PRIMS Full-text transcription (HTML)
Meiſter Floh.
Ein Maͤhrchen in ſieben Abentheuern zweier Freunde.
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Frankfurt am Maynbei Friedrich Wilmans.1822.

Druck und Papier von C. L. Brede in Offenbach.

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Meiſter Floh. Ein Maͤrchen, in ſieben Abentheuern zweier Freunde.

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Erſtes Abentheuer.

Einleitung.

Worin der geneigte Leſer ſo viel aus dem Leben des Herrn Peregrinus Tyß erfährt, als ihm zu wiſſen nöthig. Die Weihnachtsbeſcheerung bei dem Buchbinder Lämmerhirt in der Kalbächer Gaſſe und Beginn des erſten Abentheuers. Die beiden Alinen.

Es war einmal welcher Autor darf es jetzt wohl noch wagen, ſein Geſchichtlein alſo zu beginnen. Veraltet! Langweilig! ſo ruft der geneigte oder vielmehr ungeneigte Leſer, der nach des alten römi¬ ſchen Dichters weiſen Rath, gleich medias in res verſetzt ſeyn will. Es wird ihm dabei zu Muthe, als nehme irgend ein weitſchweifiger Schwätzer von Gaſt, der eben eingetreten, breiten Platz und räuspre ſich aus, um ſeinen endloſen Sermon zu beginnen und er klappt unwillig das Buch zu, das er kaum aufgeſchlagen. Gegenwärtiger Herausgeber des wunderbaren Mär¬ chens von Meiſter Floh, meint nun zwar, daß jener Anfang ſehr gut und eigentlich der beſte jeder Geſchichte1 *4ſey, weshalb auch die vortrefflichſten Märchenerzähler, als da ſind, Ammen, alte Weiber u. a. ſich deſſelben jederzeit bedient haben, da aber jeder Autor vorzugs¬ weiſe ſchreibt, um geleſen zu werden, ſo will er (be¬ ſagter Herausgeber nämlich) dem günſtigen Leſer durch¬ aus nicht die Luſt benehmen, wirklich ſein Leſer zu ſeyn. Er ſagt demſelben daher gleich ohne alle weitere Umſchweife, daß demſelben Peregrinus Tyß, von deſ¬ ſen ſeltſamen Schickſalen dieſe Geſchichte handeln wird, an keinem Weihnachtsabende das Herz ſo geklopft hatte vor banger freudiger Erwartung, als gerade an dem¬ jenigen, mit welchem die Erzählung ſeiner Abentheuer beginnt.

Peregrinus befand ſich in einer dunklen Kam¬ mer, die neben dem Prunkzimmer belegen, wo ihm der heilige Chriſt einbeſcheert zu werden pflegte. Dort ſchlich er bald leiſe auf und ab, lauſchte auch wohl ein wenig an der Thüre, bald ſetzte er ſich ſtill hin in den Winkel und zog mit geſchloſſenen Augen die myſtiſchen Düfte des Marzipans, der Pfefferkuchen, ein, die aus dem Zimmer ſtrömten. Dann durch¬ bebten ihn ſüße heimliche Schauer, wenn, indem er ſchnell wieder die Augen öffnete, ihn die hellen Licht¬ ſtralen blendeten, die, durch die Ritzen der Thüre hin¬ einfallend, an der Wand hin und her hüpften.

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Endlich erklang das ſilberne Glöcklein, die Thüre des Zimmers wurde geöffnet und hinein ſtürzte Pere¬ grinus in ein ganzes Feuermeer von bunt flackernden Weihnachtslichtern. Ganz erſtarrt blieb Peregri¬ nus vor dem Tiſche ſtehen, auf dem die ſchönſten Ga¬ ben in gar hübſcher zierlicher Ordnung aufgeſtellt wa¬ ren, nur ein lautes Ach! drängte ſich aus ſeiner Bruſt hervor. Noch nie hatte der Weihnachts-Baum ſolche reiche Früchte getragen, denn alles Zuckerwerk, wie es nur Namen haben mag und dazwiſchen man¬ che goldne Nuß, mancher goldne Apfel aus den Gär¬ ten der Hesperiden, hing an den Aeſten, die ſich beugten unter der ſüßen Laſt. Der Vorrath von dem auserleſenſten Spielzeug, ſchönem bleiernen Mi¬ litair, eben ſolcher Jägerei, aufgeſchlagenen Bilder¬ büchern u. ſ. w. iſt gar nicht zu beſchreiben. Noch wagte er es nicht, irgend etwas von dem ihm beſcheerten Reich¬ thum zu berühren, er konnte ſich nur mühen ſein Staunen zu beſiegen, den Gedanken des Glücks zu erfaſſen, daß das alles nun wirklich ſein ſey.

» O meine lieben Eltern! o meine gute Aline! » So rief Peregrinus im Gefühl des höchſten Entzük¬ kens. » Nun, » erwiederte Aline, » hab ich's ſo recht » gemacht Peregrinchen? Freueſt du dich auch » recht von Herzen mein Kind? Willſt du nicht6 » all die ſchöne Waare näher betrachten, willſt du nicht » das neue Reitpferd, den hübſchen Fuchs hier ver¬ » ſuchen? »

» Ein herrliches Pferd, » ſprach Peregrinus, das aufgezäumte Steckenpferd mit Freudenthränen in den Augen betrachtend, » ein herrliches Pferd, ächt ara¬ » biſche Race. » Er beſtieg denn auch ſogleich das edle ſtolze Roß; mochte Peregrinus aber ſonſt auch ein vortrefflicher Reuter ſeyn, er mußte es diesmal in irgend etwas verfehlt haben, denn der wilde Pon¬ tifex (ſo war das Pferd geheißen) bäumte ſich ſchnau¬ bend und warf ihn ab, daß er kläglich die Beine in die Höhe ſtreckte. Noch ehe indeſſen die zum Tode erſchrockene Aline ihm zu Hülfe ſpringen konnte, hatte Peregrinus ſich ſchon emporgerafft und den Zügel des Pferdes ergriffen, das eben hinten ausſchlagend, durch¬ gehen wollte. Aufs neue ſchwang ſich Peregrinus nun auf und brachte, alle Reiterkünſte aufbietend und mit Kraft und Geſchick anwendend, den wilden Hengſt ſo zur Vernunft, daß er zitterte, keuchte, ſtöhnte, in Peregrinus ſeinen mächtigen Zwangherrn erkannte. Aline führte, als Peregrinus abgeſeſſen, den Gebeug¬ ten in den Stall.

Die etwas ſtürmiſche Reiterei, die im Zimmer, vielleicht im ganzen Hauſe einen unbilligen Lärm ver¬7 urſacht, war nun vorüber und Peregrinus ſetzte ſich an den Tiſch, um ruhig die andern glänzenden Ga¬ ben in näheren Augenſchein zu nehmen. Mit Wohl¬ behagen verzehrte Peregrinus einigen Marzipan, in¬ dem er dieſe, jene Gliederpuppe ihre Künſte machen ließ, in dieſes, jenes Bilderbuch kuckte, dann Heer¬ ſchau hielt über ſeine Armee, die er ſehr zweckmäßig uniformirt und mit Recht deshalb unüberwindlich fand, weil kein einziger Soldat einen Magen im Leibe, zu¬ letzt aber fortſchritt zum Jagdweſen. Mit Verdruß gewahrte er jetzt, daß nur eine Haſen - und Fuchs¬ jagd vorhanden, die Hirſchjagd ſo wie die wilde Schweins¬ jagd aber durchaus fehlte. Auch dieſe Jagd mußte ja da ſeyn, keiner konnte das beſſer wiſſen als Peregri¬ nus, der alles ſelbſt mit unſäglicher Mühe und Sorg¬ falt eingekauft.

Doch! höchſt nöthig ſcheint es, den günſtigen Leſer vor den ärgſten Mißverſtändniſſen zu bewahren, in die er gerathen könnte, wenn der Autor ins Gelag hinein weiter erzählte, ohne daran zu denken, daß er wohl weiß, was es mit der ganzen Weihnachts-Aus¬ ſtellung, von der geſprochen wird, für ein Bewand¬ niß hat, nicht aber der gütige Leſer, der eben erfah¬ ren will, was er nicht weiß.

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Sehr irren würde jeder, welcher glauben ſollte, daß Peregrinus Tyß ein Kind ſey, dem die gütige Mutter oder ſonſt ein ihm zugewandtes weibliches We¬ ſen, romantiſcher Weiſe, Aline geheißen, den heili¬ gen Chriſt beſcheert. Nichts weniger als das!

Herr Peregrinus Tyß hatte ſechs und dreyßig Jahre erreicht und daher beinahe die beſten. Sechs Jahre früher hieß es von ihm, er ſey ein recht hüb¬ ſcher Menſch, jetzt nannte man ihn mit Recht einen Mann von feinem Anſehen, immer, damals und jetzt wurde aber von allen getadelt, daß Peregrinus zu ſehr ſich zurückziehe, daß er das Leben nicht kenne und daß er offenbar an einem krankhaften Trübſinn leide. Väter, deren Töchter eben mannbar, meinten, daß der gute Tyß, um ſich von ſeinem Trübſinn zu heilen, nichts beſſeres thun könne, als heirathen, er habe ja freie Wahl und einen Korb nicht ſo leicht zu fürchten. Der Väter Meinung war wenigſtens Hinſichts des letztern Punkts in ſo fern richtig, als Herr Peregri¬ nus Tyß außerdem, daß er, wie geſagt, ein Mann von feinem Anſehen war, ein ſehr beträchtliches Ver¬ mögen beſaß, das ihm ſein Vater, Herr Balthaſar Tyß, ein ſehr angeſehener Kaufherr hinterlaſſen. Sol¬ chen hochbegabten Männern pflegt ein Mädchen, das, was Liebe betrifft, über die Ueberſchwenglichkeit hin¬9 aus, das heißt wenigſtens drei bis vier und zwanzig Jahre alt geworden iſt, auf die unſchuldige Frage: Wollen Sie mich mit Ihrer Hand beglücken o Theure? ſelten anders, als mit rothen Wangen und niederge¬ ſchlagenen Augen zu antworten: Sprechen Sie mit meinen lieben Eltern, ihrem Befehl gehorche ich allein, ich habe keinen Willen! Die Eltern falten aber die Hände und ſprechen: Wenn es Gottes Wille iſt, wir haben nichts dagegen, Herr Sohn!

Zu nichts weniger ſchien aber Herr Peregrinus Tyß aufgelegt, als zum Heirathen. Denn außerdem, daß er überhaupt im Allgemeinen menſchenſcheu war, ſo bewies er insbeſondere eine ſeltſame Idioſynkraſie gegen das weibliche Geſchlecht. Die Nähe eines Frauenzimmers trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirne und wurde er vollends von einem jungen ge¬ nugſam hübſchen Mädchen angeredet, ſo gerieth er in eine Angſt, die ihm die Zunge band und ein krampf¬ haftes Zittern durch alle Glieder verurſachte. Eben daher mocht 'es auch kommen, daß ſeine alte Aufwär¬ terin von ſolch' ſeltener Häßlichkeit war, daß ſie in dem Revier, wo Herr Peregrinus Tyß wohnte, vie¬ len für eine naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit galt. Sehr gut ſtand das ſchwarze ſtruppige halb ergraute Haar zu den rothen triefenden Augen, ſehr gut die dicke Kupfer¬10 naſe zu den bleichblauen Lippen um das Bild einer Blocksbergs-Aſpirantin zu vollenden, ſo daß ſie ein paar Jahrhunderte früher ſchwerlich dem Scheiter¬ haufen entgangen ſeyn würde, ſtatt daß ſie jetzt von Herrn Peregrinus Tyß und wohl auch noch von an¬ dern für eine ſehr gutmüthige Perſon gehalten wurde. Dieß war ſie auch in der That und ihr daher wohl nachzuſehen, daß ſie zu ihres Leibes Nahrung und Nothdurft in die Stundenreihe des Tages ſo manches Schnäpschen einflocht, und vielleicht auch zu oft eine ungeheure ſchwarzlackirte Doſe aus dem Bruſttuch her¬ vorzog und die anſehnliche Naſe reichlich mit ächtem Offenbacher fütterte. Der geneigte Leſer hat bereits bemerkt, daß dieſe merkwürdige Perſon eben dieſelbe Aline iſt, die die Weihnachtsbeſcheerung veranſtaltet. Der Himmel weiß, wie ſie zu dem berühmten Namen der Königin von Golkonda gekommen.

Verlangten aber nun Väter, daß der reiche, an¬ genehme Herr Peregrinus Tyß ſeiner Weiberſcheu ent¬ ſage und ſich ohne weiteres verehliche, ſo ſprachen da¬ gegen wieder alte Hageſtolze, daß Herr Peregrinus ganz Recht thue, nicht zu heirathen, da ſeine Ge¬ müthsart nicht dazu tauge.

Schlimm war es aber, daß viele bei dem Worte » Gemüthsart, » ein ſehr geheimnißvolles Geſicht mach¬11 ten und auf näheres Befragen nicht undeutlich zu ver¬ ſtehen gaben, daß Hr. Peregrinus Tyß leider zuwei¬ len was weniges überſchnappe, ein Fehler der ihm ſchon von früher Jugend her anklebe. Die vielen Leute die den armen Peregrinus für übergeſchnappt hielten, gehörten vorzüglich zu denjenigen, welche feſt überzeugt ſind, daß auf der großen Landſtraße des Le¬ bens, die man der Vernunft, der Klugheit gemäß einhalten müſſe, die Naſe der beſte Führer und Weg¬ weiſer ſey und die lieber Scheuklappen anlegen, als ſich verlocken laſſen, von manchem duftenden Gebüſch, von manchem blumigten Wieſenplätzlein, das nebenher liegt.

Wahr iſt es freilich, daß Herr Peregrinus man¬ ches ſeltſame in und an ſich trug, in das ſich die Leute nicht finden konnten.

Es iſt ſchon geſagt worden, daß der Vater des Herrn Peregrinus Tyß ein ſehr reicher angeſehener Kaufmann war und wenn noch hinzugefügt wird, daß derſelbe ein ſehr ſchönes Haus auf dem freundlichen Roßmarkt beſaß, und daß in dieſem Hauſe und zwar in demſelben Zimmer wo dem kleinen Peregrinus ſtets der heilige Chriſt einbeſcheert wurde, auch diesmal der erwachſene Peregrinus die Weihnachts-Gaben in Em¬ pfang nahm, ſo iſt gar nicht daran zu zweifeln, daß12 der Ort, wo ſich die wunderſamen Abentheuer zutru¬ gen, die in dieſer Geſchichte erzählt werden ſollen, kein anderer iſt, als die berühmte ſchöne Stadt Frankfurt am Mayn.

Von den Eltern des Herrn Peregrinus iſt eben nichts beſonderes zu ſagen, als daß es rechtliche ſtille Leute waren, denen niemand etwas anders als Gutes nachſagen konnte. Die unbegränzte Hochachtung welche Herr Tyß auf der Börſe genoß, verdankte er dem Um¬ ſtande, daß er ſtets richtig und ſicher ſpekulirte, daß er eine große Summe nach der andern gewann, dabei aber nie vorlaut wurde, ſondern beſcheiden blieb, wie er geweſen und niemals mit ſeinem Reichthum prahlte, ſondern ihn nur dadurch bewies, daß er weder um Geringes noch um Vieles knickerte und die Nachſicht ſelbſt war gegen inſolvente Schuldner, die ins Unglück gerathen, ſey es auch verdienter Weiſe.

Sehr lange Zeit war die Ehe des Herrn Tyß un¬ fruchtbar geblieben, bis endlich nach beinahe zwanzig Jahren die Frau Tyß ihren Eheherrn mit einem tüch¬ tigen hübſchen Knaben erfreute, welches eben unſer Herr Peregrinus Tyß war.

Man kann denken wie gränzenlos die Freude der Eltern war, und noch jetzt ſprechen alle Leute in Frank¬ furt von dem herrlichen Tauffeſte, das der alte Tyß13 gegeben und an welchem der edelſte urälteſte Rhein¬ wein kredenzt worden, als gelt 'es ein Krönungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachge¬ rühmt wird, iſt, daß er zu jenem Tauffeſte ein Paar Leute geladen, die in feindſeliger Geſinnung ihm gar öfters wehe gethan hatten, dann aber andere, denen er weh gethan zu haben glaubte, ſo daß der Schmaus ein wirkliches Friedens - und Verſöhnungsfeſt wurde.

Ach! der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht, daß daſſelbe Knäblein, deſſen Geburt ihn ſo erfreute, ihm ſo bald Kummer und Noth verurſachen würde.

Schon in der frühſten Zeit zeigte der Knabe Pe¬ regrinus eine ganz beſondere Gemüthsart. Denn nach¬ dem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht un¬ unterbrochen geſchrieen, ohne daß irgend ein körperli¬ ches Uebel zu entdecken, wurde er plötzlich ſtill, und erſtarrte zur regungsloſen Unempfindlichkeit. Nicht des mindeſten Eindrucks ſchien er fähig, nicht zum Lä¬ cheln, nicht zum Weinen verzog ſich das kleine Antlitz, das einer lebloſen Puppe anzugehören ſchien. Die Mutter behauptete, daß ſie ſich verſehen an dem al¬ ten Buchhalter, der ſchon ſeit zwanzig Jahren ſtumm und ſtarr mit demſelben lebloſen Geſicht im Comtoir vor dem Hauptbuch ſäße, und vergoß viele heiße Thrä¬ nen über das kleine Automat.

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Endlich gerieth eine Frau Pathe auf den glück¬ lichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen ſehr bunten und im Grunde genommen, häßlichen Har¬ lekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten ſich auf wunderbare Art, der Mund verzog ſich zum ſanf¬ ten Lächeln, es griff nach der Puppe, und drückte ſie zärtlich an ſich, als man ſie ihm gab. Dann ſchaute der Knabe wieder das bunte Männlein an, mit ſol¬ chen klugen beredten Blicken, daß es ſchien, als ſey plötzlich Empfindung und Verſtand in ihm erwacht, und zwar zu höherer Lebendigkeit, als es wohl bei Kindern des Alters gewöhnlich. » Der iſt zu klug, » ſprach die Frau Pathe, » den werdet ihr nicht erhal¬ » ten! Betrachtet doch nur einmal ſeine Augen, » der denkt ſchon viel mehr, als er ſoll! »

Dieſer Ausſpruch tröſtete gar ſehr den alten Herrn Tyß, der ſich ſchon einigermaßen darin gefunden, daß er nach vielen Jahren vergeblicher Hoffnung, einen Einfaltspinſel erzielt, doch bald kam er in neue Sorge.

Längſt war nämlich die Zeit vorüber, in der die Kinder gewöhnlich zu ſprechen beginnen, und noch hatte Peregrinus keinen Laut von ſich gegeben. Man würde ihn für taubſtumm gehalten haben, hätte er nicht manchmal den, der zu ihm ſprach, mit ſolchem aufmerkſamen Blick angeſchaut, ja durch freudige durch15 traurige Mienen ſeinen Antheil zu erkennen gegeben, daß gar nicht daran zu zweifeln, wie er nicht allein hörte, ſondern auch alles verſtand. In nicht gerin¬ ges Erſtaunen gerieth indeſſen die Mutter, als ſie be¬ ſtätigt fand was ihr die Wärterin geſagt. Zur Nachtzeit, wenn der Knabe im Bette lag und ſich un¬ behorcht glaubte, ſprach er für ſich einzelne Wörter, ja ganze Redensarten und zwar ſo wenig Kauderwelſch, daß man ſchon eine lange Uebung vorausſetzen konnte. Der Himmel hat den Frauen einen ganz beſondern ſichern Tackt verliehen, die menſchliche Natur, wie ſie ſich im Aufkeimen bald auf dieſe, bald auf jene Weiſe entwickelt, richtig aufzufaſſen, weshalb ſie auch we¬ nigſtens für die erſten Jahre des Kindes in der Regel bei weitem die beſten Erzieherinnen ſind. Dieſem Tackt gemäß war auch Frau Tyß weit entfernt, dem Knaben ihre Beobachtung merken zu laſſen und ihn zum Sprechen zwingen zu wollen, vielmehr wußte ſie es auf andere geſchickte Weiſe dahin zu bringen, daß er von ſelbſt das ſchöne Talent des Sprechens nicht mehr verborgen hielt, ſondern leuchten ließ vor der Welt und zu Aller Verwunderung, zwar langſam aber deutlich ſich vernehmen ließ. Doch zeigte er gegen das Sprechen ſtets einigen Widerwillen und hatte es am liebſten, wenn man ihn ſtill für ſich allein ließ.

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Auch dieſer Sorge wegen des Mangels der Spra¬ che, war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um ſpäter in noch viel größere zu gerathen. Als nämlich das Kind Peregrinus zum Knaben herangewachſen, tüchtig lernen ſollte, ſchien es, als ob ihm nur mit der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Leſen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erſt wollte es durchaus nicht gelingen und dann konnt 'er es mit einem Mal ganz vortrefflich und über alle Erwartung. Später verließ indeſſen ein Hof¬ meiſter nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen mißbehagte, ſondern weil ſie ſich in ſeine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war ſtill, ſittig, fleißig und doch war an ein eigentliches ſyſte¬ matiſches Lernen, wie es die Hofmeiſter haben woll¬ ten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn hatte, nur dem ſich mit ganzer Seele hingab, was gerade ſein inneres Gemüth in Anſpruch nahm, und alles übrige ſpurlos bei ſich vorübergehen ließ. Das, was ſein Gemüth anſprach, war nun aber alles Wun¬ derbare, alles was ſeine Fantaſie erregte, in dem er dann lebte und webte. So hatte er z. B. einſt einen Aufriß der Stadt Pecking mit allen Straßen, Häuſern u. ſ. w. der die ganze Wand ſeines Zimmers ein¬ nahm, zum Geſchenk erhalten. Bei dem Anblick der17 mährchenhaften Stadt, des wunderlichen Volks, das ſich durch die Straßen zu drängen ſchien, fühlte Pere¬ grinus ſich wie durch einen Zauberſchlag in eine andre Welt verſetzt, in der er heimiſch werden mußte. Mit heißer Begierde fiel er über alles her, was er über China, über die Chineſen, über Pecking habhaft wer¬ den konnte, mühte ſich die Chineſiſchen Laute, die er irgendwo aufgezeichnet fand, mit feiner ſingender Stim¬ me der Beſchreibung gemäß nachzuſprechen, ja er ſuchte mittelſt der Papierſcheere ſeinem Schlafröcklein, von dem ſchönſten Kalmank, möglichſt einen Chineſiſchen Zuſchnitt zu geben, um der Sitte gemäß mit Entzük¬ ken in den Straßen von Pecking umherwandeln zu können. Alles übrige konnte durchaus nicht ſeine Auf¬ merkſamkeit reizen, zum großen Verdruß des Hofmei¬ ſters, der eben ihm die Geſchichte des Bundes der Hanſa beibringen wollte, wie es der alte Herr Tyß ausdrücklich gewünſcht, der nun zu ſeinem Leidweſen erfahren mußte, daß Peregrinus nicht aus Pecking fortzubringen, weshalb er denn Pecking ſelbſt fortbrin¬ gen ließ aus dem Zimmer des Knaben.

Für ein ſchlimmes Omen hatte es der alte Herr Tyß ſchon gehalten, daß als kleines Kind, Peregri¬ nus Rechenpfennige lieber hatte als Dukaten, dann aber gegen große Geldſäcke und Hauptbücher und Straz¬218zen einen entſchiedenen Abſcheu bewieß. Was aber am ſeltſamſten ſchien, war, daß er das Wort: Wechſel, nicht ausſprechen hören konnte, ohne krampfhaft zu erbeben, indem er verſicherte, es ſey ihm dabei ſo, als kratze man mit der Spitze des Meſſers auf einer Glasſcheibe hin und her. Zum Kaufmanne, das mußte Herr Tyß einſehen, war daher Peregrinus von Haus aus verdorben, und ſo gern er es geſehen, daß der Sohn in ſeine Fußtapfen getreten, ſo ſtand er doch gern ab von dieſem Wunſch, in der Vorausſetzung, daß Peregrinus ſich einem beſtimmten Fach widmen werde. Herr Tyß hatte den Grundſatz, daß der reichſte Mann ein Geſchäft und durch daſſelbe einen beſtimm¬ ten Standpunkt im Leben haben müſſe; geſchäftsloſe Leute waren ihm ein Gräuel und eben zu dieſer Ge¬ ſchäftsloſigkeit neigte ſich Peregrinus, bei allen Kennt¬ niſſen die er nach ſeiner eigenen Weiſe erwarb, und die chaotiſch durcheinander lagen, gänzlich hin. Das war nun des alten Tyß größte und drückendſte Sorge. Peregrinus wollte von der wirklichen Welt nichts wiſ¬ ſen, der Alte lebte nur in ihr und nicht anders konnt 'es geſchehen, als daß ſich daraus, je älter Peregrinus wurde, ein deſto ärgerer Zwieſpalt entſpann zwiſchen Vater und Sohn, zu nicht geringem Leidweſen der Mutter, die dem Peregrinus, der ſonſt gutmüthig,19 fromm, der beſte Sohn, ſein, ihr freilich unver¬ ſtändliches Treiben, in lauter Einbildungen und Träu¬ men herzlich gönnte und nicht begreifen konnte, warum ihm der Vater durchaus ein beſtimmtes Geſchäft auf¬ bürden wollte.

Auf den Rath bewährter Freunde ſchickte der alte Tyß den Sohn nach der Univerſität Jena, aber als er nach drei Jahren wiederkehrte, da rief der alte Herr voller Aerger und Grimm: » Hab ich's nicht gedacht! Hans der Träumer ging hin, Hans der Träumer kehrt zurück! » Herr Tyß hatte in ſo fern ganz Recht, als Peregrinus in ſeinem ganzen Weſen ſich ganz und gar nicht verändert hatte, ſon¬ dern völlig derſelbe geblieben. Doch gab Herr Tyß die Hoffnung noch nicht auf, den ausgearteten Pere¬ grinus zur Vernunft zu bringen, indem er meinte, daß, würde er erſt mit Gewalt hineingeſtoßen in das Geſchäft, er vielleicht doch am Ende Gefallen daran finden und anderes Sinnes werden könne. Er ſchickte ihn mit Aufträgen nach Hamburg, die eben nicht ſonderliche Handelskenntniſſe erforderten, und empfahl ihn überdies einem dortigen Freunde, der ihm in Allem treulich beiſtehen ſollte.

Peregrinus kam nach Hamburg, gab nicht allein den Empfehlungsbrief ſondern auch alle Papiere, die2 *20ſeine Aufträge betrafen dem Handelsfreunde ſeines Va¬ ters in die Hände, und verſchwand darauf, niemand wußte wohin.

Der Handelsfreund ſchrieb darauf an Herrn Tyß:

Ich habe Dero Geehrtes vom durch Ihren Herrn Sohn richtig erhalten. Derſelbe hat ſich aber nicht weiter blicken laſſen, ſondern iſt ſchnell von Hamburg abgereiſet ohne Auftrag zu hin¬ terlaſſen. In Pfeffern geht hier wenig um, Baumwolle iſt flau, in Kaffee nur nach Mittel¬ ſorte Frage, dagegen erhält ſich der Melis ange¬ nehm und auch im Indigo zeigt ſich fortwährend divers gute Meinung. Ich habe die Ehre ꝛc.

Dieſer Brief hätte Herrn Tyß und ſeine Ehegat¬ tin nicht wenig in Beſtürzung geſetzt, wäre nicht mit derſelben Poſt ein Brief von dem verlornen Sohne ſelbſt angelangt, in dem er ſich mit den wehmüthig¬ ſten Ausdrücken entſchuldigte, daß es ihm ganz un¬ möglich geweſen, die erhaltenen Aufträge nach dem Wunſche des Vaters auszurichten, und daß er ſich unwiderſtehlich hingezogen gefühlt habe, nach fernen Gegenden, aus denen er nach Jahresfriſt glücklicher und froher in die Heimath zurückzukehren hoffe.

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» Es iſt gut, » ſprach der alte Herr, » daß der Junge ſich umſieht in der Welt, da werden ſie ihn wohl herausrütteln aus ſeinen Träumereien. » Auf die von der Mutter geäußerte Beſorgniß, daß es dem Sohn doch an Geld fehlen könne zur großen Reiſe, und daß daher ſein Leichtſinn, nicht geſchrieben zu ha¬ ben, wohin er ſich begebe, ſehr zu tadeln, erwiederte aber der Alte lachend: » Fehlt es dem Jungen an Gelde, ſo wird er ſich deſto eher mit der wirklichen Welt befreunden, und hat er uns nicht geſchrieben, wohin er reiſen will, ſo weiß er doch, wo uns ſeine Briefe treffen. »

Es iſt unbekannt geblieben, wohin Peregrinus eigentlich ſeine Reiſe hingerichtet; manche wollen be¬ haupten, er ſey in dem fernen Indien geweſen, an¬ dere meinen dagegen, er habe ſich das nur eingebildet; ſo viel iſt gewiß, daß er weit weg geweſen ſeyn muß, denn nicht ſo, wie er den Eltern verſprochen, nach Jahresfriſt, ſondern erſt nach Verlauf voller dreier Jahre kehrte Peregrinus zurück nach Frankfurt und zwar zu Fuß, in ziemlich ärmlicher Geſtalt.

Er fand das elterliche Haus feſt verſchloſſen und niemand rührte ſich darin, er mochte klingeln und klopfen ſo viel er wollte.

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Da kam endlich der Nachbar von der Börſe, den Peregrinus augenblicklich fragte, ob Herr Tyß vielleicht verreiſet.

Der Nachbar prallte aber ganz erſchrocken zurück und rief: » Herr Peregrinus Tyß! ſind Sie es? kommen Sie endlich? wiſſen Sie denn nicht? »

Genug, Peregrinus erfuhr, daß während ſeiner Abweſenheit beide Eltern hintereinander geſtorben, daß die Gerichte den Nachlaß in Beſchlag genommen und ihn, deſſen Aufenthalt gänzlich unbekannt geweſen, öffentlich aufgefordert nach Frankfurt zurückzukehren und die Erbſchaft des Vaters in Empfang zu nehmen.

Sprachlos blieb Peregrinus vor dem Nachbar ſtehen, zum erſtenmal durchſchnitt der Schmerz des Lebens ſeine Bruſt, zertrümmert ſah er die ſchöne glän¬ zende Welt, in der er ſonſt luſtig gehauſet.

Der Nachbar gewahrte wohl wie Peregrinus gänzlich unfähig, auch nur das Kleinſte, was jetzt nöthig, zu beginnen. Er nahm ihn daher in ſein Haus und beſorgte ſelbſt in möglicher Schnelle alles, ſo daß noch denſelben Abend Peregrinus ſich in dem elterlichen Hauſe befand.

Ganz erſchöpft, ganz vernichtet von einer Troſt¬ loſigkeit, die er noch nicht gekannt, ſank er in den großen Lehnſtuhl des Vaters, der noch an derſelben23 Stelle ſtand, wo er ſonſt geſtanden; da ſprach eine Stimme: » Es iſt nur gut, daß Sie wieder da ſind, lieber Herr Peregrinus. Ach wären Sie nur frü¬ her gekommen! »

Peregrinus ſchaute auf und gewahrte dicht vor ſich die Alte, die ſein Vater vorzüglich deshalb, weil ſie wegen ihrer furchtbaren Häßlichkeit, ſchwer einen Dienſt finden konnte, in ſeiner frühen Kindheit als Wärterin angenommen, und die das Haus nicht wieder verlaſſen hatte.

Lange ſtarrte Peregrinus das Weib an, endlich begann er, ſeltſam lächelnd: » Biſt du es Aline? Nicht wahr, die Eltern leben noch? » Damit ſtand er auf, ging durch alle Zimmer, betrachtete jeden Stuhl, jeden Tiſch, jedes Bild u. ſ. w. Dann ſprach er ruhig: » Ja, es iſt noch alles ſo wie ich es verlaſſen, und ſo ſoll es auch bleiben! »

Von dieſem Augenblick begann Peregrinus das ſelt¬ ſame Leben, wie es gleich Anfangs angedeutet. Zu¬ rückgezogen von aller Geſellſchaft, lebte er mit ſeiner alten Aufwärterin in dem großen geräumigen Hauſe, in tiefſter Einſamkeit, erſt ganz allein, bis er ſpäter ein Paar Zimmer einem alten Mann, der des Vaters Freund geweſen, miethweiſe abtrat. Dieſer Mann ſchien eben ſo menſchenſcheu wie Peregrinus. Grund24 genug, warum ſich beide, Peregrinus und der Alte ſehr gut vertrugen, da ſie ſich niemals ſahen.

Es gab nur vier Familienfeſte, die Peregrinus ſehr feierlich beging, und das waren die beiden Ge¬ burtstage des Vaters und der Mutter, der erſte Oſter¬ feiertag und ſein eignes Tauffeſt. An dieſen Tagen mußte Aline einen Tiſch für ſo viele Perſonen, als der Vater ſonſt eingeladen und dieſelbe Schüſſeln, die gewöhnlich aufgetragen worden, bereiten, ſo wie den¬ ſelben Wein aufſetzen laſſen, wie ihn der Vater gege¬ ben. Es verſteht ſich, daß daſſelbe Silber, dieſelben Teller, dieſelben Gläſer, wie alles damals gebraucht worden und wie es ſich noch unverſehrt im Nachlaſſe befand, auch jetzt nach der ſo viele Jahre hindurch üblichen Weiſe gebraucht werden mußte. Peregrinus hielt ſtrenge darauf. War die Tafel fertig, ſo ſetzte ſich Peregrinus ganz allein hinan, und trank nur wenig, horchte auf die Geſpräche der Eltern, der ein¬ gebildeten Gäſte und antwortete nur beſcheiden auf dieſe, jene Frage, die jemand aus der Geſellſchaft an ihn richtete. Hatte die Mutter den Stuhl gerückt, ſo ſtand er mit den übrigen auf und empfahl ſich jedem auf die höflichſte Weiſe. Er ging dann in ein ab¬ gelegenes Zimmer und überließ ſeiner Aline die Ver¬ theilung der vielen nicht angerührten Schüſſeln und25 des Weins an Hausarme, welches Gebot des Herrn die treue Seele gar gewiſſenhaft auszuführen pflegte. Die Feier der Geburtstage des Vaters und der Mut¬ ter, begann Peregrinus ſchon am frühen Morgen, damit, daß er, wie es ſonſt zu ſeiner Knabenzeit ge¬ ſchehen, einen ſchönen Blumenkranz in das Zimmer trug, wo die Eltern zu frühſtücken pflegten und aus¬ wendig gelernte Verſe herſagte. An ſeinem eignen Tauffeſte konnte er ſich natürlicherweiſe nicht an die Tafel ſetzen, da er nicht längſt geboren, Aline mußte daher alles allein beſorgen, d. h. die Gäſte zum Trin¬ ken nöthigen, überhaupt wie man zu ſagen pflegt, die Honneurs der Tafel machen; ſonſt geſchah alles wie bei den übrigen Feſten. Außer denſelben gab es aber noch für Peregrinus einen beſondern Freudentag oder vielmehr Freudenabend im Jahre, und das war die Weihnachts-Beſcheerung, die mehr als jede andere Luſt, ſein junges Gemüth in ſüßem frommen Ent¬ zücken aufgeregt hatte.

Selbſt kaufte er ſorgſam bunte Weihnachtslich¬ ter, Spielſachen, Naſchwerk, ganz in dem Sinn ein, wie es die Eltern ihm in ſeinen Knabenjahren beſcheert hatten, und dann ging die Beſcheerung vor ſich, wie es der geneigte Leſer bereits erfahren.

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» Sehr unlieb, » ſprach Peregrinus, nachdem er noch einige Zeit geſpielt, » ſehr unlieb iſt es mir doch, » daß die Hirſch - und wilde Schweinsjagd abhanden » gekommen. Wo ſie nur geblieben ſeyn mag! » Ach! da! » Er gewahrte in dem Augenblick eine noch ungeöffnete Schachtel, nach welcher er ſchnell griff, die vermißte Jagd darin vermuthend; als er ſie indeſſen öffnete, fand er ſie leer, und fuhr zurück als durchbebe ihn ein jäher Schreck. » Seltſam, » ſprach er dann leiſe vor ſich hin, » ſeltſam! was iſt es mit dieſer Schachtel? war es mir doch als ſpränge mir daraus etwas Bedrohliches entgegen, das mit dem Blick zu erfaſſen, mein Auge zu ſtumpf war! »

Aline verſicherte auf Befragen, daß ſie die Schach¬ tel unter den Spielſachen gefunden, indeſſen alle Mühe vergeblich angewandt hätte, ſie zu öffnen; ge¬ glaubt habe ſie daher, daß darin etwas beſonderes enthalten und der Deckel nur der kunſtverſtändigen Hand des Herrn weichen werde. » Seltſam, » wie¬ derholte Peregrinus, » ſehr ſeltſam! Und auf dieſe » Jagd hatte ich mich ganz beſonders gefreut; ich » hoffe nicht, daß das etwas Böſes bedeuten dürfte! » Doch wer wird am Weihnachts-Abende ſolchen Gril¬ » len nachhängen die doch eigentlich gar keinen Grund » haben! Aline, bringe ſie Korb! » Aline27 brachte alsbald einen großen weißen Henkelkorb herbei, in den Peregrinus mit vieler Sorglichkeit die Spielſachen, das Zuckerwerk, die Lichter einpackte, dann den Korb unter den Arm, den großen Weihnachtsbaum aber auf die Schulter nahm und ſo ſeinen Weg antrat.

Herr Peregrinus Tyß hatte die löbliche, gemüth¬ liche Gewohnheit, mit ſeiner ganzen Beſcheerung wie er ſie ſich ſelbſt bereitet hatte, um ſich ein Paar Stun¬ den hinüberzuträumen in die ſchöne vergnügliche Kna¬ benzeit, hineinzufallen in irgend eine bedürftige Fa¬ milie, von der ihm bekannt war, daß muntre Kinder vorhanden, wie der heilige Chriſt ſelbſt mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hell¬ ſten, lebendigſten Freude, ſchlich er leiſe davon, und lief oft die halbe Nacht über durch die Straßen, weil er ſich vor tiefer, die Bruſt beengender Rührung gar nicht zu laſſen wußte, und ſein eignes Haus ihm vor¬ kam wie ein düſtres Grabmal, in dem er ſelbſt mit allen ſeinen Freuden begraben. Diesmal war die Be¬ ſcheerung den Kindern eines armen Buchbinders be¬ ſtimmt, Namens Lämmerhirt, der, ein geſchickter fleißiger Mann, für Herrn Peregrinus ſeit einiger Zeit arbeitete, und deſſen drei muntre Knaben von fünf bis neun Jahren, Herr Peregrinus kannte.

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Der Buchbinder Lämmerhirt wohnte in dem

höchſten Stock eines engen Hauſes in der Kalbächer Gaſſe, und pfiff und tobte nun der Winterſturm, reg¬ nete und ſchneite es wild durcheinander, ſo kann man denken, daß Herr Peregrinus nicht ohne große Be¬ ſchwerde zu ſeinem Ziel gelangte. Aus Lämmerhirts Fenſtern blinkten ein paar ärmliche Lichterchen herab, mühſam erkletterte Peregrinus die ſteile Treppe. » Auf¬ gemacht, » rief er, indem er an die Stubenthüre pochte, » aufgemacht, aufgemacht, der heilige Chriſt ſchickt frommen Kindern ſeine Gaben! »

Der Buchbinder öffnete ganz erſchrocken und er¬ kannte den ganz eingeſchneiten Peregrinus erſt, nach¬ dem er ihn lange genug betrachtet.

» Hochgeehrteſter Herr Tyß, » rief Lämmerhirt voll Erſtaunen, » Hochgeehrteſter Herr Tyß, wie » komm ich um des Herrn willen am heiligen Chriſt¬ » abend zu der beſondern Ehre » Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden ſondern bemächtigte ſich, laut rufend: » Kinder Kinder! aufgepaßt, der heilige Chriſt ſchickt ſeine Gaben! » des großen Klapp¬ tiſches, der in der Mitte des Stübchens befindlich, und begann ſofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz naſſen tropfen¬ den Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Thüre29 ſtehen laſſen müſſen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden ſollte; die Frau ſah es beſſer ein, denn ſie lachte den Peregri¬ nus an mit Thränen in den Augen, aber die Knaben ſtanden von ferne und verſchlangen ſchweigend mit den Augen jede Gabe, wie ſie aus der Hülle hervorkam, und konnten ſich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwundrung nicht erwehren! Als Pe¬ regrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes Kindes geſchickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezündet hatte, als er rief: » Heran heran ihr Kinder! das ſind die Gaben die der heilige Chriſt Euch geſchickt! » da jauchzten ſie, die den Gedanken, daß das alles ihnen gehören ſolle, noch gar nicht feſt gefaßt hatten, laut auf und ſprangen und jubelten, während die Eltern Anſtalten machten ſich bei dem Wohlthäter zu bedanken.

Den Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedesmal zu vermeiden ſuchte, er wollte ſich daher wie gewöhnlich ganz ſtill davon machen. Schon war er an der Thü¬ re, als dieſe plötzlich aufging und in dem hellen Schim¬ mer der Weihnachtslichter ein junges glänzend geklei¬ detes Frauenzimmer vor ihm ſtand.

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Es thut ſelten gut, wenn der Autor ſich unter¬ fängt, dem geneigten Leſer genau zu beſchreiben, wie dieſe oder jene ſehr ſchöne Perſon die in ſeiner Geſchichte vorkommt, ausgeſehen, was Wuchs, Größe, Stel¬ lung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und ſcheint es dagegen viel beſſer, denſelben ohne dieſen Detailhandel die ganze Perſon in den Kauf zu geben. Genügen würde es auch hier vollkommen, zu verſichern, daß das Frauenzimmer, welches dem zum Tode er¬ ſchrockenen Peregrinus entgegentrat, über die Maaßen hübſch und anmuthig war, käme es nicht durchaus darauf an, gewiſſer Eigenthümlichkeiten zu erwähnen, die die kleine Perſon an ſich trug.

Klein und zwar etwas kleiner, als gerade recht, war nämlich das Frauenzimmer in der That, dabei aber ſehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, ſonſt ſchön geformt und voller Ausdruck, erhielt aber da¬ durch etwas fremdes und ſeltſames, daß die Augäpfel ſtärker waren und die ſchwarzen feingezeichneten Au¬ genbraunen höher ſtanden, als gewöhnlich. Gekleidet oder vielmehr geputzt war das Dämchen, als käme es ſo eben vom Ball. Ein prächtiges Diadem blitzte in den ſchwarzen Haaren, reiche Kanten bedeckten nur halb den vollen Buſen, das lila und gelb gegatterte Kleid von ſchwerer Seide, ſchmiegte ſich um den ſchlan¬31 ken Leib und fiel nur in Falten ſo weit herab, daß man die niedlichſten weißbeſchuhten Füßchen erblicken konnte, ſo wie die Spitzenärmel kurz genug waren, und die weißen Glacé-Handſchuhe aber nur ſo weit hinaufgingen, um den ſchönſten Theil des blendenden Arms ſehen zu laſſen. Ein reiches Halsband, brillantne Ohrgehenke vollendeten den Anzug.

Es konnte nicht fehlen, daß der Buchbinder eben ſo beſtürzt war, als Herr Peregrinus, daß die Kin¬ der von ihren Spielſachen abließen, und die fremde Dame angafften mit offnem Munde; wie aber die Weiber am wenigſten über irgend etwas ſeltſames, un¬ gewöhnliches zu erſtaunen pflegen und ſich überhaupt am geſchwindeſten faſſen, ſo kam denn auch des Buch¬ binders Frau zuerſt zu Worten, und fragte: was der ſchönen fremden Dame zu Dienſten ſtehe?

Die Dame trat nun vollends in das Zimmer, und dieſen Augenblick wollte der beängſtete Peregrinus benutzen, um ſich ſchnell davon zu machen, die Dame faßte ihn aber bei beiden Händen, indem ſie mit ei¬ nem ſüßen Stimmchen lispelte: » So iſt das Glück mir doch günſtig, ſo habe ich Sie doch ereilt! O Peregrin, mein theurer Peregrin, was für ein ſchö¬ nes heilbringendes Wiederſehen! »

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Damit erhob ſie die rechte Hand ſo, daß ſie Pe¬ regrins Lippen berührte und er genöthigt war, ſie zu küſſen, unerachtet ihm dabei die kalten Schweißtro¬ pfen auf der Stirne ſtanden. Die Dame ließ nun zwar ſeine Hände los und er hätte entfliehen können, aber gebannt fühlte er ſich, nicht von der Stelle konnte er weichen, wie ein armes Thierlein, das der Blick der Klapperſchlange feſtgezaubert. » Laſſen Sie, » ſprach jetzt die Dame, » laſſen Sie mich, beſter Pe¬ regrin, an dem ſchönen Feſt Theil nehmen, das Sie mit edlem Sinn, mit zartem innigem Gemüth, from¬ men Kindern bereitet, laſſen Sie mich auch etwas dazu beitragen. »

Aus einem zierlichen Körbchen, das ihr am Arme hing und das man jetzt erſt bemerkte, zog ſie nun al¬ lerlei artige Spielſachen hervor, ordnete ſie mit an¬ muthiger Geſchäftigkeit auf dem Tiſche, führte die Knaben heran, wies jedem, was ſie ihm zugedacht und wußte dabei mit den Kindern ſo ſchön zu thun, daß man nichts lieblicheres ſehen konnte. Der Buch¬ binder glaubte, er läge im Traum, die Frau lächelte aber ſchalkiſch, weil ſie überzeugt war, daß es mit dem Herrn Peregrin und der fremden Dame, wohl eine beſondere Bewandniß haben müſſe.

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Während nun die Eltern ſich wunderten und die Kinder ſich freuten, nahm die fremde Dame Platz auf einem alten gebrechlichen Kanapee, und zog den Herrn Peregrinus Tyß, der in der That beinahe ſelbſt nicht mehr wußte, ob er dieſe Perſon wirklich ſey, neben ſich nieder. » Mein theurer, » begann ſie dann leiſe ihm ins Ohr lispelnd, » mein theurer lieber Freund, wie froh, wie ſeelig fühle ich mich an deiner Seite. » » Aber, » ſtotterte Peregrinus, » aber mein verehrteſtes Fräulein » doch plötzlich kamen, der Himmel weiß wie, die Lippen der fremden Dame den ſeinigen ſo nahe, daß, ehe er daran denken konnte, ſie zu küſſen, ſie ſchon geküßt hatte, und daß er dar¬ über die Sprache aufs neue und gänzlich verlor, iſt zu denken.

» Mein ſüßer Freund, » ſprach nun die fremde Dame weiter, indem ſie dem Peregrinus ſo nahe auf den Leib rückte, daß nicht viel daran gefehlt, ſie hätte ſich auf ſeinen Schooß geſetzt, » mein ſüßer Freund! ich weiß was dich bekümmert, ich weiß was heute Abend dein frommes kindliches Gemüth ſchmerzlich berührt hat. Doch! ſey getroſt! Was du verloren, was du jemals wieder zu erlangen kaum hoffen durf¬ teſt, das bring 'ich dir. »334Damit holte die fremde Dame aus demſelben Körbchen, in dem ſich die Spielſachen befunden hat¬ ten, eine hölzerne Schachtel hervor und gab ſie dem Peregrin in die Hände. Es war die Hirſch - und wilde Schweinsjagd, die er auf dem Weihnachtstiſche vermißt. Schwer möcht 'es fallen, die ſeltſamen Ge¬ fühle zu beſchreiben, die in Peregrins Innerm ſich durchkreuzten.

Hatte die ganze Erſcheinung der fremden Dame, aller Anmuth und Lieblichkeit unerachtet, dennoch etwas ſpukhaftes, das auch andern, die die Nähe eines Frauenzimmers nicht ſo geſcheut, als Peregrin, recht durch alle Glieder fröſtelnd empfunden haben würden, ſo mußte ja dem armen, ſchon genug ge¬ ängſteten Peregrin ein tiefes Grauen anwandeln, als er gewahrte, daß die Dame von all' dem, was er in der tiefſten Einſamkeit begonnen, auf das genaueſte unterrichtet war. Und mitten in dieſem Grauen wollte ſich, wenn er die Augen aufſchlug und der ſiegende Blick der ſchönſten ſchwarzen Augen, unter den langen ſeidenen Wimpern hervorleuchtete, wenn er des holden Weſens ſüßen Athem, die elektriſche Wärme ihres Kör¬ pers fühlte doch wollte ſich dann in wunderbaren Schauern das namenloſe Weh eines unausſprechlichen Verlangens regen, das er noch nicht gekannt! Dann35 kam ihm zum erſtenmal ſeine ganze Lebensweiſe, das Spiel mit der Weihnachtsbeſcheerung kindiſch und ab¬ geſchmackt vor, und er fühlte ſich beſchämt, daß die Dame darum wußte und nun war es ihm wieder, als ſey das Geſchenk der Dame der lebendige Beweis, daß ſie ihn verſtanden, wie niemand ſonſt auf Erden und daß das innigſte tiefſte Zartgefühl ſie gelenkt, als ſie ihn auf dieſe Weiſe erfreuen wollen. Er beſchloß die theure Gabe ewig aufzubewahren, nie aus den Hän¬ den zu laſſen und drückte, fortgeriſſen von einem Ge¬ fühl, das ihn ganz übermannt, die Schachtel worin die Hirſch - und wilde Schweinsjagd befindlich, mit Heftigkeit an die Bruſt. » O, » lispelte das Däm¬ chen, » o des Entzückens! Dich erfreut meine Gabe! o mein herziger Peregrin, ſo haben mich meine Träume, meine Ahnungen nicht getäuſcht! »

Herr Peregrinus Tyß kam etwas zu ſich ſelbſt, ſo, daß er im Stande war, ſehr deutlich und ver¬ nehmlich zu ſprechen: » Aber mein beſtes hochverehr¬ tes Fräulein, wenn ich nur in aller Welt wüßte, wem ich die Ehre hätte »

» Schalkiſcher Mann, » unterbrach ihn die Da¬ me, indem ſie ihm leiſe die Wange klopfte, » ſchal¬ kiſcher Mann, du ſtellſt dich gar, als ob du deine treue Aline nicht kennteſt! Doch es iſt Zeit, daß3 *36wir hier den guten Leuten, freien Spielraum laſſen. Begleiten Sie mich Herr Tyß! »

Als Peregrinus den Namen Aline hörte, mußte er natürlicherweiſe an ſeine alte Aufwärterin denken, und es war ihm nun vollends, als drehe ſich in ſei¬ nem Kopfe eine Windmühle.

Der Buchbinder vermochte, als nun die fremde Dame von ihm, ſeiner Frau und den Kindern auf das freudigſte, anmuthigſte, Abſchied nahm, vor lau¬ ter Verwunderung und Ehrfurcht nur unverſtändliches Zeug zu ſtammeln, die Kinder thaten, als ſeyen ſie mit der Fremden lange bekannt geweſen; die Frau ſprach aber: » Ein ſolcher ſchmucker gütiger Herr, wie Sie, Herr Tyß, verdient wohl eine ſo ſchöne, herzensgute Braut zu haben, die ihm noch in der Nacht Werke der Wohlthätigkeit vollbringen hilft. Nun ich gratulire von ganzem Herzen! » Die fremde Dame dankte gerührt, verſicherte, daß ihr Hoch¬ zeitstag auch ihnen ein Feſttag ſeyn ſolle, verbot dann ernſthaft jede Begleitung, und nahm ſelbſt eine kleine Kerze vom Weihnachtstiſch, um ſich die Treppe hin¬ abzuleuchten.

Man kann denken, wie dem Herrn Tyß, in deſſen Arm ſich nun die fremde Dame hängte, bei allem dem zu Muthe war! » Begleiten Sie mich Herr37 Tyß, » dachte er bei ſich, das heißt, die Treppe hinab bis an den Wagen, der vor der Thüre hält und wo der Diener oder vielleicht eine ganze Dienerſchaft war¬ tet, denn am Ende iſt es irgend eine wahnſinnige Prin¬ zeſſin, die hier der Himmel erlöſe mich nur bald aus dieſer ſeltſamen Quaal und erhalte mir mein bis¬ chen Verſtand!

Herr Tyß ahnte nicht, daß alles, was bis jetzt ge¬ ſchehen, nur das Vorſpiel des wunderlichſten Aben¬ theuers geweſen, und that eben deshalb unbewußt, ſehr wohl daran, den Himmel im Voraus um die Erhal¬ tung ſeines Verſtandes zu bitten.

Als das Paar die Treppe herabgekommen, wurde die Hausthüre von unſichtbaren Händen auf und, als Peregrinus mit der Dame hinausgetreten, eben ſo wieder zugeſchloſſen. Peregrinus merkte gar nicht darauf, denn viel zu ſehr erſtaunte er, als ſich vor dem Hauſe auch nicht die mindeſte Spur eines Wa¬ gens oder eines wartenden Dieners fand.

» Um des Himmelswillen, » rief Peregrinus, » wo iſt Ihr Wagen, Gnädigſte? » » Wagen, » erwiderte die Dame, » Wagen? was für ein Wa¬ gen? Glauben Sie, lieber Peregrinus, daß meine Ungeduld, meine Angſt Sie zu finden, es mir erlaubt haben ſollte, mich ganz ruhig hierher fahren zu laſ¬38 ſen? Durch Sturm und Wetter ich getrieben von Sehnſucht und Hoffnung umhergelaufen, bis ich Sie fand. Dem Himmel Dank, daß mir dies gelungen. Führen Sie mich nur jetzt nach Hauſe, lieber Pere¬ grinus, meine Wohnung iſt nicht ſehr weit entlegen. »

Herr Peregrinus entſchlug ſich mit aller Gewalt des Gedankens, wie es ja ganz unmöglich, daß die Dame, geputzt wie ſie war, in weißſeidnen Schuhen, auch nur wenige Schritte hatte gehen können, ohne den ganzen Anzug im Sturm, Regen und Schnee zu verderben, ſtatt daß man jetzt auch keine Spur irgend einer Zerrüttung der ſorgſamſten Toilette wahrnahm; fand ſich darin, die Dame noch weiter zu begleiten, und war nur froh, daß die Witterung ſich geändert. Vor¬ über war das tolle Unwetter, kein Wölkchen am Him¬ mel, der Vollmond ſchien freundlich herab, und nur die ſchneidend ſcharfe Luft ließ die Winternacht fühlen.

Kaum war Peregrinus aber einige Schritte ge¬ gangen, als die Dame leiſe zu wimmern begann, dann aber in laute Klagen ausbrach, daß ſie vor Kälte er¬ ſtarren müſſe. Peregrinus, dem das Blut glühend¬ heiß durch die Adern ſtrömte, der deshalb nichts von der Kälte empfunden und nicht daran gedacht, daß die Dame ſo leicht gekleidet und nicht einmal einen Shawl oder ein Tuch umgeworfen hatte, ſah plötzlich39 ſeine Tölpelei ein und wollte die Dame in ſeinen Man¬ tel hüllen. Die Dame wehrte dies indeſſen ab, in¬ dem ſie jammerte: » Nein, mein lieber Peregrin! das hilft mir nichts! Meine Füße ach meine Füße, umkommen muß ich vor fürchterlichem Schmerz. »

Halb ohnmächtig wollte die Dame zuſammenſin¬ ken, indem ſie mit erſterbender Stimme rief: » Trage mich, trage mich, mein holder Freund! »

Da nahm ohne Weiteres Peregrinus das feder¬ leichte Dämchen auf den Arm, wie ein Kind und wik¬ kelte ſie ſorglich ein in den weiten Mantel. Kaum war er aber eine kleine Strecke mit der ſüßen Laſt fort¬ geſchritten; als ihn ſtärker und ſtärker der wilde Tau¬ mel brünſtiger Luſt erfaßte. Er bedeckte Nacken, Bu¬ ſen des holden Weſens, das ſich feſt an ſeine Bruſt geſchmiegt hatte, mit glühenden Küßen, indem er halb ſinnlos fortrannte durch die Straßen. Endlich war es ihm, als erwache er mit einem Ruck aus dem Traum; er befand ſich dicht vor einer Hausthüre und aufſchauend erkannte er ſein Haus auf dem Roßmarkt. Nun erſt fiel ihm ein, daß er die Dame ja gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt, mit Gewalt nahm er ſich zuſammen, und fragte: » Fräulein! himmli¬ ſches göttliches Weſen, wo wohnen Sie? » » Ey, » erwiederte die Dame, indem ſie das Köpfchen empor¬40 ſtreckte, » ey lieber Peregrin, hier, hier in dieſem Hauſe, ich bin ja deine Aline, ich wohne ja bei dir! Laß nur ſchnell das Haus öffnen.

» Nein! nimmermehr, » ſchrie Peregrinus ent¬ ſetzt, indem er die Dame hinabſinken ließ. » Wie, » rief dieſe, » wie Peregrin, du willſt mich verſtoßen, und kennſt doch mein fürchterliches Verhängniß und weißt doch daß ich Kind des Unglücks kein Obdach habe, daß ich elendiglich hier umkommen muß, wenn du mich nicht aufnimmſt bei dir wie ſonſt! Doch du willſt vielleicht, daß ich ſterbe ſo geſchehe es denn! Trage mich wenigſtens an den Springbrun¬ nen, damit man meine Leiche nicht vor deinem Hauſe finde ha jene ſteinernen Delphine haben viel¬ leicht mehr Erbarmen als du. Weh mir weh mir die Kälte. » Die Dame ſank ohnmächtig nieder, da faßte Herzensangſt und Verzweiflung wie eine Eiszange Peregrins Bruſt und quetſchte ſie zu¬ ſammen. Wild ſchrie er: » Mag es nun werden wie es will, ich kann nicht anders! » hob die Lebloſe auf, nahm ſie in ſeine Arme und zog ſtark an der Glocke. Schnell rannte Peregrin bei dem Hausknecht vorüber, der die Thüre geöffnet und rief ſchon auf der Treppe, ſtatt daß er ſonſt erſt oben ganz leiſe anzupochen pflegte:41 » Aline Aline Licht, Licht! » und zwar ſo laut, daß der ganze weite Flur wiederhallte.

» Wie? was? was iſt das? was ſoll das heißen? » So ſprach die alte Aline, indem ſie die Augen weit aufriß, als Peregrinus die ohnmächtige Dame aus dem Mantel loswickelte, und mit zärtli¬ cher Sorgfalt auf den Sopha legte.

» Geſchwind, » rief er dann, » geſchwind Aline, Feuer in den Kamin die Wundereſſenz her Thee Punſch! Betten herbei! »

Aline rührte ſich aber nicht von der Stelle, ſon¬ dern blieb, die Dame anſtarrend, bei ihrem: Wie? was? was iſt das? was ſoll das heißen?

Da ſprach Peregrinus von einer Gräfin, vielleicht gar Prinzeſſin, die er bei dem Buchbinder Lämmerhirt angetroffen, die auf der Straße ohnmächtig geworden, die er nach Hauſe tragen müſſen, und ſchrie dann, als Aline noch immer unbeweglich blieb, indem er mit dem Fuße ſtampfte: » Ins Teufels Namen, Feuer ſag 'ich, Thee Wundereſſenz! »

Da flimmerte es aber wie lauter Katzengold in den Augen des alten Weibes, und es war als leuchte die Naſe höher auf in phosphoriſchem Glanz. Sie holte die große ſchwarze Doſe hervor, ſchlug auf den Deckel, daß es ſchallte und nahm eine mächtige Prieſe. Dann42 ſtemmte ſie beide Arme in die Seite und ſprach mit höhniſchem Ton: » Ey ſeht doch, eine Gräfin, eine Prinzeſſin! die findet man beim armen Buchbinder in der Kalbächer Gaſſe, die wird ohnmächtig auf der Straße! Ho ho, ich weiß wohl, wo man ſolche ge¬ putzte Dämchen zur Nachtzeit herholt! Das ſind mir ſchöne Streiche, das iſt mir eine ſaubere Auffüh¬ rung! Eine lockere Dirne ins ehrliche Haus brin¬ gen und damit das Maaß der Sünden noch voll werde, den Teufel anrufen in der heiligen Chriſtnacht. Und da ſoll ich auf meine alten Tage noch die Hand dazu bieten? Nein mein Herr Tyß, da ſuchen Sie ſich eine andere; mit mir iſt es nichts, morgen verlaß ich den Dienſt. »

Und damit ging die Alte hinaus, und ſchlug die Thüre ſo heftig hinter ſich zu, das alles klapperte und klirrte.

Peregrinus rang die Hände vor Angſt und Ver¬ zweiflung, keine Spur des Lebens zeigte ſich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entſetzlichen Noth eine Flaſche Kölniſches Waſſer gefunden, und die Schläfe der Dame geſchickt damit einreiben wollte, ſprang ſie ganz friſch und munter von dem Sopha auf und rief: » Endlich endlich ſind wir allein! Endlich, o mein Peregrinus! darf43 ich es Ihnen ſagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lämmerhirt, warum ich Sie nicht laſſen konnte in der heutigen Nacht. Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verſchloſſen haben bei Sich im Zimmer. Ich weiß, daß Sie dazu keinesweges verpflichtet ſind, daß das nur von ihrer Gutmüthigkeit abhängt, aber eben ſo kenne ich auch Ihr gutes treues Herz, darum o mein guter liebſter Peregrin! geben Sie ihn heraus, den Gefangenen! »

» Was, » fragte Peregrinus im tiefſten Stau¬ nen, » was für einen Gefangenen? wer ſollte bei mir gefangen ſeyn? »

» Ja, » ſprach die Dame weiter, indem ſie Pe¬ regrins Hand ergriff und zärtlich an ihre Bruſt drück¬ te, » ja, ich muß es bekennen, nur ein großes edles Gemüth gibt Vortheile auf, die ein günſtiges Geſchick ihm zuführte, und wahr iſt es, daß Sie auf man¬ ches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht gewor¬ den ſeyn würde, wenn Sie den Gefangenen nicht her¬ ausgegeben hätten aber! bedenken Sie, Pere¬ grin, daß Alinens ganzes Schickſal, ganzes Leben ab¬ hängt von dem Beſitz dieſes Gefangenen, daß »

» Wollen Sie, » unterbrach Peregrinus die Da¬ me, » wollen Sie nicht, engliſches Fräulein! daß ich44 alles für einen Fiebertraum halten, daß ich vielleicht ſelbſt auf der Stelle überſchnappen ſoll, ſo ſagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was für einem Ge¬ fangenen. » » Wie, » erwiderte die Dame, ich verſtehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar läug¬ nen, daß er wirklich in Ihre Gefangenſchaft gerieth? War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften »

» Wer, » ſchrie Peregrin ganz außer ſich, wer iſt der Er? Zum erſtenmal in meinem Leben ſehe ich Sie mein Fräulein, wer ſind Sie, wer iſt der Er? »

Da fiel aber die Dame ganz aufgelöſt in Schmerz dem Peregrin zu Füßen und rief, indem ihr die Thrä¬ nen reichlich aus den Augen ſtrömten: » Peregrin, ſey menſchlich, ſey barmherzig, gib ihn mir wieder! gib ihn mir wieder! » Und dazwiſchen ſchrie Herr Pe¬ regrinus: » Ich werde wahnſinnig ich werde toll! »

Plötzlich raffte ſich die Dame auf. Sie erſchien viel größer als vorher, ihre Augen ſprühten Feuer, ihre Lippen bebten, ſie rief mit wilder Gebehrde: » Ha Barbar! in dir wohnt kein menſchliches Herz du biſt unerbittlich du willſt meinen Tod, mein Verderben du gibſt ihn mir nicht wieder! Nein nimmer nimmer ha ich Unglückſe¬45 lige verloren verloren. » Und damit ſtürzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin ver¬ nahm wie ſie die Treppe hinablief, und ihr kreiſchen¬ der Jammer das ganze Haus erfüllte, bis unten eine Thüre heftig zugeſchlagen wurde.

Dann war alles todtenſtill wie im Grabe.

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Zweites Abentheuer.

Der Flohbändiger. Trauriges Schickſal der Prinzeſſin Ga¬ maheh in Famaguſta. Ungeſchicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige mikroskopiſche Verſuche und Beluſtigungen. Die ſchöne Holländerin und ſeltſames Abentheuer des jungen Herrn George Pepuſch, eines geweſenen Jenenſers.

Es befand ſich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die ſeltſamſte Kunſt trieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiß nicht ohne die größeſte Mühe und Anſtrengung gelun¬ gen, Cultur in dieſe kleinen Thierchen zu bringen und ſie zu allerlei artigen Kunſtſtücken abzurichten.

Zum größten Erſtaunen ſah man auf einer Tiſchplatte von dem ſchönſten weißen, glänzendpolir¬ ten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulver¬ karren, Rüſtwagen zogen, andre ſprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patrontaſchen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Commando¬ wort des Künſtlers, führten ſie die ſchwierigſten Evo¬ lutionen aus, und alles ſchien luſtiger und lebendiger,47 wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Mar¬ ſchiren in den zierlichſten Entrechats und Luftſpringen, das Linksum und Rechtsum aber in anmuthigen Pi¬ rouetten beſtand. Die ganze Mannſchaft hatte ein er¬ ſtaunliches A Plomb und der Feldherr ſchien zugleich ein tüchtiger Ballettmeiſter. Noch beinahe hübſcher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kut¬ ſchen, die von vier, ſechs, acht Flöhen gezogen wur¬ den. Kutſcher und Diener waren Goldkäferlein, der kleinſten kaum ſichtbaren Art, was aber drin ſaß, war nicht recht zu erkennen.

Unwillkührlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Sha¬ kespear's Romeo und Julie ſo ſchön beſchreibt, daß man wohl merkt, wie oft ſie ihm ſelbſt über die Naſe gefahren.

Erſt, wenn man den ganzen Tiſch mit einem gu¬ ten Vergrößerungsglaſe überſchaute, entwickelte ſich aber die Kunſt des Flohbändigers in vollem Maaße. Denn nun erſt zeigte ſich die Pracht, die Zierlichkeit der Geſchirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen, und erregte die tiefſte Bewunderung. Gar nicht zu begreifen ſchien es, wel¬ cher Inſtrumente ſich der Flohbändiger bedient haben mußte, um gewiſſe kleine Nebenſachen, z. B. Sporn,48 Rockknöpfe u. ſ. w. ſauber und proportionirlich an¬ zufertigen, und jene Arbeit, die ſonſt für das Mei¬ ſterſtück des Schneiders galt und die in nichts geringe¬ rem beſtand, als einem Floh ein Paar völlig anſchlieſ¬ ſende Reithoſen zu liefern, wobei freilich das Anmeſ¬ ſen das ſchwierigſte, ſchien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.

Der Flohbändiger hatte unendlichen Zuſpruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neu¬ gierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht ſcheuten. Auch zur Abendzeit war der Beſuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch ſolche Perſonen ka¬ men, denen an derlei poßierlichen Künſteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbändiger ein ganz anderes Anſehen und die wahre Achtung der Naturforſcher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magiſchen Laterne ähnlich, den Ge¬ genſtand hell erleuchtet mit einer Schärfe und Deut¬ lichkeit auf die weiße Wand warf, die nichts zu wün¬ ſchen übrig ließ. Dabei trieb der Flohbändiger auch noch Handel mit den ſchönſten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern ſehr theuer be¬ zahlte.

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Es begab ſich, daß ein junger Menſch, George Pepuſch geheißen der geneigte Leſer wird ihn bald näher kennen lernen Verlangen trug, noch am ſpäten Abend den Flohbändiger zu beſuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezänk, das immer hefti¬ ger und heftiger wurde und endlich überging in tolles Schreien und Toben. So wie nun Pepuſch eintre¬ ten wollte, ſprang die Thüre des Saals auf mit Un¬ geſtüm, und in wildem Gedränge ſtürzten die Men¬ ſchen ihm entgegen, todtenbleiches Entſetzen in den Geſichtern.

» Der verfluchte Hexenmeiſter! der Satanskerl! beim hohen Rath will ich ihn angeben! aus der Stadt ſoll er, der betrügeriſche Taſchenſpieler! » So ſchrieen die Leute durch einander und ſuchten von Furcht und Angſt gehetzt, ſo ſchnell als möglich aus dem Hauſe zu kommen.

Ein Blick in den Saal verrieth dem jungen Pe¬ puſch ſogleich die Urſache des fürchterlichen Entſetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der ſcheußlichſten Creaturen erfüllte den ganzen Raum. Das Geſchlecht der Pucerons, der Käfer, der Spinnen, der Schlammthiere bis zum Uebermaaß vergrößert, ſtreckte ſeine Rüſſel aus, ſchritt daher auf hohen haarigten Beinen, und die gräulichen450Ameiſenräuber faßten, zerquetſchten mit ihren zackig¬ ten Zangen die Schnacken, die ſich wehrten und um ſich ſchlugen mit den langen Flügeln, und dazwiſchen wanden ſich Eſſigſchlangen, Kleiſteraale, hundertar¬ migte Polypen durch einander und aus allen Zwiſchen¬ räumen kuckten Infuſions-Thiere mit verzerrten menſchlichen Geſichtern. Abſcheulicheres hatte Pepuſch nie geſchaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen ver¬ ſpüren, als ihm etwas Rauhes ins Geſicht flog und er ſich eingehüllt ſah in eine Wolke dicken Mehlſtaubs. Darüber verging ihm aber das Grauen, denn er wußte ſogleich, daß das rauhe Ding nichts anders ſeyn konnte als die runde gepuderte Perücke des Flohbändi¬ gers, und das war es auch in der That.

Als Pepuſch ſich den Puder aus den Augen ge¬ wiſcht, war das tolle widrige Inſektenvolk verſchwun¬ den. Der Flohbändiger ſaß ganz erſchöpft im Lehn¬ ſtuhl. » Leuwenhöck, » ſo rief ihm Pepuſch entgegen, » Leuwenhöck, ſeht Ihr nun wohl, was bei Euerm Treiben herauskommt? Da habt Ihr wieder zu Euern Vaſallen Zuflucht nehmen müſſen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! Iſt's nicht ſo? »

» Seyd Ihr's, » ſprach der Flohbändiger mit matter Stimme, » ſeyd Ihr's guter Pepuſch? Ach! mit mir iſt es aus, rein aus, ich bin ein verlorner51 Mann! Pepuſch, ich fange an zu glauben, daß ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und daß ich nicht gut gethan auf Eure Warnungen nichts zu geben. » Als nun Pepuſch ruhig fragte, was ſich denn bege¬ ben, drehte ſich der Flohbändiger mit ſeinem Lehn¬ ſtuhl nach der Wand, hielt beide Hände vors Geſicht und rief weinerlich dem Pepuſch zu, er möge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Ti¬ ſches anſchauen. Schon mit unbewaffnetem Auge ge¬ wahrte Pepuſch, daß die kleinen Kutſchen, die Sol¬ daten u. ſ. w. todt da ſtanden und lagen, daß ſich nichts mehr regte und bewegte. Die kunſtfertigen Flöhe ſchienen auch eine ganz andre Geſtalt angenommen zu haben. Mittelſt der Lupe entdeckte nun aber Pepuſch ſehr bald, daß kein einziger Floh mehr vorhanden, ſon¬ dern daß das, was er dafür gehalten, ſchwarze Pfef¬ ferkörner und Obſtkerne waren, die in den Geſchirren, in den Uniformen ſteckten.

» Ich weiß, » begann nun der Flohbändiger ganz wehmüthig und zerknirſcht, » ich weiß gar nicht, wel¬ » cher böſe Geiſt mich mit Blindheit ſchlug, daß ich » die Deſertion meiner Mannſchaft nicht eher bemerk¬ » te, als bis alle Leute an den Tiſch getreten waren » und ſich gerüſtet hatten zum Schauen. Ihr kön¬ » net denken Pepuſch! wie die Leute, als ſie ſich ge¬4 *52» täuſcht ſahen, erſt murrten und dann ausbrachen in » lichterlohen Zorn. Sie beſchuldigten mich des ſchnö¬ » deſten Betruges, und wollten mir, da ſie ſich im¬ » mer mehr erhitzten und keine Entſchuldigung mehr » hörten, zu Leibe, um ſelbſt Rache zu nehmen. » Was konnt 'ich, um einer Tracht Schläge zu ent¬ » gehen, beſſeres thun, als ſogleich das große Mi¬ » kroskop in Bewegung ſetzen und die Leute ganz ein¬ » hüllen in Creaturen, vor denen ſie ſich entſetzten, » wie das dem Pöbel eigen. »

» Aber, » fragte Pepuſch, » aber ſagt mir nur » Leuwenhöck, wie es geſchehen konnte, daß Euch Eure » wohlexerzirte Mannſchaft, die ſo viel Treue bewie¬ » ſen, plötzlich auf und davon gehen konnte, ohne » daß Ihr es ſogleich gewahr wurdet? »

» O, » jammerte der Flohbändiger, » o Pepuſch! » er hat mich verlaſſen, er, durch den allein ich » Herrſcher war und er iſt es, deſſen böſem Verrath » ich meine Blindheit, all mein Unglück zuſchreibe! »

» Hab 'ich, » erwiederte Pepuſch, » hab' ich Euch » nicht ſchon längſt gewarnt, Eure Sache nicht auf » Künſteleien zu ſtellen, die Ihr, ich weiß es, ohne » den Beſitz des Meiſters nicht vollbringen könnet und » wie dieſer Beſitz aller Mühe unerachtet doch auf dem » Spiele ſteht, habt Ihr eben jetzt erfahren. » 53 Pepuſch gab nun ferner dem Flohbändiger zu erken¬ nen, wie er ganz und gar nicht begreife, daß, müſſe er jene Künſteleien aufgeben, dieß ſein Leben ſo ver¬ ſtören könne, da die Erfindung des Nachtmikroskop's ſo wie überhaupt ſeine Geſchicklichkeit im Verfertigen mikroskopiſcher Gläſer ihn längſtens feſtgeſtellt. Der Flohbändiger verſicherte aber dagegen, daß ganz andre Dinge in jenen Künſteleien lägen, und daß er ſie nicht aufgeben könne, ohne ſich ſelbſt, ſeine ganze Exiſtenz aufzugeben.

» Wo iſt aber Dörtje Elverdink? » So fragte Pepuſch den Flohbändiger unterbrechend. » Wo ſie » iſt, » kreiſchte der Flohbändiger, indem er die Hände rang, » wo Dörtje Elverdink iſt? Fort iſt ſie, » fort in alle Welt verſchwunden. Schlagt mich » nur gleich todt, Pepuſch, denn ich ſehe ſchon, wie » Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wuth. » Macht es kurz mit mir! »

» Da ſeht, » ſprach Pepuſch mit finſterm Blick, » da ſeht Ihr nun, was aus Eurer Thorheit, aus Eu¬ erm albernen Treiben herauskommt. Wer gab Euch das Recht die arme Dörtje einzuſperren wie eine Skla¬ vin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, ſie im Prunk auszuſtellen, wie ein naturhiſtoriſches Wun¬ der? Warum thatet Ihr Gewalt an ihrer Nei¬54 gung und ließet es nicht zu, daß ſie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken mußtet, wie innig wir uns liebten? Entflohen iſt ſie? Nun gut, ſo iſt ſie wenigſtens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in dieſem Augenblick nicht, wo ich ſie ſuchen ſoll, ſo bin ich doch überzeugt, daß ich ſie fin¬ den werde. Da, Leuwenhöck, ſetzt die Perücke auf und ergebt Euch in Euer Geſchick; das iſt das beſte und gerathenſte, was Ihr jetzt thun könnet.

Der Flohbändiger ſtutzte mit der linken Hand die Perücke auf das kahle Haupt, während er mit der rechten Pepuſch beim Arm ergriff. » Pepuſch, » ſprach er, » Pepuſch, Ihr ſeyd mein wahrer Freund; » denn Ihr ſeyd der einzige Menſch in der ganzen » Stadt Frankfurt, welcher weiß, daß ich begraben » liege in der alten Kirche zu Delft, ſeit dem Jahre » Eintauſend ſiebenhundert und fünf und zwanzig und » habt es doch noch niemanden verrathen, ſelbſt wenn » Ihr auf mich zürntet wegen der Dörtje Elverdink. » Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, » daß ich wirklich jener Anton van Leuwenhöck bin, » den man in Delft begraben, ſo muß ich denn doch, » betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Le¬ » ben, wiederum glauben und es iſt mir deshalb ſehr » angenehm, daß man davon überhaupt gar nicht55 » ſpricht. Ich ſehe jetzt ein, liebſter Pepuſch, daß » ich, was die Dörtje Elverdink betrifft, nicht recht » gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weiſe als » ihr wohl meinen möget. Recht that ich nämlich » daran, daß ich Eure Bewerbungen für ein thörigtes » zweckloſes Streben erklärte, Unrecht aber, daß ich » nicht ganz offenherzig gegen Euch war, daß ich Euch » nicht ſagte, was es mit der Dörtje Elverdink eigent¬ » lich für eine Bewandniß hat. Eingeſehen hättet » Ihr dann, wie löblich es war, Euch Wünſche aus » dem Sinn zu reden, deren Erfüllung nicht anders » als verderblich ſeyn konnte. Pepuſch! ſetzt Euch » zu mir und vernehmt eine wunderbare Hiſtorie! »

» Das kann ich wohl thun, » erwiederte Pepuſch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolſterten Lehnſtuhl, dem Flohbändiger gegenüber. » Da, » begann Flohbändiger, » da Ihr, mein » lieber Freund Pepuſch, in der Geſchichte wohl be¬ » wandert ſeyd, ſo wißt Ihr ohne Zweifel, daß der » König Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blu¬ » menkönigin im vertraulichen Verhältniß lebte und » daß die ſchöne anmuthige Prinzeſſin Gamaheh, die » Frucht dieſer Liebe war. Weniger bekannt dürft 'es » ſeyn, und auch ich kann es Euch nicht ſagen, auf welche » Weiſe Prinzeſſin Gamaheh nach Famaguſta kam.

56

» Manche behaupten und nicht ohne Grund, daß die » Prinzeſſin in Famaguſta ſich verbergen ſollte, vor » dem widerlichen Egelprinzen, dem geſchwornen Feinde » der Blumenkönigin. »

» Genug! in Famaguſta begab es ſich, daß » die Prinzeſſin einſt in der erfriſchenden Kühle des » Abends luſtwandelte und in ein dunkles anmuthiges » Cypreſſen-Wäldchen gerieth. Verlockt von dem » lieblichen Säuſeln des Abendwindes, dem Mur¬ » meln des Bachs, dem melodiſchen Gezwitſcher der » Vögel, ſtreckte die Prinzeſſin ſich hin in das weiche » duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade » der Feind, dem ſie hatte entgehen wollen, der » häßliche Egelprinz ſtreckte aber ſein Haupt empor » aus dem Schlammwaſſer, erblickte die Prinzeſſin, » und verliebte ſich in die ſchöne Schläferin dermaßen, » daß er dem Verlangen ſie zu küſſen, nicht widerſte¬ » hen konnte. Leiſe kroch er heran, und küßte ſie hin¬ » ter das linke Ohr. Nun wißt Ihr aber wohl Freund » Pepuſch, daß die Dame, die der Egelprinz zu küſ¬ » ſen ſich unterfängt, verloren, denn er iſt der ärgſte » Blutſauger von der Welt. So geſchah es denn auch, » daß der Egelprinz die arme Prinzeſſin ſo lange küßte, » bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er » ganz überſättigt und trunken ins Moos und mußte57 » von ſeinen Dienern, die ſich ſchnell aus dem Schlamm » hinanwälzten, nach Hauſe gebracht werden. » Vergebens arbeitete ſich die Wurzel Mandragora aus » der Erde hervor, legte ſich auf die Wunde, die der » heimtückiſche Egelprinz der Prinzeſſin geküßt, verge¬ » bens erhoben ſich auf das Wehgeſchrei der Wurzel » alle Blumen und ſtimmten ein in die troſtloſe Klage! » Da geſchah es, daß der Genius Thetel gerade des » Weges kam; auch er wurde tief gerührt von Gama¬ » heh's Schönheit und ihrem unglücklichen Tode. Er » nahm die Prinzeſſin in die Arme, drückte ſie an ſeine » Bruſt, mühte ſich, ihr Leben einzuhauchen mit ſei¬ » nem Athem, aber ſie erwachte nicht aus dem To¬ » desſchlaf. Da erblickte der Genius Thetel den ab¬ » ſcheulichen Egelprinzen den (ſo ſchwerfällig und trun¬ » ken war er) die Diener nicht hatten hinunterſchaffen » können in den Palaſt, entbrannte in Zorn und » warf eine ganze Fauſt voll Kryſtallſalz dem häßlichen » Feinde auf den Leib, ſo daß er ſogleich allen pur¬ » purnen Ichor, den er der Prinzeſſin Gamaheh aus¬ » geſogen, ausſtrömte und dann ſeinen Geiſt aufgab » unter vielen Zuckungen und Grimaſſen, auf elen¬ » digliche Weiſe. Alle Blumen, die ringsum ſtan¬ » den, tauchten aber ihre Kleider in dieſen Ichor und » färbten ſie zum ewigen Andenken der ermordeten58 » Prinzeſſin in ein ſolches herrliches Roth, wie es » kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. » Ihr wißt, Pepuſch! daß die ſchönſten dunkelrothen » Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem » Cypreſſenwäldchen, wo der Egelprinz die ſchöne Ga¬ » maheh todtküßte, herſtammen. Der Genius Thetel » wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht » in Samarkand viel zu thun hatte, noch einen Blick » warf er aber auf die Prinzeſſin, blieb feſt gezaubert » ſtehen und betrachtete ſie mit der innigſten Wehmuth. » Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Statt weiter » zu gehen, nahm er die Prinzeſſin in die Arme und » ſchwang ſich mit ihr hoch auf in die Lüfte. Zu » derſelben Zeit beobachteten zwei weiſe Männer, von » denen einer, nicht verſchwiegen ſey es, ich ſelbſt » war, auf der Gallerie eines hohen Thurmes, den » Lauf der Geſtirne. Dieſe gewahrten hoch über ſich » den Genius Thetel mit der Prinzeſſin Gamaheh und » in demſelben Augenblick fiel auch dem einen doch! » das gehört für jetzt nicht zur Sache! Beide Ma¬ » gier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht » aber die Prinzeſſin, und erſchöpften ſich in allerlei » Vermuthungen, was die Erſcheinung wohl zu be¬ » deuten, ohne irgend etwas gewiſſes oder auch nur » wahrſcheinliches ergrübeln zu können. Bald darauf59 » wurde aber das unglückliche Schickſal der Prinzeſſin » Gamaheh in Famaguſta allgemein bekannt und nun » wußten auch die Magier ſich die Erſcheinung des Ge¬ » nius Thetel mit dem Mädchen im Arm zu erklären. »

» Beide vermutheten, daß der Genius Thetel » gewiß noch ein Mittel gefunden haben müſſe, die » Prinzeſſin ins Leben zurückzurufen, und beſchloſſen » in Samarkand Nachfrage zu halten, wohin er ihrer » Beobachtung nach, offenbar ſeinen Flug gerichtet » hatte. In Samarkand war aber von der Prinzeſ¬ » ſin alles ſtille, niemand wußte ein Wort. »

» Viele Jahre waren vergangen, die beiden Ma¬ » gier hatten ſich entzweit, wie es wohl unter gelehr¬ » ten Männern deſto öfter zu geſchehen pflegt, je ge¬ » lehrter ſie ſind, und nur noch die wichtigſten Ent¬ » deckungen theilten ſie ſich aus alter eiſerner Gewohn¬ » heit einander mit. Ihr habt nicht vergeſſen, Pe¬ » puſch, daß ich ſelbſt einer dieſer Magier bin. » Alſo, nicht wenig erſtaunte ich über eine Mitthei¬ » lung meines Collegen, die über die Prinzeſſin Ga¬ » maheh das Wunderbarſte und zugleich Glückſeligſte » enthielt, was man nur hätte ahnen können. Die » Sache verhielt ſich folgender Geſtalt: Mein College » hatte durch einen wiſſenſchaftlichen Freund aus Sa¬ » markand die ſchönſten und ſeltenſten Tulpen und ſo60 » vollkommen friſch erhalten, als ſeyen ſie eben vom » Stengel geſchnitten. Es war ihm vorzüglich um die » mikroskopiſche Unterſuchung der innern Theile und » zwar des Blumenſtaubes zu thun. Er zergliederte » deshalb eine ſchöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und » entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdarti¬ » ges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz beſonde¬ » rer Weiſe. Wie groß war aber ſeine Verwunde¬ » rung, als er mittelſt Anwendung des Suchglaſes, » deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts » anders als die Prinzeſſin Gamaheh, die in den Blu¬ » menſtaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und ſüß » zu ſchlummern ſchien. »

» Solch 'eine weite Strecke mich auch von mei¬ » nem Collegen trennen mochte, dennoch ſetzte ich » mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er » hatte indeſſen alle Operationen bei Seite geſtellt, » um mir das Vergnügen des erſten Anblicks zu gön¬ » nen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf » handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich » bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobach¬ » tung meines Collegen und war auch eben ſo wie er » des feſten Glaubens, daß es möglich ſeyn müſſe, die » Prinzeſſin dem Schlummer zu entreißen und ihr die » vorige Geſtalt wieder zu geben. Der uns innwoh¬61 » nende ſublime Geiſt ließ uns bald die richtigen Mit¬ » tel finden. Da Ihr, Freund Pepuſch, ſehr we¬ » nig, eigentlich gar nichts von unſerer Kunſt verſte¬ » het, ſo würde es höchſt überflüſſig ſeyn, Euch die » verſchiedenen Operationen zu beſchreiben, die wir » nun vornahmen, um zu unſerm Zweck zu gelan¬ » gen. Es genügt, wenn ich Euch ſage, daß es uns » mittelſt des geſchickten Gebrauchs verſchiedener Glä¬ » ſer, die ich meiſtentheils ſelbſt präparirte, glückte, » nicht allein die Prinzeſſin unverſehrt aus dem Blu¬ » menſtaub hervorzuziehen, ſondern auch ihr Wachs¬ » thum in der Art zu befördern, daß ſie bald zu ihrer » natürlichen Größe gelangt war. Nun fehlte frei¬ » lich noch das Leben und ob ihr dieſes zu verſchaffen » möglich, das hing von der letzten und ſchwürigſten » Operation ab. Wir reflektirten ihr Bild mittelſt » eines herrlichen Kuffiſchen Sonnenmikroskops, und » lösten dieſes Bild geſchickt los von der weißen Wand, » welches ohne allen Schaden von Statten ging. So » wie das Bild frei ſchwebte, fuhr es wie ein Blitz in » das Glas hinein, welches in tauſend Stücken zer¬ » ſplitterte. Die Prinzeſſin ſtand friſch und lebendig » vor uns. Wir jauchzten auf vor Freude, aber auch » um ſo größer war unſer Entſetzen, als wir bemerk¬ » ten, daß der Umlauf des Bluts gerade da ſtockte,62 » wo der Egelprinz ſich angeküßt hatte. Schon wollte » ſie ohnmächtig hinſinken, als wir eben an der Stelle » hinter dem linken Ohr einen kleinen ſchwarzen » Punkt erſcheinen und eben ſo ſchnell wieder verſchwin¬ » den ſahen. Die Stockung des Bluts hörte ſogleich » auf, die Prinzeſſin erholte ſich wieder, und unſer » Werk war gelungen. »

» Jeder von uns, ich und mein Herr College, » wußte recht gut, welch 'unſchätzbaren Werth der Be¬ » ſitz der Prinzeſſin für ihn haben mußte, und jeder » ſtrebte darnach, indem er größeres Recht zu haben » glaubte, als der andere. Mein College führte an, » daß die Tulpe, in deren Kelch er die Prinzeſſin ge¬ » funden, ſein Eigenthum geweſen, und daß er die » erſte Entdeckung gemacht, die er mir mitgetheilt, ſo, » daß ich nur als Hülfeleiſtender zu betrachten, der » das Werk ſelbſt bei dem er geholfen, nicht als Lohn » der Arbeit verlangen könne. Ich dagegen berief mich » darauf, daß ich die letzte ſchwürigſte Operation, wo¬ » durch die Prinzeſſin zum Leben gelangt, erfunden » und bei der Ausführung mein College nur geholfen, » weshalb, habe er auch Eigenthums-Anſprüche auf » den Embryo im Blumenſtaub gehabt, mir doch die » lebendige Perſon gehöre. Wir zankten uns mehrere » Stunden bis endlich, als wir uns die Kehlen heiſer63 » geſchrieen hatten, ein Vergleich zu Stande kam. » Der College überließ mir die Prinzeſſin, wogegen » ich ihm ein ſehr wichtiges geheimnißvolles Glas ein¬ » händigte. Eben dieſes Glas iſt aber die Urſache un¬ » ſerer jetzigen gänzlichen Verfeindung. Mein College » behauptet nämlich, ich habe das Glas betrügeriſcher » Weiſe unterſchlagen; dieß iſt aber eine grobe unver¬ » ſchämte Lüge, und wenn ich auch wirklich weiß, daß » ihm das Glas bei der Aushändigung abhanden ge¬ » kommen iſt, ſo kann ich doch auf Ehre und Gewiſ¬ » ſen betheuern, daß ich nicht Schuld daran bin, auch » durchaus nicht begreife, wie das hat geſchehen kön¬ » nen. Das Glas iſt nämlich gar nicht ſo klein, da » ein Pulverkorn nur höchſtens acht Mal größer ſeyn » mag. Seht, Freund Pepuſch, nun habe ich Euch » mein ganzes Vertrauen geſchenkt, nun wißt Ihr, » daß Dörtje Elverdink keine andere iſt, als eben die » ins Leben zurückgerufene Prinzeſſin Gamaheh, nun » ſeht Ihr ein, daß ein ſchlichter junger Mann wie » Ihr wohl auf ſolch eine hohe myſtiſche Verbin¬ » dung keinen »

» Halt, » unterbrach George Pepuſch den Flohbän¬ diger, indem er ihn etwas ſataniſch anlächelte, » halt, » ein Vertrauen iſt des andern werth, und ſo will ich » Euch meiner Seits denn vertrauen, daß ich das Al¬64 » les, was Ihr mir da erzählt habt, ſchon viel früher » und beſſer wußte als Ihr. Nicht genug kann ich » mich über Eure Beſchränktheit, über Eure alberne An¬ » maßung verwundern. Vernehmt, was Ihr längſt » erkennen müßtet, wäre es, außerdem was die Glas¬ » ſchleiferei betrifft, mit Eurer Wiſſenſchaft nicht ſo » ſchlecht beſtellt, vernehmt, daß ich ſelbſt die Diſtel » Zeherit bin, welche dort ſtand wo die Prinzeſſin Ga¬ » maheh ihr Haupt niedergelegt hatte, und von der » Ihr gänzlich zu ſchweigen für gut gefunden habt. »

» Pepuſch, rief der Flohbändiger, ſeyd ihr bei » Sinnen? Die Diſtel Zeherit blüht im fernen In¬ » dien und zwar in dem ſchönen von hohen Bergen » umſchloſſenen Thale, wo ſich zuweilen die weiſeſten » Magier der Erde zu verſammeln pflegen. Der Ar¬ » chivarius Lindhorſt kann Euch darüber am beſten be¬ » lehren. Und Ihr, den ich hier im Polröckchen zum » Schulmeiſter laufen geſehen, den ich als vor lauter » Studiren und Hungern vermagerten, vergelbten Je¬ » nenſer gekannt, ihr wollt die Diſtel Zeherit ſeyn? » Das macht einem Andern weiß, aber mich laßt da¬ » mit in Ruhe. »

» Was Ihr, ſprach Pepuſch lachend, was Ihr » doch für ein weiſer Mann ſeyd, Leurenhöck. Nun! » haltet von meiner Perſon was Ihr wollt, aber ſeyd65 » nicht albern genug zu läugnen, daß die Diſtel Ze¬ » herit in dem Augenblick, da ſie Gamaheh's ſüßer » Athem traf, in glühender Liebe und Sehnſucht er¬ » blühte und daß, als ſie die Schläfe der holden Prin¬ » zeſſin berührte, dieſe auch ſüß träumend in Liebe » kam. Zu ſpät gewahrte die Diſtel den Egelprinzen, » den ſie ſonſt mit ihren Stacheln augenblicklich ge¬ » tödtet hätte. Doch wär 'es ihr mit Hülfe der Wur¬ » zel Mandragora gelungen, die Prinzeſſin wieder in » das Leben zurückzubringen, kam nicht der tölpiſche » Genius Thetel dazwiſchen mit ſeinen ungeſchickten » Rettungsverſuchen. Wahr iſt es, daß Thetel im » Zorn in die Salzmeſte griff, die er auf Reiſen ge¬ » wöhnlich am Gürtel zu tragenpflegt, wie Pantagruel » ſeine Gewürzbarke, und eine tüchtige Hand voll » Salz nach dem Egelprinzen warf, ganz falſch aber, » daß er ihn dadurch getödtet haben ſollte. Alles Salz » fiel in den Schlamm, nicht ein einziges Körnlein » traf den Egelprinzen, den die Diſtel Zeherit mit » ihren Stacheln tödtete, ſo den Tod der Prinzeſſin » rächte und ſich dann ſelbſt dem Tode weihte. Bloß » der Genius Thetel, der ſich in Dinge miſchte, die » ihn nichts angingen, iſt daran Schuld, daß die » Prinzeſſin ſo lange im Blumenſchlaf liegen mußte; » die Diſtel Zeherit erwachte viel früher. Denn beider566» Tod war nur die Betäubung des Blumenſchlafs, aus » der ſie ins Leben zurückkehren durften, wiewohl in » anderer Geſtalt. Das Maaß Eures gröblichen Irr¬ » thums würdet Ihr nämlich voll machen, wenn Ihr » glauben ſolltet, daß die Prinzeſſin Gamaheh völlig » ſo geſtaltet war, als es jetzt Dörtje Elverdink iſt, » und daß Ihr es waret, der ihr das Leben wiedergab. » Es ging Euch ſo, mein guter Leuwenhöck wie dem » ungeſchickten Diener in der wahrhaft merkwürdigen » Geſchichte von den drei Pomeranzen, der zwei Jung¬ » frauen aus den Pomeranzen befreite, ohne ſich vor¬ » her des Mittels verſichert zu haben, ſie am Leben » zu erhalten und die dann vor ſeinen Augen elendig¬ » lich umkamen. Nicht Ihr, nein jener, der Euch » entlaufen, deſſen Verluſt Ihr ſo hart fühlt und be¬ » jammert, der war es, der das Werk vollendete, wel¬ » ches ihr ungeſchickt genug begonnen. »

» Ha, » ſchrie der Flohbändiger ganz außer ſich, ha meine Ahnung! Aber Ihr, Pepuſch, Ihr, dem ich ſo viel Gutes erzeigt, Ihr ſeyd mein ärg¬ ſter, ſchlimmſter Feind, das ſehe ich nun wohl ein. Statt mir zu rathen, ſtatt mir beizuſtehen in meinem Unglück, tiſcht Ihr mir allerlei unziemliche Narrens¬ poſſen auf. » Die Narrenspoſſen auf Euern Kopf, ſchrie Pepuſch ganz erboſt, zu ſpät werdet Ihr Eure67 Thorheit bereuen, einbildiſcher Charlatan! Ich gehe Dörtje Elverdink aufzuſuchen. Doch damit Ihr nicht mehr ehrliche Leute vexirt »

Pepuſch faßte nach der Schraube, die das ganze mikroskopiſche Maſchinenwerk in Bewegung ſetzte. » Bringt mich nur gleich ums Leben! » kreiſchte der Flohbändiger; doch in dem Augenblick krachte auch alles zuſammen und ohnmächtig ſtürzte der Flohbän¬ diger zu Boden.

» Wie mag es, » ſprach George Pepuſch zu ſich ſelbſt, als er auf der Straße war, » wie mag es ge¬ ſchehen, daß einer, der über ein hübſches warmes Zim¬ mer, über ein wohlaufgeklopftes Bette gebietet, ſich zur Nachtzeit in dem ärgſten Sturm und Regen auf den Straßen herumtreibt? Wenn er den Haus¬ ſchlüſſel vergeſſen, und wenn überdem Liebe, thörigtes Verlangen ihn jagt. So mußte er ſich ſelbſt antwor¬ ten. Thörigt kam ihm nämlich jetzt ſein ganzes Be¬ ginnen vor. Er erinnerte ſich des Augenblicks, als er Dörtje Elverdink zum erſtenmal geſehen. Vor mehreren Jahren zeigte nämlich der Flohbändi¬ ger ſeine Kunſtſtückchen in Berlin und hatte nicht ge¬ ringen Zuſpruch, ſo lange die Sache neu blieb. Bald hatte man ſich aber an den kultivirten und exerzirten Flöhen ſatt geſehen, man hielt nun nicht einmal die5 *68Schneider -, Riemer -, Sattler -, Waffenarbeit zum Gebrauch der kleinen Perſonen für ſo gar bewund¬ rungswürdig, unerachtet man erſt von Unbegreiflich¬ keit, zauberiſchem Weſen geſprochen, und der Floh¬ bändiger ſchien ganz in Vergeſſenheit zu gerathen. Bald hieß es aber, daß eine Nichte des Flohbändigers, die ſonſt noch gar nicht zum Vorſchein gekommen, jetzt den Vorſtellungen beiwohne. Dieſe Nichte ſey aber ſolch ein ſchönes, anmuthiges Mädchen und dabei ſo aller¬ liebſt geputzt, daß es gar nicht zu ſagen. Die be¬ wegliche Welt der jungen modernen Herren, welche als tüchtige Conzertmeiſter in der Sozietät Ton und Tackt anzugeben pflegen, ſtrömte hin, und weil in dieſer Welt nur die Extreme gelten, ſo weckte des Flohbän¬ digers Nichte ein niegeſehenes Wunder. Bald war es Ton, den Flohbändiger zu beſuchen, wer ſeine Nichte nicht geſehen, durfte nicht mitſprechen, und ſo war dem Manne geholfen. Kein Menſch konnte ſich übri¬ gens in den Vornamen » Dörtje » finden und da ge¬ rade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Königin von Golkonda, alle hohe Liebenswürdig¬ keit, alle hinreißende Anmuth, alle weibliche Zart¬ heit entwickelte, die dem Geſchlecht nur eigen und ein Ideal des unnennbaren Zaubers ſchien, mit dem ein69 weibliches Weſen alles zu entzücken vermag, ſo nannte man die Holländerin » Aline. »

Zu der Zeit kam George Pepuſch nach Berlin, Leu¬ wenhöcks ſchöne Nichte war das Geſpräch des Tages, und ſo wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem Pepuſch ſich einlogiert, beinahe von nichts anderm ge¬ ſprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja ſelbſt die Weiber ent¬ zücke. Man drang in Pepuſch, ſich nur gleich auf die höchſte Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu ſtel¬ len und die ſchöne Holländerin zu ſehen. Pepuſch hatte ein reizbares melancholiſches Temperament; in jedem Genuß ſpürte er zu ſehr den bittern Beige¬ ſchmack, der freilich aus dem ſchwarzen ſtygiſchen Bäch¬ lein kommt, das durch unſer ganzes Leben rinnt und das machte ihn finſter, in ſich gekehrt, ja oft unge¬ recht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann den¬ ken, daß auf dieſe Weiſe Pepuſch wenig aufgelegt war, hübſchen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um ſeine vorge¬ faßte Meinung, daß auch hier, wie ſo oft im Leben, nur ein ſeltſamer Wahn ſpuke, bewährt zu ſehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Hol¬ länderin gar hübſch, anmuthig, angenehm, indem er ſie aber betrachtete, mußte er ſelbſtgefällig ſeine Sagazität70 belächeln, vermöge der er ſchon errathen, daß die Köpfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, ſchon von Haus aus ziemlich wackeligt geweſen ſeyn mußten.

Die Schöne hatte den leichten ungezwungenen Ton, der von der feinſten ſozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswürdigen Coquet¬ terie, die dem, dem ſie vertraulich die Fingerſpitze hinreicht, zugleich den Muth benimmt, ſie zu erfaſſen, wußte das kleine holde Ding, die ſie von allen Sei¬ ten Beſtürmenden ebenſo anzuziehen, als in den Grän¬ zen des zarteſten Anſtandes zu erhalten.

Niemand kümmerte ſich um den fremden Pepuſch, der Muße genug fand, die Schöne in ihrem ganzen Thun und Weſen zu beobachten. Indem er aber län¬ ger und länger ihr in das holde Geſichtchen kuckte, regte ſich in dem tiefſten Hintergrunde des innern Sin¬ nes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Hollän¬ derin irgendwo einmal geſehen, wiewohl in ganz an¬ dern Umgebungen und anders gekleidet, ſo wie es ihm war, als ſey er auch damals ganz anders geſtaltet ge¬ weſen. Vergebens quälte er ſich ab, dieſe Erinnerun¬ gen zu irgend einer Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, daß er die Kleine wirklich ſchon geſehen, immer mehr an Feſtigkeit gewann. Das Blut ſtieg ihm ins Geſicht, als ihn endlich jemand leiſe anſtieß71 und ihm ins Ohr lispelte: » Nicht wahr, Herr Phi¬ loſoph, auch ſie hat der Blitzſtrahl getroffen? » Es war ſein Nachbar von der Wirthstafel her dem er ge¬ äußert hatte, daß er die Extaſe, in die alles verſetzt ſey, für einen ſeltſamen Wahnſinn halte, der eben ſo ſchnell dahin ſchwinde als er entſtehe. Pepuſch be¬ merkte, daß, während er die Kleine unverwandten Auges angeſtarrt, der Saal leer geworden, ſo daß eben die letzten Perſonen davon ſchritten. Erſt jetzt ſchien die Holländerin ihn zu gewahren; ſie grüßte ihn mit anmuthiger Freundlichkeit.

Pepuſch wurde die Holländerin nicht los; er marterte ſich ab in der ſchlafloſen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indeſſen ver¬ gebens. Der Anblick der Schönen konnte allein ihn auf jene Spur bringen, ſo dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle fol¬ gende Tage zum Flohbändiger zu wandern, und zwey drei Stunden die hübſche Dörtje Elverdink anzuſtar¬ ren.

Kann der Mann den Gedanken an ein liebens¬ würdiges Frauenzimmer, das ſeine Aufmerkſamkeit er¬ regte auf dieſe, jene Weiſe, nicht los werden, ſo iſt das für ihn der erſte Schritt zur Liebe, und ſo kam es denn auch, daß Pepuſch in dem Augenblick, als er72 bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrübeln glaubte, in die ſchöne Holländerin ſchon ganz verliebt war.

Wer wollte ſich jetzt noch um die Flöhe kümmern, über die die Holländerin alles an ſich ziehend den glän¬ zendſten Sieg davon getragen hatte. Der Flohbändi¬ ger fühlte ſelbſt, daß er mit ſeinen Flöhen eine etwas alberne Rolle ſpiele, er ſperrte daher ſeine Mannſchaft bis auf andere Zeiten ein, und gab mit vielem Ge¬ ſchick ſeinem Schauſpiel eine andere Geſtalt, der ſchö¬ nen Nichte aber die Hauptrolle.

Der Flohbändiger hatte nämlich den glücklichen Gedanken gefaßt, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man ſich mit einer ziemlich hohen Summe abonnirte und in denen, nachdem er einige artige op¬ tiſche Kunſtſtücke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Geſellſchaft ſeiner Nichte oblag. In vollem Maaß ließ die Schöne ihr ſoziales Talent glänzen, dann nützte ſie aber die kleinſte Stockung um durch Geſang, den ſie ſelbſt auf der Guitarre begleitete, der Geſell¬ ſchaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht ſtark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der ſüße Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Geſanges entſprach ganz ihrem holden Weſen und vollends, wenn ſie unter den ſchwarzen ſeidnen Wimpern den ſchmachtenden Blick wie feuch¬73 ten Mondesſtral hineinleuchten ließ unter die Zuhö¬ rer, da wurde jedem die Bruſt enge, und ſelbſt der Tadel des eigenſinnigſten Pedanten mußte verſtum¬ men.

Pepuſch ſetzte in dieſen Abendunterhaltungen ſein Studium eifrig fort, das heißt, er ſtarrte zwei Stun¬ den lang die Holländerin an, und verließ dann mit den übrigen den Saal.

Einmal ſtand er der Holländerin näher als ge¬ wöhnlich und hörte deutlich, wie ſie zu einem jungen Manne ſprach: » Sagen Sie mir, wer iſt dieſes leb¬ loſe Geſpenſt, das mich jeden Abend Stunden lang anſtarrt und dann lautlos verſchwindet? »

Pepuſch fühlte ſich tief verletzt, tobte und lärmte auf ſeinem Zimmer, ſtellte ſich ſo ungebehrdig, daß kein Freund ihn in dieſem tollen Weſen wieder erkannt haben würde. Er ſchwur hoch und theuer, die bos¬ hafte Holländerin niemals wieder zu ſehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend ſich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die ſchöne Dörtje mit noch erſtarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darüber ſehr er¬ ſchrocken, daß er eben die Treppe hinaufſtieg und hatte in aller Schnelligkeit den weiſen Vorſatz gefaßt, ſich wenig¬ ſtens von dem verführeriſchen Weſen ganz entfernt zu74 halten. Dieſen Vorſatz führte er auch wirklich aus, indem er ſich in einen Winkel des Saals verkroch; der Verſuch die Augen niederzuſchlagen, mißglückte aber durchaus, und wie geſagt, noch ſtarrer als ſonſt ſchaute er der Holländerin in die Augen.

Selbſt wußte er nicht wie es geſchah, daß Dörtje Elverdink plötzlich in ſeinem Winkel dicht neben ihm ſtand.

Mit einem Stimmlein, das ſüßliſpelnde Melodie war, ſprach die Holde: » Ich erinnere mich nicht mein Herr, Sie ſchon anderwärts geſehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zügen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Weſen ſo viel Bekanntes. Ja es iſt mir als wären wir vor gar langer Zeit ein¬ ander ganz befreundet geweſen, jedoch in einem ſehr fernen Lande und unter ganz andern ſeltſamen Um¬ ſtänden. Ich bitte Sie, mein Herr, reiſſen Sie mich aus der Ungewißheit, und täuſcht mich nicht vielleicht eine Aehnlichkeit, ſo laſſen Sie uns das freundſchaft¬ liche Verhältniß erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht, wie ein ſchöner Traum.

Dem Herrn George Pepuſch wurde bei dieſen an¬ muthigen Worten der ſchönen Holländerin gar ſonder¬ bar zu Muthe. Die Bruſt war enge, und indem ihm75 die Stirn brannte, fröſtelte es ihm durch alle Glie¬ der, als läg 'er im ſtärkſten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als daß Herr Pe¬ puſch in die Holländerin bis über den Kopf verliebt war, ſo gab es doch noch eine andere Urſache des durch¬ aus verwirrten Zuſtandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Beſinnung raubte. So wie nämlich Dörtje Elverdink davon ſprach, daß ſie glaube, vor langer Zeit ihn ſchon gekannt zu haben, war es ihm, als würde in ſeinem Innern wie in einer Laterna ma¬ gica plötzlich ein anderes Bild vorgeſchoben und er er¬ blickte ein weit entferntes Sonſt, das lange zurückliege hinter der Zeit als er zum erſten Mal Muttermilch gekoſtet, und in dem er ſelbſt doch eben ſo gut als Dörtje Elverdink ſich rege und bewege. Genug! der Gedanke, der ſich eben durch vieles Denken erſt recht klar und feſt geſtaltete, blitzte in dieſem Augen¬ blick auf und dieſer Gedanke war nichts geringeres als daß Dörtje Elverdink die Prinzeſſin Gamaheh, Toch¬ ter des Königs Sekakis ſey, die er ſchon in der grü¬ nen Zeit geliebt, da er noch die Diſtel Zeherit gewe¬ ſen. Gut war es, daß er dieſen Gedanken andern Leuten nicht ſonderlich mittheilte; man hätte ihn ſonſt vielleicht für wahnſinnig gehalten und eingeſperrt, wie¬ wohl die fixe Idee eines Partiell-Wahnſinnigen oft76 nichts anders ſeyn mag, als die Ironie eines Seyns, welches dem jetzigen vorausging.

» Aber mein Himmel, Sie ſcheinen ja ſtumm, mein Herr! » So ſprach die Kleine indem ſie mit den niedlichſten Fingerchen Georgs Bruſt berührte. Doch aus den Spitzen dieſer Finger fuhr ein elektriſcher Stral dem Georg bis ins Herz hinein, und er er¬ wachte aus ſeiner Betäubung. In voller Exſtaſe er¬ griff er die Hand der Kleinen, bedeckte ſie mit glühen¬ den Küßen und rief: » Himmliſches, göttliches We¬ ſen » u. ſ. w. Der geneigte Leſer wird wohl ſich denken können, was Herr Georg Pepuſch in dieſem Augenblick noch alles gerufen.

Es genügt zu ſagen, daß die Kleine Georgs Lie¬ besbetheurungen ſo aufnahm, wie er es nur wünſchen konnte, und daß die verhängnißvolle Minute im Win¬ kel des Leuwenhöck'ſchen Saals ein Liebesverhältniß gebahr, das den guten Herrn Georg Pepuſch erſt in den Himmel, dann aber der Abwechſelung wegen in die Hölle verſetzte. War nämlich Pepuſch melancho¬ liſchen Temperaments und dabei mürriſch und argwöh¬ niſch, ſo konnt 'es nicht fehlen, daß Dörtje's Betra¬ gen ihm Anlaß gab zu mancher Eiferſüchtelei. Gerade dieſe Eiferſüchtelei reizte aber Dörtje's etwas ſchalki¬ ſchen Humor und es war ihre Luſt, den armen Herrn77 Georg Pepuſch auf die ſinnreichſte Weiſe zu quälen. Da nun aber jedes Ding nur bis zu einer gewiſſen Spitze getrieben werden kann, ſo kam es denn auch zuletzt bei Pepuſch zum Ausbruch des lang verhalte¬ nen Ingrimms. Er ſprach nämlich einmal gerade von jener wunderbaren Zeit, da er als Diſtel Zeherit die ſchöne Holländerin, die damals die Tochter des Kö¬ nigs Sekakis geweſen, ſo innig geliebt und gedachte mit aller Begeiſterung der innigſten Liebe, daß eben jenes Verhältniß, der Kampf mit dem Egelkönig ihm ſchon das unbeſtrittendſte Recht auf Dörtjes Hand ge¬ geben. Dörtje Elverdink verſicherte, wie ſie ſich jener Zeit, jenes Verhältniſſes gar wohl erinnere, und die Ahnung davon zuerſt wieder in ihre Seele gekommen, als Pepuſch ſie mit dem Diſtelblick angeſchaut. Die Kleine wußte ſo anmuthig von dieſen wunderbaren Dingen zu reden, ſie that ſo begeiſtert von der Liebe zu der Diſtel Zeherit, die dazu beſtimmt geweſen in Jena zu ſtudiren und dann in Berlin die Prinzeſſin Gamaheh wieder zu finden, daß Herr Georg Pepuſch im Eldorado alles Entzückens zu ſeyn glaubte. Das Liebespaar ſtand am Fenſter und die Kleine litt es, daß der verliebte George den Arm um ſie ſchlug. In dieſer ver¬ traulichen Stellung kosten ſie mit einander, denn zum Gekoſe wurde das träumeriſche Reden von den Wun¬78 dern in Famaguſta. Da begab es ſich, daß ein ſehr hübſcher Offizier von den Garde-Huſaren, in funkel¬ nagelneuer Uniform vorüberging und die Kleine, die er aus den Abendgeſellſchaften kannte, ſehr freundlich grüßte. Dörtje hatte die Augen halb geſchloſſen und das Köpfchen abgewendet von der Straße; man hätte denken ſollen, daß es ihr unmöglich ſeyn müßte, den Offizier zu gewahren, aber mächtig iſt der Zauber einer neuen glänzenden Uniform! Die Kleine, viel¬ leicht ſchon erregt durch das bedeutungsvolle Klappern des Säbels auf dem Steinpflaſter, öffnete die Aeuge¬ lein hell und klar, wand ſich aus Georgs Arm, riß das Fenſter auf, warf dem Offizier ein Kußhändchen zu, und ſchaute ihm nach bis er um die Ecke ver¬ ſchwunden.

» Gamaheh, » ſchrie die Diſtel Zeherit ganz außer ſich, » Gamaheh, was iſt das? ſpotteſt du mei¬ ner? Iſt das die Treue die du deiner Diſtel ange¬ lobt? » Die Kleine drehte ſich auf dem Abſatz herum, ſchlug ein helles Gelächter auf und rief: » Geht, geht, George! Bin ich die Tochter des wür¬ digen alten Königs Sekakis, ſeyd Ihr die Diſtel Ze¬ herit, ſo iſt jener allerliebſte Offizier der Genius The¬ tel der mir eigentlich viel beſſer gefällt, wie die traurige ſtachligte Diſtel. Damit ſprang die Holländerin79 fort durch die Thüre, Georg Pepuſch gerieth aber wie man denken kann, ſofort in Wuth und Verzweiflung und rannte wild die Treppe hinab, zum Hauſe hin¬ aus, als hetzten ihn tauſend Teufel. Das Geſchick wollt 'es, daß Georg einem Freunde begegnete der in einer Poſtkaleſche ſaß und fort wollte. » Halt, ich reiſe mit Euch! » So rief die Diſtel Zeherit, flog ſchnell nach Hauſe, zog einen Ueberrock an, ſteckte Geld ein, gab den Stubenſchlüſſel der Wirthin, ſetzte ſich in die Kaleſche hinein und fuhr mit dem Freunde von dannen.

Unerachtet dieſer feindſeligen Trennung war aber die Liebe zur ſchönen Holländerin in Georgs Bruſt ganz und gar nicht erloſchen, und eben ſo wenig konnte er ſich entſchließen, die gerechten Anſprüche aufzugeben, die er als Diſtel Zeherit auf Gamahehs Hand und Herz zu haben glaubte. Er erneuerte daher dieſe An¬ ſprüche als er nach etlichen Jahren wiederum im Haag mit Leuwenhöck zuſammentraf und wie eifrig er ſie auch in Frankfurt verfolgte, hat der geneigte Leſer bereits erfahren.

Ganz troſtlos rannte Herr George Pepuſch in der Nacht durch die Gaſſen, als der flackernde unge¬ wöhnlich helle Schein eines Lichts, der durch die80 Spalte eines Fenſterladen im untern Stock eines an¬ ſehnlichen Hauſes auf die Straße fiel, ſeine Aufmerk¬ ſamkeit erregte. Er glaubte, es müſſe in der Stube brennen und ſchwang ſich daher am Gitterwerk hinauf, um in die Stube zu ſchauen. Gränzenlos war aber ſein Erſtaunen, über das, was er erblickte.

Ein helles luſtiges Feuer loderte in dem Kamin, der dem Fenſter gerade über gelegen; vor dieſem Ka¬ min ſaß oder lag vielmehr in einem breiten altväteri¬ ſchen Lehnſtuhl die kleine Holländerin, geputzt wie ein Engel. Sie ſchien zu ſchlummern, während ein ſehr alter ausgetrockneter Mann vor dem Feuer kniete und Brill auf der Naſe in einen Topf kuckte, in dem wahrſcheinlich irgend ein Getränk kochte. Pepuſch wollte ſich noch höher hinaufſchwingen, um beſſer die Gruppe ins Auge zu faſſen, fühlte ſich indeſſen bei den Beinen gepackt und mit Gewalt heruntergezogen. Eine barſche Stimme rief: » Seht 'mal den Spitz¬ buben, das wäre mir recht. Fort Patron ins Hundeloch! » Es war der Nachtwächter, der Ge¬ orgen bemerkt hatte, wie er an das Fenſter hinan¬ klimmte und nichts anders vermuthen konnte, als daß er einbrechen wolle ins Haus. Aller Proteſtationen unerachtet wurde Herr George Pepuſch von dem81 Wächter, dem die herbeieilende Patrouille zu Hülfe geeilt war, fortgeſchleppt, und auf dieſe Weiſe en¬ dete ſeine nächtliche Wanderung fröhlich in der Wacht¬ ſtube.

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Drittes Abentheuer.

Erſcheinung eines kleinen Ungeheuers. Fernere Erläuterungen über die Schickſale der Prinzeſſin Gamaheh. Merkwürdiges Freundſchaftsbündniß, welches Herr Peregrinus Tyß eingeht und Aufſchluß, wer der alte Herr iſt, der in ſeinem Hauſe zur Miethe wohnt. Sehr wunderbare Wirkung eines ziemlich kleinen mikroskopiſchen Glaſes. Unvermuthete Verhaftung des Helden der Geſchichte.

Wer ſolche Dinge an einem Abende erfahren hat, wie Herr Peregrinus Tyß, ja, wer ſich in ſolcher Stimmung befindet als er, kann ganz unmöglich gut ſchlafen. Unruhig wälzte Herr Peregrinus ſich auf ſeinem Lager, und wenn er in das Deliriren gerieth, das dem Schlaf vorherzugehen pflegt, ſo hatte er wie¬ der das kleine holde Weſen in den Armen und fühlte heiße glühende Küße auf ſeinen Lippen. Dann fuhr er auf und glaubte noch wachend Alinens liebliche Stimme zu hören. In brünſtiger Sehnſucht wünſchte er, ſie möge nicht entflohen ſeyn und doch fürchtete er wieder, ſie werde gleich hineintreten und ihn ver¬ ſtricken in ein unauflösliches Netz. Dieſer Kampf83 widerſprechender Gefühle beklemmte ſeine Bruſt und erfüllte ſie zugleich mit ſüßer nie gekannter Angſt.

» Schlaft nicht Peregrinus, ſchlaft nicht edler Mann, ich muß augenblicklich mit Euch reden! » So lispelte es dicht vor Peregrinus und immerfort, » ſchlaft nicht! ſchlaft nicht! » bis er endlich die Au¬ gen aufſchlug die er geſchloſſen, nur um die holde Aline deutlicher zu ſehen.

In dem Schimmer der Nachtlampe gewahrte er ein kleines, kaum ſpannlanges Ungeheuer, das auf ſeiner weißen Bettdecke ſaß und vor dem er ſich im erſten Augenblick entſetzte, dann griff er aber mu¬ thig mit der Hand darnach, um ſich zu überzeugen, ob ſeine Fantaſie ihn nicht täuſche. Doch ſogleich war das kleine Ungeheuer ſpurlos verſchwunden.

Konnte die genaue Portraitirung der ſchönen Aline, Dörtje Elverdink oder Prinzeſſin Gamaheh denn daß eine und dieſelbe Perſon ſich nur ſcheinbar in drei Perſonen zerſpaltet, weiß der geneigte Leſer ſchon längſt füglich unterbleiben, ſo iſt dagegen es durchaus nöthig, ganz genau das kleine Ungeheuer zu beſchreiben, das auf der Bettdecke ſaß und dem Herrn Peregrinus einiges Entſetzen verurſachte.

Wie ſchon erwähnt, war die Kreatur kaum eine Spanne lang; in dem Vogelkopf ſtacken ein Paar6 *84runde glänzende Augen und aus dem Sperlingsſchna¬ bel ſtarrte noch ein langes ſpitzes Ding, wie ein dün¬ nes Rappier hervor, dicht über dem Schnabel ſtreckten ſich zwei Hörner aus der Stirne. Der Hals begann dicht unter dem Kopf auch vogelartig, wurde aber im¬ mer dicker, ſo daß er ohne Unterbrechung der Form zum unförmlichen Leibe wuchs, der beinahe die Geſtalt einer Haſelnuß hatte, und mit dunkelbraunen Schup¬ pen bedeckt ſchien, wie der Armadillo. Das wunder¬ lichſte und ſeltſamſte war aber wohl die Geſtaltung der Arme und Beine. Die erſteren hatten zwei Gelenke und wurzelten in den beiden Backen der Kreatur dicht bei dem Schnabel. Gleich unter dieſen Armen befand ſich ein Paar Füße und denn weiterhin noch ein Paar, beide zweigelenkig, wie die Arme. Dieſe letzten Füße ſchienen aber diejenigen zu ſeyn, auf deren Tüchtig¬ keit die Kreatur ſich eigentlich verließ, denn außerdem daß dieſe Füße merklich länger und ſtärker waren als die andern, ſo trug die Kreatur auch an denſelben ſehr ſchöne goldne Stiefel mit diamantnen Sporen.

War nun, wiegeſagt, das kleine Ungeheuer ſpur¬ los verſchwunden, ſo wie Peregrinus darnach faßte, ſo hätte er gewiß alles für Täuſchung ſeiner aufgereg¬ ten Sinne gehalten, wäre nicht gleich unten in der Ecke des Bettes eine leiſe Stimme hörbar geworden,85 die ſich alſo vernehmen ließ: Mein Himmel Peregrinus Tyß, ſollte ich mich in Euch geirrt haben? Ihr han¬ » deltet geſtern an mir ſo edel, und jetzt, da ich Euch » meine Dankbarkeit beweiſen will, greift Ihr nach mir » mit mörderiſcher Hand? Doch vielleicht misfiel » Euch meine Geſtalt, und ich that verkehrtes, mich » Euch mikroskopiſch zu zeigen, damit Ihr mich nur » gewiß bemerken ſolltet, welches nicht ſo leicht iſt, » als Ihr wohl denken möchtet. Eben ſo wie vorher » ſitze ich jetzt auf Eurer weißen Bettdecke, und Ihr » ſeht mich doch ganz und gar nicht. Nehmt's nicht » übel, Peregrinus, aber Eure Sehnerven ſind wahr¬ » lich ein wenig zu grob für meine ſchlanke Taille. » Doch verſprecht mir nur, daß ich bei Euch ſicher bin » und daß Ihr nichts feindſeliges gegen mich unterneh¬ » men wollt, ſo werde