PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Briefe aus Paris
1830 1831.
Zweiter Theil.
[II][III]
Geſammelte Schriften
Zehnter Theil.
Hamburg. BeiHoffmann und Campe. 1832.
[IV][V]
Briefe aus Paris
1830 1831
Zweiter Theil.
Hamburg. BeiHoffmann und Campe. 1832.
[VI][VII]

Inhalt.

  • Neun und zwanzigſter BriefSeite 1
  • Dreißigſter Brief 11
  • Ein und dreißigſter Brief 22
  • Zwei und dreißigſter Brief 35
  • Drei und dreißigſter Brief 45
  • Vier und dreißigſter Brief 53
  • Fünf und dreißigſter Brief 68
  • Sechs und dreißigſter Brief 81
  • Sieben und dreißigſter Brief 91
  • Acht und dreißigſter Brief 105
  • Neun und dreißigſter Brief 113
  • Vierzigſter Brief 121
  • Ein und vierzigſter Brief 135
  • Zwei und vierzigſter Brief 147
  • VIII
  • Drei und vierzigſter BriefSeite 159
  • Vier und vierzigſter Brief 177
  • Fünf und vierzigſter Brief 191
  • Sechs und vierzigſter Brief 202
  • Sieben und vierzigſter Brief 207
  • Acht und vierzigſter Brief 222
[1]

Neun und zwanzigſter Brief.

In dieſen Tagen wird das Schickſal Belgiens entſchieden ſeyn. So eine lächerliche Thron-Verſtei¬ gerung iſt mir noch nicht vorgekommen. Daß es Fürſtenſöhne giebt, die um dieſe Krone betteln! Lieber ſtreckte ich meine Hand nach einem Sou aus. Betteln um eine Krone! Jupiters Donner als Al¬ moſen empfangen! Eine Krone muß man rauben, oder ſie annehmen aus Barmherzigkeit. Frankreich wird Belgien ganz gewiß bekommen, oder doch den größten Theil davon. Das ließ ſich vorher ſehen. Die große Verwirrung, welche beim belgiſchen Con¬ greſſe herrſchte, hatte ſo viel Methode, daß man wohl merkte, daß alles verabredet war. FrankreichII. 12wird nie zugeben, daß der kleine Beauharnois König von Belgien wird, und ich gebe es noch weniger zu. Behüte mich Gott! Mir iſt nichts verhaßter, denn nichts iſt verderblicher, als dieſe Miſchung von Buonapartiſchem und deutſchem Blute. Frankreich hat das erfahren unter Napoleon, hatte aber das Glück, früher unglücklich als ſchuldig zu werden. Was! einen König, der ſein Volk verwundete und vergiftete zugleich, zugleich Sklaverei und Dienſtbar¬ keit über es brächte? Dieſe beiden Uebel waren doch bis jetzt in keinem Staate vereinigt. Die Spanier, Italiener, Ruſſen und Andere ſind Sklaven; die Völker deutſcher Zunge ſind Bediente. Aber Skla¬ verei macht nur unglücklich, entwürdigt nicht, doch Dienſtbarkeit erniedrigt. Lieber einen Don Miguel zum Herrn haben, als einen ſogenanten milden und gerechten deutſchen Fürſten. Man ehrt doch noch die Kraft, indem man ſie fürchtet, ihr Feſſeln anlegt; wir zahmen Hausthiere aber dürfen frei umhergehen, weil man recht wohl weiß, daß wir jeden Abend in den Stall zurückkehren, und zu jeder Tageszeit kom¬ men, ſobald man uns pfeift. Laſſen Sie ſo einem Schafe einmal in den Sinn kommen, den Löwen zu ſpielen, und Sie werden ſehen, wie der milde und gerechte Hirt zum Tiger wird. Die weiche Nach¬ giebigkeit macht ſelbſt eine Kanonenkugel mild; ſie3 dringt durch Stein und Eiſen und bleibt in einem Miſthaufen ſtecken. Nichts erwarte ich von dieſer Schafheerde. Was wir in den letzten Zeiten geſehen, das war die bekannte Drehkrankheit. Woher kommt dieſer Lakaien-Charakter der Deutſchen? Ich weiß es nicht; aber ſie waren immer ſo geweſen. Man glaubt, das Volk ſtamme aus Aſien. Vielleicht wa¬ ren ſie dort eine Art Paria-Kaſte, die es endlich nicht mehr aushalten konnte und wegzog. Aber der Hund, der ſich von der Kette losreißt, bleibt immer Hund, er wechſelt nur den Herrn. Die alten Deutſchen waren zwar freier, aber nicht frei geſinnter als die heutigen. Wer nicht viel hat, kann nicht viel be¬ ſteuert werden, und die alten Deutſchen waren rohe Wilde; ohne leiblichen, ohne geiſtigen Beſitz. Aber was ſie hatten, gaben ſie immer hin für ihre An¬ führer, die ſie freiwillig ſuchten. Sie lebten und ſtarben für ſie, und zu Hauſe verwürfelten ſie ihren eignen Leib, wenn ſie kein Geld mehr zu verlieren hatten. Dienſtbarkeit, Trunkenheit, Spielſucht, das ſind die Tugenden unſerer Ahnen. Ich erinnere mich aus meinen Schuljahren eines Deklamations-Gedichts, das fing ſo an: Die alten Deutſchen waren nicht ſchmeidig wie der Aal doch Löwen in Gefahren und Lämmer beim Pokal. Geſchmeidig ſind wir noch heute nicht; Löwen ſind wir noch in Ge¬1*4fahren, aber nur nicht in unſeren eigenen, und Läm¬ mer ſind wir das ganze Jahr, nur nicht beim Po¬ kal. Da ſind wir grob, und wenn das ganze deut¬ ſche Volk nur einmal vier Wochen hintereinander betrunken wäre, oder wenn es eben ſo lange nichts zu eſſen hätte, da ließe ſich vielleicht etwas mit ihm anfangen.

5

Das muß einen ganz eignen Grund haben, daß Sie geſtern nicht hier waren, daß Sie nicht den Othello und die Malibran als Desdemona gehört haben! So hart iſt doch Gott ſonſt nicht gegen ſeine guten Kinder. Sie, die Sie das Alles mit hundert Lippen einſaugen, mit hundert Seelen emp¬ finden! Wie wäre Ihnen geworden, da es ſchon mich in ſolche Bewegung ſetzte! War es doch, als wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf wel¬ cher Engel ſpielten das Ohr horchte nach Innen. So klagen die Seligen, wenn ſie Schmerzen haben! So ſtürmen die Götter, wenn ſie zornig ſind, gegen Unſterbliche wie ſie. So weinen, lächeln, lieben, bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelen¬ angſt klammerte ich mich an die irdiſchen Worte feſt, damit ich nur den Boden nicht verlor, und von den Geiſtertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran, die hat Gott beurkundet mit der Unterſchrift ſeiner Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war wie eine Blumenflur von allen milden und ſtolzen, ſtillen und hohen, ſüßen und bittern Gefühlen des Menſchen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlge¬6 rüchen und alle Betäubungen der mannigfachen Blu¬ men. Dieſes Weinen, dieſes Weinen ohne Thränen, habe ich nie geſehen, möchte ich nie ſehen im Leben. Als ihre Thränen zu fließen anfingen, war mir die Bruſt wie erleichtert. Hat die Liebe ſo viel ſüße Schmeichelei, kann der Schmerz ſo edel ſeyn, durch¬ bohrt Verachtung ſo tief, kann der Zorn ſo erhaben, der Schrecken ſo erſchrecklich, die Bitte ſo rührend ſeyn? Ich wußte das Alles nicht. Fragen Sie mich: hat ſie das geſprochen, geſungen, mit Geber¬ den ſo dargeſtellt? Ich weiß es nicht. Es war Alles verſchmolzen. Sie ſang nicht blos mit dem Munde, alle Glieder ihres Körpers ſangen. Die Töne ſprühten wie Funken aus ihren Augen, aus ihren Fingern hervor, ſie floſſen von ihren Haaren herab. Sie ſang noch, wenn ſie ſchwieg. Ich habe mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren, daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und Licht mehr Acht geben.

Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aus¬ halten können, ſtände nicht zum Glücke ein kleiner Hanswurſt hinter meinem Herzen auf beſtändiger Lauer, der immer mit ſeinen Späßen hervortritt, ſo¬ bald das Herz zu betrübt und ernſt wird. Als die Scene kam, wo Othello Desdemonen den Tod ankündigt, und dieſe, ehe ſie niederſank und ſich dem7 Dolche hingab, ſich in die Wolken erhob, und wie ein Sturmwind die ganze Welt der Leidenſchaften umbrauſte, Liebe, Haß, Zorn, Schrecken, Spott, Trotz, Verachtung, und dann wieder zur Liebe kam, und noch einmal Alles umkreiſte da wurde mir heiß am ganzen Körper. Ein vernünftiger Menſch hätte ruhig fortgeſchwitzt und ſich nicht ſtören laſſen; aber ein Philoſoph, wie ich, will durchaus wiſſen, warum er denn eigentlich ſchwitzt. Und ich wußte es nicht; denn ich hatte aus der Pſychologie vergeſſen, welche Leidenſchaft, welche Gemüthsbewegung den Menſchen in Schweiß bringt. Da fiel mir ein, in Goethe's Leben geleſen zu haben, wie in der Schlacht von Valmy, zwar in beſcheidener Entfernung vom Schlachtfelde, doch nahe genug, daß er den Kanonen¬ donner hören konnte, dem Dichter ganz heiß gewor¬ den war, wie mir im Othello. Daraus ſchloß ich denn, daß es die Furcht ſei, die den Menſchen ſchwitzen mache. Darüber mußte ich lachen und das erleichterte mir das ſchwere Herz. Und als darauf die Malibran herausgerufen worden und erſchien, und ich ſah, daß Alles nur Spiel geweſen, ging ich froh nach Hauſe, und ſegnete die Künſtlerin, die Gott ſo geſegnet. Shakeſpeare's Othello, wie ihn der italieniſche Operntext zugerichtet, iſt dumm bis zur Genialität. Man hat ſeine Luſt daran. Die8 Muſik ſcheint mir noch das Beſte, was Roſſini ge¬ macht. Uebrigens bekümmerte ich mich nicht darum, und ich glaube die Malibran auch nicht. Was aber die Weiber ſchwache Nerven haben, wenn ſie nicht präparirt ſind! Dieſe Malibran, die doch den gan¬ zen Abend ſo unerſchrocken durch Waſſer und Feuer ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken ich ſah ſie vor Schrecken zuſammenfahren wie ein Schäfchen, als einmal hinter den Couliſſen etwas wie ein Leuchter von der Decke herabſtürzte! .. Es Ihnen proſaiſch zu wiederholen: die Malibran iſt die größte Schauſpielerin, die ich je geſehen. In der heftigſten Bewegung zeigte ſie jene wahre antike Ruhe, die wir an den griechiſchen Tragödien bewun¬ dern, und welche wahrſcheinlich auch die Schauſpie¬ ler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes ſich bewußt, ſpielt ſie auch mit einer Kühnheit, die eine Andere ſich nicht erlauben dürfte. Sie klam¬ merte ſich flehend an den Mantel des wüthenden Othello oder ihres erzürnten Vaters, ſie umſchnürt ihre Hände mit den Falten des Kleides, ſie zerrt daran eine Linie weiter und es wäre lächerlich, es ſähe aus, als wolle ſie ihnen die Kleider vom Leibe reißen; aber ſie überſchreitet dieſe Linie nicht und ſie iſt erhaben. Und ihr Geſang! Gibt es denn mehr als eine Art, darf man den anders ſin¬9 gen? Spricht man im Himmel auch verſchiedene Dialekte? Nun, dann hat ſie hoch himmliſch ge¬ ſungen, meißniſch, und die Andern ſingen platt himmliſch. Sie ſehen, ich kann auch ein Narr ſeyn zu meinem Glücke nur ein proſaiſcher, denn ich kann keine Verſe machen Ich gehe nächſtens ein¬ mal in die große franzöſiſche Oper, und das wird mich wieder heilen.

Nächſtens gibt man zum Beſten der Polen ein großes Concert. Die erſten Künſtler und Künſt¬ lerinnen nehmen daran Theil. Eine Dame von Stande aus Brüſſel, bewunderte Harfenſpielerin in ihrer Stadt, wird die Reiſe nach Paris machen, ihre ſchöne Kunſt zur ſchönſten Beſtimmung zu ver¬ wenden. Dieſer edlen Frau verzeihe ich alle ihre Ahnen. Auch werden, zu gleichem Zwecke, in allen Theilen der Stadt Bälle gegeben werden. Eine pol¬ niſche Kommiſſion hat ſich gebildet, an deren Spitze Lafayette ſteht. Unter den Mitgliedern ſind auch Delavigne und Hugo. Dieſe wollen durch Gedichte begeiſtern. Der Referendar Simrock in Berlin wird ſich hüten, ſich das zweite Mal zu verbrennen; der beſingt die polniſchen Farben gewiß nicht. .... Hat man in Frankfurt auch die jüdiſch-polniſche Zeitung, deren erſte Nummer hier angekommen iſt? Sie wird von Rabbinern geſchrieben und es werden darin alle10 jüdiſchen Glaubensgenoſſen aufgefordert, mit Geld beizuſtehn. Unſere deutſchen adligen Juden, die auf Du und Du mit allen Miniſtern und fürſtlichen Maitreſſen ſind und darum auf Ehre halten, werden lachen über die Zumuthung jener polniſchen Canaillen und ſich um die ſtinkenden Polen und ihre ſtinkende Freiheit wenig bekümmern.

[11]

Dreißigſter Brief.

Sie fragen mich: ob denn die heſſiſche Con¬ ſtitution wirklich ſo gar arg wäre, als ich behauptet? Was arg! Das iſt das Wort gar nicht. Es iſt die unverſchämteſte Prellerei, die mir je vorgekommen. Die Erzjuden hier auf den Boulevards, wenn ſie ſie läſen, würden mit Neid ausrufen: nein, das können wir nicht! Gewährte die Conſtitution noch ſo wenig oder auch gar nichts von dem, was heute die Völker von einer erwarten, dagegen ließe ſich nichts ſagen. Die Freiheit wurde von einem Für¬ ſten nie geſchenkt noch verkauft; ein Volk, das ſie haben will, muß ſie rauben. Dem Geduldigen gibt man nichts, dem Drohenden wenig, dem Gewalt¬12 thätigen Alles. Die Heſſen haben nur etwas ge¬ droht. Aber dieſe Conſtitution iſt eine Betrügerei, man hat das ſchlechte Zeug gelb gemacht, daß man es für Gold halte, und ſo dumm iſt unſer Volk, daß unter hundert Käufern nur Einer merkt, daß er be¬ trogen worden. Was iſt das für eine Conſtitution, die den Satz enthält: Das Briefgeheimniß iſt unverletzlich, für nöthig hält ausdrücklich zu er¬ klären, die Regierung dürfe keine ſchlechten Streiche machen? Es heißt: Die Preſſe iſt vollkommen frei, ausgenommen, wo ſie die deutſche Bundes - Verſammlung beſchränkt; die deutſche Bundes-Ver¬ ſammlung aber hat ſie in allem beſchränkt. Es heißt: Alle Religionen ſind gleich vor dem Ge¬ ſetze, und gleich darauf: die Rechte der Juden werden unter den Schutz der Conſtitution geſtellt. Das heißt: Einem, der in Ketten liegt, zu ſeiner Beruhigung eine Wache zur Seite ſtellen, damit ihm ja Niemand ſeine Ketten ſtehle! Die Ju¬ den haben es jetzt viel ſchlimmer, als vorher. Frü¬ her konnte doch der Fürſt die Rechte der Juden er¬ weitern, ſie den übrigen Staatsbürgern ganz gleich ſtellen. Jetzt kann er aber das nicht mehr, da der rechtloſe Zuſtand der Juden unter dem Schutze der Conſtitution ſtehet, die von dem Fürſten nicht über¬ treten werden kann. Und ſo die Wahlen, ſo Alles. 13In der ganzen Conſtitution ſind die Rechte zwiſchen Regierung und Volk ſo getheilt, wie jener Jude mit einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬ ſchaftlich gemietheten Pferdes theilte: Eine Stunde reite ich und du gehſt, die andere Stunde geheſt du und ich reite.

Warum wundert Sie, daß es dem *** in Wien gefallen, und warum wundert das ihn ſelbſt? Wien iſt ein ganz hübſcher Ort und ich möchte wohl dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre und kein magerer Caſſius. Wenn er ſagt, er habe es dort ganz anders und beſſer gefunden, als er erwartet, ſo iſt das ſeine Schuld; er hat falſch ge¬ ſucht und falſch gefunden. Er glaubte wahrſcheinlich, in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von Politik ſpräche, und man fände dort keine anderen Bücher als Koch - und Gebetbücher. Aber ſo iſt es nicht. Campe ſchrieb mir neulich, daß meine Schrif¬ ten in Oeſterreich am meiſten Abgang hätten. Das muß aber Keinen irre machen. *** ließ ſich täu¬ ſchen, wie ſich die Wiener ſelbſt täuſchen laſſen, Die glauben auch, daß ſie ſich eine Freiheit nehmen, die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber dieſe klug genug iſt, ſich anzuſtellen, als ließ ſie ſie nehmen, weil ſie weiß, daß verbotene Früchte am14 ſüßeſten ſchmecken. Der öſterreichiſche Staat iſt eine ſeelenloſe Dampfmaſchine, aber keine mit hohem Drucke. Sie wiſſen dort genau zu berechnen; wie weit man es treiben darf, ohne daß der Keſſel platze, und laſſen darum zuweilen Rauch aus dem Schorn¬ ſteine nach oben, in den höhern Ständen, in der Reſidenz; nach unten nie.

Ich habe herzlich darüber lachen müſſen, daß die hannövriſchen Soldaten beim Einzuge in Göttingen den Marſeiller Marſch geſpielt. Ich glaube, die Spitzbuben haben das mit Bedacht gethan. Sie wollten ſich wohl über die Revolutionairs luſtig machen. Vielleicht war es auch Gutmüthigkeit. Sie dachten, da habt ihr euern Marſeiller Marſch, ihr wollt ja nicht mehr. Und[vielleicht] wollten ſie wirk¬ lich nicht mehr. Haben Sie aber auch die Unter¬ würfigkeits-Akte der Stadt Göttingen geleſen, den Brief, den ſie an den General geſchrieben. Das iſt zu ſchön. Vor lauter Demuth und Zerknirſchung wiſſen ſie nicht genug Hochgeburt und Hochwohl¬ geburt aufzutreiben. Sie kriechen unter die Erde. So iſt der gute Deutſche! Wenn einmal ein müder Bürger ſeinen ſchweren Bündel Unterthänigkeit ab¬ wirft, gleich hebt ihn ſein Nachbar auf, und hockt die Laſt zu ſeiner eigenen. Und in dieſes Land ſoll ich15 zurückkehren! Hätten ſie nur wenigſtens eine italieni¬ ſche Oper wie hier! Aber keine Freiheit und keine Malibran, keinen Styx und keinen Lethe!

Ich ſchrieb Ihnen neulich von einem Ge¬ mälde, die Schlachttage im Juli darſtellend, das ich geſehen. Da war aber doch mehr der Stoff, der mir Freude gemacht, die Phantaſie mußte ſich das Uebrige erſt ſelbſt verſchaffen; denn Vieles fehlte, das Gemälde hatte keinen großen Kunſtwerth. Jetzt iſt aber im Diorama ein Gemälde gleicher Art aufge¬ ſtellt, das alles ſelbſt leiſtet und von der Phantaſie nichts fordert. Die Vertheidigung und Eroberung des Stadthauſes wird vorgeſtellt, und die Täuſchung iſt auf das Höchſte getrieben. Es iſt ganz ein Schlachtfeld, nur ohne Gefahr. Die Sonne liegt heiß auf dem Pflaſter und brennt auf dem Geſichte der Streitenden. Die Luft iſt ſo rein, daß man durch den zarten Pulverdampf ſiehet. Menſchen und Pferde bluten und verbluten. In der Mitte des Platzes ſiehet man einen Zögling der polytechni¬ ſchen Schule, in der linken Hand die dreifarbige Fahne, in der rechten den Degen haltend. Er ſte¬ het mit dem linken Fuße auf einer Kiſte, mit dem rechten auf einem höheren Faſſe, und iſt eben im Begriffe, ſich hinauf zu ſchwingen, um oben die16 Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatraliſche¬ res als dieſe Stellung, und doch hat ſie der Maler gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben es die Franzoſen gut, daß ſie vermögen mit jeder Großthat im weiten Felde zugleich das Drama zu dichten, das jene Großthat im engen Felde darſtellt. Sie ſind zugleich Helden und Schauſpieler. Man ſiehet es ganz deutlich an dieſem Jünglinge mit der Fahne, wie er ſeiner Kühnheit und ſeiner theatrali¬ ſchen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere ſchöne Gruppe zeichnete ſich aus. Ein Mann aus dem Volke, Bruſt und Schultern nackt, kniet auf die Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hin¬ ſinkenden Knaben haltend, die linke Fauſt gegen die hintenſtehenden Soldaten ballend, die den Knaben wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hau¬ ſes liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mit¬ ten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer uner¬ ſchrocken weilen, um den Verwundeten beizuſtehen, hat mich weniger gewundert, (ſie trieb das Mitleid) als daß andere ohne Furcht zu den Fenſtern hinaus ſehen. Im Hintergrunde, am Waſſer, ſtehen die königlichen Soldaten. Jenſeits ſchießen die Studen¬ ten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder gute Röcke geſucht, vornehme und reiche Leute, die mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wäh¬17 ler ſeyn können ich habe aber Keine gefunden. Ich will den Herren nicht Unrecht thun, vielleicht hatten ſie an jenen Tagen, ihre guten Kleider zu ſchonen, dieſe zu Hauſe gelaſſen und ſchlechte Röcke für die Schlacht angezogen. Aber auch die Hemden waren ſchwarz und grob; haben ſie die auch ge¬ wechſelt?

II. 218

So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬ kabinette vergnügt, weil ich mich geärgert habe. So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein; denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben; die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn; Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬ legen iſt das merkt und berechnet man in der Leidenſchaft nicht ſondern wenn uns der Gegner, entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen. Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier, denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬ ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich19 mich über deutſches Treiben, weil ich dulden und ſchweigen muß. Nun, es war ein Artikel in der all¬ gemeinen Zeitung mit einem Kreiſe, der einen Mit¬ telpunkt hat, bezeichnet ſo: . Wahrſcheinlich hat das der Redakteur vorgeſetzt, um zu verſtehen zu geben, ſein Correſpondent habe das Schwarze in der Scheibe getroffen. Schon lange ſitze ich an der Wiege des guten lieben deutſchen Kindes, und warte, daß es einmal die Aeugelein aufſchlage. Endlich er¬ wacht es und greint ſanft wie ein Kätzchen. Jener Correſpodent macht einen Katzenbuckel und ſagt leiſe, leiſe: er müſſe ganz gehorſamſt bemerken, es wäre doch endlich einmal Zeit, auch ein deutſches Wort über Krieg und Frieden zu ſprechen, und er werde ſich die unterthänige Freiheit nehmen, dieſes zu thun, und auch, wenn man es ihm gnädigſt erlauben wolle, darauf hindeuten, wie unſer Vaterland in gegenwär¬ tige Angelegenheiten verwickelt ſei, und wie es ſich heraus wickeln könne. Ich machte große Augen und dachte: der Kerl hat Courage! Jetzt tappt er hin und her, herüber und hinüber, ſpricht im Allgemei¬ nen von jenem Staate, von dieſem Staate; der noch ungeleſene Theil des Artikels wird immer kürzer, die letzte Zeile rückt immer näher, und noch kein Wort von Deutſchland. Endlich kommt die letzte Zeile, und da ruft unſer Held: von Deutſch¬2*20land ein andermal! und läuft was er laufen kann. Ich ſpuckte ganz ſanft auf Deutſchland, die allgemeine Zeitung und den heroiſchen Artikel, und nahm den Aerger mit zu Tiſche. Aerger, in gelin¬ den Gaben genommen, das weiß ich aus Erfahrung, befördert die Verdauung ungemein.

21

Ueber die Briefe eines Verſtorbenen werde ich Ihnen meine Meinung ſagen, ſobald ich ſie fertig geleſen. ... Ich höre, das polniſche Manifeſt habe in Frankfurt nicht gedruckt werden dürfen. Der Frankfurter Bürgermeiſter und Anſtett haben Gott ein Bein geſtellt, das iſt doch recht un¬ artig.

[22]

Ein und dreißigſter Brief.

Ei! das Volk hat ja wieder einen König ge¬ macht; der Herzog von Nemours iſt in Belgien ge¬ wählt worden. Nürnberger Waare! Aber, warum nicht, ſo lange die Völker Kinder bleiben und Kin¬ derſpiele lieben? Dieſe Frechheit des Volkes, einen König zu machen, muß unſern Altgläubigen noch viel entſetzlicher vorkommen, als die einen König zu zer¬ ſtören. Gottes Werke zu Grunde richten, das kann freilich jeder: aber Gottes Werke nachſchaffen wol¬ len das iſt verwegene Sünde. Ich bin nun jetzt begierig, was die franzöſiſche Regierung thun wird, oder eigentlich was ſie ſagen wird; denn was ſie thun wird, darum war niemand je in Zweifel; es war gleich von der erſten Stunde der belgiſchen Revolution alles darauf angelegt, das Land mit Frankreich zu vereinigen. Aber was ſagen? Se¬23 baſtiani hat erſt vor einigen Tagen in Gegenwart ganz Europa's erklärt, ſeine Regierung würde weder den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬ einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So ſind die Diplomaten! Sie wiſſen recht gut, daß ſie einander nicht betrügen können es iſt Liebhaberei, es iſt eine Kunſtliebe.

Sie ſchreiben mir, Heine habe in ſeinem vier¬ ten Bande von der franzöſiſchen Revolution geſpro¬ chen. Ich denke, er hat nur zu ſprechen verſucht, es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre ſtark[genug], dieſe wildgährende Zeit zu halten? Man müßte einen eiſernen Reif um jedes Wort legen, und dazu gehörte ein eiſernes Herz. Heine iſt zu mild. Mir auch ſchrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬ ten Bande etwas Zeitgemäßes ſagen. Dieſer achte Band, den ich machen ſollte, hier in Paris, eine Viertelſtunde von den Tuilerien, eine halbe vom Stadthauſe entfernt es gibt nichts Komiſcheres! Was, wo, worauf, womit ſoll ich ſchreiben? Der Boden zittert, es zittert der Tiſch, das Pult, Hand und Herz zittern, und die Geſchichte vom Sturme bewegt, zittert ſelbſt. Ich kann nicht wiederkauen, was ich mit ſo viel Luſt verzehrt; dazu bin ich nicht Ochs genug. Prophet wollte ich ihm ſeyn, zwölf Bände durch. Und was kann der Deutſche anderes ſeyn als Prophet? wir ſind keine Geſchichtsſchrei¬24 ber, ſondern Geſchichtstreiber. Die Zeit läuft wie ein Reh vor uns her, wir, die Hunde, hintendrein. Sie wird noch lange laufen, ehe wir ſie einholen, es wird noch lange dauern, bis wir Geſchichtsſchreiber werden. Doch ich will jetzt gehen, Beethoven hören. Fünf, ſechs ſolcher Menſchen hat das Land, unter denen wir Schatten gegen Hitze, Schutz gegen Näſſe finden. Wenn die nicht wären! Das Con¬ zert beginnt um zwei Uhr. Das ſcheint mir beſſer als Abends. Ohr und Herz ſind reiner vor dem Eſſen. Vielleicht beſuche ich dieſe Nacht den Mas¬ kenball. Nicht den in der großen Oper, den kenne ich von früher, das iſt zum Einſchlafen; ſondern den im Theater an der Porte St. Martin. Da finde ich mein gutes Volk in der Jacke, das im Juli ſo tapfer gekämpft. Da iſt Luſt und Leben. Lange Röcke, lange Weile das habe ich immer beiſam¬ men gefunden.

25

Das Conzert Sonntag im Conſervatoire, iſt, wie ich mir denke, ſehr ſchön geweſen. So ganz aus Erfahrung weiß ich es nicht. Ich ſaß in der zweiten Reihe Logen, warm wie in einem Treibhauſe, und verſteckt hinter Frauenzimmern wie ein Gärtner hinter Blumen. An der Seite ſperrten mir dumme dicke Säulen, vor mir dumme große Hüte, die Aus¬ ſicht. Wir haben Revolutionen erlebt, die tauſend¬ jährige Könige umgeworfen wird ſich denn nicht einmal eine Revolution erheben, die dieſe fluchbela¬ ſteten Weiberhüte fortjagt? Sie werden mich fragen: Aber was hat man in einem Conzerte zu ſehen? Aber eben darum darf das Sehen nicht gehindert ſeyn; denn das nicht ſehen können beſchäftigt die Augen am meiſten. Was mich aber am verdrüßlich¬ ſten machte, war, daß ich keine Lehne für meine Rücken hatte, ſo daß ich immerfort ſteif daſitzen mußte, wie vor funfzig Jahren ein deutſches Mäd¬ chen unter der Zucht einer franzöſiſchen Gouvernante. Das Biſchen, was mir von guter Laune noch übrig blieb, ſchenkte ich einer jungen Engländerin, die ne¬ ben mir ſaß. Blaue Augen, blondes Haar, ein Ge¬ ſicht von Roſenblättern, und was ſie in meinen Au¬ gen am meiſten verſchönte, ein Hut mit einem flachen26 italieniſchen Dache. Sie mochte wohl eine große Muſikfreundin ſeyn, denn ſie hatte ſich aus ihrem eigenen Körper ein ſchönes Häuschen gebaut, um daraus ungeſtört zuzuhören. Die Füße hatte ſie auf die Bank vor ihr hoch aufgeſtellt, und die Knie an ſich gezogen. Die Bruſt vorgebeugt, verbarg ſie den rechten Ellenbogen in den Schoos und ließ den Kopf auf den zuſammengeknickten Arm ſinken. Die ſchöne Dame ſo gerundet, hatte keinen Anfang und kein Ende. Sie verſtand gewiß etwas von Mathematik, und wußte, daß die Kugelform unter allen möglichen Geſtalten mit der flachen Welt am wenigſten in Berührung kommt. Ihre Schweſter vor ihr hatte den Hut abgelegt, und ſaß ganz vorn, in der Loge allen Blicken ausgeſetzt, in purem Nachthäubchen da. Ich machte ſo meine Betrachtungen, woher es komme, daß nur allein die Engländer und Engländerinnen ihre Sitten und Kleider mit in das Ausland bringen, und ſich nicht geniren? Gewiß war im ganzen Saale keine Dame, die in einer ſo häuslichen Stel¬ lung da ſaß, wie meine ſchöne Nachbarin, und keine, die es gewagt, ſich in einem Nachthäubchen zu zeigen, wie deren Schweſter. Aber trotz meiner Philoſophie und Verdrüßlichkeit merkte ich doch zuweilen, daß man da unten ſchöne Muſik machte. Die Sympho¬ nie eroica von Beethoven (ich fand die Muſik mehr leidend als heroiſch) eine Arie aus dem Freiſchütz27 (mein deutſches Herz ging mir dabei auf, wie eine trockene Semmel in Milch). Sextett von Beethoven. Chor aus Webers Euryanthe. Ein Muſikſtück für Blas-Inſtrumente. Trio aus Roſſini's Wilhelm Tell. Clavier-Solo, geſpielt und componirt von Kalkbrenner. Ouvertüre aus Oberon. Aber dieſe Stadt der Sün¬ den, Paris der liebe Gott muß ſie doch lieb ha¬ ben: was er nur Schönes hat, was Gutes, alles ſchenkt er ihr. Die ſchönſten Gemälde, die beſten Sänger, die vortrefflichſten Componiſten. Dieſes eine Conzert was hörte man da nicht alles zugleich! Das beſte Orcheſter der Welt. Die Aufführung der Symphonie ſo vollendet, daß, wie mir H*** ſagt, man dieſes gar nicht merke. Ich erkläre mir das in dem Sinne: um einzuſehen, wie vollkommen etwas ſei, muß daran noch etwas mangeln. Iſt die Voll¬ kommenheit ganz erreicht, verliert man den Stand¬ punkt der Vergleichung. In einem Conzerte hör¬ ten wir: Kalkbrenner, den erſten Clavirſpie¬ ler; Baillot, den erſten Violinſpieler; Tü¬ lon, den erſten Flötenſpieler; Voigt, den erſten Hautboiſten; und Nourrit, den beſten franzöſiſchen Sänger. Das ganze Orcheſter erſchien in der Na¬ tionalgarde-Uniform Baillot iſt Offizier, Nourrit auch. Der eine geigte, der Andere ſang mit Epau¬ lettes. Ich wollte, hannövriſche Offiziere von den28 Siegern von Göttingen wären in meiner Loge geweſen, und hätten nicht gewußt, das ich deutſch verſtehe.

Alſo Israel in Frankfurt hat wieder einen guten Tag gehabt, ihr Lebenspuls hat ſich wieder einmal gehoben? Israel jammert mich manchmal, ſeine Lage iſt gar zu betrübt. Kurſe oben, Kurſe unten, wie der tolle Wind das Rad ſchwingt es ſind die Qualen des Ixion. Aber iſt es nicht furcht¬ bar lächerlich, daß die niedrigſte und gemeinſte aller Leidenſchaften ſo viele Aehnlichkeit hat mit der er¬ habenſten und edelſten, die Gewinnſucht mit der Liebe? Ja wohl, Gott hat das Volk verflucht und darum hat er es reich gemacht. Aber von den ekel¬ haften Geſchichten mit den jüdiſchen Heirathserlaub¬ niſſen und jüdiſchen Handwerksgeſellen erzählen Sie mir nichts mehr. Ich will nichts davon hören, ich will nichts damit zu thun haben. Wenn ich kämpfen ſoll, ſei es mit Löwen und Tigern, aber vor Kröten habe ich einen Abſcheu, der mich lähmt. Es hilft auch nichts. Man muß den Sumpf ausrotten, dann ſtirbt das Schlammgezücht von ſelbſt weg. Unſere Frankfurter Herren, finde ich, haben ganz recht. Sie denken, Gott iſt doch nun einmal im höchſten Zorne, ob wir ihn ein Bischen mehr, ein Bischen weniger ärgern, das kann nichts verſchlimmern. Den Juden in Frankfurt iſt jetzt am wenigſten zu helfen, wenn ſie klagen bei den großen Herren der Bundesverſamm¬29 lung, oder bei den kleinen im Senate, weiß ich, was man ihnen ſagt es iſt als wäre ich gegenwärtig. Oeffentlich wird man ſie barſch abweiſen, unter vier Augen aber wird man den Diplomaten, den Pfiffigen unter den Juden ſagen: Lieben Leute, jetzt iſt gar nicht die Zeit an dieſe Sache zu rühren. In Deutſch¬ land iſt ohnedies alles in Bewegung, das Volk iſt aufgeregt, die allgemeine Stimmung gegen euch, ſo daß, wenn wir euch jetzt Freiheiten bewilligten, die¬ ſes üble Folgen hätte, für die allgemeine Ruhe, und für euch ſelbſt. Und unſer jüdiſcher Adel wird das ſehr gut verſtehen, und beifällig mit den Augen blin¬ zeln, und beim Heruntergehen dem jüdiſchen Pöbel vor der Thüre zurufen: Packt euch zum Teufel, ihr ſeid dumm und unverſchämt! ... Von einem jü¬ diſchen Comité und deſſen Schreibereien erwarte ich nichts. Es ſind eben Deutſche, wie die Andern auch. Sie ſind in einem unſeligen Wahne befangen. Ihre Ehrlichkeit richtet ſie zu Grunde. Sie meinen im¬ mer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu zeigen, daß man es hat. Jetzt ſprechen ſie für die Freiheit wie ein Advokat für einen Beſitz. Als käme es hier noch auf Gründe an, als wäre ſeit einem halben Jahrhunderte nicht alles ausgeſchöpft worden, was man für Freiheit, für Menſchenrechte, für Bür¬ gerrechte der Juden ſagen kann. Das alles weiß der Tyrann ſo gut als der Sklave ſelbſt. Gewalt30 wie Freiheit kommt aus dem Herzen. Der Räuber, der uns unſer Gut nimmt, täuſcht ſich nicht, er weiß, was er thut. Nicht an den Verſtand, an das Herz muß man ſich wenden, an das der Gegner wie an das der Gleichgeſinnten. Die Herzen muß man rüh¬ ren, die unbeweglichen durchbohren. Das Wort muß ein Schwert ſeyn; mit Dolchen, mit Spott, Haß, Verachtung muß man die Tyrannei verfolgen, ihr nicht mit ſchweren Gründen nachhinken. Das ver¬ ſtehen aber unſere deutſchen liberalen Schriftſteller nicht, und noch heute ſo wenig, als vor dem Juli. Ich ſehe es ja. Unter den Büchern, die Sie mir geſchickt, iſt auch eine Broſchüre über die heſſiſchen Juden, und eine über die deutſche Preßfreiheit. Ge¬ leſen habe ich ſie noch nicht, aber einen Blick auf die erſte Seite geworfen. Ich hatte genug; es iſt ganz die alte Art. Der Hanauer Jude hat das Motto von Schiller: Der Menſch iſt frei geſchaffen, iſt frei und ſo weiter die Litanei. Dann fängt er an: Die höchſte Glücksſtufe, die nach menſch¬ lichen Begriffen einem Staate erreichbar iſt, hat Kur¬ heſſen rühmlich betreten. In allen ihren Theilen hat man den aufgeklärten und freiſinnigen Ideen der Ge¬ genwart gehuldigt. Der Jude ſoll Mazze backen aus dieſem ungeſäuerten Teige; Brod wird nie daraus. Der chriſtliche Ritter der Preßfreiheit, Pro¬ feſſor Welker, ſchrieb Folgendes auf der Titelfahne31 ſeines Buches: Die vollkommene und ganze Pre߬ freiheit nach ihrer ſittlichen, rechtlichen und politiſchen Nothwendigkeit, nach ihrer Uebereinſtimmung mit deutſchem Fürſtenwort und nach ihrer völligen Zeit¬ gemäßheit dargeſtellt, in ehrerbietigſter Petition an die hohe deutſche Bundesverſammlung. ... Die Herren von der deutſchen Bundesverſammlung werden den ehrerbietigen Profeſſor auslachen. Wenn ich über die Preßfreiheit ſchriebe, würde ich anfangen: Die Preßfreiheit, oder der Teufel holt Euch alle mit ein¬ ander, Volk, Fürſten und deutſches Land! Ich meine, das müſſe einen ganz andern Effekt machen. Je mehr Gründe, je mehr Füße; je mehr Füße, je langſamer der Gang; das ſiehet man an den Inſekten. Doch genug und habe ich nicht Recht, daß ich in die italieniſche Oper gehe?

Mein Tagebuch aus Soden habe ich, ſeit ich es geſchrieben, nicht mehr geleſen. War es gut, ſo iſt es noch gut; das hat keine Noth, Aelter iſt dar¬ über wohl manches in Deutſchland geworden, aber alt nichts. Es blühen alle Veilchen, vor wie nach.

Sie können ſich wohl denken, daß ich den Un¬ fug, den die Studenten in der Sorbonne ſich gegen den Miniſter Barthe zu Schulden kommen ließen, nicht billigen werde. Die Studenten ſelbſt haben ſich gegen dieſes tadelnswürdige Betragen, das nur auf Einige unter ihnen fiel, laut geäußert. Aber ſelbſt32 dieſer ſträfliche Uebermuth iſt lehrreich genug, denn er zeigt den lobenswerthen tiefen Unmuth in der Ju¬ gend. Die Studenten hier, ſind gar nicht wie unſere deutſchen, fantaſtiſch ungezogen, dem Bürgerleben und ſeinen Regeln fremd, alle Convenienz verſpottend; und in wenigen Jahren, alle Kraft, alles Feuer der Jugend vertrinkend und vertobend, um gleich nach der Univerſität die abgelebteſten zahmſten Philiſter zu wer¬ den. Sie ſind vielmehr die ſtillſten und beſcheiden¬ ſten jungen Leuten, die ſich von der Jugend der an¬ dern Stände nur durch die Einfachheit ihres Aeuſſe¬ ren auszeichnen. Man ſollte ſie oft für deutſche Handwerksburſche halten. Was ſie in Bewegung ſetzt, iſt etwas ſehr Edles, mag immerhin die Be¬ wegung einmal im Gange unregelmäßig werden.

33

Geſtern kam in der Pairskammer das Geſetz über die Beſoldung der jüdiſchen Geiſtlichen vor. Es wurde zwar angenommen, fand aber doch viele Gegner. Der Admiral Verrhuell hielt eine Rede gegen die Juden. Das Volk Gottes hat doch Feinde zu Waſſer und zu Lande. Der Admiral ſagte: ich habe die Juden in allen vier Theilen der Welt ken¬ nen gelernt; ſie taugen überall nichts; überall den¬ ken ſie nur an Geldverdienen. Schändliche Verläum¬ dung! Gerade das Gegentheil. Die meiſten Ju¬ den ſtreben nach nichts, als Geld zu verlieren, und darum kaufen ſie öſterreichiſche Staatspapiere.

Aber iſt die Begeiſterung der Polen nicht höchſt erhaben, höchſt rührend? Gab es je etwas Großes, das zugleich ſo ſchön war? Unter den rauhen Blättern der Geſchichte iſt es ein Blatt auf Velin¬ papier geſchrieben. ... Die Polen haben jetzt alle nur ein Geſchlecht, nur ein Alter. Weiber, Kinder, Greiſe, alles rüſtet ſich; viele gaben ihr ganzes Ver¬ mögen hin, und nannten ſich nicht, und gaben keine Spur, auf der man ihre Namen entdecken konnte. Einen ſilbernen Löffel im Hauſe zu haben, iſt eine Schmach, man gebraucht nur hölzerne. Die Frauen liefern ihre Trauringe in die Münze und erhaltenII. 334dafür kleine ſilberne Medaillen, mit der Schrift: la patrie en échange. Iſt das nicht ſchön? im Polniſchen lautet das wahrſcheinlich noch ſchöner. Aber ach! das ernſte Schickſal liebt die Kunſt nicht. Die Polen können untergehen trotz ihrer ſchönen Be¬ geiſterung. Aber geſchiehet es, wird ſo edles Blut vergoſſen, dann wird es den Boden der Freiheit auf ein Jahrhundert befeuchten und es tauſenfältige Früchte tragen. Die Tyrannen werden nichts gewinnen, als einen Fluch mehr. Wer jetzt einen Gott hat, der bete, und wer beten kann, der bete nur für die Po¬ len. Die ſind oben in Norden und die Freiheit, wie jede Bewegung, kommt leichter herab, als ſie hinauf ſteigt.

[35]

Zwei und dreißigſter Brief.

Ich bin jetzt mit den Briefen eines Ver¬ ſtorbenen zu Ende, und ich will Ihnen mittheilen, was ich mir darüber gemerkt. Ich könnte mir die Mühe des Abſchreibens erſparen und Ihnen das Blatt ſelbſt ſchicken. Aber es iſt mit Bleiſtift ge¬ ſchrieben, und ich bin klüger als der Kaiſer von Ru߬ land, Preußens Mephiſtopheles, der ſeine hohen Mei¬ nungen mit Bleiſtift niederſchreibt und dabei ruhig iſt ich denke: der liebe Gott kann das mit dem lei¬ ſeſten Hauche wieder auslöſchen. Ich halte mich an Dinte, die iſt feſt. Aber wie konnten Sie nur glau¬ ben, die todten Briefe wären vom lebendigen Heine? Kein Athemzug von ihm darin. Es iſt eine gewöhn¬ liche Reiſebeſchreibung ich ſage aber nicht: die3*36Beſchreibung einer gewöhnlichen Reiſe. Der Ver¬ faſſer hat mehr geſehen als Andere, alſo auch mehr beobachtet. Als vornehmer Herr wurde er von den hohen und höchſten Ständen freundlich angezogen, und da er oft incognito reiſte, (er führte ſogar wie ein Gauner doppelte Päſſe mit falſchen Namen) und ein deutſcher Edelmann, wenn er ſeinen Adel ablegt, be¬ ſcheiden glaubt, es bliebe dann nichts mehr von ihm übrig, drängte er ſich mit der Zuverſicht eines Un¬ ſichtbaren auch in die niedrigſten Stände. Dadurch mußte das Buch gewinnen. Solche Vortheile hat ein deutſcher bürgerlicher Reiſender nie. Der Ver¬ faſſer hat empfänglichen, aber keinen erzeugenden Sinn. Sein Stoff ich reich, aber ſeine Bearbeitung ſehr arm und von dichteriſcher Kunſt keine Spur. Er ſchreibt leicht, ſehr leicht. Das iſt manchmal recht angenehm, doch darf es nicht den ganzen Tag dauern. In häuslichem Kreiſe, zu häuslichem Geſpräche iſt das gut; wenn aber die Gedanken unter die Leute gehen, müſſen ſie ſich mit Würde und Anſtand kleiden. Wer in Deutſchland mit ſo leichtem Fuhrwerke fährt, läßt vermuthen, daß er nicht ſchwer geladen. Ein guter deutſcher Schriftſteller ſchreibt, daß der Styl unter ihm bricht und daß er mitten im Wege liegen bleibt. Der Verfaſſer gebraucht franzöſiſche Redens¬ arten, da, wo es weder nöthig noch ſchön iſt. Er ſagt: aventure Je dévore déjà un oeuf 37 adieu Sur ce n'ayant plus rien à dire. Kaum ein Brief, den er nicht mit einem franzöſiſchen Satze anfinge oder endigte; das iſt ſein Morgenge¬ bet, ſein Abendſegen, ſein Amen. Doch verzeihen wir ihm das; das Franzöſiſche iſt ſein adeliges Wap¬ pen, womit er die Briefe verſiegelt. Auch daß die Briefe oft zu lang, die Berichte oft zu umſtändlich ſind, wollen wir ihm nicht zu hoch anrechnen. Wir bürgerlichen Reiſebeſchreiber würden auch oft längere Briefe an unſere Freundinnen ſchreiben, wenn das Porto nicht zu hoch käme. Aber der verſtorbene Edelmann hatte unſern Geſandten in London der die dickſten Paquete portofrei an ſeine Julie beſorgte. Wir bürgerlichen Reiſenden haben es ſo gut nicht, wir bekommen in der Fremde von unſerer Ge¬ ſandtſchaft nichts zu ſehen, als beim Päſſeviſiren den Rücken eines Sekretärs, der uns über ſeine Schultern weg, ohne uns anzuſehen, den Paß zureicht. Den Herrn Geſandten ſelbſt bekommen wir nie zu ſprechen, er bekümmert ſich nicht um uns, wir mü߬ ten denn Spione ſeyn. Dieſer Stand, wie der Spieler, adelt im Deutſchland. Gerecht zu ſeyn, muß ich ſagen, die Briefe haben viel Gutes und haben mir Vergnügen gemacht. Nur habe ich nicht darin gefunden, was ich erwartet. Von einem Manne von Stande, dem ſeine Geburt die groben38 Erfahrungen des Lebens erſpart, hätte ich feine er¬ wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit. Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde. Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬ ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬ ſcheinlich ſagen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns): Liebe Freundin! Du ſiehſt alles mit trüben Augen an; denn du biſt alt! Aber von unſerem verſtor¬ benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine ſolche Grobheit zarter ausdrückt. Er ſchreibt ſeiner Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine älter werdende Anſicht iſt ſchuld an Deiner Grämlich¬ keit. Das iſt alles. Von den Briefen eines Ver¬ ſtorbenen erwartet man, Dinge aus einer andern Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu ſagen wagt. Nichts von dem. Daß dieſe Briefe ſolches Aufſehen machen konnten, daß ich ſogar hier in Paris davon ſprechen hörte, und ſie in Deutſch¬ land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge ſagte, ra¬ ſend abgehen , verdanken ſie wahrſcheinlich nicht dem Guten, ſondern dem Schlechten, das ſie ent¬ halten. Es ſind den adligen Briefen einige Satiren eingeſchaltet, aber von der gemeinſten bürgerlichen Art. Da iſt erſtens Eine gegen deutſche Titelſucht,39 gegen Rang - und Beamtenſtolz. Nun kann zwar eine geſchickte Hand von ſolchem ausgedroſchenen Stroh artige Sachen flechten, Hüte, Körbe und an¬ dere Spielereien; aber in der todten Briefen iſt es rohes Lagerſtroh geblieben, es gerade in den Stall zu werfen; und nicht aus Liebe zur Gleichheit eifert der hohe Herr gegen den lächerlichen Dienerſtolz der Deutſchen, ſondern aus adligem Hochmuthe. Er will, daß nicht Amt oder Titel, ſondern Geburt al¬ lein den Rang in der bürgerlichen Geſellſchaft be¬ ſtimme. Dann kommt eine Satire gegen die Ber¬ liner Myſtiker, die wahrlich eine beſſere verdient hätten. Da wird das ganze Alphabet durchgeklatſcht und hundert Anekdötchen erzählt. Braucht es mehr in dem preßzahmen Berlin, um Aufmerkſamkeit zu erwecken? Und den Verſtorbenen trieb die Preßfrei¬ heit noch weiter er ſagt es gerade heraus: Der Graf Brühl in Berlin, der General-Direktor der Schauſpiele, zu ſeiner Zeit der zweite Mann im preußiſchen Staate koſtümire auf dem Theater die Tempelritter ganz falſch, wie er ſich aus dem Grab¬ ſteine eines Templers, den er in Irland geſehen, vollkommen überzeugt habe! Der Verfaſſer ſoll ein Fürſt ſeyn; das iſt ſchön. Da unſere bürgerlichen Schriftſteller nun einmal keine Leute von Welt wer¬ den wollen, ſo bleibt, dieſen näher zu kommen, nichts40 übrig, als daß die Leute von Welt Schriftſteller werden. Er ſoll kein Geld haben; noch ſchöner, er ſei uns herzlich willkommen. Das iſt der wahre Stempel des Genies. Einem guten deutſchen Schrift¬ ſteller iſt nichts nöthiger als die Noth. Der Fürſt mag zwar keinen Ueberfluß an Mangel haben, wie Fallſtaff ſagt, ſondern nur Mangel an Ueberfluß. Aber nur immer herein. Iſt er kein armer Teufel, kann er es doch noch werden. Doch müſſen wir ihm, wie allen adligen Schriftſtellern, ſehr auf die Finger ſehen. Nicht damit ſie nichts mitnehmen, was nicht ihnen gehört (was wäre bei uns zu holen?) ſondern, daß ſie nichts da laſſen, was nicht uns gehört keinen Hochmuth, keinen Adelſtolz. Der blickt, der dringt aber nicht ſelten in den Briefen eines Ver¬ ſtorbenen durch. Ruft er doch einmal, als er im Gebirge zwei Adler über ſeinem Haupte ſchweben ſah, aus: Willkommen meine treuen Wap¬ penvögel! Hinaus mit ihm! Was Wappenvö¬ gel! Will er etwas beſonderes haben? Ein deut¬ ſcher Schriftſteller hat kein anderes Wappen, als einen leeren Beutel im blauen Felde. Wappenvögel! Hinaus mit ihm aus dem Meß-Katolog! Der Hochmuth ſoll Manuſcript bleiben, nicht gedruckt werden. Wenn er oben auf dem Snovdon, dem höchſten Berge Englands, Champagner trinkt auf die41 Geſundheit ſeiner Julie, und den Namen der Freundin durch Sturm und Dunkel ruft dann ſind wir dem Fürſten gut. Wein, Liebe und Adler ſind auch für uns; aber die Wappen ſind gegen uns. Seyd vorſichtig, laßt unſern Zorn ſchlafen! Nur zu bald erwacht er euch!

42

Einige von den Haupt-Brandſtiftern in Göttin¬ gen (ſpreche ich nicht, als hätte ich 10,000 Thaler Gehalt, und wäre der wirkliche geheime Staatsrath von Börne?) haben ſich nach Straßburg gerettet und in dortigen Zeitungen Proclamationen bekannt gemacht, die aber gar nicht ſchön und würdevoll ſind. So renommiſtiſch-philiſtrös, ſo rauh und holprich! Es dauert Einem herzlich. Sie lachen und ſpotten wie Sklaven, die glücklich der Zuchtpeitſche entlaufen ſind. In Nürnberg henkt man keinen bis man ihn hat ſagen ſie unter andern. Wenn der Blitz, der Andere traf, unſchädlich zu unſern Füßen nieder¬ ſchlug, dann mögen wir Gott danken, aber nicht den Blitz verhöhnen. Dieſe jungen Deutſchen ſind die Luft der Freiheit nicht gewohnt; ſie haben ſchnell getrunken und ſie iſt ihnen in den Kopf geſtiegen. Wie ganz anders hätten junge Franzoſen in ſolchen Fällen geſprochen.

Der Herzog von Nemours iſt jetzt wirklich zum König von Belgien gewählt. Jetzt kochts und wirft43 Blaſen wie Welt-Halbkugeln groß. Sie werden er¬ fahren, wie bald es überläuft.

Der junge ***, von dem ich Ihnen ſchon ein¬ mal geſchrieben, trat gleich, als er herkam, aus ju¬ gendlichem Muthwillen in die Nationalgarde, und zwar unter die Cavallerie. Vor einigen Tagen, als er den erſten Dienſt hatte, bekam er die Wache im Palais-Royal. Gerade den Abend war Ball beim König, und die Wache wurde, wie gewöhnlich in ſol¬ chen Fällen dazu eingeladen. *** war alſo auch da, und tanzte, Gott weiß, mit welchen Prinzeſſin¬ nen und Herzoginnen. Was hundert Stunden Wegs für Unterſchied machen. Denken Sie nur, wie lange es noch dauern wird, bis in Berlin, Wien oder München ein bürgerliches Judenbübchen in gemeiner Reitertracht auf einem Hofballe tanzen wird! Gott iſt wie Shakeſpeare: Spaß und Ernſt läßt er auf einander folgen.

Die zehen Stämme in Frankfurt werden wieder einen Bußtag gehabt haben. Seit geſtern ſind die Renten um 4 pCt. gefallen. Man ſpricht mehr als je vom Kriege, ſogar mit England wegen Belgien. Narren, die je daran gezweifelt; oder Heuchler, die daran zu zweifeln ſich angeſtellt! Für die Polen wollen wir beten. Sie können in Frankfurt gar nichts, und ich hier nichts anders für ſie thun, als44 meine 20 Franken ſteuern, die das Conzert, das nächſtens gegeben wird, koſtet. Außer den erſten Künſtlern und Künſtlerinnen werden ſich auch Lieb¬ haberinnen von hohem Stande hören laſſen. Die Pariſer wiſſen ſich aus allem Vergnügen zu bereiten, ſelbſt aus dem Ungeheuerſten.

[45]

Drei und dreißigſter Brief.

Es giebt beſtimmt Krieg. Ich habe zwar kei¬ nen Tag daran gezweifelt, ſeit ich in Paris bin; hier aber wollten viele nicht daran glauben. Doch jetzt hat ſich die Meinung geändert, jedermann ſiehet den Krieg als unvermeidlich an. Zwar hat man in Preu¬ ßen Heine's Schriften verboten; aber die beſten Poli¬ tiker[in] Frankreich und England zweifeln, daß dieſe Maasregel hinreichen werde, die Welt in ihrem Laufe aufzuhalten. ... Freuen wir uns; den Po¬ len iſt wieder eine Hülfe von oben gekommen. Man hat hier ziemlich ſichere Nachrichten, daß in einigen ruſſiſchen Provinzen ein Aufruhr ausgebrochen. Auch in mehreren Orten Italiens iſt das Volk aufgeſtan¬ den. Die armen Deutſchen! die werden neue Ohr¬ feigen bekommen, weil das Volk in Finnland und Bologna wieder unartig geweſen.

46

Ich habe Heine's vierten Band in einem Abende mit der freudigſten Ungeduld durchgeleſen. Meine Augen, die Windſpiele meines Geiſtes, liefen weit voraus und waren ſchon am Ende des Buches, als ihr langſamer Herr erſt in der Mitte war. Das iſt der wahre Dichter, der Günſtling der Natur, der alles kennt, was ſeine Gebieterin dem Tage Häßli¬ ches, was ſie ihm Schönes verbirgt. Auch iſt Heine, als Dichter, ein gründlicher Geſchichtsforſcher. Doch verſtecken Sie meinen Brief in den dunkelſten Schrank; denn läſe ein hiſtoriſcher Profeſſor, was ich ſo eben geſchrieben, er ließe mich todt ſchlagen, auf ſeiner eigenen oder einer andern Univerſität ob zwar die deutſchen Heeren keine Freunde vom Todtſchlagen ſind, weder vom aktiven noch vom paſſiven, wie man neulich in Göttingen geſehen. Diesmal hat der Stoff Heine ernſter gemacht, als er ſonſt den Stoff, und wenn er auch noch immer mit ſeinen Waffen ſpielt, ſo weiß er doch auch mit Blumen zu fechten. Das Buch hat mich gelabt wie das Murmeln einer Quelle in der Wüſte, es hat mich entzückt wie eine Menſchenſtimme von oben, wie ein Lichtſtrahl den le¬ bendig Begrabenen entzückt. Das Grab iſt nicht dunkler, die Wüſte iſt nicht dürrer als Deutſchland. Was ein ſeelenloſer Wald, was ein todter Felſen vermag: uns das eigne Wort zurückzurufen nicht einmal dazu kann das blöde Volk dienen. Kann man47 es beſſer ſchildern als mit den Worten: Der Eng¬ länder liebt die Freiheit wie ſeine Frau; der Fran¬ zoſe wie ſeine Braut; und der Deutſche wie ſeine alte Großmutter! Und: wenn zwölf Deutſche bei¬ ſammen ſtehen, bilden ſie ein Dutzend, und greift ſie einer an, rufen ſie die Polizei! Ich ſprach ſo al¬ lein in dieſer Zeit und Heine hat mir geantwortet. Alles iſt ſchön, alles herrlich, das aus Italien wie das aus England. Was er gegen den Berliner Knechtphiloſophen (Hegel) und gegen den geſchmeidi¬ gen Kammerdiener-Hiſtoriker (Raumer) ſagt, die ein ſeidenes Bändchen feſter an die Lüge knüpft, als das ewige Recht an die Warheit, das allein könnte ei¬ nem Buche ſchon Werth geben. Und hat man je etwas Treffenderes von den Monopoliſten des Chri¬ ſtenthums geſagt: wie die Erbfeinde der Wahrheit, Chriſtus, den reinſten Freiheitshelden, herabzuwürdi¬ gen wußten, und als ſie nicht läugnen konnten, daß er der größte Menſch ſei, aus ihm den kleinſten Gott gemacht? Wenn Heine ſagt: Ach! man ſollte eigentlich gegen Niemanden in dieſer Welt ſchreiben ſo gefällt mir zwar dieſe ſchöne Bewegung, ich möchte ihr aber nicht folgen. Es iſt noch Großmuth genug, wenn man ſich begnügt gegen Menſchen zu ſchreiben, die uns peinigen, berauben und morden. Was mich aber eine Welt weit von Heine trennt, iſt ſeine Vergötterung Napoleons. Zwar verzeihe ich48 dem Dichter die Bewunderung für Napoleon, der ſelbſt ein Gedicht; aber nie verzeihe ich dem Philo¬ ſophen Liebe für ihn, den Wirklichen. Den lieben! Lieber liebte ich unſere Nürnberger Wachtparaden-Für¬ ſten, öffnete ihnen mein Herz, und ließ ſie alle auf einmal eintreten, als dieſen einen Napoleon. Die Andern können mir doch nur die Freiheit nehmen, dieſem aber kann ich ſie geben. Einen Helden lie¬ ben, der nichts liebt als ſich; einen herzloſen Schach¬ ſpieler, der uns wie Holz gebraucht, und uns weg¬ wirft, wenn er die Partie gewonnen. Daß doch die wahnſinnigen Menſchen immer am meiſten liebten, was ſie am meiſten hätten verabſcheuen ſollen! So oft Gott die übermüthigen Menſchen recht klein ma¬ chen wollte, hat er ihnen große Menſchen geſchickt. So oft ich etwas von Heine leſe, beſeelt mich die Schadenfreude: wie wird das wieder unter die Philiſter fahren, wie werden ſie aufſchreien, als lief ihnen eine Maus über ihr Schlafgeſicht! Und da muß ich mich erſt beſinnen, um mich zu ſchämen. Die! ſie ſind im Stande und freuen ſich über das Buch und loben es gar. Was ſind das für Men¬ ſchen, die man weder begeiſtern noch ärgern kann!

Habt Ihr denn in Frankfurt auch ſolches Wetter, von Zucker, Milch und Roſen, wie wir hier ſeit einigen Tagen? Es iſt nicht möglich. Ihr habt trübe deutſche Bundestage, manchmal einen49 kühlen blauen Himmel von finſtern Wolken halb weg¬ zenſirt und das iſt alles. Aber wir Götter in Paris es iſt nicht zu beſchreiben. Es iſt ein Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Men¬ ſchen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und lächeln; die kleinen Kinder ſind ganz leicht bekleidet, und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Früh¬ ling überraſcht, ſtehen ganz verlegen da, als hätte man ſie nackt gefunden, und wiſſen in der Angſt gar nicht, womit ſie ſich bedecken ſollen. Geſtern, im Jardin des Plantes, wimmelte es von Menſchen, als wären ſie wie Käfer aus der Erde hervor ge¬ krochen, von den Bäumen herab gefallen. Kein Stuhl, keine Bank war unbeſetzt; tauſend Schulkin¬ der jubelten wie die Lerchen, der Elephant bekam ei¬ nen ganzen Bäckerladen in den Ruſſel geſteckt, und die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den vielen Damen herum nicht zu ſehen. Man konnte kaum hinein kommen vor vielen Kutſchen am Gitter. So auch heute in den Tuilerien. Man ſucht nicht die Sonne, man ſucht den Schatten. Es iſt ein einziger Platz, oben auf der Terraſſe, wo man auf den Platz Louis XVI. hinabſieht! Und da unter einem Baume zu ſitzen, dieſe Luft zu trinken, die wie warme Limonade ſchmeckt, und dabei in der Zeitung zu leſen, daß die Ruſſen ihre Ketten ſchüt¬ teln, und die heißen Italiener ihre Jacken ausziehenll. 450nicht eine Einladung bei Seiner Excellenz dem Herrn von Münch-Bellinghauſen vertauſchte ich damit!

Die neuſten und die wichtigſten politiſchen Neuigkeiten erfahre ich durch Conrad, der ſie vom Reſtaurateur, wo er mir zuweilen das Eſſen holt, mitbringt. Dort ſcheinen lauter politiſche Köche zu ſeyn. Seitdem Conrad das Haus beſucht, iſt er ſo vertraut wie Metternich mit den europäiſchen Ange¬ legenheiten; ja ich glaube, er weiß viel mehr. Da er heute eine Suppe holte, ſagte ihm ein Koch oder Kellner: er würde bald zu ihm kommen und eine deutſche Suppe mit ihm eſſen. Daran denkt Metter¬ nich gewiß nicht. Welch ein Unterſchied aber zwi¬ ſchen Frankfurt und Paris! Vorigen Winter ſchickte ich den Conrad Monate lang täglich in den ruſſi¬ ſchen Hof, mein Eſſen zu holen, und nie brachte er mir aus der Küche eine europäiſche Begebenheit mit nach Hauſe, außer einmal die Neuigkeit, daß die Wirthin mit Zwillingen niedergekommen. In meiner Reſtauration hier gehen acht Kellner oder Köche frei¬ willig unter die Soldaten, wie ſie dem Conrad erzählt.

Die Sammlungen für die Polen ſind jetzt in vollem Gange, Conzerte, Bälle, Theater, Eſſen zu ihrem Beſten; es nimmt kein Ende. Eine be¬ rühmte Harfenſpielerin aus Brüſſel, eine Dilettantin,51 machte blos die Reiſe hierher, um im Conzert, das morgen über acht Tage für die Polen gegeben wird, mitzuſpielen. Der alte Lafayette leitet das alles. Daß iſt doch gewiß der glücklichſte Menſch in der ganzen Weltgeſchichte. Ihm ging die Sonne heiter auf, ſie geht ihm heiter unter, und bei jedem Sturme in der Mitte ſeines Lebens, fand er ein Obdach un¬ ter ſeinem Glauben. Für die Polen fürchte ich jetzt nichts mehr, als ſie ſelbſt. Ich kann nicht wiſſen, wie es im Lande ausſieht. Mächtig dort iſt nur der Adel allein, der Bürgerſtand iſt noch ſchwach. Wenn nun dem Adel mehr daran gelegen wäre, Polens Unabhängigkeit als Polens Freiheit zu erlangen! Ich las ſchon einigemal in den Blättern, man habe die polniſche Krone dem Erzherzog Carl angeboten, und Oeſterreich wolle ſie annehmen und hundert tauſend Mann gegen die Ruſſen ſchicken. Es wäre entſetz¬ lich. Oeſterreich zum Vormunde einer jungen Frei¬ heit! Ich kann nicht einmal lachen darüber! Mich beruhigt nur Metternichs Pedanterie und kindiſche Furcht; er fürchtet ſelbſt die Maske der Freiheit auf ſeinem eigenen Geſichte. Auch in Belgien war der Erzherzog Carl der dritte Thron-Candidat, und hatte nach dem Herzog von Leuchtenberg die meiſten Stim¬ men! Mit Zittern habe ich da geſehen, welch einen mächtigen Einfluß noch Oeſterreich hat.

4*52

Mit dem Bürgermeiſter Behr in Würzburg, das iſt wenn ich ſagte ſchändlich, das wäre zu matt; ich ſage: es iſt deutſch! Aber ich nehme es dem König von Baiern durchaus nicht übel. Ein Volk, das ſo geduldig auf ſich herumtrampeln läßt, verdient getreten und zertreten zu werden. Aide-toi; et le ciel t'aidera.

[53]

Vier und dreißigſter Brief.

Italien! Italien! Hören Sie dort meinen Jubel? Daß ich eine Poſaune hätte, die bis zu Ihren Ohren reichte! Ja, der Frühling bezahlt hundert Winter. Die Freiheit eine Nachtigall mit Rieſentönen, ſchmettert die tiefſten Schläfer auf. In meinem engen Herzen, ſo heiß es iſt, waren Wün¬ ſche ſo hoch gelegen, daß ewiger Schnee ſie bedeckte und ich dachte: niemals thaut das auf. Und jetzt ſchmelzen ſie und kommen als Hoffnungen herab. Wie kann man heute nur an etwas anderes denken, als für oder gegen die Freiheit zu kämpfen? Auch ein Tyrann ſeyn iſt noch groß, wenn man die Menſch¬ heit nicht lieben kann. Aber gleichgültig ſeyn! Jetzt wollen wir ſehen wie ſtark die Freiheit iſt, jetzt, da ſie ſich an das mächtige Oeſterreich gewagt. Spa¬ nien, Portugal, Rußland, das iſt alles nichts; der54 Freiheit gefährlich iſt nur Oeſterreich allein. Die Andern haben den Völkern nur die Freiheit geraubt; Oeſterreich aber hat gemacht, daß ſie der Freiheit unwürdig geworden. Wie das Herz der Welt über¬ haupt, ſo hat auch jedes Herz, auch des beſten Men¬ ſchen, einen Fleck, der iſt gut öſterreichiſch geſinnt er iſt das böſe Prinzip. Dieſen ſchwarzen Fleck in der Welt wie im Menſchen, weiß Oeſterreich zu treffen, und darum gelingt ihm ſo vieles. Jetzt wol¬ len wir ſehen, ob ihm Gott eine Arche gebauet, die es allein rettet in dieſer allgemeinen Sündfluth. Aber wie wird uns ſeyn, wenn Spanien und Portugal, Italien und Polen frei ſeyn werden und wir noch im Kerker ſchmachten? Wie wird uns ſeyn, wenn im Lande Lojola's und des Papſtes die Preßfreiheit grünt, dieſe Wurzel und Blüthe aller Freiheit und dem Volke Luthers wird noch die Hand geführt, wie dem Schulbübchen vom Schreibmeiſter? Wo ver¬ bergen wir unſre Schande? Die Vögel werden uns auspfeifen, die Hunde werden uns anbellen, die Fi¬ ſche im Waſſer werden Stimme bekommen uns zu verſpotten. Ach, Luther! wie unglücklich hat der uns gemacht! Er nahm uns das Herz und gab uns Logik; er nahm uns den Glauben und gab uns das Wiſſen; er lehrte uns rechnen und nahm uns den Muth, der nicht zählet. Er hat uns die Frei¬ heit, dreihundert Jahre ehe ſie fällig war, ausbezahlt55 und der ſpitzbübiſche Diskonto verzehrte faſt das ganze Capital. Und das Wenige, was er uns gab, zahlte er wie ein ächter baarloſer deutſcher Buch¬ händler in Büchern aus, und wenn wir jetzt, wo je¬ des Volk bezahlt wird, fragen wo iſt unſere Freiheit? antwortet man: Ihr habt ſie ſchon lange da iſt die Bibel. Es iſt zu traurig! Keine Hoffnung, daß Deutſchland frei werde, ehe man ſeine beſten lebenden Philoſophen, Theologen und Hiſtori¬ ker aufknüpft, und die Schriften des Verſtorbenen verbrennt. ... Als ich geſtern die italieniſchen Nachrichten las, ward ich ſo bewegt, daß ich mich eilte, in die Antiken-Gallerie zu kommen, wo ich noch immer Ruhe fand. Ich flehete dort die Götter an, Jupiter, Mars und Apollo, den alten Tiber und ſelbſt die rothe böſe Wölfin, Roms Amme, und Ve¬ nus die Gebärerin, Roms Mutter, und Diana und Minerva, daß ſie nach Italien eilen und ihr altes Vaterland befreien. Aber die Götter rührten ſich nicht. Da nahete ich mich den Grazien, hob meine Hände empor und ſprach: Und ſind alle Götter ſtumpf geworden, rührt ſie das Schöne, bewegt ſie das Misgeſtaltete nicht mehr Ihr holden Gra¬ zien müſſet Oeſterreich haſſen, denn unter allen Göt¬ tern haſſet es am meiſten euch! Schwebt nach Ita¬ lien hinunter, lächelt der Freiheit, und zaubert die deutſchen Brummbären über die Berge hinüber! Und56 wahrlich ſie lächelten mir. .... Die glücklichen Griechen! Noch im Marmorſarge ſind ihre Freuden ſchöner, als unſere, die im Sonnenlichte athmen! Der Himmel war ihnen näher, die Erde war ihnen heller, ſie wußten den Staub zu vergolden! Statt wie wir jammervollen Chriſten, Leidenſchaften als empörte Sklaven zu züchtigen, gaben ſie ſie frei, feſ¬ ſelten ſie durch Liebe, und beherrſchten ſie ſicherer als wir die Unſern in den ſchweren Ketten der Tugend. Dieſer Bacchus er iſt Meiſter des Weins, nicht ſein Sklave, wie ein betrunkener Chriſt; es iſt Tu¬ gend ſo zu trinken. Dieſer Achill er iſt gar nicht blutdürſtig, er iſt edel, ſanft, es ſcheint ihm ein Lie¬ beswerk ſeine Feinde zu tödten. Dieſer Herkules er iſt kein plumper Ritter; ihm iſt der Geiſt zu Fleiſch geworden, und ſein Arm ſchlägt mit Macht, weil ihm das Herz mächtig ſchlägt. So zu lieben wie dieſe Venus es iſt keine Sünde, wie die fromme Nonne glaubt. Dieſer lächelnde Faun er übt keine Gewalt, er gibt nur einen Vorwand und ſchützt die Unſchuld, indem er ſie bekämpft. ... Wenn es nur die Grazien nicht vergeſſen haben, daß um vier Uhr das Muſeum zugeſchloſſen wird; dann können ſie nicht mehr hinaus. Ich aber dachte daran und eilte fort. Auf dem Carouſſel-Platz begegnete mir der der Zug des fetten Ochſen, der mich an den fetten Sonntag erinnerte. Da ſetzte ich mich in57 einen Wagen und ließ mich von der Madeline bis zum Baſtillen-Platz und zurück die ganze Länge der Boulevards fahren. Himmel! welche Menſchen. Nein, ſo viele habe ich noch nie beiſammen geſehen. Ich dachte, die Todten wären aufgeſtanden, die Be¬ völkerung zu vermehren. Dann ging ich nach Hauſe und rauchte eine Pfeife. Das iſt ein herrliches Mit¬ tel gegen Rom, Freiheit und Götter! Das iſt mein öſterreichiſcher Fleck. .... Mir fiel noch ein, daß vor mehreren Jahren mir Herr v. Handel in Frank¬ furt keinen Paß nach Italien geben wollte. Damals dachte ich: nun ich werde warten; jetzt denke ich: nun ich habe gewartet. Nächſten Winter, hoffe ich, leben wir in Rom.

58

Was ich über die Briefe eines Verſtorbenen ge¬ ſagt, iſt alles gerecht. Ich habe nichts mit Unrecht getadelt. Freilich hätte ich das Gute im Buche ſtär¬ ker loben können; aber wozu? Es iſt eben Krieg und da kann man keine Rückſicht darauf nehmen, was das für ein Mann iſt, der uns gegenüber ſtehet. Er ſtehet uns gegenüber und iſt unſer Feind. Puff! Daß Goethe und Varnhagen das Buch eines Vor¬ nehmen gelobt, hat ihm bei mir Nichts geholfen. Ich kenne dieſe Herren, und weiß, wie ſie, ihr eig¬ nes Gewicht nicht zu verlieren, diplomatiſch bemüht ſind, das literariſche Gleichgewicht in Deutſchland zu erhalten. Darum ſtärken ſie mit ſo viel Liebe alle ſchwachen Schriftſteller.

Die Würzburger Adreſſe iſt ſehr ſchön, ohnge¬ achtet des allergehorſamſten Puders auf dem Kopfe, und der allerunterthänigſten ſeidnen Strümpfe an den Füßen. Meine Pappenheimer werden munter. Der Conſtitutionnel heute hat wieder die ſchöne Lüge: in München ſei der Teufel los, und der König habe ſich geflüchtet. Was hilfts? alle dieſe Bewegungen führen zu nichts als zurück. Einmal Muth, hat wohl auch der feigſte Menſch! aber nur der Held hat ihn alle Tage. Es gibt im Lateiniſchen59 ein Epigramm, das heißt ohngefähr: Glaube nicht frei zu ſeyn, weil du dich einen Tag frei gemacht. Der Hund reißt ſich auch von der Kette los; aber ein Stück der Kette ſchleppt er am Halſe mit, und daran faßt ihn ſein Herr und führt ihn zurück.

Der Plan mit den Univerſitäten iſt wieder ein recht alberner Polizei-Spaß. Wenn ſie ihn nur aus¬ führen! Es iſt gar zu ſchön dumm! Dann bringen ſie die Bürger von zwanzig Städten gegen ſich auf. Und was mehr iſt: dann ärgern ſie die unärgerbaren deutſchen Profeſſoren, die freilich das Pulver nicht erfunden, die aber doch einen großen Vorrath davon beſitzen, in das ſie einmal im Zorne ihre Pfeife kön¬ nen fallen laſſen. Wahrhaftig ſie dauern mich. Gott gab ihnen den ſchwächſten Kopf und damit ſollen ſie dieſe ungekochte Zeit verarbeiten! Es kommt alles wieder ſo roh aus ihrem Kopfe, als es hinein gekom¬ men. Das iſt unſer Verdienſt, liebes Kind, das hat unſere gute vaterſtädtiſche Luft gethan. Die al¬ ten Griechen hätten ſich wohl gehütet, ihre Amphik¬ tyonen in Abdera zu verſammeln; die neuen Deut¬ ſchen aber ſchicken die ihren nach Frankfurt; ſolche erſchreckliche Angſt haben ſie, ſie möchten einmal et¬ was Kluges beſchließen.

Die Straßburger Studenten haben den beiden Göttinger Doctoren, die ſich dorthin geflüchtet, ein60 Gaſtmahl gegeben, wobei Frankreich und Deutſch¬ land ſich Brüderſchaft zutranken. Die franzöſiſche Freiheitsfahne wurde mit der Deutſchen verſchwiſtert, und den andern Tag eine deutſche dreifarbige Fahne den Göttingern durch eine Deputation feierlich über¬ reicht und geſchenkt. Dieſen Freiheitshelden muß ja in Straßburg zu Muthe ſeyn wie den Fiſchen im Waſſer. Hätten ſie die Hannoveraner gefangen, wären ſie tüchtig eingeſalzen worden.

Geſtern habe ich im Theatre Français zwei Moliereſche Stücke geſehen: l’etourdi und le ma¬ lade imaginaire. Da darf man doch mit Ehren lachen und braucht ſich den andern Morgen nicht zu ſchämen. Es iſt wie ein Wunder, daß ein Blitz, der vor 170 Jahren die Wolken verlaſſen ſo lange iſt Moliere todt noch heute gezündet! Wie lange wird man über Scribe lachen? Aber ſo ſind unſere heutigen Komödiendichter. Sie zeigen uns die Mode-Thorheiten; doch Moliere zeigte uns die ewi¬ gen Thorheiten des Menſchen. Ich betrachtete mit Liebe und Andacht Moliere's Büſte, die im Foyer der Büſte Voltaire's gegenüber ſtehet. Moliere hat einen ſanften durchwärmenden Blick, einen freundlich lächelnden Mund, welcher ſpricht: ich kenne euch, ihr guten thörichten Menſchen. Voltaire ziehet höhniſch61 die Unterlippe in die Höhe und ſeine heißen ſtechen¬ den Augen ſagen: ich kenne euch, ihr Spitzbuben! Um Moliere's Stücke recht zu faſſen, muß man ſie in Paris aufführen ſehen. Moliere ſpielte ſelbſt, und was und wie er ſpielte, das hat ſich bis auf heute ſo unverändert auf der Bühne erhalten, als das gedruckte Wort im Buche. Seit ich hier Moliere aufführen geſehen, bemerkte ich erſt an ſeinen Komö¬ dien die Haken, die er angebracht, das ſceniſche Spiel daran zu hängen, und die ich vor dieſer Er¬ fahrung gar nicht bemerkt. Und wie vortrefflich wird das hier alles dargeſtellt! Das beſte Orcheſter kann nicht übereinſtimmender ſpielen. Es iſt etwas Rüh¬ rendes darin, dieſe alten Kleider, dieſe alten Sitten zu ſehen, dieſe alte Späße zu hören, und das un¬ ſterbliche Gelächter der Franzoſen ja, es iſt etwas Ehrwürdiges darin! Im l'étourdi wird einmal ein Nachttopf aus dem Fenſter über den unten ſtehenden Liebhaber ausgegoſſen, und als die Zuhörer darüber lachten, machte es auf mich eine wahrhaft tragiſche Wirkung. Es war kein lebender Spaß, kein Spaß, wie er heute noch geboren wird; es war das Ge¬ ſpenſt eines Spaßes, das einen erſchrecken könnte. Der Malade imaginaire iſt gewiß ergötzlich zum Leſen; aber man kennt ihn nicht, hat man ihn nicht darſtellen ſehen. Dann wird das Spiel die Haupt¬62 Schönheit, dem die Worte nur als Verzierungen dienen.

Es iſt 11 Uhr Abends und ich beſinne mich, ob ich überhaupt auf einen Maskenball und auf wel¬ chen ich dieſe Nacht gehen ſoll. Mir bleibt die Wahl unter acht. Morgen die Entſcheidung. Gute Nacht.

63

Guten Morgen! Die Tugend, meine Träg¬ heit, hat geſiegt. Ich war auf keinem Masken¬ balle. Wie ſüß habe ich geſchlafen nach dieſer edlen Un-That!

Laſſen Sie mich ſchweigen von den merkwürdigen Ereigniſſen des geſtrigen und vor¬ geſtrigen Tages. Sie werden das aus den Zeitun¬ gen erfahren. Es war ein Roman von Walter Scott, der zurück ging und wieder lebendig wurde; es war eine Symphonie von Beethoven, die unter Thränen lacht; es war ein Drama von Shakeſpeare. Solche humoriſtiſche Schickſalstage hat man noch nie geſehen. Ich Unglückſeligſter möchte mich todt¬ ſchießen; ich ſehe nur immer den Spaß, und den Ernſt muß ich mir erzählen laſſen. Man ſollte nicht mehr lieben, wenn man alt geworden, nicht einmal die Freiheit. Die Revolution läuft vor mir fort, wie ein junges Mädchen, und lacht mich aus mit meinen Liebeserklärungen. Während ich vorgeſtern im Theatre Français über Mascarills Schelmereien lachte, krönten die Carliſten in der Kirche das Bild des Herzogs von Bordeaux, und ſtatt einer Ver¬ ſchwörung beizuwohnen, ſah ich einem verliebten Marquis einen Nachttopf über die Friſur fließen. 64Während ich geſtern auf den Boulevards mich wie ein Kind an den Mummereien ergötzte, zerſtörte das Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬ geſchmückten Kreuze herab und verwüſtete den Pallaſt des Erzbiſchofs. Das hätte ich alles mit anſehen können, wäre ich kein ſolcher Unglücksvogel. Zu jeder andern Zeit bin ich in dem entlegenſten Winkel von Paris zu finden, aber ſobald etwas vorgeht, bin ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, iſt Frieden, ich bin ein wahres krampfſtillendes Mittel, und die Regierung ſollte mich anſtellen, Revolutionen zu ver¬ hüten. Wer nur von einem Thurme herab dieſe Contraſte mit einem Blicke hätte überſehen können! Die Seine hinab ſchwammen die Möbel und Bücher des Erzbiſchofs, das Waſſer war weiß von Bett¬ federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das Volk in Prozeſſion das Bild des Erzbiſchofs und beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der andern jubelte der Zug des Boeuf gras vorüber, umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth des Volks im Zaum, dort machte ſie mit noch größe¬ rer Mühe ſeinem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge haben Shakeſpeare, Swift, Jean Paul nie gewagt. Aber es war wieder ein ſtrenges und gerechtes Volks¬ gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von65 den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß erſtaunen über dieſen geſunden Menſchenverſtand. Wahrlich, unſere Staatsmänner, die Herren Seba¬ ſtiani, Guizot, ſogar Talleyrand, könnten bei ihm in die Schule gehen. Und dieſes ſogenannte, ſo ge¬ ſcholtene Volk verachtet man überall; man verachtet die Mehrzahl einer Nation, der weder der Reichthum das Herz verdorben, noch das Wiſſen den Kopf! Man klagt deſſen wilde Leidenſchaften an, weil es zu edelmüthig iſt, gleich den Vornehmen, ſeinen Haß in eine kleine Pille zu verſchließen, die man dem ſorg¬ loſen Feinde mit Lächeln beibringen kann! Man ver¬ ſpottet ſeine Dummheit, weil es nicht nimmer ſo klug iſt, ſeinen eignen Vortheil dem Rechte vorzu¬ ziehen! Ich finde wahre menſchliche Bildung nur im Pöbel, und den wahren Pöbel nur in den Ge¬ bildeten.

Unter dem Namen Neorama wird hier ein Rundgemälde von unglaublicher Wirkung gezeigt. Das Ihnen bekannte Diorama ſtellt das Inwendige der Kirchen vor, aber nur im Halbkreiſe, der Be¬ ſchauer ſtehet außer ihnen. Im Neorama aber wird man mitten in die Kirche geſtellt. Es iſt wie Zau berei. Man ſtehet auf dem Chore und ſiehet unter ſich den Boden der Kirche, und auch die Säulen, die Grabmäler, die Menſchen, und über ſich das Ge¬ wölbe. Ganz die Natur. So[lernt] man die Pauls¬II. 566kirche in London, und die römiſche Peterskirche ken¬ nen. Wie alltäglich werden doch die Zaubereien! An der Peterskirche ſind die großen Thore offen, die auf den herrlichen Petersplatz führen. Die Sonne ſcheint, die Palläſte glänzen. Es war mir, als müßte ich mich vom Chore herab ſtürzen, mich durch die Betenden drängen, hinaus zu eilen auf den Platz, und Brutus, Brutus! Freiheit, Freiheit! rufen.

Haben die italieniſchen Nachrichten nicht auf der Frankfurter Börſe eingeſchlagen? Sind nicht die Metalliques davon geſchmolzen? Schreien die Juden: O wai geſchrieen! Wanken die Mauern Jeruſalems? Lächelt der Herr Baron bei ſeiner Kolik? Sagen die Helden Lewis von den Italie¬ nern: was wollen die Gäſcht? Schreiben Sie mir das Alles, das wird mich erquicken. Den Her¬ zog von Modena haben ſie gefangen auf der Flucht. Ich hoffe, ſie knüpfen ihn auf. Ein Haus, worin ſich 130 der angeſehenſten jungen Leute verſammelt, hatte er mit Kanonen zuſammen ſchießen laſſen. Vier und zwanzig Stunden lang hat er ſich vertheidigt, mit der Verzweiflung eines Tyrannen, der keine Gnade kennt. Zwei öſterreichiſche Tyroler-Regimen¬ ter, dem Herzog zum Beiſtande geſendet, ſollen ſich mit dem Volke vereinigt haben. Der Narr, unter allen Fürſten Europa's der einzige, hat es gewagt, den König von Frankreich nicht anzuerkennen.

67

Vornehme Royaliſten ſind arretirt: Herr von Vitrolles, von Berthier, der Erzbiſchof von Pa¬ ris. Die Regierung iſt in einer gefährlichen Lage. Die Weigerung, die belgiſche Krone anzunehmen, die geſtern feierlich ertheilt werden ſollte, hat man aus Furcht vor der gereizten Stimmung des Volkes auf¬ geſchoben. Ich ſehe keine Hülfe. Die Kammer zeigt ſich täglich erbärmlicher, und das beſſer geſinnte Mi¬ niſterium muß nachgeben, denn es kann die Majori¬ tät nicht entbehren. Gott ſchütze den König; Europa iſt verloren auf zehen Jahre, wenn er zu Grunde geht. Ich ſtrenge mich an, meine Furcht zu unter¬ drücken. Und mit zehen Ellen Hanf wäre der Welt Friede, Glück und Ruhe zu geben! Ich will bald die Malibran als Zerline ſehen; das wird mir et¬ was das Blut verſüßen. Darf ich?

5 *
[68]

Fuͤnf und dreißigſter Brief.

Geſtern fuhr ich in der Stadt herum, die Schlachtfelder vom 13. und 14. Februar zu ſehen. Das ganze Pariſer Volk war aus Unruhe oder Neu¬ gierde, die ganze Nationalgarde und Garniſon aus Vorſicht auf den Beinen. Es war wie das Meer, wenn es nach gelegtem Sturme ſchäumt. Aber zu den zerſtörten Kirchen und Gebäuden konnte ich nicht gelangen. Alle Plätze und Straßen, die dahin führ¬ ten, waren von Wachen umſtellt, die keinen durch¬ ließen. Der Carouſſel-Platz war ſo dicht bedeckt von Bürgern und Soldaten, daß man kaum einen Pfla¬ ſterſtein ſah. Im Hofe der Tuillerien, der geſchloſ¬ ſen war, hielt der König Muſterung über die Natio¬ nalgarde und die Linie. Um den Triumphbogen hatte man in aller Eile ein Gerüſte gebaut, und Arbeiter waren beſchäftigt, unter Leitung der Behörde die gyp¬69 ſernen ſpaniſchen Siege des Herzogs von Angouleme abzuſchlagen. Wachen verhinderten den Zutritt; denn am Morgen waren welche vom Volke ſchon hinauf¬ geklettert, Frankreichs Ehrenfleck dort abzukratzen. Von allen Kirchthürmen wurden die Kreuze abgenom¬ men, wegen ihrer unheiligen Allianz mit den Lilien. Daß katholiſche Pfaffenthum hat in dieſen Tagen eine große Niederlage erlitten; die Bourbons hatten nicht viel mehr zu verlieren. Der König läßt die Lilien aus ſeinem Wappen nehmen, die er früher als das Erbe ſeiner Ahnen beizubehalten geſonnen war. Nun iſt es zwar lächerlich und frevelhaft, daß Menſchen in ihrer Zerſtörungswuth ihre kurzen Arme nach et¬ was ausſtrecken, was ſelbſt der allmächtige Gott nicht erreichen kann nach dem Geſchehenen, Vollendeten; doch wo Tyrannen ſich nicht ſcheuen, den Kindermord an der Zukunft noch zu allen ihren Verbrechen zu fügen, da darf man das Volk nicht tadeln, wenn es den Leichnam der Vergangenheit aus dem Grabe holt und ihn beſchimpft. Der Ge¬ winn in dieſen Vorfällen iſt nicht eine neue Nieder¬ lage der Carliſten, denn es iſt Wahnſinn zu den¬ ken, daß dieſe je wieder ſich erheben könnten; ſon¬ dern, daß das Volk ſich wieder in ſeiner Kraft ge¬ zeigt, und der Regierung, welche die Ruhe übermü¬ thig zu machen drohte, einen heilſamen Schrecken beigebracht hat. Und daß dieſes geſchehen, merkt man70 an dem nachgiebigen Tone in den Proklamationen der Behörde. So lauteten ſie nicht im December; denn ſo kräftig war auch damals das Volk nicht auf¬ getreten. Es war noch müde vom Juli, und hatte wie halb im Schlafe revolutionirt. Bei alle dem mag es ſeyn, daß die Regierung ſelbſt dieſe Ereig¬ niſſe herbeigeführt. Erſtens um die Schuld des Car¬ liſtenhauptes ſtrafreif werden zu laſſen, und zweitens, um einen guten Vorwand zu haben, Belgien anzu¬ nehmen. Denn freilich kann jetzt die franzöſiſche Re¬ gierung zu verſtehen geben, ſie dürfe bei der gereiz¬ ten Stimmung des Volkes gar nicht wagen, Bel¬ gien abzuweiſen. Wir wollen abwarten, wie es geht.

71

Geſtern war ich in der italieniſchen Oper, weil mir Jemand ein Billet dazu ſchenkte; denn ſonſt wäre ich viel zu ſehr Pariſer Dandy dahin zu gehen, wenn die Malibran nicht ſingt. Das Haus war nur halb gefüllt, und von dieſer Hälfte ſchlichen ſich die Meiſten lange vor dem Ende fort. Manchen jungen Herrn ſah und hörte ich ſchlafen. Und doch war die ganze Oper vortrefflich beſetzt. Madame Lalande wäre eine glänzende Sängerin, würde ſie nicht von der Malibran verdunkelt. Man gab Zelmire, eine tragiſche Oper von Roſſini. Nach meinem Ge¬ fühle (denn Urtheil habe ich freilich keines in der Muſik) Roſſinis beſte Oper, wenigſtens unter allen, die mir bekannt ſind. Eine Muſik, ganz von Stahl, wenn auch polirtem. Man wird einigemal an Gluck erinnert. Dreißig Minuten hinter einander vernünf¬ tig zu ſeyn, das iſt dem lieben Roſſini freilich un¬ möglich. Hat er ſich eine halbe Stunde männlich be¬ tragen, wird ihm vor ſeiner eigenen Ritterlichkeit bange, er lüftet das Viſir und zeigt das alte freund¬ liche Geſicht. Horaz ſagt: Man mag die Natur mit Heugabeln hinausjagen, ſie kehrt immer wieder zurück. Aber ſagen Sie mir, woher kommt es, daß die Deutſchen nicht ſingen können? Es iſt wirklich72 kein Geſang zu nennen, wenn man es mit dem der Italiener vergleicht. Liegt es in dem, was die Na¬ tur oder in dem was die Kunſt gibt? Fehlt es ih¬ nen an Stimme oder an Vortrag.

Vorgeſtern habe ich mich im Gymnaſe Dramatique nach den Geſetzen der Natur und nach den Regeln der Kunſt zugleich gelangweilt als gewöhnlicher Zuſchauer aus Neigung, als Kri¬ tiker aus Pflicht. Man gab drei Stücke, alle drei von Scribe. Zoé, ou l’amant prêté; les trois maîtresses ou une cour d'Allemagne; la fa¬ mille Biquebourg, ou le mariage mal as¬ sorti. Ich hätte nie gedacht, daß der liebenswürdige Scribe ſo ein verdrießlicher Menſch ſeyn könnte. Die troi maîtresses lockten mich, weil ich hörte, es käme eine deutſche Revolution darin vor. Eine deut¬ ſche Revolution! Ich dachte nichts Drolligeres könne es geben auf der Welt. Aber die Revolution hat mich geprellt, freilich viel erträglicher als andere nur um einige Franken. Die neueſte Zeit wurde in eine alte Liebesgeſchichte geworfen, wie Salz in die Schüſſel. Wenn aber das Eſſen nichts taugt, macht es das Salz nicht beſſer. Eine franzöſiſche Komödie iſt wie ein ewiger Kalender; ein kleiner Ruck mit dem Finger, und aus Juli wird Auguſt, und aus 1830 1831. Der Rahmen von Pappe bleibt immer der nehmliche. Ein glückliches Volk die73 Franzoſen! Sie leben leichter als wir Deutſchen ſterben. Hören Sie. Ein junger deutſcher Gro߬ herzog hat drei Maitreſſen verſteht ſich in chro¬ nologiſcher Ordnung, eine nach der andern eine italieniſche Gräfin, eine italieniſche Sängerin und ein deutſches Nähmädchen. Drei und dreißig und ein drittel Prozent Patriotismus das iſt viel an ei¬ nem Fürſten! Dieſe drei Damen lieben aber den Fürſten nicht, ſondern einen ſeiner Offiziere, den Grafen Rudolph, und da dieſer wegen dummer Streiche arretirt werden ſoll, befreien und verbergen ſie ihn. Der Offizier liebt aber nur das Nähmäd¬ chen, den Andern macht er blos den Hof. Als er mit der Geliebten allein iſt, entdeckt er ihr, er, an der Spitze der Cadetten-Schule, gehe mit einer Re¬ volution um, dem Volke priviléges et franchises zu verſchaffen. Henriette ſucht ihn von dem gefähr¬ lichen Vorhaben abzubringen, und fragt ihn: was dabei heraus komme? (Die Nähmädchen ſind pfiffig!) Rudolph antwortet: vois-tu Henriette, la liberté ... cela regarde tout le monde ..... on nous en avait promis, il y a quelques années, quand Napoléon avait envahi notre Allemagne et qu'on voulait nous soulever en masse contre lui. Mais dès qu'on eut repoussé le tyran, nos pe¬ tits princes et nos petits grand-ducs, qui étai¬ ent tous comme lui, à la hauteur près, ont74 bien vite oublié leurs sermens .... quand quelques-uns de leurs sujets se plaignent de ce manque de mémoire, on les apelle sédi¬ tieux ... et on les poursuit ... et on les condamne ... et ils ont tort, jusqu'au jour ils deviennent les plus forts ... et alors ... ils ont raison. Nach dieſer unver¬ ſchämten Proſa ſingt Graf Rudolph noch unver¬ ſchämtere Verſe:

Le torrent grossit et nous gagne,
Chaque pays a sa force et son droit;
Bientôt viendra pour l'Allemagne
La liberté que l'on nous doit.
Ces rois dont nous craignons le glaive
Combien sont-ils? ... Peuples combien?
On se regarde, on se compte, on se Iève,
Et chaqu'un rentre dans son bien.

Dies patriotiſche Lied wird nach der Melodie: de la robe et les bottes geſungen. Endlich bricht der Aufruhr los. Der Großherzog, ein jun¬ ger ſtarker Mann in Uniform, zittert aber was man zittern nennt, zum Umfallen. Er verliert den Kopf und ſtammelt: c'est ainsi que cela a com¬75 mencé chez mon cousin le duc de Brunswick. (Ich glaube Ihnen ſchon geſchrieben zu haben, daß der leibhaftige Herzog von Braunſchweig gerade im Theater war, als das Stück zum Erſtenmale aufge¬ führt wurde, und daß er, nach jener lieblichen An¬ ſpielung eilig das Haus verließ, aus Furcht, erkannt und ausgelacht zu werden). Si ma garde refuse de donner .... si elle fait cause commune avec eux, mon dieu, mon dieu .... que devenir! une sédition! .. une révolte! Der Fürſt jammert ſo erſchrecklich, daß er einem alle Revolutionen verleiden kann. Wozu? Man ſiehet, eine ausgeſtopfte Re¬ volution als Fürſtenſcheuche thät die nehmlichen Dienſte. Des Fürſten erſte Maitreſſe, die Gräfin, eine feurige entſchloſſene Italienerin, ſucht ihn zu beruhigen, ver¬ ſpricht ihm Rettung. Sie öffnet das Fenſter, und ruft hinunter, der Fürſt bewillige dem Volke eine Con¬ ſtitution. Und ſogleich ſchreiet das Volk hinauf: es lebe unſer Großherzog! Der dankbare Fürſt heira¬ thet ſeine Retterin; Rudolph heirathet ſein Näher¬ mädchen, und die italieniſche Sängerin geht zum engliſchen Geſandten, der ſie auf den Abend einge¬ laden. So nimmt alles ein gutes Ende, und wahr¬ ſcheinlich wurden den andern Tag dem vielverſpre¬ chenden Fürſten die Pferde ausgeſpannt.

Das dritte Stück: la famille Biquebourg (das zweite, Zoé, iſt keine zehen Tropfen Dinte76 werth) wäre ſo übel gar nicht, aber es iſt ſentimen¬ tal auf deutſche Art, und wenn man Franzoſen bür¬ gerliche Thränen vergießen ſieht, möchte man ſich ge¬ rade todt lachen; es gibt nichts komiſcheres. Und dann die Vaudeville-Form, die leichten Liederchen zwiſchen den ſchwerſten Empfindungen. Das iſt gerade das Gegentheil von unſern deutſchen Opern. Wenn bei uns die Sänger die Höhe einer Arie erreicht haben, bleiben ſie ſtehen um auszuſchnaufen, und ſprechen zu ihrer Erholung proſaiſches dummes Zeug. Die Franzoſen aber in den Baudevillen, keuchen den pro¬ ſaiſchen Steg hinauf und oben machen ſie Halt und ſingen, bis ihnen das Herz wieder ruhig geworden.

Im Gymnaſe ſah ich auch die Leontine Fay wieder, die uns vor ſieben Jahren in Kinderrollen ſo vieles Vergnügen gemacht. Aus dem artigen Kinde iſt eine große ſchöne und prächtige Dame ge¬ worden, aus dem Kolibri ein Vogel Strauß. Sie ſpielt gut, auch verſtändig; aber etwas ſteif, etwas ſchwer. Sie iſt zugleich Gouvernante und Zögling, und ruft ſich immerfort zu: grade gehalten, Fräulein, Sie ſind kein Kind mehr! Sie hat große herrliche Augen, und weiß es, und damit bombardirt ſie das Haus, daß man jeden Augenblick erwartet, es werde zuſammen brechen. Dieſes Kokettiren gibt ihrem Ge¬ ſicht, ihrem Spiele eine ganz falſche Art. Um ihre großen Augen zu zeigen, nimmt ſie oft eine nach¬77 denkende, tiefſinnige, träumeriſche Miene an, wo es nicht hingehört. Es war etwas an ihr, das mich wie ſchmerzlich bewegte. Ich habe ſie als gedankenloſes Kind gekannt, aber ach! mit der Jugend verlor ſie das Paradies, ſie hat vom Baume der Erkenntniß gegeſſen und weiß Gutes vom Böſen zu unterſchei¬ den. Man ſollte nur Särge machen, drei Fuß lang, damit die Menſchen ſterben müſſen, ehe ſie ausge¬ wachſen.

78

Verſäumen Sie ja nicht, von heute an die Kammerſitzungen zu leſen: Das iſt höchſt wichtig und wird noch wichtiger werden. Die Wolke iſt end¬ lich geplatzt und es ſtrömt herunter. Was man für die Aſche des Herzogs von Berry gehalten, war die Aſche, die ein Vulkan ausgeworfen. Das Miniſte¬ rium hat geſtern erklärt, mit dieſer Kammer wäre nicht mehr zu regieren. Es herrſcht eine allgemeine Misſtimmung unter dem Volke, unter der National¬ garde. Frankreich ſähe ſich getäuſcht und verlange die Freiheit, um die es im Juli gekämpft. Wer wird ſiegen, die Regierung oder die Kammer? Es iſt eine gefährliche Kriſis. Ich ſehe nicht ein, wie die Regierung ohne Staatsſtreich ſich und dem Lande helfen kann, und ein Staatsſtreich, wenn auch für die Freiheit, würde alles auf das Spiel ſetzen. Ich habe das vorher geſehen und geſagt; leſen Sie nur meine früheren Briefe nach. Eine Revolution auf¬ halten, ehe ſie von ſelbſt ſtille ſtehet, das heißt ihren Weg verlängern, ihr Ziel entfernen. Man hat, mehr aus einer lächerlichen Eitelkeit, als aus Poli¬ tik, ſich dem Auslande ſtark zeigen wollen. Man wollte zeigen, daß man Herr des Volkes ſei, ſeine Leidenſchaft meiſtern könne. Mir fiel dabei gleich79 anfänglich der alte Goethe ein. Als er die Nach¬ richt von dem Tode ſeines einzigen Sohnes erfuhr, glaubte er ſeinen Schmerz zu mäßigen, wenn er ihn verberge. Er bekam einen Blutſturz davon, der ihn an den Rand des Grabes führte. Ich fürchte, Frankreich bekommt einen Blutſturz. Das Herz wird mir doch manchmal bange bei allen dieſen Geſchich¬ ten. Zwar weiß ich, wer beſiegt wird am Ende; aber wird ein Sieger übrig bleiben? Der Despo¬ tismus, ſo blind er iſt, iſt doch rieſenſtark; und wenn er ſeinen Untergang unvermeidlich ſiehet, wird er, ſeinen Tod zu rächen, wie Simſon, die Säulen der Welt umſtoßen, und mit ſich ſelbſt auch alle ſeine Feinde begraben.

In Berlin werden ſie noch ganz verrückt vor Angſt und Verzweiflung. Neulich enthielt die preußiſche Staats-Zeitung einen langen Artikel, worin behauptet wird, Preußen ſei eigentlich der wahre republikaniſche Staat; dort wäre der Thron von republikaniſchen Inſtitutionen umgeben, und Frankreich hätte nichts von der Art, und die Franzo¬ ſen ſollten ſich ſchämen, ſolche Knechte zu ſeyn. Ich glaube, es war Malice von der preußiſchen Staats - Zeitung, und ſie hatte es darauf angelegt, daß alle Liberalen in Deutſchland und Frankreich vor Lachen erſticken ſollen. Welche Zeiten! und ach, welche Menſchen! Und ſie wiſſen recht gut, daß ſie Keinen80 täuſchen, am wenigſten die Preußen ſelbſt. Aber ſie haben ſolche Freude an Lug und Trug, daß ſie den¬ ken: und wenn unter zehen Millionen Leſern, nur zehen Dummköpfe uns glauben, es iſt immer ein Gewinn.

Ich habe neulich einen Brief geleſen, den der Profeſſor Raumer in Berlin hierher geſchrieben, über die deutſchen und franzöſiſchen Angelegenheiten, natürlich in der Abſicht, daß er hier herum gezeigt werde. Es iſt ein $$\frac{1}{113}$$ offizieller Brief. Dieſer Profeſſor der Geſchichte .... iſt eben Königlich Preußiſcher Profeſſor. O! O! Sein Maasſtab für dieſe große Zeit iſt nicht länger als ſein Ordens - Bändchen. Und das alte Lied endiget mit dem ewi¬ gen Triller: Die Liebe der Preußen zu ihrem Kö¬ nige ſei in dieſen Tagen noch gewachſen. Und doch ſagen ſie das ganze Jahr durch, dieſe Liebe könne gar nicht mehr wachſen! Dieſer Raumer gibt Briefe über die franzöſiſche Revolution heraus. Er war damals hier, er hat alles ſelbſt mit angeſehen; aber Schmeichler ſind ſo blind als die Geſchmeichel¬ ten. Der Herr von Raumer wird uns ſchöne Sa¬ chen erzählen!

[81]

Sechs und dreißigſter Brief.

Es lebe Italien! Es gehet alles prächtig her; es kann in keiner Oper ſchöner ſein. Die Herzogin von Parma, Marie Louiſe, die kleine Frau des gro¬ ßen Mannes, die nicht wie einſt Brutus Gattin Feuer ſchluckte, ſondern ſich wie eine Wittwe von Epheſus betrug, bekam, als ſie beim Frühſtück ſaß, von einer Bürger-Deputation die höfliche Einladung, ſie möchte ſich aus dem Lande begeben. Und als ſie ſich be¬ denken wollte, ſagte man ihr, das ſei gar nicht nö¬ thig, die Wagen ſtänden ſchon angeſpannt im Hofe. Der Herzog von Modena hatte den Henkersknecht von Reggio kommen laſſen, die Verſchwornen hinzu¬ richten. Man hat den Henkersknecht zuſammen ge¬ll. 682hauen und den Kerkermeiſter fortgetrieben. Was fehlt? Ein bischen Muſik-Staub von Auber darauf geſtreut und die Oper iſt fertig. Bologna, Ferrara, Modena, Faenza, ich möchte das Alles von der Malibran ſingen hören. Die zehen Plagen Aegyp¬ tens werden über die neuen Pharaonen kommen, und die frohnenden Völker werden ſich befreien. Ach! ihr Weg geht auch über ein rothes Meer, über ein Meer von Blut; aber es wird ſie hinüber tragen, und ihre meineidigen Verfolger werden darin ihr Grab finden.

Ja wohl habe ich geleſen und gehört von den frühzeitigen, unzeitigen und überzeitigen Dumm¬ heiten die in Baiern, vorgehen. Das hat mich be¬ trübt aber nicht gewundert. Der König von Baiern hat zunächſt an ſeinem Throne eine vertraute Per¬ ſon, die verblendetſte, wo ſie ſelbſt rathet, die be¬ ſtechlichſte wo ſich Jemand findet, der ſie lenkt, um ihren Herrn zu lenken ſeine Phantaſie. Düm¬ mere Fürſten handeln bei weitem klüger. Nichts iſt gefährlicher als Geiſt ohne Charakter, als das Genie, dem es an Stoff mangelt. Hat das Feuer einmal ſein Holz gefunden, bleibt es ruhig und man braucht ſich ihm nur nicht zu nähern, um ſicher zu ſeyn. Aber die Flamme ohne Nahrung ſtreicht hungrig um¬ her, leckt hier, leckt dort und entzündet vieles, ehe83 ſie ihre Beute feſthält und die Beute ſie. Die Poeſie macht keinen Fürſten ſatt, und hat er ein ſchwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann, wird er ſelbſt ſchwach werden. Der König von Baiern ſiehet zu weit. Solche Fürſten ſind wie die Augen, ſie zucken mit den Wimpern, ſobald nur ein Stäubchen von Gefahr ſich ihnen nähert, und wäh¬ rend der Sekunde, daß ſie die Augen verſchließen, werden ſie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch be¬ kümmern wir uns um keine Fürſten, ſie haben nichts zu[verantworten]. Es iſt eine Krankheit, einen König haben, es iſt eine ſchlimmere, einer ſeyn. Wir wol¬ len ſie heilen und nicht haſſen. Ihre heilloſen Rath¬ geber, die müſſen wir bekämpfen.

Von welch einem erhabenen Schauſpiele kehre ich eben zurück! und welch eine Stadt iſt die¬ ſes Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich ihre Wunder feil bieten! Ich ſtand auf dem höch¬ ſten Gipfel des menſchlichen Geiſtes, und überſah von dort das unermeßliche Land ſeines Wiſſens und ſeiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des menſch¬ lichen Gebietes, da wo die Herrſchaft der Götter be¬ ginnet ich habe eine Seeſchlacht geſehen. Der Himmel war blau wie an Feiertagen, und mit der ſchönſten Sonne geſchmückt. Das Meer ſchlummerte und athmete ſanft und ward nur von Zeit zu Zeit6*84vom Donner des Geſchützes aufgeſchreckt. Es war ein Tag zu lieben und nicht zu morden. Es muß weit ſeyn vom Himmel bis zur Erde; denn könnte die Sonne die Gräuel der Menſchen ſehen, ſie flöhe entſetzt davon und kehrte nie zurück! Eine Schlacht auf dem Lande iſt ein Liebesſpiel gegen eine Schlacht auf der See. Dort ſtirbt der Menſch nur einmal und findet dann Ruhe in ſeiner mütterlichen Erde; hier ſtirbt er alle Elemente durch und keine Blume blühet auf ſeinem Grabe. Dort trinkt die Erde warm das verſchüttete Blut; hier auf dem dürren Boden der Schiffe ſtehet es hoch, dick, kalt. Die Menſchen werden zerquetſcht, zerriſſen; nicht Kälber die man ſchlachtet, werden ſo grauſam zugerichtet. Das franzöſiſche Linienſchiff, der Scipion, auf dem ich mich befand, war in einer ſchrecklichen Lage; wir waren von Feuer und Rauch umgeben. Ein feindli¬ cher Brander hatte ſich angehängt und jede Minute brachte uns dem Untergange näher. Wir erwarteten in die Luft geſprengt zu werden. Die ganze Man¬ ſchaft eilte nach dem Verdecke und bemühte ſich durch Beile das Schiff vom Brander los zu machen. Drei Böte ſtachen in die See und ſuchten durch Seile den Brander ab - und ins Weite zu ziehen. Auf dem Schiffe und in den Böten ſtanden Offiziere, hoch aufrecht, als fürchteten ſie eine Kanonenkugel zu ver¬85 fehlen und kommandirten ſo ruhig, wie der Kapell¬ meiſter im Orcheſter[kommandirt]. Und jetzt rund umher, nah und fern in einem weiten Kreiſe, die franzöſiſche, engliſche und ruſſiſche Flotte und dieſen gegenüber die türkiſche. Aus den Mündungen der Kanonen ſtürzten Feuerſtröme hervor. Das Schiff des Admirals Codrington, halb in Trümmern mit zerriſſenen Segeln, hat ſo eben ein türkiſches Linien¬ ſchiff in den Grund gebohrt Es ſinkt, es iſt ſchon halb geſunken, die ganze Beſatzung gehet zu Grunde. Die Türken mit ihren rothen Mützen, rothen Klei¬ dern und mit ihren blutenden Wunden gewähren ei¬ nen ſchauderhaften Anblick; man weiß nicht, was Farbe, was Blut iſt. Viele ſtürzen ſich in das Meer, ſich durch Schwimmen zu retten. Andere ru¬ dern Böte umher und fiſchen Todte und Verwundete auf. Mehrere Schiffe fliegen in die Luft. Himmel und Erde lächeln zu dieſen Schrecken, wie zu einem unſchuldigen Kinderſpiele! Rechts ſiehet man auf einer Anhöhe, Stadt und Citadelle von Navarin und eine Waſſerleitung, die über den Berg hinziehet, er¬ innert an die altgriechiſche Zeit. Das war ein An¬ blik! Ich werde ihn nie vergeſſen. Man ſchwebt zwiſchen Himmel und Erde, man wird zwiſchen Schre¬ cken und Bewunderung, zwiſchen Abſcheu und Liebe gegen die Menſchen hin und her geworfen. Und wie86 die Leute ſagen, iſt dieſes alles nur gemalt; es iſt das Panorama von der Schlacht bei Nava¬ rin. Ich mußte es wohl glauben, denn man kann nicht von dem Schiffe herunter, um Alles mit den Händen zu betaſten. Aber das Schiff, auf dem man ſich befindet, das geſtehet man ein, iſt nicht gemalt, ſondern von Holz und Eiſen. Es iſt ein Kriegsſchiff von der natürlichen Größe, und in allen ſeinen Thei¬ len genau eingerichtet wie der Scipion, der in der Schlacht von Navarin mitgekämpft. Man tritt in das Gebäude des Panorama's und gelangt über einen ſchmalen dunklen Gang an eine Treppe. Dieſe ſteigt man hinauf und kommt in ein großes Zimmer, das zwar mit allen Möbeln häuslicher Bequemlichkeit, aber auch mit Beilen, Piſtolen, Flinten, Fernröhren, Compaſſen und Schiffsgeräthſchaften aller Art ver¬ ſehen iſt, Das iſt das Zimmer der Offiziere. Die bretterne Wand, welche dieſes Zimmer von einer Batterie trennt, iſt, da die Schlacht begonnen, weg¬ genommen. Man ſiehet eine Reihe von Kanonen und im[Hintergrunde] Matroſen beſchäftigt, einen ver¬ wundeten Kameraden vom Verdecke in den untern Schiffsraum herabzulaſſen. Dann gehet man die zweite Treppe hinauf und gelangt in die Wohnung des Commandanten, Speiſezimmer, Gallerie, Schlaf¬ zimmer, Küche. Das bisherige müſſen Sie ſich den¬87 ken, als die zwei untern Stockwerke des Schiffsge¬ bäudes. Endlich führt eine dritte Treppe zum Ver¬ decke des Schiffes, und von dort oben ſiehet man das Meer, die Schlacht, und was ich Ihnen beſchrieben. Die Zuſchauer ſtehen auf dem Hintertheile des Schif¬ fes, der leer iſt, weil die ganze Mannſchaft wegen des Branders ſich nach dem Vordertheile gedrängt. Neulich hatte der König mit ſeiner Familie das Pa¬ norama von Navarin beſucht, und war von den Ad¬ miralen Codrington und Rigny, die in jener Schlacht commandirt hatten, begleitet. Wer dabei hätte ſeyn können, wie die Admirale dem König alles erklärten, der hätte eine recht genaue Vorſtellung von der Schlacht bekommen. Lebhaft iſt das Schauſpiel auch ohne Erklärung.

In meinem vorigen Briefe ſagte ich Ihnen viel Gutes von Roſſini's Oper Zelmira und nannte die Muſik eine ſtählerne. Heute leſe ich im Con¬ ſtitutionel: la belle musique de la Zelmira, qui gagne tant à être souvent[entendue], cette mu¬ sique si cuivrée, et faite pour les oreilles allemandes, ... Ich mußte lachen über das ſauerſüße Lob! Schöne Muſik das iſt der Zucker; Deutſche Muſik das iſt der Eſſig; und cuivrée das iſt das Gemiſch von Beiden;88 cuivrée heißt eigentlich[falſch] vergolden, mit Kupfer vergolden. Bitte, meine Herren Franzoſen! den Rhein möget Ihr uns nehmen; aber unſere Muſik werdet ihr ſo gut ſeyn, uns zu laſſen. Die gehört nicht dem deutſchen Bunde, die gehört uns, und wir werden ſie zu vertheidigen wiſſen.

89

Die italieniſche Revolution greift um ſich wie ein Fettfleck und nicht mit der ganzen Erdkugel wird Oeſterreich das reinigen können. Savoyen, Ty¬ roler rühren ſich. Was wird Immermann dazu ſa¬ gen? Das ſind ja ſeine treuen Tyroler, die wie Hunde geheult an Oeſterreichs Grabe! ...

Daß Sie die Briefe eines Verſtorbenen ſo unaufhörlich gegen mich in Schutz nehmen! Ich habe dem Manne nicht im geringſten Unrecht gethan, und habe ganz nach Gewiſſen geurtheilt. Was am Buche zu loben iſt, habe ich gelobt; was am Ver¬ faſſer zu tadeln, getadelt. Sein Ariſtokratiſcher Hochmuth war Ihnen entgangen, mir nicht, und jetzt iſt die Zeit heiß, man muß ſie ſchmieden ehe ſie wie¬ der kalt wird. Man ſagt: Don Miguel ſei ver¬ jagt, Donna Maria in Liſſabon als Königin aus¬ gerufen. Es iſt ein Herbſt der Tyrannei und die dürren Blätter fallen Ueber die Salons habe ich Ihnen meine Meinung ſchon geſagt. Ich habe mehr Neigung für Maſſen, für das öffentliche Leben. Ich liebe die Kerzen nicht. Vergnügen fand ich nicht viel in den Salons, in welchen ich noch war. Bleibt das Belehrende. Aber jedes Wort, das in den Sa¬ lons geſprochen wird, beſonders über Politik, kommt90 den folgenden Tag in die öffentlichen Blätter, da die Redacteure überall ihre Agenten haben, die ihnen al¬ les berichten. Ein Salon in Paris iſt nichts anders, als eine Zeitung mit Himbeerſaft. Der Himbeerſaft wäre freilich gewonnen; aber ändern Sie mich trä¬ gen Menſchen! Die Kammer wird aufgelöſ't, das Miniſterium wahrſcheinlich geändert im liberalen Sinne, und dann wird alles beſſer gehen, und ſchnel¬ ler und die Revolution wird ihre Früchte tragen auch für uns. Körbe herbei!

[91]

Sieben und dreißigſter Brief.

Die Krönung Napoleons, von David gemalt, durfte unter der vorigen Regierung nicht an das Tageslicht; jetzt wird das Gemälde wieder gezeigt. Was half Ihnen ihr blinder Groll? Nichts iſt doch lächerlicher und grauſamer, als die ſtrenge Diät, welche kranke Fürſten, die nichts vertragen können, ihren Völkern auflegen, die alles vertragen! Sie meinen, wenn man die Herzen faſten ließe, davon würden die Köpfe und Arme ſchwach, und ſie wären dann leichter zu regieren. Aber der Hunger des Herzens ſättigt den Kopf und ſtärkt die Glieder. Napoleons Bild kehrte nach fünfzehn Jahren zurück, und die Bourbons werden ewig verbannt bleiben gewiß ewig; denn am dritten Schlagfluſſe ſtirbt der Menſch, und wenn er auch ein König iſt. Ich ſah geſtern das Gemälde, es hat ſehr gelitten; Farbe,92 Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ mich ſo kalt, als ſähe ich eine[Abbildung] von der Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬ gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬ ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet. Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬ größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte, nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm, noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres, als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬ ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬ len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen, nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬93 penträger und Hofhanswürſte. Man hätte gerne ge¬ ſehen, daß ſeine Marſchälle ſich ſtolz auf ihre Schwer¬ ter ſtützten und mit unterdrücktem Spotte auf die ge¬ fälligen Cardinäle blickten. Aber ſie trugen Degen wie die Kammerherren, und waren geputzt wie die Hofnarren. Die Portraits ſind alle geiſtreich, das iſt wahr: aber es hat Jeder ſein eigenes Geſicht, Keiner ein Krönungsgeſicht. Jeder ſucht ſeine Ge¬ fühle zu unterdrücken, das ſiehet man deutlich. Herz und Augen gehen weit aus einander.

Unter allen Figuren waren nur drei, die mich anzogen. Napoleons Schweſter, damals Großher¬ zogin von Berg, ſpäter Königin von Neapel. Sie ſiehet ihrem Bruder ganz ungemein ähnlich, nur ſind ihre Züge edler und zeigen den ſchönen Stolz des Sieges, den man in den Zügen des Kaiſers verge¬ bens ſucht. Dann: der Papſt. Er ſitzt ſo bedeu¬ tend abgeſpannt und duldend in ſeinem Seſſel, wie eine gläubige und kränkliche Seele, die Gott nicht blos anbetet in dem, was er thut, ſondern auch in dem, was er nicht thut, geſchehen läßt. Endlich Talleyrand. Ich habe ihn nie geſehen, nicht einmal gemalt. Ein Geſicht von Bronze, eine Marmor¬ platte, auf der mit eiſernen Buchſtaben die Nothwen¬ digkeit geſchrieben iſt. Ich habe nie begreifen kön¬ nen, wie noch alle Menſchen aller Zeiten ſo dieſen Mann verkannt! Daß ſie ihn geläſtert, iſt ſchön, aber94 ſchwach, tugendhaft, aber unverſtändig; es macht der Menſchheit Ehre, aber nicht den Menſchen. Man hat Talleyrand vorgeworfen, er habe nach und nach alle Partheien, alle Regierungen verrathen. Es iſt wahr, er ging von Ludwig XV. zur Republik, von dieſem zum Direktorium, von dieſem zum Conſulat, von dieſem zu Napoleon, von dieſem zu den Bour¬ bonen, von dieſen zu Orleans über, und es könnte wohl noch kommen, ehe er ſtirbt, daß er wieder von Louis Philipp zur Republik überginge. Aber verra¬ then hat er dieſe Alle nicht, er hat ſie nur verlaſſen, als ſie todt waren. Er ſaß am Krankenbette jeder Zeit, jeder Regierung, hatte immer die Finger auf dem Pulſe, und merkte es zuerſt, wenn ihr das Herz ausgeſchlagen. Dann eilten er vom Todten zum Er¬ ben; die Andern aber dienten noch eine kurze Zeit der Leiche fort. Iſt das Verrath? Iſt Talleyrand darum ſchlechter, weil er klüger iſt als Andere, weil feſter, und ſich der Nothwendigkeit unterwirft? Die Treue der andern währte auch nicht länger, nur ihre Täuſchung währte länger. Auf Talleyrands Stimme habe ich immer gehorcht, wie auf die Entſcheidung des Schickſals. Ich erinnere mich noch, wie ich er¬ ſchrack, als nach der Rückkehr Napoleons von Elba Talleyrand Ludwig XVIII. treu geblieben. Das ver¬ kündigte mir Napoleons Untergang. Ich freute mich, als er ſich für Orleans erklärte; ich ſah daraus daß95 die Bourbons geendet. Ich möchte dieſen Mann in meinem Zimmer haben; ich ſtellte ihn wie einen Ba¬ rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu leſen, ohne das Fenſter zu öffnen, wollte ich jeden Tag wiſſen, welche Witterung in der Welt iſt.

Talleyrand und Lafayette ſind die zwei größten Charaktere der franzöſiſchen Revolution, jeder an ſei¬ ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein, Leben vom Tode zu unterſcheiden; aber jedes Grab war ihm eine Wiege, und er verließ die Geſtorbenen nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode, an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie Talleyrand geweſen! Da er nur der Zeit zu dienen brauchte, keinen Menſchen, weil er ſelbſt der Höchſte war: hätte er mit beſſerer Einſicht ſich ſelbſt beſſer gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt. Was habe ich dem Keiſer nicht alles geſagt! Heine hätte es hören ſollen! Ich war allein im Saale, und ſtellte mich mit verſchränkten Armen vor ihn hin, wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit verſpotten, und Narr! habe ich ihn geheißen. Ich hätte ihn Böſewicht nennen können, aber das hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem Manne, was er ſich ſelbſt gethan, wollte ich ihm auch verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der Gemeinheit zu beſudeln, und ſich aus Eitelkeit mit96 Schmutz zu bedecken, um ſich einen Schein von[ab¬ genutztem] Alter zu geben! Er hat die Freiheit um ihre ſchönſten Jahre gebracht, er hat ſie um ihre Jugend betrogen, und jetzt muß ſie mit grauen Haaren noch auf der Schulbank ſitzen, und erſt ler¬ nen, was ſie längſt könnte vergeſſen haben. Ehe ich ging, lachte ich ihm noch einmal freundlich zu. Für die Dummheit, die du Andere begehen machteſt, will ich dir deine eigne verzeihen. Du warſt der ſtarke eiſerne Reif, der die Faßdauben der Welt zuſammen gehalten. Und die Narren-Fürſten haben dich zer¬ ſchlagen, und gleich hat der gährende Wein das Faß aus einander geſprengt, und ſchweres Holz iſt an hohle Schädel gefahren! Das war ſchön.

Von Napoleons Krönung weg, ging ich zu einem andern Schauſpiel, das meinem Herzen wohler that. Ich beſuchte den edlen Medor. Wenn man auf dieſer Erde die Tugend mit Würden belohnte, dann wäre Medor der Kaiſer der Hunde. Vernehmen Sie ſeine Geſchichte. Nach der Beſtürmung des Louvres im Juli begrub man auf dem freien Platze vor dem Pallaſte, auf der Seite, wo die herrlichen Säulen ſtehen, die in der Schlacht gebliebenen Bürger. Als man die Leichen auf Karren legte, um ſie zu Grabe zu führen, ſprang ein Hund mit herzzerreißendem Jammer auf einen der Wagen, und von dort in die große Gr[u]be, in die man die Todten warf. Nur97 mit Mühe konnte man ihn heraus holen; ihn hätte dort der hinein geſchüttete Kalk verbrannt, noch ehe ihn die Erde bedeckt. Das war der Hund, den das Volk nachher Medor nannte. Während der Schlacht ſtand er ſeinem Herrn immer zur Seite, er wurde ſelbſt verwundet. Seit dem Tode ſeines Herrn verließ er die Gräber nicht mehr, umjammerte Tag und Nacht die hölzerne Wand, welche den engen Kirchhof ein¬ ſchloß, oder lief heulend am Louvre hin und her. Keiner achtete auf Medor, denn keiner kannte ihn und errieth ſeinen Schmerz. Sein Herr war wohl ein Fremder, der in jenen Tagen erſt nach Paris ge¬ kommen, hatte unbemerkt für die Freiheit ſeines Va¬ terlandes gekämpft und geblutet, und war ohne Na¬ men begraben worden. Erſt nach einigen Wochen ward man aufmerkſamer auf Medor. Er war ab¬ gemagert bis zum Gerippe und mit eiternden Wun¬ den bedeckt. Man gab ihm Nahrung, er nahm ſie lange nicht. Endlich gelang es dem beharrlichen Mit¬ leid einer guten Bürgersfrau, Medors Gram zu lin¬ dern. Sie nahm ihn zu ſich, verband und heilte ſeine Wunden, und ſtärkte ihn wieder. Medor iſt ruhiger geworden, aber ſein Herz liegt im Grabe bei ſeinem Herrn, wohin ihn ſeine Pflegerin nach ſeiner Wiederherſtellung geführt, und das er ſeit ſieben Monaten nicht verlaſſen. Schon mehrere Male wurde er von habſüchtigen Menſchen an reiche Freundell. 798von Seltenheiten verkauft; einmal wurde er dreißig Stunden weit von Paris weggeführt; aber er kehrte immer wieder zurück. Man ſiehet Medor oft ein kleines Stück Leinwand aus der Erde ſcharren, ſich freuen wenn er es gefunden, und dann es wieder traurig in die Erde legen und bedecken. Wahrſchein¬ lich iſt es ein Stück von dem Hemde ſeines Herrn. Gibt man ihm ein Stück Brod, Kuchen, verſcharrt er es in die Erde, als wollte er ſeinen Freund im Grabe damit ſpeiſen, holt es dann wieder heraus, und das ſiehet man ihn mehrere Male im Tage wiederholen. In den erſten Monaten nahm die Wache von der Nationalgarde beim Louvre jede Nacht den Medor zu ſich[in] die Wachtſtube. Später ließ ſie ihm auf dem Grabe ſelbſt eine Hütte hinſetzen, und folgende Verſe darauf ſchreiben, die beſſer ge¬ meint als ausgeführt ſind:

Depuis le jour qu'il a perdu son maître,
Pour lui la vie est un pésant fardeau;
Par son instinct il croit le voir paraître;
Ah! pauvre ami, ce n'est plus qu'un tombeau.

Medor hat ſchon ſeinen Plutarch gefunden, ſeine Rhapſoden und Maler. Als ich auf dem Platz vor dem Louvre kam, wurde mir Medors Lebensbeſchrei¬ bung, Lieder auf ſeine Thaten und ſein Bild feil geboten. Für zehen Sous kaufte ich Medors ganze99 Unſterblichkeit. Der kleine Kirchhof war mit einer breiten Mauer von Menſchen umgeben, Alle arme Leute aus dem Volke. Hier liegt ihr Stolz und ihre Freude begraben. Hier iſt ihre Oper, ihr Ball, ihr Hof und ihre Kirche. Wer nahe genug herbei kommen konnte, Medor zu ſtreicheln, der war glück¬ lich. Auch ich drang mich endlich durch. Medor iſt ein großer weißer Pudel, ich ließ mich herab, ihn zu liebkoſen; aber er achtete nicht auf mich, mein Rock war zu gut. Aber nahte ſich ihm ein Mann in der Weſte, oder eine zerlumpte Frau und ſtrei¬ chelte ihn, das erwiederte er freundlich. Medor weiß ſehr wohl, wo er die wahren Freunde ſeines Herrn zu ſuchen. Ein junges Mädchen, ganz zerlumpt, trat zu ihm. An dieſem ſprang er hinauf, zerrte es, ließ nicht mehr von ihm. Er war ſo froh, es war ihm ſo bequem, er brauchte um das arme Mädchen etwas zu fragen, es nicht wie eine vornehme ge¬ putzte Dame, ſich erſt niederlaſſen, am Rande des Rockes zu faſſen. An welchem Theile des Kleides er zerrte, war ein Lappen der ihn in den Mund paßte. Das Kind war ganz ſtolz auf Medors Vertraulichkeit. Ich ſchlich mich fort, ich ſchämte mich meiner Thrä¬ nen. Wenn ich ein Gott wäre, ich wollte viele Freu¬ den unter die armen Geſchöpfe der Welt vertheilen; aber die erſte wäre: ich weckte Medors Freund wie¬ der auf. Armer Medor! .. Könnte ich den treuen7*100Medor nur einmal in die Deputirten-Kammer locken! Hörte er dort die Verhandlungen dieſer Tage, ver¬ nähme er, ſein guter Herr hätte nie können Depu¬ tirter werden, weil er nicht 750 Franken Steuern bezahlt, er, der doch ſein Blut dem Vaterlande ge¬ ſteuert wie würde er bellen, wie würde er dem jämmerlichen Düpin und den Andern allen in die Beine fahren!

101

Ich empfehle Ihnen das Buch: Théâtre de Clara Gazul, Comédienne Espagnole, von Mé¬ rimée. Der Verfaſſer hat ſich nicht genannt. Er nimmt den Schein an, als wären die Komödien aus dem Spaniſchen überſetzt. Es ſind eigentlich nur Skizzen und Scenen: aber mit großer Kunſt werden durch wenige Striche ganze Charaktere gezeichnet, und mit ein wenig Roth und Gelb, die glühendſten ſpa¬ niſchen Naturen treu gemalt. Man kann ſich nichts Liebenswürdigeres denken. Der Verfaſſer hat eine unbeſchreibliche Grazie, eine Phantaſie gleich einer Lerche, wenn ſie in der Abenddämmerung um grüne Kornfelder fröhliche Kreiſe zieht. Es ſind Komödien, wild wie junge Mädchen; aber wie wohlgezogne; ſie ſind ſittſam dabei und erröthen leicht. Der Dichter hat, was die Deutſchen Ironie nennen, und was ich noch bei keinem Franzoſen gefunden. Seine Ironie iſt wie die unſere, nur geflügelter. Und was in den Dichtungen fehlt, macht ſie ſo ſchön, als das, was ſie beſitzen; es ſind reizende Nachläſſigkeiten.

Geſtern habe ich Comte's Kindertheater be¬ ſucht, oder wie es jetzt eigentlich heißt: Théâtre des jeunes Acteurs. Es iſt lange nicht mehr ſo artig, als es vor mehreren Jahren war, da wir es geſehen. 102Die damaligen Kinder ſind ſeitdem lange Jungen und Mädchen geworden, meiſtens treten bejahrte Perſonen auf, und die wenigen Kinder ſpielen zu altklug. Mich lockte eigentlich ein Stück, von dem man ſeit einiger Zeit viel geſprochen, ein buckliges Luſtſpiel. Es heißt: Mayeux ou le bossu à la mode. Mayeux iſt eine Pariſer Volks-Tradition von einem geiſtrei¬ chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein ſolcher Mayeux wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Geſchöpf der Phantaſie iſt. Aber ſeit der letzten Revolution wurde dieſer Mayeux wieder aus der Vergeſſenheit hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und Bildern die witzigſten Worte in den Mund. Das Vaudeville, von welchem hier die Rede, iſt mit Geiſt und Laune geſchrieben; auch haben nicht weniger als drei dramatiſche Dichter daran gearbeitet. Mayeux iſt ein kleiner verwachſener Kerl, voll ſcharfer, doch gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und trotz ſeiner verkrüppelten Geſtalt als Grenadier unter der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬ heit und Gewandtheit dazu, dieſen Charakter und dieſe Misgeſtalt ſo zu behandeln, daß er Lachen er¬ regt, ohne ſich lächerlich zu machen. Davor müſſe man ſich hüten; denn das wäre auf die Revolution und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬ faſſern iſt es gelungen. Aber es wurde bei Comte103 gar zu ſchlecht geſpielt, und ich konnte es nicht zu Ende ſehen. Die Misgeſtalt Mayeux's wurde ſo karrikirt, daß ſie widerlich wurde. Auch ein Bu¬ ckel hat ſeine äſthetiſchen Regeln, die man nicht über¬ treten darf. Was mich in dieſem Theater am mei¬ ſten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die tauſend Küſſe den ganzen Abend, und die unzähligen Stangen Gerſtenzucker, die der Conditorjunge abſetzt. Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich den Erwachſenen, ſie, denen doch noch alles ernſt und wahr erſcheint; und die keinen Widerſpruch und kei¬ nen Zufall unterſcheiden? Ich begreife das nicht. Es hat gewiß ſeine Erklärung; aber ich als Gelehr¬ ter darf das vergeſſen haben. Doch Sie, unwiſſende Freundin, müſſen es wiſſen. Erklären Sie mir, warum Kinder lachen?

Bald wird das Eis überall brechen, nach und nach, und es wird eine tolle Wirthſchaft geben. Ich ſehe es für ein Glück an, daß jetzt eine ſo feind¬ liche Spannung zwiſchen der franzöſiſchen Kammer und der Regierung eingetreten iſt, daß ein gefährli¬ ches Mißbehagen ſich im ganzen Lande zeigt; denn Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem Verderben gerettet werden. Es mögen entſcheidende Dinge ſich bereiten.

Die engliſchen Blätter, die nicht blos vernünf¬104 tig über die Sache ſprechen heute müßte einer dumm ſeyn, der nicht vernünftig wäre ſondern auch kalt, weil ſie der Krieg unmittelbar nichts an¬ geht, ſagen, der Krieg wäre unvermeidlich. Die zwei[Prinzipien], welche die Welt beherrſchen, Freiheit und Tyrannei, ſtänden ſich feindlich einander gegen¬ über, und an eine friedliche Ausgleichung wäre nicht zu denken; denn nie würden abſolute Fürſten ihren Völkern gutwillig liberale Inſtitutionen geben. Und ſo iſt es. Tauſendjährige Leidenſchaften, Vorurtheile, von ſo alten und tiefen Wurzeln, zerſtört man nicht ſo leicht, nicht einmal dann, wenn ſelbſt die, die ſie haben, von ihnen befreit ſeyn möchten. Der Menſch[i]ſt nicht frei, auch der beſte nicht. Er kann alles lernen wollen, aber nichts vergeſſen, und ſo lange Kopf und Herz vom Alten beſetzt ſind, findet das Neue keinen Platz. Darum Krieg!

[105]

Acht und dreißigſter Brief.

Der Geiſt freier Unterſuchung und der Op¬ poſition hat ſich hier ſo mächtig entwickelt, daß er ſogar bis in die Schulen gedrungen iſt. Im College Henri IV (nach deutſchem Ausdrucke ein Gymnaſium) werden von den Schülern zwei handſchriftliche Jour¬ nale redigirt, die in den Schulzimmern täglig cirku¬ liren. Das eine Journal: le lycéen genannt, kämpft unter Racine's Fahne, alſo für die klaſſiſche Literatur; das Andere mit dem Titel: le cauche¬ mar, ſtreitet unter der Fahne Victor Hugo's. Die romantiſche Literatur mit dem Worte cauchemar (das Alpdrücken) zu bezeichnen, iſt eine geiſtreiche Naivetät, und die Feinde der Romantik hätten nichts Beſſeres erfinden können. Dieſe Zeitungen enthal¬ ten nun zwar literäriſche Gegenſtände, aber am Schluſſe des Blattes werden auch freimüthige Be¬106 merkungen über Lehrer und Profeſſoren hinzugeſetzt. Das hat die Schulobrigkeit übel genommen und ſie hat den rédacteur en chef du Lycéen aus der Schule[entfernt]. Die Zöglinge klagen, das wäre eine offenbare Verletzung der Preßfreiheit! Ich habe über dieſen komiſchen Kinder-Liberalismus herzlich lachen müſſen. Die kleinen Jakobiner haben es hier noch gut. Ihre höchſte Strafe iſt, daß man ſie nach Hauſe zu ihren Eltern ſchickt, wo ſie, ſtatt über den Büchern zu ſitzen, den ganzen Tag frei umher lau¬ fen und ſpielen dürfen. Im Oeſterreichiſchen würde man ſolche anarchiſche Buben, als Trommelſchläger und Pfeifer unter die Soldaten ſtecken Wenn ſich die Kinder hier unter einander ſtreiten und zanken, ſchimpfen ſie ſich Charles X. und Polignac. O! es iſt eine böſe Welt.

Oeſterreich! ... Es muß eine Wonne ſeyn, dieſer fluchwürdigen Regierung auf einem Schlacht¬ felde der Freiheit gegenüber zu ſtehen! Es muß eine tugendhafte Schadenfreude ſeyn, der dumm-verzagten Welt zu beweiſen, das Gott mächtiger iſt als der Teufel! Die heiße Wuth eines Tyrannen wie Don Miguels kann meine Nerven in Aufruhr bringen; aber nie vermochte ſie meine innere unſterbliche Seele ſo zu empören, als es die kalte abgemeſſene Tücke Oeſterreichs thut, das, ohne Leidenſchaft, gleich Goe¬ the's Mephiſtofeles, die Menſchen verführt oder ver¬107 dirbt, nur um zu zeigen, daß es keine Tugend gibt, daß die Tugend ohnmächtig ſei dem Böſen zu wider¬ ſtehen. Geſtern ſtand eine Geſchichte im Courier Français, die ich Ihnen mittheile, und zwar über¬ ſetzt; ich muß die Probe meiner Augen machen, ich muß mich überzeugen, daß ich nicht falſch geleſen.

Behandlung der Staatsgefangenen in Brünn.

Ein junger Italiener, Herr Maronelli, aus ſei¬ nem Vaterlande verbannt, und verſtümmelt durch die Marter, die er in den öſterreichiſchen Gefängniſſen erdul¬ det, iſt ſo eben in Paris angekommen. Die Qualen, welche er erlitten, die, welche ſeine Leidesgefährten noch ertragen, würden, wenn dieſes noch nöthig wäre, den Abſcheu der Italiener gegen die öſterreichiſche Re¬ gierung, und ihre Anſtrengungen ein verhaßtes Joch abzuſchütteln, vollkomen rechtfertigen. Maronelli ward wegen eines Briefes angeklagt, den er ſeinem Bruder geſchrieben, einem jungen Arzte, der von Griechenland, wo er den Hellenen den Beiſtand ſei¬ ner Kunſt angeboten, zurückgekehrt. Das geheime Tribunal von Mailand glaubte darin unter einer ſinn¬ bildlichen Form den Ausdruck eines verſteckten Wun¬ ſches für die Freiheit zu erkennen. Der junge Pa¬ triot wird arretirt, gerichtet, und auf das Zeugniß108 dieſes einzigen Briefes zum Tode verurtheilt. Aber vor dieſem Spruche, nachdem er gefällt, entſetzten ſich die Richter ſelbſt, und verwandelten die Todesſtrafe in zwanzigjähriges hartes Gefängniß. Herr von Maronelli wird mit vier ſeiner Freunde nach der Feſtung Brünn geführt, wo zwanzig andere italieniſche Patrioten ihnen bald nachkommen. Das Gefängniß iſt voll gepfroft, und man entſcheidet, daß der jüngſte in den Keller geworfen werden ſoll. Hier, auf feuch¬ ter Erde, bringt Maronelli, einſam, ohne Verbindung mit irgend einem Menſchen, ein ganzes Jahr zu. Er war dem Tode nahe, als ein anderer Verurtheil¬ ter, der ſein Kerkerloch mit einem Leidensgenoſſen theilte, ſtarb. Maronelli kommt an ſeinen Platz. Er hat endlich einen Freund zur Seite; aber ſeine phyſiſchen Leiden haben nicht aufgehört. Eine Eis¬ kälte durchdringt ihn; eine eckelhafte Nahrung richtet ſeine Geſundtheit vollends zu Grunde; ſeine Glieder werden ſteif; ſein linkes Bein, durch den ſchweren Ring, der zwanzigpfündige Ketten zuſammenhält, eng umſchnürt, ſchwillt auf eine fürchterliche Weiſe auf; bald zeigt ſich der Brand, man muß das Bein ab¬ ſchneiden! Aber der Gouverneur ſagt kalt, indem er das kranke Bein, deſſen geſchwollenes Fleiſch den eiſernen Ring ganz bedeckte,[nachläſſig] in der Hand wiegt: man hat uns einen Gefangenen mit zwei Beinen geſchickt, wir können ihn nicht mit einem109 Beine wieder abliefern. Man muß erſt nach Wien ſchreiben, und um die Gnade der Operation bitten, die jede Verzögerung tödtlich machen kann. In vier - und zwanzig Stunden könnte man Antwort haben, aber ſie läßt vierzehn Tage auf ſich warten. End¬ lich wird die Operation im Kerker, wo der Gefan¬ gene acht Jahre geſchmachtet hat, vorgenommen. Der Gefängniß-Barbier nimmt das verfaulte Bein über das Knie ab, und einige Zeit darauf wird Ma¬ ronelli in Freiheit geſetzt. Der junge Patriot auf zwei Krücken gehend, kehrt nach ſeinem Vaterlande zurück, er wird aber hinausgeſtoßen. Er wendet ſich nach Rom, Rom verweigert ihm den Aufenthalt. Der Großherzog von Florenz will ihn dulden, aber der öſterreichiſche Geſandte läßt ihn fortjagen. Ma¬ ronelli findet in Frankreich eine Freiſtätte, und bald wird er es verlaſſen, ſein verjüngtes[Vaterland] wie¬ der zu ſehen. Von den fünf und zwanzig Verur¬ theilten, die nach und nach Maronelli's Kerker theil¬ ten, ſind zwei Vicomte, Oraboni und M. A. Villa vor Hunger geſtorben! Wir übertreiben nicht, es iſt die Wahrheit. Eine mit Unſchlit zubereitete Suppe, zwei kleine Stücke Brod von Fingersdicke, und ein Lappen verdorbenes Fleiſch machen noch heute die ein¬ zige Nahrung der Gefangenen aus. Vergebens erbaten ſie ſich als eine Gnade, daß man aus ihrer ekelhaften Suppe wenigſtens den Talg weglaſſe; man110 antwortete ihnen, das ſei die Nahrung von zwei bis dreihundert Galeeren Sclaven, und man könne für ſie keine Ausnahme machen. Von dem Gelde, das ihnen ihre Familien ſchickten, erhalten die Gefange¬ nen keinen Heller. Gegenwärtig befinden ſich noch neun Italiener in Brünn, worunter der Graf Gon¬ falonieri, der an jedem Jahrestage ſeiner Verurthei¬ lung fünf und zwanzig Stockſchläge bekommt.

111

Saphir fängt künftige Woche Vorleſungen an, nach Art derjenigen, die er in München gehalten. Ich theile Ihnen einige gute Einfälle aus ſeinem Proſpectus mit. Frankreich iſt mir eine Entſchädi¬ gung ſchuldig; ich komme, ſie einzukaſſiren, nicht mit dem Degen, aber mit der Feder in der Hand ... Die drei ruhmvollen Tage Frankreichs haben viele ſchlafloſe Nächte in Deutſchland hervorgebracht .... ich wurde allergnädigſt verbannt, und es wurde mir huldreichſt angewieſen, binnen drei Tagen Witz und Land zu verlaſſen. Zum Glücke waren weder Witz und Land ſo groß, um dieſes in drei Tagen nicht mit aller Bequemlichkeit bewerkſtelligen zu können. Ich ſchnürte meine Satyre und ging. ... Zuerſt hatte ich die Idee, nach Rußland zu gehen, weil man noch kein Beiſpiel hat, daß je ein freimüthiger Schriftſteller von dort verbannt wurde, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil nie einer dort lebte. Allein Perſonen, welche die Knute und die Cholera morbus aus näherem Umgange kennen, verſicherten mich, daß dieſe zwei ruſſiſchen Geſell¬ ſchaftsſpiele keinen beſondern Sinn für Witz und Poeſie haben. Ich nahm mir alſo vor, die Pre߬ freiheit perſönlich kennen zu lernen, und kam nach112 Paris, welches die eigentliche Eſſigmutter meiner ſauern Tage in Deutſchland war .... Ich habe ein gegründetes Recht auf eine Entſchädigungsklage, allein alles Klagen iſt kläglich. Ich will es alſo lieber verſuchen, den Pariſern deutſche Vorleſungen zu halten.

Ich zittere, wie Sie, für die Polen, und bin auf das Schlimmſte gefaßt. Aber den Ruſſen würde dieſer Sieg verderblicher ſeyn, als es ihnen eine Niederlage wäre. Der erhabene Nikolaus würde dann übermüthig werden, und glauben, mit Frankreich wäre eben ſo leicht fertig zu werden, als mit den Polen, man brauche nur energiſch aufzutreten. Wehe dem armen Deutſchland, wenn die Ruſſen ſiegen.

[113]

Neun und dreißigſter Brief.

Die Romane des Paul de Kock, die man Ih¬ nen empfohlen und von welchen Sie mir neulich ge¬ ſchrieben, habe ich ſeitdem kennen gelernt. Ein präch¬ tiger Mann! Trotz den vielen Sorgen und Mühen, die mir jetzt Europa macht, habe ich in vier Tagen, in meinen kurzen Friedens-Stunden, acht von ſeinen funfzig Bänden geleſen. Aber das iſt genug für uns beide. Nur in Paris kann man Kocks Romane mit Luſt leſen, draußen verlieren ſie ihren Werth. Mir haben ſie viele Freude gemacht. Man lernt darin die Sitten der Pariſer Klein-Bürger kennen, mit wel¬ chen ein Fremder, ſo wenig als die eingebornen Pari¬ ſer der höhern Stände ſelbſt, im Leben in gar keine Berührung kommt. Wenn Jouy in ſeinem Hermite de la Chaussée-d'Antin Scenen aus der Pariſer kleinen Welt ſchildert, ſcheint er dabei ſo weit her¬II. 8114gekommen, holt er dabei ſo weit aus, als beſchreibe er Sitten und Gebräuche der Hottentotten. Eine ganze Reiſebeſchreibung ſchickt er voraus, erzählt wie er in früher Jugend Jugend hat keine Tugend aus Uebermuth und Zufall in das ferne wilde Land gerathen; kurz, gibt ſich die größte Mühe zu er¬ klären und zu entſchuldigen, daß er, ein feiner Mann der großen Welt, einige Male ein grobes Bürger¬ haus beſucht. In Paris ſind die Straßen Provin¬ zen, und man lernt viel Geographie und Statiſtik aus Kocks Romanen. Es gehen an uns vorüber: un riche passementier de la rue St. Martin un riche épicier de la rue aux ours un table¬ tîer de la rue St. Denis un parfumeur de la rue St. Avoie mit Weibern, Töchtern, Kin¬ dermädchen, Kommis. Und ihre Sonntags-Partieen auf das Land und ihre Hochzeiten, ihre Galanterien, ihre Intriguen. Die Liebe ſpielt natürlich eine Haupt¬ rolle wie in allen Romanen. Aber es iſt keine deut¬ ſche Liebe, keine Liebe unſeres Lafontaine's, die noch heißer iſt als der Kochbrunnen zu Wiesbaden; ſon¬ dern es iſt eine angenehme warme Liebe, welche die natürliche Blutwärme des Herzens nie überſteigt. Monsieur Paul de Kock ſagt: c'est une bien jolie chose d'aimer et d'être aime. dabei kann man ſich nicht verbrennen. Und Philoſophie hat er auch, Lebens-Philoſophie! Zwar gibt er uns115 nicht wie Goethe im Wilhelm Meiſter Lehrbriefe mit Trüffeln; aber es iſt eine recht kräftige Philoſophie, bürgerlich zubereitet. Man kan von ihm lernen. So ſagt er einmal, die Ehen wären tauſendmal beſſer und ſchöner als ſie ſind, wenn nicht Mann und Frau einen großen Theil des Tages in ſo nachläſſiger Kleidung vor einander erſchienen. Das Kind Amor fürchte ſich vor baumwollenen Nachtmützen und un¬ gewaſchenen Morgenhauben; bei den Weibern nehme mit der Liebe die Sorge für ihren Putz ab. Er gibt uns jungen Leuten die Lehre: Jeunes gens, méfiez-vous de votre maîtresse, lorsque vous la verrez venir en papilottes au rendez-vous que vous lui auriez donné. Rock iſt die Wonne der Pariſer Nähmädchen; auch iſt das Papier ganz weich von den vielen Händen und Thränen und kein Band in der Leihbibliothek, in dem nicht einige Blätter fehl¬ ten. Was der Mann aber auch ſchlau iſt, und wie er ſich bei Allen beliebt zu machen weiß! Den Lie¬ benden und jungen Leuten überhaupt gibt er immer Recht gegen die Eltern und Alten! aber mit den letz¬ tern verdirbt es darum doch nicht. Jungen Mädchen gibt er, was ſie verlangen, und wiegt ihnen gut; aber wenn er die Waare abliefert, wickelt er ſie in ein Blatt Moral, das die Kinder mit nach Hauſe nehmen und woran ſich die Mütter erquicken. In Zeichnung komiſcher Charaktere hat Kock viele Fertig¬8*116keit. Welche himmliſche Späße! und man kann ohne Furcht zu erſticken, nach Herzensluſt dabei lachen. Denn ſie gleichen nicht Scribe's und Jouy's Epi¬ grammen, bei welchen man nur lächeln darf, weil ſie Einem leicht, wie Fiſchgräthen im Halſe ſtecken blei¬ ben. Kurz, mein Paul de Kock iſt ein prächtiger Mann aber leſen Sie ihn nicht.

117

Die armen Polen werden wohl jetzt geſtorben ſeyn. Sie ſind glücklicher als ich. Dem entſetzli¬ chen Schauplatz näher, wiſſen Sie ſchon das Schlimmſte. Seit Vorgeſtern habe ich keine Kraft, eine Feder zu führen, ich konnte nicht leſen, nicht denken, ich konnte nicht einmal weinen und beten; nur fluchen konnte ich. Geſiegt haben die Polen ſchon vier Tage lang, aber entſchieden iſt noch nichts, und geſtern ſind gar keine Nachrichten gekommen. Man ſprach von einem Couriere, den der ruſſiſche Ge¬ ſandte erhalten; die Ruſſen wären in Warſchau ein¬ gerückt. Aber wenn das wahr wäre, hätte man ſchon den Jubel der beſoffenen Knechte gehört, an den Feſt¬ tagen ihrer Herren, und die deutſchen Blätter von geſtern erzählen nichts. Nicht wie Menſchen, wie Kriegsgötter ſelbſt haben die Polen gekämpft. Sie jagten ſingend den Feind, wie Knaben nach Schmet¬ terlinge jagen; ſie ſtürzten ſich auf die Kanonen und nahmen ſie, wie man Blumen bricht. Männer, Kin¬ der, Greiſe, drei Geſchlechter, drei Zeiten waren in der Schlacht und die Ruſſen, wie feige Meuchelmör¬ der, ſchoſſen aus dem Dickicht der Wälder heraus. Was wird es helfen? Jeder Sieg bringt die Po¬ len ihrem Untergange näher. Sie ſind zu ſchwach,118 zu arm an Menſchen. Der reiche Kaiſer Nikolaus haut immer neue Soldaten heraus, wie Steine aus Brüchen und das gehet ſo immer unerſchöpflich fort, was ſind einem Despoten die Menſchen? Seine Wälder ſchont er mehr. Nicht Gottes Weisheit, nur die Dummheit des Teufels allein kann noch die Po¬ len retten Ach! gibt es denn einen Gott? Mein Herz zweifelt noch nicht, aber der Kopf darf einem wohl davon ſchwach werden, und wenn was nützt dem vergänglichen Menſchen ein ewiger Gott? Wenn Gott ſterblich wäre wie der Menſch, dann wäre ihm ein Tag ein Tag, ein Jahr ein Jahr, und der Tod das Ende aller Dinge. Dann würde er rechnen mit der Zeit und mit dem Leben, würde nicht ſo ſpäte Gerechtigkeit üben und erſt den[entfernteſten] Enkeln bezahlen, was ihre Ahnen zu fordern hatten. Die Freiheit kann, ſie wird ſiegen, früher oder ſpäter; warum ſiegt ſie nicht gleich? Sie kann ſiegen, einen Tag nach dem Untergange der Polen; ſoll einem das Herz nicht darüber brechen? Die Polen im Grabe, fühlen ſie es denn, haben ſie Freude davon, wenn ihre Kinder glücklich ſind? Die Tyrannei wird un¬ tergehen, die Kinder der Tyrannei werden gezüchtigt werden für die Verbrechen ihre Väter; aber die Kno¬ chen der begrabenen Könige, haben ſie Schmerzen da¬ von? Gibt es einen Gott? heißt das Gerechtigkeit üben? wir verabſcheuen die Menſchenfreſſer, dumme119 Wilde, die doch nur das Fleiſch ihrer Feinde verzeh¬ ren; aber wenn die ganze Gegenwart, mit Leib und Seele, mit Freude und Glück, mit allen ihren Wün¬ ſchen und Hoffnungen, gemartert, geſchlachtet und zerfetzt wird, um damit die Zukunft zu mäſten dieſe Menſchenfreſſerei ertragen wir! was iſt Hoff¬ nung, was Glaube? durch die Augen wird kein Hun¬ ger geſtillt, gemalte Früchte haben noch Keinen ſatt gemacht ... Ich las etwas in den engliſchen Blät¬ tern es iſt ſich todt darüber zu ſchämen wenn man ein Deutſcher iſt; es iſt ſich die Hände im Dunkeln vor die Augen zu halten. Der Londoner Courier ſagte: Wenn Polen wird beſiegt ſeyn, wenn, was die Schlacht verſchont, auf dem Scha¬ fotte bluten wird, dann werden die deutſchen Zei¬ tungen die weiſe Gerechtigkeit des ruſſiſchen Kai¬ ſers rühmen, und wenn der Tyrann nur einem ein¬ zigen Beſiegten das armſelige Leben ſchenkt, werden die deutſchen Blätter die Milde des hochherzi¬ gen Nikolaus bis in die Wolken erheben. Unter allen Völkern der Erde, erwartet man ſolche feige hündiſche Kriecherei nur von uns! Ja, es ſchwebt ſchon vor meinen Augen, ich leſe es und höre es, wie das viehiſche Federvieh in Berlin von jedem Miſt¬ haufen, von jedem Dache herab, den großen erhabe¬ nen Nikolaus ankräht. Wie hat dieſer Despot in ſeinen Proklamationen geſprochen! Vielleicht glaubt120 es die Nachwelt, was die Despoten unſerer Tage ge¬ than; aber was ſie geredet, das kann ſie nicht glau¬ ben. Vielleicht glaubt die Nachwelt, was die alten Völker geduldet, aber was ſie angehört und dazu ge¬ ſchwiegen, das kann ſie nicht glauben. Das Schwert zerſtört bloß den Beſitz und mordet den Leib; aber das Wort zerſtört das Recht und mordet die Seele. Zu ſolchen Reden, ſolches Schweigen! Und wenn die Polen vertilgt ſind, dann voran die deutſchen Hunde, gegen den Sitz der Freiheit, gegen Frank¬ reich! dann ſtellt man ſie zwiſchen das Schwert der Franzoſen und die Peitſche der Ruſſen, zwiſchen Tod und Schande! .... Iſt es nicht ſchmachvoll für uns, daß der Kaiſer von Rußland Herr über ſechzig Mil¬ lionen Sklaven, keinen derſelben knechtiſch genug ge¬ funden hat, die Freiheit der Polen zu ermorden, als den Diebitſch allein, einen Deutſchen?

Ihr heutiger Brief kann mir ſpätere Nachrichten bringen, als die hieſigen, wenn ſie ſchlimm ſind, ich meine das Siegel müßte davon ſchwarz werden. O! ich kann nicht mehr, ich muß weinen.

[121]

Vierzigſter Brief.

Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬ der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬ nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ... heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬ ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und, was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬ thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬ zwar gut lautend, ſprächen noch von keiner Entſchei¬122 dung. Wenn es wahr würde, wenn Rußland, dieſer Rieſe von Eiſen, auf Füßen wie Thon, zur Erde ſtürzte, umgeworfen von Kindern, die ihm zwiſchen die Beine gekrochen wie wollten wir lachen! Dann wenn eine Tyrann ſich unartig beträgt, würde man, ihn zu ſchrecken, rufen: der Pole kommt! warte, ich hole den Polen! wie man Kindern droht: ich hole den Schornſteinfeger. Wie ein Knäul Zwirn will ich die Polen zuſammenwickeln hat Nikolaus geprahlt. Nun, er hat ſie zuſammen¬ gewickelt; aber der Knäul iſt zur Bombe geworden, die ihn zerſchmettert. Aber wie furchtſam macht reines Glück! Selbſt die ſonſt ſo kecken pariſer Blätter, die immer ſo leichtfertig lügen, wagen nicht, ſich ihrer Freude über den Sieg der Polen zu über¬ laſſen; ſie fürchten Enttäuſchung. O Vater im Him¬ mel, ſchicke mir nicht ſolche Trauer! Laß mich die¬ ſen Brief freudig endigen, wie ich ihn angefangen. Bis Mittwoch noch beſchütze die Polen! Wenn die Polen entſcheidend ſiegen, dann wird, wie ich hoffe, Paris illuminirt. Ich beleuchte mein ganzes Haus, und merken Sie ſich das zehen Lampen ſtelle ich beſonders an ein Fenſter, die ſind für Sie und Pau¬ line. Denn Ihr Armen, dürftet am Abend der herr¬ lichen Entſcheidung doch nicht Eure Freude leuchten laſſen; ja wenn der ruſſiſche Geſandte öffentliche Trauer verlangte von unſerem Römer-Senate, Ihr123 dürftet Eure gewohnten Nachtlichter nicht anzünden, und müßtet im Dunkeln zu Bette gehen.

So lange das Schickſal bei guter Laune bleibt und die Tyrannen neckt, wollen wir von Poſſen ſpre¬ chen. Die Zeit des Ernſtes kommt nur zu gewiß. Verzweifelte Spieler, verdoppeln ſie immer ihren ver¬ lornen Einſatz, und da können ſie wohl einmal Alles wieder gewinnen, ehe ſie zu Grunde gehen. Ich habe im italieniſchen Theater den Don Juan gehört. Seit vierzehn Tagen ſchon hatte ich mein Billet dazu. Dreimal wurde die Oper angekündigt und dreimal wieder abgeſagt, weil die Malibran katarrhaliſche Launen bekam! Endlich kam es zur Aufführung. Ich rechnete ſo ſicher auf mein Entzücken, als man auf das Entzücken jedes deutſchen Landes rechnen kann, ſo oft ein Erbprinz wird geboren werden morgen, übermorgen, über's Jahr, im zwanzigſten Jahrhun¬ dert, im dreißigſten, im ſiebentauſendſten, im erſten Jahrhunderte nach dem Untergange der Welt; denn die Natur kann untergehen, aber deutſche Treue nicht. Doch wie kam es ganz anders nämlich mit Don Juan. Eingeſchlafen bin ich nicht, denn es war die intereſſanteſte Langeweile, die ich je empfunden. Uns Deutſchen iſt der Juan wie das Vaterunſer; wir ſind damit aufgewachſen: er war uns zugleich a b c und hohe Schule der Muſik. Aber was haben dieſe124 Italiener, dieſe pariſirten Italiener daraus gemacht! Die wiſſen noch weniger von Gott und Teufel, von Himmel und Hölle, als wir Deutſchen von der Erde wiſſen. Es ſchien, als wäre ihnen die Muſik zu vornehm, ſie waren ſchüchtern, ängſtlich, es war als ſtänden ſie auf glattem Marmorboden eines Pallaſtes, vor einem Könige auf ſeinem Throne, Sie ſchwank¬ ten und ſtammelten. Was ſie vortrugen, war alles ſchön, alles richtig; aber es war einſtudirt und der Ceremonien-Meiſter hatte jede ihrer Bewegungen ge¬ ordnet. Die Bruſt war ihnen zwiſchen den beiden Taktſtrichen eingeengt und ſie wagten nicht tiefer zu athmen, als es die Note vorſchrieb, und die Mali¬ bran nicht beſſer als die Andern. Sie dauerte mich und ich hätte ihr zurufen mögen: aber, liebes Kind, wovor fürchten ſie ſich denn? Mozart iſt am Ende doch auch nur ein Menſch wie Roſſini, welche Zer¬ line! Ich erinnere mich, wie ich als Junge die Flöte ſpielen lernte, bei Herrn *** (der Lehrer war ganz des Schülers würdig), und wir im Duette Zerlinens ſüßes Wundlied blieſen. Sie können ſich denken, daß wir das ſüße Wundlied wie ein Pflaſter¬ lied herabgeſtrichen. Aber doch klingt es mir heute noch ſchöner aus jenen entfernten Jahren zurück, als es mir aus der Bruſt der Malibran tönte. Es war kein Glaube und keine Liebe darin. Gekleidet war125 ſie geſchmacklos bis zum Unſinn. Es war gewiß unter den Zuſchauern keine Putzmacherin und kein Friſeur, ſonſt hätte ich von einer Ohnmacht hören müſſen. In den Haaren ſtaken ihr zehen bis zwölf lange und ſteife meſſingne Stangen, die in große dicke meſſingne Kugeln endigten, welche nicht einmal blank geſcheuert waren. Sie ſah aus wie eine Gar¬ tenmauer, gegen das Ueberſteigen von Spitzbuben ge¬ hörrig bewahrt. Zerline fürchtet ſich vor Spitzbu¬ ben! Don Juan war ein alter häßlicher Sünder, der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine betrübte Kokette. Der Geiſt ſah aus wie ein wei¬ ßer Schornſteinfeger. Donna Anna (Madame La¬ lande) war gut; ſie hat gewiß den Don Juan in deutſcher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu loben, daß er nicht ſo den Hanswurſt macht wie bei uns. Chöre und Orcheſter, ſonſt ſo vortrefflich, wa¬ ren von der allgemeinen Kälte und Aengſtlichkeit nicht frei. Der himmliſche Lärm im erſten Finale, die hölliſche Freude im zweiten das ging alles ver¬ loren; es war ſtill zum Einſchlafen. Wenn ich mir dieſe Leere und Stille nur erklären könnte! Chor und Orcheſter voller beſetzt als bei uns; es ſind die nehmlichen Noten, es iſt daſſelbe Tempo, gleiches Forte und doch war es ſtill! und ſtellen Sie ſich vor Don Juan beim Abendeſſen hat rothen126 Wein aus einem breiten Glaſe getrunken! Langſa¬ men rothen Wein, wenn man den Teufel erwartet! Jeder dumme arme Sünder, ehe er zum Galgen ge¬ führt wird, trinkt wenigſtens Rum. Ein Bekannter, der während der Vorſtellung hinter der Scene war, erzählte mir, die Malibran hätte nach ihrem Abtre¬ ten geweint, weil ſie nicht genug applaudirt worden, und ſie weine immer, wenn ſie kälter als gewöhnlich aufgenommen wird. Das iſt gewiß eine ſchöne Em¬ pfindlichkeit an einer ſo großen Künſtlerin.

Verdrießlich war ich ohnedies während der zwei¬ ten Hälfte des Don Juan, und die heilige Cäcilie ſelbſt mit ihrer Baßgeige hätte mich nicht aufheitern können. Nach dem erſten Akte ging ich ins Foyer. Da fand ich eine Menge Menſchen in einem dicken Knäuel zuſammengewickelt, und ein kurzes Männchen in der Mitte, rund wie ein Kern, erzählte von den polniſchen Angelegenheiten in der Abendzeitung. Und der Knäuel war ſo dick, daß ich nicht durchdringen konnte, und ich hörte nichts, und mußte mit der Pein der Ungewißheit wieder herunter gehen. Mein Nach¬ bar im Orcheſter, ſtill früher, fragte mich auf Deutſch: nicht wahr Sie ſind ein Deutſcher? Ja. Aus Frankfurt? Ja, woher wiſſen Sie das? Ich dachte es mir. Kennen Sie Herrn Worms de127 Romilly? Nur dem Namen nach. Er iſt eben vorbeigegangen, wenn er zurückkommt, will ich ihn Ihnen zeigen. Bald kam er, und er zeigte mir ihn. Aber ich dachte bei mir: was geht mich der Worms de Romilly an? Darauf fragte ich den Herrn, ob er nicht wiſſe, was im Meſſager ſtände, es verlaute, die Polen hätten geſiegt? Er machte ein mürriſches Geſicht und antwortete: Geſchwätz, es iſt kein wahres Wort daran. Ach! dachte ich, jetzt kenne ich den Herrn und ich begreife, warum ihn der reiche Bankier Worms de Romilly intereſſirt. Dann fragte er mich: wie ſtehen die Courſe in Frank¬ furt? Ich antwortete aus dem Stegreife ich weiß nicht mehr ob 70 oder 72 oder 74 oder 78. Da ſah er mich an, zugleich wie ein Narr und wie einen Narren, und ſagte, das iſt nicht möglich, das müſſen die vierprozentigen ſeyn, und er zog die Berliner Zeitung aus der Taſche um nachzuſehen. Ja frei¬ lich, erwiederte ich, es ſind die vierprozentigen, und ich murmelte: hole der Teufel die vierprozentigen und die fünfprozentigen und das ganze nichtsprozentige Papiervolk! Bis halb zwölf Uhr mußte ich da ſitzen, bis ich mir im Meſſager Beruhigung holte. Ich hätte fortgehen können, aber ich war ein Narr und geizig und berechnete, daß mich jeder Akt des Don Juan ſechs Franken koſtete. Der deutſche Kaufmann128 neben mir, ſo prozentig er auch war, liebte doch leidenſchaftlich den Don Juan, und verehrte ihn wie Bibel. Nach jeder Scene zankte er ſich mit einigen Geigen im Orcheſter herum, und behauptete, es wäre etwas ausgelaſſen worden. Das machte ihn etwas ſteigen bei mir um ein Drittelchen.

129

Das deutſche Blatt, das in Straßburg erſcheint, hat unſere ſchuldbewußten Staatsmänner aus ihrem Schlafe geweckt und ſie in tödtlichen Schrecken geſetzt, als wäre ein Geſpenſt vor ihr Bett getreten und hätte ſie mit kalter feuchter Hand berührt. Das Blatt erſcheint als Beilage des Courier du Bas - Rhin, unter dem Titel: das konſtitutionelle Deutſchland. Es enthielt unter andern genaue und getreue Berichte über die Staatsverwaltung im Würtembergiſchen, beſonders über den himmelſchreien¬ den Wucher, den die Regierung mit dem Salze treibt. Gleich wurde ein Herr von Schlitz von Stutgard nach Straßburg geſchickt, um den Redakteur des Courier du Bas-Rhin zu beſtechen, daß er nichts mehr gegen Würtemberg aufnehme. Dieſer aber wies den Antrag ab, erbot ſich jedoch gegründete Wieder¬ legung aufzunehmen. Doch wie leugnen, was jedes Salzfaß im Lande bezeugt? Das Geld zu Beſtechun¬ gen nimmt man aus dem Beutel des armen Volks: aber gute Gründe gibt und verweigert nur das Recht, das kein würtembergiſcher Unterthan iſt. Darauf wandte man ſich an den franzöſiſchen Geſandten in Stuttgard und bat um Hülfe. Dieſer aber zuckte ſeine diplomatiſchen Achſeln und ſagte, es wäre lei¬II. 9130der Preßfreiheit in Frankreich, und nichts dagegen zu thun. So hat Herr von Schlitz ſeinen Witz ver¬[l]oren, die würtemberger Bauern bezahlen die ſtra߬ burger Reiſe und bekommen das Salz nicht wohlfei¬ ler als bisher. Es iſt himmliſch, wie man dieſe Sünder quälen kann durch ein einziges freimüthiges Wort.

Haben Sie geleſen mit welcher ſchönen Rede der König von Baiern ſeine lieben und getreuen Stände begrüßt? Er hat mit ihnen geſprochen wie ein Schulmeiſter mit ſeinen Jungen. Er ſagte, es gäbe nichts, das himmliſcher wäre, als König von Bayern zu ſeyn. Ach, mein Gott, ich glaube es ihm. Wenn ich das Unglück hätte ein Fürſt zu ſeyn, ſo würde es mich etwas tröſten, wenigſtens ein deut¬ ſcher Fürſt zu ſeyn: denn dieſer erfährt erſt in je¬ ner Welt, wie ſchwer es iſt gut zu regieren, und wie viele Dummheiten er gemacht während ſeines Lebens. Der König hat ein Geſetz über die Preßfreiheit an¬ gekündigt, über das heißt gegen. Nun möchte ich doch wahrhaftig wiſſen, was dieſer Bettlerin noch zu nehmen wäre! Und was macht die bayeriſche Regierung ſo keck? Woher kommts, daß ſie, und ſie mehr als jede andere deutſche Regierung, der öf¬ fentlichen Meinung trotzt, ſie neckt, herausfordert und quält ohne allen Gewinn für ſie? Es kommt daher, weil ſie mit Frankreich einverſtanden iſt, weil ſie auf131 dieſen Schutz rechnet, wenn ihre Unterthanen ſich em¬ pören ſollten, weil ſie ihre Unabhängigkeit nach außen, um den Preis der Schrankenloſigkeit nach innen ver¬ kauft hat. So war es unter Napoleon auch. Die¬ ſer verſtand die deutſchen Regierungen ſehr gut. Er wußte, daß der Deutſche gern ein Knecht iſt, wenn er nur zugleich auch einen Knecht hat. Er machte die deutſchen Fürſten unbeſchränkt ihren Unterthanen gegenüber und dafür wurden ſie ſeine Unterthanen. Das iſt die ſchöne[Zukunft] des deutſchen Volks! Nur ſeine Fürſten haben in einem Kampf mit Frankreich zu gewinnen oder zu verlieren; es ſelbſt wird Schmach und Sklaverei finden, beſiegt oder ſiegend gleich¬ viel. Doch davon genug für heute. Alle meine Sack¬ tücher ſind bei der Wäſcherin und es wäre viel da¬ bei[zu] weinen.

Warum wundert Sie, daß Sie von Medor nicht früher gehört? habe ich doch ſelbſt erſt nach einem Aufenthalt von fünf Monaten von ihm erfahren. In Paris iſt ein Hund nicht mehr als in Deutſch¬ land ein Unterthan, an den man erſt denkt, wenn er Abgaben zu zahlen hat. Von Medor fing man erſt an zu ſprechen, als Maler, Lithographen, Bio¬ graphen, Dichter, Bänkelſänger und Hundewächter die Erfahrung gemacht, daß mit dem Thiere etwas zu verdienen ſei. Kürzlich hörte ich erzählen, Medor ſei gar nicht der ächte liberale Hund, ſondern ein9*132falſcher; den Rechten habe ein Engländer gekauft und fortgeführt. Es iſt aber gelogen. Ich habe es aus Medors eignem Munde, daß er im Juli tapfer ge¬ fochten. Zweifeln Sie vielleicht, daß ich das Hunde¬ gebell verſtände? Ich meine, das lernt man bei uns ſo leicht, wie jede andere Sprache.

133

Mittwoch iſt da. Es ſollte nicht ſeyn, es iſt zu Ende mit den Polen! Wir wollen darum nicht verzweifeln, die Freiheit verliert nichts dabei. Die Erben haben ſich vermindert, deſto größer wird die Erbſchaft. Schmerzlich iſt es, daß Polen ſich als Saatkorn in die Erde legen mußte; aber der Saame wird herrlich aufgehen. So laut ſchreit das vergoſ¬ ſene Blut, daß es der taube Himmel ſelbſt hört, und Gott ſchicken wird, wenn auch zu ſpät zur Hülfe, doch nicht zu ſpät zur Rache. Nichts Schlimmes ahndend ging ich geſtern Nachmittag, das Modell von Petersburg zu ſehen, das hier gezeigt wird. Ich be¬ wunderte die herrliche Straße, die prächtigen Palläſte dieſer ſchönſten Stadt der Welt. Ich ſtellte mich vor den Pallaſt des Kaiſers und dachte: da ſitzt er, und wartet ungeduldig auf das letzte Röcheln eines geſchlachteten Volks. Von dort hatte ich nur einige Schritte zur Börſe. Ich trat hinein und erfuhr das Entſetzliche. Bei allem meinem Gram erquickte mich die Schadenfreude, die ich über die Kaufleute empfand. Das franzöſiſche Papiervolk iſt ſo jammervoll und jämmerlich als das deutſche. Dieſe Blut - und Schwei߬ krämer waren nach den polniſchen Nachrichten wie zwiſchen Hund und Wolf. Sie wußten nicht, wo134 hinaus. Eine unterdrückte Empörung, eine beſiegte Freiheit machte ihnen Freude; aber dann bedachten ſie wieder, daß der Sieg der Ruſſen einen Krieg mit Frankreich und den Renten wahrſcheinlich mache, und da gingen ſie umher, mit einer rothen und mit einer bleichen Wange. Es war zu ſchön.

[135]

Ein und vierzigſter Brief.

Noch immer weiß man nichts Entſcheidendes von Polen; die neueſten Nachrichten haben den Schrecken der früheren ſehr gemildert. Aber ich kann mich nicht darüber freuen. Mögen die Polen ſich noch einige Tage hinhalten zwiſchen Leben und Tod, ſter¬ ben müſſen ſie doch. Die Trauer in Paris iſt nicht zu beſchreiben, ſo tiefe Empfindung hätte ich dem Volke nicht zugetraut. Geſtern ſind funfzehn¬ hundert junge Leute mit Trauerfahnen durch die Stadt gezogen. Dem ruſſiſchen Geſandten wurden die Fenſter eingeworfen. Was kan das aber nützen? Es ſchadet eher. Die Feigheit der Machthaber wird ſich jetzt in angſtzitternden Entſchuldigungen erſt recht kund geben. Kein Kind fürchtet ſo den Schornſtein¬136 feger als Philipp den Nikolaus fürchtet. Die Re¬ gierung wird alle Tage erbärmlicher; es macht einen ganz irre. Man weiß nicht mehr, wächſt die Zeit oder wird die Regierung kleiner; das Mißverhältniß zwiſchen beiden ſteigt mit jeder Stunde. Jetzt, da der Krieg immer wahrſcheinlicher wird, immer näher kommt; jetzt, da die Begeiſterung des Volkes allein Frankreich retten kann, fürchtet man dieſes Feuer wie ein verzweifelter Hausvater, und gießt halb todt von Schrecken alles Waſſer hinein, was nur zu ha¬ ben iſt. In ihrer Angſt ſpucken ſie in den Brand. Man will ein friedliches, ein unglaubliches Miniſte¬ rium bilden. Wenn der Jude Rothſchild König wäre, und ſein Miniſterium aus Wechſelmäklern bildete, es könnte nicht niederträchtiger regiert werden. Ich gebe dem Orleans keine zehen Sous für ſeine Krone. Pfui! was iſt das für ein Treiben! Man will ſich bis zum erſten Flintenſchuſſe den Schein geben, als hätte man ernſtlich den Frieden gewollt, wäre aber zum Kriege herausgefordert worden, und ſo verklauſe¬ lirt man ſich auf die lächerlichſte Weiſe vor Notar und Zeugen, damit man, wenn der blutige Prozeß beginnt, die geſtempelten Beweisſtücke vorzeigen, und ſein Recht bei allen Inſtanzen verfolgen könne. Als würde der Civilrichter das Schickſal der Menſchheit entſcheiden! Und das thut der König des mächtigſten Volks der Welt, das Geſetze geben und nicht em¬137 pfangen ſollte! Frankfurt iſt jetzt Paris um funf¬ zig Stunden näher. Und die deutſche Bundes-Ver¬ ſammlung hält ihre Dummheiten wenigſtens geheim. Ich wußte immer, daß wie hier ſo in allen Ländern Herz nur bei dem Volke zu finden; aber jetzt erfahre ich, daß auch der Verſtand nur bei dem Volke zu ſuchen, und daß Regierungen, wie ohne Herz auch ohne Verſtand ſind. Manchmal dachte ich: es iſt nur die Maske der Dummheit, es muß dahinter et¬ was ſtecken; aber jetzt ſehe ich ein, daß die Dumm¬ heit ernſtlich gemeint iſt, und daß nichts dahinter ſteckt, als eine noch größere Dummheit.

Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht ſchildern, den Paganini in ſeinem erſten Conzerte ge¬ macht; ich könnte ihn nur auf ſeiner eignen Geige nachſpielen, wenn ſie mein wäre. Es war eine gött¬ liche, es war eine diaboliſche Begeiſterung. Ich habe ſo etwas in meinem Leben nicht geſehen noch gehört. Dieſes Volk iſt verrückt und man wird es unter ihm. Sie horchten auf, daß ihnen der Athem verging, und das nothwendige Klopfen des Herzens ſtörte ſie und machte ſie böſe. Als er auf die Bühne trat, noch ehe er ſpielte, wurde er zum Willkommen mit einem donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie dieſen Todfeind aller Tanzkunſt ſehen ſollen, in der Verlegenheit ſeines Körpers. Er ſchwankte umher wie ein Betrunkener. Er gab ſeinen eignen Beinen138 Fußtritte und ſtieß ſie vor ſich her. Die Arme ſchleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab. dann ſtreckte er ſie nach den Couliſſen zu, und flehte Himmel, Erde und Menſchen um Hülfe an in ſeiner großen Noth. Dann blieb er wieder ſtehen mit aus¬ gebreiteten Armen und kreuzigte ſich ſelbſt. Er ſperrte den[Mund] weit auf, und ſchien zu fragen; gilt das mir? Er war der prächtigſte Tölpel, den die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himm¬ liſch hat er geſpielt. In Frankfurt hatte er mir bei weitem nicht ſo gut gefallen; das machte die Umge¬ bung. [Ich] hörte mit tauſend Ohren, ich empfand mit allen Nerven des ganzen Hauſes. In ſeinen Variationen am Schluſſe machte Paganini Sachen, wobei er lachen mußte. Nun möchte ich wiſſen, ob er über das närriſche Publikum gelacht, oder ob er ſich ſelbſt Beifall zugelacht, oder ob er ſich ausgelacht. Das Letztere iſt wohl möglich, denn es ſchienen mir große Kindereien zu ſeyn. Die Pariſer Zeitungs¬ ſchreiber ſind noch gar nicht zur Beſinnung gekom¬ men; dieſe Wort-Millionäre wiſſen zum Erſtenmale nicht, was ſie ſagen ſollen. Nur einige Seufzer und große Redensarten haben ſie einſtweilen in die Welt geſchickt, und verſprechen umſtändliche Kritik auf ſpä¬ tere Tage. Das Erhabenſte, was über Paganini geſagt worden, iſt: man habe zwei Stunden lang die Polen vergeſſen. Er habe la figure la plus139 méphistopholique du monde, ſo daß eine Dame, als ſie ihn erblickte, einen fürchterlichen Schrei aus¬ ſtieß. Der große Violinſpieler Baillot wurde von Madame Malibran gefragt, was er von Paganini denke. Er antwortete: Ah! Madame, c'est mira¬ culeux, inconcevable, ne m’en parlez pas, car il y a de quoi rendre fou. Glückliches Volk, die Pariſer! Alles fällt auf ſie herab, alles ſtrömt ih¬ nen zu. Glück, Jammer, Reichthum, Armuth, Ita¬ lien, Thränen, Paganini, Polen und ſie mengen und miſchen das unter einander, und zuletzt wird's immer ein Punſch.

Geſtern Mittag wohnte ich einem Conzerte bei, das in der königlichen Singſchule von Knaben und Mädchen von 6 bis 16 Jahren aufgeführt worden. Man gab ein Oratorium von Hendel, Samſon, Text von Milton, und die Schlacht von Marig¬ nan, ein Kriegsgeſang. Dieſe Schlacht hat Franz l. im Jahre 1515 über die Schweizer gewonnen, und in dem nehmlichen Jahre hat Clement Jennequin die Cantate componirt. Man hörte alſo eine drei¬ hundertjährige Muſik. Höchſt originell! Aber ich Muſik-Ignorant kann Ihnen das nicht vorſtellig ma¬ chen. So viel merkte ich wohl, daß dieſe Muſik drei Jahrhunderte von Roſſini entfernt iſt, aber lange nicht ſo weit von Weber. Der Freiſchütz mag wohl viel altdeutſches haben. Dieſe Singſchule hieß vor140 der Revolution im Juli: Institution royale de musique réligieuse; aber ſeitdem hat man ſie, ob zwar ihre Beſtimmung für die Bildung zur Kirchenmuſik die nehmliche geblieben, Institution royale de musique classique genannt. Wie gefallen Ihnen meine Franzoſen?

Geſtern Abend war ich auf dem Maskenball der großen Oper. Es war da ſehr voll und ſehr langweilig, wenigſtens für mich und die Gends'armen, die wir die einzigen tugendhaften Perſonen im gan¬ zen Hauſe waren. In allen Theatern waren Mas¬ kenbälle, und alle ſehr beſucht zur Todesfeier für die Polen! Vor einigen Tagen wurde bei den Italienern eine neue Oper, Fauſto, aufgeführt nach Goethe's Fauſt bearbeitet. Der Componiſt iſt eine Componiſtin, Demoiſelle Bertin, ein junges Frauenzimmer, Tochter des Redakteurs des Journal des Debats. Die königliche Familie kam zur erſten Vorſtellung; denn das Journal des Debats iſt ein miniſterielles Blatt. Die Muſik iſt einigemale nicht langweilig, und wer noch nicht ganz todt iſt, erholt ſich da wieder. Die ſchönſten Gedanken kommen der Componiſtin erſt am Schluſſe der Oper, wahr¬ ſcheinlich wegen der weiblichen Poſtſcripten-Natur. Die letzte Scene, Gretchen im Kerker, macht guten Eindruck. Aber es wollte mir nicht aus dem Kopfe,141 daß ein Frauenzimmer dieſe Muſik gemacht, und wenn im Orcheſter Hörner und Pauken mächtig erſchallten, mußte ich jedesmal lachen. Den Text hat ſie ſich auch ſelbſt zugerichtet. Man muß das freilich nicht ſo genau nehmen; aber komiſch iſt es doch, wenn Gretchen noch um 9 Uhr unſchuldige Jungfrau war, und ſchon um 11 Uhr als Kindesmörderin im Ge¬ fängniß ſitzt; das iſt zum Leſen aber nicht zum Dar¬ ſtellen.

Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen Wochen, die ich noch hier bleibe, alle Theater zu beſuchen, von welchen ich mehrere noch gar nicht kenne, und alle Stücke zu ſehen, die dieſen Winter neu verfertigt worden. Aber ich werde hingehen, ſchlenkernd, und verdrießlich, wie ein Bübchen in die Schule geht. Es iſt ſo weit und ich ſehe lieber zu auf der Gaſſe ſpielen, wo keiner ſeine Rolle verdirbt, und man immer bequem Platz findet. Doch es iſt lehrreich und ich darf es nicht verſäumen. Da wird einem alles vor die Augen und Ohren vorbeigeführt, was den Franzoſen ſeit einem Jahre durch Kopf und Herz gegangen Großes und Gemeines, Edles und Schlechtes, Hoffnungen und Täuſchungen, Wünſche und Verwünſchungen, Spott, Tadel, Dummheiten, alles, und die ganze Geſchichte ſeit vierzig Jahren. Jeder Held, jedes Schlachtopfer der Revolution142 wurde auf die Bühne gebracht. Napoleon mit ſei¬ ner Schaar; Robespierre, die Kaiſerin Joſephine, Eugen Beauharnois, die Brüder Foucher, der Herzog von Reichſtadt, die unglückliche Lavalette, Marſchall Brüne, Joachim Mürat, ſeit kurzem die Dübarry. Ueber alle dieſe und noch viele mehr gibt es Thea¬ terſtücke. Ich entſetze mich, wenn ich bedenke, was ich mich in Paris noch zu amüſiren habe! Ich er¬ halte ſo eben Ihren Brief, und gleichzeitig bringt mir ein Freund die neueſte preußiſche Staatszeitung. Gönnen wir den Papier-Spitzbuben ihre letzte Be¬ trunkenheit, der Henker wird ſie bald holen. Aber wegen der Polen wollen wir uns keinen täu¬ ſchenden Hoffnungen überlaſſen. Ich danke dem St. für ſeine Nachrichten; aber daß ſich die Ruſſen zurückziehen, beweiſ't keineswegs etwas zu ihrem Nachtheile. Sie wollen die polniſche Armee, nehm¬ lich den armen Reſt derſelben von Warſchau abziehen, und Warſchau wird den Barbaren doch nicht entge¬ hen. Es müßte ein Wunder geſchehen, die Polen zu retten. Aber was liegt dem Himmel an einem Wunder mehr? Iſt die Tapferkeit der Polen nicht ſelbſt ein Wunder? Der Krieg iſt jetzt hier ſo gut als entſchieden. Italien gab den Ausſchlag, der heutige Moniteur enthält die Ordonnanz, daß 80,000 Mann ſich marſchfertig halten ſollen. Wenn Sie143 heute oder morgen hören, daß hier ein noch ſchläfri¬ geres Miniſterium als das bisherige gebildet worden, ſoll Sie das nicht irre machen, es gibt doch Krieg. Man will nur etwas Waſſer in den Wein gießen, das er den Franzoſen nicht zu ſehr in den Kopf ſteige.

144

Man fängt, wie ich merke, ſchon wieder an, das deutſche Volk einzuheizen, damit es ſeine Für¬ ſten warm haben, wenn das franzöſiſche Schneege¬ ſtöber über ſie kommt. Die alte Komödie von 1814 und 15 neu einſtudirt. Sie ſchleppen mächtige Klötze herbei, und häufen, Nationalgefühle, Bundestreue, feſten Zuſammenhang, Ehre, Widmung, Tugend, Vaterlandsliebe, Mont - Martre-Erinnerungen, als Reiſerbündel haus¬ hoch über einander. Der breite eiſerne deutſche Ofen wird herhalten und ſich geduldig vollſtopfen laſſen, wie das vorige Mal, und glühen und roth werden vor Zorn gegen die Franzoſen. Görres der alte und ächte Freund und[Hoheprieſter] der Freiheit wie er ſich ſelbſt nennt, ſchreibt in der allgemeinen Zeitung vaterländiſche Briefe, von welchen mir erſt der Anfang unter die Augen gekom¬ men. Das Zeug da oben, das ich unterſtrichen, iſt ſchon darin. Ich zweifle nicht, daß die Narren ſich zum Zweitenmale werden zum Beſten halten laſſen. Aber wenn es geſchiehet, dann wird kein Engel im145 Himmel ſo weich, nachſichtig oder mitleidig ſeyn, über die betrogenen Thoren zu weinen. Lachen wird der ganze Himmel, und Gott ſelbſt wird lachen und wird in der beſten Laune franzöſiſch zu ſprechen anfangen und ſagen: quelle grosse bête que ce peuple alle¬ mand! und wird in die Oper gehen und ſich gar nicht darum bekümmern, wenn die undankbaren Fürſten ihre Erretter zum Zweitenmal nach Amerika verbannen, oder in Köpenik und Magdeburg einſperren. Aber beim Himmel! Wenn es zum Kriege kömmt, und Görres, Arndt und die übrigen deutſchen Kapuziner fangen ihre alten Litaneien zu plärren an, dann will ich doch ein Wort mitſprechen, und wir wollen ſehen, welcher Stahl beſſere Funken giebt. Jetzt gilts! Wird Deutſchland diesmal nicht frei, gehet ihm wieder ein ganzes Jahrhundert verloren.

Wenn Sie leſen: Odillon-Barrot, Mauguin, Lamarque ſind Miniſter geworden das ſind die Männer, welche der Revolution vom Juli treu ge¬ blieben und ſie begleiten wollen bis zum Ziele dann packen Sie gleich ein und reiſen nach Paris, ehe die Grenzen geſperrt werden; denn alsdann iſt der Krieg gewiß und nahe. Aber wahrſcheinlich wer¬ den Sie nichts davon leſen, ſondern Caſimir PerrierII. 10146und andere Zitterer werden an das Steuer kom¬ men, bis der Sturm losbricht.

Adieu! und die Handelskammer ſoll Aſche auf ihr Haupt ſtreuen, und ſoll faſten (jetzt kann ſie es noch freiwillig) und ſoll ſich neun und dreißig Rie¬ menhiebe geben laſſen; denn Jeruſalem wird unter¬ gehen. O wai geſchrien!

[147]

Zwei und vierzigſter Brief.

Nun, Lafitte iſt jetzt auch aus der Regie¬ rung getrieben, der erſte und letzte Mann der Revo¬ lution. Und die Narren hier reden ſich jetzt ein, Caſi¬ mir Perrier würde ihnen Roſen und Veilchen pflan¬ zen, und ſie würden ein Schäferleben führen, und den ganzen Tag oben auf dem reinen Hügel der Renten ſtehen, und ſingen und hinabſchauen in das grüne Thal, wo das graſende Lämmervolk ſpringt Teufel! In Deutſchland war ich ſchon längſt der einzige geſcheidte Menſch; das war mir läſtig und ich ging darum nach Frankreich. Und mit Aerger ſehe ich jetzt ein, daß ich hier auch der einzige ge¬ ſcheidte Menſch bin. Wo flüchte ich mich hin? Wo10 *148finde ich Verſtand? Und wiſſen Sie, warum ich allein klug bin unter ſo vielen Narren? Weil ich an Gott glaube, und an die Natur, und an die Anatomie, und an die Phyſiologie; und die Andern verlaſſen ſich auf Menſchen, und auf ihre Künſte, und auf die Polizei. Ich weiß freilich nicht, wie die, welche einen politiſchen Barometer in ihrem Kabinette haben, ob morgen gutes oder ſchlechtes Wetter ſeyn wird; aber ich weiß: im Winter iſt es kalt und im Sommer iſt es warm. Meine Briefe werden für oder gegen mich zeugen. Nicht. ...

Nach dem Nicht bekam ich Beſuch, der eine halbe Stunde dauerte, und jetzt habe ich vergeſſen, was ich ſagen wollte. Aber kurz, ich bin Paris überdrüſſig. Soll ich in Dummheit leben, ſo ſei es wenigſtens in meiner Vaterländiſchen. Da iſt doch Genie darin; hier aber pfuſchen ſie nur, und bringen mit dem ſchlechteſten Willen doch nichts Schlechtes zu Stande.

Herr *** hat mir erzählt, unter den Frank¬ furter Juden wäre eine Inſurrektion gegen ihren Ver¬ ſtand ausgebrochen, Sie wollen Rechenſchaft über die Finanzverwaltung haben, und ſo lange dieſe nicht abgelegt würde, keine Gemeinde-Steuern bezahlen. Das iſt ja ſehr luſtig! Wer ſind denn die jüdiſchen 221, und wer iſt der jüdiſche Polignac? Ich meine, das müßte den Krieg entſcheiden. Europa wird doch149 endlich einſehen, daß keine Ruhe iſt, ſo lange Frank¬ reich beſteht. Wenn ſogar die Juden wanken, der Throne feſte Säulen, worauf kann ich noch bauen? Die vermaledeyte Preßfreiheit iſt ſchuld an allem.

Ein Bankier ſagte mir neulich, Lafitte habe dreißig Millionen gehabt, und jetzt ſey er zu Grunde gerichtet. Wenn ſich der Friede erhält und die Staats-Effekten wieder zu Werthe kommen, wird ihm höchſtens eine Million übrig bleiben; wenn nicht, nicht ſo viel, daß er ſeine Gläubiger befriedigen kann. Lafitte iſt ehrenvoll gefallen, er hat ſein Vermögen dem Staate aufgeopfert. Er hat es immer geſagt, er ſetze allen ſeinen Reichthum daran, die Bourbons zu ſtürzen, und er hat es gethan. Durch eine gro߬ müthige Neigung ohnedies getrieben, leiſtete Lafitte aus Politik jedem Hülfe, der ihn um Beiſtand an¬ ſprach. Er wollte ſich dadurch Anhänger erwerben, um ſie zu Feinden der Bourbons zu machen. Wer in Frankreich irgend ein Gewerbe, einen Handel, eine Fabrik unternehmen wollte, benutzte Lafitte's Capitalien. Durch die Revolution wurden alle jene Schuldner unfähig zu bezahlen, und ſo iſt Lafitte zu Grunde gegangen. Rothſchild aber wird beſtehen bis an den jüngſten Tag der Könige. Welch ein Ultimo! Wie wird das krachen.

Ich habe meine theatraliſche Laufbahn an¬ getreten, nehmlich mein Laufen in die Theater. Die150 Beine ſind mir noch ſteif davon. Erſt wird man müde vom Gehen, dann wird man müde vom Ste¬ hen, dann wird man müde vom Sitzen. Aber ein¬ ſchlafen thut man doch nicht. Es iſt eben die liebe Natur, die man nimmt, wie ſie ſich gibt; von der Kunſt aber verlangt man mit Recht, ſie ſolle ſchön und gefällig ſeyn. Ein lebendiger Eſel iſt mir lieber als ein todter Löwe, eine gebratene Kartoffel lieber als eine unreife Ananas, ein munterer Taugenichts lieber als ein ſchläfriger Hofrath und was ich Ihnen ſonſt noch ſagen könnte, um zu entſchuldigen, daß mir das Pariſer Theater beſſer gefällt als das Berliner, worüber ſich Herr von Raumer, wie ich hoffe, ärgern wird, wenn er es erfährt. Aber gott¬ loſes Zeug; gräulich gottlos! Und wenn man ins Theater kommt mit Jehova, Chriſtus und Mahomet, und mit dem ganzen Olymp, und mit allen Heiligen im Herzen, gehet man hinaus, iſt keiner mehr da, Alle weggelacht, und ich glaube die Gottheiten und Götter, ſie lachen im Stillen ſelbſt mit. Sie wiſſen, wie ich über Religion geſinnt bin. Ich denke: wer ſo unglücklich iſt an keinem Gott zu glauben, iſt nicht ganz unglücklich, ſo lange er noch an den Teufel glaubt, und wer an keinen Teufel glaubt, wäre noch unglücklicher, wenn er an keine Pfaffen glaubte. Nur glauben! Was iſt ſelbſt der glücklichſte Menſch ohne Glauben? Eine ſchöne Blume in einem Glaſe151 Waſſer, ohne Wurzel und ohne Dauer. Aber was geht mich der Unglaube der Andern an? Ich lache und denke; ich habe meinen Gott, ſehet zu, wie ihr ohne ihn fertig werdet, das iſt euere Sache. Ich habe nie begreifen können, wie gläubige Menſchen ſo unduldſam ſeyn mögen gegen ungläubige. Es iſt auch nur Adel - und Prieſterſtolz. Die Frommen ſehen den Himmel für einen Hof an, und blicken mit Verachtung auf alle diejenigen herab, die nicht hof¬ fähig ſind wie ſie. Darum erquickt es mich, wenn in den neuen franzöſiſchen Volks-Souverainen und Zenſurfreien Theaterſtücken, die Geiſtlichkeit, die ſchwarze Gendsarmerie und geheime Polizei der Für¬ ſten, ſo geneckt und gehudelt wird. Es iſt eine Schadenfreude, daß man jauchzen möchte. Und was thut man ihnen denn? Sie werden[nicht] gemartert, nicht verbannt, nicht eingekerkert, nicht verflucht, durch keinen Höllenſpuk geängſtigt; man nimmt ihnen keine Zehenten ab, man macht ſie nicht dumm; man lacht ſie nur aus. Wahrlich die Rache für tauſend Jahr erlittener Qual iſt mild genug! Es iſt aber auch eine Lebensfreudigkeit eine friſch quellende Natur in den Pariſer Schauſpielern, ſo oft ſie Geiſtliche vor¬ ſtellen, daß man deutlich wahrnimmt, wie ihnen al¬ les aus der Bruſt kommt, und wie ſie gar nicht ſpie¬ len, ſondern wie das Herz mit ihnen ſelbſt ſpielt. Die Tartüff-Natur können ſie auswendig wie das152 Ein-mal-Eins. Die Pfaffenheuchelei in ihren feinſten Zügen, zeichnen ſie mit geſchloſſenen Augen. Und doch muß ich zu ihrem Ruhme ſagen, daß ſie keine Bosheit in die Rolle bringen. Sie betragen ſich als großmüthige Sieger, entwaffnen den Feind, thun ihm aber nichts weiter zu Leide.

Im Theatre de l’Ambigüe habe ich drei Stücke geſehen, die mich auf dieſe Gedanken gebracht. Das erſte heißt la papesse Jeanne. Der Ti¬ tel allein macht ſchon ſatt. Jahrhunderte lang glaubte die Welt, es wäre einmal eine Frau Papſt gewe¬ ſen, und das Geheimniß ſei erſt entdeckt worden, als der heilige Vater in die Wochen gekommen. Das iſt die berühmte Päpſtin Johanna. Neue Hiſtori¬ ker haben die alte Geſchichte für ein Mährchen erklärt. Aber was ändert das? Die Hauptſache bleibt im¬ mer wahr. Man hatte eine ſolche Vorſtellung von der Verdorbenheit der päpſtlichen Kirche, daß man das Mögliche für wirklich hielt. Dieſe Päpſtin tritt im Vaudeville auf. Anfänglich iſt ſie erſt Cardinal. Eine lange prächtige Frauensperſon in Weiberkleidern, iſt allein mit ihrem Kammermädchen, und lachen die Beide und machen ſich luſtig über die Cardinalität unter der Haube und unter der rothen Mütze, daß die Wände zittern. Die Cardinalin Jeanne erzählt ihre frühere Geſchichte. Sie war mit einen Kreuz¬ fahrer als deſſen Ehefrau in den heiligen Krieg ge¬153 zogen. Dort verlor ſie im Gedränge ihren Mann, und wurde als leichte Waare von einem Paſcha, von einem Kreuzritter dem andern zugeworfen. Sie kam als Mann verkleidet nach Rom, trat in den geiſtli¬ chen Orden, und als ſie es durch pfäffiſche Geſchmei¬ digkeit ſo weit gebracht, daß ſie nichts mehr roth machen konnte, als der Purpur, bekam ſie ihn. Die Cardinälin gehts ins Seitenzimmer, ſich als Mann umzukleiden. Unterdeſſen tritt ein alter Cardinal herein, tändelt mit dem Kammermädchen und macht ihm Liebeserklärungen. Jeanne erſcheint im rothen Ornate. Wechſelſeitige Heuchelei und chriſtliche Bruderliebe der beiden Cardinäle. Der männliche Cardinal geht fort, und dem weiblichen wird ein Kreuzfahrer gemeldet, der aus dem gelobten Lande kömmt. Ein gemeiner Reiter tritt herein, ein gehar¬ niſchter Lümmel, ſieht dem Cardinal ins Geſicht, und ſchreit: meine Frau! Meine Frau Cardinal! Der Kerl möchte ſich todt lachen. Die erſchrockene Johanna bittet um Gottes willen, ſie nicht zu ver¬ rathen. Er gelobt Verſchwiegenheit für vieles Geld und vielen Wein. Er bekömmt beides, und betrinkt ſich. In dieſem Zuſtande vergißt er ſein Wort, und ruft in einem fort: meine Frau Cardinal! und lacht unbändig. In dieſer Lage der Dinge kom¬ men ſämmtliche Cardinäle herein, um Johanna in das Conclave abzuholen, wo ein neuer Papſt gewählt154 werden ſoll. Sie hören die wunderlichen Reden des Soldaten, werden argwöhniſch, und dringen in ihn, zu erklären, wer von ihnen eine Frau und ſeine Ehe¬ hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen verſtohle¬ nen Wink von Johanna, den er verſteht. Er ſtürtzt mit ausgebreiteten Armen auf den älteſten und gar¬ ſtigſten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt ihn und ſchreit: Du biſt meine Frau! Kennſt Du mich nicht mehr liebe Sophie? Die andern Car¬ dinale ſtellen ſich als glaubten ſie das, denn gerade derjenige von ihnen, den ſich der Reiter zur Frau gewählt, hat die meiſte Ausſicht, Papſt zu werden, und ſie möchten ihn beſeitigen. Sie ſperren den Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬ hanna zum Papſt gewählt wird. Der heilige Vater und die Cardinäle ſingen die ſchönſten und[erbaulich¬ ſten] Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬ mann der päpſtlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬ ſchichte iſt aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden hat, braucht nicht für den Spott zu ſorgen.

Das zweite Stück war Joachim Mürat, König von Neapel, eine Biographie mit Muſik und Dekorationen. Die dramatiſche Kunſt, wenn hier je nach ſo etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht die geringſte Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬ rung auszuſtopfen, und Mürat ſtand da, wie er lebte. Er war ein ſchöner Mann, hatte den Anſtand155 eines guten Schauſpielers, liebte den Putz, und war tapfer wie ein edler Ritter. Dabei ein vortrefflicher Fürſt, der ſein Land gut regierte und es glücklich ge¬ macht hätte, hätten es die Pfaffen und der heilige Januarius zugegeben. Auf der Bühne geht ſein Le¬ ben mit ſolcher Schnelligkeit an uns vorüber, daß uns ſchwindelt. Im erſten Acte iſt er Zögling in einer geiſtlichen Schule, in zweiten Huſar, im drit¬ ten König, im vierten wird er todt geſchoſſen. Aber wie todt geſchoſſen! Das Kriegsgericht des dum¬ men Ferdinands von Neapel, ein Banditen-Gericht mit Floskeln, verurtheilt Mürat. Er ſtellt ſich vor die Soldaten, kommandirt Feuer und ſtürzt hin. Das geſchieht wie die wahre Geſchichte im Zimmer. Man wagte es nicht im Freien, Gott ſollte es nicht ſehen. Es iſt entſetztlich! Die Pariſer Melodra¬ men-Dichter ſind wahre Kannibalen, Menſchenfreſſer, ſie reißen einem das Herz aus dem Leibe. Das Ohr kann nicht gerührt werden von ſolchem dummen Zeug; aber die Augen müſſen doch weinen, wenn ſie offen ſind. Luſtig iſt der erſte Act, wo Mürat im Semi¬ narium als junger Abbé auftritt. Ganz ſchwarz un¬ ter lauter ſchwarzen Kameraden, blickt Mürats roſen¬ rothes lebensvolles Geſicht, aus der dunkeln Kleidung gar angenehm hervor, Himmel! was werden da für Streiche geſpielt, von den alten und von den jungen Geiſtlichen, von den heimlichen und von den öffent¬156 lichen Taugenichtſen! Man könnte zehn Chriſten¬ thümer damit zu Grunde richten. Wir ſahen auch die Prozeſſion des heiligen Januaris in Neapel. Als die Franzoſen Neapel eroberten, wurde von ihnen die Statue des heiligen Januarius, der Schutzgott des Volkes, in das Meer geſtürzt. Mürat ließ ſie ſpä¬ ter wieder herausfiſchen, aber die Naſe fehlte. Dar¬ über war das Volk troſtlos. Der Erzbiſchof war einverſtanden mit König Mürat. Als nun der hei¬ lige Januarius ohne Naſe auf dem Markte aufgeſtellt war, ſtürzten Fiſcher herbei und berichteten mit un¬ beſchreiblichem Entzücken, ſie hätten ſo eben die Naſe auf dem Boden des Meeres wiedergefunden. Sie wird dem heiligen Januarius anprobirt, und ſie paßt vollkommen und bleibt ſitzen. Der Erzbiſchof ſchreit: Mirakel! und das Volk: es lebe Joachim! Dabei erinnerte ich mich in Flagoletta geleſen zu haben, daß, als die Franzoſen nach Neapel kamen, das Blut des heiligen Januarius zur gehörigen Zeit nicht flie¬ ßen wollte. Das entſetzte Volk in der Kirche drohte aufrühreriſch zu werden. Da nahte ſich ein franzö¬ ſiſcher Offizier unter Lächeln und Bücklingen dem fungirenden Erzbiſchofe, zeigte ihm eine kleine Piſtole in ſeinem Rockärmel, und ſagte ihm freundlich: hei¬ liger Biſchof! haben Sie die Gefälligkeit, das Blut fließen zu machen, ſonſt jage ich Ihnen eine Kugel157 durch den Kopf. Der Biſchof verſtand den Wink und das Blut floß auf's Schönſte.

Die dritte Komödie war: Cotillon III, ou Louis XV chez Madame Dubarry. Es hat mich angenehm überraſcht, in dieſem kleinen artigen Dinge keine betrübte Kritelei der alten Zeit zu finden; man wird das endlich ſatt. Im Gegentheil, alle Perſo¬ nen, ſelbſt Ludwig XV. und der alte Erzbiſchof von Paris werden liebenswürdig dargeſtellt. Der Letz¬ tere erſcheint bei der Morgentoilette der Dubarry, hilft ihr beim Ankleiden, und kniet nieder, ihr die Schuhe anzuziehen. Er iſt ſehr galant und hofft bald Cardinal zu werden. Den leichten Fächerſchlag mag die katholiſche Geiſtlichkeit hinnehmen; das iſt doch kein grauſames Spießruthenlaufen wie in der pa¬ pesse Jeanne. Ich glaube Friederich der Große war es, welcher der Dubarry, als der dritten Mai¬ treſſe Ludwigs XV., den Namen Cotillon III. gege¬ ben. Die erſte Maitreſſe nannte er Cotillon I, die zweite (Frau von Pompadour) Cotillon II. Der Erzbiſchof ſagt in einem Vorzimmer der Dubarry zu einem tugendhaften jungen Secretär: Sous la Du¬ chesse de Chateauroux, Cotillon I, je n'étais qu'abbé; je voulus m'amuser à faire de la mo¬ rale, on m'envoya dire ma messe. Sous ma¬158 dame de Pompadour, Cotillon II, je fus beau¬ coup plus indulgeant, on me fit évêque; sous madame Dubarry, Cotillon III, je suis archévêque, et le chapeau de Cardinal n'est suspendu que par un fil au-dessus de ma tête. Vienne un Cotillon IV, et je suis pape.

[159]

Drei und vierzigſter Brief.

Heute ſind es ſechs Jahrhunderte, daß ich in Paris bin. Der Kalender, der Pächter, und alle, welche Hausmiethe zu bezahlen oder zu fordern ha¬ ben, werden zwar behaupten, es wären erſt ſechs Monate; aber wie iſt das möglich? Hätte ein en¬ ges halbes Jahr all die großen Begebenheiten faſſen können? Auch behaupten die Herren Schneider, die Zeit wäre wirklich geplatzt, und ſie kommen alle[herbei], ſie mit ihren alten geſtohlenen Lappen wieder zu flicken. Ich wollte, ich hätte eine Krone, ich würde mir einen ſchönen Reiſewagen dafür kaufen, wenn ich ja in Paris einen Narren von Sattler160 fände, der das für baares Geld nähme. Was fange ich mit meiner Krone an? Soll ich Ihnen eine Kette davon machen laſſen? Aber Sie trügen ſie nicht, denn die Blutflecken ſind nicht heraus zu brennen.

Geſtern kamen Nachrichten, die Oeſterreicher wären in Bologna und Reggio eingezogen, und hät¬ ten dort die ganze Nationalgarde niedergemetzelt das heißt: alle reichen, vornehmen und edlen Bür¬ ger. O und Ach! O und Ach! und wenn Shakeſpeare wieder käme, er könnte nichts Beſſeres ſagen, als O und Ach! Darum will ich es dabei bewenden laſſen.

Ich ſah geſtern Ferdinand Cortez in der großen Oper. Das war, nach allen den Mehl - und Fleiſchſpeiſen, welche uns die königliche Akademie der Muſik dieſen ganzen Winter aufgetiſcht, einmal Roſtbeaf mit engliſchem Senf. Auch ſagte mir mein franzöſiſcher Nachbar ſchon vor der Ouvertüre, die Muſik wäre ſehr langweilig. Aber ich fand das gar nicht. Im Gegentheile, ſie gibt uns nur zu viel Beſchäftigung. Der Ausdruck der glühenden Leidenſchaft iſt zu ſtark, zu anhaltend; das brennt uns gerade über den Scheitel, und nirgends ein küh¬161 les Plätzchen. Das Haus war ungewöhnlich voll, aber wie mein Nachbar war alle Welt nur gekom¬ men, das nachfolgende Ballet zu ſehen. Ich ballte ſchon zum voraus die Fäuſte, denn ein Ballet bringt mich immer in den heftigſten Zorn in einen wahren Bierhaus-Zorn. Ich möchte den Tänzern und Tän¬ zerinnen Arm und Beine entzwei ſchlagen, wenn ſie wie toll unter einander ſpringen, und man recht deut¬ lich wahrnimmt, wie keiner weiß, was er fühlt, was er denkt, was er thut, wo er hin will; wenn ſie ſich auf ein Bein ſtellen, das andere in die Luft kreuzend, und ſo einen Wegweiſer bilden; wenn ſie ſich wie gepeiſchte Kreiſel drehen, und mit ihren Füßen lächerliche Triller ſchlagen dann verliert man alle Geduld. Darauf war ich vorbereitet, und wurde angenehm überraſcht. Das Ballet war wun¬ derſchön. Es ſind Gedanken, Gefühle und Hand¬ lungen darin, wie ſie ſich für dieſe zarte Kunſt ſchicken. Ich meine, man ſollte nichts anderes tan¬ zen, als was man auf der Flöte ſpielen darf. Donnerwetter in den Beinen, Huſarentänze, Trom¬ petenſprünge das iſt gar zu lächerlich. Man gab Flore et Zéphire, ballet anacréontique. Dieſes Beiwort, und daß die Compoſition gefällig war, ſcheint mir zu beweiſen, daß es ein altesII. 11162Ballet iſt, aus der ſchönen Zeit vor der Sündfluth. Seit der Revolution iſt in Frankreich die Tanzkunſt ſehr in Verfall gekommen, und ich kann mir das erklären. Früher war das geſellige Leben in Frank¬ reich ſelbſt ein beſtändiges Tanzen. Jede körperliche Bewegung war abgemeſſen, anſtändig, würdig und geſchmackvoll, nach dem Geſchmacke der Zeit. So fand die Tanzkunſt, die ein ferneres Ziel hat als die Tanznatur, ehe ſie ihre Laufbahn begann, den halben Weg ſchon zurückgelegt. Jetzt aber iſt das ganz anders. Da alle Stände gleich ſind, in der öffentlichen Achtung wie vor dem Geſetze, bemüht ſich keiner mehr durch ein feineres Aeußere zu zeigen, daß er einem höhern Stande angehört. Man ſucht den Weibern nicht mehr zu gefallen, und mit der Zärtlichkeit ging bei den Männern auch alles Zarte verloren. Es iſt unglaublich, mit welcher Unritter¬ lichkeit hier die Frauenzimmer von dem männlichen Geſchlechte behandelt werden. Wenn nicht eine zu¬ fällige perſönliche Neigung ſtattfindet, auf das Ge¬ ſchlecht als ſolches wird gar keine Rückſicht genom¬ men. Die jungen Leute treten mit weniger Umſtän¬ den in eine Geſellſchaft als in ein Kaffeehaus ein; kaum daß ſie ſich verneigen, viel, wenn ſie grüßen. Haben ſie mit der Frau vom Hauſe einige unhörbare163 Worte gewechſelt, oder ihr eine Minute lang zuge¬ lächelt, iſt ihre Galanterie erſchöpft. Das iſt ſehr bequem, aber das Ballet muß dabei zu Grunde ge¬ hen. Das Tanzen auf den Bällen müßten Sie ſehen. Es iſt gar kein Tanzen, es iſt nicht einmal rechtes Gehen. Vier Paare ſtellen ſich einander gegenüber, reichen ſich verdrießlich, und ohne ſich da¬ bei anzuſehen, die Hände, und ſchleichen ſo matt auf ihren Beinen herum, als wären ſie erſt einen Tag vorher von der Cholera morbus aufgeſtanden. An angenehme Touren, an Pas iſt nicht zu denken. Ich kann Sie verſichern, das ich mit meinen alten Pas vom Langerhans aus der Gellenhäuſer-Gaſſe in Paris Aufſehen machen würde. Zu ſpät fiel mir ein, wie dumm ich geweſen, daß ich auf dem großen Opernball, wo ich von der Hitze und dem Gedränge ſo vieles auszuſtehen hatte, nicht getanzt. Man hätte mir, wie jedem Tänzer Platz gemacht, und ich hätte mich ausruhen können, vom Gehen und vom Nichttanzen. Auch habe ich mir feſt vorgenommen, wenn ich hier wieder in ein ſolches Ballgedränge komme, mich in eine Quadrille zu flüchten, und dort das Glück der Ruhe zu genießen. Nicht zu vergeſ¬ ſen, ich habe hier noch kein Frauenzimmer einen Knix machen ſehen. O Zeiten! O Sitten! O ihr11*

164ſchönen Tage des Menuets! O Veſtris! ... O verdammte Preßfreiheit!

Wieder auf das Ballet zu kommen. Es treten darin alle Götter des Olymps auf. Bacchus, Flora, Zephyr, Venus, Amor, Hymen und auch einige bür¬ gerliche Gottheiten, die Unſchuld, die Schamhaftigkeit. Ach! ich ſchäme mich's zu ſagen, meine ganze My¬ thologie habe ich vergeſſen. Ich bin ſehr alt ge¬ worden. In meiner Jugend kannte ich alle Götter und Göttinnen, ſo gut als ich meine Onkels und Tanten kannte. Ich wußte deren Namen, deren Würden und deren Aemter, deren Wohnungen, wußte wie ſie gekleidet waren, und kannte deren ganze Le¬ bensgeſchichte. Jetzt, nichts mehr. Zephyr, weil er Flügel auf dem Rücken trug, ſah ich für Amor an. Zwar fiel mir etwas auf, daß er ein ſo langer Menſch war; aber ich dachte: ich habe Amor ſeit zwanzig Jahren nicht geſehen, und er kann wohl unterdeſſen gewachſen ſeyn. Daß Hymen, Bacchus, Venus mittanzen, ſah ich aus dem Programm; aber ich konnte ſie nicht von einander unterſcheiden. Die beiden Hauptrollen, Flora und Zephyr, waren vor¬ trefflich beſetzt, und weit davon entfernt, meinen aus¬ geſprochenen Tadel zu verdienen. Beſonders Flora entzückte mich. Eine bezaubernde Grazie, und eine Mäßigung in allen Bewegungen, bei ſo großer Be¬165 weglichkeit, die ich noch bei keiner Tänzerin gepaart gefunden. Sie umgaukelte ſich ſelbſt, und war zu¬ gleich Blume und Schmetterling. Sie bewegte ſich eigentlich gar nicht; ſie erhob ſich nicht, ſenkte ſich nicht; ſie wurde hinauf und herab gezogen, Luft und Erde ſtritten ſich um ihren Beſitz. Wer iſt dieſe Tänzerin? fragte ich meinem Nachbar in der Loge, einen Mann von funfzig Jahren, der ſehr vor¬ nehm ausſah. Er ſah mich mit Augen an aber mit Augen und antwortete nach einigen Athem¬ zügen: mais ... c'est mademoiselle Taglioni! Hätte ich den Mann zwanzig Jahre früher bei einer Parade auf dem Marsfelde gefragt: wer iſt der kleine Mann dort zu Pferde, im grauen Ueberrocke und mit dem kleinen Hute? .. mit nicht größern Augen hätte er mich anſehen, nicht mit größere Ver¬ wunderung hätte er mir erwiedern können: mais ... c'est Napoléon! Ganz recht hat der Herr, wenn er nur Geld genug hat. Kurz, das Ballet machte mir Freude. Aber zuletzt ward mir das Ding doch zu ſüß, und da warf ich ſpaniſchen Pfeffer hinein. Unter dem Tändeln, Koſen und Tanzen der olympi¬ ſchen Götter dachte ich an die polniſchen Senſen¬ männer, welche die Köpfe der Ruſſen, wie Schnitter das Getreide mähen. Gräßlich! zu gräßlich! 166Warum denken Sie immer an die Polen, warum trauern Sie nur für ſie? Sind die Ruſſen nicht beweinenswerther? Die Polen ſterben den ſchönen Heldentodt, oder ſie leben für die Freiheit. Der Ruſſe zwiſchen grauſame Senſe und ſchimpfliche Knute geſtellt,[kämpft] nur für eigne Sklaverei, unter¬ liegt wie ein Schlachtvieh, oder ſiegt wie ein Metz¬ gerhund, für ſeinen Herrn. Die Menſchen zu Völkern vereinigt, ſind dümmer, geduldiger als die Steine. Jeder Stein rächt ſich, wenn ihn einer zu hart berührt, und verſetzt ſeinem Beleidiger blutige Beulen; ein Volk aber, eine Alpenkette, läßt ſchimpf¬ lich mit ſich kegeln, und hat es die Kegel erreicht und umgeworfen, läßt es ſich geduldig in die höl¬ zerne Rinne legen, und eilt ſehr, herabzurollen zu ſeinem Spielherrn, und läßt ſich von neuem kegeln. Es iſt zum Raſendwerden!

Ich will nicht verſäumen, Ihnen eine Stelle aus einem Briefe aus Warſchau mitzutheilen, den geſtern ein hieſiges Blatt enthielt. Der öffentliche Geiſt in Warſchau iſt herrlich; doch gibt es Men¬ ſchen, die das Wohl ihres Kramladens dem des Vaterlandes vorziehen. Das darf Sie aber nicht in Verwunderung ſetzen, denn auf 140,000 Ein¬167 wohner unſerer[Hauptſtadt] kommen 30,000 Juden und 10,000 Deutſche. Dieſe Letztern ver¬ ſtehen gar nicht, was das heißt, Vater¬ land, weil ſie vielleicht nirgends eines haben. Sie kommen zu Tauſenden nach Polen, zehren von deſſen Brode, und verlaſſen es, wenn ſie ſich bereichert haben. Aber es hat keine Gefahr mit ihnen; es ſind größtentheils Leute von ſchwachem aber ehrſamem Cha¬ rakter, und man braucht ſie nur ſtarr an¬ zublicken, um ihrer Treue verſichert zu ſeyn. ... Was die jüdiſche Bevölkerung betrifft, früher ſo ſchlecht, hat ſie ſeit dem 29. November ſehr große Fort¬ ſchritte im Guten gemacht. Der Geiſt der Verbrüderung fängt an, ſie mit den wah¬ ren Polen zu vereinigen, und ich kann Sie verſichern, daß, wenn die Vorſehung unſere Waffen ſegnet, in einem Jahre alle unſere Juden in Polen umgewandelt ſeyn werden. Iſt das nicht merkwürdig? Was, die ſchlechten, verachteten und die verächtlichen Juden, hinabgeknechtet ſeit zweitauſend Jahren, brauchen nur ein einziges Jahr, um zum herrlichſten Volke der Erde, um Polen zu werden; nur ein ein¬168 ziges Jahr, um die Freiheit zu verdienen, um zu erkämpfen, und ſich ein Vaterland zu erwerben und die ſo ſtolzen, herriſchen Deutſchen, welche prahlen, die Freiheit ſei ihre Wiege geweſen, die auf die Juden mit ſolcher Verachtung herabblicken, haben noch und wollen kein Vaterland, haben noch und wollen keine Freiheit! Ich habe es ja immer geſagt, und wie ich glaube, auch drucken laſſen: Türken, Spanier, Juden, ſind der Freiheit viel näher als der Deutſche. Sie ſind Sklaven, ſie werden einmal ihre Ketten brechen, und dann ſind ſie frei. Der Deutſche aber iſt Bedienter, er könnte frei ſeyn, aber er will es nicht; man könnte ihm ſagen: ſcheer dich zum Teufel und ſei ein freier Mann! er bliebe und würde ſagen: Brod iſt die Hauptſache. Und will ſeine Treue ja einmal wanken, man braucht ihn nur ſtarr anzu¬ ſehen, und er rührt ſich nicht! Ich habe mir vor Vergnügen die Hände gerieben, als ich das im pol¬ niſchen Briefe geleſen. Dahin müßte es noch kom¬ men, dieſe erhabene Lächerlichkeit fehlte noch der deutſchen Geſchichte, daß einmal Juden ſich an die Spitze des deutſchen Volkes ſtellen, wenn es für ſeine Befreiung kämpft! .. Aber kennen Sie auch die neue Dresdner Conſtitution? Das Meißner169 Porzellan iſt eine Mauer dagegen. Geleſen habe ich ſie noch nicht, man erzählte mir nur etwas da¬ von. Das Wenige machte mich ſchon luſtig, und ich ſang den Vogelfänger, bis ich zu fluchen anfing. Stets luſtig, heiſa hopſaſa ... hol euch der Teufel!

170

Geſtern war nach langer Zeit der Z. einmal wieder bei mir, blieb aber nicht lange. Ich hörte etwas von ihm, was euch in Frankfurt gar nicht gleichgültig ſein kann. Ich erinnere mich nicht, ob ich es Ihnen ſchon früher mitgetheilt, daß mir wäh¬ rend meines Hierſeyns Aeußerungen von franzöſiſchen Offizieren hinterbracht worden: daß, wenn ſie der Krieg einmal wieder nach Frankfurt brächte, ſie ſich für die Mishandlungen, die ſie dort bei ihrem Rück¬ zuge 1814 hätten erleiden müſſen, fürchterlich rächen wollten. Nun erzählte mir Z., er habe einen Tag vorher mit einem General gegeſſen, der habe das Nehmliche geäußert und hinzugefügt, er habe dem Kriegsminiſter Marſchal Soult ſchon den Vorſchlag gemacht, Frankfurt hundert Millionen Contribution bezahlen zu laſſen. Erzählen Sie das aber nicht weiter, ehe Sie meine Stadt-Obligationen verkauft haben. Aber wie flink die Herren Franzoſen ſind! Mögen ſie nur kommen, wir ſind noch flinker im Gehorchen als ſie im Befehlen. Wollte ich doch darauf wetten, daß der Cenſor ſchon längſt die ſtille171 Weiſung bekommen, ja kein hartes Wörtchen gegen die neuen Franzoſen durchgehen zu laſſen.

Merkwürdige Dinge ſollen ja in Frankfurt wegen der Juden vorgehen. Iſt es wahr, daß die Wittwer und Wittwen ſollen heirathen dürfen, ſo oft und ſobald ſie Luſt haben? Iſt es wahr, daß Ju¬ den und Chriſten ſollen Ehen unter einander ſchließen dürfen, ohne weitere Ceremonien? Iſt es wahr, daß der Senat dem geſetzgebenden Körper den Vor¬ ſchlag gemacht, die Juden den chriſtlichen Bürgern ganz gleich zu ſtellen, und daß von 90 Mitgliedern nur 60 dagegen geſtimmt? Das wäre ja für un¬ ſere Zeit eine ganz unvergleichliche Staats-Corpora¬ tion, die unter 90 Mitgliedern nur 60 Dumme zählte. Ein ganzes Drittheil des geſetzgebenden Körpers hat dem Geiſte der Zeit unterlegen; das iſt ja ärger als die Cholera morbus werden die alten Staatsmänner jammern!

Haben Sie etwas davon geleſen oder ge¬ hört, daß Herr von Rotteck, Badiſcher Profeſſor in Freiburg, und Mitglied der Stände-Verſammlung arretirt worden ſei, als in der hannövriſchen Revolu¬ tion verwickelt? Das wäre ſehr merkwürdig. Zwar hat ſich Rotteck immer als liberaler Schriftſteller172 und Deputirter gezeigt; indeſſen hat er die den deut¬ ſchen Gelehrten eigene Mäßigung nie überſchritten. Hat er ſich aber wirklich in eine Verſchwörung ein¬ gelaſſen, ſo würde das beweiſen, daß es bei uns Leute gibt, die leiſe ſprechen, aber im ſtillen kräftig handeln, und dann ließe ſich etwas hoffen.

Die Lage der Dinge hier iſt jetzt ſo, daß ich jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch einer Re¬ volution erwarte. Nicht vier Wochen kann das ſo fortdauern, und der Rauch der Empörung wird hin¬ ter meinem Reiſewagen herziehen. Die Verblendung des Miniſteriums und der Majorität der Kammer iſt ſo unerklärlich, daß ohne ſträflichen Argwohn, bei einigen der lenkenden Mitglieder Verrätherei anzu¬ nehmen iſt. Der Eigenſinn des Königs iſt nicht zu erſchüttern, ſeine Schwäche nicht aufzurichten. Er wird nicht Frankreich zu Grunde richten, denn das hilft ſich ſelbſt heraus; aber er ſpielt um ſeine Krone, der einzige Mann im Miniſterium, der Einſicht mit Energie verbindet, iſt der Marſchall Soult: aber ich für mich traue ihm nicht. Die Zeit iſt ſo, daß es einem Kriegsmanne wohl einfallen darf, den zweiten Napoleon zu ſpielen, und Soult mag daher die Re¬ gierung gerne auf falſchem Wege ſehen, damit Frank¬ reich in eine Lage komme, in der es eines Diktators173 nicht entbehren kann. Dem Willen und der Kraft der Regierung mistrauend, bilden ſich jetzt überall Aſſociationen der angeſehenſten Bürger, um durch vereinte Kräfte die alte Dynaſtie und den Feind vom Lande abzuhalten. Das kann dem Könige ge¬ fährlich werden. Wenn nicht bald ein Krieg die Krank¬ heit nach außen wirft, iſt Louis Philipp verloren.

174

Man fängt jetzt in den franzöſiſchen Provinzen an, denjenigen Theil der Nationalgarde, der kleine Flinten hat, nach Art der Polen mit Senſen zu bewaffnen. Ich halte das für ſehr wichtig, es iſt ein großer Fortſchritt, den die Kriegskunſt der Frei¬ heit macht. Die Senſe iſt dem Bauer eine ge¬ wohnte, dem Soldaten eine ungewohnte und darum ſchreckbare Waffe, und nimmt dieſem den Muth, den er jenem gibt. Die Senſe wird dem Lande werden, was den Städten die Pflaſterſteine ſind.

Caſimir Perrier hat geſtern in der Kammer als Miniſter debütirt. Seine Anhänger und Claqueurs haben voraus gejubelt, er werde die Revolution mit Haut und Haar verſchlingen. Aber ſo beſtialiſch iſt es nicht geworden. Die Miniſter ſprachen einer nach dem Andern vom Frieden, aber der trockne Frieden175 blieb ihnen im Halſe ſtecken, und wir wiſſen heute nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die Renten hüpfen umher wie geſtutzte Vögel; ſie woll¬ ten fliegen, aber es ging nicht, ſie mußten auf der Erde bleiben. Es iſt ganz ſchön, daß die Tortur abgeſchafft worden, aber für eine Art Spitzbuben hätte man ſie beibehalten ſollen für die hart¬ mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬ aus zu preſſen. Aber wer weiß! ſie würden viel¬ leicht ſelbſt auf der Folter die Wahrheit nicht ſagen. Die Lüge iſt ihre Religion; für ſie dulden und ſter¬ ben ſie. Alſo in Frankfurt iſt man mit dem fau¬ len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was iſt zu thun? die vielen Menſchen, welche durch die letzte Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht befrie¬ digt, wollen Ruhe und Frieden haben. Ruhe und Frieden! ich glaubs wohl! den wünſcht jeder Raubvogel, die Beute nach Bequem¬ lichkeit zu verzehren läßt Goethe ſeinem Götz von Berlichingen ſagen.

Wir haben jetzt ſchon den ſchönſten Frühling hier. Alles iſt grün und die Spatziergänge ſind be¬ deckt mit Menſchen. In den Tuilerien und in den Champs Eliſees war es geſtern zum Entzücken. Es176 iſt hier überall ſo viel Raum, daß die Natur nir¬ gends den Menſchen verdrängt. Bäume und Spatzier¬ gänger finden alle Platz und hindern ſich nicht. Unſere Frankfurter Promenade, ſo ſchön ſie iſt, hat doch etwas Kleinſtädtiſches.

[177]

Vier und vierzigſter Brief.

Ich habe Lord Byrons Denkwürdigkeiten von Thomas Moore zu leſen angefangen. Das iſt Glüh¬ wein für einen armen deutſchen Reiſenden, der auf der Lebensnacht-Station zwiſchen Treuenbriezen und Kroppenſtädt im ſchlechtverwahrten Poſtwagen ganz jämmerlich friert. Er aber war ein reicher und vor¬ nehmer Herr; ihn trugen die weichſten Stahlfedern der Phantaſie ohne Stoß über alle holperigen Wege und er trank Johannisberger des Lebens den ganzenII. 12178Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid. Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde; zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur. Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und gibt das thut jeder Unterthan auch König iſt wer ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬ weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte. Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬ ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht denkt, iſt es nicht in Liebe, ſei es in Zorn; nur179 an ihn denkt. Ich gäbe alle Freuden meines ganzen Lebens, für ein Jahr von Byrons Schmer¬ zen hin.

Vielleicht fragen Sie mich verwundert, wie ich Lump dazu komme, mich mit Byron zuſammen zu ſtellen? Darauf muß ich Ihnen erzählen, was Sie noch nicht wiſſen. Als Byrons Genius, auf ſeiner Reiſe durch das Firmament auf die Erde kam, eine Nacht dort zu verweilen, ſtieg er zuerſt bei mir ab. Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte ſchnell wieder fort und kehrte in das Hotel Byron ein. Viele Jahre hat mich das geſchmerzt, lange hat es mich betrübt, daß ich ſo wenig geworden, gar nichts erreicht. Aber jetzt iſt es vorüber, ich habe es ver¬ geſſen und lebe zufrieden in meiner Armuth. Mein Unglück iſt, daß ich im Mittelſtande geboren bin, für den ich gar nicht paſſe. Wäre mein Vater Beſitzer von Millionen oder ein Bettler geweſen, wäre ich der Sohn eines vornehmen Mannes oder eines Land¬ ſtreichers, hätte ich es gewiß zu etwas gebracht. Der halbe Weg, den Andere durch ihre Geburt vor¬ aus hatten, entmuthigte mich; hätten ſie den ganzen Weg voraus gehabt, hätte ich ſie gar nicht geſehen12 *180und ſie eingeholt. So aber bin ich der Perpendickel einer bürgerlichen Stubenuhr geworden, ſchweifte rechts, ſchweifte links aus und mußte immer zur Mitte zurückkehren.

181

Wenn alles das wahr iſt, was man hier ſeit einigen Tagen von den Polen erzählt, ſo geht es ja auf das allerherlichſte und Sie ſollen, da Sie als Frauenzimmer keinen Jubelwein trinken können, zur Siegesfeier ein Dutzend Gläſer Gefrornes eſſen. Es wird ſchon warm werden an Ihrem Herzen. Die Ruſſen ſollen im vollen Rückzuge ſeyn, aufgelößt wie die kranke alte Sünde. Achtzig Kanonen mußten ſie im Stiche laſſen. Die Erde verſchlingt ſie lebend, die Polen fallen ihnen im Rücken und Litthauen iſt im Aufſtande. Le fameux Diebitsch hat die Ruthe bekommen, le fameux Diebitsch, wie man hier ſagt das lautet wunderſchön! Aber wenn!

Ich kann es Ihnen nicht länger verſchwei¬ gen, daß die europäiſchen Angelegenheiten, die ich, wie Sie wiſſen, ſo gut auswendig kannte als das182 Ein mal Eins, anfangen mir über den Kopf zu ſtei¬ gen. Anfänglich hielt ich ſie unter mir, indem ich mich auf den höchſten Stuhl der Betrachtung ſtellte; aber da ſind ſie mir bald nachgekommen und ich kann jetzt nicht höher. Die deutſchen Regierungen, ſtatt ihren Unterthanen Opium zu geben, geben ih¬ nen Kaffee, daß ſie munter bleiben, und ſtatt ihnen das weichſte Bett zu machen, zupfen ſie ſie an der Naſe, aus Furcht, ſie möchten einſchlafen. In Frankreich iſt es noch toller. Ich weiß ſo wenig mehr was hier getrieben wird, als wäre ich Ge¬ ſandter. Man wird ganz dumm davon, und wenn das alltägliche diplomatiſche Schmauſen, das ich nicht vertragen kann, nicht wäre, könnte ich im Taxiſchen Pallaſt ſo ehrenvoll ſitzen als Einer. Wenn nicht ganz was beſonders vorgeht, wenn nicht etwa die franzöſiſchen Miniſter aus Eitelkeit, um zu zeigen, daß, ob ſie zwar bürgerliche Emporkömmlinge ſind, die im vorigen Jahre noch ehrliche Leute waren, doch ſpitzbübiſcher ſeyn können als der älteſte Adel wenn ſie nicht ganz etwas außerordentlich Fei¬ nes ſpinnen, aus einem Lothe Wahrheit einen Lügen¬ ſchleier von drei Ellen weben weiß ich nicht, was ich davon denken ſoll. Das Verderben von außen rückt ihnen immer näher, und ſie lachen dazu wie183 ein Aſtronom zur Erſcheinung eines Kometen. Sie haben das alle ausgerechnet. Im Innern iſt es noch ſchlimmer. Wo Feuer, iſt Rauch; ſie wollen aber lieber kein Feuer als Rauch haben, und wenn es zum Kriege kommt, wenn ſie die Subordination der fremden Völker mit nichts beſiegen könnten, als mit Inſubordination des franzöſiſchen Volkes; wenn ſie die Begeiſterung der Franzoſen brauchen, werden ſie keine Kohle mehr finden, eine Lunte anzuzünden. Die frühern Miniſter, die durch ihre Schwäche vie¬ les verdorben, machten zugleich durch ihre Unthätig¬ keit vieles wieder gut. Sie ließen die Dinge ihren natürlichen Lauf gehen. Seit Caſimir Perrier aber fangen die Unglückſeligen an thätig zu werden. Marſchall Soult, ſobald er das Kriegsminiſterium antrat, fing an, um fünf Uhr Morgens aufzuſtehen und zu arbeiten, und ſeine Untergebenen arbeiten zu laſſen. Nun, für einen Kriegsminiſter, der gegen den fremden Feind wirkt, iſt das ſchön. Aber ſeit einigen Tagen, wie ich heute mit Entſetzen in der Zeitung las, ſteht der Miniſter des Innern auch ſchon um fünf Uhr auf. Welche unſeligen Folgen wird das haben! Was in allen Staaten die Völker noch gerettet bis jetzt, war die Faulheit ihrer Re¬ genten, die bis neun Uhr im Bette lagen. Sie re¬184 gierten vier Stunden weniger, und das macht viel aus im Jahre. Wenn die Miniſter ſich angewöhnen, mit der Sonne aufzuſtehen, dann wehe den Unter¬ thanen.

185

Ich war wieder einmal im Theater geweſen. Bin ich nicht ein fleißiger Junge? Im Vaudeville habe ich zwei Stücke geſehen Madame Dubarry und le bal d'Ouvriers. Die iſt eine andere Dubarry, als die, von der ich neulich berichtet und die im Ambigü aufgeführt wird. Es iſt ein Luſtſpiel im höheren Style, vom bekannten Ancelot, dem Akade¬ miker. Ancelot's Komödie hat ungemeinen Beyfall gefunden, ſie wird ſeit drei Wochen täglich gegeben und das Haus iſt jedes mal toll und voll. Die Komödie gefiel mir auch, nur durch andere Mittel als ſie den Franzoſen gefällt. Dieſe haben ihre ſchlichte Freude daran, ich aber habe den Humor davon. Dem Stücke, um gut zu ſeyn, fehlt nichts als deutſches Klima! hier iſt es nur ein Treibhaus¬ gewächs. Es kommt erſtaunlich viel Sentimentalität darin vor; aber wenn franzöſiſche Dichter und Schauſpieler Sentimentales darſtellen, machen ſie ein Geſicht dazu, als hätten ſie Leibſchmerzen, und man möchte ihnen ſtatt Thränen Kamillenthee ſchenken. Stellen Sie ſich vor: die Dubarry erinnerte ſich mit Wehmuth ihrer ſchuldloſen Jugendjahre, da ſie186 noch nicht Maitreſſe des Königs, ſondern Putz¬ macherin war. Putzmacherin in Paris das nennt ſie den Stand der Unſchuld! Von dieſer Erinne¬ rung bekommt ſie in mehreren Scenen die heftigſten Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz Verſailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten Ludwig XV. geht es noch ſchlimmer. Er bekommt einen Tugend-Schlag, ſo daß man meint, er wäre todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt ſich wieder. Der Spaß iſt: in unſern bürgerlichen Schauſpielen von Iffland und Kotzebue tritt ein Dutzend edler Menſchen auf, und unter ihnen ein einziger Schurke, höchſtens mit noch einem Schurken¬ gehülfen. Am Ende wird das Laſter beſchämt und beſiegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken, tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen ein tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das Laſter beſchämt, ſondern im Gegentheil die Tugend; ja das Laſter kommt noch zu Ehren, indem es ſich großmüthig zeigt und der beſiegten Tugend Leben und Freiheit ſchenkt. Und Dichter wie Zuſchauer merken das gar nicht! In der Dubarry findet ſich eine ſaubere Geſellſchaft zuſammen. Der König, der Herzog von Ri¬ chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬ rillieri, alle Taſchen voll Lettres de cachet, die er ſeinen Freunden bei Hofe präſentirt wie Bonbons;187 der Kanzler Maupeou, der päpſtliche Nunzius, der Marſchall von Mirepoix und endlich der Schwager der Dubarry, Graf Jean, ſelbſt am Verſailler Hof ein ausgezeichneter Taugenichts. Ich kenne aus un¬ zähligen Memoiren alle dieſe Menſchen ſo genau, als wäre ich mit ihnen umgegangen. Und jetzt kommen die treu nachgeahmten Kleider, Geſichter, Manieren und Gebräuche dazu. Das macht die Vorſtellung ſehr intereſſant. Der Kanzler Maupeou nennt die Dubarry Couſine und zieht ihr bei der Toilette die Pantoffeln an, der päpſtliche Nunzius reicht ihr ſeine heilige Schulter, ſich daran aufzurichten und der Marſchal Richelieu jammert, daß ihm ſein Alter verbiete, an dieſem Kampfe der Galanterie Theil zu nehmen. Aber ein Spitzbube iſt er noch voller Ju¬ gendkraft. Er hat ein junges, ſchönes und undſchul¬ diges Mädchen aufgefangen und ſie nach dem Parc aux cerfs gebracht, mit dem Plane, durch die neue Schönheit die Dubarry zu ſtürzen. Die junge Un¬ ſchuld iſt ganz vergnügt, denn ſie meint, ſie wäre in einer Erziehungsanſtalt. Dort wimmelt es von jun¬ gen Mädchen, immer eine ſchöner, eine geputzter, eine gefälliger als die andere. Als die junge Un¬ ſchuld ankommt, ſingt der Mädchenchor ein Lied nach der Melodie des Brautlieds im Freiſchütz: wir flechten dir den Jungfernkranz, mit veilchenblauer Seide. Iſt das nicht köſtlich? Aber man denke188 ja nicht, daß das eine Malice vom Dichter oder Muſikdirektor geweſen, keineswegs. Dieſe Melodie wurde ganz zufällig aus bloßer Naivetät gewählt, auch war ich der einzige im ganzen Hauſe, der dar¬ über gelacht. Die Dubarry entdeckt Richelieu's In¬ trigue und eilt herbei mit ihrem Gefolge; das un¬ ſchuldige Mädchen bekommt zu ihrem Schrecken Licht in der Sache und jammert; der Graf Jean Du¬ barry ſucht ſie in ihren guten Vorſätzen zu beſtärken, und hält ihr im Parc aux cerfs vor allen Hofleu¬ ten folgende Tugendpredigt im feierlichen Tone: Ecoutez jeune fille! nous admirons vos nobles sentimens, gardez-vous d'y renoncer! repoussez loin de vous les séductions, n'écoutez que la voix de la vertu! ... la vertu! ... eh c'est une excellente chose! ... restez dans votre ob¬ scurité; vous ne savez pas quel bonheur pur et sans mélange vous attend loin de ces cou¬ pables grandeurs empoisonnées par tant de re¬ grets l'on cherche en vain à ressaisir ce calme de l'ame, cette sérénité ... (il s'enroue, et se retourne vers la comtesse d'Aiguillon et Maupeou). Ah, ça, aidez-moi donc, vous au¬ tres vous me laissez m'enrouer! ... ne pour¬ riez-vous comme moi prêcher la vertu? Que diable! une fois n'est pas coutume! Mau¬ peou (à part) l'insolant! ... Jean (à Cécile)189 vous m'avez entendu jeune fille, et je me flatte ......... Cécilie. Oui Monsieur, je les suivrai ces généreux conseils! ... soyez mon guide! ... vous êtes vertueux vous: Jean. Merci mon enfant. Jetzt denken Sie ſich das vortreffliche Spiel dazu, und Sie haben eine Vorſtellung von der komiſchen Wirkung, welche die Tugend in Verſailles macht.

Was le bal d'ouvriers gibt, zeigt ſchon der Name des Stückes. Sehr unterhaltend! Einer der fröhlichen Tänzer ſagt ſtatt Cholera morbus, Ni¬ colas morbus. Das wird der Polenfreundin gefallen.

Paganini's letztes Concert hat 22,000 Franken eingetragen; heute ſpielt er zum vierten Male. Der nimmt auch ſeine 100,000 Franken von hier mit. Das iſt eine liederliche Welt. Die Taglioni iſt auf vier Wochen nach London engagirt und bekommt da¬ für 100,000 Franken (Hundert Tauſend). Meinen Sie, daß es für mich zu ſpät ſei, noch tanzen zu lernen? Meine ſämmtlichen Schriften, ſo voller Tu¬ gend und Weisheit, werden mich niemals reich ma¬ chen. Ach könnte ich tanzen! Man erzählt ſich, die Malibran, als die Rede von Paganini geweſen, habe zwar deſſen Spiel gelobt, aber doch geäußert, er ſänge nicht gut auf ſeinem Inſtrument. Als Pa¬ ganini dieſes Urtheil erfahren, habe er der Malibran190 den Vorſchlag machen laſſen, ſie wollten beide zu¬ ſammen ein Conzert geben und dann werde ſich zei¬ gen, wer beſſer ſänge, ſie oder er. Hätte Homer dieſen edlen Streit erlebt, hätte er nicht von Achill und Hektor, ſondern von Paganini und Malibran geſungen. Und von ſo etwas ſpricht man ſpreche ich! O Sitten!

[191]

Fuͤnf und vierzigſter Brief.

Ich werde alle Tage ſchwankender. Soll ich hier bleiben oder nach Deutſchland zurückreiſen? Krieg oder nicht das Wort Friede ſteht nicht in meinem Wörterbuche wird ſich jetzt bald ent¬ ſcheiden. Habe ich ſechs Monate lang, hungrig und mit der größten Ungeduld das Zeug kochen ſehen und jetzt, da alles gar geworden und der Tiſch gedeckt wird, ſoll ich mit leerem Herzen fort? Ich glaube,192 das wäre dumm. Hier iſt man im Mittelpunkte, Europa hat die Augen auf Paris gerichtet, man ſie¬ het den Begebenheiten in das Angeſicht, und kann in deren Mienen leſen, was ſie etwa verſchweigen möchten. In Deutſchland aber ſtehen wir in dem Rücken der Begebenheiten und wir werden nichts erfahren, als was ſie uns über die Schultern weg zurufen. Und was theilen ſie uns mit? Nur un¬ verſchämte Lügen. Wenn der Krieg ausbricht, wird man den deutſchen Zeitungen, die ohnedies nur un¬ verſtändlich geſtammelt, aus Vorſicht gar die Zunge aus dem Halſe ſchneiden. Es kann kommen, daß der Feind nur eine Stunde von unſeren Thoren ſtehet und wir erfahren es nicht, bis er uns mit Einquartirungszetteln in die Stube kommt. Die franzöſiſchen Blätter, wenn auch der Krieg die Po¬ ſten nicht unterbricht, werden gewiß zurückgehalten werden. Sie können ſich denken, wie mir in ſolcher Dunkelheit zu Muthe ſeyn wird. Und was haben wir in Deutſchland, für wen auch der Krieg günſtig ausfalle, zu erwarten? Das ſchöne Glück, entweder den Zwerg Diebitſch mit ſeinen Koſaken zu beher¬ bergen, oder franzöſiſche Offiziere, die, kämen ſie auch anfänglich mit den beſten Geſinnungen für Recht und Freiheit zu uns, durch deutſche bürgerliche Feig¬193 heit und Kriecherei aufgemuntert, bald in den alten Uebermuth zurückfallen würden. Und der weibiſche Kriegsjammer bei uns! und Ruhe iſt die erſte Bürgerpflicht! und die dumme und tückiſche Po¬ lizei! und die Maulkörbe, die man uns in den Hundstagen anlegen wird! Wird man nicht jeden Liberalen, der kein Blech am Halſe trägt, todt ſchla¬ gen? Ich erſticke, wenn ich nur daran denke. Um gehenkt zu werden für die Freiheit, dazu bringt man es doch nicht, dazu ſind unſere Herren zu feig.

Können Sie ſich denn nicht entſchließen hieher zu kommen, aber bald? Ich habe eine kleine Ver¬ ſchwörung vor, wozu ich Scheere, Zwirn und Na¬ deln brauche. Packen Sie Ihre Schachteln und kom¬ men Sie. Sie ſollen entſcheiden, wie mir die Uni¬ form ſteht, und fällt die Entſcheidung günſtig aus, trete ich in die Nationalgarde, verſteht ſich, daß ich aus Patriotismus deſertire, ſobald ſich unſere Lands¬ leute nahen. Ich habe neulich beim Spazierenfahren eine Barriere entdeckt, die gar nicht bewacht wird, und durch dieſe kann ich die preußiſche Armee unbe¬ merkt in die Stadt führen. Ich bitte Sie, bedenkenII. 13194Sie ſich nicht lange. Die Künſte des Friedens ge¬ hen auch hier im Kriege nicht unter, und wenn am meiſten geweint wird, wird am meiſten gelacht, und die Niederlage der Franzoſen wird in Paris immer noch luſtiger ſeyn, als in Wien der Sieg der Deut¬ ſchen. Ich fahre in meinem Theaterberichte fort. Aber das Herz blutet mir, wenn ich daran denke, wie ſchön ſich dieſe Berichte im Dresdner Abend¬ blatte ausnehmen würden, und daß ich für den ge¬ druckten Bogen 8 Thaler bekäme, wofür ich zweimal Paganini hören könnte ich brauchte nur 10 Fran¬ ken noch darauf zu legen. Und was geben Sie mir dafür? Sie wollen nicht einmal nach Paris kommen, was ich ſo ſehr wünſche. Und wie zärtlich dürfte ich ſchreiben, wenn ich ſtatt Ihnen nach Dresden be¬ richtete! Wiſſen Sie, wie die Correſpondenten des Abendblattes ihre Briefe gewöhnlich anfangen? Sie ſchreiben: Liebe Vespertina! Holdes Ves¬ pertinchen! Aber ohne darum den Verſtand zu verlieren. Denn ſobald ſie holdes Vesper¬ tinchen geſagt, kehren ſie gleich zu ihrer Proſa zu¬ rück und ſchreiben: Referent will ſich beeilen ....

Das hieſige Theater zieht mich mehr an als ich erwartete. Von Kunſtgenuß iſt gar keine Rede, es195 iſt die rohe Natur und man ziehet höchſtens wiſſen¬ ſchaftlichen Gewinn. Das Theater iſt eine Fremden¬ ſchule. Alte und neue Geſchichte, Oertlichkeiten, Statiſtik, Sitten und Gebräuche von Paris, werden da gut gelehrt. Es iſt ein großer Vortheil, da viele Jahren dem Fremden nicht genug ſind, Paris in allen ſeinen Theilen aus eigener Erfahrung kennen zu lernen. Und man kann nicht ſagen, daß durch ſolches Walten auf der Bühne die dramatiſche Kunſt zu Grunde gehe, ſondern umgekehrt: weil die dra¬ matiſche Kunſt untergegangen iſt, bleibt nichts anders übrig als ſolches Walten, wenn man von dem Ca¬ pital, das in den Schauſpielhäuſern ſteckt, nicht alle Zinſen verlieren will. Es iſt damit in Deutſchland gar nicht beſſer als in Frankreich; nur iſt man bei[uns] unbehüflicher, weil man nur ein Handwerk ge¬ lernt. Der Franzoſe aber weiß ſich gleich in jede Zeit zu ſchicken. Er iſt Schauſpieler, Pfarrer, Schulmeiſter, Soldat, was am beſten bezahlt wird. Wird ihm ein Weg verſperrt, ſucht er ſich einen Andern; gleich einem Regenwurm findet er immer ſeinen Ausweg. Kein Mann von Geiſt könnte jetzt ein Drama dichten, er müßte denn wie Goethe zu¬ gleich kein Herz haben; aber Geiſt ohne Herz, das13 *196bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬ vor. Hätte es in der erſten Schöpfungswoche, da noch nichts fertig, oder nach der Sündfluth, da alles zerſtört war, einem vernünftigen Menſchen einfallen können, eine Naturgeſchichte zu ſchreiben? So iſt es mit der dramatiſchen Kunſt. Man kann keinen Menſchen malen, der nicht ſtill hält, der nicht ruhig ſitzt. Aber trotz der verdorbenen und grundloſen dramatiſchen Wege, könnte doch einmal ein Franzoſe in ſeiner Dummheit leichter ein gutes Drama errei¬ chen, als ein Deutſcher in ſeiner Weisheit. Die Leidenſchaft, Geld zu verdienen, und die Gewißheit, es zu verdienen, wenn man eine gute Waare hat, iſt in Paris ſo groß, daß wohl einmal ein anderer Scribe, in verzweifelter Anſtrengung etwas ganz neues hervorzubringen, ein Schauſpiel wie Schillers Wallenſtein dichten könnte. Was vermag die Leiden¬ ſchaft nicht! Das Fieber gibt einem Greiſe Jugend¬ ſtärke, und einem Dummkopfe ſchöne Phantaſieen. Auch in ſolchen Fällen, wo das hieſige Theater den didaktiſchen Nutzen nicht gewährt, den ich angegeben, wo es ſo wenig Früchte als Blüthe ſchenkt, wo es langweilig iſt auf deutſche Art auch dann noch hat es ſein eigenes Intereſſe. Man erkennt dabei, wie die Franzoſen gemüthlicher und univerſeller wer¬197 den; denn bei Völkern, wie bei einzelnen Menſchen, entwickeln ſich mit neuen Tugenden auch neue Fehler. So gab es noch vor vierzig Jahren in Frankfurt gar keine blonden und langweilige Juden, ſie waren alle ſchwarz und witzig, ſeitdem ſie aber in der Bildung fortgeſchritten, findet man nicht weniger Philiſter unter ihnen, als unter den älteſten Chriſten. Ein ſolches deutſch-langweiliges Stück habe ich neu¬ lich im Théâtre des nouveautés geſehen. Es heißt: le charpentier ou vice et pauvreté. Wir haben ein Schauſpiel das heißt Armuth und Edel¬ ſinn, aber ein Franzoſe findet dieſe Parthie un¬ paſſend und er hat vielleicht Recht. Laſter iſt Ar¬ muth des Herzens, und wo ſich eine Armuth findet, geſellt ſich die Andere bald dazu. Le charpentier iſt ein höchſt merkwürdiges Stück für Paris. In deutſchen Schauſpielen ſpielt zwar die Armuth auch die erſte Liebhaberrolle, aber dort ſind es doch wenig¬ ſtens vornehme Leute, die heruntergekommen, oder kommen auch arme Teufel von Geburt vor, ſo ſind es doch vornehme Leute, die ihnen aus der Noth helfen. Hier aber wird alles unter gemeinen Leuten abgemacht. Alle Perſonen im Stück ſind zuſammen keine tauſend Franken reich. Die Armuth iſt nicht Schickſal, ſondern Stand, Gewohnheit, Beſtimmung. 198Es gibt nichts komiſcher. Und ſo etwas führen ſie der prächtigen Börſe gerade gegenüber, in der Nähe des Palais Royal und der italieniſchen Oper auf! Der Held des Drama iſt ein Zimmermann, und nicht einmal ein Zimmermeiſter, ſondern ein Zimmer¬ manns-Geſell. Er iſt ein träger Menſch, der ſtatt zu arbeiten ſeine Zeit in der Schenke zubringt und dort trinkt und ſpielt. Darüber kommt ſein Haus¬ weſen herunter, und die arme Frau muß viel aus¬ ſtehen. Weiter thut der Mann nichts Böſes, außer daß er einmal ſeine Frau prügeln will. Nun findet ſich ein anderer Zimmergeſelle, ein braver Menſch, der ſchenkt dem liederlichen Kameraden, der ſein Schwager iſt, 600 Franken, die er ſich mit ſaurer Mühe erſpart. Davon wird der Taugenichts ſo ge¬ rührt, daß er verſpricht, von nun an ein ganz an¬ derer Menſch zu werden. Und das iſt die ganze Geſchichte. Die Scene des erſten Akts iſt ein Zimmerplatz, die des zweiten eine Wachtſtube, der dritte Akt ſpielt in einer Schenke und der vierte in einer Dachkammer. Die Franzoſen, als parve¬ nus in der Gemüthlichkeit, wollen es den alten Herzen nachmachen und zeigen lächerlichen Ma¬ nieren.

199

Das zweite Stück, das ich am nemlichen Abende geſehen, heißt Quoniam. Herr Quoniam iſt Koch. Ohne allen Geiſt, ohne allen Witz, ohne alles Leben. Marſchall Richelieu, in ſeiner Jugend, verliebte ſich in die Frau eines Koches, und, um ihr nahe zu kommen, trat er als Küchenjunge in den Dienſt des Herrn Quoniam. Das Süjet iſt merk¬ würdig ſchläfrig behandelt, und nimmt ein tugend¬ haftes Ende.

Das dritte Stück war le marchand de la rue St. Denis ou magasin, la mai¬ rie et la cour d'assise. Einmal unterhaltend, immer lehrreich. Man erfährt, wie es in einer Seidenhandlung hergeht; auf der Mairie, wo die jungen Leuten getraut werden und vor dem Aſſiſen - Hofe, wo ſie noch ſchlechter wegkommen. Mehrere Schauſpieler waren vortrefflich. Von den Regeln der Kunſt ſchienen ſie nicht viel zu wiſſen; es ſind Naturaliſten. Aber jeder Franzoſe hat den Teufel im Leibe, und wenn eine Teufelei darzuſtellen iſt, mislingt ihnen das nie. Auf der Mairie hat es mir gar zu gut gefallen. Es muß recht angenehm ſeyn, ſich in Paris bürgerlich trauen zu laſſen. Es iſt wie eine deutſche Doktor-Promotion. Man antwor¬200 tet, ohne von der Frage viel zu verſtehen, immer mit ja. Der Maire iſt nachſichtig und alles endet ſchnell und gut.

Das Geſetz, das neulich vorgeſchlagen wurde, Karl X. und ſeine Familie, unter ſtrengen Bedingungen auf ewig aus Frankreich zu verbannen, wurde geſtern in der Kammer verhandelt. Nun wurde zwar das Geſetz von der Mehrzahl angenom¬ men, aber ein Drittheil der (heimlich) ſtimmenden, nehmlich 122 erklärten ſich[dagegen]. Das iſt merk¬ würdig. Von den offenen Anhängern des vertrie¬ benen Königs ſind lange keine 122 mehr in der De¬ putirten-Kammer; denn viele derſelben waren nach der Revolution entweder freiwillig aus der Kammer getreten oder gezwungen, weil ſie den neuen Eid nicht leiſten wollten. Unter jenen Gegnern des Verbannungsdekrets müſſen alſo viele ſeyn, die mit dem Mund ſich für die neue Regierung erklärt, im Herzen aber der alten anhängen. Sie ſehen alſo wie recht ich hatte, als ich Ihnen neulich ſchrieb: es gehen hier Dinge vor, die ich mir nicht anders erklären kann, als indem ich annehme, daß es Ver¬ räther unter den Deputirten gibt. Was der König und ſein Miniſterium bisher Tadelnwerthes, Beleidi¬201 gendes für die öffentliche Meinung gethan, dazu wur¬ den ſie doch am meiſten von der Kammer verleitet, die ſich für die Stimme des franzöſiſchen Volkes geltend machte. Der geſtrige Vorfall wird dem Kö¬ nig wohl etwas die Augen öffnen.

[202]

Sechs und vierzigſter Brief.

Chateaubriand hat eine Brochüre für die Legi¬ timität und Heinrich V. herausgegeben. Was das aber hier ſchnell gehet! Geſtern iſt die Schrift von Chateaubriand erſchienen und heute iſt ſchon eine da¬ gegen angezeigt. Chateaubriands Schrift iſt zu gut, und zu ſchön, Ihnen nur Bruckſtücke daraus mitzu¬ theilen; jedes ausgelaſſene Wort dürfte ſich über Zu¬ rückſetzung beklagen. Man muß ſie ganz leſen. Es iſt doch ein Zauber in der Sprache des Herzens, daß ſie durch einen einzigen Laut die unzähligen Lü¬ gen auch des mächtigſten Talents beſiegen und be¬203 ſchämen kann! Selbſt die Irrthümer des Herzens doch es gibt keine Irrthümer des Herzens. Sie ſind es nur, wenn man ſie an dem ſpitzbübiſchen Einmaleins des Krämervolks nachrechnet, das Tugend kauft und verkauft;[aber] der Himmel hat eine ganz andere Arithmetik. Chateaubriand nimmt für den Herzog von Bordeaux das Wort und für ſein Recht. Er vertheidigt die kranke und alterſchwache Legitimität. Aber die Legitimität iſt ihm kein Glau¬ bensartikel, den man blind annehmen und ausgeben muß, ſondern nur ein politiſcher Grundſatz. Damit können wir zufrieden ſeyn. Sobald man nur eine Lehre prüfen, dafür oder dagegen ſprechen darf, mag jeder, ſo gut er es verſteht, ſeine Lehre geltend zu machen ſuchen. Nun meint Chateaubriand, Frank¬ reich, nach Vertreibung Karl X. und ſeines Sohnes, (und dieſe wünſcht er keineswegs zurück,) hätte beſ¬ ſer gethan, für ſein Wohl ſich Heinrich V. zum Kö¬ nige zu geben. Man hätte das königliche Kind für die Freiheit erzogen; man hätte Frankreichs edle Ju¬ gend um ſeinen künftigen Herrſcher verſammelt und dann ſtatt des feigen Lispelns jetzt ein ganz anderes Wort mit Frankreichs Feinden ſprechen können. Chateaubriand hat ganz Recht; nur überſieht er den Rechnungsfehler, daß Frankreich keine vier Millionen204[ehrlicher] Leute hat, die ihm gleichen, ſondern höchſtens vier, und daß während der Minderjährigkeit Hein¬ richs V. alle Leidenſchaften toll gewüthet und das Land zerſtört hätten. Aber von den Fehlern und Schwächen der jetzigen Regierung überſah er keinen. Er wirft unter Donnern Feuerreden aus und wie glühende Aſche regnet ſein Tadel auf ſie herab. Er ſagt nichts neues; tauſend Stimmen haben das ähn¬ liche vor ihm geſagt. Aber die tauſend Stimmen waren tauſend kleine Lichter, die nur vereint hell ge¬ macht; aber Chateaubriands einzige Fackel wirft ſo großen Glanz als jene Alle. Er zeigt, wie die Regierung von ihrer Feigheit gepeitſcht, in Todes¬ angſt vor drei Schreckbildern fliehet: vor einem Kinde, das am Ende einer langen Reihe von Grä¬ bern ſpielt; vor einem Jünglinge, dem ſeine Mut¬ ter die Vergangenheit, ſein Vater die Zukunft ge¬ ſchenkt; und .... ich habe die Broſchüre nicht mehr zur Hand, aber das dritte Geſpenſt wird wohl der äußere Feind ſeyn. Chateaubriand zeigt an, daß er Frankreich verlaſſen werde. Auch ſagte er: nie würde er Heinrich V. willkommen heißen, wenn er auf den Armen eines fremden Heeres zurückge¬ tragen würde, und ſobald ein Krieg entſtände, wür¬ den ſeine Pflichten ſich ändern, und er ſich nur er¬205 innern, daß er Franzoſe ſei. Ehrlicher Narr! .... Aber er weiß, daß er ein Narr iſt. Er ſagt: Keinen habe die Reſtauration, die ihm ſo viel zu verdanken, mehr gehaßt als ihn, und er würde unter einer neuen Reſtauration kein beſſeres Schickſal haben. Wer kann ſolchen verführeriſchen Lockungen der Tugend wiederſtehen? Auch denke ich ſeit einiger Zeit daran, ein Schuft zu werden. Es iſt mir wahrhaftig nicht um den baaren Vortheil zu thun, ſondern nur um meine Gemüthsruhe. Einem Schuft geht es immer nach Wunſche, und er lebt in Frieden mit der Welt. Das bischen Ehrlichkeit, daß ſich ihm in heißen Ta¬ gen zuweilen auf die Naſe ſetzt, beläſtigt ihn nicht mehr als eine Mücke. Er ſchüttelt ſich und iſt ſie los. Ja, ich will ein Schuft werden. Was halten Sie von meinem Plane?

Paganini's fünftes Conzert hat 24,000 Fran¬ ken eingetragen. Er hat folgenden Vertrag mit der Theaterdirektion abgeſchloſſen. Er ſpielte Mittwoch und Sonntag. Mittwoch bekommt er drei Viertheile der Einnahme, und Sonntag die ganze, und gibt der Direktion 3000 Franken ab. So läßt ſich berechnen, daß ihm die fünf Conzerte bis jetzt 90,000 Franken eingetragen haben. Von der Taglioni habe ich Ih¬206 nen, wie ich glaube, ſchon geſchrieben, daß ſie in London für eine monatliche Miethe ihrer Beine hun¬ dert tauſend Franken bekommt. O! ich könnte die¬ ſer liederlichen Welt ohne Barmherzigkeit die Ohren abſchneiden und die Augen ausſtechen!

[207]

Sieben und vierzigſter Brief.

Polen, Italien, Belgien, Frankreich, Deutſch¬ land, Freiheit, Gleichheit, Einheit, alle dieſe ſchönen Seifenblaſen mit ihren Regenbogenfarben zerplatzt ſind ſie, der Luftteufel hat ſie geholt! Der öſter¬ reich'ſche Beobachter hat das franzöſiſche Miniſterium gelobt. Ich ſage Ihnen, jetzt iſt es Zeit ein rothwangiger Schuft zu werden. Oder iſt Ihnen die Gelbſucht lieber? Stände ſie mir beſ¬ ſer? Sie ſollen für mich wählen. Aber bis Ihre Antwort Entſcheidung bringt, bleibe ich proviſoriſch ein Schuft und rede von nichts als von der liebli¬208 chen Taglioni. Ich habe ſie ſeitdem wieder tanzen ſehen. Sie gefiel mir aber weniger als das vorige Mal; ich habe Fehler entdeckt. Ihre ganze Seele iſt in den Füßen, ihr Geſicht iſt todt. Ich hatte das zwar das erſte Mal ſchon bemerkt, aber da ſie damals die Göttin Flora ſpielte, nahm ich ihre Un¬ beweglichkeit für antike Ruhe, und ich ließ mir das gefallen. In der zweiten Rolle aber trat ſie als Bajadere auf, als liebende, unglückliche, leidenſchaft¬ liche Bajadere, ſie tanzte zwiſchen Luſt und Schmerz; doch ihre Züge und ihre Augen ſchliefen den tiefſten Schlaf. Entweder mein Opernglas war ſehr trübe, oder die holde Taglioni iſt ſehr dumm und verſteht ihre eigenen Füße nicht. Aber kann man zugleich dumm ſeyn und Grazie haben? Bei der Taglioni iſt es vielleicht möglich. Sie iſt die Schülerin ihres Vaters, des Balletmeiſters, und es mag wohl ſeyn, daß dieſer dem hoffnungsvollen Töchterchen, von den früheſten Kinderjahren an die Grazie eingeprügelt hat, doch mit dem Geiſte ließ ſich das nicht machen. Dieſen kann der Stock wohl ausprügeln aber nie einprügeln. Es war die Oper Le dieu et la Ba¬ jadére in der ich ſie ſah. Muſik von Auber. Leichte Waare; Roſſini iſt Marmor dagegen. Aber ſchöne Tanzmuſik; das Herz walzt einem in der Bruſt. 209Ich war anfänglich ganz verwundert, daß mir die Oper, ob ich ſie zwar zum erſten Male hörte, ſo ſehr bekannt vorkam. Endlich fiel mir ein, daß ich die Muſik von vorn bis hinten dieſen Winter oft in den Vaudevilles-Theater und auf Bällen ge¬ hört hatte, wo man ſie zu leichten Liedern und Tän¬ zen verwendet hatte. Die Poeſie iſt von Scribe. Es iſt die ſchöne Legende: der Gott und die Bajadere von Göthe, gehörig ſcribirt. Ich habe nur immer meine Freude daran, wie leicht ſich meine guten Franzoſen das Leben machen. Der treue und geldſchwere Deutſche iſt ein Glaubensopfer, ſelbſt der Kunſt, die doch zur Freude geſchaffen iſt. Will er ſchwere Leiden treu malen oder ſingen, ſchleppt er ſelbſt das Kreuz den Berg hinauf, kreu¬ zigt ſich und kopirt dann aus dem Spiegel ſeinen eigenen Schmerz. Auber und Scribe haben eine Oper zuſammen verfertigt. Die[Hauptrolle] iſt eine Bajadere; eine Bajadere muß tanzen, ihrem Stande nach, alſo muß Demoiſelle Taglioni die[Hauptrolle] haben Aber die Taglioni kann weder ſingen noch ſprechen, wie kann man ihr in einer Oper die Haupt¬ rolle geben? Warum nicht? Sie tanzt und ſpricht nicht und ſingt nicht. Aber warum ſpricht ſie nicht? Iſt ſie ſtumm wie das Mädchen vonll. 14210Portici? Nein ſie iſt nicht ſtumm, aber ſie ver¬ ſteht die Sprache des Landes nicht. Aber wenn ſie die Sprache des Landes nicht verſteht, wie kann ſie ſich mit den Leuten unterhalten? Man ſieht doch, daß ſie auf alle Fragen durch[Pantomi¬ men] Antwort gibt. Die Sache iſt: die Bajadere verſteht wohl die fremde Sprache, aber bis zum Sprechen hat ſie es darin noch nicht gebracht. Nicht einmal Ja oder Nein kann ſie auf indiſch ſagen. So erklärt eine Geſpielin das ſtumme Räthſel und ſo ſind alle Schwierigkeiten auf das glücklichſte ge¬ hoben. Und glauben ſie ja nicht, das ſei leicht ge¬ weſen. Es iſt das Ei des Kolumbus und ich ver¬ ſichere Sie, Schiller und Göthe hätten dieſen Aus¬ weg nicht gefunden. Vive la France! Sterben muß man doch einmal, und darum iſt es vernünf¬ tiger, ſingend und trinkend zum Richtplatze zu tan¬ zen, als ſich wie der betrübte Deutſche auf einer Kuhhaut unter Pfaffengeheul dahin ſchleppen zu laſſen.

In dieſer Oper hörte ich Madame Cinti, eine ſehr gute Sängerin, die nach einer langen Krankheit dieſen Winter zum erſten Male wieder auftrat. Sie wurde mit einer Leidenſchaft, mit einer Begeiſterung211 empfangen, die ich ſehr lächerlich fand und die mich ärgerte. Wie mochte man den Napoleon empfangen haben, wenn er von ſeinen Siegen heimkehrte? Menſchliche Hände ertragen kein ſtärkeres Klatſchen. In ihrer Theaterſucht erſcheinen mir die Franzoſen oft ſehr kindiſch; denn des Lebens ganzen Ernſt wen¬ den und verſchwenden ſie daran. Es iſt ein großes Glück für ſie, ihre Seligkeit und für die ganze Welt, daß Freiheit, Vaterlandsliebe, Heldenmuth, Todes¬ verachtung, etwas Theatraliſches haben; denn ich glaube, nur um dieſes Etwas willen, lieben und üben die Franzoſen jene Tugenden. Ihre Theater¬ ſucht iſt eine wahre Nervenſchwäche, ſie bekommen Krämpfe, wenn man ſie an dieſem Punkte reizt. Ein weggelaſſenes Lied, eine Rollenverwechſelung, eine Aenderung der angekündigten Stücke, erregt einen wüthenden Sturm, der gefährlich ſeyn muß, weil ſich ſelbſt die Polizei fürchtet, ihn zu beſchwichtigen, oft den ungerechteſten Anmaßungen nachgibt, und nie wagt, eine Gewalt zu gebrauchen, vor der ſie ſich doch außer dem Theater nicht ſcheut. Die Franzo¬ ſen, ſonſt im geſelligen Leben ſo höflich, zuvorkom¬ mend, nachſichtlich und verſöhnlich, ſind im Theater grob, unverſöhnlich und bitter. Wer ſie auch nur im mindeſten, auch ohne Vorſatz und Schuld in ihrer14*212Leidenſchaft ſtört, wird ohne Schonung mit Härte zurückgewieſen. Und alle, auch die, welche es nicht angeht, nehmen Parthei gegen den Verfolgten. Es geht keine Vorſtellung vorüber, in der nicht ein lau¬ tes und allgemeines Geſchrei à la porte! à la porte! ertönte. Ich ſelbſt habe ſchon einige ſolcher Händel gehabt, die mich ſehr amüſirten. Ich hatte den Humor davon. Einmal ſetzte ich mich auf einen Platz, der mir nicht gehörte, aber ohne meine Schuld, die Logenfrau hatte mich falſch angewieſen. Als bald darauf der rechtmäßige Beſitzer des Platzes kam, weigerte ich mich anfänglich zu weichen, mußte aber bald nachgeben, denn meine Geduld und meine fran¬ zöſiſchen Grobheiten waren bald erſchöpft. Alles nahm Parthei gegen mich, und als ich fort ging, empfing mich die ganze Reihe im Balkon, an der ich vorüber mußte, mit boshaftem Lachen, mit Vorwür¬ fen und bittern Spöttereien ich mußte bis zur Thüre Spiesruthen laufen. Ein anderes Mal ver¬ ließ ich meinen Platz, der mir nicht bequem war, um mir an der Kaſſe einen andern zu nehmen. Nun iſt es Sitte, daß man, um ſich ſeinen Platz zu ſichern, wenn man hinausgeht, einen Handſchuh oder ſonſt etwas darauf legt. Das wird reſpectirt. Mein Nachbar fragte mich, ob ich wieder käme, und in213 dieſem Falle ſollte ich meinen Platz bezeichnen. Ich gab zur Antwort, ich könnte nichts Beſtimmtes dar¬ über ſagen. Nun ſo ſollte ich ihn bezeichnen. Das wollte ich aber nicht, um nicht wegen eines Hand¬ ſchuhes zurückkommen zu müſſen. Der Herr war ganz in Verzweiflung, daß ich keinen feſten Entſchluß faſſen wollte, und fing förmlich zu zanken an! Ich mußte laut auflachen, ging fort und überließ ihn ſei¬ ner Pein. Und das war nicht etwa ein junger Menſch, oder einer aus den ungebildeten Ständen; ſondern ein Mann von funfzig Jahren, der ſehr vor¬ nehm ausſah. Am nehmlichen Abend ließ eine Dame aus der Loge ihren Hut ins Parterre fallen. Ihr Herr ging hinab ihn zu holen. Die Vorſtellung hatte noch nicht angefangen und doch wurde das als unverzeihliche Störung gerügt, und tobendes Geſchrei à la porte! jagte den galanten Mann zur Thüre hinaus.

Lord Byrons Memoiren machen mir großes Vergnügen. Ich habe mir einiges für Sie gemerkt. Es ſind Briefe, Tagebücher, und die Lücken in Zeit füllt Thomas Morus[aus]. Byron war ſtolz auf ſeinen alten Adel, und ſchon als Kind auf der Schule wählte er ſich ſeine Spielkameraden nur unter Stan¬214 desgenoſſen. Sein mißgeſtalteter Fuß machte ihm Gram ſein ganzes Leben durch. Er war noch nicht acht Jahre alt, als er die Liebe kennen lernte. Seine erſte Geliebte hieß Marie Duff. Das muß man aber engliſch ausſprechen; im Deutſchen klänge der Name gar zu proſaiſch für die Geliebte eines Dich¬ ters. Dante ſah und liebte an einem erſten Mai ſeine Beatrice, da er noch ein Knabe war. Canova erzählt, daß er ſich vollkommen erinnere, in ſeinem fünften Jahre verliebt geweſen zu ſeyn. Alfieri, ſelbſt ein Frühliebender, betrachtet dieſe frühreife Empfänglichkeit als ein unfehlbares Zeichen einer für die ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften gebilde¬ ten Seele. Welchen ſchönen Enthuſiasmus haben die Engländer für die Reliquien ihrer großen Männer. Für einen Brief von Lord Byrons Vater, der ein unbedeutender Menſch war, wurden fünf Guineen vergebens geboten. Wie viel zahlte wohl ein Frank¬ furter Banquier für einen Brief von Göthes Vater? Unter den Reliquien des Dichters, die man gefunden, befindet ſich auch eine alte Untertaſſe von chineſiſchem Porzelaine, wovon Byron als kleines Kind in einem Anfalle von Zorn ein Stück abgebiſſen hatte. In ſeinem neunzehnten Jahre hatte er ſchon über vier¬ tauſend Romane geleſen, die unzähligen andern215 Schriften in allen Sprachen und Wiſſenſchaften un¬ gerechnet ..... Freundſchaft iſt die Liebe ohne Flügel ſagt Byron. ... In ſeiner Jugend führte er eine tolle Hauswirthſchaft. Sie hätten ihn gewiß nicht beſucht, und wären Sie ſeine Schweſter geweſen. Er wohnte auf ſeinem väterlichen Stamm¬ gute, das ehemals ein Kloſter war, und das noch viel von ſeiner klöſterlichen Einrichtung übrig behalten hatte. Da lebte Byron mit ſeinen wilden Geſellen als Mönche vermummt. Wenn man in den Hof des Gebäudes trat, mußte man ſich ſehr hüten, nicht zu weit rechts zu gehen, um nicht einem Bär in die Tatzen zu fallen, der da frei in ſeiner Hütte lag. Zu weit links durfte man auch nicht treten, denn da war ein böſer Wolf angekettet. Hatte man Bär und Wolf glücklich zurückgelegt, war man darum ſeines Lebens noch immer nicht ſicher. Wenn man die Treppe hinauf ging, mußte man die Vorſicht ge¬ brauchen, durch ſtarkes Schreien ſeine Ankunft zu verrathen, ſonſt war man in Gefahr, todt geſchoſſen zu werden, denn oben auf dem Vorplatze übte ſich Byron und ſeine Geſellen im Piſtolenſchießen nach einer alten Wand. Bis zwei Uhr Nachmittags dauerte das Frühſtück. Wer um eilf Uhr aufſtand, konnte nichts haben, denn alle Bedienten lagen noch216 im Bette. Das Mittageſſen dauerte bis zwei Uhr Nachts. Zum Schluſſe wurde in einem Todtenſchä¬ del, der in Silber eingefaßt war, Burgunder kredenzt. Dann gingen die betrunkenen Kameraden, in Mönchs¬ kutten gekleidet, jeder in ſeine Zelle. ... Byron mußte wohl viel geliebt haben, denn er haßte das Geſchlecht. Er ſagte einmal. Ich kenne nur einen einzigen Menſchen, der glücklich geweſen. Das war Beaumarchais, der Verfaſſer des Figaro. Vor ſei¬ nem dreißigſten Jahre hatte er ſchon zwei Weiber begraben und drei Prozeſſe gewonnen. Ein ander¬ mal ſchrieb er einem Freunde: Ich bitte dich, nenne mir nie eine Frau in deinem Briefe, und ent¬ halte dich jeder Anſpielung auf dieſes Geſchlecht. Sie ſehen, Byron war auch ein Bär an der Kette. ... Als er hörte, daß Napoleon die Schlacht von Leipzig verloren, ſchrieb er Folgendes in ſein Tagebuch: Von Männern beſiegt zu werden, das iſt noch zu ertragen, aber von drei alten Dyna¬ ſtieen, von dieſen Souverainen der legitimen Race! O! Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! das muß, wie Cobbet ſagt, von ſeiner Verbindung mit dem öſter¬ reichiſchen Stamme, dicker Lippen und bleiernen Ge¬ hirnes kommen. Er hätte beſſer gethan, ſich an der zu halten, die Barras unterhalten. Nein,217 ſo viel ich weiß, hat man nie geſehen, daß eine junge Frau und eine geſetzmäßige Ehe Andern Glück gebracht als pflegmatiſchen Menſchen, die von Fi¬ ſchen leben und keinen Wein trinken. Hatte er nicht die ganze Oper, ganz Paris, ganz Frankreich? Aber mit einer Maitreſſe gibt es gleiche Noth, wenn man nemlich nur eine beſitzt. Hat man deren aber zwei oder mehrere, macht ſie die Herzens-Thei¬ lung geſchmeidiger. In England werden die ge¬ lehrten Weiber ſcherzweiſe Blauſtrümpfe genannt, wahrſcheinlich wegen der Vernachläßigung ihrer Toi¬ lette, die man bei ihnen vorausſetzt. Darauf an¬ ſpielend ſchrieb einmal Byron in ſein Tagebuch: Morgen, Einladung zu einer Indigo-Soir é e bei der blauen Miß ***. Soll ich gehen? Ach! Ich habe wenig Geſchmack für die blauen Kornblu¬ men, für die ſchönen Geiſter in Unterröcken; aber man muß artig ſeyn. Seine wahre Geſinnung über die Weiber drückt folgende Bemerkung in ſeinem Tagebuche treuer aus: Schon die bloße Anweſen¬ heit einer Frau hat für mich etwas Beruhigendes, übt ſelbſt, wo keine Liebe ſtatt findet, einen ſeltſa¬ men Einfluß auf mich, den ich mir bei der geringen Meinung, die ich von dem Geſchlechte habe, durch¬ aus nicht erklären kann. Aber gewiß, ich bin zu¬218 friedener mit mir ſelbſt und mit aller Welt, ſobald eine Frau in meiner Nähe iſt. Dieſe Bemerkung Byrons hat mich ſehr gefreut, denn es geht mir hierin gerade ſo wie ihm. Ich glaube dieſes auch erklären zu können, aber das liegt in einem Schranke meines Kopfes eingeſchloſſen, wozu ich in dieſem Augenblick nicht den Schlüſſel habe. Byron haßte die Menſchen wie er die Weiber haßte mit den Lip¬ pen. Weiche Herzen wie das ſeine, ſchützt die Na¬ tur oft durch ein Dornengeflechte von Spott und Ta¬ del, damit das Vieh nicht daran nage. Aber wer kein Schaaf iſt, weiß das und fürchtet ſich nicht, dem ſtechenden Menſchenfeinde nahe zu kommen. By¬ ron ſuchte eine Befriedigung der Eitelkeit darin, für einen Mann von ſchlechten Grundſätzen und boshaf¬ tem Gemüthe zu gelten. Weil es ihm ſchwer fiel, die angeborene Güte ſeines Herzens zu beſiegen, ſah er es für eine Heldenthat an, wenn ihm dies ein¬ mal gelang. Menſchen, die wirklich und mit Leich¬ tigkeit ſchlecht ſind, fällt es nie ein, damit groß zu thun. Byron ſollte einmal für Unglückliche, die, ich weiß nicht welcher Hülfe bedürftig waren, im Par¬ lamente eine Bittſchrift vorlegen. Aber aus Geiſtes - Trägheit unterließ er es. Bei dieſem Anlaſſe ſchrieb er in ſein Tagebuch: Baldevin hört nicht auf mich219 zu beläſtigen; aber ach! ich kann nicht heraus, ich kann nicht heraus ſchrie der Starmatz in einem fort. O! jetzt ſtehe ich auf gleicher Höhe mit dem Hunde Sterne, der lieber einen todten Eſel beweinte, als ſeiner lebenden Mutter beiſtand. Erbärmlicher Heuchler niederträchtiger Sklave Schuft! Aber ich, bin ich beſſer? Ich kann den Muth nicht finden zum Beſten zweier Unglücklichen eine Rede zu halten, und drei Worte und ein hal¬ bes Lächeln der ***, wenn ſie da wäre und es von mir verlangte, hätte mich zu deren eifrigſten Ver¬ theidiger gemacht. Fluch über Larochefaucault, der immer Recht hat. Wußten Sie das ſchon, daß der empfindſame Sterne ein ſolcher Schuft geweſen: Ich habe das ſchon früher geleſen et puis fiez¬ vous à messieurs les savans! Was ſeinen Werth als Dichter betrifft, drückt ſich Byron dar¬ über ſowohl in ſeinem Tagebuche als in ſeinen Brie¬ fen mit großer Beſcheidenheit aus, und ich halte dieſe Beſcheidenheit für aufrichtig. Ich erwachte eines Morgens und fand mich berühmt. Ueber Schriftſteller-Eiferſucht ſagt er: Iſt das Gebiet des Geiſtes nicht unendlich? Auf einer Rennbahn, die kein Ziel hat, was liegt daran, wer vorn, wer hinten iſt? Der Tempel des Ruhms iſt wie der220 der Perſer das Univerſum, die Gipfel der Berge ſind unſere Altäre! Ich würde mich mit einem namenloſen Berge oder dem Kaukaſus begnügen, und alle, welche Luſt haben, können ſich des Mont¬ blanc oder des Chimboraſſo bemächtigen, ohne daß ich mich ihrer Erhöhung entgegen ſetze.

221

Sie ſehen aus den Bruchſtücken von Lord By¬ rons Memoiren, die ich Ihnen geſtern mitgetheilt, welch ein mannigfaltiges Gedankenleben ſich in ſeinem Tagebuche und in ſeinen Briefen bewegt. Und ich bin noch nicht in der Mitte des Buches, noch nicht in der Mitte von Byrons Laufbahn; das Beſte und Schönſte muß noch kommen. Sie ſehen, das man ein bedeutender Dichter und ein bedeutender Menſch zugleich ſeyn kann, und ich bitte Sie daran zu den¬ ken, wenn ich Ihnen nächſtens von dem Briefwech¬ ſel zwiſchen Schiller und W. von Humboldt, den ich in dieſen Tagen geleſen, berichten werde.

[222]

Acht und vierzigſter Brief.

Noch einiges von Lord Byron. Charac¬ tere ſolcher Art ſind nicht blos wegen ihrer ſelbſt wichtig, ſie ſind wichtiger durch ihre Berührung mit der Auſſenwelt. Nur daß ſie lehrreich ſind, verſchafft ihnen Verzeihung. Gewöhnliche friedliche Menſchen ſind elaſtiſch, ſie geben jedem Drucke des Lebens nach, erheben oder ſenken, erweitern oder verengen ſich, gehen vorwärts oder zurück, wie ſie bewegt werden. 223Aber in dieſer ſtummen Verträglichkeit, ohne Haß und ohne Liebe, ohne Zorn und ohne Verſöhnung, ſchläft das Herz, ſchlafen die Sinne ein, und kein Wunſch und kein Schmerz wird laut. Nicht der ungeſtörte, nur der Friede nach dem Kriege iſt ſchön. Aber un¬ zufriedne, ſtörrige, hadernde Geiſter wie Byron, kämpfen mit der Welt, geben oder empfangen Wun¬ den, Sieger drücken ſie der Welt ihr eigenes Ge¬ präge auf, beſiegt ihnen die Welt das ihrige. Krank wie ſie ſind, machen ſie alles krank um ſich her, und ſo offenbaren ſie die Geheimniſſe des Menſchen und der Natur. Denn das Geheimniß jeder Kraft wird erſt kund, wenn ſie abweicht im Maaße oder Ziele. Wie mit der Welt ſtand Byron mit Gott feindlich. Zum Glauben geht der Weg über den Unglauben. Die Nicht-Gläubigen, die Gleichgültigen, die leugnen Gott nicht, ſie denken gar nicht an ihn, und ſterben wie die Kinder ohne Sünde und ohne Tugend. Aber die Ungläubigen die läugnen Gott. Sie kämp¬ fen mit dem Glauben, ehe ſie ihn gewinnen; denn hier iſt die Niederlage der Sieg. Walter Scott hatte einſt dem Byron prophezeiht, er würde in rei¬ fern Jahren noch katholiſch werden. Das wäre auch ganz gewiß eingetroffen, wenn Byron ein höheres Alter erreicht hätte. Er läſtert manchmal recht luſtig:224 Wie zum Teufel hat man eine Welt wie die unſrige machen können! In welcher Abſicht, zu welchem Zwecke, zum Beiſpiel, Stutzer ſchaffen, Könige, Magiſter, Weiber von einem gewiſſen Alter, und eine Menge Männer von jedem Alter, und gar mich! Wozu? Es iſt doch ſehr galant von By¬ ron, daß er nur die alten Weiber, die Männer aber von jedem Alter für ſchlechtes Machwerk erklärt! Dagegen ſchrieb er einmal aus Haſtings, einem Bade¬ orte, wo er mehrere Wochen verlebte, Folgendes an Thomas Moore: Ich begegnete einem Sohn des Lord Erskine, der mir ankündigte, daß er ſeit einem Jahre verheirathet, und der glücklichſte Menſch von der Welt ſei. Freund Hodgſon ſagt auch, er wäre der glücklichſte Sterbliche. O! welch eine ſchöne Sache iſt's hier zu ſeyn! und wäre es auch nur um die ſuperlativen Glückſeligkeiten aller dieſer Füchſe mit anzuhören, die, weil ſie ſich den Schwanz haben abſchneiden laſſen, Andere bereden möchten das Nehmliche zu thun, um ihnen Geſellſchaft zu leiſten. Der arme Spötter! Der dumme Fuchs! Ganz kurze Zeit nach dieſem Briefe heirathete By¬ ron ſelbſt! Als er den ſtillen Vorſatz, ſich zu ver¬ heirathen, ſeinen vertrauten Freunden mittheilte, und ich als Leſer das Geheimniß erfuhr, kam ich in eine225 wahrhaft komiſche Angſt. Es war mir, als müſſe ich Byron beim Rocke zurück halten, und faſt hörbar ſprach der Gedanke in mir: Um Gotteswillen By¬ ron, thue es nicht, heirathe nicht, du taugſt nichts für die Ehe! und wenn alle Weiber Engel wären, jede würde doch deine Hölle, und du würdeſt der Teufel werden jeder Frau. Ach! er folgte mir nicht und heirathete. Nach einem Jahre, da er Vater ge¬ worden war, verließ ihn die Frau, und ſie trennten ſich auf immer. Dieſer Vorfall brachte die große Welt von ganz England in Aufruhr Verläumdun¬ gen, Haß und Verachtung hetzten den armen Byron faſt zu Tode. Selten fand ſich ein Freund, der es wagte, ihn leiſe zu vertheidigen. Byron ſelbſt ver¬ theidigte ſich nicht, und ohne ſich anzuklagen, ſprach er ſeine Frau von aller Schuld frei. Dieſe Letztere und deren Familie ſchwiegen auch aus berechneter Bos¬ heit, und gewannen ſich durch dieſen Schein von gro߬ müthiger Nachſicht alle Stimmen. Man hat Tho¬ mas Moore vorgeworfen, er habe, ich weiß nicht ob im Intereſſe von Byrons Familie oder der ſeiner Frau wichtige Dokumente unterdrückt, in deren Be¬ ſitz er geweſen, und die das Geheimniß und das Räthſel jener unglücklichen Ehe hätten aufdecken kön¬ nen. Aber, mein Gott, wo iſt daß Geheimniß, woII. 15226Räthſel! Ich begreife nicht, wie ſich Moore ſo große Mühe geben mochte, Byron zu entſchuldigen, was doch, nachdem er Folgendes geſagt, ſich ganz unnöthig zeigte. Moore ſagt: Die Wahrheit iſt, daß Geiſter von höherem Range ſich ſelten mit den ſtillen Neigungen des Familienlebens vertragen. Es iſt das Unglück großer Geiſter (ſagt Pope) mehr bewundert als geliebt zu werden. Das beſtändige Nachdenken über ſich ſelbſt, die Studien und alle Gewohnheiten des Genies, ſtreben dahin, den der es beſitzt oder wahrer zu reden, den der von ihm beſeſſen wird, von der Gemeinheit der Menſchen abzuſondern. Opfer ſeiner eignen Vor¬ züge, verſteht er keinen und wird von keinem ver¬ ſtanden. Er wirft in einem Lande, wo nur kleine Münze im Umlaufe iſt, Gold mit vollen Händen aus. Man fühlt wohl ſeine Größe; aber es ge¬ hört eine Art Gleichheit dazu, wenn ſich wechſel¬ ſeitige Neigung bilden ſoll. Die Natur hat es nun einmal ſo gewollt, daß auf dieſer Erde keines ihrer Werke vollkommen ſeyn ſoll. Derjenige, der mit den glänzenden Gaben des Genies auch jene Sanftmuth des Characters und jene friedlichen Empfindungen verbände, welche die Grundlagen des häuslichen Glückes machen, er wäre mehr als ein227 Menſch. Man betrachte das Leben aller großen Männer, und man wird finden, daß der Ausnahmen, wenn es je welche gab, ſehr wenig waren. Wie wahr iſt das Alles, und wie recht haben die Eltern heirathbarer Töchter, wenn ſie bei der Wahl ihrer Schwiegerſöhne, mehr auf Geld als Genie ſehen. Mir iſt keine Frau bekannt, die ein dummer Mann unglücklich gemacht hätte, und keine, die mit einem genialiſchen glücklich gelebt. Moore, wie geſagt, be¬ müht ſich den Lord Byron von aller Schuld freizu¬ ſprechen. Aber unter der Beſchuldigung, die er an¬ führt, um ſie zu wiederlegen, iſt eine, die er beſſer nicht erwähnt hätte. Denn ſie gründet ſich ſo ſehr auf Byrons Charakter, auf ſeinen Stolz und ſeine Reizbarkeit, daß ſelbſt ein Billiger und Fremder wie ich, ſehr geneigt wird, ſie für mehr als Verläumdung zu halten. Lord Byron hatte um das Frauenzim¬ mer, das er ſpäter geheirathet, ſchon früher ange¬ halten; aber das Erſtemal einen Korb bekommen. Nun ſagt Moore: Man behauptete und glaubte ſelbſt allgemein, daß der edle Lord den zweiten Hei¬ rathsantrag an Miß Wilbank, nur in der Abſicht gemacht habe, um ſich für den Schimpf der früheren Abweiſung zu rächen; und man ging ſogar ſo weit zu ſagen, daß er dies der Neuvermählten, als er15*228 mit ihr von der Trauung aus der Kirche kam, ſelbſt geſtanden habe. Dieſem Plane treu, habe er auf nichts geſonnen als Mittel zu finden, ſeine Gemahlin durch alle mögliche niederträchtigen und lächerlichen Bosheiten zu kränken. So erzählten es die ſehr glaubwürdigen Chronikmacher. Das wäre aber ge¬ wiß eine theure Rache geweſen, und ich möchte auf meinen Todfeind keine ſo großen Koſten wenden. Wenn mir es begegnete, daß mir ein Frauenzimmer, deren Hand ich forderte, einen Korb gäbe, würde ich all mein Leben ihr zu Füßen legen und allen Leuten erzählen: ſeht, das iſt meine Wohlthäterin, ich habe ihr mein ganzes Glück zu verdanken! Mit welchen romantiſchen Gefühlen, mit welcher ätheriſchen Stim¬ mung Byron zur Ehe ſchritt, verrathen folgende wenige Worte. Einen Tag vor ſeiner Hochzeit ſchrieb er einem Freunde, aber mit der größten Ernſthaftig¬ keit: Man ſagt mir, man könne ſich nicht in einem ſchwarzen Kleide trauen laſſen, und ich mag mich nicht blau anziehen; das iſt gemein, und es mi߬ fällt mir. Den häßlichen Ehemann vergeſſen zu machen, zum[Schluſſe] noch ein Wort vom ſchönen Geiſte. Er ſchrieb in ſein Tagebuch: Ich erinnere mich, Blücher in einigen Londoner Geſellſchaften geſehen zu haben, und nie ſah ich einen Mann ſei¬229 nes Alters, der ein ſo wenig ehrwürdiges Anſehen hatte. Mit der Stimme und den Manieren eines Werb - Sergeanten macht er Anſprüche auf die Ehre eines Helden. Es iſt gerade als wenn ein Stein angebetet ſeyn wollte, weil ein Menſch über ihn geſtolpert iſt.

About this transcription

TextBriefe aus Paris
Author Ludwig Börne
Extent249 images; 38164 tokens; 8184 types; 256139 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe aus Paris Zweiter Theil Ludwig Börne. . VIII, 316 S. Hoffmann und CampeHamburg1832.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 50 MA 26861-9/10http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=502995637

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:09Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, 50 MA 26861-9/10
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.