PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht.
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren.
Vaterländiſcher Roman
Vierter Band.
Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852.
[1]

Erſtes Kapitel. Ein Mann von zu vielem Sentiment.

Was giebt es Neues? rief der Geheimrath Bovillard dem Legationsrath entgegen, und lud, ohne ſich im Frühſtück ſtören zu laſſen, durch eine Bewe¬ gung den Eingetretenen zum Platznehmen ein. Die Zerlegung eines Kapaunenflügels ſchien ihm einige Anſtrengung zu verurſachen. Uebrigens ſah Herr von Bovillard gemüthlicher aus als in letzter Zeit; die Runzeln waren gewichen, das Geſicht glänzte, beſonders die unteren Theile, das Kinn hatte etwas Charakteriſtiſches, was ſich in den Augen wiederſpie¬ gelte, obgleich die Lippen erſt der eigentliche Aus¬ druck waren. Herr von Bovillard gab heut kein Schauſpiel für Andere, ſonſt würde er die Aermel des Rockes nicht aufgekrämpelt getragen, nicht den Zipfel der Serviette im Halstuch befeſtigt haben. Er war für ſich, der Schmecker mit Bewußtſein, aber der Zutritt eines Freundes, wie Herr von Wandel, ſtörte ihn nicht. Auch dieſer nahm mit vollkommener Aiſance einen Platz neben dem Eſſer.

IV. 12

Das Neueſte hoffe ich von Ihnen zu erfahren.

Da, ſagte Bovillard und goß in ein vaſen¬ artiges Kryſtallglas aus der Weinflaſche: Prüfen Sie, wie ſchmeckt es Ihnen?

Es ſchmeckt wie der beſte Champagner, ſchäumt aber nicht.

Non mousseux, neueſte Erfindung. Eben aus Epernay mir zugeſchickt. Es hat es noch Niemand hier. Darum Discretion. Was ſagen Sie dazu?

Der Schaum dünkt mich doch die lockende Fahne, unter der der Champagner die Welt erobert hat. Man ſoll nie ohne Noth ſeine Fahne aufgeben.

Ihre Säuren, Wandel, Ihre Chemie hat Ihnen den Geſchmack verdorben. Ihre Zunge fühlt das Richtige heraus, aber über die Kritik iſt Ihnen die petillirender Luſt daran vergangen. Sehn Sie mich an, ich kann mich über die Entdeckung wie ein Kind freuen. Woran auch ſich halten, wenn man nicht bisweilen wieder zum Kinde würde!

Die Nachrichten lauten übel, Geheimrath. Na¬ poleon iſt ein anderer geworden, ſeit unſere Truppen in ihre Cantonnements zurückgekehrt. Was er fordert, iſt nicht mehr der Schönbrunner Vertrag, heißt es. Ja, man ſpricht, daß Haugwitz wirklich am 15. Fe¬ bruar dieſen neuen, noch demüthigendem Vertrag abſchloß. Er liege jetzt dem Könige zur Unterzeich¬ nung vor.

Liebſter, beſter Freund, warum hören Sie dar¬ auf? Sie brauchen es doch wahrhaftig nicht. Ja,3 es ſteht ſchlimm, ſehr ſchlimm, wir werden noch mehr nachgeben müſſen, aber wer ändert es? Sie nicht, ich nicht, Niemand. Man muß laviren und abwarten, bis ein glückliches Changement kommt. Wir ſind in einen Sumpf gerathen, je mehr wir ſtrampeln, um ſo tiefer verſinken wir. Nur nicht die gute Laune verloren. Hören Sie draußen den Leiermann:

Es kann ja nicht immer ſo bleiben
Hier unter dem wechſelnden Mond.

Da, trinken Sie, oder wollen Sie ſchäumenden? Ich klingle.

Der Wein iſt gut, aber er ſteigt zu Kopf.

Nun denken Sie an den armen Haugwitz! wie es in ſeinem ausſehn muß. Kann er dafür? Verdenken Sie's ihm, daß er ſich auch aus Paris nicht beeilt zurückzukehren? Die ſchnaubende Coterie hier in Reiterſtiefeln, die Rüchel, Blücher, die Prinzen! Und das Geſchwätz, Geſinge, Gebrüll hinter ihnen.

Die Gnade Seiner Majeſtät wird, als ſchir¬ mender Fittich, ihn vor Outrage bewahren.

Herr von Bovillard ſchien bereits in einer behaglichen Weinlaune:

Gewiß. Der König läßt ihn nicht los. Wiſſen Sie, eigentlich eigentlich kann er ihn auch nicht leiden, wie uns Alle nicht, aber aber das iſt es eben. Trinken Sie doch, Wandel, man kann jetzt nichts Beſſeres thun. C'est le mystère de notre tems, daß wir unentbehrlich ſind. Von der Canaille bis ins Schlafgemach Seiner Majeſtät, ſie können uns1 *4Alle nicht leiden, möchten uns köpfen, erwürgen, vergiften von unſern Poſten jagen

Wo findet Seine Majeſtät Staatsmänner

Mit einem ſehr pfiffigen Blick und einer eigen¬ thümlichen Handbewegung fiel der Geheimrath ein: Er findet ſie ſchon. Er braucht nur auf die Straße raus zu greifen

Die Luſt haben Miniſter zu ſein, ja, aber Männer Ihres Scharfblicks!

Wiſſen Sie, was Oxenſtjerna an ſeinen Sohn ſchrieb: Mein Sohn, Du glaubſt nicht, etcaetera. Liebſter Wandel, warum denn nicht Wahrheit zwiſchen uns! Wenn wir uns in dem Spiegel ſehn Und doch, in keinem Stande Freude, und doch wir bleiben, wir werden bleiben, und Sie und ich, wir wiſſen, warum wir bleiben. Auf das Wohl Seiner Majeſtät des Königs! Das begreifen Seine reichsfreiherrliche Gnaden, der Herr v. Stein nicht. Voilà le miracle! Wie lange iſts nun ſchon her, daß er uns alle aus dem Sattel werfen wollte! Wenn wir doch Karrikaturmaler hätten! Herr von Stein als Mauerbrecher! Herr von Stein legt den Widder an, erſter Moment. Herr von Stein fährt fort, am Bock zu drehen, zweiter Moment. Dritter, vierter, fünfter etcaetera, Herr v. Stein ſteht noch immer am Bock. Finale: Herr v. Stein ſchlägt hinten über, er hat einen Bock geſchoſſen. Aber Sie trinken ja nicht. Vive la bagatelle! Schnell, was Neues aus der Stadt.

5

Das Duell hat endlich ſtattgefunden.

Beide maustodt?

Blut iſt gefloſſen.

Hätte nichts geſchadet. Warum zanken ſie ſich! Dieſe Militair - und Civilraufereien ſind mir in der Seele zuwider.

Der junge van Aſten hat ſich ein Renommé gemacht. Die Officiere glaubten nicht, daß er den Kampf auf krumme Säbel annehmen werde. Der Cornet iſt ein Schläger à merveille. Der Gelehrte ging aber drauf los, und die Herren von der Garde - du-Corps ſtecken jetzt wieder die Köpfe zuſammen, denn er trieb ſeinen Gegner Schritt um Schritt bis in die Büſche.

Und das Ende vom Liede?

Er war an der Schulter verwundet, cachirte es aber, und als die Secundanten es merkten, hatte er den Cornet ſchon in eine verzweifelte Poſition gebracht. Auf einen Hieb flog der Säbel des Officiers zu Boden.

Und der Cornet mit?

Nur ein Fetzen von ſeinem Aermel und etwas Fleiſch und Blut. Grade genug, um ihn kampf¬ unfähig zu machen, wenn er nicht ſchon desarmirt geweſen wäre.

Und der Held von der Feder verſetzte ihm den Gnadenſtoß.

Bewahre! Er ſenkte die Waffe, trat zurück, und fragte beſcheiden die Secundanten, ob nun der6 Ehre genug geſchehen ſei? Man hätte es für ritter¬ lich gehalten, wenn

Ein Roturier ein Cavalier ſein könnte, unter¬ brach ihn Bovillard. Qu' importe! Er hat gehandelt, wie man uns vorwirft, daß wir handeln, wir nutzen den Vortheil nicht, der uns in die Hände geſpielt ward. Wandel, ſie haben vielleicht recht. Vive la générosité!

Die Secundanten erklärten, nach einer längern Berathung, die Sache für ausgeglichen. Der Fleck am Aermel, den die Hand gemacht, ſei durch den Säbel reparirt.

Der ihn loshieb! fiel Bovillard ein und gähnte. Legationsrath, was wären wir ohne den Witz in Ehren - und Staatsſachen! Die Welt wäre längſt bankrott ohne die Kunſt der Auslegung. Der Starke wirft ſein Wort wie Brennus Schwert auf die Gold¬ wage; aber der Schwache muß das Körnchen Mutter¬ witz wie der Goldſchläger breit ſchlagen, um die Riſſe in der Logik und die falſchen Raiſonnements zu über¬ kleben.

Und das Volk gafft doch das Goldblech an, als wär's maſſiv.

Wozu wär's das Volk und wir die Geſcheiten! Um eine Liebſchaft war ja wohl die Affaire? Das Mädchen kann gute Geſchäfte machen, es kommt en vogue!

Mehr Anwartſchaft hätte der junge Gelehrte darauf, der, wie man ſagt, aus Galanterie, oder wie7 Einige behaupten, aus Gehorſam für ſeinen Vater zum Ritter an einer Dame ward, die er nicht liebt.

C'est touchant! ſagte Herr von Bovillard und gähnte noch ſtärker als vorhin.

Man fängt überhaupt an von ihm zu ſprechen, es wäre ein Character. Man ſpricht aber auch von Ihrem Herrn Sohn.

Der Geheimrath, der wirklich müde ſchien, ward aufmerkſamer. Er reckte ſich in ſeinem Stuhl und goß ein friſches Glas Champagner ein, deſſen Wir¬ kungen er aber ſofort durch ein Glas Waſſer pa¬ ralyſirte.

Wie befindet ſich der Patient?

Mon pauvre fils! Mein lieber Freund, wer macht die Erziehung? Ich habe oft darüber nachge¬ dacht. An guten Beiſpielen das war's nicht eigent¬ ich, was ich ſagen wollte, aber das zweite Kind des Lupinus iſt nun auch geſtorben!

Ein merkwürdiges Unglück, was dieſen Mann trifft! Doch meinen auch Viele, es wäre ein Glück, für die Kinder nämlich. Bei der verkehrten Erzie¬ hung wäre nie aus ihnen etwas Geſcheites geworden.

Der Mann! Er Kinder erziehen! Wenn ſie nach ihm geſchlagen hätten! Mein Louis, was ich ſagen wollte, Heim meinte, es ſei keine Gefahr, wenn er ſich nur vor Exaltationen hütet.

Das wird ſchwer ſein.

Das befürchte ich auch. Das Blut ſeiner Mutter. Was die für Nerven hatte! Ich bin ja8 bereit, Alles zu thun, er hat excellente Gedanken, aber ich muß Ihnen ſagen, ich habe keine Autorité. Im Disput gerathen wir immer an einander.

Der junge Herr von Bovillard iſt noch in andere Dispute verwickelt.

Wandel ſprach es mit kalter Stimme.

Meinen Sie die alte Geſchichte! Der Ge¬ heimrath warf dabei einen forſchenden Blick auf ihn. Mein Gott, ich glaubte die Kinderei längſt beigelegt.

Nur reponirt, meine ich, bis Ihr Herr Sohn die Güte haben wird, einen neuen Termin anzu¬ ſetzen.

Mann von Ihrer Klugheit und Philoſoph! ich bitte Sie Bovillard war jetzt aufgeſprungen und ergriff die Hand, die Wandel halb zurückzog.

Die Ehrengeſetze dieſer Welt gehen über die der Klugheit und Philoſophie.

Er wird zur Einſicht kommen, und Sie ſind mein Freund.

Und gewiß der Freundſchaft jedes Opfer zu bringen bereit, nur nicht meinen unbefleckten Namen.

Wer redet davon! Ueberlaſſen wir den Ca¬ vallerieofficieren den krummen Säbel; wozu ſind wir Philoſophen! Die diplomatiſche Kunſt wird mildere Löſungsmittel finden, als ein Stück vom Aermel, und vom Fleiſch dazu! Liebſter Legationsrath, das findet ſich ja.

Wenn ich als Beleidigter den erſten Schuß hätte, verſteht es ſich, daß, wo der Sohn meines beſten9 Freundes vor mir ſteht, ich in die Luft feuere. Ihrem Herrn Sohn bleibt dann überlaſſen zu zielen, wohin er will.

Bovillard hatte Wandels Arm an ſeine Bruſt gedrückt: Wir verſtehen uns ja. Excentriſch iſt er, aber Louis iſt kein ſchlechter Menſch.

Wenn ich die Freude erlebte, daß mein Freund Bovillard in ſeinem Sohne einen nützlichen Staats¬ bürger gewönne!

Er ſchwärmte auch einmal für die gloire Na¬ poleons. Wer weiß, ob dieſe Phantaſien nicht re¬ diviv werden.

Er ſoll jetzt für einen andern Gegenſtand ſchwär¬ men: Die Fürſtin Gargazin behauptete neulich confi¬ dentiell, die eigentliche Krankheit der ſchönen Mamſell Alltag ſei nichts anderes als cachirte Liebe. Die Geheimräthin Lupinus iſt in ihren Mittheilungen ſehr discret. Wenn ich indeß aus einigen hinge¬ fallenen Aeußerungen ſchließen darf

Sind Sie neidiſch, daß mein Junge Glück hat bei den Frauen?

Nur ein väterliches Erbtheil. Wie ich höre, frequentirt er auch die Cirkel der ruſſiſchen Fürſtin. Er iſt gern aufgenommen. Sollte dies mit den Wünſchen und Abſichten ſeines Vaters conveniren?

Was geht es mich an! Aber was geht es denn Sie an?

Nicht das Geringſte, wenn Ihr Sohn nicht den Namen ſeines Vaters trüge. Die Fürſtin iſt eine10 liebenswürdige, feine, geiſtreiche Dame, aber ſie gilt, mit Recht oder Unrecht, als die geheime Agentin Rußlands, man behauptet, daß ſie mit Alexander in in¬ timeren Verhältniſſen geſtanden. Ich gebe nichts auf dieſe Inſinuationen, aber wer ihren Umgang ſucht, wer viel in ihrem Hauſe erſcheint, entgeht dem Verdacht nicht. Das kann in dieſem Augenblick bedenklich werden, da Napoleon Genug, ich weiß, die Beſucher des Hotels werden an jedem Abend verzeichnet und dann nach Paris tele¬ graphirt.

Bovillard lachte auf, indem er jetzt erſt die Serviette fortwarf: Wiſſen Sie, wer am meiſten bei der Gargazin geſehen wird? Laforeſt! Con¬ ſpirirt er vielleicht gegen Napoleon? Vielleicht iſt er aber auch nur da um der Mamſell Alltag willen, oder um Comteß Laura. Die iſt jetzt auch ein Schooßkind der Fürſtin. Duroc war auch bei ihr. Wiſſen Sie, was ich rausgebracht habe? Sie will die Alltag zu etwas machen, entweder zu einer Pom¬ padour oder zu einer Heiligen. Sie erwartet nur Ordre deshalb aus Petersburg. Werther Freund, unter Freunden reinen Wein, was kümmert Sie mein Sohn bei der Gargazin?

Nicht der Sohn, nur die Auslegung, welche man ſeinen Schritten geben könnte.

Sind Sie ſo ſehr um die Auslegung beſorgt, welche die Leute den Schritten diſtinguirter Perſonen geben? ſprach Bovillard, ihn ſcharf fixirend. Wiſ¬11 ſen Sie, wie man Ihre Schritte hier auslegt?

Ein unbedeutender Privatmann, der neben ſei¬ nen wiſſenſchaftlichen Studien nur als Dilettant in die politiſchen Kreiſe dringt, entgeht wohl der Ehre dieſes Scrutiniums.

Haugwitz ſchreibt mir conſidentiell aus Paris. Für ſchweres Geld hat er eine Copie der Perſonal¬ bemerkungen über Berlin erwiſcht. Hören Sie, da ſind doch Dinge drunter! Haugwitz wird ſich hü¬ ten und es drucken laſſen. Laforeſt ſelbſt weiß das nicht alles; es ſtecken Andere dahinter. Liaiſons de¬ couvrirt, die wir nicht ahnen konnten. Sie ſtanden doch mit Eiſenhauch in keiner Verbindung?

Es bedurfte keines Seherblicks, um die feuer¬ fangende Nähe zu erkennen.

Man weiß in Paris, was er vor'm Zubett¬ gehen mit ſeinem Bedienten ſprach, ſeine Lectüre vor'm Einſchlafen, ſeine Briefe, die er ſchrieb und wieder zerriß. Ein wahres Glück, daß wir ihn los ſind, aber wiſſen Sie, was von Ihnen daſteht?‘, fragte Bovillard mit einem ſchlauen, ſcharfen Blick.

Wandels blaßgelbes Geſicht verfärbte ſich nicht, nur ein flüchtiger Glanz belebte das dunkle, kleine Auge, um ſofort in ein mocquantes Lächeln über¬ zugehen:

Vielleicht iſt es entdeckt, daß auch ich die Cir¬ kel der Gargazin beſuche.

Pah! Drei Reihen Chiffren, die Haugwitz Se¬ cretair nicht dechiffriren konnte, und dann mit andrer12 Hand imperatoniſch flüchtig daneben geſchrieben: Wie viel würde er koſten?

Sie wollen mich doch nicht ſtolz machen, Bo¬ villard! Um die nackte Klippe des Ehrgeizes iſt mein Lebensſchiff geſegelt.

So lange ſie nackt ausſieht. Wenn man aber im Vorbeiſegeln zwiſchen den Riffen eine fette Trift entdeckt, legte mancher wieder bei.

Es iſt für mich eine durchaus ſterile Inſel.

Wohin denn? Das iſt die Frage.

Ich verſtehe die Legitimation derſelben nicht.

Ich frage als Freund. Wo hinaus? Man muß doch endlich mit Ihnen in's Reine kommen. Ich wiederhole Ihnen: mich täuſchen Sie nicht. Sie ſind kein Saint Germain etcaetera. Sie ſind von unſerm Fleiſch und Blut. Halb nur wie ein Lebemann, halb wie ein Karthäuſer in einem Schneckenhaus. Das Leben in Berlin iſt theuer, auf Gold ſitzen Sie nicht und Gold machen Sie nicht. Sie mögen ein vortrefflicher Oekonom ſein, aber Ihre Thüringiſchen Güter verbeſſern Sie nicht in der Apotheke des Herrn Flittner. Die Delicen der Wiſſenſchaft gönne ich Ihnen; wer aber den Champagner wie Sie über die Zunge ſchlürft, will ſie nicht wie die Pedanten um ihrer ſelbſt, er will etwas daraus für ſich präpari¬ ren. Sie greifen nicht nach dem Monde, aber Sie erſcheinen wie er aus der Wolke, um wieder da¬ hinter zu verſchwinden. Das iſt hübſch, um Kinder zu erſchrecken und zu amüſiren, ein Mann will etwas13 anderes, als Laterna Magika-Bilder auf die Wand werfen.

Meine Vermögensumſtände, die Niemand kennt, erlauben mir

Sie ſchweifen ab. Auch ein Cröſus will noch mehr. Was wollen Sie? Daß man das nicht weiß, wirft einen Schatten auf Sie. Wie lange ſind Sie ſchon in Berlin! Ihr parait et disparait ver¬ ſtärkt den Verdacht; glauben Sie mir, alle Ihre Ge¬ fälligkeiten werden um deshalb falſch ausgelegt, und das iſt es, was Haugwitz, ich will nicht ſagen, zu Ihrem Feinde macht, aber er hat eine Scheu vor Ihnen, er fürchtet Sie. Mein Gott, wir ſind ja unter uns. Wollen Sie ſich Napoleon verkaufen, haben Sie ſich ſchon verkauft? Tant mieux, er be¬ zahlt gut. Auf meine Discretion können Sie rech¬ nen. Es ſind Viele erkauft, und doch gute Patrio¬ ten. Sie haben nicht einmal eine Pflicht zu bre¬ chen, und wie geſagt, mich geht's nicht an. L'ami¬ tié surpasse la trahison. Enfin, wir ſind ja auch Napoleons Freunde.

Der Legationsrath hatte die Stirn in Runzeln gelegt. Er ſtand wie in ſich verſunken, mit ver¬ ſchränkten Armen, den Blick, der in weite Fernen zu ſtreifen ſchien, von dem Manne abgewandt, welcher eben ſo eindringlich zu ihm geſprochen. Es ſchien ein Selbſtgeſpräch:

Wer dieſes Meteor ergründete! Ob er wirk¬ lich der Wandelſtern, der im Kreislauf der Aeonen14 wiederkehrt, wenn ſeine Zeit kam, die unſre Schwäche nur nicht ermißt, oder nur die blitzende Nachterſchei¬ nung, der Komet, der ſeinen Schweif betäubend über unſre Häupter raſſelt. Wir ſtehen gebeugt unte dem Hagel ſeiner Meteorſteine und Er hielt inne und athmete tief. Und wer ſich ſelbſt getreu blieb, wird auch hier ſich nicht übertäuben laſſen. Nein nein auch dieſe Sonne von Auſter¬ litz hat trübe Flecke. Groß und ſtrahlend, aber je mehr ſie der Mittagshöhe ſich nähert, um ſo mehr ſehe ich ſie ſchwanken, zittern vor ſich ſelbſt. Auch er wird untergehen, indem er ſich ſelbſt überhebt. Nur wer feſt und bewußt Ach, mein Gott! fuhr er fort, wie aus ſeiner Träumerei erwachend. Ich vergaß mich da in Gedanken, die nicht hierher gehören. Groß iſt er, aber ſichrer der, der ſich an keine Größe lehnt, nur auf ſich ſelbſt.

Der Legationsrath hatte ſich verrechnet, wenn er gemeint, auf den Geheimrath damit einen Eindruck zu machen. Dieſer hatte ſich ruhig ein neues Glas eingeſchenkt, und mit derſelben Behaglichkeit ließ er es über die Zunge gleiten, die er vorhin an Wandel gerügt oder gerühmt.

Sie wollen alſo mit Napoleon nichts zu thun haben! Votre plaisir! Aber, merken Sie ſich, Haugwitz iſt ängſtlich inquietirt. Er giebt Winke, wie man Sie beobachten ſoll. Wenn Sie alſo keinen Passe - par-tout von Napoleon in der Taſche haben,

Die Aufmerkſamkeit, welche Herr v. Haugwitz15 meiner unbedeutenden Perſönlichkeit ſchenkt, möchte mir ſchmeicheln, wenn

Sie keine andre Abſichten hätten. Gehn Sie mit ſich zu Rath, entſcheiden Sie ſich, aber bald. Wir ſind nun ganz wieder in unſrer Aiſance, wenn er zurück iſt. Haugwitz bleibt. Der König iſt ſeelenfroh, wenn er nichts zu ändern braucht. Es ſtiefelt ſich fort, ſagen die witzigen Berliner, und eines Morgens könnte Haugwitz etwas einfallen, das paſſirt auch manchmal an einem Feiertage der Polizeicommiſſarius klopft an Ihre Thür mit der Bitte, ſich ſchnell anzuziehen, und Sie werden eingepackt. Da haben Sie die Beſcheerung. Man titulirt's höhere Staatsrückſichten, im Grunde genom¬ men iſt's nur eine Indigeſtionslaune. Sie ſind ein Mann von großer Klugheit

Der indeß bei Verbindlichkeiten, die er eingeht, den Charakter und ſein Gewiſſen immer berück¬ ſichtigt

Etcaetera, bravo! ſagte der Geheimrath und klopfte ihm auf ſeine Schultern. Wozu noch Flauſen. Das Uebrige wird ſich finden. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen Excüs! wenn er uns nicht hülfe, die Antipathie zu beſchwören. Haben Sie nicht ſympathetiſche Tropfen! A propos! da fällt mir unſer Mirakel ein, unſer Liebespaar! Haben wir's da nicht durchgeſetzt! Das verloren wir ganz aus den Augen. Wie ſteht es? Das iſt der Fluch eines Staatsmannes, ſein Liebſtes muß er opfern16 dem Dinge, was das dumme Volk wie ſteht's, Legationsrath?

Der Dépit amoureux iſt eine paſſagere Er¬ ſcheinung. Die Gargazin, die uns aus Gefälligkeit beiſtand, iſt der Sache überdrüſſig.

Die gute Fürſtin möchte alle Welt glücklich ſehen. Aber Haugwitz das iſts, was ich ſagen wollte. Der arme Haugwitz muß jetzt eine Recreation haben, nach ſo viel Verdruß! Ein, zwei Fliegen ſtören uns nicht, aber das Fliegengebrumm, wenn wir ſchlafen wollen, iſt fatal. Recht was Exquiſites! Strengen Sie Ihren Scharfſinn an, etwas zum Todtlachen, bedenken Sie, es gilt fürs Vaterland.

Durch den Aufſchub iſt die Sache verdorben. Die Gluth der erſten Leidenſchaft iſt abgekühlt. Sie iſt beruhigt, weil er nicht in den Krieg geht. Das Weitere, denkt ſie, wird ſich finden, oder es wird ſich auch nicht finden. Was mit larmoyanten Men¬ ſchen machen, die von Seelenadel zu ſprechen an¬ fangen und von der Läuterung durch Entſagung! Ein Schauſpiel für Engel mag es ſein, wenn ſie ſich ſo par distance im Theater anſchauen, die Augen verſchwimmen, und um die Lippen ein weh¬ müthiges Lächeln ſchwebt, aber

Rhabarber und Seelenadel ſtehn bei mir auf einer Stufe. Ich weiß nicht mehr, wo ich es neulich las: Das entnervt die Seelen und Körper: dies verhimmelnde Schwärmen raubt unſerm Geſchlecht die warmblütige Kraft zur That. Und wir brauchen17 ein rüſtiges Geſchlecht. Alſo, theuerſter Mann, Ihren ganzen Scharfſinn drauf, fädeln Sie was Neues ein. Man ſagt, ſie hätte Scheidungsgedanken.

Pfui! das iſt unmoraliſch. Ich meine, man könnte ihr das Unſittliche einer ſolchen Handlung vorſtellen laſſen.

Wenn nur ein Duell zwiſchen dem Rittmeiſter und Baron zu ermöglichen wäre!

Der Legationsrath ſchüttelte den Kopf.

Wer dem Baron eine Kugel vor den Kopf ſchöſſe, was ich natürlich nur im Scherz ſage, thäte übrigens dem Staate einen rechten Dienſt.

Im Ernſt?

Sein Tuch, 's iſt ein Scandal. Wenn man ſolche Montur gegen die Sonne ausbreitet, können die Wespen durchfliegen. Ich ſagte es ihm neulich. Was antwortete er? Er hätte 's ſo eingerichtet, daß die Kugeln der Staatskaſſe keinen Schaden thäten. Ich liebe nicht ſolchen frivolen Witz in ernſten Dingen. Sie ſind nachdenklich, Wandel? Sie ſehn nach der Uhr.

Einige nennen ihn einen ſchlechten Menſchen.

Pah! Seine Maitreſſen bezahlt er gut, unſer Tuch macht er ſchlecht. Aber im Grunde genommen, was gehts uns an; wir haben Friede. Noch keinen Einfall?

Doch vielleicht. Bei ihm iſt Hopfen und Malz verloren. Wie aber, wenn man ſie eiferſüchtig machte!

IV. 218

Auf ihres Mannes kleine Liaiſons! Was hülfe uns das!

Nein, auf den Rittmeiſter. Er ſah neulich die neue Choriſtin mit dem Operngucker ſehr eifrig an. Wenn es gelänge, ſie aus ihrer Seelenruhe aufzuſtacheln! Wenn ſie außer ſich geriethe, ſich fortreißen ließe

Nun, was beſinnen Sie ſich?

Es iſt nur ein flüchtiger Einfall ſchwierig, aber möglich iſt Alles wenn ſie in ihrer Ver¬ zweiflung ihren Mann zu Hülfe zöge.

Ça serait le comble du ridicule.

Aber nichts Neues. Wie geſagt, Alles noch embryoniſch dunkel, aber ſie muß jetzt mit dem Ritt¬ meiſter aneinander. Das iſt mir klar; es giebt kein ander Mittel.

Wenn es nur zum Rechten führt.

Dafür laſſen Sie mich ſorgen.

Wohin ſo eilig?

Zur armen Geheimräthin! Ach, eine Unglück¬ liche! Die bedarf des Troſtes.

Bleiben Sie mir mit der vom Leibe. Ich kriege Bauchgrimmen, wenn ſie mich lange anſieht.

Das iſt eine unglückliche Frau! Nun auch das zweite Kind!

Es waren doch rebutante Geſchöpfe. Sie kann ſie unmöglich lieb gehabt haben.

Der Idealismus weiß von einer Liebe, die gerade das ihm Unangenehme mit zärtlichen Armen umfaßt, einer Liebe, die ihre ganze Innigkeit und19 Wärme ausſtrömt auf die Subjecte, welche es am wenigſten empfinden und, ſtatt es zu erwiedern, mit Undank belohnen, eine Liebe, die ſich gefällt, immer zu geben und zu opfern, ohne wieder zu nehmen, ja die ihre höchſte Befriedigung in der Empfindung ſucht, von Verkennung und Undank heimgeſucht zu ſein.

Das iſt nicht unſre Sorte von Liebe; nicht wahr, Wandel?

Die Welt iſt mannigfalt. Bewundern darf man doch die Märtyrer, auch wenn man ſich nicht berufen fühlt ihnen nachzufolgen.

Par distance! Warum nahm ſie aber die Kinder zu ſich?

Warum! Warum nahm ſie ihren Mann? Sie hat den Geheimrath nie geliebt. Um ihn zu pflegen. Warum nahm ſie die Alltag zu ſich? Aus Liebe doch nicht zu dem eigenſinnigen Geſchöpfe? Mein Herr Geheimrath, Männer wie wir ſind über die Ungerechtigkeit der Welt hinaus, wir warten nicht auf Dank, aber erlauben Sie mir, wenn ich die Frau unglücklich nenne, die für die Anſtrengungen ihres warmen Herzens, Andre glücklich zu machen, nichts erndtete, als Verkennung.

Liebſter Legationsrath, entgegnete Bovillard, erlauben Sie mir nichts drauf zu ſagen als: les goûts sont différents!

Ich wünſchte, Sie hätten ſie am Schmerzens¬ lager der kleinen Malwine geſehen. Weil ſie nicht weinen konnte, das hat man auch getadelt.

2*20

Die Kinder ſollten ihre Erben ſein; wer kriegt's denn nun? In ihrer Familie iſt Alles ausgeſtorben. Mit der einen Seitenbranche iſt ſie ſpinnefeind.

Unnatürliche Feindſchaft in Familien! Vielleicht kann man da freundlich zu einer Verſtändigung ein¬ wirken.

Lieber vermacht ſie's den Kapuzinern. Und fünfundneunzigtauſend Thaler unter Brüdern!

Ich glaubte nur achtzigtauſend!

Vor dem letzten Heimfall. Aber fünfzehntau¬ ſend in Obligationen Sie können ſich drauf ver¬ laſſen, fielen auf ihr Theil aus der Concursmaſſe ihres Onkels. Und man muß doch auch rechnen, was vom Geheimrath dazu kommt, wenn er früher ſtirbt

Wenn er früher ſtirbt. Wandel hatte es ſo gedankenlos, oder in Gedanken verſunken, geſagt, als er gedankenlos mit ſeinen Handſchuhen geſpielt. Er reichte zum Abſchied dem Geheimrath die Hand: Wenn nicht mehr ich wollte ſagen, wenn Sie der verlaſſenen Iſolirten nur ein ſtilles Plätzchen der Theilnahme in Ihrem Herzen ſchenken wollten!

Bleibt ein ehrenwerther Mann, ſprach Bovillard, als er fort war, nur zu viel Sentiment.

[21]

Zweites Kapitel. Wandel muß Politik treiben.

Das Haus der Fürſtin ſchien ein offenes. Man kam und ging, zu jeder Tageszeit; man war will¬ kommen und empfangen, ohne angemeldet zu ſein, und konnte verſchwinden, ohne daß es bemerkt ward. Engliſcher Comfort ſchien mit franzöſiſcher Anmuth und Leichtigkeit gepaart. Aehnliches hatte man in Berlin noch nicht geſehen; man beredete es, aber ge¬ fiel ſich darin. Keine Thür war verſchloſſen, die Wände ſchienen von Kryſtall; es iſt aber damit nicht geſagt, daß nicht doch manche Thür unter der Tapete verſteckt, und der Kryſtallſpiegel eine Wand verdeckte, hinter die zu blicken nicht erlaubt war.

Die Fürſtin hatte ſich neuerdings zu einem längern Aufenthalt eingerichtet. Alle Welttheile hatten ihre Producte, Kunſtfertigkeit und Erinnerungen bei¬ geſteuert, um die Zimmer auszuſchmücken. Das He¬ truriſche und Pompejaniſche, vor Kurzem die Mode¬ puppe, ward hier paralyſirt durch das Chineſiſche und Hindoſtaniſche. Porzellanfigürchen, Pagoden und22 Pfauenwedel; dazwiſchen die rein geſchnittenen Schön¬ heitslinien eines griechiſchen Basreliefs, römiſche Kaiſer und Mohrenköpfe auf echten Conſolen, neben Federkronen von den Sandwichinſeln und urweltlichen Gerippen, Schamanenmänteln und Bogen und Köcher der naturwüchſigen Völkerſchaften Sibiriens.

Die Oſtentation alles dieſes Apparates war wenigſtens nicht auffällig, ein gewiſſer Geſchmack hatte in der Vertheilung obgewaltet, Licht und Schatten waren gehörig vertheilt, oder vielmehr der Schatten waltete ob, indem das Fenſterlicht in den meiſten Zimmern durch ſchwere Vorhänge und Vorſatzſtücke gedämpft war. In ſchwarzen Rahmen hingen zwi¬ ſchen den andern Raritäten Landſchaften in Waſſer¬ farben, römiſche Ruinen, zerſtörte Kirchhöfe, Hünen¬ gräber, bemooſte Cruzifixe darſtellend, über dem Meere hing der Mond in Nebelwolken, oder die Sonne ging auf, und beleuchtete trauernde Geſtalten oder Knieende um ein bekreuztes Grab. Auch ſah man näher den Thüren bereits einige der ſchmal geſchnittenen Holz¬ bilder, auf deren Goldgrund jene hagern, kindlichen Figuren mit den Unſchuldsköpfen ſich präſentirten, die erſt ſpäter in Berlin zur äſthetiſchen Anbetung kommen ſollten. Die modernen Beſucher gingen noch ziemlich theilnahmlos an dieſen florentiniſchen Stücken vorüber, während die Mondſcheinskreuze, die verdorrten Kränze an den eingefallenen Gräbern manchen Seufzer oder aus ſchönen Augen eine Thräne lockten. Der Stufen zur Erkenntniß ſind viele, pflegte die Fürſtin zu ſagen,23 und deren nur wenige, die, vom Strahl, erleuchtet, ſogleich die höchſte beſteigen.

In den tiefern Kabinetten verbargen ſich oder lockten größere Heiligenbilder, betende oder angebetete Madonnen, Märtyrer, in ihren Verzückungen lächelnd, der Heiland am Kreuz. Da in der verſchwiegenen Niſche auf einem ſchwarz mit Silber überhangenen Altar ein Cruzifix von Ebenholz, der Heiland daran feinſte luccheſiner Elfenbeinarbeit. Als Piedeſtal zum Cruzifix diente ein künſtlicher dürrer Fels aus Achat, zu Füßen deſſelben eine kleine Oeffnung, aus der, geſpeiſt von einem verborgenen Waſſerreſervoir, eine Quelle ſprudelte. Das Waſſer floß in einen antiken Sarkophag. Antik wenigſtens die Vorderſeite, deren heidniſche Basreliefs freilich wenig mit dem Quell und ſeiner Bedeutung correſpondirten, aber es war eine Antike, ausgegraben auf einem der Güter der Fürſtin in der Krimm, und das Heidniſche an den Bachantinnen ſollte vielleicht durch den friſch hinein gemeißelten ruſſiſchen Doppeladler purificirt werden. Neben der ſinnigen Deutung hatte der ſprudelnde Quell auch eine ganz praktiſche Bedeutung; das kühle mit Epheu umrankte Cabinet ward durch das ſprin¬ gende Waſſer zur angenehmen Retirade in heißen Sommertagen.

In einem der helleren Zimmer, mit Magdale¬ nenbildern an der Wand, der Boden ausgelegt mit reichen orientaliſchen Teppichen, und ſchwellende Di¬ vans an den Wänden, ſaß die Fürſtin mit der Ba¬24 ronin Eitelbach. Die Märtyrer und andere Heili¬ genbilder in den dunklern Gemächern mochten ſchlechtere Copien oder Trödelwaare ſein, die Magdalenen wa¬ ren vortreffliche Copien nach Correggio, Battoni, Mu¬ rillo und Anderen, in der Größe der Originale und in dem blendenden Farbenglanz, der keine Nachdun¬ kelung ſehen ließ. Koſtbare Goldrahmen umſchloſſen dieſe Stücke, und ihre Gruppirung war ſo geſchickt, daß überall das richtige Licht darauf fiel. Es war das ſorgfältigſt und eleganteſt ausgeſchmückte Zim¬ mer der fürſtlichen Wohnung.

Das Fräulein wollten eben ausfahren, um, wie ſie ſagten, Luft zu ſchöpfen, berichtete der Die¬ ner. Wenn aber Durchlaucht befehlen, wird ſie ſich ſogleich zurecht machen und hier erſcheinen.

Was das Fräulein will, muß geſchehen, er¬ wiederte die Fürſtin raſch. Man ſollte doch jetzt meinen Willen kennen, daß ſie nur ihren Wunſch zu äußern braucht, und meine Domeſtiken haben zu ge¬ horchen. Iſt ſchon angeſpannt?

Zu Befehl, Erlaucht.

Da muß ich einen Augenblick zu dem lieben Kinde. Verzeihung, theuerſte Baronin, ſie erholt ſich ſo ſchwer. Ich bin ſogleich meine Gedanken bleiben bei Ihnen.

Im andern Zimmer begegnete ihr der Lega¬ tionsrath:

Schnell einen Liebesdienſt. Die Eitelbach drin¬ nen quält mich mit ihrem Liebesleid. Das iſt Ihre25 Sache. Machen Sie ihr bald ein Ende, ſonſt ich weiß nicht, was ich thäte, wenn Sie nicht im Spiele wären.

Empfinden Erlaucht denn gar keinen Beruf, ſich der gequälten Schönen anzunehmen?

An langweiligen Menſchen hatte ich heute ſchon genug. Vater und Mutter waren hier, denken Sie, eine Stunde lang! Dieſe Dankadreſſen im Kanzleiſtil, dieſe bürgerlichen Rührungsgefühle in der Sonntags¬ haube, der ganze Iffland, Kotzebue und Krähwinkel in meinem Hauſe. Ich möchte doch um ſolcher Leute willen keine Migraine bekommen; aber jetzt erbarmen Sie ſich meiner.

Tu l'as voulu, George Dandin! ſagt Molière, ſprach der Legationsrath, ſich verneigend.

Et je le veux, Monsieur le conseiller!

Was denkt Prinz Louis, Erlaucht?

Ob der Champagner oder der Rheinſtrom eher in die Lethe fließt.

Leider flüſtern ſeine Freunde, daß er ſchon den nächſten Weg auf dem Jamaikaniſchen Feuerſtrom Rum dahin ſucht.

Der Unglückliche!

Sie ſchien die eben gegebene Anweiſung an den Legationsrath auf die Eitelbach eben ſo vergeſſen zu haben, als ſie an der Ecke eines Divans Platz nahm. Ein ernſter Zug flog über die Seidenwimpern, die ſich geſchloſſen hatten wie erſchreckt vor einem Bilde. Vielleicht der letzte Held unter Dieſen! Warum fand er nicht den rechten Weg! Das iſt es nicht. 26Aber, Wandel, erklären Sie mir's, es iſt etwas Niederdrückendes, Entmuthigendes, daß grade dieſer Einzige in der großen Miſere, dieſe Feuerſeele unter den Nachtvögeln, wie ein losgeriſſener Stern aus dem Firmament in einen Sumpf ſtürzen muß!

Sie ſprachen es aus, Gnädigſte, weil Alles verſumpft iſt.

Und Sie ſprachen etwas aus, was Sie nicht verſtehen, nicht verſtehen wollen. Ich fühlte mich ſo andächtig geſtimmt. Der arme Prinz! Seit die Abberufung des engliſchen Geſandten bekannt iſt, ſoll er ſich in einem erſchütternden Zuſtand befinden.

Es befinden ſich auch Andere, die nicht Prinzen ſind, in unangenehmer Lage. Mehr als hundert Preußiſche Schiffe ſind bereits von den Engländern gekapert. Dem Handel wird dieſer theure Frieden theuer zu ſtehen kommen.

Dieſe Krämerſeelen verdienen es, rief die Fürſtin. Es war ja ihr ſtiller Wunſch. Wenn Krämer, Kinder und Narren über ein Land regieren, wehe ihm!

Es war ein neues Changement in der Fürſtin eingetreten; ſie fühlte ſich zum politiſchen Disput geſtimmt. Wandel kannte die Lineamente in ihrem Geſicht, welche den Wechſel und welche Stimmung ſie ausdrückten. Er lehnte ſich über einen Stuhl, um ihr zu correſpondiren. Vielleicht empfand er auch mehr Neigung zu einer politiſchen Disputation als zu27 einer ſentimentalen mit der Baronin, vielleicht wollte er ſich auf dieſe präpariren.

Es giebt auch großartige Krämer. Die Eng¬ länder werden bei dieſem Weltdisput nicht zu kurz kommen.

Ich begreife nicht, wie dieſe hier ohne Scham¬ röthe leſen können, was ſie über ihre Politik urtheilen! rief die Fürſtin, in wirklichen Affect gerathend. Dieſe Noten, die Herr von Reden für Hannover in Re¬ gensburg, Ompteda eben in Berlin übergab! Herr Fox hat im Parlamente gedonnert. Ich habe eine ſolche Sprache nie gehört.

Noten ſind Worte auf Papier geſchrieben, Erlaucht. Sie leſen ſie, antworten, und das Reſultat iſt Papier auf Papier! Gekaperte Schiffe, das iſt etwas Anderes.

Die Fürſtin hatte vom Tiſche eine engliſche Zeitung genommen. Durchfliegen Sie dieſen Artikel. Mich dünkt, die Worte ſchneiden ſchärfer wie Thaten. Der Prinz ſoll grade darüber außer ſich gerathen ſein. Die Lippen ſchäumend, drückte er die Stirn an die Scheibe, daß ſie zerbrach.

Er wird auch wieder ruhig werden, ſagte Wandel und las: Nie hat eine Macht heuchleriſcher gehandelt und die Geſetze der Treue und des guten Glaubens frevelnder gebrochen als Preußen. Von ihm kann man lernen, wie man mit Worten ſchmei¬ chelt und durch Thaten verwundet.

Iſts nicht ſo!

28

Der Legationsrath zuckte die Achſeln: Was aus Unentſchloſſenheit gefehlt und in Thorheit ge¬ ſündigt ward, heißt nun ſträfliche Hinterliſt. Warum war man unentſchloſſen und warum handelte man thöricht!

Leſen Sie weiter.

Der aufgegebene Krieg gegen Frankreich war ein unwürdiges Geſtändniß von Schwäche, die ſoge¬ nannte Verwaltung Hannovers bis zum Abſchluß des allgemeinen Friedens überdachter Verrath. Er¬ röthet Preußen nicht vor der Entſchuldigung, daß die Wahl der Mittel zur Sicherung ſeiner Ruhe nach der Schlacht von Auſterlitz nicht mehr von ihm abhängig geweſen ſei? Ziemt eine ſolche Sprache einem ſchlagfertigen Staate, wenn es Ruhm und Vaterland gilt? Ziemt ſie vor Allem dem Preußiſchen, der Friedrichs Siege hinter ſich hat, Friedrichs Heer vor ſich und zur Seite Rußlands Beiſtand? Preußen prahlt mit gebrachten Aufopferungen. Ja es hat geopfert ſeine Unabhängigkeit, ſeine Pflicht, ſeine alten Beſitzungen, ſeine treuſten Unterthanen und ſeine zuverläſſigſten Bundesgenoſſen. Preußen hat durch den Schönbrunner Vertrag aufgehört als ſelbſtſtändige Macht, es kann nur noch exiſtiren unter den Flügelſchlägen des franzöſiſchen oder ruſſiſchen Adlers.

Was ſagen Sie dazu?

Warum fordert man von Epigonen den Muth der Titanen!

29

Der kleine König von Schweden ſperrt ihnen auch die Oſtſeehäfen, er kapert auch wie die Engländer ihre Schiffe. Man hätte doch nun erwartet, ſie würden Schwediſch Pommern nehmen!

Man iſt befangen im Bewußtſein ſeines Un¬ rechts, und ſtatt es gut zu machen, indem man es vollendet, verdoppelt man den Fehltritt, indem man ihn halb thut.

Das iſt Ihre Moral, Wandel. Ich im Gegen¬ theil bewundere den Muth dieſer Staatsmänner. Mit welchem Geſichte kann der Mann von Schön¬ brunn vor die Prinzen, vor die Bilder ſeiner alten Könige treten, vor das Land, vor das Preu¬ ßiſche Heer, vor Friedrichs Armee? Erklären Sie mir den Muth, Wandel, wie er vor dieſem ſtolzen, hochmüthigen Officiercorps es ausſprechen darf: Preu¬ ßen fühlt ſich zu ſchwach, mit dem ſtärkſten Bundes¬ genoſſen an der Seite einen gerechten Krieg zu füh¬ ren. Können Sie's?

Gnädigſte Frau, vor wem erröthen, wem Re¬ chenſchaft geben! Wer fordert ſie von dem Manne!

Und ſei es nur vor ſeinem eigenen Spiegel.

Der Spiegel, Gnädigſte, iſt unſer Machwerk; man ſchleift, färbt ihn, wie man will, man ſtellt ſich vor ihn, wie man Luſt hat. Die Hand in der Bruſt, das Kinn aufrecht, die Blicke funkelnd. Oder die Arme gekreuzt auf der Bruſt, die Augen nieder¬ geſchlagen; der Spiegel iſt gehorſam, er giebt Alles wieder. Denken Sie ihn ſich ſo, mit verkniffenen30 Lippen davor, und er lispelt: er war ſtark und wir ſchwach, er entſchloſſen, und wir wiſſen nie heut, was wir morgen thun ſollen, er hat ein kriegsgewöhntes, ſiegreiches Heer und wir eines, was den Krieg ver¬ lernt hat. Ein Krieg koſtet Blut, viele Menſchen, er ruinirt noch mehr Bürger, ſeine Nachwehen ſind furchtbarer als ſeine Verwüſtungen. Alles das ſind Realitäten, die Ehre aber iſt ein Wahn. Mein Kö¬ nig hat einen Abſcheu vor Blutvergießen und ich liebe es nicht. Alle gute Menſchen lieben es nicht. Gott auch nicht, er hat den Frieden geboten und Na¬ poleon bietet ihn uns auch. Sind das nicht eben ſo viele Winke des Himmels! Wofür ſollen wir uns ſchlagen? Für uns doch nicht. Er will uns ja mehr geben, als wir hatten. Für Oeſtreich etwa, das ver¬ loren hat? Wir ſind doch nicht Don Quixoten, um für einen Rivalen uns zu opfern? Oder für das thö¬ rige Gebrauſe, was man jetzt öffentliche Meinung nennt? Wiegt meines Königs unausgeſprochener Wunſch nicht ſchwerer? Die öffentliche Meinung macht mich nicht zum Miniſter, ſie möchte mich ſtür¬ zen. Aber ſie kann's nicht. Mein König kann mich halten, und er wird es.

Von Advocaten des Teufels hab 'ich wohl ge¬ hört, ſagte die Fürſtin, ihn fixirend, nur weiß ich nicht, wer ſie bezahlt.

Ich halte Excellenz für einen ſehr honetten und zuweilen ſehr heiligen Mann, der, wenn er den Feind citirt, es gewiß nur thut, um ihn zu beſchwö¬31 ren. Vielleicht ich ſage, es iſt möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor ſeinem Bilde, näm¬ lich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz ſchlägt, und aus tiefer Bruſt ſeufzt: Ich bin ja nur ſein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.

Incorrigibler! ſagte die Fürſtin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Hand¬ ſchuh, um doch wieder ſinnend vor ſich niederzublicken:

Und doch, wäre es ein Weſen von Fleiſch und Blut, dieſes Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirſcht in Demuth niederzufal¬ len in den Staub, an die Bruſt zu ſchlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das ſind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! Ach nein, ſie kennen nicht die Wolluſt der De¬ muth und Zerknirſchung, ſie ſind alle noch aus Frie¬ drichs Schule, ſchlechte Schulknaben, ſie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und ſein Geſpenſt ſeh ich umherſchleichen das muß eine furchtbare die fürchterlichſte Strafe des Himmels ſein: ſo ſein Werk zertrümmert, ſeine Schöpfung verhöhnt, ſein Geiſt zum Pasquill und keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: Herr, er¬ barme Dich unſer!

Herr von Wandel kannte die Fürſtin auch ihre temporellen Viſionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die Gêne. Er32 wartete in Geduld, bis der Paroxysmus vorüber war; er brauchte nicht lange zu warten.

Nun an Ihr Geſchäft, ſprach ſie. Wie lange laſſen Sie die arme Eitelbach warten!

O dies hat Zeit!

Sie würden einen guten Marterknecht abgeben.

Ich weiß in der That noch nicht, was ich mit ihr reden ſoll.

Wenn Sie nur die perſifliren können, die Sie vorgeben zu lieben, ſo verſuchen Sie es einmal, ſich in die Baronin zu verlieben. Ich erlaube es Ihnen.

Der Rath iſt nicht ſo übel! ſagte der Lega¬ tionsrath und verneigte ſich tief. Mit meiner gnä¬ digſten Freundin Erlaubniß will ich wenigſtens den Verſuch machen.

Die Fürſtin hörte es nicht mehr, ſie warf am Fenſter der abfahrenden Adelheid Abſchiedsgrüße zu.

[33]

Drittes Kapitel. Herr von Wandel muß ſentimental ſein.

Unter Heiligenbildern eine Heilige! rief der Legationsrath der Baronin entgegen.

Wiſſen Sie, was mein Mann von Ihnen ſagt? replicirte die Baronin? Wie heilig Sie auch aus¬ ſähen, Sie wären ein Pfifficus, und er möchte mit Ihnen keine Geſchäfte machen.

Warum ſollte er theilen! Er macht für ſich allein die beſten.

Ihnen traute er nicht über den Weg, meinte er neulich.

Der Legationsrath zückte lächelnd die Achſeln: Was konnte ich dafür, daß aus der Mäntelgeſchichte nichts ward. Meine Abſichten waren die beſten, meine Demarchen gut, es ſtieß ſich an andern Dingen. Ja, theuerſte Freundin, wie viel iſt damit aus¬ geſprochen! Unſer Wille mag noch ſo rein ſein, wir thun alles, was wir können, der Himmel ſelbſt ſcheint uns zu winken, und es wird doch nichts draus. Das iſt der unerforſchliche Organismus jener höherenIV. 334Sphärenkreiſe, in die unſer Auge vergebens zu drin¬ gen ſucht. Darin finde ich aber eben den merkwürdi¬ gen Unterſchied zwiſchen Ihrem und unſerm Geſchlecht, ich meine zwiſchen den Erwählten. Während wir noch immer titaniſch nach dem Unmöglichen ringen, findet das edle Weib ſchon in der Entſagung den höhern Troſt. Da erſt verklärt ſich ihre Liebe zu derjenigen, welche nicht beſitzen, nur beglücken will; ſelbſt beglückt, wenn ſie den geliebten Gegenſtand glück¬ lich ſieht in der Liebe zu einer andern.

Der Legationsrath ſchien unwillkürlich mit dem Taſchentuch über ſeine Augen zu fahren. Die Ba¬ ronin ſah ihn aber ſehr ſcharf an:

Was meinen Sie denn damit? Denn das habe ich Ihnen auch abgemerkt, Sie ſagen nichts ohne Abſicht.

Meine Freundin wird aber darin mit mir einig ſein, daß es unter zartfühlenden Seelen beſſer iſt, über gewiſſe Intereſſen nur andeutend wegzu¬ gehen, als ſie auszuſprechen. Wer heilende Wunden muthwillig aufreißt, wird zum Selbſtmörder.

Die Baronin ſah ihn ſo klar an, daß Wandel ſeine Augen einen Moment niederſchlug:

Manche Wunde thut auch wohl, wenn man weiß, daß, der ſie ſchlug, es in guter Abſicht that. Sie ſind nicht Dohlenecks Freund, leugnen Sie's nur nicht; ich weiß es

Mir iſt er eigentlich ganz indifferent, meine Freundin. Wenn er feindliche Gefühle gegen mich35 hegt, ſo ſind ſie ihm wahrſcheinlich vom jungen Bo¬ villard beigebracht.

Sie meinen auch, wie die Andern, daß es nur Mißverſtändniſſe ſind?

Von dem, was die Leute ſprechen, laß ich mich nie beſtimmen.

Ja, es iſt ein Mißverſtändniß, ſprach ſie mit gen Himmel erhobenen Blicken. Es war kein Zufall, ich weiß, daß alle die Kränkungen von ihm abſicht¬ lich ausgingen

Iſt es möglich!

Ja, mein Herr Legationsrath, ſo gewiß, als Sie hier vor mir ſitzen.

So abſcheulich hatte ich ihn mir doch nicht ge¬ dacht. Und ſieht aus, als könnte er keinem Kinde das Waſſer trüben.

Und ſeine Seele iſt ſo rein, wie der Spiegel eines Sees.

Sie ſprechen in Räthſeln. Ich, oder viel¬ mehr ein Freund, glaubten letzthin in Ihren Blicken ein ſtummes Spiel gegenſeitiger Verſtändigung zu entdecken. So kann man ſich täuſchen!

Sie haben ſich nicht getäuſcht.

Das Räthſel wird immer dunkler.

Und immer heller in meiner Seele. Ja, weil der edle Mann ſah, wie mein Gefühl für ihn immer heftiger ward, wie ich mich von ihm hinreißen ließ, und weil er mich wahrhaft liebt, darum mit eigner Selbſtüberwindung jene Kränkungen und Aergerniſſe,3*36die mich tief betrübten, um dann mich wieder deſto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬ der zu mir ſelbſt zu bringen, um mich von meiner Leidenſchaft zu heilen. So lebten wir eine lange ſchmerzliche Weile uns zur gegenſeitigen Qual, bis wir uns verſtanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tauſendmal im Herzen ab, wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden, und wie mußte er erſt leiden, indem er mir und ſich zugleich ſo unausſprechlich wehe that.

Wandel, der etwas unaufmerkſam geſeſſen, warf hier einen forſchenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die Geſchichte intereſſirte auch ihn nicht mehr beſonders, oder er war im Nachſinnen, wie er ihr eine andre Wendung beibringe, um ihr wieder ein Intereſſe abzu¬ gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindſamen Roman plötzlich die Seiten umſchlägt, um die Motive eines den Leſer überraſchenden Sinnes¬ umſchlags zu erfahren, mit der er ſie raſch fragte:

Und das hat er Ihnen alles geſagt?

Kein Wort.

Ah, alſo die Sympathie der Seelen!

Warum ſenken Sie die Augen?

Er mußte ſich geſtehen, daß dieſe Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigſten entſpreche:

Oh, das iſt ein Thema, rief er, bodenlos, un¬ ergründlich.

Sie erſchrecken ja beinah.

37

Ich! Erſchrak ich! Ich ſtellte mir nur vielleicht die Frage, ob es ein Glück iſt, in der Seele des Andern leſen zu können? Oder nicht vielmehr ein Unglück? Fragen Sie ſich einmal, ganz aufrichtig, die Hand aufs Herz. Würden Sie wünſchen, daß ein Andrer Ihre Gedanken läſe wie ein offnes Blatt?

Er hatte ihre Hand ergriffen und legte ſie ſanft an ihr Herz. Sie ließ es geſchehen, und ſah ihm klar in die Augen. Ohne alle Bewegung ſprach ſie mit heller Stimme:

Ja, es könnte Jeder leſen.

Auch der Baron, Ihr Gemahl?

Jetzt erſt recht. Im Anfang ſchoß es mir da über den Kopf. Nachher ward ich zuweilen ſtutzig, ich ſchämte mich, wenn der und jener mir jetzt ins Herz ſähe, und ich gab mir Mühe, daß ichs mir anders zurecht legte und rechtfertigte, aber nun habe ichs nicht nöthig. Da fiel mir wieder ein, was mal der Prediger ſagte: Jedes guten Menſchen Herz muß ſo zugerichtet ſein wie ein Glasſchrank. Darin ver¬ birgt man nichts, und wer in die Stube tritt, ſieht es.

Der gute Prediger unterließ nur hinzuzuſetzen, meine Freundin, daß wir nicht Jeden in unſre Stube laſſen. Die Stube verſchließen wir, und der Glasſchrank ſteht nur offen für unſre Freunde, für die, welche wir geprüft, die täglich Zutritt haben. Ja die mögen hineinſchauen, und ſich der Dinge freuen, die uns erfreuen.

38

Ach, ich weiß Jemand, der würde ſich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz ſehn wollte!

Wer iſt das? Wandel ſchien über dieſe Wen¬ dung des Geſprächs noch weniger erfreut.

Sie ſind ein guter Menſch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie ſich ja nicht aus, ich weiß es.

Er hatte ihre ſchöne Hand, die über der Divan¬ lehne lag, erfaßt und drückte ſie ſanft an die Lippen. Könnten Sie in dies Herz ſchauen! ſprach er ſeufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬ merhin! Finten ſind Spitzen, aber es ſind blutende Spitzen, Dolchſtiche, Dornen, die Andre hinein ge¬ drückt. Da iſt der einzige, aber ein ſüßer Troſt, daß um dieſe Dornen Roſen blühten.

Sie hatte die Hand ruhig ſeinen Küſſen über¬ laſſen, und ſchien verwundert, als er plötzlich aufſtand und den Stuhl wegſetzte.

Wohin wollen Sie denn?

Nach dem Lande, wo keine Roſen blühen.

Jetzt doch nicht gleich?

Ich bin keine Stunde ſicher, daß nicht die Päſſe und Anweiſungen aus Petersburg eintreffen, und dann darf meines Verweilens nicht mehr lange ſein. Die Academie in Petersburg hat zu meiner Beſchämung eine ſo dringende Vorſtellung an Seine Majeſtät den Kaiſer gerichtet, die Unterſuchung der Bergwerke für ſo wichtig erklärt, und meine geringen Kenntniſſe ſo hoch an¬ geſchlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬ vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.

39

Ihre Verdienſte in Ehren, aber die Gar¬ gazin wird ſie wohl recht ausgeſchrien haben.

Erlaucht hat allerdings auch Güter in Aſien, und einige Bergſtriche verſprechen, wenn mein Auge aus der Ferne ſich nicht täuſcht, unter geſchickter Hand eine ungewöhnliche Ausbeute.

Nach Aſien wollen Sie, Herr Gott, das iſt weit.

Bis an die Chineſiſche Gränze. Sie mögen denken, wie ſchwere ſehr ſchwere Opfer es mich koſtet!

Wie ſo denn?

Muß ich nicht meine eignen Güter in Thürin¬ gen verlaſſen?

Wiſſen Sie, was mein Mann ſagt? Die möchte er nicht geſchenkt haben; wenn ſie nicht die Feldſteine zu Klößen kochen lernten, müßte 'ne Kirchenmaus drauf verhungern.

Ei, Ihr Herr Gemahl auch Oeconom! Ich hielt ihn nur für einen Speculanten. Für den glücklichſten, weil er das große Loos gezogen hat.

Die Baronin lachte ihn recht herzlich an: Damit meinen Sie mich; mir verbergen Sie nichts. Wenn Sie aber meinen Mann fragen, ſo ſagt er Ihnen, es wäre ſeine ſchlechteſte Speculation.

Ich halte viel auf Ihren Herrn Gemahl. Ueber dem tiefen Schacht von Wiſſen und Erfahrung ſpielen wie Schmetterlinge Humor und Witz. Ich weiß ſeinen kauſtiſchen Witz zu ſchätzen; weil ich ihn40 verſtehe, verwundet er mich nicht wie Andere, und es thut mir aufrichtig leid, daß unſre verſchiedenen Berufsgeſchäfte uns ſo ſelten zuſammen führten. Glauben Sie mir, auch von ihm wird mir die Trennung ſchwer.

Von wem denn ſonſt noch! Von der Geheim¬ räthin oder der Fürſtin! oder oder oder

Verdiente ich dieſe Bitterkeit? Die Baronin Eitelbach ſieht mich gern ſcheiden.

Nein, weiß Gott, nein, ich plaudre gern mit Ihnen. Ich glaube Ihnen nicht alles, was Sie ſagen, aber es hört ſich ſo hübſch an. Es klingt, als ob man mit Ihnen in die Wolken fliegen müßte.

Seele mit dem Taubenauge und dem Blick des Adlers, erlauben Sie mir den Bruderkuß auf die Stirn der Schweſter zu drücken.

Sie wehrte ihn, als er im Begriff war es zu thun, ſehr entſchieden zurück: Sie ſind noch nicht fort. Wenn's ſo weit iſt, wollen wir uns be¬ ſinnen.

Einen Wunſch erlauben Sie mir wenigſtens, mit den Lippen auf Ihre ſchöne Hand zu hauchen.

Hauchen Sie aber nicht zu lange.

Wie Sie in meine Seele blicken, möchten Sie eben ſo klar in die des Rittmeiſters blicken! Jetzt noch nicht, aber ſpäter, wenn ich fort bin.

Warum denn jetzt nicht?

Jetzt hat er genug Beſchäftigung mit der kleinen Choriſtin.

41

Welche Choriſtin?

Die in der Geiſterinſel die Herzen entzückt. Sie wiſſen ja.

Sie ſind ein abſcheulicher Menſch.

Vielleicht irre ich mich auch. Sein Neffe, der Cornet, bezahlt ſie, und die böſe Welt ſagt: für ſeinen Onkel. Doch, wie geſagt, das mag nur Gerede ſein. Und wäre es, iſts ein Verſuch, ſeinen Schmerz zu betäuben. Das will ich ihm verzeihn. Aber ich glaube, es iſt vielleicht beſſer, ich ſchweige.

Nein, jetzt iſts beſſer, Sie reden. Das iſt eben ſo abſcheulich von Ihnen, daß Sie einen Stachel Einem ins Herz ſenken, und dann laufen Sie fort. Man quält ſich, was es iſt, und dann iſts am Ende nichts.

Auch ich hoffe, daß es nichts iſt. Das iſt das Opfer, welches ich Rußland und der Wiſſenſchaft bringe, jetzt von ſo vielen Freunden mich loszureißen, die vielleicht meiner Hülfe bald bedürfen. Einer Ei¬ genſchaft rühme ich mich ich ward frei von Affec¬ ten, ich blicke klar in die Zukunft, in die Seelen der Menſchen, die Fältchen und die Schleier derſelben täu¬ ſchen mich nicht. Der Rittmeiſter iſt, ja, ich gebe es zu, was man nennt, ein guter Menſch, aber verſchul¬ det, bis über die Ohren verſchuldet. Der Krieg konnte ihn retten. Nun bleibt Friede. Er muß alle Anſtrengungen machen, ſich über dem Waſſer zu hal¬ ten. Damals, als es losgehn ſollte, überkam ihn ein nobler Impuls; das iſt nun vorüber, er iſt42 Menſch, ein armer Edelmann, ein Officier, auf ſeine Gage angewieſen, von Gläubigern gedrängt, gewiſ¬ ſermaßen von den Umſtänden zum Aventurier geſtem¬ pelt, gezwungen, ſein Alles auf eine Karte zu ſetzen. Lieber Gott, er iſt darum kein Böſewicht, daß er alle Rollen ſpielt, den brüsken, den ſentimentalen, ſogar den idealen Liebhaber, um eine reiche Frau zu kapern.

Sind Sie bei Troſt? Ich bin ja verheirathet!

Daran denkt ein ſolcher Aventurier nicht. Er hält Alles für erlaubt, und in der Noth kein Band zu feſt. Ich kenne ſolche Menſchen.

Jetzt ſchweigen Sie. Sie mögen viele Men¬ ſchen kennen, aber den Rittmeiſter Stier von Doh¬ leneck kennen Sie nicht. Ich könnte Ihnen ſehr böſe werden, ſpinnefeind, wenn Sie nicht ein ſo guter Menſch wären. Darum bitte ich Sie, thun Sie mir den Gefallen und ſein Sie ſtill. Kein Wort mehr davon!

Er verneigte ſich reſpectvoll: Ich gehorche dem Befehl, wo ein leiſer Wunſch genügt hätte; aber eine Bitte ſpreche ich im Scheiden aus. Wenn das Traum¬ bild Ihres Glaubens zuſammenſinkt, wenn Sie ſich ſchwach fühlen, wenn mit Ihrem Vertrauen das Glück des Lebens vor Ihnen zuſammenbricht, dann denken Sie, dann rufen Sie mich. Ich werde Ihre Stimme hören, auch wenn hunderttauſend Meilen uns trennen, kein Brief mich trifft, keine Taube durch die eiſigen Lüfte dringt. Wenn Auguſte von Eitel¬43 bach gepreßten Herzens in ihrem Kummer meinen Namen nennt, wenn ſie ſchluchzend in die Nacht ruft: Ach, wäre er hier, er könnte mir helfen, dann werde ich Ihren Ruf hören, ob ich im tiefſten Schacht der Bergwerke von Irkutzk dem Licht der Gnomen folge, um die Adern edler Erze zu ſchürfen, oder einſam ſchweife auf einem Rennthierſchlitten um die kalten Seen Sibiriens und ich bin bei Ihnen.

Ohne einen Händedruck war er nach der Thür geeilt. Sie rief ihm nach:

Nach Sibirien gehen Sie?

Warum ſchaudern Sie, gnädige Frau? Es iſt warm auch am Eispol, wenn das Blut im Herzen pulſt.

Ich dachte nur Ich war in Glogau, als der Erxner, der Raubmörder, nach Sibirien transportirt ward. Was man doch manchmal Närriſches denkt wenn Sie auch ſo in Ketten hingeſchleppt würden! So fuhr er auch zuſammen, wie Sie jetzt

Er verneigte ſich noch ein Mal und war ver¬ ſchwunden. Sie ſah ihm aus dem Fenſter nach. So in ſich verſunken hatte ſie ihn noch nicht geſehen. Er erwiederte den Gruß zweier Bekannten nicht. Er hat nur einen Fehler, ſprach ſie bei ſich, er kann den Rittmeiſter nicht leiden. Aber aber er wird noch nicht mit Sibirien hats gewiß noch gute Weile.

[44]

Viertes Kapitel. Ob's edler im Gemüth, die Pfeil und Schleudern Des wüthenden Geſchicks erdulden oder

Thorheit, zu glauben, daß ein Menſch ſeiner Zeit voraufgeht. Von der Strömung in der Luft werden wir gezogen, wie die Atome dem Athem zufliegen. Es iſt das unergründete Geſetz in der moraliſchen Welt, was den Rieſen wie den Zwerg regiert, und die tollſte Ironie iſt es, der wahn¬ ſinnigſte Traum unſrer trunkenen Phantaſie, zu wähnen, daß wir aus eignem freien Impuls die Welt nur um eine Spanne weiter rücken!

Zwei Geneſende ſaßen auf einer abgelegenen Bank im Thiergarten, die laue Sommerluft ein¬ ſchlürfend. Der eine, den Arm in einer ſchwarzen Binde, ſchien ſeine Krankheit bereits abgeſchüttelt zu haben, und das blaſſe Geſicht röthete ſich, wäh¬ rend die Glieder oft elaſtiſch zückten. Es war Walter. Der andre trug keine ſichtliche Verwun¬ dung, aber der kräftige Geiſt ſchien mit einer phyſiſchen Mattigkeit im fortdauernden Kampf, und45 ſein auch bleiches Geſicht blitzte von einer ver¬ rätheriſchen Röthe, während das dunkle tiefe Auge geſpenſterhafte Glanzblitze warf. Es war Louis Bovillard; er hatte die obigen Worte geſprochen.

Dem Fatalismus huldigen, dahin alſo führte unſer langer ſaurer Bildungsproceß, unſer Suchen, Tappen, Klimmen! entgegnete Walter. Du mußt bekennen, daß die Türken dies Ziel bequemer haben. Du biſt noch krank.

Bovillard ſah mit ſeinem glühenden Auge weh¬ müthig auf den Freund: Was hilft Dir Deine Geſundheit?

Daß ich meine Kraft ſparte.

Wofür? Was hilft der Ameiſe die Seherkraft der Kaſſandra, wenn der Stiefel eines Stallknechts ſich nur aufzuheben braucht und der Bau ihres Lebens iſt zerſtört!

Gott und Natur ſind ewig, und der Menſch

Bleibt ihre erhabenſte Creatur, aber ewig wie Herkules am Scheidewege. Da ſteht: Entſage! und ein himmelblaues Lamm daneben, Dich auf Dornen¬ wegen zur Trübſal zu führen. Hier ſteht: Genieße! und Fuchs, Wolf und Schlange ſtehn als Deine Lehr¬ meiſter dabei.

Walter hatte längere Zeit vor ſich hingeblickt; die Lucubrationen des Freundes hatten ihn nicht geſtört: Wo iſt das Allgemeinwohl? das iſt die Frage. Sitzt's in den Gipfeln? in den Wurzeln? Wo iſt das Mark? Wir fühlen es, wie das Waſſer46 den feſten Boden unterſpült, die Wurzeln vom Erd¬ reich löſt, wir fühlen das Annahen des Sturmes. Und noch wäre Rettung möglich, aber die phleg¬ matiſche Maſſe ſchließt noch die Augen, trunken ſchreien Einige in die Lüfte, aber ſie helfen nicht, nur dem Feinde geben ſie ein Zeichen, wie es ſteht. Die zu Wächtern beſtellt ſind, zu Baumeiſtern und Steuerleuten, ſingen uns Schlaflieder zu. Sie zittern nicht vor der Gefahr draußen, nur vor der Aufregung, welche die Furcht davor im eignen Lager verurſacht. Wo nun Einer mit dem beſten Willen kommt, wo ſoll er anklopfen, wo, wenn er ſein Gut und Blut hineinwerfen möchte, iſt die Büchſe, um es aufzunehmen? Das iſt die Frage.

Was hilft's Dir, wenn Du die rechte Ein¬ gangsthür in ein verrottet Haus findeſt, wo drinnen nichts mehr zu retten iſt.

Es iſt , fuhr Walter auf. Wie hätte dieſer Staat ſo lange beſtehen können und leuchten in der Geſchichte. Es iſt etwas nie da geweſenes, wie dies Regentengeſchlecht perſönlich auf das Volk einge¬ wirkt hat. Das leugneſt Du Dir nicht fort, vom Anbeginn bis heute. Es hat alles, was ſein eigen war, Gedanken, Geiſt, Intelligenz, Thatkraft, Muth, Entſchloſſenheit, Ausdauer, ausgeſprützt in die Adern der rohen, verwilderten Stämme, die es vorfand, die es ſpäter mit ſeinen ſtarken Armen umklammerte, bis ſie unter dem warmen ſchirmenden Druck zu47 einem Leibe verwuchſen. Wir ſollten freudig ſtaunen über das Wunder einer Gärtnerkunſt, denn das war es, wo die Fürſten von anderm Stamme, Blut, aus einem fernen, fremden Lande, ſo ſich mit dem Boden, den Boden mit ſich amalgamirten; wenn nicht eben die Impfe ſo wunderbar nachhaltig ge¬ wirkt hätte, daß alles, was auf dem Throne zur Geltung kam, im Volke ſich wiederſpiegelt und reproducirt, wie die Stärke vorhin nun die Schwächen, wie das Licht, jetzt die Schatten. Iſt nun ein Volk von der Vorſehung deſtinirt, das frage ich mich, ſein Licht ausgehn zu laſſen, weil von ſeiner Herr¬ ſchaft ihm keins mehr leuchtet, ſich ſelbſt auszulöſchen aus der Reihe der lebendigen Nationen, weil der Druck der Luft von oben, das Miasma, es affirirt! Iſt's deſtinirt, mit allen Mitteln zur Hand, ſich nicht ſelbſt curiren zu dürfen?

Wenn es ein Affenvolk iſt! Und wir ſind Alle Affen. Was willſt Du mehr von ihm?

Das mehr, was die Erziehung, grade jene ſeiner Könige es lehrte: ſelbſt zu denken und zu fühlen. Dieſe Eigenſchaften ſind nicht fortgeſpült; ſie wuchern geil und luſtig fort. Es kam einmal die Sitte von oben herab, die nüchterne, ſtrenge hausbackne Bürgertugend von jenem Soldatenkönig, dann vom ſelben Throne mit den laxen Sitten und der Frivolität jene eben ſo nüchterne Aufklärung. Jetzt, wo Frömmigkeit und Gerechtigkeit in mildem Scheine von oben ausſtrahlt, wo wir aus einem48 guten Sinne auf Tüchtiges gehofft, iſt's die Unent¬ ſchloſſenheit, die ſich auf das Volk ergießt und es zerſetzt. Wie, wo ſoll da geholfen werden! Nein, wer ſoll helfen, wer die adſtringirende Säure gie¬ ßen in die in Auflöſung befindliche Maſſe!

Frage lieber, wer iſt der neue Prometheus? Denn die Nachkommen des alten verfolgten Revolu¬ tionairs ſind im Laufe der Zeit legitime Philiſter geworden, gute Bürger, die des Nachtwächters Ruf gehorchen: Bewahrt das Feuer und das Licht. Schaff Dir neue Menſchen. Mit den alten iſt nichts anzu¬ fangen.

Bovillard war aufgeſtanden und blickte in die Ferne, wo die Sonne zwiſchen dem Walde verſank.

Thorheit, wiederholte er, zu rühmen, daß wir die Zeit verrücken, die, unſer ſpottend, über uns hin¬ rollt. Der Kriegswagen des Donnergottes, von Sturmroſſen gezogen, Feſtungen zermalmt er und Heere, die für unüberwindlich galten, wie Kartenhäu¬ ſer und bleierne Soldaten, und es iſt nichts ſo feſt auf Erden, was nicht ſchon knickt, wo ſein ſchnauben¬ des Geſpann heranbrauſt. Er legte ſeinen Arm auf Walters Schultern. Ich war da, Lieber, ich ſah es ja in der Nähe. Unſern Staatsmann ſah ich, hei¬ liger Gott! Friedrich und ſein großer Ahn, der Kurfürſt, müßten im Sarge roth werden, wenn ſie das geſehen! Ein Verräther nein! Man kann nur verrathen, was man weiß. Wenn er ſich in den Wagen ſetzte, zur Conferenz zu fahren, wußte er49 noch nicht, was er rathen, fordern, ſprechen ſollte. Napoleon fuhr ihn an. Er ſchwieg. Napoleon ca¬ jolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er ſchwieg auch. Dies Schweigen ſoll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch ſchweigen kann, nicht um zu verſchwei¬ gen, ſondern weil man nicht weiß, was man wol¬ len ſoll. Solche Rathloſigkeit, ſolche Faſſungskraft, ſolcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Ver¬ treter des Militairſtaates wußte von den militairi¬ ſchen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preu¬ ßen wiſſen muß, ließ ſich einſchüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in ſeiner Laune einfiel: er ließ ſein Heer über Gebirge und Flüſſe ſpringen, Schleſien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutan¬ ten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zu¬ rückhielten. Das Heer, geſchwächt, blutend, hätte da¬ mals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann, zum Troſt, überſchüttete er ihn mit Lobſprüchen für ſeinen guten Willen, ſeine Einſicht, und unſer Mann ward roth vor Freude. Und in ſolche Hände legen unſre Fürſten unſer Schickſal, und ſolchem Feinde gegenüber!

Die deutſchen Fürſten

Laß mich von ihnen ſchweigen. Was ich auch da ſah, wenn eine Nachwelt kommt, wird ſie's nicht glauben. Sauve qui peut, das iſt das große Schi¬ boleth der Zeit.

Und das deutſche Volk?

IV. 450

Soll es für die goldne Bulle ſchwärmen, für Regensburg oder Wetzlar! Schwärmer giebt es, wofür wären wir Deutſche!

Auch die Kreuzfahrer waren Schwärmer, und doch eroberten ſie Jeruſalem.

Warte nur, Lieber, wenn die gutgeſinnten Bür¬ ger die Straßenjungen gegen ſie animiren. Koth auf ſie! Mit Recht, ſie ſtören ja die Ruhe. Alle die Volkserhebungen, die man verſucht hat, da und dort, um den Erzherzog zu ſoulagiren, kläglich fielen ſie aus, und wenn man Frieden ſchloß, wie ließ man ſie im Stich! die armen Schelme! Was heut Tu¬ gend heißt und Patriotismus, die Diplomatie ſtem¬ pelt's morgen zum Verbrechen und Hochverrath, wenn's ihr ſo bequemer iſt. Was willſt Du da vom armen Volk erwarten! Sie äffen den Fürſten nach, und ſie thun Recht. Wer etwas für ſich ſchaffen kann, zugegriffen, ſo lange es Zeit iſt! Die alten Bande ſind gelöſt. Es giebt kein Recht, kein Geſetz, kein Vaterland mehr. Haſche den Sonnenblick, ge¬ nieße den Augenblick, Du weißt nicht, was morgen kommt. Schöne Mädchen und Cyperwein, Walter, ſo lange es ſchmeckt. Preußen that Recht, wir wa¬ ren im Unrecht; es hat den größten Biſſen erſchnappt. Preſſe Hannover aus, Du weißt nicht, ob es Dir nicht ſchon morgen wieder entriſſen iſt. Schöne Mädchen und Cyperwein! nur nichts von Vaterland, Menſchenglück. Phantasmagorien, nichts als Mond¬ ſcheinilluſionen. Im Ernſt, Walter! Sieh mich nicht51 ſo an. Die alte Zeit iſt abgelaufen, aller Widerſtand iſt Thorheit der neue Titane zerſchlägt dem alten Sonnengott den Karren, die Splitter und Funken fliegen durchs Weltall. Duck Dich in eine Höhle, wenn Du eine findeſt, und wenn Du lebendig bleibſt, gaffe ihm nach, wohin er ſeinen Feuerball peitſcht. Ich weiß es nicht.

Und doch, ſprach Walter, ihm nachblickend, als er ohne Abſchiedsgruß nach der Stadt gegangen, doch würdeſt Du der Erſte ſein, wenn Er folgte ihm.

Seltſam, als Walter in das Haus des Geheim¬ rath Lupinus trat, ſollte er eine Unterhaltung über¬ ſtehen, die denſelben Gegenſtand hatte.

Er fand den gealterten Mann kränkelnd. Er huſtete viel. Walter meinte, das Zimmer ſei wohl lange nicht gelüftet, der Bücherſtaub habe etwas Drückendes.

Der Geheimrath hörte ihn mit Freundlichkeit an.

Gewöhnen wir uns doch daran, das Leben als eine Gewohnheit zu betrachten, dann fällt ſo Vieles fort, was uns ſonſt quält und ängſtet. Iſt nicht der am glücklichſten, der nichts in ſeiner Lebensweiſe än¬ dert? Wer immer ändert, ſtellt damit nur ein Te¬ ſtimonium aus, daß er nie zufrieden war. Ich weiß es, ich werde ſterben, vielleicht bald, aber Sie werden noch lange leben; nun laſſen Sie uns von Ihnen reden. Da iſt Herr Niebuhr nun angekommen. Er wird beſtimmt angeſtellt, und wahrſcheinlich in eini¬ gen Wochen ſchon iſt er Bancodirector mit dem Titel4*52Geheimer Seehandlungsrath. Er hat Ihre Abhand¬ lung über Alba Longa mit Vergnügen geleſen. Er wird ein Mann von Einfluß werden. Jetzt kann ich Sie noch empfehlen, vielleicht bald nicht mehr. Sa¬ gen Sie mir Ihre Wünſche, lieber Walter.

Auf Walters Geſicht ſtand die Antwort. Es war ein Thema, was ſie oft beſprochen. Mit einem vielſagenden Blicke faßte der Kranke die Hand des Geſunden:

Unſer Staat iſt kränker, als ich bin. Die Re¬ publik liegt in den letzten Zügen, die Scipionen ſchlummern in ihrer Gruft, die Virtus neben ihnen, unſer Actium und Philippi ſteht vor den Thoren, die Catonen mögen den Giftbecher leeren, es bricht zu¬ ſammen, Herr van Aſten, ich weiß es auch, und der Cäſar ſcheint auch ſchon da, der uns nur nicht behagt. Was bleibt da dem Freien? Das Exempel, das ihm ein alter Freigelaſſener ließ.

Der Geheimrath hatte ſich mit Mühe vom Stuhl erhoben, und war, auf einen Stock geſtützt, an ſeine heiligſte Bücherwand geſchlichen. Einen, Walter wohl¬ bekannten dünnen Band, unſcheinbar in altem Leder, nahm er heraus. Es war eine Ausgabe des Horaz, an die er keine fremde Hand ließ; er zeigte das Buch nur ſeinen Freunden.

Wenns Ihnen ſchlimm ums Herz wird, hier iſt der Troſt. Zweifeln Sie, daß Horaz ein guter Patriot geweſen? Ging ihm das Schickſal des Rö¬ miſchen Staates nicht ans Herz? Ich ſage Ihnen,53 es ſchnitt ihm hinein, tiefer, als die Herren Ausleger denken; der Schnitt ſteht nur zwiſchen den Verſen, und da verſtehn ſie nicht zu leſen. Was hätte es nun geholfen, wenn er ſich ins Schwert geſtürzt? Was hatte Rom davon, daß Brutus es that! Horaz warf ſeinen Schild fort, machte ſich auf die Behen¬ digkeit ſeiner Hacken, und als er ſtille ſtand, und ſich den Staub abklopfte, ſah er, daß der Himmel noch immer blau war und die Sonne ſo lau und golden auf das ſchöne Italien ſchien, als vorhin. Hätte er nun krächzen ſollen wie die Eule Tacitus von ihrem alten Thurm, Zeter und Wehe über die Verderbniß der Zeit! Hat Tacitus die Zeit beſſer gemacht, oder die römiſchen Sitten, hat er Rom nur einen beſſern Kaiſer verſchafft? Contrair, ſie wurden immer ſchlimmer. Die Bußprediger thuns nicht, und in das Rad der Weltgeſchicke greift keiner ein; das geht über die Köpfe der Völker und Königreiche. Ein Narr, wer da glaubt, daß er in die Speiche faßt, ohne zermalmt zu werden und ausgelacht obenein. Horaz ſchloß Frieden. Hat er darum ſein Vaterland verrathen? Sein Vaterland war größer. Ubi bene ibi patria! Er ſang: Beatus ille qui procul negotiis Sein contentam ducit vitam klang wie ſüße Muſik unſern Vätern ins Ohr. Er ließ die laufen, quos curriculo pulverem olympicum collegisse juvat, und freute ſich, von Roſen und Epheu umkränzt, am funkelnden Falerner. Er ließ den Auguſtus regieren, wie er Luſt hatte, denn er ſtand unter dem beſſern54 Regiment der guten Cynera. Nicht wahr, das iſt recht frivol und ſchlecht von ihm gehandelt! Und ſo was der Jugend zu predigen! Aber, aber zwei tauſend Jahre beinah vergangen, und Horaz lebt! Die Brutus ſpuken freilich, in allen Revolutionen, gar tugendhafte Männer, aber was hinterlaſſen ſie? Verfolgungen, Criminalprozeſſe, Steckbriefe, Aus¬ weiſungen, Schaffotte, Bankrotte, ruinirte Familien, Elend aber wen auch das Rad nach oben trägt, dem Horaz hört er immer gern zu, er hat in aller Welt das Bürgerrecht, der ſüße Prediger einer Lebensweisheit, die dauern wird, ſo lange die Welt ſteht.

Walter ſchwieg. Sie hatten auch darüber ſchon oft ſich verſtändigt, daß ſie ſich nicht verſtändigen könnten. Der alte Gelehrte klopfte ihm auf die Schulter:

Will ich Sie denn zwingen, junger Eigenſinn! Erinnern Sie ſich, wie Morus ſeine herrliche Biographie des Philologen Reiske anfängt: Omnis vitae Reiskianae ratio fuit, non cedere malis sed audentiorem contra ire! Iſt auch ein ſchöner Spruch und ein klaſſiſches La¬ tein. Meinethalben immer drauf los wie der große Reiske. Erinnern Sie ſich aber gelegentlich, daß Horaz auch geſagt hat: Est modus in rebus, sunt certi denique fines. Er hat keine Maxime aufgeſtellt wie Cicero, daß der Menſch wedeln ſoll vor der Macht, weil ſie Macht iſt. Und dann dachte auch wohl der heidniſche Philoſoph nicht an den Wurm, 's iſt an einem55 anderen, der das Maaß finden, die Gränze ſtecken ſoll. Und Integer vitae, scelerisque purus das hat dieſer ſelbe Horaz auch geſagt. In meinem Teſta¬ ment hatte ich es Ihnen vermacht dieſe ja dieſe Leydener Silberſchrift mit verſchlungenen Hän¬ den. Warum ſo lange warten! Raſch in die Bruſt¬ taſche, zur Erinnerung an einen alten Mann, der Ihnen wohl wollte.

Das war etwas Ungeheures Walter erſchrak:

Dies Exemplar, Herr Geheimrath!

Der Gelehrte drückte es ihm in die Hand: Dieſes, ich weiß keinen beſſern, der es nach mir aufhebt. Es iſt freilich nur vom zweiten Abdruck. Ja, wenn es mir gelungen wäre, eines mit dem Todtenkopf zu erhalten! Was habe ich nicht correſpon¬ dirt, nach England, Schweden, was habe ich geboten! Der Herr Legationsrath von Wandel, was hat der ſich nicht für Mühe gegeben er hofft noch immer; aber es war vielleicht ein zu großer Wunſch, und kein Menſch ſcheidet von dieſer Welt, der ſagen kann, daß Alles in Erfüllung ging, was er wünſchte.

Den Geheimrath befiel hier ein heftiges Hüſteln. Die Sprache verſagte ihm und der kalte Schweiß ſtand auf ſeinem blaſſen Geſicht. Als Walter ihn nach ſeinem Stuhl führen wollte, ſtand die Geheim¬ räthin plötzlich da man konnte glauben, daß ſie hinter einer Bücherwand Zeuge des Geſprächs ge¬ weſen. Verzeihn Sie, Herr van Aſten, man muß56 einen ſo langen Umgang mit einem theuren Kranken gehabt haben, um ſeine Wünſche zu verſtehen.

Ihr Blick hatte ihn fortgewieſen, und er ge¬ horcht. Faſt machte er ſich einen Vorwurf. Hatte ihm der Geheimrath nicht noch etwas ſagen wollen? Vielleicht war es das letzte Mal, daß er ihn ſah. Aber er hatte ſchon die Weiſung der Geheimräthin überſchritten, die aus Vorſorge für den Kranken den Befehl gegeben, Niemand ohne ihr Vorwiſſen in das Zimmer zu laſſen. Er zauderte im Vorzimmer. Der Kranke mußte ſich wieder erholt haben, er hörte ihn die vorhin angefangene Ode: Integer vitae, scele¬ risque purus recitiren.

War es ſein Sterbegeſang? Die Geheimräthin ſchien betroffen, als ſie zurückkehrend Walter noch fand. Der Blick, den ſie ihm zuwarf, hatte etwas Befremdendes, es war ihm auffällig, daß ſie ein Tuch vor dem Munde hielt, welches ſie im Augenblick, wo ſie ihn ſah, fallen ließ. Er glaubte ſich zu entſin¬ nen, daß ſie ſchon im Krankenzimmer es an die Lip¬ pen gehalten. Doch es war nur ein Moment gegen¬ ſeitiger Befangenheit. Sie ſetzte ſich auf ein Sopha, oder ließ ſich fallen, und drückte das Tuch an das Geſicht. Ein Schluchzen hörte er nicht. Er ſprach einige Worte der Theilnahme, daß die Gefahr wohl nicht ſo groß ſein werde, als man annehme, daß die Natur des Geheimrathes auch ſchwerere Krankheiten zu überwinden im Stande ſei, daß er unter einer ſolchen Pflege geneſen müſſe.

57

Den ſtarren, höhniſchen Blick, als ſie das Tuch wieder ſinken ließ, konnte er nie vergeſſen.

Meinen Sie, Herr Doctor? Er wird ſter¬ ben. Wenn auch nur darum, damit die Leute ſagen können, ich hätte ihn ſchlecht gepflegt.

Gnädige Frau, es iſt nur eine Stimme, mit welcher Aufopferung Sie für das Schickſal Ihrer Angehörigen ſorgen.

Sind Sie wirklich noch ſo jung und harmlos, Herr van Aſten? Sie haben doch auch ſchon Er¬ fahrungen hinter ſich, ſetzte ſie hinzu, und ſollten wiſſen, was auf dieſe Stimme zu bauen iſt. Oder hörten Sie immer nur den lächelnden Anfang, und ſchloſſen vergnügt ihr Ohr, wenn die herzlich Theil¬ nehmenden von ihrem Lobe ſich erholten, zuerſt in kühler Betrachtung, die ſie unpartheiiſche Würdigung nennen, dann in leiſen Bemerkungen, daß bei dem vielen Guten doch auch Schattenſeiten ſind; endlich wenn die liebrei¬ chen Seelen erkannt, daß ſie unter ſich ſind, öffnen ſich die Schleuſen und die ätzende Bitterkeit ſchießt heraus, bis von dem Lobe nichts bleibt, als eine tödtende Wunde.

Das Thier im Menſchen zu bekämpfen, ſind wir auf dieſer Erde.

Meinen Sie, Herr Doctor! Ich meinte nur, die Klauen und die Stachel unter einer glatten Haut zu verbergen. Wer leben will, athmen, genießen, rief ſie mit einer heiſeren Stimme, die nur aus einer zerriſſenen Bruſt kommt, dem rathe ich nicht, die Waffen fortzuwerfen, die ihm die Natur gab.

58

Sie gab uns auch andre einen Schild, durch welchen die Stacheln nicht dringen.

Der Schild, den Sie meinen, heißt Reſigna¬ tion. Sind Sie in der That noch ſo unſchuldig, Herr van Aſten, oder, ich glaube doch nicht, daß Sie zu den concilianten Gemüthern ſich geſchlagen haben, die jeden Riß mit einer weißen Salbe heilen möch¬ ten. Nein, ich weiß es, auch Sie ſtemmen den Kopf gegen eine Mauer Machen Sie ſich doch nicht kleiner, als ſie ſein wollen, vor denen, welche Sie von einer beſſeren Seite kennen gelernt! ſprach ſie plötzlich aufſtehend. Sie war in einer Aufregung, die Walter an ihr neu war. Sie wollte das Zim¬ mer verlaſſen, aber es war ein Dämon in ihr, der ſie ſprechen ließ, was ſie nicht ſprechen wollte.

Das Leben iſt ein fortwährender Krieg Aller gegen Alle. Einfaltspinſel oder Betrüger, die von der Humanität faſeln. Die ſtillen, friedlichen Pflan¬ zen haben kein ander Naturgeſetz, als eine die andre niederzudrücken. Nur die entfernt ſtehen auf zwei Gipfeln, die den Saft der Erde, Thau und Licht des Himmels nicht zu theilen haben, mögen mit Liebe coquettiren. Das kann der Menſch nicht. Zwei, die auf zwei Gipfelhöhen ſtehen, beneiden ſich auch in der Entfernung; ſo fein hat die Natur es gefügt. Unterbrechen Sie mich nicht, mein Herr, ich ſtatuire gar keine Ausnahmen. Mann und Frau ſind doch wenig¬ ſtens eins, wollten Sie einwenden! Ja! bei den Ehen die im Himmel geſchloſſen werden. Nur ſchade, daß59 bei denen, die wir kennen, der Notar und der Geiſt¬ liche das Werkzeug waren. Wir leben auf dieſer Erde, mein Herr. Ihre dämoniſchen Säfte, ihr Athem zuckt in unſerm Blute, und ihr Princip iſt: tödten, in¬ dem wir nach Luft und Leben ringen. Ihre Rechts¬ gelehrten ſprechen ja wohl von dem Recht der Noth, wonach von zwei Schiffbrüchigen auf einem Brett der ſchlauere und ſtärkere den andern hinabſtoßen darf. Die Thoren nennen es einen Ausnahme¬ fall. Es iſt die Regel, das Naturgeſetz, danach leben Könige und Völker, es gilt allüberall, wo die heiße Sonne auf das blaſſe Elend ſcheint, und der blaſſe Mond ſpöttiſch über die Seufzer lächelt, die aus der heißen Bruſt zu ihm aufſteigen. Oder gehören Sie zu denen, die das Brett loslaſſen, und ſich von der Welle fortſpülen laſſen, damit die Creatur am an¬ dern Ende, der edle Nebenmenſch, gerettet wird?

Ich ward noch nicht in die Verſuchung geführt.

Wenigſtens ehrlich! lachte die Geheimräthin. Nein, nur halb ehrlich! Die kleinen Verſuchungen, wo Sie unterlagen, haben Sie aus Schonung gegen ſich ſelbſt vergeſſen. Sie zittern nur vor den gro¬ ßen, die noch kommen.

Ich will ſie abwarten.

Mit der Miene eines Stoikers. Aber ich ſehe, wie der unterdrückte Ehrgeiz, das getäuſchte Ver¬ trauen unter den Fältchen Ihrer Stirn kocht. Sie thun recht daran, Herr van Aſten, die Haut recht glatt zu ſpannen. Aber mich täuſchen Sie nicht, ſo60 wenig als ich Sie täuſchen will. Ja, ich bin im Kriege mit dieſer Welt um mich her. Wenn ich nicht ſchon ganz gemieden, ausgeſtoßen bin, o glauben Sie nicht, daß es aus Menſchenliebe, aus einem Reſt von Achtung vor meinen Eigenſchaften iſt. Die ge¬ ſellſchaftlichen Rückſichten drücken ihren Stachel auf den zurück, der ſie zuerſt bricht. Das iſt es allein. Darum kommt man noch in mein Haus, darum öff¬ nen ſich die Flügelthüren, wo ich erſcheine. Darum noch Händedrücke, plötzlich ſüße Mienen, wie ſauer es ihnen auch wird, ein Embraſſement! Ich gebe ja noch zu eſſen, ich habe einen Namen, mein Mann hat einen, meine Väter hatten einen. Andere führen eine glänzendere Tafel, haben höhere Titel, verſam¬ meln anmuthigere Geſellſchaft um ſich, aber die Thü¬ ren könnten ſich doch einmal ſchließen, man könnte hinausgeſtoßen werden, und dann bin ich gut genug als pis-aller. O die Menſchen ſind vorſichtige Re¬ chenmeiſter. Auch ſind Einige ſo gütig, zu meinen, daß ich Verſtand hätte, ſogar einen ſcharfen. Ich ſehe ihre Schwächen. Das iſt Vielen ſehr unange¬ nehm. Meine Zunge verwundet auch wohl; es iſt meine Natur. Das iſt vielen dieſer zartgeſchaffenen Seelen noch unangenehmer. Da ſie mich nicht von der Welt ſchaffen können, was ihnen das Liebſte wäre, verſuchen ſie, mit mir zu liebäugeln. Und das iſt das Geſcheiteſte. Wen man fürchtet und nicht ver¬ nichten kann, muß man ſtreicheln, bis die Gelegen¬ heit kommt, eine Fallgrube, in die man ihn hinter¬61 rücke ſtößt. Das iſt die Politik der Natur; Könige und Kammerdiener, Kluge und Dumme üben ſie, und es giebt, die meinen, daß die Welt nur durch ſie beſteht.

Wer hatte dieſe unglückliche Frau bis zu die¬ ſem Aeußerſten gereizt? So hatte ſie ſich nie ihm gezeigt. Sie ſchien ſeine Gedanken zu leſen:

Hat meine Aufwallung Sie erſchreckt? Beru¬ higen Sie ſich, mein Herr, ich werde auch wieder ruhig werden. Es iſt zuweilen Bedürfniß, ſich ge¬ gen Menſchen auszuſprechen, von denen wir glauben, daß ſie uns verſtehen.

Sie war ans Fenſter getreten, aber mit einem Umweg und Seitenblick auf den Spiegel, wie Walter, jetzt aufmerkſamer, bemerkte. Sie hatte das Fenſter geöffnet, um Luft zu ſchöpfen, aber ſie hatte mit dem Tuche raſch die Toilette ihrer Phyſiognomie gebeſſert. Als ſie ſich zu unſerm Bekannten umwandte, war das Geſicht ein anderes, die fieberhafte Aufregung war verſchwunden, die Augen ſtachen noch, aber glühten nicht mehr, es war der lauernde, ernſte Aus¬ druck, der in ihren Zügen feſſelte und abſtieß.

Ich gab mich Ihnen eben ganz wie ich bin, Sie konnten das geheimſte Fältchen in meiner Seele leſen. Ich überlaſſe Ihnen, davon Gebrauch zu ma¬ chen, wie Sie wollen, denn ich bin nicht ſo albern, zu glauben, daß ein Reſt von Dankbarkeit und Pietät Sie beſtimmen ſollte, mich zu ſchonen. Nein, be¬ urtheilen Sie mich, klagen Sie mich an vor der62 Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglück¬ licher Mann wird ſterben, den täuſchenden Troſt der Aerzte weiß ich zu würdigen er wird ſterben, und mich wird man anklagen. Man wird ſagen, ja, als es zum Aergſten kam, da ſchlug ihr das Gewiſ¬ ſen, da pflegte ſie ihn, da verließ ſie ihn nicht bei Tag und Nacht, da härmte ſie ſich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein iſt wider mich. Wer ſieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerriſſenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerriſſenen Schuldbücher nachzuſchla¬ gen. Das Glück meines Lebens koſtete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu ſpielen. Wenn ich nun aufſchrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward ſehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau ſchelten, die um ihren Mann ſich erſt kümmerte, als der Anſtand forderte, auf ſei¬ nem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein laſſen, mich kalt, gefühl - und herzlos zu ſchelten. Meine Trauer will ich in mich verſchließen, und eine ſtumme Bildſäule an ſei¬ nem Sarge ſtehen, damit ſie ein Räthſel mehr zu löſen finden. Jeder mag es nach ſeiner Art. Sie, Herr van Aſten, kennen mich nun, in einer unbe¬ wachten Stunde ſchloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. Nun ſuchen Sie ſich Com¬ pagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niedern,63 über mich herzufallen, mich zu zergliedern, verurthei¬ len. Ich bin auf Alles gefaßt.

Ich aber nicht darauf, daß Frau Geheimräthin Lupinus mich dazu fähig hält.

Fähig, das weiß ich nicht, ich kenne Sie nicht genug. Aber aus Klugheit dürfen Sie vielleicht nicht Compagnieſchaft halten. Die gemeinen Seelen müſſen, es iſt ihre Natur, Krieg führen gegen alles, was ſich über ihr Niveau erhebt. Und Sie ſind in dieſem Kriege. Bleiben Sie in der Defenſive, ſo ſind Sie verloren. Ich weiß es nicht, ſetzte ſie nach einer Weile hinzu, ich kümmere mich nicht darum, ob Sie den Muth haben, Ihren Feinden ins Lager zu dringen.

Unwillkürlich war Walters Blick auf ſeinen Arm in der Binde gefallen.

Sie haben den Chevaleresken geſpielt, Ihren Gegner am Leben gelaſſen. Verſpielt, Herr van Aſten! Wer ſeinen Gegner nicht vernichtet, hat ihn geſtärkt. Hätten Sie Rache genommen, wie die Be¬ leidigung es heiſchte, ja dann aber glauben Sie nicht, daß man Sie darum für einen Cavalier hält, weil Sie nach der Mondſcheinſchrift in dem ſchwarzen Buch der Cavalierehre gehandelt. Obſolete Dinge! Man zückt die Achſeln, ein Gelächter rieſelt, wenn die Junkerofficiere von der Affaire erzählen. Der Andre wird jetzt beklagt, Sie Sie, Walter, werden nicht gefürchtet. Und Sie könnten gefürchtet werden, es war in Ihre Hand gegeben. Es war die einzige64 Waffe für den Bürgerlichen, glauben Sie mir, ich kenne ſie ja, ſich Reſpect zu verſchaffen. Die warfen Sie aus der Hand. Was wollen Sie nun thun! Alles, was Ihre feine, ſcharfe Feder ſchreibt, kitzelt da keinem die Haut. Sie antichambriren umſonſt, Ihre Ideen bleiben Mondſcheinsgedanken, denn die Welt bleibt dieſelbe, Herr van Aſten. Nach jedem Erdbeben, wo einmal die Lohe des Geiſtes, aus der verſchloſſenen Tiefe berſtend, über die Thäler und Berge wirbelte und die Wolken erleuchtete, wo die Geknebelten Freiheit ſchrien und Recht, nach jedem ſolchen Rauſch kommen ſie wieder zur Beſinnung, es zieht ſich wieder die Rhinoceroshaut der Gewohnheit um das Pſeudotitanengeſchlecht, das den Himmel ſtürmen wollte, und die Menſchheitsbeglücker hat man noch immer nachher gekreuzigt und verbrannt, wenn man es nicht für bequemer hielt, ſie nur einzuſperren und auf dem Stroh verfaulen zu laſſen. Die Welt wird nicht anders.

Noch würde ich ſie geändert haben, wenn ich den Cornet in die jenſeitige geſchickt. Die Rache baut nicht Häuſer, ſie zerſtört nur. Wehe, wo es gilt, unſer zerrüttetes Gemeinweſen wieder heben, wenn die bisher Gedrückten nur daran denken, ſich an ihren Unterdrückern zu rächen, wenn nicht alles Perſönliche als weſenlos bei Seite bleibt, wenn die Retter nicht mit ernſtem, heiligem Willen an die That gehen.

Man hätte ein chamäleontiſches Mienenſpiel auf65 dem Geſicht der Geheimräthin bemerken können, das ſich endlich in ein feines ironiſches Lächeln um ihre Lippen auflöſte:

Sie haben die Prüfung gut beſtanden, Herr van Aſten; ganz wie ich erwartete. Hoffen wir Alle auf dem Wege der Geduld und Entſagung zu unſerm Recht zu kommen. Ich habe Geduld. Nicht wahr! Und ich habe entſagt ſogar dem Glück, verſtanden zu werden. Kann man mehr? Leben Sie wohl

Sie war gegangen, um an der Thür wieder ſtehen zu bleiben: Sahen Sie Adelheid ſeit Ihrem Ehrenhandel?

Sie hatte einen Rückfall, als ich nach meiner Geneſung anſprach.

Sie werden auch in dieſer Entſagung ſich einen Lorbeer erwerben können.

Wenn ich um den Sinn der Worte bitten darf?

Daß Adelheids Sinn, ſeit ſie bei der Fürſtin iſt, ſich geändert hat, brauche ich Ihnen doch nicht zu ſagen.

Die Fürſtin hat ſo wenig Macht, als irgend eine Frau auf Erden, Adelheids Sinn zu beugen.

Freilich, da ein Andrer ihn ſchon gebeugt hatte.

Ich werde mich ſelbſt zu beugen wiſſen vor dem Unabänderlichen, wenn es entſchieden iſt.

Eine ſeltſame Bezeichnung für den jungen Bovillard.

Bovillard!

IV. 566

Liebt, das heißt, er raſ't für ſie. Nun, das weiß jedes Kind Sie gewiß auch.

Bovillard!

Er iſt ja auch wohl Ihr Freund. Was thut das! Daß die Fürſtin ſie deshalb zu ſich genommen, daß es eine große Komödie in der Komödie war, iſt Stadtgeſpräch. Daß Adelheid ſeine Neigung erwie¬ dert und nur krank iſt, weil ſie es zu geſtehen ſich ſcheut, ſind öffentliche Geheimniſſe.

Walter hatte an ſeinen wunden Arm gefaßt, nur um mit der Hand irgend etwas zu faſſen. Der furcht¬ bare Schmerz erpreßte einen unterdrückten Schrei, er lehnte ſich erblaſſend an ein Möbel.

Nun, Sie werden heroiſch ſein. Wer wird Rache nehmen, wenn er beleidigt iſt! Und an einem Freund! Uebrigens glaube ich wirklich nicht, daß die Gargazin an Herrn von Bovillard ernſtlich denkt. Sie hat wohl andre Plane. Haben Sie nicht gehört, wann Kaiſer Alexander Berlin wieder be¬ ſucht?

Walter hatte nur die Hälfte gehört.

Er hatte, reſpectvoll vor ihr ſich neigend, für die gütigen Mittheilungen gedankt; der Kaiſer, wie er gehört, werde ein Bad in Aſien beſuchen. Es ſei bei der geſchwächten Geſundheit des erhabenen Monarchen wohl recht zu wünſchen. Unten an der Treppe faßte er wieder ſeinen Arm: Dies Weib! Dies Weib! Gießt ſie Gift oder Feuer in die Adern!

67

Die Lupinus lachte, als ſie allein war, häßlich auf: Der Wurm ſticht doch, wenn er getreten iſt, und der verwundete Elephant und Löwe erhebt ein Gebrüll, wovon der Wald erzittert, nur der Menſch prätendirt edel zu ſein, wenn er mit einem ſtummen Seufzer ſich zertreten läßt.

5 *
[68]

Fünftes Kapitel. Nur keine Lüge mehr!

Es war ein glänzender Geſellſchaftsabend im Palais der Fürſtin. Aber der Abendſtern, der heute glänzen ſollte, erſchien wie ein erlöſchendes Licht, wie eine ſchöne Statue in Mondſcheinbeleuchtung.

Es war etwas vorangegangen. Ein zu heißer Tag! ſagten die Herren.

Die Fürſtin lächelte ſanft.

Man wußte in den flüſternden Gruppen, wes¬ halb die Fürſtin die ſchöne Adelheid in ihrem Hauſe aufgenommen. Sie ſollte es decoriren, wie die ſchönen Bilder, Statuen und Raritäten an den Wänden es decorirten. Gerade wie die Lupinus vorhin ein ſol¬ ches Möbel für ihr Haus gebraucht. Dies hatten die ſcharfen Zungen ſchon längſt ausgeſprochen.

Auch mag ein Möbel, eine Ornamentur, die in einem Hauſe längſt ein abgenutzter, alltäglicher Ge¬ genſtand geworden, in einem andern durch geſchickte Verwendung wieder zu einem der Bewunderung werden.

69

Aber die Fürſtin arrangirte nichts, ſie ließ Alles gehen, wie es wollte. Das junge Mädchen war nicht wie eine Untergebene, nicht wie eine Tochter, man möchte ſagen auch nicht wie eine Freundin, ſondern wie eine Herrin aufgenommen, der ein Recht auf dieſes Haus und Alles darin zuſtand. Sie hatte ihre beſonderen Zimmer, Diener, ſie konnte Beſuche empfangen, ausfahren, wie ſie Luſt hatte. Sie erſchien oder blieb aus, wenn Geſellſchaft ſich verſammelte; die Fürſtin betrachtete es als Freundlichkeit, wenn ſie Theil nahm, und dankte ihr, jedoch mit der Bitte, es nie als ein Opfer zu betrachten, vielmehr ganz ihrem Penchant zu leben.

Die Königin Louiſe hatte wieder gelegentlich den Wunſch geäußert, die ſchöne Adelheid zu ſehen. Der Wunſch einer Königin iſt ſonſt Befehl. Aber als Adelheid die Augen niedergeſchlagen und geantwortet hatte: Was ſoll ich vor der hohen Frau! war die Fürſtin ihr mit der liebenswürdigſten Art um den Hals gefallen: Sie haben Recht, was ſollen Sie da! Warum ſich einen Zwang anthun. Solche hohe Per¬ ſonen werfen in der einen Stunde einen Wunſch hin, um ihn in der nächſten zu vergeſſen.

Gegen vertraute Freunde äußerte ſie: Wo die Sonnenblume wuchert, verkäme das Veilchen. Der Gärtner behandelt jede Pflanze nach ihrer Natur. Zwingt man ihr Licht, Erde, Wärme auf, die ihr fremd ſind, vergeht ſie oder ſchießt zu einer unnatür¬ lichen Baſtardart auf. Und eine Pflanze, die im70 Zimmer krank war, heilt man nur, wenn man ſie dem natürlichen Boden zurückgiebt. Es iſt an dem jungen Mädchen zu viel erzogen worden; das raſche, künſtliche Einimpfen von Wiſſenſchaft und Grundſätzen hat ihren natürlichen Entwickelungsgang geſtört. Dieſen muß man wieder herſtellen, indem man ſie ganz ſich ſelbſt überläßt

Und ihren Phantaſien hatte einer der Freunde geantwortet.

Es mußte im Ton ein Vorwurf liegen. We¬ nigſtens faßte die Gargazin es ſo auf, indem ſie nach einem Augenblick Nachdenkens entgegnete: Und warum nicht! Sehnen wir uns nicht Alle zuweilen in die Märchenwelt zurück, wo die Blumen ſprechen und die Wälder ſingen. Iſt denn die Unterhaltung am Theetiſch ſo feſſelnd, daß wir darum nicht begierig wären, die Stimmen der Vögel zu verſtehen! Wir können nicht mehr aus dem Gewühl der Geſellſchaft dahin zurück, warum es denen nicht erleichtern, die noch halb im Flügelkleide gehen! Die Phantaſie, ſich ſelbſt überlaſſen, ſchießt giftige Blüthen, will man behaupten. Wie macht denn die Biene den Honig? Keiner lehrt ſie, welche Blumen und Kräuter ſchäd¬ lich, welche den ſüßen Saft enthalten. Sie nippt den Thau, ſie nippt den Duft, ſie ſaugt am Buſen der Natur, der Menſch ſoll nicht Inſtinct haben, wollen ſie behaupten, weil der Schöpfer ihm einen beſſeren Mentor mitgab. Die arme Vernunft, und die noch ärmlichere Erziehungskunſt! Was präparirt71 ihm dieſe für Kreuz - und Querwege, welche philiſter¬ hafte Muſterkarte von eingepferchten Begriffen und Vorſtellungen, durch alle die das arme Kind ſyſte¬ matiſch hindurch ſoll auf den Weg zur Vervollkomm¬ nung. O geht mir damit, laßt es ſpringen, wie das Reh im Walde. Verirrt es ſich, wird es ſich wieder hinausfinden. Naſcht es von einer giftigen Frucht, legt es ſich unter einen Blüthenſtrauch ſchlafen, der tödtenden Dunſt aushaucht, ſo hat die Natur, die Bergluft, der klare Quell tauſend Mittel, das Gift zu paralyſiren. Sehn Sie das Bild, hatte ſie, auf eine Schilderei zeigend, geſprochen. Das Kind iſt am Abgrund eingeſchlafen, aber ſein Genius wacht neben ihm.

Könnte es aber nicht einmal ſein, Erlaucht, daß der Genius müde würde von dem ewigen Hände¬ aufhalten? hatte Lombard erwiedert. Was macht denn dann das arme Kind, wenn er einſchläft.

Es würde unzweifelhaft in den Abgrund ſtürzen, mein Herr Geheimrath, wo es indeß nicht ſo düſter und ſchreckhaft ſein muß, als der Maler angedeutet, denn ich weiß von ſehr geiſtvollen und liebenswür¬ digen Perſonen, die in dem finſtern Grunde wie zu Hauſe ſind. Das arme Kind

Würde ſich auch gefallen, wenn es einmal ge¬ fallen iſt, meine gnädigſte Frau?

Wenn ſein Engel erwacht iſt, wird er die Arme emporſtrecken, und aus den dunkeln Wolken da wird ein Vaterauge blicken, von ſo glänzender Huld, daß72 ſelbſt mein Herr von Lombard davon geblendet wäre, und eine lichte Wolke würde ſich herabſenken in den Grund, das Kind umſchließen, und es ſanft in die Lüfte heben.

Charmant, Erlaucht, ganz ſanft, hatte Lombard gerufen, ſanft und langſam, damit es doch noch ein bischen da unten ſich umſehn kann, und eine recreirende Erinnerung in die Wolken mitnimmt. Bon Dieu, wie grau hat der Maler ſie angelegt! Das ſind Wolken, die Regen träufen.

Thränen aus ſchönen Augen hatte die Fürſtin erwiedert.

Es war etwas vorangegangen vor dem Abend, von dem wir ſprechen wollten. Die Fürſtin war von ihrem Princip gewichen, ſie hatte Adelheid ge¬ nöthigt, mit der Baronin Eitelbach eine Spazierfahrt zu machen. Sie wollte die ſchöne Seele los ſein. Adelheid hatte ſie als Blitzableiter gebraucht, ohne zu bedenken, ob die elektriſchen Zuckungen des Ent¬ ſagungsfiebers nicht in den Blitzableiter ſelbſt über¬ gehen und ihn verderben könnten. Die Welt wäre vollkommen, wenn es keinen Egoismus gäbe, ſagen weiſe Leute. Andre meinen, es wäre darin nicht auszuhalten, wenn nicht bisweilen der Impuls der Selbſtſucht zerſtörend durch die Linien und Netze führe, mit denen uns die berechnende Weisheit zu Zahlen in einem großen Exempel machen will.

Es war ein ſchwüler Sommertag, aber es ruhte ſich ſo weich in den Polſtern des offenen,73 von engliſchen Federn geſchaukelten Wagens, und der ruſſiſche Kutſcher lenkte ſeine Pferde pfeilſchnell durch die ſchattenreichſten Gänge des Thiergartens. Eine Fahrt, recht geeignet, um ſeinen Träumen nachzuhängen; die Gedanken konnten ſpielen, wie die Schatten der Blätter auf den hellen Kleidern der ſchönen Damen, die, ſie wußten ſelbſt nicht recht warum, hier copulirt waren.

Die Baronin war eine herzensgute Seele; deſſen war ſie ſich jetzt ſelbſt bewußt, ſeit die Liebe ihr ein Bewußtſein gegeben. Sie hatte nie hinter dem Berge gehalten, als ſie noch nichts mitzutheilen hatte, nämlich aus ihrem innern Leben; ſeit hier ein Gedanke wogte, und andere erzeugte, die ſie für ihr unbeſtreitbares Eigenthum hielt, erſchien es ihr ſogar als Pflicht, von dieſen Gefühlen und Gedanken auszuſchütten. Je ſchwerer uns eine Errungenſchaft ward, um ſo höher taxiren wir ſie, um ſo mehr halten wir uns berechtigt, daß Andere Belehrung von uns empfangen müſſen. Es iſt nun einmal aller Autodidacten Art.

Adelheid war eine Kranke. Das war eine angenommene Sache, nur war man darüber uneinig, ob ihre Krankheit eine phyſiſche oder pſychiſche ſei. Die Roheren oder die Gleichgültigen ſagten: ſie ſei ſo ſchlecht von der Geheimräthin behandelt worden, oder ſie habe ſich doch ſo wenig mit ihr vertragen können, daß ſie fortlaufen mußte, und man habe es dann nachher ſo abgekartet, als hätte die Fürſtin74 ſie nur wegen des Nervenanfalls ins Haus genommen. Von dieſer erſchrecklichen Behandlung oder dem inneren Zwieſpalt ſei das arme Mädchen krank und ſchweige nur darüber aus Großmuth und Schonung gegen ihre frühere Wohlthäterin. Vermittelnde ſprachen für jene ſchon erwähnte Tradition, daß die Geheim¬ räthin ihr Verhältniß zu Walter van Aſten begün¬ ſtigt, daß ſie ungehalten geworden, weil Adelheid kalt gegen ihn geworden; das habe beide auseinander geriſſen. Aber krank konnte ſie doch darum nicht ſein; nicht aus Verdruß, daß ſie die Liebe einer Frau eingebüßt, welche ſie nie geliebt, noch Wohlthaten, welche ihr ſtets drückend geweſen. Genoß ſie doch jetzt die volle Liebe und Wohlthaten der liebens¬ würdigen Fürſtin in ganz anderm Maaße.

Alſo mußte eine andere Liebe ihrem kranken, unbeſchreiblichen Weſen zum Grunde liegen. Und hier war das Feld der Vermuthungen für die Feineren. Sie hatte dem ihre Neigung zugewandt, der ſie als Lehrer raſch und glücklich in ein höheres geiſtiges Leben geführt. Es war eine reine, uneingeſchränkte Neigung geblieben, welche ſie, von Bewunderung und Dankbarkeit erwärmt oder getäuſcht, für Liebe ge¬ halten, bis ein Anderer erſchien, für den ihr Herz anders ſchlug. Sie war krank geworden, wirklich körperlich leidend, unter Gefühlen, die ſie vergebens zu unterdrücken verſucht. Da war es mußte eine Kriſis eingetreten ſein, die mit einer äußern Begebenheit in Verbindung ſtand. Sie war75 in Folge derſelben in ein andres gaſtliches Haus übergebürgert. So weit war den Eingeweihten alles klar. Sie kannten auch den Namen des Zauberers, ihn ſelbſt. Hier aber ſchoß ein neues Räthſel auf, eine neue Sphynx lagerte ſich vor dem Porticus, der in die Salons der Fürſtin führte.

Louis Bovillard hatte Zutritt. Die Fürſtin, die um Alles wiſſen mußte, nahm ihn, wenn nicht mit Auszeichnung, doch mit zuvorkommender Theilnahme und Güte auf. Er, bis da ein wüſtes Genie, das man verloren gab, vermieden, wenn nicht gar aus¬ geſtoßen aus der Geſellſchaft, ward von ihr nicht nur zu den kleinen Cirkeln und Partien gezogen, ſie ſchien die Fahne über ihn ſchwenken zu wollen, wenn ſie die höchſten und ehrenwertheſten Perſonen in ihr Haus geladen hatte. Und er ging aufrecht und ſtolz umher, unbekümmert um die, welche ihn ſcheuten oder haßten; denen mit ironiſchem Mitleid ſich nähernd, welche vor ſeiner Berührung erſchraken. Bis auf eine feinere Toilette, eine gentilere Haltung ſchien er hier derſelbe Louis Bovillard, auf den man einſt auf der Straße mit Fingern zeigte; dieſelbe Nonchalance, der¬ ſelbe kauſtiſche Witz, mit bittern Sottiſen, mit einem beißenden und vernichtenden Urtheil, derſelbe Uebermuth und dieſelbe Rückſichtsloſigkeit gegen die, um welche die Geſellſchaft ſich ehrerbietig gruppirte.

Nur wenn Eine erſchien, war er ein Anderer. 76Sein Uebermuth war gebrochen, ſein Witz ſtockte, ſeine glühenden Augen hafteten auf ihr. Er konnte dem flüchtigen Beobachter, wenn er ſie dann wieder zu Boden ſinken ließ, wie ein verlegener, junger Menſch bedünken, der zum erſten Mal in eine Geſellſchaft tritt. Und doch war Louis Bovillard kein Räthſel.

Aber ſie, die Eine, welche dieſe Wirkung auf den tolldreiſten Wüſtling geübt! Liebte ſie ihn, ſie, die ſo ruhig und kalt ihm entgegentrat, wie jedem andern gleichgültigen Gaſt, ſeine Verbeugung mit leichter Grazie erwiedernd, um, nach wenigen ge¬ wechſelten Worten über Wärme und Kälte, Wetter und Wind, Anderen entgegen zu eilen! Wie war ſie da erfreut, ſchüttelte die Hände, embraſſirte die un¬ bedeutendſten und unangenehmen Damen wie nur theure Jugendfreundinnen. Nur daß ſie, plötzlich in Ge¬ danken verſunken, auf ihre Anſprache zerſtreut ant¬ wortete. Sie mußte nicht recht zugehört haben, ſie verwechſelte die Perſonen. Eine verzogene kleine Glücksprinzeſſin, hatte da wohl eine vornehme Dame geäußert, die auf ſpecielle Aufmerkſamkeit Anſpruch machte. Sie iſt wohl deſtinirt, immer die Intereſſante zu ſpielen, entgegnete eine andere. Sie iſt krank, und kränker, als wir denken, ſagte ein Arzt, der berühmte Doctor Marcus Herz, welcher ſie ſeit einiger Zeit aufmerkſam zu beobachten ſchien. Auf die Frage: was ihr fehle? entgegnete er: Was unſerm Staate fehlt, eine heftige Kriſis, damit die77 Krankheit herauskommt. Welche Krankheit? Die ſchwerſte, die, welche man vor ſich ſelbſt verbirgt.

Sie liebt ihn doch, ſagten die Empfindſamen, denn ſie war immer blaß. Das blühende Colorit war verſchwunden, die Roſenröthe, die ſie überhauchte, ging ſo ſchnell vorüber, als ſie plötzlich kam. Sie konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie eine Geiſtererſcheinung ausſehen. Klopfte man bei der Fürſtin vorſichtig an, ſo ſchien ſie überraſcht von der Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es ihr Princip ſei, ein ſo vom Himmel ſichtlich begün¬ ſtigtes Weſen ganz ſich ſelbſt zu überlaſſen. Schon die Beobachtung wirke ſtörend ein auf eine ſo eigen¬ thümlich conſtruirte Pſyche. Freilich konnte auch ſie dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verſchließen, aber ſie hatte ſchnell die Erklärung gefunden. Adel¬ heid war enthuſiaſtiſche Patriotin. Die Schmach des Vaterlandes drückte ihre Seele.

Und Adelheid beſtätigte es ja mit Wort und That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen könne! hatte ſie einmal ausgerufen, als verlautete, daß der Kaiſer der Franzoſen dem Geheimrath Bo¬ villard eine Auszeichnung durch ſeinen Geſandten zu¬ kommen laſſen. Jemand, der fein auf den Strauch klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬ villard theile nicht die Meinungen ſeines Vaters. Aber er ſchwärmt für Bonaparte's Größe! hatte ſie ruhig erwiedert und ſich abgewandt.

78

Alſo darum kann ſie ihn nicht leiden! hatte zu ſeinem Nachbar der Kammerherr von St. Real geſagt, welcher die Cirkel der Fürſtin zu frequentiren anfing, ſich aber noch beſcheiden im Hintergrunde hielt. Meinen Sie nicht auch, lieber Doctor Herz, daß unſre jungen Mädchen anfangen an Ueber¬ ſchwänglichkeit zu leiden?

Der Doctor hatte freundlich nickend ſeine Hand auf die Schulter des Kammerherrn gelegt: Wir ſind Alle zu Leiden geboren; der Unterſchied iſt nur, daß die Einen an zu vielen Mängeln, die Andern an zu vielen Vollkommenheiten leiden. Zum Exem¬ pel, die Einen ſind zu dumm und die Andern zu klug. Beide Krankheiten ſind darin ſich gleich, daß beide incurabel ſind. Ihre Differenz aber iſt, und darin werden Herr Kammerherr mir wieder Recht geben: wer überſchwänglich klug iſt, leidet nur für ſich, der überſchwänglich Dumme macht Andre leiden, denn ſie müſſen ihn anhören.

Auch die Baronin Eitelbach betrachtete Adelheid als eine Kranke; Adelheid litt an der Krankheit, in deren Ueberwindungsſtadium ſie ſich ſelbſt befand.

Liebe Seele, hatte ſie geſagt, ich kenne ja das. Sie ſind verliebt, und wollen ſich's nicht eingeſtehen.

Adelheid war aufgefahren: Sei es denn Zeit, um zu lieben, wo man nur haſſen müſſe! Sie hatte von der Ehre und der Noth des Vaterlandes geſpro¬ chen, warm, wie es aus dem Herzen kam, in ſolchen Augenblicken dürfe der Menſch nicht an ſich denken! 79Aber ſie erſchrak über ihre eigenen Worte. Es war eine Rede, geborgt aus einer anderen Stimmung, denn ſie hatte ja eben nicht an das Vaterland, ſie hatte nur an ſich gedacht: Wie ſie dort im kurzen Röckchen unter den Platanen geſpielt, unter den Brom¬ beerſträuchern Hütten gebaut, der kleine grüne Fleck hinter den verkümmerten Tannen war eine Wüſte geweſen, die für ſie kein Ende hatte. Das Wort Waldeinſamkeit war noch nicht Gemeingut, aber ſie hatte die Ahnung und den Begriff. Und dann durch dieſelbe Allee war ſie ſpäter gefahren, und wenn ſie an die forſchenden Blicke der Neugierigen dachte, die ſie jetzt erſt verſtand, ſchoß das Blut ihr zu Kopf! Aber auch die Obriſtin Malchen und ihre Nichten verſchwanden wieder wie neckende Spukgei¬ ſter hinter den Geſträuchen, in denen die Sonne ihr Gold ausſprenkelte. Wie oft war ſie an der Seite der Geheimräthin hier vorüber gerollt. Warum war dieſe Erinnerung ihr jetzt weit ſchreckhafter? War¬ um rückte ſie in die Ecke des Wagens, als ſcheue ſie vor der Berührung eines Geſpenſtes? Verdankte ſie ihr nicht viel, ſehr viel, ihr ganzes geiſtiges Daſein dem Umgang der klugen Frau, ihren Belehrun¬ gen? Ja, vielleicht war es das, was wie ein Froſt¬ fieber ihre Adern durchrieſelte. Sie war die che¬ miſche Säure geweſen, die aus der jungen Bruſt die Begeiſterung, aus dem Blut die Elaſticität geſogen, den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Sie wäre untergegangen, das fühlte ſie, in dieſer kalten,80 zerſetzenden Nähe, und etwas davon war in ihr ge¬ blieben, es beſchwerte ihr Blut, es trübte ihren Blick, der Egoismus des Verſtandes!

Und als dieſe wechſelvollen Schickſale wie die Stäubchen im Sonnenſtrahl vor ihrem inneren Auge wirbelten, hatte ſie ſich gefragt: warum das Schick¬ ſal ſo wunderbar mit ihr geſpielt? ſie ſchleudere aus einem Arm in den andern, Menſchen und Gewohn¬ heiten tauſchend, wie die Bilder aus einer Laterna Magica? Ob ſie eine beſondere Beſtimmung habe, indem ſie die Menſchen in ihrer Schlechtigkeit kennen¬ lernen ſollte? Eine entſetzliche Frage hatte in dem jungen Herzen angepocht: hat die Natur den Men¬ ſchen auf die Welt geſetzt zur Lüge, oder um nach der Wahrheit zu ringen? Die der Lüge lebten, einen andern Schein um ihr Sein woben, hatte ſie nicht beobachtet, daß grade dieſe vom Glück ange¬ ſtrahlt waren, geſucht, geſchätzt, anerkannt, ſelbſt von denen, welche ſie durch und durch erkannten! Die dagegen kein Aushängeſchild über ihr Weſen trugen, ihre Gedanken rein ausſprachen, grade auf ihr Ziel losgingen, wo hatten ſie es erreicht, wie wurden doch ihre Gedanken mißverſtanden, anders ausgelegt, höchſtens belohnt durch eine laue Anerkennung ihres redlichen Strebens. Aber hinzugeſetzt ward: ſchade, damit wird er nie durchdringen. Es hilft der Welt nichts was er thut. Was hatte Walter errungen? Der arme Walter! Und ſie! Sie hatte ihn getäuſcht, ſie täuſchte ihn noch immer fort, ſie81 täuſchte ſich ſie war in ein Labyrinth der Lüge gerathen. Und wo der Ausweg!

Als wolle ſie ihn ſuchen, hatte ſie in die Wipfel geblickt, deren Blätter im Abendwinde durcheinander¬ wogten, ohne daß ſie nur eins mit den Augen ver¬ folgen können. Da hatte die Baronin jene Worte an ſie gerichtet. Und wieder betraf ſie ſich auf einer Lüge. Sie mußte das Auge vor dem Blick der Eitelbach niederſchlagen. So hell und klar ſah dieſe ſie aus ihren großen blauen Augen an. Das aus¬ drucksloſe Geſicht gewann durch das Gepräge der Wahrheit einen Ausdruck, der für ſie in dem Moment überwältigend war.

Liebe Alltag, warum zieren Sie ſich denn vor mir, ſprach die Eitelbach mit dem gutmüthigſten Tone von der Welt. Der Bonaparte mag ein noch ſo böſer, und unſer König ein noch ſo guter Menſch ſein, jeder Menſch denkt doch an ſich zuerſt.

Jeder! ſagte Adelheid, um nur durch ein Wort ihrer gepreßten Bruſt Luft zu machen.

So iſt es ſchon. Ich laß mich auch gar nicht mehr irre machen. Krieg mag ſchon nöthig ſein auf der Welt, meinethalben; ich kenne ſie aber, die Herren Officiere, alle, und da iſt keiner, der nicht an ſein Avancement denkt, wenn er ſich in den Kragen wirft und grunzt, daß man glaubt, die Seele ſollte ihm ausgehn, von des Königs Rock und Friedrichs Ehre, und wenn er dann auf den Hacken Kehrt macht und eine Miene ſich geben will Na, habeIV. 682Dich nur nicht, denke ich. Grade wie mein Mann. Wenn der ſpuckt und über den Frieden lamentirt und ſagt: Daran gehen wir zu Grunde! dann weiß ich auch, was die Glocke geſchlagen hat. Wenn er die Mantellieferung gekriegt, dann wären wir nicht zu Grunde gegangen und es könnte Friede werden in alle Ewigkeit. So ſind die Männer. Sie denken nur an ſich.

Nicht alle.

Nein, Einer nicht. Aber ſonſt! Ja, wenn das Andre draußen mit ihren Wünſchen zuſammenpaßt, dann ſind ſie lichterloh. Das weiß dann zu parli¬ ren und encouragirt ſich, bis ſie's am Ende ſelbſt glauben, daß es darum iſt. Es amüſirt mich, wenn ich ſie ſo höre ſich warm reden; aber mich täuſchen ſie nicht mehr, auch die Klügſten nicht. Ich denke: ſprecht Ihr nur, ich weiß doch, was dahinterſteckt.

Täuſchen die Männer nur? Belügen wir uns niemals ?

Die Baronin ſchien nachzuſinnen: Nein, liebe Seele, Engel ſind wir auch nicht immer. Wenn mein Mann Feuer ſchlägt, mancher Schwamm will gar nicht zünden, aber der andre fängt im Augen¬ blick. Der iſt weicher, ſagt er. So ſind wir Frauen, habe ich da gedacht. Wenn ein Funke vom Him¬ mel fiele, bei den Männern hat es gute Weile, aber wir

Lodern raſcher auf. Iſt das aber gut?

Was vom Himmel kommt, iſt doch gut. Die83 Leute ſagen nun, Sie könnten den Louis Bovillard nicht ausſtehen, weil er den Napoleon einen großen Mann nennt und Gott weiß was. Die Leute ſind nicht geſcheit. Er thut es nur, um ſie zu necken und Sie auch. Und wiſſen Sie, warum Sie ihm immer den Rücken kehren? Damit er ſich nicht einbilden ſoll, daß Sie ihm gut wären. Und warum Sie im¬ mer ſo in Extaſe ſprechen, wie Sie die Franzoſen haſſen? Nur damit die Andern nichts merken ſollen, wie Sie verliebt ſind.

Frau Baronin!

Mir machen Sie nichts weiß. Sie ſind's bis über die Ohren, und wenn er ſelbſt ein leibhaftiger Franzoſe wäre, ſchadet nichts. Und wenn er dem Bonaparte ſein General, oder gar ſein Spion wäre, da würde Ihr Franzoſenhaß ſo klein, ach, mit dem Theelöffel könnten Sie ihn runter ſchlucken.

Adelheids erſtaunter Blick ſagte: Wie kamſt Du dazu?

Auch dieſe ſtumme Sprache verſtand die Erleuch¬ tete: Und ich weiß auch wohl nicht, was Sie jetzt denken? Daß die blinde Henne auch mal ein Korn gefunden hat. Denken Sie's immer zu, ich nehm's Ihnen gar nicht übel. Als ob ich nicht wüßte, daß die Andern auch ſo denken! Das genirt mich aber gar nicht. Haben ſie doch gedacht, ſie könnten mir Männchen vormachen und mit mir Blindekuh ſpielen in Ewigkeit. Eine Weile geht's, aber dann fällt die Binde doch runter. Jetzt ſollen ſie's aber6*84nicht mehr, da gebe ich Ihnen mein Wort. Allzu¬ ſcharf macht ſchartig, und hinterm Berge wohnen auch Leute, ſagte meine Mutter. Aber warum wickeln Sie ſich ſo in Ihr Shawl? Zu ſchämen brauchen Sie ſich doch nicht, und vor mir am wenigſten, denn ich ſage es Jedem grad heraus: Ich liebe und bin glücklich.

Und Sie haben doch entſagt! Das Verhält¬ niß der Baronin war zum öffentlichen Geheimniß geworden.

Und nun bin ich grade erſt glücklich. Ich weiß er liebt mich, und er weiß, ich liebe ihn, und es geht nun einmal nicht.

Iſt das ein Glück?

Muß man denn ſich immer ins Auge ſehen, die Lippen öffnen und die Hand drücken, um ſich zu ſagen, daß man ſich liebt! Wenn wir noch ſo weit getrennt ſind, ſehen wir nicht beide da den Abend¬ ſtern aufgehen? Brauchen wir uns Briefe zu ſchrei¬ ben, um uns zu ſagen, daß wir uns nie vergeſſen werden? Ja, ehedem dachte ich wohl, ohne Roſabil¬ lets auf duftendem Papiere, und ſchöne Präſente ginge es nicht. Ach, wie iſt das alles ganz anders! Dieſe Blicke aus ſeinen treuen, guten, ſchönen Augen wer¬ den immer vor mir ſtehen, wie die Sterne am Him¬ melsbogen. Und iſt das kein Glück, daß ich über¬ zeugt bin, auch er ſieht mich, wie ich ihn ſehe! Auch er wird von falſchen Zungen umſchwirrt, die mich wie ihn verreden. Aber auch er weiſt ſie zurück! Nein,85 je weiter Zeit und Ort uns entfernen, um ſo inni¬ ger wird unſer Bund, denn er iſt unauflöslich. Und Adelheidchen, ſo könnten Sie auch fortlieben und glücklich ſein

Und lügen lügen in Ewigkeit! brach es aus der gepreßten Bruſt. Es war unwillkürlich; die Eitelbach wollte ſie nicht zur Vertrauten ihrer Gefühle machen.

Entſagen, Liebe, iſt das lügen! Der Beſitz tödtet die Freude des Verlangens, hat mir Jemand ins Stammbuch geſchrieben. Würde ich ihn lieben, wie jetzt, wenn er vor acht Jahren Nun ja, wäre er mein Mann, dann würden wir uns vielleicht recht gut ſein, aber hätten ſich unſre Seelen kennen ge¬ lernt! Die gemeinſchaftliche Menage, ſagt der Le¬ gationsrath, das tägliche Beieinander ſtumpft die fei¬ neren, ſinnigen Gefühlsfäden ab, nur Verlangen und Entbehrung weckt die edleren Seelenkräfte. Er will's mir auch ins Buch ſchreiben. Er braucht es nicht, ich fühle es, ich weiß es. Ich ward eine an¬ dere, mein Mann ſagt, er kennt mich nicht wieder. Nun bin ich erſt froh, ich weiß warum, ich lebe. Wir nicken uns durch die Lüfte einen guten Morgen zu. Wenn ich ausfahre, freue ich mich der friſchen Luft; auch ihn kühlt ſie ja, wenn er über die Haide ſprengt. Abends ſchüttelt er treuherzig den Kopf und ruft mir Gute Nacht! zu.

Adelheid faßte krampfhaft den Arm ihrer Be¬ gleiterin: Soll das Ihr Leben dauern?

86

Herr Gott, wie Sie zittern! Warum denn nicht.

Weil allmächtiger Gott, ich glaube, der Verſucher rauſcht in den alten Eichen! Nennen Sie das entſagen?

Wie denn ſonſt! Der Verſucher, das weiß ich wohl, mit dem hat die Fürſtin es zu thun, er vergiftet das Blut, ſagt ſie, und der ſündhafte Gedanke zehrt an der Seele, ein kleiner Fehltritt ſei nichts gegen eine große Gedankenſünde. Ach, die gute Gargazin iſt eine Ruſſin, ſie kennt die Liebe nicht, die ſich Alles verſagt, und nur für den Geliebten ſorgt. So, liebe Seele, würden Sie lieben. Wenn Sie den Herrn van Aſten heirathen müſſen, weil er Ihr Wort hat, thun Sie's, und er wird gewiß ein guter Ehemann werden, beſſer als meiner. Aber dann, wenn Sie Ihre Pflicht gethan, wer darf Sie von Ihrem Bo¬ villard trennen, o dann werden Sie ſelig, unaus¬ ſprechlich ſelig werden.

Adelheid fühlte einen Schwindel, es ſchwankte und drehte ſich und ihr war, als müſſe ſie aus dem Wagen ſpringen. Es war aber mehr als eine Empfin¬ dung der aufgeregten Stimmung. Der Kutſcher, wie ſich nachher ergab, betrunken, hatte den Wagen aus der Seitenallee in die Chauſſee umgelenkt, ohne den Charlottenburger Milchkarren, der leer aber lang¬ ſam ihm entgegenfuhr, zu bemerken. Die Fuhrwerke waren an einander geſtoßen, freilich zum größern Schaden des Karrens, der zerbrochen am Boden lag,87 die Blechgefäße polterten auf die Straße, aber auch die Equipage hatte ſich übergelehnt, und Adelheid war jetzt zu dem gezwungen, wozu vorhin innere Angſt ſie drängte.

Als die Baronin noch um Hülfe ſchrie, hatte ſie, raſch entſchloſſen, ſich ſchon danach umgeſehen, und ſie war zur Hand. Zwei einſame Spaziergänger waren von den entgegengeſetzten Seiten des Weges auf den Lärm herangeeilt. Adelheid riß ihr Shawl von den Schultern, und warf es dem ihr Nächſt¬ ſtehenden zu. Als er aber die Arme ausbreitete, um ihr herabzuhelfen, fuhr auch ihr ein Schrei über die Lippen, kein lauter in dem allgemeinen Toben und Fluchen, aber laut genug, daß er zweien durchs Herz fuhr, der, welche ihn ausgeſtoßen, und dem, welcher ihr die Arme entgegenſtreckte. Walter van Aſten ſah, wie Adelheid ſich von ihm abwandte und umſchlungen vom Arm des Rittmeiſters Stier von Dohleneck aus ihrer gefährlichen Lage gehoben ward. Er hatte genug geſehen. Auch die Baronin durchzückte ein Ton, der nur halb über ihre Lippen kam. Sie nahm die Hülfe des jungen Mannes dankbar an: Ich danke Ihnen, ſagte ſie, ihr Haar in Ordnung bringend, daß gerade Sie es ſind.

Wir laſſen unſere Leſer auf der dunkelnden Charlottenburger Chauſſee nicht länger verweilen; was geht uns der Lärm, das wüſte Gezänk an zwi¬ ſchen Kutſcher, Milchmann, den umſtehenden Schieds¬ richtern und Helfern. Ein Rad war gebrochen, in88 der Equipage konnten die Damen nicht mehr nach Hauſe fahren. Ihre Retter führten die Erſchreckten langſam, bis eine leere Kutſche ihnen begegnete.

Adelheid wußte nachher nicht, was der Rittmeiſter mit ihr geſprochen, ſie wußte ſelbſt nicht, ob es der ihr wohlbekannte Rittmeiſter geweſen, an deſſen Arm ſie ging. Sie wußte nichts von ſich auf dem viertel¬ ſtündigen Wege. Erſt als man ſie in den andern Wagen hob, fühlte ſie einen Händedruck. Walters Stimme flüſterte feſt, aber nicht rauh und kalt: Zum Abſchied, Adelheid! Nun biſt Du frei.

Die Damen hielten ein gegenſeitiges Schweigen für die beſte Unterhaltung auf dem Rückwege. Adel¬ heid hatte ſich feſt in ihr Shawl geſchlungen, obgleich es eine laue italieniſche Nacht war und die Baronin ihr Tuch abwarf, um ſich nicht zu echauffiren. Das junge Mädchen mußte frieren, ihre Zähne klappten, und es waren wohl Phantaſieen, wenn die Baronin oft die Worte hörte: Nur keine Lüge mehr!

[89]

Sechstes Kapitel. Die Wolluſt der Märtyrer.

Das war dem glänzenden Geſellſchaftsabend vorangegangen.

Es war noch etwas Anderes vorangegangen im Souterrain des Hauſes.

Wer die liebenswürdige Wirthin ſah, wie ſie mit mädchenhafter Grazie den Gäſten entgegeneilte, und über das unerwartete Erſcheinen von dem und jenem faſt kindlich erfreut ſchien, konnte an der Wahrhaftigkeit ihrer Empfindungen zweifeln! Wenn ſie es auch nicht ſo meint, iſt es doch angenehm, daß ſie es ſo zeigt! Aber er konnte nicht ahnen, wie dieſe Augen, aus denen Wohlwollen und Güte blitzten, vor einer Stunde auf ein anderes Schau¬ ſpiel, ich ſage nicht lächelnd geblickt, aber theilnahmlos, ſtier. Auch das paßte nicht, vielleicht mit der Wolluſt eines geſättigten Raubthiers, das ſeines Opfers Blut fließen ſieht.

Der Kutſcher hatte es allerdings verdient. Mit einer milderen Züchtigung wegen des erſten Unfalls90 auf der Potsdamer Chauſſee davon gekommen, rief ſein Ungeſchick heute auf der Charlottenburger die exemplariſche Strafe hervor, welche der Haus¬ hofmeiſter ihm dictirt. Auf Ordnung muß ein Herr und eine Herrin im Hauſe halten. Es war die Ordnung, daß der dienſtvergeſſene Leibeigne von zweien andern eine Lection empfing, deren Maaß nur unſere Begriffe und die Kraft unſrer Nerven überſteigt. Auch daß die Herrin zugegen war, um nach Handhabung der Ordnung zu ſehen, verſtieß nicht abſolut gegen die Sitte. Nur daß ſie, mit ver¬ ſchränkten Armen an der Kellerthür ſtehend, ſo lange zuſehen konnte, ohne mit den Augenwimpern zu zücken, ohne auf die Wehlaute des Zerfleiſchten ein Halt zu rufen, daß um ihre Lippen ein eigenthüm¬ liches Lächeln ſchweben konnte, während ein ſelt¬ ſamer Glanz in ihren Augen leuchtete und ihre Stirn wie vor Freude ſich röthete, das mußte einen be¬ ſondern Grund haben.

Es hatte auch einen. In Gedanken verſunken, in Phantaſieen, die ſie intereſſiren mußten, ſchien ſie eigentlich, was geſchah, vergeſſen zu haben. Sie hatte auch den fragenden Blick des Kochs aus der Ukraine überſehen, der einen Augenblick inne hielt, in der Meinung, es ſei genug. Ein Sklave darf keine Meinung haben; als ſie nicht gewinkt, fuhr er mit dem Stallknecht in der Arbeit fort. Die Herrin hatte es zu verantworten; er und der Kalmück waren nur die Werkzeuge, vielleicht die willigen. 91Der Zoll von Herrendienſt, den ſie dem Kutſcher abentrichteten, war gewiß nur eine Vergeltung für viele ähnliche, die jener bei andrer Gelegenheit ihnen geleiſtet.

Es hätte ſchlimmer werden können, wenn nicht der franzöſiſche Kammerdiener der Fürſtin zugeflü¬ ſtert: Madame la princesse, je crains que les cris de la bête ne pénètrent pas oreilles de Made¬ moiselle Alltag. Elle fait sa toilette tout près de l'es¬

Da war die Fürſtin aus ihren Träumen erweckt worden. Etwas unangenehm, ſchien es. Die Alltag durfte nichts hören. Sie hatte den Executoren raſch gewinkt, inne zu halten; ſie wollte ungehalten ſein, daß man ſie nicht früher aufmerkſam gemacht, aber ſie ſagte, der Anblick ſei rebutant. Sie hatte etwas von pauvre homme hingeworfen, und Anweiſung gegeben, ihn gut zu pflegen, damit er bald wieder ſeinen Dienſt verrichten könne.

Und ſie hatte noch eine unangenehme Ueber¬ raſchung gehabt. Der Kammerdiener hatte ihr auch etwas vom Herrn Legationsrath zugeflüſtert, was ſie damals überhört. Oben fand ſie ihn in einer An¬ wandlung von Ohnmacht auf dem Kanapé.

Poſſen! oder was iſt das? fragte ſie ver¬ wundert, als er ſich durch die Tropfen erholt, die ſie aus ihrem Flacon geſprengt, und er ſelbſt ein Fläſchchen entkorkte, um durch das Einathmen wieder zum vollen Gebrauch der Sinne zu kommen.

92

Ich kann kein Blut ſehen, ſagte er. Sie wiſſen es.

Starker Mann!

Stärkere leiden an Idioſynkraſieen.

Wer ſeinen Freund zum Rendezvous auf zwei Kugelmündungen ladet! Es blieb zweifelhaft, ob die Bemerkung ironiſch gemeint war, ihr Blick verrieth es nicht. Ihre Gedanken waren noch an¬ derswo.

Die Kugel bringt den Tod, dem Andern oder mir. Ich fürchte weder dieſe Frage zwiſchen Sein und Nichtſein, noch das Eingehn in das Nichtſein. Aber das Blut iſt eine unvertilgbare Eſſenz, ſprach er ſchaudernd, und ſprang auf. Ich kann nicht dafür, daß meine Natur ſo iſt, noch begreife ichs, warum die ewig gebährende Mutter dieſe Anomalie in ihrem großen Schöpfungswerk zuließ. Ich wiſche alle Tinten, Farben ſpurlos aus, aber warum wider¬ ſteht dieſer häßliche rothe Saft, warum wird er ſo oft zum Verräther

Weil der Himmel das warme Blut in unſere Adern goß, rief die Gargazin, als den köſtlichen Saft, in dem wir uns berauſchend einen Vorſchmack ſeiner Seligkeiten trinken mögen. Das begreifen Sie freilich nicht, Mann von Marmor.

Den Rauſch begreif ich, Erlauchte Frau, auch den Rauſch in Blut. Aber nicht, verzeihen Sie, wenn es durch Geißelhiebe aus dem Rücken einer elenden Creatur gepeitſcht wird. Alles,93 was man ohne Zweck thut, iſt meiner Natur ent¬ gegen.

Der Zweck! Curios! Fragen Sie meinen Haushofmeiſter. Der Menſch hat es verdient.

Daß Sie ſich ſelbſt ſtrafen, und Ihren beſten Kutſcher zerſchlagen laſſen, damit er ſechs Wochen nicht auf dem Bock ſitzen kann, wenn je wieder?

Ich war in einer animoſen Laune. Wer wider¬ ſteht einem Impuls?

Darum war ich um meine Erlauchte Freundin beſorgt, denn der Exceß in der Beſtrafung könnte in dieſem Staate unangenehme Folgen haben.

Die ſich redreſſiren laſſen.

Gewiß, es bleibt indeß immer ſehr unan¬ genehm, wenn man ſeine Kräfte zum Redreſſiren von Vergangenem verwenden muß. Die Meinung, das Publikum übt eine Macht, die wir durch den Widerſtand nur intenſiv ſtärker machen. Wenn es hieße, die Fürſtin Gargazin hat ihren Leibkutſcher zu Tode prügeln laſſen, ſo würde man die Gerichte wohl zum Schweigen bringen, weil Sie die Fürſtin Gargazin ſind, auch für die Oeffentlichkeit würde die Wiſſenſchaft Atteſte bereit haben, daß der Kutſcher an einem organiſchen Fehler geſtorben iſt, aber das Todesröcheln des Zerfleiſchten möchte doch etwas Leichengeruch in den harmoniſchen Duft hauchen, den der Liebreiz einer Natalie Gargazin um ſich gezaubert.

Sie ſchwieg, aber ihre Lippen ſchwellten ſich94 unmerklich zu einem ſüßen Lächeln. Von dem Ge¬ ſprochenen hatte ſie wohl nur einen Theil gehört. Mit wieder auf der Bruſt verſchlungenen Armen, wie vorhin, ſprach ſie: Sie ſahen den Tod und ich das Leben, Sie das Entſetzen und ich ich, was kann ich dafür, daß ich anderer Natur bin, Herr von Wandel! Pawlowitſch wird nicht ſterben, dieſe Ge¬ ſchöpfe haben eine andre Natur. Sie kennen das nicht. Er iſt mein treuſter Diener. Meinen Sie, daß er mich weniger lieben wird, weil ich ihn züch¬ tigen ließ? Wenn er geneſen iſt, verſichere ich Sie, wird er mit verdoppelter Devotion ſich auf die Erde werfen, meinen Rockſaum küſſen und bei ſeinem Hei¬ ligen für mich beten. Und ich, ich theile dieſe Ge¬ fühle der Anhänglichkeit für das Geſchöpf. Ich em¬ pfand die Geißelſchläge mit. Lachen Sie nur! Das verſtehen Sie eben nicht. Sie können auch bei der Abbildung eines Martyriums lachen, oder wen¬ den dem ſchönſten Bilde aus Ekel den Rücken. Mich ergreift immer eine unbeſchreibliche Wonne bei dieſen Qualen, mein Blut wallt, mein Körper empfindet ſie mit; dieſes ſprützende Blut, ich ſehe es ſchon in Roſen und Lilien verwandelt, dieſe Röthe des äußer¬ ſten Schmerzes auf den Wangen, der Todesſchweiß, die verzückten Augen, die krampfhaften Verrenkun¬ gen, mir werden es lauter Schönheitslinien, und wo Sie Zerriſſenheit und Untergang ſehen, durchſchauert mich ſchon Harmonie und Vollendung.

Das heißt ein Läuterungsprozeß in procura95 geführt, ſagte der Legationsrath, oder er dachte es vielleicht nur, denn die Fürſtin, in ſich verſunken, ſchien auf ſeine Erwiederung kaum zu achten. Wenn man nur dem Geſchöpf dieſe Ueberzeugung auch ein¬ impfen könnte, ſo würden ſeine Schauer, die, wie ich glaube, gemeinerer Art ſind, ſich gewiß auch in eine wollüſtige Empfindung auflöſen.

Sie würden es! rief die Fürſtin. Wer ſagt Ihnen, daß ſie es nicht ſchon ſind! Er leidet für ſeine Herrin, die er anbetet, er leidet durch ihren Willen, und er kennt kein höher Geſetz. Dieſe Leib¬ eigenen ſind glücklicher als wir, mein Herr Legations¬ rath von Wandel. Wie das Animal, die Pflanze, ſtehen ſie dem Urſprünglichen näher. Und wir rin¬ gen unſer Leben durch vergebens nach dem Paradie¬ ſeszuſtande zurück, in dem ſie exiſtiren. Wie die Lilie auf dem Felde, wie der Vogel im Buſch, freuen ſie ſich der Sonne, die ſie beſcheint, ſie legen ihr Haupt nieder auf den grünen Raſen unter ſeinem Himmel, oder auf die Bank, die man ihnen am Ofen gebaut. Sie denken nicht, ſie ſorgen nicht auf den andern Tag; Speiſe und Trank ihnen ſchaffen, iſt unſere Aufgabe. Sie kennen unſre Pein und unſre Qua¬ len nicht, unſre Zerrüttung und Zerriſſenheit ſteht ihnen fern. Sie würden ſie ſo wenig begreifen als der Herr von Wandel, warum der Erlöſer für uns gelitten hat, warum in Natur und Welt es ſo gefügt iſt, daß immer ein Anderer für den Schuldigen lei¬ det, daß es Sündenböcke gab im alten Teſtament,96 Märtyrer und Heilige, die den Ueberſchuß ihrer gu¬ ten Werke uns als Erbe ließen. Dieſe Sklaven ſingen und lachen, während wir, die Erwählten, die tauſend Nadel - und Dolchſtiche empfinden, die Welt und Verhältniſſe täglich in unſer Herz drücken, und wir müſſen dazu ein lächelnd Geſicht machen, auch wenn wir in krampfhafter Pein vergehen möchten. Was iſt das bischen Noth dagegen, das unſre Laune ihnen bereitet; die ſchöpferiſche Laune, die heute quält und morgen dafür entzückt.

Warum ſtehen Sie in Gedanken verloren? hub ſie nach einer Pauſe wieder an; ihre Verzückung, wie es ſchien, hatte ſich gelöſt. Sie ließ die Arme ſinken, und ſah ihn faſt mitleidig an. Sie armer Mann, was ich Sie bedaure in dem hochmüthigen Mitleid, was Sie in dem Augenblick über die Schwärmerin empfinden mögen.

Ich bedauerte nur erwiederte er, daß die Gott¬ heit, die wir uns als männliches Weſen denken, kein Weib iſt. Wie viel ſchöner würde ihre Welt ſein.

Ihr Spott kann mich nicht mehr beleidigen. Sie thun mir ſo unendlich weh, weil jede Entzückung Ihnen verſagt iſt. Aber ich appellire an Ihren Ver¬ ſtand. Womit wollen Sie die Welt zuſammenhal¬ ten? Dieſe Maſſe, dieſen Pöbel, das Chaos von kriechendem Gewürm, das fliegen möchte und nicht aufrecht gehn kann! Wer ſoll ſie bändigen, feſſeln, wenn keine eherne Fauſt, umſpielt von ſüßen Him¬ melslichtern, da iſt, keine beſeligende Illuſion; dieſe97 gemeinen, rohen, ſelbſtiſchen Creaturen, die aus Hab¬ ſucht Einer auf den Andern ſtürzen, ſich zerreißen, verzehren möchten. Sie kratzen ſich die Augen aus, damit der Bruder nicht ſchärfer ſieht, ſie verſchlingen die Vorrathskammern, die ihren eignen Winter ſichern ſollten, damit die Mitmenſchen nicht im Vollen leben. Täuſcht Sie der Popanz Humanität, den die After¬ weiſen an ihren papiernen Geſetzeshimmel malen, und Jeder ſtellt dem Andern ein Bein, und Gift auf der Zunge, Erbſchleichern, Betrug, Raub, Bruder¬ mord lauert unter der Lämmermaske dieſer Alltags¬ geſichter.

Der Popanz täuſcht mich nicht, Prinzeſſin, ſagte Wandel. Mich täuſcht überhaupt nichts. Ja, könnten wir ſie alle wieder als eine Horde Leibeigene ein¬ pferchen in die dumpfen Ställe alter Gewohnheiten, Schade nur, daß es auch eine Illuſion iſt, und wenn die Prieſter würden ſich untereinander auch auffreſſen.

Hoffen Sie noch auf die Vernunft , fuhr die Fürſtin fort, die ihn wieder nur halb gehört. Die Göttin, die ſie in Frankreich auf die Altäre hoben, hat doch zu aller Welt geſchrieen: ſeht, wie albern und ohnmächtig ich bin!‘ Oder hoffen Sie's mit dem Geiſt, der wie ein Blitz aus dem Himmel in das Gewürm wetterleuchtet. Wie oft fuhr er nieder in dieſem Deutſchland, in Philoſophen und Geſetzgeber, in verſtockte Mönche, Stubengelehrte und Fürſten auf dem Thron. Was hat er gezündet, gewärmt und gefruchtet! IV. 798Die dumpfen Ställe der alten Gewohnheit hat er in Brand geſteckt, aber die Unglücklichen, daraus Ver¬ triebenen, wo fanden ſie ein anderes, helleres, wär¬ meres Obdach! Feuersbrünſte hat er angefacht, Wäl¬ der und Haiden verzehrt, aber wo nur eine Fackel angezündet, die in der Nacht leuchtet, welche immer darauf wieder eintrat. Da lobpſalmen die alten Wei¬ berſtimmen in den nüchternen Kirchen den Herrn, daß er die Gräuel des Aberglaubens und der Finſterniß verſcheucht hat, aber wo blieb ihr Licht, das ihnen leuchtete, durch den finſterſten Wald des Zweifels ihnen den Weg zeigte, wo ihr Haus, das die Müden und Beladenen aufnahm, wo das Geläut der Him¬ melsglocken, die ſie mit Engelszungen in Schlaf ein¬ lullten, wo der Schlafpelz, die weiche Bärenhaut, in die ſie ſich hüllten, und alle Sorgen waren ver¬ geſſen! Wo in aller Welt können dieſe Verirrten, Heimathloſen, anklopfen in ihren Aengſten, ihrer Zerriſſenheit, um den Troſt zu finden, den nur die Gewißheit giebt! Was hilfts ihnen, wenn ſie ſich von des Teufels Krallen gepackt fühlen, und der gelehrte Herr mit den Päffchen ſetzt die Pfeife fort, um vor¬ nehm herablaſſend der armen Creatur mit rationa¬ liſtiſcher Saalbaderei zu demonſtriren, daß der Teufel wahrſcheinlich nicht exiſtirt. Um etwas Gewiſſes, Feſtes, Sicheres ſchreien ſie, und er ſetzt ihnen eine Schüſſel Schlangeneier vor, aus denen, ſtatt eines, tauſend Zweifel ſchlüpfen!

Diesmal war es der Legationsrath, welcher nicht99 Acht gegeben. Er hatte mit ſeinen Augen einen Punkt fixirt, und packte plötzlich den Arm der Fürſtin am Handgelenk:

Ein Blutfleck!

Der Aermel ihres Mouſſelinekleides trug unver¬ kennbar die Spuren eines darauf geſprützten Tropfens.

Ich habe es wirklich nicht geſehen.

Aber Andere werden es ſehen. Um des Him¬ mels willen wechſeln Sie das Kleid, ehe es Jemand bemerkt. Adelheid

Intereſſiren Sie ſich ſo für das Mädchen? ſprach die Fürſtin, der die Unterbrechung nicht uner¬ wünſcht zu kommen ſchien, indem ſie den befleckten Aermel mit den Fingern prüfte. Es war ein eigner Ton, in dem ſie fragte, der baare Gegenſatz zu dem Affecte, in welchem das Vorige geſprochen war.

Nicht im geringſten. Ich intereſſire mich für den Gegenſtand, der Ihr Intereſſe erregt hat. Da ich Ihre Abſichten ahne, muß ich wünſchen, daß jeder Nebelfleck, der Ihren Anblick vor den Augen der Unſchuld trüben dürfte, entfernt würde.

Sie ſah ihn ſcharf an: Sie ſind die Unintereſſirt¬ heit ſelbſt. Und doch zuweilen fällt vor meinem Auge Ihre ſchöne Hülle ab wie Staub und Moder, und das nackte Gerippe ſtarrt mir entgegen; das Herz von chemiſchen Agenzien zernagt. Aber glauben Sie nicht, daß ich erſchrecke. Ich betrachte gern die Natur in ihrem geheimſten Schöpfungsprozeß, wie ſie ihr Schönſtes und Beſtes muthwillig ſelbſt ver¬7*100nichtet. O immer zu, die Natur iſt eine elende Kam¬ merzofe des Myſteriums, aus dem die Gnade leuchtet. Immer zu, mein Freund, ſich ſelbſt verzehrt, bis der Durſt brennend, unerträglich wird! Dann verlangen auch Sie nach dem Quell. O welche Kämpfe wird es Ihnen koſten, wie wird dieſe Stirn rollen vor ſtol¬ zem Zorn, wie dieſe Rieſenbruſt toben vor unaus¬ ſprechlicher Pein, wie werden Sie wüthend mit der Fauſt dagegen ſchlagen, ringend einen Gigantenkampf mit dem Selbſtbekenntniß, bis bis der Rieſe kra¬ chend zu Boden ſtürzt, und wie ein Kind an der Mutter Bruſt liegt! Wie werden Sie ſchlürfen, unerſättlich an dem Born der Gnade!

Mais en attendant? ſagte der Legationsrath.

Rührt Sie denn nicht Adelheids Schönheit?

Daß ich nicht wüßte.

Mir unerklärlich, mein Herr großer Sünder. Anfänglich hielt ich es für Verſtellung, Sie wollten mich täuſchen. Jetzt haben Sie mir nicht allein die Beruhigung gegeben, ſondern auch das Räthſel zurück¬ gelaſſen, daß das Mädchen Sie kalt läßt. Iſt ſie Ihnen eine zu vollkommene Schönheit?

Kunſtkenner gehen auch an vollendeten Meiſter¬ werken vorüber.

Weil nur die ſie intereſſiren, fiel ſie ein, die Mängel haben. Iſt's der Egoismus des kritiſchen Sinnes, der immer corrigirend ſchaffen möchte?

Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sagen Sie, eine Antipathie gegen was man reine Unſchuldsſeelen101 nennt. Es überkommt mich ein Fröſteln in Gegen¬ wart ſolcher jungen Mädchen.

Ich begreife es, weil ich es mitfühle. Aber

Sie ſelbſt kajoliren die Nymphe.

Sie wiſſen, warum.

Und eben deshalb wundre ich mich, daß Sie dem jungen Bovillard den Zutritt in Ihr Haus er¬ leichtern.

Die Gargazin ſah ihn ſchadenfroh an: Für die Naivheit möchte ich Sie küſſen.

Sie protegiren ihn nicht?

Wenn man Erz ſchmelzen will, braucht man Feuer.

Wenn man aber das Feuer über den Keſſel ſchlagen läßt, kann es leicht kommen, daß das Erz überläuft und verdorben wird.

Qu'importe! ſagte die Fürſtin und ſtäubte an dem Fleck am Aermel. Was nennen Sie verdorben werden?

Ich ſcheue nicht vor einem gewagten Spiel, aber ich frage mich vorher, ob der Vortheil das Ri¬ ſiko lohnt?

Was geht Sie meine Rechnung an! Einen Stein kann man nicht ſchmelzen, man ſprengt ihn oder wartet, bis der Blitz ihn ſpaltet; das Erz kann man aber ſo lange glühen und wieder zerglühen laſſen, bis man es zu der Form geſchmeidig findet, die man ihm geben will. Wollen Sie ſich in Adel¬ heid verlieben, Ihre Künſte an ihr verſuchen, ich habe102 nichts dagegen, ich will nicht eiferſüchtig ſein. Sie liebt ihn, ich meine Bovillard, das iſt ihre Krank¬ heit, die verborgene, die an ihr zehrt. Sie muß her¬ aus, die Kriſis iſt nothwendig; darum wird ſie kom¬ men, ohne daß wir etwas dazu thun. Verſtehen Sie mich, wir laſſen die Natur walten.

Und dann?

Wenn Sie die Bibel läſen, würden Sie wiſ¬ ſen, man ſoll nicht für den andern Morgen ſorgen. Sein Sie heut Abend liebenswürdig, Herr Lega¬ tionsrath.

Ich bin nicht ganz disponirt.

Sie ſollen es ſein. Sie können es ſein. Herr von Bovillard hat nur zwei Augen, und die gehören jetzt nicht ihm.

Die Wagen fingen an vorzurollen; die Fürſtin verſchwand mit dem wiederholten Befehl: Sein Sie liebenswürdig! Sie hatte kaum Zeit, ihre Toi¬ lette zu ändern, aber Niemand hat den Blutfleck an ihrem Aermel geſehen.

[103]

Siebentes Kapitel. Was ſagen Sie zu meiner Frau?

Das war dem glänzenden Geſellſchaftsabend vor¬ angegangen.

Der Abendſtern, der heute glänzen ſollte, ſag¬ ten wir ſchon, erſchien aber wie ein erlöſchendes Licht. Die Töne, welche im Souterrain das Ohr zerriſſen, waren nicht zu Adelheid gedrungen, und wenn einer, ſo ahnte ſie nicht den Grund; es war für ſie nur in der Luft das dumpfe Accompagnement ihrer eige¬ nen zerriſſenen Gedanken. Nie war ihr eine Toilette ſchwieriger geworden. Sie dachte, ſo müſſe einem Verurtheilten zu Muthe ſein, wenn er ſich zum letz¬ ten Gange ankleidet.

Zum Glück war die Aufmerkſamkeit heute nicht auf die blaſſe Adelheid concentrirt; ſie richtete ſich vielmehr auf eine andere Erſcheinung, von der man ſagen durfte, daß ſie in voller Blüthenpracht war.

Aus einiger Entfernung ſah die junge Dame an der Thürecke wie ein liebliches junges Mädchen aus, dem die Scham die Wangen röthet, die Augen104 ſchlägt ſie nieder in holder Befangenheit. So ſchüch¬ tern ſtand die Gazellengeſtalt, halb bedeckt von dem Oleanderbosket, das aus irdenen Töpfen in maleri¬ ſcher Unordnung um den mit Epheu umhangenen Thürpfoſten duftete. Die ſchöne Blüthe zitterte vor jeder Berührung, wenn wir die Begegnung, die An¬ ſprache der älteren Damen, welche die Thür paſſirten, ſo nennen ſollen. Das Wechſelgeſpräch war immer ſehr kurz; man konnte glauben, zur Zufriedenheit des jun¬ gen Mädchens, das vielleicht erſt ſeit Kurzem in die Geſellſchaft eingeführt war, und der Boden unter ihr brannte, vor Angſt, daß ſie einen Verſtoß begehe.

Wenn man einen Schritt näher trat, verwan¬ delte ſich die Achtzehnjährige allerdings in eine voll¬ blühende Zwanzigerin, die Moosroſe ward zur vol¬ len Centifolie. Aber ſchön blieb ſie, man konnte un¬ willkürlich rufen: wunderſchön! Wem das dunkle, ſchwimmende Auge zwiſchen den ſchwarzen Brauen und den rothen, anmuthig ſchwellenden Pfirſichwan¬ gen einen Blick zuwarf, mußte von Stein ſein, wenn er nicht gerührt ward. Und war ſie nicht eine Zau¬ berin, eine Armida? Zwiſchen den Oleandertöpfen ſchoſſen eine weiße und eine Feuerlilie in die Höhe, und bunte Glaslampen, damals etwas in Berlin Unbekanntes, warfen ihr Zauberlicht auf die Blumen und das ſchöne Mädchen, das ſich auf ihnen zu wie¬ gen ſchien wie eine Titania, Grazie jede Bewegung. Wie ſie mit den Blumen in ihrer Hand ſpielte, die105 ſie vielleicht in Gedanken von einem Strauch ge¬ pflückt; das war kein gewöhnliches Fächerſpiel, das die Verlegenheit verbergen ſoll und die fehlenden Worte erſetzen. Es war die Sicherheit einer Köni¬ gin, die den Herzen zu gebieten weiß, unbeſorgt um ihre Herrſchaft. Wenn ſie die ſanft geworfenen Lip¬ pen öffnete und die ſchönen Zähne im Geſpräch zeigte, konnte man ſchwören, wenn man auch kein Wort verſtand, daß ſie eine witzige Replik, eine glück¬ liche Bemerkung hinwarf. Sie konnte auch abferti¬ gen, und man mochte ebenſo ſchwören, daß die Vie¬ len, die mit ihr eine Unterhaltung anknüpften, aus Luſt oder aus Gelegenheit, ihr nicht genügten.

Wenn man indeß noch einige Schritte näher trat, doch wir können unſre eigenen Beobach¬ tungen ſparen, wo eine Gruppe Herren, an der Thür gegenüber, ſich die ihrigen ſchon mittheilten.

Was hat ſie denn heut für ein Roth auf, ſagte ein Garde-Officier.

Wer?

Comteß Laura. Das blinkert ja wie eine Car¬ moiſinmuſchel.

Neuſte Joſephinenſchminke, liebſter Graf, drängte ſich der Baron Eitelbach an ſein Ohr. Bei Herrn Arnous vorige Woche friſch aus Paris. Die von der Oper ſind außer ſich, iſt ihnen zu theuer. Was kann der Schönheit zu theuer ſein, ſage ich.

Und greifen in die Taſche.

Der Baron hielt allerdings beide Hände in106 den Seitentaſchen, und es klimperte etwas von Gold, aber er zuckte die Schultern: Fürs ganze Corps de Ballet! Na, hören Sie, das bringt mir ein ganzes Regiment nicht auf. Alles was recht iſt.

Sie ſparen's für Ihre Frau Gemahlin.

Ein ſublimer Einfall von Ihnen Graf, wahr¬ haftig ein ſehr ſublimer. Wie ſie blaß ausſieht ge¬ gen die Laura! Aber ſie will ſich nicht ſchminken. Partout nicht mehr.

Hat's auch nicht nöthig, ſagte ein dritter Intimus.

Meinen Sie? Ich ſage Ihnen, die Schminke bringt 'ne Revolution hervor. Das iſt ein Geſchicke zu Arnous, aber die alte Voß und na warten Sie nur, ich kann ſie Ihnen alle nennen, die ſchon von haben. Sind ihrer nicht viel; aber paſſen Sie acht, eh' vierzehn Tage um ſind

Wenn die Männer die Thränen auf den Wan¬ gen ſehn, ſagte der dritte Intimus, greifen ſie doch in die Taſche, und wenn das Roth pures Gold wäre.

Gold, ein charmanter Einfall! rief der Baron. Wenn's Mode würde, echtes Gold auf die Backen! Bei Gott, ich gäbe was drum; wie die Weihnachts¬ äpfel. An den Backen ſähe man's den Frauen an, was ihre Männer werth ſind.

Eine Taille, auf Ehre doch, wie 'ne Wespe, ſagte der Garde-Officier. Ich ſollte meinen, wer ſich ſo ſchnürt, brauchte ſich gar nicht zu ſchminken.

107

Und Füßchen, 'ne Pariſerin könnte ſie benei¬ den, meinte der Dritte.

Das tänzelt nur ſo auf dem Boden.

Was für welche hat meine Frau dagegen! Sehn Sie mal, rief der Baron und nahm eine Priſe.

Eine Heroine muß nicht auf Tänzerfüßen ſtehn.

Heroine! charmanter Einfall. Meine Auguſte eine Heroine. Wie ſie mit einander parliren! Ich verſichere Sie, auf Ehre, meine Frau ſpricht jetzt wie ein Buch. Immer Schiller im Munde.

Und die Tugend, ſie iſt kein leerer Schall,
Erzeugt in dem Hirne des Thoren!

Damit weckt ſie mich alle Morgen. Bei Gott, 's iſt wahr. Macht Alles die unglückliche Liebe.

Schade, Baron, daß Sie ſich nicht auch un¬ glücklich verlieben können.

Warum kann ichs nicht?

Weil Sie zu reich ſind. Wer Geld klimpern läßt, iſt immer glücklich in der Liebe.

Sie ſind ein charmanter Menſch, aber was ſoll mir die unglückliche Liebe?

Sie könnten dann auch einmal mit der Tugend in Berührung kommen.

Was hab ich von der Berührung?

Tugend vermehrt den Credit.

Der ganze Körper des Barons zückte in der nicht wohl zu beſchreibenden Bewegung eines Ge¬ ſättigten, welcher gleichgültig eine Schüſſel vorüber¬ gehen läßt, an der die Blicke der Hungrigen noch108 verlangend ſchweben. Er bedurfte nicht mehr Credit, als er beſaß. Aber auch der Satte lächelt, wenn ſeine Gäſte die Speiſen loben, die er ihnen vorge¬ ſetzt. Der Baron von Eitelbach lächelte wohlgefällig über die Bewunderung, welche man der Schönheit ſeiner Gemahlin zollte, während man ihre Reize mit der der Comteß verglich. Zum Vortheil der erſteren; es waren Kenner, die hier urtheilten. Auf den Hacken ſich wiegend, die Hände noch immer in den Taſchen, die breite Unterlippe aufgeworfen, hatte er gleichgültig die Geſellſchaft im andern Zimmer ge¬ muſtert, während ſein Ohr doch bei der Unterhaltung blieb, als er es für ſchicklich hielt eine Diverſion zu machen:

Sehn Sie mal, wie die Alltag eingepackt hat. Gar nicht wieder zu erkennen.

Etwas blaß, äußerte der dritte Intimus. Das kann ſeine Urſachen haben.

Man hat zu viel Geſchrei von ihr gemacht. Der Baron hatte es gleich geſagt.

Das Kennerauge des dritten Intimus ließ ſich nicht täuſchen.

Vorübergehende Indispoſition. Friſch begoſſen und die Blume iſt wieder in voller Pracht.

Ueber die Indispoſition lächelten die Kenner; der Baron fühlte ſich geiſtreich geſtimmt; er nannte die unglückliche Liebe eine Klippe für die Schönheit. Lob erndtete er dafür nicht, denn die Aufmerkſamkeit der Andern war wieder auf die ſchöne Comteß gerichtet.

109

Auf wen mag ſie nur vigiliren?

Sie iſt unruhig.

Warum ſteht ſie aber wie eine Schildwacht an der Thür?

Muß wohl ſeinen Grund haben. Halt! ſehn Sie ſchon wieder

Die drei Kenner rückten die Köpfe noch näher zuſammen. Die Comteß hatte während des Geſprächs mit der Baronin nochmals durch die Thürritze geblickt.

Das muß man doch rauskriegen. Welcher Magnet ſteckt in der andern Stube?

Wie der Zunächſtſtehende ſich auch auf den Spitzen ſeiner Schuhe erhob, konnte er doch nur einen Theil des Zimmers überſehen. Da kam plötzlich ein anderer Gegenſtand aus demſelben, und mit vielen Verbeu¬ gungen durch die beiden Damen ſchlüpfend, erreichte er die beobachtende Gruppe.

Der Geheimrath Lupinus von der Vogtei war gewiß nicht gefährlich, für das Auge keiner galanten Dame, die noch auf Jugend Anſpruch macht; aber je ſchärfer das Auge der Liebe iſt, um ſo blinder wird es für die Gefahr, die von Beobachtern droht. Das ſchlaue Geſicht des Geheimraths verrieth, daß er Neuigkeiten geangelt, und ſeine freudige Miene, daß er den Markt erreicht, wo er ſie abſetzen konnte.

Rathen Sie! ſprach er, ſich die Hände reibend.

Das lohnte noch der Mühe.

Ein neuer Gegenſtand?

Funkelnagelneu.

110

Raus mit der Sprache. Was wiſſen Sie?

Sehr viel. Die letzte Aventure wird nur ver¬ tuſcht, aber parole d'honneur, Sie können ſich drauf verlaſſen, ſie iſt ſo

Sie meinen die mit der Schildwacht der Kerl kann doch nicht hier ſein!

Iſt eingeſtiegen, Herr Baron, ſo gewiß ich vor Ihnen ſtehe. Herr Graf verziehn die Miene, in der Garde hat man ſich das Wort gegeben, nicht davon zu ſprechen. Nun ich ſchweige in Devotion, wenns verboten iſt.

Was gehts mich an, ſagte der Officier mit einem nicht zu unterdrückenden Schmunzeln, und wenn der Grenadier dafür Spießruthen laufen müſſen, ſo wüßt er doch, wofür.

Dazu iſts aber nicht gekommen. Die Disci¬ plin hat aus Galanterie ein Auge zugedrückt.

Sie hat ihn wirklich ins Fenſter gewinkt? fragte der dritte Intimus.

In den Communs, Sie wiſſen doch in Pots¬ dam die kleinen holländiſchen Häuschen neben dem Marmorpalais. Der Geheimrath ſprach es, mit vorgehaltener Hand, dem Fragenden faſt ins Ohr. Er mußte es aber mit ſolcher Kunſt accentuiren, daß es auch den beiden Andern nicht entging? Ja, warum hat man für Cavaliere und Hofdamen ſo niedrige Fenſter gebaut, ça ne coûte qu'un pas! Warum duf¬ teten die Linden ſo ſüß in der lauen Nacht? Warum ſchlugen die Nachtigallen ſo verführeriſch? Warum111 ſtellt man einen jungen Grenadier, ſechs Fuß hoch wie ein Apollo, vor das Kammerfenſter einer ſchönen Hofdame? Warum ſchien der Mond ſo ſehnſüchtig und beleuchtete den jungen Mars. Da iſt gar nichts bei zu verwundern, und eigentlich trägt Niemand die Schuld, denn Gott bewahre, daß er ins Fenſter ge¬ klettert wäre, ſo ein ſechsfüßiger Kerl braucht nur den Fuß aufzuheben, ſo iſt er drin.

Und?

Das einzige Unglück war, daß die Uhren in Potsdam nicht ſtimmten, denn als die Ablöſung kam, hatte es drinnen noch nicht voll geſchlagen.

Dem Glücklichen ſchlägt keine Stunde.

Superbe Bemerkung des Herrn Domherrn. Die Eſel verzeihen Herr Graf, es war wohl nur der betrunkene Unterofficier, machten Lärm, und wie geſagt, wenn nicht glücklicherweiſe der junge Prinz Hohenlohe bei der Patrouille geweſen wäre Man deckte den Mantel der Liebe über die Affaire, ſchmiß den Unterofficier, weil er in der Betrunkenheit einen falſchen Rapport gemacht, auf achtundvierzig Stunden ins Cachot, ſeine Kerls waren Stockpolen, die nicht deutſch ſehen und hören können, man zeigte ihnen den Bambus, wenn ſie ſich einfallen ließen etwas auszuſchwatzen, was ſie nicht verſtehen, übrigens ein Paar Louisd'or Schmerzensgeld Ah, Prinz Hohen¬ lohe hat wie ein Cavalier gehandelt.

Und doch wußte mans, ehe der Morgen in Potsdam graute, ſchon in allen Wachtſtuben.

112

Meine Herren, ſagte der Gardeofficier in ver¬ traulich officiöſem Ton, Discretion! Man wußte es auch ſchon am andern Morgen in Berlin, aber auf der Wachtparade gab man ſich das Wort Ich rathe auch Ihnen

Discrétion pour jamais! rief der Geheimrath, den Finger an den Lippen. Ihro Majeſtät die Kö¬ nigin darf nichts davon erfahren, wandte er ſich zu den Andern. Die liebe Comteß, es iſt doch ein gar zu charmantes Kind, und bei Licht beſehen, was iſt es denn? Eine Viſion, die Phantaſie einer lauen Juninacht

Aber nicht die erſte, ſchmunzelte der Baron, in der Dragonercaſerne wiſſen ſie auch davon zu er¬ zählen.

Mon cher baron, l'amour règne partout, aber

Was bei Mondenlicht geſponnen,
Verrinnt beim Licht der Sonnen.

Der Kerl aber, der Grenadier, iſt nach War¬ ſchau in ein Regiment geſteckt, ſagte der Officier. Und er war nicht von Mondenſchein gewebt, das verſichere ich Sie.

Monsieur le comte, die Erſcheinung im Zim¬ mer iſt auch ſchwarz von Kopf bis Fuß, ordentlich ſpectre-artig, nahm der Geheimrath wieder das Wort. Das blaſſe Geſicht in der weißen Hand, ruht er auf dem Sopha, den Clacq auf dem Schooß, die Beine unnachahmlich hingeſtreckt, die andre Hand im Knopf¬ loch am Herzen, als wenn er eine tiefe Wunde ver¬113 ſtecken will. Soll ich Ihnen noch das ſchwarze Haar beſchreiben, in dem zuweilen dieſe ſelbe Hand wühlt? Nein, die Augen ſind noch dunkler. Schade nur, daß ſie nicht ein einziges Mal nach der Thürritze gerichtet ſind, um die andern ſchwarzen Augen zu ſehen, die ſehnſüchtig durchblicken. Je vous assure, wenn die ſich begegneten, die einmal Funken zuſam¬ men ſchlügen, Stahl und Feuerſtein

Hohl Sie der Kuckuck, Geheimrath, wer iſt's?

Impertinent! ſagte eine herzutretende Dame. C'est affreux, die andere.

Il joue l'Anglais! erwiederte jene. Beide kamen durch die bewußte Thür; die Baronin aber, am Arm die ſchöne Laura führend, mit ihnen zugleich.

Warum ereifern Sie ſich, meine Damen! Mir und Comteß Laura iſt's vorhin auch ſo paſſirt. Er merkte uns erſt, als wir uns neben ihm auf's Sopha ſetzten, und dann redete er uns für Andere an. Nicht wahr, Comteß?

Er iſt zerſtreut, ſagte die Comteß und war es ſelbſt.

Haben wir's ihm übel genommen? I Gott bewahre. Wenn mich Einer nicht ſehen will, laß ich ihn ſtehn.

Aber, gnädige Frau, wer iſt er denn, daß er ſich ſo etwas herausnehmen darf?

Ach Gott, vom jungen Bovillard iſt man weit mehr gewohnt. Erinnern Sie ſich noch

Doch werden Sie mir zugeben, daß DamenIV. 8114in einer Geſellſchaft wie dieſe mehr Conduite von Herren vorausſetzen dürfen, wenn ſie dahin ge¬ hören.

Der letzte Satz ward von den feinen Lippen ſehr ſcharf betont.

Wen die Fürſtin eingeladen hat, der gehört doch her.

Mein Mann meinte, erwiederte die Andre, die noch nicht Luſt hatte von ihrem hohen Pferde zu ſteigen, es gehöre doch ein eigner Tie dazu, einen Menſchen von dem Renommé ihrer Société auf¬ dringen zu wollen. Mein Mann iſt ſonſt gar nicht ſcrupulös, und gegen unſre erlauchte Wirthin fällt es mir auch nicht im entfernteſten ein, damit etwas geſagt zu haben. Sie wird wohl ihre Gründe haben, warum ſie Leute zuſammen bittet, die nicht zuſammen gehören.

Beſte Frau Staatsräthin, erwiederte die Eitel¬ bach, wozu wären denn die Geſellſchaften, als daß ſich die zuſammenfinden, die noch nicht zu einander gehören. Wenn man immer nur alte Bekannte ſähe, das wäre ja langweilig.

Philoſophie, wie ſie auch iſt, im Münde einer ſchönen Frau, erwiederte die Staatsräthin mit ſüßem Lächeln, iſt immer liebenswürdig. Nur begreife ich nicht, wenn der junge Herr von Bovillard ſo viel zu denken hat, warum er ſeinen Penſée's grade in einer Geſellſchaft nachgeht.

Wiſſen Sie, wie mir eine Geſellſchaft vorkommt,115 entgegnete die Eitelbach? Als wie eine Komödie, wo jeder anders ausſieht und anders ſpricht als ihm zu Muth iſt. Uns werfen ſie vor, daß wir uns putzen und ſchnüren und auflegen und ausſtopfen Ihr Herren mögt immer laut lachen, ich ſeh's doch, wie Ihr's innerlich thut. Das genirt mich gar nicht, denn die Männer ſpielen mehr Komödie als wir. Ach Gott, wenn ſie ſich präpariren, liebenswürdig zu ſcheinen, um Einer die Cour zu machen, wo ſie's gar nicht ſo meinen. Und wenn Einer vornehm thut, als hätte er eine Elle verſchluckt, oder gelehrt redet, als wär's ein Buch, da möchte ich ihn immer fragen: warum quälſt du dich denn? Wenn du 'raus biſt, ſtöhnſt du doch auf und ſchlenkerſt mit den Armen, als wenn du den engen Rock aufreißen wollteſt, und denkſt: Gott ſei Dank, daß es aus iſt. Warum haſt du denn angefangen, warum biſt du nicht gekommen, wie du biſt, und haſt geſprochen, wie dir der Schnabel gewachſen iſt.

Der Baron Eitelbach rieb ſich vergnügt die Hände: Was ſagen Sie zu meiner Frau, Frau Staatsräthin?

Sie wird doch Ausnahmen machen. Sie iſt nicht ſo grauſam, uns alle zu verdammen.

Da iſt Einer wie der Andre. Jetzt merk ich's nur erſt, aber ich habe es längſt gewußt.

Ihren Herrn Gemahl werden Sie wenigſtens ausnehmen?

Die Baronin ſchien ſich zu beſinnen, indem ſie8 *116ihn anblickte. Ihre Antwort begann mit einem lang gezogenen Na! Das iſt wahr, ein Petit-Maitre will er nicht ſein, und die Cour macht er auch nicht, nämlich in Geſellſchaften, und ſpricht auch nicht, als ob er die Weisheit mit Löffeln gegeſſen hätte, denn er macht ſich nichts aus den Gelehrten, aber

Das Aber der ſchönen Frau, als ſie inne hielt, ſchien lautlos von allen Lippen wiederholt, nur ihr Gemahl rief es laut lachend: Aber, Auguſte, nur raus damit!

Aber, rief ſie raſch, mein Mann thut jetzt, als wenn er wünſchte, daß ich Alles ausplaudern ſollte, weil er ſo thut, als ob er ſich nichts draus machte. Nachher zu Hauſe, und im Wagen ſchon, würde er mir das Kapitel leſen: Aber, Auguſte, wie konnteſt Du wieder! Sehn Sie, wie er das Kinn im Hals¬ tuch verſteckt. Er möchte Sie glauben machen, daß er ſich vor Lachen ausſchüttet, aber aber ich will keine Komödie vor Ihnen aufführen.

Das Urtheil über die Baronin lautete heute ſehr verſchieden. Wer hätte es von ihr gedacht! ſagte die Dame, welche wir als Staatsräthin angeredet hörten. Früher nicht den Mund geöffnet, ohne eine Betiſe zu ſagen, und wirft jetzt mit Sottiſen um ſich!

Ich weiß aber nicht, engegnete die andere, ob mir das rohe Tuch nicht lieber war als die neue Appretur im Lagerhauſe.

Die ſie indeß gewiß nicht dem Bügeleiſen117 ihres Mannes verdankt, fiel die erſte ein. So lange ſie neu iſt, wird ihre Neuheit frappiren; ich fürchte aber, daß es mit dem Glanze gehen wird, wie mit dem Tuche ihres Gemahls: nach den erſten Regen¬ güſſen wird es fadenſcheinig.

Die Urtheile der Männer lauteten günſtiger. Einige gingen ſo weit, zu behaupten, ſie hätte ihren Verſtand nur cachirt oder ihr Mann ihn nicht auf¬ kommen laſſen, wogegen Andere wollten, er ſei viel¬ leicht grade durch die Reibung mit ihm ins Leben gerufen. Die Feineren lächelten: es war ja die Wirkung der Liebe. Die Flammen hatten eine Eis¬ kruſte oder Bleirinde geſprengt.

Schade, daß ſie nicht mehr jung genug iſt, um eine Gurly zu ſpielen, ſchloß Einer. Alſo doch auch ſie eine Rolle, entgegnete ein Anderer. Sie hörten ja, daß ſie keine Ausnahmen ſtatuirt. Den eigentlichen Vortheil zog Comteß Laura von dem Disput, wenn es ein Vortheil war, daß ſie über dem neuen Gegenſtand der Unterhaltung dem ſcharfen Scrutinium entſchlüpfte.

[118]

Achtes Kapitel. Nationalität.

In einem andern Zimmer ſah man Staats¬ männer, Gelehrte und Künſtler ſich um die Wirthin bewegen. Die Zeitverhältniſſe, die Politik, waren in das Geſpräch gezogen, aber mit jenem Takt, der alles Beſtimmte und Perſönliche ausſchloß.

Eine jener Stimmen war hier erklungen, die damals nur wie vereinzelte Accorde, Trompetenſtöße aus einem mythiſchen Lande, in das Gewirr des Tages ſchmetterten, um ſpäter zu einem rauſchenden Orgelton zu werden. Nicht daß nicht ſchon im Volke, unter einzelnen Gelehrten, in den Univerſitäten und Schulen, der Ruf der Nationalität vibrirte, den ſpäter die Arndt und Andre zu einem mächtigen Schlachtruf für die deutſche Nation erhoben, aber in den höheren Kreiſen der Geſellſchaft verſtummten dieſe Töne, erſtickten dieſe Luftzuckungen noch immer an einer ganz andern Luftatmoſphäre. Man hörte ſie an, nicht ungefällig, aber vornehm Beifall lächelnd, wie man eine neue, überraſchende Erfin¬119 dung betrachtet, deren glänzende Erſcheinung man zwar bewundert, aber ihre Wirkſamkeit und Dauer¬ haftigkeit bezweifelt.

Man hatte nachdenklich einem Redner zugehört, welcher geſprochen von der Heiligkeit, einem Volke anzugehören, von dem Recht auf Sprache, Sitte, eigenes Weſen, ja von der Pflicht deſſelben, für dieſes höchſte Gut ſein Alles einzuſetzen. Eine Nation, die gegen dieſe Pflicht gleichgültig werde, habe ſchon das Anrecht auf ihre Exiſtenz eingebüßt. So weit ward der Sprecher verſtanden, die Damen hatten Verſe aus der Jungfrau von Orleans und Tell citirt. Aber als er weiter ging, und nicht ſowohl den Haß gegen alles Franzöſiſche, nicht allein gegen Bonaparte und ſeine Soldaten, gegen die Revolution und die Jacobiner empfahl, worin man ihm bei¬ geſtimmt haben würde; als er es als noch heiligere Pflicht forderte, daß der Einzelne wie das Ganze ſich verſenke in das, was deutſche Art und Weſen ſei; daß nur dann, wenn wir dieſes wieder rein hergeſtellt in der Sprache, unſern Gewohnheiten, unſrer Denkweiſe, wenn wir ganz wieder zurückgekehrt zur eigenthümlichen Anſchauungsart unſrer Väter, das Fremdartige, was durch Jahrhunderte ſich in unſer Blut gefreſſen, abſtreifend und ausmerzend, daß nur dann Rettung ſei für unſre Nation von der Fremd¬ herrſchaft: da hörte man wohl belobende Phraſen; die meiſten aber verſtanden es nicht, Andere ſchwiegen, noch Andre ſchüttelten den Kopf.

120

Der Redner hatte eine noch kühnere Hypotheſe aufgeſtellt: nur in der Nationalität ſei die Wurzel der Kraft, um der Tyrannei zu widerſtehen. Der corſiſche Rieſe, der mit den Flügeln des Vogels Rock die Welt umſpanne, wiſſe, was er thue, indem er das Ureigene der Nationen erdrücke, um ſie in eine Allgemeinheit von gleicher Farbe, gleicher Prägung zu ſtampfen. Das ermatte den Lebensnerv; woran ſolle die Begeiſterung, der Patriotismus ſich klammern, wenn ein Pfeiler nach dem andern der alten heiligen Erinnerungen, der Töne und Bilder zerbreche, an denen wir uns als Kinder gehalten. Das unſcheinend Unbedeutendſte ſei da von Wichtig¬ keit, ein altes Lied, es dünkt uns ohne Sinn, ein Sprüchwort, eine Ruine, ein dunkler Winkel, den ein Geiſt, eine Sage umſchwebt, eine Gewöhnung, die uns albern erſcheint. Alles ſei doppelt bedeutend, was als Heftnadel gelten könne, um ein Volk zuſammenzuhalten, in einem Augenblick, wo Alles hinarbeitet, es zu zerſplittern und ſein Tichten und Trachten in allgemeine Begriffe von Wohlergehen und Glückſeligkeit aufzulöſen.

Er ging noch weiter: nur den Nationen, welche dieſe ihre Nationalität feſtgehalten, winke die Palme des Sieges. Nicht ſeine Inſellage ſchütze Albion, ſondern das ehrenwerthe Feſthalten an den alten Sitten und Geſetzen. So ſah er in Spanien eine Mauer, an welcher des Eroberers Ehrſucht ſcheitern müſſe, er erwartete von den Basken in den121 Pyrenäen, daß ſie die Standarte der heilig ge¬ haltenen Volksrechte erheben würden, er blickte nach Rußlands Steppen, wo eine Völkerwiege des Ur¬ eigenen braue, aber ſeine Stimme wurde bewegt, als er von dem theuren, deutſchen Vaterlande ſprach, einem Volk, das ſich ſelbſt zerriſſen und ſich nicht wieder finden könne, das wie Kinder, die Muſcheln am Meer ſammeln, alles Neue, Fremde, Glänzende aufgreife, das wie ein Schwamm die Feuchtigkeit der Luft einſauge und ſeine ſchönſten Eigenſchaften zu ſelbſt¬ mörderiſcher Thätigkeit auspräge. Mit ſeltner Empfäng¬ nißkraft begabt, drängt ſeine Natur es dazu, alles Große zu bewundern, aber ſein böſer Geiſt wolle, daß es nur das Fremde bewundert; wo die eigne Größe Anerkennung fordert, erſchrecke es ſcheu, kalt, ängſtlich und im Mißtrauen an ſich ſelbſt zergehe die ſchönſte Kraft.

Der Redner, ein junger Mann von hoher Ab¬ kunft, hatte einen doppelten Fehler begangen. Er hatte begeiſtert geſprochen; die Begeiſterung gehört in keinen Salon. Er war ſelbſt gerührt worden; das war ein Fehler unter allen Umſtänden. Er hatte aber auch ſein Auditorium nicht berechnet, und das war unverzeihlich. Er befand ſich in Fried¬ richs Hauptſtadt, in einem Kreiſe von Würdenträgern und ausgezeichneten Männern, die ſich für Träger der Monarchie des großen Königs hielten, dieſe ſelbſt aber für ſo feſt, geſichert und in gutem Stande, daß es nur einiger Ausbeſſerungen bedürfe, aber122 keines Fundamentalbaues. War nicht ſeine ganze Rede ein indirekter Angriff gegen die Schöpfung des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier, die er als einzigen Anker, der Zukunft und Ver¬ gangenheit zuſammenhalte, anpries! Wo das ureigene deutſche Element? Friedrich, der mit dem Degengriff und der Feder zerſtörend in das Zer¬ fallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hin¬ geſtellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte er dieſen Vorwurf in ſeinem Sinne nicht deutlich ausgeſprochen, noch begriffen es Alle, aber man fühlte es.

Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige Damen lobten hinter dem Rücken das ſonore Organ des Redners; leiſe, aber laut genug, daß er es hören konnte. Man begegnete ihm mit großem Reſpect, aber es galt ſeinem Stande. Der junge Mann fühlte ſich unbehaglich, er verſchwand bald; er war noch zu Hofe geladen.

Dennoch hatte ſeine Rede einen Eindruck hin¬ terlaſſen.

Ob die Fürſtin das Lob der Nationalität, die Hoffnung auf Rußland, für ein Compliment genommen!

Was ſagen Sie dazu? ſprach ſie, aus ihrem Nachſinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann fiel, deſſen Stirn, Auge, Haltung, den Künſtler nicht verkennen ließ, der ſich mit dem Stolz des Bewußtſeins in dem Kreiſe bewegte, welcher an123 Stand und Geburt weit über ihm ſtand. Aber ſein Blick, ſeine Sprache, die Nonchalance ſeines Weſens bekundete, daß er ſich, wenn nicht ihnen gleich, doch frei und unberührt von der Präponderanz dieſer Ge¬ burts - und Standesvorzüge fühlte, ohne doch in das umgekehrte Extrem zu verfallen, einer brusken Nicht¬ achtung. Er hatte der Rede des jungen vornehmen Mannes mit zugehört, anfangs aufmerkſam, dann hatte er mit dem Kammerherrn von St. Real eine Marmorgruppe betrachtet, und ſchien ihn jetzt auf einige Fehler derſelben aufmerkſam zu machen.

Ich habe die Eloquenz admirirt, entgegnete der Künſtler. Ueberhaupt, wenn in den Schulen etwas dafür gethan würde, möchte die art rhétorique auch in Deutſchland Progreſſen machen.

Ich meine, was Sie zur Sache ſagen. Was halten Sie von der Nationalität, Schadow? Ein Künſtler muß darüber ein Urtheil haben.

Meine gnädige Fürſtin, entgegnete der Bild¬ hauer, wenn man die Menſchen nackend auszieht, ſo ſieht Einer aus wie der Andere, und wir Scülpteurs haben's eigentlich nur mit nackten Men¬ ſchen zu thun.

Aber die Racen ſind anders gebildet. Wo wären die Götterbilder der Griechen, wenn ihre Phidias und Praxiteles nur nackte Hottentotten geſehen hätten.

Ich parire darauf, wenn Phidias ſich nur eine hübſche Hottentottin ausgeſucht, er würde auch124 eine Venus zu Stande gekriegt haben, die unſre Amateurs admiriren müßten. Und was die Racen betrifft, ſo iſt unſre deutſche auch eben keine Schönheit geweſen. Nach den Deſcriptions der Hi¬ ſtoriker und den Sculpturen an den Säulenbildern waren unſre barbariſchen Vorfahren barbariſch häßlich.

Die Cultur alſo hat die Racen veredelt. Das iſt Ihre Meinung?

Sie könnte noch immer etwas mehr thun, als ſie gethan hat; indeſſen wir Künſtler dürfen es nicht zu genau nehmen. Wo wir nichts finden, borgen wir, hier einen Arm, da ein Bein, eine Hüfte, eine Schulter

Und das Beſte thun Sie ſelbſt hinzu, die Harmonie. Die Kunſt iſt Stückwerk, wie Alles unter dem Monde, der Geiſt muß in die Formen fahren, um ihnen eine Seele zu geben. Aber Sie wollen mich nicht verſtehen, und verſtehen mich doch. Die Griechen waren eine Nation, die Römer

Die Juden ſind auch eine, fiel Schadow ein, und doch rümpft man in der Société die Naſe.

Ich will Ihre Meinung wiſſen, Schadow, ſagte die Fürſtin mit entſchiedenem Tone. Ihre Moquerien ein ander Mal.

Wenn man meine Sculpturen ſo gütig iſt zu rühmen, ſagte der Künſtler, iſt's jetzt ſo Mode, ein Schwanzende dran zu ſetzen, daß wir uns von der franzöſiſchen Imitation losreißen müßten. Ich125 habe auch nichts dagegen; wer frei ſtehen kann, mag ſich losreißen, aber ein Kind gebiert ſich nicht ſelbſt. Es iſt dazu eine Mutter und ein Vater nöthig, und die mußten wieder Väter und Mütter haben. Meine erſten Väter waren die franzöſiſchen Maitres, die der grand Frédéric herberief. Was fängt die junge Welt jetzt an gegen ſie zu ſchwätzen! Auch meine Jungens, der Rudolf und Wilhelm, thuns, ſeit ſie den Mund aufthun können, als müßte es ſo ſein. Habe auch nichts dagegen, denn Schwatzen gehört zum Leben, aber ich lache ſo im Stillen, was wäre ich denn, und was wäret Ihr und wir Alle ohne die Franzoſen! Und die Fran¬ zoſen ohne die Italiener, und die ohne die Römer und Griechen. Und die Griechen vielleicht ohne die Aegypter und ſo weiter.

Sie mögen Recht haben.

Da wollen ſie jetzt auf Goldgrund malen, lange Engelsgeſichter mit Wickelkinderleibern und in Schleppkleidern, und das nennen ſie deutſch, weil ſie vor vierhundert Jahren, als das Gold noch wohlfeiler war, die Leinwand ſo angeſtrichen haben. Als ob der Fieſole und die Florentiner ſo gemalt hätten, wenn ſie damals ſchon Beſſeres geſehen.

Sie ſpringen ab. Iſt die Nationalität Ihnen gar nichts?

Das Kleid, was der Menſch ſich anlegt, weil wir nun einmal nicht nackt gehen ſollen. Sie ſagen, es ſchickt ſich nicht, ich aber meine, weil wir zu eitel126 ſind. Weiter nichts, um unſre Gebrechen und Un¬ ſchönheiten zu bemänteln, legen wir Cotillons, Sur¬ touts und Redingoten an. Und gar nicht nach un¬ ſrer Wahl, wie wir's von unſern Voreltern über¬ kommen haben. Wir ändern nur den Schnitt. Und von wem kommt der? So weit Sie zurückgehn, aus Paris. Nehmen Sie mir Stück für Stück vom Leibe, was vom Auslande ſtammt, und ich würde wirklich mich nicht unterſtehen, in dem Koſtüm, was die Na¬ tur mir läßt, vor Euer Erlaucht ſtehn zu bleiben. Was iſt's nun mit der Nationalität anders, gnä¬ digſte Frau, verſchieden geſchnittene und gefärbte Röcke um dieſelben Menſchen. Freilich preſſen enge Schuhe den Fuß der Chineſinnen klein, und der des Türken wächſt plump in ſeinen weiten Pantoffeln, aber der Fuß bleibt Fuß, und mit der Sohle treten ſie in Grönland auf und in Conſtantinopel. Iſt der Franzos ein Andrer, weil er mehr auf den Zehen geht, und wir mehr auf den Hacken? Wo wir nun Alle bettelarm wären, und zottig umherlaufen mü߬ ten in unſrer Blöße, lohnt ſich's da, um den Schnitt und das Koſtüm uns zu haſſen? denn weiter iſt die Nationalität nichts.

Einem Bildhauer vergebe ich dieſe Naturauf¬ faſſung. Aber Sonne, Clima, Luft wirken verſchie¬ den auf die Creatur. Die Nationen ſind verſchieden in Gemüthsart, Intentionen, das können Sie nicht abſtreiten.

Ja, in jedem Lehrbuch ſteht's, daß der Fran¬127 zoſe leichtes Blut hat, der Spanier ſchwarzes, der Italiener heißes, der Deutſche warmes. Der Fran¬ zos iſt leichtfüßig und eitel, der Italiener zän¬ kiſch und rachſüchtig und der Deutſche keuſch und treu. Eigentlich brauchte man nur an den Puls zu faſſen, und gleich hätte man weg, von welcher Na¬ tion Jemand iſt. Schade nur, Prinzeſſin, daß ich in Italien die liebſten Menſchen fand, von warmem Blut und dem beſten Herzen, fleißig, em¬ ſig, rechtſchaffene Familienväter und treue Freunde. Sollte ich ſie darum haſſen, oder die Franzo¬ ſen, weil Montesquieu und Rouſſeau, weil Buf¬ fon und Laplace Franzoſen waren, oder alle Deutſche darum lieben, weil ſie alle grad, ehrlich, Män¬ ner von Wort, Biedermänner und keuſch wie Jo¬ ſeph ſind?

Herr Schadow hatte dabei wie zufällig den Blick auf den Kammerherrn von St. Real ruhen laſſen, welcher etwas unruhig ward. Es giebt Thiere und Menſchen, welche das Fixirtwerden nicht vertra¬ gen. Die Fürſtin, ſichtlich im Innern bewegt, nahm das Wort:

Sie haben Recht, die Nationalität iſt auch nur ein Götze, geknetet und angeſtrichen aus Leim und Koth, aus Träumen und Blut. Aber, Herr Schadow, ein ſchön geformtes Götterbild bleibt's, ſchöner als Ihre Apollo und Jupiter!

Der Meiſter hatte eine Priſe genommen: Ja, die Koſtüms ſind recht hübſch, ich zweifle128 gar nicht, daß der Patriotismus einſt eine Rolle ſpielen wird.

Wie wir Alle! ſagte die Fürſtin, indem ihr Blick die Geſellſchaft überflog. Die Eitelbach und Laura gingen vorüber; ſie nickte ihnen zu, aber ihre Gedanken waren mit Anderm beſchäftigt, und die Worte kaum an den Bildhauer und den Kammerherrn gerichtet, ſo wenig als an den Rittmeiſter Dohleneck, der eben aus dem andern Zimmer auf ſie zuſchritt. Sie ſprach mit ſich ſelbſt.

Wir Alle ſpielen eine Rolle, vor Andern oder vor uns ſelbſt. Wenn wir uns doch darüber nicht täuſchen wollten! Schadow hat Recht, was iſt denn unſer eigenſtes Eigenes? Die Scene, wo wir auf¬ treten, das Licht, das uns anleuchtet, das Kleid, das ſich an unſre Glieder ſchmiegt, es übt Einfluß, es macht uns erſt zu dem, was wir ſcheinen; das Lä¬ cheln der Lippen, es iſt angeblaſen vom Augenblick, der Stimmung; Alles, was wir zu beſitzen glauben, iſt Geborgtes, und wir nur Molusken, die Farbe und Ge¬ ſtalt annehmen von der Flüſſigkeit, die ſie einſau¬ gen, Schmetterlinge, denen der Blüthenſtaub den Duft leiht, und der Finger des Knaben entfärbt ſie wieder; Irrlichter ſind wir, ſchaukelnd in der Vibra¬ tion der Luft, und unſere thörichtſte Rolle, es iſt die unverſchämte Lüge, wenn wir wahr zu ſein glauben.

Dazu, meinen Einige, wären wir auf der Welt, entgegnete der Meiſter.

129

Schadow, haben Sie nie die ungeheure Leere empfunden, dies gähnende, graue Mißbehagen der Creatur?

Niemals, meine Gnädigſte.

Ich kann den Trinker begreifen, der ausſtürzt Becher über Becher, immer feurigern Wein, es iſt die Moluskenſehnſucht nach einer Exiſtenz, nach der Verkörperung des Geiſtes.

Wenn ich den brennenden Durſt empfinde, den Erlaucht meinen, ſagte Schadow, dann knete ich ihn in Thon, und meißle ihn in Stein.

Und das todte Werk vor ſich, ſind Sie befriedigt?

Da iſt's heraus, fix und fertig, was mich plagte, nach allen Regeln ſteht's vor mir, und ich bin frei.

Glücklicher Unglückſeliger! Bis Sie wieder von Neuem geplagt werden.

Dann ſchaff ich's von Neuem aus mir raus.

Und käme eine andre Zeit, die alle dieſe Regeln zuſammen würfe?

Dann habe ich für meine geſchaffen und damit genug gethan.

War das Zuſtimmung, war es Schadenfreude, oder wo kam der Funke her, der plötzlich über ihr Geſicht zückte: Und Sie haben Recht. Wir, wir hier leben ja Alle nur für unſre Zeit. Nur unſre Rolle gut durchgeſpielt, das iſt die Aufgabe. Harmonie hineinbringen müſſen wir, nicht dieIV. 9130aus den Sphären, die bringt ſchrillende Dishar¬ monieen. Die Harmonie des Scheins. Sie ſchaf¬ fen, was heute gilt, der Componiſt, was heut die Ohren kitzelt, der Philoſoph, der Politiker, ach, mein Gott, wohin verirrten wir uns, lieber Schadow, ſchwärmen und philoſophiren, heißt das nicht aus der Harmonie unſrer Rolle fallen, und unſre lieben Gäſte blicken verwundert nach uns.

[131]

Neuntes Kapitel. Sie haſſen.

Der Rittmeiſter von Dohleneck hatte die Fürſtin in Beſchlag genommen: Ein Wort nur, gnädigſte Frau, eine Bitte!

So dringend?

Ja. Sie ſind ihr Schutzengel.

Ich ein Engel! Wen beſchütze ich?

Auguſte die Baronin Eitelbach! corrigirte er ſich.

Ach ſo! Eine ſchöne Frau hat überall Schutz¬ engel. Jeder Cavalier iſt es.

Die Comteß Laura hat ſie an ihren Arm gepackt, und ſchleppt ſie wie ihr Opfer mit ſich. Sie iſt zu arglos, zu gut, ſie begreift nicht, daß dieſe Compagnieſchaft ihrem Ruf ſchadet. Es verdrießt mich ſchon den ganzen Abend, aber

Da iſt ja ihr Gemahl, der Baron.

Der!

Er iſt freilich ein ſeltſamer Freigeiſt.

Was ſchiert er ſich um ſeine Frau und ihren Ruf. 9 *132Er freut ſich, daß ſie mit einer vornehmen, bei Hofe gern geſehenen, Dame intim ſcheint.

Dann ſprechen Sie doch ſelbſt mit ihr. Sie wiſſen ja, wie gut ſie von Ihnen denkt.

Erlauchte Frau, Sie wiſſen, wie wir

Das hätte ich beinahe vergeſſen. Kinder, was trübt Ihr Euch das kurze Schmetterlingsleben durch Scrupel. Was hilft Euch die Pein? Wenn Ihr Euch auch noch ſo ehrbar grüßt, ſo kalt an einander vorübergeht, dem böſen Leumund entgeht Ihr doch nicht. Am wenigſten Sie, Dohleneck, wenn Sie ſich der lieben Frau zum Ritter aufdringen, wie Sie jetzt thun.

Der Rittmeiſter war um einen halben Schritt zurückgetreten, wäre es keine Dame und nicht die Fürſtin geweſen, hätte er die Hand vielleicht an den Degen gelegt. Er erkannte ſchnell ſeine Poſition.

Gnädigſte Fürſtin, ich wollte keinem Cavalier Anſpielungen gerathen haben, die der Ehre meiner tugendhaften Freundin zu nahe träten. Aus Ihrem Munde nehme ich dankbar die Worte als eine freundliche Warnung.

Sie blickte ihn mit einer herzgewinnenden Freundlichkeit an: Die arme Laura! Da ſcheut Ihr Herren der Schöpfung Euch nicht, um einer Frauen Ehre zu erhöhen, die von andern zu ver¬ giften. Iſt das ritterlich, Herr von Dohleneck? Was ſie von meiner Laura ſchwätzen und plaudern, was geht es mich an!

133

Sollten Sie nichts gehört haben?

Ich kam als Fremde her, ich bin es noch, ich nehme die Perſonen, wie ich ſie finde, was in der Geſellſchaft von Traditionen umgeht, kümmert mich nicht. Sollte ich bei allen Gäſten, die mich mit ihrem Beſuch beehren, danach mich erkundigen, ſo weiß ich wirklich nicht, ob mein Salon nicht leer bliebe. Ueberdem ſagten Sie ſelbſt, daß der Hof ſie protegirt, ich ſollte meinen, das ſei genug, um dem Vor¬ wurf zu begegnen, der in Ihrer Bitte für mich liegt.

Aber der Rittmeiſter hatte Succurs bekommen. Herr von Fuchſius und eine Hofdame waren hin¬ zugetreten. Auch der Legationsrath ſchloß ſich der Gruppe an. Die Hofdame hatte Zweifel, ob der Hof die Comteß noch länger halten werde, ſeit der letzte Scandal laut geworden. Herr von Fuchſius wußte, daß der König ſehr aufgebracht ſei, und der Legationsrath, daß die alte Voß das Ohr der Königin belagere, welche noch die meiſte Prädilection und Entſchuldigungen für die ſchöne Comteß hätte.

Auch die alte Voß! wiederholte mit einem eigenen Lächeln die Wirthin. Da iſt ja eine völlige Verſchwörung gegen ein armes Mädchen, das ſich nicht vertheidigen kann. Ich verſtoße wohl ſchon, wenn ich es verſuche?

Ihre Erlaucht wollen gütigſt vermerken, ſagte die Hofdame, es iſt noch nichts darüber ausgeſprochen. Bis jetzt iſt ſie recipirt, und Fürſtin Gargazin können ſie ohne Gefahr bei ſich ſehen.

134

Sie würden mir einen großen Gefallen er¬ weiſen, liebe Almedingen wenn Sie mich davon avertirten, ſobald ich es nicht mehr darf.

Sobald man ihr die Thüre weiſt; Erlaucht können ſich darauf verlaſſen, daß ich mit der erſten Nachricht zu Ihnen fliege.

Die Fürſtin drückte ihr verbindlich die Hand: Von Ihrem Eifer bin ich überzeugt. Bis dahin hat es aber wohl noch einige Zeit?

Es ſind vielleicht doch nur Mißverſtändniſſe, warf der Legationsrath hin.

Oder ſie beſſert ſich auch. Man muß ihr nur Zeit laſſen, meinte Herr von Fuchſius.

Ein zehn fünfzehn Jahr, murmelte der Legationsrath, dann macht ſich das von ſelbſt.

Macht mir das junge Reh auf der Maienwieſe nur nicht ſcheu, ſagte die Fürſtin. Wenn Ihr ihr beſtändig von der Argliſt und Tücke der Menſchen vorerzählt, glaubt Ihr, daß Ihr ſie dadurch ſchützt. In ihrer Angſt und Verwirrung läuft ſie von ſelbſt in's Netz.

Das junge Reh ſtand plötzlich unter ihnen. Laura hatte wohl nur durch das Zimmer gewollt, denn der Glanz ihres Auges verrieth nicht, daß ſie gelauſcht, noch von dem, was hier über ſie geſprochen worden, eine Ahnung hatte. Auch verrieth die Miene der Fürſtin nichts von Betroffenheit, als ſie die Flüchtige erhaſcht, und den Arm um ihre Schulter, wie eine Mutter um ihr Lieblingskind, ſchlang.

135

Haben Ihnen nicht die Ohren geklungen? Wenn Sie wüßten, was wir geſprochen, würde Laura bis über die Ohren roth werden.

Die Comteß meinte, es wäre ſehr heiß.

Nun möchte der Wildfang gleich an's Fenſter ſtürzen, um ſich zu erkälten. Nein, Comteß, hier iſt ein Familienrath, ich ſtelle die Mutter vor, und alle dieſe Freunde werden mir beiſtehen Sie zu hüten.

Ich bin Ihnen ſehr obligirt

Aber das Kind weiß ſelbſt, was ihm am Beſten iſt! Nicht wahr? So leſe ich Ihre Gedanken, die geheimſten auch, aber ich verrathe nichts. Iſt ſie nicht ein Feenkind, wandte die Fürſtin ſich zu den Andern; da iſt doch kein verborgenes Fältchen, nichts Angelerntes, nichts von Verſtellung. Sehn Sie in dies Gazellenauge; nur etwas zu munter noch, leichtſinnig, flatterhaft, ein Schmetterling, der lauter Honig naſchen möchte, aber mit der Zeit pflückt man Roſen, mit der Zeit wird ſie auch den rechten Weg finden. Ach das macht ſich Alles von ſelbſt. Sehn Sie! Jetzt ſollte ein Maler dieſen Augenniederſchlag, dieſe Grübchen am Kinn malen. Herzens-Engels¬ kind

Die Fürſtin wollte ſie embraſſiren, aber ſtatt des Feenkindes mit den Pfirſichwangen ſtand ein blaſſes, ſcharfgeſchnittenes Geſicht vor ihr, ſtatt des blühenden Hauptes mit dem phantaſtiſchen Lockenbund eine eng anſchließende Haube mit Spitzen, und ſtatt der Gazellenaugen, die gutmüthig und gedankenlos136 umherſchweiften, fuhr ihr ein ſtechendes kleines Augen¬ paar entgegen. Die Geheimräthin Lupinus war ungemeldet eingetreten.

Mein Gott, welche Ueberraſchung!

Die Gargazin ſpielte hier keine Rolle, als ſie mit den geöffneten Armen zurück fuhr. Es war eine vollkommene natürliche Ueberraſchung; denn ſie war jedes andern Beſuches gewärtig, als der Lupinus, die zwar zu ihren Soireen ein für alle Mal formell eingeladen, aber noch nie gekommen, auch nie er¬ wartet war. Ob ſie aus Nachläſſigkeit der Domeſtiken ungemeldet bis in das Zimmer gedrungen, ob die Fürſtin im Eifer des Geſpräches die Meldung nicht gehört, laſſen wir unentſchieden, aber Thatſache war, daß ſie unbemerkt mitten im Zimmer ſtand und der Wirthin in dem Augenblick ſich näherte, als die Comteß durch eine Seitenbewegung ſich den Armen der zu gütigen Fürſtin entwunden hatte.

Alle waren überraſcht; nur die Ueberraſchende ſchien ſich in der Wirkung, die ihre Erſcheinung her¬ vorrief, zu gefallen. Sie hatte etwas geſtört, vielleicht zerſtört, eine Gruppe voll Liebe und Einigkeit. Die Luſt, welche das Zerſtören veranlaßt, wird von Vielen als eine Wolluſt geſchildert.

Die Lupinus war eine andere geworden, als wir ſie kennen gelernt. Die bunten Farben waren aus ihrer Kleidung verſchwunden, aus ihren Zügen der Liebreiz, der noch feſſeln konnte, während die Schärfe derſelben zurückſchreckte. Ihre Augen konnte137 man nie eigentlich ſchön nennen, aber es lag zuweilen etwas Schmachtendes, Sehnſüchtiges darin, was mit dem lauernden Aufblitzen verſöhnen mochte. Man bedauerte ſie, man las die Unbefriedigung, welche als Unruhe in ihr aufzückte. Dieſe Unruhe ſchien einer eiskalten Ruhe gewichen. Schien, ſagen wir, ſo lange ſie Herrin über ſich blieb, aber in Momenten zückte das Feuer der Unruhe wieder heraus, ihr Auge ſchoß Blitze, die wehe thun konnten, vor denen ein ſanftes Auge ſich unwillkürlich ſchloß, wie ein keuſches Gemüth vor einem Anblick, den es nie geſehen, und doch hat es die Empfindung, daß es ſo etwas nicht ſehen darf. Und doch, wie ſchnell war die Ruhe wieder über das Geſicht ausgegoſſen und ein Lächeln ſchwebte um die Lippen, das ein Maler vielleicht mit dem einer Heiligen verglichen, die unter Folterqualen zu den Umſtehenden ſpricht: Es ſchmerzt nicht.

Die Fürſtin und die Geheimräthin hatten einen Verſuch gemacht ſich zu embraſſiren, ein Verſuch, der, an irgend etwas geſcheitert, in einem wiederholten Händeſchütteln ſich aufgelöſt.

Ich werde Ihnen das nie vergeſſen, da ich weiß, was Sie mir bringen, waren die nächſten Worte der Gargazin, und die Freude ſchien auf ihr Geſicht zurückgekehrt, als ſie den neuen Gaſt neben ſich auf's Canapé gezogen. Ihr Auge ſtreifte über die Andern hin, es lag darin ein gütiger Befehl an die Freundesgruppe, ſich aufzulöſen. Die Hofdame hatte ſich mit dem Regierungsrath ſchon fortgeſchlichen. 138Der Comteß nickte ſie zu: Geben Sie Ihren Arm getroſt dem guten Rittmeiſter. Ich verſichere Sie, Comteß Laura hat keinen beſſern Freund als Herrn von Dohleneck.

Ich weiß, was ich Ihnen bringe, hatte die Geheimräthin erwiedert. In das Haus der Freude eine Trauergeſtalt, aber die Pflicht der Dankbarkeit geht über dieſe Rückſicht.

Dankbarkeit? rief die Fürſtin mit einem er¬ ſtaunten Blick, indem ſie die Hand der Geheimräthin an ſich zog. Sie ſtehen noch immer, Herr von Wandel, wollen Sie nicht neben uns Platz nehmen, meine Freude theilen. Madame Lupinus ſpricht von Dankbarkeit!

Nur von einer Pflicht, gnädigſte Fürſtin, die ich ſo lange aufgeſchoben. Sie haben ſich meiner Pflegetochter wie eine wahre Mutter angenommen.

Ach das! Ich bitte Sie, kein Wort davon.

Gönnen Sie mir das Wort. Ja, ich bekenne es, ich bringe ein Opfer, um endlich auszuſprechen, was ich über Ihre Handlungsweiſe denke.

Egoismus, nichts als Selbſtſucht! Weil Adel¬ heid mir gefällt, weil ich mein Haus, meine Geſell¬ ſchaften durch Ihre Schönheit ſchmücken will.

Die Fürſtin fühlte ihre Hand ſanft gedrückt: Warum das wiederholen, was der Pöbel über uns urtheilt. Adelheids blühende Jugend gehörte nicht in mein Krankenhaus. Sie erkannten es und ich geſtehe es Ihnen, im erſten Augenblick ſchmerzte139 mich die Art, wie das theure Kind mir entführt ward; jetzt preiſe ich den Himmel, daß er es ſo gefügt hat, und daß er Ihnen den raſchen Entſchluß eingab.

Die ſchönen Seelen verſtanden ſich; das vorhin verſuchte Embraſſement erfolgte wie von ſelbſt.

Einen Fingerzeig des Himmels wollen Sie darin erkennen, ſagte die Fürſtin. Ich kann noch immer nicht umhin, mir einen Raub vorzuwerfen.

Laſſen wir den Streit darüber, gnädigſte Frau. Adelheid gehört in Ihr Haus, es iſt meine aufrich¬ tige Meinung. Der Legationsrath kann bezeugen, wie oft ich es ausſprach. Bei mir wäre ſie ver¬ kommen.

Sie ſpricht nur mit der größten Liebe von dem Guten, was ſie durch meine Freundin erfahren.

Es thäte mir leid um das Kind, wenn ſie un¬ wahr würde.

Warum ſo ſelbſtquäleriſch. Sie wiſſen ſelbſt, bis zu welcher Verirrung das Dankbarkeitsgefühl ſie trieb.

Und doch hat ſie mich nicht ein einziges Mal beſucht.

Das hatte die Geheimräthin nicht ſagen wol¬ len; es war heraus, ehe ſie es verſchlucken konnte, und, was ſchlimmer, die Fürſtin hatte es aufge¬ fangen.

Sie ſind leidend, ſprach ſie mit bewegter Stimme. Und Sie überwanden ſich, verließen Ihr140 ſtilles Aſyl, und Ich weiß ja, wie ich dieſes Opfer zu ſchätzen habe.

Die Geheimräthin war wieder ganz Herrin über ſich geworden: Doch iſt es nicht ganz ſo. Warum zwiſchen uns eine Verheimlichung! Ueberwindung koſtet es mich, ja, ſehr große, dieſe Feſtkleider wieder anzulegen. Ich erwarte auch nicht Erheiterung, noch ſuche ich Zerſtreuung, denn ich betrachte es als eine Pflicht gegen mich ſelbſt. Sie ſehen alſo, mein Opfer iſt reiner Egoismus.

Wie Sie ſich da wieder täuſchen wollen! Sie thun es um der Geſellſchaft ſelbſt willen, Sie er¬ kennen die Pflicht, daß wir nicht uns, daß wir für Alle leben ſollen.

Oder ſie für uns! rief eine Stimme in der Geheimräthin, die aber diesmal auf den Lippen erſtarb. Die Gargazin mußte den Sinn verſtanden haben, ſo leuchtete ein Blick ſie an; es war ein merkwürdiges Verſtändniß zwiſchen beiden Frauen. Sie liebten ſich gewiß nicht, aber zum Haß war für die Fürſtin kein Grund. Sie ſah ſich um, ob Niemand lauſchte. Der Legationsrath war un¬ ſchädlich, er bildete eine Schutzmacht gegen die Andern.

Wir verſtehen uns, glaube ich, beſſer, als wir einen Ausdruck dafür finden, hub die Fürſtin an, der Lupinus näher rückend. Was iſt uns die Ge¬ ſellſchaft? Ich ſetze voraus, daß wir beide jetzt über die kleine Rivalität recht herzlich im Innern lachen, ich meine die, welche die Leute uns anlügen.

141

Ich gebe auch zu, daß in der Lüge etwas Wahres war. Wir ſpielten Schach mit einander, weil ſie uns dazu nöthigten, zwangen. Genug, wir haben geſpielt. Weiter war es nichts.

Und Euer Erlaucht gewannen.

Die Erlaucht hatte nichts damit zu ſchaffen. Wir gingen unſerm Penchant nach, und in einem Punkte ſtießen wir an einander.

Ich gebe keine Geſellſchaften mehr. Mein Haus iſt ein Haus der Trauer geworden, mein guter Mann

Wird gewiß unter ſolcher Pflege geneſen. Wer redet davon! Wir wollen ja nur unſre Gedanken über das Weſen der Geſelligkeit einklingen laſſen. Lieben wir ſie etwa um ihrer ſelbſt willen? Um daraus Belehrung, Troſt, Hülfe zu ſchöpfen? Sind wir lüſtern wie die unſterblichen Götter im Olymp, die den Opferduft der Menſchen mit Wohlgefallen einſchlürfen ſollen? Oder iſt es bei uns die Nei¬ gung, das Verlangen, mit unſers Gleichen zuſammen zu ſein? Sehn Sie, wie unſer Freund lächelt. Nicht wahr, das brauchen wir beide nicht, wir haben Reſſourcen in uns, um uns vor der Einſamkeit nicht zu fürchten.

Ich lächle nur, ſagte Wandel, weil Sie von Ihres Gleichen ſprechen.

Und mit Ihrer Bosheit treffen Sie es. Wir zaubern das um uns, was uns doch nicht entgeht. Weil wir unter Thoren leben müſſen, verſchaffen142 wir uns einen kleinen Hof von allen Thorheiten um uns her. Wer dreiſt einer Gefahr entgegen geht, hat ſie halb überwunden. Eine Welt en miniature ſollen unſre Salons bilden. Was im großen, wirk¬ lichen Leben uns anwidert, das erſcheint uns auf dieſer Bühne gefälliger, weil wir damit ſpielen, es regieren zu können meinen. Am Ende bilden wir uns ein, dieſer Mikrokosmus iſt unſer Werk, und wir hätten alle dieſe Puppen uns zum Vergnügen ausgeſtopft und in Scene geſetzt.

Man muß nur nicht die Drahtfäden merken laſſen, ſagte der Legationsrath.

Zum Vergnügen! fiel die Geheimräthin ein, die aufmerkſam gefolgt. Wo wir wiſſen, wie Einer den Andern verredet, hier mit Lob ihn überſchüttet, um, wenn er ihm den Rücken gedreht, ihn zu ver¬ ſpotten; wiſſen, wie die mit Honiglippen uns Ku߬ hände zuwerfen, gegen uns cabaliren. Hier drückt ein Beamter dem andern die Hand, und empfiehlt ſich ſeiner Gewogenheit, während die Entlaſſung oder Verſetzung des zweiten ſchon in der Kanzlei iſt, und er hat ſie betrieben, um in ſeinen Poſten zu rücken. Wo ſie uns ſchön und geiſtreich finden, um ſich nach¬ her vor Lachen auszuſchütten, daß wir es geglaubt! Die Tugend in Aller Munde, und die Kuppleraugen ſchleichen um, ihre Opfer ſich auszuſuchen. Nur die abſolute Mittelmäßigkeit iſt ſicher, denn was hervor¬ ragt, worin es ſei, iſt den Pfeilen ausgeſetzt. Sie zumeiſt, die wähnen, ſie zu regieren. Man preiſt Ihr143 Zauberfeſt, man erhebt es beim Abſchied in den Himmel, aber ehe ſie nur in den Wagen ſpringen, klagen ſie über die Langeweile. Zurückſetzung, gemiſchte Geſellſchaft, daß die Wirthin es nicht verſtanden die Gäſte zu placiren, ſie klagen vielleicht über Hochmuth, Anmaßung, über das Eſſen und Trinken auch, Gott weiß worüber nicht. Ich begreife, wie man mit dieſen Puppen ſpielen, aber wie es ein Vergnügen ſein kann, das bleibt mir ein Räthſel.

Ihre Kritik geht über die Geſellſchaft hinaus, ſagte der Legationsrath. Das Räthſel iſt die Welt

Und wehe, wer nicht mit ihm ſpielen kann, rief die Fürſtin aufſtehend, denn neue Gäſte waren im Vorzimmer eingetreten. Wer auf dieſem bunten, beweglichen Teppich nicht mit den Füßen einer Tän¬ zerin wandelt, hier über Gegenſtände ſpringt, dort ſie fortſtößt wie Glaskugeln, der iſt verſtrickt, er iſt verloren.

Es giebt noch einen andern Weg wo man feſt ſtehen kann entgegnete die Geheimräthin, in¬ dem ſie auch aufſtand. Es war ein Metallklang in der Stimme, wie ein Grabgeläut.

Den Weg, unterbrach die Fürſtin, den Weg haben Sie doch nicht gefunden!

Sie blickte ihr forſchend in's Auge; als die Lu¬ pinus antworten wollte, rief die Gargazin, wie von etwas überwallt: Sie haſſen! O unglückliche Frau, der Haß iſt ein zu fürchterliches Spiel für uns; der Haß hat einen unergründlichen Fonds, Sie144 wiſſen nicht, was da herauskommt aus der gähnenden Kluft ſelbſt der Schmetterling flattert nicht lange darüber

Sie ward unterbrochen. Ein freudiges Ach mußte ſich aus ihrer Bruſt ringen, um eine andere Erſcheinung zu begrüßen, wir wiſſen nicht, wen? Es iſt uns auch gleichgültig; der unerwarteten Er¬ ſcheinungen, die alle aus dem Fonds ihrer Liebe mit einem gleichen Ton der freudigen Ueberraſchung be¬ willkommt wurden, waren viele. Die Lupinus aber hätte, noch nicht in die Geſellſchaft eingeführt, allein geſtanden, wäre nicht der Legationsrath geweſen. Im Nebenzimmer arrangirte man Spieltiſche, es wurden ſchon Karten umgereicht.

Werden Sie ſpielen? fragte Wandel.

Werden Sie reiſen? entgegnete die Geheim¬ räthin.

Ich riethe Ihnen eine Karte zu ergreifen.

Und ich Ihnen zu reiſen.

Warum?

Aus demſelben Grunde, weshalb Sie mir zur Karte rathen. Man iſt der Mühe überhoben zu antworten, wenn man fürchtet gefragt zu werden.

Gilt der Haß, dem Sie die Geſellſchaft geweiht, auch mir?

Ich bin es müde, Räthſel zu löſen.

Im Augenblick, wo Sie den Schlüſſel fanden?

145

Um auf einen neuen Verſchluß zu ſtoßen. Viel Glück, Herr Legationsrath, in Rußland.

Will ich, gehe ich denn dahin?

So wollen Sie Jemand damit täuſchen?

Meine Feinde. Kennen Sie meine Feinde?

Nicht alle Einige.

Verlangen Sie, daß ich die Sorgen, unter deren Wucht ich meine Freundin erliegen ſehe, noch durch Mittheilung von Verhältniſſen erhöhe, die nur mich allein betreffen! Nicht mich allein nein, gewiß nicht, ich bin der letzte aber Niemand, der mir perſön¬ lich theuer iſt.

Ihre Sachen ſind gepackt, Extrapoſtpferde ſtehen für Sie täglich im Hofe des franzöſiſchen Attaché bereit.

Das ward Ihnen bekannt?

Durch Zufall.

Er ſah ſich um: Wenn Sie eines Morgens hörten, daß ich über Nacht aufgegriffen, über die Gränze geſchleppt ward, und wenn am andern Abend die Nachricht käme, daß er mich füſiliren ließ, ſo würden Sie den Grund der Vorſicht wiſſen.

Wer?

Napoleon.

Da würden Ihre Pferde doch nicht beim Vi¬ comte Marvilliers ſtehen.

Der Löwe ſucht nach dem Raub nicht in ſeiner Höhle.

Aber der junge Attaché!

IV. 10146

Wenn ich Ihnen ſagte, daß er darum weiß, wäre ich ein Verräther. Ich will kein Verräther werden, lieber ſcheiden.

Er hatte ſich halb umgewandt, um raſch die Hand der Geheimräthin zu ergreifen: Leben Sie wohl, liſpelte er.

Nur Eines, iſt Ihr Leben in Gefahr?

Noch nicht, aber Gütiger Gott! Die pein¬ liche Erwartung einer Entſcheidung, in der ich täglich ſchwebe, verſchließt mir die Lippen, wenn ich ſie öffnen müßte, um Vertrauen zu gewinnen. Ich klage Nie¬ mand, Sie am wenigſten an. Im Gegentheil, Sie haben Recht, daß Sie mir dies Vertrauen nicht ſchen¬ ken, ganz Recht; verdammen, Sie mich als Lügner, der die Pflicht hatte zu ſprechen, und wenn er den Mund öffnen ſollte, ihn verſchließt, als kaltherzigen Intriguanten, der mit den Gefühlen ſpielt, der edle Herzen zerreißt, verdammen Sie mich, Sie haben Recht, aber wenn es vorbei iſt, widmen Sie mir eine Thräne der Theilnahme, wenn Sie erkannt, daß ich nicht anders handeln durfte.

Wandel! ſie hielt inne Wann, wann kommt die Entſcheidung?

In einer Woche, vierzehn Tage höchſtens ein Monat, wenn aus Warſchau

Aus Warſchau?

Ich betheure Ihnen, es iſt nur eine Vorſichts¬ maßregel; vielleicht zerläuft Alles wieder, wie ſo oft, in Luft und Wind.

147

Wer iſt in Warſchau?

Entfiel mir das Wort! Ich bin ver¬ wirrt

Das muß Entſetzliches ſein, was Sie außer ſich bringt.

Was iſt entſetzlich, Freundin, in dieſen Welt¬ kriſen! Seine Hand zitterte in der ihren. Ihr Scharf¬ blick errieth es. Nun bin ich in Ihre Hand gegeben. Mein Leben hängt von Ihnen ab. Gehen Sie zu Laforeſt und

Sie phantaſiren. Als ob er nicht wüßte, daß Sie mit der Ruſſiſchen Diplomatie verhandeln.

Auch daß man mich verſtrickt, nennen Sie es Zufall, in ein Netz gezogen, deſſen Zipfelende die Bourbonen halten; daß Ludwig XVIII. wieder in Polen iſt, daß Dinge in Frankreich vorbereitet wer¬ den; daß in Napoleons nächſter Umgebung Perſonen gewonnen ſind; daß ihm die Flaſchen mit dem Keller¬ ſiegel, die er mit ſich führt, nichts helfen; daß die Suppe, die er koſtet, das Geflügel, das er in den Mund führt

Schweigen Sie, um Gottes Willen, ſchweigen Sie

O ich möchte Alles, was man mir eingefüllt, ausgießen, es zerſprengt meine Bruſt; denn bei Gott, nur mein böſes Glück, nicht mein Wille hat mich hier verſtrickt. Ich fühle mich ſchon erleichtert, daß ich eine Mitwiſſerin habe, bei der mein Geheimniß wie im Sarge ruht

10*148

Man wird auf uns aufmerkſam werden, daß wir uns ſo lange abſondern.

Sie haben Recht, und ich die Beruhigung, daß wenn ich plötzlich verſchwinden ſollte Ihr Verdacht mir nicht wie ein ängſtlicher Schatten auf der Heer¬ ſtraße nachſchleppt

Um Gottes Willen, meinen Sie, daß Sie dieſe Nacht ſchon verſchwinden müſſen.

Ich meine nichts, ich weiß nichts; ich ſollte meine Lippen verfluchen, daß ſie zum Verräther wur¬ den, aber mir iſt wohl zu Muthe, wohl wie einem Kinde, das ſeinen erſten Fehltritt beichtete. Nein, nein, es war wohl nur die Angſt, erpreßt durch Ihre Drohung.

Warum ſtürzten Sie ſich in dieſe Lage?

Warum bin ich ein Menſch!

Reißen Sie ſich los wenn es ſein muß, reiſen Sie auf der Stelle fort!

Ich lebte nur für Andere. Nein, nein, ich weiß es, ich bin nöthiger hier. Ich will für Andere leben Sein Sie unbeſorgt Nur um etwas Geduld flehe ich noch o könnten Sie in mein Inneres blicken Pflichten hier, Pflichten dort, Verlockungen aber ſein Sie überzeugt, als Mann, als Sieger werde ich daraus hervorgehen.

Man kommt.

Ein Freundesrath

Ich werde Sie nicht bemerken, wenn Sie ver¬ ſchwinden.

149

Heiter! meine Freundin. Es war ſehr gut, daß Sie herkamen, aber Sie kamen als Trauerge¬ ſtalt. Sie freuten ſich des Eindrucks. Um des Himmels Willen, mit Geiſtererſcheinungen darf man nicht ſpielen. Fort die Trauer, einige bunte Bänder, ſtimmen Sie ein in den frivol geiſtreichen Ton. Man muß mit ihnen tänzeln, die Gargazin hat Recht. Sie hat erkannt, daß Sie haſſen. Das kann ſchlimm werden. Werfen Sie die Maske ab, nicht haſtig laſſen Sie ſich allmälig erheitern durch die liebens¬ würdige Geſellſchaft. Da bringt man Ihnen eine Karte, nehmen Sie, ſpielen Sie, mit wem Sie wollen, es ſind alles Puppen; aber nicht zerſtreut.

Die Eitelbach präſentirte der Geheimräthin eine Karte: Wollen Sie?

Mit dem größten Vergnügen.

Ihnen präſentire ich keine Karte, denn Sie mogeln, ſagt mein Mann.

Damit ging die Baronin ſchnippiſch am Le¬ gationsrath vorüber, der ſcherzhaft die Finger nach einer Karte geſpitzt hatte.

Sie wird immer ſchöner, ſagte eine Stimme hinter dem Legationsrath.

Kann man ſchöner werden, wenn man eine vollkommene Schönheit iſt, entgegnete Herr Schadow.

[150]

Zehntes Kapitel. Der verlorne Sohn und die heilige Magdalene.

Das Spiel war zu Ende. Die Geheimräthin hatte allein gewonnen, und bedeutend. Sie war ge¬ ſprächig, ſehr liebenswürdig geweſen. Jetzt ſah ſie neben ſich nur verdrießliche Geſichter. Wenn ſie noch heiter und aufgeweckt blieb, legte man es ihr als Freude über den Gewinnſt aus, den die andern Mit¬ ſpieler berechneten. Sie war raſch aufgeſtanden, um mit der Lorgnette die Bilder an der Wand zu be¬ ſehen.

Es war hoch geſpielt worden. Der Kammerherr hatte anſehnlich verloren. Er zankte ſich mit ſeinem vis-à-vis über einige Points. Die Wechſelreden wurden ſo anzüglich, daß die Baronin Eitelbach die Herren bitten mußte, ſich zu menagiren. Der Kam¬ merherr warf dem Andern einen maliciöſen Blick zu, den jener, den Stuhl heftig fortrückend, durch ein Murmeln erwiederte: wer krumm ginge, könne auch nur krumm handeln. Der Kammerherr gehörte zu denen, welche das Glück haben, zuweilen taub zu ſein.

151

Die Baronin hatte ihre Börſe ausgeſchüttet: Mehr habe ich nicht; mein Mann muß zahlen. Das geht immer ſo, wer Glück in der Liebe hat, ſagte der Baron, verdrießlich die lange Börſe ziehend. Ich verbitte mir alle Gemeinplätze, hatte ſie er¬ wiedert. Er wollte nicht glauben, daß ſie ſo viel verloren haben könnte, als ſie angab, ſie warf ihm den Bêtezettel hin, er rechnete, wollte zanken, es war aber Niemand mehr da, mit dem er zanken konnte. Indem er die Geldſtücke hinwarf, ziſchelte er der Baronin etwas in's Ohr. Sein Auge begleitete dabei den Rittmeiſter. Sie ward hochroth, ſtand raſch auf und warf ihm mit einer Replik einen verächtlichen Blick zu, um ihm daraus den Rücken zu kehren.

Auch an andern Tiſchen war Uneinigkeit wegen der Berechnung. Ueberhaupt ſchien die von poetiſchem Duft umwobene Harmonie, welche vorhin geherrſcht, etwas zerriſſen. Ein erwarteter Gaſt war noch nicht da. Der Duft der Speiſen drang ſchon verlockend aus den Souterrains, aber es ſollte noch ge¬ wartet werden; der Prinz Louis hatte diesmal be¬ ſtimmt ſeine Gegenwart verſprochen. Einigen Herren ſchien dies ſehr unangenehm. Man fragte, ob er denn überhaupt kommen werde? Jemand meinte, die Anweſenheit des Geheimrath Lupinus dürfe Seine Hoheit ſchwerlich locken.

Ein beſternter Herr entgegnete lächelnd: Das würde wohl nicht der einzige Gegenſtand ſein, der einem Königlichen Prinzen hier nicht lockend vorkäme. 152Man muß geſtehen, wenn man die Sociétè über¬ fliegt, daß unſere gute Prinzeſſin mit aſiatiſchem Geſchmack eine kleine Völkerwanderung zuſammen¬ getrieben hat.

Sie liebt die Quodlibets, aber das Koſtüm iſt gewählt, ſagte die Almedingen. Herr von Fuchſius ſpielte auf den neulichen Vorfall des Prinzen mit dem zweiten Lupinus an. Die Hofdame hatte davon reden gehört, ſie wußte auch, daß man bei Hofe choquirt geweſen, ſie hatte aber noch nichts Näheres erfahren können, und war ſo begierig wie der Be¬ ſternte, es zu erfahren. Man zog ſich in eine Fenſter¬ niſche zurück.

Eine der Plaiſanterien Lombard's, die gar nichts auf ſich gehabt hätte, wenn nicht der Humor des Prinzen eine Bombe hineinwarf, die unter einem entſetzlichen Eclat platzte. Ihnen iſt bekannt, daß Seine Königliche Hoheit Luſt bekamen, ſich in die Humanitätsgeſellſchaft aufnehmen zu laſſen.

Was er nur in all den Geſellſchaften ſucht! ſagte die Almedingen.

Man ſagt den Geiſt, den er an einem an¬ dern Ort nicht finden kann. Ob es ihm in der Hu¬ manitätsgeſellſchaft gelingt, laß ich auf ſich beruhen. Die Aufnahme iſt ſehr einfach durch ein Ballottement erfolgt, in dem noch Niemand durchfiel. Nur eine ſchwarze Kugel war in der Urne, die ſich ſeltſamer¬ weiſe bei jeder Aufnahme findet. Beim Receptions¬ diner neulich ſcherzte der Prinz darüber, und äußerte,153 er möchte wohl den kennen, der ihn aus der geehrten Geſellſchaft hinaus ballottiren wollen. Lombard, der bei ſehr guter Laune war, ärgerte ſich gerade über den Geheimrath, der zu eifrig eine farcirte Faſanen¬ bruſt tranchirte, auf die er vielleicht ſelbſt reflectirt hatte. Er flüſterte mit ernſthafter Miene, die Augen auf Lupinus gerichtet, dem Prinzen etwas in's Ohr, und, die Achſeln zückend, ſchloß er halb laut: er iſt ſonſt ein braver Mann, man begreift nicht, wie er dazu gekommen iſt. Der Prinz ſtarrte lachend den Regenten der Vogtei an, und wenn er es nicht ſelbſt bemerkt, ſo flüſterten ſeine Nachbarn es ihm in's Ohr. Nun hätten Sie den unglücklichen Geheimrath ſehen ſollen. Ein Schauſpiel für Götter, wie er auffuhr, Meſſer und Gabel fallen ließ, kreideweiß, der Stuhl hinter ihm fiel nieder. Man kann buchſtäblich ſagen, die Augen gingen ihm über, und die Stimme verſagte ihm. Er wehte ſich mit den Händen Luft zu. End¬ lich brach es los. Ein Gefangener am Marterpfahl bei den Irokeſen, ſah er alle Augen auf ſich gerichtet, und der Prinz hatte die Grauſamkeit, mit dem Ernſt eines Generals beim Kriegsgerichte ihn unverwandt anzuſtarren. Nun, meine Damen und Herren, die Beredtſamkeit des Geheimrath Lupinus mögen Sie ſich denken. Nachdem er die Wolken der unerhörten, fürchterlichen Verleumdung zu zerſtreuen geſucht, kam er auf ſein theures Ich zu ſprechen, natürlich fran¬ zöſiſch, welches von der Muttermilch an nur in De¬ votion für das Königliche Haus ſich geſäugt. Nach154 vielen Endlich Aber Rückfällen Wiederho¬ lungen gerieth er in eine Art dithyrambiſchen Schwunges, und aus der Kehle oder der Bruſt kam ein Lobgeſang auf das Königliche Blut, das ſo rein und heilig, wie es im Herzen pulſt, durch alle Glie¬ der fließe, daß jeder Tropfen davon reiner ſei, wie der Purpur des Morgenrothes. Alle ſahen auf den Prinzen, der bis da mit unveränderter Miene den Mann angeſchaut, er mochte eine Viertelſtunde geſaalbadert haben, als er raſch aufſtand, das gefüllte Glas in die Hand nahm und die Lippen öffnete. Ringsum geſpannte, bange Erwartung. Mais riefen Seine Königliche Hoheit, eine kleine Pauſe c'est assez! Kein Wort weiter. Sie ſtürzten das Glas runter, ſtampften es auf den Tiſch und converſirten mit ihrem Nachbar weiter über die Trüffelpaſtete.

Der Beſternte, einem fremden Hofe angehörig, ſchwellte ſichtlich von einem innern Behagen, das er zu verbergen ſich Mühe gab, während die Hofdame erblaßt war:

Entſetzlich! Und ?

In der Geſellſchaft war eine Todtenſtille, Je¬ der ſah auf ſeinen Teller.

Und der unglückſelige Prinz?

mit großem Appetit. Vielleicht dachte er nach, ob die Geſellſchaft eines ſo genialen Einfalls werth war. Lupinus ſaß, was man in Berlin ſagt wie übergoſſen. Er ließ alle Schüſſeln vorübergehn.

155

Unglaublich! riefen beide Zuhörer, jeder dachte etwas andres.

Daß ſolch ein Menſch ſich nicht vernichtet fühlt, ſagte die Almedingen.

Weshalb, meine Gnädigſte?

Weil er die Urſach war, daß ein Prinz von Geblüt ſich ſelbſt vergaß. Wenn eine ſolche Gewiſ¬ ſenslaſt auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬ ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte.

Die Gewiſſen ſind verſchieden, entgegnete Fuch¬ ſius. Das iſt eine wunderbare Gabe Gottes. Herr Lupinus gehört zu der großen Klaſſe Menſchen, die man wie die Fröſche mit Keulen in den Sumpf ſtampfen mag, ſie ſtecken die Köpfe doch wieder raus.

Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr nicht länger dem Geſpräche zuzuhören. Als ſie ge¬ gangen, ſagte der Beſternte: Mich dünkt, zu dieſer Klaſſe gehört die Majorität der Menſchen. Der Regierungsrath erwiederte:

Wenigſtens, wenn die Keulenſchläge, die ſie täglich empfangen, ſie zur Beſinnung ihres Unwerths brächten, wäre die Welt eine andere, als ſie iſt.

Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar nicht kommen. Es ſeien Depechen vom Rhein höchſt betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe berufen. Und ſie läßt noch nicht ſerviren! ſeufzte ein Präſident, die Uhrkette ziehend.

Die noch nicht ſerviren ließ, hatte während deſ¬ ſen die Goldſtücke vom Spieltiſch eingeſammelt und,156 nachdem ſie dieſelben in Papier gewickelt, in den Pompadour der Geheimräthin gleiten laſſen.

Wollen Sie mich beſtechen?

Ich könnte Sie doch nur belohnen wollen, daß Sie meinen Abend durch Ihre Heiterkeit geſchmückt.

Ich bin ſchon belohnt durch den Genuß, den mir Ihre Picturen gewähren. Von wem iſt dieſer verlorne Sohn?

Von einem Spanier. Ein Ribera, ſagt man;

Einige wollen gar von Murillo. Betrachten Sie dieſe Schwielenhaut, dieſe Kruſte von Schmutz, man ſieht ordentlich die verſchiedenen Lager, auf denen er ſich gewälzt.

Ich bewundere nur das Geſicht. Aufgedunſen wie von der ſchlechten Nahrung, aber wie glüht das Auge!

Einige finden Aehnlichkeit mit Prinz Louis Ferdinand.

Wie blaß, bemerken Sie, Erlaucht, bei dieſer Beleuchtung. Ich möchte eher an den jungen Bo¬ villard erinnert werden.

In der That. Die ſchwarzen Brauen, auch im Kinn. Warum iſt dieſe herrliche Parabel nicht weiter geführt! Wir ſehen nur die Vaterfreude. Wenn auch die Geliebte ſeiner Jugend die Arme dem Verlornen entgegen breitete, wie viel rührender wäre die Geſchichte.

Sie könnte auch aus Verzweiflung verloren, vielleicht die Magdalene ſelbſt geworden ſein.

157

Das iſt eine geiſtreiche Combination, ein ge¬ nialer Gedanke!

Da hebt ja ſchon eine heilige Magdalene die Arme ihm entgegen. Wenn man die zwei Rahm¬ ſtücke ausſchnitte, wäre es ein Bild. Dieſelbe Größe, dieſelbe Färbung.

Ueberraſchend! Worauf Sie mich aufmerkſam machen!

Erlaucht haben viele Magdalenenbilder! Wo¬ hin ich ſehe

Hier Battoni, da Correggio; da iſt auch ein Murillo den liebe ich weniger dort ein Carlo Dolce, ein Van der Werf, Guido Reni. Von ge¬ ſchickten Malern copirt; ich gab ihnen meiſt ſelbſt Anleitung.

Seltſam, ſagte die Geheimräthin, ich erinnere mich keiner Magdalene von Raphael.

Der divino maëstro hatte ſich ſo ganz der Ma¬ rienverehrung hingegeben! Für mich hat der Mag¬ dalenencultus etwas Berauſchenderes. Leben wir nicht Alle der Erde näher, keimt nicht das Veilchen aus ihrer dumpfen Verborgenheit, athmet die Nelke nicht ihre Würze, fühlt unſre Bruſt ſich nicht wun¬ derbar geſchmeichelt vom Duft der Nachtſchatten! Die Marien bewundern, die Magdalenen begreifen wir. Wenn die ewige Jungfrau ihren Arm um uns legt, müßte es, dünkt mich, die Empfindung wie eines vom Blitz Getroffenen ſein; wenn die heilige Magdalene ihn ſanft um uns ſchlingt, o wie anders, wie gern würden158 wir uns von ihr heben laſſen, ſchweben durch die Wolken, die ſich öffnen, denn ſie flüſtert uns Bal¬ ſamworte zu: auch ich kannte Deine Schmerzen und Deine Wonnen.

Raphael ſucht, gnädigſte Frau, neben dem Ideal der Schönheit immer auch die Naturwahrheit; nun will man in dieſen reizenden Magdalenen

O, ich kenne dieſe Kritik, unterbrach die Gar¬ gazin. Um der Wirklichkeit zu genügen, die ſie Wahr¬ heit nennen, ſoll man die Magdalenen mit blaſſen Lippen, abgehärmten Wangen und erloſchenen Augen malen. Das wird ein büßendes Weib, aber keine Heilige, die ſchon den Vorſchmack der himmliſchen Wonnen empfindet. Nein, eine Magdalene, die zur himmliſchen Glorie ſich aufſchwingt, ſie iſt keine her¬ untergekommene Dirne aus den Kloaken irdiſcher Ge¬ meinheit, ſie muß, indem ihr Auge die Himmels¬ wonnen koſtet, was ihr dort geboten wird, noch mit dem vergleichen können, was ſie zurückläßt. Dies ſchöne Haar, die reizende Figur, die ſüße Lippe und der wogende Buſen, dies Alles, was wir ſehen und was entzückt, muß auch ihr noch gefallen, ſie muß ſich mit Schmerzen davon trennen, und doch giebt ſie es mit Vergnügen hin für die Schönheit und Wonne, die ſie nur ſieht. So denke ich ſie mir wie einen Geiſt, der, ſchon frei im Aetherlichte empor¬ ſchwebend, noch einmal in die verlaſſene Hülle zu¬ rückgekehrt iſt, um, nach des Dichters Worten, noch einmal mitzufühlen Schmerz und Qual.

159

Ich könnte ſie mir anders denken, ſagte die Lupinus vor ſich hinblickend. Doch das gehört nicht her.

Jede neue Anſchauung iſt mir willkommen. Für mich iſt die Magdalene der eigentliche Inbegriff des Myſteriums der göttlichen Liebe.

Hat ſie denn wirklich geliebt, ſagte die Ge¬ heimräthin. Mich dünkt, ihre Art von Liebe konnte nicht zum Glauben führen!

Weil ſie changirte?

Ja, wäre ſie eine Sultanin geweſen, die ihre Lieblinge ſich wählte und entließ, um endlich ihr Ideal zu finden. Aber ſie iſt doch gedacht als ein armes Mädchen. Hat nun ihr Fonds von Liebe ausgereicht, um alle die fortzulieben, die mit Seufzern und Schwüren kamen, mit Betheurungen und Gluth, die Lieder und Geld zu ihren Füßen ſtreuten, und gähnend fortgingen, um nicht wieder zu kommen? Vielleicht ward ſie auch gemißhandelt, und von denen, die ſie wirklich zu lieben geglaubt; ihre edelſten Empfindungen, wenn ſie ſich zu äußern wagten, wurden verſpottet. Und das durch Monden, Jahre wiederholt. Solchen Fonds von Erfahrungen hinter ſich, Täuſchungen darf man es nicht mehr nennen, erwarten wir von ihr etwas anderes als Verach¬ tung, Bitterkeit gegen das ganze Geſchlecht! Ich könnte ſie mir denken als eine Intriguantin, welche ihre Luſt dann findet, die Männer gegen einander zu hetzen, als eine Brandſtifterin, eine Semiramis,160 eine Amazonenkönigin, die die Brandfackel in Länder und Städte wirft

Vielleicht auch als Brinvilliers das iſt das richtige Argument des Verſtandes, meine theure Frau. Das wahrhaft von der Liebe erfüllte Gemüth Was iſt Ihnen?

Nichts ein vorübergehender Stich vom langen Sitzen.

Die Liebe ſucht nichts, die Liebe findet Alles, fuhr die Fürſtin mit ſüßer Stimme fort. Wer nur ein Ohr dafür hat, nicht muthwillig es ſchließt, wo der Spring unter der grünen Tiefe rauſcht, aus Furcht, daß er zu furchtbar vorbricht. O die Thörigen! Sehen Sie da den Rittmeiſter und die Eitelbach! Wo alles ſich findet, was ſich nur ſuchen will, gehen ſie wie Wachspuppen einander vorüber.

Mich dünkt, Adelheid und der junge Bovillard thun das auch.

Kinder, die Verſteck ſpielen.

Ich glaubte, ſie in Feuer und Flamme zu finden.

Im hellen Zimmer jagen, im dunkeln fangen ſie ſich.

Mamſell Alltag iſt blaß.

Unter den vielen Geſchminkten.

Der Marmorausdruck ihres Geſichts

Geliehen, theuerſte Frau! Was das arme Kind ſich Mühe giebt, ihr Gefühl uns zu verbergen, die tauſend Nadelſtiche, die das kleine Herz durch¬ bohren! Solche widernatürlichen Affecte rächen ſich.

161

Aber eine mütterliche Freundin, wie Erlaucht, wird der Leidenden zu Hülfe kommen.

Da darf kein Fremder helfen wollen. Wahr und wahrhaftig nicht. Die Natur findet ihren Weg und die Knospe bricht auf, wenn die Blume reif iſt.

Schade nur, wenn das arme Mädchen ſich wieder täuſchte! ſagte die Lupinus nach einer Pauſe.

Wie meinen Sie das?

Der junge Herr von Bovillard iſt zwar, was man nennt, in der Geſellſchaft wieder ehrlich ge¬ macht, aber ein Sort kann er ihr doch nicht machen. Ich glaube ſchwerlich, daß man ihm eine Anſtellung gäbe, wie jetzt die Dinge ſtehen. Sein Vater hat auch nicht mehr den früheren Einfluß. Der alte Alltag würde mit der Mariage ebenſowenig zufrieden ſein.

Ein vornehmes Lächeln ſchwebte um die Mund¬ winkel der Fürſtin: Daran habe ich wirklich nicht gedacht.

Hat Ihre Majeſtät noch das Verlangen, Adelheid zu ſehen?

Die Königin hat wirklich an Anderes zu denken. Da fällt mir ein, in der Magdalene, die hier die Arme, nach Ihrer glücklichen Entdeckung, dem ver¬ lornen Sohn entgegen hält, findet Schadow Aehn¬ lichkeit mit unſrer Adelheid.

Die Geheimräthin lorgnettirte: Der Schnitt des Geſichtes, aber ich möchte eher eine Ver¬ wandtſchaft mit der Comteß Laura entdecken.

IV. 11162

Wie fein wieder Ihr Blick, Sie ſind eine geborne Kunſtkennerin. Merkwürdig, Laura iſt faſt ganz ſo coſtümirt. Wir wollen die ſchönen Mädchen uns herrufen, um zu entſcheiden, wer ein näheres Anrecht darauf hat, eine Heilige zu werden.

Die ſchönen Mädchen waren nicht im Mag¬ dalenen-Zimmer. In dem Cabinet hinter den Feuer¬ lilien ſtand Adelheid, an derſelben Thürpfoſte, wo die Comteß geſtanden; faſt in derſelben Stellung, auch ſie blickte durch die Thürritze, theilnahmlos, zerſtreut, wenn Vorübergehende ſie anredeten.

Die Gargazin und die Lupinus ſahen ſich be¬ deutungsvoll an.

Es war nicht Zeit mehr zu feinen Beobachtungen. Das war kein eitles Spiel einer Koketten, die auf neue Eroberungen ſinnt, die ſich im Gedanken vor dem Spiegel ſchmückt und, in der Phantaſie ihr eigen Bild malend, ſich fragt: wirſt du ihm ſo gefallen? Sie athmete nicht, ſie zitterte nicht, aber der Rand des Blumentiſches, den ſie krampfhaft faßte, hätte, wenn er Empfindung gehabt, einen eiskalten Druck empfunden. Sie wußte nicht, daß ihr Lockenbund ſich etwas gelöſt und eine Flechte, ſie entſtellend, auf die Seite fiel, ſie fühlte den Boden unter ſich brennen, und ihr war eiskalt zu Muthe; nur ſchoß es zuweilen glühend heiß durch die Adern, und gegen die Augen drängte es wie ein Strom, der einen Ausweg ſucht, aber die Wächter haben die Schleuſen zugezogen.

163

Die Gargazin drückte die Hand ihrer Begleiterin und flüſterte ihr in's Ohr: Die Knoſpe bricht; heut entſcheidet es ſich.

Zu mehr war nicht Zeit.

Gruppen drängten ſich um einige ſpät Ange¬ kommene. Prinz Louis kommt nicht, lautete die eine Botſchaft. Ein Zweiter wußte von der eingelaufenen Nachricht: der franzöſiſche Kaiſer habe Diſtricte und Orte am Rhein beſetzt, die unzweifelhaft zu Preußen gehörten, und mit dem Uebermuth der Reunions - Kammern ſie für franzöſiſches Staatsgut erklärt. Der Miniſterrath war nach dem Palais berufen. Man hatte auch Generale in äußerſter Erhitzung dahin ſtürzen ſehen. Einige wollten wiſſen, man werde über Nacht dem franzöſiſchen Geſandten die Päſſe zuſtellen. Die Fürſtin rief nach dem Geheim¬ rath Johannes von Müller. Er war nicht mehr in der Geſellſchaft; ſchon vor einer halben Stunde war er abberufen. Eine andere Botſchaft aus dem Hauſe der Geheimräthin: der Herr Geheimrath befinde ſich in heftigem Fieber und phantaſire, indem er wun¬ derbare Namen anrufe.

Will denn Alles heut den ſchönen Abend uns ſtören!

Die Geheimräthin war nicht der erſte Gaſt, wel¬ cher Abſchied nahm.

Die Geheimräthin hatte eine Ahnung den ganzen Abend durch geplagt. Ihr ſei, verſicherte ſie, als wenn ein furchtbares Gewitter, ein Erdbeben im Anzuge ſei.

11*164

Um ſo größer war Ihre Gefälligkeit, den gan¬ zen Abend die Heitere geſpielt zu haben

Dafür hatte die Fürſtin ſie weiter begleitet, als die Etiquette forderte, vielleicht billigte: Ich möchte von Ihnen den Muth lernen, wie man bei einem Erd¬ beben lächelt.

Die Fürſtin lächelte aber nicht, als ſie zurückkehrte, man konnte vielmehr ein leichtes Schaudern bemerken: Ich hoffe, es war das erſte und letzte Mal. Ein Ver¬ trauter, wie Wände und Möbel es ſind, vor denen man nichts verbirgt, aber ſie erwiedern das Vertrauen nur durch Schweigen; ein ruſſiſcher Cavalier hatte den Herzenserguß gehört und wagte darauf zu fragen: Warum behandelten Erlaucht die Frau mit der Auf¬ merkſamkeit?

Weil ich ſie fürchte, hatte die Fürſtin dem Mö¬ bel erwiedert, weil ich muß Wandel fragen.

La table est servie! meldete der erſte Kam¬ merdiener.

Auch Wandel war verſchwunden. Der erſte Gaſt war jetzt der Präſident, die vornehmeren waren fort: Es wird doch auch diesmal nur blinder Lärm ge¬ weſen ſein! ſagte die Fürſtin.

Gewiß, entgegnete der Präſident, indem er ihr reſpectvoll den Arm reichte. Man wird ſchon wieder ein Auskunftsmittel finden, und wir können

Ruhig eſſen, Herr Präſident. Meine Herren, führen Sie die Damen, unſre Ordnung iſt zerriſſen wie es ſich findet.

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Die Ordnung war zerriſſen, die Tiſchgänger wurden gepaart, wie Niemand es erwartet hatte.

Wir haben Louis Bovillard in dieſer Soirée nur einmal in's Auge gefaßt, und auch da nur durch die Vermittelung anderer Augen. Vielleicht verloren wir nichts. Den vernichtenden Titanenhumor, der ihn für Viele intereſſant machte, ließ er nur noch ſelten ſpielen. Was gehörte er in die Geſellſchaft! War er doch auch vielleicht entwichen in einem lan¬ gen Siechthum! Was der Strömung der Zeit an¬ gehört, wird heut von ihr auf der Woge hoch getragen, daß es die Wolken anſprützt, um morgen im Ab¬ grund zu verſinken. Der Kothurn, den wir heut be¬ wundern, morgen belächeln wir ihn. So liefert die Tragödie von geſtern immer Stoff zur Komödie von heute.

Louis Bovillard ſahen wir durch die Thürritze als Träumer. Im Coſtüm des engliſchen Spleen hatte er einige alte Damen verletzt. Die jungen mochte er nicht verletzen wollen, denn er war plötzlich ein Anderer geworden. Er war in ihrem Kreiſe voll Laune, Witz, liebenswürdig vom Wirbel bis zur Zeh, aufmerkſam auf jede Neckerei, die er in dem Tone wiedergab, von dem ſie ausging. Was hatte ihn ſo verwandelt? Die Liebenswürdigkeit der jungen Da¬ men oder die ſteinernen Geſichtszüge, die Adelheid ihm zeigte? Man kann ja nicht immer in einer Ge¬ ſellſchaft den Träumer ſpielen, ſonſt wird man lang¬ weilig; und Adelheid mochte das auch denken, denn166 nichts verrieth, daß ſie ſich über dieſe Veränderung wunderte.

Man hatte in dem luſtigen Zimmer Pantomi¬ men aufgeführt beim Klange des Klaviers. Aber Louis mußte längſt vergeſſen haben, um was er am Inſtrumente ſaß. Er träumte wieder, denn er hatte ſich in Accorde vertieft, die wohl zu einem ſchauerlichen Liede von Novalis oder Tieck paßten, aber nicht zu der harmloſen Situation aus der jüngſten Reichardſchen Oper, noch zu den Scherzen des Suchens nach der Muſik.

Hatte die junge Geſellſchaft das gemerkt? denn ſie war allmälig verſchwunden vor den dumpfen, langaushallenden Tönen, die er den Taſten ent¬ lockte. Nur Eine war hinter dem Klavier ſitzen geblieben, und als er die Phantaſie mit einem Ton¬ ſchlage ſchloß, der wie ein tief aufſeufzender Meeres¬ ſtoß gegen das Eis brach, reſpondirte ein Ton der Bewunderung aus ihrer Bruſt.

Das war zu göttlich! Eigentlich verdiente es einen Kranz! Comteß Laura war aufgeſprungen, und ehe der Fortepianoſpieler es ſich verſah, fuhr ihr weicher Arm um ſeine Schulter und ſteckte das Bouquet feuriger Nelken, das ſie in der Schürze ge¬ tragen, raſch ihm an die Bruſt. Als er den Arm faſſen wollte, um den Dank auf die Hand zu hau¬ chen, war die Nymphe entſchlüpft. Das Unglück aber wollte, daß der Zipfel ihres garnirten Tuches an ſeinen Rockknopf ſich geneſtelt. Das Tuch war lang, und erſt in der Mitte des Zimmers ward ſie167 inne, daß ſie an ihn gefeſſelt war. Sie zerreißen mein Tuch. Er zog ſie langſam an ſich. Was wollen Sie? Sie ſtrafen, daß Sie entfliehen wollten.

Sie mußte ihr Tuch mehr lieben, als die Strafe fürchten, ſonſt hätte ſie doch das Tuch losge¬ laſſen und wäre entflohen.

Als er ihr jetzt entgegen ſprang, um ſie zu ſtra¬ fen, erſchreckte ihn nicht ihr leichter Schrei, mit dem ſie dem ſtrafenden Arm ſich zu entwinden ſuchte, ſondern eine Erſcheinung. Adelheid ſtand zwi¬ ſchen der Thür und ihm, die Hand an's Herz ge¬ preßt, als fühle ſie einen Schmerz, blaß, mit Geiſter¬ augen, wie eine Bildſäule.

Meine Herren, ſchnell den Arm den Damen! riefen mehre Stimmen, als durch die offene Thür der Zug zum Speiſeſaal vorüberging. Sans gêne, Jeder, wer ihm zunächſt ſteht.

Ob er, ob die Comteß das Tuch vom Knopfe losgeneſtelt, wiſſen wir nicht, aber es mußte losge¬ macht ſein, denn Bovillard fand kein Hinderniß mehr, als er der ihm Nächſtſtehenden den Arm öffnete. Es machte ſich von ſelbſt, es ging nicht anders, ohne einen Verſtoß. Es war Adelheid, die der Strom auf ihn zudrängte, während er die Comteß fortſchob. Auch ſie mußte, ſie ſtand ihm zu rechts. Aber ſie weinte. Eigentlich bebte nur ihre Bruſt.

Ihre Schlußaccorde es war mir, als ob als ob etwas ſprang

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Darf ich ? rief die näſelnde Stimme des Baron Eitelbach zur Comteß, ohne ſich zu tief zu neigen. Sie ſah ihn einen Augenblick von oben bis unten an, und ſteckte dann ihren Arm in den ſeinen mit einem: qu'importe! Es machte ſich auch von ſelbſt. Es waren die letzten Gepaarten.

Drei Paare folgten einander zu Tiſch, von denen Keiner am Abend erwartet, daß der Zufall ihn zu dem Andern führen würde. Die zwei ſahen wir eben; ihnen voran ging der Rittmeiſter Stier von Dohleneck und die Baronin Eitelbach. Spottvögel verglichen ſie mit Kerzen auf einem Armleuchter.

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Eilftes Kapitel. Ein belauſchtes Intermezzo.

Im Vorzimmer des neuen Miniſters ſtand Walter van Aſten. Es war vieles vorgefallen, was dieſe Audienz, um die er nicht nachgeſucht, immer wieder aufgeſchoben hatte. Der Miniſter war einmal zum Könige berufen geweſen, eine dringende Conferenz hatte ſich ein ander Mal in die Länge gezogen. Man hatte ihm hinaus ſagen laſſen, es thue dem Miniſter ſehr leid, aber um ihm ſeine Zeit nicht zu rauben, werde Excellenz ihm einen andern Tag beſtimmen laſſen.

Am heutigen war Walter mit frohem Herzen aus dem Hauſe gegangen. Nicht weil ein entfernter Bekannter, der ſich plötzlich ſeinen Freund nannte, heut Morgen zu ihm geſtürzt war, mit der frohen Kunde, die er vom Schwager des Bruders eines Kanzeleibeamten gehört, daß derſelbe ſeine Brochure auf dem Arbeitstiſch des Miniſters liegen geſehen. Seine Schrift hatte Walter faſt vergeſſen. Was war es jetzt Zeit zu Organiſationen! Wenn man im170 Mittelalter eine Glocke goß zu Ehren einer Stadt, opferten die Reichen von ihrem Silber, daß ſie einen ſchönen Klang gewinne, ſo war der Glaube. Wenn aber das Erz im Guß war, überkam eine fieberhafte Luſt Alle, man griff in die Läden und trug, was man koſtbares entbehren konnte, hinzu; ja, auch was man nicht entbehren konnte, und in der Opferluſt ſah man arme Wittwen, alte Mütterchen, hinzuſtürzen, um ihren letzten Löffel in den Keſſel zu werfen. Ihr Herz jauchzte, und die Thräne rollte über die ver¬ trockneten Runzeln, wenn ſie ihr theures Silberſtück ſchmelzen ſahen. Zur Glorie der Stadt! Und wenn ihre Gebeine längſt moderten, lebte, athmete, tönte ihr Opfer den Nachlebenden in der Luft, im Silber¬ klang der Glocken.

Eine ähnliche Empfindung war es, mit der Walter heut ſich auf den Weg gemacht. Er hatte kein Silberſtück zu bringen; in dem Augenblick fühlte er Alles werthlos, was er gedacht, geſchrieben, ſich ſelbſt wollte er opfern. Gleichviel was man mit ihm anfinge. Es war kein anderer Impuls in ihm als die Luſt des Atoms, ſich aufzulöſen in das Allgemeine. Nur raſch wünſchte er die Operation. Es iſt ja Alles vergänglich; auch der tiefſte Seelenſchmerz, von dem wir nie zu geneſen glauben, iſt nur ein bitterer Rauſch, der ſich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch die Bruſt des Ruhigen, Verſchloſſenen durchwühlt, ſo, in ſtillen Augenblicken, daß er die Sonne unterge¬ ſunken ſieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch171 der Schmerz arbeitet doch nur wie Alles, was Odem hat, bis ſein Athem ausging! Dann ja dann, was uns ins Auge fällt, der Abendſtern oder ein Abenteuer, ein Problem oder ein Bild aus dem Alltagsleben, Hitze oder Kälte, Hunger oder Durſt, die Neugier oder die Müdigkeit, ſie erregen neue Wünſche, neue Anſtrengung, neue Arbeit, neues Leben. Was wäre auch das menſchliche, wenn es an einem Schmerz ſchon verblutete, und jedem ſind der Schmer¬ zen ſo viele zugemeſſen!

Die Sonne der Liebe, die ſo wunderbar bei ihrem Aufgang in ſein graues Leben geſtrahlt, war verſunken, freilich er hatte ſchon lange ihr Licht immer matter, immer kälter werden ſehen, aber ſo plötzlich untergeſunken, ſo dunkel, unheimlich war auf ein Mal die Nacht, daß mit ihr Alles verſunken ſchien, was er gebaut, geträumt. Für ſich, was ſollte er da noch bauen, ſchaffen, wollen? Wozu? Was er für ſich erſtrebt, es hatte ja keinen Zweck mehr! Ehre! Wo war denn Ehre überhaupt zu gewinnen! Eine Exiſtenz! Brauchte er um die zu ringen? Ein dampfender Schlund ſchien ſich vor ihm zu öffnen, in den er, ein anderer Curtius, unverzagt geſtürzt wäre. Er hatte den Kanonendonner bei den Revuen gehört, das Gepraſſel des Pelotonfeuers. Wenn das Ernſt ward, die breite Bruſt den dampfenden Batterieen entgegen zu halten, müßte es nicht Luſt ſein!

Der Miniſter ließ ihn lange warten. Seine Excellenz waren in eifrigem Geſpräch mit einem vor¬172 nehmen Beſuch. Wenn ſie ſich der Thüre näherten, ſchallten Worte und ganze Sätze zu ihm; dann, die Klinke an der Hand, machten ſie wieder Kehrt, es ſchien neues Oel in die Flamme gegoſſen, und indem ſie ſich tiefer in's Zimmer entfernten, gingen die Worte in unarticulirte Töne über. Er glaubte den Titel ſeiner Schrift zu hören. Er konnte ſich aber auch getäuſcht haben. Er näherte ſich unwillkürlich dem Tiſche, worauf die letzte Lectüre des Miniſters lag. Obenauf ſeine Schrift. Sie war an vielen Stellen eingeknifft. Er ſah dicke rothe Striche, Ausrufungs - und Frage¬ zeichen. Alſo doch darum! Sie hatte die volle Aufmerkſamkeit des ausgezeichneten Mannes erregt. Mußte er ſich nicht vorbereiten? Er trat zaudernd noch näher. Da ſtand ein Bravo! dick neben einer Stelle. Sein Herz klopfte.

Schon griff ſeine Hand nach dem Buche, als die Thür aufſprang, und der Miniſter ſeinen Beſuch hinaus begleitete. Sie bemerkten ihn im Eifer der Unterhaltung nicht; der Fremde mochte zur engliſchen Geſandtſchaft gehören, ſie ſprachen engliſch.

Mylord, Preußen iſt durch den neuen Vertrag ohne Schwertſtreich aus der Reihe der europäiſchen Mächte geſtrichen, Sie können's in hundert Schriften leſen, ſprach der Miniſter. Was verlangen Sie noch von uns!

Und doch hat Seine Majeſtät, Ihr König, Laforeſt's Antrag nicht gewillfahrt, ſagte der Eng¬ länder.

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Weil der unverſchämte Menſch forderte, er ſolle Lombard für etwas belohnen, wofür

Sie und ich ihm einen andern Lohn gönnen, fiel der Geſandte ein. Indeſſen hatte Lombard nichts gethan, als was Seine Majeſtät billigen mußten, er hatte Haugwitz während deſſen Abweſenheit ver¬ theidigt, das heißt, den Vertrag, den der König ſelbſt ratificirt hat.

Die Patrioten hätten Lombard in Stücke zerriſſen, wenn man ihn noch decorirte und be¬ ſchenkte.

Seine Majeſtät hörten auf die Stimme des Volkes, aber auch auf die Ausfälle des Moniteur. Um Napoleon zu genügen, hat man den Baron Hardenberg entlaſſen.

Kämmerchen vermiethen, warf der Miniſter hin.

Excellenz, nichts deſto weniger muß ich Ihnen bekennen, daß mein Cabinet grade dies am wenigſten verſteht. Und wenn mein Cabinet, das engliſche Volk begreift es nicht.

Giebt die Diplomatie niemals mit der einen Hand, um mit der andern, zu nehmen?

Nicht in Kriſen, wo man nicht weiß, ob man noch Zeit hat, den ausgeſtreckten Arm zurück¬ zuziehen.

Der Miniſter, der eine Weile vor ſich hinge¬ blickt, zückte mit den Achſeln: Und doch irren Sie, Mylord, die Uhren auf dem Continent gehen lang¬ ſam. Die Stunde iſt noch nicht ſo weit vorgerückt.

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Seiner Majeſtät Uhr ging raſcher, als Sie uns Hannover nahmen, Ihre Häfen uns verſchloſſen.

Weil Napoleon ſchneidend auf die Ausführung des Vertrages drang. Er ſtand mit dem Hammer des Auctionators da.

Und jetzt mit dem Lictorenbeile, Excellenz. Er legt den Vertrag aus, wie es ihm gefällt. Er hat vor der Zeit Ihre Beſatzung aus Weſel ver¬ drängt. Der Commandirende derſelben hat, beinah ausgehungert, in ſeiner abgeſchnittenen Lage um die zurückgelaſſenen Vorräthe bitten müſſen. Murat, der neu creirte Großherzog von Berg, hat, auch nach dem ſchmählichen Vertrage, unbeſtreitbar preußiſche Bezirke, Alten, Eſſen, Werden beſetzt. Er zieht die Kaſſen ein, requirirt für die Magazine, ſetzt Beamte ein und ab. Der Kaiſer bleibt, aller Remon¬ ſtrationen ungeachtet, herriſch dabei. Ihr Staat iſt ſo abſolut iſolirt, daß er von Frankreich abhängig ſein muß, und doch genügt das Napoleon nicht. In ſeinem Uebermuthe ſpielt er mit Preußen wie der Tiger mit ſeinem Opfer, ehe er es zerreißt. Wozu Schonung, er ſpricht es deutlich aus gegen Jeden, der es hören will, nicht vor ſeinen Miniſtern, vor ſeinen Stallknechten ruft er: was Rückſichten gegen einen Staat, der ſo tief in der öffentlichen Meinung ſank, daß er nirgends Freunde hat; daß die es waren am lauteſten vor Schadenfreude lachen werden, wenn er zuſammen ſtürzt. Napoleon ſucht Krieg, er will Krieg, er provocirt ihn

175

Und findet lämmermüthige Geduld, fiel der Miniſter unerwartet ein. Mit ironiſchem Lächeln ſetzte er hinzu: Sollte Seiner Majeſtät, dem Kaiſer der Franzoſen, da nicht am Ende ſelbſt die Geduld ausgehen!

Der Britte fixirte ihn: Eine Maske, Excellenz, thut zuweilen ihre Dienſte, wenn man ſich noch verſtellen kann; wenn man aber ſich ſo deployirt hat, daß der Feind alle Schwächen und Hülfsmittel kennt, iſt es zu ſpät. Und wenn ſie es noch länger hin¬ halten, Ihr Volk hält es nicht länger aus.

Kennt man das auch in Paris! ſagte der Miniſter mit einem eigenthümlichen Tone, zwiſchen tiefem Ernſt und leichtem Spott.

Ihre Staatsmänner zählen noch nach Jahren, hub der Britte wieder dringender an. Ich nach Monden, Wochen, vielleicht nach Tagen. Wiſſen Sie hier nichts von den Verhandlungen mit den deutſchen Fürſten im Weſten und Süden? Um das Reich Karls des Großen zu ſtiften, müſſen die Wittekinde vorher im Staube liegen. Er darf auch den Schein eines Sachſenreiches nicht dulden. Wüßten wirklich Ihre Staatsmänner nichts davon, verſchlöſſen ſie in unglaublicher Verblendung ihr Ohr, oder glauben ſie noch, ihr Veto einzulegen, wenn Alles abge¬ macht iſt?

Der Miniſter war bewegt, nicht durch die letzte Mittheilung des Engländers. Er hatte nur bis jetzt ſeine Stimmung durch Einwendungen in iro¬176 niſchem Tone zu verdecken gewußt. Wie tief er in eignen Gedanken verſenkt war, beweiſt der Umſtand, daß er das Vorzimmer vergaß, und Walter nicht bemerkte, obſchon dieſer keinen Verſuch gemacht, ſich zu verbergen. Der Engländer mochte ihn geſehn, aber für einen Vertrauten, zum Haus gehörig angeſehen haben; auch ſetzte er vielleicht nicht voraus, daß ein Sekretair die engliſche Sprache verſtand. Der Miniſter ging unruhig einige Schritte auf und ab. Walter hielt es ſogar für ſeine Pflicht, durch ein Geräuſch ſeine Anweſenheit zu verrathen, aber ohne ſeinen Zweck zu erreichen.

Wir wiſſen noch mehr, Mylord, ſprach der Miniſter, vor dem Britten ſtehen bleibend. Eine Revolution iſt im Ausbruch, eine Revolution, welche allen, die geweſen ſind, die Krone aufſetzt. Sie ſpielt in der Hofburg zu Wien. Der Steuermann ſpringt in den Rettungskahn, Fahrzeug und Volk ſich ſelbſt den Wellen überlaſſend. Franz II. legt die römiſche Kaiſerwürde nieder, er will ſeine deutſchen Provinzen los und ledig erklären von allen Pflichten gegen das Reich. Das Reich mag an der nächſten Klippe zerſchellen, damit Oeſtreich gerettet wird.

Mich dünkt, einen preußiſchen Staatsmann ſollte dieſe Nachricht nicht erſchrecken, ſagte ruhig der brittiſche Diplomat.

Wenn er aus Herzbergs Schule iſt! Wir fragen, hat er ein Recht dazu, darf er preisgeben ein ihm anvertrautes, heiliges, das höchſte Amt der177 Nation, der Chriſtenheit, ohne die zu befragen, die durch freie Wahl es ihm auftrugen? Das deutſche Volk behält das unveräußerliche Recht auf ſein Daſein.

Der Britte fixirte ihn: Sprechen Eure Reichs¬ freiherrliche Gnaden da als preußiſcher Miniſter?

Im Staatsmann arbeitete ein Feuer fort, er hörte nicht den Einwand: Das iſt der Fluch jener franzöſiſchen Revolution, die aus dem nackten Begriff ſchöpfte, und in den Hexenkeſſel roher Begriffe Alles einwarf, Todtes, Lebendiges, Ungebornes und Ver¬ weſtes, aber auch das Heiligſte und Gerechteſte. Was blieb denn noch über, woran wir uns halten, wo der Vielfraß Zeit Alles aufzehrte, als das Vaterland! Zerſetzen wir auch das auf ſeine Knochen und Fa¬ ſern, dann Valet die letzte Sprungkraft, die uns aus dem Schlamm aufreißt. Ohne daß wir an Deutſchland feſthalten, iſt kein Heſſen und kein Sach¬ ſen, ja, kein Preußen und kein Oeſtreich. Sie, My¬ lord, wenn ich nicht irre, rühmen ſich Walliſer Ab¬ kunft, was hält denn Ihr großbritanniſches Reich zuſammen, als daß es Eins ward, Britten und Sach¬ ſen, Sachſen und Normannen, Engländer und Schot¬ ten, ſelbſt das widerſträubende Irland hat der Na¬ tionalſinn mit eiſernem Arm an die gemeinſame Bruſt geklammert. Wäre es Bonaparte damals ge¬ lungen, hätte er Ihre Schiffe geſprengt, Ihre Strand¬ batterieen durchbrochen, Ihre Armee geſchlagen, Lon¬ don genommen, hätte er die Mythe in's Leben undIV. 12178die Kronen von Frankreich und England auf eines, ſein Haupt geſetzt, hätten Sie ſich genügen laſſen mit einem kleinen Walliſer Reich, oder Pic¬ tenreich? Zerfallen und zerfahren war Ihr ſchöner germaniſcher Staat, wenn der Nationalſinn kein Herz mehr hatte, von dem alle Adern ihr Blut empfin¬ gen. Uns hat man die Adern unterbunden, ſeit Jahrhunderten das Blut abgezapft und in andre Ka¬ näle es zu leiten geſucht, und doch wallt und ſtrömt es immer wieder nach dem Herzen hin. Es ſucht es, und kann's nicht finden, das iſt ſeine[Qual], aber es muß, es wird es wieder finden, oder der deutſche Name iſt ausgeſtrichen aus der Geſchichte.

Und in England, wollten Sie ſagen, fuhr der Britte, ohne aus ſeiner Gelaſſenheit zu kommen, fort, als der Miniſter plötzlich inne hielt, daß die getrennten Stämme dies Herz erſt gefunden haben. Richtig; es war ein glücklicher, aber ein künſtlicher Prozeß. Die Fuſion des Blutes iſt hergeſtellt, aber der Stempel darauf iſt das Intereſſe. Das ſollten Sie doch nicht vergeſſen, Sie leſen es ja auch in allen Journalen und Schriften. Ja, Excellenz, wir dürfen uns nicht darüber täuſchen, es iſt das In¬ tereſſe, was uns zuſammenfügte und hält, ein Band, das Napoleon durch ſeine Continentalpolitik täglich feſter macht. Aber wenn wir ſehen, daß die Conti¬ nentalmächte, in deren Intereſſe es lag, mit unſerm zu gehen, ihr eignes vergeſſen, wenn wir ſie ſchwan¬ ken ſehen von einem Tage zum andern, ihre Ent¬179 ſchlüſſe ändern, dann mein Herr, wir ſind Kauf¬ leute, Phantaſieen und Fanatismus, zu manchen Ge¬ ſchäften gut, um den Impuls zu geben, tragen wir in unſerm Contobuch nur unter dem Riscontro ein. Napoleon iſt ein großer Speculant, er ſetzte bisher Alles auf eine Karte; ſo lange trauten wir ihm nicht. Seit er aber im fortdauernden Gewinnen und ſich immer conſequent iſt, dürfte England dahin kommen, ihn als einen ſolidern Kaufmann zu betrachten, mit dem es ſich wohl einmal auf ein Geſchäft einlaſſen könnte.

Pitts Nachfolger werden und können ſich auf eine Aſſociéſchaft mit Bonaparte niemals einlaſſen.

Alle Vorſtellungen täuſchen, ſobald die Rech¬ nung ein andres Facit giebt.

Der deutſche Staatsmann ſah ihn ſcharf an: Mylord, ich habe mir die Achtung vor dem Cha¬ rakter bewahrt, auch in der Politik und ich glaube, nie falſch gerechnet zu haben. Ein wirklicher Cha¬ racter ſtimmt mit den Geſetzen der Mathematik. Die Maske iſt zu durchſichtig. Wo könnte England gewinnen?

Wenn es die ſchwankende, haltungsloſe Politik derer, die ſeine Freude ſein müßten und es nicht ſind, ſich ſelbſt überläßt, und mit dem ſtarken Feinde ein einfaches Geſchäft macht, Zug um Zug?

Der Britte ſah ſich vorſichtig um. Indem ſein Blick auf Walter fiel, dämpfte er die Stimme. Es war ein ſtilles Zwiegeſpräch von einigen Secunden. 12*180Der Miniſter horchte, den Kopf etwas vorgebeugt, zu, bis er ihn wieder in die Höhe warf. Er war ein ganz Andrer geworden, alle Unruhe und Agita¬ tion war fort. Sein Auge lachte ſogar etwas höh¬ niſch, als er mit lauter Stimme ſprach:

Daß er die Propoſition machen ließ, bezweifle ich gar nicht, wenn er aber England Hannover zu¬ rück anbot, ſo kenne ich die klugen Kaufleute in der Downingſtreet zu gut. Fehlgeſchoſſen, Ihr greift nicht nach dem Danaergeſchenk. Wie! Eine Heerde Euch ſchenken laſſen, und wenn ſie Euch gehörte ſeit Abrahams Zeit, aber um Haide und Stall haben ſich Wölfe gelagert! Wollt Ihr ſie annehmen unter der Condition, daß Ihr die Wölfe nicht bekriegen dürft, daß Ihr Eure Lämmer unter der Aufſicht der Raubthiere ſcheert und die Wolle holt? Glaubt Ihr zu beſitzen, was nur auf einem Vertrage beruht, und wenn der Wolf hungrig iſt, wollt Ihr ihm das Pa¬ pier entgegen halten? Nimmermehr, Mylord, lehren Sie mich von Ihren Staatsmännern nicht kleiner denken, nicht an ſie den Maßſtab von dieſen hier an¬ legen! Ja, ſei es, das Intereſſe allein trennt und verbindet, und darum bleibt England uns verbün¬ det, wie gut oder wie ſchlecht wir's ihm gelohnt. Und doch rechne ich nicht darauf ich habe gelernt, auf nichts mehr zu rechnen, ich rechne allein doch das gehört nicht hierher. Im Uebrigen, Mylord, jetzt iſt es Sommer, aber Bonaparte fängt erſt im Herbſt Krieg an.

[181]

Zwölftes Kapitel. Ein Plagiarius wird entdeckt.

Walter hatte auf den erſten Blick in dem Mi¬ niſter den Mann erkannt, mit dem er zufällig in Sansſouci zuſammengetroffen war nicht zu ſeiner Ueberraſchung; eine leiſe Ahnung war ſchon früher in ihm aufgeſtiegen. Dennoch fühlte er ſich ange¬ nehm berührt. Er war bei dem ausgezeichneten Manne eingeführt, er kannte den Miniſter, der Mi¬ niſter ihn, er durfte hoffen von einer vortheilhaften Seite; ſo waren die erſten läſtigen Formalien be¬ ſeitigt.

Nachdem der Engländer gegangen, durchſchritt der Miniſter noch einmal das Vorzimmer. Die Mittheilungen des Britten beſchäftigten ihn, die Lip¬ pen bewegten ſich, die Hände ſpielten ein Pantomi¬ menſpiel, als er ſich jetzt raſch nach dem Tiſche umkehrte.

Wer ſind Sie? Was wollen Sie hier? fuhr es heraus, als er Walter erblickte, und um die Au¬ genbrauen wölbten ſich gefährliche Runzeln.

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Euer Excellenz haben mich beſchieden.

Wer Sie ſind doch nicht?

Mein Name iſt Walter van Aſten. Wenn keine Verwechſelung unterlief, ward ich von Excellenz erwartet.

Der Miniſter ſah ihn von oben bis unten an. In den Runzeln der Augenbrauen ſammelte ſich ein Gewitter des Zornes, aber während um die Lippen ein ſpöttiſcher Zug bemerkbar ward, glänzte in den Augen, die ihn ſcharf durchbohrten, etwas von Mitleid mit Verachtung gemiſcht.

Sie Sie haben das da er griff nach Walters Brochure, und indem er ſie mit zwei Fingern verächtlich aufhob, hielt er ſie ihm plötzlich mit beiden Händen vor's Geſicht, um ſie eben ſo raſch wieder auf den Tiſch zu werfen. Das haben Sie ge¬ ſchrieben ich meine, Sie haben es drucken laſſen?

Ich habe keinen Grund es zu leugnen.

Und mir unterſtehen ſie ſich dieſe Schrift zu unterbreiten?

Ich erfuhr erſt heut, daß Eure Excellenz von meiner Schrift Notiz genommen.

Der Rittmeiſter Dohleneck iſt Ihr Freund?

So viel ich weiß, ſteht er zu meinem Vater in Verhältniſſen.

Doch noch etwas Beſcheidenheit, durch den Papa und die Freundſchaft mir in die Hände zu ſpielen, wozu Ihnen ſelbſt die Unverſchämtheit abging. Gut geſpielt, mein Herr, Sie können ſich183 rühmen, daß ich Sie einen Augenblick für ehrlich hielt.

Wenn meine Anſichten oder meine Darſtellung Euer Excellenz Mißfallen erregten, ſo glaube ich wenigſtens dieſe Behandlung nicht verdient zu haben, da ich mich Ihnen damit nicht aufgedrängt habe. Wenn Euer Excellenz mich nur deshalb rufen ließen, ſetzte er nach einer Pauſe hinzu, ſo glaube ich jetzt entlaſſen zu ſein.

Unverſch Ihre Anſichten! Herr, in drei hat ein Plagiarius Anſichten? Kann ein Dieb ſagen, der einen Kaſten aus dem offnen Fenſter ſtahl, daß ihm die Sachen darin gehören, wenn er ſie in ſeiner Spelunke in Schränke und Fächer geſtellt hat?

Walters Blut ſtürzte gegen ſeine Bruſt, er preßte die Lippen, ſeine Stirn glühte, und wie ein eiskalter Strahl fuhr es ihm zugleich vom Wirbel bis zur Zeh: Was haben Euer Excellenz mir zu befehlen? Er ſprach es mit feſter Stimme, aber es war der letzte Moment der Faſſung.

Scheeren Sie ſich zum wo Sie hergekommen, und unterſtehen ſich nicht, mir wieder unter Augen zu treten.

Der Miniſter hatte mit halber Wendung ihm den Rücken gekehrt.

Ich werde nicht gehen, hörte er hinter ſich eine klar tönende Stimme. Denn darum haben, darum können Excellenz mich nicht herberufen haben. Ich gehe nicht, weil ich es mir ſchuldig bin, und ich184 gehe nicht, weil ich es Euer Excellenz ſchuldig bin. Ich habe ein Recht, vor Ihnen gerechtfertigt zu werden, wie der Miniſter ein Recht hat, vor mir gerechtfertigt zu ſtehen, und wäre ich die unterſte menſchliche Creatur in dieſem Staate.

Der Freiherr ſah ihn über die Schulter an:

Im Mundwerk ein Virtuos wie im Stil; aber ich liebe nicht Virtuoſen, ich will Charaktere. Was haben Sie vorzubringen? Kurz!

Daß hier ein Mißverſtändniß ſein muß.

Es iſt Alles klar. Mit abgeſchriebenen Ge¬ danken wollen Sie ſich brüſten. Gehn Sie zu andern Staatsmännern. Ich will Ihnen den Ge¬ fallen thun und Sie vergeſſen. Verſtanden? Ganz vergeſſen! Machen Sie da Ihre Fortune. Aber, junger Mann, wem es ernſt iſt um das Vaterland, und wo es ſich handelt um ſeine heiligſten In¬ tereſſen, da dulde ich keine Escroquerie.

Es war nicht mehr die Gluth der Entrüſtung und des Zornes, es war eine löſende Wärme, welche unſern Bekannten aus ſeiner Erſtarrung in's Leben rief. Hier war ein Mißverſtändniß. Er fühlte ſich ſo muthig wie je. Der Miniſter, der, ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, gegangen war, und ſchon die Thüre in der Hand hielt, hörte den entſchiedenen Tritt des Andern hinter ſich, er hörte ein Halt ihm zurufen! Vielleicht wäre der Dreiſte ihm in's andere Zimmer gefolgt, wenn er nicht an der Schwelle Kehrt gemacht. Vorhin hatte Walters Stimme ihn185 ſanfter geſtimmt; der klare, ruhige Blick, die geſetzte Haltung, mit der er ihn jetzt anſah, hemmte noch einmal das Gewitter, das im Losbruch, entweder gegen einen unerhört Unverſchämten oder gegen einen Unſchuldigen. Das klare blaue Auge ſprach für die Unſchuld.

Excellenz, ich weiß, was ich begehe, und weiß, daß ein Klingelzug, ein Rufen aus Ihrem Munde, über mein Loos entſcheidet. Laſſen Sie mich durch Ihre Diener hinauswerfen, in's Gefängniß ſchleppen, mir den Prozeß machen wegen Attentats gegen einen höhern Staatsbeamten im Dienſt. Ich will nichts ableugnen, und weiß, daß es mehre Jahre Feſtung, meine Carriere koſten kann. Dennoch! So heilig Ihnen Ihr unbeſcholtener Ruf iſt, ſo heilig mir meine Ehre. Der Staatsmann, den ich nicht mit den übrigen verwechsle, der die Dinge nach ihrem Werthe prüft und die Menſchen nicht nach ihrem Kleid und Namen, er hat mich, den er freundlich in ſein Haus lud, hier in ſeinem Hauſe einen Plagiarius geſcholten, er hat mich des Dieb¬ ſtahls, der Escroquerie gezüchtigt. Ich habe ein heiliges Menſchenrecht, dafür Rechenſchaft zu fordern. Von Andern würde ich ſie nicht fordern, die in brutalem Dünkel den Untergebenen nicht fähig halten zu denken, was ſie nicht ſelbſt gedacht; von Euer Excellenz fordre ich ſie, und Sie werden ſie mir gewähren. Weſſen Gedanken habe ich entwendet, weſſen Schrift nachgedruckt? wen habe ich um ſeinen186 Vortheil betrogen? Dieſe Schrift, die Anſichten darin, falſch oder richtig, ſind meine. Ich bin auf Tadel gefaßt, ich werde auch Verſpottung zu ertragen wiſſen, aber ich will mein Recht als Eigenthümer.

Er hatte das Heft vom Tiſche ergriffen. Der Miniſter ſah ihn mit einem durchdringenden Blicke eine Weile an, aber während der Zorn noch auf den Lippen ſchwebte und den untern Theil des Geſichtes durchzückte, glätteten ſich ſchon die Falten der Stirn und unter den Brauen wurden die Augen klar; ja ein ſpöttiſches Lächeln fing an ſich über die Mund¬ winkel zu legen.

Die Gedanken, mein Herr, ſind meine.

Walter hielt zum erſten Male den Blick nicht aus, er ſenkte ſeine Augen; der Blick wurde ganz ſarkaſtiſch.

Meine eigenen, wiederholte der Miniſter in einem Tone, der dem Blick entſprach. Ihre Artigkeit wird doch nicht Beweiſe fordern?

Und wäre das, mein Gott!

So wäre das noch keine große Sünde. Ge¬ danken können ſich begegnen, Gedanken fliegen durch die Luft. Der Eine, arglos, im Eifer des Geſprächs, läßt ſie über die Lippen, und ſie vibriren von Ohr zu Ohr, bis der letzte Horcher ſie in Worte faßt und ſie für die ſeinen hält, weil er ſie zu Papier bringt. Dieſen Diebſtahl will ich Ihnen verzeihen, aber

Darauf war Walter allerdings nicht vorbereitet geweſen, aber ein Blick auf das Exemplar der Druck¬187 ſchrift in ſeiner Hand gab ihm den Muth zurück. Er hielt das dicke Bravo! mit Rothſtift dem Miniſter entgegen:

Hier fanden Excellenz

Einen meiner Gedanken ausgeführt, wie es mir gefiel. Nein, ich bekenne, mehr. Was ich erſt flüchtig hingeworfen, auf eine andere Zeit die Aus¬ führung verſparend, fand ich ſo entwickelt, es bekam Hand und Fuß, es ward durch die Wendung ein neuer Gedanke. Es überraſchte mich, und ich war froh, daß Jemand mich verſtanden hat, in meinem Sinn gedacht, weiter gedacht als ich

Gott ſei Dank! brach es von Walters Lippen. Er vergaß in dem Augenblick ſeine Stellung, ſelbſt die peinliche Lage, in der er ſich noch eben befand. Er zückte mit der Hand, als wolle er nach der des Miniſters greifen. Gott ſei Dank, ich bin gerecht¬ fertigt. Dieſe Wendung werden Sie mir doch als Eigenthum laſſen!

Indem der Staatsmann ihn unverwandt an¬ blickte, ſchien die Wolke von vorhin ſich wieder auf ſeinem Geſicht zu ſammeln, aber es war eine Magie, um nicht zu ſagen Sympathie in Beider Augen, welche den Ausbruch des Gewitters noch nicht zuließ.

Auch die darauf folgenden Seiten? Sehn Sie nach.

Walter blätterte. Sie waren mit Rothſtift an der Seite von oben bis unten angeſtrichen.

Es iſt nur die Entwickelung jener Wendung188 des Gedankens. Ich glaube, ſie iſt folgerichtig und nicht unglücklich.

Ich glaube es auch, ſagte der Miniſter. Es wetterleuchtete wieder. Er ſprach raſch in abgeſtoßenen Sätzen: Alſo Ihre Entwickelung? Mit Ihren Fingern geſchrieben? Zweifle ich nicht. Und der Rittmeiſter, Ihres Vaters Freund, hat nicht mit Ihrem Wiſſen gehandelt? Ich will es glauben. Kennen Sie den Regierungsrath Fuchſius? Still! Es kommt nichts darauf an. Die Verlegenheit will ich Ihnen ſparen. Gedanken fliegen nicht allein durch die Lüfte, auch durch die Finger von Abſchreibern. Sind Sie ein Clairvoyant? Ja, ich hörte, aus der romantiſchen Schule. Sahen Sie die Ausführung, Seite für Seite, Satz für Satz, Wort für Wort durch die Mauer ſchimmern? Sie ſchrieben vermuthlich um Mitternacht, beim Vollmond. Sagen Sie ja. Auf eine Illuſion mehr kommt es einem Romantiker nicht an, und wir ſcheiden in Freundſchaft. Ich kann Sie noch als einen ehrlichen Menſchen mir aus dem Sinn ſchlagen, wenn Sie mir ehrlich verſprechen wollen, künftig zu wachen, wenn Sie über Dinge ſchreiben wollen, die Sie zu verſtehen glauben.

Ich bin kein Oedipus, Excellenz, und ſtehe ſprachlos vor dieſer Sphynx.

Der Miniſter nahm ihm die Brochure aus der Hand, aber indem er demonſtriren wollte, zerdrückte er ſie in der Heftigkeit ſeiner Geſticulation.

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Als ich ſie vorgeſtern in die Hand bekam, war ich entzückt. Der Anfang ſuperbe. Das Vorwort iſt von Ihnen, das kann ein Geſchäftsmann nicht. So wollte ich die Verordnung vor's Publicum ge¬ bracht, ſo eingeleitet. Selbſt die Perücken, durch die ich mich ſchlagen muß, würden einigen Reſpect vor dieſer Ueberzeugungskraft, vor dieſer Geſinnung in blühender Sprache, die zum Herzen dringt, gewinnen. Das kommt von Ihnen? Nicht?

Wenn nicht ein unſichtbarer Geiſt es mir ein¬ gab, der ſein Eigenthum reclamirt.

Machen Sie Ihre Sache nicht ſchlechter, als ſie iſt, junger Mann. Geſtehen Sie offen Ihren Fehl¬ tritt ein. Von da ab hat der Teufel der Eitelkeit Sie geplagt Wort für Wort abgeſchrieben.

Von wem?

Ich will's noch glauben, daß Sie das Original ſelbſt nicht kannten.

Der Miniſter war, mit einem ſtummen Wink, daß der Andere ihm folge, in ſein Arbeitszimmer getreten. Vom Schreibtiſch nahm er ein ſauber mundirtes Promemoria und reichte es Walter: Leſen Sie! die Ausarbeitung des Herrn von Fuchſius, welche dieſer geſchickte Arbeiter auf die von mir ihm angegebenen Ideen entwarf, ganz zu meiner Zufrie¬ denheit, ganz in meine Ideen eingehend.

Walter las, blätterte, überflog mit ſteigender Verwunderung. Das Thema daſſelbe, die Einleitung die formelle eines geübten Geſchäftsmannes, die Ein¬190 theilungen faſt die nämlichen mit ſeiner Schrift, dann eine Ausführung es war faſt Wort für Wort die ſeine nur der rhetoriſche Schluß ein anderer im Aktenſtil.

Er ließ das Papier ſinken. Ein Lichtſtrahl zückte durch das Zimmer und auch in ſeine Seele: So iſt der Streit nur um die Priorität!

Der Streit iſt entſchieden, fiel der Miniſter ſcharf ein. Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernſtandes ſind älter als was geht das Sie an! Fuchſius theilte ich ſie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Geſpräche, ſeit ſechs Monaten iſt er mit der Ausarbeitung des Promemoria beſchäftigt, ſtückweiſe kannte ich die Arbeit ſchon früher, in ihrer vollendeten Geſtalt legte er ſie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochure trägt die Jahres¬ zahl 1806 auf der Stirn. Die Sache iſt damit zu Ende.

Der Miniſter ſchien etwas zu erwarten. Wäre er ein König geweſen, die Stirn mit dem orientali¬ ſchen Nimbus umſtrahlt, hätte man meinen ſollen, er erwarte, daß der Andere zerknirſcht ihm zu Füßen ſtürze, ſich ſeiner Gnade ergebend. Aber er war ein deutſcher Mann, ein Freiherr im ſchönſten Sinne des Wortes; er erwartete, daß der moraliſche Eindruck den jungen Mann erſchüttern, zu Boden werfen werde, dann verkündete ein gütiger Zug um die Au¬ gen, daß er Gnade walten ließ für den Verirrten. Der Miniſter war kein Moraliſt, ſonſt würde er ge¬191 ſprochen haben, daß ein freies Bekenntniß, eine un¬ verhüllte Beichte die Hälfte der Schuld löſche, und der Weg zur Läuterung ſei. Wenn etwas davon auf ſeinen Lippen ſchwebte, ward es zurückgedrängt durch die aufrechte Haltung des Andern. Er begeg¬ nete nur dem Blick des Selbſtbewußtſeins.

Sie wollen nicht? Eine Bewegung deutete dem jungen Mann an, daß er entlaſſen ſei.

Walter verbeugte ſich und ging. Der Miniſter ſchien es nicht erwartet zu haben: Sie haben mir nichts mehr zu ſagen? wandte er ſich noch ein Mal um.

Seit Sie mir zu ſprechen verboten haben. Ich würde ſonſt, was Excellenz vielleicht entgangen, be¬ merklich gemacht haben, daß es Buchhändlerart iſt, auf Druckſchriften, die am Ende eines Jahres er¬ ſcheinen, die Jahreszahl des folgenden zu ſetzen; daß ferner unter meinem Vorwort das Datum ſteht, an dem ich die Schrift vollendet, und das war ſchon in der Mitte vorigen Jahres, alſo ehe Euer Excellenz Herrn von Fuchſius die Aufgabe ſtellten; ferner, wenn es in einer ſo unwichtigen Angelegenheit darauf an¬ käme, könnte ich durch den Buchdrucker mein Manu¬ ſcript, durch das Zeugniß von Freunden darlegen, wie ich die betreffenden Stellen bereits Anfang vori¬ gen Jahres niedergeſchrieben hatte. Ich könnte auch bemerken, daß aus einer gedruckten Schrift, welche beinahe ein Jahr circulirt, ſich leichter Auszüge machen laſſen, als aus einer ſchriftlichen, die im192 Bureau eines Miniſters unter dem Siegel der Amts¬ verſchwiegenheit bewahrt iſt.

Halt! Die ſämmtlichen Excemplare Ihrer Schrift ſind aufgekauft und makulirt worden, ehe ſie in's Publicum kamen.

Wer that das! rief der Erſtaunte.

Ihr eigner Vater. Weil er es bereute, ließ er mir das letzte Exemplar durch Herrn von Dohleneck zuſtellen.

So könnte ich ſchließlich darauf aufmerkſam machen, ſagte Walter, daß ich mit dem Herrn Regie¬ rungsrath in durchaus keinen Relationen ſtehe.

Kennen Sie Herrn von Fuchſius, unterbrach ihn der Miniſter, der ſchon in der Mitte der Rede mit eigenen Gedanken beſchäftigt ſchien.

Man rühmt ihn als einen unſerer befähigteſten jüngern Beamten, dem eine glänzende Carriere be¬ vorſteht.

Ich frage, ob Sie ihn kennen? Perſönlich? Schickten Sie ihm wirklich kein Exemplar? Wiſſen Sie, daß er keines beſeſſen?

Als Walter den Mund öffnete, ſchoß wieder ein Lichtſtrahl durch das Zimmer. Er erinnerte ſich, als er bei jenem andern Miniſter eine Audienz erhalten, daß Herr von Fuchſius damals aus dem Zimmer gegangen, daß dem Miniſter kurz zuvor ein Vortrag über die Schrift gehalten ſein mußte. In dem ernſten Moment fuhr ein Lächeln über ſein Geſicht. Er erinnerte ſich, daß Fuchſius, als er durch's Vor¬193 zimmer an ihm vorüber ging, eine Druckſchrift aus der Taſche ſah!

Herr Regierungsrath von Fuchſius! meldete in dem Augenblick der Amtsbote.

Soll warten! ſagte der Miniſter. Im Bureau! rief er dem Boten nach.

Er ſchien mit Gedanken beſchäftigt, als er, die Hände auf dem Rücken, aus dem Fenſter ſah. War Walter vergeſſen? Hatte der Staatsmann angenom¬ men, daß er gehen müſſe? Sollte er jetzt gehen? Sich räuspern?

Plötzlich wandte er ſich um. Er hatte ihn nicht vergeſſen, aus dem Pult riß er ein Concept, und warf es hin: Verſuchen Sie ſich daran. Hier auf der Stelle. Da iſt Papier und Feder. Eine Aus¬ arbeitung ganz nach Ihrem Sinne an die Lineamente brauchen Sie ſich nicht zu halten; da iſt viel dummes Zeug darin. Eine Stunde haben Sie Zeit. Ich habe Geſchäfte, die mich wohl noch länger abhalten.

IV. 13
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Dreizehntes Kapitel. Blicke aus eines Miniſters Fenſter in's Volksleben.

Die Thür ſchlug hinter ihm zu. War das eine Rechtfertigung, daß der Miniſter dem jungen, ihm fremden Manne das Heiligthum ſeines Arbeits¬ zimmers mit den offen ſtehenden Schränken überließ? Walter konnte wieder lächeln, als aus einem halb geöffneten Schubfach ein Körbchen mit Goldſtücken ihm entgegenblitzte. Da lag auch ein verſiegeltes Packet mit der Aufſchrift: Nach meinem Tode zu verbrennen. Vornehme Leute haben oft eigne Vor¬ ſtellungen, wie ſie die von ihnen verletzte Ehre ihrer Untergebenen herſtellen. Jedenfalls war es nur eine halbe Rechtfertigung; der Miniſter wollte ihn durch die neue Aufgabe prüfen, ob er im Stande ſei, ſelbſtſtändig Gedanken zu entwickeln und auszuar¬ beiten.

Das Concept, das ihm übergeben war, enthielt flüchtige, von des Miniſters Hand hingeworfene Sätze, etwa folgender Art: Was allgemeine Stim¬ mung, wenn kein geſetzliches Organ dafür exiſtirt! 195 Jeder Miniſter ausſchließlich in ſeinem Geſchäfts¬ kreiſe ein König oder Gliederpuppe. Fehlt jedes Element, den König aufzuklären über den wahren Status. Geheime Kabinetsräthe! Dahinter war ein dicker Dintenklecks. Der Schreiber hatte mit der ſtumpfen Feder aufgeſtaucht. Abſolut nicht mehr möglich. Aut aut! Fein anzufangen. Dum¬ mes Zeug! So Hardenberg nach heutiger Conferenz. Blücher würd's beſſer verſtehen. Dahinter einige Striche, Federproben, Eſelsohren!

Daraus ein Promemoria entwerfen! Aller¬ dings das Zeichen eines großen Vertrauens. War Excellenz Denkweiſe ſo bekannt, daß er aus Chiff¬ ren und Hieroglyphen ein Syſtem conſtruiren konnte? Oder hatte er ihn abſichtlich in ein Labyrinth geſetzt, um ihn auf bequeme Weiſe los zu werden, wenn er den Ausgang nicht fand?

Feder und Papier waren zurecht gelegt, aber Gedanken ſollen dem Schreiben vorausgehen. Sie im Promeniren zu ſammeln, war die Stube zu klein. Und es war drückend heiß. Er lehnte ſich aus dem Fenſter, um Luft zu ſchöpfen. Die Nachmittagsſonne brannte von dem wolkenloſen Horizont auf die brei¬ ten Straßen Berlins. Die geputzten Spaziergänger, die nach dem Thiergarten eilten, ſuchten die ſchmale Schattenſeite. Er hörte ihre Geſpräche. Nicht Einen, der nicht dem Andern zurief: Das iſt mal heiß! Jener machte die Bemerkung: Anno 99 wäre es doch noch heißer geweſen. Ja, ja, ſo geht's! 13*196ſchloſſen zwei Bekannte mit einem deutſchen, viel¬ ſagenden Händedruck ein Geſpräch, in welchem ſie ſich eben nichts zu ſagen gewußt. Schlechte Zei¬ ten! Wenn nur Friede bleibt! Meinen Sie? Ja ja wer weiß! Hab ich's Ihnen nicht immer geſagt, es geht oder es geht nicht. Ja, wenn nicht der Bonaparte wäre! 'Ne ſappermente Wirthſchaft! Na, man wird ja ſehen. Und das Bier auch immer ſchlechter. Saure Gurkenzeit, Herr Gevatter! Die armen Komödianten! rief eine geputzte Dame. Nein, an ſol¬ chem Tage ſpielen zu müſſen! Und Belmonte und Conſtance! Und in Pelzen, hu, einem ſchaudert! Und wie leer wird es ſein! Vor leeren Bänken ſpielen müſſen! Ich kann mir gar nichts Schauderhafteres denken. Das ruinirt ja die Kunſt! Hinter den Geputzten ſchlenderte wie ein Opfer¬ thier, nicht eins, das erſt gebraten werden ſollte, ſondern das ſchon gebraten war vom Sonnenbrand, ein junger Burſch im Sonntagsrock. Der Mund offen, die blaßblauen Augen unter den glatt herab¬ hangenden Stirnhaaren der Ausdruck eines Mini¬ mum von Seele. Plötzlich aber belebten ſie ſich von Pfiffigkeit; halb puſtete, halb pfiff er, und war ſeit¬ wärts geſprungen nach dem Straßenbrunnen. Raſch klirrte die Plumpe, und ſeine Lippen ſchlürften aus Herzensluſt an dem dick vorſprudelnden Waſſerſtrahl. Warum mußte er es ſo laut machen, daß die Schwe¬ ſtern ſich umſahen: Aber Karl, Potz Wetter, wie197 unanſtändig! Nein, Mutter, ſieh! der Karl! der Junge hält doch nie auf Reputation. Als ob er von' ner Schuſterfamilie wäre! Wie ein lebendiger Stra¬ ßenjunge! Warte nur, wenn der Vater! Du kriegſt ja draußen Weißbier, Karl, rief die Mutter. Wenn nur die wirklichen lebendigen Stra¬ ßenjungen es nicht gehört hätten. Es ſchnalzte und grinſte: Straßenjungen! Wer ſind denn Eure Stra¬ ßenjungen! Und wer ſind ſie denn! Aus der Fiſcherſtraße! Wenn man ſie nicht kennte! Die näht Pantoffeln zu. Selbſt Schuſter! Und die Andre Schneidermamſell bei den Komödianten! Dicke thun hilft nichts. Hätten die geputzten Damen nur geſchwiegen! Aber ſie ſchwiegen nicht. Sie mußten ihre Ehre vertheidigen. Die Straßen¬ jungen ließen ſich in Berlin nicht überſchreien. Die corpulente Mutter ermahnte ihre Töchter, ſich mit dem Kropzeug nicht abzugeben. Selbſt Krop¬ zeug! war das Echo. Das war natürlich nicht zu ertragen. Die Frau rief aus Leibeskräften nach ihrem Manne: ob er das dulden wolle, ſeine Frau Kropzeug genannt! Der Mann ſchien ſonſt voraufgeſchickt, das jüngſte Kind auf dem Arm, damit die Ehre der geputzten Familie nicht compromittirt werde. Sein blauer Ueberrock mit dem hochſtehenden Kragen, in den der Kopf beinahe verſank, die groben Knie¬ ſtiefel und das weit aus ihnen vorblickende Pfeifenrohr paßten allerdings nicht zur Eleganz des weiblichen Theils der Familie, und man durfte an¬198 nehmen, daß er ſich bei Hofjägers an einen aparten Tiſch ſetzen müſſe. Aber in der Noth hört ſolche Diſtinction auf. Während der Mann zurückkeuchte, ſo haſtig, daß der Pfeife die Spitze abbrach, und er jetzt vollkommen Grund hatte zum Zorn, hatte der Auftritt ſchon eine andre Phyſiognomie angenommen. Fritz war von den Schweſtern animirt worden. Daß einer der Straßenjungen ſich dicht vor ſie geſtellt und die Zunge geblökt, durfte er doch nicht dul¬ den. Der Thäter lag auf dem Boden, und Fritz auf ihm, es war indeß zweifelhaft, ob er nicht bald unter ihm liegen würde. Da war es eben ſo natür¬ lich, daß der Vater mit dem zerbrochenen Pfeifen¬ rohr darunter ſprang. Es war auch nicht mehr Ge¬ ſchrei, kaum mehr das, was man in Berlin ein Aufgebot nannte, es war das nächſte daran. Vor¬ übergehende ſtanden ſchon, wie es ſich ſchickt, entwe¬ der ſtill, oder nahmen Theil, als ein Einſpänner um die Ecke bog und den Knäuel in etwas trennte.

Es waren anſtändige Leute auf dem Wagen, der Herr Hoflackirer und ſeine Frau mit ihrer Couſine Charlotte, deren Vaternamen uns noch immer ein Geheimniß blieb. Anſtändige Leute flößen Achtung ein, beſonders, wenn ſie Wagen und Pferde haben. An¬ ſtändig will Jeder ſein. Der Herr Hoflackirer hatte aber ſeinen Rock geknöpft und trug ſeinen Hut wie ein vornehmer Mann, auch kutſchirte er ſelbſt, und das Geſtränge glänzte, wenn auch nicht von Silber, doch von etwas, was wie Silber ausſah. Hätte er199 nun die Peitſche knallen laſſen, und ein donnerndes Wort geſprochen von Auseinander! und Ruhe und Ordnung, und hätte den Wagen durchrollen laſſen, dann wäre Alles gut geweſen; aber er fragte: Was iſt denn hier los? Und ſeine Damen erkundigten ſich noch eifriger. Bei dem Durcheinander von Ant¬ worten ſchien der Streit jetzt erſt recht anzufangen. Wenn man nicht darüber in's Reine kam, wer aus¬ geſchlagen habe, was weniger darüber, wer ausge¬ ſchimpft hatte? Die Frau Hoflackir ſchien für die geputzten Damen mehr Sympathie zu empfinden, während ihre Couſine die armen Jungen in ſo fern in Schutz nahm, als man nicht gleich losſchlagen müſſe, wenn Einer mit der Zunge blökt. Wenn die Damen im Wagen ſchon verriethen, daß ſie im In¬ quiriren nicht geſchickt waren, ſo viel weniger der Herr Hoflackir, der ſich einige Blößen gab, welche auch von dieſem Auditorium gefühlt wurden. Schwierig war allerdings ſeine Stellung, wenn er außer den Parteien auch noch den Meinungszwieſpalt zwiſchen ſeinen Beiſitzerinnen ſchlichten ſollte; man ſoll ſich aber nicht zum Richter beſtellen, wenn man nicht das Zeug dazu hat, ſagte nachher ein ehrbarer Mann.

Die Frau Hoflackir mußte durch eine ſehr un¬ anſtändige Geſte eines Straßenjungen in ihrem Zartgefühl verletzt ſein, denn ſie ſchrie auf, wie ihr Mann auch dazu komme, unter dem Pöbel ſie zur Schau zu halten! Hatte ſie dabei unglücklicherweiſe200 auf die geputzten Schweſtern ihren Blick gerichtet, denn dieſe der Zorn macht blind, nahmen den Affront auf ſich. Pöbel! Wer iſt denn hier ihr Pöbel! griffen aber ein zehn Stimmen zugleich die Be¬ leidigung auf. Jetzt war es an Charlotten, auch die ihre zu erheben: Und wer ſind Sie denn, meine Damen, wenn ich fragen darf? Das iſt meine Couſine, die Frau Hoflackir, und der Herr Hoflackir, mein Couſin, hat immer nur mit anſtändigen Leuten zu thun. Sie meinen wohl, wir wären nicht anſtändig, ſchrie die eine Geputzte, die den im Streit ihr herabgeriſſenen Hut wieder auf das glühende Geſicht geſetzt hatte, nur nicht ganz in der vorigen Façon. Da müßte doch die Polizei mitſprechen! rief die Zweite. Die Polizei, rief Charlotte, die kennt ihre Leute, und weiß, wer ſich Abends, wenn er aus der Tanzſtunde nach Hauſe geht, von Re¬ ferendarien in Conditorläden führen läßt. In Con¬ ditorläden! Das iſt eine ausverſchämte Lüge! Das ſollen Sie mir vor dem Criminal beweiſen, meine Dame. Der Herr Referendar invitirten mich, aber ich ſagte: das würde ſich wohl nicht ſchicken, Herr Re¬ ferendar! Und wir ſind da nicht hineingegangen. Es kommt mir auch gar nicht darauf an, wo Sie die Roſinen gegeſſen haben, replicirte Charlotte mit einem ſehr feinen Blick. Die zweite Schweſter hielt die Höflichkeit nicht mehr für angebracht: Und woher Sie die Roſinen in Ihrem großen Munde haben, weiß man auch! Ja, manche Leute, fiel201 Charlotte ein, manche Leute haben einen ſehr großen Mund, und ſehen Wunder wie aus, Sonntags vor'm Brandenburger Thor, wo ſie keiner kennt, aber vor'm Hamburger Thor kennt man ſie auch. Vor'm Ham¬ burger Thor! ſchrie die Eine. Vor'm Hamburger Thor! wiederholte die Andre! Da hätte man Sie ja raus ge¬ ſchmiſſen, Knall und Fall, wenn's nicht der Herr Wacht¬ meiſter geweſen wäre. Mit Schmiedegeſellen geben wir uns allerdings nicht ab, trumpfte Charlotte drein, die ſind uns zu rußig! Sie iſt ja eine Köchin! fuhr die jüngſte auf. Eine Geheimrathsköchin! Und eine für Alles! Die urſprünglichen Parteien waren auf¬ gelöſt, vermiſcht; es gab nur einen gemeinſamen Kampf gegen die im Wagen Sitzenden. Wer die allgemeine Lachluſt gegen ſich hat, iſt verloren. Wie ſchwer der Herr Hoflackir auch zur Empfindung zu dringen war, denn die Frau Hoflackir mußte ihm mit der Fauſt in den Rücken pauken, damit er nur merkte, daß ſie ohnmächtig ward, jetzt glaubte er fluchen zu müſſen. Es geſchah zwar mit einer ge¬ waltigen Bierſtimme, aber weder mit den rechten Ausdrücken, noch mit der rechten Folge. Zuerſt Flüche aus dem Stall, dann Gründe. Ein Donnern, das mit dem Säuſeln des Windes endet, verfehlt ſeine Wirkung. Im Hohngelächter der Buben blieb ihm nur das letzte Mittel, nach der Polizei zu rufen, und er ſchwor, ſo wahr er Seiner Majeſtät Hoflackirer wäre, wolle er ſie Alle durch die Bank in die Stadtvoigtei ſchmeißen laſſen. Ehe ſich Einer deſſen202 gewärtigte, war Charlotte plötzlich vom Sitz aufge¬ ſprungen, hatte ſich übergelehnt, dem Schwager Zügel und Peitſche entriſſen, und ließ mit einem: Platz! die Peitſche knallen. Das muthige Pferd, des langen Geredes ſichtlich überdrüſſig, bäumte ſich mit einem Satz, der dem Wagen zwar einen Stoß verſetzte, daß die Frau Hoflackir ihre Ohnmacht ver¬ geſſen mußte; aber der Peitſchenhieb hatte auch den gor¬ diſchen Knoten zerhauen, den zu löſen dem Herrn Hoflackir am ſchwerſten geworden wäre. Der Haufe, der auf die Rodomontade ſchon zu Thätlichkeiten Miene machte, flog auseinander, und Kies und Funken ſtoben.

Kikelkakel Polizei! rief Charlotte, als ſie Zügel und Peitſche dem verdutzten Herrn Schwager wieder in die Hand warf. Darum lohnte ſich's auch! Die aus der Ohnmacht erwachende Frau Hoflackir ſtöhnte: das komme davon, wenn man ſich mit gemeinen Leuten einlaſſe. Gemeine Leute, das geht ſchon, entgegnete Charlotte, deren Herz jetzt warm wurde, und ihre Zunge löſte ſich. Aber wenn gemeine Leute wollen gebildet thun, Couſine, das iſt um die Cre¬ pance zu kriegen. Die Schmiedetöchter da an der Panke, Hufſchmied war er für die Fuhrleute und Bauern! Aber ſeit er den Knopfladen in der Stadt angenommen, da ſollte es oben raus. 'Ne Mamſell läßt ſich auch gleich machen, habe ich oft zu meinem Geheimrath geſagt. Das koſtet Geld und Bildung, mit' nen Paar Redensarten und 'nem langen Plun¬203 derkleid iſt's nicht gethan. Da mußten ſie in die Komödie, vom Tanzboden in's Corps de Ballet. Ging's nicht ſo, dachten ſie, geht's ſo. Das kennt man ja. Und Airs geben ſie ſich, wenn ein Officier mal auf der Redoute: Meine Damen! geſagt hat. Als ob man nicht wüßte, wie ſie mal barfuß laufen mußten und Reiſig auf der Hucke tragen, das iſt noch keine Sünde nicht, aber pfui, wer ſich ſchämt, was er geweſen iſt. Und gegen den Vater wäre auch gar nichts zu ſagen, wenn er nicht ſo ſchreckliche Manieren hätte. Man merkt doch gleich den Grob¬ ſchmied raus. Und wo er zuſchlägt, wächſt kein Gras. Aber er iſt doch mal ihr Vater, und geſtohlen hat er auch nicht. Aber die Mutter, na, lieber Gott, wenn man von der erzählen wollte! Unter der Haube iſt ſie nun mal, aber von vorher weiß man Geſchichten. Gott bewahre mich, daß ich was ſagte. Wer Allen die Haube vom Kopfe reißen wollte, die jetzt hochmüthig thun, und auf Andere ſchief runter ſehen, da hätte man viel zu thun. Einer den Andern verreden, das iſt die Schlechtigkeit der Menſchheit, und bis das nicht abgeſchafft iſt, Couſin, da können Sie mir glauben, iſt's nichts in der Welt. Ich weiß das ja von meinem Geheimrath. Da möchte Einer den Andern runter bringen. Katzenfreundlich vor den Augen, und wenn ſie ſich den Rücken gedreht haben, pfui! Da ſtellt Einer dem Andern das Bein, und noch weit höher hinauf. Und wenn er gefallen iſt, da drücken ſie ihm die Hand und thun, als ob ſie204 die Augen wiſchen, aber wenn er ſich wieder ſetzen will, Proſtemahlzeit! ſie ſitzen ſchon auf dem Stuhl. Der König hat's anders haben wollen, aber ſie haben ihm geſagt, es geht nicht. Sire, haben ſie geſagt, wollen Sie die Menſchen anders machen, als ſie ſind? Solch ein ſeelensguter König! Wenn's nur nach dem ginge! Ja, ich ſollte mal drei Tage lang König ſein, Couſin. Ich wollte die Menſchen ſchon anders machen. Krieg, wollen Sie jetzt haben, ſoll er machen. Warum Krieg! Brauchen wir Krieg? Wenn wir Krieg brauchen, haben wir ihn ja draußen, ſo viel wir wollen. Der Bonaparte macht ihn, ſagt mein Geheimrath und die Andern. Miſch Dich nicht in was Dich nichts angeht. Und unſere propern Soldaten, was haben wir davon, wenn wir ſie todtſchießen laſſen? Aber's wird doch Krieg. Paſſen ſie acht, es geht los.

Einmal auf dem Einſpänner, mußten wir ihn doch bis an's Thor begleiten. Wir zweifeln nicht, daß Charlottens Lunge, die das auf dem damaligen Berliner Straßenpflaſter vermocht, auch draußen auf dem weichen Erdreich des Thiergartens noch lange fortgefahren iſt. Ob ihre politiſchen Deductionen zur Belehrung des Hoflackirerſchen Ehepaares bei¬ getragen, laſſen wir auf ſich beruhen, ſie verſchafften ihnen aber den Vortheil, nichts von den Spitzreden zu hören, die unter lautem Hohngelächter ihnen nachſchallten.

Hier war nur eine Partei zurückgeblieben, man205 möchte ſagen, eine Herzensſeligkeit, und die geputzten Mamſellen fielen ſich mit den Straßenjungen um die Wette in's Wort, um den Fortgerollten etwas Krän¬ kendes nachzuſchicken. Der Zorn, wenn er auch nicht mehr trifft, muß ſich ſelbſt genügen. Nein, wenn ſolche Leute ſich was herausnehmen wollen, die nichts ſind! Wer unter der Gaſſenjugend kannte nicht die Geheimraths Charlotte! Wenn die anfängt, müſſen die Fiſchweiber unterducken. Ja, mit den Fiſch¬ weibern mag ſie Trödel anfangen, da iſt ſie unter ihres Gleichen, aber ſich unterſtehen, anſtändige Per¬ ſonen auf der Straße zu attaquiren! Eine Köchin ſo aufgedonnert, ein Scandal, was die Polizei ver¬ bieten müßte. Die Polizei fragt freilich nicht, wo eine Köchin ihr Umſchlagetuch her hat. Vom Wachtmeiſter hat ſie es gewiß nicht erhalten! Wenn Charlotte ſich noch einbildete, daß der Geheim¬ rath ſie heirathen würde, hier auf der Straße war es eine ausgemachte Sache, daß ſie die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Und ihre Couſine, mit der ſie ſo groß that! Ja, wenn man nicht Alles wüßte, wenn man ſie nicht gekannt hätte! Ja, der Herr Hoflackir war ein honetter, proprer Herr, der auf ſich was hielt. Immer adrett. Er zahlte baar. Der arme Hoflackir, daß er ſich von der Perſon herumkriegen laſſen! Aber es war ihm ſchon recht, warum war er ein ſolcher Schafskopf! Die Wage des armen Hoflackirs ward immer leichter. Arbeiten verſtünde er, das müßte man ihm laſſen, aber ſonſt 206 ein Einfaltspinſel. Und ohne die Weiber was wäre er! Barfuß, die Stiefel auf dem Rücken, war er durch's Halleſche Thor eingewandert. Aus dem Voigtlande! Ja, wenn ſeine Meiſterin nicht ein Auge auf ihn geworfen! Und wie hatte er es ihr vergolten! Aus dem Voigtlande mußte er her¬ kommen, um Andern das Verdienſt wegzuſchnappen, und dann will er noch Polizei ſpielen über Berliner Stadtkinder! Himmelſchreiende Anmaßung!

Der honette, propre, adrette, immer baar zah¬ lende Herr Hoflackirer wäre gewiß noch ſchlimmer geworden, hätte nicht die Polizei jetzt wirklich mit vielem Geräuſch verſucht, die Gruppirung auseinander zu treiben. Sie jagte ſich mit den Gaſſenjungen. Die anſtändigen Leute erſuchte ſie auseinander zu gehen, denn je weniger jetzt zu ſehen war, um ſo mehr drängten ſich, um noch zu ſehen, was Andre vor ihnen geſehen hatten. Die urſprünglichen Tumul¬ tuanten waren längſt entwiſcht, und die ehrbare Fa¬ milie des weiland Hufſchmied, jetzigen Knopfhändlers, ſchon auf dem Wege nach dem Hofjäger, wo ſie, nach einigen Nachrichten, die wir aber nicht verbürgen wollen, ſich mit der des Hoflackirers verſtändigte, indem ſie herausfanden, daß es nichts als ein Mi߬ verſtändniß geweſen, was ſie an einander gebracht.

Unter den ehrbaren Bürgern war ſehr ernſthafter Disput über den Vorfall. Um ſo beſſeres Streiten, als kaum Einer von denen, die ſtritten, noch mit Augen geſehen, um was es ſich ſtritt. In einem Punkt nur207 waren Alle einig: Warum war die Polizei nicht früher gekommen?

War denn die Polizei überhaupt nöthig? ſagte der Begleiter einer ältlichen Dame, der etwas Fremd¬ artiges an ſich hatte. Er war aus Amerika nach einem langen Aufenthalt daſelbſt in ſeine Vaterſtadt zurückgekehrt. Man ſah ihn verwundert an. Haben Sie denn da keine Polizei? Wo man ſie braucht. Was ſich von ſelbſt ſchlichtet, dazu ruft man ſie nicht. Die ehrbaren Männer ſchüttelten den Kopf: Es war ja ein Scandal! Doch nur für die, welche ſich um ſolche Bagatellen ſtritten. Aber es ward ein Auf¬ lauf; es hätte noch ſchlimmer werden können. Einer mußte doch beiſpringen. Hätten die Nachbarn und ehrbaren Bürger ſich nicht ſelbſt helfen können, wenn es ihnen zu arg ward. Man verſtand ihn nicht. Das wäre noch hübſcher, ehrbare Bürger um ſo was zu incommodiren! Die meiſten Nachbarn meinten, es liege an der Unvollkommenheit der Geſetze, man ſolle andere machen; nur waren ſie verſchiedener An¬ ſicht über das wie: den Straßenjungen ſollte ver¬ boten werden auf der Straße zu ſchreien, verlangte der Herr Tabackskrämer drüben. Der Schullehrer meinte: den Frauenzimmern müßte unterſagt ſein, in einem Putz auf der Straße zu erſcheinen, der über ihren Stand ginge, denn daher komme doch die ganze Geſchichte. Ein Dritter: man ſolle nicht Jedem er¬ lauben, auf der Straße zu plumpen, denn das ſei der eigentliche Quell. Man kam zu keiner Einigung.

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Als die Leute erfahren, der Mann ſei ein Ameri¬ kaner, erregte er den Reſpect, welchen in Berlin Alles beanſprucht, was weit her iſt. Mehre der ehrbaren Leute, die zugleich auch wißbegierig waren, umringten ihn mit beſcheidenen Fragen über amerikaniſche Ein¬ richtungen. Einer, der ihm aufmerkſam und bei¬ ſtimmend zugehört, ſagte: In alledem, mein geehrter Herr, mögen Sie Recht haben, aber ich frage Sie, wenn Sie keine Schilderhäuſer und Schildwachten in Amerika haben und keine Polizeicommiſſare und Sergeanten, wer reißt denn den Handwerksburſchen die Pfeifen aus dem Mund? Niemand. Ja, mein Gott, wie kann denn aber da Ordnung in Amerika ſein!

Die guten Bürger ſchüttelten den Kopf. Die ältliche Dame, welche ſich von dem Amerikaner führen ließ, und zu ihm in dem Verhältniß einer Bekannten oder Verwandten ſtehen mochte, die, einſt ſeine müt¬ terliche Lehrerin, die langen Jahre vergißt, welche den Knaben zum Mann erhoben, ſagte mit der Feier¬ lichkeit überlegenen Wiſſens und doch mit dem gut¬ müthigen Lächeln einer mütterlichen Freundin, die Verirrungen ſanft aufnimmt, weil wir Alle irren: Du wirſt überall Ungläubige treffen, mein lieber Friedrich, wenn Du von den Vorzügen Deiner neuen Welt da drüben ſprichſt. Und Dir ſelbſt wird, wenn Du Dich nur wieder zurecht findeſt, auch das Auge auf¬ gehen, daß in keinem Staate ſo väterlich für das Wohl der Bürger geſorgt iſt, als in dem unſeren. Nur209 in dem Einen haſt Du Recht, da iſt es beſſer bei Euch, daß ſie die Kirchen heizen! Ja, ich habe es immer geſagt, wenn die Obrigkeit dafür bei uns ſorgte, was hätten die Leute dann noch zu klagen! Nun, wer weiß, wenn ich die Augen ſchließe, kommt man wohl auch noch dahin! Die großen Herren hier haben immer an Anderes zu denken, was ihnen wichtiger ſcheint, darüber vergeſſen ſie das Nächſte. An dieſem heißen Auguſttage iſt es doch wohl nicht das Nächſte, liebe Tante, entgegnete der Amerikaner. Wenn wir aber nicht im Sommer für den Winter ſorgen, dann iſt es im Winter zu ſpät. Im Winter aber denken ſie, nun, es iſt ja noch Zeit, es kommt ja der Sommer. So wechſeln Winter und Sommer und es geſchieht nichts.

Es war eine bekannte alte Dame der Reſidenz, gleich geſchätzt wegen ihrer Wohlthätigkeit und Fröm¬ migkeit, als wegen ihres klaren Geiſtes. Nur war ſie ebenſo bekannt wegen dieſes Steckenpferdes, das ihr zur fixen Idee geworden. Sie meinte, die Ar¬ muth fühle ſich erſt recht, wenn ſie in ihren Lumpen in den kalten Gotteshäuſern ſtehe, wogegen die Verlaſſenen und Gedrückten mit einem ganz anderen Gefühl gegen ihren Schöpfer und ihre Mitmenſchen aus den warmen Kirchen zurückkehren würden, gleich wie ein Satter gegen die Verdrießlichkeiten des Lebens geharniſcht ſei, wo ein Hungernder auf den erſten Angriff fällt. So wußte ſie zu beweiſen, daß aus dem Heizen der Kirchen nicht allein chriſtlichIV. 14210frommer Sinn, allgemeine Menſchenliebe, ſondern auch Zufriedenheit, Selbſtbeſcheidung und Gehorſam gegen die Obrigkeit, kurz ein glückliches, vollkom¬ menes Gemeinweſen entſpringen müſſe. Man nannte ſie ein Original; Einige aber meinten: iſt nicht jedes denkende Weſen mehr oder minder ein Original, das von einer gehegten Vorſtellung nicht laſſen kann, ſie nährt, und von ihrer Realiſirung das Wohl der großen und kleinen Kreiſe abhängig wähnt, in denen ſein Gedanke ſich bewegt? Glaubt nicht jeder ein Radicalmittel zu wiſſen, ſchüttelt er nicht be¬ denklich den Kopf, wenn die Regierer und Lenker andere Mittel ergreifen, ſeines ignorirend, und iſt nicht der ganze Complex dieſer Sinnenden, Den¬ kenden und Thätigen doch eigentlich das Corpus der geiſtigen Menſchheit, welches, aus wie vielen Irrthümern es auch beſtehe, die Trägen und Stumpf¬ ſinnigen mit ſich fortreißt in dem großen Ent¬ wickelungsprozeß der Menſchheit?

Die Straße war wieder ſtill geworden und Walter ſaß am Schreibtiſch. Er ſchlug die Augen nieder. Es war eine ermattende Luft. Er ſchüttelte die Träume ab, aber die Wirklichkeit kehrte als Traumbild zurück. Eine Seite ſtand fertig geſchrieben, als er die Feder wieder fortlegte und ſich zurück¬ lehnte: Lohnt es ſich denn um dieſes Volk! Will es anders ſein, als es iſt! Weiß es, was es wollen muß, um aus der Dumpfheit der Exiſtenz

Er trat noch einmal an's Fenſter.

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Vierzehntes Kapitel. Blicke aus eines Ministers Fenster ins innere Leben.

Es war nicht grade kühler geworden, aber die Sonne prallte nicht mehr vom Pflaſter und den hellen Häuſermauern zurück. Sie war hinter das Dach eines hohen Gebäudes geſunken. Ein vor¬ nehmeres Publicum bewegte ſich langſam zum Thore hinaus. Da ging ſein Vater, im Arm den Rittmeiſter von Dohleneck. Seltſame Freundſchaft vom neuſten Datum! Er lächelte über das Gerücht, das der Witz der Berliner Börſe erfunden: ſein Vater wolle ihn enterben, weil er keine Schulden gemacht, um den Rittmeiſter zu adoptiren, der viel Schulden hatte; denn die Firma Walter van Aſten verdanke ihren Credit denen, die keinen hätten. Ihre Schuldigkeit ſei es daher, das Schuldenmachen zu begünſtigen. Er wußte nun, was ſeinen Vater und den Officier auf's Neue verband. Es war kein an¬ genehmer Gedanke. Er wollte nicht durch einen Vater, noch weniger durch einen Gensdarmen-Ritt¬ meiſter, es war ſein Stolz geweſen, nur durch ſich14*212empfohlen zu ſein. War das nicht auch vielleicht Phantaſie, fuhr er aus ſeinen Träumen auf, eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin! Bewegen wir uns nicht alle in einem großen Ge¬ ſpinnſt, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anſtrengen! Wir ſehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle ſind wir eingeführt in die Kreiſe, wo wir wirken ſollen; der durch ſeinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeiſter zu Hülfe. Sie leſen, bilden ſich, um zu wirken. Was wäre unſer ernſteſtes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen ſtände, der uns gefällig machen ſoll, uns unter den Menſchen erhebt, einen Einfluß verſchafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe ſuchen müſſen, um die Lücken unſeres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns ſtoßen, die man uns darreicht, die von ſelbſt da iſt! Das Netz, das uns umſchlingt, heißt Con¬ nerionsweſen. Iſt's nicht in unſre Natur eingeimpft, bedingt durch unſre Geſellſchaft, unſer Gemeinweſen, lag es nicht ausgeprägt in unſerm zünftigen, deutſchen Sippſchaftsweſen? Der Sohn ſchlüpfte in die Kund¬ ſchaft, Rüſtung, die Lehen ſeines Vaters, die Geſetze drückten ein Auge zu, die Freundſchaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir ſehen freilich Lumpe auf213 dieſem Wege ſteigen, wo das Verdienſt zur Thür hinausgewieſen wird. Warum läßt es ſich ausweiſen? Warum greift es nicht zu den Mitteln, welche die Vorſehung ihm bot! Iſt das nicht vielmehr Hochmuth, vielleicht der impertinenteſte Dünkel, ſich nur ſelbſt genügen zu wollen? Sollen wir nicht klug ſein wie die Schlangen! Und was Klugheit! Graſſirt nicht unter dieſen Menſchen die Manie zu protegiren! Sie locken uns; wir brauchen nur zuzugreifen. Es iſt der Kitzel des Stolzes und der Armſeligkeit derer, die aus ſich nichts machen können, Andre zu erheben, die ſich ihnen fügen, ihren Launen ſchmeicheln, in ihre Gedanken hineinlügen. So entſtanden Schulen, künſtleriſche, philoſophiſche, religiöſe, ſo erwuchs das Königthum zu der mythiſchen Größe. Man erhob ſich, weil man Kleinere unter ſich groß werden ließ. Man unterließ den Pyramidenbau, weil man inne ward, daß man doch nicht über die Wolken dringe; aber je mehr Abſtufungen man zu ſeinen Füßen betrachtete, um ſo erhabener dünkte man ſich ſelbſt. Es iſt ihr Spielzeug, warum erfaſſen wir es nicht, und laſſen ſie ſpielen zu unſerm Zwecke!

Die Baronin Eitelbach fuhr vorüber. Der Ritt¬ meiſter grüßte ſie in feierlich militäriſcher Haltung. Sie erwiederte den Gruß in derſelben Art. Er ſah ſeinen Vater lächeln. Es war ja ein Allerwelts¬ geheimniß. Was hatte die halben noch im Nebel¬ ſchleier verborgenen Dirigenten zu dem frevelhaften Spiel veranlaßt? Man nannte hochgeſtellte Perſonen. 214Was hatten ſie für ein Intereſſe, daß zwei ſich ver¬ liebten, die bis da eine Abneigung gegen einander empfanden, eine verheirathete Frau von unbeſcholte¬ nem Ruf und bekannt wegen ihres Phlegmas, und ein Officier, deſſen Paſſionen im Strom des Alltäg¬ lichen nie dem Siedegrad nahe gekommen waren? Was anderes, als die Sättigung, welche die Buhle¬ rin endlich zur Kupplerin macht! Der Kitzel, mit den Gefühlen Anderer zu ſpielen, wo die eigenen ver¬ ſiegt und ausgebrannt waren, die dämoniſche Luft, über das Loos Anderer zu ſchalten und walten, gleich¬ viel, ob mit ihrer Freiheit ihre Stellung in der Welt, ihre Ehre, ihr Seelenfriede und ihr Le¬ bensglück verloren ging. So mehr Vergnügen, je ſchwieriger die Aufgabe war. In der Anſtrengung die Hinderniſſe überwinden, ſtählt die Kraft. Und dieſen mächtigen Antrieb zum Böſen, ſollte man ihn wegwerfen, wo man ihn zum Guten angreifen und nutzen kann.

Der Wagen war vorübergerollt. Sein Blick fiel auf eine Fenſterreihe, ſchräg dem Hotel gegen¬ über. Ein Theil dieſer Fenſter war mit grünen Ja¬ louſieen verſchloſſen; ſie ſchienen nicht erſt heute gegen den Sonnenbrand herabgelaſſen, der dicke Staub darauf ſprach von einem langen Verſchluß. Das ganze Haus ſah ſtill und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbun¬ den kam langſam herangefahren. Er hielt ſeitwärts. Man ſtreute das Stroh ſorgſam auf das Pflaſter215 vor dem Hauſe. Jetzt rollte vor einem der Mittel¬ fenſter die Jalouſie langſam auf, eine weibliche Ge¬ ſtalt ſah auf die Arbeiter hinaus. Die Geheimräthin Lupinus gab den Leuten Anweiſungen, die er nicht hörte. Sie hatte wieder ein Tuch vor dem Munde und wehte ſich friſche Luft zu. Man nannte die Lupinus eine unglückliche, ſchwer vom Schickſal heim¬ geſuchte Frau. Man rühmte ſie wegen der ſtoiſchen Ruhe, mit welcher ſie die harten Unfälle, die Schlag auf Schlag ſie trafen, ertrug. Sie widmete ſich Tag und Nacht der Pflege des kranken Gatten, und mußte von ihren Bekannten an die Pflicht erinnert werden, zuweilen auch an ſich ſelbſt zu denken. Die Zufälle des Geheimraths ſollten beſonderer Art ſein, und er ſeine Pflegerin durch wunderbare Phantaſieen plagen. Von alledem merkte man nichts, wenn ſie in der Geſell¬ ſchaft erſchien. Sie ſprach von dem, was ihr bevor¬ ſtehe, mit Ruhe und Faſſung. Sie mache ſich keine Illuſionen, wenn auch die Aerzte ihr Troſt zuſprä¬ chen; mit einem Seufzer fügte ſie hinzu, ſie habe in ihrem Leben die Trugſchlüſſe dieſer Wiſſenſchaft hin¬ länglich kennen gelernt. Sie citirte gern Stellen aus Mendelsſohns Plato. Was ſei denn das Leben anders, als ein Gefängniß oder ein Wachtpoſten, aus dem die Seele ſich hinausſehnt, nach Befreiung oder Ablöſung. Sie blickte auch wohl nach den Sternen, und ſchien über ſich ſelbſt zu lächeln, wenn ſie in zwei kleinen, die ſie bezeichnete, die lieblichen Kinder zu ſehen glaubte, die unter ihrer mütterlichen216 Pflege in das Jenſeits entſchweben müſſen. Halten Sie mich um deswillen nicht für eine Schwärmerin, ſetzte ſie mit einem ſanften Händedruck hinzu, dazu bin ich verdorben. Meine Freunde ſagen ſo oft, daß ich es am Ende glauben muß, ich ſei eine Phi¬ loſophin. Die Leidenſchaften, die uns verwirren und aufregen, wer kann von ſich rühmen, daß er ſie ganz bewältigt, um zu der Ruhe der Seele zu gelangen, welche uns zu wahrhaft Freien macht! Bin ich nicht eine ſchlechte Philoſophin, wenn ich nicht einmal ſo weit über mich Herr ward, wie mein guter Mann? Er ſieht ſeiner Auflöſung mit der Ruhe des Gerechten entge¬ gen, froh wie ein Kind jeden Augenblick genießend, der ihm noch geſchenkt iſt; der Sonnenſtrahl, der in ſein Zimmer fällt, preßt ihm ein Lächeln aus, er weht mit der Hand durch die Sonnenſtäubchen; er ſtreichelt dem Kater über den Rücken: was wird aus Dir nach meinem Tode werden? Er kann noch ſcherzen: ob man nicht Verſorgungsanſtalten für treue Hausthiere einrichten ſolle? Mein Herz blu¬ tet bei dieſen Scherzen, und das ſollte eine Philoſo¬ phin nicht. Sie ſollte auch nicht mehr hoffen, wo der Verſtand ihr ſagt, daß hinter der Hoffnung ein Strich gemacht werden muß. Ich kann es noch nicht, ſprach ſie, ſich plötzlich abwendend, das Tuch am Ge¬ ſicht, da ſehen Sie, was ich für eine Philoſophin bin!

Die Geheimräthin Lupinus ward allgemein be¬ wundert, aber man fröſtelte bei dieſer Bewunderung und man vermied ſie. Walter hatte ſcharfe Augen. 217Das Geſicht kam ihm heut beſonders ſpitz vor. Sie ſchielte ja. Fiel nicht ihr Blick ſeitwärts über die ganze Straße? Wie kam ihm die Vorſtellung von einem Brennglas, das in der Ferne zünden ſoll? Er hatte niemals Zuneigung für ſie empfunden. Er hatte ſich ehemals ſelbſt darum getadelt, denn er glaubte, es ſei nur die Abneigung, welche kluge Männer ſo oft gegen kluge Frauen empfinden, aus Hochmuth oder aus Eiferſucht. Er hatte dieſe Gefühle damals bekämpft, er hatte ſich zur Freundlichkeit gezwungen gegen eine Frau, die ſie ihm ſelbſt gezeigt und ſpäter ſeinen Dank beanſpruchte. Sie hatte ſeine Geliebte gerettet.

Das war längſt Vergangenes. Er erröthete ſo¬ gar bei der Erinnerung, wie er ihren Launen ent¬ gegengekommen war. Junge Männer, wenn ſie eines unpaſſenden Benehmens ſich erinnern, gäben im Au¬ genblick dieſes Unbehagens einen Theil ihres Lebens darum, die Erinnerung auszulöſchen. Was ging ihn jetzt die Lupinus an? Und doch ſtand ihr vol¬ les Bild vor ſeiner Seele; das, welches im Spiegel ſich wiedergiebt, und das, was kein Glas und kein Metall aufnimmt. Wie oft hatte er im Geſpräch über ernſte wiſſenſchaftliche Gegenſtände die Schärfe ihres Verſtandes, ihre Phantaſie im Combiniren be¬ wundert, aber es war, als ob ein bleigrauer Schleier gleich darauf die Anſchauung überzog, eine ätzende Subſtanz, welche die eben noch blühenden Farben verzehrte; aus dem Gemälde ward ein blaſſer Kupfer¬ ſtich. Er war nie erhoben durch ihr Geſpräch, er218 ging nie froh von ihr. Was wollte dieſe Frau? Jetzt eine Philoſophin, die das Firmament durch¬ dringen will nach dem Ewigen; jetzt ſchien ihre Bruſt ſich zu heben von Hochgefühlen für Vaterland, Frei¬ heit, für die Heroen der Menſchheit. Fand ſie eine Schranke, eine eiſerne Wand, vor der ſie zurückſank nach verzehrendem Kampf? Nein, ihre Flügel ſchienen ſchon erlahmt, wenn die Zuſchauer fort¬ ſahen. Und dann wie das Vogelgeſchlecht, das auch Flügel hat, aber nie in die Wolken ſich erhebt, flat¬ terte ſie im Frivolen, Eitlen, gehoben von keinem andern Drang als dem der Gefallſucht. Tauſende, die nach dem Intereſſantſein haſchen, zufrieden, wenn irgend etwas als vorzüglich anerkannt wird, ſei es auch nur eine Lieblingsarie am Klavier, ein kleiner Fuß, ihr feines Whiſtſpiel. Wo blieb ſie denn ſtehen, woran hielt ſie ſich? fragte er ſich. Wäre ſie ſich ſelbſt genug? Auch die Vorſtellung, von Allen verkannt zu ſein, es iſt eine bittere Wolluſt, aber ſie mag zur Säule werden, auf die zuletzt allenfalls eine Säulenheilige klettert und in ſchwindelndem Stolz auf das Gewühl herabſieht.

Aber nein, dazu pulſte ihr Blut zu ruhig. Der holde Wahnſinn ſpielte nicht um ihre Schläfe, ſie, jeden Augenblick die ſich bewußte Beherrſcherin ihrer Worte, ihrer Mienen. Wußte ſie ja ſogar, daß ſie den Männern nicht gefiel, daß Frauen vor ihren Lieb¬ koſungen erſchraken. Gefühlvolle erkältete ihr Ge¬ ſpräch, Geiſtreiche fühlten ſich gelähmt. Nur ganz219 Beſchränkte waren durch ihr Wohlwollen geſchmeichelt, nur ſolche geriethen in Entzückungen über ihren Geiſt, die von ihr ſich heben und tragen laſſen wollten, und auch dieſe nur ſo lange, bis ſie ihrer nicht mehr be¬ durften. Und auch das wußte die Unglückſelige! Wohin er blickte, was ſie gelten wollte, ſie erreichte es nicht. Schwärmte ſie für Napoleon, ſtudirte ſie Plato, begeiſterte ſie Fichte, erglühte ſie für die Schönheitsformen des Alterthums, war ſie plötzlich von patriotiſchen Gefühlen für die Ehre des Vater¬ landes erweckt, war ſie die liebevolle Pflegerin des kränklichen Gatten? Nichts von alledem! Walter hatte mathematiſche Beweiſe dafür.

Sie ſchloß jetzt wieder die Jalouſieen. Die ſpitzen Finger der magern Hand waren noch ſichtbar, wie ſie ſich mühten eine Schlinge an einen Wandnagel zu befeſtigen. Es gelang nicht ſo ſchnell. Das Spiel der einſamen Hand hatte etwas Unheimliches für Walter. Was wird ſie nun drinnen in der dunkeln Stube anfangen? Handarbeiten? Sie nahm ſie nur vor, wenn Fremde da waren, gewiſſe angefangene Stücke, die er gut kannte, Stickereien, Nähtereien, die aber nie fertig wurden. Würde ſie ſich an's Bett des Kranken ſetzen, den Schweiß von ſeiner Stirne wiſchen, ſeine magere Hand liebevoll ſtreicheln? Er glaubte durch die Mauer zu ſehen, daß ſie es nicht that. Er hätte eine Wette darauf gewagt, daß ſie mit Schaudern vom Kranken ſich abwandte. Vielleicht ergriff ſie eine Lectüre? Was ſollte ſie leſen? 220Und am Krankenbett! Da lagen gewiſſe Bücher, Mendelsſohns Plato, Tiedge's Urania, Fichte, Schleier¬ macher, aufgeſchlagen oder mit Zeichen unter ihrem Arbeitstiſch. Je nach dem Beſuch, der ſich meldete, ward eines auf den Tiſch gelegt. Die Geheimräthin galt für eine ſehr beleſene Frau, ſie ſprach mit Geiſt über die Novitäten, die ſie nicht geleſen hatte. Walter hatte ſie für ſie leſen, ihr den Inhalt vor¬ tragen müſſen. O er wußte Beſcheid im Hauſe; und wie viel hatte ihm Adelheid mitgetheilt! Ein Schmerz, ein Gedanke, ein Blitz zückte durch ſeine Bruſt. Was hat ſie mit Adelheid gewollt? Nicht drei Tage waren vergangen, und ſie hatte ſie gequält, alle ätzende Schärfe des Verſtandes auf das Kind der Natur ausgegoſſen. Was war denn ihre Abſicht? Sein Herz pochte immer heftiger. Ein Möbel, den Schmuck des Hauſes, den man ankauft, um Gäſte anzulocken, verdirbt man nicht, man bemüht ſich nicht, ihm die natürliche Farbe, ſeinen Glanz zu rauben. Aber hatte nicht dieſe Frau Adelheid hatte es nie ausge¬ ſprochen, in ihrem Stocken, ihrem Zittern hatte er es geleſen. Mein Gott, was hatte ſie gewollt! Dunkle Bilder wogten vor ſeiner Stirn der Legationsrath, ſein räthſelhaftes Verhältniß zur Lupinus! Hatte ſie einen Kuppelhandel treiben wollen? Nein, ver¬ giften ſie vergiften. Aber warum, womit? Weil Unglückliche den Anblick von Glücklichen nicht ertragen können? Weil der Adel einer reinen gottgeſchaffenen Seele zum beſtändigen Vorwurf für die wird, welche221 dieſen Adel eingebüßt. Es war plötzlich eine Ueber¬ zeugung, die ihn durchdrang. Aber war es nur Inſtinct geweſen, oder hatte ſie ſyſtematiſch gearbeitet? Mein Gott, iſt es denn möglich, daß eine Frau ſyſtematiſch an ein ſolches Geſchäft geht! Es war wohl nur ein Gebilde des Argwohns, und doch alle ihre Handlungen und boten Erfahrung und Geſchichte ihm nicht hundert Beiſpiele einer ſolchen Verführungsluſt bloß aus dem Gelüſt zu verführen! Wie man dem Tobſüchtigen Waſſerſtürze giebt, hatte ſie auf alle ihre warmen Gefühle einen Eisguß ge¬ ſchüttet. Das junge warme Herz, ja es ſollte ſyſte¬ matiſch erkalten, vor der Zeit abſterben, nicht an eignen bitteren Erfahrungen, an denen einer egoiſti¬ ſchen Seele, die nicht mehr Liebe, Glauben, Hoffnung kannte. Ein blühendes Geſchöpf, von der Natur mit allen Frühlingsregungen begabt, wollte ſie zum aus¬ gebrannten Vulcan machen. War ſie das ſelbſt? Nein, etwas lebte doch in der Frau, ein geheimes Feuer Haß, Neid, eine ſtille Wolluſt des Egois¬ mus. Eine kaltherzige Egoiſtin iſt zu Allem fähig So wollte ſie Adelheid präpariren, zu einer Mitſün¬ derin, einer Verlorenen, Troſtloſen.

Und er ſelbſt! Stand er ohne Schuld da! Hatte ihn nicht längſt eine Ahnung überſchlichen, daß die Lupinus dies beabſichtigte? Und hatte er die Ahnung nicht aus dem Sinn geſchlagen, und aus Eigennutz? War es nicht ſein Wunſch geweſen, daß ſeine Braut dort aushalte, weil er in dieſem Hauſe222 freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigſtens die Geheimräthin ſeinen Wünſchen entgegen zu kom¬ men ſchien, weil er unter andern Verhältniſſen, in einem andern Hauſe für ſeine Hoffnungen fürchten mußte? Darum hatte er, zwar nicht gegen ſeine Pflicht gehandelt, aber doch die Gedankenſünde begangen. Selbſt ein Egoiſt, wagte er Andere anzuklagen!

Da rollte die Equipage der Fürſtin vorüber, im Fond dieſe mit Adelheid, auf dem Rückſitz ſaß Louis Bovillard. Die Fürſtin ſchien zu ſchlummern. Adelheid und Louis ſahen nichts, ſie ſahen nur ſich. Der Wagen war verſchwunden, eine Erſcheinung.

Ein Gott ſei Dank! löſte ſich aus Walters Bruſt, vielleicht von ſeinen Lippen. Er fühlte eine wohlthätige Transpiration. Das Schickſal hat es ſo, es hat es vielleicht zum Beſten gefügt. Ja, im Conto¬ buch ſtand noch ſeine Schuld auf der Seite Soll, aber ſie war ausgeglichen auf der Seite Hat. Er hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte eines Andern. Sie war gerettet, und er verloren? Nein, er war nur frei geworden, um ſein ganzes Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern Geliebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes Ziel in der Ferne Deutſchlands Errettung vom Fremdjoche ſchwebte.

Mit Eifer ſetzte er ſich an den Schreibtiſch, und ſeine Arbeit förderte ſich. Er war fertig, als der Miniſter eintrat.

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Funfzehntes Kapitel. Alles für einen Andern.

Die verfinſterte Stirn des Miniſters, mit welcher er eingetreten, erheiterte ſich nicht, als er das Papier durchlas. Er flog es nur noch über, als er es auf den Tiſch fallen ließ.

Das iſt nichts, gar nichts.

Euer Excellenz Ideen

Die Ausführung taugt nichts. Dilettanten¬ arbeit für Herrn Merkel in den Freimüthigen. Oder an die Zeitung da in Leipzig. Wir arbeiten hier nicht für die elegante Welt.

Walter hielt den Hut ſchon unter dem Arm, und verbeugte ſich, den Entlaſſungswink anticipirend.

Empfindlich! Das taugt nicht für die Staats¬ carriere.

Da meine Schrift nichts taugt, kommt wohl darauf nichts mehr an.

Man darf nicht der Empfindlichkeit nachhängen, wenn man ſich berufen fühlt, für das Gemeinweſen thätig zu ſein.

224

Mir ward eben der Beruf abgeſprochen.

Der Miniſter hatte, ohne ihm zu antworten, das Papier wieder in die Hand genommen, und klopfte, indem er ſprach, mit der umgekehrten Hand darauf.

Dürfte ſollte wagte! Wie ſoll das wirken! Das gleitet an den blaſirten Ohren vorüber, wie eine obligate Flöte, die den Waldſturm accom¬ pagniren will. Das Gleichniß vorn, machen Sie ein Gedicht daraus. Dieſen hier muß man derb, Schlag auf Schlag, die Nothwendigkeit vor's Auge führen. Da iſt ein guter Paſſus, aber die Worte auch wieder viel zu gehobelt. Und wie ſollen ſie die Anſpielung verſtehen? Mit der Trompete ihnen in's Ohr blaſen, es iſt noch immer ſanftere Muſik als die Kanonen.

Walter äußerte etwas davon, daß die Stellung eines Anfängers, der kaum in das Geſchäftsleben ge¬ blickt, ihm nicht erlaube, ſich ſofort in die Stellung des Miniſters gegen ſeine Collegen, oder gegen die Majeſtät des Königs ſelbſt zu finden. Das glaube ich gern, ſagte der Miniſter, der, ſichtlich erſchöpft und mit andern Gedanken beſchäftigt, ſich auf das Ruhebett geworfen. Man muß Vieles erſt lernen.

Walter wartete noch immer auf das Zeichen der Entlaſſung. Der Miniſter blätterte in einem Notizbuch. Hatte er ihn vergeſſen? Plötzlich ſprach er: Setzen Sie ſich und ſchreiben! Walter folgte mechaniſch. Nein, hier neben mir; ich will Ihnen225 in's Geſicht ſehen. Der Miniſter ſah ihm, kaum zwei Schritt entfernt, in's Geſicht. War das wieder eine ſeiner eigenthümlichen réparations d'honneur, oder ſollte es eine neue Prüfung ſein? Der Miniſter dachte an beides nicht. Er überſann ein Thema, mit dem er nicht fertig werden mochte, er ſteckte das Gedenkbuch wieder in die Taſche:

Es iſt gut, ein ander Mal.

Was ſollte das heißen? Er beſtimmte ihm einen andern Tag. Nein, morgen; überhaupt erwarte er ihn jeden Tag um die und die Stunde. Weshalb? Wozu?

Die Form Ihrer Anſtellung wird ſich ſpäter finden. Die Branche, für die Sie ſich eignen, muß ſich erſt ermitteln.

Walter ſah ihn in ſtummer Verwunderung an:

Eben war ich auf's Schmerzlichſte in meiner Ehre gekränkt

Das iſt ausgeglichen, fiel der Andere ein. Sie wollen Ihre Freiheit aufgeben, ſich dem Staats¬ dienſt widmen. Ich nehme Ihr Anerbieten an. Wie geſagt, bis ſich etwas Beſtimmteres findet, betrachte ich Sie als meinen Privat-Secretair. Ich kann in vielen Dingen Ihre Feder gebrauchen.

Ich bin noch nicht gereinigt. Nach einer ſo ſchweren Anklage muß der Angeſchuldigte auf einen klaren Richterſpruch beſtehen.

Sind Sie ſo punktiliös? Ich ſprach mit Fuchſius. Die Sache klärt ſich einfach auf. WährendIV. 15226er in der Bearbeitung meines Entwurfs war, kam ihm Ihre Schrift zu Händen.

Er räumte ein ?

Daß er ſie benutzt hat.

Wer gab ihm ein Recht dazu?

Er hielt die Schrift für eine preisgegebene, verſchollene machen Sie das mit ihm aus.

So entblödete er ſich nicht, eine fremde Arbeit für die ſeine auszugeben.

Er entnahm Ihnen nur die Entwickelung der Gründe, die Ausführung

Drei Viertel ſeiner Schrift

Unter andern Verhältniſſen würde auch ich es nicht gut heißen. Hier galt es, eine ſchwierige Arbeit bald und zum Zwecke tauglich herzuſtellen. Die suprema lex, das salus reipublicae. Warum doppelt ſchreiben, was einmal zum Zweck genug iſt!

Der Miniſter wollte den Regierungsrath gerecht¬ fertigt ſehen; es wäre von Walter thöricht geweſen, jetzt mit Hartnäckigkeit auf ſeiner Meinung beſtehen. Er gab ſie nicht auf, aber er ſchwieg, weil er auf des Staatsmannes Stirn andre Gedanken gelagert ſah.

Ich brauche Jemand, auf den ich mich ver¬ laſſen kann, der, offenen Kopfes, fähig iſt, im Umgang, in der Geſellſchaft ſich geltend zu machen. Verſtehen Sie, Jemanden, der nicht mit der Thür in's Haus fällt, was man mir wohl zum Vorwurf macht, der das Metall der Geſinnung in eine ge¬ fällige Form zu ſchmelzen weiß. Nicht ein Haarbreit227 darf er aufgeben, aber den Widerſtößen ſoll er eine gewiſſe Elaſticität entgegenſetzen. Ich muß ihn brauchen können, nicht zu förmlichen Miſſionen, für die Form iſt Vorrath die Fülle, aber zu gelegentlichen. Keinen Spion, aber er ſoll die Sinne wach haben. Keinen der Miniſter hielt inne, und als er Walters ſich röthende Stirn bemerkte, kam er ſchnell dem Mißverſtändniß entgegen. Er muß von Geburt ſein, einen Namen haben, der ihm überall Eingang verſchafft, auch am Hofe. Das iſt das Traurige, daß die Miniſter nie mit voller Kraft nach außen und nach innen wirken können, daß ſie der Vermittler, Unterhändler bedürfen, nennen Sie's immerhin Kundſchafter, die ſie mit dem Hofe, den höchſten Perſonen in Rapport ſetzen und zugleich den Kabinetsräthen aufpaſſen. Jammervoll, unnatürlich iſt es, ein Kraftzerſplittern, was die beſten In¬ tentionen erlahmt, aber es iſt nun mal ſo, und gegen ein Gift braucht man ein Gegengift.

Unter den Männern von Geburt werden Excellenz eine reiche Auswahl haben.

Der Staatsmann verſtand den kleinen Parir¬ hieb, aber mit einem vornehm leichten Aufzücken ging er über etwas hinweg, was zu beachten er nicht für werth hielt.

Die beſten ſind geſchulte Puppen, wenn redlich, ſteif wie ein Wegweiſer. Sie machen Front dahin, wo ſie vor zwanzig, dreißig Jahren den Feind ſahen; daß die Dinge ſich verändert, daß er jetzt von den15*228Flanken, vom Rücken droht, iſt ihnen nicht begreiflich zu machen. Friedrichs Schule hat ſich ſchlecht be¬ währt. Ueber das Militair rede ich nicht, nur vom Civil. Da ſtehn die Poſten, wo man ſie hingeſtellt, ſich brüſtend, daß ſie die Stelle nie um einen halben Fuß breit verlaſſen, aber unaufmerkſam, wenn die Contrebande drei Schritte von ihnen bei hellem Tage über die Grenze dringt. Was geht es ſie an, ſie thun ihre Pflicht! Wenn die dumpfe Tugendtreue, eigentlich nur Bequemlichkeit, ſie auszuhalten drängt, ſo wäre ihre höhere Tugend und Treue, ihre Be¬ fehlshaber aufmerkſam zu machen, daß man ihre Kräfte beſſer verwende. Vor dieſer Anmaßung, Ueberſchreitung ihres Dienſtes, erſchrecken dieſe Men¬ ſchen wie vor einer Sünde gegen den heiligen Geiſt. Mag das Vaterland untergehen, wenn ſie nur an ihrem Schilderhaus präſentirten. So nicht Einer, nein, Alle, keine Freiheit des Urtheils, keine ſelbſteigene Bewe¬ gungskraft. Je beſſer dieſe Normalpreußen geſchniegelt, gebürſtet und geſchnürt ſind, ſo kleiner der Kern des Menſchen darin. Ja, in Manchem, wenn man ihn auf¬ hülft, iſt's hohl, das Mark in die Rinde geſchoſſen.

Die Klage der Patrioten iſt doch, daß von dieſer Schule ſich nur zu Viele frei gemacht, ent¬ gegnete Walter.

Wo aus dem Leibe die Seele längſt entwichen iſt, was wundern wir uns über die Ueberläufer zum andern Extrem? Dieſe Ungebundenheit, Frechheit, Lascivität in der Meinung und den Sitten, preiſe229 man ſie immerhin als Geiſtesfreiheit, Aufklärung und Liberalität, es ſind nur die Symptome einer Auflöſung

Vor der Gott uns bewahre! fiel Walter ein.

Und nicht bewahren wird, wenn wir nicht ſelbſt etwas dazu thun, wenn wir nicht Der Miniſter war aufgeſprungen, er unterbrach ſich ſelbſt gewalt¬ ſam. Daß er ſo weit in der erſten Stunde des Ver¬ trauens gegen ſeinen neuen Bekannten gegangen, ſchien dieſem ein beſſeres Zeichen der Ehrenrettung.

Kennen Sie den Legationsrath Wandel? fragte der Miniſter plötzlich.

Er iſt ein Ausländer.

Ausländer! Mit einem Lächeln fuhr der Miniſter fort: Scheint doch dieſer Staat deſtinirt, von Ausländern ſeine Impulſe und ſeine ausgezeich¬ neten Männer zu empfangen. Schwerin war ein Schwediſch Pommer, Keith ein Britte, Derfflinger ein Oeſterreicher; auch iſt der wackere Blücher ein Mecklenburger, Hardenberg ein Hannoveraner. Mo¬ ſes Mendelsſohn ſtammt auch nicht aus den Mar¬ ken, und die Väter eines guten Theils unſrer Diplomatie, unſrer Staatsmänner und Officiere wußten vor den Dragonaden in ihrer Normandie und Provence kaum von der Exiſtenz eines Lan¬ des, das Brandenburg heißt. Vergeſſen Sie auch nicht, junger Mann, daß die Hohenzollern aus Franken oder gar aus Schwaben ſind. Einge¬ wanderte, wenn Sie wollen, ich hielt ſie für mehr,230 für Eroberer, wie der Nilſtrom Aegypten er¬ obert hat.

Man ſagt, Herr von Wandel ſei im Thürin¬ giſchen angeſeſſen. Noch Andre geben ihm die Nie¬ derlande oder eine däniſche Colonie zum Vater¬ lande.

Meinethalben Island oder Teneriffa, wenn Man muß ſich gewöhnen, Preußen anders zu betrachten, als nach dem Naturprozeß. Nation und Staat waren hier nicht eins, ſie wurden es. Es koſtet auch mich zuweilen Mühe, von den mitgebrach¬ ten Vorſtellungen zu laſſen. Aber es geht nur ſo, nicht anders, oder Alles zerfällt. Es war allein der Geiſt dieſer großen Fürſten, der das Verſchiedene, Fremdartige aneinander kittete, einen Hauch hinein¬ goß. Dieſen Geiſt muß man lebendig erhalten, im¬ mer wieder wärmen die junge Tradition, damit ſie nicht alt wird. Finden wir innerhalb unſerer Grenzen nicht den Licht - und Wärmeſtoff, ſo greifet nach draußen. Was anderwärts Verbrechen, hier iſt es erlaubt, Gebot der Nothwendigkeit, der Selbſter¬ haltung.

Ich habe nicht die Ehre, Herrn von Wandel näher zu kennen.

Das Myſteriöſe, womit er ſich umgiebt, ſchreckt die Menſchen zurück. Ich mag die nicht tadeln, welche ſich hier vor den Blaſirten verſchließen. Eine eiſerne Maske vor's Geſicht, um die warmen Puls¬ ſchläge des Herzens nicht zu verrathen!

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Man geſteht ihm ebenſo die Gabe zu feſſeln zu, als abzuſtoßen.

Charaktere und ernſte Sitte bedarf die Nation; der Staat darf es nicht ſo genau nehmen. Eine Libertinage, die nicht die publiken Sitten verletzt, darf ich überſehn. Er weiß das Siegel des Anſtan¬ des darauf zu drücken. Er beobachtet ſcharf, hat merveillöſe Kenntniſſe, Takt, mit ſeiner Suada ent¬ lockt er Geſtändniſſe, ohne ſelbſt etwas zu verrathen, er iſt bei den Frauen beliebt, eine faſt unerläßliche Eigenſchaft eines Diplomaten, den man brauchen will, ſetzte der Miniſter lächelnd hinzu.

Seine Liaiſons mit der Fürſtin Gargazin ſind Stadtgeſpräch.

Die ſind in dieſem Augenblick nicht hinderlich. Und zudem kann Haugwitz ihn nicht leiden, er fürch¬ tet ihn. Das ſpricht zu ſeinen Gunſten.

So haben Excellenz bereits entſchieden

Wenn er Feuer in der Bruſt ſich bewahrt hat. Er muß noch glauben können, wenn er nicht mehr lieben kann, haſſen doch aus Herzensgrunde, das Schlechte, Erbärmliche, die Verrätherei, das Schön¬ thun mit dem Fremden; er muß noch haſſen können, denn wer nur im Sumpfe fortſchwimmt mit der Reſigna¬ tion, endlich doch zu ertrinken, paßt nicht für mich.

Er gilt als in intimem Connex mit den Män¬ nern der Lombardſchen Clique.

Wiſſen Sie, ob er dieſe Creaturen nicht nur belauſchen, durch Gefälligkeiten ihre innerſte Natur,232 wenn ſie eine haben, ihre geheimſten Gedanken her¬ auslocken will? Wiſſen Sie, ob hinter dieſer anſchei¬ nenden Indifferenz, dieſem blaſirten Weltbürgerthum nicht ein Haß glimmt, wie ich ihn wünſche? Ja, dahin ſind wir gekommen: bis der Deutſche nicht haſſen lernt, aus vollem Herzen haſſen, bis er ſeine philanthropiſchen Schwärmereien, jenen Allerwelts¬ gerechtigkeitsſinn, ohne ſich ſelbſt je gerecht zu wer¬ den, nicht durch Kaſteiungen und Blut ſühnt, bis er nicht wieder zum Egoiſten wird, iſt Deutſchland ver¬ loren.

Ich glaube, Excellenz, in dieſen Studien be¬ findet ſich unſer Volk.

Studien! Da liegt das Elend. Studien vor einer Kriſis! Der Haß, der ſeine Verwünſchungen in's Firmament ſpeit, thut es nicht, der Weltſturm treibt die Dünſte fort, ehe es zum Gewitter kommt. Handeln! Und bis dahin ließen wir's kommen, daß wir nicht mehr offen handeln dürfen; die Tugend, die Thatkraft muß ſich verbergen, hinter einer Larve agiren. Schlimm, daß es iſt, aber es iſt. Wir brauchen die Tugenden der Brutus, behüte uns Gott vor ihren Dolchen, aber jener zähen Feſtigkeit, die ihre Gefühle nicht bei jedem Gegenſtand aufflackern läßt, ſondern ſie verſchließt, im Stillen nährt, bis der Augenblick der That kam. Weshalb preiſen wir jenen Mann, mit dem unſere Geſchichte anfing? Spielte der römiſche Rittmeiſter in Rom den deut¬ ſchen Patrioten, radotirte Arminius in den Kaffee¬233 häuſern über Deutſchlands Unglück, ſang er Lieder zur Guitarre, zum Ruhm ſeines unvergänglichen Vaterlandes, damit die Römerinnen dem blondhaari¬ gen Schwärmer Bravo klatſchten? Er ſchwieg und hatte die Augen auf, er ſchwieg und diente, um zu lernen, er ſchwieg und ſammelte Haß und Haß, bis es ein Stock ward, den Feind zu zermalmen. Wir ſind herabgedrückt, entwürdigt, bis zu dieſer Lage, fuhr der Miniſter nach einer Pauſe fort; aber noch ſchlimmer als die wirkliche Thatſache, wenn wir ſie uns zu verbergen ſuchen. Offen es uns ſelbſt eingeſtanden, das iſt der erſte unerläßliche Schritt zur Rettung. Mir graut vor dieſem Bramarbaſiren, vor dieſem Cornetsdünkel. Ich liebe die ſtillen Men¬ ſchen, die ſich des Urtheils enthalten, weil ich denke, ſie könnten doch Vernünftiges denken, wo die lauten Denker nur Unſinn zu Tage bringen.

Der Miniſter hatte ausgeſprochen. Er ging noch in Aufregung umher, aber ſein Blick forderte unſern Freund auf, ſeine Meinung auszuſprechen.

Einige, dünkt mich, ſind ſtill aus Ueberzeugung, weil ihre Anſicht nicht verſtanden würde, Andere aus Furcht, die Mehrzahl aber, meine ich, aus Specu¬ lation, um ſich nicht zu compromittiren, wenn die Dinge anders ausſchlagen, als ſie berechnet hatten.

So kennen Sie Wandel? fragte der Miniſter ſcharf, vor ihm ſtehen bleibend.

Ich ſehe ungern in dies unbewegliche Geſicht.

Das ſtimmt mit Fuchſius. Weiter!

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Ich kenne ihn wirklich nicht, Excellenz.

Weiter! ſprach der Miniſter.

Wenn der tiefſte Grund des Menſchen ſich auf dem Geſichte irgend ein Mal abſpiegelt, ſo erſchrecke ich, daß ich nie einen Zug auf ſeinem ſah, der den Menſchen verrieth. Die Diplomatie mag andere Ge¬ ſetze haben, ich aber könnte dem nie vertrauen, der ſtets Herr iſt über ſich. Wer alle Gefühle und Lei¬ denſchaften koſtete, wie Mithridates die Gifte, um ſich ihrer zu erwehren, hat den göttlichen Menſchen in ſich getödtet. Wer den Ausdruck für Liebe, Haß, Furcht, Ehrgeiz, Lüſternheit und Habgier bis zum unkenntlichen Schattenſpiel überwunden hat, ſcheidet für mich aus der Reihe der ſinnlichen Geſchöpfe. Ohne Sinnlichkeit kann ich mir aber keine Sittlich¬ keit denken, und keinen Charakter, der nicht die Sitte zum Fundament hat.

Der Miniſter ſah ihn eine Weile an. Die Schärfe ſeines Blickes ging in Wohlgefallen über. Er klopfte ihm auf die Schulter: Wir werden uns näher kennen lernen. Aber ich will ihn doch noch nicht aufgeben. Ich glaubte indeß das in ihm zu entdecken, was ich hier nirgend finde. Dies un¬ ausſtehliche Sichſpreizen und Kniſtern, um vorneh¬ mer ſcheinen zu wollen, als man iſt, macht für mich dieſe Menſchen um zehn Prozent ſchlechter, als ſie ſind. Wir wollen ihn auf die Probe ſtellen, Sie ſollen mir behülflich ſein.

Als Kundſchafter!

235

Ihr Vater ſteht mit ihm in Relationen, wie Fuchſius mir mittheilte. Ein guter Kaufmann giebt nur Credit dem, der Credit hat.

Auch ein Kaufmann iſt Illuſionen unterworfen.

Das ſollen Sie ermitteln, mit Fuchſius ſollen Sie ſich darüber verſtändigen. Fuchſius hat Anti¬ pathieen gegen Wandel. Das muß ein Staatsbeamter ſein laſſen, ich meine perſönliche Antipathieen. Aber er will Renſeignements haben, erinnere ich mich recht, aus den Niederlanden, daß häßliche Schatten ihm folgen. Irgendwo hat ein Glücksritter es iſt ein Entführungsroman, mit Tod, Erbſchleicherei und ſo weiter gekuppelt, für Romane habe ich keinen Sinn, Fuchſius wird Ihnen das Nähere mittheilen. Aber auch er mag in ſeinem Argwohn zu weit gehen. Haben Sie Bedenken?

Ich kenne bis jetzt weder den Roman noch die Wahrheit.

Oder wiſſen Sie ein taugliches Subjekt? Ein feiner Beobachter, oder ein blitzendes Talent. Auch Sarkaſtik oder Humor wären treffliche Eigenſchaften, Feuer, wenn auch mit etwas Qualm, das die Salonmenſchen hinreißt. Mag er auch ſonſt ein ver¬ lorener Sohn ſein, wenn er nur kein verlorener Sohn für's Vaterland iſt. Es giebt viele verlorene Söhne, die nur eines Impulſes bedürfen, damit das erſtickte Feuer aus der Schlacke auflodere. Englands erſte Staatsmänner gingen dieſen Weg, aus einem Roué ward ein Charles Fox. Sie236 denken an Jemand. Sinnen Sie nach. Er darf nicht ſcheuen, die Stellung anzunehmen. Es iſt ein Sort. Den Rathscharakter, mit einem anſehnlichen Gehalt, habe ich, um der Form zu genügen, für ihn bereit; die eigentlichen Dienſte ergeben ſich mit der Zeit. Morgen ſehen wir uns wieder. Jetzt gehen Sie in's Bureau, und beſprechen ſich mit Herrn von Fuchſius.

Walter trat einen Schritt zurück: Excellenz, eine erſte Bitte, und wenn ſie mir abgeſchlagen würde, meine letzte, erlaſſen Sie mir dieſe Conferenz. Ich kann nicht mit Herrn von Fuchſius dienen.

Die Brauen des Freiherrn zogen ſich zu¬ ſammen, die Augen wurden kleiner, ohne die Schärfe ihres Blickes zu verlieren. Er warf einen Gegen¬ ſtand, den er in der Hand hielt, auf den Tiſch.

Soll ich etwa ihn um Sie aufgeben! Herr, ihn kenne ich, Sie noch nicht.

Er wandte ſich wieder, um nach einigen Schritten zurückzukehren. Das Ungewitter war verzogen und die Stirn ward heiterer, als er zum zweiten Mal die Hand auf Walters Schulter legte:

Junger Mann, Sie müſſen noch viel lernen. Glücklicherweiſe nur, was jeder Fant, der ein Jahr in der Routine iſt, an den Fingern weg hat. Iſt ein Staatsmann ein Gott, ein Deukalion, daß er ſeine Menſchen ſich machen kann, wenn ihm die nicht gefallen, die ihm das Schickſal zuweiſt? Er hat genug gethan, wenn er jeden an den Platz237 ſtellt, den er füllt. Findet er nur das heraus, iſt er ſchon weiſe. Den er zum Steineklopfen braucht, von dem darf er nicht fordern, daß er Nähnadeln ſpitzt. Und wen er zum Schatzmeiſter gemacht, und ſeine Läden bleiben verwahrt, ſoll er ihn fortjagen, weil er ſich einmal einfallen ließ, in ſeines Herrn Sonntagsrock auf der Promenade zu ſtolziren? Hab ich etwa hier Vorrath, daß ich nur zu wählen brauche? Wollte ich Alle um ſolches Vergehen fortjagen, ſo könnte ich vom Thürſteher bis zum erſten Geheimrath die Geſchäfte allein übernehmen. Herr von Fuchſius iſt jung, und ſieht in die Zukunft, er denkt an's Va¬ terland und denkt richtig, ſoll ich ihn zum Teufel ſchicken, weil er nebenher auch an ſich denkt? Fordere vollkommene Menſchen, und Du wirſt als Eremit zu Grabe gehen. Kein Wort mehr davon. Die Ehre meiner Beamten, die ich mir bildete, iſt meine Ehre. Es kann Ihnen auch einmal zu Gute kommen.

Jetzt war Walter entlaſſen. An der Thür blieb er ſtehen.

Ich wüßte Er ſtockte; es ſchickte ſich nicht mehr.

Preßt es die Bruſt, heraus damit

Einen Mann

Der geeignet. Nennen Sie ihn. Ich ſann eben auch nach.

Er iſt mein Freund Walter ſtockte.

Deſto beſſer.

Ja, ich kann aus vollem Herzen ſagen, er iſt der Mann, wie Excellenz ihn ſuchen.

238

Sein Name?

Wird ihn hier nicht empfehlen.

Wenn es ein guter iſt?

Der Sohn des Geheimrath von Bovillard.

Der Tolle?

Louis von Bovillard. Für ſein Herz, das für's Vaterland ſchlägt, ſag ich gut. Das erſtickte Feuer kann aus der Aſche zu einer Flamme aufglühen, wenn er an eine edle Schmiede kommt.

Walter blickte zweifelnd auf den Miniſter, der nachdenkend ſtand: Senden Sie ihn zu mir, ich glaube, Sie haben gut getroffen. Er hat ſeine Wiener Miſſion mit mehr Eifer ausgeführt, als Haugwitz wünſchte. Aber

Euer Excellenz Bedenken ſollen mir Befehle ſein.

Nein der alte Bovillard hat ja ſeinen pro¬ vencaliſchen Adel renoviren laſſen. Es ſind die Bovillard Maitres de Ceriſé. Ich danke Ihnen, Herr van Aſten, daß Sie mich an ihn erinnert haben. Ueber wen dieſe Menſchen hier entrüſtet ſind, muß kein gewöhnlicher Menſch ſein. Bringen Sie ihn mir. Iſt er noch mit ſeinem Vater über¬ worfen? Gleichviel. Die Bovillard de Ceriſé waren ſchon in den Kreuzzügen genannt, und was mehr iſt, wahrſcheinlich von reiner celtiſcher Abkunft. Faſt unbegreiflich, wie ein ſolches Mondkalb von Vater da hinein kam. Schicken, bringen Sie ihn bald. Da erinnere ich mich, dem jungen Mann wird eine fixe Anſtellung jetzt ſehr gelegen kommen.

239

Um die Ausſöhnung mit dem Vater zu er¬ leichtern?

Nein, die Gargazin ſagte mir neulich, er iſt ſo gut wie verlobt mit einem ſchönen jungen Mädchen, eine Beauté der Stadt, es wäre aber viel Jammer von beiden Seiten, weil nichts daraus werden kann. Nun kann ja etwas daraus werden. Wie geſagt, führen Sie ihn zu mir, und freuen ſich, daß Sie Ihres Freundes Glück machen.

Ich freue mich, entgegnete Walter mit voller Stimme, aber ſie klang wie ein Grabesgeläut, und entfernte ſich.

[240]

Sechszehntes Kapitel. Theorie und Praxis des Egoismus.

Als Walter aus dem Hauſe trat, war es nicht mehr ſo heiß, daß er darum die Weſte ſich aufreißen mußte. Er wollte auch nicht Kühlung, der ſchwere Athemzug bedeutete etwas anderes.

Er eilte nach Louis Bovillards Wohnung. Noch eine ſchwere Laſt von der Bruſt und dann war er frei. Die Vorübergehenden dünkte der junge Mann mit der gerötheten Stirn, dem ſtieren Blick, der nicht um ſich ſah, nicht auswich, ein Trunkener; ſie wichen ihm aus. Er hörte nicht das Rollen der heim¬ kehrenden Wagen, nicht den Tambour, der den Zapfen¬ ſtreich ſchlug, er hörte überall nur ein dumpfes Grabgeläut.

Auch den Wagen der Fürſtin ſah er nicht, die doch dicht an ihm vorüber fuhr. Er hörte nicht Adelheids Stimme, mit einem ſo ſchelmiſchen Silber¬ klang, wie auch wir ſeit den Tagen ihrer kindiſchen Luſt ſie nicht gehört. Es waren Nachtigallentöne241 mit Lerchengewirbel, in denen ſie der Wonne, die die Bruſt ſprengte, Luft machte, nur Accorde, aber wer, der ihr in's Auge ſah, verſtand ſie nicht! So ſahen wir es niemals glänzen, lachen; ſie neckte den ernſten Geliebten, ſie war Muthwillen und Ausgelaſſenheit. Louis Auge glänzte auch, dunkel ſchön, nur auf ſie den Blick gerichtet, aber den Zug des Muthwillens, des Uebermuths, der feinen Ironie, die ſonſt um ſeine Lippen ſpielten, in ſeinen Augen blitzten, ſuchte man umſonſt. Die Fürſtin, in ihre Wagenecke gedrückt, ſah mit ſtillem Lächeln dem Spiele zu. Walter ſah und hörte nichts. Auch die im Wagen bemerkten ihn nicht. Es war für Beide gut.

Je näher er dem Hauſe kam, ſo langſamer ging er. Nicht daß er unſchlüſſig geworden, er ſann nur über die Weiſe, wie er dem Freunde ſein Glück mittheilen wolle, ohne ſeinen Stolz zu ver¬ letzen, ohne ihn auf immer zum Sklaven der Dankbarkeit gegen ſich zu machen. Wußte, ahnte Bovillard, daß er der Räuber grade an ſeinem Glücke war? Er hatte Grund zu glauben, daß es Bovillard bis jetzt verborgen geblieben, und er ſcheute eine Scene, die das Verhältniß enthüllte. Er war in einer heroiſchen Stimmung, und wünſchte ſie durch einen Auftritt nicht gedämpft, der ohne ſentimentale Regung nicht abgehen konnte.

Oben auf der Treppe hörte er eine zänkiſche Frauenſtimme, er glaubte ſie zu kennen; eine andereIV. 16242ſchüchterne, die er nicht kannte. Eine Mädchengeſtalt kam ihm, die Treppe herab, entgegen; ihre beſtaubte Kleidung, ihr ſchwankender Tritt ſchien von Er¬ müdung, vielleicht nach einer weiten Fußwanderung zu ſprechen. Ihr Geſicht ſah er nur halb, ſie hielt das Taſchentuch vor. Als ſie ihm raſch vorüber war, brach das unterdrückte Weinen deutlich heraus. Unten noch eine Weile zaudernd, ſtürzte ſie nach einem noch heftigern Aufſchluchzen zur Hausthür hinaus.

Die Wirthin kannte Waltern. Der Herr von Bovillard war nicht zu Hauſe, aber er könne wohl jeden Augenblick kommen. Als Walter ſeinen Wunſch ausgeſprochen, ihn zu erwarten, hatte ſie kein Be¬ denken, ihm die Wohnung aufzuſchließen und Licht anzuzünden. Denn, ſetzte ſie ſchmunzelnd hinzu, ich weiß wohl, wen ich einlaſſen darf, und wer mir nicht mehr über die Schwelle darf. Nein, machte mir die Perſon nicht ein Lamento. Der Herr van Aſten müſſen's ja noch gehört haben. Aber, wenn ſie noch mal kommt, laß ich die Polizei rufen.

Wer iſt ſie?

Die Wirthin verzog noch ſpitziger den Mund: Ja, wer wird ſie ſein! Sie wird keine andere geworden ſein, als ſie damals war, wir aber ſind andere geworden, und das müßte ſolche Perſon doch bedenken. Und dieſe vor Allem. So nobel und honorig haben Herr von Bovillard ſich gegen ſie benommen, daß es ihre verfluchte Schuldigkeit wäre, nun uns nicht mehr zu beläſtigen. Aber nein

243

Walter wollte nichts davon hören, aber die Frau wollte noch reden. Sie achtete ſein abwehrendes Zeichen nicht.

Nein, Herr van Aſten, von dieſer grade iſt's ausverſchämt. Sie hat dazumal hinten im Stübchen auf dem Hofe gewohnt, das ihr der gnädige Herr chambregarnirt hatte. Gott weiß, was er für einen Narren an ihr gefreſſen. Sie ließen zwar mal fallen, das Mädchen hätte Ihnen das Leben gerettet. Na, was das ſein wird, kennt man ſchon. Ein paar Ritze hat ſie allerdings an der Schulter. I Gott, ſolche Mädchen laſſen ſich auch nicht gleich für Einen todtſtechen. Ich kenne ſie ja. Iſt's nicht der, ſo iſt's ein Anderer.

Waltern durchzückte eine Erinnerung. Erſt ſpäter hatte er den Zuſammenhang der Geſchichte gehört. Da war es, wo Louis Adelheid zuerſt geſehen! Mit einem Seufzer, den die Frau nicht hören ſollte, warf er ſich auf das Kanapé. Die gute Frau hatte ihn aber doch gehört.

Sie haben ſchon Recht, über ſolche Undank¬ barkeit muß man ſeufzen. Er hatte ſie von Kopf bis Fuß gekleidet. Sie hatte ja keinen ganzen Strumpf auf dem Leibe, als ſie aus dem Priſon kam. Und dann, wie's nu genug war, hat er ihr Geld auf den Weg mitgegeben, ich will gar nicht ſagen, wie viel, denn ich weiß es nicht; aber wenig war's nicht, denn das Halsband von der ſeligen Frau Mutter und die emaillirte Uhr gingen drum zum16*244Pfandjuden, dem alten Joel. Er hat's mir ſelbſt gezeigt, nämlich der alte Joel; er war kein übler Mann, und ſchund die jungen Leute nicht ſo, wie jetzt ſein Sohn. Aber geben mußten wir's, da hätte auch gar keine Raiſon geholfen; denn er hat ein gar zu gutes Herz. Dieſe Ohrringe habe ich auch von ihm, aber Alles in Ehren. Als Sie von Ihrer großen Reiſe retournirten, und krank wurden, ich habe ihn gepflegt, rechtſchaffen, das kann ich wohl ſagen, und der alte Herr Geheimrath haben's auch ge¬ ſagt: wenn ſein Sohn immer mit ſo rechtſchaffenen Weibsperſonen zu thun gehabt hätte! Jetzt ſind wir nun, Gott ſei Dank, beſſer ſituirt, und wenn uns mal was fehlt, brauchen wir nicht zu dem Juden¬ ſchinder.

Das iſt ſchon lange her, daß er das Mädchen fortſchickte? unterbrach Walter, eigentlich nur um den Redefluß zu unterbrechen.

I freilich, das war ja warten Sie mal nun, das thut nichts zur Sache richtig, wie ſie ihn todtſchießen wollten, er ward aber nur ein¬ geſperrt. Das Mädchen machte da noch Spektakel, nämlich, das muß ich ſagen, ganz in der Stille. Sie weinte auf ihrer Kammer, daß es zum Herz¬ brechen war. Manchmal glaubte ich doch, ſie würde wenn ich ſie aufrichtete, ſank ſie zuſammen. Mein Kind, das hilft doch nun mal nichts, ſagte ich, raus mußt Du, fort mußt Du. Und da packte ſie ihre paar Sächelchen in's Bündel. Na, wenn ich245 denke, wie ſie die Treppe runter ging, und unten blieb ſie noch ſtehen und japſte nur ſo. Ich ſagte: Nu ſieh Dich nicht mehr um, Julchen; ein paar Schritt noch, dann iſt's vorbei. Und komm mir nicht wieder nach Berlin. Und wenn Du ihn ſonſt wo ſehen ſollteſt, unterſteh Dich nicht, und ſieh ihm nicht in's Geſicht, ſonſt riskirſt Du, er läßt Dich greifen und Du kommſt in's Spinnhaus. Da iſt's eklich. Das iſt Louis nicht im Stande, ſagte die impertinente Perſon, und da ſchupſte ich ſie zur Thür raus. Aber in aller Güte.

Sie hat ihn geliebt?

Mein lieber, guter Herr, was wird ſie nicht! Ein neues ſchwarz ſeidenes Kleid hatte er ihr gekauft.

Und ſeitdem hat ſie ihn nicht wieder geſehen?

Gott bewahre, was denken Sie? Heute morgen zuerſt, da war ich nicht zu Hauſe, er auch nicht. Und kommt wieder! Ich war wie aus den Wolken gefallen! Na, ich habe ihr denn aber auch das Kapitel geleſen. Jetzt, wo der Herr Vater ſich wieder hat nobilitiren laſſen, wir haben noch nicht das neue Schild an der Klingel, aber ich hab's beſtellt. Jetzt unterſteht ſich das ausverſchämte Mädchen, meinen Herrn in Disreputation zu bringen. Jetzt, mein Kind, wenn er ſo was will, wird er ſich's anderwärts ſuchen, ſagte ich.

Und ſie?

Na, Sie können wohl denken. Thränen haben die immer parat.

246

Nicht Alle. Was wollte ſie?

Was wird ſie wollen! Lieber Gott, man hat doch auch ein Herz, wenn's auch ſolche Menſchen nicht verdienen, und da ließ ich ſie denn hier am Tiſche kritzeln. Da liegt ja das Schnitzel. Aber ich ließ ſie nicht aus den Augen, keinen Augenblick. Stibitzt hat ſie nichts, obgleich ich ihr nachſagen muß, reine Finger hatte ſie immer.

Sie ſah wie eine Unglückliche aus.

Das mag ſchon ſein, mein Herr van Aſten, muß man aber Andere darum unglücklich machen wollen, wenn man's ſelbſt iſt! Jetzt kann man wohl davon ſprechen, unſer junger Herr iſt ein Bräutigam; wenn's auch noch nicht declarirt iſt, das weiß jedes Kind. Freilich, der alte Herr Geheimrath wollen nicht recht dran, denn die Mamſell hat nichts, das iſt wahr, und ſie ſagen auch, er könnte ſie nicht gut anſehen, weil ſie bei der Lupinus Kind im Hauſe geweſen, und da überfrieſelt's ihn immer, weil er die nicht ausſtehen kann. Aber was thut das! Mein junger Herr frägt auch nicht, was der Papa will, und eine Frau, die ſchön iſt, hat ſchon manchem Mann mehr eingebracht, als volle Kaſten. Das ſpricht ſich ganz anders, und wenn auch dem Mann nicht, der jungen ſchönen Frau hilft man doch gern, beſonders die alten Herren. Das weiß man ja. Der Geheimrath von ihr, nämlich ihr Vater, der will auch noch nicht recht dran, ſo heißt es. Was nicht iſt, kann ja noch kommen. Eine gute247 Anſtellung, mein Gott, da müßte mein Herr keine guten Freunde haben, und jetzt, wo er von altem Adel gemacht iſt, da kommt das ja von ſelbſt. Und wer iſt denn der alte Geheimrath Alltag! Jetzt freilich, ſo lang läßt er das Uhrband raus hängen, und wenn er zu Königs fährt, ſitzt er wie eine Elle im Glaskaſten; aber man müßte ja nicht wiſſen! Mein Seliger, als der Kanzleidiener war, da war der alte Alltag noch Schreiber, ſo Supernumerar. Einen Rock hatte er, von ſeinem Vater, der war dreimal gewandt, und wie lief er Winters, um ſich warm zu machen! Hätte Einer ihm geſagt, daß ſeine Tochter mal ſolches Glück machen könnte, Du meine Güte! Ein Eſel, mit Reſpect zu ſagen, wär er ja. Uebrigens, und wenn's die nicht iſt, ſo iſt's 'ne Andere. Unter den erſten Fräuleins kriegt er ſie, wenn's ſonſt nicht iſt, und darum iſt es ſo ſchlecht und boshaft von der Perſon, daß ſie kommen muß, und meinen Herrn in's Gerede bringen, jetzt, wo er ſo ſolide iſt, 's iſt gar nicht zu ſagen, wie.

Die Per ich meine das unglückliche Mädchen macht doch nicht etwa ſelbſt Anſprüche?

Ein unbeſchreibliches Erſtaunen malte ſich auf dem Geſichte der Frau Wirthin. Worte fand ſie nicht ſogleich, bis die ganze Wucht ihrer Gedanken in der Silbe Die! ſich concentrirte. Walter war beruhigt, wenn er überhaupt der Beruhigung be¬ durfte; aber er wollte Ruhe haben, nämlich von der248 Gegenwart des geſchwätzigen Weibes befreit ſein. Sie ging in einen weinerlichen Ton über, indem ſie ihren Drahtleuchter ergriff.

Viele haben ſchlecht von ihm gedacht, das weiß ich, denn die Welt iſt auch ſchlecht, und Jugend muß austoben; und wer weiß, wer beſſer iſt, ob der alte Herr, oder mein junger. Und wie's bei den vornehmſten Geheimräthen ausſieht, Herr Jeſus, lieber Herr van Aſten, bei dieſen vornehmen Herr¬ ſchaften, da iſt ja eine Zucht, daß mal der Gott ſei bei uns drein ſchlagen möchte. Er thut's auch noch, glauben Sie's mir, und die Julchen, die wir auf der Straße nicht anſehen mögen, iſt nicht ſchlechter, als viele von den vornehmen Damen in Brüſſeler Spitzen. Wenn die ſich ſchämen wollten, man ſieht's nur nicht, weil ſie ſo dick geſchminkt ſind. Jugend muß austoben, ſonſt kommt's nachher, aber dann einen Strich gemacht. So hab 'ich's auch meinem Seligen geſagt: nu ſei zufrieden, was Du haſt, und um was rückwärts iſt, da haſt Du Dich nicht zu kümmern. Mein guter Herr, nun ja, tolle Streiche genug. Nüchtern iſt er nicht immer nach Haus ge¬ kommen, und iſt allerdings auch ſonſt nicht immer nach Haus gekommen, und den Regenſchirm hat er im Theater aufgeſpannt, dafür ward er arretirt, und er iſt oft arretirt worden, aber wenn ſie Alle in's Priſon bringen wollten, die's verdient haben, da iſt der König nicht reich genug, um Gefängniſſe zu bauen. Und wenn ein Armer kam, da blieb kein249 Groſchen in der Taſche. Und nun hat er ſich ge¬ beſſert, und ich wollte ja Jeden zur Treppe runter ſchmeißen, der ſich mauſig machte und ihm vorhielte, was ſonſt geſchehen iſt. Das iſt jetzt vorbei, mein Herr! würde ich ſagen. Und alle ſeine Freunde müßten das ſagen, denn ich bin nur eine arme Frau, und verſtehe mich viel darauf, wie ſie da parliren und mit den Augen zwinkern. Aber Freundſchaft iſt Freundſchaft. Und wer ein rechter Freund iſt, der muß ſeinem Freunde Alles hingeben, auch ſein Lieb¬ ſtes. Das iſt Freundſchaft, und wenn Alle ſo thä¬ ten, dann wäre die Welt gut.

, Ob ſie dann wirklich gut wäre!‘ dachte Walter, als er allein war. Wenn wir den Egoismus aus¬ gerottet, wie die Raubthiere, wie ein ſchädlich Un¬ kraut, ob ſie die vollkommene würde, von der wir träumen! Sprang der erſte Schiffer in den ſchau¬ kelnden Kahn, um den Vater zu retten, wie die Idylle erzählt, oder war's ein Kaufmann, ein Ver¬ folgter, ein Räuber, der ſein Leben retten, der Früchte, Gold, Mädchen, Sklaven von den reichen, im goldnen Meere dämmernden Inſeln holen wollte? Und fing das Menſchengeſchlecht wirklich an mit einer Idylle, ſo war es eine kurze; ein ſanfter Hauch der Engel, der am rauhen Hauch der Elementargeiſter erſtarrte. Die kurze Idylle war aus, und die lange Geſchichte fing an mit Brudermord. Wir Alle aber ſind nicht die Kinder der Idylle, ſondern die Erzeug¬ ten der Geſchichte. Der Egoismus führte uns über250 die Meere, gründete Staaten, erhob Könige auf den ſchwindelnden Thron, ſchuf Republiken, er trieb uns in die Schachte der Erde, in die Lüfte auch, daß wir den Lauf der Geſtirne berechneten. Alles, Alles, wir wollten Gold machen und fanden, nicht Regenwür¬ mer, die Künſte, die uns zu Gebietern der Natur erhoben. Und dieſes mächtige Movens unſers Da¬ ſeins ſollten wir ausrotten, ausbrennen, wie den Nerv in unſern Zähnen, damit wir nicht mehr Zahnſchmer¬ zen haben! Thorheit, die materia peccans bleibt, und wirft ſich nur auf andre Theile, edlere vielleicht. Eman¬ cipiren ſollten wir uns wollen, von unſrer Bildung, aus der Geſchichte, die uns machte, heraus uns zwängen in ein weſenloſes Daſein, in das Traum¬ leben einer ſchönen Phantaſie, das nie exiſtirt hat, nie exiſtiren wird. Und doch fordern es Religion und Philoſophie, beide, ſchroff und mild je nachdem; aus dem Gewiſſen, weil es verderbt iſt, ſollen wir uns in's Vage ſetzen, den Reiz ertödten, der uns über das Thier erhob, zu den wunderbaren Erfindungen trieb, das Menſchengeſchlecht zu ſeinen großen Tha¬ ten inſpirirt hat. Und grade, die ſich am höchſten dünken über das Thier, die fühlen wieder den Drang, den Feuerathem in der Bruſt, mit Flügeln wollen ſie in den Aether ſchweben, göttergleich ſein, ſich vergeſ¬ ſend, nur für das All, und ſind aus Koth!

Er ging mit ſich unzufrieden auf und ab; er griff nach dem Zettel auf dem Tiſch und warf ihn wieder hin. Was wird ſie ihm ſchreiben! Er251 ſoll ſie wieder lieb haben, ihr Geld geben! Warum warf er das Papier ſo verächtlich fort? War das ein ſpecieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬ gungsrede für den generellen verwerfen mußte?

Er hatte ſich mit unterſchlagenen Armen an die Fenſterbrüſtung geſtellt. Er bereute nicht, daß er der Geliebten entſagt, nicht, daß er ſie dem Freunde überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außer¬ dem in den Stand ſetzen wollte, ſein Glück zu ge¬ nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬ wendigkeit. Er war ein deutſcher Denker, klar wollte er ſich machen, warum er gegen ein Princip gehandelt, das er ſich eben künſtlich entwickelt. Weil ſie ihn nicht mehr liebte, weil ſie ihn vielleicht nie geliebt? Dieſen einfachen, natürlichen Grund ſchien er bei Seite zu ſchieben, und fand den wahren nur in dem Drange, ſich dem Vaterlande ganz hinzuge¬ ben. Was iſt die Wahrheit einer Ueberzeugung? Der höchſte Verſtandesrauſch, über den wir nicht hin¬ auskönnen: Wo wir dies endliche Ziel im Irdiſchen fanden, ſollen wir ſtehen bleiben, darauf alle unſere Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬ heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬ maniſtiſch, philanthropiſch auch dies zu zerſetzen ver¬ ſucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer von ſchwimmenden Inſeln und Fata Morganen. Wenn wir unſer Schiff herantrieben, landen wollten, verſchwanden die Thürme und Berge in die Wolken, die Gärten der Armida wurden ſchillernde Sumpfpflan¬252 zen, die der Sturm auseinander wehte. Keine dieſer Ideen, wie auch vom Morgenroth gefärbt, gewann einen Leib, den wir umarmen, keine ward eine Säule, ein Fels, an die wir uns im Sturme klammern konnten. Der edle Schiller traf das rechte Wort:

Die angebornen Bande knüpfe feſt.
An's Vaterland, an's theure, ſchließ Dich an,
Das halte feſt mit Deinem ganzen Herzen!
Hier ſind die ſtarken Wurzeln Deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt ſtehſt Du allein,
Ein ſchwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.

Nur das Vaterland iſt die Eiche, an die wir uns klammern können, nur ſie hat das Recht, Opfer von uns zu fordern, das höchſte, letzte auch, uns ſelbſt. Die tauſend Götzen ſonſt haben keines. Ihnen ge¬ genüber tritt das volle, heilige Recht des Ichs ein.

Louis kam noch nicht zurück. Das Talglicht auf dem Tiſche brannte immer düſterer. Sein halb ver¬ kohlter Docht beugte ſich in einer Wölbung immer höher über die Flamme. Walter hatte aufmerkſam dem Verbrennungsprozeß zugeſehen, ohne ſich gemu¬ thet zu fühlen, nach der Putzſcheere zu greifen. Er brauchte kein Licht. Das ewige Gleichniß der Kerze und des Lebens gaukelte vor ihm in den matten Schwingungen der Flamme. Da fiel das dicke ſchwarze Knopfende von der eigenen Schwere herab auf den Zettel; der noch glimmende Schweif fing an in das mürbe Papier ein Loch zu ſengen. Walter löſchte, ehe es ein Brand ward. Dabei mußte er den Zet¬ tel wieder aufnehmen. Die Schriftzüge verriethen253 keine ganz ungebildete Hand, ſie flogen über das Papier. Er fing an zu leſen, und hörte erſt auf, als es zu Ende war.

Du mein Alles! Ja, die böſe Frau hat Recht, Du darfſt mich nicht wiederſehen. Die Frau iſt nicht böſe. Wer Dich lieb hat, iſt gut. Wer Dir Schmerzen ſparen will, iſt ein Engel. Nein, Du ſollſt mich nie mehr ſehen. Vergieb mir, Du mein einzig Ge¬ liebter, daß ich darum kam. Nur darum mein Kopf brennt mir, ich weiß nicht, was ich ſchreibe. Ich ſah Dich nur unglücklich, nun wollte ich Dich glücklich ſehen. Iſt das auch eine Sünde! Es ſollte meine einzige letzte Freude ſein. Mit einer einzigen Freude aus der Welt gehn, iſt das zu viel gefordert! Sie ſagte ach Gott, ich klage ſie nicht an. Wahr und wahrhaftig, Louis, bei Allem, was Dir theuer iſt, glaube mir, ich kam nicht, um von Dir zu preſſen, nicht um Dein Glück zu ſtören ich Dich ſtören! Und Du ſollſt mich auch nicht für eine ausverſchämte Perſon halten, die Dich aus¬ ſog und es lüderlich verbracht hat, und wenn das Geld fortgerollt, kommt ſie wieder. Glaube ihr nicht, Louis, und darum ſchon muß ich Dir ſchreiben. Ich vergebe ihr auch das, denn ſie hat's nicht geſehen, wie ich damals aus dem Thor wankte. Ich glaubte, die Luft würde es gut thun, aber die Luft that's nicht gut. Irgendwo, ich habe den häßlichen Ort vergeſſen, blieb ich liegen nein, ich wollte da nicht draußen auf der Landſtraße aber fiel ich um, da254 hoben ſie mich auf einen Leiterwagen und fuhren mich rein, in ein großes Haus. Ach, die häßlichen Geſichter, wie ſie ſich ſtritten! Der Bürgermeiſter war ſehr zornig, er wollte mich wieder aufladen laſ¬ ſen und zur Stadt hinaus, Gott weiß wohin. Sie fluchten. Ich habe Dich fluchen gehört, aber ſo nicht. Einer ſchrie, das gäbe eine Unterſuchung und mache noch mehr Koſten. Aber wie kommen wir zu der Laſt! ſchrieen ſechs Andre. Sie müſſen's uns ja ver¬ güten auf Heller und Pfennig! Eigentlich müßte der Abdecker auch ſolche kriegen! lachte Einer. Louis! Louis! ich lag da, ſinnlos, ſtarr, wie ein ge¬ fallen Thier, um das die Raubvögel ſich ſtreiten. Wer das erlebt der hat kein Recht mehr auf dieſer Welt. Und ich ſollte noch Dein Glück ſtören wollen! Endlich hieß es, man muß doch was finden, wo ſie hingehört, und dann hätten ſie mich wieder auf den Karren geladen, und das hätte ich nicht ausgehalten; es wäre wohl ſo am Beſten geweſen. Aber als ſie drauf ſuchten, fanden ſie Dein Geld. Hätte ich ſchreien können: es gehört ja Dir! hätte ich es ihnen fortreißen können! Aber ich konnte keinen Finger rühren, keinen Laut rausbringen. Da ward es ſtille; ſie ſchmunzelten und führten wieder häßliche, luſtige Reden. Der Inſpector ſagte, die wolle er ſchon gut und lange pflegen. Da ward mir das Haar geſcho¬ ren, da ſtürzten ſie kaltes Waſſer über den Kopf mir, o es war doch immer ſo heiß! Da ſah ich immer Dich, wenn mir wohler ward. Du zückteſt die Ach¬255 ſeln und ſagteſt: Sie iſt doch auch eine Creatur Gottes. Ach, Du warſt nur wie ein Nebel auf dem Berge. Wärſt Du in Perſon da geweſen, Du hät¬ teſt Ihnen wohl geſagt, daß ſie's ſanfter machten, die rohen Männer, die mich bei den Armen und Beinen in den Badekübel warfen. Es that weh, aber ich fühlte es ja nur halb.

Ich ward geſund. Gott weiß wozu. Sie gaben mir ein langes Papier, das war meine Rechnung, und den Geldbeutel, der war ganz klein geworden. Louis, ich hatte noch keinen Groſchen davon ausge¬ geben. Ich wanderte nun nach meiner Vaterſtadt. Unterwegs habe ich nicht an Dich gedacht, nur an meinen alten Vater, und was ich ihm ſagen wollte, wenn ich vor ihm auf die Knie ſtürzte. Ich wußte es Alles auswendig. Ich hab's ihm aber nicht ge¬ ſagt. Als ich durch's alte Thor kam, trugen ſie ihn heraus. Ich ſtieß einen Schrei aus, ſie ſtießen mich fort. Ich lief ihnen nach. Als ſie die Bahre auf dem Kirchhof niederſetzten, drängte ich mich durch; da warf ich mich auf die Knie, wollte es dem Todten ſagen, was ich dem Lebendigen nicht mehr ſagen konnte. Da haben ſie mich erkannt. Da wieſen ſie mit den Fingern auf mich, und ziſchelten. Dann murrten ſie laut. Endlich ſah ich Geſichter, o Herr Gott, dem Bürgermeiſter und dem Inſpector ſeine, die waren freundlicher, hätten ſie doch nur laut ge¬ flucht! Aber der Herr Prediger that es. Als mich der Büttel am Armgelenk gefaßt und aufgeriſſen 256 an der eingefallenen Kirchhofsmauer ließ er mich we¬ nigſtens, da durfte ich knieen da hörte ich des Herrn Predigers Rede. Mich ließen ſie keine Erde ihm in die Grube nachwerfen, aber auf mich warf der Herr Prediger das kann ich nicht wieder ſchreiben. Und es war nicht wahr ich habe mei¬ nen Vater nicht umgebracht! Und die Blicke nach¬ her, wie ſie an mir vorübergingen! Gott ſei Dank, dann ward es frei, der ſtille Abend, da lag ich über ſeinem Grabe, und der Lindenbaum fluchte nicht, in ſeinen Blättern ſäuſelte es wie ſüße Lieder, und ich ſchlief ein, bis das Morgenroth mich aus dem Frieden weckte. Um die Mauer ſchlich ich von hin¬ ten nach dem Hauſe, wo er ſtarb, wo ich geboren bin. War denn das ein Verbrechen, daß ich es zum letzten Mal ſehen wollte! Bürgerfrauen hatten mich bemerkt. Der Rathsdiener, mit dem Schild auf der Bruſt, kam und ſagte ach, was er mir ſagte, ich weiß es nicht: von lüderlichem Geſindel und auf die Finger ſehen, und hinausbringen, und ich hätte kein Heimathsrecht mehr!

Nein, Louis, ich habe keine Heimath; wie ich da am rauſchenden Waſſer ſtand, da ſahen keine rothen Geſichter heraus vom Bürgermeiſter, und nicht die häßlichen ſpitzen der Bürgerfrauen und da da hörte ich, daß Du glücklich wärſt ich wußte es ſchon, unter der Linde auf dem Kirchhofe hatte ich Dich geſehen, und die Herrſchaften, die im Wagen vor der Schenke ſchwätzten, derweil ihre Pferde Muth257 tranken, und ich trank auch Muth, ſie ſagten mir nichts Neues und da ſtach es mich, und trieb mich, Dich wollte ich noch einmal glücklich ſehen. Und das hab ich nun auch aufgegeben, da ich weiß

Hier waren einige Zeilen von Thränen verwiſcht.

Das Geld brauchſt Du nicht das kümmert mich auch nicht mehr, und mich wirſt Du vergeſ¬ ſen aber wenn ich nur etwas wüßte, was Dir recht lieb wäre, ich wollte Alles thun, mir einen Finger abſchneiden, mich wieder verkaufen, wenn ich nur wüßte Und nicht wahr, das war nicht un¬ recht von mir. Manche hat ſich betrunken, ehe ſie in's Waſſer ſprang. Ich wollte ja nur Dich noch einmal ſehen, Dich ſehen, wenn Dein ſchön Auge ſo recht aus voller Seele lacht. Nein, ich werde es nicht mehr ſehen Lebe wohl, Du mein Alles

Die Unterſchrift war wieder von den Thränen ausgelöſcht. Aber dahinter noch einige kaum lesbare Zeilen: Aber ich muß Dich ſehen hilf mir Gott, wenn ich mein Wort breche. Wenn Du in die Kirche gehſt mit ihr. Ganz von ferne ſieh Dich nicht um, Du wirſt mich nicht entdecken. Trinken muß ich den Strahl aus Deinem Auge, und dann

Die letzten Worte gingen in ein fieberhaftes Gekritzel über. Walter war von der Lecture aufge¬ regt; aber ſein Entſchluß ſchnell gefaßt.

Es giebt doch etwas auch neben dem Vater¬ lande, um was der Menſch ſein Höchſtes einſetzt,IV. 17258ſich ſelbſt. Und wo iſt der Sittenrichter, der es kalt verdammt?

Er nahm das Papier, falzte es und that es in ſeine Brieftaſche: Ich will ihr Teſtamentsvollſtrecker ſein. Wenn ſie nur etwas wüßte, was ihm recht lieb wäre, was ſie zu ſeinem Heile thun könnte! Ich übernehme es für ſie. Sein Liebesglück darf durch dieſe Erinnerung nicht vergiftet werden. Was könnte er ihr helfen, ohne ihre Liebe zu erwiedern! Sie bleibe vor ihm verſchwunden, ſpurlos. Die Wirthin werde ich inſtruiren. Was er ohne Liebe, aus Erbarmen für ſie thun könnte, kann ich ebenſo gut.

Seinen Vorſatz, auf Louis Rückkehr zu warten, um mündlich der Ueberbringer der frohen Botſchaft zu ſein, gab er jetzt auf. Der Freund weilte zu lange bei ſeinem Glück. Er nahm Papier und Fe¬ der und theilte ihm kurz und klar, was ſeiner warte, was von ihm gefordert werde, mit. Er ſtellte ſich in den Hintergrund und ließ den neuen Miniſter ſelbſt den ſein, der zuerſt ſein Auge auf Louis Bovillard geworfen, für ſich die beſcheidene Rolle eines um Rath Befragten vindicirend, welcher nur aus vollem Herzen die Eigenſchaften beſtätigen können, welche der Miniſter bereits in ihm entdeckt.

[259]

Siebzehntes Kapitel. Ein volles Bekenntniß.

Im Hauſe der Fürſtin hatte ſich ſeit jenem Geſellſchaftsabend Vieles ereignet, von dem wir nicht Zeuge waren; es drückte ſich auf den Phyſiognomien ab. Adelheid war heut beim Theetiſch eine Hebe; ſie ging nicht, ſie ſchwebte. Sie ſchien fortwährend zu ſingen. Man hörte es nicht, aber man fühlte es. Ihr Geſicht hatte einen andern Ausdruck.

Der Legationsrath bemerkte es gegen die Fürſtin.

Ei! ſagte die Gargazin mit einem beſondern Blick. Ich glaubte, dafür hätten Sie keine Augen?

Für die Schönheit!

Nur für die, welche Sie zergliedern können. Adelheid giebt das den Reiz, was Sie nicht lieben, die Harmonie der Seligkeit.

Ein Nebelbild!

Wandel blickte dabei ſcharf aber ruhig auf Louis Bovillard, der in ſich verſunken im Fauteuil , und die Theetaſſe mit einem verſtohlenen Kuß auf die Hand hinnahm, welche ſie ihm reichte. Die17*260Beiden hätten das Geſpräch kaum gehört, auch wenn es laut geführt worden. Wer ſich aber wundert, den Legationsrath auch in dem kleinen Kreiſe zu er¬ blicken, in dem Louis Bovillard ihm gegenüberſitzt, dem ſagen wir, daß in der Stadt ein Gerücht umlief, daß zwei Cavaliere neulich in der Jung¬ fernhaide ihre Piſtolen verſucht; es ſei kein Blut gefloſſen, aber einige dürre Zweige wären abgefallen. Was ging Louis der Legationsrath noch an; auch der Legationsrath hatte an anderes zu denken. Er war heut nur auf eine Viertelſtunde gelegentlich angeſprochen, nachdem die Familie aus dem Thier¬ garten zurückgekehrt.

Was geht Sie das an! replicirte die Fürſtin, ihre Stickerei wieder vornehmend.

Alles Leben iſt ein Traum! rief der Le¬ gationsrath nach einer Pauſe.

Die Fürſtin hielt die Nadel an: Fallen Sie nicht aus der Rolle, Herr von Wandel?

Welcher?

Die Sie die Güte haben, vor ſich ſelbſt auf¬ zuführen. A propos, ich bemerke, Sie fangen an wenig zu eſſen und vom Glaſe nur zu nippen. Das iſt für Berlin zu ſpät, man kennt Sie einmal als Gutſchmecker. Sparen Sie ſich die Rolle der St. Germain für Sibirien. Sie können ſich dort mit einem Schamanenzauberer aſſociiren. Vielleicht kommen Sie in einer ganz neuen Incarnation nach Europa zurück.

261

Wandel bewunderte die Laune der Fürſtin und die Farben ihrer Stickerei. Sie ſtieß halb muthwillig ſeine Hand fort.

Mir iſt immer bange, wenn Sie etwas an¬ faſſen, daß die Farbe ausgeht. Haben Sie nicht wieder eine chemiſche Tinktur an der Hand kleben?

Erlaucht vergeſſen, daß die Chemie die ſchönſten Färbeſtoffe präparirt.

Bis ſie nicht die Schminke erfindet, die einen Todten lebendig macht, geb 'ich nichts auf Ihre Wiſſenſchaft.

Sie fordern zu viel. Den Schein des Lebens herzuſtellen, gilt doch für das höchſte

Was ſie geleiſtet hat, fiel die Fürſtin ein, und eben darum haſſe ich ſie. Eine ſcheinbare Tugend, ein ſcheinbarer Reichthum, ein anſcheinend blühender Staat, und Alles übertünchte Gräber durch Ihre Chemie. Was fixiren Sie Adelheid's Freund?

Wandel ſenkte die Augen: Hippokratiſche Züge.

Qu'importe! Schmeckt der Blumenhonig den Schmetterlingen darum weniger ſüß, weil ſie nur ein Schmetterlingsleben führen?

Der Schmetterling weiß freilich nicht, wie lang ſein Lebensfaden ihm zugemeſſen iſt, aber der Legationsrath beugte ſich näher zur Fürſtin aber, ich kann Ihnen nicht verhehlen, man begreift meine erlauchte Freundin nicht. Sie begünſtigen das Ver¬ hältniß, und thun nichts, ihm eine Zukunft zu ſichern.

262

Was heißt Zukunft?

Der alte Bovillard ſtellt ſich auf die Hinter¬ füße. Seit er die Flaſche alten Weins, die ſeinen provencaliſchen Adel enthält, entkorkt, iſt der Duft ihm in's Gehirn geſtiegen. Er will nichts für ſeinen Sohn thun. Mamſell Alltag's Vater iſt eben ſo närriſch von ſeiner neuen Würde benommen. Am Hofe hat man noch einen Degout gegen den jungen Wüſtling. Wenn Niemand etwas für ſie thut! Verſchaffen Erlaucht ihm bei Ihrer Legation eine Stellung, und er ich meine, er iſt vernünftig genug ge¬ worden, um zu wiſſen, was der Begriff Vaterland werth iſt.

Haben Sie für nichts Anderes zu ſorgen? ſagte die Fürſtin, wieder mit ihrer Arbeit beſchäftigt.

Der Legationsrath griff gedankenlos nach dem Hut. Es kam zwiſchen Seufzen und Gähnen heraus: Wenn man nur nicht ſo viel Gefälligkeiten übernommen hätte!

Und ſich nicht ſo rückſichtslos für ſeine Freunde und Freundinnen opferte! fiel die Gargazin ein.

Spotten Sie nur! Mir wird der Kopf zu¬ weilen wüſt.

Dafür haben Sie ja Arkana zur Hand.

Die larmoyante Liebelei des Rittmeiſters und der Baronin ennuyirt die Freunde.

Les Georges Dandins l'ont voulu.

Nun ſoll ich die Platoniker wieder auseinander bringen, oder vielmehr aneinander. Man wünſcht ein263 Gezänk, wobei ſie ſich in die Haare geriethen, einen Eclat, einen coup de main, eine Pulverexploſion.

Ich auch, ſagte die Fürſtin. Die Luft wird unerträglich ſchwül.

Der Mann, der Baron, iſt zu gar nichts zu gebrauchen. Das iſt das Schlimme.

Die Baronin ſcheinen Sie ſeit einiger Zeit wirklich in Affection genommen zu haben.

Ich?

Pardon! Ich vergaß, daß Sie keine Affectionen haben. Gehen Sie morgen wieder zur Lupinus.

Die unglückliche Frau bedarf des Troſtes.

Der Mann wohl nicht?

Er iſt in Momenten ſo glücklich. Er kann ſich über das Geringſte, was ſeinen Phantaſieen ſchmeichelt, wie ein Kind freuen. Ein alter Einband, eine neue Lesart, die er entdeckt zu haben glaubt. Auch meine erlauchte Freundin würde ihre Luſt daran haben, denn man kann ſagen, es ſchwebt gewiſſermaßen ſchon die Glorie der Erlöſung um ſeine Stirn. Lange wird er es nicht machen. Da iſt es denn Pflicht ſeiner Freunde, was ſie vermögen, die letzten Augenblicke ihm zu verſüßen.

Die Luft im Krankenhauſe ſoll abſcheulich ſein. Nehmen Sie ſich in Acht.

Die Geheimräthin iſt zu eifrig in ihrer Pflege, zu excentriſch, um immer die gehörige Vorſicht zu beobachten. Sie erinnern ſich, bei dem Jean Paul¬ feſte, wie Adelheid beinahe verbrannt wäre.

264

Die Fürſtin ſah über die Arbeit ſtarr vor ſich hin: Es iſt etwas eigenes, das Kapitel von den Sympathieen und Antipathieen.

Von den Sympathieen haben wir das corpus delicti vor uns, lächelte Wandel, auf das Liebes¬ paar blickend.

Aber die Antipathieen haben etwas Monſtröſes, ſagte die Gargazin, weil wir ſie mit allem Ver¬ ſtande uns nicht zu erklären wiſſen. Giebt es einen Gegenſatz zum Magnet, einen Stein, der abſtößt?

Feuer und Waſſer miſchen ſich nicht.

Das iſt es nicht, was ich meine. Das eine löſcht doch, das andere durchglüht das andere. Aber wer erklärt dieſe innere Seelen - und Körperangſt, die ein vernünftiges Weſen oft vom erſten Erblicken an gegen das andere empfindet? den angebornen Widerwillen, den geheimen Schauder, wo gar kein vernünftiger Grund da iſt?

Doch vielleicht der Kitzel zu Paradoxieen! Das häßlich zu finden, was Andre entzückt, fordert der Widerſpruchsgeiſt von ſelbſt auf, der gerade begabten Naturen eigen iſt.

Warum fürchtet ſich Haugwitz vor Ihnen?

Wandel ſchien etwas betroffen. Er wollte von dem Unglück ſprechen, von geheimen Feinden ver¬ redet zu werden, wo ein Ehrenmann ſich nicht ver¬ theidigen kann, weil ihm die Anklage ſelbſt unbekannt blieb. Das war es nicht, was die Fürſtin meinte.

Warum hat Louis Vater einen angebornen265 Widerwillen gegen die Lupinus? Ich weiß, er hat dieſe Antipathie. Er kann ſie weder ſich noch Andern erklären. Solch eine magiſche Scheu zieht ſich durch's Leben, unzertrennbar von unſrer Perſönlichkeit, wie wir von unſerm Schatten. Was iſt das nun? Ich, von meinem Standpunkte, könnte es mir deuten; aber ich wünſchte Ihre Anſicht zu kennen. Sie Rationaliſt, Ihre Wiſſenſchaft muß wenigſtens vor ſich ſelbſt Alles zurechtlegen können, was in der Natur erſcheint.

Wandel hub an von den ſich anziehenden und den ſich abſtoßenden Kräften, von den Stoffen, die als Wärmeableiter dienen, er ging zur Electricität über und ſtand beim Blitzableiter, ohne daß wir wiſſen, wie weit er ſich in die Wolken, und von ihnen herab wieder in die pſychiſche Welt verſenkt hätte, als ihn die Fürſtin abermals unterbrach. Möglich, daß er nicht ohne Abſicht in die Doctrin ſich verlor, weil er wußte, daß die Fürſtin nie auf¬ gelegt war, Vorleſungen anzuhören, und er in dem Augenblicke noch weniger, ſie zu halten.

Warum iſt ſie auch mir zuwider?

Zwei Sonnen vertragen ſich nicht am Himmel, pflegte man zu ſagen. Aber von Rivalität kann nicht mehr die Rede ſein, wo die eine unterging.

Wenn ich Ihnen auch zugeſtände, daß ein ſolches Gefühl einmal da war, das iſt es nicht. Es iſt etwas Anderes. Ich kann mit ihr Komödie ſpielen, aber nachher überfröſtelt es mich, wie Jemand266 zu Muthe ſein muß, der erfährt, daß er mit einem von der Peſt Inficirten Hände geſchüttelt. Nach jenem letzten Abende erſchien ſie mir im Traum. Ihre koſtbaren Kleider fielen in Lumpen, eines nach dem andern, ihr vom Leibe. Ich ſchrie auf, ich floh vor dem ſcheußlichen Gerippe. Ich war plötzlich aus dem Bette, und es ſtand noch immer vor mir, ja, es dauerte eine Weile, als ich ſchon die Augen mit Gewalt aufgeriſſen hatte, bis es in den Boden verſank. Was iſt das? Erklären Sie's mir.

Vielleicht die polariſche Attractionskraft der Gegenſätze. Wir träumen das Gegentheil von dem, was wir fühlten, dachten, erlebten, liebten. Das iſt der Inhalt der Traumbücher. Die Geheimräthin iſt immer ſehr gewählt gekleidet, ſie ſpricht und denkt ebenſo, alles Rohe und Nackte überkleidend.

Darum erſchien ſie mir roh, nackt, ſcheußlich! Wandel, ich möchte Sie einmal im Traum ſehen.

Der Haushofmeiſter war ſchon eine Weile näher getreten, als er ſich jetzt über den Stuhl der Fürſtin neigte und einige Worte ihr in's Ohr flüſterte. Die Fürſtin ließ die Arbeit ſinken; ſie ſtützte den Kopf im Arm. Die verbiſſenen Lippen ſprachen von einer unangenehmen Nachricht. Der Haushofmeiſter flüſterte ſie auch dem Legationsrath zu: Er iſt eben verſchieden! Le pauvre diable! ſprach Wandel, die Achſeln zückend. Hat er noch viel gelitten? Ich meine, hat er noch wie neulich267 phantaſirt? Er warf ſich noch einige Male unruhig, kreuzte ſich, wiederholte den Namen der Fürſtin, japſte ein paar Mal auf, als wollte er etwas ſagen. Solchen Kutſcher kriegen wir nicht wieder! hatte der Haushofmeiſter erwiedert.

Warum mußte auch jetzt grade dieſe Störung kommen! ſagte der Legationsrath und beugte ſich über den Lehnſeſſel der Fürſtin.

Wiſſen Sie, theuerſte Freundin, mich ſchaudert doch zuweilen vor der Leibeigenſchaft.

Sie blickte verwundert zu ihm auf.

Ihre beredte Vertheidigung hat mich allerdings von der Naturnothwendigkeit des Inſtitutes über¬ zeugt. Ich erkenne, welche unausſprechliche Wohlthat ſie für dieſe Geſchöpfe, Familien, ja dieſe ganzen Völkerſchaften iſt, die ſich über ihre Naturdumpf¬ heit nicht erheben mögen. Ja, es iſt ein berauſchendes Gefühl für die von Gott dazu Erwählten, für dieſe Armen, Verlaſſenen, Urtheilunfähigen ihr Alles zu ſein, Vater, Mutter und Vormund, für ſie zu fühlen und zu denken, die Sorgen für unſer eigen Wohl hintanzuſetzen, um für Hunderte und Tauſende von Seelen zu ſorgen, welche die Vorſehung in unſre Hand legte. Von dieſer Seite erſcheint auch mir die Inſtitution eine wunderbare, heilſame, aber der Exceß der Gefühle von der andern Seite hat doch etwas Bedenkliches.

Sie verſtand ihn nicht.

Was hat dieſem Menſchen den Tod gebracht,268 nachdem er in der Geneſung ſo vorgeſchritten, der Arzt hatte zuverſichtlich ſeine völlige Heilung verſprochen, als die Angſt, Gewiſſensbiſſe kann man ſagen, daß er ſo lange nutzlos liegen mußte, ohne die Güte ſeiner Herrin durch ſeine Dienſte erwiedern zu können. Wie durchzückte es ihn, als er hörte, daß Eure Erlaucht einen Berliner Kutſcher interimiſtiſch angenommen. Er biß ſich in die Lippen und ballte die Hand, daß ein Anderer, ein Fremder, ſeine ge¬ liebte Herrin fahren ſollte. Wir verbargen es Ihnen, er ſprang nachher heimlich auf, kleidete ſich an, und war ſchon auf dem Wege nach dem Stall. Wir kamen noch zur rechten Zeit. Als man ihn wieder in's Bett brachte, überfiel ihn der Paroxys¬ mus; er phantaſirte nur von Peitſche und Pferden, er umklammerte ſein Kopfkiſſen, wie man Einen erwürgt, und nannte es Chriſtian. Nenne man es Eiferſucht, Brodneid, es war etwas Edleres, meine ich, aber von da ab gab der Doctor die Hoffnung auf. Es thut mir leid, von einem Todten es zu ſagen, aber der Menſch hat ſich ſelbſt umge¬ bracht. Ein Selbſtmord aus Pflichtgefühl. Dieſe Exceſſe des Gefühls, Sie mögen mich darum tadeln, aber ich kann ſie nicht gut heißen. Etwas Egoismus iſt jeder Creatur nothwendig, oder ſie hört auf zu exiſtiren. Selbſterhaltungstrieb und einige vernünftige Ueberlegung wären Sie auch Ihren Leibeigenen einzuimpfen ihnen und ſich ſelbſt ſchuldig.

Die Fürſtin warf ihm einen dankbaren Blick zu. 269Es giebt Momente, wo ein Kluger von einer groben, handgreiflichen Lüge angenehmer berührt iſt, als von einer feinen, die wie ein lauer Abendwind ſich als Wahrheit in ſein Herz zu ſchmeicheln ſucht. Ihr zweiter Blick war auf die Andern gerichtet; aber ſie waren ſchon verſchwunden. Es war ihr lieb: Adel¬ heid darf nichts davon erfahren, ſprach ſie, zum Haushofmeiſter ſich umwendend.

Sie ſind nun ganz d'accord, wir Sie es wün¬ ſchen? warf der Legationsrath hin.

Heut im Thiergarten ſcheint die letzte Scheide¬ wand gefallen.

Welche?

Die Affection für ihren Lehrer. Sie haben Recht, Wandel, es giebt auch Exceſſe einer geiſtigen Leibeigenſchaft.

Ich hielt dieſe für überwunden ſeit jenem Abend.

Das Bekenntniß der Liebe ſtöhnte noch immer unter den Fußklammern des Gewiſſens. Was der Menſch ſich ſelbſt quälen kann! Sie hat ihm be¬ kannt, wen ſie um ſeinetwillen geopfert, das hat einige Thränen, Schluchzen, platoniſche Herzſchläge verurſacht, denn die Rivalen waren Freunde, aber ſie ſind auf gutem Wege.

Des Haushofmeiſters Verbeugung war eine Frage, welche die Fürſtin verſtand.

Wollen Sie mit mir den guten Paulowitſch ſehen? fragte die Fürſtin den Legationsrath.

270

Wandel ſchien ungewiß, welche Antwort ſie er¬ wartete: Man hat es der Geheimräthin Lupinus verdacht, daß ſie die Leiche ihres Dieners wie die eines Familiengliedes pflegte und ſchmückte. Es iſt hierorts nicht Sitte.

Man muß ſich in die des Ortes fügen, ſagte befriedigt und laut die Fürſtin, und richtete den Blick nach oben. Ich werde den treuen Paulowitſch noch oft ſehen. Den irdiſchen Qualen enthoben, ſchwebt ſein verklärter Geiſt in die Räume des Lich¬ tes. Ob es da Hohe und Niedere, ob Herren und Leibeigene giebt, ob wir Alle wie Atome in der Se¬ ligkeit verſchmelzen, die nichts Geſondertes duldet, Alle Accorde in dem großen Hallelujah, Glockentöne in der ewigen Harmonie!

Sie ſprach es, ſich ſelbſt anregend, mit ſilber¬ reiner Stimme. Aus dem andern Zimmer reſpon¬ dirte das Klavier, in Phantaſien, die der Stimmung entſprachen; ein ernſter Grundton, wie das Wogen des Meeres, aber wie Schaumwellen ſprützte die Freude dann und wann auf. Es war Adelheid.

Wandel hatte, um der Stimmung auch zu ent¬ ſprechen, die Hände vor ſich gefaltet. Als die Für¬ ſtin es bemerkte, trat ſie an ihn und riß ſeinen Arm zurück: Das ſollen Sie nicht. Sie können gehen.

Er ſchien einen andern Befehl erwartet zu ha¬ ben, aber mit einer ſpitzen Stimme wiederholte ſie: Gute Nacht, Herr von Wandel, ich will im Thomas a Kempis leſen. Die Lecture intereſſirt Sie nicht.

271

Als der Legationsrath langſam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, ſah er auf dem Bal¬ con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen - und Oran¬ genſtöcken ſchien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauſchen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenſtrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf ſein Geſicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finſtern Ausdruck erſchrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erſchrecken. Er dachte, mit einem ſchlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin eine leichte Treppe vom Balcon führte, das iſt ja ein betrübter Anfang zu einer Wonneſcene, als mit einem letzten Aufſchlag das Spiel endete und der Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand ſo wenig ein Intereſſe, das zu belauſchen, was auf dem Balcon vorgehen würde, als für die Penſéen der Fürſtin bei der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬ danken, die über das Buch hinwegflogen: Groß iſt Salomo! ſprach er, die Hofthür hinter ſich zudrückend. Unter der Sonne geſchieht nichts Neues. Und das Mirakel iſt nur, daß ſie um daſſelbe Elend immer wieder von vorn anfangen!

Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüſter unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬ gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er lächelte nicht, er ſeufzte nicht; auch er hörte ja nur, was er durch Tauſende und Tauſende von Jahren gehört. Er kennt die ſtille Sprache des ſanften Hände¬272 drucks, was der Athemzug ſagt, was die Locke ſpricht, die ſich auf die Schulter ſenkt, wofür der Hauch aus der tiefen Bruſt keine Worte findet. Der Mond kennt alle Sprachen der Welt von Anbeginn, und weiß, daß keine ausreicht, um den Gefühlen der Liebenden Worte zu geben, nachdem ſie Alles geſungen und geſagt, was ſich ſingen und ſagen läßt.

Es waren keine Mondſcheinsgedanken, die durch die verſchlungenen Hände und Arme von Herz zu Herzen vibrirten. Es waren aber auch nicht Stürme, nicht Blitze, die aus Vulkanen zücken. Die Lieben¬ den ſchwebten auf den geglätteten Wegen, wie abend¬ lich ein Nachen über den ſpiegelglatten Fluß zum Ufer ſchwebt. Aber vorher, als die Sonne noch hoch ſtand am Himmel, hat der Kahn, unter Geſang und Rudergeplätſcher, mit Wind, Sonnenbrand und der bewegten Fluth gekämpft. Davon ruhen ſie jetzt aus, ſchweigend, es iſt eine Stille, dem Verſtändniß, der Erinnerung geweiht. In den einſamen Gängen des Thiergartens erſt hatte Louis erfahren, wem er ſein Schönſtes geraubt. Es war eine Gewitterwolke am klaren Horizonte; aber der dunkle Schatten, der auf ſeine Stirn fiel, zeigte die Gegend ringsum nur um ſo lachender. Welche Bekenntniſſe entlockte er der Gelieb¬ ten! Darum ihre Kälte, Scheu; und nun hatte ein Wort ſie freigegeben, Alles gelöſt, ſie wollte ihm Alles geben, was ſie ſo lange ihm vorenthalten. Und was hatte er denn dem Freunde geraubt? Sein Schönſtes, ja, aber nicht ſein Alles. Hatte nicht273 Adelheid geſtern einen Brief empfangen von Walter, einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin er das ihm anvertraute köſtliche Gut, wie er es nannte, der Eigenthümerin zur freien Dispoſition zurückſtellte. Mit welchem Scharfſinn hatte er aus¬ einandergeſetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt, daß es höchſte Undankbarkeit ſei, was die Dankbar¬ keit im überſtrömenden Gefühl des Augenblicks auf den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als un¬ widerrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar aus¬ einandergeſetzt, daß er nicht die Eigenſchaften beſitze, um Adelheid ſo glücklich zu machen, wie ſie verdiene, dahin, in die glänzenden Höhen ſie zu fühlen, wozu ihre Schönheit, Natur, die ſichtliche Fügung des Him¬ mels ſie beſtimmt. Er ſei ein ſtiller, ſinnender Mann, ſie berufen zu glänzen. Sein Verdienſt wäre viel¬ leicht, daß dieſer Glanz ein echter werden müſſe, daß er ſie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß er die Hochgefühle einer deutſchen Jungfrau in ihr geweckt; darauf ſei er ſtolz; aber hatte er ſich nicht zugleich angeklagt, daß er dieſe Ueberzeugung gewalt¬ ſam unterdrückt, daß er ſo lange ſich getäuſcht, daß er, ſchon mit dem Bewußtſein, wie ihre Liebe nur Achtung ſei, ein Pflichtopfer, ſich fort und fort ge¬ täuſcht, es könnten doch andre Gefühle für ihn zum Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer von ſeiner Seite, ſondern erſt ein Zufall, ein Im¬ puls des Momentes, die lange Kette des Truges ge¬ ſprengt habe? Und hatte er nicht endlich verſichert,IV. 18274auch er fühle ſich jetzt frei, glücklich, ſie dürfe um ihn nicht ſorgen, denn er ſei nun zurückgegeben der heiligen, ernſten, höchſten Pflicht des Mannes, ganz ſeinem Vaterland zu leben.

Mit Begeiſterung hatte Adelheid den Brief vor¬ geleſen, dort auf der unter Brombeeren und Ham¬ butten verſteckten Birkenbank, während der Wagen der Fürſtin langſam auf der Chauſſee auf und ab rollte. Nun biſt Du doch zufrieden, hatte ſie geſprochen, und mit der Hand die Falten aus ſeiner Stirn geglättet. Er hatte geſchwiegen, und ſeine Zufriedenheit in einem Kuß auf ihren Arm gehaucht. Jetzt fuhr ſie wieder mit der Hand über ſeine Stirn: Kalt und feucht! Die Abendluft könnte Dir ſchaden!

Die Nachtvögel zeigten ihnen den Weg. Sie flatterten, an die hellen Scheiben der Glasthür die Köpfe ſtoßend. Trüb brannte das Licht im kleinen Gartenzimmer. Sie hatten ſich noch ſo viel ohne Zeugen zu ſagen. Es war ſtill im Hauſe, nur aus dem Souterrain tönte dumpfes Geflüſter der Leute, die Fürſtin ſaß in ihrem Armſtuhl und hörte über den Thomas a Kempis nicht, wie Adelheid durch die Thür blickte. Aber als ſie zurückkehrte, hörte auch Louis nicht ihr Kommen. In ſich zuſammenge¬ ſunken, ſaß er auf dem kleinen Kanapé. Es war nicht die Erwartung, von der der Dichter geſungen.

Erſt ihr Arm, der ſich ſanft um ſeinen Nacken chlang, erweckte ihn.

Noch immer Walter! Iſt das recht! ſprach ſie.

275

Der iſt glücklich! ſeufzte Louis.

Glücklich! Sie blickte ihn vorwurfsvoll an.

Iſt's die Lerche nicht, die in den Morgen¬ nebeln nach der Sonne ſteigt. Iſt's der Träumer nicht, der die ganze Menſchheit an die Bruſt ſchließen möchte! Ich möchte ſie lieber erwürgen!

Sprich nicht ſo. Das iſt der Reſt Deiner Krankheit.

Vielleicht ein anderer Reſt! Er blickte ſtarr vor ſich nieder. Bin ich nicht ein Feuerbrand, beſtimmt, was er anrührt, zu zerſtören! Sie hatten's mir verhehlt, aber ich erfuhr es, als ich geboren ward hab ich meine Mutter umgebracht. Der Zer¬ ſtörungstrieb war die Mitgift an meiner Wiege, und hat ſie nicht in meinem Leben luſtig gewuchert! Meinen Vater doch davon ſtill. Ich ward ein wüſter Menſch auf der Univerſität, nicht ganz ſo ſchlecht als Andere, aber indem ich gegen die Schlechten losging, ward ich ein Störenfried unter den Guten. Die Guten ſagen, um das Leben gut zu machen, muß man ſich vertragen lernen, auch mit dem Schlechten. Ich habe es nie gelernt. Ich habe in's Leben geraſt. Ich wollte Niemand vernichten, und wie Viele habe ich zertreten. Kennſt Du denn mein Leben, Adelheid? Soll ich das Alles heraus¬ ziehen aus dem Sumpfe, denn zwiſchen uns muß Wahrheit ſein. Wie ſie mich aus den Häuſern ge¬ ſtoßen, auf der Straße mir auswichen, mit den Fingern auf mich gezeigt, bis

18*276

Bis Du Dich ſelbſt aufraffteſt!

Nein, bis ich auch Dich in's Verderben riß damals bis ich auch den einzigen, den treuſten, wahrſten Freund nun um ſein Heiligthum betrügen muß. Was ich berühre, opfere ich. Soll ich es hinnehmen, wie die Götter der Alten an dem rauchenden Blut der ihnen geſchlachteten Menſchen ſich weideten! Was iſt's denn in mir, frage ich, dies düſter glühende Auge, das Zücken meiner Lippen, der nie geſtillte Durſt meiner Seele, daß mir das Beſte, Köſtlichſte aufbewahrt iſt! Nun ich ſiech bin, troſtlos hinter mir, troſtlos vor mir, willſt Du blühendes, junges, reines Leben Dich an den morſchen Stamm ranken, ich ſoll, muß Dich zerſtören, weil Du mein biſt. Ja, Walter hat Recht, nicht für ihn, aber Du biſt auch nicht für mich.

Für wen denn? ſprach ſie, und der Ernſt, der aus Louis Worten hauchte, ſchien plötzlich auf ſie übergegangen. Aber Louis Ernſt war ein düſterer, ihre Worte waren ein ſonorer Metallklang. Er hatte es nicht geſehen, wie ſie in krampfhafter Erſchüt¬ terung den Arm von ſeiner Schulter zurückgezogen hatte, und das Geſicht mit beiden Händen bedeckte. So ſetzte ſie ſich in die andere Ecke des Sopha's, und eine Pauſe trat ein.

Weinſt Du? Habe ich Dich gekränkt, Adelheid?

Ich weine nicht, ſagte ſie im ſelben Tone, und Du kannſt mich nicht beleidigen. Ich dachte nur über mein Schickſal nach, und bei Deinen277 Worten brach es heraus, ach, von ſo lange her! Louis, das Schickſal ſchleudert mich ja in Deine Arme. Was würde ich denn, was bin ich? O mein Gott, es iſt ſchrecklich, wenn die Binde ſo mit einem Mal von den Augen fällt!

Du biſt die gefeierte

Puppe von ich weiß nicht wie Vieler. War ich denn nicht herausgeriſſen aus dem Schooß meiner Familie, dem Glück, der Bildung, für die ich geboren war, haben ſie nicht Alle an mir gear¬ beitet, mich zu erziehen, der Eine ſo, der Andere ſo, um aus mir zu machen, was ich nicht war, um mich zuzuſtutzen zu etwas, ſie wußten ſelbſt nicht, was, aber ihr Ziel haben ſie Alle erreicht, die vielen Künſtler, ich bin wie der Vogel, den man aus dem Neſte nahm, und buntes Gefieder ihm anklebte. Die, denen das Gefieder gehört, erkennen ihn doch nicht an, ſie ſpotten ſtill über den Eindringling, aber zu den Seinen darf er auch nicht zurück. Er gehört da nicht mehr hin.

Welche Phantaſieen, meine Adelheid!

Ich ſehe nur zu klar, und nur zu lange ließ ich mich von der ſüßen, eitlen Gewohnheit einſchläfern, daß ich die Augen nicht aufſchlug, daß ich die Stimme nicht hörte, die im Innern immer deut¬ licher rief. Jenes abſcheuliche Weib o ſie war noch die Beſte, ſie wollte mich nur einfach verderben; da war ich unſchuldig; wie der Vogel, der aus dem Neſte flattert, fiel ich in das Netz, das ſie aus¬278 geſpannt. Aber die Andre, o mein Geliebter, ich fühle das Gift, daß ſie in meine Adern ſprützte, es ſchleicht noch jetzt, es zehrt noch.

Die Geheimräthin wollte Dir wohl!

Sie will, ſie kann Niemand wohl wollen, glaube es mir, Louis. Sie hat kein Herz; darum wird ihr unwohl, wo ein Herz warm ſchlägt. Ich las von einem Geſpenſterthier, das Nachts ſich auf die Schlafenden legt und das Blut ihnen ausſaugt. Sie ſaugt auch das Blut aus, mit ihren ſpitzen Reden, ihren ſpitzen Blicken. Ich wäre ſchlecht geworden, Louis, das fühle ich, ich ward ſchon eine Andre, wie ein in Eis getauchtes Tuch warf ſie's um die Bruſt, wenn edlere Empfindungen auf¬ zückten.

Was wollte ſie mit Dir?

Martern will ſie, ſie muß martern, was glück¬ licher iſt. Sie konnte den Kanarienvogel quälen, wenn er zu luſtig ſchmetterte; ſie beneidete das arme Thier im Käfig, ſie marterte ihre Domeſtiken, ihren Mann, ſich ſelbſt auch, wenn ſie ſich ertappte, daß ſie lebhafter geweſen, als ſie ſcheinen wollte. O Lieb¬ ſter, es iſt entſetzlich, wenn ich daran denke, ein Traum, und mich ſchaudert, er iſt vielleicht noch gräßlicher, als ich zu träumen wagte!

Und alle Welt bewundert ſie.

Die Welt hat Recht. Dieſe Frau und dieſer Mann dazu

Welcher?

279

Der Legationsrath. Sie ſind beide hohl, verrathe mich nicht, Louis, ausgehöhlte Geſpenſter. Sie haben alles menſchliche Gefühl aus ſich geſogen, gepreßt. Man muß die Empfindungen und Re¬ gungen, die uns ſtören, aus ſich heraus deſtilliren, hörte ich ihn einmal ſagen, und das haben ſie, ſie haben daraus präparirt die ſchöne Glätte, den glän¬ zenden Firniß, den die Welt bewundert.

Mein Gott, woher kam Dir die Erkenntniß?

Weiß ich's? Sie hielten mich für das Schoo߬ kind, das man ausputzt, in den Armen ſchaukelt, mit Glanz und Süßigkeiten nährt, von dem man alles Unangenehme fern hält, auch die Gedanken und die Gedanken kamen doch, von ſelbſt ich war unausſprechlich unglücklich!

Dich mißhandelt?

Sie nickte: Es waren unſichtbare, feine Geißel¬ ſchläge, die Luft fühlte ſie kaum. Wie ein feiner, ätzender Staub auf die Lunge geworfen.

Und Du mußteſt es dulden?

Wie ſchließt man das Auge vor dem Zücken des Blitzes, das blaue Licht ſchießt durch die geſchloſſe¬ nen Lider. Ich mußte es dulden, ohne ihr entfliehen zu können, und es war mir auch nicht erlaubt zu klagen. Und ich mußte immer lügen lügen von unermeßlicher Dankbarkeit; wenn ich es nicht ausgehalten wäre ja das Urtheil der Welt über mich zuſammengebrochen

Er warf, die Hände faltend, ſein Geſicht in ihren Schooß: Und daran war ich ſchuld!

280

Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette von Beſtimmungen. Aber untergegangen wäre ich in der Lüge, das fühle ich. Je größer ſie ward, ſo kälter ſchlug's mir an's Herz.

Gott ſei Dank, eine Frau, die warm fühlt, nahm Dich zu ſich.

Adelheid war aufgeſtanden. Sie ſchüttelte den Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Geſicht, als ſie ſich zu ihm umwandte, die Hände ſanft auf ſeine Schultern legte und ſeine Augen küßte:

Laß uns davon nicht ſprechen, Liebſter.

Du zweifelſt an der Güte der Fürſtin?

Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand be¬ neiden darf. Das iſt die entſetzliche Schule der Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon ſchweigen.

Auch hier nicht glücklich?

Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich ſelbſt.

Er blickte ſie fragend an.

Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da wollte man den ſeltenen Vogel in ein Bauer ſperren, dort flatterte ich an einer unſichtbaren Kette, hier läßt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin. Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken ſchlafen müſſen. Jeden braucht man, wozu er gut iſt, und ſo lange er dazu gut iſt. Mich281 ſtaffirt man aus mit allem Glanze, ſo lange es ſich lohnt. Wenn ich nicht mehr hübſch bin, nicht mehr ſingen, Muſik machen, nicht mehr tanzen kann, nicht mehr muntere Antworten gebe, nicht mehr die Her¬ zen entzücke, dann wirft man mich fort wie jedes andre unnütze Werkzeug. Sie hat ſo wenig ein Herz für mich, als die Lupinus. Und die Andern! Sehe ich denn nicht, wie man mich abſchätzt? Gehöre ich zu dieſen Erwählten? Fühle ich nicht unter ihren Complimenten und ſchmeichelnden Reden heraus, was ich ihnen bin, was ich ihnen wäre ohne den geliehenen Luſtre? Rümpfen dieſe vornehmen Damen nicht die Naſe, wenn ihre Töchter mich einladen, mich mit ihren Freundſchaftsverſicherungen überſchütten? Zittern die Mütter nicht, wenn die Söhne mir zu viel Aufmerk¬ ſamkeit erwieſen? Nahte ſich mir denn mit ernſter Abſicht in der langen Zeit nur ein edler Mann aus dieſen Kreiſen? Herr von Fuchſius iſt ehrlich genug: er trat bald zurück, weil ich kein Vermögen beſitze. Die Andern ſagen es nicht, aber ich leſe ihre Ge¬ danken. Mitten im Zauberwirbel der Geſelligkeit, der Pracht und rauſchender Luſt, bin ich eine Fremde, mitten in den Schaaren, die mich umdrängen, eine Gemiedene. Wer wird ſie denn nehmen! hörte ich eine vornehme Dame zu einer andern flüſtern, nach¬ dem ſie vorher nicht Worte genug gefunden, mir Schönes zu ſagen. Sie iſt doch nur eine Geſell¬ ſchafterin, erwiederte die Andre; ein vornehmer Lock¬ vogel. Und mit ſolchen Ballſchönheiten geht's282 bald zu Ende. Dann kommt zuletzt doch noch Einer, der erſte Beſte, ſetzte die Andre tröſtend hinzu. Und unter der Haube iſt unter der Haube.

Warum hört Adelheid auf das Geſchnatter!

Weil ich es hinter ihrem geſchloſſenen Munde leſen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte erſchrick nicht, Louis, vor dem Wort, es iſt nicht ſo übel, es ſind viele Beſſere als ich, ich könnte zuwei¬ len ſogar ſtolz darauf ſein. So ſtolz, daß ich auch meine Gleichen ſuche. Brauchſt Du noch Beruhi¬ gung um Deinen Freund, ſo wiſſe, ich hätte jetzt Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber nun ſteht er mir auch ſo hoch da, daß ich den ſtil¬ len, reinen Strom ſeines Lebens durch meine Be¬ rührung nicht trüben, nicht ſtören darf und will. Du biſt mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬ werfen, wir ſind beide Fremde, Mißverſtandene, Ge¬ miedene, Ausgeſtoßene, und unſre Herzen ſchlagen zu einander. Das hinter uns laſſen wir ruhen, und blicken wir flüchten beide in eine beſſere Zu¬ kunft.

Wie Du ſelbſtquäleriſch Dich erniedrigſt, ſprach er, ihre Hand an ſein Herz drückend. Wenn der gerechte Richter die Wage hält, iſt die Schwere Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft ſich wiegt.

Die Welt iſt kein gerechter Richter; ſie wägt283 auch nicht die Schuld, ſie wägt nur die Verhältniſſe ab. Auch der gerechte Richter fragt, was ich bin, nicht was ich hätte ſein können. Was bin ich denn! Nicht hier, nicht dort eine Wahrheit! Ein halbes Kind, her¬ ausgeriſſen aus dem elterlichen Hauſe, lernte ich tän¬ zeln, ehe ich gehen kennte, Komödie mußte ich ſpielen, ehe ich von dem etwas wußte, was ich ſpielen ſollte. Ehe ich eigen gedacht, empfunden, gelebt, lernte ich reflectiren. Die ſchlichte Bürgerstochter, plötzlich geſtoßen in Kreiſe der erſten Geiſter und der vornehmen blaſirten Men¬ ſchen, mußte ich Angelerntes herſagen. Louis, erſchrickſt Du nicht, wie ich rede! Iſt das die natürliche Sprache eines zwanzigjährigen Mädchens! Soll, darf ſie reflek¬ tiren, wie ein Mann, der die Lebensſchule durchgemacht hat! Ich erſchrecke oft vor mir ſelbſt; ich ſchaudere, wenn ich in den Spiegel ſehe. So haben ſie mich heraufgeſchraubt zu einem unnatürlichen Daſein. Ich frage mich oft in Stunden der Verzweiflung: kann mich wer ſo lieben? wer ſich mir vertrauens¬ voll hingeben? Statt eines kindlichen Mädchens eine, die die Schlechtigkeit der Menſchen im tiefſten Grunde kennen gelernt

Aber unberührt von ihr blieb. Deine ſchöne Natur hat geſiegt.

Sie ſtrich ihm die Locken aus der Stirn: Sei ehrlich! Wäre es Dir nicht lieber, wenn ich ein Kind wäre, das arglos, neckiſch, vertrauensvoll ſich in Deine Arme würfe? So zerdrücke ich oft eine ſtille Thräne, wenn ich im Hauſe bin, wo ich nicht284 mehr zu Hauſe bin, wenn die jüngern Schweſtern mich mit neugierigen Fragen beſtürmen, über die ich lächeln muß. Wäre ich wieder ſo! ruft es, aber ich möchte doch wieder nicht ſo ſein, ich könnte nicht wieder ſo ſein, es iſt eine Kluft geriſſen, und ich gehöre nicht hierhin, nicht dorthin. Das iſt der Fluch

Nicht Deiner Schuld.

Sie blickte ſinnend vor ſich und ſchüttelte lang¬ ſam den Kopf: Wenn mein Herz blutete und ſpringen wollte unter der ſchillernden Maske, log ich nicht, indem ich nicht aus der Rolle fiel? Miſchte nicht da etwas Falſchheit ſich unwillkürlich in mein Denken und Thun? Ich log mir Entſchuldigungs¬ gründe vor. Die Phantaſie iſt unerſchöpflich. Ich log mir vor die Vortrefflichkeit meiner zweiten Mutter, der Geſellſchaft, der Welt, bis es nicht mehr ging, bis das Bewußtſein herausplatzte. War es keine lange Lüge, die ich auch mit Dir geſpielt? Schon da an dem ſchrecklichen Orte! Dein Blick hatte mich verwundet, aber die Wunde that nicht weh. Hatte ſich Dein Geſicht mir nicht eingeprägt! Es durch¬ ſchauerte mich mit Angſt, als Du mich verfolgteſt, aber es war eine bange, ſüße Angſt, bis an jenem Abend, wo Du

Da ſchon! Entzückendes Bekenntniß!

Sie nickte, die Hände vor'm Geſicht. Ja, da ſchon, wie ich Dich mit kaltem Mitleid von mir ſtieß, Dir verzieh unter der Bedingung, daß Du285 mich nicht wieder ſäheſt, als ich Dir ſagte, ich könne Dich nie lieben, es war ſchon eine Lüge. Ich preßte das Feuer mit aller Gewalt in die Bruſt zurück. Ich log mir vor, daß es nur Mitleid ſei, daß ich Dich verabſcheue, und ich log weiter. Es war die Angſt vor Dir, vor mir ſelbſt, ich wollte mich retten aus dem Strudel, aus dem Hauſe, Selbſtſucht war's, als ich an Walters Bruſt bekannte; ja es war Liebe, aber nicht ihr Sonnenſchein, ein ſüßes Mondenlicht, die Liebe der Achtung, der Dankbarkeit, der Be¬ wunderung. Jahre ſind über dieſe Lüge hingegangen, ſie machte mich bitter, unzufrieden, ich mußte mich ſelbſt verachten, und iſt das keine entſetzliche Schuld, daß ich zwei Jahr das Lebensglück des edelſten Mannes erſchüttern mußte. Schuld gegen Schuld, Geliebter, wir haben beide zu büßen und gut zu machen. Einer muß ſich am Andern ſtützen, auf¬ richten, Einer dem Andern Muth zuſprechen. Das Leben hinter uns begraben wir und fangen beide ein neues an.

[286]

Achtzehntes Kapitel. Der Weg zum neuen Leben.

Von der düſter brennenden Kerze war ein ver¬ glimmendes Dochtſtück nach dem andern gefallen; hier ohne Schaden auf die Marmorplatte des Tiſches. Auch war es nicht dunkel im Zimmer, der Mond und das dämmernde Morgenlicht erhellten es. Das iſt mein Vaterland, murmelte Louis, in das Licht ſtarrend.

Adelheid fühlte wunderbare Kraft; er ſchien zerknickt. Mit wie leuchtenden Blicken er auch ihren Reden zugehört, das Leuchten verſchwand allmälig, das Auge ward matt, ein wehmüthiges Lächeln ſpielte um ſeinen Mund, und die Augenwimpern ſenkten ſich wie die eines Einſchlummernden.

Und ſie hatte doch, eine begeiſterte Prophetin, geſprochen. Den Weg zum neuen Leben hatte ſie ihm gezeigt es gab nur einen das Vaterland.

287
Die angebornen Bande knüpfe feſt.
An's Vaterland, an's theure, ſchließ Dich an,
Das halte feſt mit Deinem ganzen Herzen!
Hier ſind die ſtarken Wurzeln Deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt ſtehſt Du allein,
Ein ſchwankes Rohr, das jeder Sturm zerknickt.

Und das eine Vaterland war ein größeres geworden. Es war nicht heut erſt der Gegenſtand ihres Ge¬ ſprächs. Warum hatte Louis immer durch ein ſtilles Nicken, was eben ſo gut dem ſchönen Munde und den ſchönen Worten galt, geantwortet? Er ſeufzte tief auf:

Wo iſt denn Deutſchland?

Ich ſpreche nicht von dem Traum hinter uns, Lieber, ſagte ſie lächelnd, nicht vom Kyffhäuſer und der Kaiſerherrlichkeit. Du moquirſt Dich darüber. Das deutſche Vaterland liegt vor uns

Das Walter Dir malte, unterbrach er.

Walter und Hunderte und Tauſende, unſere Edelſten!

Was in der eignen Bruſt des Schwärmers lebt, überträgt er auf die Millionen Creaturen, in denen nichts lebt, als der Gedanke, wie ſie morgen ſatt werden.

Als wüßte ich nicht, wie Du voriges Jahr in edler Begeiſterung ſelbſt Deinen Vater auf¬ weckteſt!

Damals! ſeitdem Gieb die Hoffnung auf. Dies Volk erwacht nicht wieder, es iſt kein Volk. Deutſchland iſt ein Traum der Dichter!

288

Und eben floß Palm's Blut dafür. Es raucht zum Himmel.

Und iſt übermorgen vergeſſen.

Ueberall knirſcht die verhaltene Entrüſtung, Greiſe, Knaben, ſchwache Frauen, kannſt Du ihre Stimmen verleugnen, die Thränen der Wuth, die am ſtillen Heerde geweint werden!

Ich hörte ſie, ich ſah mehr als Du; ſie ſchnitten Pfeifen aus dem Rohr, mit den Trompeten ſollten ſie's aufnehmen, ſie ſprangen auf die Bänke, Einige, und ihre Fäuſte zerdrückten in der Luft den Eroberer; die Andern brüllten dazu und ſtampften das Seidel auf das Brett. Wenn man uns nur ruft! Pamphlete über Pamphlete, von den Kanzeln donnerte es, Schmähworte, Verwünſchungen heute! Ueber¬ morgen ſah ich ſie wieder, er war als Sieger ein¬ gezogen. Sie hatten die Dächer ausgehoben, ihn zu ſehen. In den Schänken war auch nur eine Stimme der Bewunderung: die herrlichen Bärenmützen, die Bärte der Sappeurs, nein, das war ganz anders als bei uns. Die Einquartierung ſo liebenswürdig, ſie hatte nicht den Teller zum Fenſter hinaus ge¬ worfen, ſie hatte ein Kind auf den Armen gewiegt; o es waren prächtige Menſchen, verleumdet, ſie hielten Mannszucht. Die Jungen, die die Pfeifen geſchnitten, machten ihre Exercitien nach. Wo gab es bei den Deutſchen einen Tambour-Major!

Das iſt ein Pasquill auf den Pöbel überall.

Der in Frankreich war ein anderer. O, die289 gepuderten Ehrenmänner! Gute Deutſche, ſangen ſie Claudius Rheinweinlied, und die Augen gingen ihnen über, aber aber nachher ſah ich ſie anders. Die Verhältniſſe waren ja auch anders. So lange es ging, war es gut, was aber nicht mehr geht, iſt nicht mehr gut. Man muß nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen wollen. Wer nicht bei Zeiten nachgiebt, hat nachher das Zuſehen. Und im Grunde genommen, was iſt es denn, was ein guter Bürger braucht? Ruhe und Ordnung, Handel und Wandel. Dafür zahlt er ſeine Steuern. Was kümmert's ihn, an wen!

Sind die Krämer die Nation?

Wenn Du Pöbel, Alltagsſeelen und Kaufleute davon nimmſt, was bleibt vom Volk? O, erinnere mich nicht daran. Ich habe auch die Andern kennen gelernt. Da in den Ameiſenhaufen, wie ſie rannten, Einer über den Andern, um zu retten ſich! Das war ein Wirbelſturm der Angſt, wer zuerſt ankomme. Nur die Fahne des Vaterlandes brauche es aufzupflanzen, meinten unſere Freunde, ein Trompeter daneben, und die Deutſchen würden in hellen Haufen heranbrauſen, Waffen! ſchreien. Die gute Fahne wäre zur Vogelſcheuche geworden, ſie wären in ihre Verſtecke gelaufen, wie vor einem Peſtzeichen. Nein, ich hörte Hüons-Horn, der Kaiſer der Franzoſen ſtieß hinein, und ſie tanzten ſich raſend, todt. Wer das mit anſah, Adelheid, dieſes Kriechen, Antichambriren, dieſe BotſchaftenIV. 19290der kleinen Hohen und Höchſten, wie ſich jeder ent¬ ſchuldigte, ſeine Veneration auf dem Präſentirteller vor dem Unüberwindlichen hinhielt, wie er den Andern fortſtieß, verredete, denuncirte, wie er, kaum daß er die Unterwerfung unterzeichnet, auch ſchon um die Belohnung petitionirte; wie ſie, die Stolzen, Hoch¬ gemuthen, mit Ahnen von Odin und aus dem Cheruskerwalde, ſeinen Satrapen um die geſtickten Rockſchöße tänzelten, froh eines Händedrucks, und wenn ſein Vater auch ein Stallknecht geweſen! Ihre Elſteraugen verſchmerzten auch einen Sporentritt um die Erlaubniß, mit zugreifen zu dürfen, wo ſie ausgeſchüttet lagen, zu Füßen des Giganten, die Klöſter, Stifte, Städte, Schlöſſer, Abteien. O, wie er lächelte, das gelbe, ſchöne Geſicht mit den klugen durchdringenden Augen, als er mit der Fußſpitze ihnen die Erlaubniß zuſtieß, und ſie ſtürzten hin und rafften. Waren das meine Feinde! ſprach der Apoll mit dem Satanslächeln. Wer das ſah

O weh, ſeufzte Adelheid mit abgewandtem Geſicht, er hat auch den Glauben an ſein Vaterland verloren.

Klage die Grüfte an! ſprach er dumpf vor ſich hin. Die da haben's verſchuldet.

Sie ſah ihn mit tiefer Wehmuth an, und eine helle Thräne fiel aus ihren Wimpern. Sie galt nicht dem Vaterlande. Saß er nicht da wie eine ſchöne Ruine, ein Verſchwender am letzten Reſt291 ſeiner Habe! Mit geknicktem Glauben und ohne Hoffnung! Aber er war ja noch krank!

Der Erzherzog Karl war einſt Dein Held! Noch lebt er.

Es lebt nur Einer, rief er aufſtehend er, der Gigant, vor dem dieſe Miſere daliegt, wie das Blachfeld vom höchſten Thurm geſehen. Er wird ihr Wohlthäter werden, nicht wie unſere Philanthropen faſeln, nicht weil er ſie erheben, verſtändiger, beſſer, glücklich machen, weil er die Qual ihres Daſeins enden wird. Wer, die nicht leben können, ſchnell ſterben läßt, iſt ihr Wohlthäter. Sein Sieges¬ wagen mit ſchnaubenden Roſſen wird über die Staaten und Throne raſſeln, und die zerbrochenen Scepter liegen wie Spreu an den Landſtraßen. Was bauten ſie die Throne nicht feſter, warum ſtahlen ſie der Sonne den Schein, um ihre Kronen zu vergolden! Beim feuchten Herbſtwinde kommt das ſchlechte Metall zum Vorſchein. Was brauchten ſie die Stäbe nicht als weiſe Richter, warum als Korporalſtöcke! Warum ward die Weisheit ſchimmlig, die Kraft ſtockig? Ihnen geſchieht Recht und den Völkern. Zum Kehraus wird geblaſen, mit Poſaunen, Pauken und Kanonen. Er iſt der Mann dazu, ſeine Seele Stahl. Die Weichherzigen, die Gemüthlichen haben ausgeſpielt; die Menſchheitsthränen ſind in den Sumpf gefallen, aus dem kein reiner Bach mehr entſpringt; es muß wettern, blitzen, donnern, daß das Unterſte ſich zu oberſt kehrt. Meine Seele jauchzt,19*292ein Weltgericht iſt im Anzug und das neue Evan¬ gelium in Blut und Brand getauft.

Adelheid erſchrak nicht, es zückte ein Freuden¬ ſtrahl in ihrem Auge. Das war ja das Schütteln eines Fiebers. Louis zitterte, indem er den Rock vor der Morgenluft ſich zuknöpfte; aber ein hitziges Fieber bringt eine Kriſis hervor, das ſchleichende nur iſt ohne Hoffnung. Stahl war noch in dieſer Seele.

Du biſt für ihn begeiſtert? ſprach ſie raſch.

Du biſt ein freier Mann, fuhr ſie fort, als er ſchwieg. Senke nicht den Blick, ich erſchrecke nicht darüber, ich freue mich, daß Du begeiſtert biſt. Louis Bovillard, iſt das franzöſiſche Blut in Dir erwacht? Du begehſt dann kein Verbrechen, wenn Du das erworbene Land Deiner Väter abſtreifſt, wo Dich nichts mehr feſſelt. Du kehrſt zurück in das Land Deiner Vorfahren. Siehſt Du da nur Leben, Rettung, für einen großen Gedanken, für Dich, o ſo zaudere nicht, aber offen, ehrlich, kehre dahin zurück, zu ihm, den Du für einen Heros und Heiland hältſt, ſchlürfe den Feuerathem ein aus ſeiner mächtigen Bruſt, diene ihm, wie Du willſt, Du wirſt in jeder Geſtalt willkommen ſein, und lebe auf als Mann. Er ſchwieg noch immer. Dein Vater hat es Dir ja leicht gemacht. Er hat ſeine franzöſiſchen Erinnerungen wieder an's Licht gezogen, ſo etwas gefällt jetzt an Napoleons Hofe

Er ſchwieg noch immer, dann brach es heraus: Ich kann ihn aber nicht lieben.

293

Aber, Louis, Du biſt ein Mann. Ein Mann muß lieben oder haſſen; in wetterſchweren Zei¬ ten darf er nicht die Hände in den Schooß legen, abwarten, was kommt. Mein innig Geliebter, Du darfſt nicht unter die Alltagsmenſchen verſinken. Dein edles Selbſt darf nicht untergehen in dem Schwarm, den Du verachteſt; nein, aufrichten ſollſt Du Dich, ſtärken am Anblick der Jämmerlichen, deren Unent¬ ſchiedenheit das Elend über uns gebracht. Du mußt Dich entſcheiden; haſt Du gewählt, o dann wird der Funke wieder ſprühen, er wird Dich drängen zum Handeln. Wo Du wählſt, ich folge Dir.

Er hielt ſeine Hand auf ihre Stirn: Wäre ich Sachſe geweſen, und hätte den großen Karl bewun¬ dert, ich glaube doch nicht, daß ich gegen mein Volk ſtreiten könnte.

Ihr Auge blickte ihn freudig an.

In dieſer Luft bin ich, ſind meine Väter ge¬ boren, in dieſen Sitten, Gewohnheiten ſogen ſie das Leben ein, zeugten ihre Kinder. Wir erwarben ein Vaterland, und es hat uns erworben. Ich hätte in den Reihen der Sachſen geſtritten, Adelheid, auch wenn ich gewußt, daß Karl ſie zertreten mußte.

Sie hatte geſiegt, er war wieder gewonnen, dop¬ pelt gewonnen. Es waren Momente der Seligkeit, die Feder und Farbe umſonſt zu malen verſuchen. Die Morgenluft wehte ſchon friſch in's Zimmer, als ſie die Balconthür öffneten, die erſten Vögel erhoben ihre zwitſchernden Stimmen in den dunkeln Gebüſchen294 und ein röthlicher Streifen färbte den öſtlichen Ho¬ rizont. Im Himmel und in den Büſchen war noch Poeſie. Die gefiederten Sänger brauchen nicht für morgen zu ſorgen. Der himmliſche Vater ſpeiſt ſie, aber von denen, welchen er Verſtand gab, fordert er, daß ſie ſelbſt ihre Speiſung ſuchen. Es galt, für Louis einen Wirkungskreis zu ſuchen, und auf die Poeſie folgte ein langes proſaiſches Geſpräch. Es geht nun einmal nicht anders im Leben.

Du glaubſt nicht, wie mich der Gedanke an¬ widert, für dieſen Staat zu arbeiten, mich hineinzu¬ werfen in einen Topf, wo der Zufall die Looſe zieht, zum Werkzeug herzugeben, wo Keiner weiß, was er will, und Niemand, weſſen Wille gilt. Ja, wär's in Oeſtreich, im kleinſten Lande, wo ſie den Muth haben ſich zu geſtehen, was ſie wollen. Und wär's das abſolut Schlechte, die Gewißheit iſt ein Troſt.

Sie war beredt, ſie hatte Troſt auch dafür. Oeſtreich lag auf den Tod verwundet, wo war das deutſche Land, wie er es wünſchte! Preußen konnte in dieſem Augenblick Alles wieder gut machen, es ſtand da wie berufen, einzutreten in die große Ge¬ ſchichte. Durfte da Einer ſeiner Söhne ſich losrei¬ ßen, in der Fremde kämpfen wollen? Sie hatte Schillers dreißigjährigen Krieg eben geleſen. Sie erinnerte daran, wie die letzten Ritter für die gei¬ ſtige Freiheit von einem Fürſten und einem Heer, wenn dieſe geſchlagen, zu dem andern übergingen, und mit dem letzten Häuflein, das noch im Felde295 ſtand, kämpften ſie unverzagt, ohne die Hoffnung zu laſſen und die Hoffnung ließ auch ſie nicht zu Schanden werden.

Das Kämpfen mit dem Schwert war jener Zeit für den, der nicht dafür geboren oder dazu gezwun¬ gen war, ein noch fremder Gedanke. Es gab viele Wege, dem Vaterlande ſich zu widmen. Der gefun¬ dene ſollte zugleich der zu ihrer Verbindung ſein. Adelheid erröthete nicht vor dem Gedanken, daß ſie ihr Glück daran knüpfte. Wer nicht zugleich an den theuren eigenen Heerd denkt, deſſen Liebe zum Vater¬ lande iſt ein Feuer, das in den Schlott praſſelt und keine Wärme zurückläßt, hatte Walter geſagt. Es lag wieder kraus vor ihnen, ſie konnten den Weg nicht finden. Die Fürſtin wollte ſich damit nicht be¬ faſſen; Adelheid wußte nicht, weshalb, denn ſie glaubte nicht an den vorgeſchützten Grund: eine Fremde dürfe ſich nie in die innern Angelegenheiten eines Staates miſchen. Die Verwendung meines Vaters würde einen Preis koſten, rief er unwillig, für den ich alle Aemter der Welt fortſtieße. Aber ſoll uns das kümmern! ſchienen Beider Blicke ſich zu ſagen. Sie hatten die Hände in einander geſchlungen zum Ab¬ ſchied. Da röthete ſich plötzlich wunderbar Adel¬ heids Geſicht, als ſie eben geſprochen: Muth, Lieber, wir haben uns ganz gefunden, das Uebrige wird ſich von ſelbſt machen. Wer weiß, was Du zu Hauſe findeſt! Die Röthe kam aber nicht vom Blut; es war der erſte Sonnenſtrahl, der296 durch die Büſche ſchoß. Sie nahmen es als ein gutes Omen.

Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege, den vorhin Wandel genommen, durch das Souter¬ rain nach der Hofpforte. Als ſie die ſteinerne Wen¬ deltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtſchein entge¬ gen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie ſtarr¬ ten zurück. Eine Leiche! Adelheid unterdrückte einen Schrei.

In dem Augenblick ward ihr Name oben von der Fürſtin gerufen. Wir müſſen ſcheiden! Bei einer Leiche! Das iſt ein böſes Omen, Adel¬ heid. Ein gutes! rief ſie an ſeinem Halſe. Auch der Tod ſoll uns nicht erſchrecken, auch der Tod nicht trennen!

Die Fürſtin war ſehr blaß. Mit gläſernen, durchwachten Augen ſtarrte ſie das junge Mädchen an, aber nicht verwundert, ſie noch wach zu finden. Sie fragte auch nicht, woher ſie komme. Es war eine innere Bewegung, als ſie Adelheid an ſich drückte und ſie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem Sopha zu ſchlafen. Sie hatte geleſen, das Buch war ihr entfallen, und ſie hatte böſe Träume gehabt, oder Viſionen, wie ſie ſagte. Man ſah, ſie fürch¬ tete ſich in der unheimlichen Einſamkeit des grauen¬ den Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau wecken. Die Fürſtin ſchüttelte den Kopf: Thun Sie es diesmal ſelbſt mir zu Liebe. Sie zitterte heftig,297 als Adelheid ſie entkleidete; ſie hatte nie die Fürſtin zittern geſehen. Auch war ſie ſeit lange nicht ſo zärtlich geweſen. Als ſie ihr zum Schlafengehen die Hand drückte, ſprach ſie: A propos, ich vergaß Ihnen zu ſagen, die Königin hat ſich wieder durch die Voß nach Ihnen erkundigen laſſen. Bereiten Sie ſich vor, bei nächſter paſſender Gelegenheit werde ich Sie der Majeſtät vorſtellen. Sie werden ihr ſehr gefallen.

Die aufſteigende Sonne konnte nicht durch die ſchweren Jalouſieläden in das dunkle Zimmer dringen, ſonſt hätte ſie auf dem Sopha ein ſehr frohes Geſicht geſehen. Das Lächeln blieb, als Adel¬ heid einſchlief. Sie hatte ſich bis heut vor der an¬ gekündigten und immer wieder aufgeſchobenen Vor¬ ſtellung vor der Königin geſcheut. Heut träumte ſie, daß Engel ſie zu ihr führten.

Als Louis Bovillard in ſein Zimmer trat, goß die Tageskönigin ihr erſtes volles Roth durch das Fenſter. Alle Gegenſtände waren purpurn, am leuch¬ tendſten aber ſein Geſicht, als er in dem Goldſchein Walters Brief las und überlas. Er mochte zuerſt glauben, es ſei ein Traum. Er zerdrückte eine Thräne, die ſich über die Wimpern ſchleichen wollte, riß das Fenſter auf, ſchlürfte die wonnige Morgen¬ luft ein und warf ſich dann lächelnd auf's Sopha. Es war am ſpäten Vormittag, als er erwachte, aber ſein Geſicht lächelte noch immer.

[298]

Neunzehntes Kapitel. Verfallene Wechſel.

Wer nicht beobachtet ſein will, verhängt ſeine Fenſter. Wer Geheimes ſchafft, verſtopft auch die Schlüſſellöcher. Das weiß ein Dummkopf, aber den Klügſten, welche den Luftzug berechneten, der durch ein Mauſeloch dringen mag, paſſirt wohl, daß ſie vergaßen, den Schlüſſel in der Thür umzudrehen. Weiſe ſagen, wenn den Klugen das nicht zuweilen paſſirte, wär's in der Welt nicht auszuhalten; die Affecte, die ſie unbeſonnen handeln laſſen, ſeien das Salz, welches das Leben vor der Fäulniß ſchützt. Behaupten doch noch Weiſere: wenn alle Menſchen verſtändig wären und Charakter hätten, müſſe die Welt vor lauter Reibung in Flammen aufgehen.

Der Legationsrath von Wandel wollte heut ge¬ wiß nicht beobachtet ſein. Er war in ſeinem Labo¬ ratorium, eine kleine alte Küche nach dem Hofe hin¬ aus, die, unbenützt zum gewöhnlichen Gebrauch, an299 ſeine Zimmer ſtieß. Es war kaum nöthig geweſen, die Fenſter mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben ſchillernden, mit Staub und Spinne¬ weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬ drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung ſchaf¬ fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelaſſen, außer bei beſonderen Ge¬ legenheiten der Aſſeſſor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbſtädt und andre bekannte Chemiker.

Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬ tes Anſehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgeſtellt, es war der übrige Apparat mehr theatraliſch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beſeitigt. Wahrſcheinlich ſaß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Koſtüm wie heute vor der Retorte in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Naſe eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem ſeidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging.

In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er ſchob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann ſchien er dem Kräuſeln des Rauches, der ſich in den Schlott verlor, mit Aufmerkſamkeit zu folgen. Das erſte Experiment mußte geglückt ſein, das Reſiduum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬300 tionsrath ſah dem Entwickelungsprozeß des Gaſes mit einem ſtillen Vergnügen zu. Darauf deutete wenigſtens der halb verzogene Mund und der ſchlaue Blick des halb ſchielenden Auges, während er auf dem Schemel zurückgelehnt ſaß, ein Bein über dem andern wiegend.

Sein Blick fiel aber auch auf die beiden Frauen¬ bilder. Wie er mit den Augen zwinkerte, ſchien er mit ihnen ein eigenthümliches Geſpräch zu führen. Seine Lippen bewegten ſich, er geſticulirte mit den Händen. Ein Diagnoſtiker hätte vielleicht bemerkt, daß ihm die Unterhaltung einige Anſtrengung koſtete. Wenn er noch ſchärfer ſah, würde er aber auch bemerkt haben, daß es Wandels Abſicht war ſich zu etwas zu zwin¬ gen, was ihm Pein verurſachte. Es giebt eine Wol¬ luſt, die auch den Schmerz aufſucht.

Die beiden Bilder waren in Waſſerfarben, beide ſchöne Frauengeſichter. Die Aeltere, blaß und kränk¬ lich, hatte einen ſchmachtenden Blick; die jüngere Nußbraune ſchaute mit ihren funkelnden Augen kecker in die Welt hinein. Wandel ſchien ſich lieber mit der Aelteren zu unterhalten, als einer genaueren Ver¬ trauten. Wohl nickte er der Jüngeren und warf ihr auch eine Kußhand zu, aber es war, als ob er das Funkeln ihrer Augen nicht lange ertrug. Er ſchlug zuweilen ſeine Augen nieder. Beide waren unzwei¬ felhaft Schweſtern, dem wohlhabenden Stande an¬ gehörig, wie ihre reichen Kleider, nach der Mode der vergangenen Jahrzehnde, andeuteten.

301

Seine Lippen flüſterten, Laute, freilich nur für die Geiſter, welche im Sonnenſtrahl als Stäubchen ſich ſchaukelten, aber auch der Dichter darf ſie hören:

Schöne Molly, warum ließeſt Du nicht den Vor¬ witz! Deine Kohlenaugen funkelten vielleicht noch, munterer als auf dem Bilde, und Dein Leib wäre ſo wonnig und voll, denn Du hatteſt Anlage zum Embonpoint, als Deine arme Schweſter da täglich magrer und dürrer wird. Wenn ich nicht mit Draht hülfe, fiele ſie auseinander. Arme Angelika, Dir konnte ich nicht anders helfen. Hadre mit der Na¬ tur, daß ſie Dir keinen beſſern Bruſtkaſten ſchuf. Du dankſt mir auch, daß ich Deine Schmerzen ſchneller endete. Ja, ich weiß es, Angelika, wir ſind Freunde geblieben wenn die Wolke durch den Mond ſtreift, und Du mir im Nebelgerieſel einen feuchten Kuß auf die Wange hauchſt, es iſt ein Kuß des Dankes und der Liebe. Ich verſichere Dich auch, ich habe Dich geliebt. Du warſt ſanftmüthig, voller Erge¬ bung, eine Schwärmerin freilich, aber klug genug, von einem Manne nicht mehr zu fordern, als er geben kann. Ein Mann hat viele Ausgaben, das ſaheſt Du ein. Und darum Dein ſchönes Teſtament, das wahrhafte Zeichen einer ſchönen Seele, obgleich ich geſtehen muß, daß ich es eigentlich dictirt hatte. Um dieſes Teſtamentes willen wirſt Du mir ewig unvergeßlich bleiben! Nein, ohne Spaß, das Andre ſeitdem iſt alles Spaß, Du gabſt Alles für mich auf, in Brüſſel Deinen Mann, in Paris Dich ſelbſt. 302Mit ſolcher Aufopferung, Entſagung, ſolchem Fana¬ tismus hat mich keine geliebt. Um deswillen ver¬ ſprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todten¬ bettes forderteſt das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu laſſen. Vernünftige Menſchen würden es eine unſinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verſtanden nicht Dein Geiſt, das iſt eben Alfanzerei! aber Deine Materie, was ſich von Dir erhalten ließ, ſoll mich umſchweben. Ein beſcheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So haſt Du meinen Muth geliebt, der ſich nicht ſcheute, Dich ſchneller ausleben zu laſſen, Du wollteſt, daß ich an dieſem Anblick die Nerven immer mehr ſtähle, wenn ſie ſchwach würden, immer mehr Herr über jene Em¬ pfindungen würde, die der Menſch ſein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufſchlagen könnteſt! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich ſchüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!

Und doch ſchienen ſeine Kniee beim Niederſetzen nicht ganz ſo feſt, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her raſſelte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß ſich in die Lippen. Dann ſchlug er das Auge zum andern Bilde auf:

Die Schelmin! Noch ſehe ich Dich, Du aller¬ liebſtes Geſchöpf, wie ich Dich am Schlüſſelloch er¬ tappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küſſen erſtickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe303 hätte ich's? Was ging's Dich an, ob das auch Wahr¬ heit war? Du wardſt glücklich, ſelig in meinen Armen. Die todte Schweſter hinderte es ſo wenig, als die kranke es gehindert hatte. Sie wußte es, ſie hat ſehr viel gewußt, ehe ſie ſtarb, und mich darum nicht minder geliebt. Eine Närrin, Molly, eine abſcheuliche Thörin warſt Du, Du hätteſt noch lange glücklich ſein können, wer weiß wie lange! Denn Du hatteſt die Kunſt Dich zu conſerviren, Du wärſt witzig geblieben und hätteſt meinen Geiſt auf¬ gefriſcht ich hätte Dir wirklich nachgeſehen. Aber Du bekamſt Gewiſſensbiſſe Thorheit, es war zu ſpät, meine liebe Molly; es war auch nur die Angſt, daß es Dir wie Angelika erginge. Das wollte ich Dir verzeihen, liebes Mädchen, aber ſo dumm zu ſein, daß Du es nicht bei Dir behielteſt, daß Du es mir in einer ſchwachen Stunde vertrau¬ teſt! Das war die größte Sünde, die der Menſch begeht, die Sünde gegen ſich ſelbſt, und Du mußt geſtehen, das verdiente ſchon die Strafe. Nachher ward der kleine Schelm pfiffig. Allen meinen Küſſen, Seufzern widerſtandeſt Du, Du wollteſt kein Teſta¬ ment machen. Ich verdenke es Dir nicht. Es ver¬ längerte dein Leben, und mich zwang es zur Ver¬ ſchwendung. Mußte ich nicht meine ganze Liebenswür¬ digkeit auf Dich ausſchütten, mußte ich nicht allen zarten Saiten meines Daſeins ſüße Töne entlocken, um Dich nur zum Schweigen zu bewegen? Mein Kind, das hat mich viel Anſtrengung gekoſtet, denn304 Du warſt mir ſehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine ſchöne Irländerin, auf die ich mein Aug 'geworfen. Nachher ſchwiegſt Du nicht Du ſchriebſt einen Brief Du ſchriebſt Dir ſelbſt Dein Urtheil darüber kannſt Du nicht klagen. Aber ich

Er verzog das Geſicht und ballte die Fauſt ge¬ gen das Bild: Der Brief den ich fand, iſt zu Aſchenſtäubchen aufgelodert, aber es ſtand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachſamkeit ent¬ ſchlüpft war Molly! Molly! Sein Geſicht be¬ kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne fletſchten zwiſchen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen ſprühten das grün¬ liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬ mus der Wuth und Angſt war ſchnell vorüber, die aſchgraue Urnenruhe lagerte ſich wieder auf dem gelben Geſichte, die Finger entklammerten ſich. Poſſen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorſchein gekommen! Feuer Regengüſſe Feuch¬ tigkeit Staub und dünnes Briefpapier! Lacht Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängſtigen kann! Mes dames! was wollen Sie? Ich beweiſe Ihnen ja das vollſte Vertrauen Ja, Sie ſehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüſſelloch zu obſer¬ viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Geſicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. 305 Wirklich, Angelika das waren andre Zeiten, andre Genüſſe, voller Empfindung, Sympathieen, Leiden¬ ſchaften. Was iſt es jetzt? Aſche! Damals glühende Kohlen! Calculatoriſche Geſchäfte! Wo ſind Deine ſüß ſchmollenden Lippen, meine Molly? So etwas giebt es nicht mehr. Deine ängſtlichen Blicke, als Du die Chocolate trankſt, ich mußte vorher nippen, und dann, o das war Wonne! O und Du, meine Angelika, Du hatteſt nicht genippt. Feſt mich an¬ blickend, ohne Angſt, Vorwurf, nur das tiefe See¬ lenverſtändniß im Auge, leerteſt Du die Schaale, und drückteſt mit der feuchten kalten Hand meine. Du hatteſt mich verſtanden, ich Dich. Ils sont passés, ces jours de fête!

Schönen guten Morgen, mein lieber Herr Ge¬ heimer Legationsrath! unterbrach eine heiſere Ba߬ ſtimme dieſe Schwärmereien des Einſamen, und vor ihm ſtand der Kaufmann van Aſten.

Es war ſo, keine Erſcheinung der Traum¬ welt. Der alte van Aſten war der letzte Mann, der in ein Traumgewebe gepaßt hätte. Trotz ſeiner ſchwe¬ ren rindsledernen Schnallenſchuhe war er unbemerkt durch die beiden Zimmer gekommen, und drückte jetzt die Thür hinter ſich zu, während dem Legationsrath die Binde vom Kinn rutſchte, und er, aufſpringend, an der Lehne des Stuhles ſich hielt.

Na wie geht's Ihnen denn, mein lieber Herr von Wandel. Haben ſich ja ſo lange nicht ſehen laſſen. Iſt das Freundſchaft?

IV. 20306

Der Turban und die Brille waren vom Kopf des Legationsraths verſchwunden, eine Operation, die ihm Zeit ließ, ſeine Faſſung wieder zu gewinnen. So war es; man merkte nichts von Beſtürzung, kein Zittern mehr, es war das feſte, eiskalte Geſicht, mit den durchforſchenden Augen, als der Legationsrath den Kaufmann anredete.

Wie kommen Sie hierher?

Durch die Thüre. Herr Legationsrath hatten vergeſſen, den Schlüſſel umzudrehen. Sehen Sie mal, liebſter Herr von Wandel, in unſern unſichern Zeiten! Wie viel Geſindel ſchleicht um. Hätten ja Ihren Sopha forttragen können. Sie hätten's in Ihren Meditationen nicht gemerkt. Aber ich habe hinter mir zugeſchloſſen; wir können jetzt ganz ſicher ſein.

Tauſendmal Vergebung, mein theuerſter Freund, daß Sie mich in dieſem Koſtüm und hier Kom¬ men Sie in meine Wohnſtube. Dieſe unerwartete Freude

Er wollte ihn unter den Arm faſſen; eben ſo ſchnell aber hatte der Kaufmann einen Schemel vor die Thür geſtellt und darauf Platz genommen. Wo van Aſten einmal Platz genommen, hätte es anderer Kräfte bedurft ihn wieder fortzubringen. Breitbeinig ſaß er, die Füße feſt auf den Boden, die Arme auf den Stock geſtützt. Der Stock ſchon hatte etwas Reſpect gebietendes, er ſchien mit Blei ausgegoſſen, als er auf die gebrannten Flieſen ſank.

Werde mich ja nicht unterſtehen, Sie zu deran¬307 giren. Wo ich Sie finde, ſind mir Herr Legations¬ rath lieb. Und Geſchäfte ſind Geſchäfte.

Die können warten!

Wenn Sie nun auf dem Sprunge ſtänden, den Stein der Weiſen zu finden. Da kommt's auf den Augenblick an. Silberblick heißt's ja wohl? Müßte ich mir den Vorwurf machen, daß ich die Menſchheit um eine köſtliche Erfindung betrogen hätte.

Wie Sie wollen! ſagte Wandel und nahm auf dem Stuhle Platz, ſo nachläſſig, wie ſeine innere Aufregung erlaubte, den Rücken dem Heerde zuge¬ kehrt, ein Bein über das andre ſtreckend. Wie der Kaufmann in ſeiner Poſitur dem Rath den Weg durch die Thür verſperrte, ſchien dieſer den zum Heerde zu verbarrikadiren. Den Stein der Weiſen ſuchen nur die Thoren, und Gold

Hat ein Philoſoph nicht nöthig. Und was Sie ſonſt präpariren, geht mich nichts an. Im Geſchäft Geheimniſſe unter Brüdern.

Doch nicht unter uns, Herr van Aſten, lächelte der Legationsrath. Sie werden mich auslachen. Ich verſuche, eine koſtbare Schminke zu präpariren.

I, ſehn Sie mal! Sind eben aus Paris auf der Stechbahn ganze Kiſten angekommen. Er¬ ſchrak, wie ich bei Herrn Arnous den Preis auf dem Conto-Current las.

Eben deshalb verſuche ich, ob ich dieſe ſoge¬ nannte Joſephinenſchminke billiger nachbilden kann. Die vornehmen Damen ſind wie toll danach, der20*308Preis iſt nur zu exorbitant. Sie ſoll, doch das will ich erſt verſuchen, einen angenehmen, natürlichen Duft verbreiten, ohne der Haut ſchädlich zu werden. Deshalb haben die erſten Chemiker der Akademie ſich für die Kaiſerin Joſephine an die Aufgabe ge¬ macht. Thorheiten, nicht wahr, Herr van Aſten, aber was wäre das Leben ohne Thorheiten! Ich habe die Schwäche, daß ich meinen Freunden und Freundinnen zu gefällig bin; aber ich plaudre nicht gern davon, wenigſtens nicht, bis es geglückt iſt. Es iſt auch eine kleine Ueberraſchung damit im Spiel. Darum, auf Ihre Verſchwiegenheit rechne ich.

Wie auf den Tod. Sie ſind ein braver Mann, Herr Legationsrath. Der Kaufmann ließ ſeine Augen im Laboratorium wandern. Was ſind denn das für Frauenbilder?

Wären Ihnen die Züge vielleicht bekannt? fragte Wandel, ihn ſcharf fixirend.

Kam nie aus Berlin heraus. Aber das ſind keine deutſchen Frauenzimmer.

Welcher Kennerblick! Die Aeltere eine Schwe¬ din, die Jüngere eine Italienerin.

So! ſo! Ich hätte ſie für Schweſtern gehalten, und ſie kommen mir ſo niederländiſch vor. Sie müſ¬ ſen nämlich wiſſen, ich bin auch aus flämiſchem Blute.

Der Legationsrath verzog fauniſch das Geſicht: Ich ſtrenge mich vergebens an, eine Aehnlichkeit zwiſchen Ihnen und den Damen zu entdecken.

So wenig als zwiſchen mir und dem Skelett309 da. Wollen Herr Legationsrath das etwa auch ſchmin¬ ken? War auch wohl eine Dame?

Ich führe es mit mir zu anatomiſchen Studien. Schon ſeit länger. Ich kaufte es einmal von einem Todtengräber, ich erinnere mich wirklich nicht, wo.

Gleichviel! Der Tod iſt jetzt umſonſt, und Leichen wohlfeil. Aber die italieniſche und die ſchwe¬ diſche Schweſter, das müſſen ein paar hübſche Mäd¬ chen geweſen ſein. Gönne es Ihnen, Recreations der Jugend, geht mich nichts an.

Die umſchweifenden Blicke ſchienen je mehr und mehr den Legationsrath in eine unbehagliche Span¬ nung zu verſetzen. Er kämpfte ſichtbar mit einem Ent¬ ſchluß, der ihm ebenfalls ſchwer ward, aber es brach her¬ aus: Was verſchafft mir die Ehre Ihres Beſuchs?

Eine kleine Geſchäftsſache.

Welche, theuerſter Freund? Doch nicht

Ein kleiner Wechſel

Richtig! Der Legationsrath ſchlug ſich an die Stirn. Der iſt aber erſt in acht Tagen fällig!

Freut mich, daß Sie ſich ſo genau erinnern. Ich habe immer geſagt, Sie ſind ein prompter Mann. Ja, in acht Tagen, fünftauſend Thaler.

Die Sache iſt mir ſehr erinnerlich zu Ende der Hundstage, aber ich glaubte, Sie hätten die Bagatelle längſt abgegeben.

Auch geſchehen, mir aber wieder zurückcedirt. Hat viele Herren gehabt; das macht ſich wohl ſo im Geſchäft.

310

Als der Kaufmann ſein Taſchenbuch aus der Bruſt zog, wobei er aber etwas ſorgſamer zu Werke ging, als an jenem Abend, wo er die Wechſel vor dem Rittmeiſter auf den Tiſch ausſtreute, fiel Wan¬ del ihm in's Wort:

Aber laſſen wir das nachher. Die Sache iſt ja kaum der Rede werth. Wie geht es jedoch Ihnen? Sie ſehen nicht ganz wohl aus. Daß die Partie Ihres Herrn Sohnes rückgängig ward, konnte Sie doch nicht touchiren. Er iſt im Gegentheil in ſich gegangen und hat beim neuen Miniſter eine kleine Stellung angenommen. Ich parire, er wird ein ver¬ nünftiger Menſch werden.

Kann ſein. Söhne koſten immer Geld, ſo oder ſo; ob ſie vernünftig ſind oder toll.

In jenem Zuſtande wird er auch die vernünftige Partie, welche ein geliebter Vater für ihn ausgeſucht, nicht länger von der Hand weiſen.

Kann ſein, kann auch nicht ſein. So oder ſo. Hilft auch nichts, wenn Krieg wird. Es weiß Niemand, wo den Andern der Schuh drückt, mein Herr Geheimer Legationsrath.

Ich bin ſimpel Legationsrath, lächelte Wandel.

Sie ſind ein geborner Geheimer. Ja, wenn Sie das wüßten, Sie müßten aber noch mehr wiſſen.

Wandel hatte unverwandt das etwas ſchwer zu ſtudirende Geſicht des Kaufmanns beobachtet, und glaubte darauf geleſen zu haben, was ihm Ruhe gab. Der Mann war innerlich bewegt. Plötzlich311 griff er nach ſeiner Hand, oder vielmehr nach dem untern Arm, es iſt aber möglich, daß der treuherzige Freundesdruck auch der Wucht des Stockes galt, den er mit dem Arme ſchüttelte und ſehr ſchwer fand. Mit einer Stimme, der Wiederhall eines vollen Her¬ zens, ſprach er:

Herr van Aſten, Sie drückt etwas. Ich bedaure, daß es mir nicht gelungen, Ihr volles Vertrauen zu erwerben. Könnten Sie an der Bruſt eines Freundes Ihren Kummer ausſchütten, ſchon das würde Sie erleichtern. Ein unbefangener Freund ſieht aber oft klarer, und Auswege und Mittel, die dem ſelbſt Bedrängten entgehen. Mein Gott, ſollte der drohende Krieg aber ich ſchweige

Mit voller Ruhe erwiederte der Kaufmann: Geheimes will ich Ihnen gar nichts ſagen, aber was die ganze Börſe erfahren hat, das können Sie auch wiſſen. Wir hatten für 10.000 Thaler Weine aus Bordeaux beſtellt

Wir? Ah, das iſt das kleine Compagnon¬ geſchäft mit Seiner Excellenz. Sie exportirten da¬ für Holz und Bretter von Seiner Excellenz Gütern.

Wiſſen Sie das auch? Schadet nichts.

Das Schiff muß jetzt in Stettin angekom¬ men ſein.

Iſt! Mit Weinen, delikaten Weinen volle La¬ dung zum Werth von 100.000 Thalern unter Brüdern.

Hunderttauſend! Eine Null zu viel.

Da liegt es, das Geheime, mein Herr Lega¬312 tionsrath. Nur eine einzige Null zu viel bei der Beſtellung. Der Caſus iſt klar ein Schreibfeh¬ ler. Wer ihn beging, iſt gleichgültig. Der Zufall kann einen Artillerielieutenant auf den Kaiſerthron bringen, und der Zufall ein großes Reich ſtürzen, warum nicht auch ein großes Handlungshaus.

Es beweiſt nur, welchen Credit Ihre Firma in Bordeaux haben muß.

Es beweiſt, daß Einem auch der Credit den Hals zuſchnüren kann.

Ich begreife Ihre Lage, die Waare iſt für den Augenblick nicht abzuſetzen, ſie überſteigt weit den mo¬ mentanen Bedarf. Alles ſchränkt ſich ein. Indeß wird jetzt Ihr Credit ſich beweiſen. Ihre Freunde werden ſich zeigen.

Haben ſich ſchon gezeigt.

Sie werden Ihnen beiſpringen.

Sind ſchon geſprungen. Kommen lauter kleine Wechſelchen zurück. Werden noch mehr kommen.

Excellenz der Miniſter

Pſt! Excellenz ſind ja kein Kaufmann, laſſen mich nicht vor. Verdenk's Ihnen auch nicht, ſind ja nicht in die Gilde eingeſchrieben. Wollten nur ge¬ legentlich eine kleine Chance mitmachen. Alles cordial, mündlich. Setzten großes Vertrauen in mich, was ich ſehr äſtimire. Wenn wir den Profit gemacht, war's ja beim alten van Aſten, ob er die Hälfte auszahlen wollte. Verklagt hätte er mich nimmer.

Aber er ſetzte den Werth ſeiner Hölzer auf's Spiel.

313

Wird kein Narr geweſen ſein! Auf Höhe deſſen hatte er ſich vorher auf mein Haus in der Span¬ dauerſtraße intabuliren laſſen. Jedes Kind ſieht nun ein, daß ich mit Excellenz nicht die Schuld eines Schreibfehlers halbiren kann, und Excellenz haben zwar einen vortrefflichen Magen, aber die Hälfte von meinem Wein trinkt auch er nicht aus.

Eine Pauſe trat ein. Der Legationsrath blickte mit verſchränkten Armen vor ſich nieder:

Ihre Lage iſt traurig, aber nur wer ſich ſelbſt aufgiebt, iſt verloren. Die Weine unter dem Steuer¬ verſchluß, gleichviel ob hier oder in Stettin, ſind ein todtes Kapital, welches das größte Haus ruiniren könnte. Darüber täuſche ich mich nicht; täuſchen Sie ſich auch nicht, mein Freund. Wechſelprolongationen auf den Credit eines einmal erſchütterten Hauſes, Moratorien, die Ihre Gönner Ihnen verſchaffen möchten, ſind mißliche Auskunftsmittel. Selbſt müſſen Sie ſich helfen.

Ich denke ſchon daran.

Nichts Kleines. Um Gotteswillen das nicht. Ein Verſchwender, der die Groſchen zuſammenzu¬ ſcharren anfängt, iſt verloren. Er muß auf's Neue verſchwenden, um die Verſchwendung zu verſtecken. Das todte Kapital muß flüſſig gemacht, der Wein ausgetrunken werden. Das können Sie durch Ihre Verbindungen ich ſage Ihnen, es iſt möglich.

Der Kaufmann ſah ihn pfiffig an: Etwa eine Kabinetsordre extrahiren, daß Jedermann zur Stär¬314 kung ſeiner Geſundheit täglich ein Viertelchen Medoc trinken ſoll? Medoc iſt nicht Salz, Herr Legationsrath.

Noch heut das ausführbar, was unter Friedrich dem Großen noch möglich geweſen wäre. Aber Andres iſt ausführbar Größeres erſchrecken Sie nicht; man könnte indirect die Leute zwingen, wenn man direct auf das höchſte Ziel losſteuert. Wäre Ihr Medoc nicht ein Kapital, das zwei - drei¬ hundert Prozent eintrüge, wenn Sie es an einer Nordküſte lagern hätten, wo Napoleons Continental¬ ſperre ſchon Kraft hat? Wird die Schifffahrt ge¬ ſchloſſen, ſind Sie wieder ein Cröſus.

Alle Zeichen deuten, daß wir Krieg anfangen.

Alle Zeichen ſind trügeriſch, wo kein Wille iſt. Noch ſchwankt die Waage. Die Kriegspartei ſcheint nur ſchwer, weil die Stimmen der Schreier das Feld behaupten. Mit Geſchick ließen ſich Stimmen ge¬ winnen, die dieſen Officieren und Gelehrten die Wahrheit ſagten, wohl verſtanden, im Intereſſe des großen, wohlhabenden Bürgerthums. Abſchreckende Gemälde von den Drangſalen eines Krieges, wie er auf alle Stände zurückwirkt, Handel, Induſtrie, Ackerbau auf Jahrzehnde zurückbringt. Ihnen vor¬ geſtellt, wie auch im günſtigſten Falle der Bürger durch den Krieg nichts gewinnt als erhöhte Ab¬ gaben! Die Kriegspartei iſt thätig mit ernſten und Spottliedern, mit Pasquillen, mit fulminanten Tiraden! Warum werfen die Freunde des Friedens nicht einige Tauſende zum ſelben Zwecke hin, an die315 Zeitungsſchreiber, die Journaliſten. Man kann viel damit machen, ich verſichere Sie.

Der Legationsrath mußte ſchnell an den glotzenden Augen des Kaufmanns bemerken, daß er ihn auf ein Terrain geführt, wohin dieſer ihm nicht folgte: Die Schriftſteller machen nicht den Krieg.

Sie haben Recht, man ſagt, die Kabinette machen ihn. Wer ſind die Kabinette? Menſchen mit Neigungen, Schwächen, Leidenſchaften, Anſichten. Balancirend hierhin, dorthin, bald auf die Stimme der Furcht, der Vorliebe, zuweilen auf die des Publikums hörend. Ihr gütiger Monarch will nicht den Krieg, das Kabinet auch nicht. Er wird beiden aufgedrängt von den leidenſchaftlichen Parteien, vom Intereſſe früher alliirter Mächte. Preußen ſteht aber jetzt allein. Dieſe Alliirten ſind innerlich erbittert, ihre Beihülfe zweifelhaft, der Krieg kann ſehr un¬ glücklich ausſchlagen. Die Kabinetsräthe ſehen es ein, der König möchte den Frieden erhalten, und wenn ſie doch das Wort Krieg ausſprechen, iſt's, weil ſie gezwungen werden, weil ſie keine Unterſtützung gegen die jungen Schreier und Fanatiker finden. Mein Herr van Aſten, warum treten denn nicht die Pa¬ trioten zuſammen, ich meine die, welche Mittel haben, warum unterſtützen ſie nicht das Kabinet? Das iſt noch möglich. Fragen Sie ſich doch, was es gilt? Bleibt Friede, bleibt er nur durch eine Allianz mit Napoleon, es giebt nichts Drittes. Krieg mit ihm oder Anſchluß. Im letzten Falle316 Beitritt zu ſeinem Continentalſyſtem, die Häfen ſind geſperrt, und Ihr Bordeauxwein, ohne Concurrenz, iſt wenigſtens dreihunderttauſend Thaler werth. Nun rech¬ nen Sie, wenn Krieg wird, wenn es nur bleibt, wie es iſt! Ihr Wein ein todtes Kapital, Ihre Gläubiger lebendige Quälgeiſter, Ihr Haus erſchüttert, vielleicht Man ſchätzt Sie auf über zweihunderttauſend, wenn indeß Ihre Activa nichts werden, Ihre Paſſiva ich ſchweige davon. Aber in ſolchem äußerſten Fall muß der Mann das Aeußerſte wagen. Und ſind Sie allein in dem Falle? Verabreden Sie ſich, ſchießen Sie zuſammen. Luccheſini, Haugwitz, Lombard, ſie Alle ſind ja zugänglich, die freundlichſten Menſchen. Sie erwarten ja nur, daß man ſie unterſtützt, gewichtige Stimmen aus dem Publikum. Schaffen Sie, wo¬ mit man ihnen hilft, um den Schreiern den Mund zu ſtopfen. Mit hunderttauſend Thalern über¬ nehme ich's.

Der Kaufmann verſtand jetzt, aber er war ſicht¬ lich von einer Vorſtellung betroffen, die ihn ſchwindlig machte. Das Argument des Legationsraths hatte etwas Verführeriſches, die Verhältniſſe waren, wie er ſie ſchilderte, aber er erſchrak zuerſt vor dem Ge¬ danken, daß ein einfacher Bürger ſich unterfangen dürfe, in das Schickſal eines Staates einzugreifen, dann, daß er dies ſein könne; zuletzt, wenn er die angenehme Maske von der Sache fortzog, erſchrak er, denn was war die patriotiſche Operation ? Van Aſten war ein rechtlicher Mann.

317

Mein theuerſter Herr! ſprach der Legationsrath wieder mit der gewohnten Ueberlegenheit des vorneh¬ men Mannes, und auch ſein Koſtüm hinderte ihn nicht, die Situation, die er liebte, einzunehmen, ein Bein über das andere, den Hinterkopf mit der Lehne, die Finger der rechten Hand mit ſich ſelbſt ſpielend. Mein theurer Herr, wenn wir uns doch gewöhnten, die Verhältniſſe zu betrachten, wie ſie ſind. Was ſind die Menſchen in ihrer Maſſenhaftigkeit anders, als Heerden zweibeiniger Geſchöpfe, beſtimmt, von Anderen, die klüger ſind, geleitet zu werden. Sie wären ja wie die Schaafe, unglücklich, wenn ſie kei¬ nen Bock hätten, der ihnen vorſpringt. Oder hul¬ digen Sie dem Perfectibilitätsglauben, daß dieſes Con¬ volut von Dummköpfen einmal Vernunft bekommen kann? Daß ſich dann Alles von ſelbſt machen werde, was jetzt die Geſcheiten für die Anderen denken und abthun? Nicht einmal zu der Einſicht kommen ſie, trotz der Erfahrung von ſo viel tauſend Jahren, daß ſie nicht klüger werden, als die vor ihnen waren. Lieber Herr, ich bitte Sie, wo hat die Menge denn ein Urtheil, nur über die gewöhnlichſten Dinge? Sehn Sie in's Theater, wie ſie ängſtlich werden, bis eine Autorität den Mund aufthut, damit ſie ſein Urtheil nachſprechen können. Verſtändigen wir uns doch nur darüber, was ſind ſie denn weiter als unſre Packeſel; und darüber iſt allein die Frage, wer ihnen ſeine Laſt aufpackt, und wer den Eſel ſchlägt. Wozu ſtifteten ſie Freimaurerorden, Gemeindeordnungen, eleu¬318 ſiniſche Geheimniſſe, Conſtitutionen, als zur Handhabe, wie man die Laſtträger am beſten dreſſirt: die Fahne, die Feuerſäule, das Schiboleth, darauf kommt's ja nicht an. Als der Herrſchaft der Könige in Frank¬ reich das Garaus gemacht ſchien, wäre nichts dagegen zu ſagen geweſen, denn daß das Volk ſich ſelbſt be¬ herrſchen ſollte, war nichts als eine ſchöne Chimäre, wenn nur die klugen Leute, welche die Könige vom Thron gejagt, ſich unter einander verſtändigt hätten, wie ſich in die Macht theilen! Das iſt das Unglück, daß die Klugen darüber nie in's Klare kommen. Fra¬ gen wir uns: Wer hat denn überhaupt in der Welt geherrſcht? Einige wenige Könige, die Genies waren oder Feldherren aus Paſſion; das waren ſeltene Aus¬ nahmen. In der Regel waren es kluge Miniſter, ſchlaue Favoriten, noch ſchlauere Maitreſſen. Sie herrſchten um ſo ſicherer, je feiner ſie es zu verſtecken wußten. Oder wollen Sie nach Klaſſen gehen? Die Hohenprieſter fingen an, dann kamen die Könige, dann militairiſcher Adel, dann Prieſter, Könige und Feudalritter im bunten Gemiſch, bis die Könige wie¬ der glaubten das Oberwaſſer zu haben; da nahmen es ihnen die Philoſophen. Das Schiboleth, früher Glauben geheißen, hieß nun Aufklärung. Wer weiß denn, wenn die Klugen inzwiſchen nichts Anderes er¬ finden, ob der Myſticismus, der Pfaffenglaube die Herrſchaft der Aufklärung nicht wieder ablöſt! Dem Volke kann das ganz gleichgültig ſein. Bei allem dieſem Wechſel bleiben ſie und werden bleiben, was319 ſie von Anbeginn waren, Heerden, Knechte, Sklaven, Contribuenten für die Regierer; aber bei allem die¬ ſem Wechſel, mein theuerſter Freund, iſt nur das beſtändig, daß die Pfiffigſten das Heft in der Hand behalten. Nun ſehe ich aber nicht ab, warum die reichen Leute nicht einmal den Prieſtern, Rittern und Philoſophen das Geſchäft abnehmen, warum ſie nicht auch einmal pfiffig ſein und regieren wollen? Sie ahnen nicht, mein werther Herr, welche Macht in Ihren Comtoirſtuben, Ihren Wechſeln, in Ihren Fe¬ derſtrichen ruht, durch welche Sie Welttheile verbinden. Im vollen Ernſt, Ihnen, den großen Kaufleuten, Fabrikanten blüht die künftige Weltherrſchaft entgegen. Sie haben die erſten Kenntniſſe von allen Vorfallen¬ heiten, mit einiger Umſicht berechnen Sie, was in der Welt gilt und gelten wird, Sie haben die Sprache, die alle Welt verſteht, das Geld. Geld brauchen die Staaten zum Kriege, zum Frieden. Wenn Sie nur etwas abgeben, ſich etwas verſtändigen wollten, etwas mit den Ackerbau treibenden Herrſchaften, etwas mit den Herren von der Feder, es braucht da nur kleine Aufmerkſamkeiten und Gefälligkeiten, ein klein wenig auch mit den Ideen, welche, was man nennt, beim Volk im Schwunge ſind, ſo prophezeie ich Ihnen, Sie, die Herren von der Induſtrie, werden bald die wahre, reelle, effective Univerſalmonarchie in Händen haben, wie die großen Handelsherren in dem kleinen Venedig ehedem, wie im großen England und im noch größern Amerika jetzt ſchon und in Zukunft noch320 mehr. Sie, Theuerſter, fingen ja ſchon an. Bravo! Ihre Aſſociéſchaft en commandite mit der Excellenz war eine großartige Idee, nur muß man ſich von den vornehmen Herren nicht über's Ohr hauen laſſen. Wenn Sie geſchickt agiren, haben Sie den Herrn ja noch jetzt in Händen, er muß jeden Eclat vermeiden, während Sie vis-à-vis de rien Alles ein¬ ſetzen müſſen. Alſo, Courage, für Frieden und Ruhe Alles dran geſetzt, Frieden und Ruhe, welche die Nation und Ihr König wünſchen. Alſo warum nicht friſch und kühn, ein Auge zugedrückt und in die Taſche gegriffen!

Herr van Aſten griff auch in die Taſche, aber nur um ſeine Brieftaſche vorzuholen. Er war wäh¬ rend der langen Rede wieder ſeiner Herr geworden: Weil mir ein Sperling in der Hand lieber iſt, als eine Taube auf dem Dache. Weil mein Fuß zu dick iſt, um ihn in Diplomatenſchuhe zu ſtecken. Weil ich auf glattem Boden nicht gehen kann, und weil ich in der Schule gelernt habe, daß, wer beſticht, eben ſo ein Schurke iſt, als wer Beſtechung nimmt. Hier iſt Ihr erſter Wechſel.

Das Bleiſtift, welches die Brieftaſche verſchloſſen, zwiſchen den Zähnen haltend, zog der Kaufmann den Papierſtreifen heraus.

In acht Tagen ſtehe ich zu Dienſt, entgegnete Wandel mit einem Verſuch zu lächeln. Preſſirt es ſo, Herr van Aſten?

Mich nicht. Glaubte vielleicht, daß es Sie preſſi¬ ren würde, den Wechſel einzulöſen.

321

Zeigen Sie. Sollt 'ich mich im Datum geirrt haben!

Der Kaufmann hielt den Wechſel ſeitwärts in die Höhe. Sein Bein und Stock blieben die Barriere. Sie haben ja wohl gute Augen. Sehen Sie? Sie ſehen vielleicht nicht Alles. Ich auch nicht. Die Schrift iſt blaß. Herr Legationsrath, ſeit acht Tagen wird ſie jeden Tag bläſſer, und in acht Tagen hätte ich einen weißen Papierſtreifen in der Taſche. Iſt das nicht curios?

Wandel hielt die Hand vor's Geſicht, um beſſer zu ſehen. Plötzlich drehte er ſich auf den Hacken um, und ſank auf den Stuhl zurück mit einem lauten Auflachen. Van Aſten verlor keine ſeiner Bewegungen aus dem Auge.

Das iſt curios.

Nur curios, Herr Legationsrath?

Waren Sie beſorgt, daß ich den Wechſel um deswillen nicht honoriren würde?

Beſorgt eigentlich nicht, Herr Legationsrath, ich ließ nur, als ich's merkte, vom Notar eine vidimirte Abſchrift nehmen, und den curioſen Fall ad proto¬ collum vermerken.

Die Geſchichte wird immer hübſcher. Ich hatte damals eine ſympathetiſche Dinte präparirt, und tauchte wahrſcheinlich aus Verſehen die Feder beim Ausfüllen des Wechſels hinein. Wollen Sie gefälligſt herge¬ ben, der Schade iſt im Moment reparirt.

Er ſtellte eines der Kohlenbecken vom Heerde auf den Fenſterſims.

IV. 21322

Wie Sie wollen, lächelte der vornehme Mann, als van Aſten das Papier hinter ſeinen Rücken hielt. Probiren Sie ſelbſt, eine Sekunde leiſe über den Kohlendampf und die natürliche Schwärze iſt wieder hergeſtellt.

Der Kaufmann beſann ſich einen Moment. Er ſchien ſeine Poſition nicht verändern zu wollen, bei der Operation am Fenſter hätte er dem Rath den Rücken wenden müſſen. Er überreichte ihm den Wech¬ ſel, von dem er ja eine vidimirte Copie beſaß, ſtrengte aber jetzt wo möglich ſeine Augen noch mehr an, jede Bewegung des Andern zu verfolgen. Wandel fuhr nur leicht ein paar Mal über das Kohlenbecken und reichte den Wechſel, ohne ihn ſelbſt anzuſehn, zurück: Prüfen Sie jetzt ſelbſt.

Die Schrift ſtand wieder ſchwarz da, aber das Papier ſchien ſehr mürbe geworden.

Soll ich Ihnen vielleicht einen neuen Wechſel ſchreiben? Sie ſcheinen etwas ängſtlich. Ich vergebe Ihnen, ein Kaufmann ſoll vorſichtig ſein. Mit dem größten Vergnügen.

Er ſchob aus dem Winkel einen kleinen Tiſch mit Schreibzeug hervor, beſtimmt, um ſeine Notate bei den chemiſchen Experimenten zu machen, und ſchrieb.

Van Aſten hatte zu dem Anerbieten weder ja geſagt, noch nein. Er benutzte den freien Moment, ſich umzuſchauen. Es war ein ſtiller Sonntag Nach¬ mittag, das ganze Haus ſchien in's Freie ausgeflogen,323 er war auf der Treppe Niemand begegnet. Im Hofe knarrte nicht der Brunnen, keine Stimme; man hörte nur das Zwitſchern der Sperlinge, in der Küche das Picken des Holzwurms in dem alten Gebälk. Van Aſten war auch ein muthiger Mann, aber ihm war eigen zu Muthe, wenn ſein Blick auf das Ge¬ rippe fiel, auf die eiſernen Geräthſchaften, die eben ſo viel Waffen werden konnten. Waren nicht auch vielleicht auf dem Heerde, in den Tiegeln und Deſtillir¬ kolben geheime Waffen! Wenn der Koch mit dem Löffel daraus auf ihn ſprützte, mochte nicht eine Eſſenz darin enthalten ſein, die ihn betäubte, ihn ſelbſt im Augenblick blaß machte wie die Schrift auf dem Wechſel?

Waren nicht die Blicke, die der Schreibende ſeitwärts dann und wann auf ihn gleiten ließ, auch Waffen! Der Kaufmann ſtand hinter ſeinem Schemel, den darauf geſtemmten Stock noch feſter in die Hände preſſend.

An einer ſchwarzen Tafel ſtanden mit Kreide arithmetiſche Figuren, darunter Berechnungen, die des Kaufmanns Aufmerkſamkeit anzogen, große Zah¬ len addirt. An der einen Ecke:

80.000 + 15.000 - 40 Jahr p. p. + + + zu viel. Summa: 95.000 - 40 Jahr p. p. + + + zu viel. an der andern: 90.000 + 28 Jahr - Verstand. p. p. 90.000 180.000 + 28 Jahr - Verstand. ???

21*324

Der Legationsrath war fertig und hielt ihm die Schrift hin: Wollen Sie probiren engliſche Im¬ mortell-Dinte, neueſte Erfindung von Parry es ließe ſich darin ein Geſchäft machen. Um alle Simulation zu vermeiden, habe ich unter heutigem Datum acceptirt.

Wollen Herr Legationsrath noch gefälligſt da¬ runter notiren: Duplicat des an dem und dem ac¬ ceptirten Solawechſels.

Wozu, theuerſter Mann, wir tauſchen die Pa¬ piere aus und damit iſt die Sache abgemacht.

Möchte gern den erſten Wechſel auch behalten, nur aus Curioſität, von wegen der ſympathetiſchen Dinte. Geſchieht Ihnen ja kein Schade dadurch, lieber Herr Legationsrath. Können noch, der Sicher¬ heit wegen, hinzubemerken: Duplicat u. ſ. w., wodurch der Primawechſel außer Kraft geſetzt iſt. Weiter nichts. Bin ein Raritätenſammler, und trenne mich nicht gern von Seltenheiten.

Wandel war in die Höhe geſprungen, wie der Tiger beim Geräuſch des herangeſchlichenen Jägers. So funkelte auch ſein Auge, als er krampfhaft die Stuhllehne preßte. Der Stuhl in ſeiner Hand hätte zur Waffe werden können, aber nicht gegen den, der ihm gegenüber ſtand. Die markigen Hände des Kaufmanns umklammerten den Stock, ſein Kinn lehnte ſich darauf und ſeine hellblauen Augen fielen ohne Blinkern auf die gelbglühenden des Andern.

Was wollen Sie noch? fragte Wandel.

325

Sie haben noch einen Wechſel von mir accep¬ tirt, auf Höhe von zehn Tauſend Thalern.

Der am vierzehnten October fällig iſt, mein Herr.

Weiß es, wir könnten aber vielleicht noch ein Geſchäftchen machen. Schreiben Sie mir noch ein ſolches Duplicat der Wechſel wird auch blaß.

Wandel verkniff die Lippen. Nach einer Pauſe ſagte er: Wie Sie wünſchen.

Iſt mir lieb, daß Sie ſo gefällig ſind; den Verfalltag wünſch ich nur etwas anders. Schreiben Sie gütigſt: acceptirt zum erſten September.

Herr! Das ſind nicht vierzehn Tage.

Weiß es.

Das könnte mich derangiren.

Würde mir ſehr leid thun.

Das iſt unverſchämt.

Kann ſein. Ein Kaufmann muß die Con¬ juncturen benutzen. Iſt ſich Jeder ſelbſt der Nächſte, darin werden Sie mir Recht geben.

Ihre Gründe, Herr van Aſten! Durch das Duplicat verſchwindet jede Beſorgniß wegen der Dinte.

Gründe wollen Sie! So viel Sie wollen: bis zum vierzehnten October kann Krieg ausgebrochen, Sie können todt, bankerott, Sie können nach Aſien und Sibirien gereiſt ſein. Ich könnte Ihnen noch viel mehr Gründe ſagen, der Hauptgrund aber iſt, ich will mein Geld haben.

326

Das iſt ein ſehr verſtändlicher, mein Herr van Aſten. Wenn ich mich recht beſinne, könnte ich mich dazu beſtimmen laſſen. Ich erwarte Rimeſſen aus Thüringen, die jeden Augenblick eintreffen müſſen. Indeſſen, Kaufmann gegen Kaufmann dies un¬ beſchadet unſerer Freundſchaft was geben Sie für die Gefälligkeit?

Die Wechſel für's Geld.

Und die Prima für die Anticipation?

Beide ſahen ſich durchdringend an. Beide wa¬ ren Kaufleute durch und durch in dem Augenblick, die durchbohrenden Blicke wurden milder, die Dro¬ hung ſchmolz in ein Lächeln. Wandel ſchrieb auch den zweiten Wechſel um, und nachdem van Aſten ihn ſorgſam geprüft, tauſchte er beide neue Wechſel gegen die beiden Primawechſel aus.

Von dem geſchraubten Ton vorhin merkte man nichts mehr. Die Unterhaltung floß noch einige Augen¬ blicke über gleichgültige Dinge, wie zwiſchen Geſchäfts¬ männern, die eine unangenehme Disharmonie durch freundliches Entgegenkommen verlöſchen wollen. Van Aſten verſicherte, daß er ihre Differenz ſchon ſo gut wie vergeſſen habe, Wandel lobte es, wer erfolgreich leben wolle, müſſe an die Zukunft und ſo wenig als möglich an die Vergangenheit denken. Auch vor Raritäten müſſe man ſich hüten, ſie würden am Ende ein todtes Kapital, in welchem unſer Lebensſtock immer ſparſamer, dünner wird. Da! er riß aus einer Lade unter der ſchwarzen Tafel eine Partie327 Papiere hervor was habe ich davon, daß ich dieſe Aſſignate zwölf Jahre aufhob, eine halbe Million, und darüber!

Freilich jetzt nur Raritäten, ſagte nachdenklich der Kaufmann. Kein Gläubiger iſt mehr ſo dumm, ſie für Activa anzuſehen. Vor fünf bis ſechs Jahren konnte man wohl noch etwas darauf erſchwindeln.

Fidibus, Theuerſter! Zum Feueranmachen brauche ich ſie.

Ueber eine halbe Million! Na ſie werden Ihnen auch nicht ſo viel gekoſtet haben.

Es kommt darauf an, entgegnete der Legations¬ rath mit einem eigenen Zücken um die Lippen.

Was haben Herr Legationsrath denn da an der Tafel ausgerechnet? Thaler und Verſtand iſt ein curioſes Additionsexempel.

Phantaſiebeluſtigungen! Vielleicht Geſchäfte, die ich vorhabe.

Das ſind hohe Summen.

Ich habe größere Geſchäfte gemacht.

Das Facit des einen iſt fünf und neunzig Tau¬ ſend, das des andern hundert und achtzig Tauſend ohne den Krimskrams dran von unbekannten und irratio¬ nalen Größen.

Sie ſind ein unbefangener Mann, aber von glück¬ lichem Takt. Beide Geſchäfte kann ich nicht zuſammen machen. Es gilt die Wahl. Zu welchem rathen Sie?

Wenn ich hundert und achtzig Tauſend machen kann, ziehe ich ſie fünf und neunzig Tauſend vor.

328

Ich auch, lachte der Legationsrath. Nur habe ich die achtzig Tauſend ſo gut wie in der Hand; beim andern Geſchäft aber ſind Schwierigkeiten zu überwinden; es iſt, würde der Engländer ſagen, ein steeple chase mit Hinderniſſen.

Sie winden ſich durch, Herr Legationsrath.

Ich nehme es als ein gutes Omen an, lächelte Wandel. Wir ſcheiden doch als Freunde.

Wie vorher.

Der Legationsrath hatte den Kaufmann bis zur Thür begleitet.

Nun ſehen Sie, da wir als Freunde ſcheiden, und Sie ſich ſo honett gezeigt, iſt ein Dienſt des andern werth. Sie haben mich gerettet, ich geſteh's Ihnen, für den Moment. Und aus purer Gefällig¬ keit! Der alte Aſten iſt aber kein Bettler. Er nimmt nichts umſonſt. Alſo erſtens dafür: tiefſte Verſchwiegenheit; von mir hört keiner eine Sylbe. Zweitens eine Maxime: ein Kaufmann darf nicht zu viel Speculationen auf ein Mal vor ſich haben. Wenn er zu lange wählt, entſchließt er ſich zu ſpät. Sieht er zu eifrig nach der Taube auf dem Dache, ſo fliegt ihm auch der Sperling aus der Hand. Merken Sie ſich das; raſch zugegriffen. Und drittens iſt mir ſchon lange für Sie was eingefallen. Machen Sie ſich doch an Madame Braunbiegler. Das wäre eine Partie für Sie. So reich wie dick. Hundert¬ zwanzig Tauſend unter Brüdern. Der alte Braun¬ biegler verſtand's. Lauter ſolide Hypotheken und329 Pfandbriefe. Und die halbe Fabrik! Unter uns hun¬ dertfunfzig Tauſend wenigſtens. Und Sie, mit Ihrer Chemie, können das Tuch noch dünner ſtrecken. Zu¬ gegriffen! Ein Bischen Schwierigkeiten, aber Sie kriegen ſie.

Die Treppen dröhnten unter den ſchweren Trit¬ ten des Kaufmanns, er ſah nicht mehr die Bläſſe auf dem Geſicht des Legationsrathes; nicht wie er in die Küche zurück wankte, nicht wie er, an der Thürpfoſte ſtehen bleibend, das kalte Geſicht mit beiden Händen bedeckte. Da verließ ihn ſeine Kraft. Ihn ſchwin¬ delte, es drehte ſich um ihn wie im Kreiſe, die Bil¬ der, das Gerippe, die Retorten. Er fletſchte die Zähne, die Augen traten aus den Höhlen, er ballte die Fauſt gegen die Bilder: Lachen Sie nur, Mes dames de Bruckerode! Dann wankten die Knie. Der ſtarke Mann ſank auf den Schemel, es war auch ihm zu viel geweſen. Die Retorte fiel von der Erſchütterung vom Geſtell und verſchüttete ihren In¬ halt in die Kohlen, der Staub wühlte auf, die Bilder bewegten ſich, das Gerippe raſſelte an der Wand.

[330]

Zwanzigſtes Kapitel. Eine Spinne in ihrem Netz gefangen.

Sie kommen ſo vergnügt von ihm? empfing die Geheimräthin den eintretenden Legationsrath. Er ſah allerdings anders aus, als wir ihn neulich ver¬ ließen. In ſorgfältiger Toilette und Coiffüre, ein Ordensband am Knopfloch, ein anderes, das ſich unter dem Halstuch verſteckte, ſchien er mehr zum Beſuch bei Hofe als im Krankenzimmer ajuſtirt. Es iſt indeß zu bemerken, daß er ſeit Kurzem ſeiner Klei¬ dung eine Sorgfalt widmete, welche ſeine Freunde in der letzten Zeit vermißt hatten. Der Kleidung entſprach der heitere Geſichtsausdruck. Wie haben Sie ihn gefunden? ſetzte die Lupinus hinzu.

Wie meine Freundin mich findet vergnügt.

Sie blickte ihn verwundert an.

Sie wiſſen, daß er in ſeiner Collection eine ſeltene Ausgabe des Horaz nicht beſitzt, die mit verſchlungenen Händen und einem Todtenkopf unter dem Druckort.

Leyden, Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts, Initialen von der und der Form, unterbrach ihn die Lupinus; ich habe es oft genug hören müſſen. Er hatte alle Commiſſionäre in Requiſition geſetzt und große Summen geboten, immer umſonſt.

331

Und jetzt hat er ſie.

Wie iſt das möglich! Sie ſelbſt ſagten, die Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben.

Um einem Sterbenden einen letzten heitern Augenblick zu machen, dünkt mich, iſt Alles möglich und erlaubt.

Erlaubt! wiederholte die Lupinus betonend, und blickte ihn fragend an.

Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen wa¬ ren. Wie ſeine Augen aufblitzten; er traute ihnen kaum, und hatte auch gewiſſermaßen Recht. Bekannt¬ lich ward dieſe Ausgabe in Leyden während der ſchweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer waren einer nach dem andern auf den Mauern ge¬ fallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeſchmol¬ zen. Aber der Factor, der Letzte in der Druckerei, hatte ſelbſt ſein Letztes daran geſetzt, dieſen Horaz, die Ehre der Officin, zu vollenden. Mochte dann die Freiheit, der Proteſtantismus, Holland, die Stadt Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horaz¬ ausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen ſeinen Typen, die ſchon als Kugeln um die Schanzen pfiffen, hatte er nur ſoviel ſich losgebettelt, um den Titel noch zu drucken, er ſelbſt Setzer, Drucker. Da, im Vor¬ gefühl ſeines Schickſals, ſetzte er unter die Jahreszahl und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da verließen ihn die Kräfte. Er ſank um, mehr vom Hunger als von der Arbeit erſchöpft. Die Soldaten332 drangen ein, auch die letzten Buchſtaben fortzuneh¬ men, als die Glocken der Stadt ertönten. Der Ent¬ ſatz war gekommen. Leyden ward frei, der Factor ſtarb zwar am ſelben Tage, auch der größte Theil der Bürgerſchaft war von Hunger, Seuchen, Kugeln fortgerafft, aber er ſtarb mit frohem Geſicht ſeine Horazausgabe, Leydens Ehre, war gerettet. Iſt es nicht ein rührendes Kapitel aus der Geſchichte der Menſchheit? Erhebt es nicht das Gefühl, daß ein armer Setzer für eine Idee ſein Leben daran ſetzte und glücklich ſtarb!

Allerdings, aber

Wer glücklich ſtarb, hat glücklich gelebt. Es waren nur fünf und neunzig Exemplare des Titels mit dem Todtenkopf gedruckt. Sie ſollten das Ehren¬ denkmal für den Patrioten bleiben. Der Magiſtrat ließ die übrigen Titel mit einer Aenderung abziehen. Auch ſie ſind von hohem Werth; die aber mit dem Todtenkopf und dem Todtenſchweiß des Armen un¬ ſchätzbar. Sie wurden an hohe Potentaten verſchenkt, ſie finden ſich jetzt nur in den Königlichen Bibliotheken von Schweden Guſtav Adolf führte ſein Exemplar im Felde immer mit ſich , England, Dänemark. Durch die Einnahme von Breda kamen mehrere nach Spanien. Man hielt es in Holland für eine große Calamität. Bei den endlichen Friedensverhandlungen gab dies manchen Anſtoß. Die Generalſtaaten gaben ſich umſonſt alle Mühe, die Exemplare zurück zu er¬ halten. Später ſind durch die Verführung des Gel¬333 des und die Macht des Handels auch Exemplare nach Amerika gegangen.

Von daher haben Sie keins bezogen.

Gewiß nicht, ſie ſind auch gar nicht mehr im Handel.

Sie haben ihm ein nachgemachtes Exemplar gebracht.

Mit einem weichen Lächeln drückte er ihre Hand: Finden Sie das Unrecht, Freundin, wenn ich ſeit Wochen ein ſolches Titelblatt nachbilden ließ! Es koſtete einige Mühe, Druckerſchwärze und Papier dem Braun des Alterthums ähnlich zu vergelben, allein die geſchickte Unger'ſche Officin überwand alle Schwie¬ rigkeiten. Er iſt ſo glücklich wie jener Setzer in Leyden, ein letzter Sonnenſtrahl fiel in den Dämmer¬ ſchein ſeines Lebens. Schadet es ihm, daß es nur eine Illuſion iſt! Was iſt denn unſer Aller Glück anderes. Sind nicht alle unſere frohen Stimmungen auch nur das Product von Illuſionen! Die frohen, meine Gönnerin, wie die böſen. Die Wahrheit finden wir nur in uns ſelbſt, wenn wir alle Täuſchung abgeſtreift.

Ihre Leydener Geſchichte, ſo rührend ſie iſt, erinnert mich nur zu ſehr an die Kindheit des Menſchen¬ geſchlechts. Ueber dieſe naiven Zuſtände von Ehre ſollten wir doch hinaus ſein!

Sie ſaßen auf dem Kanapé derhalb dunklen Stube.

Sollten! rief er, ſich in die Ecke zurück leh¬ nend, und wir ſind immer nur Kinder wie am erſten Tag. Nur das Spielzeug wechſeln wir, oft auch334 nur wie es in Familien mit beſchränkten Mitteln geſchieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen ſie ſich das Jahr durch ſatt geſpielt, um ſie ihnen friſch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu ſchenken. Die klügſten Kinder merken es nicht. So das ganze Menſchengeſchlecht. Nur die Erwählten kommen mit ſich in's Klare. Ja, wenn ſie ſo weit ſind, wenn alle Nebel, Dämmerſcheine, chromatiſche Täuſchungen, Vorurtheile geſunken, wenn ſie wiſſen, ihre Kreiſe und ſich ſelbſt zu beherrſchen, wenn ſie ſich das Zeugniß ablegen können, daß ſie durch nichts ſich beirren laſſen, keine Mißgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinſteuern, dann das muß ein Göttergefühl eigener Art ſein.

Die Geheimräthin ſenkte in ihrer Sophaecke den Kopf: Wer kann das von ſich ſagen!

Ich kenne eine Frau, die es kann! Er ſah vor ſich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich ſein Ton, ſo ſanft vorhin ſein Händedruck, ſo geſchmeidig, faſt herzlich ſein ganzes Benehmen; aber er ſah ſie nicht an, er ſtreckte nicht die Hand aus, um ſie auf ihren Arm zu legen, er ſaß iſolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren ſie in Berührung.

Die Klügſte kann ſich darin täuſchen!

Er ſchien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne, und ſeine Finger häm¬335 merten gedankenlos auf das polirte Ebenholz, wäh¬ rend ſeine Augen jetzt an der Decke hafteten.

Mögen Sie ſich immerhin momentan iſolirt fühlen, was iſt das gegen das beruhigende Gefühl, wie ein Gott in Ihren Kreiſen gewaltet zu haben. Sind nicht, ſeit Sie mit ſich klar wurden, Ihre Wünſche in Erfüllung gegangen; ich meine, iſt nicht Alles geſchehen, was Sie für gut, für nothwendig erachteten? Jenes undankbare Mädchen, das wirklich Ihr Lebensglück ſtörte, mußte Sie verlaſſen, ohne daß Sie der geringſte Vorwurf trifft. Man entführte ſie Ihnen, die Menſchen bedauern Sie ſogar wegen der hinterliſtigen Art, wie es geſchah, ohne zu ahnen, welche Wohlthat Ihnen damit widerfuhr. Damit wurden Sie zugleich die läſtigen Geſell¬ ſchaften los, die Sie hinderten, ganz ſich ſelbſt zu leben. Wie oft fand ich meine Freundin in Sorgen um das Schickſal des kränklichen Bedienten. Was ſtand dem armen Geſchöpf bevor, ſobald Sie ſich ſeiner nicht mehr annehmen konnten? Bettelſtab, Hospital! Da hat Gott ſeiner ſich erbarmt, ihn zu ſich genommen. Gott nimmt ſich aber nur da der Menſchen an, wo er ihren ernſten Willen, ihre an¬ geſtrengte Thätigkeit ſieht, ſich ſelbſt zu helfen. Wie belohnten jene unartigen Kinder Ihre mehr als mütterliche Aufmerkſamkeit! Ich darf Ihnen wohl ſagen, man verdachte es Ihnen, daß Sie ſich ſelbſt dieſen verwahrloſten Geſchöpfen opferten. Man hielt es für eine Art Oſtentation, man meinte, Sie wären336 auf die Sprünge der Fürſtin Gargazin gekommen. Das ſind die Urtheile der Menſchen! Kann ein Vernünftiger noch davor Reſpect haben! Sie lernten nur zu bald, daß für dieſe Unglückſeligen nichts Beſſeres ſei, als wenn auch ihrer eine unſichtbare Hand ſich erbarme. Dieſe ſo früh verdorbenen Kinder wären ja unter der Aufſicht des nichtigen, läppiſchen Vaters, unter der Erziehung dieſer Köchin in Grund und Boden verworfene Geſchöpfe geworden. Und am Ende hätte Sie noch ein Vorwurf getroffen. Aber das Unkraut konnten Sie nicht mehr aus¬ ziehen, Sie nicht mehr Weizen ſäen. Verzeihung, daß ich ſo offen es ausſpreche, auf die Gefahr hin, Sie zu beleidigen, die Kinder mußten ſterben.

Mußten wiederholte mehr fragend als trumpfend die Geheimräthin.

Ja, theuerſte Frau, ſagte er mit Nachdruck. Ich habe es mir oft überlegt. Hätten Sie einen Vortheil davon gehabt, daß ſie ſtarben, wäre eine Erbſchaft im Spiel geweſen, dann war es anders. Was jetzt die Leute ſagen, darauf kommt es nicht an.

Sie ſchielte, innerlich bebend, zu ihm hinüber, wagte aber die Frage: was ſagen denn die Leute? nicht über die Lippe zu bringen.

Die Geſchichte der Medea halte ich für eine unglücklich erfundene Fabel, fuhr er in derſelben Ruhe fort. Eine Mutter ihre Kinder ſchlachten, um ihren Geliebten zu retten! Das wäre eine Verirrung der Natur. Ja, wer über dieſe Empfindungen337 hinaus iſt; ich könnte mir eine Medea denken, ohne die brennende Gluth des Südens, eine, deren Blut eiskalt geworden, eine Seherin des Nordens, die abgeriſſen, abgeſchüttelt hat alle die Fibern und Blutadern, die ſie mit den Lebendigen zuſammen¬ halten, eine Norne, welche im ehernen Becher die Looſe der Menſchen ſchüttelt; wer fallen muß, der fällt, ſie kann nicht weinen, ſie kann nicht lächeln, es muß. Sind wir nicht Alle auf dieſen Prozeß an¬ gewieſen, iſt es nicht der natürliche des Daſeins? Das Blut wird mit den Jahren kälter, was uns in der Jugend entzückte, gleichgültig. Unſere Träume, Phantaſieen, Projecte belächeln wir. Werden die Menſchen mit Runzeln liebenswürdiger? Wir erken¬ nen ihre Schwächen, die Ideale ſind längſt geſunken, ihre Eigenheiten treten heraus, ſie werden uns wider¬ wärtig. Nein, nicht widerwärtig, Freundin, nur gleichgültig. Wir hören eine Todespoſt verwundert an: Hat der noch gelebt, wir dachten, er ſei längſt todt! Wir ſterben mit, wo Alles um uns ſtirbt, und laſſen darum ſterben, was nicht leben kann! Einer weniger, der Anderen in die Quere kam, Einer we¬ niger, der mit verbrannten Flügeln nach der Sonne flattern wollte! Wem ſind ſie denn nicht verbrannt? Wir ſind allzeit bereite Todtengräber aus Mitleid, Adepten der Nothwendigkeit. Das iſt weit natür¬ licher als die andere Erklärung, daß wir's aus Neid wären, aus Haß, Haß gegen die ganze Menſchheit. Iſt denn die Menſchheit werth, daß wir ſie haſſen? IV. 22338So wenig als unſerer Liebe. Allerdings lehrt uns der Inſtinkt, zu ſtechen, wo wir geſtochen werden. Sticht uns ein Größerer, ſtechen wir den Kleineren. Dagegen iſt nicht anzukämpfen, es iſt das Naturgeſetz der Creatur. Wo wir's überwinden, iſt Unnatur; die Verweichlichung der Moral, die wir umſonſt Re¬ ligion taufen, es bleibt Verkehrtheit, die ſich rächt. Aber nur nicht aus Haß, Erbitterung; wir ſpielen mit Tod und Leben, wie man mit uns ſpielt; die Folterſchrauben, die man uns anſetzt, probiren wir an Andern, um zu erfahren, wie viel ein Menſch aus¬ halten kann. Das führt zu einem Ziele; der Haß iſt immer eine irrationale Potenz, die in's wüſte Blaue treibt, wo Niemand das Ende abſieht. Pfui Blut¬ rache! pfui, das alte moſaiſche: Zahn um Zahn! Wem hat es genutzt, und alles Unnütze iſt Verbrechen. Dagegen begreife ich ſehr wohl, was der Alltags¬ menſch Rache nennt, und was doch weiter nichts iſt als der Schuß nach einem Ziele. Napoleon hat Palm erſchießen laſſen. Er hat Recht gethan, man ſoll ihn fürchten. Die Schriftſteller ſollen ſich nicht unterſtehen, ihn unangenehm zu kitzeln. Dies Recht hat Jeder ſich furchtbar, ſich gefürchtet zu machen. Aber mit Klugheit, mit Vorſicht es benutzt! Nicht Jeder iſt Napoleon, aber Jeder kann wie die kleine Spinne aus ſeinen eigenen Säften ein Netz ſich weben, um die zu fangen und verderben, die ſich in ſeine Region drängen. Haben Sie einmal die Spinne beobachtet? Es iſt für mich ein furchtbares Thier. 339Da liegt ſie ſtill, zuſammengekauert, ich möchte ſagen, fromm, im Centrum ihres Kreiſes, ſie ſcheint zu ſchlafen, aber ſie iſt nur penſiv, ſie brütet über ihr ungerechtes Loos. Warum gab die Natur den Flie¬ gen, Bremſen, Mücken, Wespen Flügel? Sie flat¬ tern, ſpielen in den Lüften ein gedankenloſes Spiel, ſie naſchen an den Blumen, ſie ſchlürfen den Sonnen¬ ſchein. Die Spinne iſt ſtiefmütterlich behandelt, ſie, die arbeitſame, denkende Schöpferin, muß an Mauern kriechen, in Winkeln ihr Gehänge ſpinnen, aus ihrer beſten Kraft, nur um ſich zu halten, zu exiſtiren. Sie iſt geſcheut, verachtet. Soll ſie nicht dem Schickſal, dem ungerechten, zürnen, nicht Grimm im Herzen tragen! Beim Allmächtigen, meine Freundin, welcher Gerechte fordert das von ihr! Sie fügt ſich in das Unabänderliche, ſie wartet und lauert; einmal kommt doch der Augenblick, um das Gefühl der Rache zu kühlen. Dann auch dann ſtürzt ſie noch nicht wie eine Harpye auf ihr Opfer los. Sie ſcheint fort¬ zuſchlafen, bis der unbeſonnene Wildfang ſich in das Netz verwickelt hat, ſtrampelt. Dann Was ich plaudere! Da halte ich Sie ab von der Pflege des armen Kranken. Es wird ja ohnedem nicht mehr lange dauern. Sollte der Krieg losbrechen, ach Gott, eine wahre Wohlthat, wenn der liebe Gott den Dulder früher zu ſich nimmt. Denken Sie den armen Gelehrten, wenn der Feind einrückte! Oder Berlin wird geſtürmt; welches Loos, wenn er mit ſeinem noli turbare circulos meos dem franzöſiſchen22*340Chaſſeur entgegenträte. Im beſten Fall, es iſt Na¬ poleons Art, alle Einwohner einer eroberten Stadt müſſen zum innern Schutz in die Nationalgarde treten. Stellen Sie ſich den Geheimrath vor mit dem Gewehr auf dem Rücken, einen Säbel an der Seite! Nein, aus Liebe für ihn muß man ihm bald den ewigen Frieden wünſchen. A propos, ich vergaß, womit haben Sie denn vorhin geräuchert?

Die Geheimräthin hatte vielleicht mit ganz andern Empfindungen auf dem Sopha Platz genommen. Sie ahnte nicht, daß eine Schreckensſtunde ihres Lebens nahte. In ein laues Bad, umduftet mit Wonne¬ gerüchen, glauben wir geführt zu werden, und ſie haben uns in ein kaltes Sturzbad gelockt. O das iſt nichts, wo es mit einem Mal herabrauſcht, aber wenn man uns feſtgebunden, und tropfenweis, ſtärker und ſtärker, fällt es auf unſern Schädel, endlich öffnet ſich das ganze Reſervoir

Sie verſuchte zu ihm aufzuſehen, aber ſie ertrug nicht den eiskalten, durchbohrenden Blick.

Wie meinen Sie das?

Ich meine, welche Ingredienzien ſchütteten Sie in die Kohlenpfanne? Denn daß Sie räuchern, da¬ gegen iſt nichts zu ſagen, es iſt vielmehr nothwen¬ dig. Der Staub, die Ausdünſtungen, der Kater¬ geruch, es hat Alles zuſammen genommen etwas Eblouirendes. Es muß dagegen gewirkt werden. Aber Vorſicht, meine Freundin, man muß ſich gegen den Verdacht im Voraus ſchützen.

341

Sie wollte aufſtehen; ſie ſank auf's Kanapé zurück.

Mit nichts, als was ich von Ihnen habe, ſprang es aus der gepreßten Bruſt.

Sie meinen die kleine Apotheke, meine Gönnerin, die ich Ihnen aus Herrn Flittners Apotheke zum Haus¬ bedarf zuſammenſtellen ließ. Die wird vor jedem Me¬ dicinalcollegium die Prüfung beſtehen. Es ſind die un¬ ſchuldigſten Mittel, wenn man ſie unſchuldig gebraucht. Freilich, wenn man ſich vergreift, dann ſtehe ich für nichts. Waſſer das beſte Heilmittel, man kann auch mit Waſſer ermorden.

Ein zweiter Verſuch, aufzuſpringen, ſcheiterte an der Schwäche ihrer Knie; aber ſie lehnte ſich zurück und die Kraft hatte ſie gewonnen, ihm ſtarr in's Geſicht zu ſehen. O dies unveränderliche Geſicht! War es auch nur eine Muskelbewegung, die eine Auf¬ regung, Furcht, Schadenfreude, Mitgefühl verrieth! So hätte er eine Liebeserklärung machen, ſo ein Todes¬ urtheil ausſprechen können. Er erfaßte die Spitze ihrer Hand: Verſtändigen wir uns doch! Das Nothwendige erkenne ich an. Wo der Bruch da iſt, der zur Auflöſung führt, ſoll der Wahrhaftige nicht Salbe darüber ſtreichen. Er muß ſich in das finden, was nun einmal nicht zu än¬ dern ging; ich kann es auch nicht tadeln, wenn er der Nothwendigkeit einen Schritt entgegen that. Aber

Bei allen Mächten, warum foltern Sie mich?

Opiate, narkotiſche Mittel, alle Säfte aus Ve¬ getabilien dunſten und verdunſten, wie Veilchen und Roſe duften und verduften. Sie laſſen Materielles342 nicht zurück, wogegen alles Mineraliſche ein Reſiduum, einen Satz, einen Ausſchlag zurückläßt. In wie ver¬ änderter Form es auch ſei, die Wiſſenſchaft findet ihn. Wenn wir doch dieſe wohlthätige Weiſung der Natur nie aus dem Auge ließen! Das Lebendige im Pflanzen - und animaliſchen Leben iſt beſtimmt, zu blühen, reifen, um ſich dann zu verflüchtigen, damit es, im Aether ſcheinbar verſchwimmend, irgend wo wieder anſetzt zu neuem Leben. Dieſe Ausſicht kann uns angenehm berühren, zu welchen Träumen giebt ſie nicht Stoff! Aber erſchrecken kann es uns nicht. Dagegen repräſentirt der Stein, das Metall die irdiſche, niederdrückende Schwere. Wir mögen den Stein noch ſo hoch in die Luft ſchleudern, er kehrt wieder zurück. Er kann uns auf die Bruſt fal¬ len, unſer Fuß ſtolpert daran, und wenn wir ihn zerreiben zu Pulver, Staub, er fällt wieder auf die Lunge, und bei der Section findet ihn der Arzt.

Die Geheimräthin hatte ſich jetzt aufgerafft; mit beiden Händen an die Sophalehne ſich haltend, ſah ſie über die Schultern auf den Sprecher zurück:

Welche Verſtändigung, was wollen Sie?

Ich, für mein Theil, meine Gönnerin, was kann ich wollen! Was könnte ich bezeugen? Gar nichts! Daß ich bei Herrn Flittner auf Ihren Wunſch eine Hausapotheke entnahm! Das iſt Alles dort in die Bücher eingetragen. Eine exacte Apo¬ theke. Und wer ſagt denn, daß das Phyſikat zu einer Obduction zu ſchreiten ſich veranlaßt finden343 wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem Intereſſe, ein Freund ſtellt ſich oft das Schlimmſte vor. Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬ muthung kommen, weil in dieſem Hauſe ſo kurz hinter einander bedenkliche Todesfälle eingetreten ſind, daß hier eine ungeſunde Luft iſt, aus irgend einer nicht ergründe¬ ten Urſache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.

Aber wenn wenn ſie daran dächte!

Da ſind tauſend Möglichkeiten, wie man ihr ein X für ein U macht.

Aber wenn man Sie

Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬ riefe. Frau Geheimräthin, das iſt eigentlich eine Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz reden, und nicht meine höchſte Achtung vor Ihrem Charakter ausſprechen würde?

Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.

Man wird Thatſachen fordern. Was kann ich denn über Thatſachen ausſagen! Daß die Kinder näſchig waren, daß ſie zugriffen, wo ſie nicht ſoll¬ ten; daß ſie in ihrer Naſchgier eine ſchädliche Speiſe vom höchſten Küchenbrett holten. Oder wird man mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬ ſtube abſcheulich fand? Da würden die Experten ſich nicht mit Meinungen befaſſen. Doch, was ich Ihnen zu ſagen vergaß, es war ſehr klug, daß Sie dem todten Johann den Blumenkranz ſo tief in die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer Fleck über der Schläfe zum Vorſchein

344

Es war der entſetzlichſte Blick, den wir von ihr ſahen nein, den ſahen wir hier noch nicht. Es war einer, der einen Abſchnitt im Leben bedeutet. Mit ſolchem warf der Wütherich den Schlüſſel zum Hungerthurm, worin er ſeinen Feind geſperrt, in den Fluß, mit ſolchem ſcheidet man von der Hoffnung, man ſtößt den Kahn zurück in's Meer, der uns an die Wüſte trug, um darin zu verſchmachten. Aber ein Blick war's, wie ein Eiſendruck, der die erſchlaff¬ ten Nerven plötzlich ſtählt.

Herr Legationsrath, was fordern Sie von mir?

Fordern ich!

Ihre Principien verbieten Ihnen, etwas Unnützes zu thun. Kurz, ſchnell, damit wir in's Reine kommen.

Ich wollte Sie weder ängſtigen, noch deran¬ giren nur eine kleine Bitte. Eine Zahlung von fünf¬ tauſend Thalern übermorgen genirt mich, weil mir eine Deckung aus Hamburg ausblieb. Sie haben wohl die Güte, mir mit den fünftauſend, welche Sie aſſer¬ viren, augenblicklich beizuſpringen, bis meine Rimeſſen aus Thüringen ankommen.

Ich ich werde ſie Ihnen ſchicken.

Wozu Dritte impliciren es giebt ſo leicht Nachfragen. Nur eine Feder, meine Gönnerin, um die Schuldſchrift aufzuſetzen.

Sie wankte an den Secretair; die Goldrollen aus dem verborgenen Fach lagen auf der Platte. Sie wies ſtumm darauf hin.

Er machte das Zeichen des Schreibens.

345

Wozu das?

Es iſt doch der Ordnung wegen.

Um ihm zum Schreiben Platz zu machen, trug ſie die Rollen auf einen andern Tiſch. Die Rollen waren ſchwer, ihre Glieder waren wie gebrochen. Eine entglitt ihr, einige Goldſtücke rollten umher, die ſie aufzuheben ſich bückte.

O mein Gott, Sie geben ſich meinetwegen ſo viel Mühe! rief er, auf dem Stuhl ſich umwendend, ſchrieb aber weiter. Er wandte ſich wieder um: Wie wollen Sie es mit den Zinſen gehalten haben?

Sie antwortete nicht.

Es iſt doch wegen Lebens und Sterbens, ver¬ ehrte Freundin. Ich würde ſechs Procent ſchreiben, aber Sie könnten, da Sie nicht kaufmänniſche Rechte haben, dadurch in Ungelegenheiten kommen. Sehr möglich auch, daß der Zinsfuß in dieſer Kriſis noch ſteigt. Ich ſetze daher lieber: je nach dem höchſten Börſenſatz.

Sie winkte ihm Schweigen mit einem krächzen¬ den Hohngelächter. Er ſchrieb weiter. Was ſchrieb er noch! Er war aufgeſtanden und hatte ihr mit einer verbindlichen Verbeugung den Schuldſchein überreicht. Sie warf ihn auf den Tiſch, ohne ihn anzuſehen.

Jetzt war nichts mehr von Angſt, Scheu, Ban¬ gigkeit in dieſem Geſichte, es wogte ein wildes Feuer in der Bruſt, ihre Augen vermieden ihn nicht, ſie ſah mit einer Art böſer Freude auf ihn:

Was iſt Ihnen noch ſonſt gefällig? Da iſt346 der Schrank mit meinem Silberzeug dort meine Geſchmeide, Ketten, Ohrringe meine Juwelen. Da im Korb die Schlüſſel zum ganzen Hauſe. Er¬ brechen Sie, nehmen Sie fort, was Sie Luſt haben.

Ich erkenne Ihre Güte, unter welcher Form ſie ſich auch ausſpricht. In Bezug darauf habe ich mir noch eine zweite Bitte erlaubt. Zum erſten September läuft ein Wechſel auf mich von zehntauſend Thalern ab. Nur für den unerwarteten Fall, daß meine Ri¬ meſſen auch bis dahin nicht einträfen, wünſchte ich mich hier ſicher zu ſtellen. Für Frau Geheimräthin Lupinus liegen funfzehntauſend Thaler auf der See¬ handlung disponibel. Ich habe mir erlaubt, ein Ceſſionsinſtrument auf Höhe von zehntauſend dort aufzuſetzen. Zugleich ein eventuelles Recipiſſe. Wenn Sie die Ceſſion gefälligſt unterzeichnen, befreien Sie mich, ich geſtehe es, von einer momentanen Verlegen¬ heit. Momentan, ſage ich, denn er lächelte meine Ausſichten ſind gut. Es koſtete nur den Entſchluß zu einem ſehr glücklichen Geſchäft, deſſen Chancen ſo gut wie in meiner Hand liegen. Glauben Sie mir, ich bin ſicher auf höher als dieſe Bagatelle.

Wie hoch ſchätzen Sie ſich, mein Herr?

Der Hohn in der Frage berührte ihn nicht. Auf über zweihunderttauſend Thaler, meine Gnädige, antwortete er freundlich und überreichte ihr die eingetauchte Feder.

Sie warf ſich auf den Stuhl, ſie überlas, ohne zu leſen, ſie ſchrieb ihren Namen darunter; zu ſeiner Befriedigung, indem er ihr über die Achſel ſah, deut¬347 lich genug. Sie ſtand auf, ſie ſah, ſie hörte nichts mehr, quer durch das Zimmer wankend, ſtürzte ſie auf's Sopha. Thränen, um zu weinen, fand ſie nicht, die Augen brannten unter den vorgehaltenen Händen. Endlich ward es ein krampfhaftes Schlucken, Schluchzen, ihre Füße klappten auf dem Boden, ihre Bruſt hob und ſenkte ſich, ſie holte Luft.

Wandel falzte das Papier und ſteckte es in die Brieftaſche, die Goldrollen hatten in den Taſchen nicht rechten Platz. Er ſchlang um einen Theil ſein ſeidenes Tuch, legte das Pack in den Hut und wollte leiſe zur Thür hinaus, als ihm ein anderer Gedanke kam.

Er ſaß neben der Lupinus, als ſie die Augen aufſchlug.

Noch martern! rief ſie zuſammenzuckend.

Nein, war die Antwort mit feſter Stimme, nur zu ſtählen wünſchte ich meine Freundin.

Das Wort nicht mehr aus Ihrem Munde! Kennten Sie, was Erbarmen heißt, bäte ich Sie, mir aus den Augen, aus meiner Nähe! Ein Todten¬ gerippe könnte mit ſeinen hohlen Augen mich nicht ſo entſetzlich anſtarren.

Denken Sie, ich wäre eines, lächelte er. Ich habe ein ſolches ſtets neben mir eine einſt heiß geliebte Freundin. Wenn ich verzweifeln wollte, das Blut gegen die Stirn preßte, wenn ich einen dummen Streich zu begehen im Begriff war dumm ſind alle Handlungen, deren Impuls im Blute liegt dann drück ich ihr die Knochenhand, ich preſſe mich an348 ihre Bruſt, ſie muß neben mir ruhen, und ich werde geſund, Sie war ein liebliches Weſen, das nur den Impulſen des Herzens folgte, ſie kannte keinen andern Regulator ihrer Handlungen, und was iſt ſie nun? Ein Traum ihr Leben, nur ihre Treue, Hingebung war mehr ſie, im Tode, giebt mir Kraft im Leben, ſie gießt Eiſen in mein Blut, Stahl in meine Nerven. O erheben Sie ſich, ſo dürfen wir nicht ſcheiden.

Die Kette iſt geſprengt auf ewig.

Wenn uns die Verhältniſſe auseinanderreißen, warum denn in Feindſchaft? War denn unſre Freund¬ ſchaft auf Affecte begründet? Ruhe iſt die erſte Pflicht, um in einem Schiffbruch nach dem Kahn auszublicken, der uns retten kann. Ich bewunderte Ihre klare Ruhe und Klugheit, die Ihnen die Entſchloſſenheit gab wie lange handelten Sie in dieſer Conſequenz, und nun ſoll die Aufwallung eines Augenblicks

Wo die Hölle ſich vor mir aufthut

Gut, nennen Sie es Hölle, mich einen Dämon, Teufel, weil ich nach derſelben Conſequenz handle, wie meine Freundin gehandelt hat. Aber wer in die Hölle ſteigt, um in dem Bilde, was Sie beliebten, zu bleiben, würde dort ſehr einſam leben, wenn er nur mit Heiligen umgehen wollte. Wir ſelbſt ſollen uns das Ziel ſein, aber die Aſſociation iſt das Mittel. Iſt das undenkbar, daß wir uns gegenſeitig noch Hülfe leiſten könnten! Weil Sie mir jetzt halfen meinethalben helfen mußten, können Sie nie in die Lage kommen, wo Sie von mir Hülfe erwarte¬349 ten? O ſtill, meine Freundin, ich weiß, was die¬ ſes Aufathmen ſagen ſoll: Sie ſtürzten lieber in den Abgrund, als ſie von mir annehmen! Ich laſſe die¬ ſem natürlichen Gefühl ſein Recht, wie die Alten ſchreien mußten, um ihren Schmerz loszuwerden. Schreien Sie, meine Freundin, innerlich, weinen Sie, wenn Sie wieder Thränen finden, verfluchen mich! Nichts von Reſignation, Vergebung edler Seelen; ein Palliativ, was die Natur abſchwächt. Nein, erge¬ hen Sie ſich in Ihrem ganzen Haß, aber dann dann bedenken Sie, daß wir Beide uns kennen, daß der Zufall in der Welt eine bedeutende Rolle ſpielt, daß, wo kein Thron mehr ſicher ſteht, die ſicherſte Stellung im Leben es nicht mehr iſt, daß Fälle denkbar ſind

Sie ſah ihn ſcheu an: Sie meinen

Ich gebe nichts auf Ahnungen, aber einen Wunſch, eine Weiſung laß ich Ihnen zurück, als letztes Angebinde. Sie haben ſich ſtark gezeigt, blei¬ ben Sie es, wenn das Unglück da iſt. Welches Recht haben dieſe Menſchen, die wir kennen, über uns? Etwa uns in's Herz zu ſchauen! Der Pöbel! Wer in aller Welt giebt ihnen das: unſre innerſten Gedanken auszufragen? In's Gefängniß mögen ſie den Freien ſchleppen, auf den Rabenſtein uns ſchlei¬ fen, nicht uns zwingen, daß wir uns ſelbſt verrathen und verdammen. Das Recht hat keiner Mutter Sohn, er ſtehe ſo hoch er will. Der Pöbel kann uns nicht, wir können ihn, wenn wir feſt bleiben, überwinden. Die Märtyrer wurden mit Recht Heilige, nur daß350 ſie thöricht waren, ſich für Andere martern zu laſſen. Wir würden es für uns. Sie verſprechen es mir, Schweſter im Bunde, ewig zu ſchweigen, ich ſchweige auch. Darauf einen Bruderkuß!

Er war fort; ſeine letzten Tritte verhallten auf der Treppe. Sie hörte die Hausthür öffnen, zuſchlagen. Aber er war noch bei ihr. Sein Bruderkuß brannte jetzt wie Feuer, jetzt wie Eis. Sie war gebrandmarkt, der Druck des Stempels drang von der Stirn bis in's Herz; ſie fühlte ihn von den Fingerſpitzen bis zur Zeh.

Warum bin ich ein Weib! lachte es in ihr. Vergeltung! Ohnmacht! So viel kleine Opfer, und der Dämon ſelbſt, ſein Hohngelächter zitterte in der Luft, er umſchwirrte ſie, unerreichbar. Und hätte er zu ihren Füßen gelegen, ohnmächtig, ge¬ bunden, woher denn Marterwerkzeuge nehmen, die ihren Rachedurſt geſtillt! Welche Schmerzen konnten das Maaß ihrer Schmerzen ausgleichen! Und durfte ſie's? Ein Laut, ein Schrei, ein Wort des Ge¬ marterten, und die Klingeln und Glocken hätten in den Lüften geklungen, geklungen bis an's Ende der Welt, wo Gerechtigkeit iſt. Wo iſt denn Gerechtigkeit!

Nein, ſie war noch an ihn gekettet an einer feinen, unſichtbaren Stahlkette jede Rachezückung und ſie vibrirte wieder, electriſch, in ihm, er hob die Fauſt nein, er lachte ſie nur an, mit ſeinen Hayfiſchzähnen: Wenn mich, vernichteſt Du Dich! Zu entſetzlich, er war, er blieb ihr unſichtbarer Bundesgenoß. Wer in dieſe Strudel trieb, muß351 eine Säule finden, woran er ſich aufrecht hält. Ein Todtengerippe! Was iſt ein fühlloſes Todten¬ gerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, ſie bedurfte ſolches Stahlguſſes, ſolcher Stärkung, des glühenden Eiſens, das zur Wolluſt werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne aus¬ brennt. Sie ſtürzte in das Krankenzimmer.

Ja, das war noch ſchrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er ſtand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, ſpielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochen¬ mann. Er mußte furchtbar geſpielt haben. Da lagen zerſchlagene Gläſer, Geſchirre, die koſtbaren Horaz¬ bände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunſtig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtiſch halb herabgeriſſen, und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, ſpinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in dieſe Unruhe verſetzt!

Hatte er, vom Schmerz ergriffen, dieſe Ver¬ wüſtung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Dieſe ſchienen überwunden. Das Geſpenſt, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, ſo wankte er auf die Frau zu. Die Bruſt ſchlug noch heftig, in den Skeletthänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft. 352Das war ein wüſter Blick in dem Auge, ſein letzter, das war ein Schrei aus tiefer Bruſt, auch ſein letzter: Weib! es iſt falſch Alles falſch!

Alles iſt falſch! antwortete ſie tonlos.

Er hatte nicht mehr die Antwort gehört. Er lag auf der Diele, er hatte ausgelitten. Der Kater war vom Tiſch geſprungen und bäumte ſich über den Leichnam. Die Geheimräthin irrte in der Stube umher und konnte den Spiegel nicht finden. Als ſie ihn ge¬ funden, konnte ſie nichts drin ſehen. Sie rieb und rieb, aber der Spiegel blieb blind. Mein Gott, ich muß doch die Wahrheit ſehen! rief ſie, und ſuchte nach einem Tuche. Jetzt meinte ſie, der letzte Hauch ſei abgerieben. Sie ſah ſich und ſie ſah ſich nicht. Allmächtiger! ! ſchrie ſie auf und preßte die Hände über ihren Scheitel. Dieſe Bewegung ſah ſie, aber ſonſt nur Umriſſe. Umſonſt quollen die Augäpfel aus den Höhlungen hervor. Mit einem neuen, entſetzlichen Schrei fuhr ſie zurück. Die Geſtalt im Spiegel fuhr auch zurück: Ich bin ja hohl! Es war ein heulender Ton.

Ihr Diener fand ſie nachher halb auf der Erde liegend, den Kopf auf's Sopha gefallen. Sie ſträubte ſich verzweifelt, als man ſie in's Bett bringen wollte, und rief ein Mal über das andere, man werde gewiß nichts finden.

Druck von Eduard Krauſe in Berlin.

About this transcription

TextRuhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren
Author Willibald Alexis
Extent365 images; 71790 tokens; 12543 types; 488056 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRuhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren Vaterländischer Roman Vierter Band Willibald AlexisHäring, Georg Wilhelm Heinrich. . 352 S. BartholBerlin1852.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 7611-3/5 (RARA)http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=876060823

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

Editorial statement

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yx 7611-3/5 (RARA)
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