PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Börne's Briefe aus Paris
1830 1831.
Erſter Theil.
[II][III]
Geſammelte Schriften
Neunter Theil.
Hamburg. BeiHoffmann und Campe. 1832.
[IV][V]
Briefe aus Paris
1830 1831
Erſter Theil.
Hamburg. BeiHoffmann und Campe. 1832.
[VI][VII]

Inhalt.

  • Erſter BriefSeite 1
  • Zweiter Brief 4
  • Dritter Brief 8
  • Vierter Brief 14
  • Fünfter Brief 29
  • Sechster Brief 35
  • Siebenter Brief 46
  • Achter Brief 53
  • Neunter Brief 60
  • Zehnter Brief 65
  • Eilfter Brief 73
  • Zwölfter Brief 81
  • Dreizehnter Brief 90
  • Vierzehnter Brief 98
  • Funfzehnter Brief 110
  • Sechszehnter Brief 116
  • Siebzehnter Brief 124
  • Achtzehnter Brief 129
  • VIIINeunzehnter BriefSeite 137
  • Zwanzigſter Brief 147
  • Ein und zwanzigſter Brief 155
  • Zwei und zwanzigſter Brief 163
  • Drei und zwanzigſter Brief 168
  • Vier und zwanzigſter Brief 172
  • Fünf und zwanzigſter Brief 183
  • Sechs und zwanzigſter Brief 197
  • Sieben und zwanzigſter Brief 210
  • Acht und zwanzigſter Brief 223
[1]

Erſter Brief.

Ich fange an den guten Reiſegeiſt zu ſpüren, und einige von der Legion Teufel, die ich im Leibe habe, ſind ſchon ausgezogen.

Aber je näher ich der franzöſiſchen Grenze komme, je toller werde ich. Weiß ich doch jetzt ſchon, was ich thun werde auf der Kehler Brücke, ſobald ich der letzten badiſchen Schildwache den Rücken zukehre. Doch darf ich das keinem Frauen¬ zimmer verrathen.

Geſtern Abend war ich bei S. Die hatten einmal eine Freude mich zu ſehen! Sie wußten gar nicht, was ſie mir alles Liebes erzeugen ſollten, ſie hätten mir gern die ganze Univerſität gebraten vor¬ geſetzt. Mir Aermſten mit meinem romantiſchen Magen! Nicht der Vogel Rock verdaute das. Die W. hat einen prächtigen Jungen. Ich ſah eineI. 12ſchönere Zeit in roſenrother Knoſpe. Wenn die ein¬ mal aufbricht! Wie gern hätte ich ihn der Mutter geſtohlen, und ihn mit mir über den Rhein geführt, ihn dort zu erziehen mit Schlägen und Küſſen, mit Hunger und Roſinen, daß er lerne frei ſein und dann zurückkehre, frei zu machen.

In Heidelberg ſah ich die erſten Franzoſen mit dreifarbigen Bändern. Anfänglich ſah ich es für Orden an, und mein Ordens-Gelübde legte mir die Pflicht auf, mich bei ſolchem Anblicke inbrünſtig zu ärgern. Aber ein Knabe, der auch ſein Band trug, brachte mich auf die rechte Spur.

Ich mußte lachen als ich nach Darmſtadt kam und mich erinnerte, daß da vor wenigen Tagen eine fürchterliche Revolution geweſen ſeyn ſoll, wie man in Frankfurt erzählte. Es iſt eine Stille auf den Straßen, gleich der bei uns in der Nacht, und die wenigen Menſchen, die vorübergehen, treten nicht lauter auf als die Schnecken. Erzählte man ſich ſogar bei uns, das Schloß brenne, und einer meiner Freunde ſtieg den hohen Pfarr-Thurm hinauf, den Brand zu ſehen! Es war Alles gelogen. Die Bür¬ ger ſind unzufrieden, aber nicht mit der Regierung, ſondern mit den Liberalen in der Kammer, die dem Großherzoge ſeine Schulden nicht bezahlen wollen. Das iſt deutſches Volks-Murren, das laß ich mir gefallen; darin iſt Roſſiniſche Melodie.

3

Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß ich geſtern drei Stunden im Theater geſeſſen, und mit himmliſcher Geduld Minna von Barnhelm bis zu Ende geſehen bin ich gar nicht böſe darüber. Aber das Unwahrſcheinlichſte iſt manchmal wahr. Auf der Reiſe kann ich alles vertragen.

Die Theaterwache in Darmſtadt war gewiß funfzig Mann ſtark. Ich glaube auf je zwei Zu¬ ſchauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu wenig in ſolcher tollen Zeit. Und dieſen Morgen um ſechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an meinem Fenſter vorüber und trompeteten mich, und alle Kinder, und alle Greiſe, und alle Kranken, und alle ſüßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das geſchieht wohl jeden Tag. Dieſe kleinen deutſchen Fürſten in ihren Nußſchal-Reſidenzen ſind gerüſtet und geſtachelt wie die wilden Kaſtanien. Wie froh bin ich, daß ich aus dem Lande gehe.

Adieu, Adieu. Und ſchreiben Sie mir es nur auf der Stelle, ſo oft bei uns eine ſchöne Dumm¬ heit vorfällt.

1 *
[4]

Zweiter Brief.

Die erſte franzöſiſche Kokarde ſah ich an dem Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der Anblick. Es erſchien mir wie ein kleiner Regenbogen nach der Sündfluth unſerer Tage, als das Friedens¬ zeichen des verſöhnten Gottes. Ach! und als mir die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte ganz un¬ beſchreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen konnten meine gepreßte Bruſt erleichtern. Es war ein unentſchiedenes Gemiſch von Liebe und Haß, von Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht. Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in meiner Bruſt den Muth nicht beſiegen. Es war ein Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne ſtand mitten auf der Brücke, mit der Stange in5 Frankreichs Erde wurzelnd, aber ein Theil des Tu¬ ches flatterte in deutſcher Luft. Fragen Sie doch den erſten beſten Legations-Sekretär, ob das nicht gegen das Völkerrecht ſei? Es war nur der rothe Farbenſtreif der Fahne, der in unſer Mutterland hineinflatterte. Das wird auch die einzige Farbe ſeyn, die uns zu Theil wird werden von Frankreichs Freiheit. Roth, Blut, Blut ach! und nicht Blut auf dem Schlachtfelde.

Gott! könnte ich doch auch einmal unter dieſer Fahne ſtreiten, nur einen einzigen Tag mit rother Dinte ſchreiben, wie gern wollte ich meine geſam¬ melten Schriften verbrennen, und ſelbſt den unſchul¬ digen achten Theil von ihnen, der noch im Mutter¬ ſchooſe meiner Phantaſie ruht! Schmach, Schmach über unſer Andenken! Einſt werden die ſiegesfrohen, ſiegesübermüthigen Enkel ſpottend einen Gansflügel auf unſeren Grabeshügel ſtecken, während glücklichere Todte unter dem Schatten der Lorbeeren ruhen. Ich begreife, wie man gegenwärtige Uebel geduldig er¬ trägt es gibt kein gegenwärtiges Uebel, es wird nach jeder Minute zur Vergangenheit aber wie erträgt man zukünftige Leiden? das faſſe ich nicht.

Dieſen Mittag war ein junger Menſch bei Tiſche, der in Paris mit gefochten. Es war mir gerade als brennten ihm die Haare, und unwillkühr¬ lich rückte ich von ihm weg, ob zwar ich deutſches6 naſſes Holz ihn eher ausgelöſcht hätte, als er mich angezündet. Wir waren unſerer neun, worunter drei alte Weiber, mich mitgerechnet, und ich habe in einer einzigen Stunde mehr ſprechen hören, als im eng¬ liſchen Hofe während der zwei Monate, daß ich dort zu Tiſche ging.

Ich wollte hier einen Platz im Coupe nehmen, aber ſchon auf acht Tage voraus war das Cabriolet in Beſchlag genommen, und ſo lange habe ich keine Geduld zu warten. Mich in den innern Wagen zu ſetzen, dazu kann ich mich nicht entſchließen. Uebri¬ gens ſind auch hier die Plätze ſchon auf mehrere Tage beſetzt. Dieſe Frequenz kommt von den un¬ zähligen Soliciteurs, die täglich nach Paris eilen, den jungen Freiheitsbaum zu ſchütteln.

Um zehen Uhr reiſe ich weiter. Ich habe mir einen Miethwagen bis Chalons genommen. Das iſt zwei Dritt-Theile des Weges. Mit dem nehmlichen Kutſcher und dem nehmlichen Wagen, iſt vor kurzem Potter nach Paris gefahren. Ich wohnte hier in dem nehmlichen Zimmer, das er bewohnte. Was das Zimmer betrifft, iſt mir nicht bange; eine Nacht, das kann mir nicht ſchaden. Aber acht Tage in Potters Wagen? Ich werde ihn durchräuchern laſſen.

7

Eben zog die National-Garde vorüber. Ich erſtaunte über ihr geſundes und friſches Ausſehen, da ſie doch einige Jahre ſcheintodt im Grabe gele¬ gen. Aber die Freiheit lebt auch im Grabe fort und wächſt, bis ſie den Sarg ſprengt. Das ſollten ſich die Todtengräber merken.

[8]

Dritter Brief.

Guten Morgen oder guten Abend? Ich weiß nicht um welche Tageszeit Sie meine Briefe erhal¬ ten. Hier übernachte ich, morgen Mittag komme ich nach Nancy. Ich befinde mich ſehr wohl und reiſe bequem. Es iſt freilich eine Schneckenfahrt, doch hat das auch ſeine Vortheile. Während die Räder ſich langſam drehen, hat man Zeit manches zu bemerken, und die Phyſiognomie des Landes zu beobachten. Aber nein, ſo ein leeres Geſicht iſt mir noch gar nicht vorgekommen. Lebloſeres, langweili¬ geres, verdrüßlicheres gibt es gar nicht als dieſer ganze Weg von der deutſchen Grenze bis nach Paris. Es iſt jetzt das dritte Mal, daß ich ihn zurücklege. Mir kommt er vor wie ein langer ſtiller Gang, nur gebaut, in das wohnliche Paris zu führen, und die mir begegnenden Menſchen erſcheinen mir als9 die Diener des Hauſes, die hin und her eilen, die Befehle ihres Herrn zu vollziehen und ihm aufzu¬ warten. Die Bevölkerung in den Provinzen hat eine wahre Lakaien-Art, ſie ſpricht von nichts als von ihrem gnädigen Herrn Paris. Die Städte, die Dör¬ fer ſind Miſthaufen, beſtimmt Paris zu düngen. Wenn auch die andern Provinzen Frankreichs denen gleichen, die ich kenne, ſo möchte ich außerhalb Paris kein Franzoſe ſein, weder König noch Bürger.

Das menſchliche Leben iſt voller Rechnungs¬ fehler und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu uns das Einmal Eins nützt. Der Teufel iſt Controlleur und hat ſeine Freude am Widerſpruch, um jeden Abend den ehrlichen Buchhalter zu verwirren. Am zwölften September des vorigen Jahres war ich, wie ich aus meinem Tagebuche erſahe, in Soden, der letzte Gaſt im Bade, der einzige Städter im Dorfe, ſaß gefan¬ gen auf meinem Zimmer, von dem ſchlechteſten Wet¬ ter bewacht, ward gefoltert von den boshafteſten Ner¬ ven. Es war Abends acht Uhr, ich lag auf dem Sopha, das ungeputzte Licht brannte düſter, Wind und Regen klopften leiſe an das Fenſter, es war mir, als wenn die Elemente riefen: komm zurück, wir erwarten dich! Es war mir unendlich wehe. Ich fühlte mich wie fortgeſchleppt von den gewaltigen10 Armen der Natur, und kein Freund kam zu meiner Hülfe .... Wer mir damals geſagt hätte: heute über das Jahr biſt du um dieſe Stunde in Vitry - ſür-Marne, froh und geſund und wirſt dort ſchlafen und nicht unter der Erde ich hätte ihn ausge¬ lacht inmitten meiner Schmerzen. Und wer am nehmlichen Tage dem Könige von Frankreich geſagt hätte: heute übers Jahr biſt du nicht König mehr, und ſchläfſt in England? .. Es iſt doch ſchön, kein König ſein! Daran will ich künftig denken, ſo oft ich leide. Armer Karl! Unglücklicher Greis! die Menſchen nein, unbarmherzig ſind ſie nicht, aber ſie ſind unwiſſende Thoren. Sie begreifen gar nicht, was das heißt: König ſeyn; ſie begreifen nicht was das heißt, auf ſchwachen menſchlichen Schultern den Zorn und die Rache eines Gottes tragen; ſie be¬ greifen nicht, was es heißt, einem einzigen Herzen, einer einzigen Seele die Sünden eines ganzen Volkes aufladen! Denn warum haben die Menſchen Könige, als weil ſie Sünder ſind? Iſt das Fürſtenthum etwas Anderes als ein künſtliches Geſchwür, welches die heilbedächtige Vorſehung, den Völkern zuzieht, daß ſie nicht verderben an ihren böſen Säften, daß ihre giftigen Leidenſchaften alle nach außen fliehen und ſich im Geſchwür ſammeln? Und wenn es auf¬ ſpringt endlich wer hat es ſtrotzend gemacht? Nicht ſchonen ſoll man verbrecheriſche Könige, aber11 weinen ſoll man, daß man ſie nicht ſchonen dürfe. Doch erzählen ſie das ja keinem wieder. Denn die Thoren anderer Art möchten ſagen: da iſt nun ein Freiheitsliebender Mann, der doch noch ſagt, es ſey dem Könige von Frankreich Unrecht geſchehen! Was? Recht! Unrecht! leere, tolle Worte! Verklagt den Sturm, verklagt den Blitz, verklagt das Erdbeben, verklagt das Fieber, verklagt die ſpitzbübiſche Nacht, die euch um den halben Tag geprellt und wenn ihr den Proceß gewonnen, dann kommt ihr geſchick¬ ten Advokaten und verklagt ein Volk, es habe ſeinem Könige Unrecht gethan!

Ich habe ſchon viel in Frankreich geſchla¬ fen: in Strasburg, in Pfalzburg, Lüneville, Nancy, Toul, Bar-le-Düc, und heute ſchlafe ich hier. Es iſt eine ſchöne Erfindung, wie Sancho Panſa ſagt; und wo man[ſchläft], man ſchläft immer zu Hauſe, und wo man träumt, man hat überall vaterländiſche Träume. Aber was geht das mich an? Ich bin auch wachend nirgends fremd.

In den Niederlanden ſcheint es arg herzugehen. Was aber die Leute dort wollen und nicht wollen, begreife ich nicht recht. Ihr hättet mich nicht ab¬ halten ſollen über Brüſſel zu reiſen. Es iſt freilich kein Vergnügen todtgeſchoſſen zu werden, und nicht zu wiſſen wofür. Aber wenn man im Bette ſtirbt, wie die Meiſten, weiß man dann beſſer, wofür es12 geſchieht? die Unannehmlichkeit dauert einige Minu¬ ten; das Vergnügen aber, nicht todtgeſchoſſen wor¬ den, der Gefahr entgangen zu ſeyn, reicht für das ganze Leben hin. Man muß rechnen, zählen, wie¬ gen. Auf mehr oder weniger, ſchwerer oder leichter kommt alles an. Die Qualitäten ſind nicht ſehr verſchieden.

Ach! ich ſpüre es ſchon, es ergeht mir dieſes¬ mal in Frankreich, wie die beiden vorigenmale. Die feuchte Philoſophie ſchlägt an mir heraus, wie, wenn warme Witterung eintritt, die Stein-Wände naß werden. Es iſt mir recht, dieſe Haut-Krankheit der Seele iſt meiner betrübten Konſtitution ſehr heilſam.

So eben las ich in einem Pariſer Blatte, die aus einer engliſchen Zeitung entlehnte Nachricht: in Hamburg wären Unruhen geweſen, man hätte die Juden aus den Kaffeehäuſern verjagt. Und in Han¬ nover hätten ſie geſchrieen; à bas la noblesse! Ich kann mir gar nicht denken, wie das im Deut¬ ſchen gelautet haben mag; denn unſere guten Leute können keinen andern Zorn-Ruf als das lateiniſche Pereat! was nun den Adel betrifft, ſo habe ich, bei aller Menſchenfreundlichkeit, nichts dagegen. Mit guten Fallſchirmen verſehen, wird er herunter kom¬ men ohne ſich ſehr wehe zu thun. Aber die Juden! die Franzoſen hatten ihre Julitage, wollen die Deut¬ ſchen ihren Auguſt -, ihre Hunds-Tage haben? Fängt13 man ſo die Freiheit an? O, wie dumm! O, wie lächerlich! O, wie unäſtethiſch! Von der Nieder¬ trächtigkeit will ich gar nicht ſprechen; die verſteht ſich von ſelbſt. Iſt es aber wahr?

Die Kellnerin kam herauf und ſagte mir: ſie hätte meinem Bedienten ein ganz gutes Zimmer angewieſen, er verlange aber ein Appartement. Ich ließ ihn rufen, und fragte, was das ſeyn ſollte? Da fand ſich denn, daß er die beſcheidenſte Forde¬ rung gemacht, und eine unſchuldige Neugierde zu be¬ friedigen geſucht, der kein Menſch, von welchem Stande er auch ſey, lange widerſtehen kann. Als feiner Nordländer war er gewohnt, das unartige Ding Appartement zu nennen.

[14]

Vierter Brief.

Der Ort liegt 28 Stunden von Paris entfernt, hat 2300 Einwohner und 2 Seelen, die meinige mitgerechnet. Denn das weiß ich nun aus achttägiger Erfahrung, daß alle Franzoſen eine gemeinſchaftliche Seele haben, und die in der Provinz gar nur eine Mondſeele, ein Licht aus zweiter Hand; Paris iſt die Sonne.

Napoleon, Rothſchild, ſchlimme Nachrichten und andere berühmten Couriere haben den Weg von Frankfurt bis Paris ſchon in 48 Stunden zurück¬ gelegt. Aber wer vor mir könnte ſich rühmen, dieſen Weg in dreizehn Tagen gemacht zu haben, wenn es vielleicht eintrifft, daß ich morgen nach Paris komme, was noch gar nicht entſchieden iſt? Bin ich ein Narr? Ach wie gern wollte ich Einer ſein, fände ſich wenigſtens ein Echo, das es mir bejahte. 15Aber nicht einmal eine menſchliche Seele, die mich auslacht! Allein zu ſein mit ſeiner Weisheit, das iſt man gewöhnt, das hat man ertragen gelernt; aber allein mit ſeiner Thorheit, das iſt unerhörter Jammer, dem unterliegt der Stärkſte! O, theures Vaterland, wie einfältig verkannte ich deinen Werth! Dort fand ich in jedem Nachtquartier eine kleine Reſidenz, oder den Sitz einer hohen Regierung, oder eine Garniſon, oder eine Univerſität, und in jedem Gaſthofe eine Weinſtube mit ſcharf geprägten Gäſten, die mir gefielen oder nicht gefielen, die meinem Herzen oder meinem Geiſte Stoff gaben, der aus¬ reichte bis zum Einſchlafen. Aber hier in dieſem vermaledeiten Rath-loſen Lande! Seit acht Tagen ſaß ich jeden Abend allein auf meinem Zimmer und verſchmachtete. Glauben Sie mir, man ſtirbt nicht vor Langerweile; das iſt nur eine dichteriſche Redens¬ art. Aber wie gern hätte ich für jeden Lieutenant einen Schoppen Wein bezahlt, für jeden Hofrath eine Flaſche, für jeden Profeſſor zwei Flaſchen, für einen Studenten drei; und hätte ich gar einen ſchönen Geiſt, einen Theaterkritiker an mein Herz drücken können, nicht der ganze Keller wäre mir zu koſt¬ ſpielig geweſen. Hofräthe, Hofräthe! wenn ich je wieder euerer ſpotte, dann ſchlagt mir auf den Mund und erinnert mich an Dormans.

Dormans wie das lieblich lautet! Wie16 Wiegen Eyapopeya. Und doch ſteckt der Teufel in jedem Buchſtaben. Aber leſen Sie nur erſt das Stück dormantiſche Poeſie, das Gebet an die Ge¬ duld, das ich dieſen Vormittag in der Verzweiflung meiner Ungeduld niedergeſchrieben, und dann ſollen Sie meine Leiden erfahren.

Geduld, ſanfte Tochter des grauſamſten Va¬ ters; Schmerzerzeugte, Milchherzige, weichliſpelude Göttin; Beherrſcherin der Deutſchen und der Schild¬ kröten; Pflegerin meines armen kranken Vaterlands, die du es warteſt und lehreſt warten.

Die du höreſt mit hundert Ohren, und ſieheſt mit hundert Augen, und bluteſt an hundert Wunden und nicht klageſt.

Die du Felſen kochſt und Waſſer in Steine verwandelſt.

Schmachbelaſtete, Segenſpendende Geduld; hol¬ des Mondlächelndes Angeſicht; heiligſte Mutter aller Heiligen, erhöre mich!

Sieh! mich plagt die böſe Ungeduld, deine Nebenbuhlerin; befreie mich von ihr, zeige, daß du mächtiger biſt als ſie. Sieh! mir zucken die Lippen; ich zapple mit den Füßen, wie ein Windelkind, das gewaſchen wird; ich renne toll wie ein Sekunden¬ zeiger um die ſchleichende Stunde; ich peitſche und17 ſporne vergebens die ſtättige Zeit: die hartmäulige Mähre geht zurück und ſpottet meiner. Ich ver¬ zweifele, ich verzweifele, o rette mich!

Löſche mein brennendes Auge mit dem Waſſer¬ ſtrahle deines Blickes; berühre mit kühlen Fingern meine heiße Bruſt. Hänge Blei an meine Hoffnun¬ gen, tauche meine Wünſche in den tiefſten Sumpf, daß ſie aufziſchen und dann ewig ſchweigen. Deutſche mich, gute Göttin, von der Ferſe bis zur Spitze meiner Haare und laſſe mich dann friedlich ruhen in einem Naturalien-Cabinet unter den ſeltenſten Ver¬ ſteinerungen.

Ich will dir von jetzt an auch treuer dienen und gehorſamer ſein in Allem. Ich will dir tägliche Opfer bringen, welchen du am freundlichſten lächelſt. Die Didaskalia will ich leſen und das Dresdner Abendblatt und alle Theaterkritiken, und den Hegel, bis ich ihn verſtehe. Ich will bei jedem Regenwetter ohne Schirm vor dem Palaſte der deutſchen Bundes - Verſammlung ſtehen und da warten bis ſie heraus¬ kommen und die Preßfreiheit verkündigen. Ich will in den Ländern das Treiben des Adels beobachten und nicht des Teufels werden, und nicht eher komme Wein über meine Lippen, bis dich die guten Deut¬ ſchen aus dem Tempel jagen und dein Reich endiget.

l. 218

Vorgeſtern gegen Mittag kam ich nach Chalons. Ich wollte meinen Strasburger Wagen, den ich einſt¬ weilen nur bis dahin gedingt hatte, nun weiter bis Paris miethen. Aber der Kutſcher hatte keine Luſt dazu, die Wege wären zu ſchlecht, oder was ihn ſonſt abhielt. Ich ſchickte nach einem andern Mieth¬ kutſcher. Jetzt denken Sie ſich die gräuliche Sta¬ tiſtik: In Chalons, einer Stadt von 12,000 Ein¬ wohnern, gibt es nur eine einzige Miethkutſche, und für dieſe wurde für die Reiſe nach Paris, das nur zwanzig Meilen entfernt iſt, 200 Franken gefordert! Da dieſes viel mehr als die Reiſe mit Poſtpferden beträgt, entſchloß ich mich zu Letzterem. Da hatte ich mich wieder verrechnet. In Deutſchland findet der Reiſende auf jeder Poſt Kutſchen, die ihn von Station zu Station führen. Hier aber hat die Poſt zu dieſem Gebrauche nur zweiräderige bedeckte Wa¬ gen, die nicht in Federn hängen, uns leicht die Seele aus dem Körper ſchleudern, und nicht einmal Platz haben, einen Koffer aufzupacken. So blieb mir nichts anderes übrig, als mit der Diligence zu reiſen, die eine halbe Stunde vor meiner Ankunft in Chalons abgegangen war, und die erſt den andern Mittag wiederkehrte. Vier und zwanzig Stunden ſollte ich warten! Ich war an dieſem Tage ganz gewiß der verdrießlichſte Menſch in ganz Europa, und war ſchwach genug zu überlegen, was beſſer ſey, Pre߬19 freiheit ohne[Retourwagen], wie in Frankreich, oder Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutſchland.

Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber in den Straßen war es ſo öde und ſtille, die Men¬ ſchen erſchienen mir ſo langweilig und gelangweilt, und ſelbſt im Kaffehauſe, ſonſt dem Pochwerke jeder franzöſiſchen Stadt, hatte Alles ſo ein ſchläfriges Anſehen, daß ich bald wieder nach Hauſe eilte. Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬ nigſtens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬ innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender, daß es wieder Zeit ſei, den guten Blutigeln, die zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit ſo vieles beitragen, ihr kleines monatliches Feſt zu geben. Es war mir eine willkommene Zerſtreuung, und ich ſchickte nach einem Chirurgen. Statt deſſen kam aber eine Frau von ſechzig Jahren, die ſich mir als Hebamme vorſtellte, und mich artig verſicherte, der von mir verlangte Dienſt ſei eigentlich ihr Ge¬ ſchäft. Ich muß geſtehen, daß die Franzöſin die Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬ ligkeit und ich möchte ſagen mit einer Grazie aus¬ führte, die ich bei dem geſchickteſten deutſchen Chi¬ rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte ſo viel An¬ ſtand in ihrem Betragen, war ſo abgemeſſen in allen ihren Bewegungen, ſprach ſo fein, ſo bedächtig und umſichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, ſie2*20mit der Ober-Hofmeiſterin einer gewiſſen deutſchen Prinzeſſin zu vergleichen, die ich vor vielen Jahren zu hören und zu beobachten Gelegenheit hatte. Vor meinem Bette ſitzend unterhielt ſie mich auf das an¬ genehmſte und lehrreichſte. Von der letzten Revo¬ lution ſprach ſie kein Wort, und dieſes überzeugte mich, daß es keine Prahlerei von ihr war, wenn ſie mich verſicherte, daß ſie nur die vornehmſten Kran¬ kenhäuſer beſuche. Sie erzählte mir viel von Unter - Präfekten, von einem gewiſſen Colonel, von der Frau des Gerichts-Präſidenten, und daß ſie weit und breit als Hebamme gebraucht werde. Erſt kürzlich wäre ſie zu einer Entbindung nach St. Denis geholt wor¬ den. Sie war die treueſte und verſchwiegenſte Heb¬ amme, verrieth nichts, hatte aber eine ſo geſchickte Darſtellung, daß auch die ſchläfrigſte Phantaſie Alles errathen mußte: zuweilen unterbrach ſie ihren Be¬ richt von den auswärtigen Angelegenheiten, warf einen Blick auf mich und rief mit Künſtler-Begeiſte¬ rung aus: ils travaillant joliment, ils travaillant joliment! So ging mir eine Stunde angenehm vorüber, aber drei und zwanzig Leidens-Stunden bis zur Ankunft der Diligence blieben noch übrig und als die Hebamme fort war, jammerte ich armer Kindbetter, daß es zum Erbarmen war.

Ich nahm Reinhards Reiſebuch zur Hand, und da las ich zu meinem Schrecken, daß Chalons einen21 Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre die ſchönſte Promenade Frankreichs. Ferner: in der Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einſt Attila von den Römern und Franken beſiegt worden. Das hätte ich nun alles ſehen mögen, war aber jetzt ſo ſchwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬ über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte mich unbehaglich, ſcheute die Nachtfahrt und faßte den raſenden Entſchluß mich nur bis Dormans, wo man Abends ankömmt, einſchreiben zu laſſen und da zu übernachten. So that ich es auch.

Meine Gefährten im Coupe waren eine junge ſchöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬ riodiſche Kunſtreiſe nach Paris machte, und ein ſchon ältlicher Herr, der, nach ſeiner dunklen Kleidung und der Aengſtlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die kleinſte ſchiefe Neigung des Wagens verſetzte, wohl ein proteſtantiſcher Pfarrer oder Schulmann war. Dieſe beiden Perſonen von ſo ungleichem Alter und Gewerbe unterhielten ſich, ohne die kleinſten Pauſen, auf das lebhafteſte mit einander; aber ich achtete nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe. In früheren Jahren war mir jede Reiſe ein Mas¬ kenballfeſt der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten22 und jubelten auf das ausgelaſſenſte, und es herrſcht in meinem Kopfe ein Gedränge von Scherz und Ernſt, von dummen und klugen Dingen, daß die Welt um mir her ſchwindelte. Was hörte, bemerkte, beobachtete, ſprach ich da nicht alles! Es waren Wolkenbrüche von Einfällen, und ich hätte hundert Jahrgänge des Morgenblatts damit ausfüllen kön¬ nen, und hätte die Zenſur nichts geſtrichen, tauſend Jahrgänge. Wie hat ſich das aber geändert! .. Ich ſitze ohne Theilnahme im Wagen, ſtumm wie ein Staatsgefangener in Oeſtreich und taub wie das Gewiſſen eines Königs. In der Jugend bemerkt man mehr die Verſchiedenheiten der Menſchen und Länder, und das eine Licht gibt tauſend Farben, im Alter, mehr die Aehnlichkeiten, alles iſt grau, und man ſchläft leicht dabei ein. Ich kann jetzt einen ganzen Tag reiſen ohne an etwas zu denken. Fand ich doch auf dem langen Weg von Strasburg hier¬ her nichts weiter in mein Tagebuch zu ſchreiben, als die Bemerkung, daß ich in Lothringen mit ſechs Pfer¬ den habe pflügen ſehen und daß mein Kutſcher Stun¬ denlang mit Konrad von der Preßfreiheit und den Ordonnanzen mit einem Eifer geſprochen als wäre von Hafer und Stroh die Rede. Und ſelbſt dieſes wenige ſchrieb ich nur kurz und trocken nieder, ohne alle ſatiriſche Bemerkungen gegen die Miethkutſcher in der großen Eſchenheimer Gaſſe, in der23 kleinen Eſchenheimer Gaſſe, hinter der ſchlimmen Mauer und den übrigen Frankfurter Gaſſen, die in der Nähe des Taxiſchen Palaſtes liegen. Den kleinen guten Gedanken: was würde Herr von Münch-Bellinghauſen thun, wenn ſich ein¬ mal ſein Kutſcher erkühnte, von Preßfreiheit zu ſpre¬ chen und würde ihm das nicht Anlaß geben, eine vertrauliche Sitzung der hohen Bundes-Verſammlung zu veranſtalten und darin auf ſchärfere Zenſur in den Bundesſtaaten anzutragen? dieſen habe ich jetzt in dieſem Augenblicke erſt, und ihn ganz allein der Verzweiflung der Langenweile zu verdanken; im Tagebuch ſteht nichts davon Iſt das nicht ſehr traurig?

Man reiſt jetzt auf der Diligence unglaub¬ lich wohlfeil. Der Platz von Strasburg bis Paris, koſtet nicht mehr als 20 Franken, im Kabriolet 26. Dieſe Wohlfeilheit kömmt daher, weil es drei ver¬ ſchiedene Unternehmungen gibt, die ſich wechſelſeitig zu Grunde zu richten ſuchen. Bei ſolchen niedrigen Preiſen, haben die Aktionärs großen Verluſt, den ſie nicht lange ertragen können. Es kömmt jetzt darauf an, wer es am längſten aushält. Von Chalons bis Paris gehen täglich, die Malle-Poſte ungerechnet, ſechs Diligencen, drei von Metz, drei von Stras¬ burg kommend. Unter dieſen ſieben Looſen habe ich ſchon drei Nieten gezogen, denn in den drei Wagen,24 welche dieſen Mittag durchkamen, waren keine Plätze mehr. Heute Abend kommen die Andern und wenn ich Glück habe wie bisher, werden ſie gleichfalls be¬ ſetzt ſeyn, und ich vielleicht acht Tage in Dormans bleiben müſſen. Das wäre mein Tod. Und wel¬ cher Tod! Der Tod eines Bettlers. Denn man wird hier auf eine ſo unerhörte Art geprellt, daß ein achttägiger Aufenthalt meine Kaſſe erſchöpfen, und mir nicht ſo viel übrig bleiben würde, meine Begräbnißkoſten zu beſtreiten. Hören Sie weiter wie es mir ging.

Um, wenn der Wagen ankäme, nicht aufgehal¬ ten zu ſeyn, verlangte ich dieſen Vormittag ſchon meine Wirthshaus-Rechnung. Die Wirthin machte die unverſchämte Forderung von etlichen und zwanzig Franken. Ich hatte geſtern Abend nichts als Bra¬ ten und Deſſert gehabt, ein elendes Schlafzimmer, und dieſen Morgen Kaffee. Der Bediente das nehm¬ liche und wahrſcheinlich alles noch ſchlechter. Ich ſagte der Wirthin, ſie ſollte mir die Rechnung ſpe¬ zifiziren. Sie ſchrieb mir auf: Nachteſſen 9 Fr., Zimmer 8, Frühſtück 3, Zuckerwaſſer 1 Fr. und für einige Leſe-Bücher, die ich aus der Leihbibliothek hatte holen laſſen, 30 Sous. Ich fragte ſie kalt und giftig, ob ſie bei dieſer Forderung beſtände, und als ſie erwiederte: ſie könne nicht anders, nahm ich die Rechnung und ging fort, die Wirthin zu verklagen. 25Ich wollte einmal ſehen, wie in einer, auf ei¬ ner Monarchie gepfropften Republik die Juſtiz be¬ ſchaffen ſei. Ich trat in den Laden eines Apothekers um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu erkundigen. Die Apotheke ſah derjenigen, welche Shakſpeare in Romeo und Julie beſchrieben, ſehr ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben können. Der müßige Apotheker las die neue Charte Constitutionelle. Statt aber auf meine Frage nach der Wohnung des Friedensrichters zu antworten, fragte er mich, was ich da ſuche? Ich erzählte ihm meinen theuren Fall. Er erkundigte ſich nach dem Wirthshauſe,[und] als ich es ihm bezeichnet, erwie¬ derte er mir, er wiſſe nicht, wo der Friedensrichter wohne. Wahrſcheinlich war er mit der ſpitzbübi¬ ſchen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ ihm einen verächtlichen Blick zurück. So ſind die Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat hinein, ein Hund ſprang mir entgegen, der mich bald zerriſſen hätte, und auf deſſen Gebell eilte ein Knecht herbei, der mir ſagte, der Friedensrichter wäre verreiſt und ich ſollte mich an den Greffier wen¬ den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬ fiers. Der war über Land gegangen. Ich ſuchte den Maire auf; man ſagte mir, der wäre zum Prä¬ fekten gerufen worden, und ich ſollte zum Maire¬26 Adjunkten gehen. Dieſen fand ich zu Hauſe. Es war ein kleines altes Männchen in blonder Perücke, der einen großen Pudel auf dem Schoos hatte und ihn ſchor. Ein junges Frauenzimmer, Tochter oder Haushälterin, war mit Bügeln beſchäftigt. Als ich eintrat, ließ der Maire-Adjunkt den Hund laufen, hörte meine Klage an, und ſah mir über die Schul¬ ter in die Rechnung, die ich ihm vorlas. Das Mädchen trat auf meine linke Seite, ſah mir gleich¬ falls über die Schulter in die Rechnung, verbrannte mir mit dem heißen Bügeleiſen den kleinen Finger und rief in größtem Eifer aus: Nein, das iſt uner¬ hört, aber dieſe Leute machen es immer ſo. Der Maire-Adjunkt fiel ſeiner wahrſcheinlichen Haushäl¬ terin nicht ohne Schüchternheit in das Wort, bemerkte, er könne ſich nicht in die Sache miſchen, das ginge den Friedensrichter an. Uebrigens, mein Herr, ſchloß er ſeine Rede, Sie werden ſchon öfter gereiſt ſein. Dieſe kurze und weiſe Bemerkung brachte mich zur Beſonnenheit, ich ſtrich meinen verbrannten Finger an der noch ungeſchornen Seite des Pudels, welches mir ſehr wohl that, und ging fort.

Nach Hauſe zurückgekommen, erzählte ich der Wirthin, ich hätte ſie verklagen wollen, aber die Be¬ hörden wären alle abweſend, und ſo blieb mir nichts übrig, als ſie noch einmal zu fragen, ob ſie ſich denn gar nicht ſchäme, ich hätte ja ganz ſchlecht zu Nacht27 gegeſſen? Die Tochter der Wirthin erwiederte dar¬ auf: ich hatte ſehr gut zu Nacht gegeſſen, ich hätte ein Suprême de Volaille. gehabt. Dieſes Suprême de Volaille war nichts als ein Dreieck von dem Leibe eines Huhns, in deſſen einem Winkel eine kalte Krebsſcheere ſtak, welche irgend ein Paſſagier viel¬ leicht ſchon vor der Revolution ausgehöhlt hatte. Ich glaube, die Suprematie dieſes Gerichts beſtand blos in dieſer hohlen Krebsſcheere, denn das Uebrige war etwas ganz Gewöhnliches. Ich ward heftig und antwortete der Tochter: Que me parlez-vous d'un Suprême de Volaille? Vous êtes un Su¬ prême de Canaille! Kaum hatte ich das Zorn¬ wort ausgeſprochen, als ich es bereute. Erſtens aus Höflichkeit, und zweitens aus Furcht; denn der Koch war mit ſeinem langen Meſſer hinzugetreten, und ich dachte, er würde mich auf der Stelle ſchlachten. Aber zu meinem Erſtaunen achteten Wirthin, Toch¬ ter und Koch gar nicht auf mein Schimpfen, ſie verzogen keine Miene und es war, als hätten ſie es gar nicht gehört. Ich kann mir dieſe Unempfindlich¬ keit nicht anders erklären, als daß ich zu feines Franzöſiſch geſprochen, welches die Kleinſtädter nicht verſtanden.

Ich bezahlte meine Rechnung, um mich aber an den Leuten zu rächen und ſie zu ärgern, ließ ich meine Sachen in das gerade gegenüber liegende28 Wirthshaus bringen. Hier ich zu Mittag, und ließ mir dann ein Zimmer geben, wo ich Ihnen ſchreibe und auf die Ankunft der Diligence warte.

Morgen oder übermorgen ſchreibe ich von Paris. Sollten Sie aber morgen wieder einen Brief mit dem Poſtzeichen Dormans erhalten, dann öffnen Sie ihn nur gleich mit weinenden Augen, denn Sie können voraus wiſſen, daß ich Ihnen mei¬ nen Tod melde.

[29]

Fuͤnfter Brief.

Seit geſtern bin ich hier und Alles iſt vergeſ¬ ſen. Ob ich geſund und froh, wie Sie es wün¬ ſchen, in Paris angekommen, oder durch mein An¬ kommen erſt geworden bin, wüßte ich kaum zu be¬ ſtimmen; doch glaube ich eher das Letztere. Ich habe wunderliche Nerven. Wenn ſie kein Lüftchen berührt, ſind ſie am unruhigſten und zittern wehkla¬ gende Töne gleich Elvirens Harfe in der Schuld. Dieſe Kränkelei macht mich ſo wüthend, daß ich meine eigenen Nerven zerreißen möchte. So oft ſie aber ein grober Sturmwind ſchlägt, bleiben ſie phi¬ loſophiſch gelaſſen, und verlieren ſie ja die Geduld, brummen ſie doch männlich, wie die Saiten einer Baßgeige. Ich kann es Ihnen nicht genug ſagen, wie mir ſo behaglich worden gleich von der erſten Stunde an. Das moraliſche Klima von Paris that30 mir immer wohl, ich athme freier, und meine deutſche Engbrüſtigkeit verließ mich ſchon in Bondy. Raſch zog ich alle meine Bedenklichkeiten aus und ſtürzte mich jubelnd in das friſche Wellengewühl. Ich möchte wiſſen, ob es andern Deutſchen auch ſo be¬ gegnet wie mir, ob ihnen, wenn ſie nach Paris kom¬ men, wie Knaben zu Muthe iſt, wenn an ſchönen Sommerabenden die Schule geendigt und ſie ſpringen und ſpielen dürfen! Mir iſt es gerade, als müßte ich unſerm alten Conrector einen Eſel bohren.

Ich wohne hinter dem Palais-Royal. Die Zimmer ſind gut, aber die enge Straße mit ihren hohen Häuſern iſt unfreundlich. Kein Sonnenblick den ganzen Tag. Und doch iſt es mir manchmal noch zu hell; denn ich habe merkwürdige Gegen¬ über. Erſtens, ſehe ich in die Küche eines Reſtau¬ rateurs. Schon früh Morgens fangen die ungewa¬ ſchenen Köche zu tüchten und zu trachten an, und wenn man ſo mit anſieht, wie die Grazie, die allen franzöſiſchen Schüſſeln eigen iſt, zu Stande kömmt, kann man die Eßluſt auf eine ganze Woche verlie¬ ren. Dann ſehe ich in das Zimmer einer Demoi¬ ſelle; in eine Schneiderswohnung; in einen Roulette - Saal und in eine lange Gallerie von Cabinets ino¬ dores. Wie ſchön, freundlich und glänzend iſt Alles nach der Gartenſeite des Palais-Royal; nach hin¬ ten aber, wie betrübt und ſchmutzig Alles! Ich31 werde mich eilen aus dieſen Couliſſen zu kommen und mich nach einer andern Wohnung umſehen.

Sie können es ſich denken, daß ich nicht lange zu Hauſe geblieben, ſondern gleich fort eilte, die alten Spielplätze meiner Phantaſie aufzuſuchen und die neuen Schlachtfelder, die ihr Wort gehalten. Aber ich fand es anders als ich erwartete. Ich dachte in Paris müſſe es ausſehen wie am Strande des Meeres nach einem Sturm, Alles von Trüm¬ mern bedeckt ſeyn, und das Volk müſſe noch toſen und ſchäumen. Doch war die gewohnte Ordnung überall und von der Verheerung nichts mehr zu ſe¬ hen. Auf einigen Strecken der Boulevards fehlen die Bäume, und in wenigen Straßen wird noch am Pflaſter gearbeitet. Ich hätte die Stiefeln ausziehen mögen; wahrlich, nur barfuß ſollte man dieſes heilige Pflaſter betreten. Die vielen dreifarbigen Fahnen, die man aufgeſteckt ſieht, erſchienen mir nicht als Zeichen des fortdauernden Krieges, ſondern als Frie¬ denspaniere. Die Fahne in der ſtolzen Hand Lud¬ wigs XIV. auf dem Place des Victoires machte mich laut auflachen. Wir haben die Reiterſtatüe vor acht Jahren zuſammen aufrichten ſehen. Wer hätte das damals gedacht? Träume von Eiſen und Mar¬ mor und doch nur Träume! Noch ſchwebt jener Tag mir vor, noch höre ich den Polizei-Jubel, höre alle die Lieder mit ihren Melodien, welche be¬32 zahlte Bänkelſänger auf dem Platze ſangen. Das eine Lied fing an: vive le roi, le roi, le roi, que chante le monde á la ronde jetzt müßte es hei¬ ßen ſtatt que chante, que chasse le monde à la ronde. Wenn er nur nicht ſo alt wäre! das verbittert mir ſehr meine Freude. Gott ſegne dieſes herrliche Volk, und fülle ihm die goldnen Becher bis zum Rande mit dem ſüßeſten Weine voll, bis es überſtrömt, bis es hinabfließt auf das Tiſchtuch, wo wir Fliegen herum kriechen und naſchen. Summ, ſumm wie dumm!

Alte deutſche Bekannte ſuchte ich gleich geſtern auf. Ich dachte durch ſie mehr zu erfahren, als was ich ſchon gedruckt geleſen, aber nicht Einer von ihnen war auf dem Kampfplatze, nicht Einer hat mit¬ gefochten. Es ſind eben Landsleute! Engländer, Nieder¬ länder, Spanier, Portugieſen, Italiäner, Polen, Grie¬ chen, Amerikaner, ja Neger haben für die Freiheit der Franzoſen, die ja die Freiheit aller Völker iſt, gekämpft und nur die Deutſchen nicht. Und es ſind deren viele Tauſende in Paris, theils mit tüchtigen Fäuſten, theils mit tüchtigen Köpfen. Ich verzeihe es den Handwerksburſchen; denn dieſe haben es nicht ſchlimm in unſerm Vaterlande. In ihrer Jugend dürfen ſie auf der Landſtraße betteln, und im Alter machen ſie die Zunfttyrannen. Sie haben nichts zu gewinnen bei Freiheit und Gleichheit. Aber die33 Gelehrten! Dieſe armen Teufel, die in Schaaren nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬ genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Geſell¬ ſchafter, mit der allgemeinen Zeitung correſpondiren; die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben, den ihnen nur freies Volk verſchaffen kann; die im dürren Vaterlande verhungern würden dieſe wenigſtens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil nehmen ſollen. Aber hinter einem dicken Fenſter¬ pfoſten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬ nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬ dern ſtatt zu bluten, und die Leiden eines Volks ſich von einem Buchhändler bogenweiſe bezahlen zu laſ¬ ſen nein, das iſt zu Schmachvoll, zu Schmach¬ voll!

Die Pracht und Herrlichkeit der neuen Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen nicht beſchreiben. Ich ſah ſie geſtern Abend zum erſten Male in ſonnenheller Gasbeleuchtung, und war überraſcht wie ſelten von etwas. Sie iſt breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgaſſen, die wir in früheren Jahren geſehen, ſo ſehr ſie uns damals gefielen, ſind düſtere Keller oder ſchlechte Dachkammern dagegen. Es iſt ein großer Zauber¬ ſaal, ganz dieſes Volks von Zauberern würdig. Ichl. 334wollte die Franzoſen zögen alle Weiberröcke an, ich würde ihnen dann die ſchönſten Liebeserklärungen machen. Aber iſt es nicht thöricht, daß ich mich ſchäme, Dieſem und Jenem die Hand zu küſſen, wozu mich mein Herz treibt die Hand, die un¬ ſere Ketten zerbrochen, die uns frei gemacht, die uns Knechte zu Rittern geſchlagen?

[35]

Sechster Brief

Ich komme aus dem Leſekabinett. Aber nein, nein, der Kopf iſt mir ganz verwirrt von allen den Sachen, die ich aus Deutſchland geleſen! Un¬ ruhen in Hamburg; in Braunſchweig das Schloß angezündet und den Fürſten verjagt; Empörung in Dresden! Seien Sie barmherzig, berichten Sie mir Alles auf das genaueſte. Und wenn Sie nichts Beſonderes erfahren, ſchreiben Sie mir wenigſtens die deutſchen Zeitungen ab, die ich hier noch nicht habe auffinden können. Den franzöſiſchen Blättern kann ich in ſolchen Dingen nicht trauen; nicht der zehnte Theil von dem, was ſie erzählen, mag wahr ſeyn. Was aber deutſche Blätter über innere An¬ gelegenheiten mittheilen dürfen, das iſt immer nur der zehnte Theil der Wahrheit. Hätte ich mich alſo doch geirrt, wie mir ſchon manche vorgeworfen? 3*36Wäre Deutſchland reifer als ich gedacht? Hätte ich dem Volke Unrecht gethan? Hätten ſie unter Schlaf¬ mützen und Schlafrock heimlich Helm und Harniſch getragen? O, wie gern, wie gern! Scheltet mich wie einen Schulbuben, gebet mir die Ruthe, ſtellt mich hinter den Ofen gern will ich die ſchlimmſte Züchtigung ertragen, wenn ich nur Unrecht gehabt. Wenn ſie ſich nur erſt die Augen gerieben, wenn ſie nur erſt recht zur Beſinnung gekommen, werden ſie ſich erſtaunt betaſten, werden im Zimmer umher blicken, das Fenſter öffnen und nach dem Himmel ſehen, und fragen: welcher Wochentag, welcher Monatstag iſt denn heute, wie lange haben wir geſchlafen? Unglückſelige! nur der Muthige wacht. Wie hat man es nur ſo lange ertragen? Es iſt eine Frage, die mir der Schwindel gibt. Einer erträgt es, noch Einer, noch Einer aber wie ertragen es Millio¬ nen? Der Spott zu ſeyn aller erwachſenen Völker! wie der kleine dumme Hans, der noch kein Jahr Hoſen trägt, zu zittern vor dem Stöckchen jedes alten, ſchwachen, gräulichen Schulmeiſters! .. Aber Wehe ihnen, daß wir erröthen! Das Erröthen der Völker iſt nicht wie Roſenſchein eines verſchämten Mädchens; es iſt Nordlicht voll Zorn und Ge¬ fahren.

37

Mitternacht iſt vorüber; aber ein Glas Ge¬ frorenes, das ich erſt vor wenigen Minuten bei Tortoni gegeſſen, hat mich ſo aufgefriſcht, daß ich gar keine Neigung zum Schlafe habe. Es war himmliſch! Das Glas ganz hoch aufgefüllt, ſah wie ein langes weißes Geſpenſt aus. Nun bitte ich Sie haben Sie je gehört oder geleſen, daß Jemand ein Glas Gefrorenes mit einem Geſpenſte verglichen hätte? Solche Einfälle kann man aber auch nur in der Geiſterſtunde haben. Den Abend brachte ich bei *** zu. Es ſind ſehr liebenswürdige Leute und die es verſtehen, wenn nur immer möglich, auch ihre Gäſte liebenswürdig zu machen. Das iſt das Sel¬ tenſte und Schwerſte. Es war da ein Gemiſch von Deutſchen und Franzoſen, wie es mir behagt. Da wird doch ein gehöriger Salat daraus. Die Fran¬ zoſen allein ſind Oehl, die Deutſchen allein Eſſig, und ſind für ſich gar nicht zu gebrauchen, außer in Krankheiten. Bei dieſer Gelegenheit will ich Ihnen die höchſt wichtige und einflußreiche Beobachtung mittheilen, daß man in Frankreich dreimal ſo viel Oehl und nur ein Dritttheil ſo viel Eſſig zum Sa¬ late verwendet, wie in Deutſchland. Dieſe Ver¬ ſchiedenheit geht durch die Geſchichte, Politik, Re¬ ligion, Geſelligkeit, Kunſt, Wiſſenſchaft, den Handel38 und das Fabrikweſen beider Völker, welches vor mir die berühmteſten deutſchen Hiſtoriker, die ſich doch immerfort rühmen, aus der Quelle zu ſchöpfen, leichtſinnig überſehen haben. Sie ſollen ſich aber den Kopf darüber nicht zerbrechen. Es iſt gerade nicht nöthig, daß Sie alles verſtehen was ich ſage, ich ſelbſt verſtehe es nicht immer. Wie herrlich wäre es, wenn beide Länder in allem ſo verſchmolzen wären, als es beide Völker heute Abend bei *** waren. In wenigen Jahren wird es ein Jahrtau¬ ſend, daß Frankreich und Deutſchland, die früher nur ein Reich bildeten, getrennt wurden. Dieſer dumme Streich wurde, gleich allen dummen Streichen in der Politik, auf einem Congreſſe beſchloſſen, zu Verdün im Jahr 843. Aus jener Zeit ſtammen auch die köſtlichen eingemachten Früchte und Dra¬ gées, wegen welcher Verdün noch heute berühmt iſt. Einer der Congreß-Geſandten hatte ſie erfunden, und war dafür von ſeinem genädigen Herrn in den Grafenſtand erhoben worden. Ich hoffe im Jahre 1843 endiget das tauſendjährige Reich des Anti¬ chriſts, nach deſſen Vollendung die Herrſchaft Gottes und der Vernunft wieder eintreten wird. Wir haben nehmlich den Plan gemacht, Frankreich und Deutſch¬ land wieder zu einem großen fränkiſchen Reiche zu vereinigen. Zwar ſoll jedes Land ſeinen eignen König behalten, aber beide Länder eine gemeinſchaft¬39 liche National-Verſammlung haben. Der franzöſiſche König ſoll wie früher in Paris thronen, der deutſche in unſerem Frankfurt, und die National-Verſamm¬ lung jedes Jahr abwechſelnd in Paris oder in Frank¬ furt gehalten werden. Wenn Sie Ihre Nichte O*** beſuchen, benutzen ſie doch die Gelegenheit, mit dem Koche des Präſidenten der Bundesverſammlung von unſerem Plane zu ſprechen. Der muß ja die Ge¬ ſinnungen und Anſichten ſeines Herrn am beſten kennen.

Die lieben Tuilerien habe ich heute wieder¬ geſehen. Sie hießen mich willkommen, ſie lächelten mir zu und alles dort war wie zu meinem Empfange glänzend und feſtlich eingerichtet. Ich fühlte mich ein Fürſt in der Mitte des fürſtlichen Volkes, das unter dem blauen Baldachin des Himmels von ſeiner Krönung zurückkehrte. Es iſt etwas Königliches in dieſen breiten, vom Goldſtaube der Sonne bedeckten Wegen, die an Palläſten vorüber, von Pallaſt zu Pallaſt führen. Mich erfreute die unzählbare Men¬ ſchenmenge. Da fühlte ich mich nicht mehr einſam; ich war klug unter tauſend Klugen, ein Narr unter tauſend Narren, der Betrogene unter tauſend Be¬ trogenen. Da ſieht man nicht blos Kinder, Mäd¬ chen, Jünglinge, Greiſe, Frauen; man ſieht die Kindheit, die Jugend, das Alter, das weibliche Ge¬ ſchlecht. Nichts iſt allein, geſchieden. Selbſt die40 mannichfachen Farben der Kleider, erſcheinen, aus der Ferne betrachtet, nicht mehr bunt; die Farben¬ geſchlechter treten zuſammen; man ſieht weiß, blau, grün, roth, gelb, in langen breiten Streifen. Wegen dieſer Fülle und Vollſtändigkeit liebe ich die großen Städte ſo ſehr. Seine angeborne Neigung und Rich¬ tung kann keiner ändern, und um zufrieden zu leben, muß darum jeder, was ihm lieb iſt, auf ſeinem Wege ſuchen. Aber das kann man nicht überall. Zwar findet man auch in der kleinſten Stadt jedes Landes Menſchen von jeder Art, unter welchen man wählen kann; aber was nützt uns das? Es ſind doch nur Muſter, die zu keinem Kleide hinreichen. Nur in London und Paris iſt ein Waaren-Lager von Menſchen, wo man ſich verſehen kann, nach Neigung und Vermögen.

Still, heiter, freundlich und beſcheiden wie ein verliebtes glückliches Mädchen, luſtwandelte das Pa¬ riſer Volk umher. Als ich dieſes ſah, und bedachte: noch ſind zwei Monate nicht vorüber, daß es einen tauſendjährigen König niedergeworfen, und in ihm Millionen ſeiner Feinde beſiegt wollte ich meinen Augen oder meiner Erinnerung nicht trauen. Es iſt der Traum von einem Wunder! Schnell haben ſie geſiegt, ſchneller haben ſie verziehen. Wie mild hat das Volk die erlittenen Kränkungen erwiedert, wie bald ganz vergeſſen! Nur im offenen Kampfe, auf41 dem Schlachtfelde hat es ſeine Gegner verwundet. Wehrloſe Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬ flüchtete nicht verfolgt, Verſteckte nicht aufgeſucht, Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk! Fürſten aber ſind unverſöhnlich und unauslöſchlich iſt der Durſt ihrer Rache. Hätte Karl geſiegt, wie er beſiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben. Wir ſehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel, Piemont und in andern Ländern geſchieht, wo die Gewalt über die Freiheit ſiegte. Seit Jahren iſt der Sieg entſchieden und das Werk der Rache und der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht. Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide verdankte! Tauſende ſchmachten noch im Kerker, Tau¬ ſende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert des Henkers iſt immer gezückt, und wo es ſchont, wo es zaudert, geſchieht es nur, um länger zu drohen, um länger zu ängſtigen. So entartet, ſo herabgewürdigt hat ſich die Macht gezeigt, daß ſie oft mit Grauſam¬ keiten prahlte, die ſie gar nicht begangen; ſich der Gerechtigkeit ſchämend, manche ihrer Gefangenen nur heimlich ſchonte, und es als Verläumdung beſtrafte, wenn man ſie mild geprieſen! Mich empört die nieder¬ trächtige Unverſchämtheit der Fürſtenſchmeichler, welche die Völker als Tiger, die Fürſten als Lämmer dar¬42 ſtellen. Wenn jeder Machthaber, ſobald er zum Beſitze der Macht gelangt, gleich ſeine Leidenſchaft zur Regel erhebt, grauſame Strafen für jeden Wi¬ derſpruch voraus beſtimmt, und dieſe Regel, dieſe Anwendung ſich herabrollt durch Jahrhunderte nennen ſie das Geſetzlichkeit. Das Volk hat ſeine Leidenſchaft nie zum Geſetz erhoben, die Ge¬ genwart erbte nie die Miſſethaten der Vergangenheit, ſie vermehrt der Zukunft zu überlaſſen. Wenn dumme, feige oder beſtochene Richter aus altem Herkommen und verblichenen Geſetzen nachweiſen können, daß ſie in gleichen Fällen immer gleich ungerecht geweſen nennen ſie das Gerechtigkeit. Wenn der ſchuldlos Verurtheilte, durch Reihen ſchön geputzter Soldaten, durch die Mitte des angſtzitternden Volkes, das nicht zu weinen, nicht zu athmen wagt, ohne Laut und Störung zum Blutgerüſte geführt wird nennen ſie das Ordnung; und ſchnellen Tod in langſame Qual des Kerkers verwandeln das nennen ſie Milde.

Ich eilte die Terraſſe hinauf, von wo man in die elyſäiſchen Felder herabſieht. Dort ſetzte ich mich auf einen Traumſtuhl und meine Gedanken¬ mühle, die wegen Froſt oder Dürre ſo lange ſtill geſtanden, fing gleich luſtig zu klappern an. Welch ein Platz iſt das! Es iſt eine Landſtraße der Zeit, ein Markt der Geſchichte, wo die Wege der Ver¬43 gangenheit, Gegenwart und Zukunft ſich durchkreuzen. Da unten ſteht jetzt ein Marmor-Piedeſtal, auf welches man die Bildſäule, ich glaube Ludwig des Sechzehnten, hat ſtellen wollen. Die dreifarbige Fahne weht darüber. Es iſt noch nicht lange, daß Karl X. mit großer Feierlichkeit den Grundſtein dazu gelegt. Die Könige ſollten ſich doch nicht lächerlich machen und noch ferner den Grundſtein zu einem Gebäude legen. Sie thäten beſſer, den letzten Ziegel auf dem Dache anzunageln; die Vergangenheit raubt ihnen Keiner. Wahrlich, die Zeit wird kommen, wo die fürſtlichen Köche, wenn ſie Morgens vor ihren Töpfen ſtehen, einander fragen werden: wem decken wir das wohl Mittags? und in ihrer philo¬ ſophiſchen Zerſtreuung manche Schüſſel verfehlen werden. ... Was kam mir da oben nicht alles in den Sinn. Sogar fiel mir ein, woran ich ſeit zwanzig Jahren nicht gedacht: daß ich vor zwanzig Jahren in Wien geweſen. Es war ein ſchöner Tag wie heute, nur ein ſchönerer, denn es war am erſten Mai. Ich war im Augarten, welcher ſchöner iſt als die Tuilerien. Die Volksmenge dort war groß und feſtlich ausgebreitet, wie die hier. Doch heute bin ich alt und damals war ich jung. Meine Phan¬ taſie lief umher wie ein junger Pudel, und ſie war noch gar nicht dreſſirt; ſie hatte noch nie etwas dem Morgenblatte oder ſonſt einem Zeitblatte apportirt. 44Sie diente nur ſich ſelbſt, und was ſie holte, holte ſie nur es als Spielzeug zu gebrauchen und ließ es wieder fallen. Und da fragte ich mich heute in den Tuilerien: damals, im Frühlinge des Lebens und der Natur, was dachteſt du mit deinem friſchen Geiſte, was fühlteſt du mit deinem jungen Herzen? Ich beſann mich ... auf nichts. Mir fiel nur ein, daß der Erzherzog Karl, und noch andere kaiſerliche Prinzen öffentlich im Gartenſaale gefrühſtückt, und daß ſie unter andern Chokolade getrunken, und gleich darauf Spargel mit Butterſauce gegeſſen, worüber ich mich zu ſeiner Zeit ſehr gewundert. Ferner: daß ich ſelbſt gefrühſtückt, und zwar ganz köſtliche Brat¬ würſtchen, nicht länger und dicker als ein Finger, die ich ſeit dem in keinem Lande mehr gefunden ... Chokolade, Spargel, Bratwürſte das waren alle meine Jugenderinnerungen aus Wien! Es iſt ein Wunder! Und erſt heute in den Tuilerien lernte ich verſtehen, daß man auch die Freiheit der Gedanken feſſeln könne, wovon ich oft gehört; es aber nie habe faſſen können.

Als nun die Frau kam und für ihren Stuhl zwei Sous einforderte, ſah ich ſie verwundert an und gab ihr zehen. Für dieſen Stuhl, dieſe Stunde, dieſe Ausſicht, dieſe Erinnerung hätte ich ein Gold¬ ſtück bezahlt. Das macht Paris ſo herrlich, daß zwar Vieles theuer iſt, das Schönſte und Beſte aber45 wenig oder gar nichts koſtet. Für zwei Sous habe ich meinem Zorn einen Schmaus gegeben, habe hun¬ dert Könige und ein großes Reich verſpottet, und Taſchen voll der ſchönſten Hoffnungen mit nach Hauſe gebracht.

Es iſt drei Uhr, und die Raſenden im Roulette-Zimmer gegenüber ſtehen noch in dicken Kreiſen um den Tiſch. Das Fenſter nach der Straße iſt durch ein Drathgitter verwahrt. Die Unglücklichen dahinter ſehen wie wilde Thiere aus. Ich hoffe es iſt keiner darunter, der im Juli mitgefochten. Gute Nacht.

[46]

Siebenter Brief.

Schreiben, Schriftſtellern, Gedanken bauen wie wäre mir das möglich hier? Der Boden wankt unter meinen Füßen, es ſchwindelt um mich her, mein Herz iſt ſeekrank. Manchmal kömmt es mir ſelbſt ſpaßhaft vor, daß ich die Sorgen eines Königs habe, und ſo angſtvoll warte auf die Entſcheidung der Schlacht, als hätte ich dabei eine Krone zu ge¬ winnen oder zu verlieren. Ach, wäre ich doch König nur einen kurzen Monat! Wahrlich, ich wollte keine Sorgen haben, aber geben wollte ich ſie.

Die tägliche, ja allſtündliche Bemühung der ſtärkſten Denkreize macht die Menſchen hier endlich ſtumpf und gedankenlos. Wenn es nicht ſo wäre, man ertrüge nicht Paris ſein ganzes Leben durch. Die Erfahrung, die anfänglich bedächtig macht, macht ſpäter leichtſinnig, und ſo erkläre und entſchuldige47 ich den Leichtſinn dieſes Volkes. Wir Deutſchen, die wir am längſten unter einem ſanften Wolkenfreien Traumhimmel leben, ſind rheumatiſch, ſobald wir wachen; wir ſpüren jede Erfahrung und jeder Wech¬ ſel der Empfindung macht uns krank.

Dieſen Mittag ſtand ich eine halbe Stunde lang vor dem Eingange des Muſeums, und ergötzte mich an der unvergleichlichen Beredtſamkeit, Geiſtes¬ gegenwart und Keckheit eines Marktſchreiers, der ein Mittel gegen Taubheit feil bot, und Mehrere aus der umſtehenden Menge, in Zeit von wenigen Mi¬ nuten von dieſer Krankheit heilte. Als ich unter dem herzlichſten Lachen fortging, dachte ich: mit dieſem Spaße ernähre ich mich den ganzen Tag. Und er dauerte keine drei Minuten lang, reichte keine dreißig Schritte weit!

Im Hofe des Louvre's begegnete ich einem feierlichen Trauerzuge, deſſen Spitze dort ſtill hielt, um ſich zu ordnen. Voraus ein Trupp National¬ garden, welche dumpfe Trommeln ſchlugen, und dann ein unabſehbares Gefolge von ſtillen, ernſten, be¬ ſcheidenen, meiſtens jungen Bürgern, die paarweiſe gingen, und in ihren Reihen viele Fahnen und Standarten trugen, welche mit ſchwarzen Flören behängt, und deren Inſchriften von Immortellen oder Lorbeeren bekränzt waren. Ich ſah, fragte und als ich die Bedeutung erfuhr, fing mein Blut, das kurz48 vorher noch ſo friedlich durch die Adern floß, heftig zu ſtürmen an, und ich verwünſchte mein Geſchick, das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu laſſen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweiſe hinunter zu ſchlucken. Wie glücklich iſt der Kämpfer in der Schlacht, der ſeinen Schmerz, ſeinen Zorn kann ausbluten laſſen und der keine andere Schwäche fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt!

Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter - Officiere, welche in der Verſchwörung von Berton der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrloſe Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬ ren wurden ſie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt, und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei Hofe. Es iſt zum raſend werden! Acht Jahre ſind es erſt und ſchon hat ſich in Tugend umgewandelt, was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie es die Menſchlichkeit und das Kriegsrecht will, auch die im Freiheitskampfe Beſiegten in Gefangenſchaft behielte, ſtatt ſie zu tödten, dann lebten jene unglück¬ lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬ zücken hätten ſie das Licht, die Luft der Freiheit begrüßt! Könige ſind ſchnell, weil ſie wiſſen, daß es keine Ewigkeit gibt für ſie, und Völker ſind lang¬ ſam, weil ſie wiſſen, daß ſie ewig dauern. Hier49 iſt der Jammer. Wie damals, als ich die fluch¬ würdige Hinrichtung mit angeſehen, ſo war auch heute mein Zorn, weniger gegen den Uebermuth der Gewalt, als gegen die niederträchtige Feigheit des Volkes gerichtet. Einige Tauſend Mann waren zum Schutze der Henkerei verſammelt. Dieſe waren ein¬ geſchloſſen, eingeengt von Hundert tauſend Bürgern, welchen allen Haß und Wuth im Herzen kochte. Es war kein Leben, kaum eine Wunde dabei zu wagen. Hätten ſie ſich nur ſo viel bemüht, als ſie es jeden Abend mit Fröhlichkeit thun, ſich in die Schauſpiel¬ häuſer zu drängen; hätten ſie nur rechts und links mit den Ellenbogen geſtoßen: die Tyrannei wäre er¬ drückt und ihr Schlachtopfer gerettet worden. Aber die abergläubiſche Furcht vor der Soldatenmacht! Warum thaten ſie nicht damals ſchon, was ſie acht Jahre ſpäter gethan? Es iſt zum Verzweifeln, daß ein Volk ſich erſt berauſchen muß in Haß, ehe es den Muth bekömmt, ihn zu befriedigen; daß es nicht eher ſein Herz findet, bis es den Kopf verloren.

Mit ſolchen Gedanken ging ich neben dem Zuge her und begleitete ihn bis auf den Greve-Platz. Dort ſchloſſen ſie einen Kreis, und Einer ſtellte ſich auf eine Erhöhung und ſchickte ſich zu reden an. Ich aber ging fort. Was an dieſem Orte und über ſolche jammervolle Geſchichten zu ſagen iſt, war mir bekannt genug. Ich ging die neue Kettenbrücke hinan,I. 450die jetzt vom Greve-Platze hinüberführt und ſetzte mich auf eine der Bänke dort, um auszuruhen. Ich ſah den Strom hinab, maß die kurze Entfernung zwiſchen dem Louvre, wo Frankreichs Könige herrſch¬ ten, und dem Revolutions-Platze, wo ſie gerichtet wurden von ihrem Volke, und ich erſtaunte, daß die Gerechtigkeit, wenn auch eine Schnecke, ſo lange Zeit gebrauchte, dieſen kurzen Weg zurückzulegen. Zwiſchen der Bartholomäus-Nacht und der Erobe¬ rung der Baſtille ſind mehr als zwei Jahrhunderte verfloſſen. Heillos wuchert die Rache der Könige; aber die edle Rache der Völker hat niemals Zinſen begehret! Man kann ungeſtört träumen auf dieſer Brücke. Sie iſt nur für Fußgänger, und ſo oft einer darüber ging, zitterte die Brücke unter mir und mir zitterte das Herz in der Bruſt. Hier, hier an dieſer Stelle, wo ich ſaß, fiel in den Juli - Tagen ein edler Jüngling für die Freiheit. Noch iſt kein Winter über ſein Grab gegangen, noch hat kein Sturm die Aſche ſeines Herzens abgekühlt. Die Königlichen hatten den Greve-Platz beſetzt, und ſchoſſen über den Fluß, die von jenſeits andrängenden Studenten abzuhalten. Da trat ein Zögling der polytechniſchen Schule hervor, und ſprach: Freunde, wir müſſen die Brücke erſtürmen. Folgt mir! Wenn ich falle gedenket meiner. Ich heiße d'Arcole; es iſt ein Name guter Vorbedeutung. Hinauf! Er51 ſprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt lieſt man in goldnen Buchſtaben auf der Pforte, die ſich über die Mitte der Brücke wölbt: Pont d'Ar¬ cole, und auf der andern Seite: le 28 Juillet 1830. Für Oſſians Aberglauben hätte ich in dieſer Stunde meine ganze Philoſophie hingegeben. Wie hätte es mich getröſtet, wie hätte ich mich verſöhnt mit dem zürnenden Himmel, hätte ich glauben können: um ſtille Mitternacht ſchreitet der Geiſt des gefalle¬ nen Helden über die Kettenbrücke, ſetzt ſich auf die eiſerne Bank, und ſchaut hinauf nach ſeinem goldnen Namen, der im Glanze des Mondes blinkt. Dann vernehmen die am Ufer wohnen ein leiſes ſeliges Jauchzen, ſüß wie ſterbender Flötenton und ſagen: das iſt d'Arcole's Freude.

Tugend, Entſagung, Aufopferung ich habe dort viel darüber nachgedacht. Soll man oder ſoll man nicht? Der Ruhm; er iſt ein ſchöner Wahn¬ ſinn, aber doch ein Wahnſinn. Nun, wenn auch! Was heißt Vernunft? Der Wahnſinn Aller. Was heißt Wahnſinn? Die Vernunft des Einzelnen. Was nennt Ihr Wahrheit? Die Täuſchung, die Jahrhunderte alt geworden. Was Täuſchung? Die Wahrheit, die nur eine Minute gelebt. Iſt es aber die letzte Minute unſeres Lebens, folgt ihr keine andere nach, die uns enttäuſcht, dann wird die Täuſchung, der Minute zur ewigen Wahrheit. Ja,4*52das iſt's. O ſchöner Tod des Helden, der für einen Glauben ſtirbt! Alles für Nichts gewonnen. Die Zukunft zur Gegenwart machen, die kein Gott uns rauben kann; ſich ſicher zu ſtellen vor allen Täu¬ ſchungen; unverfälſchtes, ungewäſſertes Glück ge¬ nießen; die Freuden und Hoffnungen eines ganzen Lebens in einen, einen Feuertropfen bringen, ihn koſten und dann ſterben ich habe es ausgerechnet bis auf den kleinſten Bruch es iſt Verſtand darin!

Ich ging auf der andern Seite zurück. Dort fragte mich ein Bürger, der das Gedränge auf dem Greve-Platz bemerkte: Est-ce que l'on guillotine? Ich antwortete: au contraire, on déguillotine. Wird guillotinirt? Iſt das nicht köſtlich ge¬ fragt? Ich glaube, daß ich darüber gelacht.

[53]

Achter Brief.

Es iſt gräßlich, es iſt zu gräßlich, was in Brüſſel geſchieht! Was Paris im Juli geſehen, war Tändelei dagegen. Man könnte raſend werden über die Niederträchtigkeit der Fürſten. Und der König von Holland iſt noch einer der beſſern. Männer erwürgen, weil ſie ſich nicht länger wie Schulbuben wollen behandlen laſſen, über den Köpfen ihrer wehr¬ loſen Weiber und Kinder die Dächer mit vergiftetem Feuer, mit Congreviſchen Raketen anzünden das iſt die väterliche Liebe der Väter des Volkes, ſo thun ſie ſie kund! Ein Brüſſeler Zeitungsſchreiber fragt: Wie viele Leichen braucht denn eigentlich ein König, damit er mit Behaglichkeit in ſeine Haupt¬ ſtadt einziehe? Unglückſeliger Spötter! Wie viele Leichen braucht Ihr denn, bis es euch unbehaglich54 wird, und ihr die Geduld verliert mit euren Unter¬ drückern? Sie machen es noch lange nicht arg genug. Ich habe kein Mitleid mit den Belgiern, mit keinem Volke. Tu l'as voulu, tu l'as voulu, George Dandin! Der Prophet Samuel hat ſie ſchon vor drei Tauſend Jahren gewarnt. Sie haben nicht hören wollen, ſie mögen fühlen.

Geſtern habe ich zum erſten Male unſern König geſehen unſern König, den wir gemacht haben. Es wird ſich zeigen, ob wir geſchickter ſind als Gott, der die frühern Könige gemacht hat, wie Kunſtkenner behaupten. Er zeigte ſich auf einer offenen Gallerie im Palais-Royal und wurde vom Volke mit wahrer Herzlichkeit begrüßt. Sie lachten ihn an, ließen ihn hoch leben und es ſchien mir alles aus der innerſten Seele zu kommen. Ich ſtimmte mit ein. Man liebt gern, wenn es einem nicht gar zu ſauer gemacht wird.

So eben erfahre ich, in Gera wäre eine Re¬ volution ausg ebrochen. Dem D., der mir dieſe freudige Nachricht brachte, habe ich zum Lohne ein Beefſteak holen laſſen. Habe ich ſie endlich einmal, die Fürſten Reuß, Greiz, Schleiz und wie ſie ſonſt heißen! Iſt der Tag der Rache endlich erſchie¬ nen! Schon dreißig Jahre gedenke ich es ihnen. Wie haben ſie mich in meiner Jugend gequält mit55 der verworrenen Geographie ihrer Länderlein, und den Verzweigungen ihrer Familie! Das war ein Linienwerk wie in der flachen Hand; man mußte eine Zigeunerin ſeyn, um daraus klug zu werden. Die Familienhäupter heißen alle Heinrich und ſich von einander zu unterſcheiden, ſind ſie numerirt. Der Eine heißt Heinrich XVIII., der Andere Hein¬ rich LX., der Dritte Heinrich LXIII., der Vierte Heinrich LXX. Das Ein-Mal-Eins geht nicht weiter, und das ſollten wir armen Kinder alle aus¬ wendig lernen für die nächſte Oſtern-Prüfung. Ich lernte damals lieber die Geographie von Aegypten, wo gerade Buonaparte durchzog. Wenn mein ſanfter Lehrer, Doctor Schapper, mich in den Pyramiden ertappte, ſagte er mit feiner Kindbetterin-Stimme: das iſt auch nützlich; aber mit der vaterländiſchen Geographie muß man den Grund legen. Nun ſchwöre ich es Ihnen bei der heiligen Ignoranz, daß wenn ich jetzt auf der Stelle nach Cairo reiſen müßte, ich ganz genau den Weg wüßte, den ich zu nehmen; wenn aber nach dem Lande Reuß, müßte ich erſt hinüber und herüber im Poſtbuche nachſchla¬ gen. In welchem Theile von Deutſchland Gera liegt, oben, unten, rechts, links ich weiß es wahrhaftig nicht. Aber ſo viel weiß ich, daß man Gera mit allen ſeinen Einwohnern in die Richelieu¬56 Straße ſtellen könnte. Jetzt ſtellen Sie ſich vor, daß dieſe kleine Stadt, zwei oder gar drei Fürſten hat, die ſie gemeinſchaftlich beherrſchen. Iſt es da ein Wunder, wenn es zur Revolution gekommen? Es iſt ſchon mit einem Fürſten nicht auszuhalten. Der Doctor Schapper hat aber einen guten vater¬ ländiſchen Grund in mir gelegt! Er wird ſich freuen, wenn er es erfährt.

Cotta will hier in Paris eine Zeitung her¬ ausgeben, wie mir eben D. erzählte, an den er ſich vorläufig deswegen gewendet. Wenn es nur zur Ausführung kömmt es wäre himmliſch. Hundert deutſche Miniſter würden darüber verrückt werden. Was könnte dieſer Mann mit ſeinem Reichthume, ſeiner Thätigkeit, ſeinem Geſchäftskreiſe und ſeinen Verbindungen nicht alles wirken, wenn er wollte! Er allein verſteht es, wie man die furchtſamen Federn beherzt macht, und die verbor¬ genſten Schubladen der Geheimnißkrämer öffnet. Wenn ich an die Cenſur denke, möchte ich mit dem Kopfe an die Wand rennen. Es iſt zum Verzwei¬ feln. Die Preßfreiheit iſt noch nicht der Sieg, noch nicht einmal d[e]r Kampf, ſie iſt erſt die Bewaffnung;57 wie kann man aber ſiegen ohne Kampf, wie kämpfen ohne Waffen? Das iſt der Zirkel, der einen toll macht. Wir müſſen uns mit nackten Fäuſten, wie wilde Thiere mit den Zähnen, wehren. Freiwillig gibt man uns nie die Preßfreiheit. Ich möchte unſern Fürſten und ihren Rathgebern nicht Unrecht thun, ich möchte nicht behaupten, daß bei allen und überall, der böſe Wille, alle Mißbräuche, welche durch die Preſſe offenkundig würden, fortzuſetzen, Schuld an der hartnäckigen Verweigerung der Pre߬ freiheit ſei; das nicht. Wenn ſie regierten wie die Engel im Himmel und auch der anſpruchsvollſte Bürger nichts zu klagen fände: ſie würden doch Preßfreiheit verſagen. Ich weiß nicht ſie haben eine Eulen-Natur, ſie können das Tageslicht nicht ertragen; ſie ſind wie Geſpenſter, die zerfließen, ſobald der Hahn kräht.

Die Frankfurter Bürgerſchaft wäre ja rein toll, wenn ſie dem Senate die Anwerbung von Schweizertruppen bewilligte. Das gäbe nur eine Leibwache für die[Bundesverſammlung] und die ſteckt gewiß hinter dem Plane.

Merkwürdig ſind die Hanauer Geſchichten! Wer hätte das erwartet? Kann ſich die Freiheit in der Nähe von Frankfurt bewegen? Es gibt irgendwo einen See von ſo giftiger Ausdünſtung, daß alle58 Vögel, die darüber fliegen, gleich todt herabfallen. So erzählt man, aber ich glaube es nicht.

Es hat ſich hier ſeit einiger Zeit eine re¬ ligiöſe Geſellſchaft gebildet, welche die Lehren des St. Simon zu verbreiten ſucht. Ich habe früher nie etwas von dieſem Simon gehört. Es werden Sonntags Predigten gehalten. Wie man mir er¬ zählt, ſoll gleiche Vertheilung der Güter eine der Grundlehren ſeyn. Die Geſellſchaft zählt ſchon viele Anhänger und der Sohn meines Banquiers gehört zu den eifrigſten Mitgliedern. Wenn ich Geld bei ihm hole, und ich ihm einen Wechſel anbiete, wird er mir gewiß ſagen: das iſt ja gar nicht nö¬ thig, ſein Geld ſei auch das meinige. Ich freue mich ſehr darauf.

Geſtern habe ich die Giraffe geſehen, die in einem Gehege frei umhergeht. Ein erhabenes Thier, das aber doch viel Lächerliches hat; eine tölpelhafte Majeſtät. Man muß oft lange warten, bis es ihr gefällig iſt, die Beine aufzuheben und ſich in Be¬ wegung zu ſetzen. Gewöhnlich ſteht ſie ſtill, an Bäumen oder an der Mauer eines dort befindlichen Gebäudes und benagt die oberſten Zweige oder das Dach. Das Thier ſieht ſehr metaphyſiſch aus, lebt mit dem größten Theile ſeines Weſens in der Luft, und ſcheint die Erde nur zu berühren, um ſie ver¬59 ächtlich mit Füßen zu treten. In dem nehmlichen Gehege befanden ſich auch noch andere Thiere, me¬ lancholiſche Büffel und ſonſtige. Zuweilen gingen dieſe unter dem Bauche der Giraffe weg, und dann ſah es aus wie Schiffe, die unter einem Brücken¬ bogen hinfuhren.

[60]

Neunter Brief.

Ob ich zwar vorher wußte, daß die deutſchen Regierungen den Forderungen des Volkes nicht nach¬ geben, ſondern Maasregeln der Strenge ergreifen würden; ob ich zwar vom Schauplatz entfernt bin, ſo hat mir Ihr heutiger Bericht von den Truppen¬ bewegungen, von dem Mainzer[Kriegsgerichte], doch die größte Gemüthsbewegung gemacht. Ich hielte das nicht aus und ich bin froh, daß ich mich entfernt habe. Gott hat die Fürſten mit Blindheit geſchlagen und ſie werden in ihr Verderben rennen. Sie haben die ruhigſten und gutmeinendſten Schriftſteller mit Haß und Verachtung behandelt, ſie haben nicht ge¬ duldet, daß die Beſchwerden und Wünſche des Volkes in friedlicher Rede verhandelt würden, und jetzt kommen die Bauern und ſchreiben mit ihren Heugabeln, und wir wollen ſehen, ob ſich ein Cen¬61 ſor findet, das wegſtreicht. Die alten Künſte, in jedes aufrühreriſche Land fremdes Militär zu legen, Naſſauer nach Darmſtadt, Darmſtädter nach Naſſau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬ mal der Soldat zur Einſicht gekommen, daß er Bür¬ ger iſt eher als Soldat, und wenn er einmal den großen Schritt gethan, blinden Gehorſam zu verwei¬ gern, dann wird er auch bald zur Einſicht kommen, daß alle Deutſche ſeine Landsleute ſind, und wird nicht länger um Tagelohn ein Vater - oder Bruder¬ mörder ſeyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬ der zum Vorſchein, nicht eine iſt ſeit fünfzehn Jah¬ ren geſtorben. So habe ich in deutſchen Blättern geleſen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬ ſellſchaft die revolutionären Bewegungen überall geleitet, und man ſei den Rädelsführern auf der Spur. Die ſchlauen Füchſe!

Geſtern Abend war ich bei Lafayette, der jeden Dienſtag eine Soiree gibt. Wie es da zuging, davon kann ich Ihnen ſchwer eine Vorſtellung geben, man muß das ſelbſt geſehen haben. In drei Salons waren wohl drei Hundert Menſchen verſammelt, ſo gedrängt, daß man ſich nicht rühren konnte, aber im wörtlichſten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73 Jahre alt iſt, ſieht noch ziemlich rüſtig aus. Er hat eine ſehr gute Phyſiognomie, iſt immer freundlich und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte62 Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in der Hitze aushält, iſt mir unbegreiflich. Dazu muß man ein Franzoſe ſeyn. Als man ihm die Nachrich¬ ten aus ... mittheilte, ſchien er ſehr vergnügt und lachte. Ich habe den Abend viele Leute geſprochen, die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬ ſche waren da, junge Leute, die ſehr revolutionirten. Die ganze Geſellſchaft würde im Oeſterreichiſchen gehenkt werden, wenn man ſie hätte. Es geht da ſehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehauſe. Und dabei hat man die Erfriſchungen umſonſt. Ich ging ſchon um zehn Uhr weg. Da waren noch die Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da, meiſtens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war neulich, ehe er nach London abreiſte, in Lafayette's Salon; es hat aber kein Menſch mit ihm geſprochen. Ich ſprach unter andern zwei Advokaten, welche die Vertheidigung der angeklagten Miniſter übernommen. Sie ſagten, die Sache ſtände ſchlimm mit ihren Klienten und ſie ſtänden in Lebensgefahr. Sie wä¬ ren aber auch ſo dumm, daß ſie nicht einmal ſo viel Verſtand gehabt hätten, zu entwiſchen, was die Re¬ gierung ſehr gern geſehen hätte. Jetzt ſei es zur Flucht zu ſpät. Der Kommandant in Vincennes, wo die Miniſter eingeſperrt ſind, ſei ſtreng und laſſe63 nicht mit ſich reden. Man erzählte auch von einem Bauern-Aufſtand in Hanau. Wiſſen Sie etwas davon.

Ihre Briefe machen mir eigentlich nur Freude ehe ich ſie aufmache, und in der Erwartung, daß ſie recht groß ſind. Aber einmal geöffnet iſt auch alles vorüber. In einer Minute habe ich ſie geleſen, es iſt das kürzeſte Vergnügen von der Welt. Ich werde durch Ihre langen Buchſtaben und geſtreck¬ ten Zeilen ſehr übervortheilt. Ihre ganzen Briefe brächte ich in zwanzig Zeilen. Was können Sie aber dafür? Ihre Freundſchaft reicht nicht weiter.

Was mag jetzt nicht in Deutſchland alles vorgehen, was man gar nicht erfährt, weil es nicht gedruckt werden darf! Ich habe den Abend oft das ganze Zimmer voll deutſcher Jünglinge, die alle re¬ volutioniren möchten. Es iſt aber mit den jungen Leuten gar nichts anzufangen. Sie wiſſen weder was ſie wollen, noch was ſie können. Geſtern traf ich bei Lafayette einen blonden Jüngling mit einem Schnurrbarte und einer ſehr kecken und geiſtreichen Phy¬ ſionomie. Dieſer war von*** wo er wohnt, als dort die Unruhen ausgebrochen, hierhergekommen, hatte La¬ fayette, Benjamin Conſtant, Quiroga und andere Revolutionshäupter beſucht und um Rath gefragt, ge¬ rade als hätten dieſe Männer ein Revolutionspulver, das man den Deutſchen eingeben könnte.

64

Was ſagen Sie dazu, daß die Todesſtrafe abgeſchafft werden ſoll, vor jetzt wenigſtens bei poli¬ tiſchen Vergehen? Iſt das nicht ſchön? Und das geſchieht nur in der Abſicht, die angeklagten Mi¬ niſter zu retten. Und nicht etwa die Regierung allein will das, ſondern der beſſere Theil des Volkes ſelbſt. Dieſe Woche kam eine Bittſchrift von hun¬ dert bleſſirten Bürgern, die alle die Abſchaffung der Todesſtrafe fordern, an die Kammer. Mich rührte das ſehr, daß Menſchen, welche von den Miniſtern unglücklich gemacht worden, um das Leben ihrer Feinde bitten. Wenn man bei unſerer lieben Deut¬ ſchen Bundesverſammlung um die Abſchaffung der Todesſtrafe in politiſchen Vergehen einkäme, würde man freundlichen Beſcheid bekommen! Und doch, wenn ſie klug wären, ſollten ſie ſchon aus Egoismus die alten blutigen Geſetze mildern. Heute noch haben ſie die Macht, wer weiß wie es morgen ausſieht.

[65]

Zehnter Brief.

Seit geſtern bin ich in meiner neuen Wohnung. Ich wollte ſie ſchon Freitag beziehen, aber meine Wirthin, eine junge hübſche Frau, machte eine ganz allerliebſte fromme Miene, ſagte: c'est vendredi und bat mich meinen Einzug zu verſchieben. Ich bot ihr an, alles Unglück, was daraus entſtehen könnte, auf mich allein zu nehmen, doch ſie gab nicht nach. Man ſagte mir, dieſer Aberglaube ſei hier in allen Ständen ſehr verbreitet. Es giebt zum Transporte der Möbel beim Ein - und Ausziehen eine eigene Anſtalt, ein beſonderes Fuhrweſen. Bei den häufi¬ gen Wohnungsveränderungen, die hier ſtatt finden, ſind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft Wochen lang vorher ſeine Beſtellung machen. An den Freitagen aber ſind ſie unbeſchäftigt, weil da Nie¬ mand ſein Haus wechſeln will. Sollte man das von Pariſern erwarten?

I. 566

Geſtern am achtzehnten Oktober, am Jahres¬ tage der Leipziger Schlacht und der Befreiung Deutſchlands, fing es mich zu frieren an, und da ließ ich zum erſtenmale Feuer machen. Jetzt brennt es ſo ſchön hell im Kamine, daß mir die Augen übergehen. Der Preis des Holzes iſt ungeheuer. Man kann berechnen, wie viel einem jedes Scheit koſtet; die Aſche iſt wie geſchmolzenes Silber. Da¬ bei gedachte ich wieder mit Rührung meines, nicht theuern, ſondern im Gegentheile wohlfeilen Vater¬ landes. Als meine Wirthin mich ſeufzen hörte und ſah, wie ich aus Oekonomie die Hände über den Kopf zuſammenſchlug, tröſtete ſie mich mit den Wor¬ ten: mais c'est tout ce qu'il y a de plus beau en bois! Dieſe kleine Frau gibt einem die ſchön¬ ſten Redensarten, aber ſie ſind koſtſpielig. Den Miethpreis der Zimmer, den ich zu hoch fand, her¬ abzuſtimmen, gelang aller meiner Beredſamkeit nicht. Sie widerlegte mich mit der unwiderleglichen Bemer¬ kung: Der engliſche Ort ſei doch ganz aller¬ liebſt mais vous avez un lieu anglais qui est charmant. Die reichen Engländer ſetzen viel Ge¬ wicht darauf, und der arme Deutſche muß das mit bezahlen.

Ich habe mit einigen deutſchen Zeitungs-Redak¬ teuren Verbindungen angeknüpft, um eine Correſpon¬ denz zu übernehmen, die mir das allerſchönſte Holz67 und den anmuthigſten aller engliſchen Orte bezahlen helfe; es iſt aber nichts zu Stande gekommen. Die Einen und die Andern wollten nicht Geld genug hergeben, oder können auch nicht mehr bei den arm¬ ſeligen Verhältniſſen, in welchen ſich die meiſten deut¬ ſchen Blätter befinden. Die Hamburger Zeitung, welche, da ſie einen bedeutenden Abſatz hat, mir meine Forderungen vielleicht bewilligt hätte, machte mir die Bedingung, ich müßte mich auf Thatſa¬ chen beſchränken und dürfe nicht reſonniren. Da ich aber nicht nach Frankreich gereiſt bin, um ein Stockfiſch zu werden, ſondern gerade wegen des Ge¬ gentheils, brach ich die Unterhandlung ab.

Eine ganze Stunde habe ich das Schrei¬ ben unterbrochen und darüber von dem langen Briefe, den ich im Kopfe hatte, den größten Theil ver¬ geſſen. Mich beſchäftigte eine Kritik meiner geſam¬ melten Schriften, welche in den neueſten Blättern der Berliner Jahrbücher ſteht, und die mir ein Freund zugeſchickt. Es darf Sie nicht wundern, daß ich mich dadurch zerſtreuen ließ; mit einer Recenſion könnte man einen Schriftſteller ſelbſt vom Sterben abhalten. Ich bin mit meinem Kritiker ſehr zufrie¬ den, und alles was er ſagt, hat mir Freude ge¬ macht. Er lobt mich von Herzen und tadelt mich mit Verſtand. So oft von meinen[politiſchen] Anſich¬ ten und Geſinnungen die Rede iſt, ſtellt er ſich frei¬5 *68lich an als verſtände er mich nicht und widerſpricht mir; doch wird es keinem Leſer entgehen, wie das gemeint iſt. Im Grunde denkt Herr Neumann (ſo heißt der Berliner Recenſent) ganz wie ich; aber ein königlich Preußiſcher Gelehrter muß ſprechen wie der Herr von Schuckmann. Das iſt das Preußen¬ thum, das iſt die proteſtantirte Oeſterreichiſche Politik. Das iſt, was ich in meiner Brochüre über die Berliner Zeitung alles vorhergeſagt.

Vor einigen Tagen war ich zum erſten Male im Theater, und zwar in meinen geliebten Variétés. Ich wurde den Abend um einige Pfunde leichter, was bei einem deutſchen Bleimänn¬ chen, wie ich eins bin, ſchon einen großen Unterſchied macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu Muthe, die Füße erheben ſich von ſelbſt und man könnte ſich nicht enthalten, ſelbſt Hegel zu einem Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe ſtände. Ich habe meine Freude daran, wie ſich das leichtſinnige Volk alles ſo leicht macht. Sie ſchrei¬ ben ſchneller ein Stück, als man Zeit braucht, es aufführen zu ſehen. Kaum waren acht Tage nach der Revolution verfloſſen, als ſchon zwanzig Komö¬ dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug hatten. Gewöhnlich iſt kein geſunder Menſchenver¬ ſtand darin, aber wozu auch? Iſt nicht jedes Volk ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬69 ſpiele Verſtand zu haben? Alle dieſe Gelegenheits¬ ſtücke ſind nun jetzt wieder von der Bühne verſchwun¬ den, die Todten reiten ſchnell und ich eilte mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch auf ſeiner Flucht zu erhaſchen. Ich ſah Mr. de la Jobardière. Das iſt einer von den altadeligen geräucherten Namen, die ſchon Jahrhunderte im Schornſtein hängen, und jetzt von der jungen Welt herabgeholt und gegeſſen werden. Der alte Edel¬ mann iſt ein guter Royaliſt, lang und hager und ſehr gepudert. Seine Frau iſt eine gute Royaliſtin, dick und rund und geſchminkt. Der junge Hausarzt verſteht ſich ein Bürgerlicher iſt in die Toch¬ ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬ tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern ſei¬ ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erſpa¬ ren, theils um ihnen eine Ueberraſchung zu bereiten, Opium ein, ſo daß ſie während der drei Revolu¬ tionstage ſchlafen und erſt am dreißigſten Juli auf¬ wachen, da Karl X. ſchon auf dem Wege nach Ram¬ bouillet war. Der Royaliſt, im Schlafrocke, nimmt, wie gewöhnlich beim Frühſtücke, ſeine Zeitungen vor. Da findet er ein Blatt la Révolution, ein anderes le Patriote genannt, Blätter die während ſeinem Schlafe erſt entſtanden waren. Er reibt ſich die Augen und klingelt ſeinem Bedienten. Dieſer tritt wie ein Bandit mit Säbel und Piſtolen bewaffnet70 herein und trägt einen Gensd'arme-Hut auf dem Kopfe. Der Royaliſt fragt, ob er verrückt gewor¬ den, und als er von ihm die Erzählung der vorge¬ fallenen Ereigniſſe vernimmt, fängt er an an ſeinem eigenen Kopf zu zweifeln und ſchickt nach dem Arzte. Bald erſcheint dieſer in der Uniform eines National¬ garden-Officiers und beſtätigt alles. Der Royaliſt wankt, aber ſeine feſtere Frau will noch nichts glau¬ ben, ſagt: Der König verjagt das könne nur ein Mißverſtändniß ſeyn, und ſie wolle in die Faux¬ bourg St. Germain gehen und Erkundigungen ein¬ ziehen. Sie geht fort, kehrt nach einer Weile zu¬ rück und zwar mit einer dreifarbigen Kokarde, groß wie ein Wagenrad auf der Bruſt, und ſagt, leider ſei alles wahr. Das royaliſtiſche Ehepaar tröſtet ſich aber ſehr bald, und iſt der ſehr vernünftigen Meinung, ein König ſei wie der andere, der Her¬ zog von Orleans ſei König und darum das Unglück nicht ſo groß. Le Roi est mort, vive le Roi! ſchreien ſie und der Arzt bekommt die Tochter. Iſt das nicht eine prächtige Erfindung?

Der dreißigſte Juli war auch der Himmel¬ fahrts-Tag Napoleons. Seitdem wird er als Gott angebetet. Ich ſah la redingote grise. Es iſt die bekannte Geſchichte von der ſogenannten kai¬ ſerlichen Großmuth gegen die Prinzeſſin Hatzfeld in Berlin. Der Theater-Lieferant hatte den Verſtand,71 Napoleon nichts ſprechen zu laſſen. Er erſcheint als Graumännchen auf einige Minuten, und verſchwin¬ det dann wieder. Es iſt recht ſchauerlich.

Die unheilige Dreieinigkeit vollſtändig zu ma¬ chen, erſchien nach der Volks-Souveränetät und Buonaparte, am nehmlichen Abende der leibhaftige Teufel ſelbſt auf der Bühne, unter Voltaire's Ge¬ ſtalt. Das Vaudeville heißt Voltaire chez les Capucins. Das Stück ſpielt in einem Capuzi¬ ner-Kloſter, worin Voltaire als ungekannter Gaſt eingekehrt war. Es ſind heuchleriſche Pfaffen, die dort ihr Weſen treiben. Voltaire entdeckt ihre Schelmereien, ihre geheimen Liebſchaften, ihre Ränke und Miſſethaten; er ſchürt das Feuer, und ſchwelgt ganz ſelig in Schadenfreude und Bosheit. Es war eine Luſt, wie gut ihn der Schauſpieler dargeſtellt aber gottlos, ſehr gottlos.

Sie fragen mich, was ich erwarte, was ich denke? Ich erwarte, daß die Welt untergehen wird, und daß wir den Verſtand darüber verlieren wer¬ den. Ich zweifle nicht daran, daß bis zum nächſten Frühlinge ganz Europa in Flammen ſtehen wird, und daß nicht blos die Staaten über den Haufen fallen werden, ſondern auch der Wohlſtand unzähliger Fa¬ milien zu Grunde gehen wird. Zu ihren Luſtbar¬ keiten laden die Fürſten nur Edelleute ein; aber72 wenn das Unglück über ſie kömmt, bitten ſie auch ihre Bürger zu Gaſte. Dafür ſorgen ſie voraus, zu dieſem edlen Zwecke machen ſie Staats¬ ſchulden. Wir können ſtolz darauf ſeyn; es iſt eine große Ehre in ſo vornehmer Geſellſchaft zu jammern.

[73]

Eilfter Brief.

Ich Unglücklichſter muß meine Wohnung von neuem wechſeln. Der Kamin raucht, und der Fu߬ boden, obzwar parquetirt, iſt von einer beleidigenden Kälte. Nicht ohne Grobheit machte ich meiner ſchö¬ nen Wirthin Vorwürfe, daß ſie mir die geheimen Fehler der Zimmer verſchwiegen. Sie ſtellte ſich ganz überraſcht und erwiederte: das wäre ihr un¬ begreiflich; ein junger Spanier habe doch zwei Win¬ ter bei ihr gewohnt und ſich nie über das Geringſte beſchwert. Das will ich wohl glauben! Ich ließ mich durch die ſchönſten franzöſiſchen Verſprechungen von Teppichen und Kamin-Verbeſſerungen nicht täu¬ ſchen, kündigte ſogleich auf und ging fort, mich nach einer andern Wohnung umzuſehen. Als ich unten von der Straße nach meinem geöffneten Fenſter hin¬ aufſah, bemerkte ich, daß mein Wohnzimmer über74 dem Thorweg liegt, und die Kälte des Fußbodens gar nicht zu heilen iſt. Das war mir entgangen, ſowohl beim Miethen als während der vierzehn Tage, daß ich im Hauſe wohne. Und doch bin ich Doktor der Philoſophie! Wie dumm mögen erſt ge¬ wöhnliche Menſchen ſeyn, die von Fichte und Schel¬ ling nie ein Wort geleſen! Ich ſchämte mich im Stillen und nahm mir feſt vor, mich nie mehr mit Staatsreformen zu beſchäftigen.

Eine Flinte möchte ich haben und ſchießen. Mit guten Worten, das ſehe ich täglich mehr ein, richtet man nichts aus. Ich wünſche, daß es Krieg gäbe, und der kränkelnde Zuſtand der Welt in eine kräftige Krankheit übergehe, die Tod oder Leben ent¬ ſcheidet. Wenn es Friede bleibt, wird die Zucht¬ meiſterei in Deutſchland immer unerträglicher werden, und glauben Sie ja keinem Menſchen das Gegen¬ theil; ich werde Recht behalten. Dem deutſchen Bürgerſtande wird Angſt gemacht vor dem Pöbel und er bewaffnet ſich, ſtellt ſich in ſeiner viehiſchen Dummheit unter das Commando der Militärmacht und vermehrt dadurch nur die Gewalt der Regie¬ rungen. Hier und in den Niederlanden wird der Pöbel auch aufgehetzt. Die National-Garde hält ihn im Zaum, läßt ſich aber nicht zum Beſten ha¬ ben, ſondern vertheidigt und beſchützt nur ſeine eignen Rechte und ſeinen eignen Vortheil. Heute las ich75 in einer hieſigen Zeitung, daß ein Koch in Dresden zu ſechszehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt wor¬ den, weil man bei einem Volksauflaufe ein Meſſer bei ihm gefunden. Als wenn es nicht ganz was natürliches und gewöhnliches wäre, daß ein Koch ein Meſſer bei ſich führe! Auch hat man einen Grafen Schulenburg, der das Volk aufgewiegelt haben ſoll, arretirt, und nach Berlin geführt. Es verſteht ſich, daß die deutſchen Zeitungen nicht Graf Schulenburg ſchreiben durften, ſondern nur Graf S. Nur in den franzöſiſchen Blättern war der Name ausge¬ ſchrieben. Ich zweifle zwar nicht daran, daß es in Deutſchland Menſchen gibt, die aus Patriotismus oder Muthwillen das Volk aufwiegeln; aber gewiß haben ſie die verſchiedenen Inſurrektionen nicht herbei geführt, ſondern höchſtens benutzt. Die Regierungen aber, in ihrer alten bekannten Verſtocktheit, werden glauben oder ſich anſtellen zu glauben, einzelne Auf¬ wiegler wären an allen Unruhen Schuld, und wenn ſie nun dieſe in ihre Gewalt bekommen, werden ſie denken, alles ſei geendigt, auf die Klagen des Volkes ferner keine Rückſicht nehmen, und in die alte Lage zurück fallen. Nur Krieg kann helfen.

Vor einigen Tagen ſtand in einem hieſigen Blatte ein ſehr merkwürdiger Brief aus Deutſchland, der über die dortigen Unruhen ein großes und neues Licht verbreitet. Es wird darin erzählt, wie Met¬76 ternich dieſe Unruhen angefacht habe und wozu er ſie habe benutzen wollen. Er gedachte nehmlich, die bairiſchen Truppen und die der andern ſüddeutſchen Staaten, unter dem Vorwande, ſie zur Dämpfung der ausgebrochenen Inſurrektionen zu verwenden, in die Ferne zu locken und dadurch jene Länder wehrlos zu machen. Der König von Baiern habe aber den Plan durchſchaut und ihn vereitelt. Der Bericht iſt ſehr intereſſant und iſt, wie mich Einer verſicherte, von Herrn von Hormayr in München eingeſandt. Dieſer war früher in Wien angeſtellt und iſt ein großer Feind von Metternich. Es iſt ſehr traurig, daß in deutſchen Blättern der genannte Artikel nicht erſcheinen darf, und er daher gar nicht bekannt wer¬ den wird. Ich hörte auch: die Liberalen in Baiern ſuchten den König zu revolutioniren, daß er ſich an die Spitze der Bewegung ſtelle und ſich zum Herrn von Deutſchland mache. Die Sache iſt gar nicht unmöglich. Ueberhaupt ſollen geheime Geſellſchaften, beſonders der alte Tugendbund, gegenwärtig wieder ſehr thätig ſein. Mit geheimen Geſellſchaften möchte ich nichts zu ſchaffen haben, am wenigſten mit dem Tugendbunde, der es auf eine heilloſe Prellerei an¬ gelegt hat. Er wird von Ariſtokraten geleitet und hat ariſtokratiſche Zwecke, die man vor den dummen ehrlichen Bürgersleuten, die daran Theil nehmen, freilich geheim hält. Das heißt, mit der heiligen77 Schrift zu reden, den Teufel durch Beelzebub aus¬ treiben.

Der heutige Conſtitutionnel meldet, ein Corps deutſcher Bundestruppen von einem Naſſauer Ge¬ nerale commandirt, würde zuſammengezogen, und das Hauptquartier ſolle nach Frankfurt kommen. Haben Sie davon gehört? Das arme Frankfurt ſieht doch einer traurigen Zukunft entgegen Seit funfzehn Jahren iſt dort das Hauptquartier der Dummheit, und wenn dieſe einmal ihre Früchte trägt, wird es Frankfurt am erſten ſchmecken. Ich fange an einzuſehen, daß ich die deutſchen Verhältniſſe falſch beurtheilt. Ich habe den entgegengeſetzten Fehler der Miniſter, ich bekümmere mich zu viel um Sachen und zu wenig um Perſonen. Mehrere unter¬ richtete Deutſche, die ich hier kennen gelernt, haben mir die Ueberzeugung beigebracht, daß in Deutſch¬ land alles zu einer Revolution reif ſei. Wann und auf welche Art es losbrechen werde, könne man nicht wiſſen; aber es werde losbrechen, und das bald.

Victor Hugo's Hernani habe ich mit großem Vergnügen geleſen. Es iſt wahr, daß ich Werke ſolcher Art bei einem franzöſiſchen Dichter nach ganz andern Grundſätzen beurtheile, als ich es bei einem deutſchen Dichter thue. Das Ding an ſich kümmert mich da gar nicht; ſondern ich betrachte es blos in ſeiner Verbindung, das heißt bei roman¬78 tiſchen poetiſchen Werken, in ſeinem Gegenſatze mit der franzöſiſchen Nationalität. Alſo je toller je beſſer; denn die romantiſche Poeſie iſt den Franzoſen nicht wegen ihres ſchaffenden, ſondern wegen ihres zerſtörenden Prinzips heilſam. Es iſt eine Freude zu ſehen, wie die emſigen Romantiker alles anzünden und niederreißen, und große Karren voll Regeln und klaſſiſchem Schutte vom Brandplatze wegführen. Die Stockfiſche von Liberalen, deren Vortheil es wäre, die Zerſtörung zu befördern, widerſetzen ſich ihr, und dieſes Betragen iſt ein Räthſel, das ich mir ſeit zehen Jahren vergebens zu löſen ſuche. Die armen Romantiker werden von ihren Gegnern ver¬ ſpottet und verfolgt, daß es zum Erbarmen iſt, und man kann ihre herzbrechenden Klagen nicht ohne Thränen leſen. Aber warum klagen ſie? Warum gehen ſie nicht ihren Weg fort, unbekümmert, ob man ſie lobe oder tadle? Ja, das iſt's eben. Sie ſind noch nicht romantiſch genug; die Romantik iſt nur erſt in ihrem Kopfe, noch nicht in ihrem Her¬ zen; ſie glauben ein Kunſtwerk müſſe einen unbe¬ ſtrittenen Werth haben, wie eine Münze, und darum ſeufzen ſie nach allgemeinem Beifall. Victor Hugo wiederholt in der Vorrede zu ſeinem Drama folgende Stelle aus einem Artikel, den er vor kurzem, als ein romantiſcher Dichter in der Blüthe ſeiner Jahre ſtarb, in einem öffentlichen Blatte geſchrieben hatte. 79Dieſes Händeringen, dieſes Wehklagen, dieſer Le¬ bensüberdruß es iſt gar zu wunderlich!

Dans ce moment de mêlée et de tour¬ mente littéraire, qui faut-il plaindre, ceux qui meurent ou ceux qui combattent? Sans doute, c'est pitié de voir un poète de vingt ans qui s'en va, une lyre qui se brise, un avenir qui s'évanouit; mais n'est-ce pas quelque chose aussi que le repos? N'est-il pas permis à ceux autour desquels s'amassent incessamment calom¬ nies, injures, haines, jalousies, sourdes menées, basses trahisons; hommes loyaux auxquels on fait une guerre déloyale; hommes dévoués qui ne voudraient enfin que doter le pays d'une liberté de plus, celle de l'art, celle de l'intel¬ ligence; hommes laborieux qui poursuivent paisiblement leur oeuvre de conscience, en proie d'un côté à de viles machinatures de censure et de police, en[butte] de l'autre, trop souvent, à l'ingratitude des esprits mêmes pour lesquels ils travaillent; ne leur est-il pas permis de retourner quelquefois la tête avec envie vers ceux qui sont tombés derrière eux, et qui dor¬ ment dans le tombeau?

Qu'importe toutefois? Jeunes gens ayons bon courage! Si rude qu'on nous veuille faire le présent, l'avenir sera beau. Le romantisme,80 tant de fois mal défini, n'est, à tout prendre, et c'est sa définition réelle, que le libéra¬ lisme en littérature.

Was doch das Glück übermüthig macht! Dieſe jungen Leute jammern und verwünſchen ſich das Leben, weil einige poetiſche Abſolutiſten nicht haben wollen, daß ſie romantiſch ſind: Abſolutiſten, die doch keine andern Waffen haben als die Feder und den Spott, welchem man gleiche Waffen entgegenſetzen kann und wir unglückſeligen Deutſchen, Alt und Jung, ſobald wir nur einen Augenblick aufhören romantiſch zu ſeyn und uns um die Wirklichkeit be¬ kümmern wollen, werden geſcholten wie Schulbuben, geprügelt wie Hunde und müſſen ſchweigen und dürfen uns nicht rühren!

Der Bundestag, wie ich höre, will in Deutſchland die Preßfreiheit beſchränken. Wie ſie das aber anfangen wollen, möchte ich wiſſen. Wo nichts iſt, hat der Kaiſer ſein Recht verloren.

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Zwoͤlfter Brief.

Ich habe bis jetzt noch ſehr wenige Bekannt¬ ſchaften gemacht, und wahrſcheinlich werde ich es darin nicht weiter bringen, als das vorige Mal auch. Man mag ſich anſtellen wie man will, man fällt immer in ſein Temperament zurück. Zu Menſchen¬ kennerei hatte ich immer die größte Unluſt; meine ſinnliche und mehr noch meine philoſophiſche Träg¬ heit hält mich davon zurück. Was die einzelnen Menſchen der nehmlichen Gattung von einander unter¬ ſcheidet, iſt ſo fein, daß mich die Beobachtung an¬ ſtrengt; es iſt mir als ſollte ich einen kleinen Druck leſen. Und wird man bezahlt für ſeine Mühe? Selten. Darum halte ich mich lieber an Menſchen¬ maſſen und an Bücher Da kann ich fortgehen, die kann ich weglegen, wenn ſie mir nicht gefallen oder wenn ich müde bin. In Geſellſchaften muß ichI. 682hören, was ich nicht Luſt habe zu hören, muß ſpre¬ chen, wenn ich nicht Luſt habe zu ſprechen, und muß ſchweigen, wenn ich reden möchte. Sie iſt eine wahre Krämerei, die ſogenannte geſellſchaftliche Un¬ terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, ſetzt man lothweiſe ab. Wie ſelten trifft man einen Menſchen, mit dem man en gros ſprechen kann! Wem, wie mir, ſeine Meinungen zugleich Geſin¬ nungen ſind, wem der Kopf nur die Pairskammer iſt, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬ kammer, der kann ſich nicht in Geſellſchaften behag¬ lich fühlen, wo der ariſtokratiſche Geiſt allein Geſetze gibt. Drei, höchſtens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch ſo liebe ich es. Das iſt die Philoſophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch, daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reiſen, ohne alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar braucht man ſie in Paris weniger als an andern Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten zu einem Unbekannten geführt und ſo geht es ſchnell fort; aber ſich vorſtellen zu laſſen, mit anhören zu müſſen, wer und was man iſt, ſich unverdient, und was noch ſchlimmer, ſich verdient loben zu hören das thut einem doch gar zu kurios!

Was ſagen Sie zu Antwerpen? Iſt es nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Iſt je ſo eine Schändlichkeit begangen worden? .... 83Das iſt nicht der und der Fürſt, der es gethan, das iſt nicht der König der Niederlande, der nicht der ſchlimmſte Fürſt iſt; das iſt die Fürſtennatur, die ſich hier gezeigt, die wahnſinnige Ruchloſigkeit, die meint, ihrem perſönlichen Vortheile dürfe man das Wohl eines ganzen Volkes aufopfern. Es iſt nicht mehr zu ertragen und ich fange an und werde ein Republikaner, wovon ich bis jetzt ſo weit ent¬ fernt war. Sie ſollten heute nur (im Meſſager) de Potter's Glaubensbekenntniß leſen und wie er ſagt, der beſte Fürſt tauge nichts, und er wäre für eine Republik. Nie hat Einer ſo klar und wahr geſprochen.

Was ſagt man denn in Frankfurt von der Peſt (Cholera morbus), die jetzt in Moskau herrſcht? Die Krankheit hat ſich von Aſien dort hin gezogen. Es iſt eine Geſchichte gar nicht zum La¬ chen. In der geſtrigen Zeitung ſteht, der engliſche Geſandte in Petersburg habe ſeiner Regierung be¬ richtet, dieſe fürchterliche Krankheit werde ſich wahr¬ ſcheinlich auch über Deutſchland und weiter verbrei¬ ten. Das iſt wieder Gottes nackte Hand! Die Fürſten werden gehindert ſeyn, große Heere zuſam¬ menzuziehen und thun ſie es doch .... Es ahndet mir nein ich weiß es, die Peſt wird vermögen, was nichts bis jetzt vermochte: ſie wird das trägſte und furchtſamſte Volk der Erde antreiben und er¬6*84muthigen. Peſt und Freiheit! Nie hat eine häßlichere Mutter eine ſchönere Tochter gehabt. Was kann der kommende Frühling nicht noch für Jammer über die Welt bringen! Thränen werden nicht ausreichen, man wird vor lauter Noth lachen müſſen. Und das Alles um des monarchiſchen Prinzips, und das alles um eines Dutzends armſeliger Menſchen willen! Es iſt gar zu komiſch.

Die Revüe, welche verfloſſenen Sonntag auf dem Marsfelde über die Nationalgarde gehalten wurde, gewährte einen unbeſchreiblich ſchönen Anblick. Hundert tauſend Mann Soldaten, und wenigſtens eben ſo viel Zuſchauer, alle auf einem Platze, den man auf den angrenzenden Höhen ſo bequem über¬ ſieht. Was mich beſonders freute, war, daß hinter manchem Bataillon, auch ein kleiner Trupp unifor¬ mirter Kinder zum Spaſe mit zog. Die Officiere hatten, wie ich bemerkte, oft ihre Noth zu kom¬ mandiren, die Buben kamen ihnen immer zwiſchen die Beine. Dann zogen auch die Bleſſirten vom Juli an dem König vorüber, und darunter auch zwei Weiber mit Flinten, die damals mitgefochten. Der König wurde mit großem Jubel empfangen. Der Kronprinz (Herzog von Orleans) dient als gemeiner Kanonier bei der Nationalgarde und ſtand den ganzen Tag bei ſeiner Kanone und legte die Hände an wie die Uebrigen. Den fremden Geſandten, die alle bei85 der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬ wirthſchaft doch wunderlich vorkommen. An den deutſchen Höfen wird jeder Prinz, ſobald er auf die Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeſchrieben, um von unten auf zu dienen, und ſo während er in's Bett piſſt, avancirt er immerfort, iſt im ſieben¬ ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obriſt, und im achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬ gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht ſo lange Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, ſo lange auf den Beinen zu ſeyn. Um acht Uhr Morgens zogen ſie aus, und es war acht Uhr Abends als die letzten Legionen noch über die Boulevards zogen. Viele Nationalgarden, um ſich nicht zu ermüden, ſind zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬ ten hervorſahen, gewährten einen ſeltſamen Anblick.

Heute iſt das Miniſterium geändert, wie Sie aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der Verfaſſer einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolu¬ tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen, alſo ohngefähr ſo viel als Miniſter. Ich kannte ihn früher. Er iſt kaum dreißig Jahre alt, kam zur Zeit als wir in Paris waren mit ſeinem Landsmann Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein Deutſcher meiner Bekannten nahm ſich der jungen Leute an und wies ſie zurecht, und jetzt iſt der Eine86 Staatsrath, der Andere Miniſter! Was man hier ſein Glück macht! Möchte man nicht vor Aerger ein geheimer Hofrath werden! Es iſt gerade ſo als wäre der Heine Miniſter geworden oder der Menzel oder ich. Und was ſind wir?

Mittwoch Abend war ich bei Gerard, dem be¬ rühmten Maler, deſſen Salon ſchon ſeit dreißig Jahren beſtehet und wo ſich die ausgezeichnetſten Perſonen verſammeln. Es iſt eine eigentliche Nacht¬ geſellſchaft; denn ſie fängt erſt um zehn Uhr an, und man darf noch nach Mitternacht dahin kommen. Gerard iſt ein ſehr artiger und feiner Mann; aber er hat viel Ariſtokratiſches. (Ich mußte darüber lachen, daß ich unwillkührlich aber ſchrieb.) Er ſieht mir nicht aus, als hätte er je das Mindeſte von unſerm deutſchen Kunſt-Katzenjammer gefühlt. Ich möchte ihm einmal die Phantaſieen eines Kunſtlie¬ benden Kloſterbruders oder ſo ein anderes ſchluchzendes Buch zum Leſen geben was er wohl dazu ſagte! Ich fand dort die Dichterin Del¬ phine Gay; den dramatiſchen Dichter Ancelot; Hum¬ boldt; Mayer-Beer; den Bildhauer David, der im vorigen Sommer in Weimar war, um Goethes Büſte aufzunehmen; unſern Landsmann, den jungen Hiller,87 der hier als Komponiſt und Klavierſpieler in großer Achtung ſteht; Vitet, den Schriftſteller, der unter dem Namen Stendthal ſchreibt und noch viele andere Gelehrte und Künſtler. Ein armer deutſcher Ge¬ lehrter wird gelb vor Aerger und Neid, wenn er ſiehet, wie es den franzöſiſchen Schriftſtellern ſo gut gehet. Außer dem vielen Gelde, das ſie durch ihre Werke verdienen, werden ſie noch obendrein von der Regierung angeſtellt. Stendthal iſt eben im Begriff nach Trieſt abzureiſen, wo er eine Stelle als Con¬ ſul erhalten. Vitet ſchreibt ſogenannte hiſtoriſche Romane, die ſehr ſchön ſind: Henri III, les bar¬ ricades, les états de Blois. Der hat jetzt eine Anſtellung bekommen, um die ich ihn beneide. Er iſt conservateur des monuments d'antiquité de la France. Dieſe Stelle beſtand früher gar nicht und der Miniſter Guizot, der Vitet protegirte, hat ſie erſt für ihn geſchaffen. Sein Geſchäft beſtehet darin, daß er jährlich ein paar Mal durch Frank¬ reich reiſt und die allen Bauwerke aus der römiſchen Zeit und aus dem Mittelalter, Tempel, Waſſerlei¬ tungen, Amphitheater, Kirchen beſichtiget und darauf ſiehet, daß ſie nicht verfallen. Dafür hat er einen jährlichen Gehalt von funfzehn tauſend Franken und die Reiſekoſten werden beſonders bezahlt. Gäbe es eine angenehmere Stelle als dieſe für einen Menſchen wie ich bin, der faul iſt und gern reiſt? Möchte88 man ſich nicht den Kopf an die Wand ſtoßen, daß man ein Deutſcher iſt, der aus ſeiner Armuth und Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In Deutſchland geſchieht wohl manches für Kunſt und Wiſſenſchaft, aber für Künſtler und Schriftſteller gar nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preiſe für die beſten Werke der Malerei, der Bildhauer¬ kunſt, Lithographie, Muſik und ſo für Alle. Der erſte Preis beſteht darin, daß der Gewinnende auf fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält, und dafür muß er dieſe Zeit in Rom zu ſeiner Ausbildung zubringen. Einem Deutſchen würde dieſes Müſſen in Rom leben komiſch klingen, denn er iſt lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber Franzoſen erſcheint dieſes oft als Zwang, denn ſie verlaſſen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche ein junger Menſch, Namens Berlioz, den erſten Preis der muſikaliſchen Compoſition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er ſiehet aus wie ein Genie. Geſchiehet je ſo etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth! Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll deutſcher Erde, daß ich ſie hinunterſchlucke. Das iſt ohne dies gut gegen Magenſäure, und ſo kann ich das verfluchte Land doch wenigſtens ſymboliſch ver¬ nichten und verſchlingen. Neukamp, ein deutſcher Componiſt (ich glaube er macht Kirchenmuſik) lebt in89 Talleyrands Hauſe; aber nicht als Muſiker, ſondern als Attaché! Er begleitet Talleyrand überall hin und iſt ihm auch jetzt nach England gefolgt. Es mag recht angenehm ſeyn, in Talleyrands Nähe zu woh¬ nen. Bei uns gelangt man gar nicht zu ſo etwas. Gerard ſagte mir, daß er die Deutſchen ſehr liebe, und hielt ihnen eine große Lobrede. Es war Mitter¬ nacht als man erſt den Thee auftrug. Welche Le¬ bensart! Ich muß Ihnen doch die ſtatiſtiſche Merk¬ würdigkeit mittheilen, daß man hier zum Thee keine Serviette auflegt, ſondern die Taſſen und was dazu gehört auf den nackten Tiſch ſtellt. Gefällt Ihnen das? Aber dem Liberalismus iſt nichts heilig.

[90]

Dreizehnter Brief.

Spontini iſt gegenwärtig mit ſeiner Frau hier. Sie waren vorgeſtern bei ***. Er kehrt wieder nach Berlin zurück. Ehe er von Be lin abreiſte, erließ er an die Kapelle eine Art Tagesbefehl, worin er ſeine Zufriedenheit mit ihr zu erkennen gibt, und die Kapelle antwortete darauf. Beide Briefe ſind gedruckt und Spontini vertheilt ſie hier. Als ich ſie bei *** las, hätte ich vor Wuth bald eine Taſſe zerbrochen. Von Seite Spontini's die größte fran¬ zöſiſche Unverſchämtheit; er ſpricht mit der Kapelle wie ein Fürſt mit ſeinen Unterthanen. Und von Seite der Kapelle die größte deutſche Niederträchtig¬ keit und Kriecherei. Es gibt nichts Bezeichnenderes als das. Spontini erzählte: in Berlin wird gegn¬ wärtig Roſſini's Willhelm Tell aufgeführt, aber mit ganz verändertem Texte wegen des revolutionären91 Geiſtes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe gar nicht mehr gegeben werden. So weit ſchon iſt es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in Paris waren!

Es flog ein Gänschen über den Rhein,
Und kam als Gans wieder heim.

Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß heißt: es darf jeder, der Luſt hat, ein Theater errichten und[man] braucht kein Privilegium mehr dazu, keine allergnädigſte, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬ laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die Theater-Cenſur aufgehört und es herrſcht vollkom¬ mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus, und Deutſchland iſt das große Coblenz, wo alle emigrirten Mißbräuche zuſammentreffen. In Zeit von zehn Jahren werden die Freunde der politiſchen Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutſch¬ land reiſen, um da ihre Kunſtliebhaberei zu befrie¬ digen. Ich ſehe ſie ſchon mit ihren Antiquités de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Naſe und Notizbuch in der Taſche, durch unſere Städte wandern, und unſere Gerichtsordnung, unſere Stockſchläge, unſere Cenſur, unſere Mauthen, un¬ ſern Adelſtolz, unſere Bürgerdemuth, unſere aller¬ höchſten und allerniedrigſten Perſonen, unſere Zünfte, unſern Judenzwang, unſere Bauernnoth, begucken, betaſten, ausmeſſen, beſchwatzen, uns armen Teufeln92 ein Trinkgeld in die Hand ſtecken, und dann fortgehen und von unſerm Elende Beſchreibungen mit Kupfer¬ ſtichen herausgeben. Unglückliches Volk! .. wird ein Beduine mit ſtolzem Mitleide ausrufen.

Es gehet jetzt in der Kammer ganz erbärm¬ lich her. Man hört da von den ehemaligen Libe¬ ralen Reden gegen die Preßfreiheit halten, wie ſie der Metternich nicht beſſer wünſchen kann. Es iſt ein Ekel, und ich mag gar nicht davon ſprechen. Benjamin Conſtant, Lafayette und noch einige Weni¬ gen ſind die Einzigen, die der alten Freiheit treu geblieben. Das Miniſterium und die Kammer ha¬ ben Furcht und handeln darnach und haben freilich die Maſſe der Nation auf ihrer Seite, nehmlich den Teig, aber ohne die Hefen, nehmlich die Induſtriellen, das heißt auf Deutſch: die miſe¬ rablen Kaufleute und Krämer, die nichts haben als Furcht und Geld. Da nun die letzte Revolution ihren Zweck nicht erreicht hat (denn die jetzigen Machthaber wollen darin nur eine Veränderung der Dynaſtie ſehen) und man den Franzoſen nicht frei¬ willig gibt, um das ſie gekämpft haben, wird eine neue Revolution nöthig werden; und die bleibt ge¬ wiß nicht aus.

93

Neulich bin ich bei Feruſac eingeführt worden, der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬ nal heraus, das in Deutſchland bekannt iſt. Er iſt jetzt Deputirter geworden. Man findet in ſeinem Salon alle fremden und einheimiſchen Blätter und Journale, alle intereſſanten Bücher und Kupferwerke und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt ſich die Zeit mit Leſen und Kupferſtiche betrachten. Er fragte mich, was mein literariſches Fach wäre? Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es ſelbſt nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon wiſſen, theilen Sie mir es mit. Ich habe in dieſen Tagen geleſen: Contes d’Espagne et d’Italie par Alfred de Musset. Ein junger Dichter. Es iſt merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine hat. Sollte man das von einem Franzoſen für möglich halten? Die Memoiren von St. Simon machen mir erſtaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬ wigs XIV. bekommt man die klarſte Vorſtellung. Es iſt mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt iſt gar keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube, das Buch hat zwölf Bände.

Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen94 nicht, und ich frage mich, ob es ein Traum iſt? Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch je eine ſolche Lebensart vertragen könnte. Aber nicht allein, daß mir das nichts ſchadet, ich fühle mich noch wohler dabei. Ich war ſeit Jahre nicht ſo heiter, ſo ner¬ venfroh, als ſeit ich hier bin. Die Einſamkeit ſcheint nichts für mich zu taugen, Zerſtreuung mir zuträg¬ lich zu ſeyn. Die langen Krankheiten der letzten Jahre haben mich noch mehr entmuthigt als ge¬ ſchwächt, und hier erſt bekam ich wieder Herz zu leben. Die geiſtige Atmoſphäre, die freie Luft, in der man hier auch im Zimmer lebt, die Lebhaf¬ tigkeit der Unterhaltung und der ewig wechſelnde Stoff wirken vortheilhaft auf mich. Ich eſſe zwei¬ mal ſo viel wie in Deutſchland und kann es ver¬ tragen. Es kömmt aber daher, daß ich mich beim Tiſche unterhalte, ſelbſt wenn ich allein beim Reſtau¬ rateur eſſe; die ewig wechſelnden Umgebungen, die Kaumanieren aller europäiſchen Mäuler, das würzt die Speiſen und macht ſie verdaulicher. Und die Ferien, die ſchönen Ferien! Das Ausruhen von der Logik das iſt's vor allem, was meine Nerven liebkoſt. Aber dem Sauerkraute bleibe ich treu, das eine Band zerreiße ich nie, nie.

95

Mit Belgien, denke ich, wird ſich alles fried¬ lich beilegen. Die großen Mächte haben ſeine Un¬ abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken entſagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬ gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es ſich zu keiner Republik mache. Die meiſten, wenigſtens die einflußreichſten Belgier, ſollen freilich für die republikaniſche Regierungsform geſtimmt ſeyn; ſie werden aber nachgeben müſſen. Ich wollte, ſie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien, noch einem andern Lande unſers entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an deutſcher Grenze von großem Vortheile; es würde unſeren Abſolutismus etwas geſchmeidiger machen. Die Furcht iſt die beſte Gouvernante der Fürſten, die einzige, der ſie gehorchen. Die Furcht muß Deutſchlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung iſt aufzugeben. Auf Talleyrand in London ſetze ich großes Zutrauen, und ich laſſe mich hierin von den Pariſer Manieriſten nicht irre machen. Er ſetzt beſtimmt alles durch; denn er iſt der einzige Staats¬ mann, der keine Leidenſchaften und kein Syſtem hat und darum die Verhältniſſe klar erkennt, wie ſie ſind. Er wußte die Fehler der Andern immer ſehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht96 fehlen. Ich muß lachen, ſo oft ich den Jammer in den liberalen Zeitungen leſe, Talleyrand werde als ein Mitarbeiter an dem Wiener Frieden die Beſchlüſſe und Verträge der heiligen Allianz vertheidigen. Das iſt der rechte Mann, dem etwas heilig iſt!

Ich will es wohl gern glauben, wie es auch hier von Vielen behauptet wird, daß die Kataſtrophe von Antwerpen von den Inſurgenten übermüthig her¬ beigezogen worden; daß Chaſſ é zu Bombardiren gezwungen worden iſt; aber was ändert das? Man muß ſich nur immer fragen: wem gehört Belgien, oder jedes andere Land? Gehört es dem Volke, oder gehört es dem Fürſten? Die Belgier mögen vielleicht Unrecht haben mit ihrem Könige ich habe ſelbſt nie deutlich eingeſehen, worüber ſie zu klagen hatten aber es iſt jeder Herr in ſeinem Hauſe, und ein König, den man nicht leiden kann, und wäre es auch blos wegen der Form ſeiner Naſe, den wirft man mit Grund zur Thüre hinaus. Ich finde das ganz einfach. Der franzöſiſche Geſandte in Holland, der nach dem Bombardement dem Könige Vorſtellungen machte, wegen des Schadens, den die franzöſiſchen und andern Kaufleute in Antwerpen erlitten, erhielt vom Könige zur Antwort: Mr. l'Ambassadeur, je ne sacrifierai jamais les droits de ma couronne aux intérêts particuliers. Das ſoll erhaben ſeyn! Ich finde es ſehr lächerlich. Man macht noch viel97 zu viel Umſtände mit den Königen, man heuchelt zu viel. Man ſollte ihnen allen einen Termin von vier Wochen ſetzen, binnen welchen ſie eine beſſere Re¬ gierung einzuführen hätten, oder fort mit ihnen.

Das Buch der Lady Morgan habe ich noch nicht geleſen; ich will es mir aber heute noch holen laſſen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬ geiſterung, mit der ſie von ihr ſpricht. Es iſt eine Straße einzig in der Welt, die ſchönſte Symphonie von Kunſt, Natur, Geiſt und Leben. Es iſt ein Anblick, das kurzſichtigſte Auge, die engſte Bruſt zu erweitern. Ich wollte, unſere Philiſter wohnten alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, ſtatt nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein ſie, ſondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen werden. Mich ärgert es, ſo oft ich hierher komme, daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen. Den ganzen Tag ſtände ich am Fenſter und blätterte in dem großen Buche mit den ſchönen Zeichnungen. Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hauſe zu ge¬ hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber Geld, Geld! nervus rerum gerendarum das heißt auf Deutſch: ich habe ſchwache Nerven. Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬ ſtunden.

I. 7
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Vierzehnter Brief.

Geſtern bin ich in mein neues Logis gezogen. Ich wohne o der Schande! wie eine Opern¬ tänzerin, die einen reichen Liebhaber hat. Alle Mö¬ bel von Mahagoni, Marmor und Bronze; prächtige Pendule; fünf großen Vaſen, voll der ſchönſten Blu¬ men; ſtolze allerhöchſte Flambeaus, die ſich der bür¬ gerlichen Talglichter ſchämen, die ich ihnen aufgeſteckt; Stühle und Sopha, mit braunem gelbgeblümten Sammt überzogen; die zärtlichſten Bergeres, in die man eine halbe Minute einſinkt, ehe man den Grund erreicht; ſcharlachrothe Fußdecken und die Wände mit Spiegeln bedeckt. Es iſt alles ſo voll von Möbeln, daß ich kaum Platz zu wohnen habe. Unter den vielen Koſtbarkeiten wage ich mich nicht zu bewegen, wage ich nicht, was ſonſt meine Luſt iſt, gedankenlos oder gedankenvoll im Zimmer auf - und abzugehen;99 denn da ſteht überall umher ſo viel herabzuwerfen, ſo viel Zerbrechliches, daß die kleinſte Zerſtreuung mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels von Deutſchen, welche mich beſuchen, machen mir die größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die heiße Aſche, welche herabfällt, brennt Löcher in die Fußdecke. Dann ſchaukeln ſie ſich mit vaterländi¬ ſcher Ungezogenheit und ausländiſcher Lebhaftigkeit auf den Stühlen und halten mich in beſtändiger Angſt, daß ſie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf eine theure Vaſe oder einen, ſelbſt vereinigtem Pa¬ triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten. Mein Schlafzimmer das iſt über alle Beſchrei¬ bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬ ten-Geräthſchaften ſind nach den ſchönſten herkulani¬ ſchen Muſtern, theils im hetruriſchen, theils im grie¬ chiſchen Style geformt. Ich waſche mich aus einem Delphiſchen Weihkeſſel und knüpfe mein Halstuch vor einem Altare der Venus. Mein Bett iſt das Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬ ßen und grünen Sonnenſtreifen durchzogen, ſchmücken ſeinen Himmel. Die Wand, an welcher es ſteht, iſt ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬ ſchauen da iſt keine Rettung. Das Kopfkiſſen iſt mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im Geſicht herumkrabbeln und mich ſchon einige Male auf eine ſchauerliche Weiſe aus dem Schlafe geweckt7*100haben. Kurz, es giebt nichts ſchöneres, anmuthige¬ res, adligeres, als meine neue Wohnung; ſie iſt ein koſtbares Etui, das nur viel zu zierlich iſt für den unzierlichen Schmuck, den es einſchließt.

Sie werden geleſen haben, daß die franzö¬ ſiſche Regierung die Juden auf gleichen Fuß mit den chriſtlichen Staatsbürgern ſetzen und die Beſoldung ihres Kultus übernehmen will. Es iſt doch wieder ein Schritt vorwärts. Wie lange wird es noch dauern, bis man bei uns an ſo etwas nur denkt von der Ausführung gar nicht zu ſprechen. Die gefoppten Theologen des adligen Tugendbundes haben in ihrer Weisheit und Menſchenliebe die Lehre zu verbreiten geſucht: die bürgerliche Geſellſchaft ſei eine Taufanſtalt und es könne daher ein Jude kein Staats¬ bürger ſeyn. Dieſe frommen Herren haben ſchwere Köpfe und noch ſchwerere Füße. Erſt dauert es Jahrhunderte, bis ſie fortſchreiten wollen, und dann andere Jahrhunderte, bis ſie fortſchreiten können. Es iſt zum Erbarmen!

Aber die franzöſiſche Regierung, wie jede an¬ dere, ſieht ihre Entwickelung zur Freiheit als eine auferlegte Buße an, und gleich jenen Wallfahrern nach Rom, macht ſie einen Schritt zurück, ſo oft ſie zwei Schritte vorwärts gethan. Den Juden hat ſie etwas gegeben und dafür hat ſie der Preßfreiheit viel genommen. Die Cautionen für die Journale, eine101 Tyrannei der vorigen Regierung, ſollen beibehalten werden. Es iſt dieſes ſo ſehr gegen den Geiſt der Freiheit, daß man die letzte Revolution als ganz fruchtlos anſehen kann. Wie merkwürdig! Dieſe Juli-Regierung, die kaum aus dem Ei gekrochen und noch ganz dotrig iſt, kräht ſchon wie ein alter Hahn, und thut ſtolz und feſt wie ein unbeſtrittener Hof-König! Die Majorität der Kammer unterſtützt ſie nicht bloß in ihren unbedachten Schritten ſondern ſie verleitet ſie noch dazu. Das ſind die Gutsbeſitzer, die reichen Bankiers, die Krämer, die ſich mit einem vornehmen Worte die Induſtriellen nennen. Dieſe Menſchen, die funfzehn Jahre lang gegen alle Ari¬ ſtokratie gekämpft kaum haben ſie geſiegt, noch haben ſie ihren Schweiß nicht abgetrocknet und ſchon wollen ſie für ſich ſelbſt eine neue Ariſtrokratie bil¬ den: eine Geld-Ariſtrokatie, einen Glücks-Ritter¬ ſtand. Wehe den verblendeten Thoren, wenn ihr Beſtreben gelingt, wehe ihnen, wenn der Himmel nicht gnädig iſt und ſie aufhält, ehe ſie ihr Ziel er¬ reichen. Die Ariſtrokatie des Adels und der Geiſt¬ lichkeit war doch nur ein Princip, ein Glaube; man konnte ſie bekämpfen und beſiegen, ohne den Edel¬ leuten und den Geiſtlichen in ihrer ſinnlichen Lebens¬ ſphäre wehe zu thun. War dieſes in der franzöſi¬ ſchen Revolution doch geſchehen, ſo war dieſes nur Mittel, nicht Zweck, war eine zwar ſchwer zu ver¬102 meidende, doch keineswegs nothwendige Folge des Kampfes. Werden aber Vorrechte an den Beſitz gebunden, wird das franzöſiſche Volk, deſſen höchſte Leidenſchaft die Gleichheit iſt, früher oder ſpäter das zu erſchüttern ſuchen, worauf die neue Ariſtokratie gegründet worden den Beſitz und dieſes wird zur Gütervertheilung, zur Plünderung und zu Gräu¬ eln führen, gegen welche die der frühern Revolution nur Scherz und Spiel werden geweſen ſeyn. Was mich aber an dieſen Journal-Kautionen am meiſten betrübt, ſind die üblen Folgen, welche ſie, wie ich ſicher erwarte, für Deutſchland haben werden. Unſere Regierungen werden gewiß, wenn ſie den Forderun¬ gen der Preßfreiheit nicht länger ausweichen können, jene franzöſiſche Erfindung der Kautionen benutzen, und dann iſt Preßfreiheit nur ein trügeriſches Wort. Wir haben keine reichen Schriftſteller, wie es deren ſo viele in Frankreich gibt; ſie ſind alle arm oder dem Staate dienſtbar. Keiner wird daher im Stande ſeyn, die Kaution aus ſeinem eigenen Vermögen zu leiſten, und man wird, um ein Journal zu gründen, ſich in den Sold eines Buchhändlers geben müſſen, der nur auf ſeinen merkantiliſchen Vortheil ſieht und daher leicht durch Hoffnung des Gewinns beſtochen, oder durch Furcht vor Verluſt eingeſchüchtert wer¬ den kann.

103

Das Gebet um Preßſklaverei in der Mün¬ chener Flora hat mich erquickt wie Bairiſch Bier. Ich danke Ihnen dafür. Geräth dieſe holde Flora ein¬ mal in meine Gewalt, o, wie will ich ſie zerblättern und zerknittern! Sie können mir keine größere Freude machen, als wenn Sie mir deutſche Dummheiten mittheilen. Geſtern las ich wieder etwas ſehr ſchö¬ nes von dem Berliner Correſpondenten in der allge¬ meinen Zeitung, meinem Schätzchen. Er ſagt unter andern: der Volksauflauf neulich in Berlin hätte gar nichts zu bedeuten gehabt, das wären blos Neugie¬ rigkeits-Aufläufe geweſen. So wird doch immer auf das Beſte dafür geſorgt, daß ich in Frankreich mein Deutſch nicht verlerne!

Ein Wiener Gelehrter hat mir in dieſen Tagen geſchrieben und ich will Ihnen Einiges aus ſeinem Briefe mittheilen. Eine Art Kerkerluft weht durch alle ſeine Worte, eine gewiſſe Trauer iſt über ſeine Reden verbreitet und ſo wahr und liebevoll iſt alles, was er ſpricht, daß es mir in das Herz gedrungen. Wie ſehr ſind die armen Wiener Gelehrten zu be¬ mitleiden! Sie leben im ſchnödeſten Geiſtesdrucke, und darum und weil ſie ſich gar nicht ausſprechen dürfen, müſſen ſie die freiſinnigen Ideen in Philo¬104 ſophie und Politik weit lebhafter fühlen und müſſen viel ſchmerzlicher von ihnen gequält werden, als wir Andern, die wenigſtens klagen dürfen. Nachdem Herr *** von dem Eindrucke geſprochen, den meine Schriften auf ihn und einen andern gleichgeſinnten Freund gemacht, und mir ſeine Uebereinſtimmung mit meinen Anſichten lebhaft zu erkennen gegeben, fährt er fort: Es thut Noth in ſo zerſpaltener, einheits¬ liebloſer Zeit, daß ihre Beſſeren und Edleren ſich finden, erkennen, lieben und vereinigen für ihr glei¬ ches Ziel das allein Rechte die Freude des Menſchen und das Wohl der Einzelnen wie des ganzen Geſchlechts, das ja nur die Summe aller Einzelnen iſt. Darum iſt eben ſo ſchön und tief der Satz, den Sie im ſiebenten Bande Ihrer Schriften ausſprechen und gegen den nicht nur die Theologen, ſondern alle, die ſelbſtſüchtig und Feinde der Freiheit ſind, aufſtehen der Satz: die Menſchheit iſt um der Menſchen willen da.

Es iſt wohl an der Zeit, daß der eingeriſſene Ideen-Götzendienſt einmal aufhöre und daß der le¬ bendige Menſch nicht mehr einem luftigen Ideal geopfert und mit ihm nicht mehr Experimente an¬ geſtellt werden. Ihr ausgeſprochener Satz, folge¬ recht durchgeführt, wirft alle Syſteme über den Haufen und ſtatt des todten Begriffs Menſchheit105 ſteht der lebendige Menſch ſchaffend im Mit¬ telpunkt der Welt.

Dieſen Satz kann aber eben nur wahrnehmen und ausſprechen der Menſch, der in ſich Kern, Werth und Würde trägt; wer ſelbſt nichts iſt, muß ſich natürlich entweder unter den Schutz, ich weiß nicht welcher Idee, als einer eingebildeten Macht begeben, oder er muß geradezu, wenn er ſcheinbar etwas ſtärker iſt, das Thierrecht des Stärkeren, d. h. die Selbſtſucht ſchlechtweg für ſich anſprechen.

Wir ſehen auch die Zeit nach dieſer Spal¬ tung in zwei Theile getheilt. Der eine, die Ge¬ lehrten, brütet über Ideen und ſucht im Trüben zu fiſchen; der andere, die Materiellen, als die Stär¬ kern, ſpricht geradezu durch Wort und That die Selbſtſucht aus und tritt den Begriff wie den le¬ bendigen Menſchen in allen Verhältniſſen mit Füßen, wogegen die andern blos die Hände ringen[und] die Vorſehung zum Zeugen der Frevel ausrufen. Was uns am meiſten Noth thut, iſt Vereini¬ gung. ...

Ich erſtaune gar nicht, einen Wiener ſo ſpre¬ chen zu hören; denn eigentlich iſt Oeſterreich die hohe Schule des Liberalismus. Wohin uns Andere oft nur philoſophiſche Spekulation führt, dahin bringt jene die Noth, und Noth iſt eine beſſere Lehrerin als Philoſophie. Hören Sie ferner, was er von106 Goethe ſagt, wobei ich nur nicht begreife, was ihn auf den Gedanken gebracht haben mag, daß ich hierin anderer Meinung ſei, als er ſelbſt. Ich er¬ innere mich zwar nicht, je meine Abneigung gegen Goethe deutlich ausgeſprochen zu haben; aber ſie iſt ſo alt und ſo ſtark, daß ſie in meinen Schriften doch wohl einmal hervorgeſchienen haben muß.

Was mich aber wundert, iſt dies, daß Sie den wilden Goethe öfters anführen. Dieſer Menſch iſt ein Muſter von Schlechtigkeit; man kann in der Weltgeſchichte lange ſuchen, bis man einen ſeines Gleichen findet. Thöricht iſt es, daß man immer ſagt: Schiller und Goethe, wie Voltaire und Rouſſeau. Um ſo viel Rouſſeau mehr iſt als Schiller, um ſo viel iſt Goethe ſchlechter als Vol¬ taire. Goethe war immer nur ein Despotendiener; ſeine Satyre trifft weislich nur die Kleinen; den Großen macht er den Hof. Dieſer Goethe iſt ein Krebsſchaden am deutſchen Körper, und das Aergſte iſt noch, daß Alles die Krankheit für die üppigſte Geſundheit hält und den Mephiſtopheles auf den Altar ſetzt und Dichterfürſten nennt. Ja Fürſten¬ d. i., Despotendichter ſollte er eigentlich heißen.

Wie wahr, wie wahr das Alles, und wie heil¬ ſam wäre es, ſolche Geſinnung nicht zu verbrei¬ ten, ſie iſt verbreitet genug ſondern den Muth zu verbreiten, ſie auszuſprechen. Goethe iſt der107 König ſeines Volkes; ihn geſtürzt, und wie leicht dann mit dem Volke fertig zu werden! Dieſer Mann eines Jahrhunderts hat eine ungeheuer hindernde Kraft; er iſt ein grauer Staar im deutſchen Auge, wenig, nichts, ein bischen Horn aber beſeitigt das und eine ganze Welt wird offenbar. Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, ſeit ich denke, weiß ich warum. Wir haben oft davon geſprochen und Sie begreifen meine Freude, in einer Geiſtes-Wüſte, wie Oeſterreich iſt, einem menſchlichen Weſen begeg¬ net zu ſein, das fühlt und denkt wie ich.

Saphir wurde von allerhöchſten Händen aus Baiern gejagt, weil er gegen einen Komödianten ge¬ ſchrieben! C'est perruque würde ein Pariſer ſagen; aber ich kann nicht lachen darüber. Was helfen Barrikaden gegen ſolche Charlesdischen, ge¬ gen ſolche Ordonnänzchen? Das kriecht einem zwiſchen die Beine durch, das macht ſich, wie Waſ¬ ſer, durch die kleinſte Lücke Bahn. Es iſt zum Ver¬ zweifeln, daß deutſche Tyrannei zugleich ſo viel Lä¬ cherliches hat: das lähmt den Widerſtand. Warum aber unſere Fürſten ſich ſo große Mühe geben, die franzöſiſche Revolution, die viel Metaphyſiſches hat, den Bürgern und Landleuten durch Zeichnungen, Mo¬ delle und Experimente faßlich zu machen das be¬ greife ich freilich nicht. Es muß wohl Schickung ſeyn.

108

Wenn ſich unſere Kaufleute, die viel dabei verlieren, über Belgien ärgern, ſo laſſe ich das hin¬ gehen. Aber die Andern ſie betrachten das Alle aus einem falſchen Geſichtspunkte. Es iſt wahr, es fanden viel Pfaffen-Intriguen Statt; aber was thut das? Die Belgier haben ihren König nicht länger behalten wollen, ſie haben ihn fortgejagt und ſeine Leute geprügelt iſt das nicht ſchön und ein gutes Beiſpiel nachzuahmen? Ein König für Saphir, das iſt billig. Herr Wellington iſt auch abgeſetzt. Wahrhaftig, mich dauern die armen Diplomaten; es kömmt dieſen Schwachköpfen gar zu viel auf ein¬ mal über den Hals; wie eine Sündfluth gießen die Verlegenheiten auf ſie herab. Die Aenderung des engliſchen Miniſteriums iſt für uns auch gut. Leſen Sie im heutigen Conſtitutionnel, wie der Belgiſche Geſandte in London, Herr v. Weyer, nach ſeiner Rückkehr öffentlich im Congreſſe von ſeiner Sendung Rechenſchaft abgelegt, und wie er vor allem Volke[er¬ zählte], was Wellington, Aberdeen, der Prinz von Oranien und Andere mit ihm verhandelt. Das hat mich ſehr amüſirt. Diplomatiſche Geheimniſſe öffent¬ lich in einer Ständeverſammlung auszuplaudern und das während die Verhandlungen noch im Gange ſind, das iſt unerhört, das iſt himmelſchreiend werden ſie in Berlin, Wien und Frankfurt ſagen.

109

Der neue Miniſter des Innern, Montali¬ vet, iſt erſt achtundzwanzig Jahre alt. Er war nie Referendär, nie Hofrath, nie Regierungsrath, nie Geheimer-Regierungsrath, nie Kammerdirector, nie Präſident plötzlich iſt er Miniſter geworden. Es gibt keinen Gott mehr.

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Funfzehnter Brief.

Es raucht heute wieder in meinem Zimmer, und ich ſchreibe Ihnen unter Thränen und Seufzern. Aber das iſt nun einmal nicht zu ändern in Paris, es gehet in vielen Häuſern nicht anders. Man hat hier eine eigene Art Aerzte für kranke Kamine, Rauchkünſtler (fumistes) genannt. Es ſind aber eben Aerzte. Man weiß oft nicht, ob die Krankheit ſie, oder ob ſie die Krankheit herbeigeführt. Geſtern hat ein ſolcher Künſtler an meinem Kamine gearbei¬ tet, und als man ihn heute wieder holte, weil es noch ſtärker rauchte als vorher, ſagte er, es läge am Wetter und er wolle kommen, ſobald es nicht mehr rauche und dann helfen.

Jetzt um dieſe Weihnachts-Zeit, was wird hier in den Läden nicht alles ausgeſtellt, das Größte und das Kleinſte, für Könige und für Bettler. Es111 iſt gefährlich über die Straße zu gehen, es iſt als wenn Räuber, die Piſtole auf der Bruſt, uns unſer Geld abforderten.

Ich leſe mit großem Vergnügen Diderots nachgelaſſene Briefe an eine Freundin, die erſt im Anfange dieſes Jahres erſchienen ſind. Wenn ich Ihnen ſolche große Briefe ſchriebe, dann wären Sie mit mir zufrieden. Briefe, zwölf, gedruckte Seiten lang, und über alles. Als er ſeine Freundin, ſeine Sophia kennen lernte, war er ſchon 46 Jahre alt! Aber es iſt nicht Freundſchaft, es iſt die heißeſte jugendlichſte Liebe, wenigſtens in den Reden; denn es kann leicht ſeyn, daß ſie ſich beide nur etwas weiß gemacht. Die Briefe ſind an eine Mademoiſelle Volland gerichtet, ein Mädchen, das bei der Mutter lebte. Wie alt ſie iſt, erfährt man nicht. Aber die Liebe und die Correſpondenz dauern länger als zwan¬ zig Jahre. Und Diderot war verheirathet! Ich habe keine Vorſtellung davon, wie ein Mann von 46 Jah¬ ren und der noch überdies an der Ehe leidet, welche doch immer eine Art Gicht iſt, ſich noch verlieben kann. Das kann aber auch nur ein Franzoſe. Der Deutſche hat gewiß mehr wahres Gefühl, mehr innere Wärme; aber die theilt ſich nicht mit. Wir haben kalte Hände und ſind kalt bei der Berührung. Die Briefe ſind charmant, nur muß man beim Leſen die unverdaulichen Liebeserklärungen wie die Kirſch¬112 kerne ausſpeien. Schreibt doch einmal der alte Junge: que vos regards étaient tendres hier! Combien ils le sont depuis quelque temps! Ah! Sophie, vous ne m'aimiez pas assez si vous m'aimez aujourd'hui davantage. O! das iſt noch kühl gegen das Uebrige, er ſchreibt oft mit ko¬ chender Dinte.

Haben Sie in der geſtrigen franzöſiſchen Zeitung die Rede geleſen, welche Auguſt Perrier für die Juden gehalten? darin bekommen auch die Frank¬ furter Kaufleute einen tüchtigen Hieb, indem geſagt wird, wie ſie aus Handelsneid in den freien Städten die Juden verfolgen.

Schreiben Sie mir doch genau und um¬ ſtändlich, ob man bei uns an den Krieg glaubt. Nach den geſtrigen Nachrichten hätten Frankreich und England vor einigen Tagen eine Offenſiv - und De¬ fenſiv-Allianz geſchloſſen. Es wäre ſchön, wenn das wahr wäre; dann wäre es doch endlich einmal dahin gekommen, wohin es früher oder ſpäter kommen muß, zum ſtrengen Gegenſatze der feindlichen Ele¬ mente: die Freiheit hier, die Despotie dort und jetzt ſchlagt Euch, ich ſehe zu. Ich weiß wahrhaftig noch nicht, was ich thue, wenn es Krieg gibt, ob ich unter die Kavallerie, oder die Infanterie gehe, oder unter dem Federvolk diene; denn thun muß ich etwas. Sie werden auf jeden Fall mein Knappe,113 tragen mir Pflaſterſteine zu oder verſorgen mich mit feinen Federlappen.

Dieſe Woche habe ich mich einen Abend ſehr amüſirt. Ich war zu einem jungen Dichter, Na¬ mens ***, eingeladen, um eine Ueberſetzung des Makbeths vorleſen zu hören. In Deutſchland hätte mich ſchon der Gedanke einen ganzen Abend auf dem Stuhle feſt zu ſitzen, um eine Vorleſung zu hören, zur Verzweiflung gebracht, und die Wirklichkeit hätte mich getödtet. Aber hier wußte ich vorher, daß die theatraliſche Beleuchtung, die alle geſellſchaftlichen Verhältniſſe glänzend macht, mich unterhalten würde. Und ſo kam es auch. Da waren genau gezählt 32 Schriftſteller verſammelt, meiſtens jüngere, alle Romantiker. Da war nichts zum Lachen, die Maſſe war zu groß, zu Ehrfurcht gebietend, es war wie eine Kirche, wie eine Gemeinde. Ich habe mit Vielen geſprochen, mit Victor Hugo und Andern ... Sie ſprachen mir von Goethe und Schiller und von Schiller und Goethe ohne Ende. Sie meinten wohl, ich hätte Vergnügen daran. Einer fragte mich nach Klopſtock, Kleiſt, Ramler, die ich alle nicht kenne. Jetzt ſetzte ſich die romantiſche Gemeinde an den Wänden herum, und Herr *** ſtellte ſich vor das Kamin, Rücken gegen Feuer gelehnt[und] fing zu leſen an. Mir war doch ein bischen Angſt vor der Zukunft und was ich in den nächſten drei StundenI. 8114würde mit anhören müſſen. Aber es ging alles gut. Die Ueberſetzung war ganz vortrefflich, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Es war freilich immer nur durchgeſchlagener Shakeſpeare, es blieb aber noch genug zu leiſten übrig. Auch las er meiſterhaft vor und applaudirt und bravo! wie auf dem Theater. Und da kam ein Zufall dazu, der die Sache noch theatraliſcher machte. In der Scene, wo ſich Makbeth an den Tiſch ſetzen will, und vor dem Geiſte des ermordeten Königs, der ſeinen Stuhl eingenommen, zurückſchaudert, fing der Kamin zu rauchen an, und bildete eine Wolke, die recht gut einen Geiſt vorſtellen konnte. Mir, der am Kamine neben dem ſtehenden Dichter ſaß, gingen die Augen über, aber der begeiſterte Vorleſer merkte nichts eher, als bis ſein grauer Staar reif geworden war und er gar nichts mehr ſehen konnte. Da mußte er ſich unterbrechen, und die Thüre öffnen laſſen. Spaßhaft war es mir, recht deutlich zu merken, daß alle die Herren da, welche den Shakeſpeare nicht ſo aus¬ wendig wiſſen, als wir Deutſchen, überraſcht von den Schönheiten des Drama's in begeiſterndes Lob ausbrachen, aber dieſes Lob gar nicht dem Shakeſpeare, ſondern dem Ueberſetzer zuwandten. Dreißig Schrift¬ ſteller in einem Zimmer, das findet man in Deutſch¬ land ſelten.

Mit den Lithographien von den franzöſiſchen115 Revolutionsſcenen, zu welchen ich gern den erklä¬ renden Text geliefert, iſt es anders, als ich mir gedacht. Es kömmt kein Text dazu; ſondern die Zeichnungen werden zu den ſchon vorhandenen Frei¬ heitsliedern, der Marſeillaiſe, der Pariſienne und andern gemacht. Wenn nur die Zeichnungen nicht von altdeutſcher, ſüßlicher, wehmüthiger, ro¬ mantiſcher Art werden, wie ich es von dem Zeichner, deſſen frühere Arbeiten ich geſehen, faſt erwarte. Die praktiſchſte Sache von der Welt, die letzte Re¬ volution, würde dann in lauter romantiſchen Rauch aufgehen, und die Deutſchen, die ſich ja daran be¬ geiſterten, würden lernen, wie ſie einſt in jener Welt, im Himmel, den Satan mit ſeinem Volk niederpflaſtern und verjagen, aber nicht wie in dieſer die Miniſter und Polizei. Das Freiheitsgedicht von Simrock, das Sie mir geſchickt, iſt auch in dieſem unſeligen romantiſchen Geiſte. Gar nichts Muth¬ entflammendes darin, nur Muthtödtendes. Ich mag mit dieſem Heiligen nichts mehr zu thun haben. Es iſt aber eine ſchöne Erfindung mit den Pflaſterſteinen; dem Gegengift der Pulvererfindung!

8*
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Sechszehnter Brief.

Es iſt entſetzlich mit Goethe's Sohn! Ich hätte weinen mögen. Wie hart mußte ein Schickſal ſeyn, das dieſen harten Mann mürbe machte. Nach dem letzten Berichte war er hoffnungslos und jetzt iſt er wahrſcheinlich todt. Es iſt mir, als würde mit Goethe die alte deutſche Zeit begraben, ich meine an dem Tage müſſe die Freiheit geboren wer¬ den. Heute ſtehen wieder ſchöne Lügen im Conſtitutionnel. In Berlin und in den Rheinpro¬ vinzen hätten aufrühreriſche Bewegungen Statt ge¬ funden, und die preußiſchen Truppen kehrten von den Grenzen zurück. Und in Metz hätten zwei Deutſche 2000 franzöſiſche Cocarden gekauft, und das alles, wird verſichert, käme aus achtungswerther Quelle. Aber in der Schweiz gehet es ernſthaft her. Das wäre ein großer Schritt für Deutſchland, wenn117 ſich die Schweizer frei machten von ihren Ariſtokra¬ ten, die ſchlimmer ſind als die Könige und gefähr¬ licher. Dann hätte das ſüdliche Deutſchland einen Stützpunkt, und es könnte handeln. Auch wäre gewonnen, daß man in der Schweiz dann freie Zeitungen ſchreiben und von dort nach Deutſchland verbreiten könnte: Aber was hilft mich alle Freiheit, wenn ich keinen Tabak habe? Ich bin überzeugt, daß wenn mir noch ſechs Monate der Tabak fehlte, ich ein vollkommener Ariſtokrat würde. Ich fühle leider ſchon wie ich täglich ſauberer und höflicher werde.

Der Artikel im Conſtitutionnel le faux¬ bourg St. Germain iſt freilich nicht verſöhnlicher Art; aber das will und ſoll er auch nicht ſeyn. Die Regierung und ihre Anhänger werden durch die halsſtarrigen edlen Vorſtädter in wirkliche Verlegen¬ heit geſetzt und ſie ſind ärgerlich darüber, weil ſie es nicht ändern können. Die Ultras haben ſich faſt alle aus Paris zurückgezogen, und wohnen dieſen Winter auf ihren Gütern. Dadurch (und das iſt ihre edle Abſicht) leiden die Gewerbsleute ganz un¬ gemein. Man hat berechnet, daß durch die Abwe¬ ſenheit der Ultras und eines Theiles von der ge¬ wöhnlichen Anzahl der Fremden, der durch die Re¬ volution verſcheucht worden iſt, Paris in dieſem Jahre fünf und ſiebenzig Millionen verliert, und118 daß, wenn nicht glücklicher Weiſe der reiche B. an¬ gekommen wäre, der Verluſt auf hundert Millionen ſteigen würde. Der Conſtitutionnel ärgert ſich dar¬ über und das macht ihn bitter. Es amüſirt mich ſehr, daß mich der Conſtitutionnel, ſonſt mein lu¬ ſtiger Rath, ſeit der Revolution ſo ſehr ennuyirt. So auch die andern Kameraden. Sie ſind erſchöpft, ihre Zeit iſt aus, und ihr fortgeſetztes Liberal-Thun ſtehet ihnen ſo lächerlich, wie alten Weibern das Kokettiren an. Man muß ſich an die jungen Zei¬ tungen halten; le temps, national, la révolution. Selbſt der Figaro iſt nicht mehr ſo witzig als ehe¬ mals: Es geſchehen nicht Dummheiten genug mehr. Warum gehet er nicht nach Deutſchland? H. hat mir geſagt, ſeine Mutter hätte ihm geſchrie¬ ben, die St ... hätte ihr geſagt, Sie hätten ihr geſagt, ich hätte Ihnen geſchrieben, ich ginge in Paris noch Nachts zwei Uhr auf der Straße herum. Iſt das wahr? das iſt ja ein ſchöner Klatſch-Knäul.

Sie haben Angſt vor den zwölf Löwen und Tigern? das wundert mich gar nicht, Sie haben ſchon vor weniger Angſt gehabt. Hören Sie, was neulich dem Dr. *** begegnete. Er wird Abends zu einer Kranken gerufen. Die Frau lag im Bette, und der Schirm vor dem Lichte machte das Zimmer unhell. Während nun *** ſeine Kranke ausfragte, fühlte er auf ſeiner herunterhängenden Hand den119 heißen Kuß einer breiten ſtechenden Zunge. Er blickt hin und gewahrte einen lieblichen großen Tiger. Behutſam ziehet er die Hand zurück. Dann erhebt ſich der freundliche Tiger ſtellt ſich auf die Hinter¬ füße und legt ſeine Vorderfüße auf *** Schultern. Fürchten Sie ſich nicht ſagte die kranke Frau der Tiger iſt zahm. Die Kranke war die Frau eines gewiſſen Martin, der hier eine Menagerie zeigt, und durch die Kühnheit, mit welcher er mit ſeinen Beſtien ſpielt, vieles Aufſehen macht. Ich glaube, er war früher auch in Frankfurt. Der zahme Tiger, den er in ſeinem Wohnzimmer frei herum¬ laufen läßt, gehörte früher dem Marine-Miniſter. Ich, an Dr. *** Stelle hätte große Angſt gehabt. Er erzählte Folgendes: der verſtorbene B. in Rom glaubte die Gabe zu beſitzen, jedes Menſchen künf¬ tiges Schickſal aus deſſen Geſichtszügen zu erkennen. Dabei wurde er wie von einer dämoniſchen Gewalt wider ſeinen Willen angetrieben, allen ſeinen Be¬ kannten ihr Schickſal vorher zu ſagen. Dr. *** bat ihn oft, ihn mit ſolchen Sachen zu verſchonen, er wolle ſein Schickſal nicht wiſſen. B. aber konnte ſich nicht bezwingen, und ſagte ihm endlich: er ſolle ſich vor wilden Thieren hüten. Ich habe Martins Menagerie noch nicht geſehen, habe mir aber vorgenommen, nur in Dr. *** Geſellſchaft dahin zu gehen, damit wenn einer von uns ge¬120 freſſen werden ſoll, er es werde, wie es prophezeit worden.

Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬ ſervatoire beigewohnt. Ein junger Componiſt, Na¬ mens Berlioz, von dem ich Ihnen ſchon geſchrieben, ließ von ſeinen Compoſitionen aufführen; das iſt ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven ſteckt in dieſem Franzoſen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles ſehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatiſche in fünf Acten, natürlich blos Inſtrumen¬ tal-Muſik; aber daß man ſie verſtehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es iſt die ausſchweifendſte Ironie, wie ſie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Componiſt erzählt darin ſeine eigene Jugendgeſchichte. Er vergiftet ſich mit Opium und da träumt ihm, er hätte die Geliebte[ermordet], und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt ſeiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬ gleichlichen Marſch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Theile ſtellt er den Blocksberg vor, ganz wie im Fauſt, und es iſt alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die ſich ſeiner unwürdig zeigte, erſcheinet auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen in Fauſt, ſondern frech, Hexen¬ mäßig ..... In der Kunſt und Literatur wie in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬121 aus. Das muß man zu würdigen wiſſen, um die jetzigen franzöſiſchen Romantiker nicht ungerecht zu verurtheilen. Sie ſind oft rein toll, und ſchreiben Sachen, wie man ſie im romantiſchen Deutſchland niemals lieſ't. Das wird ſich geben. Sie werden wieder zurückpurzeln, es iſt noch kein Franzoſe in die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬ leſung fragte ich nach einem bekannten romantiſchen Dichter und man ſagte mir, er wäre gegenwärtig in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen Andern. Es ſcheint, dies junge Volk gehet nach Spanien, romantiſche Luft einzuathmen. Ich mußte darüber lachen.

Geſtern war ich bei Franconi. Da wurde ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur; alle ſeine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu ſeinem Tode. Als ich dieſen Morgen aufwachte, war ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe hatte, und überhaupt noch lebte. Aus ſo vielen blutigen Schlachten iſt noch Keiner unverwundet ge¬ kommen. Denn es war kein Spiel, es war die Wirklichkeit. Ich ſaß hart an der Bühne in einer Loge, und da ich jetzt ſo ſehr kriegeriſch geſtimmt bin, war ich ganz ſelig über das Kanonen - und Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuſchung nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬ corationen! mehr Soldaten als das ganze Frank¬122 furter Militär beträgt; aber nicht übertrieben. Ich will Ihnen die wichtigſten Begebenheiten nennen, die man vorgeſtellt (nicht alle): wie Napoleon aus dem Hafen von Toulon nach Aegypten abſegelt. In meiner Loge waren junge Leute, die Toulon kannten, die waren außer ſich über die Aehnlichkeit. Die ganze Flotte, einige hundert Segel, ſiehet man vor¬ beifahren die Schlacht bei den Pyramiden die Höllenmaſchine die Krönung Napoleons Scene aus Madrid der Brand von Moskau der Uebergang über die Berezina; das war am grau¬ lichſten und zum Weinen. Die Armee im jammer¬ vollſten Zuſtande ziehet über die Brücke. Nach und nach ſtopft ſie ſich. Gegenüber der Feind. Endlich ſtockt alles. Da gehen die Uebrigen, Reiter, Fu߬ volk, Weiber über die gefrorene Berezina. Das Eis bricht, die Weiber kreiſchen, die Brücke ſtürzt zuſammen, alles verſinkt unters Eis. Abſchied in Fontainebleau Napoleon am Bord des Northum¬ berland Napoleons Tod auf Helena. Er ſtirbt im Bette. Außer den Chören, dem Volke, waren 103 Hauptrollen, alle berühmte Leute aus jener Zeit und alle naturtreu dargeſtellt. Napoleon wie er lebte. Alle ſeine Manieren, alle ſeine Tics waren nach¬ geahmt. Und jetzt denken Sie ſich dazu den Lärm der Zuſchauer. Franconi's Theater iſt das größte in Paris und der meiſte Pöbel iſt dort. Sieben123 Franken hat mich mein Platz gekoſtet. Erſt ging ich hinein zu drei Franken, weil keine Loge mehr zu haben war. Die Gallerie war aber ſchon ganz voll und ich ging wieder fort. Vor dem Hauſe ſchrie ich laut: qui est-ce qui achète un billet de balcon? Ich ward von einem ganzen Trupp Billethändler umringt. Da kam einer und bot mir einen Logen - Platz an, für mein Balkon-Billet und ich mußte noch 4 Fr. darauf legen. Ich ging wieder zurück, zankte mich zur Uebung im Franzöſiſchen mit einem Dutzend Menſchen, die mir keinen Platz machen wollten, ſetzte es mit Unverſchämtheit durch und ſaß und ſah ſehr gut. Aber wie höflich ſind jetzt die Gensdarmen! früher wäre ich wegen meines Lärmens gewiß arretirt worden. Dies machen die Pflaſterſteine.

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Siebzehnter Brief.

Bis von uns Einer auf den Brief des Andern antwortet, verſtreichen gewöhnlich neun Tage, ſo daß wir oft Beide nicht mehr wiſſen, worauf ſich die Antwort bezieht. Das iſt verdrießlich, aber nicht zu ändern, wenn man weit von einander entfernt lebt. Diderot in ſeinen Briefen ärgert ſich auch oft darüber und ſagt: es iſt mir wie jenem Reiſenden, der zu ſeinem Geſellſchafter im Wagen ſagte: das iſt eine ſehr ſchöne Wieſe. Eine Stunde darauf antwortete dieſer: ja, ſie iſt ſehr ſchön.

Wiſſen Sie ſchon, daß Benjamin Conſtant ge¬ ſtorben iſt? Morgen wird er begraben. Kränklich war er ſchon ſeit mehreren Jahren. Der Kampf für die Freiheit hielt ihn aufrecht, dem Siege unter¬ lag er. Der Gram getäuſchter Hoffnung hat ſein Leben verkürzt; die Revolution hat ihm nicht Wort125 gehalten; die neue Regierung vernachläſſigte den, der ſo viel gethan, die alte zu ſtürzen. Benjamin Conſtant hatte unter allen Liberalen die reinſte Ge¬ ſinnung, und er war der gediegenſte Redner. Es gab Andere, die glänzender ſprachen, aber es war doch nur Alles vergoldetes Kupfer. Er hatte Recht, durch und durch. Er hatte einen deutſchen Kopf und ein franzöſiſches Herz.

Geſtern ſind die Miniſter nach dem Luxembourg gebracht worden. Sie ſollen ſehr niedergeſchlagen ausſehen und Polignac ſehr mager geworden ſeyn. Mittwoch geht der Prozeß an und bis Weihnachten wird er geendigt ſeyn. Ich durfte nicht daran den¬ ken, mir ein Billet für die Pairs-Kammer zu ver¬ ſchaffen, es war nicht durchzuſetzen. Der Plätze ſind zu wenige. Vierzig Journaliſten, die Diplomaten und andere ſolche Privilegirten müſſen untergebracht werden. Wie wäre wohl einem deutſchen Miniſter zu Muthe, wenn er in einem Saale mit vierzig Zeitungsſchreibern ſitzen müßte. Er wäre lieber unter Menſchenfreſſern. Es dürfen keine Frauenzimmer in die Pairs-Kammer, man fürchtet, ſie möchten den Mund nicht halten können. Große Ehre für das Geſchlecht! Von Polen wußte ich ſchon ſeit ge¬ ſtern. Das gehet gut. Es iſt mir aber doch nicht ganz recht; es wäre beſſer, die Polen hätten noch gewartet mit ihrer Empörung. Ich wünſche Krieg126 und ich fürchte durch die polniſche Revolution wird der Krieg mit Frankreich verhindert. Jetzt iſt nicht allein Rußland beſchäftigt und abgehalten, an Frank¬ reich zu denken, ſondern auch Oeſterreich und Preußen, die auch Theile von Polen beſitzen und fürchten müſſen, daß ſie ſich ebenfalls inſurgiren. Uebrigens iſt mir bange, die Polen möchten ihre Sache nicht ſo leicht durchſetzen als die Belgier. Die Ruſſen ſind zu mächtig. Es wird dort ein erſchreckliches Gemetzel geben. Sie werden aber ſehen, daß nach und nach alle Staaten ſich frei machen werden, nur Deutſchland wird in ſeinem miſerablen Zuſtande bleiben. So lange der Bundestag beſtehet, iſt keine Hoffnung zum Beſſern. Die kleinen Staaten gingen vielleicht vorwärts; aber Oeſterreich und Preußen dulden es nicht. Hat ſich bei uns denn eine Stimme aus den höhern Klaſſen für die Freiheit erhoben? Man überläßt alles dem Pöbel. Ob ſie in Braun¬ ſchweig einen Wilhelm oder einen Carl zum Fürſten haben, das iſt alles eins.

Von der Schweiz ſchrieb ich Ihnen ſchon. Wenn dort die Cenſur aufgehoben wird, kann die Cenſur in Deutſchland nicht viel mehr ſchaden. Dann könnte man wohl eine vernünftige Zeitung ſchreiben. Ich denke viel daran. Neulich im Palaisroyal reichte ein Arbeitsmann dem Könige die Hand, der ſie ihm freundſchaftlich drückte. Der entzückte Maurer ſagte:127 quel brave homme! je jure de ne jamais la laver! Wenn mir einmal ein König die Hand drückte, im Feuer wollte ich ſie reinigen, das kann gefährlich werden, wenn der Druck in das Blut übergeht.

Neulich war eine Auction von den Meublen, Kleidungsſtücken und andern Hinterlaſſenſchaften der Herzogin von Berry. Das hätte ich nicht verſäumen ſollen. Die treuen Royaliſten waren alle da, und kauften Reliquien zu ungeheuren Preiſen. Für ein Paar Handſchuhe, welche die Berry getragen, wur¬ den ſechzig Franken bezahlt. Gleich intereſſant waren auch die Verſteigerungen der Sachen des Königs: der Krönungswagen unter andern; 7000 Flaſchen Wein des königlichen Privat-Kellers, Weine enthal¬ tend, welche ſeit funfzig Jahren von allen Fürſten der Welt, an Ludwig XVI., Napoleon, Ludwig XVIII., Charles X. geſchenkt worden. Die Geſchichte dieſer Weine ſoll merkwürdig geweſen ſeyn. Alle ſolche humoriſtiſche Stoffe für eine geſchickte Feder, werden aber von den hieſigen Blättern ſelten und ungeſchickt benutzt. Es fehlt dieſen Herren an deutſcher Philo¬ ſophie und Tiefe der Empfindung. Es iſt wahr, der Figaro zum Beiſpiel hat angenehmen Witz und iſt ſchön façonnirt: lieſt man ihn aber einige Zeit, ſo ſiehet man, daß alles nur plattirt iſt; man braucht nur zu reiben und das Gold gehet ab. Nichts gediegen, nichts durchgehend. Eins der beſten128 Journale iſt die Revue de Paris. Von Lafayette ſtand vor einigen Tagen in der Zeitung: er wäre krank; ſeitdem iſt aber keine Rede mehr davon. Wenn der jetzt während des Prozeſſes der Miniſter krank würde, oder er ſtürbe, ich glaube die Regie¬ rung wäre im Stande und hielte das geheim. Er iſt der Einzige, der im Falle eines Aufruhrs das Volk im Zaum halten könnte. Ich glaube, daß er ruhig bleiben wird, aber die Regierung hat große Furcht, und trifft alle möglichen Vorſichtsmaßregeln. Ganze Regimenter National-Gardiſten thun den Dienſt, kein National-Gardiſt, auch wenn er nicht die Wache hat, darf ſeine Uniform während des Prozeſſes ablegen: man wird alſo in den nächſten vierzehn Tagen nichts als Soldaten ſehen, und Pa¬ ris wird einem Lager gleichen. Sie glauben nicht, wie komiſch das ausſiehet, wenn in den Läden die Krämer in Uniform Zucker wiegen, Stiefel anmeſſen. Ich habe oft darüber lachen müſſen Ich bin be¬ gierig welche neue Revolutionen zwiſchen dieſem und meinem nächſten Briefe vorfallen werden. Auf dem Baſtillen-Platz wird ein neues Theater ge¬ bauet. Adieu bis zur nächſten Revolution.

[129]

Achtzehnter Brief.

Die Polen! .. Das Theater Français hier könnte Gott verklagen, daß er auf ſeinem Weltthea¬ ter Stücke aufführen läßt, wozu es allein privilegirt iſt hohe Tragödien. Ich begreife nicht, warum die Leute noch ins Theater gehen. Mir iſt die Zei¬ tung wie Shakeſpeare, wie Corneille. Das Schick¬ ſal ſpricht in Verſen und thut pathetiſch wie ein Schauſpieler. Die Nacht der Rache in Warſchau muß fürchterlich geweſen ſeyn! Und doch, als die Geſchichten in Brüſſel und Antwerpen vorfielen, glaubten wir, alle Schrecken wären erſchöpft. Ja der Tag des Herrn iſt gekommen und er hält ein fürchterliches Gericht. In den hieſigen Blättern ſtand, es wäre ausgebrochen in der Militärſchule, als man zwei jungen Leuten die Knute geben wollte. HierI. 9130war es auch ſo; auch hier haben die Zöglinge der polytechniſchen Schule alles angefangen und das Meiſte geendigt. Das gefällt mir, daß jetzt die Ju¬ gend dem Alter die Ruthe gibt. Wie wird es aber den arm Polen ergehen? Werden ſie es durch¬ fechten? Ich zweifle; aber gleichviel. Verloren wird ihr Blut nicht ſeyn. Und unſere armen Teu¬ fel von Deutſchen! Sie ſind die Lampenputzer im Welttheater, ſie ſind weder Schauſpieler noch zu Zuſchauer, ſie putzen die Lichter und ſtinken ſehr nach Oel.

Wie können Sie mir nur jetzt mit den Juden kommen und verlangen, daß ich für ſie ſchreibe? Sie ſollen Lärm machen, ſie ſollen ſchreien. Mit guten Worten richtet man nichts aus, aber mit Drohungen viel. Die Regierungen ſind jetzt ſo ſchreckhaft, daß man alles von ihnen erlangen kann, wenn man nur ſelbſt nicht zaghaft iſt.

In Warſchau haben die Weiber und Kinder auch mitgefochten. Conſtantin ſoll am Kopfe ver¬ wundet ſeyn; aber das ſind alle Fürſten. Die Preußiſche Staatszeitung leſe ich, wie auch die mei¬ ſten deutſchen Blätter. Geſtern habe ich ſogar das Frankfurter Journal und die Didaskalia aufgefunden. Ich habe ſie mit Küſſen bedeckt. Die Cholera Morbus iſt eine prächtige Erfindung. Das iſt etwas,131 was auch die Deutſchen in Bewegung ſetzen könnte. Möchte es nur bei uns friedlich abgehen; denn eine Revolution der Deutſchen wäre ſelbſt mir ein Schrecken. Dieſe Menſchen wiſſen noch gar nicht, was ſie wollen, und das iſt das Gefährlichſte. Sie wären im Stande und metzelten ſich um einen Punkt über das I. Vielleicht gehet es beſſer, als ich er¬ warte; vielleicht wenn der Sturm heftiger wird, werfen ſie freiwillig von ihren ſchweren Dummheiten über Bord. An unſern Fürſten liegt es nicht allein; die Ariſtokratie, die Beamten.

Geſtern las ich in einer deutſchen Zeitung: in Selters hätte das Landvolk auch eine kleine Revo¬ lution haben wollen und Unruhen angeſtiftet, und man hätte ſogleich Truppen hingeſchickt. Ich erwarte nun, daß der Bundestag den Selterswaſſerbrunnen, die wahrſcheinliche Quelle der Naſſauer Revolution, verſchütten laſſen wird. Das käme mir gar nicht lächerlicher vor, als die bisherige Hülfe, die man gegen Revolutionen angewendet. Soldaten, Gewalt, Aderlaſſen, das ſind ihre einzigen Heilmittel. Es einmal auf eine andere Art zu verſuchen, fällt ihn nicht bei. Im Badiſchen ſcheint man nachgeben zu wollen. Die Revolution in der angrenzenden Schweiz hat wohl die Regierung ängſtlich gemacht. Die Stände kommen nächſtens in Karlsruhe zuſam¬9*132men und da hat man ſich geeilt, ein liberales Mini¬ ſterium zu bilden. Herr v. Berſtett, Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten und Metternichs guter Freund, iſt abgeſetzt, und noch ein anderer Miniſter. Ich möchte jetzt in Karlsruhe ſeyn. Ich weiß gar nicht, wohin ich mich wenden ſoll; gewiß gibt es keinen Miniſter in Europa, der ſo beſchäftigt iſt, wie ich, und gar kein Weg, etwas zu thun. Gäbe es nur ein Mittel für den Geiſt, wie das Aderlaſſen eines iſt für den Leib, ich würde es gern gebrauchen. Ich bin ſo vollſeelig, daß mir das Herz pocht. Doch iſt das ein angenehmes Gefühl. Und warum ich ſo froh bewegt bin? Von meiner Geſinnung brauche ich Ihnen nicht zu ſprechen, die kennen Sie. Daß ich mich freue über den Sieg der guten Sache, mich freue, daß der Menſch ſeinen Prozeß gewonnen gegen die Hölle, das wiſſen Sie. Aber das iſt es nicht allein, es iſt auch die Schadenfreude zu ſehen, wie das armſelige Dutzend Menſchen in Europa, das klüger zu ſeyn glaubt, als die ganze Welt, mächtiger als Gott, gefährlicher als der Teufel wie es zu Schanden wird, und von uns, die ſie wie Hunde behandelt, in die Waden gebiſſen und aus Haus und Hof gejagt werden. Das elende Volk!

Geſtern las ich die neueſte Didascalia, und als ich darin immer noch die Scenen aus den133 Kreuzzügen fand, mußte ich laut auflachen, und ein grämlicher Engländer ſah mich mit Erſtaunen an, als wolle er mich fragen, wie kann man lachen? Hätte ich ihm mein Vergnügen ſo recht klar machen können, es hätte ihm gewiß ſeinen Spleen vertrieben. Der Senator *** hatte doch ſo unrecht nicht, als er vorigen Sommer ſagte, er wolle lieber Schwein¬ hirt ſeyn, als franzöſiſcher Miniſter. Heute hat er gewiß Recht. Heute beginnt der Prozeß der Miniſter. Welch ein Gefühl muß das für einen alten Edelmann wie Polignac ſeyn, vor allen Diplo¬ maten Europens, mit denen er früher unter einer Decke geſpielt, vor vierzig Lumpenkerls von Zeitungs¬ ſchreibern auf dem armen Sünderſtuhl zu ſitzen und Rede und Antwort zu geben. Die ſpätere Strafe iſt nichts gegen dieſes Verhör. Man hat bei der Unterſuchung den Polignac am ſchuldigſten gefunden. Die Andern waren verführt. Am 25. Dezember wird das Urtheil geſprochen werden. Eine ſchöne Weihnachtsbeſcherung! Viele glauben, Polignac allein werde zum Tode verurtheilt, aber der Gnade des Königs empfohlen werden. Wie wird man ſich heute Abend um den Meſſager reißen, der um acht Uhr erſcheint und die heutige Sitzung enthalten wird!

Vergangenen Sonntag war Benjamin Conſtants134 Leichenbegängniß, deſſen ausführliche Beſchreibung Sie wohl im Conſtitutionnel geleſen haben werden. Ich ſetzte mich auf den Boulevards in eine Kutſche und ſah alles bequem mit an. Länger als zwei Stunden dauerte der Zug. Was mir an Franzoſen auffiel und gefiel, war, daß in der ganzen Feier¬ lichkeit durchaus nichts Theatraliſches war, ſon¬ dern alles ſah ernſt, geſetzt und kleinbürgerlich aus. Die Maſſe gab den Pomp. So wurde noch kein König begraben. Ich ſprach einen Mann, der vor vierzig Jahren Mirabeau's Leichenbegängniß mit angeſehen; der ſagte, ſo feierlich ſei jenes nicht ge¬ weſen. Conſtant hat vom König Philipp bei ſeiner Thronbeſteigung 150,000 Fr. zum Geſchenke erhal¬ ten, und ſeine Wittwe wird eine Penſion bekommen. Madame Conſtant hat drei Männer gehabt. Den erſten verlor ſie durch Tod, von dem zweiten ließ ſie ſich ſcheiden, der dritte war Conſtant. Der zweite lebte in Paris und war Mitglied der Deputirten - Kammer. Nun geſchah es einmal, daß er zugleich mit ſeinem ehelichen Nachfolger, Benjamin Conſtant, in der Kammer das Wort forderte, beide zugleich auf die Tribune ſprangen, und ehe es zu verhindern war, Naſe gegen Naſe da ſtanden, worüber das ganze Haus in lautes Lachen ausbrach. Der Gram, von der Akademie Français nicht als Mitglied auf¬135 genommen worden zu ſeyn, und daß die Regierung ihn nicht nach Verdienſt behandelte, ſoll ſein Ende beſchleunigt haben. Die letzten Worte vor ſeinem Tode verriethen ſeine Gemüthsſtimmung. Er ſagte: après une popularité de douze ans justement acquise oui justement acquise und mit dem Worte acquise hauchte er ſeine Seele aus. Die Geſchichte mit Polen macht die Leute hier wie betrunken. Es war immer eine große Freundſchaft zwiſchen beiden Nationen. Ein Pole in Uniform mit einem langen Säbel hat eine Rede bei Benjamin Conſtants Grabe gehalten. Ich bin ſehr begierig auf die nächſte Revolution. Wo wird es zuerſt los¬ brechen?

Es wird Sie nicht überraſchen, daß ich Ihnen Victor Hugo's Gedichte ſchicke, welche Sie ge¬ wünſcht haben. Sie haben zwar nur von einem Bande Gedichte geſprochen, und ich ſchicke Ihnen drei Bände, aber dafür kann ich nichts. Es iſt nicht meine Schuld, daß Hugo drei Bände Gedichte geſchrieben. Wer kann einem Dichter Einhalt thun? Lieber in ein Mühlenrad greifen. Das koſtbarſte aller Weihnachtsgeſchenke, ſo koſtbar, daß es kein König bezahlen kann; koſtbarer als alles, was alle Frauen der Welt erhalten, ſeitdem Chriſtus geboren, wird dieſe Weihnachten eine Pariſerin bekommen:136 Frau v. Polignac das Leben ihres Mannes. Gerade am 25. Abends, wenn die Lichter angezün¬ det werden zum Beſcheren, wird das Urtheil geſpro¬ chen werden, und Polignac, hofft man, würde das Leben behalten. Behüte einen Gott vor ſolchen an¬ genehmen Ueberraſchungen.

[137]

Neunzehnter Brief.

....... An der preußiſchen Conſtitution will ich wohl glauben, ſie wiſſen dort vor Angſt nicht mehr, was ſie thun. Es wird ein Spaß ſein, ihre Geſichter zu ſehen, wenn ſie in den ſauren Apfel beiſſen. Aber was wird das auch für eine allerliebſte Conſtitution werden! Frankreich hat großes Glück. Wer wird jetzt wagen, es anzugreifen? Vielleicht in der Verzweiflung thun ſie es doch. Ich möchte jetzt einmal in Frankfurt bei *** ſeyn, wo ich dieſes alles ſchon vor zehn Jahren vorausgeſagt habe, und wo man mich ausgelacht. Und doch iſt das alles noch nichts gegen das, was kommen wird. Näher darf ich mich darüber nicht erklären; aber Sie werden ſich wundern. Ein Sperling wird zwei Tiger verzehren, und gebratene Fiſche werden ver¬ ſchiedene Arien ſingen. Und ein Dintenfaß wird138 austreten, und wird eine ganze Stadt überſchwem¬ men. Und .... aber, um des Himmels willen, nicht geplaudert!

Ich mache Sie aufmerkſam, im Conſtitutionnel den Geſetzvorſchlag über die Civilliſte zu leſen; be¬ ſonders die Einleitung, wo von der göttlichen Be¬ deutung eines Königs ſo ſüß-romantiſch geſprochen wird, daß man meinen ſollte, es wäre in Deutſch¬ land geſchrieben. Ich habe mich erſchrecklich darüber geärgert. Man will achtzehn Millionen für den König. Das iſt zwar nur die Hälfte von dem, was der vorige König bekommen, aber es iſt immer noch die Hälfte zu viel. Es iſt eine Krankheit König ſeyn, und man muß darum die Könige Diät halten laſſen. Zehen Millionen ſind genug. Auch hat das allgemeines Mißfallen erregt, es heißt heute, das Geſetz ſoll zurückgenommen werden, und man wolle der Kammer frei ſtellen, wie viel ſie dem Könige geben wollen. Ich tröſte mich wegen des Tabaks. Die ganze Welt dampft jetzt, das erſetzt mir die Pfeife. Ich leſe täglich das deutſche Journal und die Didascalia, was mir großen Spaß macht. Wie wenig gehet in Frankfurt vor. Dies merkt man erſt hier recht, wenn man die dortige Zeitung lieſt. Ich habe mich der Neugierde wegen in eine Art Caſino aufnehmen laſſen. Ich gehe heute Abend zum erſten Male hin. Es iſt koſtſpielig, man zahlt139 monatlich dreißig Franken; aber die Einrichtung ſoll auch prächtig ſeyn. Ich will Ihnen, der Curioſität wegen einige Stellen aus den Statuten abſchreiben:

Ancien cercle de la rue de Grammont

Art. III. Les salons du cercle seront ouverts tous les jours, celui de lecture à neuf heures, les autres à midi; et fermés, les sa¬ lons de lecture á minuit, les[autres] à deux heures après minuit. Un diner sera servi tous les jours à l'heure fixe. II sera servi tous les jours, et sans frais, des raf¬ fraîchissemens convenables, et un thé dans la soirée. Art. XIII. II pourra être fait des abonnemens mensuels, en faveurs des Fran¬ çais et des Etrangers, habitant momentanement Paris le prix de l'abonnement est de 30 francs par mois. Art. XX. La société n'ayant d'autre but que de former une union d'hommes de bonne compagnie, ayant la fa¬ culté de lire les journaux,[brochures] et livres nouveaux, de diner ensemble, et de jouer les seuls jeux de commerce, Messieurs les socié¬ taires et abonnés s'interdisent toute dis¬140 cussion politique, et il est du devoir ri¬ goureux de messieurs les commissaires, de maintenir cette règle, et de la rapeller s'il ar¬ rivoit qu'un sociétaire l'oubliât. Iſt das nicht auffallend, daß man nicht von Politik ſprechen darf? Das iſt ja gerade wie bei uns.

141

Geſtern war wieder ein unglückſchwangerer Tag für Paris, Frankreich, die Welt, und heute, morgen kann das Gewitter losbrechen. Die Regierung hat ſchon ſeit acht Tagen eine Verſchwörung entdeckt und viele Menſchen ſind arretirt worden. Man fordert das Leben der Miniſter, deren Prozeß ſich wahr¬ ſcheinlich morgen entſcheidet. Geſtern verſammelten ſich einige tauſend Menſchen vor der Pairs-Kammer mit drohenden Aeußerungen, und heute fürchtet man größern Aufruhr. Ich bin doch ein rechter Unglücks¬ vogel! Ich mußte mir geſtern einen Zahn heraus¬ nehmen laſſen, und kann noch heute wegen meines dicken Geſichts nicht ausgehen. Ganz Paris kann heute in Flammen ſtehen, und ich werde nichts er¬ fahren, bis heute Abend die Zeitung kommt. Sie freuen ſich vielleicht darüber und wünſchen mir meine Zahnſchmerzen von ganzem Herzen. Ich ärgere mich und dazu habe ich noch 20 Fr. für das Zahnheraus¬ ziehen bezahlen müſſen. Was man hier geprellt wird! Wie die Blutſauger hängen ſich die Pariſer an den Fremden und ziehen ihm das Geld aus. Ich hoffe, daß die Regierung Kraft genug haben wird, die Un¬ ruhen zu dämpfen, es bleibt aber immer eine be¬ denkliche Sache. Man kann auf die National-Garde142 nicht feſt zählen; ein großer Theil derſelben iſt Rache¬ durſtig gegen die Miniſter, und würde einem Volks¬ aufſtande keinen ernſtlichen Widerſtand leiſten. Dazu geſellen ſich noch 1) überſpannte Köpfe, die eine Republik haben wollen. 2) Mäßigere, die mit dem Gange der Regierung nicht zufrieden ſind, und eine liberalere Kammer und ein liberaleres Miniſterium wünſchen. 3) Die Anhänger Karls X. 4) Endlich die Emigrirten aus allen Ländern, Italiener, Spa¬ nier, Polen, Belgier, die Frankreich in einen Krieg verwickeln wollen, damit es in ihrem eignen Lande auch endlich einmal zur Entſcheidung komme. Dieſe Letztern ſollen beſonders großen Theil an der Auf¬ hetzung haben. Heute wird die Pairs-Kammer von drei und dreißig tauſend Mann National-Garden und Linien-Truppen beſchützt ſeyn. Wenn es nur zu keiner neuen Revolution kömmt, mir thäte das bitter leid; denn es könnte alles wieder darüber zu Grunde gehen. Sie werden die Vertheidigungs-Rede der Miniſter wohl im Conſtitutionnel leſen. Am beſten nach meiner Anſicht hat Peyronnet geſprochen, der doch gewiß der Schuldigſte iſt. Aber er iſt ein Mann von feſtem Willen, und darum hat er auch am meiſten gerührt; er hat geweint und weinen ge¬ macht. Polignac zeigt ſich als ein ſolcher Schwach¬ kopf und ſeelenloſer Höfling, daß man ihn bemitleiden muß. Er verdient es gar nicht geköpft zu werden. 143Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬ ville, Namens Cremieux, der geſtern geſprochen, iſt aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und mußte weggebracht werden. In welcher ſchrecklichen Lage ſind doch die vier unglücklichen Miniſter! Und ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬ brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen das Leben ſchenken; aber die Miniſter müſſen vor ihrer Freiſprechung zittern, weil ſie dann ſchrecklicher als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände des Volks ihr Leben verlören. Am meiſten dauert mich der Guernon Ranville. Dieſer iſt der Schuld¬ loſeſte von Allen, er hat an den Ordonnanzen den wenigſten Theil genommen, er war nur ſchwach und ließ ſich verführen. Und dieſer iſt krank und hat eine Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied bewegen, und ſo, bleich, leidend, faſt ohne Kraft der Aufmerkſamkeit, muß er täglich ſieben Stunden lang in der Pairs-Kammer ſchmachten, und zuhören, wie man ſich um ſein Leben zankt! Dagegen war doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬ wiß eine Seligkeit. Und doch ſtähle ich mich wieder und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe, wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in die Hände fallen, haben ſie Mitleiden mit uns? 144Dieſe Miniſter, die dem Volke zur Rede ſtehen, werden doch wenigſtens öffentlich gerichtet. Sie ſehen ſich von ihren Freunden umringt, ſie lernen ihre Feinde, ihre Ankläger kennen, ſie dürfen ſich ver¬ theidigen und das Geſetz verurtheilt ſie, nicht die Rache. Und wenn ſie auch als Opfer der Volks¬ wuth fallen, weiß man doch, daß ſie unſchuldig ge¬ mordet. Wer aber in Mailand, Wien, Madrid, Neapel, Petersburg wegen eines politiſchen Vergehens gerichtet wird, der gehet aus der Dämmerung des Kerkers in die Nacht des Grabes über, und ob ſchuldig oder unſchuldig, das weiß nur Gott.

145

Mein Barbier (mein Miniſter der auswär¬ tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es ſähe ſchlecht aus in der Stadt. Das Militär und die National-Garden ziehen durch die Straßen. Das Volk ſchreit vive la ligne! à bas la garde Na¬ tionale! à bas Lafayette! (da ſieht man doch ganz deutlich, wie dieſe Bewegung von den Carliſten an¬ gelegt) la mort des Ministres! vielleicht iſt es doch gut für mich, daß ich heute nicht[ausgehen] kann, und wenn Sie mir verſprechen, mir die zwan¬ zig Franken zu erſtatten, die mir meine Zahn¬ ſchmerzen koſten, will ich mit allem zufrieden ſeyn und Gott preiſen. Mein heutiger Brief wird auch nicht viel größer werden, als er jetzt ſchon iſt, ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich, daß ich nicht ausgehen kann. Wie konnten Sie nur glauben, daß mich Polen nicht intereſſirt! Das iſt ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine doch, ich hätte Ihnen darüber geſchrieben, und ge¬I. 10146nug vorgejubelt. Aber ſeit acht Tagen hörte ich von keiner neuen Revolution; das iſt ſehr langweilig. Ich bin wie die Branntweintrinker; nüchtern bin ich matt. Die Revolution, die heute Paris bedroht, ſchmekt mir nicht. Das iſt Gift und verderblich. Doch ich hoffe, es geht alles gut vorüber.

[147]

Zwanzigſter Brief.

Das war wieder eine merkwürdige Pariſer Woche! Aber Sie in Frankfurt, wenn Sie nur die Zeitungen geleſen, wiſſen nicht weniger davon, als ich hier; denn ich habe gar nichts ſelbſt geſehen. Seit dem vorigen Samſtag habe ich wegen meines dicken Geſichts das Zimmer nicht verlaſſen, und erſt geſtern Abend war ich zum Erſtenmal wieder aus. Iſt das nicht ein einziger Ort, in dem man mitten in einem Volksaufruhr, umringt von einem Lager von mehr als vierzig tauſend Soldaten, ſo ſtill und ſo einſam leben kann, wie auf dem Lande? Jetzt iſt alles vorüber. Wollen Sie genau wiſſen, was eigentlich der Kampf dieſer Tage für eine Bedeutung gehabt, und genauer als es irgend ein europäiſches Cabinet von ſeinem Geſandten erfahren wird? Es war ein Kampf zwiſchen der alten claſſiſchen und10*148der neuen romantiſchen Parthei in der Politik, und letztere, die ſchwächſte, weil ſie die jüngſte und un¬ erfahrenſte iſt, unterlag. Die romantiſche Parthei will individuelle Freiheit, die claſſiſche nur nationelle haben. Wenn Sie von Carliſten leſen, glauben Sie kein Wort davon. Natürlich haben dieſe den Zwie¬ ſpalt benutzt, aber angeſtiftet haben ſie ihn ſicher nicht. Aber wie ſchade, daß ich dieſe ſchöne Oper nicht mit angeſehen. Vierzigtauſend Mann Natio¬ nal-Garden, wie Rieſenbeſen die Straßen ſäubernd, und ſo unverletzend wie dieſe; denn es iſt kein Trop¬ fen Blut vergoſſen worden. Dann Nachts bei Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬ bende Menge, der König ſelbſt patrouillirend, die vereinigten Studenten, über fünftauſend, umher¬ ziehend und Ruhe und Ordnung ſchreiend welche Scenen! Das Einzige an der Sache iſt romantiſch ſchön, daß die Miniſter nicht am Leben beſtraft worden. Das wird freilich die Despoten in Liſſabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten, ihre wehrloſen Gefangenen zu morden; aber das wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler ſind als Fürſten. Geſtern Abend dachte ich noch nicht daran, auszugehen, ich wollte es erſt heute; da ſah ich zufällig durch die Spalte des Fenſterladens, und bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete[den] Laden und ſah zu meiner Ueberraſchung, daß149 das gegenüber ſtehende Haus illuminirt war. Da zog ich mich ſchnell an, ließ einen Wagen kommen, und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum. Viele Häuſer waren illuminirt, theils aus Freude daß die Ruhe wieder hergeſtellt, theils zur Ehre des Königs, der noch ſpät von einer Revüe der National¬ garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog. Er hatte von geſtern Mittag bis geſtern Abend neun Uhr alle Quartiere der Stadt beſucht und in jedem Quartier die National-Garden gemuſtert. Ueber den König iſt nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬ türlich nur die Carliſten nicht) lieben ihn. Auch iſt er ganz wie die Franzoſen einen König lieben und brauchen. Er iſt ein Bürger-König. Zwar iſt er das aufrichtig, und ſo viel aus Temperament und Geſinnung als aus Politik; aber dabei iſt er es auch zugleich theatraliſch. Er ſpricht gut, leicht, von Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie man es hier gern hat. Es iſt ſo leicht ein guter König ſeyn, und es koſtet die Fürſten viel größere Anſtrengung, ſich verhaßt zu machen bei ihren Untherthanen, als es ſie koſten würde, ihre Liebe zu erwerben! ... Der einzige ſchöne Charakter der neueſten Zeit iſt und bleibt doch Lafayette. Er iſt die altgewordene Schwärmerei, wie ſie nie, nicht einmal gemalt worden iſt. Er iſt bald 80 Jahre alt, hat alle Täuſchungen, alle Verräthereien,150 Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬ pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern, wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen. Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬ men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬ zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.

151

Als ich geſtern über die Rue de la paix ging, begegnete ich einem Trupp National-Garden, Trommel voraus, die auf einer Bahre die Lorbeer¬ bekränzte Büſte des Königs trugen, ich weiß nicht wohin, wahrſcheinlich in eine Wachtſtube. Luſtig Volk die Franzoſen; den ganzen Tag Komödie. Jetzt macht die Schuljugend der Regierung wieder viel zu ſchaffen, und ich habe meine herzliche Schaden¬ freude daran. Die Schulen haben in dem Aufſtande dieſer Tage zur Herſtellung der Ruhe ſehr viel bei¬ getragen. Nun hat vorgeſtern die Kammer den Schulen feierlichſten Dank votirt. Dieſe aber haben geſtern Abend in einer Zeitung Proclamationen drucken laſſen, worin ſie höniſch der Kammer ſagen: Euren Dank begehren wir nicht, gebt uns die Frei¬ heit, die ihr uns verſprochen, la liberté qu'on nous marchande maintenant et que nous avons payé comptant au mois de Juillet. O wie Recht haben ſie! Ihr in Deutſchland braucht gar nicht ſo ſtolz zu ſeyn, wir haben hier ſo dumme Leute als dort auch. Hier ſagen ſie auch, die Franzoſen ſind noch nicht reif zu mehr Freiheit als ſie jetzt beſitzen, das müſſe der Zukunft überlaſſen bleiben. Und ſo bleiben ſie nun ſtehen; bis die152 Zukunft im Galopp herkömmt und ſie umwirft, ſtatt wenn ſie der Zukunft entgegen gegangen wären, alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß, Frankreich wird früher oder ſpäter noch eine Revo¬ lution erleiden. Es iſt der Fluch der Menſchen, daß ſie nie freiwillig vernünftig werden, man muß ſie mit der Peitſche dazu treiben. Es iſt zum Ver¬ zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬ richtig mit der Freiheit meint, einen ſo ſchwa¬ chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte alles durchſetzen. Er brauchte nur zu drohen, er würde das Commando der National-Garde aufgeben, und ſich zurückziehen, wenn man den Franzoſen nicht gäbe, was man ihnen verſprochen, und der König, die Miniſter und die Kammer müßten nachgeben.

Der König von Bayern glaubt wahrſcheinlich, weil er ſo viel gereimt hat in ſeinem Leben, dürfte er ſich auch Ungereimtes erlauben. Der Lieſching, den ich viel kenne, iſt der fünfte Schriftſteller, der ſeit kurzem auf ſo ſchnöde Weiſe von München ver¬ jagt worden. Vor der Hand als unpaſſend ausgewieſen, iſt ſehr ſchön geſagt. Der deut¬ ſchen Despotie werden vor Alterſchwäche die Glieder ſteif. Dieſes Betragen der bayeriſchen Regierung iſt ſo ganz über die Maaßen dumm, ſo ganz un¬ gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es ſteckt unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß153 ſie nehmlich unter dem Scheine des Einverſtändniſſes mit der jetzt völlig toll gewordenen Bundesverſamm¬ lung ihre eigenen Pläne verfolgt. Anders kann ich mir es nicht erklären. Aber vielleicht irre ich mich auch; es giebt nichts Genialiſcheres als der Blödſinn einer deutſchen Regierung, er iſt gar nicht zu be¬ rechnen.

Was mir an der polniſchen Revolution am beſten gefällt, iſt, daß man in Warſchau den Chef der geheimen Polizei gehenkt hat, und daß man die Liſte aller Polizei-Spione drucken läßt. Das wird, hoffe ich, den Spionen anderer Länder zur War¬ nung dienen. Dieſe geheime Polizei gibt einer des¬ potiſchen Regierung weit mehr Sicherheit, als es ihre Soldaten thun, und ohne ſie wäre die Freiheit ſchon in manchem andern Lande feſtgeſtellt. Die ge¬ heime Polizei hat in Warſchau täglich 6000 Gulden gekoſtet. Dieſe Notizen und andere Papiere, die ſich auf die Polizei beziehen, hat man in Conſtantins Schloſſe gefunden. Dreißig junge Leute von der Cadettenſchule drangen in das Schloß. Die Hälfte davon iſt geblieben. Drei Generale wurden im Vorzimmer Conſtantins getödtet. Dieſer rettete ſich mit Mühe. Die Verſchwornen begegneten Conſtan¬ tins Frau, vor der ſie ſich ſehr artig verneigten und ſagten, mit ihr hätten ſie nichts zu ſchaffen, ſie ſuch¬ ten nur ihren Mann. Ich fürchte aber, den armen154 Polen wird es ſchlecht gehen. Der Kaiſer Nicolaus ziehet ihnen mit Macht entgegen, und ich weiß nicht, wie ſie widerſtehen können. Doch verlaſſe ich mich auf Gott. Gemüthsbewegung! nein. Das iſt nicht wie früher, wo wir in einer ſchweren Kutſche ſaßen, und mit der guten Sache langſam fortrollten, geſtoßen wurden, langſam den Berg hin¬ aufſchleichen mußten, auch manchmal umgeworfen wurden jetzt trägt uns ein großes Schiff ſchla¬ fend über das Meer, und der Wind treibt ſchnell. Kein Staub, kein Rütteln, keine Müdigkeit. Stürme können kommen, Klippen; aber das macht mich erſt recht munter. Die kleinen Zänkereien, das weibiſche Keifen des Schickſals, nur das konnte mir Gemüths¬ bewegung geben. Die Tyrannei kann uns noch ein¬ mal beſiegen; aber dann wird es doch im offnen Kampfe geſchehen, nachdem wir uns gewehrt haben. Uns wie Hunde prügeln und an die Kette legen, damit iſt es aus. Nur nicht wehrlos fallen. Ich bin ſehr ruhig, und ſchwimme vergnügt wie ein un¬ geſalzener Häring im Weltmeer herum.

[155]

Ein und zwanzigſter Brief.

Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬ trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬ ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬ nos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?156 und man ſchweigt und lächelt und wo der Staats¬ rath Niebuhr in Bonn, da er gedruckt geleſen, er habe früher in Rom mit de Potter Umgang gehabt, mit Händen und Füßen gegen dieſe Läſterung zappelt, wie ein Kind gegen das kalte Waſchen, und be¬ hauptet auf Ehre, er habe dieſen Unheilſtifter nie mit den Fingern berührt! Aber hier? die Wie¬ ſen waren ſchon grün und jetzt ſchneit es wieder darauf. Die Kammer, dieſe alte Kokette, die ſich ſchminkt, Mäulchen macht und auf die Jugend lä¬ ſtert ich könnte ſie auspeitſchen ſehen. Als ſie noch ſelbſt jung war, war ſie ſo ſchlimm als Eine. Man hat Lafayette als Commandant der National¬ garde abgeſetzt, und der Kriegsminiſter hat der gan¬ zen polytechniſchen Schule Arreſt gegeben! Dieſe jungen Helden waren es, welche den Kampf im Juli gelenkt, und ohne ſie wären alle Deputirten und alle dieſe Miniſter vielleicht eine Speiſe der Raben ge¬ worden. Lafayette war es, der die Revolution rein erhalten und vor Anarchie bewahrt, und ihm hat Orleans ſeine Krone und die Fürſten Europas zu verdanken, daß Frankreich keine Republik geworden. Er hat dem Volke geſagt, es wäre möglich, daß ein König die Freiheit liebe, und man hat es ihm ge¬ glaubt. Behüte mich Gott, daß ich je Theil an der Staatsgewalt bekomme! Ich ſehe es hier an den Beſten, daß, ſobald man zur Macht kömmt, man157 erſt das Herz, dann den Kopf verliert, und daß man vom Verſtande nur ſo viel übrig behält, als man braucht, das Herz nicht wieder aufkommen zu laſſen. Es iſt hier keine Zweideutigkeit, kein Un¬ verſtand, keine Deutelei man hat wörtlich nicht Wort gehalten, man hat dem Volke nicht gegeben, was man ihm verſprochen. Die Machthaber reden hier ganz ſo wie bei uns: von wenigen Unruhſtiftern, die das Volk verführten, von jugendlicher Schwär¬ merei, von Republikanern. Aber kein Menſch will Republik, man verlangt nur die republikaniſchen In¬ ſtitutionen, die man in den Tagen der Noth ver¬ ſprochen. Für die Machthaber hier (wie bei uns) fängt da, wo ihr eigner Vortheil aufhört, die Schwär¬ merei an. Eben erzählte mir Jemand, man ſpräche heute davon, Lafitte und Dupont würden aus dem Miniſterium treten, und der Präfect von Paris ab¬ geſetzt werden. Ich zweifle nun zwar gar nicht, daß die Regierung mächtig genug iſt, es durchzu¬ ſetzen, und jeden gefährlichen Ausbruch zu verhüten. Aber was wird dabei gewonnen? die Ruhe, die ſich auf eine allgemeine Zufriedenheit aller Bürger¬ klaſſen gründet, die einzig wünſchenswerthe und dauerhafte, wird ſie auf dieſe Weiſe nicht gründen. Die Unzufriedenheit wird ſich aufhäufen, die Mis¬ vergnügten werden ſich vermehren, bis ſie ſtärker werden als die Regierung, und dann gehet der158 Kampf von neuem an. Wenn ich einmal Miniſter werde, halten Sie mir meine demokratiſchen Briefe vor die Augen. Ich weiß ſchon jetzt, was ich Ih¬ nen antworten werde nichts werde ich antworten. Ich werde lächeln und Sie auf meinen nächſten Ball einladen, und dann werden Sie auch lächeln. Wir Miniſter und Ihr Menſchen, wir ſind nun einmal nichts anders. Jetzt will ich mich ankleiden und die Zeitungen leſen, neuen Aerger zu ſammeln. Im Rocken iſt mehr Nahrungsſtoff als in Kartoffeln, im Weizen mehr als im Rocken, aber am meiſten iſt im Aerger. Schnee und Weh iſt hier das Neueſte. Habt Ihr auch Schnee? nach Weh brauche ich wohl nicht zu fragen.

159

Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬ frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬ fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet, iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬ lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die großen Senſen wetzen. Hieſige Blätter ſagen beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt160 bekömmt, war nie etwas werth; man muß ſie ſteh¬ len oder rauben.

Es iſt doch gar zu traurig mit Briefen, die ſo weit aus eiander ſtehen, wie die Unſrigen; man wünſcht einem viel Vergnügen zum bevorſtehenden Schmauſe, und wenn man den guten Wunſch lieſt, hat man ſchon den Katzenjammer. Sie wiſſen in Ihrem Briefe noch den Ausgang des Prozeſſes nicht, und was iſt ſeitdem nicht Alles vorgegangen! Paris hat jetzt wirklich den Katzenjammer vom Schmauſe im Juli, und bei mir thut der Ekel vom Zuſchauen dieſelbe Wirkung, wie bei den Andern das Trinken. Die Regierung iſt jetzt ganz in den Händen von Mechanikern, die den Staat als eine Uhr betrachten, wozu ſie den Schlüſſel haben, und die gar nichts wiſſen von einem Leben, das ſich ſelbſt aufzieht. Das Herz ſoll ſchlagen zur beſtimmten Minute, und das nennen ſie Ordnung! Es iſt alles wie bei uns, nur daß bei uns Werk und Zifferblatt bedeckt ſind, hier aber ſich in einem gläſernen Gehäuſe be¬ finden, das alle Bewegungen ſehen läßt; der Gang iſt der nehmliche.

Mit dem hieſigen Caſino bin ich ſehr getäuſcht worden. Das ſind meiſtens alte, reiche und vor¬ nehme Leute, die mit einander flüſtern und ſehr ari¬ ſtokratiſch ausſehen. Der Fluch geſchloſſener Geſell¬ ſchaften iſt ſehr deutlich ausgedrückt in dieſen ver¬161 ſchloſſenen Geſichtern. Man meinet es wären Di¬ plomatiker. Ich werde nicht wieder hingehen, und für die funfzehn Franken, die ich bezahlen mußte (für 14 Tage) habe ich doch ein neues Beiſpiel zu meiner alten Theorie gefunden: Langeweile iſt die Tochter des Zwanges, und Freiheit iſt die Mutter geſelliger Freuden. Wie kann es anders ſeyn? In dieſem Caſino darf nicht von Politik geſprochen wer¬ den. Und dürfte man nicht vom Monde ſprechen, doch ſonſt von allem, das hätte die nehmlichen Fol¬ gen. Jeder Zwang iſt Gift für die Seele.

Wir haben jetzt prächtiges Wetter! Auf die Kälte eines Tages folgte gleich Thauwetter. Dreck bis an die Knie (es iſt ein gutes ehrliches deutſches Wort), die Gaſſen ein Eismeer. Es iſt doch ſon¬ derbar, daß ſich die Franzoſen aus dem Drecke nichts machen! Sie gehen luſtig durch, als gingen ſie über eine Blumenwieſe. Aber ein paar Grade Kälte bringt ſie zur Verzweiflung. Sie ſperren ſich dann gleich ein. Was bin ich ſo vergnügt, daß ich acht Paar gute waſſerdichte Stiefeln mit hieher ge¬ bracht. Es macht mir die größte Freude, ihre deut¬ ſche Treue auf die Probe zu ſtellen und damit durch den Schlamm zu waden. Pariſer Sohlen ſind nicht dicker als zwei über einander gelegte Oblaten, man könnte den Puls hindurch fühlen.

Ich hoffe doch mit Vielen hier, die Polen wer¬I. 11162den es durchſetzen. Man gewinnt immer, wenn man keine andere Wahl hat als zwiſchen Sieg oder Tod. Vom Kaiſer Nikolaus iſt keine Gnade zu hoffen, die Polen müſſen ihn begnadigen. Wie es im[Preußiſch-Polen] ausſieht, weiß ich nicht, die heu¬ tigen Zeitungen ſprechen auch von einer Revolution, die ſich dort begeben haben ſoll. Von Oeſterreichiſch - Polen darf man, wie ich glaube, etwas erwarten Das kluge Oeſterreich kann ſich da vielleicht eine dumme Falle gelegt haben. Die italieniſchen Regi¬ menter, welchen ſie nicht trauten, haben ſie ſchon vor mehreren Jahren aus ihrem Vaterlande gezogen und ſie nach Gallizien verſetzt, und jetzt, wenn ſich die Polen inſurgiren, ſind dieſe Regimenter wahrſchein¬ lich geneigt, mit ihnen gemeinſchaftliche Sache zu machen. Sei einer klug heute; betrüge einer den lieben Gott!

Nun Glück zum neuen Jahre! und möge es uns und unſern Freunden im neuen Jahre beſſer gehen, als Kaiſern und Königen. Das ſind beſchei¬ dene Wünſche, die wohl der Himmel erhören wird. Ich werde dem Conrad ſagen: wenn ein Kaiſer kommt, ſehen Sie ihm auf die Hände und laſſen ihn nicht allein im Zimmer. Im nächſten Jahre wird das Dutzend Eier theurer ſeyn als ein Dutzend Fürſten.

[163]

Zwei und zwanzigſter Brief.

Die polniſchen Juden zeigen ſich brav, ſie wol¬ len ſich ein Vaterland erkämpfen. Waffen in der Hand, das ſind beſſere Gründe, Freiheit zu gewin¬ nen, als Prozeßſchriften beim deutſchen Bundestage eingereicht. Schon im Jahre 1794 haben ſich die polniſchen Juden gut gehalten; ſie bildeten damals ein eigenes Regiment, das, als der wilde Suwarow nach Warſchau kam, ganz ausgerottet worden. Wie wird es dieſesmal werden? Heute, dieſe Nacht wird etwas Großes, etwas Entſetzliches ge¬ ſchehen. Es wird ein Sturm ſeyn, der die Menſch¬ heit dahin ſchleudern wird, wohin ſie der Compaß, ſelbſt bei der günſtigen Fahrt dieſer Zeit, erſt ſpät geführt hätte. Wenn das Schickſal die Stunde nicht verſchläft, wird es eine entſcheidende Nacht werden.

11 *164

Geſtern Abend war ich in einer Geſellſchaft, die man in Paris nicht ſuchen würde in einer philoſophiſchen: Conversations phiosophi¬ ques ſtehet über den gedruckten Einlaßkarten. Junge Leute, Schriftſteller und andere, aber ſehr elegante Herren, mit den feinſten Röcken und Cra¬ vatten, verſammeln ſich an beſtimmten Tagen in ei¬ nem ſehr eleganten Lokale, und philoſophiren bei Limonade, Orgeade und Himbeerſaft. Mir war das amuſanter als die Varietés. Immer zwei ſtehen beiſammen, um ſie bildet ſich eine Zuhörer-Gruppe, und wird dann geſtritten über Gott, Unſterblichkeit, äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß es eine Luſt iſt. Hegel würde vergehen vor Lachen. Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komiſcheres. Und doch begreife ich nicht recht, warum dieſe gu¬ ten Leuten darin ſo zurück ſind. Zwar waren die Franzoſen nie tiefſinnige Philoſophen auf deutſche Art; doch hatten ſie im vorigen Jahrhunderte in einer gewiſſen praktiſchen Philoſophie viel Gewandt¬ heit erlangt, und die Schriften und die Geſellſchaf¬ ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon. Es ſcheint aber, in der Revolution haben ſie das alles wieder vergeſſen, und die jungen Leute fangen jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich auch mit Philoſophie beſchäftigt? Ich ſagte: O gewiß, uns Deutſchen iſt die Philoſophie Kinderbrei. 165Ein Anderer fing mit mir an von Kant zu ſpre¬ chen, und als er glaubte ich hätte den Namen nicht verſtanden, dachte er wohl, er hätte ihn falſch aus¬ geſprochen und wiederholte Känt. Ein dritter ſagte mir, Anatomie wäre die Hauptſache in der Philo¬ ſophie. Ich antwortete: Ganz gewiß. Wären Sie keine Frauenzimmer, ich könnte Ihnen noch die ſchön¬ ſten Dummheiten erzählen; aber Sie verſtehen das nicht. Und mit welcher Leidenſchaftlichkeit wurde geſtritten! Ich dachte ſie würden ſich einander in die Haare fallen. Aber die Franzoſen haben eine be¬ wunderungswürdige Gewandtheit, einen Streit bis an die Grenze der Beleidigung zu führen, ohne dieſe zu überſchreiten, und mit den Händen ſich einander unter die Naſe zu geſticuliren, ohne ſich Ohrfeigen zu geben. Ich ſaß auf einem Sopha von blauer Seide, unter den Füßen eine Decke von Pelz, trank ein Glas Orgeade nach dem andern und beneidete das glückſelige Volk, das gar nichts weiß, von dem, was es nicht weiß, entgegengeſetzt uns armen Deut¬ ſchen, die wir am beſten kennen was wir nicht kennen. Eh bien je vais vous exposer ma doctrine ſagte einmal ein junger blaſſer Menſch mit einem Schnurrbarte zu einem Andern ohne Schnurr¬ bart ... und da ſagte er ihm etwas, was in je¬ dem deutſchen ABC-Buche ſtehet.

166

Proſt neu Jahr! Aber es iſt eine dumme Geſchichte, ich bin ſchon gewohnt daran, es iſt ſchon Mittag. Dieſes Jahr iſt mit Zähnen auf die Welt gekommen, und will ſich nicht wickeln laſſen. Es wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht einen Kalender ſchreiben? Ich ſpräche wie ein Prophet: Ein großer Fürſt wird ſterben in dieſem Jahre. Aber das iſt falſch prophezeihet; es lebt gegenwärtig kein großer Fürſt. Aber der Frühling wird naß werden (nicht von Waſſer) der Sommer heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbſt gut (nicht blos an Wein). Unſer König hier ſoll und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais - Royal wirklich zu klein iſt, und auch ſonſt zur könig¬ lichen Wohnung nicht ſchicklich. Aber die Königin ſträubt ſich mit aller Macht gegen die Tuilerien. Sie ſagt, das wäre une maison de malheur. Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬ ſche Furcht davor. Beim Conſeil in Genf wurde von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬ den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die ſie bis zum Jahre 1816, wo die franzöſiſche Herrſchaft aufhörte, genoſſen haben. Der Antrag wurde von Vielen unterſtützt. Die Zeit wird auch bald für167 Deutſchland kommen, wo die bürgerlichen Verfaſſun¬ gen Verbeſſerungen erfahren werden, und das nicht blos durch Revolution, ſondern auch auf friedlichem Wege, weil die Regierungen nicht länger werden ausweichen können. Dann wird auch wieder von Juden die Rede ſeyn, und unſere Juden thun ſo Vieles, ſich bei den Freunden der Freiheit unbeliebt zu machen. Ich begreife das nicht recht. Dieſe Menſchen ſind doch ſonſt ſo klug auf ihren Vortheil und wiſſen immer den Mantel nach dem Winde zu hängen. Was wollen ſie denn jetzt noch von den Fürſten und Miniſtern haben? Es iſt nichts mehr an ihnen zu verdienen. Sie ſollten ſich jetzt dem Volke zuwenden, ihre Geldkaſten verſchließen, und den großen Herren den Rücken zukehren.

[168]

Drei und zwanzigſter Brief.

Saphir iſt hier, und ſein Anfang iſt nicht ſchlecht. Schon haben einige Blätter von ihm geſprochen, als von Einem, den der Zorn ſeines Königs verfolgte. Da wird nun natürlich auch gelogen, ſo viel nöthig iſt, um einen guten Witz zu machen. Im Figaro ſtand ungefähr Folgendes: Der König von Baiern, ſelbſt Poet, habe aus poetiſcher Eiferſucht den Saphir verjagt. ... Der Vorwand ſeiner Verbannung wäre geweſen, weil er gegen das Theater geſchrie¬ ben, der eigentliche Grund aber, weil Saphir dem König ein hübſches Mädchen abwendig gemacht. Sie hätten ſich entzweit pour une bavaroise (das bekannte Kaffehaus-Getränk). Der König von Baiern wird genannt: sa majesté brutale. Als ich das las, habe ich treuer deutſcher Unterthan aller Fürſten ohne Unterſchied mich gekreuzigt. Aber169 der König von Baiern beträgt ſich doch gar zu wunderlich. Das iſt ein Gelehrter, der bringt ſeine Verirrungen in ein Syſtem und da iſt keine Hülfe mehr. ... Es iſt gar keine Möglichkeit, die deut¬ ſchen Regierungen zu parodiren. Erinnern Sie ſich, daß ich Ihnen vor einiger Zeit, als ich mich dar¬ über geärgert, daß man hier für die Zeitungen die Cautionen beibehalten, geſchrieben: es wäre recht ſpaßhaft, wenn ſie in Deutſchland das mit den Cau¬ tionen nachahmten. Cenſur und Caution! Das ſollte ein Witz von mir ſeyn, im Ernſte hielt ich das für nicht möglich. Aber es iſt eingetroffen. In einem hieſigen Blatte las ich heute aus Baiern, daß man von einem gewiſſen Coromans, der eine Zeitung herausgeben will, Caution verlangt habe. Das iſt gerade, als wolle man von einem, den man in den Kerker wirft und an Händen und Füßen kettet, noch eine Caution fordern, daß er nicht fort¬ läuft.

Ich habe in der Berliner Zeitung die Prokla¬ mation des ruſſiſchen Kaiſers an die Polen geleſen. Sie iſt im alten Style datirt und im alten Style geſchrieben. Der ſpreizt ſich! der will den Helden machen und den europäiſchen Fürſten zeigen, wie man mit Revolutionen fertig wird. Schlimm für die Polen, wenn es ihm gelingt, aber dann noch ſchlimmer für die andern Fürſten. Sie werden es170 ihm nachmachen wollen, ſie werden die Zügel los¬ laſſen, durch welche ſie bis jetzt mit ſo großer An¬ ſtrengung ihre eigne Leidenſchaft gebändigt, ſie wird durchlaufen und ſie abwerfen. In München und Göttingen waren auch wieder Unruhen. Deutſch¬ land zahnt. Das arme Kind! Nichts iſt komiſcher als die Art, wie die deutſchen Regierungen von ſol¬ chen Unruhen Bericht erſtatten. Sie ſtellen ſich an, als wäre ihnen an ſolchen unbedeutenden Vorfällen nicht viel gelegen, und ſind doch voll tödtlicher Angſt. Sie machen Geſichter wie Menſchen, die Leibſchmer¬ zen haben und ſich luſtig ſtellen wollen. Die alte Genlis iſt geſtorben. Sie ſtarb den ſchönen Tod auf dem Schlachtfelde die Feder in der Hand. Sie hat viel gelebt und viel erlebt. Wenn die an das Himmelsthor kommt, welch merkwürdigen Paß kann ſie vorzeigen, von allen Regierungen viſirt, von allen Zeiten geſtempelt! Sie kann ſich nicht beklagen, ſie hat ein empfängliches Herz gehabt und hat tauſend Jahre gelebt.

Was glauben Sie wohl, das mich hier täglich am meiſten daran erinnert, daß jetzt Frankreich mehr Freiheit hat als ſonſt? Der Telegraph. Unter der vorigen Regierung war ich zwei Jahre in Pa¬ ris und ich kann mich keinen Tag erinnern, wo ich den Telegraphen aus dem Tuilerien-Garten nicht in Bewegung geſehen. Aber ſeit einem Vierteljahre,171 das ich jetzt hier bin, habe ich, ſo oft ich auch in den Tuilerien war, den Telegraphen noch nicht ein¬ mal arbeiten geſehen. In Friedenszeiten hat der Telegraph nur geſetzwidrige Befehle zu überbringen. Die Herrſchaft der Geſetze bedarf keiner ſolchen Eile und duldet keine ſolche Kürze. Wie ſchön und früh¬ lingswarm war es geſtern in den Tuilerien! Dort habe ich Paris am liebſten. Die Wege ſind ſo breit, und breite Wege ſind zu eng für Philiſter; da fürchte ich keinem zu begegnen, ſchlenkere ſorglos umher und ſehe Jedem ins Geſicht. Es iſt nicht möglich, in den Tuilerien kleinſtädtiſch zu bleiben. Geſtern bemerkte ich wieder eine artige Pariſer Charlatanerie. Auf der Straße ſah ich eine Art Deligence, angefüllt mit Knaben, und auf allen Sei¬ ten des Wagens ſtand mit großen Buchſtaben ge¬ ſchrieben: Inſtitut von Herrn N. zu Paſſy, Straße, Nr., und ſo wurden die fröhlichen Kinder als le¬ bendige Muſterkarten eines Inſtituts in Paris her¬ umgefahren, andere Kinder und ihre Eltern anzulocken. Hier verſtehet man die Geſchäfte.

[172]

Vier und zwanzigſter Brief.

Suchen Sie ſich Diderots Briefe zu verſchaffen. Ich bin jetzt mit dem zweiten Theile fertig. Daß ſo breite Briefe zugleich ſo tief ſeyn könnten ich hätte es nie gedacht. Sie nehmen kein Ende, und doch hört das Vergnügen, ſie zu leſen, nur mit jeder letzten Zeile auf. Alles iſt darin, das Schlechte und Gute, Schöne und Häßliche, Gift und Balſam, Geſtank und Wohlgeruch, Ekel und Erquickung des achtzehnten Jahrhunderts. Denn man muß jene Zeit als die Apotheke betrachten und die franzöſiſchen Schriftſteller als die Apotheker, welche unſer Jahrhundert geheilt haben. Sollten Sie wohl glauben, daß ich Menſch, ein Vierziger,173 der alle ſieben Farben durchgelebt hat, mehr als zwanzig Male dabei roth geworden bin? und ich war doch allein aber allein mit Gott und der Natur. Ein Frauenzimmer darf das ohne Furcht leſen; kann ſie das verſtehen, kann ſie nicht mehr erröthen. Welche Unſittlichkeit. Es iſt wahr, die franzöſiſche Sprache iſt eine Art Flor, der den häßlichen Anblick bläſſer und milder macht; aber der Deutſche, der ſich beim Leſen überſetzt, ziehet den Flor weg, und ſchaudert zurück. Jene Menſchen hätten doch wenigſtens aus Dankbarkeit die Zucht mehr ſchonen ſollen, da ſie ihnen das Vergnügen verſchafft, ſie zu verſpotten und mit Füßen zu tre¬ ten. Und wo ſie Recht haben, das iſt am Schreck¬ lichſten! Den ſchönen Aberglauben der Unſchuld, der eine irdiſche Freude zur himmliſchen macht, zer¬ ſtören ſie, und von der ganzen Ewigkeit bleibt nichts übrig, als eine Minute. Und ſo verfuhren ſie mit der Tugend und mit der Religion. Waren jene Schriftſteller des achtzehnten Jahrhunderts darum ſittenlos, entartet, ſchlecht, gottlos? Gewiß nicht. Sie führten Krieg. Die Heuchelei hatte ſich mit der Sittſamkeit umhüllt; ſie mußten dieſe zerreißen, um jene in ihrer häßlichen Nacktheit zu zeigen. Die Prieſterſchaft hatte ſich hinter der Religion verſchanzt; ſie mußten über die Religion wegſchrei¬174 ten, um zu den Pfaffen zu gelangen. Der Des¬ potismus führte das Schwert der Geſetze; ſie mu߬ ten ihn entwaffnen, um ihn zu beſiegen. Daher jene Zeit der Sittenloſigkeit, des Unglaubens, der Anarchie. Sie iſt vorüber, Frankreich geſunder als je geweſen, und Doktor und Apotheker ſind ver¬ ſchmäht, vergeſſen.

175

Heute iſt es ſehr kalt, ganz Winter. Wie geht es Euch? Aber was liegt daran! Gegen Froſt hat man Kamine und warme Kleider; wenn nur das Herz nicht friert. Die deutſchen Froſt¬ künſtler (ſo überſetze ich ſehr ſauber das[franzöſiſche] Glacier) mögen nur diesmal ihren Eiskeller recht reichlich verſehen, hoch hinauf bis an das Gewölbe; denn es wird ein heißer Sommer werden. Und wer weiß, ob es im nächſten Jahre wieder friert. Ich denke, die Bären ſollen es in unſerm Lande nicht lange mehr aushalten können. Haben Sie Victor Hugo's Gedichte ſchon geleſen? Ich em¬ pfehle Ihnen auch ſeine Romane: Le dernier tour d'un condamné; Bug-Jargal; Han d'ls¬ lande. Alles herrlich, voll Sommergluth; aber man ſehnt ſich manchmal nach Schatten und Kühle und die fehlen. Kaum gehet die Geſchichte auf, ſo ſtehet ſie ſchon im vollen Mittagsglanze da, gehet im vol¬ len Mittagsglanze unter; die Augen thun Einem weh und man verſchmachtet vor Hitze. Hugo iſt erſt einige und zwanzig Jahre alt, aber das Alter kann ihn nicht ändern; denn die romantiſche Poeſie, (wie man das hier nennt) iſt erſt in ihrer Jugend, und das ganze Geſchlecht wird darüber hingehen, bis ſie176 beſonnener wird und ſich mäßigen lernt, und lernt Gründe annehmen Ich habe den Hugo etwas we¬ niges geſprochen, bin aber gar nicht begierig ihn näher zu kennen; denn es iſt nicht nöthig und nicht möglich. Dem geiſtreichſten franzöſiſchen Schrift¬ ſteller liegt die ganze Seele vorne im Munde; ſie hat kein geheimes Kabinet, keine Hinterthüre, wozu man blos nach genauerer Bekanntſchaft dringt. Hugo iſt mündlich nicht anders wie die Andern. Das iſt nicht wie bei uns. Ein deutſcher Dichter iſt ein frommer treuer Knecht der Poeſie, und er trägt ihre Farbe. Aber ein franzöſiſcher Dichter iſt Herr der Poeſie, ſie trägt ſeine Livree und gehet hinter ihm, wo er öffentlich erſcheint.

Sie fragen, ob Frankreich den Polen beiſtehen wird? wahrſcheinlich geſchiehet es. Frankreich wäre ja ganz von Sinnen, wenn es dieſe Gelegenheit Rußland zu ſchwächen, die nicht zum zweitenmale wiederkehrte, ungebraucht vorüber gehen ließe. Würden die Polen beſiegt, dann kehrte ſich Rußland gegen Frankreich. England hat gleiches Intereſſe und ich hoffe, ſie vereinigen ſich, den Polen zu hel¬ fen. Sie können zwar Rußland nicht zu Lande, aber doch zur See angreifen, und können es beſchäf¬ tigen, indem ſie durch Geld und Intriguen Unruhen auch in den andern ruſſiſchen Provinzen anzetteln. Es iſt zwar gegründet, daß die polniſche Revolution177 von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben. Die Armee, die den größten Enthuſiasmus zeigt, be¬ ſtehet ja aus Bauern, übrigens ſind die Bürger in den Städten keine Leibeigne, und auf dieſe kömmt alles an. Denn die Polen können ſich in keine Ge¬ fechte auf dem offnen Lande einlaſſen, ſie müſſen ſich in den Städten verſchanzen und wehren; thun ſie das nur ſtandhaft, ſind die Ruſſen, wenn auch noch ſo mächtig, verloren. Ich hoffe das Beſte, denn ich zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬ heit ſeiner ſogenannten Stellvertreter. Hier gehet es ſchlecht, man hat die Suppe kalt werden laſſen, und dabei rufen die Väter des Volks demſelben, wie einem Kinde, noch ganz ironiſch zu: verbrenne dich nicht! das gute Volk hat ſich mit Blut und Schweiß die Freiheit erworben, und die ſpitzbübiſche Kammer, die in Pantoffeln in ihrem Comptoir ſaß, ſagte ihm: Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir wollen es Euch verwalten. Und ich ſehe nicht, wie die Sache beſſer werden kann, außer durch eine Art neuer Revolution. Nach dem bis jetzt beſtehenden Wahlgeſetz wählen nur die Reichen, alſo die ariſto¬ kratiſch Geſinnten, und nur die Reichſten können Deputirten werden. Lößt das Miniſterium, welches liberaler iſt als die Kammer, dieſe auf, ſo werden die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬I. 12178ſes zu verhindern, müßte das Wahlgeſetz geändert, demokratiſcher gemacht werden. Allein die Kammer votirt die Geſetze, und wird natürlich kein Wahlge¬ ſetz genehmigen, das ihnen die Macht aus den Händen zieht. Das Miniſterium hat wirklich vor einigen Tagen ein demokratiſches Wahlgeſetz der Kammer vorgelegt, und dieſe wird es, wie man gar nicht zweifelt, verwerfen. Wo alſo der Ausweg? der König müßte durch Ordonnanz ein Wahl¬ geſetz promulgiren. Das wäre aber Gewalt und die Franzoſen ſind zu gewitzigt, ihrem Fürſten eine ſolche zu erlauben, und wäre es auch für die Freiheit.

Man ſagt heute mit ziemlicher Beſtimmtheit, der zweite Sohn des Königs von Baiern ſey zum Könige von Belgien erwählt worden. Iſt dieſes wahr, kann das nur eine Folge von Frankreichs Verwendung ſeyn, welches die belgiſchen Angelegen¬ heiten nach Belieben leitet, und das würde dann beweiſen, daß Baiern mit Frankreich einen geheimen Vertrag abgeſchloſſen, und daß es im Falle eines Kriegs gegen den deutſchen Bund auftreten würde. Und dann Baden und Würtemberg auch. Es wäre recht komiſch! Was würden Stein, Görres, Arndt und der alte Vater Rhein dazu ſagen! Und zum Lohne für die Dienſte, die jene Fürſten Frank¬ reich leiſten, wird dieſes ihnen beiſtehen, ihre Unter¬179 thanen in Gehorſam zu unterhalten. Wir bezahlen immer die Zeche. Der Tugendbund hat viel ausgerichtet! Jeder Menſch hat das Recht, ein Dummkopf zu ſeyn, dagegen läßt ſich nichts ſagen; aber man muß ſelbſt ein Recht mit Beſcheidenheit benützen. Die Deutſchen mißbrauchen es. Die Mittel, welche die Franzoſen gebraucht, die Freiheit zu erwerben, werden von den deutſchen Regierungen benutzt werden, um die Despotie zu verſtärken. Ich muß nur lachen über die Unwiſſenheit der hieſigen Zeitungsſchreiber. Sie erzählen es im Triumph: in Deutſchland, in Oeſterreich ſogar, würden Nationalgarden eingeführt, und ſie meinen, das wäre ein Fortſchritt der Freiheit; die Eſel be¬ greifen nicht, daß das ein neues Werkzeug der Ge¬ walt iſt, das alte abgenutzte damit zu erſetzen. Die Deutſchen! nicht einzuſehen, daß die Uniform eine Art Gefängniß iſt, die Disciplin eine Kette an Händen und Füßen nicht einzuſehen, daß wenn man Schildwache ſtehet, man am meiſten ſelbſt be¬ wacht wird den ſogenannten Pöbel im Zaum halten, das heißt die armen Leute, das heißt die Einzigen, welchen das verfluchte Geld nicht die ganze Seele, allen Glauben abgehandelt; die Ein¬ zigen, denen der Müßiggang nicht alle Nerven aus¬ geſogen, und die einen Geiſt haben die Freiheit zu wünſchen, und einen Leib für ſie zu kämpfen ſich12*180wie ein todter Ofenſchirm vor der Gluth des Volks zu ſtellen, damit die Großen hinter uns nicht ſchwitzen und gemächlich ihr Eis verzehren und ſich noch weiß machen zu laſſen, das geſchähe für die Freiheit ſich ſo foppen zu laſſen, ein ſolcher Tölpel zu ſeyn es iſt unglaublich!

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Kann man es beſſer haben als ich? die Tage wachſen ſchnell und mit ihnen meine Hoffnungen. Das Wetter iſt ſehr gelinde; ſchon ſind die Wander¬ vögel dem Norden zugezogen: bald endet der Winter, bald thauet der deutſche Bund auf, bald blühn alle Veilchen; über meinem Kopfe Saphirs Fußtritte, und eine deutſche Küche. Ja, ich habe eine deutſche Köchin entdeckt, eine vortreffliche Augsburgerin, die eine Table d'Hôte hält, wo man lauter vater¬ ländiſche Gerichte und Gäſte findet. Rindfleiſch mit rothen Rüben und Kräuterſauce, Kartoffeln, Sauer¬ kraut mit Schweinefleiſch, Reisauflauf und Kommis in Menge. Man wird doch ſatt und es koſtet nicht viel. Was aber mein Glück ſtört, iſt, wie man hier mit Beſtimmtheit behauptet, daß Metternich das Ruder verliert. Darüber bin ich ſehr verdrießlich, es iſt ein Unglück. Metternich war eine reine Farbe, die der feindlichen entgegengeſetzt, es bald zu irgend einer Entſcheidung gebracht hätte; wenn aber nach ihm die graue Neutralität regiert, wird keiner wiſſen, wo ſeine Fahne iſt, alle werden durch ein¬ ander laufen und keiner das Ziel finden. Metternich war ſtarr, eigenſinnig und der Sturm hätte ihn bald gebrochen; ſein Nachfolger wird auch nicht wei¬182 chen, nur vielleicht ſich etwas biegen, und alles wird krumm bleiben. Es iſt ſehr ſchlimm. Gott erhalte nur meinen Metternich.

Der Enthuſiasmus der Polen ſoll ganz unbe¬ ſchreiblich ſeyn. In der heutigen Zeitung ſteht, die Vorſteherin eines Mädchen-Inſtituts in Warſchau habe mit ihren Zöglingen von Morgen bis Abend an den Feſtungswerken gearbeitet. In dem Schrei¬ ben eines Polen, worin die ſchändlichen Tyranneien der ruſſiſch-polniſchen Regierung erzählt werden, heißt es unter Andern: man habe eigens einen Commiſſair nach Wien geſchickt, um das Syſtem der öſterreichi¬ ſchen Regierung, wie man das Volk dumm erhalte (Stock-deutſch, heißt es wörtlich,) in allen ſeinen Theilen zu ſtudiren, um es dumm in Polen einzu¬ führen.

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Fuͤnf und zwanzigſter Brief.

Geſtern Abend habe ich mich im Odeon recht ſatt gehört und geſehen; das ganze Geſicht iſt mir noch roth und dick davon. Von halb ſieben bis halb zwölf Uhr bei Tiſche, und zwanzig Schüſſeln! Dreißig Jahre dauert die Geſchichte, Napoleons Anfang und Ende iſt darin; aber die größte aller ſeiner Thaten iſt gewiß die: daß er mich ſechs Stunden weniger zehn Minuten auf einer Stelle feſtgehalten, ſo daß ich nicht einmal in den Zwiſchen - Akten hinausging. In einem deutſchen Theater habe ich nie drei Stunden aushalten können. Den Hun¬ ger zu ſtillen war es zu viel und den Appetit über184 den Hunger zu reizen fehlte es an Würze. Ja das iſt ein großer Unterſchied!

Eine ſtarke halbe Stunde mußte ich das Schrei¬ ben unterbrechen und meine Wuth war grenzenlos. Da ich Napoleon geſtern Abend hatte ſterben ſehen, und ich vergeſſen hatte, in welchem Jahre er ge¬ ſtorben, wollte ich das im Converſations-Lexikon nachſuchen. Ich ſchlug den Artikel Napoleon auf, da hieß es: ſuche Bonaparte. Ich ſuche Bona¬ parte auf, da hieß es: ſuche Buonaparte. Ich ſuche Buonaparte auf und ſehe nach dem Ende ſeines Lebens, da hieß es: ſuche Helena. Ich ſuche He¬ lena auf, da hieß es: ſuche St. Helena. Ich ſuche Saint-Helena und St. Helena und kann bei¬ des nicht finden. Endlich entdeckte ich Sanct He¬ lena. Da war aber von Napoleon gar keine Rede, ſondern es hieß: ſuche Longwood. Ich ſuche Longwood, finde aber nichts über Napoleons Tod, und da entdecke ich endlich, daß mein Converſations - Lexikon nur bis 1819 gehet. Da lebte Napoleon noch. Das ſind die Leiden des menſchlichen Lebens! wozu noch gehört: des Morgens harte Butter auf weiches Brod ſchmieren, mein täglicher Schmerz. Mein Zorn war aber ſchrecklich und erhaben. Ohne dies bin ich ſeit einem Jahre voll Gift und Haß gegen185 das Converſations-Lexikon; denn der Verleger Brock¬ haus hat in der neueſten Auflage aus Krämerei alles was das Buch an Geſchichten und Meinungen Frei¬ ſinniges enthielt, auslöſchen oder bedecken laſſen; wahrſcheinlich, damit es, ſo geſäubert, im Oeſter¬ reichiſchen erlaubt werde. Iſt es nicht entſetzlich, daß es in Deutſchland Gelehrte gibt, die Geiſt, Herz und Ehre bogenweiſe einem Buchhändler ver¬ kaufen; daß das nützlichſte und ausgebreiteſte Buch in Deutſchland, welches ſo vieles Gutes geſtiftet hat und noch ferner hätte bewirken können, die Farbe der Lüge angenommen und daß es[von] der ſchnöden Gewinnſucht eines Krämers abhängen ſoll, was er das Volk lehren oder ihm verſchweigen will? ..... Jetzt zurück zum Odeon.

Napoleon tritt zum erſtenmal 1793 auf, da er in Toulon als Artillerie-Lieutenant diente. Da iſt er noch ganz mager und trägt einen Zopf, das Haar ungepudert. In der vorausgehenden Ouvertüre wurde der Marſeiller Marſch und Ça-ira geſpielt, Melodieen, die mir ſeit meinen früheſten Kinderjahren im Herzen ſchlummerten. Es ſind vielleicht vierzig Jahre, daß ich ſie nicht gehört, und ich weinte Thränen des Entzückens. Frei ſeyn, es iſt nichts. Aber es werden, die Geneſung, da iſt das Glück. 186In Toulon waren auch Kommiſſaire des National - Convents, die damals bei allen Kriegen den Gene¬ ralen als Aufpaſſer zur Seite ſtanden. Merkwür¬ dig dieſe Mord-Phyſionomien, und wie die Kerls gekleidet waren; ſie ſahen ganz aus wie Räuber¬ hauptleute. Dieſer erſte Akt war mir der ſchönſte: was nachher folgte, war für Ohr, Auge und Geiſt, aber nichts mehr für das Herz. Der Kaiſer, der Ruhm, goldgeſtickte Kleider, Bücklinge bis auf die Erde, und die uns wohlbekannten Märſche der kai¬ ſerlichen Garde, und der lange Hanswurſt von Tambour-Major, den wir ſo oft geſehen. Aber ge¬ wiß, das iſt die beſte Art, Geſchichte zu lernen, und vergangene Zeiten und Menſchen und entfernte Län¬ der uns ſo friſch und nahe vor die Augen zu brin¬ gen als hätten wir ſie gekannt, darin gelebt. Keine Erzählung, kein Gemälde, ſelbſt kein Drama in ſei¬ ner eigenthümlichen Beſtimmung erſetzt das. Es iſt alles vereinigt. Jedes Schlachtfeld, jeder Pallaſt, jede Stadt; Lager Soldaten, Waffen und Kleidung, alles wie es wirklich geweſen. Napoleon wie er ausſah, wie er gekleidet war, wie er ſtand, ſaß, ſprach, in den Tuilerien, und in ſeinem Zelte, vor, in, nach der Schlacht; welche Geſichter er machte, wie er ſchnupfte wie er bei guter Laune ſeinen Leu¬ ten das Ohr kneipte, ſeine Marſchälle, Ruſtan, Alles. 187Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem Theater denn im Leben erſt zehen Jahre ſpäter) 1804 an. Da erſcheint er als Kaiſer in St. Cloud. Da kommen goldene Dintenfäſſer, ſchwervergoldete Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich wußte vorher, es war die Grenze ſeines Glückes. Einige Stunden ſpäter brach der Brand los. Fürch¬ terlich auch im Spiele. Er iſt allein im Zimmer, die Fenſter werden roth vom Feuer und immer röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer nach dem Andern ſtürzt herein, ihn zur Flucht zu bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft ſich verzweiflungsvoll in einen Seſſel, und dumpf¬ brütend ſenkt er den Kopf auf den Tiſch wie zum Schlafen. Die Fenſter werden geöffnet und man ſieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬ wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt geſehen. Beim Rückzuge ſtellt die Scene eine große leere Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬ innen, halberfroren, ſchleichen wie Geſpenſter herein. Sie nähern ſich der Flamme und fallen todt hin. Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬ donner der Schlacht, die Hütte ſtürzt zuſammen, wer noch Kraft hat, flüchtet, und jetzt ſehen wir das188 Schlachtfeld an der Berezina. Es ſchneit, die Fran¬ zoſen ziehen über die Brücke, neben ihr, über den gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verſchlingt ſie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles, was ſich die Phantaſie erfinden kann. Eine der ſchön¬ ſten Scenen iſt Napoleons Abfahrt von Elba, um nach Frankreich zurückzukehren. Er mit ſeinen Sol¬ daten ſteht auf dem Verdecke eines Kriegsſchiffes, und die Fahrt des Schiffes wird im höchſten Grade täuſchend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend ſich immer ändert, von Fels zu Fels fortſchreitend bis in die offne See, ſo daß man glaubt, das feſte Schiff bewege ſich. Es iſt ein Kind darüber zu wer¬ den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII., dick, alt und lahm, watſchelt durch ein Vorzimmer, ſich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute Art der Franzoſen und ihr Zartgefühl verläugnete ſich bei dieſer gefährlichen Probe nicht. Im Odeon ſind die jungen Leute, die Schüler der polytechniſchen Schule, Meiſter, da herrſcht der Liberalismus un¬ beſchränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war unanſtändig, der Spott grauſam, und im ganzen Hauſe wurde gepfiffen und geziſcht, und nicht Einer hat applaudirt, und das Klatſchen hörte doch ſonſt den ganzen Abend nicht auf. Deß freuete ich mich,189 und die komiſchen Scenen jenes Abends in den Tui¬ lerien! Wie die heißeſten Bourboniſten, als Napo¬ leon kam, ſchnell die weiße Kokarde abnahmen und ſie in die linke Weſtentaſche ſteckten und aus der rechten eine dreifarbige zogen, die ſie für jedes Er¬ eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimſten Kehlen Vive l'Empereur! ſchrien. Es war ſchön und lehrreich.

Jetzt die Hauptſache. Eine Deputation der Pairskammer erſcheint vor dem wiederaufgegangenen Napoleon. Der ſchnauzt ſie grimmig an, denn ſie waren es, die ihn verrathen. Wo ſind die Depu¬ tirten? ſchreit er mit einer Löwenſtimme. La chambre des Députés s'est rendu indigne de la France ... Götter! und wenn in dieſem Augen¬ blicke tauſend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht gehört worden, vor dem Beifallklatſchen des ganzen Hauſes. Es war ein Sturm, es war als ſtürzte das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬ ſen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die jetzige Deputirtenkammer. In den erſten Reihen des Parterres ſaßen die Schüler der polytechniſchen Schule. Wenn dieſen nicht die Hände bluteten, müſſen ſie lederne Hände haben. Aber ich habe190 genau Acht gegeben nicht blos dieſe, nicht blos die Studenten waren es, die ſo offen und laut bei dieſem Anlaſſe ihre Herzensneigung kund gethan; ſondern auch alte, bedächtige Männer, Alle klatſchten, und ich war vielleicht der Einzige, der es nicht ge¬ than. Ich ſah frohlockend umher, denn das iſt ....

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Mitten im Satze, der die vorige Seite endigt, wurde ich geſtern unterbrochen und heute habe ich ver¬ geſſen, was ich ſagen wollte. Als ich ſah, wie die edle Geſinnung der Jugend ſich hier ſo frei und laut äußern durfte, und Keiner wagte, ſich ihr zu wider¬ ſetzen, fragte ich mich: träume ich denn, iſt es Wahr¬ heit? Liegt Frankreich in dem nehmlichen Europa, in dem auch Deutſchland liegt? Ein Fluß, über den jeder Haſe ſchwimmt, kann er die Freiheit von der Tyrannei abhalten, oder Sklaven, herüber zu kom¬ men? Unſere deutſchen Polizei-Aerzte würden gewal¬ tig zornig werden, wenn ſie den Lärm gehört: ſie würden ſagen, die Regierung ſollte nicht dulden, daß man im Theater ſo die Leidenſchaften aufrege. Aber ſie irren ſich; das beſänftigt gerade gereizte Leiden¬ ſchaft. Ich habe das an mir ſelbſt erfahren. Noch Morgens, da ich mein Journal las und mich wie gewöhnlich über die ſeelenloſe Deputirten-Kammer ärgerte, welche der franzöſiſchen Jugend gern alles Blut auspumpen möchte, hatte ich den ſehnlichſten Wunſch, den hochmüthigen Deutſchen Pedanten Ro¬192 yer Collard und den Goldfuchs Dupin dafür durch¬ zuprügeln; als ich ſie aber am Abend durchklatſchen ſah, war ich ganz zufrieden, und ich hätte ihnen nichts zu Leide gethan, wenn ich ihnen gleich darauf in einem Salon begegnet wäre. Ich wünſchte mir auch unſern Senator aus Soden herbei, der lieber Schweinhirt ſeyn möchte, als franzöſiſcher Miniſter. So einem deutſchen Polizei-König muß in London und Paris zu Muthe ſeyn, wie einem Nordländer in Neapel. Die Freiheit hat wohl ihre rauhen Tage; da ſie aber ſelten ſind, iſt nicht geſorgt für Kamin und Pelz. Und jetzt ſpricht der Ruſſe, wäre ich nur zu Hauſe, da iſt es wärmer und beſſer und der Tölpel macht ſich luſtig über die ſchöne Natur im Süden! ...

Nach dem Akte, der Napoleons Rückkehr von Elba ſpielt, fällt ein Vorhang, auf welchem die Stadt Paris in der Vogelperſpective gemalt iſt, und hoch in der Luft ſchwebt ein Adler, im Schnabel einen Lorberzweig, in der Klaue die dreifarbige Fahne tragend, und Ruhm und Freiheit nach Frank¬ reich zurückbringend; das iſt von unglaublich ſchöner Wirkung. ... Manchmal waren die Zuſchauer auch wie die Kinder. Als auf Helena Hudſon Lowe auf¬ trat, wurde er ausgeziſcht mit einer Bosheit, mit193 einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und nicht ein armer unſchuldiger Schauſpieler im rothen Rocke. Man ſieht Napoleon ſterben; Krämpfe, Phantaſien, Röcheln, alles nach der mediciniſchen Natur. Dieſe widerliche und lächerliche Spital - Scene wird auf allen Theatern dargeſtellt. Es gibt nichts Sinnloſeres ... Nachdem der Kaiſer in ſei¬ ner letzten Minute gethan, was ſeine Brüder, die andern Kaiſer und Könige, ſchon gleich bei ihrem Regierungsantritte thun nehmlich den Geiſt auf¬ geben, fällt ein Vorhang von ſchwarzem Flor, wel¬ ches artig und ſchauerlich war ... Das ganze Or¬ cheſter erſchien in der National-Garde-Uniform, auch befanden ſich viele Officiere darunter. Der Kapell¬ meiſter, der wohl Hauptmann oder Major ſeyn mochte, trug ſchwere ſilberne Epaulettes. Das ſah wunderlich aus an ſeinem Platze und in ſeiner Be¬ ſchäftigung.

Endlich war das Stück aus und ich ſatt. Es war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬ lichen Tage mein Herz genommen. Ich ſah vorher eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬ tage im Juli vorſtellend. Die Gefechte auf den Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden, das Pflaſter-Geſchoß, die ſchwarzen Fahnen und dieI. 13194dreifarbigen, die königlichen Soldaten, die abge¬ hauenen Bäume, die Leichen auf der Straße, die Verwundeten und neben ihnen die gutmüthigen Franzöſinnen, die ſie laben und verbinden. Man bekommt von Allem eine klare Anſchauung, es iſt, als wäre man dabei geweſen, und es iſt zum Todt¬ weinen! Denn ich habe die Kämpfenden gemuſtert, ich habe die Leichen betrachtet und gezählt und die Verwundeten es waren viele junge Leute; die meiſten Alten aber gehörten zum ſogenannten, ſo geſcholte¬ nen Pöbel, der jung bleibt bis zum Grabe. Einen bejahrten Mann in einem guten Rocke, ich ſah kei¬ nen, weder unter den Streitenden, noch unter den Gefallenen. Die Männer in guten Röcken ſitzen in der Pairs - und Deputirten-Kammer und halten ſich die Naſe zu vor den ſtinkenden Pöbel-Leichen und ſagen: wir haben Frankreich gerettet, es gehört uns wie eine gefundene Sache, wie eine Entdeckung, und ſie ließen ſich ein Patent darüber geben. Und die reichen Leute, die verfluchten Banquiers kamen und ſagten: halb part! und haltet uns nur den Pöbel im Zaum, damit die Renten ſteigen. An dieſe muß die Rache auch noch kommen. In Baſel ſind ſie jetzt eingeſperrt die hochmüthigen Ellenritter. Sie wollen allein regieren, das Landvolk ſoll gehorchen. Aber das Landvolk kennt ſeine Rechte und will ſie195 geltend machen und belagert die Stadt. Das iſt wie im Frankfurt, wo das Landvolk auch unmündig iſt, und weder an der Regierung, noch an der Ge¬ ſetzgebung Theil hat.

Wie gefällt Ihnen der Moskowiter? Sei¬ nem Geſandten nach Warſchau gab er ein Zet¬ telchen an die Polen mit, worauf er eigen¬ händig in franzöſiſcher Sprache und mit Blei¬ ſtift geſchrieben: Au peuple polonais; soumis¬ sion ou la mort! Nicolas. O, was iſt Gott für ein Phlegmatikus! Aber ich bin ſelbſt nicht beſſer. Dieſen Morgen las ich etwas von der neuen heſſiſchen Conſtitution. Und ſehen Sie es dem Briefe an? Iſt er zerknittert? naß von Thrä¬ nen der Wuth? habe ich Komma, Punktum ver¬ geſſen? O blödes Vieh! nicht einem Ochſen würde man ſo etwas weiß machen! Ein Ochs iſt dumm, aber er iſt eigenſinnig und hat Hörner. Schafe ſind wir, arme, geſchorne, zerfetzte Schafe .... Daß die Deutſchen ihren Fürſten und Sängerinnen die Pferde ausſpannen, fällt mir nicht auf. Sind ſie beſſer als Pferde? Sie werden ſehen, die guten Heſſen ziehen auch noch die Gräfin Reichenbach von Frankfurt bis nach Caſſel. Eine ſolche Conſtitution, wie man den Heſſen gegeben, hätten ſich die Pferde13*196nicht gefallen laſſen. Mit den guten Deutſchen wird noch ſchlimmer verfahren als mit dem Heiland. Dieſer mußte zwar auch das Kreuz ſelbſt tragen, woran man ihn gepeinigt: aber es ſelbſt auch zim¬ mern, wenigſtens das mußte er nicht. Ich kann in Paris Franzöſiſch lernen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutſch vergeſſen? Der Menſch hat über¬ haupt viel Deutſches an ſich. Heute las ich: in England hat die franzöſiſche Regierung 500,000 Flinten beſtellt, die ruſſiſche 600,000, die preußiſche 900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬ der bewaffnet, die, drei bis vier Fürſten einen Spaß zu machen, ſich wechſelſeitig die Eingeweide aus dem Leibe reißen. Dieſe Flinten koſten 38 Millionen Franken, und die närriſchen Völker dürfen nicht eher ſterben, als bis ſie ihre eignen Leichenkoſten voraus¬ bezahlt! Ich möchte dieſen Sommer in einem ſtillen Thale wohnen, aber ſo ſtill, ſo heimlich, ſo abge¬ legen, daß kein Menſch, keine Zeitung hinkommt, und im October wieder hinaustreten in die Welt und ſehen, wie es ausſieht. Vielleicht würde ich da nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der Erde bin.

Es hat ſich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬ unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬ fertigt, die zum Beſten der Armen ausgeſpielt wer¬197 den. Ich habe auch einen Zettel, und wenn Sie glücklich ſind, bekommen Sie vielleicht eine Arbeit von der Königin Hand. Der Poſtwagen, der dieſe allerhöchſte Arbeit nach Frankfurt brächte, würde ſicher von Kehl nach Frankfurt vom Volke gezogen werden, erführe es davon. Verharre voll Gift und Galle Ihr ganz Ergebenſter.

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Sechs und zwanzigſter Brief.

Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬ ral mehr, ſondern ſeit geſtern Abend ein vollſtändi¬ ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich die Noth der Menſchen an, wenn ich froh bin? Was ihre Dummheit, wenn ich ſelbſt klug bin und das Leben genieße! Mögen ſie weinen, wenn es ſingt um mich herum. Ich habe bei den Italienern Roſſini's Barbier gehört, und darin Lablache als Figaro, die Malibran als Roſine. Und ſchlimmer als gehört auch geſehen. Ich war entzückt und bin es noch, daß ich mich todt ſchämen ſollte. Stunde auf Stunde, dieſe ſo bittern Pillen unſerer Zeit ſchluckte ich fröhlich hinunter, ſo vergoldet waren ſie mir. Ich dachte nicht mehr an die heſſiſche Con¬ ſtitution und ließe jede fünf gerade ſeyn, würde die Lüge immer ſo geſungen. Welch ein Geſang! Welch199 ein Spiel! Figaro in den beſten Jahren die Weiber zum Beſten zu haben, und dick. Ich weiß nicht, ob Lablache ſo iſt von Natur oder ob er ſich durch Kunſt ſo gemacht. Aber gewiß, mit dieſer Geſtalt muß ſich ein Figaro ausſtatten. Ja nicht flink, ja nicht jung, ſich ja nicht zu ſchön gemacht, wie es alle die Andern waren, die ich noch geſehen. Wie iſt es möglich fröhlich zu ſeyn, ſo lange man den Weibern gefährlich iſt? Wer Ruhe ſtören kann, dem kann man ſie auch ſtören. Das Fett der gu¬ ten Laune umgab dieſen Figaro von allen Seiten, beſchützte ihn, und ließ keine feindliche Minute durch. Sie hätten den Spitzbuben ſehen ſollen mit ſeinen Augen! Er hätte bis auf die Augen das ganze Ge¬ ſicht verhüllen, er hätte kein Glied zu bewegen brau¬ chen, und man hätte ihn doch verſtanden. Wenn er Roſinen, den Grafen, den Alten anſah, wußte man vorher, was dieſe ſagen würden: man erkannte es aus Figaro's Geſicht, der ſie durchſchaute und uns ſein Errathen errathen ließ. Welch unvergleichliche Mimik! Seine Worte waren eigentlich nur die Vo¬ kale, zu welchen ſeine Bewegungen die Conſonanten fügten. Und der Geſang! Schnell, leicht und glänzend wie Seifenblaſen, ſtiegen ihm die Töne aus der Bruſt. Und Roſine! ich bin verliebt, verliebt, verliebt: Schön iſt ſie gar nicht, bis auf die Augen. Aber dieſe wonneſüße Schelmerei, dieſes200 zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und nie berauſcht wird; und ſo ohne alle Tücke, man ſiehet es, ſie will ihren alten Vormund einen Tag betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu müſſen; ſo ohne alles Streben zu gefallen! Kein Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der Seele, dann ſeid ihr Weiber fürchterliche Ge¬ ſchöpfe. Ihr Geſang! Er kam aus dem Herzen des Herzens. Ich mußte mich daran[erinnern], ge¬ recht zu ſeyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag eben ſo ſchön geſungen. Ich will Kenner fragen, die Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die Sontag ſingt ſchön, weil ſie gefallen will, und die Malibran gefällt, weil ſie ſchön ſingt. ... Ich werde ſparen, und reicht das nicht hin, werde ich ſtehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben, und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia ſchreiben; aber ich verſäume die Malibran nicht mehr, ſo lange ich hier bin. Zwölf Franken koſtet mich mein Platz, den vornächſten zu ihr, den man haben kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich gar nicht, daß ein muſikaliſcher Vortrag auch genia¬ liſch ſeyn könne; ich dachte der Geſang ſtände im Dienſte der Compoſition, und wie der Herr ſo der Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Roſſiniſcher Muſik machte die Malibran etwas ſehr Ernſtes, ſehr201 Würdiges. Dem ſchönen Körper gibt ſie auch eine ſchöne Seele. Von ihr habe ich begreifen lernen, wie es möglich war, daß einſt der Schauſpieler Gar¬ rick das ABC ſo deklamirte, daß alle Zuhörer wei¬ nen mußten ..... Lablache mußte ich bewundern wegen ſeiner Mäßigung in ſeiner Kraft. Wie kann man nur eine Stimme, die ſo große Gewalt hat, ſo meiſtern, wie man will? Es ſtürmt aus ſeiner Bruſt, und er ſagt jeder Tonwelle: ſo hoch und nicht höher. Gleiche Mäßigung in ſeinem Spiele, und wie ſchwer das in dieſer leichtſinnigen Rolle! Es iſt wie ein Eiertanz. Er bewegt ſich im klein¬ ſten Raume, kühn zwiſchen zarten, leicht verletz¬ lichen Verhältniſſen, berührt ſie alle und verletzt Keines.

Unter allen Späßen dieſer ſpaßhaften Zeit gefällt mir keiner beſſer, als der, den die National¬ verſammlung in Brüſſel mit der europäiſchen Diplo¬ matik treibt. Alles, was die Herren Diplomatiker über die belgiſche Angelegenheit in ihrem Schlafzim¬ mer oder in ihren Rathsſtuben geſprochen, verſprochen, gelogen, geheuchelt, geleugnet oder eingeſtanden, ver¬ ſagt oder bewilligt, wird von jenen dummen Bür¬ gersleuten öffentlich vor allem Volke mitgetheilt. Vergebens ſchreien die diplomatiſchen Köche: wartet ins Teufels Namen, bis das Eſſen gar iſt! Die Belgier erwiedern: wir wollen nicht warten bis die202 Suppe verbrannt, das Eſſen iſt uns gar genug und wir haben Hunger. Die Diplomatiker ſind in Ver¬ zweiflung darüber. Stellen Sie ſich vor, in welche Wuth Janchen von Amſterdam käme, wenn auf der Frankfurter Meſſe, in jedem Bier - und Wein¬ hauſe Einer hinter ihm ſtände und den anſtaunenden Zuſchauern erklärte, wie man ein zerſchnittenes Band wieder ganz mache, eine Karte verändere, eine kleine Muskatnuß in einen großen Federball verwandele, und wie das Alles ſo natürlich zuginge! Er würde jammern, daß man ihn um Brod und Anſehen bringe. So iſt es hier. Es iſt zum Todtlachen, ſie wiſſen ſich vor Angſt nicht mehr zu helfen. Ich erinnere mich, in welchen Zorn es die Diplomatiker verſetzt, als vor ſieben Jahren, während der ſpaniſchen Re¬ volution, der damalige Miniſter der auswärtigen Angelegenheiten in Spanien, über einen diplomatiſchen Gegenſtand einen aufrichtigen und verſtänd¬ lichen Brief drucken ließ. Sie hatten ſchon, wenn auch mit ſaurem Geſichte, die ganze Revolution ver¬ ſchluckt; aber dieſen Brief das konnten ſie nicht hinunter bringen. Göttliche Leute ſind die Belgier! O dahin muß es kommen: die Kellerlöcher der Di¬ plomatik müſſen geöffnet werden, und dann erſt wird es friſch und hell im ganzen Hauſe ſeyn. Die Ga¬ zette hier, die über jene Unverſchämtheit des belgi¬ ſchen Congreſſes auf ihre Art ſpricht und läſtert,203 endigt mit den Worten: tout cela prouve com¬ bien une nation est petite quand elle n'a pas de Roi! Ich bin wahrhaft erſchrocken, wie ich das geleſen habe. Wie iſt es möglich, dachte ich, daß zwei Menſchen, von welchen nicht wenigſtens Einer im Tollhaus ſitzt, ſo verſchiedene Meinungen haben können? Wer von uns iſt verrückt, die Ga¬ zette mit den Ihrigen, oder ich mit den Meinigen?

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Haben Sie es geleſen, daß die Stunde in Caſſel gleich damit angefangen, den Churfürſten um ſeine allergnädigſte Erlaubniß zu bitten, daß ihm ſein getreues Volk eine Statue errichten dürfe? Haben Sie es denn wirklich auch geleſen, und hat mir das nicht ein neckiſcher Geiſt auf einem Zeitungsblatte vorgegaukelt? Nein, daß ſich die Freiheit in Deutſch¬ land ſo ſchnell entwickeln würde, das hätte ich nie gedacht! Ich hatte den guten Leuten doch Unrecht gethan. Wenn das ſo raſch fortgehet, werden wir in drei Wochen den vereinigten Staaten nichts mehr zu beneiden haben. In Hannover haben ſie ſich auch erhoben. Das wird dem armen Lande wieder ſechs Schimmel, einen ſchönen Wagen und eine Statue koſten. Hätten ſie nicht gleich damit anfangen können, dem Herzog von Cambridge die Pferde auszuſpan¬ nen und als Vice-Schimmel ſeinen Wagen zu ziehen? Was brauchen ſie erſt vorher eine Revolution zu machen? Iſt aber ein treuer Gimpel der Deutſche! Man kann ohne Sorge den Käfig offen laſſen, der Vogel fliegt nicht fort. ... Haben Sie auch ge¬205 leſen, daß der König von Baiern ſeinen Soldaten, welche in ſeine Bürger eingehauen, einen dreitägigen Sold geſchenkt? Ich verſtehe nicht mehr. Sie ſchü¬ ren das Feuer und ihr eigenes Haus brennt; ſie gießen Oel in die Wunde und es iſt ihr eigener Schmerz! Ich verliere mich darin.

206

Was ich von der hannövriſchen Revolution erwarte, habe ich Ihnen ſchon oben geſchrieben. Wenn freilich das engliſche Miniſterium ſelbſt die Sache angeſtiftet hat, ſo ändert das die Verhältniſſe aber auch nur etwas, aber nicht viel. Doch kann ich mich hierin irren. Von dem hannövriſchen Volke ſelbſt, wenn es ſich allein, ohne geheime An¬ regung von London erhoben, erwarte ich nicht viel. Hat doch die neue Regierung in Göttingen in ihrer Proclamation auf die Freiheit von Heſſen angeſpielt! Dieſe Conſtitution ſchwebt ihren Wünſchen als Ideal vor, und ſie iſt doch die unverſchämteſte Betrügerin, die man ſich nur erſinnen kann. Es wäre ein Mei¬ ſterſtreich von Politik, wenn das engliſche Miniſterium dem Königreiche Hannover eine wahre vollkommene Freiheit gäbe. Es würde dadurch dieſen kleinen Staat zum mächtigſten in ganz Deutſchland erheben. Dann könnte England, Preußen und Oeſterreich trotzen, wenn dieſe ihm einmal den Krieg erklärten ein Fall, der leicht und bald eintreten kann. Iſt dieſes ſo, dann müßte das engliſche Miniſterium na¬ türlich im Geheimen agiren, und das hannövriſche Volk gegen den Adel in Bewegung ſetzen, der, eigen¬ ſinnig und hochmüthig, wie er dort iſt, die Emanci¬207 pation des Bürgerſtandes nie bewilligt hätte. Im heutigen Temps ſteht eine ausführliche und richtige Erzählung von den Göttinger Vorfällen. Sie müſſen ſich das Blatt zu verſchaffen ſuchen, denn in deut¬ ſchen Zeitungen werden die Vorfälle natürlich ent¬ ſtellt werden. Ein Göttinger Bürger, der die Schlachtſteuer zu bezahlen verweigert, ſoll die erſte Anregung zum Aufſtande gegeben haben. Dieſe Schlachtſteuer wird im Temps zu meiner großen Beluſtigung Schlacrstener genannt.

208

Die Nachricht, die Sie mir geſtern gege¬ ben, daß das engliſche Miniſterium ſelbſt die Revo¬ lution in Hannover angeſtiftet, habe ich auf der Stelle nebſt einigen Bemerkungen in die Zeitungen ſetzen laſſen, und ſie ſteht geſtern im Meſſager. Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter einander hetzen. Es iſt aber doch ſchön, daß man hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und die Redacteurs küſſen einem für jede Nachricht die Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬ gen die deutſche Cenſur am meiſten aufbringt, iſt nicht, daß ſie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert dieſe macht ſich früher oder ſpäter doch Luft ſondern daß ſie die Lüge unterdrückt, die nur einen armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt, vergeſſen iſt. Am intereſſanteſten, und merken Sie ſich das, ſind die hieſigen Blätter immer am Mon¬ tage; denn da Sonntag keine Kammerſitzung iſt, bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes Mittel, ihre Seiten zu füllen, als ſo viel Lügen als möglich herbei zu ſchaffen. Wie angenehm beſchäf¬ tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran! Was heißt Lüge? Kann Einer in unſern Tagen etwas erſinnen, was nicht den Tag darauf wahr209 werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬ liche Lüge: Der deutſche Bund hat die Pre߬ freiheit beſchloſſen.

Alſo *** hat ſich geſcheut nach Peſth zu gehen, und ſchon in Ungarn fürchtet man die Cho¬ lera morbus? In Gallizien, drei Tagereiſen von Wien, und in[Ruſſiſch-Polen] iſt ſie nach beſtimmten Nachrichten auch ſchon ausgebrochen. Mir macht das ſehr bange. Nicht wegen der ſinnlichen Schrek¬ ken, welche die Peſt begleiten das iſt ein Schrek¬ ken, der ſich ſelbſt verzehrt, das iſt zu furchtbar, um ſich lange davor zu fürchten aber die ver¬ derblichen Folgen! Die Lähmung des Geiſtes, welche im Volke nach jeder Peſt zurück bleibt! Das kann alten Froſt zurück führen, und die Freiheit, die noch auf dem Felde ſteht, zu Grunde richten. In ſolchen Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft ihn an, und da kommen gleich die Fürſten und mel¬ den ſich als deſſen Stellvertreter. Was kein Kaiſer von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das kann die Peſt verhindern. Dann kommen die Pfaf¬ fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann laſſen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge Geſetze ſind dann nöthig und heilſam. Die Peſt geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬ ſchrockene Volk wieder zur Beſinnung kommt, ſindI. 14210die alten Feſſeln neu genietet, die Krankenſtube bleibt nach der Geneſung das Gefängniß, und zwanzig Jahre Freiheit gehen darüber verloren. Heſſiſche Conſtitution, Schimmel, Koſacken, Bundes-Verſamm¬ lung, Cenſur, was Gott will, nur keine Cholera morbus.

Es iſt köſtlich mit der Hanauer Zeitung: Gnädigſte Freiheit, ſtatt gnädigſte Erlaub¬ niß! Ich wollte, der allergnädigſte Teufel holte ſie aufs allergeſchwindeſte Alle mit einander. Il faut tous lier, juges et plaideurs.

[211]

Sieben und zwanzigſter Brief.

Geſtern las ich zu meinem Erſtaunen in der Allgemeinen Zeitung: der geniale Schriftſteller Heine, von dem es früher hieß, er würde eine Profeſſur der Geſchichte auf einer preußiſchen Univerſität erhal¬ ten, bleibt in Hamburg, wo man ihm das erſte er¬ ledigte Syndikat zugedacht. Heine Syndikus? Was ſagen Sie dazu? Heine Profeſſor? Aber es iſt gar nicht unmöglich. In dieſer gefährlichen Zeit durfte man wohl daran denken, die Genies in ein Amt oder in eine Profeſſur zu ſperren. Aber ein Narr, wer ſich fangen läßt.

Ich habe Grimms Correspondance littéraire zu leſen angefangen, die durch vierzig Jahre gehet. Ich bin noch nicht weit hinein, hoffe aber es ganz durchzuleſen. Das Buch hat zwölf Bände, und iſt14*212noch nicht fertig. Man lernt viel daraus, und wird an Vieles erinnert. Paris war damals die Küche, worin die Revolution gekocht wurde. Da ſiehet man noch die urſprünglichen Beſtandtheile der Mahlzeit, das rohe Fleiſch, gerupfte Vögel, Salz, Gewürz und die Schweinerei der Köche. Aus dem ſaubern Miſchmaſch ſpäter iſt nicht mehr klug zu werden. Grimm zeigt Verſtand genug, aber gar keinen Geiſt, und nicht ſo viel Wärme, daß man eine feuchte Adreſſe daran trocknen könnte. Dieſer Menſch war mir immer unleidlich; er hat eine geräucherte Seele. Welch ein guter Gimpel mußte Rouſſeau ſeyn, daß er, ob zwar älter als Grimm, dieſen Menſchen nicht durchſchauete, und eine Zeitlang mit ihm in Ver¬ traulichkeit lebte! Nie ſtanden zwei Seelen ſo weit aus einander, und die Natur ſcheint Rouſſeau und Grimm gleichzeitig geſchaffen zu haben, um darzu¬ thun, welche verſchiedenartige Talente ſie hat. Merk¬ würdig bleibt es immer, daß ſo ein deutſcher blöder Pfarrersſohn, der im gepuderten Leipzig ſtudirt hatte, ſich unter den kühnen und glänzenden Geiſtern des damaligen Paris bemerkt machen, ja ſich auszeichnen konnte! Das kam aber daher: der deutſche Junge war Hofmeiſter in adeligen Häuſern, wo man das Einmaleins, das unſerm Glücke oft im Wege ſtehet, leicht verlernet. Es macht dem deutſchen Adel Ehre, daß Grimm unter den franzöſiſchen Spitzbuben ſo213 ſchnell bis zu einem der Hauptmänner hinaufſtieg. Er begriff leicht, daß alles darauf ankomme, die Weiber zu gewinnen, und es gelang ihm mit einem Streiche. Er ſtellte ſich in eine ſchöne Schauſpie¬ lerin verliebt, die ihn abwies. Grimm legt ſich ins Bett und bekommt eine Art Starrkrampf. Er be¬ wegt ſich nicht, ſpricht nicht, ißt und trinkt nichts, außer wenige eingemachte Kirſchen, die er aber mit nicht ganz unſichtbarem Vergnügen herunter ſchluckt. Seine beſorgten Freunde, worunter auch Rouſſeau, umgeben ſein Bett. Einer derſelben beobachtete ängſtlich die Miene des Arztes, wie man es in ſol¬ chen Fällen gewöhnlich thut. Der Arzt ſagt, es hätte nichts zu bedeuten, und man ſah in lächeln, als er wegging. Eines Morgens ſtand Grimm auf, kleidete ſich an, und war geſund. Jetzt war ſein Glück gemacht. Er wurde als das Muſter treuer Liebe geprieſen. Seine Correſpondenz machte ihn reich, er ſtand mit einem Dutzend nordiſcher Fürſten und Fürſtinnen in Briefwechſel, die ſich die Früchte des franzöſiſchen Geiſtes, wie Apfelſinen, kommen und ſchmecken ließen. Er bekam einen großen Gehalt dafür. Uebrigens machte er auch noch für Privat¬ leute Abſchriften von den literariſchen Berichten, für ein Abonnement von 300 Fr. monatlich. Zweimal monatlich, den 1. und den 15., ſchrieb er ſolche Briefe, die gewöhnlich keinen Druckbogen groß ſind. 214Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände ſich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬ zeſſin, die mich auf ſolche Weiſe beſchäftigte und be¬ zahlte. Ich beneide den Grimm um dieſe Stellung. Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬ ſern Schriftſtellern? Den beſten Theil verſchlingen die Grundſteuern und Zehenten der Cenſur vorweg, und für das Uebrige wenig Geld und ſpäten Beifall, der uns kalt und abgeſtanden zukommt. Grimm war auch eine Zeitlang Frankfurter Geſandte mit 24,000 Franken Gehalt.

Die kindiſche Regierung hier hat wieder ein großes Stück Freiheit abgebiſſen; denn ſie kommt mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der Hand trägt, den es ſich vorgenommen, auf ſpäter zu verwahren. Erſt leckt es daran, ſeine Enthaltſamkeit zu prüfen; dann ſchält es ihn etwas dick mit den Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬ tion hat ſich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬ nommen. Die Regierung ſah dieſes als eine Sache an, die ſich von ſelbſt verſtände. Nun iſt es ſeitdem geſchehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, ſo viel Geld als möglich zu verdienen, als die beſte angeſehen haben. Um die Leute anzulocken, ſpielen ſie die Geſchichten gleichzeitiger Perſonen. Napoleon,215 Joſephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von Orleans, Benjamin Conſtant, ſie mußten alle auf die Bretter. Das war nun freilich oft unanſtändig. Allein, wenn das Geſetz ſogar Unanſtändigkeiten ver¬ bietet und beſtraft, was bleibt dann der Sittlichkeit und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der ſich ſelbſt durch jene Theater-Injurien, oder einen Angehörigen ſeiner Familie, oder das Andenken eines Verſtorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den Gerichten Hülfe zu ſuchen und die Regierung brauchte ſich nicht hinein zu miſchen. Auch wären nach einem Vierteljahre dieſe albernen Wachsfiguren-Komödien wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben. Jetzt haben die Miniſter ein Geſetz vorgelegt, dieſe Freiheit zu beſchränken. Zwar haben ſie nicht ge¬ wagt die Theater-Cenſur wieder einzuführen, doch ſind ſie dem heißen Brei ſo nahe als möglich ge¬ kommen. Wer ein neues Stück ſpielen läßt, muß es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Miniſter oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar die Aufführung auf keine Weiſe werden; wird es aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin vor (und jetzt wird die endloſe Reihe der Vergehun¬ gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer, gegen fremde Fürſten, gegen Privatperſonen), dann treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬216 fängniß, bis zu 10,000 Franken Geldſtrafe. Kurz, es iſt die Leute zu Grunde zu richten. Nachgeahmt oder auch nur kenntlich bezeichnet, darf Niemand mehr werden auf dem Theater. Es iſt zum Ver¬ zweifeln. Und jetzt gibt es dumme gute Leute ge¬ nug, hier wie bei uns, die gar nicht begreifen, was denn an einem ſo löblichen Geſetze zu tadeln ſei. Dieſe Menſchen ſehen nicht ein, daß ſolche hemmen¬ den Geſetze den Faſchinen gleichen. Anfänglich fließt das Waſſer frei durch, aber nach und nach führen Zeit und Arbeit ſo viel Sand und Erde herbei, daß endlich ein feſter Damm daraus wird. Und jetzt wird noch die Kammer kommen, die ſich darüber är¬ gert, daß ſie alle Tage im Odeon ausgeklatſcht wird, und wird das Geſetz noch ſtrenger machen. So wird eine Freiheit nach der andern zurückgedrängt, und ich glaube, daß bei unſern Machthabern viel Eitelkeit, ja mehr als böſer Wille dabei im Spiele iſt. Die Regierung, von bürgerlicher[Abſtammung] heraufgekommen, wie ſie iſt, will zeigen, daß ſie ſo gut zu regieren verſtehet, als die älteſte Regierung, und daß ſie das Volk im Zaum zu halten weiß. Die fremden Geſandten mögen wohl in freundſchaft¬ licher Unterhaltung die Miniſter necken, ſie ſtänden unter der Zucht des Volks. Dieſen wird dadurch der Ehrgeiz aufgeregt, ſie ſtellen ſich auf die Fu߬ ſpitze, und zeigen ihre Größe. Die fremden Höfe217 laſſen gewiß nicht ab, die franzöſiſche Regierung auf¬ zumuntern, ſtrenge Ordnung im Lande zu erhalten. Nicht etwa als nennten ſie das ſtrenge Ordnung, womit hier die Regierung ſich bis jetzt begnügte, und über die hinaus ſie wahrſcheinlich auch nicht ge¬ hen will in den Augen jener Höfe iſt das im¬ mer noch die greulichſte Anarchie; ſondern weil ſie hofft, das franzöſiſche Volk werde ſich das ewige Hofmeiſtern nicht gefallen laſſen, und es würde end¬ lich die Geduld verlieren und wieder losbrechen.

218

Geſtern war ich im italieniſchen Theater und habe die Malibran wieder geſehen. Aber entzückt wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was aber gar nicht unſere Schuld iſt, denn wir hatten gewiß beide den beſten Willen. Cenerentola von Roſſini wurde[gegeben]. Muſik bis auf einige Stücke, beſonders ein herrliches Sextett, ſehr matt und leer; das Gedicht langweilig, ſchwerfällig. Keine Spur von der Grazie und der Laune, die im Aſchen¬ brödel von Nicolo und Etienne herrſchen. Die Ma¬ libran ſang und ſpielte zwar gut, aber es war keine Roſine. Lablache ſpielte den Hofmann, welcher beide Schweſtern den Prinzen vorſtellt. Es iſt merkwür¬ dig was dieſer Mann ſpielt, merkwürdiger was er nicht ſpielt. Eine ſolche Entſagung iſt mir noch bei keinem Schauſpieler vorgekommen. Seinen Ge¬ ſang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle andere Sänger, die ich noch gehört, ſelbſt die gött¬ liche Malibran es bleibt doch immer ein Inſtru¬ ment, das ſie ſpielen. Sie und die Töne ſind ge¬ trennt, ſie bringen ſie hervor. Lablache aber iſt eins mit ſeinem Geſange, er iſt wie eine Singuhr, die einmal aufgezogen, von ſelbſt fortſingt. Den Abend hörte ich auch zum Erſtenmale zwei andere vortreffliche219 Sänger, Donzelli und Zuchelli. Ich ſage zum Erſtenmal, ob zwar der eine im Barbier den Gra¬ fen, der Andere den Bartholo machte. Aber ich hörte ſie damals nicht über die Malibran. Zuchelli, der hochmüthige Vater der eitlen Töchter, hat ein komiſches Duett mit Lablache, das Einen, der unter dem chirurgiſchen Meſſer ſchmachtet, zum Lachen bringen müßte. Welch ein Leben, welch ein hohes Mienenſpiel, was wird da nicht alles eingeſetzt! Ich hätte nicht geglaubt, daß das Menſchengeſicht ſo reich an Zügen wäre. So ein italieniſcher Bouffon iſt doch ganz anders, wie ein deutſcher oder franzöſi¬ ſcher. Letztere, ſelbſt in ihrer ausgelaſſenſten Laune, auch wenn ſie ſich der Fröhlichkeit noch ſo keck und unbedacht hingeben, verrathen doch eine verſteckte Aengſtlichkeit. Es iſt als hätten ſie ein böſes Ge¬ wiſſen, als fühlten ſie, daß ſie etwas Unrechtes, et¬ was Unſchickliches begingen, indem ſie ſo fröhlich ſind. Der Italiener aber hat den ächten katholiſchen Glauben, er ſündigt getroſt fort und verläßt ſich auf die Abſolution. Ich habe *** gefragt, wie ſich die Sontag zur Malibran verhalte? Er ſagte mir: Man dürfe die Sontag gar nicht nach dem beurthei¬ len, was ſie war, ehe ſie nach Frankreich gekom¬ men; ſie habe ſich in Paris ungemein entwickelt und ausgebildet. Es iſt ſchade, daß ſie nicht alle ihre deutſchen Bewunderer mit ſich hieher geführt, damit220 ſie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz zuwider, wegen der mir verhaßten Anbetung, die ſie in Deutſchland gefunden hat. Dort haben ſie eine hohe Obrigkeit aus ihr gemacht, und man weiß doch, was das heißt eine hohe Obrigkeit iſt dem Deutſchen eine höchſte Gottheit. Hier iſt das ganz anders. Sie haben es früher ſelbſt geſehen, welcher Aufregung die Franzoſen im Theater fähig ſind. Es iſt nicht blos wie bei den Deutſchen ein Toben mit dem Körper, ein Klatſchen, ein Schreien, es iſt ein inneres Kochen, ein Seelenſturm, der nicht mehr zurückgehalten werden kann, und endlich losbricht. Aber wenn der Vorhang fällt, iſt alles aus. Man verehrt keine Sängerin wie eine Königin, man betet ſie nicht wie eine Heilige an. In keiner Geſellſchaft hier werden Sie je vom Theater ſprechen hören, in Berlin nie ein Wort von etwas Anderm. Die italieniſche Oper hier mögen viele Kenner, wenigſtens viele geübte Dilettanten beſuchen. Man merkt die¬ ſes bei der Aufführung bald an der Sicherheit und Beſtimmtheit des Urtheils. Manchmal brach ein Beifallsgemurmel aus, manchmal that ſich ein ta¬ delndes Stillſchweigen kund, ohne daß ich entdeckte, was die Veranlaſſung zu dieſem und jenem war. Und dieſe entſcheidenden Kenner ſchienen mir ſehr ſtreng zu ſeyn. Im Orcheſter (was man hier ſo nennt, die erſten Reihen der Parterre-Sitze) bemerkte221 ich einige muſikaliſche Grauköpfe, die gewohnt da ſaßen, als wären ſie in ihrem Schlafzimmer. Sie horchten ernſt und ſtreng auf, als wären ſie Ge¬ ſchworne bei den Aſſiſen. Sie kamen mir wie In¬ validen vor, die noch den muſikaliſchen Krieg zwi¬ ſchen den Italienern und Franzoſen mitgemacht. Jene ganze Zeit, Rouſſeau ſchwebte mir vor, ich ſah nach der Ecke der Königin! und in dem Sturme jener Zeit, der in meiner Erinnerung lebte, ging mir eine ganze Arie zu Grunde.

Mit Niebuhr mag es ſich wirklich ſo verhalten, wie die preußiſche Staats-Zeitung erzählt. Das hat aber die preußiſche Staats-Zeitung weislich ver¬ ſchwiegen, daß Niebuhrs Gram daher floß, weil er die Gefahren vorausſah, welchem der preußiſche Staat entgegen eile. Die Wahnſinnigen in Deutſch¬ land ſie eilen dem Abgrunde entgegen. Schon vor einigen Monaten erzählte mir ein Bekannter hier, der entweder ſelbſt mit Niebuhr, oder doch mit deſ¬ ſen vertrauten Freunden in Verbindung ſtehet: dieſer gelehrte Mann wäre ſeit der franzöſiſchen Revolu¬ tion in brütenden Gram verſunken und ganz aus dem Häuschen. Aber eine Seele, die in einem Häuschen wohnte, die konnte nicht ſehr groß ſeyn. Heute Abend auf den Ball. Ich erwarte den Fri¬ ſeur. Ich laſſe mich à la Franz Moor friſiren. Der Ball wird ſo glänzend wie der im vorigen222 Jahre. Ich werde Ihnen alles genau beſchreiben. In Heſſen gehet es gut. Vorwärts, Kinder! die Göttinger Bibliothek verbrennen! Es iſt ein erha¬ bener Gedanke! Das hat Gott herabgerufen! Eine halbe Million Bücher weniger, das kann die Deut¬ ſchen weiſer machen! Es lebe die Freiheit!

[223]

Acht und zwanzigſter Brief.

Sie warten gewiß ſchon dieſe vier Tage lang auf eine herrliche Beſchreibung des Opernballes; aber kehren Sie nur gleich um. Ich weiß von dem Balle nicht mehr, als jeder Fürſt von ſeinem Lande; denn ich habe ihn nur von oben herab geſehen. Nun, ich bin da geweſen, und bin noch da. Das iſt das Wunder! Der Ball ſcheint nur eingerichtet worden zu ſeyn, um zu zeigen, wie wenig Raum und Luft ein Menſch braucht um zu leben. Das nennen ſie ein Vergnügen! Wenn ich einmal einen Criminal-Codex mache, würde ich die ſchweren Ver¬ brecher verurtheilen, dreißig Nächte hinter einander auf ſolchen Bällen zuzubringen. Nach den beſten224 mediciniſchen und chirurgiſchen Handbüchern hätten von den Anweſenden 7000 Menſchen 2000 erſticken, 2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tauſend mehr oder weniger krank werden müſſen. Doch von dem allen iſt nichts geſchehen, und die 7000 leben ſämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft als in einem Sarge. Die Franzoſen müſſen mit Springfedern[gefüttert] ſeyn. Aber es iſt wahr, der Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬ chen aus Tauſend und eine Nacht. Dieſer ſonnen¬ helle Lichterglanz, dieſes ſtrahlende Farbengemiſch von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬ ſtall und Blumen, und das Alles mit ſo viel Sinn und Kunſt angeordnet, daß es das Auge erquickte und nicht blendete, und die Muſik dazwiſchen, wie hinein geſtickt in den großen Teppich, eins damit es war zu ſchön. Das Parterre verlängert durch die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen die Damen ſaßen, oder hinter Baluſtraden an den Wänden herum. Zwiſchen ſchmalen Gaſſen bewegten ſich die dunkeln Männer, oder (ſollte ich ſagen) zog der Mann; denn ſie waren alle wie zuſammen¬225 gewachſen. Und jetzt vom Boden an aufwärts, ſaßen die Frauenzimmer in ungeheuren Kreiſen im¬ mer höher übereinander, in den Logenreihen, bis hin¬ auf zur Decke, wo ſonſt nur das letzte Volk ſitzt. Die einzelnen Bewegungen waren unerkennbar, der Menſch verlor ſich in eine Sache, das Leben ward zum Gemälde. Aus der Mittelreihe der Logen ſah ich hinab, hinauf, umher, aber der Anblick von unten vom Hintergrunde des Theaters zumal, muß noch viel ſchöner geweſen ſeyn. Ich konnte nicht hinein dringen, und mich, wie die Andern hinein drängen zu laſſen, das wagte ich nicht. Der große Foyer der Oper war gleich herrlich wie das Theater ſelbſt beleuchtet und ausgeſchmückt. Da wurde auch ge¬ tanzt. Da ſammelte ſich alles, was Theater und Logen nicht faſſen konnten, und was überſtrömte. Corridor und Treppen, ſonſt[nur] beſtimmt durch zu gehen, hinauf und hinab zu ſteigen, dienten zum blei¬ benden Aufenthalte und waren ſo gedrängt voll Men¬ ſchen wie der Saal ſelbſt.

Unten beim Eingange wurde man von einem Muſikchore empfangen; die Treppen waren mit gro¬ ßen Spiegeln und Blumen geſchmückt, der Boden mit Teppichen belegt. Durch zwei Reihen National-Gar¬ diſten ſtieg man hinauf. An mehreren Orten waren Büffets eingerichtet. Erfriſchungen aller Art im reich¬I. 15226ſten Ueberfluſſe. Das koſtete nichts, das war mit dem Billet zugleich bezahlt. Königliche Diener ſer¬ virten auf dem Silbergeſchirre des Königs. Am Büf¬ fet unterhielt ich mich ſehr. Da ſtand ich oft und lange; nicht um zu genießen, ſondern in den reinſten Abſichten, nehmlich um reine Luft einzuathmen. Von den Büffets führten offenſtehende Thüren zu zwei Balkons nach der Straße, die nur mit Zelttuch be¬ deckt waren, und zur Küche dienten. Da und nur da allein im ganzen Hauſe, konnte man frei athmen. Das Schauſpiel bei den Büffets war auch ohne dies ergötzlich. Es iſt doch etwas Erhabenes, eine ſo große Menſchenmenge eſſen und trinken zu ſehen! Hohe Berge von Kuchen, Torten, Confitüren, Früch¬ ten; Ströme von Limonade, Himbeerſaft, Orgeade; ganze Schollen von Eis das war in einer Mi¬ nute wie verſchwunden, man wußte nicht wo es hin¬ gekommen, es war wie eine Taſchenſpielerei. Augen¬ blicklich wurde alles wieder erſetzt, erneuert und augenblicklich war alles wieder verſchwunden, und ſo immer fort, und alles in den kleinen Mund hinein! Ich ſah, wie ein Offizier der Nationalgarde ſeinen kriegeriſchen Muth zeigte, indem er ſeinen Säbel zog, und damit eine ungeheure Torte zuſammen hieb. Er hörte nicht eher auf mit hauen und verſchlingen, bis er das Gebiet ſeines Körpers erweitert hatte. Das227 nennt aber ein Franzoſe nicht erobern, ſondern ſeine natürliche Grenze wieder bekommen. Und ſo werden ſie nächſtens das ſüße Belgien anſchneiden, und den Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous ne la craignons pas Das heißt: wir lieben den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet, weil wir noch nicht gerüſtet waren.

Die Ordnung auf dem Balle war muſterhaft, es war ein Meiſterſtück von Polizei. Es waren ſo¬ gar zwei allerliebſte kleine Feldſpitäler eingerichtet, beſtimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, friſches Waſ¬ ſer, alle möglichen Salze und riechenden Sachen, Scheeren zum Aufſchneiden der Corſetts, Eſſig, Ci¬ tronen, kurz alles,[was] man braucht, um Weiber wieder zur Beſinnung zu bringen. In jedem Spi¬ tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬ len Geheimniſſen weiblicher Ohnmacht; draußen ein Thürſteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld geſehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wiſſen ſollen, daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬ macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬15 *228niglichen Familie waren auch anweſend. Ich ſah ſie zum Erſtenmale ganz in der Nähe. Die jungen Prinzen ſehr charmant. Wären ſie nur legitim ge¬ weſen, ich hätte ſie küſſen mögen. Sie wurden mit lauter und herzlicher Liebe empfangen. Ich war auf dem Vorplatze und hörte auch den Jubel von innen heraus. Es ſoll ein ganz herrlicher Anblick geweſen ſein, wie beim Eintritte des Königs alle die vielen Tauſend Menſchen ſich von ihren Sitzen erhoben und ihn begrüßten. Dieſes Eine nicht geſehen zu haben, that mir am meiſten leid. Um Mitternacht lag ich ſchon im Bette, ganz herzlich froh, daß mein Ver¬ gnügen ein Ende hatte, und die armen Menſchen be¬ jammernd, die noch auf dem Balle waren. Die Hitze war zum Erſticken. Lieber in einer arabiſchen Sandwüſte weilen, wo man doch wenigſtens nicht den verdorbenen Athem anderer Menſchenn einzuhauchen braucht. Ich habe ſo viele franzöſiſche Luft einge¬ ſogen, daß ich begierig bin, was es für Folgen haben, und welche Veränderung es in meiner deutſchen Na¬ tur hervorbringen wird. Ich wollte, ein Aroſtat hinge mir ein Schiffchen an die Beine und verſuchte mich. Um halb acht Uhr Morgens fuhren die letzten Wagen fort. Ich habe kleine Berechnungen angeſtellt, wie viel ein ſolcher Ball koſtet, und wie viel Geld er in Umlauf bringt. In Paris gehet alles gleich in's Große229 und die kleinſte Ausgabe eines Einzelnen, wird für die Menge ein hohes Budget. 7000 Billets wurden verkauft zu 20 Fr. Außerdem gab die königliche Familie 8000 Fr. für ihren Eintritt, und mehrere Privatleute haben ihre Billets mit 1000 Fr. bezahlt. 7000 Paar Handſchuhe zu 50 Sous im Durchſchnitt, machen 17,500 Fr., 2500 Weiber (ſo viele waren auf dem Balle) zu friſiren, der Kopf im Durchſchnitt zu 4 Fr. 10,000 Fr., 2500 Paar Schuhe zu 4 Fr. macht 10,000 Fr., Miethkutſchen hin und her we¬ nigſtens 16,000 Fr., das bisherige allein macht ſchon über 200,000 Fr., und jetzt dazu gerechnet, was Damen und Herren an andern Putzſachen und Kleidern verwendet haben! Auf dem Balle habe ich auch zum Erſtenmale alle Figuren des Frankfurter Mode-Journals (nur mit ſchönern Geſichtern) lebend geſehen. Ach, was für ſchöne Kleider! Ich wollte, ich wäre eine Putzmacherin, um Ihnen das alles be¬ ſchreiben zu können. Beſonders habe ich ein Kleid bemerkt, gemacht ich weiß nicht wie, von einer Farbe die ich vergeſſen und darüber einen Kopfputz den ich nicht verſtanden Sie werden mich ſchon verſtehen aber das war einzig! Doch habe ich auch Putz¬ werke geſehen, ſinn - und geſchmacklos und ſo klein¬ ſtädtiſch, als kämen ſie aus Friedberg. Das mögen wohl Bürgersweiber und Bürgerstöchter aus dem230 Marais und der Rüe St. Denis geweſen ſeyn, die reich ſind aber nicht an Geſchmack. Auch erinnere ich mich, nie auf deutſchen Bällen ſo viele alte hä߬ liche, ja mißgeſtaltete Weiber geſehen zu haben, die ſich ſo unverſchämt jung und ſchön gekleidet hätten, als ich hier ſah.

About this transcription

TextBriefe aus Paris
Author Ludwig Börne
Extent249 images; 39840 tokens; 8407 types; 269369 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe aus Paris Erster Theil Ludwig Börne. . VIII, 319 S. Hoffmann und CampeHamburg1832.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 50 MA 26861-9/10http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=502995424

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:09Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 50 MA 26861-9/10
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