Wenn Dich eine höhere Vorſtellung durch¬ dringt von einer Menſchennatur, ſo zweifle nicht daß dies die wahre ſei, denn alle ſind geboren zum Ideal, und wo Du es ahnſt, da kannſt Du es auch in ihm zur Erſcheinung bringen, denn er hat gewiß die Anlage dazu.
Wer das Ideal läugnet in ſich, der könnte es auch nicht verſtehen in Andern, ſelbſt wenn es vollkommen ausgeſprochen wär. — Wer das Ideal erkannte in Andern, dem blüht es auf, ſelbſt wenn jener es nicht in ſich ahnt.
Frankfurt.
Günderödchen, der Clemens läßt Dich tauſendmal grüßen. Ich muß es zuerſt ſchreiben, denn er ſteht hinter mir und zwingt mich dazu, er ſpricht von einem Dom¬ pfaffen oder Blutfinken der in Dich verliebt ſei, und er ſei ſo anmuthig dumm, daß er Dir prophezeiht Du wer¬ deſt ihm nicht widerſtehen, denn die Dummheit ſei Deine Schwäche, Du falleſt drüber her wie ein Raubvogel über ein neugeboren Gänschen und er hab Dich mehrmals ſehen lauern und ſchweben mit gierigem Blick über Dummheits¬ phänomenen, und die würdeſt Du Dir auch nie haben ab¬ jagen laſſen, und Du ſeiſt gewiß im Rheingau auf der Jagd danach, während hier die merkwürdigſten Exem¬ plare Dir in die Hände laufen würden, und auch meh¬ rere für ein Geringes an Geld zu ſehen ſind.
Alleweil hat er den Hut genommen um zu dem Puppenſpiel Plätze zu beſtellen, er will die Pauline hin¬ einführen um ihr augenſcheinlich zu machen wie es in ihrem Magen ausſieht. Denn ſie habe ein Puppen¬II. 12ſpiel im Leib und wenn ſie mit ihm ſpricht ſo antwor¬ tet er dem Pantalon, dem Scaramutſch, dem Hans¬ wurſt, der Colombine ꝛc. — und ſo oft ſie was ſagt ſo oft antwortet er einer andern Perſon vom Puppen¬ ſpiel und ſo paſſend, daß das Puppentheater, nem¬ lich der Pauline Magen am meiſten vom Lachen er¬ ſchüttert wird. Er iſt unerſchöpflich an Witz und alles läuft ihm nach. Daß Du nicht hier biſt hat ihn merk¬ lich betroffen, er wollt ich könnt Dich bewegen zu kom¬ men, aber Du wirſt die Gärten des Dyoniſos nicht verlaſſen wo Du jeden Morgen reife Beeren koſteſt die der Gott Dir zum Fenſter hinan reicht, um hier auf der ſchmutzigen Meſſ die Bären tanzen zu ſehen. Hätt der Clemens nicht hier auf mich gewartet ſo hätt ich mögen mit Dir im Rheingau bleiben, der Franz hätts wohl erlaubt, ich hab mehrmals dran gedacht; wie ſchön wärs geweſen, da wären wir herumgeſchweift — überall — wo andre Menſchen nicht hinkommen; — oft iſt ein klein verborgen Plätzchen das Niemand kennt das Schönſte von der Welt. — Ich ſag Dir, wir hätten Quellchen entdeckt tief im Gras und Geſtein, und einſame Hütt¬ chen im Wald, und vielleicht auch Höhlen — ich durch¬ forſchel gar zu gern die Natur Schritt vor Schritt. Ich dächt wir ſähen uns auch einſtweilen um, nach einem3 Ort wo wir unſre Hütten bauen wollen — Du auf dem Berg weit ins Freie hinaus, und ich im Thal wo die Kräuter hoch wachſen und alles verſteckt iſt, oder im Wald, aber nah beiſammen daß wir uns zurufen kön¬ nen. Du rufſt durchs Sprachrohr: „ Bettine komm herauf! “und da komm ich, und der Kanarienvogel fliegt voran, der weiß ſchon wos hingeht und der Spitz kommt nachgebellt, denn im Thal muß man einen Hund haben. Hör! — und im Frühjahr nähmen wir unſre Stecken und wanderten, denn wir wären als Einſiedler, und ſagten nicht daß wir Mädchen wären. Du mußt Dir einen falſchen Bart machen, weil Du groß biſt, denn ſonſt glaubts niemand, aber nur einen kleinen, der Dir gut ſteht, und weil ich klein bin, ſo bin ich als Dein kleiner Bruder, da muß ich mir aber meine Haare abſchneiden. — So eine Reiſe machen wir im Frühjahr in der Maiblumenzeit, aber da verſäumen wir die Erd¬ beeren! Denn im Thal wär als alles überſäet, erſt mit Veilchen und dann mit Erdbeeren, davon leben wir ſechs Wochen; Kohl pflanzen wir nicht. — Im Herbſt ſind wir wieder da und eſſen die Trauben, ach könnts nur einen Sommer wahr werden! — mir kömmts vor als könnt man ſo immer und immer ſein wollen. Denn1*4wahrhaftig mir ſtrömt alle Weisheit aus Deinem An¬ geſicht, ich hab mehr als zu viel was in mich hinein¬ ſpricht wenn ich Dich ſeh, und wenn Du auch nur ſtill¬ ſchweigſt ſo redſt Du doch, Du biſt ein groß Geheimniß aber ein offenbares, aber ich ſchlafe in Deiner Gegen¬ wart, Dein Geiſt ſchläfert mich ein, ſo träum ich daß ich wache, und empfinde nur alles im Traum und das iſt gut, denn ſonſt würd ich verwirrt ſein.
Wie der Clemens nach Haus gekommen war, hat er gleich nach meinem Brief gefragt, er wollt auch dran ſchreiben, ich hab ihn aber zerſtreut durch allerlei was ich von Dir erzählte, denn ich wollt ihn nicht gern leſen laſſen daß ich als Einſiedler mit Dir leben wollt, denn er häts gewiß im Puppenſpiel angebracht, ſo erzählt ich ihm von unſrer Rheinfahrt in der Mondnacht mit der Orangerie auf dem Verdeck, das machte ihm ſo viel Freude, er frug nach allem was noch vorgefallen, nach jedem Wort, nach den Ufern, nach dem Mond; und ich erzählte ihm alles, denn ich wußte alles, jed Lüftchen was ſich erhoben hatte und wie der Mond durch die Luken und Bogen hinter den Bergfeſten geſchimmert hat und alles, und er frug auch was wir geſprochen, ich ſagte: nichts, oder nur wenig Worte, denn es ſei die ganze Natur ſo ſchweigend geweſen. — Und wie er5 alles ausgeforſcht hatte da ging er fort und ſperrte mich ein und ſagte ich ſollt ein Gedicht davon machen grad ſo wie ichs erzählt habe, und ſollt es nur aufſchreiben immer in kurzen Sätzen, wenn es ſich auch nicht reime, er wolle mich ſchon reimen lehren, und ſo ging er hinaus und ſchloß die Thür ab, und vor der Thür rief er, nicht eher kommſt Du heraus bis Du ein Gedicht fertig haſt. — Da ſtand ich — ganz widerſinnig im Kopf. — Ans Aufſchreiben dacht ich nicht. — Aber ich dacht an das Versmachen, wie ſeltſam das iſt. — Wie in dem Ge¬ fühl ſelbſt, ein Schwung iſt der durch den Vers gebro¬ chen wird. — Ja wie der Reim oft gleich einer be¬ ſchimpfenden Feſſel iſt für das leiſe Wehen im Geiſt. Belehr mich eines Beſſeren wenn ich irre, aber iſt es nicht wahrſcheinlich, daß Reim und Versmaas auf den urſprünglichen Gedanken ſo einwirke daß er ihn verfälſcht? — Überhaupt was ſeelenberüh¬ rend iſt, das iſt Muſik, das hab ich ſchon lang in mir erfahren, denn es kann nichts die Sinne rüh¬ ren und durch dieſe die Seele, als nur Muſik; was Dich bewegt giebt Klang, der weckt ſeine Mittöne, die rühren das Echo doppelt und allſeitig, und die ganze Harmonie erwacht, — und zwiſchen dieſer durch, wan¬ delt der Gedanke und wählt ſich ſeine Melodie, und6 offenbart ſich durch die dem Geiſt. — Das deucht mich die Art wie der Gedanke ſich dem Geiſt vermählt. Nun kann ich mir wohl denken daß der Rhythmus eine or - ganiſche Verbindung hat mit dem Gedanken, und daß der kurze Begriff des Menſchengeiſtes durch den Rhyth¬ mus geleitet, den Gedanken in ſeiner verklärten Geſtalt fassen lernt ‚ und daß der den tieferen Sinn darin be¬ leuchtet, und daß wie die Begeiſtigung dem Rhythmus ſich füge ‚ ſie allmählig ſich reiner faſſe ‚ und daß ſo die Philoſophie als höchſte geiſtige Poeſie erſcheine, als Of¬ fenbarung, als fortwährende Entwicklung des Geiſtes ‚ und ſomit als Religion. Denn was ſoll mir Religion wenn ſie ſtocken bleibt? — aber nicht wie Du ſagſt, daß Philoſophie endlich Poeſie werden ſoll, nein mir ſcheint ſie ſoll ſein ‚ oder iſt, die Blüthe, die reinſte die unge¬ zwungenſte in jedem Gedanken überraſchendſte Poeſie ‚ die ewig neu Gottesſprache iſt in der Seele. —
Gott iſt Poeſie, gar nichts anders, und die Menschen tragen es über in eine todte Sprache die kein Ungelehrter verſteht, und von der der Gelehrte nichts hat als ſeinen Eigendünkel. — So wie denn das Machwerk der Men¬ ſchen überall den Lebensgeiſt behindert, in allem, in jeder Kunſt, daß die Begeiſtrung durch die ſie das göttliche wahrnehmen von ihnen geſchieden iſt, — und ich muß7 mich kurz faſſen, ſonſt wollt ich mich noch beſſer be¬ ſinnen.
Die Berührung zwiſchen Gott und der Seele iſt Muſik, Gedanke iſt Blüthe der Geiſtesallheit wie Me¬ lodie Blüthe iſt der Harmonie.
Alles was ſich dem Menſchengeiſt offenbart iſt Me¬ lodie in der Geiſtesallheit getragen, das iſt Gottpoeſie. Es enthüllt ſich das Gefühl in ihr, ſie genießend, em¬ pfindend, keimt auf in der Geiſtesſonne, ich nenn es Liebe. Es geſtaltet ſich der Geiſt in ihr, wird Blüte der Poeſie Gottes, ich nenn es Philoſophie. Ich mein wir kön¬ nen die Philoſophie nicht faſſen, erſt die Blüthe wird in uns. Und Gott allein iſt die Geiſtesallheit, die Harmo¬ nie der Weisheit. — Ach ich hab das alles nicht ſagen wollen, der Kopf brennt mir und das Herz klopft mir zu ſtark wenn ich will denken, als daß ich deutlich ſein könnt. Ich wollt vom Reimen ſprechen.
Mir kommen Reime kleinlich vor ſo wie ich ſie bilden ſoll, ich denke immer: ach der Gedanke will wohl gar nicht gereimt ſein, oder er will wo anders hinaus und ich ſtör ihn nur, — was ſoll ich ſeine Äſte verbiegen die frei in die Luft hinausſchwanken und allerlei feinfühlig Leben einſau¬ gen, was liegt mir doch daran, daß es ſymetriſch verputzt ſei. Ich ſchweife gern zwiſchen wildem Gerank wo hie8 und da ein Vogel herausflattert und mich anmuthig erſchreckt, oder ein Zweig mir an die Stirne ſchnellt, und mich gedankenwach macht, wo mich die alte Leier eingeſchläfert hätt. — Und iſt nicht vielleicht die Gedan¬ kenſeele ſelbſt, Rhythmus der die Sinne lenkt; und ſol¬ len wir dem nicht nachſtreben? Nun kurz aus meinem Gedicht iſt nichts geworden, wie hätt ich unſre orangen¬ blühende Nacht, unſre ſelige Alleinigkeit verpfuſchen ſol¬ len, ſie, die in jeder verlebten Minute jenes Gefühl aus¬ ſprach was ich da oben Gottpoeſie, Weisheitsgefühl nenne. — Nein ich wollt nicht ein ſo ſüß Dämmern zu einzelnen Gedankenſchatten zuſammenballen. Laß es fort¬ dämmern oder ſich verflüchtigen; aber nicht in engherzige Verſe einklammern was ſo weiche Zweige in die Luft ausſtreckt, laß es fortblühen bis es welkt; Du ſiehſt ich mache mir dieſe poetiſchen Unbemerkungen (Ungeheuer) blos in Beziehung auf mich, ich lieb die Poeſie ſie erfüllt mich in Dir und in andern mit Begeiſtrung, aber nicht in mir.
Als der Clemens mich aus der Priſon entließ hatt ich das Mährchen gereimt von der alten Frau Hoch, vom Hofnarren der ſeinem König lehrt Fiſche fangen, und ihn ſelber im Hamen fängt und ins Waſſer taucht und ſagt ſo fangen die Narren Fiſche, aber der Kö¬ nig im Hamen wird keinen fangen. Im Puppenſpiel war9 Clemens von beſeeligtem Humor, die Witze echapierten ihm, wie wenn ein Feuerwerk ihm in der Taſche ſich ent¬ zündet hätt, jeden Augenblick flog eine[Rakete] auf, bis endlich das Puppenſpiel ihn übermannte wo er vor La¬ chen nicht mehr witzig ſein konnt.
Geſtern wanderten wir durch die Judengaſſe, es liefen ſo viel ſonderbare Geſtalten herum und verſchwan¬ den wieder daß man an Geiſter glauben muß, es ward ſchon dämmerig, und ich bat daß wir nach Haus ge¬ hen wollten, der Clemens rief immer ſeh den, ſeh da, ſeh dort wie der ausſieht, und es war als liefen ſie mir alle nach, ich war ſehr froh als wir zu Haus waren.
Leb wohl, es iſt mir nicht geheuer hier daß Du nicht da biſt wo ich mich erholen kann, wo ich zu mir ſelbſt komme; es iſt mir ſo fremd. —
Bettine.
Liebe Bettine, ſo wie Dein Brief anfängt mit den tauſend Grüßen von Clemens ſo beantworte ſie ihm doch auch in meinem Namen, es thut mir auch recht leid daß ich nicht mit Euch bin, allein die Luft und die Trauben thun meinen Augen ſo gut, und iſt mir wohl¬1**10thätig im Ganzen. — Obſchon mich Euer Treiben höch¬ lich ergötzen würde und namentlich das Puppenſpiel; — ich übergehe alles, — was Du vom Rhythmus ſagſt leg ich Dir ſo aus: Du ahneſt ein höheres rhythmiſches Geſetz, einen Rhythmus der Geiſt iſt im Geiſt, der den Geiſt aufregt und zu neuen Offenbarungen leitet, du glaubſt daß der Reim die geringſte ja oft erniedrigende Stufe dieſes metriſchen Sprachgeiſtes iſt, und oft die Ahnung oder die Gewalt des Gedankens brechen könnte, daß der ſich nicht zu jener Höhe entwickelt zu der er urſprüng¬ lich berufen war, — das will ich nicht widerſprechen, denn Du kannſt recht haben; nemlich, Du kannſt recht haben daß es ein höheres muſikaliſches Geſetz gebe, daß die Anlage zu dieſem in jedem freien Gedanken liege und durch den Versbau mehr oder weniger unterdrückt werde.
Du wirſt aber auch zugeben daß im Dichter auch eine Begeiſtrung waltet die von höherer Macht zeugt, da dieſe kindlichen Geſetze zu denen er ſich be¬ quemt, ihn grade zur Kunſt anleiten, die an ſich ſchon ein höherer Inſtinkt iſt. Du ſagſt zwar in Bezug auf Kunſt, das Machwerk der Menſchen behindre überall den Lebensgeiſt, das glaube doch ja nicht daß jene die vielleicht kein hohes Genie im Gedicht entwicklen, nicht hierdurch zu höherem gebracht würden, denn erſt wer¬11 den ſie doch auf eine Kunſt vorbereitet, ſie haben eine Anſchauung von Gedanken oder Gefühlen die durch Kunſtform eine höhere ſittliche Würde erlangen, oder behaupten, und dies iſt der Beginn daß der ganze Menſch ſich da hinübertrage; es iſt nicht zu verachten das im unmündigen ſich der Trieb zum Licht regt. — Und darum mein ich daß kein Gedicht ohne einen Werth ſei.
Gewiß jedes Gefühl, ſo einfach oder auch einfältig es geachtet werden könnte, ſo iſt der Trieb es ſittlich zu verklären nicht zu verwerfen, und manchen Gedich¬ ten die keinen Ruf haben, habe ich doch zuweilen die Empfindung einer unzweifelhaften höheren Wahrheit oder Streben dahin angemerkt, — und es iſt auch ge¬ wiß ſo. Die Künſtler oder Dichter lernen und ſuchen wohl mühſam ihren Weg, aber wie man ſie begreifen und nachempfinden ſoll, das lernt keiner, — nehme es doch nur ſo, daß alles Streben ob es ſtocke ob es fließe, den Vorrang habe vor dem Nichtſtreben. — Gute Nacht für heut kann ich nicht mehr ſagen; nicht alles iſt mir gleich deutlich in Deinem Brief, Du ſagſt mir wohl über manches noch mehr, oder daſſelbe noch einmal. — Der Ton in der Sprache thut auch viel zum Verſtehen, wären wir beiſammen, würde ſich leichter und vielſeiti¬ ger ergeben was wir wollen und meinen, und auf den12 Sprachgeiſt vertraue ich auch ſchon daß der uns nicht verlaſſen würde. — Himmliſche Nächte ſind hier — wind¬ durchbraußte, und Gewitter die Sommer und Herbſt auseinander donnern. —
Du führſt eine heilige Sprache, Du biſt heilig wenn Du ſprichſt; in Dir fühl ich den Rhythmus der Deinen Geiſt trägt zu höherer Erkenntniß; — und ich fühl daß die Güte die Milde die Erzeugerin iſt, all der reinen Wahrheit in Dir, wie Du ihr Abdruck biſt; wollt ich doch nicht alles auf einmal ſagen ſo wär ich deutlicher, Du biſt mäßig drum iſt alles ſo überzeugend was Du ſagſt; wüßt ich doch noch was ich Dir ge¬ ſchrieben hab, nur um Dich wieder zu hören mag ich denken, nur daß Du aus dem Anklang meines Geiſtes Melodieen bildeſt. Jeder Ton beſteht für ſich, aber er bildet durch den Anklang mit andern Tönen Melodieen, Gedanken. Aus allen Melodieen aus allen Gedanken beſteht die Geiſtesallheit die Gottespoeſie, die Philoſo¬ phie. — Es iſt Gottespoeſie, Harmonie die den Gedan¬13 ken die Melodie erzeugt, ſie hebt ſich aus dieſer, wie aus den Frühlingselementen die Blüthe erſteigt, der blühende Geiſt ſteht mitten im Frühlingsgarten der Poeſie. —
Muſik iſt ſinnliche Natur der Geiſtesallheit. Wir möchten wiſſen was Muſik iſt, die ſo fühlbar iſt und doch ſo unbegreiflich — das Ohr rührt, und dann das Herz und dann den Geiſt weckt, daß der tiefer denke. Sie iſt die ſinnliche Geiſtesnatur; aller Geiſt iſt ſinnen¬ bewegter Leib des Geiſtigen iſt alſo auch Muſik, drum ſind Gedanken in der Muſik unwillkührliche, ſie erzeugen ſich in dieſer Sinnenregung der Seele. — Ach Worte feh¬ len — und zu allſeitig dringt es auf mich ein — und es bangt mir um den Ausdruck von dem was mir in der Seele blitzt, — und hab Angſt der könne meinen Begriff umtauſchen, — und — „ o gieb vom weichen Pfühle träumend ein halb Gehör! “ſo leierts im langweiligen Hinter¬ grund meiner ſchlummernden Denkkraft, und dann wühle ich mich ein bischen aus meiner Faulheit heraus und lauſch träumend dem Traum, und dann ſingts wie¬ der bei der Gedanken Spiele, — ach ſchlaf, was willſt du mehr. Wenn eine ſchlummernde Ah¬ nung wach wird in der Muſik, da breiten ſich alle Ge¬ fühle mächtig aus, und jeder Ton ſpricht verſtärkte Em¬14 pfindung aus und ein inneres Streben zum Höheren, zum bemächtigen gewaltigerer Fähigkeiten begleitet den rhythmiſchen Gang, ja wird von ihm geleitet ich habs erfahren: Bei meinem Saitenſpiele ſegnet der Sterne Heer, die ewigen Gefühle. —
Und ſo wahr iſts daß aller Geiſt ſinnliche Muſik iſt, daß wie in der Harmonie jedes Bewegen eines Tons neue Wege öffnet, oder wenn ich in andern Beziehungen nur augenblicklich vorempfinde, ſo dringt die Harmonie wie durch neu geöffnete Bahn mächtig ein, ſo iſt im Geiſt, jedes Vorempfinden eines inneren Zuſammenhangs mit ferner liegendem, ein ewiger Harmonieenwechſel, und die Melodie der Gedanken weicht aus den engeren Schranken zu höherer Anſchauung. Die ewigen Ge¬ fühle heben mich hoch und hehr aus irdiſchem Gewühle. —
Und ſo iſt alles was unabweisbare Wahrheit iſt, in ewig wechſelnder Lebensbewegung, — und ich fürcht mich vor dem Denken ſo allein. — Wenn wir beiſam¬ men wären! da theilen wir uns, und durch Dein Be¬ greifen giebſt Du meinem Geiſt die Faſſung, der muß nach dem ſich richten, und dann hab ich auch Ruhe und Verſichrung im Geiſt daß ich mich ausdrücken15 lerne: Vom irdiſchen Gewühle trennſt du mich nur zu ſehr bannſt mich in dieſe Kühle.
Und könnten wir doch immer zuſammen ſprechen, der lieblichen Unordnung entſteigt Alles. — Ja da fühl ich wie das iſt daß der Geiſt aus dem Chaos aufſtieg, nehms nicht zu genau, Gieb nur im Traum Gehör ach auf dem weichen Pfühle ſchlafe! was willſt du mehr.
Denn; wie auch das Alllebendige ſich berühre, es ent¬ ſteigt Wahrheit aus ihm, aus dem chaotiſchen Wogen und Schwanken entſtieg die Welt als Melodie? —
Caroline.
Ja! und alle Sterne ſind Melodieen die im Strom der Harmonie ſchwimmen, Weltſeelen die den Geiſt16 Gottes hervorblühen, Töne die mit verwandten Tönen anklingen, und wenn wir zu den Sternen aufſehen, ſo klingen unſre Gedanken an mit ihnen, denn wir gehö¬ ren in die Sippſchaft, ihnen verwandter Accorde; — und wie jeder Gedanke, jede Seele Melodie iſt, ſo ſoll der Menſchengeiſt durch ſein Allumfaſſen, Harmonie werden — Poeſie Gottes, — nehms nicht zu genau, und gieb es deutlicher wieder als ichs ſagen kann.
So wär der Menſchengeiſt durch ſein Faſſen, Be¬ greifen, befähigt Geiſtesallheit, Philoſophie zu werden; alſo die Gottheit ſelbſt? — denn, wär Gott unendlich, wenn er nicht in jeder Lebensknospe ganz und die All¬ heit wär? — ſo wär jeder Geiſtesmoment die Allheit Gottes in ſich tragend, ausſprechend? —
Caroline.
17Ja! das beweißt die Muſik, jeder Ton ſpricht ſei¬ nen Accord aus, jeder Accord ſpricht ſeine Verwandt¬ ſchaften aus, und durch alle Verwandtſchaft ſtrömt der ewig wechſelnde Gang der Harmonieen zu, der ewig erzeugende Geiſt Gottes. Denken iſt Gott-ausſprechen, iſt ſich geſtalten in der Harmonie, — ich wage nicht einen Seitenblick zu thun, aber ich fühls daß im Be¬ greifen der Geiſt Gottes ſich erzeugt im Menſchengeiſt, und zu was wär dieſer Keim der Gotterſcheinung im Menſchengeiſt, wenn er nicht durch ewiges Streben ihn ganz entwicklen ſollte? — der einzige Zweck alles Le¬ bens, Gott faſſen lernen! und das iſt auch unſer inne¬ rer Richter. Was Gott nicht entwickelt das bliebe lie¬ ber ungeſchehen, denn es iſt nicht Melodie, — was aber unmelodiſch iſt, das iſt Sünde denn es ſtört die Har¬ monie Gottes in uns, es klingt falſch an aber alle große Handlung weckt die Harmonie, alle Sterne klin¬ gen mit ein, drum iſt groß Denken groß Handlen auch ſo ſelbſt befriedigend, es löſt die gebundnen Accorde in uns auf in höhere Harmonieen und ſteigern ſich die muſikaliſchen Tendenzen durch allſeitiges Erklingen al¬18 ler mittönenden Accorde. — Aber ich kann nicht mehr weiter drüber denken, ich träume nur, und ſchlafe tiefer über dem Saitenſpiel meiner Gedanken ein und mir entſchlüpft alles ungeſagt. —
Du lebſt und ſchwebſt in freier Luft, und die ganze Natur trägt Deinen Geiſt auf Händen; ich dräng mich durch zwiſchen Witz und Aberwitz, und hier und dort nimmt mich die Albernheit in Beſchlag; und wenn ich Abends zum ſchreiben komm, und muß das Unmögliche denken, was unmöglich iſt auszuſprechen, dann bin ich gleich traumtrunken, und dann ſchwindelt mir wenn ich die Augen öffne; die Wände drehen ſich und der Menſchen Treiben dreht ſich mit. — Und obs doch nicht noch in der Sprache verborgne Gewalten giebt, die wir noch nicht haben? — noch nicht zu regieren verſtehen; — das ſchreib mir, ob Du es auch glaubſt, und ob wir da hindringen könnten das Ungeſagte auszuſpre¬ chen, denn gewiß ſo wie die Sprache ſich ergiebt ſo muß der Geiſt hereinſtrömen, denn der ganze Geiſt iſt wohl nur ein Überſetzen des Geiſt Gottes in uns. Gute Nacht.
Bettine.
19Du meinſt wenn Du taumelſt und ein bischen trun¬ ken biſt das wär unausſprechlicher Geiſt? — und Du beſäufſt Dich aber auch gar zu leicht, — weil Du den Wein nicht verträgſt, Du meinſt es müßten neue Sprach¬ quellen ſich öffnen um Deine Begriffe zu erhellen. Werd ein bischen ſtärker, oder trinke nicht ſo viel auf einmal, wollteſt Du Dich feſter ins Auge faſſen, die Sprache würde Dich nicht ſtecken laſſen.
Von der Sprache glaub ich daß wohl ein Menſchen¬ leben dazu gehört, um ſie ganz faſſen zu lernen, und daß ihre noch unentdeckten Quellen, nach denen Du for¬ ſcheſt wohl nur aus ihrer Vereinfachung entſpringen. Den Rath möchte ich Dir geben, daß Du bei Deinem Ausſprechen von Gedanken das Beweiſen aufgiebſt, dies wird Dirs ſehr erleichtern. Der einfache Gedankengang ergießt ſich wohl von ſelbſt in den Beweis, oder was das nemliche iſt: die Wahrheit ſelbſt iſt Beweis. Be¬ weislos denken iſt, Freidenken; Du führſt die Beweiſe zu Deiner eignen Aushülfe. Ein ſolches freies Denken verein¬ facht die Sprache, wodurch ihr Geiſt mächtiger wird. Man muß ſich nicht ſcheuen das was ſich ausſprechen20 will, auch in der unſcheinbarſten Form zu geben, um ſo tiefer und unwiderſprechlicher iſts. Man muß nicht be¬ theuern weil das Mißtrauen gegen die eigne Eingebung wär. — Nicht Begründen: weil es eingreift in die freie Geiſteswendung, die nach Socrates, vielleicht Gegenwen¬ dung wird, und nicht Bezeugen oder Beweiſen wollen in der Sprache weil der Beweis ſo lang hinderlich iſt, dem Geiſt im Wege iſt, bis wir über ihn hinaus ſind; und weil dieſe drei Dinge unedel ſind, ſowohl im Leben wie im Handeln, wie im Geiſt. Es ſind die Spuren des Philiſterthums im Geiſt.
Freier Geiſt verhält ſich leidend zur Sprache und ſo verhält ſich auch die Sprache leidend zu dem Geiſt, beide ſind einander hingegeben ohne Rückhalt, ſo wird auch keins das andre aufheben, ſondern ſie werden ſich einander ausſprechen ganz und tief. — Je vertrauungsvoller, um ſo inniger. — Wie es in der Liebe auch iſt. — Was ſollte alſo die Sprache am Geiſt zu kurz kommen? — Liebe gleicht alles aus. — Trete nicht zwiſchen ihre Liebkoſungen ſie werden einan¬ der ſo beſeligen daß nur ewige Begeiſtrung aus beiden ſtrömt. — Und hiermit wär Deine Ahnung von der Ge¬ walt des Rhythmus wohl auch berührt, beweiſen wollen wir ja nicht. —
21Alles was wir ausſprechen, muß wahr ſein weil wir es empfinden. Mehr müſſen wir für andre auch nicht thun, denn das ſondert jene nur von dem kindlichen urſprünglichen Begriff. — Wir müſſen des andern Geiſt nicht als Gaſt in unſre Begriffe einführen, ſo wie ein Gaſt auch weniger das Heimathliche begreift, er muß ſelbſt durch das Manglende im Ausdruck auf die Spur des Begriffs geleitet werden, da nur im unverfälſchten Vertrauen, oder im vollkommnen Hingehenlaſſen, ſelbſt in ſcheinbar Nachläſſigem (was doch nur vertrauungs¬ volle heilige Scheu der Liebe iſt) ſich der Geiſt oft erſt orientirt; zum wenigſten wirds ihm viel leichter. —
Mag nicht oft tiefere Wahrheitsſpur verſchwunden ſein, wo nach ihrer Bekräftigung ſuchend, ihr urſprüng¬ licher Keim verletzt wurde.
Haben nicht die geiſtſchmiedenden Cyclopen mit dem einen erhabenen Aug auf der Stirne die Welt ange¬ ſchielt, ſtatt daß ſie mit beiden Augen ſie geſund wür¬ den angeſchaut haben? — Das frag ich in Deinem Sinne die Philoſophen, um ſomit hier alle weitere Un¬ terſuchung aufzuheben, und erinnere mich zu rechter Zeit an Deine leichte Reizbarkeit.
Leb wohl! an meinem Fenſter giebts heute zu viel Einladendes als daß ich widerſtehen könnt der Muſe22 die mich dahin ruft. — Leb wohl! ich habe Dich recht lieb.
Caroline.
Mit Dir kann ich ſo ſprechen Du verſtehſt es, kein andrer wahrſcheinlich. — Oder wer müßte das ſein? —
Ich war heut draus bei der Großmama, ſie war allein, den ganzen Nachmittag, und wir ſprachen erſt von Dir, die Großmama war einen Augenblick beſchäf¬ tigt, ſo lief ich in den Garten um ihn nach langer Zeit wieder zu ſehen, aber wie war ich da erſchrocken wie ich auf die Hoftreppe kam, ich erkannte den Garten nicht wieder; denke! — die hohe ſchwankende Pappelwand, die himmelanſteigenden Treppen die ich alle wie oft hinangeſtiegen bin um der Sonne nachzuſehen, um die Gewitter zu begrüßen; durchgeſchnitten! — zwei Drittel davon in grader Linie abgeſägt! — ich wußte nicht wie mir geſchah und alles will ich gern begreifen und lernen, was ſoll mir das ſchaden, aber dieſe Pappeln, dieſe Zeugen meiner frühſten Spielſtunden die mich als Kind23 von drei Jahren mit ihren Blüthen beregneten, in die ich hinaufſtaunte als ob ihre Höhe in den Himmel reiche. Ach was ſoll ich da dazu ſagen daß die als Stumpfe mit wenig Äſten noch verſehen neben einander ſtehen gemeinſamen Schimpf und Leid tragend. — Ach Ihr Baumſeelen wer konnte Euch das thun? — nun ziehen alle frühen Kindheitsmorgen an mir vorüber wo ich ihre Wipfel von weitem im Gold glänzen ſah, und daß ſie mir winkten ich ſoll mich eilen und kommen und wie hab ich oft ihre jungen Blättchen betrachtet und keins abgebrochen je! — ach es ſchneidet mir ins Herz — es war als könnten ſie nicht mehr ſprechen als ſei ihnen die Zunge genommen denn ſie können ja nicht mehr rauſchen. So war ihr Stummſein eine bit¬ tere bittere Klage zu mir die ich ewig mit mir herum¬ tragen werde, und keinem ſagen als nur Dir. Du weißt wie Du oft ſagteſt wenn wir da gingen daß ihr Rau¬ ſchen mitſpreche und wie ſie uns abſonderten von der ganzen Welt, und wie ſie einen Dom über uns bauten, und gegenüber die hohe Roſenhecke die über die Wand vom Bosket hereinſchwankte die ſteht jetzt auch ohne Schutz, und die Nachtigallen die das heilige Dunkel ge¬ wohnt waren, wie wirds da ſein wenn die im Frühjahr wiederkommen. — Ach ich bin betrübt darüber. — Die24 Kindertage wo ich dort mit dem reinlichen Kies ſpielte, und mit roſenfarbnen Steinchen und ſchwarzen und gel¬ ben, bunte Reihen um ihre Stämme legte. — Und konnte ſo verſteckt hinüberklettern ins Bosket, wie kann einem doch das Paradies wo die Seele all ihren Zauber einpflanzt ſo jämmerlich zerſtört werden? — aber be¬ daure Du mich nur nicht, denn hör nur; — als ich zurückkam zur Großmutter — ſah ich blaß und zerſtört aus und ſie ſah wohl die Spuren von meinen Thränen. — Sie ſah mich an ein Weilchen — und ſagte: „ Du warſt im Garten? “— da reichte ſie mir die Hand. — Was ſollt ich ſagen? — ich ſchwieg, und ſie auch. — Sie ſagte: „ Ich werd wohl nicht mehr lang leben! “— ich wagte nichts zu ſagen — aber bald darauf machte ſie das Nebenzimmer auf, von wo man nach dem Garten ſieht, und ſagte: „ das Rauſchen im Abendwind war meine Freude, ich werds nicht mehr wieder hören, ich hätt mirs laſſen gefallen wenn ich unter ihrem Rauſchen am letz¬ ten Abend wär eingeſchlafen! ſie hätten mir dieſen feierli¬ chen Dienſt geleiſtet die lieben Freunde die ich jeden Tag beſuchte, die ich mit großer Freude hoch über mir ſah; — Du haſt ſie auch geliebt, es war Dein liebſter Aufenthalt — ich hab Dich oft vom Fenſterſe¬25ſehen in ihrem Wipfel Abends ſteigen und glaubteſt es ſäh es niemand — nimm meinen Segen liebes Kind, ich hab an Dich gedacht wie man ſie trotz der ſchmerz¬ lichen Verletzung meiner Gefühle verſtümmelte. “— Ich wagte nicht zu fragen wer die Schuld trüge, denn das wär zu kränkend für die Großmama geweſen und ich wußte auch gleich daß nur aus grauſenhaftem Phi¬ liſterſinn ſolche Unthat geſchehen konnt, denn der ahnt nicht die tiefſten Wunden, der hält alles für Empfin¬ delei was mit den geheimſten geiſtigen Bedürfniſſen zuſammenhängt; — wie könnte der eine wahrhafte Liebe denken zu einem lebloſen Ding, denn ſo nennt der Philiſter die Pflanzen die Bäume die ganze Natur, — wie könnte der ahnen daß ein höchſt geiſtiger Umgang mit ihren ſchönen untadeligen Erzeugniſſen ſtattfinden könne? — Ein Wechſeltauſch von Empfindungen der eine reine Leidenſchaft zu ihr nährt und beglückt, — wie könnte dem je begreiflich werden daß ein innerliches Daſein ſich in ſie überträgt, und daß während die ganze Welt vergeblich unter Mitgeſchöpfen herumſchwärmt, von Liebe von Freundſchaft faſelt, der beglückte Beſitzer ei¬ nes Baumes der vor ſeiner Thür ſteht, in ihm den Freund gefunden hat. —
Die alte hundertjährige Bas kam mir vor derII. 226Thür auch damit entgegen „ iſts nicht barbariſch? — und daß die Großmama ſtillſchweigt dazu, — wärſt Du nur hier geweſen es wär nicht geſchehen. “—
Ich bin noch einmal in den Garten gegangen wie es dunkel war, denn am Tag hingehen ſchien mir beleidigend für die edlen Bäume; — ich hab Ab¬ ſchied genommen vom Garten, ich mag nicht wie¬ der hineingehen. — Ich hab auch den Gärtner beſucht im Bosket, der ſagte mir, es habe ihn ſehr betrübt daß dieſe Bäume abgehauen wären er habe ſo man¬ ches ſich immer gedacht dabei, jetzt könne er nichts mehr von ihnen ſehen und hätt auch die Luſt verloren die Roſenhecke zu pflegen. — Nun! — ſagte ich, aber in Gedanken können wir immer alles ſehen was wir lieb haben? — das gab er zu — ſo gebt doch auch die Ro¬ ſenhecke nicht auf, je höher ſie wächſt, je mehr könnt ihr Euch dabei denken daß im Gedächtniß alles Schöne fortblüht. — Daß bewilligte er mir, und er meinte ich ſolle gewiß nicht klagen daß er ſie verſäumt hätte wenn ich wieder käm. — Im Gärtner liegt wahres Genie zu einem ſolchen Umgang mit ſeiner Umgebung in der Natur. —
Noch kurz eh ich mit Dir bekannt war hab ich manchmal oben in den Baumwipfeln meine Stim¬27 mungen über die Naturerſcheinungen aufgezeichnet; ſo kindiſch und unvermögend mich auszuſprechen, ich hab ſie in einer Mappe aufgehoben, da ſchreib ich Dir eines auf, zur Gedächtnißfeier.
Vor zwei Jahren geſchrieben am Oſtermontag.
O himmliſch Grün das unter Eis und Schnee in brauner Hülle ſich barg, und jetzt dein glühend Haupt im Antlitz der Sonne krönt.
Geliebter Baum! könnt ich umwandlen doch, in dein ſanft rauſchend Laub, jene flüſternde Sproſſen, die mit glänzendem Finger die Muſe bricht himmliſcher Glorie voll, die Stirn zu umflechten dem Liebling, der mit Helm und Speer, oder Bogen-gerüſtet wo viel goldne Pfeile dahin fliegen, oder Roſſe jagend oder mit leichtem Fuß zwölfmal umrennend das Ziel, oder auf¬ leuchtend mit der Flamme des Lieds, um ſie wirbt.
O Baum dich umdrängt heut der Bienen Schaar, ſie ziehen dem Duft nach, der honigregnenden Blüthe, ſie ſammeln ihren befruchtenden Staub, und verſummen die Tagesgluth in deiner Krone kühlem Rauſchen. Aber dann würd in deinem Schatten ruhn, der König iſt am Mahle des Geiſts, und nähren würde deine Wurzel2*28die Fluth, die den eignen Gott im Buſen ihm begeiſtert, zu alleroberndem Triumph.
Begegne dir nichts was dich beleidigt o Baum! den keiner der Unſterblichen umwandelt. Ich zwar träume den Frühling in deinem Schatten, und mir deucht von Unnennbarem widerhallen zu hören, rings, die Wälder und die Hügel.
Ich leſe Deinen Brief und ſchäme mich vor Dir wie Du ſo edel und einfach mein verwirrtes Denken zurecht richteſt, und ich kann nicht ans Antworten den¬ ken weil ich ſo voll Unruh bin. Die Bäume kränken mich; ich kanns nicht begreifen wie die Großmama ſich nicht beſſer gewehrt hat, das iſt ihre zu tiefe Empfind¬ lichkeit, unterdeſſen hat man ihren Lieblingen den Hals abgeſchnitten, man muß ſich wehren für die Seinigen und dem Schlechten in den Arm greifen der es anta¬ ſtet. Alles Erhabne und Schöne iſt Eigenthum der Seele die es erkennt, und durch die Erkenntniß iſt ſie ſchutzverpflichtet. Alles iſt der Teufel, es ſei denn reine freie Gewiſſenswahrheit, und ich weiß keine höhere An¬29 weiſung an den Geiſt als: frag Dich ſelber! und wenn da einer nicht das Rechte findet ſo iſt er ein Eſel, und alles was ſich ſchreckendes dem inneren Wil¬ len entgegen wirft das muß bekämpft und verachtet werden, er iſt der Ritter der das Waſſer des Lebens zwiſchen feuerſpeienden Drachen und eiſernen Rieſen ſchöpft, vor ſeiner Verachtung und ſeinem Muth wer¬ den ſie ohnmächtig. In Feenmärchen iſt die heiligſte Politik, und auch die mächtigſte; ich wollt der größte Staatsmann werden und die ganz Welt unter meinen Fuß bringen, blos daß die blaue Bibliothek mein gehei¬ mer Kabinetsrath wär; und die Leut würden ſich er¬ ſtaunen was ich als für Weisheit beſäß. — Der Gro߬ mama möcht ichs ſagen, ſie wird es ganz gut aufneh¬ men; und ich brauch ſie auch nicht zu ſchonen. — Was iſt? — die Großmama hat eine tiefe Seele, — andre nennens Empfindſamkeit, Tiefe iſt allemal Gewalt, aber ſie iſt gebunden und die Gewalt weiß nicht wie leicht ſie die Feſſel abwerfen kann, hab ich mir doch manch¬ mal den Athem faſt ausgeblaſen wenn wir Morgens im Wald uns ein Feuerchen wollten machen zu unſerm Plaiſir, und es iſt immer wieder ausgegangen und ich habs immer am kleinſten Köhlchen wieder angezündt, ich will auch blaſen in der Großmutter ihr Judicium,30 warum iſt ſie betrübt wenn es nicht iſt daß ſie dadurch begreifen lernt was ſie den Bäumen ſchuldig war, alle Kraft iſt man der Welt ſchuldig, und dem der uns am nächſten ſteht am erſten. Alle Anregung iſt ein Auf¬ wühlen des inneren Herzgrund und das Unkraut muß untergepflügt werden daß es die Wahrheit muß dün¬ gen, ich weiß nicht was ich ſagen wollt; ich bin unru¬ hig, verzeih mirs ich kann Dir nicht auf Deinen Brief antworten, ich wär ſo gern heut wieder nach Offenbach, aber Alles fuhr nach Rödelheim, und wir haben im großen Himmelspurpurmantel mit eingehüllt, auf der Wieſe uns amüſirt bis es Nacht war, ich ging mit dem Franz zu Fuß nach Haus, die andern fuhren, der Franz hat mir allerlei Schönes und Gutes geſagt unterwegs, ich hing mich mit beiden Händen an ſeinen Arm und verhopſte alles, wie wir an die Bockenheimer Warth kamen ſagte er, häng Dich doch jetzt an den linken Arm denn der andre iſt mir ſchon eine Viertel Elle länger gereckt, da¬ mit der doch auch ſo lang wird.
Am Montag.
Die Meline geht mit Savigny nach Marburg und ſagt ich ſoll auch mit, ich ſag nicht ja, aber die Meline ſagt: „ wer ſoll für Dich ſorgen wenn ichs nicht thu, Du31 wirſt hier alles verſchlampen alles vergeſſen alles verrei¬ ßen alles verſchenken alles verderben, Du mußt mit. “— Kommſt Du früher als die Zehen ſo bleib ich hier, denn da hab ich einen Altar an den ich mich feſthalte, kommſt Du aber nicht ſo weiß ich daß ich auf dem Glatteis wie mirs unter den Fuß kommt dahin fliege ohne Wi¬ derſtand, es führt mich ja auch eben ſo ſchnell zurück zu Dir, aber der Savigny ſchreibt, ich ſoll Dir ſagen daß er in den Sternen geleſen habe Du werdeſt nach Mar¬ burg kommen. — Da leg ich Dir noch ein Blatt aus meiner Pappelbaum-Correſpondenz bei, ich hab doch alle Pfingſten der ich mich erinnere unter dieſen Pappeln zugebracht, — dies ſchrieb ich ihnen am letzten Pfingſt¬ feſt, die ſchönſten Tage im Jahr iſt Pfingſten, der Früh¬ ling feiert gekrönt ſeinen Sieg. Wie war ich ſo ſeelen¬ zufrieden an jenen Tagen, alles ging aus ins weite Feld ſpazieren, alles fuhr über Land in ſchönen Klei¬ dern, ich war auch weiß geputzt, und die Haare ſchön gelockt und mit flatterndem Band und gelben Schuhen beſucht ich ſchon früh den Baum; heut konnt ich nicht hinaufklettern, ich hätte Schuhe und Kleid verdorben, darum dauerte mich der Baum, ſo fuhr ich lieber nicht mit ſpazieren, und hielt ihm Geſellſchaft, und weißt Du was mich, der Natur ſo anhängig macht? — daß ſie32 manchmal ſo traurig iſt, — andre nennen das Lange¬ weile was einem zuweilen ſo mitten im Sonnenſchein wie ein Stein aufs Herz fällt, ich aber leg es ſo aus: plötzlich ſteht man ohne es zu wollen, ihr, der Allgöttin gegenüber, ein geheim Gefühl der unendlich zärteren Sorge die ſie auf uns verwendet, als auf alle anderen Geſchöpfe, macht uns ſchüchtern; alles umher gedeiht, jed Stäudchen jed klein Käferchen zeigt von ſo tiefer fein¬ gegliederter Bildung, aber wo iſt auch nur ein Knösp¬ chen in unſerm Geiſt was nicht vom Wurm angenagt wär, ſind wir nicht vom Staub befleckt, und zeigt ſich ein Blättchen unſerer Seele in ſeinem glänzenden Grün? — Wenn ich einen Baum begegne der vom Mehlthau oder vom Raupenfraß erkrankt iſt, oder eine Staude die verkeimt, dann mein ich das iſt Sprache der Natur, die uns das Bild einer ungroßmüthigen Seele zeigt. — und wären alle Fehler des Geiſtes über¬ wunden, wären ſeine Kräfte in voller Blüthe, wer weiß ob dann in der Natur noch ſolcher Mißwachs oder ſchädlich Unkraut wär, ob der Brand noch ins Korn¬ feld käm, ob noch giftige Dolden wüchſen, wer weiß ob noch ſolche traurige Augenblicke in ihr wären die einem das Herz ſpalten; und man wendet ſich ab weil man nicht ahnen will, was tief im Herzen, ſchmerzlich mit33 wehklagt. Nein ſie findet kein Gehör die Mutter, ob¬ ſchon ihre Vorwürfe ſo zärtlich ſind, daß ſie einem gleich in ihren Schleier hüllen möcht, und das Gift der Krankheit möcht ſie mit ihren Lippen ausſaugen, und aus ihrem Blut Balſam miſchen uns zu heilen.
„ Beweißlos denken iſt frei denken! “dies eine nur laß mich Dir mit einem Beweis noch bekräftigen zum Beweis daß ich Dich verſteh! — Denken ſelbſt, iſt ja von der Wahrheit ſich nähren, ſonſt wärs Faſeln und nicht Denken. Denken iſt, jenen Balſam trinken den die Mutter aus ihrem Blute miſcht, der uns von Schwä¬ chen heilt, iſt ja Gehör geben ihren zärtlichen Vorwür¬ fen; und durch Beweis dem eignen Herzen die Liebe darlegen wollen die ſo ohne Rückhalt ſich uns ergiebt, iſt Beweis genug daß ſie das Herz nicht rührte. — Die Wahrheit rührt das Herz, iſt Geiſt, der augenblicklich höher ſteigt im Empfangen der Wahrheit ſelbſt, und ſich nach höherem umſieht. Du biſt höher geſtiegen in dieſer Erkenntniß der reineren Geiſtesform, Du haſt ſeine Krücken weggeworfen. — Sie ſagen: wie will der Geiſt fortkommen ohne Krücken? — er hat ja keine Füße! — er wirft des Anſtands enges Wamms auch noch ab. — „ Seht ich habe Flügel! “und Deine Vertheidigung wie willſt Du die führen wenn Du keine Waffen haſt, fra¬2**34gen die Philiſter. — „ Ich bin Gott-atlethe, wer mit mir ringen wird der mag meinen Triumph ohne Waffen um ſo tiefer fühlen. Ich bin dann, und ſie ſind nicht mehr, die mit mir ringen; und wen ich nicht überwinde der reicht auch nicht an mich heran mich zu bekämpfen. “— Ja ich fühls deutlich wie tief Recht Du haſt, es iſt einzig reine und heilige Sprachquelle, die Wahrheit ohne Beweis führen. Sprach und Geiſt müſſen ſich lie¬ ben und da brauchts keiner Beweiſe für einander, ihr gegenſeitiges Erfaſſen iſt Liebe die ſich in ewigen Ge¬ fühlen zu den Sternen hebt, — Du biſt überwunden Du biſt ein Gefangner des Geiſtes — er beſitzt Dich und tritt vor, und ſpricht Dich aus. — Gute Nacht! ſchon ſehr ſpät. —
Vor zwei Jahren geſchrieben am Pfingſtmontag.
Bäume die ihr mich bergt, mir ſpiegelt in der Seele ſich, euer dämmernd Grün, und von euern Wipfeln ſeh ich ſehnend in die Weite.
Dorthin fließt der Strom und hebt nicht zum Ufer die Wellen, und es jagt nicht mit den Wolken, ſeine fröhlichen Schiffe, der Wind.
Der hellere Tag flieht, und mein Gedanke lauſcht35 ob Antwort vielleicht, ein ſauſender Bote von dir ihm bringe, Natur!
O du! — du der ich rufe, warum antworteſt du nicht? — Immer gleich Herrliche! Alllebendige!
Schauder über Schauder flößt mir, Herr! Herr! deine Natur ein.
Da ſenkt ſich der Wagen des Donnerers, die Berge hallen, es brauſt und duftet, und weht! — Wohin Ihr Nebel? — Ihr Rauchſäulen? — Wohin wandelt Ihr alle? — Warum bin ich! — Warum mich an deinen Buſen Natur, wenn nicht erquickend mirs quillt aus deinen Tiefen, wie aus den Bergen quellen die rau¬ ſchenden Waſſer.
Ich hör dich Donnerer langſam ziehn am wind¬ ſtillen Tag übers Gebirg, in meiner Seele Saiten tönts nach, ſie bebt die Seele, und kann nicht ſeufzen.
Luſt und Hoffnung, Ihr habt oft mich gewiegt wie die rauſchenden Wipfel, Ihr ſchienet endlos mir einſt, wie jetzt mein düſterer Tag.
Da brechen die Wolken, und ſtrömen unter dir, Befreier! — und rings trinkt die Erde — und deine Donner — wohin? — Und Ihr athmet wieder, Wie¬ gengeſang flüſtert wogt in eurem Laub das mich um¬ fängt.
36Und ich will gern wieder leben mit euch allen Ihr Bäume, die Ihr trinkt, ſegnende Ströme vom Himmel, und fröhlich wieder, ſäuſelt im Wind.
Heut Morgen wach ich auf vom Rufen der Ita¬ liener die Parapluies feil tragen, die wahre Lock¬ ſtimme für mich, — unwiderſtehlich, ich denk gleich der Italiener mag Regen wittern, denn ſonſt gehn ſie nicht ſo früh herum, ich laß die Liesbeth den Mann heraufholen und lauf zur Meline — die liegt noch im Bett, — ob wir nicht einen Parapluie wollen kaufen mitzunehmen nach Marburg? die Meline kriegt einen Schrecken — ſie glaubt ich habs Fieber daß ich nach einem Parapluie frag, unterdeſſen war il signor Pagliaruggi vor der Thür, und ein grünſeidner Regen¬ ſchirm gekauft den ich auch gleich probiren wollt, ſo ging ich vors Thor in die Meſſ am Main, und ſo blieb ich bei den Klikerfäſſern ſtehen und kauft an dreißig Kli¬ ker, einer ſchöner wie der andre, von Achat und Marmor und Kryſtall, damit ging ich hinunter am Main wo die Steinergeſchirrleut halten, und beſuchte die in ihren ſtro¬37 hernen Hütten, und die Eſel die mit herzlichem Geſchrei mich begrüßten, und die kleinen Hemdloſen die da herum¬ laufen und klettern, — und theilt ihnen meine Kliker aus, ſie hatten keine Taſchen weil ſie nackend laufen, ſo mußt ich ihnen meine Handſchuh geben daß ſie die Kliker konnten aufheben, die banden ſie ſich mit Bindfaden um den Leib feſt, das war kaum geſchehen ſo rief mich ein Schiffer an ob ich nicht wollt überfahren, — ich frag: es wird wohl regnen? — „ nun was ſchads Sie haben ja ein Wetterdach bei ſich. “ Wie ich drüben war ſo denk ich, ich will nach Oberrath gehn, zur Großmama ihrer Milchfrau und da Milch trinken, wie ich an der Milchfrau ihr Haus komm, ſo ſagen die Leut, alleweil iſt die Anemarie fort mit der Milch nach der Gerber¬ mühl, wie ich auf die Gerbermühl komm ſo läuft mir die Annemarie ſchon fort nach Offenbach mit der Milch, ich ſag ich will mit ihr gehen, ſie hat ihre zwanzig Ge¬ müßkörb auf dem Kopf und ihre Milchkann am Arm und ſo ſchlendert der groß Gemüßthurm und ich als hintereinander durch die Hecken, ſagt die Annemarie „ es fängt ſchon an zu trepele es werd gleich e dichtiger Schitel komme, warte Se ich will Ihne ans von dene klene Körbercher gebe des könne Se uf den Kop ſetze do kommt Ihne ken Rege an. “— Nun fällt mir ein38 daß ich doch das Wetterdach den Parapluie mitgenom¬ men hab, wo iſt der geblieben? entweder ich muß ihn haben bei den nackigen Büberchen laſſen ſtehn, oder ich hab ihn im Schiff liegen laſſen, beides iſt gleich mög¬ lich, ich konnt ihn alſo die Waſſerprob nicht halten laſſen; ſo ſetzt ich der Milchfrau ihr rundes flaches Ge¬ müßkörbchen mit Blumenkohl auf den Kopf, ſie ſagt, Sie ſehn ſo ſchön drunter aus wie die ſchönſt pariſer Madam. — Es war recht luſtig, es begegneten mir al¬ lerlei Leut die dachten ich wollt balanciren lernen, der Regen hatte bald wieder aufgehört, ſo war ich ohne dran zu denken bis Offenbach gelaufen, an der Kaſta¬ nienallee nahm ich den Korb ab. In der Stadt war recht Sonntagswetter, alles voll Sonnenſchein und in der Domſtraß lag auf jeder Haustrepp vor der Thür ein Jolie mit dem blauſeidnen Halsband, alle Jolies kennen mich, ſie kamen an mich herangebellt, und da kamen die Spitze auch, und Bommer, und endlich auch dem Anton Andree ſeine engliſche Docke mit ſieb¬ zehn Jungen die ſchon ziemlich herzhaft bellen. Die Milchfrau blieb ein paarmal ſtehen um das Springen und Toben der Hunde zu ſehen, und auch aus Furcht ſie möchten ihr den Gemüßthurm aus der[Balance] brin¬ gen. Ei, ſagte ſie, der türkiſch Kaiſer kann nicht ſchöner39 begrüßt werden, die bleiben ja in einem Vivatrufen. “— So klingelten wir an der Hausthür, die Couſine mel¬ dete daß die Großmama noch ſchlief, in den Garten wollt ich nicht gehen, ich blieb vor der Thür ſtehen bei den Hunden, da kam mein guter Herr Arenswald vorbei, er nahm den Hut ab, ich ſagte ihm nicht daß er ihn wieder aufſetzen ſolle denn ich hatte geſehn, daß ein Loch drinn war, und wollte dieſe Wiſſenſchaft gern vor ihm verbergen. Er erzählte mir, er habe dieſen Sommer eine Reiſe nach der Schweiz gemacht, weil er ſeinem Drang die Natur dort zu betrachten, nicht habe wider¬ ſtehen können, er bereue es auch gar nicht, obſchon es ihm viel gekoſtet, ja er glaube es ſei ſein letzter Heller drauf gegangen, ich war etwas beſchämt und wollte ihm bei dieſer vertrauten Mittheilung nicht grad ins Geſicht ſehen, meine Augen fielen auf ſeine Stiefel, da präſentirte ſich ganz ungerufen, der kleine Schelm ſein großer Zehe, welchen Arenswald durchaus nicht bei der Audienz dulden wollte, denn er drückte ihn unter den Abſatz vom andern Stiefel, der leider wie ein ſchlecht¬ geſchloßner Laden vom Wind auffuhr, wo ſollt ich meine Augen hinrichten? — ich ſah auf ſeinen Bauch da fehl¬ ten alle Knöpfe und die Weſte war mit Haarnadeln zugeklemmt, wo er die mag her erwiſcht haben, denn er40 trägt einen Caligula, welches bekanntlich die höchſte ge¬ niale Verwirrung im Haarſyſtem iſt, wozu man weder Pomade, noch Kamm, noch Haarnadel braucht, ſondern nur Staub und Stroh, damit die Schwalben und Sper¬ linge immer Material für ihre Bauten da finden. Un¬ terdeß erzählte er mir, es ſei ihm in der Schweiz was Sonderbares geſchehen, man habe ihm nemlich erzählt, daß es in waldigen Berggegenden eine Art Schnecken gäb die ſehr ſchmecken, und daß auf dem Weg von Lu¬ zern irgendwohin auf einem Berg ſehr viel ſolcher ſchmeckender Schnecken giebt, er habe ſolche auch in Maſſe im Wald angetroffen, und einen ſo ſtarken Ap¬ petit danach bekommen daß er ihrer mehrere gegeſſen und ganz ſatt davon geworden ſei, als er ins Wirths¬ haus zurückkam verbat er ſich ſein Mittageſſen weil er zu viel von den ſo gut ſchmeckenden Schnecken gefun¬ den, und habe ſie mit ſo großem Appetit verzehrt daß er unmöglich noch was genießen könne. Wie? — ſagte der Wirth Sie haben die ſchmeckenden Schnecken gegeſ¬ ſen? — nun ja warum nicht, ſagten Sie nicht ſelbſt daß die Schnecken ſehr wohlſchmecken und daß die Leute ge¬ waltig danach her ſind ſie zu ſammlen? — Ja! „ ſehr ſchmecken “hab ich geſagt aber nicht: wohl! — ſchmecken heißt bei uns ſtinken und die Leute ſamm¬41 len ſie für die Gerber um das Leder einzuſchmieren. “— So hab ich alſo dieſes Gerbermittel geſpeiſt und mich ſehr wohl dabei befunden, erzählte Herr Arenswald, wäh¬ rend ich ſehr erröthet in die Luft guckte, denn es war kein andrer Platz da, ohne auf eine grobe Sünde des gänzlichen Mangels zu ſtoßen. — Die Schneckenmahl¬ zeit mag nun wahr ſein oder auch erfunden, um mir auf eine feine Art verſtehen zu geben daß ihn der Hunger dazu gezwungen. Die Couſine rief mich herein, und Arenswald nahm, wie bei hohen Potentaten, rück¬ wärtsgehend Abſchied von mir, woraus ich ſchloß daß es von hinten auch nicht beſſer mit ihm beſtellt ſein möge. Alſo erſt die Begrüßung bei meinem Einzug, der Jubel war türkiſch-kaiſerlich nach der Milchfrau, der Gemü߬ korb mit Blumenkohl war meine Kron, den Baldachin, den Parapluie, hatt ich im Schiff gelaſſen, die erſt Audienz war auch mit allen kaiſerlichen Ehrenbezeugungen vor ſich gegangen, unterwegs hatt ich großmüthige Geſchenke gemacht an die nackigen Büberchen, Arenswalds Audienz war auch eine unterthänigſte Ansherzlegung des menſch¬ lichen Elends. Was will ich mehr? — immer hats mir im Sinn gelegen ich werde noch zu hohen Würden ſteigen. —
Ich werd auch geruhen, des ſchmeckenden Schnek¬ kenfreſſers außerordentliche Verdienſte um die Selbſt¬42 erhaltung zu belohnen, durch den Jud Hirſch der morgen nach Offenbach geht; wenn mirs nur nicht bis morgen aus den Gedanken kommt wie der Parapluie, ein Fehler den ich mit allen hohen Häuptern gemein hab. — Die Großmama war mir ſehr freundlich, wir ſprachen von Dir, ſie will daß Du ſie beſuchſt wenn Du zurückkehrſt. Ich ſagte ihr daß ich, wenn ſie es erlaube, nach Marburg gehen werde mit der Meline, dieſe kleine Ehrfurchtsbezeu¬ gung um ihre Einwilligung zu bitten ſchmeichelte ihr ſehr, ſie gab mir ihren beſten Segen dazu, nannte mich „ Tochter ihrer Max, Kindele, Mädele, “ringelte mein Haar während ſie ſprach, erzählte im ſchwäbiſchen Dia¬ lect, was ſie nur in heiterer Weichherzigkeit thut, und einem Ehrfurcht mit ihrer Liebenswürdigkeit einflößt, ihr Bezeigen war mir auffallend, da ich vor vier Ta¬ gen ſie ſo tief verletzt, beinah erbittert fand, über die Schmach die ihrem gütigen Herzen wiederfahren war. — Sie zeigte mir ein Wappen in Glas gemalt in einem prächtigen ſilbernen Rahmen mit goldnem Eichelkranz, worum in griechiſcher Sprache geſchrieben ſteht: Alles aus Liebe, ſonſt geht die Welt unter, es iſt dem Großpapa von der Stadt Trier geſchenkt worden weil er als Kanzler in trieriſchen Dienſten, ſich gegen den Kurfürſten weigerte eine Abgabe die er zu drückend fand,43 dem Bauerſtand aufzulegen; als er kein Gehör fand, nahm er lieber ſeinen Abſchied als ſeinen Namen unter eine unbillige Forderung zu ſchreiben; ſo kamen ihm die Bauern mit Bürgerkronen entgegen in allen Orten wo er durchkam, und in Speier hatten ſie ſein Haus von innen und außen geſchmückt und illuminirt zu ſeinem Empfang. Die Großmama erzählte noch ſo viel vom Sta¬ dioniſchen Haus, worin ſie ſo lang mit dem Großpapa lebte, wenn ichs nur alles behalten hätt, doch vergeß ich die Beſchreibung ihrer Waſſerfahrten nicht auf dem See von Lilien, wo immer ein Nachen voraus fuhr um in dem Wald von Waſſerpflanzen eine Waſſerſtraß mit der Senſe zu mähen, wie da von beiden Seiten die Schilfe und Blu¬ men über den Kahn herfielen und die Schmetterlinge — und alles weiß ſie noch, als wenn es heut geſchehen wär. —
Der Pappeln wollt ich nicht gedenken, die jammer¬ volle Perſon des Arenswald der ſo munter und grün über ſein Elend hinausſteigt ins Freie, hatte mich aus den Angeln der Empfindſamkeit gehoben, ich will wetten jetzt wo er Waldſchnecken freſſen kann, daß er noch viel mehr wagt, und wenn er nur ſo viel hat daß er ſeine Beine reiſefertig kriegt, ſo muß das andre mit und muß aller¬ lei andre Dinge noch dazu freſſen lernen. Die Großmama fing aber von ſelbſt von den Bäumen an, bei Gelegenheit44 des Wappens, ſie erzählte, der Spruch ſei wirklich Er¬ ſatz dem Großvater geworden, und er habe oft bei der Einſchränkung in der er ſpäter leben mußte geſagt: „ Beſ¬ ſer konnt ich mirs nicht wünſchen. “— Das Wappen hing über ſeinem Schreibtiſch, und da er bei Bauer und Bürger in großem Anſehen ſtand, ſo kamen ſie oft zu ihm in ſchwierigen Angelegenheiten, da hat er denn durch den Spruch vom Wappen, manchen zur Gerechtigkeit oder zur Nachſicht bewogen, er ſei dadurch ſo im An¬ ſehn geſtiegen daß ſein Urtheil mehr wirkte wie alles Rechtsverfahren, und mancher der dem Buchſtaben des Geſetzes nach, ſich durchfechten konnte, hat um nicht das Urtheil des Großvaters gegen ſich zu haben, ſich ver¬ glichen, und der Kurfürſt hat ſich auch wieder mit ihm verſöhnt und ihm vollkommen Recht gegeben, aber der Großvater ſchlug ſeine Anſtellung aus, die der Kurfürſt ihm wieder anbot; er ſagte: „ hat mir Gott das Hemd ausgezogen und gefällts ihm, mich ſchon auf Erden nackt und blos herumlaufen zu ſehen, ſo will ich mir keine Staatslivree als Feigenblatt für den menſchlichen Ehr¬ geiz vorhalten, dem Herrn Kurfürſt ſteh ich zu Dienſten in allen gerechten Dingen, ſo wie mich Gott geſchaffen hat, und der ſich nicht vor ihm zu ſchämen braucht; ich mag nicht aus meinem Paradies heraus, denn ich mag mich45 mit keinem Feigenblatt inkomodiren, ich bin der unver¬ ſchämteſte Kerl von der Welt und der Kurfürſt iſt die ſitt¬ ſamſte Jungfer die unter den geiſtlichen Würden zu tref¬ fen iſt, er will keinen ſeiner Freunde nackt und blos herumlaufen oder vor ſein Angeſicht kommen laſſen; aber mir gefällt es beſſer, ganz nackend mit ſeinen Mumen¬ ſchanzern herumzuſpringen, denn da hab ich den Vor¬ theil daß ſie ſich ſelbſt nicht mehr kennen, denn ſie wiſ¬ ſen ſo wenig was das iſt, ein Menſch ſein, daß einer der ohne Bemäntlung ihnen die Natur eines Menſchen, wie ſie vor Gott beſtehen kann, darſtellt, ihnen natür¬ lich zeigen muß daß ſie ſelber Mißgeburten ſind. “— In dieſer Art hat der Großpapa auf des Kurfürſten Anträge geantwortet. — Die Großmama beſitzt noch eine Correſpondenz wo mehrere Briefe von des Kurfür¬ ſten eigner Hand dabei ſind, mit den Abſchriften vom Großvater; — der Großvater hatte ein Buch gegen das Mönchsweſen geſchrieben was gar viel Aufſehen in da¬ maliger Zeit machte, ins Franzöſiſche überſetzt wurde, das hat mir die Großmama geſchenkt; es war die erſte Veranlaſſung zur Unzufriedenheit zwiſchen dem Kurfür¬ ſten und ihm, weil darin ſo viel Scandal der Mönche aufgedeckt iſt, und war auch die erſte Veranlaſſung zur Verſöhnung, denn der Kurfürſt giebt ihm in einem Brief46 ſehr recht, und ſagt: „ Wir werden dieſem Ungeziefer das mich mehr plagt als den armen Lazarus, dem ich mich gar ſehr vergleiche, ſeine Schwären, noch eine Umwäl¬ zung in unſerer Religion zu verdanken haben, es ver¬ gehet keine Woch daß nicht verdrießliche Berichte dieſer unflätigen Mönche einlaufen, der Mantel der chriſtli¬ chen Kirche, unter dem ſie alle eingekeilt ſtehn wie ein Ballen Stockfiſche, reicht nicht mehr zu, ihren Unflat zu bedecken. “— Schreibt der Großvater hierauf einen wun¬ derſchönen Brief über Religion und Politik, den ich nicht behalten hab worin mir aber jedes Wort wie Gold klang, — er ſagt: in einem großen Herzen müſſe die Politik blos aus der Religion hervorgehen, oder ſie müßten vielmehr ganz daſſelbe ſein, ein thätiger Menſch der ſeine Zeit anwende zu was ſie ihm verliehen ſei, habe ſie nicht übrig ſie in verſchiednes zu theilen, ſo müſſe denn ſeine Religion als vollkommner Weltbürger in ihm ans Licht treten, — u. ſ. w. — Dieſer Brief iſt ſo herrlich ſo ſeelenrein ſo über alles erhaben wonach kleinliche Menſchen zielen, aber auch ſo lebendig daß ich glauben muß, aus einem lebendigen Herzen entſpringt alle Philoſophie, aber mit Fleiſch und Bein und klopfen¬ dem Herzen fürs Gute, die ſich ewig regt und das ir¬ diſche Weltleben reinigt, geſund macht wie ein Strom47 friſcher gewürzreicher Luft; — das thut doch die Philo¬ ſophie nicht die aufs Dreieck ſich ſtützt, zwiſchen Atra¬ ction und Repulſion und höchſter Potenz einen gefähr¬ lichen Tanz hält, die dem geſunden Menſchenverſtand die Rippen einſtoßen, und er als Invaliden-Krüppel ſich endlich zurückziehen muß. Und einmal iſt doch die na¬ türliche Geſchichte unſeres Lebens auch unſere Aufgabe, und ich denke daß wenn der Scharfſinn ſich vom Hof¬ fart unbeleibter Speculation losmachte, und ſich ganz auf den Zuſtand der ſinnlichen Tagsgeſchichte wen¬ dete: dann müßte kein Gedanke ſo tief oder ſo erhaben ſein, der nicht im irdiſchen Treiben ſich Platz verſchaffte und in ſittlichem Sinn ſich bekräftigt und aufwächſt. — So wie der Großvater möcht ich ſein, dem alle Men¬ ſchen gleich waren, Fürſten und Bauern gleichmäßig auf den Verſtand anredete, und nur allein durch dieſen mit ihnen zurecht kam, dem nie eine Sache gleichgültig war als läge ſie außer ſeinem Kreis; er ſagte: „ was ich mit meinem Verſtand beurtheilen kann, das gehört unter meine Gewalt, unter mein Richteramt, und ich muß laut und öffentlich entſcheiden, wenn ich mich vor Gott verantworten will daß er mir den Verſtand dazu gegeben, wer ſeine Pfund benützt dem wird noch mehr dazu, und er wird Herr über alles geſetzt. “— Ja das bin ich über¬48 zeugt, aber ich glaub nicht daß die Philoſophen dies Ziel erreichen werden, ich glaub eher daß man auf dem Großvater ſeine Weiſe, die tiefſte Philoſophie erwerbe, nemlich den Frieden, die Vereinigung der tiefſten geiſti¬ gen Erkenntniß mit dem thätigen Leben. —
Der Großvater ſchrieb noch in einem andern Brief an den Kurfürſt über den Mißbrauch der vielen Feier¬ tage und Verehrung der Heiligen, er wollte daß eine rei¬ nere Grundlage eine verbeſſerte Religion ſei. — Statt ſo viel Heiligengeſchichten und Wunderthaten und Reli¬ quien, alle Großthaten der Menſchen zu verehren, ihre edlen Zwecke ihre Opfer ihre Irrungen auf der Kanzel begreiflich zu machen, ſie nicht in falſchem ſondern im wahren Sinn auszulegen, kurz die Geſchichte und die Bedürfniſſe der Menſchheit als einen Gegenſtand noth¬ wendiger Betrachtung dem Volk deutlich zu machen, ſei beſſer als ſie alle Sonntag-nachmittag mit Brüder¬ ſchaften verbringen, wo ſie ſinnloſe Gebetverslein und ſonſt Unſinn ableierten; — und ſchlägt dem Kurfürſt vor, ſtatt all dieſes mattherzige zeitverſündigende Weſen unter ſeinen Schutz zu nehmen, ſo ſoll er doch lieber eine Brü¬ derſchaft ſtiften wo den Menſchen der Verſtand geweckt werde, ſtatt ſie zu Idioten zu bilden durch ſinnloſe Übun¬ gen; da könne er ihnen mit beſſerem Gewiſſen Ablaßder49der Sünden verſprechen, denn die Dummheit könne Gott weder in dieſer noch in der andern Welt brau¬ chen; aber Gott ſei ein beſſerer Haushalter wie der Kurfürſt, der laſſe den geſunden Geiſt in keinem zu Grunde gehen, aber in jener Welt könne nichts leben als der Geiſt, das übrige bleibe und gehöre zur Petre¬ faction der Erde. — —
Es iſt eine einfache edle Korreſpondenz, wo der Großpapa ſeinen Charakter nicht einmal verläug¬ net, der Kurfürſt ſchreibt ſchön und edel, und ſchon das iſt ein Verdienſt daß er ein Wohlgefallen an ſo tüchtigen Wahrheiten findet; — man hielt ihn we¬ gen ſeinem dicken Leib für gar nicht beſonders geiſt¬ beweglich. — Ich frug die Großmama ob der Gro߬ vater denn Einfluß gehabt habe auf ihn. — Sie ſagte: „ Mein Kind die geringſte Luft hat ja Ein¬ fluß auf die menſchliche Seele! warum ſollte der reine uneigennützige Geiſt Deines Großvaters keinen Einfluß auf den Kurfürſt gehabt haben, der eben noch durch die Anerkenntniß des ganzen Landes auf einer ſo hohen Stufe ſtand, ſo daß der Kurfürſt gegen ſein eignes unge¬ rechtes Verfahren es zugeſtehen mußte. “— Schon dies be¬ weiſt auch daß im Kurfürſten eine edle Grundlage war, es war auch gar nichts Geringes was der GroßvaterII. 350aufopferte. — Er hatte in hohem Anſehen und Würden geſtanden, hatte fünf Kinder die noch ſo jung waren, und er vertauſchte alles mit einer kleinen Hütte in Speier wo er am Waſſer ein kleines Gärtchen pflegte, und in der Beſchäftigung mit dieſem ſich gar glücklich fühlte, der Großvater war auch ein beſonderer Liebha¬ ber von dunkelrothen Nelken, ich habe mich ſehr ge¬ freut, weil ich eine Ähnlichkeit mit ihm hab. Ich war zwei Jahr, als er ſtarb. Er hatte einen Stock mit gold¬ nem Knopf und ließ mich mit dem Stockband ſpielen, ich erinnere mich noch deutlich wie er mich anlä¬ chelte, und ſeine großen ſchwarzen Augen mich verwun¬ derten daß ich darüber den Stock fallen ließ und ihn anſtarrte, das war das erſte und letztemal wo ich ihn ſah, — denn noch an demſelben Abend ward er vom Schlag gerührt. Von dieſen Erzählungen der Gro߬ mama ward mein Gedächtniß ſo lebhaft geweckt daß ich glaubte mich aller ſeiner Geſichtszüge deutlich zu erinnern, er trug einen zimmetfarbigen Sammtrock und ſogar auf einen kleinen dreieckigen Hut mit goldnen Borden beſinn ich mich den er vom Kopf nahm und mir aufſetzte und mich damit vor den Spiegel trug, daran hatte ich niemals gedacht und jetzt weiß ich dieſen Um¬ ſtand ganz genau. — Iſt das nicht wie eine Geiſterer¬51 ſcheinung? — und mag die Liebe nicht Geiſter beſchwören können? — denn in jenem Augenblick war ich ſo begei¬ ſtert und voll Liebe für ihn, daß ich meinte ich müſſe einen Geiſterumgang durch die Kraft meiner Einbildung möglich machen können, worin mir der Großpapa alles Gute was mir wach würde im Kopf einflüſtern werde, und ich glaub es auch; ſollte denn das Wirken ſo wahr¬ hafter Geſinnung mit dem Tode für uns aufhören müſ¬ ſen? ich ſagte dies der Großmama, die antwortete: „ der Geiſt Deines Großvaters regiert mich ja jetzt noch, wie hätte ich den Schmerz meiner lieben Bäume ſo bald verwinden können wenn ich mich nicht ſeiner Lehren erin¬ nert hätte; darum hab ich ja das Wappen der Stadt Trier hervorgeſucht und dieſe Briefe des Kurfürſten. Und beſonders dieſen wo der Kurfürſt ihn wegen ſeinem Un¬ recht um Verzeihung bittet und Dein Großvater ſo wahrhaft großmüthig und doch heiter antwortet. Denn er ſchrieb dem Kurfürſten er werde nie vergeſſen daß er der Gründer ſeines Glückes ſei, er habe ihm hierdurch Gelegenheit gegeben ſich ſelber in ſeiner Geſinnung zu erproben, und da er ſich glücklich durchgekämpft habe, ſo fühle er ſich jetzt wohl, und in beſonderer Glücks¬ ſtimmung. “ Sie ſagte: dies bewege ſie zur Nachſicht ge¬ gen die welche ſie beleidigt haben; — es komme drauf3*52an, wie hoch eine Beleidigung aufgenommen werde; man ſolle keine ſtärkere Schuld dadurch auf andre wäl¬ zen, Verzeihung ſei Aufheben der Schuld, und Gott ſei verſöhnlich durch menſchliche Großmuth. — Der Gro߬ vater habe geſagt: was dir geſchieht das rechne für gar nichts! keine Rüge gilt etwas ſie ſei denn zum Beſten deſſen den man ſtraft, ſonſt iſt jede Strafe unnütze Rache, nur um den elenden Sünder noch elender zu machen, und nützloſe Rache ſei eine viel ärgere Sünde am Ver¬ brecher, der dem Menſchen heiliger ſein müſſe inſofern er ſo gut ſeiner Gnade anheim gegeben ſei wie der Gnade Gottes, und Gott ſei verſöhnlich aus menſchli¬ cher Großmuth, ſo müſſe man aus Liebe die Welt nicht untergehen laſſen und allen verzeihen, wozu der Spruch auf dem Wappen auffordere. — Und ſie thue es ihrem Laroſche zu Lieb daß ſie ohne Bitterkeit es ertrage. Die Bäume ſeien dies Jahr abgehauen, ſie ſelber werde gewiß, ſie nur kurze Zeit noch vermiſſen, und wolle durch den Verdruß den ſie dabei beweiſe, keine ſpätere Reue veranlaſſen, denn ſie wolle daß alle Menſchen glücklich ſeien und am meiſten die Ihrigen, für die ſie ſo viele Opfer ſchon gebracht. — Vom Gro߬ vater erzählte ſie mir noch, das ganze Land habe ihm Unterſtützung angeboten, und er habe auf einem großen53 Fuß leben können wenn er gewollt hätte, doch all dieſe[Bezeichnungen] die mit ſo viel Adel der Seele verbunden waren, und von ſo reiner Geſinnung ausgingen habe er ausgeſchlagen von den Reichen, aber von ſeinen Bauern, denen er noch vieles geholfen, habe er angenommen was ihm nöthig war, denn, ſagte er: das Scherflein der Wittwe muß man nicht verſchmähen. — Sie hat mir noch manches zu erzählen verſprochen von ihm, als ich ſo feurig danach war, ſo werd ich nächſtens wieder zu ihr kommen. — Das Wappen wollt ſie mir aufheben und mir vor ihrem Tod noch ſchenken, ich hätte lieber den Briefwechſel gehabt. — Ich glaub zu ſo etwas hätt ich Verſtand, es einzuleiten und zu be¬ reichern für den Druck, da wollt ich wohl noch viel hin¬ zufügen, mir kommt immer nur der Verſtand wenn ich von andern angeregt werd, von ſelbſt fällt mir nichts ein, aber wenn ich von andern großes Lebendiges wahr¬ nehme, ſo fällt mir gleich alles dazu ein als ſei ich aus dem Traum geweckt, vielleicht könnt ich hierdurch dem Clemens ein Genüge leiſten der mich zu ſo manchem aufgefordert hat was mich ganz todt läßt. Erfinden kann ich gar nichts. Aber ich weiß gewiß wenn ich dieſe Briefe des Großpapa durchläſe, es würde mir alles einleuchten was dazu gehört, ich weiß noch ſo viel54 von ihm und die Großmama würde mir noch manches erzählen, ich hab ſie noch nie ordentlich ausgefragt, und beſonders hab ich mich immer geſcheut ſie über ihre re¬ ligiöſen Anſichten zu fragen weil ich fürchtete ſie zu be¬ leidigen, aber bei dieſem Geſpräch ſagte ſie von ſelbſt, „ ſiehſt Du mein Kind, ſo trägt die goldne Au der Ver¬ gangenheit die Ähren, ohne welche ſo mancher an Gei¬ ſtesnahrung Hunger ſterben müßte, und rund um uns, wo die Sonne ihren Lauf öffnet und wo ſie ihn ſchließt, wo ſie mit ſengendem Strahl die Fluren brennt, und wo ſie lange ihr freundlich Antlitz verbirgt, allenthalben keimen Blumen, deren vereinter Strauß uns ein Anden¬ ken iſt an die Kindheit unſeres Geſchlechts. So gehört die Vergangenheit zum Tag des Lebens. Sie iſt die Wurzel des meinen. Dein Großvater war guter Menſch und guter Staatsbürger, er hat als ſolcher auf Fürſten und Unterthanen gewirkt, und auch bis heute noch auf ſeine Frau. Eine Vergangenheit iſt alſo nicht für das wahre Gute, es wirkt ohne Ende, es kommt aus dem Geiſt wie Dein Großvater ſagte, und alles andre was vergänglich iſt das iſt auch geiſtlos. “—
Es war Mittag, ich wär gern den ganzen Tag bei der Großmama geblieben, wenn man in Frankfurt ge¬ wußt hätte wo ich war. — An der Gerbermühl begeg¬55 nete mir Clemente mit meinem verlornen Parapluie, er war gleich hinter mir übergefahren, und hatte ihn vom Schiffmann mitgenommen war aber bei Willmers ge¬ blieben, jetzt fuhren wir zuſammen im Sonnenſchein un¬ ter aufgeſpanntem Baldachin auf dem Main zurück. Der Clemens geht morgen nach Mainz, er beſucht Euch am End. — Beim Primas geſtern große Parade, alle altadeligen Flaggen wehten. — Über die fünf Ellen lange Schleppen mußten die Herren mit hocherhabnen Beinen hinausſteigen, der Primas führte mich ins Ka¬ binet wo die Blumen ſtehen und ließ zwei Sträuße binden für mich und die Meline, dies war als eine hohe Auszeichnung bemerkt worden man hatte großen Re¬ ſpect, der ſich noch ſehr ſteigerte, als mir der Primas beim Abſchied ein Paquet gab ſehr ſauber in Papier eingeſiegelt. Alle glaubten es ſei ein fürſtlich Präſent, vielleicht ein Schnupftabaksdoſen-Kabinetſtück. Kein Menſch bedachte daß der Primas zu witzig iſt, um mir eine ſolche Albernheit anzuthun. Nur wunderte man ſich daß ich mein Geſchenk, ſo ohne Umſtände, ohne mich zu bedanken unter den Arm geklemmt habe; ich hatte tauſend Spaß die vielen Gloſſen zu hören, und konnte am End vor Vergnügen über die Neugierde nicht umhin im Vorzimmer zu tanzen, während mich alles56 umringte mit Bitten es zu öffnen, wozu ich mich nicht bewegen ließ, ſonſt wär der Spaß aus geweſen. Be¬ ſonders quälte die Neugierde den Moritz, im grünen Sammtrock, der den ganzen Abend alle Spiegel mit der eignen Bewunderung ſeiner Perſon beſetzt hielt. So wie er die Überreichung dieſes myſtiſchen Packets gewahr ward lief er mir nach, dem hätt ichs aber grad nicht geſagt, im Packet war nichts als was Du wohl ſchon denken kannſt, ein paar alte Judenjournale und die Dru¬ ſenfamilie für die Großmama; ich ſolls leſen, was mir eine harte Nuß iſt, — Sagt ichs, ſo würde man den Primas wohl eher für einen Narren halten daß er auf mein Urtheil einen Werth legt, als mich für geſcheut genug dieſer Auszeichnung Ehre zu machen, ſo mags denn die Leut mir im Reſpekt halten; wüßten ſie es ſei nur Papier und keine Doſe, hielten ſie mich zum Narren gehalten vom Primas.
Heut Nacht fiel mir ein daß ich meinen Kanarien¬ vogel dem Bernhards Gärtner geben will, der hebt ihn gewiß gut auf, und macht ihm Freud, dann weiß er doch daß er wieder was von mir erfährt, es waren doch liebe Tage wo er mich propfen lehrte, Du weißt noch gar nicht alles was ich da lernte, vom57 Fortpflanzen der Orangenbäume mit einem Blatt, von Nelken, — und dann will ich ihm auch meine Granat¬ bäume ſchicken, und den Orangenbaum und den großen Mirthenbaum, er giebt ſich gewiß Müh daß er den zum Blühen bringt, ich hab ſo immer fürchten müſſen daß ſie verdarben im Winter. — Das eine thut mir auch leid daß ich von der Großmama weg muß, weil ſie ſichs in den Kopf geſetzt hat ſie werde nicht mehr lang le¬ ben wegen den Bäumen, ſie ſagt ſie wolle nicht erleben, dieſe Bäume die ſie ſo lange Jahre gepflegt habe, im nächſten Jahr im Ofen knattern zu hören. — Jetzt möcht ich gern noch ſo viel von ihr wiſſen, ich ſchäm mich daß ich die ganze Zeit ſo leichtſinnig war, was hätte ſie mir alles von der Mama erzählen kön¬ nen, von der ich ſo wenig weiß, als bloß daß ſie ange¬ betet war. — Die Großmama ſagte: „ Sei verſichert hätte die Venus-Urania noch ein Kind gehabt außer dem Amor, ſo mußte es das Ebenbild Deiner Mutter ſein. “— Manchmal zweifle ich ob ich noch nach Marburg mitgehen ſoll, meinſt Du nicht auch es wär beſſer ich blieb hier, — es iſt doch auch ſchön wenn ich noch das letzte Lebensjahr der Großmama recht freundlich mit ihr zubrächt, mich durſtet nach dem Segen alter Leute,3**58ſeitdem ich vom Tod weiß, ſo deucht mir die letzte Le¬ benszeit eines Menſchen etwas heiliges, und wie ich als Kind ſo gern Spielſachen, Dinge die ich liebte, in die Erde vergraben hab, ſo möcht ich auch meine Ge¬ heimniſſe mein Sehnen meine Gedanken und Ahnungen gern in die Bruſt legen von Menſchen die keine For¬ derungen mehr ans Irdiſche haben, und bald unter der Erde ſein werden, ſchreib mir doch darüber! auf der an¬ dern Seite reitzen mich die Briefe vom Chriſtian auch ſehr, er freut ſich drauf daß ich ein halb Jahr mit ihm zuſammen ſein werd, wir ſind zuſammen in unſerer Kindheit geweſen und ſeitdem nicht wieder, er verſpricht mir ſo viel von meinem Dortſein, und was und wie er mir alles lehren will, les die beiden Briefe von ihm an mich, und ſchreib mir was Du willſt das will ich thun. — Adieu und ſchreib recht bald.
Es iſt hier alles beſchäftigt mit dem Empfang von Bonaparte, es wird ein großer Triumphbogen erbaut auf dem Rabenſtein wo der Galgen geſtanden hat. —
59Was Du von Arenswalds außerordentlichem Hei߬ hunger nach der Natur ſchreibſt, ſo daß er darüber ſich ſelbſt zu ſpeiſen vergißt, dauert mich ſehr, verſäums nicht ihm zu helfen und ſchreib mirs ob Dus auch nicht vergeſſen haſt. Die Geſchichte von den Bäumen iſt höchſt betrübt; wars Deine Schilderung, oder ſind auch mir dieſe Stimmen die ſo friedlich mitrauſchten wenn wir dort wandelten, ſo zu Herzen gegangen, ich kann mich auch nicht darüber tröſten. Wir waren geſtern auf dem Oſtein, da rauſch¬ en die Eichen königlich. — Die Großmama und die Ge¬ ſchichten vom Großvater haben mich gefreut und gerührt, wenn ich auch nicht ſo viel Intereſſe an ſolchen erleb¬ ten Dingen hätte als ich wirklich habe, ſo würde mir eine ſolche Beſchäftigung als dieſe Erzählungen aus der Großmutter Mund zu ſammlen, für Dich ſehr ſchön er¬ ſcheinen und lieblich. — Alles was das Gemüth anregt, erfriſcht und erfüllt iſt mir heilig, ſollte auch im Ge¬ dächtniß kein Monument davon zurückbleiben, hier aber wo Du zugleich Dich üben würdeſt etwas in conſequen¬ ter Ordnung zu behandlen, Deinen eignen Geiſt in ſei¬60 ner Anſchauungen zu entwicklen, würde es noch mehr Werth haben. Ich hab immer Biographien mit eigner Freude geleſen, es iſt mir dabei ſtets vorgekommen als könne man keinen vollſtändigen Menſchen erdichten, man erfindet immer nur eine Seite, die Complizirt¬ heit des menſchlichen Daſeins bleibt unerreicht und alſo unwahr, denn alle Momente müſſen immer den Einen beſtimmen oder begreiflich machen. — Dein Verhältniß zur Großmama würde auch ſchön ſein, Dein Sammlen von Deiner Mutter Kinderzügen, ein Werk der Pietät was Dir jetzt, und vielleicht ſpäter noch ein gro¬ ßes Intereſſe gewährt, beſonders wenn es Dir gelänge es mit dem Dir ſo eigenthümlichen Geiſt des unmittel¬ baren Mitfühlens nieder zu ſchreiben, das alles ſehe ich recht gut ein, — aber ich bin dennoch nicht entſchieden ob ich Dir dazu rathen ſoll; wenn ich überleg welcher ungeheuren Zerſtreutheit Du in eurem Haus ausgeſetzt biſt, der Du unmöglich entgehen kannſt; alles Durchrei¬ ſende was zu Euch kommt, der Primas der Dich vor¬ zieht, und wo Du gar nicht ausweichen kannſt hinzu¬ gehen, — — was das alles die Zeit zerſplittert, und wenn Du auch ſelbſt nicht viel Umſtände mit Deiner Toilette machſt ſo wirſt Du in dem Neſt voll ſchöner61 Frauen doch alle Augenblick, Dich der gemeinſamen Berathung hingeben und bei Deiner Lebhaftigkeit und Deinem Talent zum Maleriſchen ſeh ich ſchon den Win¬ ter vergehen, bloß mit Putz wählen und dergleichen, und die Großmama wird wenig von ihren Schätzen Dir mit¬ theilen können. — Marburg iſt im Gegentheil ein Neſt wo Du ganz als Einſiedler wirſt leben können, zum wenigſten kannſt Du keiner Zerſtreuung dort aus geſetzt ſein, die Briefe vom Chriſtian verſprechen ſo viel Gutes für Dich, Du haſt lange nicht mit ihm gelebt; es iſt doch auch ſchön mit ihm, der ſo viel großes Genie hat, ſo reine Begriffe von der Wiſſen¬ ſchaft, und ſo tief und ſo würdigend mit Dir ſpricht, wieder eine Weile zuſammen zu ſein; ein Bruder wird oft auch von der Schweſter weggeriſſen durch allerlei Schickſale, ſie begegnen ſich vielleicht nicht zum zwei¬ tenmal, ſo muß man denn einen ſo glücklichen Zufall nicht leichtſinnig verſcherzen, und im ganzen genommen welche Lage deucht Dir edler; jene in der winterlichen Einſamkeit in Marburg in dem engen beſchränkten Kreis, aber mit dem lieben Savigny der ſo viel höher ſieht wie andre, der Dir dann ſo nah iſt und Deine Gegenwart auch zu ſeinen freundlichen erquickenden62 Momenten rechnet, und Dich gegen Deine eignen Lau¬ nen vertheidigen wird, die ſo oft ins Träge und Me¬ lancholiſche ſpielen.
Und ich denke mir darin einen großen Genuß für Dich daß Du die große weite Natur im Winterkleid vor Dir haſt, denn die Gegend von Marburg iſt ſehr ſchön und lacht einem zum Fenſter herein, — oder iſt es Dir lieber in jener Zerſtreuung bald dies bald jenes beginnend und endlich mit Verdruß an Dir ſelber verzweifelnd, daß Du zu nichts gekommen biſt? — Ich glaub daß Du alle Deine guten Vorſätze ſehr er¬ leichtern könnteſt und Deine Zwecke erreichen, wenn Du von Marburg aus, einen korrekten Briefwechſel mit der Großmama führteſt, Deine Briefe würden ihr gewiß Freude machen, ſie würde nicht verſäumen Deine Fragen nach der Jugend und dem Geiſt Deiner Mut¬ ter zu beantworten, ſo wie nach Deinem Großvater, Du könnteſt Deine eignen Bemerkungen hinzufügen, und brauchteſt nur die Vorſicht zu haben Deine Briefe von irgend einem unſchuldigen Copiſt abſchreiben zu laſſen, ſo hätteſt Du als Nebenarbeit, und wahrſchein¬ lich viel vollſtändiger und gelungner, wozu Du vielleicht vergebliche Anſtalten in Frankfurt machen würdeſt, —63 das iſt meine Meinung jedoch will ich nicht damit einen Machtſpruch gethan haben. Leb wohl.
Caroline.
Buonaparte iſt durch und hat ſeinen Tempel nicht geſehen, der Galgen iſt abgeſchlagen worden und auf das alte Poſtament ein Tempel gebaut, ich glaube gar mit ſeiner Bildſäule, und das ganze iſt illuminirt worden zum Volksfeſt, wobei noch allerlei Beluſtigun¬ gen vorfielen; daß das Galgenfeld zu dieſem Platz aus¬ erſehen war, machte beſonders den Sachſenhäuſern Spaß. —
Clödchen iſt krank und liegt auf dem Kanapee, ich bin meiſtens den ganzen Tag bei ihr, und wache auch Nachts wenn ſie ſich unwohler fühlt. Es geht hier wieder alles nach der alten Leier, Dein Brief kam zu rechter Zeit, um mit allen Umſtänden zuſammen mich zu überzeugen daß Du recht haſt, die Engländer ſind64 Hauptperſonen hier; Abends wird im Theezimmer vom Moritz die Delphine von der Stael vorgeleſen, für mich das Abſurdeſte was ich hören kann, ich mach einen Plumſack von meinem Schnupftuch und amü¬ ſiere die Kinder derweil, das hat den Lecteur nicht wenig verdroſſen, ja ich muß fort. — Am Montag war Ball bei Leonhardi um ſeine neue Einrichtung zu zei¬ gen, lauter ägyptiſche Ungeheuer hat er an die Wand malen laſſen. — Geſtern war ſchon wieder Cour beim Primas, ich wars ſo ſatt daß ich mich verſteckte beim Wegfahren, ſie ſuchten mich überall; ich war in meinem Bett verſteckt und der Franz war bös, aber um ihn wieder gut zu machen hab ich mir eine beſondre Liſt erſonnen, ich fand in der Tonie ihrem Küchenrevier, einen großen Korb mit weißen Rüben, den hab ich vor¬ genommen mit den Leuten, ſie ganz dünn abgeſchält und ausgeholt inwendig, in jede ein Wachslicht geſteckt und ſo die ganze Treppe illuminirt und den Vorplatz, — ich hab bis nach Mitternacht mit zu thun gehabt, es war recht dumm, es wär beſſer geweſen ich wär mit¬ gegangen, denn der Primas ließ mir ſagen weil ich nicht mitgekommen wär, ſo ſoll ich am Freitag mit ihm und dem Weihbiſchof zu Mittag ſpeiſen und Faſttag65 halten. Ja ich geh fort, ich bin in Gedanken ſchon un¬ terwegs, die Meline hat auch ſchon alle Vorkehrung getroffen, ja ich geh! — es thut mir nichts leid als daß ich geh eh Du wieder kommſt; daß ich geh und daß Du hier bleibſt, aber ich thu es weil Du es ſagſt, weil ich Dich als meinen Genius anerkenne, — nein nicht Du — aber er nimmt Deine Stimme an, ich freu mich wenn meine Empfindungen dieſen Winter ein Bis¬ chen hart frieren, — ich freu mich auf alles. —
Dem Arenswald hab ich ohne mich im geringſten arm zu machen Geld geſchickt, ich hab beim Durchſuchen meiner Papiere, allerlei verloren Geld zuſammengefun¬ den, von dem ich gar nicht wußt daß es da war, ich hab alles in einem kleinen Beutel ihm geſchickt, und dem Gärtner den Kanarienvogel. Eh wir abreiſen geh ich noch mit der Meline hinaus zur Großmama, dann will ich ſie bitten daß ich, wie Du meinſt, Briefe mit ihr wechſle. Adieu vielleicht ſchreib ich Dir nicht mehr von hier. — Ich bin ſo luſtig daß ich fortgeh ich freu mich ſo drauf, auf die ſchöne Winterlandſchaft die Du mir beſchrieben haſt, die mir ins Fenſter hereinſehen wird, — ich weiß es ſchon ich werd ſelig ſein. — Ich hab keine Ruh zum ſchreiben das Reiſen ſteckt mir in66 den Gliedern, ich ſpring Trepp auf Trepp ab, die arme Claudine wer wird ſie pflegen? ſie hat mir aber ver¬ ſprochen ſie wollt ſo lang ich fort bin nicht krank wer¬ den, denn ich bin eiferſüchtig drauf, wie manche Nacht hab ich da gewacht und ſimulirt und hübſche Bücher geleſen, aber wenn ſie krank wird ſo gehſt Du wohl als zu ihr. — Draus auf dem Wall war ich auch um noch von unſerm Lieblingsſpaziergang Abſchied zu neh¬ men, die meiſten Blätter ſind ſchon gefallen ich ging in einem Rauſchen durch, alle Bäum regneten noch Blät¬ ter auf mich. — Der Moritz bleibt alſo mit ſeiner Del¬ phine hier ſitzen, das macht mich auch ganz vergnügt; daß ich das auch nicht mehr anzuhören brauch.
Bettine.
Marburg. Weißt Du denn wer meine erſte Bekanntſchaft iſt die ich hier gemacht hab? — Ein Jud! — aber was für einer? — der ſchönſte Mann! — ein weißer Bart von einer halben Elle, große braune Augen ſo ſchöne einfache Geſtalt, die ruhigſte Stirn prächtige majeſtä¬ tiſche Naſe, Rednerlippen, aber von denen die Weisheit67 ſüß hervortönen muß. Unſer Hauswirth der Profeſſor Weiß rief mich und ſagte, „ wollen Sie einen ſchönen Juden ſehen ſo kommen ſie in meiner Frau ihr Zimmer, ſie verhandelt ihm eben ihr Hochzeitkleid. “ Die Meline wollte nicht mitgehen und war verwundert daß Weiß uns einlud einem Handelsjud die Aufwartung zu ma¬ chen, ich habs aber nicht bereut, es war ein Bild zum malen, er ſaß in einem ſehr reinen Rabbiner - oder Ge¬ lehrten-Gewand am Tiſch, ſeine Hand guckte aus dem ſchwarzen weiten Ermel, und das Abendroth leuchtete durch die Scheiben; die Frau Profeſſorin ſtand vor ihm und hielt ihren Hochzeitcontuſch oder wars der von ih¬ rer Mutter, denn es ſchien ſehr alterthümlicher Stoff, an beiden Ermeln ausgebreitet, ihre Kinder ſtanden zu beiden Seiten und hielten die Schleppe auseinander, es war ein orangenfarbner Stoff mit ſilbernen Sträußen und granatfarbnen Blumen durchwirkt, was ſehr ſchön mit dem ſtarken Abendroth contraſtirte, es war das ſchönſte Bild und gern hätt ich die Meline gerufen es mit anzuſehen, wenn nicht eine Scheu, um nicht zu ſa¬ gen Ehrfurcht, mich auf dem Platz gehalten hätt, ich hätte dieſem Mann nicht mögen als Gegenſtand der Neugierde behandeln. — Es hatte mir auch was ganz68 räthſelhaftes die Leute mit ſo großer Ehrfurcht vor ihm ſtehen zu ſehen, und ruhig ſeinen Ausſpruch bei einem Handel abzuwarten. — Sie ſprachen über eine Summe wozu noch mehrere andre alterthümliche Stoffe gehör¬ ten die auf dem Tiſch lagen. — Ich that als ſei ich begierig ſie zu ſehen, bloß um mit Anſtand noch blei¬ ben zu können, denn je länger ich ihn anſah je mehr fühlte ich mich angezogen und doch ſchüchtern, und der Weiß hätt mich gewiß nicht der Thür hinaus gebracht ſo lang er da war, der Jude ließ mir von ſeinem En¬ kelſohn der hinter ihm ſtand die Stoffe ausbreiten, ich that als wär ich höchlich erfreut über das Vert de pomme Kleid mit Apfelblüthe, und mein Alter ſah mich unterdeß von der Seite an, das merkt ich, das machte mir heimlich Freud. — Der Profeſſor Weiß ſagte, „ nun Ephraim müſſen wir erſt ein Glas Wein zuſammen trinken, und Sie trinken auch mit, ſagte er zu mir, er ſchenkte dem Juden zuerſt ein der aber reichte mir ſein Glas ich ſagte daß ich keinen Wein trinke. Aber nip¬ pen können Sie doch wohl ſagte er, — ich nahms ihm ab und ſchluckte ein wenig davon, er dankte mir und trank es auf der Stelle aus, dann ſah er mich¬ lächelnd an, als wollt er ſagen: freuts Dich daß ich69 Dir ſo viel Achtung bezeige? — ich lächelte mit ihm und ich war ganz roth geworden vor Vergnü¬ gen. Weiß ſprach noch allerlei mit ihm was bewies daß er ihn ſehr in Achtung hält. — Weiß ſagte von mir, was meint Ihr Ephraim daß wir jetzt ſo allerliebſte Studenten haben, hier wird das erſte Semeſter gehalten und ich werd Euch bei ſo feinen Studenten empfehlen, das wär Euch wohl ein groß Vergnügen dieſem kleinen Studenten Unterricht zu geben? “— es war ein ſo lie¬ benswürdiger Adel in allem was er ſagte, und wie er den gutherzigen Scherzen des Weiß eine feine Wendung gab daß ſie mich nicht verletzen ſollten daß ich ganz eingenommen von ihm war, und mich wirklich ſehr in Acht nahm ihm ſolche Antworten zu geben, die ihm Intereſſe ſollten für mich geben; zwei Stund hab ich ſo mit ihm geplaudert und ich dacht ſchon drauf wie ichs machen wollt daß ich ihn öfter ſehen könnt, ſo ſagt ich wie er wegging, an unſerer Thür vorbei, daß ich da eine Schweſter noch habe, und ich wünſchte gar ſehr daß ſie auch ſeine Bekanntſchaft machen möchte, er verſprach mir daß wenn er wieder käme, ſo wolle er bei mir anklopfen. Ich freu mich recht drauf.
Von Frankfurt hab ich Abſchied genommen wie ein70 Haas übers beſchneite Feld jagt, man ſieht kaum ſeine Pfötchen im Schnee, und es war auch kein Jäger da der mich gern geſchoſſen hätt. Beim Primas war ich ſehr luſtig auf der Faſtenmahlzeit, wie ich Abſchied nahm ſagte er: ich freu mich auf Ihre Wiederkunft, und nahm mich bei der Hand und begleitete mich durchs Vorzim¬ mer. In Offenbach hab ich alles mit der Großmutter beſprochen aber in den Garten der nicht mehr rauſcht konnt ich nicht gehen um Abſchied zu nehmen ſo gern ich gewollt hätt, und lieber als von allen andern, denn ich war vertrauter mit ihm; dann war ich auch beim Gärtner und fragte ob er meine Bäume ins Winter¬ quartier wollt nehmen und wenn Du aus dem Rhein¬ gau kämſt, ſo würdeſt Du den Kanarienvogel abholen, er fragte, ob ich den nicht bei ihm wollt laſſen, ich ver¬ ſprach ihm daß wenn Du einwilligſt ſo darf er ihn be¬ halten, und einer kleinen Koketterie machte ich mich aufs plaiſirlichſte ſchuldig, ich nahm den Vogel aus dem Käfig küßt ihn auf ſein klein Schnäbelchen und ſagt, Adieu lieber Gärtner. Als ich zur Großmutter zu¬ rückkam wars ſchon bald Nacht, die Meline und Tonie wollten zurückfahren, ich bat ſie noch eine Viertelſtund zu bleiben und wie es ſchon ganz Nacht war, da hab71 ich mich doch in den Garten geſchlichen und hab die Augen zugemacht bis ich an den Pappeln war, und hab ſie alle getröſt mit Worten, denn ich dacht wer weiß wie mirs geht, ob ich nicht auch einmal ſo troſtlos daſteh, ſollt ſich da mein Freund vor mir ſcheuen weils ihm zu traurig iſt? — und das Herz war mir viel leichter, ich würde auch jetzt wieder hingehen wenn ich noch da blieb, denn wie könnt ich ihnen alles vergelten wenn ich jetzt nicht wollt mit ihnen ſein wie früher, und was wär doch das ſchönſte Geheimniß dieſes Umgangs mit ihnen wenn ich ſie jetzt verläugnen wollt, es wär grad wie eine ewige Liebe zum Helden, die wie Spreu auseinan¬ der fliegt weil der zum Krüppel geſchoſſen worden. — Es iſt mir da im Garten recht deutlich geworden und viel empfundner in der Seele daß das Beleben Genie iſt; — eine Seele, die aus meiner Seele aufſteigt und das was mich erregt, bewohnt ſo zärtlich, ſo edel ich empfin¬ den kann. Die rauſchenden Bäume haben mich bewegt davon iſt meine Seele wach geworden und iſt aufgeſtie¬ gen und hat jene Bäume belebt, und ſollte dieſe Seele ihnen jetzt abſterben weil ſie irdiſch elend ſind? — Da würd ich mich ja ſelbſt tödten in ihnen. Nein in jedem Unglücklichen ſoll man doppelt lebendig werden. —
72Eh wir abreiſten hatte ich noch manchen Kampf mit den andern, man war nicht einig ob ich dem Sa¬ vigny nicht läſtig ſein würde, weil man glaubt und ge¬ wiß weiß daß er nichts auf mich hält. Ich halte nun auch eben nichts beſondres von mir; ich hab ihn im¬ mer noch wie ſonſt lieb, und ſo ſcheu ich mich gar nicht mit ihm zu leben, obſchon er einen Widerwillen ge¬ gen meine Natur zu haben ſcheint, um ſo glanzvoller erſcheint mir Deine Nachſicht mit mir; und er behauptet ich ſei hochmüthig, — manchmal glaub ichs gar, weil er doch geſcheuter iſt als wir alle, — und kann alſo einen Charakter beſſer beurtheilen. — Und dann kann ich Dir ſagen freu ich mich ordentlichermaßen über die¬ ſen Hochmuth und denke es muß doch wohl auch was hinter mir ſein, denn ohne Urſache dazu würd er nicht drauf kommen; was glaubt er wohl daß mich ſo hochmüthig macht? — Ha ha ha! — das heiſt: ich lach! — über was? — daß der Savigny nichts weiß von meiner zärtlichen Nei¬ gung für den Jud, — und wie ich alle vornehme Leut nicht den kann weil ſie mir zu gemein ſind, und weil kein Menſch im Haus weiß warum ich als übermüthig bin und das iſt heut einmal wieder weil ich ein beſonders angenehm Abentheuer hatte; ich war im Garten deram73am Berg liegt, und guckte über die Mauer und ſah den Ephraim den Weg heraufkommen. Ich lehnt mich über die Mauer und ließ mein Sacktuch im Wind flie¬ gen daß er mich ſehn ſollt; und wie er herankam ſprach ich mit ihm ein ganz Weilchen, — aber nicht wie ge¬ wöhnlich die Menſchen ſprechen. Ich ſagte ihm daß es mir Freude mache ihn wieder zu ſehen, und auch darum weil mir ſein Weſen einen Naturmoment vergegen¬ wärtige mit dem ſich mein Geſicht und mein Gemüth näher verwandt fühle als mit jedem andern, ich ſagt ihm das ſei die Dämmerung am Abend; ſo komme mir ſein Blick und ſein ganz Weſen vor — wie Dämme¬ rung die über einer erhabnen Natur ausgebreitet ſei; in ſolcher Stunde iſt mein Geſicht ſchärfer und mein Gefühl ſehr zum Vertrauen geneigt. — Du kannſt wohl denken, daß es der Mühe werth iſt mit ihm zu reden, denn ſonſt wär ich darauf nicht gekommen ihm ſo was zu ſagen. Er ſagte „ die ſichtbare Welt iſt trüb aber mit hellem Blick braucht einer nicht lang zu forſchen in wenig Zügen erkennt er was ihm verwandt iſt. “ Ich ſagte: aber wie erlangt man einen ſo hellen Blick? — „ Man muß allein die Natur anſchauen und kein Vorur¬ theil zulaſſen, das giebt einen hellen Blick. “— Ich frag:II. 474traut Ihr mir das zu, daß ich die Natur mit hellem Blick anſchau und ohne Vorurtheil? „ Ja! “ſagt er, „ und ich weiß daß ich nicht irre — und daß Sie ſcharfſichtig ſind. “— So hab ich alſo recht wenn ich in Euch einen begeiſterten Mann erkenne? — „ Zum wenig¬ ſten ſind Sie dem Wahren näher, als andre die den Juden für einen gedrückten Mann halten, innerlich quillt die Freiheit, und ein Tropfen iſt genug über alle Ver¬ achtung uns zu heben. “— Ich hörte Leute den einſamen Weg heraufkommen und brach ab weil mir das Ge¬ heimniß ſchon zu lieb war mit ihm. Ich ſagte, leb wohl Jude, denk an unſer Geſpräch und wenn Du von Deiner Reiſe heimkehrſt komm zu mir.
Wer mag nun ſchärfer ſehen der Savigny meinen Hochmuth oder der Jud meinen vorurtheilsfreien zutrau¬ lichen Blick? — Ich geb aber dem Savigny nicht un¬ recht, denn was iſt doch die überglückliche übermüthige Luſt daß ich ihn mit dem Jud anführ als nur Hoch¬ muth? — es haben mirs auch ſchon mehr Leut geſagt, noch wie ich Abſchied nahm ſagte der Moritz ich ſei hochmü¬ thig, weil ich behauptete ich gehe von Frankfurt daß er ſeine fünf Bändelange Delphine Abends vorleſen könne, wenn er damit fertig ſei wolle ich wiederkommen. 75Da ſchrie das ganze Theegewimmel auf mich ein, ich ſei das hoffälligſte Ding von der Welt, für alles ſcheine ich mir zu gut, von Nichts meint ich noch was lernen zu können, die Delphine von der erſten Schriftſtellerin Europas geſchrieben die ennuyire mich; wenn irgend je¬ mand was Geſcheutes vorbrächt ſo lege ich mich an den Boden und ſtrample eine Weile mit den Füßen oder ſchlafe ein, aber jeder dummer Spaß mache mir Vergnügen. — Ich ſag, iſt das Hoffarth? das ſcheint mir eher Unverſtand zu ſein daß ich Euch in Eurem Ge¬ nuß nicht nach kann. — „ Ja Hoffarth iſt eben Unver¬ ſtand. “— Siehſt Du! — es iſt die allgemeine Anſicht. — Sie haben am End den Savigny mit angeſteckt. —
Nächſtens ſchreib ich Dir von Allem genauer, von der ganzen Gegend, von den Leuten, von unſerer Woh¬ nung. Meline wohnt mit mir ganz hoch oben am Berg, Savignys unten, alles iſt hier terraſſenförmig. — Adieu, ich muß der Meline helfen einen Divan für uns zurecht polſtern.
Bettine.
4*76Schon die dritte Woch iſts und ich hab noch nicht geſchrieben, und Du auch nicht, was iſt ſchuld dran? — Ich hab in der Zeit die neugierig Gegend rund um mich durchſpäht, auf dem Boden nach allen Seiten durch die die Gaublöcher mich orientirt, im dichteſten Laubregen den Wald durchwallfarthet von einem hohen Stamm zum andern. Bäume ſind Bäume, aber ſie ſehen doch verächtlich auf die Menſchen herab, die um der Geſund¬ heit willen ſo haſtig unter ihnen herlaufen und nicht einmal den Blick zu ihnen hinaufrichten; ich hab dort mit dem Savigny die ganze motionmachende Facultät begegnet; im mottenfräßigen Pelz, Nebelkappe, großen Filzſchuhen und antiken Stiefelmanſchetten durchkreuzen ſie die Wege. Hügeligter Boden, dichtes Moos über¬ glaſt vom Reif, reine kalte Luft die herzhaft macht, alles neu, überraſchend, die Muſe führte mich über Stock und Stein und ſchenkte mir den ganzen Wald für Dich, ich hab auch bei jeder vornehmen Waldkrone ſtill geſtan¬ den und bis zum Wipfel betrachtet, und zum Zeichen der Beſitznahme mit dem Stock dran geſchlagen, jetzt laß den alten Kurfürſt von Heſſen-Kaſſel meinen was er77 Luſt hat, der Wald gehört Dein und wenn ich drinn herumlauf, ſo hab ich meine Freud daß ich auf Deinem Grund und Boden bin. Im Frühjahr muß es hier ſein wie inwendig in der Seel; Frühling draus, Frühling drinn, ein Wille und ein Thun, — blüht der Apfel¬ baum, ſo hab ich rothe Backen, ſtürzt ſich der eigenſin¬ nige Bach die Klippentrepp hinab, ſo ſetz ich ihm nach und ſpring kreuz und quer über ihn weg, ruft die Nach¬ tigall ſo komm ich gerennt, und tanzen die Mühlräder mit der Lahn einen Walzer ins Thal hinab, ſo pfeif ich auf dem Berg ein Stückchen dazu und guck über die rauchenden Hütten und über die ſchirmenden Bäume hinaus wie ſie ihren Muthwill verjuchzen, und der Mül¬ ler und ſein Schätzchen auch, die denken kein Menſch ſähs. — Morgenrührung, Abendwehmuth wird nicht ſta¬ tuirt, in den Hecken blüht Frühlingsfeier genug, Schnur¬ ren und Summen und Windgeflüſter. Aber weils Winter iſt und kein Frühling,[ſ][o]wollt ich nur ſagen wie alles ſo herzhaft und ſorgenfrei iſt in der Natur hier, ſo un¬ verhehlte Lebensluſt, man müßte ſich ſchämen, der Ah¬ nungswehen und Sehnſuchtträume, ſtatt luſtig mit zu grünen und zu ſauſen und zu plätſchern; ich mein nur, es iſt nicht möglich hier mitten im drallen Heſſenland, anders zu ſein als das heimathlich Fleckchen Welt ſelbſt,78 was ſo kugelig unter Deinen Füßen, dich kollernd, ſtol¬ pernd hinab und hinan verlockt und doch überall ſo herz¬ lich Dich einladend zum Sitzen, zum Ruhen am Raſen am Berg und in Dir ſelber. — Es haben ſich frühe Wintertage eingeſtellt, Meline leidet am Halsfieber, woran hier alles krank liegt, Gunda auch geht wegen Unwohlſein alle Tage vor Sonnenuntergang zu Bett. Savigny wohnt mit ihr in einem andern Theil des Hauſes der unter unſerer Wohnung liegt, durch Terraſ¬ ſen und Hof geſchieden; ſo bin ich ganz allein mit der Meline die hübſch ruhig im Schlafzimmer nebenan liegt. Dieſe Einſamkeit erquickt und ergötzt mich. Der ſchwär¬ meriſche Hausarzt iſt Poet, er bringt Gedichte die er in der Dämmerungsſtunde vorlieſt, — Träume Schäume, Liebe Triebe gleiten ſanft am Geſtade meines Ohrs dahin; man reicht dem Doktor die Hand, er drückt ſie mit ſtillem Ernſt, mit ſeelenvoller Miene; weiter wird nichts gereicht von Lob. — So ſchwillt die Knospe des Leichtſinns leiſe leiſe in der Bruſt, bald wird ſie berſten und in einen fröhlichen Bluſt ausbrechen, ſo nennen die heſſiſchen Bauern die Blüthe. — Nichts von Rührung, Erhabnem, Verinnigung, Wonnegefühl, Begeiſtrung und aller gebildeten Geiſteswirthſchaft. — Was ich an mir ſelber bin das theil ich Dir mit, und ſtrenge mich79 nicht mit Verſchönerungsprinzipien der Sittlichkeit an, ich muß einmal erproben was meine Seele für einen Ton angiebt, ob ſie vielleicht von Natur ſo derb iſt wies liebe Heſſenland. — Ich fang an zu glauben daß ich gar nicht fürs Geſellſchaftliche geboren bin, konnt ich je meiner Phantaſie nachgeben ohne mich zu erhitzen über den ſinnloſen Widerſpruch der Andern? — und bin ich nicht eingeſchlafen beim Primas über dem Geſumſe von geputzten Leuten, und hab ich mir nicht eingebildt, meine liebſten Leut wären verrückt geworden mit dem Jabot von Point d'alencon der eine halbe Elle vorſtand und mit brillantnen Knöpfen und mit — und mit — einem Haarbeutel hinten angeklemmt, hab ich mich da nicht zu todt geſchämt daß einer mit einem Haarbeutel ſo vergnügt herumlaufen konnt als wärs ein Verdienſt, und iſts nicht auch beſchämend für die freie Seele ſich äußerliche Zeichen des Wahnsinns anzuhängen auf Be¬ fehl daß Buonaparte damit geehrt ſoll werden? — der George hat ſeinen Haarbeutel aber abgeriſſen und ihn mitten in den Salon unter die Leut geworfen, die Königin von Holland ſchlurte ihn mit der Schleppe durch alle Zimmer, ich habs geſehen und mich drüber heimlich erluſtigt. Aber bloß um nicht zu ſehen was all für dum¬ mer Wahnſinn dort an der Tagsordnung iſt mag ich80 den Winter nicht hin, man kann ſich nicht lang amü¬ ſiren mit den Albernheiten die der Kreis von Menſchen ausgehen läßt der ſich die gebildete Welt nennt und ſonſt keine Grundlage. Eine hat der Andern dicht neben mir in ihr Halsband gebiſſen um zu ſehen ob es wahr ſei daß ihre Perlen echt wären, und hat ſich ſehr geärgert, daß ſie nicht entzwei gin¬ gen, und ſo ärgert ſich alles über alles was echt iſt, und ſo konnt ich doch nichts beſſeres und chriſtliche¬ res thun als lieber einſchlafen, ich habs auch dem Primas geſagt wie er mich geneckt hat; es ſei um Ärgerniß zu vermeiden denn ich ſei echt, und es kommt mir ordentlich herabwürdigend vor mich unter ihnen herum zu treiben. — Hier bin ich glücklich durch die Freiheit in der freien Natur herum zu ſchwärmen in deren, Mitte ich wohne. Des Einſiedlers Klauſe in tie¬ fer Wildniß, kann nicht mehr mitten ihr im Schooß lie¬ gen als ich, ja ich darf mich ſelbſt als einen Theil von ihr empfinden, was mich nicht beſchämt wie die Geſellſchaft, daß ich ihres Gleichen bin, aber mich freudig und ſelbſt¬ fühlend macht daß ſie ſo gut gegen mich iſt vor andern. Wenn ich aus dem Fenſter im Schlafzimmer ſo grad auf den winterlich grünen Berg ſteigen kann, und dann hinunter und hinauf, auf alten gefährlichen Mauern81 die bald einbrechen bald Himmelan ſteigen, bis zum Wall vom alten zerfallnen Feſtungsſchloß oben auf dem Berg — über Löcher und Hecken wo nur Kühnheit und Leichtſinn ſich hin wagen, und nicht eine menſchliche Erſcheinung in der Weite umher; — ſo recht allein und laut hallend kann ich mit ihr ſprechen, es hörts keiner, und jetzt wo ich bekannt ſchon bin, nickt jeder Strauch mich freundlich an mit den paar braunen Blättern, die ihm der Winterwind noch nicht genommen hat, wenn ich wieder komm und ſetz mich neben ihn auf die Mauer und ſchwindelt mir nicht; ach welch Vergnügen zu klettern, wie entzückend die kecke Jugend! — wenn ich auch manchmal mit geſchundnem Knie, wie heut, oder aufgeriſſnem Arm heimkomm, das fühl ich gar nicht, ja wenn mir recht iſt, freuts mich gar! — Werd hart, ſagte der Schmidt im Wald, und ſchlug das glü¬ hende Eiſen auf dem Ambos, das hörte der Thüringer Landgraf und ward hart wie Eiſen. — Werd hart rief ich heut auf der gefährlichen Mauer von der ich hin¬ abglitt, weil ich nicht anders hinunter kommen konnte, und da hat mirs auch gar nicht weh gethan. Werd hart, ſagt ich wie ich zur Meline ins Zimmer eintrat, die gar erſchrecken wollt als ſie die Blutſpuren an mei¬ nen Kleidern ſah, ich mußte leiden daß ſie mich ein4**82bischen heilte mit beaume de chiron; Du wirſt noch Hals und Bein brechen, prophezeihte ſie, wo jetzt ſo viel glatte Stellen am Berg ſind vom ſchmelzenden Schnee. Ich ſchriebs hierher, wenns geſchieht ſo hat ſie richtig prophezeiht. Aber gewiß, ſolche Übungen die einem die Natur lehrt ſind Vorbereitungen für die Seele, alles wird Inſtinkt auch im Geiſt, er beſinnt ſich nicht, ob er ſoll oder nicht, es lehrt ihn das Gleichgewicht halten wie im Klettern und Springen, es entwickelt eine Kraft die dagagirt und detachirt; das heißt: das Sehnen nach einem Pfeiler ſich in der Welt anzulehnen, oder nach einem Stock um weiter zu kommen, wird einem lä¬ cherlich; bald merkt man daß man auf ziemlichen Wegen recht gut allein gehen kann, und auf ſteilem Pfad läßt ſich durch Übung große Freiheit erwerben. Ängſtlichkeit und Unerfahrenheit verleiten doch nicht nach dem erſten Strauch am Weg zu greifen, der durch Biegen und Bre¬ chen zum Verräther wird und dem Vertrauen den Hals bricht; und ich möcht wiſſen ob der ganze innere Menſch, nicht deutlich und kräftig hervorgehen könnt aus dem äußern, und ob „ auf dem Seiltanzen “nicht eine hö¬ here diplomatiſche Kunſtanlage entwicklen könnt wie all der Wuſt von Intriguengeiſt, und Correſpondenz voll Leerheit, und Obſervanzen voll Kleinlichkeit, — oder „ mit83 Anmuth auf dem Eis Schlittſchuh laufen “, ob das nicht lehren könnt, ohne Selbſtverletzung eigner Würde, zwi¬ ſchen allen Verkehrtheiten mit leichter Grazie ſich durch¬ winden; und ob ein wildes Roß bändigen, mit Kälte und Ruhe, nicht auch die Kraft in der Seele weckt den eignen Zorn zu bändigen, und mit Gelaſſenheit das Gute aus dem Böſen entwicklen in Andern, und zur Selbſtbeherrſchung in der Gefahr; oder auch eine raſche Flamme der Selbſtbeſonnenheit, mit der wir einen Entſchluß faſſen und freudig begrüßen das Hö¬ here, ſeis auch aus unmündigem Geiſt erſproßt; und nicht fort und fort die alte Schlangenhaut an¬ beten, die der Götterjüngling, der Genius der über den Zeiten ſchwebt, längſt von ſich ſchleuderte. Ja — ob überhaupt dies freie Bewegen in der Natur, dies Üben aller Kräfte in ihren Reizungen, ſo wie es die Glieder ausbildet und ſtärkt, nicht auch die inneren Seelenkräfte ſtärkt daß ſie zu hoch zu edel für dieſe erbärmliche Weltſchule, der Scheere entwachſen die nicht mehr hinanreicht um ſie zurecht zu ſtutzen; daß ſie das kleinliche nicht mehr ertragen ſondern übern Haufen ſtürzen. Eben ſo wie ich in der einſamen Na¬ tur keinen frage, ſoll oder ſoll ich nicht da hinüber ſprin¬ gen, ſondern mich auf den eignen Trieb verlaſſe; ſollte84 eine innere Kraft nicht auch für den Geiſt gut ſagen? — Und bedürfen oder ſuchen wir vielleicht nur deswe¬ gen Rath weil wir furchtſam ſind? — Kommts uns zu fabelhaft vor daß der Geiſt, inmitten Unſerer, auf¬ ſteigen könnte der uns die Weisheit des Himmels kund thue? — nun was vermag uns denn, lieber der unſerem Inſtinkt fremden Macht des alten Vorurtheils uns zu unterwerfen, als jenes Inſtinktes jungem Keim nur ſo viel Luft und Licht zu laſſen daß er aufblühen könne? — Der höhere Geiſt kann nur aus ſich ſelbſt ſich er¬ zeugen, denn der mächtige Trieb der Entwicklung in uns, iſt grade nur was uns der Entwicklung bedürf¬ tig macht, und alſo iſt jedes freie Geiſtesregen ſchon ein Vorrücken des Keims, alſo: den innern Geiſt walten laſſen, und keinen fremden, iſt was ihn erzeugt. — Und wärs nicht tauſendmal beſſer wir feh¬ len aus eignem Irren als auf fremden Rath? — wenn einer in die Heimath will und lauft über die Grenze um nach dem Eingang zum eignen Haus zu fragen? — Wie iſt das? — werden da nicht die heiligen Kräfte, deren Geſammtmacht wir Gewiſſen nennen, im Keim erſtickt; wird da nicht aller Ahnungstrieb ſtocken, des Geiſtes Spürkraft abſterben? — Und wenn ich die eigne Stimme ſchweigen heiß und einer fremden folge,85 dann bin ich nicht mehr in eigner Macht und muß mirs aufbürden laſſen daß ich aus Rückſichten mein beſſeres Selbſt verwerfe. Hör! wenn ich eine ſchwierige Aufgabe im Leben hätte ich würde nicht zu erfahr¬ nen Weltleuten gehen, die zu fragen, nicht zu ſolchen die es verſtehen mit dem irdiſchen Leben einen Handel abzuſchließen, nicht zu denen die das Recht der Welt handhaben, ich würde die Unmündigen fragen; ich würde denken, die Kinder haben die himmliſche Weisheit, zu der wir müſſen zurückkommen wenn wir das Rechte thun wollen, was eigentlich unſer Theil am Himmelreich iſt, denn wir bauen ſelbſt den Himmel durch unſer edles freies Thun, ſonſt kommt er nicht zur Welt; aber es iſt Verwirrung in aller Sprache, jeder will das andre und keiner verſteht den andern, und drum kann die innere Stimme allein die Sprache des Rechts wie¬ der lehren; o wer ſie ſprechen läßt der thut Großes und bleibt dennoch einfache Natur, denn Natur iſt groß, und der Menſch ſoll groß werden; wächſt er am Leib und breitet ſeinen Stamm aus, ſo ſoll er auch am Geiſt wachſen und ſeinen Stamm ausbreiten. Und wie in der ſinnlichen Natur, Nahrung, Pflege, Wachsthum, Sicherung aus dem eignen Organismus ſich hervor bildet, warum nicht im Geiſt? Was iſt Geiſtesleben als ſein Entſte¬86 hen durch ſein Erzeugen? — und was laſſen wir weni¬ ger zu als daß er ſich frei bewege, und das geht ſchon ſo von Ewigkeit zu Ewigkeit daß er uns mit den un¬ würdigen Ketten in den Ohren klirrt, und wir fürchten uns vor dieſem Klirren und halten die Ohren zu, und ein reines Hervortreten des Geiſtes würde die Welt um¬ ſtürzen, ja! aber wie himmliſch würde ſie aus ihren eig¬ nen Trümmern aufblühen! — Iſt Furcht nicht ein bö¬ ſer Dämon? — Furcht vor dem Irren iſt Menſchen¬ furcht; horchten wir auf die Kinderſtimme in der Bruſt dann würde die Furcht vergehen, — iſt Irren Irrthum? — kanns nicht bloß freies Wandlen ſein? — Verſuch in einer urtheilüberſchwingenden Sphäre ſich zu bewe¬ gen? — iſt Urtheil nicht ein Schlachtmeſſer mit dem wir die neugeborne Geiſtesfrucht im Leib des Irrthums töd¬ ten? — hats einer ſo weit gebracht im Geiſt, daß er wie der kühne Gemsjäger ohne Schwindel über die Spalten und Schluchten ſetze, mit treffendem Sprung mit Leidenſchaft das Wild ereilend? — Was iſt doch Lei¬ denſchaft? — iſt es nicht jene ungeübte Kraft die ſinnlich ausbricht und ſich üben will! — ſeis die Spur der Gemſe die der Jäger verfolgt wenn nicht jener weißen Hindin mit goldnem Geweih, die lockend tauſend Um¬ wege macht ihn ins Dickicht zu leiten, wo im Eingang87 von Labyrinthen, räthſelhafte Mächte ihn ergreifen, die ſein Aug berühren und ſein Ohr daß er begreife was nur unſchuldvoller, kühner, ſich ſelbſt regender Geiſt ah¬ nen und faſſen kann. Ach könnt ich nur ins Tyrol rei¬ ſen um meinen Geiſt frei zu machen auf der Gemsjagd, — dann würd ich gewiß mir ſelbſt genug ſein und das Große zu dem mein Geiſt Anlag haben könnt, ſollte nicht zu Grund gehen, es ſollte recht nach allen Seiten hin, mächtig ſich zeigen. —
Der Molitor hat mir einen Erziehungsplan ge¬ ſchickt von Herrn Engelmann, weil ich ſo gern mit ihm in die Muſterſchule ging muß er glauben, Erziehung intereſſire mich überhaupt; das war aber nur wegen der armen Judenkinder die dort mit den Chriſten zuſam¬ men ihr kleines Fleckchen Antheil an menſchlicher Be¬ handlung hatten, und wenn ich ſagen ſoll, ſo ſchien mir dies eine allein Erziehung; nemlich: Kinder gleichen Al¬ ters gleicher Fähigkeiten früh dran zu gewöhnen daß ſie auch gleiche menſchliche Rechte haben, ſie mögen Ju¬ den oder Chriſten ſein; ſei alſo ſo gut und mache den Molitor mit dem bekannt was ich hier über meine eigne Erziehung ſage, daß ichs mit Klettern zu zwin¬ gen ſuche mich vor böſen Fallſtricken zu bewahren die meinen Geiſt darnieder werfen um ihn nachher zu kne¬88 beln; daß aber die „ Gedanken über Erziehung und Unterricht beſonders der Töchter “von Engelmann mir nicht einleuchten, da die beſte Erziehung die iſt wenn er ſie Gott anheimſtellt, ſo ſind 90 Karolin zu viel. — Hier lege ich Dir ein Blatt ein, das gieb dem Molitor, und ſag ihm beiläufig ich zähle es zu den Philiſtertor¬ turen einem mit ſo was zu behelligen, Leute die ſolche Erziehungspläne aushecken mögen ihre eigne Verkehrt¬ heit dran ſetzen ſie zu beurtheilen, ſie würden ſich von mir nicht bedeuten laſſen, ſie würden ſchreien ich ſchütte das Kind mit ſammt dem Bade aus, und das thu ich auch, denn das Kind iſt ein garſtiger Moppel und ſoll nicht im Bad ſitzen wie ein Menſchenkind. — Es thut mir ordentlich leid daß ich hierüber hab an ihn ſchreiben müſſen, ich mag nicht meine Feder mit philiſterhaftem Zeug beſudeln, es iſt mir Sünde, ich habs diesmal nur aus Gutmüthigkeit gethan, aber ich ſchreib nichts wieder, thu mir den Gefallen und ſags ihm, er ſoll mich ungeſchoren laſſen mit allem was ſchon da iſt und was noch kommen wird, aber die Sulamith ſoll er ſchicken ſo oft ſie herauskommt, wenns auch ungefüges Zeug iſt; ich muß alles wiſſen über die Juden wenn ich nach Frankfurt zurückkomm, der Primas lieſts auch. Für den Primas will ich Dir einen Auftrag geben, richt ihn89 ja pünktlich aus, ich hab an die Großmama geſchrie¬ ben, daß ſie an Dich die Druſen-Weihe zurück¬ ſchicke, packe beiliegenden Brief an den Primas dazu und ſchicke es an den Weihbiſchof ins Taxiſche Haus, mache eine doppelte Adreſſe, die oberſte an den Weih¬ biſchof, der wirds ihm zurückgeben oder nachſchicken wenn er in Aſchaffenburg iſt, verſchiebs nicht.
Bettine.
Ich hab unwillkührlich meinem Brief da mit Auf¬ trägen ein End gemacht und wollte Dir noch ſo viel anders ſagen über Mooſe und über Pflanzen die ich im Wald gefunden hab, reine architektoniſche Figuren. Sind Worte nicht einzelne architektoniſche Theile? ſind ſie nicht ſymmetriſch zu ordnen im Gedanken? — Ein Wort iſt immer ſchön an ſich, aber Gedanken ſind nicht ſchön wenn die ſchönen Worte nicht in einer heiligen Ordnung ihn ausſprechen; es giebt aber eine gewiſſe romantiſche Unordnung, oder vielmehr Zufallsordnung, die ſo was lockendes, ja ganz hinreißendes hat in der Natur; die einem ſo mit Luſt und Lieb durchdringt, daß ſie allen Luxus und alle Erhabenheit weit über¬ wiegt in ihrer Verwandtſchaft mit der Seele; ſo hab ich mir immer gedacht, wenn in Feenmärchen über Nacht ein prächtiger goldner Palaſt entſtand gegenüber der90 Hütte von zwei Bettelkindern, wie traurig es ſei daß die nun die Mooshütte verlaſſen müßten um in den ſtolzen Palaſt zu ziehen, und dann war mir bang er könne die Gegend verſtecken, und nichts deucht mir ſchö¬ ner als wenn die Natur, ihre Launen zärtlich durchflech¬ ten kann wo der Menſch etwas einrichtet; ſollte das nicht im Gefühl, im Gedanken auch ſein? — ſollte Poeſie nicht ſo vertraut mit der Natur ſein wie mit der Schweſter, und ihr auch einen Theil der Sorge überlaſſen dürfen? — ſo daß ſie manchmal ihre gehei¬ ligten Geſetze ganz aufgäb aus Liebe zur Natur, und alle ſittlichen Feſſeln ſprengt und ihr ſich in die Arme ſtürzt voll heißem Drang ungehindert nur an ihrer Bruſt zu athmen. Ich weiß wohl daß die Form der ſchöne untadelhafte Leib iſt der Poeſie, in welchen der Menſchengeiſt ſie erzeugt: aber ſollte es denn nicht auch eine unmittelbare Offenbarung der Poeſie geben die vielleicht tiefer ſchauerlicher ins Mark eindringt ohne feſte Grenzen der Form? — die da ſchneller und na¬ türlicher in den Geiſt eingreift, vielleicht auch bewußtlo¬ ſer, aber ſchaffend, erzeugend, wieder eine Geiſtesnatur? — Giebts nicht einen Moment in der Poeſie wo der Geiſt ſich vergißt und dahin wallt wie der Quell dem der Fels ſich aufthut? daß der nun hinſtrömt im91 Bett der Empfindung voll Jugendbrauſen, voll Licht¬ durchdrungenheit, voll Luſtathmen und heißer Lieb und beglückter Lieb; alles aus innerer Lebendigkeit, womit die Natur ihn durchdringt? —
In deinen Gedichten weht mich die ſtille Säulen¬ ordnung an, mir deucht eine weite Ebne; an dem fernen Horizont rundum heben ſich leiſe wie Wellen auf beruhig¬ tem Meer die Berglinien; ſenken und heben ſich wie der Athem durch die Bruſt fliegt eines Beſchauenden; alles iſt ſtille Feier dieſes heiligen Ebenmaaßes, die Leiden¬ ſchaften, wie Libationen von der reinen Prieſterin den Göttern in die Flammen des Heerdes gegoſſen, und leiſe lodern ſie auf — wie ſtilles Gebet in Deiner Poeſie, ſo iſt Hingebung und Liebesglück ein ſanfter Wieſenſchmelz thauigter Knospen, die auf weitem Plan ſich aufthuen dem Sternenlicht und den glänzenden Lüften, und kaum daß ſie ſich erheben an des Sprachbaus ſchlanker Säule, kaum daß die Roſe ihren Purpur ſpiegelt im Marmorglanz heili¬ ger Form der ſie ſich anſchmiegt; ſo — verſchleiernd der Welt, Bedeutung und geheime Gewalt die in der Tiefe Dir quellen, — durchwandelt ein leiſer ſchleierwehender Geiſt jene Gefilde, die im Bereich der Poeſie Du Dir abgrenzeſt. — So iſt mir immer wenn ich mich erkühne aus meinem kindiſchen Treiben hinauf zu ſchauen92 nach dem Deinen, als ſäh ich eine geſchmückte Braut deren prieſterliche Gewande nicht verrathen, daß ſie Braut iſt und deren Antlitz nicht entſcheidet ob ihr wohl iſt, oder weh vor Seligkeit. — Mir aber liegt ein Schmerz in der Seele den ich oft unterdrückte in Deiner Gegenwart, und was mir ſchwer war; aber eine geheime Sehnſucht Dich Dir ſelber zu entführen, Dich Dir ſelber vergeſſen zu machen, nur einmal jene Säulengänge vor denen die Mirthe ſchüchtern erblüht zu verlaſſen, und in meiner Waldhütte einzukehren, auf ihrer Schwelle am Boden ſitzend mit mir, von tauſend Bienchen umſurrt die ſich ſatt trinken in meines Gar¬ tens blühenden Kelchen, von den Tauben zärtlich um¬ flattert die unter mein Dach heimkehren am Abend, und da mehr zu Haus ſind, mehr Wirthſchaft machen als Freundſchaft und Liebe der Menſchen, denn ſie be¬ haupten ihr Vorrecht alle Gedanken zu übertönen mit ihrem Gegurre. Ja, ſo erſchein ich mir im Geiſt gegen Dir über, Du mein liebſtes Gut! — ſo ſeh ich Dich dahin wandeln, am Hain vorüber wo ich heimathlich bin; nicht anders als ein Sperling, vom dichten Laub verſteckt den Schwan einſam rudern ſieht auf ruhigen Waſſern, und ſieht heimlich wie er den Hals beugt mit reiner Fluth ſich überſpühlend, und wie er Kreiſe zieht, heilige93 Zeichen ſeiner Abſonderung von dem Unreinen, Unge¬ meſſnen, Ungeiſtigen! — und dieſe ſtille Hieroglyphen ſind Deine Gedichte, die bald in den Wellen der Zeiten ein¬ ſchmelzen, aber es iſt ſegenwallender Geiſt der ſie durch¬ geiſtigt, und es wird einſt Thau niederregnen der auf¬ ſtieg von Deinem Geiſt. Ja ich ſeh Dich Schwan, ruhig Zwieſprache haltend mit den flüſternden Schilfen am Geſtade, und dem lauen Wind Deine ahnungsvolle Seufzer hingebend, und ihnen nachſehend wie er hin¬ zieht weit, weit über den Waſſern — und kein Bote kommt zurück ob er je landete. — Aber keinen Geiſt tragen die Schwingen ſo hoch daß er die Weite erfaſſe mit einem Feuerblick, es ſei denn, er fache das heilige Schö¬ pfungsfeuer mit ſeinem Athem an; und ſo werden Flam¬ men aufſteigen, bewegt vom Geſetz Deines Hauchs aus Deiner Seele, und zünden im Herzen jugendlicher Ge¬ ſchlechter, die knabenhaft männlich ſich deuchtend, nim¬ mer es ahnen daß der Jünglingshauch der ihre Bruſt erglüht niemals erſtieg aus Männergeiſt. — Was denk ich doch? — Der Geiſt athmet, denk ich? — ihn nähren die Elemente, er trinkt die Luft, dies feine Beben und Trei¬ ben in ihr. Auch in und unter der Erde zeugen Geſetze, ſittliche und bürgerliche, der Natur. — Die Luft vermählt ſich mit der Erde als Geiſt mit dem Wort; und daß94 des Windes Brauſen der Fluthen Stürzen, Lebensme¬ lodieen ausſprechen; und daß jedes Weſen in ſich, auch jede Liebe jede Sehnſucht und jede Befriedigung in ſich trage, und die Flamme die Pforte ſprenge zu ewiger Ver¬ jüngung, das denk ich. — Dir mehr wie jedem gehört der goldne Friede, daß Du geſchieden ſeiſt von aller Störung jener Mächte die Dich bilden; und drum mein ich als, ich müſſe Dich einſchließen und Wächter vor Dir ſein, und daß ich nächtlich möcht an Dein Lager treten und geſammelten Thau auf Deine Stirne tröpfeln, — ich weiß nicht was Du biſt, es ſchwankt in mir, aber wo ich einſam gehe in der Natur, da iſt es immer als ſuche ich Dich, und wo ich ausruhe, da gedenk ich Deiner. — Es iſt eine alte Warte hier am Ende des Berggartens, eine zer¬ brochne Leiter inwendig die keiner zu erſteigen wagt führt da hinauf, ich kann mich aber hinauf ſchwingen mit einigen Kunſtſprüngen, da bin ich alſo ganz allein, und ſehe wie weit? — aber ich ſehe nicht, ich trage mich hin, wos in der Ferne nur nebelt und ſchwimmt, und fordere nicht Rechenſchaft vom Auge, froh daß ich allein bin, und daß mein gehört ſo weit ich mich fühle. da oben bin ich mit Dir, da ſegne ich die Erde in Dei¬ nem Namen. Und leb wohl bald ſchreib ich mehr und deutlicher, ich fühl in dieſem Brief ein elektriſch Beben95 wie wenn ein Gewitter ſich unter den Wogen hebt, und doch weiß Jupiter Tonans noch nicht, ob er ſeinen Conſens dazu geben ſoll.
Bettine.
Meine Abweſenheit von Frankfurt hat gedauert bis im Anfang dieſer Woche, ich dachte ſicher Briefe von Dir zu finden und bin etwas beſorgt, doch ſagt mir ein geheimer Geiſt Du wirſt nächſtens in Fluthen angeſtrömt kommen, und mich wegſchwemmen, mein Aufenthalt in Heidelberg war angenehm und lehrreich, welches letztere Du nicht wirſt gelten laſſen, wenn ich Dir aber ſag es waren die alten Mauern und nicht die Menſchen die ihren Geiſt über mich ergehen ließen, da wirſt Du gleich gläubig ſein. Du haſt bei Deiner Abreiſe, Oſtertags ſchlechte Überſetzung des Suetonius in meine Behauſung geſchickt, vermuthlich ſoll ſie auf die Bibliothek zurück, noch in keinem Buch fand ich ſo Viel Spuren Deines fleißigen Studiums als in dieſem; vier bis fünf Blätter mit Auszügen, wo Du alle Miſ¬ ſethaten der zwölf Kaiſer auf eine Rechnung gebracht96 haſt. Was bewegt Dich zu ſolchen Dir ſonſt ganz fremden Forſchungen? ich ſuch mirs zu erläutern, denkſt Du in Anſehung jener, die als große Männer nicht frei ausgingen von der Tyrannei Sünde, Deinen gro¬ ßen Mann zu abſolviren? — Ich ſcherze, aber ich möchte doch dabei in Dein Geſicht ſehen ob Du ganz frei von jener Begeiſtrung biſt die aus aufgeregtem Ge¬ fühl entſteht bei dein ewigen Gelingen aller Schickſals¬ löſungen, und die ich lieber Schwindel nennen möchte, und den andre, Weltpatriotismus nennen und ſich leicht verführen laſſen eine Rolle zu ſpielen wenn ſie ihnen geboten würde, weil es heißt Er hat einen Glücksſtern, und da fühlt man ſich gedrungen dem zu fröhnen, aus aſtraliſchem Emanationsgefühl, und da tritt man bald von der reinen Einfalt zum Götzendienſt über. — Aber ich will Deinen Zorn nicht auf mich laden, ſondern Dir offenherzig ſagen woher mir die böſen Gedanken kom¬ men. Sie kommen nicht aus mir, die Leute ſagen näm¬ lich Dich habe alles ſo aufgeregt als der Kaiſer durch¬ kam und Du habeſt geweint und ſeiſt ganz außer Dir geweſen als Du ihn geſehen hatteſt, das hat die Clau¬ dine mir geſagt, iſts wahr, ſo braucht doch das nicht wahr zu ſein daß Du von ihm hingeriſſen biſt, denn man kann erſchüttert werden ohne Begeiſtrung für daswas97was uns erſchüttert, mehr will ich Dich nicht mit die¬ ſen mißlichen Worten peinigen, die nur Scherz ſein ſollen und auch Dich ein wenig ſtrafen daß Deine Briefe ſich verſpäten.
Von Offenbach iſt mir ein Pack Schriften zugekom¬ men für Dich, die Novelle wahrſcheinlich — ſoll ich ſie Dir aufbewahren oder zurückſchicken? — Von Clemens hab ich Dir auch noch viel zu ſagen, Gutes und Vergnüg¬ liches heiße Anhänglichkeit an Dein Wohl; — es iſt ſein tiefer Ernſt wenn er ſagt Du geheſt durch Deinen Leicht¬ ſinn der Zukunft verloren, und dieſer Ernſt gehet ſo weit, daß er im Eifer meint ich ſei mit dran ſchuld. Einen Brief haſt Du ihm geſchrieben wo Du meine An¬ ſicht über Dich als Zeugniß citirſt daß es nicht in Dei¬ nem Charakter liege zu dichten oder vielmehr etwas hervorzubringen. Dies hab ich büßen müſſen, denn er zeigte mir Deinen Brief und meinte wer ſo ſchreibe der dichte auch, ich hab ſchweigſam und bejahend alles über mich ergehn laſſen; thue wie Du kannſt. Dort in Marburg haſt Du wahrſcheinlich wenig Zerſtreuung, wer weiß was Dir gelingt oder vielmehr einfällt, denn fiel es Dir ein, ſo fiel es Dir auch vom Himmel, aber dies ſchon ſo lang erharrte Phänomen will immer nicht ſich ereignen. — Ich bitte Dich ſchreibe bald, daß ichII. 598wieder ins Geleis Deiner Ereigniſſe und Erfahrungen komme; es iſt mir ganz todt hier, meine Augen hin¬ dern mich ſehr am Schreiben.
Caroline.
Lieber Widerhall, ich hab Dir was zu ſagen von meiner ſchmerzlichen Langenweil, die ich bei allem empfinde, weil ich immer noch nichts von Dir weiß, ich mein wann ich nicht rufe ſo mußt Du rufen, aber Nein, Du biſt der Widerhall und ich darf nun nicht eher hoffen als bis mein Rufen bei Dir ange¬ ſchlagen hat. Geſtern hab ich meinen Brief zugemacht dem Bedienten mit auf die Poſt gegeben und ſiehe er brachte ihn mit einem großen Paket angekommner Briefe wieder zurück, in der Meinung ihn dort für mich em¬ pfangen zu haben, jetzt ging er erſt heute um vier Uhr ab, dies Verzögern, dies Vor-mir-liegen meines Briefes, dem ich Flügel angewünſcht hätte und den ich gewohnt bin nie eher zuzumachen als bis er die Reiſe antritt, war mir ſehr unheimlich, ich bin ſo gedächtnißlos,99 daß wenn ich den Brief ſchließe, ich ſchon nicht mehr weiß was er enthält; und nur ein Nachgefühl läßt mir die Ahnung zurück wie er Dich berühren werde; aber bald fang ich an zu zweifeln obs nicht lauter Einbil¬ dung ſei, daß ich mir denke Dir tiefe innere Anſchauun¬ gen mitgetheilt zu haben, und ſo fühl ich ermattende Zweifel und ich denk was ſoll doch das dicke Briefpaket, da kann doch unmöglich lauter Klugheit drinn ſtehen, wo ſoll ichs her haben, iſts doch ſo leer mir im Kopf! — und dann thut mirs ſo leid daß ich Dir nicht meine Seele konnt hingeben, nackt und blos wie ſie Gott zu ſich aufnimmt, daß ich ſtatt ihrer Dir einen Schwall von Worten ſchickte, die ſuchen und ſuchen, Dir eine Flamme aus den Waſſern dieſes bodenloſen Oceans in dem wir alle ſchwimmen entgegen zu hauchen; da möcht ich den Brief aufbrechen, und nur einen Augen¬ blick wahrnehmen daß ichs Herz auf der Zunge hatte, und doch kommt er mir ſo verſiegelt vor als ſei er Dein Eigenthum ſchon, was mich nichts mehr angeht, weils immer Gott gleich von mir nimmt, ſobald ichs in der Gluth meines Angeſichts hingeſchrieben hab. Ja es iſt mir ein paar Mal geſchehen daß ich einen Brief von mir bei Dir gefunden hab, ſo war er mir ganz fremd, und die Worte und Gedanken wunderten mich recht. Heute5*100hab ich alſo Deinen Brief unverletzt entlaſſen aus wah¬ rer Pietät weil er Dein gehört, und weil ich mich nicht in die Geheimniſſe eindringen will die Gott Dir durch meine Hand vertraut, denn ſonſt würde er nicht ſo ſchnell das Gedächtniß von mir nehmen, um ſo mehr kannſt Du an das drinn glauben was vielleicht Dich berührt.
Chriſtian der mir nach Frankfurt ſo ernſte und liebende Briefe geſchrieben hatte, vor denen ich mich oft ſchämte, weil ſie viel höhere Kräfte mir zutrauten und wecken ſollten als je erwachen werden, der geht hier um mich herum und betaſtet mein Ingenium, und entdeckt daß die Fundgruben des Genies zum Theil leer ſind, und die Felder des Wiſſens ſteinigter Acker, und das Licht der Begeiſtrung lauter Nebel, doch verläßt er mich nicht und ſorgt für Lehrer. Der Schäfer ſollte Geſchichte mit mir treiben, da er aber ſehr ernſt und gründlich iſt und durchaus will daß der freie aufge¬ weckte Menſch mit vollem Intereſſe dabei ſei, ſo konnte ers nicht mit mir aushalten, es ging gegen ſein Ge¬ wiſſen, er hat dem Chriſtian bedeutet es ſei beſſer mich auf andre Weiſe zu beſchäftigen; da ich eine Nerven¬ angreifende Empfindung habe wenn ich Zahlen wahr¬101 nehmen ſoll, wenn ich das Frühere vom Späteren un¬ terſcheiden ſoll, wenn ich Namen behalten ſoll, ſo ſei es nicht möglich bei gutem Gewiſſen mir Zeit und Geld zu rauben. Es thut mir leid daß auch der mit Blindheit geſchlagen iſt über mich und von der när¬ riſchen Idee beſeſſen, ich lerne um was zu wiſſen, um Kenntniß zu ſammeln; Gott bewahr, da könnte ich nur innerlichen Raum mit Dingen ausfüllen die mir im Weg ſind, wenn ſich ein Reiſender viel Beſitz¬ thum anſchafft ſo hat er erſt die Noth alles unterzu¬ bringen, und hat er ſich an Überflüſſiges gewöhnt, ſo muß er einen Bagagewagen hinter ſich drein fahren haben. Den Mantel umgeſchwungen und damit zum Fenſter hinaus und alles Gerümpel dahinten gelaſſen, das iſt meine Sinnesart, lernen will ich wie Luft trin¬ ken. — Geiſt einathmen wodurch ich lebe, den ich aber auch wieder ausathme, und nicht einen Geiſtballaſt in mich ſchlucken an dem ich erſticken müßt. Das will mir aber keiner zugeben, daß ſolche Unvernunft natur¬ gemäß ſei. Ich würde am End freilich nichts wiſſen was ich ihnen gern zugebe, aber ich würde Wiſſend ſein, was die mir nicht zugeſtehen, — aber durchgeiſtigt ſein von des Wiſſens flüchtigem Salz, einen Hauch der102 Belebung durch es empfinden, einen Kuß wenn Du's erlaubſt, einen flüchtigen — dem ich eine Weile noch nachfühle, der in mir ſich verwirklicht, verewigt.
Wiſſen und Wiſſendſein iſt zweierlei, erſtes iſt eine Selbſtſtändigkeit gewinnen in der Kenntniß, eine Per¬ ſönlichkeit werden durch ſie. Ein Mathematiker, ein Geſchichtsforſcher, ein Geſetzlehrer, — gehört alles in die verſteinert Welt iſt Philiſterthum in einem gewiſſen tie¬ feren Sinn. Wiſſendſein iſt Gedeihendſein im geſunden Boden des Geiſtes, wo der Geiſt zum Blühen kommt. Da brauchts kein Behalten, da brauchts keine Abſonde¬ rung der Phantaſie von der Wirklichkeit, die Begierde des Wiſſens ſelbſt ſcheint mir da nur wie der Kuß der Seele mit dem Geiſt; zärtliches Berühren mit der Wahrheit, ener¬ giſch belebt werden davon, wie Liebende von der Geliebten, von der Natur. — Die Natur iſt die Geliebte der Sinne, die Geiſtesnatur muß die Geliebte des Geiſtes ſein; durch fortwährendes Leben mit ihr, durch ihr Genießen geht der Geiſt in ſie über, oder ſie in ihn, aber er führt kein Regiſter über alles, er buchſtabirt ſichs nicht und rechnets nicht zuſammen. Nun was liegt mir dran? — ſo lang mirs ſo geht wie hier, kann ich nicht klagen, ich ſchwindel wie ein Bienchen herum, und wo ich ein off¬ nes Kelchelchen ſind da ſchwipp ich hinein, und verſuch103 und trink mich ſatt wenn mirs ſchmeckt. Der alt Profeſ¬ ſor Weiß, bei dem wir im Haus wohnen iſt ſo ein klei¬ ner Hausgarten an dem mir allerlei Blüthen noch offen ſtehen. Der gute Alte klopft an die Thür, da ſteht er mit der Zipfelmütze im Schlafrock und will gern ſeine Pfeife anzünden weil bei ihm noch kein Licht brennt, ich ſpazier noch ein Bischen mit in den Garten wo er die Pfeife raucht, er zeigt mir die Sternbilder am Him¬ mel, der Orion, der groß Bär und der klein Bär, und paft mir den Rauch ins Geſicht, ſo hat er mich die drei Wochen unterhalten ſo oft gut Wetter war von aller Planeten Tanz, und das hat grade mein Begehren zu wiſſen mäßig genährt; aber wiſſenſchaftlicher Anſatz iſts nicht geworden, vielmehr Schleierlüften von gehei¬ men Reizen des Geiſtigen. Und ich hab dann am Abend und in der Nacht noch Gedanken gehabt, Nachzügler — worüber ich beſeligt einſchlief. Weißt Du was das iſt beſeligt einſchlafen? — das iſt grad mit der Natur im ſüßeſten Alleinſein ſich befinden, wo ſie allein den Blick auf Dich richtet, und in Dich hineinſchaut, und Du in ſie, und eine Decke Euch umhüllt, wie zwei Kinder die einer des andern Athem trinken. So iſts mit mir wenn ich zufällig etwas von ihr gewahr werd; aber wenns mir[abgemeſſen] wird, wenn ich Rechenſchaft geben ſoll, dann104 fühl ich mich in der Seele beleidigt, denn ich mag nichts wiſſen, ich ſchäme mich, und kränke mich daß auf dem Spielplatz meiner Seele all das luſtige übermüthige Springen und Schwingen nicht mehr ſein ſoll, wo ohne Umſehens alles verfliegt wie es gewonnen worden und von keiner Aufſpeicherung die Rede iſt.
Da hab ich noch eine Luſt, — der alt Herr hat ein klein Treibhaus, eine Kammer mit zwei Fenſtern nach der Sonne hin, wo er ſelbſterzogne und Jahre lang gepflegte Gewächſe bewahrt. Ich bin mit ihm geweſen und hab ihm helfen die Gewächſe vom Staub reini¬ gen, viele hab ich nicht gekannt, er ſagte mir ihren Namen, ihr Vaterland ihre Geſchichte, wie er dazu ge¬ kommen, was er für Glück und Unglück mit ihrer Pflege gehabt, das alles iſt lebendig und intereſſant, denn er iſt alt und hat viel Kinder und alſo viel Sorgen, und iſt kränklich; und nun iſt ſeine Freude aus der ſogenannten Fülle dieſes großen weiten wiſſenſchaftlichen Lebens, die paar ſüdliche Pflanzen die hier unter ſeiner Liebe Schutz, ihr Leben im fremden Klima friſten, mit einer dürftigen Blüthe ihn erfreuen; im Keim ſchon unterſcheidet er ob der Knospen bringen wird oder blos Blätter, zählt alle, betrachtet alle Tage wie ſie vorrücken, da regt ſich kein Blättchen er ſiehts und verſtehts, Du ſollteſt zuhören,105 wie er ihre Färbung ihr Erſchließen bemerkt, wie er ih¬ nen das bischen Licht ökonomiſch austheilt daß keins zu kurz kommt, und dabei geht als ſein altes ledernes Kolleg, was er nun ſchon im einundzwanzigſten Jahr jährlich zweimal den Studenten vorträgt, mit herab¬ hängenden Ohren den gewohnten Weg zur Mühle, ob ein geſunder Menſchenverſtand es aushält dies immer und immer das Erlernte Erſtudierte durchzukauen? — Nein einmal muß es aufhören und einer möcht wohl lieber aufs ewige Leben verzichten als ewig das Erlernte wieder den Nachkommen mittheilen; ſo muß man es denn einmal abdanken nicht wahr! — ſollte man den alten Satz mit in die Ewigkeit zu nehmen gedenken? mit Nichten ſo wenig wie den Treſſenrock die Staatsperück die Ordensbänder die Titel die Ehrenämter, man fühlt recht gut daß ſich ſolches Zeug vor Gott nicht ſchickt, aber wie der Geiſt übereinſtimme mit der Natur, die ſeine Freundin ſeine Geliebte iſt, wie er in ihr und durch ſie ſich entwickelt hat, das iſt vor Gott alles. Wenn denn alles Wiſſen, Haben, übergehen muß in Nichtwiſſen, Nichthaben, was hats denn auf ſich daß ich gleich alles verdampfen laſſe.
Wiſſen iſt Handwerker ſein, aber Wiſſend ſein, iſt Wachsthum der Seele Leben des Geiſtes mit ihr in der5**106Natur; Leben iſt aber Liebe. — Sei nachſichtig gegen mich, ich muß Dir alles zurufen lieber Widerhall keine Sorge um mich wenn Dirs nicht wie geſunder Menſchen¬ verſtand vorkommt, man ahmt ja wohl den Vogel im Buſch nach oder den Wind zum Vergnügen, oder das Wild im Wald. — Der Weiß hat mir ein botaniſch Buch gegeben wie er ſah daß ich ſo viel Freud hab an Pflanzen, ich hab mir die Mooſe heraus geſucht, weil man die unterm Schnee noch finden kann, ich hab eine Loupe, ich betrachte ſie, ich entdeck eine Welt, alles läuft und ſtürmt durch wie durch einen Forſt, es fehlt nur der Jagdhörnerſchall, das Hundgebell, und der Schuß; ſo könnt man denken man wär auf einer königlichen Jagd; ich hab noch das Plaiſir von oben herab, wie Gott vom Himmel da hinein zu ſehen; wenn ichs dem Weiß vor¬ erzehl wie mir alles vorkommt, das hört er an wies Evangelium, es erquickt ihn die Lügen und Fabeln mei¬ ner Einbildung zu hören, er ſagt: wenn ich nicht im Pflug gehen müßt ſo ſchwäzt ich den ganzen Tag mit Ihnen. — Das iſt gut für mich ſonſt wär mirs zu viel.
107Samstag.
Der geſtrige Abend war ein Gedulderprobender, es war wieder Dämmerungsſtunde erfüllt mit allerlei Ga¬ ben der Muſe. Schäfer der ein feiner und geiſtreicher Mann iſt, hörte mit zu; Savigny iſt gar liebenswürdig mit ſeinen Freunden und Bekannten, die höchſte Güte leuchtet aus ihm, ſo befindet ſich alles kindlich wohl und heiter um ihn her. Es wurden Gedichte vorgele¬ ſen vom Autor; das iſt ſchwierig für den Leſer und für den Hörer, da ſind zwei Fragen: wo kommen die Gedichte her und wo wollen ſie hin, die meiſten be¬ haupten ihre Abkunft aus dem Feuergeiſt der Liebe und behaupten ihr Recht ins Herz einzukehren. — Ich ſaß in der Ecke und hörte ein lang Gedicht mit den Ohren, die Seele ſehnte ſich hinaus in den Schnee, in die ſternenhallende Luft; die Sterne haben einen Ton, einen ſprechenden Laut der viel vernehmlicher iſt in klarer Winternacht wie im Sommer; — vernehmlich, nicht hörbar, wie denn alles in der Natur vernehm¬ lich iſt, wenns auch die äußeren Sinne nicht gewahr werden. Ich dachte mich hinaus in alle Welt wäh¬ rend dem Rollen auf der Verſechauſſee; meinem Nach¬ bar mochte es wohl auch ſchwer auf dem Herzen lie¬108 gen, denn er ſeufzte mehrmals und holte endlich ſein Taſchenbuch worin er mit dem Bleiſtift was einkritzelte, — ich nahms ihm aus der Hand und probierte Verſe zu machen im Takt des Leſenden, das Geleſene ſchoß Worte zu, wie eine Fabrik wo einer dem andern in die Hand arbeitet, und ſo ſetz ich Dirs der Kurioſität halber hin. Der Dichter las nemlich klagende Geſpräche im Minneliederſtyl zwiſchen zwei Liebenden, die nicht zu Rande kommen können mit ihrer Sehnſucht, in Früh¬ lings und Sommerzeiten.
Montag.
Nun kam geſtern ein Brief von Elemente an mich mit feierlichen Mahnungen, doch mein Leben, nicht zu verſcherzen, ſo innig ſo herzlich, als wär ich eine Blu¬ menknospe die auf ſeinem Stamm wüchſe und der Stamm treibt ſorglich alle Kräfte dahin daß ſie ſich aufthue, aber die Knospe iſt ſo feſt daß nicht Regen und nicht Sonnenſchein ſie weckt — was kann ich da? — der Chriſtian ſtraft mich mit Worten es ſei kein Ernſt in mir, und wenn ich wollte nach Italien reiſen, ſo ſollt ich Winkelmanns Kunſtgeſchichte ſtudieren; und Italieniſch lernen das hab ich probiert, aber die Kunſt¬ geſchicht wie ſollt ich mit der mich abgeben wenn ich dran denk daß ich nach Italien reiſen ſollt. Ei laß doch alles mit Augen ſehen, und wenn ich trunken bin vor Seligkeit daß dort andre Bäume andre Blu¬ men und Früchte ſind, wenn ein ſchönerer Himmel über mir wogt, wenn Menſchen, Knaben, Jünglinge die mir verwandter ſind im Blut in der Faulheit, als die kalten deutſchen fleißigen Brodſtudenten, mir begeg¬ nen auf der Straß mich ſanft grüßen, umkehren, mich noch einmal grüßen, feuriger, — ei werd ich da noch das geringſte vom Winkelmann, von der alten Geſchichte110 wiſſen? wenn rings die Schönheit der Erde aufwallt, da wär ich wohl der närriſche Pedant dazu? — Mit Dir Günderode möcht ich Arm in Arm dahin ſchlendern, kommſt Du heut nicht ſo kommſt Du morgen, alle Zeit füllt ſich ja ſo himmliſch, was ſollen wir ſorgen wo wir hinkommen? — Sturm und Gewitter ſchreibt in die Bruſt Unvergängliches wie der heitre Tag; jeder Weg führt zu geheimen Reizen der Natur, warum ſollen wir nicht, wenns uns lockt, folgen dem ſtrebenden Herzen, den Geſtalten, dem Glanz der Fluren — irren hier und dort herum, wie die Lämmer weiden. — Warum nach einem Plan das Schöne aufſuchen? — am End iſt doch der Zufall, der Reichen großmüthigſter; warum nicht ihm anhängen? — läßt ſich Gott nicht in ihm am innigſten mit der Seele ein? befriedigt am liebendſten ihre geheimen Wünſche?
Ich denk mich ſo oft mit Dir wandlend, zum nächſten Thor hinaus dem reizendſten Pfad entlang, der Clemens aber drängt mich an des Parnaſſus Stufen und will ich ſoll hinauf, und ſo hab ich ihm geſchrieben: „ Am Dichten hindert mich mein Gewiſſen, wenn ich denk wie viel reiner tiefer Sinn dazu gehört, um ſo weniger kann ich mirs zutrauen; manchmal wandelt es mich freilich an, ich ſehne mich111 danach, wie ein eingeſperrtes Kind nach dem Spiel in freier Luft, aus grüner Wieſe im Sonnenſchein; ja es ſchmerzt mich tief, daß ich nicht kann wie ich will und daß alle Sprache mit der ich mein Sinnen feſtzuhalten verſuche nur wie dürres Holz in der Gluth meines Herzens zuſammenbrennt; wie oft hatte ich Momente deren feierliche Mahnung mich auf et¬ was Ernſtes Tiefes vorbereiteten, die Poeſie ſchien mir dann ein reifer Schmetterling der mit dem lei¬ ſeſten Regen die leichte Hülle ſprengte und auf in die Lüfte ſteigend in den mannigfaltigſten Blüthen meiner Seele ſchwelgend. Dann fühlt ich wie ein gött¬ lich Unſichtbares dem ich geboren, ich war ſtolz und wenn die Natur rings mich mit feurigem Blick an glühte, dann war ich ſpröde und verſchloſſen gegen die Feuerkraft, und doch hätt ich mein Herz darge¬ reicht dem erſten kühnen Augenblick der mir die Sprache gelöſt hätt, in der meine Lieder gefloſſen wären. Doch all dies Leben, dies innere Beben und Aufrauſchen ging vorüber ohne etwas feſtzuhalten oder zu erzeugen, und wird vielleicht noch tauſendfach in mir erſcheinen — und keine Spuren zurücklaſſen. “
Das hab ich Dir abgeſchrieben aus meinem Brief an ihn, weils etwas Erlebtes iſt, was ſich mit un¬112 endlichen Modulationen mir im Geiſt wiederholt, ich hab Viſionen wenn ich die Augen zumache, ich ſeh nicht allein, ich hör auch entzückende Töne, wie wenn himmliſche Empfindung zu Ton könnt werden; nun fehlt ja nur die eine Stufe, daß der Ton ſich in Geiſt der Sprache überſetzte; aber in dies Inſelland wills keine Brücke ſchlagen, im Gegentheil alle Erſcheinung zer¬ fließt vor der Sprache. — Ich hab wohl einen dunklen Begriff warum ich nicht dichte, weil eben das Tiefe was mich gewaltig ergreift, ſo daß es elektriſche Kraft auf die Sprache hätte, etwas iſt was ſich in der Empfin¬ dungswelt nicht legitimirt, oder um ſchneller und ohne Umweg mich auszudrücken, weils Unſinn iſt was mir in der Seele wogt, weils Unſinn iſt was meine Gedan¬ ken mir vorbeten, weils Unſinn iſt der mich ahnend als höchſtes Geſetz der Weisheit ergreift. — Wo ich hinſehe, wo ich hinſpühre darf ich nicht ankommen mit meinen Wahrnehmungen, ich weiß daß wenn der Dichterſchwung mich ergriff, ſich das Unendliche, das Ungeborne vor mir aufthun würde mich durchzulaſſen. — Ich ſeh! — und wenn ich was Wahres ſchaue ſei der Keim ſo klein noch, ſo in ſich gedrängt, mich begeiſtert der ihm ſelbſt bewußtloſe Lichtweg den er wandelt. — Du begeiſterſt mich, weil Dein einfaches Streben mir ſo deutliche Lehre113 giebt Du ſeiſt der eignen Seele ewiger Wohllaut, der ſie wiegt und ſchlummernd ihr die Geſetze der Harmo¬ nie einflößt. Ahnungen ſollen dem Geiſtesblick Wahr¬ heiten werden, ſoll eine Ahnung wirklich Daſein wer¬ den, ſo muß ſich der Geiſt erſt vermählen mit einem andern Geiſt — mit dem Genius — die Ahnung ver¬ wirklicht den Genius in uns. — Alles iſt wirkliches Le¬ ben durch die Feier der Liebe mit dem Genius. — Alles verwirklicht ſich durch Vermählung des höheren Lichts mit dem Geiſt — es ſtrömt dem Geiſt herab, er darfs nur liebend wollen, es erfüllt ihn in tiefer Nacht ge¬ ſtaltlos, es ſtrömt ihn an, es umſchweift ihn ganz, o es iſt kein zahmer Liebhaber das Licht. — Und iſt es ein Wunder daß wer ohne Grenze ſich ihm ergiebt, daß der dann ſehe wo andre nicht ſehen? und ſollt ich mich ſchämen vor Dir, die in manchen heiligen Augenblicken mir erſchien wie das Licht zärtlich mit Strahlenkränzen ſie umflocht, und krönte Dein Haupt mit doppelter Krone! — daß ich Dir ſage, nicht die Sprache iſt zwiſchen mir und dem Licht, nein es iſt das Licht unmittelbar, es nimmt meine Sinne auf — nicht durch die Sprache meinen Geiſt! — drum kann ich nicht dichten. Dichten iſt nicht nah genug, es beſinnt ſich zu ſehr auf ſich ſelber. — Ach da red ich ſo wo wir114 ausgemacht haben daß Du niemals drauf eingeheſt da¬ mit ich nicht vor der Zeit unſinnig werde — ſchweig, und ich will auch ſchweigen, der Dämon möcht mich ſonſt durch die Lüfte davontragen. —
Dem Elemente hab ich geſchrieben daß ich hier ſehr vergnügt bin nicht ſowohl um Savignys willen, deſſen Gegenwart freilich einem Aufenthalt alle Reize verleiht, ſondern um der reinen Einſamkeit halben, in der ich von aller Kleinheit entfernt lebe, die mich in Frankfurt immer bedrängte, und meine Freiheit ſchmälerte wenn ich ſo ſagen darf. Hier kann ich doch leichtſinnig ſein ohne daß die Inconſequenzen davon mich gleich er¬ ſchrecken, und ruhig und ernſthaft ohne daß man glaubt ich ſei verliebt oder krank, und verliebt in Himmel und Erd die einzig und allein ſchön hier ſind, ohne daß man mich der Koketterie beſchuldigt.
Da kommt Dein Brief, Du giebſt ihn der Claudine daß die ihn beiſchließe und die hat ihn grad noch zwei Tage liegen laſſen, denn ſo lang hat ſie an ihrem Brief geſchrieben, — und nun ſchließ ich dieſen in dem keine Antwort ſteht, aber gleich würde ich antworten wenn nicht es ſo in mir rumohrte was Du ſchreibſt, ich mein dieſer Brief von Dir iſt nicht an Deinem Schreibtiſch, der iſt an fremdem Tiſch geſchrieben, gewiß bei der115 Claudine. — Ich muß die Sonn untergehen laſſen und mich beſinnen auf morgen früh.
Bettine.
Marburg. December.
Heut Morgen bin ich aus dem Bett geſprungen um das Eis mit meinem Hauch zu ſchmelzen. Um halb acht kamen die Studenten dem Berg herauf geju¬ belt, es war noch dämmerig und der Nebel ſo dicht daß ſie wie Schatten blos durchſchimmerten. Die Me¬ line und ich ſehen jeden Morgen mit großem Gaudium wie ſie zu unſerm Profeſſor Weiß ins Kolleg marſchie¬ ren, — ſie können uns nicht ſehen, denn unſre Fenſter ſind hart gefroren, wir ſteigen auf den Tiſch und hau¬ chen an der oberſten Scheibe ein Löchelchen ins Eis wo grad ein Aug durchſehen kann; ein jeder hat ein verſchiednes Abzeichen, treiben ſich immer eine Viertelſtunde herum bis ſie im Gang nach dem Kolleg verſchwinden, den der Profeſſor Weiß präcis acht Uhr aufſchließt, indeſſen treiben ſie lauter Übermuth, wir dachten ſchon daß ſie vielleicht uns zu Ehren die gro¬ ßen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer über des andern Kopf weg, ſie können uns zwar nicht ſehen weil die Fenſter verhängt ſind und jetzt auch ge¬116 froren, ſo leuchten ihnen doch unſre grünen Vorhänge ganz myſtiſch in die Augen, uns machts tauſend Spaß, die Liebſchaft mit dem ganzen Kolleg iſt im beſten Gang, wir haben ſie getheilt, die Meline ſagt der iſt mein, und ich, der iſt mein, ſo haben wir zwei Regimen¬ ter, und ihre Balgereien werden mit großer Freude und Triumph belacht, jede Partei hat einen Hauptmann, der eine mit der rothen Mütze die er nie auf dem Kopf hat ſondern immer auf einen dicken Stock (der Student nennt ihn Ziegenhainer) herumſchwenkt iſt meiner, er iſt immer der erſte auf dem Platz, die andern verſammeln ſich um ihn und hören zu was er ſagt, er mag wohl das Haupt einer Burſchenſchaft ſein; er iſt ſo jung und ſchön, er iſt der größte von allen, wenn er den Mund aufthut kommt eine große Duftwolke heraus, die ſetzt ſich gleich als Reif an ſeinen kleinen Bart, mit dem er ſehr groß thut, denn er zieht ihn alle Augenblick durch die Finger. Wir nennen ihn den Blonden, er hat brau¬ nes Haar, er hat aber ein ſo blond-ſonnig Geſicht, das mit ſeinen rothen Backen ſo freundlich durch den Mor¬ gennebel lacht, und dann hat er auch einen hellen Rock, der Meline ihrer heißt der Braune, der iſt ganz blond aber er hat einen braunen Rock, dieſer trägt eine blaue Mütze mit einer Quaſte die ihm auf der Naſe117 herumſpielt, er ſitzt gelaſſen auf der Mauer und ſieht zu wenn die andern ſich mit Schneeballen wer¬ fen, ringen, über einander wegſpringen, dazu rin¬ gelt er ſich ſeine blonde ſtrahlende Phöbuslocken über die Finger; ich beneid ihn oft der Meline und wollt ihn mit einem Anſehnlichen aus meinem Regiment um¬ tauſchen, aber ſie will ihn nur gegen meinen Gene¬ ral, den Blonden, herausgeben, das will ich nicht. Früh iſts im Hof wie im Elyſium der dichte Nebel von der Morgenſonne angeſtrahlt in dem die Geſtal¬ ten ſich bewegen, die allerlei mit einander handthieren. Wenns Kolleg aus iſt ſehen wir ſie wieder abziehen, da iſt ihr Übermuth noch größer. Ach hätt ich doch ſo ein Regiment, da wollt ich Dir ſchon antworten auf Deinen Brief mit Deinen unſinnigen Anklagen über den Napoleon. — Betet und ihr werdet erhört werden. Ich bete ohne Unterlaß daß mir doch Flügel wachſen, ich wollt über die Schaaren wegfliegen und ihm in die Zügel fallen. Ach Günderode, Deine fatale Idee als habe ich eine närriſche Ehrfurcht vor dem Napoleon peinigt mich, das Roß des Übermuths tobt unter ihm, es ſetzt in wildem Feuer über Abgründe und durchfliegt in ſtolzem Selbſtgefühl die Ebne um über neue zu ſetzen, dahin eilt er, an den Zeiten vorüber die umge¬118 wandelt ſich nicht mehr erkennen. Die Menſchen ſchla¬ fen ohne Ahnung vom Erwachen, aber unter ſeinem brauſenden Huf reißen ſie plötzlich die Augen auf und ſeine Glorie blendet ſie, daß ſie ſich ſelber nicht begrei¬ fen, ihr dumpfer Schlaf geht in Taumel über, ſie um¬ jauchzen ihn im Gefühl ihrer Trunkenheit.
In mir iſts wunderlich. Vor Menſchen verſink ich in mir ſelbſt, vor denen fühl ich mich nicht, nur wenn ich durch den erſten Schlaf in der Nacht abgetrennt von allem wieder erwache, dann ſtellen ſich große un¬ geheure Fragen vor meine Gedanken, es ſind Fragen in mein Gewiſſen vor dem ich verſtummen muß. — Tu¬ genden[!]— Was ſind die? — Denk ich doch an die letzte Zeit mit den Emigranten bei der Großmama, es ging alles durch einander, es war als ob das Unglück vor der Thür geſchehen ſei mit dem Tod des Enghiens, was für bittere Thränen vergoß der alte Choiſeul mit dem Ducailas und dem[Maupertuis], wie rangen ſie die Hände und riefen zu Gott um dieſen jammervollen Tod, meinſt Du das habe mir nicht einen tieferen Ein¬ druck gemacht als alles glorreiche Durchbrauſen der Welt? — meinſt Du ich könne je dem Unrecht – er¬ liegenden mich losſagen und auch nur in Gedanken übergehen zu dem Unrecht das vor der Welt Recht be¬119 hält, ich fühle es liegt größere Freiheit darin mit dem Unterdrückten die Ketten tragen und ſchmälig vergehen als mit dem Unterdrücker ſein Loos theilen. Was iſt mir Talent das ſeine Bahn bezeichnet mit Friedensbruch mit Meuchelmord? — ich würde ſelbſt ſolche Bahn durchfliegen wollen? ja gewiß! — ich möchte hoch bauen, daß keiner mir nahen könnt, er müßte denn fliegen, aber nicht wie ein Raubvogel der die Göt¬ tin Fortuna zerfleiſcht um ſich ſatt an ihr zu freſſen und ſie dann als Aas liegen läßt; — aber durch heiligen Friedensſchluß, nicht durch Verrath an ihm; durch Schutz der Kindlichen, nicht durch ihren Mord; durch freie hei¬ lige unantaſtbare Poſaunenſtimme der Wahrheit, nicht daß ich ihr die Kehle zudrücke! — Dein Scherz erzürnt mich, ich wollte mir Gelaſſenheit erſchreiben, aber ich muß durchglühen. — Der da! — eine ſchwindelnde Ein¬ gebildheit, ohne Schaam ohne Gefühl? — Den Gekrönte und Ungekrönte wie Fröſche umhüpfen, der von allen Schwächen hin und her gezerrt, ſeine Abkunft verläug¬ net, ſich um ein paar ſilberne Sterne im Wappen ſtreitet, alle Franzoſen wahnſinnig macht, der vergiftet, erdroſſelt, erſchießt, ſeiner Brüder Familienbande zerreißt, für den der Taumel des Volks ſich erhält weil ihm alle Frechheiten glücklich ablaufen, und dann meinſt Du „ ich120 fühle eine Neigung zu dieſem Treiben! “— „ mein aufgeregt Gefühl gehe mit mir durch, “— Du ſagſt alles im Scherz es kränkt mich doch — aber der Scherz kommt nicht aus Dir. — Du ſcherzeſt wie ein thauigter Zweig der mich anſprützt, wie das Morgenlüftchen das mich neckt, aber nicht mit brandigen Hadern mich andampft. — So viel prophetiſche Gabe kannſt Du mir zutrauen daß es mir ahnend im Geiſt liegt, dieſe Strohflamme ſo gewaltig ſie um ſich griff, ſo ſchneller wird ſie ver¬ flackern; bald wird alles in Aſche verſunken ſein, — und Du machſt mirs zum Vorwurf daß ich mit des Oſtertag ſchlechter Überſetzung mich ſo lang ge¬ plackt hab, — weil ich wolle die großen Kaiſerrollen ſtudieren? freilich hab ich dieſe zwölf Kaiſer mit In¬ tereſſe ſtudiert, und hab gefunden was ich vorher hätte ſagen können, daß alle Tyrannen argliſtige klein¬ liche Naturen waren, ſie gaben Befehle wo ihre Bitten genügt hätten, der Fortgang ihrer Macht ent¬ wickelt ſich aus des Pöbels Eitelkeit, überall war ſo viel Knechtſinn für Hofpracht ſo viel Wahnſinn die Seele dieſem Götzen zu verſchreiben, und wie denn al¬ les Narrheit wird ſo ergoß ſich alles in die Quelle der Hoffart, — Das iſts was ich in dieſen zwölf Kaiſern ſtudierte, aber ich ſuchte nicht nach Ähnlichkeiten ſeinerGröße121Größe, ſondern danach ob nicht alle Tyrannen nieder¬ trächtig ſind wie er? — ob nicht alle einen Touſſaint Louverture vergiftet einen Pichegrü erdroſſelt und En¬ ghiens erſchoſſen haben, ob nicht alle durch Hofetikette das Halfter der Sclaverei auch ihren nächſten Freun¬ den umwarfen? — ob irgend einer einen freien Athem¬ zug um ſich dulden konnte? und ob dieſe Sclaven nicht blos ihr Joch duldeten, um wieder die geringeren unter¬ drücken zu können; und ſiehe, bis auf den kleinſten Zug iſt es immer wieder derſelbe ungerechte eigennützige Heuchler, immer daſſelbe Ungeheuer der Mittelmäßig¬ keit; kein Trieb zum wahren Geiſt, keine Sehnſucht die Weisheit als Ägide ſeiner Handlungen aufzuſtellen, kei¬ nen Verſtand von dem Pflanzenboden der Künſte und Wiſſenſchaft, noch wie der Menſch ſich erzieht; ſogar gegen alles Selbſtgefühl ohne innere Zucht fährt er mit ungeſitteten Spottreden heraus, und da ſchreit Alles, Er hat einen Stern! — Ach er kann nicht ewig leuchten, und da wird alles mit erlöſchen.
Schreib nicht mehr ſo ungefüg, ſonſt kriegſt Du ungefüge Briefe; ich ärgere mich über alles was ich ſo ſchreib weils iſt, als ob ich einen Proceß mit Deiner geſunden Vernunft führe, und allen Zeitungswitz undII. 6122Emigrantenpolitik zuſammenhielt, um Recht gegen Dich zu behalten.
Jetzt muß ich auf die alte Wart, es iſt Neumond, ich muß ſehen wie er ſeine ſtumme verzauberte Silber¬ welt anſtrahlt. Die Meline ſchläft ſchon, ich ſteig zum Schlafzimmer-Fenſter hinaus auf dem Berg. — Heut war Speiſemahl bei Savigny da erzählten die Profeſ¬ ſoren von der Spitzbubenbande die ſchon mehrmals ein¬ gebrochen hat in unſerer Nachbarſchaft, die Spitzbuben könnten ſich da oben auf der Wart verſtecken, — ich fürcht mich, aber grad weil ich mich fürcht ſo muß ich hinauf. — Die Menſchen fürchten ſich auch vor der Unſterblichkeit.
Am Sonntag.
Ich bin geſtern noch droben geweſen; beim Auf¬ ſteigen große Angſt vor Nichts, oben himmliſche große Befreiungsluft, — Stille — allumfaſſende, — tief ſchlum¬ mernd alles umher. — Ruhe und Freiheit winkten alle Sterne! — ſo einſam ſo ſicher! — ſo muß Ei¬ nem ſein der das Leben abgeſchüttelt hat, — unter¬ wegs ſchreckten mich ein Kohlſtrunk und ein krum¬ mer Aſt, ich wußt daß es nichts war und fürchtete mich doch. So weiß der innerliche Menſch daß alle123 Furcht nichtig iſt, er muß das Reich der Einbildung durchkämpfen zur Wahrheit, die kann nicht fürchterlich ſein weil ſie lebendig iſt und frei, und auch nur das Lebendige und Freie berührt, nicht den gebundnen Geiſt der alles fürchtet weil er es nicht faßt. Erkenntniß hebt jede Gegenmacht auf. Ich will Dir ſagen wie es iſt beim Sterben, ich habs auf der alten Warte gelernt. — Unten mit ſchwebender Angſt hinauf geklettert, — die innerliche Wahrheitsſtimme half mir die Einbildung die ſo frech ſelbſt mit Erſcheinungen mich bedrängte, be¬ zwingen, ein paarmal zagte ich zwiſchen Erd und Him¬ mel auf der morſchen Leiter, aber die Luft hauchte ſchon herab, ſo erhob ich mich plötzlich und von allen Seiten athmete mich Freiheit an, ſo grad iſts beim Sterben; je weniger das Leben Licht erſtritten hat, Geiſt gewor¬ den iſt, je mehr ſcheut es den Geiſt, je mehr drängt ſich am Lebensende die Einbildung ihm auf, und beſchränkt den Lichtkreis des Lebendigen, der Wahrheit. Der Menſch iſt Sclave der Einbildung die ihm ſein Inneres läugnet, aber die göttliche Wahrheit haucht ſchon in den dunklen baufälligen Thurm zu ihm nieder daß er die morſchgewordne Leiter die zur Freiheit führt mit doppelter Kühnheit erſchwingt, und unmöglich kann dieſe im finſtern Thurm mit dem Aufſchwung ins Freie6*124fortdauern, denn ſie war Einbildung. — Man könnt vielleicht das was ich vom Sterben ſag gering achten, weils ſo einfältig iſt und ſo fabelmäßig und vielleicht ſchon oft geſagt, ja es war mir ſelbſt nichts Neues, aber doch iſts was anders weil ichs erlebt hab, und nicht blos mit den äußeren Sinnen erfaßt, der freie Sternenhimmel hat michs gelehrt, und ich war ſo vergnügt da bei der Sterbelection, und ich werd noch mehr lernen da oben.
Am Dienſtag.
Heut hab ich Dir was luſtiges zu erzählen, es war Studentencomödie, und wir waren drinn, unter dem Schutz von einer großen Begleitung; das Stück war eine Selbſterfindung der Studenten, worin drei Duelle vorkamen von Schuß. Stich und Hieb; wie der Schuß vorkam war der Meline ſchon nicht wohl zu Muth, wie der Stich vorkam ward uns grün und blau vor den Augen, wie aber der Hieb kam gabs ein Lärm und Gepolter und man ſprang übers Orcheſter hinüber, über die Öllampen weg hinauf aufs Theater, die Öllampen gingen zum Theil aus, und aus der bisherigen Däm¬ merung entwickelte ſich Finſterniß, unſre Begleitung umſtellte uns auf den Bänken und hielt uns in ihrer125 Mitte, um uns vor jedem Unfall zu ſchützen bis wir wagen konnten aus dieſer Confuſion und dem Ölqualm herauszukommen und auf freier Straße wieder Luft ſchöpften, die Verwirrung war daher entſtanden daß der Pedell dem Rector, der inmitten des Saals auf einem Ehrenſeſſel zuſah, ſteckte, das Duell mit dem Hieber ſei ein wirkliches, er wollte es erlauſcht haben, auch ſah es ſehr gefährlich aus in ihrer Studentenarmatur; der Rector hielt für ſeine Pflicht in grader Linie auf dies Wagniß loszuſchreiten, er bahnte ſich einen Weg durch die Mitte des Orcheſters wo die Basgeige angelehnt war, vor dem Rector umfiel, und einen ſchauerli¬ chen Ton von ſich gab, die Geſellſchaft ſchreckte auf der Decan und wie die hohen Univerſitätschargen alle heißen, drängten ſich über alle Hinderniſſe weg ih¬ rem Rector nach, wo denn den Pauken und Baß noch mancher unwillkührliche Ton entlockt wurde. — Viel lautes Hin - und Herreden unter den Damen die bald das Unglück verhüten bald es nicht mit anſehen wollten, viel Gelächter unter den Studen¬ ten die ihre Freude an der Verwirrung hatten, am in¬ tereſſanteſten war die Scene auf dem Theater; der Rec¬ tor mit Beiſtand uns en face ganz feierlich; ein Stu¬ dent der eine Dame vorgeſtellt mit langer Schleppe,126 und ſchon früher beim Stichduell die Hälfte davon ver¬ loren hatte, wendete jetzt, wahrſcheinlich aus Muthwill, dem Publicum den Rücken, man ſah große Kanonen¬ ſtiefel einen Hieber an der Seite, der die halbe Schleppe trug und einen großen Florſchleier der dem Rücken hin¬ abwallte und mit jeder Bewegung bald die paar Lam¬ pen zu erlöſchen bald ſich zu entzünden drohte, ſo daß mehrere Stimmen riefen der Schleier brennt. — Es war bald ausgemacht alles ſei nur blinder Lärm geweſen, indeſſen konnte das Stück nicht weiter ſpielen, die Lam¬ pen waren aus und die Honoratioren fort, eine Maſſe Straßengeſindel hatte ſich der Bänke bemächtigt um zu ſehen was es gab. Am andern Tag hörten wir von unſerm Profeſſor Weiß den Ausgang der Tragikomö¬ die; es ſei in Dubio geblieben ob wirklich ein ernſtlich Duell habe ſein ſollen, die Studenten haben es geläug¬ net, der Pedell aber beſchworen daß er ihre Unterre¬ dung auf dem Gang mit angehört habe, und daß der eine der die Dame vorſtellte der eine Secundant, und mein getreuer Hauptmann der andre ſein ſollen, und daß ſie vor der Thür ihre Klingen gemeſſen, und daß er gehört habe auf wie viel Gänge, und wie ſie ihre Halsbinden, ihre Stürmer und ihre Fauſtbinden be¬ ſichtigt hätten. Die Studenten blieben dabei ſie hät¬127 ten nur ihre Rollen repetirt und das habe alles ſol¬ len auf dem Theater vorgeſtellt werden; es war nichts zu machen man mußte ſie laufen laſſen, ſie ga¬ ben dem Rector ihr Ehrenwort keine Händel anzufan¬ gen, hielten noch einen Commers und jubelten bis ſpät in die Nacht. — Der Gang des Stücks hatte noch kein Licht auf ſeinen Inhalt geworfen, die eigentliche Pointe des Ereigniſſes war daß ſie die manglende Cataſtrophe deſſelben erſetzen wollten, und daher in Gegenwart des Pedells den ſie nicht zu bemerken ſchienen und der ſich hinter einen Schrank verſteckt hatte, die ganze Geſchichte ihm weiß machten; ſie hatten ihm ſchon früher Argwohn beigebracht und ließen ſo die ganze Verſammlung mit¬ ſpielen, die ſich dabei auch höchlich amüſirt hatte, und gewiß hat ſich Jung und Alt noch eine Weile von al¬ lem Komiſchen zu erzählen was dabei vorfiel. Der Pro¬ feſſor Weiß war entzückt über ſeine lieben Studenten, er ſagte man muß ſelbſt Student geweſen ſein um ihnen nachzufühlen welch Gaudium es iſt wenn ſo was gelingt, er blieb bei uns ſitzen, wir erlaubten ihm ſein Pfeifchen zu rauchen, und er erzählte uns aus ſei¬ nen Studentenjahren nichts wie dummes Zeug was uns die Zeit ſehr anmuthig vertrieb. — Heut Morgen als die Studenten ins Colleg kamen konnten wir deut¬128 lich bemerken daß ſie noch ganz entzückt davon waren, das Lachen war heut ihr einzig Exercitium, und wir beiden wie zwei unſichtbare Schutzgöttinnen hinter den gefrornen Fenſtern freuten uns der heiteren Laune un¬ ſerer Lieblinge.
Bettine.
Wenn Du Recht behalten willſt ſo haſt Du gewiß Recht, ich will auch nicht noch einmal wiederholen daß ich ſcherzte, denn dies iſt ja grade doppelte Sünde, weil der ganze Scherz ſich nicht zwiſchen uns beiden eignet, Du kannſt es von mir am wenigſten ertragen, daß ich falſch in die Saiten greife, — es war ein Erdenſcherz und kein luftiger leichter, und es war noch dazu ein Nothanker, ich war verwirrt geworden durch das Reiſen hin und her vom Rhein zum Neckar und dann zum alten Haus¬ halt; da iſt mir ſo manches verronnen was mir lieb und leid iſt, der Winter hat mich auch doppelt hier be¬ troffen.
Clemens hat mir geſchrieben. Wie ein böſer Traum ſind mir manche bittere und trübe Erinnerungen129 von ihm vorübergegangen, ſein Brief hat mich betrübt weil er mir die verworrnen Schmerzen ſeines Gemüths deutlich und doch wieder dunkel darſtellt, auch wenn ich ihn nie geſehen hätte, würde mich dieſer kalte Le¬ bensüberdruß tief und ſchmerzlich bewegen. — Er ſtellt ſich ſo an den Rand der Jugend als habe ſie ihn ausgeſtoßen, wie mich das ſchmerzt, wollt er es doch anders ſein laſſen, lieber die vergangne Zeit zurückru¬ fen und fortleben ewig friſch, jung und träumeriſch, wie er es gewiß könnte; es wird und muß wieder ſo mit ihm werden, und Du mußt ihm jetzt recht anhäng¬ lich ſchreiben, Dein freieres Bewegen, wo Du ſonſt ſo von ihm abzuhängen ſchienſt, wird ihm wohl auch un¬ gewohnt und empfindlich ſein; Du kannſt es nicht än¬ dern, aber erſetze es ihm. Du ſchriebſt ja immer nur kurze Briefe an ihn, aber ſchreib doch öfter. — Sein Beifall an meinen Gedichten erfreut mich, und mehr wird es keiner. Er ſchreibt Savigny habe die Nach¬ richt aus Paris, daß eine Überſetzung dort vom Tian gemacht ſei, ihm mitgetheilt, frag ihn doch und ſchreib mir etwas Näheres darüber.
Dem Molitor hab ich Deine Anſichten über die Erziehungen leſen laſſen, es freute ihn und ver¬ ſpricht Dich nicht mehr zu ſtören, das iſt mir lieb,6**130denn wenn auch Deine Argumente, womit Du das Philiſterthum beſtürmſt, keinen Bodenſatz haben und unläugbar aus der Luft gegriffen ſind, ſo iſt mir doch lieber zu leſen wie Du unmittelbar mit den Ele menten verkehrſt, als wenn Du Deinen Sinn im Wi¬ derſpruch auf irgend ein gegebenes Beſtehendes anwen¬ deſt. Deine Wahrheiten ſtreifen wohl den inneren Sinn der Menſchen; ſie möchten Dir Recht geben, aber was iſts damit? — bis einmal das Morgenlicht der Poeſie in jeder Bruſt den Geiſt weckt, da wird wohl manches verſtanden und doch muß es wieder verſinken; drum iſt es mir lieber Du ſelbſt erſchaffſt Dich, biſt Dir Lehrer und Schüler zugleich, weil es da was fruchtet und Deine Lehren einen ſo gründlichen tiefen Eingang in Dich haben. — Haſt Du Dich doch gegen die Philoſo¬ phie geſperrt, und Deine Natur ſpricht ſie doch ſo ganz perſönlich aus, als Geiſt und Seele und Leib. Ich will damit Dich nicht auf Dich ſelbſt zurückführen, es iſt eine Bemerkung die ich im Spiegel mache, und Du kannſt ja gleich davon fliegen und den Spiegel leer laſ¬ ſen, auch giebt meine Bemerkung Dir Recht; denn wenn Deine organiſche Natur ganz Philoſophie iſt, ſo wird ſie ſich nicht in der Anſchauung erſt erwerben ſollen. — Sie wird einen Jugendleib haben der mit einem anderen131 Frühling zuſammentrifft, und ein anderes Verſtändniß haben mit dem Geiſtigen der Welt. — Um ſo mehr deucht es mir Mißgriff, wenn Du mit dem Wirklichen Dich begegneſt und ihm Deinen Geiſt anmeſſen magſt. Ich ſuche in der Poeſie wie in einem Spiegel mich zu ſam¬ meln, mich ſelber zu ſchauen, und durch mich durchzu¬ gehen in eine höhere Welt, und dazu ſind meine Poeſieen die Verſuche. Mir ſcheinen die großen Erſcheinungen der Menſchheit alle denſelben Zweck zu haben, mit dieſen möcht ich mich berühren, in Gemeinſchaft nur ihnen treten und in ihrer Mitte unter ihrem Einfluß dieſelbe Bahn wandeln, ſtets vorwärts ſchreiten mit dem Gefühl der Selbſterhebung, mit dem Zweck der Vereinfachung, und des tieferen Er¬ kennens und Eingehens auf die Übung dieſer Kunſt, ſo daß wie äußerlich vielleicht die hohen Kunſtwerke der Griechen, als vollkommne göttliche Eingebung gal¬ ten und auf die Menge als ſolche zurückſtrahlten, und von den Meiſtern auch in dieſem Sinn mit dieſer Con¬ zentration aller geiſtigen Kräfte gebildet wurden, ſo ſammelt ſich meine Thätigkeit in meiner Seele; ſie fühlt ihren Urſprung, ihr Ideal, ſie will ſich ſelbſt nicht verlaſſen, ſie will ſich da hinüber bilden. Du aber biſt das Kind, geboren im Land wo Milch und Honig132 fleußt, die Sorge iſt da überflüſſig, die Trauben hän¬ gen Dir in den Mund, alles iſt Gedeihen und Klima Deiner Wiege, alles trägt Dich und nährt und ſchützt Dich ſo lang Du das Klima nicht wechſelſt, und ob das was Du dadurch erbeuteſt der Welt genießbar ſei, darauf kömmt es hier fürs erſte gar nicht an, wenn Du nur durch eigne Sünde nicht im Werden geſtört wirſt, denn das iſt die einzige Sünde. — Schweig über Dich und gelte ihnen für was ſie wollen, verſprich mir das heilig, denn ſonſt würden ſie Dich aus Deinem urſprünglichen Land verpflanzen, ſie würden Dich aus Deiner Kindheit herausheben und etwas aus Dir machen wollen. — Und wie klagevoll wärs, wenn Du ſelbſt Deinem in¬ neren Leben, Deiner eignen Religion die ſo ſanft, ſo glücklich Dir dient, Dich aus eigner Schuld entfremde¬ teſt, o nein ich wills nicht hoffen, bleib immerdar mit Deinen Geiſtern im Bund die Dir Speiſe bringen, und verwerfe ſie nicht um fremde Koſt. Ich hab mir ſchon oft Vorwürfe machen laſſen um Dich, wie hätte ich mich wehren können? es wär Verrath an Dir geweſen, nein ich ließ Dich unberührt von ihren Augen. Was biſt Du auch? — Nichts als nur wie die Natur ſich tau¬ ſendfältig ausſpricht — wie jene Schmetterlingshülle die Du dieſen Sommer aus dem Schlangenbad mitbrach¬133 teſt die äußerlich ſo feſt war, daß nichts Fremdes ſie verletzen konnte, und beim geringſten Berühren des Schmetterlings ſich aufthat ihn zu entlaſſen, und dann ſich wieder ſchloß. Wenn die Natur ſich ſo eigen dazu verwendet jede Störung ihrer Bildungen zu ver¬ hüten, ſogar die leere Kammer, woraus ſie ihr geflügel¬ tes Geſchöpf entläßt, ſorgſam wieder ſchließt, wie ſehr muß da der Inſtinkt in dies lebende Weſen eingeprägt ſein daß es ſich keiner fremden Gewalt hingebe. — Du verſtehſt die Natur ja mannigfach, ſo wirſt Du mich auch hier begreifen, nicht beſſer, nicht mehr kommſt Du mir vor als alles was in der Natur lebt, denn alles Leben hat gleiche Anſprüche ans Göttliche; aber ſorge nur daß Du Dein eignes Naturleben nicht ver¬ letzeſt, und daß es ſich ohne Störung entwickle.
Dein klein Gedicht was Du bei Gelegenheit der Langenweile gemacht, beweiſt mir daß wir beide Recht haben, für jeden Andern wollt ich es als Gedicht rech¬ nen, aber für Dich nicht, denn Du ſprichſt darin eine äußere Situation aus, nicht die innere, und ein Gedicht iſt doch wohl nur dann lebendig wirkend wenn es das Innerſte in lebendiger Geſtalt hervortreten macht, je rei¬ ner je entſchiedner dies innere Leben ſich ausſpricht je tiefer iſt der Eindruck, die Gewalt des Gedichts. Auf134 die Gewalt kommt alles an, ſie wirft alle Kritik zu Bo¬ den und thut das ihre. Was liegt dann dran ob es ſo gebaut ſei wie es die angenommne Kunſtverfaſſung nicht verletze? — Gewalt ſchafft höhere Geſetze die kei¬ ner vielleicht früher ahnte oder auszuſprechen vermochte; höhere Geſetze ſtoßen allemal die alten um, und — wir ſind doch noch nicht am End! — Wenn doch der Spielplatz wo ſich die Kräfte jetzt nach hergebrach¬ ten Grundſätzen üben, freigegeben wäre um der Na¬ tur leichter zu machen ihre Geſetze zu wandlen. Ich will nicht daß Du auf meine Produkte in der Poeſie anwendeſt was ich hier ſage; ich habe mich auch zuſam¬ mengenommen und gehorchen lernen; und es war gut, denn es ſammelte meinen Stoff in meinem Geiſt, der mir vielleicht als Inhalt nicht genügt haben würde, wenn mir die Form die ich der Anmuth zu verweben ſtrebte, nicht den Werth dazu geliehen hätte; ich glaube daß nichts weſentlicher in der Poeſie ſei, als daß ihr Keim aus dem Inneren entſpringe; ein Funke aus der Natur des Geiſtes ſich erzeugend iſt Begeiſtrung, ſei es aus welchem tiefen Grund der Gefühle es wolle, ſei er auch noch ſo gering ſcheinend. Das Wichtige an der Poeſie iſt, was an der Rede es auch iſt, nemlich die wahrhaftige unmittelbare Empfindung die wirklich in135 der Seele vorgeht; ſollte die Seele einfach klar em¬ pfinden, und man wollte ihre Empfindung ſteigern, ſo würde dadurch ihre geiſtige Wirkung verloren gehen. —
Der größte Meiſter in der Poeſie iſt gewiß der, der die einfachſten äußeren Formen bedarf um das innerlich Empfangne zu gebären, ja dem die Formen ſich zugleich mit erzeugen im Gefühl innerer Übereinſtimmung.
Wie geſagt wende nichts auf mich an von dem was ich hier ſage, Du könnteſt ſonſt in einen Irr¬ thum verfallen. Ob zwar ich grad durch mein In¬ neres dies ſo habe verſtehen lernen. Ich mußte ſelbſt oft die Kargheit der Bilder, in die ich meine poeti¬ ſchen Stimmungen auffaßte, anerkennen, ich dachte mir manchmal daß ja dicht nebenan, üppigere Formen, ſchönere Gewande bereit liegen, auch daß ich leicht einen bedeutenderen Stoff zur Hand habe, nur war er nicht als erſte Stimmung in der Seele entſtanden, und ſo hab ich es immer zurückgewieſen, und hab mich an das gehalten was am wenigſten abſchweift von dem was in mir wirklich Regung war; daher kam es auch daß ich wagte ſie drucken zu laſſen, ſie hatten jenen Werth für mich, jenen heiligen der geprägten Wahrheit, alle kleine Fragmente ſind mir in dieſem Sinn Gedicht. Du wirſt wohl auch dies einfache Phänomen in Dir erfahren136 haben, daß tragiſche Momente Dir durch die Seele ge¬ hen die ſich ein Bild in der Geſchichte auffangen, und daß ſich in dieſem Bild die Umſtände ſo ketten daß Du ein tief Schmerzendes oder hoch Erhebendes mit er¬ lebſt; Du kämpfſt gegen das Unrecht an, Du ſiegſt, Du wirſt glücklich, es neigt ſich Dir Alles, Du wirſt mäch¬ tig große Kräfte zu entwicklen, es gelingt Dir Deinen Geiſt über alles auszudehnen; oder auch: ein hartes Ge¬ ſchick ſteht Dir gegenüber, Du duldeſt, es wird bitterer, es greift in die geweihte Stätte Deines Buſens ein, in die Treue, in die Liebe; da führt Dich der Genius bei der Hand hinaus aus dem Land wo Deine höhere ſitt¬ liche Würde gefährdet war, und Du ſchwingſt Dich auf ſeinen Ruf, unter ſeinem Schutz wohin Du dem Leid zu entrinnen hoffſt, wohin ein innerer Geiſt des Opfers Dich fordert. — Solche Erſcheinung erlebt der Geiſt durch die Phantaſie als Schickſal, er erprobt ſich in ihnen und gewiß iſt es daß er dadurch oft Erfahrungen eines Helden inner¬ lich macht, er fühlt ſich von dem Erhabenen durchdrungen, daß er ſinnlich vielleicht zu ſchwach ſein würde zu be¬ ſtehen, aber die Phantaſie iſt doch die Stätte in der der Keim dazu gelegt und Wurzel faßt, und wer weiß wie oder wann als mächtige und reine Kraft in ihm auf¬ blüht. — Wie ſollte ſonſt der Held in uns zu Stande137 kommen? — Umſonſt iſt keine ſolche Werkſtätte im Geiſt und wie auch eine Kraft ſich nach außen bethä¬ tigt, gewiß nach innen iſt ihr Beruf der weſentlichſte. — So fühl ich denn eine Art Beruhigung bei dem Un¬ ſcheinbaren und Geringfügigen meiner Gedichte, weil es die Fußtapfen ſind meines Geiſtes, die ich nicht ver¬ läugne, und wenn man mir auch einwerfen könnte, ich hätte warten dürfen bis reifere und ſchmackhaftere Früchte geſammelt waren, ſo iſt es doch mein Gewiſſen was mich hierzu bewog, nemlich nichts zu läugnen, denn wenn je eine reine ſelbſtgefühlige Geſtalt hieraus ſich entwickelt, ſo gehört auch dies hinzu und was ich bis jetzt auf dieſe Weiſe in mir erlebte iſt ja was mich bis hier her führte, zu dieſem Standpunkt meines fe¬ ſten Willens. —
Ich habe Dir jetzt genug geſagt, ich hab es aus Liebe zu Dir gethan ſo wie Du ſo manches aus Liebe zu mir geſagt und gethan haſt, und Du haſt au¬ ßerdem noch einen nahen Antheil an allem, wie denn dies nicht anders möglich iſt. — Ich bitte Dich aber dringend, laſſe es in Deine Stimmung nicht einwirken, ſondern ſorg daß Du mir hübſch ganz Du ſelbſt bleibſt, Dein Manuſcript iſt an den Primas beſorgt worden.
Caroline.
138Was haſt Du denn für einen Brief an Voigt ge¬ ſchrieben von einem polniſchen Juden.
Das Wetter hat ſich geändert, der grüne Bergra¬ ſen lacht das bischen Schnee aus, was Winter ſein will, ich bin den ganzen Tag nicht zu Haus. Die Sonn und der Mond gehn Abends zuſammen am Himmel ſpazieren ich war geſtern früher oben um zu ſehen wo ſie bleiben, ich guckte in die Luft die ſo weich weht und in die veränderte Landſchaft, weil über Nacht der Schnee weggeſchmolzen war, und konnt mich auf nichts mehr beſinnen in der ſchmeicheligen Natur, ſo gehts gewiß den ſchneeentlaſteten Tannen auch, und den Wieſen; und die gelben Weiden und die Birken taumeln in dem lauen Wehen wähnend und ſchwankend, als könnt der Frühling wohl einmal den Winter überhüpfen; ſie ſind im Winterſchlaf vom Frühlingstraum geneckt, ich auch, — ob nicht alle Seligkeit hier Traum von Später iſt? ſie iſt ſo kurz ſo zufällig. — Frühling iſt Seligkeit, weils Begeiſtrung iſt von der Zukunft, Seligkeit iſt Be¬139 geiſtrung zum Leben, das iſt Frühling. Wer ewig zum Leben begeiſtert iſt, der iſt immerdar Lebensfrühling, das Leben iſt aber blos Begeiſtrung, denn ſonſt iſts Tod; und ſo iſt das Leben heut und immer knospen¬ ſchwankend im Wind, der die Zeit iſt, knoſpenſchwel¬ lend in den Sinnen was die Natur iſt, und knoſpen¬ duftend im Geiſt, der die Sonne iſt. Das ganze Le¬ ben iſt blos Zukunftsbegeiſtrung, nicht ein Moment kann aus dem andern hervorgehn, wärs nicht Begeiſtrung der Natur fürs Leben. Die Zeit würde aufhören wär die Na¬ tur nicht mehr frühlingbegeiſtert, denn blos daß ſie ewig nach der Zukunft ſtrebt macht daß ſie lebt; und daß ſie ewig den Frühling erneuert das iſt ihre Seele, ihr Wort das Fleiſch geworden iſt. Sie öffnet die Lippen und ſchöpft Athem der Zukunft, das iſt der Frühling der blüht ſchnell alles heraus, das iſt Ausathmen der Begeiſtrung, Frucht der Blüthe, Beſtätigung des begeiſterten Le¬ bensathem, Sommer, wo der Buſen der Natur Athem¬ erfüllt die Lebenskraft in der Frucht, im Apfel, in der Traube wieder aushaucht in den Herbſt hin¬ über, in dem er reift, abſetzt; das iſt im Buſen der Natur Winterpauſe, da regt ſie ſich einen Moment nicht, wie die Bruſt ſich auch nicht regt zwiſchen Sinken und Steigen vom Athem; — und dann hebt140 ſich der Buſen ihr allmählig wieder, mächtig und mäch¬ tiger — trinkt Lebensbegeiſtrung heiligen Athems voll. So iſt das Leben frühlingbegeiſtert Athemſchöpfen, und Sommer und Herbſt ſind der Begeiſtrung Aushauch, und der Winter iſt nur Frühlingspauſe; in ihr ſind alle Sinne ſchon wieder auf das Athemſchöpfen hingewendet.
Alt iſt keiner, als nur wer die Zeit achtet als be¬ ſtehend. — Die Zeit iſt nicht beſtehend — Schwinden iſt Zeit. An Schwindendes kann ſich Begeiſterung nicht hängen, an nichts kann ſie hängen, ſie muß frei ſein, blos in ſich; denn ſonſt wär ſie kein Leben. Alſo die Natur athmet Begeiſtrung, das iſt Frühling; Sommer und Herbſt entſtrömen dem Athem der Natur, das iſt wo ſie alles hingiebt, um aufs neue den Frühling ein¬ zuathmen. — Da iſts deutlich daß der Geiſt auch nur Frühlingsathem ſchöpft, und daß Jugend nicht in Zeit ſich einſchränkt, die vergeht, da Lebensluſt nicht ver¬ gehn kann, weil, wie Natur Frühling aufathmet, wir Lebensbegeiſtrung aufathmen. —
Es iſt dumm was ich hier ſag, iſt nicht uneinge¬ hüllter Geiſt der den Wahn vernichtet, aber unter der armſeligen Hülle des zwanzigmal wiederholten Vergleichs liegt einer zerſchmetternden Antwort Keim auf das was Du mir ſchon mehr als einmal geſagt haſt: „ Recht viel141 wiſſen, recht viel lernen, und nur die Jugend nicht über¬ leben. — Recht früh ſterben! “ Ach Günderode! athme aus um wieder aufzuathmen, Begeiſtrung zu trinken — denn: Iſt Natur nicht blos dieſer Begeiſtrung Leben? — Und wär Jugend etwas, wenns nicht ewig wär? — Wie ich auf der Warte ſaß geſtern, und ſah wie die Natur den Frühling ſchon vorausträumte — da fiel mirs ein, daß Jugend ja ein ewiger Lebensan¬ ſpruch iſt, wer den aufgiebt allein, athmet nicht mehr auf, er läßt den Athem ſinken. — Ich weiß nicht was Du Jugend nennſt? — iſts nicht jugendlich den Leib dem Geiſt aufopfern? — ſtrebt ſie nicht mit al¬ len Kräften Geiſt zu werden? — Was iſt denn alſo die Zeit? — nichts als Jungwerden. — Leben muß man immer wollen, denn wenn der Tod kommt das iſt grade wo die Jugend ſich mündig fühlt zur Unſterblichkeit; weſſen Jugend aber früher abſtirbt wie kann der un¬ ſterblich werden. — Wer dächte: Ich will nicht über die Jahre hinaus wo ich mit zwanzig zähle, denn mit dreißig iſt der Jugend der Stab gebrochen, der müßte einer ſein der Zeit hätt ſo was zu denken, und ſtünd eben ſo gut müßig am Ufer als Ladung für den Cha¬ ronsnachen, mir deucht aber Dein Geiſt der wie die Natur blüthenaufathmend iſt, kann nicht vor ſpäterer142 Zeit zurückweichen wollen. Nein! — Geiſtesſehnſucht bildet Frühlingskeime, und Lebenwollen iſt Liebe zu dieſen Keimen, des Geiſtes Lebensbegierde iſt daſſelbe Treiben was in der Natur iſt, wo Keim auf Keim auf¬ ſprießt; und eine Lebensmelancholie kann nur ſein wo der Geiſt ſtockt, wo er den Trieb verliert, der Natur gleich, mit heißem Blut ſeine Triebe zu nähren; das wär die Jugend aufgeben; — das ganze Leben iſt nur Ein¬ mal Frühlingsaufathmen, und ob wir zwanzig oder drei¬ ßig oder hundert Jahr zählen, ſo lang muß der Athemzug aushalten, aufſtrebend ins Leben, mit allen Kräften, in vollſter reichſter Blüthe den Duft ausbreitend in die Weite auf ſchwingenbeladenen Winden. — Wie kannſt Du da nur um Jugend Dich grämen? — und wer anders lebt der iſt kein Lebender im Geiſt. — Und an was denkſt Du in Dir ſelber? — zu was empfindeſt Du Dich hin, als blos zum Ziel! — zur Umarmung mit einem Ideal was innerlich Dir vorſchwebt, — Du ſehnſt Dich ihm, entge¬ gen innerlich, alles was Du thuſt iſt Aufſtreben; Kind¬ ſchaft, Jünglingſchaft das ganze Leben; wie kann da von der Jugend Ende auf Erden die Rede ſein. — Ju¬ gend bricht in voller Blüthe hervor erſt wenns Leben am Ende iſt. Haſt Du nicht geſehen an manchen Pflan¬143 zen, daß die erſte Hülle die ihre Blüthe verſchließt, wel¬ ken muß eh jene aufbrechen kann? — und ſollte man um der jungen Kraft der Hülle wegen, die nur Schutz¬ mantel iſt der verſchloſſenen Blüthe, den innern Keim ausbrechen wollen, damit die Narren nicht ſagen die Jugend ſei verwelkt? — das ganze irdiſche Leben iſt nur einhüllende Mutterwärme, Hülle der Geiſtesblüthe, wir wollen ſie ihr nicht rauben, wir wollen ſie verbor¬ gen in dieſer Hülle laſſen bis die zu Staub auf ihr verfällt, — und die geheimen Lebenstriebe mit denen Du mich durchdringſt, von denen ich ohne Dich nichts empfun¬ den haben würde, die laß ſich verdoppeln tauſendfaltig, — Du liebſt! — anders kann ich Dich nicht ausdrücken, — das iſt ja nur Jugendblüthe! — da der Charakter Deines Geiſtes alſo Jugend iſt, was haſt Du für Noth ums Altwerden? — und was thu ich denn? — ich leb mit von der Wärme die Deines Geiſtes Lebenskeim ſchützt und nährt, und alles was in mir treibt, würde vielleicht ohne Regung geblieben ſein, wär es nicht in Dir vom Lebensfeuer ergriffen, ja ich bin ein Zweig der am vollblühenden Stamm Deiner unſterblichen Jugend, durch dies Erdenleben mitgenährt iſt. —
Erdenleben iſt Mutterhülle der geiſtigen Jugend,144 mag ſie uns ſchützen wie die Zwiebel den Keim des Narziſſus ſchützt, bis ſie im Spiegel ihr eignes Ideal erkennt.
Am Mittwoch! —
Ich war geſtern luſtig, aber ein Brief der Claudine über Dich, den ich fand als ich vom Thurm kam hat mich bewegt Dir ſo ernſt zu ſchreiben: wenns dunkel iſt kann man ſich allerlei weismachen, eben weil Gelegen¬ heit iſt, ſo mannigfaltig mit Schatten zu ſpielen; glaubt man auch nicht an den verzognen Schatten, ſo duldet man doch nicht gern das groteske und doch ſo ähnliche Bild, und man kann am wenigſten leiden was man doch nicht glaubt; ſo nimm meinen Brief; ich hab nie Deine Reden über Leben und Sterben leiden mögen, obſchon ich weiß daß es nur Schatten waren die an der Wand Deines Geiſtes ſpielten, gleichſam als[wär] das Licht Deines Geiſtes ſchief gerückt, und ſei mir gut und laß michs nicht entgelten, wenn ich nicht damit in Deine Träume eingreife die vielleicht golden ſind im verjüngten Morgenglanz, während ich trübe Regenwol¬ ken wollte verſcheuchen, mit denen weit in den Abend hinein mir Dein Himmel überzogen ſchien, als mir die Claudine von Deinem Trübſinn ſchrieb. Es iſt ja natür¬ lich daß wer Dich von Außen nur ſieht, über Dein In¬neres145neres keinen treffenden Bericht kann erſtatten, von dem ich jetzt ahne daß es heiter thront über Wolken, die ih¬ ren Schatten zwar nach der Erde werfen, auf denen Du aber, himmliſch getragen im Licht ſchwelgſt. —
Hier leg ich Dir das Blatt bei das ich eh der Clau¬ dine Brief kam geſchrieben hatte, am Montag wos auf dem Thurm ſo frühlingsmäßig war daß ich an keinen Winter mehr glaubte.
Erſtes Blatt vom Montag.
Der poetiſche Vortrag vom Sonnabend hat mir ſeinen wechſelnden Rhythmus wie in eine Orgelwalze eingehämmert, der ſogar meine Reden einſchnürt; ſo leicht kann eine fremde Kraft meinen Geiſt überwälti¬ gen. Dem Weiß hab ich geſtern meinen Gutenachtgruß wie er behauptet in Hexametern vorgeſtammelt, wundre Dich nicht daß ich dieſem Plaggeiſt, weil ich ſo abend¬ müde bin die Zügel ſchießen laſſe und Dir die Natur¬ ſeltenheit eines frühlingsträumenden Winterabends in aufdringlichen Rhythmen vortanze.
Weißt Du noch jenen Abend, im Frühjahrsan¬ fang wo der Arnim auf dem Trages ſeine Gedichte uns vorlas? — da hab ich mich auf dem Thurm in dem laulichen keimetreibenden Wetter wieder dran erinnert, und der Rhythmus der wie geſagt noch aus jener Vor¬ leſung mich verfolgt, ſchien mir dies alles was hier auf dem Papier ſo ganz dürr ausſieht, in großer Fülle auszuſprechen; ich wollt es Dir auch nicht ſchreiben, aber wo ſoll ich hin mit? — Meine Briefe an Dich ſind wie das Bett der Quelle, alles muß durchſtrömen was in mir iſt.
Meine Bemühungen Lieder fürs Wunderhorn auf¬ zufinden haben mich mit wunderlichen Leuten zuſammen geführt, die wie angenehme Schäferſpiele mich ergötzen. — Ich brauch Überredungskünſte, um ein Bauermädchen da¬ hin zu bringen, ihre Lieder herzuſingen. Da kommen ſie meiſtens zuerſt mit verkruzten Opernarien, ich hab noch we¬ nig Körnlein aus dieſer Spreu geſammelt, die ſie aus Man¬ gel an Unſchuld, im Überfluß an Unwiſſenheit erſticken und vermodern laſſen, und die man endlich doch nur Stück¬ weiſe ans Tagslicht bringen kann; — ich thus dem Cle¬ mens und Arnim zu Gefallen.
Letzt war mir ein allerliebſt Mädchen vom Pfar¬7*148rer Bang geſchickt worden, weil es ſehr viel ſchöne Lie¬ der kann; die ganze Familie gehört zu dem Singgeſchlecht die ſich ernährt mit Kräuterſuchen für die[Apotheken] in der Umgegend, und im Frühjahr mit Erdbeeren - und Heidelbeerenſuchen. Das Kind war zwei Tage bei mir, es ſchlief im Vorzimmer; ſo ein allerliebſt Kind kannſt Du Dir gar nicht denken, auch von Schönheit; ich nahms mit hinaus, da hats mich neue Wege geführt, wo ich noch gar nicht geweſen war, ich ſagte, wir wol¬ len einmal gradaus gehen es mag in Weg kommen was will, ſo gings Berg auf Berg ab bis wir hinter die Brunnenleitung in den Wald am See kamen, und ich war muthwillig übermäßig, bis ich mich endlich, überraſcht weil ich rückwärts ging, in einem Sumpf be¬ fand. —
Was mich am meiſten ergötzt iſt die Kenntniß al¬ ler Kräuter und Wurzeln die das Kind hat, ohne doch je gelernt zu haben, es iſt eine traditionelle Bota¬ nik die aber ſo vollſtändig iſt und mit ſo viel hiſtori¬ ſchen Belegen verſehen, und zu ſo manchen Vergleichen führt daß wohl auf dieſe Weiſe ein groß Theil Got¬ tesphiloſophie auch in den unſtudierten Bauern über¬ geht. Ich grub viel Wurzeln aus, die wußte das Kind alle zu nennen, und jedes verdorrte Hülschen das149 noch einen Samen bewahrte kannte es, das gute Kind. — Da war ein kleiner Storchſchnabel im Win¬ ter ausgefroren, es holte ihn aus einer Felsritze hervor, wo die Pflanze ganz unverletzt geblüht hatte, und ſo verdorrt war; dies Blumengerippe war ſo ſchön wie die Blume gar nicht iſt. In ihrer Einfachheit kann die Pflanze nicht größeren Anſpruch machen als andre Feld - und Waldblumen, aber ihr feines Gerippe iſt wie ein gothiſch Kunſtwerk. Der kleine Spieß der aus der Blumenkrone hervorwächſt, theilt ſich von un¬ ten in fünf Fingerchen die ſich aufwärts ſchwingen und mit jedem, in einem kleinen verſchloßnen Becher ein Samenkörnchen der Sonne entgegen halten, das ſo fein und wunderſchön geformt und geſchliffen iſt wie ein Edelſtein, wenn nun die Sonne drauf ſcheint ſo thun dieſe Samenkörnchen nach allen Seiten einen muthigen Sprung, ſo ſind ſie alle fünf um die Mutterſtaude ver¬ ſetzt, ein bischen Erde, ein bischen vermodert Moos giebt ihnen Nahrung daß ſie im nächſten Jahr im Familien¬ kreis aufblühen. — Nein! ich hab die Natur lieb, mag ich auch nur wie ein trockner Storchſchnabel, das ge¬ ringſte aller Pflänzchen — ſpäter unter den Füßen des Wanderers zertreten werden, ſo will ich ihr doch mich hinhalten ſo lang ſie ihren kunſtfühligen Geiſt über150 mich ſtrömen läßt; wollte ſie doch meiner einfachen un¬ ſcheinbaren Blüthe nach einen ſchönen Scepter aus mir bilden der ſeine Kleinodien um ſich ſtreut, neues Leben zu verbreiten und dann in die leeren Schalen Himmelsthau ſammelt; ſo denk ich mir, wird des Gro߬ müthigen Zepter die Welt berühren.
In allen Wandlungen der Natur deucht mich Sa¬ lomonis[Weisheit] mit Geiſtesbuchſtaben eingezeichnet, die klein oder groß — die Seele mit Schauer erfüllen weil ſie alle rufen: „ Hebe wie der Vogel die Schwin¬ gen über den Erdenſtaub hinaus, und fliege aufwärts ſo hoch du vermagſt. Der Vogel fliegt mit ſeinem Leib, Du aber kannſt mit dem Geiſt fliegen, Dein Leib hat keine Flügel, weil Du lernen ſollſt mit dem Geiſt Dich aufſchwingen. “— Du weißt wie oft wir uns be¬ ſannen warum die Sehnſucht zu fliegen durch jeden Vogel rege werde. Hätten wir Flügel wie die Vögel, ſo würde dieſe Sehnſucht nicht wach ſein die jetzt uns bewegt immer dran zu denken, und ſo unſern Geiſt be¬ fiedert mit dem wir einſt fliegen werden; denn alles Den¬ ken iſt doch das im Geiſt, was das Wachſen und Treiben in der Natur iſt. — Nun weißt Du auch warum in meiner botaniſchen Taufe der Storchſchnabel die Scepterblume151 heißt. — Mein botaniſch Heft hat ſich ſchon vergrö¬ ßert bis zur ſiebzehnten Pflanze, die ich genau beobach¬ tet und ſo bezeichnet hab wie mein Beſchauen es mir lehrte, bald iſts das Blatt bald die Krone oder Wurzel, bald die Form der Staude die mir irgend ein Räthſel lößt oder eine Zauberformel aufgiebt; dem alten Weiß bring ich meine Exemplare, er muß ſie mir einlegen und ſauber ordnen; im Anfang meinte er ich ſpaße als ich ihm meine neue Botanik vortrug, als ich aber ganz ernſthaft dabei blieb daß wie andre eine Bota¬ nik geſchrieben ſo könne ich auch eine ſchreiben, ſo ſah ich ihm heimlich an daß er mir meine Kinderun¬ ſchuld nicht verderben wollt und ſich hinein fügte, ich las ihm meine Entdeckungen vor, beſonders erfreute ihn die Geſchichte der Kuhblume, die ihren Samen wie eine Sternenkugel ausdehnt und von der ich ihm zu verſtehen gab, daß die Sterne wohl auch mit einer ſo feinen Röhre auf dem Samenſchaft der Gottheit haf¬ ten, wenn die ausgeblüht hat und einer zuweilen da¬ hin fliegt um in einem neuen Boden zu blühen, und daß alle Himmelskörper reifende Samen ſein könnten. — Der Weiß ſagt: tolle Vergleiche, aber ſie machen mir Freude und rücken mir die alte Pelzmütze vom152 Ohr und wehen mir friſche Luft zu; ſo bring ich denn manches zum Vorſchein woran ich nicht gedacht hätt, blos um dem alten Nachbar in Verwundrung zu ſetzen; es iſt doch ſchön von ihm daß er ſich zu ſolchen Din¬ gen die er Narrenspoſſen nennt ſo gerne hergiebt. — Manchmal ruft er aus: das geht über alle Unmöglich¬ keit hinaus. —
Mit dem Erdbeermädchen bin ich noch einen Nach¬ mittag im Freien am Waldrand geweſen wo wir Feuer machten, und wo die Sonne glühendroth unterging, und wir durch die einſamen Felder auf dem Heimweg ſangen, da hab ich ein paar ſchöne Lieder entdeckt, es hatt ihrer gewiß noch manche im Kopf ſtecken, Melo¬ dieen die wie durch einen Magnet mit dem Inhalt zu¬ ſammenhängen, die tragen eines durchs andre die Stim¬ mung auf einem über. —
Heute erhalte ich einen Brief von Dir, die Claudine ſchrieb mir daß ſie Dich ſchreibend getroffen ſchon am zweiten Blatt, ich weiß daß wenn ich meinen Brief jetzt fortſchicke daß mir der Bote einen zurückbringt, ich freu mich, unterdeſſen will ich auf den Thurm laufen und meine freudige Ungeduld mit den Geiſtern ver¬ jackern. —
Bettine.
153Ich habe große Liebe zu den Geſtirnen, ich glaub daß alle Gedanken die meine Seel belehren mir von ihnen kommen. Auf die Warte zu gehen möchte ich keine Nacht verſäumen, ich dächte ich hätt ein Ge¬ lübde gebrochen was ſie mir auferlegten, und ſie hät¬ ten dann umſonſt auf mich gewartet. Was mir Men¬ ſchen je lehren wollten das glaubte ich nicht, was mir aber dort oben in nächtlicher Einſamkeit in die Gedan¬ ken kommt das muß ich wohl glauben. Denn: der Stimme vom Himmel herab mit mir zu reden — ſoll ich der nicht glauben? — fühl ich denn nicht ihren Athem von allen Seiten der mich anſtrömt? — das iſt weil ich hier einſam in der Nacht ihnen ſo ganz vertraue. Ich gehe den Weg, der mich ängſtigt, um zu ihnen zu gelangen, ich komme zum dunklen Thurm, da zittert mir das Herz, ich ſteig hinauf mit ſolcher Beklemmung — und auf der oberſten Sproſſe, wo ich mit der Hand7**154mich aufſtützen muß um mich hinaufzuſchwingen, da iſt mir ſchon ſo leicht. — da leuchten mir alle Sterne entge¬ gen, — und wen ich liebe befehle ich ihrem Schutz, und Dich zuerſt. — Wenn ich um Dich betrogen würde dann wärs aus mit ihnen. — In den Schnee der oben auf der Warte liegt, ſchreib ich Deinen Namen daß ſie Dich ſchützen ſollen, das thun ſie auch gewiß. — Dann ſetz ich mich auf die Bruſtwehr und verkehr mit ihnen luſtig nicht traurig. Du denkſt wohl ich wär da feier¬ lich geſtimmt? Nein ſie necken mich. „ Haſt Du das Herz, da auf der ſchmalen Mauer im Kreis herum zu laufen, vertrauſt uns daß wir Dich nicht herunterfallen laſſen? “— ſo fragen ſie; und denn iſts als könnt ich ſie mit der Hand greifen, ſo nah ſind ſie mir. Denn wenn ich auf ihren Wink das Leben in ihre Hut geb, das muß mich mit ihnen vertraut machen. Ich weiß wohl was Menſchen denken würden von mir, wenn die ſo was wüßten, ich ſag Dir aber es iſt eine Saat, die ſie mir ins Herz ſäen, das hält ſo ſtill und iſt ſo hin¬ gebend wie das Erdreich, und es ſammelt ſeine Kräfte dieſe Saat zu nähren. Meinſt Du ich würde je zagen vor dem Geſchick, wenn ein guter Geiſt mich heißt vor¬ wärts gehen? — gewiß nicht! die Sterne habens in mich155 geſäet, dies Vertrauen in das Rechte, ins Große was ſo oft unterbleibt aus Mangel an kühnem Muth. Das iſt die Blume dieſer Saat die blüht hervor: und meiner Bruſt prägt ſich ein daß ich nicht mehr nach der Men¬ ſchen Rath frag, oder auf ihre Meinung, ihren Willen mich berufe, und mich ſo meiner inneren Stimme ent¬ ziehe, die mir vielleicht befiehlt was mich gefährdet, aber mir das Reine, Echte, Große was auf kein Ge¬ rüſte der Falſchheit ſich ſtützt, ſondern rein aus der Bruſt mit Gottes Stimme einklingt, als heiligen Ge¬ genſatz aller menſchlichen Vorſicht darſtellt. Ein In¬ neres ſagt mir: „ wie Du den Sternen zuſagſt, — ſo ſage der innern Stimme auch zu, der nicht umſonſt ein ſo dringender Laut eingeboren die fühlbar macht das Unverſöhnliche einer fremden Handlung mit die¬ ſem heiteren Umgang der Natur. Nie könnt ich et¬ was thun, wo nicht mein eigner Geiſt Ja dazu ſagte, und nie ſollten mich Folgen kränken ſchienen ſie auch noch ſo herbe, wären ſie dieſem Vertrauen in die innere Stimme entſprungen. — Denn Erdenſchickſal! — Was iſt Erdenſchickſal? — Erhaben kann der Menſchengeiſt nie genug handlen! — Alles kleinliche Denken und Treiben iſt weit größeres Elend, vergeudet viel edleres Gut als156 mir je könnt aus Schickſalſtücke geraubt werden. Aber groß Handlen heißt nichts als die reine Gewiſſensſtimme mit der Harmonie der Geiſter, der Sterne, der Natur ein klingen laſſen; klingt ſie nicht ein mit ihr, ſo kann ich nimmermehr mich zu ihr wenden, nicht den Mond mehr zur Rede ſtellen, nicht die Sterne, nicht die Nebel, nicht die Finſterniſſe mehr durchwandlen und mit Geiſtern flüchtig durch Wies und Fluren ſchweifen wie mit be¬ kannten und vertrauten Mächten; ich hab kein leben¬ dig Gefühl mehr zu ihr, zur Natur. Beſcheint mich die Sonne, ſo iſts nicht, weil ſie ihren Geiſt auf mich rich¬ tet, und meinem Durſt, den Kelch der Wahrheit von ihren Strahlen erfüllt darbietet, und überſchau ich wie heute die friſch gefallne Schneedecke über die Weite hingebreitet, ſo kann ſie mich nur traurig anglänzen, die das Licht der Sterne ſo rein in ihren diamantnen Flächen ſpiegelt; und in meinen Geiſt, der von Gott gebildet iſt, ſein Bild aufzunehmen, iſt dann dies Licht erblindet.
Was ſolls, ob Jugend oder Alter mein Leben genannt werde. Wenn die Natur ihre Sprache mir lehrt, die Ge¬ duld nicht mit ihrem Jünger verliert, wenn alles von Tag zu Tag feuriger mich begeiſtert bis zum letzten Tag. 157Welcher von denen die mir Jugend abſprechen, wird ſo elektriſch aufblühen, auf welchem Heerd werden ſo hohe Flammen lodern und wo wird des Lebens Fülle in ho¬ hen Wellen dahin ſich ergießen als in meinem Lebens¬ ſtrom? — laſſe ſie doch, die was wiſſen von Jugend? — laſſe die kalte Welt die Dich berechnet, kleinlich nach Jahren, ſagen Du ſeiſt alt oder jung, wer der Natur vertraut der läßt von ihr ſich umſchmelzen ſo oft und wie ſie will. —
„ Willſt Du was “, ſagen die Sterne: „ Komm zu uns. “— Das gelobe ich ihnen. — Wo ſollt ich mich auch ſonſt noch hinwenden? — wo ſollt ich ſu¬ chen? — keines Menſchen Arm iſt ſo zärtlich um¬ faſſend als der Sterne Geiſt, er umfaßt mich und Dich, denn wenn ich mich ſammle innerlich, ſo hab ich Dich im Sinn. Was ich mit ihnen ſpreche das hör ich nicht, ich les es auch nicht, es iſt ihr Geflimmer, das wirkt mirs ein, und mit meinem Zutrauen verſteh ichs; — und wer könnt mir meinen Glauben nehmen? — Und wenn einer balſamtrunken iſt und fühlts in den Adern wie könnt der zweiflen? — Es iſt auch nicht daß ſie mir treffende Wahrheiten mittheilen, oder daß ich was vernehm im Geiſt was mir wie Weisheit dünkt. —158 Sie nicken nur meinen geheimen Wünſchen Gewährung, — Du weißt wohl was das iſt. — Innerlich ſiegend wegfliegen über Alles; äußerlich nicht erkannt, nicht ver¬ ſtanden; ja lieber verachtet als nur ahnen laſſen wie es iſt. Dieſe göttliche Dreieinigkeit zwiſchen mir und Dir und den Sternen. — Wenn ich für Dich mit ihnen was vorhab — ich ſtreck die Hände aus zu ihnen, ſie wiſſens. —
Dein Brief hat heute einen Geiſterring um mich gezogen, Du haſt mich in einen tieferen Kreis eingelaſ¬ ſen, das macht mich wehmüthig und doch macht es mich eiferſüchtig auch, ich empfind daß Du mich hinter Dir läßt, wenn Du mit Deinen großen weiten Flügeln Dich aufſchwingen wollteſt? —
Du haſt Recht in allem was Du ſagſt. Das heißt ich verſteh Dich, — aber es drängt ſich mir ein Gefühl auf, ein ſchmerzliches, das überwiegt alles Große was Du mir über Dich ſagſt, allen heiligen Rath den Du mir über mich giebſt. — Der Freund, der weit über Land reiſen wollt würde ſo ſprechen zum Ab¬ ſchied! es iſt nicht wie Deine früheren Briefe, die mit¬ ten drinn ſind im Spiel meiner Gedanken, Du ſtehſt auf der Höhe, überſiehſt alles, befiehlſt mir alles an159 als wollteſt Du von mir ſcheiden. Du ſagſt zwar was ich von Dir ſchreibe habe Dich gerührt, darum ſeiſt Du mir näher gerückt, und es iſt auch eine tiefe Harmonie in dem was Du von Dir ſagſt, mit meinem Gefühl von Dir, aber mich machts traurig daß Du willſt ich ſoll dem Clemens mehr ſchreiben, ich ſoll Dir heilige Ver¬ ſprechungen geben meiner Natur treu zu bleiben, und am meiſten thut mirs weh daß Du ſo deutlich die Verſchiedenheit unſerer Geiſteswege bezeichneſt, und Dir den angeſtreng¬ ten dornenvollen aneigneſt, von mir aber ſagſt, ich dürfe mich nicht bemühen, ich ſei in dem Land von Milch und Honig. Soll ich nicht mit Dir ſein, ſoll meine Milch und Honig, meine Früchte nicht Dir darbringen, für wen fließt dann dieſe Milch und Honig? — Ach wenn nur dieſe Dreieinigkeit fortbeſteht zwiſchen Dir und mir und dem Geiſt der dem einen und dem andern mit¬ theilt für beide, ſo bin ich befriedigt für immer, und mag mir geſchehen was da will, nur das Schickſal ſoll ſich mir nicht aufdrängen was dieſe Dreiheit ſcheidet. — Mit Deinem Brief ging ich auf die Warte. — Zu wem ſoll ich gehen, mit wem ſoll ich ſprechen von Dir? — Mit welcher Sehnſucht ging ich hinauf, und die Sterne! — wie verwirrte mich da oben ihr Drängen um mich her,160 immer höher und höher hinauf unzählige, und alle wink¬ ten ſo weit mein Auge reicht, und ſo iſts mit jedem Tag mehr daß ich mich an ſie wenden muß, und was Traum war muß mit der Wirklichkeit vermählt werden, wenn ich mir durchhelfen ſoll. So iſts wenn der Keim durchbricht, da genügt nicht mehr Waſſer und Luft und Erde, da iſt kein Wahrſcheinliches mehr, kein Unwahrſcheinliches, da iſt kein Rath, kein Beweisthum mehr gültig. —
Glaube iſt Aberglaube, — aber Geiſt iſt Glaube. — Da könnte einer fragen, was mein Vertrauen in die Sterne iſt, wenn nicht Glaube, und alſo Aberglaube? zwiſchen den Sternen und mir iſt nur der Geiſt, ich fühls, alle ſind Spiegel des Geiſtes der aus meiner Bruſt ſteigt, ſie fangen ihn auf und ſtrahlen ihn zurück; was Du denkſt das einzig iſt die Wahrheit, ſagen ſie, klemme nicht Deine Flügel ein, fliege ſo hoch und ſo weit Dich Deine Flügel tragen, ihre Kraft zu proben iſt nicht Sünde; wie der Kolumbus dahinfuhr auf ufer¬ loſem Meer, ſo fürchte Du nicht die Ufer aus dem Aug zu verlieren an denen Menſchenwitz gelandet und furcht¬ ſam ſich dran feſtklammert; nicht umſonſt iſt Gott über¬ all, ſo darf der Menſchengeiſt auch überall ſein; denn161 er trifft mit Gott zuſammen in der ungangbaren Wüſte; das Umherſchweifen nach einer neuen Welt, die Deine Ahnung Dir weiſſagt, iſt nicht Sünde, denn der Geiſt iſt geſchaffen, der Welten unzählige zu entdecken, und dieſe Welten ſind, und ſind das Leben des Gei¬ ſtes, ohne dieſe würde er nicht leben, denn des Gei¬ ſtes Leben iſt Welten zu entdecken, und der Welten Leben iſt im Geiſt aufzuſteigen. Denn alle ſind im Geiſt geboren die wollen zu Schiff und fort, um neue Welten zu entdecken. Aber die Menſchenfurcht iſt ſo groß vor dem Geiſt daß ſie den Hafen ſperrt und dul¬ det nicht, daß er die Segel ausſpanne, ſondern alle ru¬ fen: Steiniget ihn, ſteiniget ihn, denn ſeht er will den Hafen verlaſſen, in dem wir gelandet ſind, und ſo ſtei¬ nigen ſie ihn und tödten ihn eh ſie zugeben daß er den Hafen verlaſſe, damit nie Gottes Weisheit den Men¬ ſchenwitz auf freiem Meer geleite; denn ſie wollen der neuen Welten keine zugeben, aber gewiß: ſo unendlich der Sterne Zahl, ſo unendlich auch die Wel¬ ten, die der Geiſt noch zu entdecken hat; und wie aller Sterne Licht zu uns aus weiter Ferne niederſtrahlt, ſo ſtrahlt aller Welten Geiſt herab in den Menſchengeiſt, und dies Licht iſt der Keim der aufgeht im Geiſt daß er162 die Welten des Geiſtes entdecke. — Und wie alle Wahr¬ heit Fabel iſt, das heißt Gottes-Verheißung in der körperloſen Geiſtigkeit der Idee, und wie alle Geſchichte Symbolik iſt, das heißt Gottesſprache mit dem Men¬ ſchen Geiſt, um ihn auf die Wahrheit ſteuern zu lehren, ſo iſt denn auch die Geſchichte des Kolumbus ein göttlich Bereden und Berufen des Menſchengeiſtes ſeine Segel aufzuſpannen und kühn auf jene Welt loszuſteuern die er ſich ſelber weiſſagend, ſehnſüchtig erreichen möchte; — und die Fabel dieſer wahrgewordnen Ahnung iſt die Verheißung daß auch des Menſchengeiſt glücklich lan¬ den werde, wenn er ſeinen Muth vertraut, denn wie wollten wir den Muth wecken und erziehen in uns, vertrauten wir nicht der eingebornen Kraft — dem Genius. Was Tugend iſt hat keine Grenze, es umſpannt die Himmel, wir können ihm kein Ziel ſetzen: ſo können wir dem Geiſt kein Ziel ſetzen, er iſt göttliche Kraft, und dieſer vertrauen, das iſt der Geiſteskeim der ins Leben tritt. Was aber der Muth erwirbt, das iſt immer Wahrheit, was den Geiſt verzagen macht das iſt Lüge. — Verzagtheit im Geiſt iſt geſpenſterhaft und macht Furcht. — Selbſt¬ denken iſt der höchſte Muth. — Die meiſten Menſchen163 denken nicht ſelbſt; das heißt ſie laſſen ſich nicht von der Fabel des göttlichen Geiſtes belehren die alle Wirk¬ lichkeit durchleuchtet und zur Hieroglyphik ſie bildet, durch deren Weisheit-bewahrende Räthſel der Menſch hinauftreibt zur Blühte und ſich zeitigt in ihr, daß er vermöge, neue Welten organiſch zu durchdringen und ſo ſich ſelber ewig und ewig bis zur Gottheit zu er¬ ziehen. — Aber im engen Hafen eingeklemmt aus Furcht vor dem Scheitern, da wird er die Gottheit auf hohem Meer nicht erkennen. Und iſt doch alle Geſchichte Symbolik, das heißt Lehre Gottes und wenn das nicht wär ſo würde den Menſchen nichts widerfahren. Wer wagt ſelbſt zu denken, der wird auch ſelbſt handlen, und wer nicht ſelbſt denkt, nicht aufs freie uferloſe Meer ſteuert mit ſeinem Geiſt, der wird die Gottheit nicht ſelbſt erreichen, nicht ſelbſt handlen, denn ſich nach andern richten das iſt nicht handlen, handlen iſt Selbſtſein, und das iſt: in Gott leben. —
So hab ich heute gedacht auf der Warte, weil mich Dein Brief ergriffen hat; ein Zorn iſt in mir aufgelo¬ dert der mir dieſe Gedanken zurief, es iſt ein Fordern an Dich, Du ſollſt Dir und mir treu ſein, da ein Geiſt ſich mit uns beiden eingeſchifft hat ſo verlaß ſeine Flagge164 nicht, der Eid, den Du geſchworen, heißt: freudiger Muth, da Geiſt in ihm nimmer verloren gehen kann, und außer ihm aber erſtirbt. — Nun verſteh mich da heraus. — Der Traum leuchtet zu ſtark in mich herein als daß ich nicht etwas verwirrt ſollte reden müſſen. — Ich kehre zurück in tieferen Schlaf; — wo ichs nicht mehr faſſe, wie eben, was in mir webt und will. — Wie wär das Wunderbare möglich? — ja wohl! wie wär der Geiſt möglich in der Menſchenbruſt, ohne alle Sterne? — ſie alle leiten ihr Licht in ihn, ſie alle ſind ſeine Erzeu¬ ger, ſie alle richten ſich nach ihm der in der Bruſt wie in der Wiege liegt, und ſind Hüter ſeines Schlafs; ſo er erwacht ſo nährt er ſich von ihrem Geiſt, ſchlafend, ſaugt er ihr Licht. Und ſiehſt Du, ich ſpanne die Segel auf und fahr vorwärts und ſprenge die Ketten die den Hafen ſperren, denn mein Wille iſt, dem Gott auf off¬ nem Meere zu begegnen, und dieſer Wille iſt rein und frei von Sünde, ſo iſt er die Wahrheit und kann nicht trügen und wird Gott finden. — Mein Geiſt wacht noch nicht, er ſchläft aber doch unter ganz leiſer Schlum¬ merdecke, wie ein Kind mit ſüßem Bewußtſein ſchläft in der Sonne und fühlt ihren Schein.
165Donnerſtag.
Ich muß Dir alles ſagen, alles was mit luftiger Eile ſich mir durch den Kopf ſchwingt. — Iſt mirs doch als fahren wir auf Wolken dahin, und meine Worte ver¬ hallen in der Weite, aber ich muß Dir rufen — wie ich Dich dahinſchwimmen ſeh am Himmelsocean als hätten Dich die Winde aufgerafft — und mich auch, und als flög Dein Wolkenpferd weit vor mir; — meine Stimme flattert an Dich heran: Du hörſt doch? — ſo hell der Mond auch ſcheint im unendlichen Blau der Nacht das Dich dahinnimmt? — Es giebt nichts wie die Liebe! — doch weißt Du wohl! — Menſchen unterſcheiden zwiſchen Lieb und Freundſchaft und zwiſchen beſonderer Treue für dieſen oder jenen, aber nicht ich und Du? — Was ſpricht mich an? — das ſag mir doch? — vielleicht der Dämon — der findet mich hier auf der einſamen Warte und ſpricht mit mir von Dir? — und lehrt mich beten für Dich. Dich denken wie Dein Geiſt ſich höher und höher entfaltet, das iſt beten. — Und warum wüßt ich von Dir wie Du biſt, nach was Du dürſteſt, warum vernähm ich Dich ſo tief und fühlte Dein Sein? — Lieb, will ich das nicht nennen — wenns nicht iſt daß ich vor Gott Dich ausſprechen lerne? — denn alles Sein166 iſt Geiſt Gottes, und Geiſt will ſich ausſprechen, ſich in den Geiſt übertragen, und die Sprache iſt der Widerhall, das Gedächtniß des Seins. Ich ſpreche Dich aus vor Gott, ſo iſt mein Gebet rein vor Gott ſo hat es mich Dein Genius heute gelehrt oben auf der Warte, — und hab ruhig wie Du biſt, mit den Sternen über¬ legt; und dann hab ich Deinen Namen eingezeichnet in den Schnee; und dann den Namen des Königs der Juden, der kindlich zu Gott ruft: Vater! hab ich Dir als Wächter hinzugeſchrieben und dies Zeichen von Dir im kalten Schnee; da iſt Dein Geiſt frei von böſem Wahn, da oben in reiner kalter Luft die Dich anweht. Und der Geiſt Gottes über Dir, und der menſchgewor¬ dene Geiſt der Liebe Dich umſchwebend — daß Du ſein mußt — und nicht Dich aufgeben wollend auf dieſer leuchtenden Bahn. — Ja ſo muß es ſein, denn Du biſt ein Schooßkind Gottes, denn wenn ich in der kalten Nacht hinaufſeh dann ſeh ich Dich ſanft hinaufſchrei¬ ten als ſei es Dein gewohnter Weg, und geheſt ein und vorwärts, aber Dein Geiſt verzweifelt nicht. — Leb doch wohl, jetzt bin ich wieder ſtill — und fürchte nichts für Dich — eins will ich Dir ſagen von mei¬ nen Briefen, ich leſe ſie nicht wieder — ich muß ſie da¬ hinflattern laſſen wie Töne die der Wind mitnimmt, ich167 ſchreib ſie hin, verſtehs wie Du willſt, ſie ſind ein tie¬ fes Zeichen wie mein Geiſt durch den Deinen ſchreitet und von ihm wieder durchdrungen wird, und ſonſt iſts nichts. — Und wenn es kein Geiſt iſt was ich damit mein, ſo iſts Ton — Geſchrei meines Herzens nach Dir hin, es verhallt oder es dringt bis zu Dir, — da denkſt Du, das iſt der Bettine ihre Stimme, das ruft Dich auf daß Du im Geiſt meiner wahrnehmeſt, wie kann ich anders mit Dir reden, was kann ich Dir zu¬ rufen? — Was verſteht ſich zwiſchen uns als nur al¬ lein die Modulation des Gefühls, das andre wiſſen wir ja alle ſchon. —
Bettine.
Du wirſt mir doch nicht übel deuten daß ich mich ein wenig vor Dir fürchte? — und machſt mir auch Furcht vor mir ſelber! — und dann fürchte ich auch für Dich, nimm Dich um Gotteswillen in acht daß Du nicht fällſt. Deine Thurmbegeiſtrungen erfreuen mich aber ich will gewiß ſein daß Du keiner Gefahr ausge¬ ſetzt biſt, ſonſt machſt Du mich krank, ſchreib mir gleich168 daß Du nicht mehr auf der Mauer herumlaufen willſt, ſonſt kann und will ich nichts mehr von da oben hö¬ ren, mir wars wohlthätig Deine Stimme von da oben herab, ſo frei und leicht wie Wolken jagen, zu verneh¬ men, aber wollt ich doch der Thurm fiel eines Morgens ein, lieber als daß Du am End in der Nacht ſelbſt her¬ unter fällſt. — Ich weiß nicht biſt Du das Spiel böſer Dämonen? — oder ſichern Dich die Guten, ſo gieb ihnen wenigſtens nicht ſo viel zu thun, die bis zu mir drin¬ gen ich ſoll Dich mahnen nicht zu freveln. Liegt dar¬ in nicht ſchon der Beweis daß ſie Dich nicht ſchützen können? — Nehme ich Deine Weiſſagungen in mich auf, und ergrüble das Tonſpiel Deines Geiſtes in das der Zufall ſo oft eingreift wie der Wind der alle Töne aus¬ einanderſprengt, und ſammle gern was Du zerſtreueſt in die Lüfte: ſo folg mir doch auch — und ich bitte Dich darum ſonſt kann ich nicht ruhig denken an Dich; — aber wenn Du es nicht laſſen willſt, oder wie Du meinſt daß Du es nicht laſſen kannſt, dann ſchweig lieber ganz, oder wie ſoll ichs machen daß ich die Furcht überwinde Du möchteſt elend und unwillkührlich da hinab ins Grab ſtürzen.
Du haſt eine Bangigkeit um mich als läge mir was trauriges im Sinn; das ſollteſt Du ja nicht, —es169es war im Gegentheil ein ganz freier Augenblick wo alle ſtörende oder zerſtreuende Bilder erblaßt waren, wo ich mit hellen Sinnen mein Inneres vor Dir aufſchloß. —
Warum ich Dich mahnte an den Clemens zu ſchreiben das will ich Dir hier offenbaren. Du ſagſt Du liebſt den Clemens, der Idee nach kann ich ihm auch herzlich gut ſein, allein ſein wirkliches Leben ſcheint mir ſo entfernt von demjenigen das ich ihm dieſer Idee nach zumuthe, daß es mir immer ein wahres Ägerniß iſt, deswegen kann ich auch nie eine feſte Anſicht über ihn haben, — aber in Deiner Liebe zu ihm, faſſe ich auch wieder Glauben zu ihm und habe eine Art Zutrauen zu einem inneren Kern in ihm der nur durch allerlei Unarten verborgen und zurückgehal¬ ten iſt, wie wenn ein geſunder und reiner Born ſich theilweiſe im Schlamm und Sand verſickert; nun mein ich, Dein Schreiben an ihn, räumt dieſe trübenden und ſchmälernden Hinderniſſe wohl hinweg, da Du ſo grade an ſein Herz geheſt, wo ich vielleicht zu ungeſchickt bin durchzufinden. Es iſt nur der Wille mich ſelbſt beſſer zu ihm zu ſtellen, und alles was ſich immer durch ſeine Briefe aufs neue zwiſchen uns drängte, zu überwinden, warum ich wünſche daß Du ihn nicht verſäumſt; dann iſt es auch mein Ge¬II. 8170wiſſen was mich auffordert, daß Dich ihm nichts ent¬ fremde, denn wenn ich ihn je als treu und aufrichtig faſſen kann ſo iſt's Dir gegenüber; um ſo mehr muß ihm dies erhalten bleiben, es iſt die Quelle aus der er verklärt aus dem Bad ſteigt. Hier haſt Du ſeinen Brief an mich, was er von Dir ſagt iſt ſo aufrichtig natür¬ lich innig; aber das andre iſt um ſo wunderlicher, daß es mir ganz ſeltſam vorkam. Ich beſtrebe mich immer wenn ich an ihn ſchreibe, ſehr faßlich zu ſein, und ganz wahr, allein es iſt als müſſe grade dies dazu dienen die verkehrteſten Anſichten bei ihm über mich hervorzu¬ bringen, es war mir als ich den Brief geleſen hatte und iſt mir noch ſo, als ob er gar nicht für mich geſchrieben ſei. — Aber wenn ich ihm das ſchreibe, ſo muß ich ſchon gewärtigen daß er es für eine künſtliche Anſtalt halte, obſchon ich ihm verſichere daß es ganz von ſelbſt ſo gekommen, denn er kann ſich wohl unmöglich denken daß ſein tieferes Eingehen auf meine Natur wo er mich lobt und wo er mich tadelt mir ganz fremd erſcheine. — Ich verſtehe nur den Augenblick in dem er mir ge¬ ſchrieben hat; — ich bin überhaupt nie weiter gekom¬ men als ſeine Augenblicke ein wenig zu verſtehen, von dieſer Augenblicke Zuſammenhang und Grundton weiß ich gar nichts. Es kömmt mir oft vor als hätte er171 viele Seelen, wenn ich nun anfange einer dieſer See¬ len gut zu ſein, ſo geht ſie fort, und eine andre tritt an ihre Stelle, die ich nicht kenne und die ich über¬ raſcht anſtarre, und die ſtatt jener befreundeten, mich nicht zum beſten behandelt, ich möchte wohl dieſe See¬ len zu zergliedern und zu ordnen ſuchen. Aber ich mag nicht einmal an alle ſeine Seelen denken, denn eine da¬ von hat mein Zutrauen das nur ein furchtſames Kind iſt auf die Straße geſtoßen; das Kind iſt nun noch viel blöder geworden und wird nicht wieder umkehren, darum kann ich ihm auch nicht eigentlich von mir ſchreiben; ſein Brief an Dich, über Wahrheit, hat mir viel Freude gemacht, und zugleich ſeh ich hell was mir vorher nur dunkel und ſchwankend war, ich kann ihn viel beſſer durch Dich verſtehen und ihm gerecht ſein, und auch liebend, wie er es zu bedürfen ſcheint. Das alles macht mich wünſchen daß was ich ihm liebend an¬ thun kann, durch Dich befördert werde, ſprich ihm von mir wie ich ihm recht natürlich vorkommen muß, daß es ſich gut zwiſchen uns geſtalte denn durch unmittel¬ bare Berührung kann nichts werden.
Savigny hat mir ſelbſt geſchrieben, thue mir doch den Gefallen und ſchicke mir gelegentlich die Überſetzun¬8*172gen ins Franzöſiſche von denen er mir geſagt, und ſie mir auch verſprochen hat. —
Und nun möcht ich wohl dieſen Raum an Papier hier mit etwas ausfüllen was Du nicht erwarteſt weil es etwas altes und oft wiederholtes iſt; aber doch liegt es mir auf der Zunge und auch immer im Geiſt wenn ich Deine Briefe leſe mit denen mirs freilich ganz anders geht wie mit de¬ nen von Clemens wo ich nur nachſinne, und überlege, während ich bei den Deinen nur empfinde und zwar ſo wohlthätig als käme mir ein Luftſtrom aus dem ge¬ lobten Land. Um ſo mehr wird Dich befremden wenn ich frage, aber was wird bei Deinem Zwiſchen Him¬ mel und Erde ſchweben, aus der Muſik, aus dem Generalbaß, aus der Compoſition? — iſt es nicht dumm daß ich ſo frage? — aber bedenk, wie viel Genuß es Dir ſchon in Offenbach gewährte, was Du Dir ſel¬ ber und dem was Dir lieb war ſchon zu Gefallen thun konnteſt, wie wohlthätig wirkte es auf Dein Aufbrau¬ ſen, wie oft beſchwichtigteſt Du es damit, wie ſchön verſöhnteſt Du oft Deine Stimmungen in dem Uner¬ reichbaren, durch Dein Singen, — und was haſt Du mir alles ſelbſt beglaubigt, wie tief Muſik in Dich ein¬173 greife; ſollte nun auf einmal dies alles verſchwun¬ den ſein? oder haſt Du nur verſäumt mir drüber zu ſchreiben. — Lebe wohl Liebe und ermüde doch nicht mir zu ſchreiben.
Caroline.
Deine Kolumbus-Anſicht erfreut mich ungemein und macht mich ganz ſcharfſinnig, — ſchicke dem Clemens Deine rhythmiſche Viſion es macht ihm vielleicht Freude, ich empfinde darin mehr lebendige als gemalte Flamme, ſchon fließt die Abendſchilderung und das ganze aus lebendiger Erinnerung, die prophetiſcher Sang dem Un¬ tergang der Welt iſt, und dem neu erblühenden tau¬ ſendjährigen Reich erwartet. Prophezeiht doch Apoll auch aus der Vermählung der Poeſie und Philoſo¬ phie. Ich erinnere mich noch des ſeligen Übermuths in dem Liede von Arnim: Wie der trunkne Pag 'in warmen Nächten in geheimnißvoller Liebe Mantel wohl verkappt der Herrin Lager ſu¬ chend, taumelnd in die Höhle war gerathen wo die Löwin ihre Jungen ſäugte.
174Hab ich Dir denn nicht vom Koch erzählt der mich wöchentlich zweimal kreuzigt mit dem Generalbaß-un¬ terricht? — und daß er mir alles korrigiert was ich komponire? — er ſchneidet mir alles zurecht bis nicht ein Ton mehr, nicht ein Takttheil am alten Fleck ſitzt und wenn ers ſo weit verputzt hat daß es ſich aus¬ nimmt wie ein geſchorner Blumenſtrauß, ſo hängt er ihm noch Manſchetten an aus ſeiner eignen Garderobe. Arnims irdiſche Lieder werden da heilige Märtyrer un¬ ter meinem Muſikſtudium, und ihre Seligkeit kann ich weder durch Vor - noch Nachſpiel ausdrücken, und tröſte mich damit daß Seligkeit etwas iſt was nie eines Men¬ ſchen Ohr gehört hat. — Aber mit meiner Muſik geht es im Ganzen ſchlecht das läugne ich Dir nicht, das iſt aber nicht far niente, es iſt unüberwindliche Schweig¬ ſamkeit in meiner Kehle, ich muß vermuthen daß für die Menſchenarten wie die Vögelarten gewiſſe Zeiten giebt im Jahr wo ſie den Drang zum Singen haben. In Offen¬ bach, das war im Juni und Juli, da wacht ich gleich mit Singen auf, und Abends ſtieg ich immer hoch wie175 die Vögel in den beſonnten Gipfel fliegen, um der ſchei¬ denden Sonne nachzuſingen, da war der Taubenſchlag meine Tempelzinne, da kamen mir Melodieen, ſie ent¬ ſproßten aus leiſer Berührung zwiſchen Ton und Ge¬ fühl, ſie löſten die Feſſeln dem was in meiner Bruſt wie im Kerker ſchmachtete, dem gaben ſie Flügel auf einmal, daß es ſich heben konnt, und ganz frei aus¬ dehnen. — Ich hab oft darüber gedacht daß Muſik, ſo leicht und gleichſam von ſelbſt ſich melodiſch ins Metrum füge, die doch vom Verſtand weit weniger er¬ faßt und regiert wild wie die Sprache die nie ohne Anſtrengung das Metrum des Gedankens ergründet und entwickelt. Die Melodie, die ſo in der Singezeit auffliegt, in ſich fertig gebildet, der Kehle entſteigt ohne von dem Geiſt gebildet zu ſein, iſt ſo überra¬ ſchend daß ſie mir immer als Wunder erſcheint. — Iſt die Sprache eine geiſtige Muſik und noch nicht voll¬ kommen organiſch gebildet? — und Dichter-drang, iſt der, Trieb des Sprachgeiſtes ſich zu reifen? — ſollen vielleicht Gefühl, Em-pfindung, Geiſt in einander durch die Sprache der Poeſie organiſch verbunden werden als ſelbſtſtändige wirkende Erſcheinungen? — haben Gedichte nicht geiſtige Verwandtſchaften? nicht Leiden¬176 ſchaften? reißt ein Gedicht nicht das andre mit Flam¬ mengluth an ſich, ſind Dichtungen nicht bloße Be¬ geiſtrung, heiße Leidenſchaft für einander? — Spricht ein Gedicht Liebe aus, dann muß es ja in ſich liebend ſein, — es entzündet ja! — Ich muß ja jeden Gefühls¬ ſchritt, jeden Athemzug mitleben, ich lieb ja ſo heiß wie die Gedichterzeugende Begeiſtrung der Liebe.
Es wär Frevel wollt ich dichten weil ich den Wein trinke und im Rauſch den Gott empfinde. Weil der Vergötterungstrieb des Geiſtes mich durchſchauert. Ich kanns nicht erzeugen, das Göttliche, ſo ſag ich Dir, und doch — es iſt mir gewiß daß ich es inbrünſtig liebe und es auch im einfachſten Keim erkenne, aber ich ſelbſt werd nicht Lieb erzeugen ſo wenig als ein Ge¬ dicht, ich fühls, und es liegt auch ein geheimer Wi¬ derſpruch in mir daß ich nicht geſtört ſein will in der inneren Werkſtätte meines Geiſtes, durch Gegenliebe.
Es begegnet mir aber nichts oder wenig in der Menſchenwelt was einfach genug iſt, was ganz reiner Lebenstrieb iſt, — was mich rührt, wie der Grashalm, — die friſchen Spitzen der Saat, ein Vogelneſt mit Treue gebaut, das Blau des Himmels! — das alles ergreift mich als obs menſchlich wär; und inniger wie das Menſchliche, und die Entzückungen die es mir er¬177 regt von der Natur berührt zu ſein, ſind als ob es eine mich mitfühlende Gewalt berühre, und das wird wohl der liebende Inhalt meiner Seele ſein und nichts andres.
Es wird Dichtung meiner Natur ſein daß ich ſo liebe; — aufnehmend, hingebend, aber nicht aufge¬ nommen werdend. — Drum! es iſt die Liebe die dichtet den Menſchengeiſt und des Gedichtes Inhalt, iſt Liebe ohne Gegenliebe — die höchſte elektriſche Kraft! — Gei¬ ſtestrieb! — — der meinige! — —
Vielleicht ſind Naturen Gedichtkeime, ſie ſollen ohne Fehl ſich entwicklen und iſt das ihr einziger Beruf. Ich wollt ich ſproßt aus einem großen Dichtergeiſt, der allerhaben fühlt, und menſchlich doch auch; — keine üppige ſchwärmende Aufregung, nein ſüße Naturkraft, ſelbſt bewußte — gefühlige, — die aus Innigkeit mich erzeugte, — aus beglückendem Reiz des Frühlingslichts! Ja ich wollt ich wär kein ſchlecht Gedicht. Gedräng¬ ter quellet Zwillingsbeeren, und reifet ſchnel¬ ler und glänzendvoller! Euch brütet der Mut¬ ter Sonne Scheideblick, euch umſäuſelt des hol¬ den Himmels fruchtende Fülle; euch kühlet des Mondes freundlicher Zauberhauch, und euch be¬ thauen — ach! — aus dieſen Augen, — der ewig8**178belebenden Liebe vollſchwellende Thränen. — Dies Gedicht, iſt mirs doch als ſei ich es! ſo reifend un¬ ter den Berührungen der Natur, und unter den Thrä¬ nen des Dichters. Und wie oft hab ich in der Singe¬ zeit dies Lied geſungen und mich ganz drinn gefühlt, die wachſende Beere die der Thau dir Liebesthräne nährt, der nicht ihr gefloſſen iſt.
Montag.
Geſtern waren wir in der Eliſabetherkirch, der Reif um dem Thurmknopf war von der Sonn zum Dia¬ mant umgeſchmolzen, in allen kleinen Roſetten hingen Diamanttropfen; und der Kreis von Roſen, der um die Pforten in Stein ſehr fein gemeiſelt iſt, war ein Dia¬ mantkranz! Die Kirch ſah aus wie im Brautſchmuck. Auf dem Kirchhof ſpielten die Wipfel im ſpiegelnden Geſchmeide. Die Kirch, von der Winterſonne außen ſo herrlich geſchmückt, war ſo ſtill innen, ſo einſam hell¬ dunkel, und der Teppig von den heiligen Händen der Eliſabeth gewebt lag vor dem Altar, erblaßt von Far¬ ben ohne Prunk, nicht dem Aug erfreulich, nur der Seele rührend; und da ſah ich mich um daß nur ein blinder Mann an der Thür ſaß, ſonſt war die Kirch179 leer. Da fühlt ich mich elektriſch berührt, wie's der Geiſt der Poeſie mir thut. „ Herbſtgefühl? “ja — ſollt ich meinen Erzeuger nicht lieben? — Die ich im Thau ſeiner heißen Thränen mich wachſend fühl! — es beredet mich in der Einſamkeit der Geiſt der Poeſie, wenn der Mond mich anhaucht da oben in den Nächten, und die Luft ſpielt um mich, dann fühl ich den Dichter über mir, der um Gedeihen für mich fleht zu ihnen, und giebt die vollſchwellende Thräne hinzu. Nur den Zwil¬ lingsbeeren die friſch und kindlich zu ihm aufſtreben, keinem andern ſchenkt er der ewig belebenden Liebe Thau, ſo kann ich ja nichts anders ſein wollen als die herbe Traube, die milde reift von ſeinen Feuerthränen; ich hab mirs einmal ſo geſagt und ſage mich nicht da¬ von los, wie es auch mein inneres Sein ausſpricht und mein Schickſal unter den Menſchen.
Es iſt ein großer Unterſchied zwiſchen den Geiſtern der Poeſie. Manches iſt die Natur ſelbſt, die mit deut¬ lichen ſinnlichen Worten mich anredet, manches iſt vom Genius nach allen Richtungen geprüfter Geiſt, der in der Unſterblichkeit einfachem Styl, die Seele beruft daß ſie den Göttern den Heerd weihe und nur immer des Göttlichen gedenke — der Genius bleibend werd ein ihr —180 in großen Geſtalten heilig kühner Gedanken. Und ſo ſind viele Bewegungen im Geiſt gar verſchieden, als könne die Poeſie die Seelen rühren wie Saiten die er¬ brauſen im Feuer, — und wieder ſtill und ſchüchtern aufblühen, wie Keime die ſich umſehen im Lebenslicht, neu geboren, nicht begreifend dies Leben aber zum Leben vereint. Wenn ich Dir dies ſagen könnt was mich ohnmächtig macht, daß ich ſchüchtern werd und mich wehre gegen den Eindruck, als müſſe ich ihm mein Ohr verſagen, und ihm doch heimlich lauſche weils mich hin¬ reißt, und weiß nicht obs der Klang iſt, oder der Inhalt, und wie beide wechſelnd mich bewältigen und wie ich — ja ich will dirs ſagen: — Ein göttlich perſönlicher Geiſt dringt auf mich ein den ich lieben will, lieben muß im Gedicht daß ich herzzerriſſen bin von großer Wehmuth. — Nein mehr! — Tiefer gehts: — daß ich ausbrechen muß in ein ſchmerzlich Ach. — Und wenn ichs nicht fühlte, dies Geiſtige, Perſönliche in der Dichtung — über mir ſchwebend, wie beglückt über ſeinen Triumph, ich glaub ich müßte wie wahnſinnig ihm nachirren — auf¬ ſuchen und nicht finden — und wiederkommen und mich beſinnen und vergehen dran; und das iſt der Goethe, der ſo wie Blitze in mich ſchleudert und wieder heilend mich anblickt als thuen ihm meine Schmerzen leid, und181 hüllt meine Seele in weiche Windlen wieder, aus denen ſie ſich losgeriſſen, daß ſie ſich Ruhe erſchlum¬ mere, und wachſe, ſchlummernd — im Nachtglanz, in der Sonne; und die Luft die mich wiegt, denen vertraut er mich, und ich mag mich nicht anders mehr empfinden zu ihm, als in dieſem Gedicht, das iſt meine Wiege, wo ich mich ſeiner Theilnahme, ſeiner Sorge nah fühle und ſeine Thränen der Liebe auffang und mich wachſend fühle. — Du haſt geſagt, wir wollen ihn ſehen den Großen, Wolkentheilenden, Ätherdurchglänzenden, und ich hab geſagt, ja wir wollen ihn ſehen! — aber wie ichs geſagt hatte, aus Liebe und Mitfühlen mit Dir, da wurd ich eiferſüchtig, und weinte zu Haus in der Einſamkeit bittere Thränen weil ichs geſagt hatte: wir wollen ihn ſehen! — und das kommt daher, weil er ſo lange ſchon, mächtig mir die Seele beſaitet hat, und dann[hineingreift] ſturmaufregend, und mich ſanft wieder einlullt wie ein Kind, — und ich bin gern das Kind, auf dem ſein Blick befriedigt weilt. Und wär ich nicht genährt von der Natur und wie es aus tiefſter Bruſt ihm — wie könnt ich ſein wie ich bin? — und weiter will ich doch nichts ſein. Und ich weiß gewiß, und nicht alle ſind geeignet wie ich daß der Geiſt perſönlich aus der Dichtung hervor über mir walte, und mich reife, in ſeiner geheimſten Seelentiefe182 vollſchwellendem Übermaaß. Aber ſag Du! wie könnt ich athmen, und ruhen und keimen, wärs nicht in jener Wiege ſeines Gefühls, im Gedicht? Und nicht wahr, ich lieg wohl gebettet, und kannſt mirs nicht ſüßer wünſchen? ja Du verſtehſt es wie ichs meine; in den Manen hab ich mich zurecht gefunden in Dir, daß Du alles Leben verſtehſt, und viel tiefer! — denn ich empfinde nur was Deines Geiſtes Spur Dir lehrt, Du aber weißt alles.
Du ſagſt ſelbſt, wo kein Wunſch uns hinzieht das iſt für uns verloren, und man hält wohl für unmöglich was nur des Begehrens bedürfte um wirklich zu ſein. und ſeit Du es mir geſagt haſt — und Du ſagſt, Har¬ monie der Kräfte iſt Verbindung — ſo hab ich mirs denn getraut, weil ich ihn liebe, ſo nehm ich alles willig hin, Schmerz und Entzücken; — denn es iſt immerdar Entzücken, ihn empfinden! — denn er ſchenkt mirs ihn zu fühlen wie er aus ſeiner Dichtung Blüthe mich anhaucht, das will er, das beglückt ihn, — daß ich erſchüttert bin, das begeiſtert den Dichtergeiſt, und andre kennen nur die verſchloßne Knoſpe, mir aber öff¬ net ſich die Blüthe und das nimmt mich weg! — drum bin ich ihm allein und er mir allein! — und die ganze Welt mag ſich ſeiner theilhaftig meinen, ich weiß daß183 es anders iſt und muß drauf beharren, denn ſonſt ver¬ zehrt mich die Eiferſucht. — Und Du haſt geſagt, „ das Aufheben deſſen, was eigentlich dieſe Harmonie aus¬ machte, müſſe auch nothwendig dieſe Verbindung auf¬ heben. “ Das wird mir nicht geſchehen. Du ſagſt, „ das Geräuſch der Welt, das Getreib der Geſchäfte, die Gewohnheit, nur die Oberfläche zu berühren, die laſſen dieſes tiefſte und feinſte Seelenorgan nicht zur Ausbil¬ dung kommen. “— Was ſpricht mich denn an in dem Geliebten? — fühl ich denn nicht das Große und Gewal¬ tige was viel höher iſt als ich ſelber? — ja was mir höher oft vorkommt als der Geliebte ſelbſt; und iſt es nicht dies, dem ich nachgeh? — und erſcheint dieſes Gewaltige mir nicht auch ganz allein außer ihm? — und iſt das nicht die Erinnerung an ihn und zugleich auch noch jene höhere Erſcheinung von der Du ſagſt daß ſie ſich durch die Harmonie mit ihr offenbare? — und kann ich ihm untreu ſein in dieſer, wenn ich mich der hingebe? — und iſt es nicht immer daſſelbe was Begeiſtrung zu erregen vermag? — Ach nein! man kann in der Liebe nicht untreu ſein, nur außer ihr. — Ich fühls an der Heiterkeit die mich beflügelt daß in der Begeiſtrung keine Untreue iſt. — Ich weiß von kei¬184 ner Untreue, und glaube oft, ich verſündige mich an was ich liebe, wenn ich nicht alles liebe. Es ſind Dinge, (Naturen, Geiſter), die muß ich lieben weil ſie mich nähren, wie die Pflanze vom Licht, vom Waſſer, von Erde und Luft ſich nährt. Alles was mich begeiſtert iſt mir der Sonne Strahl.
Wenn die Sonne eine Blume durchglüht da fühlt man wohl daß ſie die herablaſſende iſt und daß die Blume von ihr mit heißer Leidenſchaft zehrt. Wer wollte das nicht Liebe nennen, und ob die Sonne Ge¬ genliebe genießt wer weiß das? — ja wer weiß ob die Blume ihr wieder giebt? — Du weißt wohl, wenn die Sonne recht heiß brennt dann duftet keine Blume, aber Abends wenn ſie ſcheidet, dann duften ihr alle Blumen nach, und Morgens wenn ſie kommt dann duften ihr alle entgegen. — Ob das bis zu ihr hinaufſteige? — das frag ich mich, danach ſehn ich mich. Und Du ſagſt wonach der Wunſch uns hinziehe das wird möglich und das glaub ich Dir; gewiß ſteigt der Blume Duft zur Sonne, ſind ihre Strahlen nicht Gefühlfäden? — kann mich was Lebendes berühren ohne daß ichs wieder be¬ rühre? — ſind ihre Strahlen nicht Saugrüſſel, mit denen ſie aus den Blüthenkelchen den Duft ſaugt? — Und der Dichter, der ſich durch ſeiner Begeiſtrung Strah¬185 len die Blumen erſchließt, ſaugt der nicht ihren Duft? — iſts Begeiſtrung nicht, wenn vor der Geiſtesſonne die Wol¬ ken ſich theilen und ſie ſtrahlt die Knoſpe der Seele an? — Ei darum duften eben die Blumen nicht, grade wenn die Sonne auf ihnen liegt, weil ſie dann mit ih¬ ren Strahlenlippen alles ſelbſt trinkt. Nach einem Ge¬ witter da duftet alles. — Dann kommt ſie eilig und wirft ſich über ſie her, und bald trinkt ſie alle Kelche aus, wo denn der Duft nur in ihren Strahl übergeht; — und wenn ſie ſcheidet, dann duftet ihr alles noch nach, und der Duft zieht nach über die Berge; denn wenn man bei Sonnenuntergang auf einem Berg ſteht, da fühlt man den Balſam aus den Thälern heraufſteigen, der Sonne nach; — das iſt am Mittag in der heißen Zeit nicht, weil da die Sonne bis hinunterſteigt, und alles allein trinkt; ſo iſt es zwiſchen beiden wie zwiſchen Lie¬ benden, — ſo können wir auch nicht an ihrer Seligkeit zweifeln. — Nun iſt noch die Erde und das Waſſer, die nähren noch die Pflanze, dieſe hält ſie in ihrem Schooß, und jenes kommt zu den Wurzeln gedrungen, und fällt vom Himmel herab auf ſie; ſie verwandlen ihre feinſten Nahrungskräfte, das Heilige ihrer Natur in eine ſpre¬ chende Erſcheinung. — Sind vielleicht Blüthen und Kräuter Worte? — Sprache, in der die Gefühle, der186 Geiſt der Erde, des Waſſers ſich deutlich machen? — Iſt der Duft der Blumen, ihr Schmelz, wohl das Sehnen der Erde — die Begeiſtrung des Waſſers die in den offnen Kelchen, Freiheit hat aufzuſteigen zur Sonne, zu dem was ſie lieben? — Die dunkle Erde ſtößt aus dem Innerſten ihre duftenden Seufzer auf aus den Kel¬ chen ihrer Pflanzen, die aus ihrem Buſen aufblühen, hinauf in die feſſelloſe Freiheit? — Das Waſſer das von ſeinen kräuſelnden Wellen ſich immer weiter treiben läßt, hier in der Blume Stengel, im Saft des Baumes ge¬ miſcht mit allen Kräften der Natur, ſteigt, nimmt Ge¬ ſtalt an, wird zum Geiſt, zum Wort, das die Andacht ſeiner Triebe aushaucht. — Was iſt denn aber die Luft? — iſt die nicht Vermittler zwiſchen Allen? der Genius der Welt, der leitet, Leben giebt, ewig den Geiſt durch¬ athmet? — Was iſt aber Geiſtesathem? — iſt der nicht Erkenntniß, Streben emporzuſteigen, ſich abzulöſen vom Mutterſchooß und aufzuſteigen zum Geiſt? iſt Ath¬ men im ſinnlichen Leben nicht daſſelbe? — drängen ſich die Gefühle nicht in Seufzern auf? — Ohne dies ewige Einſaugen des himmliſchen Elements kann der Leib nicht leben, und der Geiſt ſtirbt jeden Augenblick ohne jenen leitenden Genius, der ſein eigentlicher Lebensathem iſt. 187Die Luft iſt der Genius des Lebens, ſein höheres Ich, ſo wie Waſſer und Erde ſeine Erzeuger ſind. — Die Luft iſt Vermittlerin zwiſchen dem göttlichen Liebesfeuer und dem jungen kindlichen Streben danach, küſſen die Strahlen zu heiß dann kühlt ſie mit ſanftem Wehen und erleichtert den verhaltnen Lebensathem; wie doppelt ſchlägt das Herz wenn ihr Strom raſcher eindringt! — — wie ganz giebt ſich ihr das Leben hin, wenn es von mächtigeren Regungen bewältigt wird. Ja ihr allein vertraut es ſich wenn es von ſich ſelber nicht mehr weiß, ſie umlebt das erſtorbene, bis Leben eindringt wieder, mächtiger und gewaltiger wie früher. So fühl ich deut¬ lich, wenn mein Geiſt erſtarrt war, es iſt Genuß zwiſchen mir und der Gottheit der mich weckt, die Luft, die mich nährt und erhält, ohne welche Geiſt erſtorben wär, nie der Seele könnt Nahrung bringen, von oben. — Ja alle Offenbarung iſt die Geiſtesluft die ihn durchathmet, ohne welche er nicht leben kann einen Augenblick, ſondern müßt erſticken, und ob er ſchläft oder wacht, ſo athmet er doch immer den Genius, die Luft. — Ich bin ſo glück¬ lich Günderode wenn ich hier auf den Bergen ſtehe und der Wind brauſt das er mich davon tragen will, — dann muß ich lachen vor Muthwillen und denk ob188 mich der Geiſt doch auch verſucht zu heben und mit mir aufzufliegen. —
Die Sonne hat einen heißen Schein mit dem ſie brennt, ſo hat der Geiſt auch ein heißes Licht das brennt wohin es leuchtet.
So kam heut einer nach dem andern zum Beichtſtuhl geſchlichen in der Kirche, und der Pater der Beicht ſaß, guckte mich an, ob ich nicht auch kommen wollt? — und aus Blödigkeit geh ich in den Beichtſtuhl und beicht daß ich mich immer verwundern müſſe warum die heiligen drei Könige das göttliche Kind nicht in ihren Schutz genom¬ men haben, ſondern haben es im Stall liegen laſſen und wären doch überzeugt geweſen, es ſei Gottes Sohn, da noch obendrein ein Stern ſich am Firmament aufge¬ macht um ſie hin zu geleiten, ſie hätten das Kind ſollen mit¬ nehmen in ihr Land. Und doch wären ſie weiter gezogen, das käme mir nicht vor als wenn ſie heilig wären, ſon¬ dern zerſtreute Weltleute; der Beichtvater ſagte: „ ſo iſt der Weltlauf, ſie haben ihre Geſchäfte gehabt wie heut zu Tag auch. — „ Aber, ſagte er, das braucht man nicht zu beichten das ſind Sünden, wie für die Katz vom Tel¬ lerchen zuſammengekratzt, da giebt Gott keinen rothen Heller davor. — Da bet ſie ein halb Vaterunſer zur189 Buß, oder meintwegen ein Viertel. “— Und wie ich aus der Kirche kam, in die friſche Luft, da wars ſchon drei Uhr vorbei, die Sonne wollt ſchon bald untergehen. Da kam ich auf den Thurm und beſann mich daß ich Dir wollt alles beichten wie ich Eiferſucht gegen Dich gehabt, und hatte Dir nicht wollen gönnen daß Du mit mir zugleich bei Ihm wärſt, ich wollt ganz allein mit ihm ſein. Aber jetzt bin ich dieſer Sünde los und im Denken theilt ſich alles Böſe wie Nebel vor den Augen daß man ſieht es war nur Wahn; alles was nicht Großmuth iſt das iſt nur Wahn. Denn ich mein, der Dichter iſt meine Sonne, ſo biſt Du die Luft die das Böſe um mich her verweht, und meinen Geiſt aufſteigen lehrt. Wie kann ich ohne Dich beſtehen vor ihm. — So mag wohl jeder Men¬ ſchengeiſt von Elementen genährt werden, die Einer dem Andern ſein muß, und merk Dirs daß du meine Luft biſt, ohne die ich nicht aufathmen kann auch nur einmal.
Bettine.
190Dem Clemens hab ich geſchrieben, einen langen Brief, und ihm auch von Dir geſagt, daß Du ihm gut biſt, und daß ich Dir lange Briefe ſchreibe auf die Du nur kurz oder auch wohl gar nicht antworteſt. Ich hab ihm erzählt, ich ſpreche zu Dir wie zum Widerhall um mich zu fühlen, zu hören, und lege meinen Gedanken und Einbildungen keinen Zaum an; und daß es ſei als ob ein guter Genius dieſe Briefe hervorbringe; — ſo ant¬ wortet er: „ um Deine Briefe iſt die Günderode zu be¬ neiden, wenn ſie das ſind, was Dein Genius hervor¬ bringt, wenn ſie aber ſo wenig antwortet, ſo iſt das gar wunderlich, entweder iſt nichts zu antworten, oder alles ſchon abgethan. “—
Heute ſchreibt er mir den langen Brief über Dich, ich hab doch recht, er hat Dich lieb, und hat Dich nicht wollen beleidigen, und ſeine Seelen alle, ſind doch nur eine gute, denn biſt Du ein Kind, ſo iſt er es auch zu Dir; aber Kinder laſſen ſich nicht drauf ein empfindlich zu ſein, ſie ſind gleich wieder gut und laſſen den Strom vom Ufer wegſpühlen die Spielzeuge die ſie einander zerbro¬ chen haben, und erfinden ſich neue, ergötzlichere. Leſe den191 Brief nicht mit Vorurtheilen und denk daß es neckende Stimmen ſind in ihm von Kobolden, die ihm oft ſelber ei¬ nen Streich ſpielen, aber die Seele — die Eine Gütige, die ſie umſchwärmen, die iſt doch nur ein Kind wie Du, und was ein freier himmelanſtrebender Geiſt nicht in noch höherem Sinn nimmt als er ſelber iſt, das iſt für ihn kleinlich, und was kleinlich iſt das muß man gar nicht annehmen, ſonſt lernt man die Wahrheit nicht begreifen. — Und ich denk: von allen Geſchich¬ ten des Herzens und der Seele Berührungen, geben wir den Leitfaden der Gottheit in die Hand, die leitet immer zum richtigen unmittelbaren Verſtehen. — Und wenn Du mißverſtanden wirſt, ſo ſieh doch nur den Gott ſelber an in der Liebe, gegen den kannſt Du alles wagen, denn der muß Dich verſtehen. —
Ich geb Dir Lehren Günderode, die Dir nicht fremd ſind, beſinn Dich, auf dem Rhein wie wir unſren Briefwechſel beſprachen, da ſagteſt Du es ſei eine Seele die uns mit Liebe an ſich ziehe, in jedem Verhältniß, es müſſe eine Zeitigung erlangen in uns ſonſt ſei es Untreue, Mord, Erſticken eines göttlichen Keims. — Und wo eine Anziehungskraft ſei, da ſei auch eine Strebekraft und wir ſollten ihre Empfin¬ dung feſthalten, dadurch allein könne die Seele wach¬192 ſen, jede Berührung mit des andern Geiſt ſei blos Seelenwachsthum, ſo wie alles Reizerweckende blos ſei wie das Erwecken und Entfalten des Pflanzenlebens. — Der Menſchengeiſt bereite ſich auf die jüngſte Stufe der Natur, auf die der Pflanze, während der Leib auf der letzten ſtehe, auf der des Thieres, der Leib erſterbe, aber im Geiſterreich ſei des Geiſtes erſte Metamorphoſe die Pflanzenwelt. — Du meinteſt da, ich ſei zerſtreut und höre auf die Waldhörner am Ufer, nun hörſt Du daß ich doppelte Ohren hab, und daß ich alles nicht allein für mich gehört hab, ſondern auch für Dich, denn Du haſt es vielleicht ſchon vergeſſen. — Du ſagteſt Du liebſt Dich ſelbſt in mir; ſo lieb Dich doch auch ſelbſt im Cle¬ mens; — ich weiß nicht was ich Dir all ſagen möcht. — Erzieh Dir ihn doch wie Du ihn haben willſt, wie Du fühlſt daß er ſein müßte um Dich nicht zu kränken, zu eben dem Leben das Du ihm der Idee nach zumutheſt, es iſt gewiß das wahre, was ihm zukommt, und Du ſelbſt ſagſt ja damit, daß Du ihn der Idee nach höher ſtellſt wie die andern, dieſe Idee iſt ja doch der eigent¬ liche Wirkliche, und denk doch an die andern die Du der Idee nach gar nicht wohin ſtellen kannſt, ſondern mußt ſie laſſen was ſie ſind. Und wenn Du einenSpiel¬193Spielkameraden fändeſt mit ſo herrlichen großen Au¬ gen, mit ſo elfenbeinerner Stirn, und er hätte ſolche Momente wo die Götter aus ihm prophezeihten, aber er wär unartig und tückiſch im Spiel, er biß Dir in die Hand und kratzte Dich wenn Du ihn ſtreichelſt, oder er ſchlüg Dich mit der Peitſche, wollteſt Du blos ihn als einen tückiſchen Knaben achten und wollteſt die frühere Idee von ihm aufgeben? — ſo ließeſt Du ihn alſo laufen wegen einem Rippenſtoß den er Dir gab und wollteſt von der höheren Idee nicht mehr Notiz nehmen? — ach laß Deine Rippen nicht ſo empfindlich ſein! Thuts doch Gott nicht! — Er hält ſich an das Hohe im Menſchen und alles andre iſt nicht für Gott da. — So ſoll auch alles nicht für Dich da ſein, wie blos das Gute, und wenn es Dir auch gar nicht mehr aufleuchtet, ſo ſollſt Du dennoch von ihm wiſſen und dran glauben. —
Entlaſſe ihn nicht liebe Günderode, kämpf Dich mit ihm durch, der die Idee in ſich trägt die Du ihm zumu¬ theſt, und die ſo hoch iſt daß er hinter ihr zurückbleibt; denn die andern tragen gar keine Idee in ſich, und blei¬ ben nicht zurück, und kommen nicht vorwärts. —
Da hab ich mich ſo vertieft in Gedanken, daß ich einſchlief, es geſchieht mir ſo oft daß ich ein¬II. 9194ſchlafen muß im beſten Denken, wenn ich eben em¬ pfind, als wolle ein tieferer Geiſt in mir wach werden, wo ich höchlich geſpannt bin zu erfahren was ſich in mir erdichten will, und ſtatt daß es in mir erwacht ſo muß ich drüber einſchlafen, als ob eine idealiſche Natur mir nicht wolle wiſſen laſſen wie ſie in mir denkt und empfindet. —
Es iſt ein Zauberer in uns, der ſieht uns ſtreben nach ſeinem Wiſſen, der macht all mein Streben zunichte, wenn ich nah bin und die Offenbarung ſchon durch¬ ſchimmern ſeh, ſo ſchläfert er mich ein. —
Ich leſe jetzt zum zweitenmal den Wilhelm Meiſter, als ich ihn zum erſtenmal las, hatte mein Leben Mig¬ non's Tod noch nicht erreicht, ich liebte mit ihr, wie ihr, waren die andern in der Geſchichte des Buchs mir gleichgültig, mich ergriff alles was die Treue ihrer Liebe anging, nur in den Tod konnt ich ihr nicht folgen. — Jetzt fühl ich daß ich weit über dieſen Tod hinaus ins Leben gerückt bin, aber auch um vieles unbeſtimmter bin ich, ſchon ſo früh drückt mich mein Alter, wenn ich hier dran denke. — Ich hab mit ihr empfunden, ich bin mit ihr geſtorben damals, und jetzt hab ichs überlebt, und ſehe auf meinen Tod herab. — Gewiß ſtirbt der Menſch195 mehr wie einmal, mit dem Freund der ihn verläßt muß er ſterben, und wenn ich mit jenem Kind leiden und ſterben mußte, weil ich ſein Geſchick als das meine in ihm empfand und weil ich es zu ſehr liebte und konnte es nicht allein in den Tod gehen laſſen. — Wenn Du das alles überlegſt, ſo wirſt Du nachſichtig ſein daß ich ſo furchtſam bin um Dich.
Ich hab auch jetzt ſchon lange wieder nichts von Dir gehört, auf den Clausner kann ich mich nicht verlaſſen, von Dir will ich keine Briefe fordern, Du haſt viel zu denken und vielleicht Deine Augen ſind leidend, aber doch bin ich immer voll Sorgen wenn ich an dem Tag keine Briefe von Dir hab, wo ich mirs in Kopf geſetzt hab; dann ſteigert ſichs bis zur Angſt wenn noch ein Poſttag vergeht, und dann hilft mirs nur, wenn ich in der Sternennacht auf der Warte an Dich denke, da trau ichs meinem Geiſt ſeinem mächtigen Willen zu daß er Dich ſchütze. Die Nächte war ſo tie¬ fer Schnee gefallen daß ich mir erſt am Tag einen kleinen Pfad zum Thurm ſchaufeln mußte, denn ſo lang ich vermag wird mich nichts abhalten daß ich da hinauf geh und in Gedanken zu Dir dringe und für Dich bet, bis ich wieder bei Dir bin. — Im Rheingau haſt Du9*196mir auch geſchrieben, nur kurz weil Du Augenweh hat¬ teſt, aber ich las doch in den zwei Zeilen wie Du ge¬ ſtimmt warſt, zuthunlich. —
Deine Briefe haben mir viele Freude gemacht, zweifle nicht daran liebe Bettine weil ich Dir ſelbſt ſo ſparſam geſchrieben habe, aber Du weißt viel Denken und oft ſchreiben iſt bei mir gar ſehr zweierlei; auch hab ich die Zeit ſchrecklich viel Kopfweh gehabt.
Du ſchreibſt mir gar nichts von Gundel und Sa¬ vigny, thue es doch.
Ich ſtelle mir Eure Lebensart recht ſtill, vertraulich und heimlich vor. — Aber ich fürchte nur Du kommſt wieder zu gar nichts. — Dem Clausner haſt Du geſchrie¬ ben Du treibſt Mathematik mit einem alten Juden, und vielleicht werdeſt Du auch Hebräiſch lernen, Du habeſt ſchon einen Theil vom ABC inne — mit der Geſchichte treibſt Du Dich herum wie ein Kätzchen mit einem Spielball der am Faden hängt; Du wirfſt ihn hin und her ſo lang es Dich ergötzt und dann läßt Du ihn müßig liegen, was Du über Muſik vorbringſt iſt lauter197 Larifari, meinſt Du wenn etwas ſchlecht gelingt und ſich gegen den Geiſt ſträubt, das ſei ein Zeichen daß man es aufgeben ſolle? — da bin ich grade der entgegen¬ geſetzten Meinung, und wenn auch etwas Dir trivial erſcheint, ſo iſt deswegen die Sache es gar nicht, ſon¬ dern Dein Begriff iſt nicht gelichtet, an was willſt Du Deine Kräfte üben wenn nicht an dem was Dir noch ſchwer dünkt? — ich glaube ſo manches was Du Dir jetzt fremd glaubſt würde ſeine innere Verwand¬ ſchaft zu Dir geltend machen. — Du haſt Wiſſenstrieb ohne Beſtändigkeit, Du willſt aber alles zu gleicher Zeit wiſſen und ſo weißt Du Keinem Dich ganz hinzugeben und ſetzeſt nichts recht durch, das hat mir immer leid an Dir gethan. Dein Eifer und Deine Luſt ſind keine pe¬ renirenden Pflanzen, ſondern leicht verwelkliche Blüthen. Iſt es nicht ſo? — ſieh, darum iſt es mir gleich fatal geweſen daß Dein Lehrmeiſter in der Geſchichte Dich verlaſſen hat, die Begebenheiten unterſtützen ordentlich Deinen natürlichen Hang, noch dazu da er ſo geiſtreich und ſo faßlich und — ſo liebenswürdig ſein ſoll, — ſo nehm ich es ihm übel daß er nicht mehr Intereſſe an Dir nahm. Übrigens muß ich Deine Ausſchweifungen im Lernen wieder tragen; es wurde mir im vor¬ werfenden Ton mitgetheilt, und ich merkte daß meiner198 Verwundrung hierüber, und daß ich nichts davon gewußt habe, nicht Glauben beigemeſſen wurde.
Vom Clemens weiß ich nicht, ob ich wohlthun würde ihm ſo nachzugehen wie Du es meinſt, es läßt ſich da nicht einbiegen und ihm in den Weg treten um ihm zu begegnen, wo ich ihn aber begegnen werde, da ſei über¬ zeugt daß es nur friedliche und herzliche Geſinnung ſein wird, ich bin weit entfernt ihn aufzugeben, er ſteht mir vielmehr zu hoch für meine Kräfte, die nicht an ihn rei¬ chen. Mein Tadel iſt, daß er dieſe hohen Anlagen alle vergeude, aber ich glaube Dir daß dies kleinlich von mir iſt, und hab mich auch ſchon gebeſſert.
Ich weiß nicht ob ich ſo reden würde, wie er mei¬ nen Brief in dem ſeinigen reden läßt; aber es kommt mir ſonderbar vor daß ich zuhöre wie ich ſpreche, und meine eignen Worte kommen mir faſt fremder vor als fremde. — Auch die wahrſten Briefe ſind meiner Anſicht nach nur Leichen, ſie bezeichnen ein ihnen einwohnend geweſenes Leben, und ob ſie gleich dem Lebendigen ähn¬ lich ſehen, ſo iſt doch der Moment ihres Lebens ſchon dahin; deswegen kommt es mir vor wenn ich leſe was ich vor einiger Zeit geſchrieben habe, als ſähe ich mich im Sarg liegen, und meine beiden Ichs ſtarren ſich ganz verwundert an.
199Mein Zutrauen war freilich kein liebenswürdiges Kind, es wußte ſich nicht beliebt zu machen, nichts Schö¬ nes zu erzählen, dabei flüſterten ihm die Umſtehenden immer zu: Kind ſei klug! gehe nicht weiter vorwärts, der Clemens wird Dir plötzlich einen Streich ſpielen und Dir die Schuld geben daß er Dich nicht mehr ausſtehen könne. Da wurde das Kind verwirrt und ungeſchickt, es wußte nicht recht wie man klug ſei, und ſchwankte hin und her, darf man ihm das ſo übel nehmen? — Aber eigenſinnig iſt das Kind nicht. Wenn es im Hauſe freundlich und gut aufgenommen wird, kehrt es ſicher lieber um, als daß es länger auf der Straße verweile.
So kannſt Du dem Clemens über mich berichten, auch daß ſeine Scherze über meine Art zu ſchreiben und die ungefügen Worte die ich gebrauche, mich nicht verdrießen, ich muß mich bei dieſer Stelle ſeines Briefs immer auslachen und werde das Wort Rathſchläge gar nicht mehr gebrauchen können, überdem erinnert es mich auch noch an Burzelbäume. —
Ich kenne wenig Menſchen und vielleicht niemand ganz genau, denn ich bin ſehr ungeſchickt andre zu beobach¬ ten. — Wenn ich daher einen Moment verſtehe in ihm, ſo kann ich von dieſem nicht auf alle übrigen ſchließen. 200Es mag wohl ſehr wenige Menſchen geben die dies kön¬ nen, und ich wohl mit am wenigſten. Jetzt denke ich es ſei gut den Clemens zu betrachten, und erfreulich; und er will man ſolle ihn nur betrachten wollen. Iſt dieſe Anſicht wahr oder falſch?
Caroline.
Ich leſe Deinen Brief und den meinen und er¬ kenne wie verſchieden unſre Stimmungen ſind, aber ich fürchte nicht daß Du an mir zweifelſt, oder mein Übergehen unrichtig auslegeſt; was ſoll man dazuſetzen oder einfallen wollen, wo ſich etwas frei und wahr ergiebt wie Deine Mittheilungen, aber das was Du übergeheſt das muß ich berühren. Du kommſt mir vor wie ein Eroberer der alle Waffen verſchmäht aus Hel¬ denmuth, der alles verachtet was ihn ſchützen, verthei¬ digen könnte und jede Waffe die er zum Erobern be¬ darf; ja ich glaub das Hemd möchteſt Du abwerfen. Doch ſind Wiſſen, Begreifen, Lernen nicht allein die Ar¬ maturen des Geiſtes, ſie ſind vielmehr ſeine Glieder mit denen er ſich wehrt, und ſich aneignet was ſeinem Ge¬ nie zukommt. Bedenks alles und neige meinen Lehren ein herablaſſend Gehör. —
Deine Beichte hab ich mit Sanction angehört und201 ertheile Dir Abſolution; und verſpreche Dir auch Dich zu begleiten wenn Du Deinen Erzeuger aufſuchſt. Ich werde wohl nicht die erſte Rolle übernehmen müſſen bei dieſer Überraſchung langgehegten Begehrens. —
Schreibe mir ein bischen ordentlich über das Chaos Deiner Verwirrungen.
Die Frankfurter haben mir geſchrieben und haben mich ſchon ausgepelzt mit allerlei verwunderlichen Pro¬ phezeihungen. — Erſtens: ich ſoll mir häusliche Tugen¬ den angewöhnen. Zweitens: wo ich einen Mann her¬ nehmen will wenn ich hebräiſch lern? — So was ekelt einem Mann, ſchreibt der lieb gut Engels-Franz, als wie die ſpartaniſche Suppe; an einen ſolchen Heerd wird ſich keiner niederlaſſen wollen und eine Schüſſel Mathematik von einem alten ſchwarzen Juden aſſaiſon¬ nirt ſei auch nicht appetitlich, darauf ſoll ich mir keine Gäſte einladen, und der Generalbaß als Deſert, das ſei ſo gut wie eingemachter Teufels-Dr. — Das wär eine ſchöne häusliche Tafel ꝛc. und man ſpotte meiner9**202allgemein daß die Lullu eher geheirathet habe, und dann meint er ganz gutherzig, daß wenn ich eben ſo viel häus¬ liche Tugenden geäußert hätte, ich gewiß auch einen Mann bekommen haben würde. — Ich ſchrieb ihm, er ſoll nur immer mitſpotten denn es ſei jetzt nicht mehr Zeit mich zu ändern; und der ganz Jud ſei nur in meine Tags¬ ordnung einrangirt um mich vor dem Mottenfraß der Häuslichkeit zu bewahren, und ich hätt gemerkt daß man in einer glücklichen Häuslichkeit Sonntags immer die Dachziegel gegenüber vom Nachbar zähle; was mir ſo fürchterliche Langeweile mache daß ich lieber nicht heirathen will. — Ich hab aber auch dem Doctor einen ironiſchen Lügenbrief wieder mit Lügen beantwor¬ tet und dem Clausner auch einen. Und es ſind auch al¬ lerlei Anſpielungen, recht liebliche auf Dich, die ich mit charmantem Humor beantwortet hab. So kommſt Du zuletzt an die Reih.
Dem Clemens hab ich alles übermacht. — Deine eigne Sorge um meine Ausſchweifungen im Lernen die laſſe ſich legen. Der Wind zauſt mich und ſchüttelt mir alles aus dem Kopf. — Wenn Du meinſt ich könnt was dafür daß ich nichts kann, da thuſt Du mir un¬ recht. Es iſt nicht möglich meine Lerngedanken zuſam¬ men zu bringen, ſie hüpfen wie die Fröſche auf einem203 grünen Anger herum. Meinſt Du ich mach mir keine Vorwürfe? — meinſt Du ich raffel mich nicht alle Tage zuſammen? — mit dem feſten Vorſatz es durchzuneh¬ men bis es mir ganz geläufig iſt? — aber weißt Du was mich zerſtreut? — daß ichs allemal ſchon weiß noch eh es der Lehrer mir ganz auseinander geſetzt hat, nun muß ich warten bis er fertig gekaut hat, da neh¬ men unterdeß meine Gedanken Reißaus, und dann iſt es nachher nicht daß ich es nicht gelernt hab, ſondern ich habs nur gar nicht gehört was er geſagt hat; mit dem Hofmann in Offenbach wars eine andre Sach, er lehrte ſo problematiſch, er ließ mir hundert intereſſante Fragen die er freilich oft unbeantwortet ließ, die oft zu ganz fremden Dingen führten, aber dies regte mich an, immer darauf zurückzukehren. Ich will mich damit nicht entſchuldigen, ich weiß daß es ein Fehler, eine Schwäche, eine Krankheit iſt; ich gebs auch nicht auf ſie zu be¬ kämpfen, und ſollt ich bis an meines Lebens End damit zu thun haben, ich gebs nicht auf, das fort zu lernen was mir einmal Begierde ja ich kann wohl ſagen Lei¬ denſchaft erregt hat. — Generalbaß! — Wenn Du ah¬ nen könnteſt welches Ideal mir in dieſem Wort vor den Sinnen ſchwebt, und welchen alten Manſchettenkerl mir die Lehrer vorführen und behaupten das ſei er, Du204 würdeſt mich bedauern daß ich den Genius unter dieſer Geſtalt ſollte wieder erkennen müſſen. Nein er iſt es nicht. Die ganze Welt iſt eben Philiſterthum, ſo haben ſie nicht eher geruht bis ſie auch das Wiſſen dahin ge¬ zerrt haben. Wär es frei behandelt mit Genie, dann wär ſein Beginnen kindlich, nicht aberwitzig mit lauter Gebot und Verbot die ſich nicht legitimiren: das darfſt Du nicht, das mußt Du — warum? — weils die Re¬ gel iſt. — Nun aber! — ich fühls das ſoll mich nicht abhalten, und ich werde thun nach Kräften, und das andre wird der Gott meinen mangelnden Kräften zu gut halten, und auch mußt Du etwas auf einen be¬ ſtimmten Naturtrieb rechnen, der mich mit Gewalt zu andern Gedanken reizt, einen Vortheil hab ich davon, meine großen Anlagen werden jetzt ſehr in Zweifel ge¬ zogen oder vielmehr mir gänzlich abgeläugnet, und meine Genialität gilt für Hoffart, und mein Charakter für einen Schußbartel, dem man alle Dummheiten zutrauen kann ohne ihm eine zum Vorwurf machen zu können. Da fühl ich mich ſehr bequem in meiner Haut und es iſt mir noch einmal ſo behaglich unter den Menſchen; — niemand denkt zwar dran daß ich nie Prätenſion an jene hohe Eigenſchaften machte, von denen man er¬ wartete daß ſie aus dem Ei kriechen würden, und daß205 es nur unſer lieber Poſaunenengel war der all dieſe Dinge über mich hinter meinem Rücken in die Welt hinein trompetete, und man giebt mir die Schuld daß ich ein eingebildeter aufgeblaſner Kerl wär, der meine ſeine Phantaſie regne Gold; aber das kränkt mich gar nicht und beſchämt mich auch nicht und es ſteckt mich vielmehr an daß ich allerliebſt dumm ſein kann, und mich mitfreue wenn ſie mich auslachen und da lacht man als weiter. —
Du fragſt nach Savigny. Der iſt eben wie immer. Die höchſte Güte leuchtet aus ihm, die höchſte Gro߬ muth, die größte Nachſicht, die reinſte Abſicht in allem, das edelſte Vertrauen zu dem Willen und Reſpekt vor der individuellen Natur. Nein ich glaub nicht daß es ein edleres Verhältnißmaaß giebt. Das ſtört mich alſo gar nicht daß er mich hundertmal hoffärtig nennt, und daß er über meine Albernheiten lacht und daß er mir noch größere zutraut, und daß er keinen Glauben an meinen geſunden Menſchenverſtand hat, er thut das al¬ les mit ſo liebenswürdiger Ironie, er iſt ſo gutmüthig dabei, ſo willenlos einem zu ſtören, ſo verzeihend; ei ich wüßt nicht wie ich mirs beſſer wünſchen könnte, als ſo angenehm verbannt zu ſein, und ich komme mir vor wie ein Schauſpieler der ſich unter einem Charakter be¬206 liebt gemacht hat, und der dieſen nun immer beibehält, weil er ſich ſelbſt drin gefällt. Der Clemens klagt zwar und meint er habe immer keine[Antwort] von ihm er¬ halten auf all ſein Vertrauen, und habe ſich immer zu¬ rückgeſtoßen gefühlt — und der Savigny ließe gleich¬ ſam das Tret-rad der Studirmaſchine ſo lang aus Höf¬ lichkeit ſtehen bis einer ausgeredet habe, er habe ſich oft geärgert daß wenn er zu ihm ins Zimmer kam um ihm was warm mitzutheilen, ſo habe er keine Antwort, nur Gehör erlangt, und kaum ſei er draus geweſen, ſo rum¬ pelte die Studirmaſchine wieder im alten Gleis. — Da hat aber der Clemens unrecht. Erſtens iſt Savignys An¬ theil am Leben außer ſeiner wiſſenſchaftlichen Sphäre nur ein geliehener; und vielleicht blos gutmüthig, und dann iſt es ein Irrthum vom Clemens, der meint er müſſe ihm Mittheilungen machen, da er ſie ihm nicht honorirt, oder ſich ihm mittheilen will wo Savigny einer anderen Anſicht über ihn zugethan iſt. — Mir fällts gar nicht ein, ihm etwas der Art ſagen zu wollen, mir iſts ganz recht, daß er mir die Fehler und Albernheiten die in mir nun einmal vorausgeſetzt werden noch als erträglich an¬ rechnet. — „ Was willſt Du wieder für eine Dummheit vorbringen ſagen ſie oft, oder ich bitt Dich ſchwäz nicht ſo extravagant, oder: wie kannſt Du denn ſo was ſagen,207 die Leute verſtehn Dich nicht. “— Und es fallen mir dann auch immer die Extravaganzen ein und ich ſag ſie im¬ mer nur, ums zu hören wie ich ausgezankt werd. — Da ſiehſt Du alſo, es geht mir plaiſirlich; und eiferſüchtig darfſt Du nicht ſein, kein Menſch theilt dies Vertrauen dies tiefere zu Dir, — drum aber, bin ich auch eifer¬ ſüchtig auf Dich, und oft auch bang, denn nicht allein die Menſchen ſind mir im Weg, ich fürchte auch jeden Zufall, jede Laune von Dir, jede Zerſtreuung, ich möchte Dich immer heiter wiſſen. Wenn Du Kopfſchmerzen hat¬ teſt, ſo ſeh ich mich noch nach ihnen um, wie nach fre¬ chen Gewalten die ich noch auf dem Rückzug verfolgen möcht. — Wenn einer mir ſchreibt Du ſeiſt ſtill oder man habe Dich nicht geſehen, oder man glaube Du ſeiſt nicht in der Stadt, das alles kümmert mich, ſo leichtſinnig ich bin, und ſo bald ich drauf vergeſſe ſo kommt mir die Idee leicht wieder, und ſteigert meine traurige Gedanken über Dich, denn die hab ich als oft, das iſt wahr.
Mein Lehrer in der Mathematik iſt mein alter Herbſt-Jud. Morgens an meiner Thür in einem ſchwar¬ zen Kleid, weißem Kragen und der Bart ſpiegelglatt, ſtand er an meiner Thür und fragte um Erlaubniß mich zu beſuchen, ich freute mich über ihn, er ſieht ſo viel208 edler aus als die andern Menſchen mit denen man täg¬ lich verkehrt, die man in großen Verſammlungen ſieht; ich hab im Schauſpielhaus mich oft vergeblich nach ei¬ nem erhabnen Geſicht umgeſehen. Er ſetzte ſich auch gleich in anſtändiger Bequemlichkeit an den Tiſch den Arm drauf legend, merkte meine Verwundrung über ſeine Angenehmheit, lächelte mich an und ſah aus wie ein Fürſt, — ich fragte: wo ſind Sie denn ſo lang ge¬ weſen? — Nun! ſagte er, was reden Sie doch ſo fremd, bin ich nicht noch der Alte? — heiß ich nicht mehr: Lieber Jud? — ich mußt ihm die Hand reichen, ich ſagte, Ja! — hätteſt Du nur die ironiſche Miene geſe¬ hen in dem erhabnen Geſicht und das milde herablaſ¬ ſende Lächeln zu mir; — er ſagte: nicht aus jedem Mund gefällt einem das Ihr oder Du mit dem der Jude ſich muß anreden laſſen, aber Ihrem laſſe ichs nicht gern abgewöhnen. — Dir hätte der Mann ſo viel Freud gemacht Günderod, er erzählte nur Gewöhn¬ liches aus ſeinem Leben, von ſeinen ſiebzehn Enkeln wie die ſich gefreut haben ihn wieder zu ſehen; ich frug nach allen, wie alt ſie ſind, wie ſie ausſehen; da ſind ihm doch die Fünf die Vater und Mutter verloren haben die liebſten, von denen ſagte er, „ der älteſte der gleicht mir, man erkennt ihn ſchon von weitem für meinen En¬209 kel, “— und der Zweite? — „ der ſchlägt ganz nach mir der hat für nichts Sinn wie für die Mathematik und hält ſich ſo apart. “— Wie iſt denn der Dritte gleicht der Euch auch? — „ Der iſt noch ein klein Jüngelchen aber er verläugnet den Großvater nicht, und die Töch¬ ter ſind ſchon ſo hülfreich die eine iſt dreizehn und die andre elf Jahr, aber ſie ſorgen fürs Haus und für die Kleidung. “— Das waren alles gewöhnliche Reden, aber wie erfüllt von Herzlichkeit — ganz wie die Na¬ tur mit[Enthuſiasmus] Sorg und Plage tragend. — Er war früher blos Lehrer der Mathematik, und lehrte in Gießen, in Marburg die Studenten, und in der Ferien¬ zeit ging er nach Haus zu den Seinen. — Zwei Söhne, und eine Tochter verheirathet; ſeine Tochter ſtarb nachdem ſie ihren Mann begraben hatte den ſie ſehr liebte, und ließ die fünf Kinder zurück. — Der alte Ephraim konnt keinen andern Erwerbszweig ergreifen ſie zu ernähren, als an den er von Jugend gewohnt war, der ſeine Lei¬ denſchaft iſt — worüber er ſo manches Schmerzliche hat vergeſſen, ſagte er, — ſo iſt er denn auf dem Heimweg in den Ferien, in den nächſten Orten herumgeſchlendert und hat alte Kleider eingehandelt um die ſeinen Enkeln mitzubringen, denn ſie neu zu kleiden dazu wollte ſein Erwerb nicht hinreichen. Nach und nach hat ſich der210 Handel erweitert, alte Hochzeitkleider aus dem vorigen Jahrhundert, verlegne altmodiſche Spitzen die die Kauf¬ leute nicht mehr abſetzen verhandelt er jetzt nach Polen, ſo war er diesmal in Leipzig — und hat ein ſehr gut Geſchäft gemacht, — Du hörſt, ich hab einen ganz kaufmänniſchen Styl — Ich möcht mit dem Alten Com¬ pagnie machen und die Enkel ernähren helfen, weil aber das doch Schwierigkeit hat, ſo hab ich einſtweilen ma¬ thematiſche Stunde bei ihm, das macht ich ganz kurz, ich ſagt ihm: da komm nur die Woch auch zweimal zu mir, denn ich muß Mathematik lernen, er lachte und wollts nicht glauben, ich holte ihm aber meine ma¬ thematiſchen Bücher hervor, die Chriſtian mir hier ge¬ laſſen, und mein Heft was ich bei dem Chriſtian ge¬ ſchrieben, das gefiel ihm ſehr, denn es war meiſt alles vom Chriſtian dictirt, der wohl der ſcharfſinnigſte Menſch von der Welt iſt. — Jetzt hab ich ſchon drei Stunden ausgehalten, und auch allemal ſeine Aufgaben richtig gemacht, denn ich hab Reſpekt vor dem Alten, ich möcht um alles nicht ihm die Idee geben als ſei ich ein flatterhafter Schußbartel, wie mich die andern nennen, woran mir gar nichts liegt, aber an Ihm liegt mir, weil er ſo ganz ohne Überſpannung doch nicht an meinem Ernſt zweifelt, weil er eine ſo ſchöne Liebe zu ſeiner Wiſſen¬211 ſchaft hat, daß er die für gering achten muß die das nicht mitfühlen. Und meine Du was Du willſt; aber Du wirſt mir recht geben, daß unter ſolchem Druck un¬ ter ſo erniedrigenden Bedingungen der Adel des Lebens ſo frei und untadelhaft bewahrt, daß ſie nicht einmal durch das niedrigſte Geſchäft ſich gebeugt fühlt für eine hohe Seele ſpricht; daß ſie um ſo mehr Recht hat auf unſere feierliche Achtung als ſie vielleicht dem Äu¬ ßeren nach, der Mißdeutung der Verachtung ausgeſetzt iſt; er nannte mich geſtern ſein liebes Töchterchen, und legte mir die Hand auf den Kopf wie er wegging; ich hielt ſo ſtill, er ſtrich mir über die Wangen und ſagte: Ja ſo! — das hieß ſo viel: nun in dir ruht der Men¬ ſchenkeim. — Er kommt zwiſchen drei und fünf, da wirds ſchon dämmerig wenn er geht, ich führte ihn durch den Garten und zeigte ihm den Thurm, von wo ich die Lande überſeh. — Da kann kein Menſch hinauf wie ich, denn ſeht die Leiter iſt zerbrochen, ſagt ich, — und ich hab ihm vorgetragen wie mirs geht mit dem Generalbaß, er ſagt das wär weil ich nicht alles zu gleicher Zeit überſchaue, warum meine Begriffe ſtockten; und manches woran Menſchen ihr Lebenlang kauten, das müſſe von andern in einem Blick erfaßt werden, ſonſt ging Zeit und Müh verloren; ich ſagte, mir ſei bang ſo werde es mir auch212 ergehen. „ Ich hab doch in meinem Leben noch keine kleine Eichel geſehen der bang war es werde kein Baum aus ihr wachſen, “gab er zur Antwort; und dabei legte er mir wieder die Hand auf den Kopf und ſagte ſo freund¬ lich: „ jetzt haben wir die Eichel in die Erde gelegt und gedeckt und jetzt wollen wir ſie ruhig liegen laſſen und ſehen was Sonne und Regen thut. “— Du glaubſt gar nicht wie fabelig mich der Mann macht, zu den an¬ dern darf ich nicht von ihm ſprechen, das kannſt Du wohl denken, denn ſonſt würde meine Andacht mir für Verrücktheit ausgelegt werden; aber die Patriarchen¬ würde ſtrahlt mich an aus ihm, und ich ſpreche der gan¬ zen Welt Hohn, daß ſolche einfache große und heilige Charaktere nicht Platz finden unter ihren Lapalien, und überhaupt geh ich nach Vornehmheit, und dieſe hat der Mann; und ſeh doch nur einen auftreten in der menſch¬ lichen Geſellſchaft, ob nicht aller mühſelig erzwickter Rang ihn ſo des geſunden Verſtandes beraubt, daß er nur als Narr ſich ſelbſt genug zu thun glaubt. — Weiſe ſein kann keiner der der Narrheit eine höhere Überzeugung opfert, denn aller Verſtand deucht mir ein Spiel von Aberwitz, wenn der heiligen Weisheit nicht alle Opfer gebracht ſind. Das meine ich ſo: wenn nicht alle äußeren Vortheile, Würden und Ruhm, nichts gel¬213 ten vor dem inneren Ruf zum Göttlichen. Ich bin noch jung, mir kommt es wohl noch einmal daß mich das Schickſal frägt, — und da werde ich des alten Han¬ delsjuden Ephraim gedenken. — O pfui, wer ſeinen Umgang wollte richten nach dem äußeren Rang, von Vorurtheilen ſich wollte Feſſeln laſſen anlegen; und mit denen prangen! — der einzige Stolz den ich habe, der iſt frei ſein von ihnen, — und der ſchon auf andern Wegen ſeinen Vortheil ſucht als in der heiligen Über¬ zeugung ſeines Gewiſſens, der iſt nicht mein Geſelle. — Aber der Jude der giebt mir keinen Anſtoß der iſt frei von allem. —
Adieu. Bettine.
Noch eins ſetz ich hier hin: Alles was Dir geſchieht ſoll Dein Geiſtesleben befördern, — ſo, auf die Weiſe begreif meinen Umgang mit dem Juden.
214Ein mathematiſcher Vergleich vom Jud: Begeiſte¬ rung iſt ein Reich des Seyns das wir zwar aus der Wirklichkeit verbannt haben, aber in dem wir ſeine Ge¬ wißheit fühlen. — Wie könnte dies Reich nicht wahr¬ haft ſein da der Geiſt die Wirklichkeit verläßt, denn wo ſoll der Geiſt leben als in der Begeiſterung, da er im¬ mer nur lebt wenn er begeiſtert iſt. — Aus dieſer Schlu߬ folge legte er mir nun aus was er von mir gefaßt wollte wiſſen, — und ich ergriff ſeine Hand und ſagte: ach Ephraim jetzt weiß ich wer Ihr ſeid, Ihr ſeid der Socrates. — „ Ich bin der Socrates nicht, aber er iſt ein Stück von meiner Religion. “— So? — ſagt ich, habt Ihr ihn ſtudirt; wie ſeid Ihr denn dazu ge¬ kommen? — „ da könnt ich ja wohl fragen, wie iſt ein ſo junges Töchterchen dazu gekommen von ihm zu wiſ¬ ſen, “— ich hab ihn der Günderode ſtückweis vorgeleſen, aber ich war zerſtreut, und weiß nichts von ihm als nur daß er ſolche Schlußfolgen macht wie Ihr. — „ Wer iſt die Günderode? “— Meine Freundin der ich alles215 von Euch erzähl und auch daß Ihr mich gefangen habt, wie in einem Hamen, daß ich lernen muß, und daß Ihr der einzige Menſch ſeid vor dem ich Furcht hab. — „ Wenn das nur wahr wär, ſagte er, ſo wollt ich noch ſtrenger ſein. “— Ach nein! zerreißt den Hamen nicht, er iſt gar fein gewebt laßt dem Fiſch Platz daß er ein Biſchen ſchnalzen kann. — Das macht ihm nun ſo viel Vergnügen ſo ein Weilchen mit mir zu ſprechen, — er ſagte: „ das iſt alles gut, aber wir wollen einan¬ der nicht umſonſt kennen gelernt haben, und Sie ſollen manchmal noch des alten Ephraim Spuren in Ihrem Geiſt verfolgen wenn er ſchon lange nicht mehr lebt, “— wahrlich ich hatte auf der Zunge ihm zu ſagen, daß ich ihn unausſprechlich liebe und daß mir an ſeinem Segen mehr gelegen ſei als an der ganzen Welt; aber ich ſchwieg ſtill, was ſoll man ſo was ſagen, er ſiehts ja, und fühlts auch gewiß innerlich als Wahrheit. Ich frag ihn alles, was mir in den Kopf kommt mir deucht gar nicht das es möglich ſei daß ihm ſein Geiſt nicht alles klar und deutlich mache, — nur ſcheu ich mich ihm zu ſagen wie ſehr ich ihm vertrau, geſtern ſprachen wir vom Napoleon, ich ſagte mit Euch wollt ich Schlachten gewinnen! — ich hab mir oft gedacht wenn ich Feldherr wär und von meiner Gegenwart des Geiſtes alles ab¬216 hing, daß ich alles verantworten müßt, ob ich da nicht zwiſchen Begeiſtrung und Furcht ſchwanken würde; aber wenn ich Euch an der Seite hätt dann wollt ich mei¬ ner Entſchloſſenheit gewiß ſein. — „ Warum? — trauen Sie mir ſo viel Muth zu? — hab ich ihn doch noch nie bewieſen, und vielleicht noch nicht Gelegenheit gehabt ihn zu proben, denn des Juden Weg iſt, ſich zwiſchen Dorn und Diſteln durchzuſchleichen, mit denen der Chriſt ihm die Straßen verhackt und er muß ſich ſcheuen daß die Hunde wach werden die in die Dornen hinein ihn verfolgen daß er nicht mehr vor - noch rückwärts weiß, und oft im Schweiß ſeiner Mühen zu Grunde geht, und was noch trauriger iſt, — ſeinen Gott nicht mehr im eignen Herzen findet, “— und er faltete ſeine Hände und verfärbte ſich, — er iſt eine fein organiſirte Seele, — es bewegte mich, ich ſagte: Ich hab nicht an Euren Muth dabei gedacht, aber mir deucht in Euer Antlitz zu ſehen das würde meine zerſtreuten Gedanken ſam¬ meln, und meine Entſchloſſenheit feſtmachen wie einen Pfeiler, denn ich würde nie vor Euch beſchämt ſtehen wollen; und dann fühl ich daß Ihr in der Gefahr wach¬ ſen würdet, denn Ihr würdet gewaltig ſein wo es des Geiſtes bedürfte, weil böſe Leidenſchaften in Euch ab¬ weſend ſind und Euren Geiſt nicht hindern gegenwärtigzu217zu ſein, denn ich glaub Gegenwart des Geiſtes hat man nur der Abweſenheit der Leidenſchaften zu danken die einem ins Handwerk pfuſchen. Aber Ihr ſeid vollkommen ruhig und habt doch Euren Zweck im Auge, und ſteht über den Vortheilen des Lebens, und habt Jahre und ſeid ſo feſt ſo ernſt ſo gar nicht ermüdet von den ſtrengen Prüfungen, Ihr klagt nicht, Euch iſt das Leben gerecht wie es Gott Euch gab; das iſt Weisheit, mein ich. — Und doch iſt der Ephraim nur ein Han¬ delsjude, ſagte er, — ja, aber ihr habt euer Leben zum Tempel gemacht und ſeid hoher Prieſter darin. — Das Geſpräch führte noch weiter, und endlich dahin — was ich mir für Dich aufſchrieb: —
„ Daß der Leib in ſich begeiſtigt iſt — einen Geiſt in ſich habe, erkennen wir darin, daß er ſich geheiligt em¬ pfindet im Denken. — Ein Denkender, ein geiſtig Er¬ regter hat einen geheiligten Leib. “
Dies war das letzte von unſerem Geſpräch, was dazwiſchen lag, weiß ich nicht mehr; — aber auf dem Thurm, in der kalten Winternacht plauderten die Sterne weiter mit mir:
„ In der Liebe iſt das erſte was wir weihen der Leib, — und dies iſt die Wurzel und der Keim der Liebe — und ohne dieſe Weihe wird keine Liebe beſtehen, ſieII. 10218welkt wie eine Blume die man bricht, aber durch dieſe Weihe, mit Ihr, muß die Liebe beſtehen, jede Erkenntniß des Höheren fängt mit dieſer Weihe an; wenn der Geiſt göttlich empfindet, das heiligt den Leib. “
„ Jedes Annähern im Geiſt ſucht den Sitz des Gei¬ ſtes im Innerſten und das empfindeſt Du umgeben vom Leib, — wie Du die Tempelhalle geweiht achteſt, von der Du weißt daß inner ihren Mauern die Opferflamme lodert. “
„ Der Tempel ſtellt den eignen Leib dar, und des Gottes Lehre den eignen Geiſt. “
„ Den Geiſt des andern empfinden, ſo wie der ſich ſelber empfand als er dachte, das befruchtet den Geiſt. “—
„ Verſtehen iſt unmittelbares Berühren der Geiſter, und dies iſt Lebendigſein, erzeugt ſelbſtſtändig Leben, und alles andre iſt nicht Verſtehen, — und der geringſte Keim ſelbſtſtändig in der Bruſt, iſt Offenbarung. “
„ Drum befruchtet das wahre Verſtehen den Geiſt. “
„ Fürchte nicht daß Deine Liebe verloren ſei, die Geiſter tragen ſie hin wo ſie wirkt, wo ſie erzeugt, wo ſie ins Leben eindringt des Geiſtes. — Und das iſt ja der Liebe einziger Bedarf, aufgenommen zu ſein; und was nicht ihrer Empfängniß fähig iſt, das iſt auch nicht der Liebe Gegenſtand, drum fürchte nicht daß die Liebe219 ihr Ziel nicht fände, alles wahrhafte Leben hat ein Ziel. “
„ Alſo haſt Du eine lebendige, aus der Großmuth entſprungne Liebe, ſo verfehlt ſie nicht ihr Ziel, denn es liegt in ihr ſelber, wie der Athem in der Bruſt liegt. “
„ Alle Handlung die nicht Großmuth iſt, iſt Lüge, iſt Scheinleben; alles was nicht Geiſt iſt, iſt Lüge — Großmuth muß Scheinleben in wahres Leben ver¬ wandeln. “
„ Was iſt Großmuth? — Geiſt! — Denken Handeln und Fühlen zugleich. — Großmuth muß aus dem tiefſten Geiſt ſich entwickeln, — Geiſt um¬ faßt alles, jede Regung fließt aus ihm. Jemehr Du Geiſt ausſtrömſt, jemehr ſtrömt er Dir zu. “
„ Großmuth iſt recht eigentlich ſinnlicher Geiſtes¬ ſtrom, alles was die Großmuth hemmt iſt geiſtlos. “
Das waren ſo die Nachzügler von meinem Geſpräch mit dem Juden. Bin ich nicht glücklich, Günderode, daß mir Gott einen ſolchen an die Thür geſchickt hat in ſo verachteter Geſtalt, und daß ſeine Hoheit um ſo mehr drunter hervorleuchtet? — und der mir zu trinken giebt wo mein Herz lechzt und nicht die Quelle finden konnt,10*220denn gewiß dieſer Mann beſchenkt mich fürſtlich und ich kann ihm nicht vergelten, und er hat mich gewiß auch ſo lieb wie ſeine Enkel, für die er mit Herz und Seele ſorgt. Er gefiel mir gleich ſo wohl wie ich ihn zum erſtenmal ſah, er zog mich an und ich ſcherzte freundlich mit ihm weil ich ihm wohl thun wollte, da ich weiß daß niemand freundlich mit ſolchen Leuten iſt, und nur ihrer ſpottet, — jetzt aber denk ich jedes¬ mal wenn ich ihn ſeh, wie hoch er über mir ſteht und wie gütevoll und herablaſſend er gegen mich iſt, er auch behandelt mich wie der Meiſter ſeinen Zögling, ich fühl jeden Augenblick ſeine Übermacht. — Während ich mit ihm rede, ſchreibt er immer kleine Sätze ins mathe¬ matiſche Heft, die er mir noch zuletzt anweiſt wie ich ſie herausfinden ſoll, das macht daß unſer Geſpräch ſich in Pauſen eintheilt, und feierlich und langſam iſt, das macht mir auch ſo viel Freud. —
Wenn ich zu Savigny hinunter komm, da bin ich immer ganz ausgelaſſen luſtig vor heimlicher Freud daß ich einen ſo liebenswürdigen Meiſter hab dem ich ſo von Herzen zugethan bin, ich würde für ihn durchs Feuer laufen, — für Dich auch — ich hab immer die Studenten drum beneidet wenn ich mir dacht daß ſie ſo ein Verhältniß zu ihrem Profeſſor haben, daß ſie ſo221 ſtolz drauf ſind ſeine Schüler zu ſein, und ihm die Stange zu halten; damit mein ich daß ſie ſich ihm wid¬ men mit ihrem ganzen jugendlichen Enthuſiasmus. — Es iſt nichts ſchöneres in der ganzen Welt als dies. Wär ich ein weiſer Meiſter; wenn mir die Stu¬ denten aus vollem Herzen ein freudig Lebehoch bräch¬ ten, wenn ſie im Fackelzug anmarſchiert kämen, ja das wär mir am liebſten von allen Ehrenkränzen. — Der Ephraim hat ſo einen Charakter der imponiren und die Schüler anziehen muß, wenn der Philoſoph wär, was er doch eigentlich iſt, ſo müßten die Schüler mit Leidenſchaft an ihm hängen, — er ſagt, meine Schüler lieben mich auch, aber die Vorurtheile liegen wie unerſteigliche Berge zwiſchen uns. — Savignys fragen als: nun war Dein al¬ ter Mathematicus bei Dir, haſt Du wieder Judenweis¬ heit ſtudiert? — biſt Du heut wieder klüger wie die an¬ dre Menſchheit, hat Dich Dein Jud eingeweiht? — ich ſag ja und lach mit, und freu mich daß ich allein alles weiß von ihm, — ich will Dir was ſagen, ich hab ihm die Manen vorgeleſen und ihn gefragt dar¬ über manches, er hat mit Bleiſtift drunter geſchrieben: „ Du ſollteſt Geiſter rufen und ſie ſollten Deinem Ruf nicht folgen? — das glaub nimmer. “
Wenn ich Abends auf den Thurm geh, an Tagen222 wo er da war, ſind die Gedanken die mir da oben von den Sternen kommen, immer ſo übereinſtimmend mit ſeinen Reden daß ich manchmal meinen muß ſie hättens ihm eingegeben für mich. — Solche Gedanken die mir lieb ſind ſchreib ich in ein Buch, um die ſchönſten draus zu wählen und Dir zu ſchreiben; am Tag vorher als ich vom Thurm kam — es war ſpät ich war müde, und ſchrieb eilig ohne mich zu beſinnen was mir noch im Kopf ſchwärmte von da oben:
„ Darum iſts auch oft, warum das Göttliche nicht in uns haftet, weil wir ſelbſt ſchlecht werden, indem wir mit dem Böſen ſtreiten; wir wurden boshaft indem wir das Böſe verfolgten. “—
„ Gott hat den Adam nicht aus dem Paradies ver¬ jagt, der Adam iſt ihm von ſelbſt entlaufen. Wo könnt ein Engel eine gottgeſchaffne Kreatur aus dem Para¬ dies jagen wollen? — Alles Göttliche iſt Steigen, was nicht mitſteigen kann das ſinkt. “
„ Wo könnte aber das Göttliche aufſteigen, wenn nicht aus dem Ungöttlichen? — Wie könnte das Gött¬ liche vom Ungöttlichen ſich ſondern wollen? — nein, es iſt recht ſeine göttliche Natur, ſich nicht von ihm zu ſondern; es miſcht ſich mit ihm, und reizt es, des Gött¬ lichen inne zu werden, nur Verachtung löſt ſich ab vom223 Göttlichen, nur der Tod löſt ſich ab, und vieles iſt der Tod ſelbſt, wodurch die Menſchen ſich vom Ungöttlichen abſondern wollen, — ſich des ewigen Lebens theilhaftig machen wollen. “—
„ Die Freiheit muß zur Sclavin werden des Scla¬ ven, ſie muß ſich dem Sclavenſinn erobern, wie könnt ſie ſonſt Freiheit ſein? — in was kann Freiheit ſich ausſprechen, als im Gebundenſein, und unterworfen dem göttlichen Trieb, das Ungöttliche Göttlich zu machen! — Wer iſt mächtig die Ketten zu tragen, wenn nicht die Freiheit? — und wer kann die ohnmächtigen Sinne beleben als nur das Leben ſelbſt? “—
„ Man ſagt zwar, das Göttliche vertrage nicht das Ungöttliche, aber es muß alles vertragen können, nur in ewigem Verwandeln in ſich, beſteht das Göttlich¬ ſein. “
Das hab ich heut auf dem Thurm gelernt und dann hab ich noch gedacht:
„ Wenn Du Dich im Geiſt begegneſt mit dem, was Du liebſt, ſo trete auf im Schmuck Deiner Begeiſtrung, ſonſt würde es Dich nicht erkennen. “
„ Daß Dich der Geliebte berühre im Geiſt, kann nur aus Begeiſtrung geſchehen, ſo kann auch nur Begei¬ ſterung zu ihm reden. “—
224Als ich den Ephraim begleitet hatte, ging ich gleich auf den Thurm, obſchon das nicht gilt wenn die Sterne noch nicht am Himmel ſtehen; aber ich mochte nicht wieder ins Haus, es war mir zu behaglich in freier Luft. Fühlſt Du das auch, das Glücklichſein, blos weil Du athmeſt, — wenn Du im Freien gehſt und ſiehſt den unermeßlichen Äther über Dir — daß Du den trinkſt, daß Du mit ihm verwandt biſt, ſo nah daß alles Leben in Dich ſtrömt von ihm? — Ach was ſuchen wir doch noch nach einem Gegenſtand den wir lieben wollen? — gewiegt, gereizt, genährt, begeiſtigt vom Leben — in ſeinem Schooß bald, bald auf ſeinen Flügeln; iſt das nicht Liebe? iſt das ganze Leben nicht Lieben? — und Du ſuchſt was Du lieben kannſt? — ſo lieb doch das Leben wieder, was Dich durch¬ dringt, was ewig mächtig Dich an ſich zieht, aus dem allein alle Seligkeit Dir zuſtrömt; warum muß es doch grade dies oder jenes ſein, an das Du dich hingiebſt? — nimm doch alles Geliebte hin als eine Zärtlichkeit, eine Schmeichelei vom Leben ſelbſt, häng mit Begeiſtrung am Leben ſelbſt, deſſen Liebe Dich geiſtig macht; — denn daß Du lebſt das iſt die heiße Liebe des Lebens zu Dir; Es allein hegt in ſich den Zweck der Liebe, es ver¬ geiſtigt das Lebende, das Geliebte. — Und alle Kreatur lebt von der Liebe, vom Leben ſelbſt.
225Ja, ſo ein Gedanke, Günderode! einer könnt fragen ob er nicht Einbildung ſei? — aber mich kümmerts nicht ob alle es nicht glauben, ich bin mir genug und brauch keine Beglaubigung dazu. Tiefere Wahrheit erkennen iſt ja das Leben verſtehen, — ſo empfindet man ja daß große Thaten die ſchönſten Momente des Lebens ſind; alſo ein wirkliches heißes Umarmen mit dem Leben ſelbſt. Solche himmliſche Momente aus denen ſich nach¬ her die Gewißheit der Liebe ergiebt. — Ja eine große That allein iſt Feier der Liebe mit dem Leben, und ſind die Menſchen nicht lebentrunken wenn ſie groß gehandelt haben, wie der Liebende trunken iſt vom Genuß, von der Gewißheit geliebt zu ſein? — iſt das nicht jene Selig¬ keit, deren jeder andere baar iſt der nicht den Muth hat der heiligen Inbrunſt des Lebens ſich liebend hin¬ zugeben, und an der großen That vorbeiſchleicht? — ja was iſt der innere Genuß ſolcher Beglückter, als trunken ſein von Begeiſtrung die zu ihnen ſtrömt als Gegenliebe; denn rein und groß ſein im innerſten Gewiſſen, das iſt von dem Leben durchdrungen ſein. —
Man ſagt die große That belohnt ſich ſelbſt, oder, er hat den Lohn in der eignen Bruſt, — und ſo iſt kei¬ ner zu ermeſſen in deſſen Bruſt dies Verheißen ewiger Inbrunſt zwiſchen Leben und Lebendem dieſen Lohn er¬10**226zeugt. Es iſt der einſame tiefverborgne Glücksmoment der keinen Zeugen hat, der nie ſich nachfühlen läßt, den jeder wahrhaft Liebende verſchweigt, der ihn über alles Erdenſchickſal hebt, und der auch, über alles was in der Welt anerkannt wird, ihn ſtellt, was ihm das Gepräg des Erhabnen giebt.
Ja die Großthaten, die leidenſchaftlichen Küſſe des Lebens laſſen einen ſichtlichen Eindruck zurück der ſich ſelbſt, ich will's glauben, auf Kinder und Kindskinder vererbt, denn wo käme der Adel her? — iſt der nicht aus der heiligen Kraft entſproſſen wo das Leben mit ſeiner Liebe den Geliebten errungen hat? — dies heimliche inner¬ liche Genießen einer den andern ungekannten Seligkeit? wo man alles aufgiebt blos um dem Liebenden — dem Leben zu genügen? — ja das muß wohl auch in der Erſcheinung — im Leib ſich abdrücken; und man könnte darauf kommen in den Geſichtern alter Geſchlechter nach¬ zuſpüren, was wohl für eine Art von Begeiſtrung den Keim zu dieſen veredelnden Zügen zu dieſer erhabnen Vornehmheit legte, ob es kühnes Thun, muthiges oder ſelbſt verläugnendes war, was dieſe Liebesopfer einſt vom Ahnen heiſchten, — das iſt mir ſchon bei Arnims Zü¬ gen eingefallen, — und ein Mann göttlicher Leiden¬ ſchaft fürs Leben der iſt ein Gründer des erhabenſten227 Geſchlechts, der iſt ein Fürſt unter den Menſchen und ſollte er ſelbſt in Lumpen unter den Menſchen wandeln, und wer vor dieſem Adel nicht Ehrfurcht hat, das iſt der Pöbel der nimmer zum Adel taugt, weil er das ver¬ kennt was ſein Urſprung iſt, ihn alſo nicht in ſich er¬ zeugen kann, er nenne ſich Fürſt oder Knecht. — Das war mein Geſpräch heut mit den Sternen.
Dienſtag.
Heute iſt der ſiebente Tag daß ich meinen erſten Brief abſchickte, am Samſtag der zweite und heut? — ſoll ich dieſen ſchließen und Dir ſchicken? — ich mein als, es ſei Dir zu viel vielleicht, — das wird aber nicht, ich hab Dirs verſprochen Dir alles von da oben zu ſchreiben. Du haſt mich mehrmals dazu aufgefordert, was kann ich davor daß mir ſo viel in den Kopf kommt, oder vielmehr in die Feder, denn wenn ich glaub mit einer Zeil fertig zu ſein, ſo bring ich die ſelbſt nicht aufs Papier vor ſo viel hundert andern die ſich dazwi¬ ſchen drängen. So hatt ich geſtern im Sinn, wie es doch ſo dumm iſt wenn man ſich über ſein eigen Leben wollt beſinnen und glauben, es läg ſchon hinter einem was228 doch noch nicht der Anfang iſt vom Leben ſondern nur der Grund, die Veranlaſſung dazu. —
Wenn der deutſche Kaiſer gekrönt iſt, vom Dom bis zum Römer über eine Bahn von Scharlachtuch geht, ſo fällt das Volk dicht hinter ihm über das Tuch her und ſchneidet es unter ſeinen Tritten ab, zerreißts in Fetzen und theilt es unter ſich, ſo daß wenn er auf dem Römer ankommt ſo iſt nichts mehr von der Scharlachbahn zu ſehen. So ſcheint mir auch aller Lebenseingang, wie die rothe Kai¬ ſerbahn, gleich nach jedem Schritt aufgehoben und Nichts ſein, bis das Leben Dich wie den Kaiſer, in ſo große Verpflichtung nimmt daß kein Augenblick mehr Dein gehöre, ſondern Du ganz im Leben aufgeheſt, da kannſt Du erſt Deines Lebens Anfang rechnen, dann aber hebt ſich das Sterbenwollen von ſelbſt auf. Alles Leben was ſich mit Dir berührt hängt von Dir ab, aber Du biſt kein abgeſondertes Leben mehr, — und wirkliches Leben iſt ein Ausſtrömen in alles, das läßt ſich nicht aufheben, — wies mich verwundert hat, wie Du ſagteſt, viel lernen und dann ſterben, jung ſter¬ ben! — es kam mir in den Sinn; als hätt ich wohl meine Zeit ſehr vernachläſſigt, daß ich nun ſchon ſo alt ſei und noch gar nichts gelernt, ſo würd ich wohl das Jungſterben bleiben laſſen müſſen, oder lieber gar229 nichts lernen. — Aber die kaiſerliche Scharlachbahn! — ich ſag Dir, alles was Du Dir vom Leben abſchneiden kannſt iſt blos das Präludium dazu, und das hebt ſich von ſelbſt auf, es iſt vielleicht ein idealiſcher Voranfang; — willſt Du mit dieſem das Leben aufheben? — das heißt den Kaiſer mit ſammt dem Tuch zerriſſen. — Und doch iſt das ganze Leben nur, daß Du eine Ehrenbahn durch¬ wandelſt die Dich wieder ins Ideal ausſtrömt. Ich fühls, wie kann man zu was Höherem gelangen, als daß man ſich allen Opfern, die das Leben auferlegt, willig hingebe, damit der Wille zum Ideal ſich in das Leben ſelbſt verwandle, — wie kann man Selbſt werden als durch Leben? — und ſo muß man auch willig das Alter ertragen wollen, und die ganze Le¬ bensaufgabe muß aufgenommen ſein, und kein Theil derſelben verworfen. — Wenn Du früh ſterben willſt, wenn Du es unwürdig achteſt weiter zu gehen, wirſt Du damit nicht jeden ſchmähen der ſeine Lebensbahn nicht aufhob? — Die da mühſelig ihre Laſt tragen, ſind die zu ſchmähen? — Heldenthum iſt höher als Schmach! — Vor der Philiſterwelt die meinen Geiſt doch nicht begreift, ſchäm ich mich nicht für ſie nicht Jugend zu ſein, die von den heiteren Frühlingstagen nichts weiß welche der Geiſt durchlebt. — Weißt Du was ſchlecht230 iſt im Alter? — wenn es ein Aufbau ein Übereinan¬ derthürmen rumpliger Vorurtheile geworden, durch das die heilige Anlage der Jugend nicht mehr durch¬ dringt, aber wo der Geiſt durch alles gehäufte Elend des Philiſterthums, dieſer ganz unwahren aber wirklichen Wahnwelt, durchdringt zur Himmelsfreiheit zum Äther und dort aufblüht, da iſt Alter nur das kräftigſte Le¬ benszeichen der Ewigkeit. — Mir ſcheinen alle Menſchen um mich wie Nichts, oder doch eine geringe und unzu¬ verläſſige Gattung von Naturen, eben weil der Geiſt nicht in ihnen liegt die höchſte Blüthe im Alter zu er¬ reichen, — eine zernagte Blüthe. — — Aber der Ephraim deucht mir eine vollkommne Geiſtesblüthe die jetzt im Frühlingsregen ſteht; die Tage ſind lau, aber trüb, — aber die Ahnung iſt voll himmliſchem Jugendreiz, die andern fühlen und ſehen ihn nicht, wo ſteht aber auch je ein Philiſter bei der knoſpenden Zeit ſtill, voll Schauer, voll Gebet zur erwachenden Blüthe? —
Was wars alſo mit Deinem früh ſterben wollen? — wem zu gefallen willſt Du das? — Dir ſelbſt zu Lieb? — alſo rechneſt Du die ſcharlachne Kaiſerbahn für Deine Jugendblüthe, blos weil ſie ſo glanzvoll ſchimmert, aber ſieh doch, die Welt achtet ſie ja nicht, ſie zerreißt ſie in231 Fetzen, und Du ſtehſt an ihrem End, und iſt nicht mehr eine Spur davon, und da willſt Du Dich mit zerreißen? aber der Trieb zu blühen iſt erſt dann wahre Geiſtes¬ eingebung, wenn jene Scheinblüthe Dich nicht mehr täuſcht, wenn Du die Blüthe ganz aus Dir ſelbſt er¬ zeugſt, dann will ich ſagen: ja, Du biſt der Geiſt des Frühlings, — aber muthlos das Leben verwerfen iſt nicht Jugendgeiſt, — ach ich fühle wohl daß ich hier weit mehr Recht hab wie Du und daß ich Dir Trotz bieten kann; aber ich weiß auch daß Du die tiefere Geiſteswahrheit die in meinem Vergleich liegt, deutli¬ cher wahrnimmſt als ich, und daß Du gewiß Gewalti¬ geres ahneſt als ich begreife. Es geht immer ſo zwi¬ ſchen unſeren vertrauungsvollen Reden daß ich ſtottere und daß Du mir dann reiner begreiflich machſt was ich wollte. — Mir ſteht hier nur der Jude vor Augen, der über die ſinkende Blüthe der Eltern hinaus, die ſchweren Lebensbedingungen erfüllt, jeden mühevollen Weg zur Erhaltung der Enkel macht, keinen Tag mehr als den ſeinen verlebt, nicht um ſich ſelber ſich küm¬ mert, in der Tagshitze zu den Seinen hinwandernd, ſich mühſam beugt, um die Broſamen zu ſammeln auf dem Weg und ſie den verwaiſten Kindern zu brin¬232 gen. — Sein Weg war ſonſt Wiſſenſchaft, Studium der alten Sprache, Philoſophie; und nun! — wirft ihn das Geſchick hinaus aus der Bahn, durch ſeine Aufga¬ ben die mehr mit dem wirklichen Leben zuſammenhän¬ gen? — mir deucht nicht. — mir deucht es ſei die erſte heilige Blüthezeit ſeines jugendſproſſenden Geiſtes, — ſo iſt er auch friedevoll und ruhig im jungen Sonnen¬ licht keimend und treibend, lebenswarm iſt der Boden, die Luft und ſein Wille und ſein Denken, — und was er ſagt iſt wie die Rebe in die der Saft ſteigt einſtiger Begeiſterung, — und ich weiß nichts mehr von Veral¬ ten, Verwelken, ſeit ich dieſen Mann angeſchaut hab; jeder Tag auf Erden iſt ein Steigern der Blüthebegei¬ ſtigung, ſo nenn ichs, in der Eil weiß ichs nicht anders auszudrücken — und der letzte Tag iſt immer noch le¬ bentriebvoller wie der vorletzte. Wie es auch ſei, es iſt ein ewig Vorrücken in den Frühling; — und unſer ganz Leben glaub ich, hat keinen andern Zweck. —
Die Sterne haben mirs geſagt für Dich. —
233Es iſt ja noch gar nicht ſo lang daß Du mir ge¬ ſchrieben haſt, es ſind jetzt vierzehn Tage, und wenn ich Deinen Schreibetag hinzurechne und die Reiſe und das Abgeben des Briefs, ſo ſind es ſechzehn oder ſieb¬ zehn Tage; — Du biſt nicht Herr Deiner Zeit wie ich, — denn ich hab gar nichts anders zu thun als alles Leben zu Dir hinzuſchicken, ich wollt auch lieber gar nicht den¬ ken wenn ich Dirs nicht wiedergeben könnt, mir kommt expreß alles in den Sinn wegen Dir. Aber ich weiß daß es Dummheit iſt ſich immer ängſtigen zu wollen. Nur das Eine kann ich nicht ausſtehen, wenn ſie mir ſchreiben die Günderod läßt Dich grüßen. — Ich kann noch eher leiden wenn ſie ſagen man ſieht die Günderod nicht. — Aber das Eine nur, es iſt mir wie ein Nebel zwiſchen mir und Dir, ich glaub Dich an meiner Seite und ſprech mit Dir immerfort und der Nebel iſt ſo dicht daß ich Dich nicht ſeh, und auf einmal ruf ich: biſt Du noch da? — Du giebſt keine Antwort. — Da ängſtige ich mich und weiß nicht wo mich hinwenden. Da mein ich als, alles was ich Dir geſagt hab ſei nur ein Abirren von Dir, ſtatt daß es mich hätt an234 Dich ziehen ſollen; und da denk ich, deswegen hättſt Du Dich von mir entfernt weil ich Dir ſo manches ſag was Deine Seele nicht hören will, was ſie ſtört. — Ach Deine Seele, ich bin einmal geboren dazu daß ich ſie umflattere. Es iſt mir zwar jetzt nicht mehr ſo heimlich auf dem Thurm, weil mir immer zuerſt einfällt, ob das was mir da oben in den Sinn kommt Dir auch recht ſein mag, aber ich geh doch hinauf — nein es treibt mich hinauf, — wie der Wind da oben als geht, das glaubſt Du nicht, er könnt einen gleich fort tragen das jagt alles, — Wolken und Mond an einander vorbei — jedes ſeinen Weg, — recht zwieträchtig, ich weiß nicht was ich dazu ſagen ſoll. — Der Weg hinauf wird mir täglich ängſtlicher. Ich war ſchon beinah dran gewöhnt und freut mich auf den Weg und jetzt iſts wieder wie ein Stein der auf mir liegt, manchmal bin ich ſo zerſtreut daß ichs gar ver¬ geß und erſt dran denk, ganz ſpät und jeder Schat¬ ten macht mir bang. Aber wo ſoll ich hin, ich muß doch hinauf, ich mein ich muß da oben die Welt helfen feſthalten. — Was das heut für ein Geſtürm war! — es wächſt da oben auf der Mauer ein Vogel¬ kirſchbaum der hatte bis jetzt noch ſeine rothe Beeren an ſich hängen, ich hatte recht meine Freud dran,235 und ich dacht, das ſoll mir ein Zeichen ſein daß es zwi¬ ſchen uns beiden heiter iſt und fröhlich. — Und die Beeren ſollen hängen bleiben den ganzen Winter, ich hab ſie auch zuſammengebunden daß ſie der Wind nicht ſo leicht forttragen konnt; aber da war kein Halten, er drehte ſich wie eine Kriegsfahne im Sturm, ich ſprang auf die Mauer und wollte ihn ſchützen und nahm ihn in 'Arm und hab das Äußerſte gewagt ihn feſtzuhalten, bis der Wind ſich legen wollt, und hätt ihn gehalten wenns bis zum Morgen gedauert hätt, aber da flogen mir die Beeren über den Kopf weg, einzeln — und ganze Trau¬ ben, bis die letzte fort war, da hab ich ihn losgelaſſen. Da legte ſich der Wind, und wars ganz hell und ruhig am Himmel — daß ich noch eine Weile ſo da ſaß wieder — ganz ruhig, und mich verwunderte wie ich eben noch ſo mit ſtürmen konnt, und warum mir doch das Herz ſo geklopft hatte, da grade ſonſt ich und Du immer ſo heimlich und ſo luſtig waren, wenn wir manchmal auf freiem Feld einen Sturm mit machten. — Aber ich mag Dirs gar nicht ſagen was mir alles vorkommt und ſich mir weiß machen will, und an was für Din¬ gen es hängt daß meine Fröhlichkeit ſich in Trübſinn verwandelt oder daß der ſich wieder zerſtreut. — Oft im Sommer, wenn ich einen Vogel ſingen hörte, war ich236 wie von einer freudigen Botſchaft belebt. — Und oft wenn ich die reifen Kornähren ſo vom Wind durch¬ ſtürmt und geknickt ſah, mußt ich in tiefen Gedanken ſtehen, mich beſinnen, wie ich ſoll einen Boten ſchicken der ſich den Winden ins Mittel lege. So wollen wir auch meinen jetzigen Aberglauben auf dieſe Rechnung ſchreiben. — Es wird vergehen und wird wieder ruhig werden.
Am Sonntag hat der Bang hier gepredigt, ich ver¬ ſprach ihm zuzuhören wenn er wollt von den Juden predigen, wie die Chriſten ihr unchriſtlich Herz ge¬ gen die verſchließen, daß die Juden gar nicht das Chriſtenthum empfinden können. Der Bang pre¬ digte, wie Chriſtus ſeine Jünger aufforderte dem Volk das wenige was ſie an Nahrungsmitteln bei ſich hatten hinzugeben, ohne ſich ſelbſt zu bedenken. „ Siehe! da war plötzlich Überfluß für Alle! Und wenn es ein Wunder iſt, daß der Überfluß in den Körben geſammelt ward, über das Ihr ſtaunt und Gott anbetet, ſo wollet doch auch als göttliches Wunder achten, daß die Liebe aus dem Herzen aller ſtrömte, wie durch elektriſche Berührung der Liebe des Sohns Gottes zu Allen, ſo daß von Nach¬ bar zu Nachbar ſie einander mittheilten, und wollten lie¬ ber darben als darben laſſen. Und ſo waltete der Segen237 in den wenigen Brodten, als jeder das ſeine mit dem Andern theilte, und kam daher der große Überfluß. — Wenn Ihr das nicht als Wunder bekennt, ſondern es als ein na¬ türliches Ereigniß nicht würdig achtet zu den göttlichen Wundern gezählt zu werden, iſt es dann nicht um ſo mehr von denen zu erwarten die ſich ſeine Jünger nen¬ nen daß dieſes natürliche Wunder in Folge des Gött¬ lichen erſprieße? — und da es doch zwiſchen Euch die Ihr Jünger Chriſti ſeid, nicht auf die göttliche Weisheit ankommt, ſondern blos ums tägliche Brod euch ſtreitet, ſo mag nun die göttliche Kraft des Wunders in den Brodten gewirkt haben daß ſie ſich mehrten oder in den Herzen der Juden daß ſie aus Hunger nach dem gött¬ lichen Wort der leiblichen Sorge nicht achteten, und ſich einander im chriſtlichen Sinn der ſchon in ihnen zu kei¬ men begann: „ Liebet Euch unter einander, “die leibliche Speiſe mittheilten und gönnten, ſo liegen denn immer dieſe Lehren darin: Richtet die Seele auf gött¬ liche Weisheit, ſo wird die Sorge um das Irdiſche von Euch gehoben durch göttliche Kraft. Oder auch: die Sorge um Irdiſches iſt allein in die Welt geboren, damit Ihr ſie überwinden lernt um Eurer Brüder willen, und gemeinſam nach dem Göttlichen trachtet was jedem zu¬ ſtrömt ſo viel er zu faſſen vermag. Der göttliche Segen238 aber regnet über alle Lande, und Euch brüderlich in den irdiſchen zu theilen, achtet Ihr das nicht als göttli¬ ches Wunder in Euren Herzen? —
Mögen doch Eure Herzen geſchickt ſein, Bruderliebe zu üben, ſo iſt Euch gewiß daß das Wunder göttlicher Weisheit in Euch erblühen werde, was von Innen als Fülle des Segens über Alle gleich ſich ergießt, und nicht über die¬ ſen allein, weil er Chriſt iſt, und über jenen nicht, weil er Jude iſt. — Denn ſo oft wir den Segen, ſei er irdiſch oder himmliſch, abtheilen wollen, ſo erſtirbt er in uns, denn ſein Leben iſt: Gemeinſchaft des Heiligen. Mit dem inneren Sinn ſollen wir die Welt regieren, das äußere Regiment greift in ihre Geſtaltung nur vorüber¬ gehend oder gar nicht ein, und kann nur das Geiſtige, die wirkliche Entwicklung hindern, aber der innere Sinn, durchdrungen von dem höheren Regiment der Welt, brei¬ tet ſich aus und greift um ſich, ihm iſt nicht Einhalt zu thun, erzeugt ſich in allen Herzen, jeder pflanze den Kern dieſer ſüßen Frucht ins eigne Herz, er iſt der Frühling des Lebens, ohne den werden wir nicht ern¬ ten und keine Gewalt haben. “—
Bang ſagte mir nach der Kirche, er habe wohl ge¬ merkt daß ihm niemand zugehört habe als nur ich al¬ lein, die ganze Kirch hab geſchlafen. —
239Ich hab von dieſer Predigt in einem Brief an den Voigt geſchrieben, weil ich ihm nichts beſſeres zu erzäh¬ len wußte, ſo hat er mir geantwortet: „ der innere Sinn greift mehr um ſich wie alles Regiment der Welt, der Flügelſame des Geiſtes kann nicht abgeſperrt werden, der treibt umher, und der Wind der geiſtigen Natur überwältigt alle Vorkehrungen, drum iſts lächerlich was die Menſchen ſich für Mühe geben alles in der Zucht halten zu wollen, oder durch etwas anders die Freiheit zu erkaufen als durch den Geiſt Freiheit iſt die ſtrengſte Zucht, denn ſie greift da ein wo kein Gebot noch Verbot was wirkt, ſie zermalmt das Schlechte in der Wurzel; denn Freiheit iſt eine göttliche Kraft die nur Gutes wirken kann, aber die Menſchen verſte¬ hen nicht was Freiheit iſt, ſie wollen ſich ihrer bemäch¬ tigen, das iſt ſchon ſie ertödten. Der Freiheit kann man ſich nicht bemächtigen, ſie muß als göttliche Kraft in uns erſcheinen, ſie iſt das Geſetz aus dem ſich der Geiſt von ſelbſt aufbaut. Innere Gebundenheit und äußere Freiheit ſind doppelt ſchwere Ketten, weil die Trunkenheit noch dazukommt die die Sinne bindet und verwirrt. “— Das iſt ungefähr das Bedeutendſte was ein zehn Seiten langer, ſehr kritzlich geſchriebner Brief enthält, ich wollt Dir ihn nicht ſchicken, ich fürcht es240 möcht Deine Augen angreifen ihn zu leſen. Er hat noch viel Hübſches und Freundliches geſchrieben über Deinen, Franken in Egypten*)Siehe Anhang.. — „ Er ſey der Franke, aber das Mädchen werde er nimmer finden das ihn in des Vaters Hütte führt, denn was ihm in der Seele woge das ſei nicht mit Schönheitslettern ihm ins Antlitz geprägt, ſeine fränkiſche Naſe umſchreibe kein ſchönes Profil. Den Brief kann ich Dir ein¬ mal vorleſen wenn das Füllhorn eigner Mitthei¬ lungen ausgeleert iſt, — aber wann wird das je ſein? — Ach ich hab das Herz ſo voll zu Dir, nur heut hab ich von fremden Menſchen geredet ſtatt von meiner Seele weil ich Dich nicht betrüben will mit mei¬ nen Klagen. Aber gewiß iſt es wahr, auf dem Thurm kann ich nur Seufzer ausſtoßen und meine Gedanken ſind wie abgerißne Zweige und zerſtreute Blätter — Laub das im Winterwind herumwirbelt! — ich kann keins ha¬ ſchen, und was mir zufliegt das zerfällt und hat keine ſy¬ billiniſche Zeichen; aber ich will nicht klagen, denn es iſt ja doch nur Einbildung von mir, Du biſt nur ſo ſchweig¬ ſam weil Du ſo in Gedanken verſunken biſt, wie Du ſchon als dieſen Herbſt warſt. Wollteſt Du nichtmanch¬241manchmal den Voigt ſehen? — er iſt doch gut, der könnt mir als von Dir ſchreiben. Er iſt heiter und be¬ ſcheiden und erzählt ſo viel Schönes aus ſeiner frühen Jugend, ſein Leben iſt Muſik und Malerei, ſeine Be¬ kanntſchaft iſt, wie wenn einer mit fröhlichem Gemüth umherſchaut und einem unbefangnen Blick begegnet dem er alles erzählt was in ſeinem Innern vorgeht. Daß er ſchlecht geſchrieben hat will ich wohl glauben, aber es verdirbt mir ihn nicht, denn das war vermuthlich die beſeſſene Heerd Schweine die in die hohe Meeres¬ fluth geſtürzt ſind; wie es denn gewöhnlich bei guten Menſchen geht die was Schlechtes hervorbringen; es muß ihnen ganz leicht ſein wenn ſie es los ſind, —[ſo iſt] er auch ausnehmend vergnügt. Ich hab ihn kennen lernen wie er als Schulrath in Frankfurt vorgeſtellt war da hat er mich mit ſeinem witzigen Humor ergötzt, und es lag ſo viel Wahres und Richtiges, zum wenigſtens mir Zuſagendes in ſeinen Bemerkungen daß ich immer meine er würde das Beſte gewirkt und gerathen haben, er ſagte aber damals zu mir: „ ach ich bin ein Wickel¬ kind, mir ſind die Hände mit dem Wickelband feſt¬ gebunden, ich kann nur Geſichter ſchneiden und da meinen die Leute ich lach und weine im Traum, ſie meinen gar nicht daß ich mit meinen fünf Sinnen dabeiII. 11242bin wenn ich was ſag. “— Wenn es Dir nicht ſtörend iſt daß er Dich einmal beſucht ſo ſchicke ich ihm einen Brief an Dich. —
Vom Hölderlin hab ich auch erzählen hören, aber lauter Trauriges was ich Dir jetzt nicht erzäh¬ len mag, denn wir beide würden nichts darüber erden¬ ken können; und in meinem Herzen ſteht geſchrieben: Streue die Saat der Thränen auf ſein Andenken, viel¬ leicht daß aus dieſen die Unſterblichkeit einſt ihm aufs Neue erblüht! — ach, auch er hat geſagt: Wer mit ganzer Seele wirkt irrt nie! ja wer unzerſtreut und mit ganzer Seele dabei wär der könnte wohl Todte erwecken, drum will ich mich ſammlen und an Dich denken daß ich Dich mir wach erhalte daß Du mir nicht ſtirbſt. — Aber ich will meinen Brief nicht ſo traurig ſchließen. — Ein Brief den ich kürzlich von Goethe ge¬ leſen habe, den er Anno 1800 an Jacobi ſchrieb, wird Dich auch freuen: „ Seit wir uns nicht unmittelbar berührt haben “ſagt er ihm „ habe ich manche Vor¬ „ theile geiſtiger Bildung genoſſen, ſonſt machte mich „ mein entſchiedner Haß gegen Schwärmerei, Heuchelei „ und Anmaßung, oft auch gegen das wahre ideale „ Gute im Menſchen das ſich in der Erfahrung nicht „ wohl zeigen kann, oft ungerecht. Auch hierüber, wie243 „ über manches andere belehrt uns die Zeit, und man „ lernt daß wahre Schätzung nicht ohne Schonung ſein „ kann; ſeit der Zeit iſt mir jedes ideale Streben wo „ ich es antreffe werth und lieb. “— So ſehr ich ſonſt eine Sehnſucht hatte allein und heimlich ihn aufzuſu¬ chen, jetzt iſts nicht mehr ſo; — ich möchte gar nicht zu ihm wenn ich nicht Dich an der Hand führte — nur als zeigte ich Dir den Weg, — und nur daß ich mir den Dank von ihm und Dir verdienen will, denn was er im Brief ſagt berechtigt Euch gegenſeitig auf einander Anſpruch zu machen, denn wie freudig würd er erſtau¬ nen über das Ideal in Deiner Bruſt, ſo wie Du Dich ausſprichſt in jenem Brief, wo Dir auf einmal ſo hell dies Ideal erſchien, als ſäheſt Du voraus in Deine Un¬ ſterblichkeit. — Und mit was könnt ich ihm entgegen¬ kommen? — ich hab keine Vorrechte, ich hab nichts, als den geheimen Werth von Dir nicht verlaſſen zu ſein, ſondern angeſehen mit Deinen Geiſtesaugen die Gedanken in mich hineinzaubern, welche ich nie geahnt haben würde, läſe ich ſie nicht in Deinem Geiſt.
Geſtern Abend haben ſich Jung und Alt beſcheert, mir ſind die leeren Weihnachtsbäume zu Theil gewor¬ den, ich hab mir ſie ausgebeten, ich hab ſie vor die Thür gepflanzt, man geht durch eine Allee von der11*244Treppe über den breiten Vorplatz bis zu meiner Thür, dieſe grünen Tannen ſo dicht an meiner Thür, beglücken mich — und die Welt iſt noch ſo groß! ach es ſteigt mir die Luſt im Herzen auf daß ich reiſen möcht — mit Dir — wär das denn nicht möglich? — bin ich denn ſo ganz gefangen, kann ich mir hierin nicht willfah¬ ren? — Und willſt Du auch nicht das Unglück meiden, jener die ſterben ohne den Jupiter Olymp geſehen zu haben? — ich fühl daß mir alle Sehnſucht geſtillt könnte werden, hoch auf dem höchſten Berg die Lande, die Weite zu überſchauen, ich würde mich wahrlich er¬ haben und mächtig fühlen, denn weſſen das Aug ſich bemeiſtert, deſſen fühlt der Großherzige ſich Herr. Ach Günderode, ich weiß nicht ob Du's auch ſchon gefühlt haſt, aber mir iſt jetzt vor allem der Sinn des Augs gereizt, ſehen möcht ich, nur ſehen. — Wie groß und herr¬ lich die Kraft mit dem Aug alles zu beherrſchen, alles in ſich zu haben, zu erzeugen was herrlich iſt, — wie würden da die Geiſter uns umflügeln aus einſamer Stelle? — und dann kennen wir uns, wir würden in einander ſo einheimiſch ſein, es bedürfte keiner Mitthei¬ lung, die Gedanken flögen aus und ein, in 'einen wie in' andern, was Du ſiehſt das iſt in Dir, denn ich auch, ich hab mich nicht vor Dir verſchloſſen; — ja Du biſt245 tiefer in meiner Bruſt und weißt mehr von meinem See¬ lenſchickſal als ich ſelber, denn ich brauch nur in Dei¬ nem Geiſt zu leſen ſo find ich mich ſelbſt. Und wie glücklich hab ich mich doch hingehen laſſen in Deinem Kreis? — als ſchütze Dein Geiſt mich, ſo hab ich alles Un¬ mögliche gewagt zu denken und zu behaupten und nichts war mir zu tollkühn, überall fühlt ich den Faden in Deinem klugen Verſtehen, der mich durchs Labyrinth führte. Ach ich möchte alles haben, Macht und Reich¬ thum an herrlichen Ideen, und Wiſſenſchaft und Kunſt, um alles Dir wiederzugeben; und meinem Stolz von Dir geliebt zu ſein, meiner Liebe zu Dir genug zu thun. Denn dieſe Freundſchaft, dies Sein mit Dir, konnte nur einmal gedeihen. Ich zum wenigſten fühle daß keiner mit mir wetteifern könnte in der Liebe, und darum ſiegt auch meine Großmuth, — ich mag niemand eine Schuld aufbürden um die er ewig büßen müßte.
Mein Brief iſt zerſtreut geſchrieben, das iſt, weil ich Dich ſuche, — ſonſt ſtehſt Du vor mir wenn ich Dir ſchreibe, da ſpreche ich mit Dir, die Hälft ſind da meine Gedanken, und die Hälft Deine Antwort, denn ich weiß allemal was Du antworteſt wenn ich Dir was ſage; ſo lerne ich immer das Tiefere, das Weiſe, das Beſtäti¬ gende aus Dir. — Die Poſt geht ab — ich laſſe den246 Brief noch liegen, vielleicht kommt ein Brief, dann bitte ich Dir gleich noch in dieſem meine Beſchwerde ab. — Ach käm doch ein Brief. —
Nein es iſt kein Brief gekommen.
Ich bin böſe — aber nicht auf Dich — auf mich bin ich böſe, woher kommt mir die Krankheit? — ja es iſt Krankheit, und ſchon lange lag es in mir; — es iſt ja als ob ich nichts von Dir wiſſe, ſo verzage ich ganz, war ich denn im vorigen Jahr ſo bang? — da ſind doch auch Zeiten vergangen wo Du nicht ſchriebſt. Du haſt mich verwöhnt mit Deinen kleinen Briefen aus dem Rheingau, ich kenne ja doch Deine große Ruhe in die Du manchmal ſo ſchweigſam verſunken warſt daß ich oft ſtundenlang mit Dir war und Du ſprachſt nicht, ſo wirds jetzt auch ſein — der Nachhall Deiner ſtillen Be¬ geiſtrung iſts, oder es wiederholen ſich tiefe Melodieen Deiner Seele in Dir, denen horchſt Du zu. Ja! wie's in jener himmliſchen zauberhaften Nacht war, auf dem Rhein, wo wir zuſammen unter der blühenden Orangerie auf dem Verdeck ſaßen. — Wie ſchön wars doch, daß die grade von Kölln nach Mainz fuhr, und daß wir beide auf dem Schiff die einzigen waren die in der Nacht da oben blieben, die andern fürchteten die kalte Nacht¬ luft, das war ein rechtes Glück. Wir freuten uns als247 der letzte hinabgeflüchtet war und wir waren ganz al¬ lein und blos der Steuermann, und die Ruder und die große Stille, — und meinen Pelz warf ich um Dich und ſaß zu Deinen Füßen und der deckte mich auch noch, und wie ſchön war die Mondnacht, es ſollte nicht ein Wölkchen am Himmel ſein, der unermeßliche Luftocean, in dem allein der Mond ſchwamm. — Da warſt Du auch ſo ſtille und wenn ich ein Wort ſagte ſo verlor ſichs gleich im tiefen Schweigen — daß ich auch nicht mehr reden mochte aus Ehrfurcht vor der ſtillen Verſun¬ kenheit der ganzen Natur! — und wer kanns je vergeſ¬ ſen der in ſo heller Nacht auf dem Rhein ſchifft, wenn beide Ufer ſich im Mondglanz baden; — und dann kam der Wind und rauſchte erſt leiſe in den Kronen, und dann ſtärker, und es fielen Blüthen auf Dich und mich, und da ſah ich mich um nach Dir, hinauf zu Dir, da lächelteſt Du weil es zu ſchön war was uns da wider¬ fuhr, aber wir beide ſchwiegen ſtill um nicht zu ſtören alles was ſich an Schönheit rund um uns ausbreitete, und wir fuhren um die ſtillen Inſeln und kamen näher ans Ufer, daß die Weiden herüberhingen und verwickel¬ ten ihre Zweige in unſre Bäume, und ſchüttelte über Dir die Krone daß ſie all ihre Blüthen Dir in den Schooß warf, da warſt Du erſchrocken aufgewacht, denn Du248 warſt eingeſchlafen grade — einen Augenblick. — Ja ich auch ſchlaf gern wo es grad mir am ſeligſten iſt, da iſt immer die Ruhe über mir, als wäre Seligkeit nur eine Wiege und ſchaukelte die Seele und wiegte ſie aus einem Traum in den andern hin und her, wo es ſchön und ſchöner wär. — Ich dachte da, es war ein köſtlich Wohlgefühl in mir und betete es vor Gott, ich wollte nicht glücklicher ſein in der ganzen Fülle der Welt als ſo wie es uns beiden da beſcheert war, und ich fühlte mich ſo geſtärkt und knüpfte mich getreuer an Dich. — Und gelobte mir meinen Geiſt waffenfähig zu machen, und da gingen in Eile viele große kühne Thaten vor mir vorüber, die ich all im Geiſt entſchieden hatte, und da war ich ſo heiß einen Augenblick vor raſchem Le¬ bensentſchluß und reiner Begeiſtrung. Und daher hab ich verſtanden was Du in Deinem Brief ſagſt von dem einfachen Phänomen, wo tragiſche Momente uns durch die Seele gehen die ſich ein Bild unſrer Lebensgeſchichte auffangen, und wo die Umſtände ſich ſo ketten daß man ein Tiefſchmerzendes, oder Hocherhebendes, im Geiſt mit erlebt. — Mein Gefühl aber war nicht tragiſch, es war glorreich, es war jublend, überall war ich Sieger; — ja recht wie ein Adler der ſich aufſchwingt über den Erden¬ ballaſt von allen Geſchicken und der nur fliegen will.249 und ſo bin ich da auch ein paar Minuten über jenen Gelübden eingeſchlafen, als wenn der Schlaf die Beſtäti¬ gung aller Geiſteserhebung wär! — oder iſt es vielleicht im Schlummer daß der Geiſt in ſeinen Gelübden auf¬ ſteigt? — So wars mir nach jenem kurzen Schlaf, als ſei ich im Port meines Lebens angelangt und als brauche ich keine fremde Wege mehr zu ſuchen. — Es war daß ich immer Dir verbleiben wollt, daß alles Glück was uns entgegen komme, nur Dein ſein ſolle, und daß ichs nur durch Dich genießen wolle. Drum ſchieden wir auch am Morgen ſo leicht und heiter, ich ſtieg in den Wagen der mich am Ufer erwartete um nach Frankfurt zu fah¬ ren und Du bliebſt auf dem Schiff, und ich hatte Dir nicht einmal die Hand gereicht und rief nur hinüber, Adieu Günderode, und Du riefſt meinen Namen. Und es war als ob die Welt uns nicht trennen könne. — Aber wie ich eine Weile vorwärts gefahren war und ſah Dein Schiff mit ſeinem ſüdlichen Garten noch von weitem, da fiel mirs auf einmal ein daß ich Dir nicht die Hand gereicht hatte, und Dich nicht geküßt hatte, und Du mich auch nicht auf meine Stirn, was Du doch ſonſt immer thatſt, und jeden Abend wenn ich von Dir ging. — Und es war mir ſo angſt drum daß ich gern umgekehrt wär, wenn ich gedurft hätte. — Und jetzt11**250wenn ich an Dich denk und Du ſchreibſt nicht, ſo fällt mirs ein und ängſtigt mich. Aber doch iſt es ja ein gutes Zeichen, ein ſo ſicheres Gefühl daß wir nicht ge¬ trennt ſeien, und wenn doch dieſe ſchönſte idealiſche Nacht unſeres Lebens die letzte war die wir mit einan¬ der zubrachten, ſo wird uns auch der Genius wieder ſo zuſammenführen, — und hin durch heiße Länder wo kein Sehnen iſt und wo wir am Morgen nicht um den Ab¬ ſchied ſorgen weil wir uns nicht trennen werden. — Nur daß ich jetzt in die beſchneiten Felder ſehe und daß mir der Winter ſo tod jetzt erſcheint wo mir eine ita¬ lieniſche Sommergluth im Herzen wogt! —
Ja wir wollen fort Günderode, wir zuſammen; — es war ein Schickſalsruf, jene himmliſche Nacht unter ſüd¬ lichen Blüthen, — ſie rief uns zu dem Land dort wohin mein Sehnen geht, um das ich ſchon mit der Mignon meine Nächte verweint habe. — Das erſte wenn wir uns wiederſehen ſoll es ſein daß wir einen feſten und reifen Plan machen. — Es iſt am End ganz lächerlich wenn wir alles Schöne und Herrliche von dem geſpro¬ chen wird im Geiſt berühren und genießen, und wir ſitzen in der Wirklichkeit wie eingefroren. Ich bin begierig ob wirs nicht dazu bringen in der pappendeckelnen Welt; das iſts eben daß ſie von Pappendeckel iſt. —251 Da fällt mir wieder mein Kindertraum ein, wo ich auf einem backſteinernen Fluß auf der Reiſe war, und die Ruderer vergeblich Wellen ſchlagen wollten, und nur mit den Stechſtangen gings langſam vorwärts, — und das krachte ſo unangenehm, es pfiff daß es mir zwiſchen den Zähnchen weh that. Ach und die Reiſegefährten ſchnitten ſo fürchterliche Geſichter, — da hab ich recht in Natura geſehen, und ohne Schleier, was ein Philiſter für eine fürchterliche Lebenslarve hat. — Der Trieb zur Schönheit iſt doch wohl noch das einzige was von einer höheren Natur übrig iſt. —
Am Feiertag wollt ich der Ephraim ſollt mich be¬ ſuchen, es war mein Lerntag, aber weils Feiertag war, ſo konnt ich einmal die Stund verplaudern mit ihm, wozu ich ſo große Luſt hatte, und mit meinen Tannen¬ bäumen eine Laube um ſeinen Sitz gebaut das hat mir groß Vergnügen gemacht, ich ſchenkte ihm auch Wein ein, da kam der Profeſſor Weiß dazu, der hatte mit ihm zu reden wegen zwei Schüler, der ſprach auch mit großer Achtung mit ihm, daß er ſo große Kenntniſſe habe. Sein Enkel holte ihn ab, und blieb noch eine Weile da, aber er ſetzte ſich nicht vor ſeinem Großvater und blieb ſtehen, und von dem Wein nippte er nur — und ich will Dir geſtehen daß ich die ganze Zeit von Dir252 geſprochen hab, denn ich kann auch nicht gut von an¬ derem ſprechen, weil ich doch immer dran denk ob ich bald einen Brief von Dir krieg. — Was ſoll ich noch von ihm erzählen, er hat eine eigne Art, es ſcheint nur Beſcheidenheit, aber man fühlt daß es Herablaſſung iſt und Güte; ich möcht Dir auch gern noch manches von ihm ſagen, aber weil ich gar nichts weiß von Dir, das bricht mir den Muth, ich weiß ja nicht einmal ob Du es mit Antheil lieſt. — Er ſagte mir daß er bis nach den Feiertagen bis nach Neujahr eine kleine Reiſe zu den Seinigen machen wolle, weil ſeine Schüler alle fort ſind. Es iſt eine Reiſe von acht Meilen — bei Butzbach, — den Weg macht er zu Fuß in dem Wetter, — es iſt hier ein Sauſen davon hat man in der Stadt keinen Begriff; auf dem Thurm kommt allerlei Gezweig vom Wald oder von unten aus der Allee angeflogen. Ge¬ ſtern ſetzte ich mich gleich an den Boden nieder um nicht davon getragen zu werden. —
Ich fürchte mich für den Ephraim, oder ich wollt ich könnt mit ihm gehen, — ſo ein Stock in der Hand, und immer vorwärts geſchritten, in neue Lande wo andre Luft weht, andre Bäume blühen, — jetzt hats aber noch eine Weile Zeit damit; — ſo — ruhig ſprechend — mit einem Weiſen aus Morgenland. — Ich bin von Natur ſo neu¬253 gierig, wenn ich nur in ein unbekannt Dorf komm, da kommt mir alles ſo ſonderbar vor, und die kleinen Reiſen die ich bis jetzt gemacht hab, — wie war mir alles ſo auf¬ fallend — wenn wir im Dunkel vor einem Poſthaus hiel¬ ten, wie ſah mich da der halb erleuchtete Gang ſo ſeltſam an, als könnt er ſprechen und erzählte mir: ja hier gehen allerlei Geſchichten vor! — und ſo eine Nacht in unbekann¬ ter Gegend gefahren, oder im fremden Nachtquartier, wenn man da aus dem Traum aufwacht und hört die Glock ſchlagen, und noch eine, und dann wieder eine. Da dacht ich als: da ſind alſo viel Kirchen, wie mögen die aus¬ ſehen? und dann der Nachtwächter der ein ganz fremd Lied ſingt mit heiſerer Stimme, und die Schellen an den Häuſern die man noch läuten hört, und dann am Morgen ſieht alles wieder anders aus, und iſt wieder ſo neu und überraſchend als wär die ganze Welt wie ein Spielſa¬ chenladen, und Häuſer, und der Markt vor der Thür, und die Leute die da wohnen und laufen, das ſei lauter Spielzeug, und die Hunde die herumſpringen, die Brun¬ nen wo die Leut Waſſer holen, das kommt einem alles vor blos wie zum Vergnügen, lauter Bilder, man freut ſich daß alles ſo niedlich eingerichtet iſt und gar nichts vergeſſen. So fremde Orte, ſie ſind wie Feenmär¬ chen. — Das alles möcht ich mit Dir genießen! es iſt254 ja nur der Eingang, aber Himmel und Erde, im Freien — in die Weite hinaus — wo man ſtumm ſteht und ſieht die Berge ſich aufrichten und mit dem Morgen¬ licht ſich küſſen, und alles Unendliche was da vorgeht, was ſtumm macht und alle Weisheit überflüſſig, denn wie's Kindchen, wenn ihm die Milch zuſtrömt aus der Mutter Bruſt, genug damit zu thun hat ſie zu ſchluk¬ ken, mit der Fülle fertig zu werden, ſo iſts auch mit der Natur, ſie giebt ſo vollauf dem Blick, dem Herzen daß es nicht zu Athem kommen kann. — Aber der Ephraim liegt mir am Herzen daß der jetzt wo die Na¬ tur ſchläft und nur aufrühriſche Träume hat, die eiſige bergige Straße wandert, wo es ſo früh Nacht iſt und wo er in ſchlechte Herbergen kommt; aber er ſagt er habe einen Tag ſchon verſäumt wegen dem Wetter, und ſeine Enkel warten alle auf ihn, die würden ſo ſchon in großen Sorgen um ihn ſein, und das Sturmwetter werde er ſchon ertragen, er habe es ſchon mehr mitge¬ macht, und ſein Enkel trägt den Bündel. — Er muß die Kinder ſehen; da muß man ihn nicht abwendig ma¬ chen, er ſah auch gar nicht ſorglich aus. — Dürft ich nur wie ich wollt, ſo hätt ich einen bequemen Wagen ihm vor die Thür fahren laſſen; und ich hatte Luſt dazu, hätt ichs nur heimlich thun können, aber ich fürcht255 man hätt geſchrieen ich wär extravagant, ich wollt die Sonderbare ſpielen, und gelitten wärs doch nicht wor¬ den, denn von Verkehrtheiten, muß ich abgehalten wer¬ den. — Außer dem Clemens der hätt das gewiß recht gern gewollt. — Nun hab ich doch dieſe acht Tage Sorge um Dich und um den alten Mann. — Ich fürcht mich vor dem Thurm. Ich will aber, oder ich muß hinauf. — Das iſt zum dritten Mal daß mir ſo was begegnet; daß mich ſo was feſſelt nächtlich und geheim an einen Ort zu gehen wo mich die Geiſter hin beſtellen.
Wie ich ganz klein war; der Vater hatte mich am liebſten von allen Kindern, ich kann kaum zwei Jahr alt geweſen ſein, wenn die Mutter was von ihm zu bitten hatte, da ſchickte ſie mich mit einem Billet zu ihm, denn ſie ſchrieben ſich immer, ſie ſagte wenn der Papa das Billet lieſt, ſo bitte daß er Ja ſchreibt, und er richtete oft nach meinen Bitten ſeinen Beſchluß. Er ſagte mein liebes Kind weil Du bitteſt, ſo ſag ich Ja, ja. — Alle Kinder fürchteten ſich vor dem Vater, denn ſo freundlich er war ſo hatten alle eine Ehrfurcht die ſie hinderte ihrer Luſtigkeit nachzugeben, und ein ernſtes Geſicht vom Vater machte daß ſie alle vor ihm wichen; ich hatte viel mehr Luſt mit ihm zu ſpielen, und wenn ich wußt daß er Nachmittags allein auf dem Sopha256 ſchlief wo niemand ſich ins Zimmer getraute, da ſchlich ich auf den Zehen herbei und kroch in den Schlafrock auf der einen Seite herein und konnt mich ſo geſchickt um ſeinen Leib ſchmiegen und auf der andern Seite wieder heraus, das konnt ich ſo geſchickt, da gab er mir allerlei italieniſche Schmeichelnamen im Schlaf und ſchlief dann weiter fort. — Er war niemals verdrie߬ lich. — Wie die Mutter ſtarb, da fürchteten ſich alle Kinder vor ſeinem Schmerz, keiner wagte ſich in ſeine Nähe. Abends war er allein im Saal wo ihr Bild hing, da lief ich hinein und hielt ihm den Mund zu wenn er ſo ſehr ſchmerzvoll ſeufzte. — Ich beſinn mich daß ich als gern in der Karmeliter-Kirch war wo nie¬ mand mehr hineinging, ſie war immer leer, weil ſie ſo düſter iſt und weil ſo viel Todte da begraben liegen; Vater und Mutter liegen auch da, und viele Geſchwiſter. Ich hab mich niemals gefürchtet vor traurigen Orten. — Wie manchmal, wenn die Sonn draus ſchien da ging ich da hinein, da wars ſo feucht und ſo trüb daß man glaubte, es ſei der traurigſte Herbſttag. — Ich erzähl Dirs — ich wollt Dir nur ſagen, ich ſcheu mich nicht vor traurigen Orten und auch nicht vor traurigen Menſchen, und wenn Du was haſt was Dich trüb¬257 ſinnig macht, ſo brauchſt Du mirs nicht zu ſagen, aber ſcheu Dich doch nicht vor mir ich weiß ſo ſtill zu halten.
Geſtern hatt ich mich den ganzen Tag geſehnt nach dem Abend weil ich auch am Tag keine Ruh hab. Wenn ich doch ein einzig Wort von Dir hätt nur, über Dich! — Ich hab nur lauter Halbgedanken, ſie kommen tief aus der Bruſt, aber ich mag ſie nicht prüfen. — Wenn Du mir das einzige ſchreibſt: „ Bettine ich bin Dir gut “das wär genug! wär ich doch wie die Uferfelſen die den ſtürzenden verſpritzten Lebensſtrom wieder im ru¬ higen Lauf ſammeln, und jede Welle jeder Gedanke in Dir würde freundlich an mir vorüber brauſen, ich wollt ſie nicht feſſeln. — Ach ich ſag nicht, daß ich Dich liebe, aber doch mein ich, ich wollt gern Dir mein ganz Leben aufopfern und ich kenn niemand dem ich das wollt, aber Dir wollt ichs. Aber wenn Du mir auch nicht vertrauen kannſt, darum will ich nicht bitten. Es iſt mir alles eine große Schrift in Dir, es iſt mir alles Geiſt! — Mein Gott? was haſt Du gethan, gedacht, was ich nicht mit vollen Sinnen genoſſen hätt. — Und ſo oft hab ich in Dir erkannt was ich in mir ſelber nicht zur Ge¬ wißheit bringen konnt! — wenn mir ahnte. Die erſten kühnen Gedanken die zum erſtenmal die engen Le¬258 bensgrenzen überbrauſten daß ich verwundert war, über Geiſt, und überraſcht, wo hab ich ſie doch geleſen? — ſie ſtanden auf Deiner Stirne geſchrieben, — wie viel ſich kreuzende Stimmen haſt Du doch entwirrt in mei¬ ner Bruſt, und meine wilde Gedankenloſigkeit — Du haſt ſie ſo ſanft eingelenkt, und mir gelehrt, freudig mit ſpie¬ len. — Der Sinn der Welt iſt mir einleuchtend gewor¬ den durch Dich, ich hätt ihn nimmer geheiligt, ich hätt ihn immer verachtet. Denn früher dacht ich oft, zu was ich doch geboren ſei? aber nachher wie Du mit mir warſt, da hab ich nicht mehr ſo gefragt. — da wußt ich daß alles Leben ein Werden iſt, und nur eine freudige Unge¬ duld hat mich zuweilen noch übermannt, ein übereilend Erharren der Zukunft, keine Trauer mehr, nein ich weiß nichts mehr was mich geſchmerzt hätt ſeit dem Augen¬ blick wo ich Dich kenne. — Dort in Offenbach, der Tage erinnere ich mich; kanns dem Buſen der Erde ſo üppig entkeimen als mir die Lebensfülle unter Deinem war¬ men belebenden Hauch? — O glaub mirs, ich taumelte oft im Geiſt, weil die Gedanken ſo weich ſich mir un¬ ter das ſtrömende Gefühl betteten, oft wenn ich am Abend in die weite Purpur-Landſchaft ſah, dort, wo ich aufs Dach ſtieg blos um zu fühlen wies Leben doch thut in der Bruſt, es war mir ja noch ſo neu, da mußt ich259 denken daß ich ganz alles mit ſei was ich ſah, — ſolche Purpurwogen durchwallten mich, — und es war ein Reich¬ thum den ich in mir ahnte, und es war mir alles durch Dich geſchenkt! — ja ich zweifle nicht, es iſt ein Kern, ein edler in mir, der wurzelt, und der mich mir ſelber wiedergiebt. Du haſt dieſen Kern in mich gebildet, Muth! umſichtige Heiterkeit ſind ſeine erſten Blüthen geweſen, und jeden Tag will er mehr Blüthen treiben, wie der Baum inmitten wohlthätiger Natur! — alles Schickſal nehm ich hin wie Wind und Wetter, und kanns tragen, denn Du haſt mich geſund gemacht, — aber wenn ich nun ausgeriſſen wär aus dem Boden, das wird doch nicht ſein? — nein das kann niemals wahr werden. O kein Erdbeben! das den Berg verſchlinge deſſen Gipfel den ſchwachen Stamm trägt — blühend weit hinaus in die Ferne! — und ſo wohl ſich fühlt, weil er alle Güte der Sonne empfindet, weil ihm alle Echo erklingen von den weiten Bergen, und weil er ſo weit umher die la¬ chende Natur beherrſcht, weil er ſo hoch ſteht ſo ein¬ ſam, ſo glücklich, und alles allein weil er in Deinen Buſen gepflanzt iſt. —
Dann bin ich ſchlafen gegangen wie ich ſo weit geſchrieben hatte, und hab vergeſſen auf den Thurm zu gehen, wo ich doch den ganzen Tag unruhig danach260 war, und ſchlief ſo feſt ein. Ach war ich denn krank geweſen daß ich wieder ſo ganz gegen meinen eigen¬ thümlichen Willen nicht traurig zu ſein, ſo an Dich ſchrieb? — aber wie ich aufwachte da beſann ich mich daß es zum erſten Mal war wo ich den Thurm verſäumte, ſprang auf und warf einen Mantel um, ſo war ich oben angelangt noch eh ich mich beſann obs nicht die Geiſterſtund ſein könne, meine Haſt war zu groß als daß ich mich hätt fürchten können, — denn ich dacht, wenn nun ſchon Mitternacht vorbei wär, ſo hätt ich einen Tag verſäumt. Nein das will ich nicht, ich hab Dich da oben in der freien Natur allen guten Mäch¬ ten hingegeben, die Sterne wiſſen von Dir, und mags gehen wie es will, ich will nichts verſehen bei meinen Gelübden. Ich hab zu ihnen geſagt von Dir, und ſie in Pflicht genommen über Dich, ich bleib ihnen zugethan, und mein Gefühl ihrer Erhörung, ihres Bewußtſeins meiner heißen Lebensbedürfniſſe, das will ich nicht ſchwä¬ chen indem ich nicht feierlich mein Verſprechen achten ſollt. — Es war auch ſchön dort oben, der reinliche Schnee bewahrte noch Deinen Namen unverletzt vom vorigen Tag, und ich ſetzt mich auf die Mauer, und lauſchte in die Stille, und da ſchreib ich Dir hin was261 mir ſo im Geiſt iſt aufgegangen; ſo wie ein Sternbild nach dem andern iſt hell geworden.
„ Ich trinke die Liebe um ſtark zu werden, wenn ich denke ſo bewegt mich heimliche Begeiſtrung für meine eigne Erhöhung; — wenn ich liebe auch. — Nur: In der Liebe fühl ich mich flehend wie im Tempel; wenn ich denke, kühn wie ein Feldherr. “
„ Alles von ſich ſelber verlangen, iſt der nächſte und unmittelbarſte Umgang mit Gott; dem Göttlichen geben die Sterne die ſicherſte Gewährleiſtung für die Erfüllung eines höheren Willens. — Die dreiſte Überzeugung daß wir unſe¬ rer Forderung genug thun ſollen. “— So rathen uns die Sterne. — Günderode, drum ſei ja muthig zu allem, und endlich kann auch kein falſcher Trieb ſich dazwiſchen durchwuchern, denn die Seele iſt ganz erfüllt von eige¬ nen Geiſt und allein für ihn thätig.
Das haben mir die Sterne für Dich geſagt als ich ſie fragte um die tiefen Lebensgeheimniſſe in Deiner Bruſt, ſie wollen Du ſollſt Deinen Schild tragen — kühn und frei über die Lebensgipfel weg. Alles iſt Höhe nichts iſt Tiefe. Du ſollſt ſie ſchauen die ſo hoch ſind, vor de¬ nen nichts Abgrund iſt, was ihr Licht nicht entbehrt.
„ Es giebt eine Zauberkunſt, ihre Hauptgrundlage262 iſt des Geiſtes feſter Wille zum Mächtigen, der ſich auf¬ löſt in die Übermacht deſſen was er im Geiſt erkennt. “
So haſt Du mir einmal geſagt und die Sterne haben mich gemahnt, ich ſoll Dich dran erinnern.
„ Nie muß man dem Höheren gegenüber ſelbſt etwas wollen, ſonſt wehrt man ſich gegen den eignen Willen. “
Das haben die Sterne noch hinzugefügt und mich gemahnt ich ſoll Dir das ſcharf und eindringlich wieder ſagen. —
Ich leg mir das ſo aus, der Menſch ſoll nicht dem eignen Schickſal nachgehen, denn es giebt kein Schick¬ ſal für den Geiſt als das Göttliche, — dieſem gegenüber ſollen wir alles als klein verachten. —
Noch ſagen die Sterne: „ Ohne Zauber kann ſich der innere Menſch nicht erſcheinen, “— o die Sterne ſind gütig ſie ſagen viel und Großes, und bedeuten uns daß wir ſelber groß ſind.
„ Ach das Endziel aller Wahrheit iſt, ſie hinzugeben an höhere Wahrheit, ſie iſt Zauber durch den der innere Menſch ſich erſcheint, ſie iſt Entwickeln der göttlichen Natur; der Himmel entwickelt ſich aus der Sehnſucht, und aus des Himmels unendlichem Frieden wird hö¬ here Sehnſucht ſich entwickeln; — die Wahrheit geht hervor aus der Wahrheit, und geht über in Wahrheit.
263Das höchſte was die Wahrheit vermag, iſt ſich auf¬ löſen in höhere Wahrheit; — ja, ſie ſagt Nein! — verneint ſich. —
Nie darf der Geiſt ſich am höchſten halten, ſondern jene muß er höher halten auf die er wirkt, denn die befördern ihn — entwicklen ihn.
Die Wahrheit, die Lieb iſt Sclave, der iſt Herr, den ſie nährt. “
So reden die Sterne wenn ich mit ihnen von Dir ſpreche — ſie lieben Dich, ſie ſind Deine Sclaven, die höhere Erkenntniß die ſie auf Dich herabblitzen, die ent¬ wickelt ihr Vermögen auf den Menſchengeiſt zu wirken, das Hohe auszuſprechen, und ſie werden mehr noch ſa¬ gen wenns Dein Ohr trifft. — O ſie ſagten es mir für Dich in der Neujahrsnacht — — und viel reicher war die Saat liebender Mahnungen, aber ich konnts nicht alles tragen in meinem Geiſt was ſie ſagen; — ver¬ trau ihnen und Du wirſt erleben — ſchwere Garben bring ich Dir heimgeſchleppt; — da ſiehſt Du was Leben iſt, Keime der Erkenntniß ſäen die Sterne Dir in 'Geiſt, und Du wollteſt verzweifeln weil Deine Füße am Bo¬ den wurzeln. — Ja das iſts. Deine Seele hat Licht ge¬ trunken und will nun ſchlafen, ſo leg Dich doch und ruhe, ich will ſorgen daß Du ſchlafen kannſt und wa¬264 chen zugleich, — und wart doch was die Sterne end¬ lich mit uns anfangen, biſt Du nicht neugierig? — was gottgeſandte Boten Dir zuflüſtern, magſt Du das nicht erlauſchen, und kannſt nicht alles andre darüber vergeſſen? —
O hör, denn als ſie ſo geſprochen hatten da be¬ kräftigte der Schlag von Mitternacht in die tiefe Ein¬ ſamkeit hineinſchallend, daß, ſo die Jahre hinabrollen, der Geiſt doch ewig blühend am Himmel ſteht; und daß unſere Begeiſtrung dieſer Jugend zuſtröme das ſtürmte mir herauf aus der tiefen Stadt wo alles le¬ bend, jubelnd die verjüngte Zeit begrüßte. Warum rühr¬ ten ſie die Trommeln, und ſchmetterten von den Kirch¬ thürmen — die Trompeten! — und warum erfüllte das Jauchzen die Luft? als weil die ewig ſich verjüngende Zeit alle kindliche Freudenſtimmen weckt über die unſterbliche Jugend. — Mir war ſo ſelig dort auf der ſchwindelnden Höh, wo die Studentenlieder wie ein Meer um mich himmelan brauſten und mich einhüllten in ihren Jubel¬ lärm wie in eine Wolke und aufwärts trugen. O wie ſchön iſts in der Welt, denk doch, ſo viel junge Stim¬ men hier im kleinen Städtchen, alle freudebrauſend! — wer wollte im Leben wohl etwas beginnen was dieſes heitere Jugendleben zu ſchweren, innerem Verantwortennie¬265niederbeugte! — O nein, ſchon wegen der Jugend heili¬ gem Recht in Fülle den Strom auszubrauſen, möcht ich im eignen Buſen die ewige heitere Lebenskraft nicht ablenken. — Sieh, junge Günderode, Deine Jugend iſt die des heutigen Tages, Mitternacht hats bekräftigt, die Sterne mahnen Dich und verheißen Dir daß Du ihnen Deinen Geiſt ſollſt zuſtrömen, die auffahren voll ju¬ belndem Feuer in Chören ihre Begeiſtrungslieder herüber¬ jauchzen ins neue Jahr! — ſie begrüßen Deine Zeit! — daß ſie Deiner Begeiſtrung geboren ſind, das macht die junge Herzen jauchzen, o verlaſſe die Deinen nicht und mich nicht mit ihnen; verlaſſe Dich auf den Genius daß er auf¬ recht ſtehe in Dir und groß walte zwiſchen Geiſt und Seele.
Was könnte Dich doch verzagen machen? — ſieh doch wie viel Leben verdirbt, aber doch iſts nur ſchein¬ bar, es ſteht mit verſchwiſterten Gewalten wieder auf und verſuchts von neuem. Aber das muß nicht ſein daß Du Dich aus ihren Reihen losketteſt, denn alle ge¬ hören einander, und das muß Dich nicht traurig machen daß manches was ſie als Tugend preiſen nur glänzende Fehler ſind. Iſt doch oft auch Tugend was Fehler iſt.
Ich mag dieſen Brief nicht ſchicken; ich bin nicht zu entſchuldigen, ſchiebs aufs Wetter in meiner Bruſt. Es iſt Gewitterzeit in mir, wie konnt es ſoII. 12266angſtvoll in mir aufſteigen ſonſt? — Gewitter ſinds die über mich hinſtürzen und alle blühende Kraft nie¬ derdrücken, und das Gewölk hängt ſchwer über mir, und das Herz arbeitet und glüht und möcht ſich Luft machen und zückt; denn ſonſt könnt ich nicht ſo ſchmerzvolle Augenblicke haben und immer ſo ſchwere Gedanken über Dich. Aber es iſt auch traurig, heut erhalt ich erſt Nachricht von der Claudine daß Du ſie beauftragt hatteſt mir Deine Abweſenheit von Frank¬ furt zu ſchreiben, und daß Du bei der kranken Schwe¬ ſter biſt. Mein Herz iſt der brauſende Brunnen, ein paar Tropfen Öl beſänftigen ihn ja, ich war ganz ver¬ kehrt, ich erwache vom böſen Traum. Ach Gott ſei Dank daß es anders iſt. — Ich bin noch niedergeſchla¬ gen und ſeh die Träume unwillig dahin ziehen am dü¬ ſtern Tag, ſie hätten mich wohl länger gepeinigt. — Wie Du auch meine Briefe aufnehmen magſt, ich will Dich der Mühe überheben mich darüber zurecht zu weiſen, und wills alles vor Dir ausſprechen was ich von mir denk. Ich hab Dir eine Reihe von Briefen geſchrieben ich weiß nicht mehr was; — ſollt ich mir Rechenſchaft geben was ich damit wollte, enthielten ſie ſelber eine Rechenſchaft meines Seelenlebens? — iſt ein einziger früherer Vorſatz drinn nur berührt? — iſt mir nicht alles fern abgeſchwunden was ich mir als heilig267 Gelübde auferlegte? hab ich nicht mir und Dir zuge¬ ſagt, ich wolle mich ſtreng den Bedingungen einer Kunſt unterwerfen? hab ich nicht immer und immer aufs Neue wieder alles Begonnene verfaſelt? — und was konnteſt Du mit mir endlich anfangen? ich geſtand Dir immer alles zu, ja ich ſagte mir täglich Deine wahren, Deine tiefen Begriffe vor, über die Anſtrengung des Geiſtes in ſich zu erzeugen was noch ungeboren iſt in ihm. Einmal ſagteſt Du: „ Ich begreife aus dem Sehnen des Geiſtes ſich der Künſte und Wiſſenſchaften zu bemächtigen, daß die fruchtbare Erde nach dem Samen ſich ſehnt den ſie zu nähren vermag. “ Und Du ſagteſt zu mir: „ Deine ewige Unruh, Dein Schweifen und Jagen nach allem was im Geiſt erwachſen könnt, ſelbſt Dein Widerſpruch dagegen beweiſt daß Dein Geiſt fruchtbar iſt für Alles. “ Und wollteſt ich ſollte nur das eine Opfer bringen und eine Zeit mich Einem ganz unterwerfen, dann werde ſich zu Allem Platz und Reife bilden. Und ſagteſt: „ was iſt denn Zeit wenn ſie nicht ewiges Bilden der Kräfte iſt? — Und iſt eben die Mühe des Erwerbens nicht auch ſein höchſter Ertrag? — und keine Anſtrengung iſt umſonſt, denn am End iſt jede Anſtrengung die höchſte Übung des Erzeugens, und wer ſeinen Geiſt mit Anſtrengun¬ gen nährt der muß zum Erſchaffen, zum Wiedererzeu¬12 *268gen verlorner Geiſtesanlagen, nicht allein in ſich, ſon¬ dern in Allen ſeiner Zeit geſchickt werden. “ Und Du ſagteſt noch viel, wo ich voll Feuer war Dir allein zu folgen und alles mir zuzumuthen, ich mußte mir ſagen daß ich allein in Dir Licht fand über das Leben, und daß Dein Geiſt heilige Religion ſei, und daß ich eine Ahnung faßte zu was der Menſch geboren ſei; ja, und daß er immerdar vereinigt ſein ſoll mit Gott, das heißt immer in heiliger Anſtrengung begriffen, ihn zu faſſen. Ja was iſt denn Kunſt und Wiſſenſchaft? wenn es nicht die tiefen Anlagen ſind eines geiſtigen Weltge¬ bäudes. Was iſt denn irdiſch Leben wenn nicht, der ſinnliche Boden aus dem eine geiſtige Welt ſich erzeugt — und Du ſagteſt: „ wär man nicht zornig, wie könnt einer ſanftmüthig werden, und wär die Lüge nicht, wie könnten wir zu Helden der Wahrheit werden? “ Und weil ich Dich nicht verſtand ſo ſagteſt Du: „ Hätte die Welt nicht widerſtanden, wie konnte Cäſar ein Eroberer werden? “— Da war mir plötzlich alles deutlich, und ich war ſo glücklich mein eignes Selbſt meiner Anſtren¬ gung zu danken zu haben, daß ich wohl begriff: dies ſei die einzige göttliche Gewalt in uns, uns zu freien Naturen zu bilden, nehmlich, alles aus eigner freier An¬ ſtrengung zu erwerben, und was iſt Freiheit, wenn269 nicht: Gott ſein? Alles aus freier Anſtrengung erwerben iſt die erſte Bedingung einer göttlichen Natur.
Und dieſen Forderungen von Dir habe ich geſchwo¬ ren wie einer auf die Fahne ſchwört und war meiner eignen Begeiſtrung ſo gewiß und hätte mirs zugetraut, Alles mit Ernſt und Treue zu verwalten was die in¬ nere Stimme mir auferlegte, und dieſer geheime Trieb göttlich zu werden durchdringt mich noch. Und wenn ich hundertmal eins ums andre verlaſſen hab, ſo ver¬ zag ich nicht, wieder zu beginnen. Ich will zu Dir, in Deinem Schooß will ich lernen; ich weiß daß es ſo ſein muß daß wir bei einander ſind. Wenn ich Dir nicht jeden Tag enthüllen kann was für Gedanken in mir aufſteigen dann bin ich gleich weggeriſſen. Ja das muß ich Dir auch noch von mir ſagen daß ichs oft nicht weiß wie es kommt daß ich oft plötzlich weit von dem wozu ich mich ganz hingewendet hab hinweg ge¬ riſſen bin; — nicht mit meinem Willen, aber ich bin dann erfüllt und beſtürmt vom Denken, dem muß ich folgen; und ermüdet bin ich dann — aber ſo ermüdet, wenn ich mich wieder zu dem finde was ich erlernen oder mir aneignen will. Und das iſt meine Sünde. Ich ſollte dieſe Schwäche abweiſen. Der Geiſt ſoll nicht ermüdet ſein, er ſoll die Müdigkeit abweiſen. — Weiß ich doch270 daß ich im Rheingau bei langen Wegen die oft vier bis fünf Stunden weit waren, mir ſagte ich will nicht müde ſein, und dann, als ſei ich neu geboren den Weg wieder zurücklegte. Das vermag der Geiſt über den Leib, aber über den Geiſt ſelbſt, da iſt der innerliche Geiſt der ihn zähmt oder weckt noch nicht ſtark. — Ja vielleicht bin ichs ſelbſt der ihn verläugnet; aber Dich nicht. In Dir konnt er mit mir ſprechen. Und es iſt nicht aller Tage Abend, betrachte Alles als ein Vorſpiel, als ein Strömen noch verwirrter und verirrter Gefühle und Kräfte. Ach verzweifelſt Du daß je das Gewölk in meinem Geiſt ſich theile? und das Licht Ordnung herabſtrahle? — Ich hab Zuverſicht, ich verzweifle nicht, ein ewiger Trieb zu empfangen, ein raſches Bewegen in meiner Seele die ſagen mir gut. — Und Du wirſt mich nicht verwerfen. — Es wird ja ſchon wieder Tag! die Eos tritt aus der Dunſtluft hervor und mir iſt wohl geworden über dem Schreiben; ich träume nicht mehr daß der Donnerer mein Schiff zerſchmettre und in die Wellen verſenke, — weil es gefrevelt iſt, an Ihm der auf hephäſtiſchen Rädern die Roſſe zum Sonnenmeer treibt ſie da zu baden. Nein! ich führ neben Dir her am Strand die reinen Lämmer Ihm entgegen; und ich gehöre zu Dir, wenn Du ſein gehörſt. — Bettine.
271Ich mußte abreiſen und konnte Dir nicht einmal ausführlich ſchreiben. Eine Schweſter die ſchon länger unwohl iſt und jetzt nach mir verlangte. Das wird mich auch wohl ſo bald nicht dazu kommen laſſen. Denke nicht ich vernachläſſige Dich liebe Bettine, aber die Unmöglichkeiten dem nachzukommen was ich in Ge¬ danken möchte, häufen ſich, ich weiß ſie nicht zu über¬ winden und muß mich dahin treiben laſſen wie der Zu¬ fall es will, Widerſtand wär nur Zeitaufwand und kein Reſultat, Du haſt eine viel energiſchere Natur wie ich, ja wie faſt alle Menſchen die ich zu beurtheilen fähig bin, mir ſind nicht allein durch meine Verhältniſſe, ſon¬ dern auch durch meine Natur engere Gränzen in meiner Handlungsweiſe gezogen, es könnte alſo leicht kommen daß Dir etwas möglich wäre, was es darum mir noch nicht ſein könnte, Du mußt dies bei Deinen Blicken in die Zukunft auch bedenken. Willſt Du eine Lebensbahn mit mir wandlen, ſo wärſt Du vielleicht veranlaßt al¬ les Bedürfniß Deiner Seele und Deines Geiſtes, meiner Zaghaftigkeit oder vielmehr meinem Unvermögen aufzu¬ opfern, denn ich wüßte nicht wie ichs anſtellen ſollte Dir nachzukommen, die Flügel ſind mir nicht dazu ge¬272 wachſen. Ich bitte Dich faſſe es bei Zeiten ins Aug, und denke meiner als eines Weſens was manches un¬ verſucht muß laſſen, zu was Du Dich getrieben fühlſt. Wenn Du auch wollteſt manches Recht was Du ans Leben haſt aufgeben um mit mir zuſammen zu halten, oder beſſer geſagt, Du wollteſt von dem Element das in Dir ſich regt, nicht Dich durchgähren laſſen, blos um Dich meiner nicht zu entwöhnen; das wär ja doch ver¬ geblich. Es giebt Geſetze in der Seele, ſie machen ſich geltend oder der ganze Menſch verdirbt, das kann in Dir nicht ſo kommen, es wird immer wieder in Dir aufſteigen, denn in Dir wohnt das Recht der Eroberung, und Dich weckt zum raſchen ſelbſtwilligen Leben was mich vielleicht in den Schlaf ſingen würde, denn wenn Du mit des Himmels Sternen Dich beredeſt und ſie kühn zur Antwort zwingeſt, ſo würde ich eher ihrem leiſen Schein nachgeben müſſen, wie das Kind der ſchlum¬ merbewegenden Wiege nachgeben muß. — Alle Men¬ ſchen ſind Dir entgegen, die ganze Welt wirſt Du nur durch den Widerſpruch in Deiner Seele empfinden und erfahren, keine andere Möglichkeit für Dich ſie zu faſſen. Wo wirſt Du je eine Handlung, weniger noch eine Na¬ tur treffen die mit Dir einklänge? — es iſt noch nicht ge¬ weſen und wird auch nie ſein, (von mir will ich Dir273 nachher reden). Was andern Menſchen die Erfahrung lehrte, wozu ſie ſich bequemen, das iſt Dir der Unſinn der Lüge. Die Wirklichkeit hat als verzerrtes Un¬ geheuer ſich Dir gezeigt, aber ſie hat Dich nicht ge¬ ſcheucht. Du haſt gleich den Fuß drauf geſetzt, — und ob¬ ſchon ſie unter Dir wühlt und ewig ſich bewegt, Du läßt Dich von ihr tragen, ohne nur der Möglichkeit in Gedanken nachzugehen daß Du einen Augenblick mit ihr eins ſein könneſt. Ich ſpreche von heute und mehr noch von der Zukunft; ich wollte Dir wünſchen es kä¬ men Augenblicke in Deinem Leben wo Dir dieſes Zu¬ ſammenſtrömen mit andern Kräften gewährt wär. Erin¬ nerſt Du Dich Deines Traums auf der grünen Burg, den Du mir in der Nacht erzählteſt wo ich Dich weckte, weil Du ſehr im Schlaf geweint hatteſt. Ein Mann der zum Wohl, der Menſchheit — ich weiß nicht mehr welche Heldenthat — gethan hatte, ſei zum Richtplatz um dieſer großen That willen geführt worden. Das Volk habe in ſeiner Unwiſſenheit darüber gejubelt, und in Dir ſei große Begierde geweſen zu ihm aufs Schaffot zu gelangen, aber der Streich ſei gefallen noch kurz vorher, wie Du eben glaubteſt oben zu ſein. Du kannſt den Traum nicht vergeſſen haben. Dein ſchmerz¬ lich Weinen bewegte mich mit, ſo daß ich kaum wagte12**274Dich zu erinnern daß es nur ein Traum ſei, aber dies war eben worüber Du untröſtlich warſt. Du meinteſt, nicht im Traum ſei Dirs gegönnt das auszuführen was in Deiner Seele ſpreche, vielmehr noch verzweifelteſt Du an der Wirklichkeit. Damals in der Nacht habe ich geſcherzt um Dich ein wenig zu tröſten, aber heute fühl ich mich bewogen jene Frage, ob es nicht ein Verluſt ſei, nicht zuſammen mit jenem Helden im Traum geſtorben zu ſein, wieder aufzunehmen; ja es war ein Verluſt, denn das Erwachen, das Fortleben nach ſo beſtandner Prü¬ fung Deiner tiefen inneren Anlagen die ja doch ſo ſelten in der Wirklichkeit ſich bewähren und beſtätigen, mußte Dir ein Triumph ſein, einen Genuß gewähren, wenn es auch nur im Traum war; denn im Traum ſcheitert die edelſte Überzeugung wie oft. — Und ich ſtimme mit Dir ein, daß es ein Streich war den Dir Dein Dämon ſpielte, aber ein Weisheitsſtreich; — wärſt Du befriedigt worden im Traum, ſo wär Deine Sehnſucht das Große gethan zu haben vielleicht auch befriedigt. Und was konnte daraus hervorgehen für Dich? — vielleicht jene nachläſſige Zuverſicht in Dich ſelber, was Savigny al¬ lenfalls Hochmuth nennen würde? — nein das wohl nicht, aber doch würde die Spannung wahrſcheinlich nicht geblieben ſein, die jetzt, ich wollt es wetten, bei275 der leiſeſten Anregung jener unerfüllten Sehnſucht ſich wieder erneuen wird.
Ich wollte Dir wünſchen Bettine (unter uns geſagt, denn dies darf niemand hören) daß jede tiefe Anlage in Dir vom Schickſal aufgerufen würde, und keine Prü¬ fung Dir erlaſſen, daß nicht im Traum aber in der Wirklichkeit Dir das Räthſel auf eine glorreiche Art ſich löſe, warum es der Mühe lohnt gelebt zu haben. — Pläne werden leicht vereitelt, drum muß man keine machen. Das Beſte iſt ſich zu Allem bereit finden was ſich einem als das Würdigſte zu thun darbietet, und das Einzige was uns zu thun obliegt iſt, die hei¬ ligen Grundſätze die ganz von ſelbſt im Boden unſerer Überzeugung emporkeimen, nie zu verletzen, ſie immer durch unſre Handlungen und den Glauben an ſie mehr zu entwicklen, ſo daß wir am End gar nicht mehr anders können als das urſprünglich Göttliche in uns, bekennen. Es giebt gar viele Menſchen, die große Weihgeſchenke der Götter mitbekommen haben, und keines derſelben anzuwenden vermögen, denen es ge¬ nügt über dem Boden der Gemeinheit ſich erhaben zu glauben, blos weil der Buchſtabe eines höheren Geſetzes in ſie geprägt iſt, aber der Geiſt iſt nicht in ihnen aufgegangen und ſie wiſſen nicht wie weit ſie276 entfernt ſind jenen Seelenadel in ſich verwirklicht zu haben auf den ſie ſich ſo mächtig zu gut thun. — Die¬ ſes ſcheint mir alſo die vornehmſte Schule des Lebens, darauf zu achten daß nichts in uns jene Grundſätze durch die unſer Inneres geweiht iſt, verläugne; weder im Geiſt noch im Weſen. Jene Schule entläßt den edlen Menſchen nicht, bis zum letzten Hauch ſeines Lebens. Dein Ephraim wird mir recht geben und iſt ein Beweis dafür. Ich glaub auch, daß es die höchſte Schickſals¬ auszeichnung iſt zu immer höheren Prüfungen angeregt zu ſein. — Und man müßte wohl das Schickſal eines edlen Menſchen aus ſeinen Anlagen weiſſagen können. — Du haſt Energie und Muth zur Wahrhaftigkeit, und zu¬ gleich biſt Du die heiterſte Natur die kaum das Unrecht ſpürt was an ihr verübt wird. Dir iſts ein Leichtes zu dulden was andre nicht ertragen können, und doch biſt Du nicht mitleidsvoll, es iſt Energie was Dich bewegt andern zu helfen. — Sollt ich Deinen Charakter zu¬ ſammenfaſſen ſo würd ich Dir prophezeihen wenn Du ein Knabe wärſt Du werdeſt ein Held werden; da Du aber ein Mädchen biſt ſo lege ich Dir all dieſe Anla¬ gen für eine künftige Lebensſtuffe aus, ich nehme es als Vorbereitung zu einem künftigen energiſchen Cha¬ rakter an, der vielleicht in eine lebendige regſame Zeit277 geboren wird. — Auch wie das Meer Ebbe und Fluth hat, ſo ſcheinen mir die Zeiten zu haben. Wir ſind in der Zeit der Ebbe jetzt, wo es gleichgültig iſt wer ſich geltend mache, weil es ja doch nicht an der Zeit iſt daß das Meer des Geiſtes aufwalle, das Menſchenge¬ ſchlecht ſenkt den Athem und was auch Bedeutendes in der Geſchichte vorfalle, es iſt nur Vorbereiten, Gefühl wecken, Kräfte üben und ſammeln, eine höhere Potenz des Geiſtes zu erfaſſen. Geiſt ſteigert die Welt, durch ihn allein lebt das wirkliche Leben, und durch ihn allein reiht ſich Moment an Moment, alles andre iſt verflüch¬ tigender Schatten, jeder Menſch der einen Moment in der Zeit wahr macht iſt ein großer Menſch, und ſo ge¬ waltig auch manche Erſcheinungen in der Zeit ſind, ſo kann ich ſie nicht zu den Wirklichkeiten rechnen, weil keine tiefere Erkenntniß, kein reiner Wille den eignen Geiſt zu ſteigern ſie treibt, ſondern der Leidenſchaft ganz gemeine Motive. Napoleon zum Beiſpiel. — Doch ſind ſolche nicht ohne Nutzen fürs menſchliche Vermögen des Geiſtes. Vorurtheile müſſen ganz geſättigt, ja gleich¬ ſam überſättigt werden eh ſie vom Geiſt der Zeit ab¬ laſſen. Nun! welche Vorurtheile mag wohl dieſer Aller Held, ſchon erſchüttert haben? — und welche wird er nicht noch bis zum Ekel ſättigen? wie manches werden278 die zukünftigen Zeiten nicht mit Abſcheu ausreuten, dem ſie jetzt mit leidenſchaftlicher Blindheit anhängen. Oder ſollte es möglich ſein daß nach ſo ſchauderhaften Ge¬ ſpenſterſchickſalen, der Zeit nicht gegönnt ſei ſich zu be¬ ſinnen? — Ich zweifle nicht dran, alles nimmt ein End und nur was lebenweckend iſt, das lebt. — Ich habe Dir genug geſagt hierüber, Du wirſt mich verſte¬ hen. Und warum ſollte nicht ein jeder ſeine eigne Lauf¬ bahn feierlich mit Heiligung beginnen, ſich ſelbſt als Entwicklung betrachtend, da unſer aller Ziel das Gött¬ liche iſt, wie und wodurch es auch gefördert werde? — Ja ich habe Dir genug geſagt um Dir nah zu legen daß jene Anlagen des höheren Menſchengeiſtes das ein¬ zige wirkliche Ziel Deiner inneren Anſchauung ſein müſſe, daß es Dir ganz einerlei ſein müſſe ob, und wie fern Dein Vermögen zur Thätigkeit komme. Innerlich bleibt nichts ungeprüft im Menſchen was ſeine höhere ideale Natur hervorbringen ſoll. — Denn unſer Schickſal iſt die Mutter, die dieſe Frucht des Ideals unterm Herzen trägt. — Nehme Dir aus dieſen Zeilen alles was Deine angehäuften Blät¬ ter berührt, beſchwichtige Deine Ängſtlichkeit um mich damit. Lebe wohl und habe Dank für alle Liebe und auch den guten Ephraim grüße in meinem Namen, und ſchreib mir von ihm, und ſprich auch mit ihm von mir.
279Deine Schweſter Lullu fragte mich, ob Du wohl mit ihnen auf ein paar Monat nach Caſſel gehen wer¬ deſt. Thu es doch, mir iſts als würde eine Unterbre¬ chung Deines Lebens Dir jetzt recht geſund ſein, obſchon ich ſonſt nicht dafür ſein würde.
Caroline.
Ich hab einmal tief aufgeathmet. Dein Brief iſt da! Weißt Du was ich gethan hab? Drei Tag hab ich mich hingelegt und mich geſtreckt und geruht; als wär ich einer ſchweren Arbeit los. — Ich will gewiß nie wieder ſo ſein. Doch wer kann für ſolche Gewitter¬ luft. Über Deinen Brief will ich gar nicht mit Dir ſprechen, als blos daß ich Dich mit heimlichen Schauern geleſen hab. — Es iſt vielleicht noch nachziehende Schwer¬ muth, ich weiß nicht was es iſt; ich will Dein Herz nicht anrühren, mir iſt als wollt es ausruhen in ſich, mir iſt der ganze Brief wie ein Abſchluß, — ach nein das nicht, — wie ein Ordnen vor dem Abſchied, wo Du mich ins Leben ſchickſt wie ein älterer Bruder den jüngeren, nicht wahr? — aber nicht auf lang? — Du willſt nur280 ich ſoll mich mit mir allein beſinnen damit ich auch lerne mir ſelbſt rathen. Drum vom Brief wollen wir nichts reden. Ich verſtehe Alles. Und entweder empfind ich manches noch mit Weh, weil ich noch verwundet mich fühl oder weil ich nicht ſtark bin eine göttliche Stimme aus Dir zu vernehmen; mit Weinen horch ich auf Dich. Ich leſe aus Deinem Brief Deiner Stimme Laut, dieſer rührt mir die Sinne, ſonſt nichts. Ich bin ein krankes Kind von müd gewordner Liebesanſtrengung, und ſo muß ich jetzt weinen daß die Sorge, ach ja! die Verzweiflung mir genommen iſt! — Dumm bin ich und launig! — So heftig klopfte mir das Herz als Dein Brief da war, es war ſchon Nacht, — ich nahm ihn aber mit auf den Thurm und bat die Sterne daß Alles ſehr gut ſein möge was drinn ſteht, und hab ge¬ fragt ob es mir wohl Ruh geben werde was drinn ſteht? Was mir die Sterne geantwortet haben? — ach ich weiß es gar nicht! Aber ich wollt die Unruh einmal nicht wieder auf mich nehmen. — Günderode! wenn ich auch je verdiente an Dir daß Du Dich von mir wendeſt, ich habs im Voraus abgebüßt. — Dein Brief kam mir wie Nebel vor — ja wie Nebel — und dann wars als wenn dadurch ein Altar ſchimmert mit Lichtern, dann iſt es wie ein Flüſtern, wie Gebet in dieſem Brief. —281 Ein Zuſammenfaſſen all Deiner Geiſteskräfte als woll¬ teſt Du den Geiſt der Trauer in mir beſchwören. — — Als der Ephraim heut kam, ich war gar nicht geneigt zum Lernen; — ich vergaß ihn zu grüßen, da er doch eben von der Reiſe gekommen war, er ſprach aber von ſelbſt von ſeinen Enkeln allen, er ſaß und ich ſtand am Tiſch; aber weil er ſo freundlich immer meine Stille durch ſanfte melodiſche Mittheilungen anglänzte wie ſanfter Abendſchein eine Wolke anleuchtet! — die Wolke war ſo weich geworden von dem Leuchten der ſcheiden¬ den Sonne daß ſie weinen mußte; ich traute nicht den Mann anzuſchauen den alles Schickſal zur Schönheit reifte; — und ſein Leben eine lautere Sprache mit dem Göttlichen. — Denn was konnt ich vorbringen warum ich ſo war? — Ich ſagte, bleibt noch, als er glaubte ich wollt gern allein ſein; — denn, ſagt ich: die Wände da ſagen Du biſt für nichts auf Erden, wenn ich allein bin. — Aber wenn Ihr da ſeid, ſo thun ſich die Wände auf und ich ſeh hinaus in den unendlichen Oſten. Ich nahm ſeine Hand in die meine die er feſthielt, und nun ſprachen wir von ſeinen Kindern, denn ich wollt mich nicht ſo hingehn laſſen, es iſt auch einerlei von was man mit ihm ſpricht, denn ſein Weſen und ſein Spre¬ chen iſt geiſtige Menſchheit und ſo heilſtrömend iſt dieſe282 ideale Geſundheit in ihm daß man immer mehr von ſeinen reinen Worten trinken möcht. Ach Du ſchreibſt ich ſoll Dir recht viel von ihm erzählen. Wärſt Du doch ſelbſt hier! — Vorgeſtern fiel mirs ein wie die Abendröthe ſchon dem Dunkel wich und das reine kalte Blau durch die Fenſter herein leuchtete daß es unend¬ lich ſchön ſein müßte wenn wir Drei zuſammenſäßen und ſprächen ſo in die Nacht hinein. Alles Große ſpricht er ſo heiter aus, alles iſt ſo einfach, ſo noth¬ wendig, als ſei das Leben reiner geiſtig durchgebildet in ihm. Und das iſt es auch. — Ich gab ihm Deinen Brief und ſagte ihm er ſolle es mir auslegen warum ich mich nicht beſinnen kann; und was es iſt daß ich mich nicht in die gewohnte Stätte ſichern Vertrauens hineinfinde in dieſem Brief, als ſei die Pforte zu Dei¬ nem Herzen nebelverhüllt. Aber wie er wegging war ich ſchon viel heiterer geworden, und am Tag vorher war ich auf dem Thurm geweſen, aber die Sterne ſag¬ ten mir nichts, ich beſann mich nur da oben auf meine frühere Kindheit, auf meinen Vater, wie ich dem ſo ſchmerzſtillend war. Wie die Mutter geſtorben war und keiner ſich zu ihm wagte, Abends in den langen Saal wo er im Dunkel allein ſaß vor dem Bild der Mutter, und die Laternen von der Straße warfen zer¬283 ſtreute Lichter hinein. Da kam ich zu ihm — nicht aus Mitleid, denn ich weinte nicht mit ihm, grad wie Du in Deinem Brief ſagſt es ſei kein Mitleid, ſondern Energie, — oft hab ich mich ſelbſt gewundert daß ich immer kalt bin beim ſogenannten Unglück, andere denen es ſchwer auf der Seele liegt die können oft nicht helfen, aber Theil nehmen. Ich kann nicht Theil nehmen, mich treibts die Dornen aus dem Pfad zu reißen. — Aber mit dem Vater war es anders. Ich glaub es giebt vielleicht Augenblicke im Leben wo ein rein Verhältniß zwiſchen Gottheit und Menſchheit iſt, ſo daß die Menſchennatur ſich dazu eignet das zu über¬ nehmen was die Menſchen Botſchaft Gottes nennen, alſo das Amt der Engel verrichten. Denn ich lief un¬ willkührlich zum Vater hinein und umhalſte ihn und blieb ſtill auf ſeinen Knieen ſitzen und ſo lang es ſchon her iſt und damals auch meine Gedanken nicht drauf gerichtet waren, ſo beſinne ich mich doch der ruhigen Kälte in mir und wie dem einſamen Vater die Schwere vom Herzen fiel, und er ließ ſich von mir aus dem Zimmer führen. — Später im Kloſter, in Fritzlar, als man uns ſeinen Tod mittheilte, da frug uns die Oberin, ob wir keine Anzeige von ſeinem Tode gehabt hätten? ich ſagte: ja ich habe im Springbrunnen es geleſen. 284Da weckte mich Nachts der Mondſchein und ich ging einen ſehr ängſtlichen Weg durch viele dunkle Gänge bis ich zum Garten kam an den Springbrunnen, weil ich mit der Seele meines Vaters im Waſſer reden wollte. Und ich ging alle Nacht hinunter, da redeten die Wel¬ len mit mir wie jetzt die Sterne; es waren aber Geiſter damals, denn ich ſah ſie herumgauklen in der Luft quer durch den Mondſchimmer und bald hier im Gras oder in den hohen Taxusbäumen. Wenn Du aber fragſt wie es ausſah was ich zu ſehen meinte, ſo muß ich Dir ſa¬ gen es war mehr ein Gefühl von etwas Höherem als ich, von dem ich durch meine Augen gewahr ward daß es ſei, und wo mirs im Gefühl war daß es mit mei¬ nen Lebensgeiſtern ſich zu ſchaffen mache, und was mir dieſe Erſcheinungen oder Nichterſcheinungen mittheilten. Das war ſo daß ich ganz willenlos war, wie der Erd¬ boden auch willenlos iſt in den man Samen ſtreut. — Ich ſah nur zu daß dieſe Geiſter mein Schauen durch¬ kreuzten, und ein reines Bejahen ihres Willens war in mir, ohne daß ich mir dieſen Willen in Gedanken hätt überſetzen können. O ich glaub gewiß die Geiſter müſ¬ ſen den Geiſt in die Menſchenſeele legen. Denn alles Wahrhaftige was man denkt iſt Geſchenktes, es über¬ raſcht ſpäter als Gedanke den Begriff, wie die Erſchei¬285 nung der Blüthe aus der Erde hervor uns auch über¬ raſchen müßte. — Und dann iſt es ſo ſeltſam daß dieſe Geiſtesbezauberung einem gleichſam betäubt daß man Alles vergeſſen muß, daß es wie tiefer Schlaf iſt eine Weile in der Seele, und daß dann gar nichts erinnerlich iſt. — Phantaſie? — Was iſt Phantaſie? — iſt das nicht der Geiſter bunter Spielplatz auf den ſie Dich als freundliches Kind mitnehmen, und ſo ſehr auch Alles Spiel iſt, ſo hat es doch Beziehung auf die Geheimniſſe in der Menſchenbruſt. — Und die Menſchen wiſſens nicht wie ſie zum Licht des Geiſtes kommen, denn dies iſt eins von den Lebensgeheimniſſen. Aber wie weiß ichs doch? — vielleicht weil ich gleich ſo feſten Glauben in ſie hatte, vielleicht iſts der Glaube der die Geiſter feſſelt daß ſie einem näher rücken müſſen. Denn der Glaube bannt Alles in einem hinein und der Unglaube verjagt Alles. — Aber — in Offenbach bei der Gro߬ mama, da wars wohl ſchon zwei Jahr her daß ich aus dem Kloſter war, ich war ſchon zwölf oder dreizehn Jahr alt, — und guckte ſo um mich und hatte ſo ein dumpf Gefühl als wenn alles närriſch wär rund um mich, al¬ les Erziehungsweſen, aller Unterricht, alle Sittenpre¬ digt und Religionslehre, Alles warf ich über einen Hau¬ fen, ich konnts nicht begreifen als lebendig und konnts286 nicht verwerfen, denn ich wußt nichts vom Leben. Da wars auch ſo daß ich in der Nacht fortgezogen wurde an eine ferne öde Stätte und da wars mir ſchon viel deutlicher was ich erfuhr, es war mir viel gewiſſer, keinen Augenblick hatte ich mehr einen Zweifel daß nicht Alles nur beengende Narrheit ſei was um mich vorging; und was ich vom Leben und wie mans nahm, gewahr ward, — und niemals hätte mir irgend wer imponiren können, aber wie ich Dich ſah da war mirs klar in Dir, ich hätt nie an einem Wort können zweiflen, im Ge¬ gentheil war ſo manches was wie Räthſel klang als wenn jene Geiſter von Deiner Zunge mich anliſpelten; und es dauerte auch gar nicht lang ſo öffneten ſich mir tiefe Lichtwege, und ſo wie ich meinte eben daß wohl die unmündigen aber dem Göttlichen noch ganz vertrauten Sinne der Kinder zu Botſchaftern göttlichen Einfluſſes auf die kranke Menſchennatur ſich eignen, ſo mögen wohl hochſtrebende Naturen, deren Bahn ſich nicht trennt vom Geiſt, wohl auch dazu taugen daß die Geiſter ſich mit Wort und elektriſcher Wirkung durch ſie mittheilen. So ſind jene Geiſter meiner Kinder¬ jahre durch Deinen Geiſt ſprachſelig zu mir geworden. — Ja was wollt ich doch mit Dir reden? — das war daß ich den erſten Tag nachdem ich Deinen Brief em¬287 pfing nichts wie derlei Erinnerungen hatte und kein Reden mit den Sternen war; und geſtern aber war ich ſo heiter geworden, und hier will ich Dir herſchreiben was ich da oben von den Sternen erfahren hab.
Der wahre Geiſt iſt nicht allein, er iſt mit den Gei¬ ſtern, — ſo wie er ausſtrahlt ſo ſtrahlt es ihn wieder, ſeine Erzeugniſſe ſind Geiſter die ihn wieder erzeugen.
Geiſt ſind Sonnen die einander ſtrahlen, — Licht nimmt Licht auf, — Licht ſehnt ſich nach Licht, — Licht geht über ins Licht, — Licht vergeht im Licht. — Viel¬ leicht iſt das die Liebe. —
Was ſich nach Licht ſehnt iſt nicht lichtlos, denn die Sehnſucht iſt ſchon Licht, die Roſe trägt das Licht in der Knospe verſchloſſen. —
Die Schönheit die ſinnlich vergeht, die hat einen Geiſt der ſich weiter entwickeln will, der Roſe Geiſt ſteigt höher wenn ihre Schönheit verblühte. — Im Geiſt blühen tauſend Roſen, die Sinne ſind der Boden aus dem das Schöne in den Geiſt aufblüht, die Sinne tra¬ gen die Roſen ſie blühen in dem Geiſt auf. — Der Geiſt iſt der Äther der Sinne, — die Roſe berührt den Athem, das Geſicht und das Gefühl! — Warum bewegt die Roſe das Gefühl? — athme ihren Duft und Du wirſt bewegt; — gewiß liegt in ihrem Daſein Seligkeit die288 nur ihr eigen iſt, — gewiß war dieſe Seligkeit einmal die Deine, — und jetzt wo Du ihren Duft einathmeſt fühlſt Du den Geiſt der Roſe die längſt verblühte in Dir fortblühen.
Was iſt Erinnerung? — Erinnerung iſt viel tiefer als ſich auf das beſinnen was wir erlebten. Auch in ihren Verwandlungen berührt ſie ewig den Geiſt — ſie iſt unendlich — ſie wird Gefühl — dann wird ſie Ge¬ danke, der reizt den Geiſt zur Leidenſchaft; als Leiden¬ ſchaft erzeugt ſie den Geiſt aufs Neue.
Aus jedem Lebenskeim entſteht Leben, Leben erzeugt fortwährend Lebenskeime die alle blühen müſſen. Alles Erlebte iſt Lebenskeim, die Erinnerung trägt ſie im Schooß.
Ich weiß wohl warum von Roſen die Rede war mit den Sternen. — Einmal war ich heiter geworden wie der Ephraim fort war, — und dann ſchwamm noch röthlich Gewölk am Himmel als ich oben auf der freien Warte ankam, und dann will ich nie wieder unfrei ath¬ men! das iſt nicht meine Sach, unter der Laſt keuchen! — ſetzeſt Du mir nicht einmal ums andre immer wie¬ der neue Flügelpaare an, und die Sterne wie lehren die mich doch die Flügel ſchwingen! und trag ich nicht Dein Leben in meiner Bruſt und meines auch? — und wenn ich ſo viel Flügel hab was ſoll mir eine Laſtſein? 289ſein? — alles ſchwing ich auf gen Himmel, Schweiß wird mirs koſten, warum nicht Laſten tragen wenn ich ſie aufſchwingen kann in die Himmel. — Was iſt das, ein Athlethe ſein und nicht den Erdball auf den Fin¬ gern tanzen laſſen? —
Haben wirs nicht ausgemacht wir wollen das ge¬ meine Leben, unter uns ſinken laſſen, haben wir nicht zu einander geſagt laß uns ſchweben und nicht an die¬ ſem oder jenem feſthalten? — und war's nicht das erſte worauf wir unſer Seyn begründeten daß wir al¬ les wollten wagen zu denken? — und iſt der nicht un¬ ſinnig der das Denken wollt vor die Thüre ſtoßen, weißt der nicht göttliche Botſchaft ab, — und warum iſt denn nur Geiſt was frei ſchwebt und was ſich an¬ lehnt iſt nicht Geiſt. — O ja! das begeiſtert mich, ſo zu denken und der Nebel umflort Dich nicht mehr, und es iſt hell wie ich Dich denk, — und wenn auch. — Wir können wohl über die Nebel hinausſteigen, — Deine Fittige wolle Dir nicht brechen laſſen, ich ſag Dir gut daß ich die Erde und ihren Frevel am Geiſt, in Banden halten werd. — Was iſt? — was kannſt Du gewin¬ nen was Du nicht wagſt? — und was Du verlieren kannſt lohnt es der Mühe es zu bewahren, Du ver¬ lierſt nur was Du nicht wagſt. —
II. 13290Ein Held ſein und ſich vor nichts fürchten, da kommt der Geiſt geſtrömt und macht Dich zum Welt¬ meer. — Die Wahrheit erfüllt Dich, der Muth umarmt die allumarmende Weisheit. — Die Wahrheit ſagt zum Muth, brich deine Feſſeln, — und dann fallen ſie ab von ihm. — Der Schein iſt Furcht, die Wahrheit fürchtet nicht, wer ſich fürchtet der iſt nicht wirklich der ſcheint nur. — Furcht iſt Vergehen, Erlöſchen des wahrhaften Seins. — Sein iſt der kühnſte Muth zu denken. Denken iſt gottbewegende Schwinge. — Wie ſollte das göttliche Denken ſich an die Sclavenfeſſel legen? — Iſt das was Ihr für wahr ausgebt Wahrheit, ſo ſchwing ich mich im Denken zu ihr auf. —
Wenn ich mich aufſchwinge ſo iſts in die Wahr¬ heit, lieg ich an der Feſſel ſo bin ich nicht an die Wahr¬ heit gekettet. Freiſein macht allein daß alles Wahrheit ſei, von was ich mich feſſeln laſſe das wird zum Aber¬ glauben, Nur was geiſtentſprungen mir einleuchtet das iſt Wahrheit, — was aber den Geiſt feſſelt das wird Aberglaube. Geiſt und Wahrheit leben in einander und erzeugen ewig neu. —
So hab ich mich frei gemacht von meiner Furcht, weil Furcht Lüge iſt. — Und Muth muß die Lüge über¬ winden. Und ich bin wieder Eins mit Dir.
291Ach wie viel Strahlen brechen ſich doch heut in meiner Seele!
Adieu und der Lullu hab ich verſprochen daß ich mit nach Caſſel geh, ſie ſchreibt: nur auf drei Wo¬ chen. —
Ich bin heut auf mancherlei Weiſe beglückt, erſt¬ lich hab ich heut wirklich einen Roſenſtock in meinem Zimmer ſtehen den mir einer heimlich hereingeſtellt hat, mit ſiebenundzwanzig Knospen, das ſind Deine Jahre, ich hab ſie freudig gezählt und daß es grad Deine Jahre trifft das freut mich ſo; ich ſeh ſie alle an, das kleinſte Knöspchen noch in den grünen Win¬ deln das iſt wo du eben geboren biſt. Dann kommt das zweite da lernſt Du ſchon lächeln und dahlen mit dem kleinen grünen verſchloſſenen Viſir Deines Geiſtes, und dann das dritte da biſt Du nicht mehr feſtgehal¬ ten. bewegſt Dich ſchon allein, — und dann winkſt Du ſchon mit den Roſenlippen und dann ſprechen die Knos¬ pen und dann bieten ſie ſich dem Sonnenlicht, und dann13*292ſind fünf bis ſechs Roſen die duften und ſtrömen ihre Geheimniſſe in die Luft, und dieſer Duft umwallt mich und ich bin glücklich. — Wer hat ſie mir wohl ins Zimmer geſtellt? — Heut morgen kamen die Studenten herauf und gleich war Aller Blick auf den Roſenſtock am Fenſter gerichtet, — denn es iſt was ſeltnes um dieſe harte Winterzeit hier in Marburg, denn ich glaube wohl nicht das Treibhäuſer hier ſind.
Der Ephraim war nicht da heute wo ſein Tag iſt — den er ſonſt nicht verſäumt, und als ich Abends auf den Thurm wollt da kam ſein Enkel mir zu ſagen daß er unwohl iſt, — ich ſag was fehlt ihm? — nur matt iſt er, ſagte der Enkel, ſonſt iſt er ganz wohl, ich ſag ſieh den ſchönen Roſenſtock, er ſagt ich kenne ihn wohl, der Großvater hat ihn heute Morgen durch mich geſchickt, und weil es noch früh war ſo hab ich ihn vor die Thür geſetzt, — ich frag habt Ihr ihn denn ſelbſt gepflegt — ja der Großvater hat ihn ſchon zum zwei¬ tenmal zur Blüthe gebracht. —
Es iſt ſchön daß der Roſenſtock mein iſt, wär doch der Ephraim wieder geſund, denn Du haſt mir ja ge¬ ſchrieben ich ſoll mit ihm von Dir ſprechen, das letzte¬ mal konnt ich nicht weil ich zu bang war; — vielleicht aber iſts daß er meint ich wär zum lernen nicht aufge¬293 legt, warum er ſichs verbietet zu kommen, ich hab ihn aber bitten laſſen zu kommen wenn er beſſer iſt, ich hab ihm auch alten Madera geſchickt, er wird ſchon beſſer werden; es war ſehr ſchön heut auf dem Thurm, es iſt Frühlingsluft und die Abende ſind heiter und rein, ich geh früher jetzt, ſchon immer wenn die Sonne unterge¬ gangen iſt, eh ich nach Haus geh iſt doch ſchon ſternige Nacht, nun werd ich den Thurm bald verlaſſen, die Lullu ſchreibt am ſiebzehnten wird ſie kommen, Du haſts geſagt ich ſoll mit ihr gehen und ich wollt ihrs auch nicht abſchlagen, — es war ſchön hier und viel¬ bedeutend, und was ſoll ich mich fragen was in mir geworden iſt. Mein Geiſt iſt voll geheimer Anregung das iſt genug, die Natur hab ich nicht beleidigt und meine innere Stimme auch nicht verläugnet.
Was den Geiſt verläugnet das verſiegt eine Gei¬ ſtesquelle, — Buße iſt ein Wiederſuchen, Wiederfinden dieſer Quelle, denn echter Geiſt ſtrömt Geiſt, — Gro߬ muth verzeiht alles aber duldet nicht was gegen den Geiſt iſt.
Großmuth iſt Stammwurzel des Geiſtes, durch die der Geiſt einen Leib annimmt, Handlung wird. Was nicht aus ihr hervorgeht iſt nicht Tugend.
294Großmuth dehnt ſich willenlos aus über alles, wo ſie ſich conzentrirt da iſt ſie Liebe.
In der Liebe brennt Deine Seele in der Flamme der Großmuth, ſonſt iſts keine Liebe. — Nur in der Großmuth hat alles Wirklichkeit weil in ihr allein der Geiſt lebt, — ſo alſo nur, kann die Liebe ſelig machen. —
Jede Liebe iſt Trieb ſich ſelbſt zu verklären. Wenn nicht dem Liebenden die Gottheit, die Weisheit das Haupt ſalbet, und die königliche Binde umlegt, da iſts nicht die wahre Liebe.
Ein Liebender iſt Fürſt, die Geiſter ſind ihm un¬ terthan, wo er geht und ſteht begleiten ſie ihn, ſie ſind ſeine Boten und tragen ſeinen Geiſt auf den Geliebten über. —
Das war meine geſtrige Sternenlection ſeit die Ro¬ ſen in meinem Zimmer blühen ſprechen ſie als mit mir von Liebe.
Heut Morgen hab ich den Roſenſtock wieder ans Fenſter geſtellt eh die Studenten kamen und hab hinter dem Vorhang gelauſcht ob ſie wieder heraufgucken, ſie haben ſich bemüht die Roſen zu zählen einer zählte ſiebzehn der andere funfzehn, ſo viel ſind grade zu ſe¬ hen, die andern ſind noch zu klein, — könnt ich jedem eine hinunterwerfen ſie an ſeine Mütze zu ſtecken.
295Heut war der Ephraim bei mir er wußte daß ich die andre Woche geh, wir ſprachen von meinem Wie¬ derkommen denn ich bleib nur drei Wochen mit der Lullu aus. — Wir ſprachen von Dir, er ſagte ſo viel Gutes von Dir, er las auch meine letzten Blätter an Dich, er ſagte, man müſſe nicht fürchten daß was man liebe, einem verloren gehn könne, weil er wohl erkannte etwas in Deinem Brief mache mir bang um Dich; er ſagte Du ſeiſt einzig in Deiner Art, Du habeſt eine große Bahn, und wer nicht andre Wege gehe als die ſchon gebahnten und angewieſnen der ſei nicht Dichter. Es ſind nicht tauſend Dichter, es iſt nur Einer, die andern klingen ihm nur nach; — klingen mit. — Wenn eine Stimme erſchallt, ſo weckt ſie Stimmen. Dichter iſt nur, der über allen ſteht. Der Dichtergeiſt geht durch viele und dann conzentrirt er ſich in Einem. — Oft wird er nicht erkannt und doch ſteht[er] höher als alle. — —
Wer nicht andre Wege geht, als die ſchon ge¬ bahnten und angewieſenen der iſt nicht Dichter. Und wenn nicht auf eignem Heerd das Feuer brennt, das ihn erleuchte und wärme, der wird kein anderes dazu berathen finden. Lodert aber auf Deinem Heerd die Flamme, dann wird jede Dir leuchten und alle Dich wärmen. — Man kann ruhen im Geiſt, man kann296 thätig ſein im Geiſt; aber alles was nicht im Geiſt geſchieht iſt verlorne Zeit. — Es wird wohl ſelten dem Dichtergeiſt ſein Recht gethan, der kühne Adel jener Gedanken, die wir als Dichtung erfahren, ſollte wie Helden uns ewig imponiren. — — — Und ſo ſchwätz¬ ten wir noch ein Weilchen, und nicht alles hab ich be¬ halten was ſich da ergab, — aber der Ephraim war blaß und ſein Enkel brachte ihm noch einen Mantel; einmal will ich ihn noch ſehen. —
Auf dem Thurm geweſen aber nichts aufgeſchrie¬ ben, es thut mir leid daß ich mich vom Thurm trenne; wo wirds wieder ſo ſchön ſein und was hab ich den Sternen nicht alles zu verdanken. Sie haben mir Wort gehalten. Nicht wahr ſie haben uns beide zuſammen gepflegt und was ſie mir ſagten das haben ſie auch Dir geſagt, — und wir waren beide recht ver¬ ſchwiſtert in ihrer Hut. — Wie wirds ſein wenn ich wiederkehre? — dieſe vier Monate meines Lebens, ich konnte ſie nicht ſchöner zubringen. — Nicht wahr, Na¬ tur und tiefer Geiſt die haben mich hier freundlich em¬ pfangen, die zwei Genien meines Lebens. Der Ephraim. — In was für eine Welt leb ich denn? — ich träume, ja wohl ich ſchlafe und die großen Geiſter haben mich in den Traum begleitet und haben zwiſchen die irdiſche297 Welt ſich geſtellt und mich, und ſo hab ich ein himm¬ liſch Leben geführt. Wenn ich in dieſe Zeit ſchau ſo iſt ſie wie ein Diamant der mir vielmal die Sonne ſpie¬ gelt. — Du haſt mir gleich geſagt geh mit, und Du haſt recht gehabt, — ſo haſt Du auch gewiß recht daß ich mit nach Caſſel geh, ich geh auch mit großem Zu¬ trauen, nichts darf länger währen als nur die leiſeſte Anregung es mochte geſtatten.
Ihr guten Studenten! heut haben ſie wieder nach den Roſen geſehen, — ich möcht ſie Euch alle abbrechen eh ich weggeh und ſie Euch auf den Kopf werfen. —
Der Ephraim darf nicht mehr den Berg herauf kommen es ermüdet ihn zu ſehr, auf ſeiner Reiſe zu den Enkeln da wars ſo kalt, da hat er ſich zu ſehr an¬ geſtrengt, er darf nicht mehr herauf, vielleicht wenn ich wiederkehr iſt er wieder geſund, einundſiebzig Jahr iſt er alt, aber mir wird er geſund bleiben; — wenn wir dies Frühjahr zuſammen auf dem Trages ſind, Sa¬ vigny meint Du werdeſt hinkommen, dann wollen wir ihm zuſammen Briefe ſchreiben, nicht wahr? — und recht heitere, — dies wird der letzte lange Brief ſein den ich Dir von hier ſchreib.
Die Lullu hat mir viel Grüße von Dir gebracht und ſagt Du freuſt Dich aufs Trages zu kommen und13**298Dein kleiner Brief beſtätigt es auch, ſie ſagt Du biſt recht heiter, ſo bin ich auch ganz glücklich, ach was hab ich Dich doch gepeinigt mit meiner Ängſtlich¬ keit die mir ſonſt nicht eigen iſt, Gott weiß wo's her¬ kam, ich bin ganz luſtig, ich begreifs nicht daß ich ſo dumm war. Ich glaub der Winterwind und die Sterne haben mich im Kopf und Herzen verwirrt gemacht, über¬ morgen reiſen wir ab. —
Weißt Du was ich gethan hab? — ich ließ dem Ephraim ſagen ich werde zu ihm kommen geſtern und ich hab mich zu ihm führen laſſen um dieſelbe Stund wo er gewöhnlich kommt, aber es war geſtern Freitag, und wie ich kam ſaß er fein gekleidet auf ſeinem Seſſel und eine Lampe mit vier Lichtern war angezündet auf dem Tiſch. Er wollte aufſtehen, aber er iſt müde. Und wie iſt es doch? — ob er wohl heimgeht zu ſeinen Vä¬ tern? — ich brachte ihm zwei Goldſtücke für meinen Unterricht, er machte ein kleines Käſtchen auf wo ein Paar Trauringe drinn liegen und allerlei Schmuck, er ſagt es ſei von ſeiner verſtorbenen Frau und von ſeinen Kindern. Er legte die Goldſtücke dazu, das Alles iſt ſo fein, ſo edel. Welch ein geiſtig Gemüth. O Ephraim Du gefällſt mir unendlich wohl. Ich hatte ihm ſeinen Roſenſtock zurückgebracht, er ſollt ihn aufbewahren, die299 Roſen ſind viel mehr aufgeblüht, wie ſchön ſtanden ſie bei der hellen Lampe zu ſeinem ſchneeweißen Bart. Ich ſagte die Roſen und Euer Bart gehören zuſammen und es iſt mir lieb daß ich keine abgebrochen habe, denn Ihr ſeid vermählt zuſammen mit den Roſen, ſie ſind Eure Braut. Ich war ein paar Mal verſucht ſie ab¬ zubrechen und ſie den Studenten hinunter zu werfen, weil ſie ſo lüſtern danach hinaufſahen. Er ſagte, „ O wenn Sie es erlauben, ſo will ich ſie ſchon unter den Studenten austheilen, es beſuchen mich alle Tage welche und dann werden ſchon mehrere kommen, wenn ſie wiſ¬ ſen daß es Roſen bei mir giebt. “ Das war ich zufrieden und ich freu mich recht drüber daß meine Studenten noch meine Roſen kriegen.
Er hat mich aber geſegnet wie ich von ihm ging und ich hab ihm die Hand geküßt; und wie iſt doch der Geiſt ſo ſchön wenn er ohne Tadel reift. Sein Enkel mußte mich nach Haus begleiten auf ſeinen Be¬ fehl weil ich nur eine Magd bei mir hatte. Ich ſchickte ihn aber bald wieder zurück und hab dem Enkel geſagt, er ſoll dem Großvater ſagen daß er alle Tage meiner gedenke bis ich wiederkomm. — Als ich wegging vom Ephraim legte er mir die Hand auf den Kopf und ſagte: „ alles Werden iſt für die Zukunft. “
300Ich ging zu Hauſe gleich nach dem Thurm weil ich mich noch einmal recht deutlich beſinnen wollt auf dieſes mächtige und doch ſo einfache friedenhauchende Geiſtesgeſicht, ſo wie ich ihn eben verlaſſen hatte im Schimmer der hellen polirten vierfachen Lampe, die Roſen bis zu ſeinem weißen Bart ſich neigend, ſo hab ich ihn zum letzten Mal geſehen. Deutet dies nicht auf ſeinen Abſchied vom Erdenleben das er ſo mühe¬ voll, ſo friedlich, ſo freudevoll durchführte, denn auch mir hat er beim Abſchied geſagt: „ Sie haben mir viel Freude gegeben. “— Und wie ich eine ganze Weile an ihn gedacht hatte, ſo beſann ich mich auf ſeine Worte: „ Alles Werden iſt für die Zukunft. “— Ja wir nähren uns von der Zukunft, ſie begeiſtert uns. — Die Zukunft entſpringt dem Geiſt wie der Keim der nährenden Erde. — Dann ſteigt er himmelauf und blüht und trägt Erleuchtung. — Der Baum, die Pflanze iſt der Geiſt der Erde der aufſteigt zum Licht zur Luft. Der Geiſt der Erde will ſich dem Licht vermählen, das Licht entwickelt die Zukunft.
Alles echte Erzeugniß iſt Auffahren zum Himmel, iſt Unſterblichwerden.
Und die Schönheit dieſes Mannes leuchtete mir da in der letzten Stunde auf dem Thurm ſo recht hell auf,301 denn das Bild mit den Roſen, es war als hätt es mein Genius beſtellt daß ichs recht faſſen ſolle, wie Du die Tempelhalle geweiht achteſt von der Du weißt daß in¬ ner ihren Mauern die Opferflamme lodert, der Tempel iſt nur dann heilig wenn er den Menſchen, den eignen Leib darſtellt, — und des Gottes Lehre den eignen Geiſt. — Das hat er einmal geſagt zu mir.
Und eben ſah ich noch die Studenten ins Colleg gehen und ſie waren recht verwundert daß der Roſen¬ ſtock nicht mehr da war. Ich ſahs ihnen an, es war ihnen Leid, ſie hatten nun ſchon acht Tage hinter einan¬ der die Roſen gezählt. — Wartet nur Ihr werdet ihn bald ausfündig machen und dann werden die Artigſten unter Euch meine Roſen in der Weſte tragen dürfen.
Bettine.
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
Franke.
Mädchen.
Franke.
Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.
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