PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht.
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren.
Vaterländiſcher Roman
Dritter Band.
Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852.
[1]

Erſtes Kapitel. Gewitterſchläge am ſchwülen Himmel.

Im Hauſe der Geheimräthin war es ſeit jenem glänzenden Abend ſtill hergegangen; aber es war eine Stille, die von ſich ſprechen machte. Sie litt an Congeſtionen des Blutes, Beklemmungen des Herzens, und klagte über Viſionen. Im Kreiſe der ihr liebſten Menſchen ſah ſie oft andre Geſichter. Sie redete eine Perſon an, und meinte eine andre; aber ſie betheuerte, ſie wiſſe ſich darüber genau Rechen¬ ſchaft, wenn der Zuſtand vorüber. Es wären nur nervöſe Affectionen, über die die Aerzte keine Aus¬ kunft geben könnten. Sie ſprach bitter von den Doctoren, und wollte nicht mehr von ihnen behan¬ delt ſein.

Die Gevatterinnen urtheilten verſchieden über ihren Zuſtand. Sollte auch die Lupinus ſich der Schwärmerei, dem Myſticismus, in die Arme ge¬ worfen haben, ſie, auf deren Tiſch man immer Moſes Mendelsſohn aufgeſchlagen fand! Zwar etwas clair¬ voyant war ſie ſchon in letzter Zeit geweſen, aberIII. 12nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder ſein zu müſſen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬ lungen, und ſie deutete dieſelben nur für das Aufblitzen unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Geiſter¬ ſeherin ſein und erklärte ſich gegen den Aberglauben.

Aber die Zungen waren fertig über ſie zu rich¬ ten, und es giebt in einer großen Stadt böſe Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften ſich zu¬ ziſchelten: es ſei nur Aerger, weil ihre Geſellſchaften nicht die Anziehungskraft geübt, die ſie gewünſcht, und die Excluſiven ſich zur Ruſſiſchen Fürſtin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen beſondern Grund gehabt haben, warum ſie den Prinzen ſo gern an ſich ge¬ zogen. Worauf andere hinzuſetzten, der Prinz müſſe auch wohl einen beſondern Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Geſinnten zur Erklärung vorbrachten: ſie ſei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerſtrebe, wirke es afficirend, gewiſſermaßen revolutionirend in dem zar¬ ten Körper. Andre: ſie, die für einen kranken, wun¬ derlichen Mann zu ſorgen, habe ſich nun noch die Laſt für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koſte das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiſelle Adelheid ſei wohl gut und ſchön, aber ſie habe ein eigenſinniges Köpfchen. Habe ſie es nicht durchgeſetzt gegen Aller Willen, daß ſie mit ihrem Lehrer halb verlobt ſei, einem jungen3 Menſchen, der nichts hat und alle vernünftigen Aus¬ ſichten von ſich ſtößt. Nicht ihre Eltern hätten es gewünſcht, die jetzt auch höher hinaus dächten, noch der Vater des jungen Mannes, der gradezu erklärt, er werde nie ſolche Schwiegertochter in ſein Haus laſſen. Um zu einer ſolchen Partie ihr zu verhelfen, hätte Madame Lupinus das ſchöne Mädchen auch nicht in ihres genommen, und nun ſei doch ihre Lage gewiß nicht beneidenswerth: eine Pflegetochter hüten, an die keine Blutsbande ſie feſſelten, zu einer Verbindung das Auge zudrücken, die ſie ungern ſähe, und noch dazu die Verantwortung gegen die Eltern des Mädchens und gegen den alten van Aſten, von dem ſie noch obenein einen unhöflichen Brief in die Taſche ſtecken müſſen. Könne das nicht ein edelgeſinntes Gemüth herunterbringen! Wenn noch andre fragten, wa¬ rum ſetzt ſie ſich dem aus, warum duldet ſie's? ſo antworteten noch andre Gutgeſinnte: alles drehe und wende ſich jetzt um das kleine Köpfchen, und wenn die Mamſell gleich ihre Herrſchaft geſchickt zu verbergen wiſſe, ſo wäre ſie es doch, die das Haus regiere. Das komme davon, wenn man ſich in Dinge miſche, die uns nichts angehen, ſagten wieder die halb Bos¬ haften, und mehr thun wolle, als wozu uns die Pflicht für unſre nächſten Angehörigen treibt. Sie hätte doch Anverwandte, und ihr Mann auch, die es beſſer brauchen könnten, als das fremde Mädchen, und ein Recht dazu hätten. Und wenn ſie gar ein Wort fallen laſſen, wie es hieß, daß ſie daran gedacht die1*4Mamſell zu adoptiren, ſo wäre es kein Wunder, wenn die ihr den Kopf nun heiß mache.

In gewiſſen Kreiſen ſprach man von einem intimen Verhältniß der Geheimräthin mit dem Le¬ gationsrath. Der Legationsrath behielt bei den An¬ ſpielungen ſeine vollkommene Ruhe, und rühmte die Bildung und den eminenten Scharfblick der geiſt¬ reichen Frau. Ein Liebender bewundert nicht mit der klaren Ruhe des Verſtandes eine Geliebte. Die Gevatterinnen wußten, daß er nur ſeltene Beſuche machte, immer in der allgemeinen Beſuchsſtunde, ſie wußten von der Dienerſchaft, daß er ſich ſtets in den Formen des feinſten Anſtandes bewege. Ihre Ge¬ ſpräche flogen in höhere Regionen der Wiſſenſchaft, oder betrafen Geſchäfte. Die Lupinus beſorgte ſelbſt ihre Geldangelegenheiten, und Wandel hatte ihr gute Hypotheken nachgewieſen und die Pfandbriefe, die er für die ſicherſten hielt, anempfohlen. Er war ein Freund des Geheimrathes, den dieſer oft ſtundenlang in ſeinem Studirzimmer feſthielt. Wandel war ein lebendiges Lexicon für alle Ausgaben des Horaz. Und wie theilnehmend hatte er ſich bei dem letzten Unglücksfall, der das Haus betraf, benommen, wenn man den Todesfall des alten Bedienten ſo nennen kann. Wie lange war man darauf vorbereitet ge¬ weſen, obgleich Geheimrath Mucius geſagt, er könne ſich noch zehn Jahr quälen. Wie recht hatte Ihre Frau Gemahlin, hatte er zum Geheimrath geſagt, die immer beſorgte, daß er an einem acuten Anfall5 Ihnen unter den Händen ſterben werde. Und mit welchem Takt ſie die Charlatanerie der Aerzte erkannt! Als man Johann an einem Morgen todt neben ſeinem Bette liegend gefunden, und alle Hausgenoſſen in die Kammer ſtürzten, war die Lupinus nur bis über die Schwelle gekommen. Hier ging ihr der Athem aus, die Kräfte verſagten, und ſie war in ihre Knie geſunken. Ihr Gatte und der Legationsrath mußten die Ohnmächtige aufheben. Wie liebevoll hatte er ihr da Worte des Troſtes zugeſprochen. Die Diener¬ ſchaft zerfloß in Thränen: Warum erſchrecken, meine Freundin, über Etwas, das nur eine Wohlthat des Himmels iſt, für den armen Dulder, für uns Alle, die wir ſeine Leiden ſehend mit ihm litten! Preiſen wir vielmehr die Hand, die dies gethan. Sein Wille geſchehe! der es gut, ſchnell und kurz gemacht! Geſtärkt durch ſeinen Zuſpruch, hatte ſie nachher an der Leiche geſtanden, ihre Züge beobachtend. So iſt es recht, hatte er geſagt; dem, was wir als gut erkannt, feſt ins Auge geſehen! Wem helfen Thränen, wem weichliches Gefühl des Mitleids! Indem wir das eine Nothwendige erkannt, ſtärken wir unſere Nerven, um der Nothwendigkeit auch weiter ins Auge zu blicken, und wir mögen endlich den Sinn des alten Kirchenliedes erfaſſen: Tod, wo ſind nun deine Schrecken! Sie war geſtärkt worden. Sie hatte ſelbſt am Beerdigungstage die Leiche mit friſchen Blumen geſchmückt. Die Dienerſchaft, die Nach¬ barſchaft waren davon gerührt, und das Lob der6 Geheimräthin war unter den gemeinen Leuten weit verbreitet.

Im Hauſe der Geheimräthin war es ſtill her¬ gegangen, ſagten wir, heut aber in der Mittagsſtunde eines friſchen Oktobertages drängten ſich die Beſuche. Die Regimenter von Lariſch und Winning, von der Weichſel zurückberufen, marſchirten durch Berlin nach ihrem neuen Beſtimmungsorte, der fränkiſchen Gränze. Die Straßen waren belebt, die Fenſter beſetzt. Der Durchzug erfolgte unregelmäßig, batallionsweiſe; die Truppen, in Eilmärſchen aus Polen herangezogen, hatten in ihren letzten Nachtquartieren keine Zeit gehabt, ſich zu einem Paradezug zu ajuſtiren. Während Monturen, Geſichter, Haltung, von den Strapatzen der angeſtrengten Märſche ſpra¬ chen, wirbelten aber die Trommeln und die Trom¬ peten ſchmetterten Luſtigkeit in die klare Herbſtluft; der Jubel der Zuſchauer überbot ſie noch. Aus den Fenſtern ſchwenkte man Tücher, auf der Straße drückte man den Soldaten die Hand; man reichte ihnen zu trinken, und während die Schnapsflaſchen und Sem¬ melkörbe umhergingen, ſchickten patriotiſche Hausfrauen große Bunzlauer Kaffeekannen und Taſſen hinunter. In der Küche der Geheimräthin brodelte ein Waſch¬ keſſel, Adelheid hatte für den Soldatenkaffee und für die Chocolate der Gäſte zu ſorgen.

Dieſe ſtanden in zerſtreuten Gruppen an den Fenſtern. Es gehörten nicht Alle zu einander.

Walter van Aſten las aus einer fremden Zei¬7 tung einigen um ihn Stehenden einen Artikel vor: Dem Vernehmen nach hat der Herr Staatsminiſter von Hardenberg dem franzöſiſchen Geſandten, Herrn Laforeſt, die Antwort ertheilt: Sein König wiſſe nicht, worüber er ſich mehr zu verwundern habe, über die Gewaltthat des franzöſiſchen Heeres, oder über die unbegreiflichen Entſchuldigungsgründe dafür. Wie habe man Preußens aufopfernde Redlichkeit vergolten, das Opfer gebracht, die ſeinen theuerſten Pflichten nachtheilig werden könnten. So könne man denn doch keine andern Abſichten des Kaiſers Napoleon annehmen, als daß derſelbe Urſachen gehabt, die zwiſchen ihm und der Krone Preußen beſtehenden Verpflichtungen für werthlos zu halten, und achte darum Seine Majeſtät der König ſich ſelbſt aller früheren Obliegenheiten entbunden. Friede wolle Preußen auch noch jetzt, halte ſich aber nun ver¬ pflichtet, ſeinem Heere die Stellung zu geben, welche zur Vertheidigung des Staates unerläßlich ſei.

Ja es werden drei Heere gebildet, wie ich aus ſicherer Quelle weiß, bemerkte Jemand. Ein andrer ſetzte hinzu:

Und es bleibt nicht bei der Rückberufung unſrer Weichſelarmee, ſondern wir haben auch den Ruſſen den Durchzug durch Schleſien geöffnet. Der Kriegs¬ rath Alltag flüſterte ſeinem Nachbar ins Ohr: Die Donſchen Koſacken ſind ſchon in Breslau angemeldet.

Ach Gott, ach Gott! ſo haben wir alſo Krieg! rief die Kriegsräthin.

8

Auch die Fürſtin Gargazin hatte das Haus mit ihrem Beſuch gewürdigt. Sie lächelte, zum Rath Fuchſius ſich abwendend: Mir will die Vorſtellung einer Komödie noch nicht aus dem Sinn.

In einer Stadt, wo das Theater eine ſo große Rolle ſpielt, entgegnete der Rath, iſt dieſer Gedanke allerdings ſehr natürlich.

Es wäre doch grauſam, fuhr die Fürſtin fort, wenn man mit den armen Menſchen wieder nur

Kämmerchen vermiethen ſpielte. Vom Rhein nach der Weichſel, und von der Weichſel nach dem Main!

Das könnte das beſte Heer demoraliſiren, äu¬ ßerten mehre.

Der Geheimräthin ſchien die entſchiedene Sprache des Preußiſchen Miniſters doch jetzt den Zweifel auf¬ zuheben.

Ich ſprach Diplomaten, die aus der Note nur den Sinn herausleſen, bemerkte die Fürſtin, daß Preußen unter allen Umſtänden Friede will.

Aus welcher Zeitung iſt der Artikel, Herr van Aſten? fragte die Lupinus.

Aus dem Hamburger unparteiiſchen Correspon¬ denten, der heut Morgen ankam.

Warum müſſen wir das nun aus einem frem¬ den Blatt erfahren! Ueber etwas, das uns ſo nahe angeht, leſen wir kein Wort in unſern Zeitungen.

Dann iſt's auch vielleicht nicht wahr, lächelte die Fürſtin mit einem beſondern Blicke auf den Regierungsrath. Es mochten mehre den Blick ver¬9 ſtehen. Fuchſius beſorgte für die Hamburger Zeitung Regierungsartikel.

Die erlauchte Fürſtin, entgegnete Fuchſius, weiß, daß gewiſſe Regierungen ſchüchternen Jungfrauen gleichen, die in ihrer Gegenwart keine Schmeicheleien vertragen, hinter ihrem Rücken hören ſie ſich recht gern gelobt.

Ich kenne auch Regierungen, ſetzte die Gar¬ gazin darauf, die erſchrecken, wenn man ihre Ge¬ danken ausſpricht, beſonders, wenn ſie gar keine haben.

Der Kriegsrath Alltag wandte ſich mit einem innern Schaudern ab. Er hatte nicht geglaubt, daß vornehme Perſonen ſo reſpectlos von der Regierung ſprechen könnten.

Die Gruppe löſte ſich auf, als die Janitſcharen¬ muſik das Anrücken eines neuen Bataillons verkün¬ dete. Adelheid ſtreifte mit dem Präſentirbrett an Walter vorbei: Ein bischen zuvorkommender gegen meinen Vater! Auch mit der Mutter könnten Sie mehr ſprechen. Der Jubel am Fenſter und auf der Straße erſparte ihm die Antwort.

Am lauteſten ward es in dem kleinen Neben¬ zimmer. Eine weibliche durchdringende Stimme ließ ſich vernehmen:

Nein, ſag ich doch, ſo vieles Volk, und alle zum Todtſchießen! 's iſt grauſam! Sieh mal Fritz, wie ſie blitzen, die Spontons! Da der mit dem rothen Federbuſch! Malwine, willſt Du Dich nicht10 ſo 'rüber legen! Was man mit den Kindern Noth hat. Und da das blutjunge Geſicht ach Du liebe Seele, der hinkt, hat ſich die Füße durchge¬ laufen Was' ne unſterbliche Menſchenſeele nicht ertragen muß! Und ſtaubig, alle wie gepudert! Liebechen! rief ſie hinunter, ſehn Sie, Dem da ſchenken Sie 'ne Taſſe Kaffee! Er friert ſo, und ein ſo hübſcher Menſch. Sieht ſie's wieder nicht, die Liſette! Nu iſt er fort! Na 's wird wohl noch andre mitleidige Seelen geben. Was ſo ein Tor¬ niſter drücken muß! Fritz, wenn Du auch ſolche grauſame Flinte auf dem Buckel tragen müßteſt Nu paß Acht, nu kommt der Tambour. Hurrje, hurrje! hörſt Du, wie er ſchlägt!

Will auch Trommler werden, ſagte der Junge.

Nein, Fritzchen, da wirſt Du todt geſchoſſen. Das iſt nur für ordinaire Leute. Guter Leute Kinder, die ſind zu was anderm da.

Will Trommler werden! wiederholte der Trotz¬ kopf. Papa hat's geſagt.

Ja, wenn Du ein Taugenichts wirſt, dann wirſt Du unter die Soldaten geſteckt.

Das Fritzchen ſchrie und ſtampfte auf die Erde. Du Olle, Du ſollſt mir's nicht verbieten, Du haſt mir nichts zu verbieten.

Range Du! Unterſteh Dich und kneif noch mal. Wenn wir nicht bei hübſchen Leuten wären, kriegteſt Du eins hinter die Ohren, daß Du Dich wundern ſollſt.

11

Die Geheimräthin war unbemerkt Zeugin des Auftritts geweſen. Sie brachte den Kindern Brätzeln und fragte: ob ſie ſchon Chocolate bekommen?

Ach du mein Gott, die geſtrenge Frau ſind auch gar zu gütig gegen die Kleinen! rief Charlotte, die ſich umgedreht. Daß wir Ihnen auch ſo viel Incommodität verurſachen! Aber Kinder ſind nun mal Kinder, und wer weiß ob ſie ſo was mal wie¬ derſehen, ſagte meine Couſine, die Frau Hoflakir. Ja ſie gehn alle in den Tod.

Giebt es einen ſchönern als fürs Vaterland! ſprach die Geheimräthin mit Erhebung.

Das ſagte mein Wachtmeiſter auch, Frau Ge¬ heimräthin, aber, nehmen Sie mirs nicht übel, Tod iſt doch Tod. Und eingebuddelt werden ſie, ohne Sang und Klang, ohne Leichenhemd und ohne Sarg, wo ſie ſtehn und liegen. Und der Fritz will abſolut Soldat werden. Iſt ein rabbiater Junge. Und mein guter Herr Geheimrath, der die Güte ſelbſt iſt, Sie glauben gar nicht, wie er ihm ſchon auf der Naſe ſpielt. Kinder ſind Gottes Segen, o gewiß, aber ſie können auch Gottes Fluch werden, wenn ſie aus¬ ſchlagen.

Die Geheimräthin ſtreichelte die Köpfe der Klei¬ nen: Geht liebe Kinder in die andre Stube und laßt Euch Chocolate geben.

Warum erſchrak Charlotte heute nicht vor der Butterbrätzel, welche die Frau mit den ſpitzen Fingern den Kleinen gab; warum kamen ihr dieſe Finger12 heut nicht ſpitz vor, als ſie über die blonden Haare der Kleinen ſtrich. Charlotte war auch jetzt in innerer Bewegung, aber es war eine andre, als ſie plötzlich in Thränen ausbrechend den Saum des Kleides der Geheimräthin erfaßte und es an die Lippen drückte:

Ach, Frau Geheimräthin, das müſſen Sie mir ſchon erlauben. Es war doch zu ſchön. So einen ordinairen Dienſtboten unter die Erde zu bringen, und ſeine eigne Herrſchaft! Das wird Ihnen Gott lohnen. Er war mein Couſin, aber das iſt es nicht. Er war meiner Mutter Onkel Schweſterkind, und angeheirathet nur, aber, und wenn er mir gar nichts geweſen wäre, das vergeß ich Ihnen nicht. Darüber iſt auch nur eine Stimme in der Stadt. Und meine Couſine, die Frau Hoflakir, ſagt, ſolch einen Sarg und von ſo ſchönem fetten Eichenholz, hat ſie nicht geſehen, als ihr Mann ſeine Alte begrub, und das war ihr Glück, und ihr Mann verſteht's; wenn der den Beutel aufthut, dann hält er nicht den Finger drauf. Und hat jetzt eigen Geſpann; alle Sonntag fahren ſie nach Charlottenburg, und haben mich auch ſchon mitgenommen, und ich habe auch mal die lieben Kleinen mitgenommen, daß ſie doch auch ein Ver¬ gnügen haben, und ich kaufte ihnen für einen Dreier Semmel, daß ſie die Karpfen füttern konnten. Na das war eine Herrlichkeit. Aber der Silberbeſchlag! Nein Frau Geheimräthin, das iſt es gar nicht. Was iſt Silber? Unter der Erde roſtet's, wir roſten Alle. Aber die Blumen, nein Du mein Himmel Jeſus13 nein. Wie ein Purpurri 'rüber geſchüttet, wie ich da in den Hausflur trat, es knickte mir in die Knie, und ich wollt's nicht glauben, und die Menſchheit! Vom Gensdarmenmarkt, vom Fürſtenhauſe her, die Polizei konnte gar nicht durch, daß die Leichenträger nur Platz hatten. Und da war doch nur eine Empfin¬ dung!

Er war ein treuer Diener, und wir ſind alle Menſchen.

Aber doch mit Unterſchied, Frau Geheimräthin. Und den Kranz von weißen Roſen, den Sie auf ſeine Todtenlocke gedrückt und ſein bleiches Antlitz! Er war mein Couſin, ſchluchzte ich, und meine Cou¬ ſine, die Frau Hoflakir, ſprach: Ja das Leben iſt doch ſchön! Nein, Frau Geheimräthin, und wenn Sie mich eine ſchlechte Perſon nennen, Sie haben ihn ſterben laſſen, daß mancher ſagen möchte, ſo möchte ich auch ſterben.

Wenn eine Emotion ſich in dem halb geſchloſſenen Auge der Geheimräthin kund geben wollte, ſo bemerkte es Niemand, Charlotte am wenigſten, denn helle Trompetenſtöße lockten jetzt aufs Neue und unwider¬ ſtehlich an die Fenſter. Jeder ſtürzte dahin, wo er Platz fand; Charlotte hatte einen, der ihr wohl nicht zukam, eingenommen, Arm an Arm mit der Baronin Eitelbach. Keine ſah die andre, keine gab auf die andre Acht.

Ach da reitet er! rief Charlotte, den Blick auf eine Schwadron der Gensdarmen gerichtet, die um14 die Ecke ſchwenkte. Sie gab den durchmarſchirenden Dragonern nur das Geleit.

Ach da reitet er! tobte es in einer Bruſt neben ihr, ohne daß die Lippen ſich bewegten.

Nein, wie viel ſchöner ſehn doch unſre aus, als die Dragoner!

Wunderbare Sympathie! Daſſelbe dachte die Baronin.

Es geht doch nichts über die Garde! Das iſt alles adrett. Und wie ſitzen ſie auf dem Pferde! Hurrje! Das fühlt auch jeder.

Charlotte hatte recht; einer ſpricht es, der andre fühlt es. Die Tücher fingen wieder an zu wehen.

Wem gilt dieſer Jubel! fragte am andern Fenſter die Fürſtin.

Den neuen Uniformen, Erlaucht, flüſterte Je¬ mand hinter ihr.

Die bleiben in Berlin?

Es wäre ſchade ſie dem Herbſtwetter auszu¬ ſetzen.

Aber die armen marauden Truppen, die ins Feld müſſen, werden es übel nehmen.

Erlaucht! Das Futter fürs Pulver darf nichts übel nehmen.

Am Zwiſchenfenſter ſchluchzte plötzlich die Kriegs¬ räthin: Und alle dieſe jungen ſchönen Leute werden auch todt geſchoſſen!

Nur ihre Pflicht, ſagte der Kriegsrath. Wenn der König befiehlt, muß jeder ſterben.

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Das Schluchzen ward anſteckend. Charlotte, am nächſten Fenſter fing an ſo laut zu weinen, als ſie eben gejubelt: Sie müſſen alle ſterben, ich ſeh ihn nicht wieder.

Als die Baronin ihr Battiſttuch an die Augen drückte, hatte ſich indeß die Scene wieder geändert. Charlotte ſtieß die Nachbarin in ihrer heftigen Be¬ wegung faſt zurück: Er ſtreicht den Bart; das gilt mir; ja, ja ich ſeh's , und damit er's wieder ſähe, bog ſie ſich hinaus. Malwine und Fritz wären dafür geſtoßen worden. Es war nicht nöthig, daß ſie das Umſchlagetuch ſich abgeriſſen, der Wachtmeiſter ritt ſchon unter dem Fenſter, und warf ihr Kußhände zu. Und wie keck ſchmunzeld er wieder den Bart ſtrich!

Die Baronin ſah auch etwas, aber ſie ward blaß. Er ſtrich nicht den Bart, nein; aber als er hinaufgeblickt, ihre Augen ihn getroffen, wandte er plötzlich den Kopf. Er ſetzte die Sporen ein und war zur Generalität geflogen. Sie ſah ihn im Ge¬ dränge nicht wieder.

Iſt Ihnen unpäßlich, meine Gnädige? fragte der Legationsrath, der, jetzt erſt eingetreten, die Dame nach einem Stuhl führte.

Es wird bald vorüber gehen.

So iſt es recht. Weinen Sie ſich aus. Ver¬ haltener Kummer iſt für Seele und Leib gleich ge¬ fährlich.

Die Eitelbach hatte Zeit ſich auszuweinen; bis auf die Kinder, welche die Einladung an den Choco¬16 latentiſch nicht umſonſt vernommen, war kein lebendes Auge im Zimmer. Alle auf das Schauſpiel draußen gerichtet. Prinz Louis ſelbſt ritt vorüber, der Jubel hatte ſeinen Gipfelpunkt erreicht, und brach doch immer wieder von neuem aus. Tücher! Hüte! Mützen flogen. Es wollte nicht enden.

Der Krieg iſt ja noch nicht erklärt, flüſterte der Legationsrath; die Garde bleibt jedenfalls noch in Berlin, wenn Ihr empfindſames Herz vielleicht für einen dieſer tapfern Krieger Beſorgniß hegt.

Die Baronin ſprach es nur für ſich: Er ſieht mich ja nicht an. Sie bereute ſchon den Selbſt¬ verrath, als ihr Blick auf das verwunderte Geſicht des Legationsrathes fiel. Er rückte einen Stuhl heran.

Theuerſte Frau, hub er nach einer Pauſe an, erlauben Sie ein Wort des Vertrauens. Sie waren ſo gütig nur jüngſthin Ihres zu ſchenken, und es ruht in dieſer Bruſt, wie in einem Grabe.

Ja, Sie ſind ſolide.

Verrath in ſo zarten Angelegenheiten halte ich, wenigſtens von der Lippe eines Mannes, für ein unverzeihliches Verbrechen.

Sie wiſſen ja alles.

Ich hielt es für längſt vorüber; das Spiel des Windes auf einem Aehrenfelde.

O es wird auch wohl ſo ſein. Sie werden recht haben, ganz recht, brach es aus der bewegten Bruſt. Aber er verfolgte mich ja letzthin ſo auffällig.

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Beſitzen Sie einen Brief von ihm? ſprach er Sie an?

Nein aber es war ja ganz klar die Fürſtin Gargazin

Können Sie der auch ganz trauen? Der Legationsrath ſah ſich vorſichtig um.

Sie iſt eine ſeelensgute Frau. Schon vor acht Tagen verſicherte ſie mich, ich möchte mich vorbereiten, er könne ſich gar nicht mehr halten. Sie hat ihn neulich bei ſich in ihr Cabinet zurückgedrückt, er wäre im Stande geweſen, in ihrer Gegenwart mir zu Füßen zu ſtürzen.

Der Legationsrath ſah ernſt vor ſich hin und ſchüttelte den Kopf: Das glaube ich doch nicht

Als wir von der Waldow kamen, öffnete er mir den Wagenſchlag. Ei, wie komm ich zu der Ehre, ſagte ich?

Und er

Er hatte ſchon, ganz träumeriſch, einen Fuß auf dem Tritt, als mein Mann dazu kam und ihn einlud mitzufahren

Worüber er zur Beſinnung kam, das iſt freilich ſehr begreiflich.

Sahen Sie, wie er jetzt fortſah, als er mich erblickte?

Da ſcheute wohl nur ſein Pferd

Nein, es war eine innere Stimme

Er faßte ſanft ihre Hand: Hören Sie auf dieſe inneren Stimmen, meine Freundin? Ach das iſtIII. 218ein gefährliches Lauſchen. Wie oft hören wir die Wahrheit, wie oft täuſchen wir uns!

Sagen Sie, ich hätte mich getäuſcht!

Einem Cavalier muß der Ruf ſeiner Geliebten über Alles gehn. Was der Raſende im verſchloſſnen Cabinet der Fürſtin vielleicht gewagt hätte, wird er doch nicht vor tauſend Augen ſich unterſtehen. Nein, da beruhigen Sie ſich und wenn er es gethan, ſo hätte ich ein Wort mit ihm reden wollen. Wenn es weiter nichts iſt da, wie geſagt, ſein Sie ganz ruhig.

Was meinen Sie mit dem weiter nichts?

O grübeln Sie nicht nach. Eine Bitte! Thun Sie ſich Gewalt an. Verbergen Sie dieſe Gefühle. Sie ſind zu ſchön und rein, die Welt iſt ihrer nicht werth. Möglich, das gebe ich zu, möglich, daß auch er Ihrer nicht werth iſt. Aber erſcheinen Sie dafür deſto größer, und wenn er treu iſt, bewahren Sie ihm das Vertrauen, iſt er es nicht, ſich die Größe über Ihren Schmerz erhaben zu ſein. Meine Freundin, ſagte er aufſtehend und drückte ihre Hand an ſeine Bruſt, das Vergängliche gehört der Zeit, was aber in die Aeonen hinausragt, das iſt das heilige Be¬ wußtſein einer ſchönen Seele. Sie werden mich ver¬ ſtehen.

Ganz verſtand ſie ihn nicht, aber es war gut, daß ſie ihn nicht fragte, denn die Geſellſchaft war wieder im Zimmer. Nur der Major ſchien am Eck¬ fenſter noch draußen:

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Das Friedrichs Heer!

Grade in dieſen Regimentern iſt nichts geän¬ dert, ſagte Fuchſius.

Jeder hat allerdings noch ſeine drei gepuderten Locken.

Sie marſchirten doch vortrefflich

Geknickte Glieder eines Rieſenkörpers, die nicht mehr in einander klingen. Mein Freund, zuweilen will's doch auch mich beſchleichen, als wäre es am geſcheiteſten zur Friedenspartei überzugehen.

Der Legationsrath wurde mit Fragen, was er Neues bringe? überſtürmt.

Duroc iſt abgereiſt.

Wirklich! Endlich! rief es. Mit einer Kriegs¬ erklärung?

Man hat ihm nur zu verſtehen gegeben, daß man unter den obwaltenden Umſtänden das Freund¬ ſchaftsbündniß als gelöſt vielleicht zu betrachten ge¬ nöthigt ſein dürfte.

Und hat Laforeſt Päſſe erhalten?

So unhöflich iſt man nicht geweſen.

Die Fürſtin lächelte: Er denkt übermorgen eine Matinée zu geben.

Dies unterbleibt doch vielleicht, ſagte Wandel, wenn Erlaucht mir erlaubt das Gerücht mitzutheilen, was ich von der Börſe bringe. Seine Majeſtät Kaiſer Alexander wird hier erwartet. Der Oeſterreichiſche Erzherzog Anton iſt ſchon auf dem Wege nach Berlin.

Die Nachricht überraſchte. Auch der Regierungs¬2*20rath war frappirt: Dieſer Menſch weiß Alles. Wenn wir nicht wollen, ſagte Eiſenhauch, die Lippen zuſammen beißend, ſo zwingen uns Andre zum Ernſt. Man beobachtete die Fürſtin, um auf ihrem Geſicht die Beſtätigung zu leſen. Man konnte nichts leſen; ſie war mit Adelheid beſchäftigt, der ſie heut ihre ganze Aufmerkſamkeit zu widmen ſchien.

Herr von Wandel, Ihre Neuigkeiten ſind noch nicht zu Ende?

Er war gefällig, und gab eine ganze Liſte von Avancements und Verfügungen zum Beſten: Auch hat Herr von Bovillard mit ſeinem Sohne ſich aus¬ geſöhnt. Er will ihn wieder für den Staatsdienſt gewinnen. Einſtweilen hat der junge Bovillard Courierſtiefel anziehen müſſen. Er iſt fortgeſchickt.

Da wird doch wenigſtens ein Platz in den Gefängniſſen frei, ſagte die Geheimräthin mit Bitter¬ keit, und ihr Blick fiel auf Adelheid. Ob zufällig, oder ob ſie eine Veränderung auf ihrem Geſicht bemerkte?

Meine holde Adelheid erſchrak, ſagte die Fürſtin, bei Ihrer Nachricht von der Ankunft unſres Kaiſers, Herr von Wandel. Sie ſtellt ſich unter einem Kaiſer aller Reuſſen einen orientaliſchen Despoten vor, einen Großmogul, vor dem Alles in Ehrfurcht auf den Boden ſtürzen muß. Ihr Lehrer wird ihr ſagen, ein wie liebenswürdiger Cavalier Kaiſer Alexander iſt. Auch ein Welteroberer, aber durch Huld und Güte gewinnt er die Herzen. Doch mich dünkt,21 unſer Neuigkeitsbote hat ſeinen Sack noch nicht aus¬ geſchüttet. Was ſagt die Falte auf Ihrer Stirn?

Der Legationsrath zuckte die Achſeln: Ich weiß nicht, ob ich die frohe Stimmung hier ſtören darf.

Eine Anforderung zum in ihn dringen.

Die Oeſterreicher ſind total geſchlagen. Der Courier kam ſchon heut Morgen an. Man hielt die Nachricht zurück, um den Jubel beim Durchmarſch der Truppen nicht zu dämpfen.

Bei Günzburg brach er über die Donau, das war ſchon ehegeſtern bekannt, ſagte Jemand. Damit iſt das Schickſal der Hauptmacht nicht entſchieden.

Ich bedaure Ihnen ſagen zu müſſen, daß ſie es iſt. Bei Werdingen ward der Succurs aus Vorarlberg vernichtet, darauf Mack, gänzlich um¬ zingelt, in Ulm eingeſchloſſen, und nach den blutigſten Gefechten zur Capitulation gezwungen. Sechzigtau¬ ſend Mann fielen oder ſtreckten die Gewehre, hun¬ dert Kanonen und ein unermeßliches Kriegsmaterial ſind verloren. Es exiſtirt keine öſterreichiſche Armee an der Donau mehr, denn auch das Corps, was der Erzherzog zurückführen wollte, iſt unterweges ſo gut wie aufgerieben.

Eine ſtumme Pauſe folgte. Die Janitſcharen¬ muſik eines neu vorüberziehenden Bataillons bildete dazu einen üblen Contraſt.

Adieu Deutſchland! ſeufzte Fuchſius.

Victoria! rief der Major. Das geht ans Leder. Die Haut läßt man ſich nicht ruhig abziehen.

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Die Fürſtin warf einen ihrer himmliſchen Blicke an den Plafond:

So mußte es kommen, und es muß noch mehr kommen. Meine Herren, ich halte es für eine frohe Botſchaft. Ja, der Mann iſt groß, denn ein Größerer hat ihn gewürdigt ſeine Geiſſel zu ſein. Es ſoll noch mehr Blut fließen, um die Welt zu reinigen, und wir haben kein Maaß für die Ströme, die da rau¬ ſchen werden über die Länder.

Ach du mein Gott, das iſt ja ſchrecklich! rief die Kriegsräthin erblaſſend. Adelheid war zuge¬ ſprungen, und umfaßte die Mutter, die auf einen Stuhl geſunken war.

Warum ſchrecklich, ſagte die Fürſtin mit Hold¬ ſeligkeit, wenn es Sein Wille iſt! Er, der die Haare auf unſerm Kopfe gezählt hat, weiß auch, wen er opfern, wen er retten will. Und über ſeinen Er¬ wählten ſchweben ſeine Engel. Einen weißen leuch¬ tenden Fittich ſeh ich gebreitet über dieſes Kindes Haupt! ſprach ſie, und legte wie ſegnend ihren Arm auf Adelheids Locken.

Die von ſolcher Huld gerührte Kriegsräthin wollte aufſtehen. Die Fürſtin drückte ſie ſanft zurück: Glückliche Mutter, auf deren Kindes Stirn die Worte des Dichters ſtehen:

Und was kein Verſtand der Verſtändigen ſieht,
Das ſchaut in Einfalt ein kindlich Gemüth!

Die Königin hat ſich neulich ſehr angelegentlich nach Ihrer Tochter erkundigt. Sie wünſcht ſie einmal zu23 ſehen; flüſterte die Fürſtin im Fortgehen mit hold¬ ſeliger Herablaſſung zur Mutter. Sie glaubte in die Erde verſinken zu müſſen.

Die Harmonie der Geſellſchaft, wenn man die Stille ſo nennen kann, die vom Eindruck der Nach¬ richt hier noch herrſchte, ward durch häßliche Kinder¬ ſtimmen in der Nebenſtube unterbrochen, und als Charlotte plötzlich in ein heulendes Geſchrei ausbrach, ſtürzte die Geſellſchaft dahin.

Der Rath und der Major, die nicht für Fa¬ milienangelegenheiten geſtimmt waren, ergriffen die Gelegenheit ſich zu entfernen. Auf der Treppe ſagte Fuchſius: Der Frömmigkeit der Gargazin wäre es genehm, wenn ganz Deutſchland in Brand und Flam¬ men aufginge.

Damit Rußland es erlöſen kann! ſetzte der Major hinzu. Es fragt ſich da eben nur, wo die Scylla und wo die Charybdis iſt.

Auch die Fürſtin Gargazin mußte heut nicht für Familienſcenen geſtimmt ſein. Was war denn das mit dem Rittmeiſter? Springt er ab? ſagte ſie zum Legationsrath, der ihr im Vorzimmer den Caſchemirſhawl umreichte.

Wir haben Contreordre, Erlaucht. Weil er zu haſtig war, hat man ihm eine Spaniſche Fliege applicirt.

Ihre Burleske fängt an mich zu langweilen.

Die ſchöne Frau verarbeitet ſich deſto mehr in Liebesweh. Wir überlaſſen ſie ganz Euer Erlaucht.

24

Das für mich, was aber haben Sie?

Leibeigene beherrſchen, ihr Schickſal machen, kneten, wie der Bildhauer den Thon, halte ich für ein Vergnügen.

Das ſind andre Geſchöpfe.

Um ſo größer, Gnädigſte, auch über ſolche als Puppen zu ſchalten, die ſich mit Schiller für frei halten, und wären ſie in Ketten geboren, oder mit Herrn Fichte ihr göttliches Ich adoriren. Ich kenne keine angenehmere Unterhaltung, und harmlos, und welche Vorbereitung, Erlaucht, für das unſtreitig größere, auch dieſe Geſchöpfe zu bekehren!

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Zweites Kapitel. Das Intermezzo.

Das Familienereigniß, welches den Aufſtand verurſacht, war auch für die näher Angehörigen kein eben intereſſantes. Die Lupinusſchen Kinder, bei der Aufmerkſamkeit, welche Prinz Louis und die Reiter verurſachten, ſich ſelbſt überlaſſen, waren über die Reſte des Chocolatentiſches hergefallen. Knabe und Mädchen hatten um die Wette geſtopft , um die Zeit zu nutzen, wo man ſie nicht beobachtete, und Fritz es angemeſſen gefunden, auf die Chocolate und das viele Zuckergebäck einige Gläſer ſüßen Weines zu gießen. Mit der Schilderung der Wirkungen, die ſich hier zeigten, verſchonen wir unſere Leſer. Char¬ lottens Aufſchrei galt dem traurigen Anblick, den Malwine verurſachte, die leichenblaß mit blauen Lippen, gläſernen Augen und krampfhaften Bewegungen auf dem Stuhle lag. Fritz ſaß, als die andern ein¬ traten, noch wie ein Kobold auf dem Tiſch, und machte den Verſuch, mit grinſendem Geſichte aus der Flaſche, die er in der einen Hand hielt, das Glas26 in der andern zu füllen, was ihm aber nicht gelingen wollte. Der ſüße Wein floß vom Tiſch auf die Dielen. Was noch drauf erfolgte, überlaſſen wir der Phan¬ taſie des Leſers; aber der Knabe ſchlug, als er ſchon Kopf über vom Tiſche gefallen war, noch mit der Flaſche, die er krampfhaft in der Hand hielt, um ſich. Zwar verwundete er keinen der andern, die herbei¬ geſprungen waren, aber, indem die Flaſche in Scherben zerſchlug, ſich ſelbſt an den Schläfen.

Charlotte ſchrie wie beſeſſen: Sie ſtirbt! Den Kindern ſei's angethan! andere: Ein Doctor! Schnell einen Doctor! Nur die Geheimräthin hatte ihre Beſinnung behalten: Was wird es ſein! Die Kinder haben ſich den Magen überladen. Irgend ein Hausmittel, Legationsrath.

Wandel zuckte die Achſeln, nachdem er dem Mäd¬ chen an Puls und Schläfe gefaßt: Das wag ich doch nicht.

Sie verſchreiben doch Andern Medicamente.

Nur dem, der mir Vertrauen ſchenken will. Der Vater der Kleinen iſt nicht hier. Ihr Zuſtand ſcheint aber ſo bedenklich, daß ich rathe, ihn auf der Stelle rufen zu laſſen

Die Geheimräthin ſah ihn zweifelhaft an.

Es iſt mein Ernſt, ſetzte Wandel hinzu. Bei dem Mädchen kann ein raſcher Aderlaß nöthig werden. Der Zuſtand des Knaben ſcheint, da die Natur ſich ſelbſt half, nicht gefährlich, ſeine Wunde muß indeß ein Chirurg unterſuchen. Mit Blut befaß ich mich nicht.

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Die kurze Zwiſchenzeit, wo Walter und Adelheid zugleich hinausgeſtürzt waren, um nach einem Arzt zu ſchicken, und die noch Anweſenden Miene machten ſich zu entfernen, füllte Charlotte mit ihren Lamen¬ tationen, bis die Geheimräthin, welche Wandels Ab¬ weiſung etwas pikirt zu haben ſchien, ihr ins Wort fiel: ſie meinte, hier ſei doch nichts zu beklagen als ein Ungeſchick, ein trauriger Zufall oder die vernach¬ läſſigte Erziehung der Kinder.

Das Glück wollte, daß ein Regimentsarzt ſchon vor dem Hauſe angetroffen ward, und auch der Vater der Kinder vom abgeſchickten Boten bereits auf dem Herwege gefunden und benachrichtigt war. Der Chirurg erklärte allerdings beider Zuſtand für gefähr¬ licher, als die Geheimräthin gedacht; Malwine, deren Natur ſich nicht ſelbſt geholfen, bedürfe eines Blut¬ laſſes; aber er mußte die heran geholte Lanzette noch ſinken laſſen, weil die Wunde an der Schläfe des Knaben ſo nahe an eine Arterie ſtreifte, daß wenn er nicht raſch hier mit einem Verbande zu Hülfe komme, eine Verblutung zu beſorgen ſtand. Wir wiſſen wirklich nicht, ob es, nachdem dieſer Verband erfolgt, noch nöthig ward auch das Blut des kleinen Mädchens zu fordern, denn die Kinder wurden in eine Nebenſtube geſchafft, und der Legationsrath, der hülfreiche Hand dabei geleiſtet, erklärte, als er zurück kam, er hoffe, daß andre Mittel ausreichen würden.

Aber um die Peinlichkeit der Situation für die noch Gebliebnen zu vermehren, erhob ſich in der28 Nebenſtube ein neuer Wortwechſel, von deſſen Heftig¬ keit man überzeugt ſein wird, wenn wir ſagen, daß Charlotte die Angeklagte war, der Geheimrath der Kläger, und die Geheimräthin, die angerufene Rich¬ terin, ſich der Angeklagten nicht anzunehmen ſchien. Charlotte war ihr eigner Advocat, und der Geheim¬ rath von der Vogtei konnte, wie wir wiſſen, wenn die Gelegenheit es mit ſich brachte, auch außer ſich gerathen. Er folgte der entgegengeſetzten Maxime ſeines Bruders; er hielt Emotionen nicht für das Gift, ſondern für eines der Präſervativmittel des Lebens. Seine Freunde meinten, er alterire ſich am liebſten vor dem Mittagstiſch, weil dies dem Orga¬ nismus des Magens zuträglich ſei; jedoch immer nur mit Maaß.

Doch als er jetzt aus dem Krankenzimmer heraus¬ ſtürzte und Charlotte hinter ihm, ſchien er eher der Verfolgte. Sie wenigſtens ſchrie in die Ver¬ ſammlung hinein, ohne im geringſten von den reſpec¬ tablen Perſonen Notiz zu nehmen:

Meine Couſine, die Frau Hoflakir, hat mir wohl geſagt: Warum giebſt Du Dich noch mit ihnen ab, warum opferſt Du Dich ihnen! Du kennſt ſie ja, und Undank iſt der Welt Lohn. Ja, ich kenne ſie, und Undank bleibt der Welt Lohn!

Charlotte! rief das blaſſe Geſicht der Geheim¬ räthin, die an der Schwelle ſtehen blieb. Bedenke Sie, wo Sie iſt.

Ja, Frau Geheimräthin, das bedenke ich auch,29 und Sie ſind eine nobel geſinnte Dame, und wer Domeſtiken behandelt, wie er es ſelbſt verdient, der iſt rechtſchaffen vor Gott und vor den Menſchen. Denn wir Domeſtiken ſind auch Menſchen vor Gott und unſrer Herrſchaft, und ich brauchte es ja nicht zu ſein, ſagt mein Couſin, der Herr Hoflakir. Ja wenn der nur hier wäre! Der würde ein Wort ſprechen, aber ich bin eine vereinzelte unglückliche ledige Perſon. Und darum ſind der Herr Geheimrath ſo ausver¬ ſchämt. Hab ich denn die Chocolate geſoffen?

Charlotte! wiederholte die Geheimräthin.

Der Vogtei-Lupinus war auf dem Gipfelpunkt ſeines Zornes: Sie ſoll mir nicht wieder vor's Geſicht.

Das will ich auch gar nicht. I bilden Sie ſich das nur nicht ein. Und wenn Sie's mir auch nicht ſagten. Gott bewahre, daß ich noch einen Fuß in das Haus thäte, wo man eine rechtſchaffne Perſon ſo maltraitirt. Meine Couſine, die Frau Hoflakir, hat auch geſagt, ſie könnt's nicht begreifen, warum ich's ſo lange ausgehalten. Ja, was thut der Menſch nicht, wenn die Kinder uns ans Herz gewachſen ſind. Und nun ſoll ich die Schuld ſein! O du gerechte Güte! Hab ich ſie zur Chocolate invitirt? Hab ich die Brätzeln gebacken? Wer weiß denn, was der Kuchenbäcker rein gethan.

Charlotte, ich bitte Sie, ſei Sie ſtille, ſprach die Geheimräthin, die Hand am Herzen. Sie weiß nicht was Sie redet. Sie ließ die Kinder außer Acht.

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Wird mir das auch angerechnet!

Sie pflichtvergeſſenes ſchrie Lupinus derweil Sie am Fenſter das Maul aufſperrte.

Weil ich ein Gemüth habe, weil ich für meinen Gott und meinen König und unſer herrliches Mili¬ tair zum Fenſter raus ſah, weil ich als eine gute Patriotin mein Herz ausſchüttete! Nein, das geht mir doch über alles. Nu, kommen Sie mir wieder! Sag ich doch nu Kinder hin, nu alles hin, nu adjö ſag ich Ihnen. Sie ſollen mich nicht wieder ſehn, Herr Geheimrath, nu mags gehn, wie es will, und wo ich hin will das weiß ich. In Ihr Haus zurück? I Gott bewahre! Sie können meine Sachen raus ſchmeißen laſſen, auf den Schinkenplatz. Was Sie wollen, wie Sie wollen, immer zu! O das genirt mich noch nicht ſo viel, wie Ihre ganze Wirth¬ ſchaft nicht, mein Herr Geheimrath! Was iſt für mich die Welt noch, wenn man ſo mit meinem Herzen umgeht! Aber nehmen Sie ſich in Acht. Mein Couſin, der Herr Hoflakir, weiß was ich habe. Der zählt jedes Stück nach. Vor's hall'ſche Thor will ich, aufs Grab der ſeligen Frau Geheimräthin, da will ich ſprechen, da will ich mich ausweinen, da will ich klagen, da will ich mir ein Leids anthun denn ich kann nicht leben ohne die Kinder!

Die Geheimräthin meinte, ihr Schwager ſolle ſeine Affecte moderiren. Er mußte es auch meinen; er hatte ſich auf einen Stuhl geſetzt und trocknete den Schweiß von der Stirn. Eine erſchreckliche Perſon!31 ſeufzte die Kriegsräthin. Da iſt man ja keinen Au¬ genblick ſeines Lebens ſicher! Und wenn ſie ſich nun wirklich ein Leids anthut! Andre waren minder gläubig. Ein Spötter äußerte, vor dem halleſchen Thor ſei zwar der Kirchhof, aber auch die Reiter wären durch dies Thor marſchirt. Wenigſtens mußte Charlotte nicht augenblicklich ihren Entſchluß auszu¬ führen geſonnen ſein, denn plötzlich trat ſie zur Thür wieder herein. Noch roth vor Echauffement drängte ſie durch die Anweſenden nach dem Fenſter und riß das Tuch an ſich, das die erſchrockene Baronin mit ihrem Rücken zufällig feſt hielt:

Das iſt mein Umſchlagetuch!

So ging ſie wieder zur Thür hinaus, unbe¬ kümmert um die Anſprache des Geheimraths, der ſich wirklich moderirt haben mußte, denn beim Vor¬ übergehn ſagte er zu ihr: Hat Sie ſich noch nicht beſonnen?

Sie mußte ſich allerdings, wenn auch nicht darauf, doch auf etwas anderes beſonnen haben, denn, die Thür noch in der Hand, fing ſie heftig an zu ſchluchzen, ihr Peroriren war aber diesmal an die Wirthin ge¬ richtet:

Und das muß ich Ihnen ſagen, Frau Geheim¬ räthin, und wenn Sie mich für eine ſchlechte Perſon halten. Die Kinder laſſen Sie nicht zu ihm, nein um Gottes Willen, das thun Sie nicht. Bei ihm ſind ſie in Grund und Boden verloren, der Herr Geheimrath verſtehen nichts von der Erziehung. Das32 Mädchen verdirbt und der Junge auch, ſonſt hätten ſie auch nicht die Chocolate aufgetrunken, aber ſie lernen's von ihrem Vater, Gott ſtraf mich, der kann auch nichts ſtehen laſſen, er muß in alles die Naſe ſtecken und koſten. Und die ſelige Frau Geheimräthin werden vom Himmel runter ſehn und's Ihnen lohnen. Und handeln Sie an dieſen Kleinen, wie ſie o Gott! o Gott! an meinem Couſin gehandelt haben.

Unter noch heftigerm Schluchzen flog die Thür hinter ihr zu. Daß die kranken Kinder einſtweilen bei der Geheimräthin blieben, war eine Sache, die ſich von ſelbſt verſtand, denn der Arzt hatte ſchon erklärt, ſie dürften auf keinen Fall fortgeſchafft werden. Warum aber der Geheimrath nach einer Weile auf¬ ſprang, und den Hut ergriff, um der Köchin nach¬ zueilen, blieb zweifelhafter. Er ſagte, es geſchehe, um nachzuſehen, damit die deſperate Perſon nicht ſein Haus von oben zu unten kehre. Es gab indeß in der Geſellſchaft, die meinten, es wäre nur um ſein Mittageſſen. In ſeinem Affect hatte er nicht bedacht, daß ſein Schickſal noch in Charlottens Hän¬ den ruhte.

Der Aufbruch war jetzt ſo allgemein, als die Verſtimmung. Walter empfing für ſeinen ehrerbieti¬ gen einen ſehr kalten Gruß vom Kriegsrath Alltag; die Kriegsräthin mußte in einer eignen Laune ſein, denn ſie zupfte noch ihren Mann, warum er ſich ſo lange auf¬ halte? Auch der Geheimräthin bewies ſie lange nicht mehr33 die Ehrerbietung und gerührte Dankbarkeit, mit der ſie ſonſt von dieſer gütigen und unvergleichlichen Frau Abſchied nahm. Kaum aber war ſie die Treppe hin¬ unter, als es die Bruſt nicht mehr hielt: Mann, haſt Du gehört, Ihre Majeſtät die Königin hat ſich nach unſrer Adelheid erkundigt! Der Mann ſagte: Hm! und meinte, man müſſe auch nicht alles glau¬ ben, was vornehme Leute ſagen. Aber, erwiederte ſie, eine Fürſtin kann doch nicht lügen! Und als er meinte, es könne wohl etwas daran ſein, es werde aber nicht alles ſo ſein, ſprach ſie: Daß aber die Königin auch nur von unſrer Tochter weiß, daß ſie überhaupt auf der Welt iſt, das hatteſt Du und ich uns doch nicht im Traume einfallen laſſen! Sie hatte immer geglaubt, die Könige wüßten von den einzelnen Menſchen gar nichts, und die Individuen verſchwömmen ihnen, wie man von einem hohen Berge eine Landſchaft ſieht.

Walter und Adelheid nahmen im Vorzimmer Abſchied. Es mußte auch hier etwas von Verſtim¬ mung ſein. Sie meinte, er hätte ſich doch überwinden können und zuvorkommender gegen ihre Eltern ſein. Er ſagte, es habe ihm etwas die Bruſt zugeſchnürt. Sie entgegnete, auch auf ihrer Bruſt laſte es wie ein Alp und ich überwinde es doch, ſagte ſie, und zwang ihr Geſicht zu einem heiter lächelnden Ausdruck.

Wenn ich Dich erſt aus dieſem Hauſe fort¬ wüßte, ſagte er nach einer Pauſe.

III. 334

Wünſche es nicht, entgegnete ſie. Und wo¬ hin? So lieb ich meine Eltern habe, ſo fühle ich doch, dahin paſſe ich nicht mehr.

Du verlangſt nicht nach Glanz und Reich¬ thum

Aber unterbrach ſie ihn und ſchwieg plötz¬ lich. Daran biſt Du auch ſchuld; warum haſt Du aus mir eine andre gemacht, als ich war

Er ging mit einem ſtumm wehmüthigen Hände¬ druck.

An der Thür wandte er ſich noch einmal um. Sie war ihm nachgeeilt und hielt den Kopf an ſeine Bruſt: Gieb den Muth nicht auf, Walter. Ich lerne mich täglich mehr überwinden und es wird alles beſſer werden für uns beide.

Am zärtlichſten hatte die Baronin Eitelbach von der Geheimräthin Abſchied genommen. Sie war ihr unter Thränen um den Hals gefallen, und als die Lupinus nach der Urſach fragte, ſagte die Baronin, ſie wiſſe ſelbſt nicht, warum ſie eigentlich ſo gerührt ſei, ob über das Unglück der armen Kinder, oder das ihrer Freundin, der wieder ſo etwas begegnen müſſe, oder die Unverſchämtheit der Charlotte! oder über das Unglück, das überall in der Welt iſt, und wer ein gutes Herz hätte, der thäte am beſten, wenn er es ganz verſteckte. Darauf hatte die Lupinus mit einem ſchweren Seufzer geantwortet: Daß auch eine ſo junge Frau ſchon ſolche Blicke in dieſes Meer der Schmerzen und Täuſchungen wirft, das Welt heißt.

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Beim Hinausbegleiten hatte der Legationsrath die Hand der Baronin ſanft ergriffen: Meine Freun¬ din, mir iſt eingefallen, haben Sie ſich auch nichts vorzuwerfen? Ich meine keine Schuld, aber vielleicht doch irgend einen geringſchätzigen Blick, eine Bewe¬ gung Sie wiſſen, Männer ſind eitel, und Ver¬ liebte leicht gereizt. Sinnen Sie darüber nach! hatte er theilnehmend hinzugeſetzt, als ſie ihn erſchreckt anblickte, und klopfte ſanft auf ihre Hand.

3*
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Drittes Kapitel. Es war etwas nicht, wie es ſein ſollte.

Die Geheimräthin ruhte in einem Fauteuil, als Wandel ins Zimmer zurückkehrte. Sie ſah ſehr ab¬ geſpannt aus; über das blaſſe Geſicht flog aber doch eine nervöſe Röthe, und ihr dunkles Auge rollte ſelt¬ ſame Blicke umher. In dem weißen Kleide, das ſich in weiten weichen Falten um ſie breitete, und der Haube von derſelben Farbe hatte ihre Erſcheinung etwas Geiſterartiges.

Was war denn der Eitelbach? fragte ſie.

Verliebt.

Poſſen! Ich hörte davon. Spielen Sie mit?

Man darf kein Spielverderber ſein.

Sie zuckte verächtlich die Achſeln, es konnte aber auch für einen innern Schauder gelten: Wie ſteht es nun alſo? Ach mein Gott, es iſt ſo viel, was mir durch den Kopf geht.

Das Capital, was Sie morgen ausgezahlt erhalten, würde ich meiner Freundin rathen baar in Händen zu behalten.

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Die Geheimräthin ſah ihn mit etwas mehr als Verwunderung an. Sie hatte von dieſer Sache nie mit ihm geſprochen. Erſt heute hatte ſie das Notifi¬ catorium erhalten, daß das Geld für ſie fällig im Depoſitorium des Kammergerichts liege.

Beruhigen Sie ſich, ich bin kein Geiſterſeher. Dies erfuhr ich auf ganz natürlichem Wege, als ich heut früh auf der Regiſtratur des Pupillencollegiums einige Akten durchſah. Nicht aber die Ihrigen, ſetzte er raſch hinzu. Hinter meinem Rücken ſprach der Decernent mit dem Regiſtrator von den fünftauſend Thalern. Auf dem Herwege wollte ich mich auf der Börſe erkundigen, in welchen Papieren Sie das Geld in dieſer Woche am beſten anlegen könnten, als ich die beunruhigende Nachricht erhielt. Hätte ich nicht Geſellſchaft gefunden, wäre es natürlich das erſte geweſen, was ich Ihnen mittheilte.

So wäre es auch wohl am beſten, wenn ich jetzt meine Pfandbriefe verkaufte?

Er ſchien ſich zu beſinnen: Nein. Sie ſind ſchon auf die Nachricht im Cours geſunken.

Aber ſie können noch mehr fallen.

Möglich; ſie werden aber auch wieder ſteigen.

Wenn Krieg kommt!

Wer ſagt das?

Sie alle Welt! Die Augen ſagen es.

Ich bin überzeugt, daß es nur eine Demon¬ ſtration iſt. Die bewaffnete Neutralität iſt zur Be¬ ſchwichtigung der aufgeregten Stimmung. Man muß38 der Kriegspartei ein Spielzeug hinwerfen. Schau¬ dern Sie nicht; es iſt die höchſte Weisheit der Staats¬ kunſt, wenn die Gemüther in Wallung ſind, immer das richtige Spielzeug bei der Hand zu haben. Wenn die Leidenſchaften, Stimmungen, Phantaſien, die Zügel zerreißen, wenn die Völker durch keine Gaukelei mehr zu beſchwichtigen ſind, ach meine Freundin, wehe uns allen dann!

Es giebt doch höhere Ideen auch in der Staats¬ weisheit.

So lange wir Menſchen bleiben, bleiben es Phantaſieen.

Friedrich

Fand ein Volk, das mit den plumpſten Er¬ findungen zu feſſeln war. Erinnern Sie ſich des Schloſſenregens, als er die Gärten in Potsdam ver¬ wüſten ließ! Nämlich in den Zeitungen, welche die Nachricht nicht widerrufen durften. Das Volk glaubte es; er kannte ſein Volk. Wenn er es nachher klüger erzog, ſo mag er ſich im Elyſium mit ſeinen Nach¬ kommen deshalb abfinden. Die Komödien und Spiel¬ zeuge werden allerdings jetzt koſtbarer, die Völker müſſen ſie theuer bezahlen, aber einige Phraſen von Tugend und Patriotismus darum, und das gute Volk vergißt und vergiebt alles heut wie vordem.

Ich bin eine ſchwache Frau, ich mag nichts davon verſtehen, aber mein Gott, das einfachſte Ge¬ fühl, die Vernunft ſelbſt

Sie rufen Mächte an, die dort nicht mitſprechen,39 lächelte der Legationsrath. Sie könnten auch ſagen, Oeſtreich iſt wohl geſchlagen, aber noch nicht vernichtet, die unermeßlichen Colonnen, die Rußland aus ſeinen Steppen wälzt, haben ſich noch nicht einmal auf dem Felde gezeigt, ſagen, daß Preußen den Tieger ſchon gereizt hat, indem es ſeine Krallen ihm zeigte, daß es nun an ihm wäre, über Hals und Kopf zu eilen, ſich auf ihn zu ſtürzen, während er ſelbſt blutend mit ſeiner Beute noch am Boden ringt. Das iſt aber alles ſchon geſagt. Es hörts nur keiner, der es hören ſollte.

Aber Sie calculiren ſelbſt mit Vernunftſchlüſſen; die Leidenſchaften, ein Impuls, der Zufall, könnte Ihre Rechnung plötzlich zu Schanden machen.

Die Coterie tritt nicht ſchroff genug dem ſtür¬ miſchen Willen entgegen, ſie giebt klug nach. Das bürgt mir dafür, daß die Saiten nicht ſpringen werden. Und was helfen alle Funken, wenn ſie auf eine Maſſe fallen, die keinen Zündſtoff in ſich hat. Man wird die Sache hinziehen, vor dem Publicum rüſten, die Kriegshelden fluchen und ſchwören laſſen, heimlich aber verhandeln, laviren, proponiren, unmögliche und mögliche Friedensvorſchläge machen

Bis!

Ja bis es ſich entſchieden hat. In Mähren muß es ſich entſcheiden; dann

Nun und dann?

Nie zu weit hinausdenken!

Sie hätten neulich die Radziwill hören ſollen.

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Zu Pallaſtverſchwörungen iſt bei uns kein Terrain.

Und was ſagen Sie zu Alexanders Herkommen?

Der letzte Verzweiflungsaufſchrei der Kriegs¬ partei. Es wird viele erhebende, rührende Auftritte geben. Aber läßt ſich eine ſcheue Natur ändern? Die Coterie wird für einen Panzer ſorgen von Gummi elaſticum, damit die Thränen, oder für einen von Asbeſt, damit die Funken abgleiten. Der Ein¬ druck wird ſtark ſein, aber vorübergehen. Und reiſt Alexander fort, vor einem Entſchluß nein vor einer That, ſo werden unſre Freunde dafür ſorgen, daß alles wieder aplanirt wird.

Alles! ſagte die Lupinus mit einem ſtechenden Blick, der im Zimmer umher irrte. Mir ſind dieſe Menſchen zuwider, die ihre ganze Kraft nur darauf vergeuden, damit es nicht anders wird als es iſt.

Wir ſollten ſie loben. Träge Wellen ſind oft das beſte Fahrwaſſer.

Was müſſen wir thun?

Nicht die Pfandbriefe verkaufen, baares Geld für den Nothfall im Secretair, und in den Kriegs¬ enthuſiasmus einſtimmen.

Sie war aufgeſtanden, und hatte mit einem nervöſen Aufgähnen den Stuhl fortgeſetzt: Warum müſſen wir das! Warum können wir nicht auch darin frei ſein! Warum dürfen wir nicht die Mode beherr¬ ſchen? Wir verachten ſie doch.

Weil es uns nichts einbrächte, als einen Hei¬41 ligenſchein, den unglücklicherweiſe wir ſelbſt nur ſehen. Weil es die Menſchen von uns entfernt, und wir ſie brauchen als Inſtrumente. Darum ſpielen wir mit ihrer Thorheit.

Oder ſie mit unſrer.

Man muß ſich das Spiel nur nicht zu ernſt denken.

Diesmal dünkte ich ihnen gut genug, ihr Opern¬ gucker zu ſein, ſprach, ſie mit Bitterkeit. Welche brillante Geſellſchaft, bloß zu Chocolate und Zucker¬ gebäck! Wenn noch mehr Regimenter vorüber mar¬ ſchiren, kommt mein Haus wohl wieder in die Mode. Selbſt die Gargazin hatte die Gnade aus meinem Fenſter die Truppen zu ſehen.

Die Kinder werden Sie auch recht geniren?

Warum? Unſre Wohnung iſt groß.

Ich beſorge nur, daß Ihr Schwager, wenn die Charlotte von ihm zieht, ſich nicht beeilen wird, ſie Ihnen wieder abzunehmen.

So bleiben ſie. Ich liebe Kinder ſie bringen Friſche ins Haus.

Er ſah ſie zweifelhaft an: Ich beſorge nur, daß dies wieder zu Mißdeutungen Anlaß giebt. Seit man zu wiſſen glaubt, daß Sie Mamſell Alltag nicht eigentlich als Ihre Tochter betrachten

Als meine Erbin wollten Sie ſagen.

Ich meine nur, daß man auf den Gedanken kommen könnte, Sie wollten die Kinder Ihres Schwa¬ gers adoptiren.

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Wer ſagt, daß er ein falſcher iſt! Die Leute wiſſen es nicht, Sie wiſſen es nicht, und ich weiß es auch noch nicht. Ich weiß nur, daß Mamſell Adelheid nicht meine Erbin wird.

Die Alltag ſcheint Ihre Liebe ganz verſcherzt zu haben.

Soll ich mein Haus zu etwas ähnlichem her¬ geben, wie das, aus welchem ich ſie hernahm!

Wandel warf einen forſchenden Blick: Sie approbiren nicht die Inclination mit dem Herrn van Aſten?

Ich! Was geht es mich an! Meinethalben könnte ſie ſich hängen an wen ſie will, das lar¬ moyante Weſen kann ich nur nicht ausſtehen. Aus kleinen Verhältniſſen nein aus einer ſolchen Kata¬ ſtrophe, die doch die Seele eines jungen Mädchens erſchüttern muß, trat ſie in mein Haus. Was hatte ich gehofft, daß ſich aus ihr entwickeln würde, bei ihren Gaben, ihrem Muthe, ihrer lebhaften Phan¬ taſie. Sie hätte die Königin der Stadt werden können.

Der Legationsrath zuckte die Achſeln: Sie meinen den Gedanken, den der Kammerherr einmal hinwarf.

Aber ich würde doch Bedenken getragen haben. Die Geſinnungen der Eltern

Wären zu überwinden geweſen. Loyale Leute, in unerſchütterlicher Devotion gegen das ganze kö¬ nigliche Haus! Nur daß die Rolle der Herzens¬ königin eines apanagirten Prinzen niemals eine glän¬ zende werden kann.

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Was kümmert mich der Prinz! rief ſie. Sie ſelbſt ſollte ſich ihr Loos werfen. Wie es war, und wenn ein faux pas, eine raſende Leidenſchaft, eine Entführung ja, wenn der junge tolle Menſch, der Bovillard, ſie gewaltſam geraubt hätte, es wäre doch eine Abwechſelung, es hätte zu ſprechen gegeben Sie lächeln, weil Sie die Affecte begraben haben, aber doch ſage ich Ihnen, der Durſt unſrer Seele nach dem, was uns über den Alltag erhebt, iſt das Beſſere in uns.

Der Legationsrath mußte zerſtreut ſein, die Sache intereſſirte ihn nicht mehr.

Der alte van Aſten rückt auch mit keinem Groſchen 'raus, wenn ſein Sohn Adelheid heirathet.

In dem Blick, den die Lupinus ihm zuwarf, hätte ein Pſycholog eine verächtliche Beimiſchung leſen können.

Sie liebt ihn gar nicht.

Sie ſprechen in Räthſeln.

Sie erwähnten einmal einer chemiſchen Agenz, die allen Stoffen ihre natürlichen Säfte ausſaugt, daß ſie Farbe und Geſchmack verlieren.

Will der Pedant ſie zu einer Gelehrten erziehen?

Es iſt übel, wenn ein Lehrer eine zu gute Schüle¬ rin hat. Ich konnte nichts mehr wirken, wo ich von einem Vorgänger Geiſt und Gemüth ſchon ganz eingenommen fand. Mit ihrer lebhaften Auffaſſungsgabe betrachtet ſie ihn als ihren Wohlthäter, um nicht zu ſagen als ihren Schöpfer; ſich wenigſtens als ſeine Schöpfung. 44Es iſt keine unedle Natur, meine ich, fuhr die Lu¬ pinus nach einer Pauſe fort, die den Drang in ſich fühlt, ſich ſelbſt einem verehrten Mann zum Opfer zu bringen. Aber das Mädchen iſt krank. Das iſt die Krankheit der Reſignation. Ja wir, in unſeren Jahren, aber wenn junge Mädchen die Blüthe ihrer Empfindung auf dem Altar der Pflicht Was lachen Sie ſo häßlich?

Daß Sie ein armes junges Mädchen anklagen um die Krankheit, welche Theologen, Dichter, Philo¬ ſophen, um die Wette unſerm Geſchlecht einimpften! Um das Siechthum unſrer Staaten, unſrer Bildung, daß wir aus uns hinaus uns denken, ſchwärmen, ſpeculiren, ſtatt zu rechnen. Dies Infuſorium des Univerſums will mit dem bischen Kraft, Talent, das die Natur in ſeine Wiege als Pathengeſchenk legte, den Sternenlauf reguliren, ſtatt für ſich ſelbſt zu ſorgen, da wo ſein höchſtes Ziel nur ſein kann, ſich erträglich und behaglich über dem Strom zu erhalten, der es täglich zu verſchlingen droht. Welcher Hoch¬ muth in dieſer Tugend, eine Welt um ſich beglücken zu wollen, um ſtolz dann ſich ſelbſt die Märtyrkrone aufzudrücken!

Das kann doch nicht ganz Ihre Anſicht ſein?

Erſt ſich ſelbſt Ich verſtehe natürlich darunter, daß zwei, die ſich verſtehen, ſich als eine Einheit betrachten. Wer ſie errungen hat, die Höhe, die er erreichen kann, ja dann, meine Freundin, dann mag er ein Gott ſein, der goldnen Regen um ſich ſprenkelt,45 der Troſt der Unterdrückten, der Rächer der Gekränk¬ ten, dann mag er ſchwärmen, ſchwelgen Er be¬ deckte das Geſicht mit beiden Händen. O laſſen Sie uns von meinen Planen ein ander Mal reden. Heute könnten ſich meine Phantaſieen verirren, Gott weiß in welche laſſen Sie mich heute ſchweigen

Er hatte ihre Hand ergriffen, eigentlich ihren Arm, und, den Blick gen Himmel, die Hand an ſeine Lippen gedrückt. So ſtarrte er eine Weile, die Augen aufwärts, in einem Zuſtande völliger Ab¬ ſorbirung.

Er ſchien, als ſie ſanft den Arm zurückzog, ſich nur mit Anſtrengung wieder zu finden:

Alſo, was Sie ſagten! Sie liebt ihn nicht?

Sie liebt einen Andern.

Tant mieux!

Die Geheimräthin ſah ihn forſchend an: Auch wenn der andre ein guter Bekannter von Ihnen iſt ſie liebt Bovillard, ohne es ſich zu geſtehen.

In der That! Der Legationsrath biß ſich in die Lippe, aber lachte mit völliger Unbefangenheit auf: Wir ſind Gegner, nicht Rivale.

Sie retteten ſie vor ihm und zum Dank

Würde ſie mich an ihn verrathen! Iſt das etwas beſonderes! Zum Unglück für das arme Kind oder zum Glück für Herrn van Aſten, iſt aber Herr von Bovillard jetzt die Kreuz und Quer auf hundert Meilen geſchickt. Ja ich glaube, ſie haben ihn ſo geſchickt, daß ſie wünſchen, er möchte nie wiederkehren.

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Und ich habe die Beſcheerung im Hauſe!

Arme Freundin!

Eine Liebſchaft ohne Ausſicht und Ende. Ver¬ borgene Thränen und ſtille Seufzer. Er fragt: Warum haſt Du geweint, und ſie agt mit den ſeelenvollſten rothen Augen: O ich habe nicht geweint. Er glaubt es oder glaubt es nicht. Händedrücken und Betheue¬ rungen in Klopſtockiſchem Odenſchwung. Bin ich dazu berufen? Habe ich ſie dazu in meinem Hauſe? Ihre Eltern ſind unzufrieden. Der alte van Aſten möchte mich zur Kupplerin erklären! Der junge ſieht mich fragend an, wenn ſie Migräne hat, und Adel¬ heid zittert, wenn ich ihn auffordere länger zu bleiben als ſie wünſcht, und gebe ich ihm ein Zeichen, daß er gehn ſoll, ſo iſt ſie wieder verſtimmt. Sie denkt, er könnte denken, was er nicht denken ſoll. Und wenn der junge Bovillard wieder käme! Möglich ja, wenn der Vater ihm verzeiht, daß er präſentabel würde, daß daß er ſich in dieſem Hauſe zeigte. Kann ich ihn abweiſen? Welche Scenen, Verwickelungen! Wer hat mich dazu auserſehen, mein Gott! als ob ich nicht anderes zu denken und vor mir habe!

Die Geheimräthin hatte ſich in einen Eifer ge¬ redet, der ihr wohl that, und dem Legationsrath that er auch wohl. Mit andern Gedanken beſchäftigt als dieſem, ihm ganz gleichgültigen Liebesverhältniß, hatte er ihnen nachhängen können ohne ſich beobachtet zu ſehn.

Das haben Sie! rief er. Sie müſſen gerettet werden.

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Nun verloren, Herr von Wandel, geb ich mich noch nicht.

Aber eine Frau, die der Wahrheit als Prieſterin ſich geweiht hat, darf nicht dieſe Unwahrheit um ſich dulden. Das iſt es, was ich nicht dulden darf. Dieſer Dunſtkreis muß verſchwinden. Zurück¬ ſchicken ins elterliche Haus wollen Sie ſie nicht?

Es würde mir jetzt übel ausgelegt werden.

Sie haben recht. Es gäbe zu viel Gerede; ſie iſt einmal die Modepuppe. Ja, wenn man ſie entführte! Sie ſelbſt deuteten vorhin darauf.

Adelheid läßt ſich nicht entführen.

Und eine Mariage

Sie ſcheinen wieder zerſtreut.

In der That ich bin es. Verzeihung! Nein fort muß ſie jedenfalls, Ihrer Ruhe wegen. Bedenken Sie, daß Sie jetzt auch die Kinder im Haus haben Alſo ſorgen Sie dafür, auf eine oder die andere Weiſe. Finden wird ſie ſich.

A propos! rief er von der Thür zurückkehrend. Etwas noch. Sie müſſen die Mode mitmachen. Hüllen Sie ſich in Patriotismus, von ſo tiefer Farbe, als Sie können. Immer exaltirt. Beim allgemeinen Fanatismus merkt man nicht das zuviel. Franzoſenhaß, Durſt nach Blut und Rache, auf den Lippen. Man kann nicht zu ſtark auftragen, denn man weiß nicht wie bald man überboten wird. Und wer nicht voraus ſchwimmt, iſt bald zurück gedrängt und ans Ufer geworfen.

War ſchon vorhin ihre Erſcheinung geiſterhaft,48 was mehr jetzt, als ſie allein in der Mitte des Zim¬ mers ſtand, das Ohr etwas geneigt nach der Thür. Sie horchte ſollte er nicht wieder kehren? Nein keine Tritte mehr auf der Treppe, es hallte vom Flur die ſchwere Hausthür öffnete ſich. Ein Schlag dann, der ſie durchſchüttelte. Aber ſie blieb ſtehen, die Finger etwas krampfhaft zuſammen ziehend. Warum blieb ſie ſtehen? Unter den halb nieder¬ geſchlagenen Wimpern ſchielten ihre Augen umher. Warum ſchlug ſie die Augen nicht auf, die ſonſt ſo durchdringend ſcharf in der Seele des Andern zu leſen ſchienen? Fürchtete ſie ſich vor der Leere im Zimmer? Es war noch heller Tag.

Es war etwas nicht, wie es ſein ſollte. Sie hatte eine andre Sprache, andre Mittheilungen er¬ wartet. Glatt wie ein Aal! Aber vielleicht trug ſie ſelbſt die Schuld! Was hatte ſie ſich ihrer Bitter¬ keit überlaſſen? Was intereſſirten ihn Adelheids Lie¬ besverhältniſſe! Darum war er zerſtreut, brach plötzlich ab, in Sinnen verſunken? Sie athmete auf; ihre Wange röthete ſich etwas. Aber es war doch etwas nicht, wie es ſein ſollte. Warum ſprach der große, herrliche, ſeltene Mann nur in Räthſeln, warum auch gegen ſie die Hieroglyphen¬ ſprache? Hätte ſie ihn falſch verſtanden? Er, vor deſſen Augen die Hüllen der Menſchen, der Dinge, in Kryſtall ſich verwandelten, und er ſchaute bis in die Keime der Thaten und Gedanken, hatte er auch in ihr Inneres einen Blick geworfen und

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In dem Augenblick knarrte die Thür, der neue Bediente, Chriſtian, trat etwas ungeſchickt herein, indem er, um die Thüre zu ſchließen, den Rücken zeigte. Der Rücken zeigte nur die alte Livree ſeines Vorgängers.

Die Lupinus ſtieß einen Schrei aus, ſie fuhr zuſammen, wankte; vielleicht wäre ſie gefallen, wenn ihr Arm nicht die Lehne eines Stuhls erfaßt hätte. Johann! ungeſchickter Menſch wie kann Er mich erſchrecken!

Aber gnädige Frau, ich komme ja nur, wie Sie befohlen

Er ſoll nicht hinterrücks hereinſchleichen, Chri¬ ſtian. Meine Nerven vertragen es nicht.

Aber die Kinder, gnädige Frau, das Mädchen beſonders, ſie ächzen und piechen ich glaube immer, denen hats Einer angethan.

Lügner! Unverſchämter Verleumder! Mit einem zornfunkelnden Blick ſchoß ſie an ihm vor¬ über nach der Kinderſtube.

Der Bediente ſah ihr kopfſchüttelnd nach, und reckte ſich dann in der Livree, die nicht ganz zu ſei¬ nem breiten Rücken paßte. Eine Nath riß: Ich glaube, in dem Hauſe paßt mirs ſo wenig als in dem Rocke. Solche Bälger zu bedienen, und eine ſolche Frau! Ich weiß zwar nicht eigentlich, was Nerven ſind, aber ich glaube, meine Nerven vertragen es auch nicht.

Als nach einer Viertelſtunde die GeheimräthinIII. 450zurückkehrte, lagerten ſeltſame Stimmungen auf ihrem Geſichte. Der Anblick der Kinder war gewiß ein widerwärtiger geweſen, der Schauder ſprach ſich deut¬ lich aus, aber darüber war ein andrer Ausdruck, wie ein Mondenſtrahl, der durch zerriſſen Gewölk über eine offene Gruft ſtreift. Es fröſtelte ſie, ſie machte eine Anſtrengung als wollte ſie auf die Knie fallen; aber vielleicht verſagten ihr die Knie den Dienſt, ſie hob die Arme und rieb die Hände, als wollte ſie ſie zum Gebet falten. Auch das mußte ſich an etwas ſtoßen. Sie ließ die Arme ſinken, und fiel ſelbſt aufs Sopha. Hier, den Kopf im Arm, flüſterte ſie: Es ſind abſcheuliche Kinder; aber ich will mich zwingen ſie zu lieben ich will ſie pflegen, wie wie ich wills an ihnen gut machen.

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Viertes Kapitel. Bei Joſty.

Beim Schweizer Kuchenbäcker Joſty unter der Stechbahn traten mehre Officiere in Gala-Uniform ein. Heller als das Gold und Silber ihrer Achſel¬ bänder und Schärpen leuchtete die Freude auf ihren Geſichtern. Zum Theil ſchien dieſe ſelbe Empfindung auch auf denen der Gäſte aus dem Civil zu ſtrahlen. Es war ein großer Feſt - und Feiertag in Berlin. Die Gruppen von Neugierigen wollten den Schlo߬ platz und den Luſtgarten noch nicht verlaſſen, obgleich in dieſem Augenblick nichts mehr zu ſehen war, als die Truppen, welche in ununterbrochenen Zü¬ gen durch die Königsſtraße und über die lange Brücke in die Friedrichsſtadt zurückmarſchirten. Aus den geöffneten Fenſtern ſchallte ihnen noch man¬ ches Hallo! und Vivat! und Hurra! und manche geſchmückte Dame wehte mit dem Taſchentuch. Auch trug der große Kurfürſt und ſeine Sclaven Guir¬ landen und Kränze von den Blumen, die der ſpäte Herbſt in den Gärten darbot.

4*52

Aber das Schauſpiel war ein anderes als neu¬ lich das der durchmarſchirenden Truppen. Dieſe waren nicht mit Staub bedeckt, an ihren Kamaſchen klebte nicht der Koth der Landſtraße; ſie funkelten im glän¬ zendſten Paradeanzug und nur der Puder ihrer wohl¬ friſirten Haarlocken ſtäubte auf das dunkle Blau ihrer Monturen; ſie rückten auch nicht ins Feld, ſondern kehrten von einer Paradeaufſtellung zurück. Es wa¬ ren die auserleſenen Regimenter Möllendorf, Knebel, Rheinbaben, die Grenadiere Prinz Auguſt von Preu¬ ßen und die Gendarmen und Garde du Corps, die vom Schloß bis ans Thor eine große Chaine ge¬ bildet, um den einziehenden Kaiſer Alexander zu empfangen.

Wie viele Jahre waren es her, daß ein Selbſt¬ herrſcher aller Reußen in die Thore Berlins einge¬ zogen! Wer ihn geſehen, den jugendlich ſtrahlenden, humanſten Fürſten, deſſen Blick Güte und Wohl¬ wollen lächelte, der die Majeſtät vergeſſen ließ in der Liebenswürdigkeit, glaubte etwas geſehn zu haben, was er ſein Leben durch nicht vergeſſen dürfe. Wie mehr als gnädig hatte er gegrüßt, mit welcher Huld die Anreden empfangen. Wie viele Frauen ſchworen, wenigſtens bei ſich, daß das Auge des Unwiderſteh¬ lichen auf ihnen gehaftet.

Aber er war nicht zu Tanz und ſüßem Liebesſpiel gekommen. Der Ernſt der Gegenwart dämpfte wieder die aufſteigende Luſt; in die Jubelſtimmen hatten ſich andre Laute gemiſcht, kühne Rufe, die der unbewachten53 Bruſt entſchlüpften, auch Thränen: die funkelnden Degenſpitzen ſchienen Vielen ſchon angeröthet. So ernſt wehwüthig war der Empfang geweſen im gro¬ ßen Portal des Schloſſes. Hier hatten König und Königin, von ihrem Palais herübergekommen, den Gaſt bewillkommnet. Es war eine feierliche Scene, als die beiden jungen Monarchen ſich umarmten, als der Czaar die Hand der huldvollſten Königin an die Lippen drückte; ein Moment, von dem Europas Schick¬ ſal abhing! Und in wie lautloſer Theilnahme hatte die Menge dem Familienſtück zugeſehen, das zum großen Trauerſpiel für hundert Tauſende, für Mil¬ lionen werden durfte, mit welcher bangen Spannung gewartet, was drinnen vorgehe, als die höchſten Herr¬ ſchaften in die Appartements getreten waren. Und doch wußte man, daß es hier nicht geſchehe. Sie nahmen nur Erfriſchungen ein. Die Hofequipagen ſtanden ſchon vor dem Portal, in denen die Wirthe den hohen Gaſt nach Potsdam entführen wollten. Dort wo Friedrich ſchläft ſollte gewürfelt wer¬ den über das Loos der Zukunft.

Die Hofequipagen rollten ſchon lange auf der gedielten Kunſtſtraße hin, die für eines der wunder¬ baren Prachtwerke der Königsſtadt galt, als die Officiere in den Conditorladen traten. So prächtig ihre Gala-Uniform, ſo beſcheiden ſah damals der Laden aus. Nichts von Gold und Mahagoni, nichts von Säulen und funkelndem Kryſtall. Auch glänzte das wenige Tageslicht, das durch die Colonnaden der54 Stechbahn ins Zimmer fiel, nicht wieder von zahl¬ loſen Rieſenbogen ausgeſpannter Zeitungen. Zei¬ tungen waren freilich auch hier ſchon, zwei oder drei vielleicht, beſcheidene Blättchen, auf grauem Löſch¬ papier, die wöchentlich zwei oder drei Mal alle Neuig¬ keiten der Welt wieder erzählten, was in der Türkei geſchah und am Rheine, und von Berlin brachten ſie vornan lange Liſten aller angekommenen Fremden, mit ihren Titeln und den Wirthshäuſern, darin ſie wohnten. Dann alle Ernennungen zu Hof - und Staatsdienſten, zuweilen auch eine Mittheilung, daß ein hoher Herr bei Hofe empfangen und zur Tafel gezogen worden. Und hinterher Theaterrecenſionen, Charaden, Fabeln, Anzeigen von Auctionen, Verkäu¬ fen, Büchern, Wohnungen und ſehr vielerlei.

Aber bei beſondern Gelegenheiten ſtand auch vornan ein Gedicht, gereimt oder ungereimt, immer jedoch zum Lobe der höchſten Herrſchaften. Denn jene Zeiten waren vorbei, wo man ſich in den Zeitungen auch wohl einen Spaß erlaubte, wie der wunderliche Gelehrte Philipp Moritz und der erſt in dieſem Jahre 1805 verſtorbene noch wunderlichere Burrmann, welcher die Leſer mit Reimereien, ſo ſeltſam wie er ſelbſt, beſchenkte. So hatte er einſt am 21 ten Decem¬ ber die Voſſiſche Zeitung mit dem Vers angefangen:

Gottlob und Dank,
Die Tage werden wieder lang.

Nein, ſeit jenen Zeiten war ein feiner claſſiſcher, fran¬ zöſiſcher Geſchmack in die Zeitungen gefahren, wie55 er ja auch in der Geſellſchaft war. Der tölpelhafte deutſche Hanswurſt war längſt fortgeſchickt, und man ſprach nur das aus, was gegen nichts und niemand verſtieß, auch auf die Gefahr hin in dem Ge¬ ſagten nichts zu ſagen. Darum, doch auch aus andern Gründen, las man nie in den Berliner Zei¬ tungen von dem etwas, was in Berlin geſchah, es ſei denn, daß eine hohe Obrigkeit es der Druckerei zugeſandt, und auch über das Draußen enthielt man ſich jeder eignen Meinung und druckte nur ab, was andere Zeitungen vorher gedruckt hatten. Heute aber war ein außerordentliches Ereigniß auch in der ge¬ nannten Voſſiſchen Zeitung. Vornan ſtand ein lan¬ ges Gedicht, deſſen Anfang und Ende ſo lauteten. Jemand las es in der Conditorei laut vor, als die Officiere eintraten, und alle, die es hörten, ſahen ſich verwundert an:

Nicht Salomon und Titus wozu Namen
Der Vorzeit! Sind wir Neueren ſo arm?
Nein, Alexander, Friedrich, Arm in Arm,
Stehn da, ein Brüderpaar. Zu Preußens Adler kamen
Die Adler Rußlands! Jubelnd ſieht Berlin
Sie über ſich vereinten Fluges ziehn.
Sie ſtehen vor dir, Arm in Arm,
O glückliches Berlin! Sprich aus die ſchönen Namen!
Wer ſind die Menſchenfreunde? Sprich!
Wer? Alexander, Friederich!

Daß das Gedicht ausgezeichnet ſchön ſei, darüber war nur eine Stimme, aber einer der eingetretenen Officiere begriff nicht, wie ſolch ein Blitzkerl von56 Zeitungsſchreiber augenblicklich von den Evenements Witterung habe, daß er auf der Stelle im Stande ſei, ſie drucken zu laſſen, und gar in Verſen! Und, ſagte ein anderer, daß man's drei Mal in der Woche erfährt, was vorher paſſirt iſt! Erſt muß es doch geſchrie¬ ben werden, was ſchon eine verfluchte Arbeit iſt, und dann gedruckt und verkauft. 's iſt auch 'ne ſchwarze Kunſt lachte ein anderer. Herr Joſty, mit der Flaſche Curaçao in der Hand, flüſterte den Herren zu: Und was werden Sie erſt ſagen, wenn wir alle Tage ein Blatt bekommen, was uns jeden Tag von den Kriegsevenements avertirt. Sehn Sie mal ge¬ fälligſt in der Ecke hinterm Ofen den Herrn im grünen Rock und Nankinghoſen, das iſt Herr Profeſſor Lange. Der giebt ein ſolches Blatt heraus, es ſoll Telegraph heißen. Morgen ſchon kommt die erſte Nummer. Die Leute werden ſich den Kopf überſchlagen. Die Officiere vigilirten den verfluchten Kerl , der mit dem Bleiſtift Notizen machte, und ſtritten ob ſeine Ohren oder ſeine Naſe ſpitzer wären.

Auch der Herr Kriegsrath Alltag hatte dieſen Tag nicht alltäglich begangen. Auch er hatte in der Conditorei des Herrn Joſty eine Taſſe Chocolate genippt, was zu jener Zeit, als wir ihn kennen lern¬ ten, ein außerordentliches Evenement geweſen wäre. Aber ſchien er doch ſelbſt ein anderer geworden. Der geſtickte blaue Rock war zwar ſchon etwas über die Mode hinaus, jedoch vom feinſten Tuch, das ſauberſte weiße Halstuch war über das Jabot geknüpft und57 feine Brüſſeler Manchetten ſpielten um die knappen Aermel. Friſch gepudert war das Haar, und der Zopf mit neuem glänzenden Seidenband umwickelt. Die goldene Uhrkette hing um einen Finger breit länger auf die ſchwarz taffetnen Beinkleider, und die ge¬ ſtreiften Seidenſtrümpfe mit den ſilbernen Schnallen¬ ſchuhen deuteten unverkennbar auf ein nicht alltäg¬ liches Evenement. Und das war es, wo der Herr Miniſter ihn gewürdigt, ihn aufzufordern ſich im Schloß zu geſtellen, er wolle ſchon für einen Platz ſorgen, daß er die Majeſtäten recht von nahe ſähe. Hatte er ihn nicht ſelbſt dort an die Treppe geſtellt, wo die hohen Herrſchaften vorbei mußten? Wenn er ſich nicht ans Geländer zurückgedrückt, ſo weit es möglich, hätte ihn da nicht das ſeidene Kleid Ihro Majeſtät der Königin faſt berührt? Durch eine glück¬ liche Schwenkung der Schleppe hatte der Page es noch vor dieſer Berührung bewahrt. Der Kriegsrath war erröthet vor Schreck. Welcher neue Schreck aber! Kaiſer Alexander, der die Königin am Arm führte, war auf dem Podeſt einige Stufen über ihm ſtehen geblieben, damit die hohe Frau Athem ſchöpfe. Seine Majeſtät, der hinter ihnen ging, war natürlich auch ſtehen geblieben, und auf derſelben Stufe, auf der die Füße des Kriegsraths ſtanden. Zwar war die Stufe breit, aber es war daſſelbe Brett, und der Kriegsrath fühlte unter ſeinen Füßen die Bewegung, welche der Fuß Seiner Majeſtät verurſachte. Und es war noch nicht alles. Excellenz, der Miniſter,58 ſein Gönner, flüſterte dem Könige einige Worte zu, und er traute ſeinen Ohren nicht, aber es war ſo er hörte ſeinen Namen. Der König hatte ſich drauf umgeſehen, hatte ihn angeſehen und die Worte geſprochen: Treuer Diener ſeines Herrn. Freue mich. Er hatte es geſprochen, wirklich und wahr¬ haftig, und es war noch nicht alles. Als die hohen Herrſchaften auf dem Podeſt ſich in Bewegung ſetzen wollten, war der König bei ihnen, und ſagte der Königin etwas ins Ohr, und die Königin wandte auch ihr Geſicht zum Kriegsrath nieder, und er hörte die Worte: Ah c'est lui! War das neue Täuſchung, oder war es auch Wahrheit, ſie hatte ihm von oben freundlich zugenickt.

Wie der Kriegsrath nachher von der Treppe herunter gekommen, wie auf den freien Platz, das wußte er ſelbſt nicht. Er las nie ein Mährchen, weil er überhaupt nicht las, aber aus ſeiner Jugend, aus der Ammenſtube, wußte er doch, was ein Feen¬ mährchen iſt. Zuerſt hatte ihn die Luft wunderbar angefächelt, wie einen, der nach langer dunkler Haft ans Sonnenlicht geriſſen wird, oder wie den Trinker, der aus dem Keller ins Freie tritt. Unten hat er es noch nicht gefühlt, jetzt aber dreht ſich die Welt um ihn, und der Boden wankt unter ſeinen Füßen. Der Rippenſtoß eines Corporals, deſſen Rotte er in ſeinem Schwanken vermuthlich zu nahe gekommen war, hatte ihn wieder zur Beſinnung gebracht. Er ſah die klir¬ renden Männer an ſich vorüberziehen, und die höhni¬59 ſchen ſchiefen Geſichter, die Zungen, die ſie ihm ſtreckten, beleidigten ihn nicht, er fühlte ſich ihnen näher gerückt; der König, der ihn einen treuen Diener genannt, war ihr Herr. Vor ſeinem Commando, vor ſeinem Blick mußten ſie zu Bildſäulen erſtarren. Und ihm war es, als müſſe der Huldblick des Kö¬ nigs etwas von ſeiner Majeſtät und Machtvollkom¬ menheit auch auf ihn ausgegoſſen haben; auch vor ihm müßten dieſe rohen Männer, wenn er es ſagen wolle, was er wußte, in Ehrfurcht erſtarren.

Er ſagte es zum Glück nicht. Vielmehr kehrte auf dem Wege bis zu Herrn Joſty dem Ehrenmann die volle Beſinnung zurück. Es war kein Traum geweſen, auch keine Erſcheinung aus einem arabiſchen Mährchen, vielmehr nichts als die Beſiegelung deſſen, was er längſt ahnete, vielleicht wußte, und in der Stadt munkelte es ſchon. Er ſollte nicht mehr lange Kriegsrath bleiben, er war zu Höherem beſtimmt. Dieſe Beſtimmung drückte ſich auch in ſeiner Haltung aus, wie er am Tiſche in der Ecke neben einem andern Manne geſeſſen, und mit demſelben dem Anſchein nach ein eifriges Geſpräch gepflogen hatte.

Der andre Mann, ungefähr im Alter des Kriegs¬ rathes, oder etwas älter, war in ſeiner Erſcheinung juſt das Gegentheil. Sein fein geſchnittenes, intelli¬ gentes Geſicht ward durch ein Paar kleine graue, ins Blaue ſpielende, Augen, wenn ſie mit Eifer auf einen Gegenſtand fielen, lebendig. Sonſt hatte es mehr einen calculatoriſchen Ausdruck, jene verſchrumpften,60 doch nicht unedlen Züge, welche ein beſtändiges Nach¬ denken über plus und minus ausdrücken, jene Abſor¬ birung von allem was Impuls oder Phantaſie heißt. Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen Gegenſtand zückten, bewegte ſich wohl um die Lippen ein ſarkaſtiſcher Zug. Sein Haar, weißblond von Natur oder weiß vom Alter, ſchien ſchon lange den Puder als etwas Ueberflüſſiges abgeſtreift zu haben. Es fiel ſchlicht, eben nicht ſorgſam gekämmt, auf den Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben ſo wenig Umſtände mit der Toilette wie mit der Friſur machte, verrieth der Ueberrock von grobem Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine Hände, die auf dem Tiſche lagen, waren weiß und fein, ſeine Füße dagegen, die er weit vorgeſtreckt hatte, ſchienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick verſohlten Schuhe.

Alſo keine Mariage nicht! hatte der Mann mit den grau blauen Augen geſagt, und zwei Gläſer mit Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬ ſtoßen hatte.

Ueberdem iſt ſie auch noch zu jung, ſetzte er hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den Tiſch.

Der andere ſagte: Alter ſchützt vor Thorheit nicht, und zu jung iſt keine nicht, um ſich nicht zu verplempern.

Der Kriegsrath ſpielte etwas verlegen oder verletzt61 mit der ſilbernen Doſe, ein Präſent ſeines Miniſters: Nun was das Verplempern anlangt, mein Herr van Aſten, ſo dünkt mich

Mein Sohn hätte ſich verplempert meinen Sie vielleicht, fiel der Kaufmann ihm ins Wort. Wenn auf meinem Kornboden zwei Säcke geplatzt ſind und der Roggen und Waizen liegen unterein¬ ander, da kümmerts mich wenig, welcher Sack zuerſt platzte, ſondern wie ich die Körner auseinander bringe, oder mitſammen verwerthe. Unſre Säcke ſind Gott ſei Dank noch nicht geplatzt, da halte ich nun fürs Beſte, daß jeder ſeinen an ſich nimmt und ſich nicht um den andern kümmert. Und wo das Facit ſtimmt und die Probe aushält, muß man beileibe nicht jeden Poſten von Neuem nachrechnen. Ihnen iſt mein Sohn nicht vornehm genug, oder wie Sie das nennen wollen.

Bitte recht ſehr, Herr van Aſten, das habe ich nie geſagt.

Aber gedacht. Schadet gar nichts, Herr Kriegs¬ rath. Habe ihn auch gar nicht erzeugt und erzogen, daß er vornehm ſein ſoll. Contrair, und mir iſt ganz lieb, daß er Ihnen nicht vornehm genug iſt, und vielleicht noch ſonſt was. Mir iſt nun Ihre Mamſell Tochter nicht reich genug, und vielleicht noch ſonſt was. Sehn Sie, aufrichtige Leute kommen bald zu Rande, und das, was ſonſt iſt, ſoll uns nicht kümmern, und wir bleiben gute Freunde. Darum erlaube ich mir noch ein Mal an Ihr Glas anzuſtoßen.

Der Kriegsrath ſeufzte; der andere hätte es recht62 gern zur Geſellſchaft gethan, nur um die Einigkeit vollkommen herzuſtellen, der alte van Aſten konnte aber nicht ſeufzen.

Mein hochverehrteſter Herr Kriegsrath, mit Ihrem Permiß, ich leſe Ihre Gedanken. Daß die jungen Leute jetzt auch ihren Willen haben wollen, das gefällt Ihnen nicht. Sie ſeufzen: ehedem war's anders! Habe ich gar nichts dagegen. Ehedem wog man ein Pfund Pfeffer mit Gold auf, jetzt koſtet's ein Paar Groſchen. Ehedem bezahlte man mit Pfeffer ſeine Wechſel. Wenn mir jetzt einer damit käme, würfe ich ihn die Treppe runter. Iſt ſo mit allem, mit der kindlichen Liebe, mit der Freiheit, der Erzie¬ hung; der Marktpreis iſt ihr Werth. Steht darum geſchrieben, daß wir den Marktpreis nicht machen können! Man muß nur geſchickt operiren. Mein Herr Sohn will auf dem Kopf ſtehn, Ihre Mamſell Toch¬ ter auch. I nu ſo laſſen wir ſie, bis ſie müde wer¬ den. Daß ſie's aber werden, dazu kann man ſchon was thun. Wenn ein Materialiſt einen Jungen in die Lehre nahm, ehedem kriegte er Schläge nach Noten, wenn er naſchte. Es hat wohl nicht immer geholfen. Jetzt läßt ſein Principal ihn ſo viel Syrup nippen und Roſinen und Mandeln naſchen, als er Luſt hat. Ein, zwei Mal den Magen verdorben, und er iſt curirt auf ſein Leben. Und ſo iſts mit dem eignen Willen auch, und mit der Freiheit und mit, was ſonſt iſt. Sie kommen retour, ſage ich Ihnen, wenn man's nur recht anfängt.

63

Habe doch immer vernommen fiel der Kriegs¬ rath ein.

Daß der alte van Aſten einen Bock geſchoſſen hat. I ja, das paſſirt dem Klügſten. Nu laß ich ihn austoben, die Hörner ablaufen. Wiſſen Sie, wie viel Hörner mein Sohn ſchon ablief? Kein Hirſch hat ſo viel Geweihe im Wald abgeworfen. Habe ſie mir alle geſammelt. Das macht mir ſehr viel Freude. Noch mehr wird's machen, wenn ich ſie ihm zeigen kann, wenn er kommt wie der verlorne Sohn und ans Thor klopft. Wird Ihnen auch ſo gehn, wenn ſie ſanft an der Klingel zieht, und, das Tuch an den Augen, weinerlich anfängt: Lieber Papa! Freilich bei einer verlornen Tochter iſt es etwas anderes als bei einem verlornen Sohn

Mein Herr van Aſten! ſagte der Kriegsrath und hob ſich in ſeinem Stuhle. Ich hoffe doch nicht

Daß ich etwas Injuriöſes gemeint hatte! I Gott bewahre! Ich ſollte mich in Injurienprozeſſe einlaſſen! Ich, ein ſolider Geſchäftsmann, in ein Geſchäft wo man nur verlieren und nie gewinnen kann. Nein, wenn's ſein muß, lieber baar zahlen! Wenn der eine das Gold liebt, auch wenn's ſchmutzig iſt, ſo liebt der andre, wenn's glänzt, auch wenn's nur ganz dünn iſt. Iſt ja wahre Gottes Gnade, daß wir nicht alle daſſelbe lieben. Wo ſollte es raus! Sie möchten mit Ihrer Tochter hoch hinaus. Iſt ganz recht von Ihnen. Man muß anſchlagen was64 man hat. Wenn Sie nun Geheimrath werden, brau¬ chen Sie einen Schwiegerſohn, der auch was zu ra¬ then giebt, und keinen Gelehrten, der ausgiebt was er hat, nämlich ſein bischen Wiſſen, ohne was dafür einzunehmen, nämlich Geld. Was Titulirtes, was Blankes, ſo oder ſo, wovor unſer eins den Hut ab¬ zieht. Laſſen Sie nun Ihre Demoiſelle Tochter in meinen Herrn Sohn verliebt ſein, ganz geruhig, bis ſie ſich übergeliebt haben. Glauben Sie mir, das kommt über kurz oder lang, denn ſatt macht die Liebe nicht, und zanken werden ſie ſich auch, und verknurren, wenn man ſie nur läßt, und dann kommt die lange Weile, und die rothen Augen machen auch nicht ſchöner. Aus Wochen werden Monate und aus Mo¬ naten Jahre. Sieht ein hübſches Mädchen erſt eine Falte im Geſicht, die nicht fort will ich will gar nicht ſagen Runzel da guckt wohl ein kleiner Ge¬ danke raus: ja wenn ich den nicht zurückgewieſen hätte! Oder den! Dann wird der Liebſte auch nicht grade ſehr freundlich angeſehn, wenn er zur Thür rein kommt, und auf einer ſeiner Runzeln ſteht: ich habe noch immer nichts! Sieht er nu in ihrem Geſichte, was ſie in ſeinem ſieht, na und ſo weiter, und am Ende ſie weinen, ſie fühlen ſie haben ſich ge¬ täuſcht, es wird geklatſcht dazwiſchen, dafür braucht man gar nicht zu ſorgen, und am letzten Ende nimmt die gehorſame Tochter den erſten beſten, den der Papa ihr zuführt. Und überläßt man's dann den Muhmen und Gevattern die Sache zu arrangiren, ſo kommts65 am letzten Ende raus: ſie hat ihn von Kindheit an geliebt.

Dies war ungefähr das Geſpräch, welches die beiden ältlichen Herren vor dem Eintritt der Officiere geführt, und das durch das laute Vorleſen des Ge¬ dichtes unterbrochen war. Der Kriegsrath ſchüttelte den Kopf als er ſeinen Hut nahm.

Gefallen Ihnen die Sentiments nicht von Sa¬ lomon und Titus? fragte der Kaufmann und griff nach einem Zeitungsblatt.

Sie ſind ſehr ſchön, entgegnete der Kriegsrath, nur begreife ich nicht, wie man ſo etwas zu drucken erlaubt. Dadurch wird ja der Bonaparte avertirt, was hier paſſirt iſt.

Sehr richtig bemerkt, ſagte van Aſten, und ſein ſchlaues Geſicht wollte gewiß noch etwas ſagen, aber der Kriegsrath gab, als der vornehmere Mann, das Zeichen, daß er genug gehört, indem er ſich mit einer leichten Verbeugung empfahl. Der Vornehmere muß das letzte Wort behalten. Aber als er durch die Officiere den Weg nach der Thüre ſuchte, waren offenbar dieſe die Vornehmeren. Sonſt liebte er doch nicht die Officiere, aber mit verbindlichen Verbeugungen ſchlängelte er ſich durch ihre Füße, welche die Herren ſich nicht beſondere Mühe gaben aus dem Wege zu ziehen. Das war der Vater von dem ſchönen Mäd¬ chen, ſagte ein Garde du Corps zu dem Rittmeiſter, der ſeine glänzenden Reiterſtiefeln auch nicht um einen Finger breit zurückgezogen hatte. Der Cornet lachte:III. 566 Was ſprechen Sie zu Dohleneck von ſchönen Mäd¬ chen! Für meinen Onkel iſt nur Eine ſchön, und wenn die Eine nicht, ſo mag die anderen der Teufel holen und ihre Papas dazu.

Der Rittmeiſter, der am Fenſter ſaß, trommelte an die Scheiben: Krieg! Krieg! das iſt das Beſte.

Zum Avancement! lachte der Chor. Die Un¬ terhaltung ging auf dies wichtige Thema über, wich¬ tiger als Alexanders Ankunft, als der Streit ob die Königin dem Kaiſer zuerſt die Hand gereicht oder er nach der Hand gegriffen, wichtiger als der Krieg ſelbſt. Man ſtritt über die Ernennung eines Capi¬ tains zum Major. Einige wollten ſie geleſen haben, andere leugneten es. Es ſteht heute drin. Es ſteht nicht drin. Her den Wiſch! Mit einem Satz war der Cornet nach dem Tiſch geſprungen, an dem van Aſten ſaß, und hatte ihm die Zeitung aus der Hand genommen: Wir wollen etwas nach¬ ſehen.

Es mußte noch etwas anderes vorgefallen ſein. Wollen Sie etwas? fragte der Cornet und ließ ſeine Pallaſchſcheide auf der Diele klirren, indem er ſich zum Kaufmann umkehrte, als dieſer ſich mit ei¬ nigem Geräuſch erhoben hatte.

Mich nur gehorſamſt entſchuldigen, ſagte van Aſten und zeigte auf ſein vorgeſtrecktes Bein, daß Herr Cornet von Wolfskehl auf meinen Fuß treten mußten! Haben ſich doch hoffentlich keinen Schaden gethan?

67

Ich glaubte, es wäre ein Holzklotz. Excüs! ſagte der Cornet und hoffte auf einen beiſtimmenden Lach-Chor. Aber die Einen griffen nach dem Zeitungs¬ blatt, die Andern machte eine ernſte Miene: Cornet, keinen Spaß mit dem Mann! Der reiche van Aſten aus der Spandauerſtraße, der mit dem Miniſter unter einer Decke ſteckt!

Die Ernennung ſtand nicht im Blatt, dafür ein Paar Dutzend andere, wie jede Zeitungsnummer ſie in dieſen Tagen brachte. Auch fingen unter den Annoncen ſchon die Abſchiedsworte an, welche Offi¬ ciere, Wundärzte und Beamte an ihre Freunde oder Bekannte in den eben verlaſſenen Garniſonen richteten; auch Nachrufe und Dankſagungen ganzer Städte an die abziehenden Garniſonen und deren Officiere. Wenn das kein Beweis iſt, daß wir wirklich in den Krieg ziehn! Ehe nicht die Kugeln durch meinen Mantel pfeifen, glaub ich nicht daran. Ich glaubs auch dann noch nicht ein dritter, als ein vierter durch die Glasthür, die er klirrend aufgeriſſen, eintrat: Nu glaub ichs Cameraden. Aufs Pferd! aufs Pferd! Du ſprangſt eben runter!

Direct von Steglitz in Carriere! Habt Ihr nichts gehört? Vier und zwanzig Kanonen don¬ nerten aus dem hohen Buſch als die Equipagen durchs Dorf ſchwenkten. Der dicke Stallmeiſter fiel beinahe von ſeinem Schimmel. Die Königin ſah erſchrocken zum Kutſchenſchlage raus.

Poſſen!

5*68

Nein, Ernſt. 's war aber nicht Bonaparte, nur Beyme! Wenn Beyme Kanonen aufführt, Beyme ſchießen läßt, da müßt Ihr zugeben, es wird ernſt, es geht los.

Victoria! ſchrien zehn Stimmen.

Wenn er nur nicht blind geladen hätte! rief der Rittmeiſter und riß die Thür auf. Man braucht friſche Luft. Krieg! Krieg! Herr Joſty ſah am Fenſter den Officieren nach. Er ſchien die Häupter ſeiner Lieben zu zählen, aber nicht mit der Zufrieden¬ heit, die auf den Geſichtern der Officiere ſtrahlte. Was half ihm der Krieg! Er war gewiß ein guter Patriot, aber wie viele konnten ihm noch immer ent¬ riſſen werden, an die theure Bande ihn ſchon lange knüpften. Er ſchlug ein kleines Büchlein im Winkel auf und ſchrieb kleine Zahlen zu den Namen. Aber viele kleine Zahlen machen ein große. Herr Joſty ſchüttelte den Kopf und wollte ſeufzen. Indeſſen er beſann ſich: Indeſſen, ſagte er, es gleicht ſich in der Welt alles aus. Und auf ſeinem Geſichte glichen ſich auch die Falten aus.

Die Officiere hatten ſich links nach der Schlo߬ freiheit zerſtreut. Nur einer von ihnen, er ſchien ab¬ handen gekommen, ſuchte die Freiheit rechts unter den Colonnaden der Stechbahn. Die Augen auf den Boden, ging er grad aus bis die Mauer ihn erin¬ nerte, daß an der Ecke die Freiheit zu Ende war. Er wollte zur Colonnade hinaus treten, als aus der Brüderſtraße eine elegante Equipage raſch vorüber69 fuhr. Die Dame darin in Pelz, Hut und Schleier verhüllt, ſah ihn nicht, aber der Mops auf dem Rückſitz bellte heftig den Officier an. Ob die Dame auf¬ merkſam ward, wiſſen wir nicht, wenn ſie ſich aber verbeugte, um nach dem Gegenſtand auszuſchauen, der den Eifer ihres Hundes verurſachte, konnte ſie ihn nicht mehr ſehen; denn der Rittmeiſter hatte ſich hinter den Pfeiler gelehnt.

Er ſchien, mit geſchloſſenen Augen, auf das Rollen der Räder zu hören, bis es unter dem Klap¬ pern der Werderſchen Mühlen verrollte. Dann riß er ſich auf, machte ſich durch einen ſchweren Athemzug Luft und wollte auch ins Freie, in den Thier¬ garten. Es mußten wunderbare Dinge im Rittmeiſter Stier von Dohleneck vorgegangen ſein. Er freute ſich auf einen Spaziergang in den ſtillen, einſamen Alleen des Thiergartens. Er hatte ſeinen Plan gemacht: links durch die Buſchpartien an den Zelten vorbei, nach dem Poetenſteig. Da traf er gewiß Niemand.

Aber wenn nur die Aber nicht wären, als er an der Conditorei vorüberging, öffnete Herr Joſty freundlich die Thür. Er glaubte der Gaſt wolle zu¬ rückkehren. Solchen Glauben darf ein Cavalier nicht täuſchen. Einen Schritt war er ſchon vorbei, es koſtete alſo nur einen zurück, und er ſtand wieder in dem traulichen, gemüthlichen Local. Es war ja auch da einſam geworden. Als Herr Joſty die Thür ver¬ bindlich ſchloß, hatte er wieder ein Haupt ſeiner Lie¬ ben in ſeinen Mauern.

[70]

Fünftes Kapitel. Von Möpſen und Wechſeln.

Aber der Rittmeiſter wollte ganz einſam ſein. Im Vorzimmer ſaß noch der Herr van Aſten und ſchien zu rechnen oder ſprach leiſe mit einer andern in Berlin wohlbekannten Perſon, dem Herrn Auctions - Commiſſarius Manteuffel, der ſich über den Tiſch zu ihm lehnte, um auf die Fragen des Kaufmanns Antwort zu geben.

Dem Rittmeiſter waren heut alle Menſchenge¬ ſichter zuwider, was mehr Rechenmenſchen, aus deren Geſichtern Zahlen ſpringen. Zahlen erinnern an Schulden.

Herr Manteuffel, der ihn eintreten geſehen, ob¬ gleich er der Thür den Rücken zuwandte, blinzte den alten Aſten an. Der aber machte eine Bewegung mit der Hand, die unter Geſchäftsleuten ausdrücken kann: den hab ich ſicher, oder: um die Bagatelle küm¬ mere ich mich nicht.

Herr Joſty hatte noch ein kleines dunkles Hin¬ terſtübchen. Vertrautere Freunde fanden hier einen71 Platz, um einen Sorgenbecher in der Stille zu leeren, den der Conditor ſeinen andern Gäſten nicht vor¬ ſetzte; er war kein Weinſchenk. Es war in dem Raume wirklich klein und dunkel, wie in einer Tonne, recht zur Selbſtbeſchauung geſchaffen, denn durch die vergitterten Fenſterſpalten drang nur bei Mittag ein Dämmerſchein, der ſich von den hohen Hintergebäuden in den feuchten Winkel, der Hof hieß, hinabließ. Das eigentliche Licht kam von einer dünnen Spar¬ lampe in einer Mauerblende, um den Tiſch, die Bank, die Wandſpinden ſpärlich anzuleuchten. Ein Ort, ge¬ ſchaffen, um das innere Licht leuchten zu laſſen.

Einen Rothſpohn, Herr Joſty! rief der Ritt¬ meiſter, als er ſich zwiſchen Bank und Tiſch ge¬ klemmt.

Pontac oder Medoc?

Auch darüber noch nachdenken! Was hatte nicht der Rittmeiſter zu denken!

I nu Medoc, ſagte er nach einer Weile, den Kopf in der Hand und den Ellenbogen auf dem Tiſche.

Iſt auch geſunder fürs Blut, klärt mehr die Gedanken auf. Die Engländer nennen ihn darum Claret, ſagte Herr Joſty, als er den langen Pfropfen aus der Flaſche gezogen.

Als der Wirth die kleine Thür leiſe hinter ſich zugedrückt, ſtörte nichts die drei nenn 'ich ſie Ge¬ ſchöpfe, Weſen, Mächte die hier zurückgeblieben zu ſtillem Verkehr: den Rittmeiſter, die Lampe und72 den Medoc. Es war mehr als ſtill, ich würde ſagen bewegungslos, wenn nicht der Schatten an der Wand jedesmal unruhig geworden, ſobald der Rittmeiſter das Glas aus der Flaſche wieder vollſchenkte. Ob er Gedanken ſchöpfte, ob er ſie verſchluckte? Der Medoc mußte das Blut nicht gereinigt haben, denn er ward nicht froh. Der Schatten an der Wand ſpiegelte drei Poſitionen, in denen er Minuten lang verharrte: den Kopf in der Hand, das Kinn in beiden Händen, und dann den Leib ganz zurück¬ gelehnt, mit geſunkenen Armen, oder, wenn ein Entſchluß zu kommen ſchien, ſie plötzlich auf der Bruſt verſchränkend. Aber die Flaſche war ſchon zu drei Viertel ausgeleert und der Entſchluß noch nicht gekommen.

Ein Entſchluß koſtet jedem etwas, wer aber weiß, wie der beſte gefaßte zum übeln ausſchlagen kann, und wer nur die Erfahrung des Rittmeiſters gewußt, der würde ihn um ſeine Unentſchloſſenheit nicht getadelt haben.

Hatte er ſich nicht zu einem kühnen Schritt ent¬ ſchloſſen, um endlich aus Liebeszweifel und Ueberdruß frei zu werden? Es war kein geringes für jemand, der von zwei unſichtbaren Schutzengeln hin und her gezogen wird, und in ſich keinen Oberen findet. Wenn dieſe ihm zuraunten: ſie hat dich eigentlich nie geliebt, ſie hat nur geſpielt mit dir; nun auch dieſes Spie¬ les überdrüſſig, läßt ſie es nur zu ihrem Amüſement, dich zu foppen, vor andern durch ihr Kammermäd¬73 chen fortſetzen, ſo ſprach eine innere Stimme: das erſte haſt du ja ſelbſt immer geglaubt. Aber dann, wenn jene ihn auf die vielen Beweiſe von Aufmerk¬ ſamkeit und Zärtlichkeit hinwieſen! Stand die Moos¬ roſe nicht noch immer zwiſchen den Balſaminen, trug ſie nicht noch immer das Halstuch von der Farbe, die ſie angelegt, als ſie ſein Lob derſelben vernom¬ men? Ja brauchte es einer Mittelsperſon, gefüllter Gläſer, um ihm zu ſagen, daß ſie jetzt anders war, als ſie ſonſt war? Sah er nicht den getrübten Blick ihres Auges? Sie wandte freilich das Geſicht ab, wenn ſie ſich zufällig begegneten, aber das war ein ganz andres Abwenden als ſonſt. Und dann, ein Mann, der ein Staatsdiener iſt, der es bis zum Rittmeiſter gebracht hat, dem der Krieg die Thore zum Oberſtwachtmeiſter eröffnet, geſteht ein ſolcher es ſich leicht ein, daß er ſo lange gefoppt worden, daß er nur die dupe einer andern, oder gar ihres Kam¬ mermädchens geweſen? Sucht er nicht nach Beweiſen, daß dem nicht ſo ſein könne, wird er nicht vielmehr ſcharfſinnig auch da noch ſie zu entdecken verſuchen, wo ſie nicht ſind? Die Hälfte des Scharfſinns, den er anwendet, um aus dem Netz ſich loszuwickeln, und er wäre nie in dem Netz gefangen worden.

Möglich war es ja, daß ſie anfänglich nur ihn necken, ihre Empfindlichkeit für das an ihm kühlen wollen, was er ſich ſelbſt jetzt vorwarf; möglich, daß auch andere da mitgearbeitet hatten. Aber das konnte ſich geändert, ſie ſo gut geſehen haben, als er74 es ſah, daß er ſich auch geändert, dies konnte ganz andre Empfindungen in ihr geweckt haben. Er hatte ja auch Augen, und was er geſehen, ließ er ſich nicht abſtreiten. Dieſe Verwandlung ihres Sinnes konnte nun denen nicht mehr zu Sinn ſein, die anfänglich mitgeſpielt. Sie waren es, die jetzt die Contreminen legten, die ihn wieder ihr entfremden, ihn von ihr trennen wollten. Daher dieſe Briefe in ganz ver¬ ändertem Tone, dieſe Mahnungen, Drohungen ſogar, abzulaſſen von Verfolgungen, die eine edle Frau tief kränken müßten.

Der Rittmeiſter Stier von Dohleneck hatte das Schwert gezogen um den Knoten zu durchhauen, er wollte Licht haben Wahrheit. Er wollte am hellen Tage in ihre Wohnung treten, ſich mit ſeinem vollen Namen melden laſſen und um eine Unterredung unter vier Augen bitten. Wer den Rittmeiſter von Doh¬ leneck kannte, wußte, daß das ein ungeheurer Entſchluß war. Und ein ganz freier und ein geheimer, er theilte ihn Niemand mit.

An dem Tage, als die erſten Regimenter von der Weichſel durchmarſchirten, hatte er ihn gefaßt. Es war der Augenblick, als ſein Pferd, oder er, bei ihrem Anblick am Fenſter unruhig geworden und Kehrt gemacht hatten. Er war ſehr unzufrieden mit ſich zurückgekehrt, er hatte ſich geſagt: ein Soldat dürfe nie Kehrt machen vor einer Gefahr, ob wirklich, ob ſcheinbar. Gerade hier iſt es ſeine Pflicht, zu recognosci¬ ren, und nicht zu weichen, bis er rapportiren kann.

75

Es war vorgeſtern geweſen, daß er ſeine beſte Interimsuniform angezogen und ſich auf den Weg gemacht. Ein ſaurer Weg! Die Pflaſterſteine ſchienen Klebriges zu ſchwitzen, ſie hielten ſeine Sohlen feſt. Er aber ſprach ſich Muth ein: Nun und wenn es nichts iſt, dann iſt es nichts und Alles bleibt beim Alten. Sein Herz wurde ordentlich leicht, aber nur auf einen Augenblick; je weiter er die Straße hin¬ unterging, je näher er dem Hauſe kam, ſo ſchwerer ward es wieder.

Er hätte auch ſein Wort gehalten, was er ſich ſelbſt gegeben, nicht, wie wohl andre in gleicher Her¬ zensangſt thun, ein paar Mal vor dem Hauſe vorüber¬ zugehen, bis der Muth ihnen kommt. Nein er wäre gleich das erſte Mal eingetreten, wäre nicht der Mops geweſen. Was es nun war, ob er in etwas getre¬ ten, was Joly verdroß, ob eine angeborne Idioſyn¬ kraſie in dem Thiere gegen den Menſchen lebte, genug ein kleiner häßlicher, fetter Mops klaffte ihn an. Als er ſich des Störenfrieds entledigen wollte, machte er das Uebel nur ärger, der Tritt fiel wider Willen ſo un¬ glücklich aus, daß das Thier, von der Stiefelſpitze gehoben, winſelnd auf das Pflaſter fiel. Ein Dienſt¬ mädchen oder ein Paar erhoben ein Zetergeſchrei mit dem Hunde um die Wette. Natürlich über die Bar¬ barei, ein armes Thier ſo grauſam zu maltraitiren! Nun war einmal etwas verſehen, und Fehler hecken mehr als gute Thaten. Als er die Straße wieder heraufkam, waren zwar Mops und Mädchen ver¬76 ſchwunden, aber die Equipage der Fürſtin Gargazin ſtand vor der Thür.

Er war muthig eingetreten. Von der Treppe kam ihm die Fürſtin entgegen. Sie fuhr verwundert zurück: Wirklich Sie! Nun, in der That, das nenne ich Muth.

Er hatte ſich verbeugt, er war muthig geblieben.

Sie war verſchwunden. Auf der halben Treppe begegnete ihm der Legationsrath. Als Wandel ihn erblickt, blieb er ſtehen, lüftete etwas den Hut, und öffnete den Mund, um doch zu ſchweigen. Aber als Dohleneck auf der nächſten Stufe war, hörte er ſeinen Namen:

Was ſoll's?

Mein Herr Rittmeiſter, ſagte Wandel, ich hege nicht die Anmaßung zu glauben, daß Sie in mir einige Theilnahme für Sie vermuthen, indeß erlauben Sie die Frage: Wollen Sie zur Frau Baronin?

Wenn es Sie nicht incommodirt, hatte Doh¬ leneck erwiedert.

So vergönnen Sie mir wenigſtens die Bitte, zu bedenken, welchem Empfang Sie ſich ausſetzen. Ihro Erlaucht, die Fürſtin, muß Ihnen ja begegnet ſein; ſollte ſie nichts geſagt haben?

Nichts was mich angeht, hatte der Rittmeiſter erwiedert.

Sie ſind der Herr Ihrer Handlungen! ver¬ beugte ſich der Legationsrath. Aber ſetzte er mit unterdrückter Stimme hinzu ich glaube ebenſo77 wenig, daß Herr von Dohleneck das arme Thier auf der Straße mit Abſicht mißhandeln konnte, als ich glauben mag, daß ein Cavalier von Ihrem Herzen und Ihrer Ritterlichkeit ein Vergnügen darin finden kann, eine unglückliche Frau, die in Thränen ſitzt, noch unglücklicher zu machen.

Und noch blieb der Rittmeiſter muthig. Die Klingel hielt er in der Hand, als ein Hundegeklaff gegen die Thür ſtürzt. Das war der Hund des Aubry, die Kraniche des Ibycus. Nein, mein Joly, der häßliche Menſch, der ſoll dir nicht wieder was thun, hörte er die Stimme des Kammer¬ mädchens. Er hatte nicht geklingelt; er war wieder auf der Straße. Joly knurrte hinter ihm am Fenſter.

Und ſeitdem hörte der Rittmeiſter, wo er die Augen ſchloß, den Mops knurren und die Baronin weinen. Alles um Dich! Er hatte wohl daran gedacht, ſich in eine andre Garniſon verſetzen zu laſſen; aber ſeine Schulden und ſeine Ehre! Nun kam ein tröſtender Engel. Der Krieg befreit einen Militair von den Verfolgungen ſeiner Gläubiger und einen Liebenden von denen ſeiner Phantaſie. Zu dieſer troſtreichen Ueberzeugung war der Rittmeiſter Stier von Dohleneck in dem Augenblick gelangt, er wollte auf dieſen Tröſter in der Noth ein Glas leeren, als, zu ſeiner Verwunderung, aus der leeren Flaſche nichts mehr fließen wollte. Er ſchlug damit gegen das Glas, ein Zeichen, welches Herr Joſty ſehr wohl verſtand,78 als die Thür aufging, aber ſtatt des Conditors, der Kaufmann Herr van Aſten eintrat.

Sie mußten ſich beide ſchon kennen, aber die Freude des Wiederſehens ſchien auf Seiten des Ritt¬ meiſters nicht groß, noch weniger, als nach der erſten Begrüßung der Kaufmann einen Platz auf der Bank in der Art einnahm, daß er dem Officier die Thür und den Ausgang dahin verſperrte. Und als van Aſten die abgetragene dicke Brieftaſche aus dem Rock zog, zog ſich auch das Geſicht des Rittmeiſters ſicht¬ lich in die Länge.

Sie werden ſich hier die Augen verderben.

Bin Ihnen für Ihre Theilnahme ſehr obligirt, aber was hier drin liegt, kenne ich alles auswendig.

Dieſe Verſicherung tröſtete den Officier noch weniger, beſonders als er, trotz der Dunkelheit, mit ſeinem ſcharfen Auge einen länglichen, ſchmalen Pa¬ pierſtreifen, den van Aſten jetzt unter andern auf den Tiſch legte, ſehr gut zu erkennen glaubte. Warum den Gruß der Batterie abwarten, lieber geradlos darauf.

Herr van Aſten, ſagte er, incommodiren Sie ſich nicht. Ich kenne den Wiſch. Sind noch vier¬ zehn Tage hin. Wenn ich am Verfalltage noch lebe, na, da ſprechen wir weiter davon. Bin ich aber todt, machen Sie und ich unſre Rechnung mit dem Himmel

Der es verhüte, daß ein ſo braver Officier ſo früh in ihn eingeht.

79

Und wenn bloß Krieg iſt, machen Sie's mit dem Könige aus.

Theuerſter Herr von Dohleneck, rief der Kauf¬ mann, den Wechſel wieder in die Taſche ſchiebend, was ſo viel Gerede um eine Bagatell! Zwei hundert Thaler! Darum ſollte der alte van Aſten einen Offi¬ cier ſeines Königs moleſtiren! Bin ich ein Wucherer? Weiß ich nicht, daß ein Soldat vor dem Feinde Cou¬ rage braucht? Courage und Credit ſind Verwandte. Und was koſtet nicht die Feldequipage! Wie kann da ein Officier an ſolche Lumpereien denken. Mancher hat auch ſonſt Liebes hinter ſich. Möchte Ihnen doch gern ein Angebinde zurücklaſſen.

Der Rittmeiſter von Dohleneck ſah ihn etwas groß, aber nicht ſehr klar an. Der Eingang war zwar angenehm, wer aber bürgte ihm, daß es der Ausgang auch ſein werde?

Alle ſind nicht wie Sie. Solidität wird eine immer rarere Eigenſchaft, und der Krieg iſt ein grauſam Vergnügen. Wer weiß, wer zurückkommt und wer da bleibt! Wenn nun Alle blieben, wer ſoll da bezahlen. Wie viele Kaufleute ſind mit ruinirt.

Der Rittmeiſter ſah mit Verwunderung, wie der Kaufmann eine ganze Partie ähnlicher Papierſtreifen auf den Tiſch legte. Es überkam ihn ein Schauer in der Seele derer, die ſich mit ihrem Namen darun¬ ter verſchrieben, ſeine Stirn aber runzelte bei der Vorſtellung, daß der alte Geldmann ihn etwa aus¬80 erſehen, um über die Verhältniſſe ſeiner Cameraden Auskunft zu geben.

Ein ſchlauer Seitenblick des andern las, was in ſeiner Seele vorging. Wie werde ich denn einen Officier zum Zeugen aufrufen gegen ſeine Cameraden! Das weiß ich, jeder Officier muß für den andern gut ſagen

Na hören Sie, was das anbetrifft!

Wir verſtehen uns ja! Cavalierparole iſt ſehr was ſchönes. Giebt gar nichts ſchöneres auf der Welt. Aber bei Wechſeln, da halten wir Kaufleute, 's iſt ſo 'ne alte Uſance, uns an andre Dinge. Wer ins Feld marſchirt z. B. kann nicht Alles mitnehmen; man erleichtert's den Herren, nimmt ihnen was zu ſchwer iſt ab. Hatte da eben eine kleine Conferenz mit unſerm Manteuffel. Das iſt ein praktiſcher Mann.

Hohl ihn der Teufel! ſagte der Rittmeiſter.

Weiß wohl, daß ihm die Herrn Officiere nicht ſehr grün ſind. Ja, lieber Himmel, wenn mal 'ne Sache unterm Hammer ſteht, giebt er ſie hin um jeden Preis. Das iſt wahr. Iſt nu mal nicht an¬ ders. Die Moral iſt, man muß es nicht dahin kom¬ men laſſen. Was nun des Herrn Rittmeiſters kleinen Wechſel anbetrifft, ſo machte mir Herr Manteuffel die Propoſition

Seelenmann, Sie werden mich doch nicht an Manteuffel verkaufen?

Verſtehn Sie mich, er wollte Sie einem andern abgeben.

81

Das iſt ja Seelenverkäuferei!

Sagte ich auch. Und ich wußte ja nicht, ob Sie gern mit dem Herrn in Connexionen kämen. Nun wir kennen uns! Aber der Herr iſt ein Fremder, und voll hätte er auch nicht gezahlt, und wie geſagt, wer weiß, ob Ihnen das recht iſt, an den Herrn Le¬ gationsrath von Wandel abgegeben zu werden.

Der! Der Rittmeiſter legte ſchwer ſeine Hand auf den Tiſch.

Sehn Sie, das hab ich Manteuffeln auch ge¬ ſagt. Er iſt ja ein Ausländer! Sollen wir Preußi¬ ſches Blut, einen Soldaten unſres Königs, an einen Fremden verrathen? Wiſſen Sie denn, in weſſen Dienſten der Herr iſt? Kann er nicht ein Agent des Bonaparte ſein, kann der nicht den Auftrag haben, alle Wechſel aufzukaufen, die Preußiſche Officiere ausgeſtellt haben? Und wenn der Krieg losgeht, die Herren marſchiren ſollen, ja da hat der König keine Officiere. Alle eingeſteckt in Wechſelarreſt. Kann nun ein König Krieg führen ohne Officiere? Der Bona¬ parte drüben freilich, woraus macht der ſich nicht welche! Die ſind denn auch danach. Aber wir müſſen ſie doch aus den Cadettenhäuſern haben, aus guten Familien. Der Napoleon iſt es im Stande, ſagte ich zu Manteuffeln, denn dem iſt alles möglich.

Und was ſagte Manteuffel? Der Rittmeiſter ſtrich ſich den Knebelbart.

Manteuffel, wiſſen Sie, ſagt nie viel. Er wiſchte ſich die Brille ab, und meinte, ich dächte wohlIII. 682an England, das Napoleon zu ruiniren denkt. Aber was für England paßt, paſſe nicht für uns, wir hätten keine Bank zu ſprengen. Ja, antwortete ich, wäre ihm doch beinahe gelungen. Und 's kann auch hier manches ſpringen. Aber 's ſoll ihm nicht ge¬ lingen. Meinen Herrn von Dohleneck ſoll er nicht in ſeine Klauen kriegen, ehe wir nicht wiſſen, wer er iſt. Nun freut mich zu hören, daß Herr Rittmeiſter ihn kennen, denn Sie fürchten ſich in ſeine Hände zu kommen.

Der Rittmeiſter ſah den ſchlauen Mann auch etwas ſchlau an: Mich will bedünken, daß mein Herr van Aſten ihn beſſer kennt als ich; ſonſt

Der klügſte Mann weiß nicht Alles und der beſte Kaufmann läßt ſich auch betrügen.

Es ſchien etwas im Kopfe des Rittmeiſters, den der Rothwein noch nicht umdüſtert hatte, aufzublitzen: Halt, da entſinne ich mich

Van Aſten blätterte und glättete über zwei Pa¬ pierſtreifen. Ein gelehrter Mann, ein feiner Mann, ein Mann von vielen Kenntniſſen, hübſcher Conduite. O iſt gar nichts gegen ihn zu ſagen, ein charmanter Mann

Hohl ihn der Teufel!

Das iſt ſchon manchem charmanten Mann paſſirt. Thäte auch gar nichts. Ein guter Wechſel gilt im Himmel und in der Hölle, man muß nur den Aus¬ ſteller kennen. Es freut mich, Herr Rittmeiſter, daß Sie auch davon wiſſen. O wir haben manche Ge¬83 ſchäfte miteinander gemacht, der Herr Legationsrath und ich. Prompt auf die Minute, und hat eine glückliche Hand. Wünſchte ſie Ihnen, Herr Rittmeiſter. Wirk¬ lich und wahrhaftig, Ihnen gönne ich alles Gute, das große Loos, 'ne todte Tante mit hundert Tau¬ ſend; und noch lieber' ne reiche Frau mit 'ner halben Million. Sie ſind ein ſo gemüthlicher Mann. Hätt' ich 'ne Tochter, na wer weiß. Ich ſage Gegen die Wechſel iſt auch gar nichts zu ſagen. Sie ſind nur etwas ſehr lang. Und wem ich ſie abgeben will, der ſagt, was ich mir auch ſagen könnte. Man iſt manchmal auf den Kopf gefallen. Fallen thut nichts; man ſteht wieder auf. Aber auf den Kopf muß man nicht fallen, Herr Rittmeiſter! Alſo ſagt mancher Mann: es kann ja inzwiſchen was paſſiren, er kann ja auch in den Krieg wollen, es kann ihn eine Kugel treffen. Einen todten Menſchen kann man nicht in Wechſel¬ arreſt bringen. Sind Sie nicht auch der Mei¬ nung?

Pivat die Soldatenfreiheit!

Und wenn er auch nicht in den Krieg zieht, die Herren Cavaliere haben oft Händel. Sehn Sie mal, er kann ja in ein Duell gerathen. Paff! Wird mich der Todtſchießer honoriren? Ja, wenn ſo ein Geſetz exiſtirte! Fällt mir bei, der Herr von Wan¬ del hatten ja neulich eine ſolche Affaire. Richtig! Mit dem Sohn vom Geheimrath Bovillard! Und Sie ja Herr Rittmeiſter waren ja dabei.

Wiſſen Sie das auch!

6*84

Der Herr Legationsrath waren wohl erſtaunlich muthig? Wollten immer drauf los?

Jetzt fixirte der Rittmeiſter den andern: Hohl mich der und jener! Ich glaube, Sie wollen mich aushorchen, was ich von ihm denke.

Herr van Aſten ſagte nicht ja und ſagte nicht nein; er lächelte nur: Weiß ſchon vielerlei, aber wenn man auch ſchon das ganze i geſchrieben hat, kanns einem doch gerade noch auf das Tippelchen drauf ankommen. Iſt ein Politikus. Einem Poli¬ tikus gegenüber muß man wieder einer ſein. Ob er ein Spion des Großen Mogul iſt, oder ein Geiſter¬ ſeher, oder ein Magnetiſeur, oder ein Lovelace, oder oder was kümmerts mich, aber verſtehen Sie mich, das eine möchte ich wiſſen, iſts da mit rechten Dingen zugegangen, oder

Der Rittmeiſter fuhr mit der Hand in die Fri¬ ſur: Blitz, ich glaube nein! Und wollen Sies recht wiſſen, drei Mal drei Mal nein. Und unter uns: Es ſtinkt! Er hat's, Gott weiß durch wen, der Polizei geſteckt.

Alſo nicht der junge Bovillard?

Ein grundehrlich Blut, réparation d'honneur. Wie ein Cavalier ſich benommen.

Aber der Legationsrath hat ihn wieder aus dem Gefängniß losgebeten?

Um ihn als Courier fortzuſchicken. Die Memme!

Der alte van Aſten lehnte ſich auf den Tiſch und ſchüttelte den Kopf: Da hätten wir alſo das85 Tippelchen auf dem i. Na, Herr Rittmeiſter, wel¬ chen Wein lieben Sie am meiſten? Werden mir doch die Ehre erweiſen und Beſcheid thun auf ein Gläschen?

Ein Tokaierfläſchchen ſtand auf dem Tiſch und färbte ſchon mit dunkelm Gold zwei Gläſer, als Dohleneck noch immer nicht wußte, wie er dazu kam.

Nu ſtoßen Sie an, ſagte der Kaufmann.

Worauf?

Auf einen alten Eſel! Ja, ſehn Sie mich nur recht an, und dann dreiſt los!

Die Gläſer klangen, der Rittmeiſter zauderte aber doch faſt erſchrocken, ehe er den Feuerſaft an die Lippen brachte.

Aber Herr van Aſten, wie komm ich dazu?

Daß ich Ihnen ſolche Confeſſions mache? Das will ich Ihnen ſagen. Weil ich Ihnen gut bin. Nicht als Kaufmann, als Menſch. Nein, eigentlich bin ich Ihnen doch gut grad als ſolider Kaufmann. Denn wovon leben die? Von den ſoliden Leuten doch nicht? Da müßten ſie verhungern. Die jungen Thunichts¬ gute, die auf Credit einſchenken laſſen, das Ihre durchbringen, und noch ein bischen mehr, das ſind ihre beſten Kunden. Geht auch mal Einer durch, thut nichts, darauf iſt die Kreiderechnung ſchon zu¬ geſchnitten. Ein ſolider Kaufmann, ſag ich Ihnen, muß eigentlich die Unſoliden leben laſſen! Darum, noch mal angeſtoßen!

Der Rittmeiſter ſtieß etwas brummend an.

Weiß Gott, mein lieber Herr von Dohleneck,86 mir iſt immer wohl zu Muthe, wenn ich Ihre glat¬ ten Backen ſehe. Wenn Sie ſo eine Flaſche aus¬ ſtechen, 's iſt nicht wie die andern jungen Hitzköpfe, die ſchwappeln und ſchäumen, und ſtürzen, die Hälfte geht in die unrechte Kehle. Nein, bei Ihnen fühlt man ordentlich, wie dem Weine ſein Recht geſchieht, es muß Ihnen wohl ſein, daß er ſo glatt runtergeht. Die Beine ziehen Sie auch nicht zurück, wenn ein Bürgersmann vorbei will, dafür ſind Sie Cavallerie¬ officier; dieſe Beine dienen König und Vaterland, dafür müſſen ſie ruhen können, wies Ihnen commode, oder Mode iſt. Aber's iſt 'ne ganz andre Art darin, wie Ihre Beine liegen. Die andern Herrn, Ihre Cameraden, wenn ſie ſo das Kinn zu uns umdrehen, denken: Wozu iſt nun wohl die Canaille auf der Welt! Sie aber denken, das will ich wetten: I warum ſoll das Gewürm nicht auch im Sonnenſchein ſpielen, 's iſt ja Platz da! Und wenn Sie den Bart ſtreichen, und ſo glau und ſchlau dabei ins Blaue ſehn, da möchte ich manchmal aufſpringen und Ihnen die Hand drücken, oder, wenn ich ein hübſch Mädchen wäre, fiele ich Ihnen um den Hals.

Donnerwetter, Herr van Aſten, ein hübſches Mädchen, erlauben Sie mir, das ſind Sie nicht, aber

Warum ich ein alter Eſel bin, das wünſchen Sie zu wiſſen. Sie ſollen's. Iſt mir doch ſo, als müßte ich Einem heut mein Herz ausſchütten. Drei dumme Streiche! Wenn Sie die gemacht, na was87 wär 'es! Ein Cavallerieofficier braucht nicht zu den¬ ken; aber ein alter Kaufmann! Pfui! Pro primo, das iſt wacklicht, pro secundo, das iſt faul und pro tertio, das iſt dumm. Pro primo, das ſag ich Ihnen nicht, iſt ein Compagniegeſchäft mit einem vornehmen Herrn. Das wackelt noch, aber kommt Krieg fliegt's in die Luft; der große Herr wird ſich ſalviren, der kleine bleibt hängen. Die Moral iſt, 's iſt nicht gut mit großen Herren Kirſchen eſſen. Pro secundo hab ich vom Legationsrath drei kurze Wechſel auf drei lange prolongirt! Denken Sie, neun Monat! Darüber muß ein Kind zur Welt kommen; wenn nun ein Krieg kommt, wenn er eclipſirte! Die Moral iſt: wenn man einen Aal am Kopfe hält, muß man nicht loslaſſen, ſonſt ſitzt man bald am Schwanz¬ ende. Und drittens, denken Sie ſich, da hab ich eben eine ganze Schrift, die der Nachbar Herr Mittler gedruckt hat, für mein baares ſchweres Geld aufkau¬ fen laſſen, verſtehn Sie, alle fünfhundert Exemplare.

Was! Wollen Sie auch Buchhändler werden?

Gott bewahre mich! Contobücher, die andern taugen nichts.

Was ſteht denn drin, was Sie ſo ſehr in¬ tereſſirt?

Lauter dummes Zeug.

Was wollen Sie damit?

Verbrennen! Sind ſchon Aſche.

Peſtilenz! rief der Rittmeiſter. Sie ſind mir ein curioſer Mann.

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Möglich. Sehn Sie, das dumme Zeug rührte von mir her, nämlich von Blut von meinem Blut, von meinem Sohn. Konnte ichs nun übers Herz bringen, das dumme Zeug unter die Leute laufen zu laſſen? Alſo fix in die Taſche gegriffen und Man¬ teuffeln es machen laſſen.

Nu das iſt pfiffig gehandelt.

Recht dumm, Herr von Dohleneck. Manteuffel glaubt zwar, er hat ſie alle gekriegt, aber eins oder das andre iſt doch unter den Tiſch gefallen, und wer das weg hat, giebts nicht raus. Wirds nun erſt bekannt, man kriegt keine mehr, dann fallen ſie drüber her wie die Fliegen übers Aas, jeder wills leſen. Iſt das nun nicht eine pure Dummheit, hundert Thaler wegzuſchmeißen, damit ich was Dummes erſt recht in die Welt ſchicke!

Das lag außer dem Departement des Ritt¬ meiſters. Er ſtellte ſein leeres Glas auf den Tiſch:

Herr! wiſſen Sie was? Aber verrathen müſſen Sie mich nicht. Den einen dummen Streich wollen wir Ihnen repariren. Dem Legationsrath paſſen wir alle auf die Finger, und wenn er ſich mal attrapiren läßt, dann ſoll er Ihnen kein Kopf¬ weh mehr machen.

Der Kaufmann war aufgeſprungen und faßte den Rittmeiſter mit beiden Händen ich glaube es war nur an den Kragen; urſprünglich war die Lieb¬ koſung den Ohren oder Backen zugedacht. Der Re¬ ſpect ließ die Hände tiefer ſinken:

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Herr, ſind Sie des Teufels! Keine Hand ange¬ rührt an meinen theuern Legationsrath! Wollen Sie mir fünftau wiſſen Sie wie hoch die Wechſel ſind? Herr, Goldmann, daß dich! Nicht rühren an den Mann, bis Wollen mich doch nicht ruiniren? Und alles bleibt geheim, nicht wahr?

Die Wände werden nicht plaudern, ſagte der Rittmeiſter.

Ein deutſcher Handſchlag, und der Reſt der Flaſche floß in das Glas des Officiers.

Alſo, ſagte der Kaufmann, indem er den be¬ wußten Wechſel zum nicht geringen Befremden des Officiers wieder aus der Brieftaſche zog. Alſo auf wie lange wollen Sie ihn prolongirt? Denke auf neun Monate. Lieber Gott in neun Monat, was iſt da nicht geboren! Mit einem raſchen Schrift¬ zug war die Prolongation erfolgt.

Sie haben mir 'nen recht großen Gefallen ge¬ than, ſchloß van Aſten. Könnte man alle Geſchäfte ſo ſchnell abwickeln! Paſſirt aber auch nur unter Freunden, die ſich ganz verſtehen. Und wenn Sie ſonſt zur Equipage noch etwas bedürften, ein hundert oder zwei hundert Thälerchen, klingeln Sie nur, Spandauer-Straße, gleich um die Ecke, das dritte Haus, und dann links, auf dem Hofe iſt der Eingang.

[90]

Sechstes Kapitel. Fenſterſkizzen.

Es war ein grauer Herbſttag, an dem nur dann und wann die Sonne einen Blick auf die Dächer von Potsdam warf. Der Wind wehte die gelben Blätter durch die Straßen: öde ſonſt, heut belebt von Köpfen, Uniformen, Livreyen aller Farben und Muſter, von Phyſiognomien, die den verſchiedenſten Nationen, ja Welttheilen, anzugehören ſchienen. Die Equipagen von Miniſtern, Generalen, von Geſandten und fremden Prinzen, rollten unaufhörlich zwiſchen den Palläſten und Wirthshäuſern, und zu dieſen Gäſten von diplomatiſchem Character kamen aus der Hauptſtadt zahlreiche Poſtchaiſen, Lohnfuhrwerke und jene langen und ſchmalen, ihrer Zeit wohl bekannten, Charlottenburger Korbwagen, deren magere und keu¬ chende Pferde zwölf Neugierige oder noch mehr aus der erſten auf ein Mal in der zweiten Reſidenzſtadt abſetzten.

Es mußte ein großes Ereigniß, oder eine große Erwartung ſein, welche ſo viele Berliner, und an91 einem Tage, den beſchwerlichen Weg unternehmen ließ Ja, Potsdam, das lange verödete, ſchien wieder der Mittelpunkt eines Europäiſchen Lebens geworden. Man ſah es an den Blicken, man hörte es am Ge¬ flüſter der Gruppen; aber nicht an den laut gewor¬ denen Reden. Denn wenn zwei ſich begegneten, frag¬ ten ſie nur: Haben Sie ihn ſchon geſehen? Wenn ihn nicht, den ritterlichen Gaſt, hatte man doch einen ſeiner ſilberumgürteten Koſacken geſehen, die Straße auf, Straße abſprengten, angeſtaunt und bewun¬ dert von Allen. Und es war doch auch ſonſt ſo viel auf den Straßen zu ſehen, was da ſelten ſich zeigt: die erſten Männer des Staates, Militair und Civil, im Freien promenirend, in den Hausthüren, an den Ecken ſtehend. Es ſchien ein öffentliches Leben in der Stadt Pots¬ dam, und es war keine Parade! So vornehm die Männer und Gäſte, waren doch nicht alle gela¬ den, ja die wenigſten hatten in den Appartements des Schloſſes Zutritt, welche heute mehr dem häus¬ lichen nur Familienbeiſammenſein geöffnet ſein ſoll¬ ten. Aber gleiche Erwartung, Spannung, ob und was ſich entwickeln werde, hatte die Erſten und Höch¬ ſten hergetrieben. Feldherrn, Miniſter und Kabinets¬ räthe, und nicht mit dem geheimnißvollen Nimbus der Autorität und des alles beſſer wiſſens um die Stirn, ſuchten, wie der Opferprieſter im Flug der Vögel, in den Mienen der andern, ob ſie eingeweiht waren? Es mußten wenige eingeweiht ſein. Die eben vom Schloſſe zurückkamen, antworteten,92 wenn Gruppen ſich um ſie bildeten, nur mit Achſel¬ zucken.

Auch vornehme Damen ſtanden an den geöffneten Fenſtern. Neugierig ſchweiften die Blicke der Fürſtin Gargazin über den Platz, und ſie hörte nur halb, was der Kammerherr von St. Real erzählte. Er war im Schloß geweſen und hatte aus dem Vor¬ zimmer einen flüchtigen Blick auf das häusliche Glück im Schooß des Heiligthums geworfen.

Was helfen uns Familienſcenen, Kammerherr!

Seine Majeſtät der Kaiſer ließen zwei der königlichen Kinder auf Ihren Knieen reiten. Ihre Majeſtät die Königin blickte mit verklärter Mutter¬ freude auf das Bild.

Das glaube ich; aber der König?

Stand die Hände auf dem Rücken daneben.

Ernſt wie immer?

Nein, Seine Majeſtät lächelten. Alle meinten, das werde eine Unité, die nie zerreißen kann.

Aber andern die Geduld, warf die Fürſtin ein. Die Einigkeit da gefällt mir beſſer. Sehn Sie, Haugwitz mit dem Erzherzog Arm in Arm.

Sie ſcheinen in ein ſehr ernſthaftes Geſpräch verwickelt, bemerkte ein Dritter am Fenſter.

Und Blücher ſchlägt hinter ihnen mit den Füßen den Takt. Er kann ſeine Freude kaum verbergen.

Er ſollte nur den Säbel nicht ſo klirren laſſen! Lombard flankirt umher. Ihm iſt's nicht recht. Er möchte gar zu gern Haugwitz einen Wink geben.

93

Sehn Sie die Poſition, die er einnimmt. Sie ſehn Lombard noch nicht; ſo ſind ſie vertieft. Jetzt müſſen ſie auf ihn ſtoßen, und geben Sie Acht, wie er ſich wie ein Aal in ihr Geſpräch ſchlängeln wird!

Magnifique! rief die Fürſtin und klatſchte ihre feinen Hände unwillkürlich zuſammen. Ein rieſeln¬ des Gelächter der Umſtehenden accompagnirte ihre Empfindungen. Der Erzherzog mußte Lombard ge¬ ſehen haben, und mit einer geſchickten und raſchen Wendung bog er, kurz vor ſeinem Zuſammentreffen, dem Hinderniß aus.

Parbleu! Erlaucht, ſteht er nicht da wie eine Salzſäule!

Lombard verblüfft, ô c'est pour rire.

Blücher ſtreicht ſich den Bart. Der Seitenblick, den er ihm zuwirft! Ich fürchte für Lombards Magen.

Er kann viel vertragen.

Er recollirt ſich ſchon.

Der rechte Mann um bonne mine à mauvais jeu zu machen. Aber ſehn Sie Rücheln dort an der Ecke. Wie ein ſteinerner Roland, und ein Geſicht, als hätte er in eine bittre Citrone gebiſſen.

Das iſt ſchlimm, wenn Rüchel nicht zufrie¬ den iſt.

Wie ſollte er es ſein, gnädigſte Frau, wenn Blücher vor ihm triumphirt!

Ah Monsieur de Bovillard! rief die Fürſtin mit holdſeliger Stimme, über die Fenſterbrüſtung gebeugt.

94

Den! Die Cavaliere ſahen ſich verwundert an.

Er kommt wahrhaftig herauf.

Meine Herrn, von meinen Freunden erfahre ich nur, was ich weiß, an unſre Feinde müſſen wir uns wenden, wenn wir lernen wollen, entgegnete die Fürſtin raſch umgewandt, während der Mann, welchem die Bemerkung galt, ſchon die Treppe herauf ſtieg:

Tout à vos ordres, ma pincesse! keuchte der Athemloſe ſich tief verneigend.

Sie ſind echauffirt. Meine Herrn, das Fenſter zu, damit Herr von Bovillard ſich nicht erkältet! Wirklich, Sie ſollten ſich ſchonen, für den Staat und die Ehren, die Ihrer warten.

Erlaucht belieben mit einem abgeſetzten Manne zu ſpotten. An uns iſt es Kohl zu pflanzen.

Eine ſehr hübſche Beſchäftigung, entgegnete die Fürſtin, die ſich aber ganz gut mit einigen Deco¬ rationen auf der Bruſt verträgt. Blicken Sie mich doch nicht ſo ehrlich an

Auf Ehrlichkeit und Ehre, Madame, ich glaube wir ſind ſchon ruſſiſch. Ihr Sklave wirft ſich Ihnen zu Füßen und fleht um Ihre Fürſprache, daß er Gnade empfange.

Die Alexander, der Großmüthige, von ſelbſt gewährt. Ohne Spaß, Herr von Bovillard, was trugen Sie davon? Einen Orden, Brillantringe, Doſen? Er vergißt ſeine Freunde in der verſchwen¬ deriſchen Großmuth gegen ſeine Feinde.

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Erlauchte Frau, Sie könnten mich ſtolz machen, zu glauben, daß ich noch nicht überwunden bin, denn meine Bruſt und Taſchen ſind leer.

Die Fürſtin fixirte ihn, mit der Antwort wie es ſchien nicht unzufrieden: Er iſt noch großmüthiger, wenn er Freunde gewinnen will. Doch freilich, wenn er Sie öffentlich decorirte, wie würden Sie vor La¬ foreſt beſtehen? Aber in der That, lieber Bovillard, die Miene der Ehrlichkeit ſteht Ihnen ſchlecht; ich fürchte Sie weit mehr als wenn Sie mit Ihrer moquanten mich zum Beſten haben.

Parole d'honneur, princesse! Auf die Gefahr hin, ich muß ehrlich ſein, denn ich weiß nichts.

Wer iſt beim Könige?

Haugwitz, wie Sie ſehen, promenirt mit dem Erzherzog. Voß geht in der Antichambre verdrießlich umher, und ſagt zu den Einen Ja, zu den Andern Nein. Hoym hat nur Augen für die Königin; er ſcheint im Vertrauen und wartet auf ihre Winke. Schulenburg und Angern unterhalten ſich mit den Adjutanten über die Viehzucht in der Krimm. Köcke¬ ritz ſagt zu jedem, es werde alles gut werden, wenn man nur ruhig bleibt. Wittgenſtein hat ein Paar vornehme Ruſſen am Arm und ziſchelt ihnen die ge¬ heime Geſchichte einiger Hofdamen zu. Zur Radzi¬ will war Alexander ſehr zuvorkommend. Sie iſt ihm aber zu enthuſiasmirt, hat mir im Vertrauen Fürſt Woronzof geſagt. Er liebt die plaſtiſche Ruhe. Die Prinzeß Mariane bewundert er um ihre Schönheit,96 ſie iſt ihm aber wieder zu plaſtiſch und claſſiſch. Comteß Laura

Um Himmels Willen, das Kataſter unſrer Schönheiten ein andermal! unterbrach ihn die Fürſtin.

Aber die Königin bleibt die Centifolie unter den Blumen, die Sonne unter den Sternen. Und welcher getreue Unterthan wagte dem zu widerſprechen!

Beim Geſpräch vor der Kinderſcene, ich meine im Kabinet, war kein Miniſter zugegen? Wo war Beyme? Ward Lombard von ihnen hinausgeſchickt?

Erlaucht, ich bin ja ſo unſchuldig, wie ein neu geboren Kind, und, hohl mich der Geier pardon! ſie ſinds alle im Schloſſe. Es druckſt etwas, und will nicht herausplatzen

Und der Allianztraktat? platzte es bei der Fürſtin heraus.

Steht noch nicht auf dem Papier

Bovillard, wenn er ſie nicht ſelbſt eingebüßt, hätte jetzt von der Fürſtin ſagen können, daß ſie die Contenance verloren. Sie war nicht mehr Diplo¬ matin, ſie ging mit Heftigkeit auf und ab: Und von der Stunde hängt es ab! Iſt denn ſolcher möglich! Jung und

Die Bedächtigkeit iſt doch eine ſchöne Sache, fiel Bovillard ein.

Ihr intriguirt doch hinter unſerm Rücken, fuhr die Fürſtin auf, trotz Beymes Verſprechen, das er der Radziwill geben mußte, trotz des Geſprächs, was Lombard neulich mit der Prinzeſſin Mariane hatte. 97Ihr laßt Haugwitz mit dem Erzherzog Anton ver¬ handeln, damit er von der wichtigern Unterhandlung mit Alexander abgezogen wird. Hardenberg laßt Ihr einer reiſenden Schauſpielerin mit Extrapoſt nachſtiegen, daß er noch nicht nach Potsdam zurück iſt; Prinz Louis zu einer opportunen Zeit dem König in den Weg treten, daß er aufgebracht werden mußte. Stein, Gott weiß, wo Ihr den in den Winkel ge¬ ſtellt habt. Kurz, ich durchſchaue alle Eure Ränke, und im wichtigſten Moment ſeines Lebens, wo er Rath haben muß, iſt es Euch gelungen, ihn mit Nullen und Pagoden zu umſtellen.

Die Fürſtin hatte recht, wenn ſie heut in des Geheimrathes Bovillard Phyſiognomie etwas Unna¬ türliches fand, nämlich die Ehrlichkeit. Wie er jetzt, aufrecht ſtehend, ſie groß anſah, die Hand an der Bruſt, hätte der gewiegteſte Pſycholog geſchworen, er meine es aufrichtig:

Erlauchte Prinzeſſin, die Flüſſe ſpielen um den Berg, aber, wenn der Berg den Einfall bekommt einzuſtürzen, iſt ihr Spiel aus. Einem Selbſtherr¬ ſcher aller Reuſſen gegenüber, der den Einfall be¬ kommt, uns mit ſeinem höchſt eigenen Beſuch zu überraſchen, hört unſer Spiel auf. Der Gewalt weicht die Kunſt. Jetzt ſpielen höhere Mächte und wir fügen uns als Stoiker in das Unabänder¬ liche.

Es entſtand eine Pauſe. Die Fürſtin hatte ihre Promenade noch nicht beendet:

III. 798

Einer muß doch den Anfang machen! rief ſie halb für ſich aus dem Chaos ihrer Gedanken.

Aber wenn der Eine es nicht geſchickt anfängt, ſchickt er ihn fort, ſagte Bovillard. So ging es Stein. Der Freiherr polterte mit einer Proclamation los, die er in der Taſche trug, am Schweif eine Kriegserklärung. Majeſtät zogen die Stirn und zuckten mit dem Arm. Stein ſagte, was man wolle, müſſe man zeigen, und was man zeige, müſſe man wollen. Majeſtät ſagten, ſie hätten auch noch andre Räthe, auch kluge Leute, auch treue Diener ihres Herrn, die er ſchon länger kenne, als den Herrn von Stein, und die nicht gleich mit dem Kopf durch die Mauer wollten. Zum Glück aplanirte der Kaiſer mit einer liebenswürdigen Wendung den Riß.

Und Stein?

Studirt im Luſtgarten den Kunſtſtil der Drya¬ den und Najaden.

Hardenberg wäre beſſer zum erſten Angriff ge¬ weſen. Wer denn nun?

Wer hat gleich ein neues Concept fertig! Von unſern Freunden werden Sie die Initiative nicht er¬ warten. Wir ſtellen uns nur zur Dispoſition.

Man kann wirklich nicht mehr Aufopferung fordern, bemerkte ein Ruſſe.

Johannes Müller iſt doch citirt, ſagte die Fürſtin.

Steht auch da, Erlaucht, mit der Feder in der Taſche, Dinte hat er auch, aber das Papier will man99 ihm noch nicht geben. Lombard iſt ja auch berufen, hat auch die Feder geſpitzt; je nach dem, franzöſiſch oder deutſch, hart oder weich.

Aber nachdem Stein abgeblitzt, mußten doch Majeſtät Ihre Meinung äußern.

Sie haben ſie auch geäußert. Das Wort Kriegserklärung, ſo hart noch herausgeſtoßen, ohne alle Ueberzuckerung, hatten Majeſtät dermaßen irritirt, daß Ihro Majeſtät die Königin dem Kaiſer einen Wink gab. Alexander verſtand ſie auch mit einer admirablen Grazie. Nun ward der Krieg emballirt, in eine traurige Eventualität überſetzt, und unter dieſer Umhüllung paſſirte er wieder in der Conver¬ ſation. Wenn man nur den rechten Ernſt zeige und zur rechten Zeit, dann könne man ſich der ſichern Hoffnung hingeben

Daß Bonaparte zu Kreuz kriecht! O char¬ mant! rief die Fürſtin, und dunkle Lichter blitzten auf ihrem Geſicht, die wenig zu der zurechtgelegten Sanftmuth paßten. Darum von Petersburg nach Moskau geflogen, darum eine halbe Welt in Auf¬ ruhr, darum dieſe koſtbaren Stunden in Potsdam! Um eine Ambaſſade, um eine neue Conferenz, um Protokolle

Ohne Ambaſſade, Erlaucht, geht es nicht ab, mein kleiner Finger ſagt es mir.

Die dem Corſen vorſtellen ſoll, wie un¬ billig er gehandelt, ihm Moral predigen und Unterricht im Völkerrecht geben! Damit er ſie,7*100uns, alle, nicht allein verachtet, beſiegt, mit Füßen tritt, nein, daß er ſie auch verlacht. Und er hat recht.

Der Major von Eiſenhauch war ſchon während ihres Geſpräches eingetreten. Er ſchien über die Geſellſchaft, die er hier fand, verwundert.

Nun und Sie, Major?

Er zuckte die Achſeln: Bis zum außerordent¬ lichen Geſandten iſt man gekommen. Er ſoll morgen abreiſen.

Mit welchen Bedingungen?

Man ſpricht davon, der Luneviller Friede ſoll zum Grunde gelegt werden.

Die kann Bonaparte nicht annehmen, ſagte die Fürſtin raſch. Das wäre alſo ſo gut wie Krieg. Aber wer wird zu ihm geſandt?

Haugwitz.

In den Geſichtszügen der Anweſenden war Ueber¬ raſchung, vielleicht etwas mehr, Entrüſtung, Schreck zu leſen. Eine ſprachloſe Pauſe.

Iſt das auch das Spiel der höheren Mächte? fragte die Gargazin mit einem bittern Blick auf Bovillard, der verſtummte. Der Major antwortete ſtatt ſeiner:

Seiner Majeſtät eigner Wille. Niemand hatte natürlich an Haugwitz gedacht. Sie mögen denken, wie es auf alle gewirkt. Aber des Königs Gerech¬ tigkeitsgefühl ſpielte mit.

Sagen Sie ach, mir fehlen auch die Worte101 dafür. Er ſchickt den hin, der unter jeder Bedingung nach dem Frieden greift.

Warum nicht den, bemerkte Bovillard beſcheiden, der Napoleon perſönlich angenehm iſt. Zum Ver¬ mitteln ſchickt man doch nicht widerwärtige Geſchöpfe.

Um Vergebung, nahm der Major das Wort, ich glaube vielmehr, daß das des Monarchen eigen¬ thümlicher Sinn war. Er wollte dem, welchen er durch einen gefaßten Beſchluß gekränkt, durch ſein Vertrauen es vergütigen. Uebrigens ich glaube jetzt auch an Haugwitz. Er geht nicht gern, aber er geht. Der Erzherzog, der Kaiſer, von allen Seiten über¬ ſchüttet man ihn mit ſchmeichelhafter Aufmerkſamkeit. Auch contre-coeur iſt er verſtrickt.

Meine Herren, erhob ſich die Fürſtin, die Per¬ ſonen ſind am Ende gleichgültig. Aber wo iſt der Wille? Was iſt beſchloſſen? Wann reiſt Haugwitz? Mit Courierpferden? Wohin? Welchen Termin ſoll er dem Uſurpator ſetzen? Wenn er nein ſagt, wann ſtoßen unſre Heere zuſammen? Wo? Wo iſt der Plan? Wo der Traktat? Fehlt es in Potsdam an Pa¬ pier? Eine Feder kritzelt zu langſam. Mit Blitzen müßte man ſchreiben. Denn der Attila reitet auf Blitzen.

Sie ſah ſich vergebens nach einem Aufblitzen in den Mienen um. Die Herren zuckten die Achſeln. Man blickte ziemlich rathlos zum Fenſter hinaus. Auch dort waren nur fragende Geſichter.

Köckeritz kommt aus dem Schloſſe!

Rüchel packt ihn. Wie haſtig ſie ſprechen!

102

Rüchel iſt außer ſich. Er kneift den armen Köckeritz ordentlich in den Arm.

O weh, ſeine Nachrichten müſſen ſchlimm lauten.

Aber man ſprach ſich Troſt zu. Es ſei gut, daß man die Hitzigen aus der nächſten Umgebung zu entfernen gewußt. Die Radziwill und ihr Bruder hätten durch ein Wort alles verderben können. Die Königin operire verſtändig und im Einverſtändniß mit dem Kaiſer. Sie leiteten klugerweiſe das Ge¬ ſpräch auf gleichgültige, aber dem Könige angenehme Dinge, um in der Gunſt der Stunde auf die Sache einzulenken. Dann laſſe ſich oft das Schwierigſte in einem Augenblicke abthun.

Und wer kann ſich rühmen, daß er der Liebens¬ würdigkeit eines Alexander auf die Länge widerſtan¬ den hat! bemerkte ein Begleiter der Fürſtin, mit einem feinen Seitenblick, der trotz der Aufregung verſtanden ward.

Wenn die Stunde nur nicht ſo kurz wäre, und der Boden nicht unter unſern Sohlen brennte! ſeufzte ſie.

Es hatte ſich noch Jemand in der Geſellſchaft eingefunden, entweder jetzt erſt, oder er befand ſich ſchon eine Weile unbemerkt im Zimmer, das einer gemeinſchaftlichen Schauloge ähnlich ſchien. Vom letzten Fenſter wandte ſich der Legationsrath von Wandel zu den Sprechenden um:

Wir dürften uns die klugen Leiter dieſes Tages zum Beiſpiel nehmen und wie ſie, die Ungeduldigen,103 unſre eigne Ungeduld zurechtweiſen. Wenn man auch ſchon einig wäre, würde man einen geheimen Traktat vor aller Augen abſchließen? Halb Berlin iſt hier verſammelt, die Ohren und Augen dringen bis durch die Mauern des Schloſſes. Außerdem kennen wir alle die Scheu Seiner Majeſtät vor der Publicität. Man hat gewiß dieſen Tag in Potsdam nicht ohne Abſicht gewählt, aber nicht auf dieſen Strom von Zuſchauern gerechnet. Mich dünkt es iſt ſehr klug, daß man nun den Tag verſtreichen läßt, um den Abend abzuwarten.

Wiſſen Sie etwas? Die Fürſtin trat mit ihm bei Seite.

Eigentlich nichts. Man unterminirt und weicht auf. Alexander ſucht ihm die Eventualität als gar nicht ſo gefährlich zu ſchildern. Es werde mit einer Entſcheidungsſchlacht abgethan ſein. Wenn die drei vereinigten Heere zuſammen agirten, müſſe man den ſchon geſchwächten zerdrücken, wie er den Mack bei Ulm.

Und er rechnet aus die Leichen und das Blut!

Dann meint Alexander, es werde vielleicht in dem Falle gar nicht zum Blutvergießen kommen; umzingelt, ohne Rettung, ohne Ausſicht, werde er ſich auf Gnade ergeben.

Charmant! Majeſtät unſer gnädigſter Kaiſer mahlen ihm auch vielleicht die Seligkeit der Gro߬ muth. Wie ſie den Beſiegten aufheben, ihn an ihre Bruſt drücken wollen, wie Karl den Wittekind, ihn104 ihrer Liebe verſichern und ihm ein beſcheidenes Kaiſer¬ thum zuweiſen. Nicht wahr, Majeſtät Napoleon werde, gerührt von ſo viel Großmuth, in Thränen ausbre¬ chen, daß er ſich in ſeinen wahren Freunden getäuſcht, mit ihnen in einem heiligen Bunde geloben, fortan nur für das Wohl der Menſchheit zu wirken. Und ſo weiter.

Vergeſſen Erlaucht nicht: der König iſt ein ge¬ rechter Mann und ein Mann von Takt. Durch Illu¬ ſionen läßt er ſich nicht beſtechen.

Beſtechlich iſt jeder. Man muß nur viel und das Rechte bieten.

Ihr Kaiſer ſchien vergeſſen zu haben, daß der König vor Napoleon Reſpect hat. Friedrich Wilhelm erinnerte ihn, daß er ein großer Feldherr ſei, dem Gott Siege verliehen, und nur Siege, auch jetzt ein gekrönter Fürſt, den er anerkannt, daß er Verträge mit ihm geſchloſſen, die ihm immer und auch dann noch heilig ſeien, wenn der andre ſie verletzt

Wirklich! Und

Da ſchien die Königin der Bock einen Wink gegeben zu haben. Sie trat mit einem der jüngſten Kinder herein.

Et cetera, rief die Fürſtin ungeduldig. Und nach dieſer[Kinderſcene] was kam da für eine neue?

Nachdem man wieder weich geworden, ſtellten Ihro Majeſtät ihrem Gemahl vor, ob nur Bonaparte von Gott mit Siegen gekrönt, ob nur er Kronen105 trage, ob man um ſeiner Feinde willen ſeine Freunde vergeſſen dürfe? Ob er einen beſſern Freund habe als Alexander? Ob irgend ein anderer Freund ſo gütig ſeine herben Launen würde hingenommen haben? Was er ſagen würde, wenn der Kaiſer aufgebracht, das Zimmer verlaſſen, ſich in den Wagen geworfen und aufgebrochen wäre? Und was die Welt dazu ſagen würde, wenn Alexander nach ſolchem Em¬ barras, ſcheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon wenigſtens das nicht ſo anſehn müſſe? Ob er mit Gewalt in deſſen Arme wolle geſtoßen ſein?

Der Legationsrath neigte ſich zum Ohr der Fürſtin: Ein moraliſcher Coup. Irgend eine At¬ trape um Mitternacht meint man. Worin ſie beſtehen wird, iſt noch Geheimniß.

Doch keine Geiſtererſcheinung! Die Fürſtin ſah ihn mißtrauiſch an. Die kämen im Jahre 1805 um zehn zu ſpät. Und woher wiſſen Sie es?

Der Legationsrath beugte ſich wieder ans Ohr der Fürſtin, als die Thür aufgeriſſen ward, und der Jäger hereinrief:

Excellenz, Miniſter Laforeſt!

Laforeſt! hallte es leiſe wieder von den Lippen; die Geſichter ſchienen zu erblaſſen wie vor einer Geiſter¬ erſcheinung. Aber Laforeſts Eintritt verſcheuchte den Eindruck. Ihm voraus ſprang ein großes ſchönes Windſpiel; er ſelbſt im eleganten hellen Negligé¬ überrock glich mehr einem Engländer als einem Fran¬106 zoſen; nonchalant und heiter, warf er leicht grüßend ſeine Blicke im Kreiſe umher, nachdem er vor der Fürſtin ſich verbindlich geneigt.

Herr von Laforeſt in Potsdam das iſt ja eine unerwartete Ueberraſchung! ſagte dieſe.

Sie meinen, weil Duroc abgereiſt iſt, müßte ich auch Päſſe erhalten. Durocs Miſſion war Krieg, meine Frieden. Der Krieg geht ab, der Friede bleibt. Gnädigſte Frau, das iſt der Vorzug eines ordent¬ lichen Geſandten, daß er ſich um außerordentliche Dinge nicht zu kümmern hat.

Herr von Laforeſt glaubt nicht, daß es zu außer¬ ordentlichen Dingen kommen wird? fragte ein ruſſi¬ ſcher Cavalier.

Iſt die Einigkeit hier nicht ſchon etwas außer¬ ordentliches, mein Herr! Nur in dieſem Zimmer allein, welche Phyſiognomien, welche Parteien ſehe ich vereinigt unter der Huld unſrer bezaubernden Wir¬ thin. Iſt nicht ganz Potsdam zum Blumenſtrauß geworden, ich meine nicht von Federbüſchen und Or¬ densbändern, ſondern von ſchönen Geſichtern. Mir iſt als wäre ich zum Schluß einer großen Komödie eingetreten.

Andre meinen, zum Anfang einer großen Tra¬ gödie, ſagte die Fürſtin.

Das kann ich nicht glauben, Prinzeſſin. Wirk¬ lich nicht! Würde Seine Majeſtät Ihr Kaiſer darum ſelbſt hergekommen ſein? Beginnt man einen Krieg mit rührenden Familienſcenen? Nein, nein! Ich107 leugne ja gar nicht, was zu Tage liegt, man war mit der Abſicht, eine Eventualität ins Auge zu faſſen, gekommen, aber bei reiferer Betrachtung der Dinge giebt man die mörderiſche Abſicht wieder auf.

Excellenz haben vermuthlich die Dinge ſehr nahe betrachtet?

Ich kam auf dem Umweg über Sansſouci. Das herbſtliche Laub giebt eine wunderliche Schatti¬ rung. Sie ſollten dahin ein Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu ſehen. Ich mache nun wirklich nicht Anſprüche ein Menſchen¬ kenner zu ſein. Aber ein A B C Schüler konnte auf ſeinem Geſicht leſen, daß ſeine Kriegsplane nicht durch¬ gegangen ſind. Ein Biedermann, ein ſcharfer Ver¬ ſtand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieſer Herr von Stein. Wirklich ſchade, daß er ein Ideologe iſt.

Wie unterſcheiden Sie Komödien von Tra¬ gödien? fragte etwas ſpitz die Fürſtin.

Das Characteriſtiſche einer Tragödie, ſagen wenigſtens die Aeſthetiker, ſei, daß die Helden zuletzt iſolirt daſtehen, im Gefängniß oder am Schaffot. In der Komödie gruppiren ſie ſich dagegen zum Schluß immer dichter aneinander. Alle heitern und luſtigen Figuren die ſich durch fünf Acte geſucht, finden ſich; die Fältchen und die Runzeln werden ausgeglättet, die Mißverſtändniſſe aufgeklärt. So kommt mir die ganze Weltgeſchichte in ihrer jetzigen Entwickelung wie ein großes Luſtſpiel vor. Früher iſolirt, finden ſich jetzt nicht mehr die einzelnen Perſonen, nein ganze Staaten,108 Völkerſchaften, zuſammen, die Congreſſe werden im¬ mer größer. Die Fürſten, die Staatsmänner lernen ſich kennen; früher kannten ſie nur ihre Schwächen, jetzt ihre Vorzüge; die Mißverſtändniſſe, in der Ferne groß, erſcheinen in der Nähe klein. So bahnt ſich eine Verſtändigung an in immer weitern Kreiſen, bis wir alle endlich eine große Völkerfamilie ſind, einig in Harmonie und Intereſſen.

Haben Sie gute Nachrichten von Ihrem Kai¬ ſer? Seine Majeſtät befinden ſich doch in erwünſchtem Wohlſein?

Er erwartet mit Sehnſucht den Ambaſſadeur aus Berlin. Sie müſſen wiſſen, Kaiſerin Joſephine bewundert Kaiſer Alexander in der Stille um ſeine Humanität, ſeine Ritterlichkeit. Sie möchte ihn gern von Angeſicht ſehen

Mein Kaiſer Alexander iſt zu galant, als daß er dem Wunſch einer reizenden Dame nicht gern ent¬ gegen käme.

Auf das Entgegenkommen kommt es ja nur an, in allen Dingen.

Das fehlte noch, daß uns Napoleon hier über¬ raſchte! rief unwillkürlich Major Eiſenhauch.

Der Geſandte ſchien es gehört zu haben: Aber nichts von Ueberraſchung in ſo ernſten Dingen. Ein neutraler Ort in der Mitte, der findet ſich ja leicht zum Fürſtencongreß. Drei, vier edle Monarchen, und noch edlere Menſchen, begleitet von ſchönen Fürſtinnen, holden Frauen, in deren Augen der Thau des Mit¬109 gefühls für Menſchenleiden perlt, und in ihren Hän¬ den ruhend das Schickſal des Continentes! Was giebt es Schöneres? Einen Dichter könnte es begei¬ ſtern zu einer Ode. Leider ſind Diplomaten keine Dichter. Tiras, Attention!

Wohin?

Laforeſt war aufgeſtanden, der Hund ſprang an ihn herauf: Wittgenſtein ließ mich dringend auf einen Augenblick bitten. Was wird es ſein! Eine neue chronique scandaleuse. Berlin iſt von Ihrem Kaiſer enchantirt. Weiß man noch gar nichts, wo ſein Auge haften blieb?

Wohin ſehen Excellenz?

Prächtig! Das ſind Söhne der Natur, Prinzeſſin! Beſonders der ältere mit dem röthlichen Bart.

Ach, die beiden Doniſchen Koſacken! Seine Be¬ gleiter.

Solche Urſprünglichkeit! Das erquickt das Auge. Wie zuſammen gewachſen mit ihren Pferden. Kein Blick der Neugier auf die Tauſende, welche ſie angaffen. Herr von Eiſenhauch ſeufzt gewiß über unſre Entartung. Ja, von den Söhnen der Steppe könnte wieder friſches Blut in unſer Geſchlecht kommen.

Der Kaiſer reitet jetzt wahrſcheinlich aus, ſagte der Kammerherr.

Wenn Kaiſer Napoleon uns mit ſeinem Be¬ ſuch erfreuen ſollte, ſprach der Major, wird er uns doch auch mit ſeinem treuen Ruſtan überraſchen.

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Hier braucht er keine Mamelucken, fiel Laforeſt raſch ein. Im Vaterlande der Humanität ſchützt ihn Ruhe und Ordnung. Er hat es oft geſagt, in Ber¬ lin würde er allein, ohne Waffen, ohne Begleitung in der Dämmerung durch die Winkelgaſſen reiten.

Ein ehrenvolles Atteſt für uns! bemerkte St. Real.

Gewiß! ſtimmten alle ein.

Wenn es ſeine irdiſche Krone verlöre, hätte Preußen auf die himmliſche Anſpruch, die den Fried¬ fertigen verheißen iſt.

Wir ſind Feinde, Herr von Eiſenhauch, wandte ſich Laforeſt zum Sprecher, während die Fürſtin zum Fenſter hinausſah. Feinde, aber in Einem kommen Sie doch mit mir überein?

Ich gebe nichts auf.

Auch nicht die Hoffnung, daß man hier noch Politik machen kann?

Der Jubel draußen galt dem Erſcheinen des ritterlichen Kaiſers. Zwei Schritt begleitete die Fürſtin den Geſandten; ſeine Miene ſchien ihr noch etwas mittheilen zu wollen.

Was ſoll's noch, Excellenz! Die Orlogfahne flattert.

Sie kann wieder abgenommen werden.

Jetzt nicht mehr.

Aber ſpäter.

Die Kluft iſt zu groß.

Ueber die tiefſte weiß die Diplomatie Brücken111 zu ſchlagen, wenn das Intereſſe es fordert. Wir ſind Feinde, in Einem kommen Sie aber doch mit mir überein?

Keine Allianz! rief ſie mit nervöſer Heftigkeit.

Mit den Ideologen oder Germanomanen. Ich bin kein Dichter, aber vielleicht ein Prophet. Ich ſehe die Brücke geſpannt, die Rußland und Frankreich einſt verbindet.

Was wollte Laforeſt eigentlich? fragte ein Ruſſe, nachdem der Kaiſer vorübergeritten, und die Geſellſchaft ſich wieder ſchweigend zuſammen fand.

Auf die Frechheit den Hohn ſetzen! rief Eiſen¬ hauch.

Belauſcht hat er wenigſtens nichts, was er nicht ſchon weiß, verſicherte Bovillard.

Der Legationsrath erwiederte: Vielleicht nur uns beſchäftigt, um unſre Aufmerkſamkeit von dem abzuziehen, was wir nicht wiſſen ſollen. Die erlauchte Frau ſteht in Gedanken verſunken?

Ueber dem aufgewühlten Chaos hinzutänzeln wie auf Blumenwieſen iſt die Kunſt dieſes Lebens, ſagte die Fürſtin Gargazin. Wer immer die Riſſe ſähe und die züngelnden Flammen! Ich liebe die Diplomaten, welche in jeder Situation die Dehors beobachten.

Frau Baronin Eitelbach! meldete der Jäger.

Unausſtehlich! ſchien aus den ſchwellenden Lippen der ſanften Frau geſchrieben; aber über die Lippen kamen nur die halb verhallenden Worte: Auch die112 jetzt! Und wir ſtehen auf Kohlen! wobei ein ſtra¬ fender Blick auf den Legationsrath fiel; der aber blieb bis auf ein leiſes Achſelzücken unbeweglich. Es war die Proteſtation der Unſchuld.

Sehr willkommen! ſagte die Fürſtin laut, und als die Gemeldete eintrat, war der Schauer des Un¬ muths von Lippen und Stirn verſchwunden, oder verſteckt in dem herzlichen Embraſſement.

Auch meine liebe Baronin! Ich weiß nicht, ob die Ueberraſchung größer iſt oder die Freude!

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Siebentes Kapitel. Das Geſpenſt von Sansſouci.

Theilten nur die mit Sternen und Bändern die fieberhafte Stimmung? Auch unter dem ſchlichten Bürgerrock ſchlugen warme Herzen, bang, ſehnſuchts¬ voll, der Entſcheidung entgegen. Nicht alle, vielleicht nicht viele unter den Vielen, aber alle fühlten, was es galt. Wenn nicht das Vaterland ſelbſt, doch ſeine gefährdete Ehre. Und es war eine mächtige Blut¬ ſtrömung damals, weil der Glaube ſie trug, daß ſie unerſchütterlich ſtehe am Firmament angefeſtet mit dem Geſtirn, das Friedrichs Ehre heißt.

Unter denen, die in den langen Korbwagen aus Berlin gekommen, wußte man gewiß ſo wenig von dem, was im Schloſſe vorging, als die in glänzenden Equipagen und mit blaſenden Poſtzügen herübergerollt, es wußten. Und doch, obgleich ihre Ohren nicht ſo fein geſpitzt, ihre Augen nicht ſo geſchärft waren, um aus dem Schütteln einer Handkrauſe Schlüſſe zu ziehen, was den Mann in dem Augenblick bewegte, der das Hemde trug, obgleich alle die feinern Ver¬III. 8114mittelungen, Organe und Bezüge ihnen abgingen, welche die Erwählten mit dem in Verbindung ſetzen, was ihnen als Herz gilt, doch wußten dieſe Maſſen weit mehr als jene. Ein Tropfen Blut färbt ein Glas mit Waſſer, ein Wort, eine hingeſtreute Nach¬ richt, durchfliegt, bewegt, entzündet die Maſſen. Jene üben die Kritik der Phantaſie, um ihre Denkkraft zu zerſplittern bis zur Nichtigkeit, dieſe laſſen ſich be¬ rauſchen von einem Wink, Blick, Schall, ohne ihn zu prüfen. Jene legen die Empfängniß auf einen Deſtilirkolben, der auch den Diamant in Rauch zer¬ ſetzt, bei dieſen fällt ſie in den Zauberkeſſel des Glaubens, und ſteigt und ſchwillt zu einem rieſigen Dunſtphantom in die Lüfte.

Warum konnte denn Kaiſer Alexander nach Berlin gekommen ſein, warum hatte man ihn nach Potsdam feierlich abgeholt? Warum hatten ſich die hohen Herrſchaften als Familie abgeſchloſſen? Warum war der Erzherzog Anton da, und die hohe Gene¬ ralität in Gala? Es muß eine ſyſtematiſche Depra¬ vation vorangegangen ſein, wenn das Volk bei außer¬ ordentlichen Akten an eine Komödie denken ſoll. Es war vieles in Preußen vorangegangen, was das Volk geſchmerzt, gekränkt, es hatte viele Männer haſſen gelernt, und hielt andere für fähig, es täuſchen und verrathen zu wollen, aber daß die höchſten Behörden, Miniſter und Generale, die Regierung in ihrer Ge¬ ſammtheit, daß der Hof, der König und der Kaiſer ein großes Schauſpiel vor ihm aufführe, hinter dem115 eine andre Wahrheit lauert, als die ſichtbare, das hielt damals das Preußiſche Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre ſeines Staates.

Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten iſt nicht allen Völkern gegeben. Die Luſtigkeit brach roh heraus. Wenn der Koſack die Peitſche wirbelte, jubelten ſie ihn an, ſein Hurrah erwiedernd: Los auf die Franzoſen! Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬ flaſchen. Die Flaſchen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach ſchallten unter einem Gelächter, daß man¬ chem die ſchönen Namen in der Geſellſchaft leid thun konnten.

Das mußte auch Einem ſo gehen, der ſich unter die dichteſten Haufen gemiſcht; er wollte die Volks¬ ſtimme hören. Aber Walter van Aſten fand nirgend die Volksſtimme, die er ſuchte. Ihm ſchien die Freude empörend, mit der man dem Koſacken die Hände ſchüttelte, ſeine Stiefel, Sporen betaſtete, den Schweif ſeines Roſſes ſtreichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬ aufgedunſenem Geſicht, mahlte er den Zuſchauern, wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür ſchallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.

Wo waren denn die Patrioten, die Walter ſuchte? Er mußte in einer böſen Stimmung ſein; wo er ging, wohin ſein Auge fiel, ſah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödſinnige Hoffnungen, in den8*116andern verbiſſene Wuth, militairiſchen Uebermuth oder Kammerherrngeſichter.

Auch er hatte auf ein Schauſpiel gehofft, aber keine Komödie, auf eines, das aufgehn werde, wie die Blume aus der Knoſpe, wie die Sonne am Frühlingsmorgen, auf einen Auferſtehungstag des Preußiſchen Volkes. Wenn die Trommel wirbelte, eine Reiterſchaar durch die Straßen ſprengte, aller Augen nach dem Schloſſe ſich wandten, wenn dann die Fenſter aufriſſen, der König an die Brüſtung träte, an der Hand die ſchöne Königin, zur Seite der ritterliche Freund. Wenn er an die Bruſt faßte, die Hand zum Schwur gen Himmel hob: Gott ſei mein Zeuge, ich kann nicht anders. Was ich gethan, er weiß es, um die blutige Entſcheidung zu ſparen. Er wollte ſie mir nicht ſparen. Mein Volk, es iſt kein Krieg um eitlen Vortheil, es gilt die Erhaltung deiner ſelbſt, unſrer theuer errungenen Selbſtſtändig¬ keit, es gilt Preußens mit Füßen getretene Ehre, es gilt den Augenblick, den nichts zurückkauft. Mein Volk, es gilt unſer Daſein. Dies Wort iſt Krieg und mein Volk wird zu mir ſtehen! Und das Volk wäre mit einer Stimme, mit einem Laut in des Königs Worte eingefallen. Dann hätten Thrä¬ nen perlen mögen im feſteſten Auge, dann jeder an die Bruſt des Andern fallen, dann die Arme ſich zum Schwur erheben, ein Laut in die Wolken, nicht Jubel, Freude, Muſik, ein Laut der Einigkeit zwiſchen Fürſt und Volk.

117

Die Trommel wirbelte oft, es blieben Präludien. Cavallerieſchaaren preſchten flimmernd und klirrend durch die Straßen, es war der Wind, der im Aehren¬ felde rauſcht. Nur eine Melodie ſummte alle Vier¬ telſtunde ihm in die Ohren, das Glockenſpiel auf dem Thurme:

Ueb 'immer Treu und Redlichkeit
Bis an dein ſtilles Grab,
Und weiche keinen Finger breit
Von Gottes Wegen ab.

Er folgte den welken Blättern, die der Wind vor ſeinen Füßen trieb; ihm gleich wohin. Er folgte ihnen aus der Stadt, hinaus aufs Feld, auf die Höhen. Ehe er es ſelbſt wußte, ſtand er auf dem Ruinenberge, der das unter ihm liegende Sansſouci und die noch tiefere Stadt beherrſcht. Die Laune des großen Königs baute Trümmerwände eines rö¬ miſchen Circus hierher, die Arena ſollte das Waſſer¬ reſervoir werden, aus dem die Fontainen in Sans¬ ſouci und der Stadt geſpeiſt würden. Das Werk mißlang, und der König gab es auf. Er war müde geworden des Kampfes mit den Menſchen und der Natur. Die künſtliche Ruine, von Unkraut über¬ wuchert, von aufſchießenden Kieferbäumen umſtanden, war ſelbſt wieder zur natürlichen geworden. Die eiſernen Röhren, zerſchlagen, waren als Prallpfeiler an den Straßen benutzt.

Walter lehnte ſich an eine Arcade. Grau lag Gegend und Stadt vor ſeinen Füßen; von den ge¬118 putzten Menſchen drang kein bunter Flimmer über die Dächer, vom Geräuſch kein Ton herauf. Er war einſam, nur die Krähen ſchwirrten um die Kiefern. Kalt die Luft, grau der Himmel, grau war es in ihm.

Es war grau nicht ſeit heute erſt. Mit ge¬ ſchloſſenen Augen verfolgte er ein Schauſpiel; die Träume ſeiner Jugend gingen an ihm vorüber. Der Ehrgeiz, der ſchon in des Knaben Bruſt geſpielt, wie oft hatte er ſie geſchwellt, wonach hatte er nicht die Hand geſtreckt! Was war jetzt ſein? Wie vieles davon hatte er, mit männlichem Entſchluß, es nie wieder anzuſehen, ſelbſt in die Rumpelkammer ver¬ ſchloſſen. Die Dichterlerche wollte wirbelnd in die Lüfte ſteigen; hatte er nicht geträumt von Lorbeer¬ kränzen und ſeinen Namen an die Säulen geſchrieben geſehen, wo die glänzendſten ſtehen! Eine Schamröthe flog über ſeine Wangen. Dann und dann, es waren Schaumwellen, und er lächelte. Aber er lächelte nicht mehr bei einem andern Gedanken, ſeine Hand preßte ſich krampfhaft an die Bruſt: Und auch das könnte ein Traum geweſen ſein? Liebt ſie dich denn? Er wollte die Frage, die wie Hammerſchläge auf ſein Herz pochte, fortdrängen, was gehörte ſie hierher! Er glaubte ſie heut wenigſtens überwältigt zu haben; andre Ge¬ danken hatten ihn hergetrieben. Aber wie neckiſches Echo rief ſie wieder aus jedem Winkel.

Endlich ſchwieg das Echo, aber er ſann einer andern Frage nach, und ſeine Bruſt hob ſich wieder: War das ſträflicher Ehrgeiz, Jugenddünkel? Iſt es119 nur den Adlern erlaubt aus der Wolkenhöhe auf die Erde zu ſchauen? Dringt des Menſchen Geiſt nicht tiefer in die geſchaffenen Dinge, fliegt er nicht höher als der Vogel? Was tiefer, höher! War das Ehr¬ geiz, daß er ein tiefes Uebel des Gemeinweſens er¬ kannt, daß der Drang ihn übermannt, es vor der Welt hinzuſtellen und zu rufen: Helft, und ſo könnt ihr helfen! Wie ernſt geprüft, ſtudirt hatte er, dann nach vollſter Ueberzeugung ſeine Gedanken ausge¬ ſprochen: ſo klar, deutlich; es mußte ja jedem, der die Augen nicht verſchließen will, einleuchten. Und wo er anklopfte, verſchloſſene Thüren; wo er ſprach, lächelte man. Hatte ihn Jemand widerlegt? Man hatte von ſchönen Gedanken geſprochen, aber wie die Welt ſei, blieben es ja doch nur Chimären. Sie hätten die ganze Welt für eine Chimäre erklärt, wenn der Schöpfer, ehe er das Werde ſprach, die klugen Leute befragt hätte!

Und ſeine Schrift! War ihm nicht das Seltſame begegnet, daß der Verleger, Herr Mittler auf der Stechbahn, ſchon nach einigen Tagen, als er ſich einige Exemplare zurückholen wollte, ihm lächelnd erklärt, daß ſie ſämmtlich vergriffen wären? Ver¬ kauft? Alle bis auf das letzte, und Niemand in der ganzen Stadt ſprach davon! Weil es wenige po¬ litiſche Schriften jener Zeit gab, erregten ſonſt auch die unbedeutendern Aufſehen, und von ſeiner wußte Niemand, Niemand fragte ihn danach, keine Zeitung hatte ſie erwähnt!

120

Sein Auge ſtreifte nach den Krähen hinauf. Dachte er an die Mährchen von den Raben, welche geſtohlene Pretioſen in ihre Neſter tragen? Da blinkte es allerdings golden in dem Krähenneſte zu ſeinen Häupten, aber es war ein Nachmittagſtrahl, der das rauhe Geflecht anröthete. Die Wolken waren ge¬ brochen, und die Sonne goß mit geſparter Kraft ihren Goldſchein auf einen Theil der Gegend. Sansſouci mit ſeinen Metallkuppeln fing den vollſten Strahl auf. Die Schnörkelſpitzen der Dächer glühten, es mußte warm werden auf der Terraſſe, warm wie ein ſpäter Herbſttag es zuläßt, und Waltern fröſtelte auf der windigen Höhe.

Die Thore waren geöffnet und unbewacht. Die Wege waren mit welkem Laub überſtreut. Das Kniſtern ſeiner Schritte rief kein lebendes Weſen her¬ bei; wen ſeine Beine trugen, war nach der Stadt gewandert. Ja, es war laue Luft auf der Terraſſe und Walter müde. Er ſetzte ſich auf einen der Steine, unter denen Friedrichs Hunde ruhen. Es ſtand ein verwitterter Name darauf. Ob unter allen, die jetzt lebten, einer das Thier gekannt, das ihn trug! Und doch hat ſein Name Anwartſchaft auf Unſterb¬ lichkeit!

Die Orangerie war längſt in die Glashäuſer geſchafft, es ſah leer, wüſt und zerſtört aus. Nur einige von den Rieſenkürbis, die man nicht der Mühe werth hielt fortzutragen, faulten am Boden. Die hohen, bis zur Erde reichenden Glasfenſter des121 Palaſtes waren golden von der Sonne angeglüht. Der Reflex des Lichtes blendete ihn, und doch ſah er immer wieder hin: als wären es ſeine großen Augen!

Wenn dieſe Augen herab ſähen, wenn ſein Geiſt jetzt in den öden Sälen wandelte! Wenn das zur Strafe an der Schwelle der Ewigkeit dem Größten ſeines Jahrhunderts dictirt wäre, zurückzukehren als Schemen und zu ſehen, hören, einzuſchlürfen den Schmerz, wie Staub und Wetter, Moos und Roſt ſeine Schöpfung umzogen! Noch nicht zwanzig Jahre vergangen, und wo war ſeine Herrlichkeit!

Klopfte es nicht an die Fenſter, war es nicht ſein Finger, der voll Unmuth dagegen hämmerte? Ach die körperloſen Weſen haben nicht die Macht, ſie ſind nur der Schwamm, der die Feuchtigkeit der Luft einſaugt, die Aeolsharfe, die vom Winde be¬ wegt wird, die Seele, die den Weltſchmerz empfangen muß; aber keine Thräne, kein Wehruf, nicht das Blinken der Augenwimpern iſt ihnen vergönnt, ihren eignen Schmerz den Lebendigen kund zu geben!

Walter war ein Romantiker geweſen, an Geiſter glauben, war damals ſein errungenes Recht. Aber an Friedrichs Geiſt glaubten die Romantiker nicht. Das Licht des achtzehnten Jahrhunderts war ein anderes, ein künſtliches, ſelbſt verfertigtes von einem nüchternen Geſchlechte, blaſſe Strahlen werfend wie Mond und Nordlicht, keine Wärme verbreitend. So hatten ſie gelehrt, ſo hatte er geglaubt. An einem122 anderen Lichte müſſe der Geiſt entzündet werden, an einem andern Feuer das Blut erwarmen. Nicht durch die Vernunft, numine afflatur der Geiſt. So ſteigt er in die Höhen der Seligkeit, wo das Auge trinkt aus einem Silbermeer der Wahrheit und Gnade, bis es trunken wird von Klarheit und Wonne. So hatten ſie gelehrt, und er hatte geglaubt. Dazwiſchen lagen freilich Jahre, und andre Gedanken hatten wie der Wieder¬ ſchein eines Weltbrandes in ſeiner Seele gezückt. Was er noch lehrte, glaubte er nicht mehr, und was er glaubte, lehrte er nicht mehr. Iſt denn nicht alles Licht aus einem Quell, der Funke, den der Titane ſtahl aus dem verſchloſſenen Schatz der Ewi¬ gen, und keine Fluthen, die der Himmel herabgießt, löſchen es mehr! Dort mattes, froſtiges Licht, es wärmt nicht; hier züngelnder Flammenſchein, er ſengt, ver¬ wirrt dich, ſein Feuerhauch verzehrt dich vielleicht. Was iſt beſſer? Seitdem war er aus der Schule ins Leben übergegangen. Er hatte aus der Pflanze, aus dem Stein ihr Licht gezogen; er ſuchte wieder nach einem, aus dem alle Lichter kommen und das Leuchten in allen Zeiten.

Aber das Licht, das aus Friedrich leuchtete, war ihm ein kalter Schein geblieben. Man ſagt, wer ein Romantiker geweſen, wer einmal aus dem Zauber¬ quell getrunken, und aus der Erde die geheimnißvolle Wurzel riß, der höre immer ſummen und klingen die Zauberweiſen, die ewigen Klagen und das ewige Hohngelächter der Natur, die nach Erlöſung ächzt;123 es ſei der Venusberg, der ſich immer wieder aufthut dem, der aus ihm entronnen: ſagen die Verſtän¬ digen. Aber ich liebe die Schatten der Wälder, wenn mir zu heiß ward zwiſchen den Gluthöfen und ihren dampfenden Schornſteinen, unter dem Strahl der Saaten-reifenden Mittagsſonne. Dann ſtrecke ich mich auf das ſchwellende Grün unter ihren Rieſen¬ äſten, und lauſche dem Vogelgeſang, dem Rieſeln der Quelle, die an ihren Wurzeln ſpielt. Die Vögel und die Quellen ſingen: Und wurden dieſe Bäume denn geboren, als es Nacht war, weckte nicht auch ſie der lebenzeugende Strahl aus dem Schooß der Erde, ſtrebten ſie nicht zum Licht und breiteten ihre Wipfel nach dem Sonnenreich! Wehe dem armen ausgebrannten Menſchengeſchlechte, wenn es auch gar nichts mehr hört von dem Rauſchen der Zauber¬ wälder.

So dachte vielleicht der ehemalige Romantiker Walter van Aſten. Und Friedrichs Erſcheinung war ihm wie die eines übelwollenden Gnomen, in eine Welt geſetzt, zu der er nicht paßte. Da ſaß er auf der Brunnenröhre das Bild kam ihm wohl von dem bekannten, der König nach dem Tage von Collin den Dreimaſter verſchoben auf den ſchlecht gepuderten Locken und zeichnete mit dem Stocke Fi¬ guren. Der Tabak lag dick auf ſeiner Schooßweſte, die Augen wühlten glanzlos im Sande; er hatte keine für die liebende Theilnahme ſeiner Genoſſen, die ängſtlichen Blickes um ihn ſtanden. Und wenn dieſer124 Friedrich eine Welt in ſich trug, ſo war es vielleicht eine aus einem andern Jahrhundert, aus andern Zonen über dem Ocean. Er war verfrüht und iſo¬ lirt auf dieſer Scholle. Die Freunde der Jugend, wenn er deren gehabt, hatten die Wellen der Jahre fortgeſpült; er ſaß, ein eigenſinniger Greis, der nur auf ſich hörte, mißtrauiſch gegen Alle, ein Einſiedler in der neuen Welt, die nicht mehr ſeine war. Seine großen Augen ſahen nicht den Wechſel der Geſchlech¬ ter, nicht neue Jugend um ſich, und andere Ideen, die mächtig ſich empor rangen aus dem Deutſchen Volke.

Was ſähe denn jetzt dies große Auge? rief er unwillkürlich laut. Aber als er ſeines aufſchlug, ſah er eine Erſcheinung. Unfern von ihm auf einem andern Steine ſaß Friedrich. Uebergebückt, die Locken überſchattet von der ſchiefen Spitze des alten Hutes, zeichnete er mit dem Stock im Sande. Die Er¬ ſcheinung verſchwand nicht, als Walter die vom Son¬ nenlicht geblendeten Augen rieb; es waren aber nicht Friedrichs Augen, als die Erſcheinung den Kopf wandte und ihn fragend anſah.

Des großen Königs Auge, meinen Sie? ſagte der alte Mann, und ein Seufzer machte ſich Luft. Er war ein Militäir aus Friedrichs Zeit, und Wal¬ ter wegen ſeiner Täuſchung zu entſchuldigen, wenn nicht ſchon der Abendſonnenflimmer und die Träume¬ reien es übernommen. Der Typus eines bedeutenden Mannes drückt ſich unwillkürlich ſeinen Dienern und Bewunderern auf.

125

Es giebt Momente, wo zwei Unbekannte ſich ihre Gedanken ableſen, ehe ſie ein Wort gewechſelt. Der Blick und die Phyſiognomie allein thun es nicht; es iſt der Ort, die Stunde, das Licht, die Luftſchwere oder deren Leichtigkeit. Sie können Jahre lang ſich begegnen, Worte tauſchen, und bleiben ſich doch fremd, es iſt der Zauber des Augenblicks, welcher die Seelen aufſchließt.

Der Weg zum Geſpräch war kurz, wo beide ſich entgegen kamen.

Was war denn ſein Vaterland, rief der Major, mit dem Stock in die Erde bohrend, als er die Fran¬ zoſen lieben lernte, was ſie ihm jetzt zum Verbre¬ chen machen! Ich alter Mann leſe nicht viel neue Bücher, doch aber einige, und ich leſe es mit Schmerz, wie die Jugend den Einzigen richten will. Wie war es denn damals? Sehn Sie um ſich, ſo weit das Deutſche Reich ging, wie mußte er ſie zu ſich heran ſchleppen! Sie liefen ihm dann nach, nur weil er's commandirte. Nun, war's da zu verwun¬ dern, daß er keinen Reſpect bekam vor den Leuten, die nur auf Commando einen geraden Rücken zeigten, die auf Commando ins Licht blickten, daß er auf die nicht hörte, die ihn nicht verſtanden, und wie er alt und grämlich ward, auf Niemand mehr.

Walter wies auf die Glasthür in der Mitte: Dort ſaß der König dieſes Landes mit dem herge¬ laufenen Witz aus allen Ländern, und beim ſchäu¬ menden Glaſe ſprühte von ihren Lippen der Spott126 über die, welche im Könige ihren natürlichen Anwalt haben ſollten.

Haben Sie, mein junger Herr, den König da im Saale ſitzen geſehen?

Nein, entgegnete mit etwas verlegener Stimme Walter. Ich war zu jung, und als ich ihn einmal ſah

Ich habe ihn geſehn, fiel der alte Officier ein und ſchwieg einen Augenblick; dann fixirte er den andern. Sie ſind kein Junker? Wahrſcheinlich ein Gelehrter?

Wenn die Menſchen durchaus in Stände ge¬ theilt werden müſſen, würde man mich dazu rechnen.

Verlangen Sie, daß ein Friedrich ſich ſeine Tiſchgeſellſchaft aus denen holen ſollte, die zum Woll¬ markt kommen? Lieber Gott, mich dünkt, er hatte genug gethan, wenn er ihnen alle Stellen ließ in der Armee, und im Civil ja auch. Nun, an ſeinem Tiſch laſſen Sie ihm doch ſeine Franzoſen und Eng¬ länder und Italiener. Die witzigen Seifenblaſen beim Champagnerglaſe wurden ja ſchon runter ge¬ ſpült bei der Taſſe ſchwarzen Kaffee.

Aber nachdem er den Kaffee getrunken! Er hatte ja ſein Volk gebildet! Sie ſagten eben, er hatte ſie herangeſchleppt. Seine Junker laſen ja ſchon die Pucelle, ihm zum Vergnügen, und wußten kaum, daß eine Jeanne d'Arc gelebt. Homer und Leibnitz waren ihnen unbekannte Größen, aber ſie lachten aus Herzensluſt über den Candide!

127

Nachgethan hat es ihm Mancher. Aber wie! Daß Gott erbarm! Sollte er die als ſeinesglei¬ chen in die Arme ſchließen! Als er aus dem Nichts heraus arbeitete, bei ſeinem Schöpfungswerke, wer hat ihm da von allen ſeinen Landeskindern ge¬ holfen!

Und was davon iſt denn noch! ſagte Walter und ſenkte den Kopf.

Es muß doch ſchon noch etwas ſein, entgegnete mit ſarkaſtiſchem Tone der alte Militair. Denn um der Hunde willen, die unter uns liegen, ſind Sie doch nicht hier? Auch kommen darum nicht die vielen Tauſende Fremder, die des Jahres die Terraſſe be¬ ſehen wollen. Drinnen, da hinter den Glasfenſtern, iſts leer, der Staub wirbelt im Sonnenſchein und die Motten niſten in den Polſtern. Warum läßt man ſie darin? Warum iſt denn noch Niemand in dies Haus gezogen, nachdem er es verlaſſen? 's iſt ja ſo luftig und hübſch. So meinen ſie doch wohl, daß drinnen noch etwas iſt, davor ſie Reſpect haben, und gehn ihm fein aus dem Wege.

Vielleicht die Furcht vor dem Geſpenſt mit dem Krückenſtock, warf Walter hin.

Kann wohl ſein, nickte der Major und wies nach Potsdam hinunter. Warum kämen ſie ſonſt aus Petersburg und Paris her, und legten ihr Ohr an die Thüren? Selbſt der mächtige Kaiſer! Warum ſtänden die geſattelten Courierpferde in den Ställen, um das Ja oder Nein nach Wien und London zu128 tragen? Um uns doch nicht! Sein Geiſt iſts allein, mein junger Herr Gelehrter, der noch da ſitzt; auf den horchen ſie, vor dem ſchüttelt es ſie, die Großen und Mächtigen, daß er plötzlich aufſtehen könnte, und ſich ſchütteln im Zorn.

Es war eine Pauſe eingetreten. Ihre Gedan¬ ken, abwärts ſchweifend, fanden ſich wieder.

's iſt doch was Großes um einen großen Mann! ſagte der alte Militair. Was er hinterließ, es läßt ſich mit keinem Schwamm auslöſchen. Was haben ſie gebürſtet und geſcheuert, die Herren da mit den Jeſuitengeſichtern! Säuberlich, daß man's nicht merken ſollte, aber der Klumpfuß kam doch vor, und das Volk hat ihn geſehen. Wie haben ſie ſeine oeuvres posthumes traktirt, daß es eine Schande iſt! Und hier in Sansſouci, jetzt ſchonen ſie die Scheuer¬ magd, aber damals, als noch der Staub ſeiner Füße dalag, das Buch, darin er geleſen, das letzte Papier, auf dem ſeine Hand geruht da hätten ſeine Ge¬ nerale und Miniſter auf Sammetſchuhen eintreten müſſen, mit verhaltenem Athem und zu Protocoll nehmen und Siegel anlegen, daß alles bleibe, wie es gelegen, ein Heiligtum zum ewigen Gedächtniß ſeines Volkes aber die Beſen haben ja gewirth¬ ſchaftet, als könnte der Erbe im Todtenhaus es nicht abwarten bis er Hochzeit macht. Und das ſollte noch nicht das ſchlimmſte ſein, großer Gott!

Was iſt denn ſchlimmer?

Daß eine junge Generation aufkam, die ihm129 vorwirft, daß er nicht Deutſch gedacht haben ſoll! Kann man denn zerſtören, was nicht mehr iſt!

Mich dünkt der große Mann theilte nur das Loos aller Strebenden, ſagte Walter nach einer Pauſe. Mit Rieſenplanen tritt der Jüngling ins Leben, ſeine Hoffnungen ſegeln mit dem Morgenroth, die Welt dünkt ihm in ſeiner Hand ein Bild von Wachs. So ſchüttelt er die Glieder am friſchen Morgen; dann kommt die Mittagshitze und er ruht aus. In der Abendkühle hofft er wieder anzufangen, aber er irrt, die erſchöpfte Natur will ihr Recht, der Schlaf ſenkt ſich auf ſeine Glieder und auch das weiche Wachs iſt hart geworden; es ſchneidet ſeine wunden Finger. Da wirft er's am Ende fort und ſie lachen ihn wohl noch aus, den thörichten Bildner. Und was bleibt ihm! Er hüllt ſich in den Mantel der Reſignation, und ſpricht, wenn der letzte Gruß der Abendſonne ihn ruft, Salomonis Wort!

Der, mein Herr, rief der alte Soldat, und wies auf die Pallaſtthür, der brauchte ſich nicht in Ihren Mantel zu hüllen. Ja, einen Mantel ſchlan¬ gen ſie ihm um, daß ihn die Kälte von draußen nicht berührte. In ihm war's warm; ſeine Werke wärmten ihn, wenn er auf die ſah. Dreizehn Bataillen! Nun ja, ſeitdem ſind größere geſchlagen worden. Es giebt auch größere Dichter, Philoſophen. Andre haben das Volk mehr cajolirt. Das hat er nicht verſtanden, auch nicht große Worte machen; er wollte es auch nicht. Dachte vielleicht, was ich gethan, iſt dennIII. 9130das nicht mehr! Herr, was wir ſind und haben, iſt ſein Werk, unſer Name, unſre Straßen, unſre Häfen, unſre Ordnung, unſer Reſpect. Sein Auge leuchtete als Stern den Unterdrückten. Sein Wort, das er donnerte, als der Müller Arnold klagte, dröhnte durch Europa, und es wird durch die Welt hallen ſo lange ſie ſteht. Sein Wort, daß jeder in ſeinem Staate ſelig werden ſolle, wie er will, Gott Vater im Him¬ mel, kann denn das je vergeſſen werden!

Walte der! ſetzte er nach einer Weile hinzu, indem er den Hut von der Stirn nahm, es war wohl um zu verbergen, daß er die Hände im Schooß fal¬ tete. Walte der da oben, daß jetzt ſein Geiſt da unten mitſpricht!

Amen! rief bewegt der jüngere Mann.

Der Officier bemerkte es, wie er heftig dabei die Arme verſchränkte, und finſter in ſich ſchaute. Er warf ihm einen erſten freundlichen Blick zu:

Sein Werk iſt doch wohl noch nicht untergegan¬ gen, denn ſein Volk lebt noch!

Und er zögerte nicht Ja zu ſagen, fiel Walter ein, wenn eine halbe Welt ihn zu beſchwören kommt.

Nein, ſagte der Alte jetzt aufſtehend, aber der große König hätte ſich nicht beſchwören laſſen, er wäre der halben Welt zuvorgekommen, und hätte den Degen gezogen, und ſie beſchworen, daß ſie ihm folgen mußte. Das iſts, da liegt der Unterſchied. Wo wir drauf¬ losgingen, ſiegten wir; wo wir's an uns kommen ließen, zogen wir den Kürzern.

131

Sie wurden hier unterbrochen. Eine Geſtalt am andern Ende der Terraſſe war ſchon eine Weile ſicht¬ bar oder hörbar, nur ſahen und hörten die beiden im Eifer ihres Geſprächs ſie nicht, und der ältliche, ſehr wohlbeleibte Mann, der ihnen mit einem weißen Tuche ängſtlich winkte, vermochte wegen ſeiner Körper¬ ſchwere nicht ſo ſchnell heranzukommen. Jetzt aber war er da, und wer er war und was er wollte, er¬ litt keinen Zweifel.

9*
[132]

Achtes Kapitel. Zwei ſubalterne Perſonen drohen den Gang der Geſchichte zu ändern.

Kurz, es iſt nicht erlaubt, hier auf den Steinen zu ſitzen.

So ſchloß der wohlbeleibte Mann mit wich¬ tiger Miene eine Strafrede, die ſeinen Athem er¬ ſchöpft und ſein Geſicht gefärbt hatte. Trotzdem ſchien ſie auf die Beiden keinen Eindruck gemacht zu haben, denn ſie ſahen ſich lächelnd an, als der Beamte mit dem weißen, feinen Taſchentuch den Staub, oder ihre Berührung von den Steinen klopfte.

Ein Beamter war er, dafür ſprach jeder Zoll an dem Mann; nur welche Charge er bekleidete, iſt uns nicht aufbewahrt. Ein Beamter nicht in Uniform, aber in Galaſtaat; einem feinen Rock, der gewiß einſt geſchmackvoll um den Leib ſchloß, nur hatte der Körper dem Fortſchritt gehuldigt, wäh¬ rend das Tuch conſervativ geblieben war. Weiß waren die ſeidenen Stümpfe, weiß die Weſte, und das Jabot ſtritt mit dem Zopf und der Friſur um133 die Wette, was glänzender ſei; farbig war nur der Rock, roth nur das Geſicht.

Sein Blick, als er ſich umwandte, ſchien zu ſprechen: Und Sie ſind doch noch hier?

Walter ſtand im Schatten, auf das Geſicht des alten Major glühte der rothe Abendſtrahl. Es lag wieder Friede darüber ausgebreitet, als er lächelnd ſprach:

Vor zwanzig Jahren, als ich auf dieſe Terraſſe kam, führte mich der Wachthabende ſelbſt zum großen König. Ich ſah ihn ſterben. Nun weiſt man einen alten Soldaten fort, weil er kam, nur um ſeinen Geiſt zu ſehen. Freilich, es kann gefährlich werden, Friedrichs Geiſt zu ſehen!

Leicht den Hut gegen den jungen Mann lüftend, hatte ſich der Invalide umgewandt und war die Treppe hinabgeſtiegen.

Aber was fällt Ihnen denn ein, Herr Pathe Nähtebuſch, ſagte Walter plötzlich. Einem alten Soldaten ſeinen Ruheplatz nicht zu gönnen!

Als der Beamte, die Hand vorm Geſicht, um die Sonnenſtrahlen abzuhalten, den jungen Mann erkannt hatte, machte er eine lebhafte Bewegung. Aber war ich denn blind! Faſt ſchien es, als wollte er ihn umarmen.

Herr Jemine, und das war Ihr Bekannter! rief der Ober-Kaſtellan, um ihm doch einen Titel zu geben.

Herr Nähtebuſch winkte und rief umſonſt; der134 Major hörte nicht, oder wollte nicht mehr hören, und es wäre zu viel vom Ober-Kaſtellan verlangt ge¬ weſen, ihm nachzulaufen. Er hatte eine Conſtitution, die das nicht ertrug, und er kam aus der Stadt!

Was das ſagen wollte, werden wir hören. Nicht der Aerger hatte ſein Geſicht geröthet; es war die Freude, vielleicht auch der Wein.

Herr Nähtebuſch hielt auf Connexionen. Sollte die Fama, die ihm nachſagte, daß er ihnen ſeinen Poſten verdankte, jetzt von ihm ſagen, daß er einen Bekannten vom Sohne des reichen van Aſten fortgewieſen wie einen Vagabunden! Einigermaßen beruhigte es ihn, als er erfuhr, daß Walter den alten Officier hier zum erſten Mal geſehen, es beruhigte ihn aber wie der nicht, daß Walter ihn nicht kannte, nicht einmal ſeinen Namen wußte, daß er aber vermuthete, er ſei ein ausgezeichneter Officier geweſen. Aber wieder beruhigte es ihn, daß er penſionirt ſei. Ein Penſionirter hat ſelten noch viel Connexionen!

Herr Nähtebuſch trocknete jetzt den Schweiß von ſeiner Stirn und athmete auf: Lieber Herr Pathe, ſprach er, laſſen Sie ſich das eine Warnung ſein. Man muß ſich mit Niemanden in ein Geſpräch einlaſſen, den man nicht kennt. Man weiß nicht, in welche Verlegenheiten es uns nachher bringt, und junge Leute, erlauben Sie mir's zu ſagen, ſchließen gar zu gern ihr Herz auf.

Man ſah's dem Herrn Ober-Caſtellan an,135 daß er das Bedürfniß fühlte, auch ſeines aufzu¬ ſchließen; ja, er war in der Stadt geweſen, im Schloſſe, man hatte ihn an die Thüre gelaſſen, als die hohen Herrſchaften ſpeiſten. Nicht jeder hatte das Glück gehabt, ſagte er mit einer ſtill zu¬ friedenen Miene. Er hatte ſie eſſen geſehen. Nach Tiſche, als der König mit dem Kaiſer Arm in Arm umhergingen, und dieſer vor Huld und Güte gegen jeden ſtrahlte, hatte der König ihn, den Glücklichen, dem Erhabenen vorgeſtellt. Denn war es das nicht, als er ſagte: Und das iſt der Mann, der in Sansſouci zur Ordnung ſieht! Alexander hatte darauf etwas franzöſiſch erwiedert; was, hatte Herr Nähtebuſch nicht verſtanden, aber es war gewiß etwas ſehr Gnädiges; die Melodie der Worte ſummte ihm noch in den Ohren.

Aufmerkſamer hatte Walter dem Schluß der Mit¬ theilungen zugehört. Herr Nähtebuſch ſprach viel. Wem verdanken Geſandte oft ihre wichtigſten Nach¬ richten? Nicht Räthen und Miniſtern, dem feinen Ohr der Kammerdiener.

Sie glauben alſo, es iſt Alles regulirt und abgeſchloſſen?

Alles! entgegnete Herr Nähtebuſch, und um ſich vollſtändig zu erholen, nahm er eine lange Priſe. Bis aufs Kleinſte. Morgen in der Vor¬ mittagsſtunde fahren die hohen Herrſchaften nach Berlin zurück in einem Enſemble. Im Ritterſaal iſt große Tafel. Wiſſen Sie wohl, es wird vom136 goldenen Service geſpeiſt. Das kommt aber erſt nachher in die Zeitungen. Abends beſuchen Hochdie¬ ſelben im Nationaltheater die Vorſtellung der Oper Armida. Bei ihrem Eintritt in die Mittelloge werden Höchſtſie durch einen Tuſch von Trompeten und Pauken aus den Balconlogen begrüßt, und das ganze Publikum erhebt ſich mit einem Vivat, das nicht enden will. Daſſelbe wiederholt ſich beim Schluß der Oper. Folgenden Tages iſt große Wachtparade auf dem Luſtgarten. Alsdann beſehen Majeſtäten in zwei achtſpännigen Equipagen die Merkwürdigkeiten der Stadt. Mittags iſt Diner beim Prinzen Ferdinand in Bellevue. Eine Denk¬ münze auf die glorwürdige Zuſammenkunft iſt bereits unter dem Prägeſtock. Der Medailleur, Herr Loos, iſt der Verfertiger, und wenn ich übermorgen in die Stadt komme, hat er verſprochen, ſie mir zu zeigen. Aber das, lieber Pathe, bleibt unter uns.

Sie waren dabei auf der Terraſſe auf - und abgegangen.

Und nach dem Diner bei Prinz Ferdinand?

Reiſen Seine Majeſtät, Kaiſer Alexander, ab. Die Pferde ſind ſchon beſtellt.

Und weiter nichts?

Mit einem ungemein ſchlauen Lächeln klopfte Herr Nähtebuſch auf ſeine Doſe: Man ſpricht auch noch von einer kleinen Attrape.

Einer kleinen

Wie man's nehmen will! Wenn Majeſtät137 der Kaiſer auf nächſter Station, man ſagt in Vogels¬ dorf, eine Erfriſchung fordern, wird's im Kruge heißen: die Leute ſind alle auf dem Feld oder im Stalle. Der Kaiſer wird ſich dann in den Kuhſtall zu begeben ge¬ ruhen, um einen Trunk friſch gemolkener Milch anzunehmen. Und die Bäuerin, die eben melkt, wird ſehr überraſcht ſein von den vornehmen Gäſten, aber S. Majeſtät der Kaiſer werden noch weit mehr überraſcht ſein, wenn Sie der Bäuerin ins Geſicht ſehen, die ihm die Schale reicht. Na was ſagen Sie dazu, mein lieber Herr Pathe? Ich habe aber nichts geſagt, es ſind ja nur Conjecturen, ſagte Herr Nähtebuſch und rieb ſich die Hände.

Sie ſtanden am andern Ende der Terraſſe: Alſo auf eine Trianon-Scene läuft es aus, das iſt ja alles recht ſchön und gut, ſagte Walter.

Herr Nähtebuſch ſah den jungen Mann mit einem eindringlichen Blick an. Faſt war's ein durch¬ dringender, indem er ſeine Hand faßte, und wir hatten uns in ihm geirrt. Die Purpurröthe des Echauffements verbarg nur den Pſychologen:

Mein lieber Herr van Aſten, als Ihr Herr Vater mir die Ehre erzeigte, mich bei Ihnen zum Pathen einzuladen, ſagte ichs voraus, das iſt ein Junge, der wirds zu was bringen. Ich hatte vorgeſtern wieder das Vergnügen, mit Ihrem Herrn Vater zu ſpre¬ chen. Da müſſten Ihnen die Ohren geklungen haben.

Mein Vater, wiſſen Sie

Iſt ein charmanter Mann, ganz wie ſein138 Sohn, wollte auch immer ſeine eigenen Wege gehn; nahm was Andere wegwarfen, und warf weg was Andere griffen. Dem Einen glückts, dem Andern nicht. Ja, ja, mein lieber Herr van Aſten, wir würden alle warm ſitzen, wenn jeder auf ſeinem Platze bliebe. Verſtehn Sie mich, er ſoll nicht immer ſitzen bleiben, er ſoll auch weiter rutſchen, wenn neben ihm ein beſſerer frei wird. Das findet ſich, das kommt jedem, wenn er nur Augen und Ohren auf hat und in der Stille umher fühlt. Aber er muß nicht ungeduldig werden, nicht ſpringen wollen, nicht über die Dächer wegklettern. Merken ſie erſt, daß Einer ein unruhiger Kopf iſt, der kriegt gleich 'nen ſchwarzen Strich, und ſie paſſen ihm auf die Finger. Wir könnten's alle ſo gut haben; denn die großen Herrſchaften, glauben Sie's mir, meinen's mit uns ſo gut, wenn wir uns nur nicht mauſig machen wollen. Lieber Herr van Aſten, ich bitte Sie, was geht's uns denn an, ob ſie ſich da oben ſchlagen oder vertragen, und Allianzen ſchließen oder keine? Thun ſie's, gut; thun ſie's nicht, für uns iſt's auch gut. Es hat jeder in ſeinem Hauſe ja genug zu ſorgen. Kinder, laßt doch den Potentaten das Regieren und kümmert euch nicht darum. 's hat noch Keiner dabei Seide geſponnen. Der Bauer bleibt ein dummer Bauer, und wer ſein Bischen Grütze im Kopfe hat, der bringt ſein Schäfchen ins Trockne. Was geht's uns denn an, wenn die andern Schafe verſaufen!

139

Hatte der Herr Pathe ſeine Schrift geleſen?

Mein Vater muß ſehr freundliche Geſinnungen gegen mich verrathen haben.

Das hat er. Das iſt ein kluger Mann. Die Jugend muß ihre tollen Hörner ablaufen, hat er geſagt. Ich Dummkopf glaubte, daß man ſeinen Sohn zum Studieren auf die Univerſität ſchickt, hielt meinen deshalb kurz. Und der Junge war nur zu gehorſam, er püffelte , gab zu wenig aus, und nahm zu viel ein, nämlich fixe Ideen, ſagte der Herr Vater. Nun haben wir die Beſcheerung. Das tolle Feuer, was 'raus ſchwören ſollte, ſteckt noch drin, und's bricht an der unrechten Stelle los. Dem Jungen mache ich keine Vorwürfe, mir mache ich ſie.

Und der Herr Pathe legten gewiß ein freundlich Wort ein. Will man mich vielleicht noch ein Mal auf die Univerſität ſchicken, um das Verſäumte nachzuholen?

Erlauben Sie mir, ich ſagte ihm: das Leben iſt ja auch eine Univerſität. Er kann ja auch hier ſeine Hörner abſtoßen; je toller er drauf los geht, um ſo eher wird er ſtumpf. Wie iſt er da beim Miniſter angelaufen. Wird auch noch öfters an¬ laufen! Sind nicht alle Miniſter ſo human, daß ſie die Rappelköpfe nach Karlsbad ſchicken. 's iſt mancher eingeſperrt worden, der ſich die Zunge verbrannt hat. Schadet auch nichts. Der Sohn vom Geheimenrath Bovillard, wie oft hat der geſeſſen! Man kanns gar nicht zählen. Der Vater war ſo klug, hat ſich nicht um ihn gekümmert; nun iſt er140 von ſelbſt zu Kreuz gekrochen. Iſt kirr geworden, um den Finger zu wickeln; läßt ſich vom Vater parforce ſchicken, wohin es iſt. Und wenn er ſich müde geritten hat, dann giebt ihm der Vater 'ne kleine Stelle, ſucht ihm' ne Frau aus, die ein bischen Geld hat. Zuerſt in 'ner kleinen Stadt, wo er über den Akten ſchwitzen muß; iſt froh, wenn er nach Hauſe kommt,' ne Pfeife raucht bei 'nem Glaſe Bier, ein Partiechen; Kinder kommen denn auch, die ſchreien, ein Vater hat doch auch ein Herz. Ach Gott! darüber vergißt er alle krauſe Ideen; iſt froh, wenn's nur bei ihm zu Hauſe gut geht, und denkt nicht mehr daran, den Staat beſſer machen zu wollen. Und geben wir acht, mit dem Walter wirds auch ſo kommen.

Verdank ich das alles Ihnen, Herr Pathe? rief Walter mit wachſendem Erſtaunen.

Wir ſaßen ſo traulich bei Herrn Kämper zuſammen, wir ſechs oder ſieben, alles reſpectable Bürger.

Was! ein Collegium, um über meine Beſ¬ ſerung zu berathen!

Wo hat nicht jeder 'nen faulen Fleck im eigenen Hauſe! Wenn man ſo beim Bier ſitzt, ein Pfeifchen im Munde, ſpricht man ſich gegenſeitig Troſt zu. Der hat' nen Sohn, der ſpielt. Das iſt beinah am aller ſchlimmſten. Da waren wir Alle einig. Das thut mein Pathe nicht; alles, was Recht iſt. Er trinkt auch nicht, er läuft auch nicht141 den Mädchen nach. Na, Jugend hat keine Tugend, darüber ſind wir weggegangen. Aber das Theater, was hat das ehrbaren Familien ſchon für Kummer und Noth gebracht. Erſt alle Abend der Herr Sohn ins Parterre. Das koſtet Geld, die jungen Leute machen Schulden. Iſt aber viel ſchlimmer, wenn's kein Geld mehr koſtet, wenn ſie's umſonſt haben; dann haben ſie Connexionen hinter den Couliſſen, das ſind die ſchlimmſten und theuerſten Connexionen. Und die Truppe iſt einmal abgereiſt, und der Herr Sohn iſt verſchwunden. Ja, ja, das iſt manchen Eltern ſo gegangen. Den Kummer haben Sie Ihrem Herrn Vater nicht gemacht. Wiſſen Sie aber, Einige meinten, das wäre immer noch nicht ſo ſchlimm, als wenn ein Bürgerſohn ſich mit der Politik ab¬ giebt. Da kann man noch mal Director werden, wie der Herr Iffland; der war auch anſtän¬ diger Leute Kind. Auf dem großen Welttheater aber

Iſt für uns nichts zu holen, fiel Walter ein. Ihre ehrbaren Bürger haben Recht. Erfuhren Herr Pathe ſonſt noch etwas? ſprach er zum Abſchied die Hand reichend.

Mancherlei! Man wird Heirathsannoncen leſen, über die man ſich wundern ſoll. Mancher Herr Offi¬ cier läßt ſich in aller Schnelligkeit copuliren. Lieber Gott, wenns ins Feld geht, will man den Kindern doch einen Vaternamen hinterlaſſen; das Gewiſſen ſchlägt auch unterm blauen Rock. Seine Majeſtät ſind142 ſehr damit zufrieden. Ach, und wiſſen Sie ſchon vom Kriegsrath Alltag?

Was?

Wird Geheimer Treſorier des Königs, Titel Geheimrath. Da iſt auch nur eine Stimme: Der hats verdient! Mit ſeiner Demoiſelle Tochter wird er nun auch höher heraus wollen. Wer verdenkt es ihm?

Adieu, Herr Pathe!

Der Pathe hielt ſeine Hand feſt. Sein ſchlaues Lächeln ſchien noch ein Geheimniß zu verſtecken.

Heraus damit!

Ich ſehe einen verlornen Sohn

Wo?

Im Comptoir ſeines Vaters.

Und was brachte ihn dahin?

Der Kaſtellan hielt beide Hände wie ein Sprach¬ rohr an ſeines Pathen Ohr, daß es die Bäume nicht hören ſollten, und ſchrie hinein: Minchen Schlar¬ baum! Sechzig tauſend Thaler!

Ein Mann in mittleren Jahren war während dieſes Geſpräches in der Seitenallee auf und ab ge¬ gangen. Walter hatte ihn bemerkt, ohne auf ihn zu achten. Der Fremde, ſichtlich von einem Gedanken bewegt, hatte die beiden kaum geſehen. Als der Pathe nach jener, wie er meinte, ſehr feinen Inſinuation raſch fortgeeilt war, hatte ſich Walter in die Allee gewandt. Der Sonnenball verſank gerade hinter den Brauhausbergen. Walter faßte an ſeine Bruſt143 und aus der wunden Tiefe machte ſich das Wort Luft: Er war müde über Sklaven zu herrſchen!

Der Fremde war hinter einem Baum hervorge¬ treten. In ſeinem feſten, aber zuweilen ſtürmiſchen, Schritt hielt er, wie frappirt, inne. Auf Walters Geſicht ſchien der letzte volle Sonnenſchein, der Fremde ſtand beſchattet; ein feingeſchnittenes, charakteriſtiſches Geſicht war noch zu erkennen.

Ein Hieſiger? fragte der andre raſch.

Die Frage war ſeltſam, es mochte auch ein Be¬ amter ſein, der den ſpäten Beſucher auf einem nicht erlaubten Wege ertappt zu haben glaubte. Walter antwortete eben ſo kurz.

Aus der Hauptſtadt.

Ein Angeſtellter? warf der andre in derſel¬ ben Art hin.

Ein freier Mann, ſprach Walter jetzt mit feſter Stimme.

Der andre ſah ihn groß an. Walter glaubte die Worte murmeln zu hören: Das iſt ja wunder¬ bar. Mehr hörte er nicht, denn beide gingen an einander vorüber. Sie trafen ſich zufällig noch ein¬ mal. Der Fremde hatte den Weg verfehlt, indem er einen Ausgang, wo er nicht war, ſuchte. Walter wies ihn zurecht; es war auch ſein Weg. Der Fremde ſchien durch eine leichte Bewegung zu danken, ohne es für nöthig zu halten ein Wort zu verlieren. So machte es wieder der Zufall, daß ſie neben einander gingen. Der Fremde war wirklich ein Fremder in144 der Mark, wie ſein Accent dem kundigen Ohr ver¬ rieth, aber ſeine Kleidung, obgleich nur ein einfacher blauer Rock, die Sicherheit ſeiner Bewegungen, das ariſtokratiſche Geſicht, verriethen den vornehmen Mann. Er blieb plötzlich ſtehen und betrachtete einen Gegen¬ ſtand, der auch Walters Auge feſſelte die Mühle auf dem Berge. Ihr Dach war vom letzten Abend¬ ſchein ſchwach angeröthet, ein träger Wind trieb die Flügel. Der Begleiter verſtand die ſtumme Frage, die der andre, über die Schulter blickend, an ihn richtete: Ja ſie iſt es. Damit ſchien eine Ver¬ ſtändigung eingetreten.

Alſo Einer doch! ſagte der Herr im Weiter¬ gehen.

Wenn man ſie kennte, würde man mehre wiſſen, die auch Muth gehabt, warf Walter hin.

Da man ſie aber nicht kennt, ſo exiſtiren ſie nicht für die Geſchichte, entgegnete jener.

Es exiſtirt manches nicht in der Geſchichte, was doch lebte.

Was ſich nicht geltend gemacht hat, lebt nicht, entgegnete der Fremde ſcharf. Es hat einmal vege¬ tirt um zu faulen und Dung zu werden für andre.

Walter entgegnete: Der Müller von Sansſouci vor ſeinem Könige wird aber leben bleiben; uns lebt er als Symbol, daß ein Rechtsbewußtſein auch damals im Volke war. Er hatte das uns ſcharf betont.

Wir aber, antwortete der andre, ſehen in dem145 Aufheben, das man von der einen Geſchichte machte, nur das Bekenntniß, daß der eine Mann nur eine Ausnahme von der Regel war.

Und wo iſt die Regel, fragte Walter, nämlich im Deutſchen Volke? Ich ſetze voraus, daß wir Lands¬ leute ſind.

Der Fremde fixirte jetzt zum erſten Mal unſern Bekannten; es war ein ſcharfer, prüfender Blick, aber ohne Härte. Die Antwort ſchien ihm nicht zu mißbe¬ hagen.

Das macht die Sache nicht beſſer hier, ſagte er. Die Müller von Sansſouci haben in Preußen keinen Fortgang gehabt.

Die Größe des Einen hat ſie niedergedrückt. Das vergißt man ſo leicht im Auslande.

Man wundert ſich nur, warum ſie nicht wieder aufgetaucht ſind, nachdem ſie von der Größe nicht mehr zu leiden hatten. Sie wiederholten vorhin die Worte des großen Königs, als Sie ſich allein glaub¬ ten, warum machen Sie ein point d'honneur draus, was Sie ſich ſelbſt bekennen, vor andern zu verber¬ gen! Wo Sie Ihrer Schwäche ſich bewußt ſind, warum es nicht auch vor andern geſtehen. Das würde Vertrauen wecken. Wenn Sie ſich den andern Deutſchen gegenüber immer in Parade aufs hohe Pferd ſetzen, ſo verlangen Sie nicht die brüderlichen Neigungen, um die es doch Einigen, den Beſſern unter Ihnen wenigſtens, zu thun iſt. Wir ſind alle ſchwach, aber wenn wir es uns gegenſeitig eingeſtänden, wür¬III. 10146den wir auch die Mittel finden, um wieder ſtark zu werden. Das iſts, was Sie vom übrigen Deutſch¬ land trennt, meine Herren Preußen. Uebrigens bin ich jetzt ſelbſt einer.

Jetzt wird ſichs zeigen! rief Walter animirt.

Was?

Daß wir eine Schwäche zu bekennen den Muth haben, eine Schuld gegen unſre Deutſchen Brüder durch die That auszulöſchen. Preußen radirt den Baſeler Frieden mit ſeinem Blute aus den Tafeln der Geſchichte.

Nichts wird ſich zeigen, rief der andre heftig. Es kochte etwas in ſeinem Buſen, und ſchien ſchon an den Lippen zu ſprudeln, aber er unterdrückte es raſch mit einem Seitenblick auf den unbekannten Ge¬ fährten.

Die rauhe, heftige, faſt dominirende Art, mit der der Fremde ſeine Ausſprüche that, erweckten in Walter die Luſt es in ſelber Art ihm wieder zu geben:

Ich hoffe, daß in der kurzen Zeit, ſeit Sie ein Preuße wurden, man dem Ausländer nicht ſo viel Einblicke in unſre Angelegenheiten gegönnt hat, daß ich Ihren Ausſpruch als ein Verdict nehmen müßte.

Der andre war vielleicht betroffen, aber nicht erzürnt, vielmehr verzogen ſich ſeine Lippen zu einem Lächeln: Haben Sie Einblicke?

Keine als die jedem frei ſtehen, der ein Herz und Augen hat für die Ehre ſeines Vaterlandes. 147Sie iſt ſo auffällig verletzt, daß ſie eben ſo auffällig Genugthuung heiſcht; der Hohn, den man uns zuge¬ fügt hat, den Napoleons Generale noch täglich in Anſpach und Baireuth Preußen zufügen, könnten einen Stein ins Leben rufen. Das und noch vieles andre, was hier nicht hergehört, iſt mir Bürgſchaft.

Wofür?

Daß endlich der ſtahlgeborne Entſchluß ins Leben ſpringt.

Der andre ging eine Weile ſchweigend, dann ſagte er ruhig: Einen Geſandten wird man an Na¬ poleon ſchicken, ihm Friedensbedingungen ſtellen und unterhandeln. Wenn Sie wiſſen was Unterhandlun¬ gen ſind, wo Preußiſche Diplomaten mitſprechen, ſo ſtellen Sie danach Ihre Hoffnungen.

Diesmal, nur diesmal nicht rief Walter in Eifer gebracht es geht nicht, es läßt ſich nicht mehr zurückdrängen. Das Volk leidet es nicht.

Das Volk, mein Herr! Das weiß ich nicht; ich kenne es wenigſtens noch nicht genug, und was ich von ihm kenne, doch das gehört nicht hierher.

Sie ſtanden an einem Scheidewege. Der Fremde wenigſtens nahm an, daß ſie hier ſcheiden müßten, oder er wollte hier ſcheiden. Es waren ſeine Ab¬ ſchiedsworte:

Dies Volk, mein Herr, mag gut ſein, tapfer treu, aber es iſt noch zu klein für ſeine Traditionen. Es hat ſich übernommen, und es iſt nie gut, wenn man ſich den Magen auch mit dem Beſten füllt, wenn10*148der Magen nicht Kraft hat es zu verdauen. Dies Volk iſt zu vielem gut, es hat auch geſunde Glieder, wenn nur der Kopf da iſt, der ſie regiert. Das aber bilden Sie ſich nicht ein, daß dieſe Glieder ſchon reif ſind für ſich ſelbſt zu ſtehen. Dafür vergaß der große Mann zu ſorgen. Er führte ſein Volk in die Welt¬ geſchichte ein, und überſah, ihm die Erziehung zu geben, daß es mit Ehren darin beſtände. Mit der militairiſchen Tournure iſts nicht gethan; der Knebel¬ bart imponirt nur auf den erſten Anblick, und ſelbſt iſt allein der Mann. Er war müde über ein Volk von Sklaven zu herrſchen, ja, aber ſie ſind es ge¬ blieben, weil er ein Lehrmeiſter war wie der Gelehrte in einer Bauernſchule. Glänzende Schulaktus hat er mit ihnen aufgeführt und ſie declamiren laſſen, was ſie nicht verſtanden. Friede ſeiner Aſche und Fluch dem, wer einen Stein auf ſein Grab wirft, denn Deutſchland hat keinen Größern geboren, aber ſein Reich, mein Herr, iſt die Schöpfung eines Zauberers. Wunderbar groß, zweckmäßig, in einander greifend, erſcheint alles, ſo lange ſein Geiſt darüber waltet. Aber wenn der ſchlafen geht, vertrocknen die Palmen und Lilien zu Haidekraut und der Pallaſt verſinkt in ein Unkenmoor. Da ſehn Sie dieſe Reihe von Statuen. Kunſtwerke, ſo lange er unter ihnen wan¬ delte, jetzt verwitterte, moosbedeckte Fratzen. Was iſt aus ſeiner Gliederung geworden, in Civil und Militair, was aus dem angeſtaunten Mechanismus ſeiner Staatsorganiſation? Ein ſchönes Lied auf149 einen Leierkaſten geſetzt, aber die Melodie bleibt die¬ ſelbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert iſt, die den Mechanismus der Drehorgel umſetzt. So leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬ lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬ roſtet und voll Staub ſind. Dieſer Staat Preußen, mein Herr, iſt zum Popanz geworden, nicht weil ſein Volk Sklaven ſind, ſondern weil der Zauberer fehlt, der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieſer Staat Preußen iſt ein Conglomerat von Kraft und gutem Willen, wie man ſie ſelten in der Geſchichte ſah, aber eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geiſt hinein¬ fährt.

Der Mann wandte ſich mit einem Kopfnicken raſch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal ſtehen: Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adreſſe wiſſen wenn ich wieder ein Mal einen ſo gefälligen Führer in Potsdam brauche, ſetzte er halb lächelnd hinzu, um das Scharfe auszugleichen.

Walter hatte keinen Grund ſeinen Namen zu verſchweigen. Er kannte aber genug von der Luft in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wiſſen, daß dieſer Name, ſo laut er ihn ausſprach und ſo deutlich der andre ihn ſich wiederholte, ſchon am Ende der Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet, daß Walter auch ihn bitten werde, den ſeinen zu nennen, Walter wollte aber nicht bitten.

[150]

Achtes Kapitel. Der dritte November.

Es war Nacht geworden, die große Mehrzahl der Gäſte war längſt nach Berlin zurückgekehrt. In den öden, todten Straßen bewegten ſich nur ein¬ zelne Geſtalten; das Ueb 'immer Treu und Redlich¬ keit hallte von der Thurmuhr nach wie vor.

Warum ſtürmt nicht lieber die Brandglocke! ſprach die Dame, welche, tief in eine Pelzenveloppe verhüllt, am Arm ihres Begleiters an den Häuſer¬ reihen ging. Sie gingen nicht in der Abendkühle ſpazieren, es war rauhe Witterung; ſie hielten eine beſtimmte Richtung, aber den zarten Füßen merkte man an, daß ſie nicht gewohnt waren auf rauhem Pflaſter ſich zu bewegen. Ein dichter Schleier be¬ deckte das Geſicht der Fürſtin.

Weil es noch nicht brennt, ſagte ihr Begleiter.

Ewiger Zweifler!

Ich zweifle nicht, daß die Schwammleine an¬ gezündet iſt; aber ein Fußtritt kann ſie auslöſchen ehe der Funke die Mine faßt.

151

Ich liebe nicht zu calculiren, wenn die Schatten der Verſtorbenen durch die Luft vibriren.

In der Stimme der vornehmen Frau waren Accorde, die ihrem Begleiter, der andrer Anſicht war, den Mund zu ſchließen ſchienen.

Sie traten in einen Thorweg, oder eine Colon¬ nade zurück, um einer einfachen Hofequipage auszu¬ weichen, die jetzt vorüberrollte. Der Wagen hielt vor der Kirche, wo Seine Gebeine ruhen. Drei dunkle Geſtalten konnte man ausſteigen ſehn. Sie traten in die Kirche, aus welcher ein gedämpftes Fackellicht bei Oeffnung der Thüre vorſtrahlte.

Die Fürſtin drückte krampfhaft den Arm ihres Begleiters. Er glaubte, ſie wolle ihn tiefer in den Schatten zurückziehen, um nicht geſehen zu werden: Man ſieht uns wirklich nicht, und wenn es wäre, würden wir nicht die einzigen Zuſchauer ſein. Ich ſah Schatten in der Kirche ſich bewegen.

Ich auch! rief ſie. Es war mir, als ſähe ich Seinen!

Der Legationsrath ging nicht auf die Stimmung ein: Dieſe Leute hier ruhten unter ihm wie in Abra¬ hams Schooße. Ich finde es eigentlich undankbar und grauſam, daß man ihn citirt, um ſich aus einer gewöhnlichen Verlegenheit zu helfen.

Ich würde Ihnen verzeihen, wenn Sie ſagten ſelbſtmörderiſch.

Nur chriſtliche Demuth, Fürſtin, ſie ſehn ihren eigenen Unwerth ein.

152

Was iſt das grauſam, den zu beſchwören, der in dem Jenſeits keine Ruheſtätte gefunden hat! Hören Sie den dumpfen Ton! Jetzt öffnet man.

Und ſein Geiſt ſteigt ihnen aus der Verſenkung entgegen.

Sprechen Sie nicht ſo.

Ich möchte wohl wiſſen, wie der Geiſt eines Atheiſten ausſieht.

Sahn Sie nie Geiſter

Man ſieht ſie nur, wenn man ſie citirt; und was unnöthig iſt, muß ein Vernünftiger nie thun.

Geiſter erſcheinen auch ungerufen.

Dann wirft man ſie zur Thür hinaus.

Die Todtenhand, die auf eine lebendige Bruſt hämmert, ſollte doch überall Einlaß finden.

Je nachdem die Bruſt beſchaffen iſt.

Wandel, ich möchte Sie einem Geiſt gegenüber ſehen.

Sie würden keine Veränderung an mir be¬ merken.

Sie ſahen ſchon Geiſter! rief die Fürſtin auf, und ihr Auge glänzte ihn an. Ja, Sie Unbe¬ weglicher, es zückte etwas um Ihr Auge, was ich noch nicht kenne. Sie haben Geiſter der Todten ge¬ ſehen, und vor ihnen gezittert. Sie zittern jetzt

Vor dem Zugwind, ſprach er, ſich in den Mantel hüllend. Nun, und wenn ich ſie ſah, meine Gnädigſte, ſo lernte ich ihnen ins Geſicht ſehn, wie ein Mann den erſchaffenen Dingen muß, und ſie153 hielten meinen Blick nicht aus, ſo wenig als der feſteſte Stoff meine Säuren und den Aether, in dem ich ihn verbrenne. Wenn ſie weinten, lachte ich ſie an, wenn ſie klagten, drohte ich ſie hieltens nicht aus, ich blieb Sieger, und ſie ſind verſchwunden. Meine Gnädige, vor dem Willen verflüchtigt ſich der Diamant; wenn die Dinge, die wir Weſen nennen, uns nicht widerſtehen, warum die weſenloſen.

Kommen Sie, ſagte die Fürſtin. Der Küſter giebt uns das Zeichen.

Vielleicht ſah ſie den Küſter nicht, aber ſie ſah Geiſter. Der Mond warf, zwiſchen den Wolken vor¬ tretend, ein Streiflicht auf die Stirn ihres Beglei¬ ters, ſie konnte den Anblick heut nicht ertragen. Was mußte er ſie noch bitten, ſich nicht zu beeilen: der Mann, der ihnen für ein anſehnliches Geſchenk einen Platz unter dem Siegel der Verſchwiegenheit verſprochen, werde noch vielen andern daſſelbe Siegel aufgedrückt haben: Und mancher wird die Komödie für acht Groſchen ſehen.

Sie waren an die kleine Thür gelangt, welche eine unſichtbare Hand vorſichtig öffnete, um ſie ein¬ zulaſſen.

Sie nicht! rief ſie, als er ſie hinein führen wollte. Sie gehören nicht hier hinein.

Es iſt ja nur eine proteſtantiſche Kirche, flüſterte er ihr ins Ohr.

Sie ſtreckte die Hand abwehrend gegen ihn: Doch Sie ſtören mich. Folgen Sie mir nicht, ich154 verbiete es Ihnen, Herr von Wandel. Wer nur eine Komödie ſehen will, gehört hier nicht hinein.

So werde ich Erlaucht wieder an der Thür erwarten.

Reiſen Sie nach Berlin.

Sie können doch nicht allein zurück. Wer weiß ob die Scene Sie nicht afficirt. Soll ich Ihren Jäger mit der Kammerfrau herbeſtellen?

Sie ſchüttelte den Kopf: Es giebt Momente, wo man das Bedürfniß fühlt allein zu ſein.

Der Legationsrath ſchien die Frage auch an ſich zu ſtellen, als er draußen mit gekreuzten Armen eine Weile ſtehen blieb, die Augen in das zerriſſene Ge¬ wölk gerichtet. Er hatte ſich oft Mühe gegeben, un verwandten Blickes in die Sonne zu ſehen, jetzt ver¬ droß es ihn, daß er nicht mal ohne Augenblinken den Mondenſtrahl ertragen konnte, ſo oft er plötzlich aus den Wolken trat, die an ihm vorüber rollten: Selt¬ ſam! Es liegt nur in den Augennerven, in der ſchwachen Wurzelconſtruction der Wimpern. Wenn man ſie von Draht machen könnte, müßte man auch dem glühenden Feuerball ins Geſicht ſehen. Und dieſe Frau ein heiſeres Gelächter machte ſich Luft ſie ſpielt mit ihren Illuſionen wie der Taſchenſpieler mit ſeinen Karten und doch in der unbewachten Stunde zittert ſie als Sklavin vor dem ſelbſt beſchworenen Geſpenſt! Vielleicht des Weibes Natur, ſie kann nicht immer wachen. Aber der Mann ?

155

Die Thurmuhr präludirte und die Glocken huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an.

O ſüßer Leierkaſten, der durch die Welt geht, und uns das Spiel mit den Narren und Phantaſten um ſo vieles erleichtert! ſprach er, ſich langſam fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die Orgel mit leiſen Schlägen einen alten Choral anhub.

Der Orgelſpieler war nicht ſichtbar, auch die Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geſchah, brannten nicht officiell, man ſuchte ſie hinter den Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuſchauer, in Mänteln und unſcheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬ peltes Incognito zu bewahren ſuchten. Unter den Män¬ teln war mancher Stern verborgen, manches Herz pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du ſonſt nur Flatterſinn und eitle Luſt ſpielen ſahſt, durchzuckte hier ein banger Ernſt. Die Orgeltöne ſchienen in der dunkeln Kirche mehr die Stille ſymboliſch an¬ zudeuten, als daß ſie dieſelbe unterbrachen. Es war lautlos, ein verhaltener Athem.

So war es möglich, daß man jetzt ein Geräuſch zu hören glaubte, was man ſonſt nicht gehört hätte. Es war nicht ſein Geiſt, der durch die Räume ſchritt, in denen er nie geweilt, ſonſt würden ſie nicht die Köpfe vorgeſteckt, nicht ſich gebückt und die Hände ans Ohr gelegt haben, um beſſer zu horchen. Sie weint, flüſtert eine Stimme dem Nachbarn zu; Sie umarmen ſich, eine andere. Bald ward die feier¬ liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen;156 die Geſtalten der Neugierigen drückten ſich tiefer in den Schatten der Mauervorſprünge. Der Fackelſchein ward jetzt officiell.

Die Königin und der Kaiſer wurden zuerſt ſichtbar; der König folgte. Louiſe ſchien erſchöpft, ſie drückte jetzt das Taſchentuch ans Geſicht. Aber nur einen Moment; dann warf ſie einen forſchenden Blick auf den ernſten Gatten. Es mußte ein Ernſt ſein, der ihre Hoffnung ſtählte. Sie lehnte ſich an ſeine Bruſt, um ſich doch ebenſo ſchnell wieder auf¬ zuraffen. Alexander und der König reichten ſich die Hand. Es war ein wichtiger, bedeutungsvoller Hand¬ ſchlag. Aus der dunklen Stille kam ein Laut, wie der Hauch unſichtbarer Geiſter; ein Hauch der Verwunderung, Freude,[Beiſtimmung], wofür jede Sprache zu rauh iſt, ihm Ausdruck zu geben. Mit königlicher Würde ſchaute Louiſe umher, nicht forſchend, nicht misbilligend. Ihr Blick galt den Geiſtern, welche die Sprache dieſes Auges, das ſelige Lächeln verſtanden. Dann reichte ſie Alexander wieder raſch den Arm und die drei verließen die Kirche.

Als die Wagenthür zuſchlug, die Räder auf dem Pflaſter rollten, ſchienen die gebannten kleineren Geiſter aus ihrer Erſtarrung aufzuleben. Sporen klirrten, ſcharfe Tritte dröhnten auf den Flieſen, Töne, wie wenn das Eis bricht; das Blei auf der Bruſt war ja gebrochen! Kein Ceremoniell mehr, man ſchloß ſich in die Arme, auch ſolche, die nicht als Freunde bekannt waren. Der Bund iſt beſiegelt. 157Viel mehr Worte hörte man nicht. Es war ein Augenblick nicht zum Sprechen, nur zum Fühlen.

An der Thür wurden zwei Militairs zuſammen gedrängt, die ſich im Leben nicht gern, wie man ſagte, begegneten. Sie ſahen ſich an, und unter ihren ergrauenden Haaren funkelten die Augen ſich entgegen; ſie drückten ſich die Hand. Worte wechſelten auch ſie nicht. Der eine, aus deſſen Mantel eine Huſarenuniform zum Vorſchein kam, hielt aber beim Hinausgehen unſern Bekannten, den Major Eiſen¬ hauch, am Kragen zurück.

Na nu, was ſagen Sie, Major?

Blücher und Rüchel Hand in Hand, ein gutes Prognoſticon. So das geſammte Vaterland, und wir ſind am Ziel.

Larifari! ſagte der General. Vorwärts, eh er ſich anders beſinnt, das allein thut's. Nur keine ſtättigen Pferde hinter uns.

Im Volk

Sind viele Eſel.

Aber das Roß, wenn die Trompete ſchmettert

Pfeffer mank die Kerben! ſagte der General ihm ins Ohr. Daß es ſich bäumt, dafür ſorgt Ihr; fürs Reiten, dafür ſorgen wir, haben Sie mich verſtanden?

Die Kirche war ziemlich geräumt. Nur hinter dem Eingang ſtand noch eine Gruppe, zwei in Ueberröcke verhüllt, und am äußerſten andern Ende kniete eine weibliche Geſtalt. Die beiden, durch hohe158 Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬ lichkeit maskirt, ſchienen die Hinausgehenden die Revue paſſiren zu laſſen. Iſt das nicht Comteß Laura, Vicomte? ſagte der größere und ältere auf franzöſiſch zum jüngeren, nach der knienden Dame lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte ſich ſchon auf den Zehen gehoben: Pardon, Monſieur, Comteſſe Laura hat noch zu viele Stationen bis zur Betſchweſter.

Die verhüllte Geſtalt, aus ihrer Andacht viel¬ leicht durch die Stille aufgeſchreckt, erhob ſich und rauſchte an ihnen mit elaſtiſchen Schritten vorüber. Sie hatte die beiden nicht geſehen, dieſe aber ſie trotz der Schleier.

Madame la Princesse! rief der Attaché verwundert.

Ihre Sünden müſſen ſie ſehr drücken, ſprach der Geſandte, daß ſie es nicht verſchmäht hat, in einer lutheriſchen Kirche zu beten.

Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie nimmt gern einen andern mit ins Gebet.

Disparaissez! rief Laforeſt und winkte ihm, indem er der Dame nacheilte.

Der Vicomte ging lächelnd ſeiner Wege: Er will ſie nicht allein gehen laſſen! Monſieur Laforeſt, man muß es ihm geſtehen, übt die Humanität bis zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft ſprengen ſoll, in der Taſche, ſchützt er die Lunte,159 die ſie entzündet, daß der Wind ſie nicht ausbläſt.

Wirklich ſehen wir auf der Straße den officiellen Miniſter des Kaiſers der Franzoſen der nicht officiellen Agentin des Kaiſers aller Reußen den Arm anbieten, um ſie in ihr Hotel zu geleiten! und ſie reicht ihn ihm, nach einem momentanen Zaudern, raſch hin.

Stumm wie die Nacht und bewegt wie die ſchöne Seele einer Deutſchen, ſagte der Franzoſe zu ſeiner ſchweigenden Begleiterin.

Sagen Sie lieber, Haß und Grimm im Herzen und am Arm des verhaßten Feindes durchs Leben gehen müſſen!

O wäre ich ſo glücklich, eine ſolche Feindin durchs Leben führen zu können.

Wer denkt an uns!

Ich ſehr ſtark an mich.

Das lügen Sie vor ſich ſelbſt. Unſere Aufgabe iſt's, uns immer ſelbſt belügen, täuſchen, unſere glühendſten Gefühle mit einer Eiskruſte umgeben, und wenn wir vor Froſt zittern wie der Frühling lächeln, in Flitterſtaat glänzen, und vom Gefühle unſerer Sünde zerknirſcht in Selbſtzufriedenheit ſtrahlen! Alles für Andere, uns ſelbſt, unſer Glück, unſere Buße und Hoffnung hinzuopfern für ein anderes Weſen, einen Begriff, von dem man eigent¬ lich nicht weiß, was er iſt. Ins Reich der Seligen kommt der Staat doch nicht.

160

Ich glaube kaum daß ein Platz für ihn da iſt: weder unter den Gerechtfertigten, noch unter den Sündern.

Und doch Diplomat!

Weil er ſich ſelbſt ganz verleugnen muß, ſollte ja das die himmliſchen Thore ihm vor Allen öffnen.

Vielleicht, wenn Excellenz, hat Sie nie das Gefühl durchzuckt, die Sehnſucht durchſchauen, vernichtet zu ſein, aufzugehen in ein anderes Weſen, zerſtampft in Atome, die das andere Weſen ver¬ größern und verherrlichen?

O ſehr oft, Madame, in den Armen einer liebenswürdigen Frau.

Haben Sie nie die Seligkeit der Begeiſterung empfunden?

Wofür?

Wofür? Und Sie kommen aus einer Revolution. Die glutſpritzende Lava treibt doch ungeheure Bilder in unſere Lebensnacht.

Prinzeſſin, die Lava iſt ſchon kalt geworden.

Sie waren einmal Republikaner!

Was waren wir nicht alles! Und eben weil wir ſo viel geweſen ſind, für ſo vieles geſchwärmt, geraſt haben, iſt wirklich in uns kein Platz mehr für die Begeiſterung.

Auch nicht für Ihren Kaiſer?

Laforeſt ließ eine Pauſe vergehen, bis er ant¬ wortete: Auch für den nicht. Die Jugend, die161 Kriegsluſtigen, wer avanciren will, die meinenthalben. Wir andern pauſiren, wir wiſſen ja nicht, ob es das Letzte iſt. Der einzige Erfahrungsſatz, den wir nach Hauſe trugen aus allen Revolutionen, iſt der, daß die Dinge ihren Kreislauf machen, und die höchſte Weisheit für die Individuen wäre die, auszurechnen, welches Stadium eintreten wird, wenn es mit uns zu Ende geht. Wer ſich darauf präparirte, ſtürbe glücklich.

Um fortgeſpült zu werden ins Meer der Ewig¬ keit als letzte Schaumflocke, die die Fluth der Zeit auf ihren Wellen trug.

Wer wird mit mehr Conſiſtenz hineingeſpült!

Sie belügen ſich wieder ſelbſt. Warum hätten Sie ſich in die Kirche gewagt, ausgeſetzt der Ent¬ deckung! Wenn einer dieſer Franzoſenfreſſer Sie erkannte!

Habe ich etwa ſpionirt?

Nein, Sie wußten es ohnedem. Aber aus reiner Dienſtpflicht hätten Sie das nicht unter¬ nommen. Es war die Abenteuerluſt, der ein Motiv zum Grunde liegt, das Sie ſich ſelbſt zu verbergen ſuchen. Ein Wageſtück für Ihren Kaiſer!

Sahen Sie nie am Roulettiſch Männer, die ſelbſt nichts mehr zu ſetzen haben, mit geſpannter Aufmerkſamkeit das Spiel verfolgen, das ſie nichts angeht? Sie pointiren im Geiſt, eifrig, zufrieden und entſetzt wie die andern. Das Spiel iſt ihnen zur Natur geworden.

III. 11162

Was ſahen Sie in der Gruft?

Was ich erwartete, ein romantiſches Schauſpiel.

Das zu einem Schluß führt, der Ihnen nicht gefallen darf.

Welchen Schluß meinen Sie, Prinzeſſin? Ich ſah nur einen frappanten Aktſchluß. Die Zuſchauer thaten mir leid, daß ſie nicht klatſchen durften.

Der Schluß des nächſten Aktes wird blutig werden.

Vielleicht, vielleicht auch noch nicht. Man muß den nächſten Aktaufzug abwarten.

Ich glaube, Sie werden ihn hier nicht ab¬ warten.

Das thäte mir um der Geſellſchaft willen leid, die ich ſehr ungern verlaſſe.

Und was iſt der letzte Akt?

Der letzte, Prinzeſſin, wer ſieht ſo weit!

Aber Sie ſehen etwas vor ſich. Sie täuſchen mich nicht.

Ich ſehe allerdings einen folgenden einen der nicht ausbleiben wird, wenn dieſer Ernſt wird.

Aber er ſpielt nicht in der Potsdamer Kirche?

Doch es wird auch Nacht ſein, bei Fackelſchein ſeh ich meinen Kaiſer in die geöffnete Gruft ſteigen; hinter ihm ſeine Generalität. Man wird Friedrichs Sarg öffnen, und Napoleon die Hand des Gerippes ergreifen.

Abſcheuliche Phantaſie!

Natürlich nichts als Phantaſie! Und er wird163 ſprechen: Großer Geiſt, vor mir ſollſt Du Ruhe haben in Deiner Gruft.

Napoleon iſt kein Freund von Nachtſtücken.

Je nachdem es ihm convenirt. Glauben Sie nicht, daß der Akt die Bewunderung der Deutſchen für ihn erhöhen muß!

Sie waren an die Thür des Hotels gekommen, wo die Fürſten abgeſtiegen.

Ich danke Ihnen für die Begleitung, ſagte ſie. Wir werden uns nicht wiederſehen, wenigſtens bis zu einem nächſten Aktſchluß.

Warum? Er hatte ſie die Stufen hinauf geführt, und drückte die nicht verſchloſſene Thür auf.

Sie haben Ihrem Kaiſer von der heutigen Nacht zu berichten. Leben Sie wohl.

Er drückte ihre Hand an die Lippen; ſie zitterte.

Ich möchte Sie noch um einige Details bitten, die mir entgangen ſind. Aber Sie ſtehen in der Zugluft.

Er zog ſie in den Flur, und drückte die Thüre zu.

11*
[164]

Neuntes Kapitel. Bekenntniſſe ſchöner Seelen.

Als die Fürſtin in ihren dichten Zobelpelz gegen die kalte Morgenluft verhüllt, in den Wagen ſtieg, um in ſeinen weichen Polſtern einer Reihe ſeltſamer Gedanken Audienz zu geben, war ſie nicht wenig betroffen, noch Jemand darin zu finden. Es war zu ſpät zum Schreien; die Thür war zugeſchlagen, die Jäger hatten ſich aufgeſchwungen und der Wagen raſſelte ſchon über das unebene Pflaſter nach dem Berliner Thor zu.

Es war übrigens wohl Grund zum betroffen ſein, aber nicht zum Schreck, als die weichen Hände der Baronin Eitelbach die der Fürſtin erfaßten. Sie bat ſie mit einer mit Thränen kämpfenden Stimme um Verzeihung wegen der Attrape, aber ſie habe ſie ſprechen müſſen, koſte es was es wolle. Deshalb nach Potsdam gekommen, habe ſie von Stunde zu Stunde vergebens auf den Augenblick gewartet, mit ihr allein zu ſein, und endlich dieſe kleine Liſt ſich erlaubt, um der einzigen Frau, die Theilnahme für165 ſie empfinde, die ſie und ihre Leiden verſtehe, ihr Herz auszuſchütten.

Die Fürſtin wollte ſich mit ſich ſelbſt beſchäftigen, und die Leiden der Baronin waren ihr unter allen Dingen, mit denen ſie ſich beſchäftigt, in dem Augen¬ blick die allergleichgültigſten. Das ſchien wenigſtens der Seufzer anzudeuten, der aus ihrer Bruſt ſich Luft machte, aber ſie drückte die Freundin mit ſanfter Innigkeit an dieſe ſelbe Bruſt:

Ach, glauben Sie mir, Leiden ſchickt der Him¬ mel denen, die er liebt.

Aber nicht ſolche, rief die Schluchzende, wie mir! Ach mein Gott, ich weiß ja nun alles, 's iſt mir alles ſo klar wie was!

Was iſt Ihnen klar, Liebe?

Nichts, ſage ich Ihnen, wie ich Ihnen immer geſagt, als ein Mißverſtändniß. Mein Mops iſt mir jetzt ordentlich zuwider; ich könnte ihn vergiften. Aber wer trennt ſich gleich von ſolchem Thier! Er hat nun mal ſeinen Platz. 's iſt die Gewohnheit, ſagt mein Mann. Fanchon hat wohl recht, wenn ſie ſingt

Ich verſtehe Sie nicht. Die Fürſtin verſtand ſie wirklich nicht.

Ich weiß es, ich rede confus, ich verſtehe mich ja ſelbſt zuweilen nicht. Aber das mit dem Mops war ſo gewiß ein Irrthum, er konnte nicht davor, er wußte nicht, daß er meiner war. Es ſind boshafte Menſchen dazwiſchen, die haben ihm das arme Thier166 vor den Fuß geſchoben; o ich weiß nicht, ich habe eine Ahnung

Eine Ahnung, Baronin?

Ausſprechen will ichs nicht, nein gewiß nicht, ich mag Niemand Unrecht thun, aber der Legations¬ rath, ich weiß nicht ſein Geſicht, zuweilen

Was hat Wandel mit Ihrem Mops zu thun!

Glauben Sie, daß er ſein Freund iſt?

Des Mopſes!

Nein Seiner! Mögen Sie über mich lachen, ich fürchte, der Rittmeiſter iſt nicht frei.

So viel ich mich entſinne, ſagt man, er ſei von ſeinen Gläubigern etwas genirt.

Ach Sie wollen mich nicht verſtehen. Er iſt zu arglos, gutmüthig, er hat das beſte Herz von der Welt, ein Gefühl rein wie ein Kind; mein Gott, Fehler hat jeder Menſch, er hat mir nicht weh thun wollen, aber boshafte Menſchen ſind dazwiſchen ge¬ kommen.

Oeffnen Sie Ihr reines Herz nicht zu leicht dem Argwohn. Das iſt der Wurm, der an unſerm Seelenfrieden zehrt. Man täuſcht ſich, bei einem lebhaften Geiſte, ſo leicht.

Dann iſt was andres dazwiſchen gekommen. Sie können ſich nicht vorſtellen, wie ich mich gequält habe, was ich ihm denn gethan haben könnte; Tag und Nacht ließ mir's keine Ruhe.

Und Sie haben ſich ganz ernſt gefragt?

Theuerſte Fürſtin, da blieb kein Fältchen in167 meiner Seele. Nein, wahr und wahrhaftig, ich that ihm nichts, ich bin unſchuldig; es iſt was anderes dazwiſchen gekommen.

Die Fürſtin war in ein Sinnen verfallen, das nicht zu der Art Theilnahme ſtimmte, welche ſie der ſchönen Frau bisher angedeihen ließ. Sie hatte ſich wieder mit ſich ſelbſt beſchäftigt. So paßte auch ihre Entgegnung nicht ganz zu dem eben Geſagten:

Das iſt der Kobold, meine Freundin, der uns alle neckt: es kommt uns allen, bei unſern beſten Entſchlüſſen, unſern edelſten Beſtrebungen, etwas da¬ zwiſchen, worauf wir nicht gerechnet. Da glaubten wir, mit Jahre langen Mühen, mit geſparter Kraft die Hinderniſſe beſeitigt, wir eilten ſchon mit offenen Armen dem Ziele entgegen, und plötzlich ſtraucheln wir Gott weiß woran, wir wiſſen es ſelbſt nicht, an einem Ball, den eine Kinderhand uns zwiſchen die Füße warf, am Reflex einer Scheibe, und wir glauben eine Mauer, einen Abgrund vor uns zu ſehen. Wir müſſen über uns lachen, wir ärgern, ſchämen uns, daß es ſo ſein konnte, aber es iſt ſo, und wir ſind vom Ziele ab, wir müſſen von neuem anfangen. Die Menſchen nennen es Zufall. Nein, meine Freundin, es iſt der ewige Dämon, der uns von der Wiege an belauſcht bis ans Grab, um, wenn wir ſchwach werden, uns zu faſſen. Dagegen können wir auch nichts, gar nichts. Es iſt vielleicht ver¬ meſſen ihm abſolut widerſtehn zu wollen, denn mit unſrer Kraft iſts nicht gethan. Beſſer geſchehen laſſen168 was wir nicht ändern, und dann deſto herzlicher bitten, daß der rechte Helfer bald erſcheint, der uns wieder aufhebt.

Die Baronin hatte in ihrer Gemüthsbewegung nur etwas von dem Monologe aufgefaßt, und es war das, was zu dieſer paßte.

Lachen Sie mich aus, aber ich kann nicht da¬ für. Ich habe auch zum lieben Gott gebetet, daß er mir einen Freund ſchicken möchte, der mir hilft.

Sie haben doch ſo viele, meine Beſte!

Nein, keinen wo ich Rath holen wollte. Da

Erſchien er plötzlich, wo Sie ihn nicht ver¬ muthet.

Wenn ich die Augen ſchließe, und lange da ſitze, ſehe ich ihn deutlich vor mir, als wenn er leibte und lebte, nein noch deutlicher. Ich zähle die Knöpfe an ſeiner Uniform. Ich ſehe ihn, wenn er den Fi¬ dibus anzündet, wenn er ſich aufs Sopha wirft, das Bein auf den Stuhl legt, wenn er gähnt und ſeufzt und mit der Hand übers Geſicht fährt.

Das ſind ja intereſſante Viſionen! Aber er¬ lauben Sie mir es zu ſagen, dieſe Wahrnehmungen können doch zuweilen ſehr unangenehm werden, wenn eine zarte Frau in die Garçonwirthſchaft einer Ka¬ ſerne blickt, und alles das ſieht. Es ſoll da nicht ſehr ſauber hergehn.

Sein Herz iſt rein, ſeine Seele ein Spiegel. Ich kann ohne Erröthen hinein blicken. Was küm¬169 mern mich die Aeußerlichkeiten! Er hat in ſeiner Kaſerne keine weibliche Pflege. Da hängt manches am unrechten Ort und geſchieht nicht wie es ſollte. Er fühlt es wohl, kann ſich aber nicht klar darüber machen. Er fühlt, er muß ſich herausreißen, weil er ſonſt unterginge.

Das wiſſen Sie alles? rief die Fürſtin über die neue Clairvoyance verwundert. Es ging ihr wie der Lupinus: die Eigenſchaft, die ſie für ſich liebte, ward ihr bei andern unbequem.

Ich weiß noch mehr. Ja, er iſt er hat Vertrauen zu mir er wollte ſich mit mir verſtän¬ digen er hat wie ich das Bedürfniß gefühlt das unſelige Mißverſtändniß aufzuklären, er hatte einen männlichen Entſchluß gefaßt; mit einem Wort, theuerſte Freundin, er wollte an jenem Nachmittage zu mir, weil er es nicht länger in der Ungewißheit aushalten konnte, und da

Kam etwas dazwiſchen; jetzt verſtehe ich Sie! Aber dann läßt ſich ja der Schade leicht wieder gut machen.

Sieht er mir denn ins Herz! rief die Ba¬ ronin.

Man kann ihn langſam ſondiren

Langſam! Und es geht los! Er muß mit! Sie ſah die Fürſtin mit ſtieren Augen an, und jetzt brach das lang Verhaltene unwiderſtehlich heraus: Langſam! und Sie waren zugegen, wo ſie den Krieg beſchloſſen haben. Weiß ich, ob er noch in170 Berlin iſt, wenn wir ankommen? Es ſind Couriere mit neuen Marſchordres ſchon dieſe Nacht abgegangen. Und er geht ohne zu wiſſen, was mich quält. Nein, er geht mit dem Gedanken, daß ich ihn verſpottet. Die erſte Kugel kann ihn treffen, und und in das Jenſeits iſt er, und weiß nicht

Daß Sie ihn lieben! Meine theuerſte Ba¬ ronin, wenn wir das nur geahnet hätten! Man hielt es für eine flüchtige Paſſion. Wie hier die Welt iſt!

Ja dieſe ſchlechte Welt kenne ich. Glauben Sie nicht, daß ich mehr weiß? Man hat mit uns ein grauſames Spiel getrieben. Man amüſirte ſich, mich aufzuziehen, weil er mir damals unausſtehlich war. Sie antworteten, ich war ja auch ihm zuwider! Das war recht von ihm. Wie ſollte er eine Frau achten, ſo empfindlich um eitle Thorheiten. Er iſt ein Deutſcher Ehrenmann, wie die Ritter in alter Zeit müſſen geweſen ſein. Gnädigſte Frau, Sie kennen dieſes Gemüth nicht. Mit ſeinem ruhigen Auge hatte er meine wahren Gefühle erkannt, und das war es, was ſeinen Sinn änderte. Er ſah mich an mit, nen¬ nen Sie's wie Sie wollen, Aufmerkſamkeit, Theil¬ nahme, meinethalben Bedauern, Mitleid; ſeine Blicke verfolgten mich nun, er wollte mich prüfen, und im Augenblick, wo das Licht der Wahrheit durchſchlug

Die Fürſtin wußte in dem Augenblick nichts paſſenderes zu thun, als daß ſie die Baronin an die Bruſt ſchloß. Die Baronin intereſſirte ſie ſehr wenig,171 ihr Liebesſchmerz noch weniger, am wenigſten aber der Rittmeiſter, deſſen Lob eben beginnen ſollte. Durch das improviſirte Embraſſement verbarg ſie außerdem die Thräne des Mitgefühls, die in ihrem Auge nicht da war, und erſparte ſich eine Antwort, die ihr in dem Augenblick nicht convenirte.

Sie ſaßen eine Weile in ſchweigender Rührung. Bei der Baronin bedürfte es nur des Antippens mit dem Finger, und ihre Bekenntniſſe, lange noch nicht erſchöpft, brachen von neuem heraus. Dies beſorgte die Fürſtin, ſie ſchien nur deshalb auf eine Wendung des Geſpräches nachzuſinnen, welche dieſen Ausbruch verhinderte; weil ſie aber nur zu gut wußte, wie Gefühle der Art einem Raume mit brennbarem Aether gleichen, wo man kein Licht einbringen darf, da¬ mit nicht alles in Flammen ſtehe, ſo ſchwieg ſie lieber ganz. Sie fühlte ſich, indeß auch nicht vollkommen ſicher auf dem Terrain, denn ſie war überraſcht, nicht ſowohl über die Macht der Leidenſchaft, welche die für kalt gehaltene Frau aufregte, als über das Be¬ wußtſein und die Seele, mit welcher ſie das Gefühlte ausſprach. Wo Diplomaten Bewußtſein und Seele merken, werden ſie unſicher, und tappen umher, bis ſie mit ihren Fühlfäden die Schwäche entdeckt haben, mittelſt deren ſie den Gegenſtand, der ſich ihnen entziehen will, wieder in ihr Netz ziehen.

Die Fürſtin hatte wenigſtens eine unverfängliche Wendung gefunden, als ſie, wie aus tiefem Nach¬ ſinnen aufſeufzend, den Blick gen Himmel, rief:

172

Und der Krieg iſt es, der meine Freundin ſo erſchreckt! Was iſt der Krieg anders, als ein Ge¬ witter, das die ſchwüle Luft reinigt.

Mit Menſchenblut! Und darunter die Beſten. Die Kugel wählt nicht die Schlechten.

Wenn nun in der Natur ein ſolches ver¬ borgenes, furchtbares Geſetz beſtünde, das Menſchen¬ blut fordert! fuhr die Fürſtin fort, die ſichtlich in ein neues Gedankengewebe ſich hinein ſpann oder zu einem Phantaſienflug erhob, der über die Faſſungskraft ihrer Geſellſchafterin hinaus ging. Sie wollte, obgleich die Wahrnehmung ſie intereſſirte, daß die Leidenſchaft auch eine Eitelbach weit über ſich erhoben hatte, ſich ſelbſt in eine Sphäre erheben, wo jene ihr nicht folgen konnte.

Ja, es exiſtirt dieſes Geſetz! Und der Soldaten¬ ſtand iſt der geehrteſte, weil er auf dieſem großen Geſetz der geiſtigen Welt beruht. Warum heißt Gott in der Bibel der Herr der Heerſchaaren! Es iſt das nicht ohne tiefen Grund. Wie herrſcht in dem weiten Reiche der lebendigen Natur eine, wir können ſagen, geſetzliche Wuth aller Weſen gegen einander! Es giebt keinen Moment in der Zeit, meine Freundin, wo nicht ein lebendes Weſen von einem anderen verzehrt wird. Der Menſch aber iſt unter dieſen zahlloſen Arten von Würgethieren die allerfurcht¬ barſte. Er tödtet um zu eſſen, um ſich zu kleiden, ſich zu ſchmücken, ja aus Vergnügen, er tödtet um zu tödten. Der Menſch, dieſer entſetzliche Herrſcher173 der Natur, will alles an ſich reißen, vom Lamme ſeine Eingeweide, um eine Harfe widertönen zu laſſen, vom Wallfiſch ſeine Barten, um das Mieder des jungen Mädchens zu halten; ſeine Tafeln ſind bedeckt mit Cadavern. Ja, dem Menſchen iſt in dem unerforſch¬ lichen Rathſchluß des Ewigen das Amt gegeben, den Menſchen zu erwürgen, und der Krieg iſts, der den Spruch erfüllt. Die Erde ſelbſt ſchreit nach Blut. Das der Thiere genügt ihr nicht, auch nicht das der Schuldigen, das durch das Schwert des Geſetzes vergoſſen wird. Sie will mehr Blut, reineres. Der Menſch, von einer göttlichen Wuth ergriffen, an der Haß und Zorn keinen Theil haben, rückt ins Schlachtfeld und thut mit Begeiſterung, wovor er ſchaudert. In Erfüllung des großen Geſetzes, das gewaltſame Zerſtörung unter den lebenden Weſen fordert, iſt die ganze Erde, fortwährend von Blut getränkt, nur ein ungeheurer Altar, auf dem alles geopfert werden muß ohne Ende. Ja, meine Theure, zweifeln Sie daran, wenn Sie die Weltgeſchichte durchblättern, wenn Sie die rothen Schlachtfelder überblicken, mit denen der gekrönte Korſe die Länder füllt, daß der Würgeengel ſie umkreiſt wie die Sonne, und eine Nation nur aufkommen läßt, um andere zu ſchlagen! Wenn die Verbrechen ſich gehäuft über das Maaß, dann verfolgt mit Haſt der Engel, ohne Maaß zu kennen, ſeinen unermüdlichen Flug. Die ſicht - und greifbaren Anläſſe erklären den Krieg nicht; jeder kennt ja das Uebel; wenn ſie wollten,174 könnten ſie ihm ja leicht vorbeugen. Aber es iſt der Durſt dieſer großen Sünder nach der Strafe, von der ſie fühlen, daß ſie ſie verdienet, ſie ſtürzen darnach, wie die Hirſche zum Quell, um dadurch geſühnt zu werden. Sehen Sie, Theuerſte, wenn wir ihn ſo betrachten, müſſen auch die Schrecken des Krieges geringer werden; ja wenn wir uns verſenken in den berauſchenden Gedanken, daß Er es iſt, der von dem ſündigen Menſchengeſchlecht im Augenblick ſeiner höchſten Noth gerufen, in ſeiner Donnerwolke eintritt, um die Ungerechtigkeit, welche die Kinder dieſer Welt gegen ihn begingen, zu ſtrafen und vernichten, dann wird der Krieg ſelbſt in unſern Augen zu etwas Göttlichem und ſeine Schrecken ſchwinden vor dem geängſteten Gemüthe.

Wir wiſſen, daß dies nicht die eigenen An¬ ſichten der Fürſtin Gargazin waren, ſondern daß ſie dieſelben in Petersburg aus dem Munde eines franzöſiſchen Fanatikers vernommen hatte, der, damals noch wenig beachtet, ſpäter aber von ſo unheilvollem Einfluß ward, noch heute dauernd, aber noch heute zweifelhaft, ob von ſchlimmerem auf die Völker oder die Fürſten, indem er ihr Thema, die Erblichkeit der Rechte, auf keinen feſtern Grund zu bauen wußte als auf die Erbſünde der Menſchen!

Auch die Baronin wußte es nicht, es war ihr auch ſehr gleichgültig. Mit der Erde, der Menſchheit und ihrer Sündhaftigkeit im Allgemeinen hatte ſie nichts zu ſchaffen, und gewiß auch keine Widerrede dagegen, wenn dieſe nur durch einen Krieg geſühnt175 werden könnte. Nur ſollte der Rittmeiſter davon aus¬ genommen ſein, denn ſie hätte einen Eid darauf abge¬ legt, daß er keine Strafe des Weltgerichts verdiente. Aber indem ſie mehr auf die Muſik als den Inhalt der Rede gehört, waren doch einzelne Töne in ihre Seele gedrungen, die ſie jetzt nachdenklich machten. Sie ſaß in die Wagenecke zurückgelehnt und klärte vergeblich mit ihrem Taſchentuch die Fenſterſcheibe vom warmen Hauch, der ſie immer wieder von neuem beſchlug. Die Fürſtin meinte, ſie wollte ihre Thränen vor ihr verbergen, aber die Baronin ſuchte nach einem Licht. Von draußen kam es nicht. Es war das bleierne Grau des Novembermorgens, das unerquicklich durch die Kiefern ſchien.

Die Fürſtin hatte erreicht was ſie vorhin wollte, ſie hatte die Baronin zum Schweigen ge¬ bracht; aber die ſtumme Sprache der Seufzer ward ihr noch peinlicher als die vehementen Liebesklagen, von denen ſie ſich debarraſſirt. Sie drückte ſanft die Hand ihrer Begleiterin, ſie bedauerte, wenn ihre Phantaſieen einen zu tiefen Eindruck auf ihr Gemüth gemacht, auch ſei der Krieg ja noch nicht beſtimmt erklärt, und wenn er ausbreche, wache ein Auge dort oben über alle, und wiſſe die Schuldigen von den Unſchuldigen zu unterſcheiden. Nur die Schuldigen trifft ſein Zorn! Er richtet nicht wie ein menſchlicher Richter, der nur auf die offenkundigen Thaten ſieht, er prüft die Nieren und ſieht das Herz. Mancher, der uns als großer Sünder erſcheint, geht vor ihm176 frei aus, weil ſein Herz rein geblieben, nur die Gewalt der Umſtände ihn zur That trieb. Dagegen wie man¬ cher, der nichts gethan, was die Sinne faſſen, iſt ſchon verdammt, weil er in der Stille ſeinen ſündhaften Regungen nachging, weil er in Gedanken gegen Got¬ tes Geſetze ſündigte. Wie leicht lullen wir uns in ſüße Verſtellung ein, es ſei nicht ſchlimm was wir denken; wir lügen uns edle Abſichten vor, oder glau¬ ben, es ſind ja nur Phantaſieen, und wenn es zur Ausführung kommt, ſo würden wir ſtark ſein und ihnen widerſtehen. Ach, meine Liebe, wir ſind nicht ſtark, und Gedankenſünden ſind oft die ſchwerſten, die wir begehen können.

Die Fürſtin mußte heute ſelbſt ſo von ihren eigenen Gedanken bedrängt und verwirrt ſein, daß ihre diplomatiſche Kunſt ſie in dem, was ſie laut ſprach, zu verlaſſen ſchien. Sie hatte nichts von dem neuen peinlichen Eindruck gemerkt, den dieſe Tröſtung auf die Baronin hervorgebracht, die plötzlich ſich auf den Boden des Wagens niederſenkte, und die Knie der Fürſtin umfaßte:

Ach, ich verſtehe Sie, ſchluchzte die ſchöne Frau, aber ich konnte nicht anders.

Meine Liebe, Gute, beruhigen Sie ſich, ſprach die Fürſtin, die eine neue Specialbeichte fürchtete, und nichts weniger als Luſt hatte, den Beichtvater abzu¬ geben. In ſolchen großen Welt-Kataſtrophen hat das Auge droben weniger Acht ich wollte ſagen, es ſieht milde und gnädig auf die kleinen Vergehungen herab.

177

Ja, ich liebe ihn, rief die Baronin, und ich bin ja eine verheirathete Frau.

Alſo das war es. Mild lächelnd blickte die Fürſtin auf die Sünderin herab, und fuhr mit den weichen Fingern über ihre Stirn:

Erinnern Sie ſich, wie der verlorne Sohn auf¬ genommen ward!

Ich kann ihn doch jetzt nicht verlaſſen wenn ich jetzt zurückkehre, raube ich ihm ſeinen Glauben

An Ihre Liebe. Das iſt ſehr wahr. Der ver¬ lorne Sohn kehrte auch nicht auf den erſten Anfall von Reue zurück. Würde er ſo im Hauſe des Vaters empfangen ſein! Er mußte eine furchtbare Schule der Sünde durchmachen, um der Gnade werth zu ſein. Wäre er in ſich gegangen nach einer leichten Verirrung, und hätte er ſich etwa nach einem Trink¬ gelag, einem Verluſt im Spiel, einer wüſten Nacht, reuig dem Vater zu Füßen geworfen, es wäre gewiß ſehr hübſch und moraliſch, aber der Vater, wenn er ein vernünftiger Mann war, hätte ihn aufgehoben und auf die Schulter geklopft und geſprochen: Nun das freut mich, daß Du es ſelbſt einſiehſt, künftig wirſt Du Dich davor hüten, aber nun mache kein Aufheben davon, daß Du nicht ins Gerede kommſt; ſei ganz wie vorher, ich werde gegen Dich auch wie immer ſein. O meine Freundin, wo blieb da die Seligkeit, die den Sohn, den Vater, das ganze Haus, die Nachbarſchaft, erfüllte, jene Seligkeit, um die es ſich lohnt gelebt, ſo viel Qualen ausgeſtandenIII. 12178zu haben! Wie er dalag auf der Schwelle, zerknirſcht, gebrochen an Leib und Seele, und nun zückte das Gnadenwort des Vaters wie ein Sonnenſtrahl nach langen grauen Tagen, der Himmel that ſich auf in ſeiner Herrlichkeit, als die Arme des Vaters ſich öffneten ihn zu umſchließen. Er ward ein neuer Menſch, er geſundete an Leib und Seele, alle Welt wußte es, alle Welt freute ſich mit ihm und das große Geheimniß der Liebe ward Himmel und Erde offenkundig!

Es klang wunderſchön, die Baronin wußte aber doch nicht, was ſie damit machen ſollte: Wenn ich nur wüßte

Weiß Ihr lieber Mann darum? fiel die Fürſtin ein.

Ach der! Er würde ſich halb todt lachen, wenn er alles wüßte. Es hat ihm ſchon Spaß ge¬ macht, daß er mich necken konnte.

Wenn aber aus dem Spaß doch Ernſt würde? Wenn er in eiferſüchtiger Laune es könnte eine unangenehme Scene eine Scheidungsklage

Ach, da hat er ſchon eine andre.

Die Spaniſche Tänzerin ſoll ihm viel Geld koſten.

Das meinen Sie! Nein, ich meine die Braun¬ biegler.

Die reiche corpulente Wittwe, mit den Edel¬ ſteinen und Ketten um den Hals! Die muß ja eine fünfzigerin ſein!

179

Sie iſt ja die Wittwe ſeines Compagnons hunderttauſend Thaler baar außer dem halben Ge¬ ſchäft! Wäre Herr Braunbiegler vor acht Jahren ge¬ ſtorben, hätte er mich gar nicht geheirathet, das ſagt er mir und jedem tauſend Mal. Er hätte das Ge¬ ſchäft in einer Hand und die Tuchlieferung fürs Militair allein.

Ein Lächeln ſchwebte über das Geſicht der Für¬ ſtin: So denken die Männer, und von uns fordern ſie Hingebung und Treue! Was ich ſagen wollte, es kommt Ihnen alſo jetzt alles darauf an, den guten Rittmeiſter von ſeinem Irrthum zu curiren. Wie wäre es denn es iſt nur ein Einfall Sie glauben nicht, daß er ſich noch einmal auf den Weg macht?

Mein Gott, er muß ja ausmarſchiren. Das iſts ja.

Richtig! Wir wäre es denn, wenn Sie ſich auf den Weg machten! Ich meine, wenn Sie ihm entgegenkämen, natürlich in allen Ehren. Sie könnten ihn zu ſich rufen laſſen; das möchte aber falſch aus¬ gelegt werden, und vielleicht käme er auch nicht. Sie müßten etwas recht eclatantes thun, das eblouirt die Männer. Ich hoffe Sie verſtehn mich nicht falſch. Wenn Sie ihn in der Caſerne aufſuchten, ich meine nicht heimlich, ſondern in Ihrer Equipage, den Be¬ dienten hinter ſich, die Welt würde das freilich nicht gut heißen

Sie meinten alſo ?

12*180

Ich meine gar nichts, aber wenn Sie einen ſolchen Schritt ſich durchaus nicht ausreden ließen, wenn Sie ſich kühn über das Urtheil der Menge wegſetzten, welche die Impulſe edler Seelen nie be¬ greift, ich ſtelle mir nur eben den magiſchen Ein¬ druck vor, den dieſer heroiſche Entſchluß auf unſern Freund hervorbringen müßte.

Ich ſollte alſo direct zu ihm in die Caſerne

Um Himmels Willen, Liebſte, Beſte, verſtehn Sie mich nicht falſch. Ich meine nur, bei dem all¬ gemeinen patriotiſchen Aufſchwung, der gerade von den Frauen getragen wird, ſinken die gewöhnlichen Schranken. Die Schweſter eilt zum Bruder, die Braut zum Bräutigam, man möchte den theuren Scheiden¬ den die letzten Stunden durch verdoppelte Aufmerk¬ ſamkeit verſüßen, man windet ihnen Kränze zum Abſchied, und in den Epheu und das Immergrün möchte man ſchon Lorbeern flechten. Finden Sie das unnatürlich?

Wenn die Fürſtin ſich hätte Rechenſchaft geben ſollen, welches Motiv ſie antrieb, würde ſie geſtockt haben. Herrſchſüchtige ſtrengen oft die halbe Kraft an, den Schein hervorzubringen, daß ſie nicht be¬ herrſchen wollen; Geiſtvolle, wenn ſie von andern in ihren Gedankencombinationen geſtört werden, wehren ſich die Störung durch lebhaftes Reden ab. Dieſe äußerſte Anſtrengung ſich nicht zu verrathen, verräth freilich den Schuldigen nur zu oft, es bedarf dazu aber anderer Richter, als Zuhörer, die von ihren181 eigenen Gedanken abſorbirt ſind. Die Fürſtin wollte von der Baronin loskommen, aber in jeder Wendung, welche ſie dem Geſpräche gab, verſtrickte ſie ſich aufs neue. Die Intrigue, zu der ſie ſich aus Gefälligkeit herbeigelaſſen, war ihr gleichgültig; ſelbſt das Ver¬ gnügen, Eroberungen zu machen, erkaltet, je unbe¬ deutender die Perſonen, die wir zu erobern ausgingen, im Verlauf der Arbeit uns erſcheinen; und wenn ſie aus Noth wieder ins Rad dieſer Intrigue griff, ge¬ ſchah es nur aus Rückſicht für Freunde, die ein Diplomat immer abſchütteln darf ſobald das Intereſſe es fordert, niemals aber aus Laune. Sie wollte wenigſtens das Spiel derſelben nicht verderben, darum ein Rathſchlag, bei dem ihre Freunde Zeit gewannen, nach ihrem Gutdünken zu handeln.

Aber die Fürſtin hatte heut Unglück. Der Funke, den ſie geſchlagen, hatte in der Baronin gezündet. Sie ſtrich über die Stirn und machte Miene aufzu¬ ſtehn: Ja Sie haben wieder recht. So muß es ſein, ich bin's ihm ſchuldig. Wenn nur nicht wieder etwas dazwiſchen kommt!

Ach wenn doch etwas dazwiſchen käme! dachte die Fürſtin, und der Himmel erbarmte ſich ihrer. Ein hefti¬ ger Krach, ein praſſelndes Knallen, und der Wagen ſenkte ſich. Im nächſten Augenblick waren die Damen unſanft auf die Seite geſchleudert und lagen in der umge¬ ſtürzten Kutſche, deren Fenſter klirrend in Stücke ſprangen.

Der Kutſcher hatte nicht ſchnell genug einem182 hinter ihm in Sturmeseil heranpreſchenden Sechs¬ ſpänner ausweichen können. Das Hinterrad des Wagens war vom Vorderrade des nach ihm kom¬ menden erfaßt worden, das Terrain war abſchüſſig und der Wagen der Fürſtin, weiter in die Richtung rollend, geſtürzt. Wenigſtens ein Rad war ge¬ brochen.

Aus der Kutſche des Sechsſpänners ertönte ein donnerndes: Halt! Ein Cavalier ſprang noch im Fahren heraus, und ehe die Lakaien ſich von ihren Sitzen gearbeitet. Es iſt Frauengeſchrei! ſagte ein heranſpringender Reiter, der zum Wagen gehörte. Um ſo unverzeihlicher! rief der Cavalier, und ſchien zu fordern, daß auch der Begleiter vom Pferde ſpringe, während er ſelbſt, der erſte, ſich an der umgeſtürzten Kutſche beſchäftigte den obern Schlag zu öffnen.

Sie ſind doch nicht verwundet? rief die Eitel¬ bach zur Fürſtin, die unter ihr lag.

Ich glaube nicht. Man öffnet. Machen Sie Luft.

Die Eitelbach war raſch zur Hand. Sie erfaßte eine andre Hand, welche ſich ihr aus dem geöffneten Schlage entgegenſtreckte. Als ſie ſich hinaufgeſchwun¬ gen, umfaßte ſie der kräftige Arm des Cavaliers und hob und ſenkte ſie mit einem glücklichen Schwunge auf die Erde. Im nächſten Moment übte der Be¬ gleiter, der raſch aus dem Sattel geglitten, denſelben Ritterdienſt an der Fürſtin. Der Zobelpelz, den ſie der empfindlichen Morgenkühlung willen, nicht zurück¬183 laſſen wollte, machte einige Schwierigkeit. Der Retter und die Gerettete mußten ſich übrigens kennen. Als ſie aber den andern Cavalier ſah, ließ ſie den Pelz plötzlich zu Boden ſinken, und blieb in reſpectvoller Entfernung, mit auf der Bruſt gekreuzten Armen am Wagen ſtehen.

Der Cavalier ſprach zur Baronin, die ihren Schreck abſchüttelte: Ich hoffe doch, daß die ſchöne Frau ſich keinen Schaden gethan.

Danke für gütige Nachfrage, Ihro kaiſerliche Majeſtät, ich denke, es iſt alles noch gut abgelaufen, erwiederte ſie mit einem Knix, der die Fürſtin erröthen machte. Sie ſah aber nicht, daß die Baronin dabei auch auf ihre Falbala's ſah, die beim Herausheben zerriſſen waren.

Der Cavalier ließ den wohlgefälligen Blick, mit dem er die Geſtalt der ſchönen Frau maß, jetzt auf ihre Begleiterin gleiten: Ei ſieh da, Prinzeſſin, das Morgenlicht täuſcht. Hoffentlich auch mit dem Schreck davon gekommen, liebe Gargazin.

Er reichte ihr die Hand, die ſie ehrerbietig an die Lippen brachte: Sire, ein kleiner Unfall ver¬ ſchafft uns oft ein großes Glück.

Aber die Damen können doch unmöglich in der Kälte hier ſtehen, rief der Cavalier ſich umſehend. Wäre in meinem Wagen Aber es muß ſogleich Rath geſchafft werden.

Eure Majeſtät, ſagte die Fürſtin, der Unfall wird leicht zu redreſſiren ſein. Hier iſt Hülfe zur Hand.

184

Wir ſind bei Stimmingens, rief die Baronin, auf das Gehöft zeigend, das in der Morgendämme¬ rung gegen den dampfenden weiten Seeſpiegel auf¬ tauchte. Da ſind wir gut aufgehoben. Wer bis Stimmingen kam, iſt zufrieden.

Der Cavalier lächelte. Wenn ein großer Mann Zufriedenheit um ſich erblickt, iſt er ſelbſt zufrieden. Aus der Wirthſchaft waren in der That ſchon rüſtige Arme herbeigeeilt, um die geſtürzte Kutſche beſchäftigt. Ein ältlicher Begleiter, in einen dicken Pelz verhüllt, der ſich jetzt aus dem Wagen gearbeitet, machte, mit einer Bewegung der Hand gegen die Uhrtaſche, eine bedeutungsvolle Verbeugung:

Meine Damen, ſprach der Kaiſer, ich bedaure, daß die Stunde, die zur traurigen Staatspflicht ruft, mich zwingt, die angenehmere in Ihrer Geſellſchaft abzukürzen. Ich hoffe, daß Ihr Wagen bald wieder hergeſtellt iſt, um das Vergnügen zu haben, Sie in Berlin wieder zu ſehen. Die huldreichſte Vernei¬ gung ſchloß mit einem Kopfnicken gegen die Fürſtin: Adieu, Gargazin, erkälten Sie ſich nicht. Noch ein Mal ſah der Erlauchte vor dem Einſteigen ſich um, und ſein Blick galt der Baronin.

Glückſelige Frau! ſagte die Fürſtin zur Eitel¬ bach, während ſie beide am hohen Rande des Sees auf und ab gingen, die Fürſtin wieder in ihrem Zobel, den der Adjutant ihr aufgehoben. Sie zogen den Aufenthalt im Freien der überheizten Wirthsſtube und der Geſellſchaft darin vor, beide vielleicht von185 einem innern Feuer erwärmt, während der November¬ wind empfindlich kalt von Spandau her über die weite Fläche des Sees blies.

Warum glückſelig jetzt?

In Rußland würde dieſe Frage eine Blasphemie ſein. Die Schönheit, auf der das Auge der Maje¬ ſtät mit Wohlgefallen ruhte, wird glückſelig geprieſen. Aber wie kannten Sie ihn, und auch mein hoher Herr

I wiſſen Sie denn nicht! Wie ſichs in der Königsſtraße ſtopfte, und ſie halten mußten, das war gerade vor unſerm Hauſe. Und die ganze Zeit ſah er nach meinem Fenſter fünf Minuten oder drei wenigſtens kein Auge fort. Es hat uns allen rechten Spaß gemacht.

Spaß! Die Fürſtin erſchrak; es kam aber noch ein anderes Gefühl hinzu, wie konnte ihr das verborgen geblieben ſein! Niemand hatte es ihr hin¬ terbracht. War ſie ſo ſchlecht bedient! Die Eitelbach konnte ſich täuſchen, aber hatte ſie nicht ſelbſt Alexan¬ ders Blicke beobachtet! Sie kannte dieſen Blick.

Ich begreife Sie nicht, ſo ruhig ſprechen Sie das aus. In Rußland, nein in ganz Europa bliebe keine Frau gleichgültig, die der ritterlichſte und liebens¬ würdigſte Monarch ſo ausgezeichnet hat.

Ach Sie meinen mich! Nein ich war's ja nicht.

Wer denn?

Die Mamſell Alltag, die ſtand im Fenſter neben mir.

186

Adelheid Alltag! rief die Fürſtin, und blieb ſinnend ſtehen, ſo im Sinnen, daß ſie den heran¬ galloppirenden Reiter nicht bemerkte, der ſich zum zweiten Mal vom Pferde warf, und an die Damen trat. Es war der Adjutant des Kaiſers.

Seine Majeſtät haben mich zurückgeſchickt, meine Damen, mit dem ſtrengſten Befehl Ihnen meine Gegenwart aufzudringen und nicht eher zu weichen, als bis ich ihm rapportiren kann, daß der Wagen ſo wie alles was Sie wünſchen, zur Zufriedenheit der erlauchten Frauen hergeſtellt iſt.

Die Fürſtin mußte nach dem eigenthümlichen und forſchenden Blick, den ſie ihm zuwarf, zu ſchließen, in alter und ſehr genauer Bekanntſchaft mit dem Adjutanten ſtehen:

Berichten Sie, Prinz, Seiner Kaiſerlichen Ma¬ jeſtät, wie Sie uns ſprachlos vor Rührung über dieſe außerordentliche Gnade gefunden haben. Um uns aber in unſern ſtummen Dankgefühlen nicht zu ſtören, bitten wir Sie uns auf der Stelle auch noch zu vertrauen, warum Sie außerdem hergeſchickt ſind.

Der Adjutant, wie im Einverſtändniß mit der Art der Frage, verneigte ſich vor der Baronin: Außerdem wünſchten Seine Majeſtät zu erfahren, wer das junge Mädchen war, welches am Einzugs¬ tage neben der ſchönen Frau am Fenſter ſtand!

Wirklich! rief die Fürſtin, man glaubte unter dem Zobelpelz ihr Herz gegen die Bruſt ſchlagen zu hören, die matt gewordenen Züge ihres feinen Ge¬187 ſichtes belebten ſich, und ihr ſchwarzes Auge ſtrahlte von einem Glanz, der das graue Morgenlicht be¬ ſchämte: Berichten Sie Seiner Majeſtät, daß was wir wünſchen, wenigſtens was ich wünſche, zu meiner Zufriedenheit hergeſtellt ſein wird. Vielleicht ſage ich Ihnen dann unterweges Sie chaperonniren doch unſern Wagen? wer das junge Mädchen iſt, vielleicht auch nicht. Je nachdem Sie ſich aufführen.

[188]

Zehntes Kapitel. Von Magiſtratsperſonen und ungerathenen Kindern.

Die Geheimräthin Lupinus war am Rathhaus vorgefahren und hatte in die Hände des Magiſtrats eine Gabe von drei hundert Thalern als milden Beitrag zu den Kriegskoſten des Staates niedergelegt. Der Magiſtrat hatte es für nöthig erachtet, durch eine confidentielle Deputation der Geheimräthin für dieſen Beweis einer außerordentlichen patriotiſchen Geſinnung ſeinen beſondern Dank abzuſtatten. Sie hatte die Herren Büſching, Köls und Gerresheim mit Be¬ ſchämung, wie ſie ſagte, empfangen, und ihre Ver¬ wunderung nicht zurückhalten können über einen ſo Aufſehen erregenden Schritt, und um eine Handlung, welche nach ihrer Meinung die Pflicht von jedem fordere.

Aber Sie waren die Erſte in Berlin, die das Beiſpiel gab, hatte Büſching erwiedert, und vor dieſem Beiſpiel verneigen wir uns.

So wünſche ich, meine hochgeehrten Herren, daß das Beiſpiel von den Nachfolgern verdunkelt189 und meine obſcure Perſon, und die Kleinigkeit, die ich mitbrachte, bald vergeſſen werde über die großen Opfer, die andere Reichere, auf den Altar des Vaterlandes niederlegen.

Eigentlich hatte ſie recht, ſagte Gerresheim, als die Herren wieder in den Wagen ſtiegen. Das ſchickte ſich nicht für eine Corporation wie der Magiſtrat von Berlin.

Was ſchickt ſich denn, und was ſchickt ſich nicht, ſagte Köls, wenn das Vaterland in Gefahr iſt! Wir mußten aus den Provinzen täglich in den Zeitungen leſen, daß der und der Edelmann ſeine Rekruten ausſtattet, und werthvolle Lieferungen ver¬ ſpricht, während in der Hauptſtadt nicht das geringſte geſchehen iſt. Da war es Pflicht, den erſten beſten, der mit einer anſehnlichen Offerte hervortrat, zur Stimulation für die andern zu honoriren.

Das iſt auch meine Anſicht, ſchloß Büſching. Es iſt mit unſerm Gemeindeweſen überhaupt nicht wie es ſollte. Da muß man manches dem Einzelnen überlaſſen, was eigentlich nicht an ihm wäre.

Unſer Räderwerk iſt etwas verroſtet, das iſt richtig, ſtimmte Gerresheim bei. Jener fuhr fort:

Können wir als Corporation etwas thun, um auf das Staatswohl einzuwirken? Weder nach oben, noch nach unten haben wir Einfluß.

Iſt auch nicht unſeres Amtes, Herr College, ſagte Köls. Und ich ſollte meinen, es macht uns ſchon genug zu ſchaffen.

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Papierſtöße in Aktenberge zu verarbeiten! Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten Staate die Aufgabe des Magiſtrats einer Stadt wie Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegetiren.

Liebſter, beſter College, keine Neuerungen! Haben wir's nicht geſehen, wohin ſie führen. Wenn erſt diſtinguirte Männer im Amt einen Penchant dazu bekommen

Neuerungen! fuhr Büſching dazwiſchen, was ſo uralt iſt, als es Städte in Deutſchland gab. Der Bonaparte freilich macht in ſeinem neuen Reiche ſeine Bürgermeiſter zu Domeſtiken und den Magiſtrat zu Pagoden; bei uns aber iſt doch we¬ nigſtens noch die Fiction, daß wir aus der Bürger¬ ſchaft hervorgegangen, daß wir ihre Intereſſen vertreten, oder, wie man jetzt ſagt, ſie repräſentiren. Traurig genug, daß es nur noch Fiction iſt.

Aber, liebſter Büſching, warum denn traurig!

Es geht ja alles ganz gut ſo.

Jetzt, meine Herren Collegen, es geht zur Noth noch. Aber wenn Gefahr kommt, wie denn dann? Werden ſeine Präfecten und Maires den Napoleon halten, wenn über Nacht eine andere Gewalt ſich zum Herrn aufwirft! Sind wir dem Staat eine Stütze, wenn ein Unglück herein brechen ſollte? Wir gingen nicht aus der Bürgerſchaft hervor, wir haben keine Wurzel in ihr. Und wenn ein Fremder kommt, uns einſperrt, fortjagt, ſteht ſie rathlos da, ohne Zu¬ ſammenhang, Organismus, ohne Willen und Kraft191 auch nur zum Nothwendigſten. Ja wären wir wie in England.

Keine Neuerungen! unterbrachen ihn beide Collegen wie im Chorus, mit einer Bewegung, als wollten ſie ſich die Ohren zuhalten. Und Neuerungen in dieſem gefährlichen Augenblick, liebſter College Büſching!

Und wann denn! ſagte der College mit Ruhe. Weiß denn Einer von uns, was uns die nächſte Zeit bringt! Jetzt ziehen wir ins Feld, vielleicht auch nicht; aber beendet, meine werthen Collegen, iſt, auch im glücklichſten Falle, damit die Sache nicht. Geſetzt, was ich aus Herzensgrunde wünſche und glaube, wir ſchlagen ihn; damit haben wir ihn nicht über¬ wunden. Dies Frankreich hat in ſeinem größten Elend, und immer im Augenblick, wo wir es für ganz vernichtet hielten, wunderbar neue Kräfte aus ſich ſelbſt entwickelt. Es kommt keiner gegen es auf, wenn er nicht auch Neues in ſich findet, ſich aus ſich ſelbſt herausſpinnt.

Aber der Bürger, liebſter Büſching, was ſoll der damit! Wenn der erſt ſuchen ſoll, was dem Staate noth thut, iſt die Verwirrung voll.

Er weiß ſich in den kleinſten, eigenen Angelegen¬ heiten nicht zu helfen, ſetzte der andere hinzu. Ein Spiel in den Händen der Advocaten, möchte er doch noch in der einfachſten Schuld - oder Hypotheken¬ ſache von jedem Rath haben. Und er ſollte Rath geben!

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Es iſt ſchlimm, daß es ſo iſt, meine Herrn, aber noch ſchlimmer, daß, während er von jedem Rath will, er unſerm am wenigſten traut. Oder wollen Sie ſich darüber täuſchen, daß im Volke der Glaube iſt, wir betrügen es, wenn wir Erbſchaften reguliren, Inventare aufnehmen, Sporteln liquidiren, ja leider ſelbſt, wenn wir Recht ſprechen?

Das Volk iſt einmal dumm, College!

Iſt es dazu vom Schöpfer deſtinirt! Oder haben wir es allmälig dumm gemacht, weil wir ihm nicht den geringſten Einblick in unſern Me¬ chanismus gewährten? Es kann in unſere Akten nicht ſehen, und wenn, verſtünde es nicht einmal unſere Sprache.

Friedrich hat etwas davon im Sinn gehabt, was Sie meinen, erwiederte Köls. Ihm und ſeinen Räthen ſchwebte der Gedanke vor, daß die Juſtiz Allgemeingut werden ſollte; daher die wunderlichen Verordnungen, wie lange nur ein Prozeß dauern ſollte, die Beſchränkung des Einfluſſes der Advokaten, der indirecte Zwang, daß jeder eigentlich ſeinen Prozeß ſelbſt führen müſſe. Wohin hat uns das geführt? Nur auf Widerſprüche; denn es war nicht auszuführen, weil das Volk keinen Sinn dafür hatte, weil es nichts davon verſtand, kurz weil es nun einmal zu dumm iſt.

Weil ſagte Büſching und hielt inne doch das führt uns hier zu weit. Meine Herren Collegen, fühlen Sie denn nicht, daß es einer innigern, feſtern193 Gliederung zwiſchen oben und unten, zwiſchen allen Theilen, Gliedern und Ständen bedarf, um uns feſt in uns ſelbſt zu machen? Wenn ein Feind in England einfiele und London nähme, wäre England nicht verloren, weil in jeder Grafſchaft ein Theil des Ganzen lebt, der ſelbſt Lebenskraft hat, weil die Gemeindevorſtände aus der Gemeinde hervor¬ gingen, mit ihr zuſammenhängen, mit ihr, auf ſie geſtützt, handeln können. Da rettet ſich ein Theil des Staates, der Nation, in die Städte, Graf¬ ſchaften, von dort aus erhebt ſich England wieder. Was aber wäre Preußen, wenn Berlin genommen iſt, und der Sitz der Regierung, ehe man die Staatsmaſchine retten konnte, mit allem darum und daran, dem Feinde in die Hände fiel? Wo ſollte ſich ein Widerſtand organiſiren, wo eine legale Autorität anftreten, wenn ein Schlag den Knoten zerhieb, in dem alle Fäden zuſammen liefen, und ſie hängen nun loſe da. Die Einzelnen möchten zwar gern und ſie ſind bieder, gut, entſchloſſen; aber wo iſt ein Mann, ein Name, eine Inſtitution, welche eine Kraft, einen Anſpruch hat, die Einzelnen um ſich zu ſammeln. Wir haben keine Ariſtokratie, keine Magiſtrate, wie ſie ſein ſollten, gar keine Corporationen mit Einfluß hinter ſich, mit Untergebenen, die ihren Füh¬ rern, wenn nicht aus Liebe folgen, doch aus Intereſſe ſich zu ihnen ſchaaren. Wenn der Schlag fiele, ſind wir zerſplittert, eine zerſtreute Heerde, von der jeder Nachbar, jeder Räuber, was ihm bequem liegt, an ſich riſſe.

III. 13194

Wir haben unſre Armee, ſagte Köls.

Und die Armee hat Disciplin, ſetzte Gerres¬ heim hinzu. Mit Disciplin läßt ſich alles durch¬ ſetzen.

Auch der Opfermuth, der feſthält an einer verlorenen Sache? Laſſen Sie uns abbrechen, meine Collegen, unſre Anſichten finden keine Vereini¬ gung. Wir haben keine Corporationen, Stände, keine Gliederung im Staate, aber wir haben Men¬ ſchen, gute, tüchtige Menſchen, vielleicht Charactere, die nur jetzt verborgen ſind, und die Noth weckt noch mehr zur rechten Stunde. Das hoffen wir doch alle, und laſſen Sie uns an dieſem Glauben feſthalten. Darum

Wollen wir auch das Scherflein der Witwe nicht verſchmähen; die drei hundert Thaler der Lupi¬ nus ſind uns aber lieber, fiel Köls ein.

Sie iſt ein wenig fanatiſch in ihrem Patriotis¬ mus, ſagte Büſching.

Und ſetzte Gerresheim hinzu und ſchwieg plötzlich, bis er die Bemerkung hinwarf: Die Frau Geheimräthin admirirte vor kurzem noch den Bo¬ naparte mit einiger Oſtentation; da iſt das Change¬ ment doch auffällig.

Die drei Herren ſahen ſich an und mußten ſich verſtehen.

Es iſt doch etwas eigenes mit der Weibernatur, ſagte Köls nachdenklich. Wie weit ſind ſie uns oft vorauf, ich möchte ſagen, wie der Blitz, der durch die195 Nacht leuchtet, und wir ſehen den Weg vor uns. Aber dann, wenn wir den Weg einſchlagen wollen, haben ſie ſich plötzlich verloren und wir haben Mühe ſie mitzuziehen.

Sie thuts auch jetzt nur um von ſich reden zu machen, ſprach Büſching. Darüber hab 'ich mich keinen Augenblick getäuſcht. Aber das dürfen wir um Gottes Willen nicht ſagen. Hingenommen das Gold, und einen Heiligenſchein daraus geſchlagen. Zum Zweck iſts daſſelbe.

Es wird mit dem Schein manches Heiligen nicht beſſer ſein, aſſentirte Köls. Was meinen Sie, Gerresheim?

Weiß der Geier, in der Frau iſt etwas, was mich anzieht, und abſtößt. Als ob ihr Auge mich aushöhlen wollte, und ich fühle mich gedrungen, dann immer tiefer hineinzuſehen, um ſie wieder auszu¬ holen.

Ei, ei, Gerresheim, doch nicht wieder verliebt?

Das wäre denn nur wie der Inquirent in ſeinen Inculpaten, den er zum Geſtändniß bringen will. Ich kann die Vorſtellung nicht los werden, daß ich die Frau einmal vor mir ſitzen hätte am grünen Tiſch, in einem Glorienſchein von erhabener Tugend und philoſophiſcher Reſignation. Da ſteht mir denn der kalte Schweiß auf der Stirn, wie ſie auf meine Fragen antwortet. Sie redet ſich aus und in mich 'rein, daß ich an mir irre werde. Glau¬ ben Sie mir, das könnte die Frau in ſolcher Lage,13*196mit ihrem züngelnden Blicke, voll Sanftmuth und doch in die Seele bohrend, mit ihrem feinen Lächeln, mit der unendlichen Milde, die um ihre blaſſen Todtenlippen ſchwebt. Sie bedauert mich, ſich, die ganze Welt, und Gott weiß was hinter dem Bedauern lauert, Hohn und Haß, Gift und Tod.

Gerresheim, ich bitte Sie, ein Mann wie Sie, ein Richter, Criminaliſt, und ſolche Phantaſieen!

Ich weiß es, es iſt unrecht, aber wer kann dafür! Sie iſt die reputabelſte Frau in Berlin, und doch

Was ſteckt dahinter?

Nichts weiter, Büſching, als die Warnung, daß man die Leute nicht zu klug werden laſſen darf. Stellen Sie ſich das Elend vor, wenn jeder Dieb ſo fein, gewitzigt, gelehrt und gebildet wäre wie die Geheimräthin Lupinus! Da möchte der Teufel Richter bleiben.

Während dieſes Geſprächs ſtand diejenige, von welcher die Rede war, am Fenſter, und hatte der fortrollenden Kutſche nachgeſehen. Das Fenſter war geſchloſſen und die Scheiben belegten ſich vom Hauche ihres Mundes. Sie konnte nichts mehr ſehen, und nach den Geſetzen der Natur, die wir kennen, nichts hören, als das Fortrollen der Räder. Wer aber ihr Phyſiognomieſpiel beobachtet, hätte glauben mögen, daß ſie das Geſpräch im Wagen angehört. In ihren Augen ſtand geſchrieben: ich weiß, was Ihr über mich denkt! Ich kann's nicht ändern, aber auch Ihr197 könnt und ſollt mich nicht anders machen als ich bin. Dann flog ein eigenthümliches Lächeln über die Lip¬ pen, welche die Magiſtratsperſon ſo treffend gemalt hatte.

Der Herr Legationsrath von Wandel laſſen ihren Reſpect vermelden! ſprach der eintretende Die¬ ner, nachdem ein Zug an der Thürglocke ſie aus ihren Gedanken aufgeſchreckt.

Ich laſſe dem Herrn Legationsrath für ſeine unerwartete Attention danken.

Der Bediente ging aber noch nicht, obgleich die Dienerſchaft gewöhnt worden zu ſchweigen, wenn die Geheimräthin mit einer ihrer ſcharfen Bemerkungen eine Rede abſchnitt. Es hatte ſich manches in dem Hauſe verändert, die Geheimräthin ſchnitt viel öfter, raſcher, die Reden ab; ſie ſprach am liebſten mit ſich, und man ſah ihr an, daß ſie in der Unterhaltung dem mit ihr Redenden nur äußerlich Aufmerkſamkeit ſchenkte, während ihre Gedanken andre Wege gingen.

Iſts noch etwas, Heinrich? fragte ſie als der Bediente nicht ging. Er hieß eigentlich Johann, hatte aber beim Eintritt in den Dienſt dieſen Namen ablegen müſſen.

Herr Legationsrath ſagte der Bediente und ſtockte vor dem Blick der Geheimräthin.

Hat mir ſeinen Reſpect durch ſeinen Bedienten vermelden laſſen, wiederholte ſie raſch. Weiter hat er mir doch nichts zu ſagen?

Sie laſſen der Frau Geheimräthin ſagen, Frau198 Geheimräthin möchten doch heute Abend ja nicht ver¬ ſäumen in die Komödie zu kommen. Es wäre näm¬ lich was los. Es wäre nicht um der Komödianten willen, ſagte der Menſch, ſondern weil die Herren Garde du Corps und von den Gensdarmen die Logen gemiethet, und man wüßte nicht, was draus werden könnte. Frau Geheimräthin möchten aber ja nichts zu andern von ſagen, denn es ſollte es nicht jeder wiſſen.

Das ſagte Ihm alles der Menſch? Vermuthlich ſchrie er es Ihm von der Treppe zu.

Nein Frau Geheimräthin, der Menſch des Herrn Legationsraths waren nur ſehr eilig, weil er's noch Vielen anſagen ſollte. Sie ſtanden alle auf einer Liſte. Darum

Die Geheimräthin ſchnitt diesmal das Geſpräch nicht durch ein Wort, ſondern durch einen Blick ab. Aber der Blick war ſchärfer als das Wort.

Sie hatte ſich auf das Canapé gelehnt, aber ſie ſaß nicht allein. Einſt hatte ſie aufgeſchrien, als ſie kleine Schlangen ſah, die über das Sopha ihres Arztes züngelten und um ſeinen Arm ſich ringelnd ihm an den Hals glitten. Fürchten ſich nicht, Frau Geheimräthin, hatte Heim gerufen, ohne Anſtalt zu machen der faſt Ohnmächtigen beizuſpringen. Die Schlangen thun Niemand was. Es hat aber andre, die ziſchen und ſind giftig, und Niemand ſieht ſie! Dieſe Schlangen ſchienen jetzt neben ihr auf den Kiſſen zu ſpielen, um ihren Hals ſich zu199 ſchlingen und durch ihre immer engere Umklammerung die ſcheu ſchielenden Blicke ihrer Augen zu erpreſſen. Fuhren ſie auch zuweilen mit einem nagenden Stich in ihr Herz, ſo kam wohl daher das plötzliche Auf¬ zücken, das krampfhafte Athmen, das ſie ſich ſelbſt zu verbergen ſuchte, indem ſie die Hand unwillkür¬ lich an die Bruſt führte.

Er hat Recht, ſagte ſie, mit Anſtrengung ſich wieder vom Sopha erhebend, während ſie ſich doch noch an die Lehne hielt. Aber dann zwang ſie ſich mit aller Muskelkraft, die dem ſtarken Willen zu Gebote ſteht, aufrecht zu ſtehen. Er hat Recht, wiederholte ſie. Das Leben iſt und bleibt ein Krieg Aller gegen Alle, und nur der ſteht feſt, der ſich zu¬ letzt auf Niemand verläßt, als auf ſich. Auf Nie¬ mand ſetzte ſie mit Nachdruck hinzu. Denn der beſte Bundesgenoſſe wird der gefährlichſte Feind, wenn die Bande zerriſſen ſind, die ihn an uns feſſel¬ ten. Und was ſind denn dieſe Bande, wenn wir ſie näher betrachten? Der Leim, der die ſpröden Fäden ſchmeidigt und bindet, iſt das Intereſſe, weiter nichts! Die ſüßeſte Liebe, der eifrigſte Wiſſensdrang, wenn wir ſie zerſetzen, es bleibt nur das Gelüſte, das aller¬ feinſte, nach Genuß und Vortheil. Die Vaterlands¬ liebe, was iſt ſie, auf ihre Grundſtoffe zerlegt? Ein grober Egoismus! Und dieſer Patriotismus, den wir uns vorlügen, jeder ſich ſelbſt, in noch ſtärkerer Doſis dem andern, und der giebt ihn uns wieder zurück, aufgeſchwollen, bis das grauenhafte Phantom fertig200 iſt, das Wolkenbild, das unſre Sinne verwirrt, unſre Vernunft uns raubt. Und was bleibt dann?

In der Kinderſtube war es laut geworden, keine ungewöhnliche Erſcheinung. Die Kinder ver¬ übten, wenn ſie kaum ſich etwas erholt, allerhand Schabernack. Sie neckten, zankten, ſchlugen ſich, und es war mehr als einmal paſſirt, daß ſie in unbe¬ wachten Augenblicken wieder einen friſchen Trunk aus dem Quell des Uebels gethan, von dem ſie geheilt werden ſollten.

Charlotte kam aus der Stube, die Enveloppe umgethan zum fortgehen. Sie weinte.

Haben die Kinder Sie wieder nicht in Ruhe gelaſſen?

Ach Frau Geheimräthin, wenn da der liebe Gott nicht hilft, dann weiß ich nicht, wer helfen ſoll.

Warum hilft Sie ſich nicht ſelbſt?

Ich knuffe ſie auch, Frau Geheimräthin, aber Wechſelbälger ſind gar nicht ſo ſchlimm. Nein, ſeit ſie doch in dem Hauſe ſind! Ein vernünftiger Menſch ſoll doch auch nicht in Rage kommen, denn wer in Rage iſt, hat keine Vernunft, ja ſonſt ich frage mich immer, womit hat's die liebe gute Frau Ge¬ heimräthin verdient, nämlich die ſelige, die hatte ja ein Herz wie Zucker, das konnte keine Fliege leiden ſehn, und der Fritz wenn er den Maikäfern die Flü¬ gel ausreißt, das iſt ſein größtes Plaiſir. Malwin¬ chen iſt ſtiller, aber die hat's dick hinter den Ohren. 201Glauben Sie mir's, Frau Geheimräthin, die war's die hat die Medicinpulle in die Mehlſpeiſe gegoſſen. O Gott, ich kenne ſie ja; der Fritz, ja mit reinge¬ polkt hat er in die Speiſe, aber Fritz iſt viel zu wild; der hätte nicht nachher die Pelle, mit Reſpect zu ſagen, ſo wieder rüber gepellt, daß man's nicht merken that. Und daß ſo was in einem ſo reputir¬ lichen Hauſe vorkommen mußte! Meine Couſine, die Frau Hoflackir, als ſie's hörte, ſchlug die Hände über den Kopf zuſammen, und ſagte: Charlotte, Du mein Jemine! die Leute hätten ja denken können, ſie wären vergiftet und vergeben worden.

Das iſt ein albernes Gerede.

Das ſagte ich ja auch. Erſtens, das waren vornehme Gäſte, und die nennt man nicht Leute, Couſine. Nun Sie müſſen wiſſen, meine Couſine iſt jetzt eine ſehr reſpectable Frau, aber ſie hat nicht die Bildung gehabt. Da muß man ihr ſchon ſo was zu Gute halten. Aber dann ſagte ich ihr: Aber, Couſine, wie kannſt Du ſo was nur denken! Ge¬ meine Leute ſind rachſüchtig, und da hat ſchon man¬ cher ſeiner Frau auf den Kopf geſchlagen, und in den Büchern ſtehts von mancher Frau, die ihren Mann vergeben hat in der Suppe, daß ſie ihn unter die Erde kriegte, und hinter der Thür ſtand ſchon ein anderer. Aber unter honnetten Leuten kommt ſo was nicht vor, die wiſſen ſich anders zu helfen. Und wenn's einmal, ſo macht man auch nicht ſo viel Ge¬ ſchrei davon, denn da wärs ja gethan um allen202 Reſpect und die Moralität. Nein, alles, was Recht iſt, und mein guter Herr, der Geheimrath, in der Seele hat er mir weh gethan, daß er dabei ſein mußte.

Er machte einen Spaß daraus.

Das iſt ſchon richtig, Frau Geheimräthin. Aber glauben Sie, was ein Vaterherz empfinden muß, das iſt auch was; man ſagt's nur nicht jedem. Ach von meinem Herrn Geheimrath könnte ich Ihnen vieles ſagen. Spaßig ja, aber weh thut doch weh. Und die Chocolatenmehlſpeiſe ißt er gerade ſo gern, und nun muß es 'raus kommen, ſeine eigenen Kinder ſinds, und in dem Hauſe, wo ſie ſo viel Liebes und Gutes genoſſen haben! Und vor ſolcher großen Ge¬ ſellſchaft, und gerade als man auf die Geſundheit trinken wollte von den hohen Herrſchaften. Und die Geſichter!

Sie war ja nicht dabei!

Aber als hätt 'ichs leibhaftig geſehen! Und ich weiß Alles. Vor mir bleibt nichts verſteckt, das glauben Sie nur. Wenn Einer zwinkert mit den Augen, und ſo zuſammenfährt, dann weiß ich was die Glocke geſchlagen hat. Ich könnte da manches ſagen, was ich von meinem Herrn Geheimrath weiß; na da ſchweigen wir von, denn es ſchickt ſich nicht. Aber wie ich kam, und Malwinchen mir um den Hals fiel, nun wußte ichs, warum ſie mit den Augen zwinkerte.

Wie war nur das Kind in die Küche gekommen?

203

Du lieber Gott, ſie hat einen guten Geruch. Da ging ſie denn der Mamſell Adelheidchen ſo lange um den Bart das heißt, ſie ſtreichelte mit ihren Händchen die blonden Locken, o Malwinchen iſt ein Filou, und da müßte Mamſell Adelheid früher aufſtehen, wenn ſie's merken wollte.

Adelheid hat nichts davon geſagt.

Ach Frau Geheimräthin, wie wird man Ihnen denn alles ſagen, was in Ihrem Hauſe paſſirt! Sie haben auch geſagt, der Herr Geheimrath ſoll Kaffee haben vom zweiten Aufguß, weil's ihn echauffirt; Mamſell Adelheidchen aber läßt ihm vom erſten geben, weil ſie gemerkt hat, daß es ihm beſſer ſchmeckt. Und der Herr Geheimrath, der nichts merkt, merkts recht gut, und iſt ſtill zu. Warum ſollte er's auch laut machen; er denkt, dann kann's anders werden. Es geht in jedem Hausweſen ſo zu, und wer der Klügſte iſt, ſoll ſich nicht einbilden, daß nicht einer iſt, der ihm auf die Sprünge kommt. Jedes Schloß hat ein Loch und jede Mauer eine Ritze, man ſieht ſie nur nicht, und wer noch ſo verdämelt ausſieht, zuweilen ſchießts in ihn. Das ſage ich meinem Geheimrath auch. Will ſich manch¬ mal um Alles kümmern, meine Marktrechnungen nachrechnen. Lieber Herr Geheimrath, ſage ich ihm, wenn ich Sie übers Ohr hauen wollte, dann wären Sie der letzte, der's merkt. Er hat auch gemerkt, daß es Malwinchen geweſen war; aber er that nur ſo, ſonſt hätte er ja losfahren müſſen und204 vorm Braten ſchon, und am Ende hätten Sie ihn die Kinder gleich einpacken laſſen. Na, das käme ihm jetzt bequem. Es iſt ja auch nicht das erſte Mal, bei uns haben ſie's ſchon mal ſo gemacht. Die Himbeerſauce zur Speiſe rein ausgeleckt, derweil wir aſſerviren. Was thun ſie, damit wir's nicht merken ſollen? Sie gießen das große Tintenfaß aus der Regiſtratur 'rein. Ich ſahs nicht mal, denn wir hatten Eine zur Aushülfe, ſo ein Schleſiſches Puddel, die ſchrie: Herr Je die Tunke iſt ja ſchwarz! Na, die ſchwarze Brühe merkten wir denn bald. Und nu's einmal' raus, ſoll auch alles 'raus. Das Achtgroſchenſtück, warum der Hausknecht ſeinen Jungen ſo gottsjämmerlich prügelte, der Gottlieb hatte es nicht in die Goſſe fallen laſſen das ſagte der Junge nur aus Pfiffigkeit, daß er mit den Patſchen drin wühlen konnte, und wer half ihm nicht, und derweil er heulte und wühlte, dachte er, kommt' ne mild¬ thätige Seele, und ſchenkt ihm was. Sie haben ihm auch was geſchenkt, aber die Prügel waren das Meiſte. Nein, aus der Taſche hat er ſichs ſtehlen laſſen. Und wer hat's ihm ſtibitzt? Ich weiß es.

Ihre Hände mußten die Thränen nicht faſſen können, die aus Charlottens Augen ſtürzten, auch das blaue Tuch, daß ſie davor hielt, ward in allen Wendungen naß, und ihr Schluchzen ſchallte von den Wänden zurück.

Wäre es möglich, Charlotte!

'S iſt gewiß, Frau Geheimräthin. Es ſchoß205 mir gleich was durch den Sinn. Und nachher, wie ich im Stroh ſuchte unter ſeinem Bett, da fand ichs das Achtgroſchenſtück.

Sie hat es dem Hausknecht wieder gegeben!

Ich wollte es auch, aber da kriegte mich der Fritz zu packen. Sage ich Ihnen, wie ein Kobold, er kniff mir in die Waden und biß mir in die Finger, und ſchrie und weinte nu man hat doch auch ein Herz im Leibe wer will denn ſeiner Herrſchaft Kinder an den Galgen liefern! Dem Gottlieb thut man's wieder gut. Die Prügel hat er doch mal weg; ſchaden ihm auch nichts. Aber von dem Achtgroſchenſtück, davon iſt's ja eben. Zum Kuchenbäcker um die Ecke. Sein ganz Schnupf¬ tuch voll brachte er mit, huſch unters Bett, und nun ſtopften ſie. Daran liegen ſie ja jetzt wieder. Nein, ſage ich doch, das ſteckt im Blute.

Meint Sie?

O Du lieber himmliſcher Vater, wenn da nicht Einer hilft, der wird mal 'ne Räuberbande, wie's zu leſen ſteht in den Büchern bei Herrn Vieweg blutig duſter im Walde, und am Ende ſchleppen ſie ihn in Ketten. Na, wenn das mein Herr erlebte?

Im Blute, ſagt Sie, ſteckt es!

Wer's zu verantworten hat, weiß ich auch, Frau Geheimräthin. Nein, da ſind Sie nicht dran Schuld. Im Blute, ſagt der Herr Prediger, ſteckt die Sünde, der Frühprediger meine ich, wo die206 ruſſiſche Fürſtin allemal hinkutſchirt. Ach Frau Ge¬ heimräthin, haben Sie den mal gehört? Das iſt gar kein Prediger wie die andern, der donnert von der Kanzel, daß es Einem brühſiedend heiß wird, und 's iſt Einem, als ob das liebe Fleiſch von den Knochen abginge. Der ſagt's uns 'raus, daß die ganze Menſchheit in Grund und Boden nichts taugt und keinen Schuß Pulver nicht werth iſt. Und das kommt aber nicht von uns, ſondern weil wir uns von der Erbſünde losgeſagt haben, darum alles das und noch viel mehr Herr Jeſus, Frau Geheimräthin, wie malt der Mann das alles, man ſiehts ordentlich. Man möchte von keinem mehr ein Stück Brod nehmen, ſo ſind ſie verſunken und verpeſtet in Eitel¬ keit und Habſucht und Wolluſt und Hoffahrt. Und das wird auch nicht beſſer werden, denn die Kinder werden noch immer ſchlechter als die Eltern, von wegen daß ſie's von ihnen lernen, bis der Herr in ſeinem Zorn wieder eine Sündfluth ſchickt, oder ein großes Feuer, oder wie er ſagt eine Bluttaufe, denn vernichtet müßte das ganze gottloſe Geſchlecht werden, ſagt er, das abgefallen iſt vom rechten Glauben an die Erbſünde, und darum wären wir ſchwächlich und diebiſch und neidiſch und verredeten, und vergäben einer den andern, und wollten beſſer ſcheinen, als wir ſind. Und dann ſtreckt er die Arme aus und ruft zum Herrn der himmliſchen Herrſchaaren, daß er die Kindlein fortnehmen möge in ſeinem Erbarmen, und er möchte Thränen weinen, daß ſie ein Meer207 würden, ſagt der Herr Prediger, und die unſchuldigen Kleinen alle darin verſöffen, damit ſie nicht lernten die Sünden der Eltern, ſondern' rein kämen in den Himmel, wie neugefallener Schnee. Das war nur ein Schluchzen in der ganzen Kirche und ich dachte, o Gott, wenn doch der Himmel ſo unſer Malwinchen und Fritzchen zu ſich nehmen wollte. Und daß nun einmal alles rein aufgewaſchen wird, Ihre chineſiſche Porzellanvaſe hat Fritzchen auch zerſchlagen. Mamſell Adelheidchen hat ſie nur ſo oben mit der ſchönen Seite auf den Rand geſetzt, daß Sie's nicht merken ſollen, und dann will ſie's abpaſſen, wenn Frau Geheimräthin mal bei guter Laune ſind. Ja, wenn die Engliſche Mamſell nicht wäre, dann wäre ſchon längſt ein Malheur paſſirt.

[208]

Elftes Kapitel. Präparirtes Gift.

Charlotte war fort. Ihr Geheimrath hatte ſie zur Mittagsſtunde erwartet, und wir haben heut ſein Lieblingsgericht, hatte Charlotte ſich entſchuldigt. Die Geheimräthin ſtand im Krankenzimmer. Es war ein eigenes Lächeln, mit welchem ſie die ſchlafenden Kinder betrachtete. Nicht das des Wohlgefallens, es war nichts Wohlgefälliges in dem Anblick. Es war eine Wisbegier, die, je länger ſie über das Mädchen ſich beugte, zu einer wollüſtigen Empfindung ward. Der Knabe hatte ſie weniger intereſſirt. Auf ſeinem Geſichte las ſie nur rohen Trotz und ſinnliche Tücke. In Malwinens Lineamenten ſchien ſie zu ſtudieren. Sonderbar! lispelten ihre Lippen, welche ſchalkhafte Ruhe über dem Kindesgeſichte! und doch aus allen Grübchen der Schelm vorſchießend, der Zerſtörungs¬ trieb in Kinder! So ſchickt vielleicht die Natur jeden fertig auf die Welt, es iſt alles Prädeſtination, und wir verfehlen nur unſere Beſtimmung wenn

Sie tippte mit dem Finger über Malwinens209 Stirn, wie um durch das Gefühl ſich zu vergewiſſern, ob das Auge nicht getäuſcht. Die Probe mußte mit der Rechnung ſtimmen; ihr Lächeln ward intenſiver, als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog. Der Schlaf iſt ja ein Verräther! Lag nicht der ganze dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kin¬ desgeſicht ausgedrückt! Wenn das mit den Erwachſenen derſelbe Fall wäre! Wenn Jeder ſich einſchließen müßte, vor nichts mehr beſorgt, als daß ein Fremder ihm im Schlaf ins Geſicht ſehe! Erſchreckt vor dem Gedanken, blickte ſie um ſich, und die ſtille Krankenſtube barg den Verräther. Hinter der Fenſtergardine ſaß Adelheid und ſtickte an der Fahne, mit welcher die Geheimräthin, ſie wußte noch nicht wie, das Gouvernement überraſchen wollte.

Spielen wir hier die Lauſcherin?

Was ſollte ich belauſchen! Ich arbeite an Ihrem Auftrage.

Mit verweintem Geſicht? Ich meinte, eine Patriotin wie Du ſollte nicht Thränen in die Fahne ihres Königs ſticken.

Die armen Kinder litten aber wieder ſo ſehr.

Und da iſt es ein ſüßes Gefühl, als Schutz¬ engel über die Unſchuld zu wachen! Man mag ſich für gewiſſe Leute intereſſant machen, wenn man immer die Leidende ſpielt; es giebt aber andere, die durch die Maske ſehen.

Adelheid ward roth, und ſenkte ihr AugeIII. 14210nieder, das entrüſtet aufgeblickt. Von der Rede kamen nur die Worte heraus: Meine Mutter

Das Wort wird Dir wohl täglich ſchwerer. Aber ſo lange Du Dich bewogen findeſt in dieſem Verhältniß zu bleiben, iſt es doch gut, daß Du Dich vor den Andern bezwingſt, Liebe gegen mich zu zeigen.

Meine Mutter, Sie martern mich.

Das iſt unſer aller Loos. Wir alle werden gemartert von den Verhältniſſen, vom Urtheil der Menſchen; bis wir gleichgültig werden, ſagen die Leute. Das iſt nicht wahr, man wird nicht gleich¬ gültig, wenn man ſich nicht ſchon aufgegeben hat. Nur wer ſo weit iſt, daß er alle Hoffnung fahren ließ, nimmt die Tritte und ſpitzen Stiche ruhig hin. Wer ſich noch fühlt, ruht nicht, bis er Andre wieder martern kann. Sieh mich immerhin verwundert an; es iſt ſo, es iſt das Geſetz der Welt.

Das Geſetz der Rache!

Nenne es, wie Du willſt. Es giebt nur zwei Gattungen Weſen, Unterdrücker und Unterdrückte. Wo Du hinſiehſt, ſo iſt es. Das iſt eine Phantaſie aus der Vorzeit, daß es freie Menſchen gäbe; ſie ſind von unſerer Cultur ſo ausgerottet wie die wilden Thiergeſchlechter. Denn die noch da ſind, ſind doch ſchon unterworfene Geſchöpfe. Der Menſch hegt und erhält ſie, um ſie zu fangen, ſchießen, je wie es ihm beliebt. Der Hirſch, der Haſe, iſt ſo ſein Eigenthum, daß er ſchon unverbrüchliche Geſetze211 für ihn gegeben hat, wie lange man ihn ſchonen, wann der Vertilgungskrieg losgehn ſoll. Nach eben ſolchen Geſetzen ſchont ein kluger Herr die von ihm abhängig, nicht aus Liebe, nur um ſeines Vortheils willen. Er ſpart ihre Kräfte auf, um ſie am beſten zu nutzen. Der Wurm und der Hirſch lehnen ſich vergeblich gegen ihre Ueberwinder auf; unter den Menſchen glückt es unterweilen dem Einen und dem Andern, durch Liſt, Ausdauer, frei und Herr zu werden über ſeine Unterdrücker, und dieſer Prozeß iſt unſere Geſchichte. Aber wenn ſie es ſind, dann machen die Sieger es nicht beſſer und anders; ſie unterdrücken, quälen und martern wieder, wie ſie gemartert wurden. Das iſt auch Geſchichte, mein Kind. Findeſt Du es ſo unnatürlich, daß man lieber ſticht als geſtochen wird?

Ich freue mich, daß ein harmloſes Mädchen nicht in Verlegenheit kommt, wählen zu müſſen.

Die Lupinus lächelte: Warum unſer Verhältniß durch Unwahrheit erſchweren, mein Kind. Zwiſchen uns muß Wahrheit ſein. Ich ertrage ſie, Du kannſt es auch. Du wirſt noch mehr ertragen müſſen.

Mein Gott, was iſt denn zwiſchen uns Wahr¬ heit? rief Adelheid, und erſchrak, als es über ihre Lippen war.

Du ſprichſt es eben aus. Wir ſind zuſammen ge¬ würfelt und paſſen nicht zu einander. Wir gefallen uns nicht, und müſſen doch vor den Menſchen die Miene an¬ nehmen, als wenn wir uns liebten. Auf Deinen Lippen14*212zittert die trotzige Bemerkung, ich könnte Dich ja ver¬ ſtoßen. Dir die Thür weiſen. Nein, Adelheid, das kann ich nicht, ich darf es nicht. Die Welt, die mich geſtern noch liebkoſete, hat ſich über Nacht von mir gewandt. Daß ich Dich damals gerettet, iſt längſt vergeſſen, ſo wie Du es vergeſſen haſt. Still, ſtill, ich zürne Dir darum nicht, ich finde es ganz natürlich. Sie ſinnen mir an, daß ich Dich nur aufgenommen, um mit dem ſchönen Mädchen Staat zu machen. Du ſollteſt der Lockvogel ſein für eine Geſellſchaft, die ſonſt nicht über die Schwelle der Lupinus gekommen wäre! Nun ſei es anders! Man hat ſich ſatt geſehen, man gafft andere Sterne an. Man vernachläſſigt mich, ſpottet meiner hinter meinem Rücken. Wer ſo einſam daſteht wie ich, von dem wenden ſich auch die treueſten Freunde. Merke Dir das, es giebt keine Treue, als wer ſich ſelbſt treu iſt, und das iſt ſchwer. Die Schule iſt lang und hart, ich habe ſie durchgemacht. Ich kenne die Welt; einer nach dem andern ihrer bunten, flimmernden Lappenvorhänge fiel nieder, auch einer, der feſt ſchien wie das diamantene Firmament aber das Firmament iſt ja auch eine Illuſion! Wenn ich Dir jetzt den Stuhl vor die Thür ſetzte, hieße es, das ſei aus Verdruß, weil Du meine Erwartungen nicht erfüllt, ich wäre Deiner ſatt. Daß man mich dann tadelte, haßte, ertrüge ich ich haſſe ſie ja auch; aber man würde mich aus¬ lachen, und ausgelacht mag ich nicht ſein.

Die Thränen, die aus der wunden Bruſt, ein213 heißer Strom, vorbrechen wollten, gerannen durch die Eiskälte der Rede zu Eis: Sie haben mir erklärt, warum die Bande, welche Sie an mich feſſeln, von Ihnen nicht gelöſt werden können, Frau Geheimräthin; aber warum ich ſie nicht löſen darf, wenn ich weiß, daß meine Gegenwart für Sie eine ſtörende iſt

Das habe ich Dir allerdings nicht geſagt, fiel die Lupinus ein, weil ich es nicht für nöthig hielt. Die Sache iſt ſo einfach. Kann man Liebe erzwin¬ gen? Du liebſt mich nicht, und haſt mich nie geliebt. Das glänzende Leben in meinem Hauſe iſt Dir nicht mehr neu, oder nicht mehr glänzend; es zieht Dich nicht mehr an. Die Huldigungen, die Du empfängſt, würden Dir auch ſonſt wo nicht entgehen. Hätteſt Du Dich klug von Anfang an benommen, ſo wäre Deine Stellung jetzt geſichert, vielleicht eine ſo glän¬ zende, daß Du auf die mit ſtillem Mitleid herabſehen könnteſt, die Du noch jetzt ſo gütig biſt Deine Wohl¬ thäterin zu nennen. Dein übler Stern hat es anders gewollt. Du folgteſt einer ſentimentalen Regung, und aus einem Gefühl, das Du Dankbarkeit nennſt, gabſt Du Dich dem Manne zu eigen, an den Dich eine doppelte Täuſchung knüpft. Du glaubſt ihm Deine geiſtige Ausbildung zu verdanken, und Du glaubſt ihn zu lieben. Mein Kind, wer der Dank¬ barkeit huldigt, iſt ſchon verloren; die Undankbaren ſind die glücklichſten, weil ſie die freieſten ſind. Gutes thun iſt nichts als eine Berechnung; die Einen thun es, um einſt im Himmel belohnt zu werden, die214 andern, um hier einen Vortheil zu haben, mit einem kleinen Einſatz ſpeculiren ſie auf einen großen Treffer. Auch ſie Thoren! Sie täuſchen ſich immer in dieſer Berechnung; wenn die Undankbarkeit des Geſchöpfes ſie längſt belehrt haben ſollte, hegen ſie dafür noch immer ein Intereſſe und meinen in einer Art ſtillen Wahnſinns, ihr Geſchöpf werde doch noch ein Mal in ſich gehen, und es ihnen lohnen, was ſie dafür gethan.

Die Geheimräthin hielt einen Augenblick inne, es ſchien, als wolle ſie ſich an der Wirkung ihrer Rede erfreuen; aber Adelheid ſtand wie ein Steinbild vor ihr. Darauf hatte ſie nichts zu ſagen. Dann fuhr ſie fort: Ueber dieſe Illuſion, mein Kind, bin ich wenigſtens längſt hinaus. Auch Du ſtehſt auf einem Wendepunkt. Du biſt ſelbſt ſo klug, daß Du fühlſt, wie Dein Herr van Aſten eben nur that was ein geſchickter Lehrer ſoll, den man dafür bezahlt. Er erkannte Dein Talent, und führte Dich auf den rechten Weg. Du hätteſt ihn, auch ohne Walter, vielleicht ſpäter, vielleicht beſſer gefunden. Deine Bildung iſt nicht ſein Werk, und noch weniger biſt Du ſein Geſchöpf. Das ſiehſt Du jetzt mit jedem Tage mehr ein, und um deswillen fängſt Du Dich an zu ſchämen über das Uebermaaß von Dankbarkeit, mit dem Du Dich ihm in die Arme warfſt. Du liebſt ihn auch nicht. Das aber geſtehſt Du Dir noch nicht ein und lullſt Dich vielmehr immer tiefer in die Selbſttäuſchung, daß Du ihn lieben müßteſt. Etwas Berechnung iſt indeß auch dabei. Du möchteſt gern215 von mir loskommen; aber zu Deinen Eltern willſt Du auch nicht zurück. In der vornehmeren Stellung, in welche ſie gerückt ſind, und welche Dir allenfalls den äußern Glanz bietet, an dem Du Dich nun ge¬ wöhnt haſt, würdeſt Du Dich noch weniger behagen; ihre neuen Kreiſe ſprechen Dein äſthetiſches Gefühl nicht an. Du bemerkſt vielleicht ſchon manches Lächer¬ liche in den Prätenſionen, die ſie machen. Als gutes Kind giebſt Du Dir Mühe dieſe Regung zu unter¬ drücken; aber Du würdeſt ſehr unglücklich ſein, ſo¬ wohl in den alten beſchränkten Verhältniſſen, als in den ausſtaffirten neuen. Um aus dieſem Dilemma zu kommen, von mir los, und nicht zu Deinen El¬ tern zurück, drängt es Dich, und Du drängſt vielleicht auch ihn, daß Walter eine Stellung bekomme, wo er Dich heirathen kann. Mit einer fieberhaften Angſt haſt Du Dich auf dies Thema geworfen, und machſt ihm immer neue Vorſchläge, wie er es anfangen ſoll. Du quälſt Dich, ihn, Deine Eltern, ſeinen Vater, uns alle. Das weißt Du auch recht gut, denn Du weißt, daß Walter an ganz anderes denkt als an Dich und ſich, aber Du thuſt es doch, weil Du in einer Art Fieber biſt. Du betrachteſt es als eine Deſtination, Dich als ein Opferlamm, und mit aller¬ hand hochherzigen Vorſpiegelungen ſchilderſt Du dann als ein erhabenes Ziel der Selbſtverleugnung, was doch nichts iſt, als der Nothhafen, wohin der Schiffer in ſeiner letzten Verzweiflung ſteuert. Und wenn Du ihn nun geheirathet haſt

216

So getraue ich mir zu, ihm eine gute, treue Frau zu ſein.

Daran zweifle ich nicht. Aber Du wirſt es ihn doch fühlen laſſen, welche Opfer Du ihm ge¬ bracht. Du wirſt ihm nicht täglich ſagen: das und das hätte ich ſein können, wenn ich Dich nicht gehei¬ rathet, Ihr werdet Euch nicht immer zanken, noch wird er Dich Abends und Morgens mit verweinten Augen ſehen; aber Du kannſt Dich nicht enthalten es ihn empfinden zu laſſen, was Du empfindeſt. Augenblicke werden kommen, wo Du Reue fühlſt. Je länger Du Dich anſtrengſt es zu verbergen, je ſtärker bricht es einmal unwillkürlich heraus. Er iſt ein guter Menſch, aber wenn er empfindlich wird, was ich ihm nicht verdenke, bricht es wohl los, nicht äſthetiſch, ſondern recht irdiſch materiell. Haſt Du dann Thränen, ſo iſt das noch das beſte. Haſt Du keine, ſo ſchraubſt Du Dich zurück in Deine Reſi¬ gnation, Du verſchließeſt Dich in die Burg Deines Selbſtgefühls. Biſt Du erſt da iſolirt, mein Kind, ſo begnügſt Du Dich bald nicht mehr mit der Ver¬ theidigung, ſondern Du machſt Ausfälle. Keine Feſtung hält ſich auf die Dauer, wenn der Com¬ mandant nicht die Gelegenheit benutzt, die ſich ihm zur Offenſive bietet, und dann dann iſt der Kriegs¬ zuſtand gegen alle erklärt Du ſtehſt wie ich. Täuſche Dich doch nicht, als ob Du nicht jetzt ſchon darin lebteſt! Auf Walter biſt Du ungehalten, daß er nicht ernſtere Anſtalten trifft; da fliegt manches217 ſpitze Wort, das durch den ſüßen Händedruck nicht verwiſcht wird. Ich hörte ſchon geſchraubte Redens¬ arten zwiſchen der Mutter und Dir; ihr vergöttert Kind will nicht mehr das flügge Vöglein im Neſte ſein; ſie begreift Dich nicht, aber Du begreifſt ſie nur zu ſehr. Und führſt Du nicht etwa gegen mich einen täglichen Krieg? Irgend wie mußt Du es mir doch vergelten, daß Dir mein Anblick zuwider iſt. Da begnügſt Du Dich, ein harmlos Mädchen, meine häuslichen Anordnungen zu contrecariren, Du ſoulagirſt meinen Gatten in ſeinen Wünſchen, die ich für ſeinen Geſundheitszuſtand nicht angemeſſen finde, Du ver¬ tuſcheſt die Unarten der Kinder hier, und biſt ihnen wohl ſelbſt behülflich bei Näſchereien, wenn ſie auch den Kindern ſchädlich ſind. Wenn ich mit dem Ge¬ ſinde zanke, wirkſt Du begütigend hinter mei¬ nem Rücken, und umgehſt auf unmerkliche Weiſe, was ich beſtimmte. O es iſt ein angenehmes Gefühl, von Kindern und Dienſtboten als ihr Schutzengel betrachtet zu werden, und während man ihre Liebe eincaſſirt, ihren Haß gegen andre zu lenken, die nicht ſo gütig ſind, und es nicht ſein dürfen, weil ſie ihre Pflicht dadurch verletzten. Und wie klug es von Dir iſt, es ſo heimlich zu thun, daß ich keinen Verdruß davon habe! Die chineſiſche Vaſe dort iſt mir ein theures Andenken aus meinem elterlichen Hauſe. Wie geſchickt haſt Du ſie auf die Kante des Schrankes geſtellt, damit ich nicht täglich den Verdruß habe zu ſehen, wie die unartigen Kinder ſie zerbrochen haben.

218

Geheimräthin! rief Adelheid erblaſſend, das iſt zu viel!

Ich mache Dir keinen Vorwurf; im Gegentheil ich lobe Dich, daß Du zur Beſinnung kommſt. Kann ich fordern, daß mich jemand lieben ſoll, und gar um der Kleinigkeit willen, wo auch ich mir geſtehe, daß ich es nicht aus Liebe zu Dir gethan, ſondern wirklich, weil es mich amüſirte, mein Haus durch ein ſo ſchönes Mädchen lebendig zu machen. Vieles, was ich aus Liebe gethan, ward mir ſchlechter ver¬ golten. Unſre Naturen haben nun einmal keine Sympathie. Du biſt mir gleichgültig, ich bin Dir vielleicht widerwärtig. Kannſt Du oder ich dafür? Wie ich die angeheuchelten Gefühle der Dankbarkeit betrachte, haſt Du eben gehört. Du haſt nun ſchon gelernt, Dich geiſtig von mir frei zu machen. Das iſt ein Fortſchritt. Du moquirſt Dich über mich, complotirſt im Kleinen gegen mich. So wird Dir mein Haus eine gute Schule werden fürs Leben. Fahre fort; ſo nur lernſt Du, wie man mit den Menſchen umgehen muß, um was die andern nennen, frei zu werden. Ich bin die ältere, und ſah es zu ſpät ein. Uebe Dich an mir. Du haſt ein langes Leben vor Dir.

Adelheid ſtand ſprachlos da, als die Geheim¬ räthin langſam nach der Thüre ſich entfernte. Sie wandte ſich noch einmal um: Noch eins, was ich von Dir fordern kann. Wir ſind nun einmal an einander gekettet. Wir müſſen es tragen bis der219 Zufall die Kette zerreißt. Hüte Dich vor jedem Impuls. Wenn Du etwa auf die Straße ſtürzteſt echauffirt, halbnackt, wie damals Du verſtehſt mich, würde es an mitleidigen Seelen nicht fehlen, die Dich wieder aufnähmen. Auch in Sammet und Seide würden ſie Dich kleiden; aber nicht aus Liebe zu Dir, nur aus Feindſchaft gegen mich, mir einen Poſſen zu ſpielen. Nimm Deine ganze Vernunft zuſammen, Adelheid. Mir ſpielten ſie den Poſſen, aber Du müßteſt zuletzt doch bezahlen. Wer ſo oft ein Rolle ſpielt und mit ſich ſpielen läßt, hat den Credit ver¬ loren.

Die Thüre klinkte hinter ihr zu. Adelheid ſtand eine Weile regungslos: Das Weib! das Weib! rief ſie. Das Weib vergiftet mich! und warf ſich ſchluchzend auf das Bett.

[220]

Zwölftes Kapitel. Auch Vater und Sohn.

Wenige Minuten nach dieſer Scene erhielt Walter van Aſten ein Billet ſeiner Braut, ſo geeignet ihn aus ſeiner Ruhe aufzureißen, als es von Adel¬ heids äußerſter Unruhe Zeugniß ablegte. Er erkannte in den wild hingeſprühten Worten ſeine beſonnene, klare Freundin nicht wieder. Er verſtand das ganze Billet nicht, denn zu Anfang ſprach es von einem Abgrunde, an dem ſie ſchaudernd ſtünde, ſie ſtrecke vergebens die Arme nach Hülfe aus, dann entzifferte er in den von Thränen ausgelöſchten Worten, daß er ſie retten könne; aber die Schlußworte widerriefen das Vorangehende. Sie ſei in einem Fieberzuſtand, er möge nicht auf ſie hören, ſie laſſen wo ſie ſei, ſich ſelbſt, ihrem Schickſale überlaſſen. Wenn ſie unterginge, ſei es vielleicht das beſte für ihn und ſie. Gewiß, gewiß, ſie werde ſich auch dann erholen, die Geheimräthin habe ſie nur prüfen wollen, hinter dieſer Meduſen¬ maske ſchlüge vielleicht ein gefühlvolles Herz. Sie drang in ihn endlich, nicht zu kommen, ſich durch nichts ſtören zu laſſen, was er höre.

221

Wenn ſie das gewollt, warum nur die Nach¬ ſchrift? Warum hatte ſie den Brief nicht zerriſſen, einen neuen geſchrieben, oder die Abſendung ganz unterlaſſen? Sie befand ſich alſo in einer Aufregung, welche ihr die Beſinnung geraubt, und in dieſem Zuſtande hatte ihr Herz nach ihm verlangt. An ihn hatte ſie zuerſt gedacht, als ſie nach Rettung auf¬ ſchrie. Die Reſignation war erſt nachher gekommen. Er war aufgeſprungen, ſein Entſchluß gefaßt, nur ihrem erſten Willen zu gehorchen, und eben hatte er den Ueberrock vom Nagel geriſſen, als ein zweites Billet von unbekannter Hand ihm überbracht ward. Der Bote war verſchwunden, das Wirthsmädchen hatte nicht nach dem Abſender gefragt, und der unterzeichnete Name, als er es aufgeriſſen, war ihm fremd. Jemand, der ſich einen Secretair des neuen Miniſters nannte, forderte ihn auf, ſich morgen in einer Frühſtunde bei demſelben melden zu laſſen, indem Se. Excellenz ihn kennen zu lernen wünſche. Auch hier ein Poſtſcript des Inhalts, daß der Miniſter bereit ſei, ihn ſchon heute Nachmittag zu empfangen. Die Stunde war benannt, und Walter hätte eben nur Zeit gehabt, ſeine Toilette darnach einzurichten, wenn er der letzteren Weiſung, die faſt wie ein Befehl klang, Folge leiſten wollen.

Was wollte der Miniſter von ihm? Natürlich, er hatte ſeine Schrift geleſen, ſeine Anſichten hatten ihn angeſprochen, er wollte mit dem Verfaſſer Endlich! brach es von ſeinen Lippen, und ſeine222 Stirn klärte ſich auf, aber der Glanz verſchwand ſchnell wieder. Nach ſo viel Enttäuſchungen vielleicht eine neue! Hatte ihm nicht ein ängſtlicher Freund aus der Schulzeit zugeflüſtert, daß er aus höheren Kreiſen gehört, wie man ſeine Vorſchläge für naſeweis halte, daß ſeine Anmaßung eigentlich eine Rüge verdiene. Und bedurfte es für ihn ſolcher Zuflüſterung, nach der eigenen Erfahrung, die er bei einem befreundeten Miniſter gemacht! Zwar, nach ſeinem Ruf im Publikum, war der neuen Ideen zugänglich, er hege ſelbſt gro߬ artige Plane; aber er ſei eigenſinnig, hieß es, dringe damit nicht durch, darum verdrießlich, und jetzt ſo gut wie ohne Einfluß. Auch er mochte ihn nur warnen wollen.

Aus dem Zweifel, ob er den Ueberrock oder den Frack anziehen ſolle, riß ihn ein neues Klopfen, eine neue Ueberraſchung. Sein Vater trat in die Stube. Er war noch nie hier geweſen, aber auf ſeinem Geſicht erſah man nichts von der Ver¬ wunderung, welche ſich auf dem des Sohnes aus¬ drückte, weder eine freudige noch eine betrübte. Er reichte dem jungen Mann die Hand: Ich muß doch auch mal ſehn, wie's Dir geht, und ſetzte ſich, wie er¬ müdet vom Wege, auf einen Seſſel.

Ein unerwarteter Beſuch, mein Vater.

Da Du nicht zu mir kommſt, um zu ſehn, wie's bei mir ausſieht, muß ich zu Dir kommen, um zu ſehn, wie's bei Dir ausſieht. Wir kommen ja ſonſt ganz auseinander.

223

Das hab ich nie gefürchtet, und Ihr Beſuch beſtätigt meinen Glauben, ſagte Walter, während der Vater ſeine Blicke flüchtig umher ſchweifen ließ.

Nu das iſt ja alles recht hübſch ordentlich. Deine Lectionen müſſen Dir auch ſchon was Er¬ kleckliches eintragen, freilich, und die Schriftſtellerei auch! Um wen man ſich ſo reißt, daß man gar kein Exemplar mehr kriegt, und wenn man's mit Gold aufwiegt. Schreibſt Du wieder was Neues?

Es würde Sie ſo wenig intereſſiren als das alte.

Du willſt, wie ich höre, die Bauern verbeſſern. Das iſt hübſch. Mach nur die Lümmel geſcheidt. Du erinnerſt Dich wohl nicht mehr, als wir Nieder - Lanken gekauft hatten.

Doch, mein Vater. Sie ſahen ſich genöthigt, es wieder zu verkaufen, weil die Bauern mit den Hofedienſten ſchwierig waren.

Weil ich kein Adliger ſei, ſagten die Schlingel. Weißt Du, wie ich es jetzt machen würde? Ich nähme einen Edelmann als Compagnon.

Sie nahmen auch Juden, was manchen an der Börſe verdroß.

Juden, Heiden, Atheiſten, je wie ſich's zum Geſchäft paßt. Ein Kaufmann muß Augen und Ohren aufhaben. Wo's gilt, ſchnell zugegriffen, ver¬ legene Waare fortgeſchmiſſen à tout prix. Er muß mit der Zeit fortſchreiten. Das thuſt ja wohl auch?

Ich fürchte, die Zeit ſchreitet über uns fort.

224

Ja, ja, ſie hat jetzt lange Beine.

Mein Vater, ich kenne Sie, und ich glaube, Sie kennen mich. Sie haben den ſauren Weg, der mich erfreut und beſchämt, nicht ohne Abſicht an¬ getreten?

Wer fällt denn gleich mit der Thüre ins Haus? Ich wollte mit Dir vorher ein bischen über Krieg und Frieden discouriren, Europäiſche Weltverhältniſſe. Du biſt ja jetzt ein Politiker, und ich hoffe doch noch immer mein Sohn, der mir mit Rath und That zur Hand ſein wird, wenn es ſeines Vaters Wohl gilt.

Zum Spotten iſt die Zeit zu ernſt.

Was, ſpotte ich? Geht einen Kaufmann Krieg und Frieden nichts an? Der Alte ſtampfte mit ſeinem Rohr auf den Boden. 's iſt Ernſt, Herr Sohn. Wenn ein Kaufmann Schiffe auf der See hat, ſo geht ihn der Sturm ſehr viel an; und wenn die Portepeefähndriche bis zu den Generalen hinauf in ſeinen Büchern ſtehen, ſo iſt ihm ihr Leben noch viel theurer als dem Vaterlande.

Als ein umſichtiger Kaufmann, wie ich Sie kenne, werden Sie Ihre Unternehmungen nach den letzten kritiſchen Zeitumſtänden eingerichtet haben.

So? hoffſt Du das?

Sie mußten den Krieg als wahrſcheinlich im Auge haben, und Ihre Speculationen, wenn nicht darauf einrichten, doch danach abmeſſen.

Wenn ich nun auf den Frieden ſpeculirt hätte!

225

Indem Walter ſeinen Vater aufmerkſam be¬ trachtete, ſuchte er, ob hinter der barocken Wolke, mit welcher van Aſten ſeinen wahren Geſichtsausdruck zu verbergen wußte, nicht eine andere Stimmung lauere. Doch keiner der ſchlauen Blicke züngelte zu ihm auf; er ſaß, die Hände auf den Stock geſtützt, ſeine Augen auf den Boden gerichtet.

So bin ich wenigſtens davon überzeugt, daß Sie Ihr Geſchäft überſehen haben. Wenn eine Unternehmung Ihnen fehl ſchlüge, werden ſie nicht ſelbſt geſchlagen ſein. Das Renommee des alten Hauſes van Aſten und Compagnie

Die älteſten Häuſer ſtürzen beim Erdbeben. Krieg iſt ein Erdbeben. Lerne was von mir, was Dir gefallen wird: ein Kaufmann, der immer nur auf Nummer Sicher ſetzt, hat bald ausgewirthſchaftet.

Mein Vater, wenn Sie auf den Frieden Ihr Alles ſetzten, ſagte Walter nachdenklich.

So iſt wieder Unfriede zwiſchen uns, fiel der Alte ein, denn Du haſt Dein Alles auf den Krieg geſetzt. Ich weiß es.

Was iſt mein Alles, Vater!

Der Kaufmann winkte ihm mit der Hand zu ſchweigen. Ich weiß es ja, darum kam ich nicht her. Ich will nicht richten mit Deinen heroiſch patriotiſchen Stimmungen, ein guter Geſchäftsmann kann auch damit etwas anfangen, wenn die Leute danach ſind! Da aber die Leute nicht danach ſind, ſo habe ich meine Rechnung auf den Friedensfuß geſetzt.

III. 15226

Und die Armee

Iſt auf den Kriegsfuß geſetzt, das heißt der Lieutenant kriegt ſo und ſo viel, und der Obriſt ſo viel Zulage. Die bezahlt der Schatz, und wenn Keiner da iſt, der Bürger und Bauer. Nun ſehe ich aber nicht ab, was der Fuß in Stiefel und Sporen mich bange machen ſoll, wenn der ganze Leib noch im Schlafrock ſteckt.

Der Schlafrock wird ihnen abgeriſſen!

Biſt Du auch dabei? Jetzt erſt warf der Alte einen ſeiner ſchlauen Blicke zu ihm hinauf. Man will heut in der Komödie ein Paar Raketen in die Luft ſchicken. Das Sprühen und Praſſeln ſoll ge¬ wiſſen Leuten die Augen und Ohren öffnen. Wenn ſie nun aber abſolut nicht ſehen und hören wollen! Kinder ſollten nicht mit Feuerzeug ſpielen.

Sie wiſſen, daß wir wirklich das verlaſſene Hannover beſetzt haben.

Und wir verproviantiren die Franzoſen in Hameln.

Aus dieſer Zweideutigkeit Preußen herauszu¬ reißen iſt jetzt die Aufgabe aller Beſſeren.

Und Du ſiehſt, der König zaudert, wie er vor¬ hin gezaudert. Kaiſer Alexander ſelbſt mußte kom¬ men um ihn zu elektriſiren. Nun der Executor fort iſt, fallen wir in unſere Natur zurück. Wie ſagt doch da der Lateiner von der furca expellas?

Wenn der Degen zu drei Viertel aus der Scheide geriſſen iſt!

227

So ſteckt immer noch ein Viertel drin, und das kann man ſo langſam rausziehen, bis es zu ſpät und der Krieg an der Donau vorüber iſt. Bona¬ parte hat Wien genommen, weißt Du das ſchon? Die beiden Ruſſiſchen Heere, unter Kutuſow und Buxhövden werden Mühe haben ſich um Olmütz zu vereinigen. Die Nachricht kam eben auf der Börſe an.

Wien genommen! rief Walter. Und Haugwitz?

Hat ſich von Bonaparte hinſchicken laſſen, weil in Wien ein Geſandter am beſten aufgehoben iſt. Der Kaiſer hat ſehr viel Rückſichten gegen ihn gehabt, fand es unſchicklich, daß ein Preußiſcher Miniſter und Diplomat ſich im Heerestroß mitſchleppen laſſe.

Und Haugwitz ließ ſich fortſchicken?

Was wird er nicht! Er liebt die Commodität. Sehr langſam reiſt er ſchon, damit ihm kein Unglück widerfahre. Und hat gewiß Recht gehabt, ein Un¬ glück, was unſerm Premierminiſter zuſtieße, wäre ja eines für den ganzen Staat!

Und er traf ihn

In Brünn gerade bei den Vorbereitungen zu einer neuen Schlacht. Da hatte Napoleon natürlich keine Zeit ſich mit ihm zu unterhalten. Wenn ich zur Meſſe in Leipzig bin und meine Bude vollſteht von Juden, Türken und Armeniern, wo es einen Handel gilt um alle meine Waaren, und die Spitz¬ buben wollen mich übers Ohr hauen, oder ich will ſie, was bei einem Kaufmann auf eins rauskommt,15*228und da käme ein lieber Sohn, oder Commis von einem Geſchäftsfreunde, den ich zum Teufel wünſche, um ſich mir zu präſentiren und mir Freundſchafts¬ verſicherungen zu machen, oder mir guten Rath zu geben, wie ich mit den Juden handeln ſoll, glaubſt Du, daß ich ſolchen ungelegenen Gaſt anhörte? Ich ſchmiſſe ihn zur Thür raus. Nein, Napoleon war höflicher, ſagte zu ihm: Lieber, jetzt habe ich keine Zeit, gehn Sie nach Wien, und warten bis ich Zeit habe, dann wollen wir ſprechen.

Und Haugwitz ſchüttelte nicht die Toga! Er ließ nicht die zwei Mal hundert tauſend Bajonette zwiſchen ſeinen Drohworten klirren.

Drohworte! Er iſt ja ein feiner, gebildeter Mann!

Aber ſein Auftrag

Kennſt Du den? Ich kenne ihn nicht. Es werden hier nicht Zehn, nicht Drei ſein, die ihn kennen. So viel man uns ſchreibt, ſprach er als ein tief gekränkter Freund, daß Napoleon die guten wohlmeinenden Rathſchläge, die Preußen ihm gegeben, ſo außer Acht gelaſſen. O ich zweifle gar nicht, er wird ſehr ſanft und elegant geſprochen haben ſchade, ſehr ſchade, daß Napoleon gerade nicht den Oſſian las, ſondern ſich die Reiterſtiefel anzog.

Walter war auf einen Stuhl geſunken und barg ſein Geſicht im Arme. Als der Vater den Seufzer hörte, den er unterdrücken wollte, ſtand er leiſe auf und berührte ſanft die Schulter des Sohnes:

229

Mein lieber Walter, Dein Vater hat doch wohl recht gehabt. Wenn wir uns ſonſt nicht vertrugen, weil Deine Gedanken wo anders hingingen als meine, ſo mag ich unrecht gehabt haben. Gedanken ſind zollfrei, und ich dachte als Kaufmann nur an die Waare. So lange man im Schmetterlingskleide über die bunten Wieſen flattert, da laſſe man doch die Kinder ſpielen. Ich bitte Dich um Verzeihung, daß ich damals meinte, ich könnte Dich mit einem Bind¬ faden leiten, den ich an Deine Flügel band. Aber wenn der Schmetterling ſich verpuppt hat, und aus den Gedanken Plane werden, wenn ſie die Ideen marktgerecht zurichten und an den Mann bringen wollen, iſts was anderes. Nun, ſehe jeder, wie er's treibe. Du biſt jetzt ein Mann, ein Kaufmann für Dich; wenn Du ſpeculirſt, mußt Du ſo gut wie Dein Vater auf ein Falliſſement gefaßt ſein. Dein Vater würde ſich zu ſchicken wiſſen in das, was nicht zu ändern iſt, und Du auch; Du biſt mein Sohn. Aber wenn man für den Staat ſpeculiren will, iſt das erſte, daß man ſich die Menſchen anſieht, die, für die man ſpeculirt die Leute, ob ſie danach ſind? Die Gedanken, o die ſind wunderſchön. Aber was ſind Ideen, ohne Menſchen, die ſie tragen! Das große Vaterland, o das iſt das Erhabenſte was es giebt, wer wollte nicht dafür Gut und Blut opfern! Wenn nun aber das Vaterland bloß Erde und Stein wäre und die Menſchen ausgeſtorben? Würdeſt Du dafür auch Dein Blut dran ſetzen? Oder die Menſchen230 drin wären alle blind, oder taub, oder Cretins. Ja, ich weiß doch nicht, ob es recht wäre, ſich ſelbſt darum hinzugeben, für eine große Blindenanſtalt, für ein Taubſtummeninſtitut, oder gar für ein Haus von lauter Blödſinnigen. Mein lieber Walter, dein Vater hat ſich nun durch ein Menſchenalter die Menſchen angeſehen wie ſie ſind, und darum hat er jetzt auf den Frieden ſpeculirt, und ich glaube, er hat recht ſpeculirt.

Dieſe! rief Walter aufſtehend. Ja, die Sie meinen, aber es giebt andere.

Wer zweifelt daran! Es giebt überall gute, rechtſchaffene, kluge, ſogar ausgezeichnete Menſchen, es kommt nur eben darauf an, ob die Klugen die Dummen und die Guten die Schlechten überwiegen, oder umgekehrt. Mein Sohn, ich will Dir zugeben, daß Euer recht Viele ſind, die fühlen und ſagen: ſo geht es nicht mehr! Da's aber noch immer ſo geht, ſo müſſen dieſe Vielen doch immer noch die Schwächeren ſein, ſie dringen nicht durch, die Andern bleiben am Ruder, und wer am Ruder ſitzt, ſteuert wohin er will, meinethalben ins Verderben; auf den blicken Alle, der entſcheidet, auf den kommt es an in welchen Hafen das Schiff treibt. Iſt Haugwitz abgeſetzt, Beyme fortgejagt, Lombard eingeſperrt? Deine Beſſeren und Edleren ſchreien freilich überall, es müſſe ſo kommen. Noch aber iſt es nicht gekom¬ men. Umgekehrt. Die Prinzen, die Königin, ſo viele berühmte Generale, der halbe Hof, die Prinzeſſinnen231 an ihrer Spitze, cabaliren und verſchwören ſich bei¬ nahe an den Straßenecken gegen ſie, und Lombard trinkt ſeine Chocolate und ſein Weisbier ſo vergnügt wie vorher, Beyme macht Alles, und was er redet iſt des Königs Rede, und Haugwitz iſt zu Napoleon geſchickt, um die Rechnung zu arrangiren.

Sie gehen vor keinem Bilde Friedrichs vorüber, ohne den Hut abzunehmen, und Vater, ſo gering ſchätzt ein Verehrer des großen Königs deſſen Volk?

Weißt Du noch unſere Tapeten aus Arras? Vor denen habe ich auch großen Reſpekt. Die da in unſerem Eßzimmer ſtellen den trojaniſchen Krieg vor. Was hat der Aeneas für ſchöne karmoiſinrothe Knie¬ hoſen an! Das Prachtſtück iſt auch viele Genera¬ tionen in unſerer Familie, König Franz I. hat es einmal in einem ſeiner Schlöſſer an der Wand ge¬ habt. Darum kriegtet Ihr Kinder auch immer Klapſe auf die Finger, wenn Ihr dran polktet. Sind mir auch jetzt nicht feil. Nimm ſie aber mal ab und halt ſie gegen die Sonne! Wie ein Sieb von den Mot¬ ten! Und bringe ſie auf die Meſſe. Wenn's kein Raritätenſammler iſt, ſo frage, was ſie Dir bieten. Abgeſtandene Waare findet auf dem Markt keine Käufer.

Walter ſchwieg einige Augenblicke; dann rief er: Und ſcheine es heut nur Roſt für den Raritäten¬ ſammler, ein Geiſt wie Friedrichs kann nicht wie ein Meteor durch die Weltgeſchichte geleuchtet haben, er kann nicht verſunken ſein ins Meer der Ewigkeit,232 ohne daß ſeine Strahlen gezündet und gezeugt haben. Andere Geſchlechter müſſen kommen, welche, wenn Roſt und Schlacke abgeworfen, ſeinen Geiſt in ſeinem Volke wiederſpiegeln.

Das verſtehe ich nun nicht, ſagte van Aſten, der wieder Platz genommen hatte. Mit der Ewigkeit hat ein Kaufmann nichts zu ſchaffen. Was er heute einkauft, will er morgen abſetzen. Walter, ſieh Dich da recht vor, daß Du nicht zu kurz kommſt. Das, wie geſagt, iſt nun Deine Sache, aber warum kam ich doch gleich? Ja ſo wirſt Du heut Abend in die Komödie gehen?

Walter ſuchte umſonſt in dem wieder ſchlauen Blick des Vaters nach dem Sinn der Frage:

Ich verſtehe Sie nicht.

Nun ich meine, ob Du auch einen Schwärmer abbrennen wirſt? Man ſpricht von einem wunder¬ ſchönen Kriegsliede, das ſie ſingen wollen.

Ich billige dieſe Theaterſcenen nicht, wo es eine große, ernſte und heilige Sache gilt.

So! Na das iſt mir auch recht lieb, daß Du Dich nicht unter die Offiziere mengſt. Die haben es beſtellt. Ich glaubte nur von wegen des Liedes, weil Du auch Verſe machſt. Ins Theater wirſt Du aber doch gehen, ich meine ganz ſimpel?

Ich war noch nicht entſchloſſen.

Dann thu's mir zu Gefallen. Aber nicht ins Parterre. Da wird man zu ſehr gedrängt. Ich habe Dir ſchon im zweiten Range Logenbillets genommen.

233

Mir?

Dir und der Couſine Schlarbaum. Die muß doch den Spectakel mit anſehen, und hat keinen, der ſie führt. Ich, weißt Du, geh 'nie ins Theater, da habe ich Dich ihr vorgeſchlagen.

Alſo darum Eine flüchtige Röthe belebte Walters Geſicht und ein ſchmerzlicher Zug ging um ſeinen Mund. In dieſer Angelegenheit, dachte ich, wären wir im Reinen.

Du meinſt doch nicht, daß ich meine Puppe einem Taugenichts aufdringen will, der ſie nicht mag. Dazu iſt mir das Mädchen viel zu lieb, und ihr ganzes Vermögen ſteckt in meiner Handlung. Wenn ſie nun rabbiat würde, wie gewiſſe Leute, die man gegen ihren Willen verheirathen wollte. Ich kenne Einen, der lief drum aus dem Hauſe. Wenn ſie nun auch aus dem Hauſe liefe, nämlich mit ihrem Capital, verſtehſt Du mich, ſie kündigte es mir, weil ſie ſich nicht verkuppeln laſſen will.

Walter lächelte: Meine Couſine Minchen iſt ein viel zu ſanftes Mädchen, und liebt ihren Oheim zu innig, um ihr Vermögen ihm zu kündigen.

Alle Sanftmuth hat ihre Gränzen, wenns ans Mein und Dein geht. Und und wenn das Vor¬ mundſchaftsgericht Du fürchteſt Dich doch nicht, daß Mamſell Alltag eiferſüchtig wird, weil Du Deine Couſine führſt? Au contraire, Du ſchlägſt da zwei Fliegen mit einer Klappe. Hat ſie Dir ſchon er¬ laubt, Dich ins Theater, auf die Promenade zu234 führen? Sieht ſie, daß Du ihr zum Trotz ein andres hübſches Mädchen führſt, ſo wird ſie vielleicht zuerſt maulen, aber dann ſich beſinnen und nicht mehr, was man ſo nennt, ête ſein. Na wohin denn mit einem Male?

Verzeihen Sie mir, mein Vater, dahin, wo meine Pflicht mich ruft.

Deſto beſſer. Ich begleite Dich. Gehts zur Mamſell Alltag, ſo bleib 'ich vor der Thür, und warte auf Dich. Was gilt die Wette, ich ſehe es Dir gleich an den Augen ab, wenn Du runter kommſt, obs oben gut ſtand oder ſchlimm.

Walter verbiß eine Bemerkung, er faßte des Vaters Hand:

Die Zeit iſt nicht zum Scherz angethan. Nicht hier, nicht dort. Wenn das aber, was ſie von der Couſine ſagten, Ernſt war, ſo Vater, ſchnell und deutlich, was hinter dieſem Ernſte liegt.

Der Ernſt, Herr Sohn, daß ſie ins Theater will und Du ſollſt ſie begleiten. Dabei ſtampfte Herr van Aſten wieder den Stock auf die Diele, ein Zeichen, daß es ernſter Ernſt war. Und warum? Bilde Dir nichts ein. Sie macht ſich nichts mehr aus Dir. Du ſollſt ſie begleiten um ſie zu beſchützen, aus Verwandtſchaft und aus ſonſt was. Sind junge Mädchen nicht neugierig? Werden hübſche Mädchen nicht angegafft? Sind unſre Officiere nicht nach den Mädchen aus? Sind ſie nicht unverſchämt im At¬ tacqiren. Und willſt Du noch mehr wiſſen? Ein235 Cornet, oder iſt er jetzt Lieutenant von den Gensdarmen, ein Herr von Kickindiewelt, oder wie er heißt, ſchleicht ihr auf Schritt und Tritt ſeit letzter Redoute nach. Ein Libertin, ein Taugenichts, ein Verſchwender. Minchen iſt ſchüchtern, und hat das Pulver nicht erfunden, das weißt Du auch. Er zieht ſie auf, ſie weiß nicht zu antworten. Du ſollſt für ſie antworten. Verſtehſt Du mich? Weißt ja Rath für alles, und wo der Unrath ſteckt. Nun zeig's mal, nicht mit der Feder, mit dem Maule. Wenn Du ſpitzig wirſt, iſt's gut; wenn Du grob wirſt, noch beſſer, 's iſt ſo Einer von denen, die die Beine über die Stuhllehne hängen, und's nicht ſo genau nehmen, wenn ſie einem Bürger auf die Hühneraugen treten. Darum iſt es auch für den Bürger gut, wenn er dicke Schuhe trägt. Außerdem hat er ſehr viel Geld, alſo iſt er ſehr ungeſchliffen. Junge, ich bin Dein Vater, und verbiete Dir, Dich in Händel einzulaſſen. Aber wenn Ihr ſo von ungefähr an einander geriethet, will ich nichts davon wiſſen. Du haſt in Halle eine Klinge geſchlagen, in Deinem Stammbuch ſteht auf jeder Seite ein Kreuz von Hiebern. Außerdem hatte der Herr Schwertfegermeiſter die Gefälligkeit, ſeine Rechnung mir nach Berlin zu ſchicken. Ich erinnere Dich nun nicht darum daran, daß Du's mir wieder bezahlen ſollſt, was ich für Dich gezahlt, ſondern

Walter lächelte: Sie beſorgen, daß ich in Berlin unter meinen Büchern die Kunſt vergaß,236 die ich in Halle betrieb, die Kunſt zu handeln. Ich werde Ihrem Befehl gehorchen und Minchen ins Theater begleiten.

Nu begleite ich Dich, wohin Du willſt, ſagte vergnügt der Vater. An der Thür hielt er den Sohn beim Rockzipfel: Walter, 's iſt 'ne ſchlimme Zeit geworden, und ſie muß beſſer werden, oder ſie wird noch ſchlimmer. Sind die im blauen Rock' ne andere Race Menſchen? Stammen nur die Junker von Adam und wir andern fielen nebenher von der Bank? Jeden Tag wird Ihr Uebermuth größer. Darum ein Mal drauf los! Trumpf auf Trumpf. Nicht mit Federkielen, die Feder wird ſtumpf, je ſpitzer Ihr ſchreibt. Sie leſens nicht, oder ſie lachen drüber. Aber

Es blieb ein Gedankenſtrich. An der Hausthür ſetzte er noch etwas hinzu: Und darum iſts auch gut, daß Friede bleibt. Wenn ſie die Franzoſen ſchlagen, dann wär gar nicht mehr mit ihnen aus¬ kommen. Jetzt ſprudeln ſie vor Uebermuth, aber daß man ſie nicht brauchen will, und ohne ſie fortzu¬ kommen meint, iſt ein guter Dämpfer.

Walter war anderer Anſicht, aber es war nicht der Augenblick, um die des Vaters zu bekämpfen. Ueber die im Hintergrunde liegende Abſicht deſſelben war er nicht in Zweifel. Er zürnte ihm nicht, daß er von einem Plane, der ihm ans Herz gewachſen, nicht laſſen konnte; aber es ſtimmte ihn wehmüthig, daß der Vater mit unerſchütterlicher Feſtigkeit einem237 unerreichbaren Ziele nachging. Unerreichbar, weil Walter in ſeinem Willen ſich eben ſo klar und un¬ erſchütterlich dünkte. Aber das Intermezzo, oder die kleine Intrigue, die der Vater ſpielte, erheiterte ihn, weil er ſie durchſchaute, und ſich in ihrem Netze fangen zu laſſen nicht beſorgte. Der hübſchen Couſine hatte er den Muth ſo unbefangen entgegen zu treten wie immer; einem unverſchämten Angriff gegen die¬ ſelbe zu begegnen, dünkte ihm eine nicht der Rede werthe Kleinigkeit; des Vaters Meinung über den Militair¬ übermuth theilte er, wenn gleich das Uebel ihm weder ſo tief noch ſo groß ſchien und er am wenigſten das Mittel gut hieß, welches dieſer angedeutet. Eine leiſe Wolke des Unmuths ſpielte aber doch um ſeine Stirn, als der Vater ſeinen Antrag motivirte. Es war eine Wahrheit in des Alten Worten, und der Schatten einer empfundenen Wahrheit ſpielte in ſein Gemüth, als van Aſten von ſeinem Sohne eine That forderte, um zu beweiſen, daß ſein Geiſt nicht in der Forſchung untergegangen ſei. Je lächerlicher ihm die Probe ſchien, um ſo mehr empfand er den Vorwurf.

Als an der Ecke ſich ihre Wege ſchieden, ſprach er: Schlimm iſt die Zeit, mein Vater, aber ſie iſt es ſchon lange. Was wir können, dürfen wir nicht zeigen, und was wir zeigen, iſt nicht was wir wollen. Eine gründliche Kur thut uns allen Noth, die Kur, die uns wieder zu Menſchen macht, den Bürger zum Bewußtſein erweckt, warum er es iſt;238 den Staat zu dem, daß er Männer bedarf, nicht Automaten. Iſt dies Bewußtſein da, dann werden ſich auch die Männer finden.

Alſo Du willſt jetzt noch nicht mit zur Couſine?

Zur Theaterſtunde bin ich in ihrer Wohnung.

Grüß mir die Mamſell Alltag. So ein affairirter Menſch! Muß Troſt und Hülfe da bringen und da auch, bei hübſchen Mädchen. A propos! rief der Vater den Sohn zurück, was das Bewußt¬ ſein anlangt, wärs nicht beſſer, wenn die Bürger es zuerſt kriegten? Wenn da erſt viele, wie Du zu ſagen beliebteſt, Männer geworden, dann käme der Staat, meine ich, von ſelbſt zum Bewußtſein, daß er ihrer bedarf. Denke ein Bischen darüber nach!

Der Alte war fort. Als Walter in die Jäger¬ ſtraße einbog, rollte der Lupinusſche Wagen heran. An der Seite der Geheimräthin ſaß Adelheid, geputzt wie ihre Pflegemutter, aber ihre Wangen ſchienen vor Freude zu glühen, wie er ſie nie geſehen. Als die Damen ihn erblickten, lächelte die Geheimräthin ihn ſchelmiſch an, und wandte ſich mit einer lieb¬ koſenden Bewegung zu ihrer Pflegetochter. Es kam ihm ſogar vor, als küßten ſie ſich; gewiß hörte er, als der Wagen vorüberrollte, ein lautes Gelächter.

Was war das! rief er. Ein Herz und eine Seele nach dieſem Brief! Und ſie ruft mich nicht heran, wo ſie ſehen muß, daß ich zu ihr will. Er ſtarrte dem Wagen nach, wie in Erwartung, daß er halten, Adelheid ſich herausbiegen und ihn rufen239 werde. Er wartete umſonſt. Der Wagen war ver¬ ſchwunden.

Walter hatte recht geſehen und gehört. Aber man kann als Augenzeuge ein Factum beſchwören, und hat doch ein falches Zeugniß abgelegt. Walter hatte nicht das kurze Zwiegeſpräch belauſcht, was die Geheimräthin mit Adelheid vorher gepflogen, nicht die Komödie, die ſie ihr zur Pflicht machte. Die Wangen des jungen Mädchens glühten allerdings, aber ſie waren vorhin todtenblaß und die Röthe war die Schminke, welche die Geheimräthin ſelbſt ihr aufgelegt. Die Welt braucht nicht zu wiſſen, was wir wiſſen, hatte ſie geſagt.

[240]

Dreizehntes Kapitel. Ein Präludium.

Das Nationaltheater bot heut einen feierlichen Anblick. So gefüllt hatte man es ſeit lange nicht geſehen. Es war nicht Ifflands Kunſt noch Flecks Genie, auch nicht die Anmuth der Unzelmann, der ſpätern Bethmann, oder die bezaubernde Stimme der Schick, was dieſes Publikum angelockt. Es war kein glänzendes im gewöhnlichen Sinne, obwohl Gold und Silber von den Uniformen flimmerte, und aus den Geſichtern der Zuſchauer ein eigenthümlicher Glanz ſtrahlte, der der geſpannten Erwartung, aber auch ein etwas, was die Mehrzahl voraus wußte. Daher die ſchlauen, lauſchenden Blicke, ein vergnüg¬ tes Zublinzeln, ein Zuverſtehengeben, daß man un¬ terrichtet ſei.

Kein glänzendes Publikum, was man in Ber¬ lin ſo nannte, ſagen wir; denn weder der Hof war zugegen, noch ein hoher Gaſt, deſſen Anweſenheit immer die Neugier anzieht. Im Gegentheil fehl¬ ten gerade die ausgezeichnetſten Männer, die man241 ſonſt im Theater zu ſehen pflegte, und die, welche zu dem regierenden Kreiſe in näherer Beziehung ſtan¬ den. Man vermißte aber auch mehre eminente Per¬ ſönlichkeiten, welche zu dieſen Kreiſen nicht gehörten, ſondern ſich ihnen feindlich gegenüber ſtellten. Wenn ſie es waren, die das Schauſpiel angeordnet, hielten ſie es für ſchicklich, wenigſtens den Schein zu ver¬ meiden, und verbargen ſich in der Tiefe der damals ſehr dunkeln Logen.

Nicht der Schauſpieler und der Darſtellung we¬ gen ſchien dieſes große, lebhafte Publicum verſam¬ melt, ſondern ſeiner ſelbſt willen. Es wollte ſich eine Darſtellung geben. Auf dem Zettel ſtand an¬ gekündigt Babos: Puls. Um dieſes feinen, pſy¬ chologiſchen Schauſpiels willen hatte nicht das Offi¬ cierscorps für die Wacht - und Quartiermeiſter der Regimenter Gensd'armen verſchiedene Logen im er¬ ſten und zweiten Range gemiethet, noch ſah man deshalb im Parterre und auf dem Amphitheater Gruppen Infanteriſten und Huſaren, jede von 10 bis 12 Mann um ihren Unterofficier verſammelt. Auch ſaßen unterſprengt in anderen Logen zwiſchen geputzten Damen und ariſtokratiſchen Herren gemeine Soldaten in ihrer Commisuniform, ein damals weit grellerer Contraſt und unerhörter Anblick. Die ho¬ netten Leute erſchraken ſonſt vor der Berührung mit der blauen Montur. Und ſo geſchickt, aber doch nicht glücklich hatte man das bürgerliche Publikum mit dem Militair im ganzen Hauſe vermiſcht, denn wer AugenIII. 16242hatte, ſah die Abſicht. Man wollte ſie aber auch nicht verbergen, nur einen luftigen Schleier darüber werfen. Volksſchauſpiele zu arrangiren war die Zeit in Preußen noch nicht gekommen.

Auf dem Komödienzettel ſtand aber hinter dem Baboſchen Puls: Auf vieles Begehren Wallenſteins Lager von Friedrich Schiller.

Hatte man denn kein patriotiſcheres Stück? ſchien der Sinn der Frage, die Jemand im Parterre ſei¬ nem Nachbar zuflüſterte, der zu den Eingeweihten in Beziehung ſtehen mußte. Es iſt weder preußiſch¬ noch deutſchpatriotiſch. Aber militairiſch , antwor¬ tete ein Dritter. Es wäre doch ſchlimm, meinte jener, wenn wir den Franzoſon nichts entgegen zu ſetzen hätten Als ſoldatesken Stolz! ergänzte der Dritte. Ein Schelm giebt mehr als er hat!

Babos Puls ward mit mehr Aufmerkſamkeit gegeben, als gehört. Die Pulsſchläge im Parterre waren zu heftig, um den ſanften auf den Brettern folgen zu können. Es blieb ſtill trotz des Meiſter¬ ſpiels der Darſtellenden. Aber doch ſchlugen nicht alle Pulſe auf ein Ziel. Es war ſo viel zu ſehen, viele ſahen ſich, die ſich niemals hier getroffen. Woran ſollten die Soldaten denken, die in dieſen Räumen zum erſten Mal ſtanden, kerzengrad, auf Commando und des neuen Commando gewärtig. Das Spiel da oben war für ſie ein Schattenſpiel an der Wand in unverſtändlichen, gleichgültigen Hie¬243 roglyphen, die auf ihren glotzenden Geſichtern nicht den geringſten Eindruck machten.

Auch vor der Schlacht ſchlagen nicht alle Pulſe nur der Entſcheidung entgegen. Die Karte, der Wür¬ fel und ein ſchönes Auge machen das Blut ſo leb¬ haft pulſiren, als der erſte Trommelwirbel, das erſte Pfeifen der Kugeln. Es waren viele ſchöne Augen in den Logen, und viele junge Officiere obſervirten.

Sie ſchminkt ſich aber nie, ſagte ein Kuiraſſier.

Sie iſt geſchminkt! rief der Cornet.

Sie iſt echauffirt. Sieh doch, wie ihre Arme zittern. Ihre Finger hämmern ja wie im Krampf auf die Brüſtung.

Ihre gelben Locken fangen ſchon an wie Bind¬ faden runter zu hängen. Iſt das etwa auch ein Beweis, daß ſie nicht geſchminkt iſt?

Der andre obſervirte ſchärfer mit dem Ausruf: Donnerwetter, ſollte ich mich irren! Sie changirt nicht Farbe, und doch zuckte ſie zuſammen, als die Lupinus ihr was ins Ohr ſagte.

Was gilt die Wette? wiederholte der Cornet.

Beſſer, wer entſcheidet ſie, fiel der andre ein, wer ſchafft den Beweis?

Schicken wir eine Unterſuchungs-Deputation an ſie, ſprach ein Dritter. Wolfskehl wäre dabei, in den Schminkangelegenheiten hat er gründliche Studien bei Comteß Laura gemacht.

Stellt Einen Poſto, rief der Cornet, drüben hin, der ſie nicht aus dem Auge läßt, und einen An¬16*244dern hinter ihr. Wenn die Rührung losgeht, dann Attention! Der drüben, ob's unter dem Auge weiß, der hier, ob das Tuch roth wird.

Ein trefflicher Operationsplan! Wolfskehls mi¬ litairiſch Genie entwickelt ſich immer mehr.

Am Ende fangen die Weiber gar nicht an zu weinen?

Und wozu das alles, ſagte der Kuiraſſier. Da müßt Ihr Euch doch den Mund wiſchen. Die Perſon hat nun mal was, daß man nicht weiß, was es iſt; zudem Beſchützer an allen Ecken. Man weiß nicht, wo man anſtößt, wenn man zugreift.

Grad das könnte mich tentiren, rief der Cor¬ net. 'S iſt nur, ſie iſt nicht nach meinem Gout.

Wolfskehl liebt nur das Bornirte. Da oben ſitzt die neuſte, die er auf den Zug hat.

Man ſchaute nach der Loge im zweiten Range, nicht aber mit Discretion, wo Walter van Aſten hinter ſeiner Couſine ſtand. Wer iſt denn ihr Beſchützer?

Das Pockengeſicht! Irgend ein Schulfuchs.

Vielleicht ihr Erkorner oder Deſtinirter. Er behandelt ſie mit vieler Aeſtimation.

Sieht mir grade aus wie Einer, der Luſt hat, ſich einen ſanften Rippenſtoß appliciren zu laſſen, wenn ich Luſt bekäme, dem Mädel den Arm zu bieten. Wollt Ihr pariren, er dankt mir nachher an der Treppe

Wofür?

Die Ehre, daß ich ſeinen Schatz geführt. Hol 'mich der Geier, er ſoll's!

245

Der zornfunkelnde Blick eines ältern Officiers in militairiſchem Reitüberrock, der mit verſchränkten Armen an einem Pfeiler ſtand, begleitete das Pſt! welches er den Schwätzern zurief, ohne ſeine Stel¬ lung zu verlaſſen. Sie ſchwiegen unwillkürlich. Nur der Cornet ließ ſeinen Säbel klirren:

Wer iſt denn der Bramarbas?

Beide Begleiter ziſchten ihm ein bedeutungsvol¬ les Pſt! in die Ohren. Mit dem iſt nicht gut Kirſchen eſſen!

Aus der Provinz einer! So ein Comman¬ dant aus Krähwinkel vielleicht. Soll der ſich unter¬ ſtehen, einem Officier von der Garde Raiſon zu lehren?

Der unterſtände ſich noch mehr, flüſterte der Kuiraſſier. Um Gottes Willen ſei ſtill, Fritz, 's iſt der Obriſt York aus Mittenwalde. Der hat ſelbſt mit dem alten Fritz angebunden.

Nicht alle Pulſe ſchlugen gleich. So in ſich verſunken, Herr Geheimrath? fragte Herr von Wan¬ del, der in eine nebenſtehende Loge trat, den Geheim¬ rath Bovillard, welcher ſein Opernglas erhob, um es wieder abzuſetzen und mit dem Taſchentuch zu wiſchen.

Ich bin nicht disponirt.

Das werden Sie doch nicht zeigen wollen!

Ich zeige mich. Was kann man in meiner Lage Beſſeres thun.

Sie hatten in letzter Zeit vielen Verdruß? 246Herr von Fuchſius hat Sie verlaſſen, ſich ange¬ ſchlängelt an die neu aufgehende Sonne

Wohl bekomm 'es ihm. Wenn die Sonne ein Stein iſt, hört ſie auf zu glänzen.

Haben Sie Nachricht von Ihrem Herrn Sohn?

Haugwitz hat ihn aus Wien mit einer Depeche um Verhaltungsbefehle hierher geſchickt; das wiſſen wir aus anderer Quelle. Er ſcheint unterweges auf¬ gehalten oder aufgefangen zu ſein.

Was den Vater allerdings nicht gut disponirt; indeß wird der Sohn des Geheimrath Bovillard vor Napoleons Augen immer Gnade finden.

Auch wenn er von dieſer Komödie hört! ſagte Bovillard noch leiſer. In welchem Winkel mag ſich Laforeſt verſteckt haben?

Sie wollen doch nicht das Theater verlaſſen? Ich bitte Sie, Geheimrath. Was iſt's! Ein bischen Trommeln, Singen und Geſchrei werden ſie ertragen können

Wenn nur nicht drüben die Lupinus ſäße! Ich kann das Geſicht nun einmal nicht ausſtehen. Iſt denn das 'ne Larve oder ein Geſicht?

Sie hat, glaube ich, Verdruß gehabt, mit ihren Dienſtleuten oder ihrem Pflegekinde. Sie iſt aller¬ dings etwas blaß.

Dieſe kleinen, feinen, ſtechenden Korallenaugen! Wandel, ich verſichre Sie, wenn ich ihrem Blick be¬ gegne, iſt mir's, als wenn ein gläſerner Dolch mir ins Herz bohrt.

247

Leiden Sie oft an ſolchen Viſionen?

Begreif es einer, warum ich an einen Kirchhof denken mußte.

Hier?

Und ſie wie das weiße Bild des Todes. Wen ſie anſieht und küßt, der müßte ſterben.

Ihre Lectüre echauffirt Sie, theuerſter Freund. Dieſes junge Genie, der Chateaubriand, reizt die Phantaſie auf. Unwillkürlich beſchwört er Geiſter, die für unſre Atmoſphäre nicht paſſen. Ich möchte Ihnen dagegen als calmirende Lectüre ein treffliches Buch empfehlen, welches eben erſchienen iſt, Wagners Geſpenſter. Leſen Sie darin vorm Ein¬ ſchlafen einige Geſchichten, Sie werden davon eine vortreffliche Wirkung empfinden. Es konnte kein beſſeres Gegengift gegen die romantiſchen Schwärme¬ reien gerade jetzt auftreten, wo ſelbſt bei den Fran¬ zoſen

Er konnte nicht ausreden. Der Geheimrath war über die hintern Stühle geklettert und zur Loge hinaus. Wandel, der raſch gefolgt, ließ ihm in der Conditorei ein Glas Zuckerwaſſer bereiten, in das er Hoffmannstropfen goß.

Nichts als ein Schwindel, theuerſter Geheim¬ rath, begreiflich, wenn Sie an die Eventualitäten des Krieges dachten. Da ſieht man wohl Leichen und Kirchhöfe. Wie mancher dieſer exaltirten Mili¬ tairs wird kalt und ſtumm auf dem Schlachtfeld liegen, wenn ihre Wünſche in Erfüllung gehen. Auch248 vielleicht um Ihren Sohn waren Sie beſorgt. Das combinirt ſich alles ſo natürlich bei einer nervöſen Complexion. Wenn Sie ſich erholt, laſſen Sie uns zurückkehren.

Das Mädchen iſt hübſch, aber die Augen, wie gläſern. Wenn das Wachsbild nun unter ihren Ar¬ men ſchmilzt!

Das wäre unnütz!

Was reden Sie?

Ich weiß es ſelbſt nicht, wahrhaftig, Bovillard. Ihr Unfall hat mich conſternirt. Es iſt nicht Be¬ ſorgniß um Sie aber Sie ſollten Hufeland be¬ fragen, wenn dieſe Anfälle ſich wiederholen. Indeß erlauben Sie mir Ihren Puls. Da intonirt das Orcheſter ſchon das Reiterlied. Ja, ja, Sie leiden an den Nerven. Sie glauben nicht, was die Be¬ ſchäftigung des Geiſtes da hilft. Man muß ſich zuweilen peinigen und ſich in Zerſtreuungen ſtürzen. Sie arbeiten zu viel, Sie lebten auch vielleicht in letzter Zeit zu ſolide. Ueberwinden Sie ſich, und kehren zurück. Täuſchte ich mich, im Mantel dort, das war Laforeſt. Er iſt es.

Ein intereſſantes Stück, der Puls? ſagte der Geſandte im Vorübergehen. Nicht wahr, meine Herren? Wenn doch die Staatskunſt auch ſolche Aerzte zur Hand hätte, die am Pulsſchlag ihrer Kranken die geheimen Intentionen der Völker erkennten!

Welchen Auslegungen Sie ſich ausſetzen, wenn Sie fortgehen, wo ein Laforeſt zu bleiben wagt, ſprach249 Wandel dringend zu Bovillard. Bedenken Sie die Stimmung im Publikum, theuerſter Freund! Lom¬ bard ſelbſt hat einen Beitrag für die Militairmuſik geſchickt.

Der Geheimrath Bovillard wollte bleiben, dies deutete wenigſtens der ſtumme Händedruck an, als er aufſtand: Wenn nur das Weib fortginge!

Aber als er die Thür des Conditorſaales öffnete, kam ihm gerade dieſes Weib, welches er vermeiden wollte, entgegen. Die Lupinus führte ihre Pflege¬ tochter am Arm. Ein ſcharfer Kennerblick mußte unter der Röthe von Adelheids Wangen die tiefe Bläſſe entdecken. Sie wankte am Arm ihrer Führerin, deren Anſtrengungen, es zu verbergen, vergebens waren.

Als Bovillard zurückprallte, kaum von den Ein¬ tretenden geſehen, eilte eine neue Zeugin herbei: Mein Gott, was iſt ihr! rief die Fürſtin Gargazin.

Nichts als übergroße Hitze! Ein Glas Limo¬ nade, Herr Reibedanz! Das wird dem Uebel ab¬ helfen.

Sie iſt krank, das ſind convulſiviſche Bewe¬ gungen! rief die Fürſtin.

Adelheid wird Ihnen das Gegentheil betheuern, wenn ſie ſich erfriſcht hat, ſagte die Geheimräthin, indem ſie mit einiger Heftigkeit das Glas dem jungen Mädchen an die Lippen hielt.

Adelheid nippte, aber das Glas fiel auf die Erde, ſie ſelbſt knickte zuſammen und wäre ſelbſt ge¬250 fallen, wenn die Fürſtin ſie nicht aufgefangen, und mit dem hinzuſpringenden Bovillard auf ein Canapé gebracht hätte. Die Lupinus hatte ſich dieſen Augenblick entgehen laſſen, indem ſie mit dem Le¬ gationsrath ein raſches Geſpräch in ſtummen Blicken gewechſelt. Wandels ernſter Blick ſchien tief eindrin¬ gend, die Geheimräthin hielt ihn nicht aus, und als ſie die Augen geſenkt, hörte ſie die Worte ins Ohr geflüſtert: Was ſoll dieſe Komödie! Ich hoffe hier iſt nichts vorgefallen, was Sie bereuen müßten! Sie wollte die Lippen öffnen, als Adelheids unter¬ drückter, unartikulirter Schrei die Aufmerkſamkeit der Hülfeleiſtenden auf den Gegenſtand der Theilnahme wieder zog.

Es muß doch etwas mehr als die Hitze im Hauſe ſein, bemerkte die Fürſtin mit einem eignen Ton.

Bovillard fragte: War ſie vielleicht zum erſten Mal im Theater? Er ſetzte hinzu, die Blicke der jungen Officiere, die eben nicht mit Schonung ſie fixirten, möchten ſie afficirt haben.

Ein Flacon! rief die Geheimräthin. Die Fürſtin, neben Adelheid knieend, hielt es ihr bereits an das Geſicht.

Sie wird ſich wieder erholen.

Die Lupinus wandte ſich zum Legationsrath: Mein Gott, was zaudern Sie! Eines Ihrer Haus¬ mittel, die Sie ſtets bei ſich führen.

Meine einfachen Mittel wende ich nur an, wo251 mir der eigentliche Grund der Krankheit nicht un¬ bekannt blieb.

Die Geheimräthin hatte ſich wieder gefunden: Der eigentliche Grund der Krankheit kann denen nicht unbekannt ſein, die von dem überſchwänglichen Gemüth des jungen Mädchens unterrichtet ſind. Patriotin bis in die äußerſten Fibern ihrer Seele, hat ſie ſeit vierzehn Tagen an einer Fahne für un¬ ſere Garniſon geſtickt, und mich und ſich um ihre Nächte betrogen. Erſt heute Morgen entdeckte ich es, und es hatte leider eine lebhafte Scene zur Folge, die ich jetzt bereue, und zu der mich doch die Pflicht für die Geſundheit des Mädchens trieb. Man hat etwas mehr zu ſorgen für fremde als für eigene Kinder, ſetzte ſie mit einem feierlichen Tone, der Reſignation oder des gekränkten Bewußtſeins, hinzu.

Um dem Gerede der Leute zu entgehen, ſagte die Fürſtin.

Auf Dank rechne Niemand, der Pflichten über¬ nimmt, die über ſeine Pflicht gehen, bemerkte der Legationsrath.

Aber wir Alle ſind Ihnen dankbar, fiel die Fürſtin beſänftigend ein, für die geſchickte Weiſe, wie Sie das Kind, und noch zu rechter Zeit, aus der Loge führten. Ich bewunderte Madame Lupinus wirk¬ lich, und, Gott ſei gelobt, es hat gar kein Aufſehen erregt. Sie athmet.

Aber noch geſchloſſene Augen.

252

Mein Hotel iſt ſo nahe, liebe Geheimräthin, ich würde mir ein Vergnügen machen, ſelbſt ſie dahin zu ſchaffen. Eine Portechaiſe ſteht im Flur. Mein Kammerdiener fliegt dahin wenn

Wenn Madame Lupinus, fiel der Legationsrath raſch ein, nicht die Hoffnung hegte, daß die junge Dame ſich noch erholte, um an ihrer Seite zur Vor¬ ſtellung zurückkehren zu können. Und die Hoffnung ſcheint mir begründet.

Ich würde es mir nie vergeben, dem Kinde ein Vergnügen zu rauben, nach dem ihr Herz ſich ſehnt.

Der Legationsrath hatte raſch aus ſeinem Etui ein Fläſchchen geholt, welches er der Fürſtin über¬ reichte: Drei Tropfen in den Händen gerieben, und damit in Intervallen über die Schläfe gefahren. Nur der Luftdruck, nicht Berührung!

Er war ehrerbietig zurückgetreten, ohne auf die Frage: Warum nicht Sie ſelbſt? zu antworten.

Die Ouvertüre begann ſchon.

Ich begreife Sie nicht, ſagte leiſe die Lupinus, an deren Seite er ſich geſtellt, während der Geheim¬ rath Bovillard der Fürſtin beiſtand.

Noch weniger ich den Zuſammenhang hier, entgegnete er im ſelben Tone. Was ging hier vor?

Sie ſah eben ihren Liebhaber. Sie hatte ihn vor dem Theater erwartet, ſo glaube ich wenigſtens aus ihren Reden in der Extaſe ſchließen zu dürfen. 253Sie hatte ihm geſchrieben, ihn zu ſich geladen. Und ſtatt zu kommen

Sah ſie ihn an der Seite eines hübſchen Mäd¬ chens, dem er viele Aufmerkſamkeit erwies.

Iſt das nicht Grund genug, Herr Legations¬ rath?

Wandel zuckte die Achſeln: Unter andern Ver¬ hältniſſen. Erlauben Sie mir indeß zu glauben, daß es hier kein Grund iſt. Doch bin ich beruhigt, und verzeihen Sie, wenn ich es vorhin nicht ſchien. Das erſte Geſetz der Wiſſenden; meine Freundin, iſt, ſich zu hüten vor dem Unnöthigen, wo das Nothwendige ſchon unſere ganze Geiſteskraft beanſprucht. Wir dür¬ fen nicht ſpielen mit den Dämonen, wie dieſe hier thun; ſie vertragen es nicht. Sie gehorchen uns nur, wenn wir das eiſerne Auge nie von ihnen laſſen und mit einem Stahlarm ſie preſſen auf das Noth¬ wendige hin. Von Phantaſten und Jongleurs reißen ſie ſich los, und ſchlagen ſie mit den zerriſſenen Feſſeln nieder.

Im Theater ward es laut. Ein Theil des Publikums ſchien durch Summen und Singen die kriegeriſchen Töne der Ouverture zu accompagniren.

Mein Gott, wenn ſie doch jetzt wir verſäumen etwas! rief die Lupinus, es war aber nicht das Verlangen, nach dem Theater zurück zu kehren.

Wie ſanft ſie athmet! ſagte die Fürſtin.

Debarraſſiren Sie ſich von ihr. Es iſt am Ende254 doch das Geſcheidteſte! flüſterte Wandel der Geheim¬ räthin zu. Sie blickte ihn fragend an. Sie be¬ zweifeln, daß ich als Ihr Freund ſpreche. Mein Rath ſollte Ihnen beweiſen, daß ich es bin. Ich ſage nicht, daß Sie eine Natter ſich im Buſen erzogen haben, aber in dem Mädchen iſt etwas Dämoniſches. Bil¬ dete ſie ſich nach Ihnen? Schlug nur einer Ihrer Rathſchläge an? Sie müſſen ſich geſtehen, daß das Mädchen unberührt blieb, gleichviel ob im Guten oder Böſen. Aber Sie ſind nicht mehr Herrin Ihrer ſelbſt, ſeit dieſes Gewicht an Ihnen hängt, ihr kluges Auge, ihr ſcharfes Ohr Ihre Schritte und Tritte, ich möchte ſagen, Ihre Gedanken belauſcht. Faſt erkenne ich meine ſtolze, ſichere Freundin nicht wieder, wenn ich die Rückſichten ſehe, die ſie auf ein in jeder Be¬ ziehung untergeordnetes Weſen nimmt. Aber ſie iſt nicht, ſie kann nicht untergeordnet ſein ihrer Natur nach, das iſt eben das Dämoniſche, was ein frei denkendes Weſen nicht neben ſich dulden dürfte. Bringt ſie nicht Unglück in jedes Haus, in das ſie tritt! Dort hier. Ueberrechnen Sie die Verlegenheiten, in die Ihre Güte gegen Adelheid Sie geſtürzt, und ziehen Sie den Schluß, welches von beiden Uebeln größer iſt, daß die Welt wieder einmal acht Tage über Sie läſtert, oder daß Sie frei, Sie ſelbſt wieder ſind. Wählen Sie das Kleinere, und ergreifen die erſte Gelegenheit.

Die Ouverture ſchloß mit Anklängen aus dem Deſſauer Marſch.

255

Sie richtet ſich auf, ſagte Bovillard. O eine wahre Patriotin!

Herr Reibedanz rief zur Thür herein: Machen Sie ſchnell, meine Herrſchaften, der Vorhang geht auf.

Sie muß mit, ſprach die Geheimräthin. Sie hat die Kraft, ſich ſelbſt zu genügen.

Ich glaube auch, ſagte die Fürſtin. Herr von Bovillard, unterſtützen Sie ihren Arm, ſie will auf¬ ſtehen.

Bovillard! wiederholte Adelheid mit der ſüßen Stimme einer Träumenden, die aus einem lieblichen Traum erwacht, und erhob ſich.

Geliebtes Kind! ſprach die Geheimräthin, ihr entgegen tretend.

Aber derſelbe Traum mußte auch bittere Er¬ ſcheinungen ihr vorgegaukelt haben, denn als ihr Auge auf die Pflegemutter fiel, welche die Arme gegen ſie ausbreitete, ſtieß ſie dieſelben mit einer krampfhaften Bewegung zurück. Das träumeriſche Auge veränderte ſeinen Ausdruck, ein Entſetzen wie mit Zorn gemiſcht ſchien aus der tiefſten Seele aufzuſteigen und lieh dem Augapfel einen Glanz, vor dem man erſchrak. Wie kam dieſer Blick in das Auge einer Jungfrau! Die Fürſtin hatte eben ſo raſch es bemerkt, als ſie mit der huld¬ vollſten Freundlichkeit Adelheid unterfaßte: Bovil¬ lard, geben Sie ihr den Arm, wir führen unſre Patientin.

256

Sie träumte noch den Deſſauer Marſch und ſah die Franzoſen vor ſich, ſagte der Geheimrath.

So iſt ſie! Voller Laune und Phantaſie! be¬ merkte die Lupinus an Wandels Arm.

Wie unſre Zeit und dieſe Menſchen, entgegnete er. Nichts, wohin wir ſehen, als Phantaſie und kein Entſchluß.

[257]

Vierzehntes Kapitel. Wallensteins Lager.

Kaum ließ ſich während der Darſtellung das Mitſpielen des Publicums zurückhalten. Die Iffland, Unzelmann, Mattauſch, Herdt, Beſſel, Gern, Labes, Kaſelitz erſchienen in ihren Waffenröcken und Wehr¬ gehenken nicht wie Schauſpieler, welche das Bild einer zweihundertjährigen Vorzeit den Zuſchauern hinzaubern wollten, ſondern wie Repräſentanten die¬ ſer Zuſchauer ſelbſt, die, jedem Kunſtausdruck, jedem Verſe, der auf das Ergreifen der Waffen deutete, zujubelnd, ihre eigene kriegeriſche Stimmung aus¬ hauchten. Das war ein Bravorufen, Klatſchen, ſo kräftig, ſonor, wie man es in dieſen, der ernſten Kunſt geweihten und damals heilig gehaltenen Räumen ſel¬ ten gehört. Der Kunſtenthuſiasmus erlaubte ſich in Berlin wohl Thränen und Entzückungen, auch Ver¬ zückungen, aber noch nicht mit dem Feuer zu ſpie¬ len, das er ſpäter verſchwenderiſch über ſeine Lieb¬ linge ausſchüttete, einen flammenden Glorienſchein, der oft zur verzehrenden Flamme werden ſollte für den Ruf des Gefeierten.

III. 17258

Das Reiterlied war geſungen; tiefe Spannung auf allen Geſichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hauſe. Da trat Kaſelitz als Dra¬ goner von Piccolomini vor, und vertheilte ein ge¬ drucktes Lied zum Lobe des Krieges unter ſeine Cameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Il¬ los Kroaten, alle verſtanden Deutſch zu leſen, das Or¬ cheſter hub an, und nach der Schulzeſchen Melodie: Am Rhein, am Rhein! ward ein Lied geſungen, von dem überlebende Zeitgenoſſen uns verſichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäiſcher Kriegsgeſang. Das Publicum erhob ſich. Man ſtreckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitſingen zu erhal¬ ten, die Schranken des Orcheſters fielen. Da aber regnete es ſchon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre ſtimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernſten Männern, bei deren gefurchtem Geſicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß ſie nie geweint, ſtanden Thränen im Auge.

Die letzte Strophe mußte wiederholt werden. Das iſt ein Lied! Das ein Geſang! Ein Dichter! Von Mund zu Munde ging ſein Name geflüſtert hin: Es ſind der Herr Major von Kne¬ ſebeck! Dort ſchrie Einer dem Andern zu: Donner und Wetter, der Kneſebeck ein Dichter! Man wollte, man mußte ſich näher kommen. Die in jener Zeit nicht ſo ſtrenge Billetordnung ward gebrochen, man be¬259 ſuchte ſich in den Logen, ſchüttelte ſich die Hände; aus den Logen ging man ins Parterre, und unver¬ ſehens hatten einige Allzeitfertige aus Brettern und Stühlen eine Art Treppe nach der Bühne gebaut. Das Stück war ja zu Ende, nur den Vorhang hatte man herunterzulaſſen vergeſſen oder auch nicht vergeſſen. Während junge Enthuſiaſten hinaufſpran¬ gen, den Schauſpielern die Hände zu ſchütteln, wink¬ ten Andere den Darſtellern, herabzukommen. Bald ſah man Iffland in ſeiner ſtattlichen Armatur als Wachtmeiſter im Kreiſe der Officiere, ſeiner Freunde. Er ſpielte nicht den Wachtmeiſter, er war es. Er war ein Patriot von Herzen, und von Herzen redete er feierliche Worte von Aufopferung und Treue. Seine ungen Verehrer drängten ſich, ihm in die Hand zu ſchlagen, als Gelöbniß, daß ſie leben oder ſterben wollten für König und Vaterland.

In der Erhebung des Augenblickes fand Nie¬ mand darin Seltſames, daß der Schauſpieler den Ernſt des Lebens repräſentirte; aber auch heitere Scenen miſchten ſich in dieſen heroiſch theatraliſchen Ernſt. Es hat ſich von je an gefügt, ſeit es Offi¬ ciere gab und Juden, daß beide in gewiſſen Ver¬ hältniſſen zu einander ſtehen, Verhältniſſe, die, in der Jugend ſehr intim, ſich oft erſt im Alter löſten, zuwei¬ len auch gar nicht. Da ſah man einen bekannten jü¬ diſchen Handelsmann, welcher ſpäter, vielleicht auch damals ſchon, den Namen Gans führte und für einen witzigen Mann galt, an den Armen zweier Lieute¬17*260nants umherſtolziren, oder beſſer er umſchlang ſie mit ſeinen Armen, und den Begegnenden verſicherte er, in dieſen beiden Freunden opferte er ſeine theuerſten Erinnerungen dem Vaterlande! Unzel¬ mann, als Trompeter, ſtreifte am Arm eines hüb¬ ſchen Cavallerieofficiers durch das Parterre. Wer dafür noch Sinn hatte, blickte neugierig verwundert nach. Der junge blonde Officier nahm das ſpöttiſche Lächeln ſeelenvergnügt hin, Unzelmanns komiſche Miene deutete aber an, daß ihn der Sinn nicht ver¬ letze. Unzelmann und Quaſt Arm in Arm! Unzelmann ſpielt heute ſeine Frau. Er rief den Spöttern nach: Beſchämte Eiferſucht wird nicht mehr geſpielt, meine Herren, denn Eiferſucht iſt das größte Ungeheuer! replicirte ein junger Schön¬ geiſt, der die alten Spanier ſtudirte.

Und gegen das größte Ungeheuer, fiel der Schauſpieler eben ſo ſchnell ein, ziehen unſere bra¬ ven Truppen. Auch Menſchenhaß und Reue, meine Herren, wird nicht mehr gegeben, denn wir brauchen allen Menſchenhaß gegen die Franzoſen. Und, ſetzte ein dritter Witzbold hinzu, ein Lump, wer nicht ſein Beſtes und ſein Schlechteſtes mit ſeinem Alliirten theilt. Anſpielungen, die damals Jeder verſtand, auch viele Jahrzehnde nachher hat ſich die Erinnerung erhalten; nicht werth um ihrer ſelbſt willen, aber von Werth zur Charakteriſtik einer Zeit, die längſt von den Springfluthen der Geſchichte fort¬ geſpült und von ihrem mächtigen Strome auf immer261 verſchüttet ſcheint. Nicht die Frivolität iſt begraben, aber in dem luftigen Kleide von damals darf ſie ſich der Geſellſchaft, in keinem ihrer Kreiſe, mehr zeigen.

Enthuſiasmus, wohin man ſah, aber es fehlte noch etwas; ein Schluß, der dem Anfang entſprach, ein Siegel auf die fertige Urkunde gedrückt. Wozu die ganze Aufregung ohne ein Ziel? Aus dem Theater ſind ſpäter Revolutionen hervorgegangen, aus der Stummen von Portici ſtürzten die berauſchten Zu¬ ſchauer, um die Funken des Bühnenfeuers als Brand auf den Markt zu tragen. Dazu war hier nicht der Ort, nicht die Zeit, nicht die Menſchen. In den ge¬ ſchloſſenen Theaterräumen hallte der Ruf: Krieg! Krieg! Zu den Waffen! trefflich; aber wären ſie hinausgeſtürzt, was dann? Wie klein wäre die Zahl geweſen, wie bald zerſtreut auf den breiten Straßen! Hätte jeder ſich gern in der Geſellſchaft der andern erblickt, derer, die vielleicht ihnen da zuſtrömten? Und was ſollten ſie thun? Vor das Palais des Königs rücken, dort Fackeln ſchwingen, wild ſchreien: Krieg! Krieg! Was würde dieſer König, der, dem Ungewöhnlichen, Exaltirten abhold, ſeine Perſon ſcheu von aller Repräſentation zurückzog, zu einem brül¬ lenden Haufen ſagen, der ihn zu einer Handlung zwingen wollte, die er vielleicht ſchon beſchloſſen hatte! Würde es nicht grade das Mittel geweſen ſein, das Wort, das ſich von den Lippen löſen wollte, in die tiefſte Bruſt zurück zu ſchrecken? Er mußte262 zürnen, und erzürnen wollte Niemand den geliebten Monarchen.

Aber etwas mußte geſchehen, das fühlte Jeder. So konnte man nicht auseinander gehen. Die Logen¬ ſchließer hatten unter den Enveloppen der Damen Blumenkränze geſehen; oder waren es ſchon Lorbeer¬ kränze? Auf irgend ein Haupt ſie zu drücken, dazu waren ſie doch mitgenommen. Aber wo war das Haupt, wo der Eine, der eine ſolche Maſſe wecken, begeiſtern, führen konnte? Wohl gab es Einen, einen noch jugendlichen, genialen Prinzen vom kühnſten Geiſte und bewährtem Muthe. Sein Schwert hatte Franzoſenblut getrunken, ritterlich hatte er ſich mehr als einmal in die Schaaren der Feinde geworfen und dem unüberwundenen Helden hätte man alle ſeine Schwächen vergeben, er wäre der Mann des Volkes geweſen, und wäre er vorgeſprungen, da auf eine Erhöhung, und hätte den Degen blitzen laſſen im Scheine der Theaterflammen, nur wenige kräftige Worte, möglich war es, daß es ein Ernſt ward, deſſen Folgen Niemand berechnet. Aber dieſen Einen feſſelten Rückſichten, er knirſchte im verhaltenen Grimm in ſeinen vier Wänden; er zückte den Pallaſch, um ihn wieder in die Scheide zu ſtoßen, er ſah nach den Wolken, und lauſchte auf den Gallop eines Pferdes, ob es die Ordonnanz war, die das heiß erſehnte Wort brachte. Er hatte ſein Wort geben müſſen, heut nicht im Theater zu erſcheinen. Scharf geſchliffen und von vorn herein die Spitze abge¬263 brochen, damit der Stahl nicht verwundet. Andre gab es wohl, die von demſelben Feuer glühten, Namen von ehernem Klang und altem Ruhm; ſollte man aber die Kränze auf eisgraues Haar drücken? Warum nicht lieber auf Friedrichs Büſte.

Aber etwas mußte geſchehen; die Gährung war zu groß, um ſich zu verlaufen. Es lebe der König! rief eine Stimme. Tauſend riefen es nach. Das Orcheſter intonirte den neuen Volksgeſang, der ſo raſch Allgemeingut geworden, und das feierliche: Heil Dir im Siegerkranz, Retter des Vaterlands! hallte wie beſänftigend durch den hohen Raum des Schau¬ ſpielhauſes.

Eine der kleineren Logenthüren klappte zu und ein Mann, vor dem ſich der Schließer reſpectvoll neigte, eilte im Surtout die Treppe hinunter.

Das alte Lied! ſagte ſein jüngerer Begleiter, es war Herr von Fuchſius; es klang hier mir wie eine Ironie.

Alles Theater, alles gemacht, alles nichts, und daraus wird im Leben nichts! erwiederte der andre.

Seine Excellenz der Herr Miniſter von Stein! flüſterten ſich die Logenſchließer zu.

Aber als das Lied durch neue Hochs, dem Könige gebracht, unterbrochen wurde, klappte wieder eine Logenthür, eine Stimme theilte den Vorneſitzenden etwas mit, dieſe ſprachen nach links und rechts, und bald lief es wie ein Lauffeuer durch die Logen: Die Gar¬ niſon marſchirt! Die Berliner Garniſon rückt aus!

264

Soll das den letzten Drucker geben! ſchien des Miniſters Blick zu ſeinem Begleiter zu ſagen, wäh¬ rend der Lärm drinnen ſich wieder ſteigerte. Ein Vorübergehender las den Sinn der ungeſprochenen Worte und erwiederte dem Manne, den er nicht kannte: Sie können es ganz gewiß glauben, mein Herr, diesmal iſt es Ernſt. Die Kriegskaſſe iſt ſchon fertig, und das Feldlazareth wird gepackt. Ich habe einen Vetter, der dabei iſt.

Und ich habe es ſelbſt angeordnet, lächelte der Miniſter ſeinem Begleiter zu. Soll man ſie um ihren Glauben beneiden, oder bedauern?

[265]

Fünfzehntes Kapitel. Am Altar des Vaterlandes.

Was bis hier geſchehen, davon finden wir die Hauptzüge wenigſtens in den öffentlich gewordenen Berichten. Die Zeitungen gedenken des denkwürdigen Abends; aus ihnen ſind jene Züge ſchon in die Geſchichtsbücher übergegangen. Es fiel aber an dem Abende noch manches vor, wovon ſie ſchweigen. Ein großer Theil des Publikums hatte ſich bereits entfernt. Die Begeiſtertſten empfanden noch das Bedürfniß, ſich Muth und Hoffnung zuzureden. Hier ſchüttelte man ſich die Hände; hier ſchloß man ſich in die Arme; hier unterhielt man ſich von Vortheilen, welche die Oeſtreicher errungen haben ſollten, von dem und jenem franzöſiſchen General, der verwundet ſei; dort von einem Volksaufſtande, der ſich irgendwo vor¬ bereite, von dem ungeheuren ruſſiſchen Heere, was aus dem Innern Aſiens heranwälze. In bewegten, bangen Zeiten knüpft die Hoffnung aus dem Sonnen¬ ſtäubchen, aus den Spinnfäden in der Herbſtluft Taue für ihre Anker!

Da lief ſchon längſt ein Gerücht durch die ent¬266 fernten Gruppen, daß ein Courier mit wichtigen Nachrichten angekommen ſei, aber er und ſein Pferd, gleich erſchöpft, ſeien auf dem Markt geſtürzt. Der Commandant, welcher des Weges gekommen, habe ihn auf der Straße vernommen, und ſei mit den Depechen ſogleich nach dem Palais geeilt. Ein kleiner Mann mit ſehr wichtiger Miene, den man früher ſchon bei allen Gruppirungen bemerken konnte, ſchwang ſich jetzt auf eine Logenbrüſtung und ſchrie: Es iſt richtig, meine Herren, der Courier iſt da! Er hat ſich beim Fall den Fuß verſtaucht er kommt direct vom Schlachtfelde ich ſah ihn ſelbſt ſie führen ihn jetzt am Schauſpielhaus vorbei.

Sogleich war an der Thür ein Gedrang; man wollte hinaus, um ſich von der Wahrheit zu über¬ zeugen. Die Entfernteren riefen: holt ihn herein! Was er auf der Straße ausſagen dürfe, könne er doch auch dem Publicum erzählen.

Wenn uns Merkel nicht wieder eine Finte aufbindet! ſagte ein Mann in mittleren Jahren, mit lebhaften dunkeln Augen, der, ſeiner Kleidung nach, dem geiſtlichen Stande anzugehören ſchien; das Bleiſtift und Pergament in ſeiner Hand deutete aber auf einen Berichterſtatter für eine Zeitung, was er auch wirklich war, der franzöſiſche Prediger und Profeſſor Catel, damals, und noch lange nachher, Redacteur der Voſſiſchen Zeitung. Diesmal hat Merkel die Wahrheit geſagt, liebſter Catel, bemerkte ſein Nachbar. Der Courier iſt da, auch ich ſah ihn,267 und was ich durch das Gedränge gehört ſind ſo wunderbare Dinge, daß Sie Ihre Zeitung über¬ morgen damit füllen können. Sie verlangen doch nicht von mir, daß ich Mirakel ſchreiben ſoll! entgegnete Catel. Das iſt weder meines Metiers, noch meiner Zeitung. Rebus in arduis aequam ser¬ vare mentem.

Iſt zwar ein ſchöner Wahlſpruch, entgegnete der andere, aber es giebt doch Ausnahmen.

Die ſich doch wieder auf eine Regel zurückführen laſſen. Alle Bewegung ſinkt auf ihr Niveau oder Maaß zurück und die Geſetze dieſes Maaßes ſind die Kunſt. Und das ſahen wir an dieſem Abend. Iffland hat ſich wieder ſelbſt übertroffen. Sehen Sie Sehen Sie ihn da, Feuer und Flamme für den Krieg, er iſt der Soldat, den er vorhin ge¬ ſpielt, ich glaube, wenn ihn Seine Majeſtät, der König, in die Linie beriefe, ſo würde er auch da vor den Rotten wie ein Meiſter der Kriegskunſt da¬ ſtehen. Und nun betrachten Sie, mit welcher claſſi¬ ſchen Ruhe er auch dieſes Feuer menagirt! Und vor¬ hin im Puls, das war kein Spiel, das war wieder ein Ernſt, eine Wahrheit, eine Kunſt, die uns an der menſchlichen Natur irre machen könnte. Ohne Zweifel war er von den Auftritten, die nun folgen ſollten, nicht allein unterrichtet, ſondern er hat ſie mit arrangirt, er lebte in dem Gedanken, und wo merkte man es ihm an! Ich habe ihn genau beobachtet. Da war jedes Fältchen der Weſte, jeder Knopf wie268 ſonſt. Wie er mit der Rechten den Puls des Patien¬ ten fühlte, zählte er mit den Fingern der Linken auf dem Rücken die Schläge. Das werden Wenige be¬ merkt haben. Er that es auch nicht für's Publikum, für ſich, um ſich ſelbſt zu genügen. Dieſe Ruhe, dieſe Herrſchaft über Leidenſchaft und Welt, iſt es, was den Künſtler macht. Ich hätte nur einen Wunſch jetzt

Doch nicht, daß Iffland ſelbſt ins Feld ziehen ſoll!

Nein, ich möchte ihn Talma gegenüber ſehen. Jeder, bin ich überzeugt, würde den andern bewun¬ dern, jeder vom andern lernen wollen.

Franzöſiſches Feuer und ein Claſſiker im Blute! bemerkte ein Dritter. Von der Colonie! ſagte der Andre. Die beſten Preußen und gute Deutſche, und doch alle ein tendre für Bonaparte.

Ein Jubel und Hallo kündigte hier an, daß der Courier ins Theater gezogen war. Noch ſahen ihn die Wenigſten, aber Stimmen ſchrieen ſchon: Vic¬ toria! Ein Sieg, ein ungeheurer Sieg! Hoch lebe der König! hoch Preußen!

Umſonſt ſträubte ſich der junge ſtaubbedeckte Mann, dem man die äußerſte Erſchöpfung von einem ange¬ ſtrengten Ritte anſah. Sein Geſicht war blaß, nur zuweilen von einer flammenden Röthe überflogen. Er ſprach lebhaft, aber mit Anſtrengung zu den um ihn Stehenden.

Meine Herren, es iſt ein Irrthum, ich bin nicht269 ſelbſt der Träger der erwünſchten Nachrichten. Ich habe vergebens draußen ſchon gegen die Auszeichnung proteſtirt, aber man hört mich ja nicht. Meine De¬ pechen vom Miniſter Haugwitz enthalten nichts, noch können ſie etwas von der Nachricht enthalten, die Sie, die wir alle wünſchen, daß ſie auf Wahrheit beruhe. Meine Depechen, wie meine eigne Kenntniß der Dinge, ſind von Wien, von weit älterem Datum. Ich wußte mich, um nicht aufgefangen zu werden, auf Nebenwegen durchzuſchlagen, ich mußte weite Um¬ wege machen, und ich wiederhole Ihnen, daß es nur ein Gerücht iſt, was ich an der ſächſiſchen Gränze zuerſt hörte. Was verlangen Sie von mir, daß ich es hier öffentlich mache! Ich kann nichts ſagen, als daß ich von andern gehört, was dieſe wieder gehört.

Die in den Logen und dem hintern Parterre hatten natürlich nichts von dieſer Proteſtation gehört. Uniſono ſchrie, tobte, forderte man, daß der Courier laut ſpreche; was hier gut ſei, müſſe es für alle ſein. Hier ſind keine Verräther! Keine Spione. Auf das Proſcenium! Sie müſſen jetzt, Bo¬ villard, rief Jemand, der ihn kannte, oder man läßt es uns entgelten.

Der Erſchöpfte ward von zwei Männern unter den Arm gefaßt und auf die Bretter faſt hinauf ge¬ riſſen. Uebrigens herrſchte kaum ein Unterſchied mehr zwiſchen der Bühne und dem Zuſchauerraum. Selbſt von den angeſehenſten Damen ſtanden ſchon mehre auf der erſteren. Schauſpieler hatten einen Altar270 herangetragen, der vielleicht aus der vorigen Opern¬ darſtellung noch hinter den Couliſſen ſtand. Er diente dem Erſchöpften, der ſich von ſeinen Beglei¬ tern losgemacht, zur Stütze. Sein Auge rollte, als ſuche er in der Luft nach Worten, während es den Umſtehenden nicht entging, daß ſeine Glieder fieber¬ haft zitterten. Jetzt fuhr er mit der Hand über die Stirn; um die Erinnerung zu ſammeln, glaubten Einige, Andre verſicherten nachher, er ſei geſtanden, als habe er ein Geſpenſt geſehen. Da rief er plötz¬ lich aus voller Bruſt: Sieg! Sieg verlangen Sie aus meinem Munde. Wenn wir an uns ſelbſt glauben, Deutſche Männer, müſſen wir ja ſiegen! Warum nicht dort! Ein Händeklatſchen, ein brüllender Applaus: Sieg! Ein Sieg! Weiter! Wo? In Mähren, hinter Brünn eine Schlacht, ſagen ſie, iſt geliefert, blutig, wie keine ſeit Menſchengedenken drei Tage hätte ſie gewüthet drei Kaiſer ſtanden ſich gegenüber drei Mal ging die Sonne blutroth auf am dritten Alles hörte bang, mit angehaltenem Athem, während der Sprecher nach Luft zu ſchöpfen ſchien. Am dritten hat man ihn geſehen Bonaparte in der Mitte von nur drei Reiterregimentern, die ihn mit ihren Leibern ſchützten ſich durchſchlagend nach Baiern ſein Heer, ſein großes Heer

Was iſt ihm! riefen die Nächſtſtehenden. Bo¬ villard beugte und ſtützte ſich, wie um ſich zu halten, oder etwas zurückzudrängen, auf dem Altar. Durch271 die weiten Räume aber brauſte es: Hurra! Victoria! Kränzt den Siegesboten! rief die Fürſtin, die Treppe herauf ſteigend. Kränzt ihn! wiederholten weibliche Stimmen.

Die Kränze waren da, aber das Publikum wollte vorher den ganzen Freudenbecher ausgeſchüttet wiſſen: Sein Heer wo iſt ſein Heer?

Fragt die Erynnien! Eine Blutlache

Dieſe Worte konnte man auf dem entfernteſten Amphitheater verſtehen, ſo ſcharf ſchnitten ſie durch die Luft, doch ohne den ſonoren Metallklang von vorhin. Dann hörte man einen Fall, einen Schrei der Umſtehenden, Töne des Jammers, Einige wollten ein Auflachen gehört haben. Sehen, was vorge¬ fallen, konnten natürlich nur die Nächſtſtehenden; indem man, um zu ſehen, herandrängte, verbarg man die betreffenden Perſonen. Von Mund zu Munde ging es, der Bote der Siegeskunde war am Altar des Vaterlandes niedergeſunken, aber mit voller Ehre. Ein junges Mädchen, ſchön wie keine in Fiebergluth, hatte ſich mit dem Kranz über ihn erhoben, aber als ſie ihm denſelben auf die Stirn drückte, als er ihre Hand ergriff, ſtürzte es ihm aus dem Munde, ein rother Blutquell, und er war hingeſunken, ohne die Hand loszulaſſen.

[272]

Sechszehntes Kapitel. Eine Entführung.

So viel wußte man bis in die entfernteſten Winkel, aber in der Maſſe verſchwand das Perſön¬ liche vor dem ſturmbewegten Gefühl. Man begnügte ſich nicht mehr mit einem Händedruck, auch Leute, die ſich nicht leiden mochten, ſtürzten ſich in die Arme: Das Vaterland iſt gerettet! Zuge¬ ſchlagen. Nun ihm das Garaus gemacht! Drauf los! Tod allen Franzoſen!

Davon werden ſie auch nicht ſterben! brummte der Officier, welcher vorhin York genannt wurde, der ſich jetzt Luft nach dem Ausgange machte, während die Tücher der Damen ihm faſt um die Ohren ſchlu¬ gen: Wenn überhaupt die Geſchichte wahr iſt.

Sie ſtießen, ſagte ſein Begleiter, den armen Herrn Merkel beinahe um, der die Nachricht friſch aufnotirt, um ſie noch warm in ſeinen Freimüthigen zu ſetzen.

Hol 'ſie alle entfuhr es dem Oberſt, als ſeine Aufmerkſamkeit durch eine andere Scene in Anſpruch genommen wurde.

273

Walter van Aſten führte ſeine Couſine durch das Gedränge. Einer der jüngeren Offiziere, deren Geſchwätz der Oberſt vorhin durch ſeinen zornfun¬ kelnden Blick zum Schweigen gebracht, benutzte den Augenblick, wo Walter ſich bückte, um den Pompadour aufzuheben, der dem jungen Mädchen aus der Hand gefallen war. Er drängte ſich zwiſchen beide und wußte den Arm der Dame in ſeinen zu ſchieben: Mein ſchönſtes Fräulein, Sie hatten einen Führer, der den Weg nicht kennt. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen den nächſten zeige.

Minchen Schlarbaum's Arm hing wirklich am Arm des Offiziers, als ob es ſo ſein müſſe, aber ihr Mund öffnete ſich ſo weit als ihr Auge groß ward. Mein Gott, verzeihen Sie, das iſt ja mein

Ihr Pompadour, fiel der Cornet ein. Da nehmen Sie ihn raſch. Ich hoffe, daß der Herr da ihn für Sie aufgelangt hat.

Und ich, Herr Cornet von Wolfskehl, hoffe, ſagte Walter, daß Sie nur in der Trunkenheit der Freude meine Couſine mit Jemand Ihrer Be¬ kanntſchaft verwechſelt haben. Für eine andre Trun¬ kenheit würde ich Rechenſchaft fordern.

Was! Spricht da einer von Rechenſchaft ich habe mich wohl verhört, näſelte der Cornet zu den Cameraden, die ſtill lächelnd in der Nähe ſtan¬ den, als er ſchon Walters Hand an ſeinem Arm fühlte. Es war noch eine ſanfte Berührung.

III. 18274

Ich, Cornet Wolfskehl, ſagte Walter in einem Tone, der noch dem Druck ſeiner Hand entſprach. Auf der Stelle erſuche ich Sie ſo höflichſt als drin¬ gend, Ihrer Wege zu gehen, da ich meinen vollkom¬ men kenne, den ich gehen muß und werde, wenn Sie den Platz nicht augenblicklich verlaſſen.

Herr fuhr der Cornet auf wer ſind Sie in drei und hatte doch den Arm der Dame fahren laſſen. Walters Blick hatte etwas herriſch durchdringendes. Auch auf den übermüthigen Jüng¬ ling hatte er unwillkürlich einen Eindruck gemacht.

Jemand, dem es leid thäte, ſich an dem Rock des Königs vergreifen zu müſſen, der aber keinen Augenblick zaudern würde, wenn jemand, der nicht der Ehre werth iſt ihn zu tragen, darunter ſteckte.

Was! Unterfängt ſich die Ca

Halt! donnerte die Stimme des älteren Of¬ ficiers dazwiſchen. Meine Herren Officiere, wenn der Civiliſt da zu dem Frauenzimmer gehört, iſt er im Rechte.

Dulden wir das! ſchien der zu den Cameraden gewandte Blick des Cornets zu ſprechen.

Herr Obriſt, er hat unſre Uniform berührt.

So wird er Ihnen Rede zu ſtehen haben, warum, entgegnete der Obriſt.

Herr Jeſus, um Gottes Willen keinen Scan¬ dal! ſchrie Minchen Schlarbaum. Da iſt ja Herr Profeſſor Catel, der kennt meinen Couſin.

In dem Augenblick ward aber die Aufmerkſam¬275 keit wieder auf den allgemeinen Gegenſtand der Theil¬ nahme gelenkt. Wie wenn ein Vorhang zu beiden Seiten aufrollte, hatten ſich die Perſonen, welche um den Courier geſtanden, nach beiden Seiten vertheilt, um der ſtürmiſchen Forderung des übrigen Publikums zu genügen. Bovillard lag auf dem Boden, das umkränzte Haupt vom Theaterarzt geſtützt, während ſeine ausgeſtreckte Rechte die Hand des jungen Mäd¬ chens noch immer gefaßt hielt, welche den Kranz ihm aufgedrückt. Dieſe kniete, entweder durch ihre Lage dazu genöthigt oder aus eigener Bewegung, daneben. Von der Fieberröthe fluthete nichts mehr auf ihrem Geſicht; es war todtenblaß, nur die großen ſchönen Augen ſtarrten auf den Jüngling zu ihren Füßen. Sie ſelbſt ſchien der Hülfe zu bedürfen, denn die Fürſtin hielt ſie umfaßt. Die Wallenſteinſchen Krie¬ ger, auf ihre langen Degen geſtützt, ſtanden im Halb¬ kreis wie eine Wache. Es war nicht Arrangement, es hatte ſich von ſelbſt ſo gemacht. Wer den Reſt Spiritus auf dem Altar entzündet, deſſen blaue Flammen ſpärlich durch das Halbdunkel der verlöſchen¬ den Oellampen in die Höhe leckten, iſt nie ermittelt.

Der Anblick war überraſchend, das erſte Schwei¬ gen des Publikums verrieth, daß es den Sinn und Zuſammenhang nicht begriff. Es wußte nicht, ob es noch jubeln dürfe, ob trauern ſolle? Eigentlich wußte es Niemand; was ſeit letzt geſchehen, ging über alles Arrangement hinaus, bis die Gefühle der Einzelnen, wie kleine Blutadern in einem großen18 *276erſtarrten Körper, pulſirten. Die Theilnahme war verſchieden. Eine Stimme rief aus der Mitte heraus: Ah c'est pittoresque! C'est vraiment antique et classique!

Aber er ſtirbt ja wirklich! ſchrieen Andere.

Der Claſſicismus mußte in dieſer Verſammlung noch eingewurzelt ſein, denn es fand ſich Jemand, der ſeine Zuhörer an das erhabene Beiſpiel aus dem Alterthum erinnerte, wo der Bote einer Siegesnach¬ richt im Augenblick, wo er ſie überbrachte, aus Er¬ ſchöpfung zu den Füßen ſeiner Mutter todt nieder¬ ſtürzte, und die Mutter ward um deshalb als die glücklichſte Frau im ganzen Hellas geprieſen.

Herr Herklotz, der Theaterdichter, man vermuthet, daß er es geweſen, hatte mit Iffland einige Worte geflüſtert, und dieſer, heute in andauernder Aufre¬ gung, hatte ſchon den breitkrämpigen Hut gezogen, und war an die Lampen getreten zu einer neuen pa¬ triotiſchen Anſprache, muthmaßlich aus jener Ver¬ gleichung geſchöpft, als Major Eiſenhauch ihn ſanft am Arm faßte:

Um Gottes Willen, Herr Director, bedenken Sie, da iſt der Vater des Sterbenden.

Der Geheimrath Bovillard, in einem Geſpräch mit St. Real begriffen, hatte erſt ſpät ſeinen Sohn erkannt. Mais enfin, grand Dieu, c'est donc mon fils! rief er händeringend zu denen, die ihn abhal¬ ten wollten, ſich auf die Bühne zu ſtürzen, und ar¬ beitete ſich durch das Gedränge.

277

Mais, mon cher conseiller, rief der Geheim¬ rath Lupinus, der, ſeinen Arm unterfaſſend, ihm nacheilte, il ne mourra pas. Nous admirons ce ra¬ vissement d'amour paternel suprême. Oh! c'est touchant. Mais considérez, mon ami, votre état et surtout votre caractère. Vous êtes philosophe! Et il ne mourra pas, assurément, ce n'est qu'un échauffement passager. C'est jeune homme, un épanchement patriolique, l'amour paternel le guérira!

Es arbeitete ſich noch Jemand während deſ¬ ſen durch das Gedränge, doch mit einem andern Ungeſtüm. Auch nach ihm ſtreckten ſich unwillkür¬ lich Arme aus, als wollten ſie ihn zurückhalten. Weshalb Walter van Aſten plötzlich dem Officier, dem er noch eben die Zähne zu weiſen ſo große Luſt gezeigt, den Rücken gekehrt, weshalb er ſeine Couſine, zu deren Schutz er aus ſich ſelbſt herausgeſchritten ſchien, ſtehen ließ, weshalb er unbekümmert um beide ins dichteſte Gewühl ſich geſtürzt, daß er im nächſten Augenblick ihnen allen verſchwunden war, das wu߬ ten die freilich am wenigſten, welche ſich am laute¬ ſten darüber verwunderten. Ein Hohngelächter der Officiere brach plötzlich aus. Der Obriſt drückte verächtlich den Hut auf die Locken: Iſt's ein ſol¬ cher, ſo laſſen Sie den Patron nur laufen.

Er hat vielleicht Jemand geſehen, der ſeiner Hülfe noch mehr bedarf, antwortete Profeſſor Catel auf Minchen Schlarbaums erſtaunten Blick, und bot278 ihr raſch ſeinen Arm, während die Officiere zu einer Art Kriegsrath zuſammengetreten waren.

Redeſtehen! Nimmermehr. Die Peitſche dem Poltron!

Meine Herren, ſagte der Obriſt im Abgehen, wenn er den Rock des Königs angefaßt und ſich falvirt hat, ehe er Rede ſtand, ob er nicht nur einen Fleck drauf abklopfen wollte, ſo ſchickt ſichs weder Satisfaction von ihm zu fordern, noch für Sie den Bütteldienſt zu übernehmen. Das iſt nun meines Erachtens allein Sache der Polizei und der Juſtiz, und vor der Hand können Sie's ruhig einem Wacht¬ meiſter und Sergeanten überlaſſen. Empfehle mich Ihnen.

Der Geheimrath Bovillard hatte ſich über ſei¬ nen kranken Sohn werfen wollen, aber vernünftige Freunde ihn zurückgehalten, weil es ſich mit ſeiner Würde nicht vertrage, weil das vor dem Theater - Publikum eine Scene aufführen hieße, weil ſein Sohn in keiner Lebensgefahr ſei, weil jeder Affect die Lage deſſelben verſchlimmern könne. Der Ge¬ heimrath Bovillard war den vernünftigen Vorſtellun¬ gen zugänglich, und für den öffentlichen Anſtand hatte er immer das feinſte Gefühl.

Um ſo beſſer, als man ſeinen Sohn bereits auf demſelben Ruhebett, auf welchem bei der Darſtellung des Puls der kranke junge Graf gelegen, fortgetra¬ gen hatte. Dabei mußte ſich noch einiges ereignet haben, was die Umſtehenden beſchäftigte. Man hatte279 ſeine Hand aus der des jungen Mädchens losreißen müſſen, ſo feſt hielt er ſie gefaßt. Sie war darauf von der Anſtrengung und dem phyſiſchen Schmerz, ſagten die Verſtändigen, zu Boden geſunken. Ob in einer Ohnmacht oder einem Starrkrampf, darüber ſtritt man; die zum letzteren hinneigten, behaupteten, ſie ſei ſchon vorhin, als ſie noch aufrecht ſaß, in einem Starrkrampf geweſen. Andere vermutheten noch Anderes, und Iffland flüſterte zu Bethmann: Ich beſorge, daß man uns auf unſerem Grund und Boden eine Komödie aufgeführt hat, während wir hier dem Publikum einen Ernſt vorſpielen wollten.

Während er lauter als nöthig Anordnungen gab, den Vorhang fallen zu laſſen, und deutliche Winke, daß es Zeit wäre das Schauſpielhaus zu räumen, erhob ſich ein neuer Lärm im Orcheſter.

Als hätte ſich heut Alles gegen unſere Ord¬ nung verſchworen! rief Iffland, von daher zurück¬ kehrend.

Gönnen Sie der Freude etwas Tumult, Herr Director.

Ein Civiliſt hat ſich gegen einen Officier ver¬ gangen. Sie arretiren ihn eben. Als ob ein Tag, der in Allen nur einen Gedanken hervorrufen ſollte, zur Aufwärmung dieſer leidigen Streitigkeiten zwi¬ ſchen den Ständen geeignet wäre.

Es ſoll ſonſt ein ganz anſtändiger Menſch ſein.

Deſto ſchlimmer, rief Iffland. Wenn die Vernünftigen nicht einmal ihre Affecte am Altar des280 Vaterlandes zügeln! Was erwarten wir dann vom Pöbel!

Die Affecte werden immer ihr Recht behal¬ ten, erwiederte Herr von Fuchſius. Und wenn Ihr eine Staatsordnung auf Menſchen ohne Leiden¬ ſchaften und Schwächen bauet, ſo habt Ihr auf Sand gebaut. In einer Zeit, wie unſre, Herr Director, hilft uns nur, wenn wir den Affecten alle Schleuſen öffnen. Der Organismus iſt zu ſyſtematiſch ver¬ ſchlammt. Die Künſte der Ordnung reichen nicht aus. Nur ein Ueberfluthen des Stroms kann uns aus der Lethargie erretten.

Wenn ſie ſich zanken, iſts doch ein Beweis, daß ſie noch leben! ſetzte Major Eiſenhauch hinzu.

Sie lebt! ſagte der Arzt, welcher für Adel¬ heid herbeigerufen war und noch immer ihren Puls hielt. Ihr Leiden ſcheint mir nur pſychiſch; eine Folge von zu lange verhaltenen Gemüthserſchüt¬ terungen. Nach dem Zwange rächt ſich die Na¬ tur. Die äußerſte Ruhe thut ihr zunächſt noth. Auf die Bretter aber, dünkt mich, gehört die Kranke nicht.

Damit war vor Allen Herr Iffland einverſtan¬ den. Er hatte bereits eine Portechaiſe kommen laſſen. Zwei Soldaten, noch in Wallenſteinſchen Waffen¬ röcken, verſprachen rüſtige Träger zu ſein.

Aber wohin? fragte der Director, nachdem Adelheid unter Beihülfe des Arztes und der Fürſtin in die Portechaiſe gehoben war.

281

Gleichviel! In das nächſte befreundete Haus, ſagte der Arzt.

Das iſt mein Hotel. Die Fürſtin gab, nach¬ dem ſie einen ſchnellen Blick nach der Geheimräthin geworfen, die nöthigen Anweiſungen: Leiſe aufge¬ treten, keine Erſchütterung. Für einen guten Lohn verpflichte ich meinen Kammerdiener.

Die Lupinus ſah weder den Blick, noch die Ab¬ führung der Portechaiſe. Eine Reihe rieſiger Pap¬ penheimer hatte eine Wand dazwiſchen gebildet. Aber auch ohne dieſe Kuiraſſiere würde ſie in dem eifrigen Geſpräche mit dem Legationsrath es ſchwerlich ge¬ ſehen haben. Er hatte ſie ſchon vorhin faſt mit un¬ ziemlicher Heftigkeit bei der Hand ergriffen und in die Couliſſen gezogen.

Ich verſtehe Sie nicht. Sie ſelbſt drangen darauf, daß ich kündigen ſollte.

Und heut bietet Moldenhauer fünf Procent, wenn Sie die Kündigung zurücknehmen. Schlagen Sie ein! wiederhole ich. Jede Hypothek 20,000 Thaler! Bedenken Sie! Einen ſo unerwarteten Gewinn! Sie wären raſend, ihn von der Hand zu weiſen.

Aber wenn die Kapitale ſelbſt darüber ver¬ loren gehen! Noch geſtern ſchrieben Sie mir: Kündigen Sie.

Noch vor einer Stunde hätte ich es gethan.

Und jetzt, wo Preußen losſchlagen muß

Es ſchlägt nicht los.

Napoleon vernichtet iſt

282

Er iſt nicht vernichtet.

Trägt ein Ariel Ihnen Botſchaften durch die Luft?

Ja, in Geſtalt einer Taube, die zu Herrn von Marvilliers auf Laforeſt Hinterdach niederflog.

Die Schlacht

Iſt geliefert, flüſterte er näher an ſie tretend ihr ins Ohr. Das Blut floß in Strömen. Die Ruſſen total geſchlagen, Oeſtreich verloren, dem Sieger auf Gnade und Ungnade überliefert

Entſetzlich! Wo? Wie?

Wenn man den Namen in dem raſch ge¬ kritzelten Zettel richtig lieſt, heißt es Auſterlitz, wo Europas Schickſal entſchieden ward. Die Schlu߬ folge überlaß ich Ihnen.

Und dieſe Menſchen in ihrem Siegesrauſch!

Was gehen dieſe Menſchen Sie an! Denken Sie an ſich, und ergreifen, was der Moment Ihnen bietet. Es wäre möglich, daß Moldenhauer ſchon morgen Mittag den wahren Verlauf erfährt. Des¬ halb beſchied ich ihn auf morgen früh zu Ihnen. Ein Notar iſt avertirt, daß wir ihn auf der Stelle rufen. Moldenhauer wird Sie als Engel ſegnen, denn er hält ſich als Kaufmann ruinirt, wenn Sie auf die Kündigung beſtehen. Sie zaudern natürlich etwas, bis

Und wenn wir uns doch verrechneten!

Das Einmaleins iſt nicht unerſchütterlicher als der moraliſche Egoismus der Staatskunſt. Stürzt283 ſich das Lamm in den Rachen des Löwen, der vom Blute der Hunde träuft?

Aber

Wird, kann, darf Preußen jetzt losgehen? Das frage ich Sie, und es bedarf nicht Ihres Scharfblicks, um ein entſchiedenes Nein zu antworten. Selbſt wenn dieſe Mannequins nicht am Ruder ſäßen, ein entſchloſſener, zornſprühender König auf dem Throne jetzt wäre es Thorheit Thorheit iſt Alles aber es wäre mehr als das Verbrechen, Wahn¬ ſinn es iſt eine Unmöglichkeit.

Doch Napoleon könnte

Aber wird nicht. Er iſt zu vorſichtig, um die Verzweiflung herauszufordern, und zu geſchwächt durch ſolchen Sieg, um auf einen gerüſteten Staat ſich zu werfen; zu klug, um nicht andre Vortheile von einem Feinde zu erpreſſen, der die Dummheit hat, an einem politiſchen Gewiſſen zu laboriren, und das Unglück, daß es ihn drückt. Wenn der Löwe ſatt vom Blut iſt, läßt er die Lämmer weiden, und ſpielt auch mit ihnen, daß ſie zutraulich werden, bis er wieder Hunger bekommt. So weit dürfen wir nicht rechnen.

Es wird dunkel! rief die Geheimräthin; man fing an die Lampen auszulöſchen. Mein Gott, wo iſt Adelheid?

Der Wachtmeiſter aus Wallenſteins Lager war ihr entgegen getreten. Beruhigen Sie ſich, Madame. Die Demoiſelle iſt in ſichrer Obhut fortgebracht, die Frau Fürſtin Gargazin

284

Hat ſie Ihnen am Ende entführt, lachte Wandel.

Ein Kammerdiener der Fürſtin ſtand in der Couliſſe, um der Geheimräthin die Thatſache, nur mit andern, ſchöneren Worten zu melden, und wenn ſie es für nöthig fände, die Kranke zu beſuchen, das ganze Hotel zu ihrer Dispoſition zu ſtellen. Ein Zuſatz lautete indeß, daß die Aerzte jeden Beſuch für lebensgefährlich beim Zuſtande der Kranken erklärt.

Als die letzte Spiritusflamme auf dem Altar aufzückte, ging die Geheimräthin an Wandels Arm raſch fort. Sie ſtanden am Ausgang. Links führte der Weg zur Fürſtin, rechts nach der Jäger¬ ſtraße.

Sie iſt Ihnen entführt. Wollen Sie ihr nach¬ laufen? Mich dünkt, es iſt heute genug Komödie geſpielt. Ueberlaſſen Sie das ſolchen, die zu nichts Beſſerem taugen. Wozu einen Schmerz heucheln, den Sie nicht empfinden. Mich dünkt, Sie könnten dem Himmel danken, wenn Sie das Mädchen auf die Weiſe wirklich los werden.

Aber was wird die Welt ſagen?

Die hat fürs erſte anderes Spielzeug. Nachher findet ſich leicht eine plauſible Fabel.

Die Geheimräthin ging nicht in das Hotel der Fürſtin.

Das Publikum drängte hinaus. Herr Profeſſor Catel, ſagte Merkel triumphirend, werden Sie uns285 übermorgen wieder eine neue ſpaniſche Fabel von Yriarte in der Voſſiſchen bringen?

Herr Doctor Merkel, erwiederte Catel, wenn nur nicht Ihre deutſche Wahrheit, die aus Ihrer Brieftaſche heraus will, bis ſie in den Freimüthigen kommt, zur Fabel wird!

Halt! Halt! rief eine Stimme am Ausgange. Das Wichtigſte Was denn? In der ro¬ mantiſchen Unruhe vergaß man die Ankündigung, was morgen gegeben wird.

Es war ein Häuflein Muthwilliger, das überall die Gelegenheit zur Unruhe willig ergreift. Ordnung muß ſein, trotz der Politik! Theater muß hier ſein, wenn auch draußen Schlachten ſind. Man pochte und ſchrie: Die morgende Vorſtellung! Raſch, fix raus. Ein Unterbeamter des Theaters blickte ſcheu durch die Couliſſen, und erklärte demüthig einem hochverehrten Publikum: Herr Director Iffland und alle Regiſſeure hätten ſich ſchon entfernt, ohne eine Anweiſung hinterlaſſen zu haben. Das vermehrte erſt den Lärm, das Publikum wollte ſein Recht. Plötzlich ſprang ein junger elegant gekleideter Mann vom Par¬ terre auf die Bühne, verneigte ſich und ſprach:

Morgen: Man ſoll den Tag nicht vor dem Abend loben, Originalluſtſpiel aus dem Fran¬ zöſiſchen in drei Akten. Hierauf: Heute roth, morgen todt, politiſche Burleske in einem Akt. Zum Schluß: Ende gut Alles gut, Schauſpiel aus dem Eng¬ liſchen des Shakſpeare.

286

Applaus begleitete das Impromptu. Es war ein Kammergerichts-Referendarius, man nannte ſeinen Namen. Seine Freunde jubelten über den Genie¬ ſtreich. Es gab viel Gerede darüber in allen Cirkeln der Stadt. Aeltere Männer, die Räthe des Gerichtes, ſchüttelten den Kopf: In dieſem politiſchen Treiben ginge Sitte und Ordnung zu Grunde.

[287]

Siebzehntes Kapitel. Die Patrioten trennen ſich.

Was thun Sie, Herr von Eiſenhauch!

Was die Ehre mir gebietet.

Keine Uebereilung, die Sie bereuen könnten.

Ich bereue nur, daß ich zu lange vertraut.

Wenn jetzt die Freunde des Vaterlands zu¬ rücktreten

Wer ſagt, daß ich zurücktrete, Herr von Fuch¬ ſius! Der Major hielt in der Arbeit inne, die ihn ganz zu beſchäftigen ſchien. Er packte haſtig an einem Felleiſen, während ein anderes ſchon vom Die¬ ner zur Thür hinausgetragen ward. Waffenſtücke, Hut und Mäntel hingen umher und zwei Pferde ſtampften am Hauſe vor einer leichten Reiſekaleſche. Es ſchien nichts Heimliches, was hier verhandelt ward, denn der Major mäßigte nicht ſeine Stimme, wenn die Diener eintraten, noch ſprach er leiſer, wenn ſie die Thür beim Fortgehen offen ließen.

Wer ſagt, daß ich zurücktrete! Ich verzweifle288 nicht an unſrer Sache, mein Herr, auch noch nicht an unſerm Vaterlande, und ich verzweifle auch nicht an dieſen hier, denn man kann nur verzweifeln, wo man noch hoffte.

Major

Nicht mehr in preußiſchem Dienſt. Meinen Abſchied, der jetzt ausgefertigt wird, haben Sie die Gefälligkeit und ſchicken ihn mir nach, oder ver¬ brennen ihn. 'S iſt gleichgültig.

Wohin?

Nach Oeſtreich, ſo lange noch da ein Funken glimmt. Nach Rußland, England, Spanien, wohin es ſei, wo Herzen ſchlagen, Männer athmen, welche noch ein Gefühl für Schande haben.

Fuchſius hatte die Thür zugedrückt. Es war ein Abſteigequartier und ihm ſchien die Unterhaltung nicht geeignet, um von andern Hausbewohnern be¬ lauſcht zu werden. Aber Eiſenhauch rief in der Ar¬ beit: Wenn es Sie nicht genirt, was mich betrifft, mögen Napoleons Spione Alles hören.

Nur ein Wort. Großfürſt Conſtantin und Fürſt Dolgorucki ſind hier. Noch iſt nichts verloren, Sie belagern den König, ſie dringen in ihn, daß Preußen ein entſcheidendes Wort ſpreche.

Eiſenhauch lachte auf.

Lachen Sie nicht. Keine Sprache iſt hier ſo wirkſam, als die ruſſiſche.

Sagen Sie, als die der Furcht. Als ich bei Ihrem Miniſter den Abſchied forderte, drückte er mir289 die Hand ans Herz, wenigſtens an den Platz, wo eins ſchlagen ſollte.

Und

Sie kommen meinem Wunſch zuvor, verſicher¬ ten mich Seine Excellenz, denn Ihres Bleibens wäre hier doch nicht länger. Napoleon würde Ihre Aus¬ lieferung fordern, und Sie erſparen uns durch Ihren hochherzigen Entſchluß die Unannehmlichkeit, Sie aus¬ weiſen zu müſſen. Von einer Uebereilung, Herr von Fuchſius, iſt daher, wie Sie ſehen, nicht die Rede. Ich fliehe, damit man mich nicht einſperrt, ich mache mich bei Zeiten aus dem Staube, damit man mich nicht verfolgt.

Fuchſius hatte ſich, das Geſicht bedeckend, auf das Kanapé geſetzt.

Und doch wage ich zu behaupten, ſagte er, während der Major im Packen fortfuhr, Sie über¬ eilen ſich. Vergönnen Sie mir, mich mit der Ruhe gegen Sie auszuſprechen, die ich mir erſt ſammeln muß, vielleicht als ein Produkt Ihrer Unruhe. Wo ſchöpft nicht der Troſtloſe Troſt! Haugwitz's Auf¬ träge, als er nach Brünn abreiſte, waren auf keine Niederlage berechnet. Die Klugheit gebot ihm, wie die Dinge ſtanden, zu verſchweigen, was er unter andern Umſtänden ſprechen ſollte.

Und ließ ſich, ehe die Dinge ſtanden, wie ſie ſtehen, mit einem gnädigen Zornblick nach Wien complimentiren. Ließ ſich mit einem Schnalzen, wie ein Hund, bei Seite ſchieben, damit Napoleon beiIII. 19290Auſterlitz ungeſtört ſchlagen konnte. Sah vom Ste¬ phansthurm mit einem Fernrohr nach Mähren, um ſeine Worte abzuwiegen, je nachdem, ob er zum Sie¬ ger oder zum Beſiegten zu ſprechen hatte. Höll 'und Teufel verzeihen Sie, mein alter Freund ich weiß auch, was Diplomatie iſt, aber Macchiavell iſt ein Stümper vor ſolcher Politik. Die Reiſe nach Mähren wird ein Brandfleck bleiben in der Preußi¬ ſchen Geſchichte, ich fürchte, er zerlöchert das ganze Buch. Der boshafteſte Feind hätte nichts Schlim¬ meres erſinnen können. Doppelzüngigkeit iſt ein mil¬ des Wort. Doppelſinnigkeit! eine doppelte Sinnloſig¬ keit, denn man weiß heute nicht, ob uns Oeſtreich und Rußland mehr haſſen, oder Napoleon mehr ver¬ achten muß. Wiſſen Sie's zu vertheidigen?

Der Regierungsrath ſagte nach kurzem Schwei¬ gen: Nein! Ich überlaſſe Ihnen das volle Ver¬ dammungsrecht über das, was geſchehen iſt. Aber es iſt noch nicht Alles geſchehen!

Der zweite Basler Frieden ward in Schön¬ brunn geſchloſſen, zehntauſend Mal ſchmäliger als der erſte. Wollen Sie ihn noch durch einen dritten überbieten laſſen!

Der Vertrag von Schönbrunn iſt noch nicht ratificirt, Herr von Eiſenhauch. Bis er es iſt, laſ¬ ſen Sie uns, laſſen Sie mich wenigſtens hoffen. Wir ſollen Anſpach an Baiern abtreten, Cleve, We¬ ſel, Neuſchatel an Frankreich, und erhalten dafür das Danaer-Geſchenk, die Erlaubniß Napoleons, uns an291 Hannover ſchadlos zu halten. Mein Herr, laſſen Sie uns hoffen, daß wir dieſen Brocken, an dem der Adler erſticken ſoll, nicht annehmen! Unſer Militair knirſcht vor Wuth und Erbitterung, es iſt ein ſchlag¬ fertiges Heer; zum Kriege ausgerückt. Soll es ohne Krieg zurück? Hören Sie, wie man laut ruft, von den Prinzen und Generalen bis zu den Unteroffizieren und Gemeinen: des Staates Ehre iſt verpfändet; die Miniſter haben ſie verkauft, an uns iſt es, ſie wieder einlöſen! Rußland operirt offen, geheim. Hat Oeſt¬ reich keine Stimme an unſerm Hofe? Es iſt ſtill erbittert, wie nie zuvor. Horchen Sie durch die Straßen, in den Wirthshäuſern, es iſt nur eine Stimme: Noch iſt der Augenblick zu handeln! Hören Sie in jeder Geſellſchaft, wo zwei, drei zuſammen ſtehen, die Wuth gegen Haugwitz. Es iſt kein Tadel mehr, es iſt ein allmächtiges Gefühl, das kaum mehr Worte findet. Männer mit weißem Haar ſpucken beim Namen des Mannes. Er hat Preußens Ehre verkauft! Ein Glück für ihn, daß er nicht hier iſt. Die Männer der Klicque getrauen ſich nicht bei hellem Licht über die Straße; man würde

Vielleicht einen Stein aufheben, rief Eiſenhauch, den Koffer zuwerfend, aber ehe man ihn wirft, würde man ſich beſinnen, es ſei doch vernünftiger ihn nicht zu werfen. Der Stein könnte ja ein Loch in den Kopf werfen und den Kopf doch nicht öffnen. Was man würde, könnte, möchte, dürfte, das iſt alles vor¬ trefflich, was man weiß, iſt die Weisheit ſelbſt, aber19*292der Haken iſt, daß man nicht thut, was man könnte, möchte, dürfte, und daß, was man weiß, die Er¬ kenntniß zu Schanden wird an der Geſpenſterfurcht vor dem Entſchluß.

Ich gebe Ihnen ja alles zu, aber jetzt iſt die Volksſtimme wie ein Strom, der ſeine Eisdecke bricht. Die Wuth kennt keine Zügel mehr nach dieſer Ent¬ täuſchung. Alle Wuth iſt blind, wollen Sie mir einwerfen, aber dieſe iſt intenſiv und kritiſch zugleich. Das iſt ein neues Symptom. Man fragt: Warum mußte Haugwitz ſo lange zaudern? Warum reiſte er ſo langſam? Warum ließ er ſich wie ein Junge in Brünn behandeln? Warum wie eine petite femme, die man bei der Schlacht nicht braucht, nach Wien ſchicken? Was würde Friedrich zu ſolcher Vollſtreckung ſeiner Befehle geſagt haben? Seinen Kopf hätte es einem ſolchen Abgeſandten gekoſtet. Dem Grafen wird es den Kopf nicht koſten, und man fragt ſchon jetzt, warum? Man wird es immer dringender fragen. Wie lautete ſein Auftrag, der ihm ſo zu handeln erlaubte? Warum reiſt er ſo langſam zurück, als er langſam hingereiſt iſt? Warum darf er blumenreiche Zeitungsartikel in die auswärtigen Blätter ſenden, die uns in den Wahn einlullen ſollen, ſeine Miſſion ſei geglückt, er habe nur ausgerichtet, was ſein König ihm aufgetragen? Wer iſt hier der Betrogene, wer der Verräther? Klimpert franzöſiſches Geld in ſeiner Taſche, oder iſt er der ſtumme Dulder, der eines An¬ dern Schuld heroiſch auf ſeine Schultern nimmt? 293Das, Major, fragt man, man fragt es laut, und Männer fragen es, vor denen unſre Höchſten Reſpect haben.

Aber was hilft die ſchärfſte Frage, auf die ich keine Antwort bekomme?

Preußen ſucht zu vermitteln. Lachen Sie nicht. Zu anderer Zeit würde ich mit Ihnen lachen, jetzt iſt es das einzige Mittel, um Zeit zu gewinnen. Der König iſt rathloſer denn je in dieſem Gedränge der Parteien und Leidenſchaften. Man hat mit Lord Harrowby negociirt, daß die engliſche Legion, die bei Stade gelandet, einſtweilen in Hannover nicht vor¬ rücken ſoll. Obriſt Pfuel iſt an Haugwitz geſandt; er ſoll den Abſchluß hinhalten, er ſoll Seine Majeſtät den König als Vermittler der ganzen europäiſchen Wirren in Vorſchlag bringen. Er ſoll den Gedanken an einen großen, allgemeinen Fürſtencongreß anregen, auf dem alle ſtreitigen Fragen entſchieden würden, und in dieſem Augenblick iſt auf dem Palais eine Sitzung der Miniſter, die ſchon mehr als ein Mal ſtürmiſch wurde

Und in ſüßem Frieden endete, unterbrach Eiſenhauch.

Sie wiſſen davon? Ich flog nur, als ich von Ihrem Entſchluß erfuhr, Sie aufzuſuchen.

Pfuel iſt zurück. Er traf unterweges den zu¬ rückkehrenden Haugwitz, und hielt, nach den Mit¬ theilungen deſſelben, ſeine Miſſion nicht mehr für nöthig. Wird man nun Pfuel den Kopf zu Füßen294 legen? Ei bewahre! Er handelte nach Rückſichten und Intentionen, die unſer beſchränkter Verſtand nicht begreift. Heut in der Miniſterſitzung, nachdem die Köpfe warm geworden, man die patriotiſchſten Reden gehört, iſt man zum Beſchluß gekommen: Kein Krieg! Denn Krieg iſt ein großes Uebel, deſſen Folgen Nie¬ mand abſieht.

Widerſprach denn Niemand!

Sie weinten ſogar. Das treue Anſpach fahren zu laſſen! Nun, Baiern wird ihm auch ein gütiger Herr ſein! Aber Hannover den Engländern neh¬ men, unſeren beſten Verbündeten! Man tröſtete ſich mit dem ſchönen Gedanken: es kann ja nicht immer ſo bleiben, darum muß es einmal beſſer werden. Einſtweilen ſoll aber alles ſo bleiben, bis hören Sie bis zum allgemeinen Frieden! Dann werden alle Völker, Fürſten, ſogar die Staatsmänner ver¬ nünftig werden. Die Engländer auch; ſie werden um des allgemeinen Beſten willen Hannover frei¬ willig abtreten.

Der Regierungsrath ſprang auf: Beim Himmel, es iſt nicht Zeit zu Epigrammen!

Bittre Wahrheit, liebſter Fuchſius. Der Sturm im Miniſterrath ging in ein ſanftes Adagio aus. Man ſchwärmte, da man nicht Muth hatte, für ſich ſelbſt zu handeln, wie es nothwendig, für das Wohl der allgemeinen Menſchheit!

Und Stein auch Hardenberg?

Ueberſtimmt. Und weil ſie überſtimmt, fügten295 ſie ſich. Man darf doch nicht gegen den Strom ſchwimmen. Es gab ſanfte Händedrücke, beinahe kam's zu Umarmungen.

Finis Germaniae! ſeufzte der Rath.

Gott bewahre! Der Fiſch Germanien kann noch lange zappeln. Tauſend Harpunen ihm ins Herz, ſein Blut ins Meer verſpritzt, er lebt doch, er iſt eine geduldige Beſtie und ſchnappt immer wieder nach jedem neuen glänzenden Köder, den ihm ein liſtiger Nachbar hinwirft. Will er nicht, ſo braucht er nur zu drohen, dann frißt er doch.

Genug! Leben Sie wohl!

Nein, Beſter, jetzt wird ſich erſt der eigenthümliche Glanz der Staatskunſt entfalten. Nichts thun, und wenn man in der Klemme ſteckt, ſich juſtificiren und glorifici¬ ren, daß man die Hände in den Schooß gelegt. Warten Sie nur auf die herrlichen Staatsſchriften und Zei¬ tungsartikel. Das wird ſalbungsvoll riechen. Mit Humanität und Philoſophie und Chriſtenthum wird man dem Volk beweiſen, daß die Weisheit ſelbſt nicht weiſer hätte handeln können. Die guten Bürger werden ſich die Augen wiſchen vor Rührung, und das Heil dir im Siegerkranz wird noch einmal ſo ſchön klingen, als wenn der König geſiegt hätte. Man wird auf uns hetzen, die wir gehetzt haben, bis das Volk es glaubt, daß wir nur ehrgeizige, unruhige Köpfe waren. Sie glauben nicht, was dies Volk glaubt, wenn man ihm ſagt, daß wir ſeine Fleiſch¬ töpfe am Feuer verrücken wollten. Man wird anrüchig296 werden, wenn es heißt, daß man zur Kriegspartei gehört hat. Salviren Sie ſich bei Zeiten. Spitzen Sie Ihre Feder, auch Sie werden Artikel für den Frieden ſchreiben müſſen.

Nimmermehr! Ich nehme meinen Abſchied.

Das hat mancher geſagt, und bleibt doch, aus höherer Staatsraiſon. Weshalb auch um ſolche Bagatell, als eine Meinung iſt, ſeine Exiſtenz aufs Spiel ſetzen!

Herr von Eiſenhauch!

Nichts Perſönliches! Gott bewahre! Die Per¬ ſonen verſchwimmen, wie die Charaktere, in dieſem Mengelmuß. Da thut der Beſte am Beſten, wenn er ſtill mitſchwimmt. Wo ſteht denn geſchrieben, daß wir nicht niederträchtig denken, nicht feig handeln ſollen? Nur einen Brei ſollen wir darum kneten, einen Firniß des Anſtandes. Und dann, ja man muß ſich für eine beſſere Zukunft conſerviren.

Der Regierungsrath blickte ihn ernſt wehmüthig an: Wir gingen ſo lange mit einander! Sollen wir ſo ſcheiden!

Ein zerronnener Traum! Preußen hatte die Aufgabe, Deutſchland zu retten, es hat ſich nicht ſelbſt zu retten gewußt. Den letzten Reſt ſeiner öffentlichen Ehre hat es geopfert, ſelbſt den Reſt der Ehrlichkeit, auf die es ſich brüſtete, warf es in den Tiegel.

Der Rath ging im Zimmer auf und ab; er ſah nicht, was auch dem Militair entging, daß ihr297 lautes Geſpräch einen Vorübergehenden angelockt, der an der Schwelle der geöffneten Thür ſtehen blieb.

Unterſcheiden Sie wenigſtens die Nation von denen, die Sie brandmarken.

Wer iſt die Nation? Wo ſitzt ſie? Wo ſchlägt ihr Herz, wo drück ich ihre Hand? Das iſt die ungeheure Täuſchung, daß wir dieſes Conglomerat von Gliedern für einen organiſchen Körper anſahen. Hier, wo alle Adern zuſammenfließen ſollen, glaubte ich das Herz gefunden zu haben. Was fand ich! Zwei Racen, man ſollte meinen, von verſchiedener Abſtammung, Sprache, Hautfarbe, wie Niebuhr die Römer ſeciren will. Zwei Racen, die ſich ausweichen, verachten, haſſen, Militair und Civil genannt! Dies Militair knirſcht freilich, aber was hilft uns das Knirſchen der Maſchine mit knarrenden Rädern! Dieſer Koloß ohne Elaſticität kann noch zermalmen, nicht mehr retten, befreien, weil ihm der Odem fehlt. Der Menſch, der Mann, der Bürger, ja der Ritter ſelbſt, ging unter in der vielgelobten Disciplin. Da ſollen wir Kämpfer, Paladine ſuchen für die ewigen Güter der Nation, wo Gefühl dafür, Be¬ wußtſein, der feurige Wille zum Verbrechen ward! Ein Paar elende Creaturen, gehaßt, verachtet von Allen, ſelbſt von denen nicht geliebt, in deren Stim¬ mungen ſie ſich einhüllen, um ſie im Schlaf zu beherrſchen, die ſind wichtiger als dieſes mächtige Heer. Was iſt nun dieſer gewaltige ſeparirte Theil der Nation, den man als ihr andres Selbſt im298 Auslande betrachtet, wenn ſein zornſchnaubender Hauch nicht mal dieſe Lumpenmänner fortbläſt!

Die Nation beſteht nicht allein aus dem Militair.

Der Major war ſonſt kein Mann von vielen Worten, aber, wenn eine Schleuſe geöffnet, hältſt Du das Waſſer nicht zurück. Die Feuerſäule, die ein Haus ergreift, ſprüht mit dem trocknen Ge¬ müll auch Gebälk und Steine in die Luft.

Ich kenne nun auch die Andern. Durch das Geflimmer der Worte ſah ich ihre Wahrheit. Viel buntes Glas, einige böhmiſche Steine und wenige Diamanten; durch die gut geſchliffenen Gläſer glänzt es von fern wie ein Eldorado. Große Verſicherungen und kleine Thaten, ein beſtändiges Streben nach dem Höchſten, aber der Weg führt durch Moor und Sandſteppen des Albernen und Frivolen. Auf Stel¬ zen vor Freund und Feind, und wenn ſie die Thür zuſchloſſen, ſpotten und lachen ſie über ſich ſelbſt. Gedanken, große und ſchöne, aber wie Irr¬ lichter; ſie erblaſſen ſchon auf der Lippe. Vom Boden habt Ihr Euch gelöſt, der dürftigen Na¬ tur, die Euch der Himmel anwies. Ihr konn¬ tet wie Sturmvogel Euch andre Regionen ſuchen, aber nun flattert Ihr, von Euren ermatteten Adlern verlaſſen, zwiſchen Himmel und Erde und wißt nicht, wohin. Ueberall vor Rückſichten ſcheuend, zittert Ihr vor Eurer eignen Kraft. Um's Euch nicht zu ge¬ ſtehen, woran Ihr krankt, am Glauben an Euch299 ſelbſt, hüllt Ihr Euch in Wolkenpalläſte und klam¬ mert Euch an Syſteme, die beim nächſten Sturm¬ wind zerriſſen ſind. Dies Scheinleben iſt das Zehr¬ fieber, das Euren Staat vom Wirbel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten ſie neu¬ lich ſchleudern, ein Weltbrand ſollte es werden, aber ſie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da, in den Flammenzückungen dieſes verunglückten Thea¬ terabends konnte man die ganze Miſere erkennen. Auf dem Theater ſollte die Welt zurecht gelegt wer¬ den, und mit Recht, denn dieſe Welt iſt nur eine Theatervorſtellung. Man ſpielt ſich ſelbſt und iſt zufrieden, wenn man gut geſpielt hat.

Fuchſius hatte mit verſchränkten Armen und verbiſſenem Munde ſchweigend zugehört. Jetzt öff¬ nete er ihn, aber, was er ſagen wollte, ſchien er raſch zu verſchlucken. Tonlos ſprach er:

Sie aber ſind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlit¬ tenpartie der Gensdarmen der Nation auf ihr Schuld¬ conto ſchreiben würde.

Iſt denn ſeit vierzehn Tagen von Beſſerem die Rede? Iſt Mark und Niere durchſchüttert von der Satire des Weltgeſchickes, daß man auf den Brettern den Krieg ſpielte, derweil er draußen im Blute von Auſterlitz ſchon erſäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Ruſſen zuſchmeißen, derweil in den unterrichteten Kreiſen Jeder vom Gegentheil300 wußte? Nichts von Erſchütterung. Man hatte von Wichtigerem zu plaudern: ob der Blutſturz des jun¬ gen Herrn Bovillard ein gefährlicher oder nur ein bischen Bluthuſten war? Ob ſeine ganze Lügenpoſt nur eine Intrigue, um ſeiner Geliebten in einer in¬ tereſſanten Situation nahe zu kommen? Ob die Madame Lupinus im Recht iſt oder die Gargazin? O wer da den Einblick gewönne in dies höchſt in¬ tricate wichtige Ränkeſpiel der beiden Frauen! Ob die Lupinus, wie ihre Freunde ſagen, wirklich die Tugendwächterin war für die hübſche Mamſell All¬ tag? Ob ſie das junge Mädchen bewacht und be¬ wahrt hat vor der Leidenſchaft für den jungen Wüſt¬ ling, und ob ſie nur in edler Entrüſtung zurückwich, als die Sache zu einem öffentlichen Scandal um¬ ſchlug? Andre wiſſen ja wohl, ſie hätte ſie wie ein Cendrillon behandelt, ein moraliſcher Vampyr, mit Baſiliskenblicken das Blut der Jugend und Phan¬ taſie dem Kinde ausgeſogen, und es ſei ein wahres Glück, daß die Fürſtin ſie ihr entriſſen, ehe das herr¬ liche Geſchöpf ein moraliſches Skelett ward. Dann der wichtige Streit, ob ihre Ohnmacht Verſtellung war, ein abgekartet Spiel, und ob ihr Bräutigam, der junge Gelehrte, nicht vielleicht abſichtlich von den Officieren gereizt worden, ob es nicht auch Intrigue iſt, daß er ſich vergeſſen mußte, daß man ihn arre¬ tiren durfte, als er ſeiner Braut zu Hülfe ſprang? O worüber ſondern ſich nicht die Parteien am Thee¬ tiſch: ob der junge van Aſten den Cornet wirklich am301 Arme gepackt oder ob er nur ſeinen Aermel berührt hat, ob der Cornet ſich mit ihm ſchlagen darf oder Gott weiß was, ich weiß nur, Herr Regierungsrath, eine Regierung iſt glücklich, die Unterthanen von ſo ſubtilem Verſtande hat, die nach jedem Köder ſprin¬ gen, den man ihnen hinwirft. Hannibal vor den Thoren, und ſie ſtreiten, ob die Gans in Moll oder Dur gegakkert hat, als Vrennus ſtürmte!

Und das Reſultat, Herr Freiherr von Eiſenhauch?

Daß Deutſchland auf den Neumond hoffen mag, auf einen Kometen, auf die Sturmbraut, mei¬ nethalben auf Napoleons Großmuth, auf Alles, nur nicht auf Preußen.

Fuchſius hatte ſeinen Hut ergriffen: Wenn eine Epidemie herrſcht, lohnt es, dünkt mich, nicht der Mühe, zu unterſuchen, wer der Kränkſte iſt. Leben Sie wohl. Wir ſind Alle krank, Major, ſehr krank. Preußens Genius verzeihe Ihnen, was Sie ſpra¬ chen, wenn Sie einen geſündern finden.

Er hörte nicht mehr die Worte, die mit ſonorer Stimme durch die offene Thür in das Zimmer ſchallten:

Herr Major, eine Beleidigung, dem Staate zugefügt, trifft auch jeden Bürger.

Den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, der krampfhaft auf dem Boden hämmerte, ſtand der Major Rittgarten auf der Schwelle. Un¬ ter ſeinen grauen Wimpern ſchoſſen die Augen zorn¬ funkelnde Blicke auf Eiſenhauch.

302

Beide mochten ſich als Hausgenoſſen kennen, ohne in nähere Berührung getreten zu ſein.

Was ich ſprach, war nicht an Major Rittgar¬ ten gerichtet.

Noch hoffe ich, daß Sie den Einwand machen, daß er bei offener Thür Sie belauſchte.

Was iſt Ihr Wunſch?

Der Staat, den Sie geſchmäht, kann nicht von Ihnen Rechenſchaft fordern. Ich fordere ſie, ein alter Militair, der unter Friedrich focht und bald dahin geht, wo ſein großer König ſie von ihm fordern wird.

Mit dem Mitleid der Achtung blickte der jün¬ gere Militair den älteren an: Ich ehre Ihren Schmerz und achte Ihren Muth; beide aber nicht als Legitimation, den Handſchuh für ein Etwas mir zuzuwerfen, was Sie nicht perſönlich betrifft.

Sie haben das Preußiſche Militair beleidigt, die Ehrenkränkungen meiner Brüder nehme ich auf mich. Sie haben das Preußiſche Volk geſchmäht, dies treue, gute, rechtliche Volk. Sein Blut rinnt, wenn auch langſam, doch zu heiß noch in meinen Adern, um mit dieſem unge¬ rächten Fleck vor meinen König zu treten. Ihre Antwort?

Nur eine Frage: war, was ich ſagte, unwahr?

Zu der Frage haben Sie kein Recht. Sie ſind nicht Richter. Nicht unter dieſem Dache, nicht auf die¬ ſem Boden, der ſie gaſtlich aufnahm, dürfen Sie das Volk ſchmähen und den Fürſten, dem das Volk ver¬ traut. Und wenn ich Ihnen antwortete, verſtehen Sie meine Sprache nicht.

303

Das klingt als wirkliche Herausforderung!

Die es iſt.

Eh 'der Verklagte antwortet, muß er die Klage kennen. Treten Sie für jene Officiere ein, die ich meinte? Vertreten Sie jene Eitlen, Schwachen, Nichtigen

Ich ſagte Ihnen darauf ſchon meine Meinung.

Aber unter Ehrenmännern, ehe man zum äußer¬ ſten Ernſt ſchreitet, ſucht man Verſtändigung über das, worüber der Streit iſt. Sie haben mich vor¬ hin angehört, ich ſprach im Zorn. Laſſen Sie mich jetzt auch Sie anhören, ich will auch Ihren Zorn ruhig hören.

Kennen Sie unſer Volk? Wenn Sie an einem Kranken ſeine Geſchwüre zählen, kennen Sie darum ſein Herz und ſeine Nieren? Wer juſtificirt und glorificirt ſich denn in ſeiner Schande? Das Preu¬ ßiſche Volk etwa? Wer ſchreibt die ſalbungsvoll duftenden Staatsſchriften? Söldlinge, oft Fremd¬ linge, die das Volk aus Grund der Seele verachtet. Wen treffen Ihre Epigramme? Spielen die braven Herzen, die in Pommern und Oſtpreußen, in Schle¬ ſien und Weſtphalen für des Vaterlandes Ehre ſchlagen, in Berlin Theater? Sie zucken die Ach¬ ſeln! Wo haben Sie es gefunden, daß das Volk niederträchtig denkt und feig handelt? Sie ha¬ ben nicht herausgehört das ſtumme Zähneknirſchen, die blutenden Herzſchläge, als ſie den letzten Reſt, wie Sie meinen, ſeiner Ehre und Ehrlichkeit in den304 Tiegel warfen. Die warfen hinein als ſchlechte Ver¬ walter, was ſie aufgegriffen. Aber nicht die Herzen des Volkes. Die hat es ihnen nie zum Aufbewah¬ ren gegeben, die hat es aufgehoben für eine beſſere Zeit. Es iſt kein Reſt da, ſage ich Ihnen, der volle Stock von Ehre und Ehrlichkeit liegt noch in unſrer Bruſt. Wer iſt die Nation, wo ſitzt ſie, fragen Sie? Wer hat ſie denn ſchon aufgeſucht in ihrem Heilig¬ thum? Wer hat denn ſchon dies Volk gefragt, wer hat es gerufen? Der große Kurfürſt einmal, und da kam es, Friedrich rief es ſieben Mal, und ſieben - Mal ſtand es da mit Gut und Blut. Dieſe ha¬ ben es nicht gerufen, weil ſie es nicht wagen, ſie zittern vor dem Geiſt, den ſie aufrufen könnten, vor dem ihre Erbärmlichkeit in Staub und Spreu ver¬ ſänke. Aber rufen ſie es einmal, bei dem rechten Namen, auf den es hört, mit dem rechten vollen Ton, der in Mark und Nieren ſchmettert, und es kommt. Dann, mein Herr, gebe ich Ihnen mein Wort, wird es nicht vor Denen ſcheuen, die ſeine Fleiſchtöpfe verrücken wollen; es wird glauben, ja, nicht an die ſchönen duftenden Reden der Herren am Ruder, an ſeine Beſtimmung wird es glauben, an die Stimme der großen Fürſten aus der Gruft, und ſelbſt wird es ſeine Fleiſchtöpfe ausſchütten für Alle, die für das Vaterland ſtreiten wollen!

Eiſenhauch machte eine Bewegung, als wolle er die Hand des Veteranen ergreifen. Aber dieſer blieb in ſei¬ ner feſten Stellung; die Hand umklammerte den Stock.

305

Wir ſind ein ander Geſchlecht, fuhr er ruhi¬ ger fort, als Sie draußen; ja es iſt ſo, das Warum kümmert Sie und mich heut nicht. Wenn wir krank wurden, können wir uns nur ſelbſt heilen; Ihre Aerzte thun es nicht, ſie verſtehen unſre Na¬ tur nicht. Aber etwas, mein Herr, ſollten Sie ken¬ nen. Die Blätter der Geſchichte lehren es. Wenn wir am tiefſten erniedrigt ſchienen, die Welt uns verloren gab, dann grade ſchnellten wir in Jugendkraft zur vorigen Große.

Wem gab denn die Natur ewige Jugend!

Sie ſagen, wir haben uns vom Boden gelöſt, auf dem wir wuchſen, und flattern haltlos zwiſchen Himmel und Erde, weil wir nicht Muth haben, vorwärts ins Blaue uns zu ſtürzen. Ich geb's Ihnen zu. Aber wir haben Vertrauen; noch haben wir's, Herr Major. Der Fürſt vertraute dem Volke, das Volk dem Fürſten. So lange das Band hält, iſt Preußen nicht verloren. Wie oft traten Retter auf, als die Noth am größten, die Klügſten keine Ausſicht ſahen, die Muthigſten ver¬ zweifelten. Man ſagt, daß der große König Gift in ſeinem Ringe trug. Gebraucht hat er es nicht. Nicht bei Collin, nicht in der Nacht von Hochkirch, nicht, als er mit ſeinem Häuflein, wie der Manns¬ felder durch ſeine Staaten irrte. In ſich ſelbſt und aus der Verwüſtung heraus fand er ſich wieder. Und in welcher andern Wüſte rettete, ſchuf der Große Kurfürſt ſeinen Staat! Wo überall, wie von Gott geſchickt, unerwartet, der David auftrat, der dieIII. 20306Goliath niederwarf, wo dieſe Rettungen aus Zerwürfniß und Elend recht eigentlich die Quinteſſenz unſerer Geſchichte ſind, warum da glauben, daß ſie jetzt zu Ende ſind? Warum nicht feſthalten an dem, daß zur rechten Zeit der rechte Mann ſich wieder einfindet. Wir ſind jetzt erniedrigt, ja, dupirt vor aller Welt, vor uns ſelbſt am meiſten, ein Sumpf von Fäulniß, überdeckt mit einem Flimmer von Eitelkeit und Hoch¬ muth aber es gab noch verwüſtetere Geſchlechter vor uns, und Gott gebe, daß nicht noch verwüſtetere nach uns kommen.

Eiſenhauch ſah, einen Schritt zurücktretend, dem alten Mann feierlich in's Geſicht:

Sie fordern von mir Genugthuung?

Und mitleidig blicken Sie auf meinen ſchwa¬ chen Arm. Wenn er den Degen nicht mehr führen kann, iſt er doch noch ſtark, um die Piſtole zu heben, und ſtark genug iſt der Greis, mein Herr, der Mün¬ dung Ihres Feuerrohrs in's Auge zu ſehen.

Eiſenhauch hatte ein Piſtolenpaar in der Hand, aber er warf ſie in den Kaſten:

Ich nehme Ihre Forderung an, aber für ſpäter. Jetzt haben andere Miſſionen das Vorrecht. Mein Herr, ein großes Schlachtfeld breitet ſich vor uns aus. Ob morgen, ob nach Monaten, ob nach Jahren die Hunderttauſende, zum Morden bereit, ſich gegenüber ſtehen, darauf kommt es nicht an. Aber es muß kommen. Geblutet muß werden, ge¬ brannt, vertilgt, und der Sturm muß fegen durch307 die verpeſteten Winkel. Fragen Sie ſich, die Hand auf der Bruſt, ob's die Winkel allein ſind, ob das Miasma nicht auf den Heerſtraßen weht, in den Schlöſſern und Städten, ob's in den Schreibeſtuben und Wachtſtuben die Bruſt dem Redlichen nicht zu¬ ſammenſchnürt. Draußen im Reiche iſt es zuſam¬ mengebrochen. Was da liegt, faul und morſch, je¬ dem Kinde iſt's klar. Hier iſt noch ein gleißender Firniß darum. Aber reißt die Schale ab, Herr, Sie zittern ſelbſt, Sie ahnen oder Sie wiſſen, was dar¬ unter, ich will nicht noch einmal Ihren Schmerz ſta¬ cheln. Ich aber ſehe vor mir, wenn auch dieſes letzte ſtolze, thurmreiche Schloß zuſammenſtürzt, nur Ver¬ weſung, eine unermeßliche Leichenwüſte. Herr Ma¬ jor, ein letztes Wort: wenn der Tod ſeine Fackel über uns Alle ſchwingt, wenn Deutſchlands, Preu¬ ßens, Oeſtreichs Name ausgelöſcht iſt, dann iſt auch unſer Streit begraben ein Höherer mag richten, wer mehr gefehlt. Wenn aber Gott entſchieden hat, daß es in Deutſchland noch ein Volk giebt, nicht reif zum Helotenſtamm, und Preußen iſt dies einzige Volk dann, mein Herr ſtehe ich Ihrer Kugel.

20*
[308]

Achtzehntes Kapitel. Innerlich Lachen an einer Berliner Börſe.

An der Berliner Börſe war ein Plakat an¬ geſchlagen. Der Freiherr von Hardenberg hatte der Kaufmannſchaft eröffnet, daß Preußens Lage von der Art ſei, daß nun alle Beſorgniſſe für Handel und Verkehr gehoben wären, indem es Seiner Majeſtät dem Könige gelungen, den Frieden auf genügende Art zu behaupten. Jeder möge daher, im vollen Vertrauen auf die Fürſicht einer Regierung, die kein ander Ziel habe als das Wohl ihrer Unterthanen, ſeinen Geſchäften und Unter¬ nehmungen nachgehen. Außer dieſer amtlichen Be¬ kanntmachung mehre Avertiſſements von Seiten des Börſenvorſtands: Der Graf von Haugwitz ſei als außerordentlicher Preußiſcher Geſandter in Paris mit vieler Freundlichkeit empfangen worden. Ferner: Der König berufe den größten Theil ſeiner Truppen in ihre Cantonnirungen zurück und danke ihnen für ihre bewieſene Treue.

Man ſah vergnügte Geſichter. Sie ſprachen309 ſich ins Ohr. Vielleicht hatten ſie Rückſichten, daß ſie nicht laut ſprachen. Einige riefen auch Bekannte aus dem Publikum, die über den Luſtgarten gingen, heran, und mit ihnen ward noch ſtiller, vertraulicher converſirt. Von dieſen ging dann auch mancher, nach einem herzlichen Händeſchütteln, mit erheitertem Geſicht von dannen. Andere aber gingen, die Hände auf dem Rücken, den Kopf geſenkt, ſchweigend fort. Der und jener ſchüttelte wohl den Kopf und wandte dem Andern haſtig den Rücken, um ſich aus dem Getümmel zu verlieren. Wie Viele froh waren und wie Viele betrübt, iſt nie gezählt worden.

Einer ſaß auf einem der Steinpfeiler nach dem Luſtgarten hinaus. Es war ein ſonniger Tag, und in ſeinem dicken Kalmuckrock mochte er wohl den Winter vergeſſen. Sein Geſicht ſah aber nicht aus, als ob ein lauer Maienwind darüber ſtreife, es glich den blätterloſen Zweigen der Platane, die weiß angelaufen vom Morgenreif ſich über ihm leiſe wiegten.

Na Sie, hören Sie mal, Sie können doch nur lachen, ſagte ein Herantretender. Warum denn wie ein Eisbär, Herr van Aſten?

Ich lache auch, Herr Baron, Sie ſehn's nur nicht, ich lache innerlich.

Des Barons beide Hände klimperten in den Seitentaſchen mit Geld: Ich glaube, Sie wären caput geweſen mit allen Ihren Forderungen an's Militair.

310

Caput werden heißt ja wohl den Kopf ver¬ lieren?

Halten Sie Ihren feſt.

Mancher hält's für ein groß Unglück, Herr Baron.

Das will ich meinen!

Mancher aber meint, man könnte auch ohne Kopf leben.

Sie Bonmotiſeur, Sie! Warum lachen Sie denn aber nur innerlich? Meine Frau ſagt, man kann äußerlich lachen, und weint innerlich. Das begreife ich. Ein äſthetiſches Gemüth iſt immer ſen¬ timental. Das bin ich nicht, Sie ſind's auch nicht, van Aſten Aber, wiſſen Sie, was mir ent¬ gangen iſt?

Ihre Operntänzerin? Davongelaufen?

Nein, keine Plaiſanterie! Haben Sie nichts davon gehört? Sie habens im Kriegsminiſterium ausſpintiſirt, daß der Infanteriſt im Winter auch friert. Mäntel ſollten ſie kriegen wenn's zum Krieg ge¬ kommen wäre, nämlich Na nu, was ſagen Sie? Ich hatte ſchon ein Dutzend neue Stühle eingerichtet. Soll ich nun für die Kalmucken weben laſſen?

Für die Franzoſen, Herr Baron, die nehmen das Tuch auch ungeſchoren.

Ohne Spaß, van Aſten; ich hätte 'nen guten Schnitt bei gemacht.

Liebſter Baron, Sie ſind ein excellenter Fabri¬ kant und guter Kaufmann, aber erlauben Sie mir,311 Sie huldigen zu ſehr den Phantaſien. Ich meine, Sie ſind zu leicht exaltirt von Ideen. Mäntel für die Infanterie! Ich bitte Sie, hatten Friedrichs Mus¬ ketiere Mäntel? Man hat Ihnen was aufgebunden. Erfindungen eines neuerungsſüchtigen Kopfes! Hohle Theorien! Und unſere Regierung! Liebſter Baron!

Die Franzoſen haben ja ſchon Mäntel!

Deſto ſchlimmer! Wer wird denn denen was nachmachen wollen!

Pfifficus Sie! ſagte der Baron und ſpielte mit ſeinen großen Berloquen. Die Sonne ſchien eben ſo wohlgefällig mit ſeinen Brillantringen zu ſpielen. Na, nu ſagen Sie aber mal, warum lachen Sie denn innerlich?

Daß wir ſo 'nen ſchönen Frieden haben, und ſogar auf genügende Art.

Wer Sie nicht verſtände! Was geht's uns an, ſage ich.

Das ſage ich auch, Herr Baron.

Ihre Forderungen in Hannover kann Ihnen nun Schulenburg Kehnert eintreiben. Mit dreiund¬ zwanzig Bataillonen und fünfundzwanzig Schwa¬ dronen rückt er ein. Wollen Sie noch mehr Executoren?

Ein Dritter, der hinzutrat, ſagte: Wir haben doch nun eine zuſammenhängende Gränze gewonnen. Anſpach konnten wir nicht ſchützen; um Hannover brauchen wir nur den Arm auszuſpannen.

Nicht zu weit, fiel van Aſten ein. Das Tuch des Herrn Baron reißt ſonſt an der Achſel.

312

Das Geſpräch war allgemein geworden. Ein Vierter ſagte: Was hilft alles Umarmen, wenn kein Herz uns entgegen ſchlägt! Der Hannoveraner liebt uns nicht, und die Anſpacher ringen die Arme, daß wir ſie aufgeben. Sie haben ein Schreiben geſchickt, daß man ſie, die treuſten Söhne des Vaterlandes, nicht vom Vaterherzen reißen ſolle.

Sehr ſchön geſagt, ſagte Baron Eitelbach im Abgehen zu einem Begleiter. Sehr rührend, würde meine Frau ſagen. Was gehn mich die Anſpacher an! Der alte van Aſten könnte mich dauern, wenn er nicht ſolchen heilloſen Schnitt gemacht. Hat auf den Frieden ſpeculirt. Glauben Sie mir, Dreißig¬ tauſend gebe ich für ſeinen Abſchluß. Pfiffig iſt er, aber warum hat er ſeinen Sohn ſo erzogen! Ein Civil muß das Militair gehn laſſen. Wofür iſt des Königs Rock! Iſt nun in der Bredouille. Kann ſehn, wie er ihn rauszieht. Thut mir wahrhaftig leid, der Mann. Ja, warum hat er ihn nicht beſſer erzogen! Das kommt davon.

Was iſt Ihre Meinung, Herr Mendelsſohn? fragte ein jüngerer einen älteren Kaufmann von ſehr klugem Geſicht.

Wir ſind weder dreiſt genug, das trügeriſche Geſchenk zu behalten, noch ſtark genug, es von uns zu weiſen, darum ergreifen wir den beliebten Mittelweg, wir ſuchen den Schein zu retten und den Gewinn auch.

Aber wir haben den Schönbrunner Vertrag ratificirt.

313

Wir ratificiren nichts, wir ſtatuiren nur Pro¬ viſorien, um uns eine Hinterthür zu laſſen. Und indem wir den Vertrag modificiren, heben wir ihn eigentlich auf. Bis zum allgemeinen Frieden ſoll alles zwiſchen Preußen und Frankreich bleiben, wir ſollen keins der verſprochenen Länder räumen, Han¬ nover nur beſetzen, und hoffen, daß die Engländer bis dahin ein Einſehen bekommen und uns um Gottes Willen bitten, doch Hannover zu nehmen.

Was die Nachwelt dazu ſagen wird! Die treuen fränkiſchen Lande fortzuſchleudern, ohne Beſinnen und Reukauf, und die Gegengabe dafür nur mit Vorbehalt anzunehmen!

Die Nachwelt hat kein Conto in unſerm Buche.

Aber was ſchreiben wir auf unſeres?

Das angenehme Gefühl, daß wir edel gehan¬ delt haben.

Und was Napoleon dazu ſagen wird!

Sie hören's ja. Er hat Haugwitz mit einer Freundlichkeit empfangen, die eine günſtige Deutung erlaubt.

Ob ſie nicht erröthen, indem ſie es bekannt machen?

Schamröthe iſt eine Illuſion der Vergangenheit.

Aber Napoleon!

Er lacht auch innerlich, wie unſer Herr van Aſten. Aber was iſt mit ihm da!

Ein Cavallerieofficier auf der Börſe! Geht die Welt unter!

314

Der Officier war der Rittmeiſter Stier von Dohleneck. Es war eine kleine Aufregung. Der Rittmeiſter ſchüttelte in einer Art Extaſe dem Kauf¬ mann die Hand, faſt ſchien es, er fühle ſich in Ver¬ ſuchung, ihm um den Hals zu fallen, aber das ſchickte ſich nicht. Der Kaufmann war aufgeſtanden, er hatte die Hand des Officiers noch ein Mal ergriffen, ſie gedrückt, dann fahren laſſen und war auf den Stein zurückgeſunken. Der Rittmeiſter war wieder fortgeeilt.

Ein braver Mann, der Herr von Dohleneck.

Es waren frohe Geſichter. Wie ſollte es auch nicht; ſeine Botſchaft war eine frohe und van Aſten ein geachteter Mann auf der Börſe. Bald wußten Juden und Chriſten den Inhalt: das Ehrengericht der Officiere hatte ſich endlich dahin geeinigt, daß der junge Walter van Aſten an jenem Abende nur in einer entſchuldbaren Affection mit dem Cornet in Conflict gerathen, ohne ſeinen Stand kränkende In¬ tention, daß er ſeinen Arm nur berühren wollen, um ihn auf etwas aufmerkſam zu machen, und allein durch den Stoß eines Nachbars habe er ſich an dem Arm feſthalten und damit durchaus nicht den Rock des Königs attentiren wollen. Die Sache wäre alſo eine reine Privatſache zwiſchen dem Cornet und dem Kaufmannsſohne, letzterer aber, angeſehen, daß in niederländiſchen Familien unter dem vorgeſetzten van nicht ſelten alte adlige Abkunft ſich cachire, auch der junge Walter nicht erweislich hinter einem Ladentiſch ſtehend geſehen worden, eine Perſon, von dem ein315 Cavalier, in Anbetracht der Umſtände und der Me¬ riten ſeines Vaters, ohne ſich etwas zu vergeben, Satisfaction fordern möge. Das Zeugniß des Cornets ſelbſt hatte dieſen Spruch, an den Niemand vorhin geglaubt, veranlaßt. Wer anders als ſein Oheim, der Rittmeiſter, war das bewegende Motiv geweſen!

So belohnt ſich eine gute That, raunte ein Freund dem Vater zu.

Ein braver Mann, der Rittmeiſter! wiederholte der Chor.

Na, nu können Sie auch äußerlich lachen, Herr van Aſten, ſagte der wieder hinzugetretene Baron der Friede, der Schnitt und der Herr Sohn ohne Criminal und Priſon davon gekommen. Was wollen Sie mehr!

Lache ich denn nicht! rief der Alte und lachte, ſo laut, daß die Davongehenden noch auf dem Luſt¬ garten ſich verwundert umblickten. Es iſt des Glücks nur zu viel! Das Zahlbrett voll zum Einſtreichen, ein Friede, der uns genügt, und ſo viel Patriotismus an der Börſe, und alles in Ruhe und lauter Ord¬ nung im Lande, und mein Sohn mein Sohn kriegt die Erlaubniß, von den Herren Officieren ſich 'ne Kugel durch den Kopf jagen zu laſſen! Verzeihn Sie, meine Herren, wenn ich genug gelacht habe, daß ich auch ein bischen weine, denn das große, unverdiente Glück habe ich alter Eſel mir ſelbſt an¬ gerichtet.

Druck von Eduard Krauſe in Berlin.

About this transcription

TextRuhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren
Author Willibald Alexis
Extent329 images; 63388 tokens; 11064 types; 428841 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRuhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren Vaterländischer Roman Dritter Band Willibald AlexisHäring, Georg Wilhelm Heinrich. . 315 S. BartholBerlin1852.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 7611-3/5 (RARA)http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=876060726

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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