PRIMS Full-text transcription (HTML)
Meiſter Floh.
Ein Maͤhrchen in ſieben Abentheuern zweier Freunde.
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Frankfurt am Maynbei Friedrich Wilmans.1822.

Druck und Papier von C. L. Brede in Offenbach.

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Meiſter Floh. Ein Maͤrchen, in ſieben Abentheuern zweier Freunde.

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Erſtes Abentheuer.

Einleitung.

Worin der geneigte Leſer ſo viel aus dem Leben des Herrn Peregrinus Tyß erfährt, als ihm zu wiſſen nöthig. Die Weihnachtsbeſcheerung bei dem Buchbinder Lämmerhirt in der Kalbächer Gaſſe und Beginn des erſten Abentheuers. Die beiden Alinen.

Es war einmal welcher Autor darf es jetzt wohl noch wagen, ſein Geſchichtlein alſo zu beginnen. Veraltet! Langweilig! ſo ruft der geneigte oder vielmehr ungeneigte Leſer, der nach des alten römi¬ ſchen Dichters weiſen Rath, gleich medias in res verſetzt ſeyn will. Es wird ihm dabei zu Muthe, als nehme irgend ein weitſchweifiger Schwätzer von Gaſt, der eben eingetreten, breiten Platz und räuspre ſich aus, um ſeinen endloſen Sermon zu beginnen und er klappt unwillig das Buch zu, das er kaum aufgeſchlagen. Gegenwärtiger Herausgeber des wunderbaren Mär¬ chens von Meiſter Floh, meint nun zwar, daß jener Anfang ſehr gut und eigentlich der beſte jeder Geſchichte1 *4ſey, weshalb auch die vortrefflichſten Märchenerzähler, als da ſind, Ammen, alte Weiber u. a. ſich deſſelben jederzeit bedient haben, da aber jeder Autor vorzugs¬ weiſe ſchreibt, um geleſen zu werden, ſo will er (be¬ ſagter Herausgeber nämlich) dem günſtigen Leſer durch¬ aus nicht die Luſt benehmen, wirklich ſein Leſer zu ſeyn. Er ſagt demſelben daher gleich ohne alle weitere Umſchweife, daß demſelben Peregrinus Tyß, von deſ¬ ſen ſeltſamen Schickſalen dieſe Geſchichte handeln wird, an keinem Weihnachtsabende das Herz ſo geklopft hatte vor banger freudiger Erwartung, als gerade an dem¬ jenigen, mit welchem die Erzählung ſeiner Abentheuer beginnt.

Peregrinus befand ſich in einer dunklen Kam¬ mer, die neben dem Prunkzimmer belegen, wo ihm der heilige Chriſt einbeſcheert zu werden pflegte. Dort ſchlich er bald leiſe auf und ab, lauſchte auch wohl ein wenig an der Thüre, bald ſetzte er ſich ſtill hin in den Winkel und zog mit geſchloſſenen Augen die myſtiſchen Düfte des Marzipans, der Pfefferkuchen, ein, die aus dem Zimmer ſtrömten. Dann durch¬ bebten ihn ſüße heimliche Schauer, wenn, indem er ſchnell wieder die Augen öffnete, ihn die hellen Licht¬ ſtralen blendeten, die, durch die Ritzen der Thüre hin¬ einfallend, an der Wand hin und her hüpften.

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Endlich erklang das ſilberne Glöcklein, die Thüre des Zimmers wurde geöffnet und hinein ſtürzte Pere¬ grinus in ein ganzes Feuermeer von bunt flackernden Weihnachtslichtern. Ganz erſtarrt blieb Peregri¬ nus vor dem Tiſche ſtehen, auf dem die ſchönſten Ga¬ ben in gar hübſcher zierlicher Ordnung aufgeſtellt wa¬ ren, nur ein lautes Ach! drängte ſich aus ſeiner Bruſt hervor. Noch nie hatte der Weihnachts-Baum ſolche reiche Früchte getragen, denn alles Zuckerwerk, wie es nur Namen haben mag und dazwiſchen man¬ che goldne Nuß, mancher goldne Apfel aus den Gär¬ ten der Hesperiden, hing an den Aeſten, die ſich beugten unter der ſüßen Laſt. Der Vorrath von dem auserleſenſten Spielzeug, ſchönem bleiernen Mi¬ litair, eben ſolcher Jägerei, aufgeſchlagenen Bilder¬ büchern u. ſ. w. iſt gar nicht zu beſchreiben. Noch wagte er es nicht, irgend etwas von dem ihm beſcheerten Reich¬ thum zu berühren, er konnte ſich nur mühen ſein Staunen zu beſiegen, den Gedanken des Glücks zu erfaſſen, daß das alles nun wirklich ſein ſey.

» O meine lieben Eltern! o meine gute Aline! » So rief Peregrinus im Gefühl des höchſten Entzük¬ kens. » Nun, » erwiederte Aline, » hab ich's ſo recht » gemacht Peregrinchen? Freueſt du dich auch » recht von Herzen mein Kind? Willſt du nicht6 » all die ſchöne Waare näher betrachten, willſt du nicht » das neue Reitpferd, den hübſchen Fuchs hier ver¬ » ſuchen? »

» Ein herrliches Pferd, » ſprach Peregrinus, das aufgezäumte Steckenpferd mit Freudenthränen in den Augen betrachtend, » ein herrliches Pferd, ächt ara¬ » biſche Race. » Er beſtieg denn auch ſogleich das edle ſtolze Roß; mochte Peregrinus aber ſonſt auch ein vortrefflicher Reuter ſeyn, er mußte es diesmal in irgend etwas verfehlt haben, denn der wilde Pon¬ tifex (ſo war das Pferd geheißen) bäumte ſich ſchnau¬ bend und warf ihn ab, daß er kläglich die Beine in die Höhe ſtreckte. Noch ehe indeſſen die zum Tode erſchrockene Aline ihm zu Hülfe ſpringen konnte, hatte Peregrinus ſich ſchon emporgerafft und den Zügel des Pferdes ergriffen, das eben hinten ausſchlagend, durch¬ gehen wollte. Aufs neue ſchwang ſich Peregrinus nun auf und brachte, alle Reiterkünſte aufbietend und mit Kraft und Geſchick anwendend, den wilden Hengſt ſo zur Vernunft, daß er zitterte, keuchte, ſtöhnte, in Peregrinus ſeinen mächtigen Zwangherrn erkannte. Aline führte, als Peregrinus abgeſeſſen, den Gebeug¬ ten in den Stall.

Die etwas ſtürmiſche Reiterei, die im Zimmer, vielleicht im ganzen Hauſe einen unbilligen Lärm ver¬7 urſacht, war nun vorüber und Peregrinus ſetzte ſich an den Tiſch, um ruhig die andern glänzenden Ga¬ ben in näheren Augenſchein zu nehmen. Mit Wohl¬ behagen verzehrte Peregrinus einigen Marzipan, in¬ dem er dieſe, jene Gliederpuppe ihre Künſte machen ließ, in dieſes, jenes Bilderbuch kuckte, dann Heer¬ ſchau hielt über ſeine Armee, die er ſehr zweckmäßig uniformirt und mit Recht deshalb unüberwindlich fand, weil kein einziger Soldat einen Magen im Leibe, zu¬ letzt aber fortſchritt zum Jagdweſen. Mit Verdruß gewahrte er jetzt, daß nur eine Haſen - und Fuchs¬ jagd vorhanden, die Hirſchjagd ſo wie die wilde Schweins¬ jagd aber durchaus fehlte. Auch dieſe Jagd mußte ja da ſeyn, keiner konnte das beſſer wiſſen als Peregri¬ nus, der alles ſelbſt mit unſäglicher Mühe und Sorg¬ falt eingekauft.

Doch! höchſt nöthig ſcheint es, den günſtigen Leſer vor den ärgſten Mißverſtändniſſen zu bewahren, in die er gerathen könnte, wenn der Autor ins Gelag hinein weiter erzählte, ohne daran zu denken, daß er wohl weiß, was es mit der ganzen Weihnachts-Aus¬ ſtellung, von der geſprochen wird, für ein Bewand¬ niß hat, nicht aber der gütige Leſer, der eben erfah¬ ren will, was er nicht weiß.

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Sehr irren würde jeder, welcher glauben ſollte, daß Peregrinus Tyß ein Kind ſey, dem die gütige Mutter oder ſonſt ein ihm zugewandtes weibliches We¬ ſen, romantiſcher Weiſe, Aline geheißen, den heili¬ gen Chriſt beſcheert. Nichts weniger als das!

Herr Peregrinus Tyß hatte ſechs und dreyßig Jahre erreicht und daher beinahe die beſten. Sechs Jahre früher hieß es von ihm, er ſey ein recht hüb¬ ſcher Menſch, jetzt nannte man ihn mit Recht einen Mann von feinem Anſehen, immer, damals und jetzt wurde aber von allen getadelt, daß Peregrinus zu ſehr ſich zurückziehe, daß er das Leben nicht kenne und daß er offenbar an einem krankhaften Trübſinn leide. Väter, deren Töchter eben mannbar, meinten, daß der gute Tyß, um ſich von ſeinem Trübſinn zu heilen, nichts beſſeres thun könne, als heirathen, er habe ja freie Wahl und einen Korb nicht ſo leicht zu fürchten. Der Väter Meinung war wenigſtens Hinſichts des letztern Punkts in ſo fern richtig, als Herr Peregri¬ nus Tyß außerdem, daß er, wie geſagt, ein Mann von feinem Anſehen war, ein ſehr beträchtliches Ver¬ mögen beſaß, das ihm ſein Vater, Herr Balthaſar Tyß, ein ſehr angeſehener Kaufherr hinterlaſſen. Sol¬ chen hochbegabten Männern pflegt ein Mädchen, das, was Liebe betrifft, über die Ueberſchwenglichkeit hin¬9 aus, das heißt wenigſtens drei bis vier und zwanzig Jahre alt geworden iſt, auf die unſchuldige Frage: Wollen Sie mich mit Ihrer Hand beglücken o Theure? ſelten anders, als mit rothen Wangen und niederge¬ ſchlagenen Augen zu antworten: Sprechen Sie mit meinen lieben Eltern, ihrem Befehl gehorche ich allein, ich habe keinen Willen! Die Eltern falten aber die Hände und ſprechen: Wenn es Gottes Wille iſt, wir haben nichts dagegen, Herr Sohn!

Zu nichts weniger ſchien aber Herr Peregrinus Tyß aufgelegt, als zum Heirathen. Denn außerdem, daß er überhaupt im Allgemeinen menſchenſcheu war, ſo bewies er insbeſondere eine ſeltſame Idioſynkraſie gegen das weibliche Geſchlecht. Die Nähe eines Frauenzimmers trieb ihm Schweißtropfen auf die Stirne und wurde er vollends von einem jungen ge¬ nugſam hübſchen Mädchen angeredet, ſo gerieth er in eine Angſt, die ihm die Zunge band und ein krampf¬ haftes Zittern durch alle Glieder verurſachte. Eben daher mocht 'es auch kommen, daß ſeine alte Aufwär¬ terin von ſolch' ſeltener Häßlichkeit war, daß ſie in dem Revier, wo Herr Peregrinus Tyß wohnte, vie¬ len für eine naturhiſtoriſche Merkwürdigkeit galt. Sehr gut ſtand das ſchwarze ſtruppige halb ergraute Haar zu den rothen triefenden Augen, ſehr gut die dicke Kupfer¬10 naſe zu den bleichblauen Lippen um das Bild einer Blocksbergs-Aſpirantin zu vollenden, ſo daß ſie ein paar Jahrhunderte früher ſchwerlich dem Scheiter¬ haufen entgangen ſeyn würde, ſtatt daß ſie jetzt von Herrn Peregrinus Tyß und wohl auch noch von an¬ dern für eine ſehr gutmüthige Perſon gehalten wurde. Dieß war ſie auch in der That und ihr daher wohl nachzuſehen, daß ſie zu ihres Leibes Nahrung und Nothdurft in die Stundenreihe des Tages ſo manches Schnäpschen einflocht, und vielleicht auch zu oft eine ungeheure ſchwarzlackirte Doſe aus dem Bruſttuch her¬ vorzog und die anſehnliche Naſe reichlich mit ächtem Offenbacher fütterte. Der geneigte Leſer hat bereits bemerkt, daß dieſe merkwürdige Perſon eben dieſelbe Aline iſt, die die Weihnachtsbeſcheerung veranſtaltet. Der Himmel weiß, wie ſie zu dem berühmten Namen der Königin von Golkonda gekommen.

Verlangten aber nun Väter, daß der reiche, an¬ genehme Herr Peregrinus Tyß ſeiner Weiberſcheu ent¬ ſage und ſich ohne weiteres verehliche, ſo ſprachen da¬ gegen wieder alte Hageſtolze, daß Herr Peregrinus ganz Recht thue, nicht zu heirathen, da ſeine Ge¬ müthsart nicht dazu tauge.

Schlimm war es aber, daß viele bei dem Worte » Gemüthsart, » ein ſehr geheimnißvolles Geſicht mach¬11 ten und auf näheres Befragen nicht undeutlich zu ver¬ ſtehen gaben, daß Hr. Peregrinus Tyß leider zuwei¬ len was weniges überſchnappe, ein Fehler der ihm ſchon von früher Jugend her anklebe. Die vielen Leute die den armen Peregrinus für übergeſchnappt hielten, gehörten vorzüglich zu denjenigen, welche feſt überzeugt ſind, daß auf der großen Landſtraße des Le¬ bens, die man der Vernunft, der Klugheit gemäß einhalten müſſe, die Naſe der beſte Führer und Weg¬ weiſer ſey und die lieber Scheuklappen anlegen, als ſich verlocken laſſen, von manchem duftenden Gebüſch, von manchem blumigten Wieſenplätzlein, das nebenher liegt.

Wahr iſt es freilich, daß Herr Peregrinus man¬ ches ſeltſame in und an ſich trug, in das ſich die Leute nicht finden konnten.

Es iſt ſchon geſagt worden, daß der Vater des Herrn Peregrinus Tyß ein ſehr reicher angeſehener Kaufmann war und wenn noch hinzugefügt wird, daß derſelbe ein ſehr ſchönes Haus auf dem freundlichen Roßmarkt beſaß, und daß in dieſem Hauſe und zwar in demſelben Zimmer wo dem kleinen Peregrinus ſtets der heilige Chriſt einbeſcheert wurde, auch diesmal der erwachſene Peregrinus die Weihnachts-Gaben in Em¬ pfang nahm, ſo iſt gar nicht daran zu zweifeln, daß12 der Ort, wo ſich die wunderſamen Abentheuer zutru¬ gen, die in dieſer Geſchichte erzählt werden ſollen, kein anderer iſt, als die berühmte ſchöne Stadt Frankfurt am Mayn.

Von den Eltern des Herrn Peregrinus iſt eben nichts beſonderes zu ſagen, als daß es rechtliche ſtille Leute waren, denen niemand etwas anders als Gutes nachſagen konnte. Die unbegränzte Hochachtung welche Herr Tyß auf der Börſe genoß, verdankte er dem Um¬ ſtande, daß er ſtets richtig und ſicher ſpekulirte, daß er eine große Summe nach der andern gewann, dabei aber nie vorlaut wurde, ſondern beſcheiden blieb, wie er geweſen und niemals mit ſeinem Reichthum prahlte, ſondern ihn nur dadurch bewies, daß er weder um Geringes noch um Vieles knickerte und die Nachſicht ſelbſt war gegen inſolvente Schuldner, die ins Unglück gerathen, ſey es auch verdienter Weiſe.

Sehr lange Zeit war die Ehe des Herrn Tyß un¬ fruchtbar geblieben, bis endlich nach beinahe zwanzig Jahren die Frau Tyß ihren Eheherrn mit einem tüch¬ tigen hübſchen Knaben erfreute, welches eben unſer Herr Peregrinus Tyß war.

Man kann denken wie gränzenlos die Freude der Eltern war, und noch jetzt ſprechen alle Leute in Frank¬ furt von dem herrlichen Tauffeſte, das der alte Tyß13 gegeben und an welchem der edelſte urälteſte Rhein¬ wein kredenzt worden, als gelt 'es ein Krönungsmahl. Was aber dem alten Herrn Tyß noch mehr nachge¬ rühmt wird, iſt, daß er zu jenem Tauffeſte ein Paar Leute geladen, die in feindſeliger Geſinnung ihm gar öfters wehe gethan hatten, dann aber andere, denen er weh gethan zu haben glaubte, ſo daß der Schmaus ein wirkliches Friedens - und Verſöhnungsfeſt wurde.

Ach! der gute Herr Tyß wußte, ahnte nicht, daß daſſelbe Knäblein, deſſen Geburt ihn ſo erfreute, ihm ſo bald Kummer und Noth verurſachen würde.

Schon in der frühſten Zeit zeigte der Knabe Pe¬ regrinus eine ganz beſondere Gemüthsart. Denn nach¬ dem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht un¬ unterbrochen geſchrieen, ohne daß irgend ein körperli¬ ches Uebel zu entdecken, wurde er plötzlich ſtill, und erſtarrte zur regungsloſen Unempfindlichkeit. Nicht des mindeſten Eindrucks ſchien er fähig, nicht zum Lä¬ cheln, nicht zum Weinen verzog ſich das kleine Antlitz, das einer lebloſen Puppe anzugehören ſchien. Die Mutter behauptete, daß ſie ſich verſehen an dem al¬ ten Buchhalter, der ſchon ſeit zwanzig Jahren ſtumm und ſtarr mit demſelben lebloſen Geſicht im Comtoir vor dem Hauptbuch ſäße, und vergoß viele heiße Thrä¬ nen über das kleine Automat.

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Endlich gerieth eine Frau Pathe auf den glück¬ lichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen ſehr bunten und im Grunde genommen, häßlichen Har¬ lekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten ſich auf wunderbare Art, der Mund verzog ſich zum ſanf¬ ten Lächeln, es griff nach der Puppe, und drückte ſie zärtlich an ſich, als man ſie ihm gab. Dann ſchaute der Knabe wieder das bunte Männlein an, mit ſol¬ chen klugen beredten Blicken, daß es ſchien, als ſey plötzlich Empfindung und Verſtand in ihm erwacht, und zwar zu höherer Lebendigkeit, als es wohl bei Kindern des Alters gewöhnlich. » Der iſt zu klug, » ſprach die Frau Pathe, » den werdet ihr nicht erhal¬ » ten! Betrachtet doch nur einmal ſeine Augen, » der denkt ſchon viel mehr, als er ſoll! »

Dieſer Ausſpruch tröſtete gar ſehr den alten Herrn Tyß, der ſich ſchon einigermaßen darin gefunden, daß er nach vielen Jahren vergeblicher Hoffnung, einen Einfaltspinſel erzielt, doch bald kam er in neue Sorge.

Längſt war nämlich die Zeit vorüber, in der die Kinder gewöhnlich zu ſprechen beginnen, und noch hatte Peregrinus keinen Laut von ſich gegeben. Man würde ihn für taubſtumm gehalten haben, hätte er nicht manchmal den, der zu ihm ſprach, mit ſolchem aufmerkſamen Blick angeſchaut, ja durch freudige durch15 traurige Mienen ſeinen Antheil zu erkennen gegeben, daß gar nicht daran zu zweifeln, wie er nicht allein hörte, ſondern auch alles verſtand. In nicht gerin¬ ges Erſtaunen gerieth indeſſen die Mutter, als ſie be¬ ſtätigt fand was ihr die Wärterin geſagt. Zur Nachtzeit, wenn der Knabe im Bette lag und ſich un¬ behorcht glaubte, ſprach er für ſich einzelne Wörter, ja ganze Redensarten und zwar ſo wenig Kauderwelſch, daß man ſchon eine lange Uebung vorausſetzen konnte. Der Himmel hat den Frauen einen ganz beſondern ſichern Tackt verliehen, die menſchliche Natur, wie ſie ſich im Aufkeimen bald auf dieſe, bald auf jene Weiſe entwickelt, richtig aufzufaſſen, weshalb ſie auch we¬ nigſtens für die erſten Jahre des Kindes in der Regel bei weitem die beſten Erzieherinnen ſind. Dieſem Tackt gemäß war auch Frau Tyß weit entfernt, dem Knaben ihre Beobachtung merken zu laſſen und ihn zum Sprechen zwingen zu wollen, vielmehr wußte ſie es auf andere geſchickte Weiſe dahin zu bringen, daß er von ſelbſt das ſchöne Talent des Sprechens nicht mehr verborgen hielt, ſondern leuchten ließ vor der Welt und zu Aller Verwunderung, zwar langſam aber deutlich ſich vernehmen ließ. Doch zeigte er gegen das Sprechen ſtets einigen Widerwillen und hatte es am liebſten, wenn man ihn ſtill für ſich allein ließ.

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Auch dieſer Sorge wegen des Mangels der Spra¬ che, war daher Herr Tyß überhoben, doch nur, um ſpäter in noch viel größere zu gerathen. Als nämlich das Kind Peregrinus zum Knaben herangewachſen, tüchtig lernen ſollte, ſchien es, als ob ihm nur mit der größten Mühe etwas beizubringen. Wunderbar ging es mit dem Leſen und Schreiben wie mit dem Sprechen; erſt wollte es durchaus nicht gelingen und dann konnt 'er es mit einem Mal ganz vortrefflich und über alle Erwartung. Später verließ indeſſen ein Hof¬ meiſter nach dem andern das Haus, nicht, weil der Knabe ihnen mißbehagte, ſondern weil ſie ſich in ſeine Natur nicht finden konnten. Peregrinus war ſtill, ſittig, fleißig und doch war an ein eigentliches ſyſte¬ matiſches Lernen, wie es die Hofmeiſter haben woll¬ ten, gar nicht zu denken, da er nur dafür Sinn hatte, nur dem ſich mit ganzer Seele hingab, was gerade ſein inneres Gemüth in Anſpruch nahm, und alles übrige ſpurlos bei ſich vorübergehen ließ. Das, was ſein Gemüth anſprach, war nun aber alles Wun¬ derbare, alles was ſeine Fantaſie erregte, in dem er dann lebte und webte. So hatte er z. B. einſt einen Aufriß der Stadt Pecking mit allen Straßen, Häuſern u. ſ. w. der die ganze Wand ſeines Zimmers ein¬ nahm, zum Geſchenk erhalten. Bei dem Anblick der17 mährchenhaften Stadt, des wunderlichen Volks, das ſich durch die Straßen zu drängen ſchien, fühlte Pere¬ grinus ſich wie durch einen Zauberſchlag in eine andre Welt verſetzt, in der er heimiſch werden mußte. Mit heißer Begierde fiel er über alles her, was er über China, über die Chineſen, über Pecking habhaft wer¬ den konnte, mühte ſich die Chineſiſchen Laute, die er irgendwo aufgezeichnet fand, mit feiner ſingender Stim¬ me der Beſchreibung gemäß nachzuſprechen, ja er ſuchte mittelſt der Papierſcheere ſeinem Schlafröcklein, von dem ſchönſten Kalmank, möglichſt einen Chineſiſchen Zuſchnitt zu geben, um der Sitte gemäß mit Entzük¬ ken in den Straßen von Pecking umherwandeln zu können. Alles übrige konnte durchaus nicht ſeine Auf¬ merkſamkeit reizen, zum großen Verdruß des Hofmei¬ ſters, der eben ihm die Geſchichte des Bundes der Hanſa beibringen wollte, wie es der alte Herr Tyß ausdrücklich gewünſcht, der nun zu ſeinem Leidweſen erfahren mußte, daß Peregrinus nicht aus Pecking fortzubringen, weshalb er denn Pecking ſelbſt fortbrin¬ gen ließ aus dem Zimmer des Knaben.

Für ein ſchlimmes Omen hatte es der alte Herr Tyß ſchon gehalten, daß als kleines Kind, Peregri¬ nus Rechenpfennige lieber hatte als Dukaten, dann aber gegen große Geldſäcke und Hauptbücher und Straz¬218zen einen entſchiedenen Abſcheu bewieß. Was aber am ſeltſamſten ſchien, war, daß er das Wort: Wechſel, nicht ausſprechen hören konnte, ohne krampfhaft zu erbeben, indem er verſicherte, es ſey ihm dabei ſo, als kratze man mit der Spitze des Meſſers auf einer Glasſcheibe hin und her. Zum Kaufmanne, das mußte Herr Tyß einſehen, war daher Peregrinus von Haus aus verdorben, und ſo gern er es geſehen, daß der Sohn in ſeine Fußtapfen getreten, ſo ſtand er doch gern ab von dieſem Wunſch, in der Vorausſetzung, daß Peregrinus ſich einem beſtimmten Fach widmen werde. Herr Tyß hatte den Grundſatz, daß der reichſte Mann ein Geſchäft und durch daſſelbe einen beſtimm¬ ten Standpunkt im Leben haben müſſe; geſchäftsloſe Leute waren ihm ein Gräuel und eben zu dieſer Ge¬ ſchäftsloſigkeit neigte ſich Peregrinus, bei allen Kennt¬ niſſen die er nach ſeiner eigenen Weiſe erwarb, und die chaotiſch durcheinander lagen, gänzlich hin. Das war nun des alten Tyß größte und drückendſte Sorge. Peregrinus wollte von der wirklichen Welt nichts wiſ¬ ſen, der Alte lebte nur in ihr und nicht anders konnt 'es geſchehen, als daß ſich daraus, je älter Peregrinus wurde, ein deſto ärgerer Zwieſpalt entſpann zwiſchen Vater und Sohn, zu nicht geringem Leidweſen der Mutter, die dem Peregrinus, der ſonſt gutmüthig,19 fromm, der beſte Sohn, ſein, ihr freilich unver¬ ſtändliches Treiben, in lauter Einbildungen und Träu¬ men herzlich gönnte und nicht begreifen konnte, warum ihm der Vater durchaus ein beſtimmtes Geſchäft auf¬ bürden wollte.

Auf den Rath bewährter Freunde ſchickte der alte Tyß den Sohn nach der Univerſität Jena, aber als er nach drei Jahren wiederkehrte, da rief der alte Herr voller Aerger und Grimm: » Hab ich's nicht gedacht! Hans der Träumer ging hin, Hans der Träumer kehrt zurück! » Herr Tyß hatte in ſo fern ganz Recht, als Peregrinus in ſeinem ganzen Weſen ſich ganz und gar nicht verändert hatte, ſon¬ dern völlig derſelbe geblieben. Doch gab Herr Tyß die Hoffnung noch nicht auf, den ausgearteten Pere¬ grinus zur Vernunft zu bringen, indem er meinte, daß, würde er erſt mit Gewalt hineingeſtoßen in das Geſchäft, er vielleicht doch am Ende Gefallen daran finden und anderes Sinnes werden könne. Er ſchickte ihn mit Aufträgen nach Hamburg, die eben nicht ſonderliche Handelskenntniſſe erforderten, und empfahl ihn überdies einem dortigen Freunde, der ihm in Allem treulich beiſtehen ſollte.

Peregrinus kam nach Hamburg, gab nicht allein den Empfehlungsbrief ſondern auch alle Papiere, die2 *20ſeine Aufträge betrafen dem Handelsfreunde ſeines Va¬ ters in die Hände, und verſchwand darauf, niemand wußte wohin.

Der Handelsfreund ſchrieb darauf an Herrn Tyß:

Ich habe Dero Geehrtes vom durch Ihren Herrn Sohn richtig erhalten. Derſelbe hat ſich aber nicht weiter blicken laſſen, ſondern iſt ſchnell von Hamburg abgereiſet ohne Auftrag zu hin¬ terlaſſen. In Pfeffern geht hier wenig um, Baumwolle iſt flau, in Kaffee nur nach Mittel¬ ſorte Frage, dagegen erhält ſich der Melis ange¬ nehm und auch im Indigo zeigt ſich fortwährend divers gute Meinung. Ich habe die Ehre ꝛc.

Dieſer Brief hätte Herrn Tyß und ſeine Ehegat¬ tin nicht wenig in Beſtürzung geſetzt, wäre nicht mit derſelben Poſt ein Brief von dem verlornen Sohne ſelbſt angelangt, in dem er ſich mit den wehmüthig¬ ſten Ausdrücken entſchuldigte, daß es ihm ganz un¬ möglich geweſen, die erhaltenen Aufträge nach dem Wunſche des Vaters auszurichten, und daß er ſich unwiderſtehlich hingezogen gefühlt habe, nach fernen Gegenden, aus denen er nach Jahresfriſt glücklicher und froher in die Heimath zurückzukehren hoffe.

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» Es iſt gut, » ſprach der alte Herr, » daß der Junge ſich umſieht in der Welt, da werden ſie ihn wohl herausrütteln aus ſeinen Träumereien. » Auf die von der Mutter geäußerte Beſorgniß, daß es dem Sohn doch an Geld fehlen könne zur großen Reiſe, und daß daher ſein Leichtſinn, nicht geſchrieben zu ha¬ ben, wohin er ſich begebe, ſehr zu tadeln, erwiederte aber der Alte lachend: » Fehlt es dem Jungen an Gelde, ſo wird er ſich deſto eher mit der wirklichen Welt befreunden, und hat er uns nicht geſchrieben, wohin er reiſen will, ſo weiß er doch, wo uns ſeine Briefe treffen. »

Es iſt unbekannt geblieben, wohin Peregrinus eigentlich ſeine Reiſe hingerichtet; manche wollen be¬ haupten, er ſey in dem fernen Indien geweſen, an¬ dere meinen dagegen, er habe ſich das nur eingebildet; ſo viel iſt gewiß, daß er weit weg geweſen ſeyn muß, denn nicht ſo, wie er den Eltern verſprochen, nach Jahresfriſt, ſondern erſt nach Verlauf voller dreier Jahre kehrte Peregrinus zurück nach Frankfurt und zwar zu Fuß, in ziemlich ärmlicher Geſtalt.

Er fand das elterliche Haus feſt verſchloſſen und niemand rührte ſich darin, er mochte klingeln und klopfen ſo viel er wollte.

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Da kam endlich der Nachbar von der Börſe, den Peregrinus augenblicklich fragte, ob Herr Tyß vielleicht verreiſet.

Der Nachbar prallte aber ganz erſchrocken zurück und rief: » Herr Peregrinus Tyß! ſind Sie es? kommen Sie endlich? wiſſen Sie denn nicht? »

Genug, Peregrinus erfuhr, daß während ſeiner Abweſenheit beide Eltern hintereinander geſtorben, daß die Gerichte den Nachlaß in Beſchlag genommen und ihn, deſſen Aufenthalt gänzlich unbekannt geweſen, öffentlich aufgefordert nach Frankfurt zurückzukehren und die Erbſchaft des Vaters in Empfang zu nehmen.

Sprachlos blieb Peregrinus vor dem Nachbar ſtehen, zum erſtenmal durchſchnitt der Schmerz des Lebens ſeine Bruſt, zertrümmert ſah er die ſchöne glän¬ zende Welt, in der er ſonſt luſtig gehauſet.

Der Nachbar gewahrte wohl wie Peregrinus gänzlich unfähig, auch nur das Kleinſte, was jetzt nöthig, zu beginnen. Er nahm ihn daher in ſein Haus und beſorgte ſelbſt in möglicher Schnelle alles, ſo daß noch denſelben Abend Peregrinus ſich in dem elterlichen Hauſe befand.

Ganz erſchöpft, ganz vernichtet von einer Troſt¬ loſigkeit, die er noch nicht gekannt, ſank er in den großen Lehnſtuhl des Vaters, der noch an derſelben23 Stelle ſtand, wo er ſonſt geſtanden; da ſprach eine Stimme: » Es iſt nur gut, daß Sie wieder da ſind, lieber Herr Peregrinus. Ach wären Sie nur frü¬ her gekommen! »

Peregrinus ſchaute auf und gewahrte dicht vor ſich die Alte, die ſein Vater vorzüglich deshalb, weil ſie wegen ihrer furchtbaren Häßlichkeit, ſchwer einen Dienſt finden konnte, in ſeiner frühen Kindheit als Wärterin angenommen, und die das Haus nicht wieder verlaſſen hatte.

Lange ſtarrte Peregrinus das Weib an, endlich begann er, ſeltſam lächelnd: » Biſt du es Aline? Nicht wahr, die Eltern leben noch? » Damit ſtand er auf, ging durch alle Zimmer, betrachtete jeden Stuhl, jeden Tiſch, jedes Bild u. ſ. w. Dann ſprach er ruhig: » Ja, es iſt noch alles ſo wie ich es verlaſſen, und ſo ſoll es auch bleiben! »

Von dieſem Augenblick begann Peregrinus das ſelt¬ ſame Leben, wie es gleich Anfangs angedeutet. Zu¬ rückgezogen von aller Geſellſchaft, lebte er mit ſeiner alten Aufwärterin in dem großen geräumigen Hauſe, in tiefſter Einſamkeit, erſt ganz allein, bis er ſpäter ein Paar Zimmer einem alten Mann, der des Vaters Freund geweſen, miethweiſe abtrat. Dieſer Mann ſchien eben ſo menſchenſcheu wie Peregrinus. Grund24 genug, warum ſich beide, Peregrinus und der Alte ſehr gut vertrugen, da ſie ſich niemals ſahen.

Es gab nur vier Familienfeſte, die Peregrinus ſehr feierlich beging, und das waren die beiden Ge¬ burtstage des Vaters und der Mutter, der erſte Oſter¬ feiertag und ſein eignes Tauffeſt. An dieſen Tagen mußte Aline einen Tiſch für ſo viele Perſonen, als der Vater ſonſt eingeladen und dieſelbe Schüſſeln, die gewöhnlich aufgetragen worden, bereiten, ſo wie den¬ ſelben Wein aufſetzen laſſen, wie ihn der Vater gege¬ ben. Es verſteht ſich, daß daſſelbe Silber, dieſelben Teller, dieſelben Gläſer, wie alles damals gebraucht worden und wie es ſich noch unverſehrt im Nachlaſſe befand, auch jetzt nach der ſo viele Jahre hindurch üblichen Weiſe gebraucht werden mußte. Peregrinus hielt ſtrenge darauf. War die Tafel fertig, ſo ſetzte ſich Peregrinus ganz allein hinan, und trank nur wenig, horchte auf die Geſpräche der Eltern, der ein¬ gebildeten Gäſte und antwortete nur beſcheiden auf dieſe, jene Frage, die jemand aus der Geſellſchaft an ihn richtete. Hatte die Mutter den Stuhl gerückt, ſo ſtand er mit den übrigen auf und empfahl ſich jedem auf die höflichſte Weiſe. Er ging dann in ein ab¬ gelegenes Zimmer und überließ ſeiner Aline die Ver¬ theilung der vielen nicht angerührten Schüſſeln und25 des Weins an Hausarme, welches Gebot des Herrn die treue Seele gar gewiſſenhaft auszuführen pflegte. Die Feier der Geburtstage des Vaters und der Mut¬ ter, begann Peregrinus ſchon am frühen Morgen, damit, daß er, wie es ſonſt zu ſeiner Knabenzeit ge¬ ſchehen, einen ſchönen Blumenkranz in das Zimmer trug, wo die Eltern zu frühſtücken pflegten und aus¬ wendig gelernte Verſe herſagte. An ſeinem eignen Tauffeſte konnte er ſich natürlicherweiſe nicht an die Tafel ſetzen, da er nicht längſt geboren, Aline mußte daher alles allein beſorgen, d. h. die Gäſte zum Trin¬ ken nöthigen, überhaupt wie man zu ſagen pflegt, die Honneurs der Tafel machen; ſonſt geſchah alles wie bei den übrigen Feſten. Außer denſelben gab es aber noch für Peregrinus einen beſondern Freudentag oder vielmehr Freudenabend im Jahre, und das war die Weihnachts-Beſcheerung, die mehr als jede andere Luſt, ſein junges Gemüth in ſüßem frommen Ent¬ zücken aufgeregt hatte.

Selbſt kaufte er ſorgſam bunte Weihnachtslich¬ ter, Spielſachen, Naſchwerk, ganz in dem Sinn ein, wie es die Eltern ihm in ſeinen Knabenjahren beſcheert hatten, und dann ging die Beſcheerung vor ſich, wie es der geneigte Leſer bereits erfahren.

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» Sehr unlieb, » ſprach Peregrinus, nachdem er noch einige Zeit geſpielt, » ſehr unlieb iſt es mir doch, » daß die Hirſch - und wilde Schweinsjagd abhanden » gekommen. Wo ſie nur geblieben ſeyn mag! » Ach! da! » Er gewahrte in dem Augenblick eine noch ungeöffnete Schachtel, nach welcher er ſchnell griff, die vermißte Jagd darin vermuthend; als er ſie indeſſen öffnete, fand er ſie leer, und fuhr zurück als durchbebe ihn ein jäher Schreck. » Seltſam, » ſprach er dann leiſe vor ſich hin, » ſeltſam! was iſt es mit dieſer Schachtel? war es mir doch als ſpränge mir daraus etwas Bedrohliches entgegen, das mit dem Blick zu erfaſſen, mein Auge zu ſtumpf war! »

Aline verſicherte auf Befragen, daß ſie die Schach¬ tel unter den Spielſachen gefunden, indeſſen alle Mühe vergeblich angewandt hätte, ſie zu öffnen; ge¬ glaubt habe ſie daher, daß darin etwas beſonderes enthalten und der Deckel nur der kunſtverſtändigen Hand des Herrn weichen werde. » Seltſam, » wie¬ derholte Peregrinus, » ſehr ſeltſam! Und auf dieſe » Jagd hatte ich mich ganz beſonders gefreut; ich » hoffe nicht, daß das etwas Böſes bedeuten dürfte! » Doch wer wird am Weihnachts-Abende ſolchen Gril¬ » len nachhängen die doch eigentlich gar keinen Grund » haben! Aline, bringe ſie Korb! » Aline27 brachte alsbald einen großen weißen Henkelkorb herbei, in den Peregrinus mit vieler Sorglichkeit die Spielſachen, das Zuckerwerk, die Lichter einpackte, dann den Korb unter den Arm, den großen Weihnachtsbaum aber auf die Schulter nahm und ſo ſeinen Weg antrat.

Herr Peregrinus Tyß hatte die löbliche, gemüth¬ liche Gewohnheit, mit ſeiner ganzen Beſcheerung wie er ſie ſich ſelbſt bereitet hatte, um ſich ein Paar Stun¬ den hinüberzuträumen in die ſchöne vergnügliche Kna¬ benzeit, hineinzufallen in irgend eine bedürftige Fa¬ milie, von der ihm bekannt war, daß muntre Kinder vorhanden, wie der heilige Chriſt ſelbſt mit blanken, bunten Gaben. Wenn dann die Kinder in der hell¬ ſten, lebendigſten Freude, ſchlich er leiſe davon, und lief oft die halbe Nacht über durch die Straßen, weil er ſich vor tiefer, die Bruſt beengender Rührung gar nicht zu laſſen wußte, und ſein eignes Haus ihm vor¬ kam wie ein düſtres Grabmal, in dem er ſelbſt mit allen ſeinen Freuden begraben. Diesmal war die Be¬ ſcheerung den Kindern eines armen Buchbinders be¬ ſtimmt, Namens Lämmerhirt, der, ein geſchickter fleißiger Mann, für Herrn Peregrinus ſeit einiger Zeit arbeitete, und deſſen drei muntre Knaben von fünf bis neun Jahren, Herr Peregrinus kannte.

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Der Buchbinder Lämmerhirt wohnte in dem

höchſten Stock eines engen Hauſes in der Kalbächer Gaſſe, und pfiff und tobte nun der Winterſturm, reg¬ nete und ſchneite es wild durcheinander, ſo kann man denken, daß Herr Peregrinus nicht ohne große Be¬ ſchwerde zu ſeinem Ziel gelangte. Aus Lämmerhirts Fenſtern blinkten ein paar ärmliche Lichterchen herab, mühſam erkletterte Peregrinus die ſteile Treppe. » Auf¬ gemacht, » rief er, indem er an die Stubenthüre pochte, » aufgemacht, aufgemacht, der heilige Chriſt ſchickt frommen Kindern ſeine Gaben! »

Der Buchbinder öffnete ganz erſchrocken und er¬ kannte den ganz eingeſchneiten Peregrinus erſt, nach¬ dem er ihn lange genug betrachtet.

» Hochgeehrteſter Herr Tyß, » rief Lämmerhirt voll Erſtaunen, » Hochgeehrteſter Herr Tyß, wie » komm ich um des Herrn willen am heiligen Chriſt¬ » abend zu der beſondern Ehre » Herr Peregrinus ließ ihn aber gar nicht ausreden ſondern bemächtigte ſich, laut rufend: » Kinder Kinder! aufgepaßt, der heilige Chriſt ſchickt ſeine Gaben! » des großen Klapp¬ tiſches, der in der Mitte des Stübchens befindlich, und begann ſofort die wohlverdeckten Weihnachtsgaben aus dem Korbe zu holen. Den ganz naſſen tropfen¬ den Weihnachtsbaum hatte er freilich vor der Thüre29 ſtehen laſſen müſſen. Der Buchbinder konnte noch immer nicht begreifen, was das werden ſollte; die Frau ſah es beſſer ein, denn ſie lachte den Peregri¬ nus an mit Thränen in den Augen, aber die Knaben ſtanden von ferne und verſchlangen ſchweigend mit den Augen jede Gabe, wie ſie aus der Hülle hervorkam, und konnten ſich oft eines lauten Ausrufs der Freude und der Verwundrung nicht erwehren! Als Pe¬ regrinus nun endlich die Gaben nach dem Alter jedes Kindes geſchickt getrennt und geordnet, alle Lichter angezündet hatte, als er rief: » Heran heran ihr Kinder! das ſind die Gaben die der heilige Chriſt Euch geſchickt! » da jauchzten ſie, die den Gedanken, daß das alles ihnen gehören ſolle, noch gar nicht feſt gefaßt hatten, laut auf und ſprangen und jubelten, während die Eltern Anſtalten machten ſich bei dem Wohlthäter zu bedanken.

Den Dank der Eltern und auch der Kinder, das war es nun eben, was Herr Peregrinus jedesmal zu vermeiden ſuchte, er wollte ſich daher wie gewöhnlich ganz ſtill davon machen. Schon war er an der Thü¬ re, als dieſe plötzlich aufging und in dem hellen Schim¬ mer der Weihnachtslichter ein junges glänzend geklei¬ detes Frauenzimmer vor ihm ſtand.

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Es thut ſelten gut, wenn der Autor ſich unter¬ fängt, dem geneigten Leſer genau zu beſchreiben, wie dieſe oder jene ſehr ſchöne Perſon die in ſeiner Geſchichte vorkommt, ausgeſehen, was Wuchs, Größe, Stel¬ lung, Farbe der Augen, der Haare betrifft, und ſcheint es dagegen viel beſſer, denſelben ohne dieſen Detailhandel die ganze Perſon in den Kauf zu geben. Genügen würde es auch hier vollkommen, zu verſichern, daß das Frauenzimmer, welches dem zum Tode er¬ ſchrockenen Peregrinus entgegentrat, über die Maaßen hübſch und anmuthig war, käme es nicht durchaus darauf an, gewiſſer Eigenthümlichkeiten zu erwähnen, die die kleine Perſon an ſich trug.

Klein und zwar etwas kleiner, als gerade recht, war nämlich das Frauenzimmer in der That, dabei aber ſehr fein und zierlich gebaut. Ihr Antlitz, ſonſt ſchön geformt und voller Ausdruck, erhielt aber da¬ durch etwas fremdes und ſeltſames, daß die Augäpfel ſtärker waren und die ſchwarzen feingezeichneten Au¬ genbraunen höher ſtanden, als gewöhnlich. Gekleidet oder vielmehr geputzt war das Dämchen, als käme es ſo eben vom Ball. Ein prächtiges Diadem blitzte in den ſchwarzen Haaren, reiche Kanten bedeckten nur halb den vollen Buſen, das lila und gelb gegatterte Kleid von ſchwerer Seide, ſchmiegte ſich um den ſchlan¬31 ken Leib und fiel nur in Falten ſo weit herab, daß man die niedlichſten weißbeſchuhten Füßchen erblicken konnte, ſo wie die Spitzenärmel kurz genug waren, und die weißen Glacé-Handſchuhe aber nur ſo weit hinaufgingen, um den ſchönſten Theil des blendenden Arms ſehen zu laſſen. Ein reiches Halsband, brillantne Ohrgehenke vollendeten den Anzug.

Es konnte nicht fehlen, daß der Buchbinder eben ſo beſtürzt war, als Herr Peregrinus, daß die Kin¬ der von ihren Spielſachen abließen, und die fremde Dame angafften mit offnem Munde; wie aber die Weiber am wenigſten über irgend etwas ſeltſames, un¬ gewöhnliches zu erſtaunen pflegen und ſich überhaupt am geſchwindeſten faſſen, ſo kam denn auch des Buch¬ binders Frau zuerſt zu Worten, und fragte: was der ſchönen fremden Dame zu Dienſten ſtehe?

Die Dame trat nun vollends in das Zimmer, und dieſen Augenblick wollte der beängſtete Peregrinus benutzen, um ſich ſchnell davon zu machen, die Dame faßte ihn aber bei beiden Händen, indem ſie mit ei¬ nem ſüßen Stimmchen lispelte: » So iſt das Glück mir doch günſtig, ſo habe ich Sie doch ereilt! O Peregrin, mein theurer Peregrin, was für ein ſchö¬ nes heilbringendes Wiederſehen! »

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Damit erhob ſie die rechte Hand ſo, daß ſie Pe¬ regrins Lippen berührte und er genöthigt war, ſie zu küſſen, unerachtet ihm dabei die kalten Schweißtro¬ pfen auf der Stirne ſtanden. Die Dame ließ nun zwar ſeine Hände los und er hätte entfliehen können, aber gebannt fühlte er ſich, nicht von der Stelle konnte er weichen, wie ein armes Thierlein, das der Blick der Klapperſchlange feſtgezaubert. » Laſſen Sie, » ſprach jetzt die Dame, » laſſen Sie mich, beſter Pe¬ regrin, an dem ſchönen Feſt Theil nehmen, das Sie mit edlem Sinn, mit zartem innigem Gemüth, from¬ men Kindern bereitet, laſſen Sie mich auch etwas dazu beitragen. »

Aus einem zierlichen Körbchen, das ihr am Arme hing und das man jetzt erſt bemerkte, zog ſie nun al¬ lerlei artige Spielſachen hervor, ordnete ſie mit an¬ muthiger Geſchäftigkeit auf dem Tiſche, führte die Knaben heran, wies jedem, was ſie ihm zugedacht und wußte dabei mit den Kindern ſo ſchön zu thun, daß man nichts lieblicheres ſehen konnte. Der Buch¬ binder glaubte, er läge im Traum, die Frau lächelte aber ſchalkiſch, weil ſie überzeugt war, daß es mit dem Herrn Peregrin und der fremden Dame, wohl eine beſondere Bewandniß haben müſſe.

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Während nun die Eltern ſich wunderten und die Kinder ſich freuten, nahm die fremde Dame Platz auf einem alten gebrechlichen Kanapee, und zog den Herrn Peregrinus Tyß, der in der That beinahe ſelbſt nicht mehr wußte, ob er dieſe Perſon wirklich ſey, neben ſich nieder. » Mein theurer, » begann ſie dann leiſe ihm ins Ohr lispelnd, » mein theurer lieber Freund, wie froh, wie ſeelig fühle ich mich an deiner Seite. » » Aber, » ſtotterte Peregrinus, » aber mein verehrteſtes Fräulein » doch plötzlich kamen, der Himmel weiß wie, die Lippen der fremden Dame den ſeinigen ſo nahe, daß, ehe er daran denken konnte, ſie zu küſſen, ſie ſchon geküßt hatte, und daß er dar¬ über die Sprache aufs neue und gänzlich verlor, iſt zu denken.

» Mein ſüßer Freund, » ſprach nun die fremde Dame weiter, indem ſie dem Peregrinus ſo nahe auf den Leib rückte, daß nicht viel daran gefehlt, ſie hätte ſich auf ſeinen Schooß geſetzt, » mein ſüßer Freund! ich weiß was dich bekümmert, ich weiß was heute Abend dein frommes kindliches Gemüth ſchmerzlich berührt hat. Doch! ſey getroſt! Was du verloren, was du jemals wieder zu erlangen kaum hoffen durf¬ teſt, das bring 'ich dir. »334Damit holte die fremde Dame aus demſelben Körbchen, in dem ſich die Spielſachen befunden hat¬ ten, eine hölzerne Schachtel hervor und gab ſie dem Peregrin in die Hände. Es war die Hirſch - und wilde Schweinsjagd, die er auf dem Weihnachtstiſche vermißt. Schwer möcht 'es fallen, die ſeltſamen Ge¬ fühle zu beſchreiben, die in Peregrins Innerm ſich durchkreuzten.

Hatte die ganze Erſcheinung der fremden Dame, aller Anmuth und Lieblichkeit unerachtet, dennoch etwas ſpukhaftes, das auch andern, die die Nähe eines Frauenzimmers nicht ſo geſcheut, als Peregrin, recht durch alle Glieder fröſtelnd empfunden haben würden, ſo mußte ja dem armen, ſchon genug ge¬ ängſteten Peregrin ein tiefes Grauen anwandeln, als er gewahrte, daß die Dame von all' dem, was er in der tiefſten Einſamkeit begonnen, auf das genaueſte unterrichtet war. Und mitten in dieſem Grauen wollte ſich, wenn er die Augen aufſchlug und der ſiegende Blick der ſchönſten ſchwarzen Augen, unter den langen ſeidenen Wimpern hervorleuchtete, wenn er des holden Weſens ſüßen Athem, die elektriſche Wärme ihres Kör¬ pers fühlte doch wollte ſich dann in wunderbaren Schauern das namenloſe Weh eines unausſprechlichen Verlangens regen, das er noch nicht gekannt! Dann35 kam ihm zum erſtenmal ſeine ganze Lebensweiſe, das Spiel mit der Weihnachtsbeſcheerung kindiſch und ab¬ geſchmackt vor, und er fühlte ſich beſchämt, daß die Dame darum wußte und nun war es ihm wieder, als ſey das Geſchenk der Dame der lebendige Beweis, daß ſie ihn verſtanden, wie niemand ſonſt auf Erden und daß das innigſte tiefſte Zartgefühl ſie gelenkt, als ſie ihn auf dieſe Weiſe erfreuen wollen. Er beſchloß die theure Gabe ewig aufzubewahren, nie aus den Hän¬ den zu laſſen und drückte, fortgeriſſen von einem Ge¬ fühl, das ihn ganz übermannt, die Schachtel worin die Hirſch - und wilde Schweinsjagd befindlich, mit Heftigkeit an die Bruſt. » O, » lispelte das Däm¬ chen, » o des Entzückens! Dich erfreut meine Gabe! o mein herziger Peregrin, ſo haben mich meine Träume, meine Ahnungen nicht getäuſcht! »

Herr Peregrinus Tyß kam etwas zu ſich ſelbſt, ſo, daß er im Stande war, ſehr deutlich und ver¬ nehmlich zu ſprechen: » Aber mein beſtes hochverehr¬ tes Fräulein, wenn ich nur in aller Welt wüßte, wem ich die Ehre hätte »

» Schalkiſcher Mann, » unterbrach ihn die Da¬ me, indem ſie ihm leiſe die Wange klopfte, » ſchal¬ kiſcher Mann, du ſtellſt dich gar, als ob du deine treue Aline nicht kennteſt! Doch es iſt Zeit, daß3 *36wir hier den guten Leuten, freien Spielraum laſſen. Begleiten Sie mich Herr Tyß! »

Als Peregrinus den Namen Aline hörte, mußte er natürlicherweiſe an ſeine alte Aufwärterin denken, und es war ihm nun vollends, als drehe ſich in ſei¬ nem Kopfe eine Windmühle.

Der Buchbinder vermochte, als nun die fremde Dame von ihm, ſeiner Frau und den Kindern auf das freudigſte, anmuthigſte, Abſchied nahm, vor lau¬ ter Verwunderung und Ehrfurcht nur unverſtändliches Zeug zu ſtammeln, die Kinder thaten, als ſeyen ſie mit der Fremden lange bekannt geweſen; die Frau ſprach aber: » Ein ſolcher ſchmucker gütiger Herr, wie Sie, Herr Tyß, verdient wohl eine ſo ſchöne, herzensgute Braut zu haben, die ihm noch in der Nacht Werke der Wohlthätigkeit vollbringen hilft. Nun ich gratulire von ganzem Herzen! » Die fremde Dame dankte gerührt, verſicherte, daß ihr Hoch¬ zeitstag auch ihnen ein Feſttag ſeyn ſolle, verbot dann ernſthaft jede Begleitung, und nahm ſelbſt eine kleine Kerze vom Weihnachtstiſch, um ſich die Treppe hin¬ abzuleuchten.

Man kann denken, wie dem Herrn Tyß, in deſſen Arm ſich nun die fremde Dame hängte, bei allem dem zu Muthe war! » Begleiten Sie mich Herr37 Tyß, » dachte er bei ſich, das heißt, die Treppe hinab bis an den Wagen, der vor der Thüre hält und wo der Diener oder vielleicht eine ganze Dienerſchaft war¬ tet, denn am Ende iſt es irgend eine wahnſinnige Prin¬ zeſſin, die hier der Himmel erlöſe mich nur bald aus dieſer ſeltſamen Quaal und erhalte mir mein bis¬ chen Verſtand!

Herr Tyß ahnte nicht, daß alles, was bis jetzt ge¬ ſchehen, nur das Vorſpiel des wunderlichſten Aben¬ theuers geweſen, und that eben deshalb unbewußt, ſehr wohl daran, den Himmel im Voraus um die Erhal¬ tung ſeines Verſtandes zu bitten.

Als das Paar die Treppe herabgekommen, wurde die Hausthüre von unſichtbaren Händen auf und, als Peregrinus mit der Dame hinausgetreten, eben ſo wieder zugeſchloſſen. Peregrinus merkte gar nicht darauf, denn viel zu ſehr erſtaunte er, als ſich vor dem Hauſe auch nicht die mindeſte Spur eines Wa¬ gens oder eines wartenden Dieners fand.

» Um des Himmelswillen, » rief Peregrinus, » wo iſt Ihr Wagen, Gnädigſte? » » Wagen, » erwiderte die Dame, » Wagen? was für ein Wa¬ gen? Glauben Sie, lieber Peregrinus, daß meine Ungeduld, meine Angſt Sie zu finden, es mir erlaubt haben ſollte, mich ganz ruhig hierher fahren zu laſ¬38 ſen? Durch Sturm und Wetter ich getrieben von Sehnſucht und Hoffnung umhergelaufen, bis ich Sie fand. Dem Himmel Dank, daß mir dies gelungen. Führen Sie mich nur jetzt nach Hauſe, lieber Pere¬ grinus, meine Wohnung iſt nicht ſehr weit entlegen. »

Herr Peregrinus entſchlug ſich mit aller Gewalt des Gedankens, wie es ja ganz unmöglich, daß die Dame, geputzt wie ſie war, in weißſeidnen Schuhen, auch nur wenige Schritte hatte gehen können, ohne den ganzen Anzug im Sturm, Regen und Schnee zu verderben, ſtatt daß man jetzt auch keine Spur irgend einer Zerrüttung der ſorgſamſten Toilette wahrnahm; fand ſich darin, die Dame noch weiter zu begleiten, und war nur froh, daß die Witterung ſich geändert. Vor¬ über war das tolle Unwetter, kein Wölkchen am Him¬ mel, der Vollmond ſchien freundlich herab, und nur die ſchneidend ſcharfe Luft ließ die Winternacht fühlen.

Kaum war Peregrinus aber einige Schritte ge¬ gangen, als die Dame leiſe zu wimmern begann, dann aber in laute Klagen ausbrach, daß ſie vor Kälte er¬ ſtarren müſſe. Peregrinus, dem das Blut glühend¬ heiß durch die Adern ſtrömte, der deshalb nichts von der Kälte empfunden und nicht daran gedacht, daß die Dame ſo leicht gekleidet und nicht einmal einen Shawl oder ein Tuch umgeworfen hatte, ſah plötzlich39 ſeine Tölpelei ein und wollte die Dame in ſeinen Man¬ tel hüllen. Die Dame wehrte dies indeſſen ab, in¬ dem ſie jammerte: » Nein, mein lieber Peregrin! das hilft mir nichts! Meine Füße ach meine Füße, umkommen muß ich vor fürchterlichem Schmerz. »

Halb ohnmächtig wollte die Dame zuſammenſin¬ ken, indem ſie mit erſterbender Stimme rief: » Trage mich, trage mich, mein holder Freund! »

Da nahm ohne Weiteres Peregrinus das feder¬ leichte Dämchen auf den Arm, wie ein Kind und wik¬ kelte ſie ſorglich ein in den weiten Mantel. Kaum war er aber eine kleine Strecke mit der ſüßen Laſt fort¬ geſchritten; als ihn ſtärker und ſtärker der wilde Tau¬ mel brünſtiger Luſt erfaßte. Er bedeckte Nacken, Bu¬ ſen des holden Weſens, das ſich feſt an ſeine Bruſt geſchmiegt hatte, mit glühenden Küßen, indem er halb ſinnlos fortrannte durch die Straßen. Endlich war es ihm, als erwache er mit einem Ruck aus dem Traum; er befand ſich dicht vor einer Hausthüre und aufſchauend erkannte er ſein Haus auf dem Roßmarkt. Nun erſt fiel ihm ein, daß er die Dame ja gar nicht nach ihrer Wohnung gefragt, mit Gewalt nahm er ſich zuſammen, und fragte: » Fräulein! himmli¬ ſches göttliches Weſen, wo wohnen Sie? » » Ey, » erwiederte die Dame, indem ſie das Köpfchen empor¬40 ſtreckte, » ey lieber Peregrin, hier, hier in dieſem Hauſe, ich bin ja deine Aline, ich wohne ja bei dir! Laß nur ſchnell das Haus öffnen.

» Nein! nimmermehr, » ſchrie Peregrinus ent¬ ſetzt, indem er die Dame hinabſinken ließ. » Wie, » rief dieſe, » wie Peregrin, du willſt mich verſtoßen, und kennſt doch mein fürchterliches Verhängniß und weißt doch daß ich Kind des Unglücks kein Obdach habe, daß ich elendiglich hier umkommen muß, wenn du mich nicht aufnimmſt bei dir wie ſonſt! Doch du willſt vielleicht, daß ich ſterbe ſo geſchehe es denn! Trage mich wenigſtens an den Springbrun¬ nen, damit man meine Leiche nicht vor deinem Hauſe finde ha jene ſteinernen Delphine haben viel¬ leicht mehr Erbarmen als du. Weh mir weh mir die Kälte. » Die Dame ſank ohnmächtig nieder, da faßte Herzensangſt und Verzweiflung wie eine Eiszange Peregrins Bruſt und quetſchte ſie zu¬ ſammen. Wild ſchrie er: » Mag es nun werden wie es will, ich kann nicht anders! » hob die Lebloſe auf, nahm ſie in ſeine Arme und zog ſtark an der Glocke. Schnell rannte Peregrin bei dem Hausknecht vorüber, der die Thüre geöffnet und rief ſchon auf der Treppe, ſtatt daß er ſonſt erſt oben ganz leiſe anzupochen pflegte:41 » Aline Aline Licht, Licht! » und zwar ſo laut, daß der ganze weite Flur wiederhallte.

» Wie? was? was iſt das? was ſoll das heißen? » So ſprach die alte Aline, indem ſie die Augen weit aufriß, als Peregrinus die ohnmächtige Dame aus dem Mantel loswickelte, und mit zärtli¬ cher Sorgfalt auf den Sopha legte.

» Geſchwind, » rief er dann, » geſchwind Aline, Feuer in den Kamin die Wundereſſenz her Thee Punſch! Betten herbei! »

Aline rührte ſich aber nicht von der Stelle, ſon¬ dern blieb, die Dame anſtarrend, bei ihrem: Wie? was? was iſt das? was ſoll das heißen?

Da ſprach Peregrinus von einer Gräfin, vielleicht gar Prinzeſſin, die er bei dem Buchbinder Lämmerhirt angetroffen, die auf der Straße ohnmächtig geworden, die er nach Hauſe tragen müſſen, und ſchrie dann, als Aline noch immer unbeweglich blieb, indem er mit dem Fuße ſtampfte: » Ins Teufels Namen, Feuer ſag 'ich, Thee Wundereſſenz! »

Da flimmerte es aber wie lauter Katzengold in den Augen des alten Weibes, und es war als leuchte die Naſe höher auf in phosphoriſchem Glanz. Sie holte die große ſchwarze Doſe hervor, ſchlug auf den Deckel, daß es ſchallte und nahm eine mächtige Prieſe. Dann42 ſtemmte ſie beide Arme in die Seite und ſprach mit höhniſchem Ton: » Ey ſeht doch, eine Gräfin, eine Prinzeſſin! die findet man beim armen Buchbinder in der Kalbächer Gaſſe, die wird ohnmächtig auf der Straße! Ho ho, ich weiß wohl, wo man ſolche ge¬ putzte Dämchen zur Nachtzeit herholt! Das ſind mir ſchöne Streiche, das iſt mir eine ſaubere Auffüh¬ rung! Eine lockere Dirne ins ehrliche Haus brin¬ gen und damit das Maaß der Sünden noch voll werde, den Teufel anrufen in der heiligen Chriſtnacht. Und da ſoll ich auf meine alten Tage noch die Hand dazu bieten? Nein mein Herr Tyß, da ſuchen Sie ſich eine andere; mit mir iſt es nichts, morgen verlaß ich den Dienſt. »

Und damit ging die Alte hinaus, und ſchlug die Thüre ſo heftig hinter ſich zu, das alles klapperte und klirrte.

Peregrinus rang die Hände vor Angſt und Ver¬ zweiflung, keine Spur des Lebens zeigte ſich bei der Dame. Doch in dem Augenblick, als Peregrinus in der entſetzlichen Noth eine Flaſche Kölniſches Waſſer gefunden, und die Schläfe der Dame geſchickt damit einreiben wollte, ſprang ſie ganz friſch und munter von dem Sopha auf und rief: » Endlich endlich ſind wir allein! Endlich, o mein Peregrinus! darf43 ich es Ihnen ſagen, warum ich Sie verfolgte bis in die Wohnung des Buchbinders Lämmerhirt, warum ich Sie nicht laſſen konnte in der heutigen Nacht. Peregrinus! geben Sie mir den Gefangenen heraus, den Sie verſchloſſen haben bei Sich im Zimmer. Ich weiß, daß Sie dazu keinesweges verpflichtet ſind, daß das nur von ihrer Gutmüthigkeit abhängt, aber eben ſo kenne ich auch Ihr gutes treues Herz, darum o mein guter liebſter Peregrin! geben Sie ihn heraus, den Gefangenen! »

» Was, » fragte Peregrinus im tiefſten Stau¬ nen, » was für einen Gefangenen? wer ſollte bei mir gefangen ſeyn? »

» Ja, » ſprach die Dame weiter, indem ſie Pe¬ regrins Hand ergriff und zärtlich an ihre Bruſt drück¬ te, » ja, ich muß es bekennen, nur ein großes edles Gemüth gibt Vortheile auf, die ein günſtiges Geſchick ihm zuführte, und wahr iſt es, daß Sie auf man¬ ches verzichten, was zu erlangen Ihnen leicht gewor¬ den ſeyn würde, wenn Sie den Gefangenen nicht her¬ ausgegeben hätten aber! bedenken Sie, Pere¬ grin, daß Alinens ganzes Schickſal, ganzes Leben ab¬ hängt von dem Beſitz dieſes Gefangenen, daß »

» Wollen Sie, » unterbrach Peregrinus die Da¬ me, » wollen Sie nicht, engliſches Fräulein! daß ich44 alles für einen Fiebertraum halten, daß ich vielleicht ſelbſt auf der Stelle überſchnappen ſoll, ſo ſagen Sie mir nur, von wem Sie reden, von was für einem Ge¬ fangenen. » » Wie, » erwiderte die Dame, ich verſtehe Sie nicht, wollen Sie vielleicht gar läug¬ nen, daß er wirklich in Ihre Gefangenſchaft gerieth? War ich denn nicht dabei, als er, da Sie die Jagd kauften »

» Wer, » ſchrie Peregrin ganz außer ſich, wer iſt der Er? Zum erſtenmal in meinem Leben ſehe ich Sie mein Fräulein, wer ſind Sie, wer iſt der Er? »

Da fiel aber die Dame ganz aufgelöſt in Schmerz dem Peregrin zu Füßen und rief, indem ihr die Thrä¬ nen reichlich aus den Augen ſtrömten: » Peregrin, ſey menſchlich, ſey barmherzig, gib ihn mir wieder! gib ihn mir wieder! » Und dazwiſchen ſchrie Herr Pe¬ regrinus: » Ich werde wahnſinnig ich werde toll! »

Plötzlich raffte ſich die Dame auf. Sie erſchien viel größer als vorher, ihre Augen ſprühten Feuer, ihre Lippen bebten, ſie rief mit wilder Gebehrde: » Ha Barbar! in dir wohnt kein menſchliches Herz du biſt unerbittlich du willſt meinen Tod, mein Verderben du gibſt ihn mir nicht wieder! Nein nimmer nimmer ha ich Unglückſe¬45 lige verloren verloren. » Und damit ſtürzte die Dame zum Zimmer hinaus, und Peregrin ver¬ nahm wie ſie die Treppe hinablief, und ihr kreiſchen¬ der Jammer das ganze Haus erfüllte, bis unten eine Thüre heftig zugeſchlagen wurde.

Dann war alles todtenſtill wie im Grabe.

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Zweites Abentheuer.

Der Flohbändiger. Trauriges Schickſal der Prinzeſſin Ga¬ maheh in Famaguſta. Ungeſchicklichkeit des Genius Thetel und merkwürdige mikroskopiſche Verſuche und Beluſtigungen. Die ſchöne Holländerin und ſeltſames Abentheuer des jungen Herrn George Pepuſch, eines geweſenen Jenenſers.

Es befand ſich zu der Zeit ein Mann in Frankfurt, der die ſeltſamſte Kunſt trieb. Man nannte ihn den Flohbändiger und das darum, weil es ihm, gewiß nicht ohne die größeſte Mühe und Anſtrengung gelun¬ gen, Cultur in dieſe kleinen Thierchen zu bringen und ſie zu allerlei artigen Kunſtſtücken abzurichten.

Zum größten Erſtaunen ſah man auf einer Tiſchplatte von dem ſchönſten weißen, glänzendpolir¬ ten Marmor Flöhe, welche kleine Kanonen, Pulver¬ karren, Rüſtwagen zogen, andre ſprangen daneben her mit Flinten im Arm, Patrontaſchen auf dem Rücken, Säbeln an der Seite. Auf das Commando¬ wort des Künſtlers, führten ſie die ſchwierigſten Evo¬ lutionen aus, und alles ſchien luſtiger und lebendiger,47 wie bei wirklichen großen Soldaten, weil das Mar¬ ſchiren in den zierlichſten Entrechats und Luftſpringen, das Linksum und Rechtsum aber in anmuthigen Pi¬ rouetten beſtand. Die ganze Mannſchaft hatte ein er¬ ſtaunliches A Plomb und der Feldherr ſchien zugleich ein tüchtiger Ballettmeiſter. Noch beinahe hübſcher und wunderbarer waren aber die kleinen goldnen Kut¬ ſchen, die von vier, ſechs, acht Flöhen gezogen wur¬ den. Kutſcher und Diener waren Goldkäferlein, der kleinſten kaum ſichtbaren Art, was aber drin ſaß, war nicht recht zu erkennen.

Unwillkührlich wurde man an die Equipage der Fee Mab erinnert, die der wackre Merkutio in Sha¬ kespear's Romeo und Julie ſo ſchön beſchreibt, daß man wohl merkt, wie oft ſie ihm ſelbſt über die Naſe gefahren.

Erſt, wenn man den ganzen Tiſch mit einem gu¬ ten Vergrößerungsglaſe überſchaute, entwickelte ſich aber die Kunſt des Flohbändigers in vollem Maaße. Denn nun erſt zeigte ſich die Pracht, die Zierlichkeit der Geſchirre, die feine Arbeit der Waffen, der Glanz, die Nettigkeit der Uniformen, und erregte die tiefſte Bewunderung. Gar nicht zu begreifen ſchien es, wel¬ cher Inſtrumente ſich der Flohbändiger bedient haben mußte, um gewiſſe kleine Nebenſachen, z. B. Sporn,48 Rockknöpfe u. ſ. w. ſauber und proportionirlich an¬ zufertigen, und jene Arbeit, die ſonſt für das Mei¬ ſterſtück des Schneiders galt und die in nichts geringe¬ rem beſtand, als einem Floh ein Paar völlig anſchlieſ¬ ſende Reithoſen zu liefern, wobei freilich das Anmeſ¬ ſen das ſchwierigſte, ſchien dagegen als etwas ganz Leichtes und Geringes.

Der Flohbändiger hatte unendlichen Zuſpruch. Den ganzen Tag wurde der Saal nicht leer von Neu¬ gierigen, die den hohen Eintrittspreis nicht ſcheuten. Auch zur Abendzeit war der Beſuch zahlreich, ja beinahe noch zahlreicher, da alsdann auch ſolche Perſonen ka¬ men, denen an derlei poßierlichen Künſteleien eben nicht viel gelegen, um ein Werk zu bewundern, das dem Flohbändiger ein ganz anderes Anſehen und die wahre Achtung der Naturforſcher erwarb. Dies Werk war ein Nachtmikroskop, das wie das Sonnenmikroskop am Tage, einer magiſchen Laterne ähnlich, den Ge¬ genſtand hell erleuchtet mit einer Schärfe und Deut¬ lichkeit auf die weiße Wand warf, die nichts zu wün¬ ſchen übrig ließ. Dabei trieb der Flohbändiger auch noch Handel mit den ſchönſten Mikroskopen, die man nur finden konnte und die man gern ſehr theuer be¬ zahlte.

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Es begab ſich, daß ein junger Menſch, George Pepuſch geheißen der geneigte Leſer wird ihn bald näher kennen lernen Verlangen trug, noch am ſpäten Abend den Flohbändiger zu beſuchen. Schon auf der Treppe vernahm er Gezänk, das immer hefti¬ ger und heftiger wurde und endlich überging in tolles Schreien und Toben. So wie nun Pepuſch eintre¬ ten wollte, ſprang die Thüre des Saals auf mit Un¬ geſtüm, und in wildem Gedränge ſtürzten die Men¬ ſchen ihm entgegen, todtenbleiches Entſetzen in den Geſichtern.

» Der verfluchte Hexenmeiſter! der Satanskerl! beim hohen Rath will ich ihn angeben! aus der Stadt ſoll er, der betrügeriſche Taſchenſpieler! » So ſchrieen die Leute durch einander und ſuchten von Furcht und Angſt gehetzt, ſo ſchnell als möglich aus dem Hauſe zu kommen.

Ein Blick in den Saal verrieth dem jungen Pe¬ puſch ſogleich die Urſache des fürchterlichen Entſetzens, das die Leute fortgetrieben. Alles lebte darin, ein ekelhaftes Gewirr der ſcheußlichſten Creaturen erfüllte den ganzen Raum. Das Geſchlecht der Pucerons, der Käfer, der Spinnen, der Schlammthiere bis zum Uebermaaß vergrößert, ſtreckte ſeine Rüſſel aus, ſchritt daher auf hohen haarigten Beinen, und die gräulichen450Ameiſenräuber faßten, zerquetſchten mit ihren zackig¬ ten Zangen die Schnacken, die ſich wehrten und um ſich ſchlugen mit den langen Flügeln, und dazwiſchen wanden ſich Eſſigſchlangen, Kleiſteraale, hundertar¬ migte Polypen durch einander und aus allen Zwiſchen¬ räumen kuckten Infuſions-Thiere mit verzerrten menſchlichen Geſichtern. Abſcheulicheres hatte Pepuſch nie geſchaut. Er wollte eben ein tiefes Grauen ver¬ ſpüren, als ihm etwas Rauhes ins Geſicht flog und er ſich eingehüllt ſah in eine Wolke dicken Mehlſtaubs. Darüber verging ihm aber das Grauen, denn er wußte ſogleich, daß das rauhe Ding nichts anders ſeyn konnte als die runde gepuderte Perücke des Flohbändi¬ gers, und das war es auch in der That.

Als Pepuſch ſich den Puder aus den Augen ge¬ wiſcht, war das tolle widrige Inſektenvolk verſchwun¬ den. Der Flohbändiger ſaß ganz erſchöpft im Lehn¬ ſtuhl. » Leuwenhöck, » ſo rief ihm Pepuſch entgegen, » Leuwenhöck, ſeht Ihr nun wohl, was bei Euerm Treiben herauskommt? Da habt Ihr wieder zu Euern Vaſallen Zuflucht nehmen müſſen, um Euch die Leute vom Leibe zu halten! Iſt's nicht ſo? »

» Seyd Ihr's, » ſprach der Flohbändiger mit matter Stimme, » ſeyd Ihr's guter Pepuſch? Ach! mit mir iſt es aus, rein aus, ich bin ein verlorner51 Mann! Pepuſch, ich fange an zu glauben, daß ihr es wirklich gut mit mir gemeint habt und daß ich nicht gut gethan auf Eure Warnungen nichts zu geben. » Als nun Pepuſch ruhig fragte, was ſich denn bege¬ ben, drehte ſich der Flohbändiger mit ſeinem Lehn¬ ſtuhl nach der Wand, hielt beide Hände vors Geſicht und rief weinerlich dem Pepuſch zu, er möge nur eine Lupe zur Hand nehmen und die Marmortafel des Ti¬ ſches anſchauen. Schon mit unbewaffnetem Auge ge¬ wahrte Pepuſch, daß die kleinen Kutſchen, die Sol¬ daten u. ſ. w. todt da ſtanden und lagen, daß ſich nichts mehr regte und bewegte. Die kunſtfertigen Flöhe ſchienen auch eine ganz andre Geſtalt angenommen zu haben. Mittelſt der Lupe entdeckte nun aber Pepuſch ſehr bald, daß kein einziger Floh mehr vorhanden, ſon¬ dern daß das, was er dafür gehalten, ſchwarze Pfef¬ ferkörner und Obſtkerne waren, die in den Geſchirren, in den Uniformen ſteckten.

» Ich weiß, » begann nun der Flohbändiger ganz wehmüthig und zerknirſcht, » ich weiß gar nicht, wel¬ » cher böſe Geiſt mich mit Blindheit ſchlug, daß ich » die Deſertion meiner Mannſchaft nicht eher bemerk¬ » te, als bis alle Leute an den Tiſch getreten waren » und ſich gerüſtet hatten zum Schauen. Ihr kön¬ » net denken Pepuſch! wie die Leute, als ſie ſich ge¬4 *52» täuſcht ſahen, erſt murrten und dann ausbrachen in » lichterlohen Zorn. Sie beſchuldigten mich des ſchnö¬ » deſten Betruges, und wollten mir, da ſie ſich im¬ » mer mehr erhitzten und keine Entſchuldigung mehr » hörten, zu Leibe, um ſelbſt Rache zu nehmen. » Was konnt 'ich, um einer Tracht Schläge zu ent¬ » gehen, beſſeres thun, als ſogleich das große Mi¬ » kroskop in Bewegung ſetzen und die Leute ganz ein¬ » hüllen in Creaturen, vor denen ſie ſich entſetzten, » wie das dem Pöbel eigen. »

» Aber, » fragte Pepuſch, » aber ſagt mir nur » Leuwenhöck, wie es geſchehen konnte, daß Euch Eure » wohlexerzirte Mannſchaft, die ſo viel Treue bewie¬ » ſen, plötzlich auf und davon gehen konnte, ohne » daß Ihr es ſogleich gewahr wurdet? »

» O, » jammerte der Flohbändiger, » o Pepuſch! » er hat mich verlaſſen, er, durch den allein ich » Herrſcher war und er iſt es, deſſen böſem Verrath » ich meine Blindheit, all mein Unglück zuſchreibe! »

» Hab 'ich, » erwiederte Pepuſch, » hab' ich Euch » nicht ſchon längſt gewarnt, Eure Sache nicht auf » Künſteleien zu ſtellen, die Ihr, ich weiß es, ohne » den Beſitz des Meiſters nicht vollbringen könnet und » wie dieſer Beſitz aller Mühe unerachtet doch auf dem » Spiele ſteht, habt Ihr eben jetzt erfahren. » 53 Pepuſch gab nun ferner dem Flohbändiger zu erken¬ nen, wie er ganz und gar nicht begreife, daß, müſſe er jene Künſteleien aufgeben, dieß ſein Leben ſo ver¬ ſtören könne, da die Erfindung des Nachtmikroskop's ſo wie überhaupt ſeine Geſchicklichkeit im Verfertigen mikroskopiſcher Gläſer ihn längſtens feſtgeſtellt. Der Flohbändiger verſicherte aber dagegen, daß ganz andre Dinge in jenen Künſteleien lägen, und daß er ſie nicht aufgeben könne, ohne ſich ſelbſt, ſeine ganze Exiſtenz aufzugeben.

» Wo iſt aber Dörtje Elverdink? » So fragte Pepuſch den Flohbändiger unterbrechend. » Wo ſie » iſt, » kreiſchte der Flohbändiger, indem er die Hände rang, » wo Dörtje Elverdink iſt? Fort iſt ſie, » fort in alle Welt verſchwunden. Schlagt mich » nur gleich todt, Pepuſch, denn ich ſehe ſchon, wie » Euch immer mehr der Zorn kommt und die Wuth. » Macht es kurz mit mir! »

» Da ſeht, » ſprach Pepuſch mit finſterm Blick, » da ſeht Ihr nun, was aus Eurer Thorheit, aus Eu¬ erm albernen Treiben herauskommt. Wer gab Euch das Recht die arme Dörtje einzuſperren wie eine Skla¬ vin und dann wieder, um nur Leute anzulocken, ſie im Prunk auszuſtellen, wie ein naturhiſtoriſches Wun¬ der? Warum thatet Ihr Gewalt an ihrer Nei¬54 gung und ließet es nicht zu, daß ſie mir die Hand gab, da Ihr doch bemerken mußtet, wie innig wir uns liebten? Entflohen iſt ſie? Nun gut, ſo iſt ſie wenigſtens nicht mehr in Eurer Gewalt, und weiß ich auch in dieſem Augenblick nicht, wo ich ſie ſuchen ſoll, ſo bin ich doch überzeugt, daß ich ſie fin¬ den werde. Da, Leuwenhöck, ſetzt die Perücke auf und ergebt Euch in Euer Geſchick; das iſt das beſte und gerathenſte, was Ihr jetzt thun könnet.

Der Flohbändiger ſtutzte mit der linken Hand die Perücke auf das kahle Haupt, während er mit der rechten Pepuſch beim Arm ergriff. » Pepuſch, » ſprach er, » Pepuſch, Ihr ſeyd mein wahrer Freund; » denn Ihr ſeyd der einzige Menſch in der ganzen » Stadt Frankfurt, welcher weiß, daß ich begraben » liege in der alten Kirche zu Delft, ſeit dem Jahre » Eintauſend ſiebenhundert und fünf und zwanzig und » habt es doch noch niemanden verrathen, ſelbſt wenn » Ihr auf mich zürntet wegen der Dörtje Elverdink. » Will es mir auch zuweilen nicht recht in den Kopf, » daß ich wirklich jener Anton van Leuwenhöck bin, » den man in Delft begraben, ſo muß ich denn doch, » betrachte ich meine Arbeiten und bedenke ich mein Le¬ » ben, wiederum glauben und es iſt mir deshalb ſehr » angenehm, daß man davon überhaupt gar nicht55 » ſpricht. Ich ſehe jetzt ein, liebſter Pepuſch, daß » ich, was die Dörtje Elverdink betrifft, nicht recht » gehandelt habe, wiewohl auf ganz andere Weiſe als » ihr wohl meinen möget. Recht that ich nämlich » daran, daß ich Eure Bewerbungen für ein thörigtes » zweckloſes Streben erklärte, Unrecht aber, daß ich » nicht ganz offenherzig gegen Euch war, daß ich Euch » nicht ſagte, was es mit der Dörtje Elverdink eigent¬ » lich für eine Bewandniß hat. Eingeſehen hättet » Ihr dann, wie löblich es war, Euch Wünſche aus » dem Sinn zu reden, deren Erfüllung nicht anders » als verderblich ſeyn konnte. Pepuſch! ſetzt Euch » zu mir und vernehmt eine wunderbare Hiſtorie! »

» Das kann ich wohl thun, » erwiederte Pepuſch mit giftigem Blick, indem er Platz nahm auf einem gepolſterten Lehnſtuhl, dem Flohbändiger gegenüber. » Da, » begann Flohbändiger, » da Ihr, mein » lieber Freund Pepuſch, in der Geſchichte wohl be¬ » wandert ſeyd, ſo wißt Ihr ohne Zweifel, daß der » König Sekakis viele Jahre hindurch mit der Blu¬ » menkönigin im vertraulichen Verhältniß lebte und » daß die ſchöne anmuthige Prinzeſſin Gamaheh, die » Frucht dieſer Liebe war. Weniger bekannt dürft 'es » ſeyn, und auch ich kann es Euch nicht ſagen, auf welche » Weiſe Prinzeſſin Gamaheh nach Famaguſta kam.

56

» Manche behaupten und nicht ohne Grund, daß die » Prinzeſſin in Famaguſta ſich verbergen ſollte, vor » dem widerlichen Egelprinzen, dem geſchwornen Feinde » der Blumenkönigin. »

» Genug! in Famaguſta begab es ſich, daß » die Prinzeſſin einſt in der erfriſchenden Kühle des » Abends luſtwandelte und in ein dunkles anmuthiges » Cypreſſen-Wäldchen gerieth. Verlockt von dem » lieblichen Säuſeln des Abendwindes, dem Mur¬ » meln des Bachs, dem melodiſchen Gezwitſcher der » Vögel, ſtreckte die Prinzeſſin ſich hin in das weiche » duftige Moos und fiel bald in tiefen Schlaf. Gerade » der Feind, dem ſie hatte entgehen wollen, der » häßliche Egelprinz ſtreckte aber ſein Haupt empor » aus dem Schlammwaſſer, erblickte die Prinzeſſin, » und verliebte ſich in die ſchöne Schläferin dermaßen, » daß er dem Verlangen ſie zu küſſen, nicht widerſte¬ » hen konnte. Leiſe kroch er heran, und küßte ſie hin¬ » ter das linke Ohr. Nun wißt Ihr aber wohl Freund » Pepuſch, daß die Dame, die der Egelprinz zu küſ¬ » ſen ſich unterfängt, verloren, denn er iſt der ärgſte » Blutſauger von der Welt. So geſchah es denn auch, » daß der Egelprinz die arme Prinzeſſin ſo lange küßte, » bis alles Leben aus ihr geflohen war. Da fiel er » ganz überſättigt und trunken ins Moos und mußte57 » von ſeinen Dienern, die ſich ſchnell aus dem Schlamm » hinanwälzten, nach Hauſe gebracht werden. » Vergebens arbeitete ſich die Wurzel Mandragora aus » der Erde hervor, legte ſich auf die Wunde, die der » heimtückiſche Egelprinz der Prinzeſſin geküßt, verge¬ » bens erhoben ſich auf das Wehgeſchrei der Wurzel » alle Blumen und ſtimmten ein in die troſtloſe Klage! » Da geſchah es, daß der Genius Thetel gerade des » Weges kam; auch er wurde tief gerührt von Gama¬ » heh's Schönheit und ihrem unglücklichen Tode. Er » nahm die Prinzeſſin in die Arme, drückte ſie an ſeine » Bruſt, mühte ſich, ihr Leben einzuhauchen mit ſei¬ » nem Athem, aber ſie erwachte nicht aus dem To¬ » desſchlaf. Da erblickte der Genius Thetel den ab¬ » ſcheulichen Egelprinzen den (ſo ſchwerfällig und trun¬ » ken war er) die Diener nicht hatten hinunterſchaffen » können in den Palaſt, entbrannte in Zorn und » warf eine ganze Fauſt voll Kryſtallſalz dem häßlichen » Feinde auf den Leib, ſo daß er ſogleich allen pur¬ » purnen Ichor, den er der Prinzeſſin Gamaheh aus¬ » geſogen, ausſtrömte und dann ſeinen Geiſt aufgab » unter vielen Zuckungen und Grimaſſen, auf elen¬ » digliche Weiſe. Alle Blumen, die ringsum ſtan¬ » den, tauchten aber ihre Kleider in dieſen Ichor und » färbten ſie zum ewigen Andenken der ermordeten58 » Prinzeſſin in ein ſolches herrliches Roth, wie es » kein Maler auf Erden herauszubringen vermag. » Ihr wißt, Pepuſch! daß die ſchönſten dunkelrothen » Nelken, Amaryllen und Cheiranthen eben aus jenem » Cypreſſenwäldchen, wo der Egelprinz die ſchöne Ga¬ » maheh todtküßte, herſtammen. Der Genius Thetel » wollte forteilen, da er noch vor Einbruch der Nacht » in Samarkand viel zu thun hatte, noch einen Blick » warf er aber auf die Prinzeſſin, blieb feſt gezaubert » ſtehen und betrachtete ſie mit der innigſten Wehmuth. » Da kam ihm plötzlich ein Gedanke. Statt weiter » zu gehen, nahm er die Prinzeſſin in die Arme und » ſchwang ſich mit ihr hoch auf in die Lüfte. Zu » derſelben Zeit beobachteten zwei weiſe Männer, von » denen einer, nicht verſchwiegen ſey es, ich ſelbſt » war, auf der Gallerie eines hohen Thurmes, den » Lauf der Geſtirne. Dieſe gewahrten hoch über ſich » den Genius Thetel mit der Prinzeſſin Gamaheh und » in demſelben Augenblick fiel auch dem einen doch! » das gehört für jetzt nicht zur Sache! Beide Ma¬ » gier hatten zwar den Genius Thetel erkannt, nicht » aber die Prinzeſſin, und erſchöpften ſich in allerlei » Vermuthungen, was die Erſcheinung wohl zu be¬ » deuten, ohne irgend etwas gewiſſes oder auch nur » wahrſcheinliches ergrübeln zu können. Bald darauf59 » wurde aber das unglückliche Schickſal der Prinzeſſin » Gamaheh in Famaguſta allgemein bekannt und nun » wußten auch die Magier ſich die Erſcheinung des Ge¬ » nius Thetel mit dem Mädchen im Arm zu erklären. »

» Beide vermutheten, daß der Genius Thetel » gewiß noch ein Mittel gefunden haben müſſe, die » Prinzeſſin ins Leben zurückzurufen, und beſchloſſen » in Samarkand Nachfrage zu halten, wohin er ihrer » Beobachtung nach, offenbar ſeinen Flug gerichtet » hatte. In Samarkand war aber von der Prinzeſ¬ » ſin alles ſtille, niemand wußte ein Wort. »

» Viele Jahre waren vergangen, die beiden Ma¬ » gier hatten ſich entzweit, wie es wohl unter gelehr¬ » ten Männern deſto öfter zu geſchehen pflegt, je ge¬ » lehrter ſie ſind, und nur noch die wichtigſten Ent¬ » deckungen theilten ſie ſich aus alter eiſerner Gewohn¬ » heit einander mit. Ihr habt nicht vergeſſen, Pe¬ » puſch, daß ich ſelbſt einer dieſer Magier bin. » Alſo, nicht wenig erſtaunte ich über eine Mitthei¬ » lung meines Collegen, die über die Prinzeſſin Ga¬ » maheh das Wunderbarſte und zugleich Glückſeligſte » enthielt, was man nur hätte ahnen können. Die » Sache verhielt ſich folgender Geſtalt: Mein College » hatte durch einen wiſſenſchaftlichen Freund aus Sa¬ » markand die ſchönſten und ſeltenſten Tulpen und ſo60 » vollkommen friſch erhalten, als ſeyen ſie eben vom » Stengel geſchnitten. Es war ihm vorzüglich um die » mikroskopiſche Unterſuchung der innern Theile und » zwar des Blumenſtaubes zu thun. Er zergliederte » deshalb eine ſchöne lila und gelbgefärbte Tulpe, und » entdeckte mitten in dem Kelch ein kleines fremdarti¬ » ges Körnlein, welches ihm auffiel in ganz beſonde¬ » rer Weiſe. Wie groß war aber ſeine Verwunde¬ » rung, als er mittelſt Anwendung des Suchglaſes, » deutlich gewahrte, daß das kleine Körnlein nichts » anders als die Prinzeſſin Gamaheh, die in den Blu¬ » menſtaub des Tulpenkelchs gebettet, ruhig und ſüß » zu ſchlummern ſchien. »

» Solch 'eine weite Strecke mich auch von mei¬ » nem Collegen trennen mochte, dennoch ſetzte ich » mich augenblicklich auf und eilte zu ihm hin. Er » hatte indeſſen alle Operationen bei Seite geſtellt, » um mir das Vergnügen des erſten Anblicks zu gön¬ » nen, wohl auch aus Furcht ganz nach eignem Kopf » handelnd, etwas zu verderben. Ich überzeugte mich » bald von der vollkommnen Richtigkeit der Beobach¬ » tung meines Collegen und war auch eben ſo wie er » des feſten Glaubens, daß es möglich ſeyn müſſe, die » Prinzeſſin dem Schlummer zu entreißen und ihr die » vorige Geſtalt wieder zu geben. Der uns innwoh¬61 » nende ſublime Geiſt ließ uns bald die richtigen Mit¬ » tel finden. Da Ihr, Freund Pepuſch, ſehr we¬ » nig, eigentlich gar nichts von unſerer Kunſt verſte¬ » het, ſo würde es höchſt überflüſſig ſeyn, Euch die » verſchiedenen Operationen zu beſchreiben, die wir » nun vornahmen, um zu unſerm Zweck zu gelan¬ » gen. Es genügt, wenn ich Euch ſage, daß es uns » mittelſt des geſchickten Gebrauchs verſchiedener Glä¬ » ſer, die ich meiſtentheils ſelbſt präparirte, glückte, » nicht allein die Prinzeſſin unverſehrt aus dem Blu¬ » menſtaub hervorzuziehen, ſondern auch ihr Wachs¬ » thum in der Art zu befördern, daß ſie bald zu ihrer » natürlichen Größe gelangt war. Nun fehlte frei¬ » lich noch das Leben und ob ihr dieſes zu verſchaffen » möglich, das hing von der letzten und ſchwürigſten » Operation ab. Wir reflektirten ihr Bild mittelſt » eines herrlichen Kuffiſchen Sonnenmikroskops, und » lösten dieſes Bild geſchickt los von der weißen Wand, » welches ohne allen Schaden von Statten ging. So » wie das Bild frei ſchwebte, fuhr es wie ein Blitz in » das Glas hinein, welches in tauſend Stücken zer¬ » ſplitterte. Die Prinzeſſin ſtand friſch und lebendig » vor uns. Wir jauchzten auf vor Freude, aber auch » um ſo größer war unſer Entſetzen, als wir bemerk¬ » ten, daß der Umlauf des Bluts gerade da ſtockte,62 » wo der Egelprinz ſich angeküßt hatte. Schon wollte » ſie ohnmächtig hinſinken, als wir eben an der Stelle » hinter dem linken Ohr einen kleinen ſchwarzen » Punkt erſcheinen und eben ſo ſchnell wieder verſchwin¬ » den ſahen. Die Stockung des Bluts hörte ſogleich » auf, die Prinzeſſin erholte ſich wieder, und unſer » Werk war gelungen. »

» Jeder von uns, ich und mein Herr College, » wußte recht gut, welch 'unſchätzbaren Werth der Be¬ » ſitz der Prinzeſſin für ihn haben mußte, und jeder » ſtrebte darnach, indem er größeres Recht zu haben » glaubte, als der andere. Mein College führte an, » daß die Tulpe, in deren Kelch er die Prinzeſſin ge¬ » funden, ſein Eigenthum geweſen, und daß er die » erſte Entdeckung gemacht, die er mir mitgetheilt, ſo, » daß ich nur als Hülfeleiſtender zu betrachten, der » das Werk ſelbſt bei dem er geholfen, nicht als Lohn » der Arbeit verlangen könne. Ich dagegen berief mich » darauf, daß ich die letzte ſchwürigſte Operation, wo¬ » durch die Prinzeſſin zum Leben gelangt, erfunden » und bei der Ausführung mein College nur geholfen, » weshalb, habe er auch Eigenthums-Anſprüche auf » den Embryo im Blumenſtaub gehabt, mir doch die » lebendige Perſon gehöre. Wir zankten uns mehrere » Stunden bis endlich, als wir uns die Kehlen heiſer63 » geſchrieen hatten, ein Vergleich zu Stande kam. » Der College überließ mir die Prinzeſſin, wogegen » ich ihm ein ſehr wichtiges geheimnißvolles Glas ein¬ » händigte. Eben dieſes Glas iſt aber die Urſache un¬ » ſerer jetzigen gänzlichen Verfeindung. Mein College » behauptet nämlich, ich habe das Glas betrügeriſcher » Weiſe unterſchlagen; dieß iſt aber eine grobe unver¬ » ſchämte Lüge, und wenn ich auch wirklich weiß, daß » ihm das Glas bei der Aushändigung abhanden ge¬ » kommen iſt, ſo kann ich doch auf Ehre und Gewiſ¬ » ſen betheuern, daß ich nicht Schuld daran bin, auch » durchaus nicht begreife, wie das hat geſchehen kön¬ » nen. Das Glas iſt nämlich gar nicht ſo klein, da » ein Pulverkorn nur höchſtens acht Mal größer ſeyn » mag. Seht, Freund Pepuſch, nun habe ich Euch » mein ganzes Vertrauen geſchenkt, nun wißt Ihr, » daß Dörtje Elverdink keine andere iſt, als eben die » ins Leben zurückgerufene Prinzeſſin Gamaheh, nun » ſeht Ihr ein, daß ein ſchlichter junger Mann wie » Ihr wohl auf ſolch eine hohe myſtiſche Verbin¬ » dung keinen »

» Halt, » unterbrach George Pepuſch den Flohbän¬ diger, indem er ihn etwas ſataniſch anlächelte, » halt, » ein Vertrauen iſt des andern werth, und ſo will ich » Euch meiner Seits denn vertrauen, daß ich das Al¬64 » les, was Ihr mir da erzählt habt, ſchon viel früher » und beſſer wußte als Ihr. Nicht genug kann ich » mich über Eure Beſchränktheit, über Eure alberne An¬ » maßung verwundern. Vernehmt, was Ihr längſt » erkennen müßtet, wäre es, außerdem was die Glas¬ » ſchleiferei betrifft, mit Eurer Wiſſenſchaft nicht ſo » ſchlecht beſtellt, vernehmt, daß ich ſelbſt die Diſtel » Zeherit bin, welche dort ſtand wo die Prinzeſſin Ga¬ » maheh ihr Haupt niedergelegt hatte, und von der » Ihr gänzlich zu ſchweigen für gut gefunden habt. »

» Pepuſch, rief der Flohbändiger, ſeyd ihr bei » Sinnen? Die Diſtel Zeherit blüht im fernen In¬ » dien und zwar in dem ſchönen von hohen Bergen » umſchloſſenen Thale, wo ſich zuweilen die weiſeſten » Magier der Erde zu verſammeln pflegen. Der Ar¬ » chivarius Lindhorſt kann Euch darüber am beſten be¬ » lehren. Und Ihr, den ich hier im Polröckchen zum » Schulmeiſter laufen geſehen, den ich als vor lauter » Studiren und Hungern vermagerten, vergelbten Je¬ » nenſer gekannt, ihr wollt die Diſtel Zeherit ſeyn? » Das macht einem Andern weiß, aber mich laßt da¬ » mit in Ruhe. »

» Was Ihr, ſprach Pepuſch lachend, was Ihr » doch für ein weiſer Mann ſeyd, Leurenhöck. Nun! » haltet von meiner Perſon was Ihr wollt, aber ſeyd65 » nicht albern genug zu läugnen, daß die Diſtel Ze¬ » herit in dem Augenblick, da ſie Gamaheh's ſüßer » Athem traf, in glühender Liebe und Sehnſucht er¬ » blühte und daß, als ſie die Schläfe der holden Prin¬ » zeſſin berührte, dieſe auch ſüß träumend in Liebe » kam. Zu ſpät gewahrte die Diſtel den Egelprinzen, » den ſie ſonſt mit ihren Stacheln augenblicklich ge¬ » tödtet hätte. Doch wär 'es ihr mit Hülfe der Wur¬ » zel Mandragora gelungen, die Prinzeſſin wieder in » das Leben zurückzubringen, kam nicht der tölpiſche » Genius Thetel dazwiſchen mit ſeinen ungeſchickten » Rettungsverſuchen. Wahr iſt es, daß Thetel im » Zorn in die Salzmeſte griff, die er auf Reiſen ge¬ » wöhnlich am Gürtel zu tragenpflegt, wie Pantagruel » ſeine Gewürzbarke, und eine tüchtige Hand voll » Salz nach dem Egelprinzen warf, ganz falſch aber, » daß er ihn dadurch getödtet haben ſollte. Alles Salz » fiel in den Schlamm, nicht ein einziges Körnlein » traf den Egelprinzen, den die Diſtel Zeherit mit » ihren Stacheln tödtete, ſo den Tod der Prinzeſſin » rächte und ſich dann ſelbſt dem Tode weihte. Bloß » der Genius Thetel, der ſich in Dinge miſchte, die » ihn nichts angingen, iſt daran Schuld, daß die » Prinzeſſin ſo lange im Blumenſchlaf liegen mußte; » die Diſtel Zeherit erwachte viel früher. Denn beider566» Tod war nur die Betäubung des Blumenſchlafs, aus » der ſie ins Leben zurückkehren durften, wiewohl in » anderer Geſtalt. Das Maaß Eures gröblichen Irr¬ » thums würdet Ihr nämlich voll machen, wenn Ihr » glauben ſolltet, daß die Prinzeſſin Gamaheh völlig » ſo geſtaltet war, als es jetzt Dörtje Elverdink iſt, » und daß Ihr es waret, der ihr das Leben wiedergab. » Es ging Euch ſo, mein guter Leuwenhöck wie dem » ungeſchickten Diener in der wahrhaft merkwürdigen » Geſchichte von den drei Pomeranzen, der zwei Jung¬ » frauen aus den Pomeranzen befreite, ohne ſich vor¬ » her des Mittels verſichert zu haben, ſie am Leben » zu erhalten und die dann vor ſeinen Augen elendig¬ » lich umkamen. Nicht Ihr, nein jener, der Euch » entlaufen, deſſen Verluſt Ihr ſo hart fühlt und be¬ » jammert, der war es, der das Werk vollendete, wel¬ » ches ihr ungeſchickt genug begonnen. »

» Ha, » ſchrie der Flohbändiger ganz außer ſich, ha meine Ahnung! Aber Ihr, Pepuſch, Ihr, dem ich ſo viel Gutes erzeigt, Ihr ſeyd mein ärg¬ ſter, ſchlimmſter Feind, das ſehe ich nun wohl ein. Statt mir zu rathen, ſtatt mir beizuſtehen in meinem Unglück, tiſcht Ihr mir allerlei unziemliche Narrens¬ poſſen auf. » Die Narrenspoſſen auf Euern Kopf, ſchrie Pepuſch ganz erboſt, zu ſpät werdet Ihr Eure67 Thorheit bereuen, einbildiſcher Charlatan! Ich gehe Dörtje Elverdink aufzuſuchen. Doch damit Ihr nicht mehr ehrliche Leute vexirt »

Pepuſch faßte nach der Schraube, die das ganze mikroskopiſche Maſchinenwerk in Bewegung ſetzte. » Bringt mich nur gleich ums Leben! » kreiſchte der Flohbändiger; doch in dem Augenblick krachte auch alles zuſammen und ohnmächtig ſtürzte der Flohbän¬ diger zu Boden.

» Wie mag es, » ſprach George Pepuſch zu ſich ſelbſt, als er auf der Straße war, » wie mag es ge¬ ſchehen, daß einer, der über ein hübſches warmes Zim¬ mer, über ein wohlaufgeklopftes Bette gebietet, ſich zur Nachtzeit in dem ärgſten Sturm und Regen auf den Straßen herumtreibt? Wenn er den Haus¬ ſchlüſſel vergeſſen, und wenn überdem Liebe, thörigtes Verlangen ihn jagt. So mußte er ſich ſelbſt antwor¬ ten. Thörigt kam ihm nämlich jetzt ſein ganzes Be¬ ginnen vor. Er erinnerte ſich des Augenblicks, als er Dörtje Elverdink zum erſtenmal geſehen. Vor mehreren Jahren zeigte nämlich der Flohbändi¬ ger ſeine Kunſtſtückchen in Berlin und hatte nicht ge¬ ringen Zuſpruch, ſo lange die Sache neu blieb. Bald hatte man ſich aber an den kultivirten und exerzirten Flöhen ſatt geſehen, man hielt nun nicht einmal die5 *68Schneider -, Riemer -, Sattler -, Waffenarbeit zum Gebrauch der kleinen Perſonen für ſo gar bewund¬ rungswürdig, unerachtet man erſt von Unbegreiflich¬ keit, zauberiſchem Weſen geſprochen, und der Floh¬ bändiger ſchien ganz in Vergeſſenheit zu gerathen. Bald hieß es aber, daß eine Nichte des Flohbändigers, die ſonſt noch gar nicht zum Vorſchein gekommen, jetzt den Vorſtellungen beiwohne. Dieſe Nichte ſey aber ſolch ein ſchönes, anmuthiges Mädchen und dabei ſo aller¬ liebſt geputzt, daß es gar nicht zu ſagen. Die be¬ wegliche Welt der jungen modernen Herren, welche als tüchtige Conzertmeiſter in der Sozietät Ton und Tackt anzugeben pflegen, ſtrömte hin, und weil in dieſer Welt nur die Extreme gelten, ſo weckte des Flohbän¬ digers Nichte ein niegeſehenes Wunder. Bald war es Ton, den Flohbändiger zu beſuchen, wer ſeine Nichte nicht geſehen, durfte nicht mitſprechen, und ſo war dem Manne geholfen. Kein Menſch konnte ſich übri¬ gens in den Vornamen » Dörtje » finden und da ge¬ rade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Königin von Golkonda, alle hohe Liebenswürdig¬ keit, alle hinreißende Anmuth, alle weibliche Zart¬ heit entwickelte, die dem Geſchlecht nur eigen und ein Ideal des unnennbaren Zaubers ſchien, mit dem ein69 weibliches Weſen alles zu entzücken vermag, ſo nannte man die Holländerin » Aline. »

Zu der Zeit kam George Pepuſch nach Berlin, Leu¬ wenhöcks ſchöne Nichte war das Geſpräch des Tages, und ſo wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem Pepuſch ſich einlogiert, beinahe von nichts anderm ge¬ ſprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja ſelbſt die Weiber ent¬ zücke. Man drang in Pepuſch, ſich nur gleich auf die höchſte Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu ſtel¬ len und die ſchöne Holländerin zu ſehen. Pepuſch hatte ein reizbares melancholiſches Temperament; in jedem Genuß ſpürte er zu ſehr den bittern Beige¬ ſchmack, der freilich aus dem ſchwarzen ſtygiſchen Bäch¬ lein kommt, das durch unſer ganzes Leben rinnt und das machte ihn finſter, in ſich gekehrt, ja oft unge¬ recht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann den¬ ken, daß auf dieſe Weiſe Pepuſch wenig aufgelegt war, hübſchen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um ſeine vorge¬ faßte Meinung, daß auch hier, wie ſo oft im Leben, nur ein ſeltſamer Wahn ſpuke, bewährt zu ſehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Hol¬ länderin gar hübſch, anmuthig, angenehm, indem er ſie aber betrachtete, mußte er ſelbſtgefällig ſeine Sagazität70 belächeln, vermöge der er ſchon errathen, daß die Köpfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, ſchon von Haus aus ziemlich wackeligt geweſen ſeyn mußten.

Die Schöne hatte den leichten ungezwungenen Ton, der von der feinſten ſozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswürdigen Coquet¬ terie, die dem, dem ſie vertraulich die Fingerſpitze hinreicht, zugleich den Muth benimmt, ſie zu erfaſſen, wußte das kleine holde Ding, die ſie von allen Sei¬ ten Beſtürmenden ebenſo anzuziehen, als in den Grän¬ zen des zarteſten Anſtandes zu erhalten.

Niemand kümmerte ſich um den fremden Pepuſch, der Muße genug fand, die Schöne in ihrem ganzen Thun und Weſen zu beobachten. Indem er aber län¬ ger und länger ihr in das holde Geſichtchen kuckte, regte ſich in dem tiefſten Hintergrunde des innern Sin¬ nes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Hollän¬ derin irgendwo einmal geſehen, wiewohl in ganz an¬ dern Umgebungen und anders gekleidet, ſo wie es ihm war, als ſey er auch damals ganz anders geſtaltet ge¬ weſen. Vergebens quälte er ſich ab, dieſe Erinnerun¬ gen zu irgend einer Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, daß er die Kleine wirklich ſchon geſehen, immer mehr an Feſtigkeit gewann. Das Blut ſtieg ihm ins Geſicht, als ihn endlich jemand leiſe anſtieß71 und ihm ins Ohr lispelte: » Nicht wahr, Herr Phi¬ loſoph, auch ſie hat der Blitzſtrahl getroffen? » Es war ſein Nachbar von der Wirthstafel her dem er ge¬ äußert hatte, daß er die Extaſe, in die alles verſetzt ſey, für einen ſeltſamen Wahnſinn halte, der eben ſo ſchnell dahin ſchwinde als er entſtehe. Pepuſch be¬ merkte, daß, während er die Kleine unverwandten Auges angeſtarrt, der Saal leer geworden, ſo daß eben die letzten Perſonen davon ſchritten. Erſt jetzt ſchien die Holländerin ihn zu gewahren; ſie grüßte ihn mit anmuthiger Freundlichkeit.

Pepuſch wurde die Holländerin nicht los; er marterte ſich ab in der ſchlafloſen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indeſſen ver¬ gebens. Der Anblick der Schönen konnte allein ihn auf jene Spur bringen, ſo dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle fol¬ gende Tage zum Flohbändiger zu wandern, und zwey drei Stunden die hübſche Dörtje Elverdink anzuſtar¬ ren.

Kann der Mann den Gedanken an ein liebens¬ würdiges Frauenzimmer, das ſeine Aufmerkſamkeit er¬ regte auf dieſe, jene Weiſe, nicht los werden, ſo iſt das für ihn der erſte Schritt zur Liebe, und ſo kam es denn auch, daß Pepuſch in dem Augenblick, als er72 bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrübeln glaubte, in die ſchöne Holländerin ſchon ganz verliebt war.

Wer wollte ſich jetzt noch um die Flöhe kümmern, über die die Holländerin alles an ſich ziehend den glän¬ zendſten Sieg davon getragen hatte. Der Flohbändi¬ ger fühlte ſelbſt, daß er mit ſeinen Flöhen eine etwas alberne Rolle ſpiele, er ſperrte daher ſeine Mannſchaft bis auf andere Zeiten ein, und gab mit vielem Ge¬ ſchick ſeinem Schauſpiel eine andere Geſtalt, der ſchö¬ nen Nichte aber die Hauptrolle.

Der Flohbändiger hatte nämlich den glücklichen Gedanken gefaßt, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man ſich mit einer ziemlich hohen Summe abonnirte und in denen, nachdem er einige artige op¬ tiſche Kunſtſtücke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Geſellſchaft ſeiner Nichte oblag. In vollem Maaß ließ die Schöne ihr ſoziales Talent glänzen, dann nützte ſie aber die kleinſte Stockung um durch Geſang, den ſie ſelbſt auf der Guitarre begleitete, der Geſell¬ ſchaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht ſtark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der ſüße Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Geſanges entſprach ganz ihrem holden Weſen und vollends, wenn ſie unter den ſchwarzen ſeidnen Wimpern den ſchmachtenden Blick wie feuch¬73 ten Mondesſtral hineinleuchten ließ unter die Zuhö¬ rer, da wurde jedem die Bruſt enge, und ſelbſt der Tadel des eigenſinnigſten Pedanten mußte verſtum¬ men.

Pepuſch ſetzte in dieſen Abendunterhaltungen ſein Studium eifrig fort, das heißt, er ſtarrte zwei Stun¬ den lang die Holländerin an, und verließ dann mit den übrigen den Saal.

Einmal ſtand er der Holländerin näher als ge¬ wöhnlich und hörte deutlich, wie ſie zu einem jungen Manne ſprach: » Sagen Sie mir, wer iſt dieſes leb¬ loſe Geſpenſt, das mich jeden Abend Stunden lang anſtarrt und dann lautlos verſchwindet? »

Pepuſch fühlte ſich tief verletzt, tobte und lärmte auf ſeinem Zimmer, ſtellte ſich ſo ungebehrdig, daß kein Freund ihn in dieſem tollen Weſen wieder erkannt haben würde. Er ſchwur hoch und theuer, die bos¬ hafte Holländerin niemals wieder zu ſehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend ſich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und wo möglich die ſchöne Dörtje mit noch erſtarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe war er freilich darüber ſehr er¬ ſchrocken, daß er eben die Treppe hinaufſtieg und hatte in aller Schnelligkeit den weiſen Vorſatz gefaßt, ſich wenig¬ ſtens von dem verführeriſchen Weſen ganz entfernt zu74 halten. Dieſen Vorſatz führte er auch wirklich aus, indem er ſich in einen Winkel des Saals verkroch; der Verſuch die Augen niederzuſchlagen, mißglückte aber durchaus, und wie geſagt, noch ſtarrer als ſonſt ſchaute er der Holländerin in die Augen.

Selbſt wußte er nicht wie es geſchah, daß Dörtje Elverdink plötzlich in ſeinem Winkel dicht neben ihm ſtand.

Mit einem Stimmlein, das ſüßliſpelnde Melodie war, ſprach die Holde: » Ich erinnere mich nicht mein Herr, Sie ſchon anderwärts geſehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zügen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Weſen ſo viel Bekanntes. Ja es iſt mir als wären wir vor gar langer Zeit ein¬ ander ganz befreundet geweſen, jedoch in einem ſehr fernen Lande und unter ganz andern ſeltſamen Um¬ ſtänden. Ich bitte Sie, mein Herr, reiſſen Sie mich aus der Ungewißheit, und täuſcht mich nicht vielleicht eine Aehnlichkeit, ſo laſſen Sie uns das freundſchaft¬ liche Verhältniß erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht, wie ein ſchöner Traum.

Dem Herrn George Pepuſch wurde bei dieſen an¬ muthigen Worten der ſchönen Holländerin gar ſonder¬ bar zu Muthe. Die Bruſt war enge, und indem ihm75 die Stirn brannte, fröſtelte es ihm durch alle Glie¬ der, als läg 'er im ſtärkſten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als daß Herr Pe¬ puſch in die Holländerin bis über den Kopf verliebt war, ſo gab es doch noch eine andere Urſache des durch¬ aus verwirrten Zuſtandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Beſinnung raubte. So wie nämlich Dörtje Elverdink davon ſprach, daß ſie glaube, vor langer Zeit ihn ſchon gekannt zu haben, war es ihm, als würde in ſeinem Innern wie in einer Laterna ma¬ gica plötzlich ein anderes Bild vorgeſchoben und er er¬ blickte ein weit entferntes Sonſt, das lange zurückliege hinter der Zeit als er zum erſten Mal Muttermilch gekoſtet, und in dem er ſelbſt doch eben ſo gut als Dörtje Elverdink ſich rege und bewege. Genug! der Gedanke, der ſich eben durch vieles Denken erſt recht klar und feſt geſtaltete, blitzte in dieſem Augen¬ blick auf und dieſer Gedanke war nichts geringeres als daß Dörtje Elverdink die Prinzeſſin Gamaheh, Toch¬ ter des Königs Sekakis ſey, die er ſchon in der grü¬ nen Zeit geliebt, da er noch die Diſtel Zeherit gewe¬ ſen. Gut war es, daß er dieſen Gedanken andern Leuten nicht ſonderlich mittheilte; man hätte ihn ſonſt vielleicht für wahnſinnig gehalten und eingeſperrt, wie¬ wohl die fixe Idee eines Partiell-Wahnſinnigen oft76 nichts anders ſeyn mag, als die Ironie eines Seyns, welches dem jetzigen vorausging.

» Aber mein Himmel, Sie ſcheinen ja ſtumm, mein Herr! » So ſprach die Kleine indem ſie mit den niedlichſten Fingerchen Georgs Bruſt berührte. Doch aus den Spitzen dieſer Finger fuhr ein elektriſcher Stral dem Georg bis ins Herz hinein, und er er¬ wachte aus ſeiner Betäubung. In voller Exſtaſe er¬ griff er die Hand der Kleinen, bedeckte ſie mit glühen¬ den Küßen und rief: » Himmliſches, göttliches We¬ ſen » u. ſ. w. Der geneigte Leſer wird wohl ſich denken können, was Herr Georg Pepuſch in dieſem Augenblick noch alles gerufen.

Es genügt zu ſagen, daß die Kleine Georgs Lie¬ besbetheurungen ſo aufnahm, wie er es nur wünſchen konnte, und daß die verhängnißvolle Minute im Win¬ kel des Leuwenhöck'ſchen Saals ein Liebesverhältniß gebahr, das den guten Herrn Georg Pepuſch erſt in den Himmel, dann aber der Abwechſelung wegen in die Hölle verſetzte. War nämlich Pepuſch melancho¬ liſchen Temperaments und dabei mürriſch und argwöh¬ niſch, ſo konnt 'es nicht fehlen, daß Dörtje's Betra¬ gen ihm Anlaß gab zu mancher Eiferſüchtelei. Gerade dieſe Eiferſüchtelei reizte aber Dörtje's etwas ſchalki¬ ſchen Humor und es war ihre Luſt, den armen Herrn77 Georg Pepuſch auf die ſinnreichſte Weiſe zu quälen. Da nun aber jedes Ding nur bis zu einer gewiſſen Spitze getrieben werden kann, ſo kam es denn auch zuletzt bei Pepuſch zum Ausbruch des lang verhalte¬ nen Ingrimms. Er ſprach nämlich einmal gerade von jener wunderbaren Zeit, da er als Diſtel Zeherit die ſchöne Holländerin, die damals die Tochter des Kö¬ nigs Sekakis geweſen, ſo innig geliebt und gedachte mit aller Begeiſterung der innigſten Liebe, daß eben jenes Verhältniß, der Kampf mit dem Egelkönig ihm ſchon das unbeſtrittendſte Recht auf Dörtjes Hand ge¬ geben. Dörtje Elverdink verſicherte, wie ſie ſich jener Zeit, jenes Verhältniſſes gar wohl erinnere, und die Ahnung davon zuerſt wieder in ihre Seele gekommen, als Pepuſch ſie mit dem Diſtelblick angeſchaut. Die Kleine wußte ſo anmuthig von dieſen wunderbaren Dingen zu reden, ſie that ſo begeiſtert von der Liebe zu der Diſtel Zeherit, die dazu beſtimmt geweſen in Jena zu ſtudiren und dann in Berlin die Prinzeſſin Gamaheh wieder zu finden, daß Herr Georg Pepuſch im Eldorado alles Entzückens zu ſeyn glaubte. Das Liebespaar ſtand am Fenſter und die Kleine litt es, daß der verliebte George den Arm um ſie ſchlug. In dieſer ver¬ traulichen Stellung kosten ſie mit einander, denn zum Gekoſe wurde das träumeriſche Reden von den Wun¬78 dern in Famaguſta. Da begab es ſich, daß ein ſehr hübſcher Offizier von den Garde-Huſaren, in funkel¬ nagelneuer Uniform vorüberging und die Kleine, die er aus den Abendgeſellſchaften kannte, ſehr freundlich grüßte. Dörtje hatte die Augen halb geſchloſſen und das Köpfchen abgewendet von der Straße; man hätte denken ſollen, daß es ihr unmöglich ſeyn müßte, den Offizier zu gewahren, aber mächtig iſt der Zauber einer neuen glänzenden Uniform! Die Kleine, viel¬ leicht ſchon erregt durch das bedeutungsvolle Klappern des Säbels auf dem Steinpflaſter, öffnete die Aeuge¬ lein hell und klar, wand ſich aus Georgs Arm, riß das Fenſter auf, warf dem Offizier ein Kußhändchen zu, und ſchaute ihm nach bis er um die Ecke ver¬ ſchwunden.

» Gamaheh, » ſchrie die Diſtel Zeherit ganz außer ſich, » Gamaheh, was iſt das? ſpotteſt du mei¬ ner? Iſt das die Treue die du deiner Diſtel ange¬ lobt? » Die Kleine drehte ſich auf dem Abſatz herum, ſchlug ein helles Gelächter auf und rief: » Geht, geht, George! Bin ich die Tochter des wür¬ digen alten Königs Sekakis, ſeyd Ihr die Diſtel Ze¬ herit, ſo iſt jener allerliebſte Offizier der Genius The¬ tel der mir eigentlich viel beſſer gefällt, wie die traurige ſtachligte Diſtel. Damit ſprang die Holländerin79 fort durch die Thüre, Georg Pepuſch gerieth aber wie man denken kann, ſofort in Wuth und Verzweiflung und rannte wild die Treppe hinab, zum Hauſe hin¬ aus, als hetzten ihn tauſend Teufel. Das Geſchick wollt 'es, daß Georg einem Freunde begegnete der in einer Poſtkaleſche ſaß und fort wollte. » Halt, ich reiſe mit Euch! » So rief die Diſtel Zeherit, flog ſchnell nach Hauſe, zog einen Ueberrock an, ſteckte Geld ein, gab den Stubenſchlüſſel der Wirthin, ſetzte ſich in die Kaleſche hinein und fuhr mit dem Freunde von dannen.

Unerachtet dieſer feindſeligen Trennung war aber die Liebe zur ſchönen Holländerin in Georgs Bruſt ganz und gar nicht erloſchen, und eben ſo wenig konnte er ſich entſchließen, die gerechten Anſprüche aufzugeben, die er als Diſtel Zeherit auf Gamahehs Hand und Herz zu haben glaubte. Er erneuerte daher dieſe An¬ ſprüche als er nach etlichen Jahren wiederum im Haag mit Leuwenhöck zuſammentraf und wie eifrig er ſie auch in Frankfurt verfolgte, hat der geneigte Leſer bereits erfahren.

Ganz troſtlos rannte Herr George Pepuſch in der Nacht durch die Gaſſen, als der flackernde unge¬ wöhnlich helle Schein eines Lichts, der durch die80 Spalte eines Fenſterladen im untern Stock eines an¬ ſehnlichen Hauſes auf die Straße fiel, ſeine Aufmerk¬ ſamkeit erregte. Er glaubte, es müſſe in der Stube brennen und ſchwang ſich daher am Gitterwerk hinauf, um in die Stube zu ſchauen. Gränzenlos war aber ſein Erſtaunen, über das, was er erblickte.

Ein helles luſtiges Feuer loderte in dem Kamin, der dem Fenſter gerade über gelegen; vor dieſem Ka¬ min ſaß oder lag vielmehr in einem breiten altväteri¬ ſchen Lehnſtuhl die kleine Holländerin, geputzt wie ein Engel. Sie ſchien zu ſchlummern, während ein ſehr alter ausgetrockneter Mann vor dem Feuer kniete und Brill auf der Naſe in einen Topf kuckte, in dem wahrſcheinlich irgend ein Getränk kochte. Pepuſch wollte ſich noch höher hinaufſchwingen, um beſſer die Gruppe ins Auge zu faſſen, fühlte ſich indeſſen bei den Beinen gepackt und mit Gewalt heruntergezogen. Eine barſche Stimme rief: » Seht 'mal den Spitz¬ buben, das wäre mir recht. Fort Patron ins Hundeloch! » Es war der Nachtwächter, der Ge¬ orgen bemerkt hatte, wie er an das Fenſter hinan¬ klimmte und nichts anders vermuthen konnte, als daß er einbrechen wolle ins Haus. Aller Proteſtationen unerachtet wurde Herr George Pepuſch von dem81 Wächter, dem die herbeieilende Patrouille zu Hülfe geeilt war, fortgeſchleppt, und auf dieſe Weiſe en¬ dete ſeine nächtliche Wanderung fröhlich in der Wacht¬ ſtube.

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Drittes Abentheuer.

Erſcheinung eines kleinen Ungeheuers. Fernere Erläuterungen über die Schickſale der Prinzeſſin Gamaheh. Merkwürdiges Freundſchaftsbündniß, welches Herr Peregrinus Tyß eingeht und Aufſchluß, wer der alte Herr iſt, der in ſeinem Hauſe zur Miethe wohnt. Sehr wunderbare Wirkung eines ziemlich kleinen mikroskopiſchen Glaſes. Unvermuthete Verhaftung des Helden der Geſchichte.

Wer ſolche Dinge an einem Abende erfahren hat, wie Herr Peregrinus Tyß, ja, wer ſich in ſolcher Stimmung befindet als er, kann ganz unmöglich gut ſchlafen. Unruhig wälzte Herr Peregrinus ſich auf ſeinem Lager, und wenn er in das Deliriren gerieth, das dem Schlaf vorherzugehen pflegt, ſo hatte er wie¬ der das kleine holde Weſen in den Armen und fühlte heiße glühende Küße auf ſeinen Lippen. Dann fuhr er auf und glaubte noch wachend Alinens liebliche Stimme zu hören. In brünſtiger Sehnſucht wünſchte er, ſie möge nicht entflohen ſeyn und doch fürchtete er wieder, ſie werde gleich hineintreten und ihn ver¬ ſtricken in ein unauflösliches Netz. Dieſer Kampf83 widerſprechender Gefühle beklemmte ſeine Bruſt und erfüllte ſie zugleich mit ſüßer nie gekannter Angſt.

» Schlaft nicht Peregrinus, ſchlaft nicht edler Mann, ich muß augenblicklich mit Euch reden! » So lispelte es dicht vor Peregrinus und immerfort, » ſchlaft nicht! ſchlaft nicht! » bis er endlich die Au¬ gen aufſchlug die er geſchloſſen, nur um die holde Aline deutlicher zu ſehen.

In dem Schimmer der Nachtlampe gewahrte er ein kleines, kaum ſpannlanges Ungeheuer, das auf ſeiner weißen Bettdecke ſaß und vor dem er ſich im erſten Augenblick entſetzte, dann griff er aber mu¬ thig mit der Hand darnach, um ſich zu überzeugen, ob ſeine Fantaſie ihn nicht täuſche. Doch ſogleich war das kleine Ungeheuer ſpurlos verſchwunden.

Konnte die genaue Portraitirung der ſchönen Aline, Dörtje Elverdink oder Prinzeſſin Gamaheh denn daß eine und dieſelbe Perſon ſich nur ſcheinbar in drei Perſonen zerſpaltet, weiß der geneigte Leſer ſchon längſt füglich unterbleiben, ſo iſt dagegen es durchaus nöthig, ganz genau das kleine Ungeheuer zu beſchreiben, das auf der Bettdecke ſaß und dem Herrn Peregrinus einiges Entſetzen verurſachte.

Wie ſchon erwähnt, war die Kreatur kaum eine Spanne lang; in dem Vogelkopf ſtacken ein Paar6 *84runde glänzende Augen und aus dem Sperlingsſchna¬ bel ſtarrte noch ein langes ſpitzes Ding, wie ein dün¬ nes Rappier hervor, dicht über dem Schnabel ſtreckten ſich zwei Hörner aus der Stirne. Der Hals begann dicht unter dem Kopf auch vogelartig, wurde aber im¬ mer dicker, ſo daß er ohne Unterbrechung der Form zum unförmlichen Leibe wuchs, der beinahe die Geſtalt einer Haſelnuß hatte, und mit dunkelbraunen Schup¬ pen bedeckt ſchien, wie der Armadillo. Das wunder¬ lichſte und ſeltſamſte war aber wohl die Geſtaltung der Arme und Beine. Die erſteren hatten zwei Gelenke und wurzelten in den beiden Backen der Kreatur dicht bei dem Schnabel. Gleich unter dieſen Armen befand ſich ein Paar Füße und denn weiterhin noch ein Paar, beide zweigelenkig, wie die Arme. Dieſe letzten Füße ſchienen aber diejenigen zu ſeyn, auf deren Tüchtig¬ keit die Kreatur ſich eigentlich verließ, denn außerdem daß dieſe Füße merklich länger und ſtärker waren als die andern, ſo trug die Kreatur auch an denſelben ſehr ſchöne goldne Stiefel mit diamantnen Sporen.

War nun, wiegeſagt, das kleine Ungeheuer ſpur¬ los verſchwunden, ſo wie Peregrinus darnach faßte, ſo hätte er gewiß alles für Täuſchung ſeiner aufgereg¬ ten Sinne gehalten, wäre nicht gleich unten in der Ecke des Bettes eine leiſe Stimme hörbar geworden,85 die ſich alſo vernehmen ließ: Mein Himmel Peregrinus Tyß, ſollte ich mich in Euch geirrt haben? Ihr han¬ » deltet geſtern an mir ſo edel, und jetzt, da ich Euch » meine Dankbarkeit beweiſen will, greift Ihr nach mir » mit mörderiſcher Hand? Doch vielleicht misfiel » Euch meine Geſtalt, und ich that verkehrtes, mich » Euch mikroskopiſch zu zeigen, damit Ihr mich nur » gewiß bemerken ſolltet, welches nicht ſo leicht iſt, » als Ihr wohl denken möchtet. Eben ſo wie vorher » ſitze ich jetzt auf Eurer weißen Bettdecke, und Ihr » ſeht mich doch ganz und gar nicht. Nehmt's nicht » übel, Peregrinus, aber Eure Sehnerven ſind wahr¬ » lich ein wenig zu grob für meine ſchlanke Taille. » Doch verſprecht mir nur, daß ich bei Euch ſicher bin » und daß Ihr nichts feindſeliges gegen mich unterneh¬ » men wollt, ſo werde ich Euch näher kommen und » manches erzählen, was zu erfahren Euch eben nicht » Unrecht ſeyn wird.

» Sagt mir, » erwiederte Peregrinus Tyß der Stimme, » ſagt mir nur erſt wer Ihr ſeyd, guter » unbekannter Freund, das übrige wird ſich denn wohl » finden. Verſichern kann ich Euch indeſſen zum Vor¬ » aus, daß irgend feindſeliges gar nicht in meiner Na¬ » tur iſt und daß ich fortfahren werde gegen Euch edel » zu handeln, wiewohl ich zur Zeit gar nicht begreifen86 » kann, auf welche Weiſe ich ſchon jetzt Euch meinen » Edelmuth bewieſen haben ſollte. Bewahrt aber doch » nur immer Euer Inkognito, denn Euer Anblick iſt » eben nicht anmuthig.

» Ihr ſeyd, » ſprach die Stimme weiter, nachdem ſie ſich ein wenig ausgeräuspert, » Ihr ſeyd, ich wie¬ » derhole es mit Vergnügen, ein edler Mann, Herr » Peregrinus, aber nicht ſonderlich tief eingedrungen » in die Wiſſenſchaft und überhaupt ein wenig uner¬ » fahren, ſonſt hättet Ihr mich erkannt auf den erſten » Blick. Ich könnte ein wenig prahleriſch reden, ich » könnte ſagen, daß ich einer der mächtigſten Könige » ſey und über viele, viele Millionen herrſche. Aus » angeborner Beſcheidenheit und weil auch am Ende » der Ausdruck: König! nicht recht paßlich, will ich es » aber unterlaſſen. In dem Volk, an deſſen Spitze » zu ſtehen ich die Ehre habe, herrſcht nämlich eine » republikaniſche Verfaſſung. Ein Senat, der höch¬ » ſtens aus Fünf und vierzig tauſend neun hundert » und neun und neunzig Mitgliedern beſtehen darf, » der leichteren Ueberſicht beim Votiren halber, vertritt » die Stelle des Regenten, wer aber an der Spitze » dieſes Senats ſteht, führt, weil er in allen Din¬ » gen des Lebens zur Meiſterſchaft gelangt ſeyn muß, » wirklich den Namen: Meiſter! Ohne weitere87 » Umſchweife will ich es Euch denn nun entdecken, » daß ich, der ich hier mit Euch ſpreche, ohne daß » Ihr mich gewahrt, kein anderer bin, als der Mei¬ » ſter Floh. Daß Ihr mein Volk kennet, daran » will ich nicht im mindeſten zweifeln, denn gewiß » habt Ihr, würdiger Herr! ſchon ſo manchen von » meinem Volk mit Euerm eignen Blut erfriſcht und » geſtärkt. Bekannt muß es darum Euch wenigſtens » wohl ſeyn, daß mein Volk von einem beinahe un¬ » zähmbaren Freiheitsſinn beſeelt iſt und recht eigentlich » aus lauter leichtſinnigen Springinsfelden beſteht, die » geneigt ſind, ſich jeder ſoliden Geſtaltung zu entzie¬ » hen durch fortwährendes Hüpfen. Was für ein Ta¬ » lent dazu gehört, von einem ſolchen Volk Meiſter » zu ſeyn, werdet Ihr einſehen, Herr Peregrinus, » und ſchon deßhalb die gehörige Ehrfurcht vor mir » haben. Verſichert mir das, Herr Peregrinus, ehe » ich weiter rede. »

Einige Augenblicke hindurch war es dem Herrn Peregrinus Tyß, als drehe ſich in ſeinem Kopf ein großes Mühlrad von brauſenden Wellen getrieben. Dann wurde er aber ruhiger und es wollte ihn bedün¬ ken, daß die Erſcheinung der fremden Dame bei dem Buchbinder Lämmerhirt eben ſo wunderbar, als das was ſich jetzt begebe, und dieß vielleicht eben nur die88 richtige Fortſetzung der ſeltſamſten Geſchichte ſey, in die er verflochten.

Herr Peregrinus erklärte dem Meiſter Floh, daß er ihn ſchon jetzt ſeiner ſeltenen Gaben halber ganz ungemein verehre, und daß er um ſo begieriger ſey, mehr von ihm zu erfahren, als ſeine Stimme ſehr wohlklinge und eine gewiſſe Zartheit in der Rede ſei¬ nen feinen, zierlichen Körperbau verrathe.

» Sehr, » fuhr Meiſter Floh fort, » ſehr danke » ich Euch, beſter Herr Tyß, für Eure gute Geſin¬ » nung und hoffe Euch bald zu überzeugen, daß Ihr » Euch in mir nicht geirrt habt. Damit Ihr er¬ » fahrt, beſter Mann! welchen Dienſt Ihr mir er¬ » wieſen habt, iſt es indeſſen nöthig, Euch meine » vollſtändige Biographie mitzutheilen. Vernehmt » alſo! Mein Vater war der berühmte doch! » eben fällt mir ein, daß Leſern und Hörern die ſchöne » Gabe der Geduld merklich ausgegangen iſt, und daß » ausführliche Lebensbeſchreibungen, ſonſt am mehrſten » geliebt, jetzt verabſcheut werden. Ich will daher » ſtets gründlich zu ſeyn nur flüchtig und epiſodiſch » dasjenige berühren, was auf meinen Aufenthalt bei » Euch ſich zunächſt bezieht. Schon weil ich wirklich Mei¬ » ſter Floh bin, müßt Ihr, theurer Herr Peregrinus » in mir einen Mann von der umfangreichſten Erudi¬89 » tion, von der tiefſten Erfahrung in allen Zweigen » des Wiſſens erkennen. Doch! nicht meſſen könnt » Ihr den Grad meiner Wiſſenſchaft nach Euerm » Maaßſtabe, da Euch die wunderbare Welt unbekannt » iſt in der ich mit meinem Volk lebe. In welches » Erſtaunen würdet Ihr gerathen, wenn Euer Sinn » erſchloſſen werden ſollte für dieſe Welt, die Euch das » ſeltſamſte unbegreiflichſte Zauberreich dünken würde. » Eben daher möget Ihr es auch gar nicht befremdlich » finden, wenn alles, was aus jener Welt herſtammt, » Euch vorkommen wird, wie ein verwirrtes Mär¬ » chen, das ein müßiges Gehirrn ausgebrütet. Laßt » Euch aber dadurch nicht irre machen, ſondern traut » meinen Worten. Seht, mein Volk iſt Euch » Menſchen in manchen Dingen weit überlegen z. B. » was Durchſchauen der Geheimniſſe der Natur, » Stärke, Gewandheit, geiſtige und körperliche Ge¬ » wandheit betrifft. Doch auch wir haben Leidenſchaf¬ » ten und dieſe ſind, ſo wie bei Euch, gar oft die » Quelle vieles Ungemachs, ja gänzlichen Verderbens. » So war auch ich von meinem Volk geliebt, ja an¬ » gebetet, mein Meiſterthum hätte mich auf die höchſte » Stufe des Glücks bringen können, verblendete mich » nicht eine unglückliche Leidenſchaft zu einer Perſon, » die mich ganz und gar beherrſchte ohne jemals meine90 » Gattin werden zu können. Man wirft überhaupt » unſerm Geſchlecht eine ganz beſondere, die Schran¬ » ken des Anſtandes überſchreitende Vorliebe für das » ſchöne Geſchlecht vor. Mag dieſer Vorwurf auch » gegründet ſeyn, ſo weiß auf der andern Seite je¬ » der Doch! ohne weitere Umſchweife! » Ich ſah des Königs Sekakis Tochter, die ſchöne Ga¬ » maheh und wurde augenblicklich ſo entſetzlich verliebt » in ſie, daß ich mein Volk, mich ſelbſt vergaß und » nur in der Wonne lebte, auf dem ſchönſten Hal¬ » ſe, auf dem ſchönſten Buſen umherzuhüpfen und » die Holde mit ſüßen Küßen zu kitzeln. Oft haſchte » ſie mit den Roſenfingern nach mir, ohne mich je¬ » mals fangen zu können. Dieß dünkte mir anmu¬ » thiges Koſen, liebliche Tändelei beglückter Liebe! » Wie thörigt iſt der Sinn eines Verliebten, iſt die¬ » ſer auch ſelbſt der Meiſter Floh. Es genügt zu ſa¬ » gen, daß die arme Gamaheh von dem häßlichen » Egelprinzen überfallen wurde, der ſie zu Tode küßte; » mir wär 'es aber gelungen die Geliebte zu retten, » hätte ſich nicht ein einfältiger Prahlhans und ein » ungeſchickter Tölpel ohne Beruf in die Sache ge¬ » miſcht und alles verdorben. Der Prahlhans war » aber die Diſtel Zeherit und der Tölpel der Genius » Thetel. Als ſich der Genius Thetel mit der ent¬91 » ſchlummerten Prinzeſſin in die Lüfte erhob, klam¬ » merte ich mich feſt an die Brüßler Kanten, die ſie » gerade um den Hals trug und war ſo Gamaheh's » treuer Reiſegefährte ohne von dem Genius bemerkt » zu werden. Es geſchah, daß wir über zwei Ma¬ » gier wegflogen, die auf einem hohen Thurm gerade » den Lauf der Geſtirne beobachteten. Da richtete der » eine dieſer Magier ſein Glas ſo ſcharf auf mich, daß » ich ſchier von dem Schein des magiſchen Inſtru¬ » ments geblendet wurde. Mich überfiel ein ſtarker » Schwindel, vergebens ſuchte ich mich feſtzuhalten, » ich ſtürzte rettungslos hinab aus der entſetzlichen » Höhe, fiel dem beobachtenden Magier gerade auf » die Naſe, nur meine Leichtigkeit, meine außeror¬ » dentliche Gewandheit erhielt mich am Leben. »

» Noch war ich zu betäubt um von des Magiers » Naſe herabzuhüpfen und mich ganz in Sicherheit zu » ſetzen, als der Unhold, der verrätheriſche Leuwen¬ » höck (der war der Magier) mich geſchickt mit den » Fingern erhaſchte und ſogleich in ein Rußwurmſches » Univerſal-Mikroſkop ſetzte. Unerachtet es Nacht » war und er daher die Lampe anzünden mußte, war » er doch ein viel zu geübter Beobachter und viel zu » tief eingedrungen in die Wiſſenſchaft, um nicht ſo¬ » gleich mich als den Meiſter Floh zu erkennen. Hoch92 » erfreut, daß ein glücklicher Zufall ihm dieſen vor¬ » nehmen Gefangenen in die Hände geſpielt, entſchloſ¬ » ſen, allen Vortheil daraus zu ziehen, der nur mög¬ » lich, ſchlug er mich Aermſten in Ketten und ſo be¬ » gann eine quaalvolle Gefangenſchaft, aus der ich » durch Euch, Herr Peregrinus Tyß, erſt geſtern Vor¬ » mittags befreit wurde. Mein Beſitz gab dem fa¬ » talen Leuwenhöck volle Macht über meine Vaſallen, » die er bald ſchaarenweiſe um ſich her verſammelte » und mit barbariſcher Härte eine ſogenannte Cultur » einführte, die uns bald um alle Freiheit, um allen » Genuß des Lebens brachte. Was die Schulſtudien » und überhaupt die Wiſſenſchaften und Künſte be¬ » trifft, ſo fand Leuwenhöck gar bald zu ſeinem Er¬ » ſtaunen und Aerger, daß wir beinahe gelehrter wa¬ » ren, als er ſelbſt; die höhere Cultur die er uns » aufzwang, beſtand aber vorzüglich darin, daß wir » durchaus was werden, wenigſtens was vorſtellen » mußten. Eben dieſes Was werden, dieſes Was vor¬ » ſtellen, führte eine Menge Bedürfniſſe herbei, die » wir ſonſt gar nicht gekannt hatten und die wir nun » im Schweiß unſeres Angeſichts erringen mußten. » Zu Staatsmännern, Kriegsleuten, Profeſſoren und » was weiß ich Alles, ſchuf uns der grauſame Leu¬ » wenhöck um. Dieſe mußten einhertreten in der93 » Tracht des verſchiedenen Standes, mußten Waffen » tragen u. ſ. w. So entſtanden aber unter uns » Schneider, Schuſter, Friſeurs, Sticker, Knopf¬ » macher, Waffenſchmiede, Gürtler, Schwerdtfeger, » Stellmacher und eine Menge anderer Profeſſioniſten, » die nur arbeiteten um einen unnöthigen, verderblichen » Luxus zu befördern. Am allerſchlimmſten war es, » daß Leuwenhöck nichts im Auge hatte, als ſeinen » eignen Vortheil, daß er uns cultivirte Leute den » Menſchen zeigte und ſich Geld dafür bezahlen ließ. » Ueberdieß aber kam unſere Cultur ganz auf ſeine » Rechnung und er erhielt die Lobſprüche, die uns » allein gebührten. Recht gut wußte Leuwenhöck, » daß mit meinem Verluſt auch ſeine Herrſchaft über » mein Volk ein Ende hatte, um ſo feſter verſchlang er » daher den Zauber, der mich an ihn bannte und um » ſo quälender war meine unglückliche Gefangen¬ » ſchaft. Mit heißer Sehnſucht dachte ich an die » holde Gamaheh und ſann auf Mittel, Nachricht von » ihrem Schickſal zu erhalten. Was aber der » ſchärfſte Verſtand nicht zu erſinnen vermochte, das » führte die Gunſt des Zufalls von ſelbſt herbei. » Meines Magiers Freund und Bundesgenoſſe, der » alte Swammerdamm hatte die Prinzeſſin Gama¬ » heh in dem Blumenſtaube einer Tulpe entdeckt und94 » dieſe Entdeckung dem Freunde mitgetheilt. Durch » Mittel, die ich Euch, guter Herr Peregrinus Tyß » weiter zu entwickeln unterlaſſe, da ihr nicht ſonder¬ » lich viel davon verſtehen würdet, gelang es dem Herrn, » der Prinzeſſin natürliche Geſtalt wieder herzuſtellen » und ſie ins Leben zurückzurufen. Am Ende waren » aber doch beide hochweiſe Herren eben ſo ungeſchickte » Tölpel als der Genius Thetel und die Diſtel Zeherit. » Sie hatten nämlich im Eifer die Hauptſache ver¬ » geſſen und ſo kam es, daß die Prinzeſſin in dem¬ » ſelben Augenblick, als ſie zum Leben erwacht, wie¬ » derum todt niederſinken wollte. Ich allein wußte » woran es lag, die Liebe zur ſchönen Gamaheh, die » in meiner Bruſt emporgelodert ſtärker als jemals, » gab mir Rieſenkraft; ich zerriß meine Ketten, ich » ſprang mit einem mächtigen Satz der Holden auf » die Schulter nur ein einziger kleiner Stich gnügte » das ſtockende Blut in Wallung zu ſetzen. Sie leb¬ » te! Nun muß ich Euch aber ſagen, Herr Pere¬ » grinus Tyß, daß dieſer Stich wiederholt werden » muß, wenn die Prinzeſſin in Schönheit und Jugend » fortblühen ſoll; ſie würde entgegengeſetzten Falls in » wenigen Monaten zuſammenſchrumpfen zum alten » abgelebten Mütterlein. Deshalb bin ich ihr, das » werdet Ihr einſehen, ganz unentbehrlich und nur95 » aus der Furcht, mich zu verlieren, läßt ſich der ſchwarze » Undank erklären, mit dem Gamaheh meine Liebe » lohnte. Sie lieferte mich nämlich ohne Weiteres » dem abſcheulichen Quälgeiſt, dem Leuwenhöck aus, » der mich in ſtärkere Feßeln ſchlug, als ich ſie je ge¬ » tragen, jedoch zu ſeinem eignen Verderben. Trotz » aller Vorſicht des alten Leuwenhöck und der ſchönen » Gamaheh gelang es mir endlich dennoch, in einer » unbewachten Stunde aus meinem Kerker zu ent¬ » ſpringen. Hinderten mich auch die ſchweren Rei¬ » terſtiefel, die ich nicht Zeit hatte von den Füßen » abzuſtreifen, ſehr an der Flucht, ſo kam ich doch » glücklich bis in die Bude des Spielſachenkrämers bei » dem Ihr Waaren einkauftet. Nicht lange dauerte » es, ſo trat, zu meinem nicht geringen Schreck, » auch Gamaheh in den Laden. Ich hielt mich für » verloren, Ihr allein konntet mich retten, edler Herr » Peregrinus; ich klagte Euch leiſe meine Noth und » Ihr wart gütig genug, mir eine Schachtel zu öffnen, » in die ich ſchnell hineinhüpfte und die Ihr dann eben » ſo ſchnell mit Euch nahmet; Gamaheh ſuchte mich » vergebens und erfuhr erſt viel ſpäter, wie und » wohin ich geflüchtet. So wie ich in Freiheit war, » hatte Leuwenhöck auch die Macht über mein Völk¬ » lein verloren. Alle befreiten ſich, entſchlüpften und96 » ließen dem Tyrannen zum Hohn Pfefferkörner, » Obſtkerne u. d. m. in den Kleidern ſtecken. Noch¬ » mals meinen herzlichen Dank, guter edler Herr » Peregrinus, für die große Wohlthat, die Ihr » mir erzeigt habt und die ich zu ſchätzen weiß wie » keiner. Erlaubt, daß ich mich als ein freier Mann » wenige Zeit bei Euch aufhalte; ich kann Euch in » manchen recht wichtigen Angelegenheiten Eures Le¬ » bens ſo nützlich ſeyn, als Ihr es kaum denken möget. » Zwar könnte es für gefährlich zu achten ſeyn, daß » Ihr in heftiger Liebe entbrannt ſeyd zu dem holden » Weſen »

» Was ſagt Ihr, » unterbrach Peregrinus den kleinen Unſichtbaren, » was ſagt Ihr Meiſter, ich » ich entbrannt in Liebe? »

» Es iſt nicht anders, fuhr Meiſter Floh fort, » denkt Euch mein Entſetzen, meine Angſt, als Ihr » geſtern eintratet mit der Prinzeſſin in den Armen, » ganz erhitzt von wilder Leidenſchaft; als ſie alle Ver¬ » führungskünſte anwandte, die ihr leider nur zu ſehr » zu Gebote ſtehen, um Euch zu meiner Auslieferung » zu bewegen! Doch! erſt da erkannte ich Eure » Großmuth in ganzem Umfange, als Ihr ſtandhaft » bliebt, als Ihr geſchickt ſo thatet, als wüßtet Ihr » gar nichts von meinem Aufenthalt bei Euch, als97 » verſtändet Ihr gar nicht, was die Prinzeſſin eigent¬ » lich von Euch verlange. »

» Das, » unterbrach Peregrinus den Meiſter Floh aufs neue, » das war ja aber auch in der That » der Fall. Ihr rechnet mir, lieber Meiſter Floh, » Dinge als Verdienſt an, die ich gar nicht geahnt » habe. Weder Euch, noch das hübſche Frauenzim¬ » mer das mich aufſuchte bei dem Buchbinder Läm¬ » merhirt und das Ihr ſeltſamer Weiſe Prinzeſſin Ga¬ » maheh zu nennen beliebt, habe ich in der Bude ge¬ » wahrt, wo ich Spielſachen einkaufte. Ganz unbe¬ » kannt war es mir, daß unter den Schachteln die » ich mitnahm und in welchen ich bleierne Soldaten » und eben ſolche Jagden vermuthete, ſich eine leere » befand, in der Ihr ſaßet, und wie in aller Welt » hätte ich es errathen können, daß Ihr der Gefan¬ » gene wart, den das anmuthige Kind ſo ſtürmiſch » verlangte. Seyd nicht wunderlich, Meiſter Floh, und » laßt Euch Dinge träumen, von denen keine Ah¬ » nung in meiner Seele liegt.

» Ihr wollt, » erwiederte Meiſter Floh, » meinen » Dankſagungen ausweichen auf geſchickte Weiſe, gu¬ » ter Herr Peregrinus! und dieß gibt mir zu großem » Troſt auf's neue den lebhaften Beweis Eurer un¬ » eigennützigen Denkungsart. Wißt, edler Mann! 798» daß Leuwenhöcks, Gamaheh's Bemühungen, mich » wieder zu erhaſchen ganz vergeblich bleiben, ſo lange » Ihr mir Euern Schutz gewährt. Freiwillig müßt » Ihr mich meinen Peinigern übergeben, alle andere » Mittel ſind fruchtlos. Herr Peregrinus Tyß! Ihr » ſeyd verliebt. »

» O ſprecht, » fiel Peregrinus dem Meiſter ins Wort, » o ſprecht doch nur nicht ſo! Nennt Liebe » nicht eine augenblickliche thörichte Aufwallung, die » ſchon jetzt vorüber iſt! »

Herr Peregrinus fühlte, daß Glutröthe ihm ins Antlitz ſtieg und ihn Lügen ſtrafte. Er kroch unters Deckbette.

» Es iſt, » fuhr Meiſter Floh fort, » es iſt gar » nicht zu verwundern, daß auch Ihr dem wunderba¬ » ren Liebreiz der Prinzeſſin Gamaheh nicht widerſtehen » konntet, zumal ſie manche gefährliche Kunſt an¬ » wandte Euch zu fangen. Der Sturm iſt noch nicht » vorüber. Manches Zaubermittel, wie es auch wohl » andern anmuthigen Weibern, die nicht gerade die » Prinzeſſin Gamaheh ſind, zu Gebote ſteht, wird » die kleine Boshafte noch aufbieten, um Euch in ihr » Liebesnetz zu verſtricken. Sie wird ſich Eurer ſo » ganz zu bemächtigen ſuchen, daß Ihr nur für ſie, » für ihre Wünſche leben ſollt, und dann weh99 » mir! Es wird darauf ankommen, ob Euer Edel¬ » muth ſtark genug iſt, Eure Leidenſchaft zu beſiegen, » ob Ihr es vorziehen werdet, Gamaheh's Wünſchen » nachzugeben und nicht allein Euern Schützling, ſon¬ » dern das arme Völklein, welches Ihr niedriger » Knechtſchaft entriſſen, aufs neue ins Elend zu ſtürzen, » oder der böſen falſchen Verlockung eines verführeri¬ » ſchen Weſens zu widerſtehen und ſo mein und mei¬ » nes Volkes Glück zu begründen. O daß Ihr mir » das Letztere verſprechen wolltet könntet! »

» Meiſter, » antwortete Herr Peregrinus, indem er die Bettdecke vom Geſichte wegzog, » lieber Mei¬ » ſter, Ihr habt Recht, nichts iſt gefährlicher als » die Verlockung der Weiber; ſie ſind alle falſch, bos¬ » haft, ſie ſpielen mit uns wie die Katze mit der » Maus und für unſere zärtlichſten Bemühungen ernd¬ » ten wir nichts ein als Spott und Hohn. Deshalb » ſtand mir auch ſonſt der kalte Todesſchweiß auf der » Stirne, ſo wie ſich nur ein weibliches Weſen nahte » und ich glaube ſelbſt, daß mit der ſchönen Aline oder » wie Ihr wollt, mit der Prinzeſſin Gamaheh es eine » beſondere Bewandniß haben muß, unerachtet ich » Alles was Ihr mir erzählt habt, mit meinem ſchlich¬ » ten geſunden Menſchenverſtande gar nicht begreifen » kann und es mir vielmehr zu Muthe iſt, als läge7 *100» ich in wirren Träumen oder läſe in Tauſend und » Einer Nacht. Doch, mag dem ſeyn wie ihm » wolle, Ihr habt Euch einmal in meinen Schutz » begeben, lieber Meiſter, und nichts ſoll mich vermögen, » Euch Euern Feinden auszuliefern, die verführeriſche » Dirne will ich gar nicht wiederſehen. Ich verſpreche » das feierlich und würde Euch die Hand darauf rei¬ » chen, hättet Ihr eine dergleichen, die meine zu er¬ » faſſen und meinen ehrlichen Druck zu erwiedern. » Damit ſtreckte Herr Peregrinus ſeinen Arm weit aus über die Bettdecke.

» Nun, » ſprach der kleine Unſichtbare, » nun bin » ich ganz getröſtet, ganz beruhigt. Habe ich auch » keine Hand Euch darzureichen, ſo erlaubt wenigſtens, » daß ich Euch in den rechten Daumen ſteche, theils » um Euch meine innige Freude zu bezeugen, theils » um unſer Freundſchaftsbündniß noch feſter zu be¬ » ſiegeln. »

Herr Peregrinus fühlte auch in dem Augenblick an dem Daumen der rechten Hand einen Stich, der ſo empfindlich ſchmerzte, daß er nur von dem erſten Meiſter aller Flöhe herrühren konnte.

» Ihr ſtecht, » rief Peregrinus, » ihr ſtecht ja wie » ein kleiner Teufel. Nehmt das, » erwiederte Meiſter Floh, » für ein lebhaftes Zeichen meiner biedern gu¬101 » ten Geſinnung. Doch billig iſt es, daß ich als » Pfand meiner Dankbarkeit Euch eine Gabe zukommen » laſſe, die zu den außerordentlichſten gehört, was » die Kunſt jemals hervorgebracht hat. Es iſt nichts » anders als ein Mikroskop, welches ein ſehr geſchick¬ » ter, kunſtvoller Optiker aus meinem Volk verfer¬ » tigte, als er noch in Leuwenhöcks Dienſte war. » Euch wird das Inſtrument etwas ſubtil vorkommen, » denn in der That iſt es wohl an einhundert zwan¬ » zigmal kleiner als ein Sandkorn, aber der Gebrauch » läßt keine ſonderliche Größe zu. Ich ſetze das Glas » nämlich in die Pupille Eures linken Auges und die¬ » ſes Auge wird dann mikroskopiſch. Die Wir¬ » kung ſoll Euch überraſchen, ich will daher für jetzt dar¬ » über ſchweigen und Euch nur bitten, daß Ihr mir er¬ » laubt, die Operation vorzunehmen, dann, wenn » ich überzeugt bin, daß Euch das mikroskopiſche Au¬ » ge große Dienſte leiſten muß. Und nun ſchlaft » wohl, Herr Peregrinus, Euch iſt noch einige Ruhe » vonnöthen. »

Peregrinus ſchlief nun wirklich ein und erwachte erſt am hellen Morgen.

Er vernahm das wohlbekannte Kratzen des Be¬ ſens der alten Aline, die das Nebenzimmer auskehrte. Ein kleines Kind, das ſich irgend einer Unart be¬102 wußt, kann ſich nicht ſo vor der Ruthe der Mutter fürchten, als Herr Peregrinus ſich fürchtete vor den Vorwürfen des alten Weibes. Leiſe trat die Alte end¬ lich hinein mit dem Kaffee. Herr Peregrinus ſchielte durch die Bettgardinen, die er zugezogen, und war nicht wenig über den hellen Sonnenſchein verwundert, der auf dem Geſicht der Alten ausgebreitet lag.

» Schlafen Sie noch, lieber Herr Tyß? » ſo fragte die Alte mit dem ſüßeſten Ton, der in ihrer Kehle liegen mochte.

Peregrinus erwiederte ganz ermuthigt eben ſo liebreich: » Nein, liebe Aline; ſetze ſie nur das Früh¬ ſtück auf den Tiſch, ich ſteige gleich aus dem Bette. »

Als Peregrinus nun aber wirklich aufſtand; war es ihm als wehe der ſüße Athem des lieblichen Ge¬ ſchöpfs, das in ſeinen Armen lag, durch das Zim¬ mer; es wurde ihm ſo heimiſch und dabei ſo ängſtlich zu Muthe; er hätte um alles in der Welt wiſſen mö¬ gen, was aus dem Geheimniß ſeiner Liebe geworden; denn wie dieß Geheimniß ſelbſt, war ja das aller¬ liebſte Weſen erſchienen und verſchwunden.

Während Herr Peregrinus vergeblich verſuchte Kaffee zu trinken und Weisbrod zu genießen, da ihm jeder Biſſen im Munde quoll, trat die Alte hinein und machte ſich dieß und das zu ſchaffen, während103 ſie vor ſich hin murmelte: Wunderſam! Unglaub¬ lich! Was man nicht alles erlebt! Wer hätte das gedacht!

Peregrinus, der es vor Herzklopfen nicht länger aushalten konnte, fragte: » Was iſt denn wunder¬ ſam, liebe Aline? »

» Allerlei, allerlei! » erwiederte die Alte ſchal¬ kiſch lächelnd, indem ſie in ihrem Geſchäft, das Zim¬ mer aufzuräumen, fortfuhr. Die Bruſt wollte dem armen Peregrinus zerſpringen und unwillkührlich rief er mit dem Tone der ſchmerzlichſten Sehnſucht: Ach Aline!

» Ja Herr Tyß, hier bin ich, was befehlen Sie? » So ſprach die Alte und ſtellte ſich breit hin vor Peregrinus, als erwarte ſie ſeine Befehle.

Peregrinus ſtarrte in das kupfrige abſcheulich verzerrte Geſicht der Alten, und alle Scheu brach ſich an dem tiefen Unwillen, der ihn plötzlich erfüllte.

» Was iſt, » ſo fragte er mit ziemlich barſchem Tone, » was iſt aus der fremden Dame geworden, » die ſich geſtern Abend hier befand? Hat ſie ihr » die Hausthüre aufgeſchloſſen, hat ſie, wie ich be¬ » fohlen, für einen Wagen geſorgt? iſt die Dame » nach ihrer Wohnung gebracht worden? » Thüre » aufgeſchloſſen? » ſprach die Alte mit einem fatalen104 » Grinſen, welches ausſehen ſollte wie ſchlaues Lächeln, » Wagen geholt? Nach Hauſe gebracht? War » alles nicht vonnöthen! Die ſchöne Dame, das aller¬ » liebſte Ding, iſt im Hauſe geblieben, befindet ſich » noch hier und wird das Haus auch wohl nicht vor » der Hand verlaſſen. »

Peregrinus fuhr auf im freudigen Schreck; die Alte erzählte ihm nun, wie, als die Dame die Treppe auf eine Art herabgeſprungen, daß ihr Hören und Sehen vergangen, unten der alte Herr Swam¬ mer in der Thüre ſeines Zimmers geſtanden mit ei¬ nem mächtigen Armleuchter in der Hand. Der alte Herr habe unter vielen Verbeugungen, wie es ſonſt gar nicht ſeine Art ſey, die Dame in ſein Zimmer einge¬ laden, dieſe ſey auch gleich ohne Anſtand hineinge¬ ſchlüpft und Herr Swammer habe dann die Thüre feſt verſchloſſen und verriegelt.

Viel zu ſonderbar ſey ihr doch des menſchen¬ ſcheuen Herrn Swammers Beginnen vorgekommen, um nicht ein wenig an der Thüre zu lauſchen und durch das Schlüſſelloch zu kucken. Da habe dann Herr Swammer mitten im Zimmer geſtanden und ſo beweglich und klüglich zu der Dame geſprochen, daß ihr, der Alten, die Thränen in die Augen ge¬ kommen, unerachtet ſie kein einziges Wort ver¬105 ſtehen können, da Herr Swammers Sprache aus¬ ländiſch geweſen. Nichts anders habe ſie glauben können, als daß der Herr Swammer ſich gemüht, die Dame auf den Weg der Tugend und Gottesfurcht zurückzubringen, denn er ſey immer mehr in Eifer gerathen, bis die Dame auf die Knie geſunken und gar demüthig ſeine Hand geküßt, auch dabei etwas geweint. Sehr freundlich habe aber nun Herr Swam¬ mer die Dame aufgehoben, ſie auf die Stirne geküßt, wobei er ſich ſehr bücken müſſen und ſie dann zu einem Lehnſtuhl geführt. Sehr geſchäftig habe Herr Swam¬ mer ein Feuer im Kamin gemacht, ein Gewürz her¬ beigetragen und ſo viel ſie wahrnehmen können einen Glühwein zu kochen begonnen. Unglücklicherweiſe habe ſie, die Alte, jetzt etwas Taback genommen und ſtark genießt. Da ſey es ihr denn durch alle Glieder gefahren und ſie wie vernichtet geweſen, als der Herr Swammer den Arm ausgeſtreckt nach der Thüre und mit einer furchtbaren Stimme, die Mark und Bein durchdrungen, gerufen: hebe dich hinweg, horchender Satan! Sie wiſſe gar nicht, wie ſie herauf und ins Bett gekommen. Am Morgen als ſie die Augen aufgeſchloſſen, habe ſie geglaubt ein Geſpenſt zu ſehen. Denn Herrn Swammer habe ſie erblickt vor ihrem Bette in einem ſchönen Zobelpelz mit gold¬106 nen Schnüren und Troddeln, Hut auf dem Kopfe, Stock in der Hand.

» Gute Frau Aline, habe Herr Swammer zu » ihr geſprochen, ich muß in wichtigen Geſchäften » ausgehen und werde vielleicht erſt nach mehreren » Stunden wiederkehren. Sorgen Sie dafür, daß » auf dem Flur des Hauſes vor meinem Zimmer kein » Geräuſch entſtehe oder gar jemand es wage in mein » Gemach eindringen zu wollen. Eine vornehme » Dame und daß Sie es nur wiſſen, eine fremde, » reiche, wunderbar ſchöne Prinzeſſin hat ſich zu mir » geflüchtet. Ich war in früherer Zeit, am Hofe ihres » königlichen Vaters, ihr Informator, deshalb hat » ſie Zutrauen zu mir und ich werde und muß ſie » ſchützen wider alle böſe Angriffe. Ich ſage Ihnen » das Frau Aline, damit Sie der Dame die Ehrfurcht » beweiſen, die ihrem Range gebührt. Sie wird, » erlaubt es Herr Tyß, Ihre Bedienung in Anſpruch » nehmen und Sie ſollen, gute Frau Aline, dafür » königlich belohnt werden, in ſo fern Sie nehmlich » ſchweigen können und niemanden den Aufenthalt » der Prinzeſſin verrathen. »

Damit ſey Herr Swammer dann ſchnell fort¬ gegangen.

107

Herr Peregrinus Tyß fragte die Alte, ob es ihr denn nicht gar ſeltſam vorkomme, daß die Dame, die er, wie er nochmals betheuern könne, bei dem Buchbinder Lämmerhirt in der Kalbächer Straße ge¬ troffen, eine Prinzeſſin ſeyn und zu dem alten Herrn Swammer geflüchtet ſeyn ſolle. Die Alte meinte indeſſen, ſie traue Herrn Swammers Worten mehr noch, als ihren eignen Augen und glaube daher, daß alles, was ſich bei dem Buchbinder Lämmerhirt und hier im Zimmer zugetragen, entweder nur zauberiſches Blendwerk geweſen oder daß die Angſt, die Verwir¬ rung auf der Flucht, die Prinzeſſin zu ſolchem aben¬ theuerlichen Beginnen vermocht. Uebrigens werde ſie ja wohl bald alles von der Prinzeſſin ſelbſt er¬ fahren.

» Aber, » ſprach Herr Peregrinus weiter, eigent¬ lich nur um das Geſpräch über die Dame fortzuſetzen, » aber wo iſt Ihr Verdacht, die böſe Meinung geblie¬ » ben, die Sie geſtern von der fremden Dame hegte? »

» Ach, » erwiederte die Alte ſchmunzelnd, » ach das » iſt alles vorbei. Man darf ja nur die liebe Dame » recht anſehen, um zu wiſſen, daß es eine vornehme » Prinzeſſin iſt und dabei ſo engelsſchön, wie nur ei¬ » ne Prinzeſſin gefunden werden kann. Ich mußte, » als Herr Swammer fortgegangen war, ein wenig108 » nachſehen, was die gute Dame macht und kuckte durch » das Schlüſſelloch. Da lag die Dame ausgeſtreckt auf » dem Sopha und hatte das Engelsköpfchen auf die » Hand geſtützt, ſo daß die ſchwarzen Locken durch die » lilienweißen Fingerchen quollen, welches ganz hübſch » ausſah. Und gekleidet war die Dame in lauter Sil¬ » berzindel, der den niedlichen Buſen, die rundlichen » Aermchen durchſchimmern ließ. An den Füßchen trug » ſie goldne Pantoffeln. Einer war herabgefallen ſo » daß man gewahrte wie ſie keine Strümpfe angezogen; » das bloße Füßchen kuckte unter dem Kleide hervor und » ſie ſpielte mit den Zehen, welches artig anzuſehen » war. Doch gewiß liegt die Dame unten noch eben » ſo wie vorher auf dem Sopha und wenn es Ihnen » gefällig iſt, lieber Herr Tyß, ſich an das Schlüſſel¬ » loch zu bemühen, ſo »

» Was ſprichſt du, » unterbrach Peregrinus die Alte mit Heftigkeit, » was ſprichſt du! ſoll ich mich hingeben dem verführeriſchen Anblick, der mich viel¬ leicht hinreißen könnte zu allerlei Thorheiten? »

» Muth Peregrinus, widerſtehe der Verlok¬ » kung! » ſo lispelte es dicht bei Peregrinus, der die Stimme des Meiſter Floh erkannte.

Die Alte lächelte geheimnißvoll und ſprach, nach¬ dem ſie einige Augenblicke geſchwiegen: » Ich will109 » Ihnen nur alles ſagen, lieber Herr Tyß, wie mir » die ganze Sache vorkommt. Mag nun die frem¬ » de Dame eine Prinzeſſin ſeyn oder nicht, ſo viel » bleibt gewiß, daß ſie ſehr vornehm iſt und reich » und daß Herr Swammer ſich ihrer lebhaft an¬ » nimmt, mithin lange mit ihr bekannt ſeyn muß. » Und warum iſt die Dame Ihnen nachgelaufen, lieber » Herr Tyß? Ich ſage, weil ſie ſich ſterblich verliebt » hat in ſie, und die Liebe macht ja wohl einen ganz » blind und toll, und verführt auch wohl Prinzeſſin¬ » nen zu den ſeltſamſten, unüberlegteſten Streichen. » Eine Zigeunerin hat Ihrer ſeligen Frau Mutter pro¬ » phezeiht, daß Sie einmal glücklich werden ſollten durch » eine Heirath, gerade wann Sie am wenigſten daran » dächten. Das ſoll nun wahr werden! »

Und damit begann die Alte aufs neue zu ſchil¬ dern, wie allerliebſt die Dame ausſähe.

Man kann denken, wie ſich Peregrinus beſtürmt fühlte. » Schweige, » brach er endlich los, » ſchweige Sie doch nur, Frau Aline, von ſolchen Dingen. »

Verliebt in mich ſollte die Dame ſeyn! wie albern, wie abgeſchmackt!

» Hm, » ſprach Alte, » wäre das nicht der Fall, » ſo würde die Dame nicht ſo gar jämmerlich geſeufzt, » ſo würde ſie nicht ſo gar kläglich gerufen haben: Nein,110 » mein lieber Peregrinus, mein ſüßer Freund, du wirſt, » du kannſt nicht grauſam gegen mich ſeyn! Ich » werde dich wiederſehen und alles Glück des Himmels » genießen! Und unſern alten Herrn Swammer, » den hat die fremde Dame ganz umgekehrt. Habe » ich ſonſt außer dem Kronenthaler zu Weihnachten » auch nur einen einzigen Kreuzer von ihm erhalten? » Und dieſen ſchönen blanken Carolin, den gab er » mir heute Morgen mit ſolcher freundlicher Miene, » wie er ſie ſonſt gar nicht im Antlitz hat, als Douceur » im Voraus für die Dienſte die ich der Dame leiſten » werde. Da ſteckt was dahinter. Was gilts, Herr » Swammer ſpielt am Ende den Freiwerber bei Ihnen, » Herr Tyß! » Wiederum ſprach die Alte von der Liebenswürdigkeit und Anmuth der Dame mit be¬ geiſterten Worten, die in dem Munde eines abgeleb¬ ten Weibes ſeltſam genug klangen, bis Peregrinus, ganz Feuer und Flamme, aufſprang und wie ra¬ ſend ausrief: Mag es gehen wie es will hinab, hinab, an's Schlüſſelloch! Vergebens warnte Meiſter Floh, der in das Halstuch des verliebten Pe¬ regrinus geſprungen war und ſich dort in den Schlupf¬ winkel einer Falte verſteckt hatte. Peregrinus ver¬ nahm nicht ſeine Stimme und Meiſter Floh erfuhr, was er längſt hätte wiſſen ſollen, nämlich daß mit111 dem ſtörrigſten Menſchen etwas anzufangen iſt, nur nicht mit einem Verliebten.

Die Dame lag in der That noch eben ſo auf dem Sopha, wie die Alte es beſchrieben hatte, und Pe¬ regrinus fand, daß keine menſchliche Sprache hinreiche, den himmliſchen Zauber in Worten auszudrücken, der über der ganzen holden Geſtalt ausgebreitet lag. Ihr Anzug, wirklich Silberzindel mit ſeltſamer bunter Stickerei, war ganz fantaſtiſch und konnte ſehr füglich für das Negligee der Prinzeſſin Gamaheh gelten, das ſie in Famaguſta vielleicht in dem Augenblick getra¬ gen, als der boshafte Egelprinz ſie todt küßte. We¬ nigſtens war der Anzug ſo reizend und dabei ſo über alle Maaßen ſeltſam, daß die Idee dazu weder in dem Kopfe des genialſten Theater-Schneiders entſproſſen noch in dem Geiſte der ſublimſten Putzhändlerin em¬ pfangen zu ſeyn ſchien. » Ja ſie iſt es, es iſt Prin¬ zeſſin Gamaheh! » So murmelte Peregrinus, indem er bebte vor ſüßer Wonne und dürſtendem Verlangen. Als nun aber die Holde aufſeufzte: » Peregrinus, mein Peregrinus! » Da erfaßte den Herrn Peregri¬ nus Tyß der volle Wahnſinn der Leidenſchaft und nur eine unnennbare Angſt, die ihm alle Kraft des Ent¬ ſchluſſes raubte, hielt ihn zurück, nicht die Thüre mit112 Gewalt einzuſtoßen und ſich dem Engelsbilde zu Füßen zu werfen.

Der geneigte Leſer weiß bereits, was es mit den zauberiſchen Reizen, mit der überirdiſchen Schönheit der kleinen Dörtje Elverdink für eine Bewandniß hat. Der Herausgeber kann verſichern, daß, nachdem er ebenfalls durch das Schlüſſelloch gekuckt und die Kleine in ihrem fantaſtiſchem Kleidchen von Silberzindel er¬ blickt hatte, er weiter nichts ſagen konnte, als daß Dörtje Elverdink ein ganz liebenswürdiges, anmuthiges Püppchen ſey.

Da aber kein junger Mann ſich zum erſtenmal in ein anderes Weſen verliebt hat, als in ein über¬ irdiſches, in einen Engel dem nichts gleich kommt auf Erden, ſo ſey es dem Herrn Peregrinus auch erlaubt, Dörtje Elverdink für ein dergleichen zauberiſches über¬ irdiſches Weſen zu halten.

» Nehmt Euch zuſammen, denkt an Euer Ver¬ » ſprechen, werther Herr Peregrinus Tyß. Nie¬ » mals wolltet Ihr die verführeriſche Gamaheh wieder » ſehen, und nun! Ich könnte Euch das Mikros¬ » kop ins Auge werfen, aber Ihr müßt ja auch ohne » daſſelbe gewahren, daß die boshafte Kleine Euch » längſt bemerkt hat, und daß alles was ſie beginnt, » trügeriſche Kunſt iſt, Euch zu verlocken. Glaubt113 » mir doch nur, ich meine es gut mit Euch! » So lispelte Meiſter Floh in der Falte des Halstuchs; ſolch bange Zweifel aber auch in Peregrinus Innerm aufſtiegen, doch konnte er ſich nicht losreißen von dem bezaubernden Anblick der Kleinen, die den Vor¬ theil, ſich unbemerkt glauben zu dürfen, gut zu benuz¬ zen und mit verführeriſchen Stellungen wechſelnd den armen Peregrinus ganz außer ſich ſelbſt zu ſetzen ver¬ ſtand.

Herr Peregrinus Tyß ſtünde vielleicht noch an der Thüre des verhängnißvollen Gemachs, hätte es nicht ſtark geläutet und hätte die Alte ihm nicht zu¬ gerufen, daß der alte Herr Swammer zurückkehre. Peregrinus flog die Treppe hinauf, in ſein Zimmer. Hier überließ er ſich ganz ſeinen Liebesgedanken, mit eben dieſen Gedanken kamen aber jene Zweifel zurück, die Meiſter Floh's Mahnungen in ihm erregt hatten. Es hatte ſich recht eigentlich ein Floh in ſein Ohr geſetzt und er gerieth in allerlei beunruhigende Be¬ trachtungen.

» Muß ich, » dachte er, » muß ich nicht wirklich » daran glauben, daß das holde Weſen, die Prinzeſ¬ » ſin Gamaheh, die Tochter eines mächtigen Königs » iſt? Bleibt dieß aber der Fall, ſo muß ich es für » Thorheit, für Wahnſinn halten, nach dem Beſitz ei¬8114» ner ſo erhabenen Perſon zu ſtreben. Dann aber » hat ſie auch ja ſelbſt die Auslieferung eines Gefan¬ » genen verlangt, von dem ihr Leben abhinge und » ſtimmt dieß genau mit dem überein, was mir Mei¬ » ſter Floh geſagt, ſo kann ich auch beinahe nicht » daran zweifeln, daß alles was ich auf Liebe zu mir » deuten dürfte, vielleicht nur ein Mittel iſt, mich » ihrem Willen ganz zu unterwerfen. Und doch! » ſie verlaſſen ſie verlieren, das iſt Hölle, das iſt » Tod! »

Herr Peregrinus Tyß wurde in dieſen ſchmerz¬ lichen Betrachtungen durch ein leiſes beſcheidenes Klo¬ pfen an der Thüre geſtört.

Wer hereintrat war niemand anders, als der Miethsmann des Herrn Peregrinus. Der alte Herr Swammer, ſonſt ein zuſammengeſchrumpfter menſchenſcheuer mürriſcher Mann, ſchien plötzlich um zwanzig Jahre jünger geworden zu ſeyn. Die Stirne war glatt, das Auge belebt, der Mund freundlich; er trug ſtatt der häßlichen ſchwarzen Peruque, na¬ türliches weißes Haar und ſtatt des dunkelgrauen Ober¬ rocks einen ſchönen Zobelpelz, wie ihn Frau Aline be¬ ſchrieben.

Mit einer heitern ja freudigen Miene, die ihm ſonſt ganz und gar nicht eigen, trat Herr Swammer115 dem Peregrinus entgegen. Er wünſche nicht, ſprach Herr Swammer, ſeinen lieben Herrn Wirth in ir¬ gend einem Geſchäft zu ſtören; ſeine Pflicht als Mie¬ ther erfordere es aber, gleich am Morgen dem Haus¬ wirth anzuzeigen, daß er in der Nacht genöthigt wor¬ den, ein hülfloſes Frauenzimmer bei ſich aufzuneh¬ men, das ſich der Tiranney eines böſen Oheims ent¬ ziehen wolle und daher wohl einige Zeit in dem Hauſe zubringen werde, wozu es indeſſen der Erlaubniß des gütigen Wirths bedürfe, um die er hiemit anſuche.

Unwillkührlich fragte Peregrinus, wer denn das hülfloſe Frauenzimmer ſey, ohne daran zu denken, daß dieß in der That die zweckmäßigſte Frage war, die er thun konnte um die Spur des ſeltſamen Geheim¬ niſſes zu verfolgen.

» Es iſt, » erwiederte Herr Swammer, » es iſt recht und billig, daß der Hauswirth wiſſe, wen er in ſeinem Hauſe beherbergt. Erfahren Sie alſo, ver¬ ehrter Herr Tyß! daß das Mädchen das ſich zu mir geflüchtet, niemand anders iſt, als die hübſche Hol¬ länderin Dörtje Elverdink, Nichte des berühmten Leu¬ wenhöck, der, wie Sie wiſſen, hier die wunderbaren mikroskopiſchen Kunſtſtücke zeigt. Leuwenhöck iſt ſonſt mein Intimus, aber ich muß bekennen, daß er ein harter Mann iſt und die arme Dörtje, die noch dazu8 *116mein Pathchen, mißhandelt auf arge Weiſe. Ein ſtürmiſcher Auftritt, der ſich geſtern Abend ereignete, zwang das Mädchen zur Flucht, und daß ſie bei mir Troſt und Hülfe ſuchte, ſcheint natürlich. »

» Dörtje Elverdink, » ſprach Peregrinus halb träumend, » Leuwenhöck! vielleicht ein Abkömm¬ ling des Naturforſchers Anton von Leuwenhöck, der die berühmten Mikroskope verfertigte? »

» Daß unſer Leuwenhöck, » erwiederte Herr Swammer lächelnd, » ein Abkömmling jenes berühm¬ » ten Mannes ſey, kann man ſo eigentlich nicht ſagen, » da er der berühmte Mann ſelbſt und es nur eine Fa¬ » bel iſt, daß er vor beinahe hundert Jahren in Delft » begraben worden. Glauben Sie das, beſter Herr » Tyß, ſonſt könnten Sie wohl noch gar daran zwei¬ » feln, daß ich, unerachtet ich mich der Kürze halber » und um nicht über Gegenſtände meiner Wiſſenſchaft » jedem neugierigen Thoren Rede ſtehen zu müſſen, » jetzt Swammer nenne, der berühmte Swammer¬ » dam bin. Alle Leute behaupten, ich ſey im Jahr » 1680 geſtorben, aber ſie bemerken, würdiger Herr » Tyß, daß ich lebendig und geſund vor Ihnen ſtehe, » und daß ich wirklich ich bin, kann ich jedem, auch » dem Einfältigſten aus meiner Biblia naturae de¬117 » monſtriren. Sie glauben mir doch, werther Herr » Tyß? »

» Mir iſt, » ſprach Peregrinus mit einem Ton, der von ſeiner innern Verwirrung zeugte, » mir iſt » ſeit ganz kurzer Zeit, ſo viel Wunderbares geſchehen, » daß ich, wäre nicht alles deutliche Sinneswahrneh¬ » mung, ewig daran zweifeln würde. Aber nun glaube » ich an Alles, ſey es auch noch ſo toll und unge¬ » reimt! Es kann ſeyn, daß ſie der verſtorbene Herr » Johann Swammerdam ſind, und daher als Reve¬ » nant mehr wiſſen als andere gewöhnliche Menſchen; » was aber die Flucht der Dörtje Elverdink oder der » Prinzeſſin Gamaheh, oder wie die Dame ſonſt heiſ¬ » ſen mag, betrifft, ſo ſind Sie im gewaltigen Irr¬ » thum. Erfahren Sie, wie es damit herging. »

Peregrinus erzählte nun ganz ruhig das Aben¬ theuer das er mit der Dame beſtanden, von ihrem Eintritt in Lämmerhirts Stube an, bis zu ihrer Auf¬ nahme in Herrn Swammers Zimmer.

» Mir ſcheint, » ſprach Herr Swammer, als Peregrinus geendigt, » mir ſcheint, als wenn das Al¬ » les was Sie mir zu erzählen beliebt haben, nichts ſey » als ein merkwürdiger jedoch ganz angenehmer Traum. » Ich will das aber dahin geſtellt ſeyn laſſen und Sie » um Ihre Freundſchaft bitten, deren ich vielleicht118 » gar ſehr bedürfen werde. Vergeſſen Sie mein mür¬ » riſches Betragen und laſſen Sie uns einander näher » treten. Ihr Vater war ein einſichtsvoller Mann » und mein herzlichſter Freund, aber was Wiſſenſchaft, » tiefen Verſtand, reife Urtheilskraft, geübten rich¬ » tigen Lebensblick betrifft, ſo thut es der Sohn dem » Vater zuvor. Sie glauben gar nicht wie ich Sie » hochſchätze, mein beſter würdigſter Herr Tyß. »

» Jetzt iſt es Zeit, » lispelte Meiſter Floh, und in dem Augenblick fühlte Peregrinus in der Pupille des linken Auges einen geringen ſchnell vorübergehen¬ den Schmerz. Er wußte, daß Meiſter Floh ihm das mikroskopiſche Glas ins Auge geſetzt, doch fürwahr, dieſe Wirkung des Glaſes hatte er nicht ahnen kön¬ nen. Hinter der Hornhaut von Herrn Swammers Augen gewahrte er ſeltſame Nerven und Aeſte, de¬ ren wunderlich verkreuzten Gang er bis tief ins Ge¬ hirn zu verfolgen und zu erkennen vermochte, daß es Swammers Gedanken waren. Die lauteten aber un¬ gefähr: Hätte ich doch nicht geglaubt daß ich hier ſo wohlfeilen Kaufs davon komme, daß ich nicht beſſer ausgefragt werden würde. War aber der Herr Papa ein beſchränkter Menſch, auf den ich niemals etwas gab, ſo iſt der Sohn noch verwirrteren Sinnes, dem ein großer Beſitz kindiſcher Albernheit zugegeben. Er¬119 zählt mir der Einfaltspinſel die ganze Begebenheit mit der Prinzeſſin und ſetzt nicht voraus, daß ſie mir ſchon ſelbſt alles erzählt hat, da mein Beginnen mit ihr ein früheres vertrauliches Verhältniß nothwendig vorausſetzte. Aber was hilfts, ich muß ſchön mit ihm thun, weil ich ſeiner Hülfe bedarf. Er iſt unbe¬ fangen genug mir Alles zu glauben, ja wohl in ein¬ fältiger Gutmüthigkeit meinem Intereſſe manches Opfer zu bringen, wofür er keinen andern Dank erndten wird, als daß ich ihn, wenn alles gut abge¬ laufen und Gamaheh wieder mein iſt, hinterm Rücken derb auslache.

» War es, » ſprach Herr Swammer, indem er dicht herantrat an Herrn Peregrinus, » war es mir doch, als ſäße ein Floh auf Ihrer Halsbinde, werther Herr Tyß! » Die Gedanken lauteten: Alle Wetter, das war doch wirklich Meiſter Floh! das wäre ja ein verfluchter Queerſtreich, wenn Gama¬ heh ſich nicht geirrt hätte.

Schnell trat Peregrinus zurück, indem er ver¬ ſicherte, daß er den Flöhen gar nicht gram ſey.

» So, » ſprach Herr Swammer, ſich tief ver¬ beugend weiter, » ſo empfehle ich mich dann fürs erſte ganz ergebenſt, mein lieber wertheſter Herr Tyß. » 120Die Gedanken lauteten: Ich wollte daß dich der ſchwarzgefiederte Satan verſchlinge, du verdammter Kerl!

Meiſter Floh nahm dem ganz in Erſtaunen ver¬ ſunkenen Peregrinus das mikroskopiſche Glas aus der Pupille und ſprach dann: » Ihr habt nun, lieber Herr » Peregrinus, die wunderbare Wirkung des Inſtru¬ » ments, das wohl in der ganzen Welt ſeines Glei¬ » chen nicht findet, erkannt, und werdet einſehen, » welche Uebermacht es Euch über die Menſchen gibt, » wenn Euch ihre innerſten Gedanken offen vor Augen » liegen. Trüget Ihr aber beſtändig dieß Glas im » Auge, ſo würde Euch die ſtete Erkenntniß der Ge¬ » danken zuletzt zu Boden drücken, denn nur zu oft » wiederholte ſich die bittre Kränkung, die Ihr ſo eben » erfahren habt. Stets werde ich, wenn Ihr Euer » Haus verlaſſet, bei Euch ſeyn, entweder in der Hals¬ » binde, im Jabbot, oder ſonſt an einem ſchicklichen » bequemen Orte ſitzen. Wollt Ihr nun die Gedan¬ » ken deſſen wiſſen, der mit Euch ſpricht, ſo dürft » Ihr nur mit dem Daumen ſchnippen und augen¬ » blicklich habt Ihr das Glas im Auge. »

Herr Peregrinus Tyß, den unüberſehbaren Nuz¬ zen dieſer Gabe begreifend, wollte ſich eben in die heißeſten Dankſagungen ergießen, als zwei Abgeord¬121 nete des hohen Raths eintraten und ihm ankündig¬ ten, daß er eines ſchweren Vergehens angeklagt ſey, und daß dieſe Anklage vorlaufige Haft und Beſchlag¬ nahme ſeiner Papiere zur Folge haben müſſe.

Herr Peregrinus ſchwur hoch und theuer, daß er ſich auch nicht des geringſten Verbrechens bewußt ſey. Einer der Abgeordneten meinte aber lächelnd, daß viel¬ leicht in wenigen Stunden ſeine völlige Unſchuld auf¬ geklärt ſeyn werde, bis dahin müße er ſich aber den Befehlen der Obrigkeit fügen.

Was blieb dem Herrn Peregrinus Tyß übrig, als in den Wagen zu ſteigen und ſich nach dem Ge¬ fängniß transportiren zu laſſen.

Man kann denken, mit welchen Empfindungen er an Herrn Swammers Zimmer vorüberging.

Meiſter Floh ſaß in der Halsbinde des Gefan¬ genen.

[122]

Viertes Abentheuer.

Unerwartetes Zuſammentreffen zweier Freunde. Liebesverzweif¬ lung der Diſtel Zeherit. Optiſcher Zweikampf zweier Magier. Somnambuler Zuſtand der Prinzeſſin Gamaheh. Die Gedan¬ ken des Traums. Wie Dörtie Elverdink beinahe die Wahr¬ heit ſpricht und die Diſtel Zeherit mit der Prinzeſſin Gamaheh von dannen rennt.

Sehr bald war der Fehlgriff des Wächters ausge¬ mittelt, der den Herrn Pepuſch als einen nächtlichen Dieb, welcher einzubrechen verſucht, zur Haft ge¬ bracht hatte. Man wollte indeſſen einige Unrichtig¬ keiten in ſeinen Päſſen bemerkt haben, und dieß war die Urſache, warum man ihn erſuchte, irgend einen angeſeſſenen Bürger in Frankfurt als Gewährsmann aufzuſtellen, bis dahin ſich aber den Aufenthalt auf dem Bürgermeiſter-Amt gefallen zu laſſen.

Da ſaß nun Herr George Pepuſch in einem ganz artigen Zimmer und ſann hin und her, wen er wohl in Frankfurt als ſeinen Gewährsmann aufſtellen könne. So lange war er abweſend geweſen, daß er befürchten123 mußte, ſelbſt von denen vergeſſen worden zu ſeyn, die ihn vormals recht gut gekannt hatten, und an ſon¬ ſtigen Adreſſen fehlte es ihm gänzlich.

Ganz mißmuthig ſah er zum Fenſter hinaus und begann laut ſein Schickſal zu verwünſchen. Da wurde dicht neben ihm ein anderes Fenſter geöffnet und eine Stimme rief: » Wie? ſehe ich recht? Biſt du es, George? » Herr Pepuſch war nicht wenig erſtaunt, als er den Freund erblickte, mit dem er während ſei¬ nes Aufenthalts in Madras den vertrauteſten Umgang gepflogen.

» Wetter, » ſprach Herr Pepuſch, » Wetter, » wie man ſo vergeßlich, ja ſo ganz vor den Kopf ge¬ » ſchlagen ſeyn kann! Ich wußt 'es ja, daß du glück¬ » lich in den heimathlichen Stapel eingelaufen biſt. » Wunderdinge habe ich in Hamburg von deiner ſelt¬ » ſamen Lebensweiſe gehört, und nun ich hier ange¬ » kommen, denke ich nicht daran, dich aufzuſuchen. » Doch wer ſolche Dinge im Kopfe hat, als ich » Nun, es iſt gut, daß der Zufall mir dich zugeführt. » Du ſiehſt, ich bin verhaftet, du kannſt mich aber » augenblicklich in Freiheit ſetzen, wenn du Gewähr » leiſteſt, daß ich wirklich der George Pepuſch bin, » den du ſeit langen Jahren kenneſt, und kein Spitz¬ » bube, kein Räuber! » » Ich bin, » rief Herr Pe¬124 regrinus Tyß, » in der That jetzt ein herrlicher ta¬ » delsfreier Gewährsmann, da ich ſelbſt verhaftet bin. »

Peregrinus hatte dem Freunde ausführlich er¬ zählt, wie er bei ſeiner Rückkehr nach Frankfurt ſich verwaiſt gefunden und ſeitdem in völliger Abgeſchieden¬ heit nur in der Erinnerung an die früheren Tage mit¬ ten in der geräuſchvollen Stadt ein einſames freuden¬ leeres Leben führe.

» O ja, » erwiederte Pepuſch mürriſch, » ich » habe davon gehört, mir ſind die Narrenspoſſen er¬ » zählt worden, die du treibſt, um das Leben zu ver¬ » bringen in kindiſcher Träumerei. Du willſt ein Held » der Gemüthlichkeit, der Kindlichkeit ſeyn, nur dar¬ » rum verhöhnſt du die gerechten Anſprüche, die » das Leben, die menſchliche Geſellſchaft an dich » macht. Du gibſt eingebildete Familienſchmäuſe » und ſpendeſt die köſtlichen Speiſen, die theuern » Weine, die du für Todte auftiſchen ließeſt, den Ar¬ » men. Du beſcheerſt dir ſelbſt den heiligen Chriſtum » und thuſt, als ſeyſt du noch ein Kind, dann ſchenkſt » du aber die Gaben, welche von der Art ſind, wie » ſie wohl verwöhnten Kindern in reicher Eltern Hauſe » geſpendet zu werden pflegen, armen Kindern. Aber » du bedenkſt nicht, daß es den Armen eine ſchlechte » Wohlthat iſt, wenn du einmal ihren Gaumen kiz¬125 » zelſt und ſie nachher ihr Elend doppelt fühlen, wenn » ſie aus nagendem Hunger kaum genießbare Speiſe, » die mancher leckerer Schooßhund verwirft, kauen » müſſen ha, wie mir dieſe Armenabfütterungen » aneckeln, wenn ich bedenke, daß das, was an » einem Tage verſpendet wird, hinreichen würde, ſie » Monate hindurch zu ernähren auf mäßige Weiſe! » Du überhäufſt die Kinder armer Leute mit glän¬ » zenden Spielſachen und bedenkſt nicht, daß ein höl¬ » zerner buntgemalter Säbel, ein Lumpenpüppchen, » ein Kukuk, ein geringes Naſchwerk von Vater und » Mutter einbeſcheert, ſie eben ſo, ja vielleicht noch » mehr erfreut. Aber ſie freſſen ſich überdem an dei¬ » nem verdammten Marzipan matt und krank und » mit der Kenntniß glänzenderer Gaben, die ihnen in » der Folge verſagt bleiben, iſt der Keim der Unzu¬ » friedenheit, des Mißmuths in ihre Seele gepflanzt. » Du biſt reich, du biſt lebenskräftig, und doch ent¬ » ziehſt du dich jeder Mittheilung und vereitelſt ſo » jedes freundliche Annähern dir wohlwollender Gemü¬ » ther. Ich will es glauben, daß der Tod deiner El¬ » tern dich erſchüttert hat, aber wenn jeder, der einen » empfindlichen Verluſt erlitten hat, in ſein Schnek¬ » kenhaus kriechen ſollte, ſo würde, beim Teufel, die » Welt einem Leichenhauſe gleichen und ich wollte nicht126 » darin leben. Aber, Patron! weißt du wohl, daß » dich die ſtörrigſte Selbſtſucht regiert, die ſich hinter » einer albernen Menſchenſcheue verſteckt? Geh, » geh, Peregrinus, ich kann dich nicht mehr achten, » nicht mehr dein Freund ſeyn, wenn du dein Leben nicht » änderſt, die fatale Wirthſchaft in deinem Hauſe nicht aufgibſt. »

Peregrinus ſchnippte mit dem Daumen und ſo¬ gleich warf ihm Meiſter Floh das mikroskopiſche Glas ins Auge.

Die Gedanken des zürnenden Pepuſch lauteten: Iſt es nicht ein Jammer, daß ein ſolcher gemüthlicher verſtändiger Menſch auf ſolche bedrohliche Abwege ge¬ rathen konnte, die ihn zuletzt zu völliger Abgeſpannt¬ heit aller beſſern Kräfte bringen können? Aber es iſt gewiß, daß ſein weiches, zum Trübſinn geneigtes Gemüth den Stoß nicht ertragen konnte, den ihm der Tod der Eltern verſetzte und daß er Troſt in einem Treiben ſuchte, das an Wahnſinn grenzt. Er iſt ver¬ loren, wenn ich ihn nicht rette. Ich will ihm deſto härter zuſetzen, mit deſto grelleren Farben ihm das Bild ſeiner Thorheit aufſtellen, je mehr ich ihn hoch¬ ſchätze, ſein wahrer Freund bin und bleibe.

127

Peregrinus erkannte an dieſen Gedanken, daß er in dem mürriſchen Pepuſch ſeinen alten wahrhaf¬ ten Freund unverändert wiedergefunden.

» George, » ſprach Herr Peregrinus, nachdem ihm Meiſter Floh wieder das mikroskopiſche Glas aus der Pupille genommen, » George, ich mag mit dir » gar nicht darüber rechten, was du über das Tadelns¬ » werthe meiner Lebensweiſe ſagſt, denn ich weiß, daß » du es ſehr gut mit mir meinſt; doch muß ich dir » ſagen, daß es meine Bruſt hoch erhebt, wenn ich » den Armen einen Freudentag bereiten kann und iſt » dieß, unerachtet ich dabei an niemanden weniger » denke, als an mich ſelbſt, gehäſſige Selbſtſucht, ſo » fehle ich wenigſtens unbewußt. Das ſind die Blu¬ » men in meinem Leben, das mir ſonſt vorkommt, » wie ein trauriges unwirthbares Feld voll Diſteln. »

» Was, » fuhr George Pepuſch heftig auf, » was ſprichſt du von Diſteln? warum verachteſt du » Diſteln und ſetzeſt ſie den Blumen entgegen? Biſt » du ſo wenig erfahren in der Naturkunde, um nicht » zu wiſſen, daß die wunderherrlichſte Blume, die es » nur geben mag, nichts anders iſt, als die Blüthe » einer Diſtel? Ich meine den Cactus grandiflorus. » Und iſt die Diſtel Zeherit nicht eben wieder der ſchönſte » Cactus unter der Sonne? Peregrinus, ich habe128 » dir es ſo lange verſchwiegen, oder vielmehr ver¬ » ſchweigen müſſen, weil ich ſelbſt die klare Erkennt¬ » niß davon nicht hatte, aber jetzt erfahre es, daß ich » ſelbſt die Diſtel Zeherit bin, und meine Anſprüche » auf die Hand der Tochter des würdigen Königs Se¬ » kakis, der holden, himmliſchen Prinzeſſin Gamaheh » durchaus nicht aufgeben will und werde. Ich » habe ſie gefunden, aber in demſelben Augenblick er¬ faßten mich dämoniſche Wächter und Bürgerwachen » und ſchleppten mich ins Gefängniß. »

» Wie, » rief Peregrinus halb erſtarrt vor Er¬ ſtaunen, » auch du, George biſt verflochten in die » ſeltſamſte aller Geſchichten? »

» Was für eine Geſchichte? » fragte Pepuſch.

Peregrinus nahm gar keinen Anſtand, auch ſeinem Freunde, wie Herrn Swammer alles zu erzäh¬ len, was ſich bei dem Buchbinder Lämmerhirt und darauf in ſeinem Hauſe begeben. Er verſchwieg auch nicht die Erſcheinung des Meiſters Floh, wiewohl, man mag es wohl denken, den Beſitz des geheimni߬ vollen Glaſes.

Georgs Augen brannten, er biß ſich in die Lip¬ pen, er ſchlug ſich vor die Stirn, er rief, als Pere¬ grinus geendet, in voller Wuth: » Die Verruchte! » die Treuloſe! die Verrätherin! » Um in der129 Selbſtqual verzweifelnder Liebe jeden Tropfen aus dem Giftbecher, den ihm Peregrinus ohne es zu ah¬ nen gereicht, gierig auszukoſten, ließ er ſich jeden kleinen Zug von Dörtjens Beginnen wiederholen. Da¬ zwiſchen murmelte er: » In den Armen an der Bruſt glühende Küße. » Dann ſprang er vom Fenſter zurück, lief in der Stube umher und gebehr¬ dete ſich, wie ein Raſender.

Vergebens rief Peregrinus ihm zu, er möge ihn doch nur weiter hören, er habe ihm noch viel Tröſtli¬ ches zu ſagen; Pepuſch ließ nicht nach mit Toben.

Das Zimmer wurde aufgeſchloſſen und ein Ab¬ geordneter des Raths kündigte dem Herrn Peregrinus Tyß an, daß kein geſetzlicher Grund zu ſeiner längeren Haft gefunden worden und er zurückkehren könne in ſeine Wohnung.

Den erſten Gebrauch den Peregrinus von ſeiner wieder erlangten Freiheit machte, war, daß er ſich als Ge¬ währsmann für den verhafteten George Pepuſch ſtell¬ te, dem er bezeugte, daß er wirklich der George Pe¬ puſch ſey, mit dem er in innigſter Freundſchaft ver¬ bunden zu Madras gelebt, und der ihm als ein ver¬ mögender ganz unbeſcholtener Mann bekannt ſey.

Meiſter Floh ergoß ſich in ſehr philoſophiſchen lehrreichen Betrachtungen, die darauf hinausliefen,9130daß die Diſtel Zeherit, trotz der rauhen ſtörrigen Auſ¬ ſenſeite, ſehr human und verſtändig ſey, jedoch ſich ſtets ein wenig zu anmaßend zeige. Im Grunde ge¬ nommen, habe die Diſtel mit vollem Rechte die Le¬ bensweiſe des Herrn Peregrinus getadelt, ſey auch dieß in etwas zu harten Ausdrücken geſchehen. Er ſeiner Seits, wolle wirklich dem Herrn Peregrinus rathen, ſich von nun an in die Welt zu begeben.

» Glaubt mir, » ſo ſprach Meiſter Floh, » glaubt mir, Herr Peregrinus, es wird Euch gar manchen Nutzen bringen, wenn Ihr Eure Einſamkeit verlaßt. Für's Erſte dürft Ihr nicht mehr fürchten, ſcheu und verlegen zu erſcheinen, da Ihr, das geheimni߬ volle Glas im Auge, die Gedanken der Menſchen beherrſchet, es daher ganz unmöglich iſt, daß Ihr nicht überall den richtigen Takt behaupten ſolltet. Wie feſt, wie ruhig könnt Ihr vor den höchſten Häup¬ tern auftreten, da ihr Innerſtes klar vor Euren Au¬ gen liegt. Bewegt Ihr Euch frei in der Welt, ſo wird Euer Blut leichter fließen, jedes trübſinnige Brüten aufhören und, was das Beſte iſt, bunte Ideen und Gedanken werden aufgehen in Euerm Gehirn, das Bild der ſchönen Gamaheh wird von ſeinem Glanz verlieren und bald ſeyd Ihr dann beſſer im Stande, mir Wort zu halten. » 131Herr Peregrinus fühlte, daß beide, George Pe¬ puſch und Meiſter Floh es ſehr gut mit ihm meinten und er nahm ſich vor, ihren weiſen Rath zu befol¬ gen. Doch ſo wie er die ſüße Stimme der holden Geliebten vernahm, welche öfters ſang und ſpielte, ſo glaubte er nicht, wie es möglich ſeyn werde, das Haus zu verlaſſen, das ihm zum Paradieſe geworden.

Endlich gewann er es doch über ſich, einen öf¬ fentlichen Spaziergang zu beſuchen. Meiſter Floh hatte ihm das Glas ins Auge geſetzt und Platz ge¬ nommen im Jabot, wo er ſich ſanft hin und her zu ſchaukeln wußte.

» Habe ich endlich das ſeltene Vergnügen, mei¬ » nen guten lieben Herrn Tyß wieder zu ſehen? Sie » machen ſich rar, beſter Freund, und alles ſchmach¬ » tet doch nach Ihnen. Laſſen Sie uns irgendwo » eintreten, eine Flaſche Wein leeren auf Ihr Wohl, » mein Herzensfreund. Wie ich mich freue, Sie » zu ſehen! » So rief ihm ein junger Mann entgegen, den er kaum zwei, dreimal geſehen. Die Gedanken lauteten: Kömmt der alberne Miſantrop auch ein¬ mal zum Vorſchein? Aber ich muß ihm ſchmei¬ cheln, weil ich nächſtens Geld von ihm borgen will. Er wird doch nicht des Teufels ſeyn, und meine Ein¬9 *132ladung annehmen? Ich habe keinen Groſchen Geld und kein Wirth borgt mir mehr.

Zwei ſehr zierlich gekleidete junge Mädchen tra¬ ten dem Peregrinus geradezu in den Weg. Es waren Schweſtern, weitläuftig mit ihm verwandt.

Ey, rief die Eine lachend, ey, Vetterchen, trifft man Sie einmal? Es iſt gar nicht hübſch von Ihnen, daß Sie ſich ſo einſperren, daß Sie ſich nicht ſehen laſſen. Sie glauben nicht, wie Mutterchen Ihnen gut iſt, weil Sie ſolch ein verſtändiger Menſch ſind. Verſprechen Sie mir, bald zu kommen. Da! Küſſen Sie mir die Hand. Die Gedanken lauteten: Wie, was iſt das? Was iſt mit dem Vetter vorgegangen? Ich wollte ihn recht in Furcht und Angſt ſetzen. Sonſt lief er vor mir, vor jedem Frauenzimmer, und jetzt bleibt er ſtehen und guckt mir ſo ganz ſonderbar ins Auge und küßt mir die Hand ohne alle Scheu! Sollte er in mich verliebt ſeyn? Das fehlte noch! Die Mutter ſagt, er ſey etwas dämiſch. Was thut's, ich nehme ihn; ein dämiſcher Mann iſt, wenn er reich iſt, wie der Vetter, eben der Beſte. Die Schweſter hatte mit niedergeſchlagenen Augen und hochrothen Wangen blos geliſpelt: Beſuchen Sie uns recht bald, lieber Vetter! Die Gedanken lauteten: Der Vetter iſt ein recht hübſcher Menſch und ich be¬133 greife nicht, warum ihn die Mutter albern und ab¬ geſchmackt nennt und ihn nicht leiden mag. Wenn er in unſer Haus kommt, verliebt er ſich in mich, denn ich bin das ſchönſte Mädchen in ganz Frankfurt. Ich nehme ihn, weil ich einen reichen Menſchen hei¬ rathen will, damit ich bis eilf Uhr ſchlafen und theurere Shawls tragen darf, als die Frau von Cars¬ ner. Ein vorüberfahrender Arzt ließ, als er den Peregrinus erblickte, den Wagen halten und ſchrie zum Schlage heraus: Guten Morgen, beſter Tyß! Sie ſehen aus, wie das Leben! der Himmel erhalte Sie bei guter Geſundheit! Aber wenn Ihnen was zuſtoßen ſollte, ſo denken Sie an mich, an den al¬ ten Freund Ihres ſeeligen Herrn Vaters. Solchen kräftigen Naturen helfe ich auf die Beine in weniger Zeit! Adieu! Die Gedanken lauteten: Ich glaube, der Menſch iſt aus purem Geitz beſtändig geſund? Aber er ſieht mir ſo blaß, ſo verſtört aus, er ſcheint mir endlich was am Halſe zu haben. Nun! kommt er mir unter die Hände, ſo ſoll er nicht wieder ſo bald vom Lager aufſtehen, er ſoll tüchtig büßen für ſeine hartnäckige Geſundheit.

Seyn Sie ſchönſtens gegrüßt, Wohledler! rief ihm gleich darauf ein alter Kaufmann entgegen; ſehen Sie, wie ich laufe und renne, wie ich mich plagen134 muß der Geſchäfte halber. Wie weiſe iſt es, daß Sie ſich den Geſchäften entzogen; unerachtet es bei Ihren Einſichten Ihnen gar nicht fehlen könnte, den Reichthum Ihres Herrn Vaters zu verdoppeln.

Die Gedanken lauteten: Wenn der Menſch nur Geſchäfte machen wollte, der verwirrte Einfaltspinſel würde in kurzer Zeit ſeinen ganzen Reichthum ver¬ ſpeculiren und das wäre dann ein Gaudium. Der alte Herr Papa, der ſeine Freude daran hatte, an¬ dere ehrliche Leute, die ſich durch ein klein Bankerott¬ chen aufhelfen wollten, ſchonungslos zu ruiniren, würde ſich im Grabe umdrehen.

Noch viel mehr ſolche ſchneidende Widerſprüche zwiſchen Worten und Gedanken, liefen dem Pere¬ grinus in den Weg. Stets richtete er ſeine Antwor¬ ten mehr nach dem ein, was die Leute gedacht, als nach dem, was ſie geſprochen, und ſo konnt 'es nicht fehlen, daß, da Peregrinus in der Leute Gedanken eingedrungen, ſie ſelbſt gar nicht wußten, was ſie von dem Peregrinus denken ſollten. Zuletzt fühlte ſich Herr Peregrinus ermüdet und betäubt. Er ſchnippte mit dem Daumen und ſogleich verſchwand das Glas aus der Pupille des linken Auges.

Als Peregrinus in ſein Haus trat, wurde er durch ein ſeltſames Schauſpiel überraſcht. Ein Mann135 ſtand in der Mitte des Flurs und ſah durch ein ſelt¬ ſam geformtes Glas unverwandten Blickes nach Herrn Swammers Stubenthür. Auf dieſer Thüre ſpielten aber ſonnenhelle Kreiſe in Regenbogenfarben, fuhren zuſammen in einen feurigglühenden Punkt, der durch die Thüre zu dringen ſchien. So wie dieß geſchehen, vernahm man ein dumpfes Aechzen, von Schmerzens¬ lauten unterbrochen, das aus dem Zimmer zu kom¬ men ſchien.

Zu ſeinem Entſetzen glaubte Herr Peregrinus Gamahehs Stimme zu erkennen.

» Was wollen Sie? Was treiben Sie hier? » So fuhr Peregrinus auf den Mann los, der wirklich Teufelskünſte zu treiben ſchien, indem ſtets raſcher, ſtets feuriger die Regenbogenkreiſe ſpielten, ſtets glü¬ hender der Punkt hineinfuhr, ſtets ſchmerzlicher die Jammerlaute aus dem Zimmer ertönten.

Ach! ſprach der Mann, indem er ſeine Gläſer zuſammenſchob und ſchnell einſteckte, ach ſieh da, der Herr Wirth! Verzeihen Sie, beſter Herr Tyß, daß ich hier ohne Ihre gütige Erlaubniß operire. Aber ich war bei Ihnen, um mir dieſe Erlaubniß zu erbit¬ ten. Da ſagte mir aber die gute freundliche Aline, daß Sie ausgegangen wären, und die Sache hier unten litt keinen Aufſchub.

136

» Welche Sache? » fragte Peregrinus ziemlich barſch, » welche Sache hier unten iſt's, die keinen » Aufſchub leidet? »

» Sollten Sie, » fuhr der Mann mit widrigem Lächeln fort, » ſollten Sie, wertheſter Herr Tyß, » denn nicht wiſſen, daß mir meine ungerathene Nichte » Dörtje Elverdink entlaufen iſt? Sie ſind ja, wie¬ » wohl mit großem Unrecht, als ihr Entführer ver¬ » haftet worden, weshalb ich denn auch, ſollte es dar¬ » auf ankommen, mit vielem Vergnügen Ihre völlige » Unſchuld bezeugen werde. Nicht zu Ihnen, nein » zu dem Herrn Swammerdamm, der ſonſt mein Freund » war, ſich aber jetzt in meinen Feind verkehrt hat, » iſt die treuloſe Dörtje geflüchtet. Sie ſitzt hier im » Zimmer, ich weiß es, und zwar allein, da Herr » Swammerdamm ausgegangen. Eindringen kann » ich nicht, da die Thür feſt verſchloſſen und verrie¬ » gelt iſt, ich aber viel zu gutmüthig bin, um Ge¬ » walt anzuwenden. Deshalb nehme ich mir aber die » Freiheit, die Kleine mit meinem optiſchen Marter¬ » Inſtrument etwas zu quälen, damit ſie erkenne, » daß ich, trotz ihres eingebildeten Prinzeſſinthums, » ihr Herr und Meiſter bin! »

» Der Teufel, » ſchrie Peregrinus im höchſten Grimme, » der Teufel ſind Sie, Herr! aber nicht137 » Herr und Meiſter der holden himmliſchen Gamaheh. » Fort aus dem Hauſe, treiben Sie Ihre Satans¬ » künſte, wo Sie wollen, aber hier ſcheitern Sie da¬ » mit, dafür werde ich ſorgen! »

» Ereifern, » ſprach Leuwenhöck, » ereifern Sie » ſich nur nicht, beſter Herr Tyß, ich bin ein unſchul¬ » diger Mann, der nichts will, als alles Gute. Sie » wiſſen nicht, weſſen Sie ſich annehmen. Es iſt ein » kleiner Unhold, ein kleiner Baſilisk, der dort im » Zimmer ſitzt, in der Geſtalt des holdeſten Weib¬ » leins. Möchte ſie, wenn ihr der Aufenthalt bei » meiner Wenigkeit durchaus mißfiel, doch geflohen » ſeyn, aber durfte die treuloſe Verrätherin mir mein » ſchönſtes Kleinod, den beſten Freund meiner Seele, » ohne den ich nicht leben, nicht beſtehen kann, rau¬ » ben? Durfte ſie mir den Meiſter Floh entfüh¬ » ren? Sie werden, Verehrteſter, nicht verſtehen, » was ich meine, aber »

Hier konnte Meiſter Floh, der von dem Jabot des Herrn Peregrinus hinaufgeſprungen war und den ſicherern und bequemern Platz in der Halsbinde ein¬ genommen hatte, nicht enthalten, ein feines höhni¬ ſches Gelächter aufzuſchlagen.

» Ha, » rief Leuwenhöck, wie vom jähen Schreck getroffen, » ha! was war das! ſollte es möglich138 » ſeyn? ja hier an dieſem Orte! erlauben Sie » doch, verehrteſter Herr Peregrinus! »

Damit ſtreckte Leuwenhöck den Arm aus, trat dicht heran an Herrn Peregrinus und wollte nach ſei¬ ner Halsbinde greifen.

Peregrinus wich ihm aber geſchickt aus, faßte ihn mit ſtarker Fauſt und ſchleppte ihn nach der Haus¬ thüre, um ihn ohne Weiteres hinauszuwerfen. Eben als Peregrinus ſich mit Leuwenhöck, der ſich in ohn¬ mächtigen Proteſtationen erſchöpfte, dicht an der Thüre befand, wurde dieſe von außen geöffnet und hin¬ ein ſtürmte George Pepuſch, hinter ihm aber Herr Swammerdamm.

So wie Leuwenhöck ſeinen Feind Swammerdamm erblickte, riß er ſich los mit der höchſten Anſtrengung ſeiner letzten Kräfte, ſprang zurück und ſtemmte ſich mit dem Rücken gegen die Thüre des verhängnißvol¬ len Zimmers, wo die Schöne gefangen ſaß.

Swammerdamm zog, dieß gewahrend, ein klei¬ nes Fernglas aus der Taſche, ſchob es lang aus, und ging dem Feinde zu Leibe, indem er laut rief: Zieh, Verdammter, wenn du Courage haſt!

Schnell hatte Leuwenhöck ein ähnliches Inſtru¬ ment in der Hand, ſchob es ebenfalls auseinander, und ſchrie: Nur heran, ich ſtehe dir, bald ſollſt du139 meine Macht fühlen! Beide ſetzten nun die Fern¬ gläſer an's Auge und fielen grimmig gegen einander aus, mit ſcharfen mörderiſchen, indem ſie ihre Waf¬ fen durch Aus - und Einſchieben bald verlängerten, bald verkürzten. Da gab es Finten, Paraden, Vol¬ ten, kurz alle nur mögliche Fechterkünſte, und im¬ mer mehr ſchienen ſich die Gemüther zu erhitzen. Wurde Einer getroffen, ſo ſchrie er laut auf, ſprang in die Höhe, machte die wunderlichſten Kapriolen, die ſchönſten Entrechats, Pirouetten, wie der beſte Solotänzer von der Pariſer Bühne, bis der Andere ihn mit dem verkürzten Fernglaſe faſt fixirte. Geſchah dieſem nun gleiches, ſo machte er es eben ſo. So wechſelten ſie mit den ausgelaſſendſten Sprüngen, mit den tollſten Gebehrden, mit dem wüthendſten Ge¬ ſchrei; der Schweiß tropfte ihnen von der Stirn her¬ ab, die blutrothen Augen traten ihnen zum Kopfe heraus, und da man nur ihr wechſelſeitiges Anblik¬ ken durch die Ferngläſer, ſonſt aber keine Urſache ih¬ res Veitstanzes gewahrte, ſo mußte man ſie für Ra¬ ſende halten, die dem Irrenhauſe entſprungen. Die Sache war übrigens ganz artig anzuſehen.

Herrn Swammerdamm gelang es endlich, den böſen Leuwenhöck aus ſeiner Stellung an der Thüre, die er mit hartnäckiger Tapferkeit behauptet, zu ver¬140 treiben und den Kampf in den Hintergrund des Flurs zu ſpielen.

George Pepuſch nahm den Augenblick wahr, drückte die frei gewordene Thüre, die weder verſchloſ¬ ſen noch verriegelt war, auf und ſchlüpfte in's Zim¬ mer hinein. Sogleich ſtürzte er aber auch wieder her¬ aus, ſchrie: Sie iſt fort fort! und eilte mit Blitzesſchnelle aus dem Hauſe von dannen. Beide, Leuwenhöck und Swammerdamm, hatten ſich ſchwer getroffen, denn beide hüpften, tanzten auf ganz tolle Weiſe und machten dazu mit Heulen und Schreien eine Muſik, die dem Wehgeſchrei der Verdammten in der Hölle zu gleichen ſchien.

Peregrinus wußte in der That nicht recht, was er beginnen ſollte, die Wüthenden auseinander zu bringen und ſo einen Auftritt zu endigen, der eben ſo lächerlich als entſetzlich war. Endlich gewahrten beide, daß die Thüre des Zimmers weit offen ſtand, vergaßen Kampf und Schmerz, ſteckten die verderblichen Waf¬ fen ein und ſtürzten ſich in's Zimmer.

Schwer fiel es nun erſt dem Herrn Peregrinus Tyß auf's Herz, daß die Schönſte aus dem Hauſe entflohen, er verwünſchte den abſcheulichen Leuwen¬ höck in die Hölle. Da ließ ſich auf der Treppe Ali¬ nens Stimme vernehmen. Sie lachte laut und rief141 wiederum dazwiſchen: Was man nicht alles erlebt! Wunderſam unglaublich wer hätte ſich das träumen laſſen!

Was iſt, fragte Peregrinus kleinlaut, was iſt denn ſchon wieder Unglaubliches vorgefallen?

O lieber Herr Tyß, rief ihm die Alte entgegen, kommen Sie doch nur ſchnell herauf, gehen Sie doch nur in Ihr Zimmer.

Die Alte öffnete ihm ſchalkiſch kichernd die Thüre ſeines Gemachs. Als er hineintrat, da, o Wunder! o Wonne! hüpfte ihm die holde Dörtje Elverdink ent¬ gegen, gekleidet in das verführeriſche Gewand von Silberzindel, wie er ſie bei dem Herrn Swammer er¬ blickt. » Endlich ſehe ich Sie wieder, mein ſüßer Freund, » liſpelte die Kleine, und wußte ſich dem Peregrinus ſo anzuſchmiegen, daß er nicht umhin konnte, ſie, aller guten Vorſätze ungeachtet, auf das zärtlichſte zu umarmen. Die Sinne wollten ihm ver¬ gehen vor Entzücken und Liebesluſt.

Wohl oft hat es ſich aber begeben, daß Jemand gerade im höchſten Rauſch der überſchwenglichſten Wonne, ſich recht derb die Naſe ſtieß und plötzlich geweckt durch den irdiſchen Schmerz aus dem ſeligen Jenſeits hinabfiel in das ordinaire Dieſſeits. Gerade ſo ging es Herrn Peregrinus. Als er ſich nämlich142 hinabbückte, um Dörtjes ſüßen Mund zu küſſen, ſtieß er ſich ganz entſetzlich die nicht unanſehnliche Naſe an dem Diadem von funkelnden Brillanten, das die Kleine in den ſchwarzen Locken trug. Der empfind¬ liche Schmerz des Stoßes an den eckigt geſchliffenen Steinen, brachte ihn hinlänglich zu ſich ſelbſt, um das Diadem zu gewahren. Das Diadem mahnte ihn aber an die Prinzeſſin Gamaheh, und dabei mußte ihm wieder Alles einfallen, was ihm Meiſter Floh von dem verführeriſchen Weſen geſagt hatte. Er be¬ dachte, daß einer Prinzeſſin, der Tochter eines mäch¬ tigen Königs, unmöglich an ſeiner Liebe etwas gele¬ gen ſeyn könne, und daß ihr ganzes liebeathmendes Betragen wohl als gleißneriſcher Trug gelten dürfe, durch den die Verrätherin ſich den zauberiſchen Floh wieder verſchaffen wolle. Dieß betrachtend, glitt ein Eisſtrom durch ſein Inneres, der die Liebesflam¬ men, wenn auch nicht gänzlich auslöſchte, ſo doch wenigſtens dämpfte.

Peregrinus wand ſich ſanft aus den Armen der Kleinen, die ihn liebend umfaßt hatte und ſprach leiſe mit niedergeſchlagenen Augen: Ach du lieber Himmel! Sie ſind ja doch die Tochter des mächtigen Königs Sekakis, die ſchöne, hohe, herrliche Prinzeſſin Ga¬ maheh! Verzeihung Prinzeſſin, wenn mich ein143 Gefühl, dem ich nicht widerſtehen konnte, hinriß zur Thorheit, zum Wahnſinn. Aber Sie ſelbſt, Durch¬ lauchtige

» Was, » unterbrach Dörtje Elverdink den Pe¬ regrinus, » was ſprichſt du, mein holder Freund? » Ich eines mächtigen Königs Tochter? ich eine Prin¬ » zeſſin? Ich bin ja deine Aline, die dich lieben wird » bis zum Wahnſinn, wenn du doch, wie iſt mir » denn? Aline, die Königin von Golkonda? die iſt » ja ſchon bei dir; ich habe mit ihr geſprochen. Eine » gute, liebe Frau, doch alt iſt ſie geworden, und » lange nicht mehr ſo hübſch, als zur Zeit ihrer Ver¬ » heirathung mit einem franzöſiſchen General! » Weh mir! ich bin wohl nicht die rechte, ich habe » wohl nie in Golkonda geherrſcht? Weh mir! » Die Kleine hatte die Augen geſchloſſen und be¬ gann zu wanken. Peregrinus brachte ſie auf den Sopha.

» Gamaheh, » fuhr ſie wie ſomnambul ſprechend fort, » Gamaheh ſagſt du? Gamaheh, die Toch¬ » ter des Königs Sekakis? Ja, ich erinnere mich, in » Famaguſta! ich war eigentlich eine ſchöne Tul¬ » pe doch nein, ſchon damals fühlte ich Sehnſucht » und Liebe in der Bruſt. Still, ſtill davon! » 144Die Kleine ſchwieg, ſie ſchien ganz einſchlummern zu wollen. Peregrinus übernahm das gefährliche Wa¬ geſtück, ſie in eine bequemere Stellung zu bringen. Doch ſo wie er die Holde ſanft umſchlang, ſtach ihn eine verſteckte Nadel recht derb in den Finger. Seiner Gewohnheit nach, ſchnippte er mit dem Daumen. Meiſter Floh hielt das aber für das verabredete Zei¬ chen und ſetzte ihm augenblicklich das mikroskopiſche Glas in die Pupille.

So wie immer erblickte Peregrinus hinter der Hornhaut der Augen, das ſeltſame Geflecht der Ner¬ ven und Adern, die bis in das tiefe Gehirn hinein¬ gingen. Aber durch dieß Geflecht ſchlangen ſich hell¬ blinkende Silberfaden, wohl hundertmal dünner als die Faden des dünneſten Spinngewebes und eben dieſe Faden, die endlos zu ſeyn ſchienen, da ſie ſich hin¬ ausrankten aus dem Gehirn in ein, ſelbſt dem mi¬ kroskopiſchen Auge unentdeckbares Etwas, verwirrten, vielleicht Gedanken ſublimerer Art, die andern von leichter zu erfaſſender Gattung. Peregrinus gewahrte bunt durcheinander Blumen, die ſich zu Menſchen ge¬ ſtalteten, dann wieder Menſchen, die in die Erde zerfloſſen und dann als Steine, Metalle, hervor¬ blickten. Und dazwiſchen bewegten ſich allerlei ſelt¬ ſame Thiere, die ſich unzählige Mal verwandelten und145 wunderbare Sprachen redeten. Keine Erſcheinung paßte zu der andern und in der bangen Klage bruſt¬ zerreiſſender Wehmuth, die durch die Luft ertönte, ſchien ſich die Diſſonanz der Erſcheinungen auszuſprechen. Doch eben dieſe Diſſonanz verherrlichte nur noch mehr die tiefe Grundharmonie, die ſiegend hervorbrach, und alles, was entzweit geſchienen, vereinigte zu ewiger namenloſer Luſt.

» Verwirrt, » ziſchelte Meiſter Floh, » verwirrt » Euch nicht, guter Herr Peregrinus, das ſind Ge¬ » danken des Traumes, die Ihr da ſchaut. Sollte » auch vielleicht noch etwas mehr dahinter ſtecken, ſo » iſt es wohl jetzt nicht an der Zeit, das weiter zu » unterſuchen. Ruft nur die verführeriſche Kleine bei » ihrem rechten Namen und fragt ſie dann aus, wie » Ihr Luſt habt. »

Da die Kleine verſchiedene Namen führte, ſo hätte es, wie man denken ſollte, dem Peregrinus ſchwer fallen müſſen, den rechten zu treffen. Peregri¬ nus rief aber, ohne ſich im mindeſten zu beſinnen: Dörtje Elverdink! Holdes liebes Mädchen! wäre es kein Trug? wäre es möglich, daß du mich wirklich lieben könnteſt? Sogleich erwachte die Kleine aus ihrem träumeriſchen Zuſtande, ſchlug die Aeuglein auf, und ſprach mit leuchtendem Blick: » Welche10146» Zweifel, mein Peregrinus? Kann ein Mädchen » wohl das beginnen, was ich begann, wenn nicht die » glühendſte Liebe ihre Bruſt erfüllt? Peregrinus, » ich liebe dich, wie keinen Andern, und willſt du » mein ſeyn, ſo bin ich dein mit ganzer Seele und » bleibe bei dir, weil ich nicht von dir laſſen kann und » nicht etwa bloß um der Tyrannei des Onkels zu ent¬ » fliehen. »

Die Silberfaden waren verſchwunden und die gehörig geordneten Gedanken lauteten: » Wie iſt das » zugegangen? Erſt heuchelte ich ihm Liebe, bloß um » den Meiſter Floh mir und dem Leuwenhöck wieder » zu gewinnen und jetzt bin ich ihm in der That gut » geworden. Ich habe mich in meinen eigenen Fall¬ » ſtricken gefangen. Ich denke kaum mehr an den » Meiſter Floh, ich möchte ewig dem Mann angehö¬ » ren, der mir liebenswürdiger vorkömmt, als alle, » die ich bis jetzt geſehen. »

Man kann ſich vorſtellen, wie dieſe Gedanken alles ſelige Entzücken in Peregrinus Bruſt entflamm¬ ten. Er fiel vor der Holden nieder, bedeckte ihre Händchen mit tauſend glühenden Küſſen, nannte ſie ſeine Wonne, ſeinen Himmel, ſein ganzes Glück.

» Nun, » lispelte die Kleine, indem ſie ihn ſanft an ihre Seite zog, » nun, mein Theurer, wirſt147 » du gewiß einen Wunſch nicht zurückweiſen, von deſ¬ » ſen Erfüllung die Ruhe, ja das ganze Daſeyn dei¬ » ner Geliebten abhängt. »

» Verlange, » erwiederte Peregrinus, indem er die Kleine zärtlich umſchlang, » verlange alles, mein » ſüßes Leben, alles, was du willſt, dein leiſeſter » Wunſch iſt mir Gebot. Nichts in der Welt iſt mir » ſo theuer, daß ich es nicht dir, nicht deiner Liebe » mit Freuden opfern ſollte. »

Weh mir, ziſchelte Meiſter Floh. Wer hätte das gedacht, daß die Treuloſe ſiegen ſollte. Ich bin verloren!

» So höre denn, » fuhr die Kleine fort, nach¬ dem ſie die glühenden Küſſe, die Peregrinus auf ihre Lippen gedrückt, feurig erwiedert hatte, » ſo höre denn, ich weiß, auf welche Art der »

Die Thür ſprang auf und hinein trat Herr Ge¬ orge Pepuſch. » Zeherit! » ſchrie wie in Verzweif¬ lung die Kleine auf und ſank leblos in den Sopha zurück.

Die Diſtel Zeherit flog aber auf die Prinzeſſin Gamaheh los, nahm ſie in den Arm und rannte mit ihr blitzſchnell von dannen.

Meiſter Floh war für dießmal gerettet.

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Fuͤnftes Abentheuer.

Gedanken junger dichteriſcher Enthuſiaſten und ſchriftſtelleri¬ ſcher Damen. Peregrinus Betrachtungen über ſein Leben und Meiſter Flohs Gelehrſamkeit und Verſtand. Seltene Tugend und Standhaftigkeit des Herrn Tyß. Unerwarteter Aus¬ gang eines bedrohlichen tragiſchen Auftritts.

Mit Blitzesſchnelle hatte, wie es der geneigte Leſer am Schluſſe des vierten Abentheuers erfahren hat, Georg Pepuſch die Kleine aus des verliebten Pere¬ grinus Armen entführt und dieſen zurückgelaſſen, ſtarr vor Erſtaunen und Schreck.

Als Peregrinus endlich zur Beſinnung gekom¬ men, aufſprang und dem räuberiſchen Freunde nach¬ ſetzte, war alles öde und ſtill im Hauſe. Auf wie¬ derholtes ſtarkes Rufen pantoffelte die alte Aline aus dem entfernteſten Zimmer heran und verſicherte, von dem ganzen Vorfall auch nicht das mindeſte bemerkt zu haben.

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Peregrinus wollte über Dörtjes Verluſt beinahe außer ſich gerathen. Meiſter Floh ließ ſich aber ver¬ nehmen mit tröſtenden Worten: » Ihr wißt, » ſprach er mit einem Ton, der dem Hoffnungsloſeſten Zu¬ trauen einflößen mußte, » Ihr wißt ja noch gar nicht, » theurer Herr Peregrinus Tyß, ob die ſchöne Dörtje » Elverdink Euer Haus wirklich verlaſſen hat. So » viel ich mich auf ſolche Dinge verſtehe, iſt ſie gar » nicht weit; mir iſt's als wittere ich ihre Nähe. » Doch, wollt Ihr meinem freundſchaftlichen Rath ver¬ » trauen und ihn befolgen, ſo überlaßt die ſchöne Dörtje » ihrem Schickſal. Glaubt mir, die Kleine iſt ein » wetterwendiſches Ding; mag es ſeyn, daß ſie, wie » Ihr mir geſagt habt, Euch jetzt wirklich gut gewor¬ » den iſt, wie lange wird es dauern und ſie verſetzt » Euch in ſolch Trübſal und Leid, daß Ihr Gefahr » lauft, darüber den Verſtand zu verlieren, wie die » Diſtel Zeherit. Noch einmal ſage ich es Euch, gebt » Euer einſames Leben auf. Ihr werdet Euch beſſer » dabei befinden. Was für Mädchen habt Ihr denn » ſchon kennen gelernt, daß Ihr die Dörtje für die » ſchönſte achtet; welchem Weibe habt Ihr Euch denn » ſchon genähert mit freundlichen Liebesworten, daß » Ihr glaubt, nur Dörtje könne Euch lieben. Geht, » geht, Peregrinus, die Erfahrung wird Euch eines150 » beſſern überzeugen. Ihr ſeyd ein ganz hübſcher ſtatt¬ » licher Mann und ich müßte nicht ſo verſtändig und » ſcharfſichtig ſeyn, als es der Meiſter Floh wirklich » iſt, wenn ich nicht vorausſehen ſollte, daß Euch das » Glück der Liebe noch lachen wird auf ganz andere » Weiſe, als Ihr es wohl jetzt vermuthet. »

Peregrinus hatte dadurch, daß er an öffentliche Oerter ging, bereits die Bahn gebrochen und es wurde ihm nun weniger ſchwer, Geſellſchaften zu beſuchen, denen er ſich ſonſt entzogen. Meiſter Floh that ihm dabei mit dem mikroskopiſchen Glaſe vortreffliche Dien¬ ſte, und Peregrinus ſoll während der Zeit ein Tage¬ buch gehalten und die wunderlichſten ergötzlichſten Con¬ traſte zwiſchen Worten und Gedanken, wie ſie ihm täglich aufſtießen, aufgezeichnet haben. Vielleicht findet der Herausgeber des ſeltſamen Märchens, Mei¬ ſter Floh geheißen, künftig Gelegenheit, manches weiterer Mittheilung würdige aus dieſem Tagebuch ans Licht zu fördern; hier würde es nur die Geſchichte aufhalten und darum dem geneigten Leſer eben nicht willkommen ſeyn. So viel kann geſagt werden, daß manche Redensarten mit den dazu gehörenden Gedan¬ ken ſtereotipiſch wurden, wie z. B. » Ich erbitte mir Ihren gütigen Rath, » lautet in Gedanken: Er iſt albern genug, zu glauben, daß ich wirklich in einer151 Sache, die längſt beſchloſſen, ſeinen Rath verlange, und das kitzelt ihn! » Ich vertraue Ihnen ganz! » Ich weiß ja längſt, daß er ein Spitzbube iſt u. ſ. w. Endlich darf auch noch bemerkt werden, daß manche Leute doch den Peregrinus mit ſeinen mikroskopiſchen Betrachtungen in große Verlegenheit ſetzten. Das waren nämlich die jungen Männer, die über alles in den höchſten Enthuſiasmus gerathen und ſich in einen brauſenden Strom der prächtigſten Redensarten ergießen konnten. Unter dieſen ſchienen am tiefſten und herrlichſten junge Dichter zu ſprechen, die von lauter Fantaſie und Genialität ſtrotzten und vorzüglich von Damen viel Anbetung erleiden mußten. Ihnen reihten ſich ſchriftſtelleriſche Frauen an, die alle Tie¬ fen des Seyns hienieden, ſo wie alle ächtphiloſophi¬ ſche, das Innerſte durchdringende Anſichten der Ver¬ hältniſſe des ſozialen Lebens, wie man zu ſagen pflegt, recht am Schnürchen hatten und mit prächtigen Wor¬ ten herzuſagen wußten, wie eine Feſttagspredigt. Kam es dem Peregrinus wunderbar vor, daß die Sil¬ berfaden aus Gamahehs Gehirn herausrankten in ein unentdeckbares Etwas, ſo erſtaunte er nicht weniger darüber, was er im Gehirn der erwähnten Leute wahrnahm. Er ſah zwar das ſeltſame Geflecht von Adern und Nerven, bemerkte aber zugleich, daß dieſe152 gerade, wenn die Leute über Kunſt und Wiſſenſchaft, über die Tendenzen des höhern Lebens überhaupt ganz ausnehmend herrlich ſprachen, gar nicht eindrangen in die Tiefe des Gehirns, ſondern wieder zurückwuch¬ ſen, ſo daß von deutlicher Erkennung der Gedanken, gar nicht die Rede ſeyn konnte. Er theilte ſeine Be¬ merkung dem Meiſter Floh mit, der gewöhnlich in ei¬ ner Falte des Halstuchs ſaß. Meiſter Floh meinte, daß das, was Peregrinus für Gedanken halte, gar keine wären, ſondern nur Worte, die ſich vergeblich mühten, Gedanken zu werden.

Erluſtigte ſich nun Herr Peregrinus Tyß in der Geſellſchaft auf mannigfache Weiſe, ſo ließ auch ſein treuer Begleiter, Meiſter Floh, viel von ſeinem Ernſte nach, und bewies ſich als ein kleiner ſchalkiſcher Lüſt¬ ling, als ein aimable roué. Keinen ſchönen Hals, keinen weißen Nacken eines Frauenzimmers konnte er nämlich ſehen, ohne bei der erſten beſten Gelegen¬ heit aus ſeinem Schlupfwinkel hervor und auf den einladenden Sitz zu ſpringen, wo er jeder Nach¬ ſtellung geſpitzter Finger geſchickt zu entgehen wußte. Dieß Manoeuvre umfaßte ein doppeltes Intereſſe. Einmal fand er ſelbſt ſeine Luſt daran, dann wollte er aber auch des Peregrinus Blicke auf Schönheiten ziehn, die Dörtjes Bild verdunkeln ſollten. Dieß153 ſchien aber ganz vergebliche Mühe zu ſeyn, denn keine einzige der Damen, denen ſich Peregrinus ohne alle Scheu mit voller Unbefangenheit näherte, kam ihm ſo gar hübſch und anmuthig vor, als ſeine kleine Prin¬ zeſſin. Weshalb aber auch nun vollends ſeine Liebe zur Kleinen feſthielt, war, daß bei keiner er Worte und Gedanken ſo zu ſeinen Gunſten übereinſtimmend fand, als bei ihr. Er glaubte ſie nimmermehr laſſen zu können und erklärte dieß unverholen. Meiſter Floh ängſtigte ſich nicht wenig.

Peregrinus bemerkte eines Tages, daß die alte Aline ſchalkiſch vor ſich hinlächelte, öfter als ſonſt Taback ſchnupfte, ſich räuſperte, undeutliches Zeug murmelte, kurz in ihrem ganzen Weſen that, wie Jemand, der etwas auf dem Herzen hat und es gern los ſeyn möchte. Dabei erwiederte ſie auf Alles: Ja! man kann das nicht wiſſen, man muß das abwarten! mochten nun dieſe Redensarten paſſen oder nicht. » Sage, » rief Peregrinus endlich voll Un¬ geduld, » ſage Sie es nur lieber gleich heraus, Aline, » was es wieder gibt, ohne ſo um mich herumzuſchlei¬ » chen mit geheimnißvollen Mienen. »

» Ach, » rief die Alte, indem ſie die dürren Fäu¬ ſte zuſammenſchlug, » ach, das herzige allerliebſte » Zuckerpüppchen, das zarte liebe Ding! » 154» Wen meint ſie denn? » unterbrach Peregri¬ nus die Alte verdrießlich.

» Ey, » ſprach dieſe ſchmunzelnd weiter, » ey, » wen ſollte ich denn anders meinen, als unſere liebe » Prinzeß hier unten bei Herrn Swammer, Ihre » liebe Braut, Herr Tyß. »

» Weib, » fuhr Peregrinus auf, » unglückliches » Weib, ſie iſt hier, hier im Hauſe, und das ſagſt » du mir erſt jetzt? »

» Wo ſollte, » erwiederte die Alte, ohne im min¬ deſten aus ihrer behaglichen Ruhe zu kommen, » wo » ſollte die Prinzeß auch wohl anders ſeyn, als hier, » wo ſie ihre Mutter gefunden hat. »

» Wie, » rief Peregrinus, » was ſagt ſie, » Aline? »

» Ja, » ſprach die Alte, indem ſie den Kopf er¬ hob, » ja, Aline, das iſt mein rechter Name und » wer weiß, was in kurzer Zeit, vor ihrer Hochzeit, » noch alles an das Tageslicht kommen wird. »

Ohne ſich an Peregrinus Ungeduld, der ſie bei allen Engeln und Teufeln beſchwor, doch nur zu re¬ den, zu erzählen, ſich auch nur im mindeſten zu keh¬ ren, nahm die Alte gemächlich Platz in einem Lehn¬ ſtuhl, zog die Doſe hervor, nahm eine große Prieſe und bewies dann dem Peregrinus ſehr umſtändlich155 mit vielen Worten, daß es keinen größeren ſchädli¬ chern Fehler gäbe, als die Ungeduld.

» Ruhe, » ſo ſprach ſie, » Ruhe, mein Söhn¬ » chen iſt dir vor allen Dingen nöthig, denn ſonſt » läufſt du Gefahr, alles zu verlieren, in dem Augen¬ » blick, als du es gewonnen zu haben glaubſt. Ehe » du ein Wörtchen von mir hörſt, mußt du dich dort » ſtill hinſetzen wie ein artiges Kind und mich beileibe » nicht in meiner Erzählung unterbrechen. »

Was blieb dem Peregrinus übrig, als der Alten zu gehorchen, die, ſo wie Peregrinus Platz genom¬ men, Dinge vorbrachte, die wunderlich und ſeltſam genug anzuhören waren.

So wie die Alte erzählte, hatten die beiden Herren, nämlich Swammerdamm und Leuwenhöck, ſich in dem Zimmer noch recht tüchtig herumgebalgt und dabei entſetzlich gelärmt und getobt. Dann war es zwar ſtille geworden, ein dumpfes Aechzen hatte indeſſen die Alte befürchten laſſen, daß einer von bei¬ den auf den Tod verwundet. Als nun aber die Alte neugierig durch das Schlüſſelloch kuckte, gewahrte ſie ganz etwas anderes, als ſie geglaubt. Swammer¬ damm und Leuwenhöck hatten den Georg Pepuſch er¬ faßt und ſtrichen und drückten ihn mit ihren Fäuſten ſo, daß er immer dünner und dünner wurde, worüber156 er denn ſo ächzte, wie es die Alte vernommen. Zu¬ letzt, als Pepuſch ſo dünn geworden wie ein Diſtel¬ ſtengel, verſuchten ſie ihn durch das Schlüſſelloch zu drücken. Der arme Pepuſch hing ſchon mit dem hal¬ ben Leibe heraus auf den Flur, als die Alte entſetzt von dannen floh. Bald darauf vernahm die Alte ein lautes ſchallendes Gelächter und gewahrte, wie Pe¬ puſch in ſeiner natürlichen Geſtalt, von den beiden Magiern ganz friedlich zum Hauſe hinausgeführt wurde. In der Thüre des Zimmers ſtand die ſchöne Dörtje und winkte die Alte hinein. Sie wollte ſich putzen und hatte dabei die Hülfe der Alten nöthig.

Die Alte konnte gar nicht genug von der großen Menge Kleider reden, die die Kleine aus allerlei al¬ ten Schränken herbeigeholt und ihr gezeigt und von denen eins immer reicher und prächtiger geweſen als das andere. Dann verſicherte die Alte auch, daß wohl nur eine Indiſche Prinzeſſin ſolch Geſchmeide beſitzen könne, als die Kleine, die Augen thäten ihr noch weh von dem blendenden Gefunkel.

Die Alte erzählte weiter, wie ſie mit dem lieben Zuckerkinde, während des Ankleidens dieß und jenes geſprochen, wie ſie an den ſeligen Herrn Tyß, an das ſchöne Leben, das ſonſt im Hauſe geführt wor¬157 den, gedacht und wie ſie zuletzt auf ihre verſtorbene Verwandten gekommen.

» Sie wiſſen, » ſo ſprach die Alte, » Sie wiſſen, » lieber Herr Tyß, daß mir nichts über meine ſelige » Frau Muhme, die Katundruckerfrau geht. Sie » war in Mainz und ich glaube gar, auch in Indien » geweſen und konnte franzöſiſch beten und ſingen. » Habe ich dieſer Frau Muhme den unchriſtlichen Na¬ » men Aline zu verdanken, ſo will ich ihr das gern im » Grabe verzeihen, da ich, was die feine Lebensart, » die Manierlichkeit, den Verſtand die Worte hübſch » zu ſetzen, allein von ihr profitirt habe. Als ich » nun recht viel von der Frau Muhme erzählte, fragte » die kleine Prinzeſſin nach meinen Eltern, Großeltern » und immer ſo weiter und weiter in die Familie hin¬ » ein. Ich ſchüttete mein Herz aus, ich ſprach ganz » ohne Rückhalt davon, daß meine Mutter beinahe » eben ſo ſchön geweſen ſey, als ich, wiewohl ich ſie, » in Anſehung der Naſe übertreffe die vom Vater ab¬ » ſtamme und überhaupt nach der Form in der Fa¬ » milie gebräuchlich ſey, ſchon ſeit Menſchengedenken. » Da kam ich denn auch auf die Kirchweihe zu reden, » als ich den Deutſchen tanzte mit dem Sergeanten » Häberpiep und die himmelblauen Strümpfe angezo¬ » gen hatte mit den rothen Zwickeln. Nun! lieber158 » Gott, wir ſind alle ſchwache, ſündige Menſchen. » Doch Herr Tyß, Sie ſollten nun ſelbſt geſehen ha¬ » ben, wie die kleine Prinzeß, die erſt gekickert und » gelacht hatte, daß es eine Luſt war, immer ſtiller » und ſtiller wurde und mich anſtarrte mit ſolchen ſelt¬ » ſamen Blicken, daß mir in der That ganz graulich » zu Muthe wurde. Und, denken Sie ſich, Herr » Tyß, plötzlich, ehe ich mirs verſehen, liegt die kleine » Prinzeß vor mir auf den Knien und will mir durch¬ » aus die Hand küſſen, und ruft: Ja, du biſt es, » nun erſt erkenne ich dich, ja du biſt es ſelbſt! » Und als ich nun ganz erſtaunt frage, was das heiſ¬ » ſen ſoll »

Die Alte ſtockte, und als Peregrinus in ſie drang, doch nur weiter zu reden, nahm ſie ganz ernſt und bedächtig eine große Priſe und ſprach: Wirſt es zeitig genug erfahren, mein Söhnchen, was ſich nun wei¬ ter begab. Jedes Ding hat ſeine Zeit und ſeine Stunde!

Peregrinus wollte eben noch ſchärfer in die Alte dringen, ihm mehr zu ſagen, als dieſe in ein gellen¬ des Gelächter ausbrach. Peregrinus mahnte ſie mit finſtrem Geſicht daran, daß ſein Zimmer eben nicht der Ort ſey, wo ſie mit ihm Narrenspoſſen treiben dürfe. Doch die Alte ſchien, beide Fäuſte in die159 Seiten ſtemmend, erſticken zu wollen. Die brennend rothe Farbe des Antlitzes ging über in ein angeneh¬ mes Kirſchbraun, und Peregrinus ſtand im Begriff der Alten ein volles Glas Waſſer ins Geſicht zu gieſ¬ ſen, als ſie zu Athem kam und die Sprache wieder gewann. » Soll, » ſprach ſie, » ſoll man nicht la¬ chen über das kleine närriſche Ding. Nein, ſolche Liebe gibt es gar nicht mehr auf Erden! Denken Sie ſich Herr Tyß » die Alte lachte aufs neue, dem Peregrinus wollte die Geduld ausgehen. Endlich brachte er dann mit Mühe heraus, daß die kleine Prin¬ zeß in dem Wahn ſtehe, daß er, Herr Peregrinus Tyß, durchaus die Alte heirathen wolle, und daß ſie, die Alte, ihr aufs feierlichſte verſprechen müſſen, ſeine Hand auszuſchlagen.

Dem Peregrinus war es, als ſey er in ein böſes Hexenweſen verflochten und es wurde ihm ſo unheim¬ lich zu Muthe, daß ihm ſelbſt die alte ehrliche Aline ein geſpenſtiges Weſen bedünken wollte, dem er nicht ſchnell genug entfliehen könne.

Die Alte ließ ihn nicht fort, weil ſie ihm noch ganz geſchwind etwas vertrauen müſſe, was die kleine Prinzeß angehe.

» Es iſt, » ſprach die Alte vertraulich, » es iſt » nun gewiß, daß Ihnen, lieber Herr Peregrinus,160 » der ſchöne leuchtende Glücksſtern aufgegangen, aber » es bleibt nun Ihre Sache, ſich den Stern günſtig » zu erhalten. Als ich der Kleinen betheuerte, daß » Sie ganz erſtaunlich in ſie verliebt und weit entfernt » wären, mich heirathen zu wollen, meinte ſie, daß ſie » ſich nicht eher davon überzeugen und Ihnen ihre » ſchöne Hand reichen könne, bis Sie ihr einen Wunſch » gewährt, den ſie ſchon lange im tiefſten Herzen trage. » Die Kleine behauptet, Sie hätten einen kleinen aller¬ » liebſten Negerknaben bei ſich aufgenommen, der aus » ihrem Dienſte entlaufen; ich habe dem zwar wider¬ » ſprochen, ſie behauptet aber der Bube ſey ſo win¬ » zig klein, daß er in einer Nußſchaale wohnen könne. » Dieſen Knaben nun »

» Daraus wird nichts, » fuhr Peregrinus, der längſt wußte, wo die Alte hinauswollte, heftig auf und verließ ſtürmiſch Zimmer und Haus.

Es iſt eine alte hergebrachte Sitte, daß der Held der Geſchichte, iſt er von heftiger Gemüthsbewegung ergriffen, hinausläuft in den Wald oder wenigſtens in das einſam gelegene Gebüſch. Die Sitte iſt darum gut, weil ſie im Leben wirklich herrſcht. Hiernach konnt es ſich aber mit Herrn Peregrinus Tyß nicht anders begeben, als daß er von ſeinem Hauſe auf dem Roßmarkt aus ſo lange in einem Strich fortrannte,161 bis er die Stadt hinter ſich und ein nahegelegenes Ge¬ büſch erreicht hatte. Da es ferner in einer roman¬ haften Hiſtorie keinem Gebüſch an rauſchenden Blät¬ tern, ſeufzenden, lispelnden Abendlüften, murmelnden Quellen, geſchwätzigen Bächen u. ſ. w. fehlen darf, ſo iſt zu denken, daß Peregrinus das alles an ſeinem Zufluchtsorte fand. Auf einen bemoosten Stein, der zur Hälfte im ſpiegelhellen Bache lag, deſſen Wellen kräuſelnd um ihn her plätſcherten, ließ ſich Peregri¬ nus nieder, mit dem feſten Vorſatz, die ſeltſamen Abentheuer des Augenblicks überdenkend, den Ariad¬ nen Faden zu ſuchen und zu finden, der ihm den Rückweg aus dem Labyrinth der wunderlichſten Räth¬ ſel zeigen ſollte.

Es mag wohl ſeyn, daß das in abgemeſſenen Pau¬ ſen wiederkehrende Geflüſter der Büſche, das eintö¬ nige Rauſchen der Gewäſſer, das gleichmäßige Klap¬ pern einer entfernten Mühle bald ſich als Grund¬ ton geſtaltet, nach dem ſich die Gedanken zügeln und formen, ſo, daß ſie nicht mehr ohne Rythmus und Takt durcheinander brauſen, ſondern zu deutlicher Me¬ lodie werden. So kam denn auch Peregrinus, nach¬ dem er einige Zeit ſich an dem anmuthigen Orte be¬ funden, zu ruhiger Betrachtung.

11162

» In der That, » ſprach Peregrinus zu ſich ſelbſt, » ein fantaſtiſcher Mährchenſchreiber könnte nicht tol¬ » lere, verwirrtere Begebenheiten erſinnen, als ich » ſie in dem geringen Zeitraum von wenigen Tagen » wirklich erlebt habe. Die Anmuth, das Entzük¬ » ken, die Liebe ſelbſt kommt dem einſiedleriſchen My¬ » ſogin entgegen und ein Blick, ein Wort reicht hin, » Flammen in ſeiner Bruſt anzufachen, deren Mar¬ » ter er ſcheute, ohne ſie zu kennen! Aber Ort, Zeit, » die ganze Erſcheinung des fremden verführeriſchen » Weſens iſt ſo geheimnißvoll, daß ein ſeltſamer Zau¬ » ber ſichtbarlich einzugreifen ſcheint und nicht lange » dauert es, ſo zeigt ein kleines, winziges, ſonſt ver¬ » achtetes Thier, Wiſſenſchaft, Verſtand ja eine wun¬ » derbare magiſche Kraft. Und dieſes Thier ſpricht » von Dingen, die allen gewöhnlichen Begriffen un¬ » erfaßlich ſind, auf eine Weiſe, als ſey das Alles nur » das tauſendmal wiederholte Geſtern und Heute des » gemeinen Lebens hinter der Bratenſchüſſel und der » Weinflaſche.

» Bin ich dem Schwungrad zu nahe gekommen, » das finſtre unbekannte Mächte treiben, und hat » es mich erfaßt in ſeinen Schwingungen? Sollte » man nicht glauben, man müſſe über derlei Dinge, » wenn ſie das Leben durchſchneiden, den Verſtand163 » verlieren? Und doch befinde ich mich ganz wohl » dabei; ja es fällt mir gar nicht ſonderlich mehr » auf, daß ein Flohkönig ſich in meinen Schutz be¬ » geben und dafür ein Geheimniß anvertraut hat, das » mir das Geheimniß der innern Gedanken erſchließt » und ſo mich über allen Trug des Lebens erhebt. » Wohin wird, kann aber das Alles führen? Wie, » wenn hinter dieſer wunderlichen Maske eines Flohs » ein böſer Dämon ſtäcke, der mich verlocken wollte » ins Verderben, der darauf ausginge, mir alles Lie¬ » besglück, das in Dörtjes Beſitz mir erblühen könn¬ » te, zu rauben auf ſchnöde Weiſe? Wär 'es » nicht beſſer ſich des kleinen Ungethüms gleich zu » entledigen? »

» Das war, » unterbrach Meiſter Floh das Selbſt¬ » geſpräch des Peregrinus, » das war ein ſehr unfeiner » Gedanke, Herr Peregrinus Tyß! Glaubt Ihr, daß » das Geheimniß, welches ich Euch anvertraute, ein » geringes iſt? Kann Euch dieß Geſchenk nicht als » das entſcheidendſte Kennzeichen meiner aufrichtigen » Freundſchaft gelten? Schämt Euch, daß Ihr ſo » mißtrauiſch ſeyd! Ihr verwundert Euch über den » Verſtand, über die Geiſteskraft eines winzigen ſonſt » verachteten Thierchens, und das zeugt, nehmt es » mir nicht übel, wenigſtens von der Beſchränktheit11 *164» Eurer wiſſenſchaftlichen Bildung. Ich wollte, Ihr » hättet, was die denkende, ſich willkührlich beſtim¬ » mende Seele der Thiere betrifft, den griechiſchen » Philo oder wenigſtens des Hieronimi Rorarii Ab¬ » handlung: quod animalia bruta ratione utantur » melius homine oder deſſen oratio pro muribus » geleſen. Oder Ihr wüßtet was Lipſius und der große » Leibnitz über das geiſtige Vermögen der Thiere ge¬ » dacht haben, oder Euch wäre bekannt, was der ge¬ » lehrte tiefſinnige Rabbi Maimonides über die Seele » der Thiere geſagt hat. Schwerlich würdet Ihr dann » mich meines Verſtandes halber für einen böſen Dä¬ » mon halten, oder gar die geiſtige Vernunftmaſſe nach » der körperlichen Extenſion abmeſſen wollen. Ich » glaube, am Ende habt Ihr Euch zur ſcharfſinnigen » Meinung des ſpaniſchen Arztes Gomez Pereira hin¬ » geneigt, der in den Thieren nichts weiter findet, als » künſtliche Maſchinen ohne Denkkraft, ohne Willens¬ » freiheit, die ſich willkührlos, automatiſch bewegen. » Doch nein, für ſo abgeſchmackt will ich Euch nicht » halten, guter Herr Peregrinus Tyß und feſt daran » glauben, daß Ihr längſt durch meine geringe Per¬ » ſon eines beſſern belehrt ſeyd. Ich weiß ferner » nicht recht was Ihr Wunder nennt, ſchätzbarſter Herr » Peregrinus, oder auf welche Weiſe Ihr es vermöget,165 » die Erſcheinungen unſeres Seyns, die wir eigentlich » wieder nur ſelbſt ſind, da ſie uns und wir ſie wech¬ » ſelſeitig bedingen, in wunderbare und nicht wunder¬ » bare zu theilen. Verwundert Ihr Euch über etwas » deshalb, weil es Euch noch nicht geſchehen iſt, oder » weil Ihr den Zuſammenhang von Urſache und Wir¬ » kung nicht einzuſehen wähnt, ſo zeugt das nur von » der natürlichen oder angekränkelten Stumpfheit Eu¬ » res Blicks, der Eurem Erkenntnißvermögen ſchadet. » Doch nehmt es nicht übel, Herr Tyß das » Drolligſte bei der Sache iſt, daß Ihr Euch ſelbſt » ſpalten wollt in zwei Theile, von denen einer die » ſogenannten Wunder erkennt und willig glaubt, der » andere dagegen, ſich über dieſe Erkenntniß, über » dieſen Glauben gar höchlich verwundert. Iſt es » Euch wohl jemals aufgefallen, daß Ihr an die Bil¬ » der des Traums glaubt?

» Ich, » unterbrach Peregrinus den kleinen Red¬ ner, » ich bitt Euch, beſter Mann! wie möget Ihr » doch vom Traume reden, der nur als Reſultat irgend » einer Anordnung in unſerm körperlichen oder geiſti¬ » gen Organismus herrührt. »

Meiſter Floh ſchlug bei dieſen Worten des Herrn Peregrinus Tyß ein eben ſo feines als höhniſches Ge¬ lächter auf.

166

» Armer, » ſprach er hierauf zu dem etwas be¬ ſtürzten Peregrinus, » armer Herr Tyß, ſo wenig er¬ » leuchtet iſt Euer Verſtand, daß Ihr nicht das Al¬ » berne ſolcher Meinungen einſehet? Seit der Zeit, » daß das Chaos zum bildſamen Stoff zuſammenge¬ » floſſen es mag etwas lange her ſeyn formt der » Weltgeiſt alle Geſtaltungen aus dieſem vorhandenen » Stoff und aus dieſem geht auch der Traum mit ſei¬ » nen Gebilden hervor. Skizzen von dem was war » oder vielleicht noch ſeyn wird, ſind dieſe Gebilde, die » der Geiſt ſchnell hinwirft zu ſeiner Luſt, wenn ihn » der Tyrann, Körper genannt, ſeines Sklavendienſtes » entlaſſen. Doch es iſt hier weder Ort noch Zeit, Euch » zu widerlegen und eines beſſern überzeugen zu wol¬ » len; es würde vielleicht auch von gar keinem Nutzen » ſeyn. Nur eine einzige Sache möcht 'ich Euch noch » entdecken. »

» Sprecht, » rief Peregrinus, » ſprecht oder » ſchweigt, lieber Meiſter, thut das was Euch am ge¬ » rathenſten dünkt; denn ich ſehe genugſam ein, daß » Ihr, ſeyd Ihr auch noch ſo klein, doch unendlich » mehr Verſtand und tiefe Kenntniß habt. Ihr » zwingt mich zum unbedingten Vertrauen, unerach¬ » tet ich Eure verblümten Redensarten nicht ganz ver¬ » ſtehe. » 167» So vernehmt, » nahm Meiſter Floh wieder das Wort, » ſo vernehmt denn, daß Ihr in die Ge¬ » ſchichte der Prinzeſſin Gamaheh verflochten ſeyd, auf » ganz beſondere Weiſe. Swammerdamm und Leu¬ » wenhöck, die Diſtel Zeherit und der Egelprinz, über¬ » dem aber noch der Genius Thetel, alle ſtreben nach » dem Beſitz der ſchönen Prinzeſſin und ich ſelbſt muß » geſtehen, daß leider meine alte Liebe erwacht und » ich Thor genug ſeyn konnte, meine Herrſchaft mit » der holden Treuloſen zu theilen. Doch Ihr, Ihr, » Herr Peregrinus, ſeyd die Hauptperſon, ohne Eure » Einwilligung kann die ſchöne Gamaheh niemanden » angehören. Wollt Ihr den eigentlichen tiefern Zu¬ » ſammenhang der Sache, den ich ſelbſt nicht weiß, » erfahren, ſo müßt Ihr mit Leuwenhöck darüber ſpre¬ » chen, der alles herausgebracht hat und gewiß man¬ » ches Wort fallen laſſen wird, wenn Ihr Euch die » Mühe nehmen wollt und es verſteht, ihn gehörig » auszuforſchen. »

Meiſter Floh wollte in ſeiner Rede fortfahren, als ein Menſch in voller Furie aus dem Gebüſch her¬ vor und auf den Peregrinus losſtürzte.

» Ha! » ſchrie Georg Pepuſch das war der Menſch mit wilden Gebehrden; » ha, treuloſer ver¬ » rätheriſcher Freund! Treffe ich dich? treffe ich168 » dich in der verhängnißvollen Stunde? Auf denn, » durchbohre dieſe Bruſt, oder falle von meiner Hand! »

Damit riß Pepuſch ein Paar Piſtolen aus der Taſche, gab ein Piſtol dem Peregrinus in die Hand, und ſtellte ſich mit dem andern in Poſitur, indem er rief: ſchieße, feige Memme!

Peregrinus ſtellte ſich, verſicherte aber, daß nichts ihn zu dem heilloſen Wahnſinn bringen würde, ſich mit ſeinem einzigen Freunde in einen Zweikampf ein¬ zulaſſen ohne die Urſache auch nur zu ahnen. We¬ nigſtens würde er in keinem Fall den Freund zuerſt mörderiſch angreifen.

Da ſchlug aber Pepuſch ein wildes Gelächter auf und in dem Augenblick ſchlug auch die Kugel aus dem Piſtol, das Pepuſch abgedrückt, durch den Hut des Peregrinus. Dieſer ſtarrte, ohne den Hut, der zur Erde gefallen, aufzuheben, den Freund an in tiefem Schweigen. Pepuſch näherte ſich dem Peregrinus bis auf wenige Schritte und murmelte dann dumpf: Schieße!

Da drückte Peregrinus das Piſtol ſchnell ab in die Luft.

Laut aufheulend wie ein Raſender, ſtürzte Ge¬ orge Pepuſch nun an die Bruſt des Freundes und ſchrie mit herzzerſchneidendem Ton: Sie ſtirbt ſie169 ſtirbt aus Liebe zu dir, Unglücklicher! Eile rette ſie du kannſt es! rette ſie für dich, und mich laß untergehen in wilder Verzweiflung!

Pepuſch rannte ſo ſchnell von dannen, daß Pe¬ regrinus ihn ſogleich aus dem Geſicht verloren hatte.

Schwer fiel es aber nun dem Peregrinus aufs Herz, daß des Freundes raſendes Beginnen durch ir¬ gend etwas Entſetzliches veranlaßt ſeyn müſſe, das ſich mit der holden Kleinen begeben. Schnell eilte er nach der Stadt zurück.

Als er in ſein Haus trat, kam ihm die Alte entgegen und jammerte laut, daß die arme ſchöne Prinzeß plötzlich auf das heftigſte erkrankt ſey und wohl ſterben werde; der alte Herr Swammer ſey eben ſelbſt nach dem berühmteſten Arzt gegangen, den es in Frankfurt gebe.

Den Tod im Herzen, ſchlich Peregrinus in Herrn Swammers Zimmer, das ihm die Alte geöff¬ net. Da lag die Kleine, blaß, erſtarrt wie eine Leiche auf dem Sopha, und Peregrinus ſpürte erſt dann ihren leiſen Athem, als er niedergekniet ſich über ſie hinbeugte. So wie Peregrinus die eiskalte Hand der Armen faßte, ſpielte ein ſchmerzliches Lächeln um ihre bleichen Lippen und ſie lispelte: Biſt du es, mein ſüßer Freund? Kommſt du her, noch einmal die170 zu ſehen, die dich ſo unausſprechlich liebt? Ach! die eben deshalb ſtirbt, weil ſie ohne dich nicht zu athmen vermag!

Peregrinus, ganz aufgelöſt im herbſten Weh, er¬ goß ſich in Betheurungen ſeiner zärtlichſten Liebe und wiederholte, daß nichts in der Welt ihm ſo theuer ſey, um es nicht der Holden zu opfern. Aus den Wor¬ ten wurden Küſſe, aber in dieſen Küßen wurden wie¬ derum wie Liebeshauch Worte vernehmbar.

» Du weißt, » ſo mochten dieſe Worte lauten, » du weißt, mein Peregrinus, wie ſehr ich dich liebe. » Ich kann dein ſeyn, du mein, ich kann geſunden » auf der Stelle, erblüht wirſt du mich ſehen in fri¬ » ſchem jugendlichem Glanz wie eine Blume, die der » Morgenthau erquickt und die nun freudig das ge¬ » ſenkte Haupt emporhebt aber gib mir den Ge¬ » fangenen heraus, mein theurer, geliebter Peregri¬ » nus, ſonſt ſiehſt du mich vor deinen Augen verge¬ » hen in namenloſer Todesquaal! Peregrinus » ich kann nicht mehr es iſt aus »

Damit ſank die Kleine, die ſich halb aufgerich¬ tet hatte, in die Kiſſen zurück, ihr Buſen wallte wie im Todeskampf ſtürmiſch auf und nieder, blauer wur¬ den die Lippen, die Augen ſchienen zu brechen. In wilder Angſt griff Peregrinus nach der Halsbinde,171 doch von ſelbſt ſprang Meiſter Floh auf den weißen Hals der Kleinen, indem er mit dem Ton des tief¬ ſten Schmerzes rief: Ich bin verloren!

Peregrinus ſtreckte die Hand aus, den Meiſter zu faſſen; plötzlich war es aber, als hielte eine un¬ ſichtbare Macht ſeinen Arm zurück und ganz andere Gedanken als die, welche ihn bis jetzt erfüllt, gingen ihm durch den Kopf.

» Wie, » dachte er, weil du ein ſchwacher Menſch » biſt, der ſich hingibt in toller Leidenſchaft, der im » Wahnſinn aufgeregter Begier das für Wahrheit » nimmt, was doch nur lügneriſcher Trug ſeyn kann, » darum willſt du den treulos verrathen, dem du dei¬ » nen Schutz zugeſagt? Darum willſt du ein freies » harmloſes Völklein in Feſſeln ewiger Sklaverei ſchmie¬ » den, darum den Freund, den du als den einzigen » befunden, deſſen Worte mit den Gedanken ſtimmen, » rettungslos verderben? Nein nein, ermanne » dich, Peregrinus! lieber den Tod leiden als treu¬ » los ſeyn! »

» Gib den Gefangenen ich ſterbe! » So ſtammelte die Kleine mit verlöſchender Stimme.

» Nein, » rief Peregrinus, indem er in heller Verzweiflung die Kleine in die Arme faßte, » nein nimmermehr, aber laß mich mit dir ſterben!

172

In dem Augenblick ließ ſich ein durchdringender harmoniſcher Laut hören, als würden kleine Silber¬ glöckchen angeſchlagen; Dörtje plötzlich friſchen Roſen¬ ſchimmer auf Lipp 'und Wangen, ſprang auf vom Sopha und hüpfte, in ein konvulſiviſches Gelächter ausbrechend, im Zimmer umher. Sie ſchien vom Ta¬ rantelſtich getroffen.

Entſetzt betrachtete Peregrinus das unheimliche Schauſpiel und ein Gleiches that der Arzt, der ganz verſteinert in der Thüre ſtehen blieb und dem Herrn Swammer, der ihm folgen wollte, den Eingang verſperrte.

[173]

Sechstes Abentheuer.

Seltſames Beginnen reiſender Gaukler in einem Weinhauſe nebſt hinlänglichen Prügeln. Tragiſche Geſchichte eines Schnei¬ derleins zu Sachſenhauſen. Wie George Pepuſch ehrſame Leute in Staunen ſetzt. Das Horoskop. Vergnüglicher Kampf bekannter Leute im Zimmer Leuwenhöcks.

Alle Vorübergehende blieben ſtehen, reckten die Hälſe lang aus und kuckten durch die Fenſter in die Wein¬ ſtube hinein. Immer dichter wälzte ſich der Haufe heran, immer ärger ſtieß und drängte ſich alles durch¬ einander, immer toller wurde das Gewirre, das Ge¬ lächter, das Toben, das Jauchzen. Dieſen Rumor verurſachten zwei Fremde, die ſich in der Weinſtube eingefunden, und die, außerdem, daß ihre Geſtalt, ihr Anzug, ihr ganzes Weſen etwas ganz fremdarti¬ ges in ſich trug, das widerwärtig war und lächerlich zu gleicher Zeit, ſolche wunderliche Künſte trieben, wie man ſie noch niemals geſehen hatte. Der eine, ein alter Menſch von abſcheulichem ſchmutzigem Anſehen,174 war in einen langen ſehr engen Ueberrock von fahl¬ ſchwarzem glänzendem Zeuge gekleidet. Er wußte ſich bald lang und dünn zu machen, bald ſchrumpfte er zu einem kurzen dicken Kerl zuſammen und es war ſeltſam, daß er ſich dabei ringelte wie ein glatter Wurm. Der andere hochfriſirt, im bunten ſeidnen Rock, eben ſolchen Unterkleidern, großen ſilbernen Schnallen, einem Petit Maitre aus der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gleichend, flog dagegen ein¬ mal über das andere hoch hinauf an die Stubendecke und ließ ſich ſanft wieder herab, indem er mit heiterer Stimme mißtönende Lieder in gänzlich unbekannter Sprache trällerte.

Nach der Ausſage des Wirths waren beide, ei¬ ner kurz auf den andern als ganz vernünftige beſchei¬ dene Leute in die Stube hineingetreten und hatten Wein gefordert. Dann blickten ſie ſich ſchärfer und ſchärfer ins Antlitz und fingen an zu discuriren. Un¬ erachtet ihre Sprache allen Gäſten unverſtändlich war, ſo zeigte doch Ton und Gebehrde, daß ſie in einen Zank begriffen, der immer heftiger wurde.

Plötzlich ſtanden ſie in ihre jetzige Geſtalt ver¬ wandelt da und begannen das tolle Weſen zu treiben, das immer mehr Zuſchauer herbeilockte.

175

» Der Menſch, » rief einer von den Zuſchauern, » der Menſch, der ſo ſchön auf und nieder fliegt, das » iſt ja wohl der Uhrmacher Degen aus Wien, der » die Flugmaſchine erfunden hat und damit einmal » übers andre aus der Luft hinabpurzelt auf Naſe? » Ach nein, » erwiederte ein anderer, das iſt nicht der » Vogel Degen. Eher würd 'ich glauben, es wäre » das Schneiderlein aus Sachſenhauſen, wüßt' ich » nicht, daß das arme Ding verbrannt iſt. »

Ich weiß nicht, ob der geneigte Leſer die merk¬ würdige Geſchichte von dem Schneiderlein aus Sach¬ ſenhauſen kennt? Hier iſt ſie:

Geſchichte des Schneiderleins aus Sachſenhauſen.

Es begab ſich, daß ein zartes frommes Schnei¬ derlein zu Sachſenhauſen, an einem Sonntage gar ſchön geputzt mit ſeiner Frau Liebſten aus der Kirche kam. Die Luft war rauh, das Schneiderlein hatte zu Nacht nichts genoſſen, als ein halbes weichgeſot¬ tenes Ey und eine Pfeffergurke, Morgens aber ein kleines Schälchen Kaffee. Wollte ihm daher flau und erbärmlich zu Muthe werden, weil er überdem in der Kirche gar heftig geſungen, und ihm nach einem Ma¬ genſchnäpschen gelüſten. War die Woche über fleißig176 geweſen und auch artig gegen die Frau Liebſte, der er von den Stücken Zeug die beim Zuſchneiden unter die Bank gefallen, einen propren Unterrock gefertigt. Frau Liebſte bewilligte alſo freundlich, daß das Schnei¬ derlein in die Apotheke treten und ein erwärmendes Schnäpschen genießen möge. Trat auch wirklich in die Apotheke und forderte dergleichen. Der ungeſchickte Lehrburſche, der allein in der Apotheke zurückgeblie¬ ben, da der Rezeptarius, das Subjekt, kurz alle übrigen klügeren Leute fortgegangen, vergriff ſich und holte eine verſchloſſene Flaſche vom Repoſitorio herab, in der kein Magenelixir befindlich, wohl aber brenn¬ bare Luft, womit die Luftbälle gefüllt werden. Da¬ von ſchenkte der Lehrburſche ein Gläschen voll; das ſetzte das Schneiderlein ſtracks an den Mund und ſchlürfte die Luft begierig hinunter, als ein angeneh¬ mes Labſal. Wurde ihm aber alsbald gar poßierlich zu Muthe, war ihm als hätte er ein Paar Flügel an den Achſeln oder als ſpiele jemand mit ihm Fang¬ ball. Denn ellenhoch und immer höher mußte er in der Apotheke aufſteigen und niederſinken. » Ey Jemine, Jemine, rief er, wie bin ich doch ſolch ein flinker Tänzer geworden! Aber dem Lehrburſchen ſtand das Maul offen vor lauter Verwunderung. Ge¬ ſchah nun, daß jemand die Thüre raſch aufriß, ſo177 daß das Fenſter gegen über aufſprang. Strömte als¬ bald ein ſtarker Luftzug durch die Apotheke, erfaßte das Schneiderlein und ſchnell wie der Wind war es fort durch das offne Fenſter in alle Lüfte; niemand hat es wieder geſehen. Begab ſich nach mehrerer Zeit, daß die Sachſenhäuſer zur Abendzeit hoch in den Lüf¬ ten eine Feuerkugel erblickten, die mit blendendem Glanz die ganze Gegend erleuchtete und dann verlö¬ ſchend zur Erde hinabfiel. Wollten alle wiſſen, was zur Erde gefallen, liefen hin an den Ort, fanden aber nichts als ein kleines Klümpchen Aſche; dabei aber den Dorn einer Schuhſchnalle, ein Stückchen eiergelben Atlas mit bunten Blumen und ein ſchwar¬ zes Ding, das beinahe anzuſehen war, wie ein Stock¬ knopf von ſchwarzem Horn. Haben alle darüber nach¬ gedacht, wie ſolche Sachen in einer Feuerkugel aus dem Himmel fallen mögen. Da iſt aber die Frau Liebſte des entfahrnen Schneiderleins dazu gekommen und als dieſe die gefundenen Sachen erblickt, hat ſie die Hände gerungen, gar erbärmlich gethan und ge¬ ſchrien: Ach Jammer, das iſt meines Liebſten Schnal¬ lendorn, ach Jammer, das iſt meines Liebſten Sonn¬ tagsweſte, ach Jammer, das iſt meines Liebſten Stock¬ knopf! Hat aber ein großer Gelehrter erklärt, der Stockknopf ſey kein Stockknopf, ſondern ein Meteor¬12178ſtein oder ein mißrathener Weltkörper. Iſt nun aber auf dieſe Weiſe den Sachſenhäuſern und aller Welt kund worden, daß das arme Schneiderlein, dem der Apothekerburſche brennbare Luft gegeben ſtatt Magen¬ ſchnaps, in den hohen Lüften verbrannt und herun¬ tergeſunken iſt zur Erde als Meteorſtein oder mißrath¬ ner Weltkörper.

Ende der Geſchichte von dem Schneiderlein aus Sachſenhauſen.

Der Kellner wurde endlich ungeduldig, daß der wunderliche Fremde nicht aufhörte ſich groß und klein zu machen, ohne auf ihn zu achten und hielt ihm die Flaſche Burgunder, die er beſtellt hatte, dicht unter die Naſe. Sogleich ſog ſich der Fremde an der Fla¬ ſche feſt und ließ nicht nach, bis der letzte Trop¬ fen eingeſchlürft war. Dann fiel er wie ohnmächtig in den Lehnſeſſel und konnte ſich nur ganz ſchwach regen.

Die Gäſte hatten mit Erſtaunen geſehen, wie er während des Trinkens immer mehr aufgeſchwollen und nun ganz dick und unförmlich erſchien. Des Andern Flugwerk ſchien nun auch zu ſtocken, er wollte ſich keuchend und ganz außer Athem niederlaſſen; als er aber gewahrte, daß ſein Gegner halb todt da lag, ſprang179 er ſchnell auf ihn zu und begann ihn mit geballter Fauſt derb abzubläuen.

Da riß ihn aber der Hauswirth zurück und erklärte, daß er ihn gleich zum Hauſe hinauswerfen werde, wenn er nicht Ruhe halte. Wollten ſie beide ihre Taſchenſpielerkünſte zeigen, ſo möchten ſie das thun, jedoch ohne ſich zu zanken und zu prügeln, wie gemeines Volk.

Den Fluchbegabten ſchien es etwas zu verſchnup¬ fen, daß der Wirth ihn für einen Taſchenſpieler hielt. Er verſicherte, daß er nichts weniger ſey, als ein ſchnöder Gaukler, der loſe Künſte treibe. Sonſt habe er die Ballettmeiſterſtelle bei dem Theater eines berühmten Königs bekleidet, jetzt privatiſire er als ſchöner Geiſt und heiße wie es ſein Metier erfordere, nämlich Legénie. Habe er im gerechten Zorn über den fatalen Men¬ ſchen dort etwas höher geſprungen, als gebührlich, ſo ſey das ſeine Sache und gehe niemanden etwas an.

Der Wirth meinte, daß das alles noch keine Prügelei rechtfertige; der ſchöne Geiſt erwiederte in¬ deſſen, daß der Wirth den boshaften hinterliſtigen Menſchen nur nicht kenne, da er ihm ſonſt einen zer¬ bläuten Rücken recht herzlich gönnen würde. Der Menſch ſey nämlich ehemals franzöſiſcher Douanier geweſen, nähre ſich jetzt vom Aderlaſſen, Schröpfen12 *180und Barbieren und heiße Monſieur Egel. Unge¬ ſchickt, tölpiſch, gefräßig, ſey er jedem zur Laſt. Nicht genug daß der Taugenichts überall wo er mit ihm zuſammentreffe, ſo wie es eben jetzt geſchehen, ihm den Wein vor dem Maule wegſaufe, ſo führe er auch, der Verruchte, jetzt nichts Geringeres im Schilde als ihm die ſchöne Braut wegzukapern, die er aus Frankfurt heimzuführen gedenke.

Der Douanier hatte alles gehört, was der ſchöne Geiſt vorgebracht; er blitzte ihn an mit den kleinen, giftiges Feuer ſprühenden Augen und ſprach dann zum Wirth: Glaubt doch, Herr Wirth! nichts von dem Allem, was der Galgenſchwengel, der unnütze Ha¬ ſelant dort hergeplappert.

» Fürwahr ein ſchöner Ballettmeiſter, der mit » ſeinen Elephantenfüßen den zarten Tänzerinnen die » Beine zerquetſcht und bei der Pirouette dem Maitre » des Spektakels an der Kuliſſe einen Backzahn aus » dem Kinnbacken, und den Opernkucker vom Auge » wegſchlägt! Und ſeine Verſe, die haben eben » ſolche plumpe Füße wie er ſelbſt und taumeln hin » und her wie Betrunkene und treten die Gedanken zu » Brei. Und da denkt der einbildiſche Faſelhans, » weil er zuweilen ſchwerfällig durch die Lüfte flattert,181 » wie ein verdroßener Gänſericht, müßte die Schönſte » ſeine Braut ſeyn. »

Der ſchöne Geiſt ſchrie: Du tückiſcher Satans¬ wurm, ſollſt den Schnabel des Gänſerichts fühlen! und wollte von neuem in voller Furie auf den Doua¬ nier los; der Wirth erfaßte ihn aber von hinten mit ſtarken Armen und warf ihn unter dem unausſprech¬ lichſten Jubel des verſammelten Haufens, zum Fen¬ ſter hinaus.

So wie nun der ſchöne Geiſt von hinnen war, hatte Monſieur Egel ſogleich wieder, die ſolide ſchlichte Geſtalt angenommen, in der er hereingetreten war. Die Leute draußen hielten ihn für einen ganz an¬ dern, als den, der ſich ſo auseinander zu ſchrauben gewußt hatte und zerſtreuten ſich. Der Douanier dankte dem Wirth in den verbindlichſten Ausdrücken für die Hülfe, die er ihm gegen den ſchönen Geiſt ge¬ leiſtet, und erbot ſich, um dieſe dankbare Geſinnung recht an den Tag zu legen, den Wirth, ohne irgend eine Gratifikation, auf eine ſolche leichte angenehme Weiſe zu raſiren, wie er es in ſeinem Leben noch nicht empfunden. Der Wirth faßte ſich an den Bart und da es in dem Augenblick ihm vorkam, als wüchſen ihm die Haare lang und ſtachelicht heraus, ſo ließ er ſich Monſieur Egels Vorſchlag gefallen. Der Douanier182 begann auch das Geſchäft mit geſchickter leichter Hand zu beſorgen, doch plötzlich ſchnitt er dem Wirth ſo derb in die Naſe, daß die hellen Blutstropfen her¬ vorquollen. Der Wirth, dieß für tückiſche Bosheit haltend, ſprang wüthend auf, packte den Douanier und er flog eben ſo ſchnell und behende zur Thüre hin¬ aus, als der ſchöne Geiſt durchs Fenſter. Bald dar¬ auf entſtand auf dem Hausflur ein unziemlicher Lärm, der Wirth nahm ſich kaum Zeit, die wunde Naſe ſattſam mit Feuerſchwamm zu mappiren und rannte hinaus, um nachzuſehen, welch ein Satan den neuen Rumor errege.

Da erblickte er zu ſeiner nicht geringen Verwun¬ derung einen jungen Menſchen, der mit einer Fauſt den ſchönen Geiſt, mit der andern aber den Douanier bei der Bruſt gepackt hatte, und indem ſeine glühen¬ den Augen wild rollten, wüthend ſchrie: Ha, ſata¬ niſche Brut, du ſollſt mir nicht in den Weg treten, du ſollſt mir meine Gamaheh nicht rauben! Dazwi¬ ſchen kreiſchten der ſchöne Geiſt und der Douanier: Ein wahnſinniger Menſch rettet rettet uns Herr Wirth! Er will uns ermorden er mi߬ kennt uns! Ey, rief der Wirth, ey lieber Herr Pepuſch, was fangen Sie denn an? Sind ſie von dieſen wunderlichen Leuten beleidigt worden? Irren183 Sie ſich vielleicht in den Perſonen? Dieß iſt der Bal¬ lettmeiſter Herr Legénie und dieſer der Douanier, Mon¬ ſieur Egel. Balletmeiſter Legénie? Douanier Egel? wiederholte Pepuſch mit dumpfer Stimme. Er ſchien aus einem Traum erwachend, ſich auf ſich ſelbſt be¬ ſinnen zu müſſen. Indeſſen waren auch zwei ehrſame Bürgersleute aus der Stube getreten, die den Herrn George Pepuſch ebenfalls kannten und die ihm auch zuredeten, ruhig zu bleiben und die ſchnakiſchen frem¬ den Leute gehen zu laſſen.

Noch einmal wiederholte Pepuſch: Ballettmeiſter Legénie? Douanier Egel? und ließ die Arme kraft¬ los herabſinken. Mit Windesſchnelle waren die Frei¬ gelaſſenen fort und manchem auf der Straße wollt 'es auffallen, daß der ſchöne Geiſt über das Dach des ge¬ genüberſtehenden Hauſes hinwegflog, der Bartſcheerer ſich aber in dem Schlammwaſſer verlor, das gerade vor der Thüre zwiſchen den Steinen ſich geſammelt hatte.

Die Bürgersleute nöthigten den ganz verſtörten Pepuſch in die Stube zu treten und mit ihnen eine Flaſche ächten Nierenſteiner zu trinken. Pepuſch ließ ſich das gefallen und ſchien auch den edlen Wein mit Luſt und Appetit hinunter zu ſchlürfen, wiewohl er ganz ſtumm und ſtarr da ſaß und auf alles Zureden kein Wörtchen erwiederte. Endlich erheiterten ſich ſeine184 Züge und er ſprach ganz leutſelig: Ihr thatet gut, ihr lieben Leute und freundlichen Kumpane, daß ihr mich abhieltet, dieſe Elenden, die ſich in meiner Ge¬ walt befanden, auf der Stelle zu tödten. Aber ihr wißt nicht, was für bedrohliche Geſchöpfe ſich hinter dieſen wunderlichen Masken verſteckt hatten.

Pepuſch hielt inne und man kann denken, mit welcher geſpannten Neugier die Bürgersleute aufhorch¬ ten, was nun Pepuſch entdecken würde. Auch der Wirth hatte ſich genähert und alle drei, die Bürgers¬ leute und der Wirth ſteckten nun, indem ſie ſich mit übereinandergeſchlagenen Armen über den Tiſch lehnten, die Köpfe dicht zuſammen, und hielten den Athem an, daß ja kein Laut aus Pepuſchens Munde verloren gehen möge.

Seht, ſprach Herr George Pepuſch weiter, ganz leiſe und feierlich, ſeht ihr guten Männer, der, den ihr den Ballettmeiſter Legénie nennt, iſt kein anderer, als der böſe, ungeſchickte Genius Thetel, der, den ihr für den Douanier Egel haltet iſt aber der abſcheu¬ liche Blutſauger, der häßliche Egelprinz. Beide ſind in die Prinzeſſin Gamaheh, die wie es Euch bekannt ſeyn wird, die ſchöne herrliche Tochter des mächtigen Königs Sekakis iſt, verliebt und ſind hier, um ſie der Diſtel Zeherit abſpenſtig zu machen. Das iſt nun185 die albernſte Thorheit, die nur in einem dummen Ge¬ hirn hauſen kann, denn außer der Diſtel Zeherit, gibt es in der ganzen Welt nur noch ein einziges Weſen, dem die ſchöne Gamaheh angehören darf, und dieſes Weſen wird vielleicht auch ganz vergeblich in den Kampf treten, mit der Diſtel Zeherit. Denn bald blühet die Diſtel um Mitternacht auf, in voller Pracht und Kraft und in dem Liebestod dämmert die Morgen¬ röthe des höhern Lebens. Ich ſelbſt bin aber die Diſtel Zeherit und eben daher könnet ihr mirs nicht verdenken, ihr guten Leute, wenn ich ergrimmt bin auf jene Verräther und mir überhaupt die ganze Ge¬ ſchichte gar ſehr zu Herzen nehme.

Die Leute riſſen die Augen weit auf und glotz¬ ten den Pepuſch ſprachlos an mit offnem Munde. Sie waren, wie man zu ſagen pflegt, aus den Wol¬ ken gefallen und der Kopf dröhnte ihnen, vom jähen Sturz.

Pepuſch ſtürzte einen großen Römer Wein hin¬ unter, und ſprach dann, ſich zum Wirth wendend: Ja ja, Herr Wirth, bald werdet Ihr's erleben, bald blühe ich als Cactus grandiflorus und in der ganzen Gegend wird es unmenſchlich nach der ſchönſten Va¬ nille riechen; ihr könnet mir das glauben.

186

Der Wirth konnte nichts herausbringen, als ein dummes: Ey das wäre der Tauſend! Die andern bei¬ den Männer warfen ſich aber bedenkliche Blicke zu, und einer ſprach, indem er Georgs Hand faßte, mit zweideutigem Lächeln: Sie ſcheinen etwas in Unruhe gerathen zu ſeyn, lieber Herr Pepuſch, wie wär 'es wenn Sie ein Gläſchen Waſſer

Keinen Tropfen, unterbrach Pepuſch den gut¬ gemeinten Rath, keinen Tropfen; hat man jemals Waſſer in ſiedendes Oel gegoſſen, ohne die Wuth der Flammen zu reizen? In Unruhe ſey ich, meint Ihr, gerathen? In der That, das mag der Fall ſeyn und der Teufel ruhig bleiben, wenn er ſich, ſo wie ich es eben gethan, mit dem Herzensfreunde her¬ umgeſchoſſen und dann ſich ſelbſt eine Kugel durch's Gehirn gejagt! Hier! in Eure Hände liefere ich die Mordwaffen, da nun alles vorbei iſt.

Pepuſch riß ein Paar Piſtolen aus der Taſche, der Wirth prallte zurück, die beiden Bürgersleute grif¬ fen darnach und brachen, ſo wie ſie die Mordwaffe in Händen hatten, aus in ein unmäßiges Gelächter. Die Piſtolen waren von Holz, ein Kinderſpielzeug vom Chriſtmarkt her.

Pepuſch ſchien gar nicht zu bemerken was um ihn her vorging; er ſaß da in tiefen Gedanken und187 rief dann einmal übers andre: Wenn ich ihn nur fin¬ den könnte, wenn ich ihn nur finden könnte!

Der Wirth faßte Herz und fragte beſcheiden: Wen meinen Sie eigentlich, beſter Herr Pepuſch, wen können Sie nicht finden?

Kennt Ihr, ſprach Pepuſch feierlich, indem er den Wirth ſcharf ins Auge faßte, kennt Ihr einen, der dem Könige Sekakis zu vergleichen an Macht und wunderbarer Kraft, ſo nennt ſeinen Namen und ich küſſe Euch die Füße! Doch wollt ich übrigens Euch fragen, ob Ihr jemanden wißt, der den Herrn Peregri¬ nus Tyß kennt, und mir ſagen kann, wo ich ihn in dieſem Augenblick treffen werde?

Da, erwiederte freundlich ſchmunzelnd der Wirth, da kann ich dienen, verehrteſter Herr Pepuſch und Ihnen berichten, daß der gute Herr Tyß ſich erſt vor einer Stunde hier befand und ein Schöppchen Würz¬ burger zu ſich nahm. Er war ſehr in Gedanken, und rief plötzlich, als ich bloß erwähnte, was die Börſen¬ halle Neues gebracht: Ja ſüße Gamaheh! ich habe dir entſagt! Sey glücklich in meines Georgs Ar¬ men! Dann ſprach eine feine kurioſe Stimme: Laßt uns jetzt zum Leuwenhöck gehen und ins Horos¬ kop kucken! Sogleich leerte Herr Tyß eiligſt das Glas und machte ſich ſammt der Stimme ohne Kör¬188 per von dannen; wahrſcheinlich ſind beide, die Stim¬ me und Herr Tyß, zum Leuwenhöck gegangen, der ſich im Lamento befindet, weil ihm ſämmtliche abge¬ richtete Flöhe krepirt ſind.

Da ſprang George in voller Furie auf, packte den Wirth bei der Kehle, und ſchrie: Hallunkiſcher Egelsbote, was ſprichſt du? Entſagt? ihr entſagt Gamaheh Peregrinus Sekakis?

Des Wirths Erzählung war ganz der Wahr¬ heit gemäß; den Meiſter Floh hatte er vernommen, der den Herrn Peregrinus Tyß mit feiner Silber¬ ſtimme aufforderte, zum Mikroskopiſten Leuwenhöck zu gehen, der geneigte Leſer, weiß bereits, zu wel¬ chem Zweck. Peregrinus begab ſich auch wirklich auf den Weg dahin.

Leuwenhöck empfing den Peregrinus mit ſüßli¬ cher widerwärtiger Freundlichkeit und mit jenem de¬ müthigen Complimentenweſen, in dem ſich das läſtige, erzwungene Anerkenntniß der Superiorität ausſpricht. Da aber Peregrinus das mikroskopiſche Glas in der Pupille hatte, ſo half dem Herrn Anton von Leu¬ wenhöck alle Freundlichkeit, alle Demuth ganz und gar nichts, vielmehr erkannte Peregrinus alsbald den Mißmuth, ja den Haß, der des Mikroskopiſten Seele erfüllte.

189

Während er verſicherte, wie ſehr ihn des Herrn Tyß Beſuch ehre und erfreue, lauteten die Gedanken: » Ich wollte, daß dich der ſchwarzgefiederte Satan » zehntauſend Klafter tief in den Abgrund ſchleudere, » aber ich muß freundlich und unterwürfig gegen dich » thun, da die verfluchte Conſtellation mich unter » deine Herrſchaft geſtellt hat und mein ganzes Seyn » in gewiſſer Art von dir abhängig iſt. Doch werde » ich dich vielleicht überliſten können, denn trotz deiner » vornehmen Abkunft, biſt du doch ein einfältiger » Tropf. Du glaubſt, daß die ſchöne Dörtje El¬ » verdink dich liebt und willſt ſie vielleicht gar heira¬ » then? Wende dich nur deshalb an mich, denn » fällſt du doch trotz der Macht, die dir innwohnt, » ohne daß du es weißt, in meine Hand und ich werde » alles anwenden, dich zu verderben und der Dörtje » ſo wie des Meiſters Floh habhaft zu werden. »

Natürlicherweiſe richtete Peregrinus ſein Betra¬ gen nach dieſen Gedanken ein und hütete ſich wohl der ſchönen Dörtje Elverdink auch nur mit einem Worte zu erwähnen, vielmehr gab er vor, gekommen zu ſeyn, Herrn von Leuwenhöcks geſammelte natur¬ hiſtoriſche Merkwürdigkeiten in Augenſchein zu nehmen.

Während nun Leuwenhöck die großen Schränke öffnete, ſagte Meiſter Floh dem Peregrinus ganz leiſe190 ins Ohr, daß auf dem Tiſche am Fenſter, ſein (des Peregrinus) Horoskop liege. Peregrinus näherte ſich behutſam und blickte ſcharf hin. Da ſah er nun zwar allerlei Linien, die ſich myſtiſch durchkreuzten und an¬ dere wunderbare Zeichen; da es ihm indeſſen an aſtro¬ logiſcher Kenntniß gänzlich mangelte, ſo konnte er ſo ſcharf hinblicken, als er nur wollte, alles blieb ihm doch undeutlich und verworren. Seltſam ſchien es ihm nur, daß er den rothen glänzenden Punkt in der Mitte der Tafel, auf der das Horoskop entworfen, ganz deutlich für ſein Selbſt anerkennen mußte. Je länger er den Punkt anſchaute, deſto mehr gewann er die Geſtalt eines Herzens, deſto brennender röthete er ſich; doch funkelte er nur wie durch Geſpinnſt, womit er umzogen.

Peregrinus merkte wohl, wie Leuwenhöck ſich mühte, ihn von dem Horoſkop abzuziehen und beſchloß ganz vernünftig, ſeinen freundlichen Feind, ohne alle weitere Umſchweife geradezu um die Bedeutung der geheimnißvollen Tafel zu befragen, da er nicht Gefahr laufe, belogen zu werden.

Leuwenhöck verſicherte, hämiſch lächelnd, daß ihm nichts größere Freude verurſachen könne, als ſei¬ nem hochverehrteſten Freunde die Zeichen auf der Ta¬191 fel, die er ſelbſt nach ſeiner geringen Kenntniß von ſolchen Sachen entworfen, zu erklären.

Die Gedanken lauteten: » Hoho! willſt du da » hinaus mein kluger Patron? Fürwahr, Meiſter » Floh hat dir gar nicht übel gerathen! Ich ſelbſt ſoll » die geheimnißvolle Tafel erklärend, dir vielleicht auf » die Sprünge helfen, Rückſichts der magiſchen Macht » deiner werthen Perſon? könnte dir was vor¬ » lügen, doch was könnte das nützen, da du, wenn » ich dir auch die Wahrheit ſage, doch kein Jota von » Allem verſtehſt, ſondern dumm bleibſt, wie vorher. » Aus purer Bequemlichkeit und um mich nicht mit » neuer Erfindung in Unkoſten zu ſetzen, will ich da¬ » her von den Zeichen der Tafel ſo viel ſagen, als » mir gerade gut dünkt. »

Peregrinus wußte nun, daß er zwar nicht alles erfahren, jedoch wenigſtens nicht belogen werden würde.

Leuwenhöck brachte die Tafel auf das einer Staf¬ felei ähnliche Geſtell, welches er aus einem Winkel in die Mitte des Zimmers hervorgerückt hatte. Beide, Leuwenhöck und Peregrinus ſetzten ſich vor die Tafel hin und betrachteten ſie ſtillſchweigend.

» Ihr ahnet, » begann endlich Leuwenhöck mit einiger Feierlichkeit, » ihr ahnet vielleicht nicht, Pe¬ » regrinus Tyß, daß jene Züge, jene Zeichen auf der192 » Tafel, die Ihr ſo aufmerkſam betrachtet, Euer eig¬ » nes Horoskop ſind, das ich mit geheimnißvoller » aſtrologiſcher Kunſt, unter günſtigem Einfluß der » Geſtirne, entworfen. Wie kommt Ihr zu ſol¬ » cher Anmaßung, wie mögt Ihr eindringen in die » Verſchlingungen meines Lebens, wie mein Geſchick » enthüllen wollen? So könntet Ihr mich fragen, » Peregrinus und hättet vollkommenes Recht dazu, » wenn ich Euch nicht ſogleich meinen innern Beruf » dazu nachzuweiſen im Stande wäre. Ich weiß nicht » ob Ihr vielleicht den berühmten Rabbi, Iſaac Ben » Harravad gekannt, oder wenigſtens von ihm gehört » habt. *)Der Rabbi Iſaac Ben Harravad lebte zu Ende des zwölften Jahrhunderts. S. Bartolorri, Bib¬ lioth. rabbinica. Tom. III. p. 888. Unter andern tiefen Kenntniſſen, beſaß » Rabbi Harravad die ſeltene Gabe, den Menſchen » es am Geſicht anzuſehen, ob ihre Seele ſchon früher » einen andern Körper bewohnt oder ob ſolcher für » gänzlich friſch und neu zu achten. Ich war noch » ſehr jung, als der alte Rabbi ſtarb an einer Unver¬ » daulichkeit, die er ſich durch ein ſchmackhaftes Knob¬ » lauch-Gericht zugezogen. Die Juden liefen mit der » Leiche ſo ſchnell von dannen, daß der Selige nicht

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» Zeit hatte, alle ſeine Kenntniße und Gaben, die » die Krankheit auseinander geſtreut, zuſammen zu » raffen und mitzunehmen. Lachende Erben theilten » ſich darin, ich aber hatte jene wunderbare Seher¬ » gabe in dem Augenblick weggefiſcht, als ſie auf der » Spitze des Schwerdts ſchwebte, das der Todesengel » auf die Bruſt des alten Rabbi ſetzte. So iſt aber » jene wunderbare Gabe auf mich übergegangen, und » auch ich erſchaue, wie Rabbi Iſaac Ben Harravad » aus dem Geſicht des Menſchen, ob ſeine Seele ſchon » einen andern Körper bewohnt hat oder nicht. Euer » Antlitz, Peregrinus Tyß, erregte mir, als ich es » zum erſtenmale ſah, die ſeltſamſten Bedenken und » Zweifel. Gewiß wurde mir die lange Vorexiſtenz » Eurer Seele und doch blieb jede, Euerm jetzigen Le¬ » ben vorausgegangene Geſtaltung völlig dunkel. Ich » mußte meine Zuflucht zu den Geſtirnen nehmen, » und Euer Horoskop ſtellen, um das Geheimniß zu » löſen. »

Und, unterbrach Peregrinus den Flohbändiger, und habt Ihr etwas herausgebracht, Herr Leuwen¬ höck?

Allerdings, erwiederte Leuwenhöck, indem er noch einen feierlichern Ton annahm, allerdings! Ich habe erkannt, daß das phyſiſche Prinzip, welches jetzt13194den angenehmen Körper meines werthen Freundes, des Herrn Peregrinus Tyß belebt, ſchon lange vorher exiſtir¬ te, wiewohl nur als Gedanke ohne Bewußtſeyn der Ge¬ ſtaltung. Schaut hin, Herr Peregrinus, betrachtet aufmerkſam den rothen Punkt in der Mitte der Ta¬ fel. Das ſeyd Ihr nicht allein ſelbſt, ſondern der Punkt iſt auch die Geſtalt, deren ſich Euer phyſiſches Prinzip einſt nicht bewußt werden konnte. Als ſtra¬ lender Karfunkel, lagt Ihr damals im tiefen Schacht der Erde, aber über Euch hingeſtreckt, auf die grüne Fläche des Bodens, ſchlummerte die holde Gamaheh und nur in jener Bewußtloſigkeit zerrann auch ihre Geſtaltung. Seltſame Linien, fremde Conſtellatio¬ nen durchſchneiden nun Euer Leben von dem Zeit¬ punkt an, als der Gedanke ſich geſtaltete und zum Herrn Peregrinus Tyß wurde. Ihr ſeyd im Beſitz eines Talismans, ohne es zu wiſſen. Dieſer Ta¬ lisman iſt eben der rothe Karfunkel; es kann ſeyn, daß der König Sekakis ihn als Edelſtein in der Krone trug oder daß er gewiſſermaßen ſelbſt der Karfunkel war; genug Ihr beſitzt ihn jetzt, aber ein gewiſ¬ ſes Ereigniß muß hinzutreten, wenn ſeine ſchlum¬ mernde Kraft erweckt werden ſoll und mit dieſem Er¬ wachen der Kraft Eures Talismans entſcheidet ſich das Schickſal einer Unglücklichen, die bis jetzt zwi¬195 ſchen Furcht und ſchwankender Hoffnung, ein mühſe¬ liges Scheinleben geführt hat. Ach! nur ein Schein¬ leben konnte die ſüße Gamaheh durch die tiefſte magiſche Kunſt gewinnen, da der wirkende Talisman uns ge¬ raubt war! Ihr allein habt ſie getödtet, ihr allein könnet ihr Leben einhauchen, wenn der Karfunkel auf¬ geglüht iſt in Eurer Bruſt!

Und, unterbrach Peregrinus den Flohbändiger aufs neue, und jenes Ereigniß, wodurch die Kraft des Talismans geweckt werden ſoll, wißt ihr mir das zu deuten, Herr Leuwenhöck?

Der Flohbändiger glotzte den Peregrinus an mit weit aufgeriſſenen Augen, und ſah gerade ſo aus, wie einer, den plötzlich große Verlegenheit überraſcht und der nicht weiß, was er ſagen ſoll. Die Gedan¬ ken lauteten: » Wetter, wie iſt es gekommen, daß » ich viel mehr geſagt habe, als ich eigentlich ſagen » wollte? Hätte ich wenigſtens nicht von dem Talis¬ » man das Maul halten ſollen, den der glückſelige » Schlingel im Leibe trägt, und der ihm ſo viel Macht » geben kann über uns, daß wir alle nach ſeiner Pfeife » tanzen müſſen? Und nun ſoll ich ihm das Er¬ » eigniß ſagen, von dem das Erwachen der Kraft ſei¬ » nes Talismans abhängt! Darf ich ihm denn » geſtehen, daß ich es ſelbſt nicht weiß, daß alle meine13 *196» Kunſt daran ſcheitert, den Knoten zu löſen, in den » ſich alle Linien verſchlingen, ja, daß wenn ich die¬ » ſes ſideriſche Hauptzeichen des Horoskops betrachte, » es mir ganz jämmerlich zu Muthe wird, und mein » ehrwürdiges Haupt mir ſelbſt vorkommt, wie ein » bunt bemalter Haubenſtock, aus ſchnöder Pappe ge¬ » fertigt? Fern ſey von mir ſolch ein Geſtändniß, » das mich ja herabwürdigen und ihm Waffen gegen » mich in die Hände geben würde. Ich will dem Pin¬ » ſel, der ſich ſo klug dünkt, etwas aufheften, das » ihm durch alle Glieder fahren und ihm alle Luſt be¬ » nehmen ſoll, weiter in mich zu dringen. »

» Allerliebſter, » ſprach nun der Flohbändiger, indem er ein ſehr bedenkliches Geſicht zog, » allerlieb¬ » ſter Herr Tyß, verlangt nicht, daß ich von dieſem » Ereigniß ſprechen ſoll. Ihr wißt, daß das Ho¬ » roskop uns zwar über das Eintreten gewiſſer Um¬ » ſtände klar und vollſtändig belehrt, daß aber, ſo will » es die Weisheit der ewigen Macht, der Ausgang » bedrohlicher Gefahr ſtets dunkel bleibt und hierüber » nur zweifelhafte Deutungen möglich und zuläßig » ſind. Viel zu lieb hab 'ich Euch als einen guten » vortrefflichen Herzensmann, beſter Herr Tyß, um » Euch vor der Zeit in Unruhe und Angſt zu ſetzen; » ſonſt würde ich Euch wenigſtens ſo viel ſagen, daß197 » das Ereigniß, welches Euch das Bewußtſeyn Eurer » Macht geben dürfte, auch in demſelben Augenblick » die jetzige Geſtaltung Eures Seyns unter den ent¬ » ſetzlichſten Qualen der Hölle zerſtören könnte. » Doch nein! Auch das will ich Euch verſchwei¬ » gen und nun kein Wort weiter von dem Horoskop. » Aengſtigt Euch nur ja nicht, beſter Herr Tyß, un¬ » erachtet die Sache ſehr ſchlimm ſteht und ich, nach » aller meiner Wiſſenſchaft, kaum einen guten Aus¬ » gang des Abentheuers herausdeuten kann. Vielleicht » rettet Euch doch eine ganz unvermuthete Conſtella¬ » tion, die noch jetzt außer dem Bereich der Beobach¬ » tung liegt, aus der böſen Gefahr. »

Peregrinus erſtaunte über Leuwenhöcks tückiſche Falſchheit, indeſſen kam ihm die ganze Lage der Sa¬ che, die Stellung, in der Leuwenhöck, ohne es zu wiſſen, zu ahnen, ihm gegenüber ſtand, ſo ungemein ergötzlich vor, daß er ſich nicht enthalten konnte in ein ſchallendes Gelächter auszubrechen.

» Worüber, » fragte der Flohbändiger etwas be¬ treten, » worüber lacht Ihr ſo ſehr, mein wertheſter » Herr Tyß? »

» Ihr thut, » erwiederte Peregrinus noch im¬ mer lachend, » Ihr thut ſehr klug, Herr Leuwen¬ » höck, daß Ihr mir das bedrohliche Ereigniß aus198 » purer Schonung verſchweigt. Denn außerdem, daß » Ihr viel zu ſehr mein Freund ſeyd, um mich in » Angſt und Schrecken zu ſetzen, ſo habt Ihr noch » einen andern triftigen Grund dazu, der in nichts » anderem beſteht, als daß Ihr ſelbſt nicht das min¬ » deſte von jenem Ereigniſſe wißt. Vergebens blieb ja » all' Euer Mühen, jenen verſchlungenen Knoten zu lö¬ » ſen; mit Eurer ganzen Aſtrologie iſt es ja nicht » weit her, und wäre Euch Meiſter Floh nicht ohn¬ » mächtig auf die Naſe gefallen, ſo ſtünde es mit all » Euren Künſten herzlich ſchlecht. »

Wuth entflammte Leuwenhöcks Antlitz, er ballte die Fäuſte, er knirſchte mit den Zähnen, er zitterte und ſchwankte ſo ſehr, daß er vom Stuhle gefallen, hätte ihn nicht Peregrinus beim Arm ſo feſt gepackt, als George Pepuſch den unglücklichen Weinwirth bei der Kehle. Dieſem Wirth gelang es, ſich durch ei¬ nen geſchickten Seitenſprung zu retten. Alsbald flog Pepuſch zur Thüre hinaus und trat in Leuwenhöcks Zimmer, gerade in dem Augenblick, als Peregrinus ihn auf dem Stuhle feſthielt und er grimmig zwi¬ ſchen den Zähnen murmelte: Verruchter Swammer¬ damm, hätteſt du mir das gethan!

So wie Peregrinus ſeinen Freund Pepuſch er¬ blickte, ließ er den Flohbändiger los, trat dem Freunde199 entgegen und fragte ängſtlich, ob denn die entſetzliche Stimmung vorüber, die ihn mit ſolcher verderblichen Gewalt ergriffen.

Pepuſch ſchien beinahe bis zu Thränen erweicht, er verſicherte, daß er Zeit ſeines Lebens nicht ſo viel abgeſchmackte Thorheiten begangen, als eben heute, wozu er vorzüglich rechne, daß er, nachdem er ſich im Walde eine Kugel durch den Kopf geſchoßen, in einem Weinhauſe, ſelbſt wiſſe er nicht mehr, wo es geweſen, ob bei Protzler, im Schwan, im Weiden¬ hof oder ſonſt irgendwo, zu gutmüthigen Leuten von überſchwenglichen Dingen geſprochen und den Wirth meuchelmörderiſcher Weiſe erwürgen wollen, bloß weil er aus ſeinen abgebrochenen Reden zu entnehmen ge¬ glaubt, daß das Glückſeligſte geſchehen, was ihm (dem Pepuſch) nur widerfahren könne. Alle ſeine Un¬ fälle würden nun bald die höchſte Spitze erreichen, denn nur zu gewiß hätten die Leute ſeine Reden, ſein gan¬ zes Beginnen, für den ſtärkſten Ausbruch des Wahn¬ ſinnes gehalten und er müßte fürchten, ſtatt die Früchte des frohſten Ereigniſſes zu genießen, in das Irren¬ haus geſperrt zu werden. Pepuſch deutete hierauf an, was der Weinwirth über Peregrinus Betragen und Aeußerungen fallen laſſen, und fragte hocherrö¬ thend mit niedergeſchlagenen Augen, ob ein ſolches200 Opfer, eine ſolche Entſagung zu Gunſten eines un¬ glücklichen Freundes, wie er es ahnen wolle, in der jetzigen Zeit, in der der Heroismus von der Erde ver¬ ſchwunden, wohl noch möglich, wohl noch denkbar ſeyn könne.

Peregrinus lebte im Innern ganz auf bei den Aeußerungen ſeines Freundes; er verſicherte feurig, daß er ſeiner Seits weit entfernt ſey, den bewährten Freund nur im mindeſten zu kränken, daß er al¬ len Anſprüchen auf Herz und Hand der ſchönen Dörtje Elverdink feierlichſt entſage und gern auf ein Para¬ dies verzichte, das ihm freilich in glänzendem verfüh¬ reriſchem Schimmer entgegen gelacht.

» Und dich, » rief Pepuſch, indem er an die Bruſt des Freundes ſtürzte, » und dich wollte ich er¬ » morden, und weil ich nicht an dich glaubte, darum » erſchoß ich mich ſelbſt! O der Raſerei, o des » wüſten Treibens eines verſtörten Gemüths! »

» Ich, » unterbrach Peregrinus den Freund, » ich » bitte dich, George, komme zur Beſinnung. Du » ſprichſt von Todtſchießen und ſteheſt friſch und ge¬ » ſund vor mir! Wie reimt ſich das zuſammen. »

» Du haſt Recht, » erwiederte Pepuſch, » es » ſcheint als ob ich nicht mit dir ſo vernünftig reden » könnte, wie es wirklich geſchieht, wenn ich mir in201 » der That eine Kugel durch's Gehirn gejagt hätte. » Die Leute behaupteten auch, meine Piſtolen wären » keine ſonderlich ernſte Mordwaffen, auch gar nicht » von Eiſen ſondern von Holz, mithin nur Kinder¬ » ſpielzeug und ſo könnte vielleicht der Zweikampf, ſo » wie der Selbſtmord nichts geweſen ſeyn, als eine » vergnügliche Ironie. Hätten wir denn nicht unſere » Rollen getauſcht und ich begänne mit der Selbſtmy¬ » ſtifikation und handthierte mit dummen Kindereien » in dem Augenblick, da du aus deiner kindiſchen Fa¬ » belwelt heraustrittſt in das wirkliche rege Leben. » Doch dem ſey wie ihm wolle, es iſt nöthig, daß » ich deines Edelmuths und meines Glücks gewiß wer¬ » de, dann zerſtreuen ſich wohl bald alle Nebel, die » meinen Blick trüben oder die mich vielleicht täu¬ » ſchen mit Morganiſchen Truggebilden. Komm mein » Peregrinus, begleite mich hin zu der holden Dörtje » Elverdink, aus deiner Hand empfange ich die ſüße » Braut.

Pepuſch faßte den Freund unter den Arm und wollte mit ihm ſchnell davon eilen, doch der Gang, den ſie zu thun gedachten, ſollte ihnen erſpart wer¬ den. Die Thüre öffnete ſich nämlich, und hinein trat Dörtje Elverdink, ſchön und anmuthig wie ein Engelskind, hinter ihr her aber der alte Herr Swam¬202 mer. Leuwenhöck, der ſo lange ſtumm und ſtarr da¬ geſtanden und nur, bald dem Pepuſch, bald dem Pe¬ regrinus zornfunkelnde Blicke zugeworfen hatte, ſchien, als er den alten Swammerdamm erblickte, wie von einem elektriſchen Schlage getroffen. Er ſtreckte ihm die geballten Fäuſte entgegen und ſchrie mit vor Wuth gellender Stimme: » Ha![kommſt] du mich zu verhöh¬ » nen, alter betrügeriſcher Unhold? Aber es ſoll » dir nicht gelingen. Vertheidige dich, deine letzte » Stunde hat geſchlagen. »

Swammerdamm prallte einige Schritte zurück und zog, da Leuwenhöck mit dem Fernglas bereits gegen ihn ausfiel, die gleiche Waffe zu ſeiner Verthei¬ digung. Der Zweikampf, der im Hauſe des Herrn Peregrinus Tyß ſich entzündet, ſchien aufs neue be¬ ginnen zu wollen.

George Pepuſch warf ſich zwiſchen die Kämpfen¬ den und indem er einen mörderiſchen Blick Leuwen¬ höcks, der den Gegner zu Boden geſtreckt haben würde, geſchickt mit der linken Fauſt wegſchlug, drückte er mit der rechten die Waffe, womit der Swammerdamm ſich eben blickfertig ausgelegt hatte, hinab, ſo daß ſie den Leuwenhöck nicht verwunden konnte.

Pepuſch erklärte dann laut, daß er irgend einen Streit, irgend einen gefährlichen Kampf zwiſchen203 Leuwenhöck und Swammerdamm nicht eher zulaſſen werde bis er die Urſache ihres Zwiſts von Grund aus erfahren. Peregrinus fand das Beginnen ſeines Freundes ſo vernünftig, daß er gar keinen Anſtand nahm, ebenfalls zwiſchen die Kämpfer zu treten und ſich eben ſo zu erklären wie Pepuſch.

Beide, Leuwenhöck und Swammerdamm, waren genöthigt, den Fremden nachzugeben. Swammerdamm verſicherte überdem, daß er durchaus nicht in feindlicher Abſicht, ſondern nur deshalb gekommen ſey, um Rück¬ ſichts der Dörtje Elverdink mit Leuwenhöck in gütli¬ chen Vergleich zu treten und ſo eine Fehde zu enden, die zwei für einander geſchaffene Prinzipe, deren ge¬ meinſchaftliches Forſchen nur den tiefſten Born der Wiſſenſchaft erſchöpfen könne, feindlich entzweit und nur zu lange gedauert habe. Er blickte dabei den Herrn Peregrinus Tyß lächelnd an und meinte, Pe¬ regrinus werde, wie er zu hoffen ſich unterſtehe, da Dörtje doch eigentlich in ſeine Arme geflohen, den Vermittler machen.

Leuwenhöck verſicherte dagegen, daß Dörtjes Be¬ ſitz freilich der Zankapfel ſey, indeſſen habe er ſo eben eine neue Tücke ſeines unwürdigen Collegen entdeckt. Nicht allein, daß er den Beſitz eines gewiſſen Mi¬ kroskops läugne, das er bei einer gewiſſen Gelegen¬204 heit als Abfindung erhalten, um ſeine unrechtmäßige Anſprüche auf Dörtjes Beſitz zu erneuern, ſo habe er noch überdem jenes Mikroskop einem Andern über¬ laſſen, um ihn, den Leuwenhöck, noch mehr zu quä¬ len und zu ängſtigen. Swammerdamm ſchwur dage¬ gen hoch und theuer, daß er das Mikroskop niemals empfangen und große Urſache habe zu glauben, daß es von Leuwenhöck boshafter Weiſe unterſchlagen worden.

» Die Narren, » lispelte Meiſter Floh dem Pe¬ regrinus leiſe zu, » die Narren, ſie ſprechen von dem » Mikroskop, das Euch im Auge ſitzt. Ihr wißt, » daß ich bei dem Friedenstraktat, den Swammer¬ » damm und Leuwenhöck über den Beſitz der Prinzeſſin » Gamaheh abſchloſſen, zugegen war. Als nun Swam¬ » merdamm das mikroskopiſche Glas, das er in der » That von Leuwenhöck erhalten, in die Pupille des » linken Auges werfen wollte, ſchnappte ich es weg, » weil es nicht Leuwenhöcks ſondern mein rechtmäſ¬ » ſiges Eigenthum war. Sagt nur gerade heraus, » Herr Peregrinus, daß Ihr das Kleinod habt. »

Peregrinus nahm auch gar keinen Anſtand, ſo¬ gleich zu verkündigen, daß er das mikroskopiſche Glas beſitze, welches Swammerdamm von Leuwenhöck er¬ halten ſollen aber nicht erhalten; mithin ſey jener205 Verein noch gar nicht ausgeführt worden und keiner, weder Leuwenhöck noch Swammerdamm habe zur Zeit das unbedingte Recht, die Dörtje Elverdink für ſeine Pflegetochter anzuſehen.

Nach vielem Hin - und Herreden, kamen die beiden Streitenden dahin überein, daß Herr Pere¬ grinus Tyß, die Dörtje Elverdink, welche ihn auf das zärtlichſte liebe, zu ſeiner Frau Gemahlin erkieſen und dann nach ſieben Monaten ſelbſt entſcheiden ſolle, wer von beiden Mikroskopiſten als wünſchenswerther Pflege - und Schwiegervater anzuſehen.

So anmuthig und allerliebſt auch Dörtje Elver¬ dink in dem zierlichſten Anzuge, den Amoretten ge¬ ſchneidert zu haben ſchienen, ausſehen, ſolche ſüße, ſchmachtende Liebesblicke ſie auch dem Herrn Peregri¬ nus Tyß zuwerfen mochte, doch gedachte Peregrinus ſeines Schützlings ſo wie ſeines Freundes und blieb dem gegebenen Worte getreu, und erklärte von neuem, daß er auf Dörtjes Hand verzichte.

Die Mikroskopiſten waren nicht wenig betreten, als Peregrinus den George Pepuſch für denjenigen er¬ klärte, der die mehrſten und gerechteſten Anſprüche auf Dörtjes Hand habe und meinten, daß er wenigſtens zur Zeit gar keine Macht habe, ihren Willen zu be¬ ſtimmen.

206

Dörtje Elverdink wankte, indem ein Thränen¬ ſtrom ihr aus den Augen ſtürzte, auf Peregrinus zu, der ſie in ſeinen Armen auffing, als ſie eben halb ohnmächtig zu Boden ſinken wollte. » Undankbarer, » ſeufzte ſie, » du brichſt mir das Herz, indem du mich von dir ſtößeſt! Doch du willſt es! nimm noch dieſen Abſchiedskuß und laß mich ſterben. »

Peregrinus bückte ſich hinab, als aber ſein Mund den Mund der Kleinen berührte, biß ſie ihn ſo heftig in die Lippen, daß das Blut hervorſprang. » Unart, » rief ſie dabei ganz luſtig, » ſo muß man dich züchti¬ » gen! Komm zu Verſtande, ſey artig und nimm » mich, mag auch der Andere ſchreien wie er will. » Die beiden Mikroskopiſten waren indeſſen wieder, der Himmel weiß, worüber, in heftigen Zank gerathen. George Pepuſch warf ſich aber ganz troſtlos der ſchö¬ nen Dörtje zu Füßen, und rief mit einer Stimme, die jämmerlich genug klang, um aus der heiſeren Kehle des unglücklichſten Liebhabers zu kommen: Gamaheh! ſo iſt denn die Flamme in deinem Innern ganz er¬ loſchen, ſo gedenkſt du nicht mehr der herrlichen Vor¬ zeit in Famaguſta, nicht mehr der ſchönen Tage in Berlin, nicht mehr

» Du biſt, » fiel die Kleine dem Unglücklichen la¬ chend ins Wort, » du biſt ein Haſenfuß, George, mit207 » deiner Gamaheh, mit deiner Diſtel Zeherit und all » dem andern tollen Zeuge, das dir einmal geträumt » hat. Ich war dir gut, mein Freund und bin es noch » und nehme dich, unerachtet mir der Große dort beſ¬ » ſer gefällt, wenn du mir heilig verſprichſt, ja feier¬ » lich ſchwörſt, daß du alle deine Kräfte anwenden » willſt »

Die Kleine lispelte dem Pepuſch etwas ganz leiſe ins Ohr; Peregrinus glaubte aber zu vernehmen, daß von Meiſter Floh die Rede.

Immer heftiger war indeſſen der Zank zwiſchen den beiden Mikroskopiſten geworden, ſie hatten aufs neue zu den Waffen gegriffen und Peregrinus mühte ſich eben, die erhitzten Gemüther zu beſänftigen, als die Geſellſchaft ſich wiederum vermehrte.

Unter widerwärtigem Kreiſchen und häßlichem Geſchrei wurde die Thüre aufgeſtoßen und hinein ſtürzten der ſchöne Geiſt, Monſieur Legénie und der Bartſcheerer Egel. Mit wilder entſetzlicher Gebehrde ſprangen ſie los auf die Kleine und der Bartſcheerer hatte ſie ſchon bei der Schulter gepackt, als Pepuſch den häßlichen Feind mit unwiderſtehlicher Gewalt weg¬ drängte, ihn gleichſam mit dem ganzen biegſamen Körper umwand und dermaßen zuſammendrückte, daß208 er ganz lang und ſpitz in die Höhe ſchoß, indem er vor Schmerz laut brüllte.

Während dieß dem Bartſcheerer geſchah, hatten die beiden Mikroskopiſten bei der Erſcheinung der Feinde ſich augenblicklich mit einander verſöhnt, und den ſchönen Geiſt gemeinſchaftlich bekämpft mit vie¬ lem Glück. Nichts half es nämlich dem ſchönen Geiſt, daß er ſich, als er unten gehörig abgebläut worden, ſich zur Stubendecke erhob. Denn beide, Leuwen¬ höck und Swammerdamm, hatten kurze dicke Knittel ergriffen und trieben den ſchönen Geiſt, ſo wie er her¬ abſchweben wollte, durch demjenigen Theil des Körpers, der es am beſten vertragen kann, geſchickt applizirte Schläge immer wieder in die Höhe. Es war ein zier¬ liches Ballonſpiel, bei dem freilich der ſchöne Geiſt nothgedrungen, die ermüdendſte und zugleich die un¬ dankbarſte Rolle übernommen, nämlich die des Bal¬ lons.

Der Krieg mit den dämoniſchen Fremden, ſchien der Kleinen großes Entſetzen einzujagen; ſie ſchmiegte ſich feſt an Peregrinus und flehte ihn an, ſie fortzu¬ ſchaffen aus dieſem bedrohlichen Getümmel. Peregri¬ nus konnte das um ſo weniger ablehnen, als er über¬ zeugt ſeyn mußte, daß es auf dem Kampfplatz ſeiner Hülfe nicht bedurfte; er brachte daher die Kleine in209 ihre Wohnung, das heißt, in die Zimmer ſeines Miethsmanns.

Es genügt zu ſagen, daß die Kleine, als ſie ſich mit Herrn Peregrinus allein befand, aufs neue alle Künſte der feinſten Koketterie anwandte, um ihn in ihr Netz zu verlocken. Mocht er es auch noch ſo feſt im Sinn behalten, daß das alles Falſchheit ſey und nur dahin ziele, ſeinen Schützling in Sklaverei zu bringen, ſo ergriff ihn doch eine ſolche Verwirrung, daß er ſogar nicht an das mikroskopiſche Glas dachte, welches ihm zum wirkſamen Gegengift gedient haben würde.

Meiſter Floh gerieth aufs neue in Gefahr, er wurde jedoch auch dießmal durch Herrn Swammer gerettet, der mit George Pepuſch eintrat.

Herr Swammer ſchien ausnehmend vergnügt, Pepuſch hatte dagegen Wuth und Eiferſucht im glü¬ henden Blick. Peregrinus verließ das Zimmer.

Den tiefſten bitterſten Unmuth im wunden Her¬ zen, durchſtrich er düſter und in ſich gekehrt, die Straſ¬ ſen von Frankfurt, er ging zum Thore hinaus und weiter, bis er endlich zu dem anmuthigen Plätzchen kam, wo das ſeltſame Abentheuer mit ſeinem Freunde Pepuſch ſich zugetragen.

14210

Er bedachte aufs neue ſein wunderbares Verhäng¬ niß, anmuthiger, holder, im höhern Liebreiz als je¬ mals ging ihm das Bild der Kleinen auf, ſein Blut wallte ſtärker in den Adern, heftiger ſchlugen die Pulſe, die Bruſt wollte ihm zerſpringen vor brünſti¬ ger Sehnſucht. Nur zu ſchmerzlich fühlte er die Größe des Opfers, das er gebracht und mit dem er alles Glück des Lebens verloren zu haben glaubte.

Die Nacht war eingebrochen, als er zurückkehrte nach der Stadt. Ohne es zu gewahren, vielleicht aus unbewußter Scheu in ſein Haus zurückzukehren, war er in mancherlei Nebenſtraßen und zuletzt in die Kalbächer Gaſſe gerathen. Ein Menſch, der ein Felleiſen auf dem Rücken trug, fragte ihn, ob hier nicht der Buchbinder Lämmerhirt wohne. Peregrinus ſchaute auf und gewahrte daß er wirklich vor dem ſchmalen hohen Hauſe ſtand, in welchem der Buch¬ binder Lämmerhirt wohnte; er erblickte in luftiger Höhe die hellerleuchteten Fenſter des fleißigen Man¬ nes, der die Nacht hindurch arbeitete. Dem Men¬ ſchen mit dem Felleiſen wurde die Thüre geöffnet und er ging ins Haus.

Schwer fiel es dem Peregrinus aufs Herz, daß er in der Verwirrung der letzten Zeit vergeſſen hatte,211 dem Buchbinder Lämmerhirt verſchiedene Arbeiten zu bezahlen die er für ihn gefertigt hatte; er be¬ ſchloß gleich am folgenden Morgen hinzugehen und ſeine Schuld zu tilgen.

14 *
[212]

Siebentes Abentheuer.

Feindliche Nachſtellungen der verbündeten Mikroskopiſten nebſt ihrer fortwährenden Dummheit. Neue Prüfungen des Herrn Peregrinus Tyß und neue Gefahren des Meiſters Floh. Röschen Lämmerhirt. Der entſcheidende Traum und Schluß des Mährchens.

Fehlt es auch über den eigentlichen Ausgang des Kampfs in Leuwenhöcks Zimmer gänzlich an be¬ ſtimmten Nachrichten, ſo ſteht doch nichts anders zu vermuthen, als daß die beiden Mikroskopiſten mit Hülfe des jungen Herrn George Pepuſch, einen voll¬ ſtändigen Sieg über die böſen feindlichen Geſellen er¬ fochten haben mußten. Unmöglich hätte ſonſt der alte Swammer bei ſeiner Rückkehr ſo freundlich, ſo vergnügt ſeyn können, als er es wirklich war. Mit derſelben frohen freudigen Miene, trat Swam¬ mer oder vielmehr Herr Johannes Swammerdamm, am andern Morgen hinein zu Herrn Peregrinus, der noch im Bette lag und mit ſeinem Schützling, dem Meiſter Floh, in tiefem Geſpräch begriffen war.

213

Peregrinus unterließ nicht, ſogleich, als er den Herrn Swammerdamm erblickte, ſich das mikrosko¬ piſche Glas in die Pupille werfen zu laſſen.

Nach vielen langen und eben ſo langweiligen Entſchuldigungen ſeines zu frühzeitigen Beſuchs, nahm endlich Swammerdamm Platz dicht an Peregrinus Bett. Durchaus wollte der Alte nicht zugeben, daß Peregrinus aufſtehe und den Schlafrock umwerfe.

In den wunderlichſten Redensarten dankte der Alte dem Peregrinus für die großen Gefälligkeiten, die er ihm erwieſen und die darin beſtehen ſollten, daß er ihn nicht allein als Miethsmann in ſein Haus auf¬ genommen, ſondern auch erlaubt, daß der Hausſtand durch ein junges bisweilen etwas zu lebhaftes und zu lautes Frauenzimmer vermehrt worden. Ferner aber müſſe er die größte Gefälligkeit darin finden, daß Pe¬ regrinus nicht ohne ſelbſt Opfer zu bringen, ſeine (des Alten) Verſöhnung mit dem alten Freunde und Kunſt - Collegen Anton von Leuwenhöck bewirkt habe. So wie Swammerdamm erzählte, hatten ſich beider Her¬ zen in dem Augenblick zu einander hingeneigt, als ſie von dem ſchönen Geiſt und dem Bartſcheerer überfal¬ len wurden und die ſchöne Dörtje Elverdink retten mußten, vor den böſen Unholden. Die förmliche214 ernſtliche Verſöhnung der Entzweiten, war dann bald darauf erfolgt.

Leuwenhöck hatte den günſtigen Einfluß, den Peregrinus auf beide gehabt, eben ſo gut erkannt, als Swammerdamm und den erſten Gebrauch, den ſie von dem wiederhergeſtellten Freundſchaftsbunde machten, beſtand darin, daß ſie gemeinſchaftlich das ſeltſam und wunderbar verſchlungene Horoskop des Herrn Peregrinus Tyß betrachteten und ſo viel als möglich zu deuten ſuchten.

» Was, » ſo ſprach Herr Johannes Swammer¬ damm, » was meinem Freunde Anton von Leuwen¬ » höck allein nicht gelang, das brachten unſre gemein¬ » ſchaftlichen Kräfte zu Stande und ſo war dieſes » Experiment das zweite, welches wir trotz aller Hin¬ » derniſſe, die ſich uns entgegenſtemmten, mit dem » glänzendſten Erfolg unternahmen.

» Der alberne kurzſichtige Thor, » lispelte Mei¬ ſter Floh, der dicht neben Peregrinus Ohr auf dem Kopfkiſſen ſaß, » noch immer glaubt er, daß durch » ihn Prinzeſſin Gamaheh belebt worden iſt. Für¬ » wahr ein ſchönes Leben iſt das, zu dem die Unge¬ » ſchicklichkeit der blöden Mikroskopiſten die Aermſte » gezwungen! »

215

» Mein beſter, » fuhr Swammerdamm fort, der den Meiſter Floh um ſo weniger vernommen, als er gerade ſtark zu nieſen genöthigt, » mein beſter vor¬ » trefflichſter Herr Peregrinus Tyß, Sie ſind ein von » dem Weltgeiſt ganz beſonders Erkohrner, ein Schoo߬ » kind der Natur; denn Sie beſitzen den wunderbar¬ » ſten, mächtigſten Talisman oder um richtiger und » wiſſenſchaftlicher zu ſprechen, das herrlichſte Tſil¬ » menaja oder Tilſemoht, das jemals getränkt von » dem Thau des Himmels, aus dem Schooß der Erde » hervorgegangen. Es macht meiner Kunſt Ehre, » daß ich, und nicht Leuwenhöck es herausgebracht, » daß dieſes glückliche Tſilmenaja von dem Könige » Nacrao abſtammt, der lange vor der Sündfluth in » Egypten herrſchte. Doch die Kraft des Talis¬ » mans ruht zur Zeit bis eine gewiſſe Conſtellation » eintritt, die ihren Mittelpunkt in Ihrer werthen » Perſon findet. Mit Ihnen ſelbſt, beſter Herr Tyß, » muß und wird ſich etwas ereignen, das Ihnen in » demſelben Augenblick, als die Kraft des Talismans » erwacht iſt, auch dieſes Erwachen erkennen läßt. » Mag Ihnen Leuwenhöck über dieſen ſchwürigſten » Punkt des Horoskops geſagt haben, was er will, » alles iſt erlogen, denn er wußte über jenen Punkt » ſo lange nicht das mindeſte, bis ich ihm die Augen216 » geöffnet. Vielleicht hat Ihnen, beſter Herr Tyß, » mein lieber Herzensfreund ſogar bange machen wol¬ » len, vor irgend einer bedrohlichen Kataſtrophe, denn » ich weiß, er liebt es, Leute unnützer Weiſe Schrek¬ » ken einzujagen; doch trauen Sie Ihrem, Sie » verehrenden Miethsmann, der, Hand aufs Herz, » Ihnen ſchwört, daß Sie durchaus nichts zu befürch¬ » ten haben. Gern möchte ich aber denn doch wiſ¬ » ſen, ob Sie zur Zeit den Beſitz des Talismans gar » nicht verſpüren und was Sie über die ganze Sache » überhaupt zu denken belieben? »

Swammerdamm ſah bei den letzten Worten mit giftigem Lächeln dem Herrn Peregrinus ſo ſcharf ins Auge, als wolle er ſeine tiefſten Gedanken durch¬ ſchauen; das konnte ihm aber freilich nicht ſo gelin¬ gen, als dem Peregrinus mit ſeinem mikroskopiſchen Glaſe. Mittelſt dieſes Glaſes erfuhr Peregrinus, daß nicht ſowohl die gemeinſchaftliche Bekämpfung des ſchönen Geiſtes und des Bartſcheerers, als eben jenes geheimnißvolle Horoskop, die Verſöhnung der beiden Mikroskopiſten herbeigeführt. Der Beſitz des mäch¬ tigen Talismans, das war es nun, wornach beide ſtrebten. Swammerdamm war, was den gewiſſen geheimnißvoll verſchlungenen Knoten im Horoskop des Herrn Peregrinus betrifft, eben ſo in verdrießlicher217 Dummheit verblieben, als Leuwenhöck, doch meinte er, daß in Peregrinus Innerm durchaus die Spur lie¬ gen müſſe, die zur Entdeckung jenes Geheimniſſes führe. Dieſe Spur wollte er nun geſchickt aus dem Unwiſſenden herauslocken und ihn dann mit Leuwen¬ höcks Hülfe, um den Beſitz des unſchätzbaren Klei¬ nods bringen, noch ehe er deſſen Werth erkannt. Swammerdamm war überzeugt, daß der Talisman des Herrn Peregrinus Tyß ganz dem Reiche des wei¬ ſen Salomo gleich zu achten, da er, wie dieſer, dem, der ihn beſitze, die vollkommene Herrſchaft über das Geiſterreich verleihe.

Peregrinus vergalt Gleiches mit Gleichem; in¬ dem er den alten Herrn Swammerdamm, der ihn zu myſtifiziren ſich mühte, ſelbſt myſtifizirte. Geſchickt wußte er in ſolchen verblümten Redensarten zu ant¬ worten, daß Swammerdamm befürchten mußte, die Weihe habe bereits begonnen, und ihm werde ſich bald das Geheimniß erſchließen, das zu enthüllen keiner von beiden, weder er noch Leuwenhöck vermocht.

Swammerdamm ſchlug die Augen nieder, räusper¬ te ſich, und ſtotterte unverſtändliche Worte heraus; der Mann befand ſich wirklich in gar übler Lage, ſeine Gedanken ſchnurrten beſtändig durcheinander: Teu¬218 fel was iſt denn das, iſt das der Peregrinus, der zu mir ſpricht? Bin ich der gelehrte weiſe Swam¬ merdamm oder ein Eſel!

Ganz verzweifelt raffte er ſich endlich zuſammen und begann: » Doch von etwas anderm, verehrteſter » Herr Tyß, von etwas anderm und wie es mir vor¬ » kommen will, von etwas ſchönem und erfreuli¬ » chem! »

So wie Swammerdamm nun weiter ſprach, hatte er, ſowohl als Leuwenhöck mit großer Freude die in¬ nige Zuneigung der ſchönen Dörtje Elverdink zu dem Herrn Peregrinus Tyß entdeckt. War nun auch ſonſt jeder anderer Meinung geweſen, indem jeder geglaubt, Dörtje müſſe bei ihm bleiben und an Liebe und Hei¬ rath ſey gar nicht zu denken, ſo hatten ſie ſich doch jetzt eines beſſern überzeugt. In Peregrinus Horos¬ kop meinten ſie nämlich zu leſen, daß er durchaus die ſchöne anmuthige Dörtje Elverdink zu ſeiner Ge¬ mahlin erkieſen müſſe, um das für alle Conjunkturen ſeines ganzen Lebens erſprießlichſte zu thun. Beide zweifelten nicht einen Augenblick, daß Peregrinus nicht in gleicher glühenden Liebe zur holden Kleinen befangen ſeyn ſolle und hielten daher die Angelegen¬ heit für völlig abgeſchloſſen. Swammerdamm meinte noch, daß Herr Peregrinus Tyß überdem der einzige219 ſey, der ſeine Nebenbuhler ohne alle Mühe aus dem Felde ſchlagen könne und daß ſelbſt die bedrohlichſten Gegner w. z. B. der ſchöne Geiſt und der Bartſcheerer, gar nichts gegen ihn ausrichten würden.

Peregrinus erkannte aus Swammerdamms Ge¬ danken, daß die Mikroskopiſten wirklich in ſeinem Horoskop die unabänderliche Nothwendigkeit ſeiner Vermählung mit der kleinen Dörtje Elverdink gefun¬ den zu haben glaubten. Nur dieſer Nothwendigkeit wollten ſie nachgeben, und ſelbſt aus Dörtjes ſchein¬ barem Verluſt den größten Gewinn ziehen, nämlich den Herrn Peregrinus Tyß ſelbſt einfangen mit ſammt ſeinem Talisman.

Man kann denken wie wenig Vertrauen Pe¬ regrinus zu der Weisheit und Wiſſenſchaft der beiden Mikroskopiſten haben mußte, da beide den Haupt¬ punkt des Horoskops nicht zu enträthſeln vermochten. Gar nichts gab er daher auf jene angebliche Conjunk¬ tur, die die Nothwendigkeit ſeiner Vermählung mit der ſchönen Dörtje bedingen ſollte, und es wurde ihm nicht im mindeſten ſchwer, ganz beſtimmt und feſt zu erklären, daß er auf Dörtjes Hand verzichtet, um ſeinen beſten innigſten Freund, den jungen George Pepuſch, der ältere und beſſere Anſprüche auf den Be¬ ſitz des holden Weſens habe, nicht zu kränken und220 daß er unter keiner Bedingung der Welt, ſein gege¬ benes Wort brechen werde.

Herr Swammerdamm ſchlug die graugrünen Katzenaugen, die er ſo lange zu Boden geſenkt, auf, glotzte den Peregrinus mächtig an und lächelte wie die Fuchsſchlauheit ſelbſt.

Sey, meinte er dann, der Freundſchaftsbund mit George Pepuſch der einzige Skrupel, der den Pe¬ regrinus abhalte, ſeinen Gefühlen freien Raum zu gönnen, ſo ſey derſelbe in dieſem Augenblick gehoben; denn eingeſehen habe Pepuſch, unerachtet er an eini¬ gem Wahnſinn leide, daß ſeiner Vermählung mit Dörtje Elverdink die Conſtellation der Geſtirne entge¬ gen ſey und daß daraus nichts entſtehen könne, als nur Unglück und Verderben; deshalb habe Pepuſch allen Anſprüchen auf Dörtjes Hand entſagt und nur erklärt, daß er mit ſeinem Leben die Schönſte die niemanden angehören könne, als ſeinem Herzens¬ freunde Tyß, vertheidigen wolle, gegen den unge¬ ſchickten Tölpel von ſchönem Geiſt und gegen den blutgierigen Bartkratzer.

Den Peregrinus durchfuhren eiskalte Schauer, als er aus Swammerdamms Gedanken erkannte, daß alles wahr, was er geſprochen. Uebermannt von den221 ſeltſamſten widerſprechendſten Gefühlen, ſank er zu¬ rück in die Kiſſen und ſchloß die Augen.

Herr Swammerdamm lud den Peregrinus drin¬ gendſt ein, ſich herabzubegeben und ſelbſt aus Dörtjes, aus Georgs Munde die jetzige Lage der Dinge zu vernehmen. Dann empfahl ſich derſelbe auf eben ſo weitläuftige und ceremoniöſe Weiſe, wie er gekom¬ men.

Meiſter Floh, der die ganze Zeit über ruhig auf dem Kopfkiſſen geſeſſen, ſprang plötzlich hinauf bis zum Zipfel der Nachtmütze des Herrn Peregrinus. Da erhob er ſich hoch auf den langen Hinterbeinen, rang die Hände, ſtreckte ſie flehend zum Himmel empor und rief, mit von bittern Thränen halberſtickter Stimme: Weh mir Aermſten! Schon glaubte ich ge¬ borgen zu ſeyn und erſt jetzt kommt die gefährlichſte Prüfung! Was hilft aller Muth, alle Stand¬ haftigkeit meines edlen Beſchützers, wenn ſich alles, alles gegen mich auflehnt! Ich gebe mich! es iſt Alles aus.

» Was, » ſprach Herr Peregrinus mit matter Stimme, » was lamentirt Ihr ſo auf meiner Nacht¬ » mütze, lieber Meiſter? Glaubt Ihr denn, daß Ihr » allein zu klagen habt, daß ich mich ſelbſt nicht auch » in dem miſerabelſten Zuſtande von der Welt befinde,222 » da ich in meinem ganzem Weſen ganz zerrüttet und » verſtört bin und nicht weiß, was ich anfangen, ja » wohin ich meine Gedanken wenden ſoll. Glaubt » aber nicht, lieber Meiſter Floh, daß ich thörigt genug » ſeyn werde, mich in die Nähe der Klippe zu wagen, » an der ich mit all meinen ſchönen Vorſätzen und » Entſchlüſſen ſcheitern kann. Ich werde mich hüten » Swammerdamms Einladung zu folgen und die ver¬ » führeriſche Dörtje Elverdink wieder zu ſehen. »

» In der That, » erwiederte Meiſter Floh, nachdem er wieder den alten Platz auf dem Kopfkiſſen neben dem Ohr des Herrn Peregrinus Tyß eingenom¬ men, » in der That, ich weiß nicht, ob ich, ſo ſehr » es mir verderblich ſcheint, Euch doch nicht gerade » rathen ſollte, ſogleich zu Swammerdamm hinunter zu » gehen. Es iſt mir, als wenn die Linien Eures Ho¬ » roskops jetzt immer ſchneller und ſchneller zuſammen¬ » liefen und ihr ſelbſt im Begriff ſtündet in den rothen » Punkt zu treten. Mag nun das dunkle Ver¬ » hängniß beſchloſſen haben was es will, ich ſehe ein, » daß ſelbſt ein Meiſter Floh ſolchem Beſchluß nicht » zu entgehen vermag und daß es eben ſo albern als » unnütz ſeyn würde, von Euch meine Rettung zu » verlangen. Geht hin, ſeht ſie, nehmt ihre Hand, » überliefert mich der Sklaverei und damit alles ge¬223 » ſchehe, wie es die Sterne wollen, ohne daß frem¬ » des ſich einmiſche, ſo macht auch keinen Gebrauch » von dem mikroskopiſchen Glaſe. »

» Scheint, » ſprach Peregrinus, » ſcheint doch » ſonſt, Meiſter Floh, Euer Herz ſtark, Euer Geiſt » feſt und doch ſeyd Ihr jetzt ſo kleinmüthig, ſo ver¬ » zagt! Aber möget Ihr ſonſt auch ſo weiſe ſeyn wie Ihr » wollt, ja mag Clemens des ſiebenten hochberühmter » Nuntius Rorar, Euern Verſtand weit über den » unſrigen ſetzen, ſo habt Ihr doch keinen ſonderli¬ » chen Begriff von dem feſten Willen des Menſchen » und ſchlagt ihn wenigſtens viel zu geringe an. Noch » einmal! ich breche nicht mein Euch gegebenes » Wort, und damit Ihr ſehet, wie es mein feſter » Entſchluß iſt, die Kleine nicht wieder zu ſehen, » werde ich jetzt aufſtehen, und mich, wie ich es mir » ſchon geſtern vorgenommen, zum Buchbinder Läm¬ » merhirt begeben. »

» O Peregrinus, » rief Meiſter Floh, » des » Menſchen Wille iſt ein gebrechliches Ding, oft knickt » ihn ein daher ziehendes Lüftchen. Welch eine Kluft » liegt zwiſchen dem was man will und dem das ge¬ » ſchieht! Manches Leben iſt nur ein ſtetes Wol¬ » len und mancher weiß vor lauter Wollen am Ende » ſelbſt nicht was er will. Ihr wollt Dörtje El¬224 » verdink nicht wiederſehen, und wer ſteht Euch dafür, » daß es geſchieht, in dem nächſten Augenblick, da » ihr dieſen Entſchluß ausgeſprochen? »

Seltſam genug war es wohl, daß wirklich ſich begab, was Meiſter Floh mit prophetiſchem Geiſte vorausgeſagt.

Peregrinus ſtand nämlich auf, kleidete ſich an und wollte, ſeinem Vorſatz getreu, zum Buchbinder Lämmerhirt gehen; als er indeſſen bei Swammer¬ damms Zimmer vorbeikam, wurde die Thüre weit geöffnet und Peregrinus wußte ſelbſt gar nicht, wie es geſchah, daß er plötzlich an Swammerdamms Arm mitten im Zimmer dicht vor Dörtje Elverdink ſtand, die ganz fröhlich und unbefangen ihm hundert Küſſe zuwarf und mit ihrem ſilbernen Glockenſtimmlein freu¬ dig rief: Guten Morgen, mein herzlieber Peregri¬ nus!

Wer ſich aber noch in dem Zimmer befand, das war Herr George Pepuſch, der zum offnen Fenſter hinauskuckte und ein Liedchen pfiff. Jetzt warf er das Fenſter heftig zu und drehte ſich um. » Ach ſieh » da, » rief er, als gewahre er jetzt erſt den Freund Peregrinus, » ach ſieh da! Du beſuchſt deine » Braut, das iſt in der Ordnung und jeder dritte da¬ » bei nur läſtig. Ich werde mich darum auch gleich225 » fortpacken, doch zuvor laß es dir ſagen, mein guter » Freund Peregrinus, daß George Pepuſch jede Gabe » verſchmäht, die der barmherzige Freund ihm gleich » dem armen Sünder hinwirft, wie ein Almoſen! » Verwünſcht ſey deine Aufopferung, ich will dir nichts » zu verdanken haben. Nimm ſie hin, die ſchöne Ga¬ » maheh, die dich ſo innig liebt, aber hüte dich, daß » die Diſtel Zeherit nicht Wurzel faßt und die Mauern » deines Hauſes zerſprengt.

Georgs Ton und ganzes Betragen gränzte an renomiſtiſche Brutalität, und Peregrinus wurde von dem tiefſten Unmuth erfüllt, als er gewahrte, wie ſehr ihn Pepuſch in ſeinem ganzen Beginnen mißver¬ ſtanden. » Nie, » ſprach er, ohne jenen Unmuth zu bergen, » nie iſt es mir in den Sinn gekommen, dir in den Weg zu treten; der Wahnſinn eiferſüchtiger Verliebtheit ſpricht aus dir, ſonſt würdeſt du beden¬ ken wie ſchuldlos ich an allem bin, was du in deiner eignen Seele ausgebrütet. Verlange nicht, daß ich die Schlange tödten ſoll, die du zu deiner Selbſtqual nährſt in deiner Bruſt! Und daß du es nur weißt, dir warf ich keine Gabe hin, dir brachte ich kein Opfer, als ich der Schönſten, vielleicht dem höchſten Glück meines Lebens entſagte. Andere höhere Pflich¬ ten, ein unwiderrufliches Wort zwangen mich dazu! »

15226

Pepuſch ballte in wildem Zorn die Fauſt und erhob ſie gegen den Freund. Da ſprang aber die Kleine zwiſchen die Freunde und faßte die Hand des Peregrinus, indem ſie lachend rief: Laß doch nur die geckiſche Diſtel laufen, ſie hat nichts als wirres Zeug im Kopfe und iſt, wie es Diſtel Art iſt, ſtarr und ſtörriſch ohne zu wiſſen was ſie eigentlich will; du biſt mein und bleibſt es auch, mein ſüßer herzlieber Peregri¬ nus!

Damit zog die Kleine den Peregrinus auf das Kanapee und ſetzte ſich ohne weitere Umſtände auf ſei¬ nen Schooß. Pepuſch rannte, nachdem er ſich die Nägel ſattſam zerkaut, wild zur Thüre hinaus.

Die Kleine, wiederum in das fabelhafte verfüh¬ reriſche Gewand von Silberzindel gekleidet, war eben ſo anmuthig, eben ſo ganz Liebreiz als ſonſt; Pere¬ grinus fühlte ſich durchſtrömt von der elektriſchen Wärme ihres Leibes und doch wehten ihn dazwiſchen eiskalte unheimliche Schauer an, wie Todeshauch. Zum erſtenmal glaubte er tief in den Augen der Klei¬ nen etwas ſeltſam lebloſes, ſtarres zu gewahren und der Ton ihrer Stimme, ja ſelbſt das Rauſchen des wunderlichen Silberzindels, ſchien ein fremdartiges Weſen zu verrathen, dem nimmermehr zu trauen. Es fiel ihm ſchwer aufs Herz, daß damals, als227 Dörtje gerade ſo geſprochen, wie ſie gedacht, auch in Zindel gekleidet geweſen; warum er gerade den Zindel bedrohlich fand, wußte er ſelbſt nicht, aber die Ge¬ danken von Zindel und unheimlicher Wirthſchaft ver¬ banden ſich von ſelbſt miteinander, ſo wie ein Traum das Heterogenſte vereint, und man alles für aberwiz¬ zig erklärt, deſſen tiefern Zuſammenhang man nicht einzuſehen vermag.

Peregrinus, weit entfernt, das kleine ſüße Ding zu kränken mit etwa falſchem Verdacht, unterdrückte mit Gewalt ſeine Gefühle und wartete nur auf einen günſtigen Moment, ſich loszuwickeln und der Schlange des Paradieſes zu entfliehen.

» Aber, » ſprach Dörtje endlich, » aber wie kommſt » du mir heute vor, mein ſüßer Freund, ſo froſtig, » ſo unempfindlich! Was liegt dir im Sinn, mein » Leben. »

« Kopfſchmerz, » erwiederte Peregrinus ſo gleich¬ müthig als er es nur vermochte, » Kopfſchmerz Gril¬ » len einfältige Gedanken nichts anders iſt es, » das mich etwas verſtört, mein holdes Kind. Laß » mich ins Freie, und alles iſt vorüber in weni¬ » gen Minuten; mich ruft ohnedieß noch ein Ge¬ » ſchäft. »

15 *228

» Es iſt, » rief die Kleine, indem ſie raſch auf¬ ſprang, » es iſt alles gelogen, aber du biſt ein böſer » Affe, der erſt gezähmt werden muß! »

Peregrinus war froh, als er ſich auf der Straße befand, doch ganz ausgelaſſen freudig gebehrdete ſich Meiſter Floh, der in Peregrinus Halsbinde unauf¬ hörlich kicherte und lachte und die Vorderhände zuſam¬ menſchlug, daß es hell klatſchte.

Dem Peregrinus war dieſe Fröhlichkeit ſeines klei¬ nen Schützlings etwas läſtig, da ſie ihn in ſeinen Gedanken ſtörte. Er bat den Meiſter Floh ruhig zu ſeyn, denn ſchon hätten ihn ernſthafte Leute mit Blicken voll Vorwurfs betrachtet, glaubend, er ſey es, der ſo kickere und lache und närriſche Streiche treibe auf öffentlicher Straße.

» O ich Thor, » rief aber Meiſter Floh, in den Ausbrüchen ſeiner unmäßigen Freude beharrend, » o » ich blödſinniger Thor, daß ich da an dem Siege zwei¬ » feln konnte, wo gar kein Kampf mehr vonnöthen. » Ja, Peregrinus, es iſt nicht anders, geſiegt hat¬ » tet ihr in dem Augenblick, als ſelbſt der Tod der » Geliebten Euern Entſchluß nicht zu erſchüttern ver¬ » mochte. Laßt mich jauchzen, laßt mich jubeln, denn » alles müßte mich trügen, wenn nicht bald das helle229 » Sonnenlicht aufgehen ſollte, das alle Geheimniſſe » aufklärt. »

Als Peregrinus an Lämmerhirts Thüre pochte, rief eine[ſanfte] weibliche Stimme: Herein! Er öff¬ nete die Thüre, ein Mädchen, die ſich allein in der Stube befand, trat ihm entgegen und fragte ihn freundlich, was ihm zu Dienſten ſtehe?

Mag es dem geneigten Leſer genügen, wenn geſagt wird, daß das Mädchen ungefähr achtzehn Jahre alt ſeyn mochte, daß ſie mehr groß als klein und ſchlank im reinſten Ebenmaaß der Glieder gewach¬ ſen war, daß ſie hellbraunes Haar und dunkelblaue Augen und eine Haut hatte, die das zarte Flockenge¬ webe ſchien von Lilien und Roſen. Mehr als alles dieß wollte aber gelten, daß des Mädchens Antlitz jenes zarte Geheimniß jungfräulicher Reinheit, ho¬ hen himmliſchen Liebreizes ausſprach, wie es man¬ cher alte deutſche Maler in ſeinen Gebilden erfaßt.

So wie Peregrinus der holden Jungfrau ins Auge blickte, war es ihm, als habe er in ſchwerla¬ ſtenden Banden gelegen, die eine wohlthätige Macht gelöſt und der Engel des Lichts ſtehe vor ihm, an deſ¬ ſen Hand er eingehen werde in das Reich namenlo¬ ſer Liebeswonne und Sehnſucht. Das Mädchen wiederholte, indem ſie vor Peregrinus ſtarrem Blick230 erröthend, ſittſam die Augen niederſchlug, die Frage, was dem Herrn beliebe? Mühſam ſtotterte Peregri¬ nus heraus: ob der Buchbinder Lämmerhirt hier wohne? Als nun das Mädchen erwiederte, daß Läm¬ merhirt allerdings hier wohne, daß er aber in Ge¬ ſchäften ausgegangen, da ſprach Peregrinus wirr durch¬ einander von Einbänden die er beſtellt, von Büchern die Lämmerhirt ihm verſchaffen ſollen; zuletzt kam er etwas ins Geleiſe und gedachte der Prachtausgabe des Arioſt, die Lämmerhirt in rothen Maroquin binden ſollen, mit reicher goldner Verzierung. Da war es aber, als durchführe die holde Jungfrau ein elektri¬ ſcher Funke; ſie ſchlug die Hände zuſammen und rief, Thränen in den Augen: Ach Gott! Sie ſind Herr Tyß! Sie machte eine Bewegung, als wolle ſie Peregrinus Hand ergreifen, trat aber ſchnell zu¬ rück und ein tiefer Seufzer ſchien die volle Bruſt zu entlaſten. Dann überſtralte ein anmuthiges Lächeln der Jungfrau Antlitz wie liebliches Morgenroth und ſie ergoß ſich nun in Dank und Segenswünſche da¬ für, daß Peregrinus des Vaters, der Mutter Wohl¬ thäter ſey, daß nicht dieß allein nein! ſeine Milde, ſeine Freundlichkeit, die Art wie er noch zu vorigen Weihnachten die Kinder beſchenkt und Freude und Fröhlichkeit verbreitet, ihnen den Frieden, die231 Heiterkeit des Himmels gebracht. Sie räumte ſchnell des Vaters Lehnſtuhl ab, der mit Büchern, Scrip¬ turen, Heften, ungebundenen Drucken bepackt war, rückte ihn heran und lud mit anmuthiger Gaſtlichkeit den Peregrinus ein, ſich niederzulaſſen. Dann holte ſie den ſauber gebundenen Arioſt hervor, fuhr mit ei¬ nem leinenen Tuch leiſe über die Maroquinbände und überreichte das Meiſterwerk der Buchbinderkunſt dem Peregrinus mit leuchtenden Blicken, wohl wiſſend, daß Peregrinus der ſchönen Arbeit des Vaters ſeinen Beifall nicht verſagen werde.

Peregrinus nahm einige Goldſtücke aus der Ta¬ ſche, die Holde dieß gewahrend, verſicherte ſchnell, daß ſie den Preis der Arbeit nicht wiſſe und daher keine Bezahlung annehmen könne, Herr Peregrinus möge es ſich aber gefallen laſſen, einige Augenblicke zu verweilen, da der Vater gleich zurückkommen müſſe. Dem Peregrinus war es, als ſchmölze das nichtswür¬ dige Metall in ſeiner Hand in einen Klumpen zuſam¬ men, er ſteckte die Goldſtücke ſchneller wieder ein, als er ſie hervorgeholt. Das Mädchen griff jetzt, als Peregrinus ſich mechaniſch in Lämmerhirts breiten Lehnſeſſel niedergelaſſen, nach ihrem Stuhl, aus in¬ ſtinktmäßiger Höflichkeit ſprang Herr Peregrinus auf und wollte den Stuhl heranrücken, da geſchah es aber,232 daß er ſtatt der Stuhllehne des Mädchens Hand er¬ faßte und er glaubte, als er das Kleinod leiſe zu drük¬ ken wagte, einen kaum merkbaren Gegendruck zu fühlen.

» Kätzchen, Kätzchen, was machſt du! » Mit dieſen Worten wandte ſich das Mädchen und hob ein Zwirnknäuel von dem Fußboden auf, das die Katze zwiſchen den Vorderpfoten hielt, ein myſtiſches Ge¬ webe beginnend. Dann faßte ſie mit kindlicher Un¬ befangenheit den Arm des in Himmelsentzücken ver¬ ſunkenen Peregrinus, führte ihn zum Lehnſeſſel und bat ihn nochmals, ſich niederzulaſſen, indem ſie ſelbſt ſich ihm gegenüber ſetzte und irgend eine weibliche Ar¬ beit zur Hand nahm.

Peregrinus ſchwankte im Sturm auf einem wo¬ genden Meer. » O Prinzeſſin! » Das Wort ent¬ ſchlüpfte ihm, ſelbſt wußte er nicht, wie es geſchah. Das Mädchen ſchaute ihn ganz erſchrocken an, da war es ihm, als habe er gegen die Holde gefrevelt und er rief mit dem weichſten, wehmüthigſten Ton: meine liebſte theuerſte Mademoiſelle!

Das Mädchen erröthete und ſprach mit holder jungfräulicher Verſchämtheit: die Eltern nennen mich Röschen, nennen Sie mich auch ſo, lieber Herr Tyß, denn ich gehöre ja auch zu den Kindern, denen Sie233 ſo viel Gutes erzeigt, und von denen Sie ſo hoch verehrt werden.

Röschen! rief Peregrinus ganz außer ſich; er hätte der holden Jungfrau zu Füßen ſtürzen mögen, kaum hielt er ſich zurück.

Röschen erzählte nun, indem ſie ruhig fortar¬ beitete, wie ſeit der Zeit, als die Eltern durch den Krieg in die bitterſte Dürftigkeit gerathen, ſie von einer Baſe in einem benachbarten kleinen Städtchen aufgenommen, wie dieſe Baſe vor wenigen Wochen geſtorben und wie ſie dann zu den Eltern zurückge¬ kehrt.

Peregrinus hörte nur Röschens ſüße Stimme ohne viel von den Worten zu verſtehen, und er über¬ zeugte ſich erſt, daß er nicht ſelig träume, als Läm¬ merhirt ins Zimmer trat und ihn mit dem herzlich¬ ſten Willkommen begrüßte. Nicht lange dauerte es, ſo folgte auch die Frau mit den Kindern und wie denn in des Menſchen unergründlichem Gemüth, Gedan¬ ken, Regungen, Gefühle, in ſeltſamen bunten Ge¬ wirr durcheinander laufen, ſo geſchah es, daß Pe¬ regrinus ſelbſt in der Exſtaſe, die ihn einen niege¬ ahnten Himmel ſchauen ließ, plötzlich daran dachte, wie der murrköpfiſche Pepuſch ſein Beſchenken der Läm¬ merhirtſchen Kinder getadelt. Es war ihm ſehr lieb,234 auf Befragen zu vernehmen, daß keins von den Kin¬ dern ſich den Magen am Naſchwerk verdorben und die freundlich feierliche Art ja der gewiſſe Stolz, womit ſie nach dem hohen Glasſchrank, der das glänzende Spielzeug enthielt, heraufblickten, zeigte, daß ſie die letzte Beſcheerung für etwas außerordentliches hielten, das wohl niemals wiederkehren dürfte.

Die übel gelaunte Diſtel hatte alſo ganz Un¬ recht.

O Pepuſch, ſprach Peregrinus zu ſich ſelbſt, dein verſtörtes zerriſſenes Gemüth durchdringt kein reiner Lichtſtral der wahrhaften Liebe! Damit meinte Pe¬ regrinus nun wieder wohl mehr, als ein beſcheertes Naſchwerk und Spielzeug. Lämmerhirt, ein ſanf¬ ter, ſtiller, frommer Mann, ſah mit ſichtlicher Freude auf Röschen, die geſchäftig aus - und einge¬ gangen, Butter und Brot herbeigebracht und nun an einem kleinen Tiſchchen in der entfernten Ecke des Zimmers dem Geſchwiſter ſtattliche Butterſtollen be¬ reitete. Die muntern Jungen drängten ſich dicht an die liebe Schweſter und wenn ſie in verzeihlicher kin¬ diſcher Begier das Maul etwas weiter aufſperrten, als gerade nöthig, ſo that das der häuslichen Idylle doch keinen ſonderlichen Eintrag.

235

Den Peregrinus entzückte des holden Mädchens Beginnen, ohne daß ihm dabei Werthers Lotte und ihre Butterbrote in den Sinn kamen.

Lämmerhirt näherte ſich dem Peregrinus und begann halb leiſe von Röschen zu reden, was ſie für ein frommes gutes liebes Kind ſey, der der Himmel auch die Gabe äußerer Schönheit verliehen, und wie er nur Freude an dem holden Kinde zu erleben hoffe. Was, ſetzte er hinzu, indem ſein Geſicht ſich in Wonne verklärte, was ihm aber ſo recht im innerſten Herzen wohl thue, ſey, daß Röschen ſich auch zur edlen Buchbinderkunſt hinneige und ſeit den wenigen Wochen, während ſie ſich bei ihm befinde, in feiner zierlicher Arbeit ungemein viel profitirt habe, ſo, daß ſie bereits viel geſchickter ſey, als mancher Lümmel von Lehrburſche, der Jahre hindurch Maroquin und Gold vergeude und die Buchſtaben ſchief und krumm ſtelle, daß ſie ausſähen wie betrunkene Bauern, die aus der Schenke torkeln.

Ganz zutraulich flüſterte der entzückte Vater dem Peregrinus ins Ohr: Es muß heraus, Herr Tyß, es drückt mir ſonſt das Herz ab, ich kann mir nicht helfen. Wiſſen Sie wohl, daß mein Röschen den Schnitt des Arioſto vergoldet hat?

236

So wie Peregrinus dieß vernahm, griff er ha¬ ſtig nach den ſaubern Maroquinbänden, als müſſe er ſich des Heiligthums bemächtigen, ehe ein feindlicher Zufall es ihm raube. Lämmerhirt hielt das für ein Zeichen, daß Peregrinus fort wolle und bat ihn, es ſich noch einige Augenblicke in der Familie gefallen zu laſſen. Eben dieß erinnerte aber den Peregrinus, daß er doch endlich ſich losreißen müſſe. Er zahlte ſchnell die Rechnung und Lämmerhirt reichte ihm wie gewöhnlich die Hand zum Abſchiede, die Frau that daſſelbe und auch Röschen! Die Jungen ſtanden in der offnen Thüre und damit der Liebesthorheit ihr Recht geſchehe, riß Peregrinus im Hinausſchreiten dem Jüngſten das Reſtchen Butterſtolle aus der Hand, an dem er eben kaute und rannte wie gehetzt die Treppe hinab.

» Nun nun, » ſprach der Kleine ganz verdutzt, » was iſt denn das? Hätt 'es mir ja ſagen können, » der Herr Tyß, wenn er hungrig war, hätt' ihm » ja gern meine ganze Stolle gegeben! »

Schritt vor Schritt ging Herr Peregrinus Tyß nach Hauſe, die ſchweren Quartanten mühſam unter dem Arm fortſchleppend und mit verklärtem Blick ei¬ nen Biſſen des Butterſtollen Reſtes nach dem andern237 auf die Lippe nehmend, als genöße er himmliſches Manna.

» Der iſt nunmehro auch übergeſchnappt! » ſagte ein vorübergehender Bürger. Es war dem Mann nicht zu verdenken, daß er dergleichen von Peregrinus dachte.

Als Herr Peregrinus Tyß ins Haus trat, kam ihm die alte Aline entgegen und winkte mit Gebehr¬ den, die Angſt und Beſorgniß ausdrückten, nach dem Zimmer des Herrn Swammerdamm. Die Thüre ſtand offen und Peregrinus gewahrte Dörtje Elver¬ dink, die erſtarrt auf einem Lehnſtuhl ſaß und deren zuſammengeſchrumpftes Geſicht einer Leiche zu gehö¬ ren ſchien, die bereits im Grabe gelegen. Eben ſo erſtarrt, eben ſo leichenähnlich ſaßen vor ihr auf Lehn¬ ſtühlen, Pepuſch, Swammerdamm und Leuwenhöck. » Iſt das, » ſprach die Alte, » iſt das eine tolle ge¬ ſpenſtiſche Wirthſchaft hier unten! So ſitzen die drei unſeligen Menſchen ſchon den ganzen lieben Tag über, und eſſen nichts und trinken nichts und reden nichts und holen kaum Athem! »

Dem Peregrinus wollte zwar, ob des in der That etwas ſchauerlichen Anblicks halber, einiges Ent¬ ſetzen, anwandeln, indeſſen wurde, indem er die Treppe hinaufſtieg, das geſpenſtiſche Bild von dem wogenden238 Meer der Himmelsträume verſchlungen, in dem der entzückte Peregrinus ſchwamm, ſeit dem Augenblick, als er Röschen geſehen. Wünſche, Träume, ſe¬ lige Hoffnungen ſtrömen gern über in das befreundete Gemüth; aber gab es für den armen Peregrinus jetzt ein anderes, als das ehrliche des guten Meiſters Floh? Dem wollte er nun ſein ganzes Herz aus¬ ſchütten, dem wollte er von Röschen alles erzählen, was ſich eigentlich gar nicht ſo recht erzählen ließ. Doch er mochte ſo viel rufen, ſo viel locken, als er wollte, kein Meiſter Floh ließ ſich ſehen, er war auf und davon. In der Falte der Halsbinde, wo ſonſt Meiſter Floh bei Ausgängen ſich beherbergt, fand Peregrinus bei ſorgfältigerem Nachſuchen ein kleines Schächtelchen, worauf die Worte ſtanden:

» Hierin befindet ſich das mikroskopiſche Gedan¬ » kenglas. Seht ihr mit dem linken Auge ſcharf » in die Schachtel hinein, ſo ſitzt Euch das Glas » augenblicklich in der Pupille; wollt Ihr es » wieder heraus haben, ſo dürft Ihr nur das » Auge in die Schachtel hineinhaltend, die Pu¬ » pille ſanft drücken und das Glas fällt auf den » Boden der Schachtel. Ich arbeite in Euern239 » Geſchäften, und wage viel dabei, doch für » meinen lieben Schutzherrn thue ich alles, als Euer dienſtwilligſter Meiſter Floh.

Hier gäb 'es nun für einen tüchtigen hand¬ feſten Romanſchreiber, der mit ſtarker, kielbewaffne¬ ter Hand alles menſchliche Thun und Treiben zuſam¬ menarbeitet nach Herzens Luſt, die erwünſchteſte Ge¬ legenheit, den heilloſen Unterſchied zwiſchen Verliebt¬ ſeyn und Lieben, nachdem ſolcher theoretiſch genugſam abgehandelt, praktiſch darzuthun durch Peregrinus Beiſpiel. Viel ließe ſich da ſagen vom ſinnlichen Triebe, von dem Fluch der Erbſünde und von dem himmliſchen Prometheusfunken, der in der Liebe die wahrhafte Geiſtergemeinſchaft des diverſen Geſchlechts entzündet, die den eigentlichen nothwendigen Dualis¬ mus der Natur bildet. Sollte nun auch beſagter Prometheusfunken nebenher die Fackel des Ehegottes anſtecken, wie ein tüchtiges hellbrennendes Wirth¬ ſchaftslicht, bei dem es ſich gut leſen, ſchreiben, ſtrik¬ ken, nähen läßt, ſollte auch eine fröhliche Nachkom¬ menſchaft ſich eben ſo gut die Mäulchen gelegentlich mit Kirſchmuß beſchmieren, als jede andere, ſo iſt das hienieden nun einmal nicht anders. Ueberdem nimmt ſich eine ſolche himmliſche Liebe als erhabene240 Poeſie ſehr gut aus, und als das Beſte darf in der That gerühmt werden, daß dieſe Liebe kein leeres Hirn¬ geſpinnſt, ſondern daß wirklich etwas daran iſt, wie viele Leute bezeugen können, denen es mit dieſer Liebe bald gut, bald ſchlimm ergangen.

Der geneigte Leſer hat es aber längſt errathen, daß Herr Peregrinus Tyß in die kleine Dörtje ſich bloß beträchtlich verliebt hatte, daß aber erſt in dem Augenblick, da er Lämmerhirts Röschen, das holde liebe Engelsbild erblickte, die wahre himmliſche Liebe hell aufloderte in ſeiner Bruſt.

Wenigen Dank würde aber gegenwärtiger Refe¬ rent des tollſten, wunderlichſten aller Mährchen ein¬ ärndten, wenn er, ſich ſteif und feſt an den Para¬ deſchritt der daher ſtolzirenden Romaniſten haltend, nicht unterlaſſen könnte, hier, die jedem regelrechten Roman höchſt nöthige Langeweile ſattſam zu erregen. Nämlich dadurch, daß er bei jedem[Stadium], das das Liebespaar, nach gewöhnlicher Weiſe, zu über¬ ſtehen hat, ſich gemächliche Ruh und Raſt gönnte. Nein! laß uns geliebter Leſer, wie wackre, rüſtige Reiter auf muthigen Rennern daher brauſend, und alles was links und rechts liegt nicht achtend, dem Ziel entgegen eilen. Wir ſind da! Seufzer, Lie¬ besklagen, Schmerz, Entzücken, Seligkeit, alles241 einigt ſich in dem Brennpunkt des Augenblicks, da das holde Röschen, das reizende Inkarnat holder Jungfräulichkeit auf den Wangen, dem überglückli¬ chen Peregrinus Tyß geſteht, daß ſie ihn liebe, ja, daß ſie es gar nicht ſagen könne, wie ſo ſehr, wie ſo über alle Maaßen ſie ihn liebe, wie ſie nur in ihm lebe, wie er allein ihr einziger Gedanke, ihr einziges Glück ſey.

Der finſtere argliſtige Dämon pflegt in die hell¬ ſten Sonnenblicke des Lebens hineinzugreifen mit ſei¬ nen ſchwarzen Krallen; ja! durch den finſtern Schat¬ ten ſeines unheilbringenden Weſens jenen Sonnen¬ ſchein zu verdunkeln ganz und gar. So geſchah 'es, daß in Peregrinus böſe Zweifel aufſtiegen, ja, daß ein gar böſer Argwohn ſich regte in ſeiner Bruſt.

Wie? ſchien eine Stimme ihm zuzuflüſtern, wie? auch jene Dörtje Elverdink geſtand dir ihre Liebe und doch war es ſchnöder Eigennutz, von dem beſeelt, ſie dich verlocken wollte, die Treue zu brechen und Ver¬ räther zu werden an dem beſten Freunde, an dem armen Meiſter Floh?

Ich bin reich, man ſagt, daß ein gewiſſes, gut¬ müthiges Betragen, eine gewiſſe Offenheit, von man¬ chem Einfalt genannt, mir die zweideutige Gunſt der16242Menſchen und auch wohl gar der Weiber verſchaffen könne; und dieſe, die dir nun ihre Liebe geſteht

Schnell griff er nach dem verhängnißvollen Ge¬ ſchenk des Meiſter Floh, er brachte das Schächtel¬ chen hervor und war im Begriff, es zu öffnen, um ſich das mikroſkopiſche Glas in die Pupille des rechten Auges zu ſetzen, und ſo Röschens Gedanken zu durch¬ ſchauen.

Er blickte auf, und das reine Himmelsazur der ſchönſten Augen leuchtete in ſeine Seele hinein. Rös¬ chen, ſeine innere Bewegung wohl bemerkend, ſah ihn ganz verwundert und beinahe beſorglich an.

Da war es ihm, als durchzucke ihn ein jäher Blitz, und das vernichtende Gefühl der Verderbtheit ſeines Sinnes zermalmte ſein ganzes Weſen.

Wie? ſprach er zu ſich ſelbſt, in das himmel¬ reine Heiligthum dieſes Engels willſt du eindringen, in ſündhaftem Frevel? Gedanken willſt du erſpähen, die nichts gemein haben können mit dem verworfenen Treiben gemeiner im Irdiſchen befangener Seelen? Verhöhnen willſt du den Geiſt der Liebe ſelbſt, ihn mit den verruchten Künſten bedrohlicher unheimlicher Mächte verſuchend?

Er hatte mit Haſt das Schächtelchen in ſei¬ ne Taſche verborgen, es war ihm, als habe er243 eine Sünde begangen, die er nie, nie werde abbüßen können.

Ganz aufgelößt in Wehmuth und Schmerz, ſtürzte er dem erſchrockenen Röschen zu Füßen, rief: er ſey ein Frevler, ein ſündiger Menſch, der der Liebe eines engelreinen Weſens, wie Röschen, nicht werth ſey, badete ſich in Thränen.

Röschen, die nicht begreifen konnte, welcher finſtere Geiſt über Peregrinus gekommen, ſank zu ihm nieder, umfaßte ihn, indem ſie weinend lis¬ pelte: » Um Gott, mein geliebter Peregrinus, was iſt dir! was iſt dir geſchehen? welcher ſchlimme Feind ſtellt ſich zwiſchen uns; o komm, o komm, ſetze dich ruhig zu mir nieder! »

Peregrinus ließ ſich ſchweigend, keiner willkühr¬ lichen Bewegung fähig, von Röschen ſanft in die Höhe ziehen.

Es war gut, daß das alte etwas zerbrechliche Ka¬ napee wie gewöhnlich, mit brochirten Büchern, fertigen Einbänden und einem nicht geringen Vorrath von aller¬ lei Buchbinderutenſilien bepackt war; ſo daß Rös¬ chen manches wegräumen mußte, um Platz für ſich und den zerknirſchten Herrn Peregrinus Tyß zu ge¬ winnen. Er bekam dadurch Zeit, ſich zu erholen und ſein großer Schmerz, ſeine herzzerreißende Wehmuth16 *244lößte ſich auf in das mildere Gefühl verübter, jedoch wohl zu ſühnender Unbill.

War er zuvor, was ſeine Geſichtszüge betrifft, dem troſtloſen Sünder zu vergleichen, über den das Verdammungsurtheil unwiderruflich ausgeſprochen, ſo ſah er jetzt nur noch ein wenig einfältig aus. Sol¬ ches Ausſehen iſt aber bei derlei Umſtänden jedesmal ein gutes Prognoſtikon.

Als nun beide, Röschen und Herr Peregrinus Tyß, zuſammen, auf beſagtem gebrechlichem Kanapee des ehrſamen Buchbindermeiſters Lämmerhirt ſaßen, begann Röschen mit niedergeſchlagenen Augen und halb verſchämtem Lächeln: ich mag wohl errathen, mein Geliebter, was dein Gemüth ſo plötzlich be¬ ſtürmt. Geſtehen will ich es dir, man hat mir al¬ lerlei Wunderliches von den ſeltſamen Bewohnern dei¬ nes Hauſes erzählt. Die Nachbarinnen, nun du weißt, wie Nachbarinnen ſind, die ſchwatzen und ſchwatzen gar gern, und wiſſen oft nicht ſelbſt einmal was; ja dieſe böſen Nachbarinnen haben mir er¬ zählt, in deinem Hauſe ſey ein gar wunderbares Frauenzimmer, die manche gar für eine Prinzeſſin hielten, und die du ſelbſt, in der Chriſtnacht, in dein Haus getragen. Der alte Herr Swammer habe ſie freilich als ſeine entflohene Nichte bei ſich aufgenom¬245 men, aber die Perſon ſtelle dir nach mit ſeltſamen Verlockungen. Doch das iſt beileibe noch nicht das Schlimmſte, denke dir mein geliebter Peregrinus, die alte Muhme gerade über, du kennſt ſie wohl, die alte Frau mit der ſpitzen Naſe, die ſo freundlich hin¬ über grüßt, wenn ſie dich ſieht, und von der du ein¬ mal ſagteſt, als du ſie Sonntags in ihrem bunten ſtoffenen Ehrenkleide nach der Kirche ziehen ſahſt, ich muß noch lachen, wenn ich daran denke, es wolle dich gemahnen, als wandle ein Feuerlilien - Strauch über die Straße, dieſe mißtrauiſche Muhme hat mir allerlei Böſes in den Kopf ſetzen wollen.

So freundlich ſie dich auch grüßt, ſo hat ſie mich doch ſtets vor dir gewarnt und nichts geringeres behauptet, als daß in deinem Hauſe Satanskünſte getrieben würden, und daß die kleine Dörtje gar nichts anders ſey, als ein kleines verkapptes Teufelchen, wel¬ ches, um dich zu verlocken, in Menſchengeſtalt umher¬ wandle, und zwar in gar anmuthiger und verfüh¬ reriſcher.

Peregrinus! mein holder, geliebter Peregrinus, ſich mir ins Auge, du wirſt keine Spur des leiſeſten Argwohns finden, ich habe dein reines Gemüth er¬ kannt, niemals hat dein Wort, dein Blick, nur ei¬246 nen verfinſternden Hauch auf den hellen klaren Spie¬ gel meiner Seele geworfen.

Ich vertraue dir, ich vertraue dem Gedanken der Seligkeit, die über uns kommen wird, wann ein feſtes Band uns verknüpft und die mir ſüße Träume voll Liebe und Sehnſucht verkündet! Pere¬ grinus! mögen auch finſtre Geiſter über dich beſchloſ¬ ſen haben, was ſie wollen, ihre Macht ſcheitert ge¬ brochen an deinem frommen Weſen, das feſt und ſtark iſt in Liebe und unwandelbarer Treue.

Was ſoll, was kann eine Liebe verſtören wie die unſrige; verbanne jeden Zweifel, unſre Liebe iſt der Talisman, vor dem die nächtigen Geſtalten flie¬ hen.

Dem Peregrinus kam Röschen in dieſem Au¬ genblick vor, wie ein höheres Weſen, jedes ihrer Worte wie Troſt des Himmels. Ein unbeſchreiblich Gefühl der reinſten Wonne durchſtrömte ſein Innres, wie milder ſüßer Frühlingshauch. Er war nicht mehr der Sünder, der vermeßne Frevler, für den er ſich gehalten, er glaubte mit Entzücken zu erkennen, daß er werth ſey der Liebe, der holdeſten, engelreinſten Jungfrau.

Der Buchbindermeiſter Lämmerhirt, kehrte mit ſeiner Familie von einem Spaziergange zurück.

247

Dem Peregrinus, ſo wie dem ſüßen Röschen, ſtrömte das Herz über, und Herr Peregrinus verließ beim Einbruch der Nacht die enge Wohnung des himmelhoch erfreuten Buchbinders und ſeiner guten Alten, die vor lauter Wonne und Freude ein wenig mehr ſchluchzten als gerade nöthig, als glücklicher, ſeliger Bräutigam.

Alle glaubwürdige und ſehr authentiſche Noti¬ zen, aus denen dieſe wunderſame Geſchichte entnom¬ men, ſtimmen darin überein, und der hundertjährige Kalender beſtätiget es, daß gerade in der Nacht, da Herr Peregrinus Tyß, als glücklicher Bräutigam nach Hauſe kam, der Vollmond ſehr hell und freundlich ſchien, ſo daß der ganze Roßmarkt ſich in ſeinem Silberglanz gar anmuthig geputzt hatte. Natürlich ſcheint es, daß Herr Peregrinus Tyß, ſtatt die Ruhe zu ſuchen, ſich ins offene Fenſter legte, um, wie es Liebenden ziemlich iſt und wohl anſteht, in den Mond kuckend, noch ein wenig den Gedanken an ſeine holde Geliebte nachzuhängen.

Mag es nun aber auch bei dem geneigten Leſer, vorzüglich aber bei den geneigten Leſerinnen, dem Herrn Peregrinus Tyß zum offenbaren Nachtheil gereichen, der Wahrheit muß ihr Recht geſchehen, und es darf248 nicht verſchwiegen bleiben, daß Herr Peregrinus, trotz ſeiner Seligkeit, zweimal ſo übermäßig und ſo laut gähnte, daß ein etwas angetrunkener Markthel¬ fer, der gerade über die Straße taumelte, ihm laut zurief: » Na! er da oben mit der weißen Nachtmütze, » freß 'er mich nur nicht auf! » Dieß war nun die genügende Urſache, warum Herr Peregrinus Tyß ganz unwillig das Fenſter zuwarf, ſo daß die Scheiben klirrten. Man will ſogar behaupten, daß er wäh¬ rend dieſes Acts laut genug gerufen: Grober Schlin¬ gel!! Doch kann dieß durchaus nicht verbürgt wer¬ den; da ſolches mit ſeiner ſanften Gemüthsart und Seelenſtimmung ganz unverträglich ſcheint. Genug! Herr Peregrinus Tyß warf das Fenſter zu und be¬ gab ſich zur Ruhe. Das Bedürfniß des Schlafes ſchien indeſſen durch jenes unmäßige Gähnen beſeitigt zu ſeyn. Gedanken und Gedanken durchkreuzten ſein Gehirn und vorzüglich lebhaft trat ihm die überſtan¬ dene Gefahr vor Augen, da eine finſtere Macht ihn zu einem verruchten Gebrauch des mikroskopiſchen Gla¬ ſes verlocken wollen, doch nun erſt ging es ihm auch deutlich auf, daß Meiſter Floh's verhängnißvolles Geſchenk, habe er es ſelbſt auch gut damit gemeint, doch in jedem Betracht ein Geſchenk ſey, das der Hölle angehöre.

249

Wie? ſprach er zu ſich ſelbſt, ein Menſch der die geheimſten Gedanken ſeiner Brüder erforſcht, bringt über den dieſe verhängnißvolle Gabe nicht jenes ent¬ ſetzliche Verhängniß, welches den ewigen Juden traf, der durch das bunteſte Gewühl der Welt, ohne Freu¬ de, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Ver¬ zweiflung iſt, wie durch eine unwirthbare troſtloſe Einöde wandelte?

Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue vertrauend und immer wieder bitter getäuſcht, wie kann es anders möglich ſeyn, als daß Mißtrauen, böſer Argwohn, Haß, Rachſucht in der Seele ſich feſt niſten und jede Spur des wahrhaft menſchlichen Prinzips, das ſich ausſpricht in mildem Vertrauen, in frommer Gutmüthigkeit, wegzehren muß? Nein! dein freundliches Geſicht, deine glatten Worte ſollen mich nicht täuſchen, du, in deſſen tiefem Innern vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gu¬ tes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine Seele erſchließen, weil es mir wohl thut, und das bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich ent¬ täuſcheſt, iſt gering zu achten gegen die Freuden ei¬ nes ſchönen vergangenen Traumes. Und ſelbſt die250 wahrhaften Freunde, die es wirklich gut meinen wie wandelbar iſt des Menſchen Gemüth! Kann nicht ſelbſt ein böſes Zuſammentreffen widerwärtiger Umſtände, eine Mißſtimmung von der Unbill des launiſchen Zufalls erzeugt, in der Seele dieſer Freunde einen vorübergehenden feindſeligen Gedanken hervor¬ bringen?

Und dieſen Gedanken, er faßt das unglück¬ ſelige Glas, finſteres Mißtrauen erfüllt das Gemüth, und im ungerechteſten Zorn, in wahnſinniger Be¬ thörtheit, ſtoß 'ich auch den wahren Freund von der Bruſt und immer tiefer und tiefer bis in die Wurzel des Lebens frißt das tödtende Gift des böſen Grolls, der mich mit allem Seyn hienieden entzweit, mich mir ſelbſt entfremdet.

Nein! Frevel, ruchloſer Frevel iſt es, ſich wie jenem gefallenen Engel des Lichts, der die Sünde über die Welt brachte, gleich ſtellen zu wollen, der ewigen Macht, die das Innere des Menſchen durch¬ ſchaut, weil ſie es beherrſcht.

Fort, fort, mit der unſeligen Gabe!

Herr Peregrinus Tyß hatte das kleine Schäch¬ telchen, worin das mikroskopiſche Glas befindlich, ergriffen, und war im Begriff, es mit aller Gewalt gegen die Stubendecke zu ſchleudern.

251

Plötzlich ſaß Meiſter Floh in ſeiner mikroskopi¬ ſchen Geſtalt, gar hübſch und anmuthig anzuſchauen, mit gleißendem Schuppenpanzer und den ſchönſten polirten goldenen Stiefeln, dicht vor dem Herrn Pe¬ regrinus Tyß auf der Bettdecke. Halt! rief er, halt Verehrteſter! beginnt kein unnützes Zeug! Eher würdet ihr ein Sonnenſtäubchen vernichten, als die¬ ſes kleine unvertilgbare Glas auch nur einen Fuß breit fortſchaffen, ſo lange ich in der Nähe bin. Uebrigens hatte ich mich, ohne daß ihr es merktet, ſchon beim ehrlichen Buchbindermeiſter Lämmerhirt, wie gewöhnlich, in die Falte eurer Halsbinde ver¬ ſteckt, und war daher Zeuge alles deſſen, was ſich begeben. Eben ſo habe ich euer jetziges erbauliches Selbſtgeſpräch mit angehört und manche Lehre daraus gezogen.

Zuvörderſt habt ihr jetzt erſt euer, von der wahrhaften Liebe rein beſeeltes Gemüth, in der glän¬ zendſten Glorie, wie einen mächtigen Strahl aus euerm Innern hervorblitzen laſſen, ſo daß, wie ich glaube, der höchſte entſcheidende Moment ſich naht.

Dann habe ich auch eingeſehen, daß, in Rück¬ ſicht des mikroskopiſchen Glaſes, ich in großem Irr¬ thum befangen war. Glaubt es mir, Verehrteſter, geprüfteſter Freund, ohnerachtet ich nicht das Ver¬252 gnügen habe, ein Menſch zu ſeyn wie Ihr, ſondern nur ein Floh, wiewohl kein ſimpler, ſondern ein graduirter, meiner glorreichen Meiſterſchaft halber, ſo verſtehe ich mich dennoch ſehr gut auf das menſch¬ liche Gemüth und auf das Thun und Treiben der Menſchen, unter denen ich ja beſtändig hauſire. Man¬ chesmal kommt mir dieß Treiben ſehr poßierlich, bei¬ nahe albern vor; nehmt das nicht übel, Verehrteſter, ich ſage das nur als Meiſter Floh. Ihr habt recht mein Freund, es wäre ein garſtiges Ding, und könnte unmöglich zu Gutem führen, wenn ein Menſch dem andern ſo mir nichts dir nichts durch das Ge¬ hirn ſchaute; dem unbefangenen heitern Floh iſt in¬ deſſen dieſe Gabe des mikroskopiſchen Glaſes durchaus nicht im mindeſten bedrohlich.

Ihr wißt es, Verehrteſter, und bald will es das Geſchick, glückſeligſter Herr Peregrinus, meine Nation iſt leichten, ja leichtfertigen, muthigen Sin¬ nes und man könnte ſagen, ſie beſtehe aus lauter jugendlich kecken Springinsfelden. Dabei kann ich meines Theils mich aber einer gar beſondern Lebens¬ klugheit berühmen, die Euch weiſen Menſchenkin¬ dern gemeinhin abzugehen pflegt. Das heißt, ich habe nie etwas gethan im unſchicklichen Moment. Stechen iſt nun einmal das Hauptbedingniß meines253 Seyns; aber ſtets habe ich zu rechter Zeit und an rechter Stelle geſtochen. Laßt Euch das zu Herzen gehen, ehrlicher treuer Freund!

Ich empfange nun das Euch zugedachte Geſchenk, welches weder das Präparat von Menſchen, Swam¬ merdamm genannt, noch der ſich ſelbſt in kleinlicher Mißgunſt verzehrende Leuwenhöck, beſitzen konnte, aus Euren Händen zurück, und werde es getreu be¬ wahren. Jetzt mein verehrteſter Herr Tyß überlaßt Euch dem Schlummer. Bald werdet Ihr in ein träumeriſches Delirium verfallen, in welchem der große Moment ſich kund thut. Zu rechter Zeit bin ich wie¬ der bei Euch.

Meiſter Floh verſchwand, und der Glanz den er verbreitet, verlöſchte in der tiefen finſtren Nacht des Zimmers, deſſen Vorhänge feſt zugezogen.

Es geſchah, wie Meiſter Floh geſagt hatte.

Herr Peregrinus Tyß wähnte bald, er liege an dem Ufer eines rauſchenden Waldbachs und vernehme das Säuſeln des Windes, das Flüſtern der Gebüſche, das Summſen von tauſend Inſecten, die ihn umſchwirr¬ ten. Dann war es, als würden ſeltſame Stimmen vernehmbar, und deutlicher und immer deutlicher, ſo daß Peregrinus zuletzt Worte zu verſtehen glaubte.

254

Doch nur ein verwirrtes ſinnebethörendes Ge¬ ſchwätz drang in ſein Ohr.

Endlich begann eine dumpfe feierliche Stimme, die jedoch immer heller und heller erklang, folgende Worte:

» Unglücklicher König Sekakis, der du das Ver¬ ſtändniß der Natur verſchmähteſt, der du, verblendet von dem böſen Zauber des argliſtigen Dämons, den falſchen Teraphim erſchauteſt, ſtatt des wahrhaften Geiſtes.

An jenem verhängnißvollen Orte, auf Fama¬ guſta, in tiefem Schacht der Erde verborgen, lag der Talisman, doch da du dich ſelbſt vernichtet, gab es kein Prinzip, ſeine erſtarrte Kraft zu entzünden. Ver¬ gebens opferteſt du deine Tochter, die ſchöne Gama¬ heh, vergebens war die Liebesverzweiflung der Diſtel Zeherit; doch auch ohnmächtig und wirkungslos blieb der Blutdurſt des Egelprinzen. Gezwungen wurde ſelbſt der tölpiſche Genius Thetel, die ſüße Beute fahren zu laſſen, denn ſo mächtig war noch, o Kö¬ nig Sekakis, dein halberloſchener Gedanke, daß du die Verlorne wiedergeben konnteſt dem Urelement, dem ſie entſproſſen.

Wahnſinnige Detailhändler der Natur, daß euch die Arme in die Hände fallen mußte, da ihr ſie,255 in dem Blumenſtaub jener verhängnißvollen Harlemer Tulpe entdecktet! Daß ihr ſie quälen mußtet mit eu¬ ren abſcheulichen Verſuchen, in kindiſchem Uebermuth wähnend, ihr vermöchtet durch eure ſchnöden Künſte das zu bewirken, was nur durch die Kraft jenes ſchlummernden Talismans geſchehen kann!

Und auch dir Meiſter Floh, mocht 'es nicht vergönnt ſeyn, das Geheimniß zu durchſchauen, da deinem klaren Blick doch nicht die Kraft inne wohnte, einzudringen in die Tiefe der Erde und den erſtarrten Karfunkel zu erſpähen.

Die Geſtirne zogen daher, durchkreuzten ſich auf ihrer Bahn in wunderbaren Schwingungen und furchtbare Conſtellationen erzeugten das Staunens¬ werthe, das dem blöden Auge des Menſchen Uner¬ forſchliche. Doch kein ſideriſcher Conflickt weckte den Karfunkel; denn nicht geboren wurde das menſchliche Gemüth, das den Karfunkel hegen und pflegen mü߬ te, damit er in der Erkenntniß des Höchſten in der menſchlichen Natur erwache zu freudigem Leben doch endlich!

Das Wunder iſt erfüllt, der Augenblick iſt ge¬ kommen.

Ein heller flackernder Schein fuhr bei Peregri¬ nus Augen vorüber. Er erwachte halb aus der Be¬17256täubung und gewahrte zu ſeinem nicht geringen Erſtaunen den Meiſter Floh, der in ſeiner mikrosko¬ piſchen Geſtalt, jedoch in den ſchönſten faltenreichen Talar gehüllt, eine hochauflodernde Fackel in den Vor¬ derpfötchen haltend, emſig und geſchäftig in dem Zim¬ mer auf und niederhüpfte und dabei ſeine gellende Töne ausſtieß.

Herr Peregrinus wollte ſich ganz aus dem Schlafe ermuntern, doch plötzlich zuckten tauſend feurige Blitze durch das Gemach, das bald von einem einzigen glü¬ henden Feuerballe erfüllt ſchien.

Da durchzog aber ein milder aromatiſcher Duft das wilde Feuer, das bald wegloderte und zum ſanf¬ ten Mondesſchimmer wurde.

Peregrinus fand ſich wieder auf einem prächti¬ gen Throne ſtehend, in den reichen Gewändern eines indiſchen Königs, das funkelnde Diadem auf dem Haupte, die bedeutungsvolle Lotosblume ſtatt des Scepters in der Hand. Der Thron ſtand in einem unabſehbaren Saal errichtet, deſſen tauſend Säulen ſchlanke, himmelhohe Cedern waren.

Dazwiſchen erhoben aus dunklem Geſträuch die ſchönſten Roſen, ſo wie wundervolle ſüßduftende Blu¬ men jeder Art, ihre Häupter empor, wie in dürſten¬ der Sehnſucht nach dem reinen Azur, das durch die257 verſchlungenen Zweige der Cedern glänzend, wie mit liebenden Augen hinabblickte.

Peregrinus erkannte ſich ſelbſt, er fühlte, daß der zum Leben entzündete Karfunkel glühe in ſeiner eigenen Bruſt.

Im fernſten Hintergrunde bemühete ſich der Ge¬ nius Thetel in die Lüfte zu ſteigen, doch erreichte er nicht die halbe Höhe der Cedernſtämme, ſondern plumpte ſchmachvoll zur Erde nieder.

Hier kroch aber der garſtige Egelprinz in wider¬ wärtigen Krümmungen hin und her, und ſuchte ſich auf ekelhafte Weiſe bald dick aufzublaſen, bald ſich lang zu ziehen, und dabei ſtöhnte er: Gamaheh doch mein!

In der Mitte des Saals ſaßen auf coloſſalen Mikroskopen, Leuwenhöck und Swammerdamm und ſchnitten gar klägliche, jämmerliche Geſichter, indem ſie ſich vorwurfsvoll wechſelsweiſe zuriefen: Seht ihr, das war der Punkt im Horoskop, deſſen Bedeu¬ tung ihr nicht herausbringen konntet. Auf ewig iſt uns der Talisman verloren!

Dicht an den Stufen des Thrones ſchienen aber Dörtje Elverdink und George Pepuſch nicht ſowohl zu ſchlummern, als in tiefe Ohnmacht verſunken.

17 *258

Peregrinus oder wir können ihn jetzt allen¬ falls ſo nennen König Sekakis, ſchlug den Kö¬ nigsmantel, deſſen Falten ſeine Bruſt bedeckten, zu¬ rück, und aus ſeinem Innern ſchoß der Karfunkel, wie Himmelsfeuer, blendende Strahlen durch den weiten Saal.

Mit einem dumpfen Geächze zerſtäubte der Ge¬ nius Thetel, indem er ſich eben aufs neue in die Höhe ſchwingen wollte, in unzählige farbloſe Flocken, die, wie vom Sturme gejagt, ſich im Gebüſche verloren.

Mit dem entſetzlichen Tone des herzzerſchnei¬ dendſten Jammers krümmte ſich der Egelprinz zu¬ ſammen, verſchwand in der Erde und man vernahm ein unwilliges Brauſen, als nehme ſie den häßlichen unwillkommenen Flüchtling nur ungern auf in ihren Schooß. Leuwenhöck und Swammerdamm waren von den Mikroskopen herab in ſich ſelbſt zuſammen geſunken und man vernahm aus ihrem angſtvollen Stöhnen und Aechzen, aus ihren bangen Todesſeuf¬ zern, daß eine harte Quaal ſie erfaßt.

Aber Dörtje Elverdink und George Pepuſch oder wie ſie hier beſſer zu benennen, die Prinzeſſin Gama¬ heh und die Diſtel Zeherit, waren aus ihrer Ohn¬ macht erwacht und hingekniet vor dem Könige, zu dem ſie in ſehnſüchtigen Seufzern zu flehen ſchienen. 259Doch ſenkten ſie den Blick zur Erde, als vermöchten ſie nicht den Glanz des ſtrahlenden Karfunkels zu er¬ tragen.

Sehr feierlich ſprach nun Peregrinus:

Aus ſchnödem Thon und den Federflocken, die ein einfältiger, ſchwerfälliger Strauß verloren, hatte dich der böſe Dämon zuſammengeknetet, dich, der du die Menſchen täuſchen ſollteſt als Genius Thetel, deshalb vernichtete dich der Strahl der Liebe, dich leeres, wirres Fantom, und du mußteſt zerſtäuben in das gehaltloſe Nichts.

Und auch du, blutdürſtiges Ungethüm der Nacht, verhaßter Egelprinz, mußteſt vor dem Strahl des glühenden Karfunkels entfliehen in den Schooß der Erde.

Aber ihr arme Bethörten, unglücklicher Swam¬ merdamm, beklagenswerther Leuwenhöck, Euer gan¬ zes Leben war ein unaufhörlicher ununterbrochener Irrthum. Ihr trachtetet die Natur zu erforſchen, ohne die Bedeutung ihres innerſten Weſens zu ahnen.

Ihr wagtet es, einzudringen in ihre Werkſtatt und ihre geheimnißvolle Arbeit belauſchen zu wollen, wähnend, daß es euch gelingen werde, ungeſtraft die furchtbaren Geheimniſſe jener Untiefen, die dem menſchlichen Auge unerforſchlich, zu erſchauen. Euer260 Herz blieb todt und ſtarr, niemals hat die wahrhafte Liebe euer Weſen entzündet, niemals haben die Blu¬ men, die bunten leichtgeflügelten Inſekten, zu Euch geſprochen mit ſüßen Worten. Ihr glaubtet die ho¬ hen heiligen Wunder der Natur in frommer Bewun¬ derung und Andacht anzuſchauen, aber indem ihr in freveligem Beginnen die Bedingniſſe jener Wunder bis in den innerſten Keim zu erforſchen Euch abmüh¬ tet, vernichtetet ihr ſelbſt jene Andacht, und die Er¬ kenntniß, nach der ihr ſtrebtet, war nur ein Fan¬ tom, von dem ihr getäuſcht wurdet, wie neugierige, vorwitzige Kinder.

Thoren! euch gibt der Strahl des Karfunkels keinen Troſt, keine Hoffnung mehr.

» Ha, ha! noch iſt wohl Troſt, noch iſt wohl Hoffnung, die Alte begibt ſich zu den Alten, das iſt 'ne Liebe, das iſt' ne Treue, das iſt 'ne Zärtlich¬ keit. Und die Alte iſt nun wirklich eine Königin und führt ihr Swammerdämmchen, ihr Leuwenhöckchen in ihr Reich und da ſind ſie ſchöne Prinzen und zup¬ fen Silberfaden und Goldfaden und Seidenſtickchen aus, und verrichten andere geſcheute und ſehr nützliche Dinge. »

So ſprach die alte Aline, die plötzlich in wunder¬ lichen Kleidern angethan, welche beinahe dem Anzuge261 der Königin von Golkonda in der Oper glichen, zwi¬ ſchen beiden Mikroskopiſten ſtand. Dieſe waren aber auf ſolche Weiſe zuſammengeſchrumpft, daß ſie kaum noch eine Spanne hoch zu ſeyn ſchienen. Die Köni¬ gin von Golkonda nahm die Kleinen, welche merklich ächzten und ſtöhnten, an ihre Bruſt, und liebkoſte und hätſchelte ſie wie kleine Bübchen, indem ſie ihnen mit tändelnden Worten freundlich zuſprach. Darauf legte die Königin von Golkonda ihre niedlichen Püpp¬ chen in zwei kleine ſehr zierlich, aus dem ſchönſten Elfenbein geſchnitzte Wiegen, und wiegte ſie, indem ſie dabei ſang:

Schlaf mein Kindchen ſchlaf
Im Garten gehn zwei Schaaf
Ein ſchwarzes und ein weißes u. ſ. w.

Während dieß geſchah, knieten die Prinzeſſin Gamaheh und die Diſtel Zeherit noch immer auf den Stufen des Throns.

Da ſprach Peregrinus: Nein! Verſtoben iſt der Irrthum, der dein Leben verſtörte, du geliebtes Paar. Kommt an meine Bruſt, Geliebte! » Der » Strahl des Karfunkels wird euer Herz durchdringen, » und ihr werdet die Seligkeit des Himmels genieſ¬ » ſen. » Mit einem Laut freudiger Hoffnung erho¬262 ben ſich Beide, die Prinzeſſin Gamaheh und die Di¬ ſtel Zeherit, und Peregrinus drückte ſie feſt an ſein flammendes Herz.

So wie er ſie ließ, fielen ſie ſich in hohem Ent¬ zücken in die Arme; verſchwunden war die Lei¬ chenbläße von ihrem Antlitz und friſches jugendliches Leben blühte auf ihren Wangen, leuchtete aus ihren Augen.

Meiſter Floh, der ſo lange wie ein zierlicher Trabant an der Seite des Thrones geſtanden, nahm plötzlich ſeine natürliche Geſtalt an, und ſprang, in¬ dem er laut gellend rief: » Alte Liebe roſtet nicht! » mit einem tüchtigen Satz hinein in Dörtjens Nacken.

Doch o Wunder, in demſelben Augenblick lag auch Röschen in hoher unbeſchreiblicher Anmuth hol¬ der Jungfräulichkeit prangend, überſtrahlt von dem Glanz der reinſten Liebe, wie ein Cherub des Him¬ mels, an Peregrinus Buſen.

Da rauſchten die Zweige der Cedern, und hö¬ her und freudiger erhoben die Blumen ihre Häupter und gleißende Paradiesvögel ſchwangen ſich durch den Saal, und ſüße Melodien ſtrömten aus den dunklen Büſchen, und wie aus weiter Ferne hallte jauchzen¬ der Jubel, und ein tauſendſtimmiger Hymnus der überſchwenglichſten Luſt erfüllte die Lüfte, und in der263 heiligen Weihe der Liebe regten ſich die höchſten Wonnen des Lebens und ſprühten und loderten empor, reines Aetherfeuer des Himmels!

Herr Peregrinus Tyß hatte in der Nähe der Stadt ein gar ſchönes Landhaus gekauft, und hier ſollte an Einem Tage ſeine, ſo wie die Hochzeit ſeines Freundes George Pepuſch mit der kleinen Dörtje El¬ verdink, gefeiert werden.

Der geneigte Leſer erläßt es mir wohl, den Hoch¬ zeitſchmaus zu beſchreiben, ſo wie genau zu ſagen, wie ſich übrigens alles an dem feſtlichen Tage begeben.

Gerne überlaſſe ich es auch den ſchönen Leſerin¬ nen, den Anzug der beiden Bräute ſo zu ordnen, wie das Bild davon ihrer Fantaſie gerade vorſchwebt. Zu bemerken iſt nur, daß Peregrinus und ſein holdes Röschen die heitre kindliche Unbefangenheit ſelbſt, Ge¬ orge und Dörtje dagegen tief in ſich gekehrt waren und Blick in Blick geſenkt, nur ſich zu ſchauen, zu fühlen, zu denken ſchienen.

Es war Mitternacht, als plötzlich der balſami¬ ſche Geruch der großblumigen Fackel-Diſtel den gan¬ zen weiten Garten, das ganze Landhaus durchdrang.

264

Peregrinus erwachte aus dem Schlaf, er glaubte tief klagende Melodieen einer hoffnungsloſen Sehn¬ ſucht zu vernehmen und ein ſeltſames ahnendes Ge¬ fühl bemeiſterte ſich ſeiner.

Es war ihm, als reiße ſich ein Freund gewalt¬ ſam von ſeinem Buſen.

Am andern Morgen wurde das zweite Braut¬ paar, nämlich George Pepuſch und Dörtje Elver¬ dink vermißt, und man erſtaunte nicht wenig, als man wahrnahm, daß ſie das Brautgemach gar nicht betreten.

Der Gärtner kam in dieſem Augenblick ganz außer ſich herbei und rief: er wiſſe gar nicht, was er davon denken ſolle, aber ein ſeltſames Wunder ſey im Garten aufgegangen.

Die ganze Nacht habe er vom blühenden Cactus grandiflorus geträumt und nun erſt die Urſache da¬ von erfahren. Man ſolle nur kommen und ſchauen.

Peregrinus und Röschen gingen herab in den Garten. In der Mitte eines ſchönen Boskets war eine hohe Fackeldiſtel emporgeſchoſſen, die ihre, im Morgenſtrahl verwelkte Blüthe hinabſenkte, und um dieſe Blüthe ſchlang ſich liebend eine lila - und gelbge¬ ſtreifte Tulpe, die auch den Pflanzentod geſtorben.

265

O meine Ahnung, rief Peregrinus, indem ihm die Stimme vor tiefer Wehmuth bebte, o meine Ah¬ nung, ſie hat mich nicht getäuſcht! Der Strahl des Karfunkels, der mich zum höchſten Leben entzündete, gab dir den Tod, du durch ſeltſame Verſchlingungen eines geheimnißvollen Zwieſpalts dunkler Mächte verbundenes Paar.

Das Myſterium iſt erſchloſſen, der höchſte Au¬ genblick alles erfüllten Sehnens war auch der Augen¬ blick deines Todes.

Auch Röschen ſchien die Bedeutung des Wun¬ ders zu ahnen, ſie bückte ſich zu der armen geſtorbenen Tulpe herab, und vergoß häufige Thränen.

» Ihr habt ganz recht, » ſprach Meiſter Floh, (der plötzlich in ſeiner anmuthigen mikroskopiſchen Geſtalt auf der Fackel-Diſtel ſaß) » ja, ihr habt ganz » recht, wertheſter Herr Peregrinus; es verhält ſich » alles ſo, wie ihr da eben geſprochen habt, und ich » verlor nun meine Geliebte auf immer. »

Röschen hatte ſich beinahe über das kleine Un¬ gethüm entſetzt, da Meiſter Floh ſie aber mit ſolchen klugen freundlichen Augen anblickte, und Herr Pe¬ regrinus ſo vertraulich mit ihm that, ſo faßte ſie ein Herz, ſchaute ihm dreiſt ins kleine niedliche Antlitz, und gewann um ſo mehr Zutrauen zu der kleinen266 ſonderbaren Creatur, als Peregrinus ihr zuflüſterte: das iſt mein guter lieber Meiſter Floh.

» Mein beſter Peregrinus, » ſprach nun Meiſter Floh ſehr zärtlich: » meine holde liebe Frau, ich muß euch jetzt verlaſſen und zurückkehren zu meinem Volk, doch werde ich euch treu und freundlich gewogen blei¬ ben immerdar und ihr ſollt meine Gegenwart auf euch ergötzliche Weiſe verſpüren. Lebt wohl, lebt beide herzlich wohl! Alles Glück mit Euch! »

Meiſter Floh hatte während dieſer Zeit ſeine na¬ türliche Geſtalt angenommen und war ſpurlos ver¬ ſchwunden.

Wirklich ſoll ſich auch Meiſter Floh in der Fa¬ milie des Herrn Peregrinus Tyß ſtets als ein guter Hausgeiſt bewieſen haben, und vorzüglich thätig ge¬ weſen ſeyn, als nach Jahresfriſt ein kleiner Peregri¬ nus das holde Paar erfreute. Da hat Meiſter Floh am Bette der holden Frau geſeſſen und der Wärterin in die Naſe geſtochen, wenn ſie eingeſchlafen, iſt in die mißrathene Krankenſuppe hinein und wieder her¬ ausgeſprungen u. ſ. w.

Gar hübſch war es aber von dem Meiſter Floh, daß er der Tyßiſchen Nachkommenſchaft am Chriſt¬ tage es nie an den zierlichſten, von den geſchickteſten Künſtlern ſeines Volks ausgearbeiteten Spielſächelchen267 fehlen ließ, ſo aber den Herrn Peregrinus Tyß auf gar angenehme Weiſe an jene verhängnißvolle Weih¬ nachtsbeſcheerung erinnerte, die gleichſam das Neſt der wunderbarſten, tollſten Ereigniſſe zu nennen.

Hier brachen plötzlich alle weitere Notizen ab, und die wunderſame Geſchichte von dem Meiſter Floh nimmt ein fröhliches und erwünſchtes

Ende.

About this transcription

TextMeister Floh
Author E. T. A. Hoffmann
Extent278 images; 48782 tokens; 9580 types; 338332 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationMeister Floh Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde E. T. A. Hoffmann. . 269 S. WilmansFrankfurt (Main)1822.

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Sammlung Wolfgang Klein Slg. Klein

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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