PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht.
Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren.
Vaterländiſcher Roman
Fünfter Band.
Berlin. Verlag von Carl Barthol. 1852.
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Erſtes Kapitel. Ernste Fragen, die Mancher überſchlagen wird.

Den Druck der ſchwülen Luft fühlte ein Jeder, aber ein Höhenrauch ſchien die ſchwarzen Wolken noch zu verbergen. Es wetterleuchtete auch ſchon, nur wirkten die electriſchen Zückungen verſchieden. Aengſt¬ lich vor dem Ausbruch flatternde Vögel, gewahrte man nicht. Es waren Männer im Lande und in der Hauptſtadt, welche bang der nächſten Entwicke¬ lung entgegen ſahen, um ſo banger, als das Gewit¬ ter ſo lange ſich hingezogen. Kluge und ernſte Män¬ ner, welche fürchteten, daß es in einem entſetzlichen Schlage ſich entlade, ein Wolkenbruch die Saat eines Jahrhunderts fortſpülend; aber ſie ſchwiegen, ſie bar¬ gen den düſtern Ernſt in ihrer Bruſt. Wäre es doch zum Verbrechen geworden, durch eine Kaſſandraſtimme den Muth der Muthigen zu dämpfen! Seltſam, es ſol¬ len gerade die Feuergeiſter geweſen ſein, dieſelben, die vorhin keinen Anlaß verſäumt, zum Kriege anzuſpor¬ nen, welche jetzt mit banger Ahnung dem Unvermeid¬ lichen entgegen ſahen! Sahen ſie rings umher nurV. 12blutige Sümpfe, wo der Funke erſtickt, oder trauten ſie dem eigenen Feuerſtoffe nicht?

Dagegen waren es die, welche bis dahin ihren Sinn vor dem Ernſt des Augenblicks verſchloſſen hatten, vor denen er jetzt, ein geharniſchter Rieſe, ſtand. Geflattert waren ſie wie der Schmetterling, in ihrem Dünkel mit dem Ueberwältigenden ſpielend, jetzt Bewunderung für das Meteor des Tages, jetzt kalt abwägende Richter, Gleichgültigkeit heuchelnd vor dem Ungeheuerſten, was ſeit einem Jahrtauſend ge¬ ſchehen, um ungeſtört zu bleiben in der ſüßen Ge¬ wohnheit, nicht mehr und weiter zu denken, als ihrer Behaglichkeit zuſagte. Und nun waren ſie aus ihrem Taumel der Sicherheit, aus ihrem Dünkel, ihrer Täuſchung erwacht; es war anders geworden. Das Schauſpiel, was ihnen auf den fernen Brettern zu ihrer Unterhaltung aufgeführt ſchien, ward Ernſt, die Darſteller ſchloſſen ſich zu eiſernen Phalangen, über die Lampen rückten ſie heran, um die dupirten Zu¬ ſchauer zu erdrücken. Die immer zum Frieden gere¬ det, die Napoleons großen Sinn, ſeine Bewunderung für Preußen im Munde geführt, die da gepredigt, das geht uns nichts an, an uns wird er ſich nicht vergreifen, auch ihnen waren plötzlich die Schuppen von den Augen gefallen, und nun ſprudelte und tobte es. Tauſende von Stimmen, eine wollte die andre überſchreien, die am lauteſten, heftigſten, welche am leichtſinnigſten der Zeichen geſpottet. Da kam es denn wohl, daß die am ernſteſten und unverdroſſen3 um Einlaß gepocht zur unerläßlichen That, jetzt von dem Troß zurückgeſtoßen waren, und den Spott hinnehmen mußten, ſie ſeien nicht zur rechten Zeit entſchloſſen.

Noch lag ein officieller Schleier über der nächſten Zukunft, aber er war ſo durchlöchert, daß wer nur das Auge aufriß, durchſah. In Paris war der Rhein¬ bund geſtiftet und Preußen war nicht dazu geladen, ja es hatte noch nichts davon erfahren. Die Fürſten, welche an der Leimruthe ſaßen, auffliegen konnten ſie nicht mehr, aber frei mit ihren Flügeln flattern, und der Großmüthige hatte ſie dafür entſchädigt mit den Beuteſtücken in ſeinem Netze, mit den freien Städten, den Gütern der Stifter, Klöſter, der Reichsritterſchaft, mit der Souveränität im eignen Lande. Frei, von Niemand behindert, durften ſie mit den Flügeln die ſchlagen, die darunter ein Recht hatten auf Schutz. Ihre Rechte, die beſiegelt ſtan¬ den in alten Verträgen, waren durch einen Federſtrich ausgelöſcht. Und die duftende Zeitungsphraſe des Moniteurs ſagte: Des Kaiſers Abſichten hätten ſich hier wie immer mit den wahren Intereſſen Deutſch¬ lands übereinſtimmend gezeigt. Und wohin ſollten ſie ſchreien, wohin Hülfe flehend die Arme ſtrecken? Der Kaiſer hatte die römiſche Kaiſerwürde niedergelegt, da er außer Stande ſei, ſeine beſchworenen Pflichten ge¬ gen das Reich zu erfüllen. Wo war das Reich, wo das deutſche Volk! Oeſtreich, des langen, ehrenwerthen Kampfes müde, hatte ſich in ſein Schneckenhaus ge¬1*4zogen, das halbe Reich hing im Netz des Eroberers, und nur Preußen ſtand allein im Winkel, ohne den Muth, ohne den Beruf, ohne die Mittel.

Das fühlte Jeder in Preußen. Wenn eine Ueberzeugung auf dem trocknen Boden aufſchießt, von dem wir reden, ſo haben Spötter behauptet, daß ſie, wie ein Unkraut, das die Wolken ſäen, plötzlich die Felder überwuchert, oder wie ein Heidebrand über Berge und Thäler ſich ergießt. Dann iſt kein Widerſtand mehr. Aber jeder Fanatismus berührt in der Regel nur gewiſſe Kreiſe, nur die an der Straße Wohnenden, die auf den Höhen Sichtbaren. Die in den tiefen Niederungen nur ſich ſelbſt leben, unbekümmert um was nicht ihre nächſte Sorge angeht, berührt er nur ſelten. Aber der Fall war hier. Des Herzogs von Enghien Aufhebung und Füſillade hatte nur die politiſch Denkenden und Fühlenden getroffen, was gehn den guten Bürger Staatsacte an! Darum haben ſich die zu kümmern, die dazu geboren ſind, oder dafür bezahlt werden. Aber daß er den Buch¬ händler Palm in Braunau erſchießen laſſen, berührte das Gefühl des Menſchen, ſogar den Gedanken des Bürgers. War Palm nicht ein Bürger, eingeſchrieben in die Bürgerrolle, der ruhig ſeinem Verdienſte nachgegangen und ruhig ſeine Abgaben gezahlt hatte? Was ging ihn die Schrift an, die er verlegt, und noch dazu ſtarb er den Heldentod, weil er den nicht nennen wollte, dem er ſein Wort gegeben zu ſchweigen! Das konnte Jedem paſſiren! Iſt ein guter Bürger5 da, um den Heldentod zu ſterben! Es war ein Brand, der durch alle Glieder ging, vom Wirbel bis zur Zeh. Die Entrüſtung fand keine Worte dafür, und je gebundener die Meinung in dem andern gefeſſelten Deutſchland war, ſo lauter ſprach ſie ſich in Preußen aus. Man fühlte, was Freiheit war, und fing an zu begreifen, daß ſie ein Gut, ein heiliges Menſchenrecht iſt. Zur Unterſtützung der Familie des ermordeten Mannes wurden überall im Lande reiche Samm¬ lungen veranſtaltet, und die Regierung ſchritt nicht ein, weder aus Furcht vor dem Kaiſer, noch wegen unbefugten Collectirens.

Es war Leben im Lande; aber man ſah es der praſſelnden, ängſtlichen Geſchäftigkeit an, daß die Uebung fehlte. Wie jene Bürgerfrau beim großen Brande der Petrikirche die Borsdorfer Aepfel ſauber in Papier wickelte, während das Silberzeug auf der Diele zerſtreut lag, griff man nach dem Entfernten und ließ das Nächſte liegen. Faſt ein halbes Jahr¬ hundert war vergangen, ſeit Preußen einen Krieg um ſein Alles geführt! Feinde ringsum, und der Geiſt verkörperte ſich zur wahrhaft rettenden That. Rings¬ um ſahen ſie jetzt ja keine Feinde, und der Geiſt fehlte zur That, weil man ihn noch nicht ſuchte.

So ſah es in den Bürgerhäuſern aus. Es wird ſich ja ſchon Alles machen, auch ohne uns, war das Troſtwort. Wie es in den Palläſten der Großen, in den Hotels der Miniſter ausſah?

In dem des neuen Miniſters ſaß in dem Zim¬6 mer, das wir ſchon kennen, Walter van Aſten am Schreibtiſch. Aber die Flügelthüren waren zu dem neben anſtoßenden Audienzſaal geöffnet, wo der Re¬ gierungsrath von Fuchſius auf und ab ging. Zu¬ weilen blätterte er in Schriften, zuweilen trat er zu dem neuen Secretair, um Bemerkungen mit ihm zu wechſeln. Er wartete auf eine Audienz und hatte ſchon lange gewartet, der Miniſter war in den obern Zimmern mit dem jungen Bovillard. Walter war bei einer Arbeit, aber er ließ oft ſelbſt die Feder ruhen, und das gelegentliche Geſpräch mit dem Rathe ſchien ihm keine unangenehme Unterbrechung.

Sie haben ſich da einen gefährlichen Rivalen zugeführt, ſagte der Rath. Sie beſchäftigt er mit Berichten über ſein Papiergeld, und Herrn von Bo¬ villard ſchließt er in ſeinen Intimis das Herz auf.

Das war die ihm zugedachte Stellung, ent¬ gegnete Walter, die Feder weglegend, und ſtand auf. Wir ſind Jugendfreunde, die Verhältniſſe haben darin nichts geändert, und wenn ſie es hätten, was kommt es jetzt darauf an, wo der der Beſte iſt der han¬ deln kann!

Wer handeln kann! rief Fuchſius mit einem wehmüthigen Lächeln. Welche bittere Erfahrungen ſtehen Ihnen hier noch bevor!

Deren Herr von Fuchſius enthoben iſt, weil er freiwillig ſeine Stellung aufgab.

Das ſoll eine Spitze ſein, lieber Aſten, aber ſie verwundet mich nicht. Ich bin dennoch frei¬7 willig abgetreten und zu meiner juriſtiſchen Carriere zurückgekehrt, trotz alledem, was Sie das Gegen¬ theil zu glauben berechtigt.

Ich ſetze voraus, ſagte Walter und reichte ihm die Hand, daß Sie nach dem, was zwiſchen uns darüber verhandelt iſt, in mir keine perſönliche Ran¬ cune mehr vermuthen. Sie wäre jetzt ein Ver¬ brechen.

Der Rath drückte die gebotene Hand. Ich bin keinen Augenblick in Zweifel über Ihre Intentionen, und eben darum thun Sie mir leid. Sie werden das Meer der Täuſchungen von vorn an ausſchlür¬ fen. Zugeben will ich Ihnen übrigens, daß jener Umſtand vielleicht der äußere Anlaß war, aber der Ent¬ ſchluß datirt von länger. Der Gedanke, daß Seine Ex¬ cellenz von jetzt ab meine Arbeiten mit einer Reſerve von Mißtrauen controlliren dürfte, änderte meine bisherige Stellung zu ihm; indeſſen, wertheſter Freund, was ſind Stellungen, wo Alles Schattenbilder ſind in einer Laterna magica, wir Alle Tropfen in einem Meer Sie einer, Bovillard, der Freiherr ſelbſt, Alle, Alle, die das Beſſere wollen.

Wer ſich verloren giebt, iſt verloren, entgegnete Walter. Wir ſind künſtlich iſolirt, ja, umgürtet von Gräben, Waſſer, Sandwällen, und unſer Feuer droh in ſich ſelbſt ſich zu verzehren. Das iſt Ihre, das iſt Vieler Anſicht. Aber wer berechnet die Macht des Feuers, wo ringsum trockene Stoffe lagern! Mag einmal entzündet, es nicht zu einer8 Lohe aufſchlagen, die über Deutſchland ſich ergießt. Mag ſie nicht Europa in Flammen ſetzen!

Und was dann! Ich redete nicht davon. Der Krieg liegt ein ſo wüſtes, troſtloſes, verworrenes Bild vor mir wie der Friede. Ihr wollt das Volk wecken, einen Nationalkrieg entzünden die Idee liegt doch dunkel im Hintergrunde?

Und Sie theilten ſie nicht?

Ich habe ſie getheilt aber das iſt vorüber. Einen Sturm wollen Sie los laſſen, und was weht er auf? Staub. Mehr nicht. Das Ferme[n]t, was Kreuzzüge möglich machte, iſt ausgegangen. Auch die franzöſiſche Revolution könnte ſich nicht wiederholen. Ja, trockene Stoffe liegen die Hülle und Fülle um uns her, aber es iſt Schlacke, Aſche. Sie müßten es doch erfahren haben, lieber Aſten. Was hat Ihre äſthetiſche Schule gewirkt? Es ward Vielen, die noch warmes Blut haben, etwas heißer zu Muthe als gewöhnlich. Sie hatten Viſionen, phantaſirten, aber über die reale Welt hinaus. Und nun wo iſt's in die Nation eingedrungen, wo in's Herzblut, wo iſt neues großes Geſchaffenes, das weiter zündet und weckt? Die Völker ſind ein farbloſes Decoct ge¬ worden, eine träge, weiche, ſchwammige Maſſe, der der überſprudelnde Enthuſiasmus, die Exceſſe der Furcht und Dummheit, die elaſtiſche Kra[f]t ordentlich chemiſch abgezapft haben. Wo iſt etwas Ureigenes, Schaffendes zurückgeblieben von den Säulen des Her¬ kules bis zur Mongolei? Dies todte, willenloſe Re¬9 ſiduum ehemaliger Kraft, nur dann und wann auf¬ ſprudelnd in einer Fuſelbegeiſterung, nimmt jeden Eindruck an, die Farbe, den Stempel jedes Siegers. Jetzt iſt's der Corſe, der ihn ihr aufdrückt. An ſeine Weltherrſchaft glaube ich nicht, auch er wird fallen, aber noch nicht. Das Ungeheuer bläſt noch mit vollem Athem. Was nun das Volk vorher electriſiren, ſeine Kraft vom Wirbel bis zur Zeh nervös aufregen, um es in ſeinen feuerſchnaubenden Rachen zu treiben! Wenn es Krieg ſein muß, warum nicht das alte vertrocknete, knarrende Geſtell ihm entgegen halten! Kracht und bricht es, ſo zerſchmettert er nur, was ohnedem ver¬ loren gehen muß.

Und an dieſem Geſtell, mein Herr, ſtanden noch vorgeſtern Einige bewundernd!

Zwiſchen vorgeſtern und heut liegt geſtern, und von geſtern zu heut iſt eine Kluft. Auch die Le¬ bendigen reiten heute ſchnell.

Drei Fürſten haben dieſen Bau aufgerichtet, größere kannte ihre Zeit nicht, und ein treues Volk hat mehr als hundert Jahre in unſäglicher Auf¬ opferung, in rührendem und felſenfeſtem Vertrauen mit¬ gearbeitet. Wäre das Werk ſchon ſo ganz morſch, ſo vom Boden gelöſt, ſo die Fundamente verfault!

Der Rath ſenkte ſchweigend den Kopf.

Und wenn dem ſo iſt, ſo laßt es fallen, fuhr Walter auf. Der Grund und Boden iſt noch da, auf dem es ſtand, das Holz, aus dem es gezimmert, das Eiſen, das ihm Klammern und Nägel gab. Die10 Arme ſind noch kräftig, die Fäuſte markig, die Schul¬ terſehnen zäh und dauerhaltig. Es iſt ein dauer¬ haltiges Geſchlecht, auf deſſen Schultern ſich die Hohenzollern zu Kriegsfürſten erhoben, und noch ver¬ ſpüren wir nichts davon, daß die Träger der Laſt überdrüſſig wurden. War der Geist des großen Kö¬ nigs nur das Product einer Zeit, die nicht mehr iſt ſo muß ein anderer Geiſt ſich erheben. Und hören Sie nicht den Geiſt? Brauſt er nicht daher wie das Wehen der Luft, das dem Gewitter voraufgeht! Es kommt eben nur darauf an, ihm die Richtung zu ge¬ ben, daß er nicht ſpielend vorüber fährt, daß er in's Mark dringt.

Und das iſt ein Prozeß, nicht ſchwerer und nicht leichter, als die Quadratur des Cirkels finden.

Weil ihn noch Niemand verſucht.

Vergeſſen Sie doch nicht die Zöpfe, und vor den Zöpfen waren Perrücken, und der Puderſtaub, den ſie ausgeſtreut, liegt dem Volke auf der Lunge. Sie glauben es zu kennen, weil ſie es an ſchönen Sommerabenden bei der Promenade vor ſeinen Thüren tanzen ſahen. Lernen Sie es kennen, wie ich, durch die Adminiſtrationsacten. Steigen Sie mit dem Acciſe-Reviſator, mit dem Steuer-Reviſor in's Heilig¬ thum ihrer Häuslichkeit, und ſehen unter der dicken Schaale hausbackener Ehrlichkeit die verſeſſene Dumm¬ heit, den Troß und die ſpeculirende Pfiffigkeit. Ge¬ lingt es ihnen, da ins Mark hinein die patriotiſchen Gefühle zu ſchauern, dann erkläre ich Sie für einen11 Zauberer. Der Corporalſtock, mein Freund, iſt der Zauberſtock, der aus den Bauerlümmeln adrette Sol¬ daten macht. Sie können nicht dafür, ſie wiſſen's nicht anders. Und weil es etwas beſſer bei uns war als draußen, halten ſie es für das Vollkommenſte. Der Schuh drückt auch ſie, aber ſie gehen von dem alten Leiſten nicht ab. Väter und Großväter ließen ja danach arbeiten und ſie haben auch gelebt. In dies dumpfe Dämmerleben wirft die alte Glorie einen etwas poetiſchen Schein. Item ſie ſind zufrieden, ſie hoffen, daß es ſo bleibt, ſie geben ihre Söhne her es zu vertheidigen, weil es ſo hergebracht iſt, weil ſie müſſen, ſie ſtehen auch vielleicht ſelbſt auf, wenn es ihnen befohlen wird. Sie werden Vivat ſchreien und ſich nach Schuldigkeit ſchlagen. Das iſt aber auch Alles. Mehr fordern Sie nicht. Sie werden ſich über die Geſichter wundern, wenn die Herren mit ihren Reorganiſationsprojecten hervortreten. Ich rede gar nicht von den Berechtigten, die Zeter ſchreien müſſen, weil es ihnen in's Fleiſch ſchneidet, auch der große vernünftige Pöbel, der dabei profitirt! Ach, wie mächtig iſt die träge Gewohnheit. Wie werden ſie die Köpfe zuſammenſtecken: Es ging doch ſonſt! Es iſt doch immer ſo gegangen! Warum ſoll es denn nun mit einem Mal anders werden. Man weiß, was man hat, man weiß aber nicht, was man kriegt. Wir ſind nun mal von ſinnender Natur und unſre ſinnenden und träumenden Speculationen ſchön wie der Regenbogen, aber fußen ſo wenig als er auf der12 realen Erde. Da hören Sie nur, wie man ſchon in Entſetzen über Ihre Treſorſcheine die Köpfe ſchüttelt. Papiergeld iſt etwas noch nicht Dageweſenes. Da¬ mit iſt für ſie der ganze Credit des Staates erſchüttert. Das ſteht freilich da nicht in Ihrem ſchönen Programm.

Als der Rath eine Bewegung machte nach dem Papier, was auf dem Schreibtiſch lag, hatte Walter ſchnell den Bogen umgedeckt. Er hatte vorhin ſtill die Miene verzogen, als Fuchſius von den Arbeiten geſprochen, welche der Miniſter ihm aufgelaſtet, denn es war eine andre Arbeit, mit der er beſchäftigt war, und er mußte Gründe haben, weshalb der Rath ſie nicht ſehen ſollte. Fuchſius ſtand auf, Walter aber ging einige Schritte auf und ab, indem er ihn doch mit einer Bewegung zum Bleiben einlud. Das Lä¬ cheln auf des Rathes Lippen mochte der Betrachtung gelten, wie bald Jemand im Amte die Miene ändert. Es war allerdings nicht mehr der ſinnende Gelehrte, der an die Dinge außer ſeinem Ideenkreiſe nur vor¬ ſichtig taſtet, ein anderes Gefühl ſprach ſich in einem andern Weſen, einer andern Haltung, aus, als er jetzt ſtehen blieb:

Sie erkennen die Kriſis. Sie wiſſen wie wir, daß die Verſäumniß damals uns jetzt eine Noth¬ wendigkeit aufdringt. Wir handeln nicht mehr frei, wir müſſen handeln, wenn wir nicht wie ehrloſe Feiglinge uns in den Staub werfen, den Sieger bitten wollen, tritt uns auf den Nacken, wir haben's verdient. Fordern Sie das? Selbſt unter dieſen13 blaſirten, verlüderten, albernen Menſchen geht ein ſtiller Schauer des Entſetzens. Sie ahnen, was ſie ihrer Geſchichte, den Namen ihrer Väter und ihrer Fürſten im Grabe ſchuldig ſind. Und wenn es ſo iſt, kein Preuße iſt, den es nicht durchzückt: jetzt muß es ſein! wenn es ſich um Sein und Nichtſein handelt, ſollen wir losſchlagen mit einem gebundenen Arm, wo ein Schnitt den andern frei macht! Iſt das preußiſch gehandelt, im Sinn des großen Kur¬ fürſten, der vom Rheine flog mit einer Handvoll Männer und die Schweden ſchlug gegen alle Regeln der alten Taktik! Oder im Sinne Friedrichs, der ſchöpfte, wo Keiner vor ihm Quellen ſah! Wäre denn damit Alles erſchöpft? Sie haben nur ihren Nach¬ folgern den Weg gezeigt, wie der Geiſt immer neue finden muß, wenn die Natur ſich verſchließt. Er¬ lahmt ſind die Völker, aber ſind ſie ſchon entnervte, kraftloſe Greiſe? Unſeres nicht. Wer hat es denn auf die Probe geſtellt? Ja, es taumelt noch in einem großen Traumdaſein, von einer Glorie geblendet, die nicht in ſein Mark drang. Kennen wir dies Mark, wiſſen Sie, welches Gewicht es ſchwingt, wenn wir dem Blute freie Strömung geben! Die Maſſen, ja, ſie ſind träg, verdroſſen, nachhinkend. Ein Thor oder ein Verbrecher, wer den Funken hineinſchleu¬ dert und brennen läßt, wie es kommt. Nein, er muß als Wächter dabei ſtehen. Sie taumeln zuerſt denen nach, die ſie führen; dann lernen ſie ſchreiten, ihnen folgen. Endlich gehen ſie auch wohl eine Strecke14 vorwärts ohne Führer. So iſt's in der Welt ſeit ihrem Beginn. Aus den ſchlechteſten Soldaten, aus den Neapolitanern, hat Bonaparte feuerfeſte Krieger gemacht. Und der gute, feſte, grobkörnige Teig, der uns vorliegt, ihn ſollen wir nicht zu formen verſu¬ chen, wenn Gott uns Männer ſchickt, die Einſicht haben! Wenn wir Stahl und Feuerſtein haben, ſollen wir nicht Funken ſchlagen; wenn wir ein Volk haben, das ſein Vaterland liebt, ſollen wir es nicht aufrufen, nicht electriſiren, ſein Alles einzuſetzen, wo es ſein Alles gilt.

Der Rath ſeufzte mit einem wehmüthigen Blick auf den Redner, während er doch mit wachſender Theilnahme ſeiner Rede zugehört zu haben ſchien. Leben Sie wohl, van Aſten, ſprach er, ihm die Hand reichend. Ich weiß auch, wie glücklich Illuſionen machen.

Und Sie halten es für Unrecht, mich zu wecken; wer nie geträumt hat, nicht träumen kann, dem geb ich kein Recht dazu. Aber von Ihnen fordere ich es als Pflicht. Fürchten Sie nicht, daß ich wie der Nachtwandler vom Dache ſtürze.

Männer fordern Sie, Männer von Einſicht. Und Sie glauben, der Rechte iſt da. Sind Männer der Einſicht auch Männer der That? Einſicht hatten Viele. Was halfen ſie, wenn ſie die Achſeln zückten, weil ſie ſich zu ſchwach fühlten. Aber dieſer, den Sie meinen, und die Wenigen mit ihm, die ihn verſtehen, fühlt den Beruf! Das iſt Ihre Antwort. Er fühlt15 ſich auch ſtark, in's Rad zu greifen, mit eiſernen Beſen, Karſten, Schaufeln will er den Schlamm auskehren, und aus den Gebirgen Waldbäche in die verſchlammten Kanäle leiten. Zugegeben dieſe Her¬ kuleskraft; iſt, wo des Feindes Hammer ſchon am Außenthore kracht, Zeit dazu die Garniſon neu zu organiſiren?

Die Noth lehrt nicht allein beten, ſie lehrt uns auch die Zeit ergreifen. Wenn ſie zehn, zwanzig Jahre vergeudet, um ſo ſchwerer wiegt, um ſo koſtbarer iſt der Augenblick, und der ein Verſchwender, ein Ver¬ räther, der ihn ungenutzt verſtreichen läßt. Sie ken¬ nen den erſten Sturm, den er gewagt. Er blitzte ab, werden Sie entgegnen. Aber er ward nicht abgeſchla¬ gen. Als der König das Memorial zurückgab, nahm man uns da etwa die Waffen? Gab man ihm die Entlaſſung? Er ward nur ungnädig aufgenommen, weil ſie der Gedanke aus der bequemen Ruhe ſtörte. Der Gedanke ward ſeitdem ſtärker, die Bundesgenoſſen wuchſen, und aus der Ruhe haben Andere den Mo¬ narchen geriſſen. Es iſt eine Zeit der Unruhe, und er muß deſſen Hand faſſen, der den Boden unter ihm feſt macht.

So will er es wirklich noch einmal wagen! Ich ſage Ihnen, die Kabinetsräthe ſprengt er nicht. Er ſpringt eher ſelbſt.

Gefahr kommt nicht in Anſchlag, wo es nur einen Weg giebt. Sie ſchätzen die Menſchen ab nach den langen Jahren der Schlaffheit; warum16 müſſen ſie dieſelben bleiben, wenn der Sturm ſie packt! Verjüngt ſich denn nicht die Natur; wenn Aecker durch lange Jahre brach lagen, iſt ihre Trag¬ kraft dann nicht eine neue? Wenn die Stadt brennt, Ueberſchwemmung die Deiche gebrochen hat, entwickelt ſich nicht eine Kraft, eine Energie, die man nie er¬ wartet hatte! Haben wir nicht Beiſpiele, daß die Muthloſeſten in's Feuer ſtürzen, über glühende Bal¬ ken klettern, um ihre Theuren zu retten. Ja, der Rettungsmuth wird zum Fieber, ſie ſtürzen um Gleich¬ gültige in die Flammen. Das trauen Sie einem Volke nicht mehr zu, wenn es das Vaterland gilt! Aber nein, wir ſind einig. Das Volk iſt eine Maſſe, die Färbung und Form, Thätigkeit und Trieb nur von den Wenigen empfängt, die ſich ihm geweiht ha¬ ben. Sie wie ich verachten das Geſindel, das ſo lange die Brut des Adlers in Käfigen fütterte, ihr die Flügel verſchnitt, wenn ſie aufflatterte, ſie ſtrei¬ chelte: überhebe dich nicht, der Weg zur Sonne iſt zu weit für dich. Dieſe ſtoßen wir fort. Ihr Mi߬ trauen jetzt trifft die Wenigen, die es wagen. Nein, Herr von Fuchſius, es trifft weiter. Ihr Mißtrauen ſpritzt ſein Gift über die Natur hinaus, die wir ſehen, in die Natur, die wir nur ahnen. In ihr herrſcht ein ewiges Maaß, das der mächtigſte Frevler nicht über¬ ſchreitet. Das Glück wie das Verbrechen hat ſein Ziel; ſo die Schmach, das Elend. Es muß eine Erhebung, eine Erlöſung geben für ein gedrücktes Volk, wenn es eine ſittliche Weltordnung giebt.

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Und wie viele Völker gingen unter, um nie wieder aufzuſtehen.

Iſt Deutſchland ſchon Byzanz! Iſt's Preußen? Im Volke unten ſind noch Erzſtufen, die im rechten Schmelzofen ein Glockenmetall geben. Die zu ſuchen iſt unſere heilige Pflicht; und daß ſchlechte Verwalter dies ergiebige Bergwerk unverantwortlich verwüſtet, doppelte Aufgabe für uns, das Verſäumte nachzu¬ holen.

Der Regierungsrath ſaß in Gedanken verſunken, den Kopf im Arm:

Iſt denn eine ſittliche Weltordnung! Dieſe Geſchichte, die das Weltgericht ſein ſoll, was iſt ſie denn, wenn wir ſie mikroskopiſch betrachten! In ihren großen Phaſen ein wohl aufgezogenes Uhrwerk, aber wir zu klein für dieſe Meſſungen, Infuſorien, Schaum¬ theile, die die Woge über das ungeheure Rad gießt. Auf die das Loos fiel, geboren zu werden, während das Waſſer ſtieg, ſchwärmen im Morgenrothsgefühl der Titanen; die aber geboren wurden, um zu ſter¬ ben, wenn es überſchlägt, wurden Thränodiſten oder Stoiker. Da liegt der Kern.

Walter entgegnete: Wen die Geburt an großen Scheideſtunden auf die Welt geſetzt, ſei geboren, auch groß zu fühlen.

O geben Sie mir wieder die Götterfunken, die Fichte, Schiller uns in's Blut hauchten! Nur muß man nicht Specialgeſchichte ſtudiren, nicht Akten leſen. Da ſinkt Ihre ideale Gerechtigkeit in's Reich der weſen¬V. 218loſen Schatten! Ja, mein Freund, die furchtbare Nemeſis iſt da, die auf ihrer Mühle alles Geſchaffene wieder zermalmt, und Maaß für Maaß übt, aber bilden Sie ſich nicht ein, daß es Einem der Geſchädigten zu Gut kommt. Bonaparte's Arm zerdrückt das Re¬ giment jener kleinen Gewaltigen, die Ludwigs Wol¬ ken-Perrücke auf den hohlen Schädel drückten, und auch ausrufend l'état c'est moi! die Majeſtät des deutſchen Königthums verhöhnten, mit ihren Mai¬ treffen das Mark des Landes verpraßten, und ſeine Söhne geknebelt nach Amerika verkauften. Der Gott der Gerechtigkeit hat die blutigen Thränen, die Schmerzenslieder der gefangenen Sänger erhört; aber die Rache trifft die Kinder der Schuldigen. Ruft ſie die in's Leben, deren Gebeine im heißen Afrika blei¬ chen? Und unter den Lebendigen! Die Gewaltigen ziehen aus mit ihren Geldſäcken, die Kinder der Maitreſſen, vom Mark des Landes gefüttert, ſind große, reiche Herren geworden, und die Unterthanen, das Volk bekommt Einer nur einen Heller wieder? Nein, es muß von Neuem ſteuern und ſteuern, um die Nemeſis zu bezahlen und die neuen Gewaltigen groß und reich zu machen. Seine Marſchälle, Brü¬ der, werden Fürſten, Könige; wir bleiben, was wir waren, die Maſſe, aus der man den Saft preßt. Auch dieſe neuen, ja auch ſie wird die Nemeſis er¬ eilen, auch Bonaparte wird über's Rad geſchleudert werden, aber erſt, wenn wir längſt modern, und was unſre Kinder vom Raube zurückerhalten werden, 19 nun, das kümmert Sie und mich nicht. Wir haben ja keine Kinder.

Aber einen Glauben habe ich, entgegnete Wal¬ ter, daß in dieſer Fäulniß noch geſunde Stämme ſind. Grade aus dieſem abgeſtorbenen Elend im Reiche erheben ſich die Größen unſeres nächſten Vater¬ landes.

Was iſt Größe! Sie werden nun in un¬ ſern Archiven blättern. Ach, wenn Sie in den Correſpondenzen, den wenigen Zeugniſſen der Zeit¬ genoſſen leſen, die man klugerweiſe daſelbſt vor der Fackel der Geſchichte bewahrte, ach, Sie werden ſo viel Perrücken und Schlafröcke ſehen, daß Ihnen die großen Männer darüber verſchwinden. Wie viele Wunder, wie vieler Heroismus, wie viel Unbegreif¬ liches wird Ihnen ſehr begreiflich und ordinair er¬ ſcheinen. Die Glas Waſſer, die umgeſtoßenen Cho¬ colatentaſſen, Liebſter, ſind es nicht allein, die über Königreiche, Dynaſtieen und Völkerglück entſchieden haben, der ewige Faden der Gemeinheiten und Nie¬ derträchtigkeiten zieht ſich durch die Weltgeſchichte. Mückenſtiche, eine ſchlafloſe Nacht, eine ſchlechte Ver¬ dauung, haben auch über die Impulſe derer entſchie¬ den, die auf der Menſchheit Höhen wandelten; ſo we¬ nigſtens admiriren wir ſie. Wie mögen ſie in jenen Regionen über uns lächeln! Wo unſrer Fäulniß Sitz iſt, darüber ſind unſere Freunde einig. Aber worauf brüſten wir uns noch, und wenn wir die Theile unter das Mikroskop bringen, auch da2 *20ſchillernde Verweſung! Wie ſtolz ſind wir auf unſre unpartheiiſche Juſtiz, und der pfiffige Müller Arnold kochte noch vergnügt ſeine Klöße von dem abgeſtriche¬ nen Mehl, als die Präſidenten ſchon vor den Recom¬ mandationen der Lichtenau ſich bückten, und zitterten, wenn Einer, den ſie abgewieſen, an ſie appellirte. Für welches Wunderwerk galt Friedrichs Controlle, ſein großes Auge ſah ja Alles, es zählte die Gro¬ ſchen; ſchlagen Sie aber die großen Baurechnungen nach, und ſehen, wie grob er doch betrogen ward! Unſre ſtolzen Großen am Hofe, wie viele danken ihre Grafentitel, nicht dem Könige, dem Kammerdiener Rietz! Wie manche ihre Titel, Güter, Orden, der Laune des Augenblicks, einem ſchönen Frauenblick! Wie kamen wir denn zu Haugwitz, wie zu , zu , zu Ward ihr Werth auf der Staatswage abgewogen?

Wie kamen wir zu dem, den Sie und ich gleich verehren, ein geharniſchter Geiſt, der durch dieſe Mi¬ ſere ſchreitet?

Und wie Hamlets geharniſchter Vater in die Verſenkung fallen wird. Und das, ehe Hamlet Muth bekommt. Der Freiherr wird ſich nicht, ich ſage es Ihnen, er kann ſich nicht halten. So lange er ſeine Pfeile nicht losſchoß, fürchtete, darum ſchonte man ihn. Wenn er den Köcher entleert hat, wird man ihm ein Bein ſtellen. Er wird zu ſchroff drauf los¬ gehen, und unvermerkt ſitzt er in der Schlinge. Da wird er haspeln, poltern, um ſich ſchlagen, das De¬21 corum verletzen, die Fäden des Gewebes ſind aber zu weit geſponnen, es umſtrickt ihn. Er drückt, wie einer jener coloſſalen Granitblöcke, die aus einer Sündfluth auf unſrer Ebene zurückblieben, den Sand nieder, aber der Sand erhebt ſich nicht zu ihm, und er befruchtet ihn nicht. Man klopft und zerſprengt dieſe Steine. Unſer Sand bleibt Sand. Und end¬ lich er iſt ein feuerſprudelnder Rieſe, aber warum läßt er Bovillard oben ſeine ſturmſchnauben¬ den Reformationsaufſätze niederſchreiben, und Sie be¬ ſchäftigt er wie einen Rechenknecht? Weil Sie bürgerlich ſind, theuerſter van Aſten; wenn er Bo¬ villard unter den Arm faßt, mit ihm auf und ab geht, ſind es immer Staatsgeſchäfte, von denen ſein Auge leuchtet, was die Lippe ſo angenehm bewegt? Ihn intereſſirt ebenſo der reine celtiſche Urſprung der Familie Bovillard, die neue Fabel, mit der Bovil¬ lards Vater die Cirkel amüſirt, vom Haus oder Gau oder Clan Ceriſé oder Ceriſon, wobei ich gar nicht in Abrede ſtellen will, daß ein in der Descen¬ denz ſo heruntergekommener Adel gut thut, ſeine Ascendenz bis zu den Cimbern hinaufzuführen und ſeine Schläfe mit Druidenkränzen zu umwinden. Ein großer Mann muß ſich auch amüſiren, und neben der Nothwendigkeit für Andre muß Jeder auch für ſich leben.

Und wofür leben Sie jetzt?

Für die Verbrecherwelt. Die Wahrheit, die ich in der Pſychologie des Staates nicht fand, ſuche22 ich in der der Gefängniſſe. Es iſt eigentlich derſelbe Stempel, nur urſprünglicher, friſcher. Das Schillerſche Weltgericht finde ich hier viel conciſer, concreter. Die Kreiſe eines Verbrechers, klein fangen ſie an, um raſch größer zu werden, bis er noch ſchneller ſeine Kataſtrophe erreicht; dann verengen ſie ſich wieder, immer raſcher, bis ſie zur Schlinge werden. Dort ſehen wir nur Stückwerk, hier Totalitäten.

Aber nichts, was das Gefühl erhebt.

Wie aus dem unſcheinbaren Keim eine ganze Verbrecherlaufbahn entſpringt, wie die erſte Unter¬ laſſungsſünde, die Scham darüber, das Streben, es zu verbergen, eben ſo oft, als der Kitzel der Luſt das Individuum weiter treibt, gäbe das keine An¬ ſchauungen, Belehrung, ja Erhebung? Da! in der großen Geſchichte vertuſcht man es, wie aus dem Kleinen das Ungeheure ſich ballt, hier iſt kein Grund dazu, die Diplomaten und Hiſtoriker fehlen, die das Schlechte ſchön malen, dem Albernen einen tiefen Sinn unterlegen. Die Natur giebt ſich, wie ſie iſt, und verſucht's ein Verbrecher, durch Lügen ſich einen beſſern Schein zu geben, ſo braucht man ihn nur fortlügen zu laſſen, er verſtrickt ſich mit jedem Worte tiefer, unlösbarer, und die Wahrheit fällt wie der reife Apfel vom Baume. Und wenn mitten aus der Verworfenheit ein ſchöner menſchlicher Zug, wie ein Licht aus beſſern Welten, vorſchießt, da kann dem Criminaliſten eine Thräne in's Auge treten, und er kann den Verbrecher lieben, den er verdammen muß. 23Ja, Theuerſter, der Sprung aus der Politik in die Criminaliſtik iſt für mich zur Rettung geworden aus einer Welt der Verweſung, über der der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotiſch daliegt, unſchön, meinethalben ekelhaft, aber es iſt die grelle Naturwahrheit, die der Menſch beſſern, veredeln ſollte, gewiß, es war ſeine Aufgabe, aber er hat ſie verpfuſcht. Jetzt begreife ich die Völ¬ kerwanderung. Die Barbaren, welche die römiſche Culturwelt mit ihren Keulen niederſchlugen, waren nicht etwa rohe Engel aus dem Paradieſe, auch unter ihnen graſſirten Laſter, Blutſünde und Gräuel aller Art, aber ſie waren der friſche Abdruck des giganti¬ ſchen Menſchengeſchlechts.

Den finden Sie doch nicht unter Ihren Ver¬ brechern in den Voigteien? Ich konnte ſie immer nur als den Abdruck unſrer Sittenverderbniß betrachten.

Nun, ſo ſtudire ich in ihnen das Schattenſpiel unſer ſelbſt.

Aber wo unter hundert Fällen neun und neun¬ zig nur die Verwechſelung des Mein und Dein zum Gegenſtand haben.

Fuchſius ſah ihn lächelnd an: Iſt das nicht die große Frage, die Alles regiert! Nur daß die Groben für Andre, die Feinen für ſich einen Mantel darüber hängen. Von meinen Verbrechern wollen die Wenigſten ſich ſelbſt täuſchen, es iſt daher viel leichter, die Bemäntelung abzureißen und der Sache auf den Grund zu kommen. Uebrigens verſichere ich24 Sie, daß ich die intereſſanteſten Studien vorhabe. Wir ſtimmen darin, wenn Sie in Verbrecherwelt nur einen andern Abklatſch der höhern Stände er¬ blicken. So zergliedere, arrangire ich ſie mir; ich finde die Erklärung für Vieles, was oben im Licht geſchieht, in meinem Schattenreich. Ich dringe in manchen intricaten Dingen bis in die Familien, auch in recht angeſehene, und finde immer den Abdruck deſſelben Stempels. Die Zerlaſſenheit, das laxe We¬ ſen, die Maximen, Principien dringen von oben nach unten durch wie eine ätzende Säure. Hier verſchenkt man freilich nicht Staatsgüter, die Hunderttauſende werth ſind, zur Erinnerung für gute Compagnieſchaft bei einer Orgie, noch ſchwarze Adlerorden an Roués für eine Galanterie, man giebt am Sterbebette eines Monarchen keinen Judaskuß ſeiner Maitreſſe um eine letzte Gnadenbezeugung und um ſie deſto ſicherer zu machen, damit, wenn er die Augen geſchloſſen, man ſie auf die Wache ſchickt. Noch trifft man auf vornehme Damen, die, wenn die Sünde ſie verläßt, doch von der Sünde nicht laſſen können, und unbeſcholtene Töchter guter Familien in ihre Zauberkreiſe verlocken, nicht aus Eigennutz, rein aus Vergnügen, und noch we¬ niger verſtehen meine Schelme, Betrüger, Galgenvögel, darüber den Schleier von Philoſophie und Humani¬ tät zu breiten, aber Sie werden vielleicht nächſtens Dinge ſehen, die Sie nicht erwarten, und die Geſellſchaft wird die Augen aufreißen. Leben Sie wohl Excel¬ lenz verkehrt mir zu lange mit Herrn von Bovillard.

25

Sie ſcheinen wichtigen Entdeckungen auf der Spur.

Fuchſius nickte.

Dann müßten Sie eilen. Mich dünkt, das große Ungeheuer Krieg verſchlingt die kleinen.

Falſch geſchloſſen, Herr van Aſten. Die Cri¬ minaliſtik hat die Beſtändigkeit vor der Politik voraus. Wer auch ſiegt, das Jagdrecht der Juſtiz und Polizei auf die gemeinen Verbrecher bleibt unangetaſtet. Spitzbuben, Räuber und Giftmiſcher liefern die Krieg¬ führenden ſich mit gegenſeitiger Courtoiſie aus, und der Strick iſt der ſicherſte Orden für den, der eine Expectanz darauf erwarb.

Der Rath ſchien doch noch etwas ſagen zu wol¬ len, als er den Thürgriff langſam aufdrückte, Walter kam ihm zu Hülfe. Wenn er aus ſeiner Wiſſenſchaft ihm etwas mittheilen könne, möge er commandiren; er glaube nicht zu verſichern nöthig zu haben, daß er auf ſeine volle Verſchwiegenheit rechnen könne.

Fand in letzter Zeit eine Communication zwiſchen dem Miniſter und dem Legationsrath Wandel ſtatt?

Ich glaube, es poſitiv verneinen zu können.

Der Rath ſchien zufrieden: Sie ſelbſt kamen nie mit ihm in nähere Berührung?

In keine andere, als welche die geſellſchaft¬ lichen Beziehungen im Hauſe der Geheimräthin Lu¬ pinus mit ſich brachten.

Mit der ſchien er in Relationen zu ſtehen

Welche das Geklätſch zu andern machte, als26 ſie vielleicht waren. Sprach man doch auch, daß die Geheimräthin ſich ſcheiden laſſen und ihn heirathen wolle. Da, ſo viel mir bekannt, ihre Verbindung ſeit dem Tode des Geheimraths ſich gelöſt hat, ſo war auch das gewiß ein falſches Gerücht.

Um ſo mehr, als jetzt verlautet, daß Herr von Wandel auf Freiersfüßen bei der reichen Braunbiegler aus und ein geht.

In der That?

Der Rath faßte freundlich Walters Hand und mit demſelben Tone ſagte er: Herr van Aſten, ver¬ zeihen Sie die Indiscretion, an der Börſe meint man, daß Ihres Herrn Vaters Angelegenheiten ſchlimm ſtehen. Er hat ſich in einer Speculation verrechnet

Und wird hoffentlich, wenn ſie fehlſchlägt, der Mann ſein, der ſeinen ehrlichen Namen mit dem Letzten, was er beſitzt, löſt.

Daran zweifle ich nicht, und wünſche ihm, daß er ohne dieſes Opfer ſich aus der Klemme zieht. Aber er ſteht in Geſchäftsverkehr mit Wandel, er hat Wechſel von ihm, er hat Mittel gefunden, während man glaubte, daß Wandel auf Prolongation dringen werde, ihn zu beſtimmen, daß er dieſe Wechſel in andere auf kürzere Sicht umſchrieb. Schon das iſt merkwürdig. Noch auffälliger, daß, während man Urſach hatte, an des Legationsraths Verlegenheit zu glauben, dieſer aus Mitteln, die man nicht kennt, Ihren Vater prompt befriedigt hat.

27

Man dürfte doch auch bei den Gerichten wiſſen, was in der Stadt ein lautes Geheimniß iſt, daß Herr von Wandel mit diplomatiſchen Ambaſſaden in vertrauten Relationen ſteht.

Pah! ſagte der Rath. Spione hier werden nicht mehr theuer bezahlt, ſeit man die Geheimniſſe wohlfeiler hat. So viel haben wir heraus, was ſeine politiſchen Myſterien anlangt, iſt er ein Wind¬ beutel, nur mit der Ruſſin ſteht er noch in einer Ver¬ bindung. Sie iſt keine Verſchwenderin und bezahlt ihn mit der Münze, die er bringt. Mit Verſprechun¬ gen löſt man aber nicht Wechſel von zehn und zwan¬ zig Tauſend Thalern. Ich will, mein theuerſter Herr, nicht hoffen, daß Ihr Vater ſich näher mit ihm einließ.

Sie erſchrecken mich

Wenn Sie für Ihren Vater einſtehen, gewiß ohne Grund. Aber warnen Sie ihn, ſoweit ein Sohn es darf, der zugleich ſeine Pflichten kennt gegen den Staat und die Gerechtigkeit. Er zog Walter an ſich, und die Hand am Munde, ſprach er ihm in's Ohr: Ich habe den dringendſten Verdacht, daß dieſer Herr von Wandel

In dem Augenblicke hörte man ſtarke Fußtritte auf der Treppe.

Der Miniſter!

Und ſehr ungnädig, ſagte Fuchſius, die Thür öffnend. Die Audienz iſt ungünſtig ausgefallen. Schade, daß Bovillard nicht Ihr Rival iſt, er wird28 unfreundlich entlaſſen, und ich habe nicht Luſt, den Zornerguß Seiner Excellenz auf mich zu laden. Von dem Bewußten ein ander Mal. Bis dahin Ver¬ ſchwiegenheit!

Der Rath war durch das Audienzzimmer nach der andern Ausgangsthür geeilt, ehe der Miniſter in jenes eingetreten war.

[29]

Zweites Kapitel. Ein treuer Diener ſeines Herrn.

Der Miniſter war aufgeregt. Auf und ab ge¬ hend ließ er ſeinen Getreuen über den Grund nicht lange im Unklaren. Ihm war es darum zu thun, dem jungen Bovillard eine officielle Stellung zu ge¬ ben, die ihm einen Zutritt bei Hofe verſchaffe. Bis geſtern hatte man ihm Hoffnung gemacht, heut war Bovillard durch Vertraute inſinuirt worden, daß er, um der Perſon des Miniſters einen abſchläglichen Beſcheid zu erſparen, lieber freiwillig zurückſtehen möchte.

Excellenz Feinde alſo auch da geſchäftig!

Diesmal ſind ſie unſchuldig.

Hätte mein Freund ſelbſt eine Unbeſonnenheit

Ein Freilich! wer denn ſonſt! ſprudelte von den Lippen, und verbot dem Secretair fortzufahren.

Warum hat er nicht wie ein Karthäuſer gelebt, warum hat er tolle Streiche gemacht, warum hat er im Parterre den Regenſchirm aufgeſpannt, als die30 Thränen um den Jammer der Eulalia aus den Lo¬ gen floſſen.

Alſo der Zorn war Ironie. Walter ließ eine Bemerkung fallen, daß für Jugendſünden die Zeit das beſte Heilmittel ſei. Der Freiherr war noch nicht in der verſöhnlichen Laune. Jede Sünde rächt ſich, rief er und ſchien ſeine Schritte zu verdoppeln, aber die Gedanken waren weit darüber fortgeflogen.

Warum hat er nicht Komödie geſpielt wie die Andern. Warum ſich nicht mit Tugend und Anſtand geſchminkt! War das ſo ſchwer! Brauchte nur ſei¬ nen trefflichen Vater zu imitiren.

Geheimrath Bovillard iſt mir in der That un¬ begreiflich. Wiegt ihm die Gunſt, die Euer Excellenz ſeinem Sohne ſchenken, das Glück deſſelben auf! Ihm wäre es doch ein Leichtes, Haugwitz und die Andern umzuſtimmen.

Was kümmern mich die! Die Königin will ihn nicht.

Die Königin! Sie iſt doch ſonſt nicht ſo ſtreng in ihrem Umgang.

Wenn ſie's wäre! Freilich, ſie müßte drei Viertel des Hofes fortjagen. Nun hat ſie ſich auf dieſen geſetzt. Man hat ihn ihr als den Ausbund von frecher Sittenloſigkeit geſchildert. Sie betrachtet es als einen Hohn, einen Cavalier von dem Rufe in ihre Antichambres zu bringen. Sie haßt auch wohl im Sohn den Vater. Kurzum, Weiberphanta¬ ſieen ſind einmal nicht zu berechnen.

31

Eine Pauſe trat ein. Die Stirn des Staats¬ manns ſchien heller zu werden, der neue Beamte hatte ſeinen Vorgeſetzten wenigſtens ſo weit ſtudirt, um zu wiſſen, wann es an der Zeit ſei zu Einwen¬ dungen, wann zu Vorſtellungen. Eine geſchickt an¬ gebrachte Schmeichelei verträgt auch der gradeſte Ehren¬ mann. Er hub damit an, ſeines Freundes gute Eigenſchaften gegen ſeine Schattenſeiten abzuwägen. Seine Kenntniſſe, ſeine Begabung, ſeinen feurigen Willen für das Vaterland konnte er mit mehr Wärme und Bewußtſein an's Licht ſtellen. Er ging diplo¬ matiſch darauf über zu dem glücklichen Blick, der dieſe Vorzüge erkannt, ihnen den richtigen Wirkungs¬ kreis angewieſen, Talente, die ohnedem wahrſcheinlich untergegangen wären; Talente, die aber richtig ge¬ nutzt, gerade ſo, wie der Miniſter beabſichtigte, noch günſtiger wirken könnten. Ein junger Mann von Stande, von der perſönlichen Begabung, jetzt, wo es Alles gelte, unter die Puppen und Schranzen geſtellt, könne viele üble Einflüſſe am Hofe paralyſiren. Wenn ſein ſchönes Auge die verwüſteten Hofleute lange an¬ blicke, habe er oft bemerkt, daß ſie den Blick nicht aushielten. Auch der Einfluß, den er auf Frauen übe, ſei nicht zu gering anzuſchlagen. Vielleicht, daß ſelbſt Ihre Majeſtät, wenn ſie ſich überzeugt, daß Bo¬ villard beſſer als ſein Ruf ſei, ihm eine Stütze ſein und in ihm am Hofe eine Stütze finden werde ge¬ gen die Schaalheit und Feigheit der Blaſirten. End¬ lich, ſchloß er, daß, wenn kein anderes Hinderniß32 augenblicklich im Wege ſtehe, es dem Miniſter ſelbſt ein Leichtes ſein werde, die Königin, die ihn ſo gern höre, auf andere Gedanken zu bringen.

Auch jener Miniſter, der ihn einſt nach Karls¬ bad wies, würde es eine gute Elaboration genannt haben, um ſo mehr, als Walter nur die eigenen An¬ ſichten des Freiherrn in ſeinem Vortrage verſchmolz. Aber der Schluß traf nicht das Rechte.

Ich nicht. Ich grade kann, darf darin nichts thun. Ihre Majeſtät iſt empfänglich für Ideen; mit Perſonalien darf ich ihr nicht kommen.

Ein Ausruf des Secretairs proteſtirte dagegen.

Frauen, mein Lieber, wollen beſonders behan¬ delt ſein, auch die ausgezeichnetſten. In ihren Vor¬ urtheilen gegen Perſonen gehorchen ſie dem Impulſe. Sie käme mir wohl mit dem Spruche des Dichters von dem, was ſich ſchickt: Da frage nur bei edlen Frauen nach! Und ſie hätte Recht. Schöne Seelen werden nicht durch Gründe, nur durch eine ſchöne Regung überwunden. Wenn er nicht darauf ein¬ gehen will, was ich ihm ſagte, ſo iſt es nichts.

Es ſtände in Bovillards Willen?

Seine Braut iſt die ſchöne Perſon, die neulich die Geſchichte mit Ihrer Majeſtät hatte. Ich weiß es beſtimmt, die Königin iſt, wie hohe Perſonen ſind, für das Mädchen enthuſiasmirt; wenn er den Vortheil benutzte

Der Miniſter hielt inne; nicht weil er die Röthe auf Walters Geſicht bemerkte, ſondern weil er ſelbſt33 etwas von Erröthen fühlte. Ein ernſter Staatsmann darf auch die Intrigue ſpielen laſſen, weil leider keine Staatskunſt ohne ſie beſtanden hat, aber ſchon der Schein iſt gefährlich, daß er im Ernſt ſich in ihr Spiel verliert. Der Miniſter griff nach den Scripturen auf dem Tiſch und ſchien von der Lectüre abſorbirt, während Walter mit einem wehmüthigen Lächeln einer Erinnerung nachhing.

Der Vorfall, auf den der Freiherr angeſpielt, war eine bekannte Stadtgeſchichte, die vor einigen Tagen ſich ereignet. Wir müſſen mit unſeren Leſern aus dem Hotel des Miniſters einen Seitenſprung nach einem öffentlichen Ball thun, den eine Corpo¬ ration zu Ehren der Majeſtäten veranſtaltet hatte. Die Königin Louiſe hatte das ſchöne Mädchen be¬ merkt und ein Dienſtthuender mochte aus Unkennt¬ niß eine mißverſtandene Vorſtellung gemacht haben, als ſie im Vorübergehen die Frage an Adelheid ge¬ richtet: Was ſind Sie für eine Geborne? Die Baronin Eitelbach, welche neben Adelheid geſtanden, wollte, erſchrocken, dem jungen Mädchen zu Hülfe kommen, und hatte die hiſtoriſch gewordene Antwort gegeben: Ach, Ihre Majeſtät verzeihen, ſie iſt gar keine Geborne. Nur die Gegenwart der Königin hatte ein Gelächter zurückgehalten, was wie ein Ge¬ witterſchauer auf den Geſichtern der UmſtehendenV. 334drohte. Ihre ganze Huld und Majeſtät hatte die Fürſtin zuſammengenommen, um jene ſtrafenden Worte zu ſprechen, die ebenfalls in die Geſchichte überge¬ gangen ſind, und nach verſchiedenen Berichten am wahrſcheinlichſten ſo lauteten: Ei, Frau Baronin, Ihre naiv ſatiriſche Antwort ſollte gewiß das junge Mädchen nicht kränken. Von Geburt wenigſtens ſind alle Menſchen ohne Ausnahme gleich. Iſt es auch ermunternd und erhebend, von Eltern und Vorfahren abzuſtammen, die ſich durch Verdienſte und Tugenden auszeichneten, und wer wollte den Werth nicht an¬ erkennen und ſich nicht ſelbſt geehrt fühlen durch die Ehre, aus einer guten Familie zu ſein! Aber Gott Lob, das gilt für alle Stände gleich, und aus den unterſten ſind die größten Wohlthäter des Menſchen¬ geſchlechts hervorgegangen. Stand und Würden kann man erben, aber innere perſönliche Würdigkeit, worauf am Ende doch Alles ankommt, muß Jeder ſich ſelbſt erwerben. Der Weg dahin iſt die Selbſt¬ beherrſchung, und ich bin überzeugt, wenn ich in den Zügen des jungen Mädchens leſe, daß ihre Seele dieſen Weg längſt gefunden hat. Ihnen, liebe Baronin, danke ich, daß Sie mir Gelegenheit gaben, den Anweſenden meine Meinung darüber zu ſagen. Es iſt die Meinung, welche auch im Herzen meines Gatten, des Königs, lebt. Der ſtrafende Blick der Königin, der leichthin über die Reihen flog, hatte ſich in den huldvollſten verwandelt, als er Adelheid wieder traf. Sie wechſelte einige Worte mit ihr, die35 nur die Wenigſten hörten, aber Beider Augen ver¬ riethen den Sinn. Mit dem gnädigſten Nicken war ſie vorüber geſchwebt.

Die Scene hatte ſich im Augenblick verwandelt. Die moquanten Mienen von vorhin waren zu langen Geſichtern geworden. Das junge Mädchen war noch eben als ein Eindringling in dieſe Kreiſe betrachtet und gemieden worden; faſt iſolirt hatte ſie neben der Eitelbach geſeſſen, kein Tänzer ſich ihr genaht. Welche Urtheile waren hinter ihrem Rücken gefällt worden! Ach, ſelbſt ihre Jugendgeſchichte hatte man hervor¬ gezogen. Iſt das die! hatten zwei Hofdamen ſich erſchreckt angeblickt, mit dem Verſuch, über die Er¬ innerung zu erröthen, der indeß unter dem dicken Karmin erſtickt war. Einige begriffen nicht, was denn den Ruf ihrer Schönheit gemacht. Andre hat¬ ten gemeint, es komme eben nur auf den Ruf an, und in wie viel Häuſern ſie geweſen: und nirgend aus¬ gehalten! Da war es doch klar, daß ſie ſelbſt daran ſchuld ſei. Einige hatten ſich gewundert, Andere es ſchon choquant gefunden, daß man ſie dieſen Cirkeln aufdringe. Man muß eine ruſſiſche Fürſtin ſein, um ſich das erlauben zu dürfen! Aber bei der Fürſtin muß ſie wohl auch ſchon auf der Kippe ſtehen, ſonſt würde ſie ihren Schützling nicht von der Eitelbach chaperon¬ niren laſſen. Was läßt ſich die gute Baronin nicht auf¬ binden! Eine Zuhörerin konnte ſchon fragen, ob denn Adelheid ſchon aus dem Hauſe ihrer Eltern verſtoßen ge¬ weſen, als ſie in dem der Obriſtin eine Zuflucht geſucht.

3*36

Und nun, wie Nebel bei einem Sonnenblick, war Alles anders geworden. Woltmann berichtet von der Königin Louiſe, daß, wenn ſie mit Häßlichen geſprochen, auch dieſe allmälig den Umſtehenden ſchön gedünkt; ſolchen Zauber ſtrahlte die Fülle ihrer An¬ muth aus. Eine ähnliche Magie hatte Louiſe hier geübt. Nein, wie ſchön ſie iſt! hörte die Eitelbach jetzt hinter ſich flüſtern. Welcher Anſtand! Es iſt etwas Gebornes darin! Die Eitelbach war ohne Neid; mit Vergnügen ſah ſie die Lorgnetten auf ihren Schützling gerichtet. Sie lächelte die Dame an, die ſich an ihren Arm hing: Nein, liebſte Ba¬ ronin, was müſſen Sie für eine Freude haben, einen ſolchen Engel zu bemuttern! Aber ſie iſt auch der beſten Obhut anvertraut. Damen und Herren ließen ſich Adelheid vorſtellen. Ihre Antworten ent¬ zückten. Da, um das Glück vollſtändig zu machen, hatte ſich auch der König ihr genähert. Auch er ſprach gnädig; freundlich ſah er zum ſchönen Mäd¬ chen nieder, man hörte durch das Geräuſch huldvolle Worte: viel von gehört haben ſehr freuen einen braven Vater haben Auch die jüngeren Prinzen waren herangetreten, der König ſcherzte mit ihnen. Ein Scherz von den gewichtigſten Folgen. Bald durch¬ flog die Sääle die Neuigkeit: die Prinzen tanzen mit der Alltag.

Sie war der Stern des Abends. Sie blieb der Gegenſtand des Geſpräches in den Equipagen, die nach Hauſe rollten. Ueber ihre Schönheit war nur37 eine Stimme. Nur etwas zu ernſt! Aber die Hold¬ ſeligkeit der Königin hatte ihr auch davon angehaucht. Welche naive, frappante Antworten ſie gegeben! Wie hatte ſie den jungen Prinzen Auguſt auf eine etwas kecke Frage anlaufen laſſen! Aber wie hatte der ältere Bruder, Prinz Louis, ſich benommen? Eine ſolche ſpirituelle Schönheit mußte doch auf den galan¬ teſten Ritter wirken. Er war an ihr vorüber ge¬ gangen. Unmöglich! hieß es; aber Viele verſicherten es. Der unglückliche Prinz ſieht jetzt nur Geſpenſter! Die Ausſicht auf den Krieg ſchüttelt in ihm wie ein kaltes Fieber. Aber nein, er war zurückgekehrt, er hatte mit ihr Worte gewechſelt. Es klang unglaublich, was der Lauſcher gehört. Er hatte ſie wehmüthig angeblickt, wie Hamlet Ophelien: Was wollen Sie in dieſer Atmoſphäre? Die iſt nur für kranke Seelen. Und ſie, was hatte ſie geantwortet? Gnädigſter Herr, ich meinte, wer geſund iſt, bringe Lebensluſt in jede Atmoſphäre mit. Unbegreiflich fanden es Viele ein ſimples Bürgermädchen, die Tochter von dem alten Geheimrath Alltag! Er wird wohl nun geadelt werden, meinten Einige. Andre ſchüttelten ſchlau den Kopf: Wer weiß denn, ob er ihr Vater iſt! Eine Dame fand in Adelheids Geſicht Züge, die an den vorigen König erinnerten.

Als der Kammerherr von St. Real der Fürſtin Gargazin in einem entfernten Zimmer die erſte Nach¬ richt mit den Worten hinterbracht: Sa fortune est faite! hatte ſie lächelnd geantwortet: Wiſſen Sie38 nicht von dem Schatzgräber, der niemals reich ward, weil er alles gefundene Gold als Meſſing verkaufte? Es mußte alſo doch eine Verſtimmung, wenigſtens eine Gleichgültigkeit zwiſchen der Prinzeſſin und ihrer Pflegetochter eingetreten ſein. Sie haben ſich gut amüſirt? Das freut mich, ſagte ſie beim Einſteigen in den Wagen. Die Königin wird Sie rufen laſſen. Ich weiß nicht, was Ihre Majeſtät mit Ihnen beab¬ ſichtigt, ich empfehle Ihnen auch nicht, das Eiſen zu ſchmieden, ſo lange es heiß iſt, denn Sie ſind ein Sonntagskind, und es fügt ſich Alles anders, als man es dachte. Der Hof ſagt, Ihr Glück iſt gemacht, die Stadt wird es nachplaudern, ich warne Sie auch nicht vor dem Neide ich ſchaudre nur vor dem, was die Menſchen Glück nennen. Der große Schil¬ ler hat ein ſchönes Gedicht geſchrieben, aber ſein glücklicher Polykrates war doch ein Thor. Warum warf er den Ring in's Meer, deſſen Anſchauen ihm täglich Freude machte? Das Verhängniß wandte er nicht ab, wer aber brachte ihm die verlornen Augen¬ blicke zurück, als der Schimmer des Diamanten ihn entzückt!

Drei Tage lang ſprach man am Hofe, ſieben in der Stadt, nur von der ſchönen Adelheid. Dann waren andre Gegenſtände gekommen. Die Königin hatte ſie nicht rufen laſſen, die Königin hatte an Anderes zu denken. Die Fürſtin mochte auch an Anderes denken, ſie ſagte nichts, aber wenn ſie Adel¬ heid ſah, ſchien ihr lächelnder Blick zu ſprechen:39 wenn eine Königin vergaß, uns rufen zu laſſen, ſo wäre es an uns, ſie anzurufen, damit ſie ſich unſrer wieder erinnere. Zur Diplomatin iſt ſie nicht geboren.

Der Miniſter mochte das und ſeine letzte Be¬ merkung längſt vergeſſen haben, indem er mit der Schrift ſich auf das Canapé geworfen und mit dem Daumennagel Zeichen am Rande machte, als er auch das Papier ſinken ließ.

Was wollte denn Fuchſius?

Sein Anliegen hat er mir nicht mitgetheilt.

Er iſt wie ein Trüffelhund auf Maleficanten. Als ob es darauf jetzt ankäme, einen Dieb und Be¬ trüger mehr in's Zuchthaus zu liefern. Was ſagte er ſonſt?

Er ſieht trüb.

Der Miniſter ſchien in dem Zuſtande der Er¬ ſchöpfung, wo man lieber hört als ſpricht, eine in¬ directe Aufforderung an Walter, zu ſprechen. Er mochte die unausgeſprochene Abſicht des Staatsman¬ nes treffen, als er in Kürze die Anſichten des Re¬ gierungsrathes referirte. Ganz wider Erwarten fiel der Zuhörer mit der Bemerkung ein: Und hat er nicht Recht?

Ich, Excellenz, habe mir den Glauben an eine ſittliche Weltordnung bewahrt.

Auch nachdem Sie das Geſindel von nahe ge¬ ſehen haben? Das iſt viel!

40

Der Freiherr mußte tief erſchüttert ſein. So hatte der neue Secretair ihn noch nicht geſehen. Es war aber zugleich eine weiche Stimmung, die ihm Hoffnung machte, mit Vorſchlägen, die er in petto hatte, durchzudringen.

Leſen Sie alſo! ſprach der Miniſter.

Walter nahm das Papier, welches jener auf das Canapé fallen laſſen. Der Miniſter ſchüttelte mit dem Kopf.

Zuvor die Hauptpaſſus, die wir aus dem vo¬ rigen Memorial heraushoben. Man muß ſich dieſe erſt vergegenwärtigen. Es wird nicht mehr Alles für heut paſſen.

Walter griff nach einem andern Heft und las:

Bedrohte Selbſtſtändigkeit Unwille der Nation über den Verluſt ihres alten, wohlerworbenen Ruhmes.

Der Miniſter ſchüttelte den Kopf: Dies bleibt nun weg. Wüſter Lärm genug.

Walter las weiter: Affilirung der Cabinets¬ regierung mit Haugwitz. An den Miniſtern haftet die Verantwortlichkeit für das, was ſie nicht beſchloſſen, vor dem Publikum.

Oeffentliche Meinung! corrigirte der Miniſter. Weiter.

Man ſchämt ſich einer Stelle, deren Schatten man nur beſitzt.

Habe ich das im April geſchrieben? Seine Lippen warfen ſich zu einem höhniſchen Lächeln. 41 Illuſionen! Wenn ſich Einige geſchämt haben, jetzt haben ſie ſich anders beſonnen. Das bleibt weg.

Walter fuhr fort: Das Ehrgefühl der Be¬ amten wird unter einer ſolchen Regierung unterdrückt, ihr Pflichtgefühl abgeſtumpft. Subalterne ge¬ horchen nur noch halb, ſie ſuchen ihr Heil bei den Götzen des Tages.

Das bleibt. Das hat gewirkt, es kann noch wirken. Für die Reputation ihres Beamtenheeres haben ſie noch einiges Tendre. Weiter!

Der Monarch lebt in völliger Abgeſchieden¬ heit von ſeinen Miniſtern. Von Allem, was geſchieht, erhält er nur einſeitige Eindrücke durch das Organ ſeiner Cabinetsräthe.

Sie halten inne. Haben Sie da Bedenken?

Könnten wir nicht die Perſon des Monarchen aus der Sache laſſen?

Wir leben nicht in England. Wir leben in Preußen, wo der Monarch mit dem Volke iden¬ tiſch iſt. Es ſcheint eine Anomalie, aber es iſt eine Wahrheit. Wehe ihm und dem Volke, wenn es nur ein Schein werden könnte. Wo ein Fürſt dieſe ab¬ norme Stellung hat, wo der Kopf ſich eins fühlt mit dem Körper, muß er auch das vertragen können, was die andern Glieder. Preußens König iſt ſo wenig ein Kaiſer Karl und König Artus, die als Pagoden daſitzen, drei Köpfe höher als ihre Tafelrunde, als er ein Fürſt iſt, dem die Conſtitution ein glänzendes Altentheil angewieſen hat. Er iſt nur der er iſt, indem er eine42 Partikel ſeines Volkes iſt. Exceptionell, ja, ja, durch¬ aus exceptionell, aber ſo iſt's. Wir dürfen's nie aus dem Auge laſſen. Er muß empfinden wie wir das Streicheln und die Schläge. Man muß ihn anfaſſen können, ſchütteln ein wenig, ein derbes Wort ſagen. Verträgt er es nicht doch weiter, weiter!

Excellenz, einen jungen Eichbaum ſchüttele ich, aber eine Sinnpflanze

Es iſt keine Zeit für Sinnpflanzen, wenn der Samum weht. Man muß ihn ſchütteln. Uebrigens vergeſſen Sie nicht, das Gefühl für das Rechte hat er von ſeinen Ahnen geerbt. Er ſteht über den Parteien. Das iſt allerdings eine Eigenſchaft, die jeder König haben müßte, da aber nicht jeder König ſie hat, Reſpect vor dem, der ſie und in ſolchem Umgange ſich bewahrt hat. Eine große moraliſche und intellectuelle Kraft hätte Europa noch nach dem Tage von Auſterlitz gerettet. Dieſe Kraft fehlte. Ich kann dem, dem ſie die Natur verſagte, ſo wenig Vorwürfe machen, als Sie mich anklagen können, nicht Newton zu ſein. Weiter!

Nun folgen die ſubjectiven Gründe. Wer hat dies unbedingte königliche Vertrauen? Beyme und Lombard, von ihnen ganz abhängig Haugwitz. Je¬ ner guter Juriſt, ward übermüthig, abſprechend, corrumpirt Verbindung mit Lombard untergrub ſeine Sittenreinheit gemeine Aufgeblaſenheit ſeiner

Der Miniſter wehte mit der Hand. Die Frauen mögen jetzt fortbleiben.

43

Wahrſcheinlich auch die folgende Charakteriſtik: Phyſiſch und moraliſch gleich gelähmt und abge¬ ſtumpft. Seine Kenntniſſe franzöſiſche Schöngeiſterei. Ernſthafte Wiſſenſchaften haben dieſen frivolen Men¬ ſchen nie beſchäftigt, frühzeitige Theilnahme an den Orgien der Rietziſchen Familie ſein moraliſches Ge¬ fühl erſtickt. Soll das auch bleiben?

Weiter!

In den unreinen und ſchwachen Händen eines franzöſiſchen Dichterlings von niederer Herkunft, eines Roués, der ſeine Zeit im Umgang mit leeren Men¬ ſchen, mit Spiel und Poliſſonnerieen vergeudet, iſt die Leitung der diplomatiſchen Verhältniſſe, und in einer Periode, die in der neuern Staatengeſchichte nicht ihres Gleichen findet. Auch das?

Iſt's nicht wahr?

Aber wozu der Vorwurf niederer Herkunft?

Das verſtehn Sie nicht. Der Miniſter war aufgeſprungen. Brüſtet er ſich nicht ſelbſt bei jeder Gelegenheit, daß er der Sohn eines Perrückenmachers iſt! Ein Scandal! eine Verworfenheit ohne Gleichen. Ja, wenn ſie den Adel nicht ſyſtematiſch zu La¬ quaien depravirt hätten, es ſtände anders. Ihnen geſchieht recht. Laß ſie an der Frucht ihrer Schuld nagen.

Das folgende, perſönlich gegen den Miniſter Ge¬ richtete iſt ſchon ſo oft geſagt

Kann aber nicht oft genug wiederholt werden.

Walter las mit Zaudern: Sein Leben eine44 ununterbrochene Folge von Verſchobenheiten oder Aeußerungen von Verderbtheiten. Sein Urtheil ſeicht und unkräftig, ſein Betragen ſüßlich und geſchmeidig. Als Gelehrter Phantaſt dann Myſtiker aus Liederlichkeit Geiſterſeher aus Mode Herrn¬ huter aus Bequemlichkeit verſchwendet die dem Staat gehörige Zeit am Lhombretiſch. Abgeſtumpfter Wollüſtling, gebrandmarkt im Publikum mit dem Na¬ men eines liſtigen Verräthers ſeiner täglichen Ge¬ ſellſchafter und eines Mannes ohne Wahrheit und Wahrhaftigkeit.

Walter hielt inne und blickte auf den Miniſter.

War's eine zu ſchwere Aufgabe für Ihre Feder?

Ich frage mich nur, ob dieſer perſönliche An¬ griff nothwendig iſt?

Man muß Perſonen ändern, wenn man Ma߬ regeln ändern will, habe ich Ihnen dictirt. Man muß die Perſonen niederſchlagen, daß ſie das Auf¬ ſtehen vergeſſen, wenn ſie zur Vordertreppe hinabge¬ worfen, auf der Hintertreppe immer wiederkommen. Man muß ſie zertreten, tödten, vernichten, wenn mit ihnen die Maßregeln unmöglich ſind. Schonung aus Mitleid wird Verbrechen.

Wenn wir auf den Erfolg rechnen können! Seine Majeſtät erwiederten auf das erſte Memorial, worin Excellenz auf Aenderung des Cabinets dran¬ gen: Sie wünſchten nur, daß man Ihnen Beweiſe der Verräthern dieſer Leute gäbe, ſo würden Sie keinen Anſtand nehmen ſie zu entfernen. Die Be¬45 weiſe ſagt wenigſtens das Publikum liegen ſeitdem zu Tage und

Es bleibt Alles, wie es geweſen. Und das, Herr, ſoll uns beſtimmen, nicht unſre Pflicht zu thun! Nicht zu rütteln an den faulen Aeſten, ſo lange wir Mark in den Gliedern haben, nicht zu ſchreien, rufen, warnen, ſo lange wir Athem haben und man uns nicht den Mund verbindet. Wie?

Ich ſchweige in Ehrerbietung vor Eurer Excellenz gerechter Entrüſtung.

Nein, Sie ſollen ſprechen, Ihre Meinung ſa¬ gen, dazu ſind Sie hier; darum ließ ich mich in das Geſpräch mit Ihnen ein. Sie meinen, auch dieſe Denkſchrift wird ohne Wirkung bleiben?

Man weiß, daß auch der alte General Blücher deshalb vergebens an den König geſchrieben hat.

Und jetzt werden dieſe Denkſchrift die Prinzen Wilhelm, Heinrich, Louis Ferdinand, Rüchel und ich unterzeichnen. Damit keiner meiner Freunde mir vorwirft, daß ſie in der Hitze und Galle auf's Pa¬ pier geworfen iſt, wird Johannes Müller ſie vor der Unterſchrift überarbeiten. Wenn ſolche Namen zu¬ ſammenklingen, ſolche Männer die Arme verſchlingen, ſolche Gründe ihm in's Ohr donnern, über welche Zaubermacht müßten dieſe Wichte gebieten, wenn er widerſtehen kann. Hier iſt Müllers Concept. Er ſchließt: Dieſes Cabinet, welches nach und nach zwiſchen Eure Majeſtät und das Miniſterium ſich eingedrungen hat, daß Jedermann weiß, was bei uns46 geſchieht, geſchehe nur und allein durch die drei oder vier Männer, hat, beſonders in Staatsſachen, alles und jedes Vertrauen längſt eingebüßt. Ja, Majeſtät, die öffentliche Stimme redet fürchterlich deutlich und beſtimmt von Beſtechung.

So wird er Ihnen entgegnen: Beweiſ't es! Excellenz, dies eine Wort kann Alles verderben. Können wir, kann irgend Einer den Beweis führen? Ja, die Hand auf's Herz, kann einer dieſer Hoch¬ geſtellten und Gefeierten vor Gott die Betheuerung ausſprechen: ich bin feſt überzeugt, daß franzöſiſches Geld in ihren Taſchen klimpert! Haben wir nicht vielmehr die moraliſche Ueberzeugung, daß ſie mehr aus Indolenz, Eitelkeit, Dünkel, aus eigener Ueber¬ hebung, aus Schlaffheit und Faulheit im Denken, ſich gegen das Vaterland verſündigen, als daß ſie wirklich Verbrecher ſind!

Der Miniſter machte, die Hände auf dem Rücken, die Augen niederſchlagend, wieder ſeine Zimmerpromenade:

Sie mögen Recht haben, Gott hat ſie nicht in ſeinem Zorn erſchaffen, nur in ſeinem Mißmuth: daß, zu unſerer Beſchämung, auch ſolches Gewürm herum¬ kriechen muß.

Vermöge ihrer zwei Beine müſſen ſie doch auf¬ recht gehen, und aufrecht gehend müſſen ſie die Augen aufſchlagen, ſie müſſen ſehen, was vor ihnen iſt. In Augenblicken, wo ſie aus ihrem wüſten Taumel er¬ wachen, müſſen ſie auch an den Richterſpruch der Nachwelt denken.

47

Was kümmert dies Geſindel die Nachwelt! Den Bauch vollgeſchlagen, die Taſchen gefüllt, ſo weit es die Honettität erlaubt, das heißt die Rückſicht vor den Leuten, mit denen ſie mal Lhombre ſpielen können, und nach ihnen die Sündfluth!

Das Gefühl für Schimpf und Schande

Prallt von den bunten Blechſchilden ab, voraus¬ geſetzt, daß ſie mit Gehalt, Penſionen, Güterſchen¬ kungen gefüttert ſind.

Excellenz, Lombard ſprudelt und ſpricht jetzt nur Krieg, Luccheſini erklärt laut und offen, es ginge nicht anders, Haugwitz läßt den Kopf hängen

Weil ſie ſich vor'm Pöbel fürchten.

Kann der Strahl nicht auch in ihnen gezündet haben?

Noch ein Optimiſt! Da walte Gott. Pack ſie am Kragen und ſchmeiß ſie zur Thür hinaus, ſo kommen ſie zur Hinterthür wieder hereingetänzelt und fragen mit einem ſüßen Händedruck, es ſei doch wohl nicht ernſt gemeint geweſen? Wirf ihnen einen Schur¬ ken in's Geſicht, ſo lächeln ſie über den liebenswür¬ digen Scherz. Was iſt ein Fußtritt in einen Plun¬ derhaufen! Sie wollen Miniſter bleiben, Geheim¬ räthe, weiter nichts, und ſie haben Recht. Was wären ſie, wenn ſie es nicht ſind!

Und wenn dann doch eine innere Röthe der Scham

Wenn die einmal herauskommt, treten ſie vor den Spiegel und liebäugeln mit ſich wie der Pha¬48 riſäer. Werfen ſich in die Bruſt, denn was ſie vor ſich ſehen, iſt ja ein treuer Diener ihres Königs. Das iſt der rechte bequeme Bettelmantel für dieſe Menſchen. Wenn ſie etwas Dummes und Schlech¬ tes gemacht, was ſie vor Gott und Menſchen und ſich ſelbſt nicht rechtfertigen können, haben ſie es nur als treue Diener ihres Herrn gethan. Alles für ihren König! Mag Land und Volk darüber untergehen, wenn ſie nur hinter der Decke der treuen Dienerſchaft ſalvirt ſind. Scham in dieſen Laquaienſeelen! Die ſich nicht ſchämen, ihre eigenen Fehler und Sünden dem aufzupacken, als deſſen Götzendiener ſie ſich an¬ ſtellen! Der, den ſie als das ſtrahlende Abbild gött¬ licher Majeſtät anpreiſen, als Kratzbürſte zu brauchen, an der ihr Schmutz kleben bleibt! O dies Gezücht ſchämt ſich auch nicht, wenn es umſchlägt, die Achſeln zu zücken und mit den Augen zu zwin¬ kern: Er wollte ja nicht anders, wir konnten nichts thun! Wer ſeine eigene Menſchenwürde opfert, dem iſt nichts heilig, er opfert Alles, zuletzt den Götzen ſelbſt, wenn ein mächtigerer da iſt.

Walter ſagte nach einer Pauſe: Sind Eure Excellenz überzeugt, daß Haugwitz auf ſeiner Reiſe ohne Inſtructionen gehandelt hat?

Der Miniſter faßte leicht ſeinen Rockzipfel: Ein König, mein Lieber, iſt ein Menſch, und ein Menſch noch nicht ein Chamäleon, wenn die Meinungen in ihm ſchwanken. Die Friedrich und Joſeph, die Lud¬ wig und Karle der Vorzeit ſind Ausnahmen. Die49 Mehrzahl der Fürſten ſind Menſchen wie wir. Das Gute und das Böſe, das Richtige und das Falſche rollirt in ihnen wie in einem Glücksrad. Da iſt es Pflicht der gewiſſenhaften Räthe, den Augenblick ergreifen, wo das Gute und Richtige oben liegt. Da müſſen ſie das Rad ſtille halten, ſie müſſen es, ſage ich, auf die Gefahr hin, daß es ſie ergreift und zerdrückt. Trauen ſie ſich das nicht zu, ſollen ſie in der Schreiberſtube bleiben, oder ihrem Ehrgeiz mit Kammerherrnſchlüſſeln genügen laſſen. Wer ſo dreiſt iſt, da oben ſtehen zu wollen, hat vor Gott, vor dem Volke, vor ſeinem König ſelber die Pflicht, ihm dreiſt in's Geſicht zu ſehen. Nicht ſeine guten Launen ſoll er belauſchen, um Gefälliges ſich und Anderen zu wirken, ſeine ernſten Augenblicke ſoll er ihm abſtehlen, und wollen ſie entfliehen, ſoll er ſie feſthalten, mit eiſernem Händedruck, er darf die Run¬ zeln des Unmuths nicht ſehen, er ſoll den ſprudelnden Zorn nicht achten. Es iſt ein anderer Zeuge dann über ihm, über beiden ſteht ein anderer König, vor dem der Purpur und die Staatsweisheit Plunder ſind. Und dringt er abſolut nicht durch, ſoll er vor ſeinem Könige ſich neigen und ſprechen: nimm das Amt zurück, das noch rein iſt in meinen Händen! Wehe dem, der ein leichter Gewiſſen hat, es zu be¬ flecken. Das iſt ein wahrhaft treuer Diener. Die armen Könige, die keine Männer finden, nur treue Diener wie dieſe hier! ſetzte der Miniſter mit gedämpfter Stimme hinzu und trat, die Arme unter¬V. 450ſchlagend, an's Fenſter. Die armen Könige! wie¬ derholte er! ich könnte ſie bedauern. Solche treue Diener waren es, die die Throne unterhöhlt, Dy¬ naſtieen geſtürzt. Ein argliſtiger, böſer Staatsmann hinterläßt Flecke; die kann man auswaſchen, aus¬ beizen. Ein Chamäleon, das von jedem Regenbogen¬ ſtrahl der königlichen Laune durchſchauert iſt, und ihn in Reſcripten und Geſetzen austräufen läßt in alle Adern des Landes und Volks, dem Flüchtigen den Stempel der Autorität aufdrückend, der verdirbt die Völker und die Monarchieen. Ich ſage Ihnen

Ein Geräuſch in der Ferne unterbrach ihn, zu¬ gleich brachte der Diener Licht. Es war Abend geworden.

[51]

Drittes Kapitel. Gewetzte Degen.

Der Lärm war ein wirres Stimmenmeer, unter¬ brochen von ſchallendem Gelächter. Ein ſchärferes Ohr hätte das Klirren von Stahl herausgehört, aber die Fenſter, die ringsum von Neugierigen aufgeſchla¬ gen wurden, ließen es nicht zu. Auch der Miniſter öffnete einen Flügel:

Wahrſcheinlich wieder ein Theaterfurore!

Die Schick ſpielt heut die Eliſabeth und die Unzelmann die Maria Stuart, bemerkte Walter. Man ſprach davon, daß es unter ihren Anhängern einen Scandal geben könne.

Der Miniſter blickte hinaus: Ich ſehe Uni¬ formen, wenn ich nicht irre, Gensdarmen. Der Lärm kommt näher.

Das Gelächter war jetzt mit lebhaften Huſſa's, Bravo's und einem ſchrillen Pfeifen untermiſcht.

Etwa noch eine Schlittenfahrt! Daß Gott er¬ barm, dieſe Menſchen lernen nichts.

Eine Menſchenmaſſe wälzte ſich auf die Straße4 *52zu, und die klappenden Hacken auf dem Pflaſter deu¬ teten auf ein Laufen. Eine Art Verfolgung mußte ſein, aber die Verfolgten, wie immer Straßenjun¬ gen voran, jauchzten zugleich wie in einem Triumph¬ geſang.

Die Sache wird ernſthafter. Sie möchten ſich umſehn, Aſten, was es giebt.

Die Dienerſchaft unten hatte ſich ſchon um¬ geſehen und der Haushofmeiſter kam eben mit einem Rapport herauf, der von den Ausrufungen, die man jetzt deutlich von der Straße hörte, unterſtützt ward.

Es war allerdings ein Straßenſcandal, doch ernſterer Art. Viele junge Gensdarmen und Garde du Corps waren von einem luſtigen Gelage in Char¬ lottenburg ſpät zurückgekehrt. Der Wein ſollte in Strömen gefloſſen ſein. Gläſer klangen, zerbrachen, einige waren ſogar durch die Fenſter geflogen. Es galt aber weder der Schick noch der Unzelmann, ſon¬ dern den Franzoſen und Napoleon. Man hatte ſich in einen Harniſch getrunken, geſungen und votirt. Beim weiten Wege durch den nächtlichen Thier¬ garten war der Rauſch nicht verraucht, vielleicht hatte der Anblick der Victoria auf dem Brandenburger Thore ihn noch erhöht. Die Kühnſten vorauf waren als Sieger durchgeſprengt. Wo es beſchloſſen wor¬ den, ob hier erſt, oder ſchon in Charlottenburg, weiß man nicht. Plötzlich war man abgeſeſſen und nach dem Hotel des franzöſiſchen Geſandten gezogen. Der eigentliche Hergang ward verſchieden erzählt, man53 hatte Urſache, die Sache zu vertuſchen. Ob man Spottweiſen angeſtimmt, was man ſchrie, welche Reden man ſich gegen den Bevollmächtigten des franzöſiſchen Kaiſers erlaubt, blieb unausgemacht, aber junge Officiere hatten ihre Säbel gezogen, und auf den Treppenſtufen zum Hotel gewetzt. Es konnte im Dunkeln geſchehen. Weder die Sterne am Him¬ mel noch die ſpärliche Straßenbeleuchtung machten die Uebermüthigen kenntlich. Aber plötzlich, wie durch einen Zauberſchlag, wurde es im Hotel hell. Die Fenſter, von denen man die Läden fortriß, glänzten von ſo ſchnell angezündeten Kerzen, daß die Ver¬ muthung wenigſtens da war, der Ambaſſadeur habe, wie von Allem, auch von dieſem Impromptu Wit¬ terung gehabt. Symbol für Symbol. Wir kündi¬ gen den Frieden, rief der Klang; ich nehme die Kün¬ digung an, antwortete der Lichterſchein. Uebrigens blieb es todtenſtill im Haus, kein Kopf zeigte ſich an den Fenſtern.

Die älteren und beſonneneren Officiere waren bei dieſer unheimlichen Manifeſtation zurückgeſprun¬ gen, und hüllten ſich in ihre Mäntel. Nur einige jüngere, in denen der Wein glühte, waren durch den Lichtſchein, auch wohl durch die Acclamationen des Straßenpublikums, das ſich in immer dichte¬ ren Schaaren ſammelte, noch mehr entzündet. Aber während ihre geſchwungenen Pallaſche funkelten, vernahmen andere ſchon deutlich Hufſchlag und in der Scheide klirrende Säbel. War auch hier ein54 Verrath, eine Denunciation, eine geheime Sympathie im Spiele? Die Thatſache war, im Gouvernements¬ gebäude mußte der Feldmarſchall Möllendorf, oder wer ihn vertrat, wach geweſen ſein, denn Huſaren und Polizeidiener ſprengten heran, um dem Unfug zu ſteuern, die Thäter zu ergreifen.

Der Lärm wuchs. Die ſympathiſirenden Zu¬ ſchauer bildeten noch einen Wall gegen die andrin¬ gende Polizeimacht. Unter den beſonnenen Theil¬ nehmern an dem Abenteuer war die Gewiſſensfrage, ob ſie für ihre Perſonen ſich in's Dunkel ſalviren, und die jüngern Unbeſonnenen, die nichts von der Gefahr ahnten, ihrem Schickſal überlaſſen ſollten, oder ob ihre Pflicht erheiſche, ſie mit ihnen zu theilen? Bei einem Rittmeiſter, den mittleren Jahren näher als denen der Jugend, war der Entſchluß ſchnell zum Durchbruch gekommen, denn aus dem Dunkel der Bäume, wo er ſich den Mantel ſchon feſt umge¬ knöpft, ſprang er plötzlich zurück, umfaßte einen jün¬ gern Officier, der eben mit ſeiner Degenſpitze eine Scheibe im Fenſter des Erdgeſchoſſes berührte in welcher Abſicht, wußte der junge Menſch nachher ſelbſt nicht und mit den Worten: Fritz, biſt Du toll? ſchleuderte oder riß der ſtarke Mann ihn zurück. Fritz ſchrie Worte, die vor jedem Gericht als Landes¬ verrath gelten mußten, der Rittmeiſter küßte ſie ihm von den Lippen: Ja, Fritz, wenn's losgeht, ſchla¬ gen wir ihn mit einander todt. Du nicht allein, Fritz, Reſpect, ich bin Dein Onkel, Dein Chef, ich ſchlage55 mit. Aber jetzt, Ordre parirt! Mäuschenſtill! Damit hatte er den eigenen Mantel losgeriſſen und um die Schultern des Neffen geknöpft. Der Neffe parirte auch, er ſchulterte, ein Gliedermann, aber in der Hand den blanken Degen. Platz! Platz! riefen die Polizeimänner. Retten Sie ſich! rie¬ fen viele Stimmen aus den Gruppen; die Gruppen machten diesmal Partie mit Offizieren und Junkern, deren Uebermuth ſo oft doch ihre lauten Aeußerun¬ gen des Unwillens hervorgerufen hatte. Der Ritt¬ meiſter hatte raſch den Pallaſch ſeinem Neffen aus der Hand geriſſen und ebenſo raſch hatten wohl¬ meinende Bürger den jungen Officier untergefaßt und in's Gedränge geführt. Er war gerettet, aber ſein Retter in der leuchtenden Uniform, den blanken Degen in der Hand!

Da ſteht er! rief der Commandirende der Pa¬ trouille und meinte wohl damit denjenigen, den die Reiter ſchon von fern geſehen mit der Degenſpitze an den Fenſtern klirren. Platz! Platz! Der Platz aber war grade das, was fehlte, und wo er noch war, trat die hülfreiche Straßenjugend ein, ihn zu verſperren. Es war von je in ihrer Art, die Polizei zu necken, und wir verſchwören nicht, daß ſie der Patrouille falſche Weiſung gab, um ihren Eifer vom geſuchten Ziele abzulenken.

Aber auch der Rittmeiſter fühlte ſich plötzlich von einem Mann unter den Arm gefaßt und fort¬ geriſſen.

56

Eilen Sie, ſchnell dort um die Ecke! rief eine ihm nicht unbekannte Stimme.

Als ſie um die Ecke waren, und der Officier einen Augenblick Athem ſchöpfte, erkannte er wohl in dem Dienſtbefliſſenen den Sohn ſeines Freundes van Aſten, der nur einen andern ihm früher erzeigten Dienſt vergolten hatte; es überkamen ihn aber andre Empfindungen, als die des Dankgefühls, indem er den Schweiß von der Stirn wiſchte.

Ein Officier darf doch nicht Reißaus nehmen!

Nicht vor dem Feinde, entgegnete Walter, aber vor einem Scandal. Schnell fort, beſter Herr von Dohleneck.

Der Herr von Dohleneck, der, wenn auch nicht ſo viel als ſein Neffe, doch auch viel des ſüßen Wei¬ nes getrunken hatte, erhob den blanken Degen in die Luft: Stehen oder fallen!

Gegen die Franzoſen, Rittmeiſter, nicht gegen die Polizei.

Er zog ihn weiter. Aber der Rittmeiſter blieb wieder ſtehen. Er lehnte ſich an einen Brunnen.

Das iſt ja eine verfluchte Geſchichte

Die noch übler werden kann. Eine Verhöh¬ nung des Geſandten, eine Verletzung des Völker¬ rechtes. Um Gotteswillen kommen Sie, ſchnell weiter. Werfen Sie den Degen fort!

Ein Stier von Dohleneck ſeinen Degen fort¬ werfen! Wer ſagt das!

Es iſt ja nicht Ihr Degen. Ein fremder57 Pallaſch, den Sie einem Ruheſtörer aus der Hand riſſen. Ihr Degen ſteckt ruhig in der Scheide. Ich will's bezeugen, wenn's zum Schlimmſten kommt. Sie wollten nur Ordnung herſtellen, Sie haben Ihren Degen nicht gewetzt. Aber es darf nicht zum Schlimmen kommen. Es könnte ſehr ſchlimm werden, außerordentlich ſchlimm, Herr von Dohleneck.

Der Herr von Dohleneck hatte den eiſernen Schwengel des Brunnens mit dem Arm umfaßt, in deſſen Hand der blanke Degen hing, während er mit der andern ſich wie ein Irrer immerfort über die Stirn ſtrich. Ein Meer von Gedanken mochte auf¬ tauchen; oder verſenkte ſich ſein Sinn in den Keſſel des Brunnens, und ſtieg in ihm der begreifliche Wunſch auf, daß die kühlen Quellwaſſer ihn und ſeine Gedanken überrieſelten!

Hol 'mich der und jener, das iſt ja grade eine Geſchichte wie damals bei der Schlittenfahrt

Schlimmer, drängte Walter; damals profanir¬ ten Sie Luther, der es Ihnen gewiß vergeben hat, heut Bonaparte, der es nie vergiebt, nicht Ihnen, nicht uns, nicht dem Könige.

Der König auch nicht! rief der Rittmeiſter. Ach Gott, ich bin ja Katharina von Bora.

Beſinnen Sie ſich.

Nein richtig ich war nur ihr Kammer¬ mädchen. Das iſt alles eins. Wenn er's erfährt, bin ich caſſirt.

Theuerſter Herr von Dohleneck, ich wünſchte,58 die Weihe der Kraft überkäme Sie, und Sie be¬ ſchleunigten Ihre Schritte.

Dabei blickte ſich Walter um, ob nicht irgendwo eine Hausthür ſich öffne, in die er ſeinen Begleiter ſchieben könnte. Aber es war eine ruhige Straße, man hatte mit der Bürgerglocke geſchloſſen. Nur an den erhellten obern Fenſtern blickten Neugierige her¬ aus. Es war nicht der aufſteigende Weingeiſt, der ſchwarze Bilder vor Dohlenecks Hirn malte. Jene berüchtigte Schlittenfahrt der Gensdarmenofficiere, in der ſie Luther, Katharina von Bora und deren Kloſterconvictualinnen in ſehr frivoler Nebenbedeu¬ tung dargeſtellt, ein Ereigniß, das ganz Berlin in Aufruhr gebracht, hatte den langmüthigſten König auf's Empfindlichſte gereizt; ſein eigner Wille war diesmal durchgedrungen, und wenn die Thäter auch nicht ſo geſtraft wurden, wie er für angemeſſen hielt, wurden doch die Urheber des Unfugs geſtraft, ſeit langer Zeit ein Ereigniß, was noch mehr überraſchte, noch mehr von ſich ſprechen machte, als der tolle Streich ſelbſt. Es brauchte nicht der Erklärung, die man verſucht hatte, daß dieſer oder jener Miniſter, oder ihre Frauen, eine Pique gegen einen oder den andern der Officiere gehabt, es war der religiöſe Sinn des Monarchen, der die Profanation rächte. Man wußte auch ſchon, daß er derartige Kränkungen nicht vergaß, und die, welche damals der Strafe ent¬ gangen waren, blieben doch in ſeinem vortrefflichen Gedächtniß notirt.

59

Alles das wußte der Rittmeiſter von Dohleneck; oder vielmehr, es trat jetzt vor ſeine Seele, wie ein Zauberkünſtler auf ſchwarzem Grunde plötzlich die bunten Bilder der Erinnerung vor dem Auge auf¬ rollen läßt. Der Wein, der zur Taube, zum Tiger, zum Bären verwandelt, war der Magier. Es war in dem Rittmeiſter Alles klar. Aber es ſtand keine Thräne in ſeinem Auge, er ſprang nicht auf zu einem wilden Satze, er brummte auch nicht mit geſchloſſe¬ nen Zähnen. Der Wein übt noch eine vierte Macht, er ſenkt die ſüße Schwermuth über die Seele ſeines Opfers, die Schwermuth, welche auch über den Glück¬ lichen wie ein feuchter Nebel ſich lagert, Balſam der heißen Bruſt.

Der Rittmeiſter von Dohleneck wollte einmal Philoſophie ſtudiren. Wir zweifeln, daß er den Vor¬ ſatz ausgeführt hat, aber in ſeiner Bruſt mußte ſich etwas von dem Stoicismus regen, der in großen Kataſtrophen den Schwachen ſtark, den Gedanken¬ loſen zum Denker macht. Er blieb plötzlich auf dem Damme ſtehen, unbekümmert um den bekümmerten Blick, den Walter nach dem andern Ende der Straße richtete. Auch von hier kam eine Patrouille ihnen entgegen. Er drückte die freie Hand an die Bruſt:

Wozu ſtrampeln gegen das, was man nicht ändert! Das Fatum! Nun weiß ich's. Ob's der Teufel iſt, das weiß ich nicht, aber es iſt was, worüber ein ehrlicher Kerl nicht weg kann. Man möchte nicht, aber es packt Einen Schulden, Liebe,60 Scandale der Strick ſitzt feſt, eh 'man ihn merkt, und nun will ich hängen. Ein Stier von Doh¬ leneck flieht nicht. Mögen ſie mich fangen und bra¬ ten, hier bin ich. 'S iſt nun mal ſo.

Aber wollen Sie auf die Feſtung, derweil Ihre Kameraden die Franzoſen ſchlagen? Ritt¬ meiſter von Dohleneck, jetzt ſich gefangen geben, jetzt ſich caſſiren laſſen, wo der Krieg vor der Thür ſteht Sie haben ihn erklärt jetzt, jetzt, bedenken Sie, Ihre Officiersehre ſteht auf dem Spiel jetzt iſt es Ihre Pflicht und Schuldigkeit, Sie müſſen ſich Ihrer Ehre, dem Staate retten Sie müſſen

Dohleneck ſchien es einzuſehen das Fatum hatte ihn wieder umgeworfen. Er mußte ſich retten aber wie?

Da rollte eine Equipage vorüber, von links und rechts, von beiden Seiten der Straße zeigten ſich be¬ rittene Piquets. Das Halt! welches Walter dem Kutſcher zurief, hatte eine glückliche Wirkung. Das war ein Moment. Im zweiten hatte er den Kutſchen¬ ſchlag aufgeriſſen. Es ſaß nur eine Dame darin. Walter rief hinein: Wer Sie auch ſind, es gilt, einen Verfolgten retten. Kein Widerſpruch, kein Laut!

Man wird ſich nicht wundern, wenn die Dame, trotz des kategoriſchen Befehls, ihm nicht ganz nach¬ kam, denn welche Dame in gleicher Lage mit der Baronin Eitelbach erſchräke nicht, wenn auf ſolche Anmeldung ein Officier mit blankem Degen ohne ein Wort, ohne einen Laut zu ihr in den Wagen61 ſpringt. Sie ſchrie auf: Herr Jeſus, was iſt das! Das folgende: Er bringt mich um! erſtickte aber ſchon auf ihren Lippen, als von denen des Officiers unter einem ſchweren Seufzer zuerſt ein Fluch hervorbrach, dann die Worte: Ich kann nicht dafür! Sie mochte die Stimme früher erkannt ha¬ ben als den Mann, der auf den Rückſitz halb ſank er hin, halb warf er ſich. Der Degen rollte aus ſeiner Hand. Die Baronin fing ihn auf; er war ſcharf natürlich, er war gewetzt, und an den Sandſteinſtufen des franzöſiſchen Geſandten! und ſie verwundete ihre Finger. Nach Hauſe das ſchicken wir hier vorauf kam ſie, die Hand umwunden mit ihrem Batiſttuch. Ob ſie ſich ſelbſt verbunden, ob der Rittmeiſter den Chirurg geſpielt, darüber ſchwei¬ gen unſre beglaubigten Nachrichten.

Das war der zweite Moment geweſen. Im dritten hatte Walter den Wagenſchlag zugeworfen und dem Kutſcher zugerufen: Nun zugefahren, was das Zeug hält! Der Kutſcher gehorchte pünktlicher als ſeine Herrin dem kategoriſchen Befehl und der Wagen kam unangefochten durch das Polizeipiquet.

Nicht ſo ganz unangefochten kam Walter ſelbſt da¬ von. Das Huſarenpiquet, welches eben um die Ecke ſchwenkte, als der Wagen abfuhr, ſchien Miene zu machen ihm nachzuſetzen. Der Commandirende, welcher unſern Freund zu kennen ſchien, ſalutirte ihm ſchon von fern leicht mit dem Säbel, um die Frage einzuleiten: ob nicht ein Militair in die Kutſche geſprungen ſei?

62

Der Schlag ward geöffnet, entgegnete Walter, und die darin ſitzende Dame nahm, wenn ich nicht irre, einen Bekannten auf.

Ein Officier mit blankem Degen?

Der Degen, wenn ich recht verſtand, war mit den Fenſterſcheiben des Herrn von Laforeſt in Berüh¬ rung gekommen.

Cornet Wolfskehl, rief der eine Huſarenofficier. Sagt ich's nicht!

Ich laſſe mich nicht täuſchen, erwiederte der Commandirende, das war Dohlenecks Statur. Sie müſſen ihn ja kennen, Herr van Aſten?

Sollte der Rittmeiſter ſo jugendlicher Tollheit zugänglich ſein! Es war zu dunkel. Aber, meine Herren, da entſinne ich mich ja, der Rittmeiſter war heut zu Excellenz Schulenburg auf eine Lhombrepartie eingeladen, Excellenz Blüchers wegen. War Lom¬ bard oder Herr Crelinger der Vierte, darüber bin ich nicht recht gewiß, aber warten Sie, es wird mir gleich einfallen

Der Commandirende lächelte: Wir danken für den Avis. Cornet Wolfskehl wird wohl zu fan¬ gen ſein, meinte der Zweite.

Die Huſaren ſprengten ihrer voraufgeeilten Pa¬ trouille nach. Wir verſchwören nicht, daß in ihrer Verhandlung mit dem Miniſterialſecretair nicht die wohlmeinende Abſicht mitgeſpielt hat, dem Verfolgten Zeit zu laſſen.

Der Wagen der Baronin Eitelbach entging glück¬63 lich der Polizei und den Huſaren, und als er vor dem Hauſe der Madame Braunbiegler hielt, war nichts Gefährliches paſſirt, als daß eine Scheibe im Kutſchenſchlage wahrſcheinlich durch einen zufälligen Ellenbogenſtoß entzwei gegangen war. Auch hatte ſich ſeltſamer Weiſe ein Fußgänger, nach einer Ver¬ ſtändigung mit dem Kutſcher, zu ihm auf den Bock geſetzt. Dieſer war, ſchneller als der Kutſcher herab¬ geſprungen, bereits verſchwunden, als letzterer ſich langſam heruntermachte, um, in Ermangelung eines Bedienten, den Wagen zu öffnen. Ehe das geſchah, hatte ſich aber die Wagenthür gegenüber ſchon von ſelbſt geöffnet und der Rittmeiſter war nach einem langen, zärtlichen Kuß auf die Hand der Baronin entſchlüpft.

Die Eitelbach war nie ſo langſam als heute die Treppe zu einer Geſellſchaft hinaufgeſtiegen. Auch im Vorzimmer hatte ſie noch ſo viel mit ihrer Toi¬ lette zu thun. Ein Glück, daß die große Geſellſchaft, welche ſich noch ſpät bei der Braunbiegler verſam¬ melt, mit andern Dingen beſchäftigt war, um auf ihre Verlegenheit Acht geben zu können. Dieſe Ver¬ legenheit hätte ſich eigentlich noch um ein Bedeuten¬ des ſteigern müſſen, als die Wirthin ihr mit dem Bedauern entgegen kam, daß ſie ihre Hand an der Fenſterſcheibe verwundet habe, ſie hoffe, es werde doch nicht üble Folgen haben. Die Wirthin hatte nicht Zeit, ihr Erröthen zu bemerken, ſie hatte über¬ haupt in dem Gewirr nicht Zeit für einen einzelnen64 Gaſt. Auch Andere, die an ihr vorüber ſtreiften, be¬ klagten die ſchöne Hand. Es wird aber gewiß nichts auf ſich haben. Wußte denn Jeder nicht nur die Thatſache, ſondern ſchon das Mährchen, was ſie ſich künſtlich zurecht gelegt, um die Wahrheit verber¬ gen zu dürfen? Von wem hatten ſie's erfahren? Gott ſei Dank, daß ſie wenigſtens das nicht ge¬ hört, von dem nichts wußten, was es war das erſte Geheimniß, was ſie unter ihrer pochenden Bruſt verbarg. Die Bruſt blutete vielleicht heftiger als die Hand.

In ſolchen Stimmungen kann eine große Ge¬ ſellſchaft, wo Keiner Zeit und Raum hat auf den An¬ dern Acht zu geben, zur Wohlthat für ein geängſtetes Gemüth werden. Ein Hofmann hätte es eine ge¬ miſchte genannt, ſie beſtand mehr aus den Optimaten des Reichthums als der Geburt. Der Reichthum hing von den Decken als Kronenleuchter, Armleuch¬ ter, Feſtons, Seiden - und Damaſtgardinen; er laſtete in den Aufſätzen der Niſchen und Ecktiſche, in den Teppichen auf dem Boden, vor allem auf und an der Wirthin. Zum Schildern iſt nicht mehr Zeit. Die Juwelen, Ketten, Ringe, Aufſätze, die Madame Braunbiegler vom Wirbel bis zum Gürtel, von den Schultern bis zu den Fingerſpitzen trug, waren in Berlin ſprüchwörtlich. Reichthum, überall, wohin man ſah, nicht ausgebreitet, ſondern aufgeſchichtet, laſtend, prahleriſch, ohne Geſchmack. In ſolchen Kreiſen pflegt die Unterhaltung der Lebendigen, Hauch,65 der über eine Geſellſchaft hinfliegen ſoll, den Wider¬ ſchein und Abdruck des Apparates anzunehmen.

Der Patriotismus hier war anderer Schattirung, als der, welcher den Scheiben des franzöſiſchen Ge¬ ſandten gedroht. Das große Ereigniß, welches die Straßen, die höheren Kreiſe heut Abend in Bewe¬ gung verſetzt, die diplomatiſchen in Entſetzen, hatte weniger Wirkung hervorgebracht. Man betrachtete den Krieg als etwas Ausgemachtes, Nothwendiges, die Dehors deſſelben kümmerten die Anweſenden we¬ niger. Nur die jüngern Leute verſuchten in einer Nebenſtube am Klavier die ſechs neuen eben erſchie¬ nenen Kriegslieder, componirt von Helwig, zu ſingen. Allgemeinſten Beifall erndtete aber das Kriegslied der Preußen von Karl Müchler, componirt von Mappes: Endlich tönt der Ruf der Luſt!

Aber es war ein anderer, näher liegender Ge¬ genſtand, der die practiſchen Leute beſchäftigte. Geſtern war eine Frage entſchieden, die ſchon Wochen lang die Gemüther beſchäftigt hatte: ob die Infanteriſten Mäntel haben müßten? Es war eine Frage gewe¬ ſen, ſo wichtig, ſo ernſt behandelt und ſo lebhaft als irgend eine, welche zuweilen als Rieſenſchlange durch alle Geſellſchaften in Berlin, von den Spitzen der Thürme bis in die Winkel der Kellerwohnungen ſich gewunden und dort ihre Streiter gefunden hat. Fra¬ gen wie die, ob das neue Jahrhundert um Mitter¬ nacht zu 1800 oder zu 1801 gefeiert werden müſſe, ob Fleck oder Iffland ein größerer Schauſpieler,V. 566Friedrich oder Napoleon ein größerer Feldherr ge¬ weſen?

Es war eine ungeheure Neuerung, das geſtand ſich Jeder, Vielen ſchien ſie gefährlich, weil den Fran¬ zoſen nachgebildet. Ja, ein Huſar, ohne Mantel ge¬ dacht, war kein Huſar mehr; aber was blieb er noch, wenn auch Musketiere, Füſiliere, Grenadiere Män¬ tel erhielten! Der Unterſchied von Cavallerie und Infanterie ſchien über den Haufen geworfen, ein ſo unüberſehbarer Eingriff in die beſtehende Ordnung, als heute Vielen eine Gemeindeordnung bedünkt, die den Unterſchied von Stadt und Land aufbebt. Frie¬ drich hatte mit einer Infanterie ohne Mäntel geſiegt, er mußte doch wiſſen, warum es ſo beſſer war. Ein guter Soldat muß nicht frieren, wenn ſein König befiehlt, daß er warm iſt. Aber die Neuerer hatten eingewandt, daß auch der Infanteriſt ein Menſch iſt, und daß jeder Menſch friert, wenn es kalt iſt, daß der Regen den einen durchnäßt wie den andern, daß der Krieg ſeit Friedrich eine andere Façon angenommen, daß Napoleon die Wintercantonirungen nicht mehr reſpectire, daß er ſeine Feinde zu Winterfeldzügen nöthigte.

Die Mäntelpartei hatte geſiegt. Geſtern hatte ein Erlaß der Geheimen Ober-Finanz -, Kriegs - und Domainen-Direction das Publikum davon avertirt: wie Seine Majeſtät, der König, ſchon längſt darauf Be¬ dacht genommen, daß der Soldat im Kriege nicht frieren dürfe, und wie es Seiner Majeſtät Wunſch ſei, daß alle ſeine braven Krieger eine wärmere67 Winterbekleidung erhielten, namentlich die Infanterie Mäntel mit Aermeln, die Cavallerie wollene Unter¬ hoſen. Da aber ſelbige aus allgemeinen Mitteln zu beſchaffen in gegenwärtiger Zeit auf mannigfache Schwierigkeiten ſtoße, ſo werde die Bereitwilligkeit der Nation angerufen, das Unternehmen des gelieb¬ ten Landesvaters zu unterſtützen und ihren warmen Patriotismus durch die That zu bewähren.

Mäntel! war das Looſungswort durch die Stadt, im Civil, wählend das Militair nur Krieg wollte, mit oder ohne Mäntel. Zum erſten Mal war das Publikum aufgerufen, ein großes Werk des Allge¬ meinwohls zu unterſtützen, ja die Initiative war ihm in die Hand gegeben. Wen darf es wundern, wenn es umher brauſte und ſchwirrte, eine Thätig¬ keit ſich entwickelte, die ſich ſelbſt hemmte und ver¬ wirrte. Der Staat hatte bisher für Alles geſorgt, nun ſollte der Bürger nicht allein für ſich, auch für den Staat ſorgen! Commiſſionen und Ausſchüſſe zu bilden, wo ſollte man gelernt haben, was ſich jetzt von ſelbſt macht! Der Magiſtrat, der es in die Hand genommen, fand dafür kein ander Mittel als eine Subſcription, die von Stadtverordneten Haus für Haus umhergetragen werden ſollte. Das war ein langer Weg. Aber nun fühlte ſich Jeder berufen, auf ſeine Hand es in die Hand zu nehmen; die Rähte¬ rinnen und die Geheimräthinnen, auf den Kanzeln und in den Werkſtuben, im Theater und in den Weinhäuſern, auch in andern Häuſern, es war überall5*68nur ein Wort, überall wollte man helfen, noch lie¬ ber Rathſchläge geben, wie man helfen könne.

In der Geſellſchaft der Braunbiegler hatte die Sache noch eine andere Seite. Auf dem Conto Debet ſtand Patriotismus und Tuch. Was Madame Braunbiegler gezeichnet, konnte man auf ihrem ſtrah¬ lenden Geſichte faſt in Zahlen leſen. Die Dame ſelbſt wog mit ihrem treffenden Blicke die Gäſte ab; auch ſie las auf jedem Geſichte, wie viel iſt der Mann werth? Wie viel hätte er zeichnen müſſen? Wie viel hat er zu wenig gezeichnet? Wie viel zu viel, um ſich höher zu ſtellen? Endlich wie tief ſtehen ſie alle unter dir!

Ihr zunächſt mußte der Baron Eitelbach ſtehen. War er doch ihr Compagnon! Aber er ſtand nicht, er ging, er flankirte mit ſeinem ſtrahlenden Geſicht durch die Gruppen.

Was ſagen Sie nun dazu, Kapellmeiſter? Ha¬ ben die Deutſchen keinen Patriotismus nicht, Herr Righini?

C'est étonnant! erwiderte der Angeredete. Selbſt meine Waſchfrau präſentirte mir einen Subſcriptions - Zettel.

Pfui! Das finde ich eigentlich abſcheulich. Wenn die Populace ſich erſt mit etwas befaßt, dann, muß ich geſtehen, faß ich's ungern noch an!

Der Geiſt der Zeit! ſagte ein Dritter.

Was iſt das? fragte der Baron.

Ein Buch, was eben erſchienen iſt, bemerkte69 ein Vierter, von einem gewiſſen Moritz Arndt. Es macht viel Aufſehen.

Mir unbekannt! ſagte der Baron und ließ ſeine Lorgnette umherblitzen.

Der Vorige bemerkte, daß der eben neu aus¬ gegebene Preußiſche Staatsanzeiger auf das Buch aufmerkſam mache.

Was ſteht denn in den Zeitungen? Ich habe wirklich nicht Zeit, ſie zu leſen.

Der Kaiſer Napoleon iſt in Mainz angekom¬ men. Sie ſchreiben, er ſähe magerer und blaſſer aus als ſonſt, übrigens in vollkommener Geſundheit.

Gar nichts Intereſſantes?

In Neapel iſt der berüchtigte Räuberhauptmann Fra Diavolo in Ketten eingebracht worden. Er iſt wahrſcheinlich jetzt ſchon erſchoſſen.

Ah! Compagnon von Rinaldo Rinaldini, Abälino, Righini etcetera. Der Baron legte mit anmuthiger Schalkheit ſeine Hand auf die Schulter des Kapellmeiſters. Der Wahrheit die Ehre, Ihr Vaterland liefert uns immer die intereſſanteſten Räu¬ berhauptleute, ſtupende Kapellmeiſter und die ſchönſten Sängerinnen. A propos, wie heißt denn die, die in Paris jetzt Furore macht?

Catalani man ſchreibt eben, daß der Kaiſer ihr eine Penſion von 1200 Francs ausgeſetzt hat.

Hab's geleſen ja, ich hab's ſelbſt geleſen. Man muß die Künſte protegiren, das iſt nobel. Die Schmalz ſang auch admirabel, muß man ihr70 laſſen ah, eine Kunſt und eine Stimme! Iſt jetzt in Italien. Wenn ſie nur hübſcher wäre! Es geht nichts über Kunſt, ſag 'ich Ihnen. Neu¬ lich: Beſchämte Eiferſucht! Was geht mich das Stück an? Aber die Mebus! Zum Küſſen, ſag' ich Ihnen. Und Mattauſch iſt nicht mein Mann aber die Damen Göttlich! göttlich! und die Tücher vor den Augen. Iffland kam gar nicht gegen ihn auf. Berlin ſah ſeinen Iffland wieder, ſteht's in der Zeitung ja, 's ſteht Manches in der Zei¬ tung, was doch nicht ſo iſt. Aber Iffland, à la bonne heure, halten Sie ihn nicht auch für einen denkenden Künſtler, Herr General-Stabsarzt?

Der Angeredete verneigte ſich nur ſchweigend.

Sehn Sie, das hab 'ich immer geſagt, wo Iffland nicht ſpricht, weiß man ſogar, was er denkt. A propos, wiſſen Sie denn von der Eigenſatz? Geht nach Wien

Der Zuſatz ward nur hinter der Hand einem der Glücklichen ins Ohr geflüſtert. Der Baron be¬ glückte längſt andre Gruppen mit ſeiner erheiternden Gegenwart, als das ſtille Gelächter im Kreiſe, den er verlaſſen, den Umlauf machte.

A propos, ma belle! rief der witzige Baron, als er ſeine Gattin zu Geſicht bekam, was iſt denn das für ein Kutſchenfenſterſcheibengeſtoße? Denkſt Du, Glas koſtet kein Geld? Werde die Thüren mit Brettern vernageln laſſen, profit tout clair! Dann ſieht auch Keiner, mit wem Du drin ſitzeſt.

71

Du weißt ? Ihre weißen Perlenzähne ſtarrten ihn an.

Ziert ſich, weil er ihr den ſchönen Arm küſſen will, und ſtößt darüber die Scheibe ein.

Ihre Perlenzähne verſchloſſen ſich, aber ihre ſchönen Augen wurden größer.

Mir ſchenkt man reinen Wein.

Jetzt erſt platzte das Um Gotteswillen, wer? heraus.

Wer anders als der Legationsrath! Was war's denn nun, daß er zu Dir in die Kutſche ſprang? Muß man ſich darum ſo haben!

Der Legationsrath?

Iſt ein geſcheiter Mann und wird nicht plaudern.

Du kannſt ihn ja aber nicht ausſtehn.

Man kann Viele nicht ausſtehn, ma chère, und trinkt doch mit ihnen Brüderſchaft.

In ſprachloſem Erſtaunen ſah die Baronin ihn an. Ma chère, verſtehe mich. Die Sache iſt ganz ſimpel. Wandel reitet mit Achten vorgeſpannt in's Herz der Braunbiegler. Wenn's zum Klappen kommt, wird ſie den Teufel ſo dumm ſein und einſchlagen. Aber 's iſt doch die Möglichkeit, wer kennt die Weiberherzen. Und ein ſolcher Com¬ pagnon in's Geſchäft, na, da gratulire ich! Alſo

Was denn?

Um's kurz und klein zu machen, laß Dir von ihm die Cour machen, ſo viel er Luſt hat, und72 wenn er zu Dir in den Wagen ſpringt, ſchrei nicht auf.

Der Legationsrath! Weiter wußte die ſchöne Frau nichts zu ſagen, denn der Legationsrath ſtand vor ihnen. Es ging zur Tafel. Der Baron legte den Arm ſeiner Frau in den des Rathes: Sie ſchmachtet nach Ihrer Unterhaltung. Sein Sie lie¬ benswürdig, ſo viel Sie können, es wird Niemand eiferſüchtig

In ſich lachend, ſetzte er hinzu: außer wer es ſoll!

Das Opfer ging neben dem, dem ſie geopfert ſchien. So roh, widerwärtig, war ihr Gatte ihr nie vorgekommen. Wandel ging im würdigſten Ernſt. Er ſprach Gleichgültiges, unbefangen. So war er bei Tiſch der liebenswürdigſte Nachbar, aber ſein Ge¬ ſpräch, ſeine Erzählungen waren für Alle, ſie mu߬ ten Jeden intereſſiren. Der Baron hatte ſeine Ab¬ ſicht nicht erreicht, die Braunbiegler ward nicht eifer¬ ſüchtig, die Baronin aber ſaß auf Kohlen.

Nachher kam ein Moment, um mit Wandel, in eine Fenſterniſche von den Aufbrechenden zurück¬ gedrängt, unbemerkt ein kurzes Geſpräch zu pflegen.

Um Gotteswillen, was iſt das?

Wandel antwortete, mit der Quaſte der Gar¬ dine ſpielend, als unterhalte er ſich mit ſeiner Dame über irgend eine Trivialität:

Sein Sie unbeſorgt. Ich bin, ich bleibe der Wächter Ihrer Ehre der Kutſcher iſt von mir73 gewonnen; es wird noch Alles gut werden, wenn Sie ſich nicht ſelbſt verrathen.

Mein Gott, Herr von Wandel, wie komme ich dazu!

Still! Ich beſchwöre Sie, nur keine Emotion! Sie haben ſich beherrſcht, ich habe Sie bewundert. Fahren Sie ſo fort. In meiner Bruſt ruht Ihr Geheim¬ niß wie im Schooß der Erde vertrauen Sie mir

Aber, lieber Gott, wenn ich's recht bedenke, was iſt es denn eigentlich

Denken Sie nicht, um Gotteswillen, denken Sie jetzt nicht. Dem Reinen iſt Alles rein, aber wer iſt vor dieſen rein? Ein Rendezvous in der Kutſche bei Nachtzeit Ihre verwundete Hand! die zerſchlagene Scheibe die Lüge! O ver¬ zeihen Sie, ich rede nur, was dieſe reden würden. Gräßlich, wenn Auguſte morgen der Gegenſtand des Stadtgeſprächs Nein, nimmermehr! Denken Sie nicht, Sie ſind in Agitation laſſen Sie jetzt Andre für ſich denken, die ruhiger ſind, die wenigſtens ruhi¬ ger ſcheinen, ſetzte er ſeufzend hinzu.

Sie reichte ihm bewegt die Hand: Sie meinen es gut.

Gnädige Frau, ſagte er, reſpectvoll zurücktre¬ tend, Mancher iſt doch beſſer, als man glaubt.

Charmant! ſagte der hinzutretende Baron, um ſeine Frau fortzuführen. Continuiren Sie, Herr Le¬ gationsrath, noch bin ich nicht eiferſüchtig. Aber was nicht iſt, kann noch werden.

[74]

Viertes Kapitel. Nur eine Kleinigkeit.

Es war ſchon Nacht, als Walter mit ſeinen Er¬ kundigungen in das Hotel des Miniſters zurückkehrte.

Es waren inzwiſchen noch mehr Nachrichten ein¬ gegangen, geeignet die ernſte Stimmung des Staats¬ mannes zu erhöhen. Seine Gereiztheit hatte aber einer klaren Ruhe Platz gemacht, gleich wie das Dunſtgewölk draußen einem ſternenklaren Himmel, das Geräuſch des Abends einer tiefen Stille ge¬ wichen war. Nur aus entfernten Gärten und Ta¬ bagieen ſchallte noch eine dumpfe Muſik.

Depeſchen wichtigen Inhalts waren dem Miniſter communicirt worden: Napoleon hatte endlich officiell dem Berliner Cabinet die Stiftung des Rheinbundes notificirt mit einer formellen Aufforderung, dieſer Conföderation zum Wohl des geſammten Deutſchlands beizutreten. Ein bittrerer diplomatiſcher Hohn ließ ſich kaum denken. Eben als Laforeſt von ſeiner Mel¬ dung zurückgekehrt, hatte er die Serenade der Gens¬ darmen empfangen!

75

Das iſt ein reiner Zufall! war Walters Meinung.

Wenn nun die ganze Weltgeſchichte Zufällig¬ keiten wären, die unſer grübelnder Verſtand zu einer Kette von Nothwendigkeiten verſchlingt!

Walter meinte, daß Laforeſt zu verſtändig ſei, eine Inſulte trunkener Jünglinge anders zu be¬ trachten, als ſie war.

Gewiß, hatte der Freiherr erwidert, Napoleon wird um dieſer Albernheit willen keine Stunde früher losſchlagen, als ſeine Abſicht iſt. Aber eben, weil wir und er noch nicht gerüſtet ſind, weil wir beide die Maske der Freundlichkeit noch nicht abwerfen dürfen, zu welchen Lügen zwingt uns abermals die Unbeſonnenheit! Man muß die jungen Leute härter ſtrafen, als nöthig. Hardenberg muß wieder mit ſüßſchwellenden Lippen Betheuerungen unſerer freund¬ ſchaftlichen Geſinnung machen. Das iſt der Fluch unſerer Gedankenloſigkeit, ſetzte er hinzu, des Alles¬ gehenlaſſens, daß ſich Zuſtände, Stimmungen ent¬ wickeln, die naturgemäß heraus müſſen; wir ließen ſie zu, wir nährten ſie ſogar, und wenn es zur Ex¬ ploſion kommt, erſchrecken wir, ſtehen rathlos, und möchten mit Keulen das Kind zurückſchlagen, das aus der Mutter Leibe will.

Der Miniſter ſtand wieder am offenen Fenſter. Athmete er die friſche Herbſtluft ein, oder verfolgte ſein Auge das ſternenbeſäete Firmament? Zuweilen ſchien er auf die Blaſeinſtrumente zu horchen, deren76 Töne der Luftzug ſtärker herantrug. Es war immer der Deſſauer Marſch.

Der alte Deſſauer ſang ja auch, wohl die Kirchenlieder nach der Weiſe! Es iſt Alles hier eine Weiſe. Das iſt's, was den Muth dämpft.

Walter meinte, in Anſichten ſei doch eine Muſter¬ karte vorhanden.

Nein, die Uniform iſt in's Blut gedrungen. Das iſt's! Das iſt das Uebel. Ein König war ein¬ mal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puri¬ taniſch, ein anderer ein Freidenker, da wurden ſie Freigeiſter. Dann Libertins, zur Abwechſelung Träu¬ mer, magnetiſch verzückt, Geiſterſeher. Aus Ueberdruß auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Ency¬ klopädiſten, Freimaurer, bureaukratiſch fiſchblütige Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt, und Beyme nicht in die Stricke der andern gefallen wäre! Und was das Uebelſte vom Uebel, ſie hal¬ ten dieſe Virtuoſität des Nachſpringens noch für Bravour und Tugend.

Und hat nicht dieſe Virtuoſität oder Tugend unſern Staat zu dem gemacht, was er iſt?

Reſpect vor dem Geſchlecht, junger Freund! Die großen Männer waren es, die Rieſengeiſter, von jenen Bergen ſtammend, auf denen auch der Hohen¬ ſtaufen in die Wolken ſah.

Auch die Stammburg des Miniſters ſchaute von einem Berge in die Wolken. Der Miniſter mußte den lächelnden Zug um ſeine Augen ver¬77 ſtanden haben; es lag wieder etwas wegwerfende Härte in ſeinem Ton:

Sie können nicht dafür, daß Sie es nicht be¬ greifen. Ihre ganze Erziehung, die Bildung hier iſt daran ſchuld. Es war ein Experiment, wie es in der Weltgeſchichte nicht noch einmal vorgekommen. Daß eine Dynaſtie, ein Fürſtengeſchlecht ein Volk machte! Zuſammengeleimt widerſtrebende Theile mit ſeinem Blute. Ich ſage Ihnen, ich habe den höch¬ ſten Reſpect vor dieſem Blute. Welche Eiſentheile, welche Elaſticität, welche Attractionskraft, Klarheit muß die Schöpferin Natur da einmal in ihrer über¬ müthigen Laune hineingegoſſen haben! Aber wenn ein Volk, wenn Stämme, wenn die Natur ſelbſt dar¬ über untergingen, dann erlaube ich mir wenigſtens eine Thräne an ihrem Grabe.

Nach einer Pauſe hub er wieder an: Ich ſage Ihnen, ohne Ariſtokratieen iſt kein Leben in der Natur, kein Fortſchritt in der Menſchheit. Die Welt¬ geſchichte wäre ein mongoliſch-chineſiſcher Brei, ohne Halt, Erhebung, tragiſche Größe. Wenn man die Kirchthürme abbricht und die Schornſteine höher mauert, die Berge planirt und mit Schubkarren Hügel aufführt, iſt das Erſatz? Was wäre der Erd¬ ball ohne ſein Granitgerippe, das ihn zuſammenhält gegen Orkane und Fluthen, Wälle gegen Sonnen¬ brand und Steppenſand! Wo entſpringen die Flüſſe? In dem ewigen Schnee, der auf ihren Firnen lagert. Die Menſchennatur iſt nicht anders. Hab ich eine78 Stimme wie die Catalani? Sind Sie ſchön wie Adonis? Können wir's uns geben? Sie würden mich, ich Sie einen Thor nennen, wenn wir danach trachteten. Wohin hat die Gleichmacherei der Ja¬ cobiner geführt! Frankreich ſeufzt unter einem neuen Marſchallsadel; ſo dünn plattirtes Gold es ſei, das Volk muß es von ſeinem Schweiße hergeben, wie es die Säckel der Directoren füllen, die Guillotinen mit ſeinem Gelde bauen mußte! Iſt der alte Adel darum todt? Er lauert nur, und läßt ſeine Nägel wachſen, um's wieder an ſich zu ſcharren, wenn die Gelegen¬ heit kommt. Das die Wirkung der Impetuoſen.

Hier liegt aber vor uns die Arbeit eines Jahr¬ hunderts, und darüber. Wir ſehen nicht mehr die Arbeit, nur das fertige Werk.

Iſt es fertig? Er ſchüttelte den Kopf. Was wäre der ſchönſte Gliederbau werth, dem der Kopf fehlte? Man fängt an, auf Friedrich zu ſchmälen. Man hat Unrecht, auch der wackere Arndt irrt. Was er als Sünde des Individuums züchtigt, war nur der Inſtinct des Blutes, es war die wun¬ derbare Aufgabe der Dynaſtie, die Naturen und ihre Summitäten zu ertödten, um aus ſich heraus allein das Werk zu erſchaffen. Wär's ihnen gelungen, ge¬ lingt es ihnen, dann ſind ſie im Recht, es war eine Miſſion, eine Aufgabe von Gott, aber

Das plötzliche Verſtummen des Miniſters war nicht von den Zeichen begleitet, welche den Willen, ein Geſpräch abzubrechen, andeuten. Er wollte79 Widerſpruch. Walter aber lenkte es von einer Seite ab, von der er wußte, daß ſie für den Freiherrn im¬ mer empfindlich war. Er lenkte es auf die Frage hin: ob denn die großen Reorganiſationspläne des Staatsmannes grade in dem kritiſchen Augenblicke an der Zeit ſeien?

Jetzt oder nie! fiel der Freiherr ein. Preußens Geſchichte laß ich als eine ſeltene Rarität unbe¬ rührt. Wir empfingen das Werk mit dem Stempel, den ſeine Schöpfer darauf gedrückt. Dieſe Schöpfer ſind todt. Und wenn ſie als Geiſter aus ihren Grüf¬ ten um uns ſchwebten, ſie könnten uns doch nicht zu¬ flüſtern, was wir thun müſſen, denn ihre Kenntniß iſt aus ihrer Zeit. Wir müſſen aus der ſchöpfen, die iſt. Ein ſtolzes Orlogſchiff ſchaukelt im ſtürmi¬ ſchen Meere. Seine Capitain und Steuerleute ſind geſtorben, ihre Papiere verloren, ſelbſt die Traditio¬ nen, wohin es ſteuern müſſe, ſind es. Was ſoll man thun? Die Hände in den Schooß legen, es den Winden überlaſſen, wohin ſie treiben? Ja, dann verdienten ſie, Mann und Maus, elendiglich auf dem Wrack umzukommen. Nein, das Volk wird zu¬ ſammentreten, berathen, die Tüchtigſten aus ſich, die Erfahrenſten, die Kühnſten auswählen, ſie in die Maſten ſchicken, ihnen das Steuer in die Hand geben, und, mit Gott, ſie werden thun, was an ihnen iſt, ſich und das Fahrzeug zu retten. Ein ſolches Schiff iſt Preußen, ein ſolcher Augenblick iſt dieſer. Jetzt gilt es das Volk aufrufen, jetzt oder nie. Erwacht,80 erwägt, was es Euch iſt, dies Vaterland, ob es werth, daß Ihr Alles dran ſetzt, Alles, nicht nur Gut und Blut, auch die Gewöhnung, das einge¬ ſchrumpfte Daſein, den Stolz. Sie müſſen neu ge¬ boren, ſie müſſen wieder Kinder werden, um der Gnade empfänglich.

Und wenn das Volk den Ruf nicht hörte!

So haben wir gerufen, und der Schall vibrirt fort durch die Luft er weckt nach uns, Andre wer¬ den uns hören, wenn wir längſt untergegangen.

Der Freiherr ging wieder in Gedanken verſun¬ ken auf und ab. Er blickte noch einmal zum Fen¬ ſter hinaus, und das Sternenlicht ſchien wieder ſeine Ruhe und Klarheit auf das characterfeſte Geſicht des Mannes gehaucht zu haben, als er zurückkehrend ſich Walter gegenüber am Tiſche niederſetzte.

Wir dürfen uns nicht in Empfindungen ver¬ lieren, es drängt. Nehmen Sie wieder die Feder

Walter ſchrieb hingeworfene Sätze, die von den Lippen des Miniſters, wie ein immer lebendige¬ rer Quell, ſprudelten.

Gedenken Excellenz auch dieſes Memorial durch die Hand der Königin an die höchſte Stelle zu be¬ fördern?

Ja, die Königin wenn ſie ! Die Ge¬ danken flogen, ſie drängten und überſtürzten ſich, con¬ vulſiviſch, wie die Bewegungen der Lippen.

Und warum es uns verhehlen, was eine nur zu ſichere Ahnung uns ſagt! Auch dieſer Verſuch81 wird ſcheitern! Zu einem Titus in Tagen des Frie¬ dens war er geboren. Die Zeit forderte einen Sulla. Dieſer bürgerliche Gerechtigkeitsſinn reicht nicht aus in Zeiten, wo das Recht aufhört. Daß es da ein höheres giebt, was der geweihte Prieſter aus den Wolken greifen muß, wer darf ihn tadeln, daß ihn Gott zu dieſem Glauben nicht geweiht. Er hat eine Scheu vor außerordentlichen Schritten es wird ad acta gelegt werden wie das andre. Sollen wir darum nicht unſre Pflicht thun? Wir werden Napoleon unterliegen.

Seiner Uebermacht?

Nein, unſrer Unmacht! Unſerm Dünkel, der den in Sturm und Donner neu ſchaffenden Gott nicht ſieht. Schreiben Sie weiter

Und mit dieſer Vorahnung

Vorbewußtſein, corrigirte der Miniſter, will ich ihnen einen Spiegel hinhalten. Deſto beſſer, wenn ſie ihn im Zorn zerſchlagen, weil ſie ſo häßlich drin ausſehn. Wenn die Zuchtruthe des Herrn über ſie kommt, lernen die Völker beten. Mit Gebet allein aber, mit dem Inſichgehn iſt's nicht gethan, ſie ſollen aus ſich herausgehn. An Verſtand hat's nicht gefehlt, aber an Muth, ihn auszuprägen. Wir werden nicht erndten, aber ſäen wollen wir. Der Krieg wird die Saat zerſtampfen, aber ein Körnlein geht doch auf.

Es war lange nach Mitternacht, als Walter die Feder niederlegte. Es war nicht ungewöhnlich, daßV. 682der Miniſter nach gallichten Ergüſſen ſeiner Heftig¬ keit ſelbſt die Geſcholtenen zur Widerrede aufforderte. Zur Ruhe zurückgekehrt, hörte er ſie auch ruhig an. Walter glaubte, daß er in mehreren Punkten die Wirklichkeit ſchwärzer gemalt, als ſie ſei.

Das iſt nur der Fluch jeder Parteiſtellung. Im Eifer fliegen wir über das Maaß hinaus, in der An¬ ſchuldigung wie in der Vertheidigung. Es läßt ſich nicht anders thun, der redlichſte Wille wird unter¬ than dem Zwecke. Götter ſind wir nicht, und der Allmächtige wird wiſſen, warum er uns nicht Engels¬ ſeelen gab. Uebrigens ſolcher Liederlichkeit iſt auch Gift ein Heilmittel. Heim braucht jetzt Arſenik, wenn das kalte Fieber abſolut nicht weichen will.

Walter legte aufſtehend die Papiere zuſammen. Die Sitzung war geſchloſſen.

Warum ſchaudern Sie? Ich bin jetzt heiter.

Ich fragte mich nur, noch ergriffen von Ihrer Darſtellung, ob denn noch ſchlimmere Zuſtände möglich ſind!

Wenn Gottes Zornruthe nicht drein fährt! Ja. Er allein kann helfen, das bekenne ich hier vor Ihnen in Demuth. Wenn keine Blitze niederzücken, kein Gewitter dieſe faule Luft reinigt, ſo helfen alle unſere Vorſchläge nichts. Dies in liederlicher Hu¬ manität aufgepeppelte Lottergeſchlecht iſt zu nichts Urkräftigem mehr tüchtig. Im glücklichſten Fall wür¬ den ſie unſere Pläne wie ein neues Spielzeug hin¬ nehmen, das ſo lange amüſirt, als es neu iſt. Die83 Blaſirtheit iſt weder der Begeiſterung noch der Ent¬ rüſtung fähig. Das ihr Fluch. Im Drang nach Unterhaltung ſpielen ſie mit Allem, was ihnen hin¬ geworfen wird, ſie flattern aber auch in jedes Netz, das die Argliſt ihnen ſtellt. Wiſſen Sie, welche Netze, wer ſie ihnen einſt ſtellt? Die Herrſchaft die¬ ſer frivolen Schwätzer, gedankenloſen Roués iſt recht geeignet, den Boden zu anderer Saat weich zu machen. Ein Ekel muß doch am Ende die beſſere Natur überkommen, auch die nichts Beſſeres weiß. Sie ſtürzt ſich dann aus Verzweiflung in das erſte Beſte, was ihr vorgehalten wird. Die Verſuche der Wöllner und Biſchofswerder kamen nur zu früh, zu ungeſchickt. Darauf ließ man die Romantiker los; junge Genies, von denen ich gern glauben will, daß ſie in ihrem taumelnden Uebermuth ſelbſt nicht wu߬ ten, an welchen Fäden ſie flatterten. Dieſe Fäden ſind abgeriſſen, aber der Knäuel iſt noch da. Wer ſieht voraus, wann er wieder neue Fäden auswirft. Friedrich, in ſeiner großen Schöpferkraft ſchwelgend, vergaß, daß es noch einen Schöpfer außer ihm, über ihm, gab. Das muß ſich rächen. Den ewigen Gott haben ſie zum ſentimentalen Großpapa im Schlafrock gemacht. Gott läßt ſein nicht ſpotten. Das wird, das muß einen Umſchlag geben. Der kann fürch¬ terlich werden. Den Gott am Kreuze wollen dieſe nicht mehr anbeten, es können Andere kommen, die fordern, daß wir das Kreuz ohne den Gott anbeten. Wie nun, wenn ein langer Friede wieder die Ge¬6*84müther in frivole Ruhe, in läppiſchen Dünkel auf die Thaten ihrer Väter eingewiegt hat, wenn da dieſe Mächte wieder ihre Netze ſpinnen! Nun, junger Freund, denken Sie ſich dann dieſe von heut, ſo gedankenlos wirthſchaftend mit dem Gut des Va¬ terlandes, ſo die Traditionen vergeudend, den Staat von Ehr und Anſehen, durch Jahrhunderte von den großen Hohenzollern geſammelt, großſprecheriſch und kleinkrämeriſch, mit einem Faſſungsvermögen, das nicht über heut hinausgeht, und denken Sie dieſe Verwalter noch den Mantel der Tugend und Reli¬ gioſität ſich umhängend, und dann fragen Sie ſich ſelbſt, ob es nicht noch ſchlimmer werden kann, als es iſt?

Es iſt Geiſterſtunde!

Und Sie meinen, ich ſähe Geſpenſter. Möglich. Aber Rom vergißt nie die Feſſeln, die es der Welt geſchmiedet, und zweimal wurden ſie von Deutſchland aus gebrochen. Auf dieſer Sandſcholle ruht eine wunderbare Miſſion Genug davon! Wenn ich ihn weniger haßte, ich könnte ihn lieben, dieſen Na¬ poleon. Ein fürchterlicher Arzt, treibt er die Krank¬ heit mit Skorpionengeißeln zur Kriſis Aber was dann kommt die Geneſung, wie ſie ausſchlägt !

Man muß auf die großen Beiſpiele der Ge¬ ſchichte zurückblicken, und Vertrauen auf die Vor¬ ſehung haben, ſchrieben Excellenz neulich an den Freiherrn von Vincke.

Was hielte uns ſonſt aufrecht! Aber dieſe85 Vorſehung ließ Reiche und Nationen vom Erdball verſchwinden, um andern Platz zu machen ſie ließ auch einen langen byzantiniſchen Todeskampf zu.

Was Gott walte, rief Walter, daß dieſe Agonie von Deutſchland fern ſei.

Amen! ſagte der Miniſter.

Draußen klirrten Schleppſäbel auf dem Pflaſter, junge Officiere, von einem verſpäteten Zechgelage heimkehrend, gingen lachend und ſingend vorüber. Es war eine unangenehme Störung in der Feier¬ ſtunde des Geſpräches, in der ſtillen Feier der Nacht.

Es ſind Theilnehmer an der Bravade von heut darunter, ſagte Walter, der ſich dem Fenſter genähert hatte. Sie ſind des Erfolges ſicher.

Der Miniſter legte ſeine Hand auf Walters Schulter: Und welchen andern, mein Freund, hätte dieſe Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher! Damals hätte es zünden müſſen. Damals, als das Pulver geſtreut lag. Laforeſt hätte ſeine Päſſe fordern müſſen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte ſie ihm auf der Stelle zugeſandt der Sturm war los, die Schleuſen gebrochen, und die Sonne von Auſterlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! Warum da nicht? Warum zu ſpät? Das ſind die Fragen, die unſere Philoſophie aus ihren Angeln heben.

Der Miniſterialſecretair war ſchon aus der Thür, als er ihn wieder zurückrief.

86

Ich wollte Sie nur um einen kleinen Dienſt bitten, klein für Sie, groß für mich. Es liegt mir viel, ſehr viel daran, daß Bovillard Zutritt bei Hofe erhält. Grade jetzt, wenn das Memorial eingeht. Er wird eigenſinnig bleiben. Thun Sie mir da den Gefallen und gehn zu dem ſchönen Mädchen, ich meine ſeine Braut. Stellen Sie ihr die Sache ernſtlich vor, daß ihr eigen Glück davon abhängt, ſeine definitive Placirung. Wenn ſie um Audienz bei der Königin bittet, wenn ſie das Sentiment, ihre eigne Herzenslage ſchildert, wird es ihr nicht ſchwer werden, auch Louiſens Herz zu rühren. Die La¬ fontaineſchen Romane ſpuken da noch immer. Ein Familienjammer iſt außerordentlich wirkſam. Sie kann ja auch einfließen laſſen, daß nur auf dieſe Weiſe die Abneigung des alten Bovillard zu be¬ wältigen iſt.

Walter ſchwieg: Liegt denn Euer Excellenz ſo überaus viel an

An Kleinigkeiten, fiel ihm der Freiherr in's Wort. Die Kieſelſteine, die in ein Räderwerk, der Staub, der in eine Taſchenuhr fällt, ſoll der Müller und der Uhrmacher ſie liegen laſſen, weil er der Vor¬ trefflichkeit ſeiner Maſchinen vertraut? Ja, Lieber, der Staatsmann, der auf die Kleinigkeiten nicht zu achten brauchte, wäre größer, als je einer in der Welt es war. Sie ſind da, um unſern Scharf¬ ſinn wach zu halten, und der ſie nicht ergreift, wo ſie ihm günſtig ſind, verſündigt ſich vor dem,87 der ſie ihm in die Hände ſpielte. Alſo morgen ſchon, wo möglich.

Excellenz, wie komme ich dazu?

Sie waren ja ihr Lehrer. Einige Schmeichel¬ worte, einige Autorität. Einem ſo beredten Lehrer ſchlägt eine Schülerin nichts ab.

Excellenz, dieſe Aufgabe

Koſtet Sie Ueberwindung. Deſto ehrenwerther. Haben Sie vielleicht ſelbſt einmal zu tief in die ſchönen Augen geblickt? Um ſo ſchöner noch Ihre Aufgabe. Wir ſind Alle zur Entſagung geboren.

[88]

Fünftes Kapitel. Zur Königin.

Es war ein ſeltſames Zuſammentreffen. Die Fürſtin Gargazin war heute mit einem Gedanken aufgeſtanden, der ſie beim Frühſtück beſchäftigte. Sie wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um Adelheid zu präſentiren. Vielleicht die Frucht eines Traumes; auch unſre Träume ſind nur die Früchte einer Saat, die wir ſelbſt geſäet. Adelheid fing an ſie zu geniren. Weshalb? Das Geſetz ihres Zu¬ ſammenlebens war ja, daß keine die andere geniren durfte! Und doch zuweilen, wenn ihre Blicke ſich begegneten, ſchlug die Fürſtin die Augen nieder. Die Augen des Mädchens leuchteten ſo hell und klug. Sie erinnerte ſich unwillkürlich an das, was Wan¬ del über ſie geſagt. Warum blieb er kalt vor dieſer Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in ihrer Gegenwart? Wandel war ein blaſirter Menſch, aber ein Menſchenkenner, es war etwas, worin beide in ihren Gefühlen ſtimmten. Und was ſollte das Mädchen noch in ihrem Hauſe! Kaiſer Alexan¬89 der war fern, er hatte andere Gedanken; wenn er kam, kam er im Kriegerrock, und dann dann! Die beſten Berechnungen ſchlagen am eheſten fehl. Und wenn Krieg ward, was ſollte Adelheid in ihrer Begleitung! Aber was ſollte ſie bei der Königin? Das würde Gott am beſten fügen. Die Fürſtin war heut von einem Gottvertrauen, das durch die Ereigniſſe beſtärkt werden ſollte.

Denn während ſie noch am Frühſtückstiſch ſaß, war die Hofdame der Königin, Fräulein von Viereck, vorgefahren und hatte unter andern Dingen von der Verwunderung der Königin geſprochen, daß Erlaucht ihre Pflegetochter Ihrer Majeſtät noch nicht vorge¬ ſtellt. Die andern Dinge waren bald bei Seite ge¬ ſchoben, die Viereck war nur darum gekommen. Die Königin durfte es nicht officiell wünſchen, auch war die Façon ſchwer zu finden, wie die Fürſtin das junge Bürgermädchen präſentiren ſolle. Alſo ſollte ein gelegentliches Zuſammentreffen arrangirt werden. Die Kammerfrau der Königin, Mamſell Schadow, war eine Bekannte der Alltagſchen Familie. Adelheid konnte die Kammerfrau beſuchen, und ſo wenig dabei etwas Auffälliges war, konnte es ſein, wenn Ihre Majeſtät bei der Gelegenheit das junge Mädchen traf.

Die Fürſtin war über den Vorſchlag um ſo mehr erfreut, als ſie nicht nöthig hatte Mutterrolle zu ſpielen. Sie fürchtete nur Widerſtand von dem capriciöſen Kopfe ihres Schützlings, eine Befürch¬ tung, die um ſo größer ward, als ſie hörte, daß Herr90 van Aſten ſich ſchon früh am Morgen bei Adelheid melden laſſen, daß er angenommen worden und noch jetzt bei ihr ſei. Was wollte der abgeſetzte Liebhaber bei ihr! Er konnte doch nicht beabſichtigen, ſeinen Nebenbuhler und Freund wieder aus dem Sattel zu heben? Das Kammermädchen hatte zwar an der Thür gehorcht, aber nichts von Thränen und Betheuerungen. Die Sprache hatte ſo ernſt geklungen, feierlich und doch auch zärtlich, meinte das Kammermädchen. Sie mußte die Sprache, welche drinnen geſprochen ward, nicht verſtehen.

Jetzt ging er. Adelheid begleitete ihn bis an die Gartentreppe. Die Fürſtin ſah durch die Glas¬ thür wenigſtens den Abſchied. Der junge Mann ſchien verändert, aber zu ſeinem Vortheil, ſeine Hal¬ tung war feſter, entſchloſſener, vornehmer. Er ergriff Adelheids Hand, er ſchien ſie an die Lippen bringen zu wollen, aber beſann ſich. Er hob ſie nur bis ungefähr an die Bruſt und drückte dann ſeine Hand darauf. Er ſah ſie dabei nicht zärtlich, aber innig an. Sie mußte ihn wieder ſo anſehen. Sie ſprachen noch einige Worte, welche die Gargazin nicht hörte. Dann war es Adelheid, welche ihm kräftig die Hand ſchüttelte und etwas ihm nachrief. Als er verſchwun¬ den, kehrte ſie um und trat durch die Glasthür.

Sie war nicht betroffen, als ſie der Fürſtin hier begegnete. Das Betroffenſein war an der Gargazin, als Adelheid ohne Umwege, beſcheiden, aber kurz und entſchloſſen, mit der Bitte vorrückte, die Fürſtin möge91 ihr vergönnen, die Königin heut um eine Audienz angehn zu dürfen.

Der Gedanke lag nahe, daß Adelheid von dem Beſuch der Viereck erfahren.

Das recherchirte Kind der allgemeinen Gunſt hat nur zu commandiren. Ich kann nicht dafür, daß Sie die Hintertreppe hinauf müſſen und Mamſell Schadow um Vermittelung angehen; hätten Sie mich früher Ihres Vertrauens gewürdigt, würde es, mir wohl gelungen ſein, Sie zur Vordertreppe heraufzu¬ bringen.

Adelheids klarer forſchender Blick durchſchaute die Sache noch nicht.

Die Gunſt der Großen, meine Liebe, fuhr die Gargazin fort, iſt ein Thema, was ſtudirt ſein will. Es iſt nur das Schlimme, daß wer ſie aus dem Grunde ſtudirt hat, nicht weiter und nicht beſſer daran iſt, als der Bauer und das Kind, die den König für einen Gott halten. Wir ſind ihnen Spiel¬ zeug, das ſie auf ihren Putztiſch ſtellen, ſo lange es ihnen gefällt. Gefällt es ihnen nicht mehr, wird's in den Kehricht geworfen. Es iſt Täuſchung, wenn das Spielzeug glaubt, es könne etwas dazu thun, daß es ſie länger feſſele, als ihre Laune dauert. Erlauben Sie mir eine Warnung. Die Königin hat ſich für Sie intereſſirt, als Sie ihr noch fern waren, das Gerede der Leute, Ihr Ruf vermehrte die Attractionskraft; neulich auf dem Ball erregten Sie ihr Mitleid. Aber Paſſionen aus Mitleid halten nicht92 lange an, und ſind immer mit einer demüthigenden Aetzung gemiſcht. Das zeigt Ihnen ſchon die Art, wie die Königin Sie rufen läßt.

Mich rufen?

Sie fühlen ſich ſchon ich will nicht ſagen gekränkt, aber Ihr Gefühl ſträubt ſich. Sie werden ihr nun vielleicht nicht in der Art entgegentreten, wie ſie es erwartet; Sie werden in Worten, Blicken, Haltung, Ihr Selbſtbewußtſein verrathen. Liebes Kind, das dürfen wir nicht den Großen der Erde gegenüber. Weil ſie ihre Größe immer fühlen wollen, wollen ſie uns immer klein ſehen. Je größer wir vor ihnen ſtehen, ſo mehr heben ſie ſich, um uns niederzudrücken; je niedriger wir uns aber bücken, je mehr wir den Schein annehmen, daß ihre Majeſtät uns eblouirt, ſo gnädiger werden ſie, und heben uns Zoll um Zoll es freut ſie dann, wenn wir uns über Andere groß dünken, denn ſie feiern ſich ſelbſt, weil ſie uns ſo groß gemacht.

Gnädigſte Frau, die Königin hat mich nicht rufen laſſen, ſie hat mich vielleicht ſchon vergeſſen. Es iſt mein eigener Wunſch, mich ihr vorſtellen zu dürfen.

Ihr eigener! Die Fürſtin hielt inne und maß das junge Mädchen. Adelheid war immer wahr; es war eben die Art der Wahrheit, welche der Gargazin nicht convenirte. Nach einer Pauſe hub ſie lächelnd wieder an: Sie erlauben mir doch zu zweifeln, daß es ganz Ihr eigener Wunſch iſt, wenn ich be¬93 merke, daß er nach einem myſteriöſen Beſuche zum Vorſchein kommt.

Mein Freund und Lehrer hat mich an eine vergeſſene Pflicht erinnert, ſagte Adelheid, ohne zu erröthen. Louis Anſtellung

Ah das! Sie accrochirt ſich an der Abnei¬ gung Ihrer Majeſtät, und Sie, meine Liebe, ſollen

Ich ſoll nicht; ich fühle jetzt ſelbſt die Pflicht was ein ſchwaches Mädchen vermag, dazu zu thun, daß Louis einen Wirkungskreis erhält, der ſei¬ nen Talenten angemeſſen iſt, der ihn zu dem erhebt, wozu er berufen iſt. Meine Hoffnung iſt gering, aber mein Vertrauen groß. Ich verſtoße vielleicht gegen die Sitte, ich bin darauf gefaßt, ſelbſt den Unwillen der Königin werde ich zu ertragen ſuchen, denn ich bin von ihrem Edelſinn überzeugt, daß ſie es meine Eltern nicht entgelten läßt. Mißbilligten Sie es, gnädigſte Frau, ſo

Ich! Nicht im Geringſten. Im Gegentheil, o das iſt charmant, pikant von Ihnen. Vielleicht wünſcht es Ihre Majeſtät ſogar, und das iſt der Grund, weshalb Sie gerufen werden. Nur Atten¬ tion! meine Theure vergeſſen Sie nicht, das zu bleiben, als was Sie ſich ausgeben das ſchwache Mädchen! Zeigen Sie ihr um Himmelswillen nicht das ſtarke Mädchen. Daß allüberall mit unſerer Stärke nichts gethan iſt, das iſt eine Lehre, für die unſre Adelheid noch zu jung iſt. Aber einer Monarchin gegenüber nehmen Sie immerhin die94 Lection einer älteren Freundin an, daß wir uns de¬ müthigen müſſen. Sie muß Alles thun, denken, wir lauſchen nur und laſſen im Gewande der Bitte Vorſtellungen aufflattern, welche die Fürſtin aufgreift und zu den ihren macht. Da geben Sie Ihr Eigen¬ thum hin; Sie wären augenblicklich verloren, wenn Sie in Freude aufblitzten: das habe ich ja geſagt! das ſind ja meine Gedanken! Einer Monarchin ge¬ genüber dürfen Sie gar nicht denken. Wie eine Pythia auf dem Dreifuß athmen Sie in halber Auf¬ löſung ihre Aeußerungen ein, Sie nehmen Alles an, nun, und ich traue Ihnen doch die Klugheit zu, daß Sie, wie die Prieſterin, dieſe Töne dann zu einem Spruche ordnen werden, der Ihren Abſichten ent¬ ſpricht. Ach, Sie glauben nicht, wie leicht das iſt, wenn man erſt die Neigungen und Schwächen der Großen kennt.

Ich werde verſuchen, zu ihrer Seele zu ſprechen.

Das iſt recht. Sie liebt bürgerliche, rührende Scenen. Malen Sie Ihren Liebesſchmerz unter Schluchzen, mit von Thränen erſtickten Worten. So¬ bald Sie merken, daß ſie gerührt wird, ſtürzen Sie auf die Knie, ergreifen ihr Kleid ſie wird Ihnen aber die Hand reichen, wenn Sie die rechte Sprache trafen dann erklären Sie, Ihr ganzes Lebensglück läge in dieſer Hand, ſie wird Sie huldreich auf¬ fordern aufzuſtehen. Sie erklären aber, Sie würden nicht aufſtehen, bis nun, das Uebrige wird ein ſo kluges Mädchen wiſſen.

95

Adelheid rechtfertigte die Meinung der Fürſtin. Sie fand eine Antwort, welche dieſe befriedigte, eine Antwort, die keine Unwahrheit war und doch verbarg, was die Schülerin über die Anweiſung der Lehrerin dachte.

Der Wagen war ſchon fortgerollt, als es der Gargazin, die ihm vom Fenſter nachſah, leid zu thun ſchien. Wie ſchnell hatte ſie etwas aus der Hand gegeben, was ſie mit ſo großer Anſtrengung ſich ver¬ ſchafft! Sie hätte ſie wenigſtens ſo nicht fortlaſſen, einen Faden in der Hand behalten ſollen. Wem die Intrigue Zweck iſt, wer nur in ihr den ewigen Durſt nach Thätigkeit löſcht, muß Apparate jeder Art ſtets fertig um ſich liegen haben, er darf auch das Ge¬ ringfügigſte nicht verſchmähen; der verlorne Faden kann zur Schlinge, die Schlinge zum Knoten wer¬ den. Nur darf man den Knoten nicht zu feſt ſchürzen, und noch weniger mit der Scheere ein Band zer¬ ſchneiden. Sie ließ den Köder an ihrer Angel fahren, weil ſie des Spiels überdrüſſig war, wie aber, wenn ein Andrer wenn die Königin von Adelheids Naivetät, Klugheit, Liebreiz gefeſſelt ward, wenn ſie ein Inſtrument aus der Hand gelaſſen, was hier ihr wichtigere Dienſte leiſten könnte, als dort, wohin ſie es beſtimmt

Ein Gedanke durchfuhr ſie blitzartig der Los¬ gelaſſenen nachzueilen, ſie durch einen geſchickten Schlingenwurf wieder an ſich zu ziehen, ſelbſt ſie ein¬ zuführen, und wäre es auch durch die Vermittelung96 einer Kammerfrau. Schon hielt ſie die Klingelſchnur, um den zweiten Wagen zu befehlen, als ein andrer Gedanke dem erſten folgte: War denn Adelheid ein Inſtrument, das ſich dem Willen ſeines Eigners fügte? Hatte ſie ſelbſt, die Lupinus, wer denn ſie zu ſeinen Zwecken formen und bilden können? Wie die Stehaufmännchen von Hollunderholz, wie eine elaſtiſche Puppe ſchnellte ſie, geknickt, gebogen, ge¬ drückt, wieder auf zu ihrer Natur. Es war eine, die den Impulſen gehorcht. Vor ſolchen Naturen hatte die Gargazin Scheu oder Reſpect. Sie ließ die Klingelſchnur aus der Hand. Solche Naturen rollen oder ſtürzen ſich in ihr Verderben, oder der Strahl der Gnade durchzückt ſie, wo wir es am we¬ nigſten erwarten. Nur dürfen wir ſie nicht erziehen wollen.

Plötzlich lachte die Fürſtin hell auf. Aber erſt, nachdem ſehr ernſte Gedanken ihre Stirn verfinſtert hatten. Dieſes Mädchen hatte ſie ja ganz durchſchaut. Ja es giebt Momente, wo eine unwillkürliche Macht zwingt, ein Bekenntniß der Wahrheit vor uns ſelbſt abzulegen, wie Niemand es vor einem Richter wagt und vermag. Sie hatte, nicht eine Schlange, aber einen Spiegel an ihre Bruſt gelegt, klar ge¬ ſchliffen, daß er jeden Hauch aufnahm. Der Spie¬ gel hatte geſchwiegen bis jetzt, aus Dankbarkeit, Klugheit. Wer bürgte der Gargazin, daß Adelheid immer ſchweigen werde, jetzt, im nächſten Augen¬ blicke, wenn ſie das Herz der Königin gewonnen,97 wenn ihres von einem mächtigen Impulſe ſchlug! Welcher Eid, welche Pflicht band ſie, wenn die Ma¬ jeſtät der Königin von ihr Wahrheit forderte?

Das waren die ernſten Gedanken. Aber plötz¬ lich löſten ſich die zuſammengekniffenen Lippen, die Runzeln glätteten ſich, und die Augen glänzten ſcha¬ denfroh: Sie kann ſich ja nicht verleugnen, ſie wird dort wie hier das ſtarke Mädchen ſein. Sie wird das Gefühl der Königin verletzen und und und ſie wird zurückgeſchickt, wie ſie gekommen Vive la vérité! Und wenn ſie zu mir zurück¬ kehrt, iſt ſie eine Andre als die fortging, und wir können uns beſinnen, wie anders wir ſie aufnehmen.

Mit vergnügtem Geſicht trat die Fürſtin an's Fenſter. Ihr Auge fiel auf die kleinen Entreſolfen¬ ſter im Seitenflügel, wo die Kammermädchen wohn¬ ten. Ihr fiel ein, daß ſie die Kammermädchen ja ſchon längſt ſich näher gewünſcht, und ihr Geſicht verzog ſich zu einem ganz eigenthümlichen Lächeln, als ſie dachte: das wären ja allerliebſte Stuben für Adelheid. Da kam der Legationsrath über den Hof. Das Lächeln ward wieder ein andres: Eigentlich haſſe ich ihn, ich müßte ihn verabſcheuen, ich ſollte ihn fürchten, aber es lügt Niemand ſo angenehm als er.

Mamſell Schadow hatte indeſſen gegen das ſchöne Mädchen nicht die Diplomatin geſpielt. Sie hatte es mit Herzlichkeit empfangen, obgleich ſie wußte, daß der Beſuch nicht ihr gelte, und ſie ſogleich inV. 798den Garten und in den Gang geführt, wo die Kö¬ nigin ihre Morgenpromenade zu machen pflegte.

Wir gehen hier an den Gebüſchen langſam auf und ab, und wenn ſie kommt, thun wir, als ſähen wir ſie nicht. Wenn ſie in Gedanken iſt und uns nicht ſehen will, was man gleich merkt, treten wir in's Gebüſch zurück. Will ſie uns aber ſehen, dann thun wir ſehr überraſcht und etwas erſchrocken. Das lieben die hohen Herrſchaften und dann encou¬ ragiren ſie uns.

Eine Mittheilung der Schadow war aber nicht geeignet, Adelheid zu encouragiren. Ihr Vater, der Geheimrath, hatte vor einigen Tagen eine kurze Un¬ terhaltung mit der Königin gehabt. Adelheids Name war dabei genannt worden. Das iſt ſchade, das darf nicht ſein! hatte die Königin geäußert. Nach¬ her hatte die Schadow Ihre Majeſtät zur Viereck ſagen gehört: Ich muß das junge Mädchen einmal ſprechen. Adelheids Vater hatte eine Abneigung gegen ihre Verlobung mit Louis Bovillard. Die Mutter betrachtete ſie als ein Glück. Sie wußte von häuslichem Verdruß deshalb. Ueber dieſen Kampf war Adelheid hinaus. Beim kindlichſten Gefühl der Dankbarkeit fühlte ſie ſich frei geworden. Sie hatte es keinen Hehl gegen ihren Vater gehabt: Ihr habt mich hinausgeſetzt in eine andre Welt, wo andre Ge¬ ſetze gelten. Wenn ich mich den Pflichten unterwer¬ fen mußte, die ſie fordern, ſo darf ich auch ihre Rechte für mich anrufen. So war ungefähr der99 Sinn eines Geſpräches, in dem der Vater unter¬ legen war. Es war ja nicht eigentlich ſein Depar¬ tement; er fühlte, daß der Geiſt ſeiner Tochter auf Fittigen flog, die im Staube des Aktenlebens nicht wachſen. Nun, und wenn er in ſeinem Mißmuth Seufzern und Klagen gegen die erhabene Perſon Luft gegeben, ſo fühlte Adelheid eine andere Lebensluſt in ſich. Sie fühlte ſich nicht decouragirt.

Die Königin kam, aber nicht allein. Ein Ca¬ valier ging an ihrer Seite, mit dem ſie in lebhaftem Geſpräche ſchien. Es war ein ſtattlicher, ſchöner Mann, von einem gewinnenden Anſehen, jede Be¬ wegung weltmänniſche Grazie, obwohl ſein rechter Arm, früh vom Schlage getroffen, gelähmt an der Seite hing.

Graf Hoym, flüſterte die Schadow, der Vice¬ könig von Schleſien. Wir müſſen zurücktreten.

Beide gingen vorüber, und die Königin bemerkte ſie in ihrer Aufregung wirklich nicht.

Palm! Palm! lieber Hoym, das bleibt doch das Abſcheulichſte. So unſchuldig, in der Nacht fortgeriſſen von Frau und Kindern um o mein Gott, ich glaube oft ſeinen Schatten zu ſehen, wenn ich unter dieſen Bäumen gehe.

Die Hunderttauſende, gnädige Frau, die auf den Schlachtfeldern auch die Kugel traf

Nein, Hoym, das iſt nicht das. Er ſchreitet über Leichen, das iſt der Weg des Gräßlichen. Aber der Mord an einem ſchuldloſen Familienvater

7*100

Das Säuſeln der Bäume und die größere Ent¬ fernung nahmen die andern Worte fort.

Wie fühlen Sie ſich, meine Liebe? fragte die Schadow, um ihr Muth zu machen. Nur Geduld, es wird Alles ganz gut gehen.

Mich dünkt, die arme Königin iſt in großer Aufregung. Iſt denn Graf Hoym jetzt ihr Vertrauter?

Die Antwort bewies der Kammerfrau wenigſtens, daß Adelheid keines Riechfläſchchens bedürfe, um muthig zu bleiben. Adelheids Mutter hatte ihr die Tochter anempfohlen, wenn die Gegenwart der Ma¬ jeſtät das Kind überwältige.

Die arme Königin! Sie haben Recht, ſie ſo zu nennen. Ach, unter uns, ſie hat Niemand, dem ſie ihr Herz ausſchütten könnte.

Ihr Herz?

Das war ein kluger Blick, welcher der Kammer¬ frau Muth machte, mehr zu ſagen, als Kammerfrauen eigentlich dürfen.

Ja, wenn ſie ganz ihrem Herzen leben dürfte! Dafür hat ſie ihre Kinder, ihren Gemahl, ſich ſelbſt; aber die großen Staatsangelegenheiten müſſen fürch¬ terlich ſtehen. Das, ich möchte ſagen, zerſprengt ihr oft das Herz. Liebe Demoiſelle Alltag, ich möchte Manchen, der die Könige beneidet, einen Blick da hinein thun laſſen, und ſie würden Gott danken, daß ſie ſo glücklich in ihrem Hauſe ſind.

Die Spaziergänger hatten ſich umgewendet und gingen wieder vorüber.

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Die Königin ſchien noch immer in derſelben Stimmung:

Er ſieht die ganze Gefahr, klar und deutlich. Er könnte retten, und dieſen einzigen Mann, der retten könnte, ihn läßt man brach liegen.

Aus Hoyms Antwort konnte man nur die Worte hören: Aber der Freiherr von Stein

Die Schadow hatte Adelheid tiefer in's Gebüſch gezogen.

Das iſt ihr Hauptkummer jetzt. Unſereins darf freilich nichts davon wiſſen, und noch weniger ſich darum kümmern, aber man müßte ja nicht Ohren und Augen haben. Je mehr es eine hohe Perſon ſchmerzt, um ſo heftiger bricht es unwillkürlich heraus, und uns beachten ſie doch eigentlich nicht als Ge¬ ſchöpfe, die es angeht und die es verſtehen.

Ihre Majeſtät wünſcht den Freiherrn von Stein zum Rathgeber des Königs?

Die Kammerfrau ſah Adelheid verwundert an: Das wiſſen Sie auch! Man mag im Publikum freilich manches wiſſen, von dem die hohen Herr¬ ſchaften glauben, daß ſie es allein beſitzen. Es iſt ſo. Der Herr hat ſich aber bei Hofe nicht beliebt gemacht; er hat viel Feinde. Das geht bis zu den Lackeien hinunter. Sie wiſſen nicht, wie das bei uns iſt. Wen ſie oben von Einfluß ſehen, deſſen Worte ſprechen ſie nach.

Aber wenn die Königin

Es iſt das Schlimme, liebe Demoiſelle, daß der102 König ſelbſt den Herrn nicht liebt er iſt ihm un¬ bequem. Ganz unter uns, er fühlt oft, daß es beſſer wäre, wenn die Andern, gegen die jetzt das Ge¬ ſchrei iſt, fort wären, er möchte ſie auch zuweilen los ſein, denn er iſt der edelſte, beſte Herr von der Welt, aber ſie ſind ihm bequem, er hat ſich an ſie gewöhnt. Er entläßt ja keinen ſeiner alten Diener. Und die ſeelensgute Königin, betrüben möchte ſie ihn doch auch nicht, und in Staatsangelegenheiten hatte ſie ſich's zum Geſetz gemacht, nicht mitzuſprechen. Aber wer kann dafür, wenn das Herz voll iſt und die Augen übergehen ſie ſieht ja und hört und, wie geſagt, wenn da am ganzen Hofe Niemand da iſt, der mit ihr fühlt und ſieht Da iſt nun der Herr Graf Hoym aus Schleſien angekommen. Ob's grade der rechte Mann iſt, weiß ich nicht, aber er iſt ein friſches Geſicht, er ſpielt ihr nicht immer die alte Melodie vor, und am Ende, wenn man kein Men¬ ſchenherz hat, klagt man auch gegen den Mond und gegen die Wände.

Die Spaziergänger waren abermals zurück¬ gekehrt.

In den Provinzen theilt man Ihro Majeſtät Entrüſtung, ſagte Hoym, Allen iſt es ein Räthſel: Friedrichs Staat in den Händen eines franzöſiſchen Roturiers!

Die Königin blieb ſtehen: Sagen Sie lieber, eines charakterloſen Libertins, der mit den höchſten Gütern, den Tugenden, der Ehre des ſchönſten Reiches103 leichtſinnig ſpielt wie mit den Goldrollen, die er alle Abend am Pharotiſch verliert.

Jammerſchade, daß unſer Haugwitz ſich von ihm leiten läßt. Sonſt ein ſo liebenswürdiger heller Geiſt.

Mich dünkt, es iſt der höchſte Grad des Un¬ verſtandes, das Werkzeug der Verworfenheit Anderer zu werden.

Auf einen ſolchen Ausſpruch aus dem Munde einer Königin muß der Unterthan in Ehrfurcht ſchweigen. Hoym ſchwieg; auch die Königin ſchwieg einen Augenblick, wie im Gefühl, mehr geſagt zu haben, als die Etikette einer Königin zu ſagen er¬ laubt. Die leichte Röthe war wieder von ihrem huldſtrahlenden Geſicht verſchwunden, als ſie fortfuhr:

Ihm, ihm allein verdanken wir es, daß das Ungeheuer mit kaltem Hohn auf uns herabblickt. Er verachtet unſre Machthaber, weil wir ſolchen an ihn bevollmächtigten. Ich ſage nichts davon, wie er in Brünn ſich fortſchicken, in Wien behandeln, in Schön¬ brunn dupiren ließ; ich zerdrücke meinen Schmerz, daß er es war, der Hannover uns ſchenken ließ, der Brocken, an dem unſer Adler erſticken ſollte. Daß er aber nach dieſer Erfahrung, belaſtet von den Ver¬ wünſchungen einer ganzen edlen Nation, jetzt in Paris wieder dieſelbe Rolle der Inſouciance ſpielen konnte!

Er war vielleicht, wie Lombard in Brüſſel, von der Grandeur der neuen Majeſtät eblouirt. Il est un104 peu phantaste, Myſtiker, er glaubt zuweilen an Geiſter¬ erſcheinungen.

Nein, Hoym. Er glaubt nur an ſich. Er ſchrieb damals her: Sobald ich ihn geſehen, iſt Alles abgemacht; ich weiß ja, was er in Wien zu mir geſagt hat. Solcher naive Glaube wäre rührend, wenn er nicht ein Staatsminiſter des Königs wäre, wenn nicht Seine Majeſtät das Wohl ſeines Volkes und ſeiner Krone in ſeine Hand gelegt hätte. Da, in der ſchrecklichen Audienz, die er am ſiebenten Tage auf vieles Bitten und Drin¬ gen erhielt, mußte er ſich von Bonaparte die Schmei¬ chelei in's Geſicht ſagen laſſen: Sie ſind ehrlich, ich weiß es, aber Sie haben keinen Credit mehr in Berlin; Hardenberg und ein Paar andre hirn¬ kranke Narren wühlen das Volk auf und beherr¬ ſchen Ihren König. Das mußte er hören, der Ab¬ geſandte Preußens, aus dem Munde des Corſen, und ſchwieg mußte ſchweigen und und

Als ſie wieder vorüber waren, meinte Adelheid, die Königin ſei jetzt wohl ſchwerlich geſtimmt, ein unbedeu¬ tendes Mädchen zu empfangen; ob es nicht ſchickli¬ cher wäre, wenn ſie ſich ſtill zurückzöge? Die Scha¬ dow verneinte es: Das geht bald vorüber. Sie kann nicht lange zürnen, das iſt ihr himmliſches Ge¬ müth. Es iſt, wie wenn ein Gewitterſturm vorüber¬ zog und dann die Abendſonne ſcheint. Dann athmet ſie auf, ſie kann ſich an einer Feldblume freuen, und105 gerade dann wird ſie erſt recht gütig, wenn ſie auf¬ gebracht war, und möchte es an Allen, denen ſie be¬ gegnet, wieder gut machen.

Aber das Gewitter war noch nicht ganz vorüber. Es war nur auf dem Rückzuge. Die Königin wandte in kürzeren Abſätzen um. Diesmal ſchien Hoym der Ankläger geweſen zu ſein. Die Fürſtin ſchüttelte den Kopf:

Ich hielt ihn für ehrlich. Er hat ein ſo ange¬ nehmes Weſen.

Leider iſt es in Paris ſo bekannt wie hier, daß Luccheſini nach Berlin nur das berichtet, was uns ſchmeichelt. Die Hauptſachen hat er verſchwiegen.

Er iſt ein Italiener. Ich will zugeben, daß ſeine Luſt das Intriguiren iſt, aber, Graf, er ſieht ſehr ſcharf die Dinge, wie ſie ſind.

Das ſtreitet ihm Niemand ab, Ihre Majeſtät, aber ſein Geſandtenpoſten in der franzöſiſchen Haupt¬ ſtadt gefiel ihm ſo außerordentlich, daß er das geſchickt cachirt hat, was unſer Cabinett genöthigt hätte, ihn auf der Stelle zurückzurufen. Noch weniger als er hatte ſeine Frau Luſt Paris zu verlaſſen.

Muß auch das in unſer Unglück hineinſpielen!

Madame la Marquiſe haßt ihre Schweſter, die Biſchofswerder, auf Tod und Blut. Sie hat ihrem Gemahl erklärt, daß ſie an Krämpfen verginge, wenn ſie mit ihr unter dem Himmel einer Stadt leben müßte. Unſer Ambaſſadeur iſt ein ſo guter Ehemann! Ich kann ihn nicht entſchuldigen; in milderem Lichte106 aber darf ich Haugwitz's Verſehen betrachten. Ward er nicht immerfort durch falſche Berichte getäuſcht?

Ich möchte ſo ungern auch dieſen Mann auf¬ geben! Iſt ſein Eifer jetzt für den Krieg auch Ver¬ ſtellung?

Nein, nur aufrichtige Erbitterung gegen Napo¬ leon, der ihn nie leiden mochte und ihn endlich aus Paris fortſchaffte.

O, lieber Hoym fuhr die Fürſtin mit der Hand an die Stirn, Menſchen, wie ſie ſein ſollten! Sind denn die Könige verdammt, daß ihr Glanz nur die an ſich zieht, die nicht ſind, wie ſie ſein ſollen!

Jetzt entläßt ſie ihn bald, flüſterte die Schadow. Geben Sie Acht, ſie wenden noch kürzer.

Adelheids Herz ſchlug lebhafter. Eine ange¬ nehme Wärme durchdrang ſie, ſie fühlte eine Luſt, dieſer Königin Angeſicht gegen Angeſicht zu ſtehen.

Es waren wirklich die Abſchiedsworte, als ſie zum letzten Mal vorüber gingen.

Und dieſe Mäntelgeſchichte, welche das Land in Aufruhr bringt, wird man es künftig glau¬ ben, daß man erſt jetzt, im letzten Augenblick daran denkt! Eine Sottiſe, bedürfte es noch der Epigramme, es giebt kein ſchlagenderes auf die Unfähigkeit unſerer Verwalter. Und ſtatt als wirklich treue Diener ihres Herrn die Schuld auf ſich zu nehmen, laſſen ſie Seine Majeſtät den König in kläglichen Lauten zum Pu¬ blikum ſprechen, ſie legen meinem Gemahl Worte in107 den Mund, über die ich mich in der Seele ſchäme. Sie haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht war es. Iſt das Loyalität? Auch im Kriegs¬ weſen ſagte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das Nöthigſte nicht geſorgt! Unſre Feſtungen zu armi¬ ren, dazu ſchickt man ſich jetzt erſt an. Es iſt uner¬ hört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu bezogen ſie die großen Beſoldungen, wozu wurden ihnen Güter über Güter geſchenkt! Nein, lieber Graf, das Cabinet, was dieſen gräßlichen Zuſtand möglich machte es kann, darf nicht bleiben oder

Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war der Vicekönig von Schleſien entlaſſen. Louiſe ſtand eine Weile ſinnend. Ihre ſchöne, anmuthige Geſtalt im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheil¬ hafter gehoben durch den grünen Raſenfleck, gegen den ſie wie eine Marmorſtatue abſchnitt. Ein Sonnen¬ ſtrahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel fiel, ſetzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß zugleich ein wunderbares Leben auf das ſchöne Ge¬ ſicht. Es war keine Bildſäule; die Königin ſchwebte die Allee wieder herab.

Sie hat uns geſehen. Sie kommt auf uns zu, ſie wird uns anſprechen. Nun muthig, liebe Demoiſelle. Wenn ich Ihnen winke, thun wir alſo wie erſchrocken und treten einen halben Schritt zurück. Dann wird ſie eine Bewegung machen, daß wir herantreten. Sie knixen ſo, die Arme kreuzweis auf108 der Bruſt, die Ellenbogen gegen den Bauch. Tritt ſie näher, greifen Sie nach dem Rock, als wollten Sie ihn küſſen. Sie wird's nicht zulaſſen und die Hand Ihnen hinhalten. Die führen Sie an die Lippen, noch immer nach tief unten, das Andre findet ſich dann. Dreiſt geantwortet, aber ja nicht eigene Mei¬ nungen!

[109]

Sechstes Kapitel. Die Eine gehörte ſchon einem Andern.

Auf Louiſens Geſicht ſchien jede Spur der Agitation verſchwunden, als ſie näher kam. Sie ging auf Beide zu.

Ihre Majeſtät entſchuldigen, wollte die Schadow anfangen, es iſt zufällig eine liebe junge Freundin

Es iſt eine alte Bekannte und ein lieber Be¬ ſuch, unterbrach die Fürſtin. Wir ſind ja hier unter uns, wozu die Komödie! Es freut mich, Sie wieder zu ſehen, liebes Kind, ſo wie Sie ſind. Ich meine, ſetzte ſie lächelnd hinzu, wie Sie bei Gottes ſchönem Sonnenlicht ausſehen. Das Lampenlicht täuſcht immer, und es iſt mir lieb, daß ich mich nicht getäuſcht habe.

Eine gebietende, aber graziöſe Bewegung hatte, wie ſie vorhin den Rockkuß abgewehrt, Adelheid auf¬ gefordert, an ihrer Seite weiter zu gehen.

Der Schadow ſchien es zweifelhaft, ob ſie nach dieſem Empfange reſpectvoll unter dem Baume ſtehen bleiben, oder in ebenſo reſpectvoller Entfernung fol¬110 gen ſolle. Da wandte ſich die Fürſtin freundlich um: Ach, liebe Schadow, da fällt mir ein, ich vergaß, als Hoym ſich vorhin melden ließ, daß meine Lieb¬ lingsbücher auf dem Nähtiſch liegen geblieben ſind. Sehn Sie doch nach, damit die Kinder nicht darüber kommen.

Der Etikettenzweifel der Kammerfrau war gelöſt, ſie verneigte ſich und die Königin und Adelheid waren allein.

Es war ein wunderſchöner Herbſtmorgen, kein Wölkchen am ſonnedurchglühten Himmel, die laue Luft ſpielte durch die angegelbten Baumwipfel, Sper¬ linge zwitſcherten in den Büſchen, weiße Herbſtfäden flogen umher. Es war kein gezwungener Anfang des Geſpräches, wie von ſelbſt kamen die Worte von den Lippen der Königin:

Sind Sie auch eine Freundin der Natur?

Sie ſtreicht Balſam auf die Wunden der Lei¬ denden, und weſſen Herz vor Freude jauchzt, wo fin¬ det er Laute dafür, als in ihrer ſtummen Sprache!

Das war zu ſtarke Farbe für die Stimmung, ſagen wir für die Poeſie der Königin, aufgetragen. Sie blieb einen Augenblick ſtumm. Dann ſprach ſie Worte, die auch Andre behorcht haben müſſen, denn wir finden ſie ſchon verzeichnet:

Ich muß den Saiten meines Gemüthes jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, und ſie dadurch gleichſam immer wieder aufziehen, damit ſie den rech¬ ten Ton und Anklang behalten. Das gelingt mir111 am beſten in der Einſamkeit, aber nicht im Zimmer, ich muß hinaus in die freie Luft, in die ſtillen Schatten der Bäume. Unterlaſſe ich es, dann tritt gewöhnlich Verſtimmung bei mir ein, und je geräuſch¬ voller es um mich wird, um ſo ärger wird ſie. Ach, es liegt ein ungemeiner Segen in dem abgeſchloſſenen Umgange mit uns ſelbſt.

Das war viel von einer Fürſtin gegen ein jun¬ ges Mädchen, welches keine Anſprüche an ihre Ver¬ traulichkeit hatte, welches ſie zum zweiten Mal ſah. Adelheid fühlte das Viele, es drückte ſie indeß weder nieder, noch erhob es ſie. Jene hatte wohl Recht: die auf den iſolirten Höhen thronen, fühlen auch das Bedürfniß, ihre Gefühle mitzutheilen. Wenn ſie keine Herzen, Seelen, Geiſter finden, die ſie ver¬ ſtehen, klagen ſie's der ſternbeſäeten Nacht. Sie ſchütten in der Verzweiflung ihr Herz auch aus vor den glatten Marmorwänden, lieber als vor marmor¬ kalten und glatten Menſchengeſichtern.

Adelheid geſtand ſich, ſie war in dieſem Augen¬ blick nur eine Wand, ein Baum, an den die Fürſtin ihr Herz ausſchüttete. In der Art lag aber zugleich eine Correction. Die Königin hatte die Saiten auf den Ton geſtimmt, der im Geſpräche durchklingen ſollte, es war ein elegiſch-ſentimentaler. Er paßte nicht zu der Stimmung, welche Adelheid mitgebracht, und die in dem belauſchten Geſpräche neue Nah¬ rung erhalten hatte. Weil Adelheids Saiten zu hoch geſtimmt geweſen, ſchwieg ſie, in Erwar¬112 tung, daß der Einklang mit der Fürſtin ſich herſtellen werde.

Sie ſind eines von den glücklichen Weſen, hub die Königin an, an deren Wiege, wie die Dichter ſagen, gütige Feen ſtanden.

Adelheid öffnete die Lippen, aber verſchluckte das Wort. Die Fürſtin hatte den fragenden Blick auf¬ gefangen und verſtanden:

Wäre ich nicht die ſtände ich Ihnen nicht ſo fern und fremd, ſo würden Sie mich gefragt ha¬ ben: Was iſt denn Glück?

An Ihre Majeſtät erlaube ich mir nicht die Frage, aber an mich ſelbſt: Was macht das Glück dieſes Lebens aus?

Mich dünkt, der Stempel, den der Schöpfer ſeinen Geſchöpfen aufgedrückt hat, iſt die beſte Antwort. Sie brauchen ſich nicht im Spiegel zu ſehen. Sehen Sie nur die Mienen der Leute, denen Sie begegnen. Die ſchöne Adelheid Alltag iſt überall willkommen.

Und doch verdankte ich neulich nur der Huld einer höheren Zauberin, daß ich dem Spott und der Kränkung entging.

O das waren Unarten. Neidiſche und böſe Menſchen können den Frieden der Glücklichen nicht verkümmern. Dieſer Friede iſt ein Gut, was tiefer liegt. Ihre häßlichen Hände reichen da nicht hin.

Gnädigſte Königin, ich preiſe allerdings mein Glück, weil ich früh einen Lehrer fand, der mich auf das Wahre hinwies.

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Ich kenne Ihren Vater; er iſt ein trefflicher Mann und treuer Staatsdiener, der nichts Höheres kennt, als Erfüllung ſeiner Pflichten.

Mein Lehrer lehrte mich, fuhr Adelheid raſch fort, daß Leiden unſre beſten Erzieher ſind. Aus der Schule großen Unglücks entwickelt ſich die Seele zur Freiheit und Selbſtſtändigkeit.

Die Fürſtin ſah Adelheid befremdet an. Es war wieder nicht das, was ſie erwartet hatte; aber das Fremde war nichts fremdartig Feindliches, und ſtatt abzuſtoßen, brachte es ihr das junge Mädchen näher. Der immer theilnehmender werdende Blick verrieth es. Jetzt entſann ſie ſich wohl, daß das vielbeſprochene Mädchen wunderbare Schickſale erlebt.

Haben Sie auch dieſe Schule durchgemacht! Doch das iſt ja nun vorüber.

Wer kann ſagen, daß er aus der Schule ent¬ laſſen iſt, ſo lange er lebt! Und wer ſieht unter dem fröhlichſten Geſicht die Schmerzen in der Bruſt!

Das war ein Ton, welcher anſchlug, er vibrirte durch die Seele der Königin: Und wer ſieht heute, was morgen kommt!

Ein Seufzer machte ſich aus ihrer Bruſt Luft. Da flog, von einem leiſen Luftzug getragen, einer jener weißen flockigen Herbſtfäden, wo die Allee ſich bog, von der Wieſe ihnen entgegen und legte ſich um Beider Bruſt, indem er, von ihrer Bewegung feſtgehalten, ſie umſchlang. Beide waren durch ein Spiel der Natur an einander gefeſſelt. AdelheidV. 8114hob den Arm, um den Faden vom Hals der Fürſtin loszumachen, aber es war die Wirkung und die That des Momentes, jene Einwirkung unſichtbarer Geiſter, die wir umſonſt erklären, und, wenn erklärt, ſo wäre es nichts die Thränen ſtürzten aus den Augen der Königin, und ſie drückte Adelheid an ihre Bruſt. Niemand ſah es, es war weite ſonntägliche Einſamkeit im Park. Die Sonne, obgleich ſie Alles ſieht, iſt eine ſchweigende Zeugin, die Käfer ſchwirr¬ ten, die Fröſche ächzten ihr monotones Lied in den feuchten Wieſen; vom Kirchthurm läuteten die ge¬ dämpften Glocken zum Begräbniß einer alten Frau.

Die Lippen der Fürſtin berührten Adelheids Wangen: Ach, liebes Mädchen, wer weiß, was mor¬ gen kommt!

Es war da in dem Augenblick mehr zwiſchen ihnen vorgegangen, als Worte ausſprechen. Die Königin ſprach: Sie ſchickte mir der allgütige Va¬ ter im Himmel zu einer Stunde, wo ich Troſtes be¬ durfte. Was man ſo gefunden, läßt man ſo leicht nicht wieder von ſich.

Die Emotionen haben ihr ewiges, unverjähr¬ bares Recht, unter den goldenen Decken der Schlöſ¬ ſer wie unter den Schilfdächern der Hütten; aber hier dürfen ſie austoben bis zur Erſchöpfung, dort iſt ihnen ein Maaß geſteckt.

Louiſe war wieder die Königin geworden, als ſie weiter gingen, aber von einer Huld, welche die Majeſtät überſtrahlte. Sie zeigte nach dem Pavil¬115 lon mit chineſiſchem Dach, auf einer kleinen Höhe vor ihnen: Dort wollen wir einen Augenblick aus¬ ruhen.

Ihr Geſpräch, bis ſie den Punkt erreicht, war lebhaft, aber es floß ruhig hin. Adelheids Aeußerun¬ gen mußten die ganze Aufmerkſamkeit der Fürſtin er¬ regt haben. Sie hatte ſie oft forſchend angeblickt. Als ſie auf der ländlichen, von Birkenäſten gefloch¬ tenen Bank Platz genommen, ſagte Louiſe:

Sie ſind noch ſo jung und ſchon ſolche Erfah¬ rungen!

Adelheid erröthete.

Sie kamen, wie Sie mir ſagten, nie aus der Reſidenz, Sie lebten nur in guten Häuſern, unter reſpectabeln Familien, und zuweilen blitzt es aus Ihren Reden, als wüßten oder ahnten Sie die Ver¬ worfenheit der ſchlechten Menſchen. Ich glaubte, das wäre uns nur aufgeſpart, die wir von oben ſo Vie¬ les ſehen, was Ihnen unten verborgen bleibt. Wie die Motten nach dem Licht, ſo flattern uns die zu, welche für ihre ungeordneten Begierden unten keinen Platz fänden. Wir müſſen ſie dulden, weil ach, aus vielen Gründen! während die ſtillen, ſittlichen, bürgerlichen Kreiſe ihnen die Thür verſchließen dür¬ fen. Man thut daher ſehr Unrecht, uns zu beneiden, liebe Mamſell. Wir, die wir andern Pflichten zu gehorchen haben, könnten die Niederen beneiden, welche dieſe Rückſichten nicht kennen. Sie dürfen nach ihrem Penchant leben und ihre Freunde ſich unter8*116den Rechtſchaffenen und Guten nach ihrem Gefallen ausſuchen.

Ihre Majeſtät, ich meine, es giebt Rückſichten und Pflichten in jedem Lebenskreiſe.

Ganz gewiß, aber es iſt leichter, in den Hüt¬ ten ein ſtilles Glück ſich zu bereiten und doch keine Pflicht zu vergeſſen, als wenn unſre Wiege dem Throne nahe ſtand.

Die Fürſtin ſprach es mit dem bewegt feierlichen Tone, der keinen Widerſpruch zuläßt. Ihr Auge ſah dabei wie verklärt in die Ferne. Wo ihre Ge¬ danken waren, ließ ſie die Zuhörerin nicht lange er¬ rathen: Auch ich habe einen Blick in dieſes Glück gethan. Es waren die ſchönſten, glänzendſten Stun¬ den meines Lebens. Damals, liebes Kind, hielt ich es auch für das höchſte Glück, was das höchſte We¬ ſen unterm Sternenzelt einer Sterblichen gewähren könne, Königin zu ſein über ein glückliches Volk.

Die Gedanken der Königin verfolgten die be¬ rühmte Huldigungsreiſe, welche ſie nach der Thron¬ beſteigung Friedrich Wilhelms III. mit ihrem Gemahl gemacht. Tage waren es lichten Sonnenſcheins, als vorausgeſchickte Cabinetsordres allen Prunk und alle Ehrenbezeugungen verboten hatten; denn, hatte der König erklärt, die Liebe des Volkes habe untrüg¬ lichere Merkmale, als Einholungen, Gedichte, Guir¬ landen und Ehrenpforten. Der Monarch hatte er¬ klärt, daß nur die Merkmale der Liebe für ſein Herz Werth hätten, welche, von keiner Gewohnheit und117 Herkommen abhängend, grade aus dem Herzen kä¬ men. Und ſo waren ſie ihr, ſo dem glücklichen Gat¬ ten entgegengekommen. Das Volk that, wie es be¬ fohlen war, und wir haben nicht den geringſten Zwei¬ fel, daß es nicht von Herzen es gethan.

Louiſe letzte ſich an der Erinnerung. Sie malte einzelne jener ſchönen Züge, von denen uns die Zeitgenoſſen berichtet. Die Erſcheinung des Königs und der Königin, einer jungen, von Liebreiz und Güte umfloſſenen, in Provinzen, wo auch die älte¬ ſten Greiſe ſich nicht erinnern können, je eine Köni¬ gin geſehen zu haben, glich der Erſcheinung von Schutzgöttern des Vaterlandes, von erhabenen Ge¬ nien der Gerechtigkeit und Milde, die überall, wo ſie ſich zeigen, unüberwindliche Eroberer, jedes Herz ge¬ winnen. Eine Reiſe war es geweſen fortwährender Triumphe, nein, eine ununterbrochene Reihe von Familienfeſten. Da brannte die Sonne herab, daß man die Augen nicht aufthun konnte, und doch wich Keiner vom Platze, bis er ſeine Königin mit Augen geſehen. Da waren neunzehn weiß ge¬ kleidete Mädchen an ihren Wagen geſprungen. Eines hatte der Königin zugeflüſtert: Wir ſind eigent¬ lich zwanzig, aber die Eine iſt nach Haus geſchickt. Warum denn, liebes Kind? Weil ſie ſo hä߬ lich ausgeſehen. Da hatte Louiſe nach der armen Häßlichen geſchickt und ſprach am längſten und freund¬ lichſten mit ihr. Und jener alte Bauer, der ſie ſo gern ſehen wollen, und immer wieder von den An¬118 dern und den Gensdarmen zurückgedrängt war, die Königin hatte ihn wohl geſehn und heranrufen laſ¬ ſen, und noch ſah ſie ihn, wie der Greis ſein Haupt entblößte und ſtumm, aber unverwandten Blickes, die Landesmutter anſchaute. In deſſen Herzen, wußte ſie, lebte ihr Bild ewig fort! Und wie in einem andern Dorfe in Pommern die Bauernſchaft den Wagen umringt hatte, und die Bauern in ihrem Plattdeutſch durchaus darauf beſtanden, daß ſie aus¬ ſteigen müſſe und ſich tractiren laſſe, damit die Städter nicht dächten, ſie hätten das Vorrecht allein. Und die Königin war lächelnd ausgeſtiegen und in das Bauernhaus getreten, und hatte von dem gro¬ ßen ihr aufgetragenen Eierkuchen ein Stück gegeſſen, und verſichert, daß er ſehr ſchmackhaft ſei. Und wie der König im Zelt an der Weichſel, wo er als Gaſt der Elbinger tafelte, zu dem Landmann, der mit einer Bittſchrift ſich auf die Knie geworfen, in edlem Unwillen gerufen: Nur vor Gott knien! Ein Menſch muß nicht vor einem andern Menſchen knien!

Da habe ich Blicke gethan auf den Heerd mei¬ nes Volkes, ſchloß die Königin, und weiß, wo die Zufriedenheit und Seelenruhe wohnt. Sie fröſteln, liebes Kind, Sie ſchaudern ſogar

Ach, Ihre Majeſtät, es waren Gedanken

Die Fürſtin hatte ſie geleſen: Freilich weiß ich, nicht überall ſtehen Hütten von Philemon und Bau¬ cis, aber die Immoralität hat da keinen dauernden Wohnſitz, wo bewährte Tugenden, Patriotismus und119 Menſchenliebe die Seelen umſchlingen. Wenn wir wieder Ruhe und Frieden nach Außen haben, dann hoffe ich, ſoll es in den höheren Gott gebe auch in den höchſten Kreiſen beſſer werden. Aber Sie, liebes Mädchen, können doch nicht klagen, Ihr guter Genius führte Sie nur unter edle Menſchen

Erlauchte Frau! ich meine, die Menſchen ſind in allen Kreiſen Menſchen, und verzeihe mir der All¬ gütige, wenn es Sünde iſt, ſie kommen mir oft wie ein Knäuel von Schlangen vor. Wenn Eine mich recht liebevoll anblickt, denke ich an den Tiger, der den Kopf auf die Krallen drückt, zum Satz auf ſein Opfer.

Was ſind das für Phantaſieen!

Ich weiß es nicht. Aber ich ſehe überall Lar¬ ven und dahinter Verbrecher.

Calmiren Sie ſich.

Es iſt nun einmal mein Schickſal, ich ward von ihm herumgeſchleudert, ich bin keine, ich will keine Clairvoyante ſein, aber wie Vieles mußte ich wider Willen belauſchen, und da iſt mir, wenn ich einen ſtillen Teich ſehe, den kein Lüftchen kräuſelt, als werde er plötzlich gähren, ſich heben, toben und Ungeheures zu Tage kommen. Wo wir's am we¬ nigſten erwartet, in den friedlichen Kreiſen, die wir die glücklichen nennen, als braue unter der Ruhe Entſetzliches. Die Luft drückt mich, und zuweilen wünſche ich, daß der Sturm komme, die Elemente toben; ein Krieg erſcheint mir nicht mehr ſo ſchrecken¬ voll, wenn dieſe brütende Stille nur aufhört.

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Das ſind Imaginationen, vielleicht aus den neuen Büchern. Dieſe Schlegel, Tieck, Novalis ſind aber eine excentriſche Lectüre, welche das Blut erhitzt; keine für ein junges Mädchen, das Herz und Geiſt zum Umgang mit rechtſchaffenen Menſchen ausbilden will.

Mich dünkt, Ihre Majeſtät, die Zeit iſt auch zu ernſt, und fordert von uns andre Pflichten, als in der Märchenwelt zu luſtwandeln.

Das iſt verſtändig von Ihnen. Man eifert zwar auch gegen das Leſen von Romanen und Schau¬ ſpielen, aber man thut Unrecht. Unſer Iffland führt uns doch immer rührende Beiſpiele vor, wie wir uns glücklich finden können in beſchränkten Verhält¬ niſſen. Sie wollen es tadeln, daß er die böſen Men¬ ſchen immer aus der vornehmen Welt nimmt. Aber hat Iffland Unrecht? Ich wenigſtens und der König ſehen uns immer mit Befriedigung an, Sie ſollen ſich nur ein Exempel dran nehmen, die es trifft, ſagte neulich mein Gemahl. Den Lafontaine möchten ſie uns auch verleiden, aber wie viele herz¬ liche und frohe Stunden verdanken wir ihm, wie vielen Troſt, wenn wir Abends nach einem verdrie߬ lichen Tage uns mit ihm auf dem Sopha vom Ge¬ wühl zurückzogen. O es giebt ſolche Tage, wo Für¬ ſten nichts hören als Klagen, Gegenanſchuldigungen, wo uns die Welt wie ganz verderbt erſcheint, ein Knäuel von Schlangen, ſagten Sie, wir wollen es nur ein Durcheinander von böſen Menſchen nennen. Da, wenn wir uns fürchten mußten vor Allem, was121 uns nahe kam, da erquickte uns Lafontaine mit der rührenden Einfalt ſeiner Perſonen, wir ſahen uns an, und wenn wir es nicht ausſprachen, dachten wir es: es giebt doch noch gute Menſchen. Warum ſind die es nicht, welche die Vorſehung uns in den Weg führt. Zuweilen erhört dann der Himmel unſern Wunſch, und wenn wir es am wenigſten erwarten.

Der gütigſte Blick ruhte auf Adelheid.

Was ſind denn Ihre Lieblingscharactere in La¬ fontaine? fragte die Fürſtin, um ſie in ihrer ſicht¬ baren Verlegenheit aufzumuntern. Die Gütige ſah wohl die Wirkung, aber nicht die Urſache. Adelheid hatte an den Romanen nie Geſchmack finden können; ſie hatte die wenigſten durchgeleſen. Sollte ſie lügen vor einer Monarchin, die allen Schmuck der Hoheit vor ihr abgelegt, und nur in ihrem edelſten Selbſt ſich gab! Adelheid hätte in dieſem Augenblick auf¬ ſtehen und ihr zu Füßen ſtürzen können, um die Wahr¬ heit in ihr zu verehren, die nicht in ſchönerer Geſtalt ſich verkörpern konnte, aber die Unwahrheit ſprechen konnte ſie nicht.

Es floß von ihrem Munde, was ſie dachte, mit einer kleinen Einfaſſung von Schmeichelei, die darum nicht Unwahrheit war: Mich dünkt, des Dichters Aufgabe iſt, die Menſchen zu ſchildern, wie ſie ſind. Weil er Dichter iſt, darf er das Schöne und Erhabene in ſeinem wunderbar geſchliffenen Spiegel vergrößern und verſchönern, und es mag ihm auch vielleicht erlaubt ſein, das Häßliche und Schlechte noch etwas122 häßlicher zu machen. Doch das verſtehe ich nicht und beſcheide mich deshalb. Das Große und Schöne ſoll er jedoch nicht häßlich und niedrig malen, ſonſt widerſteht er unſerm Gefühl, denn von der Dichtung verlangen wir Frauen wenigſtens, daß ſie unſre Ge¬ fühle erheben und uns die ewige Schönheit ahnen laſſen ſoll. Aber wenn er umgekehrt das Kleinliche und Häßliche ausſchmückt, und dem Gemeinen den Schein der Tugend und des Edelmuthes umhängt, damit uns das gefalle, was wir meiden und verab¬ ſcheuen ſollen, dann kommt es mir vor, als verſün¬ digte er ſich an ſeinem hohen Beruf. Wenn ich durch die Wimpern einer edlen Fürſtin eine Thräne ſich drängen ſehe, weil ſie bang einer ſchweren Zukunft entgegen ſieht, für ihre Familie, ihr Volk, ihr Land, oder iſt's eine der Freude, daß ihr Gemahl ſiegreich aus dem Felde zurückkehrt, ihre Kinder ihr Freude bereiten, ihr Erſtgeborner einen erſten Zug entfaltet, der an den Edelmuth und die Tapferkeit ſeiner Ahnen erinnert das, dünkt mich, iſt eine Thräne, die der Dichter auffaſſen muß wie ein Juwel im Sonnen¬ ſchein. Aber entweiht er die ſchöne Thräne nicht, wenn er auch alle ſeine unbedeutenden Perſonen bei jeder Gelegenheit gerührt ſein und weinen läßt, um Kleines und Geringfügiges, und wenn er die Thräne dann ſo ſchön ausmalt, daß die armen Leſer mitwei¬ nen müſſen! Sie wiſſen am Ende nicht recht, warum, aber er erhält die weinerliche Stimmung, weil er darauf rechnet, daß wir Alle ſchwach ſind und es123 uns am Ende an ihn feſſelt. So kommt mir Lafon¬ taine vor, erlauchte Frau, er weiß, wo wir Alle ſchwach ſind, und da verſucht er uns zu ſtreicheln, er drückt wehmüthig die Hand, ſchlägt verführeriſche Accorde an, bis wir fortgeriſſen ſind, und wenn wir wieder zu uns kommen, ſchämen wir uns darüber, denn er hat uns weich gemacht, wo wir ſtark ſein ſollten, und wo haben wir dann noch Gefühl, Stimmung, die unentweihte Thräne für das große Schickſal wirk¬ lich großer Menſchen.

Die Königin hatte mit Aufmerkſamkeit zugehört. Von Spöttern waren ihr ähnliche Urtheile über ihren frühern Lieblingsdichter ſchon zugedrungen. Dieſer Ton war anders. Sie ſtimmte nicht bei, ſie wider¬ ſprach nicht, ſie ſchien die Sache zur weitern Ueber¬ legung zurückzulegen, als ſie ſich ſeitwärts wandte:

Dann iſt wohl Jean Paul Ihr Dichter? Die¬ ſer Liebling der Muſen erhebt uns in die Höhen, wo unſre Adelheid ſich wohl befindet. Ich liebe ihn auch, aber mir ſchwindelt zuweilen in ſeinen lichten Räumen, mitten in meiner Begeiſterung und Bewun¬ derung für ihn fühle ich mich beklommen. Daß ich es grade herausſage, die Luft dieſer erhabenen We¬ ſen iſt mir zu rein, meine Neigungen ſind doch noch zu irdiſch, ich fühle, daß ich unter dieſen Natalien und Lianen eine ſchlechte Rolle ſpielen würde. Es iſt vielleicht die Eitelkeit ſetzte ſie lächelnd hinzu die Königin möchte nicht gern die Magd ſpielen in der überirdiſchen Geſellſchaft des edlen Dichters.

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Ihre Majeſtät verzeihen, wenn ein ſchlichtes Bürgermädchen dieſen Stolz auch empfindet. Jean Paul's Frauen kommen mir oft vor wie aus Monden¬ ſchein und Sonnenſtrahlen gewebt. Wenn man ſich an ſie hielte, zerflöſſen ſie

Das dürfen Sie in Berlin nicht laut ausſprechen, ſonſt verketzern ſie uns, fiel die Fürſtin noch im ſel¬ ben Ton ein. Nein, alle Admiration dem herr¬ lichen Manne, aber Sie haben wohl Recht, unſere Zeit fordert Männer, auch Frauen, welche den Din¬ gen und Verhältniſſen in's Geſicht zu ſehn verſtehen, und vor einer rauhen Berührung nicht zurückſchrecken. Sie fordert, daß wir unſre Empfindungen beherrſchen. Es iſt ſchwer, mein liebes Kind, ſchwer für einen Jeden, die ſchlechten Menſchen nicht merken zu laſſen, daß man ſie haßt, verachtet, was mehr für uns Fürſten! Das iſt unſere geprieſene hohe Freiheit, wir müſſen ſogar freundlich ſcheinen gegen unſre Feinde, denen die Hand drücken, von denen wir wiſſen, daß ſie in der Taſche den Dolch gegen uns verſteckt hal¬ ten. Das koſtet etwas eine Reſignation, die oft unſre ſchwache Kraft überſteigt. Wir träumen zu¬ viel von dem Guten und Beſſern. Das iſt ſchön, aber wir dürfen nicht mehr träumen, wir Alle nicht. Jede muß ihre ganze Kraft anrufen, um gerüſtet dem gegenüber zu ſtehen, was Gott zu unſerer Prü¬ fung ſchickt. Wir müſſen uns bezwingen, entſagen können, auch dem, was uns das Theuerſte, Liebſte iſt!

Der Ton ihrer Sprache hatte ſich mit ihrer125 Stimmung plötzlich verwandelt. Es war auch um ſie her anders geworden; die Sonne war hinter herauf¬ ziehende Wolken getreten, die Vorläufer des Windes hatten ſchon länger die gelben Blätter über die Füße der beiden Frauen getrieben, jetzt fing er an, in den Büſchen das Gezweig zu rütteln, in raſchen Stößen ſchüttelte er von den entfernten Baumwipfeln das Laub. Die laue Luft hatte, wie auf einen Zauber¬ hauch, einer empfindlichen, ſcharfen Kälte Platz ge¬ macht, daß die Damen die Tücher enger um den Hals zogen.

Wir müſſen Alle entſagen, ſprach die Königin feierlich, auch Sie, Adelheid, werden die Kraft haben. Ich habe das ſchöne Vertrauen, nachdem ich Ihre ſchöne Seele kennen gelernt.

Da war auch ein ſchöner Vorhang plötzlich ge¬ fallen, ein Vorhang gewebt aus Sonnenſtäubchen, die in anmuthigem Spiel hin - und her geſchaukelt, und die bleierne, graue Wahrheit lag vor ihnen, das, warum die Fürſtin Adelheid zu ſich beſchieden; auch das blickte ſchon verrätheriſch hervor, warum Adelheid gekommen war.

Es giebt im Seelenleben Augenblicke, wo der Klügſte ſich keine Rechenſchaft zu geben weiß, woher ein Gedanke aufquillt, dem er plötzlich zu folgen ſich gedrungen fühlt, auch wenn er entgegen der Strömung iſt, der all ſein Fühlen und Denken ſich hinneigt. Bei großen Männern iſt es ein Kitzel, mitten in Planen, welche die Welt verrücken ſollen, ſich ſtarr auf einen126 einzelnen Punkt zu ſetzen, der damit nichts zu thun hat, ſorglos, ob die Emſigkeit, welche ſie der Bagatelle widmen, ſie an ihrem größern Schaffen hindert. Cäſar, mit dem Plan die Welt zu erobern im Kopfe, beſchrieb, wie ein Liebender die Augen der Geliebten, die Conſtruction der hölzernen Rheinbrücke, die er erfunden. Es iſt die ewige Mahnung an die großen Geiſter, daß ſie auch Menſchen ſind, an uns, daß all unſer ernſtes Thun vor einem höhern Auge Spiel¬ werk iſt. An Frauen es zu rügen, iſt nie einem Billigen eingekommen. Wenn ſie gar nicht mehr ſpielen ſollten, was wären ſie ſich uns! Auf Königin Louiſens Seele laſtete Ungeheures. Seit der vorjährigen Gruftſcene in Potsdam ſchien ſie Vielen ihrer Umgebung wie ausgetauſcht. Sie las nicht mehr Lafontaines Romane, daß ſie heute ſie gerühmt, war nur pietätvolle Erinnerung geweſen, ſie lebte der ernſten Sorge vor der Gefahr, die über dem Hauſe ihres Gatten, dem Lande ihrer Liebe und Wahl ſchwebte. Keine Frau, vielleicht wenig Männer fühl¬ ten ſo ſchwer, innig, zuweilen klar die Bedeutung der Zeit, und doch hatte ſie ein Etwas, was ganz außer dieſem Kreiſe lag, mit Eifer aufgefaßt. Sie hatte ſich für das ſchöne Mädchen intereſſirt, von dem der Ruf ſo viel ſprach, die erſte Begegnung hatte dies Intereſſe erhöht. Sie wollte Adelheid, nach dem gelegentlichen Geſpräch mit ihrem Vater, vor einer Verbindung bewahren, welche dieſer beklagt, welche ihr als ein Unglück erſchien. Wie ihre Phan¬127 taſie plötzlich ſich dieſes Gegenſtandes ſo bemächtigen können, bleibt uns ungeſagt, aber es war ſo, es war nicht unnatürlich, und die Königin ſprach wie eine liebende, zärtlich beſorgte Mutter zu ihrem Kinde.

Louiſens Beredtſamkeit ward von ihren Zeitge¬ noſſen als bezaubernd gerühmt. Jedes Wort aus ihrem Munde ſei ein Schlag des Herzens, ein Klang der Seele geweſen, da wo eben das Wort nur die wahrhafte Aeußerung des wahrhaft im Innern Le¬ benden war. Der Zauber dieſer Beredtſamkeit ſei geweſen, daß ſie nicht eine Kunſt war, ſondern eine Tugend. Wie ihre Briefe ein voller, unverkümmerter Herzenserguß waren, ſo folgte in ihrer Rede, wenn das Herz ſie dictirt, die Sprachfertigkeit dem raſchen Schwunge ihrer Gedanken.

So hatte die Königin zu Adelheid geſprochen. Der dürre Inhalt der belebten Rede würde lauten: Sie ſind ein gutes Mädchen, und ein gutes Mädchen iſt gehorſam dem Willen ihrer Eltern, Eltern ſehen am beſten, was zum Wohle ihrer Kinder iſt, Ihre Eltern ſind gegen dieſe Partie, weil ſie dieſelbe für unpaſſend halten, weil ſie vorausſehen, daß Sie mit dieſem Manne kein glückliches Leben führen können. Der Mann Ihrer Liebe iſt ein Wüſtling, Sie ſelbſt können ſich darüber keiner Täuſchung hingeben, denn Sie wiſſen es aus eigner Erfahrung. Wenn auch Ihre Eltern nicht wären, müßten Sie ſich fragen: Iſt dieſer Mann meiner würdig, bin ich, bei ruhiger Ueberlegung, noch des Vertrauens, daß er mich glück¬128 lich, zufrieden machen kann? Sie müßten ſich auf¬ richtig antworten: Was kann er mir bieten, als ein ganz verwüſtetes Leben! Welche Bürgſchaft, daß, wenn er ſich ſcheinbar gebeſſert, er nicht wieder in das alte Sein zurückverfällt, ſobald die erſte Leiden¬ ſchaft, die er jetzt Liebe nennt, ausgetobt hat. Und was gebe ich ihm dafür? Den friſchen, frommen Sinn einer tugendhaften Jugend, ein blühendes Da¬ ſein. Iſt er ſolchen Opfers werth? Kann, ich dies Opfer vor meinem Schöpfer verantworten, der ſo ausgezeichnete Gaben mir ſchenkte, nicht um ſie weg¬ zuwerfen? Er wird dereinſt Rechenſchaft darüber fordern. Endlich, zugegeben, daß Ihr Herz ſich ſchwach fühlt, daß Sie ihn lieben. Aber Sie ſind ein ſtarkes Mädchen, das ſelbſt es ausgeſprochen, in einer ſo ernſten Zeit dürfe man nicht mit Mähr¬ chen tändeln, nicht dem Spiel der Phantaſie ſich hingeben. Sein Sie, zeigen Sie ſich jetzt ſtark. Drücken Sie Ihre Hand an das blutende Herz ich weiß, daß es blutet, ich kenne auch dieſen Schmerz aber man kann ihn überwinden! Reichen Sie mir die andere, dann ſehn Sie mich mit Ihren klaren Augen, die nicht lügen können, an und ſprechen: Ja, ich will entſagen.

So ſchloß die Königin und hatte vielleicht er¬ wartet, daß Adelheid auf die Knie ſinken, ihre Hand an die Lippen preſſen, das Geſicht in ihrem Schooß verbergen würde. Gerührt von ſo vieler Güte und Theilnahme, mußte ſie das Gelöbniß ſtammeln, und129 Louiſe hätte ſie dann in ihre Arme geſchloſſen und vielleicht geſprochen: Nun ſind Sie mir doppelt ge¬ wonnen!

Aber Adelheid ſank nicht auf die Knie, ſie preßte nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg auch nicht ihr Geſicht. Sie blickte ſo klar und ohne Trug, wie die Fürſtin es verlangt, dieſe an und ſprach:

Erlauben mir Ihre Majeſtät, daß ich antworte, ganz wie ich fühle?

Das erwarte ich, ſagte Louiſe, ohne ihr Be¬ fremden verbergen zu können.

Ihre Majeſtät verlangen drei Punkte von mir: Gehorſam, Einſicht und Entſagung. Man iſt ein ſchlechter Advokat in eigner Sache, habe ich immer gehört, möchten Sie, gnädigſte Frau, daher Nachſicht mit einer Armen haben, die, angeklagt vor einem ſo hohen Richterſtuhl, ſich zum erſten Mal vertheidigen ſoll.

Die Vertheidigung, was den erſten Punkt be¬ traf, führte Adelheid mit einer Ruhe und klaren Aus¬ einanderlegung der Thatſachen, daß man doch glau¬ ben können, es ſei nicht das erſte Mal, daß ſie, des Ungehorſams gegen ihre Eltern angeklagt, vor Gericht ſtehe: Noch gehöre ihr Herz und ihre volle Dank¬ barkeit den Theuren, aber nicht mehr ihr Schickſal, das Vater und Mutter ja längſt in andere Hände gelegt. Wenn ſie von denen ſich frei gemacht, ge¬ höre dieſe Freiheit ihr, die ſie errungen. Wiſſe ein Vater, auch der beſte, liebevollſte, immer am beſten,V. 9130welcher Gatte das Glück ſeiner Tochter begründen werde, dürfe das Herz nie mitſprechen, und blicke dieſes nicht oft klarer in die Seele des Geliebten und die Zukunft, als ein redlicher Vater, der im Staatsdienſt, unter Aktenſtaub ergraut, den Werth des Menſchen nur nach ſeiner Stellung im bürgerlichen Leben abſchätze? Und ſei nicht der Wille des Men¬ ſchen wandelbar, es nie vorgekommen, daß Eltern ihre Anſicht geändert, daß ſie endlich ihre Hand ſeg¬ nend über Ehebündniſſe gebreitet, denen ſie vorher ge¬ flucht, während ſo mancher Vater die Hände gerun¬ gen, manche harte Mutter die Haare gerauft über das Unglück ihrer Tochter, das ſie durch ihre Hartherzig¬ keit, ihren Eigenſinn herbeigerufen? Aber nein, ihre Eltern würden rein von dieſer Schuld bleiben. Ihr Vater kämpfe nur mit alten Vorurtheilen, vielleicht ſeiner Beſcheidenheit, die ſeiner Tochter ein ſtilleres, bürgerliches Loos gewünſcht, und das Herz ihrer Mutter ſei ſchon jetzt weich geſtimmt.

Wenn Adelheid in ihrer Advokatenrede auch nicht von der Wahrheit abgewichen war, hatte ſie doch nicht die kleinen Künſte der Diplomatie verſchmäht. Die verſteckten Anſpielungen auf ſo manche Familienſcene aus Lafontaine war verſtan¬ den und hatte gewirkt. Wo die Königin über die erdichtete Situation Thränen vergoſſen, durfte ſie da die wirkliche mit der Kälte des Verſtandes ver¬ dammen? Adelheid hatte in dieſem Punkte geſiegt. Die Fürſtin verſchluckte Vorſchläge, die ihr dunkel131 vorgeſchwebt, daß ein ſo reines, ſchönes Mädchen, ein Abdruck der jungfräulichen Natur, nicht in das verderbte Städteleben paſſe, daß ſie an der Hand eines braven, einfachen, redlichen Mannes fern auf dem Lande, in einer Hütte, umſchattet von Flieder¬ büſchen, das Glück und den Frieden des Lebens fin¬ den werde. Ihre großmüthige Phantaſie hatte zwar die Hütte im Innern recht hübſch austapezirt, aber Adelheid paßte doch nicht dahin; zu dieſer Ueber¬ zeugung war die kluge Königin ſchon in der erſten Hälfte ihres Zwiegeſpräches gediehen.

Aber um zu entſagen, dazu war ſie ſtark. Louiſe blickte noch einmal mit Wohlgefallen das ſchöne Mäd¬ chen an. Welch ein Moment, wenn ſie, nicht aus kindlicher Pflicht, nicht aus Rührung, nein, aus vol¬ ler Ueberzeugung erklärte: ja, einer höhern Pflicht gehorchend, entſage ich. In einer neuen, kurzen An¬ ſprache malte die Königin ihr die Seligkeit dieſes Gefühls. Sei es nicht eine königliche Tugend, das Herz der Pflicht unterzuordnen? Grade die auf der Menſchheit Höhen wandeln, die Fürſtinnen, ſeien von Anbeginn dazu beſtimmt; zum Beſten des Allge¬ meinwohls träten ſie an den Opferaltar. Es war eigentlich eine Dithyrambe, in der Louiſe ſich für die kleine Niederlage erholte; leider aber war Adel¬ heid heut nicht in derſelben Stimmung. Als hätte die friſche Herbſtluft alle Nebel und Illu¬ ſionen gelichtet, ihre Gedanken geklärt und in Schich¬ ten gelegt, antwortete ſie mit einer Verſtändig¬9*132keit, die einen entzückten Liebhaber vielleicht er¬ ſchreckt hätte:

Aber, gnädigſte Königin, ich bin nicht aus fürſtlichem Blute, und weiß daher nicht, warum ich Opfer dem Allgemeinwohl bringen ſollte. Das hat von einem unbedeutenden Mädchen nichts zu erwar¬ ten und nichts zu fürchten; ein Tropfen im Meere mehr oder weniger, das Meer merkt es nicht. Soll ich für Andere entſagen? Wem helfe ich, wen tränke ich? Etwa den Vater meines Geliebten, weil er dieſe Verbindung nicht wünſcht? Er hat ſich nie um ſeinen Sohn gekümmert, er hatte ihn ſo gut wie verſtoßen. Was Louis Bovillard iſt, verdankt er ſich ſelbſt. Er ſteht frei gegen ſeinen Vater, ja, er iſt noch freier von ihm, als ich gegen meine EI¬ tern. Kann dieſer Vater mir etwas vorwerfen, was nicht alle Welt weiß, was ſelbſt vor den Läſterzun¬ gen derſelben rein geſtempelt iſt, ſeit Ihre Majeſtät mir öffentlich Ihre Huld gezeigt?

O nichts von dem! ſprach die Königin mit abwehrender Handbewegung. Er könnte ſich glücklich ſchätzen, eine ſo reine Schwiegertochter in ſein be¬ flecktes Haus zu bekommen. Dazu iſt er jetzt ein Narr! Dieſer profligate Menſch, der ſein Leben durch nichts gethan, als den Adel ſeiner Menſchen¬ würde herabzuſetzen, pikirt ſich jetzt, aus vermoder¬ ten Pergamenten einen uralten Adel zu beweiſen. Lächerlich und empörend!

Gegen wen, erlauchte Frau, wäre es dann133 Pflicht, dem ſchönſten Traume meines Lebens zu ent¬ ſagen?

Gegen ſich ſelbſt! Können Sie keinen noch ſchöneren ſich denken, das Bewußtſein, Ihre Tugend und Ihr beſſeres Sein vor Ihren Affecten gerettet zu haben?

Ich fühle in mir nicht den Beruf, eine Hei¬ lige zu werden, erwiederte Adelheid. Ich bin, was ich bin, und will nicht mehr ſein, ein Mädchen wie andre, von nicht zu heißem und nicht zu kaltem Blute. Ich glaube mich überwinden zu können, wenn ich muß, wo ich aber die Nothwendigkeit nicht abſehe, glaube ich ein Recht zu haben, wie jedes lebende Weſen, wo Gottes Sonne auf mich ſcheint, mich zu freuen in ihrem Strahl.

Die Worte klangen nicht harmoniſch zur Stim¬ mung der Königin, nein, es war eine kecke Diſſo¬ nanz, aber Louiſe konnte nicht zürnen; durch das Vorangehende war ſie ſchon anders geſtimmt. Das Geſpräch hatte eine ganz andre Wendung genom¬ men, als ſie beabſichtigt. Sie begnügte ſich zu ſa¬ gen: Ach, wenn Sie die Seligkeit einmal kennten, die im Entſagen liegt!

Ich habe einſt entſagt, fiel Adelheid ein, und koſtete nur die Schmerzen der Enttäuſchung, ich empfand die Folter der Unwahrheit. Ja, Majeſtät, da fühlte ich, es giebt auch eine Pflicht, uns ſelbſt treu zu ſein und wahr. Die hatte ich verletzt, mich verſündigt gegen mich, gegen das Heiligthum meines134 Herzens. Es ſchlug für ihn von jenem erſten Augen¬ blick an, und ich hatte ſeine Schläge unterdrückt; es waren die Rückſichten, die meine Königin aus¬ ſprach. Das waren unglückſelige Monate, Jahre; die Bruſt blutete und keiner ſah es, und kein Troſt, ich half ja Keinem damit. Statt kräftig zu werden und friſch, lähmte die Halbheit meinen Geiſt. Es war keine Tugend, es war eine Sünde, es blieb Sünde, bis ich ſie erkannt und mir gelobte, die Wahrheit offen zu bekennen. Gott ſchütze und wahre mich davor, daß ich wieder zurückſinke in die Un¬ wahrheit.

Sie hielt inne, auch die Fürſtin ſchwieg. Das Aber, das auf ihren Lippen ſchwebte, ward durch einen neuen Ausbruch der Rednerin unterbrochen. Sie fühlte ſich auch vor der gütigſten Königin in ihrem Recht, jetzt Alles auszuſprechen.

Das war ein Selbſtmord geweſen, und der Schöpfer will nicht, daß wir uns ſelbſt vernichten. Aber es konnte mehr werden, ein Mord an einem unausſprechlich Unglücklichen, den zu retten meine ſchönſte Lebensthat wäre.

O mein armes Kind, fiel die Fürſtin ein, ich ſehe die Gluth Ihrer Leidenſchaft, aber täuſchen Sie ſich nicht. Ich ſehe mehr, Ihre tugendhafte Seele empfindet mit dem Verlornen Mitleid, Sie wollen ſich ihm opfern, um ihn glücklich zu machen, Sie fühlen den Drang ſchöner Seelen, eine Märtyrin zu werden. Kennen Sie ihn ganz? Fragen Sie135 ſich, ob er es werth iſt, der Mann, der wie viele, ſo unſchuldig als Sie, mag er auf ſeinem Gewiſſen haben! Danach fragt die Welt freilich nicht, und die vornehmen jungen Wüſtlinge machen ſich daraus kein Gewiſſen. Aber ſie beobachten doch wenigſtens den äußeren Anſtand. Was man vom jungen Bo¬ villard erzählt, o mich ſchaudert, ihn an Ihrer Seite zu ſehen!

Iſt er darum ſchlechter, weil er keinen Schleier um ſeine wüſte Jugend gebreitet! Mich ſchaudert vor denen, die die Welt lobt, weil die Welt nur das feine Kleid und die feine Miene ſieht, hinter denen ihr verwüſteter Geiſt ſich verbirgt.

Man ſpricht ihm kein langes Leben zu, die Frucht ſeiner Ausgelaſſenheit.

Rechnet die Liebe nach Jahren?

Doch ſoll die Ehe ein Bund der Seelen, eine Harmonie gleichgeſtimmter Geiſter ſein.

Iſt ſie's denn immer?

Aber der Mann muß wenigſtens die Gefühle einer edlen Frau zu würdigen wiſſen, wenn er auch dem kühneren Schwunge ihres Geiſtes nicht folgt.

Adelheid lächelte: Sein Geiſt, gnädigſte Frau O könnte ich Ihnen dieſen edlen Geiſt malen, der rein blieb wie der Aether über dem aufgewühlten Schlamm, könnte ich Ihnen ſein Herz öffnen, wie es mächtig pulſt für die Leiden, die Ehre des Vater¬ landes, wie nur die Schmach, die er anſehen mußte, Gift in die Adern ſprützte

136

Laſſen wir die Poeſie, liebes Mädchen, es han¬ delt ſich von ernſten Dingen. Ich will Ihnen glau¬ ben, daß ein beſſerer Keim in ihm iſt, daß große Talente in ihm ſchlummerten, daß Characterſtärke ihm von Gott gegeben war, ich will zu Ihrem Beſten Alles zu ſeinen Gunſten glauben, aber warum gab er ſich keiner geordneten Thätigkeit hin, warum zer¬ ſplitterte und vergeudete er dieſe Gaben. Bei ſeiner Geburt, dem Einfluß ſeines Vaters wäre ihm ein Wirkungskreis leicht geworden.

Adelheid ſah die Königin mit einem eigenthüm¬ lichen Blicke an, es lag Frage, Bitte, ein Forſchen darin.

Darf ich? Sie hielt die Hände auf der Bruſt. Der Augenſchlag der Königin winkte Gewährung.

Ich kenne Jemand, den die Geburt hoch ge¬ ſtellt, höher ſteht nur Einer. Sein Herz ſchlägt für das Vaterland, ſein Blut glüht für ſeine Ehre. Mit dem ritterlichen Feuermuth der alten Zeit, ſchlägt doch dies Herz weich für das Edle, Schöne, Große, das alle Zeiten ſchmückte. Er möchte, er könnte ein Volk erheben, es glücklich machen, denn ſeine Gaben befähigten ihn zu dem Höchſten. Und klar liegt vor ſeinem Geſichte die Vergangenheit, ſein Auge blickt in die Zukunft. Warum iſt dies Auge trüb? Weil der Horizont trüb iſt. Warum ſank dieſer Feuergeiſt, deſſen Flügel der Sturm durchſchnitt, der der Sonne entgegenblickte, ohne zu zücken, in den Schlamm zurück? Weil die Atmoſphäre zu ſchwer iſt, ſein137 Feuerathem ſie nicht durchdringt, ſeine beredte Lippe umſonſt redet, ſeine kühnen Vorſtellungen an der Mattigkeit der Menſchen, an der Zähheit, der Ge¬ wöhnung, an der Macht der grauen Alltäglichkeit ab¬ glitten. Da ward er muthlos, er verzweifelte. Er¬ habene Königin, wie ſollte ich es wiſſen! Ich ſpreche nur, was die Stimmen der Tauſende, die Lüfte mir zutragen, aber ſie flüſtern und rufen es laut: Das iſt unſer Loos. Dies Firmament erdrückt die, die zum Beſſeren aufwallen. Es iſt einmal ſo in dieſem Reiche. Wer daran Schuld, ſagen ſie nicht, aber ſie zäh¬ len viele, viele edle Geiſter, die im fruchtloſen Kampf verkamen, untergingen. Wenn der edelſte Prinz, der tapferſte Held, deſſen Lob in allen Zungen, den die Armee vergöttert, dieſem Looſe nicht entging, dürfen wir die verdammen, die daſſelbe gewollt, und auch ihre Flügel verbrannten, ſie ſanken, tief, tief Dür¬ fen wir ſie verſinken laſſen.

Louiſe hatte den Kopf halb abgewandt ſinken laſſen.

Meine Königin iſt nicht die grauſame Rich¬ terin, welche die Edlen büßen läßt, was Elende verbrachen. Man ſagt fuhr Adelheid mit ge¬ dämpftem Tone fort der Prinz wäre zu retten geweſen, wenn er ein edles Weib gefunden, das ſeine Gedanken und ſeine Sorgen getheilt, wenn eine ſeiner würdige Gattin, ſeinem Geiſte nahe, ſeiner Liebe werth, ihn aufgerichtet. Er ſuchte, und fand ſie nicht. Man ſagt, man flüſtert es wenigſtens, daß138 er Eine geſehen, und er wäre gerettet, er wäre ge¬ worden, ſie ſagen ein Gott. Aber er verſchloß, ent¬ ſagend, die brennenden Wünſche in der Bruſt denn die Eine gehörte ſchon einem Andern!

Adelheid fühlte, was ſie gewagt, aber es war eine Macht über ſie gekommen, der ſie nicht wider¬ ſtand. Auf Eine Karte war Alles geſetzt Tod und Leben hieß die Kriſis, es gab kein Mittel. Fieber¬ hitze durchglühte ſie, und ſie ſchüttelte vor Froſt, als ſie aufgeſtanden.

Auch die Königin ſtand auf. Noch wandte ſie ihr Geſicht ab. Es war etwas war's ein Kampf? was ſie vor ſich ſelbſt verbarg. Wenn ſie jetzt ſich umwandte, ein zürnender Blick, eine Handbewe¬ gung Adelheid zurückwies, wenn ſie ohne eine Sylbe den Hügel hinabſchritt, Adelheid jetzt allein ließ, ver¬ ſtoßen, verloren Nein, ſie wandte ſich um, und im nächſten Augenblick drückte ſie das verlaſſene Mädchen an ihre Bruſt. Worte ſprach ſie nicht, nur eine Thräne fühlte Adelheid über ihre Wange rinnen.

Als ſie ſchweigend die Allee zurückgingen, hatte das Sterbegeläut vom Kirchthurm aufgehört; dafür ſchmetterten Trompeten, und ein kriegeriſcher Marſch der Garniſon des Städtchens tönte über die Baumwipfel.

Gott ſei Dank! ſprach die Königin. Das er¬ leichtert das Herz.

Am Schloſſe beim Scheiden reichte ſie Adelheid die Hand zum Kuſſe. Dabei flüſterte ſie ihr zu: Wir ſehen uns bald wieder.

139

In ihren Apartements befahl die Königin ihrem Kammerherrn, zum Miniſter Stein zu fahren. Sie wünſche ihn zu ſprechen.

Darauf hatte ſie eine längere Unterhaltung mit der Viereck. Die Hofdame erklärte nachher den Hof¬ leuten, daß Ihre Majeſtät endlich ſo huldreich ge¬ weſen, in den Wunſch einzugehen, den ſie ſchon längſt gehegt, nämlich bei ihrem geſchwächten Ge¬ ſundheitszuſtande eine Geſellſchafterin zu nehmen, welche in ihren Apartements wohnen dürfe. Sie denke die Tochter des Geheimraths Alltag, die ſich dazu anſtellig zeige, zu acquiriren.

[140]

Siebentes Kapitel. Eine Maus und eine Mauſefalle.

Bei Madame Braunbiegler ſollte Whiſt geſpielt werden. Die Geſellſchaft war nur klein, kam aber nicht zur Ruhe. Wenn man kaum die Karten ge¬ zogen, ſtörte eine Nachricht, eine Perſon, die uner¬ wartet hereinſtürzte. Es war nun einmal Unruhe in der Stadt, die mit dem beſten Willen ſich nicht bewältign ließ. Man wußte ſchon, daß das Heer jetzt wirklich auf den Kriegsfuß geſetzt werden ſolle. Wenn man nur abgewartet hätte, bis die Män¬ telgelder beiſammen waren! hatte Madame Braun¬ biegler gemeint; aber es waren noch nicht ſiebzigtau¬ ſend Thaler geſammelt. Und was hilft das Geld, wenn die Schneider fehlen! hatte der Legationsrath geſagt.

Da brachte Herr von Fuchſius eine Nachricht, welche alle bisherigen in den Hintergrund drängte. Die Königin hatte endlich ihren Widerwillen gegen den jungen Bovillard aufgegeben, er war ihr vor¬ geſtellt worden, ſie hatte ihn gnädig aufgenommen,141 ſich günſtig über ihn geäußert, zu Andern aber ſpitz geſagt, er müſſe wohl viele Feinde haben, da er ihr ganz anders geſchildert worden. Er war Tages darauf zum Legationsſecretair, Andre meinten ſogar zum Legationsrath ernannt worden, beauftragt zu gewiſſen Vorträgen im Cabinet und in der perſön¬ lichen Nähe der höchſten Herrſchaften.

Man war getheilter Meinung, ob dahinter eine Intrigue des neuen Miniſters ſtecke oder des alten Bovillard. Fuchſius lächelte, als eine Dame mit einem andern: Wiſſen Sie ſchon? hereinplatzte. Die Alltag iſt zur Geſellſchafterin der Viereck ernannt. Sie zieht in's Palais! In's Palais! Was das zu bedeuten hatte, darüber war Niemand im Zwei¬ fel, als man auch von der gnädigen Audienz erfuhr, welche die Königin dem ſchönen Mädchen gewährt. Nun wird's ja Alles klipp und klar. Ja, wer nur 'ne hübſche Larve hat und Connexionen, dem fehlt's nicht.

So hatte Madame Braunbiegler geſagt. Ma¬ dame Braunbiegler war ihrer Zeit eine berühmte Perſönlichkeit in Berlin, was man heut nennen würde ein öffentlicher Character, von der ſehr viele Dicta noch umgehen. Wenn der Raum unſerer Erzählung, die zu Ende geht, es erlaubte, hätte ſie das Recht und die Anwartſchaft auf eine bedeutendere Rolle darin, als wir ihr angewieſen, aber der Rahmen ſchließt ſich, und die Rückſicht auf den deutſchen Stil und die Grammatik, die wir bis da nach unſern142 ſchwachen Kräften beachtet, verbietet uns, ein Bild in den Vorgrund zu ſtellen, welches für viele Leſer unver¬ ſtändlich bliebe, ohne eine vorausgeſchickte Abhandlung über den Mark Brandenburgiſchen Unterſchied zwiſchen Mir und Mich. So genüge denn für dieſes Mal denn es iſt wohl möglich, daß wir ihr künftig wieder begegnen ein Dictum, welches mit ſtereotypiſcher Genauigkeit aus den Akten jener Zeit entnommen iſt. Ex ungue leonem. Madame Braunbiegler hatte das Geſpräch über den betreffenden Gegenſtand mit den Worten geſchloſſen:

Denn heirathet er ihr och noch! Da gratulir ich. Er hat niſcht und ſie hat niſcht. Des wird 'ne magre Kalbfleeſchſuppe. Ne ſage ich doch, wenn pover Volk noch dicke thun will und vornehm ſind, die können mich geſtohlen werden.

Madame Braunbiegler mußte ſich dabei echauffirt haben; es koſtete ihr immer eine Gemüthsbewegung, wenn ſie von ordinairen Leuten ſprach, die es den Reichen gleich thun wollten. Sie war den liberalen Ideen abgeneigt und hielt auf Standesunterſchied. Der Shawl war ihr beim Echauffement von den leuchtenden Schultern gerutſcht. Herr von Wandel legte ihn ihr ſanft wieder um: Sie könnten ſich erkälten, gnädige Frau, flüſterte er mit der ſanfteſten Stimme.

Der Ritter begehrte nicht den Dank der Dame. Wie zufällig, hatte er ſich auf einen Stuhl am Spiel¬ tiſch niedergelaſſen, wo Frau Geheimräthin Lupinus ſchon mit der Karte in der Hand ſaß.

143

Was ſagt meine Freundin dazu?

Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer, in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf. Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer. Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern, wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte. Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht, ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬ ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender, der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie, Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen, wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬ ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬ geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬ kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬ hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen Leibe empfunden hätte. O und er war die Liebe und Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,144 weil ich keine Worte davon machen kann! pflegte ſie zu ſchließen.

Zum Legationsrath ſagte ſie das aber nicht. Sie erwiederte ihm nur: Was ich dazu ſage? Das kommt doch nicht in Betracht. Was aber wird die Gargazin ſagen?

Sie iſt vielleicht auch froh, daß ſie das Wun¬ derthier los iſt, ſagte Wandel leiſer. Beſteht nicht unſer Leben eigentlich aus Knüpfen und Löſen. Mit dem Knüpfen werden die Meiſten bald fertig, aber am Löſen, weil ſie nicht voraus daran gedacht, ſchei¬ tert ihr Bischen Verſtand, und an den ungelöſten Knoten des Daſeins ging ſo Mancher unter. Es iſt vielleicht die Ariſtokratie der Erwählten, dieſe Kunſt ſich anzueignen, bei Allem, was ſie ſchaffen und wir¬ ken, ſchon an die Auflöſung zu denken. O wer es dahin gebracht

Wenn Alles aufgelöſt iſt, was iſt denn dann? unterbrach ihn die Wittwe.

Freiheit, Chaos, wie Sie es nennen wollen, allgemeine Glückſeligkeit; denn iſt es nicht ein Glück, wenn wir nicht mehr zu denken und ſorgen brauchen um Bagatellen! Iſt das Leben mehr, meine Freun¬ din! Pardon, ich halte Ihr Vergnügen auf, Ma¬ dame wartet

Er hatte der Braunbiegler Platz gemacht, die ſich mit ihrer Karte dem Tiſche näherte. Aber mit derſelben Unbefangenheit war er zur Baronin Eitel¬ bach getreten, die am Fenſter ſtand. Er klopfte auf145 ihre ſchöne Hand, er brachte die Fingerſpitzen an den Mund.

Immer penſiv?

Sagen Sie mal, Legationsrath, was ſieht denn Fuchſius immer auf die Lupinus? Er iſt doch nicht in ſie verliebt?

Ei, meine Freundin, eine ſo ſcharfe Beobachterin; man muß ſich vor Ihnen in Acht nehmen.

Nein, er obſervirt, er läßt ſie nicht aus den Augen. Ich ſeh das ſchon eine halbe Stunde an.

Nun, wenn es ein ſüßes Spiel der Liebe wäre, was kümmert es uns beide.

Ich bitte Sie! Die Lupinus

Laſſen Sie doch die arme Wittwe in Ruh. Haben Sie nicht an Anderes zu denken.

Sie ſind ein guter Mann, ich kenne Ihr Herz, und Sie meinen es von Herzen, ſagte die Baronin, aber warum müſſen Sie mich immer bei Seit ziehen?

Um alle Gedanken abzulenken. Denn mich, ſagte Wandel mit einem Seufzer, wird man doch nicht für den Glücklichen halten können. Im Uebrigen bis jetzt geht Alles gut. Wenn wir nur auf ſeine Verſchwiegenheit rechnen könnten. Officiere plaudern gar zu gern in der Wachtſtube, bei einer Flaſche Wein

Wenn ich es nur begriffe

Mit einer wehmüthig theilnehmenden Miene ſchüttelte Wandel den Kopf: Freundin, wenn SieV. 10146es mir doch ganz überlaſſen wollten! Aber ſchenken Sie mir das Vertrauen nicht dann, nun ja, das verſteht ſich von ſelbſt. Indeß ich ſchmeichelte mir, in der Hoffnung auf Ihr Vertrauen, grade ſo zu handeln, wie ich es thue, zur Schonung Ihrer Gefühle Ihnen verſchweigen zu dürfen, warum.

Aber warum denn? Mein Mann

Iſt ein Mann, den ich kenne, ſchätze, ich weiß zuweilen nicht, ob ich mehr ſeinen weltmänniſchen Freiſinn oder ſeinen Scharfſinn bewundern ſoll.

Seinen Scharfſinn?

Merken Sie denn nicht, daß er Sie nie mehr mit dem Rittmeiſter neckt?

Ja, aber

Daß der Contact dieſer Verhältniſſe auch einen Reflex auf Auguſtens Seelenfrieden werfen muß! Nicht wahr, das iſt es, nicht was Sie nicht begrei¬ fen, ſondern was Sie nicht begreifen möchten. Ich frage mich ja ſelbſt oft, was iſt denn die Centrifugal¬ kraft unſrer Gedanken, wenn ſie bei dem Problem ſtehen bleibt! Was hat eine ſchöne junge Frau mit den Conflicten der Generalintendantur und Militair¬ controlle zu thun? Aber aus dem Cirkel kann ich nicht heraus. Verdacht iſt Verdacht. Aus Ver¬ dacht, daß er Verdacht haben könnte, muß er keinen Verdacht zeigen. Aber ſchon der Schatten des Ver¬ dachts, daß er mit einem einflußreichen Militair denn der Rittmeiſter bleibt doch immer der Neffe des Kriegsminiſters alſo ſchon die geringſte Colliſion147 eines, wie man es immer nenne, doch immer eines großen Lieferanten, beſonders jetzt, wo die Mäntel¬ beſchaffungscommiſſion

Er ward unterbrochen, wie es ſchien, nicht zu ſeiner Unluſt. Wer an ſo viel und Wichtigeres zu denken hat, was von ihm fordern, daß er auf Alles vorbereitet ſei, namentlich wo er es nicht der Mühe werth hält, ſich viel Mühe zu geben. Aus der Phraſe, in die er ſich offenbar verwickelte, half ihm der Ein¬ tritt einer neuen Perſon. Eben hatte ſich Madame Braunbiegler auf ihren Stuhl niedergelaſſen mit einem: Na, kommt man denn endlich zur Ruhe. Das war doch heut eine Störung als eine neue ſchon wieder da war. Der Geheimrath Lupinus, nicht der ſelige, ſondern von der Vogtei, war ein¬ getreten, und ſofort ſchien man zu wiſſen, weshalb. Die Wirthin gab dem allgemeinen Gefühl den Ausdruck: Ach Gott, die Flanellleibbinden fehlten noch!

Die neuſte Thätigkeit des Vogtei-Lupinus mußte alſo eine bekannte Sache ſein; was wird in Berlin nicht bald zu einer bekannten Sache. Wer etwas gelten wollte, mußte ſammeln, natürlich für die armen Krieger; wer ſich hervorthun wollte, für einen neuen Zweck. Von Winkelſammlern wimmelte es in den Häuſern und auf den Straßen. Der Geheimrath ſammelte für wollene Leibbinden. Die Mäntel wa¬ ren für die Infanterie, die wollenen Leibbinden für die Cavallerie. Weshalb grade der Vogtei-Lupinus10*148dieſe Sache mit Eifer ergriffen, dafür wußte der böſe Leumund auch einen Grund.

Das Sammeln einer Collecte damals war aber etwas anders. Wenn heut eine ſolche umgeht, ſind Zweck und Gründe und die Dringlichkeit der Motive längſt vorher erörtert, durch die Preſſe Ge¬ meingut geworden, und man giebt oder giebt nicht. In jener Zeit war es anders. Wenn die Deputirten des Magiſtrats in die Häuſer traten mit der Sub¬ ſcriptionsliſte, ſo fingen ſie damit an, wie jetzt der Vogtei-Geheimrath, Anfang, Urſach, Gründe, Zweck, Dringlichkeit vorauszuſchicken und mit einer Bitte und captatio benevolentiae, je nach der Perſönlichkeit des Angegangenen, zu ſchließen. Ein etwas um¬ ſtändlicher Weg, der aber das Gute hatte, daß die Einwohnerſchaft von Berlin mit weniger Collecten beläſtigt ward.

Nachdem der Geheimrath ſeine Papiere und Liſten aus der Mappe genommen, welche ein Beamter ihm nachtrug, hub er an von dem Nutzen der Leib¬ binden im Allgemeinen, er citirte Hufeland und Heim über die Wichtigkeit, daß der Magen eines Menſchen warm gehalten werde; wenn die Functionen deſſelben in Ordnung, ſei der ganze Menſch in Ordnung. Das gelte aber ganz in's Beſondere vom Soldaten. Er ging dann auf die Cavallerie über, und beſchrieb, wie, Luft und Wind ausgeſetzt, ein Cavalleriſt leichter am Magen ſich erkälte, als ein Infanteriſt, der durch die Bewegung des Marſchirens ſchon den Magen149 ſich warm mache. Wenn nun der letztere jetzt über¬ dies noch Mäntel erhalte, ſo erfordere die Humanität und Billigkeit, daß man für den Soldaten zu Pferde auch etwas Uebriges thue. Er ging dann auf die drohende Herbſt - und Wintercampagne über, und ſchilderte, wie ein Cavalleriſt friere, wenn er auf der Erde ſchlafen muß, denn die Zelte ſchützten nicht vor der Kälte, die aus dem Boden dringt und zuerſt in den Magen geht, zumal wenn er leer iſt. Nun aber ſorge ein guter Cavalleriſt allemal zuerſt für den ſeines Pferdes, und komme es auf dieſe Weiſe oft, daß er für ſeinen eigenen nicht geſorgt hat. Mit einer glücklichen Wendung wieder zu den Leibbinden zurück¬ gekehrt, zeigte er, wie ſie am beſten zugeſchnitten und gebunden würden, gab zu, daß die von Wolle ge¬ ſtrickten allerdings zweckmäßiger, aber nicht ſo ſchnell zu beſchaffen ſeien, daher die von Flanell dem Be¬ dürfniß und Zeitgeiſt entſprächen, und ſchloß mit einer rührenden Declamation an die Anweſenden, daß ſie für König und Vaterland und die leidende Menſchheit ihr Herz und ihren Beutel zu einer mil¬ den Gabe öffnen möchten. Auch die geringſte ſei ihm willkommen, lieber jedoch die größeren.

An der Aufnahme ſah man, daß auch hier ſchon fertige Parteien waren, Infanteriſten und Cavalleriſten, Mäntel und Leibbinden, Tuch und Flanell. Indeſſen ſiegte der Flanell. Wer widerſteht, wenn Andre ihm vorangehn und der Controlleur dabei ſteht.

Nur Madame Braunbiegler fand es impertinent,150 grade ihr damit in's Haus zu rücken. Sie gehörte natürlich zur Tuch - und Mäntelpartei, und erklärte, ſie würde nicht einen Pfennig rausrücken. Eine Kleinigkeit doch! flüſterte ihr der Legationsrath zu. Das brachte ſie nur noch mehr auf: Wenn ſie gäbe, laſſe ſie ſich nicht lumpen, und wenn's honorig ſei, greife ſie in die Taſche, daß es ſich ſehn laſſen könne, aber Bettelei könne ſie nun ein für alle Mal nicht ausſtehn. Und wie kommt er denn dazu!

Wandel zog ſeine edle Freundin bei Seite. Er theile ganz ihre Anſichten, ob ſie es ihm aber verzeihen werde, wenn er eine Kleinigkeit nach Kräf¬ ten beiſteure: Meine Stellung zum Hofe bringt es mit ſich, und der Geheimrath iſt wohl nicht ohne Auf¬ trag hier. Dies wirkte. Es konnte bei Hofe ver¬ merkt werden, daß Madame Braunbiegler nichts für die Cavallerie gethan. Schreiben Sie mir auf mit zwanzig Thaler, Geheimderath! rief die Wir¬ thin, und die Blicke der ſtattlichen Frau überflogen die Geſellſchaft, um für die Thaler das Erſtaunen zu erndten. Eine Priſe, Baron! Sie griff mit ihren markigen Fingern tief in die Doſe und ſchien den Spaniol mit Befriedigung einzuſchlürfen, wäh¬ rend ſie nicht mit gleicher die Worte ihres Compag¬ nons vernahm: Lupinus, Sie, hören Sie notiren Sie mich auch mit zwanzig! Na, na, Baron, nur keine Extravaganzen nicht! Seit wann haben Sie's denn ſo dicke ſitzen? Allerdings hatte der Baron es nicht ſo dick ſitzen als ſein corpulenter151 weiblicher Compagnon, aber er ſchlug mit der Hand an die Bruſt: Wenn's Vaterland ruft!

Lupinus hatte die Hand, welche eben in der Doſe gewühlt, mit Entzücken ergriffen und an ſeine Bruſt gedrückt: Ah! Madame Braunbiegler est un ange. Votre exemple glorieux rendra notre chose victorieuse!

Umgekuckt, Geheimderath, Ihre Schwägerin winkt, will Ihnen auch vielleicht 'nen Fuchs geben. Stecken Sie ein, was Sie kriegen.

Der Geheimrath Lupinus prallte buchſtäblich zurück, als er ſein Ohr an den Mund der Geheim¬ räthin gelegt, und dieſe einige Worte ihm zugeflü¬ ſtert hatte.

Hun hundert!

Ich bitte, Schwager, ſein Sie kein Narr! ſagte ſie mit leiſem, ſtrafendem Ton und bitten¬ dem Blick.

Hundert Friedrichsd'or!

Aber ich habe Sie doch ſo ſehr gebeten; das war ja unter uns Sie ſind wirklich ein abſcheu¬ licher Menſch.

Hundert Friedrichsd'or! lief es durch die Ver¬ ſammlung. Hundert Friedrichsd'or für Flanell! Starre Blicke, geöffnete Münder. Am weiteſten hatte die Wirthin ihn auf, es kam aber kein andrer Laut heraus, als ein: Na nu !

Die Geheimräthin Wittwe empfand das Unan¬ genehme der Situation. Sie erhob ſich etwas vom152 Stuhl: Warum mußte mein guter Schwager über Etwas an die große Glocke ſchlagen, was ganz un¬ ter uns abgethan werden ſollte! Da es aber ein¬ mal iſt, ſo bin ich meinen verehrten Freunden und Freundinnen Rechenſchaft ſchuldig. Ich bin nicht ſo reich, um eine ſolche Summe zu dieſem einen Zwecke beizuſteuern. Ich erfülle darin nur den Wunſch und Willen meines ſeligen Gemahls. So wenig er ſich im Frieden ſeiner Seele um Weltangelegenheiten kümmerte, ſah er doch mit bangem Blick die ſchwar¬ zen Gewitterwolken nahen, und es waren ſeine letz¬ ten Unterhaltungen mit mir, daß für dieſen Fall ein guter Patriot, was er könne, zum Wohle des Ganzen beiſteuern müſſe. Namentlich ging ihm die Lage unſrer armen Soldaten zu Herzen; er, den jedes kalte Lüftchen wie ein Eishauch berührte, er¬ ſchrak vor dem Gedanken der Winterfeldzüge, die er für eine Barbarei der neuern Kriegskunſt erklärte. Er malte ſich in ſeinen letzten Fieberphantaſieen be¬ ſonders lebhaft das Bild der Bivouaks, und rief mehr als einmal aus: Und ſie haben nicht mal warme Kleider! Wenn ein unerforſchlicher Rath¬ ſchluß ihn nicht plötzlich abgerufen, würde er in ſei¬ nem Teſtamente gewiß Legate dafür ausgeſetzt haben. Wollen Sie es mir daher nicht verargen, wenn ich dies Teſtament für geſchrieben halte, und in ſei¬ nem Sinne zu handeln denke, indem ich thue, wie ich gethan. Nicht ich thue es, mir darf Niemand danken, mir Niemand Verſchwendung vorwerfen,153 es iſt ſein Geiſt, der mich in dieſem Augenblick umſchwebt.

Während die Geheimräthin es ſprach, waren Aller Blicke auf ſie gerichtet. Es war eine Feier¬ lichkeit in ihrem Weſen, ein ſonorer Ton der Sprache, der ſelbſt der Braunbiegler imponirte. Mit ganz beſondern Blicken beobachteten ſie aber zwei der Anweſenden, Wandel und Herr von Fuchſius; jenes Geſicht erheiterte ſich, dieſer behielt denſelben Ausdruck.

Nun aber, lieber Schwager, ging die Lupinus plötzlich in einen andern Ton über, thun Sie uns den Gefallen und gehn zu Andern, denn Ihre Fla¬ nellbinden dürfen unſre Heiterkeit nicht ſtören. Was Sie mir gethan, iſt vergeben und vergeſſen. Sie ſehen, wir haben die Karten in der Hand, und bren¬ nen, zu ſpielen.

Die Liebenswürdigkeit ſelbſt! Nein, eine Vor¬ nehmheit doch, und dieſe Sanftmuth dazu! Wenn es nicht geſagt, wurde es gedacht. Wie herzlich, zu¬ traulich, um es wieder gut zu machen, hatte ſie dem Schwager, der ſo tief unter ihr ſtand, die Hand gereicht zum Abſchied. Lupinus hatte die Hand an die Lippen gedrückt etwas ſchauſpielerhaft, ſagten Einige. Wie ein Poliſſon Andere. Er iſt doch immer der Bruder meines ſeligen Man¬ nes, der einzig Hinterbliebene der Familie! hatte ſie geſeufzt. Und was man auch immer gegen ihn ſagen mag, von Herzen iſt er gut.

Mit welcher Aufmerkſamkeit ſie ſpielte, ſie webte154 leichte Scherze in's Geſpräch! Eine Geſchlagene war am Spieltiſch. Die Braunbiegler geſtand es ſich ſelbſt. Ein ſchweres Geſtändniß, aber ſie wartete nur auf die Gelegenheit, ſich wieder zu erheben. Große Seelen ſchweigen bis zum rechten Augenblick, kleine knurren und murren bei jeder Gelegenheit.

I Gott! rief ſie, als die Lupinus Karten gab, es iſt gar nicht darum, um die Flanellbinden. Tau¬ ſend Thaler ſind mich ein Quark für König und Va¬ terland, Aber der wie kommt denn der dazu! Sag 'ich doch, wenn Leute, die nichts haben, Andern an die Taſche klopfen wollen, das ſollte vom König verboten werden.

Man erwähnte, daß die Königin ſich günſtig über den Eifer des Geheimraths in dieſer Angelegen¬ heit geäußert. Es ſei ſchön, wenn ein alter Sünder durch gute Thaten ſeine ſchlimmen wieder gut zu machen ſuche.

Wenn's nur von ihm käme! ſprach die von Neuem Geſchlagene. Da habe ich auch nichts gegen. Er iſt ja ein Mann in Amt und Brod, und der König wird wiſſen, warum er ſich ſolche Geheim¬ räthe gemacht hat. Aber alle Welt weiß auch, er iſt nichts im Hauſe. Da ſteckt die Charlotte hinter, ſeine Köchin. Ich weiß nur gar nicht, wie die Familie den Scandal zulaſſen kann. Wenn das in meiner wäre, ich würde mich ja ſchämen

Madame Braunbiegler haben anzuſagen, ſprach mit großer Milde die Lupinus. Mein Seliger,155 ſetzte ſie hinzu, mußte doch wiſſen, warum er mit ſeiner unendlichen Güte den Schwachheiten ſeines Bruders nachſah. Ich bin nur ſeine Erbin. Sein Wille iſt meiner.

Das Spiel ging gut. Die Braunbiegler ge¬ wann. Das kühlt den Unmuth. Aber hinter dem Spieltiſch ward das Geſpräch etwas laut. Verſchie¬ dene Perſonen ſaßen an dem großen Trümeau, der die Spielgeſellſchaft in ſeinem Glaſe auffing.

Sie ſind ja ſo munter, liebe Eitelbach? fragte die Lupinus hinüber.

Der Regierungsrath erzählt uns allerliebſte Criminalgeſchichten.

Fuchſius hatte einen dankbaren Hörerkreis. Das iſt noch gar nichts, ſagte er. Dann wird Sie eine andere Geſchichte, die ich in einer engliſchen Zeitung las, noch mehr intereſſiren. Auf dem Lande lebte ein Gutsbeſitzer oder Friedensrichter mit ſeiner Frau, wahre Muſter in Sittlichkeit und Wohlthun. Man ſtellte die beiden Leute wirklich als Exempel auf. Sie waren ſchon in vorgerückten Jahren und ohne Kinder und, da ihnen Alles glücklich ging, bedauerte man ſie nur, wenn ein Gatte dem andern in jene Welt voraufgehen ſollte. Der Mann ſtarb zuerſt. Es hieß, er hätte ſich zu wenig Bewegung gemacht, der viele Staub ſeiner Bibliothek, den er eingeſchluckt, hätte ſich auf ſeine Lunge geworfen.

Die arme hinterbliebene Frau! ſagte die Eitelbach.

156

Frau Geheimräthin haben vergeben, rief ein Spieler am Tiſch.

Excus! es flimmerte mir etwas vor den Augen.

Sie ward auch allgemein bedauert, fuhr Fuch¬ ſius fort, ertrug aber ihr Schickſal mit wunderbarer Faſſung. Sie lebte nur dem Gedächtniß ihres Mannes und führte mit großen Opfern Alles aus, was er angeordnet. Man betrachtete ſie als eine Art Heilige. Da fügte es der Zufall, daß durch einen Gewitter¬ regen der an einem Abhange gelegene Kirchhof von aller Erde losgeſpült und durch die Gewalt des Waſſers mehre Särge den Abhang hinunter geſtürzt wurden. Darunter war auch der, worin der ſelige Friedensrichter lag. Er zerbrach, und mit Erſtaunen ſah man die wohl conſervirte Leiche, als wenn er noch lebte. Von einer beſondern Luft konnte es nicht herrühren, denn die andern Leichen waren zerſtört. Man fand aber bald die untrüglichen Merkmale einer Arſenikvergiftung. Werden Sie es glauben, wenn ich Ihnen ſage, daß ſich ermittelt hat, die eigene Frau hat ihn umgebracht.

Einem unterdrückten Schrei folgte eine lange Stille: Aber wie iſt denn das gekommen? Warum denn? Sie hat ihn ja ſo geliebt! rief die Baronin.

Fuchſius, der mit übergebeugtem Leibe auf dem Stuhle ſaß, wie wohl Erzähler thun, die für eine lange Erzählung den geſammelten Stoff wie einen Faden aus ſich herausſpinnen, und dabei nicht rechts157 und links blicken, Fuchſius ſah dabei unverwandt vor ſich auf den Spiegel.

Das Warum iſt nie recht klar geworden, ant¬ wortete er auf die Frage der Eitelbach. Es iſt eine ſehr alte Geſchichte. In unſern gebildeten und auf¬ geklärten Zeiten kommt ſo etwas, wie Sie denken können, nicht mehr vor.

Gott ſei Dank, das iſt nicht möglich! rief die Eitelbach.

Aber ungleich intereſſanter, fuhr der Rath fort, und vollſtändig ermittelt iſt, wie ſie ihren Mann umgebracht hat. Können Sie ſich das denken, ſie puderte ihn, in dem Puderſtaub aber war Arſenik.

Am Spieltiſch war eine Störung. Der Ge¬ heimräthin waren die Karten aus der Hand gefallen; ſie ſah blaß aus, ihr Kopf ſenkte ſich. Das hatten aber nur die Wenigſten geſehen. Im ſelben Moment ſchon war der Legationsrath aufgeſprungen: Eine Maus! Er zog das Taſchentuch; damit fuhr und ſchlug er an der Wand entlang, nach dem Boden. Eine Maus, eine Maus! Vergebens ſchrie Madame Braunbiegler auf: Wir haben keine Mäuſe! Es hatten noch Andre die Maus geſehen, denn worauf hätte ſonſt der Legationsrath ſich ſo lebhaft geworfen! Wie auch die Wirthin dagegen proteſtirte, in ihrem Hauſe ſeien nie welche geweſen, noch ſollten ſie ſich je zeigen, ſie kam in dem allgemeinen Allarm nicht auf, beſonders als auch der Regierungsrath, an ihr vorüberſtreifend, ihr zuflüſterte: Sie müſſen ſich158 ſchon zufrieden geben, es war eine Maus, Madame Braunbiegler. An der Thür ſagte er halb für ſich: Eine Falle wird ja auch im Hauſe ſein. Die Ba¬ ronin meinte, er gehe eine zu holen, als er ſich un¬ bemerkt im allgemeinen Aufſtand entfernte.

Es war ein verdrießlicher Aufſtand, am verdrie߬ lichſten für die Geheimräthin Lupinus, welche die Urſache geweſen, denn ſie konnte nun einmal keine Mäuſe ſehen, ohne einer Ohnmacht nahe zu kommen. Aber wie ſchnell hatte ſie auch jetzt ſich erholt, ſie war die erſte, welche ihre Karten wieder in der Hand hielt: Warum mußten Sie mich verrathen! ſchmollte ſie mit einem eignen Blick zum Legationsrath. Das Thier raſchelte ſo ganz unerwartet zwiſchen Decke und Wand hervor. Was that das! Die Geſellſchaft wäre doch in ihrer Aſſiette geblieben.

Die Geſellſchaft war wieder in ihrer Aſſiette, aber die Maus noch nicht fort. Man erzählte von andern bekannten Perſonen, die auch eine Idioſyn¬ kraſie vor Mäuſen hätten. Auch Herr von St. Real ward erwähnt. Er ſpränge trotz ſeines Krückenſtockes, wenn er eine wittere, auf Stuhl und Tiſch. Sprang! rief eine Stimme von einem andern Spieltiſch: Ach, wiſſen Sie noch nicht, er iſt todt, plötzlich am Schlag¬ fluß geſtorben. Ein allgemeines Bedauern, das ſich indeß in ein allgemeines wohlgefälliges Lächeln auflöſte. Nicht der Kammerherr, ſondern ſein Onkel, der reiche Johannitercomthur Graf St. Real, war geſtorben und ſein Neffe Erbe ſeines Vermögens und159 ſeiner Titel geworden. Der Tribut allgemeiner Theil¬ nahme ward dem unſichtbaren Erben gezollt.

Ach, ein ſo liebenswürdiger Herr, dem gönne ich's, ſagte die Wirthin.

Charmanter Cavalier, ſchmunzelte ihr Com¬ pagnon, der Baron. Gefällig gegen Jedermann, hat noch die feinen alten Hofſitten. Wenn ſolchem Mann ein Glück zufällt, da kann man doch noch ſagen, es iſt Gerechtigkeit drin. Die Glückspilze ſind mir zuwider.

Die Braunbiegler meinte, er wäre todt, und nun könnte man ihn in Ruhe laſſen. Die Lupinus nickte ihr beiſtimmend zu. Sei uns noch eine, die letzte Rede der Wirthin in ihrer Mundart vergönnt. Dieſe Mundart iſt ja faſt ausgeſtorben, wenigſtens in den Kreiſen, in die wir unſre Leſer geführt, aber ſie hat auch in ihnen geherrſcht, und neben allen Dialecten der Philoſophie und der Romantik, was der Geſell¬ ſchaft jener Zeit einen bunten Anſtrich gab, von dem die jüngere Generation keinen Begriff hat.

Wenn mir nu noch Ener kommt, trumpfte ſie auf den Tiſch, ob er todtig iſt oder lebendig, des weeß ich, denn ſchmeiß ich die Karten fort. Zu ville iſt zu ville. Aber, Frau Geheimderäthin, müſſen Sie denn allemal vergeben?

Der Bediente war eingetreten, offenbar mit einer Meldung, aber er ſchien zu zaudern, als er die Lu¬ pinus im Begriff ſah, die wieder aufgenommenen Karten zu miſchen.

160

Es iſt draußen es ſteht draußen es will Jemand Frau Geheimräthin Lupinus ſprechen.

Wir haben hier auch zu ſprechen.

Der ſagt aber, er muß abſolut.

Na, wer iſt es denn, Jean?

Ich kenne ihn nicht, Madame Braunbiegler, aber aber er iſt ſehr dringend, er hat ein Schild auf der Bruſt und ſagt, er muß partout.

Wandel hatte die Geheimräthin fixirt. Ein à mer¬ veille! entſtieg unhörbar ſeinen Lippen, als ſie die Karten vor ſich niederlegte und aufſtand. Sie verzog keine Miene: Ich kann mir denken, was es iſt; wahrſcheinlich wegen eines Documentes aus meines Mannes Nachlaß, auf das eine auswärtige Behörde aus archivaliſchen Gründen einen Anſpruch geltend macht. Es thut mir unendlich leid, daß ich abermals die Geſellſchaft ſtören muß, hoffentlich nur auf einige Augenblicke.

Sie rückte den Stuhl zurück. Wandel reichte ihr den Arm und führte ſie bis an die Thür. Ob und was er mit ihr geſprochen, weiß man nicht. Sie haben ſich nicht wieder geſehen, heißt es.

An der Thür blickte die Lupinus noch einmal über die Schulter, und die ihren Blick damals ſahen, wollten ihn nie wieder vergeſſen haben. Mit einem Lächeln rief ſie: Ich bin am Geben, meine Damen, ver¬ geſſen Sie es nicht und ich werde nicht wieder vergeben.

Es war eine peinliche Stille von einigen Minu¬ ten. Im Augenblick, wo man einen Wagen abfahren161 hörte, trat das Stubenmädchen ein, blaß, wie ver¬ ſtört: Ach Gott, wiſſen Sie ſchon Die Sprache verſagte ihr.

Was?

Sie wird abgeführt ſie iſt criminaliſch die Thränen ſtürzten dem Mädchen aus den Augen. Ach Gott, ach Gott! daß ſolchen Leuten auch ſo was paſſiren muß. Die gute Frau Geheimräthin!

Unmöglich! Ein Mißverſtändniß! Die Karten fielen, die Stühle und Tiſche rückten. Ueberall blaſſe Geſichter. Mehrere Herren waren hinausgeeilt. Der Baron Eitelbach kam aber ſchon hereingeſtürzt. Es iſt eine fatale Wahrnehmung für unſer Huma¬ nitätsgefühl, aber es ſteht unbeſtreitbar feſt, mitten aus dieſem Humanitätsgefühl ſchießt oft eine cani¬ baliſche Luſt, wenn wir ein ungewöhnliches Unglück, von äußerem Schrecken begleitet, hören. In das Be¬ dauern für die Leidendenden miſcht ſich ein wollüſtiger Kitzel. Es iſt nicht immer Schadenfreude, oft nur die Freude, aus dem Alltäglichen heraus in die Re¬ gionen des Ungewöhnlichen uns verſetzt zu ſehen. Hören wir, daß es nur blinder Lärm war, kein Feuer, eine Myſtification, ſo werden wir ſtill. Wir äußern vielleicht ein Gott ſei Dank! Aber ganz recht iſt es uns nicht, daß die wunderbare Aufregung ohne Re¬ ſultat geblieben.

'S iſt richtig! Wiſſen Sie's? ſchrie der Baron.

Um des Himmels Willen, was?

Sie hat ihrem Mann Rattengift gegeben. V. 11162Die Leiche iſt heut heimlich ausgegraben ſecirt. O wir werden noch mehr hören.

Die Wirkung auf die Geſellſchaft zu beſchreiben, unternehmen wir nicht, die aufgeriſſenen Augen, die bleichen Geſichter, die Taſchentücher, die Eau de Co¬ logneflaſchen. Die Unmöglich! Es iſt Verleumdung! welche zuerſt von den Lippen brachen, verſtummten allmälig. Es kamen immer mehr zurück, die es be¬ ſtätigten, neue Details angaben. Die hatten die Ge¬ richtsdiener, Andere Fuchſius, einen Criminalrath, einen Gerichtsarzt geſprochen. Die Geſellſchaft war aufgelöſt; die Nachrichten wuchſen mit den Ver¬ muthungen. Sie hatte nicht nur ihren Mann ver¬ giftet, auch Kinder, ihre Dienerſchaft. Sie war eine Giftmiſcherin aus Profeſſion, eine Brinvilliers. Sie hatte aus einer Apotheke alles Rattengift aufgekauft.

Daher kann ſie keine Mäuſe und Ratten ſehen.

Eine Dame entſann ſich, daß ſie einmal eine ganze Schule zu ſich gebeten und traktirt, und die Kinder waren nachher krank geworden. Sie hatte die ganze Schule vergiften wollen, das war keine Frage. Wir wiſſen nicht, ob in derſelben Geſellſchaft, aber am ſelben Abend ſchon erzählten Einige, daß die Lupinus die Intention gehabt, ihre Nachbarſchaft, ja die ganze Jägerſtraße aufzuräumen.

Und in unſrer Stadt! In dem aufgeklärten Berlin! Man wird es auswärts nicht glauben. Aber wir werden noch mehr hören.

Nachdem Madame Braunbiegler ſich vom erſten163 Schreck erholt, war ſie die aufgeregteſte, wenigſtens die lauteſte: Wenn man ſie nur gefragt, ſie hätte es längſt gewußt nein, das freilich nicht, aber vor¬ geſchwant hätte es ihr, daß es ſo oder ſo etwa kom¬ men werde. Und der Frau hätte ſie ja nicht um die Ecke getraut; ſo etwas Maliciöſes im Gange und den Fingerſpitzen, in den Locken und Lippen, und die cachirte Vornehmheit! An ihrem Geſichte konnte man ihr die Giftmiſcherin anſehn. Und wenn ſie nur den wüßte, der ſie ihr zuerſt in's Haus gebracht!

War dies vielleicht die arme Baronin? Sie ſaß über ihren Stuhl gelehnt wie ein Bild des Ent¬ ſetzens, blaß, mit weit aufſtarrenden Augen, ſprach¬ los. Es war ihr Vieles im Leben begegnet, ſie hatte einmal geglaubt, noch vor Kurzem, was ſie dulden müſſe, das dulde Keiner außer ihr, aber das, was ſie jetzt erlebt, war mehr, es war zu viel. Sie hatte dafür keine Sprache, vielleicht auch keine Ge¬ danken. Die Lupinus galt ihr, und war ihr immer vorgeſtellt worden als ein Muſter von feiner, edler Bildung, von Herzensgüte und Verſtand, das ſie zwar nicht erreichen, aber auf das ſie zur Nach¬ eiferung blicken, woran ſie ſich halten könne. Und glaubte die Eitelbach nicht, daß ſie ſchon eine Andere, Beſſere geworden! Hatte ſie nicht erkannt, woran es ihr fehle, hatte ſie es in einem gerührten Augenblicke nicht gradezu ausgeſprochen, und die Lupinus hatte ihre Hand auf ſie gelegt und mit herzgewinnender Güte geſagt: die einfältigen Herzens ſind, denen iſt11 *164das Himmelreich offen! Und ja, ſie war es wirk¬ lich, welche die Lupinus zuerſt mit der Compagnonin ihres Mannes bekannt gemacht hatte. Da brach es heraus, Schmerz, Aerger, Wuth: Herr Gott, wenn die 'ne Giftmiſcherin iſt, was ſind wir dann Alle!

Der Legationsrath Wandel ſchien in dieſer fürch¬ terlichen Scene nicht ganz die Faſſung behalten zu haben, welche er in allen Lagen des Lebens an den Tag gelegt. Das Unglück einer ſo theuren, lang¬ jährigen Freundin mußte auch ihn momentan er¬ ſchüttert haben. Er war wenigſtens für die nächſten Minuten nicht ganz Herr ſeiner ſelbſt. Er ſaß auf einem Stuhl, den Rücken der Geſellſchaft zugewandt. Sein Kopf ſank über. Plötzlich aber ſtand er auf, und trat in die Mitte des Zimmers. Sein Auge leuchtete, indem er die Anweſenden überſchaute, ein hochmüthiger, faſt verächtlicher Ton in ſeiner geho¬ benen Stimme:

Und wer ſagt ich frage, wer wagt die Frau, welche man aus unſerm Kreiſe geführt, eines Ver¬ brechens anzuklagen! Hat Jemand von Ihnen Be¬ weiſe? Lieſt man in ihrem Herzen! Wer, ich frage, traut ſich zu, auf bloßes Geſchwätz, Vermuthungen hin, ein Urtheil über eine Dame zu fällen, die als ein leuchtendes Exempel von Tugend bis da in un¬ ſerer Mitte ſtand? Wer, wiederhole ich, fühlt ſich ſo reinen Herzens, um den erſten Stein auf ſie zu werfen! Warum ſenken Sie die Köpfe? Wie!

165

Weil die Dienſtleute ein Gerücht hereintrugen, un¬ gebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte ſie ver¬ haftet, vielleicht auf ein bloßes Mißverſtändniß, eine Verwechslung Kommt das nicht vor? Giebt es nicht Juſtizmorde? Wie, darum verdammen wir die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung, Reſpect betrachtet, die uns galt für ein Weſen hö¬ herer Art! Dieſe Bewunderung für ihre guten Ei¬ genſchaften, der Eindruck, den ſie unwillkürlich auf uns Alle geübt, wäre erloſchen, fortgewiſcht durch ein einziges Wort! O mein Gott, laſſen Sie mich nicht ſo ſchlecht von uns Allen denken, daß ein un¬ beſonnenes, überhaſtetes Wort die Thaten eines gan¬ zen Lebens verlöſchen könnte

Aber fiel ihm Jemand in's Wort. Wan¬ del ließ ihn nicht zu Wort kommen.

Sie haben Recht, der Schein iſt gegen ſie. Ich vermeſſe mich auch in keiner Art hier Richter ſein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von em¬ ſigen Polizeibeamten zu Protocoll gegeben iſt. Nein, von ſolcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber, meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlüſſe zu ziehen aus dem, was ſcheint, was wir vermuthen. Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir auf¬ zückt, ich müßte zum Ankläger werden gegen die edelſten Männer, die lauterſten Charactere Berlins. Sie traute keinem Arzte mehr, ſie glaubte ihre Schwächen durchſchaut zu haben, ſie nannte ſie ins¬166 geſammt Charlatane; das wußte Heim, Selle; Mu¬ cius hat es auch gewußt. Sie präparirte ſich ſelbſt ihre Hausmittel, ſie hatte ſich eine kleine Apotheke von Herrn Flittner verſchafft, wie ich ihr auch ab¬ rieth, und vorſtellte, daß es zu Mißdeutungen eben von Seiten der Aerzte führen könne. Es hat dazu, meine Herren, geführt, man hat Urtheile über ſie ausgeſprochen, die ich nicht wiederholen will. Wie nun, wenn ich dieſem Schein nachginge, argumen¬ tirte: ſie war eine ſehr kluge Frau, die tiefer ſah als Andere, darum waren die, denen ſie in's Hand¬ werk ſchaute, ihre gebornen Widerſacher, die ihr auf den Dienſt lauerten, jede ihrer Handlungen mi߬ deuteten; dieſe Aerzte ſind es, die, weil ſie dieſelben vom Todtenbett ihres Gatten fern gehalten, weil ſie dieſelben beleidigt, verhöhnt, an Ruf und Praxis geſchadet, ſie ſind es, welche den Verdacht gegen die Unglückliche ausgeſtreut, bis andere Elende daraus eine Denunciation gebildet. O nein, meine Freunde, ich unterdrücke dieſe Vermuthung, und noch Andere, ich verſichere Sie, Vermuthungen, die einem an¬ dern als mir zu Schlüſſen würden. Nein, ſie ſteht mir zu hoch, als daß ich ihr helfen ſollte durch das Verderben Anderer. Sie wundern ſich über mei¬ nen perſönlichen Eifer. Nun wohl denn, wenn Ihnen die Entrüſtung eines Edelmanns über das Unrecht, das man einer edlen Frau anthut, nicht Grund genug iſt, ſo habe ich keinen, unter ſo nahen Freunden zu verſchweigen, daß meine Achtung und167 Bewunderung für Madame Lupinus mich nach dem Tode ihres Gatten trieb, um ihre Hand zu wer¬ ben. Ich ſprach es noch nicht aus, um ihre Ge¬ fühle zu ſchonen, aber ſchon bei einer bloßen An¬ näherung kam ſie ſchonend, doch mit einer Würde mir entgegen, die alle meine Hoffnungen zurückwies. Sie gehöre dem Todten wie einem Lebenden an, und nichts dürfe ſich zwiſchen ſie und dieſe heilige Erinnerung drängen. Brauche ich Ihnen zu ſagen, wie ich dieſe heilige Empfindung verſtand und ehrte, da jeder von Ihnen weiß, daß ich ſeitdem ihr Haus nicht mehr betrat. Und dieſe Frau wagt man zu beſchuldigen, daß ſie Hand gelegt an das theure Haupt ihres Verewigten! Dieſe Mittheilun¬ gen bin ich dem Criminalgericht ſchuldig. Ich werde ſie machen, und zum Richter ſprechen: Unterſuchen Sie ſtreng, das iſt Ihre Pflicht, aber erlauben Sie mir auch, eine moraliſche Ueberzeugung vor Ih¬ rem Stuhle auszuſprechen. Möglich iſt Alles, aber nur die, welchen die Sünde in ihrem erſten Stadium, im Argwohn und Neid gegen die Beſ¬ ſeren und Glücklichen, genaht iſt, werden die Beſchuldigung ausſprechen, ſie werden ein Be¬ hagen daran finden ſie zu glauben, eine edle, reine Seele wird die Worte ausrufen, welche mir vorhin in's Ohr klangen: Wenn ſie eine Giftmiſcherin iſt, gütiger Gott, was ſind wir dann Alle!

Der Eindruck der Rede war groß. Er hatte ſeinen Hut ergriffen, ſich gegen die Geſellſchaft ver¬168 neigt, am tiefſten gegen Madame Braunbiegler. Die Geſellſchaft verſtand die Bedeutung. Trotz des allgemeinen Schauers, trotz der Unruhe des Auf¬ bruchs, denn die Meiſten nahmen Abſchied, be¬ wunderte man den ritterlichen Mann, welcher ſo der Ehre einer Frau ſich, annahm, die ihm den Korb gegeben! Und ſeine hohe Geſtalt, ſein tief¬ glühendes Auge unter einer Stirn, die ſich im edlen Zorn immer höher zu wölben ſchien! So hatte man ihn nur geſehen, als er im Hauſe der Obriſtin als Retter auftrat.

Niemand ſchien vergnügter als Baron Eitel¬ bach, er hätte, als Beide im Vorzimmer ſich be¬ gegneten, dem Legationsrath um den Hals fallen können. Seine Frau übernahm es ſtatt ſeiner. Eine Thräne glänzte in ihrem ſchönen Auge, als ſie, vom Arm ihres Mannes ſich losmachend, ihre Hände auf ſeine Schultern legte und, auf den Zehen ſich erhebend, einen Kuß auf ſeine Stirn hauchte: Eine ſchöne That verdient eine Be¬ lohnung. Eigentlich, daß Sie's wiſſen, habe ich Sie nicht leiden können Sie ſind ein guter Menſch, das wußte ich, aber es war mir doch immer daneben, als wenn Sie ein ſchlechter Menſch wären heute aber nein, Sie ſind gar kein Menſch nicht, heute waren Sie wie ein Gott.

Schade, daß die ſchöne Scene durch ein krei¬ ſchendes Gelächter unterbrochen ward. Nicht das des Barons, der nur etwas grinſte und ſich vor Scha¬169 denfreude die Hände rieb, ſondern geſpornte Stiefel polterten die Treppe herauf, und der Rittmeiſter ſchrie ſchon von draußen ſein: Tralirum la, Tralirum la, nun geht es los! Tralirum la! Krieg! Krieg! Ausmarſchordre! Laforeſt kriegt ſeine Päſſe!

Es war ein Intermezzo, das überhaupt zu dem, was hier geſchehen, nicht ſtimmte; Trompetengeſchmetter, das einen Choralgeſang, die Trauermuſik eines Grabes¬ zuges unterbricht. Glühte ſein Geſicht nur von der Freude oder auch vom Wein? Gleich viel, es glühte und er war trunken. Er fiel um den Hals, wer ihm in den Weg trat. Krieg! 's geht los! begleitete den Kuß. Er hatte den Baron Eitelbach ſo umarmt, er drückte auch der Baronin ſeinen Bart und ſeine Lippen an die Wangen. Nur vor der aufrechten Geſtalt des Legationsraths wich er zurück, um den Ge¬ neral-Stabs-Chirurg Görecke an's Herz zu ſchließen.

Herr von Wandel glaubte einen ſchmerzlichen Zug um die Augen der Baronin zu ſehen. Er flüſterte ihr in's Ohr: Nicht verzweifelt, meine Freundin. Man muß in ſolchen Momenten der Aufregung auch einer Rohheit nachſehen, die unter andern Umſtänden unverzeihlich wäre. Er kann ſich beſſern, obgleich doch es kommt eben darauf an, ob er ein Diamant iſt, oder nur ein Kieſelſtein.

[170]

Achtes Kapitel. Wir werden Alle Blut ſehn müſſen.

Die bleigraue Dämmerung eines Nebelmorgens drang noch kaum durch die von der innern Wärme angeſchlagenen Scheiben in das Zimmer der Fürſtin, als dieſe im Negligé aus ihrem Cabinet trat. Wan¬ del, der hinter ihr die Thür ſchloß, war ſchon fertig angezogen. Er ſah blaſſer als gewöhnlich aus und ſchlang ein wollenes Tuch gegen die Morgenkälte um den Hals, ehe er ſich anſchickte, den Mantel um¬ zuwerfen.

Die Fürſtin wies auf die Thür zur Hinter¬ treppe: Sie können durch den Gartenſalon. Adel¬ heid ſchläft ſchon ſeit geſtern nicht mehr hier.

Der Abſchied von der Tugendprinzeſſin war wohl ſehr rührend?

Die Gargazin ſagte nach einigem Beſinnen: Ja ich habe geweint. Was ſie noch ſagen wollte, verſchluckte ſie.

Tant mieux, Madame, ſie kann uns nun prote¬ giren. Le temps se change, mais pas les hommes.

171

Ich wünſchte, Sie changirten, ſagte die Für¬ ſtin ernſt. Hat Sie der Anblick des jungen Mäd¬ chens nie gerührt? Zuweilen wenn ich ſah, wie alle Verlockungen und Verführungskünſte von ihr abglitten ja, zuweilen überkam es mich, ob ſie nicht in einem unmittelbaren Schutze ſteht.

Die Hand des Schutzengels, den der Himmel ihr geſandt, drücke ich jetzt an meine Lippen. A revoir! Uebrigens habe ich ja auch ein wenig den Engel agirt.

Die Gargazin riß die Hand zurück und ihr ſtra¬ fender Blick hätte ihn zum Schweigen auffordern ſollen, aber er ſchwieg nicht:

So war uns die Rolle des Verführers zuge¬ wieſen. Jede Rolle iſt gut, wenn man ſie nur gut ſpielt. Sie ſchaudern, es iſt ein froſtiger October¬ morgen. Sie werden ſich erkälten, Sie ſollten ſich wieder zur Ruhe legen.

Ich ſchaudre, doch ich friere nicht.

Er ſah verwundert, als ſie nach der Klingel¬ ſchnur griff.

Ich will nach der Hedwigskirche. Wenn Sie geſündigt, fühlen Sie dann nie das Bedürfniß, Ihr Herz auszuſchütten? Haben Sie gar keine Empfin¬ dung, keine Ahnung davon, welche Erleichterung, Wohlthat es iſt, ſo belaſtet und gedrückt ſich in den Staub zu werfen, und im Bekenntniß, in der Beichte zu den Füßen eines plénipotentiaire der Allmacht alles das niederzulegen, und jeden Winkel in uns aus¬ zukehren? Glauben Sie mir, es iſt nur ſchwer, wenn172 man es noch nicht verſucht. Sind wir erſt daran gewöhnt, o ſo wird es mehr als ein Bedürfniß, eine Wohlthat, wie ein Bad nach ſchwülem Tage. Wie da Luft und Licht allmälig die Adern unſrer Seele durchhaucht! Der Körper fühlt es mit, er wird leichter. Wir athmen auf, wenn in den hohen Hallen der Odem des Ewigen rauſcht, die Orgel in¬ tonirt, die Glocken über uns anſchlagen, der Zug¬ wind trägt uns den Duft des Weihrauchs zu wenn dann der Prieſter die Hände auf uns legt, die leichte Buße mit ernſter Stimme dictirt, und endlich, das beſeligende Wort der Löſung ſpricht o wie ganz anders fühlen wir uns, nein, wir ſind es. Nun trägt ein Anderer, was wir getragen, die Füße, die uns kaum trugen, ſind leicht; wir ſanken hin und ſchnellen auf. Die Welt iſt wieder ſchön, rings um uns wie neu geboren und wir wie ein Kind, das nach dem Schmetterling im Sonnenſchein haſcht. O Sie armer Mann, daß Sie das nicht begreifen.

Ich begreife es ich begreife es vollkommen!

Und Sie verſchmähen die Wohlthat.

Was dem Armen ein Schatz iſt, wirft der Reiche oft aus dem Fenſter.

O Sie reicher Mann! Es war ein böſer, aber ſcheuer Blick. Weil Sie ſo gewaltig ſtark ſind. Weil Sie die Schwäche nicht kennen! Ich hätte Sie von Anfang an haſſen müſſen

Aber Sie wollten mich bekehren, darum erbarm¬ ten Sie ſich meiner und liebten mich.

173

Nein! Eigentlich bewunderte ich in Ihnen die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war, ein Geſchöpf in Menſchengeſtalt ohne Blut und Herz zu bilden! Sie waren mir neu, intereſſant, ich wollte Sie ſtudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬ wo eine ſchwache Seite herausklinge aber kalter Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich fragte mich, was bewegt denn dieſen Block, den irgend ein Dämon aus dem kalten Geſtein loshieb und ge¬ meißelt in's Leben ſetzte, mit täuſchender Menſchen¬ ähnlichkeit, aber er ward kein Menſch.

Einige wollen behaupten, der Egoismus ſei es allein, der dieſen Marmorblock in Thätigkeit bringt.

Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬ derhall. Es rauſcht und ſtrahlt zuweilen ſo harmo¬ niſch heraus, daß Sie blenden, berauſchen, verführen. Sagen Sie, iſt das Alles nur der Reflex eines Spie¬ gels, den ſelbſt nichts rührt? Haben Sie keine Seele, oder iſt ſie wie das Meer am Eispol, eingefroren ſeit ihrer Schöpfung?

Viel näher, theuerſte Freundin, läge doch der Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter in's Leben rief. Warum ſo ungeheuer weit ſuchen im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, ſtatt Goethe's Mephiſtopheles zu citiren? Die Ehre er¬ zeigten mir Andre, ſie nannten mich den Geiſt, der immer verneint. Höflichere hatten ſogar die Freund¬174 lichkeit, den Schalk in mir zu wittern, von dem es dort heißt, daß unter allen Geiſtern, die verneinen, er dem Herrn der Schöpfung am wenigſten verhaßt ſei. Doch das laß ich auf ſich beruhen, es iſt Ge¬ ſchmacksſache, wie Alles in der Welt, Antipathieen und Sympathieen. Was ſich anzieht, was ſich ab¬ ſtößt, es iſt Alles ein Spiel der Laune, die wir nicht ergründen, der Kern des Kernes, die Urſach der Urſach, nach der die ſchöne Königin Charlotte ſelbſt einen Leibnitz umſonſt fragte und quälte. Nein, da¬ nach müſſen wir nicht ſuchen, nicht grübeln, um Gotteswillen; wir Alle ſind ja nach Ihrem Glau¬ ben Erwählte oder Verſtoßene, denen die Gnade leuchtet, oder es blieb in ihnen finſter. Haben Sie doch Erbarmen mit ſolchem Finſtergebliebenen, er kann ja nicht für ſeine Maulwurfsaugen, noch daß ſein Blut ſo kalt blieb als das arctiſche Meer. Wenn Sie da weiter fragen wollten, hohe Frau, auf welche Fragen ſtießen Sie, Räthſel, die ſelbſt Ihr Glaube, der Berge verſetzt, nicht löſt. Zum Exempel, warum gab der Panurg ſich die Mühe, Meer da oben am Nordpol zu ſchaffen, wenn es ſofort zu Eis erſtarrte? Wir Skeptiker würden fra¬ gen, warum ſchuf er nicht ſogleich Eis? es wäre doch einfacher, bequemer, conſequenter geweſen. Was hat dies arme Salzwaſſer verſchuldet, daß es die ſchmerzliche Metamorphoſe erduldete? Muß es, wie ein neugeboren Kind, die Sünden ſeiner Erzeuger büßen? Und warum büßen in alle Ewigkeit, denn175 bis nicht ein Komet an dieſe alte Erde ſtößt, der Weltenbrand Alles verzehrt, wird dies unglückliche, verzauberte Waſſer doch aller Wahrſcheinlichkeit nach nicht erlöſt.

So glauben Sie doch an den Weltenbrand?

Ich glaube an Alles, was außerhalb des Krei¬ ſes meiner Thätigkeit liegt. Warum ſollte ich das nicht aus Gefälligkeit für die Gläubigen! Es geht mich ja nichts an. Nur fordere ich als Gegenge¬ fälligkeit, daß ſie innerhalb jenes Kreiſes gar keinen Glauben von mir fordern. Da glaube ich nicht ein¬ mal, was ich vor mir ſehe, fühle, rieche, nur was ich hinter mir habe, den Wein, den ich geſchlürft, den Kuß von ſüßen Lippen, den Buſen, an dem ich ge¬ ruht; daran glaube ich, und ſchwöre auf die Selig¬ keit, außerdem aber nur an das mathematiſche Ein¬ maleins, und noch an Etwas. Da coincidirt ja unſer Glaube. Der Panurg ſtreute uns aus ſeinem Würfelbecher auf die Erde, wie wir ſind, Starke und Schwache, Erwählte und Verdammte. Jeder geht auf ſeine Graſung. Wenn Jener ſauren Klee liebt, ſo wäre ich ja ein Thor, ihn fortzureißen, daß er auf mein ſüßes Kleefeld kommt. Er gab uns verſchiedenen Geſchmack, und das iſt ſeine nicht genug zu bewundernde Weisheit, ſonſt fräßen wir Einer den Andern auf.

Der Weltenbrand! rief plötzlich die Fürſtin auf, und ihr Geſicht glühte. Nicht die Wärme von innen, es war eine Purpurgluth, die von außen daran ſchlug. Die Sonne war aufgegangen, die Wolken zerriſſen,176 eine unförmlich große Feuerkugel tanzte im Dunſt¬ licht. Aber bald ſah man ſie nicht mehr vor der Färbung, die ſie dem ganzen Dunſtmeer mittheilte. Das Firmament ſchien in Feuer. Das Zimmer, eben noch in unheimlichem Grau, war von rothem Gefunkel überſprenkelt. Raſch hatte die Wirthin das Fenſter aufgeriſſen, und die Dächer der Häuſer, die weite Stadt, ſo weit man ſie überſah, ſchwammen in einem Blutroth.

Wenn ſie überraſcht war, ſchien es nicht die Ueberraſchung des Schrecks, ſondern einer dämoni¬ ſchen Freude. Sie ſtreckte ihren entblößten Arm hinaus in die kalte Luft, während dieſe Kälte ſie doch nö¬ thigte, die Enveloppe mit der andern Hand feſter um Bruſt und Hals zu drücken.

Sehen Sie!

Die Nebel zertheilen ſich. Es wird ein ſchöner Herbſttag werden.

Der Tag der Vergeltung! Er bricht an. Feuer und Blut gemiſcht. O ich könnte mich freuen, ein entzückendes Schauſpiel, wenn die wogenden Flammen über dieſe Dächer ſauſten, das Lied der Vergeltung heulend

Die ſanfteſte Frau mit Nero-Phantaſieen!

Dieſe Dächer, dieſe ſteinernen hohen Mauern mit ihren griechiſchen, ihren etruriſch römiſchen For¬ men, ſie waren immer meinem Auge eine heidniſche Decoration. O ich hätte ſie abreißen, offen legen mögen, daß man hineinblicke und ſehe, was ſie ſo177 geſchickt verſchließen, dieſe mit heidniſcher Tugend übertünchten Sünden.

Ich bin nicht aus Berlin auch kein Preuße, fahren Sie fort, Prieſterin des heiligen Zornes!

Selbſt Sie müſſen das fühlen, kalter Verſtandes¬ mann: hier iſt keine Geſundheit, ſelbſt ihre Rechen¬ exempel ſind falſch, ſie wandeln auf übertünchten Gräbern und merken es nicht. Ihre Bildung, was iſt ſie? Eine bunte Garderobe aus allen Ländern zuſammengeholt, Frack und Friſur aus Frankreich, ein Surtout darüber aus England, bunte Flitter aus Italien, Spanien, wo es her iſt. Und die gerühmte Intelligenz, aus welchem Quell ſchöpfte denn ihr Geiſt? Trank er von den Silberwaſſern, die aus dem ewigen Schnee rieſeln, die Gottes Auge befruchtet? Aus ſchleichenden Flüſſen, künſtlichen Kanälen ſchöpften ſie ihre Begeiſterung. Dieſe Ramler, Gleim, o es iſt zum Lachen! Womit beſchäftigte ſich ihre Poeſie, Philoſophie und Kunſt, als über die Wüſte der All¬ täglichkeit einen glitzernden Teppich zu weben, und den Gott, den ſie nicht ſahen, aber doch bisweilen fürchteten, wie Kinder das Gewitter, aus ſeinem Aetherſitz herabzureißen, um ihm ein bürgerliches Kleid anzuziehen, bis er zum guten Nachbar ward, den man zu Gevatter bittet und die Hand ſchüttelt. Wen verfolgten dieſe Nicolaiten und Jeſuitenriecher, als die von ſeinem Geiſt Durchſchauerten. Die blieben die ihnen unbequemen Geſpenſter. So im Sieges¬ wahne haben ſie über dem Schutthaufen, der GottV. 12178und Teufel, Religion und Aberglaube begräbt, den Thron der Aufklärung aufgerichtet, im Ich, jeder ein Gott mit aufgeblaſenen Wangen und Kolophonium¬ blitzen gegen Andersdenkende! Der rechte neue Aber¬ glaube und Aberwitz, wo den Sündern vergeben wird, wie man irgendwo Gefangene laufen läßt, weil kein Gefängniß für ſie iſt. Die nach dem Trunke dürſtenden Wüſtenpilger ſpeiſt man ab mit dem Troſte, ihr Durſt ſei Illuſion, er werde vergehen durch Ent¬ haltſamkeit. Und wie dieſe Religion ein Mantel von Spinnweben, ſo iſt ihre Staatskunſt einer von verſchimmelter Weisheit. Weil ſie ohne wahrhaften Gott ſind, haben ſie aus einem Menſchen einen Götzen gemacht. Ich ſah zufällig als Kind, man führte mich dahin, die Leiche des großen Königs. O ſchau¬ derhafte Erinnerung. Dieſer Größte der Großen, den ſie in ihrer Vermeſſenheit einem Stern an den Himmel verſetzt, war eine kleine zuſammenge¬ ſchrumpfte Mumie, ein Kinderbalg, ein verkrummtes Zwerglein. Man mußte mich fortreißen, denn ich lachte laut, draußen ſchrie ich noch auf: das iſt kein großer Mann, das iſt ja eine häßliche Puppe! Und wenn wir hinſinken vor der ſchönen gebenedeiten Mutter, wenn ſich unſer thränenreicher Blick aufrichtet zu den edlen Gottzügen des Gekreuzigten, und ſchwebt er noch höher beim Klange des gloria in excelsis, zu dem ewigen Auge des Vaters, dann bezüchtigt man uns der Idolatrie! Aber dies Pygmäengeſchlecht kniet und betet vor der kleinen braunen Puppe, und das179 nennt es nicht Götzendienſt, das iſt Anbetung der Wahrheit! Und ſie haben Recht. Das ſind noch die Beſſern. Wer nichts iſt, muß ſich doch am Anblick von Etwas, das mehr iſt, ſtärken, und wer nie ein Goldſtück in die Hand bekam, freut ſich auch über ein Stückchen Goldpapier.

Erlaucht! Das ſind ja Ihre Alliirten! Von dieſen beredten Lippen hörte ich zwar oft den Wunſch, daß dies ſündhafte Berlin von ſeinen Götzen ließe, ſeinem Friedrich und Leſſing, ſeinem Schiller und Goethe den Rücken kehre und vor dem König der Könige niederkniete; aber woher dieſe Vernichtungs¬ wuth?

Weil ſie nicht zu bekehren ſind! Dies in eignem Wiſſensdünkel aufgeſchwollene Pilzgeſchlecht, im Innern faul und hohl, nimmt keine Lehre an. Die Ermahnungen der Geſendeten ſtrömen durch das Faß der Danaiden. Berlin hat die Strafruthe des langmüthigen Gottes an den Himmel gerufen. Nun ſteht ſie da. Schmähen Sie mir nicht auf den Mann, den wir bekriegen müſſen. Des neuen Attila Miſſion iſt groß, und ich ſehe, ſie iſt noch nicht zu Ende. Nur wir ſind zu oft am Ende, weil wir mit unſerm Ver¬ ſtand ihm immer dies und das Ziel abſtecken wollten, und der unſichtbare Wille lächelt über unſre Thorheit. Die Leichen ſollen ſich noch zu Bergen thürmen und das Blut in Strömen fließen, wo wir noch kein Bett dafür ſehen. Ei, Sie ſchaudern, das freut mich. So blutig roth wie dieſer Morgen

12 *180

Wandel ſchauderte wirklich, er zog den Mantel um die Bruſt: Sie wiſſen, ich kann kein Blut ſehen. Alles Andre nur kein Blut

Die Gargazin ſchien ſich an ſeiner Angſt oder an ſeinem Schreck zu weiden: Steigt Ihnen es auch zu Wangen! Wir werden Alle Blut ſehn müſſen, mein Herr von Wandel. Ohne das keine Erlöſung aus dieſem Daſein. Entweder ſtockt es, und wir gehen in Convulſionen unter, oder es ſtrömt in hellen Purpurquellen aus, und das iſt die leich¬ tere. Hören Sie die Trommeln wirbeln? Wie muthig und froh gehen die Tauſende dahin, wo die eiſernen Würfel fallen. Ja, das Spiel iſt aus, der Ernſt beginnt, mein Herr. Verſpüren Sie keine Luſt? Hörten Sie's nicht ſingen: Im Felde, da iſt der Mann noch was werth! Regte es ſich da nicht in Ihnen? Hier iſt er gar nichts mehr werth.

Welcher Dämon war in die Frau gefahren? dachte der Legationsrath.

Um in's Feld zu ziehn, muß man

Muth haben, unterbrach ſie ihn.

Bewahre Ihr Genius oder Ihre Heiligen die Liebenswürdigſte Ihres Geſchlechts davor, eine Ama¬ zone zu werden!

Sie ſchien ihn nicht zu hören.

So rottenweis ſie fallen, Reihe um Reihe un¬ ter dem Kartätſchenhagel ſtürzen, das Feld ſich lich¬ ten zu ſehen, für einen Feldherrn ſoll es ein Götter¬181 ſchauſpiel bieten. Da, wenn er auf der Höhe hält, den Tubus in der Hand, ſein Schlachtroß unbeweg¬ lich unter ſeinen Lenden, da ſoll Napoleon ein Gott ſein. Ein Bewegen mit dem kleinen Finger, ein Seitenblick, ein Zucken mit der Lippe, die Adjutan¬ ten verſtehen es, neue Bataillone wälzen heran, ſie füllen die Lücken, um wieder Lücken zu werden

Bis eine kleine Kartätſchenkugel, matt nur noch im Sande hüpfend, auf den Hügel ſpringt und den Gott vom Pferde reißt.

Qu'importe! So zu ſterben, wäre auch Wol¬ luſt. Sind wir nicht Alle zu Feldherren geboren, die wir über die Maſſe uns erheben? Dieſe Maſſen, die nichts ſind ohne den Geiſt, der ſie regiert, Knäuel grauen Gewürmes, ein Durcheinander ohne Unter¬ ſcheidung, wenn nicht ein Lichtſtrahl ſie färbt. Wir färben ſie, geben ihnen Leben, Ordnung, Zweck des Daſeins haben wir nicht dafür Recht, über ſie zu ſchalten wie der Schachſpieler? Futter für's Pulver, nicht wahr? Ich kann die Frau da begreifen, wenn es wahr iſt, was ſie von ihr erzählen. Mit Menſchen¬ leben ſpielen wie mit Schachpuppen, warum ſoll es nicht zum Kitzel werden, dem man nicht mehr widerſteht.

Die Unglückliche! Sie wollte gewiß keine Ver¬ brecherin werden.

Wer will das! Sie wollte nur Glück um ſich verbreiten, aber weil die Menſchen eigenſinnig ſich ihres auf eigne Weiſe ſuchen, ward ſie erbittert, bis bis Ja weil ſie nicht Muth hatte zu182 ſündigen, darum ward ſie Verbrecherin. Eine Philoſophin ſie hatte ihre Götter ſich ſelbſt ge¬ knetet weiß ich, aus welchem Koth! Wer den Gott des Lebens nicht kennt, ſeine Beſeligung, dür¬ ſtet doch nach einer anderen. Der Gott des Todes gewährt ſie auch, und wem die großen Würgeengel nicht zu Commando ſtehen, wie Bonaparte, läßt ſich mit den kleinen genügen. Die Gemeinheit ſagt, ſie hätte es aus Rache gethan. Nein, ich verthei¬ dige die Frau. Auch ſie nur ein Werkzeug in ſei¬ ner Hand.

Sie würde mit ihrer erlauchten Vertheidigerin ſchwerlich zufrieden ſein.

Herr von Wandel wird ſie allerdings beſſer vertheidigen, weil er ſie beſſer kennt.

War das ein Baſiliskenblick? Er wollte ſprechen aber er ſtotterte nur von Gott und reinem Bewußtſein. Wenn ſie unſchuldig, werde jener ſie ſchützen, dieſes ſie tröſten.

Reden Sie doch nur in Sprachen, die Sie verſtehen, herrſchte die Fürſtin ihn an. Wenn Gott ſeine Zuchtruthe am Himmel aushängt für die Völ¬ ker, ſtraft er auch die Einzelnen. Merken Sie ſich das, Herr von Wandel. Wenn Peſtilenz, Krieg, Verderben in einem Lande ausbricht, kommt es nicht angeweht vom Winde, es bricht von Innen heraus, wie ein Geſchwür von den faulen Säften. Merken Sie das. Werden Sie noch hier bleiben? Mich dünkt, hier iſt nicht Ihres Weilens. Mich dünkt,183 Ihnen könnte Gefahr drohen. Mich dünkt, man glaubt Sie zu kennen

Wer?

Ich nicht, rief mit Nachdruck die Gargazin. Ich will nicht, mir graut, Sie kennen zu lernen. Die Akademie will Sie nicht, aber für Gelegenheit nach Rußland laſſen Sie mich ſorgen ich könnte Ihnen eine Profeſſur in Kaſan verſchaffen.

Er ſah ſie groß an: Was iſt's? Wiſſen Sie etwas? Droht mir etwas? Iſt's vorſorgende Liebe, oder ward ich Ihnen läſtig?

Ich könnte Sie haſſen.

Weil Sie mich nicht bekehren können.

Nein, ich zittre, wenn ich Sie anſehe. Jetzt begreif 'ich's, wie die erhabene Katharina vor Ab¬ ſcheu und Wuth zittern konnte

Wenn Lieblinge nicht fühlten, daß es ihre Pflicht ſei, vor ihr zu verſchwinden, wo ihre Gunſt ausging. Allerdings ein großes Verbrechen der Un¬ dankbaren, durch ihren Anblick der Czarewna eine Er¬ innerung zu verurſachen, die ſie in angenehmeren Phan¬ taſieen ſtörte. Es war eine ſehr zartfühlende Fürſtin. Erlaucht, unſer Verhältniß ſteht aber doch anders.

Es ſteht nichts mehr, es fällt und bricht, wo Alles bricht und kracht. Aber ich möchte nicht, daß etwas vor meinen Augen zuſammenbricht, wo ich mir ſelbſt Mühe gab, es zu bilden, als meine Laune ſo war. Wollen Sie nach Kaſan?

Der Legationsrath verneigte ſich zum Abſchied:

184

Die Luft dort iſt mir zu ſtreng.

Was feſſelt Sie hier?

Erlaucht wiſſen

Unmöglich nein abſcheulich das traue ich Ihnen doch nicht im Ernſt zu.

Eine mariage de raison, weiter nichts. Wenn wir mit den Leidenſchaften und Phantaſieen zu Rande ſind, behält die Vernunft das letzte Recht.

Mir aus den Augen!

Was that Madame Braunbiegler, Euer Er¬ laucht Zorn zu erregen?

O mehr als abſcheulich widerwärtig eine Verſündigung gegen Geſchmack, Gefühl, Aeſthe¬ tik! An einen trunkenen Silen konnte die Nymphe ſich hängen, da war im Epheu holder Wahnſinn aber das Thier, das im Schlamme der Gemeinheit ſich wälzt, das wagten die Griechen ſelbſt nicht Und mit Bewußtſein, klar ſehend Mir aus den Augen da iſt die Treppe wenden Sie ſich nicht um Ich will Ihnen nicht wieder in's Geſicht ſehen nie, nimmermehr!

Wandel hatte ſich noch tiefer verneigt und er ſtand ſchon auf der Treppe. Da aber wandte er ſich doch um. Es mußte ein eigner Blick ſein. Sie ward roth und blaß:

Erinnern Sie ſich, rief ſie ihm nach, daß Sie keine Zeile Schriftliches von mir in Händen haben. Ich kenne Sie nicht. Fort hinunter Scheuſal ſchneller!

[185]

Neuntes Kapitel. Auch ein Satz in die Löwenhöhle.

Er war ſymboliſch die Treppe hinunter gewor¬ fen. Er machte ſich keine Illuſionen darüber. Aber warum? Weil er das äſthetiſche Gefühl der Fürſtin verletzt? Weil grade dieſe Rivalität ihren Schön¬ heitsſinn empörte? Ein höhniſches Lächeln ſchwebte auf ſeinen Lippen. Er litt zum erſten Male unge¬ recht. Er hatte nie im Ernſt an die Heirath gedacht; vielleicht, weil auch ſeine Aeſthetik ſich dagegen ſträubte, vielleicht, weil er wußte, daß die reiche Braunbiegler eine Feſtung ſei, die mit den Künſten und Mitteln, über welche er gebot, nicht zu erſtürmen ſei.

Unrecht leiden, und die Wahrheit nicht aus¬ ſprechen dürfen, die uns frei machte, iſt eine Marter. Die Lüge, um die er verſtoßen war, gehörte zu einem Syſtem oder Gewebe, das noch nicht zerriſſen war. Aber er hatte zu dieſem Schmerz, der edleren See¬ len vorbehalten iſt, keine Zeit. Es waren ganz andere Vorſtellungen, die ſeiner ſich bemeiſterten.

War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich186 in ihr aufgeſtiegen, und hatte die Aufwallung einer Phantaſie ſo lange, künſtliche, wenn auch nie ganz feſte Bande geſprengt? Oder lag etwas Beſtimmtes zum Grunde?

Mit jedem Schritte gewann dir letzte Vorſtellung an Gewicht. Eine fürchterliche Ueberzeugung, aus Kettengliedern zu einer Kette geworden. Er war nicht mehr, oder vielmehr, er galt nicht mehr, was er gegolten. Wer giebt einem fadenſcheinigen Rock ſeine Wolle wieder! Sein Kopf ſenkte ſich, ſeine Füße wurden ſchwerer. Der frühe Morgen war ein Glück für ihn; er begegnete keinen Bekannten. Der große Menſchenkünſtler hätte ſeine Aufregung nicht verbergen können.

Dort ſtand er an der Ecke, zaudernd, drei Wege vor ihm, der eine führte zur Poſt. Seine rechte Hand griff unter den Rock, an die Stelle, wo das Herz ſitzt. Ob er deſſen Pochen hörte, es unter¬ drücken wollte? Ueber dem Herzen war aber auch die Bruſttaſche des Rockes, in dieſer ſein Taſchenbuch, und in demſelben ſteckte ein von allen Geſandtſchaften viſirter Paß in's Ausland. Es waren auch vielleicht mehre Päſſe auf mehre Namen. Sein Sinnen in dem Augenblicke war, ob er nach der Poſt eilen, Extrapoſt nehmen, und die Stadt und das Land auf immer verlaſſen ſolle? Vielleicht ließ er damit mehr hier zurück, als den Staub ſeiner Füße ſeinen Namen. An einem andern Orte tauchte er unter einem andern neugeboren auf; die Welt iſt groß.

187

Aber vor ſeinen Augen mußte ſie nicht ſo groß erſcheinen, als er, mit den Zähnen die Unterlippe kneifend, vor ſich hinſtarrte. Auf der Landkarte, die ſein Auge in der Luft vor ſich zeichnete, ſah er viel¬ leicht Städte und Länder, die ihm ſchon verſchloſſen waren. Indem ſchallte Reitermuſik die Straße herauf. Berittene Rekruten ſangen das jetzt ſo beliebte:

Friſch auf, Cameraden, auf's Pferd, auf's Pferd!
In's Feld, in die Freiheit gezogen!

Sie ſchaukelten ſich dabei, noch ungeſchult, in toller Luſtigkeit in den Sätteln.

Was iſt dieſen Bauerlümmeln Freiheit was Vaterland! rief es in ihm. Der Stock ihr Meiſter, und doch gehn Sie muthig dem entgegen, dem ſie nicht ausweichen können; ſie müßten denn deſertiren. Und das Deſertiren hat in dieſem Lande mehr Ge¬ fahr, als dem Feinde ſtehen. Ich will auch nicht deſertiren.

Er ging weiter; nicht nach der Poſt, aber doch ſchien er noch unſchlüſſig, wohin. War es Zufall, daß ſeine Schritte ſich nach dem Hotel des fran¬ zöſiſchen Geſandten lenkten? Alles war hier in Thä¬ tigkeit, Packwagen ſtanden unter dem offenen Thor¬ weg; aber auch eine Kutſche angeſpannt auf der Straße. Laforeſt wollte Abſchiedsbeſuche machen. Wenn Wandel hier angeklopft, würde er bereitwillig aufgenommen ſein; er ging unſchlüſſig bis an die Stufen, aber er mußte Gründe haben, weshalb er nicht anklopfte. Er ging raſch vorüber, und188 athmete auf. Er iſt doch nur ein Meteor! ſprach er für ſich. Wenn er unterſinkt, wo bleibt Napoleons Schweif! Wir glauben, daß Wandel ſich hierin ſelbſt belog. Er hatte andere Gründe, weshalb er Frankreich nicht mehr betrat.

Er war auf eine Bank unter den Linden hin¬ geſunken. Zwei Morgenſpaziergänger, die einen Brunnen tranken, ſetzten ſich ebenfalls. Nachdem ſie über die Wirkungen des Waſſers ſich des Längeren unterhalten, ſprachen ſie auch von der Lupinus und ihrer Verhaftung. Die Geſchichte erhielt neue Wen¬ dungen. Sie war nach des Einen Conjectur eine geborne Giftmiſcherin aus Inſtinct. Er wollte ge¬ hört haben, ſie hätte ſchon in der Schule angegiftet, dann als fünfzehnjähriges Mädchen zuerſt ihren Vater und darauf ihre Mutter complet vergiftet. Die Zahl ihrer übrigen Opfer laſſe ſich gar nicht berechnen, und ſie thue es ohne allen Zweck und Vortheil, nur weil es in ihrem Blute liege. Sie könne es nicht laſſen. Der Andere wollte entgegengeſetzte Nach¬ richten haben: ſie ſei eine wohlerzogene und ſonſt treffliche Frau geweſen, aber die Neigung zu einem fremden vornehmen Herrn habe ſie aus Rand und Band gebracht. Sie hätte ſich zuerſt ſelbſt vergiften wollen, weil er ihre Leidenſchaft nicht erwiedert, ihre Blicke nicht verſtanden. Dann aber hätten ſie ſich verſtändigt, und der fremde Herr merken laſſen, daß, wenn ſie frei wäre, und nicht Manches ſonſt im Wege ſtände, er ſie gern heirathen würde. Darauf hätte189 ſie eine Pflegetochter und die Kinder ihres Schwa¬ gers vergeben. Bei der erſten ſei es noch zu rechter Zeit gemerkt worden und man hätte ſie aus dem Hauſe geſchafft; die Kinder wären draufgegangen. Der fremde Herr hätte darauf zu ihr geſagt: ſo ſei es gar nicht gemeint geweſen, und er habe auf immer von ihr Abſchied genommen. Da aber hätte ſie grade ſchon auch ihren Mann vergeben gehabt, und wäre von der Alteration außer ſich gerathen. Alles war ja umſonſt gethan.

Ich weiß nicht, Herr Geheimſecretair, ſagte der andere Geheimſecretair, ich weiß nicht, ob ich nicht den andern vornehmen Herrn auch bei den Ohren faßte.

Wird auch geſchehen, rief der Angeredete dem klugen Manne in's Ohr. Geſtern im Caſino hörte ich ſo etwas, unter uns geſagt, daß der Herr Re¬ gierungsrath von Fuchſius auf ihn vigiliren. Es iſt da was, man weiß nur nicht, was Indeß man wird ja davon hören.

Bald darauf klingelte es heftig in der Wohnung des Rath Fuchſius, auch noch in früher Morgen¬ ſtunde, denn der Rath ſaß im Schlafrock und Pan¬ toffeln beim Kaffee und Pfeife. Ein fremder Herr wünſchte in einer dringenden Angelegenheit ihn zu ſprechen, und ehe noch der Beſcheid hinausging, war der Legationsrath ſchon eingetreten.

Zwei fein gebildete Männer ſind um den An¬ fang eines Geſpräches nicht verlegen, ohne das Wetter190 zu Hülfe zu rufen. Aber Wandel unterbrach den ſchönſten Fluß der Introduction, bei der Fuchſius ihn nicht einmal gefragt, was ihm die Ehre des Be¬ ſuches verſchafft, indem er den Hut auf die Erde fallen ließ und, mit beiden Ellenbogen auf den Tiſch ſich ſtützend, die Hände gegen die Stirn drückte:

Mein Gott, wozu das Alles! Sie wiſſen, warum ich hier bin. Die Arme, Unglückſelige! Sie ſehn mich in unausſprechlicher Angſt und Ver¬ wirrung ich kann kaum meine Worte faſſen Verzeihen Sie, wenn ich Ungehöriges rede Sie wiſſen aus eigner Anſchauung, in wie naher Ver¬ bindung ich mit ihr ſtand

Um ſo ſchmerzlicher, kann ich mir denken, ent¬ gegnete Fuchſius, muß die Beſchuldigung, welche die Dame trifft, einen edelgeſinnten Freund berühren.

Ich danke Ihnen für dieſe ſchonende Sprache. Eine Bitte voraus wenn ſie ſchuldig iſt, ich meine, nach Ihrer Anſicht, gleichviel, ob es nur Ihre mo¬ raliſche Ueberzeugung iſt, oder eine, die ſich auf Be¬ weiſe gründet, erlauben Sie mir wenigſtens, ihrem älteſten Freunde, ſie in unſerm Geſpräch als eine arme, unglückſelige Dulderin zu bezeichnen.

Da der Juriſt die Regel gelten läßt: Quilibet bonus praesumitur, donec contrarium probetur, ver¬ ſteht ſich dieſes Recht für einen ſo intimen Freund von ſelbſt.

In Wandels Geſicht blitzte eine Freude auf. Er reichte ſeine ſchön geformte weiße Hand über den191 Tiſch dem Rath: Dank, tauſend Dank! Sie er¬ quicken mein Herz. Und wenn es nur Täuſchung, ja Selbſttäuſchung wäre, es iſt wenigſtens ein ſchö¬ ner Augenblick. Das erlauben Sie mir, ohne Schmei¬ chelei, hinzuzuſetzen: die Geheimräthin hat den Troſt, keinem gewöhnlichen Criminaliſten in die Hände ge¬ fallen zu ſein. Still ſtill ich weiß, welchen Werth es für einen Angeſchuldigten hat, einen Unter¬ ſuchungsrichter von Weltbildung, wahrer Humanität zu haben, der zugleich ein Pſycholog iſt, einen Mann, der nicht, wie die meiſten rohen Empiriker, aus dem Dunſtkreis der Verbrecherhöhlen und Straf¬ anſtalten ſeine Menſchenkenntniß geſchöpft hat, und nicht die holde Röthe der Scham, die Blutröthe des Schreckes und der Entrüſtung für ein Schuldbekennt¬ niß hält.

Fuchſius hatte ſeine Pfeife geſtopft, ohne für nöthig zu halten, auf das Compliment zu ant¬ worten; ſeine Hand hatte er nur zaudernd und wie ſcherzend von der des Legationsrathes erfaſſen laſ¬ ſen. Iſt Ihnen das ſo bekannt? entgegnete er, ſcheinbar nur mit dem Luftzug der Pfeife beſchäftigt.

Ja, ſagte Wandel mit feſter Stimme. Und nun, ohne Umſchweife, wie es ſich unter Männern ziemt: was haben Sie über mich disponirt?

Sie vergeſſen, daß ich mit der Diplomatie nichts mehr zu thun habe.

Mein Gott, wozu die Komödie! Bin ich ein fugae suspectus? Haben Sie mich nicht in Ihrem192 Hauſe? Mit einem Worte: werden Sie mich ver¬ haften laſſen?

Ich Sie? Das iſt eine ſonderbare Frage. Sind Sie denn angeklagt?

Qui s'excuse s'accuse, wollen Sie damit ſagen. Wohlan, ich betrachte mich als ein Angeklagter, und frage Sie offen heraus: habe ich mich als ein Sur¬ veillirter zu betrachten, oder habe ich die Captur zu gewärtigen? Um Anordnungen wegen meiner Güter zu erlaſſen, liegt mir viel daran, es zu wiſſen, und ich würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie mir gradaus Ihre Abſicht mittheilten.

Die Criminaljuſtiz ſchreitet bei uns nur im Fall dringender Verdachtsgründe zur Captur.

Nun, ſind das für Ihre Juſtiz nicht dringende Gründe, daß eines intimen Umganges mit der Ge¬ heimräthin das Gerücht mich bezüchtigt, und ich räume es ein, es war mehr als Gerücht. Ich war faſt täglich in ihrem Hauſe, ich führte ihre Geld¬ geſchäfte, ich wußte um Dinge, die Niemand ſonſt weiß. Sie war eine nervös-hyſteriſche Kranke, eines jener zartgeſtimmten Inſtrumente, die eine ganz be¬ ſondere Behandlung erfordern, um nicht immer Dis¬ harmonien zu hören und von ſich zu geben. Sie hatte einen Widerwillen gegen die Aerzte, welche ſie nicht ſo zu behandeln verſtanden, oder es nicht wollten. Ich mußte ihr kleine ſympathetiſche Mittel verſchrei¬ ben; es war oft Betrug dabei, das geſtehe ich ganz offen, denn ſolche Kranke, die ſich ſtets ſelbſt täuſchen,193 verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬ den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬ ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau, die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬ dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬ lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬ täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬ nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬ habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬ flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬V. 13194druck des Momentes übertragen auf Vergangenheit und Zukunft. Sie hatte ſich an dem Sterbelager des Gatten überwunden, und dieſen Sieg datirte ſie weiter zurück. Doch wohin verliere ich mich. Ich hatte daran gedacht, wenn ſie frei ward, um ihre Hand zu bitten, mein Intereſſe war daher des Geheimraths früher Tod; er iſt früher geſtorben, als man erwartet, es heißt, nicht auf natürlichem Wege, ich war bis dahin, wenn nicht täglich, doch ſehr oft in ihrem Hauſe, im nächſten Verkehr mit der, welche man der Giftmiſcherei bezüchtigt, ſie empfing Spe¬ cereien, wobei mein Name genannt ward ich will mich auch gar nicht darauf berufen, daß ich grade in letzter Zeit ſeltener anſprach ich hielt darauf wirklich um ihre Hand an, wollte alſo meinen Vor¬ theil geltend machen. Nun, mein Herr, entſcheiden Sie, ob das in Ihrem Lande dringende Verdachts¬ gründe ſind.

Fuchſius hatte ihn feſt angeſehen: Ich kehre die Frage um: was würden Sie in meiner Lage thun? Sie haben die Rechte ſtudirt.

In Amerika ließe ich den Mann auf der Stelle verhaften. Ich erinnere mich eines ähnlichen Falles, wo ich als Friedensrichter ſo handelte. Es ergab ſich nachher, er war unſchuldig. Aber Sie müſſen den amerikaniſchen Charakter, die beſondern Verhält¬ niſſe beachten. Standesrückſichten giebt es nicht; die feineren Bezüge der Seelenkunde gehören dort nicht vor Gericht, nichts als die matter of fact. Ich weiß,195 ich ſtoße ſo oft an, indem ich mich in die europäiſchen Verhältniſſe noch nicht wieder zurechtfinde.

Ich höre zum erſten Mal, daß Sie in Ame¬ rika waren, Herr Legationsrath.

Wandel lächelte: Ich ehre die Rückſichten, die ein Criminalrichter hat, auch ſchon Ermitteltes vor dem Inquiſiten zu ignoriren. Ich aber habe keinen Grund, zu verleugnen, daß ich erſt Anfang dieſes Jahrhunderts aus der andern Welt zurückgekehrt bin.

Wo Sie doch nicht geboren wurden?

Eine Vorahnung, was die Revolution uns bringen würde, trieb mich ſchon bei ihrem Ausbruch dahin! ſagte Wandel mit einem tiefen Seufzer. Wäre ich doch nie zurückgekehrt! Man muß geſtehen, die Revolution hat mehr und Tieferes zerſtört, als Königreiche und Fürſtenthümer.

Vielleicht auch dem nur den letzten Stoß ge¬ geben, was längſt in ſich zerſtört war, ſagte der Rath.

Sehr wahr! Eine tiefe Wahrheit, Herr Re¬ gierungsrath. Wenn ich der ſchlichten Sitten, der Natureinfalt gedenke in unſerm Dorfe, nicht bei den Landbewohnern allein, auch in unſrer Familie, wie ſie traulich Abends unter den Lindenbäumen vor der Thür des reinlichen holländiſchen Hauſes ſaßen und ihren Thee tranken bei der weißen Thonpfeife. Wer dachte bei dieſen glücklichen Landbewohnern an das alte Herrengeſchlecht der Vanſitter. Und als ich zurückkehrte!

13*196

Vanſitter! wiederholte Fuchſius, und blickte mit einer nicht erkünſtelten Verwunderung den an, von deſſen Lippen dieſes Wort gefloſſen war. Wandel, der ſich nicht aus ſeiner Ruhe bringen ließ, lächelte fein:

Ja, wie Ihnen wohl auch ſchwerlich geheim blieb, gehöre ich zu dieſer, leider nur zu ausgebrei¬ teten Familie.

Sie ſtammen aus Geldern?

Wo die Familie herſtammt, darüber befragen Sie die Heraldiker. Ja, ein großer Theil von Geldern, Yſſel, glaube ich doch ſogar mehre der größeren frieſiſchen Inſeln, gehörten zu den Beſitzthümern die¬ ſer alten ſaſſiſchen Dynaſten. Soll ich etwa ſtolz darauf ſein! Von der Herrlichkeit der Familie blieb nichts über als die Firma Vanſitter in Kopenhagen, und dies reiche Handlungshaus, welches vermuthlich Ihre Notiznahme veranlaßt, iſt ſchon längſt durch eine Erbtochter in andere Hände übergegangen. Sic transit gloria mundi, mein Herr Regierungsrath. Die echten Abkömmlinge der Vanſitter ſind über die Erde zerſtreut, wie Ihre Becker und Schulzen.

Wie aber kamen Sie zum Namen Wandel?

Da lauert wohl die arrière pensée, daß ich meinen aus Gründen verwandelt hätte! Allerdings, und wieder auch nicht. Der Zweig, dem ich ange¬ hörte, war ſchon ſeit einem Jahrhundert aus den Niederlanden nach Dänemark übergeſiedelt, aber den Grad meiner Verwandtſchaft mit der großen Firma197 bin ich nicht im Stande Ihnen anzugeben, denn ſchon mein Groß-Oheim, der Gouverneur von Surinam, äußerte lachend: wenn man alle Vanſitter in einen Sack würfe, würde Gott im Himmel ſelbſt ſeine Mühe haben, ſie wieder zu rangiren und jeden an ſeinen Platz zu ſtellen. Ehe ich nach Amerika ging, hatte allerdings mein Vater mit ſeinem Bruder Mo¬ ritz Wilhelm eine unſerer Stammbeſitzungen in Gel¬ dern, Wandel, von entfernten Vettern wieder erſtanden. Aber laſſen Sie mich davon ſchweigen, wie ich es nach meiner Rückkehr wiederfand. Nach der Schlacht von Gemappes war es geplündert, ecraſirt, die Särge meiner Vorfahren doch genug davon! Dennoch fand ich mich bewogen, wieder den Namen Wandel anzunehmen, mit welchem Recht, das intereſſirt Sie nicht aber beruhigen Sie ſich, ich hätte nöthigen¬ falls verbriefte Nachrichten über dieſe Berechtigung nachzuweiſen aber das Motiv können Sie ſich leicht denken. Nicht wegen des Vanſitter, der von den holländiſchen Patrioten gehängt war, angeblich als preußiſcher Spion der politiſchen Sphäre ward ich längſt fremd aber ein anderer Vanſitter hatte ja, war's in Brüſſel oder Brügge, die famoſe Entführungsgeſchichte in der Familie Bruckerode ſelbſt bis in die amerikaniſchen Urwälder verfolgten mich die Zeitungen mit dieſen ſaubern Familien¬ erinnerungen. A propos, weiß man gar nicht, was aus dieſem, meinem unglücklichen Vetter gewor¬ den iſt?

198

Wer weiß von allen Opfern, die im Strudel der Revolution untergingen!

Deſto beſſer für ihn. Ich hörte einmal dunkel, er ſei mit Napoleon nach Aegypten gegangen, und in Syrien wie die andern Zurückgelaſſenen aus dieſer Welt geſchieden. Wie dem ſei, er hat ſeine Thor¬ heiten oder ſeine Vergehungen gebüßt, und ſo wenig ich auf meine altariſtokratiſche Abkunft ſtolz bin, fühle ich mich verlegen durch die präſumtive Verwandtſchaft mit einem Vaurien. Wir Alle, mein theuerſter Re¬ gierungsrath, leben nur für die Gegenwart. Ihr und uns gehören wir an; ein Thor, wer weiter hinaus will, und nun, Excus für die Abſchweifung, zu un¬ ſerer unglücklichen Geheimräthin zurück. Hat ſie wirklich noch nichts eingeſtanden?

So nehmen Sie an, daß ſie etwas einzuge¬ ſtehen hat?

Wandel war aufgeſtanden. Er ſchien ein ſchwe¬ res Wort aus der Bruſt zu preſſen: Ja, wie die Dinge ſtehen, kann ich einer Vermuthung mich nicht erwehren. Und offenherzig kann man ein no¬ toriſches Factum beſtreiten? Sie hat die ganze Schule an Königs Geburtstag nach den Zelten eingeladen; ſie hat ſie dort bewirthet mit Kaffee und Kuchen; ſie ſelbſt bereitete den Kaffee, ſie hatte den Zucker mit¬ gebracht, den Kuchen zu Hauſe gebacken. Die Lehrer und Hunderte von Zeugen ſtanden umher und ſahen

Daß drei oder vier Kinder unwohl wurden und nach Hauſe gefahren werden mußten, weil ſie ſich den199 Magen überladen hatten. Alle ſind wieder hergeſtellt. Das iſt ein leeres Stadtgeſchwätz.

Gott ſei Dank! Aber, unter uns, wir Beide waren im vorigen Jahre ſelbſt Zeugen von der plötz¬ lichen, unerwarteten gefährlichen Erkrankung der Kin¬ der ihres Schwagers

Die ebenfalls auf dem natürlichſten Wege von der Welt erfolgte.

Das konnte ſein, Herr Regierungsrath. Aber in Verbindung mit jenem nachfolgenden Factum ge¬ wann die Sache für mich ja, vor dem Richter iſt es Pflicht, die innerſte Ueberzeugung auszuſprechen ſie gewann dadurch ein mehr als bedenkliches Anſehn.

Fuchſius blickte ihn verwundert an.

Mein Herr Regierungsrath, Hamlets Wor von dem zwiſchen Himmel und Erde hat eine Be¬ deutung, die wir mit unſerer Philoſophie nicht löſen. Erklären Sie mir den Inſtinct der Kinder, der vielen jungen Mädchen, die ohne allen Grund, ohne ein denkbares Intereſſe, nur einem dunkeln Triebe fol¬ gend, Feuer anlegen. Wie viele ähnliche, grauenhafte Erſcheinungen zeigt die Criminalgeſchichte aller Völ¬ ker, von ſonderbaren Gelüſten, die zum Verbrechen, zur entſetzlichſten Atrocität ſonſt gut geartete Seelen antreiben. Die Lupinus hat keine Kinder, ich weiß, wie der Mangel, die Sehnſucht danach auf Saiten ihres Gemüths hämmert. Sie ſpringt Nachts aus dem Bette, wandelt umher, den Leuchter in der200 Hand ſo ſagten mir wenigſtens ihre Kammer¬ mädchen ſie ſucht an den Wänden und ruft: wo ſind meine Kinder! Die Magie der Natur lehrt uns die Wahlverwandtſchaft der Gegenſätze. War der Prozeß ſo undenkbar, daß ſie plötzlich das tödtlich haßte, was ſie liebte und entbehrte, daß ſie die glück¬ lichern Eltern, die ſie beneidete, verfolgte! Es iſt ein ſchauerliches Geheimniß der Natur, eine Exception von der Regel, aber dieſe ganze Frau iſt eine Ano¬ malie. Angenommen dies, konnte ich ſie nicht ver¬ theidigen, vielleicht nicht mal entſchuldigen, aber als mitfühlender Nebenmenſch konnte ich an ihre That glauben und ſie doch nicht verdammen.

Ich kann Ihnen die Beruhigung geben, ſagte Fuchſius, daß ſo wenig als die Schulkinder in den Zelten durch Kaffee, die der Lupinus durch die Cho¬ colate vergiftet ſind.

Wandel richtete ſich auf, ein tiefer Athemzug ſchien ihn zu erleichtern und ſein Geſicht klärte ſich auf. Ehe Fuchſius ſich deſſen verſah, fühlte er ſich embraſſirt:

Mein theuerſter Sie edler Mann, Ihr Wort iſt Leben. Es hat eine Laſt, eine Angſt, eine unbeſchreibliche Angſt von ſeinem Herzen gewälzt. Sie war rein, ich bin der Sünder, der das für mög¬ lich hielt, der mit ſeinem heilloſen Argwohn o Gott, ich weiß nicht, was ich rede Dank, tauſend Mal Dank, ſie iſt gerettet

Gemach, mein Herr! 201 Sie iſt für mich gerettet. Um das Uebrige kümmere ich mich nicht.

Es bleibt, dünkt mich, noch viel übrig.

Das Andre, ich bitte Sie nicht wahr, ſie ſoll auch ihren Hausknecht vergiftet haben, und ihren Mann mit Bücherſtaub, und ein Attentat mit Trüf¬ felwürſten, die ſie ihrem Schwager Lupinus ſchickte. Erlauben Sie mir, daß ich darüber herzlich lache. Nach einer ſo ernſthaften Stunde fühlt man zuwei¬ len das Bedürfniß. Nun inquiriren Sie, Liebſter, ſo viel Sie wollen, wenn Sie mir nur ſagen, ſie hat keine Kinder vergiftet

Das ſagte ich nicht unbedingt.

Bedingt oder unbedingt, mir gleich viel.

Man hat eine Subſtanz gefunden

Die wie Arſenik ausſieht. Liebſter Fuchſius, ich will Ihnen etwas zugeben, ich will ſehr viel zu¬ geben, es iſt Arſenik. O es iſt zum Todtlachen! In den Bücherſtaub ſoll ſie ihn gemiſcht haben! Nicht wahr? Da muß ſie ihn vorher im Mörſer ſtampfen, reiben, ausſchütten, in ein Behältniß, eine Schachtel füllen, damit ja nichts vorbeifällt; dann muß ſie es in eine Streuſandbüchſe thun und nun in die Stube ſchütten, ſchwenken, ſprengen. Erlau¬ ben Sie mir, wenn das die Frau vermochte, ohne ſich ſelbſt zu vergiften, verdiente ſie ein Prämium der Akademieen.

Der Staub auf ſeinen Lieblingsbüchern iſt un¬ terſucht und Hermbſtädt hat Arſenik darin gefunden.

202

Der gute Hermbſtädt! Verſtehen Sie mich recht, ich zweifle gar nicht daran, ich wundre mich nur, daß Hermbſtädt ihn gefunden hat. Ich will ihn finden, wo Sie wollen: da hier im alten Lederrücken des Stuhls, in Ihren Pantoffeln, Arſe¬ nik iſt überall, ſelbſt in Ihrem Blute. Es kommt nur darauf an, ihn zu ſecretiren. Verrathen Sie mich nicht den trefflichen Männern hier, ſie ſind alle meine guten Freunde; aber man kann ein ſehr guter Menſch und Freund und doch ein ſehr bornirter Che¬ miker ſein. Entre nous soit dit, wie mancher Ruhm wird hier erblaſſen, wenn die junge Schule in Paris aufkommt. Namentlich in den Apparaten, um ver¬ borgene Subſtanzen zu entdecken. Hören und Sehen wird den Herren vergehen, wenn man einen Porzel¬ lanteller über den Körper hält, ein lindes Kohlen¬ feuer darunter, und auf der weißen Glaſur ſpiegelt ſich Alles ab, was im Leichnam verſteckt war. Da¬ durch wird manches Geheime an den Tag kommen; aber aus des Geheimraths Stube Alles eher, als ein Verbrechen oder fand man etwa Arſenikſtücke in ſeinem Magen? Die müßten freilich von außen hineingekommen ſein.

Das nicht, aber

Von dem bewußten Staub auf Lunge und Gaumen. Da rufen Sie mich, Theuerſter, wenn Sie die Unterſuchung nicht aufgeben, und Sie ſollen das Wunder ſehen, aus ſeinen ſchweinsledernen Folian¬ ten will ich, vor Ihren Augen, ſo viel Arſenikſtaub203 entwickeln, um das ganze Kammergericht, vom Prä¬ ſidenten bis zum letzten Nuntius, damit zu verge¬ ben. Da würden manche Leute triumphiren, die immer geſagt, daß in den Büchern Gift ſteckt! Au revoir!

Aber im Magen des Dieners ſtak poſitiv ein ſtarker Arſenikſatz. Wie erklären Sie das?

Wandel verbeugte ſich: Gar nicht; wo das Mähr¬ chen anfängt, kriecht die Vernunft in ihr Schnecken¬ haus. Wenn der Mährchendichter ein Motiv erfin¬ det, warum die Lupinus ihren Hausknecht vergiften mußte, um ihn los zu werden, wo es ganz einfach bei ihr ſtand, ihn fortzujagen, wenn er ihr nicht mehr gefiel, wird ſie auch ein Motiv dafür finden, warum ſie dem Hausknecht bei einem Dejeuner Trüf¬ felwürſte ſervirte. Mein Verſtand ſteht ſtill, ich weiß aus dem Mährchen keine andre Moral zu ziehen, als daß ein Hausknecht von einer Geheimräthin ſich nicht mit Trüffelwürſten muß traktiren laſſen.

Er hatte ſchon vorhin Hut und Stock genom¬ men, und drückte jetzt dem Rath die Hand: Ich ſpreche Ihnen nochmals meinen Dank aus für die Beruhigung, welche die Unterhaltung dieſer Stunde mir verſchafft hat. Moral! Moral iſt das Loſungs¬ wort jetzt. Iſt das Moral, daß ein Publikum, wel¬ ches dieſe Frau bis dahin vergötterte, auf ſolchen Argwohn hin ſie ſofort für ſchuldig erklärt und als Scheuſal verdammt? Wenn auch ſonſt Alles bei uns wankt, konnten ſie doch auf die Unbeſtech¬204 lichkeit, auf den Scharfſinn unſrer Juſtiz vertrauen. Die ſteht doch noch rein, unparteiiſch da. Oder wäre auch dies nicht mehr? Sie konnten ihr Urtheil, bis ſie geſprochen, ſparen. Nein, es iſt ihre Luſt, ihr Kitzel, zu verurtheilen, und mit einer wahren kani¬ baliſchen Wolluſt ſchwelgen ſie darin, das Schlechte noch ſchlechter zu malen, das Große in's Ungeheure. Mein theuerſter Regierungsrath, es iſt Vieles in dieſem Staate faul, ich ſtehe vor einem echten Pa¬ trioten, der das mehr als Einer fühlt, aber es iſt nicht die Regierung allein, im Volke ſelbſt wenn die Menſchen aller Stände nur erwerben wol¬ len und vergeſſen, daß alle Güter der Selbſtſtändig¬ keit und der Nationalehre untergeordnet werden müſ¬ ſen, wenn ein Volk ſein Daſein behaupten will, wenn ich dies Treiben ſehe, dann iſt mir oft, als müſſe das Strafgericht vor der Thür ſtehen Und ſteht es nicht vielleicht ſchon da?

Sein tiefer Blick war nach oben gerichtet. Er drückte Fuchſius noch einmal die Hand und wollte hinaus.

Wohin ſo eilig?

Zu meinem alten Geſchäftsfreunde, dem un¬ glücklichen van Aſten.

Es kam ja noch nicht zum Aeußerſten.

Das ſehn Sie das nenne ich gegen die Moralität!

Daß er aus Verſehen eine Quantität Waaren ſich verſchrieb, die ſeine Kräfte überſteigt? Der Wein205 lagert in Stettin. Bis der Concurs regulirt iſt, finden ſich doch vielleicht Abnehmer.

Wer redet davon! Sein Sohn, ſein einzi¬ ger Sohn könnte ihn retten, wenn er das Mündel des Alten heirathet. Sechszigtauſend nein, mit den Zinſen müſſen es jetzt achtzigtauſend Thaler ſein, und Demoiſelle Schlarbaum iſt ein hübſches, ſittſa¬ mes Mädchen, er hat nichts gegen ſie einzuwenden, er bekäme eine vortreffliche Hausfrau, aber der junge Mann denkt höher hinaus, ſie iſt ihm nicht äſthetiſch genug, er hat dem Vater erklärt, betteln wolle er für ihn, nur könne er das Glück ſeines ganzen Lebens nicht tödten, das wäre Selbſtmord an ſeiner Beſtimmung, er gehöre nicht ſich allein an, es gebe höhere Pflichten, und was der ſentimentalen Redensarten mehr ſind. Ich ſah eine Thräne im Auge des Alten, als er es erzählte. Und um dieſer Tiraden und Sentiments willen läßt der junge Herr, der als ein Muſter von Tugend verſchrieen iſt, den würdigen alten Mann, ſeinen Vater ruiniren. Und das loben noch Einige, er hat doch ſeinen Ge¬ fühlen gehorcht! O Menſchen!

Als der Legationsrath hinaus war, ſprach Herr von Fuchſius: Sollte ich mich doch getäuſcht haben?

Aber der Legationsrath trat wieder ein, ohne an¬ zuklopfen; ja, in ſeiner Aufregung vergaß er, den Hut abzuziehen.

Sie fanden ein Reſiduum von Arſenik im Ma¬ gen des Menſchen, des Bedienten oder Hausknechts?

206

Unzweifelhaftes Arſenikpräparat.

Wandel fuhr mit beiden Händen an die Stirn, der Hut flog ab, er ſelbſt ſank auf einen Stuhl, einige Minuten ſprachlos:

Dann bin ich ſein Mörder ich verſchulde indirect ſeinen Tod ich gab den Rathſchlag.

Erklären Sie ſich deutlicher, wenn ich bitten darf. Es iſt vermuthlich nur eine Phantaſie.

Nein, Wahrheit! Der Menſch litt an einem perennirenden kalten Fieber Die Aerzte hatten es nicht erkannt, getäuſcht durch zufällige Symptome. Heim macht jetzt Verſuche, das Wechſelfieber mit Ar¬ ſenik zu kuriren. Er wendet es bei Unbemittelten an, ſeit die China durch den gehemmten oſtindi¬ ſchen Handel ſo enorm aufſchlug. Ich erzählte in einer Geſellſchaft von der erſten glücklichen Kur. Jetzt entſinne ich mich, die Lupinus hörte mit beſon¬ derer Aufmerkſamkeit zu dieſer Blick, den ich damals nicht verſtand! Ihre Wißbegierde, ihre unſelige Luſt, alles Gewagte zu verſuchen o arme Freundin, jetzt wird mir Alles klar, und ich dein Mörder!

Wollen Sie mich jetzt verhaften laſſen; Sie haben ja ein vollſtändiges Bekenntniß! ſprach der Legationsrath aufſtehend.

Fuchſius hat ihn nicht verhaften laſſen; aber als er jetzt hinaus war, um nicht wiederzukehren, ſagte der Regierungsrath: So kann man ſich in einem Menſchen täuſchen. Das iſt der Fluch der vor¬ gefaßten Meinungen.

[207]

Zehntes Kapitel. Verſchlungene Hände.

Ob die Fürſtin in der Hedwigskirche ihr Herz ausgeſchüttet, wiſſen wir nicht, aber einige Stunden, nachdem wir ſie verlaſſen, finden wir ſie ſchon in vollſtändiger Morgentoilette, wie ſie mit einiger Ver¬ wunderung die Meldung eines Beſuches anhört. Der Beſuch ward angenommen und der Geſandte Herr von Laforeſt erſchien im Zimmer, um bald darauf im Fauteuil ihr gegenüber zu ſitzen. Die Fürſtin hatte dieſe Aufmerkſamkeit, wie ſie ſagte, nicht erwartet.

Die Scheideſtunde iſt ſo ernſt, daß man über die gewöhnlichen Höflichkeitsformeln wegſieht, ſetzte ſie hinzu.

Warum ernſter, Fürſtin, als jede andre Tren¬ nung?

Weil es eine auf immer iſt.

Das Wort immer und ewig iſt, dünkt mich, aus dem Lexicon der Diplomatie geſtrichen. Nämlich aus dem zum Gebrauch der Adepten. In der Aus¬ gabe, die in's Publikum kommt, iſt es freilich dick208 unterſtrichen; wir ſchließen immer ewige Verträge. Die Formeln aber dürfen wir nie aus dem Auge laſſen, ſie ſind die ewigen Fäden, an denen ein zer¬ riſſenes Gewebe wieder zuſammengeknüpft wird. Man muß auch mit dem Teufel höflich ſein, weil man nie weiß, ob man nicht ſeine Allianz einmal braucht.

Sie können unmöglich glauben, daß man auch jetzt noch einmal den Bruch kittet.

Mit dieſen hier? Nein. Gott ſei Dank, die Saat iſt reif zur Erndte, und die Sicheln geſchlif¬ fen; für Körbe und Scheuern werden Napoleons Receveurs geſorgt haben. Preußen hat uns viel, ſehr viel Geld gekoſtet. Es wird mit Zins auf Zins Alles wieder zahlen müſſen, auch wenn es darüber drauf geht.

Ihre Aſſurance laß ich auf ſich beruhen, aber wir ſind Preußens Alliirte.

Laforeſt fixirte ſie lächelnd: Iſt der ſtarke Mann, der einen Knaben hinter ſich auf's Pferd nimmt, weil das Kind allein durch den Wald ſich fürchtet, der Alliirte deſſelben? Eigentlich iſt's ein Zwerg, der ſich an die Kruppe des Rieſen klammert.

Durch zehn Jahre hat das große Frankreich unter allen ſeinen wechſelnden Regimenten dieſem Zwerge geſchmeichelt.

Um ſo verdrießlicher ſind wir geſtimmt, und um ſo ſchärfer wird die Züchtigung ausfallen.

Wenn der Rieſe es zugiebt!

Das iſt der Punkt, Prinzeſſin. Wir müſſen209 uns darüber klar werden. Der Zwerg hinten auf der Kruppe wird auf die Länge dem Reiter eine lä¬ ſtige Zugabe, er hindert ihn in ſeiner freien Bewe¬ gung und will wohl gar mitſprechen und das Pferd mitlenken. Wenn man ihn vor aller Welt aufhob, und von ſeiner Großmuth ein Fait machte, kann man ihn nicht immer ohne Weiteres wieder in den Staub ſetzen.

Laſſen wir die Gleichniſſe. Sie ſind merveil¬ lös in Ihrer Zuverſicht auf Sieg.

Mein Kaiſer ſchlägt nur los, wo er ihn ſchon in Händen hat.

Das contraſtirt furchtbar gegen den Glau¬ ben hier.

Deſto beſſer. Seit Friedrichs Auge erloſch, ſieht man hier durch eine Brille, die ihnen immer das Gegentheil von dem zeigt, wie die Dinge ſind. Eine wahre Wohlthat der Vorſehung. Was braucht ein Maulwurf in die Sonne zu ſehn! Den Lauf der Geſtirne berechnen Andre.

Sie gefallen ſich heut in Paradoxieen.

Ohne alle Gleichniſſe, Prinzeſſin, und aufrich¬ tig, Gedanke gegen Gedanke! Wenn große Mächte über große Fragen mit einander in Streit liegen, ſo iſt die Einmiſchung der kleinen immer verdrießlich. Was haben ſie in die Wagſchaale zu legen, wo Kraft, Wille, Genie auf beiden Seiten ſtehen?

Wo das Zünglein der Wage hin und her ſchwankt, dünkt mich, giebt grade ein kleines Ge¬ wicht den Ausſchlag.

V. 14210

Das beſtreite ich. In der Theorie mag es richtig ſein, in der Praxis grundfalſch. Bundes¬ genoſſen bringen Prätenſionen mit, und beſchweren, hemmen die Macht, die zu entſcheiden hat. Wodurch ſiegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliir¬ ten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wo¬ durch iſt dies deutſche Reich mit ſeinem König und Kaiſer römiſcher Nation, das ehedem die Weltherr¬ ſchaft prätendirte, untergegangen? Weil ſeine Kai¬ ſer nie frei handeln konnten; an den Rückſichten, die ſie allen möglichen Berechtigungen in dem bun¬ ten Reiche gewähren mußten. Oeſtreich verblutet, England laſſen wir auf ſeinem Brett im Meer Rule Britannia ſingen, die Frage ſteht nur noch zwiſchen Frankreich und Rußland. Ich bin wenigſtens des Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die Sache ſo in's Auge faſſen. Es iſt der Kampf um die Herrſchaft auf dem Continent zwiſchen dem Oc¬ cident und dem Orient. Was ſoll, was hat da mitzuſprechen in dieſem Kampfe zwiſchen zwei Ko¬ loſſen die Bagatelle Preußen?

Und doch iſt jetzt von ihr allein die Rede. Sie ruft unſern Beiſtand an, wir gewähren ihn ihr. Außerdem beruft ſie ſich auf geheiligte Rechte, die mein Kaiſer reſpectirt.

Rechte! Sagen Sie, in aller Welt, was, Prinzeß, gab dieſem Pilz von geſtern ein Recht, ſich unter die Großmächte einzuſchieben, und wenn ſie über Weltfragen entſcheiden, ein Wort mitzuſprechen?

211

Da Herr von Laforeſt Geſchichte ſtudirt hat, bin ich wohl der Antwort überhoben.

Es iſt einmal ſo geweſen, aber nun iſt es nicht mehr. Laſſen Sie uns doch darüber klar werden. Ja, ein großer Geiſt hat in einer mesquinen Zeit¬ epoche die Gelegenheit ergriffen und das Problem gelöſt, aus Nichts Etwas zu machen. Ich leugne auch nicht, daß einige andre tüchtige Geiſter, die ihm vorangingen, ihm vorgearbeitet hatten. Giebt dies aber dem Product ein Recht, für immer zu beſtehen? Der große Geiſt ſchläft in Potsdam. Schon jetzt, nach zwanzig Jahren, ſind ſeine Traditionen erlo¬ ſchen, wie ſein Schatz erſchöpft iſt. Nur ſeine Zöpfe und Kamaſchen ſind noch da; auch die ſchon durch¬ löchert ſeit der Kanonade von Valmy. Seit dem Basler Frieden ward die Ehre ſchadhaft, der Riß immer größer, ſeine Reputation in Europa iſt aus. Womit denn erhält man eine unnatürliche Exi¬ ſtenz, als durch krampfhafte Exaltation der kleinen Mittel. Sind ſie erſchöpft, dann fällt der ſieche Leib um ſo ſchneller zuſammen. Der Erbe des Empor¬ kömmlings hat das Gut des Erblaſſers verpraßt. Ein Friedrich ſelbſt, wenn ſeine Gruft ſprengte, wenn er mit der berühmten Krücke auf ſeinen Schimmel ſtiege, fände nicht mehr das Material. Er ſiegte über zerſplit¬ terte, uneinige Kräfte, durch die Bewunderung ſeiner Feinde. Jetzt fände er große einige Nationen wider ſich, und die Bewunderung der Völker gehört einem Andern. Laſſe man doch zerfallen, was ſich nicht ſelbſt mehr hält.

14 *212

Die Gargazin war nachdenklich geworden. Die hier ſehen davon freilich nichts! ſprach ſie mehr für ſich als zu ihrem Beſuch.

Dem Geſandten ſchien es angemeſſen ihren Ge¬ danken nicht zu Hülfe zu kommen; er fürchtete ein Zurückſchnellen. Diesmal aber recollirte ſich die Diplomatin ſelbſt:

Und doch, iſt es nicht wunderbar, ein Finger Gottes ſcheint da im Spiel, wie oft hat dieſer Zwerg unter den Staaten aus ähnlichen Calamitäten ſich wieder erhoben, ein Phönix aus der Aſche! Es kann doch plötzlich wieder ein Geiſt aufſchießen

Sehn Sie einen? Einen, der nur begreift, was Friedrich wollte, der ahnt, was er thun müßte, um in ſeinem Sinn zu handeln! Er ging ſeiner Zeit vorauf, dieſe Alle ſind im Nachtrabe. Sehn Sie einen Einzigen, frage ich?

Einen doch

Der iſt bei Seit geworfen, früh verfault, weil er zu üppig aufſchoß. Iſt das nicht wieder ein Fin¬ ger Gottes, wie ſie dieſen Einzigen behandelt, der klüger als ſie war. Sie wollten nicht gerettet ſein. Gott hat ſie mit Blindheit geſchlagen! Das darf freilich ein profaner Mann wie ich nicht ſagen, aber Fürſtin Gargazin muß es denken.

Die Fürſtin ſchien in einem Meer von Gedanken verſenkt. Ihr Schweigen war ein zugeſtandener Sieg für den Gegner. Aber plötzlich öffnete ſie die Lippen:

Einen Mann ſeh ich noch nicht, aber eine213 Frau ! Wer kann ſagen, daß er die Königin kennt! Es iſt ſchon jetzt eine wunderbare Umwandlung vor¬ gegangen. Wer erkennt in ihr wieder die immer tanzende Huldgöttin vom vorigen Jahre, die nur auf Blumen¬ kränzen ſich zu ſchaukeln ſchien, und mit ihren Tau¬ benaugen die ſentimentalen Gemüther entzückte. Wo iſt dieſe ſchmärmeriſch tändelnde Fee geblieben! Alexanders Beſuch, die Nacht in der Gruft, hat ſie wie ausgetauſcht. In dieſen Augen leuchtet jetzt ein Geiſt es iſt eine Majeſtät in dem Blick. Wir wiſſen nicht, was ſie vermag was ſie wird.

Um des Himmelswillen nur keine Jael und Judith!

Warum nicht eine Jeanne d'Arc.

Auch dazu ſind Ihre Majeſtät zu lieblich ſchön. Im Uebrigen er verneigte ſich habe ich nie daran gezweifelt, daß die Frauen zum Herrſchen und Beglücken geboren ſind.

Der Diplomat hielt inne. Hinter dem Com¬ plimente für die Dame vor ihm ſchien er jetzt ernſte¬ ren Gedanken Raum zu geben. Die Diplomatin las etwas davon, ſie nahm das Compliment nur für das, was es war:

Napoleon ſcheint auf den Einfluß der Königin Louiſe aufmerkſam.

Laforeſt lachte auf: Wenn er überhaupt noch auf etwas hier aufmerkſam iſt.

Preußen iſt ihm eine zurückgelegte Station. Er legt wohl ſchon Relais bis Petersburg?

214

Laforeſt verfolgte den vorigen Gedanken mo¬ mentan: Uebrigens keine üble Idee, daß eine Dynaſtie, die ihre Aufgabe vergaß, durch Frauen daran erinnert wird! Miraculös, wie der Deutſche es liebt. Was würde Friedrich im Elyſium dazu ſagen. Napoleon wird herzlich lachen. Doch was kümmert uns das! Ich bin hier, um Abſchied zu nehmen.

Aber doch auch, um noch etwas mir zu ſagen, was bis jetzt nicht über die Lippen wollte. Be¬ ſitzen Sie ein vollſtändiges Kataſter aller Truppen¬ theile, die in's Feld rücken? ſetzte die Gargazin hinzu.

Napoleon kennt die Kranken und Marauden in jeder Compagnie, er weiß, wie viel Schüſſe jede preußiſche Kanone machen kann.

Dann wird der Krieg nur ein Rechenexempel.

Das iſt er auch. Die Uebermacht erdrückt die Macht. Das Vernünftige, nein, das Natürlichſte wäre doch, daß Preußen den Ausbruch des Krieges hinzu¬ zögern ſuchte, bis die ruſſiſchen Armeen ſich nähern; dann allerdings wäre der Erfolg zweifelhaft. Aber man will Ihre Hülfe nicht abwarten, die Herren Officiere, ſelbſt die Feldherrn betrachten es als eine Ehrenſache, daß Preußen es allein auf ſich nimmt. Wenigſtens den erſten Choc wollen ſie aushalten und natürlich ſiegen; alsdann will man Ihrer Armee das Geſchäft mit dem Kehrbeſen überlaſſen. Sehn Sie, wie Alles drängt, treibt, ſpornt nach Erfurt. Die Straße nach Magdeburg iſt ſchon aufgewühlt. Die Motive, welche die alten Helden anführen, klingen215 auch plauſibel, wenigſtens ritterlich, romantiſch: Preu¬ ßen müſſe die Schmach des langen Zauderns dadurch auswetzen, daß es nun allein den Entſcheidungsſchlag führt. Die jungen Helden ſagen: Was hat er denn bewieſen? Die Oeſtreicher konnte er ſchlagen und die Ruſſen. Die haben wir auch geſchlagen. Nun gilt es beweiſen, wer beſſer ſchlägt. Kurz, der Chorus der Alten und Jungen iſt: Drauf los, ehe die Ruſſen kommen, damit wir die Ehre allein haben. Wenn das Rechenexempel richtig iſt, iſt auch nichts gegen die Motive zu ſagen. Wenn ich der großmüthige Alexander wäre, gönnte ich meinen guten Alliirten dieſe kleine Freude.

Aber Alexander gehorcht höheren Pflichten, als dem Kitzel der Schadenfreude. Er läßt marſchiren, Herr von Laforeſt. Möge Ihr Kaiſer auf einen ernſteren Zuſammenſtoß bereit ſein, als Sie denken.

Wir ſind bereit und freuen uns darauf, denn endlich muß es doch entſchieden werden, wem zwiſchen zwei gleich großen Spielern das Schachbrett gehört. Aber das iſt ein Kampf, der im Jahr 1806 noch nicht ausgefochten wird. Jetzt räumen wir nur das Feld von kleinen Mitſpielern, unnützen Rath¬ gebern; es könnte eigentlich beiden Großmächten gleich¬ gültig ſein, welche es über ſich nimmt, dieſe Partei¬ gänger fortzukehren, denn beide haben den Vortheil, wenn das Feld frei wird. Ihre Armeen können ſich entwickeln. Und ſetzte er aufſtehend hinzu ſie können ihre ganze Stärke zeigen, ſie kämpfen nicht216 für einen Vorwand, ſie kämpfen für ſich wer weiß, ob es dann zum Kampfe mit den Maſſen kommt, ob beide Gewaltige ſich nicht beſſer im Frie¬ den über die Theilung der Erde zu verſtändigen wiſſen.

Nur nicht Menſchheitsbeglückungsträume, Herr von Laforeſt! ſprach die Fürſtin. Mit dem Oſſian konnten Sie dieſe hier beſchwatzen; uns in Rußland

Männer wird Napoleon nicht mit Kinderſpiel¬ zeug fangen wollen. Die Welt bedarf der Autori¬ tät. Ein Stempel der Kraft muß den Völkern wie¬ der aufgedrückt werden, damit ſie nicht vom Winde der Meinungen wie Flugſand durcheinander treiben. In Frankreich hat ſein Fuß die Jacobiner zertreten, er hat die zerrüttete Ruhe und Ordnung der Geſell¬ ſchaft wiedergeſchenkt, er iſt des Willens, ſie auch den Völkern wieder aufzudrücken, wenn wenn nicht, die ſeine Bundesgenoſſen darin ſein ſollten, mit dem ge¬ meinſchaftlichen Feind gemeinſchaftliche Sache machen.

Die Fürſtin blickte ihn ſcharf an. Sie war verwundert, ſie wollte mehr hören. Der Mund ſchien, halb geöffnet, als ein Zeichen der Aufmerk¬ ſamkeit, aber er ſpitzte ſich auch wohl ſchon zu einer ſatyriſchen Entgegnung, während Laforeſt fortfuhr:

Iſt dies Preußen nicht das wahrhafte Weſpen¬ neſt der Sectirer, Illuminaten, wo täglich Ideen und Neuerungen geheckt werden, Laiche und Brut zu neuen Revolutionen. Und das Schlimmſte, ſie wur¬ den von oben unterſtützt, oder gingen von oben aus;217 die Philoſophen läßt man Syſteme bauen, man ſchmeichelt ihnen, ruft ſie in den Staatsdienſt, und was man niedertreten und ausrotten ſollte, begießt man noch! Können wir, nach ſolchen Erfahrungen, uns noch täuſchen, wie weit dieſe Syſteme tragen, wie ſie das Blut vergiften, den Glauben an die Autorität in Kirche und Staat untergraben, wo jeder dürftige Verſtand ſich anmaßt, ſelbſt Alles von vorn an zu prüfen, bis in den Grund der Dinge hinein! Täuſchen wir uns auch darüber nicht, daß die Kö¬ nige von Preußen noch die Macht hätten, wenn ſie wollten, das Unkraut auszujäten. Wir ſahen ja, wie der Verſuch unter dem vorigen Monarchen mißlang. Es hat ſich ſo eingefreſſen in den fruchtbaren Boden, daß es den Weizen nicht mehr aufkommen läßt; ja, man wird noch oft Verſuche machen, aber ich beſorge, immer vergebens. Was hat ſelbſt in Oeſtreich das kurze Beiſpiel Joſephs geſchadet; nun bedenken Sie, was und wie tief eine ſechsundvierzigjährige Regie¬ rung, und eines Friedrich, das Blut des Volkes ver¬ giften mußte! Voran dem Reigen ging, um das Maß voll zu machen, ſogar eine philoſophiſche Kö¬ nigin! Es iſt in der Nation zur Tradition gewor¬ den, daß die Macht ihres Staates auf der ſogenann¬ ten Intelligenz beruht, und ſie hat, meines Dafür¬ haltens, darin nicht ſo ganz Unrecht. Darum, Prin¬ zeſſin, darf dieſer Staat keine Macht bleiben, oder er wird der Funke zu einem Brande für alle Staa¬ ten. Und welche Verpflichtungen haben denn die alten218 mächtigen, in ihrer Mitte einen Emporkömmling zu dulden, der auf ſeine Bildung ſich geckenhaft brüſtet, und ſich zuweilen die Miene giebt, ſie zu verachten; ſtand er nicht jetzt eben noch, es war unerhört, wie der Minos da, und maßte ſich an, zwiſchen den Com¬ battanten über Europas Schickſal zu richten?

Die Gargazin war ihm mit geſpannter, dann, wie es ſchien, geſättigter Aufmerkſamkeit gefolgt: Herr von Laforeſt überraſchen mich. Wer hätte das vermuthet. Auch Ihr Kaiſer will, als ein neuer Sanct Georg, den Drachen des Unglaubens zertre¬ ten! Seit wann ging dieſe remarquable Umänderung in Seiner Majeſtät vor?

Können Sie mit Spott das Einmaleins um¬ ändern, oder einen mathematiſchen Lehrſatz umſto¬ ßen? Der Satz heißt in dieſem Falle: er folgt den Maximen, die er zu ſeiner Selbſterhaltung für noth¬ wendig hält. Seine Pläne gehn tiefer, als Sie glauben. Von wo entſpringt alles das Unheil, an dem die Völker leiden? Aus den Beiſpielen, die wir unvorſichtig aus dem Alterthum holten, aus der unverſtändigen Anwendung der Begriffe, die damals galten, auf die Verhältniſſe von heut. Schon lange geht er mit dem Project um, das Studium der Klaſſiker von den Schulen zu verbannen. Das, was uns nützlich iſt, ſoll daraus überſetzt werden, eine Ueberſetzung unter dem Stempel der Autorität; mit dem andern klaſſiſchen Kram fort als Zeitverderb oder Gift. Stimmte dies nicht mit den Anſichten219 meiner erlauchten Frau? Ihre Kirche giebt aus der Bibel dem Volke nur, was ſie für gut hält, Napo¬ leon will daſſelbe, das Heidenthum will er verban¬ nen. Mich dünkt, da gehen wir noch Hand in Hand. Er hat die Pariſer Univerſität zum Inſtrumente ſei¬ ner Macht umgeſchaffen. Sind wir da nicht auch einig? Er will nicht, daß, wie in Deutſchland, ſo viel Lehrſtühle ſind, ſo viel Irrlehren der Jugend gepredigt werden. Der Staat ſoll eine Lehre prü¬ fen, als gut und richtig approbiren, und dieſe ſoll dann in allen Schulen vorgetragen werden. Stim¬ men wir darin nicht? Er haßt die Ideologie, weil ſie den Menſchen vom Praktiſchen und Nothwendigen entfernt, weil ſie ewig an der Autorität rüttelt, Stolz, Ueberhebung, Schwärmer hervorruft. Will Ihre Kirche die? darf der Staat des großen Czaa¬ ren ſie dulden? Deutſchland ging daran unter. Preußen ſchmeichelt ihnen, weil die ganze Nation aus Ideologen beſteht. Darum nennt mein Kaiſer ſie die Jakobiner des Nordens. Mich dünkt, eins der tref¬ fendſten Worte, die aus ſeinem Kopf entſprangen.

Und was iſt der langen Rede kurzer Sinn?

Das nur andeuten wollen, wäre Vermeſſen¬ heit, wo die Weisheit eines Alexander ſelbſt das Beſte treffen und Fürſtin Gargazin das, was einſchlägt, ihm anrathen wird.

Was aber würden Sie an meiner Statt meinem Kaiſer rathen? Verſetzen Sie ſich einmal in meine Stelle.

220

Für's Erſte würde ich dieſe Don Quixoten anlaufen laſſen, wie ſie's verdienen. Wer den hei¬ ßen Brei angerichtet, kann ihn aufeſſen. Ihnen ihren Willen gelaſſen! Sie lächeln, das wäre gut franzöſiſch gerathen, und ſo argliſtig dumm, daß es eigentlich eine Beleidigung ſei, einer Fürſtin Garga¬ zin es in's Geſicht zu ſagen. Erlauben Sie mir die Bemerkung, es iſt nicht ſo ganz dumm. Bur¬ hövden hat in Riga den Befehl, zu rüſten. Ver¬ gönnen Sie mir auch, zu bemerken, der Befehl iſt etwas ſpät an ihn ergangen, viel zu ſpät. Ich tadle darum Ihre Staatsmänner nicht, denn konnten ſie wiſſen, daß es hier endlich Ernſt, daß man ſich nicht doch noch einmal wieder anders beſinnen werde? Eine Mobilmachung koſtet viel Geld; man thut es doch nicht immer bloß zum Vergnügen, beſonders dann nicht, wenn eine ernſthafte, große Rüſtung uns bevorſteht. Für die ſpart ein weiſer Staatsmann die vollen Kräfte. Nun rüſtet Burhövden. Es iſt jetzt Anfang Oktober. Bis ſpäteſtens Ende Oktober ſto¬ ßen die preußiſchen und franzöſiſchen Heere auf ein¬ ander; irgendwo im Herzen von Deutſchland, geht es nach den Feuerköpfen hier, ſo weit wie möglich nach dem Rheine zu. Nun bitte ich Sie, wie viel Truppen kann der wackere Burhövden bis dahin dis¬ ponibel machen, bis dahin durch Kurland, Lithauen, Preußen, Pommern, Brandenburg, durch unwegſame Sandſteppen, aufgewühlte Wege, dem Gros der Preußen nachſchicken? Ich will das Höchſte anneh¬221 men, daß dreißigtauſend Mann in forcirten Märſchen bis zum Entſcheidungstage die Preußen erreichen, daß ſie dieſelben noch nicht geſchlagen finden; wür¬ den dieſe dreißigtauſend abgematteten Krieger, aus Complaiſance auf die Schlachtbank geführt, das Schickſal ändern? Sie würden mit den Preußen aufgerollt, vernichtet. Und geſetzt, die Preußen ſieg¬ ten, wie viel Broſamen Ehre würden die Bramar¬ baſſe dem ruſſiſchen Succurs zukommen laſſen? Rußland wäre noch einmal moraliſch geſchlagen, ohne ſelbſt geſchlagen zu haben. Nein, erlauchte Frau, ich verſetze mich ganz in die Seele Ihrer klu¬ gen Staatsmänner, und ſpreche zugleich im Stolz eines Franzoſen, wenn ich ſie ſagen laſſe: Rußland iſt es ſich ſelbſt ſchuldig, nicht mehr durch Echantil¬ lons ſeiner Macht gegen den Giganten zu kämpfen es darf nicht mehr das Schwert ziehen gelegentlich für Andre, es iſt Pflicht ſeiner Ehre, Gehorſam gegen ſeine Machtſtellung, ſeine ganze Macht zuſam¬ menzuhalten, um ſie für ſich auf den furchtbaren Ri¬ valen loszuwälzen, wenn die Zeit kam.

Nachdem die preußiſche Armee vernichtet iſt!

Die wird es ohnedies. In ihrem Dünkel wol¬ len es die Herren, die den König zum Kriege zwin¬ gen, auf einen Schlag ankommen laſſen. Durch einen Effectſtreich ſoll wieder gut gemacht werden, was ſo lange Jahre durch verſäumt iſt. Schade nur, daß Preu¬ ßen nicht Rußland iſt. Sind ſie beſiegt, ſo iſt Preußen zertrümmert, das Land liegt vor uns, eine offene Beute.

222

Und Rußland, das zuſieht?

Behält die Kraft, auf einen Feind ſich zu ſtür¬ zen, der zwar Sieger iſt, aber blutet. Denn auf einen verzweifelten Widerſtand dieſer zweimal hun¬ derttauſend Preußen ſind wir gefaßt. Was dann weiter, ſteht im Rath der Götter, aber ich meine, daß Kaiſer Alexander, an der Spitze ſeines Reiches, ſoutenirt von ſeiner Grenze, ein Wort darin mitſpre¬ chen wird, das nicht verhallen kann. Wo zwei Gleiche ſich gegenüber ſtehen, iſt aber Zeit zum Verhandeln.

Ich könnte es eine Gnade Gottes nennen, daß Preußen keine Staatsmänner hat, wie Herrn von Laforeſt.

Und ich Rußland Glück wünſchen, daß ſein Czaar eine Freundin hat, deren hellerem Blick er traut. Unter uns, Napoleon hat keine ſolche Freun¬ din, er glaubt nicht an das wunderbare den Frauen geſchenkte Ahnungsvermögen. Er traut nur auf ſich. Das iſt ein Unglück, denn über aller menſchlichen Weisheit ſchwebt doch ein Etwas was wir mit dem Verſtande nicht ergründen. Gleichviel nun, ob Sie Burhövden die Regimenter, die er zuſam¬ mentreibt, marſchiren laſſen, oder ihn freundlich war¬ nen, daß er die Dinge ſich vorher anſieht, daß er mehr an Rußlands Anſehen denke, als an die mo¬ mentane Freundſchaftsaufwallung Alexanders für Frie¬ drich Wilhelm das, theuerſte Frau, ſind Baga¬ tellen ſo oder ſo, ein höherer Wille lenkt dennoch Alles, und ich denke, unſer Abſchied iſt nicht auf223 lange, wir ſehen uns bald, unter andern Verhält¬ niſſen wieder. Sie ſehen mich zweifelhaft an, weil Sie mich kennen. Kennen Sie mich denn ganz, wo ich mich ſelbſt nicht kenne? Die Völker müſſen re¬ giert werden; und um ſie regieren zu können, darf man ſie nicht zu klug werden laſſen. So weit gehen unſre Wege miteinander. Nur in den Mitteln, da liegt der Unterſchied. Ob Napoleons imperialiſtiſcher Wille ausreicht wir kommen da immer wieder auf den Stock zurück. Es iſt ein gutes, aber ein grobes Mittel, und wer weiß, ob der Stock nicht einmal bricht? Ihre es iſt ja natürlich auch meine Kirche hat ſanftere Mittel. Wäre der Pro¬ teſtantismus nicht gekommen, wir wären Alle glück¬ licher! Stände erſt wieder die eine Autorität uner¬ ſchütterlich feſt, dann kettet ſich eine an die andre. Obgleich ſelbſt nichts weniger als heilig, erkenne ich doch das ſtille Wirken der heiligen Gemüther, die der aufgewühlten Erde wieder ein Feſtes geben wol¬ len. Ich ahne Ihr ſchönes, großes Werk, Prinzeſſin. Nur vorſichtig, den Schleier darüber gelaſſen, die Welt iſt noch zu ſkeptiſch. Aber ſie wird immer empfänglicher werden, je mehr ſie verblutet, ermattet. Wo alle Kraft erſchöpft iſt, hat die Bekehrung leichte Arbeit, und es iſt gewiß eine ſchöne, belohnende. Haben Sie Ihren ritterlichen Kaiſer erſt ganz ein¬ geweiht, dann machen ſich die Alliancen von ſelbſt, und dann ich bin kein Träumer von einem Weltfrieden, denn die Menſchen ſind einmal ge¬224 ſchaffen, um ſich aufzueſſen aber es iſt doch eine ſchöne Ausſicht, wenn man einmal Kehraus machte mit dieſem Cultus des Geiſtes, dieſer Ideenherr¬ ſchaft, wenn alle die Idole ſtürzten, eines nach dem andern, die der übermüthige Menſchengeiſt aus Erz und Marmor aufrichtete. Sie ſtreckten ihre Arme bis in die Sterne, aber ſie ſtanden auf thönernen Füßen.

An der Thür war der Geſandte noch einmal umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der Bruſttaſche: A propos, Prinzeſſin, Sie kennen ver¬ muthlich dies noch nicht. Ein Correcturabzug, durch Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur des kommenden Manifeſtes, in die Erfurter Zeitung geſtreut. Bemerken Sie den Paſſus!

Die Fürſtin überflog das Blatt: Nicht bloß Preußen, die deutſche Nation ſollte, ihrer Selbſtſtändigkeit beraubt, aus der Reihe un¬ abhängiger Völker geſtoßen, einer fremden Sou¬ verainität untergeordnet werden. Dieſem Schlage, dem ſchrecklichſten, der Deutſchland noch treffen könnte, zu begegnen, ehe es zu ſpät iſt, dieſes iſt, nach glaubwürdigen Nachrichten, der einzige Zweck von Preußens gegenwärtiger Rüſtung.

Qu'en dites-vous, Madame? Preußen rüſtet nicht für ſich, ſondern für die deutſche Nation! Wenn es nicht ſo entſetzlich naiv wäre, könnten Andre als wir vor den Conſequenzen erſchrecken. Aber ich hoffe, man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß wer¬ den, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein225 Kaiſer fragen: wer in aller Welt gab denn Preu¬ ßen die Vollmacht für die deutſche Nation? Denn in Wien, Petersburg und Paris weiß man, daß Phraſen tönender Wind ſind. Nicht wahr? Aber ein wenig Achtung giebt man doch, wenn die Kinder in Phraſen zu ſprechen anfangen, die ſie freilich ge¬ lernt haben, aber man fragt doch: von wem?

Der franzöſiſche Geſandte, Herr von Laforeſt, war längſt in ſeinem Wagen fortgerollt.

Und doch betrügt er mich nur! war das Ende eines langen Selbſtgeſpräches, aus dem die Fürſtin bei dieſen Worten zu erwachen ſchien. Aber man läßt ſich zuweilen gern betrügen.

Sie ſetzte ſich an ihren Secretair, und ſchrieb haſtig. Das Billet auf Roſapapier mit der Auf¬ ſchrift: An den Legationsrath, Herrn von Wandel, ward einem Diener übergeben, mit dem Befehl, auf der Stelle dahin zu fliegen und Antwort zu bringen.

Die Antwort ließ doch eine Stunde auf ſich warten, welche für die Prinzeſſin in ſichtlicher Span¬ nung verging. Mehrmals hatte ſie ſich wieder zum Schreiben niedergeſetzt, aber Alles, was ſie angefan¬ gen, gefiel ihr nicht, ſie zerriß es wieder. Es geht nicht ſchriftlich, ſprach ſie. Solche Botſchaft kann nur mündlich an Buxhövden gebracht werden.

Endlich kam Wandels Antwort. Sie lautete:

Die ehrenvolle Miſſion, welche Fürſtin Gar¬ gazin mir zugedacht, wie ſie auch laute, iſt mir der ſicherſte Beweis für das, was mein Herz mir ſagte,V. 15226daß es eine Selbſttäuſchung war, als ich einen Mo¬ ment glaubte, daß ſie im Zorn von mir ſcheiden wolle. Eine Heilige kann nicht zürnen.

Um ſo ſchmerzlicher trifft es mein Herz, daß ich dem Rufe nicht folgen kann. Meine Verhält¬ niſſe, meine Ehre gebieten mir, hier zu bleiben. Die Dame, um deren Hand ich mich bewerbe, wird eine Aufwallung, zu der ich mich hinreißen ließ, vergeſ¬ ſen, und die Gerüchte, die man über eine Ent¬ zweiung ausſprengt, ſelbſt widerlegen. Wenn die geringen Gaben, welche die Natur mir ſchenkte, die Kenntniſſe, welche ich mir erwarb, in Mancher Augen mir vielleicht eine höhere Sphäre anweiſen, ſo fühle ich doch nur zu ſehr, daß der Menſch, der immer in weiteren Peripherieen ſein Glück ſucht, ſo oft das überſieht, was ihm zunächſt liegt, und worauf Natur oder Geburt ihn gleichſam hinſtieß. Meine phyſika¬ liſchen und chemiſchen Kenntniſſe berechtigen mich zum Glauben, daß ich in der Tuchfabrikation Ver¬ beſſerungen einführen werde, welche dem Lande, dem ich fortan gehören will, von, wenn auch nur gerin¬ gem, doch von Nutzen ſein werden. Lächelt Fürſtin Gargazin darüber, ſo denkt ſie doch vielleicht milder, wenn ſie den Spruch ſich zuruft von dem, der ſich ſelbſt erniedrigt.

Und doch würde ich Ihrem Rufe folgen, wenn nicht die heiligſte Pflicht mich feſſelte. Jene Aus¬ ſichten bei Seite geſetzt, in dieſem Augenblick kenne ich nur eine Pflicht, eine unſchuldig verfolgte Frau,227 die mir einſt theuer war, gegen die Barbarei der Geſetze zu ſchützen. Ja, ihr gehört mein Leben.

Urtheilen Sie über mich, verdammen Sie mich, ich werde nie vergeſſen, was ſeiner Wohlthä¬ terin, der edelſten Frau des Jahrhunderts, der Für¬ ſtin Gargazin verdankt Ihr unterthänigſter

Die Fürſtin zerriß mit einem verächtlichen Lächeln den Brief in kleine Stücke: Nun muß ich ſelbſt In ihrem Hauſe war helle Unruhe. Um Mittag fuhr ihr Reiſewagen, mit vier Courierpferden vor¬ geſpannt, aus dem Thore von Berlin. Eine Relais¬ beſtellung bis Riga flog ihr voraus. Von der Höhe draußen wandte ſie ſich noch einmal um: Lebe wohl, Babel! Du und Dein Reich ſollen vergehen!

15 *
[228]

Elftes Kapitel. Sie ſind die Puten von Excellenz.

In einem öffentlichen Garten der Vorſtadt war an einem ſchönen Octobernachmittage eine ungewöhn¬ lich große Zahl von Gäſten verſammelt. Jene Zeit, wo die Schichten der Geſellſchaft ſich weit ſchroffer gegenüber ſtanden, als es ſpäter der Fall war, hatte doch den Vorzug, oder, wenn man es nicht ſo nennen will, ſie bot für das geſellige Leben den Vortheil, daß die öffentlichen Vergnügungsorte noch nicht in der Art ſchroff geſondert waren, daß die Anweſenheit von im Le¬ ben niedriger Geſtellten die höher Geſtellten abhielt, auch ihr Vergnügen zu ſuchen. Wo der Handwerks¬ burſch Kegel ſchob, konnte auch der höhere Bürger¬ ſtand mit Ehren Weißbier trinken; Beider Gegenwart ſchreckte ſogar den Königlichen Staatsbeamten und was mehr ſagen will den Officier nicht ab, ſeine Pfeife zu rauchen. Wenn auch der Reſpect die Stände nicht an denſelben Tiſchen vereinigte, wie es im glück¬229 licheren Süden der Fall iſt, ſo war doch Gottes freier Himmel, die bretternen Lauben und der ſchmuckloſe Saal, wenn es regnete, für Alle ein gleiches Aſyl, wenn ſie aus dem Staub und Geräuſch der Stadt ſich retten wollten.

Zwar dem Staub und dem Geräuſch waren dieſe hier nicht entflohen, denn der Garten lag an der Landſtraße und auf derſelben wälzten ſich vom frühen Morgen an die Züge der ausmarſchirenden Truppen. Der Wind trug die Staubwirbel und Wolken bis mitten in die große Stadt, und die dicke Lyciumhecke, welche den erhöhten Garten wie eine Mauer von der Straße trennte, lag in einem braun¬ grauen Puderkleide, welches nichts mehr von dem urſprünglichen Grün zum Vorſchein kommen ließ Auch gaben ſich die Mägde und die Gäſte gar nicht mehr Mühe, den dicken Staub von den Tiſchen ab¬ zuwiſchen, und empfahlen nur, die Porzellandeckel ſorgſam wieder auf die Weißbiergläſer zu ſtülpen. Gegen Staub, meinten die Herren, ſei der Tabacks¬ dampf die beſte Waffe.

Man war ja zu Staub und Geräuſch gekommen, und von den offenen Balconen oder Eſtraden an der Hecke konnte man den braven Kriegern, die zum Tod für König und Vaterland auszogen, ein Lebe¬ wohl rufen, man konnte ſeinen Bekannten allenfalls die Hand reichen oder einen friſchen Trunk auf den Weg den ſchon von der Sonne Gebräunten; denn wie weit her waren die Meiſten marſchirt und wie230 lange hatten ſie auf den Sammelplätzen ſtehen müſſen, ehe die Trommel zum Abmarſch wirbelte. Wie die Lyciumhecke, Alle von Staub gepudert, vom Blau ihres Rockes, vom ſchönen weißen Mehl ihrer Locken war nichts mehr zu ſehen. Aber die Spontons und Bajonette funkelten in der Sonne, die Federbüſche ſchüttelten in ihrer bunten Farbenpracht den Staub ab und Alle ſangen. Ohne Geſang kein deutſcher Soldat. Die Disciplin kann Alles; das Singen wagt ſie nicht zu verbieten. Lieder waren es, die kein Dichter für ſie gedichtet, am wenigſten brauchten die Soldaten in Deutſchland einen Tyrtäus; von den Zeiten des dreißigjährigen Krieges, der Lands¬ knechte, ja noch weiter hinauf, ſie machten ſich ihre Lieder ſelbſt, oder die Luft hauchte ſie ihnen zu. Einige aus alter Zeit von Scheiden und Meiden, von frühem Tod und Morgenroth, von grüner Erde und Lindenbäumen, klangen wohl noch wie das We¬ hen eines Frühlingshauches durch Blüthenwipfel, aber ſie klangen ſelten. Der Soldat auf dem Marſche ſehnt ſich nach cannibaliſchem Wohlſein. Wenn Einer die Tabacksfreude anſtimmte, den Krambambuli, das von den Müllerſäcken und Müllermädeln, da ſtimmte der ganze Chorus ein; Lieder ſind es, welche der Schrift nicht angehören, aber ſie leben, viele ſchon Jahrhunderte, und wollen auch wohl noch Jahrhun¬ derte leben.

Daher mochte der Leiermann im Garten, ſo oft er wollte, ſeine Ballade anheben, die ein patriotiſcher231 Poet, um der Begeiſterung aufzuhelfen, gedichtet, und die etwa anfing:

Grad fünfzig Jahre ſind es her,
Da zog der große König aus
Und hinter ihm ſein muthig Heer,
Den Feinden all zu Schreck und Graus.

Die Militairs hörten gar nicht, die Bürger nur halb zu, trotz dem, daß jeder Vers eine Schlacht des al¬ ten Fritz illuſtrirte, von Mollwitz bis Torgau. Wenn aber die Füſiliere: Ein Schifflein ſeh ich fahren anſtimmten, war Alles Aug 'und Ohr und die Zu¬ ſchauer ſchienen ſtumm die mit greller Luſtigkeit ge¬ kreiſchten Verſe mitzuſingen:

Wie kommen die Soldaten in den Himmel?
Capitain und Lieutenant, auf einem weißen Schimmel,
Da reiten die Soldaten in den Himmel.
Capitain, Lieutenant, Fähnderich, Sergeant,
Nimm das Mädel, nimm das Mädel bei der Hand,
Soldaten, Kameraden, Soldaten, Kameraden!
Wie kommen die Officiers in die Höllen?
Capitain und Lieutenant, auf einem ſchwarzen Fohlen,
Da wird ſie der Teufel ſchon alle holen.
Capitain, Lieutenant, Fähnderich, Sergeant,
Nimm das Mädel u. ſ. w.

Und wenn die Huſaren, ihren Bart ſtreichend, zu den Mädchen hinauf ſangen:

Geh du nur hin, ich hab mein Theil,
Ich lieb dich nur aus langer langer Weil,
Ohne dich kann ich ſchon leben,
Ohne dich kann ich ſchon ſein.
232

ſo wollten die Mädchen ſich ausſchütten vor Lachen, die Zuſchauer unter den Militairs ſtrichen, in eige¬ nen Erinnerungen ſchmunzelnd, ihren Bart.

Es ſaßen viele Officiere, darunter ſehr vornehme, auf den Eſtraden, den Scheidegruß ihren Kameraden zu geben, den ſie morgen von den nach ihnen Schei¬ denden empfangen wollten. Aber die ernſte Weh¬ muth, welche ernſte Scheideſtunden hervorrufen, hätteſt du auf wenigen Geſichtern gefunden. Plötzlich war der Geſang des Leiermanns verſtummt, und eine grelle Beckenmuſik ſchallte übertäubend aus dem Gar¬ ten herauf wie zur Freude Aller. Der General, den wir einſt in der Geſellſchaft der Lupinus kennen gelernt, und der jetzt auf einen der größeren Balcone trat, hatte es im Vorübergehen ſo angeordnet.

Das war ja nicht mehr zum Aushalten, ſprach er zu den Officieren, die ſich reſpectvoll erhoben. Was ſoll das Krächzen! Wenn der Soldat in's Feld zieht, muß er fidel geſtimmt ſein.

Sie leiern ſolche Lieder jetzt in allen Tabagieen, bemerkte ein Anderer, und der Adjutant des Generals fügte hinzu:

Es geſchieht auch wohl in guter Abſicht, um die Soldaten zu animiren.

Dummes Zeug! Ich weiß, 's iſt von 'nem Gelehrten, einem der Herren Genies, verfertigt, und er hat von einer Prinzeſſin ſogar ein Bijou dafür erhalten. Der Soldat wird davon nicht animirt, daß man ihm die Geſchichte des ſiebenjährigen Krie¬233 ges vorkrächzt. Hat etwa der Papa Gleim dem gro¬ ßen König zu ſeinen gewonnenen Bataillen verholfen? Laßt die Kerle ſich ſelbſt ihre Lieder ſingen von Schnaps und drallen Mädchen. Nur nicht ſie animiren wollen, was ſie nicht verſtehen. Das iſt auch' ne neue Mode. Wozu braucht der Soldat animirt zu werden! Ordre pariren, die Fuchtelklinge und gute Verpflegung das macht gute Soldaten.

Und Generale, fiel ein Obriſt ein, in denen Friedrichs Genie fortlebt.

Der General nahm das Compliment hin, vielleicht wie etwas, was er von einem Subalternen erwar¬ tete, wofür zu danken ihm aber die Etikette verbot.

Mit dem Genie, meine Herren, iſt's ein eigen Ding, ſagte er nach einer Pauſe. Man macht zu viel Redens davon. Es ſind gewiſſe Sätze, die feſt ſtehen, wie die Arithmetik, im Uebrigen kommt's auf den Mann an. Wenn er ſie in der Noth vergißt, dann holt ihn der Teufel. Aber zu viel gelehrte Officiers in einer Armee, und die holt auch der Teu¬ fel. Das wimmelte ja in letzter Zeit von Genies, die uns alle Rath geben wollten. Gott ſei Dank, daß wir losſchlagen, ehe wir ihren Rath angenommen, das, meine Herren, iſt's, was mir Aſſurance giebt, obſchon manches davon, das muß ich Ihnen geſtehen, ſo auf dem Papier ganz plauſibel klang.

Unarticulirte Töne und ausdrucksvolle Blicke ga¬ ben zu verſtehen, daß man der Aſſurance nicht bedürfe. Was kann Papier und Federkiel beſſer machen!

234

Der Obriſtwachtmeiſter Stier von Dohleneck ſtieß einen tiefen Seufzer aus, den die Cameraden zu ver¬ ſtehen glaubten. In Gegenwart eines höheren Officiers müſſen die Subalternen ſchweigen. Wenigſtens iſt es nicht an ihnen, ein Geſpräch anzufangen, zu len¬ ken oder andrer Meinung zu ſein. So angenehm dies für die Hochgeſtellten iſt, hat es doch auch ſein Unangenehmes, weil ſie nun genöthigt ſind, immer das Wort zu ergreifen, wenn es um ſie her ver¬ ſtummt, und wenn der Pfingſtgeiſt ſie nicht heimge¬ ſucht hat, ereignet ſich auch wohl, daß ſie Alltägliches zu Tage bringen. Weil ſie immer Zuhörer und immer Zuſtimmung finden, und, wenn ſie es wollen, immer belacht werden müſſen, glauben ſie endlich, daß auch das Alltäglichſte geiſtreich ſei, wenn es aus ihrem Munde kommt. So hat man davon betrübende Bei¬ ſpiele, daß gewiſſe Tiraden und Banalphraſen, in welche ſie ſich ſo verſtrickt oder verliebt, daß ſie die¬ ſelben bei jeder Gelegenheit vorbringen, ob ſie paſſen oder nicht, zu einem Zopf hinter ihrem Rücken wer¬ den, mit dem die nach Herzensluſt ſpielen, bei denen ſie erſtarrende Devotion vorausſetzen. Es iſt mit aller Autorität ein eigen Ding. Sie geht und braucht keine Füße, ſie fliegt und braucht keine Flügel, ſie ſtrahlt und braucht kein Licht, ſo lange man an ſie glaubt; wenn man aber nicht mehr an ſie glaubt, dann ſieht man ſie hinken, wo ſie zu fliegen meint, und ſie mag mit tauſend Hohlſpiegeln das Sonnenlicht auffangen, man ſieht doch nur ihre Schattenflecke.

235

Der General hielt auf ſeine Autorität und dul¬ dete keinen Widerſpruch von unten; nach oben erlaubte er ſich aber Widerſpruch, weil er auch dahin auf ſeine Autorität hielt. Er galt für ſtreng, tyranniſch in ſeinen Launen, ja Einige nannten ihn barbariſch in der Strenge gegen den gemeinen Soldaten, und von brutalem Stolz gegen das Civil. Heut erſchien er milder. War es der Anblick der wohlgeordneten Kriegerſchaaren, war es die Aſſurance, mit dieſem Heer zu ſiegen, oder der Ernſt, welcher ſich der Seele jedes denkenden Kriegers vor einer Schlacht bemeiſtert.

Weiß vielleicht Einer von den Herren, unter¬ brach er das Schweigen, was aus dem Obriſtwacht¬ meiſter von Eiſenhauch geworden. Nach Oeſtreich kam er voriges Jahr zu ſpät, die Campagne war vorüber. Demnächſt ſchrieb man, daß er aus Alte¬ ration gefährlich erkrankt ſei. Es ſollte mich doch wundern, ob er ſich nicht wieder bei uns einfindet, wenn es Ernſt wird.

Auf die Frage wußte Niemand Beſcheid; ſie wußten eben ſo wenig, ob der General etwas zum Lobe oder zum Tadel des genannten Officiers hören wollte. Sie ſchwiegen.

Meine Herren, es iſt ein Genieofficier von admirabeln Kenntniſſen, hat auch manche vortreffliche Conceptionen. Ich geſtehe Ihnen, einige waren wirk¬ lich acceptabel, und es that mir leid, als er den Abſchied nahm. Verdachte es ihm freilich nicht. Wollte nicht bloß Rath geben, drauf los, in's Feuer; cheva¬236 leresque und von exemplariſcher Conduite. Aber, offen¬ herzig, es iſt mir heute doch lieb, daß er nicht bei uns blieb. Wir wären auf manche Vorſchläge eingegangen, wir hätten vieles geändert. Vielleicht zum Guten wer weiß es, wer hat die Probe gemacht! Heute gereicht es mir nun zur Genugthuung, daß auch nichts in unſerm Armeeweſen geändert iſt. Wenn der große König aus den Wolken blickte, ſähe er ſeine Armee, wie er ſie verließ, kein Knopf an den Kamaſchen mehr oder weniger. Und ſo ſoll und wird ſie Bo¬ naparte ſehn. Meine Herren, Attention! Das iſt etwas, was wir nicht zu gering anſchlagen dürfen. Er muß bei dem Anblick gleichſam fühlen, daß er mit dem Genius des vorigen Jahrhunderts ſich ſchla¬ gen ſoll. Und da er ein Mann von einem gewiſſen Sentiment iſt, muß dies einen moraliſchen Eindruck auf ihn machen. In ſeinem Moniteur läßt er uns Don Quixoten nennen. Nun, wir wollen doch ab¬ warten, wer Mühlenflügel und wer Geiſter geſehen hat!

Man konnte aber jetzt kaum mehr etwas ſehen und noch weniger hören. Der Staub war unerträg¬ lich geworden, zu Wolken aufwirbelnd fiel er als trockener Regen nieder. Dazu war ein Toben, Peit¬ ſchengeknall, ein Gewieher der Pferde und ein Ge¬ kreiſch der Troßknechte, daß die Commandoworte nicht mehr durch das Gewirr drangen. Was halfen die Flüche und Klingen der Officiere, die auf die Rücken der Säumigen fuchtelten, wo Alles ſtockte! Drei Batterieen hatten, nachdem die Dragonerregimenter237 das Ihre gethan, die Straße in Grund und Boden aufgewühlt, und jetzt, ſo weit das Auge vor und zurück ſehen konnte, war ſie mit Bagagewagen, Fourgons, mit Kaleſchen und Küchenwagen bedeckt. So breit der Weg, hatten die Fuhrwerke ſich doch verfahren und grad am Garten war eine totale Stockung ein¬ getreten. Auch im Fuhrweſen war die alte Ordnung, aber in jeder Ordnung giebt es Ausnahmen, und Kutſcher und Fuhrknechte ſind darin verſtockte Ariſto¬ kraten, die auf Rang und Stand im Vorfahren un¬ erbittlich halten. Weſſen Generals, Obriſten oder Capitains eigne Wagen vorfahren wollen, und da¬ durch die Verwirrung verurſacht, war nicht mehr zu ermitteln; kurz, Räder, Deichſeln, die Pferde und ihre Geſchirre waren in ein ſo wüſtes Knäul gedrängt, daß die Campagnepferde der Officiere dazwiſchen in Gefahr geriethen, und nicht Reiter noch Fußgänger mehr hindurch konnten, um zu ſehen, wo die Stockung anfing und Abhülfe möglich war. Die commandir¬ ten Aufſeher und Officiere mußten über die Wagen wegklettern und ſpringen, und wo ſich auch das nicht thun ließ, ſchwangen ſich Einzelne über die Hecke und ſuchten durch den Garten den Weg zu ihrem Ziel.

Die Lyciumhecke war kein ſchirmender Wall mehr. Tiſch, Bänke und Eſtraden wurden, weil Alles über¬ ſtieg und durchbrach, verlaſſen, um doch gleich wieder von Neugierigen beſetzt zu werden. Eine Gefahr er¬ ſchreckt nur im erſten Augenblick, im nächſten erregt ſie ſchon den Kitzel, es mit ihr zu verſuchen. Die238 rohe Wuth, die Leidenſchaften waren entfeſſelt. Man¬ ches Geſicht glühte auch vom Branntewein, es konnte aus der Zänkerei ein Kampf werden. Die verſchie¬ denen Truppentheile haben immer gegen einander Eiferſucht. Da warfen ſich die Feldkutſcher vor, wer wider Recht den Vorrang erſtreiten wollen; dort hechel¬ ten ſie ſich über den Inhalt und die Größe der Ba¬ gagewagen, und aus ihren verſteckten Winken wo man dieſe Rückſicht noch beobachtete erfuhr das Publikum, daß mancher Officier Dinge oder Gegen¬ ſtände mitnähme, die eigentlich nicht in's Feld gehö¬ ren. Wer daran zweifelte, ſah wohl vorn aus den Rüſtwagen ein halbverhülltes Frauengeſicht ſcheu vorblicken, das nicht füglich zu den Marketenderinnen zählen konnte. Doch waren das nur Ausnahmen. Aber zwiſchen dem Schreien, Fluchen und Wiehern tönten noch andre Stimmen, die weder Pferden noch Menſchen angehörten, ſondern eher auf das Daſein einer Menagerie ſchließen ließen.

Dieſe Menagerie war indeß gar kein Geheim¬ niß, und wenn die großen Hühnerkörbe, hinten oder vorn auf den Generalswagen, bis da mit Decken verhängt geweſen, ſo waren dieſe beim Zuſammenſtoß, dem Klettern und den Manipulationen der Helfen¬ wollenden von den meiſten abgefallen. Das geängſtete Federvieh flatterte und gakkerte und ſchien ſelbſt wie¬ der einen Bürgerkrieg in den Gitterkörben zu führen, als durch das Zurückſtoßen eines Wagens mit Zelt¬ ſtangen dieſe an den Fourgon eines Generals ſtie¬239 ßen. Der Wagen ſchwankte und fiel auf die Seite über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühner¬ korb aber brach, ſtürzte, und die gefiederten Inne¬ wohner, ſo weit ſie nicht von den Zeltſtangen getöd¬ tet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da der Korb nach der Seite der Hecke übergeſtürzt war, entlud ſich die lebendige Beſcherung in den Garten. Die Hühner, in glücklichem Rettungs-Inſtinct, dräng¬ ten ſich nicht wie die Schaafe in einen Keil, ſondern über Köpfe und Tiſche flatternd, krochen ſie hier un¬ ter die Hecke, dort zwiſchen die Beine der Gäſte oder ſuchten in ſympathetiſchem Zuge den Hühnerſtall des Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten getragen.

Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte über die Hecke auf den Tiſch ſpringen konnten, wenn die Gläſer von Stabsofficieren unterm wuchtigen Tritt ihrer geſpornten Reiterſtiefel zitterten, wenn ſie ohne Rückſicht auf Orden und Epauletten, nicht einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten, wenn entlaufenes Federvieh für dieſe Menſchen alle Rückſichten, die der Autorität gebühren, aufwog!

Wo, wenn ſelbſt ordnungsliebende Bürger nicht davor ſchauderten, ſondern es in der Ordnung fan¬ den, denn durch den Garten verbreitete ſich ein ge¬ flügeltes Gerücht. Es ſind ja Obriſt Köckeritzens Truthähne! Nein, riefen andre Stimmen, es ſind Excellenz Feldmarſchall Möllendorfs Puthühner!

Verwirrung und allgemeine Verfolgung. Die240 Truthähne waren kein Geſpenſt; ſie waren geflattert, geflogen und Viele hatten ſie geſehen. Wohin? Links, rechts. Die Trainknechte fluchten, ſtatt für die Wei¬ ſung zu danken. Selbſt die erndteten kein freundlich Wort, die es ſich angelegen ſein laſſen, ein verirrtes Huhn aufzufangen. Hühner hin, Hühner her, aber der calecutiſche Truthahn, die Beſtie, wo war er, und die ſchöne Henne, das Prachtſtück! Sie waren den Knechten doch vom Mundkoch auf die Seele ge¬ bunden.

Der Garten erſtreckte ſich weit in die Sandebene. Solche Gärten hatten auch ſtille Plätzchen, wohin ge¬ fühlvolle Gemüther ſich aus dem Geräuſch des Ke¬ gelſchiebens und dem Klirren der Gläſer zurückzogen. Auf einer Bank unter dem Lycium, das ſeine aus¬ gewachſenen und ſchon vertrockneten Zweige zu einer Art wilden Laube über ihre Köpfe rankte, ſaßen Charlotte und ihr Wachtmeiſter. Es war die bittere Scheideſtunde. Auch wir nähern uns der von unſern Leſern und ſcheuen uns deshalb, ihnen eine neue Figur vorzuführen, die ſie vielleicht nicht wieder¬ ſehen. Uebrigens ſah ein Wachtmeiſter wie der an¬ dere aus.

Charlotte mußte das auch denken. Sie hatte geweint und hielt das Tuch noch an die Augen. Der Wachtmeiſter hatte wohl nicht grade geweint, aber ſein Geſicht war roth, als er die rechte Locke unter dem Hute ajuſtirte: Es geht nun mal nicht anders in der Welt; aber mit Courage geht Alles.

241

Halten Sie ſich nur recht warm, ſchluchzte ſie, daß Sie ſich nicht verkälten.

Halten Sie nur Ihren Geheimerath warm, ſagte er. Darauf kommt Alles an. Denn die Civil¬ verſorgungen, das iſt die Schwerenoth, die ſind ver¬ flucht mager.

Und trinken Sie nicht ſo viel Schnaps. Und wenn eine Kugel kommt

Dann ſchreib ich's Ihnen.

Und wenn Sie mir nicht ſchreiben?

Da hub das Schluchzen von Neuem an; aber es war nur Charlotte. Der Wachtmeiſter hatte ſeine Handſchuh angezogen, den Pallaſch in die rechte Lage gebracht und ſich grad aufgerichtet:

Demoiſelle Charlotte, wozu hilft das Greinen! Sie müſſen bedenken, der Soldat iſt Soldat. Iſt's nicht ſo, ſo iſt's ſo. Sterben müſſen wir alle, und wenn's uns noch ſo gefällt in einem Quartier, ein¬ mal ziehn wir raus. Drum ſagt unſer Obriſtwacht¬ meiſter: Kerle, Ihr müßt denken, daß Andre nach Euch kommen, die wollen auch was finden. Und warum nicht! Sie ſind ja auch Menſchen. Und ſo iſt das ganze Leben, ſagt er, wir ziehn aus einem Quartier in's andre. Und wem's ſein letztes war, das weiß Keiner nicht, denn 's kommt auf ein Mal, auf den Plutz. Da ſteht der Tod vor ihm roth und blaß auf der Mauer und kräht ihn an, und eh es ausgekräht

Charlotte ſchrie auf. Es krähte ihn ja an. AufV. 16242der Hecke ſtand der Calecuter, ſeine rothen Lappen von der Sonne beſchienen, ſeine Augen funkelnd vor Angſt oder Zorn. Und die Pute, das Prachtſtück, flog auch über die Hecke und ihr gar in die Arme. Aber auch die Trainknechte flogen den Gang herauf, ſchreiend, fluchend, die böſen Trainknechte, mit ſo zornfunkeln¬ den Augen als der Hahn. Charlotte hatte ſich wirk¬ lich die Pute nicht aneignen wollen, die ſie unwill¬ kürlich an ihr liebebedürftiges Herz gedrückt. Charlotte war ſelten um eine Antwort verlegen, aber kaum, daß ſie über die Lippen war, mußte ſie es mit eignen Ohren hören, daß der Knecht ſie anſchrie: Selbſt Pute, ſie! und mit eignen Augen mußte ſie es ſehen, daß der Wachtmeiſter, ſtatt ihr beizuſpringen, mit nach dem Calecuter haſchte. Es ſind ja Excellenz Möllendorfs eigne Truthühner! rief ein Andrer, um ſie zu Reſpect und Raiſon zu bringen.

Der Puter und die Pute waren längſt fort, denn als Charlotte die Arme öffnete, hatte die letztere es vorgezogen, einen Satz in die Luft zu machen, als in die Arme des Knechts zu fliegen. Beſtien ihr, wartet! war das letzte Wort, das ſie hörte, und leider war ihr die Stimme ſehr bekannt. Das wilde Heer war verſchwunden, und das war der letzte Ab¬ ſchied von ihrem Wachtmeiſter.

Die Frau Hoflackir, die herbeikam, fand Char¬ lotten in Thränen. Der Herr Hoflackir, der ſeiner Gemahlin die beiden jüngſten Kinder auf den Armen nachtrug, derweil das älteſte an ſeinem Rockſchooß ging,243 fragte, warum die Couſine weine. Das frägt er noch! ſagte die Frau Hoflackir. Es frägt ſich vieles, ſprach Charlotte mit einem Blicke gen Himmel. Ach, lieber Couſin, die Militairs in Ehren, aber ihnen geht doch das ab, was ein empfindungsvolles Gemüth bedarf, wenn es ſich über das Gemeine des irdiſchen Daſeins erheben ſoll. Die Montur und die Uniform ſind etwas ſehr Schönes für König und Vaterland, aber mehr Gefühle für Frauenwürde fin¬ det man doch beim Civil ſelbſt bei meinem lieben Geheimerath.

Und daß Puter und Pute, dieſelben, noch ein zärtliches Paar aufſchrecken, noch einen Abſchied ſtören mußten! Den Obriſtwachtmeiſter Stier von Doh¬ leneck und die Baronin Eitelbach, die in der einſa¬ men Allee am Rande des Gartens promenirten. Es war die ſüße Verſtändigung nach ſo langen, langen Zweifeln.

Und nun grade uns trennen müſſen!

Seltſam! war es doch hier das Widerſpiel der andern Abſchiedsſcene. Er ſchien der Geknickte und ſtrich über die Augenwimpern. Thränen waren es nicht, aber ein Jucken und Drängen an den Augen, als fürchte er ſich vor ihnen.

Wiſſen Sie, mir iſt's manchmal, als wären wir alle nur da, um uns zu trennen, ſprach die Ba¬ ronin und ſah in den blauen Himmel. Und wir leb¬ ten nur, damit wir uns darauf vorbereiteten.

Er blickte ſie verwundert an.

16*244

Die zu einander gehörten, müßten ſich ihr Le¬ ben lang ſuchen, und wenn ſie ſich gefunden haben, wäre es nur, um von einander Abſchied zu nehmen. Da geht Mamſell Alltag mit ihrem Vater in den Salon. Das iſt doch ein kreuzbraves, ſchönes und geſcheites Mädchen. Was hat die ausſtehen und ſich verſuchen müſſen, darüber iſt doch, nun alle Welt im Klaren, und nun's ihr endlich gut geht, und die ſchlechten Zungen ſchweigen müſſen, und die Königin ſich ihrer angenommen hat, und ſie den nun endlich heirathen ſoll, den ſie von ganzem Herzen lieb hat, da da muß er den Tag vor der Hochzeit ſporn¬ ſtreichs auf und davon.

Nur auf einer dringenden Miſſion vom Könige. Er wird wiederkommen.

Wenn ſie ihn nun als Spion hängen!

Der Obriſtwachtmeiſter ſah ſie noch verwunderter an. Welche Lichter zückten plötzlich durch dieſe Seele!

Alles kommt anders, als wir's uns gedacht, fuhr die Baronin fort, und es iſt überall ſo. Die arme, unglückliche, ſchreckliche Geheimräthin! Ich mag's noch immer nicht glauben, daß ſie ſo ſchlimm iſt, aber wenn ſie ihn liebte und heirathen wollte, und es darum gethan hat, nun iſt ſie auch auf immer von ihm getrennt

Wem?‘

Dem Legationsrath. A propos, der iſt Ihr aufrichtiger Freund, Dohleneck, Sie mögen es nun glauben oder nicht. Ein Freund in der Noth iſt er,245 das kann ich Ihnen ſagen. Sie packen ihm Alles auf, wer was zu tragen hat und wen was ängſtet, und dafür verreden ſie ihn noch. Aber er trägt es und lächelt. Er weiß auch, Dohleneck, daß er Ihnen unausſtehlich iſt, und doch ſorgt er um Sie wie ein Vater, nein, wie ein Freund, der Alles thun möchte, um mir meinen liebſten Freund zu erhalten. Was giebt er mir nicht für Rathſchläge, daß Sie in der Campagne zu Ihrer Geſundheit thun und mitnehmen ſollen, und bittet mich, daß ich Sie beſchwören ſoll, Sie möchten ſich nicht zu ſehr exponiren.

Wenn er mir den Rath in's Geſicht gäbe, würde ich wiſſen, wie ich ihm in's Geſicht antworte; ein Soldat thut nur ſeine Schuldigkeit.

Sie lächelte ihn ruhig an: Ich weiß es ſchon. Grade ſo würden und müßten Sie ſprechen, hat er zu mir geſagt. Darum hat er mir auch verboten, Ihnen von den Salben und Pulvern zu geben; Sie würden lachen und den Plunder in den Graben wer¬ fen. Der Beſte und der Klügſte ändert's nicht, was kommen ſoll, und das iſt das Wunderbare in unſrer Beſtimmung, ſagt er, daß man das weiß, und ſich doch immer wieder gedrungen fühlt, den Rath zu geben, der nicht befolgt wird. So hat er's auch mit der Lupinus gemacht. Wie er es ihr auch zu verſtehen gegeben, daß es nur Achtung und Ver¬ ehrung von ihm ſei, ſie hat's für Liebe gehalten. Und wie er jetzt auch ſich Mühe giebt, daß ihre Un¬ ſchuld an den Tag kommen ſoll, er weiß doch, ſie246 werden nicht auf ihn hören, denn die Menſchen ren¬ nen alle in ihr Verhängniß, und er preiſt die am glücklichſten, die nicht klug ſind, und nicht Alles ſehen wollen, denn ihnen wären viele Qualen geſpart. Darum, ſagt er, hat er uns ſo lieb, ob er ſchon weiß, daß ich ihm nicht gut bin, und Sie ihn gar nicht mögen. Da iſt auch alle Mühe umſonſt, ſetzte er hinzu, alle Beweiſe helfen nichts, und der Mißtrauiſche weiß ſogar in der guten That, die man ihm erzeigt, eine heimliche böſe Abſicht herauszuleſen.

Dem Herrn von Dohleneck ging es dumpf durch den Kopf: Wenn man ſich doch getäuſcht hätte!

Das ſagt er ja auch. Wenn in der letzten Stunde nur die Enttäuſchung käme! Wenn er da liegt auf dem Felde der Ehre, und die Lüfte trü¬ gen mir wenigſtens mit Aeolsharfenklang ſein Ge¬ ſtändniß zu: Ich habe mich in dir geirrt! Das wäre wenigſtens ein Troſt!

Donner und Himmeldonner! Er macht mich doch nicht bei lebendigem Leibe todt!

Der Obriſtwachtmeiſter Stier von Dohleneck hatte nicht die Veränderung geſehen, die auf dem Ge¬ ſicht der Baronin vorgegangen. Die Thränen ſtürz¬ ten aus ihren großen, ſchönen Augen; ſie zitterte:

Ja, mein inniger, einziger Freund, er hat eine Ahnung er wollte ſchweigen ich erpreßte ihm das Geſtändniß Ihr zügelloſer Muth er ſah Ihr Blut fließen Wir ändern's nicht ja, es iſt nur zu wahr, es findet ſich Alles nur, um ſich zu247 trennen, die Herzen, um von einander geriſſen zu werden, die Seelen und Geiſter, um ſich ſchätzen zu lernen, wenn ſie ſich verloren haben, und das Glück iſt nur da auf der Welt, daß es zerbricht! Es ging ja auch nicht anders, ſagte ſie, ſich zurückbeu¬ gend, und blickte ihn mit freudiger Wehmuth an. Wir konnten uns ja nur finden, um uns wieder zu trennen! Freiwillig, nicht wahr, hatten wir es gethan? Und nun trennt uns eine höhere Hand.

Aber warum denn auf immer! ſagte der Officier, ihre Hand an die Bruſt drückend. Ohne Hoffnung

Darf der Menſch nicht leben und nicht ſterben, fiel ſie ein. Das hat er auch geſagt. Und ſah da¬ bei in den Himmel, und das war ein Blick! Nein, nicht auf immer! ſagte er, wer unvergänglich liebte, der liebt auch in die Ewigkeit. Iſt denn das Blut ein Strom, der uns vom Jenſeits trennt? Da liegt er auf der Heide, purpurn ſtrömt es aus der Bruſt des Redlichen. Sein letzter Hauch iſt ſeine Freundin, ſein letzter Blick für Sie. Wenn er Sie im Tode ſah, warum ſollen Sie ihn denn nicht im Tode ſehen! Sie werden ſich wiederſehen!

Nun, um Gottes Barmherzigkeit willen, ja, wir werden uns auch wiederſehen! rief Dohleneck in ungewöhnlicher Aufregung. Kein Krieg ohne Blut, aber warum gleich maustodt! Wozu giebt's denn Charpie und Pflaſterkaſten? Das Blut mag zwi¬ ſchen uns fließen, ja, ein tiefer Fluß, aber warum ſoll ich denn nicht rüberſpringen und

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Wir werden uns wiederſehen! und die Ba¬ ronin öffnete die Arme und der Obriſtwachtmeiſter auch Da mußte es um ſie ſauſen, krächzen, und die wilde Jagd kam hinterher. Fangt ſie! Da ſind ſie! Die Brut!

Als die Unholde heranſtürmten, war die Baro¬ nin ſchon durch die Oeffnung der Hecke geſchlüpft. Der Obriſtwachtmeiſter warf einen Zornblick auf die Störenfriede, ja, ſeine Linke ruhte auf dem Degen¬ griff. Ob Herr von Dohleneck ihn gezogen hätte, wir wiſſen es nicht; aber es war ja ſein Wachtmeiſter, der, in Reſpect erſtarrend, vor ihm ſchulterte und aus den Lippen des vorgeſtreckten Kopfes die Worte flüſterte: Halten zu Gnaden, Herr Obriſtwacht¬ meiſter, ſie ſind die Puten von Excellenz Feldmar¬ ſchall Möllendorf!

[249]

Zwölftes Kapitel. Die Scheideſtunde ſchlug.

Als die Baronin durch die Hecke geſchlüpft ſie hoffte, unbemerkt von den Verfolgern, befand ſie ſich in einem ſchmalen Gange, der eigentlich nicht zum Spazierengehen, ſondern, zwiſchen der beſchnit¬ tenen Baumhecke und einem alten Plankenzaune, mit Unkraut bewachſen und für den Kehricht des Gar¬ tens beſtimmt war. Ihre Abſicht war auch wohl ge¬ weſen, wenn das wilde Heer vorüber, in die Allee zu ihrem Freunde zurückzukehren. Davon wurde ſie zu ihrem Schreck durch einen andern Mann, den ſie nicht als ihren Freund betrachtete, abgehalten. Nein, ſie fürchtete oder verabſcheute den alten Herrn von Bovillard, und glaubte dazu hinlänglichen Grund zu haben, denn hatte nicht der Legationsrath in einer vertrauten Stunde ihr wir ſagen nicht Alles, aber doch Vieles vertraut, was ſie nie erfahren durfte, wenn man nicht ohnedem wüßte, daß das Amtsſiegel der Verſchwiegenheit über die geheimen Staatsange¬ legenheiten in der Hinterſtube des Geheimrath Bo¬ villard nur zu oft erbrochen war.

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Und dieſen ſelben Bovillard, der mit ihr und dem Rittmeiſter ein ſo grauſames Spiel geſpielt, dem ſie in ihrer Entrüſtung geſchworen, nie mehr in's Geſicht zu ſehen, traf ſie an dem einſamen Orte, er kam grad auf ſie zu, und hob grade den Kopf, den er geſenkt trug, ehe ſie ausweichen konnte. Zu an¬ drer Zeit kochte es in ihr, ihm Sottiſen oder die Wahrheit zu ſagen, was ſollte ſie ihm jetzt ſagen, wenn er mit ſeinem mediſanten Witze ſie raillirte!

Ach, aber der Geheimrath war ein Anderer, in kurzer Zeit ſchien er um Jahre älter geworden. Wo¬ hin war der elaſtiſche Schritt, die Jugendlichkeit, die er im Umgange affectirte? Er ging bedächtig und geſenkten Hauptes. Er litt an fixen Ideen, ſagte man. War es ſein Stammbaum, deſſen Wurzeln bis zur Schöpfung der Welt zurückwuchſen, was ſei¬ nen Blick auf der Erde wurzeln ließ? Man hielt es nur für eine momentane Phantaſie des aufgeklärten Lebemannes; er benutze ſie, um ſeinem Depit gegen die Verbindung ſeines Sohnes mit der Demoiſelle Alltag einen ſcheinbaren Grund unterzulegen. Er litt, wer ſollte es glauben, an einer andern Idee, die er zwar nicht deutlich ausſprach, aber aus ſeinen hervorgeſtoßenen Reden erſchien es, daß er an ge¬ wiſſen Tagen ſich für vergiftet hielt, von wem an¬ ders, als der Lupinus! Auf vernünftige Vorſtellun¬ gen gab der vernünftige Mann zu, daß dies unmög¬ lich ſei, da er jede geſellige Berührung mit ihr ver¬ mieden hatte; aber er nahm doch in jenen Tagen viele251 und ſtarke Laxanzen. Er, der erklärte Gegner der Romantik und alles Myſticismus, las in Büchern, die man nicht auf ſeinem Tiſch erwarten ſollen, und an Aerzte, die ſich jener Richtung näherten, ſtellte er die verblümte Frage, was ſie von dem böſen Blick hielten, an den die ſüdlichen Nationen glauben, und ob nicht eine phyſiſche Möglichkeit ſei, daß er der Geſundheit Anderer ſchaden könne? Der Geheim¬ rath Bovillard war bereits als malade imaginaire ſprüchwörtlich. Sein Gönner, der Miniſter mit der aufrechten Haltung, hatte ihm ſeine Univerſalcur, Karlsbad, wiederholentlich empfohlen, der Geheim¬ rath den Rath aber von der Hand gewieſen für jetzt. Er fürchte, es werde ihm als Furcht ausgelegt, wenn er ſich aus Preußen entferne, er ſei ein Pa¬ triot, darum müſſe er es zeigen. Darum zeigte er ſich an öffentlichen Orten; wenn auch nicht grade an dem, wo die Baronin ihm begegnete.

Ach, meine gnädige Frau, ſagte er, nachdem von ſeiner Seite weder eine freudige noch eine andre Ueberraſchung ſtattgefunden, er brachte die Worte vielmehr mit einer Art innerem Gähnen heraus, in¬ dem er neben ihr herging. Ach, meine gnädige Frau, die Moraliſten ſagen, Alles in der Welt iſt eitel; aber es iſt nur die Wirkung aus der Ferne. Ich ſehe in der Welt nicht ab, warum das eitel ſein ſoll, was ich genieße, und es ſchmeckt mir. Eitel, das heißt, es verdirbt und vergeht, wird es nur durch die Einflüſſe von außerhalb. Könnte Jeder252 ſeinem Penchant nachgehen, dann gäbe es keine Eitel¬ keit und keine Sünde, nur vergnügte Menſchen. Sie lieben im Frühling die Veilchen, ich die Maibutter, wie ſchön duften ſie am Morgen, wie aromatiſch und friſch ſchmeckt ſie zum Frühſtück! Da muß ein Welt¬ körper, viele Millionen Meilen von uns entfernt, ſo einwirken, daß das Veilchen am Abende welk iſt, meine Butter iſt ranzig und zerfloſſen. Das Uebelſte iſt, auch die Philoſophie hilft dagegen nicht. Der böſe Magnet, Dämon, was es ſei in der Ferne, unſre Pfeile erreichen ihn nicht, und, was noch ſchlim¬ mer, wir wiſſen gar nicht, wo unſer Feind ſitzt. So iſt der Klügſte nicht ſicher, woher's ihn einmal über¬ kommt, ob er auf dem Eis einbrechen, oder im Tanz¬ ſaal ein Bein brechen ſoll. Was iſt der Krieg? Die Soldaten bilden ſich ein, ſie trügen ihn, und ſie bluteten für uns. Aber, contrair, ſie haben das Vergnügen, und der Civiliſt hat die Leiden; er muß zahlen und zahlen, Handel und Gewerbe ſtocken und wir müſſen Spott, Uebermuth und Einquartierung ertragen, bis wir aus der Haut fahren. Ich will mich nicht um die Welthändel kümmern, ſagt der gute Bürger. Und hat er dazu nicht ein Recht? was er nicht eingerührt hat, braucht er nicht aufzueſſen. Hat der Weizenbauer in Pyritz die franzöſiſche Re¬ volution gemacht, hat er conſentirt zur Pillnitzer Alliance, oder hat er Napoleon zum Kaiſer ausge¬ rufen? Gott bewahre, er weiß von alledem nichts, hat nie was davon wiſſen wollen; aber büßen muß253 er jetzt: ſeine Pferde werden ihm ausgeſpannt, Fou¬ rage muß er liefern, ſeine Söhne hergeben zum Todtſchießen, und wenn die Franzoſen gewinnen, frißt und prügelt ihn die Einquartierung, ſie ſchmeißt ihn am Ende aus Haus und Bett, wenn er eine junge Frau hat, alles das die Wirkung aus der Ferne, und Niemand weiß, meine theuerſte Baronin, wo das Uebel ihm ſitzt und von wo es kommt.

Die Baronin ſchenkte ihm einen Blick, der zu verrathen ſchien, daß ſie wenigſtens die Ferne kenne, aus welcher ſie die Wirkung empfunden. Der Ge¬ heimrath hatte für ſolche Blicke keine Augen und kein Gefühl.

Meine Beſte, ſagte er, das Geſicht in eigen¬ thümlicher Weiſe verkneifend, und beide Hände gegen die Seiten ſtemmend, denken wir nicht an vergangene Thorheiten. Sie ſollten nach Karlsbad. Hier, Gott weiß, was hier kommt; die ſchwere Luft, und Nie¬ mand weiß, was er in den Sonnenſtäubchen runter¬ ſchluckt, die er einathmet, wenn er den Mund auf¬ thut. Da da können Sie ungenirt und frei leben. Ich ginge ja auch herzensgern, aber ein Staatsmann und die Rückſichten. Excuſe!

Mit einem raſchen Sprung war er in den Gang zurück, aus dem er die Baronin unter ſo liebens¬ würdigem Geſpräch bis in den Garten zurückgeführt hatte. Da trafen ſich im Gewühl viele Bekannte, die wieder auf die Eſtraden ſtiegen. Die Stopfung auf der Straße war gelöſt. Der Abendwind trieb254 den Staub nach einer jenſeitigen Richtung. Herr von Fuchſius, der die vereinſamte Frau zuerſt ge¬ wahrte, hatte ihr ſeinen Arm angeboten. Sie hätte wohl einen beſſeren Führer gewünſcht, ſagte er lächelnd, aber in dem Gedränge müſſe man ſich ſchon dem erſten Beſten anvertrauen. Wer in der Gefahr ver¬ einſamt ſteht, iſt verloren. Ueberall Abſchiedsſcenen, Thränen, Tücher. Sie waren eben Zeugin einer der tragiſcheſten Abſchiedsſcenen! Die Baronin ſah ihn verwundert an.

Herr von Bovillard ſcheint förmlich von ſeinem Verſtande ſich geſchieden zu haben. Es iſt der Ab¬ ſchied eines Verſchwenders von ſeinem verſchleuderten Gute. Er iſt auf dem Wege, ein vollſtändiger Hypo¬ chonder zu werden. Aber beachten Sie den Ab¬ ſchied dort, er iſt weit trauriger, zwiſchen Vater und Sohn.

Zieht der junge van Aſten auch in's Feld? fragte die Baronin, denn dieſer war es, dem ſein Vater nach einem langen, wie es ſchien, eindringlichen Geſpräch plötzlich den Rücken wandte.

Nur in die Freiheit und der Alte vielleicht in's Schuldgefängniß.

Das Verhältniß war ſtadtkundig: Mein Gott, wer hat denn da nun Recht? Der junge Walter iſt auch ein ſo braver Mann!

Der Rath zuckte die Achſeln: Baroneß, das ſind Fragen, auf die nur der liebe Gott Antwort weiß.

Die Baronin drückte plötzlich die Hand ihres Be¬255 gleiters und der Freudenſtrahl in ihrem Auge ſchien zu ſprechen, daß der liebe Gott wohl Antwort gege¬ ben habe. Der alte van Aſten, der noch eben den Stock mit beiden Armen unmuthig auf die Erde ge¬ ſtampft und den Hut tief in die Stirn gedrückt hatte, um den Garten zu verlaſſen, war plötzlich ſtillgeſtan¬ den. Eben ſo raſch wandte er ſich um, und fiel dem Sohn, der ihm wehmüthig nachgeſehen, um den Hals.

Ob ſie etwas geſprochen und was, wer konnte das hören, beſonders jetzt, wo wieder ein feierlicher Marſch von Blaſeinſtrumenten durch die einbrechende Dämmerung ſchmetterte. Die Baronin riß ihren Führer auf die Eſtrade. War erſt jetzt die Ordre gekommen? Die Gensdarmen zogen aus der Stadt, um in einem benachbarten Dorfe Nachtquartier zu halten. Noch war es hell genug, um ſich zu erkennen, und ein letzter rother Schimmer färbte die Feder¬ büſche und Geſichter der Reiter. Die Baronin ließ ihr Tuch wehen, er ſah es und ſalutirte mit dem Degen. Sie ſprach kein Wort, aber unverwandten Blickes ſtarrte ſie hin, bis die Geſtalt ſich in der Menge verlor, dann lehnte ſie ſich, wie erſchöpft, auf die Schulter des Rathes. Wir werden uns wieder¬ ſehen! kam es wie aus tiefſter Bruſt. Unfern von ihr ſchrie eine andre weibliche Stimme: Ich werde ihn nie wiederſehen! Was ſoll aus mir wer¬ den! Charlotte war auf eine Bank geſunken. Zum Glück ſtand jetzt neben ihr ein ältlicher Herr denn unter den übrigen Zuſchauern ſchien keiner ſich um256 den andern zu kümmern, ihre Blicke und ihre Ge¬ danken gehörten den ſchönen, jungen ausmarſchiren¬ den Reitern allein an. Der ältliche Herr klopfte ihr auf die Schultern: Charlotte, weine Sie nur nicht, gebe Sie ſich zur Ruhe, es wird ſich ſchon Alles finden, und ich verlaſſe Sie nicht.

Es war eine beſondere Stimmung unter Allen, ſehr verſchieden von der lauten beim Vorüberziehen der frühern Regimenter. Hatte der Abend ſie ge¬ macht? Waren die Gensdarmen grade die Lieb¬ linge der Zuſchauer? Man hörte keine lauten Hurrah's, keinen jubelnden Zuruf, nur unterdrücktes Schluchzen. Vielleicht that's die Regimentsmuſik; ſie ſpielte die Melodie eines alten Volksliedes von Morgenroth und frühem Tod. Nachher flüſterte man ſich zu: Prinz Louis ſei in ſeinem Mantel verhüllt unter dieſer Schwadron in der Stille mit ausmarſchirt.

In den Sälen, die als ſehr beſcheidene Pavillons des auch beſcheidenen Reſtaurationsgebäudes in den Garten ausliefen, hatten einzelne Familien und Ge¬ ſellſchaften zum Abendbrod ſich vereinigt. Die Lich¬ ter wurden ſchon angezündet, es ſah aber wenig feſt¬ lich aus, trotz der Aſtern und anderer Herbſtblumen, die eine ſorgende Hand wohl hie und da auf den Tiſch geſtellt. Luft und Boden, die Dielen auf dem Erdreich liegend, waren kalt und feucht, die Frauen hatten ihre Enveloppen, die Männer ihre Ueberröcke umgethan. Es war auch ſonſt ein Etwas, was die helle Freude nicht aufkommen ließ.

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In einem dieſer Pavillons hatte der Geheime Kriegsrath Alltag ſeine Familie und einige Bekannte vereinigt. Als Fuchſius die Baronin vorüberführte, um ſie nach ihrer Equipage zu geleiten, rief ſie, durch die hellen Fenſter blickend: Herr Je da geht ja Adelheid mit dem jungen van Aſten.

Er war ihr hochverehrter Lehrer, ſagte der Rath, und der alte Alltag hat zum Abſchied alle nächſten Angehörigen zu ſich gebeten.

Geht er auch mit in den Krieg?

Er nicht, aber ſeine Tochter. Die Königin folgt ihrem Gemahl in's Hauptquartier, und Mam¬ ſell Alltag iſt, als Geſellſchafterin der Viereck, be¬ ſtimmt, Ihre Majeſtät mit zu begleiten.

Das iſt eigen, ſagte die Baronin, das ſchöne, junge Mädchen in den Krieg! Was man nicht er¬ lebt! Wiſſen Sie wohl, was ich glaube?

Gewiß etwas Richtiges.

Der Alte mochte damals nicht die Brautſchaft. Jetzt, glaube ich, gäbe er etwas drum, wenn die Adel¬ heid beim jungen Aſten geblieben wäre. Er iſt ein ſolider Menſch, und die Leute meinen, er wird eine gute Carriere machen. Hübſch iſt er nicht, aber es iſt ſo etwas in ihm man traut ihm auf’s Wort.

Möglich, daß die Baronin das Richtige getroffen hatte. Der alte Alltag, der ſchweigſam in der Ge¬ ſellſchaft umherging, drückte bei einer Gelegenheit ganz beſonders die Hand des jungen Aſten, er dankte ihm mit gerührter Stimme, daß er ſeine Tochter zu demV 17258gemacht, was ſie ſei. Rührung war weder ſonſt noch jetzt das Departement des Geheimen Kriegsrathes. Die Geheimräthin brachte ſelten das Tuch von den Augen. Sie unterhielt ſich mit dem alten Rittgarten, er mußte ihr vom Krieg erzählen, wie weit man ſich herangetrauen könne ohne Gefahr, ob die Franzoſen auch auf Frauenzimmer ſchöſſen? Nie war ſonſt ihren Gedanken etwas entfernter geweſen. Sie iſt noch gar nicht gereiſt, das Kind, einmal nur bis Potsdam, und nun muß ihre erſte Reiſe gleich in den Krieg ſein! Wer hätte das nur als möglich gedacht; es wird doch Alles anders, als es ſonſt war.

Alles Alles! ſagte der alte Major, den Kopf ſchüttelnd, die Pfeife mußte ihm heut nicht ſchmecken.

'S iſt Fügung des Himmels; das muß uns wohl tröſten, ſagte die Geheime Kriegsräthin, aber aber

Der Himmel fügt es, daß Alles aus dem Ge¬ füge geht, und es wird noch mehr losgehen. Er weiß, warum. Es muß wohl nicht recht zuſammengefügt geweſen ſein.

Eine Converſation kam nicht auf. Wer zu ſprechen anfing, brach plötzlich ab, im Gefühl, daß es Wich¬ tigeres zu ſprechen gab, und die Zeit war koſtbar. Und dann hatte Jeder mit dem Andern etwas Beſon¬ deres zu ſprechen. Wenn er fortgegangen, fiel ihm ein, daß er das vergeſſen, was ihm beſonders auf dem Herzen lag. Welch ein Strom mütterlicher Er¬259 mahnungen war von den Lippen der Mutter gefloſſen, und immer beſann ſie ſich, daß ſie doch noch etwas Anderes, etwas Neues zu ſagen hatte.

Jetzt nahte die Scheideſtunde. Adelheid konnte nicht zum Abendeſſen bleiben, der Wagen der Hof¬ dame, der ſie nach dem Palais bringen ſollte, war angemeldet. Der Vater hatte eigentlich am wenigſten mit ihr geſprochen. Jetzt legte er ſeine Arme um ihre Schultern: Du, mein geliebtes Kind, mein Bijou! Nun ich Dich verlieren ſoll, begreife ich erſt, was ich in Dir gehabt habe. Und was ich hätte in Dir haben können! Liebe Adelheid, ich hätte Dich mehr lieben können, dann wäre ich Dir mehr gewe¬ ſen und Du mehr mir. Ich hätte Dich beſſer ver¬ ſtanden, und Manches wäre beſſer vielleicht! Aber es hat nicht ſein ſollen. Andre ſagen, der Menſch gehöre zuerſt ſich ſelbſt und ſeiner Familie, und dann erſt ſeiner Pflicht gegen den Staat. Ich verſtand es anders. Gott wird wiſſen, wer Recht hat. Wenn Alles in der Welt wechſelt, ſo wechſeln wohl auch die Anſichten über die Pflichten. Aber ich glaube doch, wer das thut, was er gelernt hat, daß es recht ſei, der thut Recht, und der himmliſche Vater wird ihm vergeben, wenn er dabei auch mal Unrecht thut.

Adelheid an ſeinem Halſe wollte nichts davon wiſſen, daß ihr Vater gegen ſie Unrecht gethan; ſie habe ſich anzuklagen, daß ſie nicht alle Pflichten eines Kindes gegen ihn erfüllt.

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Er ſchüttelte den Kopf: Du warſt ein ausge¬ zeichnetes Kind, und für die hat die Vorſehung wohl beſondere Geſetze. Sie führt ſie Wege, die uns nicht gut dünken, aber ſie leiten zum Ziel, das wir nur nicht ſehen. So iſt's mit Dir gekommen, und ſo wird es noch weiter kommen. Es wird Vieles beſſer werden, als wir denken und wir wer¬ den uns wiederſehen und froher als heut

Da brachen die Kleinen in Thränen aus, jede wollte zuletzt die liebe, ſchöne Schweſter an's Herz gedrückt haben. Dem Alten ward zu weh um's Herz. Er konnte die Tochter nicht an den Wagen führen; er drückte ihr nur die Hand mit abgewandtem Ge¬ ſicht und warf ſich auf einen Stuhl. Die Mutter auch, nachdem ſie ihr den mütterlichen Segen gege¬ ben. Aber es fiel ihr noch etwas ein, als Adelheid die Glasthür ſchon geöffnet:

Und das mußt Du mir heilig verſprechen, Adelheidchen, daß Du immer wollene Strümpfe trägſt. Die Octobernächte werden ſchon ſo kalt. Die Köni¬ gin iſt ſo gut, die pure Menſchenfreundlichkeit! Sie wird ſchon ein Auge zudrücken.

Adelheid hatte Alles verſprochen, ſie mußte aber immer wieder daſſelbe und Neues verſprechen: gleich zu ſchreiben, wenn ihr was paſſirt, kein unreifes Obſt zu eſſen, was jetzt ſo viele Leute krank mache, nie zu nahe zu gehen, wo ſie ſchießen.

Endlich mußte doch die Glasthür geſchloſſen wer¬ den, von der Zugluft ſchmolzen ſchon die Talglichte. 261Die Geſchwiſter wollten mit; anfänglich die Mutter auch, ſie fühlte ſich zu ſchwach. Die Kinder aber konnten ſich im Gedränge und der Finſterniß verlie¬ ren. So machte es ſich denn wie von ſelbſt, daß van Aſten ſeine ehemalige Braut allein nach dem Wagen begleitete.

Die Sterne funkelten hell am klaren Herbſthori¬ zont, als ſie aus dem Baumgang traten. An der Hinterpforte ſtand der Wagen.

Sie reichte ihm die Hand. Mit ihrer Silber¬ ſtimme ſprach ſie: Walter, hinter uns iſt es klar; ich hoffe, es wird auch vor uns immer klar bleiben.

Er ſchlug ein: Es werden noch viele Nebel aufſteigen, bewahre Deinen hellen Blick und dann bleibt es zwiſchen uns klar.

In keinem Fältchen Deines Herzens iſt ein Groll, ſprach ſie, nicht wahr? Das giebt mir Muth. Aber

Sie zauderte.

Sprich es aus! ſagte er. Es ſoll gar kein Fältchen zwiſchen uns bleiben.

Ich möchte Dich auch ganz zufrieden, ganz klar mit Dir ſelbſt verlaſſen. Bin ich's noch, Wal¬ ter, die wie eine Nachtwolke zwiſchen Dir und Dei¬ nem Vater ſchwebt, den Wünſchen des Mannes, deſ¬ ſen Glück und Frieden Dir das Theuerſte ſein müßte?

Und wenn Du es wäreſt, was kannſt Du dafür? Kann der Nordpol dafür, daß der Mag¬ net nach ihm zeigt? Es wäre die Arbeit eines Nar¬262 ren, den Magnet zwingen zu wollen, daß er nach einer andern Himmelsgegend weiſt. Das ſind ewige Nothwendigkeiten, vor denen die ſich beugen ſollen und müſſen, die nicht Muth haben, ſie freiwillig an¬ zuerkennen. Dieſer überreichen Welt an Allem fehlt nur etwas Charactere. Ich bilde mir nicht ein, ſie beſſern zu wollen, dazu fühle ich mich zu ſchwach, aber ich bin ſtark genug, mich nicht von ihr bilden, fortreißen zu laſſen.

Lebe wohl, Walter! ſprach ſie mit erſtickter Stimme. Ich habe den Glauben: es iſt kein Lebe¬ wohl für immer. Wir ſehen uns wieder.

Ich ſehe Dich nicht wieder, denn ich ſehe Dich immer. Du bleibſt bei mir, wie Du bei mir warſt. Was wären wir, wie hielten wir's aus unter den täg¬ lichen Hammerſchlägen in dem wirren Mühlengetriebe des Egoismus und der Erbärmlichkeit, ohne den Glauben an eine vollkommene Welt, die nur den Ungeweihten unſichtbar iſt, die auch wir nur in Mo¬ menten erblicken, aber dann ſo klar, ſtabil, in ein¬ ander gefügt, daß wir Troſt ſchöpfen am Born die¬ ſes ewigen Organismus, und lächeln mögen über uns, daß wir uns von den Widerwärtigkeiten, dem Schmutz, den Nebeln irren ließen und verzweifelten! Das ſollen wir nicht, es iſt unſre Aufgabe, den Schmutz fortzukehren, die Dünſte wegzublaſen und den Spiegel in uns klar zu halten für jenen Sil¬ berblick. Arbeit koſtet es, ein furchtbar Ringen, Selbſtkämpfe mit unſern ſchönſten Illuſionen, aber263 auch ſie ſind ein falſcher Troſt, ſie müſſen erſt über¬ wunden ſein, bis wir ſchauen den unſichtbaren Staat, die unſichtbare Kirche, bis die unſichtbare Weltordnung ſo klar vor uns liegt, wie dort der ge¬ ſtirnte Himmel über uns. Es iſt nur Stückwerk, Adelheid, wohin unſer Auge dringt, aber athmet nicht Deine Bruſt froher auf? Die Sterne irren nicht, aber ſie wandeln. Wir wandeln auch, aber wir ſind glücklicher als jene, die, wenn der Wandellauf ſich erfüllt, Wunder ſehen, hier Abgründe, dort flammende Berge. Wir laſſen uns nicht erſchrecken, wir ver¬ gehen nicht in Jubel; wir wußten, es mußte ſo kommen, und ſtehen gerüſtet für das, was darauf folgt. Es wird noch viel Schlimmes folgen, Du wirſt gerüſtet ſein, Du wirſt ihm klar in's Auge blicken.

Lebe wohl, Walter! wiederholte ſie und drückte, ſich auf den Zehen hebend, einen Kuß auf ſeine Stirn; dann ſchwebte ſie in den Wagen, er rollte fort.

In einem andern Pavillon des Gartens war eine militairiſche Geſellſchaft verſammelt, ihr Mittel¬ punkt der General, den wir vorhin auf der Eſtrade ſahen. Es giebt Momente, wo auch ein Feldherr genöthigt iſt, ein Auge zuzudrücken. Solch ein Mo¬ ment war's, als der General es gerathen fand, das tölpelhafte Betragen der Trainknechte nicht zu ſehen. Er hatte mit den Andern des Staubes wegen, der nichts mehr zu ſehen erlaubte, den Balcon verlaſſen.

Jetzt nahm die Erzählung eines jungen Offi¬264 ciers, der erſt ſpäter zu dieſem Kreiſe getreten, die Aufmerkſamkeit in Anſpruch. Er war aus Mittel¬ deutſchland, wohin er in einem Auftrage geſandt ge¬ weſen, zurückgekehrt und berichtete über die Streit¬ kräfte des Feindes, welche ſich am Main und Rhein ſammelten.

Und halten Sie dieſe Kerle nun, wie Sie die¬ ſelben ſchildern, für ſtark genug, mit einer discipli¬ nirten preußiſchen Armee aufzunehmen?

Excellenz, trotz alledem ſind es nicht mehr die windigen Franzoſen, wie wir ſie ehedem nannten. Es iſt wahr, ſie ſtehen in Reih und Glied nicht wie eine Mauer, ſondern ich möchte ſie einem Aehrenfeld vergleichen, das bei jedem Windesſpiel ſich bewegt. Das iſt ihre natürliche Alertität, aber ſie ſtehen ihrem Mann, und, was gefährlicher, ſie fliegen, während Oeſtreicher und Preußen marſchiren, und vermöge der Leichtigkeit ihrer Bewegungen ſteht im Augenblick ihre Fronte, wo der Feind ſeine Flanke und ſeinen Rücken hat. Ich hatte oft Gelegenheit, ſie auf dem Marſche zu beobachten, und wenn man dies gruppenweiſe Hintänzeln ſieht, dies bunte Durch¬ einander, dazu das Lachen, die Geſchwätzigkeit, wird man zum Glauben verführt, daß es ein Leichtes ſei, mit ihnen ein neues Roßbach zu ſpielen, daß eine unvorhergeſehene Reiterattaque ſie aufrollen müßte. Aber vermöge dieſer Leichtigkeit ſind ſie eben ſo ſchnell wieder in Ordnung und zum Angriff bereit.

Sie ſagen uns da nichts Neues.

265

Noch vermeſſe ich mich, dies ſagen zu wollen. Aber wenn ich heut unſre ſchwerfällige Bagage ſah, und ſo traf ich es auf dem ganzen Wege nach Mag¬ deburg, und einen Marſch der Franzoſen damit ver¬ gleiche, ſo wird mir mancher ihrer Erfolge erklärlich, der uns wunderbar bedünkte. Mit Erſtaunen ſah ich bei ihnen, Excellenz, daß nur der Regiments¬ commandeur oder der Bataillonschef reitet. Einige Adjutanten neben ihm, das ſind die einzigen Pferde. Ihre kleinen Torniſter auf dem Rücken, ſpazierte oder tanzte das Officiercorps in anmuthigem Ge¬ ſpräch bergauf, bergab.

Wo haben ſie denn ihre Campagnepferde, Herr von Müffling?

Das fragte ich auch und ward ausgelacht. Sie haben keine.

Der General muſterte die Geſichter der Officiere, auf denen hie und da eine Zuſtimmung zu liegen ſchien. Er ſchüttelte den Kopf: Das mag relativ ſeine Vortheile haben und für dieſe da paſſen, die aus dem Strudel einer Revolution geboren ſind, aber ein preußiſcher Edelmann, Herr von Müffling, wird ſich nie dazu verſtehen, zu Fuß zu gehen.

Damit war die Sache abgemacht, es verſtand ſich, daß keine andere Meinung erlaubt war. Aber bei der Tafel erlaubte man ſich doch Bemerkungen, daß die Armee unverhältnißmäßig viel Bagage mit¬ ſchleppe, daß das Auge des großen Königs nicht Alles würde gut geheißen haben, was die Officiers¬266 wagen enthielten. Der General fand es für gut, darauf zu bemerken, daß Friedrichs Kriege und Märſche aus einem beſondern Geſichtspunkte angeſe¬ hen werden müßten. Hier komme es nicht darauf an, durch forcirte Märſche und Schwenkungen einen Feind zu überraſchen, ſondern durch die Wahrheit ihm zu imponiren. Das geſchieht, wenn wir ihm das ganze Gros der preußiſchen Kriegsmacht mit allem Apparat gegenüber ſtellen. Und da kommt es denn auf einige Bagagewagen mehr nicht an.

Aber das iſt doch zu toll, erlaubte ſich ein anderer General zu bemerken, der Lieutenant Wolfs¬ kehl hat, wie ich eben höre, ein Clavier in ſeinem Reiſewagen mitgenommen.

Man lachte, der erſte General auch. Zu andrer Zeit würde er vielleicht nicht mitgelacht, und gegen einen Lieutenant ſeines Regiments in ähnlichem Falle gedonnert haben; aber er war bei guter Laune: Sind die Ritzengnitze ſo muſikaliſch? Im Uebri¬ gen, meine Herren, es drückt doch eine Aſſurance aus, die ich beim Militair liebe. Entweder die zwei Fälle haben wir vor uns, die Schlacht iſt nicht entſcheidend, dann beziehen wir Winterquartiere, oder wir ſchlagen die Franzoſen auf's Haupt, dann iſt die Jahreszeit zu weit vorgerückt zur Pourſuite, und wir beziehen auch Winterquartiere. Und iſt denn das was Unziemliches, in den Winterquartieren Muſik zu machen? Der junge Menſch will ſich bei Prinz Louis inſinuiren. Laſſen wir's ihm.

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Der General war ſogar bei froher Stimmung. Die Zahl der leeren Rheinweinflaſchen hatte ſich hin¬ ter den Stühlen vermehrt. Als die Aufwärter ab¬ getreten und ein Wink auch die Ordonnanz entfernt hatte, blickte die Exellenz, das Glas ergreifend, ſchlau um ſich, und ſah dann auf einen bekränzten Kupferſtich vor ihnen auf der Wand. Er ſtellte den Prinzen Louis Ferdinand vor:

Meine Herren Kameraden, wir ſind unter uns. Braunſchweigs Plane plaudre ich nicht aus, denn er theilt ſie Niemand mit. Aber es giebt Lineamente, die ein gutes Auge von ſelbſt entdeckt. Unſer Gros ſteht bei Weimar und Erfurt, wir ſchieben unſre Tête bis Eiſenach vor. Auf dieſe wirft ſich Bona¬ parte mit ſeinem gewohnten Ungeſtüm; wir wollen zugeben, daß wir anfänglich etwas zurückweichen. Das können wir mit guten Ehren, verſtehen Sie mich, bis wir ſtehen bleiben, aber dann ſtehen wir auch. Inzwiſchen hat Prinz Louis, der die Saale ſcheinbar occupirt, einen Flankenmarſch am Thüringer Walde effectuirt, und wenn wir ihn geſchlagen haben, iſt nur die Frage, wo er das Loch finden ſoll, um zu echappiren. Der Prinz wird's ihm verlegen, meine ich, und dann iſt die zweite Frage: was mit dem Kerl anfangen, wenn wir ihn haben? Wir haben ihn, ſage ich Ihnen, wie unter dieſem Hut, und der Prinz, ich gönne ihm die Ehre des Tages. Ange¬ ſtoßen, Kameraden, Prinz Louis Ferdinand!

Von der Erſchütterung der Aufſtehenden, oder268 vom Klang der Gläſer fiel das Bild von der Wand, das Glas zerbrach. Die Trinker hatten es wohl nicht gemerkt.

Da leſen Sie! rief der Miniſter ihm entge¬ gen, als Walter ſpät zurückkehrte, und warf ein ge¬ drucktes Blatt auf den Tiſch. Alles verloren, Alles aufgegeben, Alles aus!

Unmöglich! Es war das Manifeſt aus dem Hauptquartier Erfurt, d. d. 9. October. Verloren, Excellenz

Nenne ich eine Sache, die ſo angefangen, auf¬ gegeben, die ſo vertheidigt wird. Da haben wir's, Lombards Meiſterſtück, coulanter, glänzender Stil, ſüße Suade, ein junger, ſchüchterner Advocat könnte nicht beſſer ſeine erſte Proberede halten.

Aber der Inhalt!

Leſen Sie! Entſchuldigungen, daß wir ſo dreiſt ſind, Bonaparte den Krieg zu erklären, falls er nicht ſo höflich iſt, den wirklich unangenehmen Uebelſtän¬ den abzuhelfen, deren Gründe wie ein Rabuliſt ſie aus den Winkeln zuſammenklaubt, und zwiſchen jeder Zeile die Bitte, er möchte es ja nicht übel nehmen.

Hier finde ich doch eine Stelle, die mich bei Lombard in Erſtaunen ſetzt: Es iſt Preußen er¬ laubt, an ſeine hohe Beſtimmung zu glauben.

Die iſt wohl aus Verſehen ſtehen geblieben, oder aus Complaiſance gegen Müller, oder wer ſonſt an einem Entwurf ſich verſucht. Und es iſt ihm erlaubt! 269O es iſt himmelſchreiend, nein, diaboliſch lächerlich, mit ſolchem Wiſch von Deduction einem Napoleon entgegen zu treten. Ich getraue mir in ſeiner Stelle nein, er braucht nur die Schreiber ſeiner Schreiber die Feder in's Tintenfaß tauchen zu laſſen, und ſie können Europa haarklein aus unſrer eignen Schrift beweiſen, daß wir im Unrecht ſind. Was handelt es ſich denn hier um Recht und Unrecht! Was iſt hier Recht und Unrecht? Wir ſtreiten nicht, wer zuerſt die Pfefferbüchſe nehmen, wer zuerſt im See fiſchen darf, wir ſtreiten

Um das, was ſie nicht auszuſprechen wagen.

Sie müſſen's, ſie mußten's. Die ganze Sprache der Entrüſtung in die Wagſchaale gethan, die Sym¬ pathieen, die heiligſten und heimlichſten Gefühle der Nation mußten angerufen, Deutſchland, wo es iſt, ſitzt, wie es heißt und wie es ſpricht, aufgerufen werden, mit Flammen mußten ſie ſchreiben, mit Schei¬ dewaſſer, das in die Nieren dringt. Auf dies diplo¬ matiſche Machwerk erhebt ſich kein Arm, und die ehe¬ dem wollten, ziehn ihn wieder zurück, denn wo kön¬ nen ſie vertrauen? Wenn er uns morgen ein Com¬ pliment ſchickt, müſſen wir übermorgen den Degen in die Scheide ſtecken. Wo kann nur ein Alliirter noch auf uns bauen, wenn wir nicht jetzt wenigſtens uns ſelbſt in Aufrichtigkeit und Aufopferungsmuth überboten, die Schiffe hinter uns verbrannten, die Scheide wegwarfen. Wir thaten's nicht, wir verſpielten wieder Alles, weil wir wieder nur halb einſetzten.

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Alles? rief Walter. Der Degen iſt aus der Scheide und der Herzog von Braunſchweig

Ein Greis, zitternd vor den Schauern der Vergangenheit. Wenn ein Schwindel in der Schlacht ihn überkommt, wenn er ohnmächtig wird, ſo müſſen wir die Schlacht ausſetzen, denn wie ein eigenſinni¬ ger Arzt hält er auf Arcana, will ſein Recept Nie¬ mand mittheilen, und dieſem Einen muß der unglück¬ liche Fürſt ſein Vertrauen, ſein Reich, ſein Alles übergeben, ohne ihm eigentlich zu trauen. Wär's nicht zu fürchterlich, klänge es wie eine bittere Sa¬ tyre ein arabiſches Mährchen

Wenn auch Sie, gnädiger Herr, die Hoffnung aufgeben!

Ich gebe nichts auf, ſprach der Miniſter mit Stolz, nicht die Hoffnung, nicht meine Plane, nicht einmal mein Vertrauen zu dieſen Menſchen, denn ich hatte es nie. Komme, was da will, es muß darauf wieder anders kommen, und vielleicht iſt es gut, in Gottes Rathſchluß, daß das Nächſte ſchlecht iſt, un¬ erträglich ſchlecht, daß ſie in Verzweiflung ſich zerbeißen, daß daß Aber Sie, van Aſten, ſprach er, und legte die Hand ihm auf die Schulter Sie dürfen nie ver¬ zweifeln, nie den Kopf ſinken laſſen, mir nie den Stuhl vor die Thür ſetzen, auch wenn ich Sie im Unmuth ein¬ mal zur Thür hinaus würfe. Die Augen auf! Wenn ein Unglück geſchieht, haben wir alle Hände voll zu thun. Jetzt gehen Sie ſchlafen, damit Sie morgen wach ſind.

[271]

Dreizehntes Kapitel. Der Schüler des Schauſpielers.

Es war eine wunderbar bewegte Nacht vom 13. zum 14. October. Die Sterne warfen kein Licht auf das tiefe Saalethal, und die Tauſende von Lich¬ tern, die auf Befehl an den Fenſtern der Stadt Jena brannten, verbreiteten nur einen ungewiſſen Schimmer, der die Dunkelheit noch dunkler zeigte. Aber durch die Nacht rauſchte und dröhnte es, wie wenn Dämonen einer Erdrevolution vorarbeiten. Durch die Krümmungen der Schlucht, ſo weit das Auge getragen hätte, das Ohr reichte, wogte und wallte es; es war kein Strom, der durch die Rip¬ pen der Erde bricht, keine Windsbraut, die die Wol¬ ken peitſcht, keine Feuersbrunſt, die über Dächerreihen praſſelt, es war ein heimliches, dumpfes Wirken und Schaffen, wie eine Sprache, die keine articulirten Töne findet. Wie die Rieſenſchlange die Erde um¬ faßt; in lautloſer Wuth und Kraft drückt ſie ihre Weichen, und da ſteigen gepreßte Schmerzenstöne in die Luft, ſo durchbrach die Monotonie hier ein Schrei,272 dort ein Hallo, ein Zuſammenſtoß der Geſchütze und Rüſtwagen, ein Peitſchenknallen, ein gräßlicher Fluch. Dann aber wieder tiefe Stille, man hörte nur den dumpfen, dröhnenden ehernen Tritt der Tauſende, die Erde ſtampfend, das Wiehern der Roſſe, das wuchtige Raſſeln der Kanonen.

Die Heeresſäulen der Franzoſen wälzten ſich durch das tiefe Saalethal, wie die fabelhafte Heer¬ ſchlange, die im Thüringer Walde ſich zeigt, eine Kette, Mann und Roß, von den Höhen der Berge bis ſchon hinaus viele Meilen über Jena, da, wo die Unſtrut in die Saale fällt. Die Thüringer, die das Weh aller großen Kriege, welche Deutſchland zerfleiſchten, in ihren ſchönen Thälern, an ihren Berg¬ geländen recht aufgeſogen und eingeſammelt, hatten ſolche Maſſen Krieger nie geſehen. Eine Völkerwan¬ derung ſchien es.

Wo die Schlange ſich in dem Lichtſchein ringelte, blitzte es auf von den Bajonetten und Flintenläu¬ fen, den funkelnden Säbeln, von umbuſchten Helmen. Da auf dem Markte preſchten die Chaſſeure, Raum machend für den Gewaltigen, und die Glieder ſtan¬ den und präſentirten. Es war eine kurze, aber ernſte Heeresſchau. Tauſende und Tauſende wälzten ſich durch die Thore weiter, aber Tauſende und Tauſende verſchwanden aus der lichthellen Stadt, man wußte nicht, wohin. Keiner legte ſich zur Ruhe, der Kai¬ ſer wachte! Für wie viel Tauſende ſollte es die letzte Nacht ſein, eine ſchlafloſe Todesnacht.

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Steile Felsberge wipfeln ſich über der Stadt; die Knaben üben ſich im Spiel zu klettern, der Je¬ naer Burſch wagt in kecker Laune den gefährlichen graden Aufweg; wie wollen Mann und Roß und Kanonen zu uns herauf? ſcheinen die kahlen Berge höhniſch zu fragen. Aber ein ſiegreiches Kriegsheer hat für jede Mauer eine Leiter. Es ward eine Nacht voll Bewegung und Leben; Fackeln, brennende Kien¬ ſcheite erhellten die Berge, die Axtſchläge krachten durch das Thal. Es giebt keine noch ſo nackte und ſteile Höhe, die nicht durch Schlingungen und Wen¬ dungen zu gewinnen iſt. Einige hat hier die Natur oder Vorzeit ſchon gebildet, der Berg am Mühlthal heißt die Schnecke, andre kann ein geübter Blick ſu¬ chen, und wo die Natur vorgearbeitet, hilft die Kunſt nach. Napoleon hatte in jener Nacht auch die Hülfe der deutſchen Wiſſenſchaft. Ein gelehrter Militair in ſeiner Suite, welcher einſt in Jena ſtudirt, wies den Ingenieuren die Stege, die er in tollem Uebermuth der Jugend erklettert. Was man in einer Wette thut um Kannen Bier, ſoll man's nicht, wo der Einſatz die Weltherrſchaft iſt! Schaufeln und Aexte halfen nach; Gerüll, in die Tiefen geſchleudert, Baum¬ ſtämme wurden zu Brücken und das Saalufer von Jena war kein ſchneebedeckter Simplon. Wo die Pferde nicht konnten, zogen Menſchenarme das Ge¬ ſchütz. Napoleon ſchmähte in dieſer Nacht nicht auf die Ideologie der deutſchen Studenten.

Lange ehe der erſte Hahn krähte, war es voll¬V. 18274bracht. Die Maſſen der kaiſerlichen Garden und Linientruppen ſtanden, ein dicht gedrängt Quarré, auf dem Bergufer, und auf dem Landgrafenberg, dem höchſten Punkte, von dem das Auge eine weite Aus¬ ſicht hat auf die Hochebene, die ſich nach Weimar er¬ ſtreckt, erſchien der Feldherr in der Mitte der Seinen. Fackeln beleuchteten den grauen Mantelrock, das ſchöne, prüfende Auge des Siegers, während er längs der Reihen ritt, und den Jubel, der ihn begrüßte und verdoppelt bei jeder neuen Reihe in die Luft ſchallte, mit dem Lüften ſeines Hutes erwiederte. Seine Lippen blieben verſchloſſen, die Augen ſpra¬ chen um ſo beredter: es iſt morgen ein größerer Tag, denn je!

Der Jubel verhallte, er war in das Gebüſch geritten, um zu ruhen, bis der Tag der Ent¬ ſcheidung anbrach. Auch ſeinen Kriegern war es jetzt vergönnt. Sie ſanken hin, wo ſie in Reih und Glied geſtanden, die neben dem Pferde, die unter der Kanone; die kalte Nacht ihr Mantel. Hier brann¬ ten wenige Feuer, auch dieſe halb verſteckt hinter Ge¬ büſch und Erderhöhungen. Die Augen ſchloſſen ſich, ein allgemeines Schnarchen, ein Bild des Friedens wenige Stunden vor einem Gemälde des Todes, und welchem!

Nicht Alle ſchliefen. Die dunklen Geſtalten dort vorn, in ihre grauen Capotmäntel gehüllt, das Ge¬ wehr in den Arm gedrückt, gegen einen Baum ge¬ lehnt, an einen Steinhaufen gekauert, hatten ſcharf das Aug geöffnet. Es verfolgte jeden Rauchwirbel,275 der über den Wachtfeuern des Feindes ſich kräuſelte, jeden Windzug, der in der Zeltleinwand ſpielte. Seit die Rotten und Glieder ſich auf die Erde geſtreckt, konnte man das Schauſpiel frei überſehen. So weit das Auge in die Nacht reichte, Wachtfeuer und Zelt¬ reihen. Durch ſechs Stunden dehnte ſich die Schlacht¬ linie der Preußen aus, hell, licht, Alles in beque¬ mer, hergebrachter Ordnung. Und hier auf engem Raum, um einen bewaldeten Berg zuſammengedrängt, im Dunkel ſeiner Schatten und der Nacht, und am Rande eines Abgrunds hinter ihm, der Feind. Die Wachtpoſten ſtanden kaum auf Schußweite von ein¬ ander entfernt; aber es fiel kein Schuß, kein Allarm¬ zeichen, kein verſprengtes Pferd ſtörte die Ruhe. Schien es doch ein ſtillſchweigend Abkommen, ſie be¬ durften beide der Ruhe, um morgen ſich zu morden.

Nicht Alle ſchliefen, auch von denen nicht, wel¬ chen es vergönnt war. Unter einer Eiche lag ein zum Tode Verurtheilter. Der Officier, der ihm zur Be¬ wachung zugeordert, hatte ihm doch höflich das Bund Heu, was für ſein Pferd beſtimmt, zum Kopfkiſſen gegeben, daß er, ſo bequem es ging, eines letzten Schlafes vor ſeinem letzten Tage ſich erfreue. Aber Louis Bovillard konnte nicht ſchlafen, oder er hatte ſchon genug geſchlafen; er richtete ſich auf und ſtützte den Kopf auf ſeinem geſunden rechten Arm. Der linke war verwundet, ein Verband war darum ge¬ ſchlungen. Vorgeſtern war er, als er, aus dem Saalethal aufgeſcheucht, über die Schwarzach ſetzen18*276wollte, von franzöſiſchen Jägern angerufen worden. Als er die Antwort ſchuldig blieb, hatten ſie ge¬ feuert. Am Arm verwundet, war er vom Pferde ab¬ geſchleudert und gefangen worden. Man hatte ihn nach Kahla gebracht und vor ein Kriegsgericht geſtellt. Da er nichts ſagen konnte oder wollte, als daß er in Aufträgen ſeiner Regierung nach Franken geſchickt geweſen, und, beim Rückwege unter die Schaaren der Franzoſen gerathen, den Verſuch gemacht, durch den Thüringer Wald ſich nach dem Hauptquartier ſeines Königs durchzuſchlagen, hatte das Gericht ihn für einen Spion erklärt und zum Strang verurtheilt. Irgend ein Zufall, der ſchnelle Abmarſch, hatte die Execution verhindert; man hatte ihn mitgeſchleppt bis Jena. Auch hier war dazu keine Zeit, man hatte ihn auch auf den Berg mitgeſchleppt. Betrachtete er jetzt über ſich den dürren Aſt der Eiche, von dem er morgen herabſchweben ſollte, eine kalte Leiche? Oder ſuchte ſein Auge durch den nebelgrau belegten Him¬ mel nach einem Stern, an den er ſeine Hoffnung knüpfen wollte?

Es war keine Hoffnung, die noch mit dieſem Leben liebäugelt; das ſprach ſein umflorter Blick.

Man hatte ihn immer menſchlich, zuletzt mit chevaleresker Höflichkeit behandelt. Sein Wächter hatte ihm vorhin eine Cigarre angeboten, mit dem ſeltſamen Troſt, wie in Spanien, woher er ſie gebracht, die Sitte fordere, daß der Henker mit ſeinem Opfer eine Art Friedenspfeife raucht. Der277 Tod iſt ja der Frieden! hatte der Gefangene er¬ wiedert.

Eine Schaar Krähen, von der momentanen Stille getäuſcht, hatte ſich auf den Aeſten des Bau¬ mes niedergelaſſen; auch ſie ſchienen wie der kluge Feldherr das große Feld zu überſchauen, wo morgen Abend eine Tafel, und eine wie große, für ſie ge¬ deckt ſein ſollte. Der Officier, der, mit verſchränkten Armen auf einem Sattel ſitzend, die Augen auf einen Moment geſchloſſen, ſchien durch das Gekreiſch der Thiere erweckt, und ſah mit Verwunderung die Stel¬ lung ſeines Gefangenen. Der Gedanke an einen Fluchtverſuch konnte ihm nicht kommen:

Schreckten böſe Träume Sie auf, oder die ge¬ flügelten Beſtien da?

Ich bin auf mein Schickſal gefaßt.

Um ſo mehr Aufforderung, die letzten Momente in Ruhe zu genießen. Nehmen Sie eine Morgen¬ erfriſchung.

Louis lehnte mit Dank die ihm dargereichte Flaſche ab: Der Zuſtand meiner Wunde erlaubt es mir nicht.

Der Capitain lächelte: Sie ſind nicht Soldat. Die Wunde iſt nur leicht.

Bovillard verſtand den Sinn der verhüllten Antwort: Meine Wunde iſt tiefer, Capitain.

Und Ihr Auge ſtößt ſich an dem dürren Aſt über Ihnen. Hat Ihnen der Traum ſo beſtimmt geſagt, daß Sie grade an dem die Sonne zum letzten Mal aufgehen ſehen werden?

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Ich werde eine Sonne dort untergehen ſehen.

Wenn ich Ihnen nun meine Meinung ſagte, daß Sie dieſer Procedur überhoben ſind! Die Re¬ miniscenzen an die Pariſer Laternen ſind in der Armee nicht beliebt. Daß man es bis jetzt nicht executirt, was da in Kahla im erſten Aufbrauſen dictirt ward, könnte Ihnen ſagen, daß man ſich die Hände mit der Strickarbeit nicht beſchmutzen will. Es iſt wahrſcheinlich ſchon beſchloſſen, wenn die Sonne aufgeht, Sie hier unter dem Baume zu fü¬ ſiliren. Sie gehen dann aus dieſer Welt, wie viel¬ leicht eine Viertelſtunde ſpäter die, welche Ihnen den letzten Dienſt erwieſen, vielleicht wie der, welcher jetzt die Ehre hat, die letzte Converſation mit Ihnen zu führen, gewiß wie Hunderte, welche Zeugen ſind, daß Sie muthig ſterben. Denn ich traue Ihnen das zu.

Ich freue mich auf den Tod.

Wenn dieſe Freude Ihnen nun vergällt würde, ſagte der Officier nach einer Weile. Ich ſpreche darin nur eine Vermuthung aus. Aber es iſt ſon¬ derbar, daß man Sie nicht unten abthat, daß man Ihnen und uns noch die Mühe machte, Sie dieſen verteufelten Weg herauf zu ſchleppen. In welcher Abſicht konnte das ſein?

Vielleicht um Nachrichten aus mir zu preſſen, die meine Unterthanenpflicht zu geben mir verbietet. Man irrt ſich.

Pah! rief der Officier. Aus Ihren Papieren, ſo weit ſie von Ihnen nicht vernichtet ſind, erſieht279 man, daß Sie auf einer Miſſion nach Franken wa¬ ren. Sollten Sie vielleicht eine freie Reichsſtadt, einen Abt und Biſchof oder gar die Bauern aufwie¬ geln? Was kommt es meinem Kaiſer darauf an! Die Deutſchen laſſen ſich nicht aufwiegeln. Oder ſollten Sie belauſchen, welchen Plan wir gemacht, durch den Thüringer Wald zu brechen? Unſre That kommt überall Ihren Spionen zuvor. Wir ſind durchgebrochen, wir haben geſchlagen.

Der Gefangene ſchwieg, der Andre fuhr nach einer Pauſe fort:

Kamerad, aus Vorſicht möchte ich Ihnen an¬ rathen, präpariren Sie ſich noch für einige Momente auf das Leben. Sahen Sie nicht, daß der Kaiſer einen eigenthümlichen Blick auf Sie warf? Er wandte noch einmal ſein Pferd, um Sie wieder anzuſehen.

Wie der Tiger ſein Opfer, ehe er es zerreißt. Das war ſein Blick auf Leichenhaufen.

Die ſieht er vor jeder Schlacht. Ob eine mehr oder weniger, darauf kommt es

Dem Großhändler über Menſchenleben freilich nicht an.

Sie haben den unnatürlichen Haß Ihrer Na¬ tion gegen ihn eingeimpft.

Nein! antwortete Bovillard nach einigem Be¬ ſinnen.

Dann würden Sie ſich ſelbſt ſagen: wenn ein Fürſt einen zum Tode Verurtheilten vor ſein Auge ließ, bedeutete es ſonſt Gnade.

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Sonſt!

Sie prätendiren doch nicht, daß Napoleon einen perſönlichen Haß gegen Sie hat, daß er an Ihrer Angſt ſich weiden wollte?

So wenig, als ich glaube, daß er den Herzog von Enghien perſönlich haßte, auch nicht den Buch¬ händler Palm.

Sie nähren ſelbſt einen bittern Haß gegen den großen Mann. Das thut mir von Ihnen leid.

Gegen den großen Mann! Nein. Es gab

Stunden, wo ich ihn bewunderte. Ja, in dieſer meiner letzten, darf ich es ausſprechen, Momente, wo ich in ihm den neuen Heiland dieſer modernden Weltordnung erblickte. Seitdem genug!

Und zweifeln Sie jetzt, daß ſein Athem ſtark genug iſt, die langen Zeltreihen da umzublaſen?

Die ſehe ich ſchon am Boden liegen.

Nun, und warum iſt er Ihnen nicht mehr groß?

Weil er keine Größen neben ſich erkennt

Louis verſtummte. Was ein Sterbender ſpricht, hat für den Anſpruch auf Achtung, der ſelbſt den Tod vor Augen ſieht.

Beſorgen Sie nicht, mich aufzubringen, Kame¬ rad; was die Deutſchen denken, fängt an, uns in Frank¬ reich mehr zu intereſſiren, als Sie denken. Weil wir ſo viel handeln, haben wir jetzt nicht Zeit zum Denken. Sie ſahen in ihm den Prometheus, warum nicht mehr?

Dieſe Sucht, alle die zu verleumden, die er fürchtet, und ſelbſt die, welche ihm dienten, in der281 Meinung der Welt zu ſtürzen, um ſie in ſicherer Ab¬ hängigkeit von ſich zu erhalten, das iſt nicht das Krite¬ rium einer großen Seele, nicht Heroendrang, kein pro¬ metheiſcher Funke, es iſt nur der Abglanz der ewigen Gemeinheit, an der die Menſchheit krank iſt todt¬ krank und dieſe Krankheit graſſirt furchtbar

Was thut's! warf der Franzos ein. Die Welt will er beſſer machen, mit den Menſchen überläßt er die Prozedur den Thoren.

Und wie kann ſie beſſer werden, wenn die Menſchen den Bodenſatz, die Schlacken nicht von ſich werfen? Der edle Prinz, den ich bei Saalfeld ſtür¬ zen ſah, war ein Bewunderer Ihres Kaiſers. Einſt rief er aus: Ich erlaube ihm ja, uns zu vernich¬ ten, aber moraliſch zu meuchelmorden, das empört.

Eine ſeltſame Converſation, Kamerad! Der zum Tode Verurtheilte richtet ſeinen Richter. Ich hätte gewünſcht, daß Sie heute wenigſtens noch ſein Bewunderer wären, daß man ihn drauf aufmerkſam machen könnte

Und daß er vor der Schlacht einen Komödien¬ akt ſpielen, großmüthig mit einer Tirade aus Ra¬ cine oder Corneille mich begnadigen könnte!

Was kümmerte Sie die Poſſe, wenn ſie den ernſten Schluß hätte, daß Sie mit dem Leben davon kämen, vielleicht gar mit der Freiheit. Nachher könnten Sie darüber lachen, ſo viel Sie wollten. Nun, im Ernſt geſprochen man weiß in ſeiner Suite, wer Sie ſind

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Da weiß man ſehr viel!

Der Sohn eines Mannes von Einfluß, der lange die franzöſiſche Partei an Ihrem Hofe gehalten, viel¬ leicht noch jetzt. Das hat die Gemüther ſanft geſtimmt, Gott weiß, welche Conjecturen die Herren daran knüp¬ fen, genug ich glaube, es käme nur auf Sie an

Ich ſterbe in der großen Tragödie, in der mein Vaterland untergeht.

Die Augen des Verwundeten ſtierten mit einem Fieberglanze auf die Wachtfeuer im Thale, deren Flammen jetzt ſichtlich niederbrannten. Der Officier ſah ihn verwundert an:

Wir werden ſiegen, denn ich glaube feſt an Napoleons Stern. Aber Sie, ein Preuße! Der kleine Sieg bei Saalfeld

Ward zum entſcheidenden, da Ihre Feldherren ihn benutzten, die Saale in reißender Schnelligkeit zu occupiren. Sie haben das preußiſche Heer um¬ flügelt, von den Marken und Sachſen, woher es ſeine Lebensſäfte erhält, abgeſchnitten, Sie haben die Hö¬ hen des Fluſſes, die Uebergangspunkte beſetzt, Sie greifen es im Rücken an, und drängen es mit Ihrer Uebermacht in die Poſitionen, wo Sie Herren ſind. Und hier vor meinen Augen ſah ich die Nacht, das Lager von Hochkirchen wieder, ſogar der verhängnißvolle Jahrestag iſt's der Schlacht! Dort die weit zerſtreu¬ ten Feuer der ſorglos Gelagerten, ohne Schanzen, Verhau, natürliche Grenzen; hier zuſammengekeilt auf der Höhe, welche das Plateau beherrſcht, eine283 ſtärkere Kriegsmacht, die, beweglich und elaſtiſch, wie ein Bergſtrom hinabrauſchend, die zerſtreuten Feinde durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über ein Heer, das eine Einheit iſt. Ja, mein Herr, dieſe verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die ſteilen Wände klimmen ließen, ohne den Verſuch nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und Roß und vollem Geſchütz müßig, zaudernd, unſchlüſ¬ ſig zuſehen konnten, wie Napoleon ſich auf dieſen Hö¬ hen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre Colonnen nicht in den Abgrund ſtürzten die ſind ſchon geſchlagen, vernichtet.

Der Sprecher ſank zurück und drückte ſein Ge¬ ſicht in das Heu. Mit geſpannter Aufmerkſamkeit hatte der Capitain ihm zugehört. Mit Voranſchickung eines franzöſiſchen Fluches ſchloß er: In Ihnen iſt ein Soldat verloren!

Verloren verloren! murmelte Bovillard dumpf in ſich.

Warum, Kamerad? Der Mann iſt's nie, wenn er ſich nicht ſelbſt verloren giebt.

Oder eine höhere Hand ihn ſchlug! Da wieder!

Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden Augen ſtierten in den Morgennebel. Die Hand machte eine convulſiviſche Bewegung; er war im Fieber: Morgen, morgen hinab mit meinem Vaterland!

Sehn Sie Geiſter?

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Der Capitain fuhr mit Franzbranntwein über die eiskalte Stirn des Verwundeten. Er erholte ſich, er hatte ſich wieder aufgerichtet. Die Krähen flat¬ terten, durch etwas erſchreckt, ſchreiend in die Höhe; die Morgenluft ſtrich durch die Wipfel des Holzes. Es war ein Bedürfniß, ſich ſelbſt Luft zu machen, als Louis mit tonloſer Stimme vor ſich hin ſprach:

In Rudolſtadt, am Tage vor ſeinem Tode, hatte der Prinz an der fürſtlichen Tafel geſpeiſt. Die Familie nahm ihn beim Aufbruch mit ſich in ihre Gemächer; er winkte mir im Abgehen, daß ich auf ihn warte. Dort warf er ſich an's Klavier und überließ ſich ſeinen Phantaſieen. Er hat nie ſo ſchön geſpielt. Ich ſtand allein in dem Saal, ein alter¬ thümlich Zimmer, es dunkelte. Ich lehnte mich an den Fenſterpfeiler, und ſah den Wolken zu, die über den Horizont ſtrichen. Ich ſchloß wohl die Augen. Das waren Töne, die nicht die Finger den Taſten entlockten, die Seele wogte in düſtern und ſchmerz¬ lich weichen Melodieen; er ſchüttete ſein Innerſtes aus. Die Prinzeſſinnen weinten. Wolken, nichts als Wolkengetreibe mit blutrothen Streifen. Da fuhr eine kalte Hand über meine Stirn, die Hand des Todes, und vom Druck öffneten ſich meine Augen. Es gleitete an der Wand hin, ein Schein, ein Licht, wie ich es nie geſehen ein Roß in den Wolken, Pulverdampf, Staub. Es bäumte ſich mit ſeinem Reiter ein Blitzſchlag, oder ein Strahl, aus den Wolken niederzückend der Schädel ſpaltete die285 Bruſt klaffte der Reiter ſank vom Pferde und es ward wieder Nacht Im ſelben Augenblicke ſchloß das Spiel am Klavier mit einer grellen Diſ¬ ſonanz, als ſprängen die Saiten. Der Prinz, blaſſer als je, trat heraus und winkte mir, ihm zu folgen. Er blieb einſylbig. Als er mich entließ, ſprach er dumpf: Ich habe meinen Tod geſehen Er hatte geſehen, was ich ſah.

Und?

Er fiel am nächſten Tage.

Und Sie?

Ich bin kein Fortepianoſpieler, der auf den Wellen der Melodieen ſein Schickſal beſchwört. Und doch, vorhin drückte wieder dieſelbe kalte Hand auf meine Stirn, die Wolken theilten ſich und ich ſah ich ſah nicht mehr, als ich ſchon längſt geſehen, und ich ſehe es wieder

Er richtete ſich plötzlich auf, er ſtand aufrecht: Lachen Sie doch! Wenn Sie ein Schüler ſind von Voltaire und Diderot, ſo müſſen Sie mich auslachen ich ſah mich ſelbſt.

Der Capitain lachte nicht, ihn fröſtelte. Er ſah eine Patrouille mit einem Ordonanzofficier heran¬ eilen. Er reichte dem Gefangenen die Hand:

So wünſche ich Ihnen wenigſtens Eines vor Ihrer letzten Stunde einen letzten Sonnenblick.

Bovillard ſchüttelte die dargereichte: Das iſt ein guter Wunſch. Das Scheiden von dieſem Leben wird mir nicht ſchwer, iſt's doch nur ein Reſt,286 den ein Verſchwender ließ aber ſcheiden mit einer hellen Ausſicht, von Harmonieen umrauſcht und es iſt mir gewährt, ich ſah ein Bild

Der Ordonanzofficier war herangetreten: Der Gefangene ſoll ſchleunigſt vor Seine Majeſtät den Kaiſer gebracht werden.

Glück auf! flüſterte der Capitain ihm zu. Das iſt Ihr ſchönes Bild.

In der kleinen Hütte eines Heidewärters ſtand der größte Mann des Jahrhunderts. Sie war ſo klein, daß der Adjutant, der die Feder führte, ſich in den Winkel drücken mußte, um den Bewegungen des Kaiſers Platz zu machen. Den Hut auf dem Kopfe, den Capotrock über der Uniform, ſchritt er auf und ab, den Tubus in der behandſchuhten Hand. Er dictirte, er ſprach zu den Generalen, die im Halbkreis draußen ſtanden, durch die offene Thür. Durch die¬ ſen vornehmen Wächterkreis war auch der Gefangene in die Hütte gebracht worden.

Der Kaiſer hatte ihn officiell nicht bemerkt; er dictirte weiter, er obſervirte mit dem Tubus durch das Fenſter.

Wenn die Sonne aufgeht, occupiren am lin¬ ken Flügel die Tirailleure das Kiefergebüſch! com¬ mandirte er zur Thür hinaus. Ein Adjutant flog fort. Jetzt, als er ſich umwandte, bemerkte er den Eingebrachten officiell.

Ein Spion!

Ein Gefangener, Sire!

287

Der Spion oder der Gefangene ſank auch jetzt nicht auf die Knie, er zitterte nicht, er ertrug den kaiſerlichen Blick, feſt, ruhig. Vier Augen, die ſich begegneten, ohne zu zücken.

Ihre Generale laſſen die Spione hängen, ich laſſe ſie laufen.

Der Gefangene ſtürzte dem Großmüthigen nicht zu Füßen, er umfaßte nicht ſeine Knie, er küßte nicht ſeine Füße. Der Angriff war fehlgeſchlagen. Son¬ derbar, und doch ſtimmten Beide in ihren Empfin¬ dungen. Als der Kaiſer jetzt wieder mit dem Tubus an's Fenſter trat, glaubte der Adjutant ein Lächeln über ſeine Lippen ſchweben zu ſehen. Auch über Bo¬ villards Geſicht flog unwillkürlich eine Bewegung, die man ſo hätte deuten können.

Wieder ſtand im Vorübergehen, wie zufällig, der Imperator vor dem Gefangenen ſtill:

Ihr König hat Krieg gegen mich angefangen; ich weiß nicht, warum.

Ich gehöre nicht zu den Vertrauten Seiner Majeſtät, meines gnädigſten Königs, auch nicht zu ſeinen Räthen, entgegnete Bovillard.

Meine Räthe haben mir ein gedrucktes Papier aus Erfurt gezeigt. Da ſteht lauter Unſinn drin. Ich kann nicht glauben, daß der König von Preußen darum weiß.

Der Gefangene ſchwieg. Der Kaiſer winkte einigen Generalen und gab ihnen leiſe Befehle. Es lichtete ſich vor der Hütte.

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Ihr König iſt ein guter Mann, fuhr der Cäſar fort, aber er hat böſe Räthe. Sie ſind von England beſtochen. Er hört nicht die Wahrheit. Ich habe einen Brief von ihm erhalten, er ſchreibt, er will nicht Krieg. Ich will ihn auch nicht. Aber die Con¬ ſpirationen meiner Feinde zwingen mich; ſie ſind auch ſeine Feinde, aller Welt Feinde. Sie leben von In¬ triguen, ſie möchten in ihrem Ehrgeiz, ihrer Rachſucht, die ganze Welt gegen mich aufwiegeln.

Der Gefangene ſchwieg.

Der Brief kam zu ſpät. Sagen Sie das Ihrem Könige. Das Blut, was vergoſſen wird, komme über ihre Häupter. Ich kenne ſie Alle Alle!

Der Cäſar mußte noch Zeit haben zum Zorn; aber die Gelegenheit war ungünſtig. Wenn ein Gegner, der uns in Zorn bringen ſoll, ſchweigt, müſſen wir uns ſelbſt in Harniſch ſetzen.

Sie waren bei dem Prinzen Louis, fuhr er dazwiſchen, ich meine, in Saalfeld Sie waren ſein Freund.

Ich ſah ihn fallen, den ritterlichſten Fürſten, das edelſte Blut, was für eine heilige Sache ge¬ floſſen iſt.

Er war betrunken, als er ausritt.

Er war der größte Bewunderer des größten militairiſchen Genius dieſer Zeit, und ſprach von Eurer Majeſtät mit der hohen Achtung, welche jeder große Mann einer andern Größe ſchuldig iſt.

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Die Antwort kam dem Cäſar ungelegen. In¬ dem er ſein Auge nach einem Punkte draußen rich¬ tete, rief ſein Blick einen Obriſten heran. Er mochte etwas ſehen, was dem Feldherrn nicht gefiel. Nach¬ dem er dem Unwillen gegen den Officier Luft ge¬ macht, hatte er den Ton gefunden, in dem er gegen den Gefangenen einfiel:

Dieſe Hitzköpfe ſind es, dieſe Kriegspartei von hirnverbrannten Phantaſten, dieſe Geologen und Studenten! Der Prinz hat ſeinen Lohn weg. Viel zu gut! Wie, iſt es erhört, hier ſchreibt mir der König von Preußen, er wünſcht Frieden, er wünſcht eine Zuſammenkunft, eine Vermittelung. Die hätte ſich ſo leicht gemacht. Und während ſein König das mir ſchreibt, verläßt der Tollkopf ſeinen Poſten, greift in raſendem Ehrgeiz meine Truppen an. Gleich¬ viel ihm, wie viel Tauſende darum ihr Leben ließen. Wollte durch die Attaque zur Schlacht zwingen. Und das nennt er Gehorſam gegen ſeinen Monarchen. Unerhört!

Es war die ernſteſte Stunde in Louis Bovil¬ lards Leben. Dem größten Genius des Jahrhun¬ derts ſtand er, der Unbedeutende, gegenüber, gewür¬ digt einer Unterhaltung, um die ihn Millionen be¬ neidet hätten, und in der brennenden Kriſis welchen Momentes! Und wie kam es, daß nicht Schauer vor der Größe, nicht Haß und Bewunderung wie Fieberfroſt und Hitze, in ihm wechſelten? Nein, er entſann ſich des ſpöttiſchen Artikels einer engliſchenV. 19290Zeitung, worin der angebliche Unterricht geſchildert ward, den Talma dem neuen Kaiſer im Ausdruck tragiſcher Affecte gebe. Er ſah nicht den Gewaltigen vor ſich, ſondern den Schüler des Schauſpielers.

Sire, entgegnete er, es iſt die Taktik der Preu¬ ßen, einen gewiſſen Angriff nicht abzuwarten, ſondern ihm zuvor zu kommen.

Seine Majeſtät der Kaiſer mußte aus irgend einem Grunde auch dieſe Antwort nicht gehört haben. Er fuhr im vorigen Tone, als wäre gar nicht da¬ zwiſchen geredet, fort:

Füſiliren ließe ich ihn, wäre ich Ihr König, wenn er noch lebte. Weiß Ihr König nicht, wie auf dieſen Prinzen die Hoffnungen der preußiſchen Jakobiner gerichtet waren? Wer ſtand ihm dafür, daß ſein Ehrgeiz nicht weiter ging? Von politiſcher Freiheit ſprach er, er klagte, daß ich die liberalen Ideen erſticke ich kann Briefe des Todten vor¬ legen eine Krone wäre ihm nicht zu hoch gewe¬ ſen, wenn ſeine Freunde ſie ihm boten. Kennt Ihr König dieſe Freunde? Hab 'ich umſonſt die Jako¬ biner in Frankreich zertreten, damit ſie in Preußen ihr Haupt erheben? Ihr König dauert mich. Er iſt von Schwärmern und Jakobinern umgeben. Man will nicht ſein Wohl, man will liberale Ideen. Ja, die will man!

Laßt die Todten ruhen! ſprach Bovillard.

Und die Weiber auch. Mit toll gewordenen Frauen kämpfen müſſen! Und man ſoll nicht in291 Harniſch gerathen! Ich weiß Alles. Warum iſt die Königin bei der Armee? Was thut eine Frau, wo die Waffen entſcheiden? Ihre alten Ge¬ nerale ſind außer ſich. Weiber im Train, Weiber im Hauptquartier und eine Armee iſt verloren. Ich ſollte mich freuen. Nein, ich weiß, was ſie ſoll. Den König warm halten. Sie iſt im Dienſte Eng¬ lands, von Alexander beſchwatzt; ſie iſt die Hoffnung oder die Puppe der Schwärmer für Deutſchland. Sie hat ihn angetrieben, ſie das Feuer geſchürt, ſie iſt die

Sire! fuhr Bovillard auf, muß ein Gefange¬ ner auf Alles ſchweigen?

Napoleons Schlachtroß war vorgeführt.

Gebt ihm die Briefe! rief der Kaiſer, und das ſchnellſte Pferd aus meinem Stall.

Das Roß ſtampfte. Der Kaiſer war ſo dicht an Bovillard getreten, daß die Geſichter ſich faſt be¬ rührten.

Junger Mann, die Sterne gehen ihren Lauf trotz der Weiberlaunen, und wehe, wenn in das Rad der Weltgeſchicke eine Frauenhand greift. Ich biete dem Könige von Preußen noch einmal meine Hand. Fliegen Sie mit den Schreiben in ſein Hauptquartier. Keinen Moment Raſt, das Leben von Hunderttauſend hängt an einem Haar. Drin¬ gen Sie zu ihm durch, ſelbſt übergeben Sie ihm die Briefe, denn er iſt von Verräthern umringt. Ich will den Angriff von Saalfeld, ich will Alles ver¬19*292geffen, aber keine Weiber zwiſchen uns. Die Köni¬ gin muß fort. Sie bringen ihm, Ihrem Vaterlande den Frieden, junger Mann. Raſch, ohne ſich um¬ zuſehen, ohne zu athmen, wie der Blitz!

Das Schlachtroß bäumte ſich unter dem Impe¬ rator. Der erſte Kanonenſchuß tönte dumpf aus der Tiefe, und in dem Augenblick ging die Sonne auf, eine unförmliche, blutroth dunſtende Kugel, den Herbſtnebel färbend, der nicht weichen wollte. Auch des Imperators Haupt war einen Augenblick von ihr angeglüht, der Jubelruf ſeiner Garden ſchwellte in die Luft. In Louis Bovillard rief eine Stimme: Dieſer Sieger bringt der Welt nicht das Heil, er bringt ihr den Sieg der Lüge.

Kaum daß der Kaiſer fortgeſprengt, ſtand der ſchönſte andaluſiſche Renner vor der Thür, man hob ihn hinauf, vornehme Officiere waren dabei geſchäf¬ tig, man empfahl ihm dringend Eile, die Richtung, die er zu halten habe, rechts am linken Saaleufer fort, damit er aus dem Bereich der ſcharmutzirenden Parteigänger komme, dann müſſe er nordweſtlich nach der Gegend zwiſchen Weimar und Auerſtädt ſich hal¬ ten, raſch direct nach des Königs Hauptquartier.

Der Capitain geleitete ihn wieder bis zu den äußerſten Vorpoſten. Las er die Fragen und Zwei¬ fel auf der Stirn des Entlaſſenen? Er flüſterte ihm zu: Ein Emiſſair Napoleons, ein Herr von Mon¬ tesquieu, iſt, wie ich eben hörte, von preußiſchen Parteigängern gefangen. Ihm könnte das Schickſal293 drohen, dem Sie entgingen. Die Großmuth iſt viel¬ leicht das Facit einer Rechnung. Gedenken Sie daran.

Das konnte es nicht ſein! Auf einer Höhe hielt er einen Moment, um Athem zu ſchöpfen. Der mit Millionen Menſchenleben ſpielte, konnte zu einem ſolchen Spiel in ſolchem Augenblick ſich nicht gedrängt fühlen um einen ſeiner Officiere! Da hörten die einzelnen Signalſchüſſe auf, das Knattern der Ti¬ railleure verſtummte vor dem Krachen der Geſchütz¬ ſalven, es donnerte an den Bergen und die Erde unter ihm zitterte. Jetzt trieb ein friſcher Morgen¬ wind die Nebel aus einander. In dem Rahmen breitete ſich zu ſeinen Füßen ein ſonnenerhelltes Bild die Schlacht von Jena.

Und in ihm riß auch ein Vorhang, es ward heller und heller: dort will er den Fürſten von Hohen¬ lohe ſchlagen, und er wird vernichtet, wenn das Hauptheer ihm nicht zeitig zu Hülfe eilt. Den Kö¬ nig ſoll der Brief zweifelhaft machen, er ſoll, der Sirenenſtimme der Friedenslockung horchend, den Mo¬ ment verſäumen, er ſoll zaudern, um ſelbſt vernichtet zu ſein!

Louis Bovillard fühlte an ſein Herz. Es ſchlug nicht, wie es ſollte, er fühlte ſeinen Puls, er konnte die Schläge nicht zählen, er drückte die Hand an ſeine kalte Stirn. Ein tiefbanger Seufzer ſtieg aus ſeiner Bruſt: O du Lenker des Weltalls! nur bis dahin warum ſo groß die Miſſion, wenn294 der Athem ſo kurz iſt. Kraft nur dann dann

Der Andaluſier unter ihm ſcharrte und ſchnaufte in friſcher Morgenjugendluſt: Dank für das Ge¬ ſchenk! rief Louis. Trage mich, mein Segler, durch die Lüfte. Du und ich, wir mögen in Staub ſinken, wenn der Athem nur ausreicht zu einem Wort ein letztes Wort!

[295]

Vierzehntes Kapitel. In der Dorfkirche.

Im letzten Dorfe, welches die Königin paſſirte, hatten die Relaispferde gefehlt. Der Geiſtliche hatte ſeine Ackerpferde vorgeſpannt; aber ſie waren auch müde, eben von einer Vorſpannfahrt zurückgekehrt. Die Königin glaubte dem alten Manne die Sorge um ſeine Thiere anzuſehn; ſie hatte ſich anfänglich geweigert ſie anzunehmen. Der Prediger hatte er¬ widert: wer weiß, was heute ſein iſt, ob es morgen ſein bleibt! Wer es hingiebt zu einem guten Werke, hat doch das Bewußtſein hinter ſich.

Es war noch keine Flucht; die Monarchin hatte endlich, von den tauſend Stimmen, die laut und lau¬ ter gegen ihre Anweſenheit beim Heere ſich ausſpra¬ chen, gedrängt, das Hauptquartier verlaſſen; ſie wollte über Naumburg nach ihrem geliebten Magdeburg zu¬ rück. Es war ein herzzerreißender Abſchied geweſen von dem Gemahl der Schatten einer Leiche ſchwebte ſchon über die Umarmung. Ihr ſchwarzes Kleid galt der blutigen Erinnerung an den Prinzen Louis Ferdinand.

296

Tauſend wüſte Nachrichten ſchwirrten durch Wei¬ mar, als ſie es verließ. Alles hatte ſich verändert, der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwar¬ tete, ſondern griff vom Rücken an. So viel wußte man ſchon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die feſten Poſitionen an der Saale mußten ihn doch auf¬ halten! Aber überall auf der Straße: ver¬ fahrnes Fuhrwerk, Maraudeure, Kranke, umgeſtürzte, geplünderte Bagagewagen, verſprengte Flüchtlinge, die, jenſeits der Saale durch die erſten Angriffe der Franzoſen geworfen, jetzt ihre Corps aufſuchten. Viele ſuchten ſie auch nicht. Bei Lobeda war die ſächſiſche Bagage, ehe die Franzoſen erſchienen, von den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und geplündert worden. Wer mochte unter den Hunder¬ ten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallen¬ heiten vergrößerten, ausſchmückten, die Beraubten immer von den Räubern unterſcheiden! Wohin war ſchon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen.

In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monar¬ chin eine Kataſtrophe abgewendet haben. Verwilderte Schaaren Zerſprengter, die ſich eingelagert, machten Miene, das Mein und Dein zu vergeſſen. 'S iſt Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Ge¬ ſichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht ſchul¬ terten, und ſie trugen den preußiſchen Rock, ſie wu߬ ten, daß es ihre Königin war. Es ſind ausgehobene297 Polen! Sollte die Monarchin dies zugeflüſterte Wort beruhigen? Unter dem blauen Rock ſei Herz und Verlaß, hatte man ſie gelehrt. Wenn nun Tauſende von Herzen darunter ſchlugen, auf die kein Verlaß war, und Friedrichs Disciplin fehlte! Daß dieſe nicht mehr ſei, hatte ſie in Weimar, Naumburg, ſelbſt in Berlin von ſo vielen klagenden Stimmen gehört. Auf dem Kirchhofe fangen Maraudeure, die ihre Beute von Lobeda theilten, unter wildem Gekreiſch das Räu¬ berlied: Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne! Die Königin, während der Um¬ ſpannung einen Augenblick abgeſtiegen, hatte in die offene Kirche treten wollen, der Geiſtliche aber bat ſie, umzukehren, es ſeien da Verwundete, Sterbende untergebracht. Es mochte noch mancher andere An¬ blick ſein, nicht geeignet für die Augen einer zarten Frau. Am Ausgang hatte ſie ein hingeſunkenes jun¬ ges Weib bemerkt, die Züge des Todes auf ihrem blaſſen, ſchönen Geſicht. Der Prediger wollte den Anblick mit ſeinem Rücken decken, aber die edleren Züge des Mädchens in der widerwärtigen Umgebung in¬ tereſſirten unwillkürlich die Königin. Wie kommt die Unglückliche hierher? Der Geiſtliche hatte die Achſeln gezückt: Eins von den Geſchöpfen, welche die Sol¬ daten mitſchleppen, oder ſie laufen ihnen von ſelbſt nach. So was gehört freilich nicht in ein Gottes¬ haus, aber wer kann's hindern. Sie haben ſie auch wohl arg mitgenommen da bei der Plünderung in Lobeda und geſchlagen. Sie blutete. Die Königin298 fühlte das Bedürfniß, der Armen etwas Wohlthätiges zu erweiſen. Ach, ſie hatte nichts, nicht einmal das, was jeder ihrer Diener bei ſich führte, eine Börſe. Sie wollte einen heranwinken, aber der Stallmeiſter ſtand ſchon mit der Miene banger Ungeduld am Wa¬ genſchlag. Aller Mienen ſagten: hier iſt nicht län¬ ger zu verweilen!

Es war ſtiller geworden auf der Straße. Der Wagen mit den müden Pferden fuhr aber nur lang¬ ſam in den aufgewühlten Wegen. Zuweilen ließ der Wind den Kanonendonner von der Mittagsſeite herübertönen. Es ſchien eine ſtillſchweigende Ueber¬ einkunft, nicht darauf zu achten. Die Hofdamen, von Ueberanſtrengung erſchöpft, nickten. Auch die Königin hatte, den Kopf in die Ecke gelehnt, zu ſchlafen ge¬ ſchienen. Jetzt richtete ſie ſich auf, warf den Schleier zurück und bedeckte das Geſicht mit beiden Händen. Nach einem heftigen Athemholen löſte ſich ihr Schmerz in Thränen, ſie glaubte ohne Zeugen; aber ihr ge¬ genüber in der Wagenecke wachten zwei Augen. Adel¬ heid Alltag, die hier in beſcheidener Zurückgezogen¬ heit geſeſſen, wagte die Hand der Fürſtin zu ergrei¬ fen und, halb auf das Knie ſinkend, ſie an die Lippen zu drücken.

Es iſt ja noch nichts verloren.

Nichts! ſagte die Königin und ſchüttelte weh¬ müthig den Kopf. Aber Ihr Anblick, liebes Kind, ſollte mir eigentlich Stärke geben. Würden Sie denn den Muth gehabt haben, Alles zu ertragen, wenn Sie299 voraus gewußt, was Ihnen bevorſtand? Die gütige Vorſehung verhüllte es mit einem Schleier. So hat der Vater im Himmel es wohl auch mit mir gefügt. Hätte ich das, was ich jetzt erlebe, noch vor zwei Jahren ahnen können, und wer ſagt, was mir noch bevorſteht! Da tänzeln wir im Flügelkleide der Luſt und ſehen überall Sonnenſchein und Wieſengrün um uns, während die Herbſtſtürme ſchon heranziehen. Aber es iſt in ſeinem unerforſchlichen Rathſchluß, daß wir nichts davon ahnen, um geſund zu ſein und ſtark, wenn ſie hereinbrechen.

Adelheid verſuchte von einer beſſern nächſten Zu¬ kunft zu ſprechen. Der Ton ihrer Stimme verrieth, daß ſie nicht daran glaubte.

Nein, liebes Kind, ich täuſche mich nicht mehr; es iſt vieles in dieſen Tagen vor meinen Augen ge¬ riſſen. Es iſt nicht mehr, wie es war. Wohin iſt unſer Anſehen, wohin die Kriegszucht, wenn ſo kleine Derangements ſchon ſolche Unordnung bringen! Die Officiere mußten ein Auge zudrücken. Wenn das die preußiſche Armee betrifft! Wie hat man uns belogen! Ich hörte Stimmen aus dem Volke

Wir ſind hier nicht in Preußen.

Auch in unſerm Heere ſelbſt. Ich hatte nicht geglaubt, daß unſre Officiere ſo gehaßt ſind! Dieſer Widerwille gegen die Junkerherrſchaft! Und ſah ich's nicht mit eignen Augen! Die Brutalität gegen die armen Menſchen, und dieſe alten Generale, denen drei Mann helfen mußten, um auf's Pferd zu ſteigen. 300Die in Weimar lachten, unſre Soldaten verzogen auch den Mund. Der wackre Rüchel ſuchte es mir zu verbergen. Ach, er iſt auch gefürchtet und ge¬ haßt

Deſto allgemeiner verehrt und geliebt iſt Seine Majeſtät der König.

Gott ſei Dank! Aber auch ich bin verredet, gehaßt, verleumdet.

Um Gotteswillen, Ihro Majeſtät, es iſt nur eine Stimme der Liebe und Bewunderung

Unter denen, die mir vor Geſicht treten, wie damals auf der Huldigungsreiſe! Jetzt, liebes Mäd¬ chen, ſehe ich und höre ich ſchärfer. Ich glaubte meine Pflicht zu thun, als ich dem Könige in's Feld folgte; ich dachte an die erhabenen Beiſpiele der Vorfahrinnen unſeres Hauſes, der ſchönen Elſe, die Kurfürſt Friedrich I., an Louiſe von Oranien, die dem großen Kurfürſten gefolgt ſind; damals lobte man es, man bewunderte ihren Muth, und rühmte, daß ſie die Gefahren ihrer Gatten getheilt, mit Rath und That ihnen zur Hand. Heut geißelt man mich mit bittern Sarkasmen.

Das iſt nur Lombard

Nein, liebes Kind, das vergebe ich ihm und könnte ihn darum loben; es iſt einmal ſeine aufrich¬ tige Meinung! Aber ſie Alle, bis auf Wenige. Warum hatten ſie damals nicht den Muth, es zu ſagen? Das vergebe ich ihnen nicht. Vielleicht hätten ſie mich aufgebracht. Lieber Gott, ich habe doch auch301 Gefühle. Davor fürchteten ſie ſich mehr, als davor, ihre Königin dem übelſten Gerede auszuſetzen. Und wenn ſie wirklich dachten, daß meine Anweſenheit beim Heer unſrer Sache Schaden bringt! Sind das treue Diener ihres Herrn, die ſich mehr vor einem böſen Geſicht fürchteten, das ich ihnen machen konnte, als o mein Gott, wie lernt man die Men¬ ſchen in ſolcher Zeit kennen!

Sie ſchien von dem Gedanken ſehr geängſtigt. Nach einer Pauſe hub ſie wieder an:

Ich wollte ſchon früher zurück, da beſchwor mich Kalkreuth, er legte auf meine Gegenwart, wie er ſagte, das größte Gewicht. Jetzt legt ein An¬ derer Gewicht darauf; Napoleon, weiß ich, beſchimpft mich und meinen Gemahl laut vor ſeinen Officieren, wer es will, kann ſeine Schmähungen hören.

Ihre Majeſtät hörten dafür den Jubelruf der braven Truppen, als ſie in Weimar vor Ihnen vor¬ überzogen.

Auch das wird mir zum Verbrechen gemacht! Ich bin die Kriegsfurie, die wuthſchnaubende Me¬ gäre, die den König fort und fort geſtachelt, bis er ſich zum Kriege entſchloß, ich bin hier, nur damit er in ſeinem Entſchluß nicht wankend werde. Gott weiß, daß ich nie über öffentliche Angelegenheiten zu Rath gezogen wurde und auch nie danach geſtrebt hatte. Erſt als Kaiſer Alexander voriges Jahr mich auf die Gefahr unſrer Lage, unſeres Hauſes aufmerk¬ ſam machte, erwachte ich. Damals konnte ich noch302 keinen tieferen Blick in unſre Staatsverhältniſſe wer¬ fen; war ich doch wie ein junges Mädchen, das aus der Penſion in die Geſellſchaft eingeführt wird. Aber Alexanders Worte erſchreckten, weckten mich; ich ſah meinen Gemahl, meine Kinder, die Thronfolge, Alles, was mir lieb und werth war, in Gefahr, ich bot daher Alles auf, ihn, ſeine Freunde zu wecken. Ja, ich hielt den Krieg für nothwendig, und wenn das ein Verbrechen iſt, ſo habe ich ihn gewünſcht. Mir ſchien, daß alle Güter dieſer Erde untergeordnet ſeien dem Gefühl edler Selbſtſtändigkeit und der Nationalehre. Seit ich eine Preußin geworden, fühlte ich nur als Tochter dieſes Landes. Und den Troſt habe ich, alle Beſſern fühlen mit mir es iſt nur

Der Wind mußte ſich gewandt haben, wie ein fernes Gewitter dröhnten die Kanonenſchläge über die Fläche.

Die Tauentzien fuhr mit einem: Ach Gott! ach Gott! aus dem Schlaf, aber die Sonne ſchien hell durch die Wagenfenſter. Im Hohlweg, in den der Wagen bog, hörte man nichts mehr. Die Hof¬ dame ſchlief wieder ein.

Sein Tod muß ſchön geweſen ſein! rief die Königin plötzlich aus ihrem Verſunkenſein auf. Der Tod für's Vaterland! Der König war tief erſchüt¬ tert; im Leben ſtanden ſie ſich fern. Das iſt das Schöne vom Tode, daß er verſöhnt. Viele Herren machten gleichgültige, unangenehme Bemerkungen, wir ſchloſſen uns ein. Kannten Sie den Prinzen?

303

Ich ſah ihn ein oder zwei Mal, gnädigſte Frau.

Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Es brach unwillkürlich von Adelheids Lippen, während ſie roth ward: Wie Einer, dem der Tod eine Wohlthat iſt. Wie Einer, der nach der Sonne fliegt, und oben in der Luft, weil ſie zu rein für unſre Lunge, erkennt er, daß es vergebne Mühe iſt. Ihn verläßt die Kraft, er will nicht ſtürzen, aber er ſtürzt. Es iſt ein troſtloſer Kampf, nicht um das Daſein um das Sonnenlicht, möchte ich ſagen. Er flattert und flattert, um ſich zu halten, den gan¬ zen Schmerz in der Bruſt, wieder auf die dunkle Erde ſinken zu müſſen, und ihre mephitiſchen Dünſte fallen ſchon auf die Bruſt da, wohl ihm, ehe ſeine Flügel erlahmen, wenn die Kugel eines Schützen ſeiner Qual ein Ende macht.

Die Königin warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu: Sie halten es für ein Glück, Adelheid?

Ja, ſagte ſie mit feſter Stimme.

Sie haben keine Nachricht von Ihrem Bräu¬ tigam?

Keine, entgegnete Adelheid mit derſelben Stimme.

Und keine Ahnung, ich wollte ſagen keine Hoff¬ nung?

Euer Majeſtät Frage könnte mich beſorgt machen, daß Sie auf eine ſchlimme Nachricht mich vorbereiten wollen. Aber ich bin auf Alles vorberei¬ tet. Wo hat der Einzelne ein Recht auf Glück, wo304 das Ganze zuſammenbricht und doch doch ich habe noch eine Hoffnung, beinahe Zuverſicht, daß ich ihn noch ein Mal ſehe

Sie irren ſich, Liebe. Ich weiß von nichts. Ich dachte nur, des Prinzen Tod war ein ſchöner; ſo könnte ich ihn allen denen wünſchen, die ich ehre und liebe und die doch nicht leben können. War die Vorſehung nicht gütig gegen ihn? Vielleicht iſt ſie es ſo gegen alle Edle. Wer im Leben über den Staub und Stoff ſich erhob, der, dünkt mich, hat auch die Kraft, die Mittel, ſich in der letzten Stunde zu erheben, über den Tod die Wolken theilen ſich vor ihm, und er ſieht Sonnenſchein und Herrlichkeit

Durch einen Lärm draußen wurden ſie unter¬ brochen. Eine durchdringende Stimme hatte ſchon aus der Ferne ein wiederholtes Zurück! gerufen. Die Pferde, entweder ſcheu geworden oder angehalten, hatten eine Bewegung nach rückwärts gemacht, auch der Wagen war davon zurückgeſtoßen, als man das Fenſter von innen niederließ. Ein ſtaubbedeckter Reiter ſprengte mit verhängtem Zügel ihnen entgegen. Sein Wehen mit dem Tuche hatten ſie in den Staub¬ wirbeln, die um ihn aufflogen, nicht geſehen. Jetzt hielt er am Kutſchenſchlag Da kam ein Schrei aus dem Wagen. Der Anblick konnte wohl ein zar¬ tes Frauenherz außer ſich bringen. Er hing mehr, als er ſaß, auf dem Pferde, ein leichenblaſſes Todten¬ geſicht mit gläſernen Augen und ſtierem Blick. Der Hut war ihm vom Kopf geflogen, die Haare hingen in305 zerriſſenen Streifen vom Scheitel. Wie gänzlich vom Ritt erſchöpft, hielt er ſich mit den Händen am Sattelknopf, während die Lippen convulſiviſch bebten im Verſuch, Worte hervorzubringen. Jetzt gelang es ihm, er riß zugleich Briefe aus der Bruſt, die Worte kamen abgebrochen vor:

Zurück die Königin muß zurück die Feinde in Naumburg die Brücken genommen, Franzoſen auf den Höhen von Köſen ein An¬ griff von dort!

Die Franzoſen! ſchrieen zehn Stimmen. Wir ſind verloren! die Hofdamen. Kehrt! Kehrt! Auf der Stelle Kehrt gemacht! commandirten die Stall¬ meiſter.

Iſt ſchon Gefahr? rief die Königin zum Fen¬ ſter hinaus. Ihr Blick ſchien dem Erſchöpften auf einen Augenblick Beſinnung und Kraft wiederzugeben.

Noch nicht noch um Stunden ſind ſie zurück mein guter Renner aber Majeſtät muß nach Weimar zurück, über den Harz nur iſt noch ein ſich¬ rer Rückweg. Dieſe Schreiben an den König! Schreiben der Argliſt traue Niemand.

Die Briefe flogen aus ſeiner zitternden Hand grade noch in den Wagen, als dieſer Kehrt machte und die Inſitzenden den Reiter aus dem Geſicht ver¬ loren. Es war gut, daß die Hofdamen Riechfläſch¬ chen bei ſich führten, ein Händedruck der Königin wirkte indeß vielleicht doch belebender. Louiſe hielt mit der Linken Adelheids Hand, während ſie ausV. 20306dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬ tenden Officieren ſprach. Die Gefahr iſt vorüber! ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. Er ſtirbt! rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬ zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht erblickt haben.

Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬ gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬ ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬ chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt, deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu beſſern.

Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen, ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬ ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothiſche Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten307 Reſte von bunten Scheiben in den Spitzbogenfenſtern ſich erhalten; ſpinneumwebt, verdunkelt von Staub und Wetter, und doch genug Farbe enthaltend, um dem Sonnenſchein, der eindrang, eine dumpfe, gelb brennende Färbung zu geben. Sie paßte zu ihrer Stimmung. Ob der Schein ſie lockte, ob eine Ahnung?

Sie war eingetreten. Sie ſah nichts von den Schrecken. Vielleicht waren ſie ſchon entfernt. Auf den Stufen am Hochaltar lag der Bote, welcher der Königin die Rettungspoſt gebracht. Sein Pferd hatte ſich losgeriſſen von den Vorreitern, die es auf einen Wink des Stallmeiſters am Zügel führen ſollten. Der Mann ſelbſt war ja nicht mehr im Stande, es zu lenken. Im Dorf war das Thier geſtürzt mit ſeinem Herrn ein heftiger, tödtlicher Blutſturz. Louis Bovillard hatte ſich nicht mehr aufrichten können, der Pfarrer hatte ihn in die Kirche tragen laſſen.

Der Sonnenſchein fiel durch die gelben Schei¬ ben grade auf ſein Geſicht, als Adelheid eintrat. Sie ſchrie nicht auf, ſie rang nicht die Hände, ihre Knie zitterten nicht. Schien es doch, als ſei es nur die Erfüllung von etwas, was ſie längſt gewußt. Die Hände faltend blieb ſie noch in der Entfernung ſtehen und blickte auf ihn, wie man zum erſten Mal den Grabſtein eines theuren Verblichenen erblickt. Nicht einmal eine Thräne ſtürzte aus ihrem Auge. Aber etwas hätte ſie befremden mögen, auf der Stufe drunter die jugendliche Geſtalt eines Weibes;20*308ſie hatte ihr Tuch über ſeine Füße gebreitet und ihr Geſicht in ſeinen Schooß gedrückt. Ein Bildhauer hätte die Figur der Trauer nicht beſſer dargeſtellt. Ihr aufgelöſtes Haar wallte um ihren Nacken.

Auch die Anweſenheit dieſer Trauernden ſtörte ſie nicht. Sie war jetzt neben ihm niedergekniet und hatte die kalte Hand erfaßt, die ſie an die Lippen drückte. Sie ſchien zu beten, als es hinter ihr rauſchte; die Königin legte die Hände ſanft auf ihren Scheitel: Mein Kind, es trifft jeden ſein Theil und Du warſt darauf vorbereitet.

Wenn er nur noch einmal die Augen aufſchlüge! athmete ſie leiſe.

Um meinen Dank in den Himmel mitzuneh¬ men, denn er hat ſeine Königin gerettet. Ich kann ihm nicht mehr danken.

Doch, Königin, ſprach Adelheid, ſich umwendend. Gönnen Sie mir die Freiheit, laſſen Sie mich hier zurück. Ich war ſeine Braut vor Gott und Ihnen, er darf nicht verlaſſen ſterben. Die Pflege iſt zu ſpät, aber den letzten Dienſt kann ich ihm erzeigen. Laſſen Sie mich ihm die Augen zudrücken.

Da richtete ſich das verwilderte Mädchen etwas auf und ſtarrte die Hinzugekommenen an. Der Traum der Wahrheit ſchien durch ihre brechenden Augen zu dämmern.

Die Gräfin Voß war an die Königin, die zwei¬ felnd daſtand, getreten und flüſterte ihr zu: Wenn Ihro Majeſtät das zugeben, iſt es abſolut unmöglich,309 daß die Demoiſelle ferner, in welcher Stellung es ſei, in Dero Nähe verweilt. Ja, wenn ſie nur ge¬ traut wären

In dem nächſten Augenblick geſchah vieles. Der alte Geiſtliche hatte ſich über den Sterbenden gebeugt: Er athmet noch. Das Mädchen zu ſeinen Füßen rief wie in wahnſinniger Freude: Louis ſchlägt die Augen auf. Der Sonnenſchein hatte eine rothe Scheibe getroffen, und ein roſiger Schein brei¬ tete ſich über die eng zuſammengedrängte Gruppe aus. Der Todte lebte noch, er ſchien zu lächeln, er erkannte die Gegenſtände. Die Königin aber hatte im nächſten Augenblicke mit dem Prediger heimlich ge¬ ſprochen: Ich übernehme alle Verantwortung.

Der Geiſtliche erwiderte: Auf die wage ich es ſelbſt vor dem höchſten Richter, wo ich bald mit ihm erſcheine. Aber hat er die Beſinnung und die junge Dame?

Sie wird ihr Ja deutlich ſprechen, hatte die Königin geantwortet und flüſterte Adelheid etwas in's Ohr: Bleib knieen, mein Kind!

Da wollte es der Zufall, während der Pfarrer in Kürze die liturgiſchen Formeln der Trauung ſprach, daß ein Knabe des Küſters auf der Orgel intonirte. Der Sterbende wollte den Kopf aufrichten, das ge¬ lang ihm nicht, aber von ſeinen Lippen kam es: Da rufen ſie uns! Der Prediger ſah froh der Königin in's Geſicht, welche Adelheid ſchnell einen Ring an den Finger geſteckt hatte. Das fremde Mädchen aber310 hielt den Kopf des Sterbenden, während der Prediger die Ringe wechſelte. Als er die entſcheidende Frage that, antwortete ein Ja ſo wunderbar laut, daß es die Orgel übertönte. Es war ſein letztes Wort. Kaum daß der Segen geſprochen, ſank er röchelnd nieder. Der Brautkuß war der Sterbekuß. Das fremde Mädchen weinte und lachte: Ich habe doch ſeinen letzten Händedruck. Die Königin ſagte: Ich konnte ihm doch danken.

Der Wagen ſtand fertig vor der Kirchenthür. Frau von Bovillard! ſprach feierlich die alte Voß, Ihro Majeſtät ſind bereit.

Die Fürſtin ſah fragend auf die Trauernde. Ihr Blick ſchien zu ſprechen: Willſt Du mich jetzt verlaſſen!

Der Geiſtliche ſagte: Für die Todten ſorgt Gott und die Kirche. Wer noch Pflichten im Leben hat, fliehe von hier. Den Todten iſt wohler in der Erde als den Lebendigen, wo die Verwüſtung ihr Reich aufſchlägt.

Das fremde Mädchen ſchrie wie im Irrſinn auf: Er wird nicht allein begraben werden.

[311]

Funfzehntes Kapitel. Ein Frühstück bei Dallach.

Es iſt in der Luft eine Magie, die unſre Wiſſen¬ ſchaft noch nicht erklärt hat; eine Communication durch unerfaßbare Organe, welche die Begebenheiten ver¬ binden. Unergründlich nannten unſere Väter eine Tiefe, die ſie noch nicht ergründet; unerfaßbar hätten ſie das Lichtbild genannt, wir lernten es faſſen und feſtigen auf der Platte, und an Drahtſeilen fliegt der Gedanke hunderte von Meilen in Secundenſchnelle, und drückt ſich auf die Tafel in bunten Buchſtaben, für jedes Auge lesbar.

Dies Lichtbild ſpiegelte ſich auch ſchon vor den Augen unſerer Väter, der Gedanke flog auch da mit derſelben Schnelle, nur faßten ſie ihn nicht, weil ihnen die Verbindungsmittel unbekannt waren; weil ſie die Platten und die Drahtſeile nicht ſahen, tauften ſie es Wunder.

Alte Leute entſinnen ſich, daß man in der Stille der Nacht nach dem 14. October vor Berlin auf der Erde die Schläge des Kanonendonners von Auerſtädt312 hören können. Von Andern ſagt man, daß ſie am folgenden Tage ſchon den Ausgang der Schlacht ge¬ wußt. Aufgeklärte meinten, das ſei nur die Nach¬ dröhnung geweſen von dem unglücklichen Gefecht von Saalfeld, die als Vorahnung geſpukt.

Nicht Alle waren es, es waren nur Wenige, darunter zwei, die wir kennen.

Der Rath Fuchſius konnte in der Nacht nicht ſchlafen, ſeine Beängſtigung ward gegen Morgen immer größer. Er hörte die Kanonenſchläge, ſein Bett ſchien unter ihm zu zittern; wie feſt er auch die Augen zudrückte, er ſah immer wieder den hellen Schein, wie ein Nordlicht, das am äußerſten Ho¬ rizont aus der Erde quillt. Er zündete das Licht an und ergriff eine Lecture, es war ein Band des Shakſpeare. Die Stelle aus Macbeth, die er auf¬ ſchlug, war nicht geeignet, ſeine Träume zu be¬ ſchwichtigen:

Die Nacht war ſtürmiſch; wo wir ſchliefen, heult 'es
Den Schlott herab; und wie man ſagt, erſcholl
Ein Wimmern in der Luft, ein Todesſtöhnen,
Ein Prophezein in fürchterlichem Laut,
Von wildem Brand und gräßlichen Geſchichten,
Neu ausgebrütet einer Zeit des Leidens.
Der dunkle Vogel ſchrie die ganze Nacht durch:
Man ſagt, die Erde bebte fieberkrank.

Er ſah die Schlacht, die meilenweit ſich dehnende, mit ihren wankenden und wogenden Linien, den dampfenden Batterieen, den Cavallerieattaquen, und ſo gewiß er das Herz unter der Bruſt pochen hörte,313 ſo centnerſchwer drückte ihn eine Gewißheit daß er nichts Frohes ſah.

Um den fürchterlichen Alp los zu werden, zündete er noch ein Licht an, und begrub ſich unter ſeinen Akten. Auch aus dieſen Bergen ſtiegen Dünſte, tiefe Schachte öffneten ſich, deren Ende er nicht ſah, und Sphynxe lagerten ſich vor dem Eingang.

Ein Weib, das ſelbſt eine Sphynx iſt, rief er, ſich im Armſeſſel zurücklehnend, und der Oedipus will nicht erſcheinen. Die Thatſache liegt nackt da, und alle Bezüge, Fäden, die zu einem Motiv führen, plötzlich abgeſchnitten! Kann ein Weib gebären ohne empfangen zu haben? Und wo wir einer Spur folg¬ ten, verſchwindet ſie nicht nur, ſondern wir haben aktenmäßige Beweiſe, wie und woraus ſie entſtanden iſt! Werden noch Ungeheuer geboren aus dem Mee¬ resſchaum, wenn Götter einen Sterblichen verfluchen, oder geſtalten ſie ſich im Laich der mephitiſchen Dünſte dieſer Zeit? Shakſpeare läßt die Gräuel¬ thaten ſeiner Könige durch ungeheuerliche Erſchei¬ nungen vorausverkünden: eine Eule verfolgt einen Falken, die Roſſe Dunkans freſſen ſich. Solchen An¬ theil des Entſetzens nimmt die Natur am Thun der Könige! Die Zeiten ſind doch nun vorüber, der Erdgeiſt kümmert ſich nicht beſorglicher um die Könige als um die Bettler; ſelbſt wenn große Ideen geboren werden, Ideen, beſtimmt die Welt zu erſchüttern, was geht's die Natur an! Sie läßt keine Sterne mehr den Weiſen nach der Krippe leuchten und keine mo¬314 raliſche Revolution bringt ſie aus ihrem Alltagsrock. Das iſt unſer Troſt. Aber wäre doch ein inniger Connex da, den wir nur nicht ſehen, zwiſchen den Werken der großen Geſchichte und den Thaten der kleinen Menſchen? Spiegelte ſich das Ungeheuerliche des Weltbrandes wieder im Thun der Individuen, dort die Revolution in der Deſorganiſation der natürlichen Gefühle, und der krankhafte Drang, der Welteroberer erzeugt, riefe hier in der ſchwa¬ chen Weiberbruſt den Kitzel hervor zur ſcheußlichen That!

Er blätterte weiter in einem Convolut. Es wa¬ ren Privatcorreſpondenzen der gefangenen Geheim¬ räthin: Welcher Verſtand! welche klare Erwägung der Verhältniſſe, welche ruhige, treffende Beobachtung im Urtheil über Perſonen! Und nirgends nur ein Wink von auswärts her! Alle ihre Verbindungen beſtehen die Probe. Und vor allem dieſer! Er überlas noch einmal die Billette, welche Wandel an die Lupinus gerichtet, und mit ihrer ganzen Corre¬ ſpondenz zu den Akten genommen waren.

Er fuhr, wie ein Unzufriedener mit ſich ſelbſt, mit beiden Händen über das Geſicht:

Wie ein Criminalrichter ſich in Acht nehmen muß, auch auf den dringendſten Verdacht hin, eine beſtimmte Meinung zu faſſen! Wie leicht verführt er ſich, und wie ſchwer wird es ihm, dann wieder auf den richtigen Weg einzulenken! War ich nicht ſchon innerlich überzeugt von der Identität jenes von315 der franzöſiſchen Juſtiz verfolgten Aventuriers mit Herrn von Wandel! Seine Verbindung mit meiner Giftmiſcherin erſchien mir als ein nur zu deutlicher Fingerzeig! Selbſt die kecke Weiſe, wie er ſich mir damals aufdrängte, konnte mich noch nicht ganz über¬ zeugen. Man hat Beiſpiele und er iſt klug, ſehr klug! Aber dieſe Briefe an die Lupinus! Der klarſte Spiegel einer unbefangenen Seele, beſſer als er ſich ſelbſt darſtellt. Er mag anderweitig aber in dieſer Sache iſt er nicht implicirt. Nichts von Oſtentation, Raffinement! Er ſchreibt wie ein welt¬ erfahrner Mann. Seine Rathſchläge, wie vernünftig! Er warnt ſie vor der Exaltation, ihr aufrichtiger Freund; anfänglich zwar ſcheint ein andres Gefühl im Spiele, die Neigung ſteigert ſich, aber dann dies allmälige Zurückfallen in den Ton der Achtung und des Reſpectes. Schade, daß ihre Briefe fehlen! Ja, eine Ahnung von dem, was in ihr vorging, mag er gehabt haben, darum zog er ſich zurück. Und ſoll ich es ihm als Verbrechen anrechnen, daß er ſich jetzt Mühe giebt, eine von ihm hochverehrte Frau zu ver¬ theidigen? Als Criminaliſt ſollte ich es vielleicht, als Menſch kann ich es nicht.

Fuchſius war an ein anderes Convolut, das auf einem Nebentiſch lag, getreten. Es waren franzöſiſche Akten, er nahm eine Silhouette heraus und hielt ſie an's Licht: Und was bedeutete die Aehnlichkeit eines Schattenbildes mit einem lebendigen Menſchen, wenn ſie zu entdecken wäre! Und dann, wie vieler Jahre316 Staub hat an dieſen Papieren gezehrt! Uebrigens ſagte er mit wehmüthigem Lächeln muß man die Gefälligkeit der franzöſiſchen Behörden bewun¬ dern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod ſind, in einem Kriege, der ſie verpflichtet, Tauſende und aber Tauſende der Unſern umzubringen, hindert ſie nicht, uns in unſerm köſtlichen Rechte beizuſtehen, damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes Juſtizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen, zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit! Es war Laforeſt's letzter Akt hier unſerm Kanzler die Akten aus Paris zu communiciren. Eine ſchöne Sache um das Band der Civiliſation: Die Revolutionen, die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und keinem Volke mehr ein Aſyl!

Er war an's Fenſter getreten. Es war noch todtenſtille, finſtre Nacht, obgleich ſchon hie und da in abgelegenen Gehöften die Hähne krähten. Die Straßenlampen brannten düſter, die Laternen wurden vom Morgenwinde geſchaukelt. Ob er horchte ? Er hörte nicht mehr den Kanonendonner, aber der Tritt jedes verſpäteten oder verfrühten Fußgängers ſchallte aus der Tiefe zu ihm herauf. Fuchſius wohnte hoch; er konnte die Dächer der nächſtgelegenen Straßen mit niedrigen Häuſern überſchauen. Als er nach den Sternen ausſchaute, ſah er einen fernen Lichtſchein. Es kam aus einem Hoffenſter in einer jenſeits ge¬317 legenen Straße Er kannte die Straße, das Haus, das Fenſter. Hier wohnte der Legationsrath. Das Fenſter gehörte zu ſeiner Küche, die Küche diente ihm zum Laboratorium. Was konnte Wandel ſo früh hier zu ſchaffen haben? Er war ein Nachtſchwärmer; er expe¬ rimentire nie anders als bei Tageslicht, hatte er ſelbſt zu Fuchſius geſagt. Was präparirte er jetzt? Es war zwiſchen drei und vier. Und das Licht verſchwand nicht. Gedanken durchzückten ihn in raſcher Folge. Was kann er in dieſer Nachtſtunde experimentiren? Warum die Heimlichkeit? Warum hat er, bei aller Offenherzigkeit in andern Dingen, Niemand klaren Wein über ſeine Vermögensverhältniſſe eingeſchenkt? Warum ſchweigt über ihn der alte van Aſten, der einmal merken ließ, daß er etwas wiſſe, und jetzt be¬ hauptet, daß er nichts weiß? Er hatte Wechſel von ihm in der Hand! Wechſel! Fuchſius ſah Wandel ſchrei¬ ben. Er rieb ſich wieder die Stirn. Plötzlich ſaß er am Tiſch und wühlte in den franzöſiſchen Akten. In einem kleinen vergilbten Handbillet verfolgte er mit dem Auge und mit dem Finger die Buchſtaben. Ebenſo raſch riß er das vorige Aktenſtück herbei, und verglich Wort um Wort, es ſchien Buchſtabe um Buchſtabe. Es war ein franzöſiſch geſchriebenes Billet Wandels an die Lupinus: Welche täuſchende Waffe die Aehnlich¬ keit der Schriftzüge! Wie man auch da ſich in Acht nehmen muß! Aber plötzlich vergrößerten ſich ſeine Augen, ſein Mund öffnete ſich ein, zwei drei Worte nicht nur die Schriftzüge der Buchſtaben,318 die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieſelben, auch die ungewöhnliche Orthographie.

Floreſtan Vanſitter! rief er aufſtehend, und es ſchien, als fröſtele ihn. Er warf einen Blick in den Spiegel, ſein Auge glänzte ihm entgegen, ein Glanz, den man der Freude beimißt. Pfui! ent¬ fuhr es ſeinen Lippen. Iſt das nicht die canibaliſche Luſt des Menſchenfreſſers, wenn er ſein Opfer auf Schußweite erblickt! Ach, wir ſind alle Canibalen, alle, uns dürſtet nach Menſchenblut. Bin ich der Einzige, deſſen Geſicht ſich röthen wird von diaboli¬ ſchem Entzücken, wenn es an's Tageslicht kommt! Wie wird die Geſellſchaft hier von der Wolluſt des Entſetzens beben, wenn es ausgeſprochen iſt, wenn der Mann, mit dem ſie Hände gedrückt, Gläſer an¬ geſtoßen, zu dem ſie ſich gedrängt, von deſſen Lippen der Honig geiſtvoller Unterhaltung floß, arretirt, in Ketten eingebracht wird, ein gemeiner Verbrecher. Unmöglich! werden ſie rufen und doch innerlich zittern, wenn es nun nicht wahr wäre! O du Mantel der Humanität, der uns ſo ſchön ſitzt, aus welchen Mondſcheinſpinnefäden biſt du gewebt!

Als er ſich angekleidet und der graue Tag ſchon durch die Fenſterſcheiben blickte, ſtand ein junger Menſch in unanſehnlicher Kleidung vor dem Rathe.

Nichts von Wichtigkeit, antwortete der Einge¬ tretene auf eine Frage des Rathes. Ihr Benehmen im Gefängniß bleibt daſſelbe. Sie ließ den Hofrath319 Heim, der ihr die Wahrheit ſagte, anlaufen und ver¬ bat ſich ſeine fernere Theilnahme.

Sie kennen wir, entgegnete Fuchſius, aber mein Auftrag war, daß Sie auf alle Ereigniſſe und Be¬ wegungen in dem Kreiſe Acht hätten, dem ſie bis jetzt angehört. Was haben Sie da beobachtet, Eckard?

Nicht das Geringſte, was zur Sache gehört, erwiderte Eckard mit einiger Selbſtzufriedenheit.

Ob es dazu gehört, werde ich beurtheilen. Was macht ihr Schwager?

Er wird ſich doch nicht freuen, daß er penſionirt iſt. Der Auszug aus ſeiner Amtswohnung in der Voigtei liegt ihm noch in den Gliedern. Er ſpuckt. Neulich in der Weinſtube bei Sala Tarone ließ er einen Witz los. Sie haben darüber gelacht. Das paſſirt ihm jetzt ſelten.

Welchen?

Damals, als er wirklich eine Bêtiſe begangen, ſagte er, nämlich mit den Gefangenen, ſei er mit blauem Aug davongekommen, und jetzt müſſe er büßen, wo er unſchuldig ſei wie ein neugeboren Kind. Er hätte doch ſeinem Bruder nie was zu trinken gegeben. Nun müſſe er aus Haus und Brod, bloß weil es ſich nicht ſchicke, daß er der Kerkermei¬ ſter ſeiner Schwägerin würde.

Die Juſtiz iſt blind, trifft aber in der Regel doch am rechten Fleck. Noch etwas von ihm?

Er heirathet ſie. Das iſt ausgemacht. Im Dom iſt ſchon die Trauung beſtellt.

320

Aus Depit, daß er die Voigtei verlor?

Nu ja! Er ſagt aber, weil er das Heulen der Charlotte nicht länger aushalten können. Das iſt wahr, ihr Wachtmeiſter iſt bei Saalfeld niederge¬ hauen, als er den Prinzen raushauen wollte.

Was iſt denn nicht wahr?

Daß der Major Stier von Dohleneck auch da geblieben wäre. Der iſt nur bleſſirt vom Pferd ge¬ fallen. Sie haben ihn ſplitternackt ausgezogen, dann gefangen genommen, dann hat er ihnen ſein Ehren¬ wort geben müſſen, und ſo kommt er retour nach Berlin. Die Baroneß Eitelbach weiß es nur noch nicht; ſie geht ſchwarz.

Der Vigilant mußte ſehr genau, auch mit den innern Familienverhältniſſen, vertraut ſein. Ein flüch¬ tiges Lächeln ging über die Lippen des Rathes.

Was macht Geheimrath Bovillard?

Sieht ſchon wie eine Leiche aus. Laxirt einen Tag um den andern; zur Abwechſelung nimmt er auch Vomiſſements. Der Legationsrath Wandel ſagt, wenn er ſo fortführe, würde es ihm an's Leben ge¬ hen. Es ſei kein Spaß damit. Die Ruhr geht ohnedies bei der Witterung um, und die Werderſchen bringen unreifes Obſt. Man wiſſe aber gar nicht, was noch draus werden könne, denn die Ruhr könne noch was ganz Andres ſein, woran jetzt kein Menſch denkt.

Fuchſius hatte nur auf den einen Namen Acht gegeben: Läßt der Legationsrath ſich viel beim Kran¬ ken ſehn?

321

Nicht eben. Er ſteckt ja faſt immer bei der Braunbiegler. Auch mit dem Baron Eitelbach hat er viel zu ſchaffen. Der mag ihn nicht; aber er läßt ihn nicht los. Beſonders wenn er in der Fa¬ brik iſt, da ſpricht er in allen Dingen mit. Der Baron ſagte: wenn er mal in den Farbekeſſel fiele, dann wäre auch nichts verdorben, als die Farbe.

Eckard! Der Rath zog ihn in den Winkel, als könnte die Luft hören, was er ihm zu ſagen hatte. Er ſchloß: Von jetzt ab vigiliren Sie auf ihn, Schritt und Tritt. Sie laſſen ihn keinen Moment aus dem Auge, wo er hingeht, an wen er Briefe abſchickt, von wo er Briefe empfängt, und wo möglich ſehn Sie durch ſeine Wände. Iſt denn durch ſeine Diener¬ ſchaft nichts zu ermitteln?

Er wechſelt oft die Bedienten und ſie kommen nie weiter als in ſeine Wohnzimmer. Die Mädchen im Hauſe ſagen, in der Küche müſſe 's wie im Schweine¬ ſtall ausſehen, er läßt keinen Beſen rein.

Was lächeln Sie?

Die Mädchen meinen, wenn eine Hintertreppe wäre, ſo begriffen ſie's.

So fährt der Spiritus familiaris wohl durch den Schlott! ſprach Fuchſius für ſich. Seltſam, auch er wie ſie nachweislich ohne nähern Umgang, ohne einen Vertrauten, ein iſolirtes Ungeheuer, das, wie der Schwamm, aus der Luft den Athem ſaugt.

Es war ſchon Einer mal drin, ſetzte Eckard im Fortgehen hinzu, der ſagt aber nichts.

V 21322

Wer?

Der alte van Aſten.

Wie kam der hinein?

Sie ſagen, er hätte die Thür aufgelaſſen. Seitdem läßt er die Thür nicht mehr auf.

Haben Sie Verdacht gegen den alten van Aſten?

Der junge Vigilant ſchüttelte den Kopf: Wenn er auch die tauſend Stückfäſſer in Stettin auf den Buckel laden könnte, wo ſollte er damit hin? Er iſt ein ruinirter Mann, rein in Rothwein. Durch 'nen Pfuſchmakler hat er ſchon unter der Hand zum hal¬ ben Preis ausgeboten. Wer will's jetzt! Gewinnen die Franzoſen, ſo trinken die's aus und zahlen nicht, gewinnen wir, ſo finden Unſre über'm Rhein den Wein wohlfeiler. Vielleicht, ſetzte er mit ſchlauer Miene hinzu, ſoll ihm der Herr von Wandel den Medoc in was Andres verwandeln, was Käufer fin¬ det. Er iſt ja ein Tauſendkünſtler.

Vigiliren Sie! ſchloß der Rath die Unter¬ redung.

Ja, wenn die Wände, die des Legationsraths Wohnung umſchloſſen, vor ihm niedergefallen wären, und er hätte einen Blick frei gehabt!

Auch der Legationsrath konnte in der Nacht nicht ſchlafen, auch er hörte den Kanonendonner, auch unter ihm zitterte das Bette, der Himmel leuch¬ tete, er ſah die Bataillelinien hin und her ſchwanken und war aufgeſprungen, um Herr zu werden ſeiner Sinne.

323

Auch er zündete Licht an und ergriff eine Lec¬ türe, es war zufällig dieſelbe, die Fuchſius ergriffen. Da ſchlug er die Stelle auf:

Auf ſiebzig Jahr kann ich mich gut erinnern; In dieſem Zeitraum ſah ich Schreckenstage Und wunderbare Ding ', doch dieſe böſe Nacht Macht alles Vor'ge klein.

Der Leſer hielt inne: Ein Zeichen! Warum dieſe Nacht? Er las weiter:

Der Himmel, ſieh, als zürn 'er Menſchenthaten, Dräut dieſer blut'gen Bühn'. Die Uhr zeigt Tag, Doch dunkle Nacht erſtickt die Wanderlampe: Iſt's Sieg der Nacht, iſt es die Scham des Tages, Daß Finſterniß der Erd 'Antlitz begräbt, Wenn lebend Licht es küſſen ſollte?

Er warf den Band fort: Albernheit! Was hat der Himmel ein Recht, auf Menſchenthaten zu zürnen! Wir ſind's, die die weſenloſe Leere bevölkern, die Schwächlinge mit ihren Phantaſiegeſpinnſten, die Starken mit ihren Thaten. Da iſt die Frage: wel¬ cher Zauber iſt ſtärker, die Vogelſcheuchen, die ſie an die Sterne binden, oder der Wille, der der Nacht und ihren Uhuſtimmen in's Antlitz, lacht?

Er zündete eine chemiſch präparirte Kerze an, welche einen beſonders hellen Schein warf, und trat, was er wirklich ſelten bei Nacht that, in ſein Labo¬ ratorium. Alles, wie er es am Abend verlaſſen, dort hingen die Bilder, da das Gerippe, die Retorten, Kolben, Tiegel auf dem Herde; einige kleine Fläſch¬ chen, auf die ſein Auge zuerſt fiel, ſtanden wie zur21*324Abkühlung am Fenſter. Er hielt den Athem an, wie um zu horchen. Es bewegte ſich außer ihm etwas. Er biß ſich in die Lippen: Thorheit! es iſt die aufgeregte Phantaſie von der Lecture des Dich¬ ters, des größten, der geboren ward, aber warum ließ das Schickſal in einer dunklen Zeit den Rieſen an's Licht treten, daß an ſeinen gigantiſchen Glie¬ dern noch immer ihre Moderfetzen kleben! Er hat Geiſter beſchworen, ich kann es auch. Nur Jeder in ſeiner Art!

Da bewegte ſich das Gerippe ſichtlich, ein ſchril¬ lender Ton kam aus der Mundhöhlung, es rauſchte etwas heraus, es wehte durch die Luft und das Licht erloſch. Wandel ſank nicht zu Boden, aber er preßte den Leuchter ſo feſt, daß das Metall eingebogen war, der Todtenſchweiß, der von ſeiner Stirn tropfte, hatte ihn aus ſeinem Starrkrampf geweckt.

Von einem Nachtvogel ſich erſchrecken laſſen, der in ſeiner Angſt durch den Schornſtein eindrang! rief er, nachdem er mittelſt eines chemiſchen Feuer¬ zeuges das Licht wieder angezündet. Flattre nur, Unhold, Du biſt kein Leben, und lügſt keines mehr der ſchönen Hülle an. Es giebt keine Geiſter, nur Spuk, den, den die Schwäche unſrer Nerven gebiert. Aber ein Spuk und eine Verhöhnung unſrer Kraft, daß wir uns zumeiſt von denen in Angſt ſetzen laſ¬ ſen, die ſelbſt vor Angſt aus ſich herausgehen.

Aber weshalb war er hier? Um mit den Ge¬ ſpenſtern, an die er nicht glaubte, eine Lanze zu325 brechen? Warum hatte ihn die Dröhnung des Kanonendonners, warum das Phantasma der Schlacht aufgeſchreckt? Berührte ihn der Ausgang, welcher es ſei? Doch! rief er plötzlich. Das iſt der Vortheil jener chaotiſchen Kataſtrophen, welche die kleine Menſchenwelt und ihre Ameiſenhaufen, Staat und Geſellſchaft genannt, durcheinanderwerfen, daß wir uns da frei fühlen. Wo das Haus über ihren Köpfen zuſammenbricht, merken ſie nicht das Inſect, das ſie ſticht. Die Kerker öffnen ſich vielleicht! Die Schuldbücher werden zerriſſen vielleicht! Es wird vergeſſen, Alles nein, doch Vieles auch das? Vielleicht.

Er nahm die Fläſchchen, hielt ſie gegen das Licht und that ſie dann in ein Etui. So viele Ar¬ beit um eine Bagatell. Ich ging doch an ſchwe¬ rere mit leichterm Muth, faſt im elaſtiſchen Tänzer¬ ſchritt. Aber der alte Aſten hatte Recht. Die Po¬ lypragmoſyne hat mir Schaden gethan. Das erſte Geſetz lautet: nicht zu Vieles im Aug! Dies Ab¬ wägen verwirrt und ſchwächt[unſre] Sehkraft. Raſch drauf los. Die Weisheit unſrer Väter: Friſch ge¬ wagt, halb gewonnen! Es iſt eine ewige alte Fa¬ bel vom Hunde und dem Fleiſch, und doch, wer wehrt ſich vor dem Blendwerk, daß ihn das große Bild im Waſſer verlockt. Und das: Morgen, mor¬ gen, nur nicht heute wie viel kühnen Entſchlüſſen brach es den Hals.

Und doch ſchien er ſelbſt durch hervorgezogene326 Sprüchwörterphiloſophie entweder ſich Muth einzuſpre¬ chen, oder ſich immer noch einen Aufſchub abzuliſten. Er packte die Fläſchchen aus, um zu ſehen, ob ſie auch eingewickelt waren. Er befühlte auch Gegenſtände, die er nicht mitnehmen wollte. Es war ſo heiß in der Küche, ob von der eingeſchloſſenen Luft oder von ſeiner innern Hitze? Schon hatte er die Thüre in der Hand, als er zurückkehrte. Ihm fiel ein, daß er auch auf die ſchlimmſte Eventualität ſich waffnen müſſe. Sie dürfen auch nicht das finden, was ſie bei der Lupinus gefunden. Er mußte ſchon vor¬ gearbeitet haben. Nur aus einem Tiegel ſchabte er vorſichtig den Bodenſatz und warf ihn in den Ab¬ zugsgraben. Dann ſtreute er verſchiedenen Farben¬ puder verſchwenderiſch umher. Die Küche bekam dadurch einen Wohlgeruch: In meinen Schmink¬ präparaten mögen ſie meine Arcane entdecken.

Dann näherte er ſich dem Gerippe: Wieder eiferſüchtig? Gieb mir die Hand, Angelika. Sie gab ſie ihm, aber ſchüttelte er ſo heftig, oder war der Wandnagel loſe? Das Knochenweib ſtürzte herab. Wir wiſſen nicht, ob er geſchaudert, doch ſchnell hatte er ſich und das Gerippe gefaßt: Das hätte ein bö¬ ſer Fall werden können, wie damals, als Du vom Pferde ſprangſt und ich Dich auffing. Du nannteſt mich Deinen Lebensretter. Ja, ein theurer ward ich Dir. Zwei Mal für das eine Bischen Rettung nahm ich Dein Leben. Ihr armen jungen Weiber! Mit Eurem warmen Blut und leichten Sinn ſeid Ihr nun327 einmal vom Fatum deſtinirt, in unſre Netze zu flat¬ tern. Hier lernte ich Klügere, Kältere kennen, die auch denken, ſogar berechnen konnten. Das war Euch unmöglich. Und doch weiß ich nicht, ob Ihr nicht die Glücklicheren ſeid. Ihr nipptet und dann ſchlürftet Ihr die Wonne des Lebens in vollen Zü¬ gen. Dann mit einem Mal war es aus! Aber jetzt jetzt mach 'mir das Leben nicht ſchwer. Du könnteſt hier an der Wand in einem unbedachten Augenblick plaudern. Dort im Kaſten biſt Du nicht gefährlich, Du biſt ein Präparat, eine anatomiſche Studie. Ruhe da ſanft, und was wür¬ deſt Du ſagen, Liebchen, wenn ich Dir über Jahr und Tag eine Geſellſchafterin zulegte? Schön und groß wie Du, aber etwas dumm. Was thut das? Sie wird Dich nicht langweilen. Sie iſt ſtumm wie Du. Und wenn Ihr Beide dann friedlich neben ein¬ ander ruht, ſieh, den Troſt gebe ich Dir, bei Dir wird mein Sinnen bleiben, wir werden nach wie ko¬ ſen, bei Dir werde ich mir Rathes erholen, Du wirſt mich verſtehen. Die Andre iſt eine Gliederpuppe, jetzt gelenkig, dann wie Du, aber Deine Folie. Adieu, mein Herz!

Und wer behauptet, daß ſeines nicht doch ſchlug, daß der kalte, gräßliche Hohn auf ſeinen Lippen nicht nur der Mantel war, der die Natterſtiche, das con¬ vulſiviſche Aechzen, die Qualen, die keinen Namen haben, bedecken ſollte? Nicht täglich, wie er der Lu¬ pinus log, drückte er das Gerippe an ſeine Bruſt. 328Es waren nur die fürchterlichſten Momente, wo er Kraft bedurfte, und er konnte ſie in ſich nicht finden. Wer ſah den Angſtſchweiß auf ſeiner Stirn, wer, wie die Knie wankten, wie er ſich an das Trep¬ pengeländer hielt, als er hinunterſtieg. Es war ein ſaurer Gang. Warum? das wußte er ſich nicht zu ſagen. Er hatte ſchon viele Gänge der Art gemacht.

Aber draußen ſah man ihm nichts davon an. Wie der Hahn, um die Witterung anzukrähen, ſchlürfte er ſie ein. Die Luft war grau, regenhaltig, eine bange Stimmung, wie ſie einem großen Un¬ glück vorangeht. Der Tauſendkünſtler hatte ſchnell die Phyſiognomie ſich angeeignet.

Wo fand er nicht auf der Straße Bekannte! Wo ſah man ſich nicht ängſtlich an, hatte ſich trübe Nachrichten, bange Ahnungen mitzutheilen. Schon wandelten Frauengeſtalten in Trauer, die frühe Nach¬ wirkung des Gefechtes von Saalfeld.

Der Baron Eitelbach ging zur Börſe. Er ward unterwegs von Mehren angeſprochen. Man condo¬ lirte ihm. Wie nahm ſie's auf? Ich kann wohl ſagen, ſie deployirt eine große Seelenſtärke. Iſt's denn auch ganz gewiß? Na, warum denn nicht? Sein Neveu, der Wolfskehl, hat ihn ſelbſt vom Pferde hauen ſehn; er hat's hergeſchrieben.

Der Legationsrath trat in dem Augenblick an die Gruppe, und es war der vollſte Ausdruck inni¬ ger Theilnahme, mit der er dem Baron die Hand329 drückte: Sie ſind ein Mann. Er zog ihn etwas bei Seite. Und ſie iſt eine Frau, die durch Leiden geadelt wird. Ich bin überzeugt, daß dies Unglück den wahren Bund Ihrer Seelen nur feſter ſchlingen wird. Es iſt ſchön, es iſt edel ich ſage nicht groß von Ihnen, daß Sie ihre Empfindungen durch ſolche Theilnahme ehren.

Gehn Sie doch zu ihr, Legationsrath, tröſten Sie ſie. Sie hört Sie ſo gern plaudern.

Ein zweiter Händedruck: Erlaſſen Sie mir das. Sie werden ſelbſt den beſten Troſt wiſſen.

Als noch Jemand an die Gruppe getreten, war der Legationsrath plötzlich fortgeſprungen. Fuchſius ſah ihm verwundert nach, aber noch verwunderter ſah er dem zu, was Wandel begann. Er unterhan¬ delte mit einer Obſthökerin. Er zog die Börſe und ſchien eine anſehnliche Summe ihr in die Hand zu drücken. Dann nahm er plötzlich die Körbe mit Birnen und Pflaumen, den ganzen Vorrath der Händ¬ lerin, und warf ihn in einen der tiefen Rinnſteine, die den ganzen ſchwimmenden Vorrath alsbald in ein Abzugsloch trieben. Die Straßenjugend jubelte, Andre jubelten nicht, ſie ſchimpften auf den vorneh¬ men Herrn, der ſo mit Gottes Gabe umgehe; ſtatt armen Leuten ſie zu ſchenken, verderbe er ſie. Es gab einen kleinen Auflauf, aus welchem Wandel ſich nur mit einiger Mühe losmachte.

Die Herren in der Gruppe hatten zwar mit Verwunderung zugeſehen, doch ahnten ſie die Auf¬330 klärung. Wahrſcheinlich war das Obſt unreif, oder der Legationsrath hielt es dafür. Er hatte ſchon an mehren Orten von der unverzeihlichen Nachläſſigkeit der Polizei geſprochen, daß ſie ſolchen Verkauf zu¬ laſſe, wo die Ruhr in der Stadt graſſire; man wiſſe ja nicht, was noch daraus entſtehe.

Ihre Intention in Ehren, ſagte Jemand zu dem Zurückkehrenden, in dieſer allgemeinen Calami¬ tät iſt es aber nicht recht, Anlaß zum Scandal zu geben. Das Volk iſt ohnedem aufſäſſig.

Und was helfen zwei Körbe weniger!

Sie haben vollkommen Recht, meine Herren, ſagte Wandel, doch wer iſt Herr über ſeine Impulſe! Zudem ſehe ich ein Geſpenſt, welches mir fürchterli¬ cher dünkt als alle Kriegscalamitäten, die uns noch drohen mögen.

Man ſah ihn verwundert an, auch auf die Sonne, die eben hell durch die Nebel brach, eine Scenerie, die gar nicht zu Geſpenſtererſcheinungen paßte. Aber Wandels Geſicht hatte den Ausdruck:

Wiſſen Sie, meine Herren, welches Unglück uns droht? Noch iſt es nicht hier, aber es wogt aus dem fernen Aſien herüber, eine Peſt, gegen die der ſchwarze Tod, das gelbe Fieber, und was ſonſt den Namen führte, unbedeutend erſcheinen werden. Eine Krankheit, die ganze Ortſchaften, Landſtriche hinrafft, entwickelt ſich in dem brittiſchen Indien. Die engliſchen Aerzte geben entſetzliche Schilderun¬ gen und behaupten, daß ſie ihren Siegerzug durch331 die ganze Welt halten werde. Sie nennen ſie Cho¬ lera morbus, und was das Schrecklichſte, es iſt kein ärztliches Mittel dagegen zu entdecken. Sie fängt mit Vomiren an, heftiger Dyſſenterie, dies ſteigert ſich in wenigen Stunden bis zum Tode. Der ge¬ ringſte Diätfehler, namentlich der Genuß von unrei¬ fem, ja, ſelbſt von reifem Obſt ruft ſie hervor. Ich kann Ihnen meine Beſorgniß nicht verhehlen, ich hörte durch Selle vorhin von Fällen, die mich fürch¬ ten machen, daß ſie ſchon in den Ringmauern von Berlin iſt. Ich bitte, laſſen Sie ſich nicht ängſt¬ lich machen, meine Herren, aber hüten Sie ſich ja vor jeder Erkältung, vor Obſtgenuß. Ja, ja, meine Herren, wir wiſſen Alle nicht, was uns bevorſteht, und welche neue Wendung das Schickſal nimmt. Wo dieſe Krankheit graſſirt, hört der Krieg von ſelbſt auf. Sie fühlen ſich doch nicht unwohl, liebſter Baron, Sie faſſen ſich an den Magen?

Der Baron hatte Melone gegeſſen. Die Ge¬ ſichter einiger Andern verriethen die Nachwirkung einer zu lebhaften Schilderung. Da erſt erblickte Wandel den Rath Fuchſius. Er ergriff ſeine Hand: Ach, mein wertheſter Freund! Vorſicht, Vorſicht, meine Herren, weiter nichts! A propos, was macht denn unſer Freund Bovillard? Ich ſah ihn ſeit vor¬ geſtern nicht.

Der Rath zückte die Achſeln: Durch ſeine Selbſtcur

Thut er Buße, fiel der Baron ein, für die332 Gänſeleberpaſteten und Trüffelwürſte, um die er ſeine Nebenmenſchen übervortheilt hat. Es hat Einer aus¬ gerechnet, was er in ſeinem Leben verſchlungen hat die Summe iſt gar nicht auszuſprechen.

Ich bin ſehr um ihn beſorgt, ſagte Wandel, den Kopf ſchüttelnd. Die fixe Idee kehrt immer wie¬ der. Und ſonſt die Raiſon ſelbſt! Beſtätigt ſich noch das gräßliche Gerücht, daß ſein Sohn gefangen und als Spion das Leben verloren hat ſo gebe ich auch den edlen Mann verloren. Heim will es nicht Wort haben, aber glauben Sie mir ſprach er, Fuchſius bei Seite ziehend, das ſind ſchon die veritablen Symptome der Cholera. Ach, mein Gott, ſprach er, ſeine Hand drückend, theuerſter Freund, was macht denn unſre Freundin?

Sie wird mit der Rückſicht behandelt, die ihre Bildung beanſprucht.

Davon bin ich bei ſolchem Inquiſitor über¬ zeugt. Aber noch kein Geſtändniß, keine Regung des Gewiſſens?

Stolz, feſt, ſtarr wie immer.

Dann bin ich von ihrer Unſchuld überzeugt. Jedes Weib verräth ſich, wenn der rechte Inquirent zu ihrem Gefühle ſpricht.

Dieſer Ausſpruch des vollendetſten Weiberken¬ ners ſollte auch mir Beruhigung geben.

Nein, nein, inquiriren Sie, ſcharf und ſchär¬ fer, nehmen Sie ſie in's Gebet, wie ich jetzt meinen Baron. Er will noch nichts davon wiſſen, er iſt ein333 ſtarrer Anhänger des Alten, der gute Eitelbach, aber bei einer Flaſche Burgunder hoffe ich es ihm ein¬ leuchtend zu machen, denn er iſt doch auch ein guter Patriot

Was?

Daß wir unpatriotiſch, unverantwortlich han¬ deln, wenn wir nach wie vor unſer Tuch mit Indigo färben. Wozu den Engländern den Gewinnſt gön¬ nen, wenn wir das Blau im Lande haben?

Wollen Sie die Uniformen in Berliner Blau tauchen?

Kein Scherz. Die Mark producirt ſeit alter Zeit einen Färbeſtoff in ihrer Waidpflanze, welcher bis zur Entdeckung der Schifffahrt nach Oſtindien nicht nur für das Bedürfniß ausreichte, ſondern für Brandenburg zum ergiebigſten Handelsartikel ward. Da verließ man die Production, natürlich, weil der Indigo wohlfeiler, beſſer präparirt war. Jetzt, durch die Kriegsverhältniſſe, iſt er nicht mehr wohlfeil, durch Sperrung der Schifffahrt kann er uns ſogar ganz abgeſchnitten werden, es iſt alſo Aufgabe der Induſtrie, ein Surrogat zu finden, welches in die¬ ſem Falle ſchon vor uns liegt. Warum in der Fremde ſuchen, was wir zu Hauſe haben! Es kommt nur auf die Präparation an, und ich hoffe, den Baron heut beim Frühſtück zu überzeugen, daß die, welche ich verſucht, dem Zweck entſpricht. Ja, damals war Waid nichts gegen Indigo, aber iſt die Chemie nicht fortgeſchritten? Ich wage zu behaup¬334 ten, der Indigo iſt jetzt nichts gegen den Waid. Im Ernſt, die Sache verdient Aufmerkſamkeit. Preußens Rock iſt blau, und die Natur weiſt uns auf unſern Fluren die Pflanze, welche dies Blau in reicher Fülle enthält. Uns in jeder Beziehung unabhängig vom Auslande zu machen, iſt, dünkt mich, die erſte Aufgabe jedes Patrioten. Beſter Rath, beehren Sie uns mit Ihrer Gegenwart bei Dallach, und helfen Sie mir unſern Baron von ſeinem eigenen Vortheil überzeugen.

Fuchſius war vermuthlich der Anſicht, daß es für einen Patrioten in dem Augenblick näher liegende Aufgaben gebe, als die Blaufärberei; er lehnte die Einladung ab. Auch der Baron ſchien nur ungern vom Arm des Legationsraths fortgeriſſen zu werden. Aßen Sie viel Melone? hörte man im Abgehen Wandel zum Baron ſagen. So ſpringen wir vor¬ her bei Selle an; er verſchreibt Ihnen eine kleine Magenſtärkung.

Die Zurückbleibenden hörten nicht die Antwort, ſie haben den Baron nicht wieder geſehen. Er ſcheint ſeinem künftigen Compagnon überhaupt ſehr ungern zu folgen, der es doch an Aufmerkſamkeit nicht feh¬ len läßt.

Iſt die Sache mit der Braunbiegler wirklich ſchon ſo weit? antwortete ein Anderer. Das ſtumme Lächeln der Andern war eine bejahende Antwort.

Die Indigo - und Waid-Angelegenheit ſchien den Baron um ſo weniger zu intereſſiren, je mehr der335 Legationsrath in ein wahres Feuer der Begeiſterung gerieth. Auf dem Frühſtückstiſch, in einem ſeparaten Zimmer der Reſtauration gedeckt, nahmen die Pro¬ ben Tuch, mit Indigo und Waid gefärbt, und die Fläſchchen mit Färbeſaft faſt mehr Platz ein, als die Teller und Flaſchen aus Herrn Dallachs Keller.

Alles ganz ſchön, ſagte der Baron, wenn nur

In Gedanken! Was iſt's?

Wenn wir überhaupt noch blaues Tuch brauchen!

Was, Sie Patriot und verzweifeln! Was wol¬ len Sie da am Fenſter?

Ich dachte, wenn es ein Courier wäre.

Wir ſind unter uns, Patrioten Beide. Hören Sie, liebſter Baron, und wenn's denn wäre, Tuch brauchen ſie, ſo lange die Welt ſteht. Iſt's nicht blaues, dann grünes

Und wenn wir franzöſiſch würden?

Changiren wir nur etwas das Blau. Qu'im¬ porte! Der Weltbürger iſt auch ein Patriot. Aber Sie trinken nicht. Schmeckt Ihnen der Burgunder nicht?

Das könnte ich Ihnen wiedergeben.

Ich bin etwas trunken, nicht vom Wein; aber ich möchte heut aller Welt um den Hals fallen. Mir iſt, als ſtände mir etwas Erfreuliches bevor.

Herr Dallach war eingetreten und erlaubte ſich, ſeinen Stammgäſten eine Priſe zu offeriren: Herr Baron ſehn etwas angegriffen aus. Ihnen iſt doch wohl?

336

Es wird vorübergehn, ſagte Eitelbach.

Er iſt ein Anglomane, will an ſeinem Indigo feſthalten, da ſehn Sie, Dallach, das iſt mit Waid gefärbt, wie ich Ihnen ſagte halten Sie's gegen's Licht Der Baron krümmt ſich es einzugeſtehen, das paſſirt ſo obſtinaten Leuten. Aber was Teu¬ fel, Eitelbach! hätte er ſich beinah vergriffen und aus der Färbeflaſche eingeſchenkt.

In der Stadt iſt man ſehr unruhig, ſagte Dal¬ lach, Niemand weiß recht was, aber es ſollen beun¬ ruhigende Nachrichten eingelaufen ſein.

Pah! nichts von Politik. Herzensmann, Sie eſſen zu viel Compott. Nach der Melone, Vor¬ ſicht! Vorſicht! Das merken Sie ſich auch, Herr Dallach, nicht zu viel Obſt Ihren Gäſten, Sie haben es zu verantworten. Schicken Sie uns Portwein, der wird dem Magen des Barons gutthun.

Ein Zeichen für Herrn Dallach, ſich zu entfer¬ nen. Auch der Baron war einen Augenblick aufge¬ ſtanden und wiedergekommen. Der Portwein ſchien ihm wohlzuthun. Und doch ſaß er wieder in ſich ver¬ ſunken. Es war nicht ſeine Art:

Eine niederträchtige Geſchichte!

Was kümmert meinen Freund, ſchütten Sie Ihr Herz aus. Mein Gott, Theuerſter, ich weiß es ja, Sie wünſchen mich nicht als Compagnon. Verdenk 'ich es Ihnen? Wer läßt gern in ſeine Geheimniſſe einen Andern blicken! Aber die Sache ließe ſich ja anders arrangiren. Hänge ich denn ſo ſehr an der337 Compagnonſchaft in der Fabrik, oder iſt Madame Braunbieglers Herz grade an's Tuch gewachſen? Wir machen nach der Hochzeit eine Tour durch Eu¬ ropa. Wer weiß, ob wir wiederkommen.

Es iſt nicht das. Denken Sie ſich, der Schmecke¬ danz, der Kerl auf dem Mühlendamm ein ver¬ fluchter Jude

Hat doch nicht Wechſel auf Baron Eitelbach?

Aber Dohlenecks Wechſel aufgekauft, Gott weiß wie. Und nun der todt iſt

Bravo! kann er ſich Fidibus davon machen.

Nein, er ſchickt ſie meiner Frau.

O, das iſt zum Todtlachen.

Nein, zum Einlöſen.

Iſt der Kerl verrückt?

Wenn nur nicht ein Brief dabei wäre

Von wem?

Vom todten Rittmeiſter, ich meine, vom Ma¬ jor Dohleneck.

Schreiben die Todten wieder Briefe?

Nein, eh 'er ausmarſchirte. Solch ein Gali¬ mathias. Wenn er fiele, ſollt' er ſich nur an meine Frau wenden, die ſei ſo ſterblich in ihn verliebt, daß ſie ſeine Ehre auch nach dem Tode nicht ſitzen ließe. Bei Lebzeiten hätte er ſie können um den Fin¬ ger wickeln, und ſie hätte gehörig blechen müſſen. Und wenn ſie nach ſeinem Tode nicht zahlen wollte, ſo

Schnell noch ein Glas Port. Ich kann mir denken, wie die Niederträchtigkeit Sie afficirt.

V. 22338

Der Baron ſaß zurückgelehnt auf dem Stuhl, leichenblaß.

Die Erzählung hat Sie angegriffen. Hoffent¬ lich hat der Jude nicht die Effronterie gehabt, Ihrer Frau Gemahlin den Brief zu ſchicken.

Hat's! Das iſt es eben.

O pfui! Sind Sie auch ſicher, daß der Brief wirklich von Dohleneck iſt? Ich hielt ihn für ſehr beſchränkt, aber ehrlich.

Das iſt's eben darüber heult ſie mehr, als daß er todt iſt.

Gemeine Seelen! Nun hat ſie ihn kennen gelernt. Sie hat doch den Brief in gerechtem Zorn zerriſſen und die Wechſel auch?

Nein ſie will ſie auslöſen ſie iſt ob¬ ſtinat. Ich ſoll's aus ihrem

O, das müſſen wir hindern auf der Stelle wir wollen zu ihr Was iſt Ihnen?

Der Baron ſtürzte hinaus. Er kam nach einer Weile, von einem Kellner geführt, wieder herein. Wandel ſchien die Verwandlung auf ſeinem Geſicht nicht zu bemerken; in ſolcher Agitation ging er im Zimmer auf und ab:

Ich kann's mir denken ihren Seelenzuſtand! Sie verachtet ihn. Und doch, ſie will ſich dadurch an ihm rächen, daß ſie ſeine Manen beſchämt. Das ſoll das letzte Opfer ſein, was ſie auf ewig von ihm ſcheidet. O, dort in jener Ewigkeit mit welchem ſtol¬ zen, vernichtenden Blicke wird ſie ihm entgegentreten

339

Der Baron hörte nichts davon, er konnte nichts davon hören. Der Legationsrath that einen Schrei er riß die Thüren auf. Herr Dallach und die Kellner, die hereintraten, ſahen die liebende Theil¬ nahme, mit welcher Wandel dem Erkrankten den Kopf hielt.

Ein Arzt! Ein Wagen!

Die verdammte Melone! Habe ich ihn nicht gewarnt?

Herr Dallach reichte dem Kranken wieder ein Glas Portwein. Er wehrte es mit der Hand ab, Wandel ſchenkte ihm ein Glas Waſſer. Er athmete wieder auf. Ach, das Waſſer, ſagte Wandel, wenn die Aerzte erſt ſeine wunderbare Heilkraft ganz kenn¬ ten! Jetzt nur friſche Luft!

Es kam kein Arzt, kein Wagen. Die Stadt iſt in Verwirrung.

Würden Sie ſich ſtark finden, theuerſter Baron, zu Fuß nach Ihrer Wohnung ich führe Sie.

Der Baron war aufgeſtanden: Es wird gehn, es wird ſchon beſſer werden. Ich erhole mich.

Die verfluchte Melone! knirſchte Wandel und ſtampfte; er ſtülpte den Hut auf. Er zog den Wirth noch ein Mal bei Seite:

Herr Dallach, habe ich's nicht geſagt? O, es wird noch ärger kommen. Wir können uns gratuliren.

Was iſt denn, Herr Legationsrath?

Die Cholera! ſchrie er ihm in's Ohr. Ein Anfall der aſiatiſchen Cholera morbus! Und der Leicht¬22*340ſinn! Aber ſtill, liebſter Dallach, erſchrecken Sie nicht Ihre Gäſte; wir werden bald mehr hören.

Indem er den Kranken über die Schwelle mehr ſchleppte als führte, rief er zurück: Dallach, laſſen Sie ja Alles auf dem Tiſche ſtehen, wie es liegt. Man kann doch nicht wiſſen, ob nicht Recherchen

Es war ein ſaurer Weg für den Legationsrath. Zum Glück, daß die Straßenjungen mit andern Din¬ gen beſchäftigt waren.

[341]

Sechszehntes Kapitel. Das groſze Trauerhaus.

Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt, waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬ heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn dann war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur Baronin geſagt: Etwas Kamillenthee und Einrei¬ bungen das wird den Patienten bald auf die Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt, gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.

Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an342 ſeinem Bette. Er trocknete, er rieb den Leib, er ſchenkte ihm den Thee, den er ſelbſt vorher koſtete.

Wenn er nur nicht ſo ſpaßhaft wäre! hatte die Baronin gerufen, als ſie in's Nebenzimmer trat, um Luft zu ſchöpfen, und ſchauderte. Sie ging in Schwarz. Viele wollten nie eine Seele in dieſen großen Augen erblickt haben. Heut wären ſie an¬ derer Meinung geweſen. Dieſer Blick voll tiefer Wehmuth, voll Stolz und Ergebung ſprach nur von einem Seelenſchmerz. Als ſie die Worte ausrief, hatte ſie ſich an die Wand gelehnt. Die Wand ant¬ wortete nicht. Da wollte ſie die Worte wiederholen, aber ſie kamen anders heraus: Wenn er mir nur nicht das gethan! Wenn er nur den Brief nicht ge¬ ſchrieben hätte!

Hatte Wandel durch die Wand gehorcht! Er war ein anderer, als ſie zurückkehrte. Wie wenn ein ſcharfer Oſtwind weht, die Mücken und Inſecten, die uns geneckt und geplagt, mit einem Mal ver¬ ſcheucht und verſchwunden ſind, waren die launigen Anecdoten, mit denen er ihre Sorge zu verſcheuchen geſucht, auf ſeinen Lippen erſtorben. Er ſaß da, ein blaſſes Bild, auch der Seelentrauer. Er hörte kaum ihr Kommen, kaum ihre Frage: Wie ſteht es?

Wie ſollen die Glieder geſund ſein, wenn der Körper krank iſt! Er ſprang auf.

Iſt eine Veränderung eingetreten? Der Kranke lag in dem Augenblick ſtill nach der andern Seite gewandt.

343

Wandel ſtand am Fenſter. Lärm, Unruhe, Hin - und Hergelaufe, kernige Fluchworte, dazwiſchen ein Geſchrei, das hier in Heulen überging. Ein Reiter ſprengte auf der Straße vorüber:

Das iſt der Rittmeiſter Dorville. Ich fürchte, er bringt Uebles vom Schlachtfelde.

Eine Stimme rief zum Fenſter hinauf: Ver¬ loren! Es iſt Alles verloren. Was eine Stimme, was Stimmen! Es war Alles in der Stadt nur eine, und das war ein entſetzlicher Wehruf. Wohl denen, die ihn laut machen konnten; der ſtumme Schmerz iſt der tiefere. Er ſprengt nicht immer die Bruſt, aber er ſtopft die Adern, er wirkt einen Nieder¬ ſchlag, der alle Functionen der Glieder lähmt. Das Herz, das ſo muthig noch eben ſchlug, ſcheint ſtill zu ſtehen, die Gedanken, die gradaus ſchoſſen, zittern und verirren. Es war kein lauter Aufſchrei in der Stadt; kein Todeshieb, der eine Wunde geöffnet, aus der das Herzblut mit einem Mal ausſtrömt; es war eine Quetſchung, ein Niederſchlag. Ein Uhrwerk war's, deſſen Räder noch gingen, aber keines griff in's andere.

Die ſtürzten aus den Häuſern, um draußen Nachricht einzuziehen, aus dem Sprachgewirr, den Geſichtern, der Luft. Die drangen in die Häuſer, um ſie von denen zu erhalten, welche darum wiſſen mu߬ ten. Die fragten mit ſcheuem Entſetzen: Was iſt mit uns? Die drangen: Was ſollen wir thun? Ach, es wußte Niemand, was er thun ſollte, die am wenigſten, die es wiſſen ſollten!

344

Ein Knäuel von Hiobspoſten wälzte, flog durch die Straßen. Hier ſchüttete es die entſetzlichſten aus, und ſchien ſich erſchöpft zu haben, aber elaſtiſch ſprang es in die Höhe, um in der nächſten einen neuen Regen zu ſprühen. Wenn die Beſonnenſten und Klügſten es nicht faßten, den Kern nicht heraus¬ zogen, was Wunder, wenn die, welche nie gedacht, Fäden herausſpannen, die in's Mährchenreich ge¬ hörten. Die Franzoſen hatten geſiegt, die Armee war in die Flucht geſchlagen; die Beſonnenen hatten wohl Recht, wenn ſie ſchrieen, man ſolle zukochen, heizen, für Stroh, Decken, Quartiere und Lazarethe der Flüchtlinge ſorgen, Andere ſchrieen nach Waffen und Widerſtand. Da ſchreckte beide die Nachricht zum blaſſen Verſtummen: Nichts von Flucht und Widerſtand! Unſre Armee iſt aufgerieben, vernichtet, alle Generale, der König, die Prinzen gefallen! Nicht unſre Flüchtlinge, die Franzoſen kommen, ſtürmen, brandſchatzen, plündern! Das ward zwar von Unter¬ richteten dahin corrigirt: die preußiſche Armee ſei von den Franzoſen nur umgangen worden, Napoleon habe ſich zuerſt bei Jena auf das Corps Hohenlohe geworfen und es vernichtet, darauf oder zugleich ſei die Hauptarmee, wo der König und die Prinzen, bei Auerſtädt total geſchlagen, der Herzog von Braun¬ ſchweig, der Oberfeldherr im Getümmel erſchoſſen, und beide geworfenen Corps, auf einander gedrängt, würden von den Franzoſen nach dem Rheine zu ver¬ folgt; aber für die Begriffe der Maſſe war das zu345 ſchwer zu entwirren. Wenn auch einige Kluge cal¬ culirten, dann entferne ſich ja die Gefahr, wenn noch Klügere meinten, es ſei nur eine Kriegsliſt, um den Krieg nach Frankreich zu wälzen, ſo hörten Andere dafür ſchon, wenn ein Piket Huſaren durch eine ent¬ fernte Straße preſchte, die Vorpoſten der Franzoſen in die Stadt einreiten. Andre aber hatten beſſer geſehen oder gehört, es waren Ruſſen oder gar Eng¬ länder, die gelandet oder geflogen waren, um Berlin beizuſtehen.

Natürlich waren das nur Luftblaſen der Angſt und Furcht in den unterſten Volksklaſſen, die nie um öffentliche Dinge ſich gekümmert, die in dem Wahne ſicher träumten, der Bürger dürfe ſich darum nicht kümmern, es ſei am Staate, ihn vor Gefahr zu ſchützen. Ach aber die Höheren waren die Allerrath¬ loſeſten in dieſen Stunden. Die noch die Beſſeren, die wenigſtens nach Rath verlangten. Wäre er da geweſen, der Wille zur That hätte ſich auch ein¬ geſtellt.

Man ſah Einige durch die Maſſen ſich drängen. Aber wo Rathes ſich erholen? Die Lenker des Ca¬ binettes ſollten im Hauptquartier ſein. Hier klopften ſie umſonſt an die Thür eines Großen. Er lag in einer heftigen Kolik und hatte befohlen, Niemand vorzulaſſen. Ein Anderer war bei einem Andern, der Andere war aber wieder anderswohin geeilt. Im Gedränge trafen ſich zwei, die ſich einſt geſehen und ſeitdem nicht wieder, Walter und der alte Rittgarten. 346 Zum Gouverneur! rief der Invalide. Er muß die Trommel rühren laſſen. Trommeln! Das fehlte noch, rief ein gutgeſinnter Bürger, um den Wirrwarr voll zu machen. Es giebt nur Einen, und wenn er nicht Hülfe weiß

Walter ward durch einen lauten Aufſchrei unter¬ brochen, der durch die Stimmen von Tauſenden und aber Tauſenden immer neu anwuchs. Das waren Laute des Schmerzes, aber auch der Freude Die Königin! die Königin! In der Entfernung bog ein Reiſewagen um die Straßenecke. Thränen, Schluchzen, Jubelrufe! Es war in dem Gewirr nichts zu verſtehen. Ein Tuch, ein Arm wehte heraus. Die Beiden, die ſich eben gefunden, wurden wieder getrennt. Jeder hatte ein anderes Ziel. Aber die Stimmung ſchien ſich geändert zu haben. Der An¬ blick der Königin hatte gewirkt. Der alte Rittgarten traf auf entſchloſſene Geſichter. Kernworte, Flüche! Da ſchüttelte einer ſeinen markigen Arm. Rittgarten ergriff ihn. Er ſprach Worte, die zum Herzen dran¬ gen. Als ſie das Hotel des Miniſters erreicht, hatte ſich die Zahl bedeutend verſtärkt; es waren kräftige Männer, alte Soldaten darunter. Wuth und Freude ſtrahlte auf den Geſichtern.

Wo war die alte Ordnung, die heilige Ruhe, wenn man berußte Arme, Schurzfelle auf den Trep¬ pen ſah, Einige ſogar bis in das innere Heiligthum gedrungen. Es mußte hier ſchon viel vorgegangen ſein, wenn wir den Miniſter, denſelben, welcher den347 jungen Walter nach Karlsbad ſchicken wollte, zwiſchen dieſen, ſelbſt für die Antichambre ungeeigneten Ge¬ ſtalten umhergehen ſehen, ohne daß ſein Auge Blicke der Entrüſtung warf. Nein, er trug weder Uniform noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Bruſt, er ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom Wiederſchein ſeiner unantaſtbaren Würde. Meine lieben Freunde! ſprach er, zwiſchen den Eingedrun¬ genen ſich bewegend. Seine feinen ariſtokratiſchen Hände, ſtets in einer Poſition gehalten, die ſie vor jeder Berührung ſchützen ſollten, berührten doch frei¬ willig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagel¬ ſchmied die Hand, er legte ſie dem patriotiſchen Stadt¬ wachtmeiſter auf die Schulter: Mein liebſter guter Freund, nur keine Uebereilung.

Aber, Excellenz, ſie ſtürmen Ihnen das Haus! riefen drei, vier Stimmen.

Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, ſie drängten von draußen, Andre ſtanden im Hofe und gafften mit häßlichen Blicken die Reiſewagen an, die in Haſt bepackt wurden. Die Excellenz beugte ſich über's Geländer, ſie rang die Hände, es war der mildeſte, freundlichſte Ton: Um Gottes Willen, meine Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?

Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es war aber das Unglück, daß Keiner wußte, was er wollen ſollte. Es war die Wuth, die in hundert Lauten ſich Luft machte. Wir ſind verrathen! Der König und die Königin ſind verkauft und ver¬348 rathen! Das Vaterland iſt in Gefahr Die Franzoſen vor der Thür!

Ja, ja, meine lieben Freunde, um Gottes Willen ja, es iſt wahr, wir ſind Alle in Gefahr aber was wollt Ihr, was ſollen wir thun?

Eine rebelliſche Stimme aus dem Haufen ſchrie eine Verwünſchung gegen die verfluchten Junker, die das Unglück über's Land gebracht.

Wir ſind Alle gleich! Wir ſind Alle Brüder, uns Alle trifft es, wir müſſen uns Alle im Unglück beiſtehen.

Es klang ſchön, aber die im Hofe zeigten auf die bepackten Reiſewagen: Er kratzt aus, uns läßt er im Stich. Ein höhniſches Gelächter verſchlim¬ merte die Lage der Autorität, die es nicht mehr war. Da ward der Ruf laut: Widerſtand! Waffen! Ein Schuft, wer ſeinen König verläßt!

Um Gottes Willen, verehrte Mitbürger! Ich beſchwöre Sie, bedenken Sie Ihre Familien, Ihre lieben Kinder, Ihre Lage, dieſe Stadt! Es iſt ein Unglück, ja, ein großes, ein unermeßliches Unglück, unſre Armee iſt geſchlagen, total geſchlagen, wir wiſſen nicht, wo ſie iſt. Wo eine ſo tapfere Armee erliegen mußte, iſt es Thorheit, ich beſchwöre Sie, es iſt Raſerei, an den geringſten Widerſtand noch zu denken.

War's Thorheit, rief eine Stimme, es war der alte Rittgarten, als Haddick in unſre Straßen ſprengte, daß die Berliner nicht zu Kreuz krochen? Raſerei,349 daß ſie Schanzen aufwarfen, daß wer eine Muskete tragen konnte, der Trommel folgte, als die Ruſſen ihre Kugeln in die Friedrichsſtadt warfen? Des Kö¬ nigs Hauptſtadt ward gerettet!

Meine lieben, theuren Mitbürger, bedenken Sie doch die veränderten Verhältniſſe. Wer war Haddick, wer die Ruſſen! Der Kaiſer Napoleon iſt unüberwindlich. Sie waren ſelbſt Militär. O erklären Sie Ihren Mitbürgern, daß aller Patriotismus und alle Bravour gegen ein disciplinirtes Heer nichts aus¬ richten. O mein Gott, ſtehn Sie mir doch bei, dieſe braven, rechtlichen, unſre Mitbürger vor einer ent¬ ſetzlichen Verirrung zu bewahren.

Excellenz, erwiderte Rittgarten, eine Schlacht können wir den Franzoſen nicht liefern, noch beſteht Bürger und Bauer vor denen, die den Krieg erlernt. Das weiß ein Kind. Aber hier gilt's, was keiner erlernt, was geboren iſt, das Herz zeigen am rechten Fleck. Iſt der König geſchlagen, ſo gilt's, ihm auf¬ bewahren, als treue Unterthanen, unſern Muth, unſre Treue, uns ſelbſt. Er wird wiſſen, ob er Berlin halten ſoll oder aufgeben, und an uns iſt's, ihm die Entſcheidung offen erhalten. Das iſt unſre Schuldigkeit. Es gilt, der Obrigkeit, die er zurückließ, gehorchen, und wenn ſie ſtumm bleibt, ſie fragen, was müſſen wir thun, daß dem Könige ſeine Hauptſtadt gerettet wird? Sind Soldaten da, ſo ſammelt ſie, ſind In¬ validen, ruft ſie auf, ſie werden daſtehen. Sollen die Bürger ihnen zutragen, ſchanzen, Wache ſtehen? 350Sollen Wagen und Proviant hinaus, die Flüchtlinge einzuholen. Soll ihnen ein Lager abgeſteckt werden? Soll junge Mannſchaft geworben werden? Sollen wir Pulver holen, Kugeln gießen, abkochen für die Ankömmlinge? Alles das weiß der Bürger nicht, Excellenz, aber er hat ein Recht, von denen es zu erfahren, die der König zurückließ an ſeiner Statt. Die müſſen es wiſſen, die uns vorangehen. Und die und wir Alle haben die Verpflichtung, uns ſo zu zeigen, daß der Feind erfährt, er hat eine Stadt von Männern vor ſich, nicht von Memmen.

Gewirkt hätte die Rede, wenn nicht zwei Um¬ ſtände die Wirkung paralyſirten. Von draußen ſchrie es: Die Königin! die Königin flieht aus Berlin! Die Königin redet zu den Bürgern! Darauf eilten die Entſchloſſenſten nach dem Palais. Vielleicht war dort Rath und Hülfe. Im hintern Hofe aber hatten Andere einen Reiſewagen umgeſtürzt. Wo miſcht ſich nicht ſchlechtes Geſindel hinein, wenn der Patriotismus aufbrauſt! Sie plündern! Herr Major, hindern Sie's! Man weiß nicht, was draus wird! Es ſind Soldaten bei. Es bedurfte für den Officier kaum der Aufforderung.

Die Excellenz ließ ihren Wagen im Stich, ſie hatte eine höhere Aufgabe, das Terrain war günſtiger, die Haufen gelichtet, er glaubte geneigtere Geſichter zu ſehen. Er war auf die letzte Stufe in ihren Kreis getreten:

Mitbürger! Theuerſte Freunde! Der Augenblick iſt entſetzlich, aber laſſen Sie ſich von unruhigen351 Köpfen nicht aufreden. Hier iſt nicht zu helfen. Der Himmel hat es ſo gefügt, wir müſſen uns drin fin¬ den. Der mindeſte Widerſtand, irgend ein unruhiges Benehmen von Ihrer Seite könnte die ſchrecklichſten Folgen haben. Denken Sie an Ihre Frauen, Ihre Kinder, denken Sie an Wien! Wie ungnädig hat Seine Majeſtät der Kaiſer Napoleon das trotzige Benehmen der Bürger aufgenommen. Er iſt nun einmal der Sieger. Er wird ein großmüthiger Sie¬ ger ſein, wenn Sie der Vernunft Gehör ſchenken. Sein Sie freundlich, ſein Sie ſehr freundlich gegen ihn. Ueberwinden Sie ſich; wenn er einzieht, rufen Sie Vive l'Empereur! Ich weiß, es wird Ihnen ſchwer werden, aber der Menſch kann ſich überwinden, meine Herren, der Menſch kann viel, wenn die Noth ihn zwingt. Recht friedlich, recht beſonnen. Illu¬ miniren Sie! Das wird ihn überraſchen, ſein Herz wird ſich aufſchließen. Liebe Mitbürger, hören Sie auf den Rath eines Mannes, der's mit Ihnen wohl meint, es iſt nicht für mich. Bedenken, erwägen Sie, ich wiederhole es nochmals, wie ſchrecklich ſein Zorn auf Wien fiel. Sie ſind keine Wiener, Sie ſind Berliner, und das Beiſpiel wird Sie lehren, daß eine männliche, ruhige Hingebung im Unglück es allein iſt, die den Patrioten ehrt.

In den Akten der Zeit wird man freilich dieſe Rede nicht aufgeſchrieben finden. Aber man findet mehr ein gedrucktes Aktenſtück. An allen Straßen¬ ecken ſtand an einem ſpätern Tage folgendes352 Proclama und in den Berliner Zeitungen las man es am 21. October 1806.

In dem Proclama hieß es: Nur feſtes Anſchließen an diejenigen, welche das mühſelige Geſchäft übernehmen, die von einer ſolchen Begebenheit unvermeidlichen Folgen zu min¬ dern, ſo wie die, mehr als jemals nöthig gewordene Ordnung zu handhaben, kann die ſchrecklichen Folgen abwenden, welche der mindeſte Widerſtand oder irgend ein unruhiges Benehmen der Einwohner über die Haupt¬ ſtadt verbreiten würde, und das noch neuer¬ liche Andenken des Betragens, welches die Ein¬ wohner Wiens in einer ähnlichen traurigen Lage beobachtet haben, muß die Einwohner Berlins be¬ lehren: daß der Ueberwinder nur ruhige männliche Hingebung im Unglücke ehrt. Ich ermahne Jeden (denn hoffent¬ lich werde ich es nicht nöthig haben zu befehlen) ruhig bei ſeinem Gewerbe zu bleiben, und alle Sorgen denjenigen zu überlaſſen, welche ſich raſtlos mit ſeinem Wohl beſchäftigen werden. Ich verbiete durchaus alles Zuſammenlau¬ fen, alles Schreien auf den Straßen, alles öffent¬ liche Theilnehmen an denen ſo verſchie¬ dentlich einlaufenden Krieges-Gerüchten; denn ruhige Faſſung iſt dermalen unſer Loos, unſre Ausſichten müſſen ſich nicht über dasjenige entfernen, was in unſern353 Mauern vorgeht; dieſes iſt nur unſer einziges höheres Intereſſe, mit welchem wir uns allein beſchäftigen müſſen.

Berlin, den 19. October 1806.

Fürſt von Hatzfeld.

Es mußten ſchon Flüchtlinge in der Stadt ſein; vielleicht verbargen ſie ſich vor der Neugier oder dem Grimm des Volkes in den entfernteren Theilen. Aber das Volk ſuchte nach ihnen. Da hielt es eine ſtaub¬ bedeckte Reiſekaleſche an, und zwang einen Officier herauszuſteigen. Vergebens proteſtirte er, daß er die Schlacht nicht mitgemacht, nicht vom Schlacht¬ feld komme, vielmehr über Schleſien aus Oeſtreich; der Wagen kam ja vom ſchleſiſchen Thor. Zum Gou¬ verneur wollte er ſich führen laſſen, obgleich ihm die Eſcorte unangenehm war, als Herr von Fuchſius ihm begegnete und von der verdächtigenden Beglei¬ tung befreite.

Zu ſpät! Wieder zu ſpät! erwiderte Eiſen¬ hauch und drückte die ihm entgegen gehaltene Hand. Das iſt mehr als Auſterlitz.

Zum Gouverneur! Kommen Sie mit? So lange die Möglichkeit da iſt

Die Gewißheit! unterbrach der Rath.

Auch Sie ohne Troſt und Hoffnung?

Die Geſetze der Natur ſind ewig. Die Kugel rollt nur, bis ſie den Abgrund erreicht, und der Ver¬ brecher bleibt nur ungeſtraft, bis ſein Maß voll iſt.

Welche faſt lüſterne Freude glänzte auf Fuch¬V. 23354ſius Geſicht, als er dem alten Bundesgenoſſen die Hand raſch zum Abſchied gedrückt. Wohin? Wohin?

Das im Kleinen thun, was Gott im Großen vollenden wird, wenn auch da das Maß voll iſt. Jetzt entlarven ein Scheuſal!

Eiſenhauch begriff ihn nicht. Wer konnte einer Bagatelle jetzt nachgehn! Das Reich der Pygmäen war ja aus. Er bedachte nicht, daß um deßwillen noch nicht das von Titanen beginnt. Er traf den Miniſter auf dem Flur er kannte ihn, er wußte, was er unter andern Umſtänden von ihm erwarten durfte, aber jetzt Der Miniſter war zugleich preu¬ ßiſcher Krieger, ein hoher General, er hatte einſt ein Armeecorps commandirt. Jetzt mußte er den Zopf fortgeworfen haben, jetzt in Stahl und Eiſen auf¬ ſpringen, und wirklich der Miniſter ſchien erfreut, wie man erfreut iſt nach einer guten That. Er er¬ kannte ſogleich den Freiherrn: Gott ſei Dank, mir gelang eben etwas, was von dieſer Stadt eine große Gefahr abwendet.

Da rückte Eiſenhauch raſch in kurzen Worten mit ſeinen Anträgen vor: er bot ſeine Dienſte an, er ſtellte ſich zur Dispoſition, wohin man ihn brau¬ chen könne, er wollte noch mehr: einen unterwegs entworfenen ſtrategiſchen Plan andeuten, wie man durch raſches Zuſammenziehen der gebliebenen militä¬ riſchen Kräfte und Benutzung der Localitäten Po¬ ſitionen einnehmen könne, nicht ſtark genug, um einem ernſten Angriff des ſiegreichen Feindes zu widerſtehn,355 doch ausreichend, um die Hauptſtadt vor dem erſten Anprall zu ſchützen, die zerſprengten und flüchtigen Truppen aufzunehmen, in Cadres zu ſammeln als der Miniſter mit Entſetzen ihn unterbrach:

Sind ſie raſend! In ein brennend Haus ſich ſtürzen! Wir wir werben nicht, was neue Sol¬ daten ſollen wir noch den Kaiſer reizen! Wir können Gott danken

Wenn wir unſer elendes Leben ſalviren, rief eine Stimme von der Hofthür her.

Machen Sie ſich aus dem Staube, liebſter Frei¬ herr Eiſenhauch, verſchwinden Sie, ſchnell, ſchnell, ehe ein Spion Sie erblickt. Gott ſei Dank, mir gelang wenigſtens eins: das Pulver iſt aus Berlin, ehe er eintrifft. Er wittert überall Verſchwörungen, Empö¬ rungen, Herr Gott, er hätte in Zorn gerathen können

Ueber die Creatur, die er zum Mann ſchuf, und ſie ward ein Wurm! rief die Stimme und der alte Rittgarten hob ſeinen Stock. Es war ein erſchrecken¬ der Anblick, der Greis, der ſichtlich auf den Füßen ſchwankte, ſeine Bruſt bebend, ſein Geſicht vom Blut¬ andrang geröthet, aber weiße, verrätheriſche Streifen zogen ſich von der Naſenwurzel bis an die Mund¬ winkel. Seine Stimme polterte, aber die Laute wa¬ ren nicht mehr articulirt. Man konnte auf einen Schlaganfall aus Gemüthserſchütterung ſchließen. Und den Stock in der Luft ſchwingend, drohte er das Gleichgewicht zu verlieren. Eiſenhauch hatte ihn raſch unterfaßt. Mit äußerſter Anſtrengung ſtieß der23*356alte Krieger Worte vor: Fluch über die Verräther! Dieſe Sykophanten an Friedrichs Thron, die ſein Volk nichts achteten ſie werden die erſten ſein die ihm die Füße lecken, dem neuen Herrn Stem¬ pelt dieſen, zeichnet ihn, daß man ihn wieder erkennt, er wird die fremde Livrée tragen. O fort, hinaus, die Luft hier erſtickt.

Rittgartens Stock hatte den Miniſter nicht ge¬ troffen, aber ſein Blick und Wort. Er war ver¬ ſchwunden, in der nächſten Stunde auch aus Berlin. Die Prophezeiung des Sterbenden ging in Erfüllung. Der Miniſter aber er nicht allein ließ wenig Monate darauf ſich ein neues bordirtes Galakleid anmeſſen; er antichambrirte im Miniſterrock des Königs von Weſtphalen, ſo ſtolz und aufrecht, die Bruſt ſo reich geſchmückt, und er ſah ſo gnädig und herablaſſend auf Niedere, als damals, wo er nichts war und ſein wollte, als ein treuer Diener ſeines Herrn, des Königs von Preußen. Kleider machen Leute, ſagt das Sprüchwort, aber nicht auf Alle paßt es, denn in der Politik giebt es Männer, für die alle Kleider paſſen.

Ein Sterbender war der Major Rittgarten. Er athmete draußen noch ein Mal die freie Luft, er ſchien Eiſenhauch zu erkennen, er erſchrak nicht. Der führte ihn, den er einſt auf Tod und Leben gefor¬ dert. Ein Anderer hatte die Looſe geworfen, eine andre Hand die Kugel abgedrückt. Aber da lief ein Mann mit Pinſel und Zettel heran und klatſchte ein357 Plakat an die Thür. Als er das geleſen, zitterte er zuſammen, Eiſenhauch fühlte eine Erſchütterung in den Gliedern des Greiſes. Auf dem Plakate ſtanden die Worte:

Der König hat eine Bataille verloren. Seine Majeſtät und deſſen Brüder, Königliche Hoheit, ſind am Leben und nicht verwundet. Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht. Ich bitte darum. Schulenburg.

Es wird beſſer, antwortete Rittgarten auf des Majors Frage, der Hülfeleiſtende heranwinkte.

Ja, es wird beſſer, es muß beſſer werden, rief Eiſenhauch.

O mein Gott, mein Vaterland!

Er kann nicht mehr allein ſtehen, ſagte Jemand.

Preußen! athmete der Sterbende, an des Frei¬ herrn Bruſt ſinkend es war ſein letztes Wort.

Kann nicht mehr allein ſtehen, wiederholte Eiſenhauch dumpf. Es hätte nicht allein ſtehen dür¬ fen ohne Deutſchland.

Der Schlag hatte den Invaliden getroffen.

Im Trauerhauſe, dem Hotel des Miniſters ge¬ genüber, hatte auch ein Schlag getroffen. Die Ba¬ ronin lag auf ihren Knieen am Bette, ihr Geſicht verbergend. Gott verzeih ihrer Seele, wenn ſie nicht358 für die des Mannes betete, der eben, nach furchtba¬ ren Convulſionen, ſanft entſchlummert war. Es war ja Krieg, der in ſeinem Zorn Tauſenden

unnennbaren Jammer erregte,
Und viel tapfere Seelen der Heldenſöhne zum Ais
Sendete, ſelber ſie aber hinſtreute zum Fraße den Hunden
Und dem Gevögel der Luft. So ward Sein Wille vollendet.

Warum war's eine Sünde, wenn ein edles Weib in ihrem Gebet an eine andre Seele dachte, wenn ſie für dieſe um Vergebung flehte. Der Todte vor ihr hatte nie Jemand getäuſcht, was er war, hatte immer zu Tage gelegen, der Richter überm Sternenzelt kannte ihn und würde nach ſeinem Werth oder Un¬ werth das Urtheil fällen. Aber die Seele des Einen war mit einem Fleck dahin gegangen. Ein einziger Fleck hatte die reinſte Seele getrübt, und ehe er ſich verantworten können, hatte das blitzende Schwert den Helden niedergeſchmettert. Wußte ſie, in welchen Aengſten, daß er keinen hatte, dem er beichten, gegen den er ſich von dem einzigen Fehler, der ihn drückte, entlaſten konnte! Und war es denn eine Sünde, hatte er nicht wiſſen können, daß ſie gern Alles für ihn hingab, daß ſie mit Freuden ſeine Schulden be¬ zahlt hätte, wenn er ſich nur an ſie gewandt! War das nicht edel, daß er es nicht gethan! Nur in einem ſchwachen Augenblick hatte er ſich verführen laſſen, auch nur vielleicht in Betreff des Wucherers, der ihn aus der Noth ziehen ſollte. Und darum auf ewig verdammt! Nein, wenn Einer, er bedurfte des359 Mitleids. Und ſie hatte zum Vater, von dem alle gute Gaben kommen, gebetet, daß er Dohleneck vergebe.

Da war ſie, faſt erheitert, aufgeſtanden, ſie hatte des Todten Hand gedrückt, auch er würde im Leben nichts dagegen einzuwenden gehabt haben, und in ſtiller Faſſung ſaß ſie im Lehnſtuhl, die Augen ſchlie¬ ßend, als ein heftiger Schrei ſie aufſchreckte. Der Legationsrath, der, um Nachricht, ob Gefahr ſei, ein¬ zuziehen, ſie verlaſſen, war zurückgekehrt, er hatte ſich über das Bett geworfen, der ſtöhnende convulſiviſche Schrei kam von ihm.

Da iſt ein edler Freund mir hingegangen. Er da oben nur weiß, was er mir war! rief er, ſich erhebend, die Hände über's Geſicht deckend. Nur auf kurze Secunden. Den nächſten Augenblick beugte er ſich über die Wittwe, ſie fühlte einen langen Kuß auf ihre Stirn gedrückt:

Das iſt der Bruderkuß, der Schweſter gegeben. Die Sterne wollen es ſo. Edler Todter, deine Seele blickt auf uns, aber ich ſehe dich ruhig lächeln, denn du weißt, daß ich deine heiligen Pflichten gegen dein Weib erfüllen werde. Durch dieſen Kuß beſiegle ich mein Gelöbniß.

Sie war vorhin überraſcht worden, jetzt, als ſeine Lippen ſich ihr näherten, ſtieß ſie ihn zurück. Sie wollte ſich auf die Leiche werfen, aber mit eben ſolcher Entſchloſſenheit riß er ſie am Arme zurück:

Unglückſelige! Wiſſen Sie, was Sie thun? Er360 iſt an der Cholera geſtorben. Sein Hauch iſt Peſt. Er muß noch heut unter die Erde.

Er ſtand gebieteriſch zwiſchen ihr und der Leiche. Ehe ſie Zeit zu antworten hatte, führte er ſie ſchon, halb zwang er ſie an den Schreibſecretair:

Schnell, keine Minute verloren! Ihre wichtigſten Papiere, Kleinodien, was Sie an Geldeswerth faſſen können in einen Kaſten, Korb, was es iſt. Ich beſorge mit Ihrem Kammermädchen die nöthigſten Kleider. Der Wagen rollt vor

Was iſt's, mein Herr!

Sie wiſſen nicht! In einer Viertelſtunde ſpäteſtens müſſen wir fort. Auf der Schöneberger Höhe ſieht man ſchon die Avantgarde. Alles flieht, wer nur Pferde auftreibt. Die Königin beinahe in Lebensgefahr. Sie wird jetzt ſchon aus dem Thore ſein. Geſtreckter Galopp. Die Franzoſen werden plündern, vielleicht die Stadt in Brand ſtecken. Napoleons Wuth iſt unausſprechlich. Nur keine Frauen zurückgelaſſen, ruft es durch alle Straßen. Sie mißhandeln Ihre Brutalität iſt ohne Gränzen. Unglücklich Weib! keinen Augenblick verloren!

Er hatte den Secretair aufgeriſſen. Mechaniſch folgte ſie ſeinem Befehl; ſie hatte keine Luft, keinen Athem zum Denken, zum Erwägen. Das Räder¬ geraſſel draußen, das Stimmengewirr unterſtützten, was Wandel ſagte. Eine Chatoulle war in lautloſer Angſt gepackt.

Nur nichts Unnützes! rief er, als ſie ein Pack361 eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. Wozu ſich mit Erinnerungen beſchweren! Nur nichts hinter uns.

Die Briefe fielen zerſtreut auf die Tiſchplatte. Sie ließ Alles geſchehen in ſprachloſer Erſtarrung. Da nahm er einen: Ah, Dohlenecks Hand! Selig ſind die Todten, aber ſie haben nichts zu ſchwatzen.

Ehe ſie es hindern konnte, hatte er den Brief in kleine Stücke zerriſſen. Aber ſie hatte den Blick geſehen, der auf das Papier ſchoß, die Freude, die aus ſeinen Augen blitzte es war eine ganz eigen¬ thümliche Freude das Weiße des Auges verzog ſich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da blitzte etwas auf in ihr; es war, als ob ein Vorhang riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß ſie ihn vom Kopf bis Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das in ihr aufſchoß. Ihr Geſicht röthete ſich, ein Strahl von einer Freude ſchoß darüber, während ſie un¬ willkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger der ſchönen Hände ſich krümmten.

Warum vernichten Sie gerade den Brief?

Weil weil ich im Intereſſe dieſes heiligen Todten ſeiner Wittwe Erinnerungen ſparen will, die den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten.

Der imponirende Ton verfehlte ſeine Wirkung. Ein krampfhaftes Lachen erleichterte ihre Bruſt: Falſch! es iſt Alles falſch an Ihnen jetzt ich ahne Sie ſind ein Menſch, dem Niemand trauen durfte o mein Gott! und da der todte Mann Wer ſchützt mich!

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Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden wenigſtens würde er danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬ dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬ beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬ braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das: Wiſſen Sie ſchon?