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Dichter und ihre Geſellen.
Novelle.
Dichter und ihre Geſellen.
Novelle
Berlin,1834.Verlag von Duncker und Humblot.
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Erstes Buch.

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Erstes Kapitel.

In den letzten Strahlen der Abendſonne wurde auf der gruͤnen Hoͤhe ein junger Reiter ſichtbar, der zwi¬ ſchen dem Jauchzen der Hirten und heimkehrenden Spaziergaͤnger froͤhlich nach dem freundlichen Staͤdtchen hinabritt, das wie in einen, Bluͤten-Meere im Grunde lag.

Er ſann lange nach, was ihn hier mit ſo altbe¬ kannten Augen anſah, und ſang immerfort ein laͤngſt¬ verklungenes Lied leiſe in ſich hinein, ohne zu wiſſen, woher der Nachhall kam. Da fiel es ihm ploͤtzlich auf's Herz: wie in Heidelberg lagen die Haͤuſer da unten zwiſchen den Gaͤrten und Felſen und Abend¬ lichtern, wie in Heidelberg rauſchte der Strom aus dem Grunde, und der Wald von allen Hoͤhen! So war er als Student manchen lauen Abend ſommer¬ muͤde von den Bergen heimgekehrt, und hatte uͤber die Feuerſaͤule, die das Abendroth uͤber den Neckar1 *4warf, in die duftige Thal-Ferne gleich wie in ſein kuͤnftiges noch ungewiſſes Leben hinausgeſchaut.

Mein Gott, rief er endlich, da in dem Staͤdtchen unten muß ja Walter wohnen, mein treuer Heidel¬ berger Kamerad, mit dem ich manchen ſtillen froͤhlichen Abend auf den Bergen verlebt! Was muß der wackere Geſell nicht alles ſchon wiſſen, wenn er fortfuhr, ſo fleißig zu ſein, wie damals! Er gab ungeduldig ſeinem Pferde die Sporen, und hatte bald das dunkle Thor der Stadt erreicht. Walters Wohnung war in dem kleinen Orte leicht erfragt: ein buntes freundliches Haͤuschen am Markte, mit hohen Linden vor den Fenſtern, in denen unzaͤhlige Sperlinge beim letzten Adendſchimmer einen gewaltigen Laͤrm machten. Der Reiſende ſprang eilig die enge, etwas dunkle Treppe hinan, und riß die ihm bezeichnete Thuͤr auf, die Abendſonne, durch das Laub vor den Fenſtern zitternd, vergoldete ſo eben die ganze, ſtille Stube, Walter ſaß im Schlafrock am Schreibtiſche neben großen Acten - Stoͤßen, Tabaksbuͤchſe, Kaffeekanne und eine halbge¬ leerte Taſſe vor ſich. Er ſah den Hereintretenden er¬ ſtaunt und ungewiß an, ſeine Gipspfeife langſam weg¬ legend. Baron Fortunat! rief er dann, mein lieber Fortunat! und beide Freunde lagen einander in den Armen.

Alſo ſo ſieht man aus in Amt und Brodt? ſagte Fortunat nach der erſten Begruͤßung, waͤhrend er5 Waltern von allen Seiten umging und betrachtete; denn es kam ihm vor, als waͤre ſeit den zwei Jahren, daß ſie einander nicht geſehen, die Zeit mit ihrem Pelz¬ aͤrmel ſeltſam uͤber das friſche Bild des Freundes da¬ hingefahren, er ſchien langſamer, bleicher und gebuͤck¬ ter. Dieſer dagegen konnte ſich gar nicht ſatt ſehen an den klaren Augen und der heiteren ſchlanken Ge¬ ſtalt Fortunats, die in der ſchoͤnen Reiſetracht an Studenten, Jaͤger, Soldaten und alles Froͤhliche der unvergaͤnglichen Jugend erinnerte. Fragen und Ge¬ genfragen kreuzten ſich nun raſch, ohne eine Antwort abzuwarten. Walter pries vor allem ſein Gluͤck, das ihn hier ſo ſchnell eine leidliche Stelle hatte finden laſſen, es fehlte nicht an groͤßeren Ausſichten, und ſo ſehe er einer heiteren ſorgenloſen Zukunft entgegen. Dazwiſchen hatte er in ſeiner freudigen Unruhe bald noch einen Brief zuſammenzufalten, bald ein Paket Akten zu binden, bald draußen etwas zu beſtellen, beide konnten den alten, vertraulichen Ton gar nicht wiederfinden.

Unterdeß war eine alte Frau hereingetreten, und fing an, eine altmodiſche Kaffee-Serviette zierlich aus¬ zubreiten und Teller, Glaͤſer und Weinflaſchen aufzu¬ ſtellen, wobei ſie von der Seite ehrerbietige Blicke auf den vornehmen fremden Herrn warf, der eine ſolche Revolution in der einfoͤrmigen Junggeſellenwirthſchaft verurſachte. Fortunat aber uͤberſchaute am Fenſter6 den heitern Markt, und eine leiſe Wehmuth flog durch ſeine Seele uͤber die langſam zerſetzende und zerſtoͤrende Gewalt der Verhaͤltniſſe, wie ſie ihm auf Walters treues Gemuͤth wirkſam zu ſeyn ſchien. Laß 'uns nach guter alter Art im Freien trinken! rief er, ſich ſchnell umwendend aus, da er die Zuruͤſtungen hinter ſich erblickte. Walter hatte Bedenken: das ſey hier nicht gewoͤhnlich, man werde in kleinen Staͤdten zu ſehr bemerkt. Fortunat aber hatte unterdeß ſchon unter jeden Arm eine Flaſche genommen, und wan¬ derte damit die Treppe hinunter. Walter folgte ver¬ legen lachend, die Alte brachte voll Verwunderung Tiſch und Glaͤſer nach, und bald war die ganze froͤh¬ liche, funkelnde Wirthſchaft unter den Baͤumen vor der Thuͤr aufgeſchlagen.

Die Sonne war indeß untergegangen, und die Daͤcher und die Gipfel der Berge uͤber der Stadt gluͤhten noch, von denen ein erquickender Strom von Kuͤhle durch alle Straßen und Herzen ging. Kinder jagten ſich, und ſchwaͤrmten in den Gaſſen, die Vor¬ nehmen, ihre Huͤte nachlaͤſſig in der Hand, und ſich den Schweiß abtrocknend, kehrten, von allen Seiten ehrerbietig begruͤßt, von ihren Spaziergaͤngen zuruͤck. Andere traten in bequemen Nachtkleidern mit den Pfeifen vor die Thuͤren, und plauderten mit dem Nach¬ bar, waͤhrend junge Maͤdchen, kichernd und in lebhaf¬7 tem Geſpraͤch, Arm in Arm uͤber den Platz ſchlender¬ ten und neugierig an dem Fremden voruͤberſtrichen.

Waltern ging bei den Erinnerungen an die froͤh¬ liche Studentenzeit und bei dem langentbehrten weite¬ ren und reichen Geſpraͤch recht das Herz auf, er hatte gar bald alle Scheu und bloͤde Ruͤckſicht abgeſchuͤt¬ telt. Wie gluͤcklich biſt Du zu preiſen, rief er ſei¬ nem Freunde zu, daß Dir vergoͤnnt iſt, ſo mit den Voͤgeln durch den Fruͤhling zu ziehn, und die Reiſe nach Italien nun wirklich anzutreten, die wir in den heiterſten Stunden in Heidelberg ſo oft mit einander beſprachen. Das waren ſchoͤne Jugendtraͤume!

Das verhuͤte Gott! verſetzte Fortunat lebhaft, wa¬ rum denn Traͤume? Die Ahnung war es, der erſte Schauer des ſchoͤnen uͤberreichen Lebens, das gewißlich mit aller ſeiner geahnten und ungeahnten herrlichen Gewalt uͤber uns kommen wird, wenn wir nur froͤhlich Stand halten. Wo waͤren wir denn aufgewacht von den ſo¬ genannten Traͤumen? Was haͤtte ſich denn ſeitdem veraͤndert? Aurora ſcheint noch ſo jung uͤber die Berge wie damals, die Erde bluͤht alljaͤhrlich wieder bis in's fernſte tiefſte Thal warum ſollte denn unſere un¬ ſterbliche Seele, die alle den Plunder uͤberdauert, allein alt werden? Was hindert denn zum Exempel Dich, alle den Ballaſt von Vor -, Neben - und Ruͤckſichten friſch wegzuwerfen, und frei mit mir in das offene Meer zu ſtechen? Reiſe mit, alter Kumpan!

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Walter faßte laͤchelnd die ihm dargebotene Rechte. Was mich eigentlich zwiſchen dieſen Bergen feſthaͤlt, ſagte er, das ſollſt Du kuͤnftig erfahren. Doch Du magſt immerhin lachen das kann ich außer¬ dem ehrlich ſagen: es waͤre mir ſchwer, ja gewiſſer¬ maaßen unmoͤglich, den einmal mit Ernſt und Luſt begonnenen Geſchaͤften zu entſagen, die wie ein ſtiller klarer Strom in tauſend unſcheinbaren Nebenarmen das Land befruchten, und mich ſo von meiner ſtillen Stube aus in immer wechſelndem lebendigen Verkehr mit den entfernteſten Gegenden verbinden.

Fortunat ſah ihn nachdenklich an. Du meinſt es immer brav, ſagte er nach einer Pauſe, darum glaube ich Dir, wo ich Dich auch nicht recht verſtehe. Aber in welchem graͤulichen Rumor lebt ihr Beamte dabei! Keiner hat Zeit zu leſen, zu denken, zu beten. Das nennt man Pflichttreue; als haͤtte der Menſch nicht auch die hoͤhere Pflicht, ſich auf Erden auszumauſern und die ſchaͤbigen Fluͤgel zu putzen zum letzten großen Fluge nach dem Himmelreich, das eben auch nicht wie ein Wirthshaus an der breiten Landſtraße liegt, ſondern treu und ernſtlich und mit ganzer ungetheilter Seele erſtuͤrmt ſeyn will. Ja, ich habe ſchon oft nachgedacht uͤber den Grund dieſer zaͤrtlichen Liebe ſo Vieler zum Staatsdienſt. Hunger iſt es nicht immer, noch ſeltener Durſt nach Nuͤtzlichkeit. Ich fuͤrchte, es iſt bei den Meiſten der Reiz der Bequemlichkeit, ohne9 Ideen und ſonderliche Anſtrengung gewaltig und mit großem Spektakel zu arbeiten, die Satisfaktion, faſt alle Stunden etwas Rundes fertig zu machen, waͤhrend die Kunſt und die Wiſſenſchaften auf Erden niemals fertig werden, ja in alle Ewigkeit kein Ende abſehen. Da ruͤhrſt Du, entgegnete Walter, an den wunden Fleck, wenigſtens bei mir. Daß ich, aus Mangel an Zeit, zu beiden Seiten die ſchoͤnen Fernen und Tiefen, die uns ſonſt ſo wunderbar anzogen, liegen laſſen muß, das iſt es, was mich oft heimlich kraͤnkt, und was ich hier nicht einmal einem Freunde klagen kann. Dazu kommt die Abgelegenheit des kleinen Orts, wo alle Gelegenheit und aller Reiz fehlt, der neueſten Lit¬ teratur zu folgen.

Iſt auch nicht noͤthig, verſetzte Fortunat. Was willſt Du jedem Phantaſten in ſeine neumodiſchen Park-Anlagen nachſchreiten! Das rechte Alte iſt ewig neu, und das rechte Neue ſchafft ſich doch Bahn uͤber alle Berge, und wie ich oben bemerkt auch in dieſen Gebirgskeſſel. Denn, wenn ich nicht irre, ſah ich vorhin bei Dir neben dem Corpus juris die neueſten poetiſchen Werke des Grafen Victor ſtehen. Nun, ſagte Walter, meinen großen Landsmann muß ich doch in Ehren halten, ſeine Heimath liegt ja kaum eine Tagereiſe von hier. Fortunat ſprang uͤberraſcht auf. Da reit ich hin, rief er, den muß ich ſehen. Geduld, erwiederte Walter laͤchelnd, er iſt ſchon ſeit10 mehreren Jahren auf Reiſen. Und ich reite doch hin! entgegnete Fortunat froͤhlich, wer einen Dichter recht verſtehen will, muß ſeine Heimath kennen. Auf ihre ſtillen Plaͤtze iſt der Grundton gebannt, der dann durch alle ſeine Buͤcher wie ein unausſprechliches Heim¬ weh fortklingt. Walter ſchien einem Anſchlage nach¬ zudenken. Wohlan, ſagte er endlich, wenn Du durch¬ aus hin willſt, ſo begleite ich Dich, ich bin dort wohl¬ bekannt, und wir bleiben dann um ſo laͤnger beiſam¬ men. Ich muß Dir nur geſtehen, ich hatte mich eigentlich ſchon ſelbſt darauf eingerichtet, in dieſen Ta¬ gen hinzugehen. Hier kann ich Dir nicht viel Ergoͤtz¬ liches bieten, und wenn's Dir recht iſt, ſo reiſen wir morgen. Fortunat ſchlug freudig ein.

Walter aber fing nun an, einige Lieblingsſtellen aus Victors Werken zu rezitiren, was Fortunaten immer ſtoͤrte, weil ein gutes Gedicht keine Stellen, ſondern eben nur das ganze gute Gedicht giebt, gleich¬ wie eine abgeſchlagene Naſe oder ein paar abgeriſſene Ohren der mediceiſchen Venus fuͤr Kenner recht gut, aber ſonſt ganz nichtswuͤrdig ſind.

Du kennſt doch Victors Werke? Du liebſt ihn doch auch? unterbrach ſich endlich Walter ſelbſt, da Fortunat ſchweigend ein Glas nach dem andern hin¬ unterſtuͤrzte. Ich liebe ihn, ſagte dieſer, wie ich ein naͤchtliches Gewitter liebe, das alles Grauen und alle Wunder in der Bruſt regt, ich kenne ihn, weil11 er von den geheimnißvollſten, innerſten Gedanken mei¬ ner Seele, ja ich moͤchte ſagen, von dem Waldesrau¬ ſchen meiner Kindheit wunderbaren Klang giebt. Friede dem großen dunklen Gemuͤth, fuhr er ſein Glas erhebend fort, und freudiges Begegnen mit ihm!

Die Freunde hatten uͤber dem lebhaften Geſpraͤch gar nicht bemerkt, daß unterdeß der Platz allmaͤhlig oͤde geworden war. In der wachſenden Stille hoͤrte man nur noch eine Geige aus einiger Entfernung, und dann das einfoͤrmige Stampfen von Tanzenden dazwiſchen heruͤberſchallen. Beides klappte ſo wenig zuſammen, und die Geige wurde ſo unaufhoͤrlich und entſetzlich ſchnell geſtrichen, daß Fortunat laut auflachte, und ungeachtet Walters Einwendungen ſogleich dem Tanzplatze zueilte. Der verworrene Klang kam aus einem niedrigen Haͤuschen, uͤber deſſen Thuͤre ein Strohbuͤſchel als Wahrzeichen eines Weinſchanks im Nachtwinde hin und her baumelte. Walter war in anſtaͤndiger Ferne ſtehen geblieben, waͤhrend For¬ tunat durch das Fenſter in die ſeltſame Tanz-Grube hineinblickte. Ein langes duͤnnes Licht, das wie ein Peitſchenſtiel aus einem eiſernen Leuchter hervorragte, warf ungewiſſe Scheine uͤber das dunkle Gewoͤlbe eines Kellers, an deſſen Seitenwaͤnden eingeſchlafene Trinker uͤber den langen plumpen Tiſchen umherlagen. In der Mitte tanzten eifrig mehrere Paare luſtigen Ge¬ ſindels, bald mit den zierlich gebogenen Armen wie12 zum Fliegen ausholend, bald in den auserleſenſten Fi¬ guren und Windungen ſich naͤhernd und wieder tren¬ nend, bevor ſie einander endlich zum Walzer umfa߬ ten. Der dicke Weinſchenk ging mit aufgeſtreiften Hemdaͤrmeln dazwiſchen herum, ahmte mit dem Munde den Wachtelſchlag nach, ſchnitt den voruͤbertanzenden Frauenzimmern laͤcherliche Geſichter, oder wagte zu¬ weilen ſelbſt einen kuͤnſtlichen Sprung. Am auffal¬ lendſten aber war der Muſikant: ein anſtaͤndig geklei¬ detes lebhaftes Maͤnnchen mit einem ſcharfen geiſt¬ reichen Geſicht, emſig in den wunderlichſten Laufern die Geige ſpielend, waͤhrend ſeine Augen mit unver¬ kennbarem Wohlbehagen die Tanzenden verfolgten. Vergebens riefen dieſe ihm zu, ſich zu moderiren, der Unaufhaltſame drehte mit wahrem Virtuoſen-Wahn¬ ſinn die Toͤne, wie einen Kreiſel, immer ſchneller und dichter, die Tanzenden geriethen endlich ganz außer Takt und Athem, es entſtand ein allgemeines Wirren und Stoßen, bis zuletzt alle zornig auf den Muſikus eindrangen. Dieſer erhob ſich nun, und retirirte be¬ ſonnen in kuͤnſtlichen Fechtparaden nach der Thuͤr, immerfort mit dem Fidelbogen in den dickſten Haufen ſtoßend. So kam er gluͤcklich auf die Straße heraus, die Schlafmuͤtze des Wirths, die er im Getuͤmmel aufgeſpießt, hoch auf ſeinem Bogen. Der luſtige Wirth folgte ſchimpfend, und vermehrte den Laͤrm von13 Zeit zu Zeit durch das Praſſeln von Feuerwerk, das er taͤuſchend mit dem Munde nachmachte.

Jetzt bemerkte der Muſikus ploͤtzlich die beiden Freunde auf der Gaſſe, und ſah ſie mit ſeinen klugen Augen durchdringend an, waͤhrend der Wirth, mit der einen Hand ſeine wilden Gaͤſte in den Keller zuruͤck¬ draͤngend, mit der andern ruhig die ihm zugeworfene Schlafmuͤtze wieder auf den Kopf ſtuͤlpte. Walter war einen Augenblick in Verlegenheit, ob und wie er den ihm unbekannten Fremden anreden ſollte, und aͤußerte endlich ſeine Verwunderung uͤber dieſe heilloſe Fertigkeit auf der Geige. Kleinigkeit! Kleinigkeit! erwiederte der Muſikus, nichts als Taranteln, womit ich die Leute in die Waden beiße und den St. Veits - Tanz erfinde. Mit dieſen Worten empfahl er ſich, nahm die Geige unter den Arm, und ſchlenderte, noch einigemal furchtſam nach dem Keller zuruͤckblickend, raſch durch die Nacht uͤber den Marktplatz fort.

Fortunat, der bisher kein Auge von ihm verwen¬ det hatte, trat nun ſchnell auf den Wirth zu, um etwas Naͤheres uͤber das wunderbare Maͤnnchen zu erfahren. Ein Fremder, ſagte der Wirth, ein Parti¬ kuͤlier, wie er ſich nennt, mit dem ich ſchon manchen Verdruß gehabt habe. Er kommt zuweilen in die Stadt, aber immer nur grade zu mir, und wenn ich reelle Gaͤſte habe, die nach gethaner Arbeit ihr Glaͤs¬ chen trinken und vernuͤnftig diskuriren wollen, ſetzt er14 ſich zu ihnen, und, eh 'ich's mich verſehe, hat er Haͤndel unter ihnen angeſtiftet, und hat dann keine Courage ſie auszufechten. Wenn er recht vergnuͤgt iſt, zieht er gar ſeine verfluchte Geige hervor, und ſpielt tolles Zeug auf. Hol' der Teufel alle Phantaſten!

Hiermit kehrte der Wirth wieder in ſeine Hoͤhle zuruͤck, und die beiden Freunde bemerkten bei dem hellen Mondſchein, wie der unbekannte Muſikus ſo eben zum Stadtthor hinauswanderte. Ein herrlicher Narr! rief Fortunat aus, dem Wanderer noch immer nachſehend. Laß 'die Fledermaͤuſe, erwiederte Walter, ſie gerathen uns ſonſt noch in die Haare. Komm' nun nach Haus, es iſt ſchon ſpaͤt, und ich habe noch alle Haͤnde voll zu thun fuͤr morgen.

Auf Walters Stube ging nun ein froͤhliches Ru¬ moren an. Die alte Aufwaͤrterin wurde herbeigerufen, Befehle wurden ertheilt, Briefe verſiegelt, und Akten und Waͤſche gepackt, wobei Fortunat, in der Vor¬ freude der bevorſtehenden unerwarteten Fahrt, zur Verwunderung der Alten wuͤthend half. Der weitge¬ ſtirnte Himmel ſah indeß durch die offenen Fenſter herein, der Brunnen rauſchte vom einſamen Markte, waͤhrend die Nachtigallen in den Gaͤrten ſchlugen, und Fortunaten war es dazwiſchen, als ginge draußen das Geigenſpiel des wunderlichen Muſikanten noch ein¬ mal fern uͤber die ſtillen Hoͤhen.

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Zweites Kapitel.

Bei dem ſchoͤnſten Fruͤhlingswetter zogen die bei¬ den Freunde, auf ihren Pferden froͤhlich von den alten Zeiten mit einander ſchwatzend, in das morgenrothe Land hinein. Sie hatten den weiteren, aber anmuthi¬ gern Weg durch das Gebirge eingeſchlagen, auf wel¬ chem ſie Hohenſtein, den Sitz des Grafen Victor, nach Walters Verſicherung noch vor Nacht bequem erreichen konnten. Das Staͤdtchen mit ſeiner gruͤnen Stille lag ſchon weit hinter ihnen, ein friſcher Wind ging durch alle Baͤume, und Walter fuͤhlte ſich recht wie ein Vogel, der aus dem Kaͤfig entflohen. Er war faſt ausgelaſſen heiter, ſchwenkte den Hut in der Luft, und ſtimmte alte Studentenlieder an, ſo daß es den beiden Reitern vorkam, als waͤren ſie nie getrennt geweſen, und zoͤgen nur eben wieder aus dem Thor von Heidelberg den gruͤnen Bergen zu. In dieſer Stimmung ließ er ſich gern von dem unruhigen For¬ tunat verlocken, der bald dem fremden Schall eines unbekannten Gebirgsvogels folgte, bald mit den Hir¬ ten plauderte, dann wieder einen ſchoͤnen Berggipfel oder eine reizendgelegene Ruine zu erklettern hatte. So waren ſie lange auf's Gerathewohl umherge¬ ſchweift, als Walter endlich zu ſeinem Schrecken be¬16 merkte, daß ſchon die Abendſonne ſchraͤg durch den Wald funkelte. Jetzt fand er auch, daß ſie alle Rich¬ tung verloren hatten, er wußte nicht, wo er war. Ver¬ gebens ſchlug er den erſten beſten Pfad ein, die Wege theilten ſich bald von neuem wieder, kein Dorf war ringsumher zu ſehen, je tiefer ſie in den Wald kamen, je ungeduldiger wurde er, er wollte durchaus noch heut nach Hohenſtein. Unterdeß war die Nacht voͤllig her¬ eingebrochen, ſie mußten abſteigen, und ihre Pferde hinter ſich herfuͤhren, da der Holzweg ſich nach und nach in einen verwachſenen Fußſteig verlor.

Walter war verdrießlich, und ſprach wenig. For¬ tunat aber wurde immer vergnuͤgter, je weiter ſie fort¬ ſchritten, und blickte recht mit friſchem Herzen in die wunderbaren Mondlichter und die raͤthſelhaften Ab¬ gruͤnde, an denen ſie voruͤberzogen. Oft hielten ſie horchend ſtill, denn es war ihnen, als hoͤrten ſie aus weiter Ferne Hunde bellen, und den dumpfen Takt eines Pochhammers dazwiſchen; aber das ein¬ foͤrmige Rauſchen der Waͤlder verſchlang immer alles wieder.

Walter ſchwor endlich, nicht einen Schritt mehr weiterzugehen, er band ſein Pferd an, und ſetzte ſich maulend daneben. Fortunat hatte ſich gleichfalls auf den Raſen hingeſtreckt, waͤhrend ſein Gefaͤhrte nun allerlei Reden uͤber unzeitige Romantik und verlorene Zeit verlauten ließ. Fortunat antwortete nicht darauf,17 und da es gar nicht enden wollte, zog er ſeinen Man¬ tel uͤber den Kopf, und ſchlummerte bald vor Ermuͤ¬ dung ein.

Als er wieder aufwachte, war Walter unterdeß vor Aerger feſt eingeſchlafen. Er ſah freudig rings um ſich her, die tiefe Einſamkeit, die unbekannte Ge¬ gend, der Schlafende, und die Pferde im Mondſchein, alles war ihm ſo neu und wunderbar; er ging unter den Baͤumen auf und nieder, und ſang halb fuͤr ſich:

Wie ſchoͤn hier zu vertraͤumen
Die Nacht im ſtillen Wald,
Wenn in den dunklen Baͤumen
Das alte Maͤhrchen hallt.
Die Berg 'im Mondesſchimmer
Wie in Gedanken ſtehn,
Und durch verworrne Truͤmmer
Die Quellen klagend gehn.
Denn muͤd ging auf den Matten
Die Schoͤnheit nun zur Ruh,
Es deckt mit kuͤhlen Schatten
Die Nacht das Liebchen zu.
Das iſt das irre Klagen
In ſtiller Waldespracht,
Die Nachtigallen ſchlagen
Von ihr die ganze Nacht.
Die Stern 'gehn auf und nieder
Wann kommſt du, Morgenwind,
Und hebſt die Schatten wieder
Von dem vertraͤumten Kind?
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Schon ruͤhrt ſichs in den Baͤumen,
Die Lerche weckt ſie bald
So will ich treu vertraͤumen
Die Nacht im ſtillen Wald.

Und wie er aufblickte, hoͤrte er wirklich ſchon den Klang einer fruͤherwachten Lerche durch den Himmel ſchweifen. Friſch auf! rief er froͤhlich Waltern zu, friſch auf, ich wittre Morgenluft! Walter erhob ſich taumelnd, und konnte ſich lange nicht in dem wunder¬ lichen Schlafſaal zurechtfinden. Der kurze Schlummer hatte ihn neu geſtaͤrkt und verwandelt, er ſchaͤmte ſich ſeines geſtrigen Mißmuths, und bald ſaßen die beiden Freunde wieder ruͤſtig zu Pferde, um, wo moͤglich, noch vor Tagesanbruch aus dem Labyrinth der Waͤlder herauszukommen.

Nach einem kurzen Ritt hatten ſie die Freude, unerwartet wieder einen ordentlichen Weg zu erreichen. Land! Land! rief endlich Walter vergnuͤgt aus, dort¬ hin zu liegt Hohenſtein! Sie verdoppelten nun ihre Eile, und gelangten bald voͤllig aus dem Walde in das weite, geheimnißvolle Land hinaus. Immer tiefer und freudiger ſtiegen ſie von den Bergen in das Bluͤten¬ meer, ſchon hoͤrten ſie von fern eine Thurmuhr ſchla¬ gen, zahlloſe Nachtigallen ſchlugen uͤberall in den Gaͤr¬ ten. Am Ausgang des Gebirges ſchien ein großes Dorf zu liegen, zerſtreute Huͤgel, dunkele Baumgruppen, und ein hohes praͤchtiges Schloß hoben ſich nach und nach aus der verworrenen Daͤmmerung, alles noch unkennt¬19 lich und raͤthſelhaft, wie in Traͤumen. So waren ſie in eine hohe Kaſtanienallee gekommen, als Walter ploͤtzlich an einem zierlichen Gitterthor ſtill hielt. Sie ſchlafen noch alle, ſagte er, wir wollen indeß hier in den graͤflichen Garten gehen, und die Erwachenden uͤberraſchen.

Sie banden nun ihre Pferde an den Zaun, und ſchwangen ſich von den ſteinernen Sphinxen, die den Eingang bewachten, uͤber das Gitter in den Garten hinein. Da war noch alles ſtill und duftig, einzelne Marmorbilder tauchten eben erſt aus den lauen Wellen der Nacht empor. Das alte finſtere Schloß im Hin¬ tergrunde mit ſeinen dichtgeſchloſſenen Jalouſien ſtand wie eine Gewitterwolke uͤber einem freundlichen Neben¬ gebaͤude, von dem man vor lauter Weinlaub faſt nur das rothe Ziegeldach ſah. Unter den hohen Baͤumen vor dem letztern fanden ſie einen Tiſch und mehrere Stuͤhle, als waͤren ſie eben erſt von einer Geſellſchaft verlaſſen worden. Da hat ſie ſchon wieder ihre Guitarre draußen vergeſſen, ſagte Walter kopfſchuͤt¬ telnd. Wer denn? fragte Fortunat, die ſchoͤne Amtmannstochter, von der du mir erzaͤhlt haſt? Ja, Florentine, erwiederte Walter; das iſt des Amt¬ manns Wohnung, und dort oben nach dem Garten hinaus ihre Schlafſtube. Du weißt hier gut Be¬ ſcheid, entgegnete Fortunat. Walter wurde roth und ſchwieg verlegen. Fortunat aber ergriff ohne weiteres2*20die auf dem Tiſch liegende Guitarre, ſtellte ſich vor das bezeichnete Fenſter und ſang:

Zwei Muſikanten ziehn daher
Vom Wald aus weiter Ferne,
Der eine iſt verliebt gar ſehr,
Der andere waͤr 'es gerne.

Ich bitte dich, unterbrach ihn Walter, was ſingſt du da fuͤr dummes Zeug! Wart 'nur, 's kommt gleich kluͤger, erwiederte Fortunat und ſang weiter:

Die ſtehn allhier im kalten Wind
Und ſingen ſchoͤn und geigen:
Ob nicht ein ſuͤßvertraͤumtes Kind
Am Fenſter ſich wollt 'zeigen?

Sein Wunſch ging wirklich in Erfuͤllung. Ein ſchoͤnes Maͤdchen, noch ganz verſchlafen, wie es ſchien, fuhr oben an's Fenſter, ſchuͤttelte die Locken aus dem Geſichtchen und ſah neugierig mit großen, friſchen Augen durch die Scheiben. Als ſie aber unten einen unbekannten, wohlgekleideten Mann erblickte, war ſie eben ſo ſchnell wieder verſchwunden. Walter wurde nun in der That unwillig, Fortunat aber griff immer luſtiger in die Saiten, und ſang wieder:

Mein Herz iſt recht von Diamant,
Eine Blum 'von Edelſteinen,
Die funkelt froͤhlich uͤber's Land,
In tauſend bunten Scheinen!
Und durch das Fenſter, ſteigen ein
Waldsrauſchen und Geſaͤnge,
Da bricht der Saͤnger mit herein
Im ſeligen Gedraͤnge.
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Unterdeß war es im Hauſe nach und nach leben¬ dig geworden, Thuͤren gingen auf und zu, im Innern hoͤrte man dazwiſchen das kraͤftige Lachen eines Man¬ nes, das immer naͤher zu kommen ſchien. Endlich wurde die Hausthuͤr von Innen geoͤffnet, und, mit einer langen Pfeife im Munde, ſtand ein, ſchon voͤllig angekleideter, großer, ſtarker Mann vor ihnen, deſſen gebraͤuntes, lebensluſtiges Geſicht von der Morgen¬ ſonne hell beſchienen wurde. Es war der Amtmann ſelbſt. Er war voller Freude, Walter'n ſo unerwartet wiederzuſehen, und konnte gar nicht aufhoͤren, uͤber das luſtige Staͤndchen zu lachen, durch das ſich Fortunat ſogleich in ſeine entſchiedene Gunſt geſetzt zu haben ſchien. Mit ſchallender Stimme rief er nun alles im Hauſe wach, es mußten eilig Kaffee und Pfeifen in's Freie herausgebracht werden, ſie lagerten ſich um den Tiſch auf dem gruͤnen Platz vor der Thuͤr, den die bei¬ den Gaͤſte noch vor Kurzem ſo einſam geſehen hatten, und Walter mußte ausfuͤhrlich ihre naͤchtlichen Irrfahr¬ ten vortragen.

Unterdeß war auch die Frau Amtmannin dazuge¬ kommen. Sie hatte ſich vor dem unbekannten Gaſte ſorgfaͤltig und beinah feſtlich angethan und empfing Fortunaten mit umſtaͤndlicher, wortreicher Feierlichkeit. Fortunat, dem bei ſolcher Gelegenheit unwillkuͤhrlich alle Bewillkommungskomplimente einfielen, die er in ſeinem ganzen Leben gehoͤrt oder auch nicht gehoͤrt22 hatte, konnte nicht widerſtehen, mit einem unerſchoͤpf¬ lichen Schwalle der auserleſenſten Redensarten zu ent¬ gegnen, und erweckte dadurch bei der Dame eine nicht geringe Meinung von ſich und ſeiner feinen Lebensart.

Das iſt heute ein rechter Freudentag! ſagte der Amtmann, da ſoll es auch einmal hoch hergehen. Er erzaͤhlte nun, wie ſie heut gegen Abend auch noch ihren jungen Neffen Otto hier erwarteten, der von der fer¬ nen Univerſitaͤt zuruͤckkehre, um ſich zu ſeiner Anſtel¬ lung vorzubereiten. Die Amtmannin ließ mit zufriede¬ ner Miene noch einfließen, daß Otto, der Sohn ihrer verſtorbenen Schweſter, aus Herrn Walters Staͤdtchen ſey, daß er ſchon auf der Schule immer fuͤr den ſtill¬ ſten und geſchickteſten galt, und nun ein wahrer Ge¬ lehrter geworden ſey.

Fortunat bemerkte waͤhrend dieſes Geſpraͤchs, daß ſich Walter unterdeß verloren hatte. Der Garten, der nun in voller Morgenpracht heruͤberfunkelte, lockte auch ihn ſchon lange, und er ſagte endlich dem Amt¬ mann, wie er Walter'n vorzuͤglich in der Abſicht hier¬ herbegleitet habe, um die Heimath des beruͤhmten Gra¬ fen Victor einmal in der Naͤhe zu ſehen. Der Amt¬ mann laͤchelte. Ich weiß nicht, ſagte er, ob Sie auch ſolcher Meinung ſind, aber wenn die Andern von dem beruͤhmten gelehrten Grafen ſprechen, denken ſie ſich ihn immer mit der Zipfelperuͤcke, wie den Hilmar Cu¬ ras vor ſeiner Grammatik. Das kann mich immer23 aͤrgern. Was da Gelehrter! Zu Pferde muß man den Grafen Victor ſehen, im Walde auf der Jagd, auf den Felſen, wo allen Andern ſchwindelt mit einem Wort: das iſt ein rechter Mann! Das Be¬ ruͤhmtſeyn und Verſemachen iſt nur ſo Lumpenzeug daneben, wie eine Schabracke auf einem ſchoͤnen Roß, und er giebt ſelber nichts darauf. Doch wir ſprechen ein andermal mehr davon. Er ſtand nun auf und beſchrieb Fortunaten die Gaͤnge, die er im Garten ein¬ ſchlagen ſollte, um zu den ſchoͤnſten Punkten zu gelan¬ gen, da ihn ſelbſt die Wirthſchaftsanordnungen fuͤr den anbrechenden Tag in das Haus hineinriefen.

Fortunat wandte ſich nun allein in den Garten, wo er zu ſeinem Erſtaunen ringsumher nur architekto¬ niſche Formen altmodiſcher Gaͤnge, hohe, feierliche Buchenalleen, Springbrunnen und kuͤnſtliche Blumen¬ beete erblickte, von denen dunkelgluͤhende Paͤonien und praͤchtige Kaiſerkronen glaͤnzten. Es war, als haͤtte ein wunderlicher Zauberer uͤber Nacht ſeine bunten Signaturen uͤber das Gruͤn gezogen, und ſaͤße nun ſelber eingeſchlummert in dem Labyrinth beim Rauſchen der Waſſerkuͤnſte und traͤumte von der alten Zeit, die er in ſeine ſtillen Kreiſe gebannt.

Schon waren Schloß und Amtmannswohnung hinter Fortunaten verſunken, als er ploͤtzlich einen wohl¬ gekleideten jungen Mann bemerkte, der an den Mar¬ morſtufen eines einſamen Gartenhauſes eingeſchlafen24 war. Er wollte umkehren, aber der Schlaͤfer, von dem Geraͤuſch erweckt, fuhr ſo eben raſch auf, blickte verworren ringsumher, und fragte Fortunaten, wer er ſey? Dieſer erzaͤhlte nun ſein naͤchtliches Abenteuer und ſeinen langgehegten Wunſch, dieſe Gegend einmal zum Angedenken des Dichter-Grafen Victor zu durch¬ ſtreifen. Vortrefflich, erwiederte der Andere, ſo will ich Sie ſogleich herumfuͤhren! Kennen Sie den Grafen Victor? fragte Fortunat. Nicht ſonderlich, erwiederte jener, doch weiß ich eben genug von ihm, um Ihnen hier uͤberall genuͤgende Auskunft zu geben.

Fortunat nahm das unerwartete Anerbieten dank¬ bar an, und betrachtete, als ſie nun mit einander wei¬ ter gingen, mit freudiger Ueberraſchung das ſchoͤne, aber etwas bleiche und wuͤſte Geſicht des Unbekann¬ ten, uͤber das die Morgenlichter durch das Laub wun¬ derlich wechſelnde Scheine warfen. Er aͤußerte endlich ſeine Verwunderung uͤber die, wie es ſchien, abſichtlich und ſehr ſorgfaͤltig feſtgehaltene Altmodigkeit dieſes Gartens. Der Graf, entgegnete ſein Begleiter, will es ſo haben. Buxbaumene Kindlichkeit! Wie es in ſeiner Kindheit geweſen, ſo ſoll es hier ferner verblei¬ ben, ſelbſt dieſelben Blumen muͤſſen jaͤhrlich an denſel¬ ben Plaͤtzen wieder gepflanzt werden, wie damals. Er hat Recht, ſagte Fortunat, was ſoll ein Garten, wenn er nicht ein Gedicht von ganz beſtimmtem Klange iſt! In dieſem einfoͤrmigen Plaͤtſchern der Waſſer¬25 kuͤnſte, in dieſer geiſterhaften Symmetrie der Laub¬ waͤnde und ſtummen Marmorbilder iſt eine Wehmuth, die einen wahnſinnig machen koͤnnte.

Jetzt ſtanden ſie an dem Abhang des Berges, deſſen obere Flaͤche das Schloß und der eigentliche Ziergarten einnahmen. Von der, mit Epheu umrank¬ ten Felswand ſah man hier ploͤtzlich in tiefe Schluch¬ ten und Wieſenplaͤtze hinab, wo im kuͤhlen Schatten uralter Baͤume Rehe und Dammhirſche weideten, die ſcheu die Koͤpfe nach ihnen emporhoben, und dann pfeil¬ ſchnell im tieferen Dunkel verſchwanden. Sehen Sie da, rief Fortunats Begleiter aus, das Großartige und Kuͤhne dieſer Kompoſition. Ich betrete dieſen Ort nie ohne Ehrfurcht vor dem ſeltenen Genius dieſes Dichter-Grafen oder ſagen wir es nur lieber gerad 'heraus: Dichterkoͤnigs! beſonders muß ich Sie hier auf jene leichtgeſchwungenen Bruͤcken aufmerkſam ma¬ chen. Sie fuͤhren, wie Sie ſehen, uͤber die Wipfel der Baͤume hinweg nach einzeln ſtehenden hohen, abge¬ riſſenen Felſen hinuͤber, die, mit ihren bunten Gaͤrtchen auf den Gipfeln, wie funkelnde Blumenzinnen uͤber die Waldeinſamkeit emporragen. Dieſen Einfall hat der liebenswuͤrdige Graf vor dem lieben Gott voraus, er legte dieſe haͤngenden Gaͤrten an; das waren die Blocks¬ berge ſeiner Phantaſie. Hier pflegte er als Knabe, wenn ein Gewitter heraufzog, und im Schloſſe alles aͤngſtlich durcheinander lief, vor der unermeßlichen Aus¬26 ſicht zu ſitzen, mit den Beinen uͤber dem Abgrunde baumelnd, bis ihm die erſten dicken Regentropfen an die ſeidenen Struͤmpfe klatſchten. Es freut mich erwiederte Fortunat, der ganz in den Anblick des wun¬ derbaren Grundes verſunken, die letzten Worte faſt uͤberhoͤrt hatte es freut mich recht, daß Sie Vic¬ tors poetiſche Erſcheinung ſo hoch halten.

Der Begleiter ſah ihn aus den ſchoͤnen Augen ſcharf und zweifelhaft an. Ich bedaure ihn aufrich¬ tig, ſagte er dann, denn ich halte die Anſtellung als Genie fuͤr eine der epinoͤſeſten in der Welt. Ein An¬ derer ſtopft ſich ſeine Pfeife, zieht ſeinen Schlafrock an, ſetzt ſich auf dem Schreibeſel zurecht, und macht ſeine Arbeiten ab, und geht dann zufrieden in die Reſſource, wo er wieder ganz Menſch ſeyn kann. Aber ſo ein Genie, zumal ein Dichter, kann das Genie gar nicht los werden; wie ein Spaziergaͤnger, der im Herbſt uͤber Feld gegangen, ſchleppt er die Sommerfaͤden ſeiner Traͤume an Hut und Aermeln bis auf die Reſſource nach. Iſt dort gar das Fenſter offen, ſo ſind die Nachtigallen und Lerchen draußen recht wie verſeſſen auf ihn, und rufen ihn ordentlich bei Namen, ja zu¬ weilen ſpielt ihm ſeine kaum halbfertig gedichtete Ge¬ liebte den fatalen Streich, und blickt ihn ploͤtzlich aus den Augen irgend einer albernen Dame an. Hier ſtand er ploͤtzlich ſelber uͤberraſcht ſtill. Sie waren in das Felſenthal hinabgeſtiegen, und an einen einſamen27 Weiher gelangt, in deſſen Mitte ſich eine, wie es ſchien, unzugaͤngliche Inſel im friſchen Schmuck des Morgenthaues ſpiegelte. Spuren ehemaliger Gaͤnge und Blumenplaͤtze waren von hohem Graſe und Un¬ kraut uͤberwachſen, fremde Bluͤtengewaͤchſe ſchlangen ſich an den Baumſtaͤmmen empor, nur einzelne hohe Blumen funkelten noch hier und da aus der bunten Verwilderung, in der unzaͤhlige Voͤgel ſangen. Das war ſonſt Victors Lieblingsplatz, ſagte der Fremde nach einem Weilchen, hier hat er den Namen ſeines erſten Liebchens in die Baͤume geſchnitten. Das Maͤd¬ chen iſt todt, der Nachen zu der Inſel lange zertruͤm¬ mert und verſenkt, und Wipfel und Zweige, Unkraut und Bluͤten ſchlingen ſich druͤben verwildert durch ein¬ ander, und koͤnnen doch nicht in den Himmel wachſen. Ein ſeltſames Leuchten flog bei dieſen Worten uͤber ſein geiſtreiches Geſicht. Dann auf einmal zu Fortu¬ naten gewandt, ſagte er: aber Sie ſind am Ende ſelbſt der Graf Victor laͤugnen Sie nur nicht! For¬ tunat brach in lautes Lachen aus, und bat den Unbe¬ kannten, der ihm wohl behagte, zu wechſelſeitiger naͤhe¬ rer Bekanntſchaft ſogleich mit zum Amtmann hinauf zu kommen. Der Fremde beſann ſich einen Augen¬ blick, und fragte dann, ob noch mehrere Gaͤſte dort waͤren? Da er hoͤrte, daß auch Walter droben ſey, entſchuldigte er ſich, er habe zu lange am Brunnen geſchlafen, und muͤſſe nun ſchnell wieder weiter.

28

Sind Sie denn nicht hier aus dem Hauſe? fragte For¬ tunat erſtaunt. Aber Jener eilte ſchon fort, winkte noch einmal mit dem Hute, und war bald zwiſchen den Baͤumen verſchwunden.

Drittes Kapitel.

Als Fortunat wieder die Anhoͤhe erreichte, traute er ſeinen Augen kaum. Der ſchoͤnſte Morgenglanz blitzte jetzt uͤber die gezirkelten Raſen-Figuren und Tul¬ penbeete, an den Statuͤen hingen Mieder, Poſchen und Schleier umher, ein friſcher Wind ging durch den Garten, und ließ, die Zweige theilend, bald ein paar bloße Maͤdchenarme, bald ein ganzes zierliches Bild¬ chen fluͤchtig erblicken. Und ſo glich der Garten mit den bunten Tuͤchern, die wie Fruͤhlingsfahnen von den Buͤſchen flatterten, mit den funkelnden Strahlen der Waſſerkuͤnſte und dem heiteren Sonnenhimmel daruͤber, auf einmal jenen alten Landſchaften, wo alle Hecken von ſchwaͤrmenden Nymphen wunderbar belebt ſind. Erſtaunt drang er weiter vor, da ſah er eine junge Dame in wunderlichem Schmuck, mit Reifrock, Mie¬ der und geſticktem Faͤcher vor einem Springbrunnen ſtehen, ſie beſpiegelte ſich, froͤhlich plaudernd, im Waſſer,29 ſchuͤttelte lachend die ſchweren blitzenden Ohrgehaͤnge und ſah wieder hinein. Auf einmal wandte ſie ſich, er glaubte in dem friſchen Geſichtchen Florentine, die Amtmannstochter, zu erkennen, die er vorhin am Fen¬ ſter geſehen. Aber nun erſchallte ein lauter Schrei, und aus allen Hecken, in Taft und Seide rauſchend, fuhren erſchrocken fliehende Maͤdchen-Geſtalten durchs Gruͤne, als haͤtte der Wind Aprikoſenbluͤten umher¬ geſtreut.

Fortunat folgte ihnen zu der Amtmannswohnung, wo ſie verſchluͤpft waren. Aber hier hielt ihn neue Verwirrung feſt, er fand auch dort alles in lebhafter Bewegung. Aus dem Moͤrſerſtampfen im Hauſe und dem ernſtwichtigen Durcheinanderrennen der Maͤgde, zwiſchen dem man von Zeit zu Zeit die Kommando¬ ſtimme der Amtmannin vernahm, ſchloß er ſogleich auf ein großes Kuchenbacken im Innern. Draußen aber auf dem Raſen ſah man große Teppiche ausbreiten, Sophas und Polſterſtuͤhle ausklopfen, uͤberall wurden die verdunkelnden Doppelfenſter ausgehoben, die Mor¬ genſonne ſchien luſtig durch das ganze Haus, und ein¬ zelne Schwalben kreuzten jauchzend uͤber dem Platze.

Ein langer, hagerer Mann, mit duͤnnem Hals und hervorſtehenden Augen ſchien beſonders ſelig in dem Rumor, man ſah ihn uͤberall im dickſten Hau¬ fen ſchreiend, helfend und anordnend. Von dieſem er¬ fuhr Fortunat endlich, nicht ohne Muͤh 'und wiederholte30 Fragen, daß die Pachterstoͤchter aus der Nachbarſchaft angekommen, und mit Florentinen im Garten den alten graͤflichen Hofſtaat anprobirt haͤtten, und daß alle dieſe Anſtalten auf den feierlichen Empfang des heute erwarteten Studenten Otto zielten, der nach den ein¬ gelaufenen Nachrichten fruͤher hier eintreffen koͤnnte, als man Anfangs glaubte. Der Mann aber war der Foͤr¬ ſter des Orts, der fruͤher ſelbſt das Gymnaſium fre¬ quentirt, und ſeitdem eine wuͤthende Vorliebe fuͤr Stu¬ denten hatte. Fortunaten war dieſe unverhoffte Wirthſchaft ein willkommenes Feſt. Er miſchte ſich ohne Verzug in das bunte Getuͤmmel, um den Laͤrm, wo moͤglich, noch groͤßer zu machen. Dem Foͤrſter ſtellte er vor, wie unerlaͤßlich es ſey, den Gefeierten durch ein Triumphthor einzufuͤhren, worauf beide ſo¬ gleich voll Eifer forteilten, um die noͤthigen Materia¬ lien zu dem neuen Werke herbeizuſchaffen. Unterwegs begegneten ſie Walter'n, der ſo eben mit einem Buche in den Garten ging. Ich muß mich ein wenig ſam¬ meln, ſagte er fluͤchtig zu Fortunat, ich freute mich ſo auf den ſtillen Tag im Freien, und nun bricht aller Plunder herein, es iſt mir einmal nicht gegeben, mit den Leuten uͤber Nichts zu ſchwatzen, es iſt unleidlich!

Inzwiſchen verzoͤgerte ſich Otto's Ankunft von Stunde zu Stunde. Walter hatte nicht lange geleſen, ſondern revidirte in ſeiner praktiſchen Luſt mit dem Amtmann die Hoͤfe, Scheunen und Staͤlle. Im Gar¬31 ten wurden die Voͤgel ſchon ſtill, Florentine und ihre jungen Freundinnen, wieder bequem in ihren gewoͤhnli¬ chen Kleidern, fluͤchteten vor der ſteigenden Sonne aus einem Schatten zum andern, die immer kuͤrzer wur¬ den, jede hatte ein Stuͤck friſchen Kuchen in der Hand, ſie wußten nicht, was ſie in der Hitze anfangen ſollten mit der langen Zeit. Auch ein junger Wirthſchafts¬ ſchreiber mit Sporen und neuem Frack hatte ſich ein¬ gefunden. Er trug den Maͤdchen die Tuͤcher nach, focht mit ſeiner Reitgerte galant in die Luft, und wußte durch Schnalzen auf Lindenblaͤttern und andere artige Kunſtſtuͤcke ſich bei den Frauenzimmern angenehm zu machen.

Ploͤtzlich verſetzte der Knall eines Boͤllers alles in die groͤßte Verwirrung, aus allen Hecken und Thuͤren ſtuͤrzten die Erwartenden nach der Richtung hin, wo die Exploſion erfolgt war. Dort gewahrten ſie ſchon von fern den Foͤrſter am Abhange des Gartenberges, wie er ſo eben durch ein altes Perſpectiv, das er wuͤ¬ thend immer laͤnger und laͤnger hervorſchob, in die Ge¬ gend hinausblickte. Als die Andern endlich athemlos und fragend anlangten, warf er auf einmal das Fern¬ rohr fort, ergriff eine neben ihm ſtehende Lunte, und loͤſte, zum Schrecken der lautſchreienden Damen, einen zweiten Boͤller. Und in der That, in demſelben Augen¬ blick wurde durch den ſich theilenden Pulverdampf zwi¬ ſchen den Kornfeldern am blaugewundenen Strom im32 Thal ein Reiter in bunter ſtudentiſcher Tracht ſichtbar, der nun auch ſeinerſeits die Harrenden auf dem Berge erblickte, und, freudig ſeinen Hut ſchwenkend, die Sporen einſetzte. Otto! Otto! rief alles froͤhlich durch¬ einander, und winkte ihm mit den Schnupftuͤchern ent¬ gegen. Der Reiter hatte unterdeß den Fuß des Ber¬ ges erreicht, ſchwang ſich vom Pferde, und auf dem naͤchſten Wege zwiſchen den gruͤnen Rebengelaͤndern aufſteigend, erſchien ein ſchoͤner Juͤngling von etwas kleiner, zierlich ſchlanker Geſtalt mit einem feinen Ge¬ ſicht und faſt traͤumeriſchen Augen.

Aber am Eingang zur erſten Allee wurde er ploͤtz¬ lich durch eine ſeltſame Erſcheinung aufgehalten. Ein ſchoͤner Tannenbaum ſtand dort am Abhang von Alters her, wie ein dunkler Ritter auf der Wacht, und ragte mit dem Wipfel bis uͤber die Anhoͤhe hinauf. Auf einmal rauſchte er mit den gruͤnen Kronen und zeigte ſein Rieſenhaupt mit rothbraunem Geſicht und langem Schilfbart, das Haar phantaſtiſch von wilden Blumen und Eichenlaub umkraͤnzt. Salve! redete das Haupt, die Augen ſichtbar bewegend, den erſtaunten Studen¬ ten an:

Salve! Herr Doctor oder Magiſter!
Bin ein alter Burſch 'und haß' die Philiſter,
Bin der Waldmann aus dem Gebirge hier,
Darf nicht naͤher treten zu Dir,
Kann nicht zu Dir kommen in Haus und Zimmer,
Traͤt 'dort alle den Plunder in Truͤmmer,
33
Drum ſchau ich uͤber die Wipfel hier hinaus;
Und biſt Du der Alte noch immer,
So lad' ich Dich wieder in mein gruͤnes Haus!
Da gehn, wie damals, noch mit Gefunkel
Die Quellen verworren durch's kuͤhle Dunkel,
Waldhornsklaͤnge und Voͤgelſchall,
Von fern dazwiſchen der Waſſerfall,
Und uͤber uns rauſchend die Buchen und Fichten,
Erzaͤhlen Dir wieder die alten Geſchichten.
Doch haſt Du uͤber Pandekten und Latein
Seitdem vergeſſen die Sprache mein,
So magſt Du uͤber Deinem Buche hocken und leſen!
Das meine iſt doch geſcheuter geweſen!
Dann halt 'ich auf ewig meinen großen Mund,
Wir ſehen uns nimmermehr wieder und

Und hier blieb der Gebirgsgeiſt ploͤtzlich ſtecken, man hoͤrte eine andere Stimme immer lauter, aber vergeblich ſoufliren. Daruͤber gerieth das Haupt nach und nach ins Wackeln, auf einmal kollerte es zwiſchen den Zweigen auf die Anhoͤhe herunter und praſſelnd hinterdrein der Foͤrſter und Fortunat zu großem Ge¬ laͤchter und Ergoͤtzen der Umſtehenden.

Otto ſtuͤrzte dem ſchimpfenden, ſich abſtaͤubenden Waldmann herzlich in die Arme, dann ſah er mit den ſchoͤnen Augen Fortunaten nachdenklich an. Gott weiß es, ſagte er, ich verſtehe die Waldesſprache noch immer, und was ich auch ſeitdem hinzugelernt habe, ſie iſt und bleibt doch meine rechte Mutterſprache! Nun bemerkte er erſt die Andern in der Allee, und fiel jubelnd dem Amtmann und ſeiner Frau und end¬334lich auch den Maͤdchen in die Runde um den Hals, die erroͤthend und verlegen ſich des Ungeſtuͤmen nicht erwehren konnten. Aber kein Menſch konnte zu Worte kommen, denn der unermuͤdliche Foͤrſter, der in ſeinem Eifer gar keine Notiz von der Ruͤhrung nahm, hatte insgeheim Pauken und Trompeten herbeſtellt, die jetzt furchtbar in die Ohren der Damen ſchmetterten, Boͤller auf Boͤller wurde dazwiſchen geloͤſt, er ſelbſt aber ruͤhrte ſehr kuͤnſtlich die Pauken, auf die er zuletzt hin¬ aufſprang, und Schlaͤgel und Hut hoch uͤber ſich in die Luft werfend, unaufhoͤrlich Hurrah ſchrie. Die Amtmannin wurde ganz zornig in dem Laͤrm, auch Otto ſchien verlegen und geſtoͤrt. Da war der tolle Foͤrſter endlich mit ſeinem Empfange fertig geworden, und, noch ganz erhitzt von dem pappenen Rieſenkopfe, in dem er vorhin geſteckt, fuͤhrte er nun mit einer wunderlichen ungelenken Grandezza die fremden Maͤd¬ chen nach der Amtmannswohnung hin.

Hier unter den Baͤumen ſtanden auf einer alt¬ modiſchen Kaffeeſerviette, in welche verſchiedene Staͤdte und Hirſchjagden rothgewirkt waren, unzaͤhlige kleine chineſiſche Taſſen aufgepflanzt, ein ungeheurer Kaffee¬ krug dampfte einladend dazwiſchen, die junge Dienſt¬ magd im Sonntagsputz brachte eine Schuͤſſel mit den in Kuchen gebackenen Namenszuͤgen Otto's herbei, und kuͤßte dem neuangekommenen jungen Herrn hocherroͤ¬ thend die Hand. Der Foͤrſter, der alte Junggeſell,35 war inzwiſchen in den vollen Redeſtrom ſeiner Feier¬ tagslaune gerathen, und brachte alle ſeine alten Jagd¬ ſpaͤße und lateiniſche Brocken wieder aufs Tapet, wor¬ uͤber die Pachterstoͤchter, die ihn insgeheim fuͤr einen gewandten Weltmann und Gelehrten hielten, jedesmal in ein unmaͤßiges Lachen ausbrachen. Bald aber nahm Otto die Aufmerkſamkeit ausſchließlich in An¬ ſpruch, noch in der vollen Heimathsfreude des erſten Wiederſehens erzaͤhlte er von ſeinem Studentenleben in Halle, er ſprach ſo friſch, und als nun gar der Amtmann die funkelnden Weinflaſchen auf den Tiſch ſetzte, glitten alle Gedanken froͤhlich mit dem bunten Studentenſchifflein am Gibichenſtein und den bluͤhenden Kirſchgaͤrten die Saale hinab in das gelobte Land der Jugend.

So war unvermerkt der Abend herangekommen, der Foͤrſter und die Maͤdchen hatten ſich heimlich ins Haus geſchlichen, Otto erzaͤhlte noch immer, als ploͤtz¬ lich die Thuͤr ſich weit aufthat, und bei dem Geſchwirr einer Geige ein ganzer Hofſtaat von Damen und Herren in Reifroͤcken, Haarbeuteln und altfranzoͤſiſchen Fraͤcken ſich rauſchend herausbewegte. Man erkannte ſogleich den Foͤrſter unter ihnen, er fuͤhrte feierlich die jungen Leute vom Tiſch den verlegen knixenden Da¬ men auf, die Geige ſchwirrte von neuem, und ſo ent¬ ſpann ſich unverſehens ein Tanz auf dem Raſen. Waltern wollt 'es gar nicht gelingen, er wurde immer3*36verlegener, je mehr die andern uͤber ihn lachten, auch die beiden Pachterstoͤchter konnten ſich in ihrem Staat nicht finden, in dem ſie ſich, wie in einem Gehaͤuſe, nur ſchwerfaͤllig bewegten und alle Augenblick ver¬ wickelten. Jeder ſprang ſo gut er konnte, und als nun vom Schwung der Reifroͤcke die Lichter verloͤſchend flackerten, ergriff der Wirbel endlich auch die Alten am Weintiſch, der Foͤrſter fuͤhrte die, ſich vergebens ſtraͤu¬ bende Amtmannin zu einer Sarabande, jeder der uͤbri¬ gen waͤhlte gleichfalls ſeine Dame, und es entſtand eine wunderſame, kuͤnſtliche Verſchlingung, wobei der Foͤrſter durch kuͤhne Schwenkungen alles in Erſtaunen ſetzte.

Auf einmal fuhr Florentine aus dem leuchtenden Kreiſe wie eine Sternſchnuppe in den finſtern Garten hinaus. Ihre Bruſt flog uͤber dem knappen, ſeidenen Mieder, ſie athmete erſchoͤpft in der kuͤhlen Nachtluft, dabei blickte ſie immerfort nach den Baͤumen zuruͤck, als erwartete ſie noch jemand. Fortunat bemerkte ſie, ihn hatte unter den abenteuerlichen Geſtalten nach und nach die Hofluft der alten Zeit unwiderſtehlich er¬ griffen, er folgte raſch dem Maͤdchen nach, faßte ſie zierlich an den aͤußerſten Fingerſpitzen, und promenirte ſo feierlich mit ihr auf den geſchnoͤrkelten Gaͤngen. Sie ließ ihm lachend die Finger, ſah aber immer un¬ geduldiger zuruͤck. So waren ſie in galantem Dis¬ cours an eine einſame Grotte gekommen, noch ein37 Ueberbleibſel jenes grillenhaften Schmuckes altmodiſcher Gaͤrten. Bunte Muſcheln blitzten im Mondſchein von Decke und Waͤnden, ausgeſtopfte Reiher und Waſſer¬ voͤgel ſtanden mit weitaufgeſperrten Schnaͤbeln auf Kriſtalriffen umher. Suͤßer Gott der Liebe, ſagte Fortunat, das iſt recht eine Grotte zum Schnaͤbeln, o waͤren wir doch jetzt zwei Turteltaͤubchen! Sie ſah ihn einen Augenblick verſchmitzt an, dann drehte ſie leiſe einen verborgenen Krahn, auf einmal ſpruͤtzten alle Schnaͤbel funkelnde Waſſerſtrahlen grade auf For¬ tunat, und eh 'er ſich noch beſinnen konnte, war ſeine wilde Taube in dem Spruͤhregen verflogen.

Er ſchuͤttelte ſich lachend ab, und als er zu der Geſellſchaft zuruͤckkam, ſtand Florentine ſchon wieder am Tiſch vor der Mutter, die ihr beſorglich die Locken aus der heißen Stirn ſtrich. Sie hatte die langen Augenwimpern tief geſenkt, denn es that ihr nun heim¬ lich leid um Fortunats neuen Frack, die flackernden Lichter ſpielten auf ihrem Geſicht und dem glitzernden Mieder, ſo ſah ſie in den lauſchenden Wogen von Taft und bunten Schleifen wie ein Elfchen aus, das aus einer Tulpe guckt. Walter ſah ſie lange unver¬ wandt an, dann faßte er Fortunaten unter dem Arm und fuͤhrte ihn raſch in den Garten. Iſt ſie nicht wunderſchoͤn? o wie bin ich doch gluͤcklich! rief er aus, und erzaͤhlte nun dem Freunde, daß er ſeit laͤngerer Zeit mit Florentinen verlobt ſei, daß ſie, auf den Rath38 der Aeltern nur noch eine bevorſtehende Gehaltserhoͤh¬ ung Walters abwarteten, und dann in dem Staͤdtchen Haus und Garten mit der Ausſicht auf Hohenſtein kaufen und dort im Gruͤnen ſich fuͤr die ganze Lebens¬ zeit miteinander einrichten wollten.

Kaum eine Stunde darauf aber war alles ver¬ klungen, aus den Thaͤlern ſchallte das Zirpen der Heimchen herauf, man hoͤrte nur noch die Kaleſche der Pachterstoͤchter auf dem ſteinigen Wege durch die Nacht fortrumpeln, in der Ferne zerplatzten einige Leuchtkugeln, die der unermuͤdliche Foͤrſter noch aus ſeinem Gaͤrtchen warf. O gluͤckſelige, bangſame Einſamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter uͤber ſich gewoͤnne, ſich ganz darin zu verſenken!

Viertes Kapitel.

Schoͤne ſtille Zeit, du liebſte Heimathsgegend mit deinen friſchen Morgen und mittagſchwuͤlen Thaͤlern, und ihr ruͤſtigen, nun nach allen Weltgegenden hin zerſtreuten Jugendgeſellen, die damals von den Bergen ſo ernſt und froͤhlich mit mir in das Leben hinausge¬ ſehen ich gruͤß 'euch alle aus Herzensgrund! Denn39 alles wird mir wieder lebendig hier auf den kuͤhlen Waldbergen, wie ich den Amtmann zwiſchen den Korn¬ feldern wandern ſehe und Florentinen bald oben am Fenſter beim erſten Morgenlicht ſingend und ihre Haare flechtend und ſich ſtreckend und putzend um die Wette mit den erwachenden Voͤgeln in den Baͤumen vor dem Hauſe, bald wieder im Garten uͤber einer franzoͤſiſchen Grammaire eingeſchlafen, die Walter ihr gegeben, um ſich fuͤr das Stadtleben auszubilden. Vor allen aber hat Fortunat, der ſeine Abreiſe von einem Tage zum andern verſchiebt, ſich behaglich im Garten eingerichtet. Im Gruͤn zwiſchen hohen Blumen, die weite Land¬ ſchaft unter ſich, und uͤber ihm die rauſchenden Wipfel, ſetzt er ſich jeden Morgen mit dem Schreibzeug an dem ſteinernen Fußgeſtell eines etwas verwitterten Apol¬ lo's zurecht, um einige Novellen, die er in gluͤcklichen Reiſeſtunden auf ſeinem Pferde erſonnen, endlich ein¬ mal recht in Ruhe zu Papier zu bringen. Aber da geht es ihm wunderlich. Der luſtige Morgenwind wirft ihm die Blaͤtter ins Gras, wo ſich die Huͤhner drum raufen, hinter ihm aber ſtimmen die Wipfel ihr uraltes Lied wieder an, das in keine Novelle paßt, die Waldvoͤgel ſingen ganz fremde Noten dazwiſchen und Wolken fliegen uͤber das Land und rufen ihm zu: Menſchenkind, ſei doch kein Narr! Und zog dann gar der Foͤrſter unten zur Jagd, und ſchwenkte ſeinen Hut, und rief Hurrah hinauf, da warf er gewiß Feder und40 Papier fort, und ſchwang ſich auf ſeinem Pferde mit in den friſchen, glaͤnzenden Morgen hinaus.

Auf einem ſolchen Morgenritt troͤſtete er ſich ein¬ mal mit folgendem Liedchen:

Ich wollt 'im Walde dichten
Ein Heldenlied voll Pracht,
Verwickelte Geſchichten
Recht ſinnreich ausgedacht.
Da rauſchten Baͤume, ſprangen
Vom Fels die Baͤche drein
Und tauſend Stimmen klangen
Verwirrend aus und ein.
Und manches Jauchzen ſchallen
Ließ ich aus friſcher Bruſt,
Doch aus den Helden allen
Ward nichts vor tiefer Luſt.
Kehr ich zur Stadt erſt wieder
Aus Feld und Waͤldern kuͤhl,
Da kommen all' die Lieder
Von fern durch's Weltgewuͤhl,
Es hallen Luſt und Schmerzen
Noch einmal leiſe nach,
Und bildend wird im Herzen
Die alte Wehmuth wach,
Der Winter auch derweile
Im Feld die Blumen bricht
Dann giebt's vor Langerweile
Ein uͤberlang Gedicht!

Bei ſeiner Ruͤckkehr fand er im Hauſe alles aus¬ geflogen, und ſtreckte ſich ermuͤdet im Garten an dem hohen Bogengange in's Gras. Er hatte aber noch41 nicht lange geruht, als er Stimmen neben ſich ver¬ nahm, an denen er die Amtmannin und Waltern er¬ kannte, die ohne ihn zu bemerken in dem Gange auf und nieder wandelnd, in lebhaftem Geſpraͤch begriffen ſchienen. Das kommt bei dem Ueberſtudiren her¬ aus, ſagte ſo eben die Amtmannin, nichts als Verſe im Kopf, Reiſen und dergleichen unkluges und koſtſpie¬ liges Zeug. Ich glaube gar, rief Fortunat, die ſpricht von mir! Beruhigen Sie ſich, hoͤrte er nun Waltern entgegnen, ich werde verſuchen, die eigent¬ lichen Abſichten dieſes verſchloſſenen, raͤthſelhaften Ge¬ muͤths zu erforſchen. Bei Nacht moͤchte er ſpazieren gehen, fing die Amtmannin wieder an, den Tag ver¬ traͤumt er! Und warum verbirgt er ſich vor uns? Hier verlor ſich der Discours in der Ferne. Fortunat ſprang haſtig auf. Sie reden von meinem unbekann¬ ten Fuͤhrer im Garten an jenem erſten Morgen, dachte er, und es fiel ihm auf's Herz, daß er ihn in der Zerſtreuung ſo ganz vergeſſen hatte.

Als am Abend alle unter den Linden vor der Hausthuͤre ſich wieder verſammelten, beſchloß er, der Sache naͤher auf den Grund zu kommen. Der Amt¬ mann war der erſte auf dem Platz, er erzaͤhlte ihm ſogleich das ganze Begegniß, wie er damals den Un¬ bekannten ſchlafend am Springbrunnen getroffen, und was ſie mit einander geſprochen hatten. Dieſer hoͤrte ſehr aufmerkſam zu, er mußte ihm Groͤße, Kleidung,42 Haar und Stimme des Fremden ausfuͤhrlich beſchrei¬ ben, aber der Amtmann wußte alles beſſer, als er, alle ſeine Fragen trafen wunderbar ein. So kennen Sie ihn alſo? fragte Fortunat. Der Amtmann ſchuͤttelte nachdenklich den Kopf. Ich weiß nicht, wer es war, ſagte er, und darf nicht ſagen, was ich ver¬ muthe. Unterdeß war ſeine Frau herausgekommen, er bat Fortunaten ſchnell, vor den Weibern nichts von der Geſchichte zu erwaͤhnen. Jetzt trat auch der Stu¬ dent Otto, der von einem weiten Spaziergange zuruͤck¬ zukommen ſchien, zu der Geſellſchaft. Als er ſich bei ihnen niederließ und in der warmen Luft ſeinen Rock ſchnell oͤffnete, fiel ein ſauber eingebundenes Buch dar¬ aus zu Boden; es war des Grafen Victors neueſtes poetiſches Werk, das er bisher noch nicht gekannt und heute fruͤh unter den zerworfenen Buͤchern des Amt¬ manns gefunden hatte. Ach, ich dachte, es waͤre dein juriſtiſches Handbuch, ſagte die Amtmannin, indem ſie das Buch aufnahm und Otto'n zuruͤckgab. Dann, ſich gemaͤchlich auf ihren Lehnſtuhl zuruͤckleh¬ nend, fuhr ſie nach einer kurzen Pauſe fort: hab 'ich doch heute von Tagesanbruch in Haus und Hof zu ſchaffen gehabt, daß mir ordentlich alle Glieder wehthun. Nun dafuͤr ſchmeckt auch am Abend die Ruhe, wenn man ſich wacker geruͤhrt und ſeine Pflichten erfuͤllt hat. Otto erroͤthete fluͤchtig, ohne etwas darauf zu erwiedern. Fortunaten aber fiel es43 bei dieſen Worten erſt auf, wie ſonderbar allerdings Otto ſeit einiger Zeit erſchien. Alle Morgen zog er ganz allein in den Wald hinaus, und kam ſelten vor Mittag wieder zum Vorſchein. Dann war er ein¬ ſylbig, ſchuͤchtern, zerſtreut, und oft mitten in den hei¬ terſten Augenblicken flog es uͤber ſein freundliches Ge¬ ſicht, wie ein Wolkenſchatten uͤber eine ſchoͤne ſonnen¬ helle Gegend.

Man hatte unterdeß das Abendeſſen aufgetragen, und die ruͤſtige Amtmannin, die es nun heut einmal auf Otto'n abgeſehen zu haben ſchien, begann, indem ſie den Braten zerſchnitt und jeden reichlich davon be¬ theilte, ſich mit allerlei weiſen Redensarten und ſpitzi¬ gen Ausfaͤllen uͤber die theuren Zeiten zu verbreiten, und wie nothwendig es ſey, daß ein junger Menſch jetzt fruͤhzeitig darauf denke, dereinſt ſein ſicheres Brod zu haben. Da ſeyen noch immer Thoren genug in der Welt, um reichen Leuten die Zeit zu vertreiben mit ſchoͤnen Bildern, Komoͤdienſpielen oder Verſemachen das ſey ein bloß herrſchaftliches Vergnuͤgen, ſetzte ſie ſchnell verbeſſernd hinzu, indem ihr dabei Graf Vic¬ tor einfallen mochte. Der Amtmann hatte die Sal¬ latſchuͤſſel vor ſich geſchoben und haſtig, man konnte nicht errathen, ob er ſich uͤber Otto oder uͤber ſeine Frau aͤrgerte. Da faͤllt mir immer mein ſeliger Bruder ein, hub die letztere wieder an; er hat auch ſtudirt, aber das war ein geſcheuter Kopf, der ließ die44 Phantaſten ablaufen, ſetzte ſich auf ſeine Brodwiſſen¬ ſchaften, heirathete eine gebildete, vernuͤnftige Frau, und Gott hat ſeinen Eheſtand geſegnet. Nun du kannſt es ja ſelber bezeugen fuhr ſie zu dem Amt¬ mann gewendet fort, empfindlich, daß er ihr gar nicht beiſtimmte der ließ ſich zu ſeiner Hochzeit von den beſten Poeten Schaͤfergedichte machen, Gott weiß, wo die nun ſelber die Schaafe huͤten. Hier brach Otto, der bis jetzt ſichtbar mit ſich ſelbſt kaͤmpfte, ploͤtzlich mit verbiſſener Bitterkeit und einem hoͤhniſchen Stolze los, den niemand dem ſanften Juͤnglinge zugetraut hatte. Lieber Schweine huͤten, ſagte er, als ſo Zeit¬ lebens auf der Treckſchuite gemeiner Gluͤckſeligkeit vom Buttermarkt zum Kaͤſemarkt fahren. Der liebe Gott ſchafft noch taͤglich Edelleute und Poͤbel, gleichviel, ob ſie Adelsdiplome haben, oder nicht. Und ich will ein Herr ſeyn und bleiben, weil ich's bin, und jene Knechte ſollen mich ſpeiſen und bedienen, wie es ihnen zukommt! Das war der beſtuͤrzten Amtmannin zu toll. Unſinniger, aufgeblaſener Menſch! rief ſie hoch¬ roth vor Zorn; ſo meinetwegen trockenes Brod, wenn du Butter und Kaͤſe verachteſt! Aber wir wiſ¬ ſen's wohl, wo du die Komoͤdianten-Spruͤche gelernt haſt. Denke nur nicht, in unſer ehrliches Haus ein¬ mal eine Theaterprinzeſſin heimzufuͤhren, die nicht ſo viel hat, um die Loͤcher zu flicken, die ſie in ihre Lap¬45 pen geriſſen, ſo eine, von aller Welt ausgeklatſchte Creatur!

Aber Otto hoͤrte nicht mehr, er war raſch aufge¬ ſtanden, und ſchritt zuͤrnend in den naͤchtlichen Garten hinein. Walter, in ſichtbarer Verlegenheit, wollte ihm folgen, wurde aber von Fortunat aufgehalten, der ihn ſchnell in einen Seitengang fuͤhrte. Sage doch nur, fragte er Waltern, was giebt's denn eigentlich hier, und wo willſt du hin? Den Gekraͤnkten troͤſten, erwiederte Walter, und vermag ich's ſonſt ihm auch den Kopf ein wenig zurechtſetzen. Komm 'mit! Das laß' ich wohl bleiben, rief Fortunat aus, ich bin froh, wenn mir mein eigner Kopf zuweilen noch ſo leidlich ſitzt. Mein Vorhaben, ſagte Walter, iſt wahrhaftig edler, als es dir, nach deinem ironiſchen Geſicht, auf den erſten Blick vielleicht erſcheinen mag. Denke dir nur recht dieſen ſtillbeſchraͤnkten, heiteren Familienkreis, deſſen ganzes Trachten und Hoffen auf den einzigen Juͤngling gerichtet iſt, der auf der Schule immer fuͤr den aufgeweckteſten und geſchickteſten galt. Und nun kehrt er von der Univerſitaͤt zuruͤck, verwan¬ delt, traͤumeriſch in ſich gekehrt, unluſtig zu jeder tuͤch¬ tigen Arbeit, und einer verworrenen Welt von aus¬ ſchweifenden Gedanken und Wuͤnſchen nachhaͤngend, um wie ich fuͤrchte dereinſt zu ſpaͤt von der grauſamſten Taͤuſchung zu erwachen, und ein verlornes Leben zu bereuen. Nein, ich will es endlich verſuchen,46 ihn auf das Gefaͤhrliche eines Pfades aufmerkſam zu machen, der einſam uͤber die Koͤpfe der anderen Men¬ ſchen weggeht, und immer nur fuͤr ſehr wenige be¬ ſtimmt ſcheint. Fortunat war uͤber dieſe Worte ernſt und nachſinnend geworden. Du ehrliche Seele! ſagte er endlich, dem Freunde herzlich die Hand ſchuͤt¬ telnd, ſo verſuche dich denn an ihm. Iſt der junge Menſch ein halber Philiſter, ſo hilf ihm voͤllig aus dem tollen Poetenmantel heraus, und iſt es rechter Ernſt mit feinem Talent, ſo muß er ja doch wei¬ ter, und rennt dich uͤber, waͤrſt du auch der weiſe Salomo ſelber.

Alle vor dem Hauſe waren durch den Vorfall ge¬ ſtoͤrt, die kleine Geſellſchaft ſah ſtumm und kopfhaͤn¬ gend auf die Teller. Draußen uͤber den Thaͤlern war es indeß ſchon ſtiller und dunkler geworden, nur in weiter Ferne ſah man zuweilen leichte Blitze uͤber den Bergen ſchweifen. Die Amtmannin blickte mit heim¬ licher Beſorgniß, wie es ſchien, bald in das Wetter¬ leuchten, bald nach der Richtung hin, wo Otto verſchwunden war, und ging dann, ohne ein Wort zu ſagen, in das Haus hinein. Endlich brach der Amtmann aͤrgerlich die unheimliche Stille. Es geht auch alles confus jetzt, ſagte er zu Fortunat, im Fruͤhling Gewitter, im Sommer kalt, in der Jugend alt und im Alter naͤrriſch! Glauben Sie mir, unſere ganze Zeit jetzt iſt gerade wie dieſes verruͤckte Fruͤh¬47 lingswetter, die Schwuͤle bruͤtet und treibt alles vor¬ zeitig hervor, und ich fuͤrchte, es ſchießt mehr in's Kraut, als in die Bluͤte. Unſere Jungens wiſſen ſchon jetzt mehr, als wir jemals erfahren haben, und recken und ſehnen ſich aus allen Gelenken heraus, waͤh¬ rend wir in unſerer luſtigen und geſunden Jugendzeit ohne beſondere Sehnſucht hinreichend dumme Streiche machten, und erſt die fatalen Luͤmmeljahre uͤberſtehen mußten. Ja, es iſt recht verdrießlich! Man moͤchte ſich gern bequem, froͤhlich und auf die Dauer einrich¬ ten, wie in der guten alten Zeit, aber der ferne Don¬ ner verkuͤndigt uͤberall den unheimlichen Ernſt, und ſo ſitzen wir verwirrt, ungewiß und in banger Erwartung vor dem dunklen Vorhang, hinter dem fortwaͤhrend Gott weiß, was! unruhig und feurig zuckt. Unter¬ deß hatte Walter den verſcheuchten Otto im Garten aufgefunden. Empoͤrt und in innerſter Seele verletzt, ſaß er wie eine Nachteule mitten im Geſtruͤpp. Als er Waltern erblickte, ſprang er raſch auf und kam ihm mit erzwungener, gleichguͤltiger Hoͤflichkeit entgegen. Die Tante, ſagte er, iſt gewiß ſchon beſorgt, daß ich draußen nicht den Schnupfen bekomme. Freilich die Naſe iſt ein empfindlicher Theil, da ſitzt die Seele ſchon tiefer und waͤrmer, die ficht ſo leicht nichts an. Walter ſtand einen Augenblick verbluͤfft, denn es war ihm als ſaͤh er auf einmal ſich ſelber als Studenten vor ſich ſtehn, er war ganz aus ſeinem48 Concept gebracht und ergriff geruͤhrt die Hand des aufgeregten Juͤnglings. Ich komme keineswegs, ſagte er endlich, um das harte, heftige Weſen der Amt¬ mannin zu vertheidigen, obgleich es auch nur eine an¬ dere, ungeſchickte Form der Liebe iſt. Das Angedenken meiner eigenen Jugend iſt es, was mich herfuͤhrt, der aufrichtige Schmerz um ein junges heitres Gemuͤth, das auf dieſem Wege ſich immer tiefer und tiefer in der bluͤhenden Einſamkeit verirrt und verwildert. Ich kenne dieſe troſtloſe Oede junger Seelen gar wohl, das Heimweh ohne Heimath, dieſe labyrinthiſche Selbſt¬ quaͤlerei. Sie ſtehn verlaſſen auf der Welt, ohne Vater und Mutter verlangt Sie in dieſer Einſam¬ keit nach einem Freunde, und wollen Sie's mit mir verſuchen, ſo biete ich Ihnen meine Hand bis in den Tod, und will rathen, ſchuͤtzen, helfen wo ich kann! Otto ſah ihn erſtaunt an, denn in Walters Worten war jener wunderbare Klang ernſter Guͤte, der uͤber¬ all unmittelbar zum Herzen geht. Sie ſind im Amte, angeſehen, ruhig ſagte er dann nach einer kurzen Pauſe. Und wenn ich Ihnen nun auch erzaͤh¬ len wollte von dem zauberiſchen Spielmann, der jeden Fruͤhling, wenn der Sonnenſchein ſich munter uͤber die Felder ausbreitet, aus dem Venusberge kommt mit neuen wunderbaren Liedern, und die Seelen verlockt, von dem in ſchwuͤler Mittagsſtunde der einſame Vogel¬ ſang ſchallt, von dem die Stroͤme und Quellen ver¬49 worren rauſchen im Mondſchein, und die badenden Nixen wie im Traume ſingen durch die ſtille, goldne Nacht Sie wuͤrden mich ja doch nur fuͤr verruͤckt halten! Walter erſchrak faſt, ſo irr und fremd leuchteten die Augen des Juͤnglings im Streiflicht des Mondes. Und ich bin es ja auch in der That! fuhr dieſer fort, bildete mir da ein, dem Zauberſtrom von Klaͤngen unverſehrt folgen zu duͤrfen, und ein Dichter zu ſein, der die Zauber regiert! Aber nun weiß ich's beſſer. Alle Engel, die durch die erſte Daͤmmerung meiner Kindheit zogen, was ich oft be¬ tend heimlich erſehnte, und immer und immer vergeb¬ lich auszuſprechen verſuchte: ich fand es heut auf ein¬ mal mit freudigem Erſchrecken in des Grafen Victors Buch, er hat es kuͤhn, friſch und jung wie eine Zau¬ berinſel entdeckt und ich weiß nicht mehr, was ich will. Aber es iſt noch immer Zeit, ich bin noch jung. Und wie ich das Buch hier vom Berge in den Fluß hinunterſchleudere, ſo entſag 'ich von heut ab der froͤhlichen Dichtkunſt, der Metze! Und gleich den anderen, die ich verachtet und die ſo unſaͤglich beſſer ſind als ich, will ich von heut an allein und ganz der Rechtswiſſenſchaft leben, und von den Buͤchern nicht wieder aufſehen! hier brach er ploͤtzlich in Weinen aus und ſtuͤrzte wie vernichtet an Walters Bruſt.

Beide neuen Freunde ſchritten nun durch den ſtil¬ len Garten, nur eine Nachtigall toͤnte ſchluchzend in450der Ferne. Otto ſchwieg und ſchien gefaßter. Walter ſagte: er brauche ja darum die Poeſie nicht ganz auf¬ zugeben, es beduͤrfe eines des andern, die Poeſie des ſtrengen, ernſten Lebens und das Leben der heiteren Dichtkunſt. Aber er fuͤhlte bald, wie albern ſolcher Troſt in ſolcher Stunde war, und ſchwieg endlich auch ſtill.

So kamen ſie an das Haus, wo ſie die Amt¬ mannin in Angſt und Thraͤnen fanden. Sie hatte zuletzt gefuͤrchtet, daß Otto in ſeiner Heftigkeit ſich ſelbſt ein Leids angethan, und fiel nun dem Geretteten mit großer Freude um den Hals, die dieſer herzlich erwiederte. Es iſt vorbei, rief Otto in ſeiner ſeltſa¬ men Haſt, ihr habt mich nun ganz wieder, und naͤch¬ ſtens, will's Gott, iſt Examen! Du biſt ein braver Junge, rief der Amtmann, ſtoß 'an! Die Glaͤſer gaben einen hellen Klang, und ſo endigte der Abend noch in Freuden; die fernen Gewitter hatten ſich auch verzogen, und der Himmel glaͤnzte mit tauſend Ster¬ nen uͤber den Verſoͤhnten.

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Fünftes Kapitel.

Aber es blieb nicht lange ſo ungeſtoͤrt; ein Zufall, Mißverſtaͤndniß, oder wie ſonst der Menſch des Him¬ mels Fuͤhrung oder ſein eignes Ungeſchick benennen mag, ſtellte unerwartet alles anders auf Hohenſtein.

Es war ein ſchwuͤler Nachmittag, die Blaͤtter im Garten ruͤhrten ſich kaum, der Amtmann war auf der Bank vor der Hausthuͤr eingeſchlummert, Walter ſchrieb Briefe im Hauſe, Fortunat hatte ſich mit einem Buche in's Gras geſtreckt, und ließ es ſich vor der weiten Ausſicht gern gefallen, daß die leiſe Luft ihm das Buch verblaͤtterte. Florentinen wurde ganz wehe in dieſer Stille, ſie mußte immer etwas zu ſchaffen haben; ſo ſchlich ſie ſich heimlich nach dem Wald, um fuͤr den Abend Erdbeeren zu pfluͤcken, die Walter fuͤr ſehr geſund hielt, weil er ſie gern . Fortunat ſah ſie mit ihrem Koͤrbchen unten aus dem Dorfe gehen, er warf ſein Buch weg, und folgte ihr, konnte ſie aber im Walde nicht wiederfinden.

Florentine war unterdeß, bald ſammelnd, bald naſchend, von Strauch zu Strauch geſchlendert, und ſo unvermerkt an die Ruine der graͤflichen Stamm¬ burg gekommen. Ueberraſcht ſah ſie in der Einſam¬ keit an den halbzerfallenen Mauern, Thoren und Fen¬ ſterbogen empor; ſteinernes Bildwerk, das von der4 *52ehemaligen Pracht zeugte, lag im hohen Graſe zer¬ ſtreut, aber der Fruͤhling hatte den verlaſſenen Berg wieder beſtiegen, und ſpielte faſt wehmuͤthig in dem ſtillen Hauſe. Seltſame Sagen gingen in der Ge¬ gend von dieſem einſamen Ort. Die Hirten hoͤrten oft bei Nacht fremde Stimmen in der Burg, eine wun¬ derſchoͤne bleiche Frau ſollte ſich manchmal dort in dem ausgebrochenen Fenſter ſehen laſſen. Florentine war noch nie allein hier geweſen, jetzt verlockte ſie der eigene Reiz des Grauens, ſie betrat erſt vorſichtig und zau¬ dernd, dann immer kecker die kuͤhlen, von oben verſchat¬ teten Hallen. Durch die Mauerluͤcken blickten zuwei¬ len die Thaͤler ſchillernd aus der ſonnenhellen Tiefe herauf, nur hin und her ſang ein Gebirgsvogel mit fremdem Schall, und verſtoͤrte Eidechſen fuhren raſchelnd unter das Unkraut, daß ſie unwillkuͤrlich zuſammenſchrak.

Jetzt kam ſie in den innern Burghof, da ſtand ein wilder Kirſchbaum in voller Bluͤte, dunkelrothe Blumen gluͤhten zwiſchen den Steinen, einzelne Schmet¬ terlinge flatterten ungewiß in der truͤben, bruͤtenden Schwuͤle; und als ſie ploͤtzlich um den Pfeiler trat, ſah ſie eine ſchoͤne bleiche Frau in einem ſeltſamen himmelblauen Gewande mitten im Hof auf dem Raſen ſitzen, die wandte ſich nicht, und kaͤmmte ſchweigend ihr lang herabwallendes rabenſchwarzes Haar. Flo¬ rentine blickte noch einmal ſcharf hin, dann, vom Ent¬ ſetzen uͤberwaͤltigt, ergriff ſie die Flucht.

53

Aber wie es oft in aͤngſtlichen Traͤumen geht, ſie verfehlte in der Haſt die rechte Pforte; aus einem Zwinger in den andern rennend, glaubte ſie ſprechen zu hoͤren, die Stimmen kamen immer naͤher, ſie konnte den Ausgang nicht finden. Auf einmal ſtanden zwei fremde Maͤnner vor ihr in abgetragenen Ritterwaͤm¬ ſern, Pickelhauben auf den Koͤpfen. Der eine wollte ſie am Koͤrbchen feſthalten, in der Todesangſt ließ ſie ihm fliehend die Beeren, und hoͤrte ſein ſchallendes Lachen hinter ſich.

Wie athmete ſie tief auf, als ſie endlich Gottes freien Himmel wiederſah! Der erſte, der ihr begeg¬ nete, war Fortunat. Athemlos, mit heftig klopfendem Herzen flog ſie an ſeine Bruſt, er druͤckte das ſchoͤne Kind feſter an ſich, und fuͤhlte einen fluͤchtigen, bren¬ nenden Kuß auf ſeinen Lippen. In demſelben Augen¬ blick aber war auch Walter, der ſie zu ſuchen ſchien, neben ihnen aus dem Gebuͤſch hervorgetreten. Floren¬ tine beſann ſich ſchnell wieder, ſtrich die Locken aus der heißen Stirn und reichte ihm die Hand hin, um ihr uͤber die letzten Truͤmmer herabzuhelfen.

Nun erzaͤhlte ſie in lebhafter Aufregung, und oft noch ſcheu zuruͤckblickend, ihr wunderſames Abenteuer. Walter war ſtill und ſchien nur halb hinzuhoͤren. For¬ tunat wollte ſogleich in die Burg zuruͤck, um die bleiche Frau zu ſehen, aber Florentine gab es durchaus nicht zu. Waͤhrend ſie aber noch ſo ſtritten, ſtutzte ſie ploͤtz¬54 lich und wies dann ganz erſtaunt nach dem Thale hin¬ aus. Dort wurde fern am Saume des Waldes ein abenteuerlich bepackter, langſam einherziehender Wagen ſichtbar, ihm folgte ein ſeltſam gekleidetes Maͤdchen zu Pferde in blauem Gewand, mit dunkelem, fliegenden Haar, mehrere Maͤnner, gruͤne Zweige auf ihren Huͤ¬ ten, ſchritten ruͤſtig nebenher; unter ihnen erkannte man ſogleich die beiden Burgkobolde wieder, deren Pickel¬ hauben weit in der Sonne funkelten. Ein froͤhlicher Chorgeſang ſchallte von dem Zuge durch das Gruͤn herauf. Reiſende Komoͤdianten! rief Fortunat lachend, nun bedarf es keiner Unterſuchung weiter, das waren die Spukgeiſter, der Weg kommt gerade von der Burg.

So traten ſie nun alle beruhigter den Ruͤckweg nach Hohenſtein an. Florentine, die ſich voͤllig wieder erholt hatte, lachte jetzt ſelber mit; dann wandte ſie ſich noch einmal nach den Bluͤtenthaͤlern, in die ſich die kuͤnſtleriſchen Wandervoͤgel geſenkt. Es geht doch nichts uͤber's Reiſen, rief ſie froͤhlich aus, wenn ich ſo manchmal im Sommer recht fruͤh erwache, und hoͤre unten aus den Doͤrfern die Haͤhne kraͤhen, oder ein Poſthorn von fern uͤber den Garten heruͤber, da wuͤnſch 'ich mir oft, ich waͤre ein Mann und koͤnnte auch ſo mit in die Welt hinaus. Ich meine, fiel hier Walter etwas graͤmlich ein, man muͤſſe erſt ſich ſelbſt und die kleine Welt um ſich herum recht verſte¬55 hen gelernt haben, ehe man ſich weiter umſieht, und das Reiſen zieme uͤberhaupt nur dem reiferen Alter. Fortunaten aͤrgerte der Schulmeiſterton. Gerade um¬ gekehrt, rief er aus, nur die Jugend verſteht recht aus Herzensgrunde die Schoͤnheit der Welt mit ihren mor¬ genrothen Gipfeln und kuͤhlen Abgruͤnden und funkeln¬ den Auen im Gruͤn, und malt es alles fresco nach, daß das Alter einſt ſich daran erfriſche, wenn draußen die Blaͤtter fallen und die ſinkende Herbſtſonne die Schildereien noch einmal wunderbar beleuchtet. Waͤh¬ rend dein ſogenanntes reifes Alter vom Schifflein ſorgſam die Tiefe mit dem Senkblei mißt, ſitzt die Jugend uͤber Bord geneigt, und ſieht ihr eignes wein¬ bekraͤnztes Haupt in der klaren Fluth und hoͤrt die Glocken der verſunkenen Stadt aus der Tiefe herauf¬ klingen. Ja, glaubt nur, die Welt iſt wie eine eigen¬ ſinnige Schoͤne, die nur in jungen Augen ſich mit ihrem froͤhlichſten Schmucke ſpiegeln mag, fuͤr Klug¬ heit und Kenntniſſe giebt ſie nur Brod, fuͤr Liebe und rechte Freude an ihr aber wieder Freude und Liebe.

So waren ſie vor der Amtmannswohnung ange¬ langt. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten bereits die Baͤume vor dem Hauſe, unter denen die Amtmannin ſchon wieder den Tiſch gedeckt hatte. Ein jeder machte ſich's in der Abendkuͤhle be¬ haglich bequem, und Florentine mußte, ausruhend, ihre Burggeſchichte nochmals umſtaͤndlich erzaͤhlen. 56Nur Walter fehlte. Auf einmal trat er, ganz reiſefer¬ tig, mit dem Amtmann aus dem Hauſe. Schlechte Neuigkeit, ſagte der letztere, Walter hat dringende Briefe bekommen, er muß in die Stadt, und will noch heut reiſen, um die naͤchtliche Kuͤhle zu benutzen. Die Amtmannin machte beſorgt Einwendungen ge¬ gen das gefaͤhrliche Reiſen in der Nacht, Florentine ereiferte ſich uͤber die Geſchaͤfte, die ſie von jeher als eine unbekannte feindliche Macht betrachtete, aber Walter blieb unerſchuͤtterlich, und nahm, auch von Fortunaten, ſchnell und kurz Abſchied. Ganz zuletzt wandte er ſich noch einmal zu dieſem, als wollt 'er ihm etwas ſagen, ſchuͤttelte ihm aber nur raſch die Hand und ging ſchweigend fort. Fortunat begleitete ihn noch heraus bis zu ſeinem Pferde, dem Florentine den Hals ſtreichelte, und, als es dann beim Aufſteigen unruhig wurde, ſchnell nach der Hausthuͤr zuruͤckſprang. Herr Je! ſagte er heimlich zu Waltern, was machſt du da fuͤr ein langes Geſicht! Und uͤberhaupt, warum willſt du gerade heut noch fort? die Geſchaͤfte ſind's ja doch nicht. Ich will nicht ſtoͤren, entgeg¬ nete Walter empfindlich, du bleibſt ja doch noch laͤn¬ gere Zeit hier, ich ſag' dir's vielleicht ein andermal, leb 'wohl! Hiermit gab er ſeinem Pferde die Spo¬ ren, und war bald zwiſchen den Baͤumen verſchwun¬ den. O langweilige Welt! rief Fortunat ihm nach¬ ſehend aus, wie gluͤcklich koͤnnte er ſein mit ſeinem57 ſchlanken Reh im ſchoͤnen gruͤnen Wald, wenn er friſch vom Herzen wegliebte, anſtatt den Talar von Melancholie, Eiferſucht und anderen hergebrachten Lie¬ bes-Tuͤcken durch alle Paradieſe jaͤmmerlich hinter ſich nachzuſchleppen!

Als er in den Garten zuruͤckkam, bemerkte er auf der Linde vor dem Hauſe zwei zierlich beſchuhete Fuͤ߬ chen zwiſchen den Zweigen. Es war Florentine; ſie ſaß im Baume, mit den Fuͤßchen baumelnd, waͤhrend ſie Waltern nachſchaute, der ſich ſo eben in der Daͤm¬ merung zwiſchen Wieſen und Kornfeldern verlor. Das heitere Maͤdchen ſchien in ihrer Unbefangenheit von ſeinem Mißmuthe gar nichts zu ahnen.

Fortunat aber ging allein und unruhig durch den Garten. Ich werde doch kein Narr ſeyn und mich verlieben? ſagte er zu ſich ſelbſt. Und doch bin ich auf dem naͤchſten Wege dazu. Und hinter mir lang¬ ſam und feierlich der abgemagerte Geiſt des ſich ſelbſt erſchoſſenen Walters, und vor mir ein Zug von Tan¬ ten und Baſen, und gute Wirthſchaft, und Kinderge¬ ſchrei, und ein Haus machen

Der Angſtſchweiß trat ihm ordentlich bei dieſen Gedanken vor die Stirn. Er rannte eiligſt nach dem Hauſe zuruͤck und eroͤffnete dort ohne weiteres der er¬ ſtaunten Familie, wie er zwar heute gerade keine Briefe aus der Stadt bekommen habe, aber eigentlich ebenfalls ſchleunigſt fortreiſen muͤſſe; daß er daher fuͤr58 Speiſ und Trank und alle die ſchoͤne, ſtille, herrliche Zeit aus Herzensgrund Dank ſagen, und hiermit ſo¬ gleich ſchon heut Abſchied nehmen wolle, da er noch vor Tagesanbruch weiterzuziehen gedenke. Florentine wurde bei dieſen Worten ganz roth, ſie ſetzte ſich ſchmollend auf eine entfernte Bank, und Fortunat glaubte zu bemerken, daß ihre abgewendeten Augen von Thraͤnen glaͤnzten. Auch die Andern machten ihm durch ihre aufrichtige Trauer das Herz ſchwer, denn ſie hatten ſich alle in der kurzen Zeit ſchon an ſeine froͤhliche Weiſe verwoͤhnt. Er mußte verſprechen, wiederzukommen, und ihnen noch ausfuͤhrlich von den Laͤndern und Staͤdten erzaͤhlen, wohin ſeine Reiſe ging; ſo ſaßen ſie noch lange plaudernd vor der Haus¬ thuͤr beiſammen. Beim Schlafengehen endlich fluͤſterte ihm Florentine noch heimlich zu: Und ich werde doch auf ſeyn, eh 'Sie wegreiten!

Er hatte alle Fenſter des Schlafzimmers offen ge¬ laſſen, um den Morgen nicht zu verſchlafen. Da war es ihm, als gingen draußen froͤhliche Stimmen unter den Fenſtern auf und nieder, und riefen immerfort in ſeinen Schlummer hinein: Friſch auf, ſchlafe nicht mehr! Wunderbare Berge und Gruͤnde, ſchimmernde Fernen, friſch auf! und ſchoͤne, helle, froͤhliche Zeit! Er ſprang endlich empor, und blickte durchs Fenſter. Es war noch Nacht; dennoch kleidete er ſich in lang¬ entbehrter Reiſeluſt ſogleich an, ging durch das ſtille59 Haus an Florentinens Schlafkammer voruͤber, und machte noch ſchnell einen Gang durch den Garten. Es war in der Nacht ein warmer Regen gefallen, die Nachtigallen ſchlugen uͤberall aus den erfriſchten Buͤ¬ ſchen, hin und her bellten Hunde fern in den Doͤr¬ fern, ſonſt lag alles noch ſtill im praͤchtigen Mond¬ ſchein unter dem weiten, geſtirnten Himmel. Als er zuruͤckkehrte, hoͤrte er unten im Hauſe leiſe ein Fenſter oͤffnen, es war Florentine, die ſich in leichter Morgen¬ kleidung hinauslehnte. Ziſch aus! ziſch aus! rief ſie ihm entgegen, ich bin fruͤher wach geweſen, als Sie! Dann, ſich im Garten umſehend, ſagte ſie: das iſt gerade wie damals, da Sie hier das Staͤndchen brach¬ ten, und wir Sie zum erſtenmal ſahen. Nun wird es hier wieder recht einſam ſeyn, und ich wollte Sie eben nur noch bitten, daß Sie auf Ihrer Reiſe von ſich hoͤren laſſen, und manchmal an Waltern ſchreiben, der Ihnen außerordentlich gut iſt, und gern von frem¬ den Laͤndern hoͤrt. Fortunat verſprach es, und bat ſie um einen Kuß zum Abſchiede. Warum nicht gar! rief das Maͤdchen lachend, indem ſie ihm ſchnell die Hand hinausreichte, dann ſchloß ſie geſchwind das Fenſter, und er ſah ſie nicht wieder. Fortunat warf ſich nun ungeſaͤumt auf ſein Pferd, und ritt durch die hohe, dunkle Allee an dem Gitterthor des Gartens und dem ſtillen Dorfe voruͤber. Draußen auf dem Berge aber wandte er ſich noch einmal zuruͤck. Geſeg¬60 net, rief er, du ſchoͤnes Waldthal, in deiner gluͤckſeli¬ gen Abgeſchiedenheit, moͤge der Sturm der Welt dich nie verſtoͤren!

Sechstes Kapitel.

Ein ſchweres Gewitter zog eben an dem Gebirge hin, und ſandte ſeine Regenſchauer in die Ebenen hin¬ aus, waͤhrend Fortunat, durchnaͤßt und lange vom Wege abgekommen, uͤber ein weites, in Regen und Abenddunkel verhuͤlltes Feld dahin trabte. Da hoͤrte er unerwartet den Geſang einer ſchoͤnen Maͤnnerſtimme von fern heruͤberſchallen, wovon er nur folgende Worte verſtehen konnte:

Bei dem angenehmſten Wetter
Singen alle Voͤgelein,
Klatſcht der Regen auf die Blaͤtter,
Sing 'ich ſo fuͤr mich allein.
Denn mein Aug 'kann nichts entdecken;
Wenn der Blitz auch grauſam gluͤht,
Was im Wandeln koͤnnt' erſchrecken
Ein zufriedenes Gemuͤth.

Er gab ſeinem Pferde die Sporen, und erreichte in kurzer Zeit ein Haͤufchen Wanderer, die neben einem Paar Pferde einherſchritten, auf denen zwei junge Frauenzimmer ſaßen. Mit freudiger Ueberraſchung61 erkannte er ſogleich die abenteuerlichen Geſtalten der Schauſpieler wieder, die an Victors Stammburg vor¬ uͤbergezogen waren, von denen aber jetzt die Dunkel¬ heit nur die ungefaͤhren Umriſſe errathen ließ.

Fortunats Gruß fand nur eine halbe Erwiede¬ rung, die Geſellſchaft ſchien in uͤblem Humor zu ſeyn, und langſam und ſchweigend, wie ein ſchwerer Traum, bewegte ſich das Ganze weiter. Endlich unterbrach der Voranſchreitende, welcher ſo eben geſtolpert war, die Stille mit einem derben Fluche, pruſtete und glitt gleich wieder aus, und kam gar nicht aus der Wuth. Das haben wir davon, hub die eine Dame zu Pferde zu der anderen Reiterin an, das haben wir nun von eurer ſchoͤnen Natur! Braͤchen die Herren nicht ihren Flaſchen auf das Wohlſeyn jeder alten Burg die Haͤlſe, ſo waͤre uns allen jetzt wohler und wir ſaͤßen im Trocknen, denn unſer Wagen iſt gewiß laͤngſt in der Stadt. Dabei breitete ſie muͤhſam einen, wie es ſchien, nicht ſonderlich konditionirten Re¬ genſchirm uͤber ſich aus. Aber der Wind verarbeitete ihn ſogleich mit ſolcher Fertigkeit, daß ihre berittene Nachbarin laut auflachte, und die Dame ihre Segel erboſt wieder einziehen mußte. Fortunat, welcher hier heimlich auf ein ergoͤtzliches Gezaͤnk hoffte, ermahnte die Geſellſchaft, den beiden Damen in dieſem Kampfe mit den Elementen durch ein gemeinſchaftliches, an¬ genehmes Geſpraͤch galant unter die Arme zu greifen. 62Die Maͤnner antworteten gar nicht darauf, die Da¬ me mit dem Regenſchirm aber fragte: ob er vielleicht auch ein Kuͤnſtler ſey und es ſo gut haben wolle wie ſie? O, ſetzte ſie ſpitzig nach ihrer Nachbarin gewen¬ det hinzu, Liebhaberrollen ſind hier jederzeit zu haben. Bitte ſehr, erwiederte die Nachbarin mit einer wohl¬ klingenden Stimme, bei Ihnen iſt ja dieſe Stelle ſeit geraumer Zeit vakant. Ein ploͤtzlicher Blitz beleuch¬ tete hier auf einen Augenblick ein ſchoͤnes, feines, aber bleiches Geſichtchen, uͤber welches zu beiden Seiten lange ſchwarze Haare triefend herabhingen. Mein Gott, was ist das fuͤr eine Wirthſchaft um das bis¬ chen Regen! rief einer der jungen Maͤnner aus, quamquam sint sub aqua, sub aqua maledicere tentant! Sparen Sie doch ihr Latein, ſagte die Dame mit dem Schirm, Sie memoriren wohl eben den Bettelſtudenten? Sie wollte noch mehr ſprechen, aber der Litteratus fiel ſchnell in das Lied wieder ein, das Fortunat ſchon vorhin von fern gehoͤrt hatte, und uͤberſang ſie luſtig:

Frei von Mammon will ich ſchreiten
Auf dem Feld der Wiſſenſchaft,
Sinne ernſt und nehm zu Zeiten
Einen Mund voll Rebenſaft.
Bin ich muͤde vom Studieren,
Wann der Mond tritt ſanft herfuͤr,
Pfleg ich dann zu muſiziren
Vor der Allerſchoͤnſten Thuͤr.

63Land! Land! ſchrie hier ploͤtzlich der Voranſchreitende dazwiſchen, und man erblickte zu allgemeiner Freude von weitem Mauern und Thuͤrme, die ſich wie dunkle Rieſen immer deutlicher aus dem truͤben Grau auf¬ richteten. Einzelne Lichter ſchimmerten ſchon den Rei¬ ſenden troſtreich entgegen, ein jeder ſtrengte neubelebt ſeine letzten Kraͤfte an, und ſo waren ſie bald an dem Thore eines kleinen Staͤdtchens angelangt. Wie Zugvoͤgel mit begoſſenen, haͤngenden Fluͤgeln ſtrichen ſie ſtumm durch die engen finſteren Gaſſen, wo ſich die Lichter aus den Fenſtern blendend und verwirrend im Waſſer ſpiegelten, waͤhrend der Regen von allen Daͤchern aus abenteuerlich vorgeſtreckten Drachenkoͤpfen auf ſie herabſtuͤrzte.

So kamen ſie endlich in den Hof eines Wirths¬ hauſes. Hier war der Reiſewagen der Geſellſchaft, den man unterweges umgeworfen hatte, auch ſo eben erſt angelangt. Der Theaterprinzipal Sorti, ein kleines fixes Maͤnnchen, rannte eifrig hin und her, vom Wagen wurden Burgen, Drachen und lange Ka¬ meelhaͤlſe eilig uͤber den Hof getragen, die Hofhunde bellten, uͤberall war ein Rufen, Draͤngen und Schim¬ pfen in der undurchdringlichen Finſterniß, die nur von einzelnen Blitzen manchmal durchkreuzt wurde. Mitten aus dieſem Rumor hob der Litteratus die juͤngere Rei¬ terin ſchnell vom Pferde und trug ſie auf ſeinem Arme in das Haus. Das Maͤdchen war arg durchnaͤßt.64 mit dem duͤnnen, vom Regen knapp anliegenden Kleide, mit den langherabhaͤngenden, troͤpfelnden Locken ſah ſie wie ein Nixchen aus, das eben den Wellen ent¬ ſtiegen. Sie hielt beide Haͤnde vor das Geſicht, um ſich vor dem, ploͤtzlich aus dem Hauſe dringenden Lichte zu ſchuͤtzen, aber zwiſchen den kleinen Fingern funkelten zwei ſchwarze Augen hindurch, die Fortuna¬ ten im Voruͤberfluge durchdringend anblickten.

Dieſer konnte nur mit Muͤhe ein beſonderes Stuͤb¬ chen gewinnen, wo er ſchnell ſeine Kleider wechſelte, waͤhrend draußen nach und nach ein gewaltiges Thuͤr¬ zuwerfen, Streiten und Lachen, von einzelnen Opern - Trillern und Laufern durchſchwirrt, das ganze Haus erfuͤllte. Unterdeß hatte auch das Wetter ſich wieder verzogen, und der Mond trat klar zwiſchen dem zer¬ riſſenen Gewoͤlk hervor. Er verließ daher gar bald ſeine enge ſchwuͤle Kammer wieder, und eilte zwiſchen den Reifroͤcken, Ruͤſtungen, Fahnen und Miedern, die uͤber dem Treppengelaͤnder zum Trocknen ausgehaͤngt waren, in den Garten hinab. Ein einſames Frauen¬ zimmer ſaß dort vor der Hausthuͤr auf der Bank, an dem etwas verbrauchten Federhut, dem hohen Kragen und der ganzen Haltung erkannte er die Dame mit dem Schirme wieder. Ich bin mir ſelbſt noch Genugthu¬ ung ſchuldig, hub ſie ſogleich an, als ſie Fortunaten bemerkte. Sie werden vielleicht eine unguͤnſtige Mei¬ nung von mir gefaßt haben; aber ſie glauben nicht,65 welche Verlaͤugnung es einem zarteren Gemuͤth koſtet, mit den rohen Scherzen dieſer Menſchen, wenn auch nur zum Schein, gleichen Schritt zu halten. In der That, erwiederte Fortunat, der Lateiner ſchritt wacker und luſtig aus. Luſtig? ſagte die Dame, Sie kennen dieſen Wilden noch nicht, er hat keine Ahnung von jener geiſtigen Seelenluſt, die ſchon dies¬ ſeits die Gipfel der Menſchheit erklimmt Und jen¬ ſeits ruͤcklings wieder herunterſchurrt, fiel hier der feind¬ liche Litteratus ein, der, eben mit einer Guitarre aus dem Hauſe tretend, das letzte Kapitel von der Luſt mit angehoͤrt hatte, und, einzelne Accorde anſchlagend, ſich nun weiterhin auf dem Platze im Dunkel verlor. Fortunat lachte, denn ein leiſer Zornesblitz zuckte ploͤtz¬ lich uͤber das Geſicht der Dame und brachte die ganze Muskeldecoration in eine augenblickliche widerliche Un¬ ordnung, zumal da gleich darauf auch die andere huͤb¬ ſche Reiterin aus der Thuͤr guckte, ihr Naͤschen ruͤmpfte, da ſie die beiden beiſammen erblickte, und dann gleich¬ falls in den Garten an ihnen voruͤberſchlenderte. Die arme Kleine! ſie hat keinen ganzen Strumpf, be¬ merkte die Dame haͤmiſch. Und in der That, auch der Mond hatte das ſchon bemerkt, und beleuchtete wohlgefaͤllig ein Streifchen des zierlichſten Beinchens, das blendend uͤber dem Schuhe hervorblickte, waͤhrend die hochgeſchuͤrzte Kleine unbefangen unter den Linden566bemuͤht ſchien, Bluͤten von den herabhaͤngenden Zwei¬ gen zu ſtreifen.

Unterdeß ging ein friſches Wehen durch die Wi¬ pfel, die letzte Wolkendecke zerriß, und die alte Stadt¬ mauer und die Waldberge daruͤber ſtanden ploͤtzlich wunderbar beglaͤnzt. Die Dame hatte ſich erhoben und unter der Linde vor der Bank eine maleriſche me¬ lancholiſch-heroiſche Stellung genommen. Das Haupt in die rechte Hand an den Baum geſtuͤtzt, ſah ſie eine Zeit lang, wie in Gedanken verloren, nach den Hoͤ¬ hen Tiedge! ſagte ſie endlich bedeutungsvoll, und druͤckte Fortunaten leiſe die Hand. Fortunat, den die ganze wunderliche Wirthſchaft dieſes Polterabends ſchon lange innerlichſt aufgeregt hatte, ſprang raſch auf. O Gott, wahrhaftig! rief er, ihre Hand feſthal¬ tend, aus, da ſchwebt er dahin als ein Veilchenduft, die Sterne ſcheinen ihm durch den Leib o hoͤren Sie nichts? nun lispelt er mit jemand, wie ge¬ daͤmpfte Muſik der Sphaͤren, es iſt Lafontaine, mit dem er koſt, der hat einen Perlen durchwirkten Schlaf¬ rock an, aber die Perlen alle ſind Thraͤnen ſie wan¬ deln mit einander auf der Milchſtraße aber was iſt das! Wo? ſagte die Dame erſchrocken, und ver¬ ſuchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entwinden. Sehen Sie die baͤrtige Wolke dort, fuhr er fort, da kommt ihnen Kotzebue auf einem Ziegenbock entgegen, ach Lafontaine weint, daß ihn der Bock ſtoͤßt o es67 iſt keine Tugend mehr auf der Welt! Hier hatte die Dame ſich endlich losgemacht, ſie hielt ihn laͤngſt fuͤr betrunken oder wahnſinnig, ſtammelte verlegen eine kurze Entſchuldigung, und ſtuͤrzte in das Haus zuruͤck. Er aber ſprach noch immer fort, bis ſie ihr Zimmer erreicht und die Thuͤre eilfertig hinter ſich abgeſchloſſen hatte.

Lachend warf er ſich nun wieder auf die Bank hin, die Waͤlder rauſchten in der ploͤtzlichen Stille von den Bergen heruͤber, hin und her erwachten einzelne Nachtigallen, in einiger Entfernung hoͤrte man den Litteratus ſingen:

Die fernen Heimathshoͤhen,
Das ſtille hohe Haus,
Der Berg, von dem ich geſehen
Jeden Fruͤhling in's Land hinaus,
Mutter, Freunde und Bruͤder,
An die ich ſo oft gedacht,
Es gruͤßt mich alles wieder
In ſtiller Mondesnacht.

Die zierliche Reiterin hatte ſich bald nach den erſten Klaͤngen dem Saͤnger genaͤhert. Du, du ſagte ſie mit dem Finger drohend, du haſt heute wie¬ der deine melancholiſche Stunde! Ach, erwiederte der Litteratus, halb unwillig abbrechend, was weißt du davon, wie einem Gelehrten manchmal zu Mu¬ the iſt!

Ein ploͤtzliches Getuͤmmel an der Hausthuͤr ver¬5*68hinderte hier Fortunaten, mehr von dieſer Unterredung zu vernehmen. Ein ganzer heller Haufe von Schau¬ ſpielern kam naͤmlich ſammt einem langen, mit Wein¬ flaſchen und Glaͤſern beſetzten Tiſche, den ſie alle muͤh¬ ſam trugen, zum Hauſe heraus, der Gaſtwirth, voll Beſorgniß um ſeine Glaͤſer, ihnen auf dem Fuße nach. Der liebe Gott hat hier draußen den Vorhang wieder aufgezogen, ſagte der eine zum Wirth, ſeht da, Menſchenkind, den praͤchtigen Saal! Ein Reverbère, der bis auf einige verjaͤhrte Roſtflecke ziemlich blank iſt, eine Unzahl von Lichtern, die ſich ſelber putzen, an allen Waͤnden ganze Mondlandſchaften al fresco. Die Geſellſchaft hatte ſich unterdeß nicht ohne be¬ deutenden Tumult um den Tiſch gelagert. Ein ſtarker, wohlleibiger Mann von geſetzten Jahren zuͤndete qual¬ mend ſeine lange Pfeife an dem flackernden Lichte an, das in einer Glaskugel auf dem Tiſche ſtand, und in deſſen Wiederſchein ſein vom Wein und Wetter ver¬ branntes Geſicht ſich noch[dunkelrother] ausnahm, es ſchien derſelbe, der vorhin, im Regen der Geſellſchaft voranſchreitend, verſchiedentlich geſtolpert und geflucht hatte. Sie ſollten auch Komoͤdie ſpielen, mein Herr Wirth, ſagte er, mit der Pfeife in breiter Behaglich¬ keit auf dem Stuhle zuruͤckgelehnt. Der Wirth aͤußerte Bedenklichkeiten gegen ſeine Geſchicklichkeit. Ach, Flauſen! fiel ihm der Schmauchende in die Rede, ſehen Sie, ſo wie ich hier vor Ihnen ſitze, ſo ſitz 'ich69 auch auf dem Theater als Oberfoͤrſter, als gutmuͤthig polternder Alter u. ſ. w., ich rauche, ich plaudere und trinke mein Glaͤschen Wein ſo gut, wie hier. Das wuͤrd' ich allenfalls wohl auch treffen, meinte der Wirth. Nun, ſo ſeyd kein Thor! fuhr jener fort, wollt ihr gratis eure Schlafmuͤtze aufſetzen, euer Abendpfeifchen ſchmauchen, euren Kindern ruͤhrende Er¬ mahnungen geben? Laßt's euch bezahlen, Menſch!

Fortunat, dem der Mann gar nicht uͤbel duͤnkte, verließ hier ſeine Bank. Aber mein Beſter ſagte er, ſich mit an den Tiſch ſetzend wird euch denn nicht manchmal Angſt, daß die neuere Poeſie eure Oberfoͤrſtereien aufhebt, und euch eure haͤuslichen Ver¬ gnuͤgungen legt? Keineswegs, entgegnete der Ober¬ foͤrſter ſehr ruhig, im Gegentheil, die neueſten kurzen Dramen machen ſich wieder ganz vernuͤnftig und fami¬ liaͤr. Und wenn ich auch in Verſen ſpreche, oder viel¬ leicht gar ein Ritterwams anlege, ich bleibe doch der Alte. O, mein Herr, ſo lange noch deutſche Biederkeit waltet, und Bier getrunken und Taback geraucht wird, ſteht mein Charakter unerſchuͤtterlich, wie auf Elephan¬ tenfuͤßen. Hier miſchte ſich ein junger, blaſſer Schau¬ ſpieler mit in das Geſpraͤch, der bisher fuͤr ſich allein an dem Stuͤmpfchen Licht in einem Buche geleſen hatte, ohne an dem Laͤrm der Anderen Theil zu neh¬ men. Beſter Herr Ruprecht, redete er den Oberfoͤrſter an, wer Sie ſo zum erſtenmal ſchwatzen hoͤrt, koͤnnte70 leicht an Ihnen irre werden. Ich aber weiß es wohl, wie Sie, gleich jenem Herrn, in der Kunſt nur das Edlere, das Ideale ſchaͤtzen. Ruprecht, der ſich nicht wenig damit wußte, daß er in ſeiner Jugend die Kantiſche Philoſophie gehoͤrt hatte, raͤuſperte und ruͤckte ſich ſo eben wohlgefaͤllig in ſeinem Stuhle zurecht, als ploͤtzlich die kleine Reiterin herbeiſprang, und ihm von hinten den Mund zuhielt. Um Gottes willen, rief ſie, fangt nicht wieder von dem langweiligen Zeuge an, ihr guten Leute und ſchlechten Philoſophen! Armer Shakſpeare! entgegnete der Blaſſe, mit einem unſaͤglich verachtenden Blicke. O, fiel ihm Kordel¬ chen ſo hieß die Reiterin in die Rede, der Ru¬ precht iſt ein eingefleiſchter Shakſpeare, hat er ſich nicht ſchon allmaͤhlig Bardulphs feurige Naſe anſtudirt? Und in der That, ſeine ſtolze Naſe leuchtete immer ſchoͤner, je truͤber das Licht in der Glaskugel zu ver¬ loͤſchen begann. Er begab ſich fuͤr einen Augenblick der feierlichen Gravitaͤt, in die ihn die Erinnerung an ſeine akademiſchen Studien verſetzt hatte, und, taͤp¬ piſch Kordelchen zu ſich zerrend, rief er: So komm und gieb Deinem Bardulph einen Kuß, du ſuͤße Dort¬ chen Lakenreißer! Da gab ihm Kordelchen, durch dieſe unzeitige Vergleichung beleidigt, geſchwind eine derbe Ohrfeige, Ruprecht aber ſprang zornig auf ſie los, waͤhrend ſeine naͤchſten Nachbarn bemuͤht waren, ihn feſtzuhalten. Bei der allgemeinen Bewegung war¬71 fen ſie mit ihren Ellbogen einige Stuͤhle und mehrere volle Glaͤſer um, der Blaſſe, der ganz entruͤſtet ſein Buch retten wollte, fiel uͤber ein Stuhlbein, der hin¬ zugeſprungene Wirth uͤber den Blaſſen, Ruprecht mit ſeinen Verfolgern uͤber den Wirth, und ſo war auf einmal alles wie ein Rattenkoͤnig von wunderſam durcheinanderarbeitenden Armen und Beinen. In die¬ ſem Augenblick hoͤrte man Saͤbelſcheiden uͤber die Hausſchwelle klirren, und zwei baͤrtige Polizeidiener traten in den Garten. Was fuͤr eine ſcandaloͤſe Auf¬ fuͤhrung! rief der eine die Erſchrockenen an, iſt das jetzt die Zeit, durch ſchnoͤden Laͤrm eine geſittete Buͤr¬ gerſchaft zu turbiren, die, nach ſauer erfuͤllter Berufs¬ pflicht, ſo eben ſchon den einen Fuß in das Bett ge¬ ſetzt hat Und die durchreiſenden Herrſchaften! da faͤhrt eben eine ehrwuͤrdige Matrone erſchrocken empor, fiel ſein Gefaͤhrte ein, indem er auf ein Fenſter wies, wo die Dame mit dem Schirm neugierig hervorguckte, bei dieſer Apoſtrophe aber ſchnell wieder verſchwand. Nur nicht noch gar raiſonnirt! fuhr der andere zornig fort, da die Schauſpieler reden wollten. wir kennen uns, wir ſind verwegene Schuldenmacher, denen kein Glaͤubiger mehr glauben will. Raſch an das Licht tretend und ein Papier entfaltend, las er: da iſt Herr Ruprecht feurig von Naſe, erhaben von Naſe, bluͤhend von Naſe was? nichts als lauter Naſe! Herr Lothario dann, auch Litteratus ge¬72 nannt. Charakter: erſter Tenor; beſondere Kennzeichen: verdrehte Schleife am Halstuch, ungekaͤmmtes Haar, ſpricht am vernuͤnftigſten, wenn er betrunken iſt, in Summa: großes Genie. Aber der Teufel mag aus der Beſchreibung klug werden, ich verhafte in dem Klumpen da die erſten beſten Beine. Greif 'zu! Sein Gefaͤhrte packte nun ohne weiteres den Ruprecht an den Fuͤßen, der in dem Gedraͤnge vergeblich be¬ muͤht war, ſeine Stiefeln in den Haͤnden des Haͤſchers zu laſſen und ſich auf die Struͤmpfe zu machen. Un¬ terdeß hatten ſich endlich auch die anderen eiligſt vom Boden aufgerafft, der Director Sorti, ſchon halb entkleidet, flog in groͤßter Beſtuͤrzung herzu, der Hof¬ hund dicht an ſeinen Waden hinter ihm drein, Kordel¬ chen lachte, der Wirth ſchimpfte, der Blaſſe deklamirte fortwaͤhrend von perſoͤnlicher Freiheit und unverletz¬ lichen Menſchenrechten.

Seid ihr nicht rechte Narren! rief da auf einmal der Polizeidiener dazwiſchen, und warf Bart, Hut und Rock von ſich es war der Litteratus Lo¬ thario. Sein Gefaͤhrte aber verwandelte ſich eben ſo raſch in Herrn Fabitz, den Komikus der Bande.

Ich wußt 'es lange ſagte Ruprecht, der ſich zuerſt von dem Schreck erholt hatte indem er ruhig ſeine Pfeife ausklopfte. Die Uebrigen aber konnten den Scherz nicht ſo ſchnell verwinden, dem einen hat¬ ten ſie auf das Huͤhnerauge getreten, ein anderer fuhr73 wuͤthend mit dem Ellbogen aus dem Aermel und be¬ hauptete, das Loch ſei erſt von jetzt, alle keiften auf Lothario los, waͤhrend ihnen Fabitz unvermerkt ihr Bier austrank. Lothario aber hatte unterdeß vom Reiſewagen ſchnell eine Trommel geholt, ſetzte ſich da¬ mit auf den Tiſch, und begann luſtig zu wirbeln, bald piano bald creſcendo, nach der jedesmaligen Stim¬ mung des Redenden. Kein Menſch konnte ſein eigenes Wort verſtehen, die Zaͤnker ſchrien ſich ganz heiſer, und verloren die Geduld, einige lachten, Lothario trommelte immerfort, bis alle nach und nach den Platz geraͤumt, und der Letzte zornig die Hausthuͤr hinter ſich zugeſchmiſſen hatte. Nur Kordelchen war zuruͤck¬ geblieben. Sie ſetzte ſich trotzig neben Lothario auf den Tiſch. Und ich bleibe grade noch draußen, ſagte ſie, mir gefaͤllt die Nacht. Ueberhaupt, fuhr ſie fort, ich habe dir's ſchon oft geſagt, dieſes ſtolze, herriſche, hochfahrende Weſen ſollſt du mir endlich einmal ganz laſſen! Ich bitte dich, erwiederte Lothario die Trommel weglegend, du biſt ſonſt geſcheut, und ich kann dich wohl leiden, aber mit dem Laſſen und An¬ derswerden, Kind, da iſt gar nicht die Rede davon bei mir! Kordelchen ſah ihn eine Weile an, dann brach ſie ploͤtzlich in lautes Lachen aus. Das wollt' ich nur, ſagte ſie, es ſteht dir gar zu ſchoͤn, wenn du zornig biſt. Gute Nacht! hiermit gab ſie ihm einen Kuß, und war ſchnell im Hauſe verſchwunden.

74

Fortunat aber, der unterdeß an einem entfernteren Tiſch ſein Abendeſſen verzehrte, war nicht wenig er¬ ſtaunt, als er in Lothario, da er vorhin ſeine Polizei¬ maske abwarf, und in's volle Licht getreten war, auf einmal den wunderlichen Cicerone wieder erkannt hatte, der ihn am erſten Morgen in Hohenſtein durch den Garten begleitet. Er benutzte die ploͤtzliche Stille, um den alten Bekannten zu begruͤßen, Lothario ſchien uͤber¬ raſcht, und ſah Fortunaten einen Augenblick durchdrin¬ gend an. Hat mich ſonſt noch jemand dort geſehen? fragte er endlich, und als Fortunat es verneinte, ſchien er noch viele Fragen auf dem Herzen zu haben, beſann ſich aber ſchnell wieder. Ich liebe Hohenſtein, ſagte er nach einer kurzen Pauſe, vor allen andern Orten und mache, ſo oft wir in der Naͤhe voruͤberziehen, einen Abſtecher nach dem Garten. Doch heut iſt's ſchon zu ſpaͤt, wir ſprechen wohl noch morgen mehr davon. Hiermit ſchuͤttelte er Fortunaten die Hand, und ging nach dem andern Fluͤgel des Hauſes hin.

Fortunat konnte in ſeiner Kammer lange nicht einſchlafen. Im Hauſe und unter den Fenſtern war alles ſtill geworden, nur die Baͤume neigten ſich rauſchend im Winde, waͤhrend ferne Blitze zuweilen noch eine ploͤtzliche, geſpenſtiſche Helle uͤber den Garten warfen. Da war es ihm, als nahten ſich zwei Ge¬ ſtalten von ferne dem Hauſe. Er erkannte Lothario'n, der mit einem fremden Manne, den er bisher in der75 Geſellſchaft nicht bemerkt hatte, in lebhaftem Geſpraͤch begriffen ſchien. Sie verloren ſich bald wieder zwiſchen den Baͤumen, nach einem Weilchen kam Lothario allein zuruͤck, dann wurde alles wieder ſtill.

Siebentes Kapitel.

Noch war keine Spur des Morgens am Himmel, da lagen mehrere der juͤngeren Schauſpieler, denen es zu ſchwuͤl im Hauſe geworden war, in ihre Maͤntel gehuͤllt ſchlafend auf den Stuͤhlen und Baͤnken unter den Linden umher. Fabitz, der Komikus, welcher ſich uͤber den langen Tiſch hingeſtreckt hatte, erwachte zu¬ erſt. Er blickte erſchrocken in den Himmel, und da er an dem Stand der Geſtirne bemerkte, daß es lange nach Mitternacht war, ſprang er ſogleich auf den Tiſch hinauf, und fing wie ein Hahn zu kraͤhen an.

Da fuhr eine dunkle Geſtalt nach der andern froͤhlich in die daͤmmernde Nacht empor, ſchaurend und ſich ſchuͤttelnd in der kuͤhlen Luft. Lothario aber kam, ſchon ganz reiſefertig, tiefer aus dem Garten und pochte luſtig an die Hausthuͤr. Gluͤck auf! rief er, froͤhliche Botſchaft! heraus da! ich habe Fortunam76 beim Schoͤpf! Nun fuhren ſchlaftrunkene Maͤdchen¬ geſichter neugierig aus den Fenſtern, immer mehr Stimmen worden nach und nach drinnen wach, Thuͤ¬ ren flogen heftig auf und zu, und bald glich das ganze Haus einem Bienenſtocke, der ſchwaͤrmen will.

Fortunat, von dem wachſenden Laͤrm aufgeſchreckt, eilte gleichfalls hinab, und fand ſchon die ganze Ge¬ ſellſchaft in der liebenswuͤrdigſten Laune um Lothario verſammelt. Dieſer hatte naͤmlich in der Nacht durch einen Freund die Nachricht erhalten, daß der Fuͤrſt auf ſeinem, eine Tagereiſe von hier belegenen Jagd¬ ſchloſſe angekommen, wo er jeden Sommer einige Wo¬ chen hindurch ſich den Freuden der Jagd und allerlei wunderlichen romantiſchen Einfaͤllen zu uͤberlaſſen pflege. Dem Briefe lag zugleich eine Einladung des Fuͤrſten an Herrn Sorti bei, mit ſeiner Truppe ſo ſchnell als moͤglich ſich auf dem Schloſſe einzufinden. Dieſer unerwartete Gluͤcksfall verbreitete einen allgemeinen Jubel. Ein jeder ſchnuͤrte eiligſt ſein Buͤndel, alle verſprachen ſich goldene Berge von dem reizenden Auf¬ enthalt, die Maͤnner Ruhm und gutes Leben, die Maͤdchen vornehme Liebſchaften und Geſchenke. For¬ tunat ſelbſt, den ſein Weg ohnedieß an dem fuͤrſtlichen Schloſſe vorbeifuͤhrte, beſchloß, die Froͤhlichen bis in die Naͤhe deſſelben zu begleiten.

Die aufgehende Sonne traf die muntere Kara¬ vane ſchon draußen auf den Bergen. Kamilla ſo77 wurde die Dame mit dem Schirm genannt ſchien Fortunaten ausweichen zu wollen, und war daher mit Herrn Sorti auf dem Packwagen vorausgefahren. Die Andern hatten in dem Staͤdtchen einen Bur¬ ſchen gedungen, der ſie auf den Fußſteigen durch den ſchoͤnen Wald fuͤhren mußte, alle waren freudig auf¬ geregt, und ſprachen viel von den Feſten auf dem fuͤrſtlichen Schloſſe, und den ſchoͤnen Tagen, den ſie entgegenwanderten. Ruprecht ſchritt Tabackrauchend wieder voraus, und intonirte an den ſchoͤnſten Wald¬ ſtellen zuweilen: In dieſen heiligen Hallen , oder eine andere wuͤrdige Baßarie, waͤhrend Fabitz unermuͤdlich die mannigfaltigſten Voͤgelſtimmen nachahmte. Lo¬ thario ſchweifte unterdeß, ſeine Flinte auf dem Ruͤcken, allein auf den Bergen umher, von Zeit zu Zeit hoͤrte man ihn fern im Walde ſchießen, was jedesmal von der Geſellſchaft mit einem lauten Hurrah erwiedert wurde. Fortunaten aber war wunderlich zu Muthe in der ungebundenen Freiheit. Er athmete froͤhlich die kuͤhle Waldluft, ſich oft zuruͤckwendend und des mun¬ teren Zuges erfreuend, wie die heiteren Geſtalten mit ihren bunten Tuͤchern und phantaſtiſchen Reiſe-Trachten, bald uͤber ihm auf uͤberhaͤngenden Felſen erſchienen, bald tief im dunklen Gruͤn wieder verſchwanden.

Als die Sonne ſchon hoch ſtand, ruhte die Truppe auf einer ſchoͤnen Waldwieſe aus. Da kam ploͤtzlich auch Lothario aus dem Walde zu ihnen. Wer iſt der78 fremde Herr hier in den Bergen? fragte er raſch den Fuͤhrer, da iſt ſo ein Kerl im Frack, der ſchluͤpft ſchon die ganze Zeit uͤber von Strauch zu Strauch, ſieht ſich manchmal nach euch um, und flieht dann von neuem vor eurem Singſang und Geſchnatter, wie ein Haſe auf der Klapperjagd. Das iſt gewiß der Doctor, erwiederte der Fuͤhrer lachend, der kam ein¬ mal mitten in einem Platzregen ins Dorf, wie vom Himmel gehagelt. Die Gegend gefiel ihm, es war grade ein Haus droben leer, da wohnt er ſeitdem da¬ rin, eine alte Frau aus dem Dorfe beſorgt ihm das Eſſen. Am Abend aber, wenn die jungen Burſchen und Maͤdchen vor den Hausthuͤren ſitzen, kommt er auch herab, und ſie muͤſſen ihm Lieder ſingen und Maͤhrchen erzaͤhlen, da hat er ſchon manche Maul¬ ſchelle bekommen, wenn er die Maͤdchen heimlich in die Arme kniff. Aber es iſt ihm nicht zu trauen, fuhr der Fuͤhrer fort, er hat droben kurioſe Buͤcher, da iſt kein chriſtlicher Buchſtabe drinn, lauter Circumflexe, wie wenn eine Spinne uͤber's Blatt gelaufen waͤre, und ſo oft er aus den Buͤchern murmelt, zieht ſich an den Bergkoppen ein Wetter zuſammen, dann hoͤrt man ihn drinnen im Hauſe laut ſprechen und ſchimpfen, und iſt doch kein Menſch bei ihm.

In demſelben Augenblick erblickten ſie auch den Zauberer ſelbſt in der Ferne, wie er ſo eben haſtig den Berg hinanklomm, daß die Steine hinter ihm79 herabkollerten. Den muß ich doch ſprechen! rief Lothario, dem Fliehenden ſogleich raſch nachſetzend. Fortunat und noch einige andere von der Geſellſchaft ſchloſſen ſich neugierig an.

So verfolgten ſie raſch die Spur des Fremden, der unterdeß ſchon den Gipfel des naͤchſten Huͤgels er¬ reicht hatte; nur ſeine Rockſchoͤße ſahen ſie noch manch¬ mal zwiſchen den Gebuͤſchen fliegen, bis ſie ihn zuletzt ganz aus den Augen verloren. Nach muͤhſamem Um¬ herirren gelangten ſie endlich an ein halbverfallenes, rings von hohem Unkraut umgebenes Haus, deſſen Thuͤren und Fenſter feſtverſchloſſen waren. Da iſt er gewiß hineingeſchluͤpft, ſagte Lothario und klopfte an die alte Thuͤr. Es erfolgte keine Antwort, aber im Innern des Hauſes hoͤrten ſie ein gewaltiges Ge¬ polter, als wuͤrden Tiſch und Baͤnke haſtig an die Thuͤre geſchoben. Lothario pochte von neuem, ſtaͤrker und immer ſtaͤrker. Da flog ploͤtzlich oben eine Dach¬ luke auf, und mit zornblitzenden Augen erſchien in der Oeffnung ein kleiner lebhafter Mann, in dem Fortu¬ nat zu ſeinem Erſtaunen ſogleich den naͤchtlichen, ſelt¬ ſamen Geiger aus dem Weinkeller in Walters Staͤdt¬ chen wieder erkannte. Doctor! Dryander! rie¬ fen die Schauſpieler uͤberraſcht aus.

Was wollt ihr? fuhr ſie der Muſicus von oben ſehr heftig an. Denkt ihr, ich werde aus den friſchen Bergluͤften zu eurem dicken Lampendunſt hinabkommen80 und das Volk laſſen um das Publikum, und das Rau¬ ſchen der Waͤlder um eure Triller und Sentenzen? Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht uͤber eure eigne Miſere weinen koͤnnt! Hier ſah er erſt ſeine Zuhoͤrer einen nach dem andern genauer an. Entſetzlich, ſagte er nach einer kurzen Pauſe zu Rup¬ recht, du ſchauſt wie ein brennender Buſch aus Und du, idealer, blaßverwaſchener Muſen-Braͤutigam, redeſt du jede Magd noch Jungfrau an, und forderſt den Stiefelknecht in Jamben? Aber dich, Barbar, der in Blut watet, und von den Thraͤnen des Publi¬ kums lebt, dich erkannt 'ich gleich an der rothen, tyran¬ niſchen Stirne wieder