PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Robinſon der Juͤngere, zur angenehmen und nuͤzlichen Unterhaltung fuͤr Kinder.
Zweiter Theil
Mit Churſaͤchſiſcher Freiheit.
Hamburg1780,beim Verfaſſer und in Commißion beiCarl Ernſt Bohn.
[2][3]

Zwoͤlfter Abend.

Vaͤterchen, was wilſt du uns denn nun erzaͤhlen? fragte Lotte, da ſich Alle wieder unter dem Apfelbaume eingefun - den hatten, und der Vater Miene machte, als ob er fuͤr ſeine Kleinen abermahls etwas in Bereitſchaft habe. (Die ganze Geſel - ſchaft hatte unterdeß Unterricht im Korb - machen genommen, womit ſie jezt eben be - ſchaͤftiget war.)

Von Robinſon! antwortete der Va - ter, und die Verſamlung machte große Au - gen.

A 2Lot -4

Lotte. I, der iſt ja todt!

Johannes. O ſtille doch, Lotte! Er kan ja wohl wieder aufgelebt ſein; weißt du nicht, daß wir ſchon einmahl geglaubt haben, daß er todt ſei, und da lebt 'er ja doch noch.

Vater. Robinſon kriegte, wie wir zu - lezt gehoͤrt haben, Verzukkungen; neigte ſein Haupt und hoͤrte auf, ſich ſeiner bewuſt zu ſein. Ob er wirklich todt, oder nur von ei - ner ſtarken Ohnmacht uͤberfallen ſei, war noch unentſchieden.

Ueber eine gute halbe Stunde lag er in dem Zuſtande einer gaͤnzlichen Sinloſigkeit. Endlich wer haͤtt 'es wohl gedacht! kehrte das Bewuſtſein wieder in ſeine Sele zuruͤk.

Alle. Ah! das iſt gut! das iſt ſchoͤn, daß er noch nicht todt iſt!

Vater. Mit einem tiefen Seufzer fing er wieder an, auf die gewoͤhnliche Weiſe Athem zu holen. Dan ſchlug er ſeine Augen auf und blikte umher, als wenn er ſehen wolte, wo er waͤre? Denn wirklich war erin5in dieſem Augenblicke ſelbſt noch zweifelhaft, ob er aus ſeinem Leibe herausgegangen ſei, oder nicht? Endlich uͤberzeugte er ſich von dem Leztern und zwar zu ſeiner großen Be - truͤbniß, weil der Tod ihm jezt wuͤnſchens - wuͤrdiger, als das Leben, ſchien.

Er fuͤhlte ſich ſehr mat, aber doch ohne ſonderliche Schmerzen. Stat der troknen brennenden Hize, die er vorher empfunden hatte, quol jezt ein ſtarker wohlthaͤtiger Schweiß aus allen ſeinen Gliedern. Um denſelben zu unterhalten, bedekt 'er ſich noch immer mit Fellen, und kaum hatt' er eine halbe Stun - de in dieſer Lage zugebracht, als er anfing große Erleichterung zu ſpuͤren.

Aber jezt quaͤlte ihn der Durſt auf die allerempfindlichſte Weiſe. Das uͤbrige Waſ - ſer war nicht mehr trinkbar; zum Gluͤk er - innerte er ſich der Zitronen. Mit vieler Muͤ - he biß er endlich eine derſelben an, und genoß ihres Saftes zu ſeiner merklichen Erquikkung. Dan gerieth er, unter fortdauerndem Schweiſ - ſe, in einen ſanften Schlummer, der ſichA 3erſt6erſt mit dem Aufgange der Sonne en - digte.

O wie viel leichter war's ihm jezt ums Herz, als am geſtrigen Tage! Die Wuth der Krankheit hatte ſich offenbar gelegt und ſein ganzes jeziges Uebel beſtand nur noch in bloßer Mattigkeit. Er fuͤhlte ſogar ſchon wieder einigen Appetit und ſpeiſete eine der gebratenen Kartoffeln, auf die er etwas Zitro - nenſaft treufelte, um den Geſchmak derſelben erfriſchender zu machen.

Die beiden vorigen Tage hatt 'er ſich gar nicht um ſeine Lama's bekuͤmmert; jezt aber war es ihm ein ruͤhrender Anblik, ſie zu ſei - nen Fuͤßen liegen zu ſehen, indem einige der - ſelben ihn ſtar anſahen, als wenn ſie ſich er - kundigen wolten, ob's noch nicht beſſer mit ihm waͤre? Zum Gluͤk koͤnnen dieſe Thiere, ſo wie die Kamele, ſich viele Tage ohne Ge - traͤnk behelfen: ſonſt wuͤrd' es jezt ſchlim um ſie ausgeſehen haben; weil ſie nun ſchon ſeit zwei Tagen nicht getrunken hatten, und Ro - binſon auch jezt noch viel zu ſchwach war,um7um aufſtehen und Waſſer fuͤr ſie holen zu koͤnnen.

Da das alte Mutterlama ihm ſo nahe kam, daß er es erreichen konte: ſo wandte er alle ſeine Kraͤfte an, ihm etwas Milch aus dem Eiter zu ziehen, damit ſie ihm nicht vergehen moͤgte. Der Genuß dieſer friſchen Milch mußte ſeinem kranken Koͤrper auch wohl zutraͤglich ſein, denn es ward ihm recht wohl darnach.

Nachher verfiel er von neuem in einen er - quikkenden Schlaf, aus dem er erſt bei Son - nenuntergang wieder erwachte. Und da ver - ſpuͤrte er ſchon viel ſtaͤrkern Hunger. Er alſo wieder einige Kartoffeln mit Zitronenſaft und legte ſich abermahls ſchlafen.

Dieſer fortdauernde erquikkende Schlaf und die Guͤte ſeiner Natur wirkten ſo ſtark zur Wiederherſtellung ſeiner Kraͤfte, daß er am folgenden Morgen ſchon wieder aufſtehen und wiewohl mit ſchwachen zitternden Fuͤßen einige Schritte verſuchen konte.

A 4Er8

Er ſchwankte aus der Hoͤhle bis auf ſei - nen Hofplaz. Hier hob er ſeine Augen gen Himmel; ein ſanfterwaͤrmender Strahl der Morgenſonne fiel durch die Baͤume auf ſein Angeſicht, und es ward ihm, als wenn er neu gebohren wuͤrde. O du ewiger Quel des Lebens, rief er aus, indem er ſich auf ſeine Knie warf; Gott! Gott! habe Dank, daß du mich noch einmahl deine ſchoͤne Sonne erblikken, und in ihrem Lichte die Wunder deiner Schoͤpfung ſehen laͤßt! Habe Dank! Dank! Dank! daß du mich nicht verlaſſen haſt in meiner Noth; daß du noch einmahl mich zuruͤk gerufen haſt ins Leben, um mir noch mehr Zeit zu meiner Beſſerung zu ſchen - ken! Laß mich doch ja jeden Tag meines noch uͤbrigen Lebens dazu anwenden, damit ich zu jeder Zeit bereit gefunden werde, hinzureiſen nach dem Orte unſerer ewigen Beſtimmung, wo wir den Lohn unſerer guten und boͤſen Thaten empfangen werden!

Nach dieſem kurzen, aber herzlichen Ge - bete weidete er ſeine Augen bald an dem groſ -ſen9ſen blauen Gewoͤlbe des Himmels, bald an den Baͤumen und Stauden, die in friſches Gruͤn gekleidet und mit Thau beperlt, ſo la - chend vor ihm da ſtanden, bald an ſeinen treuen Lama's, die ſich freudig und liebkoſend um ihn her drengten. Es war ihm, als waͤr 'er von einer langen Reiſe wieder zu den Seinigen gekommen; ſein Herz floß uͤber und ergoß ſich in ſuͤßen Freudentraͤnen.

Der Genuß der friſchen Luft, und des friſchen Waſſers, welches er mit Milch ver - miſchte, und die ſtille Heiterkeit ſeines Ge - muͤths trugen nicht wenig dazu bei, ihn voͤl - lig wieder herzuſtellen. In einigen Tagen waren alle ſeine Kraͤfte erſezt, und er ſahe ſich wieder im Stande, zu ſeinen Arbeiten zuruͤkzukehren.

Das erſte, was er vornahm, war eine Unterſuchung, was wohl aus ſeinen Toͤpfen moͤgte geworden ſein? Er oͤfnete den Ofen und ſiehe da! alle ſeine Gefaͤſſe waren ſo ſchoͤn glaſirt, als wenn ſie von einem unſerer Toͤpfer waͤren gemacht worden. In der FreudeA 5daruͤ -10daruͤber vergaß er eine Zeitlang, daß er von dieſer ſeiner wohlgerathnen Arbeit nun keinen Gebrauch werde machen koͤnnen, weil ſein Feuer ausgegangen war. Da ihm dieſes end - lich einfiel, ſtand er mit geſenktem Haupte, ſahe bald die Toͤpfe und Tiegel, bald die Feuerſtelle in ſeiner Kuͤche an, und ſtieß ei - nen tiefen Seufzer aus.

Doch blieb ſeine Betruͤbniß diesmahl in den Schranken der Maͤßigkeit. Er dachte nemlich: eben die guͤtige Vorſehung, die dir neulich Feuer verſchafte, kan dir ja, entwe - der auf eben dieſelbe, oder auf eine andere Weiſe, auch zum zweitenmahle dazu verhel - fen, wenn es ihr gefaͤllig iſt. Ueberdem wuſt 'er nun ſchon, daß er keinen Winter hier zu beſorgen habe; und ohngeachtet er von Ju - gend auf an Fleiſchſpeiſen gewoͤhnt war: ſo hoft' er doch, daß er auch ohne dieſelben, blos von Fruͤchten und von der Milch ſeiner Lama's, wuͤrde leben koͤnnen.

Lotte. J, er konte ja auch geraͤucher - tes Fleiſch eſſen; das braucht ja nicht erſt gekocht zu werden!

Va -11

Vater. Das iſt wahr; aber womit ſolt 'er denn ſein Fleiſch raͤuchern?

Lotte. Ja ſo! daran hatt 'ich nicht ge - dacht.

Vater. Es reuete ihn indeß nicht, die Toͤpfe gemacht zu haben: denn er konte ſie nun wenigſtens zu Milchgefaͤßen brauchen. Den groͤßten davon hatte er zu einem beſon - dern Gebrauche auserſehen.

Johannes. Nu, wozu denn?

Vater. Er bildete ſich ein, daß ihm ſeine Kartoffeln noch beſſer ſchmekken wuͤrden, wenn er ſie mit etwas Butter eſſen koͤnte.

Gottlieb. Das glaub 'ich!

Vater. Aber ein hoͤlzernes Butterfaß zu verfertigen, war ihm unmoͤglich. Er wolte daher verſuchen, ob die Butter ſich nicht auch in einem großen Topfe machen lieſſe. Er ſamlete alſo ſo viel Rahm, als er noͤthig zu haben glaubte. Dan machte er einen kleinen hoͤlzernen Teller mit einem Loche in der Mit - te, in welches er einen Stok ſtekte. Mit dieſem Werkzeuge fuhr er dan in dem mitRahm12Rahm angefuͤlten Topfe ſo lange auf und nieder, bis die Butter von der Buttermilch abgeſondert war; worauf er ſie mit Waſſer wuſch und mit etwas Salz vermiſchte.

So war er alſo auch damit gluͤklich zu Stande gekommen: aber indem er der Frucht ſeines Fleiſſes jezt genieſſen wolte, fiel ihm erſt ein, daß er auch keine Kartoffeln mehr braten koͤnte, weil er kein Feuer haͤtte, woran er in der Hize ſeiner Geſchaͤftigkeit wiederum gar nicht gedacht hatte. Da ſtand nun die ſchoͤne Butter, welche ungegeſſen bleiben ſolte, und Robinſon ſtand daneben mit traurigem Ge - ſichte. Er ſahe ſich nun auf einmahl wieder in ſeinen anfaͤnglichen armſeligen Zuſtand ver - ſezt. Auſtern, Milch, Kokusnuͤſſe, und ro - hes Fleiſch waren nun wieder ſeine einzigen Nahrungsmittel geworden, und es ſtand da - hin, ob er dieſe immer wuͤrde haben koͤnnen? Das ſchlimſte dabei war, daß er gar kein Mittel vor ſich ſahe, wie er ſeinen Zuſtand etwa verbeſſern koͤnte.

Was13

Was ſolt 'er nun vornehmen? Alles, was er mit ſeinen bloßen Haͤnden machen konte, war ſchon gethan. Es ſchien ihm al - ſo weiter nichts mehr uͤbrig zu ſein, als ſeine Lebenszeit mit Nichtsthun und mit Schlafen hinzubringen. Der ſchreklichſte Zuſtand, den er ſich nur denken konte. Denn die Arbeit - ſamkeit war ihm jezt ſchon ſo ſehr zur Ge - wohnheit geworden, daß er nicht mehr leben konte, ohne ſich mit einer nuͤzlichen Verrich - tung die Zeit zu vertreiben; und er pflegte nachher oft zu ſagen, daß er die Beſſerung ſeines Herzens vornemlich dem Umſtande zu verdanken habe, daß er durch die anfaͤngliche Huͤlfloſigkeit ſeines einſamen Aufenthalts zu einer beſtaͤndigen Geſchaͤftigkeit ſei gezwungen worden. Die Arbeitſamkeit, ſezt' er hinzu, die Arbeitſamkeit, lieben Leute, iſt die Mutter vieler Tugenden; ſo wie die Faulheit der Anfang aller Laſter iſt!

Johannes. Ja, darin hat er gewiß auch Recht! Wenn man nichts zu thun hat, ſo faͤlt einem lauter dum Zeug ein!

Va -14

Vater. Richtig! eben darum gab er nach - her allen jungen Leuten den Rath, ſich doch ja von Kindheit an zu gewoͤhnen, immer geſchaͤf - tig zu ſein. Denn, ſagt 'er, ſo wie man ſich gewoͤhnt in der Jugend, ſo bleibt man ge - meiniglich all ſein Lebelang, faul oder fleißig, geſchikt oder ungeſchikt, ein guter oder ein ſchlechter Menſch.

Nikolas. Das wollen wir uns merken!

Vater. Thut das, Kinder, und richtet euch darnach: es wird euch nicht gereuen. Unſer armer Robinſon dachte alſo lange hin und her, was er doch nun wohl fuͤr eine Arbeit wieder vornehmen koͤnte, um nicht muͤßig zu ſein; und was meint ihr wohl, auf was fuͤr eine er endlich verfallen ſei?

Johannes. Ich wuͤſte wohl, was ich gemacht haͤtte!

Vater. Nun, laß doch hoͤren!

Johannes. Ich haͤtte die Lamafelle ger - ben wollen, damit ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, ſie ſo rauh am Leibe zu tragen. Das mußte doch ſehr unbequem ſein in einem ſo heiſſen Lande!

Va -15

Vater. Und wie haͤtteſt du denn das anfangen wollen?

Johannes. O ich weiß wohl, wie die Lohgerber es machen! Wir haben's ja ge - ſehn!

Vater. Nun?

Johannes. Erſt legen ſie die rauhen Haͤute einige Tage ins Waſſer, daß ſie recht durchweichen. Hernach kriegen ſie ſie auf den Schabebaum und fahren mit dem Streich - eiſen daruͤber her, um das eingezogene Waſ - ſer wieder heraus zu reiben. Dan ſalzen ſie die Felle ein und bedekken ſie, daß die friſche Luft nicht dazu kommen kan. Das nennen ſie die Felle in die Schwize bringen: denn da fangen ſie ordentlich an zu ſchwizen, wie ein Menſch, der ſtark arbeitet. Darnach koͤnnen ſie die Haare mit dem Streicheiſen abſchaben. Wenn das geſchehn iſt, ſo legen ſie die Felle in die Treibfarbe, die aus Bir - kenrinde, aus Sauerteig und aus einer ſau - ern Bruͤhe von Eichenrinde gemacht wird. Endlich werden dieſe Felle in die Lohgrubegelegt16gelegt, und mit einer Bruͤhe uͤbergoſſen, die auch aus Eichenrinde gemacht iſt; und davon werden ſie denn voͤllig gegerbt, oder gar ge - macht.

Vater. Gut, Johannes; aber erinnerſt du dich auch noch, was das eigentlich fuͤr Le - der wird, das der Lohgerber auf dieſe Weiſe bereitet.

Johannes. Ja, ſo was, das man zu Schuhen, zu Stiefeln, und zum Pferdege - ſchirre braucht?

Vater. Alſo Leder, welches nicht ſo ge - ſchmeidig zu ſein braucht, als dasjenige, was wir zu Beinkleider, zu Handſchuhen und zu ſo etwas brauchen?

Johannes. Nein!

Vater. Und wer bereitet denn das?

Johannes. Das thut der Weißger - ber; aber deſſen ſeine Werkſtat haben wir ja noch nicht geſehen.

Vater. So ging es Robinſon auch; er hatte weder des Lohgerbers noch des Weiß - gerbers Werkſtat jemahls beſucht; und daherkont '17kont 'er es weder dem Einen, noch dem An - dern nachmachen.

Diderich. Wie macht es denn der Weiß - gerber?

Vater. Anfangs eben ſo, wie der Lohger - ber, nur daß er die Felle nicht durch Lohe oder Kalk (denn den brauchen die Lohgerber auch) ſon - dern durch warmes Waſſer, mit Waizenkleie und Sauerteig vermiſcht, und hernach durch Aſchenlauge beizt. Wir wollen naͤchſtens zu ihm gehen.

Johannes. Wenn's Robinſon nun auch gewuſt hatte, wie die Weißgerber es anfan - gen: ſo haͤtt 'er's doch nicht nachmachen koͤn - nen, weil er keine Waizenkleie, und keinen Sauerteig hatte.

Vater. Siehſt du? Alſo die Luſt muſt 'er ſich ſchon vergehen laſſen.

Nikolas. Nu, was that er denn?

Vater. Tag und Nacht lag ihm der Gedanke im Kopfe, ob's ihm wohl nicht moͤg - lich waͤre, ein kleines Schif zu verfertigen.

BJo -18

Johannes. Was wolt 'er denn mit dem Schiffe?

Vater. Was er damit wolte? Verſu - chen, ob er nicht vielleicht aus ſeiner Einſam - keit, die ihm durch den Verluſt des Feuers wieder ſo traurig geworden war, ſich damit befreien und wieder zu Menſchen kommen koͤnte. Er hatte Urſache zu vermuthen, daß das feſte Land von Amerika nicht ſehr fern ſein koͤnne; und er war entſchloſſen, wenn er nur einen kleinen Kahn haͤtte, keine Gefahr zu achten, um, wo moͤglich, nach dieſem fe - ſten Lande hinzukommen.

Vol von dieſen Gedanken lief er eines Tages aus, um einen Baum aufzuſuchen, den er durch Aushoͤhlen zu einem kleinen Kah - ne machen koͤnte. Da er in dieſer Abſicht ei - nige Gegenden durchlief, wo er bisher noch nicht geweſen war: ſo entdekte er noch man - ches ihm unbekante Gewaͤchs, womit er al - lerlei Verſuche anzuſtellen beſchloß, um zu er - fahren, ob's ihm nicht zum Unterhalte die - nen koͤnne?

Un -19

Unter andern fand er einige Stauden von indianiſchem Korn, oder Maiz, welches man bei uns tuͤrkſchen Waizen zu nennen pflegt.

Nikolas. Ah! wovon ich in meinem Garten habe?

Vater. Von dem nemlichen! Er bewun - derte die groſſen Aehren oder Kolben, an de - ren jeder er uͤber 200 groſſe Koͤrner zaͤhlte, die wie Korallen an einander gereihet waren. Er zweifelte nicht, daß man Mehlſpeiſen und Brod davon machen koͤnne: aber wie ſolt'er die Koͤrner mahlen? Wie das Mehl von der Kleie reinigen? Wie endlich Brod oder an - dere Speiſen daraus bakken, da er nicht ein - mahl Feuer hatte? Demohngeachtet nahm er einige Kolben davon mit, um die Koͤrner zu pflanzen. Denn, dacht 'er, wer weiß, ob ich nicht mit der Zeit einen nuͤzlichen Gebrauch davon machen lerne?

Ferner entdekt 'er einen Fruchtbaum, der ihm gleichfals noch niemahls vorgekommen war. Er ſahe groſſe Kapſeln daran hengen,B 2und20und da er eine davon erbrach, fand er wohl 60 Bohnen darin. Der Geſchmak derſelben wolte ihm nicht ſehr gefallen. Indeß ſtekt 'er auch von dieſen eine reife Schote in ſeine Jagdtaſche.

Johannes. Was mogte denn das fuͤr eine Frucht ſein?

Vater. Es waren Kakaobohnen, von denen die Schokolade gemacht wird.

Johannes. Ah! nun kan er kuͤnftig Schokolade trinken!

Vater. Sobald wohl nicht! denn erſt - lich kent er die Kakaobohnen nicht; und dan, ſo muͤſſen ſie auch erſt beim Feuer geroͤſtet, klein geſtoſſen und mit Zukker vermiſcht wer - den; und wir wiſſen ja, daß er weder Feu - er, noch Zukker hat. Auch thut man gemei - niglich noch allerlei Gewuͤrz hinzu, als Kar - domomen, Vanille und Gewuͤrznaͤgelein, die er auch nicht hatte. Doch deſſen haͤtt 'er auch wohl entbehren koͤnnen, wenn er nur ge - wuſt haͤtte, wie er wieder zum Feuer kommen ſolte.

End -21

Endlich fand er einen groſſen Kokusbaum, der vor Alter ſchon auf der einen Seite ein wenig hohl geworden war, und der ihm ſehr tauglich ſchien, einen kleinen Kahn abzugeben, wenn er ihn nur umhauen und voͤllig aushoͤh - len koͤnte. Aber einen ſo nuͤzlichen Baum, in der Ungewißheit, ob es ihm auch je gelin - gen wuͤrde ein Schif daraus zu machen, aufs Gerathewohl zu verderben? Er erſchrak vor dem Gedanken, und wuſte lange nicht, was er thun ſolte? Indeß merkt 'er ſich die Stelle, wo er ſtand, und ging unentſchloſſen nach Hauſe.

Auf ſeinem Ruͤkwege fand er, was er zu finden laͤngſt gewuͤnſcht hatte, ein Papageien - neſt mit fluͤggen Jungen. Wie groß war ſeine Freude uͤber dieſen Fund! Aber indem er hinzutrat, um die Jungen auszunehmen, flatterten ſie alle davon, bis auf einen, den er gluͤklich haſchte. Er begnuͤgte ſich damit, und eilte froh zu Hauſe.

Diderich. Was konte denn ein Papa - gei ihm eben helfen?

B 3Va -22

Vater. Er wolte ihn einige Worte aus - ſprechen lehren, um die Freude zu haben, einmahl wieder eine menſchenaͤhnliche Stimme zu hoͤren. Uns freilich, die wir mitten in der menſchlichen Geſelſchaft leben und die wir des Gluͤks, Menſchen zu ſehen, Menſchen zu hoͤren, mit Menſchen zu reden und mit ihnen umzugehen, alle Tage genieſſen, ſcheint die Freude, welche Robinſon ſich von dem Ge - ſchwaͤz dieſes Papageien verſprach, eben nicht von groſſer Erheblichkeit zu ſein. Aber wenn wir uns in ſeine Stelle verſezen koͤnnen: ſo werden wir begreifen, daß das, was uns ei - ne unerhebliche Kleinigkeit ſcheint, fuͤr ihn ein großer Zuwachs an wirklicher Gluͤkſeeligkeit ſein muſte.

Er eilte alſo froh nach Hauſe, verfertigte noch, ſo gut er konte, einen Kaͤfig, ſezte den - ſelben mit ſeinem neuen Freunde neben ſeine Lagerſtelle, und legte ſich ſchlafen.

Drei -23

Dreizehnter Abend.

Am folgenden Abend rief der Vater ſeine Kleinen etwas fruͤher zuſammen, weil er, wie er ſagte, erſt eine Rathsverſamlung mit ihnen halten muͤſte, bevor er in ſeiner Erzaͤhlung weiter gehen koͤnte.

Woruͤber wollen wir uns denn berathſchla - gen? riefen die Kleinen, indem ſie rund um ihn herum zuſammentraten.

Vater. Ueber eine Sache, die unſerm Robinſon die ganze Nacht hindurch im Kopfe herum gegangen iſt, und wovor er kein Auge hat zu thun koͤnnen.

Alle. Nun?

Vater. Es war die Frage, ob er den alten Kokusbaum, den er geſtern geſehen hat - te, in der ungewiſſen Hofnung, ob er dar - aus ein Schif wuͤrde machen koͤnnen, umhau - en oder ſtehen laſſen ſolte.

B 4Jo -24

Johannes. Ich haͤtt 'ihn huͤbſch wol - len ſtehen laſſen.

Diderich. Und ich haͤtt 'ihn umge - hauen.

Vater. Da ſind alſo zwei entgegenge - ſezte Meinungen; der Eine wil den Baum umhauen, der Andere wil ihn ſtehen laſſen. Laßt doch hoͤren, ihr Andern, was ihr dazu ſagt?

Gotlieb. Ich halt 'es mit Johannes.

Lotte. Ich auch, lieber Vater! Der Baum ſol ſtehen bleiben.

Frizchen. Nein er ſol umgehauen wer - den, daß der arme Robinſon ein Schif kriegt.

Nikolas. Das ſag ich auch!

Vater. Nun ſo ſtelt euch in zwei Par - theien; und dan wollen wir hoͤren, was je - der fuͤr Grund zu ſeiner Meinung hat. So! Nun, Johannes, mache du den Anfang; warum ſol der Baum ſtehen bleiben?

Johannes. I, weil er ſo ſchoͤne Fruͤchte traͤgt, und weil dieſe Art von Baͤumen ſo was Seltenes auf der Inſel iſt!

Dide -25

Diderich. O es iſt ſchon ein alter Baum; der wird doch nicht lange mehr Fruͤchte tra - gen!

Johannes. Woher weißt du das? Er iſt ja nur erſt ein wenig hohl; und wie viel hohle Baͤume giebts nicht, die noch manches Jahr Fruͤchte tragen.

Nikolas. Robinſon hat ja ſchon an - dere Baͤume gepfropft; nun wird er bald Ko - kusbaͤume genug kriegen?

Gotlieb. Ja, aber ſind die denn ſo - gleich groß? Da koͤnnen ja wohl vier Jahre uͤber hingehen, ehe die anfangen, Fruͤchte zu tragen.

Frizchen. Iſt es denn nicht beſſer, daß er ein Schif kriegt, und wieder zu Menſchen faͤhrt, als daß er da immer auf ſeiner Inſel ſizt und Kokusnuͤſſe ißt?

Johannes. Ja, wenn das Schif ſo gleich fertig waͤre! Womit wil er denn den Baum umhauen, und womit wil er ihn aus - hoͤhlen, da er nur eine ſteinerne Axt hat?

B 5Di -26

Diderich. O, wenn er nur lange ge - nug daran hauet und nicht ungeduldig wird, ſo wird er ſchon damit zu Stande kommen!

Gotlieb. Aber denn ſo hat er ja noch kein Segel! Was wil er denn mit dem bloſ - ſen Schiffe anfangen?

Nikolas. O er muß ſich mit Rudern helfen!

Lotte. Ja, das wird ſchoͤn gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemuͤnde auf der Oſtſee waren*Die Geſelſchaft hatte einige Zeit vorher die - ſe verſprochene Luſtreiſe gethan.), und dem einen Ma - troſen das Ruder brach, wie es uns da bei - nahe gegangen waͤre? Vater ſagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrau - chen geweſen waͤre: ſo haͤtte uns der andere Matroſe allein nicht wieder ans Land bringen koͤnnen.

Diderich. O das war auch ein groſſer Kahn, und waren ja achtzhen Menſchen drin. Wenn ſich Robinſon einen kleinen Kahn undzwei27zwei Ruder macht, ſo wird er ihn ſchon al - lein regieren koͤnnen.

Vater. Nun, Kinder, ihr ſeht, die Sache iſt gar nicht leicht zu entſcheiden. Al - les, was ihr da geſagt habt, ging dem guten Robinſon die ganze Nacht hindurch auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sa - che uͤberlegen, wenn man nachdenkt, ob es beſſer ſei, ſie zu thun, oder nicht zu thun. Seitdem Robinſon die traurigen Folgen ſei - ner uͤbereilten Entſchlieſſung, in die weite Welt zu reiſen, empfunden hatte, hatt 'er ſich's zur beſtaͤndigen Regel gemacht, nie wieder etwas zu thun, ohne erſt vor - her eine vernuͤnftige Ueberlegung dar - uͤber angeſtelt zu haben. Das that er alſo auch jezt. Nachdem er nun die Sache lange genug hin und her uͤberdacht hatte; ſo fand er, daß Alles auf die Frage ankomme: ob es recht ſei, einen kleinen, aber ge - wiſſen Vortheil hinzugeben, um einen groͤſſern, aber noch ungewiſſen Vor - theil dadurch zu erlangen? Da fiel ihmnun28nun zuerſt die Fabel von dem Hunde ein, der das Stuͤk Fleiſch, welches er im Munde hielt, fahren ließ, um nach dem Schatten deſſelben im Waſſer zu greifen, und daruͤber am Ende gar nichts hatte. Aber bald darauf erinnerte er ſich auch, wie es die Landleute machen; daß ſie nemlich einen Theil des Korns, welches ſie ſchon haben, ausſtreuen, in der Hofnung, noch weit mehr dadurch zu gewinnen. Das Verfahren des Hundes nent jederman unvernuͤnftig, das Verfahren des Landmans hingegen vernuͤnftig und klug: was mag denn wohl, dachte Robinſon, der Unterſchied hiebei ſein?

Er ſan noch ein Weilchen daruͤber nach und dan ſagt 'er zu ſich ſelbſt: ja, ja, ſo iſts! Der Hund handelte unvernuͤnftig, weil er nur ſeiner Begierde folgte, ohne zu uͤber - legen, ob er das, was er haſchen wolte, auch wirklich erlangen koͤnte. Der Akkersman aber handelt vernuͤnftig, weil er mit großer Wahrſcheinlichkeit hoffen kan, daß er mehr Korn wieder bekommen werde, als er aus - ſtreuet.

Nun,29

Nun, ſagt 'er ferner, bin ich nicht in demſelben Falle? Iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ich durch anhaltenden Fleiß endlich damit zu Stande kommen werde, aus dem alten Baume einen Kahn zu machen? Und wenn mir dieſes gluͤkken ſolte, hab' ich dan nicht Hofnung, mich damit aus dieſer traurigen Einoͤde befreien zu koͤnnen?

Der Gedanke an ſeine Befreiung wurde in dieſem Augenblikke ſo lebhaft in ſeiner Se - le, daß er ploͤtzlich aufſprang, ſein ſteinernes Beil ergrif, und ſpornſtreichs nach dem Bau - me hinlief, um das große Werk ſogleich an - zufangen.

Aber hatt 'er jemahls ein muͤhſeeliges und langwieriges Geſchaͤft unternommen, ſo war es dieſes! Tauſend andere Menſchen wuͤrden nach dem erſten Hiebe den Arm muthlos wieder haben ſinken laſſen, und die Sache fuͤr unmoͤg - lich gehalten haben. Aber Robinſon hatte ſich nun einmahl, wie wir wiſſen, zum Geſez gemacht, ſich durch keine Schwierigkeit von ir - gend einem vernuͤnftigen Vorhaben abſchrekken zulaſſen;30laſſen; und alſo blieb er auch diesmahl mit großer Standhaftigkeit bei ſeinem einmahl ge - faßten Vorſaze, die Ausfuͤhrung deſſelben moͤgte ihm auch noch ſo viel Zeit und noch ſo viel Arbeit koſten!

Nachdem er von Sonnenaufgang an, bis gegen Mittag faſt unaufhoͤrlich gearbeitet hat - te, war das Loch, welches er durch tauſend Hiebe in den Stam gehauen hatte, noch nicht ſo groß, daß er ſeine Hand hineinlegen konte. Daraus koͤnt ihr in voraus ſchlieſſen, wie viel Zeit er brauchen wird, um den ganzen ziem - lich dikken Baum voͤllig umzuhauen, und ein Schif daraus zu zimmern.

Er ſahe nun wohl, daß das eine Arbeit von mehreren Jahren ſein wuͤrde; und er hielt daher fuͤr noͤthig, eine ordentliche Ein - theilung ſeiner Tageszeit zu machen, um fuͤr jede Stunde ein gewiſſes Geſchaͤft zu haben: Denn er hatte nun ſchon aus der Erfahrung gelernet, daß bei einem geſchaͤftigen Leben nichts mehr unſern Fleiß befoͤrdert und erleich - tert, als Ordnung und regelmaͤßige Ein -thei -31theilung der Tagesſtunden. Hier iſt ein Verzeichniß, woraus ihr ſehen koͤnt, wo - zu er jede Stunde gewidmet hatte.

Sobald der Tag anbrach, ſtand er auf, und lief nach der Quelle, um Kopf, Haͤnde, Bruſt und Fuͤſſe zu waſchen. Da er kein Handtuch hatte, ſo muſt 'er ſich von der Luft troknen laſſen, welches er dadurch befoͤrderte, daß er jedesmahl in vollem Laufe nach ſeiner Wohnung zuruͤk rante. Dan kleidete er ſich voͤllig an. War dieſes geſchehen, ſo erſtieg er den Huͤgel uͤber ſeiner Hoͤhle, wo er eine freie Ausſicht hatte, warf ſich daſelbſt auf die Knie und verrichtete ein andaͤchtiges Mor - gengebeth, wobei er nie vergaß, Gott um Seegen fuͤr ſeine lieben Eltern zu bitten. Hierauf molk er ſeine Lama's, von denen er ſich nach und nach eine kleine Heerde zugezo - gen hatte. Einen Theil der jedesmahligen Milch verwahrt' er in ſeinem Keller, die Ue - brige genoß er zum Fruͤhſtuͤk. Daruͤber war denn ohngefaͤhr eine Stunde verfloſſen. Nun legt 'er alles, was zu ſeiner Bewafnungge -32gehoͤrte, an und machte ſich auf den Weg, entweder gleich nach dem Orte, wo der Baum ſtand, oder, fals es eben Ebbezeit war, erſt nach dem Strande, um einige Au - ſtern zum Mittagseſſen aufzu[l]eſen. Seine Lama's liefen dan gewoͤhnlich alle hinter ihm her und weideten neben ihm herum, indeß er ſelbſt mit Hauen beſchaͤftiget war.

Gegen zehn Uhr war die Hize gemeinig - lich ſchon ſo ſtark, daß er mit ſeiner Arbeit einhalten muſte. Dan ging er wieder nach dem Strande, theils um Auſtern zu ſuchen, fals er des Morgens keine gefunden hatte, theils um ſich zu baden, welches er gewoͤhnli - cher Weiſe des Tages zweimahl zu verrichten pflegte. Gegen eilf Uhr war er mit ſeiner ganzen Begleitung wieder zu Hauſe.

Dan molk er abermahls die milchgebenden Lama's; bereitete Kaͤſe aus der ſauergeworde - nen Milch, und richtete ſeine kleine Mittags - mahlzeit an, die gemeiniglich aus Milch mit friſchem Kaͤſe vermiſcht, einigen Auſtern und einer halben Kokusnuß beſtand. Es kam ihmdabei33dabei ſehr zu ſtatten, daß man in dieſen heiſ - ſen Erdgegenden nicht halb ſo viel Appetit zu haben pflegt, als in den kaͤlteren Laͤndern. Demohngeachtet ſehnt 'er ſich ſehr nach Fleiſch - ſpeiſen und konte endlich nicht umhin, wie - der zu dem anfaͤnglich von ihm erdachten Mit - tel, das Fleiſch durch Klopfen muͤrbe zu ma - chen, ſeine Zuflucht zu nehmen.

Waͤhrend ſeiner Mahlzeit beſchaͤftigte er ſich mit ſeinem Papagai, dem er allerlei vor - plauderte, um ihn einige Worte ſprechen zu lehren.

Frizchen. Womit fuͤtterte er ihn denn?

Vater. In der Wildheit pflegen die Papagaien ſich groͤßtentheils von Kokusnuͤſſen, Eicheln und Kuͤrbiskoͤrnern zu naͤhren: zahm eſſen ſie faſt alles, was Menſchen eſſen. Ro - binſon fuͤtterte den Seinigen mit Kokusnuͤſ - ſen und Kaͤſe.

Nach der Mahlzeit ruhete er eine Stunde im Schatten oder in ſeiner Hoͤhle aus, der Papagai und die Lama's um ihn herum. Da kont er nun zuweilen ſizen und zu denCThie -34Thieren plaudern ordentlich wie ein kleines Kind, das mit ſeiner Puppe redet, und ſich einbildet, daß die Puppe es verſtehe. So groß war das Beduͤrfniß ſeines Herzens, ir - gend einem lebendigen Weſen ſeine Gedanken und ſeine Empfindungen mitzutheilen, daß er oft daruͤber vergaß, daß er zu unvernuͤnftigen Thieren rede. Und wenn ſein Papchen, den er Pol nante, dan je zuweilen ein verſtaͤnd - liches Wort ihm nachſchwazte: o wer war da gluͤklicher, als er! Er glaubte eine menſch - liche Stimme zu hoͤren; vergaß Inſel, La - ma's und Papagai und war in ſeiner Einbil - dung mitten in Europa. Aber dieſer ſuͤße Traum dauerte gemeiniglich nur eine Minu - te; dan ſaß er wieder da im vollen Bewuſt - ſein ſeines klaͤglichen Einſiedlerlebens und ſeuf - te: armer Robinſon!

Gegen zwei Uhr Nachmittags

Nikoles. Ja, wie wuſt 'er denn im - mer, was die Glokke geſchlagen hatte?

Vater. Anfangs macht 'er es blos ſo, wie es die Landleute zu machen pflegen; erbeob -35beobachtete den Stand der Sonne und ſchloß daraus auf die jedesmalige Tageszeit. End - lich fiel 's ihm gar ein, eine Art von Son - nenuhr zu machen.

Johannes. Na, was der doch nicht al - les machen wil!

Vater. Freilig keine ſolche, als man bei uns machen kan, denn wo haͤtt 'er dazu die noͤthige Geſchiklichkeit, die Werkzeuge und die Materialien hergenommen? Aber doch eine, an der er wenigſtens ſehen konte, zu welcher Zeit es jedesmahl Mittag ſei.

Johannes. Auch die wuͤſt 'ich doch ge - wiß nicht zu machen!

Vater. Und doch iſt nichts leichter, als das! Er ſtekte nemlich blos eine grade Stange ſenkrecht in die Erde. Je naͤher es nun gegen Mittag kam, deſto kuͤrzer wurde der Schatten dieſer Stange. Er merkte ſich alſo den Ort, wohin der Schatten der Stange fiel, wenn er am kuͤrzeſten war; bezeichnete dieſen Ort mit einem Striche, den er die Mittagslinie nante, und ſo oft dan derC 2Schat -36Schatten der Stange wieder in dieſe Mittagslinie fiel, wuſt 'er, daß es grade Mittag ſei. Er bemerkte aber hierbei etwas Sonderbares, welches in Europa nie geſehen wird.

Johannes. Was denn?

Vater. Dieſes, daß in einer Jahrszeit der Schatten der Stange, eben ſo wie bei uns, zur Mittagszeit nach dem Nordpol, in einer andern Jahrszeit hingegen grade um - gekehrt, nemlich nach dem Suͤdpol, hinfiel. Ja, was das Sonderbarſte war, zuweilen machte die Stange zur Mittagszeit gar kei - nen Schatten.

Diderich. Ja, das glaub ich; weil die Inſel, worauf er war, zwiſchen den beiden Wendezirkeln lag.

Vater. Richtig! Ihr Kleineren, be - greift das noch nicht. Aber geduldet euch; in vier Wochen werd 'ich auch mit euch die Geographie anfangen; dan ſolt ihr dies und noch viele andere merkwuͤrdige Dinge auch ein - ſehen lernen.

Um37

Um nun aber wieder zu den taͤglichen Be - ſchaͤftigungen unſers fleißigen Robinſons zu - ruͤk zu kommen: ſo pflegte er um zwei Uhr Nachmittags wieder an ſeine Schif bauerarbeit zu gehen. Unter dieſer wirklich ſchweren Ar - beit bracht 'er dan jedesmahl wiederum zwei volle Stunden hin. Waren dieſe verfloſſen, ſo lief er abermahls nach dem Strande, theils um ſich zum zweitenmahle zu baden, theils um wieder Auſtern zu ſuchen. Den Reſt des Nachmittags wandt' er zu allerlei Gar - tenarbeit an. Bald pflanzt 'er Maiz oder Kartoffeln, in der Hofnung einſt wieder Feu - er zu bekommen, um dieſe Gewaͤchſe nuzen zu koͤnnen; bald pfropft' er noch mehr Kokusrei - ſer ein; bald begoß er die gepfropften jungen Staͤmme; bald pflanzt 'er Hekken, um ſein Gartenland einzuſchlieſſen; und bald beſchnitt' er die Baumwand vor ſeiner Hoͤhle, um die Zweige ſo zu ziehen, daß ſie mit der Zeit zu - ſammen wuͤchſen und eine große Laube aus - machten.

C 3Zu38

Zu Robinſons Leidweſen dauerte der laͤng - ſte Tag auf dieſer Inſel hoͤchſtens 13 Stun - den, ſo daß es mitten im Sommer Abends um 7 Uhr ſchon finſter ward. Er mußte alſo alle Geſchaͤfte, wobey er Licht brauchte, noch vor dieſer Zeit vollenden.

Gegen ſechs Uhr alſo, wenn ſonſt nichts Wichtiges zu thun mehr uͤbrig war, ſtelte er gemeiniglich noch einige ritterliche Leibesuͤbun - gen an.

Gotlieb. Was heißt das?

Vater. Er uͤbte ſich im Bogenſchieſſen und im Spießwerfen, um, in Fal der Noth, ſich gegen einen Anfal der Wilden, vor wel - chen ihm immer noch bange war, vertheidigen zu koͤnnen. In beiden bracht 'er es nach und nach zu einer ſolchen Fertigkeit, daß er ein Ziel, welches nicht groͤßer, als ein Gulden war, nur ſehr ſelten verfehlte.

Sobald die Daͤmmerung anbrach, molk er wiederum ſeine Lama's und hielt darauf eine laͤndliche und maͤßige Abendmahlzeit, wozu er ſich von den Sternen oder von dem Monde leuch - ten ließ.

Die39

Die lezte Stunde des Abends wandt 'er zum Nachdenken uͤber ſich ſelbſt an. Er ſezte ſich nemlich entweder auf dem Gipfel des Berges nieder, wo er das ganze Sternbeſaͤte Himmelsgewoͤlbe uͤber ſich hatte, oder er luſt - wandelte auch wohl in der Abendkuͤhle nach dem Strande zu. Dan pflegt' er ſich ſelbſt in Gedanken folgende Fragen vorzulegen:

Wie haſt du dieſen Tag nun wieder hinge - bracht? Biſt du im Genuß der Gaben Got - tes, die dir heute wiederum zu Theil gewor - den ſind, auch wohl des großen Gebers der - ſelben immer eingedenk geweſen? Hat dein Herz auch Liebe und Dankbarkeit gegen ihn em - pfunden? Haſt du ihm vertrau't, wenn's dir uͤbel ging, und haſt du ſeiner nicht ver - geſſen, wenn du froͤlich wareſt? Haſt du je - den boͤſen Gedanken, der dir einfiel, jede boͤſe Begierde, die in dir rege ward, auch ſo gleich unterdruͤkt? Und haſt du alſo heute wirklich zugenommen im Guten?

So oft nun ſein Herz auf dieſe und aͤhnliche Fragen mit einem freudigen Ja! antwortenC 4konte:40konte: o wie war ihm dan ſo wohl! Und mit welcher Inbrunſt ſang er dan ein Loblied zum Preiſe des großen Gottes, der zum Gutes thun ihm Seegen verliehen hatte! So oft er aber Urſache fand, mit ſich ſelbſt nicht ſo ganz zufrie - den zu ſein: o wie ſchmerzte es ihn dan, einen Tag ſeines Lebens verloren zu haben! Denn fuͤr verloren hielt er jeden Tag, an dem er etwas gedacht oder gethan hatte, was er am Abend deſſelben misbilligen mußte. Neben dem Striche, womit er einen ſolchen Tag in ſeinem Kalenderbaume bezeich - nete, pflegte er ein Kreuz einzugraben, um ſich beim Anblik deſſelben ſeines Unrechts zu erin - nern, und ſich ins kuͤnftige deſtomehr davor in Acht zu nehmen.

Seht, lieben Kinder, ſo machte es Ro - binſon, um taͤglich beſſer und froͤmmer zu werden. Iſt es euch nun auch ein wirklicher Ernſt mit der Ausbeſſerung eures Herzens: ſo rathe ich euch, ihm darin nachzuahmen. Sezt gleichfals, ſo wie er, eine Abendſtunde feſt, um uͤber eure Auffuͤhrung an dem jedesmahlver -41verfloſſenen Tage im Stillen nachzudenken; und findet ſichs, daß ihr etwas gedacht, gere - det, oder gethan habt, was ihr vor Gott und eurem eigenen Gewiſſen nicht gut heiſſen koͤnt: ſo ſchreibt es in ein kleines Buͤchelchen, um euch von Zeit zu Zeit wieder daran zu erinnern, und vor der abermahligen Begehung ebendeſſelben Fehlers auf immer in acht zu nehmen. So werdet ihr, gleich ihm, von Tage zu Tage beſſer, und alſo auch von Tage zu Tage zufriedener und gluͤklicher werden.

Hiermit ſtand der Vater auf; und jeder von der Geſelſchaft ging allein in einen beſon - dern Gang des Gartens, um den guten Rath deſſelben ſogleich in Erfuͤllung zu bringen.

Vier -42

Vierzehnter Abend.

Nun, Kinder, fuhr der Vater am fol - genden Abend fort auf eben die Weiſe, wie ich euch geſtern erzaͤhlt habe, lebte unſer Robinſon einen Tag, wie den andern, drei volle Jahre lang. In dieſer ganzen Zeit ſezte er ſeine Schifbauerarbeit unablaͤßig fort; und wie weit meint ihr nun wohl, daß er in der langen Zeit mit dieſer ſeiner Arbeit ge - kommen ſei? Ach! der Stam war noch nicht einmahl zur Haͤlfte ausgehoͤhlt, und es ſchien noch immer ſehr zweifelhaft zu ſein, ob er, bei aller ſeiner Arbeitſamkeit, in drei oder vier andern Jahren mit dem ganzen Werke zu Stande kommen wuͤrde!

Dennoch arbeitete er unermuͤdet fort: denn was ſolt 'er anders machen? Und etwas zuthun43thun wolt 'er und muſt' er doch nun einmahl haben! Eines Tages aber fiel ihm ploͤzlich ein, daß er dieſe Inſel nun ſchon ſo lange bewohne, und gleichwohl erſt den kleinſten Theil derſelben geſehen habe. Das iſt doch nicht recht, dacht 'er, daß du durch deine Furchtſamkeit dich ſo lange haſt abhalten laſ - ſen, eine Reiſe von einem Ende der Inſel bis an das andere zu thun. Wer weiß, was du in andern Gegenden derſelben zu deinem Vor - theil haͤtteſt entdekken koͤnnen!

Dieſer Gedanke wurde ſo lebendig in ſei - ner Sele, daß er ſich auf der Stelle entſchloß, die Reiſe gleich mit Anbruch des folgenden Tages anzutreten.

Nikolas. Wie groß war denn die Inſel wohl?

Vater. Ohngefaͤhr ſo groß, als das ganze hamburgiſche Gebiet zuſammen ge - nommen, das Amt Rizebuͤttel nicht mit ge - rechnet; etwa vier Meilen lang und zwoͤlf im Umkreiſe.

Noch44

Noch an eben demſelben Tage machte er alles zu ſeiner Abreiſe fertig. Am andern Morgen bepakte er eins ſeiner Lama's mit Lebensmitteln auf vier Tage, legte ſeine ganze Ruͤſtung an, empfahl ſich dem goͤtlichen Schuze und machte ſich getroſt auf den Weg. Seine Abſicht aber war, ſich, ſo viel moͤglich, am Stran - de zu halten, weil er den dichten Waͤldern, aus Furcht vor wilden Thieren, noch immer nicht traute.

An dieſem erſten Tage ſeiner Wander - ſchaft fiel eben nichts Merkwuͤrdiges mit ihm vor. Er machte ohngefaͤhr drei Meilen an demſelben, und je weiter er kam, deſto mehr uͤberzeugte er ſich, daß er ſeinen Aufenthalt grade in der unfruchtbarſten Gegend der Inſel genommen habe. An vielen Orten fand er Fruchtbaͤume, die er noch nie geſehen hatte, von denen er aber mit Recht vermuthete, daß ſie ihm ein geſundes und wohlſchmekkendes Nahrungsmittel gewaͤhren wuͤrden. Nachher lernte er, mit dem eigentlichen Gebrauch derſelben, auch ihre Nahmen kennen. Es be -fand45fand ſich darunter der Brodfruchtbaum, der eine große Frucht traͤgt, welche die In - dianer auf mancherlei Weiſe zuzurichten wiſſen, und ſie dan ſtat des Brodes eſſen; ferner der Papiermaulbeerbaum, aus deſſen Rinde die Japaneſer ein ſchoͤnes Papier, und die Bewohner der Inſel Otaheite ein ſchoͤnes Sommerzeug zu Kleidern verfertigen, wovon ich euch nachher eine kleine Probe zeigen wil, die ich aus England erhalten habe.

Die Nacht brachte Robinſon aus Furcht vor wilden Thieren auf einem Baume zu; und mit Anbruch des Tages ſezt 'er ſeine Reiſe fort.

Er war noch nicht lange gegangen, als er das aͤuſſerſte ſuͤdliche Ende der Inſel erreichte. Hier war der Boden an einigen Stellen etwas ſandigt. Indem er nun nach der lezten Land - ſpize hingehen wolte: blieb er ploͤzlich, wie vom Donner geruͤhrt, auf einer Stelle ſtehen, wurde blaß, wie die Wand, und zitterte am ganzen Leibe.

Johannes. Warum denn?

Va -46

Vater. Er ſahe, was er hier zu ſehen nicht vermuthet hatte, die Fußſtapfen eines, oder mehrerer Menſchen, im Sande.

Nikolas. Und davor erſchrickt er ſo? Das ſolte ihm ja lieb ſein!

Vater. Die Urſache ſeines Schreckens war dieſe: er dachte ſich in dieſem Augenblik - ke den Menſchen, von dem dieſe Spur herruͤhrte, nicht als ein mit ihm verbruͤdertes, Liebe ath - mendes Weſen, welches bereit waͤre, ihm zu helfen und zu dienen, wo es nur koͤnte: ſon - dern als ein grauſames menſchenfeindliches Ge - ſchoͤpf, daß ihn wuͤthend anfallen, ihn toͤdten und verſchlingen wuͤrde. Mit einem Worte: er dachte ſich bei dieſer Spur keinen geſitteten Europaͤer; ſondern einen wilden menſchenfreſ - ſenden Kannibalen, deren es damahls, wie ihr ſchon wißt, auf den Karibiſchen Inſeln ſol gegeben haben.

Gotlieb. Ja, das glaub 'ich; da muſt' er auch wohl vor erſchrecken!

Vater. Aber weiſer und beſſer waͤre es doch geweſen, wenn er ſich von Jugend anhaͤtte47haͤtte gewoͤhnt gehabt, vor keiner auch noch ſo groſ - ſen Gefahr dergeſtalt zu erſchrekken, daß er ſeines Verſtandes nicht mehr machtig bliebe. Und dahin, meine lieben Kinder, koͤnnen wir es alle bringen, wenn wir uns nur fruͤhzeitig genug bemuͤhen, geſund und ſtark an Leib und Sele zu werden.

Johannes. Ja, wie wird man das aber?

Vater. Dadurch, lieber Johannes, wenn man durch eine arbeitſame, maͤßige und, ſo viel moͤglich, natuͤrliche Lebensart ſeinen Koͤrper ab - zuhaͤrten, und ſeinen Geiſt durch unbefleckte Tugend und Gottesfurcht uͤber jede Abwech - ſelung des Schikſals zu erheben und gegen je - des Ungluͤk im Voraus zu bewafnen ſucht. Wenn ihr alſo, nach unſerm Beiſpiel, euch mit einem maͤßigen Genuſſe geſunder, einfa - cher, und unerkuͤnſtelter Speiſen zu begnuͤgen, und das ſuͤße Gift der Lekkereien immer mehr zu verſchmaͤhen lernt; wenn ihr den Muͤſſiggang, als eine Peſt des Leibes und der Sele flieht und, ſo viel es immer moͤglich iſt, bald durchKopf -48Kopfarbeit durch Lernen und Nachden - ken bald durch Handarbeit beſchaͤftiget ſeid; wenn ihr euch oft freiwillig uͤbt, et - was ſehr Angenehmes, das ihr gar zu gern haben moͤgtet und auch haben koͤntet, aus eigener Entſchlieſſung zu entbehren, und etwas ſehr Unangenehmes, das euch aͤuſſerſt zuwider iſt und das ihr auch abwehren koͤn - tet, mit Vorſaz zu uͤbernehmen; wenn ihr euch der Huͤlfleiſtungen anderer Menſchen ſo wenig als moͤglich bedient, und vielmehr durch euren eigenen Verſtand, und durch eure eigene Leibeskraͤfte eure jedesmaligen Beduͤrfniſſe zu befriedigen, euch ſelbſt zu rathen und aus Ver - legenheiten zu ziehen ſucht; wenn ihr endlich in eurem ganzen Leben den großen Schaz eines guten Gewiſſens zu bewahren, und dadurch euch des Beifals und der Liebe unſers almaͤch - tigen und alguͤtigen himmliſchen Vaters zu ver - ſichern euch beſtrebt: dan, liebſte Kinder, werdet ihr geſund und ſtark an Leib und Sele ſein; dan werdet ihr bei jeder Abwechſelung des Schikſals ruhig bleiben, weil ihr alsdan uͤber -zeugt49zeugt ſeid, daß euch nichts begegnen kan, was euch nicht von einem weiſen und liebe - vollen Gotte zu eurem wahren Beſten zuge - ſandt werde.

Unſer Robinſon hatte es, wie wir ſehen, in dieſer auf Gottesfurcht gegruͤndeten Stand - haftigkeit noch nicht ſo weit gebracht, als zu ſeiner Ruhe und Gluͤckſeeligkeit noͤthig geweſen waͤre. Daran war wohl ohnſtreitig dieſes Schuld, daß er nun einige Jahre hindurch ein ganz ruhiges von allen Gefahren und Un - gluͤksfaͤllen freies Leben gefuͤhrt hatte. Die gar zu große Ruhe und Sicherheit verderben den Menſchen, machen ihn weibiſch und furcht - ſam; und es iſt daher eine wahre Wohlthat Gottes, wenn er uns zuweilen einige Wider - waͤrtigkeiten zuſchikt, die unſere Leibes - und Selenkraͤfte in Thaͤtigkeit ſezen und unſern Muth durch Uebung ſtaͤrken muͤſſen.

Robinſon ſtand, wie wir gehoͤrt haben, beim Anblik der Menſchenſpur, wie vom Don - ner geruͤhrt. Furchtſam blikt 'er umher, lauſchte mit großer Aengſtlichkeit auf jedesDkleine50kleine Geraͤuſch der Blaͤtter, und wuſte vor Verwirrung lange nicht, wozu er ſich entſchlieſ - ſen ſolte. Endlich rafte er ſich auf, flohe, wie einer, der verfolgt wird, und hatte nicht das Herz, auch nur ein einziges mahl ſich umzu - ſehen. Aber ploͤzlich machte ihn etwas ſtuzen, und verwandelte ſeine Furcht in Grauſen und Entſezen.

Er ſahe bereitet euch, Kinder, einen ſchreklichen Anblik zu ertragen, und den ſchauervollen Zuſtand zu ſehen, worin Men - ſchen gerathen koͤnnen, welche ohne Erziehung und Unterricht aufwachſen und ſich ſelbſt uͤber - laſſen bleiben! Er ſahe einen Ort, woſelbſt ein runder Kreis in die Erde gegraben war, in deſſen Mitte er eine ehemalige Feuerſtelle erblikte. Rund um dieſen Ort herum lagen mich ſchaudert indem ichs erzaͤhlen muß Hirnſchalen, Haͤnde, Fuͤße und andere Gebei - ne menſchlicher Koͤrper, von denen das Fleiſch abgenagt war.

Alle. Von wem? von wem?

Va -51

Vater. Von Menſchen; doch nein, nur von menſchenaͤhnlichen Geſchoͤpfen, die ſo dum und viehiſch aufgewachſen waren, daß ſie, gleich wilden Thieren, weder von Ekkel, noch von mitleidiger Menſchenliebe abgehalten wur - den, das Fleiſch ihrer geſchlachteten Bruͤder zu verzehren. Es wohnten nemlich damahls, wie ich, wo mir recht iſt, ſchon einmahl er - zaͤhlt habe, auf den Karibiſchen Inſeln wilde Menſchen, die man Karaiben, Kan - nibalen oder Menſchenfreſſer nante, weil ſie die abſcheuliche Gewohnheit hatten, alle ihre Feinde, die ſie im Kriege lebendig gefan - gen kriegten, zu ſchlachten, unter Tanzen und Singen zu braten, und dan mit unmenſchli - chem Heißhunger zu verſchlingen.

Lotte. Fi! die abſcheulichen Leute!

Vater. Ihre unmenſchlichen Sitten, lie - be Lotte, wollen wir verabſcheuen, aber nicht die armen Leute ſelbſt, die ja nichts davor koͤnnen, daß man ſie nicht unterrichtet und erzogen hat. Haͤtteſt du das Ungluͤk gehabt, unter ſolchen armen Wilden geboren zu wer -D 2den:52den: gewiß! du wuͤrdeſt eben ſo, wie ſie, nakt, wild und unvernuͤnftig in Waͤldern herumlau - fen, wuͤrdeſt dein Geſicht und deinen Leib mit Roͤthel beſchmieren, man wuͤrde dir Ohren und Naſe durchloͤchert haben, du wuͤrdeſt dich nicht wenig darauf einbilden, Vogelfedern, Mu - ſchelſchalen und andere Dinge darin zu tragen, und an den unmenſchlichen Mahlzeiten deiner wilden Eltern und Landsleute wuͤrdeſt du ei - nen eben ſo frohen Antheil nehmen, als du jezt an unſern beſſern Speiſen nimſt. Freuet euch alſo, lieben Kinder, und danket Gott dafuͤr, daß er euch von geſitteten, vernuͤnftigen und menſchlichgeſinten Eltern hat laſſen gebohren wer - den, die es euch ſo leicht machen, auch geſittete, vernuͤnftige und menſchlichgeſinte Menſchen zu werden, und bedauert das Schikſal unſrer armen Bruͤder, die noch jezt in dem ungluͤkſeeligen Zu - ſtande einer thieriſchen Wildheit leben!

Frizchen. Wo ſind denn wohl jezt noch ſolche Menſchen?

Johannes. Weit, weit von hier, Frizchen, auf einer Inſel die man Neu: See -land53land nent! Vater hat's uns vorigen Winter aus einer Reiſebeſchreibung vorgeleſen. Da ſollen die Leute auch noch ſo wild und barba - riſch ſein, daß ſie Menſchenfleiſch eſſen. Aber die Englaͤnder, die ſie entdekt haben, werden ſie wohl zahm machen.

Frizchen. Das iſt gut!

Vater. Laßt uns nun wieder zu unſerm Robinſon zuruͤkkehren. Er wandte ſein Geſicht von dieſem graͤßlichen Schauſpiel weg, ihm wurde uͤbel, und er wuͤrde in Ohnmacht geſunken ſein, wenn die Natur ſich nicht durch ein heftiges Erbrechen geholfen haͤtte.

Sobald er ſich ein wenig erhohlt hatte, rante er mit der aͤuſſerſten Geſchwindigkeit davon. Kaum daß ſein treues Lama ihm fol - gen konte. Doch lief es ihm nach. Aber ſo ſehr hatte die Furcht den Verſtand unſers ar - men Robinſons umnebelt, daß er auf ſeiner Flucht dieſes ihm folgenden Thieres vergaß, die Tritte deſſelben fuͤr den Fußtrit eines ihm nachjagenden Kannibalen hielt, und daher mit der groͤßten Selenangſt alle ſeine Kraͤfte an -D 3ſtrengte,54ſtrengte, um ihm zu entlaufen. Noch nicht genug; auch ſeine Ruͤſtung, ſeinen Spieß, ſeinen Bogen, ſogar ſein ſteinernes Beil die er jezt uͤber alles haͤtte werth achten ſol - len warf er von ſich, weil ſie ihm im Laufen hinderten. Dabei achtete er ſo wenig auf den Weg, daß er bald hier, bald da aus - beugte und am Ende, da er gar nicht mehr wuſte, wo er war, ſich in einem ordentlichen Zirkel herum drehete und nach ohngefaͤhr ei - ner Stunde wieder an demſelben ſchreklichen Orte war, von wannen ſein Lauf angefangen hatte.

Neues Entſezen! Neue Betaͤubung! denn er merkte nicht, daß dies eben der Ort ſei, den er ſchon einmahl geſehen habe; ſondern hielt ihn fuͤr ein zweites Denkmahl der un - menſchlichen Grauſamkeit derer, vor welchen er flohe. Er rante alſo mit der Schnelligkeit des Sturmwindes davon, und hoͤrte nicht eher auf zu laufen, bis er ermattet, ohnmaͤchtig und ſinlos zu Boden ſtuͤrzte.

In -55

Indeß er ſo lag und von ſich ſelbſt nichts wuſte, fand ſein Lama ſich wieder bei ihm ein und lagerte ſich zu ſeinen Fuͤſſen. Zufaͤl - liger Weiſe war dies grade eben dieſelbe Stelle, wo er vorher ſeine Waffen abgeworfen hatte Da er alſo nach einiger Zeit die Augen wie - der oͤfnete, fand er alle das Seinige neben ſich im Graſe liegen. Dies und alles vor - hergehende ſchien ihm jezt ein Traum zu ſein; er wuſte nicht, weder wie er ſelbſt, noch wie alles dies hierher gekommen ſei, ſo ſehr hatte die Furcht ihn aller Beſonnenheit beraubt!

Er machte ſich von neuem auf; aber da die Heftigkeit des Affekts ſich unterdeß um etwas gelegt hatte: ſo war er nunmehr ſorg - faͤltiger darauf bedacht, ſeine Waffen, das einzige Vertheidigungsmittel, welches er hat - te, zu erhalten, und nahm ſie mit ſich. Er fuͤhlte ſich aber ſo entkraͤftet, daß es ihm un - moͤglich war, ferner eben ſo geſchwind als vor - her zu laufen, ſo ſehr die Furcht ihn auch dazu antrieb. Der Hunger war ihm fuͤr den ganzen Tag vergangen, und nur ein einzi -D 4ges56ges mahl nahm er ſich die Zeit, ſeinen Durſt bei einer Quelle zu ſtillen.

Er hofte ſeine Burg zu erreichen; aber dies war ihm unmoͤglich. Da es ſchon ange - fangen hatte Nacht zu werden, befand er ſich noch uͤber eine halbe Stunde weit von ſeiner Wohnung an einem Orte, den er ſeinen Sommerpallaſt zu nennen pflegte. Dieſer beſtand aus einer Laube und aus einer ziem - lich weiten Umzaͤunung, worin er einen Theil ſeiner Heerde hielt, weil hier viel fetteres Gras, als in der Gegend ſeiner ordentlichen Wohnung wuchs. Er hatte hier in dem lezt - verfloſſenen Jahre verſchiedene Sommernaͤchte zugebracht, weil es daſelbſt weniger Musqui - tos gab; und darum hatte er dieſer Laube den obbenanten Nahmen gegeben.

Seine Kraͤfte waren gaͤnzlich erſchoͤpft und es war ihm unmoͤglich weiter zu gehen, ſo gefaͤhrlich es ihm auch vorkam in einer un - verwahrten Laube zu ſchlafen. Er beſchloß alſo da zu bleiben. Kaum aber hatte er ſich, ganz ermattet, den Kopf vol ſchwerer Gedan -ken57ken und mehr traͤumend als wachend, auf den Boden hingeſtrekt, als er ploͤzlich einen neuen Schrek hatte, der ihn beinahe getoͤdtet haͤtte.

Johannes. Hilf Himmel! was dem doch alles begegnen muß!

Nikolas. Was war's denn?

Vater. Er hoͤrte eine Stimme, wie vom Himmel herab, die ihm ganz vernehm - lich zurief: Robinſon, armer Robinſon, wo biſt du geweſen? wie komſt du hierher?

Gottlieb. Tauſend! Was mogte denn das ſein?

Vater. Robinſon ſprang erſchrokken auf, zitterte, wie ein Espenblat, und wuſte nicht, ob er davon laufen oder bleiben ſolte. In demſelben Augenblikke hoͤrt 'er die nem - lichen Worte noch einmahl ausſprechen, und da er ſeine Augen nach dem Orte, woher der Schal kam, hinrichtete: fand er was meint ihr?

Alle. Ja, wer kan das wiſſen!

D 5Va -58

Vater. fand er, was der Furchtſa - me faſt immer finden wuͤrde, wenn er ſich nur Zeit zur Unterſuchung naͤhme, daß er gar nicht Urſache gehabt habe zu erſchrekken. Die Stimme kam nemlich nicht vom Himmel, ſondern von einem Zweige ſeiner Laube, auf welchem ſein lieber Papagai ſaß.

Alle. Ah!

Vater. Dieſer hatte zu Hauſe vermuth - lich lange Weile gehabt, und weil er einige mahle ſeinen Herrn nach der Sommerlaube begleitet hatte: ſo ſucht 'er ihn hier auf. Robinſon hatte ihm aber die Worte, die er jezt ausſprach, zu mehreren mahlen vorge - ſagt, und alſo hatt' er ſie behalten.

Wie froh war Robinſon die Urſache ſei - nes abermahligen Schrekkens entdekt zu ha - ben! Er ſtrekte ſeine Hand aus, rief Pol! und flugs huͤpfte das vertrauliche kurzweilige Ding herab auf ſeinen Daumen, legte den Schnabel an ſeine Bakken und fuhr fort zu ſchwazen: Robinſon, armer Robinſon, wo biſt du geweſen?

Faſt59

Faſt die ganze Nacht hindurch konte Ro - binſon vor Furcht und ſorgſamen Gedanken kein Auge zu thun. Immer ſtand ihm der graͤßliche Ort vor Augen, den er geſehen hat - te, und vergebens bemuͤhete er ſich, ſeine Ein - bildungskraft davon abzuziehen. O zu was fuͤr thoͤrigten und ſchaͤdlichen Entſchlieſſungen ſchreitet der Menſch, wenn die Leidenſchaften erſt einmahl ſeinen Verſtand verfinſtert haben! Robinſon faßte hundert Anſchlaͤge ſich zu retten, wo - von der eine immer noch unweiſer, als der andere war. Unter andern koͤnt ihr es glauben? beſchloß er, ſobald es Tag ge - worden waͤre, alles zu zerſtoͤren, was er bis jezt mit ſo viel ſauerm Schweiſſe gemacht hatte. Er wolte die Laube, worin er jezt lag, dan die Verzaͤunung vor derſelben, ein - reiſſen und ſeine Lama's laufen laſſen, wohin ſie wolten. Dan wolte er eine gleiche Ver - wuͤſtung mit ſeiner ordentlichen Wohnung vor - nehmen und die ſchoͤne Baumwand zernichten, die er vor derſelben angelegt hatte. Endlich wolt 'er auch ſeine Gaͤrten und Pflanzungengaͤnz -60gaͤnzlich zerſtoͤren, damit auf der ganzen Inſel gar keine Spur irgend eines von Menſchen - haͤnden gemachten Werkes uͤbrig bliebe.

Johannes. J, warum denn das?

Vater. Damit die Wilden, wenn ſie etwa einmahl in dieſe Gegend kaͤmen, gar nicht merken koͤnten, daß ein Menſch da ſei.

Jezt wollen wir ihn ſeinen unruhigen Gedanken uͤberlaſſen, weil wir ihm doch nicht helfen koͤnnen; und indem wir uns auf unſer eigenes ſicheres Lager legen, wollen wir unſern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem Lande gebohren werden ließ, wo wir unter geſitteten, uns liebenden und hel - fenden Menſchen leben, und nichts von wil - den Unmenſchen zu beſorgen haben.

Alle. Gute Nacht, Vater! Und Dank fuͤr die ſchoͤne Erzaͤhlung!

Funf -61

Funfzehnter Abend.

Der Vater fuhr fort:

Kinder, es iſt ein wahres Sprichwort: guter Rath komt Morgen. Das koͤnnen wir aus Robinſons Beiſpiel lernen.

Ihr wiſſet, welche thoͤrigte Entſchlieſſun - gen ihm geſtern ſeine unmaͤßige Furcht eingab. Wohl bekam es ihm, daß er die Ausfuͤhrung derſelben auf den morgenden Tag verſchieben muſte: denn kaum hatte das liebliche Tages - licht die dunkeln Schatten der Nacht vertrie - ben, als er die Dinge von einer ganz andern Seite betrachtete. Was er geſtern fuͤr gut, weiſe und nothwendig hielt, das ſchien ihm jezt ſchlecht, thoͤrigt, und unnoͤthig zu ſeyn. Mit einem Worte, er verwarf alle die uͤber - eilten Anſchlaͤge, welche die Furcht ihm einge - floͤßt hatte, und faßte andere, welche von der Vernunft gebilliget wurden.

Sein62

Sein Beiſpiel, lieben Kinder, diene euch zur Warnung, daß ihr in Dingen, die einigen Aufſchub leiden, nie gleich von der erſten Ent - ſchlieſſung unmittelbar zur That ſchreitet, ſon - dern vielmehr wenn es ſein kan, die Ausfuͤh - rung auf den folgenden Tag verſchiebet.

Robinſon fand jezt, daß ſeine geſtrige Furcht uͤbertrieben geweſen ſei. Ich bin nun ſchon ſo lange hier, dacht 'er bei ſich ſelbſt, und noch nie iſt ein Wilder in die Gegend meiner Wohnung gekommen. Beweis genug, daß auf der Inſel ſelbſt keine leben muͤſſen. Aller Wahrſcheinlichkeit nach, kommen alſo nur zuweilen einige derſelben von einer andern In - ſel heruͤber, um hier ihre Siegesfeſte zu fei - ern und ihre unmenſchlichen Mahlzeiten anzu - ſtellen; und vermuthlich landen dieſe immer auf dem ſuͤdlichen Ende der Inſel, und fah - ren wieder ab, ohne ſich weiter auf derſelben umzuſehen. Das iſt alſo abermahls ein groſſer Beweis von der Guͤte der goͤtlichen Vorſehung, daß ich grade an dieſen unfruchtbaren Theil der Inſel habe muͤſſen geworfen werden, wel -cher63cher der ſicherſte fuͤr mich war. Wie ſolt 'ich ihr denn nicht zutrauen duͤrfen, daß ſie auch ferner mich beſchuͤtzen und vor Gefahren behuͤten werde, da ihre weiſen und guten Fuͤh - rungen bis hieher ſo ſichtbar geweſen ſind!

Hier macht 'er ſich ſelbſt die bitterſten Vor - wuͤrfe, daß er bei ſeiner geſtrigen uͤbertriebenen Furcht ſo wenig Vertrauen auf Gott bewie - ſen habe; warf ſich reuevol auf ſeine Knie und bat um Verzeihung dieſer ſeiner abermah - ligen Verſchuldung. Dan trat er neugeſtaͤrkt den Weg zu ſeiner Wohnung an, um dasje - nige ins Werk zu richten, was er nunmehr beſchloſſen hatte.

Johannes. Was wolt 'er denn nun thun?

Vater. Er wolte nur noch einige Ver - anſtaltungen zu ſeiner groͤſſern Sicherheit tref - fen; und darin handelte er uͤberaus vernuͤnf - tig. Denn ohngeachtet wir der goͤtlichen Vor - ſehung zutrauen muͤſſen, daß ſie, wenn wir nach ihrem heiligen Willen zu leben uns be - ſtreben, uns in keiner Noth verlaſſen werde: ſo muͤſſen wir doch auch von unſerer Seitenichts64nichts verſaͤumen, was zu unſerer Sicherheit und zu unſerm Gluͤkke etwas beitragen kan. Denn dazu hat eben der liebe Gott uns un - ſern Verſtand und alle andere Kraͤfte unſerer Sele und unſers Leibes gegeben, daß wir zur Befoͤrderung unſerer Gluͤkſeeligkeit ſie an - wenden ſollen.

Das erſte, was er vornahm, war dieſes, daß er in einer kleinen Entfernung von der Baumwand, die ſeine Wohnung einſchloß, einen dichten Wald anlegte, welcher verhin - dern ſolte, daß ſeine Burg von fern nicht koͤn - te geſehen werden. In dieſer Abſicht pflanzte er nach und nach wohl 2000 Zweige von dem weidenartigen Baume ein, deſſen leichtes Fort - kommen und ſchnellen Wachsthum er nun ſchon erfahren hatte. Er pflanzte ſie aber nicht in Reihen, ſondern mit Fleiß unordentlich durch einander hin, damit das Ganze ein natuͤrli - ches, nicht durch Menſchenhaͤnde angelegtes Gebuͤſch zu ſein ſchien.

Naͤchſtdem beſchloß er, aus dem innerſten ſeiner Hoͤhle einen unterirdiſchen Gang bis andas65das andere Ende des Berges durchzufuͤhren, um, im Fal der Noth, wenn ſeine Feſtung von Fein - den erſtiegen waͤre, ſich durch dieſen Ausgang retten zu koͤnnen. Dies war aber wieder ein muͤhſeeliges und langwieriges Geſchaͤft und es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Schifbauerar - beit daruͤber vor's erſte eingeſtelt werden muſte.

Er verfuhr aber bei dieſem Ausgraben des unterirdiſchen Weges eben ſo, wie die Berg - leute bei Anlegung der Stollen verfahren.

Gotlieb. Was ſind das Stollen?

Johannes. Weißt du nicht mehr? Erſt graben ja die Bergleute ſo grade hinein in die Erde, als wenn ſie einen Brunnen machen wol - ten, das nennen ſie einen Schacht; und denn, wenn ſie ſchon ein bischen tief gegraben haben: ſo machen ſie erſt Quergaͤnge zu den Seiten, und die nennen ſie Stollen. Dan graben ſie wieder einen Schacht und dan wieder einen Stollen, bis ſie an Stellen kommen, wo das Erz liegt.

Vater. Gut erklaͤrt! Nun, ſeht ihr, wenn ſie nun ſo in die Quere, (man nent dasEHo -66Horizontal) graben: ſo wuͤrde ihnen die Erde von oben auf den Kopf fallen, wenn ſie dieſelbe nicht zu befeſtigen ſuchten. Alſo muͤſſen ſie, in - dem ſie weiter arbeiten wollen, dieſe Erde erſt durch Pfaͤle und Querhoͤlzer ſtuͤzen, damit ſie feſt liege; und eben ſo macht 'es nun auch Ro - binſon.

Alle Erde, die er heraus arbeitete, warf er an die Baumwand, und trat ſie feſt, ſo daß dadurch nach und nach eine Erdmauer entſtand, die wohl acht Fuß dik und wenigſtens zehn Fuß hoch war. An verſchiedenen Stellen hatt 'er kleine Loͤcher, wie Schießſcharten, offen gelaſ - ſen, um durchſehen zu koͤnnen. Zugleich hatt' er einige Treppen eingeſchnitten, um mit Be - quemlichkeit auf und abſteigen und ſeine Feſtung, wenn es einmahl noͤthig ſein ſolte, von der Mau - er herab vertheidigen zu koͤnnen.

Nun ſchien er vor einem ploͤzlichen Ueber - falle hinlaͤnglich geſichert zu ſein. Aber wie? wenn die Feinde ſich einfallen lieſſen, ihn foͤrm - lich zu belagern? Wie da?

Der67

Der Fal ſchien nicht unmoͤglich zu ſein; er hielt es alſo fuͤr noͤthig, ſich auch darauf gefaßt zu machen, um nicht durch Hunger und Durſt zur Uebergabe genoͤthiget zu werden. In die - ſer Abſicht beſchloß er, wenigſtens ein milchge - bendes Lama immer auf ſeinem Hofraume zu halten und zum Unterhalte deſſelben einen nur in der Noth anzugreifenden Heuſchober in Be - reitſchaft zu haben; ferner ſo viel Kaͤſe, als er nur immer erſparen koͤnte, aufzubewahren und endlich einen Vorrath von Fruͤchten und Auſtern von einem Tage zum andern ſo lange zu ſparen, als ſie ſich nur halten wuͤrden.

Auf die Ausfuͤhrung eines andern Einfals muſt 'er Verzicht thun, weil er voraus ſahe, daß ſie ihm gar zu viel Zeit koſten wuͤrde. Er wuͤnſchte nemlich, die Quelle, welche nicht weit von ſeiner Wohnung hervorſprudelte und einen kleinen Bach machte, durch ſeinen Hofraum lei - ten zu koͤnnen, um im Fal einer Belagerung auch mit Waſſer verſehen zu ſein. Aber da haͤtte er eine ziemlich große Anhoͤhe durchſtechen muͤſ - ſen, welches von einem einzigen Menſchen ohneE 2großen68großen Zeitverluſt nicht geſchehen konte. Er hielt es daher fuͤr beſſer, dieſes Projekt vor der Hand aufzugeben, und wieder zu ſeiner Schif - bauerarbeit zuruͤk zu kehren.

So verſtrichen ihm nun wieder einige Jah - re, in denen eben nichts vorfiel, welches erzaͤhlt zu werden verdiente. Ich eile daher zu einer der wichtigſten Begebenheiten, welche auf das Schikſal unſers guten Freundes einen groͤſſern Einfluß hatte, als alles, was bis hieher auf ſeiner Inſel ihm begegnet war.

Es war an einem ſchoͤnen warmen Morgen, als Robinſon, da er ſchon mit ſeinem Schif - bau beſchaftiget war, in einiger Entfernung von ſich unvermuthet einen ſtarken Rauch aufſteigen ſahe. Seine erſte Empfindung bei dieſem An - blik war Schrekken, die zweite Neugier; und beide trieben ihn an, ſo geſchwind er konte nach dem Berge hinter ſeiner Wohnung zu laufen, um von da zu ſehen, was doch die Urſache da - von ſein moͤgte. Kaum hatt 'er den Berg be - ſtiegen, als er zu ſeiner noch weit groͤſſern Be - ſtuͤrzung wenigſtens fuͤnf Kanoes, oder kleineKaͤhne,69Kaͤhne, am Strande, und bei einem großen Feuer wenigſtens 30 Wilde erblikte, die unter barbariſchen Gebehrden und Freudensbezeugun - gen einen Rundtanz hielten.

So ſehr nun auch Robinſon auf ein ſolches Schauſpiel vorbereitet war, ſo fehlte doch nicht viel, daß er nicht abermahls vor Angſt und Schrekken alle Beſonnenheit verlor. Doch rief er diesmahl ſeinen Muth und ſein Vertrau - en auf Gott geſchwinder zuruͤk; ſtieg eiligſt hin - ab, um ſich in den noͤthigen Vertheidigungs - ſtand zu ſezen; legte ſeine ganze Ruͤſtung an und faßte im Vertrauen auf Gott den maͤnlichen Entſchluß, ſein Leben, ſo lange er koͤnte, zu vertheidigen. Kaum hatt 'er dieſe Entſchlieſ - ſung genommen und durch ein kurzes Gebet ſich darin beſtaͤrkt, als es ihm ſo leicht ums Herz ward, daß er Muth genug fuͤhlte, die Strik - leiter wieder hinan zu klettern, um die Bewe - gungen der Feinde von dem Gipfel des Berges herab zu beobachten.

Aber wie ſchlug ihm das Herz von Unwillen und Entſezen, da er ziemlich deutlich zwei un -E 3gluͤk -70gluͤkliche Menſchen aus den Kaͤhnen hohlen und nach dem Feuerplaze hinſchleppen ſahe! Er zwei - felte nicht, daß ſie zur Schlachtbank gefuͤhrt werden ſolten, und in demſelben Augenblikke wurde dieſe ſeine Vermuthung auf die ſchrek - lichſte Weiſe beſtaͤtiget. Einige der Unmenſchen ſchlugen nemlich den einen Gefangenen zu Bo - den und ein Paar andere fielen uͤber ihn her, vermuthlich, um ihm den Leib aufzuſchneiden und ihn zu ihrem abſcheulichen Gaſtmahle zu zubereiten. Unterdeß ſtand der andere Gefan - gene als ein Zuſchauer bei dieſem unmenſchlichen Schauſpiele da, bis die Reihe an ihn kommen wuͤrde. Aber ploͤzlich, da dieſer arme Menſch merkte, daß alle mit ſeinem geſchlachteten Ka - meraden beſchaͤftiget waren und eben nicht ſehr auf ihn achteten, ergrif er, in der Hofnung ſein Leben zu retten, die Flucht, und lief mit unglaublicher Geſchwindigkeit grade nach der Ge - gend zu, wo Robinſons Wohnung war.

Freude, Hofnung, Furcht und Grauen er - griffen jezt zugleich das Herz unſers Helden und faͤrbten ſeine Wangen bald mit hoher Roͤthe,bald71bald mit Todtenblaͤſſe; Freude und Hofnung, weil er bemerkte, daß der Entronnene viel ſchnel - ler laufen konte, als die, welche ihn verfolgten; Furcht und Grauen hingegen, weil der Verfolgte und die Verfolger ihren Weg grade nach ſeiner Burg zu nahmen. Indeß war zwiſchen dieſen und jenen noch ein kleiner Meerbuſen, den der Ungluͤkliche durchſchwimmen muſte, wenn er ſich nicht gefangen geben wolte. Allein kaum war er dabei angekommen, als er ohne ſich einen Augenblik zu beſinnen, hineinplumpte und mit eben der Schnelligkeit, die er im Laufen bewie - ſen hatte, nach dem gegenſeitigen Ufer ſchwam.

Zwei ſeiner Verfolger, welche die Vorder - ſten waren, ſchwammen ihm nach, die uͤbrigen kehrten zu ihrem verruchten Gaſtmahle zuruͤk. Mit innigem Vergnuͤgen bemerkte Robinſon, daß dieſe beiden auch im Schwimmen dem Er - ſten bei weiten nicht gleich kamen. Dieſer flohe ſchon gegen ſeine Wohnung zu, indeß die An - dern noch nicht zur Haͤlfte durchgeſchwommen waren.

E 4In72

In dieſem Augenblikke fuͤhlte unſer Ro - binſon ſich von einem Muthe beſeelt, der ſo groß und feurig noch nie in ihm erwacht war. Seine Blikke ſpruͤheten Feuer; ſein Herz dreng - te ihn, dem Ungluͤklichen beizuſpringen; er er - grif ſeine Lanze und ohne ſich einen Augenblik laͤnger zu bedenken, rant 'er den Berg hinab und war in einem Hui! zwiſchen dem Verfolg - ten und ſeinen Verfolgern. Halt! rief er dem Erſten mit lauter donnernder Stimme zu, in - dem er aus dem Gebuͤſch hervorſprang; halt! Der arme Fluͤchtling ſahe ſich um, und erſchrak beim Anblik des uͤber und uͤber in Felle gehuͤlten Robinſons, den er vermuthlich fuͤr ein uͤber - menſchliches Weſen hielt, dergeſtalt, daß er nicht wußte, ob er ſich vor ihm niederwerfen oder entfliehen ſolte.

Robinſon winkte ihm mit der Hand, gab ihm zu erkennen, daß er zu ſeiner Beſchuͤzung da ſei, und ruͤkte dabei almaͤhlig gegen ſeine bei - den Verfolger an. Jezt war er ſo weit gekom - men, daß er den erſten mit ſeinem Spieß er - reichen konte. Er ermante ſich, und verſezteihm73ihm einen ſo nachdruͤklichen Stoß in den nakten Leib, daß er zu Boden ſtuͤrzte. Der Andere, welcher noch ohngefaͤhr hundert Schritte entfer - net war, ſtuzte; holte darauf einen Pfeil her - vor und ſchoß auf Robinſon, indem dieſer eben auf ihn los gehen wolte. Der Pfeil traf grade die Stelle des Herzens, aber gluͤkli - cher Weiſe nur ſo ſchwach, daß er von der har - ten Pelzjakke, wie von einem Panzer zuruͤk - pralte, ohne ihm auch nur im geringſten zu ver - lezen.

Unſer muthige Streiter ließ dem Feinde nicht Zeit, einen zweiten Schuß zu thun; er rante auf ihn zu, und ſtrekte ihn in den Sand, indem er eben wieder den Bogen ſpante. Und jezt ſah er ſich nach dem Geretteten um.

Der arme Fluͤchtling ſtand zwiſchen Furcht und Hofnung noch auf derſelben Stelle, auf der ihm Robinſon zugerufen hatte, ungewiß ob das, was vorging, zu ſeiner Errettung ge - ſchaͤhe, oder ob die Reihe jezt an ihn kommen werde. Der Sieger rief ihm abermahls zu und winkte ihm, herbei zu kommen. Er gehorchte;E 5ſtand74ſtand aber bald wieder ſtille, trat abermahls etwas naͤher und ſtand von neuem ſtille und zwar mit ſichtbarer Angſt und in der Stellung eines Betenden. Robinſon gab ihm alle er - ſinliche Zeichen von Freundſchaftsbezeugung und winkte ihm abermahls herzu zu treten. Er thats; doch kniete er alle zehn oder zwoͤlf Schritte mit den demuͤthigſten Gebehrden nieder, als wenn er ihm danken, und zugleich ihm huldigen wolte.

Robinſon nahm hierauf ſeine Maſke ab um ihm ein menſchliches und freundliches Ge - ſicht zu zeigen; worauf er ohne Bedenken naͤher trat, vor ihm niederkniete, den Boden kuͤßte, ſich plat niederlegte und Robinſons Fuß auf ſeinen Nakken ſezte, vermuthlich zur Verſiche - rung, daß er ſein Sklav ſein wolle. Unſer Held, dem es mehr um einen Freund, als um einen Sklaven zu thun war, hob ihn liebreich auf, und ſuchte ihn auf jede nur moͤgliche Weiſe zu uͤberzeugen, daß er nichts als Gutes und Liebes von ihm zu erwarten habe. Allein da war noch mehr zu thun.

Einer75

Einer der Erſchlagenen, der den Stich nur in den[Unterleib] bekommen hatte und ver - muthlich nicht toͤdtlich verwundet war, fing an ſich wieder zu erhohlen, und etwas ausgeriſſe - nes Gras in die Wunde zu ſtopfen um das Blut zu ſtillen. Robinſon machte ſeinen Wilden aufmerkſam darauf und dieſer antwortete ihm einige Worte in ſeiner Landesſprache, die jener zwar nicht verſtand, aber welche doch wie Mu - ſik in ſeinen Ohren toͤnten, weil es die erſte menſchliche Stimme war, die er nach ſo vielen Jahren wieder hoͤrte. Hierauf zeigte der In - dianer auf ſein ſteinernes Beil, dan auf ſich, und gab zu verſtehen, daß er ſeinem Feinde vol - lends den Reſt damit zu geben wuͤnſchte. Unſer Held, der ungern Menſchenblut vergoß und gleichwohl die Nothwendigkeit, den Verwun - deten voͤllig umzubringen, erkante, gab ſeinem Schuzgenoſſen das Beil, und wandte ſeine Au - gen weg. Dieſer lief drauf hin; und ſpaltete dem Verwundeten auf einen Streich den Sche - del bis in die Schulter herab. Dan kam er la - chend wieder zuruͤk und legte mit vielen ſonder -baren76baren Gebehrden das Beil und die Hirnſchale des Erſchlagenen zum Zeichen des Sieges zu Robin - ſons Fuͤßen nieder.

Dieſer gab ihm durch Zeichen zu verſtehen, daß er die Bogen und Pfeile der Getoͤdteten nehmen und ihm folgen ſolte. Der Wilde hin - gegen bedeutete ihm, daß er erſt die todten Koͤr - per im Sande verſcharren wolte, damit ihre Kameraden, wenn ſie etwa nachfolgen ſolten, ſie nicht finden moͤgten. Robinſon bezeugte ihm Beifal uͤber dieſe ſeine Vorſichtigkeit, und da war er mit ſeinen Haͤnden ſo hurtig daruͤber aus, daß er in weniger, als einer Viertelſtun - de ſchon beide Leichname verſchart hatte. Dan wanderten Beide nach Robinſons Wohnung und erſtiegen den Berg.

Lotte. Aber, Vater, nun war ja Ro - binſon ein Moͤrder geworden.

Frizchen. J, das waren ja nur Wilde, die er umgebracht hatte; das thut nichts!

Lotte. Ja, es waren aber doch Men - ſchen!

Va -77

Vater. Allerdings waren ſie das, Friz - chen, und wild oder geſittet thut hier nichts zur Sache. Die Frage iſt nur, ob er ein Recht dazu hatte, dieſe Ungluͤklichen umzubringen? Was meinſt du, Johannes?

Johannes. Ich glaube, daß er recht daran that.

Vater. Und warum?

Johannes. Weil ſie ſolche Unmenſchen waren, und weil ſie ſonſt den andern armen Wilden wuͤrden todt gemacht haben, der ihnen doch wohl nichts mogte zu Leide gethan haben.

Vater. Aber wie konte Robinſon das wiſſen? Vielleicht hatte dieſer den Tod ver - dient? Vielleicht waren diejenigen, die ihn ver - folgten, Diener der Gerechtigkeit, die von ih - rem Oberhaupte dazu befehliget waren. Und dan, wer hatte Robinſon zum Richter uͤber ſie beſtelt?

Nikolas Ja, aber wenn er ſie nicht ge - toͤdtet haͤtte, ſo wuͤrden ſie ſeine Burg geſehen haben, und dan haͤtten ſie es den Andern wie - der erzaͤhlt

Got -78

Gotlieb. Und denn waͤren ſie alle gekom - men und haͤtten den armen Robinſon ſelbſt umgebracht.

Frizchen. Und aufgefreſſen dazu!

Vater. Jezt ſeid ihr auf dem rechten Flekke; zu ſeiner eigenen Sicherheit muſt 'er's thun, ganz recht! Aber iſt man denn wohl be - rechtiget, um ſein eigenes Leben zu retten, ei - nen Andern umzubringen?

Alle. O ja!

Vater. Warum?

Johannes. Weil Gott wil, daß wir unſer Leben erhalten ſollen, ſo lange wir nur koͤnnen. Wenn alſo einer uns umbringen wil, ſo muß es ja wohl recht ſein, ihn erſt umzu - bringen, damit er's wohl muͤſſe bleiben laſſen.

Vater. Allerdings, lieben Kinder, iſt eine ſolche Nothwehr nach menſchlichen und goͤt - lichen Geſezen recht, aber wohl gemerkt! nur in dem einzigen Fal, wenn ganz und gar kein anderes Mittel zu unſerer ei - genen Rettung uͤbrig iſt. Haben wir hin - gegen Gelegenheit, entweder zu entfliehen, odervon79von Andern beſchuͤzt zu werden, oder unſern Ver - folger auſſer Stand zu ſezen, uns zu ſchaden: ſo iſt ein Angrif auf ſein Leben ein wirklicher Mord, und wird auch von der Obrigkeit, als ein ſolcher, beſtraft.

Vergeßt nicht, lieben Kinder, Gott zu danken, daß wir in einem Lande leben, in wel - chem die Obrigkeit ſo gute Veranſtaltungen zu unſerer Sicherheit getroffen hat, daß unter hun - dert tauſend Menſchen hoͤchſt ſelten ein Ein - ziger in die traurige Nothwendigkeit gera - then kan, von dem Rechte der Nothwehr Gebrauch machen zu muͤſſen.

Genug fuͤr heute!

Sech -80

Sechzehnter Abend.

Nachdem die Geſelſchaft am folgenden Abend ſich wieder verſamlet hatte, und das Gewoͤhn - liche ah! von Robinſon! von Robin - ſon! von Mund zu Mund geflogen war, fuhr der Vater in ſeiner merkwuͤrdigen Erzaͤh - lung folgendermaßen fort:

Das Schikſal unſers Robinſons, lieben Kinder, das uns allen ſo ſehr am Herzen liegt, iſt noch nicht entſchieden. Er erſtieg, wie wir gehoͤrt haben, mit ſeinem geretteten Wilden den Berg hinter ſeiner Wohnung; und da haben wir ihn geſtern verlaſſen, ungewiß, was aus beiden weiter werden wuͤrde? Seine Lage war noch immer ſehr gefaͤhrlich: denn was konte man wahrſcheinlicher vermuthen, als daß die Wil - den, ſo bald ſie ihre unmenſchliche Mahlzeit wuͤrden vollendet haben, ihren ausgebliebenenbeiden81beiden Kameraden nachgehen und den entronne - nen Gefangenen aufſuchen wuͤrden? Und thaten ſie das, wie ſehr ſtand dan nicht zu beſorgen, daß ſie Robinſons Wohnung entdekken, ſie mit Gewalt erſtuͤrmen und ihn mit ſeinem Schuzgenoſſen zugleich abſchlachten wuͤrden?

Robinſon ſchauderte bei dieſem Gedanken, indem er auf dem Gipfel des Berges hinter ei - nem Baume ſtand, und den abſcheulichen Freu - densbezeugungen und Taͤnzen der wilden Un - menſchen von ferne zuſahe. Er uͤberlegte in der Geſchwindigkeit, was wohl am beſten ſei, zu fliehen? oder ſich in ſeine Burg zu begeben? Ein Gedanke an Gott, den Beſchuͤzer der Un - ſchuld, gab ihm Kraft und Muth das Leztere zu erwaͤhlen. Er kroch alſo, um nicht geſehen zu werden, hinter niedrigem Geſtraͤuche bis zu ſeiner Strikleiter fort und befahl ſeinem Gefaͤhr - ten durch Zeichen ein Gleiches zu thun. Und ſo ſtiegen beide hinab.

Hier machte der Wilde große Augen, da er die bequeme und ordentliche Einrichtung der Wohnung ſeines Erretters ſahe, weil er ſo wasFſchoͤ -82ſchoͤnes in ſeinem ganzen Leben noch nicht geſe - hen hatte. Es war ihm ohngefaͤhr eben ſo da - bei zu Muthe, als wenn ein Landman, der nie aus ſeinem Dorfe gekommen iſt, zum erſten - mahle in einen Pallaſt gefuͤhrt wird.

Robinſon gab ihm durch Zeichen zu ver - ſtehen, was er von ſeinen grauſamen Landsleu - ten fuͤr ſich und ihn beſorgte, und bedeutete ihm, daß er entſchloſſen ſei, ſein Leben bis auf den lezten Blutstropfen gegen ſie zu vertheidigen. Der Wilde verſtand ihn, machte ein grimmiges Geſicht, ſchwenkte das Beil, welches er noch in Haͤnden hatte, einige mahl uͤber dem Kopfe, und wandte ſich darauf mit fuͤrchterlichen Ge - behrden drohend nach der Seite hin, wo ſeine Feinde waren, als wenn er ſie zum Kampf heraus foderte, um durch dies alles ſeinem Schuzhern zu erkennen zu geben, daß es ihm gleichfals nicht an Muthe fehle, ſich tapfer ge - gen ſie zu wehren. Robinſon lobte ſeine Herzhaftigkeit, gab ihm einen Bogen nebſt ei - nem ſeiner Spieſſe (denn er hatte deren nach und nach mehrere verfertiget) in die Hand undſtelte83ſtelte ihn, als Schildwache, an ein kleines Loch, welches er mit Fleiß in der Baumwand gelaſſen hatte, und wodurch man den kleinen Zwiſchen - raum uͤberſehen konte, der das von ihm gepflanz - te Gebuͤſch von der Baumwand trente. Er ſelbſt ſtelte ſich in ſeiner ganzen Ruͤſtung an die andere Seite der Wand, wo er gleichfals ein ſolches Wachtloch offen gelaſſen hatte.

In dieſer Stellung hatten ſie ohngefaͤhr ei - ne Stunde zugebracht, als ſie ploͤzlich durch ein wildes, aber noch ziemlich fernes Geſchrei vieler Stimmen erſchrekt wurden. Beide machten ſich fertig zum Streit, und winkten einer dem andern zu, um ſich gegenſeitig aufzumuntern. Es wurde wieder ſtil; dan ertoͤnte abermahls ein aͤhnliches Geſchrei und zwar ſchon etwas naͤher, worauf von neuem eine fuͤrchterliche Stille folg - te. Jezt

Lotte. O Vater, ich laufe weg, wenn ſie kommen!

Frizchen. Fi! wer wolte wohl ſo eine feige Memme ſein!

F 2Got -84

Gotlieb. Laß du nur, Lotte! Robin - ſon wird ſich ſchon wehren; davor iſt mir gar nicht bange.

Lotte. Na, ihr ſolt ſehen, ſie werden ihn gewiß todt machen.

Johannes. O ſtille!

Vater. Jezt ließ ſich ziemlich nahe eine einzige rauhe Stimme hoͤren, die in das Ge - buͤſch fuͤrchterlich herein ſchrie und von dem Echo des Berges wiederhohlt wurde. Schon ſtanden un - ſere muthigen Kaͤmpfer bereit; ſchon hatte jeder ſei - nen Bogen geſpant, um dem Erſten der ſich wuͤrde blikken laſſen, einen Pfeil in den Leib zu ſchieſſen. Ihre Augen funkelten von muthiger Erwartung und waren unverwandt auf diejenige Gegend des Gebuͤſches gerichtet, aus welcher die Stimme erſchollen war.

Hier hielt der Vater ploͤzlich ein, und alle beobachteten ein erwartungsvolles Stilſchweigen. Aber es erfolgte nichts. Endlich fragten ihn alle wie mit einem Munde: warum er denn nicht fortfuͤhre? Und der Vater antwortete:

Um85

Um euch abermahls eine Gelegenheit zu geben, eure Begierden baͤndigen zu ler - nen! Vermuthlich ſeid ihr jezt alle ſehr neu - gierig, den Ausgang des fuͤrchterlichen Kampfes zu wiſſen, der unſerm Robinſon bevorzuſte - hen ſcheint; auch bin ich, wenn ihr es ſo wolt, ſogleich bereit, ihn euch zu erzaͤhlen. Aber wie? wenn ihr freiwillig Verzicht darauf thaͤtet? Wenn ihr eure Neugierde bekaͤmpftet und die Befriedigung derſelben bis auf Morgen verſchoͤ - bet? Ihr ſolt indeß euren freien Willen haben; ſprecht: wolt ihr? oder nicht?

Wir wollen! Wir wollen! war die al - gemeine Antwort, und ſo wurde die Fortſe - zung der Erzaͤhlung bis auf den folgenden Abend ausgeſezt. *Unſere jungen Leſer muͤſſen aber wiſſen, daß alle dieſe Kinder ſeit einiger Zeit, ſo manche Uebung in der Selbſtuͤberwindung gehabt hat - ten, daß es ihnen gar nicht mehr ſauer wurde, auch auf ihre liebſten Vergnuͤgungen, wenn es ſein muſte, mit lachendem Munde Verzicht zu thun; und ſie werden wohl thun, wenn ſie dieſe Kinder, die ſich ſehr gut dabei befinden, darin nachzuahmen ſuchen.

F 3Jeder86

Jeder ſezte unterdeß, bis zum Eſſen getrom - melt wurde, ſeine gewoͤhnliche Handarbeit unter lehrreichen Geſpraͤchen fort. Einige machten Koͤrbe, andere Schnuͤre und wiederum andere entwarfen Riſſe zu einer kleinen Feſtung, die man naͤchſten Tages auf dem großen Hofraume anlegen wolte; und erſt am folgenden Abend fuhr der Vater in der abgebrochenen Erzaͤhlung alſo fort:

Robinſon und ſein muthiger Bundsge - noſſe blieben in derjenigen kriegeriſchen Stellung, worin wir ſie geſtern verlaſſen haben, bis gegen Abend ſtehen, ohne fernerhin das Geringſte zu ſehen oder zu hoͤren. Endlich ward es beiden ſehr wahrſcheinlich, daß die Wilden von ihrer vergeblichen Nachſuchung wohl muͤſten nachgelaſ - ſen, und in ihren Kaͤhnen ſich wieder nach ihrer Heimath begeben haben. Sie legten alſo ihre Waffen nieder, und Robinſon hohlte etwas von ſeinem Vorrathe zum Abendeſſen herbei.

Weil dieſer merkwuͤrdige Tag, der in der Geſchichte unſers Freundes ſich ſo vorzuͤglich aus - zeichnet, grade ein Freitag war; ſo beſchloßer87er ſeinem geretteten Wilden den Nahmen deſ - ſelben zu geben und nant 'ihn alſo Freitag.

Robinſon hatte jezt erſt Zeit, ihn etwas genauer zu betrachten. Es war ein wohlgewach - ſener junger Menſch, ohngefaͤhr zwanzig Jahr alt. Seine Haut war ſchwarzbraun und glaͤn - zend; ſein Haar ſchwarz, aber nicht wolligt, wie das Haar der Mohren, ſondern lang, ſei - ne Naſe kurz, aber nicht flach; ſeine Lippen wa - ren klein und ſeine Zaͤhne weiß, wie Elfenbein. In beiden Ohren trug er allerhand Muſchel - werk und Federn, worauf er ſich nicht wenig einzubilden ſchien. Uebrigens gieng er nakt vom Kopf bis zu den Fuͤßen.

Eine von den vorzuͤglichſten Tugenden un - ſers Robinſons war die Schamhaftigkeit. So groß daher auch ſein Hunger war, ſo nahm er ſich doch erſt Zeit, fuͤr ſeinen nakten Hausge - noſſen aus einem alten Felle eine Schuͤrze zu ſchneiden und ſie durch Bindfaden zu befeſtigen. Dan gab er ihm zu verſtehen, daß er ſich neben ihm ſezen ſolte, um das Abendbrod mit ihm zu eſſen. Freitag (denn ſo wollen wir ihn nunF 4kuͤnf -88kuͤnftig auch nennen) naͤherte ſich ihm mit allen erſinlichen Zeichen der Ehrerbietung und der Dankbarkeit, kniete alsdan vor ihm nieder, legte ſeinen Kopf abermahls plat auf die Erde, und ſezte eben ſo, wie er es das erſtemahl gemacht hatte, ſeines Befreiers Fuß auf ſeinen Nakken.

Robinſons Herz, welches die Freude uͤber einen ſo lange gewuͤnſchten Geſelſchafter und Freund kaum faſſen konte, haͤtte ſich lieber durch Liebkoſungen und zaͤrtliche Umarmungen ergoſ - ſen: aber der Gedanke, daß es zu ſeiner eigenen Sicherheit gut ſei, den neuen Gaſtfreund, deſ - ſen Gemuͤthsart er noch nicht kante, eine Zeit - lang in den Schranken einer ehrerbietigen Unter - werfung zu erhalten, bewog ihn, die Huldigung deſſelben, als etwas, welches ihm gebuͤhre, an - zunehmen, und eine Zeitlang den Koͤnig mit ihm zu ſpielen. Er gab ihm alſo durch Zeichen und Gebehrden zu verſtehen, daß er ihn zwar in ſeinen Schuz genommen habe, aber nur un - ter der Bedingung eines ſtrengen Gehorſams: daß er ſich alſo muͤſſe gefallen laſſen, alles das zu thun oder zu laſſen, was er, ſein Herr undKoͤ -89Koͤnig ihm zu befehlen oder zu verbieten fuͤr gut erachten wuͤrde. Er bediente ſich dabei des Worts Ratſchike, womit die wilden Amerikaner ihre Oberhaͤupter zu benennen pflegen, wie er ſich gluͤklicher Weiſe erinnerte, einmahl gehoͤrt zu haben.

Mehr durch dieſes Wort, als durch die da - mit verbundenen Zeichen, verſtand Freitag die Meinung ſeines Herrn und aͤuſſerte ſeine Zufrie - denheit daruͤber, indem er das Wort Katſchike einige mahl mit lauter Stimme widerholte, da - bei auf Robinſon wies und ſich von neuem ihm zu Fuͤßen warf. Ja, um zu zeigen, daß er recht gut wiſſe, was es mit der koͤniglichen Gewalt zu bedeuten habe, ergrif er den Spieß, gab ihn ſeinem Herrn in die Hand, und ſezte die Spize deſſelben ſich ſelbſt auf die Bruſt, ver - muthlich um dadurch anzuzeigen, daß er mit Leib und Leben in ſeiner Macht ſtehe. Robinſon reichte ihm hierauf mit der Wuͤrde eines Mo - narchen freundlich die Hand zum Zeichen ſeiner koͤniglichen Huld, und befahl ihm abermahls, ſich zu lagern, um die Abendmahlzeit mit ihmF 5ein -90einzunehmen. Freitag gehorchte; doch ſo, daß er ſich zu ſeinen Fuͤßen auf den flachen Bo - den niederſezte, indeß Robinſon auf einer Grasbank ſaß.

Seht, Kinder, auf dieſe oder auf eine aͤhn - liche Weiſe ſind die erſten Koͤnige in der Welt entſtanden. Es waren Maͤnner, die an Weis - heit, an Muth und an Leibesſtaͤrke andern Men - ſchen uͤberlegen waren. Daher kamen dieſe zu ihnen, um ſie zu bitten, ſie gegen wilde Thiere, deren es anfangs mehr gab, als jezt, und gegen ſolche Menſchen zu beſchuͤzen, die ihnen Unrecht thun wolten. Dafuͤr verſprachen ſie dan, ihnen in allen Stuͤkken gehorſam zu ſein, und ihnen von ihren Heerden und von ihren Fruͤch - ten jaͤhrlich etwas abzugeben, damit ſie ſelbſt nicht noͤthig haͤtten, ſich ihren Unterhalt zu er - werben, ſondern ſich ganz allein mit der Sorge fuͤr ihre Unterthanen beſchaͤftigen koͤnten. Die - ſe jaͤhrliche Gabe, welche die Unterthanen dem Koͤnig zu bringen, verſprachen, nante man dan den Tribut, oder die jaͤhrlichen Abgaben. So entſtand die koͤnigliche Gewalt; ſo die Pflichtdes91des Gehorſams und der Unterwuͤrfigkeit gegen ei - nen oder mehrere Menſchen, in deren Schuz man ſich begeben hat.

Robinſon war alſo nunmehr ein wirklicher Koͤnig, nur daß ſeine Herſchaft ſich nicht wei - ter, als uͤber einen einzigen Unterthan und eini - ge Lamas erſtrekte; den Papagai mit einbegrif - fen. Seine Majeſtaͤt geruhete indeß ſich zu ihrem Vaſallen ſo ſehr herabzulaſſen, als es ihre Wuͤrde nur immer geſtatten wolte.

Frizchen. Was iſt das, ein Vaſal?

Vater. Eben ſo viel, als Unterthan, lie - ber Friz.

Nach aufgehobner Tafel geruhete ſeine Ma - jeſtaͤt in hohen Gnaden zu verordnen, wie es mit dem Nachtlager gehalten werden ſolte. Sie fand fuͤr gut, ihren Unterthan der nun zu - gleich auch ihr erſter Staatsminiſter, und ihr Kammerdiener, ihr General und ihre Armee, ihr Kammerherr, Oberhofmar - ſchal, und Kaſtelan war, vor der Hand noch nicht in ihrer eigenen Hoͤhle, ſondern in ihrem Keller ſchlafen zu laſſen, weil ſie es fuͤr bedenk -lich92lich hielt, ihr Leben und das Geheimniß des ver - borgenen Ausganges aus der Hoͤhle einem Neu - ling anzuvertrauen, deſſen Treue noch nicht ge - pruͤft und alſo auch noch nicht bewaͤhrt gefunden war. Freitag erhielt alſo die Anweiſung, et - was Heu in den Keller zu tragen, um ſich ein Lager daraus zu bereiten, indeß ſeine Majeſtaͤt ſelbſt, um mehrerer Sicherheit willen, alle Waffen in ihr eigenes Schlafgemach trug.

Dan geruhete ſie im Angeſicht ihres ganzen Reichs ein Beiſpiel von Herablaſſung und De - muth zu geben, welches vielleicht das Einzige in ſeiner Art iſt. Ihr werdet daruͤber erſtau - nen, und ihr wuͤrdet es fuͤr unglaublich halten, wenn ich euch nicht verſicherte, daß es in den Jahr - buͤchern der Regierung unſers Robinſons mit klaren Worten geleſen werde und durch dieſelben ſchon laͤngſt weltkuͤndig geworden ſei. Koͤnt ihr es glauben: Robinſon, der Monarch, Robin - ſon, der unumſchraͤnkte Koͤnig und Beherſcher der ganzen Inſel, Robinſon, der Herr uͤber das Leben und den Tod aller ſeiner Unterthanen, verrichtete vor Freitags Augen das Amt einerStal -93Stalmagd, und molk mit eigener hoher Hand, die im Hofraum befindliche La - ma's, um ſeinem Premierminiſter, dem er dies Geſchaͤft kuͤnftig zu uͤbertragen beſchloſſen hatte, zu zeigen, wie er es machen muͤſſe!

Hier hielt der Vater ein, um dem algemei - nen Gelaͤchter Raum zu geben, welches dieſer poſſierliche Umſtand erregt hatte. Dan fuhr er folgendermaßen fort:

Freitag wuſte noch nicht, was das, was er ſeinen Herrn verrichten ſahe, zu[be]deuten habe; denn ſein und ſeiner Landsleute ſchwacher Ver - ſtand war noch nicht darauf verfal[l]en, daß die Milch der Thiere wohl eine nahrhafte und ge - ſunde Speiſe ſei. Noch nie hatt 'er Milch ge - koſtet und war daher ganz entzuͤkt uͤber den an - genehmen Geſchmak derſelben, da ihm Robin - ſon davon zu koſten gab.

Nach alle dem, was beide an dieſem Tage ausgeſtanden hatten, ſehnten ſie ſich nun nach Schlaf und Ruhe. Robinſon gebot daher ſei - nen Vaſallen zu Bette zu gehen; er ſelbſt that ein Gleiches. Doch vergaß er nicht, ehe er ſichſchla -94ſchlafen legte, Gott fuͤr die Abwendung der Ge - fahren des Tages, und fuͤr die Zufuͤhrung ei - nes menſchlichen Gehuͤl[f]en inbruͤnſtig zu dan - ken.

Siebzehnter Abend.

Johannes.

Nun ſol mich doch verlangen zu hoͤren, was Robinſon mit ſeinem Freitag alles vorneh - men wird!

Diderich. O nun wird er ſchon viel mehr machen koͤnnen, als vorher, weil er jezt einen Gehuͤlfen hat!

Vater. Ihr werdet immer mehr ſehen, Kinder, was fuͤr große Vortheile dem Men - ſchen durch die Geſelligkeit zuflieſſen, und wie viel Urſache wir alſo haben, Gott zu dan - ken, daß er den Trieb nach Umgang und Freund -ſchaft95ſchaft mit andern Menſchen uns ſo tief einge - pflanzt hat!

Das erſte, was Robinſon mit ſeinem Freitag am andern Morgen vornahm, war ein Gang nach der Stelle, wo die Wilden den Tag vorher ihre unmenſchliche Siegesmahlzeit gehal - ten hatten. Im Hingehen kamen ſie zu naͤchſt an den Ort, wo die beiden von Robinſon er - ſchlagenen Wilden verſchart lagen. Freitag zeigte ſeinem Herrn die Stelle, und ließ ſich nicht undeutlich merken, daß er wohl Luſt haͤt - te, die todten Leiber wieder aufzugraben, um eine Mahlzeit davon zu halten. Aber Robin - ſon machte ein erſchrekliches, Unwillen und Ab - ſcheu ausdruͤkkendes Geſicht, hob ſeine Lanze drohend empor, und gab ihm zu verſtehen, daß er ihn auf der Stelle toͤdten wuͤrde, ſobald er ſich jemahls wieder einfallen lieſſe, Menſchen - fleiſch zu eſſen. Freitag verſtand die Drohun[g], und unterwarf ſich demuͤthig dem Willen ſei - nes Herrn, ohngeachtet er nicht begreifen kon - te, was er doch fuͤr Urſachen haben moͤgte, ihm ein Vergnuͤgen zu verſagen, von deſſenAb -96Abſcheulichkeit er ganz und gar keinen Begrif hatte.

Jezt waren ſie bei der Feuerſtelle angekom - men. Welch ein Anblik! Hier lagen Knochen, dort halb zernagte Fleiſchſtuͤkken von Menſchen und an verſchiedenen Stellen war der Boden mit Blut gefaͤrbt. Robinſon muſte ſeine Au - gen davon abkehren. Er befahl Freitag, al - les auf einen Haufen zu werfen, dan ein Loch in die Erde zu graben, und die traurigen Ueber - bleibſel der Unmenſchlichkeit ſeiner Landsleute darin zu verſcharren; und Freitag gehorchte.

Robinſon ſuchte unterdeß mit groſſer Sorg - falt die Aſche durch, ob nicht vielleicht ein Fuͤnk - chen Feuer moͤgte uͤbrig geblieben ſein? Aber umſonſt! Es war gaͤnzlich erloſchen. Das war nun ſehr traurig fuͤr ihn; denn nach dem der Himmel ihm einen Geſelſchafter verliehen hatte, blieb ihm vor der Hand faſt nichts zu wuͤnſchen uͤbrig, als Feuer. Indem er nun mit ge - ſenktem Kopfe da ſtand und mit traurigen Blik - ken die todte Aſche betrachtete: machte Freitag, der ihm eine Zeitlang aufmerkſam zugeſehenhatte,97hatte, einige ihm unverſtaͤndliche Zeichen, er - grif darauf ploͤzlich das Beil, rante wie der Wind nach dem Walde und ließ Robinſon, der ſeine Abſicht nicht begrif, vol Verwunde - rung uͤber dieſes ploͤzliche Weglaufen zuruͤk.

Was iſt das? dacht 'er, indem er vol Erſtaunen ihm nachſahe. Solte der Undank - bare dich verlaſſen, dich ſogar deines Beils be - rauben wollen? Solt' er grauſam genug ſein, ſich deiner Wohnung zu bemaͤchtigen, dich mit Gewalt davon ausſchlieſſen, oder gar dich ſeinen unmenſchlichen Landsleuten verrathen zu wol - len? Schaͤndlich! Schaͤndlich! rief er aus, und ergrif von Unwillen, uͤber eine ſo un - erhoͤrte Undankbarkeit entbrandt, den Spieß, um dem Verraͤther nachzulaufen und ihn zu hindern, ſeine ſchwarzen Anſchlaͤge auszufuͤh - ren.

Schon hatt 'er mit ſchnellen Schritten ſich auf den Weg gemacht, als er ploͤzlich Freitag in vollem Laufe wieder zuruͤkkommen ſahe. Robinſon blieb betroffen ſtehen, und ſahe mit Verwunderung, daß ſein vermeinter VerraͤtherGim98im Herzulaufen eine handvol duͤrres Gras in die Hoͤhe hielt, aus welchem Rauch empor ſtieg. Jezt faßt 'es Flamme; Freitag warf es zur Erde, legte augenbliklich noch mehr troknes Gras und etwas Reisholz hinzu und Robinſon ſahe zu ſeinem freudigem Erſtaunen in demſelben Au - genblikke ein helles, luftiges Feuer auflodern. Auf einmahl war ihm Freitags ploͤzliches Weg - laufen begreiflich; und vor Freude auſſer ſich fiel er ihm um den Hals, druͤkte und kuͤßte ihn mit Inbrunſt, und bat in Gedanken ihn tau - ſendmahl um Verzeihung, daß er einen ſo un - gegruͤndeten Verdacht auf ihn geworfen hatte.

Nikolas. Aber wo mogte denn Freitag das Feuer her gekriegt haben?

Vater. Er war mit dem Beile in den Wald gerant, um von einem troknen Stamme zwei Holzſtuͤkke abzuhauen. Dieſe hatt 'er ſo geſchwind und ſo geſchikt zu reiben gewuſt, daß ſie ſich entzuͤndeten. Dan hatte er hurtig das glimmende Holz in etwas Heu gewikkelt, und war mit dieſem Heu in der Hand ſo ſchnel, als moͤglich, davon gerant. Durch die geſchwindeBe -99Bewegung gerieth das entzuͤndete Heu in Flam - men.

Fr. R. Da hat mir unſer Freund Robin - ſon einmahl wieder gar nicht gefallen!

Johannes. Warum nicht?

Fr. R. Darum nicht, daß er, ohne hin - laͤngliche Anzeigen von Freitags Untreue zu haben, ſo gleich einen ſo ſchwarzen Argwohn gegen ihn faßte. Fi! wer wolte wohl ſo mis - trauiſch ſein!

Johannes. Ja, es haͤtte aber doch wohl ſein koͤnnen, daß es wahr geweſen waͤre, was er beſorgte; und da muſt 'er ſich doch vor ihn in Acht nehmen!

Fr. R. Verſteh 'mich recht, lieber Johan - nes! daß der Gedanke an Freitags moͤgliche Untreue ihm einfiel, verdenk' ich ihm nicht; auch das nicht, daß er ihm nachlief, um ihn zu hindern, fals er etwas wider ihn im Schilde fuͤhren ſolte: denn dieſe Vorſichtigkeit gegen ei - nen noch unbekanten Menſchen war allerdings noͤthig und gut. Aber das verdenk ich ihm, daß er dieſen Argwohn nun gleich fuͤr gegruͤndetG 2hielt,100hielt, daß er in Leidenſchaft gerieth und, von Un - willen entbrandt, ſich gar nicht einfallen ließ, daß Freitag doch wohl unſchuldig ſein koͤnte. Nein! ſo weit muß unſer Mistrauen gegen an - dere Menſchen niemahls gehen, wenn wir nicht die gewiſſeſten Beweiſe ihrer Untreue in Haͤnden haben. In zweifelhaften Faͤllen muß man von Andern immer das Beſte, nie das Schlimſte, vermuthen.

Vater. Eine gute Regel! Merkt ſie euch, Kinder, und richtet euch darnach.

Nun, unſer Robinſon war, wie geſagt, vor Freuden auſſer ſich, da er ſeinen Argwohn zernichtet und ſich nun auf einmahl wieder im Beſiz des ſo lange entbehrten und ſo ſehnlich ge - wuͤnſchten Feuers ſahe. Lange weidete er ſeine Augen an den auflodernden Flammen und konte ſich nicht ſat daran ſehen. Endlich nahm er ei - nen gluͤhenden Feuerbrand und lief damit, von Freitag begleitet, nach ſeiner Wohnung.

Hier macht 'er augenbliklich ein helles Feuer in ſeiner Kuͤche an, legte einige Kartoffeln dazu und flog darauf, wie der Wind, nach ſeinerHeerde,101Heerde, um ein junges Lama zu holen. Die - ſes wurde augenbliklich geſchlachtet, abgeſtreift, zerlegt und ein Viertel davon an den Spieß ge - ſtekt. Freitag wurde zum Bratenwender be - ſtelt.

Unterdeß daß dieſer ſein Amt verrichtete, ſchnit Robinſon ein Bruſtſtuͤk ab, und legt 'es wohl gewaſchen in einen ſeiner Toͤpfe. Dan ſchaͤlt' er einige Kartoffeln, zerſtampfte zwiſchen zweien Steinen eine Handvol Maiz zu Mehl that bei - des zu dem Fleiſch im Topf und goß ſo viel rei - nes Waſſer darauf, als ihm noͤthig zu ſein ſchien. Auch vergaß er nicht etwas Salz dazu zu wer - fen, und dan ſezt 'er dieſen Topf gleichfals an das Feuer.

Lotte. Ich weiß ſchon, was er davon machen wolte! Suppe!

Vater. Ganz recht; eine Speiſe, die er nun wenigſtens in acht Jahren nicht genoſſen hatte! Ihr koͤnt denken, wie der Mund ihm darnach waͤſſern muſte!

Freitag machte bei dieſen Zuruͤſtungen groſ - ſe Augen, weil er noch nicht begreifen konte,G 3wo -102wozu das alles ſolte? Vom Kochen hatt 'er nie etwas gehoͤrt oder geſehen; er wuſte daher auch ſchlechterdings nicht zu errathen, was das Waſ - ſer im Topfe bei dem Feuer machen ſolle? Als nun Robinſon auf einige Augenblikke in ſeine Hoͤhle gegangen war, und das Waſſer im Topfe zu kochen anfing: ſtuzte Freitag, weil es ihm unbegreiflich war, was doch wohl das Waſſer auf einmahl in Bewegung ſezen moͤgte? Da es aber vollends aufbrauſete und von allen Seiten anfing uͤberzulaufen, gerieth er auf den naͤrri - ſchen Einfal, daß vielleicht irgend ein lebendiges Thier darin ſei, welches dieſe ploͤzliche Bewe - gung verurſachte; und um zu verhuͤten, daß dieſes Thier nicht alles Waſſer aus dem Topfe heraus drengte: ſtekt' er hurtig ſeine Hand hinein, um es zu fangen. Aber in eben dem - ſelben Augenblikke fing er ein ſo entſezliches Ge - ſchrei an, daß die Felſenwand der Hoͤhle davon erbebte.

Angſt und Schrekken ergriffen unſern armen Robinſon, da er dies gewaltige Geſchrei ver - nahm, weil er in dem erſten Augenblikke nichts