen Mann gehalten?

Das hab 'ich, bey Gott, das hab' ich, ant¬ wortete jener.

Auch da noch, als er Ihnen den bewußten Ring gab?

Wie? Er gab mir keinen Ring Ich habe ja nicht geſagt, daß er mir den Ring ge¬ geben.

Gut, ſagte der Prinz, an der Glocke, zie¬ hend, und im Begriff wegzugehen. Und den Geiſt des Marquis von Lanoy, (fragte er, indem er noch einmal zurück kam) den dieſer Ruſſe geſtern auf den Ihrigen folgen ließ, halten Sie alſo für einen wahren und wirklichen Geiſt?

Ich kann ihn für nichts anders halten, antwortete jener.

Kommen Sie, ſagte der Prinz zu uns. Der Schließer trat herein. Wir ſind fertig, ſagteer76er zu dieſem. Sie, mein Herr, ſollen weiter von mir hören.

Die Frage, gnädigſter Herr, welche Sie zulezt an den Gaukler gethan haben, möchte ich an Sie ſelbſt thun, ſagte ich zu dem Prinzen, als wir wie¬ der allein waren. Halten Sie dieſen zweyten Geiſt für den wahren und ächten?

Ich? Nein, wahrhaftig, das thue ich nicht mehr.

Nicht mehr? Alſo haben Sie es doch ge¬ than?

Ich läugne nicht, daß ich mich einen Augen¬ blick habe hinreißen laſſen, dieſes Blendwerk für etwas mehr zu halten.

Und ich will den ſehen, rief ich aus, der ſich unter dieſen Umſtänden einer ähnlichen Vermu¬ thung erwehren kann. Aber was für Gründe ha¬ ben Sie nun, dieſe Meynung zurück zu nehmen? Nach dem, was man uns eben von dieſem Arme¬ nier erzählt hat, ſollte ſich der Glaube an ſeine Wundergewalt eher vermehrt als vermindert haben.

Was ein Nichtswürdiger uns von ihm erzählt hat? fiel mir der Prinz mit Ernſthaftigkeit in's Wort. Denn hoffentlich zweifeln Sie nun nicht mehr, daß wir mit einem ſolchen zu thun gehabt haben?

Nein, ſagte ich. Aber ſollte deswegen ſein Zeugniß

Das Zeugniß eines Nichtswürdigen ge¬ ſezt, ich hätte auch weiter keinen Grund, es inZwei¬77Zweifel zu ziehen kann gegen Wahrheit und geſunde Vernunft nicht in Anſchlag kommen. Ver¬ dient ein Menſch, der mich mehrmal betrogen, der den Betrug zu ſeinem Handwerk gemacht hat, in einer Sache gehört zu werden, wo die aufrichtig¬ ſte Wahrheitsliebe ſelbſt ſich erſt reinigen muß, um Glauben zu verdienen? Verdient ein ſolcher Menſch, der vielleicht nie eine Wahrheit um ihrer ſelbſt wil¬ len geſagt hat, da Glauben, wo er als Zeuge ge¬ gen Menſchenvernunft und ewige Naturordnung auftritt? Das klingt eben ſo, als wenn ich einen gebrandmarkten Böſewicht bevollmächtigen wollte, gegen die nie befleckte und nie beſcholtene Unſchuld zu klagen.

Aber was für Gründe ſollte er haben, einem Manne, den er ſo viele Urſachen hat zu haſſen, wenigſtens zu fürchten, ein ſo glorreiches Zeugniß zu geben?

Wenn ich dieſe Gründe auch nicht einſehe, ſoll er ſie deswegen weniger haben? Weiß ich, in weſſen Solde er mich belog? Ich geſtehe, daß ich das ganze Gewebe ſeines Betrugs noch nicht ganz durchſchaue; aber er hat der Sache, für die er ſtreitet, einen ſehr ſchlechten Dienſt gethan, daß er ſich mir als einen Betrüger und vielleicht als etwas noch ſchlimmres entlarvte.

Der Umſtand mit dem Ringe ſcheint mir frey¬ lich etwas verdächtig.

Er78

Er iſt mehr als das, ſagte der Prinz, er iſt entſcheidend. Dieſen Ring empfing er von dem Mörder, und er mußte in demſelben Augenblick ge¬ wiß ſeyn, daß es der Mörder war. Wer als der Mörder konnte dem Verſtorbenen einen Ring ab¬ gezogen haben, den dieſer gewiß nie vom Finger ließ? Uns ſuchte er die ganze Erzählung hindurch zu überreden, als ob er ſelbſt von dem Ritter ge¬ täuſcht worden, und als ob er geglaubt hätte ihn zu täuſchen. Wozu dieſen Winkelzug, wenn er nicht ſelbſt bey ſich fühlte, wie viel er verloren gab, wenn er ſein Verſtändniß mit dem Mörder ein¬ räumte? Seine ganze Erzählung iſt offenbar nichts, als eine Reihe von Erfindungen, um die wenigen Wahrheiten an einander zu hängen, die er uns preis zu geben für gut fand. Und ich ſoll¬ te größeres Bedenken tragen, einen Nichtswürdi¬ gen, den ich auf zehn Lügen ertappte, lieber auch noch der eilften zu beſchuldigen, als die Grundord¬ nung der Natur unterbrechen zu laſſen, die ich noch auf keinen Mißklang betrat?

Ich kann Ihnen darauf nichts antworten, ſag¬ te ich. Aber die Erſcheinung, die wir geſtern ſa¬ hen, bleibt mir darum nicht weniger unbe¬ greiflich.

Auch mir, verſezte der Prinz, ob ich gleich in Verſuchung gerathen bin, einen Schlüſſel dazu ausfindig zu machen.

Wie? ſagte ich.

Erinnern Sie ſich nicht, daß die zwote Ge¬ ſtalt, ſobald ſie herein war, auf den Altar zuging,das79das Kruzifix in die Hand faßte, und auf den Tep¬ pich trat?

So ſchien mir's. Ja.

Und das Kruzifix, ſagt uns der Sicilianer, war ein Konduktor. Daraus ſehen Sie alſo, daß ſie eilte, ſich elektriſch zu machen. Der Streich, den Lord Seymour mit dem Degen nach ihr that, konnte alſo nicht anders als unwirkſam bleiben, weil der elektriſche Schlag ſeinen Arm lähmte.

Mit dem Degen hätte dieſes ſeine Richtigkeit. Aber die Kugel, die der Sicilianer auf ſie abſchoß, und welche wir langſam auf dem Altar rollen hörten?

Wiſſen Sie auch gewiß daß es die abge¬ ſchoſſene Kugel war, die wir rollen hörten? Davon will ich gar nicht einmal reden, daß die Marionette oder der Menſch, der den Geiſt vor¬ ſtellte, ſo gut umpanzert ſeyn konnte, daß er ſchuß - und degenfeſt war Aber denken Sie doch ein wenig nach, wer es war, der die Piſtolen geladen.

Es iſt wahr, ſagte ich, und ein plötzliches Licht ging mir auf Der Ruſſe hatte ſie geladen. Aber dieſes geſchah vor unſern Augen, wie hätte da ein Betrug vorgehen können?

Und warum hätte er nicht ſollen vorgehen können? Sezten Sie denn ſchon damals ein Mi߬ trauen in dieſen Menſchen, daß Sie es für nöthig befunden hätten, ihn zu beobachten? Unterſuch¬ ten Sie die Kugel, eh 'er ſie in den Lauf brachte, die eben ſo gut eine queckſilberne oder auch nur einebemahlte80bemahlte Thonkugel ſeyn konnte? Gaben Sie Acht, ob er ſie auch wirklich in den Lauf der Piſtole, oder nicht nebenbey in ſeine Hand fallen ließ? Was überzeugt Sie geſezt er hätte ſie auch wirklich ſcharf geladen daß er gerade die geladenen in den andern Pavillon mit hinüber nahm, und nicht vielmehr ein andres Paar unterſchob, welches ſo leicht anging, da es niemand einfiel, ihn zu beob¬ achten, und wir überdieß mit dem Auskleiden be¬ ſchäftigt waren? Und konnte die Geſtalt nicht in dem Augenblicke, da der Pulverrauch ſie uns ent¬ zog, eine andre Kugel, womit ſie auf den Noth¬ fall verſehen war, auf den Altar fallen laſſen? Welcher von allen dieſen Fällen iſt der unmög¬ liche?

Sie haben Recht. Aber dieſe treffende Aehn¬ lichkeit der Geſtalt mit Ihrem verſtorbenen Freun¬ de Ich habe ihn ja auch ſehr oft bey Ihnen geſehen, und in dem Geiſte hab 'ich ihn auf der Stelle wieder erkannt.

Auch ich und ich kann nicht anders ſagen, als daß die Täuſchung auf's höchſte getrieben war. Wenn aber nun dieſer Sicilianer, nach einigen we¬ nigen verſtohlnen Blicken, die er auf meine Taba¬ tiere warf, auch in ſein Gemählde eine Aehnlich¬ keit zu bringen wußte, die Sie und mich hinter¬ ging, warum nicht um ſo viel mehr der Ruſſe, der während der ganzen Tafel den freyen Gebrauch meiner Tabatiere hatte, der den Vortheil genoß, immer und durchaus unbeobachtet zu bleiben, und dem ich noch außerdem im Vertrauen entdeckt hatte,wer81wer mit dem Bilde auf der Doſe gemeynt ſey? Setzen Sie hinzu was auch der Sicilianer an¬ merkte daß das Charakteriſtiſche des Marquis in lauter ſolchen Geſichtszügen liegt, die ſich auch im Groben nachahmen laſſen wo bleibt dann das Unerklärbare in dieſer ganzen Erſcheinung?

Aber der Inhalt ſeiner Worte? Der Aufſchluß über Ihren Freund?

Wie? ſagte uns denn der Sicilianer nicht, daß er aus dem wenigen, was er mir abfragte, ei¬ ne ähnliche Geſchichte zuſammengeſezt habe? Be¬ weiſ't dieſes nicht, wie natürlich gerade auf dieſe Erfindung zu fallen war? Ueberdieß klangen die Antworten des Geiſtes ſo orakelmäßig dunkel, daß er gar nicht Gefahr laufen konnte, auf einem Wi¬ derſpruch betreten zu werden. Setzen Sie, daß die Kreatur des Gauklers, die den Geiſt machte, Scharfſinn und Beſonnenheit beſaß, und von den Umſtänden nur ein wenig unterrichtet war wie weit hätte dieſe Gaukeley nicht noch geführt wer¬ den können?

Aber überlegen Sie, gnädigſter Herr, wie weitläuftig die Anſtalten zu einem ſo zuſammenge¬ ſezten Betrug von Seiten des Armeniers hätten ſeyn müſſen! Wie viele Zeit dazu gehört haben würde! Wie viele Zeit nur, einen menſchlichen Kopf einem andern ſo getreu nachzumahlen, als hier vorausgeſezt wird! Wie viele Zeit, dieſen un¬ tergeſchobenen Geiſt ſo gut zu unterrichten, daß man vor einem groben Irrthum geſichert war! Wie vie¬ le Aufmerkſamkeit die kleinen unnennbaren Neben¬d. Geiſterſeher. Fdinge82dinge würden erfordert haben, welche entweder mithelfen, oder denen, weil ſie ſtören konnten, auf irgend eine Art doch begegnet werden mußte! Und nun erwägen Sie, daß der Ruſſe nicht über eine halbe Stunde abweſend war. Konnte wohl in nicht mehr als einer halben Stunde alles ange¬ ordnet werden, was hier nur das Unentbehrlichſte war? Wahrlich, gnädigſter Herr, ſelbſt nicht einmal ein dramatiſcher Schriftſteller, der um die unerbittlichen drey Einheiten ſeines Ariſtoteles ver¬ legen war, würde einem Zwiſchenakt ſo viel Hand¬ lung aufgelaſtet, noch ſeinem Parterre einen ſo ſtar¬ ken Glauben zugemuthet haben.

Wie? Sie halten es alſo ſchlechterdings für unmöglich, daß in dieſer kleinen halben Stun¬ de alle dieſe Anſtalten hätten getroffen werden können?

In der That, rief ich, für ſo gut als un¬ möglich.

Dieſe Redensart verſtehe ich nicht. Wider¬ ſpricht es allen Geſetzen der Zeit, des Raums und der phyſiſchen Wirkungen, daß ein ſo gewandter Kopf, wie doch unwiderſprechlich dieſer Armenier iſt, mit Hülfe ſeiner vielleicht eben ſo gewandten Kreaturen, in der Hülle der Nacht, von niemand beobachtet, mit allen Hülfsmitteln ausgerüſtet, von denen ſich ein Mann dieſes Handwerks ohne¬ hin niemals trennen wird, daß ein ſolcher Menſch, von ſolchen Umſtänden begünſtigt, in ſo weniger Zeit ſo viel zu Stand bringen könnte? Iſt es ge¬ radezu undenkbar, und abgeſchmackt zu glauben,daß83daß er mit Hülfe weniger Worte, Befehle oder Winke ſeinen Helfershelfern weitläuftige Aufträge geben, weitläuftige und zuſammengeſezte Opera¬ tionen mit wenigem Wortaufwande bezeichnen kön¬ ne? Und darf etwas anders, als eine hell eingeſehene Unmöglichkeit gegen die ewigen Geſetze der Natur aufgeſtellt werden? Wollen Sie lieber ein Wunder glauben, als eine Unwahrſcheinlich¬ keit zugeben? lieber die Kräfte der Natur umſtür¬ zen, als eine künſtliche und weniger gewöhnliche Combination dieſer Kräfte ſich gefallen laſſen?

Wenn die Sache auch eine ſo kühne Folgerung nicht rechtfertigt, ſo müſſen Sie mir doch eingeſte¬ hen, daß ſie weit über unſre Begriffe geht.

Beynahe hätte ich Luſt, Ihnen auch dieſes abzuſtreiten, ſagte der Prinz mit ſchalkhafter Munterkeit. Wie, lieber Graf? wenn es ſich, zum Beyſpiel, ergäbe, daß nicht bloß während und nach dieſer halben Stunde, nicht bloß in der Eile und nebenher, ſondern den ganzen Abend und die ganze Nacht für dieſen Armenier gearbeitet worden? Denken Sie nach, daß der Sicilianer beynahe drey volle Stunden zu ſeinen Zurüſtungen verbrauchte.

Der Sicilianer, gnädigſter Herr!

Und womit beweiſen Sie mir denn, daß der Sicilianer an dem zweyten Geſpenſte nicht eben ſo vielen Antheil gehabt habe, als an dem erſten?

Wie, gnädigſter Herr?

F 2 Daß84

Daß er nicht der vornehmſte Helfershelfer des Armeniers war kurz daß beyde nicht mit einander unter einer Decke liegen?

Das möchte ſchwer zu erweiſen ſeyn, rief ich mit nicht geringer Verwunderung.

Nicht ſo ſchwer, lieber Graf, als Sie wohl meynen. Wie? Es wäre Zufall, daß ſich dieſe beyden Menſchen in einem ſo ſeltſamen, ſo ver¬ wickelten Anſchlag auf dieſelbe Perſon, zu derſel¬ ben Zeit und an demſelben Orte begegneten, daß ſich unter ihren beyderſeitigen Operationen eine ſo auffallende Harmonie, ein ſo durchdachtes Einver¬ ſtändniß fände, daß einer dem andern gleichſam in die Hände arbeitete? Setzen Sie, er habe ſich des gröbern Gaukelſpiels bedient, um dem feinern eine Folie unterzulegen. Er ſchuf ſich einen Hektor, um ſein Achilles zu ſeyn. Setzen Sie, er habe jenes vorausgeſchickt, um den Grad von Glauben auszufinden, worauf er bey mir zu rechnen hätte; um die Zugänge zu meinem Vertrauen auszuſpä¬ hen; um ſich durch dieſen Verſuch, der unbeſcha¬ det ſeines übrigen Planes verunglücken konnte, mit ſeinem Subjecte zu familiariſiren; kurz, um ſein Inſtrument damit anzuſpielen. Setzen Sie, er ha¬ be es gethan, um eben dadurch, daß er meine Aufmerkſamkeit auf einer Seite vorſetzl ch auf¬ forderte und wach erhielt, ſie auf einer andern, die ihm wichtiger war, einſchlummern zu laſſen. Setzen Sie, er habe einige Erkundigungen einzu¬ ziehen gehabt, von denen er wünſchte, daß ſie auf Rechnung des Taſchenſpielers geſchrieben würden,um85um den Argwohn von der wahren Spur zu ent¬ fernen.

Wie meynen Sie das?

Laſſen Sie uns annehmen, er habe einen mei¬ ner Leute beſtochen, um durch ihn gewiſſe geheime Nachrichten vielleicht gar Dokumente zu erhalten, die zu ſeinem Zwecke dienen. Ich ver¬ miſſe meinen Jäger. Was hindert mich, zu glau¬ ben, daß der Armenier bey der Entweichung dieſes Menſchen mit im Spiele ſey? Aber der Zufall kann es fügen, daß ich hinter dieſe Schliche kom¬ me; ein Brief kann aufgefangen werden, ein Be¬ dienter zu plaudern. Sein ganzes Anſehen ſchei¬ tert, wenn ich die Quellen ſeiner Allwiſſenheit ent¬ decke. Er ſchiebt alſo dieſen Taſchenſpieler ein, der dieſen oder jenen Anſchlag auf mich haben muß. Von dem Daſeyn und den Abſichten dieſes Men¬ ſchen unterläßt er nicht mir frühzeitig ei¬ nen Wink zu geben. Was ich alſo auch entdecken mag, ſo wird mein Verdacht auf niemand anders als auf dieſen Gaukler fallen; und zu den Nachfor¬ ſchungen, welche ihm, dem Armenier, zu gute kommen, wird der Sicilianer ſeinen Namen geben. Dieſes war die Puppe, mit der er mich ſpielen läßt, während daß er ſelbſt, unbeobachtet und un¬ verdächtig, mit unſichtbaren Seilen mich um¬ windet.

Sehr gut! Aber wie läßt es ſich mit dieſen Abſichten reimen, daß er ſelbſt dieſe Täuſchung zer¬ ſtören hilft, und die Geheimniſſe ſeiner Kunſt pro¬ fanen Augen preis giebt?

F 3 Was86

Was ſind es für Geheimniſſe, die er mir preis giebt? Keines von denen zuverläſſig, die er Luſt hat, bey mir in Ausübung zu bringen. Er hat alſo durch ihre Profanation nichts verloren Aber wie viel hat er im Gegentheil gewonnen, wenn dieſer vermeyntliche Triumph über Betrug und Taſchenſpielerey mich ſicher und zuverſichtlich macht, wenn es ihm dadurch gelang, meine Wach¬ ſamkeit nach einer entgegengeſezten Richtung zu lenken, meinen noch unbeſtimmt umher ſchweifen¬ den Argwohn auf Gegenſtände zu fixiren, die von dem eigentlichen Ort des Angriffs am weitſten ent¬ legen ſind? Er konnte erwarten, daß ich, früher oder ſpäter, aus eignem Mißtrauen oder fremdem Antrieb, den Schlüſſel zu ſeinen Wundern in der Taſchenſpielerkunſt aufſuchen würde. Was konnte er beßres thun, als daß er ſie ſelbſt neben einander ſtellte, daß er mir gleichſam den Maßſtab dazu in die Hand gab, und, indem er der leztern eine künſtliche Grenze ſezte, meine Begriffe von den erſtern deſto mehr erhöhete oder verwirrte. Wie viele Muthmaßungen hat er durch dieſen Kunſtgriff auf einmal abgeſchnitten! wie viele Erklärungs¬ arten im voraus widerlegt, auf die ich in der Folge vielleicht hätte fallen mögen!

So hat er wenigſtens ſehr gegen ſich ſelbſt ge¬ handelt, daß er die Augen derer, die er täuſchen wollte, ſchärfte, und ihren Glauben an Wunder¬ kraft durch Entzifferung eines ſo künſtlichen Betrugs überhaupt ſinken machte. Sie ſelbſt, gnädigſterHerr,87Herr, ſind die beſte Widerlegung ſeines Plans wenn er ja einen gehabt hat.

Er hat ſich in mir vielleicht geirret aber er hat darum nicht weniger ſcharfſinnig raiſonni¬ ret. Konnte er voraus ſehen, daß mir gerade dasjenige im Gedächtniß bleiben würde, welches der Schlüſſel zu dem Wunder werden könnte? Lag es in ſeinem Plan, daß mir die Kreatur, deren er ſich bediente, ſolche Blößen geben ſollte? Wiſſen wir, ob dieſer Sicilianer ſeine Vollmacht nicht weit über¬ ſchritten hat? Mit dem Ringe gewiß und doch iſt es hauptſächlich dieſer einzige Umſtand, der mein Mißtrauen gegen dieſen Menſchen entſchieden hat. Wie leicht kann ein ſo zugeſpizter feiner Plan durch ein gröberes Organ verunſtaltet wer¬ den? Sicherlich war es ſeine Meynung nicht, daß uns der Taſchenſpieler ſeinen Ruhm im Markt¬ ſchreyertone vorpoſaunen ſollte daß er uns jene Mährchen aufſchüſſeln ſollte, die ſich beym leich¬ teſten Nachdenken widerlegen. So zum Beyſpiel mit welcher Stirne kann dieſer Charlatan be¬ haupten, daß ſein Wunderthäter auf den Glocken¬ ſchlag Zwölfe in der Nacht jeden Umgang mit Menſchen aufheben müſſe? Haben wir ihn nicht, ſelbſt um dieſe Zeit in unſrer Mitte geſehen?

Das iſt wahr, rief ich. Das muß er ver¬ geſſen haben!

Aber es liegt im Charakter dieſer Art Leute, daß ſie ſolche Aufträge übertreiben, und durch das Zuviel alles verſchlimmern, was ein beſcheidener und mäßiger Betrug vortrefflich gemacht hätte.

F 4Ich88

Ich kann es demungeachtet noch nicht über mich gewinnen, gnädigſter Herr, dieſe ganze Sa¬ che für nichts mehr, als ein angeſtelltes Spiel zu halten. Wie? Der Schrecken des Sicilianers, die Zuckungen, die Ohnmacht, der ganze klägliche Zu¬ ſtand dieſes Menſchen, der uns ſelbſt Erbarmen einflößte alles dieſes wäre nur eine eingelernte Rolle geweſen? Zugegeben, daß ſich das thea¬ traliſche Gaukelſpiel auch noch ſo weit treiben laſſe, ſo kann die Kunſt des Akteurs doch nicht über die Organe ſeines Lebens gebieten.

Was das anbetrifft, Freund Ich habe Richard den Dritten von Garrick geſehen Und waren wir in dieſem Augenblicke kalt und müßig ge¬ nug, um unbefangene Beobachter abzugeben? Konnten wir den Affekt dieſes Menſchen prüfen, da uns der unſrige übermeiſterte? Ueberdieß iſt die entſcheidende Kriſe, auch ſogar eines Betrugs, für den Betrüger ſelbſt eine ſo wichtige Angelegenheit, daß bey ihm die Erwartung gar leicht ſo ge¬ waltſame Symptome erzeugen kann, als die Ue¬ berraſchung bey dem Betrogenen. Rech¬ nen Sie dazu noch die unvermuthete Erſcheinung der Häſcher

Eben dieſe, gnädigſter Herr Gut, daß Sie mich daran erinnern Würde er es wohl gewagt haben, einen ſo gefährlichen Plan dem Au¬ ge der Gerechtigkeit bloß zu ſtellen? Die Treue ſeiner Kreatur auf eine ſo bedenkliche Probe zu bringen? Und zu welchem Ende?

Dafür89

Dafür laſſen Sie ihn ſorgen, der ſeine Leute kennen muß. Wiſſen wir, was für geheime Ver¬ brechen ihm für die Verſchwiegenheit dieſes Menſchen haften? Sie haben gehört, welches Amt er in Venedig bekleidet Wie viel wird es ihm wohl koſten, dieſem Kerl durchzuhelfen, der keinen andern Ankläger hat, als ihn?

(Und in der That hat der Ausgang den Ver¬ dacht des Prinzen in dieſem Stück nur zu ſehr ge¬ rechtfertigt. Als wir uns einige Tage darauf nach unſerm Gefangenen erkundigen ließen, erhielten wir zur Antwort, daß er unſichtbar geworden ſey.)

Und zu welchem Ende, fragen Sie? Auf welchem andern Weg, als auf dieſem gewaltſamen, konnte er dem Sicilianer eine ſo unwahrſcheinliche und ſchimpfliche Beichte abfordern laſſen, worauf es doch ſo weſentlich ankam? Wer als ein verzwei¬ felter Menſch, der nichts mehr zu verlieren hat, wird ſich entſchließen können, ſo erniedrigende Auf¬ ſchlüſſe über ſich ſelbſt zu geben? Unter welchen andern Umſtänden hätten wir ſie ihm geglaubt?

Alles zugegeben, gnädigſter Prinz, ſagte ich endlich. Beyde Erſcheinungen ſollen Gaukelſpiele geweſen ſeyn, dieſer Sicilianer ſoll uns meinethal¬ ben nur ein Mährchen aufgeheftet haben, das ihn ſein Principal einlernen ließ, beyde ſollen zu einem Zweck, mit einander einverſtanden, wirken, und aus dieſem Einverſtändniß ſollen alle jene wunder¬ baren Zufälle ſich erklären laſſen, die uns im Laufe dieſer Begebenheit in Erſtaunen geſezt haben. Je¬F 5ne90ne Prophezeihung auf dem Markusplatz, das erſte Wunder, welches alle übrigen eröffnet hat, bleibt nichts deſto weniger unerklärt; und was hilft uns der Schlüſſel zu allen übrigen, wenn wir an der Auflöſung dieſes einzigen verzweifeln?

Kehren Sie es vielmehr um, lieber Graf, gab mir der Prinz hierauf zur Antwort. Sagen Sie, was beweiſen alle jenen Wunder, wenn ich heraus bringe, daß auch nur ein einziges Taſchen¬ ſpiel darunter war? Jene Prophezeihung ich bekenn es Ihnen geht über alle meine Faſſungs¬ kraft. Stunde ſie einzeln da, hätte der Arme¬ nier ſeine Rolle mit ihr beſchloſſen, wie er ſie damit eröffnete ich geſtehe Ihnen, ich weiß nicht, wie weit ſie mich noch hätte führen können. In dieſer niedrigen Geſellſchaft iſt ſie mir ein klein wenig verdächtig. Die Zeit wird ſie aufklä¬ ren oder auch nicht aufklären aber glauben Sie mir, Freund (indem er ſeine Hand auf die meinige legte, und eine ſehr ernſthafte Miene an¬ nahm,) ein Menſch, dem höhere Kräfte zu Gebote ſtehen, wird keines Gaukelſpiels bedürfen, oder er wird es verachten.

So endigte ſich eine Unterredung, die ich dar¬ um ganz hieher geſezt habe, weil ſie die Schwie¬ rigkeiten zeigt, die bey dem Prinzen zu beſiegen waren; und weil ſie, wie ich hoffe, ſein Andenken von dem Vorwurfe reinigen wird, daß er ſich blind und unbeſonnen in die Schlinge geſtürzt habe, die eine unerhörte Teufeley ihm bereitete. Nichtalle91alle fährt der Graf von O** fort die in dem Augenblicke, wo ich dieſes ſchreibe, viel¬ leicht mit Hohngelächter auf ſeine Schwachheit her¬ abſehen, und im ſtolzen Dünkel ihrer nie angefoch¬ tenen Vernunft ſich für berechtigt halten, den Stab der Verdammung über ihn zu brechen, nicht alle, fürchte ich, würden dieſe erſte Probe ſo männlich überſtanden haben. Wenn man ihn nunmehr auch nach dieſer glücklichen Vorbereitung deſſen ungeach¬ tet fallen ſieht: wenn man den ſchwarzen Anſchlag, vor deſſen entfernteſter Annäherung ihn ſein guter Genius warnte, nichts deſtoweniger an ihm in Er¬ füllung gegangen findet, ſo wird man weniger über ſeine Thorheit ſpotten, als über die Größe des Bu¬ benſtücks erſtaunen, dem eine ſo wohl vertheidigte Vernunft erlag. Weltliche Rückſichten können an meinem Zeugniſſe keinen Antheil haben, denn Er, der es mir danken ſoll, iſt nicht mehr. Sein ſchreckliches Schickſal iſt geendigt, längſt hat ſich ſeine Seele am Thron der Wahrheit gereinigt, vor dem auch die meinige längſt ſteht, wenn die Welt dieſes lieſet aber man verzeihe mir die Thrä¬ ne, die dem Andenken meines theuerſten Freundes unfreywillig fällt aber zur Steuer der Gerech¬ tigkeit ſchreib 'ich es nieder: Er war ein edler Menſch, und gewiß wär' er eine Zierde des Thro¬ nes geworden, den er durch ein Verbrechen erſtei¬ gen zu wollen, ſich bethören ließ.

Zweytes92

Zweytes Buch.

Nicht lange nach dieſen leztern Begebenheiten fährt der Graf von O** zu erzählen fort fing ich an, in dem Gemüth des Prinzen eine wich¬ tige Veränderung zu bemerken, die theils eine un¬ mittelbare Folge des leztern Vorfalls war, theils auch durch den Zuſammenfluß mehrerer zufälliger Umſtände hervorgebracht worden. Bis jezt nehm¬ lich hatte der Prinz jede ſtrengere Prüfung ſeines Glaubens vermieden, und ſich damit begnügt, die rohen und ſinnlichen Religionsbegriffe, in denen er auferzogen worden, durch die beſſern Ideen, die ſich ihm nachher aufdrangen, zu reinigen, oder mit dieſen auszugleichen, ohne die Fundamente ſei¬ nes Glaubens zu unterſuchen. Religionsgegen¬ ſtände überhaupt, geſtand er mir mehrmals, ſeyen ihm jederzeit wie ein bezaubertes Schloß vorgekom¬ men, in das man nicht ohne Grauen ſeinen Fuß ſetze, und man thue weit beſſer, man gehe mit ehr¬ erbietiger Reſignation daran vorüber, ohne ſich der Gefahr auszuſetzen, ſich in ſeinen Labyrinthen zu verirren. Eine bigotte, knechtiſche Erziehung war die Quelle dieſer Furcht; dieſe hatte ſeinem zarten Gehirne Schreckbilder eingedrückt, von de¬nen93nen er ſich während ſeines ganzen Lebens nie ganz losmachen konnte. Religiöſe Melancholie war eine Erbkrankheit in ſeiner Familie; die Erziehung, wel¬ che man ihm und ſeinen Brüdern geben ließ, war dieſer Diſpoſition angemeſſen, die Menſchen, denen man ſie anvertraute, aus dieſem Geſichtspunkte gewählt, alſo entweder Schwärmer oder Heuchler. Alle Lebhaftigkeit des Knaben in einem dumpfen Geiſteszwange zu erſticken, war das einzige Mittel, ſich der höchſten Zufriedenheit der fürſtlichen Ael¬ tern zu verſichern. Dieſe ſchwarze nächtliche Ge¬ ſtalt hatte die ganze Jugendzeit unſers Prinzen; ſelbſt aus ſeinen Spielen war die Freude ver¬ bannt. Alle ſeine Vorſtellungen von Religion hat¬ ten etwas Fürchterliches an ſich, und eben das Grauenvolle und Derbe war es, was ſich ſeiner lebhaften Einbildungskraft zuerſt bemächtigte, und ſich auch am längſten darin erhielt. Sein Gott war ein Schreckbild, ein ſtrafendes Weſen; ſeine Gottesverehrung knechtiſches Zittern oder blinde, alle Kraft und Kühnheit erſtickende Ergebung. Auf allen ſeinen kindiſchen und jugendlichen Nei¬ gungen, denen ein derber Körper und eine blühen¬ de Geſundheit um ſo kraftvollere Exploſionen gab, ſtand ihm die Religion im Wege; mit allem, wor¬ an ſein jugendliches Herz ſich hing, lag ſie im Streite, er lernte ſie nie als eine Wohlthat, nur als eine Geißel ſeiner Leidenſchaften kennen. So entbrannte allmählig eine ſtille Indignation gegen ſie in ſeinem Herzen, welche mit einem reſpektvol¬ len Glauben und blinder Furcht in ſeinem Kopf undHer¬94Herzen die bizarreſte Miſchung machte einen Wi¬ derwillen gegen einen Herrn, vor welchem er zitterte.

Kein Wunder, daß er die erſte Gelegenheit er¬ griff, einem ſo ſtrengen Joche zu entfliehen aber er entlief ihm wie ein leibeigener Sclave ſei¬ nem harten Herrn, der auch mitten in der Frey¬ heit das Gefühl ſeiner Knechtſchaft herumträgt. Eben darum, weil er dem Glauben ſeiner Jugend nicht mit ruhiger Wahl entſagt, weil er nicht ge¬ wartet hatte, bis ſeine reife gereinigte Vernunft ſich gemächlich davon abgelöſ't hatte, weil er ihm als ein Flüchtling entſprungen war, auf den die Eigenthumsrechte ſeines Herrn immer noch fort¬ dauern ſo mußte er auch, nach ſo großen Di¬ ſtractionen, immer wieder zu ihm zurückkehren. Er war mit der Kette entſprungen, und eben dar¬ um mußte er der Raub eines jeden Betrügers wer¬ den der ſie entdeckte und zu gebrauchen verſtand. Daß ſich ein ſolcher fand, wird, wenn man es noch nicht errathen hat, der Verfolg dieſer Geſchichte ausweiſen.

Die Geſtändniſſe des Sicilianers ließen in ſei¬ nem Gemüth wichtigere Folgen zurück, als dieſer ganze Gegenſtand werth war, und der kleine Sieg, den ſeine Vernunft über dieſe ſchwache Täuſchung davon getragen, hatte die Zuverſicht zu ſeiner Vernunft überhaupt merklich erhöht. Die Leichtigkeit, mit der es ihm gelungen war, dieſen Betrug aufzu¬ löſen, ſchien ihn ſelbſt überraſcht zu haben; in die¬ſem95ſem Kopfe hatten ſich Wahrheit und Irrthum noch nicht ſo genau von einander geſondert, daß es ihm nicht oft begegnet wäre, die Stützen der einen mit den Stützen des andern zu verwechſeln; daher kam es, daß der Schlag, der ſeinen Glauben an Wun¬ der ſtürzte, das ganze Gebäude ſeines Glaubens zugleich zum Wanken brachte. Es erging ihm hier, wie einem unerfahrnen Menſchen, der in der Freundſchaft oder Liebe hintergingen worden, weil er ſchlecht gewählt hatte, und der nun ſeinen Glau¬ ben an dieſe Empfindungen überhaupt ſinken läßt, weil er bloße Zufälligkeiten für weſentliche Kennzei¬ chen derſelben aufnimmt. Ein entlarvter Betrug machte ihm auch die Wahrheit verdächtig, weil er ſich die Wahrheit unglücklicher Weiſe durch gleich ſchlechte Gründe bewieſen hatte.

Dieſer vermeyntliche Triumph gefiel ihm um ſo mehr, je ſchwerer der Druck geweſen, wovon er ihn zu befreyen ſchien. Von dieſem Zeitpunkt an regte ſich eine Zweifelſucht in ihm, die auch das Ehrwürdigſte nicht verſchonte.

Es halfen mehrere Dinge zuſammen, ihn in dieſer Gemüthslage zu erhalten, und noch mehr darin zu befeſtigen. Die Zurückgezogenheit, in der er bisher gelebt hatte, hörte jezt auf, und mußte einer zerſtreuungsvollen Lebensart Platz ma¬ chen. Sein Stand war entdeckt. Aufmerkſam¬ keiten, die er erwiedern mußte, Etikette, die er ſeinem Rang ſchuldig war, riſſen ihn unvermerkt in den Wirbel der großen Welt. Sein Stand ſo¬wohl96wohl als ſeine perſönlichen Eigenſchaften öffneten ihm die geiſtvolleſten Zirkel in Venedig; bald ſah 'er ſich mit den hellſten Köpfen der Republik, Ge¬ lehrten ſowohl als Staatsmännern, in Verbin¬ dung. Dieß zwang ihn, den einförmigen, engen Kreis zu erweitern, in welchem ſein Geiſt ſich bis¬ her bewegt hatte. Er fing an, die Armuth und Beſchränktheit ſeiner Begriffe wahrzunehmen, und das Bedürfnis höherer Bildung zu fühlen. Die altmodiſche Form ſeines Geiſtes, von ſo vielen Vor¬ zügen ſie auch ſonſt begleitet war, ſtand mit den gang¬ baren Begriffen der Geſellſchaft in einem nachtheili¬ gen Kontraſt und ſeine Fremdheit in den bekannte¬ ſten Dingen ſezte ihn zuweilen dem Lächerlichen aus; nichts fürchtete er ſo ſehr, als das Lächer¬ liche. Das ungünſtige Vorurtheil, das auf ſeinem Geburtslande haftete, ſchien ihm eine Aufforde¬ rung zu ſeyn, es in ſeiner Perſon zu widerlegen. Dazu kam noch die Sonderbarkeit in ſeinem Charak¬ ter, daß ihn jede Aufmerkſamkeit verdroß, die er ſeinem Stande und nicht ſeinem perſönlichen Werth danken zu müſſen glaubte. Vorzüglich empfand er dieſe Demüthigung in Gegenwart ſolcher Perſonen, die durch ihren Geiſt glänzten, und durch perſön¬ liche Verdienſte gleichſam über ihre Geburt trium¬ phirten. In einer ſolchen Geſellſchaft ſich als Prinz unterſchieden zu ſehen, war jederzeit eine tiefe Be¬ ſchämung für ihn, weil er unglücklicher Weiſe glaubte durch dieſen Namen ſchon von jeder Con¬ currenz ausgeſchloſſen zu ſeyn. Alles dieſes zuſam¬ mengenommen überführte ihn von der Nothwendig¬keit,97keit, ſeinem Geiſt die Bildung zu geben, die er bis¬ her verabſäumt hatte, um das Jahrfünftel der witzigen und der denkenden Welt einzuholen, hin¬ ter welchem er ſo weit zurückgeblieben war. Er wählte dazu die modernſte Lektüre, der er ſich nun mit allem dem Ernſte hingab, womit er alles, was er vornahm, zu behandeln pflegte. Aber die ſchlim¬ me Hand, die bey der Wahl dieſer Schriften im Spiele war ließ ihn unglücklicher Weiſe immer auf ſolche ſtoßen, bey denen ſeine Vernunft und ſein Herz wenig gebeſſert waren. Und auch hier wal¬ tete ſein Lieblingshang vor, der ihn immer zu al¬ lem, was nicht begriffen werden ſoll, mit unwider¬ ſtehlichem Reize hingezogen hatte. Nur für das¬ jenige, was damit in Beziehung ſtand, hatte er Aufmerkſamkeit und Gedächtniß; ſeine Vernunft und ſein Herz blieben leer, während ſich dieſe Fä¬ cher ſeines Gehirns mit verworrenen Begriffen an¬ füllten. Der blendende Styl des einen riß ſeine Ima¬ gination dahin, indem die Spitzfindigkeiten des an¬ dern ſeine Vernunft verſtrickten. Beyden wurde es leicht, ſich einen Geiſt zu unterjochen, der ein Raub eines jeden war, der ſich ihm mit einer ge¬ wiſſen Dreiſtigkeit aufdrang. Eine Lektüre, die länger als ein Jahr mit Leidenſchaft fortgeſezt wurde, hatte ihn beynahe mit gar keinem wohlthätigen Be¬ griff bereichert, wohl aber ſeinen Kopf mit Zwei¬ feln angefüllt, die, wie es bey dieſem conſequenten Charakter unausbleiblich folgte, bald einen unglück¬ lichen Weg zu ſeinem Herzen fanden. Daß ich es kurz ſage er hatte ſich in dieſes Labyrinthd. Geiſterſeher. Gbe¬98begeben, als ein glaubenreicher Schwärmer, und er verließ es als Zweifler, und zulezt als ein ausge¬ machter Freygeiſt.

Unter den Zirkeln, in die man ihn zu ziehen gewußt hatte, war eine gewiſſe geſchloſſene Geſell¬ ſchaft, der Bucentauro genannt, die unter dem äußerlichen Schein einer edeln vernünftigen Geiſtesfreyheit die zügelloſeſte Lizenz der Meynungen wie der Sitten begünſtigte. Da ſie unter ihren Mitgliedern viele Geiſtliche zählte, und ſogar die Namen einiger Kardinäle an ihrer Spitze trug, ſo wurde der Prinz um ſo leichter bewogen, ſich darin einführen zu laſſen. Gewiſſe gefährliche Wahrhei¬ ten der Vernunft, meynte er, könnten nirgends beſſer aufgehoben ſeyn, als in den Händen ſolcher Perſonen, die ihr Stand ſchon zur Mäßigung ver¬ pflichtete, und die den Vortheil hätten, auch die Gegenparthey gehört und geprüft zu haben. Der Prinz vergaß hier, daß Libertinage des Geiſts und der Sitten bey Perſonen dieſes Standes eben darum weiter um ſich greift, weil ſie hier einen Zügel we¬ niger findet. Und dieſes war der Fall bey dem Bu¬ centauro, deſſen mehreſte Mitglieder durch eine verdammliche Philoſophie, und durch Sitten, die einer ſolchen Führerinn würdig waren, nicht ihren Stand allein, ſondern ſelbſt die Menſchheit be¬ ſchimpften. Die Geſellſchaft hatte ihre geheimen Grade, und ich will zur Ehre des Prinzen glau¬ ben, daß man ihn des innerſten Heiligthums nie gewürdigt habe. Jeder, der in dieſe Geſellſchaftein¬99eintrat, mußte, wenigſtens ſo lange er ihr lebte, ſei¬ nen Rang, ſeine Nation, ſeine Religionsparthey, kurz, alle conventionelle Unterſcheidungszeichen ablegen, und ſich in einen gewiſſen Stand univerſeller Gleich¬ heit begeben. Die Wahl der Mitglieder war in der That ſtreng, weil nur Vorzüge des Geiſts einen Weg dazu bahnten. Die Geſellſchaft rühmte ſich des feinſten Tons und des ausgebildetſten Geſchmacks, und in dieſem Rufe ſtand ſie auch wirklich in ganz Venedig. Dieſes ſowohl als der Schein von Gleich¬ heit, der darin herrſchte, zog den Prinzen unwi¬ derſtehlich an. Ein geiſtvoller, durch feinen Witz aufgeheiterter Umgang, unterrichtende Unterhal¬ tungen, das Beſte aus der gelehrten und politiſchen Welt, das hier, wie in ſeinem Mittelpunkte zu¬ ſammenfloß, verbargen ihm lange Zeit das Ge¬ fährliche dieſer Verbindung. Wie ihm nach und nach der Geiſt des Inſtituts durch die Maſke hin¬ durch ſichtbarer wurde, oder man es auch müde war, länger gegen ihn auf ſeiner Hut zu ſeyn, war der Rückweg gefährlich, und falſche Schaam ſowohl als Sorge für ſeine Sicherheit zwangen ihn, ſein innres Misfallen zu verbergen. Aber ſchon durch bloße Vertraulichkeit mit dieſer Menſchenklaſſe und ihren Geſinnungen, wenn ſie ihn auch nicht zur Nachahmung hinriſſen, ging die reine, ſchöne Ein¬ falt ſeines Charakters und die Zartheit ſeiner mo¬ raliſchen Gefühle verloren. Seine durch ſo wenig gründliche Kenntniſſe unterſtüzte Vernunft konnte ohne fremde Beyhülfe die feinen Trugſchlüſſe nicht löſen, womit man ſie hier verſtrickt hatte, und un¬G 2ver¬100vermerkt hatte dieſes ſchreckliche Corroſiv alles beynahe alles verzehrt, worauf ſeine Moralität ru¬ hen ſollte. Die natürlichen und nothwendigen Stützen ſeiner Glückſeligkeit gab er für Sophismen hinweg, die ihn im entſcheidenden Augenblick ver¬ ließen, und ihn dadurch zwangen, ſich an den er¬ ſten beſten willkührlichen zu halten, die man ihm zuwarf.

Vielleicht wäre es der Hand eines Freundes gelungen, ihn noch zur rechten Zeit von dieſem Ab¬ grund zurück zu ziehen aber, außerdem daß ich mit dem Innern des Bucentauro erſt lange nachher bekannt worden bin, als das Uebel ſchon geſchehen war, ſo hatte mich ſchon zu Anfang die¬ ſer Periode ein dringender Vorfall aus Venedig ab¬ gerufen. Auch Mylord Seymour, eine ſchätzbare Bekanntſchaft des Prinzen, deſſen kalter Kopf jeder Art von Täuſchung unzugänglich war, und der ihm unfehlbar zu einer ſichern Stütze hätte dienen kön¬ nen, verließ uns in dieſer Zeit, um in ſein Vater¬ land zurück zu kehren. Diejenigen, in deren Hän¬ den ich den Prinzen ließ, waren zwar redliche, aber unerfahrne und in ihrer Religion äußerſt beſchränkte Menſchen, denen es ſowohl an der Einſicht in das Uebel, als an Anſehen bey dem Prinzen fehlte. Seinen verfänglichen Sophismen wußten ſie nichts, als die Machtſprüche eines blinden ungeprüften Glaubens entgegen zu ſetzen, die ihn entweder aufbrachten oder beluſtigten: er überſah ſie gar zu leicht, und ſein überlegner Verſtand brachte dieſe ſchlechtenVer¬101Vertheidiger der guten Sache bald zum Schweigen, wie aus einem Beyſpiele, das ich in der Folge an¬ führen werde, erhellen wird. Den andern, die ſich in der Folge ſeines Vertrauens bemächtigten, war es vielmehr darum zu thun, ihn immer tiefer darein zu verſenken. Als ich im folgenden Jahre wieder nach Venedig zurück kam wie anders fand ich da ſchon alles!

Der Einfluß dieſer neuen Philoſophie zeigte ſich bald in des Prinzen Leben. Je mehr er zuſehends in Venedig Glück machte, und neue Freunde ſich er¬ warb, deſto mehr fing er an, bey ſeinen ältern Freunden zu verlieren. Mir gefiel er von Tag zu Tage weniger, auch ſahen wir uns ſeltener, und überhaupt war er weniger zu haben. Der Strom der großen Welt hatte ihn gefaßt. Nie wurde ſei¬ ne Schwelle leer, wenn er zu Hauſe war. Eine Luſtbarkeit drängte die andre, ein Feſt das andre, eine Glückſeligkeit die andre. Er war die Schöne, um welche alles buhlt, der König und der Abgott aller Zirkel. So ſchwer er ſich in der vorigen Stille ſeines beſchränkten Lebens den großen Weltlauf ge¬ dacht hatte, ſo leicht fand er ihn nunmehr zu ſeinem Erſtaunen. Es kam ihm alles ſo entgegen, alles war trefflich, was von ſeinen Lippen kam, und wenn er ſchwieg, ſo war es ein Raub an der Ge¬ ſellſchaft. Man verſtand die Kunſt, ihm die Ge¬ danken mit einer angenehmen Leichtigkeit von der Seele gleichſam abzulöſen, und durch eine feine Nachhülfe ihn ſelbſt damit zu überraſchen. AuchG 3machte102machte ihn dieſes ihn überall verfolgende Glück, dieſes allgemeine Gelingen, wirklich zu etwas mehr, als er in der That war, weil es ihm Muth und Zuverſicht zu ihm ſelbſt gab. Die erhöhte Mey¬ nung, die er dadurch von ſeinem eignen Werth er¬ langte, gab ihm Glauben an die übertriebene und beynahe abgöttiſche Verehrung, die man ſeinem Geiſt widerfahren ließ, die ihm, ohne dieſes ver¬ größerte und gewiſſermaßen gegründete Selbſtge¬ fühl, nothwendig hätte verdächtig werden müſſen. Jezt aber war dieſe allgemeine Stimme nur die Be¬ kräftigung deſſen, was ſein ſelbſtzufriedener Stolz ihm im Stillen ſagte ein Tribut, der ihm von rechtswegen gebührte. Unfehlbar würde er dieſer Schlinge entgangen ſeyn, hätte man ihn zu Athem kommen laſſen, hätte man ihm nur ruhige Muße gegönnt, ſeinen eignen Werth mit dem Bilde zu vergleichen, das ihm in einem ſo lieblichen Spiegel vorgehalten wurde. Aber ſeine Exiſtenz war ein fortdauernder Zuſtand von Trunkenheit, von ſchwe¬ bendem Taumel. Je höher man ihn geſtellt hatte, deſto mehr hatte er zu thun, ſich auf dieſer Höhe zu erhalten; dieſe immerwährende Anſpannung ver¬ zehrte ihn langſam, ſelbſt aus ſeinem Schlaf war die Ruhe geflohen. Man hatte ſeine Blößen durch¬ ſchaut, und die Leidenſchaft gut berechnet, die man in ihm entzündet hatte.

Bald mußten es ſeine redlichen Kavaliers ent¬ gelten, daß ihr Herr zum großen Kopf geworden war. Ernſthafte Empfindungen und ehrwürdigeWahr¬103Wahrheiten, an denen ſein Herz ſonſt mit aller Wärme gehangen, fingen nun an, Gegenſtände ſeines Spotts zu werden. An den Wahrheiten der Religion rächte er ſich für den Druck, worun¬ ter ihn Wahnbegriffe ſo lange gehalten hatten; aber weil eine nicht zu verfälſchende Stimme ſeines Herzens die Taumeleyen ſeines Kopfes bekämpfte, ſo war mehr Bitterkeit als fröhlicher Muth in ſei¬ nem Witze. Sein Naturell fing an, ſich zu än¬ dern, Launen ſtellten ſich ein. Die ſchönſte Zierde ſeines Charakters, ſeine Beſcheidenheit, verſchwand; Schmeichler hatten ſein treffliches Herz vergiftet. Die ſchonende Delikateſſe des Umgangs, die es ſei¬ ne Kavaliers ſonſt ganz vergeſſen gemacht hatte, daß er ihr Herr war, machte jezt nicht ſelten einem gebieteriſchen entſcheidenden Tone Platz, der um ſo empfindlicher ſchmerzte, weil er nicht auf den äuſ¬ ſerlichen Abſtand, worüber man ſich mit leichter Mühe tröſtet, und den er ſelbſt wenig achtete, ſon¬ dern auf eine beleidigende Vorausſetzung ſeiner per¬ ſönlichen Erhabenheit gegründet war. Weil er zu Hauſe doch öfters Betrachtungen Raum gab, die ihn im Taumel der Geſellſchaft nicht hatten ange¬ hen dürfen, ſo ſahen ihn ſeine eigenen Leute ſel¬ ten anders als finſter, mürriſch und unglücklich, während daß er fremde Zirkel mit einer erzwunge¬ nen Fröhlichkeit beſeelte. Mit theilnehmendem Leiden ſahen wir ihn auf dieſer gefährlichen Bahn hinwandeln, aber in dem Tumult, durch den er geworfen wurde, hörte er die ſchwacheG 4Stim¬104Stimme der Freundſchaft nicht mehr, und war jezt auch noch zu glücklich, um ſie zu verſtehen.

Schon in den erſten Zeiten dieſer Epoche for¬ derte mich eine wichtige Angelegenheit an den Hof meines Souverains, die ich auch dem feurigſten Intereſſe der Freundſchaft nicht nachſetzen durfte. Eine unſichtbare Hand, die ſich mir erſt lange nach¬ her entdeckte, hatte Mittel gefunden, meine An¬ gelegenheiten dort zu verwirren, und Gerüchte von mir auszubreiten, die ich eilen mußte, durch meine perſönliche Gegenwart zu widerlegen. Der Abſchied vom Prinzen ward mir ſchwer, aber ihm war er deſto leichter. Schon ſeit geraumer Zeit waren die Bande gelöſ't, die ihn an mich gekettet hatten. Aber ſein Schickſal hatte meine ganze Theilnehmung erweckt; ich ließ mir deswegen von dem Baron von F*** verſprechen, mich durch ſchriftliche Nachrichten damit in Verbindung zu er¬ halten, was er auch auf's gewiſſenhafteſte gehal¬ ten hat. Von jezt an bin ich alſo auf lange Zeit kein Augenzeuge dieſer Begebenheiten mehr; man erlaube mir, den Baron von F*** an meiner Statt aufzuführen, und dieſe Lücke durch Auszüge aus ſeinen Briefen zu ergänzen. Ungeachtet die Vorſtellungsart meines Freundes F*** nicht im¬ mer die meinige iſt, ſo habe ich dennoch an ſeinen Worten nichts ändern wollen, aus denen der Leſer die Wahrheit mit wenig Mühe herausfinden wird.

Baron105

Baron von F*** an den Grafen von O***. Erſter Brief.

May 17**.

Dank Ihnen, ſehr verehrter Freund, daß Sie mir die Erlaubniß ertheilt haben, auch abweſend den vertrauten Umgang mit Ihnen fortzuſetzen, der während Ihres Hierſeyns meine beſte Freude aus¬ machte. Hier, das wiſſen Sie, iſt niemand, ge¬ gen den ich es wagen dürfte, mich über gewiſſe Dinge herauszulaſſen was Sie mir auch dagegen ſagen mögen, dieſes Volk iſt mir verhaßt. Seitdem der Prinz einer davon geworden iſt, und ſeitdem vol¬ lends Sie uns entriſſen ſind, bin ich mitten in die¬ ſer volkreichen Stadt verlaſſen. Z*** nimmt es leichter, und die Schönen in Venedig wiſſen ihm die Kränkungen vergeſſen zu machen, die er zu Hauſe mit mir theilen muß. Und was hätte er ſich auch darüber zu grämen? Er ſieht und verlangt in dem Prinzen nichts, als einen Herrn, den er überall findet aber ich! Sie wiſſen, wie nahe ich das Wohl und Weh unſers Prinzen an meinem Herzen fühle, und wie ſehr ich Urſache dazu habe. Sechszehn Jahre ſind's, daß ich um ſeine Perſon lebe, daß ich nur für ihn lebe. Als ein neunjäh¬ riger Knabe kam ich in ſeine Dienſte, und ſeit die¬ ſer Zeit hat mich kein Schickſal von ihm getrennt. Unter ſeinen Augen bin ich geworden; ein langer Umgang hat mich ihm zugebildet; alle ſeine großenG 5und106und kleinen Abentheuer hab 'ich mit ihm beſtanden. Ich lebe in ſeiner Glückſeligkeit. Bis auf dieſes unglückliche Jahr hab' ich nur meinen Freund, mei¬ nen ältern Bruder in ihm geſehen, wie in einem heitern Sonnenſchein hab 'ich in ſeinen Augen ge¬ lebt keine Wolke trübte mein Glück, und alles dieß ſoll mir nun in dieſem unſeligen Venedig zu Trümmern gehen!

Seitdem Sie von uns ſind, hat ſich allerley bey uns verändert. Der Prinz von ** d** iſt vorige Woche mit einer zahlreichen und glänzenden Suite hier angelangt, und hat unſerm Zirkel ein neues tumultuariſches Leben gegeben. Da er und unſer Prinz ſo nahe verwandt ſind, und jezt auf ei¬ nem ziemlich guten Fuß zuſammen ſtehen, ſo wer¬ den ſie ſich während ſeines hieſigen Aufenthalts, der, wie ich höre, bis zum Himmelfahrtsfeſt dauern ſoll, wenig von einander trennen. Der Anfang iſt ſchon beſtens gemacht; ſeit zehen Tagen iſt der Prinz kaum zu Athem gekommen. Der Prinz von ** d** hat es gleich ſehr hoch angefangen, und das mochte er immer, da er ſich bald wieder entfernt; aber das Schlimme dabey iſt, er hat unſern Prinzen damit angeſteckt, weil er ſich nicht wohl davon ausſchließen konnte, und bey dem beſondern Verhältniß, das zwiſchen beyden Häuſern obwaltet, dem beſtrittenen Range des ſeinigen hier etwas ſchuldig zu ſeyn glaubte. Dazu kommt, daß in wenig Wochen auch unſer Abſchied von Venedig heran naht; wodurch er ohnehin überhoben wird,dieſen107dieſen außerordentlichen Aufwand in die Länge fort¬ zuführen.

Der Prinz von ** d**, wie man ſagt, iſt in Geſchäften des *** Ordens hier, wobey er ſich einbildet, eine wichtige Rolle zu ſpielen. Daß er von allen Bekanntſchaften unſers Prinzen ſogleich Beſitz genommen haben werde, können Sie ſich leicht einbilden. In den Bucentauro beſonders iſt er mit Pomp eingeführt worden, da es ihm ſeit einiger Zeit beliebt hat, den witzigen Kopf und den ſtarken Geiſt zu ſpielen, wie er ſich denn auch in ſeinen Correſpondenzen, deren er in allen Weltgegenden unterhält, nur den Prince philoſophe nennen läßt. Ich weiß nicht, ob Sie je das Glück gehabt haben, ihn zu ſehen. Ein vielverſprechendes Aeußre, beſchäftigte Augen, eine Miene voll Kunſt¬ verſtändigkeit, viel Prunk von Lektüre, viel erworbene Natur, (vergönnen Sie mir dieſes Wort) und eine fürſtliche Herablaſſung zu Men¬ ſchengefühlen, dabey eine heroiſche Zuverſicht auf ſich ſelbſt, und eine alles niederſprechende Bered¬ ſamkeit. Wer könnte bey ſo glänzenden Eigenſchaf¬ ten einer K. H. ſeine Huldigung verſagen? Wie indeſſen der ſtille wortarme und gründliche Werth unſers Prinzen neben dieſer ſchreyenden Vortreff¬ lichkeit auskommen wird, muß der Ausgang lehren.

In unſrer Einrichtung ſind ſeit der Zeit viele und große Veränderungen geſchehen. Wir haben ein neues prächtiges Haus, der neuen Prokuratiegegen¬108gegenüber, bezogen, weil es dem Prinzen im Moh¬ ren zu eng wurde. Unſre Suite hat ſich um zwölf Köpfe vermehrt, Pagen, Mohren, Hei¬ ducken, u. d. m. Alles geht jezt in’s Große. Sie haben während Ihres Hierſeyns über Aufwand ge¬ klagt jezt ſollten Sie erſt ſehen!

Unſre innern Verhältniſſe ſind noch die alten außer, daß der Prinz, der durch Ihre Gegenwart nicht mehr in Schranken gehalten wird, wo mög¬ lich noch einſylbiger und froſtiger gegen uns gewor¬ den iſt, und daß wir ihn jezt außer dem An - und Auskleiden wenig haben. Unter dem Vorwand, daß wir das Franzöſiſche ſchlecht und das Italieniſche gar nicht reden, weiß er uns von ſeinen mehre¬ ſten Geſellſchaften auszuſchließen, wodurch er mir für meine Perſon eben keine große Kränkung an¬ thut; aber ich glaube, das Wahre davon einzuſe¬ hen: er ſchämt ſich unſrer und das ſchmerzt mich, das haben wir nicht verdient.

Von unſern Leuten (weil Sie doch alle Klei¬ nigkeiten wiſſen wollen) bedient er ſich jezt faſt ganz allein des Biondello, den er, wie Sie wiſſen, nach Entweichung unſers Jägers in ſeine Dienſte nahm, und der ihm jezt bey dieſer neuen Lebensart ganz unentbehrlich geworden iſt. Der Menſch kennt alles in Venedig, und alles weiß er zu gebrauchen. Es iſt nicht anders, als wenn er tauſend Augen hätte, tauſend Hände in Bewegung ſetzen könnte. Er bewerkſtellige dieſes mit Hülfe der Gondoliers, ſagt er. Dem Prinzen kommt er dadurch ungemeinzu109zu Statten, daß er ihn vorläufig mit allen neuen Geſichtern bekannt macht, die dieſem in ſeinen Ge¬ ſellſchaften vorkommen, und die geheimen Notizen, die er giebt, hat der Prinz immer richtig befunden. Dabey ſpricht und ſchreibt er das Italieniſche und das Franzöſiſche vortrefflich, wodurch er ſich auch bereits zum Sekretair des Prinzen aufgezwungen hat. Einen Zug von uneigennütziger Treue muß ich Ihnen doch erzählen, der bey einem Menſchen dieſes Standes in der That ſelten iſt. Neulich ließ ein angeſehener Kaufmann aus Rimini bey dem Prinzen um Gehör anſuchen. Der Gegenſtand war eine ſonderbare Beſchwerde über Biondello. Der Prokurator, ſein voriger Herr, der ein wun¬ derlicher Heiliger geweſen ſeyn mochte, hatte mit ſeinen Verwandten in unverſöhnlicher Feindſchaft gelebt, die ihn auch, wo möglich, noch überleben ſollte. Sein ganzes ausſchließendes Vertrauen hatte Biondello, bey dem er alle Geheimniſſe nie¬ derzulegen pflegte; dieſer mußte ihm noch am Tod¬ bette angeloben, ſie heilig zu bewahren, und zum Vortheil der Verwandten niemals Gebrauch davon zu machen; ein anſehnliches Legat ſollte ihn für die¬ ſe[Verſchwiegenheit] belohnen. Als man ſein Teſta¬ ment eröffnete und ſeine Papiere durchſuchte, fan¬ den ſich große Lücken und Verwirrungen, worüber Biondello allein den Aufſchluß geben konnte. Die¬ ſer läugnete hartnäckig, daß er etwas wiſſe, ließ den Erben das ſehr beträchtliche Legat, und be¬ hielt ſeine Geheimniſſe. Große Erbiethungen wur¬ den ihm von Seiten der Verwandten gethan, aberalle110alle vergeblich; endlich um ihrem Zudringen zu ent¬ gehen, weil ſie drohten, ihn rechtlich zu belangen, begab er ſich bey dem Prinzen in Dienſte. An dieſen wandte ſich nun der Haupterbe, dieſer Kauf¬ mann, und that noch größre Erbiethungen, als die ſchon geſchehen waren, wenn Biondello ſeinen Sinn ändern wollte. Aber auch die Fürſprache des Prinzen war umſonſt. Dieſem geſtand er zwar, daß ihm wirklich dergleichen Geheimniſſe an¬ vertraut waren, er läugnete auch nicht, daß der Verſtorbene im Haß gegen ſeine Familie vielleicht zu weit gegangen ſey, aber, ſezte er war mein guter Herr und mein Wohlthäter, und im feſten Vertrauen auf meine Redlichkeit ſtarb er hin. Ich war der einzige Freund, den er auf der Welt ver¬ ließ um ſo weniger darf ich ſeine einzige Hoff¬ nung hintergehen. Zugleich ließ er merken, daß dieſe Eröffnungen dem Andenken ſeines verſtorbenen Herrn nicht ſehr zur Ehre gereichen dürften. Iſt das nicht fein gedacht und edel? Auch können Sie leicht denken, daß der Prinz nicht ſehr darauf be¬ harrte, ihn in einer ſo löblichen Geſinnung wan¬ kend zu machen. Dieſe ſeltene Treue, die er ge¬ gen einen Todten bewies, hat ihm einen Lebenden gewonnen!

Leben Sie glücklich liebſter Freund. Wie ſehne ich mich nach dem ſtillen Leben zurück, in wel¬ chem Sie uns hier fanden, und wofür Sie uns ſo angenehm entſchädigten! Ich fürchte, meine gu¬ ten Zeiten in Venedig ſind vorbey, und Gewinngenug,111genug, wenn von dem Prinzen nicht das nehmliche Wahr iſt. Das Element, worin er jezt lebt, iſt dasjenige nicht, worin er in die Länge glücklich ſeyn kann, oder eine ſechszehnjährige Erfahrung müßte mich betrügen.

Baron von F*** an den Grafen von O***. Zweyter Brief.

18. [May].

Hätt 'ich doch nicht gedacht, daß unſer Aufenthalt in Venedig noch zu irgend etwas gut ſeyn würde! Er hat einem Menſchen das Leben gerettet, ich bin mit ihm ausgeſöhnt.

Der Prinz ließ ſich neulich bey ſpäter Nacht aus dem Bucentauro nach Hauſe tragen, zwey Bediente, unter denen Biondello war, begleiteten ihn. Ich weiß nicht wie es zugeht, die Sänfte, die man in der Eile aufgerafft hatte, geht ent¬ zwey, und der Prinz ſieht ſich genöthigt, den Reſt des Weges zu Fuße zu machen. Biondello geht voran, der Weg führte durch einige dunkle abge¬ legene Straßen, und da es nicht weit mehr von Tages Anbruch war, ſo brannten die Lampen dun¬ kel, oder waren ſchon ausgegangen. Eine Vier¬tel¬112telſtunde mochte man gegangen ſeyn, als Biondello die Entdeckung machte, daß er verirrt ſey. Die Aehnlichkeit der Brücken hatte ihn getäuſcht, und anſtatt in St. Markus überzuſetzen, befand man ſich im Seſtiere von Kaſtello. Es war in einer der abgelegenſten Gaſſen, und nichts lebendes weit und breit, man mußte umkehren, um ſich in einer Hauptſtraße zu orientiren. Sie ſind nur wenige Schritte gegangen, als nicht weit von ihnen in einer Gaſſe ein Mordgeſchrey erſchallt. Der Prinz, unbe¬ waffnet wie er war, reißt einem Bedienten den Stock aus den Händen, und mit dem entſchloſſenen Muth, den Sie an ihm kennen, nach der Gegend zu, wo¬ her dieſe Stimme erſchallte. Drey fürchterliche Ke[r]ls ſind eben im Begriff, einen Vierten nieder¬ zuſtoßen, der ſich mit ſeinem Begleiter nur noch ſchwach vertheidigt; der Prinz erſcheint noch eben zu rechter Zeit, um den tödtlichen Stich zu hin¬ dern. Sein und der Bedienten Rufen beſtürzt die Mörder, die ſich an einem ſo abgelegenen Ort auf keine Ueberraſchung verſehen hatten, daß ſie nach einigen leichten Dolchſtichen von ihrem Manne ab¬ laſſen und die Flucht ergreifen. Halb ohnmächtig und vom Ringen erſchöpft, ſinkt der Verwundete in den Arm des Prinzen; ſein Begleiter entdeckt dieſem, daß er den Marcheſe von Civitella, den Neffen des Kardinals A***i, gerettet habe. Da der Marcheſe viel Blut verlor, ſo machte Bion¬ dello, ſo gut er konnte, in der Eile den Wundarzt, und der Prinz trug Sorge, daß er nach dem Pallaſt ſeines Oheims geſchafft wurde, der am nächſtengelegen113gelegen war, und wohin er ihn ſelbſt begleitete. Hier verließ er ihn in der Stille, und ohne ſich zu erkennen gegeben zu haben.

Aber durch einen Bedienten, der Biondello er¬ kannt hatte, ward er verrathen. Gleich den fol¬ genden Morgen erſchien der Kardinal, eine alte Bekanntſchaft aus dem Bucentauro. Der Beſuch dauerte eine Stunde, der Kardinal war in großer Bewegung, als ſie heraus kamen, Thränen ſtan¬ den in ſeinen Augen, auch der Prinz war gerührt. Noch an demſelben Abend wurde bey dem Kranken ein Beſuch abgeſtattet, von dem der Wundarzt übrigens das Beſte verſichert. Der Mantel, in den er gehüllt war, hatte die Stöße unſicher ge¬ macht, und ihre Stärke gebrochen. Seit dieſem Vorfall verſtrich kein Tag, an welchem der Prinz nicht in dem Hauſe des Kardinals Beſuche gegeben oder empfangen hätte, und eine ſtarke Freundſchaft fängt an, ſich zwiſchen ihm und dieſem Hauſe zu bilden.

Der Kardinal iſt ein ehrwürdiger Sechziger, majeſtätiſch von Anſehn, voll Heiterkeit und friſcher Geſundheit. Man hält ihn für einen der reich¬ ſten Prälaten im ganzen Gebiethe der Republik. Sein unermeßliches Vermögen ſoll er noch ſehr ju¬ gendlich verwalten, und bey einer vernünftigen Sparſamkeit keine Weltfreude verſchmähen. Die¬ ſer Neffe iſt ſein einziger Erbe, der aber mir ſeinem Oheim nicht immer im beſten Vernehmen ſtehen ſoll. So wenig der Alte ein Feind des Vergnügensd. Geiſterſeher. Hiſt,114iſt, ſo ſoll doch die Aufführung des Neffen auch die höchſte Toleranz erſchöpfen. Seine freyen Grund¬ ſätze und ſeine zügelloſe Lebensart, unglücklicher Weiſe durch alles unterſtützt, was Laſter ſchmücken, und die Sinnlichkeit hinreißen kann, machen ihn zum Schrecken aller Väter und zum Fluch aller Ehe¬ männer; auch dieſen lezten Angriff ſoll er ſich, wie man laut behauptet, durch eine Intrigue zugezo¬ gen haben, die er mit der Gemahlinn des ** ſchen Geſandten angeſponnen hatte: anderer ſchlimmen Händel nicht zu gedenken, woraus ihn das Anſehen und das Geld des Kardinals nur mit Mühe hat retten können. Dieſes abgerechnet, wäre lezterer der beneidetſte Mann in ganz Italien, weil er alles beſizt, was das Leben wünſchenswürdig machen kann. Mit dieſem einzigen Familienleiden nimmt das Glück alle ſeine Gaben zurück, und vergällt ihm den Genuß ſeines Vermögens durch die im¬ merwährende Furcht, keinen Erben dazu zu finden.

Alle dieſe Nachrichten habe ich von Biondello. In dieſem Menſchen hat der Prinz einen wahren Schatz erhalten. Mit jedem Tage macht er ſich unentbehrlicher, mit jedem Tage entdecken wir ir¬ gend ein neues Talent an ihm. Neulich hatte ſich der Prinz erhitzt, und konnte nicht einſchlafen. Das Nachtlicht war ausgelöſcht, und kein Klingeln konnte den Kammerdiener erwecken, der außer dem Hauſe bey einer Operiſtinn ſchlafen gegangen war. Der Prinz entſchließt ſich alſo, ſelbſt aufzuſtehen,um115Um einen ſeiner Leute zu errufen. Er iſt noch nicht weit gegangen, als ihm von ferne eine liebliche Muſik entgegen ſchallt. Er geht wie bezaubert dem Schall nach, und findet Biondello auf ſeinem Zimmer auf der Flöte blaſend, ſeine Kameraden um ihn her. Er will ſeinen Augen, ſeinen Ohren nicht trauen, und befiehlt ihm fortzufahren. Mit einer bewundernswürdigen Leichtigkeit extemporirt dieſer nun daſſelbe ſchmelzende Adagio mit den glücklichſten Variationen und allen Feinheiten eines Virtuoſen. Der Prinz, der ein Kenner iſt, wie Sie wiſſen, behauptet, daß er ſich getroſt in der beſten Kapelle hören laſſen dürfte.

Ich muß dieſen Menſchen entlaſſen, ſagte er mir den Morgen darauf, ich bin unvermögend, ihn nach Verdienſt zu belohnen, Biondello, der dieſe Worte aufgefangen hatte, trat herzu. Gnä¬ digſter Herr, ſagte er, wenn Sie das thun, ſo rauben Sie mir meine beſte Belohnung.

Du biſt zu etwas Beſſerm beſtimmt, als zu dienen, ſagte mein Herr. Ich darf dir nicht vor deinem Glücke ſeyn.

Dringen Sie mir doch kein anderes Glück auf, gnädigſter Herr, als das ich mir ſelbſt gewählt habe.

Und ein ſolches Talent zu vernachläſſigen Nein! Ich darf es nicht zugeben.

H 2So116

So erlauben Sie mir, gnädigſter Herr, daß ich es zuweilen in Ihrer Gegenwart übe.

Und dazu wurden auch ſogleich die Anſtalten getroffen. Biondello erhielt ein Zimmer, zunächſt am Schlafgemach ſeines Herrn, wo er ihn mit Mu¬ ſik in den Schlummer wiegen, und mit Muſik dar¬ aus erwecken kann. Seinen Gehalt wollte der Prinz verdoppeln, welches er aber verbat, mit der Erklärung: Der Prinz möchte ihm erlauben, dieſe zugedachte Gnade als ein Kapital bey ihm zu deponiren, welches er vielleicht in kurzer Zeit nö¬ thig haben würde, zu erheben. Der Prinz er¬ wartet nunmehr, daß er nächſtens kommen werde, um etwas zu bitten; und was es auch ſeyn möge, es iſt ihm zum voraus gewährt. Leben Sie wohl, liebſter Freund. Ich erwarte mit Ungeduld Nach¬ richten aus K***n.

Der117

Der Baron von F*** an den Grafen von O***. Dritter Brief.

4. Junius.

Der Marcheſe von Civitella, der von ſeinen Wun¬ den nun ganz wieder hergeſtellt iſt, hat ſich vorige Woche durch ſeinen Oncle, den Kardinal, bey dem Prinzen einführen laſſen, und ſeit dieſem Tage folgt er ihm, wie ſein Schatten. Von dieſem Marcheſe hat mir Biondello doch nicht die Wahrheit geſagt, wenigſtens hat er ſie weit übertrieben. Ein ſehr liebenswürdiger Menſch von Anſehn, und unwider¬ ſtehlich im Umgang. Es iſt nicht möglich, ihm gram zu ſeyn, der erſte Anblick hat mich erobert. Denken Sie ſich die bezauberndſte Figur, mit Wür¬ de und Anmuth getragen, ein Geſicht voll Geiſt und Seele, eine offne einladende Miene, einen einſchmeichelnden Ton der Stimme, die fließendſte Beredſamkeit, die blühendſte Jugend mit allen Grazien der feinſten Erziehung vereinigt. Er hat gar nichts von dem geringſchätzigen Stolz, von der feyerlichen Steifheit, die uns an den übrigen No¬ bili, ſo unerträglich fällt. Alles an ihm athmet ju¬ gendliche Frohherzigkeit, Wohlwollen, Wärme des Gefühls. Seine Ausſchweifungen muß man mir weit übertrieben haben, nie ſah 'ich ein vollkomm¬ neres, ſchöneres Bild der Geſundheit. Wenn er wirklich ſo ſchlimm iſt, als mir Biondello ſagt, ſoH 3iſt118iſt es eine Sirene, der kein Menſch widerſtehen kann.

Gegen mich war er gleich ſehr offen. Er ge¬ ſtand mir mit der angenehmſten Treuherzigkeit, daß er nicht am beſten bey ſeinem Oncle angeſchrieben ſtehe, und es auch wohl verdient haben möge. Er ſey aber ernſtlich entſchloſſen, ſich zu beſſern, und das Verdienſt davon würde ganz dem Prinzen zufallen. Zugleich hoffe er, durch dieſen mit ſei¬ nem Oncle wieder ausgeſöhnt zu werden, weil der Prinz alles über den Kardinal vermöge. Es habe ihm bis jezt nur an einem Freunde und Führer ge¬ fehlt, und beydes hoffe er, ſich in dem Prinzen zu erwerben.

Der Prinz bedient ſich auch aller Rechte eines Führers gegen ihn, und behandelt ihn mit der Wachſamkeit und Strenge eines Mentors. Aber eben dieſes Verhältniß giebt ihm auch gewiſſe Rech¬ te an den Prinzen, die er ſehr gut geltend zu ma¬ chen weiß. Er kommt ihm nicht mehr von der Seite, er iſt bey allen Parthien, an denen der Prinz Theil nimmt, für den Bucentauro iſt er und das iſt ſein Glück! bis jezt nur zu jung gewe¬ ſen. Ueberall, wo er ſich mit dem Prinzen ein¬ findet, entführt er dieſen der Geſellſchaft, durch die feine Art, womit er ihn zu beſchäftigen und auf ſich zu ziehen weiß. Niemand, ſagen ſie, ha¬ be ihn bändigen können, und der Prinz verdiene eine Legende, wenn ihm dieſes Rieſenwerk aufbehal¬ ten ſey. Ich fürchte aber ſehr, das Blatt möch¬te119te ſich vielmehr wenden, und der Führer bey ſeinem Zögling in die Schule gehn, wozu ſich auch bereits alle Umſtände anzulaſſen ſcheinen.

Der Prinz von ** d** iſt nun abgereiſ't, und zu unſerm allerſeitigen Vergnügen, auch meinen Herrn nicht ausgenommen. Was ich voraus ge¬ ſagt habe, liebſter O***, iſt auch richtig einge¬ troffen. Bey ſo entgegen geſezten Charakteren, bey ſo unvermeidlichen Kolliſionen konnte dieſes gu¬ te Vernehmen auf die Dauer nicht beſtehen. Der Prinz von ** d** war nicht lange in Venedig, ſo entſtand ein bedenkliches Schisma in der ſpi¬ rituellen Welt, das unſern Prinzen in Gefahr ſezte, die Hälfte ſeiner bisherigen Bewunderer zu verlie¬ ren. Wo er ſich nur ſehen ließ, fand er dieſen Nebenbuhler in ſeinem Wege, der gerade die ge¬ hörige Doſis kleiner Liſt und ſelbſtgefälliger Eitelkeit beſaß, um jeden noch ſo kleinen Vor¬ theil geltend zu machen, den ihm der Prinz über ſich gab. Weil ihm zugleich alle kleinlichen Kunſt¬ griffe zu Gebote ſtanden, deren Gebrauch dem Prinzen ein edles Selbſtgefühl unterſagte, ſo konn¬ te es nicht fehlen, daß er nicht in kurzer Zeit die Schwachköpfe auf ſeiner Seite hatte, und an der Spitze einer Parthie prangte, die ſeiner würdig war*)Das harte Urtheil, welches ſich der Baron von F*** hier, und in einigen Stellen des erſten. Das Vernünftigſte wäre freylich wohlH 4gewe¬Briefs120geweſen, mit einem Gegner dieſer Art ſich in gar keinen Wettkampf einzulaſſen, und einige Monate früher wäre dieß gewiß die Parthie geweſen, wel¬ che der Prinz ergriffen hätte. Jezt aber war er ſchon zu weit in den Strom hingeriſſen, um das Ufer ſo ſchnell wieder erreichen zu können. Dieſe Nichtigkeiten hatten, wenn auch nur durch die Um¬ ſtände, einen gewiſſen Werth bey ihm erlangt, und hatte er ſie auch wirklich verachtet, ſo erlaubte ihm ſein Stolz nicht, ihnen in einem Zeitpunkte zu ent¬ ſagen, wo ſein Nachgeben weniger für einen frey¬ willigen Entſchluß, als für ein Geſtändniß ſeiner Niederlage würde gegolten haben. Das unſelige Hin - und Wiederbringen vernachläßigter, ſchneiden¬ der Reden von beyden Seiten kam dazu, und der Geiſt von Rivalität, der ſeine Anhänger erhiz¬ te, hatte auch ihn ergriffen. Um alſo ſeine Er¬ oberungen zu bewahren, und ſich auf dem ſchlüpfri¬ gen Platz zu erhalten, den ihm die Meynung der Welt einmal angewieſen hatte, glaubte er die Ge¬ legenheiten häufen zu müſſen, wo er glänzen und verbinden konnte, und dieß konnte nur durch einen fürſtlichen Aufwand erreicht werden, daher ewige Feſte und Gelage, koſtbare Konzerte, Präſenteund*)Briefs über einen geiſtreichen Prinzen erlaubt, wird jeder, der das Glück hat, dieſen Prinzen näher zu kennen, mit mir übertrieben finden, und es dem eingenommenen Kopfe dieſes jugendlichen Be¬ urtheilers zu Gute halten.Anm. des Graf. v. O***.121und hohes Spiel. Und weil ſich dieſe ſeltſame Raſerey bald auch der beyderſeitigen Suite und Die¬ nerſchaft mittheilte, die, wie Sie wiſſen, über den Artikel der Ehre noch weit wachſamer zu halten pflegt, als ihre Herrſchaft, ſo mußte er dem guten Willen ſeiner Leute durch ſeine Freygebigkeit zu Hülfe kommen. Eine ganze lange Kette von Arm¬ ſeligkeiten, alles unvermeidliche Folgen einer einzi¬ gen ziemlich verzeihlichen Schwachheit, von der ſich der Prinz in einem unglücklichen Augenblick überſchleichen ließ!

Den Nebenbuhler ſind wir zwar nun los, aber was er verdorben hat, iſt nicht ſo leicht wieder gut zu machen. Des Prinzen Schatulle iſt er¬ ſchöpft; was er durch eine weiſe Oekonomie ſeit Jahren erſpart hat, iſt dahin; wir müſſen eilen, aus Venedig zu kommen, wenn er ſich nicht in Schulden ſtürzen ſoll, wovor er ſich bis jezt auf das ſorgfältigſte gehütet hat. Die Abreiſe iſt auch feſt beſchloſſen, ſobald nur erſt friſche Wechſel da ſind.

Möchte indeß aller dieſer Aufwand gemacht ſeyn, wenn mein Herr nur eine einzige Freude da¬ bey gewonnen hätte! Aber nie war er weniger glücklich als jezt! Er fühlt, daß er nicht iſt, was er ſonſt war er ſucht ſich ſelbſt er iſt un¬ zufrieden mit ſich ſelbſt, und ſtürzt ſich in neue Zerſtreuungen, um den Folgen der alten zu entflie¬ hen. Eine neue Bekanntſchaft folgt auf die andre,H 5die122die ihn immer tiefer hinein reißt. Ich ſehe nicht, wie das noch werden ſoll. Wir müſſen fort hier iſt keine andre Rettung wir müſſen fort aus Venedig.

Aber, liebſter Freund, noch immer keine Zeile von Ihnen! Wie muß ich dieſes lange hartnäckige Schweigen mir erklären?

Baron von F*** an den Grafen von O***. Vierter Brief.

12. Junius.

Haben Sie Dank, liebſter Freund, für das Zei¬ chen Ihres Andenkens, das mir der junge B***hl von Ihnen überbrachte. Aber was ſprechen Sie darin von Briefen, die ich erhalten haben ſoll? Ich habe keinen Brief von Ihnen erhalten, nicht eine Zeile. Welchen weiten Umweg müſſen die ge¬ nommen haben! Künftig, liebſter O***, wenn Sie mich mit Briefen beehren, ſenden Sie ſolche über Trient und unter der Addreſſe meines Herrn.

Endlich haben wir den Schritt doch thun müſ¬ ſen, liebſter Freund, den wir bis jezt ſo glücklich vermieden haben. Die Wechſel ſind ausgeblie¬ ben, jezt in dieſem dringenden Bedürfniß zum er¬ſtenmal123ſtenmal ausgeblieben, und wir waren in die Noth¬ wendigkeit geſezt, unſre Zuflucht zu einem Wuche¬ rer zu nehmen, weil der Prinz das Geheimniß gern etwas theurer bezahlt. Das Schlimmſte an dieſem unangenehmen Vorfalle iſt, daß er unſre Abreiſe verzögert.

Bey dieſer Gelegenheit kam es zu einigen Er¬ läuterungen zwiſchen mir und dem Prinzen. Das ganze Geſchäft war durch Biondello's Hände gegan¬ gen, und der Ebräer war da, ehe ich etwas davon ahndete. Den Prinzen zu dieſer Extremität ge¬ bracht zu ſehen, preßte mir das Herz, und mach¬ te alle Erinnerungen der Vergangenheit, alle Schre¬ cken für die Zukunft in mir lebendig, daß ich frey¬ lich etwas grämlich und düſter ausgeſehen haben mochte, als der Wucherer hinaus war. Der Prinz, den der vorhergehende Auftritt ohnehin ſehr reizbar gemacht hatte, ging mit Unmuth im Zimmer auf und nieder, die Rollen lagen noch auf dem Tiſche, ich ſtand am Fenſter, und beſchäftigte mich, die Scheiben in der Prokuratie zu zählen, es war eine lange Stille, endlich brach er los.

F***! fing er an: Ich kann keine finſtern Geſichter um mich leiden.

Ich ſchwieg.

Warum antworten Sie mir nicht? Seh 'ich nicht, daß es Ihnen das Herz abdrücken will, Ihren Verdruß auszugießen? und ich will haben,daß124daß Sie reden. Sie dürften ſonſt Wunder glau¬ ben, was für weiſe Dinge Sie verſchwiegen.

Wenn ich finſter bin, gnädigſter Herr, ſagte ich, ſo iſt es nur, weil ich Sie nicht heiter ſehe.

Ich weiß, fuhr er fort, daß ich Ihnen nicht recht bin ſchon ſeit geraumer Zeit daß alle meine Schritte gemißbilligt werden daß was ſchreibt der Graf von O***?

Der Graf von O*** hat mir nichts ge¬ ſchrieben.

Nichts? Warum wollen Sie es läugnen? Sie haben Herzensergießungen zuſammen Sie und der Graf. Ich weiß es recht gut. Aber ge¬ ſtehen Sie mir's immer. Ich werde mich nicht in Ihre Geheimniſſe eindringen.

Der Graf von O***, ſagte ich, hat mir von drey Briefen, die ich ihm ſchrieb, noch den er¬ ſten zu beantworten.

Ich habe Unrecht gethan, fuhr er fort. Nicht wahr? (eine Rolle ergreifend). Ich hätte das nicht thun ſollen?

Ich ſehe wohl ein, daß dieß nothwendig war.

Ich hätte mich nicht in die Nothwendigkeit ſetzen ſollen?

Ich ſchwieg.

Freylich! Ich hätte mich mit meinen Wün¬ ſchen nie über das hinaus wagen ſollen, und darüber zum Greis werden, wie ich zum Mann geworden bin! Weil ich aus der traurigen Einför¬migkeit125migkeit meines bisherigen Lebens einmal heraus gehe und herum ſchaue, ob nicht irgend anderswo eine Quelle des Genuſſes für mich ſpringt weil ich

Wenn es ein Verſuch war, gnädigſter Herr, dann hab 'ich nichts mehr zu ſagen dann ſind die Erfahrungen, die er Ihnen verſchaft haben wird, noch mit dreymal ſo viel nicht zu theuer er¬ kauft. Es that mir weh, ich geſtehe es, daß die Meynung der Welt über eine Frage, wie Sie glücklich ſeyn ſollen, zu entſcheiden haben ſollte.

Wohl Ihnen, daß Sie verachten können die Meynung der Welt! Ich bin ihr Geſchöpf, ich muß ihr Sklave ſeyn. Was ſind wir anders als Meynung? Alles an uns Fürſten iſt Meynung. Die Meynung iſt unſre Amme und Erzieherinn in der Kindheit, unſre Geſetzgeberinn und Geliebte in männlichen Jahren, unſre Krücke im Alter. Neh¬ men Sie uns, was wir von der Meynung haben, und der Schlechteſte aus den unterſten Klaſſen iſt beſſer daran als wir, denn ſein Schickſal hat ihm doch eine Philoſophie ſeines Schickſals geſchaffen. Ein Fürſt, der die Meynung verlacht, hebt ſich ſelbſt auf, wie der Prieſter, der das Daſeyn eines Gottes läugnet.

Und dennoch, gnädigſter Prinz

Ich weiß, was Sie ſagen wollen. Ich kann den Kreis überſchreiten, den meine Geburt um mich gezogen hat aber kann ich auch alle Wahnbegriffe aus meinem Gedächtniß herausreiſ¬ ſen, die Erziehung und frühe Gewohnheit dareingepflanzt,126gepflanzt, und hundert tauſend Thoren von euch im¬ mer feſter und feſter darin gegründet haben? Jeder will doch gern ganz ſeyn, was er iſt, und unſre Exi¬ ſtenz iſt nun einmal, glücklich ſcheinen. Weil wir es nicht ſeyn können auf Eure Weiſe, ſollen wir es darum gar nicht ſeyn? Wenn wir die Freude aus ihrem reinen Quell unmittelbar nicht mehr ſchöpfen dürfen, ſollen wir uns auch nicht mit einem künſtlichen Genuß hintergehen, nicht von eben der Hand, die uns beraubte, eine ſchwa¬ che Entſchädigung empfangen dürfen?

Sonſt fanden Sie dieſe in Ihrem Herzen.

Wenn ich ſie nun nicht mehr darin finde? O wie kommen wir darauf? Warum mußten Sie dieſe Erinnerungen in mir aufwecken? Wenn ich nun eben zu dieſem Sinnentumult meine Zuflucht nahm, um eine innere Stimme zu betäuben, die das Unglück meines Lebens macht um dieſe grübelnde Vernunft zur Ruhe zu bringen, die wie eine ſchneidende Sichel in meinem Gehirn hin und her fährt, und mit jeder neuen Forſchung einen neuen Zweig meiner Glückſeligkeit zerſchneidet?

Mein beſter Prinz! Er war aufgeſtanden, und ging im Zimmer herum, in ungewöhnlicher Bewegung*)Ich habe mir Mühe gegeben, liebſter O***, das wichtige Geſpräch, das ſich jezt zwiſchen uns.

Wennent¬127

Wenn alles vor mir und hinter mir verſinkt die Vergangenheit im traurigen Einerley wie ein Reich der Verſteinerung hinter mir liegt wenn die Zukunft mir nichts biethet wenn ich meines Daſeyns ganzen Kreis im ſchmalen Raume der Gegenwart beſchloſſen ſehe wer verargt es mir, daß ich dieſes magre Geſchenk der Zeit, feu¬ rig und unerſättlich wie einen Freund, den ich zum leztenmale ſehe, in meine Arme ſchließe? Wenn ich mit dieſem flüchtigen Gute zu wuchern eile, wie der achtzigjährige Greis mit ſeiner Tiare? O ich hab 'ihn ſchätzen lernen den Augenblick! Der Augenblick iſt unſre Mutter, und wie eine Mutter laßt uns ihn lieben!

Gnädigſter Herr, ſonſt glaubten Sie an ein bleibenderes Gut

O
*)

entſpann, Ihnen ganz ſo wie es vorfiel, getreu zu überliefern; aber dieß war mir unmöglich, ob ich mich gleich noch an demſelbigen Abend daran machte. Um meinem eigenen Gedächtniß, nachzu¬ helfen, mußte ich die hingeworfnen Ideen des Prinzen in eine gewiſſe Ordnung binden, die ſie nicht hatten; und ſo entſtand denn dieſes Mittel¬ ding von freyem Geſpräch und philoſophiſcher Vor¬ leſung, das beſſer und ſchlechter iſt als die Quelle, aus der ich es ſchöpfte; doch verſichre ich Ihnen, daß ich dem Prinzen eher genommen, als gegeben habe, und daß nichts davon mein iſt, als die An¬ ordnung und einige Anmerkungen, die Sie an ihrer Albernheit ſchon erkennen werden.

Anmerk. des Baron v. F***.

*)128

O machen Sie, daß mir das Wolkenbild hal¬ te, und ich will meine glühenden Arme darum ſchla¬ gen. Was für Freude kann es mir geben, Er¬ ſcheinungen zu beglücken, die morgen dahin ſeyn werden, wie ich? Iſt nicht alles Flucht um mich herum? Alles ſtößt ſich und drängt ſeinen Nachbar weg, aus dem Quell des Daſeyns einen Tropfen eilend zu trinken, und lechzend davon zu gehen. Jezt in dem Augenblick, wo ich meiner Kraft mich freue, iſt ſchon ein werdendes Leben an meine Verweſung angewieſen. Zeigen Sie mir ein Weſen, das dauert, ſo will ich tugendhaft ſeyn.

Was hat denn die wohlthätigen Empfindungen verdrängt, die einſt der Genuß und die Richtſchnur Ihres Lebens waren? Saaten für die Zukunft zu pflanzen, einer hohen ewigen Ordnung zu dienen

Dienen! Dienen gewiß, ſo gewiß als der unbedeutendſte Mauerſtein der Simmetrie des Pal¬ laſtes, die auf ihm ruhet! Aber auch als ein mit¬ befragtes, mitgenießendes Weſen? Lieblicher gut¬ herziger Wahn des Menſchen! deine Kräfte willſt du ihr widmen? Kannſt du ſie ihr denn weigern? Was du biſt und was du beſitzeſt, biſt du ja nur, beſitzeſt du nur für ſie. Haſt du gegeben, was du geben kannſt, und was du allein ihr geben konn¬ teſt, ſo biſt du auch nicht mehr, deine Gebrechlich¬ keit ſpricht dir das Urtheil, und ſie iſt es auch, die es vollziehet. Aber wer iſt denn dieſe Na¬ tur, dieſe Ordnung, wider welche ich klage? Immerhin! Möchte ſie, wie der Griechen Saturn,ihre129ihre eigenen Kinder verzehren, wäre ſie ſelbſt nur, überlebte ſie auch nur die vergangene Sekun¬ de! Ein unermeßlicher Baum ſteht ſie da im unermeßlichen Raume. Die Weisheit und die Tugend ganzer Generationen rinnen wie Säfte in ſeinen Röhren, Jahrtauſende und die Nationen, die darin Geräuſch machten, fallen wie welke Blü¬ then, wie verdorrte Blätter von ſeinen Zweigen, die er mit innrer und unvergänglicher Zeugungs¬ kraft aus dem Stamme treibt. Kannſt du von ihr verlangen, was ſie ſelbſt nicht beſitzet? Du eine Furche, die der Wind in die Meeresfläche bläßt, deines Daſeyns Spur darin zu ſichern verlangen?

Dieſe troſtloſe Behauptung widerlegt ſchon die Weltgeſchichte. Die Namen Lykurg, Sokrates, Ariſtides haben ihre Werke überdauert.

Und der nützliche Mann, der den Pflug zu¬ ſammenſezte wie hieß der? Trauen Sie einer Belohnerinn, die nicht gerecht iſt? Sie leben in der Geſchichte, wie Mumien im Balſam, um mit ihrer Geſchichte etwas ſpäter zu vergehen.

Und dieſer Trieb zur ewigen Fortdauer? Kann oder darf ihre Nothwendigkeit verſchwenden? Durfte in der Kraft etwas ſeyn, dem nichts in der Wirkung entſpräche?

O in dieſer Wirkung eben liegt alles. Ver¬ ſchwenden? Steigt nicht auch der Waſſerſtrahl in der Caſcade mit einer Kraft in die Höhe, die ihn durch einen unendlichen Raum ſchlendern könnte? Aber ſchon in erſten Moment ſeines Aufſprungs zieht die Schwerkraft an ihm, drücken tauſend Luſtſäu¬d. Geiſterſeher. Jlen130len auf ihn, die ihn früher oder ſpäter, in einem höhern oder niedrigern Bogen, zur mütterlichen Er¬ de zurück treiben. Und ſo ſpät zu fallen, mußte er mit dieſer üppigen Kraft aufſteigen gerade eine elaſtiſche Kraft, wie der Trieb zur Unſterblich¬ keit, gehörte dazu, wenn ſich die Menſchenerſchei¬ nung gegen die heran drückende Nothwendigkeit Raum machen ſollte. Ich gebe mich überwunden, liebſter Freund, wenn Sie mir darthun, daß die¬ ſen Trieb zur Unſterblichkeit im Menſchen nicht eben ſo vollkommen mit dem zeitlichen Zweck ſeines Da¬ ſeyns aufgehe, als ſeine ſinnlichſten Triebe. Frey¬ lich verführt uns unſer Stolz, Kräfte, die wir nur für, nur durch die Nothwendigkeit haben, gegen ſie ſelbſt anzuwenden; aber hätten wir wohl dieſen Stolz, wenn ſie nicht auch von ihm Vor¬ theile zöge? Wäre ſie ein vernünftiges Weſen, ſie müßte ſich unſrer Philoſophien ungefähr eben ſo freuen, wie ſich ein weiſer Feldherr an dem Muth¬ willen ſeiner kriegeriſchen Jugend ergötzet, der ihm Helden im Gefechte verſpricht.

Der Gedanke diente nur der Bewegung? Das Ganze wäre todt, und die Theile lebten? Der Zweck wäre ſo gemein, und die Mittel ſo edel?

Zweck überhaupt hätten wir nie ſagen ſollen. Um in Ihre Vorſtellungsart einzutreten, entlehne ich dieſen Begriff von der moraliſchen Welt, weil wir hier gewohnt ſind, die Folgen einer Handlung ihren Zweck zu nennen. In der Seele ſelbſt gehtzwar131zwar der Zweck dem Mittel voran; wenn ihre in¬ nern Wirkungen aber in äußere übergehen, ſo kehrt ſich dieſe Ordnung um, und das Mittel verhält ſich zu dem Zwecke wie die Urſache zu ihrer Wir¬ kung. In dieſem lezten Sinne durfte ich mich un¬ eigentlich dieſes Ausdrucks bedienen, der aber auf unſere jetzige Unterſuchung keinen ſtörenden Einfluß haben darf. Setzen Sie ſtatt Mittel und Zweck Urſache und Wirkung wo bleibt der Unterſchied von Gemein und Edel? Was kann an der Ur¬ ſache edel ſeyn, als daß ſie ihre Wirkung erfüllet? Edel und gemein bezeichnen nur das Verhältniß, in welchem ein Gegenſtand gegen ein gewiſſes Principium in unſrer Seele ſtehet es iſt alſo ein Begriff, der nur innerhalb unſrer Seele, nicht außerhalb derſelben anzuwenden iſt. Sehen Sie aber, wie Sie ſchon als erwieſen an¬ nehmen, was wir erſt durch unſre Schlüſſe heraus bringen ſollen? Warum anders nennen Sie den Gedanken im Gegenſatz von der Bewegung edel, als weil Sie das denkende Weſen ſchon als den Mittelpunkt vorausſetzen, dem Sie die Folgen¬ reihe der Dinge unterordnen? Treten Sie in meine Gedankenreihe, ſo wird dieſe Rangord¬ nung verſchwinden, der Gedanke iſt Wirkung und Urſache der Bewegung, und ein Glied der Noth¬ wendigkeit, wie der Pulsſchlag der ihn begleitet.

Nimmermehr werden Sie dieſen paradoxen un¬ natürlichen Satz durchſetzen. Beynahe überall kön¬ nen wir mit unſerm Verſtande den Zweck der phy¬J 2ſiſchen132ſiſchen Natur bis in den Menſchen verfolgen. Wo ſehen wir ſie auch nur einmal dieſe Ordnung um¬ kehren, und den Zweck des Menſchen der phyſi¬ ſchen Welt unterwerfen? Und wie wollen Sie die¬ ſe auswärtige Beſtimmung mit dem Glückſelig¬ keitstriebe vereinigen, der alle ſeine Beſtrebungen einwärts gegen ihn ſelbſt richtet?

Laſſen Sie uns doch verſuchen. Um mich kürzer zu faſſen, muß ich mich wieder Ihrer Spra¬ che bedienen. Setzen wir alſo, daß moraliſche Er¬ ſcheinungen nöthig waren, wie Licht und Schall nöthig waren, ſo mußten Weſen vorhanden ſeyn, die dieſem beſondern Geſchäfte zugebildet waren, ſo wie Aether und Luft gerade ſo und nicht anders beſchaffen ſeyn mußten, um derjenigen Anzahl von Schwingungen fähig zu ſeyn, die uns die Vorſtel¬ lung von Farbe und Wohlklang geben. Es mu߬ ten alſo Weſen exiſtiren, die ſich ſelbſt in Bewe¬ gung ſetzen, weil die moraliſche Erſcheinung auf der Freyheit beruhet; was alſo bey Luft und Aether, bey dem Mineral und der Pflanze die urſprüngliche Form leiſtet, mußte hier von einem innern Principium erhalten werden, gegen welches ſich die Beweggründe oder die bewegenden Kräfte dieſes Weſens ungefähr eben ſo verhielten, als die bewe¬ genden Kräfte der Pflanze gegen den beſtändigen Ty¬ pus ihres Baues. Wie ſie das bloß organiſche Weſen durch eine unveränderliche Mechanik lenkt, ſo mußte ſie das denkendempfindende Weſen durch Schmerz und Vergnügen bewegen.

Ganz richtig.

Wir133

Wir ſehen ſie alſo in der moraliſchen Welt ihre bisherige Ordnung verlaſſen, ja ſogar mit ſich ſelbſt in einen anſcheinenden Streit gerathen. In jedem moraliſchen Weſen legt ſie ein neues Cen¬ trum an, einen Staat im Staate, gleichſam als hätte ſie ihren allgemeinen Zweck ganz aus den Au¬ gen verloren. Gegen dieſes Centrum müſſen ſich alle Thätigkeiten dieſes Weſens mit einem Zwange neigen, wie ſie ihn in der phyſiſchen Welt durch die Schwerkraft ausübt. Dieſes Weſen iſt auf die Art in ſich ſelbſt gegründet, ein wahres und wirk¬ liches Ganze, durch dieſen Fall zu ſeinem Centrum dazu gebildet, eben ſo wie der Planet der Erde durch die Schwerkraft zur Kugel ward, und als Kugel fortdauert. Bis hieher ſcheint ſie ſich ſelbſt ganz vergeſſen zu haben.

Aber wir haben gehört, daß dieſes Weſen nur vorhanden iſt, um die moraliſchen Erſcheinungen hervor zu bringen, deren ſie bedurfte; die Frey¬ heit dieſes Weſens, oder ſein Vermögen ſich ſelbſt zu bewegen, mußte alſo dem Zweck unterworfen werden, zu welchem ſie es beſtimmte. Wollte ſie alſo über die Wirkungen Meiſter bleiben, die es leiſtete, ſo mußte ſie ſich des Principiums bemäch¬ tigen, wornach ſich das moraliſche Weſen beweget. Was konnte ſie daher anders thun, als ihren Zweck mit dieſem Weſen an das Principium an¬ ſchließen, wodurch es regiert wird, oder mit andern Worten, ſeine zweckmäßige Thätigkeit zur noth¬ wendigen Bedingung ſeiner Glückſeligkeit ma¬ chen?

J 3Das134

Das begreif ich.

Erfüllt alſo das moraliſche Weſen die Bedin¬ gungen ſeiner Glückſeligkeit, ſo tritt es eben da¬ durch wieder in den Plan der Natur ein, dem es durch dieſen abgeſonderten Plan entzogen zu ſeyn ſchien, eben ſo wie der Erdkörper durch den Fall ſeiner Theile zu ihrem Centrum fähig gemacht wird, die Ekliptik zu beſchreiben. Durch Schmerz und Vergnügen erfährt alſo das moraliſche Weſen jedes¬ mal nur die Verhältniſſe ſeines gegenwärtigen Zu¬ ſtandes zu dem Zuſtande ſeiner höchſten Vollkom¬ menheit, welcher einerley iſt mit dem Zwecke der Natur. Dieſen Weiſer hat und bedarf das orga¬ niſche Weſen nicht, weil es ſich durch ſich ſelbſt dem Zuſtand ſeiner Vollkommenheit, d. i. Glückſe¬ ligkeit voraus, mit dieſer aber auch die Warnung, wenn es davon abweicht, oder das Leiden. Hätte eine elaſtiſche Kugel das Bewußtſeyn ihres Zuſtan¬ des, ſo würde der Fingerdruck, der ihr eine flache Form aufdringt, ſie ſchmerzen, ſo würde ſie mit einem Gefühle von Wolluſt zu ihrer ſchönſten Rün¬ dung zurückkehren.

Ihre elaſtiſche Kraft dient ihr ſtatt jenes Gefühles.

Aber eben ſo wenig Aehnlichkeit die ſchnelle Bewegung, die wir Feuer nennen, mit der Em¬ pfindung des Brennens, oder die kubiſche Form ei¬ nes Salzes mit ſeinem bittern Geſchmacke hat, eben ſo wenig Aehnlichkeit hat das Gefühl, das wir Glückſeligkeit nennen, mit dem Zuſtand unſrer in¬ nern Vollkommenheit, den es begleitet, oder mitdem135dem Zweck der Natur, dem es dient. Beyde, möchte man ſagen, ſeyen durch eine eben ſo will¬ kührliche Koexiſtenz mit einander verbunden, wie der Lorbeerkranz mit einem Siege, wie ein Brand¬ mal mit einer ehrloſen Handlung.

So ſcheint es.

Der Menſch alſo brauchte kein Mitwiſſer des Zwecks zu ſeyn, den die Natur durch ihn aus¬ führt. Mochte er immerhin von keinem andern Principium wiſſen, als dem, wodurch er in ſeiner kleinen Welt ſich regiert, mochte er ſogar im lieb¬ lichen, ſelbſtgefälligen Wahn die Verhältniſſe dieſer ſeiner kleinen Welt der großen Natur als Geſetze unterlegen dadurch daß er ſeiner Struktur die¬ net, ſind ihre Zwecke mit ihm geſichert.

Und kann etwas vortrefflicher ſeyn, als daß alle Theile des großen Ganzen nur dadurch den Zweck der Natur befördern, daß ſie ihrem eignen getreu bleiben, daß ſie nicht zu der Harmonie bey¬ tragen wollen dürfen, ſondern daß ſie es müſ¬ ſen? Dieſe Vorſtellung iſt ſo ſchön, ſo hinreißend, daß man ſchon dadurch allein bewogen wird

ſie einem Geiſte zu gönnen, wollen Sie ſa¬ gen? weil der ſelbſtſüchtige Menſch ſeinem Geſchlech¬ te gern alles Gute und Schöne zutragen möchte, weil er den Schöpfer ſo gern in ſeiner Familie ha¬ ben möchte. Geben Sie dem Kryſtalle das Ver¬ mögen der Vorſtellung, ſein höchſter Weltplan wird Kryſtalliſation, ſeine Gottheit die ſchönſte Form von Kryſtall ſeyn. Und mußte dieß nicht ſo ſeyn? Hielt nicht jede einzelne Waſſerkugel ſo getreu und feſtanI 4136an ihrem Mittelpunkte, ſo würde ſich nie ein Welt¬ meer bewegt haben.

Aber wiſſen Sie auch, gnädigſter Prinz, daß Sie bisher nur gegen ſich ſelbſt bewieſen haben? Wenn es wahr iſt, wie Sie ſagen, daß der Menſch nicht aus ſeinem Mittelpunkte weichen kann, wo¬ her Ihre eigene Anmaßung den Gang der Natur zu beſtimmen? Wie können Sie es dann unternehmen, die Regel feſt ſetzen zu wollen, nach der ſie handelt?

Nichts weniger. Ich beſtimme nichts, ich nehme ja nur hinweg, was die Menſchen mit ihr verwechſelt haben, was ſie aus ihrer eignen Bruſt genommen, und durch praleriſche Titel aufge¬ ſchmückt haben. Was mir vorherging und was mir folgen wird, ſehe ich als zwey ſchwarze un¬ durchdringliche Decken an, die an beyden Gränzen des menſchlichen Lebens herunter hängen, und wel¬ che noch kein Lebender aufgezogen hat. Schon viele hundert Generationen ſtehen mit der Fackel davor, und rathen und rathen, was etwa dahin¬ ter ſeyn möchte. Viele ſehen ihren eigenen Schat¬ ten, die Geſtalten ihrer Leidenſchaft, vergrößert auf der Decke der Zukunft ſich bewegen, und fah¬ ren ſchaudernd vor ihrem eigenen Bilde zuſammen. Dichter, Philoſophen und Staatenſtifter haben ſie mit ihren Träumen bemahlt, lachender oder fin¬ ſtrer, wie der Himmel über ihnen trüber oder heiterer war; und von weitem täuſchte die Perſpek¬ tive. Auch manche Gaukler nüzten dieſe allgemei¬ne137ne Neugier, und ſezten durch ſeltſame Vermum¬ mungen die geſpannten Phantaſien in Erſtau¬ nen. Eine tiefe Stille herrſcht hinter dieſer Decke, keiner, der einmal dahinter iſt, antwortet hinter ihr hervor, alles was man hörte, war ein hohler Wiederſchall der Frage, als ob man in eine Gruft gerufen hätte. Hinter dieſe Decke müſſen alle, und mir Schaudern faſſen ſie ſie an, ungewiß, wer wohl dahinter ſtehe, und ſie in Empfang nehmen werde, quid fit fit, quod tantum morituri vident. Freylich gab es auch Ungläubige darunter, die be¬ haupteten, daß dieſe Decke die Menſchen nur narre, und daß man nichts beobachtet hätte, weil auch nichts dahinter ſey; aber um ſie zu überweiſen, ſchickte man ſie eilig dahinter.

Ein raſcher Schluß war es immer, wenn ſie keinen beſſern Grund hatten, als weil ſie nichts ſahen.

Sehen Sie nun, lieber Freund, ich beſcheide mich gern, nicht hinter dieſe Decke blicken zu wol¬ len und das weiſeſte wird doch wohl ſeyn, mich von aller Neugier zu entwöhnen. Aber indem ich dieſen unüberſchreitbaren Kreis um mich ziehe, und mein ganzes Seyn in die Schranken der Gegen¬ wart einſchließe, wird mir dieſer kleine Fleck deſto wichtiger, den ich ſchon über eiteln Eroberungs¬ gedanken zu vernachläſſigen in Gefahr war. Das, was Sie den Zweck meines Daſeyns nennen, geht mich jezt nichts mehr an. Ich kann mich ihm nichtJ 5entzie¬138entziehen, ich kann ihm nicht nachhelfen, ich weiß aber und glaube feſt, daß ich einen ſolchen Zweck erfüllen muß und erfülle. Aber das Mittel, das ihre Natur erwählt hat, um ihren Zweck mit mir zu erfüllen, iſt mir deſto heiliger es iſt alles, was mein iſt, meine Moralität nehmlich, meine Glückſeligkeit. Alles übrige werde ich niemals er¬ fahren. Ich bin einem Bothen gleich, der einen verſiegelten Brief an den Ort ſeiner Beſtimmung trägt. Was er enthält, kann ihm einerley ſeyn er hat nichts als ſein Bothenlohn dabey zu ver¬ dienen.

O wie arm laſſen Sie mich ſtehn!

Aber wohin haben wir uns verirret? rief jezt der Prinz aus, indem er lächelnd auf den Tiſch ſah 'wo die Rollen lagen. Und doch nicht ſo ſehr verirret! ſezte er hinzu denn vielleicht wer¬ den Sie mich jezt in dieſer neuen Lebensart wieder finden. Auch ich konnte mich nicht ſo ſchnell von dem eingebildeten Reichthum entwöhnen, die Stützen meiner Moralität und meiner Glückſeligkeit nicht ſo ſchnell von dem lieblichen Traume ablöſen, mit welchem alles, was bis jezt in mir gelebt hatte, ſo feſt verſchlungen war. Ich ſehnte mich nach dem Leichtſinne, der das Daſeyn der mehreſten Men¬ ſchen um mich her erträglich macht. Alles, was mich mir ſelbſt entführte, war mir willkommen. Soll ich es Ihnen geſtehn? Ich wünſchte zu ſinken, um dieſe Quelle meines Leidens auch mit der Kraft dazu zu zerſtören.

Ich139

Ich konnte das Geſpräch noch nicht abgebro¬ chen ſehen.

Gnädigſter Prinz, hub ich von neuem an, hab 'ich Sie auch recht verſtanden? Der lezte Zweck des Menſchen iſt nicht im Menſchen, ſondern auſſer ihm? Er iſt nur um ſeiner Folgen willen vor¬ handen?

Laſſen Sie uns dieſen Ausdruck vermeiden, der uns irre führt.

Sagen Sie, er iſt da, weil die Urſachen ſei¬ nes Daſeyns da waren, und weil ſeine Wirkungen exiſtiren, oder, welches eben ſo viel ſagt, weil die Urſachen, die ihm vorhergingen, eine Wirkung ha¬ ben mußten, und die Wirkungen, die er hervor¬ bringt, eine Urſache haben müſſen.

Wenn ich ihm alſo einen Werth beylegen will, ſo kann ich dieſen nur nach der Menge und Wichtig¬ keit der Wirkungen abwägen, deren Urſache er iſt?

Nach der Menge ſeiner Wirkungen. Wich¬ tig nennen wir eine Wirkung bloß, weil ſie eine größre Menge von Wirkungen nach ſich ziehet. Der Menſch hat keinen andern Werth als ſeine Wirkungen.

Derjenige Menſch alſo, in welchem der Grund mehrerer Wirkungen enthalten iſt, wäre der vor¬ trefflichere Menſch?

Unwiderſprechlich.

Wie? So iſt zwiſchen dem Guten und Schlim¬ men kein Unterſchied mehr! So iſt die moraliſche Schönheit verloren!

Das140

Das fürcht 'ich nicht. Wäre das, ſo wollte ich ſogleich gegen Sie verloren haben. Das Gefühl des moraliſchen Unterſchiedes iſt mir eine weit wich tigere Inſtanz als meine Vernunft und nur alsdann fing ich an die leztere zu glauben, da ich ſie mit jedem unvertilgbaren Gefühle übereinſtimmend fand. Ihre Moralität bedarf einer Stütze, die meinige ruht auf ihrer eigenen Achſe.

Lehrt uns nicht die Erfahrung, daß oft die wich¬ tigſten Rollen durch die mittelmäßigſten Spieler ge¬ ſpielt werden, daß die Natur die heilſamſten Re¬ volutionen durch die ſchädlichſten Subjekte voll¬ bringt? Ein Mahomed, ein Attila, ein Aurang¬ zeb ſind ſo wirkſame Diener des Univerſums, als Gewitter, Erdbeben, Vulkane koſtbare Werkzeuge der phyſiſchen Natur. Ein Deſpot auf dem Thron, der jede Stunde ſeiner Regierung mit Blut und Elend bezeichnet, wäre alſo ein weit würdigeres Glied ihrer Schöpfung, als der Feldbauer in ſei¬ nen Ländern, weil er ein wirkſameres iſt ja was das Traurigſte iſt, er wäre eben durch das vortrefflicher, was ihn zum Gegenſtande unſers Abſcheues macht, durch die größre Summe ſeiner Thaten, die alle fluchwürdig ſind er hätte in eben dem Grade einen größern Anſpruch auf den Namen eines vortrefflichen Menſche〈…〉〈…〉, als er unter die Menſchheit herabſinkt. Laſter und Tugend

Sehen Sie, rief der Prinz mit Verdruſſe, wie Sie ſich von der Oberfläche hintergehen laſſen, und wie leicht Sie mir gewonnen gehen! Wie kön¬nen141nen Sie behaupten, daß ein verwüſtendes Le¬ ben ein thätiges Leben ſey? Der Deſpot iſt das unnützlichſte Geſchöpf in ſeinen Staaten, weil er durch Furcht und Sorge die thätigſten Kräfte bin¬ det, und die ſchöpferiſche Freude erſtickt. Sein ganzes Daſeyn iſt eine fürchterliche Negative; und wenn er gar an das edelſte, heiligſte Leben greift, und die Freyheit des Denkens zerſtört hundert¬ tauſend thätige Menſchen erſetzen in einem Jahr¬ hunderte nicht, was ein Hildebrand, ein Phi¬ lipp von Spanien in wenig Jahren verwüſteten. Wie können Sie dieſe Geſchöpfe und Schöpfer der Verweſung durch Vergleichung mit jenen wohlthä¬ tigen Werkzeugen des Lebens und der Fruchtbarkeit ehren?

Ich geſtehe die Schwäche meines Einwurfs Aber ſetzen wir anſtatt eines Philipps einen Peter den Großen auf den Thron, ſo können Sie doch nicht läugnen, daß dieſer in ſeiner Monarchie wirk¬ ſamer ſey, als der Privatmann bey dem nehmlichen Maß von Kräften und aller Thätigkeit, deren er fähig iſt. Das Glück iſt es alſo doch, was nach Ihrem Syſteme die Grade der Vortrefflichkeit be¬ ſtimmt, weil es die Gelegenheiten zum Wirken vertheilet!

Der Thron wäre alſo nach Ihrer Meynung vorzugsweiſe eine ſolche Gelegenheit? Sagen Sie mir doch wenn der König regieret, was thut der Philoſoph in ſeinen Reichen?

Er denkt.

Und142

Und was thut der König, wenn er regieret?

Er denkt.

Und wenn der wachſame Philoſoph ſchläft, was thut der wachſame König?

Er ſchläft.

Nehmen Sie zwey brennende Kerzen, eine davon ſteht in einer Bauerſtube, die andere ſoll in einem prächtigen Saale einer fröhlichen Geſellſchaft leuch¬ ten. Was werden ſie beyde?

Sie werden leuchten. Aber eben das ſpricht für mich. Beyde Kerzen, nehmen wir an, brennen gleich lang und gleich helle, und verwech¬ ſelte man ihre Beſtimmung, ſo würde niemand ei¬ nen Unterſchied merken. Warum ſoll die eine dar¬ um vortrefflicher ſeyn, weil der Zufall ſie begün¬ ſtigte, in einem glänzenden Saale Pracht und Schönheit zu zeigen, warum ſoll die andre ſchlech¬ ter ſeyn, weil der Zufall ſie dazu verdammte, in einer Bauernhütte Armuth und Kummer ſichtbar zu ma¬ chen? Und doch folgte dieß nothwendig aus Ihrer Behauptung.

Beyde ſind gleich vortrefflich, aber beyde haben auch gleich viel geleiſtet.

Wie iſt das möglich? Da die in dem weiten Saale ſo viel mehr Licht ausgegoſſen hat, als die andre? Da ſie ſo viel mehr Vergnügen verbreitet hat, als die andre?

Erwägen Sie nur, daß hier nur von der er¬ ſten Wirkung die Rede iſt, nicht von der ganzen Kette. Nur die nächſtfolgende Wirkung gehört der nächſtvorhergegangenen Urſache; nur ſo vieleTheile143Theile der Lichtmaterie, als ſie unmittelbar berühr¬ te, ſezte die brennende Kerze in Schwung. Und was ſollte nun die eine vor der andern voraus ha¬ ben? Können ſie aus einem jeden Centralpunkt nicht gleich viel Strahlen ziehen? Eben ſo viel aus Ih¬ rem Augenſterne, als aus dem Mittelpunkte der Er¬ de? Entwöhnen Sie ſich doch, die großen Maſſen, die der Verſtand nur als ſolche Ganze zuſammen¬ faßt, in der wirklichen Welt auch als ſolche exiſti¬ rende Ganze vorauszuſetzen. Der Feuerfunke, der in ein Pulvermagazin fällt, einen Thurm in die Luft ſprengt und hundert Häuſer verſchüttet, hat darum doch nur ein einziges Körnchen gezündet.

Sehr gut, aber

Wenden wir dieſes auf moraliſche Handlun¬ gen an. Wir gehen ſpazieren, und zwey Bettler ſollen uns begegnen. Ich gebe dem einen ein Stück Geld, Sie dem andern ein gleiches; der meinige betrinkt ſich von dem Gelde, und begeht in dieſem Zuſtande eine Mordthat, der Ihrige kauft einem ſterbenden Vater eine Stärkung, und friſtet ihm damit das Leben. Ich hätte alſo durch eben die Handlung, wodurch Sie Leben gaben, Leben ge¬ raubet? Nichts weniger. Die Wirkung mei¬ ner That hörte mit ihrer Unmittelbarkeit, ſo wie die Ihrige, auf, meine Wirkung zu ſeyn.

Wenn aber mein Verſtand dieſe Folgenreihe überſiehet, und nur dieſe Ueberſicht mich zu der That beſtimmt wenn ich dem Bettler dieſes Geld gab, um einem ſterbenden Vater das Leben damit zu friſten, ſo ſind doch alle dieſe Folgenmein144mein, wenn ſie ſo eintreffen, wie ich ſie mir dachte.

Nichts weniger. Vergeſſen Sie nur nie, daß Eine Urſache nur Eine Wirkung haben kann. Die ganze Wirkung, die Sie hervorbrachten, war, das Geldſtück aus Ihrer Hand in die Hand des Bettlers zu bringen. Dieß iſt von dieſer ganzen langen Kette von Wirkungen die einzige, die auf Ihre Rechnung kommt. Die Arzney wirkte als Arzney u. ſ. f. Sie ſcheinen verwundert. Sie glauben, daß ich Paradoxe behaupte, ein einziges Wort könnte uns vielleicht mit einander verſtändi¬ gen, aber wir wollen es lieber durch unſre Schlüſ¬ ſe finden.

Aus dem bisherigen, ſehe ich wohl, folgt, daß eine gute That an ihrer ſchlimmen Wirkung nicht Schuld iſt, und eine ſchlimme That nicht an ihrer vortrefflichen. Aber zugleich folgt auch daraus, daß weder die gute an ihrer guten Wirkung, noch die ſchlimme an ihrer ſchlimmen Schuld iſt, und daß alſo beyde in ihren Wirkungen ganz gleich ſind. Sie müßten denn die ſeltenen Fälle ausnehmen wol¬ len, wo die unmittelbare Wirkung auch zugleich die abgezweckte iſt.

Eine ſolche unmittelbare giebt es gar nicht, denn zwiſchen jede Wirkung, die der Menſch außer ſich hervorbringt, und deren innere Urſache, oder den Willen, wird ſich eine Reihe gleichgültiger ein¬ ſchieben, wenn es auch nichts als Muſkularbewe¬ gung wäre. Sagen Sie alſo dreiſt, daß beyde an ihren Wirkungen durchaus moraliſch einerley, d. i. gleich¬145gleichgültig ſind. Und wer wird dieſes leug¬ nen wollen? Der Dolchſtich, der das Leben eines Heinrichs IV. und eines Domitians endigt, ſind beyde ganz die nehmliche Handlung.

Recht, aber die Motive

Die Motive alſo beſtimmen die moraliſche Handlung. Und woraus beſtehen die Motive?

Aus Vorſtellungen.

Und was nennen Sie Vorſtellungen?

Innre Handlungen oder Thätigkeiten des den¬ kenden Weſens, die äußern Thätigkeiten corre¬ ſpondiren.

Eine moraliſche Handlung iſt alſo eine Folge innrer Thätigkeiten, welche äußern Veränderun¬ gen correſpondiren?

Ganz richtig.

Wenn ich alſo ſage, die Begebenheit ABC iſt eine moraliſche Handlung, ſo heißt dieß ſo viel, als der Reihe äußrer Veränderungen, welche dieſe Begebenheit ABC ausmachen, iſt eine Reihe inn¬ rer Veränderungen abc vorhergegangen?

So iſt es.

Die Handlungen abc waren alſo bereits be¬ ſchloſſen, als die Handlungen ABC anfingen.

Nothwendig.

Wenn alſo ABC auch nicht angefangen hätte, ſo wäre abc darum nicht weniger geweſen. War nun die Moralität in abc enthalten, ſo blieb ſie auch, wenn wir ABC ganz vertilgen.

Ich verſtehe Sie, gnädigſter Herr und ſo wäre dasjenige, was ich für das erſte Gliedd. Geiſterſeher. Kin146in der Kette gehalten, das lezte darin geweſen. Als ich dem Bettler das Geld gab, war meine mo¬ raliſche Handlung ſchon ganz vorbey, ſchon ihr ganzer Werth oder Unwerth entſchieden.

So meyn ich's. Trafen die Folgen ein, wie Sie ſie dachten, d. i. folgte ABC abc, auf ſo war es nichts weiter als eine gelungene gute Handlung. In dieſem äußern Strom hat der Menſch nichts mehr zu ſagen, ihm gehört nichts als ſeine eigene Seele. Sie ſehen daraus auf's neue, daß der Monarch nichts vor dem Privatmanne voraus hat, denn auch er iſt ſo wenig Herr jenes Stromes als dieſer; auch bey ihm iſt das ganze Gebieth ſeiner Wirkſamkeit bloß innerhalb ſeiner eigenen Seele.

Aber dadurch wird nichts verändert, gnädig¬ ſter Herr; denn auch die böſe Handlung hat ihre Motive wie die gute, d. i. ihre innern Thätigkei¬ ten, und nur um dieſer Motive willen nennen wir ſie ja böſe. Setzen Sie alſo den Zweck und den Werth des Menſchen in die Summe ſeiner Thätig¬ keiten, ſo ſehe ich immer noch nicht, wie Sie die Moralität aus ſeinem Zwecke heraus bringen, und meine vorigen Einwürfe kehren zurück.

Laſſen Sie uns hören. Schlimm oder Gut, ſind wir übereingekommen, ſeyen Prädi¬ kate, die eine Handlung erſt in der Seele erlange.

Das iſt erwieſen.

Laſſen wir alſo zwiſchen die äußre Welt und das denkende Weſen eine Scheidewand fallen, ſo erſcheint uns die nehmliche Handlung außerhalbder¬147derſelben gleichgültig, innerhalb derſelben nennen wir ſie ſchlimm oder gut.

Richtig.

Moralität iſt alſo eine Beziehung, die nur innerhalb der Seele, außer ihr nie gedacht werden kann, ſo wie z. B. die Ehre eine Beziehung iſt, die dem Menſchen nur innerhalb der bürgerlichen Geſellſchaft zukommen kann.

Ganz recht.

Sobald wir uns eine Handlung als in der Seele vorhanden denken, ſo erſcheint ſie uns als die Bürgerinn einer ganz andern Welt, und nach ganz andern Geſetzen müſſen wir ſie richten. Sie gehört einem eigenen Ganzen zu, das ſeinen Mit¬ telpunkt in ſich ſelbſt hat, aus welchem alles fließt, was es giebt, gegen welchen alles ſtrömt, was es empfänget. Dieſer Mittelpunkt oder dieſes Prin¬ cipium iſt, wie wir vorhin übereingekommen ſind, nichts anders als der inwohnende Trieb alle ſeine Kräfte zum Wirken zu bringen, oder, was eben ſo viel ſagt, zur höchſten Kundmachung ſeiner Exi¬ ſtenz zu gelangen. In dieſen Zuſtand ſetzen wir die Vollkommenheit des moraliſchen Weſens, ſo wie wir eine Uhr vollkommen nennen, wenn alle Theile, woraus der Künſtler ſie zuſammenſezte, der Wirkung entſprechen, um derentwillen er ſie zu¬ ſammenſezte, wie wir ein muſikaliſches Inſtrument vollkommen nennen, wenn alle Theile deſſelben an ſeiner höchſten Wirkung den höchſten Antheil neh¬ men, deſſen ſie fähig, und um deſſentwillen ſie ver¬ einigt ſind. Das Verhältniß nun, in welchem dieK 2Thätig¬148Thätigkeiten des moraliſchen Weſens zu dieſem Principium ſtehen, bezeichnen wir mit dem Namen der Moralität; und eine Handlung iſt mora¬ liſch gut, oder moraliſch-böſe, je nachdem ſie ſich jenem nähert oder von ihm entfernet, es be¬ fördert oder hindert. Sind wir darüber einig?

Vollkommen.

Da nun jenes Principium kein andres iſt, als die vollſtändigſte Thätigkeit aller Kräfte im Men¬ ſchen, ſo iſt eine gute Handlung, wobey mehr Kräfte thätig waren, eine ſchlimme, wobey weni¬ ger thätig waren?

Hier, gnädigſter Herr, laſſen Sie uns inne halten. Dieſem nach käme eine kleine Wohlthat, die ich reiche, in der moraliſchen Rangordnung ſehr tief unter das jahrlange Komplott der Bartho¬ lomäusnacht zu ſtehen, oder die Verſchwörung des Cueva gegen Venedig.

Der Prinz verlohr hier die Geduld. ’Wann werd 'ich Ihnen doch begreiflich machen können, fing er an, daß die Natur kein Ganzes kenne? Stellen Sie zuſammen, was zuſammen gehört. War jenes Komplott eine Handlung, oder nicht vielmehr eine Kette von hunderttauſenden? und von hunderttauſend mangelhaften, gegen welche Ihre kleine Wohlthat noch immer im Vor¬ theile ſtehet. Der Trieb der Menſchenliebe ſchlief bey allen, der bey der Ihrigen thätig war. Aber wir kommen ab. Wo blieb ich?

Eine gute Handlung ſey, wobey mehr Kräfte thätig waren, und umgekehrt.

Und149

Und dadurch alſo, daß weniger Kräfte bey ihr thätig waren, wird eine ſchlimme Handlung ſchlimm, und ſo umgekehrt?

Ganz begreiflich.

Bey einer ſchlimmen Handlung wird alſo nur verneinet, was bey einer guten bejahet wird?

So iſt's.

Ich kann alſo nicht ſagen, es gehörte ein bö¬ ſes Herz dazu, dieſe That zu begehen, ſo wenig als ich ſagen kann, es gehörte ein Kind und nicht ein Mann dazu, dieſen Stein aufzuheben?

Sehr wahr. Ich ſollte vielmehr ſagen, es mußte ſo viel gutes Herz fehlen, um dieſe That zu begehen.

Laſter iſt alſo nur die Abweſenheit von Tu¬ gend; Thorheit die Abweſenheit von Verſtand, ein Begriff ungefähr, wie Schatten oder Stille?

Ganz richtig.

So wenig alſo, als man logiſch-richtig ſagen kann, es iſt Leere, Stille, Finſterniß vorhanden, ſo wenig giebt es ein Laſter im Menſchen, und über¬ haupt alſo in der ganzen moraliſchen Welt?

Das iſt einleuchtend.

Wenn es alſo kein Laſter im Menſchen giebt, ſo iſt alles, was in ihm thätig iſt, Tugend, d. i. es iſt gut, eben ſo wie alles tönt, was nicht ſtill iſt, alles Licht hat, was nicht im Schatten ſteht?

Das folgt.

Jede Handlung alſo, die der Menſch begeht, iſt alſo dadurch, daß es eine Handlung iſt, etwas Gutes?

K 3Nach150

Nach allem Vorhergegangenen.

Und wenn wir eine ſchlimme Handlung von einem Menſchen ſehen, ſo iſt dieſe Handlung gerade das einzige Gute, was wir in dieſem Augenblick an ihm bemerken.

Das klingt ſonderbar.

Laſſen Sie uns ein Gleichniß zu Hülfe neh¬ men. Warum nennen wir einen trüben, neblich¬ ten Wintertag einen traurigen Anblick? Iſt es darum, weil wir eine Schneelandſchaft an ſich ſelbſt widrig finden? Nichts weniger; könnte man ſie in den Sommer verpflanzen, ſie würde ſeine Schön¬ heit erheben. Wir nennen ihn traurig, weil dieſer Schnee und dieſer Nebelduft nicht da ſeyn könnten, wenn eine Sonne geſchienen hätte, ſie zu zerthei¬ len, weil ſie mit den ungleich größern Reizen des Sommers unvereinbar ſind. Der Winter iſt uns alſo ein Uebel, nicht weil ihm alle Genüſſe man¬ geln, ſondern weil er größere ausſchließt.

Vollkommen anſchaulich.

Eben ſo mit moraliſchen Weſen. Wir ver¬ achten einen Menſchen, der aus dem Treffen flie¬ het, und dem Tode dadurch entgeht, nicht weil uns der wirkſame Trieb der Selbſterhaltung mi߬ fiele, ſondern weil er dieſem Triebe weniger würde nachgegeben haben, wenn er die herrliche Eigen¬ ſchaft des Muthes beſeſſen hätte. Ich kann die Herzhaftigkeit, die Liſt des Räubers bewundern, der mich beſtiehlt, aber ihn ſelbſt nenne ich laſterhaft, weil ihm die ungleich ſchönere Eigenſchaft der Ge¬ rechtigkeit mangelt. So kann mich eine Un¬ternehmung151ternehmung in Erſtaunen ſetzen, die der Ausbruch einer jahrelang verhaltenen thätigen Rachſucht iſt, aber ich nenne ſie verabſcheuungswürdig, weil ſie mir einen Menſchen zeigt, der ganze Jahre leben konnte, ohne ſeinen Mitmenſchen zu lieben. Ich ſchreite mit Unwillen über ein Schlachtfeld hinweg, nicht weil ſo viele Leben hier verweſen Peſt und Erdbeben hätten noch mehr thun können, ohne mich gegen ſich aufzubringen auch nicht weil ich die Kraft, die Kunſt, den Heldenmuth nicht vortrefflich fände, die dieſe Krieger zu Boden ſtreck¬ ten ſondern weil mir dieſer Anblick ſo viele tau¬ ſend Menſchen ins Gedächtniß bringt, denen die Menſchlichkeit fehlte.

Vortreflich.

Daſſelbe gilt von den Graden der Morali¬ tät. Eine ſehr künſtliche, ſehr fein erſonnene, mit Beharrlichkeit erfolgte, mit Muth ausgeführte Bosheit hat etwas Glänzendes an ſich, das ſchwa¬ che Seelen oft zur Nachahmung reizt, weil man ſo viele große und ſchöne Kräfte in ihrer ganzen Fülle dabey wirkſam findet. Und doch nennen wir dieſe Handlung ſchlimmer, als eine ähnliche bey einem geringern Maß von Geiſt, und ſtrafen ſie ſtrenger, weil ſie uns jenen Mangel der Gerech¬ tigkeit in ihrer größern Motivenreihe häufiger er¬ kennen läßt. Wird ſie vollends noch an einem Wohlthäter verübet, ſo empört ſie darum unſer ganzes Gefühl, weil die Gelegenheiten, den Trieb der, Liebe in Bewegung zu ſetzen, in dieſem FalleK 4häu¬152häufiger waren, und wir alſo die Entdeckung, daß dieſer Trieb unwirkſam geblieben, häufiger dabey wiederholen.

Klar und einleuchtend.

Auf unſre Frage zurück zu kommen. Sie geben mir alſo zu, daß es nicht die Thätigkeiten der Kräfte ſind, die das Laſter zum Laſter machen, ſondern ihre Unthätigkeit.

Vollkommen.

Die Motive ſind aber ſolche Thätigkeiten: es iſt alſo unrichtig geredet, eine Handlung ihrer Motive wegen laſterhaft zu nennen. Nichts weni¬ ger! Ihre Motive ſind das einzige Gute das ſie hat, ſie iſt nur böſe um derjenigen willen, die ihr mangeln.

Unwiderſprechlich.

Aber wir hätten dieſen Beweis noch kürzer führen können. Würde der Laſterhafte aus die¬ ſen Motiven handeln, wenn ſie ihm nicht einen Genuß gewährten? Genuß allein iſt es, was mo¬ raliſche Weſen in Bewegung ſezt; und nur das Gute, wiſſen wir ja, kann Genuß gewähren.

Ich bin befriedigt. Aus dem bisherigen folgt unwiderſprechlich, daß z. B. ein Menſch von hel¬ lem Geiſt und wohlwollendem Herzen nur darum ein beſſerer Menſch iſt, als ein andrer von eben ſo viel Geiſt und einem minder wohlthätigen Herzen, weil er ſich dem Maximum innrer Thätigkeit mehr nähert. Aber eine andre Bedenklichkeit ſteigt in mir auf. Geben Sie einem Menſchen die Eigen¬ ſchaften des Verſtandes, des Muths, der Tapfer¬keit153keit u. ſ. f. in einem vorzüglich hohen Grade, und laſſen Sie ihm nur die einzige Eigenſchaft, die wir gutes Herz nennen, mangeln werden Sie ihn einem andern vorziehen, der jene Eigenſchaften in einem niedrigern Grade, dieß leztere aber in ſeinem größten Umfang beſitzet? Unſtreitig iſt jener ein weit thätigerer Menſch als dieſer, und da nach Ihnen die Thätigkeit der Kräfte den moraliſchen Preis beſtimmt, ſo würde alſo Ihr Urtheil für ihn ausfallen, und mit dem gewöhnlichen Urtheil der Menſchen in einem Widerſpruche ſich befinden.

Es würde unfehlbar ſehr übereinſtimmend damit ſeyn. Ein Menſch, deſſen Verſtandeskräfte in einem hohen Grade thätig ſind, wird eben ſo gewiß auch ein vortreffliches Herz beſitzen, als er das, was er an ſich ſelbſt liebet, an einem andern nicht haſſen kann. Wenn die Erfahrung dagegen zu ſtreiten ſcheint, ſo hat man entweder zu freyge¬ big von ſeinem Verſtande, oder von moraliſcher Güte zu eingeſchränkt geurtheilt. Ein großer Geiſt mit einem empfindenden Herzen ſteht in der Ordnung der Weſen eben ſo hoch über dem geiſt¬ reichen Böſewicht, als der Dummkopf mit einem weichen, man ſagt beſſer weichlichen, Herzen unter dieſem ſtehet.

Aber ein Schwärmer, und einer von der hef¬ tigen Art, iſt doch offenbar ein thätigeres Weſen, als ein Alltagsmenſch mit phlegmatiſchem Blut und beſchränkten Sinnen?

K 5 Bey154

Bey einem noch ſo phlegmatiſchen beſchränk¬ ten Alltagsmenſchen kommt doch jede Kraft zum Wirken, weil keine von der andern verdrängt wird. Er iſt ein Menſch in geſundem Schlafe; der Schwär¬ mer iſt einem Phrenetiſchraſenden gleich, der ſich in wüthenden Konvulſionen wirft, wen die Lebens¬ kraft bereits in den äußerſten Arterien aufhört. Haben Sie noch eine Einwendung?

Ich bin mit Ihnen überzeugt, daß die Mo¬ ralität des Menſchen in dem Mehr oder Weniger ſeiner innern Thätigkeit enthalten iſt.

Erinnern Sie ſich nun, fuhr der Prinz fort, daß wir dieſe ganze Unterſuchung im ge¬ ſchloſſenen Bezirk der menſchlichen Seele angeſtellt haben, daß wir ſie von der äußern Reihe der Dinge durch eine Scheidewand getrennt, und innerhalb dieſes nie überſchrittenen Kreiſes den ganzen Bau der Moralität aufgeführt haben. Wir haben zu¬ gleich gefunden, daß ſeine Glückſeligkeit vollkom¬ men mit ſeiner moraliſchen Vortrefflichkeit aufgehe, daß ihm alſo für die leztere eben ſo wenig etwas zu fordern bleibe, daß ihm auf eine erſt zu errei¬ chende Vollkommenheit eben ſo wenig ein Genuß voraus zugetheilt werden könne, als daß eine Roſe, die heute blühet, erſt im folgenden Jahre dadurch ſchön ſey, als daß ein Mißgriff auf dem Klavier erſt in das nächſtkommende Spiel ſeinen Mißlaut einmiſchen kann. Es wäre eben ſo denkbar, daß der Glanz der Sonne in den hentigen Mittag und ihre Wärme, in den folgenden fiele, als daß dieVor¬155Vortreflichkeit des Menſchen in dieſe Welt und ſeine Glückſeligkeit in die andre fallen könnte Iſt Ihnen dieſes erwieſen?

Ich weiß, nichts dagegen zu antworten.

Das moraliſche Weſen iſt alſo in ſich ſelbſt vollendet und beſchloſſen, wie das, welches wir zum Unterſchied davon das organiſche nennen, be¬ ſchloſſen durch ſeine Moralität, wie dieſes durch ſeinen Bau, und dieſe Moralität iſt eine Beziehung, die von dem, was außer ihm vorgeht, durchaus unabhängig iſt.

Dieß iſt erwieſen.

Es umgebe mich alſo was da wolle, der mo¬ raliſche Unterſchied bleibt.

Ich ahnde, wo Sie hinaus wollen, aber

Es ſey alſo ein vernünftig geordnetes Ganze, eine unendliche Gerechtigkeit und Güte, eine Fort¬ dauer der Perſönlichkeit, ein ewiger Fortſchritt aus der moraliſchen Welt läßt ſich dieſes wenigſtens nicht mit größerer Bündigkeit erweiſen, als aus der phyſiſchen. Um vollkommen zu ſeyn, um glücklich zu ſeyn, bedarf das moraliſche Weſen keiner neuen Inſtanz mehr und wenn es eine erwartet, ſo kann ſich dieſe Erwartung wenigſtens nicht mehr auf eine Forderung gründen. Was mit ihm werde, muß ihm für ſeine Vollkommenheit gleich viel ſeyn, ſo wie es der Roſe um ſchön zu ſeyn gleich viel ſeyn muß, ob ſie in einer Wüſte oder in fürſtli¬ chen Gärten, ob ſie dem Buſen eines lieblichen Mädchens oder dem verzehrenden Wurm entgegen blühet.

Paßt156

Paßt dieſe Vergleichung?

Vollkommen; denn ich ſage hier ausdrück¬ lich um ſchön zu ſeyn, dort um glücklich zu ſeyn nicht um vorhanden zu ſeyn! Dieß lezte gehört für eine neue Unterſuchung, und ich will das Geſpräch nicht verlängern.

Ich kann Sie doch noch nicht ganz los geben, gnädigſter Prinz. Sie haben und mir deucht unumſtößlich bewieſen, daß der Menſch nur moraliſch ſey, in ſo fern er in ſich ſelbſt thätig ſey aber Sie behaupteten vorhin, daß er nur Morali¬ tät habe um außer ſich zu wirken.

Sagen Sie, nur auſſer ſich wirkſam ſey, weil er Moralität hat. Ihre Damit verwirren uns. Ich kann Ihre Zwecke nicht leiden.

Hier kommt es auf eins. Es hieße alſo, daß er nur in ſo fern den Grund der meiſten Wirkun¬ gen außer ſich enthalte, in ſo fern er den höchſten Grad ſeiner Moralität erreiche. Und dieſen Be¬ weis ſind Sie mir noch ſchuldig.

Können Sie ihn aus dem Bisherigen nicht ſelbſt führen? Der Zuſtand der höchſten innern Wirkſamkeit ſeiner Kräfte, iſt es nicht derſelbe, in welchem er auch die Urſache der meiſten Wirkungen außer ſich ſeyn kann?

Seyn kann, aber nicht ſeyn muß denn ha¬ ben Sie nicht ſelbſt zugeſtanden, daß eine unwirk¬ ſam gebliebene gute That ihrem moraliſchen Werth nichts benehme?

Nicht bloß zugeſtanden, ſondern als höchſt nothwendig feſt geſezt: Wie ſchwer ſind Siedoch157doch von einer irrigen Vorſtellung zurück zu brin¬ gen, die ſich einmal Ihrer bemächtigt hat. Die¬ ſer anſcheinende Widerſpruch, daß die äußern Fol¬ gen einer moraliſchen That für ihren Werth höchſt gleichgültig ſeyn, und daß der ganze Zweck ſeines Daſeyns dennoch nur in ſeinen Folgen nach außen liege, verwirrt Sie immer. Nehmen Sie an, ein großer Virtuoſe ſpiele vor einer zahlreichen aber rohen Geſellſchaft, ein Stümper komme dazwiſchen und entführe ihm ſeinen ganzen Hörſaal Wel¬ chen werden Sie für den Nützlicheren er¬ klären?

Den Virtuoſen, verſteht ſich; denn derſelbe Künſtler wird ein andermal feinere Ohren ergötzen.

Und würde er dieſes wohl, wenn er die Kunſt nicht beſäße, die damals verloren ging, und die er damals übte?

Schwerlich.

Und wird ſein Nebenbuhler jemals diejenige Wirkung hervorbringen, die er hervorbrachte?

Diejenige nicht, aber

Aber vielleicht eine größre bey ſeinem größern Haufen, wollen Sie ſagen. Können Sie im Ernſte zweifelhaft ſeyn, ob ein Künſtler, der einen Kreis fühlender Menſchen und geiſtreicher Kenner zu be¬ zaubern gewußt hat, mehr gethan habe, als jener Stümper in ſeinem ganzen Leben? Daß eine Em¬ pfindung vielleicht, die er erweckte, in einer fei¬nen158nen Seele ſich zu Thaten erhöhte, die nachher für eine Million nützlich wurden? Daß ſie ſich vielleicht als das einzige noch fehlende Glied an eine wichtige Kette anſchloß, und einem herrlichen Vorhaben die Krone aufſezte? Auch jener Stümper, das räume ich ein, kann fröhliche Menſchen auch der Menſch, der ſeine moraliſche Krone verlor, wird noch wirken, eben ſo wie eine Frucht, an welcher die Fäulniß nagt, noch ein Mahl für Vö¬ gel und Würmer ſeyn kann, aber ſie wird nie mehr gewürdigt, einen reizenden Mund zu be¬ rühren.

Laſſen Sie aber jenen Künſtler in einer Wüſte ſpielen, dort leben und ſterben. Ich darf ſagen, ſeine Kunſt belohnt ihn; auch wo kein Ohr ſeine Töne auffängt, iſt er ſein eigner Hörer, und genießt in den Harmonien, die er hervorbringt, die noch herrlichere Harmonie ſeines Weſens. Dieß dürfen Sie aber nicht ſagen. Ihr Künſtler muß Hörer haben, oder er iſt umſonſt da geweſen.

Ich verſtehe Sie aber Ihr gegebener Fall kann nie Statt finden. Kein moraliſches Weſen iſt in einer Wüſte; wo es lebet und webet, berührt es ein umgränzendes All. Die Wirkung, die es leiſtet, wär 'es auch nur dieſe einzige, wiſſen wir, konnte nur dieſes Weſen und kein andres leiſten, und es konnte dieſe Wirkung nur vermöge ſeiner ganzen Beſchaffenheit leiſten. Wenn unſer Vir¬ tuoſe auch nur einmal zum Spielen gelangte, ſo geſtehen Sie mir doch ein, daß er gerade dieſerKünſt¬159Künſtler ſeyn mußte, der er war, daß er, um dieſes zu ſeyn, gerade durch ſo viele Grade der Uebung und Kunſtfertigkeit gegangen ſeyn mußte, als er wirklich durchwandert hatte, und daß alſo ſein ganzes vorher gegangenes Künſtlerleben an dieſem Augenblick des Triumphes Theil nimmt. War jener erſte Brutus zwanzig Jahre unnützlich, weil er zwanzig Jahre den Blödſinnigen ſpielte? Seine erſte That war die Gründung einer Repub¬ lick, die noch jezt als die größte Erſcheinung in der Weltgeſchichte da ſteht. Und ſo wäre es denk¬ bar, daß meine Nothwendigkeit oder Ihre Vorſehung einen Menſchen ein ganzes Menſchenal¬ ter lang ſchweigend einer That zubereitet hätte, die ſie ihm erſt in ſeiner lezten Stunde abfordert.

So ſcheinbar dieſes klingt mein Herz kann ſich nicht an die Idee gewöhnen, daß alle Kräfte, alle Beſtrebungen des Menſchen nur für ſeinen Einfluß in dieſer Zeitlichkeit arbeiten ſollen. Der große, patriotiſche, erfahrene Staatsmann, der heute vom Ruder geſtürzt wird, trägt alle ſeine erworbenen Kenntniſſe, ſeine geübten Kräfte, ſeine zeitigenden Plane in ſein vergeßnes Privatleben hinein, worin er ſtirbt. Vielleicht hatte er nur noch den lezten Stein an die Pyramide zu ſetzen, die hinter ihm zuſammen ſtürzt, die ſeine Nachfol¬ ger ganz von dem unterſten Steine wieder anfan¬ gen müſſen. Mußte er in funfzig Lebens jahren, mußte er während ſeiner anſtrengenden Reichsver¬ waltung nur für die unthätige Stille ſeines Pri¬ vatlebens ſammeln? Daß er durch dieſe Verwal¬tung160tung ſeine Wirkung erfüllt habe, dürfen Sie mir nicht antworten. Wenn der Einfluß in dieſe Welt die ganze Beſtimmung des Menſchen erſchöpft, ſo muß ſein Daſeyn zugleich mit ſeiner Wirkung auf¬ hören.

Ich verweiſe Sie an das ſprechende Beiſpiel der phyſiſchen Natur, von der Sie mir doch ein¬ räumen müſſen, daß ſie nur für die Zeitlichkeit arbeite. Wie viele Keime und Embryonen, die ſie mit ſo viel Kunſt und Sorgfalt zum künftigen Leben zuſammenſezte, werden wieder in das Ele¬ mentenreich aufgelöſ't, ohne je zur Entwicklung zu gedeihen. Warum ſezte ſie ſie zuſammen? In jedem Menſchenpaare ſchläft, wie in dem erſten, ein ganzes Menſchengeſchlecht, warum ließ ſie aus ſo viel Millionen nur ein einziges werden? So ge¬ wiß ſie auch dieſe verderbenden Keime verarbeitet, ſo gewiß werden auch moraliſche Weſen, bei de¬ nen ſie einen höhern Zweck zu verlaſſen ſchien, frü¬ her oder ſpäter in denſelbigen eintreten. Ergrün¬ den zu wollen, wie ſie eine einzelne Wirkung durch die ganze Kette fortpflanzt, würde eine kindiſche Anmaßung verrathen. Oft, ſehen wir, läßt ſie den Faden einer That, einer Begebenheit plötzlich fallen, den ſie drei Jahrtauſende nachher eben ſo plötzlich wieder aufnimmt, verſenkt in Kalabrien die Künſte und Sitten des achtzehnten Jahr¬ hunderts, um ſie vielleicht im dreiſſigſten dem verwandelten Europa wieder zu zeigen, ernährt viele Menſchenalter lang geſund Nomadenhorden auf den tarlariſchen Steppen, um ſie einſt demermat¬161ermattenden Süden als friſches Blut zuzuſenden, wie ſie auf ihrem phyſiſchen Gange das Meer über Hollands und Seelands Küſten wirft, um vielleicht eine Inſel im fernen Amerika zu entblößen! Aber auch im Einzelnen und im Kleinen fehlt es an ſol¬ chen Winken nicht ganz. Wie oft thut die Mäßig¬ keit eines Vaters, der längſt nicht mehr iſt, an einem genievollen Sohne Wunder, wie oft ward ein ganzes Leben vielleicht nur gelebt um eine Grabſchrift zu verdienen, die in die Seele eines ſpäten Nachkömmlings einen Feuerſtral werfen ſoll! Weil vor Jahrhunderten ein verſcheuchter Vogel auf ſeinem Fluge einige Saamenkörner da niederfallen ließ, blüht für ein landendes Volk auf einem wüſten Eyland eine Aerndte und ein moraliſcher Keim ging in einem ſo fruchtbaren Erdreich verloren!

O beſter Prinz! Ihre Beredſamkeit begeiſtert mich zum Kampfe gegen Sie ſelber. So viel Vor¬ treflichkeit können Sie Ihrer fühlloſen Nothwendig¬ keit gönnen, und wollen nicht lieber einen Gott da¬ mit glücklich machen? Sehen Sie in der ganzen Schöpfung umher. Wo irgend nur ein Genuß bereitet liegt, finden Sie ein genießendes Weſen und dieſen unendlichen Genuß, dieſes Mahl von Vollkommenheit, ſollte durch die ganze Ewigkeit leer ſtehen?

Sonderbar! ſagte der Prinz nach einer tiefen Stille. Worauf Sie und Andere ihre Hoff¬ nungen gründen, eben das hat die meinigen umge¬d. Geiſterſeher. Lſtürzt162ſtürzt eben dieſe geahndete Vollkommenheit der Dinge. Wäre nicht alles ſo in ſich beſchloſſen, ſäh 'ich auch nur einen einzigen verunſtaltenden Split¬ ter aus dieſem ſchönen Kreiſe herausragen, ſo würde mir das die Unſterblichkeit beweiſen. Aber alles, alles was ich ſehe und bemerke, fällt zu die¬ ſem ſichtbaren Mittelpunkt zurück, und unſre edelſte Geiſtigkeit iſt eine ſo ganz unentbehrliche Maſchine, dieſes Rad der Vergänglichkeit zu treiben.

Ich begreife Sie nicht, gnädigſter Prinz. Ihre eigne Philoſophie ſpricht Ihnen das Urtheil: wahr¬ lich, Sie ſind dem reichen Manne gleich, der bey allen ſeinen Schätzen darbet. Sie geſtehen, daß der Menſch alles in ſich ſchließe, um glücklich zu ſeyn, daß er ſeine Glückſeligkeit nur allein durch das erhalten könne, was er beſitzet, und Sie ſelbſt wollen die Quelle ihres Unglücks außer Sich ſuchen. Sind Ihre Schlüſſe wahr, ſo iſt es ja nicht mög¬ lich, daß Sie auch nur mit einem Wunſche über dieſen Ring hinausſtreben, in welchem Sie den Menſchen gefangen halten.

Das eben iſt das Schlimme, daß wir nur moraliſch vollkommen, nur glückſelig ſind, um brauchbar zu ſeyn, daß wir unſern Fleiß, aber nicht unſre Werke genießen. Hunderttauſend arbeitſame Hände trugen die Steine zu den Pyra¬ miden zuſammen aber nicht die Pyramide war ihr Lohn. Die Pyramide ergötzte das Auge der Könige, und die fleißigen Sklaven fand man mitdem163dem Lebensunterhalt ab. Was iſt man dem Ar¬ beiter ſchuldig, wenn er nicht mehr arbeiten kann, oder nichts mehr für ihn zu arbeiten ſeyn wird? Was dem Menſchen, wenn er nicht mehr zu brau¬ chen iſt?

Man wird ihn immer brauchen.

Auch immer als ein denkendes Weſen?

Hier unterbrach uns ein Beſuch und ſpät genug, werden Sie denken. Verzeihung, liebſter 0***, für dieſen ewig langen Brief. Sie woll¬ ten alle Kleinigkeiten des Prinzen erfahren und darunter kann ich doch wohl auch ſeine Moralphi¬ loſophie rechnen. Ich weiß, der Zuſtand ſeines Geiſtes iſt Ihnen wichtig, und ſeine Handlungen, weiß ich, ſind Ihnen nur wegen jenes wichtig. Darum ſchrieb ich alles auch getreulich nieder, was mir aus dieſer Unterredung im Gedächtniß geblie¬ ben iſt. Künftig werde ich Sie von einer Neuig¬ keit unterhalten, die Sie wohl ſchwerlich auf ein Geſpräch, wie das heutige, erwarten dürften. Leben Sie wohl.

L 2Baron164

Baron von F*** an den Grafen von O***. Fünfter Brief.

1. Julius.

Da unſer Abſchied von Venedig nunmehr mit ſtar¬ ken Schritten herannahet, ſo ſollte dieſe Woche noch dazu angewandt werden, alles Sehenswürdige an Gemählden und Gebäuden noch nachzuholen, was man bey einem langen Aufenthalte immer ver¬ ſchiebt. Beſonders hatte man uns mit vieler Be¬ wunderung von der Hochzeit zu Cana des Paul Veroneſe geſprochen, die auf der Inſel S. Georg in einem dortigen Benediktinerkloſter zu ſehen iſt. Erwarten Sie von mir keine Beſchreibung dieſes außerordentlichen Kunſtwerks, das mir im Ganzen zwar einen ſehr überraſchenden, aber nicht ſehr ge¬ nußreichen Anblick gegeben hat. Wir hätten ſo viele Stunden als Minuten gebraucht, um eine Kompoſition von hundert und zwanzig Figuren zu umfaßen, die über dreyßig Fuß in der Breite hat. Welches menſchliche Auge kann ein ſo zuſammenge¬ ſetztes Ganze erreichen, und die ganze Schönheit, die der Künſtler darin verſchwendet hat, in Einem Eindruck genießen! Schade iſt es indeſſen, daß ein Werk von dieſem Gehalte, das an einem öffentli¬ chen Orte glänzen und von jedermann genoſſen wer¬ den ſollte, keine beſſere Beſtimmung hat, als eine Anzahl Mönche in ihrem Refektorium zu vergnü¬ gen. Auch die Kirche dieſes Kloſters verdient nichtweni¬165weniger geſehen zu werden. Sie iſt eine der ſchönſten in dieſer Stadt.

Gegen Abend ließen wir uns in die Giudecca überfahren, um dort in den reitzenden Gärten einen ſchönen Abend zu verleben. Die Geſellſchaft, die nicht ſehr groß war, zerſtreute ſich bald, und mich zog Civitella, der ſchon den ganzen Tag über Gelegenheit geſucht hatte, mich zu ſprechen, mit ſich in eine Boskage.

Sie ſind der Freund des Prinzen, fing er an, vor dem er keine Geheimniſſe zu haben pflegt, wie ich von ſehr guter Hand weiß. Als ich heute in ſein Hotel trat, kam ein Mann heraus, deſſen Ge¬ werbe mir bekannt iſt und auf des Prinzen Stirne ſtanden Wolken, als ich zu ihm herein trat Ich wollte ihn unterbrechen Sie können es nicht läugnen, fuhr er fort, ich kannte meinen Mann, ich hab 'ihn ſehr gut ins Auge ge¬ faßt und wär' es möglich? Der Prinz hätte Freunde in Venedig, Freunde, die ihm mit Blut und Leben verpflichtet ſind, und ſollte dahin ge¬ bracht ſeyn, in einem dringenden Falle ſich ſolcher Creaturen zu bedienen? Seyn Sie aufrichtig, Ba¬ ron! Iſt der Prinz in Verlegenheit? Sie bemühen Sich umſonſt, es zu verbergen. Was ich von Ihnen nicht erfahre, iſt mir bey meinem Manne gewiß, dem jedes Geheimniß feil iſt.

Herr Marcheſe

L 3 Ver¬166

Verzeihen Sie. Ich muß indiskret ſcheinen, um nicht ein Undankbarer zu werden. Dem Prin¬ zen dank 'ich Leben, und was mir weit über das Leben geht, einen vernünftigen Gebrauch des Le¬ bens. Ich ſollte den Prinzen Schritte thun ſehen, die ihm koſten, die unter ſeiner Würde ſind, es ſtünde in meiner Macht, ſie ihm zu erſparen, und ich ſollte mich leidend dabey verhalten?

Der Prinz iſt nicht in Verlegenheit, ſagte ich. Einige Wechſel, die wir über Trient erwarteten, ſind uns unvermuthet ausgeblieben. Zufällig ohne Zweifel oder weil man, in Ungewißheit we¬ gen ſeiner Abreiſe, noch eine nähere Weiſung von ihm erwartete. Dies iſt nun geſchehen, und bis dahin

Er ſchüttelte den Kopf. Verkennen Sie meine Abſicht nicht, ſagte er. Es kann hier nicht davon die Rede ſeyn meine Verbindlichkeit gegen den Prinzen dadurch zu vermindern würden alle Reichthümer meines Onkels dazu hinreichen? Die Rede iſt davon, ihm einen einzigen unangenehmen Augenblick zu erſparen. Mein Oheim beſitzt ein großes Vermögen, worüber ich ſo gut als über mein Eigenthum disponiren kann. Ein glücklicher Zufall führt mir den einzigen möglichen Fall entge¬ gen, daß dem Prinzen, von allem, was in meiner Gewalt ſtehet, etwas nützlich werden kann. Ich weiß, fuhr er fort, was die Delicateſſe dem Prin¬ zen auflegt aber ſie iſt auch gegenſeitig und es wäre großmüthig von dem Prinzen gehandelt,mir167mir dieſe kleine Genugthuung zu gönnen, geſchäh 'es auch nur zum Scheine um mir die Laſt von Verbindlichkeit, die mich niederdrückt, weniger fühlbar zu machen.

Er ließ nicht nach, bis ich ihm verſprochen hatte, mein möglichſtes dabey zu thun; ich kannte den Prinzen, und hoffte darum wenig. Alle Be¬ dingungen wollte er ſich von dem letztern gefallen laſſen, wiewohl er geſtand, daß es ihn empfind¬ lich kränken würde, wenn ihn der Prinz auf den Fuß eines Fremden behandelte.

Wir hatten uns in der Hitze des Geſprächs weit von der übrigen Geſellſchaft verloren, und waren eben auf dem Rückweg, als Z*** uns entgegen kam.

Ich ſuche den Prinzen bey Ihnen iſt er nicht hier?

Eben wollen wir zu ihm. Wir vermutheten ihn bey der übrigen Geſellſchaft zu finden

Die Geſellſchaft iſt beyſammen, aber er iſt nirgends anzutreffen. Ich weiß gar nicht, wie er uns aus den Augen gekommen iſt.

Hier erinnerte ſich Civitella, daß ihm vielleicht eingefallen ſeyn könnte, die anſtoßende Kirche zu beſuchen, auf die er ihn kurz vorher ſehr aufmerk¬ ſam gemacht hatte. Wir machten uns ſogleich auf den Weg, ihn dort aufzuſuchen. Schon von wei¬L 4tem168tem entdeckten wir Biondello, der am Eingang der Kirche wartete. Als wir näher kamen, trat der Prinz etwas haſtig aus einer Seitenthüre, ſein Ge¬ ſicht glühte, ſeine Augen ſuchten Biondello, den er herbey rief. Er ſchien ihm etwas ſehr angele¬ gentlich zu befehlen, wobey er immer die Augen auf die Thüre richtete, die offen geblieben war. Biondello eilte ſchnell von ihm in die Kirche der Prinz, ohne uns gewahr zu werden, drückte ſich an uns vorbey, durch die Menge, und eilte zur Geſellſchaft zurück, wo er noch vor uns anlangte.

Es wurde beſchloſſen, in einem offenen Pavillon dieſes Gartens das Souper einzunehmen, wozu der Marcheſe ohne unſer Wiſſen ein kleines Konzert veranſtaltet hatte, das ganz auserleſen war. Be¬ ſonders ließ ſich eine junge Sängerin dabey hören, die uns alle durch ihre liebliche Stimme wie durch ihre reitzende Figur, entzückte. Auf den Prinzen ſchien nichts Eindruck zu machen, er ſprach wenig, und antwortete zerſtreut, ſeine Augen waren un¬ ruhig nach der Gegend gekehrt, woher Biondello kommen mußte; eine große Bewegung ſchien in ſeinem Innern vorzugehen. Civitella fragte, wie ihm die Kirche gefallen hätte; er wußte nichts da¬ von zu ſagen. Man ſprach von einigen vorzügli¬ chen Gemählden, die ſie merkwürdig machten; er hatte kein Gemählde geſehen. Wir merkten, daß unſere Fragen ihn beläſtigten und ſchwiegen. Eine Stunde verging nach der andern, und Biondello kam noch immer nicht. Des Prinzen Ungeduldſtieg169ſtieg auf's höchſte; er hob die Tafel frühzeitig auf, und ging in einer abgelegenen Allee ganz allein mit ſtarken Schritten auf und nieder. Niemand be¬ griff, was ihm begegnet ſeyn mochte. Ich wagte es nicht, ihn um die Urſache einer ſo ſeltſamen Veränderung zu befragen; es iſt ſchon lange, daß ich mir die vorigen Vertraulichkeiten nicht mehr bey ihm heraus nehme. Mit deſto mehr Ungeduld erwartete ich Biondellos Zurückkunft, der mir dieſes Räthſel aufklären ſollte.

Es war nach zehn Uhr, als der wieder kam. Die Nachrichten, die er dem Prinzen mitbrachte, trugen nichts dazu bey, dieſen geſprächiger zu machen. Mißmuthig trat er zur Geſellſchaft, die Gondel wurde beſtellt, und bald darauf fuhren wir nach Hauſe.

Den ganzen Abend konnte ich keine Gelegen¬ heit finden, Biondello zu ſprechen, ich mußte mich alſo mit meiner unbefriedigten Neugierde ſchlafen legen. Der Prinz hatte uns frühzeitig entlaſſen, aber tauſend Gedanken, die mir durch den Kopf gingen, erhielten mich munter. Lange hört 'ich ihn über meinem Schlafzimmer auf und nieder gehen; endlich überwältigte mich der Schlaf. Spät nach Mitternacht erweckte mich eine Stimme eine Hand fuhr über mein Geſicht; wie ich aufſah, war es der Prinz, der, ein Licht in der Hand, vor meinem Bette ſtand Er könne nicht einſchlafen, ſagte er, und bath mich, ihm die Nacht verkürzen zu helfen. Ich wollte mich inL 5meine170meine Kleider werfen er befahl mir zu bleiben, und ſetzte ſich zu mir vor das Bette.

Es iſt mir heute etwas vorgekommen, fing er an, davon der Eindruck aus meinem Gemüthe nie mehr verlöſchen wird. Ich ging von Ihnen, wie Sie wiſſen, in die *** Kirche, worauf mich Civitella neugierig gemacht, und die ſchon von ferne meine Augen auf ſich gezogen hatte. Weil weder Sie noch Er mir gleich zur Hand waren, ſo machte ich die wenigen Schritte allein; Biondello ließ ich am Eingange auf mich warten. Die Kir¬ che war ganz leer eine ſchaurigkühle Dunkel¬ heit umfing mich, als ich aus dem ſchwülen, blendenden Tageslicht hinein trat. Ich ſah mich einſam in dem weiten Gewölbe, worin eine feier¬ liche Grabſtille herrſchte. Ich ſtellte mich in die Mitte des Doms, und überließ mich der ganzen Fülle dieſes Eindrucks; allmählich traten die großen Verhältniſſe dieſes majeſtätiſchen Baues meinen Au¬ gen bemerkbarer hervor, ich verlor mich in ernſter ergötzender Betrachtung. Die Abendglocke tönte über mir, ihr Ton verhallte ſanft in dieſem Ge¬ wölbe, wie in meiner Seele. Einige Altarſtücke hatten von weitem meine Aufmerkſamkeit erweckt; ich trat näher, ſie zu betrachten; unvermerkt hatte ich dieſe ganze Seite der Kirche bis zum ent¬ gegen ſtehenden Ende durchwandert. Hier lenkt man um einen Pfeiler einige Treppen hinauf in eine Nebenkapelle, worin mehrere kleinere Altäre und Statuen von Heiligen in Niſchen angebracht ſtehen. Wie171Wie ich in die Kapelle zur Rechten hinein trete höre ich nahe an mir ein zartes Wiſpern, wie wenn jemand leiſe ſpricht ich wende mich nach dem Tone, und zwey Schritte von mir fällt mir eine weibliche Geſtalt in die Augen Nein! ich kann ſie nicht nachſchildern, dieſe Geſtalt! Schrecken war meine erſte Empfindung, die aber bald dem ſüßeſten Hinſtaunen Platz machte.

Und dieſe Geſtalt, gnädigſter Herr wiſſen Sie auch gewiß, daß ſie etwas lebendiges war, etwas wirkliches, kein bloßes Gemählde, kein Geſicht Ihrer Phantaſie?

Hören Sie weiter Es war eine Dame Nein! Ich hatte bis auf dieſen Augenblick dieß Ge¬ ſchlecht nie geſehen! Alles war düſter rings¬ herum, nur durch ein einziges Fenſter fiel der unterge hende Tag in die Kapelle, die Sonne war nirgends mehr, als auf dieſer Geſtalt. Mit un¬ ausſprechlicher Anmuth halb knieend, halb liegend war ſie vor einem Altar hingegoſſen der gewagteſte, lieblichſte, gelungenſte Umriß, ein¬ zig und unnachahmlich, die ſchönſte Linie in der Natur. In ſchwarzen Mohr war ſie gekleidet, der ſich ſpannend um den reitzendſten Leib, um die niedlichſten Arme ſchloß, und in weiten Falten, wie eine ſpaniſche Robe, um ſie breitete; ihr lan¬ ges, lichtblondes Haar, in zwey breite Flechten geſchlungen, die durch ihre Schwere los gegangen und unter dem Schleier hervorgedrungen waren,floß172floß in reitzender Unordnung weit über den Rücken hinab eine Hand lag an dem Crucifixe, und ſanft hinſinkend ruhte ſie auf der andern. Aber wo finde ich Worte, Ihnen das himmliſchſchöne Angeſicht zu beſchreiben, wo eine Engelſeele, wie auf ihrem Thronenſitz, die ganze Fülle ihrer Reitze ausbreitete? Die Abendſonne ſpielte darauf, und ihr luftiges Gold ſchien es mit einer künſtlichen Glorie zu umgeben. Können Sie Sich die Ma¬ donna unſers Florentiners zurück rufen? Hier war ſie ganz, ganz bis auf die unregelmäßigen Eigenheiten, die ich an jenem Bilde ſo anziehend, ſo unwiderſtehlich fand.

Mit der Madonna, von der der Prinz hier ſpricht, verhält es ſich ſo. Kurz nachdem Sie ab¬ gereiſet waren, lernte er einen florentiniſchen Mahler hier kennen, der nach Venedig berufen worden war, um für eine Kirche, deren ich mich nicht mehr ent¬ ſinne, ein Altarblatt zu mahlen. Er hatte drey andere Gemählde mitgebracht, die er für die Gal¬ lerie im Kornariſchen Pallaſte beſtimmt hatte. Die Gemählde waren eine Madonna, eine Heloiſe, und eine faſt ganz unbekleidete Venus alle drey von ausnehmender Schönheit, und bey der höch¬ ſten Verſchiedenheit am Werthe einander ſo gleich, daß es beynahe unmöglich war, ſich für eines von den dreyen ausſchließend zu entſcheiden. Nur der Prinz blieb nicht einen Augenblick unſchlüſſig; man hatte ſie kaum vor ihm ausgeſtellt, als das Ma¬ donnaſtück ſeine ganze Aufmerkſamkeit an ſich zog;in173in den beyden übrigen wurde das Genie des Künſt¬ lers bewundert, bey dieſem vergaß er den Künſtler und ſeine Kunſt, um ganz im Anſchauen ſeines Werks zu leben. Er war ganz wunderbar davon gerührt; er konnte ſich von dem Stücke kaum los reißen. Der Künſtler, dem man wohl anſah, daß er das Urtheil des Prinzen im Herzen bekräftigte, hatte den Eigenſinn, die drey Stücke nicht trennen zu wollen, und foderte 1500 Zechinen für alle. Die Hälfte both ihm der Prinz für dieſes einzige an der Künſtler beſtand auf ſeine Bedingung, und wer weiß, was noch geſchehen wäre, wenn ſich nicht ein entſchloſſener Käufer gefunden hätte. Zwey Stunden darauf waren alle drey Stücke weg; wir haben ſie nicht mehr geſehen. Dieſes Gemählde kam dem Prinzen jetzt in Erinnerung.

Ich ſtand, fuhr er fort, ich ſtand in ihren Anblick verloren. Sie bemerkte mich nicht, ſie ließ ſich durch meine Dazwiſchenkunft nicht ſtören, ſo ganz war ſie in ihrer Andacht vertieft. Sie bethete zu ihrer Gottheit und ich bethete zu ihr Ja, ich bethete ſie an Alle dieſe Bilder der Heiligen, dieſe Altäre, dieſe brennenden Kerzen hatten mich nicht daran erinnert; jetzt zum erſten¬ mal ergriff mich's, als ob ich in einem Heiligthum wäre. Soll ich es Ihnen geſtehen? Ich glaubte in dieſem Augenblicke felſenfeſt an den, den ihre ſchöne Hand umfaßt hielt. Ich las ja ſeine Ant¬ wort in ihren Augen. Dank ihrer reitzenden An¬ dacht! Sie machte mir ihn wirklich ich folgte ihr nach durch alle ſeine Himmel.

Sie174

Sie ſtand auf, und jetzt erſt kam ich wieder zu mir ſelbſt. Mit ſchüchterner Verwirrung wich ich auf die Seite, das Geräuſch, das ich machte, entdeckte mich ihr. Die unvermuthete Nähe eines Mannes mußte ſie überraſchen, meine Dreiſtigkeit konnte ſie beleidigen; keines von beyden war in dem Blicke, womit ſie mich anſah. Ruhe, un¬ ausſprechliche Ruhe war darin, und ein gütiges Lächeln ſpielte um ihre Wangen. Sie kam aus ihrem Himmel und ich war das erſte glückliche Geſchöpf, das ſich ihrem Wohlwollen anboth. Sie ſchwebte noch auf der letzten Sproſſe des Ge¬ beths ſie hatte die Erde noch nicht berührt.

In einer andern Ecke der Kapelle regte es ſich nun auch. Eine ältliche Dame war es, die dicht hinter mir von einem Kirchſtuhle aufſtand. Ich hatte ſie bis jetzt nicht wahrgenommen. Sie war nur wenige Schritte von mir, ſie hatte alle meine Bewegungen geſehen. Dieß beſtürzte mich ich ſchlug die Augen zu Boden, und man rauſchte an mir vorüber.

Ueber das letzte glaubte ich den Prinzen be¬ ruhigen zu können.

Sonderbar, fuhr der Prinz nach einem tiefen Stillſchweigen fort, kann man etwas nie gekannt, nie gemißt haben, und einige Augenblicke ſpäter nur in dieſem Einzigen leben? Kann ein einziger Moment den Menſchen in zwey ſo ungleichartige Weſen zertrennen? Es wäre mir eben ſo unmög¬lich,175lich, zu den Freuden und Wünſchen des geſtrigen Morgens, als zu den Spielen meiner Kindheit zu¬ rück zu kehren. Seit ich das ſah, ſeitdem dieſes Bild hier wohnet dieſes lebendige, mächtige Gefühl in mir: Du kannſt nichts mehr lieben als das, und in dieſer Welt wird nichts mehr auf dich wirken!

Denken Sie nach, gnädigſter Herr, in welcher reitzbaren Stimmung Sie waren, als dieſe Er¬ ſcheinung Sie überraſchte, und wie vieles zuſam¬ menkam, Ihre Einbildungskraft zu ſpannen. Aus dem hellen blendenden Tageslicht, aus dem Gewühle der Straße plötzlich in dieſe ſtille Dunkelheit ver¬ ſetzt ganz den Empfindungen hingegeben, die, wie Sie ſelbſt geſtehen, die Stille, die Majeſtät dieſes Orts in Ihnen rege machte durch Be¬ trachtung ſchöner Kunſtwerke für Schönheit über¬ haupt empfänglicher gemacht zugleich allein und einſam Ihrer Meinung nach und nun auf ein¬ mal in der Nähe von einer Mädchengeſtalt überraſcht, wo Sie Sich keines Zeugen verſahen von einer Schönheit, wie ich Ihnen gerne zugebe, die durch eine vortheilhafte Beleuchtung, eine glück¬ liche Stellung, einen Ausdruck begeiſterter Andacht noch mehr erhoben ward was war natürlicher, als daß Ihre entzündete Phantaſie ſich etwas idea¬ liſches, etwas überirdiſchvollkommenes daraus zu¬ ſammenſetzte?

Kann die Phantaſie etwas geben, was ſie nie empfangen hat? und im ganzen Gebiethemeiner176meiner Darſtellung iſt nichts, was ich mit dieſem Bilde zuſammenſtellen könnte. Ganz und unver¬ ändert, wie im Augenblicke des Schauens, liegt es in meiner Erinnerung; ich habe nichts als die¬ ſes Bild aber Sie könnten mir eine Welt da¬ für biethen!

Gnädigſter Prinz, das iſt Liebe.

Muß es denn nothwendig ein Name ſeyn, unter welchem ich glücklich bin? Liebe! Ernie¬ drigen Sie meine Empfindung nicht mit einem Na¬ men, den tauſend ſchwache Seelen mißbrauchen! Welcher andere hat gefühlt, was ich fühle? Ein ſolches Weſen war noch nicht vorhanden, wie kann der Name früher da ſeyn, als die Empfindung? Es iſt ein neues einziges Gefühl, neu entſtanden mit dieſem neuen einzigen Weſen, und für dieſes Weſen nur möglich! Liebe! Vor der Liebe bin ich ſicher!

Sie verſchickten Biondello ohne Zweifel, um die Spur Ihrer Unbekannten zu verfolgen, um Erkundigungen von ihr einzuziehen? Was für Nachrichten brachte er Ihnen zurück?

Biondello hat nichts entdeckt ſo viel als gar nichts. Er fand ſie noch an der Kirchthüre. Ein bejahrter, anſtändig gekleideter Mann, der eher einem hieſigen Bürger als einem Bedienten gleich ſah, erſchien, ſie nach der Gondel zu beglei¬ ten. Eine Anzahl Armer ſtellte ſich in Reihen, wie ſie vorüber ging, und verließ ſie mit ſehr ver¬gnüg¬177gnügter Miene. Bey dieſer Gelegenheit, ſagt Biondello, wurde eine Hand ſichtbar, woran eini¬ ge koſtbare Steine blitzten. Mit ihrer Begleiterin ſprach ſie einiges, das Biondello nicht verſtand; er behauptet, es ſey griechiſch geweſen. Da ſie eine ziemliche Strecke nach dem Kanal zu gehen hatten, ſo fing ſchon etwas Volk an, ſich zu ſam¬ meln, das Außerordentliche des Anblicks brachte alle Vorübergehende zum Stehen. Niemand kannte ſie aber die Schönheit iſt eine geborne Königin. Alles machte ihr ehrerbietig Platz. Sie ließ einen ſchwarzen Schleier über das Geſicht fallen, der das halbe Gewand bedeckte, und eilte in die Gon¬ del. Längs dem ganzen Kanal der Giodecca behielt Biondello das Fahrzeug im Geſicht, aber es weiter zu verfolgen, unterſagte ihm das Gedränge.

Aber den Gondolier hat er ſich doch gemerkt, um dieſen wenigſtens wieder zu erkennen?

Den Gondolier getraut er ſich ausfindig zu machen; doch es iſt keiner von denen, mit denen er Verkehr hat. Die Armen die er ausfragte, konnten ihm weiter keinen Beſcheid geben, als daß Signora ſich ſchon ſeit einigen Wochen und immer Sonnabends hier zeige, und noch allemal ein Gold¬ ſtück unter ſie vertheilt habe. Es war ein hollän¬ diſcher Ducaten, den er eingewechſelt, und mir überbracht hat.

Eine Griechin alſo, und von Stande, wie es ſcheint, von Vermögen wenigſtens, und wohlthä¬d. Geiſterſeher. Mtig. 178tig. Das wäre für's erſte genug, gnädigſter Herr genug und faſt zu viel! Aber eine Griechin und in einer katholiſchen Kirche!

Warum nicht? Sie kann ihren Glauben ver¬ laſſen haben. Ueberdieß etwas geheimnißvol¬ les iſt hier immer Warum die Woche nur Ein¬ mal? Warum nur Sonnabends in dieſe Kirche, wo dieſe gewöhnlich verlaſſen ſeyn ſoll, wie mir Biondello ſagt? Späteſtens der kommende Sonnabend muß dieß entſcheiden. Aber bis dahin, lieber Freund, helfen Sie mir dieſe Kluft von Zeit überſpringen! Aber umſonſt! Stunden gehen ihren gelaſſenen Schritt, und meine Seele glühet.

Und wenn dieſer Tag nun erſcheint was dann, gnädigſter Herr? Was ſoll dann geſchehen?

Was geſchehen ſoll? Ich werde ſie ſehen. Ich werde ihren Aufenthalt erforſchen. Ich werde erfahren, wer ſie iſt? Was kann mich dieſes bekümmern? Was ich ſah, machte mich glücklich, alſo weiß ich ja ſchon alles, was mich glücklich machen kann!

Und unſere Abreiſe aus Venedig, die auf den Anfang kommenden Monats feſtgeſetzt iſt?

Konnte ich im voraus wiſſen, daß Venedig noch einen ſolchen Schatz für mich einſchließe? Sie fragen mich aus meinem geſtrigen Leben. Ich ſage Ihnen, daß ich nur von heute an bin und ſeyn will.

Jetzt179

Jetzt glaubte ich die Gelegenheit gefunden zu haben, dem Marcheſe Wort zu halten. Ich machte dem Prinzen begreiflich, daß ſein längeres Bleiben in Venedig mit dem geſchwächten Zuſtand ſeiner Kaſſe durchaus nicht beſtehen könne, und daß, im Fall er ſeinen Aufenthalt über den zugeſtandenen Ter¬ min verlängerte, auch von ſeinem Hofe nicht ſehr auf Unterſtützung würde zu rechnen ſeyn. Bey dieſer Gelegenheit erfuhr ich, was mir bis jetzt ein Geheimniß geweſen, daß ihm von ſeiner Schweſter, der regierenden *** von ***, ausſchließend vor ſeinen übrigen Brüdern und heimlich, anſehnliche Zuſchüſſe bezahlt werden, die ſie gerne bereit ſeyn würde zu verdoppeln, wenn ſein Hof ihn in Stiche ließe. Dieſe Schweſter, eine fromme Schwärme¬ rin, wie Sie wiſſen glaubt die großen Erſparniſſe, die ſie bey einem ſehr eingeſchränkten Hofe macht, nirgends beſſer aufgehoben, als bey einem Bruder, deſſen weiſe Wohlthätigkeit ſie kennt, und den ſie enthuſiaſtiſch verehrt. Ich wußte zwar ſchon längſt, daß zwiſchen beyden ein ſehr genaues Ver¬ hältniß Statt findet, auch viele Briefe gewechſelt werden, aber weil ſich der bisherige Aufwand des Prinzen aus den bekannten Quellen hinlänglich beſtreiten ließ, ſo war ich auf die verborgene Hülfs¬ quelle nie gefallen. Es iſt alſo klar, daß der Prinz Ausgaben gehabt hat, die mir ein Geheimniß wa¬ ren, und es noch jetzt ſind; und wenn ich aus ſei¬ nem übrigen Charakter ſchließen darf, ſo ſind es gewiß keine andere, als die ihm zur Ehre gereichen. Und ich konnte mir einbilden, ihn ergründet zuM 2haben? 180haben? Um ſo weniger glaubte ich nach dieſer Entdeckung anſtehen zu dürfen, ihm das Anerbie¬ ten des Marcheſe zu offenbaren welches zu mei¬ ner nicht geringen Verwunderung ohne alle Schwie¬ rigkeit angenommen wurde. Er gab mir Voll¬ macht, dieſe Sache mit dem Marcheſe auf die Art, welche ich für die beſte hielt, abzuthun, und dann ſogleich mit dem Wucherer aufzuheben. An ſeine Schweſter ſollte unverzüglich geſchrieben werden.

Es war Morgen, als wir aus einander gingen. So unangenehm mir dieſer Vorfall aus mehr als Einer Urſache iſt und ſeyn muß, ſo iſt doch das allerverdrüßlichſte daran, daß er unſern Aufent¬ halt in Venedig zu verlängern droht: Von dieſer anfangenden Leidenſchaft erwarte ich vielmehr gutes als ſchlimmes. Sie iſt vielleicht das kräftigſte Mittel, den Prinzen von ſeinen metaphyſiſchen Träumereyen wieder zur ordinären Menſchheit herab zu ziehen: ſie wird die gewöhnliche Kriſe haben, und, wie eine künſtliche Krankheit, auch die alte mit ſich hinweg nehmen.

Leben Sie wohl, liebſter Freund. Ich habe Ihnen alles dieß nach friſcher That hingeſchrieben. Die Poſt geht ſogleich; ſie werden dieſen Brief mit dem vorhergehenden an Einem Tage erhalten.

Baron181

Baron von F*** an den Grafen von O***. Sechster Brief.

20. Junius.

Dieſer Civitella iſt doch der dienſtfertigſte Menſch von der Welt. Der Prinz hatte mich neulich kaum verlaſſen, als ſchon ein Billet von dem Marcheſe erſchien, worin mir die Sache auf's dringendſte empfohlen wurde. Ich ſchickte ihm ſogleich eine Verſchreibung in des Prinzen Namen auf 6000 Zechinen; in weniger als einer halben Stunde folgte ſie zurück, nebſt der doppelten Summe, in Wechſeln ſowohl als baarem Golde. In die Er¬ höhung der Summe willigte endlich der Prinz; die Verſchreibung aber, die nur auf ſechs Wochen geſtellt war, mußte angenommen werden.

Dieſe ganze Woche ging in Erkundigungen nach der geheimnißvollen Griechin hin. Biondello ſetzte alle ſeine Maſchinen in Bewegung, bis jetzt aber war alles vergeblich. Den Gondolier machte er zwar ausfindig, aus dieſem war aber nichts weiter heraus zu bringen, als daß er beyde Damen auf der Inſel Murano ausgeſetzt habe, wo zwey Sänften auf ſie gewartet hätten, in die ſie geſtie¬ gen ſeyn. Er machte ſie zu Engländerinnen, weil ſie eine fremde Sprache geſprochen und ihn mit Gold bezahlt hätten. Auch ihren Begleiter kenne er nicht, er komme ihm vor, wie ein Spiegel¬fabri¬M 3182fabrikant aus Murano. Nun wußten wir wenig¬ ſtens, daß wir ſie nicht in der Giudecca zu ſuchen hätten, und daß ſie aller Wahrſcheinlichkeit nach auf der Inſel Murano zu Hauſe ſey; aber das Unglück war, daß die Beſchreibung, welche der Prinz von ihr machte, ſchlechterdings nicht dazu taugte, ſie einem Dritten kenntlich zu machen. Gerade die leidenſchaftliche Aufmerkſamkeit, wo¬ mit er ihren Anblick gleichſam verſchlang, hatte ihn gehindert, ſie zu ſehen; für alles das, worauf andere Menſchen ihr Augenmerk vorzüglich würden gerichtet haben, war er ganz blind geweſen; nach ſeiner Schilderung war man eher verſucht, ſie im Petrarch oder Taſſo, als auf einer venetianiſchen Inſel zu ſuchen. Außerdem mußte dieſe Nachfrage ſelbſt mit größter Vorſicht geſchehen, um weder die Dame auszuſetzen, noch ſonſt ein anſtößiges Aufſehen zu erregen. Weil Biondello außer dem Prinzen der einzige war, der ſie, durch den Schleier wenigſtens, geſehen hatte, und alſo wie¬ der erkennen konnte, ſo ſuchte er, wo möglich, an allen Orten, wo ſie vermuthet werden konnte, zu gleicher Zeit zu ſeyn, das Leben des armen Men¬ ſchen war dieſe ganze Woche über nichts, als ein beſtändiges Rennen durch alle Straßen von Vene¬ dig. In der griechiſchen Kirche beſonders wurde keine Nachforſchung geſpart, aber alles mit gleich ſchlechtem Erfolge; und der Prinz, deſſen Unge¬ duld mit jeder fehlgeſchlagenen Erwartung ſtieg, mußte ſich endlich doch noch auf den nächſten Sonn¬ abend vertröſten.

Seine183

Seine Unruhe war ſchrecklich. Nichts zerſtreute ihn, nichts vermochte ihn zu feſſeln. Sein gan¬ zes Weſen war in fieberiſcher Bewegung, für alle Geſellſchaft war er verloren, und das Uebel wuchs in der Einſamkeit. Nun wurde er nie mehr von Beſuchen belagert, als eben in dieſer Woche. Sein naher Abſchied war angekündigt, alles dräng¬ te ſich herbey. Man mußte dieſe Menſchen be¬ ſchäftigen, um ihre argwöhniſche Aufmerkſamkeit von ihm abzuziehen; man mußte ihn beſchäfti¬ gen, um ſeinen Geiſt zu zerſtreuen. In dieſem Bedrängniß verfiel Civitella auf das Spiel, und um die Menge wenigſtens zu entfernen, ſollte hoch geſpielt werden. Zugleich hoffte er, bey dem Prinzen einen vorüber gehenden Geſchmack an dem Spiel zu erwecken, der dieſen romanhaften Schwung ſeiner Leidenſchaft bald erſticken, und den man immer in der Gewalt haben würde, ihm wieder zu benehmen. Die Karten, ſagte Civi¬ tella, haben mich vor mancher Thorheit bewahrt, die ich im Begriff war, zu begehen, manche wie¬ der gut gemacht, die ſchon begangen war. Die Ruhe, die Vernunft, um die mich ein paar ſchöne Augen brachten, habe ich oft am Pharotiſch wie¬ der gefunden, und nie hatten die Weiber mehr Gewalt über mich, als wenn mir's an Geld ge¬ brach, um zu ſpielen.

Ich laſſe dahin geſtellt ſeyn, in wie weit Civi¬ tella recht hatte aber das Mittel, worauf wir gefallen waren, fing bald an, noch gefährlicherM 4zu184zu werden, als das Uebel, dem es abhelfen ſollte. Der Prinz, der dem Spiel nur allein durch hohes Wagen einen flüchtigen Reitz zu geben wußte, fand bald keine Gränzen mehr darin. Er war einmal aus ſeiner Achſe. Alles, was er that, nahm eine leidenſchaftliche Geſtalt an; alles geſchah mit der ungeduldigen Heftigkeit, die jetzt in ihm herrſchte. Sie kennen ſeine Gleichgültigkeit gegen das Geld; hier wurde ſie zur gänzlichen Unempfindlichkeit. Goldſtücke zerrannen die Waſſertropfen in ſeinen Händen. Er verlor faſt ununterbrochen, weil er ganz und gar ohne Aufmerkſamkeit ſpielte. Er verlor ungeheure Summen, weil er wie ein ver¬ zweifelter Spieler wagte. Liebſter O***, mit Herzklopfen ſchreib 'ich es nieder in vier Tagen waren die zwölf tauſend Zechinen und noch darüber verloren.

Machen Sie mir keine Vorwürfe. Ich klage mich ſelbſt genug an. Aber konnt 'ich es hindern? Hörte mich der Prinz? Konnte ich etwas anders, als ihm Vorſtellung thun? Ich that was in mei¬ nem Vermögen ſtand. Ich kann mich nicht ſchul¬ dig finden.

Auch Civitella verlor beträchtlich, ich gewann gegen ſechs hundert Zechinen. Das beyſpielloſe Unglück des Prinzen machte Aufſehen; um ſo we¬ niger konnte er jetzt das Spiel verlaſſen. Civitella, dem man die Freude anſieht, ihn zu verbinden, ſtreckte ihm ſogleich die Summe vor. Die Lücke iſt zugeſtopft, aber der Prinz iſt dem Marcheſe 24000Zechi¬185Zechinen ſchuldig. O wie ſehne ich mich nach dem Spargelde der frommen Schweſter! Sind alle Fürſten ſo, liebſter Freund? Der Prinz beträgt ſich nicht anders, als wenn er dem Marcheſe noch eine große Ehre erwieſen hätte, und dieſer ſpielt ſeine Rolle wenigſtens gut.

Civitella ſuchte mich damit zu beruhigen, daß gerade dieſe Uebertreibung, dieſes außerordentliche Unglück das kräftigſte Mittel ſey, den Prinzen wieder zur Vernunft zu bringen. Mit dem Gelde habe es keine Noth. Er ſelbſt fühle dieſe Lücke gar nicht, und ſtehe dem Prinzen jeden Augenblick mit noch dreymal ſo viel zu Dienſten. Auch der Kardinal gab mir die Verſicherung, daß die Ge¬ ſinnung ſeines Neffen aufrichtig ſey, und daß er ſelbſt bereit ſtehe, für ihn zu gewähren.

Das traurigſte war, daß dieſe ungeheuren Aufopferungen ihre Wirkung nicht einmal erreich¬ ten. Man ſollte meinen, der Prinz habe wenig¬ ſtens mit Theilnehmung geſpielt? Nichts weniger. Seine Gedanken waren weit weg, und die Leiden¬ ſchaft, die wir unterdrücken wollten, ſchien von ſeinem Unglück im Spiele nur mehr Nahrung zu erhalten. Wenn ein entſcheidender Streich ge¬ ſchehen ſollte, und alles ſich voll Erwartung um ſeinen Spieltiſch herum drängte, ſuchten ſeine Au¬ gen Biondello, um ihm die Neuigkeit, die er etwa mitbrächte, von dem Angeſicht zu ſtehlen. Bion¬ dello brachte immer nichts und das Blatt ver¬ lor immer.

M 5Das186

Das Geld kam übrigens in ſehr bedürftige Hände. Einige Excellenza, die, wie die böſe Welt ihnen nachſagt, ihr frugales Mittagsmahl in der Senatormütze ſelbſt von dem Markte nach Hauſe tragen, traten als Bettler in unſer Haus, und verließen es als wohlhabende Leute. Civitella zeigte ſie mir. Sehen Sie, ſagte er, wie vielen armen Teufeln es zu gute kommt, daß es einem geſcheuten Kopf einfällt, nicht bey ſich ſelbſt zu ſeyn! Aber das gefällt mir. Das iſt fürſtlich und kö¬ niglich! Ein großer Menſch muß auch in ſeinen Verirrungen noch Glückliche machen, und wie ein übertretender Strom die benachbarten Felder befeuchten.

Civitella denkt brav und edel aber der Prinz iſt ihm 24000 Zechinen ſchuldig!

Der ſo ſehnlich erwartete Sonnabend erſchien endlich, und mein Herr ließ ſich nicht abhalten, ſich gleich nach Mittag in der *** Kirche einzufin¬ den. Der Platz wurde in eben der Kapelle genom¬ men, wo er ſeine Unbekannte das erſtemal geſehen hatte, doch ſo, daß er ihr nicht ſogleich in die Augen fallen konnte. Biondello hatte Befehl, an der Kirchthüre Wache zu ſtehen und dort mit dem Begleiter der Dame Bekanntſchaft anzuknüpfen. Ich hatte auf mich genommen, als ein unverdäch¬ tiger Vorübergehender bey der Rückfahrt in der¬ ſelben Gondel Platz zu nehmen, um die Spur der Unbekannten weiter zu verfolgen, wenn das übrige mißlingen ſollte. An demſelben Orte, wo ſie ſichnach187nach des Gondoliers Ausſage das vorigemal hatte ausſetzen laſſen, wurden zwey Sänften gemiethet; zum Ueberfluß hieß der Prinz noch den Cammer¬ junker von Z*** in einer beſondern Gondel nach¬ folgen. Der Prinz ſelbſt wollte ganz ihrem An¬ blick leben, und wenn es anginge, ſein Glück in der Kirche verſuchen. Civitella blieb ganz weg, weil er bey dem Frauenzimmer in Venedig in zu üblen Rufe ſtand, um durch ſeine Einmiſchung die Dame nicht mißtrauiſch zu machen. Sie ſehen, liebſter Graf, daß es an unſer Anſtalten nicht lag, wenn die ſchöne Unbekannte uns entging.

Nie ſind wohl in einer Kirche wärmere Wün¬ ſche gethan worden, als in dieſer, und nie wur¬ den ſie grauſamer getäuſcht. Bis nach Sonnen¬ untergang harrte der Prinz aus, von jedem Ge¬ räuſche, das ſeiner Kapelle nahe kam, von jedem Knarren der Kirchthüre in Erwartung geſetzt ſieben volle Stunden und keine Griechin. Ich ſage Ihnen nichts von ſeiner Gemüthslage. Sie wiſſen, was eine fehlgeſchlagene Hoffnung iſt und eine Hoffnung, von der man ſieben Tage und ſieben Nächte faſt einzig gelebt hat.

Baron188

Baron von F*** an den Grafen von O***. Siebenter Brief.

Auguſt.

Nein, liebſter Freund. Sie thun dem guten Biondello unrecht. Gewiß, Sie hegen einen fal¬ ſchen Verdacht. Ich gebe Ihnen alle Italiäner Preis, aber dieſer iſt ehrlich.

Sie finden es ſonderbar, daß ein Menſch von ſo glänzenden Talenten und einer ſo exemplariſchen Aufführung ſich zum Dienen herab ſetze, wenn er nicht geheime Abſichten dabey habe, und daraus ziehen Sie den Schluß, daß dieſe Abſichten ver¬ dächtig ſeyn. Wie? Iſt es denn ſo etwas neues, daß ein Menſch von Kopf und Verdienſten ſich einem Fürſten gefällig zu machen ſucht, der es in der Gewalt hat, ſein Glück zu machen? Iſt es etwa entehrend, ihm zu dienen? Läßt Biondello nicht deutlich genug merken, daß ſeine Anhänglich¬ keit an den Prinzen perſönlich ſey? Er hat ihm ja geſtanden, daß er eine Bitte an ihn auf dem Her¬ zen habe. Dieſe Bitte wird uns ohne Zweifel das ganze Geheimniß erklären. Geheime Abſichten mag er immer haben, aber können dieſe nicht unſchuldig ſeyn?

Es befremdet Sie, daß dieſer Biondello in den erſten Monaten, und das waren die, in denen Sie uns Ihre Gegenwart noch ſchenkten, alle diegroßen189großen Talente, die er jetzt an den Tag kommen laſſe, verborgen gehalten, und durch gar nichts die Aufmerkſamkeit auf ſich gezogen habe. Das iſt wahr; aber wo hätte er damals die Gelegenheit gehabt, ſich auszuzeichnen? Der Prinz bedurfte ſeiner ja noch nicht, und ſeine übrigen Talente mußte der Zufall uns entdecken.

Aber er hat uns ganz kürzlich einen Beweis ſeiner Ergebenheit und Redlichkeit gegeben, der alle ihre Zweifel zu Boden ſchlagen wird. Man beobachtet den Prinzen. Man ſucht geheime Er¬ kundigungen von ſeiner Lebensart, von ſeinen Be¬ kanntſchaften und Verhältniſſen einzuziehen. Ich weiß nicht, wer dieſe Neugierde hat. Aber hören Sie an.

Es iſt hier in St. Georg ein öffentliches Haus, wo Biondello öfters aus - und eingeht, er mag da etwas liebes haben, ich weiß es nicht. Vor eini¬ gen Tagen iſt er auch da, er findet eine Geſellſchaft beyſammen, Advokaten und Officianten der Re¬ gierung, luſtige Brüder und alte Bekannte von ihm. Man verwundert ſich, man iſt erfreut, ihn wieder zu ſehen. Die alte Bekanntſchaft wird erneuert, jeder erzählt ſeine Geſchichte bis auf die¬ ſen Augenblick, Biondello ſoll auch die ſeinige zum Beſten geben. Er thut es in wenig Worten. Man wünſcht ihm Glück zu ſeinem neuen Etabliſſe¬ ment, man hat von der glänzenden Lebensart des Prinzen von *** ſchon erzählen hören, von ſeiner Freygebigkeit gegen Leute beſonders, die ein Ge¬heim¬190heimniß zu bewahren wiſſen, ſeine Verbindung mit dem Kardinal A***i iſt weltbekannt, er liebt das Spiel, u. ſ. f. Biondello ſtutzt Man ſcherzt mit ihm, daß er den Geheimnißvollen mache, man wiſſe doch, daß er der Geſchäftsträger des Prinzen von *** ſey. Die beyden Advokaten nehmen ihn in die Mitte; die Flaſche leert ſich fleißig man nöthigt ihn zu trinken, er entſchuldigt ſich, weil er keinen Wein vertrage, trinkt aber doch, um ſich zum Schein zu betrinken.

Ja, ſagte endlich der eine Advokat, Bion¬ dello verſteht ſein Handwerk, aber ausgelernt hat er noch nicht. Er iſt nur ein Halber.

Was fehlt mir noch? fragte Biondello.

Er verſteht die Kunſt, ſagte der andere, ein Geheimniß bey ſich zu behalten, aber die andere noch nicht es mit Vortheil wieder los zu werden.

Sollte ſich ein Käufer dazu finden? fragte Biondello.

Die übrigen Gäſte zogen ſich hier aus dem Zimmer, er blieb Tete a Tete mit ſeinen beyden Leuten, die nun mit der Sprache heraus gingen. Daß ich es kurz mache, er ſollte ihnen über den Umgang des Prinzen mit dem Kardinal und ſeinem Neffen Aufſchlüſſe verſchaffen, ihnen die Quelle angeben, woraus der Prinz Geld ſchöpfe, und ihnen die Briefe, die an den Grafen von O*** geſchrieben würden, in die Hände ſpielen. Bion¬ dello beſchied ſie auf ein andermal, aber wer ſieange¬191angeſtellt habe, konnte er nicht aus ihnen heraus bringen. Nach den glänzenden Offerten, die ihm gethan wurden, zu ſchließen, mußte die Nachfrage von einem ſehr reichen Manne herrühren.

Geſtern Abend entdeckte er meinem Herrn den ganzen Vorfall. Dieſe war anfangs Willens, die Unterhändler kurz und gut beym Kopf nehmen zu laſſen, aber Biondello machte Einwendungen. Auf freyen Fuß würde man ſie doch wieder ſtellen müſ¬ ſen, und dann habe er ſeinen ganzen Credit unter dieſer Klaſſe, vielleicht ſein Leben ſelbſt in Gefahr geſetzt. Alle dieſes Volk hange unter ſich zuſam¬ men, alle ſtehen für Einen, er wolle lieber den hohen Rath in Venedig zum Feind haben, als unter ihnen für einen Verräther verſchrieen wer¬ den. Er würde dem Prinzen auch nicht mehr nütz¬ lich ſeyn können, wenn er das Vertrauen dieſer Volksklaſſe verloren hätte.

Wir haben hin und her gerathen, von wem dieß wohl kommen möchte. Wer iſt in Venedig, dem daran liegen kann, zu wiſſen, was mein Herr einnimmt und ausgiebt, was er mit dem Kardinal A***i zu thun hat, und was ich Ihnen ſchreibe? Sollte es gar noch ein Vermächtniß von dem Prin¬ zen von ** d*** ſeyn? oder regt ſich etwa der Armenier wieder?

Baron192

Baron von F*** an den Grafen von O***. Achter Brief.

Auguſt.

Der Prinz ſchwimmt in Wonne und Liebe. Er hat ſeine Griechin wieder. Hören Sie, wie dieß zugegangen iſt.

Ein Fremder, der über Chiozza gekommen war, und von der ſchönen Lage dieſer Stadt am Golf viel zu erzählen wußte, machte den Prinzen neu¬ gierig, ſie zu ſehen. Geſtern wurde dieß ausge¬ führt, und um allen Zwang und Aufwand zu ver¬ meiden, ſollte niemand ihn begleiten als Z*** und ich, nebſt Biondello, und mein Herr wollte unbekannt bleiben. Wir fanden ein Fahrzeug, das eben dahin abging, und mietheten uns darauf ein. Die Geſellſchaft war ſehr gemiſcht, aber unbedeutend, und die Hinreiſe hatte nichts merk¬ würdiges.

Chiozza iſt auf eingerammten Pfählen gebaut, wie Venedig, und ſoll gegen vierzig tauſend Ein¬ wohner zählen. Adel findet man wenig, aber bey jedem Tritte ſtößt man auf Fiſcher oder Matroſen. Wer eine Perücke und einen Mantel trägt, heißt ein Reicher; Mütze und Ueberſchlag ſind das Zei¬ chen eines Armen. Die Lage der Stadt iſt ſchön, doch darf man Venedig nicht geſehen haben.

Wir193

Wir verweilten uns nicht lange. Der Patron, der noch mehr Paſſagiers hatte, mußte zeitig wie¬ der in Venedig ſeyn, und den Prinzen feſſelte nichts in Chiozza. Alles hatte ſeinen Platz ſchon im Schiffe genommen, als wir ankamen. Weil ſich die Geſellſchaft auf der Herfahrt ſo beſchwerlich gemacht hatte, ſo nahmen wir dießmal ein Zimmer für uns allein. Der Prinz erkundigte ſich, wer noch mehr da ſey? Ein Dominikaner, war die Ant¬ wort, und einige Damen, die retour nach Vene¬ dig gingen. Mein Herr war nicht neugierig, ſie zu ſehen, und nahm ſogleich ſein Zimmer ein.

Die Griechin war der Gegenſtand unſers Ge¬ ſprächs auf der Herfahrt geweſen, und ſie war es auch auf der Rückfahrt. Der Prinz wiederholte ſich ihre Erſcheinung in der Kirche mit Feuer; Plane wurden gemacht und verworfen; die Zeit verſtrich wie ein Augenblick; ehe wir es uns ver¬ ſahen, lag Venedig vor uns. Einige von den Paſ¬ ſagiers ſtiegen aus, der Dominikaner war unter dieſen. Der Patron ging zu den Damen, die, wie wir jetzt erſt erfuhren, nur durch ein dünnes Bret von uns geſchieden waren, und fragte ſie, wo er anlegen ſollte. Auf der Inſel Murano, war die Antwort, und das Haus wurde genannt. Inſel Murano! rief der Prinz, und ein Schauer der Ahndung ſchien durch ſeine Seele zu fliegen. Eh 'ich ihm antworten konnte, ſtürzte Biondello herein. Wiſſen Sie auch, in welcher Geſellſchaft wir reiſen? Der Prinz ſprang auf Sied. Geiſterſeher. Niſt194iſt hier! Sie ſelbſt! fuhr Biondello fort. Ich komme eben von ihrem Begleiter.

Der Prinz drang hinaus. Das Zimmer ward ihm zu enge, die ganze Welt wär 'es ihm in die¬ ſem Augenblick geweſen. Tauſend Empfindungen ſtürmten in ihm, ſeine Knie zitterten, Röthe und Bläſſe wechſelten in ſeinem Geſichte. Ich zitterte erwartungsvoll mit ihm. Ich kann Ihnen dieſen Zuſtand nicht beſchreiben.

In Murano ward angehalten. Der Prinz ſprang an's Ufer. Sie kam. Ich las im Geſicht des Prinzen, daß ſie's war. Ihr Anblick ließ mir keinen Zweifel übrig. Eine ſchönere Geſtalt hab 'ich nie geſehen, alle Beſchreibungen des Prinzen waren unter ihr geblieben. Eine glühende Röthe überzog ihr Geſicht, als ſie den Prinzen anſichtig wurde. Sie hatte unſer ganzes Geſpräch hören müſſen, ſie konnte auch nicht zweifeln, daß ſie der Gegenſtand deſſelben geweſen ſey. Mit einem be¬ deutenden Blicke ſah ſie ihre Begleiterin an, als wollte ſie ſagen: das iſt er! und mit Verwirrung ſchlug ſie ihre Augen nieder. Ein ſchmales Bret ward vom Schiff an das Ufer gelegt, über welches ſie zu gehen hatte. Sie ſchien ängſtlich es zu be¬ treten aber weniger, wie mir vorkam, weil ſie auszugleiten fürchtete, als weil ſie es ohne fremde Hülfe nicht konnte, und der Prinz ſchon den Arm ausſtreckte, ihr beyzuſtehen. Die Noth ſiegte über die Bedenklichkeit. Sie nahm ſeine Hand an, und war am Ufer. Die heftige Ge¬müths¬195müthsbewegung, in der der Prinz war, machte ihn unhöflich; die andere Dame, die auf den nehm¬ lichen Dienſt wartete, vergaß er was hätte er in dieſem Augenblick nicht vergeſſen? Ich erwies ihr endlich dieſen Dienſt, und dieß brachte mich um das Vorſpiel einer Unterredung, die ſich zwi¬ ſchen meinem Herrn und der Dame angefangen hatte.

Er hielt noch immer ihre Hand in der ſeini¬ gen aus Zerſtreuung, denke ich, und ohne daß er es ſelbſt wußte.

Es iſt nicht das erſtemal, Signora, daß daß Er konnte es nicht heraus ſagen.

Ich ſollte mich erinnern, liſpelte ſie

In der *** Kirche, ſagte er

In der *** Kirche war es, ſagte ſie

Und konnte ich mir heute vermuthen Ihnen ſo nahe

Hier zog ſie ihre Hand leiſe aus der ſeinigen Er verwirrte ſich augenſcheinlich. Biondello, der indeß mit dem Bedienten geſprochen hatte, kam ihm zu Hülfe.

Signor, fing er an, die Damen haben Sänf¬ ten hieher beſtellt. Aber wir ſind früher zurück gekommen, als ſie ſich's vermutheten. Es iſt hier ein Garten in der Nähe, wo ſie ſo lange ein¬ treten können, um dem Gedränge auszuweichen.

DerN 2196

Der Vorſchlag ward angenommen, und Sie können denken, mit welcher Bereitwilligkeit des Prinzen. Man blieb in dem Garten bis es Abend wurde. Es gelang uns, Z*** und mir, die Matrone zu beſchäftigen, daß der Prinz ſich mit der jungen Dame ungeſtört unterhalten konnte. Daß er dieſe Augenblicke gut zu benutzen gewußt habe, können Sie daraus abnehmen, daß er die Erlaubniß empfangen hat, ſie zu beſuchen. Eben jetzt, da ich Ihnen ſchreibe, iſt er dort. Wenn er zurück kommt, werde ich mehr erfahren.

Geſtern, als wir nach Hauſe kamen, fanden wir endlich auch die erwarteten Wechſel von unſerm Hofe, aber von einem Briefe begleitet, der mei¬ nen Herrn ſehr in Flammen ſetzte. Man ruft ihn zurück, und in einem Tone, wie er ihn gar nicht gewohnt iſt. Er hat ſogleich in einem ähnlichen geantwortet, und wird bleiben. Die Wechſel ſind eben hinreichend, um die Zinſen von dem Kapitale zu bezahlen, das er ſchuldig iſt. Einer Antwort von ſeiner Schweſter ſehen wir mit Verlangen entgegen.

Baron197

Baron von F*** an den Grafen von O***. Neunter Brief.

September.

Der Prinz iſt mit ſeinem Hofe zerfallen, alle unſre Reſſourcen von daher abgeſchnitten.

Die ſechs Wochen, nach deren Verfluß mein Herr den Marcheſe bezahlen ſollte, waren ſchon um einige Tage verſtrichen, und noch keine Wech¬ ſel weder von ſeinem Couſin, von dem er auf's neue und auf's dringendſte Vorſchuß verlangt hat¬ te, noch von ſeiner Schweſter. Sie können wohl denken, daß Civitella nicht mahnte, ein deſto treueres Gedächtniß aber hatte der Prinz. Geſtern Mittag endlich kam eine Antwort vom regieren¬ den Hofe.

Wir hatten kurz vorher einen neuen Kontrakt unſers Hotels wegen abgeſchloſſen, und der Prinz hatte ſein längeres Bleiben ſchon öffentlich deklarirt. Ohne ein Wort zu ſagen gab mein Herr mir den Brief. Seine Augen funkelten, ich las den Inhalt ſchon auf ſeiner[Stirne].

Können Sie Sich vorſtellen, lieber O***? Man iſt in **** von allen hieſigen Verhältniſſen meines Herrn unterrichtet, und die Verläumdung hat ein abſcheuliches Gewebe von Lügen daraus geſponnen. Man habe mißfällig vernommen,N 3heißt198heißt es unter andern, daß der Prinz ſeit einiger Zeit angefangen habe, ſeinen vorigen Karakter zu verläug¬ nen, und ein Betragen anzunehmen, das ſeiner bishe¬ rigen lobenswürdigen Art zu denken ganz entgegen ge¬ ſetzt ſey. Man wiſſe, daß er ſich dem Frauenzimmer und dem Spiel auf's ausſchweifendſte ergebe, ſich in Schulden ſtürze, Viſionnärs und Geiſterbannern ſein Ohr leihe, mit katholiſchen Prälaten in verdächti¬ gen Verhältniſſen ſtehe, und einen Hofſtaat führe, der ſeinen Rang ſowohl als ſeine Einkünfte über¬ ſchreite. Es heiße ſogar, daß er im Begriff ſtehe, dieſes höchſt anſtößige Betragen durch eine Apoſtaſie zur römiſchen Kirche vollkommen zu machen. Um ſich von der letztern Beſchuldigung zu reinigen, erwarte man von ihm eine ungeſäumte Zurückkunft. Ein Banquier in Venedig, dem er den Etat ſeiner Schulden übergeben ſolle, habe Anweiſung, ſo¬ gleich nach ſeiner Abreiſe, ſeine Gläubi¬ ger zu befriedigen, denn unter dieſen Umſtänden finde man nicht für gut, das Geld in ſeine Hände zu geben.

Was für Beſchuldigungen und in welchem Tone! Ich nahm den Brief, durchlas ihn noch einmal, ich wollte etwas darin aufſuchen, das ihn mildern könnte; ich fand nichts, es war mir ganz unbe¬ greiflich.

Z*** erinnerte mich jetzt an die geheime Nach¬ frage, die vor einiger Zeit an Biondello ergangen war. Die Zeit, der Inhalt, alle Umſtände ka¬ men überein. Wir hatten ſie fälſchlich dem Ar¬menier199menier zugeſchrieben. Jetzt war's am Tage, von wem ſie herrührte. Apoſtaſie! Aber weſſen Intereſſe kann es ſeyn, meinen Herrn ſo abſcheu¬ lich und ſo platt zu verläumden? Ich fürchte, es iſt ein Stückchen von dem Prinzen von ** d **, der es durchſetzen will, unſern Herrn aus Venedig zu entfernen.

Dieſer ſchwieg noch immer, die Augen ſtarr vor ſich hingeworfen. Sein Stillſchweigen ängſtigte mich. Ich warf mich zu ſeinen Füßen. Um Got¬ tes willen, gnädigſter Prinz, rief ich aus, be¬ ſchließen Sie nichts gewaltſames. Sie ſollen, Sie werden die vollſtändigſte Genugthuung haben. Ueberlaſſen Sie mir dieſe Sache. Senden Sie mich hin. Es iſt unter Ihrer Würde, Sich gegen ſolche Beſchuldigungen zu verantworten, aber mir erlauben Sie, es zu thun. Der Verläumder muß genannt, und dem *** die Augen geöffnet werden.

In dieſer Lage fand uns Civitella, der ſich mit Erſtaunen nach der Urſache unſrer Beſtürzung er¬ kundigte. Z *** und ich ſchwiegen. Der Prinz aber, der zwiſchen ihm und uns ſchon lange keinen Unterſchied mehr zu machen gewohnt iſt, auch noch in zu heftiger Wallung war, um in dieſem Augen¬ blick der Klugheit Gehör zu geben, befahl uns, ihm den Brief mitzutheilen. Ich wollte zögern, aber der Prinz riß ihn mir aus der Hand und gab ihn ſelbſt dem Marcheſe.

IchN 4200

Ich bin Ihr Schuldner, Herr Marcheſe, fing der Prinz an, nachdem dieſer den Brief mit Er¬ ſtaunen durchleſen hatte, aber laſſen Sie Sich das keine Unruhe machen. Geben Sie mir nur noch zwanzig Tage Friſt, und Sie ſollen befriedigt werden.

Gnädigſter Prinz, rief Civitella heftig bewegt, verdien 'ich dieſes?

Sie haben mich nicht dringen wollen, ich er¬ kenne Ihre Delikateſſe und danke Ihnen. In zwanzig Tagen, wie geſagt, ſollen Sie völlig be¬ friedigt werden.

Was iſt das? fragte Civitella mich voll Be¬ ſtürzung. Wie hängt dieß zuſammen? Ich faß 'es nicht.

Wir erklärten ihm, was wir wußten. Er kam außer ſich. Der Prinz, ſagte er, müſſe auf Ge¬ nugthuung dringen, die Beleidigung ſey unerhört. Unterdeſſen beſchwöre er ihn, ſich ſeines ganzen Vermögens und Kredits unumſchränkt zu bedienen.

Der Marcheſe hatte uns verlaſſen, und der Prinz noch immer kein Wort geſprochen. Er ging mit ſtarken Schritten im Zimmer auf und nieder, etwas außerordentliches arbeitete in ihm. Endlich ſtand er ſtill, und murmelte vor ſich zwiſchen den Zähnen. Wünſchen Sie Sich Glück ſagte er Um Neun Uhr iſt er geſtorben.

Wir ſahen ihn erſchrocken an.

Wün¬201

Wünſchen Sie Sich Glück, fuhr er fort; Glück Ich ſoll mir Glück wünſchen Sagte er nicht ſo? Was wollte er damit ſagen?

Wie kommen Sie jetzt darauf? rief ich. Was ſoll das hier?

Ich habe damals nicht verſtanden, was der Menſch wollte. Jetzt verſtehe ich ihn O es iſt unerträglich hart, einen Herrn über ſich haben!

Mein theuerſter Prinz!

Der es uns fühlen laſſen kann! Ha! Es muß ſüß ſeyn!

Er hielt wieder inne. Seine Miene erſchreckte mich. Ich hatte ſie nie an ihm geſehen.

Der Elendeſte unter dem Volk fing er wie¬ der an, oder der nächſte Prinz am Throne! Das iſt ganz daſſelbe. Es giebt nur einen Unter¬ ſchied unter den Menſchen Gehorchen und Herrſchen!

Er ſah noch einmal in den Brief.

Sie haben den Menſchen geſehen, fuhr er fort, der ſich unterſtehen darf, mir dieſes zu ſchrei¬ ben. Würden Sie ihn auf der Straße grüßen, wenn ihn das Schickſal nicht zu Ihrem Herrn ge¬ macht hätte? Bey Gott! Es iſt etwas großes um eine Krone!

In dieſem Ton ging es weiter, und es fielen Reden, die ich keinem Brief anvertrauen darf. Aber bey dieſer Gelegenheit entdeckte mir der Prinz einen Umſtand, der mich in nicht geringes Erſtau¬nenN 5202nen und Schrecken ſetzte, und der die gefährlichſten Folgen haben kann. Ueber die Familienverhält¬ niſſe am *** Hofe ſind wir bisher in einem großen Irrthum geweſen.

Der Prinz beantwortete den Brief auf der Stelle, ſo ſehr ich mich dagegen ſetzte und die Art, wie er es gethan hat, läßt keine gütliche Beyle¬ gung mehr hoffen.

Sie werden nun auch begierig ſeyn, liebſter O***, von der Griechin endlich etwas poſitives zu erfahren, aber eben dieß iſt es, worüber ich Ihnen noch immer keinen befriedigenden Aufſchluß geben kann. Aus dem Prinzen iſt nichts heraus zu bringen, weil er in das Geheimniß gezogen iſt, und ſich, wie ich vermuthe hat verpflichten müſ¬ ſen, es zu bewahren. Daß ſie aber die Griechin nicht iſt, für die wir ſie hielten, iſt heraus. Sie iſt eine Deutſche, und von der edelſten Ab¬ kunft. Ein gewiſſes Gerücht, dem ich auf die Spur gekommen bin, giebt ihr eine ſehr hohe Mutter, und macht ſie zu der Frucht einer un¬ glücklichen Liebe, wovon in Europa viel geſprochen worden iſt. Heimliche Nachſtellungen von mächti¬ ger Hand haben ſie, laut dieſer Sage, gezwun¬ gen, in Venedig Schutz zu ſuchen, und eben dieſe ſind auch die Urſache ihrer Verborgenheit, die es dem Prinzen unmöglich gemacht hat, ihren Aufent¬ halt zu erforſchen. Die Ehrerbietung, womit der Prinz von ihr ſpricht, und gewiſſe Rückſichten, die er gegen ſie beobachtet, ſcheinen dieſer Ver¬ muthung Kraft zu geben.

Er203

Er iſt mit einer fürchterlichen Leidenſchaft an ſie gebunden, die mit jedem Tage wächſt. In der erſten Zeit wurden die Beſuche ſparſam zugeſtan¬ den; doch ſchon in der zweyten Woche verkürzte man die Trennungen, und jetzt vergeht kein Tag, wo der Prinz nicht dort wäre. Ganze Abende ver¬ ſchwinden, ohne daß wir ihn zu Geſicht bekommen; und iſt er auch nicht in ihrer Geſellſchaft, ſo iſt ſie es doch allein, was ihn beſchäftigt. Sein gan¬ zes Weſen ſcheint verwandelt. Er geht wie ein Träumender umher, und nichts von allem, was ihn ſonſt intereſſirt hatte, kann ihm jetzt nur eine flüchtige Aufmerkſamkeit abgewinnen.

Wohin wird das noch kommen, liebſter Freund? Ich zittre für die Zukunft. Der Bruch mit ſeinem Hofe hat meinen Herrn in eine erniedrigende Ab¬ hängigkeit von einem einzigen Menſchen, von dem Marcheſe Civitella, geſetzt. Dieſer iſt jetzt Herr unſrer Geheimniſſe, unſers ganzen Schickſals. Wird er immer ſo edel denken, als er ſich uns jetzo noch zeigt? Wird dieſes gute Vernehmen auf die Dauer beſtehen, und iſt es wohl gethan, einem Menſchen, auch dem Vortreflichſten, ſo viel Wich¬ tigkeit und Macht einzuräumen?

An die Schweſter des Prinzen iſt ein neuer Brief abgegangen. Den Erfolg hoffe ich Ihnen in meinem nächſten Brief melden zu können.

(Der204

(Der Graf von O*** zur Fortſetzung.)

Aber dieſer nächſte Brief blieb aus. Drey ganze Monate vergingen, ehe ich Nachrichten aus Vene¬ dig erhielt eine Unterbrechung, deren Urſache ſich in der Folge nur zu ſehr aufklärte. Alle Briefe meines Freundes an mich waren zurück be¬ halten und unterdrückt worden. Man urtheile von meiner Beſtürzung, als ich endlich im December dieſes Jahrs folgendes Schreiben erhielt, das bloß ein glücklicher Zufall (weil Biondello, der es zu beſtellen hatte, plötzlich krank wurde) in meine Hände brachte.

Sie ſchreiben nicht. Sie antworten nicht. Kommen Sie o kommen Sie auf Flügeln der Freundſchaft. Unſre Hoffnung iſt dahin. Leſen Sie dieſen Einſchluß. Alle unſre Hoff¬ nung iſt dahin!

Die Wunde des Marcheſe ſoll tödtlich ſeyn. Der Kardinal brütet Rache, und ſeine Meu¬ chelmörder ſuchen den Prinzen. Mein Herr o mein unglücklicher Herr! Iſt es dahin gekommen? Unwürdiges, entſetzliches Schick¬ ſal! Wie Nichtswürdige müſſen wir uns vor Mördern und Gläubigern verbergen.

Ich ſchreibe Ihnen aus dem *** Kloſter, wo der Prinz eine Zuflucht gefunden hat. Eben ruht er auf einem harten Lager neben mir und ſchläft ach! den Schlummer der tödtlichſten Erſchöpfung, der ihn nur zu neuem Gefühl ſeiner Leiden ſtärken wird. Die zehen Tage, daß205 daß ſie krank war, kam kein Schlaf in ſeine Augen. Ich war bey der Leichenöffnung. Man fand Spuren von Vergiftung. Heute wird man ſie begraben.

Ach liebſter O***, mein Herz iſt zerriſſen. Ich habe einen Auftritt erlebt, der nie aus meinem Gedächtniß verlöſchen wird. Ich ſtand vor ihrem Sterbebette. Wie eine Heilige ſchied ſie dahin, und ihre letzte ſterbende Beredſam¬ keit erſchöpfte ſich, ihren Geliebten auf den Weg zu leiten, den ſie zum Himmel wandelte Alle unſre Standhaftigkeit war erſchüttert, der Prinz allein ſtand feſt, und ob er gleich ihren Tod dreyfach mit erlitt, ſo behielt er doch Stärke des Geiſtes genug, der frommen Schwärmerin ihre letzte Bitte zu verweigern. In dieſem Brief lag folgender Einſchluß.

An den Prinzen von *** von ſeiner Schweſter.

Die allein ſelig machende Kirche, die an dem Prinzen von *** eine ſo glänzende Eroberung ge¬ macht hat, wird es ihm auch nicht an Mitteln fehlen laſſen, die Lebensart fortzuſetzen, der ſie dieſe Eroberung verdankt. Ich habe Thränen und Gebeth für einen Verirrten, aber keine Wohl¬ thaten mehr für einen Unwürdigen!

Henriette***.

Ich206

Ich nahm ſogleich Poſt, reiſ'te Tag und Nacht, und in der dritten Woche war ich in Venedig. Meine Eilfertigkeit nützte mir nichts mehr. Ich war gekommen, einem Unglücklichen Troſt und Hülfe zu bringen; ich fand einen Glücklichen, der meines ſchwachen Beyſtandes nicht mehr benöthigt war. F*** lag krank, und war nicht zu ſpre¬ chen, als ich anlangte; folgendes Billet überbrachte man mir von ſeiner Hand. Reiſen Sie zurück, liebſter O***, wo ſie hergekommen ſind. Der Prinz bedarf ihrer nicht mehr, auch nicht meiner. Seine Schulden ſind bezahlt, der Kardinal ver¬ ſöhnt, der Marcheſe wieder hergeſtellt. Erinnern Sie Sich des Armeniers, der uns voriges Jahr ſo zu verwirren wußte? In ſeinen Armen finden Sie den Prinzen, der ſeit fünf Tagen die erſte Meſſe hörte.

Ich drängte mich nichts deſto weniger zum Prinzen, ward aber abgewieſen. An dem Bette meines Freundes erfuhr ich endlich die unerhörte Geſchichte.

Ende des erſten Bandes.

About this transcription

TextDer Geisterseher
Author Friedrich Schiller
Extent217 images; 41881 tokens; 7680 types; 288419 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer Geisterseher Eine Geschichte aus den Memoires des Grafen von O** Friedrich Schiller. . 206 S. GöschenLeipzig1789.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 8142http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=028212916

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:43Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 19 ZZ 8142
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.