PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Robinſon der Juͤngere, zur angenehmen und nuͤzlichen Unterhaltung fuͤr Kinder.
Zweiter Theil
Mit Churſaͤchſiſcher Freiheit.
Hamburg1780,beim Verfaſſer und in Commißion beiCarl Ernſt Bohn.
[2][3]

Zwoͤlfter Abend.

Vaͤterchen, was wilſt du uns denn nun erzaͤhlen? fragte Lotte, da ſich Alle wieder unter dem Apfelbaume eingefun - den hatten, und der Vater Miene machte, als ob er fuͤr ſeine Kleinen abermahls etwas in Bereitſchaft habe. (Die ganze Geſel - ſchaft hatte unterdeß Unterricht im Korb - machen genommen, womit ſie jezt eben be - ſchaͤftiget war.)

Von Robinſon! antwortete der Va - ter, und die Verſamlung machte große Au - gen.

A 2Lot -4

Lotte. I, der iſt ja todt!

Johannes. O ſtille doch, Lotte! Er kan ja wohl wieder aufgelebt ſein; weißt du nicht, daß wir ſchon einmahl geglaubt haben, daß er todt ſei, und da lebt 'er ja doch noch.

Vater. Robinſon kriegte, wie wir zu - lezt gehoͤrt haben, Verzukkungen; neigte ſein Haupt und hoͤrte auf, ſich ſeiner bewuſt zu ſein. Ob er wirklich todt, oder nur von ei - ner ſtarken Ohnmacht uͤberfallen ſei, war noch unentſchieden.

Ueber eine gute halbe Stunde lag er in dem Zuſtande einer gaͤnzlichen Sinloſigkeit. Endlich wer haͤtt 'es wohl gedacht! kehrte das Bewuſtſein wieder in ſeine Sele zuruͤk.

Alle. Ah! das iſt gut! das iſt ſchoͤn, daß er noch nicht todt iſt!

Vater. Mit einem tiefen Seufzer fing er wieder an, auf die gewoͤhnliche Weiſe Athem zu holen. Dan ſchlug er ſeine Augen auf und blikte umher, als wenn er ſehen wolte, wo er waͤre? Denn wirklich war erin5in dieſem Augenblicke ſelbſt noch zweifelhaft, ob er aus ſeinem Leibe herausgegangen ſei, oder nicht? Endlich uͤberzeugte er ſich von dem Leztern und zwar zu ſeiner großen Be - truͤbniß, weil der Tod ihm jezt wuͤnſchens - wuͤrdiger, als das Leben, ſchien.

Er fuͤhlte ſich ſehr mat, aber doch ohne ſonderliche Schmerzen. Stat der troknen brennenden Hize, die er vorher empfunden hatte, quol jezt ein ſtarker wohlthaͤtiger Schweiß aus allen ſeinen Gliedern. Um denſelben zu unterhalten, bedekt 'er ſich noch immer mit Fellen, und kaum hatt' er eine halbe Stun - de in dieſer Lage zugebracht, als er anfing große Erleichterung zu ſpuͤren.

Aber jezt quaͤlte ihn der Durſt auf die allerempfindlichſte Weiſe. Das uͤbrige Waſ - ſer war nicht mehr trinkbar; zum Gluͤk er - innerte er ſich der Zitronen. Mit vieler Muͤ - he biß er endlich eine derſelben an, und genoß ihres Saftes zu ſeiner merklichen Erquikkung. Dan gerieth er, unter fortdauerndem Schweiſ - ſe, in einen ſanften Schlummer, der ſichA 3erſt6erſt mit dem Aufgange der Sonne en - digte.

O wie viel leichter war's ihm jezt ums Herz, als am geſtrigen Tage! Die Wuth der Krankheit hatte ſich offenbar gelegt und ſein ganzes jeziges Uebel beſtand nur noch in bloßer Mattigkeit. Er fuͤhlte ſogar ſchon wieder einigen Appetit und ſpeiſete eine der gebratenen Kartoffeln, auf die er etwas Zitro - nenſaft treufelte, um den Geſchmak derſelben erfriſchender zu machen.

Die beiden vorigen Tage hatt 'er ſich gar nicht um ſeine Lama's bekuͤmmert; jezt aber war es ihm ein ruͤhrender Anblik, ſie zu ſei - nen Fuͤßen liegen zu ſehen, indem einige der - ſelben ihn ſtar anſahen, als wenn ſie ſich er - kundigen wolten, ob's noch nicht beſſer mit ihm waͤre? Zum Gluͤk koͤnnen dieſe Thiere, ſo wie die Kamele, ſich viele Tage ohne Ge - traͤnk behelfen: ſonſt wuͤrd' es jezt ſchlim um ſie ausgeſehen haben; weil ſie nun ſchon ſeit zwei Tagen nicht getrunken hatten, und Ro - binſon auch jezt noch viel zu ſchwach war,um7um aufſtehen und Waſſer fuͤr ſie holen zu koͤnnen.

Da das alte Mutterlama ihm ſo nahe kam, daß er es erreichen konte: ſo wandte er alle ſeine Kraͤfte an, ihm etwas Milch aus dem Eiter zu ziehen, damit ſie ihm nicht vergehen moͤgte. Der Genuß dieſer friſchen Milch mußte ſeinem kranken Koͤrper auch wohl zutraͤglich ſein, denn es ward ihm recht wohl darnach.

Nachher verfiel er von neuem in einen er - quikkenden Schlaf, aus dem er erſt bei Son - nenuntergang wieder erwachte. Und da ver - ſpuͤrte er ſchon viel ſtaͤrkern Hunger. Er alſo wieder einige Kartoffeln mit Zitronenſaft und legte ſich abermahls ſchlafen.

Dieſer fortdauernde erquikkende Schlaf und die Guͤte ſeiner Natur wirkten ſo ſtark zur Wiederherſtellung ſeiner Kraͤfte, daß er am folgenden Morgen ſchon wieder aufſtehen und wiewohl mit ſchwachen zitternden Fuͤßen einige Schritte verſuchen konte.

A 4Er8

Er ſchwankte aus der Hoͤhle bis auf ſei - nen Hofplaz. Hier hob er ſeine Augen gen Himmel; ein ſanfterwaͤrmender Strahl der Morgenſonne fiel durch die Baͤume auf ſein Angeſicht, und es ward ihm, als wenn er neu gebohren wuͤrde. O du ewiger Quel des Lebens, rief er aus, indem er ſich auf ſeine Knie warf; Gott! Gott! habe Dank, daß du mich noch einmahl deine ſchoͤne Sonne erblikken, und in ihrem Lichte die Wunder deiner Schoͤpfung ſehen laͤßt! Habe Dank! Dank! Dank! daß du mich nicht verlaſſen haſt in meiner Noth; daß du noch einmahl mich zuruͤk gerufen haſt ins Leben, um mir noch mehr Zeit zu meiner Beſſerung zu ſchen - ken! Laß mich doch ja jeden Tag meines noch uͤbrigen Lebens dazu anwenden, damit ich zu jeder Zeit bereit gefunden werde, hinzureiſen nach dem Orte unſerer ewigen Beſtimmung, wo wir den Lohn unſerer guten und boͤſen Thaten empfangen werden!

Nach dieſem kurzen, aber herzlichen Ge - bete weidete er ſeine Augen bald an dem groſ -ſen9ſen blauen Gewoͤlbe des Himmels, bald an den Baͤumen und Stauden, die in friſches Gruͤn gekleidet und mit Thau beperlt, ſo la - chend vor ihm da ſtanden, bald an ſeinen treuen Lama's, die ſich freudig und liebkoſend um ihn her drengten. Es war ihm, als waͤr 'er von einer langen Reiſe wieder zu den Seinigen gekommen; ſein Herz floß uͤber und ergoß ſich in ſuͤßen Freudentraͤnen.

Der Genuß der friſchen Luft, und des friſchen Waſſers, welches er mit Milch ver - miſchte, und die ſtille Heiterkeit ſeines Ge - muͤths trugen nicht wenig dazu bei, ihn voͤl - lig wieder herzuſtellen. In einigen Tagen waren alle ſeine Kraͤfte erſezt, und er ſahe ſich wieder im Stande, zu ſeinen Arbeiten zuruͤkzukehren.

Das erſte, was er vornahm, war eine Unterſuchung, was wohl aus ſeinen Toͤpfen moͤgte geworden ſein? Er oͤfnete den Ofen und ſiehe da! alle ſeine Gefaͤſſe waren ſo ſchoͤn glaſirt, als wenn ſie von einem unſerer Toͤpfer waͤren gemacht worden. In der FreudeA 5daruͤ -10daruͤber vergaß er eine Zeitlang, daß er von dieſer ſeiner wohlgerathnen Arbeit nun keinen Gebrauch werde machen koͤnnen, weil ſein Feuer ausgegangen war. Da ihm dieſes end - lich einfiel, ſtand er mit geſenktem Haupte, ſahe bald die Toͤpfe und Tiegel, bald die Feuerſtelle in ſeiner Kuͤche an, und ſtieß ei - nen tiefen Seufzer aus.

Doch blieb ſeine Betruͤbniß diesmahl in den Schranken der Maͤßigkeit. Er dachte nemlich: eben die guͤtige Vorſehung, die dir neulich Feuer verſchafte, kan dir ja, entwe - der auf eben dieſelbe, oder auf eine andere Weiſe, auch zum zweitenmahle dazu verhel - fen, wenn es ihr gefaͤllig iſt. Ueberdem wuſt 'er nun ſchon, daß er keinen Winter hier zu beſorgen habe; und ohngeachtet er von Ju - gend auf an Fleiſchſpeiſen gewoͤhnt war: ſo hoft' er doch, daß er auch ohne dieſelben, blos von Fruͤchten und von der Milch ſeiner Lama's, wuͤrde leben koͤnnen.

Lotte. J, er konte ja auch geraͤucher - tes Fleiſch eſſen; das braucht ja nicht erſt gekocht zu werden!

Va -11

Vater. Das iſt wahr; aber womit ſolt 'er denn ſein Fleiſch raͤuchern?

Lotte. Ja ſo! daran hatt 'ich nicht ge - dacht.

Vater. Es reuete ihn indeß nicht, die Toͤpfe gemacht zu haben: denn er konte ſie nun wenigſtens zu Milchgefaͤßen brauchen. Den groͤßten davon hatte er zu einem beſon - dern Gebrauche auserſehen.

Johannes. Nu, wozu denn?

Vater. Er bildete ſich ein, daß ihm ſeine Kartoffeln noch beſſer ſchmekken wuͤrden, wenn er ſie mit etwas Butter eſſen koͤnte.

Gottlieb. Das glaub 'ich!

Vater. Aber ein hoͤlzernes Butterfaß zu verfertigen, war ihm unmoͤglich. Er wolte daher verſuchen, ob die Butter ſich nicht auch in einem großen Topfe machen lieſſe. Er ſamlete alſo ſo viel Rahm, als er noͤthig zu haben glaubte. Dan machte er einen kleinen hoͤlzernen Teller mit einem Loche in der Mit - te, in welches er einen Stok ſtekte. Mit dieſem Werkzeuge fuhr er dan in dem mitRahm12Rahm angefuͤlten Topfe ſo lange auf und nieder, bis die Butter von der Buttermilch abgeſondert war; worauf er ſie mit Waſſer wuſch und mit etwas Salz vermiſchte.

So war er alſo auch damit gluͤklich zu Stande gekommen: aber indem er der Frucht ſeines Fleiſſes jezt genieſſen wolte, fiel ihm erſt ein, daß er auch keine Kartoffeln mehr braten koͤnte, weil er kein Feuer haͤtte, woran er in der Hize ſeiner Geſchaͤftigkeit wiederum gar nicht gedacht hatte. Da ſtand nun die ſchoͤne Butter, welche ungegeſſen bleiben ſolte, und Robinſon ſtand daneben mit traurigem Ge - ſichte. Er ſahe ſich nun auf einmahl wieder in ſeinen anfaͤnglichen armſeligen Zuſtand ver - ſezt. Auſtern, Milch, Kokusnuͤſſe, und ro - hes Fleiſch waren nun wieder ſeine einzigen Nahrungsmittel geworden, und es ſtand da - hin, ob er dieſe immer wuͤrde haben koͤnnen? Das ſchlimſte dabei war, daß er gar kein Mittel vor ſich ſahe, wie er ſeinen Zuſtand etwa verbeſſern koͤnte.

Was13

Was ſolt 'er nun vornehmen? Alles, was er mit ſeinen bloßen Haͤnden machen konte, war ſchon gethan. Es ſchien ihm al - ſo weiter nichts mehr uͤbrig zu ſein, als ſeine Lebenszeit mit Nichtsthun und mit Schlafen hinzubringen. Der ſchreklichſte Zuſtand, den er ſich nur denken konte. Denn die Arbeit - ſamkeit war ihm jezt ſchon ſo ſehr zur Ge - wohnheit geworden, daß er nicht mehr leben konte, ohne ſich mit einer nuͤzlichen Verrich - tung die Zeit zu vertreiben; und er pflegte nachher oft zu ſagen, daß er die Beſſerung ſeines Herzens vornemlich dem Umſtande zu verdanken habe, daß er durch die anfaͤngliche Huͤlfloſigkeit ſeines einſamen Aufenthalts zu einer beſtaͤndigen Geſchaͤftigkeit ſei gezwungen worden. Die Arbeitſamkeit, ſezt' er hinzu, die Arbeitſamkeit, lieben Leute, iſt die Mutter vieler Tugenden; ſo wie die Faulheit der Anfang aller Laſter iſt!

Johannes. Ja, darin hat er gewiß auch Recht! Wenn man nichts zu thun hat, ſo faͤlt einem lauter dum Zeug ein!

Va -14

Vater. Richtig! eben darum gab er nach - her allen jungen Leuten den Rath, ſich doch ja von Kindheit an zu gewoͤhnen, immer geſchaͤf - tig zu ſein. Denn, ſagt 'er, ſo wie man ſich gewoͤhnt in der Jugend, ſo bleibt man ge - meiniglich all ſein Lebelang, faul oder fleißig, geſchikt oder ungeſchikt, ein guter oder ein ſchlechter Menſch.

Nikolas. Das wollen wir uns merken!

Vater. Thut das, Kinder, und richtet euch darnach: es wird euch nicht gereuen. Unſer armer Robinſon dachte alſo lange hin und her, was er doch nun wohl fuͤr eine Arbeit wieder vornehmen koͤnte, um nicht muͤßig zu ſein; und was meint ihr wohl, auf was fuͤr eine er endlich verfallen ſei?

Johannes. Ich wuͤſte wohl, was ich gemacht haͤtte!

Vater. Nun, laß doch hoͤren!

Johannes. Ich haͤtte die Lamafelle ger - ben wollen, damit ich nicht noͤthig gehabt haͤtte, ſie ſo rauh am Leibe zu tragen. Das mußte doch ſehr unbequem ſein in einem ſo heiſſen Lande!

Va -15

Vater. Und wie haͤtteſt du denn das anfangen wollen?

Johannes. O ich weiß wohl, wie die Lohgerber es machen! Wir haben's ja ge - ſehn!

Vater. Nun?

Johannes. Erſt legen ſie die rauhen Haͤute einige Tage ins Waſſer, daß ſie recht durchweichen. Hernach kriegen ſie ſie auf den Schabebaum und fahren mit dem Streich - eiſen daruͤber her, um das eingezogene Waſ - ſer wieder heraus zu reiben. Dan ſalzen ſie die Felle ein und bedekken ſie, daß die friſche Luft nicht dazu kommen kan. Das nennen ſie die Felle in die Schwize bringen: denn da fangen ſie ordentlich an zu ſchwizen, wie ein Menſch, der ſtark arbeitet. Darnach koͤnnen ſie die Haare mit dem Streicheiſen abſchaben. Wenn das geſchehn iſt, ſo legen ſie die Felle in die Treibfarbe, die aus Bir - kenrinde, aus Sauerteig und aus einer ſau - ern Bruͤhe von Eichenrinde gemacht wird. Endlich werden dieſe Felle in die Lohgrubegelegt16gelegt, und mit einer Bruͤhe uͤbergoſſen, die auch aus Eichenrinde gemacht iſt; und davon werden ſie denn voͤllig gegerbt, oder gar ge - macht.

Vater. Gut, Johannes; aber erinnerſt du dich auch noch, was das eigentlich fuͤr Le - der wird, das der Lohgerber auf dieſe Weiſe bereitet.

Johannes. Ja, ſo was, das man zu Schuhen, zu Stiefeln, und zum Pferdege - ſchirre braucht?

Vater. Alſo Leder, welches nicht ſo ge - ſchmeidig zu ſein braucht, als dasjenige, was wir zu Beinkleider, zu Handſchuhen und zu ſo etwas brauchen?

Johannes. Nein!

Vater. Und wer bereitet denn das?

Johannes. Das thut der Weißger - ber; aber deſſen ſeine Werkſtat haben wir ja noch nicht geſehen.

Vater. So ging es Robinſon auch; er hatte weder des Lohgerbers noch des Weiß - gerbers Werkſtat jemahls beſucht; und daherkont '17kont 'er es weder dem Einen, noch dem An - dern nachmachen.

Diderich. Wie macht es denn der Weiß - gerber?

Vater. Anfangs eben ſo, wie der Lohger - ber, nur daß er die Felle nicht durch Lohe oder Kalk (denn den brauchen die Lohgerber auch) ſon - dern durch warmes Waſſer, mit Waizenkleie und Sauerteig vermiſcht, und hernach durch Aſchenlauge beizt. Wir wollen naͤchſtens zu ihm gehen.

Johannes. Wenn's Robinſon nun auch gewuſt hatte, wie die Weißgerber es anfan - gen: ſo haͤtt 'er's doch nicht nachmachen koͤn - nen, weil er keine Waizenkleie, und keinen Sauerteig hatte.

Vater. Siehſt du? Alſo die Luſt muſt 'er ſich ſchon vergehen laſſen.

Nikolas. Nu, was that er denn?

Vater. Tag und Nacht lag ihm der Gedanke im Kopfe, ob's ihm wohl nicht moͤg - lich waͤre, ein kleines Schif zu verfertigen.

BJo -18

Johannes. Was wolt 'er denn mit dem Schiffe?

Vater. Was er damit wolte? Verſu - chen, ob er nicht vielleicht aus ſeiner Einſam - keit, die ihm durch den Verluſt des Feuers wieder ſo traurig geworden war, ſich damit befreien und wieder zu Menſchen kommen koͤnte. Er hatte Urſache zu vermuthen, daß das feſte Land von Amerika nicht ſehr fern ſein koͤnne; und er war entſchloſſen, wenn er nur einen kleinen Kahn haͤtte, keine Gefahr zu achten, um, wo moͤglich, nach dieſem fe - ſten Lande hinzukommen.

Vol von dieſen Gedanken lief er eines Tages aus, um einen Baum aufzuſuchen, den er durch Aushoͤhlen zu einem kleinen Kah - ne machen koͤnte. Da er in dieſer Abſicht ei - nige Gegenden durchlief, wo er bisher noch nicht geweſen war: ſo entdekte er noch man - ches ihm unbekante Gewaͤchs, womit er al - lerlei Verſuche anzuſtellen beſchloß, um zu er - fahren, ob's ihm nicht zum Unterhalte die - nen koͤnne?

Un -19

Unter andern fand er einige Stauden von indianiſchem Korn, oder Maiz, welches man bei uns tuͤrkſchen Waizen zu nennen pflegt.

Nikolas. Ah! wovon ich in meinem Garten habe?

Vater. Von dem nemlichen! Er bewun - derte die groſſen Aehren oder Kolben, an de - ren jeder er uͤber 200 groſſe Koͤrner zaͤhlte, die wie Korallen an einander gereihet waren. Er zweifelte nicht, daß man Mehlſpeiſen und Brod davon machen koͤnne: aber wie ſolt'er die Koͤrner mahlen? Wie das Mehl von der Kleie reinigen? Wie endlich Brod oder an - dere Speiſen daraus bakken, da er nicht ein - mahl Feuer hatte? Demohngeachtet nahm er einige Kolben davon mit, um die Koͤrner zu pflanzen. Denn, dacht 'er, wer weiß, ob ich nicht mit der Zeit einen nuͤzlichen Gebrauch davon machen lerne?

Ferner entdekt 'er einen Fruchtbaum, der ihm gleichfals noch niemahls vorgekommen war. Er ſahe groſſe Kapſeln daran hengen,B 2und20und da er eine davon erbrach, fand er wohl 60 Bohnen darin. Der Geſchmak derſelben wolte ihm nicht ſehr gefallen. Indeß ſtekt 'er auch von dieſen eine reife Schote in ſeine Jagdtaſche.

Johannes. Was mogte denn das fuͤr eine Frucht ſein?

Vater. Es waren Kakaobohnen, von denen die Schokolade gemacht wird.

Johannes. Ah! nun kan er kuͤnftig Schokolade trinken!

Vater. Sobald wohl nicht! denn erſt - lich kent er die Kakaobohnen nicht; und dan, ſo muͤſſen ſie auch erſt beim Feuer geroͤſtet, klein geſtoſſen und mit Zukker vermiſcht wer - den; und wir wiſſen ja, daß er weder Feu - er, noch Zukker hat. Auch thut man gemei - niglich noch allerlei Gewuͤrz hinzu, als Kar - domomen, Vanille und Gewuͤrznaͤgelein, die er auch nicht hatte. Doch deſſen haͤtt 'er auch wohl entbehren koͤnnen, wenn er nur ge - wuſt haͤtte, wie er wieder zum Feuer kommen ſolte.

End -21

Endlich fand er einen groſſen Kokusbaum, der vor Alter ſchon auf der einen Seite ein wenig hohl geworden war, und der ihm ſehr tauglich ſchien, einen kleinen Kahn abzugeben, wenn er ihn nur umhauen und voͤllig aushoͤh - len koͤnte. Aber einen ſo nuͤzlichen Baum, in der Ungewißheit, ob es ihm auch je gelin - gen wuͤrde ein Schif daraus zu machen, aufs Gerathewohl zu verderben? Er erſchrak vor dem Gedanken, und wuſte lange nicht, was er thun ſolte? Indeß merkt 'er ſich die Stelle, wo er ſtand, und ging unentſchloſſen nach Hauſe.

Auf ſeinem Ruͤkwege fand er, was er zu finden laͤngſt gewuͤnſcht hatte, ein Papageien - neſt mit fluͤggen Jungen. Wie groß war ſeine Freude uͤber dieſen Fund! Aber indem er hinzutrat, um die Jungen auszunehmen, flatterten ſie alle davon, bis auf einen, den er gluͤklich haſchte. Er begnuͤgte ſich damit, und eilte froh zu Hauſe.

Diderich. Was konte denn ein Papa - gei ihm eben helfen?

B 3Va -22

Vater. Er wolte ihn einige Worte aus - ſprechen lehren, um die Freude zu haben, einmahl wieder eine menſchenaͤhnliche Stimme zu hoͤren. Uns freilich, die wir mitten in der menſchlichen Geſelſchaft leben und die wir des Gluͤks, Menſchen zu ſehen, Menſchen zu hoͤren, mit Menſchen zu reden und mit ihnen umzugehen, alle Tage genieſſen, ſcheint die Freude, welche Robinſon ſich von dem Ge - ſchwaͤz dieſes Papageien verſprach, eben nicht von groſſer Erheblichkeit zu ſein. Aber wenn wir uns in ſeine Stelle verſezen koͤnnen: ſo werden wir begreifen, daß das, was uns ei - ne unerhebliche Kleinigkeit ſcheint, fuͤr ihn ein großer Zuwachs an wirklicher Gluͤkſeeligkeit ſein muſte.

Er eilte alſo froh nach Hauſe, verfertigte noch, ſo gut er konte, einen Kaͤfig, ſezte den - ſelben mit ſeinem neuen Freunde neben ſeine Lagerſtelle, und legte ſich ſchlafen.

Drei -23

Dreizehnter Abend.

Am folgenden Abend rief der Vater ſeine Kleinen etwas fruͤher zuſammen, weil er, wie er ſagte, erſt eine Rathsverſamlung mit ihnen halten muͤſte, bevor er in ſeiner Erzaͤhlung weiter gehen koͤnte.

Woruͤber wollen wir uns denn berathſchla - gen? riefen die Kleinen, indem ſie rund um ihn herum zuſammentraten.

Vater. Ueber eine Sache, die unſerm Robinſon die ganze Nacht hindurch im Kopfe herum gegangen iſt, und wovor er kein Auge hat zu thun koͤnnen.

Alle. Nun?

Vater. Es war die Frage, ob er den alten Kokusbaum, den er geſtern geſehen hat - te, in der ungewiſſen Hofnung, ob er dar - aus ein Schif wuͤrde machen koͤnnen, umhau - en oder ſtehen laſſen ſolte.

B 4Jo -24

Johannes. Ich haͤtt 'ihn huͤbſch wol - len ſtehen laſſen.

Diderich. Und ich haͤtt 'ihn umge - hauen.

Vater. Da ſind alſo zwei entgegenge - ſezte Meinungen; der Eine wil den Baum umhauen, der Andere wil ihn ſtehen laſſen. Laßt doch hoͤren, ihr Andern, was ihr dazu ſagt?

Gotlieb. Ich halt 'es mit Johannes.

Lotte. Ich auch, lieber Vater! Der Baum ſol ſtehen bleiben.

Frizchen. Nein er ſol umgehauen wer - den, daß der arme Robinſon ein Schif kriegt.

Nikolas. Das ſag ich auch!

Vater. Nun ſo ſtelt euch in zwei Par - theien; und dan wollen wir hoͤren, was je - der fuͤr Grund zu ſeiner Meinung hat. So! Nun, Johannes, mache du den Anfang; warum ſol der Baum ſtehen bleiben?

Johannes. I, weil er ſo ſchoͤne Fruͤchte traͤgt, und weil dieſe Art von Baͤumen ſo was Seltenes auf der Inſel iſt!

Dide -25

Diderich. O es iſt ſchon ein alter Baum; der wird doch nicht lange mehr Fruͤchte tra - gen!

Johannes. Woher weißt du das? Er iſt ja nur erſt ein wenig hohl; und wie viel hohle Baͤume giebts nicht, die noch manches Jahr Fruͤchte tragen.

Nikolas. Robinſon hat ja ſchon an - dere Baͤume gepfropft; nun wird er bald Ko - kusbaͤume genug kriegen?

Gotlieb. Ja, aber ſind die denn ſo - gleich groß? Da koͤnnen ja wohl vier Jahre uͤber hingehen, ehe die anfangen, Fruͤchte zu tragen.

Frizchen. Iſt es denn nicht beſſer, daß er ein Schif kriegt, und wieder zu Menſchen faͤhrt, als daß er da immer auf ſeiner Inſel ſizt und Kokusnuͤſſe ißt?

Johannes. Ja, wenn das Schif ſo gleich fertig waͤre! Womit wil er denn den Baum umhauen, und womit wil er ihn aus - hoͤhlen, da er nur eine ſteinerne Axt hat?

B 5Di -26

Diderich. O, wenn er nur lange ge - nug daran hauet und nicht ungeduldig wird, ſo wird er ſchon damit zu Stande kommen!

Gotlieb. Aber denn ſo hat er ja noch kein Segel! Was wil er denn mit dem bloſ - ſen Schiffe anfangen?

Nikolas. O er muß ſich mit Rudern helfen!

Lotte. Ja, das wird ſchoͤn gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemuͤnde auf der Oſtſee waren*Die Geſelſchaft hatte einige Zeit vorher die - ſe verſprochene Luſtreiſe gethan.), und dem einen Ma - troſen das Ruder brach, wie es uns da bei - nahe gegangen waͤre? Vater ſagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrau - chen geweſen waͤre: ſo haͤtte uns der andere Matroſe allein nicht wieder ans Land bringen koͤnnen.

Diderich. O das war auch ein groſſer Kahn, und waren ja achtzhen Menſchen drin. Wenn ſich Robinſon einen kleinen Kahn undzwei27zwei Ruder macht, ſo wird er ihn ſchon al - lein regieren koͤnnen.

Vater. Nun, Kinder, ihr ſeht, die Sache iſt gar nicht leicht zu entſcheiden. Al - les, was ihr da geſagt habt, ging dem guten Robinſon die ganze Nacht hindurch auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sa - che uͤberlegen, wenn man nachdenkt, ob es beſſer ſei, ſie zu thun, oder nicht zu thun. Seitdem Robinſon die traurigen Folgen ſei - ner uͤbereilten Entſchlieſſung, in die weite Welt zu reiſen, empfunden hatte, hatt 'er ſich's zur beſtaͤndigen Regel gemacht, nie wieder etwas zu thun, ohne erſt vor - her eine vernuͤnftige Ueberlegung dar - uͤber angeſtelt zu haben. Das that er alſo auch jezt. Nachdem er nun die Sache lange genug hin und her uͤberdacht hatte; ſo fand er, daß Alles auf die Frage ankomme: ob es recht ſei, einen kleinen, aber ge - wiſſen Vortheil hinzugeben, um einen groͤſſern, aber noch ungewiſſen Vor - theil dadurch zu erlangen? Da fiel ihmnun28nun zuerſt die Fabel von dem Hunde ein, der das Stuͤk Fleiſch, welches er im Munde hielt, fahren ließ, um nach dem Schatten deſſelben im Waſſer zu greifen, und daruͤber am Ende gar nichts hatte. Aber bald darauf erinnerte er ſich auch, wie es die Landleute machen; daß ſie nemlich einen Theil des Korns, welches ſie ſchon haben, ausſtreuen, in der Hofnung, noch weit mehr dadurch zu gewinnen. Das Verfahren des Hundes nent jederman unvernuͤnftig, das Verfahren des Landmans hingegen vernuͤnftig und klug: was mag denn wohl, dachte Robinſon, der Unterſchied hiebei ſein?

Er ſan noch ein Weilchen daruͤber nach und dan ſagt 'er zu ſich ſelbſt: ja, ja, ſo iſts! Der Hund handelte unvernuͤnftig, weil er nur ſeiner Begierde folgte, ohne zu uͤber - legen, ob er das, was er haſchen wolte, auch wirklich erlangen koͤnte. Der Akkersman aber handelt vernuͤnftig, weil er mit großer Wahrſcheinlichkeit hoffen kan, daß er mehr Korn wieder bekommen werde, als er aus - ſtreuet.

Nun,29

Nun, ſagt 'er ferner, bin ich nicht in demſelben Falle? Iſt es nicht wahrſcheinlich, daß ich durch anhaltenden Fleiß endlich damit zu Stande kommen werde, aus dem alten Baume einen Kahn zu machen? Und wenn mir dieſes gluͤkken ſolte, hab' ich dan nicht Hofnung, mich damit aus dieſer traurigen Einoͤde befreien zu koͤnnen?

Der Gedanke an ſeine Befreiung wurde in dieſem Augenblikke ſo lebhaft in ſeiner Se - le, daß er ploͤtzlich aufſprang, ſein ſteinernes Beil ergrif, und ſpornſtreichs nach dem Bau - me hinlief, um das große Werk ſogleich an - zufangen.

Aber hatt 'er jemahls ein muͤhſeeliges und langwieriges Geſchaͤft unternommen, ſo war es dieſes! Tauſend andere Menſchen wuͤrden nach dem erſten Hiebe den Arm muthlos wieder haben ſinken laſſen, und die Sache fuͤr unmoͤg - lich gehalten haben. Aber Robinſon hatte ſich nun einmahl, wie wir wiſſen, zum Geſez gemacht, ſich durch keine Schwierigkeit von ir - gend einem vernuͤnftigen Vorhaben abſchrekken zulaſſen;30laſſen; und alſo blieb er auch diesmahl mit großer Standhaftigkeit bei ſeinem einmahl ge - faßten Vorſaze, die Ausfuͤhrung deſſelben moͤgte ihm auch noch ſo viel Zeit und noch ſo viel Arbeit koſten!

Nachdem er von Sonnenaufgang an, bis gegen Mittag faſt unaufhoͤrlich gearbeitet hat - te, war das Loch, welches er durch tauſend Hiebe in den Stam gehauen hatte, noch nicht ſo groß, daß er ſeine Hand hineinlegen konte. Daraus koͤnt ihr in voraus ſchlieſſen, wie viel Zeit er brauchen wird, um den ganzen ziem - lich dikken Baum voͤllig umzuhauen, und ein Schif daraus zu zimmern.

Er ſahe nun wohl, daß das eine Arbeit von mehreren Jahren ſein wuͤrde; und er hielt daher fuͤr noͤthig, eine ordentliche Ein - theilung ſeiner Tageszeit zu machen, um fuͤr jede Stunde ein gewiſſes Geſchaͤft zu haben: Denn er hatte nun ſchon aus der Erfahrung gelernet, daß bei einem geſchaͤftigen Leben nichts mehr unſern Fleiß befoͤrdert und erleich - tert, als Ordnung und regelmaͤßige Ein -thei -31theilung der Tagesſtunden. Hier iſt ein Verzeichniß, woraus ihr ſehen koͤnt, wo - zu er jede Stunde gewidmet hatte.

Sobald der Tag anbrach, ſtand er auf, und lief nach der Quelle, um Kopf, Haͤnde, Bruſt und Fuͤſſe zu waſchen. Da er kein Handtuch hatte, ſo muſt 'er ſich von der Luft troknen laſſen, welches er dadurch befoͤrderte, daß er jedesmahl in vollem Laufe nach ſeiner Wohnung zuruͤk rante. Dan kleidete er ſich voͤllig an. War dieſes geſchehen, ſo erſtieg er den Huͤgel uͤber ſeiner Hoͤhle, wo er eine freie Ausſicht hatte, warf ſich daſelbſt auf die Knie und verrichtete ein andaͤchtiges Mor - gengebeth, wobei er nie vergaß, Gott um Seegen fuͤr ſeine lieben Eltern zu bitten. Hierauf molk er ſeine Lama's, von denen er ſich nach und nach eine kleine Heerde zugezo - gen hatte. Einen Theil der jedesmahligen Milch verwahrt' er in ſeinem Keller, die Ue - brige genoß er zum Fruͤhſtuͤk. Daruͤber war denn ohngefaͤhr eine Stunde verfloſſen. Nun legt 'er alles, was zu ſeiner Bewafnungge -32gehoͤrte, an und machte ſich auf den Weg, entweder gleich nach dem Orte, wo der Baum ſtand, oder, fals es eben Ebbezeit war, erſt nach dem Strande, um einige Au - ſtern zum Mittagseſſen aufzu[l]eſen. Seine Lama's liefen dan gewoͤhnlich alle hinter ihm her und weideten neben ihm herum, indeß er ſelbſt mit Hauen beſchaͤftiget war.

Gegen zehn Uhr war die Hize gemeinig - lich ſchon ſo ſtark, daß er mit ſeiner Arbeit einhalten muſte. Dan ging er wieder nach dem Strande, theils um Auſtern zu ſuchen, fals er des Morgens keine gefunden hatte, theils um ſich zu baden, welches er gewoͤhnli - cher Weiſe des Tages zweimahl zu verrichten pflegte. Gegen eilf Uhr war er mit ſeiner ganzen Begleitung wieder zu Hauſe.

Dan molk er abermahls die milchgebenden Lama's; bereitete Kaͤſe aus der ſauergeworde - nen Milch, und richtete ſeine kleine Mittags - mahlzeit an, die gemeiniglich aus Milch mit friſchem Kaͤſe vermiſcht, einigen Auſtern und einer halben Kokusnuß beſtand. Es kam ihmdabei33dabei ſehr zu ſtatten, daß man in dieſen heiſ - ſen Erdgegenden nicht halb ſo viel Appetit zu haben pflegt, als in den kaͤlteren Laͤndern. Demohngeachtet ſehnt 'er ſich ſehr nach Fleiſch - ſpeiſen und konte endlich nicht umhin, wie - der zu dem anfaͤnglich von ihm erdachten Mit - tel, das Fleiſch durch Klopfen muͤrbe zu ma - chen, ſeine Zuflucht zu nehmen.

Waͤhrend ſeiner Mahlzeit beſchaͤftigte er ſich mit ſeinem Papagai, dem er allerlei vor - plauderte, um ihn einige Worte ſprechen zu lehren.

Frizchen. Womit fuͤtterte er ihn denn?

Vater. In der Wildheit pflegen die Papagaien ſich groͤßtentheils von Kokusnuͤſſen, Eicheln und Kuͤrbiskoͤrnern zu naͤhren: zahm eſſen ſie faſt alles, was Menſchen eſſen. Ro - binſon fuͤtterte den Seinigen mit Kokusnuͤſ - ſen und Kaͤſe.

Nach der Mahlzeit ruhete er eine Stunde im Schatten oder in ſeiner Hoͤhle aus, der Papagai und die Lama's um ihn herum. Da kont er nun zuweilen ſizen und zu denCThie -34Thieren plaudern ordentlich wie ein kleines Kind, das mit ſeiner Puppe redet, und ſich einbildet, daß die Puppe es verſtehe. So groß war das Beduͤrfniß ſeines Herzens, ir - gend einem lebendigen Weſen ſeine Gedanken und ſeine Empfindungen mitzutheilen, daß er oft daruͤber vergaß, daß er zu unvernuͤnftigen Thieren rede. Und wenn ſein Papchen, den er Pol nante, dan je zuweilen ein verſtaͤnd - liches Wort ihm nachſchwazte: o wer war da gluͤklicher, als er! Er glaubte eine menſch - liche Stimme zu hoͤren; vergaß Inſel, La - ma's und Papagai und war in ſeiner Einbil - dung mitten in Europa. Aber dieſer ſuͤße Traum dauerte gemeiniglich nur eine Minu - te; dan ſaß er wieder da im vollen Bewuſt - ſein ſeines klaͤglichen Einſiedlerlebens und ſeuf - te: armer Robinſon!

Gegen zwei Uhr Nachmittags

Nikoles. Ja, wie wuſt 'er denn im - mer, was die Glokke geſchlagen hatte?

Vater. Anfangs macht 'er es blos ſo, wie es die Landleute zu machen pflegen; erbeob -35beobachtete den Stand der Sonne und ſchloß daraus auf die jedesmalige Tageszeit. End - lich fiel 's ihm gar ein, eine Art von Son - nenuhr zu machen.

Johannes. Na, was der doch nicht al - les machen wil!

Vater. Freilig keine ſolche, als man bei uns machen kan, denn wo haͤtt 'er dazu die noͤthige Geſchiklichkeit, die Werkzeuge und die Materialien hergenommen? Aber doch eine, an der er wenigſtens ſehen konte, zu welcher Zeit es jedesmahl Mittag ſei.

Johannes. Auch die wuͤſt 'ich doch ge - wiß nicht zu machen!

Vater. Und doch iſt nichts leichter, als das! Er ſtekte nemlich blos eine grade Stange ſenkrecht in die Erde. Je naͤher es nun gegen Mittag kam, deſto kuͤrzer wurde der Schatten dieſer Stange. Er merkte ſich alſo den Ort, wohin der Schatten der Stange fiel, wenn er am kuͤrzeſten war; bezeichnete dieſen Ort mit einem Striche, den er die Mittagslinie nante, und ſo oft dan derC 2Schat -36Schatten der Stange wieder in dieſe Mittagslinie fiel, wuſt 'er, daß es grade Mittag ſei. Er bemerkte aber hierbei etwas Sonderbares, welches in Europa nie geſehen wird.

Johannes. Was denn?

Vater. Dieſes, daß in einer Jahrszeit der Schatten der Stange, eben ſo wie bei uns, zur Mittagszeit nach dem Nordpol, in einer andern Jahrszeit hingegen grade um - gekehrt, nemlich nach dem Suͤdpol, hinfiel. Ja, was das Sonderbarſte war, zuweilen machte die Stange zur Mittagszeit gar kei - nen Schatten.

Diderich. Ja, das glaub ich; weil die Inſel, worauf er war, zwiſchen den beiden Wendezirkeln lag.

Vater. Richtig! Ihr Kleineren, be - greift das noch nicht. Aber geduldet euch; in vier Wochen werd 'ich auch mit euch die Geographie anfangen; dan ſolt ihr dies und noch viele andere merkwuͤrdige Dinge auch ein - ſehen lernen.

Um37

Um nun aber wieder zu den taͤglichen Be - ſchaͤftigungen unſers fleißigen Robinſons zu - ruͤk zu kommen: ſo pflegte er um zwei Uhr Nachmittags wieder an ſeine Schif bauerarbeit zu gehen. Unter dieſer wirklich ſchweren Ar - beit bracht 'er dan jedesmahl wiederum zwei volle Stunden hin. Waren dieſe verfloſſen, ſo lief er abermahls nach dem Strande, theils um ſich zum zweitenmahle zu baden, theils um wieder Auſtern zu ſuchen. Den Reſt des Nachmittags wandt' er zu allerlei Gar - tenarbeit an. Bald pflanzt 'er Maiz oder Kartoffeln, in der Hofnung einſt wieder Feu - er zu bekommen, um dieſe Gewaͤchſe nuzen zu koͤnnen; bald pfropft' er noch mehr Kokusrei - ſer ein; bald begoß er die gepfropften jungen Staͤmme; bald pflanzt 'er Hekken, um ſein Gartenland einzuſchlieſſen; und bald beſchnitt' er die Baumwand vor ſeiner Hoͤhle, um die Zweige ſo zu ziehen, daß ſie mit der Zeit zu - ſammen wuͤchſen und eine große Laube aus - machten.

C 3Zu38

Zu Robinſons Leidweſen dauerte der laͤng - ſte Tag auf dieſer Inſel hoͤchſtens 13 Stun - den, ſo daß es mitten im Sommer Abends um 7 Uhr ſchon finſter ward. Er mußte alſo alle Geſchaͤfte, wobey er Licht brauchte, noch vor dieſer Zeit vollenden.

Gegen ſechs Uhr alſo, wenn ſonſt nichts Wichtiges zu thun mehr uͤbrig war, ſtelte er gemeiniglich noch einige ritterliche Leibesuͤbun - gen an.

Gotlieb. Was heißt das?

Vater. Er uͤbte ſich im Bogenſchieſſen und im Spießwerfen, um, in Fal der Noth, ſich gegen einen Anfal der Wilden, vor wel - chen ihm immer noch bange war, vertheidigen zu koͤnnen. In beiden bracht 'er es nach und nach zu einer ſolchen Fertigkeit, daß er ein Ziel, welches nicht groͤßer, als ein Gulden war, nur ſehr ſelten verfehlte.

Sobald die Daͤmmerung anbrach, molk er wiederum ſeine Lama's und hielt darauf eine laͤndliche und maͤßige Abendmahlzeit, wozu er ſich von den Sternen oder von dem Monde leuch - ten ließ.

Die39

Die lezte Stunde des Abends wandt 'er zum Nachdenken uͤber ſich ſelbſt an. Er ſezte ſich nemlich entweder auf dem Gipfel des Berges nieder, wo er das ganze Sternbeſaͤte Himmelsgewoͤlbe uͤber ſich hatte, oder er luſt - wandelte auch wohl in der Abendkuͤhle nach dem Strande zu. Dan pflegt' er ſich ſelbſt in Gedanken folgende Fragen vorzulegen:

Wie haſt du dieſen Tag nun wieder hinge - bracht? Biſt du im Genuß der Gaben Got - tes, die dir heute wiederum zu Theil gewor - den ſind, auch wohl des großen Gebers der - ſelben immer eingedenk geweſen? Hat dein Herz auch Liebe und Dankbarkeit gegen ihn em - pfunden? Haſt du ihm vertrau't, wenn's dir uͤbel ging, und haſt du ſeiner nicht ver - geſſen, wenn du froͤlich wareſt? Haſt du je - den boͤſen Gedanken, der dir einfiel, jede boͤſe Begierde, die in dir rege ward, auch ſo gleich unterdruͤkt? Und haſt du alſo heute wirklich zugenommen im Guten?

So oft nun ſein Herz auf dieſe und aͤhnliche Fragen mit einem freudigen Ja! antwortenC 4konte:40konte: o wie war ihm dan ſo wohl! Und mit welcher Inbrunſt ſang er dan ein Loblied zum Preiſe des großen Gottes, der zum Gutes thun ihm Seegen verliehen hatte! So oft er aber Urſache fand, mit ſich ſelbſt nicht ſo ganz zufrie - den zu ſein: o wie ſchmerzte es ihn dan, einen Tag ſeines Lebens verloren zu haben! Denn fuͤr verloren hielt er jeden Tag, an dem er etwas gedacht oder gethan hatte, was er am Abend deſſelben misbilligen mußte. Neben dem Striche, womit er einen ſolchen Tag in ſeinem Kalenderbaume bezeich - nete, pflegte er ein Kreuz einzugraben, um ſich beim Anblik deſſelben ſeines Unrechts zu erin - nern, und ſich ins kuͤnftige deſtomehr davor in Acht zu nehmen.

Seht, lieben Kinder, ſo machte es Ro - binſon, um taͤglich beſſer und froͤmmer zu werden. Iſt es euch nun auch ein wirklicher Ernſt mit der Ausbeſſerung eures Herzens: ſo rathe ich euch, ihm darin nachzuahmen. Sezt gleichfals, ſo wie er, eine Abendſtunde feſt, um uͤber eure Auffuͤhrung an dem jedesmahlver -41verfloſſenen Tage im Stillen nachzudenken; und findet ſichs, daß ihr etwas gedacht, gere - det, oder gethan habt, was ihr vor Gott und eurem eigenen Gewiſſen nicht gut heiſſen koͤnt: ſo ſchreibt es in ein kleines Buͤchelchen, um euch von Zeit zu Zeit wieder daran zu erinnern, und vor der abermahligen Begehung ebendeſſelben Fehlers auf immer in acht zu nehmen. So werdet ihr, gleich ihm, von Tage zu Tage beſſer, und alſo auch von Tage zu Tage zufriedener und gluͤklicher werden.

Hiermit ſtand der Vater auf; und jeder von der Geſelſchaft ging allein in einen beſon - dern Gang des Gartens, um den guten Rath deſſelben ſogleich in Erfuͤllung zu bringen.

Vier -42

Vierzehnter Abend.

Nun, Kinder, fuhr der Vater am fol - genden Abend fort auf eben die Weiſe, wie ich euch geſtern erzaͤhlt habe, lebte unſer Robinſon einen Tag, wie den andern, drei volle Jahre lang. In dieſer ganzen Zeit ſezte er ſeine Schifbauerarbeit unablaͤßig fort; und wie weit meint ihr nun wohl, daß er in der langen Zeit mit dieſer ſeiner Arbeit ge - kommen ſei? Ach! der Stam war noch nicht einmahl zur Haͤlfte ausgehoͤhlt, und es ſchien noch immer ſehr zweifelhaft zu ſein, ob er, bei aller ſeiner Arbeitſamkeit, in drei oder vier andern Jahren mit dem ganzen Werke zu Stande kommen wuͤrde!

Dennoch arbeitete er unermuͤdet fort: denn was ſolt 'er anders machen? Und etwas zuthun43thun wolt 'er und muſt' er doch nun einmahl haben! Eines Tages aber fiel ihm ploͤzlich ein, daß er dieſe Inſel nun ſchon ſo lange bewohne, und gleichwohl erſt den kleinſten Theil derſelben geſehen habe. Das iſt doch nicht recht, dacht 'er, daß du durch deine Furchtſamkeit dich ſo lange haſt abhalten laſ - ſen, eine Reiſe von einem Ende der Inſel bis an das andere zu thun. Wer weiß, was du in andern Gegenden derſelben zu deinem Vor - theil haͤtteſt entdekken koͤnnen!

Dieſer Gedanke wurde ſo lebendig in ſei - ner Sele, daß er ſich auf der Stelle entſchloß, die Reiſe gleich mit Anbruch des folgenden Tages anzutreten.

Nikolas. Wie groß war denn die Inſel wohl?

Vater. Ohngefaͤhr ſo groß, als das ganze hamburgiſche Gebiet zuſammen ge - nommen, das Amt Rizebuͤttel nicht mit ge - rechnet; etwa vier Meilen lang und zwoͤlf im Umkreiſe.

Noch44

Noch an eben demſelben Tage machte er alles zu ſeiner Abreiſe fertig. Am andern Morgen bepakte er eins ſeiner Lama's mit Lebensmitteln auf vier Tage, legte ſeine ganze Ruͤſtung an, empfahl ſich dem goͤtlichen Schuze und machte ſich getroſt auf den Weg. Seine Abſicht aber war, ſich, ſo viel moͤglich, am Stran - de zu halten, weil er den dichten Waͤldern, aus Furcht vor wilden Thieren, noch immer nicht traute.

An dieſem erſten Tage ſeiner Wander - ſchaft fiel eben nichts Merkwuͤrdiges mit ihm vor. Er machte ohngefaͤhr drei Meilen an demſelben, und je weiter er kam, deſto mehr uͤberzeugte er ſich, daß er ſeinen Aufenthalt grade in der unfruchtbarſten Gegend der Inſel genommen habe. An vielen Orten fand er Fruchtbaͤume, die er noch nie geſehen hatte, von denen er aber mit Recht vermuthete, daß ſie ihm ein geſundes und wohlſchmekkendes Nahrungsmittel gewaͤhren wuͤrden. Nachher lernte er, mit dem eigentlichen Gebrauch derſelben, auch ihre Nahmen kennen. Es be -fand45fand ſich darunter der Brodfruchtbaum, der eine große Frucht traͤgt, welche die In - dianer auf mancherlei Weiſe zuzurichten wiſſen, und ſie dan ſtat des Brodes eſſen; ferner der Papiermaulbeerbaum, aus deſſen Rinde die Japaneſer ein ſchoͤnes Papier, und die Bewohner der Inſel Otaheite ein ſchoͤnes Sommerzeug zu Kleidern verfertigen, wovon ich euch nachher eine kleine Probe zeigen wil, die ich aus England erhalten habe.

Die Nacht brachte Robinſon aus Furcht vor wilden Thieren auf einem Baume zu; und mit Anbruch des Tages ſezt 'er ſeine Reiſe fort.

Er war noch nicht lange gegangen, als er das aͤuſſerſte ſuͤdliche Ende der Inſel erreichte. Hier war der Boden an einigen Stellen etwas ſandigt. Indem er nun nach der lezten Land - ſpize hingehen wolte: blieb er ploͤzlich, wie vom Donner geruͤhrt, auf einer Stelle ſtehen, wurde blaß, wie die Wand, und zitterte am ganzen Leibe.

Johannes. Warum denn?

Va -46

Vater. Er ſahe, was er hier zu ſehen nicht vermuthet hatte, die Fußſtapfen eines, oder mehrerer Menſchen, im Sande.

Nikolas. Und davor erſchrickt er ſo? Das ſolte ihm ja lieb ſein!

Vater. Die Urſache ſeines Schreckens war dieſe: er dachte ſich in dieſem Augenblik - ke den Menſchen, von dem dieſe Spur herruͤhrte, nicht als ein mit ihm verbruͤdertes, Liebe ath - mendes Weſen, welches bereit waͤre, ihm zu helfen und zu dienen, wo es nur koͤnte: ſon - dern als ein grauſames menſchenfeindliches Ge - ſchoͤpf, daß ihn wuͤthend anfallen, ihn toͤdten und verſchlingen wuͤrde. Mit einem Worte: er dachte ſich bei dieſer Spur keinen geſitteten Europaͤer; ſondern einen wilden menſchenfreſ - ſenden Kannibalen, deren es damahls, wie ihr ſchon wißt, auf den Karibiſchen Inſeln ſol gegeben haben.

Gotlieb. Ja, das glaub 'ich; da muſt' er auch wohl vor erſchrecken!

Vater. Aber weiſer und beſſer waͤre es doch geweſen, wenn er ſich von Jugend anhaͤtte47haͤtte gewoͤhnt gehabt, vor keiner auch noch ſo groſ - ſen Gefahr dergeſtalt zu erſchrekken, daß er ſeines Verſtandes nicht mehr machtig bliebe. Und dahin, meine lieben Kinder, koͤnnen wir es alle bringen, wenn wir uns nur fruͤhzeitig genug bemuͤhen, geſund und ſtark an Leib und Sele zu werden.

Johannes. Ja, wie wird man das aber?

Vater. Dadurch, lieber Johannes, wenn man durch eine arbeitſame, maͤßige und, ſo viel moͤglich, natuͤrliche Lebensart ſeinen Koͤrper ab - zuhaͤrten, und ſeinen Geiſt durch unbefleckte Tugend und Gottesfurcht uͤber jede Abwech - ſelung des Schikſals zu erheben und gegen je - des Ungluͤk im Voraus zu bewafnen ſucht. Wenn ihr alſo, nach unſerm Beiſpiel, euch mit einem maͤßigen Genuſſe geſunder, einfa - cher, und unerkuͤnſtelter Speiſen zu begnuͤgen, und das ſuͤße Gift der Lekkereien immer mehr zu verſchmaͤhen lernt; wenn ihr den Muͤſſiggang, als eine Peſt des Leibes und der Sele flieht und, ſo viel es immer moͤglich iſt, bald durchKopf -48Kopfarbeit durch Lernen und Nachden - ken bald durch Handarbeit beſchaͤftiget ſeid; wenn ihr euch oft freiwillig uͤbt, et - was ſehr Angenehmes, das ihr gar zu gern haben moͤgtet und auch haben koͤntet, aus eigener Entſchlieſſung zu entbehren, und etwas ſehr Unangenehmes, das euch aͤuſſerſt zuwider iſt und das ihr auch abwehren koͤn - tet, mit Vorſaz zu uͤbernehmen; wenn ihr euch der Huͤlfleiſtungen anderer Menſchen ſo wenig als moͤglich bedient, und vielmehr durch euren eigenen Verſtand, und durch eure eigene Leibeskraͤfte eure jedesmaligen Beduͤrfniſſe zu befriedigen, euch ſelbſt zu rathen und aus Ver - legenheiten zu ziehen ſucht; wenn ihr endlich in eurem ganzen Leben den großen Schaz eines guten Gewiſſens zu bewahren, und dadurch euch des Beifals und der Liebe unſers almaͤch - tigen und alguͤtigen himmliſchen Vaters zu ver - ſichern euch beſtrebt: dan, liebſte Kinder, werdet ihr geſund und ſtark an Leib und Sele ſein; dan werdet ihr bei jeder Abwechſelung des Schikſals ruhig bleiben, weil ihr alsdan uͤber -zeugt49zeugt ſeid, daß euch nichts begegnen kan, was euch nicht von einem weiſen und liebe - vollen Gotte zu eurem wahren Beſten zuge - ſandt werde.

Unſer Robinſon hatte es, wie wir ſehen, in dieſer auf Gottesfurcht gegruͤndeten Stand - haftigkeit noch nicht ſo weit gebracht, als zu ſeiner Ruhe und Gluͤckſeeligkeit noͤthig geweſen waͤre. Daran war wohl ohnſtreitig dieſes Schuld, daß er nun einige Jahre hindurch ein ganz ruhiges von allen Gefahren und Un - gluͤksfaͤllen freies Leben gefuͤhrt hatte. Die gar zu große Ruhe und Sicherheit verderben den Menſchen, machen ihn weibiſch und furcht - ſam; und es iſt daher eine wahre Wohlthat Gottes, wenn er uns zuweilen einige Wider - waͤrtigkeiten zuſchikt, die unſere Leibes - und Selenkraͤfte in Thaͤtigkeit ſezen und unſern Muth durch Uebung ſtaͤrken muͤſſen.

Robinſon ſtand, wie wir gehoͤrt haben, beim Anblik der Menſchenſpur, wie vom Don - ner geruͤhrt. Furchtſam blikt 'er umher, lauſchte mit großer Aengſtlichkeit auf jedesDkleine50kleine Geraͤuſch der Blaͤtter, und wuſte vor Verwirrung lange nicht, wozu er ſich entſchlieſ - ſen ſolte. Endlich rafte er ſich auf, flohe, wie einer, der verfolgt wird, und hatte nicht das Herz, auch nur ein einziges mahl ſich umzu - ſehen. Aber ploͤzlich machte ihn etwas ſtuzen, und verwandelte ſeine Furcht in Grauſen und Entſezen.

Er ſahe bereitet euch, Kinder, einen ſchreklichen Anblik zu ertragen, und den ſchauervollen Zuſtand zu ſehen, worin Men - ſchen gerathen koͤnnen, welche ohne Erziehung und Unterricht aufwachſen und ſich ſelbſt uͤber - laſſen bleiben! Er ſahe einen Ort, woſelbſt ein runder Kreis in die Erde gegraben war, in deſſen Mitte er eine ehemalige Feuerſtelle erblikte. Rund um dieſen Ort herum lagen mich ſchaudert indem ichs erzaͤhlen muß Hirnſchalen, Haͤnde, Fuͤße und andere Gebei - ne menſchlicher Koͤrper, von denen das Fleiſch abgenagt war.

Alle. Von wem? von wem?

Va -51

Vater. Von Menſchen; doch nein, nur von menſchenaͤhnlichen Geſchoͤpfen, die ſo dum und viehiſch aufgewachſen waren, daß ſie, gleich wilden Thieren, weder von Ekkel, noch von mitleidiger Menſchenliebe abgehalten wur - den, das Fleiſch ihrer geſchlachteten Bruͤder zu verzehren. Es wohnten nemlich damahls, wie ich, wo mir recht iſt, ſchon einmahl er - zaͤhlt habe, auf den Karibiſchen Inſeln wilde Menſchen, die man Karaiben, Kan - nibalen oder Menſchenfreſſer nante, weil ſie die abſcheuliche Gewohnheit hatten, alle ihre Feinde, die ſie im Kriege lebendig gefan - gen kriegten, zu ſchlachten, unter Tanzen und Singen zu braten, und dan mit unmenſchli - chem Heißhunger zu verſchlingen.

Lotte. Fi! die abſcheulichen Leute!

Vater. Ihre unmenſchlichen Sitten, lie - be Lotte, wollen wir verabſcheuen, aber nicht die armen Leute ſelbſt, die ja nichts davor koͤnnen, daß man ſie nicht unterrichtet und erzogen hat. Haͤtteſt du das Ungluͤk gehabt, unter ſolchen armen Wilden geboren zu wer -D 2den:52den: gewiß! du wuͤrdeſt eben ſo, wie ſie, nakt, wild und unvernuͤnftig in Waͤldern herumlau - fen, wuͤrdeſt dein Geſicht und deinen Leib mit Roͤthel beſchmieren, man wuͤrde dir Ohren und Naſe durchloͤchert haben, du wuͤrdeſt dich nicht wenig darauf einbilden, Vogelfedern, Mu - ſchelſchalen und andere Dinge darin zu tragen, und an den unmenſchlichen Mahlzeiten deiner wilden Eltern und Landsleute wuͤrdeſt du ei - nen eben ſo frohen Antheil nehmen, als du jezt an unſern beſſern Speiſen nimſt. Freuet euch alſo, lieben Kinder, und danket Gott dafuͤr, daß er euch von geſitteten, vernuͤnftigen und menſchlichgeſinten Eltern hat laſſen gebohren wer - den, die es euch ſo leicht machen, auch geſittete, vernuͤnftige und menſchlichgeſinte Menſchen zu werden, und bedauert das Schikſal unſrer armen Bruͤder, die noch jezt in dem ungluͤkſeeligen Zu - ſtande einer thieriſchen Wildheit leben!

Frizchen. Wo ſind denn wohl jezt noch ſolche Menſchen?

Johannes. Weit, weit von hier, Frizchen, auf einer Inſel die man Neu: See -land53land nent! Vater hat's uns vorigen Winter aus einer Reiſebeſchreibung vorgeleſen. Da ſollen die Leute auch noch ſo wild und barba - riſch ſein, daß ſie Menſchenfleiſch eſſen. Aber die Englaͤnder, die ſie entdekt haben, werden ſie wohl zahm machen.

Frizchen. Das iſt gut!

Vater. Laßt uns nun wieder zu unſerm Robinſon zuruͤkkehren. Er wandte ſein Geſicht von dieſem graͤßlichen Schauſpiel weg, ihm wurde uͤbel, und er wuͤrde in Ohnmacht geſunken ſein, wenn die Natur ſich nicht durch ein heftiges Erbrechen geholfen haͤtte.

Sobald er ſich ein wenig erhohlt hatte, rante er mit der aͤuſſerſten Geſchwindigkeit davon. Kaum daß ſein treues Lama ihm fol - gen konte. Doch lief es ihm nach. Aber ſo ſehr hatte die Furcht den Verſtand unſers ar - men Robinſons umnebelt, daß er auf ſeiner Flucht dieſes ihm folgenden Thieres vergaß, die Tritte deſſelben fuͤr den Fußtrit eines ihm nachjagenden Kannibalen hielt, und daher mit der groͤßten Selenangſt alle ſeine Kraͤfte an -D 3ſtrengte,54ſtrengte, um ihm zu entlaufen. Noch nicht genug; auch ſeine Ruͤſtung, ſeinen Spieß, ſeinen Bogen, ſogar ſein ſteinernes Beil die er jezt uͤber alles haͤtte werth achten ſol - len warf er von ſich, weil ſie ihm im Laufen hinderten. Dabei achtete er ſo wenig auf den Weg, daß er bald hier, bald da aus - beugte und am Ende, da er gar nicht mehr wuſte, wo er war, ſich in einem ordentlichen Zirkel herum drehete und nach ohngefaͤhr ei - ner Stunde wieder an demſelben ſchreklichen Orte war, von wannen ſein Lauf angefangen hatte.

Neues Entſezen! Neue Betaͤubung! denn er merkte nicht, daß dies eben der Ort ſei, den er ſchon einmahl geſehen habe; ſondern hielt ihn fuͤr ein zweites Denkmahl der un - menſchlichen Grauſamkeit derer, vor welchen er flohe. Er rante alſo mit der Schnelligkeit des Sturmwindes davon, und hoͤrte nicht eher auf zu laufen, bis er ermattet, ohnmaͤchtig und ſinlos zu Boden ſtuͤrzte.

In -55

Indeß er ſo lag und von ſich ſelbſt nichts wuſte, fand ſein Lama ſich wieder bei ihm ein und lagerte ſich zu ſeinen Fuͤſſen. Zufaͤl - liger Weiſe war dies grade eben dieſelbe Stelle, wo er vorher ſeine Waffen abgeworfen hatte Da er alſo nach einiger Zeit die Augen wie - der oͤfnete, fand er alle das Seinige neben ſich im Graſe liegen. Dies und alles vor - hergehende ſchien ihm jezt ein Traum zu ſein; er wuſte nicht, weder wie er ſelbſt, noch wie alles dies hierher gekommen ſei, ſo ſehr hatte die Furcht ihn aller Beſonnenheit beraubt!

Er machte ſich von neuem auf; aber da die Heftigkeit des Affekts ſich unterdeß um etwas gelegt hatte: ſo war er nunmehr ſorg - faͤltiger darauf bedacht, ſeine Waffen, das einzige Vertheidigungsmittel, welches er hat - te, zu erhalten, und nahm ſie mit ſich. Er fuͤhlte ſich aber ſo entkraͤftet, daß es ihm un - moͤglich war, ferner eben ſo geſchwind als vor - her zu laufen, ſo ſehr die Furcht ihn auch dazu antrieb. Der Hunger war ihm fuͤr den ganzen Tag vergangen, und nur ein einzi -D 4ges56ges mahl nahm er ſich die Zeit, ſeinen Durſt bei einer Quelle zu ſtillen.

Er hofte ſeine Burg zu erreichen; aber dies war ihm unmoͤglich. Da es ſchon ange - fangen hatte Nacht zu werden, befand er ſich noch uͤber eine halbe Stunde weit von ſeiner Wohnung an einem Orte, den er ſeinen Sommerpallaſt zu nennen pflegte. Dieſer beſtand aus einer Laube und aus einer ziem - lich weiten Umzaͤunung, worin er einen Theil ſeiner Heerde hielt, weil hier viel fetteres Gras, als in der Gegend ſeiner ordentlichen Wohnung wuchs. Er hatte hier in dem lezt - verfloſſenen Jahre verſchiedene Sommernaͤchte zugebracht, weil es daſelbſt weniger Musqui - tos gab; und darum hatte er dieſer Laube den obbenanten Nahmen gegeben.

Seine Kraͤfte waren gaͤnzlich erſchoͤpft und es war ihm unmoͤglich weiter zu gehen, ſo gefaͤhrlich es ihm auch vorkam in einer un - verwahrten Laube zu ſchlafen. Er beſchloß alſo da zu bleiben. Kaum aber hatte er ſich, ganz ermattet, den Kopf vol ſchwerer Gedan -ken57ken und mehr traͤumend als wachend, auf den Boden hingeſtrekt, als er ploͤzlich einen neuen Schrek hatte, der ihn beinahe getoͤdtet haͤtte.

Johannes. Hilf Himmel! was dem doch alles begegnen muß!

Nikolas. Was war's denn?

Vater. Er hoͤrte eine Stimme, wie vom Himmel herab, die ihm ganz vernehm - lich zurief: Robinſon, armer Robinſon, wo biſt du geweſen? wie komſt du hierher?

Gottlieb. Tauſend! Was mogte denn das ſein?

Vater. Robinſon ſprang erſchrokken auf, zitterte, wie ein Espenblat, und wuſte nicht, ob er davon laufen oder bleiben ſolte. In demſelben Augenblikke hoͤrt 'er die nem - lichen Worte noch einmahl ausſprechen, und da er ſeine Augen nach dem Orte, woher der Schal kam, hinrichtete: fand er was meint ihr?

Alle. Ja, wer kan das wiſſen!

D 5Va -58

Vater. fand er, was der Furchtſa - me faſt immer finden wuͤrde, wenn er ſich nur Zeit zur Unterſuchung naͤhme, daß er gar nicht Urſache gehabt habe zu erſchrekken. Die Stimme kam nemlich nicht vom Himmel, ſondern von einem Zweige ſeiner Laube, auf welchem ſein lieber Papagai ſaß.

Alle. Ah!

Vater. Dieſer hatte zu Hauſe vermuth - lich lange Weile gehabt, und weil er einige mahle ſeinen Herrn nach der Sommerlaube begleitet hatte: ſo ſucht 'er ihn hier auf. Robinſon hatte ihm aber die Worte, die er jezt ausſprach, zu mehreren mahlen vorge - ſagt, und alſo hatt' er ſie behalten.

Wie froh war Robinſon die Urſache ſei - nes abermahligen Schrekkens entdekt zu ha - ben! Er ſtrekte ſeine Hand aus, rief Pol! und flugs huͤpfte das vertrauliche kurzweilige Ding herab auf ſeinen Daumen, legte den Schnabel an ſeine Bakken und fuhr fort zu ſchwazen: Robinſon, armer Robinſon, wo biſt du geweſen?

Faſt59

Faſt die ganze Nacht hindurch konte Ro - binſon vor Furcht und ſorgſamen Gedanken kein Auge zu thun. Immer ſtand ihm der graͤßliche Ort vor Augen, den er geſehen hat - te, und vergebens bemuͤhete er ſich, ſeine Ein - bildungskraft davon abzuziehen. O zu was fuͤr thoͤrigten und ſchaͤdlichen Entſchlieſſungen ſchreitet der Menſch, wenn die Leidenſchaften erſt einmahl ſeinen Verſtand verfinſtert haben! Robinſon faßte hundert Anſchlaͤge ſich zu retten, wo - von der eine immer noch unweiſer, als der andere war. Unter andern koͤnt ihr es glauben? beſchloß er, ſobald es Tag ge - worden waͤre, alles zu zerſtoͤren, was er bis jezt mit ſo viel ſauerm Schweiſſe gemacht hatte. Er wolte die Laube, worin er jezt lag, dan die Verzaͤunung vor derſelben, ein - reiſſen und ſeine Lama's laufen laſſen, wohin ſie wolten. Dan wolte er eine gleiche Ver - wuͤſtung mit ſeiner ordentlichen Wohnung vor - nehmen und die ſchoͤne Baumwand zernichten, die er vor derſelben angelegt hatte. Endlich wolt 'er auch ſeine Gaͤrten und Pflanzungengaͤnz -60gaͤnzlich zerſtoͤren, damit auf der ganzen Inſel gar keine Spur irgend eines von Menſchen - haͤnden gemachten Werkes uͤbrig bliebe.

Johannes. J, warum denn das?

Vater. Damit die Wilden, wenn ſie etwa einmahl in dieſe Gegend kaͤmen, gar nicht merken koͤnten, daß ein Menſch da ſei.

Jezt wollen wir ihn ſeinen unruhigen Gedanken uͤberlaſſen, weil wir ihm doch nicht helfen koͤnnen; und indem wir uns auf unſer eigenes ſicheres Lager legen, wollen wir unſern freudigen Dank dem guten Gotte bringen, der uns in einem Lande gebohren werden ließ, wo wir unter geſitteten, uns liebenden und hel - fenden Menſchen leben, und nichts von wil - den Unmenſchen zu beſorgen haben.

Alle. Gute Nacht, Vater! Und Dank fuͤr die ſchoͤne Erzaͤhlung!

Funf -61

Funfzehnter Abend.

Der Vater fuhr fort:

Kinder, es iſt ein wahres Sprichwort: guter Rath komt Morgen. Das koͤnnen wir aus Robinſons Beiſpiel lernen.

Ihr wiſſet, welche thoͤrigte Entſchlieſſun - gen ihm geſtern ſeine unmaͤßige Furcht eingab. Wohl bekam es ihm, daß er die Ausfuͤhrung derſelben auf den morgenden Tag verſchieben muſte: denn kaum hatte das liebliche Tages - licht die dunkeln Schatten der Nacht vertrie - ben, als er die Dinge von einer ganz andern Seite betrachtete. Was er geſtern fuͤr gut, weiſe und nothwendig hielt, das ſchien ihm jezt ſchlecht, thoͤrigt, und unnoͤthig zu ſeyn. Mit einem Worte, er verwarf alle die uͤber - eilten Anſchlaͤge, welche die Furcht ihm einge - floͤßt hatte, und faßte andere, welche von der Vernunft gebilliget wurden.

Sein62

Sein Beiſpiel, lieben Kinder, diene euch zur Warnung, daß ihr in Dingen, die einigen Aufſchub leiden, nie gleich von der erſten Ent - ſchlieſſung unmittelbar zur That ſchreitet, ſon - dern vielmehr wenn es ſein kan, die Ausfuͤh - rung auf den folgenden Tag verſchiebet.

Robinſon fand jezt, daß ſeine geſtrige Furcht uͤbertrieben geweſen ſei. Ich bin nun ſchon ſo lange hier, dacht 'er bei ſich ſelbſt, und noch nie iſt ein Wilder in die Gegend meiner Wohnung gekommen. Beweis genug, daß auf der Inſel ſelbſt keine leben muͤſſen. Aller Wahrſcheinlichkeit nach, kommen alſo nur zuweilen einige derſelben von einer andern In - ſel heruͤber, um hier ihre Siegesfeſte zu fei - ern und ihre unmenſchlichen Mahlzeiten anzu - ſtellen; und vermuthlich landen dieſe immer auf dem ſuͤdlichen Ende der Inſel, und fah - ren wieder ab, ohne ſich weiter auf derſelben umzuſehen. Das iſt alſo abermahls ein groſſer Beweis von der Guͤte der goͤtlichen Vorſehung, daß ich grade an dieſen unfruchtbaren Theil der Inſel habe muͤſſen geworfen werden, wel -cher63cher der ſicherſte fuͤr mich war. Wie ſolt 'ich ihr denn nicht zutrauen duͤrfen, daß ſie auch ferner mich beſchuͤtzen und vor Gefahren behuͤten werde, da ihre weiſen und guten Fuͤh - rungen bis hieher ſo ſichtbar geweſen ſind!

Hier macht 'er ſich ſelbſt die bitterſten Vor - wuͤrfe, daß er bei ſeiner geſtrigen uͤbertriebenen Furcht ſo wenig Vertrauen auf Gott bewie - ſen habe; warf ſich reuevol auf ſeine Knie und bat um Verzeihung dieſer ſeiner abermah - ligen Verſchuldung. Dan trat er neugeſtaͤrkt den Weg zu ſeiner Wohnung an, um dasje - nige ins Werk zu richten, was er nunmehr beſchloſſen hatte.

Johannes. Was wolt 'er denn nun thun?

Vater. Er wolte nur noch einige Ver - anſtaltungen zu ſeiner groͤſſern Sicherheit tref - fen; und darin handelte er uͤberaus vernuͤnf - tig. Denn ohngeachtet wir der goͤtlichen Vor - ſehung zutrauen muͤſſen, daß ſie, wenn wir nach ihrem heiligen Willen zu leben uns be - ſtreben, uns in keiner Noth verlaſſen werde: ſo muͤſſen wir doch auch von unſerer Seitenichts64nichts verſaͤumen, was zu unſerer Sicherheit und zu unſerm Gluͤkke etwas beitragen kan. Denn dazu hat eben der liebe Gott uns un - ſern Verſtand und alle andere Kraͤfte unſerer Sele und unſers Leibes gegeben, daß wir zur Befoͤrderung unſerer Gluͤkſeeligkeit ſie an - wenden ſollen.

Das erſte, was er vornahm, war dieſes, daß er in einer kleinen Entfernung von der Baumwand, die ſeine Wohnung einſchloß, einen dichten Wald anlegte, welcher verhin - dern ſolte, daß ſeine Burg von fern nicht koͤn - te geſehen werden. In dieſer Abſicht pflanzte er nach und nach wohl 2000 Zweige von dem weidenartigen Baume ein, deſſen leichtes Fort - kommen und ſchnellen Wachsthum er nun ſchon erfahren hatte. Er pflanzte ſie aber nicht in Reihen, ſondern mit Fleiß unordentlich durch einander hin, damit das Ganze ein natuͤrli - ches, nicht durch Menſchenhaͤnde angelegtes Gebuͤſch zu ſein ſchien.

Naͤchſtdem beſchloß er, aus dem innerſten ſeiner Hoͤhle einen unterirdiſchen Gang bis andas65das andere Ende des Berges durchzufuͤhren, um, im Fal der Noth, wenn ſeine Feſtung von Fein - den erſtiegen waͤre, ſich durch dieſen Ausgang retten zu koͤnnen. Dies war aber wieder ein muͤhſeeliges und langwieriges Geſchaͤft und es verſteht ſich von ſelbſt, daß die Schifbauerar - beit daruͤber vor's erſte eingeſtelt werden muſte.

Er verfuhr aber bei dieſem Ausgraben des unterirdiſchen Weges eben ſo, wie die Berg - leute bei Anlegung der Stollen verfahren.

Gotlieb. Was ſind das Stollen?

Johannes. Weißt du nicht mehr? Erſt graben ja die Bergleute ſo grade hinein in die Erde, als wenn ſie einen Brunnen machen wol - ten, das nennen ſie einen Schacht; und denn, wenn ſie ſchon ein bischen tief gegraben haben: ſo machen ſie erſt Quergaͤnge zu den Seiten, und die nennen ſie Stollen. Dan graben ſie wieder einen Schacht und dan wieder einen Stollen, bis ſie an Stellen kommen, wo das Erz liegt.

Vater. Gut erklaͤrt! Nun, ſeht ihr, wenn ſie nun ſo in die Quere, (man nent dasEHo -66Horizontal) graben: ſo wuͤrde ihnen die Erde von oben auf den Kopf fallen, wenn ſie dieſelbe nicht zu befeſtigen ſuchten. Alſo muͤſſen ſie, in - dem ſie weiter arbeiten wollen, dieſe Erde erſt durch Pfaͤle und Querhoͤlzer ſtuͤzen, damit ſie feſt liege; und eben ſo macht 'es nun auch Ro - binſon.

Alle Erde, die er heraus arbeitete, warf er an die Baumwand, und trat ſie feſt, ſo daß dadurch nach und nach eine Erdmauer entſtand, die wohl acht Fuß dik und wenigſtens zehn Fuß hoch war. An verſchiedenen Stellen hatt 'er kleine Loͤcher, wie Schießſcharten, offen gelaſ - ſen, um durchſehen zu koͤnnen. Zugleich hatt' er einige Treppen eingeſchnitten, um mit Be - quemlichkeit auf und abſteigen und ſeine Feſtung, wenn es einmahl noͤthig ſein ſolte, von der Mau - er herab vertheidigen zu koͤnnen.

Nun ſchien er vor einem ploͤzlichen Ueber - falle hinlaͤnglich geſichert zu ſein. Aber wie? wenn die Feinde ſich einfallen lieſſen, ihn foͤrm - lich zu belagern? Wie da?

Der67

Der Fal ſchien nicht unmoͤglich zu ſein; er hielt es alſo fuͤr noͤthig, ſich auch darauf gefaßt zu machen, um nicht durch Hunger und Durſt zur Uebergabe genoͤthiget zu werden. In die - ſer Abſicht beſchloß er, wenigſtens ein milchge - bendes Lama immer auf ſeinem Hofraume zu halten und zum Unterhalte deſſelben einen nur in der Noth anzugreifenden Heuſchober in Be - reitſchaft zu haben; ferner ſo viel Kaͤſe, als er nur immer erſparen koͤnte, aufzubewahren und endlich einen Vorrath von Fruͤchten und Auſtern von einem Tage zum andern ſo lange zu ſparen, als ſie ſich nur halten wuͤrden.

Auf die Ausfuͤhrung eines andern Einfals muſt 'er Verzicht thun, weil er voraus ſahe, daß ſie ihm gar zu viel Zeit koſten wuͤrde. Er wuͤnſchte nemlich, die Quelle, welche nicht weit von ſeiner Wohnung hervorſprudelte und einen kleinen Bach machte, durch ſeinen Hofraum lei - ten zu koͤnnen, um im Fal einer Belagerung auch mit Waſſer verſehen zu ſein. Aber da haͤtte er eine ziemlich große Anhoͤhe durchſtechen muͤſ - ſen, welches von einem einzigen Menſchen ohneE 2großen68großen Zeitverluſt nicht geſchehen konte. Er hielt es daher fuͤr beſſer, dieſes Projekt vor der Hand aufzugeben, und wieder zu ſeiner Schif - bauerarbeit zuruͤk zu kehren.

So verſtrichen ihm nun wieder einige Jah - re, in denen eben nichts vorfiel, welches erzaͤhlt zu werden verdiente. Ich eile daher zu einer der wichtigſten Begebenheiten, welche auf das Schikſal unſers guten Freundes einen groͤſſern Einfluß hatte, als alles, was bis hieher auf ſeiner Inſel ihm begegnet war.

Es war an einem ſchoͤnen warmen Morgen, als Robinſon, da er ſchon mit ſeinem Schif - bau beſchaftiget war, in einiger Entfernung von ſich unvermuthet einen ſtarken Rauch aufſteigen ſahe. Seine erſte Empfindung bei dieſem An - blik war Schrekken, die zweite Neugier; und beide trieben ihn an, ſo geſchwind er konte nach dem Berge hinter ſeiner Wohnung zu laufen, um von da zu ſehen, was doch die Urſache da - von ſein moͤgte. Kaum hatt 'er den Berg be - ſtiegen, als er zu ſeiner noch weit groͤſſern Be - ſtuͤrzung wenigſtens fuͤnf Kanoes, oder kleineKaͤhne,69Kaͤhne, am Strande, und bei einem großen Feuer wenigſtens 30 Wilde erblikte, die unter barbariſchen Gebehrden und Freudensbezeugun - gen einen Rundtanz hielten.

So ſehr nun auch Robinſon auf ein ſolches Schauſpiel vorbereitet war, ſo fehlte doch nicht viel, daß er nicht abermahls vor Angſt und Schrekken alle Beſonnenheit verlor. Doch rief er diesmahl ſeinen Muth und ſein Vertrau - en auf Gott geſchwinder zuruͤk; ſtieg eiligſt hin - ab, um ſich in den noͤthigen Vertheidigungs - ſtand zu ſezen; legte ſeine ganze Ruͤſtung an und faßte im Vertrauen auf Gott den maͤnlichen Entſchluß, ſein Leben, ſo lange er koͤnte, zu vertheidigen. Kaum hatt 'er dieſe Entſchlieſ - ſung genommen und durch ein kurzes Gebet ſich darin beſtaͤrkt, als es ihm ſo leicht ums Herz ward, daß er Muth genug fuͤhlte, die Strik - leiter wieder hinan zu klettern, um die Bewe - gungen der Feinde von dem Gipfel des Berges herab zu beobachten.

Aber wie ſchlug ihm das Herz von Unwillen und Entſezen, da er ziemlich deutlich zwei un -E 3gluͤk -70gluͤkliche Menſchen aus den Kaͤhnen hohlen und nach dem Feuerplaze hinſchleppen ſahe! Er zwei - felte nicht, daß ſie zur Schlachtbank gefuͤhrt werden ſolten, und in demſelben Augenblikke wurde dieſe ſeine Vermuthung auf die ſchrek - lichſte Weiſe beſtaͤtiget. Einige der Unmenſchen ſchlugen nemlich den einen Gefangenen zu Bo - den und ein Paar andere fielen uͤber ihn her, vermuthlich, um ihm den Leib aufzuſchneiden und ihn zu ihrem abſcheulichen Gaſtmahle zu zubereiten. Unterdeß ſtand der andere Gefan - gene als ein Zuſchauer bei dieſem unmenſchlichen Schauſpiele da, bis die Reihe an ihn kommen wuͤrde. Aber ploͤzlich, da dieſer arme Menſch merkte, daß alle mit ſeinem geſchlachteten Ka - meraden beſchaͤftiget waren und eben nicht ſehr auf ihn achteten, ergrif er, in der Hofnung ſein Leben zu retten, die Flucht, und lief mit unglaublicher Geſchwindigkeit grade nach der Ge - gend zu, wo Robinſons Wohnung war.

Freude, Hofnung, Furcht und Grauen er - griffen jezt zugleich das Herz unſers Helden und faͤrbten ſeine Wangen bald mit hoher Roͤthe,bald71bald mit Todtenblaͤſſe; Freude und Hofnung, weil er bemerkte, daß der Entronnene viel ſchnel - ler laufen konte, als die, welche ihn verfolgten; Furcht und Grauen hingegen, weil der Verfolgte und die Verfolger ihren Weg grade nach ſeiner Burg zu nahmen. Indeß war zwiſchen dieſen und jenen noch ein kleiner Meerbuſen, den der Ungluͤkliche durchſchwimmen muſte, wenn er ſich nicht gefangen geben wolte. Allein kaum war er dabei angekommen, als er ohne ſich einen Augenblik zu beſinnen, hineinplumpte und mit eben der Schnelligkeit, die er im Laufen bewie - ſen hatte, nach dem gegenſeitigen Ufer ſchwam.

Zwei ſeiner Verfolger, welche die Vorder - ſten waren, ſchwammen ihm nach, die uͤbrigen kehrten zu ihrem verruchten Gaſtmahle zuruͤk. Mit innigem Vergnuͤgen bemerkte Robinſon, daß dieſe beiden auch im Schwimmen dem Er - ſten bei weiten nicht gleich kamen. Dieſer flohe ſchon gegen ſeine Wohnung zu, indeß die An - dern noch nicht zur Haͤlfte durchgeſchwommen waren.

E 4In72

In dieſem Augenblikke fuͤhlte unſer Ro - binſon ſich von einem Muthe beſeelt, der ſo groß und feurig noch nie in ihm erwacht war. Seine Blikke ſpruͤheten Feuer; ſein Herz dreng - te ihn, dem Ungluͤklichen beizuſpringen; er er - grif ſeine Lanze und ohne ſich einen Augenblik laͤnger zu bedenken, rant 'er den Berg hinab und war in einem Hui! zwiſchen dem Verfolg - ten und ſeinen Verfolgern. Halt! rief er dem Erſten mit lauter donnernder Stimme zu, in - dem er aus dem Gebuͤſch hervorſprang; halt! Der arme Fluͤchtling ſahe ſich um, und erſchrak beim Anblik des uͤber und uͤber in Felle gehuͤlten Robinſons, den er vermuthlich fuͤr ein uͤber - menſchliches Weſen hielt, dergeſtalt, daß er nicht wußte, ob er ſich vor ihm niederwerfen oder entfliehen ſolte.

Robinſon winkte ihm mit der Hand, gab ihm zu erkennen, daß er zu ſeiner Beſchuͤzung da ſei, und ruͤkte dabei almaͤhlig gegen ſeine bei - den Verfolger an. Jezt war er ſo weit gekom - men, daß er den erſten mit ſeinem Spieß er - reichen konte. Er ermante ſich, und verſezteihm73ihm einen ſo nachdruͤklichen Stoß in den nakten Leib, daß er zu Boden ſtuͤrzte. Der Andere, welcher noch ohngefaͤhr hundert Schritte entfer - net war, ſtuzte; holte darauf einen Pfeil her - vor und ſchoß auf Robinſon, indem dieſer eben auf ihn los gehen wolte. Der Pfeil traf grade die Stelle des Herzens, aber gluͤkli - cher Weiſe nur ſo ſchwach, daß er von der har - ten Pelzjakke, wie von einem Panzer zuruͤk - pralte, ohne ihm auch nur im geringſten zu ver - lezen.

Unſer muthige Streiter ließ dem Feinde nicht Zeit, einen zweiten Schuß zu thun; er rante auf ihn zu, und ſtrekte ihn in den Sand, indem er eben wieder den Bogen ſpante. Und jezt ſah er ſich nach dem Geretteten um.

Der arme Fluͤchtling ſtand zwiſchen Furcht und Hofnung noch auf derſelben Stelle, auf der ihm Robinſon zugerufen hatte, ungewiß ob das, was vorging, zu ſeiner Errettung ge - ſchaͤhe, oder ob die Reihe jezt an ihn kommen werde. Der Sieger rief ihm abermahls zu und winkte ihm, herbei zu kommen. Er gehorchte;E 5ſtand74ſtand aber bald wieder ſtille, trat abermahls etwas naͤher und ſtand von neuem ſtille und zwar mit ſichtbarer Angſt und in der Stellung eines Betenden. Robinſon gab ihm alle er - ſinliche Zeichen von Freundſchaftsbezeugung und winkte ihm abermahls herzu zu treten. Er thats; doch kniete er alle zehn oder zwoͤlf Schritte mit den demuͤthigſten Gebehrden nieder, als wenn er ihm danken, und zugleich ihm huldigen wolte.

Robinſon nahm hierauf ſeine Maſke ab um ihm ein menſchliches und freundliches Ge - ſicht zu zeigen; worauf er ohne Bedenken naͤher trat, vor ihm niederkniete, den Boden kuͤßte, ſich plat niederlegte und Robinſons Fuß auf ſeinen Nakken ſezte, vermuthlich zur Verſiche - rung, daß er ſein Sklav ſein wolle. Unſer Held, dem es mehr um einen Freund, als um einen Sklaven zu thun war, hob ihn liebreich auf, und ſuchte ihn auf jede nur moͤgliche Weiſe zu uͤberzeugen, daß er nichts als Gutes und Liebes von ihm zu erwarten habe. Allein da war noch mehr zu thun.

Einer75

Einer der Erſchlagenen, der den Stich nur in den[Unterleib] bekommen hatte und ver - muthlich nicht toͤdtlich verwundet war, fing an ſich wieder zu erhohlen, und etwas ausgeriſſe - nes Gras in die Wunde zu ſtopfen um das Blut zu ſtillen. Robinſon machte ſeinen Wilden aufmerkſam darauf und dieſer antwortete ihm einige Worte in ſeiner Landesſprache, die jener zwar nicht verſtand, aber welche doch wie Mu - ſik in ſeinen Ohren toͤnten, weil es die erſte menſchliche Stimme war, die er nach ſo vielen Jahren wieder hoͤrte. Hierauf zeigte der In - dianer auf ſein ſteinernes Beil, dan auf ſich, und gab zu verſtehen, daß er ſeinem Feinde vol - lends den Reſt damit zu geben wuͤnſchte. Unſer Held, der ungern Menſchenblut vergoß und gleichwohl die Nothwendigkeit, den Verwun - deten voͤllig umzubringen, erkante, gab ſeinem Schuzgenoſſen das Beil, und wandte ſeine Au - gen weg. Dieſer lief drauf hin; und ſpaltete dem Verwundeten auf einen Streich den Sche - del bis in die Schulter herab. Dan kam er la - chend wieder zuruͤk und legte mit vielen ſonder -baren76baren Gebehrden das Beil und die Hirnſchale des Erſchlagenen zum Zeichen des Sieges zu Robin - ſons Fuͤßen nieder.

Dieſer gab ihm durch Zeichen zu verſtehen, daß er die Bogen und Pfeile der Getoͤdteten nehmen und ihm folgen ſolte. Der Wilde hin - gegen bedeutete ihm, daß er erſt die todten Koͤr - per im Sande verſcharren wolte, damit ihre Kameraden, wenn ſie etwa nachfolgen ſolten, ſie nicht finden moͤgten. Robinſon bezeugte ihm Beifal uͤber dieſe ſeine Vorſichtigkeit, und da war er mit ſeinen Haͤnden ſo hurtig daruͤber aus, daß er in weniger, als einer Viertelſtun - de ſchon beide Leichname verſchart hatte. Dan wanderten Beide nach Robinſons Wohnung und erſtiegen den Berg.

Lotte. Aber, Vater, nun war ja Ro - binſon ein Moͤrder geworden.

Frizchen. J, das waren ja nur Wilde, die er umgebracht hatte; das thut nichts!

Lotte. Ja, es waren aber doch Men - ſchen!

Va -77

Vater. Allerdings waren ſie das, Friz - chen, und wild oder geſittet thut hier nichts zur Sache. Die Frage iſt nur, ob er ein Recht dazu hatte, dieſe Ungluͤklichen umzubringen? Was meinſt du, Johannes?

Johannes. Ich glaube, daß er recht daran that.

Vater. Und warum?

Johannes. Weil ſie ſolche Unmenſchen waren, und weil ſie ſonſt den andern armen Wilden wuͤrden todt gemacht haben, der ihnen doch wohl nichts mogte zu Leide gethan haben.

Vater. Aber wie konte Robinſon das wiſſen? Vielleicht hatte dieſer den Tod ver - dient? Vielleicht waren diejenigen, die ihn ver - folgten, Diener der Gerechtigkeit, die von ih - rem Oberhaupte dazu befehliget waren. Und dan, wer hatte Robinſon zum Richter uͤber ſie beſtelt?

Nikolas Ja, aber wenn er ſie nicht ge - toͤdtet haͤtte, ſo wuͤrden ſie ſeine Burg geſehen haben, und dan haͤtten ſie es den Andern wie - der erzaͤhlt

Got -78

Gotlieb. Und denn waͤren ſie alle gekom - men und haͤtten den armen Robinſon ſelbſt umgebracht.

Frizchen. Und aufgefreſſen dazu!

Vater. Jezt ſeid ihr auf dem rechten Flekke; zu ſeiner eigenen Sicherheit muſt 'er's thun, ganz recht! Aber iſt man denn wohl be - rechtiget, um ſein eigenes Leben zu retten, ei - nen Andern umzubringen?

Alle. O ja!

Vater. Warum?

Johannes. Weil Gott wil, daß wir unſer Leben erhalten ſollen, ſo lange wir nur koͤnnen. Wenn alſo einer uns umbringen wil, ſo muß es ja wohl recht ſein, ihn erſt umzu - bringen, damit er's wohl muͤſſe bleiben laſſen.

Vater. Allerdings, lieben Kinder, iſt eine ſolche Nothwehr nach menſchlichen und goͤt - lichen Geſezen recht, aber wohl gemerkt! nur in dem einzigen Fal, wenn ganz und gar kein anderes Mittel zu unſerer ei - genen Rettung uͤbrig iſt. Haben wir hin - gegen Gelegenheit, entweder zu entfliehen, odervon79von Andern beſchuͤzt zu werden, oder unſern Ver - folger auſſer Stand zu ſezen, uns zu ſchaden: ſo iſt ein Angrif auf ſein Leben ein wirklicher Mord, und wird auch von der Obrigkeit, als ein ſolcher, beſtraft.

Vergeßt nicht, lieben Kinder, Gott zu danken, daß wir in einem Lande leben, in wel - chem die Obrigkeit ſo gute Veranſtaltungen zu unſerer Sicherheit getroffen hat, daß unter hun - dert tauſend Menſchen hoͤchſt ſelten ein Ein - ziger in die traurige Nothwendigkeit gera - then kan, von dem Rechte der Nothwehr Gebrauch machen zu muͤſſen.

Genug fuͤr heute!

Sech -80

Sechzehnter Abend.

Nachdem die Geſelſchaft am folgenden Abend ſich wieder verſamlet hatte, und das Gewoͤhn - liche ah! von Robinſon! von Robin - ſon! von Mund zu Mund geflogen war, fuhr der Vater in ſeiner merkwuͤrdigen Erzaͤh - lung folgendermaßen fort:

Das Schikſal unſers Robinſons, lieben Kinder, das uns allen ſo ſehr am Herzen liegt, iſt noch nicht entſchieden. Er erſtieg, wie wir gehoͤrt haben, mit ſeinem geretteten Wilden den Berg hinter ſeiner Wohnung; und da haben wir ihn geſtern verlaſſen, ungewiß, was aus beiden weiter werden wuͤrde? Seine Lage war noch immer ſehr gefaͤhrlich: denn was konte man wahrſcheinlicher vermuthen, als daß die Wil - den, ſo bald ſie ihre unmenſchliche Mahlzeit wuͤrden vollendet haben, ihren ausgebliebenenbeiden81beiden Kameraden nachgehen und den entronne - nen Gefangenen aufſuchen wuͤrden? Und thaten ſie das, wie ſehr ſtand dan nicht zu beſorgen, daß ſie Robinſons Wohnung entdekken, ſie mit Gewalt erſtuͤrmen und ihn mit ſeinem Schuzgenoſſen zugleich abſchlachten wuͤrden?

Robinſon ſchauderte bei dieſem Gedanken, indem er auf dem Gipfel des Berges hinter ei - nem Baume ſtand, und den abſcheulichen Freu - densbezeugungen und Taͤnzen der wilden Un - menſchen von ferne zuſahe. Er uͤberlegte in der Geſchwindigkeit, was wohl am beſten ſei, zu fliehen? oder ſich in ſeine Burg zu begeben? Ein Gedanke an Gott, den Beſchuͤzer der Un - ſchuld, gab ihm Kraft und Muth das Leztere zu erwaͤhlen. Er kroch alſo, um nicht geſehen zu werden, hinter niedrigem Geſtraͤuche bis zu ſeiner Strikleiter fort und befahl ſeinem Gefaͤhr - ten durch Zeichen ein Gleiches zu thun. Und ſo ſtiegen beide hinab.

Hier machte der Wilde große Augen, da er die bequeme und ordentliche Einrichtung der Wohnung ſeines Erretters ſahe, weil er ſo wasFſchoͤ -82ſchoͤnes in ſeinem ganzen Leben noch nicht geſe - hen hatte. Es war ihm ohngefaͤhr eben ſo da - bei zu Muthe, als wenn ein Landman, der nie aus ſeinem Dorfe gekommen iſt, zum erſten - mahle in einen Pallaſt gefuͤhrt wird.

Robinſon gab ihm durch Zeichen zu ver - ſtehen, was er von ſeinen grauſamen Landsleu - ten fuͤr ſich und ihn beſorgte, und bedeutete ihm, daß er entſchloſſen ſei, ſein Leben bis auf den lezten Blutstropfen gegen ſie zu vertheidigen. Der Wilde verſtand ihn, machte ein grimmiges Geſicht, ſchwenkte das Beil, welches er noch in Haͤnden hatte, einige mahl uͤber dem Kopfe, und wandte ſich darauf mit fuͤrchterlichen Ge - behrden drohend nach der Seite hin, wo ſeine Feinde waren, als wenn er ſie zum Kampf heraus foderte, um durch dies alles ſeinem Schuzhern zu erkennen zu geben, daß es ihm gleichfals nicht an Muthe fehle, ſich tapfer ge - gen ſie zu wehren. Robinſon lobte ſeine Herzhaftigkeit, gab ihm einen Bogen nebſt ei - nem ſeiner Spieſſe (denn er hatte deren nach und nach mehrere verfertiget) in die Hand undſtelte83ſtelte ihn, als Schildwache, an ein kleines Loch, welches er mit Fleiß in der Baumwand gelaſſen hatte, und wodurch man den kleinen Zwiſchen - raum uͤberſehen konte, der das von ihm gepflanz - te Gebuͤſch von der Baumwand trente. Er ſelbſt ſtelte ſich in ſeiner ganzen Ruͤſtung an die andere Seite der Wand, wo er gleichfals ein ſolches Wachtloch offen gelaſſen hatte.

In dieſer Stellung hatten ſie ohngefaͤhr ei - ne Stunde zugebracht, als ſie ploͤzlich durch ein wildes, aber noch ziemlich fernes Geſchrei vieler Stimmen erſchrekt wurden. Beide machten ſich fertig zum Streit, und winkten einer dem andern zu, um ſich gegenſeitig aufzumuntern. Es wurde wieder ſtil; dan ertoͤnte abermahls ein aͤhnliches Geſchrei und zwar ſchon etwas naͤher, worauf von neuem eine fuͤrchterliche Stille folg - te. Jezt

Lotte. O Vater, ich laufe weg, wenn ſie kommen!

Frizchen. Fi! wer wolte wohl ſo eine feige Memme ſein!

F 2Got -84

Gotlieb. Laß du nur, Lotte! Robin - ſon wird ſich ſchon wehren; davor iſt mir gar nicht bange.

Lotte. Na, ihr ſolt ſehen, ſie werden ihn gewiß todt machen.

Johannes. O ſtille!

Vater. Jezt ließ ſich ziemlich nahe eine einzige rauhe Stimme hoͤren, die in das Ge - buͤſch fuͤrchterlich herein ſchrie und von dem Echo des Berges wiederhohlt wurde. Schon ſtanden un - ſere muthigen Kaͤmpfer bereit; ſchon hatte jeder ſei - nen Bogen geſpant, um dem Erſten der ſich wuͤrde blikken laſſen, einen Pfeil in den Leib zu ſchieſſen. Ihre Augen funkelten von muthiger Erwartung und waren unverwandt auf diejenige Gegend des Gebuͤſches gerichtet, aus welcher die Stimme erſchollen war.

Hier hielt der Vater ploͤzlich ein, und alle beobachteten ein erwartungsvolles Stilſchweigen. Aber es erfolgte nichts. Endlich fragten ihn alle wie mit einem Munde: warum er denn nicht fortfuͤhre? Und der Vater antwortete:

Um85

Um euch abermahls eine Gelegenheit zu geben, eure Begierden baͤndigen zu ler - nen! Vermuthlich ſeid ihr jezt alle ſehr neu - gierig, den Ausgang des fuͤrchterlichen Kampfes zu wiſſen, der unſerm Robinſon bevorzuſte - hen ſcheint; auch bin ich, wenn ihr es ſo wolt, ſogleich bereit, ihn euch zu erzaͤhlen. Aber wie? wenn ihr freiwillig Verzicht darauf thaͤtet? Wenn ihr eure Neugierde bekaͤmpftet und die Befriedigung derſelben bis auf Morgen verſchoͤ - bet? Ihr ſolt indeß euren freien Willen haben; ſprecht: wolt ihr? oder nicht?

Wir wollen! Wir wollen! war die al - gemeine Antwort, und ſo wurde die Fortſe - zung der Erzaͤhlung bis auf den folgenden Abend ausgeſezt. *Unſere jungen Leſer muͤſſen aber wiſſen, daß alle dieſe Kinder ſeit einiger Zeit, ſo manche Uebung in der Selbſtuͤberwindung gehabt hat - ten, daß es ihnen gar nicht mehr ſauer wurde, auch auf ihre liebſten Vergnuͤgungen, wenn es ſein muſte, mit lachendem Munde Verzicht zu thun; und ſie werden wohl thun, wenn ſie dieſe Kinder, die ſich ſehr gut dabei befinden, darin nachzuahmen ſuchen.

F 3Jeder86

Jeder ſezte unterdeß, bis zum Eſſen getrom - melt wurde, ſeine gewoͤhnliche Handarbeit unter lehrreichen Geſpraͤchen fort. Einige machten Koͤrbe, andere Schnuͤre und wiederum andere entwarfen Riſſe zu einer kleinen Feſtung, die man naͤchſten Tages auf dem großen Hofraume anlegen wolte; und erſt am folgenden Abend fuhr der Vater in der abgebrochenen Erzaͤhlung alſo fort:

Robinſon und ſein muthiger Bundsge - noſſe blieben in derjenigen kriegeriſchen Stellung, worin wir ſie geſtern verlaſſen haben, bis gegen Abend ſtehen, ohne fernerhin das Geringſte zu ſehen oder zu hoͤren. Endlich ward es beiden ſehr wahrſcheinlich, daß die Wilden von ihrer vergeblichen Nachſuchung wohl muͤſten nachgelaſ - ſen, und in ihren Kaͤhnen ſich wieder nach ihrer Heimath begeben haben. Sie legten alſo ihre Waffen nieder, und Robinſon hohlte etwas von ſeinem Vorrathe zum Abendeſſen herbei.

Weil dieſer merkwuͤrdige Tag, der in der Geſchichte unſers Freundes ſich ſo vorzuͤglich aus - zeichnet, grade ein Freitag war; ſo beſchloßer87er ſeinem geretteten Wilden den Nahmen deſ - ſelben zu geben und nant 'ihn alſo Freitag.

Robinſon hatte jezt erſt Zeit, ihn etwas genauer zu betrachten. Es war ein wohlgewach - ſener junger Menſch, ohngefaͤhr zwanzig Jahr alt. Seine Haut war ſchwarzbraun und glaͤn - zend; ſein Haar ſchwarz, aber nicht wolligt, wie das Haar der Mohren, ſondern lang, ſei - ne Naſe kurz, aber nicht flach; ſeine Lippen wa - ren klein und ſeine Zaͤhne weiß, wie Elfenbein. In beiden Ohren trug er allerhand Muſchel - werk und Federn, worauf er ſich nicht wenig einzubilden ſchien. Uebrigens gieng er nakt vom Kopf bis zu den Fuͤßen.

Eine von den vorzuͤglichſten Tugenden un - ſers Robinſons war die Schamhaftigkeit. So groß daher auch ſein Hunger war, ſo nahm er ſich doch erſt Zeit, fuͤr ſeinen nakten Hausge - noſſen aus einem alten Felle eine Schuͤrze zu ſchneiden und ſie durch Bindfaden zu befeſtigen. Dan gab er ihm zu verſtehen, daß er ſich neben ihm ſezen ſolte, um das Abendbrod mit ihm zu eſſen. Freitag (denn ſo wollen wir ihn nunF 4kuͤnf -88kuͤnftig auch nennen) naͤherte ſich ihm mit allen erſinlichen Zeichen der Ehrerbietung und der Dankbarkeit, kniete alsdan vor ihm nieder, legte ſeinen Kopf abermahls plat auf die Erde, und ſezte eben ſo, wie er es das erſtemahl gemacht hatte, ſeines Befreiers Fuß auf ſeinen Nakken.

Robinſons Herz, welches die Freude uͤber einen ſo lange gewuͤnſchten Geſelſchafter und Freund kaum faſſen konte, haͤtte ſich lieber durch Liebkoſungen und zaͤrtliche Umarmungen ergoſ - ſen: aber der Gedanke, daß es zu ſeiner eigenen Sicherheit gut ſei, den neuen Gaſtfreund, deſ - ſen Gemuͤthsart er noch nicht kante, eine Zeit - lang in den Schranken einer ehrerbietigen Unter - werfung zu erhalten, bewog ihn, die Huldigung deſſelben, als etwas, welches ihm gebuͤhre, an - zunehmen, und eine Zeitlang den Koͤnig mit ihm zu ſpielen. Er gab ihm alſo durch Zeichen und Gebehrden zu verſtehen, daß er ihn zwar in ſeinen Schuz genommen habe, aber nur un - ter der Bedingung eines ſtrengen Gehorſams: daß er ſich alſo muͤſſe gefallen laſſen, alles das zu thun oder zu laſſen, was er, ſein Herr undKoͤ -89Koͤnig ihm zu befehlen oder zu verbieten fuͤr gut erachten wuͤrde. Er bediente ſich dabei des Worts Ratſchike, womit die wilden Amerikaner ihre Oberhaͤupter zu benennen pflegen, wie er ſich gluͤklicher Weiſe erinnerte, einmahl gehoͤrt zu haben.

Mehr durch dieſes Wort, als durch die da - mit verbundenen Zeichen, verſtand Freitag die Meinung ſeines Herrn und aͤuſſerte ſeine Zufrie - denheit daruͤber, indem er das Wort Katſchike einige mahl mit lauter Stimme widerholte, da - bei auf Robinſon wies und ſich von neuem ihm zu Fuͤßen warf. Ja, um zu zeigen, daß er recht gut wiſſe, was es mit der koͤniglichen Gewalt zu bedeuten habe, ergrif er den Spieß, gab ihn ſeinem Herrn in die Hand, und ſezte die Spize deſſelben ſich ſelbſt auf die Bruſt, ver - muthlich um dadurch anzuzeigen, daß er mit Leib und Leben in ſeiner Macht ſtehe. Robinſon reichte ihm hierauf mit der Wuͤrde eines Mo - narchen freundlich die Hand zum Zeichen ſeiner koͤniglichen Huld, und befahl ihm abermahls, ſich zu lagern, um die Abendmahlzeit mit ihmF 5ein -90einzunehmen. Freitag gehorchte; doch ſo, daß er ſich zu ſeinen Fuͤßen auf den flachen Bo - den niederſezte, indeß Robinſon auf einer Grasbank ſaß.

Seht, Kinder, auf dieſe oder auf eine aͤhn - liche Weiſe ſind die erſten Koͤnige in der Welt entſtanden. Es waren Maͤnner, die an Weis - heit, an Muth und an Leibesſtaͤrke andern Men - ſchen uͤberlegen waren. Daher kamen dieſe zu ihnen, um ſie zu bitten, ſie gegen wilde Thiere, deren es anfangs mehr gab, als jezt, und gegen ſolche Menſchen zu beſchuͤzen, die ihnen Unrecht thun wolten. Dafuͤr verſprachen ſie dan, ihnen in allen Stuͤkken gehorſam zu ſein, und ihnen von ihren Heerden und von ihren Fruͤch - ten jaͤhrlich etwas abzugeben, damit ſie ſelbſt nicht noͤthig haͤtten, ſich ihren Unterhalt zu er - werben, ſondern ſich ganz allein mit der Sorge fuͤr ihre Unterthanen beſchaͤftigen koͤnten. Die - ſe jaͤhrliche Gabe, welche die Unterthanen dem Koͤnig zu bringen, verſprachen, nante man dan den Tribut, oder die jaͤhrlichen Abgaben. So entſtand die koͤnigliche Gewalt; ſo die Pflichtdes91des Gehorſams und der Unterwuͤrfigkeit gegen ei - nen oder mehrere Menſchen, in deren Schuz man ſich begeben hat.

Robinſon war alſo nunmehr ein wirklicher Koͤnig, nur daß ſeine Herſchaft ſich nicht wei - ter, als uͤber einen einzigen Unterthan und eini - ge Lamas erſtrekte; den Papagai mit einbegrif - fen. Seine Majeſtaͤt geruhete indeß ſich zu ihrem Vaſallen ſo ſehr herabzulaſſen, als es ihre Wuͤrde nur immer geſtatten wolte.

Frizchen. Was iſt das, ein Vaſal?

Vater. Eben ſo viel, als Unterthan, lie - ber Friz.

Nach aufgehobner Tafel geruhete ſeine Ma - jeſtaͤt in hohen Gnaden zu verordnen, wie es mit dem Nachtlager gehalten werden ſolte. Sie fand fuͤr gut, ihren Unterthan der nun zu - gleich auch ihr erſter Staatsminiſter, und ihr Kammerdiener, ihr General und ihre Armee, ihr Kammerherr, Oberhofmar - ſchal, und Kaſtelan war, vor der Hand noch nicht in ihrer eigenen Hoͤhle, ſondern in ihrem Keller ſchlafen zu laſſen, weil ſie es fuͤr bedenk -lich92lich hielt, ihr Leben und das Geheimniß des ver - borgenen Ausganges aus der Hoͤhle einem Neu - ling anzuvertrauen, deſſen Treue noch nicht ge - pruͤft und alſo auch noch nicht bewaͤhrt gefunden war. Freitag erhielt alſo die Anweiſung, et - was Heu in den Keller zu tragen, um ſich ein Lager daraus zu bereiten, indeß ſeine Majeſtaͤt ſelbſt, um mehrerer Sicherheit willen, alle Waffen in ihr eigenes Schlafgemach trug.

Dan geruhete ſie im Angeſicht ihres ganzen Reichs ein Beiſpiel von Herablaſſung und De - muth zu geben, welches vielleicht das Einzige in ſeiner Art iſt. Ihr werdet daruͤber erſtau - nen, und ihr wuͤrdet es fuͤr unglaublich halten, wenn ich euch nicht verſicherte, daß es in den Jahr - buͤchern der Regierung unſers Robinſons mit klaren Worten geleſen werde und durch dieſelben ſchon laͤngſt weltkuͤndig geworden ſei. Koͤnt ihr es glauben: Robinſon, der Monarch, Robin - ſon, der unumſchraͤnkte Koͤnig und Beherſcher der ganzen Inſel, Robinſon, der Herr uͤber das Leben und den Tod aller ſeiner Unterthanen, verrichtete vor Freitags Augen das Amt einerStal -93Stalmagd, und molk mit eigener hoher Hand, die im Hofraum befindliche La - ma's, um ſeinem Premierminiſter, dem er dies Geſchaͤft kuͤnftig zu uͤbertragen beſchloſſen hatte, zu zeigen, wie er es machen muͤſſe!

Hier hielt der Vater ein, um dem algemei - nen Gelaͤchter Raum zu geben, welches dieſer poſſierliche Umſtand erregt hatte. Dan fuhr er folgendermaßen fort:

Freitag wuſte noch nicht, was das, was er ſeinen Herrn verrichten ſahe, zu[be]deuten habe; denn ſein und ſeiner Landsleute ſchwacher Ver - ſtand war noch nicht darauf verfal[l]en, daß die Milch der Thiere wohl eine nahrhafte und ge - ſunde Speiſe ſei. Noch nie hatt 'er Milch ge - koſtet und war daher ganz entzuͤkt uͤber den an - genehmen Geſchmak derſelben, da ihm Robin - ſon davon zu koſten gab.

Nach alle dem, was beide an dieſem Tage ausgeſtanden hatten, ſehnten ſie ſich nun nach Schlaf und Ruhe. Robinſon gebot daher ſei - nen Vaſallen zu Bette zu gehen; er ſelbſt that ein Gleiches. Doch vergaß er nicht, ehe er ſichſchla -94ſchlafen legte, Gott fuͤr die Abwendung der Ge - fahren des Tages, und fuͤr die Zufuͤhrung ei - nes menſchlichen Gehuͤl[f]en inbruͤnſtig zu dan - ken.

Siebzehnter Abend.

Johannes.

Nun ſol mich doch verlangen zu hoͤren, was Robinſon mit ſeinem Freitag alles vorneh - men wird!

Diderich. O nun wird er ſchon viel mehr machen koͤnnen, als vorher, weil er jezt einen Gehuͤlfen hat!

Vater. Ihr werdet immer mehr ſehen, Kinder, was fuͤr große Vortheile dem Men - ſchen durch die Geſelligkeit zuflieſſen, und wie viel Urſache wir alſo haben, Gott zu dan - ken, daß er den Trieb nach Umgang und Freund -ſchaft95ſchaft mit andern Menſchen uns ſo tief einge - pflanzt hat!

Das erſte, was Robinſon mit ſeinem Freitag am andern Morgen vornahm, war ein Gang nach der Stelle, wo die Wilden den Tag vorher ihre unmenſchliche Siegesmahlzeit gehal - ten hatten. Im Hingehen kamen ſie zu naͤchſt an den Ort, wo die beiden von Robinſon er - ſchlagenen Wilden verſchart lagen. Freitag zeigte ſeinem Herrn die Stelle, und ließ ſich nicht undeutlich merken, daß er wohl Luſt haͤt - te, die todten Leiber wieder aufzugraben, um eine Mahlzeit davon zu halten. Aber Robin - ſon machte ein erſchrekliches, Unwillen und Ab - ſcheu ausdruͤkkendes Geſicht, hob ſeine Lanze drohend empor, und gab ihm zu verſtehen, daß er ihn auf der Stelle toͤdten wuͤrde, ſobald er ſich jemahls wieder einfallen lieſſe, Menſchen - fleiſch zu eſſen. Freitag verſtand die Drohun[g], und unterwarf ſich demuͤthig dem Willen ſei - nes Herrn, ohngeachtet er nicht begreifen kon - te, was er doch fuͤr Urſachen haben moͤgte, ihm ein Vergnuͤgen zu verſagen, von deſſenAb -96Abſcheulichkeit er ganz und gar keinen Begrif hatte.

Jezt waren ſie bei der Feuerſtelle angekom - men. Welch ein Anblik! Hier lagen Knochen, dort halb zernagte Fleiſchſtuͤkken von Menſchen und an verſchiedenen Stellen war der Boden mit Blut gefaͤrbt. Robinſon muſte ſeine Au - gen davon abkehren. Er befahl Freitag, al - les auf einen Haufen zu werfen, dan ein Loch in die Erde zu graben, und die traurigen Ueber - bleibſel der Unmenſchlichkeit ſeiner Landsleute darin zu verſcharren; und Freitag gehorchte.

Robinſon ſuchte unterdeß mit groſſer Sorg - falt die Aſche durch, ob nicht vielleicht ein Fuͤnk - chen Feuer moͤgte uͤbrig geblieben ſein? Aber umſonſt! Es war gaͤnzlich erloſchen. Das war nun ſehr traurig fuͤr ihn; denn nach dem der Himmel ihm einen Geſelſchafter verliehen hatte, blieb ihm vor der Hand faſt nichts zu wuͤnſchen uͤbrig, als Feuer. Indem er nun mit ge - ſenktem Kopfe da ſtand und mit traurigen Blik - ken die todte Aſche betrachtete: machte Freitag, der ihm eine Zeitlang aufmerkſam zugeſehenhatte,97hatte, einige ihm unverſtaͤndliche Zeichen, er - grif darauf ploͤzlich das Beil, rante wie der Wind nach dem Walde und ließ Robinſon, der ſeine Abſicht nicht begrif, vol Verwunde - rung uͤber dieſes ploͤzliche Weglaufen zuruͤk.

Was iſt das? dacht 'er, indem er vol Erſtaunen ihm nachſahe. Solte der Undank - bare dich verlaſſen, dich ſogar deines Beils be - rauben wollen? Solt' er grauſam genug ſein, ſich deiner Wohnung zu bemaͤchtigen, dich mit Gewalt davon ausſchlieſſen, oder gar dich ſeinen unmenſchlichen Landsleuten verrathen zu wol - len? Schaͤndlich! Schaͤndlich! rief er aus, und ergrif von Unwillen, uͤber eine ſo un - erhoͤrte Undankbarkeit entbrandt, den Spieß, um dem Verraͤther nachzulaufen und ihn zu hindern, ſeine ſchwarzen Anſchlaͤge auszufuͤh - ren.

Schon hatt 'er mit ſchnellen Schritten ſich auf den Weg gemacht, als er ploͤzlich Freitag in vollem Laufe wieder zuruͤkkommen ſahe. Robinſon blieb betroffen ſtehen, und ſahe mit Verwunderung, daß ſein vermeinter VerraͤtherGim98im Herzulaufen eine handvol duͤrres Gras in die Hoͤhe hielt, aus welchem Rauch empor ſtieg. Jezt faßt 'es Flamme; Freitag warf es zur Erde, legte augenbliklich noch mehr troknes Gras und etwas Reisholz hinzu und Robinſon ſahe zu ſeinem freudigem Erſtaunen in demſelben Au - genblikke ein helles, luftiges Feuer auflodern. Auf einmahl war ihm Freitags ploͤzliches Weg - laufen begreiflich; und vor Freude auſſer ſich fiel er ihm um den Hals, druͤkte und kuͤßte ihn mit Inbrunſt, und bat in Gedanken ihn tau - ſendmahl um Verzeihung, daß er einen ſo un - gegruͤndeten Verdacht auf ihn geworfen hatte.

Nikolas. Aber wo mogte denn Freitag das Feuer her gekriegt haben?

Vater. Er war mit dem Beile in den Wald gerant, um von einem troknen Stamme zwei Holzſtuͤkke abzuhauen. Dieſe hatt 'er ſo geſchwind und ſo geſchikt zu reiben gewuſt, daß ſie ſich entzuͤndeten. Dan hatte er hurtig das glimmende Holz in etwas Heu gewikkelt, und war mit dieſem Heu in der Hand ſo ſchnel, als moͤglich, davon gerant. Durch die geſchwindeBe -99Bewegung gerieth das entzuͤndete Heu in Flam - men.

Fr. R. Da hat mir unſer Freund Robin - ſon einmahl wieder gar nicht gefallen!

Johannes. Warum nicht?

Fr. R. Darum nicht, daß er, ohne hin - laͤngliche Anzeigen von Freitags Untreue zu haben, ſo gleich einen ſo ſchwarzen Argwohn gegen ihn faßte. Fi! wer wolte wohl ſo mis - trauiſch ſein!

Johannes. Ja, es haͤtte aber doch wohl ſein koͤnnen, daß es wahr geweſen waͤre, was er beſorgte; und da muſt 'er ſich doch vor ihn in Acht nehmen!

Fr. R. Verſteh 'mich recht, lieber Johan - nes! daß der Gedanke an Freitags moͤgliche Untreue ihm einfiel, verdenk' ich ihm nicht; auch das nicht, daß er ihm nachlief, um ihn zu hindern, fals er etwas wider ihn im Schilde fuͤhren ſolte: denn dieſe Vorſichtigkeit gegen ei - nen noch unbekanten Menſchen war allerdings noͤthig und gut. Aber das verdenk ich ihm, daß er dieſen Argwohn nun gleich fuͤr gegruͤndetG 2hielt,100hielt, daß er in Leidenſchaft gerieth und, von Un - willen entbrandt, ſich gar nicht einfallen ließ, daß Freitag doch wohl unſchuldig ſein koͤnte. Nein! ſo weit muß unſer Mistrauen gegen an - dere Menſchen niemahls gehen, wenn wir nicht die gewiſſeſten Beweiſe ihrer Untreue in Haͤnden haben. In zweifelhaften Faͤllen muß man von Andern immer das Beſte, nie das Schlimſte, vermuthen.

Vater. Eine gute Regel! Merkt ſie euch, Kinder, und richtet euch darnach.

Nun, unſer Robinſon war, wie geſagt, vor Freuden auſſer ſich, da er ſeinen Argwohn zernichtet und ſich nun auf einmahl wieder im Beſiz des ſo lange entbehrten und ſo ſehnlich ge - wuͤnſchten Feuers ſahe. Lange weidete er ſeine Augen an den auflodernden Flammen und konte ſich nicht ſat daran ſehen. Endlich nahm er ei - nen gluͤhenden Feuerbrand und lief damit, von Freitag begleitet, nach ſeiner Wohnung.

Hier macht 'er augenbliklich ein helles Feuer in ſeiner Kuͤche an, legte einige Kartoffeln dazu und flog darauf, wie der Wind, nach ſeinerHeerde,101Heerde, um ein junges Lama zu holen. Die - ſes wurde augenbliklich geſchlachtet, abgeſtreift, zerlegt und ein Viertel davon an den Spieß ge - ſtekt. Freitag wurde zum Bratenwender be - ſtelt.

Unterdeß daß dieſer ſein Amt verrichtete, ſchnit Robinſon ein Bruſtſtuͤk ab, und legt 'es wohl gewaſchen in einen ſeiner Toͤpfe. Dan ſchaͤlt' er einige Kartoffeln, zerſtampfte zwiſchen zweien Steinen eine Handvol Maiz zu Mehl that bei - des zu dem Fleiſch im Topf und goß ſo viel rei - nes Waſſer darauf, als ihm noͤthig zu ſein ſchien. Auch vergaß er nicht etwas Salz dazu zu wer - fen, und dan ſezt 'er dieſen Topf gleichfals an das Feuer.

Lotte. Ich weiß ſchon, was er davon machen wolte! Suppe!

Vater. Ganz recht; eine Speiſe, die er nun wenigſtens in acht Jahren nicht genoſſen hatte! Ihr koͤnt denken, wie der Mund ihm darnach waͤſſern muſte!

Freitag machte bei dieſen Zuruͤſtungen groſ - ſe Augen, weil er noch nicht begreifen konte,G 3wo -102wozu das alles ſolte? Vom Kochen hatt 'er nie etwas gehoͤrt oder geſehen; er wuſte daher auch ſchlechterdings nicht zu errathen, was das Waſ - ſer im Topfe bei dem Feuer machen ſolle? Als nun Robinſon auf einige Augenblikke in ſeine Hoͤhle gegangen war, und das Waſſer im Topfe zu kochen anfing: ſtuzte Freitag, weil es ihm unbegreiflich war, was doch wohl das Waſſer auf einmahl in Bewegung ſezen moͤgte? Da es aber vollends aufbrauſete und von allen Seiten anfing uͤberzulaufen, gerieth er auf den naͤrri - ſchen Einfal, daß vielleicht irgend ein lebendiges Thier darin ſei, welches dieſe ploͤzliche Bewe - gung verurſachte; und um zu verhuͤten, daß dieſes Thier nicht alles Waſſer aus dem Topfe heraus drengte: ſtekt' er hurtig ſeine Hand hinein, um es zu fangen. Aber in eben dem - ſelben Augenblikke fing er ein ſo entſezliches Ge - ſchrei an, daß die Felſenwand der Hoͤhle davon erbebte.

Angſt und Schrekken ergriffen unſern armen Robinſon, da er dies gewaltige Geſchrei ver - nahm, weil er in dem erſten Augenblikke nichtsanders103anders vermuthen konte, als daß die Wilden da waͤren und ſeinen Freitag ſchon gepakt haͤtten. Furcht und Selbſtliebe riethen ihm, ſich durch ſeinen verborgenen unterirdiſchen Gang auf die Flucht zu begeben, um ſein eigenes Leben zu ret - ten. Aber er verwarf dieſen Einfal augen - bliklich wieder, weil er es mit Recht fuͤr ſchaͤnd - lich hielt, ſeinen neuen Hausgenoſſen und Freund im Stiche zu laſſen. Ohne ſich alſo laͤnger zu beſinnen, ſtuͤrzt 'er aus der Hoͤhle hervor, feſt entſchloſſen, fuͤr Freitags abermahlige Befrei - ung aus den Haͤnden der Unmenſchen Blut und Leben zu wagen.

Fr. B. So gefaͤlſt du mir, Freund Ro - binſon!

Vater. Er ſtuͤrzte alſo hervor, das Beil in der Hand: aber wie erſtaunt 'er nicht, da er Freitag ganz allein, wie einen Unſinnigen mit unaufhoͤrlichen Geſchrei herumtanzen und die allerſeltſamſten Gebehrden machen ſahe. Lange ſtand er, wie verduzt, und wuſte nicht, was er davon denken ſolte? Endlich kam es zu Er - klaͤrungen, und da erfuhr er denn durch Zeichen,G 4daß104daß das ganze Unheil nur darin beſtehe, daß Freitag ſich die Hand ein wenig verbrant habe.

Dieſen zu beruhigen, koſtete ihm nicht we - nig Muͤhe. Damit ihr aber begreifen moͤget, (was Robinſon erſt ein Jahr nachher, da Freitag mit ihm reden konte, begrif) warum er, um einer ſolchen Kleinigkeit willen, einen ſo entſezlichen Lerm machte und ſich ſo wunder - lich gebehrdete: ſo muß ich euch erſt ſagen, was unwiſſende, in ihrer Jugend nicht unterrichtete Menſchen zu denken pflegen, wenn ihnen etwas begegnet, wovon ſie die Urſache nicht einzuſehen vermoͤgen.

Dieſe armen einfaͤltigen Menſchen gerathen nemlich alsdan faſt immer auf den Gedanken, daß irgend ein unſichtbares Weſen, ein Geiſt, die Urſache von demjenigen ſei, was ſie nicht begreifen koͤnnen; und ſie meinen, daß dieſer Geiſt eine ſolche Wirkung auf Befehl irgend ei - nes Menſchen thue, dem er dienſtbar geworden ſei. Einen ſolchen Menſchen, dem ſie dieſe Her - ſchaft uͤber einen oder mehrere Geiſter zutrauen, nennen ſie dan einen Zauberer oder Hexen -mei -105meiſter, und wenn's ein Frauenzimmer iſt, eine Zauberin oder Hexe.

Wenn zum Beiſpiel einem armen unwiſſen - den Landmann ploͤzlich ein Pferd oder eine Kuh krank wird, ohne daß ihm die Urſache dieſer Krankheit bekant iſt: ſo geraͤth er leicht auf den dummen Gedanken, daß irgend ein Hexen - meiſter oder eine Hexe im Dorfe ſei, die ſein Pferd oder ſeine Kuh bezaubert, das heißt, durch Huͤlfe eines unſichtbaren boͤſen Geiſtes krank gemacht haͤtten. Da giebt's denn gemei - niglich auch einen liſtigen und boshaften Betruͤ - ger, der ſich der Unwiſſenheit und des Aberglau - bens dieſer armen Leute zu Nuze macht, um Geld von ihnen zu ziehen. Ein ſolcher Betruͤ - ger beſtaͤrkt ſie darauf in ihrem Aberglauben; weiß ſich eine wichtige Miene zu geben; ſagt, ſie haͤtten ganz recht, das Thier waͤre wirklich behext; aber, wenn ſie ihm nur ſo oder ſo viel Geld geben wolten, ſo waͤre er im Stande, das Thier wieder zu entzaubern, oder den Zaube - rer und den boͤſen Geiſt zu zwingen, davon abzu - laſſen. Das thun denn dieſe einfaͤltigen Leute,G 5und106und der Teufelsbanner (ſo nennen ſie den Betruͤger) macht dafuͤr allerlei naͤrriſche Gauke - leien. Wird das Vieh dan etwa zufaͤlliger Wei - ſe wieder geſund: ſo ſchwoͤren ſie darauf, daß es wirklich behext geweſen, aber von dem klu - gen Manne (ſo pflegen ſie den Betruͤger auch wohl zu nennen) wieder entzaubert worden ſei. Stirbt das Vieh aber doch; nun ſo hat der klu - ge Man tauſend Ausreden, wodurch er dem Volke begreiflich zu machen weiß, warum ſeine Bannung ohne ſeine Schuld fruchtlos geblieben ſei.

Je dummer die Menſchen ſind, deſto mehr ſind ſie dieſem ſchaͤdlichen Aberglauben ergeben. Ihr koͤnt alſo denken, daß er vornemlich unter den Wilden im Schwange gehen muß. Alles, was dieſe mit ihrem einfaͤltigen Verſtande nicht begreifen koͤnnen, das ſchreiben ſie den Wirkun - gen boͤſer Geiſter zu; und dies war der Fal worin ſich unſer Freitag jezt befand.

Nie hatt 'er gehoͤrt oder erfahren, daß man Waſſer heiß machen koͤnne; nie hatt' er auch gefuͤhlt, wie es thut, wenn man die Hand inko -107kochendes Waſſer ſtekt: er konte alſo auch ſchlech - terdings nicht begreifen, woher die ſo ſehr ſchmerzhafte Empfindung komme, die ihn ploͤz - lich uͤberfiel, ſo bald das kochende Waſſer ſeine Hand beruͤhrte. Er glaubte alſo ſteif und feſt, daß es mit Zauberei zugehe und daß ſein Herr ein Hexenmeiſter ſei.

Nun, Kinder, macht euch nur darauf gefaßt, es wird euch kuͤnftig auch wohl ein - mahl eins und das Andere vorkommen, deſſen Urſache ihr nicht werdet begreifen koͤnnen. Ihr werdet Taſchenſpieler und Gaukler ſehen, die wunderſeltſame Dinge machen koͤnnen, die z. B. dem Scheine nach, einen Vogel in eine Maus verwandeln, einen gekoͤpften Vogel wieder leben - dig machen koͤnnen u. ſ. w. ohne, daß ihr bei der groͤßten Aufmerkſamkeit im Stande ſeid, die Gaukelei zu entdekken; wenn euch denn auch etwa der Gedanke anwandeln ſolte: das geht nicht mit rechten Dingen zu; das muß ein Hexenmeiſter ſein! ſo erinnert euch unſers Freitags und ſeid verſichert, daß es euch eben ſo, wie ihm geht, daß ihr nemlich ausUn -108Unwiſſenheit etwas fuͤr Uebernatuͤrlich haltet, was im Grunde ſehr natuͤrlich zu geht. Um euch noch mehr darauf vorzubereiten, wollen wir euch gelegentlich einige ſolcher Taſchenſpielerkuͤn - ſte erklaͤren, damit ihr von dieſen auf andere ſchlieſſen koͤnt.

Es koſtete, wie geſagt, viele Muͤhe, den armen Freitag zu beruhigen und ihn zu bewegen, ſich wieder zu dem Braten zu ſezen, um ihn zu wenden. Zwar that er dies endlich, aber den Topf ſah er noch immer mit Grauſen und ſei - nen Herrn, den er nun fuͤr ein unmenſchliches Weſen hielt, mit furchtſamer Ehrerbietung an. In dieſem Glauben beſtaͤrkte ihn die europaͤiſche weiſſe Geſichtsfarbe und der lange Bart deſſel - ben, wodurch er ein ganz anderes Anſehen er - hielt, als Freitag nebſt ſeinen ſchwarzbraunen und unbaͤrtigen Landsleuten hatten.

Nikolas. Haben denn die Wilden in Amerika keinen Bart?

Vater. Nein! man hat daher faſt durch - gaͤngig geglaubt, daß die Natur den Amerika - niſchen Maͤnnern den Bart verſagt habe: jeztaber109aber wil man bemerkt haben, daß ſie ihn blos deswegen nicht haben, weil ſie die Haare des Kinnes, ſo bald ſie hervorwachſen, ſorgfaͤltig auszuraufen pflegen.

Suppe, Kartoffeln[und] Braten waren jezt gar. Da es an Loͤffeln fehlte, ſo goß Robin - ſon zwei Porzionen Suppe in zwei andere Toͤp - fe, um ſie aus dieſen zu trinken. Aber Frei - tag war durchaus nicht zu bewegen, einen der - ſelben anzunehmen, weil er die Suppe fuͤr einen Zaubertrank hielt; und es ſchauderte ihn, da er Robinſon anſezen, und die bezauberte Bruͤhe trinken ſahe. Von dem Braten hingegen und von den Kartoffeln auch er mit großem Wohl - gefallen.

Wie ſehr der Genuß warmer und nahrhafter Speiſen unſern Robinſon erfreuen muſte, koͤnt ihr euch vorſtellen. Er vergaß daruͤber al - ler ausgeſtandnen Muͤhſeeligkeiten der verfloſſe - nen kuͤmmerlichen Jahre, vergaß, daß er noch immer auf ſeiner Inſel ſei, glaubte in ein ander Land, glaubte wieder mitten in Europa verſezt zu ſein. So weiß die guͤtige Vorſehung dieWun -110Wunden unſers Herzens, die ſie zu unſerm Be - ſten ſchlug, und die wir in der Empfindung des Schmerzens fuͤr unheilbar hielten, oft in einem einzigen Augenblikke durch den Balſam unver - hofter Freuden ganzlich wieder zu heilen! Ob uͤbrigens Robinſon im Genuß dieſer neuen Gottesgaben auch an den Geber derſelben mit Lieb 'und Dankbarkeit gedacht habe, brauch ich euch wohl nicht erſt zu ſagen.

Nach der Mahlzeit lagert 'er ſich in ſeinem Gedankenwinkel, um uͤber die gluͤkliche Veraͤn - derung ſeines Zuſtandes ernſthafte Betrachtun - gen anzuſtellen. Alles hatte nun eine andere, viel angenehmere Geſtalt fuͤr ihn gewonnen. Sein Leben war nun nicht mehr einſam; er hat - te einen Geſelſchafter, mit dem er jezt zwar noch nicht reden konte, aber deſſen bloße Geſel - ſchaft ihm doch ſchon jezt zum Troſte und zur Huͤlfe gereichte; er hatte wieder Feuer und der wohlſchmekkenden und geſunden Nahrungsmit - tel genug, um die Beduͤrfniſſe des Gaums und des Magens hinlaͤnglich befriedigen zu koͤnnen. Was kan dich, dacht' er, nun noch hindern,ver -111vergnuͤgt und unbekuͤmmert zu leben? Geneuß alſo der mannigfaltigen Wohlthaten des Him - mels; und trink von deiner Heerde und von den Fruͤchten des Landes das Beſte, (denn du haſt ja Ueberfluß an allem) und halte dich nun durch Ruhe und gutes Eſſen und Trinken ſchad - los fuͤr die ausgeſtandnen Muͤhſeeligkeiten und den Mangel der verfloſſenen Jahre! Dein Frei - tag mag fuͤr dich arbeiten; er iſt jung und ſtark und du haſt es ja um ihn verdient, daß er dein Knecht ſei. Hier ſtokten ſeine Gedanken; denn es kam ihnen eine andere Betrachtung in die Queer.

Aber wie? dacht 'er, wenn deine ganze gegenwaͤrtige Gluͤkſeeligkeit einmahl wieder ein Ende naͤhme? Wenn Freitag ſtuͤrbe? Wenn dein Feuer abermahls erloͤſchte? Ein kalter Schauder lief ihm bei dieſem Gedanken durch alle Glieder.

Und dacht 'er weiter, wenn du durch ein weichliches und wolluͤſtiges Leben dich dan ſo verwoͤhnt haͤtteſt, daß es dir unmoͤglich fiele, zu der Haͤrte und Armſeeligkeit deiner vorigenLe -112Lebensart zuruͤk zu kehren? Und wenn du den - noch, dazu zuruͤk zu kehren, gezwungen wuͤr - deſt? Er ſtieß einen tiefen Seufzer aus.

Dan dacht 'er weiter: Wem haſt denn du es vornemlich zu zuſchreiben, daß du durch Got - tes Huͤlfe manche Schwachheit und Untugend abgelegt haſt, die dir vorher eigen waren? Nicht wahr, lediglich der arbeitſamen und maͤßigen Lebensart, die du bisher zu fuͤh - ren gezwungen wareſt? Und du wolteſt nun durch Muͤßiggang und ſinliches Wohlleben dich in Gefahr ſezen, der Geſundheit des Leibes und des Geiſtes, welche Maͤßigkeit und Arbeitſam - keit dir verliehen haben, wieder verluſtig zu werden? da ſei Gott vor! dacht' er, ſprang von ſeinem Lager auf und ging mit haſtigen Schritten in ſeinem Hofraume auf und nieder. Freitag trug unterdeß die uͤbrig gebliebenen Speiſen in den Keller und ging, auf Robin - ſons Befehl, die Lama's zu melken.

Robinſon fuhr in ſeiner Betrachtung alſo fort: Und, dacht 'er, wenn du von nun an ein ruhiges und ſchwelgeriſches Leben fuͤhrteſt,wie113wie lange wuͤrd 'es dauern, daß du aller uͤber - ſtandenen Noth, und der vaͤterlichen Huͤlfe, die dein lieber Gott bis hieher dir geleiſtet hat, vergeſſen wuͤrdeſt? Wie bald wuͤrdeſt du uͤber - muͤthig, trozig, gottvergeſſen werden? Schrek - lich! ſchreklich! rief er aus und fiel auf ſeine Knie, um Gott zu bitten, daß er ihn doch ja vor dieſem abſcheulichen Undanke bewahren moͤgte.

Noch ſtand er einige Minuten im tiefen Nachdenken; dan faßte ſeine Sele folgende maͤn - liche und wahrhaftig heilſame Entſchlieſſung:

Ich wil, dacht 'er, der neuen goͤtlichen Wohlthaten zwar genieſſen; aber immer mit der groͤßten Maͤßigkeit. Die einfachſten Speiſen ſollen auch kuͤnftig meine Nahrung ſein, ſo groß und mannigfaltig mein Vorrath auch immer ſein mag. Meine Arbeiten wil ich eben ſo unver - droſſen und eben ſo ununterbrochen fortſezen, als bisher, ohngeachtet ſie nicht mehr eben ſo noth - wendig ſein werden. An einem Tage einer jeden Woche, und dies ſei der Sonnabend, wil ich von eben den rohen Speiſen leben, die mich bisHhie -114hieher ernaͤhrt haben, und den lezten Tag eines jeden Monats wil ich eben ſo einſam hinbrin - gen, als ich die ganze verfloſſene Zeit meines hieſigen Aufenthalts habe hinbringen muͤſſen. Freitag ſol dan jedesmahl einen Tag und eine Nacht ſich fern von mir in meinem Sommer - pallaſt aufhalten.

Er empfand, nachdem er dieſe tugendhaf - ten Vorſaͤze gefaßt hatte, die reine himliſche Freude, welche jedes Beſtreben unſers Geiſtes nach groͤſſerer Volkommenheit allemahl zu beglei - ten pflegt. Seine Stirn gluͤhete, ſein Herz empfand ſchon zum voraus die ſeeligen Folgen dieſer freiwilligen Aufopferungen und ſchlug leb - hafter; es war ihm unausſprechlich wohl zu Muthe. Aber er kante nun ſchon die Wankel - muͤthigkeit des menſchlichen Herzens, auch ſei - nes Herzens, und ſahe daher voraus, wie leicht es moͤglich ſei, daß er dieſer ſeiner guten Vor - ſaͤze wieder vergeſſen koͤnte. Er glaubte daher, daß es nicht undienlich ſein wuͤrde, wenn er ſich irgend ein ſinliches Merkzeichen machte, bei deſſen Anblik er ſich taͤglich wieder daran erin -nern115nern koͤnte. In dieſer Abſicht ergrif er ſein Beil und hieb in die Felſenwand uͤber dem Ein - gange zu ſeiner Hoͤhle die beiden Worte ein: Arbeitſamkeit und Maͤßigkeit.

Nun, Kinder, ich geb 'euch bis Morgen Zeit, uͤber dieſen lehrreichen Umſtand in unſers Freundes Leben nachzudenken, ob vielleicht et - was darin ſei, welches ihr zu eurem Beſten nachmachen koͤntet. Wenn wir wieder zuſam - men kommen, ſolt ihr mir eure Gedanken daruͤ - ber mittheilen, ſo wie ich euch die Meinigen ſagen werde.

Achtzehnter Abend.

Am folgenden Tage war ein Fluͤſtern und Zi - ſcheln und eine Bewegung unter dem kleinen Volke, daß man wohl merken konte, es ſei irgend etwas Wichtiges unter ihnen auf dem Ta -H 2pet.116pet. Indeß konte man doch nicht erfahren, was es eigentlich ſei, bis die Stunde zur Ro - binſonserzaͤhlung geſchlagen hatte. Aber da ent - ſtand auch ein Zulaufen und ein Andrengen um den Vater herum, daß dieſer ſich auf die Gras - bank fluͤchten mußte, um nicht zerdruͤkt zu wer - den.

Vater. Nun, was gibt's, was gibt's denn?

Alle. Eine Bitte! lieber Vater! Eine Bitte!

Vater. Und was denn fuͤr eine?

Alle auf einmahl. O ich moͤgte o ich wolte gern o und ich

Vater. Sch! Ja, da verſteh ich kein Wort, wenn ihr alle zugleich ſprechen wolt. Rede einer nach dem Andern! Diderich, fange an!

Diderich. Ich und Nikolas und Johan - nes wolten bitten, daß es uns erlaubt waͤre, morgen Mittag nicht zu eſſen.

Gotlieb. Und ich, und Frizchen und Lot - te wolten bitten, daß wir Morgen zum Fruͤh -ſtuͤk117ſtuͤk nur ein Bischen trokken Brod und den Abend gar nichts eſſen duͤrften.

Vater. Und warum das?

Johannes. Ja, wir wollen uns auch gern uͤberwinden lernen.

Nikolas. Und wolten uns uͤben, ein Bischen Hunger zu ertragen, damit es uns nicht ſauer ankomme, wenn wir einmahl hun - gern muͤſſen.

Gotlieb. Ja, und denn wolten wir Vater auch noch bitten, daß es uns erlaubt ſein moͤgte, Morgen Abend nicht zu Bette zu gehen und die ganze Nacht einmahl zu wachen.

Vater. Und warum denn das?

Gotlieb. J, weil es doch auch wohl ein - mahl kommen kan, daß wir wachen muͤſſen; damit es uns denn nicht zu ſchwer werde.

Vater. Ich freue mich, Kinder, daß ihr die Nothwendigkeit einſehet, ſich zuweilen et - was Angenehmes mit Fleiß zu entziehen, um den Mangel deſſelben, wenn es ſein muß, er - tragen zu lernen. Das macht ſtark an Leib und Sele. Eure Bitte ſei euch alſo gewaͤhrt, dochH 3unter118unter der Bedingung, daß ihr es recht gern thut, daß ihr vergnuͤgt dabei ſeid, und daß ihr es frei heraus ſagt, wenn's euch zu ſchwer fal - len ſolte.

Alle. O es wird uns gewiß nicht zu ſchwer fallen.

Fr. R. Ich folge eurem Beiſpiel, ihr Kleinen, und faſte Morgen Abend auch.

Fr. B. Und ich dem Eurigen, ihr Groͤſ - ſern; wir faſten zuſammen Morgen Mittag, und die Nachtwache halt 'ich mit euch Allen!

Vater. Bravo! Bravo! Nun, ich werde doch nicht allein zuruͤkbleiben auf dem Wege zum Guten? Hoͤrt, wozu ich mich entſchloſſen habe!

Ihr wißt, daß ich in meiner Jugend ſehr verwoͤhnt worden bin. Man hat mir Kaffee und Thee, Bier und Wein zu trinken gegeben. Aus eigener Narheit habe ich als Juͤngling mir den Schnupftabak und Rauchtabak angewoͤhnt. Das Alles ſchwaͤcht nun den Koͤrper gar ſehr und giebt uns ſo viel Beduͤrfniſſe, daß uns alle Augenblikke etwas fehlt und macht daß wir un -zufrie -119zufrieden ſind, wenn wir es nicht haben koͤnnen. Ich habe oft Kopfſchmerzen; vermuthlich wuͤrd 'ich ſie nicht haben, wenn ich nicht von Jugend auf an warme und erhizende Getraͤnke waͤre ge - woͤhnt worden. Dies und das Beiſpiel unſers Robinſons hat mich dan zu der Entſchlieſ - ſung gebracht, von nun an auf Alles dies Ver - zicht zu thun. Alſo von heute an, rauche und ſchnupfe ich keinen Tabak mehr; von heute an, trinke ich keinen Thee, keinen Kaffe, kein Bier und keinen Wein mehr, auſſer an Geburtstagen und andern Freudenfeſten, da wir gemeinſchaft - lich ein wenig Wein trinken wollen, um uns auch uͤber dieſe Gottesgabe zu freuen und dem Geber derſelben dafuͤr zu danken.

Es wird mir ſauer werden, dies Geluͤbde zu erfuͤllen, weil ich ſchon ſo lange verwoͤhnt gewe - ſen und nun ſchon ſo alt bin. Aber mag's! deſto groͤſſer wird auch nachher meine Freude ſein, wenn ich's doch werde erfuͤlt haben. Auch die Leute werden viel dawider einzuwenden ha - ben; der Eine wird ſagen: der wil den Son -H 4der -120derbaren machen, wil dem Diogenes*)Diogenes war ein Man, der ſich alles ent - zog, was zur Erhaltung des Lebens nicht ſchlechterdings noͤthig war. nach - aͤffen! Der Andere: der Man iſt hipo - chondriſch, findet ein Vergnuͤgen daran ſich ſelbſt zu quaͤlen! So werden die guten Leute ſprechen; aber, lieben Kinder, wenn man etwas thun wil, was vor Gott und vor unſerm eige - nen Gewiſſen recht und gut iſt, ſo muß man niemahls fragen: was werden die Leute da - zu ſagen? man muß vielmehr die Leute ſa - gen laſſen, was ſie wollen, und ſelbſt thun, was man als recht erkant hat. Auch die Aerzte werden den Kopf uͤber mich ſchuͤtteln, werden mir, ich weiß nicht was fuͤr Krankheiten profe - zeihn, weil ich aufhoͤren wil krank an Leib und Seele zugleich zu ſein: aber, lieben Kinder, wenn man Herz genug hat, auf den Weg der Natur zuruͤk kehren zu wollen, ſo muß man nicht die Aerzte um Rath fragen, welche ſelbſt davon abgewichen ſind.

Ich habe geglaubt, daß es gut waͤre, euch dies Alles vorher zu ſagen, damit ihr aus mei -nem121nem Beiſpiele lernen moͤgtet, daß man viel kan, wenn man viel wil, und daß keine boͤſe Gewohnheit ſo ſtark ſei, daß wir ſie mit Gottes Huͤlfe nicht ſolten uͤberwinden koͤnnen, wenn es nur ein rechter Ernſt damit iſt.

Nun, Kinder, zum Anfang werden dieſe Uebungen in der Enthaltſamkeit und Selbſtbe - kaͤmpfung, die wir jezt beſchloſſen haben, ſchon hinreichend ſein. Haben wir dieſe gluͤklich uͤber - ſtanden, ſo wird uns jede folgende Uebung leich - ter werden. Alſo es bleibt dabei, jeder thut, wozu er ſich freiwillig entſchloſſen hat; und nun wieder zu unſerm Robinſon!

Der Zuſtand deſſelben, war jezt gluͤklicher, als er, ſeit ſeiner Ankunft auf dieſer Inſel, je - mahls geweſen war. Die einzige große Sorge, die ihn jezt nur noch beunruhigte, war die, daß die Wilden vielleicht bald zuruͤk kommen wuͤrden, um ihre zuruͤkgebliebenen Gefaͤhrten aufzuſuchen, und daß es dan leicht zwiſchen ihm und ihnen wieder zu blutigen Haͤndeln kommen duͤrfte. Er zitterte vor dem Gedanken, aber - mahls in die Nothwendigkeit verſezt zu werden,H 5Men -122Menſchenblut vergieſſen zu muͤſſen, und ſein eige - nes zweifelhaftes Schikſal machte ihn nicht we - niger bekuͤmmert.

Bei dieſen Umſtaͤnden erfoderte die Pflicht der Selbſterhaltung, auf ſeine eigene Sicher - heit, ſo viel moͤglich, bedacht zu ſein. Schon laͤngſt hatt 'er den Wunſch gehegt, ſeine Burg zu einer ordentlichen kleinen Feſtung machen zu koͤnnen: aber ſo lange er noch allein war, ſchien ihm die Ausfuͤhrung dieſes Anſchlages unmoͤg - lich zu ſein. Jezt aber, da er zwei Arme mehr hatte, kont' er ſo was ſchon unternehmen. Er ſtelte ſich alſo auf den Gipfel des Berges, von wannen er den ganzen Plaz uͤberſehen konte, um den Plan dazu zu machen. Dieſer war auch bald entworfen. Er durfte nur auſſerhalb der Baumwand rund um ſeine Burg herum einen etwas breiten und tiefen Graben aufwerfen, und den inwendigen Rand deſſelben mit Palli - ſaden bepflanzen?

Frizchen. Was ſind das Palliſaden?

Johannes. O du kannſt auch leicht wie - der was vergeſſen! Weißt du nicht mehr, dieſpi -123ſpizigen Pfaͤle, die Vater um das eine Ravelin an unſerer kleinen Feſtung ſo dicht neben einan - der gepflanzt hat, na! das ſind Palliſaden.

Frizchen. Ach ja! Nu nur weiter!

Vater. In dieſen Graben beſchloß er die kleine Quelle zu leiten, die ohnweit ſeiner Woh - nung entſprang, und zwar ſo, daß ein Theil des Bachs mitten durch ſeinen Hofraum floͤſſe, damit es ihm, in Fall einer ordentlichen Bela - gerung, nicht an Waſſer fehlen moͤgte.

Es hielt ſchwer, alles dies ſeinem Freitag durch Zeichen verſtaͤndlich zu machen. Indeß gluͤkt 'es ihm endlich damit; und Freitag lief darauf nach dem Geſtade, um allerlei Werkzeu - ge zum Graben und Schaufeln, nemlich groſſe Muſcheln und platte ſcharfe Steine zu ſuchen. Dan ſezten beide ſich in Arbeit.

Ihr koͤnt denken, daß dies abermahls kein leichtes Geſchaͤft geweſen ſei. Der Graben mu - ſte, wenn er etwas helfen ſolte, wenigſtens drei Ellen tief und zum mindeſten vier Ellen breit ſein. Die Laͤnge deſſelben mogte ſich leicht auf 80 bis 100 Schritte belaufen. Und dazu keinei -124eiſernes Werkzeug, keine Hakke, keinen Spa - ten, keine Schaufel zu haben! Denkt einmahl nach, was das ſagen wolle! Der Palliſaden be - durfte man beinahe 400 Stuͤk; und dieſe blos mit einem einzigen ſteinernen Beile behauen und zuſpizen zu wollen: in der That kein leichtes Unternehmen! Und dan, ſo muſte auch noch von der Quelle bis zu dieſem Graben ein beina - he eben ſo tiefer Kanal gegraben werden, um das Waſſer herzuleiten; und zwiſchen dieſem Quel und der Wohnung war noch oben drein eine Anhoͤhe, welche durchgeſtochen werden muſte!

Aber alle dieſe Schwierigkeiten ſchrekten un - ſern entſchloſſenen Freund nicht ab. Durch ein maͤſſiges und immer arbeitſames Leben war auch ſein Muth zu jeder wichtigen Unternehmung viel groͤſſer geworden, als er bei weichlichen, im Muͤſ - ſiggang und Wohlleben aufgewachſenen Menſchen zu ſein pflegt. Mit Gott und gutem Muth! war der Wahlſpruch, mit welchem er jedes wich - tige Geſchaͤft anfing; und wir wiſſen ſchon, daß er dan auch nicht eher nachließ, als bis das Werk geendiget war.

So125

So alſo auch jezt. Beide, er und Frei - tag, arbeiteten taͤglich vom fruͤhen Morgen bis zum ſpaͤten Abend mit Luſt und Eifer, und es war daher erſtaunlich, wie viel ſie, ihrer arm - ſeeligen Werkzeuge ungeachtet, an jedem Tage vor ſich brachten. Zum Gluͤk wehete zwei Mo - nate hinter einander ein ſolcher Wind, der es den Wilden unmoͤglich machte, Robinſons Inſel zu beſuchen. Es war alſo auch, waͤhrend der Arbeit, kein Ueberfal von ihnen zu beſorgen.

Indeß nun Robinſon ſo arbeitete, war er nebenbei bemuͤht, ſeinen Gehuͤlfen nach und nach ſo viel von der deutſchen Sprache zu lehren, daß er ihn verſtehen koͤnte, wenn er mit ihm redete; und dieſer war ſo gelehrig, daß er in kurzer Zeit ſchon recht viel davon begriffen hatte. Robin - ſon macht 'es dabei eben ſo, wie wir es mit euch zu machen pflegen, wenn wir euch latei - niſch oder franzoͤſiſch lehren; er zeigte ihm im - mer das Ding, wovon er redete und dan ſprach er den Nahmen deſſelben laut und deutlich aus. Wenn er aber von Sachen redete, die er ihm nicht zeigen konte, ſo machte er ſo vernehmlicheMie -126Mienen und Gebehrden dazu, daß ihn Freitag doch wohl verſtehen mußte. So lernte dieſer, noch ehe ein halbes Jahr verſtrich, ſo viel Deutſch, daß beide ſich ihre Gedanken ſchon ſo ziemlich mittheilen konten.

Ein neuer Zuwachs von Gluͤkſeeligkeit fuͤr unſern Robinſon! Bisher hatt 'er an Frei - tag nur einen ſtummen Gehuͤlfen gehabt; nun ward er f[]hig, ſein wirklicher Geſelſchafter, ſein Freund zu werden. O wie verſchwand nun gegen dieſe Freude das geringere Vergnuͤgen, welches vorher das gedankenloſe Geſchwaͤz des Papagaien ihm verurſacht hatte!

Freitag bewies ſich immer mehr und mehr als einen gutherzigen, treuen jungen Menſchen, in dem kein Falſch war; und ſchien ſeinem Herrn mit der aufrichtigſten Liebe zugethan zu ſein. Daher gewan denn auch dieſer ihn von Tage zu Tage lieber, und trug nach einiger Zeit gar kein Bedenken mehr, ihn neben ſich in ſeiner eigenen Hoͤhle ſchlafen zu laſſen.

In weniger, als zwei Monaten, war die Grabenarbeit fertig geworden, und nun kontenſie127ſie jeden Anfal der Wilden ziemlich ruhig erwar - ten. Denn ehe einer derſelben uͤber den Gra - ben kommen und die Palliſaden erſteigen konte: war es ihnen leicht, ihn entweder mit Pfeilen zu erſchieſſen, oder mit den langen Spieſſen zu erſtechen. Fuͤr ihre Sicherheit war alſo nun wohl hinlaͤnglich geſorgt.

Eines Tages, da Robinſon und Freitag eine nahe am Strande liegende Anhoͤhe erſtie - gen hatten, von der ſie weit ins Meer hinaus ſehen konten: gukte Freitag ſehr ſcharf nach der Gegend hin, wo man, wie wohl nur ganz dun - kel, einige ferne Inſeln liegen ſahe. Auf ein - mahl fieng er an vor Freuden zu huͤpfen und zu ſpringen und allerlei ſeltſame Gebehrden zu ma - chen. Auf Robinſons Frage: was ihn an - komme? rief er freudig aus, indem er fortfuhr zu tanzen: luſtig! luſtig! dort iſt meine Heimath! Dort wohnt meine Nazion! Aus dem gluͤhenden Geſicht und den funkelnden Augen, womit er dies ausrief, leuchtete eine recht große Liebe zu ſeinem Vaterlande und der Wunſch hervor, wieder dahin zu kommen. Dieſe128Dieſe Bemerkung war ſeinem Herrn gar nicht angenehm, ohngeachtet es ſehr lobenswuͤrdig an Freitag war, daß er ſein Vaterland mehr, als andere Laͤnder und ſeine zuruͤkgelaſſene Freunde und Anverwandte noch zaͤrtlicher, als jeden an - dern Menſchen, liebte. Robinſon, der da - her Anlaß nahm, zu beſorgen, daß er ihn bei Gelegenheit, um ſeiner Landsleute willen, wohl[e]inmahl verlaſſen koͤnte, verſuchte, ihn daruͤber auszufragen. Er fing alſo folgendes Geſpraͤch mit ihm an, woraus ihr den ehrlichen Freitag noch beſſer werdet kennen lernen:

Robinſon. Haͤtteſt du denn wohl Luſt, wieder unter deinen Landsleuten zu leben?

Freitag. Ach ja! ich wolte recht froh ſein, wenn ich wieder bei ihnen waͤre!

Robinſon. Du wolteſt vielleicht wieder Menſchenfleiſch mit ihnen eſſen?

Freitag. (Ernſthaft) Nein! ich wolte ſie lehren, daß ſie nicht mehr ſo wild leben, daß ſie Fleiſch von Thieren und Milch, aber keine Menſchen mehr eſſen ſolten.

Ro -129

Robinſon. Aber wenn ſie dich ſelbſt auf - aͤßen?

Freitag. Das werden ſie nicht!

Robinſon. Aber ſie eſſen doch Menſchen - fleiſch?

Freitag. Ja, aber nur das Fleiſch ihrer getoͤdteten Feinde.

Robinſon. Koͤnteſt du denn wohl einen Kahn machen, worin man hinuͤberfahren koͤnte?

Freitag. O ja!

Robinſon. Nun, ſo mache dir einen, und fahre nur immer hin zu ihnen.

Hier ſahe Freitag auf einmahl ganz ernſt - haft und traurig vor ſich nieder.

Robinſon. Nun, was iſt dir? Woruͤber wirſt du traurig?

Freitag. Ich bin traurig, daß mein lie - ber Herr boͤſe auf mich iſt.

Robinſon. Boͤſe? Wie das?

Freitag. Ja, weil er mich von ſich weg - ſchikken wil.

Robinſon. Du wuͤnſchteſt dich ja hin nach deiner Heimath!

IFrei -130

Freitag. Ja, aber wenn mein Herr nicht da iſt, wuͤnſcht Freitag auch nicht hin.

Robinſon. Mich wuͤrde deine Nazion fuͤr einen Feind halten und auffreſſen; reiſe alſo nur immer allein ab.

Freitag riß bei dieſen Worten ſeinem Herrn das Beil von der Seite, gab's ihm in die Hand und hielt ihm den Kopf dar, damit er ihn mit dem Beile ſpalten moͤgte.

Robinſon. Was ſol ich?

Freitag. Mich umbringen! Beſſer um - gebracht, als weggeſchikt!

Die Traͤnen ſtuͤrzten ihm dabei aus den Au - gen. Robinſon ward geruͤhrt, fiel ihm in die Arme und ſagte: Sei unbekuͤmmert, mein lieber Freitag! Auch ich wuͤnſche mich nie von dir zu trennen: denn ich liebe dich herzlich. Was ich geſagt habe, ſagt 'ich nur, um dich zu pruͤ - fen, ob ich dir wohl ſchon eben ſo lieb ſei, als du mir biſt. Er umarmte ihn hierauf von neuen, und wiſchte ſich ſelbſt eine Freudentraͤ - ne ab, die ihm aus dem Auge hervorgequollen war.

Frei -131

Freitags Verſicherung, daß er wohl einen Kahn machen koͤnne, war unſerm Robinſon ſehr angenehm zu hoͤren geweſen. Er faßte ihn alſo bei der Hand und fuͤhrte ihn nach dem Orte, wo er ſelbſt nun ſchon ſeit einigen Jah - ren an einem Schiffe gearbeitet hatte. Hier zeigt 'er ihm den Blok, der noch nicht um den dritten Theil ausgehoͤhlt war und ſagte ihm, wie viel Zeit er ſchon darauf verwandt habe.

Freitag ſchuͤttelte den Kopf und laͤchelte. Auf Robinſons Frage: was er daran auszu - ſezen faͤnde? antwortete er: daß es all' der Ar - beit nicht bedurft haͤtte; man koͤnte einen ſol - chen Blok viel beſſer und zwar in kurzer Zeit durch Feuer aushoͤhlen. Wer war froher uͤber dieſe Nachricht, als Robinſon! Schon ſah er denn Kahn vollendet; ſchon ſah er ſich im Geiſte auf dem Meere und landete ſchon, nach einer gluͤklichen Fahrt, in einer Gegend des feſten Landes, wo Europaͤer waren! Wie ſchlug ihm vor Freuden das Herz bei dieſem Gedanken an eine ſo nahe Erloͤſung! Es ward beſchloſſen,I 2das132das Werk gleich mit Anbruch des morgenden Ta - ges anzufangen.

Gotlieb. O nun wird die Freude bald aus ſein!

Vater. Wie ſo?

Gotlieb. Ja, wenn er erſt ein Schif hat, ſo wird er bald abſegeln; und wenn er denn erſt wieder in Europa iſt: ſo kan Vater uns nichts mehr von ihm erzaͤhlen.

Vater. Und wolteſt du auf dieſes Ver - gnuͤgen nicht willig Verzicht thun, wenn du des armen Robinſons Befreiung dadurch erkau - fen koͤnteſt?

Gotlieb. Ach ja, das iſt auch wahr! Ich hatt 'es nur nicht bedacht.

Vater. Indeß, wer weiß, was wieder dazwiſchen kommen kan, daß der Schifbau oder die Abreiſe doch noch eingeſtelt werden muß? Die Zukunft iſt ein ungewiſſes, veraͤnderliches Ding, und faͤlt gemeiniglich ganz anders aus, als wir erwartet hatten. Unſere Hofnungen, wenn ſie auch noch ſo zuverlaͤßig zu ſein ſcheinen, ſchlagen nicht ſelten fehl; und es iſt daher ſehrweiſe,133weiſe, ſich immer ſchon zum voraus darauf ge - faßt zu machen.

Robinſon, der dies nun ſchon oft aus der Erfahrung gelernt hatte, ging jezt, von Frei - tag begleitet, mit dem frommen Vorſaze nach Hauſe, daß er die Erfuͤllung ſeines feurigſten Wunſches der alweiſen und alguͤtigen Vorſehung uͤberlaſſen wolle, weil dieſe doch beſſer, als er ſelbſt, wiſſe, was fuͤr ihn das Zutraͤglichſte ſei. Und ſo, meine lieben Kinder, wollen wir in aͤhnlichen Faͤllen es auch machen.

Neunzehnter Abend.

Da die Geſelſchaft am folgenden Abend wie - der zuſammen kam, waren die beſchloſſenen Uebungen der Enthaltſamkeit zum Theil ſchon angeſtelt worden. Alle waren froh und guter Dinge; und der Vater fing die Unterredung mit folgenden Worten an:

I 3Nun,134

Nun, Kinder, wie thut das Faſten?

Alle. O recht gut, recht gut!

Vater. Ihr ſeht, ich ſelbſt lebe auch noch, ohngeachtet ich heute nur Waſſer und Milch ge - trunken habe.

Nikolas. Wenn's darauf ankaͤme, ſo wolt 'ich wohl noch laͤnger faſten!

Alle. O ich auch! Ich auch! Das iſt ja gar nichts!

Vater. Laͤnger zu faſten iſt nicht noͤthig; koͤnte auch eurer Geſundheit ſchaͤdlich werden: aber wenn ihr es wuͤnſcht, ſo wil ich euch wohl andere Uebungen vorſchlagen, die euch eben ſo nuͤzlich ſein werden.

Alle. O ja! O ja, lieber Vater!

Vater. Fuͤr heute hat jeder von uns ge - nug gethan, beſonders da dieſe Nacht noch ge - wacht werden ſol. Aber, wenn ihr wirklich Luſt habt, recht trefliche Menſchen zu werden, die da geſund und ſtark an Leib und Sele, und alſo faͤhig ſind, zum Gluͤk ihrer Nebenmen - ſchen viel, recht viel beizutragen: ſo hoͤrt, was wir thun wollen!

Ich135

Ich wil fuͤr euch die Schriften der alten Weiſen leſen, welche die Lehrer der großen und liebenswuͤrdigen Maͤnner waren, die euch, da ich die alte Geſchichte erzaͤhlte, ſo ſehr gefallen haben. Darin ſtehen die Vorſchriften, welche jene weiſen Maͤnner ihren Schuͤlern gaben, und durch deren Erfuͤllung dieſe ihre Schuͤler ſo groß und ſo gut geworden ſind. Woͤchentlich wil ich eine dieſer Vorſchriften auf eine mit Papier uͤberzogene Tafel ſchreiben und ſie euch erklaͤren. Dan wil ich jedesmahl euch dabei ſagen, was fuͤr Uebungen ihr die Woche hindurch anſtellen koͤnt, um euch die Erfuͤllung einer ſolchen Vor - ſchrift zu einer leichten und angenehmen Ge - wohnheit zu machen. Aber freilich wird das ohne Aufopferungen nicht abgehen; ihr werdet euch oft freiwillig entſchlieſſen muͤſſen, auf ein ſehr liebes Vergnuͤgen Verzicht zu thun, und zuweilen etwas ſehr Unangenehmes zu erdulden, um euch dadurch nach und nach diejenige Staͤrke der Sele zu erwerben, welche uns in den Stand ſezt, jede unerlaubte Begierde in uns zu bekaͤm - pfen und jeden Verluſt, jeden Mangel mit wei -I 4ſer136ſer Gleichmuͤthigkeit zu ertragen. Es verſteht ſich, daß wir Erwachſene euch in allen dieſen Uebungen vorgehen und nichts von euch fodern werden, als was wir ſelbſt zu leiſten Herz genug haben. Wolt ihr dieſen Vorſchlag einge - hen?

Alle gaben ihre Einſtimmung durch ein lau - tes Ja! und durch freudiges Haͤndeklatſchen zu erkennen. Es wurde alſo von dieſem Augen - blikke an eine Schule der Weisheit unter ihnen errichtet, welche von andern Schulen ſich vornehmlich dadurch auszeichnete, daß woͤchent - lich nur eine halbe Stunde gelehrt, und das Gelehrte wenigſtens acht Tage hinter einander recht eigentlich zur Uebung gemacht ward. Viel - leicht theilen wir unſern jungen Leſern einmahl eine Nachricht von dieſen Uebungen und von ih - ren erfreulichen Folgen mit, um auch ſie die Mittel zu lehren, wodurch man ein vorzuͤglich guter, gemeinnuͤziger und gluͤklicher Menſch werden kan.

Jezt wieder zu unſerm Robinſon! Nachdem die gemeldete Verabredung genom -men137men war, fuhr der Vater folgendermaßen fort.

Kinder, das, wovon ich geſtern Abend beim Schluß meiner Erzaͤhlung ſagte, daß es moͤg - lich ſei, hat ſich nun wirklich zugetragen.

Alle. Was denn? Was denn?

Vater. Ich ſagte, daß im menſchlichen Leben unſere gewiſſeſten Hofnungen oft ploͤzlich vereitelt werden; und daß daher auch Robinſon, ſo wahrſcheinlich und ſo nahe ſeine Erloͤſung auch zu ſein ſchiene, doch leicht ein unvorhergeſehenes Hinderniß antreffen duͤrfte, welches ihn noͤthig - te, noch laͤnger da zu bleiben. Dieſes Hinder - niß nun fand ſich ſchon am folgenden Tage ein.

Es fing nemlich mit dieſem Tage abermahls die gewoͤhnliche Regenzeit an, von welcher Ro - binſon nun ſchon aus vieljaͤhriger Erfahrung wuſte, daß ſie jaͤhrlich zweimahl, und zwar im - mer um diejenige Zeit einzutreffen pflege, da Tag und Nacht einander gleich ſind. Waͤhrend dieſer Regenzeit, die gemeiniglich einen oder zwei Monate anhielt, war es unmoͤglich, auſ - ſer Hauſe etwas zu verrichten; ſo ſtark und un -I 5auf -138aufhoͤrlich ſtroͤmte alsdan der Regen herab! Auch hatte Robinſon bemerkt, daß in jener Weltge - gend das Ausgehen und Naßwerden in dieſer Jahrszeit der Geſundheit aͤuſſerſt nachtheilig ſei. Was war alſo nun zu thun? Der Schifbau muſte aufgehoben und die Zeit mit haͤuslichen Verrich - tungen hingebracht werden.

Wohl bekam es nun unſerm Robinſon an den regnigten Tagen und in den langen finſtern Abendſtunden, daß er wieder Feuer, noch mehr, daß er einen Geſelſchafter, einen Freund, hatte, mit dem er unter gemeinſchaftlichen Hausarbei - ten die Zeit mit vertraulichen Geſpraͤchen ver - treiben konte! Vormahls hatt 'er dieſe traurigen Abende allein, unbeſchaͤftiget und im Finſtern hinbringen muͤſſen: jezt ſaß er mit Freitag bei einer Lampe oder ohnweit dem Kuͤchenfeuer, ar - beitete und plauderte und fuͤhlte nie die Beſchwer - lichkeit der langen Weile, die ſo druͤkkend iſt.

Freitag lehrte ihn allerlei kleine Kuͤnſte, wodurch die Wilden ihren Zuſtand zu verbeſſern wiſſen; und dan lehrte Robinſon ihn wieder andere Sachen, wovon die Wilden nichts ver -ſtehen.139ſtehen. So nahmen beide zu an Kenntniſſen und Geſchiklichkeiten und brachten durch gemeinſchaft - lichen Fleiß eine Menge kleiner Kunſtwerke zu Stande, deren Verfertigung jedem von ihnen, wenn er ſich ganz allein befunden haͤtte, wuͤrde unmoͤglich geweſen ſein. Da fuͤhlte dan auch jeder von ihnen recht innig, wie gut es ſei, daß die Menſchen durch Geſelligkeit und Freundſchaft zuſammen gehalten werden, und nicht, wie die wilden Thiere, einzeln auf dem Erdboden herum - ſchwaͤrmen!

Freitag verſtand ſich unter andern auf die Verfertigung von Matten aus Baumbaſt, die er ſo fein und ſo dicht zu flechten wuſte, daß ſie fuͤglich zu Kleidungsſtuͤkken gebraucht werden konten. Robinſon lernte ihm dieſe Kunſt ab; und da verfertigten beide einen ſolchen Vorrath davon, als hinreichend war, um fuͤr jeden einen ganzen Anzug daraus zu machen. O wie freute ſich Robinſon, daß ihm die beſchwerliche Klei - dung aus ſteifen ungegaͤrbten Fellen nun endlich einmahl entbehrlich geworden war!

Fer -140

Ferner verſtand Freitag die Kunſt, aus den Faſern, worin die Kokusnuͤſſe eingewikkelt ſind, und aus verſchiedenen flachsartigen Kraͤu - tern Garn und Strikke zu drehen, welche dieje - nigen, die Robinſon bisher gemacht hatte, bei weitem uͤbertrafen. Aus dem Garn wuſt 'er Fiſchneze zu knuͤpfen, eine Arbeit, die beiden manchen langen Abend auf die angenehmſte Wei - ſe verkuͤrzte.

Waͤhrend dieſer haͤuslichen Geſchaͤftigkeit war Robinſon vornemlich darauf bedacht, der Verſtand ſeines armen wilden Freundes ein we - nig aufzuklaͤren, und ihm nach und nach einige wahre und wuͤrdige Begriffe von Gott beizu - bringen. Wie ſchwach und irrig Freitags Re - ligionserkentniß war, moͤget ihr aus folgendem Geſpraͤche zwiſchen ihm und ſeinem Herrn erſe - hen.

Robinſon. Sage mir doch, Freund Freitag, weißt du denn wohl, wer das Meer, die Erde, die Thiere und dich ſelbſt erſchaffen hat?

Freitag. O ja! Das hat der Toupan gethan.

Ro -141

Robinſon. Wer iſt denn Toupan?

Freitag. J, der Donnerer!

Robinſon. Aber wer iſt denn der Don - nerer?

Freitag. Ein alter, alter Man, der laͤn - ger, als alle Dinge, lebt, und der den Donner macht. Er iſt viel aͤlter, als Sonne, Mond und Sterne; und alle Dinge ſagen O zu ihm. (Das ſolte ſo viel heiſſen, als: Alle beten ihn an.)

Robinſon. Kommen denn die Leute in deinem Vaterlande irgendwo hin, wenn ſie ſterben?

Freitag. Freilich thun ſie das; ſie kom - men zum Toupan.

Robinſon. Wo iſt denn der?

Freitag. Er wohnt auf hohen Gebirgen.

Robinſon. Hat denn jemand ihn da ge - ſehn?

Freitag. Es komt keiner zu 'ihm hinauf, als die Owokakee's; (dieſer Nahme ſolte ſo viel, als Prieſter bedeuten.) Dieſe ſagen O zu ihm und erzaͤhlen uns denn wieder, was er ge - ſprochen hat.

Ro -142

Robinſon. Haben denn die Leute, wenn ſie nach dem Tode zu ihm kommen, es gut bei ihm?

Freitag. O ja, wenn ſie hier recht viel Feinde geſchlachtet und aufgegeſſen haben!

Robinſon erſchrak vor dieſem klaͤglichen Irthume; und fing von dem Augenblikke an, ihm beſſere Begriffe von Gott und von dem Le - ben nach dem Tode mitzutheilen. Er lehrte ihn, daß Gott ein unſichtbares, hoͤchſt maͤchti - ges, hoͤchſt weiſes und guͤtiges Weſen ſei; daß er Alles, was da iſt, erſchaffen habe, und fuͤr alles ſorge; er ſelbſt aber habe nie einen Anfang genommen; daß er uͤberal zugegen ſei, und wiſſe alles, was wir denken, reden und thun; daß er Wohlgefallen am Guten finde und alles Boͤſe verabſcheue; daß er daher hier und im ewigen Leben nur diejenigen gluͤklich machen koͤnne, die ſich von ganzem Herzen beſtrebt haͤtten, gut zu werden.

Freitag hoͤrte dieſe erhabene und troſtreiche Lehre mit ehrerbietiger Aufmerkſamkeit an und praͤgte ſie tief in ſein Gedaͤchtniß ein. Er wol -te143te immer mehr davon wiſſen, und weil Ro - binſon eben ſo begierig war, ihn zu lehren, als er zu lernen: ſo ſah er in kurzer Zeit die vorzuͤglichſten Religionswahrheiten ſo deutlich und ſo uͤberzeugend ein, als ſein Lehrer ſie ihm vortragen konte. Von der Zeit an ſchaͤzt 'er ſich unendlich gluͤklich, aus ſeinem Vaterlande auf dieſe Inſel verſchlagen zu ſein, und er machte ſelbſt die Anmerkung, daß der liebe Gott es doch recht gut mit ihm gemeint habe, da er ihn in die Haͤnde ſeiner Feinde haͤtte fallen laſſen, weil er ſonſt wohl nie mit Robinſon wuͤrde bekant ge - worden ſein. Und dan, ſezt' er hinzu, haͤtt 'ich dieſen guten Gott in dieſem Leben wohl nie - mals kennen gelernt!

Von jezt an verrichtete Robinſon ſein Ge - beth immer in Freitags Gegenwart und es war recht ruͤhrend anzuſehen, mit welcher freu - digen Andacht dieſer ihm nachbetete. Und nun lebten beide ſo vergnuͤgt und gluͤklich, als zwei von aller uͤbrigen Geſelſchaft abgeſonderte Men - ſchen nur immer leben koͤnnen.

So144

So verſtrich ihnen denn die Regenzeit, ohne daß ſie es merkten. Schon klaͤrte der Himmel ſich wieder auf; die Stuͤrme ſchwiegen, und die ſchweren Regenwolken waren voruͤber gezogen. Robinſon und ſein treuer Gefaͤhrte athmeten wieder eine reine ſanfterwaͤrmte Fruͤhlingsluft, fuͤhlten ſich beide neugeſtaͤrkt und ſchritten daher mit großer Munterkeit zu dem wichtigen Werke, welches ſie vor der Regenzeit beſchloſſen hatten.

Freitag, als der Meiſter in der Schifbau - kunſt, fing an, den Stam mit Feuer auszu - brennen. Dies ging ſo geſchwind und ſo gut von ſtatten, daß Robinſon nicht umhin kon - te, ſich ſelbſt einen Dumbart zu ſchelten, daß ihm dieſes Mittel nicht auch eingefallen ſei. Doch, ſezt 'er zu ſeinem Troſte hinzu, wenn's mir nun auch eingefallen waͤre, ſo haͤtt' ich's ja doch nicht anwenden koͤnnen, weil ich kein Feu - er hatte!

Ihr werdet mich hoffentlich der Muͤhe uͤber - heben, euch umſtaͤndlich zu erzaͤhlen, wie die Arbeit an jedem Tage weiter fortuͤrkte, weil dieſe Erzaͤhlung weder angenehm, noch lehrreichſein145ſein wuͤrde. Ich begnuͤge mich alſo zu melden, daß das Schif, mit welchem Robinſon allein, vielleicht nie, wenigſtens in vielen Jahren nicht, wuͤrde fertig geworden ſein, jezt durch ihre ver - einigten Kraͤfte binnen zwei Monaten gaͤnzlich vollendet ward. Es fehlte nur noch an einem Segel und an Rudern. Zu jenem machte ſich Freitag, zu dieſen Robinſon anheiſchig.

Gotlieb. Ja, wie kont 'er denn ein Se - gel machen? Dazu braucht' er ja Leinewand!

Vater. Leinewand zu machen verſtand er nicht, hatte auch keinen Weberſtuhl dazu: aber er konte, wie ich euch ſchon erzaͤhlt habe, feine Matten von Baumbaſt machen und dieſer bedie - nen ſich die Wilden ſtat des Segeltuchs.

Beide wurden ungefaͤhr zu gleicher Zeit fer - tig, Robinſon mit den Rudern und Freitag mit dem Segel; und nun war nur noch uͤbrig, das vollendete Schif vom Stapel laufen zu laſſen.

Frizchen. Was iſt das?

KVa -146

Vater. Haſt du noch niemahls zugeſehn, wenn ſie ein neuerbautes Schif von dem Ufer auf die Elbe laufen laſſen?

Frizchen. O ja! das hab 'ich ſchon geſe - hen.

Vater. Nun, da wirſt du bemerkt haben, daß das Schif auf einem ſchmalen Geruͤſt von ſchief liegenden Balken ſteht. Dieſe Balken heiſſen der Stapel. Sobald nun der Keil, der das Schif feſthaͤlt, weggenommen wird, ſo ſchießt es auf den Balken hinab ins Waſſer, und das nent man denn vom Stapel laufen.

Zum Ungluͤk war der Ort, wo ſie das Schif gezimmert hatten, einige tauſend Schritte ent - fernt vom Strande, und es war daher die Fra - ge: wie ſie es nun ſo weit fortbringen koͤnten? Es dahin zu tragen, oder zu ſchieben, oder fortzuwaͤlzen, ſchien unmoͤglich: denn dazu war es viel zu ſchwer. Was ſolten ſie alſo machen? Hier ſtand der Karren einmahl wieder am Berge!

Diderich. J, Robinſon brauchte ja nur wieder ſolche Hebel zu machen, wie er neu -lich147lich brauchte, da er die beiden großen Felſen - ſtuͤkke ganz allein aus ſeiner Hoͤhle waͤlzte!

Vater. Er hatte den Vortheil, den die - ſes einfache Werkzeug gewaͤhrt, nicht vergeſſen; er wandt 'es daher auch jezt an, aber das Fort - waͤlzen ging dem ohngeachtet ſo langſam von ſtatten, daß er wohl ſahe, ſie wuͤrden einen ganzen Monat darauf verwenden muͤſſen. Zum Gluͤk erinnert' er ſich zulezt eines andern eben ſo einfachen Huͤlfsmittels, deſſen die Zimmer - leute und andere Handwerksmaͤnner in Europa ſich zu bedienen pflegen, um große Laſten fort zu waͤlzen. Sie brauchen nemlich hierzu die Walzen

Frizchen. Was ſind Walzen!

Vater. Runde laͤnglichte Hoͤlzer, die ſich eben deswegen, weil ſie rund ſind, mit leich - ter Muͤhe fortwaͤlzen laſſen. Dieſe legen ſie unter die Laſt, die ſie nach einem andern Orte hinbringen wollen, und wenn ſie dan die Laſt nur mit maͤßigen Kraͤften ſchieben: ſo rolt ſie mit den Walzen von ſelbſt fort.

K 2Ro -148

Robinſon hatte kaum den Verſuch davon gemacht, als er mit Vergnuͤgen ſahe, wie leicht und wie geſchwind ſie das Schif fortbewegen konten! In zwei Tagen war es ſchon auf dem Waſſer, und es machte beiden nicht wenig Freu - de, zu ſehen, daß es volkommen brauchbar ſei.

Nun war alſo nichts mehr uͤbrig, als die noͤ - thigen Anſtalten zur Abreiſe zu machen; das Schif mit ſo viel Lebensmitteln zu verſehen, als es wuͤrde tragen koͤnnen und dan die von bei - den ſo ſehnlich gewuͤnſchte Reiſe anzutreten. Aber wohin nun eigentlich? Freitags Wuͤnſche gingen nach der Inſel, auf welcher er zu Haus war; Robinſon hingegen verlangte nach dem feſten Lande von Amerika zu ſchiffen, wo er Spanier oder andere Europaͤer zu finden hofte. Freitags Vaterland war nur ohngefaͤhr vier Meilen, das feſte Land hingegen uͤber zwoͤlf bis funfzehn Meilen entfernt. Wolten ſie erſt nach jenem fahren, ſo entfernten ſie ſich um einige Meilen mehr von dieſem, und die Gefahr der Reiſe wurde alſo auch um ſo viel groͤſſer. Auf der andern Seite aber kante Freitag nur dasFahr -149Fahrwaſſer, das heißt, die ſchifbare Straße nach ſeiner Heimath; hingegen war die eigent - liche Fahrt nach dem feſten Lande ihm voͤllig un - bekant. Robinſon konte ſie noch viel weniger kennen, weil er auf dieſem Meere noch niemahls geſchift hatte. Nun war alſo guter Rath wie - der theuer.

Endlich ſiegte Robinſons Begierde, wieder zu geſitteten Menſchen zu kommen uͤber alle Schwie - rigkeiten und uͤber alle Einwuͤrfe ſeines Gefaͤhrten. Es ward beſchloſſen, daß ſie gleich am morgenden Tage alle Anſtalten zu ihrer Abreiſe machen und dan mit dem erſten, dem beſten guͤnſtigen Winde, in Gottes Namen nach der Gegend abfahren wol - ten, in welcher, nach Freitags Vermuthung, die naͤchſte Kuͤſte des feſten Landes lag.

Und hiermit genug fuͤr heute: denn es iſt Zeit, daß wir ſelbſt auch Anſtalt zu unſerer vor - habenden Nachtwache machen.

Man verſammelte ſich hierauf in einer Wach - ſtube, alwo die Mutter ſchon allerlei haͤusliche Arbeiten in Bereitſchaft hielt, womit die Wa - chenden ſich die Nacht hindurch die Zeit vertrei -K 3ben150ben ſolten. Zwei wurden jedesmahl, als Schildwachen, in die entfernteſten Ekken des Gartens ausgeſtelt und nach Verlauf einer Vier - telſtunde unter Trommelſchlag und Pfeifenklang von der ganzen Wache wieder abgeloͤst, indem zwei Andere an ihre Stelle traten. Nach Verlauf einer jeden Stunde wurde etwas Obſt zur Erfriſchung genoſſen.

Es war eine herliche Sommernacht. Der halbe Mond an der einen Seite des Himmels und an der andern ein fernes Wettergewoͤlk, aus dem es unaufhoͤrlich blizte! Die Luft dabei ſo ſanft erwaͤrmt, die ganze ſchlafende Natur ſo ſtille! Alle geſtanden am folgenden Morgen, daß ſie nie einen Tag, geſchweige eine Nacht, mit mehr Vergnuͤgen hingebracht haͤtten, als dieſe.

Zwan -151

Zwanzigſter Abend.

Vater.

Nun, Kinder, Robinſon und Freitag ha - ben eingepakt, und der Wind iſt guͤnſtig. Macht euch alſo gefaßt, ihnen ein ewiges Lebewohl zu ſagen: denn wer weiß, ob wir jemahls wieder von ihnen etwas ſehen, oder hoͤren werden!

Alle. (Beſtuͤrzt und traurig.) Oh!

Vater. So iſt es nun einmahl in der Welt! Man kan nicht immer bei ſeinen Freun - den ſein; der Schmerz der Trennung iſt unver - meidlich; man muß ſich alſo auch darauf ſchon in voraus vorzubereiten ſuchen.

Da Robinſon ſeine Burg verlaſſen hatte, blieb er auf dem Huͤgel uͤber derſelben nachden - kend ſtehen, und hieß ſeinen Gefaͤhrten ein we - nig voran gehen. Dan uͤberdacht 'er noch ein - mahl alle uͤberſtandene Schikſale ſeines einſamenK 4Le -152Lebens an dieſem Orte, und ward uͤber die wun - derbare Fuͤhrung des Himmels, die ihn bis da - hin ſo ſichtbar geleitet hatte, tief im Innerſten ſeines Herzens geruͤhrt. Ein Strom dankbarer Freudentraͤnen entſtuͤrzte ſeinen Augen. Dan hob er ſeine ausgebreiteten Arme gen Himmel und betete mit gluͤhender Andacht:

O du lieber, lieber himliſcher Vater, wie ſol ich dir danken fuͤr Alles, was du bis hieher an mir gethan haſt? Siehe! (indem er auf die Knie fiel) hier lieg 'ich vor deinem alſe - henden Auge im Staube, unfaͤhig, die heiſſen Gefuͤhle meines Herzens durch Worte auszu - druͤkken! Aber du ſiehſt dies Herz, ſiehſt die unausſprechlichen Empfindungen der Dankbar - keit, von denen es ſo ganz, ſo ganz durchdrun - gen iſt. Dies von dir gebeſſerte, dich uͤber alles liebende Herz, dies ſo oft durch Truͤbſal verwun - dete, ſo oft von dir geheilte Herz, iſt alles al - les, was ich dir, mein guͤtiger Vater, fuͤr alle deine unzaͤhlbaren Wohlthaten wieder zu geben vermag. Nim es an, mein Vater, o nim es ganz und vollende das Werk der Beſſerung, wel -ches153ches du mit ihm angefangen haſt! Siehe! ich werfe mich von neuem in deine Vaterarme! Mache du es mit mir nach deinem vaͤterlichen Wohlgefallen. Nur daß ich nie wieder verlaſſe den Weg der Tugend, auf den deine Barmher - zigkeit mich zuruͤkgefuͤhrt hat! Nur das nicht, mein Vater, nur das nicht! Sonſt mag es mir gehen, wie dein weiſer Rath beſchloſſen hat. Ich gehe, wohin du mich fuͤhren wirſt; gehe im Vertrauen auf dich jeder neuen Gefahr, die meiner vielleicht wartet, muthig entgegen. Be - gleite mich, mein Gott; bewache meine unſterb - liche Sele mit deinem unſichtbaren Schuze bei jeder mir vielleicht bevorſtehenden Verſuchung zur Kleinmuͤthigkeit, zur Ungeduld und zur Un - dankbarkeit gegen dich gegen dich, o du ewi - ge himliſche Liebe, mein Schoͤpfer, mein Va - ter, mein Gott! Gott! Gott!

Hier wurde ſeine Empfindung ſo heftig, daß er nichts beſtimtes mehr zu denken vermogte. Er warf ſich mit dem Geſicht zur Erde, um auszuweinen. Dan richtete er ſich, geſtaͤrkt durch goͤtlichen Troſt, wieder auf und uͤberſaheK 5noch154noch einmahl die ihm nun ſo liebe Gegend, die er jezt verlaſſen ſolte. Es war ihm, wie einem, der ſein Vaterland verlaſſen ſol, und es nie wie - der zu ſehen hoffen darf. Sein naſſer Blik blieb liebevol und traurig hangen an jedem Baume, in deſſen Schatten ihm einſt wohl geweſen war, an jedem Werke ſeiner Haͤnde, welches er im Schweiſſe ſeines Angeſichts gemacht hatte. Es war ihm nicht anders dabei zu Muthe, als wenn er ſich von eben ſo vielen Freunden trennen ſolte. Und da er nun vollends ſeine am Fuß des Ber - ges im Graſe weidende Lama's erblikte, muſt 'er ſein Geſicht von ihnen wegkehren, um in ſei - ner Entſchlieſſung zur Abreiſe nicht wankend zu werden.

Endlich hatt 'er ausgekaͤmpft. Er ermante ſich, breitete ſeine Arme gegen die ganze Gegend aus, als wenn er Alles, was darin war, um - armen wolte, und rief mit lauter Stimme aus: lebt wohl, ihr theuren Zeugen meiner uͤberſtandenen Leiden! Lebt wohl! Wohl! Wohl! Das lezte Wohl ver - lohr ſich in einem lauten Schluchzen. Jezt rich -tete155tete er noch einmahl ſeine Augen gen 'Himmel und trat entſchloſſen den Weg zum Strande an.

Im Weggehen bemerkt 'er ſeinen trauten Pol, der von Baum zu Baum neben ihm her - flatterte. Er konte dem Verlangen, ihn mitzu - nehmen, nicht wiederſtehn; alſo ſtrekt' er ſeine Hand gegen ihn aus, rief: Pol! Pol! und Polchen huͤpfte hurtig herab, kletterte gaukelnd von ſeines Herrn Hand auf ſeine Schulter und blieb da ſizen. So kam Robinſon bei ſeinem, ihn mit Ungeduld erwartenden Freitag an und beide ſtiegen in das Schif.

Es war der 30ſte November des Morgens um 8 Uhr, im neunten Jahr des Aufenthalts unſers Freundes auf dieſer einſamen Inſel, da ſie bei voͤllig heiterem Wetter und mit friſchen guͤnſti - gen Winde vom Lande abſtieſſen. Sie waren kaum einige tauſend Schritte fortgeſegelt, als ſie an ein Rif von Klippen kamen

Lotte. O ſage uns doch erſt, was das iſt, ein Rif!

Vater. So nennen die Schiffer eine Rei - he an einander haͤngender Felſen, die entwe -der156der unter dem Waſſer verborgen liegen, oder hie und da hervorragen. Dieſes Rif, oder dieſe Kettenfelſen liefen von einem Vorgebirge der In - ſel uͤber zwei deutſche Meilen weit ſchief in die See hinein. Daruͤber weg zu fahren, ſchien beiden gefaͤhrlich zu ſein; alſo gaben ſie dem Se - gel eine andere Richtung, um durch einen Um - weg dieſer Felſenreihe auszubeugen.

Nikolas. Wie konten ſie denn aber wiſ - ſen, wie weit das Rif ins Meer hinauslief, wenn das Waſſer daruͤber herfloß?

Vater. Das konten ſie aus den Brechun - gen der Meereswogen ſehen, die an ſolchen Or - ten, wo Felſen verborgen ſind, hoͤher aufbrau - ſen und zugleich ſchaͤumen, weil ſie von denen unterm Waſſer befindlichen Felſen aufgehalten und gebrochen werden.

Kaum hatten ſie die aͤuſſerſte Spize des Rifs erreicht, als ihr Kahn auf einmahl mit ſolcher Geſchwindigkeit fortgeriſſen ward, als wenn ſie zwanzig Segel angeſezt und den ſtaͤrkſten Sturm - wind im Ruͤkken gehabt haͤtten. Beide erſchraken und ſtrichen geſchwind das Segel, weil ſie glaubten,daß157daß ein ploͤzlicher Windſtoß Schuld daran waͤre. Aber das half nichts; es ſchoß vielmehr der Kahn noch eben ſo ſchnel durch die Fluth, als vorher: und nun ſahen ſie zu ihrem Schrekken, daß ſie ſich mitten auf einem reiſſenden Meerſtrome befaͤnden.

Frizchen. J, ſind denn in dem Meere auch Stroͤme?

Vater. O ja, Frizchen! Weil der Grund des Meeres eben ſo ungleich, als die Oberflaͤche des feſten Landes, iſt; weil es da eben ſo, wie hier zu Lande, Berge, Huͤgel und Thaͤler gibt: ſo kriegt das Waſſer nach den niedrigern Gegenden hin einen ſtaͤrkern Schuß, und daher entſtehen dan mitten im Meere eben ſolche große Stroͤme, als unſere Elbe iſt, und die pflegen gemeiniglich ſehr reiſſend zu ſein. Da iſt es dan oft ſehr ge - faͤhrlich fuͤr die Schiffe, beſonders fuͤr die klei - nen, wenn ſie auf einen ſolchen Meerſtrom ge - rathen; weil ſie nicht im Stande ſind, wieder davon zu kommen, und oft wohl funfzig und mehr Meilen weit ins weite Meer verſchlagen werden.

Got -158

Gotlieb. Ach, armer, armer Robinſon, wie wird dir's nun gehn?

Lotte. Waͤr 'er doch nur auf ſeiner Inſel geblieben! Ich dacht' es wohl, das wieder was daraus herkommen wuͤrde!

Vater. Diesmahl war es nicht Vorwiz, nicht Leichtſin, wodurch er zu dieſer Reiſe ange - trieben ward. Er hatte vielmehr die vernuͤnf - tigſten Bewegungsgruͤnde dazu gehabt. Alles alſo, was ihm jezt begegnet, darf er fuͤr eine goͤtliche Schikkung halten; und in dieſe hatt 'er ſich ja ergeben.

Beide ſtrengten alle ihre Kraͤfte an, um wo moͤglich, den Kahn durch Rudern aus dem Strome heraus zu arbeiten; aber vergebens! Eine unwiderſtehliche Gewalt riß ſie mit der Schnelligkeit eines Pfeils dahin und ſchon wa - ren ſie ſo weit fortgetrieben, daß ſie das flache Land ihrer Inſel aus dem Geſichte verloren. Ihr Untergang ſchien nun unvermeidlich zu ſein: denn es konte hoͤchſtens nur noch eine halbe Stunde waͤhren: ſo waren auch die hoͤchſten Gipfel der Berge aus ihrem Geſicht verſchwun -den;159den; und wenn dan auch die Gewalt des Stro - mes uͤber kurz oder lang nachließ: ſo war es ih - nen doch unmoͤglich den Ruͤkweg nach der Inſel zu finden, weil ſie keinen Kompaß hatten.

Frizchen. Keinen ?

Vater. Keinen Kompaß, ſag 'ich. Ni - kolas, der ein Schifskapitain werden wil, wird dir ſagen, was das ſei.

Nikolas. (lachend.) Wenn ich alles an - dere, was dazu gehoͤrt, auch ſchon ſo gut wuͤ - ſte, als das? Frizchen, das iſt eine Mag - netnadel in einem kleinen runden Kaͤſtchen

Frizchen. Ja, was iſt eine Magnetna - del?

Nikolas. Das iſt eine ordentliche Nadel von Stahl; die hat man mit einem gewiſſen Stein beſtrichen, welcher der Magnet genant wird. Dadurch hat die Nadel die wunderbare Eigenſchaft gekriegt, daß ſie immer nach Nor - den dort hin uͤber Wandsbek hinaus wei - ſet. Darnach richten ſich denn die Schiffer, wenn ſie nichts mehr, als Luft und Waſſer ſe - hen koͤnnen, ſonſt wuͤrden ſie auf dem großenMeere160Meere ſich bald verirren und gar nicht wiſſen, nach welcher Himmelsgegend ſie hinſegeln.

Vater. Haſt du das verſtanden, Friz?

Frizchen. Ja! Nur zu!

Vater. Da alſo Robinſon einen ſolchen Kompaß nicht hatte: ſo war es ihm unmoͤglich wieder zuruͤk zu finden, ſo bald er die Inſel voͤl - lig aus den Augen verloren hatte. Und welch ein ſchreklicher Zuſtand wartete ſeiner dan? Mit - ten auf den Ozean getrieben zu werden, in einem kleinen unſichern Nachen, und nur auf einige Tage Lebensmittel zu haben. Kan auch etwas Fuͤrchterlicheres erdacht werden?

Aber hier zeigt 'es ſich recht ſichtbarlich, was fuͤr ein unausſprechlicher großer Schaz eine wah - re Froͤmmigkeit und ein gutes Gewiſſen in Noth und Ungluͤk ſind! Haͤtte Robinſon dieſe nicht gehabt: wie haͤtt' er die uͤberwaͤltigende Laſt die - ſer neuen Leiden ertragen koͤnnen? Er wuͤrde in Verzweiflung gerathen ſein und ſeinem gequaͤl - ten Leben ein Ende gemacht haben, um dem langſamen und ſchreklichen Tode des Hungers zu entgehen.

Sein161

Sein Gefaͤhrte, deſſen Gottesfurcht noch nicht ſo feſt gegruͤndet, und noch nicht durch ſo viele und ſo lange Leiden geſtaͤrkt war, als die Froͤmmigkeit ſeines Herrn, war wirklich der Verzweiflung nahe. Unfaͤhig, ferner zu arbei - ten und voͤllig muthlos, legt 'er das Ruder nie - der, ſahe ſeinen Herrn klaͤglich ins Geſicht und fragte: ob ſie nicht uͤber Bord ſpringen wolten, um alle dem Jammer, der ihnen bevorſtuͤnde, auf einmahl durch den Tod zu entgehen? Ro - binſon redete ihm erſt liebreich zu und ſuchte ihm Muth einzuſprechen; dan verwies er ihm mit ſanfter Stimme ſeinen ſchwachen Glauben an die alles lenkende goͤtliche Vorſehung, und erinnerte ihn an das, was er ihn davon gelehrt hatte. Stehen wir, ſezt' er hinzu, etwa nur zu Lande in Gottes, des Almaͤchtigen, Hand? Iſt er nicht auch Herr des Ozeans, und kan er, wenn es ihm gefaͤlt, nicht auch dieſen wilden Fluthen gebieten, daß ſie uns wieder an einen ſichern Ort fuͤhren muͤſſen? Oder meinſt du, daß du dich ſeiner Herſchaft entziehen koͤn - neſt, wenn du ins Meer ſpringeſt? Wiſſe, un -Lbeſon -162beſonnener Juͤngling, daß deine unſterbliche Sele immer und ewig ein Unterthan in Gottes uner - meßlichen Reiche bleibt, und daß es ihr ohnmoͤg - lich wohl darnach gehen kan, wenn ſie, als eine Empoͤrerin gegen Gott, aus dieſem Leben fluͤch - tet, ohne erſt den Ruf ihres Schoͤpfers abzu - warten!

Freitag fuͤhlte die Wahrheit dieſer Vorſtel - lungen in dem Innerſten ſeiner Sele und ſchaͤm - te ſich ſeiner Kleinmuͤthigkeit. Auf Robinſons Zureden ergrif er wieder das Ruder und beide fuhren unaufhoͤrlich fort zu arbeiten, ohngeach - tet nicht die mindeſte Hofnung war, daß es et - was helfen wuͤrde. Dies, ſagte Robin - ſon, iſt unſere Pflicht. So lange noch ein Fuͤnkchen Leben in uns iſt, muͤſſen wir unſer Moͤglichſtes thun, es zu erhalten. Dan koͤn - nen wir, wenn es ſein muß, mit dem troͤſten - den Bewuſtſein ſterben, daß es Gott ſo gewolt habe. Und ſein Wille, lieber Freitag, fuhr er mit erhoͤhter Stimme und in edlem Feuer fort, ſein Wille iſt immer gut, immer gut undweiſe,163weiſe, auch wenn wir ſchwache Erdenwuͤrmer es nicht begreifen koͤnnen!

Der gewaltige Strom ſchoß indeß unaufhoͤr - lich fort; mit ihm der Kahn, und von der fer - nen Inſel ragten jezt nur noch die Gipfel eini - ger Berge hervor. Jezt war nur noch die Spi - ze eines einzigen Berges zu ſehen, der auf der Inſel der hoͤchſte war; und nun war alle Hof - nung einer moͤglichen Errettung dahin!

Aber, wenn alle irdiſche Huͤlfe verſchwin - det, wenn die Noth ungluͤklicher Menſchen aufs hoͤchſte geſtiegen iſt, und nirgends, nirgends mehr ein Rettungsmittel uͤbrig zu ſein ſcheint; dan, lieben Kinder, dan pflegt die Hand der alles regierenden goͤttlichen Vorſehung am ſicht - barſten einzugreifen, und uns durch Mittel zu helfen, die wir gar nicht voraus geſehen hatten. So gings auch hier. Indem Robinſon ſelbſt alle Hofnung des Lebens nun ſchon fuͤr gaͤnzlich verſchwunden hielt und vor Mattigkeit zu rudern aufhoͤren muſte: merkt 'er ploͤzlich, daß die Schnelligkeit der Bewegung des Kahns etwas vermindert ward. Er ſah ins Waſſer, und fandL 2es164es weniger truͤbe, als es vorher geweſen war. Ein zweiter Blik auf der Oberflaͤche des Waſſers hin uͤberzeugte ihn, daß der Strom ſich hier getheilt habe, und daß der ſtaͤrkſte Arm deſſel - ben gegen Norden ſtroͤme, indeß der andere minder ſchnel flieſſende, auf dem ihr Nachen jezt fortſchwam, ſich durch eine Kruͤmmung nach Suͤden drehte.

Mit unausſprechlicher Freude rief er ſeinem ſchon halb todten Gefaͤhrten zu: munter, Freitag! Gott wil, daß wir leben ſollen! Dan zeigt 'er ihm den augenſcheinlichen Grund ſeiner Hofnung; und vor Freude jauchzend grif - fen beide eiligſt wieder zu den Rudern, die ſie eben aus gaͤnzlicher Entkraͤftung niedergelegt hat - ten. Geſtaͤrkt durch die unerwartete ſuͤße Hof - nung des Lebens arbeiteten ſie mit einer unbe - ſchreiblichen Anſtrengung dem Strome entgegen, und ſahen mit Entzuͤkken, daß ihre Bemuͤhung diesmahl nicht vergebens war. Robinſon, deſſen Sele durch eine lange Reihe von Ungluͤks - faͤllen geuͤbt war, ſeine Aufmerkſamkeit auf je - den beſondern Umſtand zu richten, bemerkte,daß165daß ihnen jezt auch der Wind zu ſtatten kommen wuͤrde. Augenbliklich ſpant 'er das Segel aus; der Wind blies lebhaft hinein, und da beide mit den Rudern nachhalfen: ſo hatten ſie in kurzer Zeit die unbeſchreibliche Freude, ſich aus dem Zuge des Stroms heraus und auf der ruhi - gen Oberflaͤche des ſtilſtehenden Meeres zu ſehn.

Freitag weinte laut vor Freuden, ſprang auf und wolte ſeinem Herrn um den Hals fal - len. Dieſer aber bat ihn, ſeine Empfindungen vor jezt zu maͤßigen, weil noch ein gut Stuͤk Arbeit fuͤr ſie uͤbrig waͤre, bevor ſie ſich fuͤr ganz gerettet halten koͤnten. Sie waren nemlich ſchon ſo weit verſchlagen worden, daß ſie von der gan - zen Inſel nur noch ein kleines undeutliches ſchwarzes Flekchen am aͤuſſerſten Horizont er - blikten.

Frizchen. Am Horizont? Was iſt das?

Vater. Frizchen, wenn du drauſſen auf dem freien Felde biſt, komt dir's da nicht vor, als wenn der Himmel rund umher, wie ein großes Gewoͤlbe, bis auf die Erde herab gehe?

Frizchen. Ja!

L 3Va -166

Vater. Nun der Kreis ſo rund herum, wo die Erde aufzuhoͤren, und der Himmel anzu - fangen ſcheint, der wird der Horizont genant. Bald ſolſt du mehr davon hoͤren.

Unſere muntern Schiffer ruderten ſo raſtlos zu, und der Wind blies ſo friſch gegen die Oſtſeite der Inſel, auf welche ſie jezt losſegelten, daß ſie in kurzer Zeit ſchon wieder Berge hervorragen ſahen. Friſch! rief Robinſon ſeinem Gefaͤhrten zu, der im Vordertheile ſaß und der Inſel alſo den Ruͤkken zukehrte; friſch, Freitag! das Ende unſerer Muͤhſeeligkeit komt naher! Er hatte dieſe Worte kaum ausgeſprochen, als der Kahn einen ſo heftigen Stoß empfing, daß beide Ru - derer von ihren Sizen herab der Laͤnge nach auf den Schifsboden hinſtuͤrzten. In dem Au - genblikke ſtand der Kahn ſelbſt ſtille und die Wel - len fingen an, uͤber Bord zu ſchlagen.

Mutter. Ja, Kinder, ſo gern ich auch, ſo wie ihr, auf das Abendeſſen Verzicht thaͤte, wenn wir unſern armen Freund dadurch retten koͤnten: ſo muͤſſen wir doch jezt aufbrechen. DasEſſen167Eſſen wartet auf uns, ſchon zweimahl hat Han - chen gerufen.

Alle. Oh!

Ein und zwanzigſter Abend.

Einige zugleich.

O nur geſchwind, lieber Vater, daß wir nur erſt hoͤren, was aus dem armen Robin - ſon geworden ſei!

Vater. Eben, da er ſich fuͤr gerettet hielt, ſtuͤrzt 'er, wie wir gehoͤrt haben, in ein neues Ungluͤk, welches leicht noch groͤßer werden kon - te, als dasjenige, dem ſie ſo eben erſt entgangen waren. Der Kahn ſaß ploͤzlich feſt und die Wel - len fingen an, uͤber Bord zu ſchlagen. War nun dasjenige, wovon das Schif feſtgehalten wurde, eine Felſenſpize: ſo war es aller Wahr - ſcheinlichkeit nach, um ſie geſchehen!

L 4Ro -168

Robinſon unterſuchte, ſo geſchwind als moͤglich, mit dem Ruder den Grund im Waſ - ſer, und da er ihn rund um das Schif herum feſt und das Waſſer nicht uͤber eine halbe Elle tief fand: ſo beſan er ſich keinen Augenblik, ſon - dern ſprang uͤber Bord. Freitag folgte ſeinem Beiſpiel und beide fanden z[u]ihrem großen Tro - ſte, daß es nur eine Sandbank und kein Felſen ſei, worauf ſie gerathen waren.

Beide ſtrengten darauf alle ihre Kraͤfte an, um den Kahn wieder zuruͤk ins tiefere Waſſer zu ſchieben. Es gluͤkte ihnen; das Schif ward flot, und beide ſprangen wieder hinein.

Lotte. Nun wird der arme Robinſon gewiß den Schnupfen kriegen, weil er ſich die Fuͤße naß gemacht hat!

Vater. Liebe Lotte, wenn man durch eine arbeitſame und natuͤrliche Lebensart ſich erſt ſo abgehaͤrtet hat, als Robinſon: ſo pflegt man von einer ſolchen Kleinigkeit den Schnupfen nicht mehr zu kriegen. Sei deswegen nur un - beſorgt!

Nach -169

Nachdem ſie das eingeſpruͤzte Waſſer, ſo gut es mit den Rudern gehen wolte, wieder ausge - worfen hatten, beſchloſſen ſie, vorſichtiger zu Werke zu gehen und ohne Segel zu fahren, da - mit ſie die Lenkung des Schiffes beſſer in ihrer Gewalt haͤtten. So ruderten ſie alſo laͤngſt der Sandbank hin, in der Hofnung, daß ſie bald ein Ende nehmen wuͤrde. Aber ſie muſten wohl erſt vier gute Stunden ſchiffen, ehe dieſe Hof - nung erfuͤlt ward: ſo weit lief die Bank von Norden nach Suͤden hin. Robinſon merkte, daß ſie ſich bis in diejenige Gegend des Meeres hin erſtrekke, wo er vor neun Jahren Schif - bruch gelitten hatte, und daß es alſo eben die - ſelbe ſei, auf welcher das Schif damahls ge - ſtrandet war.

Frizchen. Was heißt das geſtrandet?

Gotlieb. O daß du doch auch immer den Vater unterbrechen muſt!

Vater. Nun, das iſt ja gut von ihm, daß er gern belehrt ſein wil! Aber nicht ſo gut von dir, lieber Gotlieb, daß du daruͤber un - freundlich wirſt! Huͤte dich kuͤnftig davor! L 5Stran -170Stranden, lieber Friz, heißt, wenn ein Schif auf eine ſolche Sandbank oder auf einen Felſen geraͤth, und nicht wieder davon loskommen kan.

Frizchen. Gut!

Vater. Endlich erreichten ſie wieder ein ordentliches Fahrwaſſer, und ruderten nun mit aller Gewalt der Inſel zu, welche ihnen jezt ſchon ganz vor Augen lag. Sie erreichten endlich den Strand, da die Sonne eben ihre lezten Blikke auf den Gipfel der Berge warf, und ſtiegen ganz ermattet, aber unbeſchreiblich froh uͤber ihre gluͤkliche Rettung, ans Land.

Beide hatten den ganzen Tag keinen Biſſen genoſſen. Sie konten daher die Zeit nicht ab - warten, da ſie wieder in der Burg wuͤrden an - gekommen ſein, und ſezten ſich gleich am Strande nieder, um von dem Vorrathe, den ſie mit ſich zu Schiffe genommen hatten, erſt eine reich - liche Mahlzeit zu thun. Dan zogen ſie den Kahn in eine kleine Bugt ihr wißt doch, was das iſt?

Jo -171

Johannes. O ja! Wo das Waſſer ſo etwas ins Land hineintrit. Es iſt ja faſt eben das, was ein Meerbuſen iſt.

Vater. Nur, daß der Meerbuſen groͤßer iſt! Sie zogen, ſag 'ich, den Kahn in eine Bugt und gingen, mit allem, was ſie im Schif - fe gehabt hatten, beladen nach Hauſe.

Nikolas. O es iſt doch wohl noch nicht aus?

Vater. Robinſon und Freitag haben ſich bereits zur Ruhe begeben, und der lezte liegt ſchon im tiefen Schlaf verſunken, indeß der erſte noch ein feuriges Dankgebeth fuͤr ſeine abermahlige Errettung zu Gott ſchikt. Wir koͤnten's alſo auch ſo machen; aber da es noch ſo fruͤh am Tage iſt: ſo wil ich die Nacht uͤber - ſpringen und nun noch erzaͤhlen, was am fol - genden Tage geſchahe.

Nun, Freitag, fragte Robinſon beim Fruͤhſtuͤk, haͤtteſt du Luſt, dich noch einmahl ſo mit mir zu wagen, als geſtern?

Freitag. Gott bewahre!

Ro -172

Robinſon. Alſo entſchließt du dich, dein Leben auf dieſer Inſel mit mir zu endigen?

Freitag. Wenn nur mein Vater auch hier waͤre!

Robinſon. Alſo haſt du noch einen Va - ter?

Freitag. Wenn er nicht unterdeß geſtor - ben iſt!

Hier legt 'er die Kartoffel aus der Hand, und ein Paar große Traͤnen rolten ihm die Bak - ken herab. Robinſon dachte an ſeine eigene Eltern und muſte ſich gleichfals die Augen wi - ſchen. Beide beobachteten eine Zeitlang ein ruͤh - rendes Stilſchweigen.

Robinſon. Sei gutes Muths, Freitag! Dein Vater wird noch leben, und wenn es Got - tes Wille iſt: ſo wollen wir naͤchſtens hinuͤber fahren und ihn zu uns hohlen.

Nun das war zu viel Freude fuͤr den armen Freitag! Laut heulend ſprang er auf, warf ſich uͤber Robinſons Knie hin, klammerte ſich feſt daran und konte vor Schluchzen kein Wort ſprechen.

Kin -173

Kinder! rief hier die Mutter aus, welch ein Beiſpiel von Elternliebe an einem Wilden! An ei - nem Wilden, der ſeinem Vater keine Erziehung, keinen Unterricht, nur das bloße Leben, und noch da - zu ein recht armſeliges Leben zu verdanken hatte!

So gewiß, fuͤgte der Vater hinzu, hat Gott die Liebe und Dankbarkeit gegen Eltern allen Menſchen ins Herz gelegt! Und welch ein Ungeheuer muͤſte alſo nicht der ſein wenn es unter uns geſitteten Menſchen einen ſolchen gabe der dieſen angebohrnen Trieb bei ſich erſtikte, und gegen ſeine Eltern gleichguͤltig werden, ih - nen wohl gar Kummer und Betruͤbniß verurſa - chen koͤnte! Soltet ihr je einen ſolchen Unmen - ſchen antreffen: o ſo verweilet nicht mit ihm un - ter einen Dache; flieht ihn, als eine Peſt der Geſelſchaft, als einen ſolchen, der auch jeder an - dern Unmenſchlichkeit gleichfals fahig iſt, und dem die gerechten Strafgerichte Gottes auf dem Fuße nacheilen!

Nachdem Freitag ſich einiger maßen erhohlt hatte, fragte Robinſon, ob er denn auch wohl der Fahrt nach ſeiner Heimath ſo voͤllig kundigwaͤre,174waͤre, daß ſie nicht abermahls ein aͤhnliches Un - gluͤk, als ihr geſtriges, zu beſorgen haͤtten? und Freitag betheuerte, daß das Fahrwaſſer dahin ihm ſo bekant waͤre, daß er zur Nachtzeit dahin zu ſchiffen ſich getraue, weil er ſich oft mit dabei befunden haͤtte, wenn ſeine Landsleute heruͤber geſchift waͤren, um hier ihre Sieges - feſte zu feiern.

Robinſon. Alſo biſt du oft mit dabei geweſen, wenn man Menſchen ſchlachtete?

Freitag. O ja!

Robinſon. Und haſt ſie mit verzehren helfen?

Freitag. Leider! Ich wuſte ja noch nicht, daß das was Boͤſes ſei!

Robinſon. An welcher Stelle unſerer Inſel pflegtet ihr dan zu landen?

Freitag. Allemahl an der ſuͤdlichen Kuͤſte, weil uns dieſe die naͤchſte war, und weil es da Kokusbaͤume giebt.

Robinſon ſahe hieraus noch deutlicher ein, wie viel Urſache er habe, Gott zu danken, daß er ihn an der noͤrdlichen Seite der Inſel, undnicht175nicht an der ſuͤdlichen hatte Schifbruch leiden laſſen, weil er im lezten Falle gewiß in kurzer Zeit ein Raub der Wilden wuͤrde geworden ſein. Er wiederhohlte hierauf das fuͤr Freitag ſo angenehme Verſprechen, daß er in kurzem mit ihm hinuͤber fahren wolte, um ſeinen Vater abzuholen. Fuͤr jezt lieſſe ſich's noch nicht thun, weil die Gartenarbeiten, zu denen es eben Zeit war, ihre Gegenwart erfoderten.

Zu dieſen ward alſo gleich geſchritten. Ro - binſon und Freitag gruben um die Wette und in den Ruheſtunden waren ſie darauf bedacht, ſich immer brauchbarere Werkzeuge zu machen. Robinſon, deſſen Erfindungskraft und Geduld gleich unerſchoͤpflich waren, kam ſo gar damit zu Stande, eine Harke zu verfertigen, ohngeach - tet er die Loͤcher, zu den Zaͤhnen mit einem ſpi - zigen Steine ihr koͤnt denken wie langſam! ausboren muſte. Freitag hingegen ſchnizte nach und nach mit einem ſteinernen Meſſer zwei Spaten aus ſo hartem Holze, daß ſie ihnen bei - nahe dieſelben Dienſte leiſteten, als wenn ſie von Eiſen geweſen waͤren.

Und176

Und nun begnuͤgte ſich Robinſon nicht mehr damit, blos fuͤr die allernoͤthigſten Beduͤrfniſſe zu ſorgen: ſondern er fing auch nach und nach an, auf eine Verſchoͤnerung ſeines Aufenthalts zu denken. Und ſo, Kinder, iſt es immer in der Welt gegangen. So lange die Menſchen noch alle ihre Gedanken auf die Erwerbung ih - res Unterhalts und auf die Sicherheit ihres Le - bens richten muſten, fiels ihnen gar nicht ein, ſich auf diejenigen Kuͤnſte zu legen, welche nur dazu dienen, die Gegenſtaͤnde um uns her zu verſchoͤnern, und unſerer Sele feinere Vergnuͤ - gungen zu verſchaffen, als die blos thieriſchen Vergnuͤgungen der Sinne ſind. Aber kaum war fuͤr Nahrungsmittel und fuͤr Sicherheit hinlaͤng - lich geſorgt, ſo fingen ſie auch an, das Schoͤne mit dem Nuͤzlichen, das Angenehme mit dem Nothwendigen verbinden zu wollen. So ent - ſtanden dan die eigentliche Baukunſt, die Mah - lerei, die Bildhauerkunſt, die Tonkunſt, und alle die uͤbrigen kuͤnſtlichen Geſchiklichkeiten, welche unter dem Nahmen der ſchoͤnen Kuͤn - ſte begriffen werden.

Ro -177

Robinſon fing mit der Verbeſſerung und Verſchoͤnerung des Gartenweſens an. Er theilte ſeinen Garten nach einem ordentlichen Plane in regelmaͤßige Felder ein; durchſchnit dieſe Fel - der mit ſchnurgraden Wegen, legte lebendige Hekken, Lauben und Alleen an; beſtimte den einen Plaz zum Blumengarten, den andern zum Kuͤchengarten und einen dritten zum Obſt - garten. In dieſen leztern pflanzt 'er alles, was er von jungen Zitronenbaͤumen auf der In - ſel finden konte, nebſt einer Menge anderer jun - ger Baͤume, auf die er Kokusreiſer pfropfte. Bei dieſer lezten Arbeit machte Freitag beſon - ders große Augen, weil er gar nicht begreifen konte, wozu das ſolte, bis ihm Robinſon das Verſtaͤndniß daruͤber oͤfnete.

Jezt pflanzten ſie Kartoffeln und Maiz in großer Menge und weil der Akker vielleicht von Erſchaffung der Welt her brach gelegen hat - te; ſo wuchs das Gepflanzte bald zu einer ſehr geſeegneten Erndte auf.

Unter durch ſtelten ſie auch Fiſchereien an, weil Freitag wie ich erzaͤhlt habe, in der leztenMRe -178Regenzeit die Neze dazu verfertiget hatte. Sie fingen jedesmahl weit mehr, als ſie brauchen konten, und warfen daher die Ueberfluͤßigen wie - der ins Meer. Bei dieſer Gelegenheit pflegten ſie ſich dan gemeiniglich auch zu baden; und da muſte Robinſon die erſtaunliche Geſchiklichkeit bewun - dern, welche Freitag im Schwimmen und Unter - tauchen bewies. Er ſuchte ſich mit Fleiß ein fel - ſichtes Ufer aus, wo die Meereswellen ſich auf eine fuͤrchterliche Weiſe brachen. In dieſe ſprang er ſcherzend von oben hinab, blieb einige Minuten unterm Waſſer, ſo daß dem armen Robinſon oft angſt und bange dabei ward, kam dan wie - der hervor auf die Oberflaͤche des Waſſers, legte ſich auf den Ruͤkken um ſich von den Wellen wiegen zu laſſen und trieb allerlei Gaukeleien, deren umſtaͤndliche Beſchreibung beinahe alle Glaubwuͤrdigkeit verlieren wuͤrde. Robinſon konte dabei nicht umhin, die erſtaunlichen Anla - gen der menſchlichen Natur zu bewundern, die zu allem faͤhig iſt, was ihr von Jugend an zur Uebung gemacht wird.

An179

An andern Tagen beluſtigten ſie ſich mit der Jagd, weil Freitag gleichfals Meiſter, ſo wohl in der Verfertigung, als auch in dem Ge - brauche des Bogens und der Pfeile war. Sie ſchoſſen Voͤgel und junge Lama's, doch nie mehr, als ſie jedesmahl brauchen konten, weil Robin - ſon es mit Recht fuͤr ſuͤndlich hielt, ein Thier, es ſei, welches es wolle, blos zur Luſt oder um nichts zu quaͤlen und zu toͤdten.

So ſehr uͤbrigens Robinſon dem guten Freitag am Verſtande und an mancher Geſchik - lichkeit uͤberlegen war: ſo verſtand doch dieſer auch wieder viele kleine Kuͤnſte, welche ſeinem Herrn vorher unbekant geweſen waren, und die ihnen gleichwohl jezt vortreflich zu ſtatten ka - men. Er wuſte ſich allerlei Werkzeuge aus Kno - chen, Steinen, Muſcheln und andern Dingen zu machen, womit er manches ſo gut bearbeiten konte, als wenn er Werkzeuge von Eiſen gehabt haͤtte. So macht 'er ſich z. E. aus dem Arm - beine eines Mannes, welches er zufaͤlliger Weiſe fand, einen Meiſſel; eine Raſpel aus Ko - rallen; ein Meſſer aus Muſcheln; eine FeileM 2aus180aus der ſcharfen Haut eines Fiſches. Damit verfertigte er viel kleines Hausgeraͤth, welches die Bequemlichkeit ihres Lebens gar ſehr ver - groͤſſerte.

Noch lernte Robinſon von Freitag den Gebrauch der Kakaobohnen, die er bei einer ehe - maligen Wanderung auf ſeiner Inſel entdekt und einige davon aufs Gerathewohl mit ſich genom - men hatte. Er legte ſie nemlich ans Feuer, ſo wie die Kartoffeln, und ließ ſie roͤſten. Dan gewaͤhrten ſie eine gar nicht unangenehme und dabei ſehr nahrhafte und geſunde Speiſe.

Robinſon, welcher gar zu gern neue Ver - ſuche anſtelte, zerſtampfte einige derſelben, nach - dem ſie geroͤſtet waren, zwiſchen zwei Steinen, ſchuͤttete das kleingeriebene Pulver in einen mit Lamamilch angefuͤlten Topf und ſezte ihn ans Feuer. Wie erſtaunt 'er nicht, und wie groß war ſein Vergnuͤgen, da er die daraus entſtan - dene Suppe koſtete und fand daß es ordentliche Schokolade ſei.

Frizchen. Ah! Schokolade?

Va -181

Vater. Ja, nur daß das Gewuͤrz und der Zukker daran fehlten. So vervielfaͤltig - ten ſich nach und nach die Nahrungsmittel des guten Robinſons und die Quellen ſeines Ver - gnuͤgens! Aber zu ſeinem Ruhme muß ich ſagen, daß er demohngeachtet bei ſeinem neulichen Vor - ſaze blieb, und eben ſo maͤßig und einfach zu le - ben fortfuhr, als er angefangen hatte.

Beide ſtelten jezt oͤftere und lange Wander - ſchaften durch die ganze Inſel an, beſonders an ſolchen Tagen, an welchen ein Wind blies, der den Wilden entgegen war; und ſie entdekten bei ſolchen Gelegenheiten noch Manches, was ihnen nuͤzlich werden konte.

Endlich war der Garten voͤllig beſtelt, und nun wurde der Tag beſtimt, an welchem ſie nach Freitags Heimath hinuͤber fahren und den Vater deſſelben abholen wolten. Je naͤher aber die Zeit zur Abfahrt heranruͤkte, deſto oͤfterer fiel unſerm Robinſon der Gedanke aufs Herz: wie? wenn Freitags Landsleute dich dennoch als einen Feind behandelten? Wenn ſie an Frei - tags Vorſtellungen ſich nicht kehrten, und duM 3ein182ein Opfer ihres abſcheulichen Menſchenhungers werden muͤſteſt? Er konte ſich nicht enthalten, dieſe Beſorgniß ſeinem Freunde mitzutheilen. Aber Freitag verſicherte ihn bei Allem, was heilig iſt, daß er nichts zu beſorgen habe; er kenne ſeine Landsleute zu gut und wiſſe daher mit voͤlliger Gewißheit, daß ſie keinem etwas zu Leide thaͤten, der nicht ihr Feind ſei. Ro - binſon war uͤberzeugt, daß er dies nicht ſagen wuͤrde, wenn's nicht ſo waͤre. Er unterdruͤkte alſo alle aͤngſtliche Sorgſamkeit, traute der Ehr - lichkeit ſeines Freundes, und beſchloß, am fol - genden Morgen in Gottes Nahmen mit ihm abzufahren.

Sie hatten in dieſer Abſicht den Kahn, der bis dahin auf den Strand gezogen war, wieder aufs Waſſer gebracht und an einer in die Erde geſtrekten Stange befeſtiget. Den Abend brach - ten ſie damit zu, Kartoffeln zu braten und an - dere Speiſen zuzurichten, die ſie mitnehmen wolten, um ſich wenigſtens auf acht Tage mit Proviant zu verſorgen. Freitag zeigte bei die - ſer Gelegenheit, daß er auch in der Kochkunſtſo183ſo unerfahren eben nicht ſei, und lehrte ſeinen Herrn, ein ganzes junges Lama, welches ſie ge - ſchoſſen hatten, in kuͤrzerer Zeit weit muͤrber zu braten, als es am Spieſſe geſchehen konte. Das fieng er ſo an.

Er grub ohngefaͤhr zwei Fuß tief ein Loch in die Erde, welches er ſchichtweiſe mit troknem Holze und mit platten Steinen anfuͤlte. Die - ſes Holz zuͤndete er an. Dan hielt er das junge Lama uͤber's Feuer um die Hare abzuſengen, und nachdem dieſes geſchehen war, ſchabte er es mit einer Muſchel ſo rein ab, als wenn es mit heiſſem Waſſer waͤre abgebruͤhet worden. Mit eben dieſer Muſchel ſchnitt 'er den Leib des Thie - res auf, um die Eingeweide heraus zu nehmen. Unterdeß war das Holz zu Kohlen gebrant; das Loch war durch und durch erhizt und die Steine waren gluͤhend geworden. Er warf darauf in der groͤßten Geſchwindigkeit dieſe Steine nebſt den Kohlen aus dem Loche hinaus; legte dan einige der heißgemachten Steine auf den Boden des Lochs und bedekte ſie mit gruͤnen Kokusblaͤt - tern. Auf dieſe legt' er das Lama, bedekt 'esM 4aber -184abermahls mit Blaͤttern und pakte die uͤbrigen heiſſen Steine darauf. Dan ſchuͤttete er das ganze Loch mit Erde zu.

Nach einigen Stunden ward das Loch wie - der geoͤfnet und das Lama heraus genommen. Robinſon, der ein Stuͤkchen davon koſtete, muſte geſtehen, daß es weit muͤrber, ſaftiger, und wohlſchmekkender ſei, als wenn's am Spieſ - ſe waͤre gebraten worden; und er nahm ſich da - her vor, kuͤnftig immer ſo zu verfahren.

Johannes. Eben ſo machen's ja auch die Otahiter, wenn ſie ihre Hunde braten?

Vater. Das thun ſie auch.

Gotlieb. Ihre Hunde? Eſſen die denn Hundefleiſch.

Johannes. Ja wohl! Wir haben's vo - rigen Winter ja geleſen; und die Englaͤnder, die mit davon aßen, geſtanden, daß es ſehr gut ſchmekke.

Einige. Fi!

Vater. Ihr muͤßt nur wiſſen, daß die dortigen Hunde auch eine ganz andere Lebensart, als die Unſrigen, fuͤhren. Sie freſſen keinFleiſch,185Fleiſch, ſondern leben blos von Fruͤchten. Da mag denn ihr Fleiſch auch wohl ganz anders ſchmekken, als das Fleiſch der Unſrigen ſchmek - ken wuͤrde.

Nun, Kinder, alle Vorbereitungen zu der beſchloſſenen Reiſe waren jezt gemacht. Wir wollen alſo unſere beiden Wanderer erſt aus - ſchlafen laſſen, und dan ſehen, was es morgen geben wird.

Zwei und zwanzigſter Abend.

Vater.

Robinſon und Freitag mogten kaum eine Stunde geſchlafen haben, als der erſte durch ein heftiges Gewitter, welches unterdeß entſtanden war, ploͤzlich wieder gewekt wurde. Der Sturm - wind heulte fuͤrchterlich, und der Donner krach - te, daß die Erde davon erzitterte. Hoͤrſt du,M 5Frei -186Freitag? fragte Robinſon, indem er ſei - nen Schlafkammeraden anſtieß. Au weh! antwortete dieſer; wenn uns das auf dem Meere getroffen haͤtte! Er hatte dieſes kaum geſagt, als ſie auf einmahl einen Knal hoͤrten, der ei - nem fernen Kanonenſchuſſe aͤhnlich war.

Freitag meinte, es ſei der Donner; Ro - binſon hingegen glaubte ſteif und feſt, einen Kanonenſchuß gehoͤrt zu haben, und gerieth dar - uͤber in die freudigſte Beſtuͤrzung. Er ſprang eiligſt vom Lager auf, lief nach der Kuͤche und befahl Freitag, ihm zu folgen. Hier ergrif er einen gluͤhenden Feuerbrand, und kletterte damit die Strikleiter hinauf. Freitag that ein Glei - ches, ohne zu wiſſen, was ſeines Herrn Abſicht ſei.

Auf dem Gipfel des Berges machte Robin - ſon in groͤßter Geſchwindigkeit ein großes Feuer an, um den Nothleidenden ein Zeichen zu ge - ben, daß ſie hier bei ihm einen ſichern Zufluchts - ort finden koͤnten. Er glaubte nemlich, daß ir - gend ein Schif in der Naͤhe ſei, welches in Ge - fahr waͤre, und deswegen einen Nothſchuß ge -than187than habe. Aber kaum loderte die Flamme auf, als ein ſo entſezlicher Regenguß herabſtuͤrzte, daß das Feuer augenbliklich wieder ausgeloͤſcht wurde. Robinſon und Freitag mußten ſich in ihre Hoͤhle retten, um nicht fortgeſchwemt zu werden.

Nun wuͤthete der Sturm, nun raſſelte der Plazregen, nun krachte der Donner mit unbe - ſchreiblicher Heftigkeit. Es erfolgte Schlag auf Schlag, und ohngeachtet Robinſon ſich ein - bildete, unter durch von Zeit zu Zeit noch mehr Kanonenſchuͤſſe zu hoͤren: ſo war er doch zulezt ſelbſt zweifelhaft, ob's nicht vielleicht blos der Donner geweſen ſei? Dem ohngeachtet hing er die ganze Nacht hindurch dem ſuͤßen Gedanken nach, daß ein Schif zu ſeiner Erloͤſung in der Naͤhe ſei; daß dieſes vielleicht der Gefahr, worin es ſich jezt befinde, gluͤklich entkommen, und ihn, nebſt ſeinem treuen Freitag, nach Europa fuͤhren wuͤrde. Zehnmahl verſucht 'er, ein neues Feuer anzulegen, aber der unaufhoͤr - liche Regen loͤſchte jedesmahl es wieder aus. Es blieb ihm alſo weiter nichts uͤbrig, als fuͤr dieUn -188Ungluͤklichen zu beten; und das that er mit der groͤßten Innigkeit.

Gotlieb. Fuͤrchtet er ſich denn jezt nicht mehr ſo vor dem Gewitter, wie er ſonſt that?

Vater. Du ſiehſt, daß dieſe thoͤrichte Furcht ihn jezt auch verlaſſen haben muß; und woher wohl das?

Johannes. Weil er jezt kein boͤſes Ge - wiſſen mehr hat.

Vater. Richtig! und dan auch wohl des - wegen, weil er jezt volkommen uͤberzeugt iſt, daß Gott ein Gott der Liebe ſei, und daß alſo denen, die from ſind und recht thun, nichts be - gegnen kan, das nicht am Ende zu ihrem wah - ren Beſten gereichte.

Erſt mit Anbruch des Tages legte ſich das Ungewitter; und Robinſon rante, von Frei - tag begleitet, zwiſchen Furcht und Hofnung nach dem Strande, um zu ſehen, ob er recht gehoͤrt habe, oder nicht? Aber das Erſte, was ſich ih - nen daſelbſt zeigte, war fuͤr beide aͤuſſerſt trau - rig, beſonders fuͤr den armen Freitag. Der Sturm hatte nemlich ihren Kahn losgeriſſen,und189und in das weite Weltmeer fortgeſchleudert. Es war recht klaͤglich anzuſehen, wie Freitag ſich gebehrdete, da er die ſchoͤne Hofnung, mit ſei - nem Vater vereinigt zu werden, ſo auf ein - mahl zernichtet ſahe! Er ward todtenblaß, ſtand eine Zeitlang ganz ſprachlos, die ſtarren Blikke zur Erde geheftet und ſchien mit ſeiner ganzen Sele abweſend zu ſein. Dan brach er in einen Strom von Traͤnen aus, rang die Haͤnde, zer - ſchlug ſich die Bruſt, und zerraufte ſich das Haar.

Robinſon, der durch eigenes Ungluͤk ge - lernt hatte, einem Ungluͤklichen nach zu empfin - den, hatte Mitleid mit ſeinem Jammer, und ſuchte durch ſanfte freundſchaftliche Vorſtellun - gen ihn zur Vernunft wieder zuruͤk zu bringen. Wer weiß, ſagt 'er unter andern zu ihm, wo - zu es uns gut ſein mag, den Kahn verloren zu haben? Wer weiß, was der Sturm, der Schuld daran iſt, uns oder andern Menſchen fuͤr große Vortheile mag geſtiftet haben? Schoͤne Vortheile! antwortete Freitag in einem etwas bittern Tone; den Kahn hat er uns genommen;das190das iſt alles! Alſo, erwiederte Robin - ſon, weil du und ich mit unſern kurzſichtigen Augen keine andere Wirkung des Sturms, als die Wegfuͤhrung des Kahns, wahrnehmen; ſo glaubſt du, daß auch Gott, der Alweiſe, keine andere Urſache, ihn zuſchikken, gehabt habe? Unverſtaͤndiger, wie kanſt du dich erkuͤhnen, die Abſichten des großen Gottes beurtheilen zu wollen!

Ja, aber was koͤnt 'er denn auch wohl fuͤr Nuzen fuͤr uns gehabt haben? fragte Frei - tag. Muſt du mich darum fragen? ant - worte Robinſon. Bin ich alwiſſend, um die Abſichten des Weltregenten verſtehen zu koͤnnen? Vermuthen kann ich freilich dies und das: aber wer ſagt mir, ob ich's getroffen habe? Viel - leicht hatten auf unſerer Inſel ſich ſo viele unge - ſunde Duͤnſte geſammelt, daß ein Sturmwind noͤthig war, um ſie zu zerſtreuen, wenn wir beide nicht krank werden, oder ſterben ſolten! Vielleicht haͤtte der Kahn, waͤr' er geblieben, uns ins Verderben gefuͤhrt! Vielleicht Doch wozu alle dieſe vielleichts, da es uns genugſein191ſein muß, zu wiſſen, daß Gott es ſei, der dem Sturmwinde gebietet, und daß dieſer Gott ein weiſer, und guͤtiger Vater aller ſeiner Geſchoͤpfe ſei?

Freitag ging in ſich; er bereuete ſeinen Un - verſtand, und ergab ſich in den Willen der Vor - ſehung. Robinſons Blikke irreten unterdeß auf der weiten Flaͤche des Ozeans herum, ob er nicht vielleicht irgend wo ein Schif wahrneh - men moͤgte? Aber umſonſt! Es war nirgends eins zu ſehen. Er ſahe alſo, daß er ſich geirret haben muͤſſe, und daß der gehoͤrte wiederholte Knal, dem er fuͤr Kanonenſchuͤſſe gehalten hatte, nichts anders, als der Donner, koͤnne geweſen ſein. Traurig uͤber die Vereitelung einer ſo lieben Hofnung, ging er wieder zu Hauſe.

Aber zu Hauſe hatt 'er nicht Ruhe, nicht Raſt, weil ihm immer ein Schif vor den Au - gen ſtand, das bei ſeiner Inſel vor Anker lag. Er kletterte alſo wieder auf den Berg, von wan - nen er die weſtliche Kuͤſte uͤberſehen konte: aber auch von da aus kont' er nicht entdekken, was der ſuͤße Traum ihm vorgeſpiegelt hatte. Auchdamit192damit noch nicht zufrieden, und noch immer un - ruhig, rant 'er nach einem andern Berge, der viel hoͤher, als dieſer, war, um von da nach der oͤſtlichen Kuͤſte der Inſel hinzuſehen. In einem Hui! hatt' er ihn erſtiegen; und da er nun oben war, und nach der Morgenſeite hin - blikte Himmel! welch freudiges Erſchrekken bemaͤchtigte ſich da ploͤzlich ſeiner ganzen Sele, als er ſahe daß er ſich doch nicht betrogen habe!

Alle. Oh!

Vater. Er ſahe ein Schif, und zwar, der weiten Entfernung ungeachtet, ſo deutlich, daß er gar nicht zweifeln konte, es ſei wirklich eins, und noch dazu ein recht großes. Ueber - hebet mich, Kinder, der vergeblichen Muͤhe, euch ſeine Freude, ſein unausſprechliches Ent - zuͤkken zu beſchreiben. Athemlos rant 'er zuruͤk nach ſeiner Burg; ergrif ſeine Waffen und konte zu Freitag, der ihn vol Verwunderung an - ſtaunte, weiter nichts ſagen, als: ſie ſind da! Geſchwind! Geſchwind! und ſo, wie derWind,193Wind, die Strikleiter wieder hinauf und davon, als wenn er Fluͤgel haͤtte.

Freitag ſchloß aus der Verwirrung, aus der Eilfertigkeit, und aus den abgebrochnen Wor - ten ſeines Herrn, daß die Wilden da waͤren. Er ergrif alſo gleichfals ſeine Waffen, und lief mit nicht geringerer Geſchwindigkeit hinter ihm drein.

Ueber zwei ſtarke Meilen muſten ſie laufen, bevor ſie an die Stelle des Strandes kamen, der gegen uͤber das Schif vor Anker zu liegen ſchien. Und hier war es, wo Freitag erſt er - fuhr, wovon denn eigentlich die Rede ſei. Ro - binſon zeigte ihm das ferne Schif, woruͤber er denn gar große Augen machte, weil er der Ent - fernung ohngeachtet, wohl ſehen konte, daß es hundert mahl groͤßer ſei, als das groͤßte, wel - ches er jemahls geſehen hatte.

Robinſon wuſte gar nicht, was er vor Freude alles angeben ſolte. Bald ſprang er, bald jauchzt 'er, bald fiel er ſeinem Freitag in die Arme und bat ihn, mit hellen Freudentraͤ - nen in den Augen, daß er ſich doch auch freuenNmoͤg -194moͤgte! Nun ging 'es nach Europa; nun nach Hamburg! Da ſolt' er einmahl ſehen, wie man in Hamburg lebte! Was fuͤr Haͤuſer da die Menſchen bauen koͤnten! Wie bequem, wie ruhig, wie angenehm man da ſein Leben hin - braͤchte! Der Strom ſeiner Worte war un - erſchoͤpflich. Ich glaube, er wuͤrde bis Mor - gen ununterbrochen fortgeredet haben; wenn er ſich nicht auf einmahl beſonnen haͤtte, daß es thoͤrigt waͤre, die Zeit mit unnuͤzen Worten hin - zubringen, und daß er vor allen Dingen ſuchen muͤſſe, ſich den Leuten auf dem Schiffe zu er - kennen zu geben. Aber wie nun? Das war die Frage.

Er verſuchte ſeine Stimme ertoͤnen zu laſ - ſen; aber er merkte bald, daß das vergebliche Muͤhe ſei, ohngeachtet der Wind ſich ſchon waͤh - rend des Ungewitters gedrehet hatte, und jezt von der Inſel nach dem Schiffe zu bließ. Er hieß alſo ſeinen Freund, ſo geſchwind, als moͤg - lich, ein Feuer anmachen, welches von dem Schiffe her geſehen werden koͤnte. Dieſer kam auch bald damit zu Stande, und nun erregte Ro -binſon195binſon eine Flamme, welche baumhoch empor loderte. Seine Augen waren darauf unver - ruͤkt nach dem Schiffe gerichtet, weil er alle Augenblikke erwartete, daß ein Boot abſtoßen und zu ihnen kommen wuͤrde. Aber kein Boot wolte ſich ſehen laſſen.

Endlich, da das Feuer ſchon eine Stunde vergeblich gebrant hatte, that Freitag den Vor - ſchlag, er wolle, ſo weit es auch immer waͤre, hinſchwimmen, und den Leuten ſagen, daß ſie herkommen ſolten. Robinſon umarmte ihn dafuͤr, und bat ihn, doch ja fuͤr die Erhaltung ſeines Lebens dabei beſorgt zu ſein. Freitag warf darauf ſeine Mattenkleidung ab, brach ei - nen gruͤnen Zweig ab, den er in den Mund nahm, und ſprang herzhaft ins Waſſer. Ro - binſons waͤrmſte Seegenswuͤnſche begleiteten ihn.

Lotte. Was wolt 'er denn mit dem gruͤ - nen Zweige machen?

Vater. Ein gruͤner Zweig iſt bei den Wil - den ein Zeichen des Friedens; und wer ſo ſich ihnen naͤhert, dem pflegen ſie nichts zu Leide zuN 2thun.196thun. Er nahm ihn alſo zu ſeiner Sicherheit mit.

Freitag langte gluͤklich bei dem Schiffe an, ſchwam einige mahl um daſſelbe herum und rief: holla! Aber da war keiner, der ihm antwortete. Endlich bemerkt 'er die Schifsleiter, die an der Seite herab hing; er naͤherte ſich ihr und ſtieg daran hinauf, den gruͤnen Zweig in der Hand.

Als er ſo hoch geſtiegen war, daß er auf das Verdek ſehen konte, erſchrekte ihn der Anblik eines Thiers, welches ihm ganz fremd war. Es war ſchwarz und zottigt; und in dem Au - genblikke, daß Freitag von ihm geſehen ward, erhob es eine Stimme, dergleichen dieſer noch niemahls gehoͤrt hatte. Gleich darauf ward es wieder ſtille, und bezeigte ſich ſo freundlich, daß Freitag die Furcht, die es anfangs ihm einge - floͤſt hatte, wieder fahren ließ. Es kam in der demuͤthigſten Stellung herbei gekrochen, wedelte mit dem Schwanze und winſelte ſo beweglich, daß Freitag wohl merkte, es wolle Schuz bei ihm ſuchen. Er wagte es daher, da es bis zu ſeinen Fuͤßen vorgekrochen war, es zu ſtreicheln,und197und das Thier ſchien auſſer ſich vor Freude zu ſein.

Freitag ging nun auf dem Verdekke herum und fuhr fort, ſein Holla! mit lauter Stimme zu rufen; aber es wolte ſich noch immer kein Menſch blikken laſſen. Er ſtand jezt und ſtaunte alle die wunderbaren Sachen an, die er auf dem Verdekke erblikte, und hatte da - bei den Ruͤkken gegen die Treppe gekehrt, wo - durch man vom Verdekke in das Innere des Schiffes hinab ſteigt; als er ploͤzlich einen ſo un - ſanften und nachdruͤklichen Stoß von hinten er - hielt, daß er der Laͤnge nach hinſtuͤrzte. Vol Schrekken richtete er ſich wieder auf, ſahe ſich um und waͤre beinahe verſteinert worden, da er ein ziemlich großes Thier mit großen krummen Hoͤrnern, und mit langem Barte erblikte, wel - ches ſich eben wieder in eine drohende Stellung auf die Hinterfuͤße ſezte, um ihm eine zweite Bewilkommung angedeien zu laſſen. Freitag that einen lauten Schrei und ſprang, ohne ſich einen Augenblik zu beſinnen, uͤber Bord ins Meer hinab.

N 3Das198

Das erſtbeſchriebene ſchwarze Thier, wel - ches ihr an der Beſchreibung vermuthlich wohl werdet erkant haben

Johannes. O ja! ein Pudel!

Vater. Getroffen! Dieſer Pudel, ſa - ge ich, folgte Freitags Beiſpiele und ſprang gleichfals uͤber Bord, um ihm nach zu ſchwim - men. Freitag, der das Plaͤtſchern deſſelben hinter ſich hoͤrte, bildete ſich ein, daß das an - dere gehoͤrnte Ungeheuer ihm nachgeſprungen waͤre, und gerieth daruͤber in ſolche Angſt, daß er zum Schwimmen beinahe unfaͤhig geworden, und in den Abgrund verſunken waͤre. Aber - mahls ein Beiſpiel, wie ſchaͤdlich die Furcht - ſamkeit ſei, und wie ſie uns immer Gefahren ausſezt, die wir fuͤglich vermeiden koͤnten, wenn wir uns nicht von ihr regieren lieſſen!

Er getrauete ſich nicht, ſich umzuſehen und ſchwam, da er ſich erſt ein wenig wieder erhohlt hatte, ſo eilig fort, daß der Pudel ihm kaum folgen konte. Endlich erreicht 'er den Strand und ſank ſprachlos und ohnmaͤchtig zu Robin -ſons199ſons Fuͤßen nieder. Der Pudel erreichte bald darauf gleichfals das Land.

Robinſon bemuͤhete ſich auf alle moͤgliche Weiſe den treuen Gefaͤhrten ſeines einſamen Le - bens wieder zu ſich ſelbſt zu bringen. Er kuͤßte, er ſtreichelte, er ruͤttelte ihn und rief ihn laut bei Nahmen. Aber es verfloſſen erſt verſchie - dene Minuten, ehe er die Freude hatte, daß Freitag die Augen wieder eroͤfnete und Zeichen des wiederkehrenden Lebens von ſich gab. End - lich war er wieder im Stande zu reden, und da erzaͤhlt 'er ihm nun, was fuͤr ein entſezliches Abentheuer er ausgeſtanden habe; wie das Schif ein großer hoͤlzerner Berg zu ſein ſchiene, aus welchem drei hohe Baͤume (er meinte die Maſtbaͤume) hervorgewachſen waͤren; wie das ſchwarze Thier ſo freundlich gegen ihn gethan habe, und wie das gehoͤrnte baͤrtige Ungeheuer ihn darauf habe umbringen wollen; und wie er endlich glaube, daß dieſes Ungeheuer der Herr des ſchwimmenden hoͤlzernen Berges ſei, weil er keinen einzigen Menſchen darauf geſehen habe.

N 4Ro -200

Robinſon hoͤrte ihm vol Verwunderung zu. Er merkte aus der Beſchreibung, daß das gehoͤrnte Ungeheuer nichts anders, als eine Zie - ge waͤre, und er ſchloß aus allen uͤbrigen Um - ſtaͤnden, daß das Schif geſtrandet ſei, und daß die darauf befindliche Manſchaft ſich in die Boͤ - te gerettet und das Schif verlaſſen habe. Aber wo dieſe moͤgten geblieben ſein, das war ihm un - erklaͤrlich. Haͤtten ſie auf ſeine Inſel ſich geret - tet; ſo muͤſten ſie ja, aller Wahrſcheinlichkeit nach, an demſelben Orte gelandet ſein, wo er mit Freitag ſich jezt ſelbſt befand: aber da war nichts von ihnen zu hoͤren oder zu ſehen. Waͤ - ren ſie aber in den Boͤten verungluͤkt: ſo muͤſte man ja wohl ihre Leichname und die Boͤte an den Strand getrieben finden. Endlich erinnerte er ſich des Umſtandes, daß der Wind waͤhrend des Ungewitters ſich ploͤzlich gedrehet und oͤſtlich geworden ſei, da er anfangs weſtlich war. Dies ſchien ihm das ganze Geheimniß zu erklaͤren.

Gewiß, dacht 'er, ſind die Leute, da ſie in die Boͤte geſprungen waren, durch den ploͤzlich entſtandenen Oſtwind abgehalten worden, un -ſere201ſere Kuͤſte zu erreichen. Der Sturm hat ſie nach Weſten getrieben, und da ſind ſie entwe - der auf der Fahrt verungluͤkt vielleicht auf den Meerſtrom gerathen oder an irgend eine weſtliche Inſel getrieben worden. Gott gebe das Lezte ſeufzt 'er; und theilte Freitag ſeine Muthmaßung mit, der ſie gleichfals wahrſchein - lich fand.

Aber was iſt nun zu thun? fragte Robin - ſon. Die Leute moͤgen nun entweder todt oder noch lebendig und nur verſchlagen ſein: ſo koͤn - nen wir in beiden Faͤllen nichts Beſſeres thun, als daß wir von dem Schiffe ſo viel Sachen zu retten ſuchen, als uns moͤglich ſein wird. Aber wie? da wir keinen Kahn mehr haben! Hier empfand er ſelbſt den Verluſt des Kahns beinahe eben ſo ſchmerzlich, als Freitag es vorher ge - than hatte. Er zerrieb ſich die Stirn, um ein Mittel ausfindig zu machen, den Verluſt deſſel - ben zu erſezen; aber er konte lange keins fin - den. Einen andern Kahn zu zimmern, wuͤrde zu viel Zeit gekoſtet haben. Hinzuſchwimmen getraut 'er ſich nicht, weil es viel zu weit war:N 5und202und dan was haͤtt 'er im Schwimmen auch eben fortbringen koͤnnen?

Johannes. Ich weiß wohl, was ich ge - macht haͤtte?

Vater. Nun, was denn?

Johannes. Ein Floͤßholz.

Vater. Grade, eben daſſelbe fiel unſerm Robinſon zulezt auch ein! Ein Floͤßholz, dacht 'er, wird noch am geſchwindeſten gemacht werden koͤnnen

Frizchen. Was iſt denn das ein Floͤßholz?

Johannes. Haſt du nicht geſehen, da wir neulich nach dem Jagdſchiffe fuhren, da lagen ja da auf der Elbe bei dem Teichthore eine Menge ſolcher Floͤßhoͤlzer?

Frizchen. Ach ja, ſo ein Haufen Balken, die an einander gebunden ſind, daß man ordent - lich darauf ſtehen und fahren kan, als wenn's ein Schif waͤre?

Vater. Ganz recht! Ein ſolches Floͤßholz alſo wolte Robinſon machen, um damit nach dem großen Schiffe zu fahren und ſo viele Sa - chen daraus abzuholen, als ſie nur koͤnten. Erbere -203beredete ſich darauf mit Freitag, daß einer von ihnen nach Hauſe laufen ſolte, um auf einen ganzen Tag Speiſe, nebſt allen vorraͤthigen Strikken und was ſie von Handwerkszeuge hat - ten, herzuholen; und weil Freitag am hurtig - ſten auf den Fuͤßen war: ſo wurde dieſer hinge - ſandt und Robinſon blieb zuruͤk, um unterdeß Baͤume zu dem Floͤßholze zu faͤllen.

Es wurde beinahe Abend ehe Freitag zuruͤk kam. Robinſon hatte unterdeß ſeine herzliche Freude an dem Pudel, der ihm, als ein euro - paͤiſcher Landsman uͤberaus lieb und werth war. Auch der Pudel ſchien ſich uͤber ihn zu freuen und machte ihm ungeheiſſen allerlei Kuͤnſte vor, die er gelernt hatte. Robinſon gab ihm bei Frei - tags Zuruͤkkunft von dem herbei gebrachten Eſ - ſen die erſte Porzion, ohngeachtet er ſelbſt den ganzen Tag uͤber nichts genoſſen hatte.

Da es zum Gluͤk eine mondhelle Nacht war; ſo arbeiteten beide unaufhoͤrlich fort bis nach Mitternacht. Dan ſtelte ſich aber auch das Be - duͤrfniß des Schlafes ſo dringend ein, daß ſie ihm ohnmoͤglich laͤnger widerſtehen konten.

Ni -204

Nikolas. Das glaub 'ich, ſie hatten auch die ganze vorige Nacht gewacht!

Diderich. Und waren heute ſo ſehr gelau - fen; beſonders Freitag!

Vater. Sie ſtrekten ſich alſo ins Gruͤne und uͤberlieſſen es dem Pudel, ſie zu bewachen. Der Pudel legte ſich zu ihren Fuͤßen und ſo ge - noſſen ſie der Wohlthat eines ſanften und erquik - kenden Schlummers, bis die Morgenroͤthe her - vorbrach.

Drei und zwanzigſter Abend.

Vater.

Der anbrechende Morgen hatte kaum den un - terſten Rand des oͤſtlichen Himmels geroͤthet: als der muntre Robinſon ſeinen Gefaͤhrten wekte, um das Werk zu vollenden, welches ſie geſtern angefangen hatten. Sie arbeiteten dengan -205ganzen Tag uͤber ſo unverdroſſen, daß ſie noch denſelben Abend mit dem Floͤßholze zu Stande kamen.

Sie hatten eine doppelte Reihe von Balken, theils durch Strikke, theils durch biegſame und zaͤhe Gerten von indianiſchen Weiden ſo feſt an einander gebunden, daß ſie ein voͤllig ſichres Fahrzeug abgaben, welches ohngefaͤhr zwanzig Fuß lang und faſt eben ſo breit war. Auch hatten ſie die Vorſichtigkeit gehabt es dicht am Strande und auf Walzen zu erbauen, um es ohne Zeitverluſt und ohne große Muͤhe gleich aufs Waſſer bringen zu koͤnnen.

Zum Gluͤk traf mit dem Anbruch des naͤch - ſten Morgens grade die Zeit der Ebbe ein. Sie ſaͤumten alſo keinen Augenblik, das Floͤsholz vom Strande hinab zu rollen, um mit dem Waſſer, welches vom Ufer ſich in das Meer zu - ruͤk zog, wie auf einem Strome, nach dem ge - ſtrandeten Schiffe hin zu fahren. Jezt ging die Reiſe fort, und ehe eine halbe Stunde verſtrich, waren ſie ſchon an Ort und Stelle.

Wie206

Wie ſchlug unſerm Robinſon das Herz, da ihm das große Europaͤiſche Schif vor Augen ſtand! Es fehlte nicht viel, ſo haͤtt 'er die Wand deſſelben gekuͤßt, ſo werth macht' es ihm der Umſtand, daß es aus ſeinem Vaterlande gekom - men, von Europaͤern erbauet, von Europaͤern hierher gefuͤhrt war! Aber ach! dieſe lieben Europaͤer ſelbſt waren verſchwunden! Waren vielleicht vom Meere verſchlungen worden! Wie zerriß dieſer traurige Gedanke das Herz des ar - men Robinſons, der gern die Haͤlfte ſeines noch kuͤnftigen Lebens dahin gegeben haͤtte, wenn er damit die verſchwundene Manſchaft des Schif - fes wieder haͤtte herbei ſchaffen und mit ihnen nach Europa ſegeln koͤnnen! Aber das war nun einmahl unmoͤglich; es blieb ihm alſo nichts uͤbrig, als von der Ladung des Schiffes ſo viel zu retten, als er konte, um es zu ſeiner groͤſſeren Bequemlichkeit anzuwenden.

Gotlieb. Ja, durft 'er denn aber etwas von den Sachen nehmen, die nicht ſein waren?

Vater. Was meinſt du, Johannes? Durft 'er?

Jo -207

Johannes. Ja, er durfte ſie wohl aus dem Schiffe heraus nehmen und ans Land brin - gen; aber wenn die Leute ſich wieder einfanden: ſo muſt 'er ſie ihnen wieder geben.

Vater. Richtig! Denn nahm er die Sa - chen nicht heraus, ſo wurden ſie nach und nach ein Raub der Wellen. Deswegen kont 'er auch mit gutem Gewiſſen ſich ſo gleich dasjenige da - von zu eignen, was ihm an unentbehrlichſten war, und es den Leuten, wenn ſie jemahls wie - derkaͤmen, fuͤr die Muͤhe und Arbeit anrechnen, die er auf die Rettung des Schifguts verwandt hatte.

Was uͤberhaupt die geſtrandeten Schiffe betrift: ſo ſind die Menſchen in einigen geſit - teten Laͤndern darin uͤbereingekommen, daß die geretteten Sachen jedesmahl in drei Porzionen getheilt werden. Die Eine davon kriegen die vorigen Beſizer wieder, wenn ſie noch leben, oder ihre Erben, wenn ſie todt ſind; die An - dere wird denjenigen zuerkant, welche dieſe Sa - chen gerettet haben, und die Dritte faͤlt dem Landesherrn zu.

Ni -208

Nikolas. Dem Landesherrn? Warum kriegt denn der was davon ab?

Vater, Das iſt nun ſo eine Frage die ich euch jezt wohl nicht gut werde beantworten koͤnnen. Indeß etwas kan ich euch doch daruͤber ſagen, was euch ſchon jezt begreiflich ſein wird. Seht, Kinder, der Koͤnig, oder der Fuͤrſt, oder wie der Landesherr ſonſt heiſſen mag, haͤlt auf den Kuͤſten gewiſſe Leute, die dahin ſehen muͤſſen, daß von einem ſolchen geſtrandeten Schif - fe nichts geraubt, ſondern alles, was gerettet werden kan, huͤbſch an einen ſichern Ort gebracht werde. Geſchaͤhe dieſes nicht, ſo wuͤrde der Kaufman, dem die Ladung des Schiffes gehoͤrte, wohl ſelten etwas davon wieder kriegen, weil die Sachen entweder verderben, oder geſtohlen werden wuͤrden. Nun koſtet es aber dem Lan - desherrn ſein Geld, ſolche Leute, die darnach ſehen muͤſſen, zu unterhalten. Es iſt alſo bil - lig, daß dieſes von denen wieder erſtattet wer - de, denen dieſe heilſame Anordnung zu Gute komt. Deswegen hat man alſo feſtgeſezt, daß der dritte Theil der geborgenen Sachen (ſopflegt209pflegt man ſie nemlich zu nennen) jedesmahl dem Herrn des Strandes zufallen ſolle; und dieſe einmahl feſtgeſezte Anordnung nent man das Strandrecht.

Dieſem zufolge hatte Robinſon das Recht, von allen Sachen, die er aus dem ge - ſtrandeten Schiffe retten konte, gleich zwei Drit - tel als ſein rechtmaͤßiges Eigenthum zu gebrau - chen, wozu ſie gut waren.

Johannes. Zwei Drittel?

Vater. Ja; eins fuͤr Muͤhe und Arbeit, das Andere als einziger rechtmaͤßiger Herr der Inſel, bei welcher der Schifbruch ſich ereignet hatte.

Diderich. Ja, wer hatte ihn denn aber zum Herrn der Inſel gemacht?

Vater. Die geſunde Vernunft. Ein Stuͤk Landes, das bisher noch gar keinen Herrn ge - habt hat, gehoͤrt natuͤrlicher Weiſe dem zu, der es zuerſt in Beſiz nimt. Und das war hier der Fal.

Der erſte Wunſch, der in Robinſons Sele erwachte, da er ſich von der ſtarken Em -Opfindung210pfindung der Freude uͤber den Anblik eines Eu - ropaͤiſchen Schiffes erhohlt hatte, war dieſer, daß das Schif noch unbeſchaͤdigt ſein, und wie - der flot werden moͤgte. In dieſem Falle war er feſt entſchloſſen, ſich mit Freitag darauf zu ſezen, und, wo nicht nach Europa ſelbſt, doch nach irgend einem europaͤiſchen Pflanzorte in Amerika zu ſegeln; ſo gefaͤhrlich es auch im - mer ſein moͤgte, ſich mit einem großen unbe - manten Schiffe, und ohne die noͤthigen Kent - niſſe von der Schiffarth zu haben, auf das of - fenbare Meer zu wagen. Er fuhr alſo auf dem Floͤßholze rund um das Schif herum, um den Grund des Meeres zu unterſuchen; und da fand er denn bald zu ſeiner wahren Betruͤbniß, daß an kein Flotwerden deſſelben zu denken ſei.

Der Sturm hatte nemlich das Schif grade zwiſchen zwei Felſen geworfen, von denen es nun ſo zuſammengeklemt wurde, daß es weder ruͤk - noch vorwaͤrts bewegt werden konte. Hier muſt 'es alſo ſo lange ſtekken bleiben, bis die anſchla - genden Wellen es nach und nach zertruͤmmern wuͤrden. Nachdem dieſe Hofnung alſo vereiteltwar,211war, eilte Robinſon, an Bord des Schiffes zu ſteigen, um zu ſehen, worin die Ladung deſ - ſelben beſtehe, und ob dieſe auch noch unverdor - ben ſei. Dem guten Freitag war der Schrek - ken von ehegeſtern noch ſo gegenwaͤrtig, daß er ſich kaum entſchlieſſen konte, ſeinen Herrn auf das Verdek des Schiffes zu begleiten. Er that es jedoch, wiewohl nicht ohne Zittern, beſon - ders da das gehoͤrnte Ungeheuer das Erſte war, was ſich ſeinen Blikken wieder darbot.

Aber das gehoͤrnte Ungeheuer war dasmahl nicht ſo muthig, als geſtern. Es lag vielmehr ſo kraftlos da, als wenn es gar nicht mehr auf - zuſtehen vermoͤgte, weil ihm nemlich ſeit ehe - geſtern keiner das gewoͤhnliche Futter gereicht hatte. Robinſon, der dieſe Urſache ſeiner Mat - tigkeit merkte, ließ ſeine erſte Sorge ſein, etwas aufzuſuchen, was er dem ausgehungerten Thiere zu freſſen geben koͤnte. Weil er mit der innern Einrichtung eines Schiffes vollkommen bekant war; ſo fand er auch bald, was er ſuchte, und hatte das Vergnuͤgen zu ſehen, wie begierig die Ziege von dem vorgeworfenen Futter ihren HeißhungerO 2ſtil -212ſtilte. Freitag hatte unterdeß an der ihm un - bekanten Geſtalt des Thieres genug zu bewun - dern gehabt.

Nun fing Robinſon eine ordentliche Un - terſuchung an. Er ſtieg aus einer Kajuͤte in die andere, aus einem Schifsboden in den andern hinab, und ſahe uͤberal tauſend Dinge, die in Europa kaum geachtet werden, fuͤr ihn aber einen ganz unſchaͤzbaren Werth hatten. Da waren ganze Tonnen vol Schifszwiebak, vol Reiß, vol Mehl, vol Korn, vol Wein, vol Schießpulver, vol Kugeln und Schroot; da waren Kanonen, Flinten, Piſtolen, Degen, und Hirſchfaͤnger; ferner Beile, Saͤgen, Meiſſel, Bohrer, Raſpeln, Hobel, Hammer, eiſerne Stangen, Naͤ - gel, Meſſer, Scheeren, Nadeln; da wa - ren Toͤpfe, Schuͤſſeln, Teller, Loͤffel, Feuerzangen, Blaſebaͤlge, Naͤpfe, und anderes hoͤlzernes, eiſernes, zinnernes, und kupfernes Kuͤchengeraͤth; da waren endlich auch ganze Kiſten vol Kleider, Waͤſche, Struͤm - pfe, Schuhe, Stiefel und hundert andereSa -213Sachen, fuͤr deren jede der entzuͤkte Robin - ſon gern ſeinen ganzen laͤngſtvergeſſenen Gold - klumpen hin gegeben haben wuͤrde, wenn man eins oder das andere davon ihm zum Kauf an - geboten haͤtte.

Freitag ſtand bei dem Allen wie verduzt, weil er ſo was niemahls geſehen hatte, und von den meiſten dieſer Wunderdinge auch die Abſicht nicht errathen konte. Robinſon hin - gegen war ganz auſſer ſich vor Entzuͤkken. Er weinte vor Freuden, grif, wie ein kleines Kind, nach Allem, was ihm vorkam, und warf das Er - griffene wieder aus den Haͤnden, ſo bald ſeine Augen auf einen andern Gegenſtand fielen, der ihm noch wuͤnſchenswuͤrdiger zu ſein ſchien. Endlich wolt 'er auch in den unterſten Schifs - raum ſteigen: aber er fand, daß er ganz mit Waſſer angefuͤlt ſei, weil das Schif einen ſtar - ken Lek bekommen hatte.

Nun ging er mit ſich ſelbſt zu Rathe, was er fuͤr diesmahl mitnehmen wolte; und konte daruͤber lange nicht mit ſich einig werden. Bald ſchien ihm dies, bald jenes das UnentbehrlichſteO 3zu214zu ſein, und daher verwarf er oft wieder, was er ſo eben erſt gewaͤhlt hatte, um ſtat deſſen eine andere Sache mitzunehmen. Endlich ſucht 'er folgende Dinge, als die ſchaͤzbarſten von al - len aus, um ſie fuͤr diesmahl mitzunehmen: I) Eine kleine Tonne vol Schießpulver, nebſt einem andern Toͤnchen vol Schroot; 2) Zwei Flinten, zwei Paar Piſtolen, zwei Degen und Hirſch - faͤnger; 3) Doppelte Kleidungsſtuͤkke vom Kopfe bis zu den Fuͤßen fuͤr ſich und Freitag; 4) Zwei Dutzend Hemde; 5) Zwei Beile, zwei Saͤ - gen, zwei Hobel, ein Paar Stangen Eiſen, einen Hammer und einige andere Werkzeuge; 6) Einige Buͤcher, etwas Schreibpapier, nebſt Tinte und Federn; 7) Ein Feuerzeug, nebſt Zunder und Feuerſteinen; 8) Ein Faß vol Zwie - bak; 9) Etwas Segeltuch, und 10) die Ziege.

Frizchen. O, die Ziege hatt 'er ja eben nicht noͤthig!

Vater. Das iſt wahr, Frizchen; aber die Ziege hatte ſeiner noͤthig, und Robinſon war viel zu mitleidig gegen alle lebendige Ge - ſchoͤpfe, als daß er dieſes arme Thier in der Un -gewiß -215gewißheit, ob nicht vielleicht vor ſeiner Zuruͤk - kunft ein Sturm das Schif zertruͤmmern wuͤr - de, haͤtte zuruͤklaſſen koͤnnen, zumahl, da das Nothwendigſte doch Raum auf ſeinem Floͤßhol - ze hatte. Er nahm ſie alſo mit.

Dahingegen ließ er etwas liegen, wornach in Europa die Leute am eheſten greifen wuͤrden, ein ganzes Toͤnchen vol Goldkoͤrner, und ein Schaͤchtelchen mit koſtbaren Diamanten, die er in der Kajuͤte des Kapitains geſehen hatte. Die - ſe mitzunehmen, fiel ihm gar nicht ein; weil er ganz und gar keinen Gebrauch davon zu machen wuſte.

Ueber dem Durchſuchen, dem Aufmachen und Auskramen, dem Frohlokken, dem Aus - waͤhlen und Aufladen war ſo viel Zeit verfloſſen, daß nur noch eine Stunde bis zur naͤchſten Fluth - zeit fehlte. Dieſe muſten ſie nun erwarten, weil ſie ſonſt mit der Floͤße ſchwerlich haͤtten fortkommen koͤnnen. Dieſe Stunde wandte Robinſon dazu an, einmahl wieder auf euro - paͤiſche Weiſe zu ſpeiſen.

O 4Er216

Er holte alſo ein Stuͤk geraͤuchertes Rind - fleiſch, ein Paar Heringe, etwas Zwiebak, Butter und Kaͤſe, und eine Flaſche Wein her - bei, ſezte alles dieſes auf den Tiſch in der Ka - juͤte des Kapitains, und ließ ſich ſelbſt mit Frei - tag auf den dabei ſtehenden Stuͤhlen nieder. Schon dieſes, daß er endlich einmahl wieder von einem ordentlichen Tiſche, auf einem ordentlichen Stuhle ſizend, von einem ordentlichen Teller mit Meſſer und Gabel eſſen ſolte, machte ihm mehr Freude, als ich euch beſchreiben kan. Und nun vol - lends die Speiſen ſelbſt, vornehmlich das Brod, wornach er ſich ſo oft vergebens geſehnt hatte, o, ihr koͤnt euch gar keine Vorſtellung davon machen, wie entzuͤkt er daruͤber war! Man muͤſte, ſo wie er, neun Jahre aller dieſer Nah - rungsmittel und Bequemlichkeiten des Lebens beraubt geweſen ſein, um die Freude, die er jezt empfand, nach ihrem ganzen Umfange faſ - ſen zu koͤnnen.

Freitag war mit der europaͤiſchen Art zu eſſen ſo wenig bekant, daß er gar nicht wuſte, wie er Meſſer und Gabel brauchen ſolte. Robinſonzeigt '217zeigt 'es ihm; aber indem er es nun nachma - chen und ein Stuͤk Fleiſch auf der Gabel zum Mun - de reichen wolte, fuhr er damit zum Ohre hinauf und brachte, ſeiner bisherigen Gewohnheit nach, die Hand mit der Schale der Gabel zum Munde. Von dem Weine, den ihm Robinſon zu ko - ſten gab, wolt' er ſchlechterdings nicht trinken, weil ſein nur an Waſſer gewoͤhnter Gaum den Reiz eines ſtarken Getraͤnkes nicht ertragen kon - te. Der Zwiebak hingegen behagte ihn ausneh - mend wohl.

Jezt war die Fluthzeit da; beide ſtiegen alſo hinab zur Floͤſſe und ſtieſſen in See, um mit der anſchwellenden Fluth dem Strande zu - zuflieſſen. In kurzer Zeit waren ſie da, und eilten, die geborgenen Guͤter ans Land zu ſezen.

Und nun war Freitag ſehr begierig zu er - fahren, was alle dieſe Dinge zu bedeuten haͤt - ten, und was fuͤr Nuzen ſie gewaͤhrten? Das erſte, was Robinſon zur Befriedigung ſei - ner Neugierde vornahm, war, daß er hinter einen Buſch trat, ſich daſelbſt ein Hemde und ein ganzes Kleid, welches eine OffizieruniformO 5war,218war, nebſt Schuh und Struͤmpfen anzog; dan einen Degen an die Seite ſtekte, einen Treſſen - hut aufſezte und ſo auf einmahl, wie umgeſchaf - fen, hervortrat, und ſich vor Freitags erſtaun - ten Augen dahin pflanzte. Dieſer wich vol Be - ſtuͤrzung einige Schritte zuruͤk, weil er in dem erſten Augenblikke wirklich zweifelhaft war, ob er ſeinen Herrn, oder ein anderes, vielleicht uͤbermenſchliches Weſen ſehe. Robinſon, der uͤber ſein Erſtaunen laͤcheln muſte, reichte ihm freundlich die Hand, und verſicherte, daß er noch immer Robinſon, noch immer ſein Freund waͤre, ohngeachtet ſeine Kleidung und ſein Gluͤks - zuſtand ſich geaͤndert haͤtten. Er nahm hierauf eine ganze Matroſenkleidung, zeigte ihm, wie er jedes Stuͤk derſelben anziehen muͤſſe, und hieß ihn hinter den Buſch zu gehen, um ſich gleich - fals anzukleiden.

Freitag gehorchte; aber es dauerte lange, ehe er mit dem Anzuge fertig werden konte. Bald hatt 'er dies, bald jenes unrecht angelegt; das Hemde, zum Exempel, zog er erſt verkehrt an, indem er die Beine durch die beiden Ermelſtekte219ſtekte, als wenn er Beinkleider anziehen wolte. Eben ſo macht 'er es auch mit den Beinkleidern, in die er gleichfals die Fuͤße von unten zu ſtek - ken verſuchte, und mit der Jakke, die er auf dem Ruͤkken zu knoͤpfen wolte. Nach und nach ſah er ſeinen Irthum ein und verbeſſerte ihn, bis er endlich nach vielen vergeblichen Verſuchen mit dem ganzen Anzuge voͤllig zu Stande kam.

Er huͤpfte vor Freuden, wie ein Kind, da er ſich ſo umgeſchaffen ſahe, und da er merkte, wie bequem dieſe Kleidung ſei, und wie gut ſie ihn vor den Stichen der Musquito's verwahren wuͤrde. Nur mit den Schuhen war er unzufrie - den, weil ſie ihm etwas Entbehrliches und Un - bequemes zu ſein ſchienen. Er bat ſich alſo die Erlaubniß aus, ſie wieder ablegen zu duͤrfen, welches Robinſon ſeinem eigenen Gutbefin - den uͤberließ.

Jezt zeigt 'er ihm den Gebrauch der Beile und anderer Werkzeuge, woruͤber Freitag vor Freude und Bewunderung ganz auſſer ſich geſezt wurde. Sie machten ſogleich Gebrauch davon, um einen kleinen Maſtbaum fuͤr ihr Floͤßholz zube -220behauen; damit ſie kuͤnftig ein Segel aufſtek - ken koͤnten, und dan nicht erſt auf die Zeit der Fluth zu warten brauchten. Robinſon uͤber - nahm es, dieſe Arbeit allein fertig zu machen; und ſchikte Freitag unterdeß nach ſeiner Burg, um die Lama's zu melken; ein Geſchaͤft, wel - ches ſie nun ſchon zwei Tage hatten ausſezen muͤſſen.

In Freitags Abweſenheit lud Robinſon eine der Flinten, weil er ſich das Vergnuͤgen vorbehalten hatte, ſeinen Freund mit den wun - derbaren Wirkungen des Schießpulvers zu uͤber - raſchen. Da dieſer nun zuruͤkgekommen war, und die Geſchwindigkeit bewunderte, mit wel - cher Robinſon ſeine Arbeit ſchon vollendet hatte, erblikte dieſer einen Seefalken, der eben mit einem geraubten Fiſche davon flog. Schnel ergrif er die Flinte und rief aus: Gieb Ach - tung, Freitag, der ſol herunter! Kaum hatt 'er dieſes geſagt, ſo druͤkt' er ab, und der Falke ſtuͤrzte aus der Luft zur Erde.

Stelt euch des armen Freitags Erſtaunen und Erſchrekken vor! Er ſtuͤrzte, als waͤr erſelbſt221ſelbſt getroffen zu Boden, weil ihm ploͤzlich ſein alter Aberglaube an den Toupan oder Donne - rer wieder einfiel, fuͤr den er in dem erſten Au - genblikke des Schrekkens ſeinen Herrn ſelbſt hielt. Er fiel, wie geſagt, zu Boden; dan legt 'er ſich auf die Knie und ſtrekte ſeine zitternden Haͤnde gegen Robinſon aus, als wenn er ihn um Gnade bitten wolte. Reden kont' er nicht.

Robinſon war weit entfernt, mit irgend etwas, was die Religion betrift, Spaß trei - ben zu koͤnnen. Es war ihm daher, ſobald er Freitags Gedanken vermuthete, augenbliklich leid, ihn nicht vorher uͤber das, was er thun wolte, belehrt zu haben; und er eilte, dieſen Fehler wieder gut zu machen. Er hob den zit - ternden Freitag liebreich auf, umarmte ihn, bat ihn, ſich nicht zu fuͤrchten, und ſezte hinzu: er wolte ihn gleich auch lehren, einen ſolchen Bliz und Donnerſchlag hervorzubringen, wo - mit es ganz natuͤrlich zuginge. Dan zeigt 'er ihm die Einrichtung der Flinte, beſchrieb ihm die Beſchaffenheit und Wirkung des Schießpul - vers; lud die Flinte vor ſeinen Augen und gabſie222ſie ihm in die Hand, um ſelbſt damit zu ſchieſ - ſen. Aber Freitag, der noch viel zu furchtſam dazu war, bat ihn, es lieber ſelbſt zu thun. Robinſon machte darauf ein Ziel auf hundert Schritte, ließ Freitag neben ſich ſtehen und feuerte die Flinte ab.

Es fehlte nicht viel, ſo waͤre Freitag aber - mahls zu Boden geſtuͤrzt: ſo uͤbernatuͤrlich ſchien ihm dasjenige zu ſein, was er ſahe und hoͤrte. Das Ziel war von vielen Schrootkoͤrnern getrof - fen, welche noch ziemlich tief ins Holz hinein - gedrungen waren. Robinſon machte ſeinen Freitag aufmerkſam darauf, und ließ ihn ſelbſt den Schluß machen, wie ſicher ſie nun in Zu - kunft vor allen feindlichen Anfaͤllen der Wilden waͤren, nachdem ſie dieſen kuͤnſtlichen Bliz und Donner in ihre Gewalt bekommen haͤtten. Frei - tag gewan hierdurch und durch Alles, was er auf dem Schiffe geſehen hatte, eine ſo tiefe Ehrfurcht gegen die Europaͤer und gegen ſeinen Herrn insbeſondere, daß es ihm viele Tage hin - durch unmoͤglich war, ſich wieder auf den ver -trau -223trauten freundſchaftlichen Ton gegen ihn herab zu ſtimmen.

Indeß ruͤkte die Nacht heran, und machte den Geſchaͤften dieſes freudenreichen Tages ein Ende.

Vier und zwanzigſter Abend.

Am folgenden Abend fuhr der Vater zur großen Freude ſeiner Kleinen, ohne alle Vor - rede, folgendermaßen fort:

Suͤßer hatte unſer Robinſon noch nie ge - ſchlafen, als in dieſer Nacht; denn ſeit dem er - ſten Tage ſeines einſamen Aufenthalts auf dieſer Inſel war er noch nie ſo gluͤklich geweſen, als er ſich jezt fuͤhlte. Aber nie empfand auch wohl ein Menſch mehr innige Dankbarkeit und Liebe gegen den himliſchen Wohlthaͤter, dem er die - ſes ſein Gluͤk zu verdanken hatte, als er. Wieoft224oft lag er, wenn er allein war, auf ſeinen Kni - en und dankte dem guten Geber aller Gaben fuͤr das, was er ihm verliehen hatte! Auch ſeinem Freitag ſucht 'er dieſe frommen Empfindungen der Dankbarkeit einzufloͤſſen. Er lehrte ihn, bevor ſie ſich ſchlafen legten, das Loblied: Nun danket alle Gott! und dan ſtimten beide mit geruͤhrtem Herzen es zum Preiſe ihres gemein - ſchaftlichen himliſchen Vaters an.

Am andern Morgen machten ſie ſich fruͤh auf; legten alle ihre Sachen in ein Gebuͤſch und bedekten ſie, im Fal es etwa regnen ſolte, mit vielen Zweigen. Dan ſtieſſen ſie mit An - fang der Ebbe vom Lande, um wieder nach dem Wrak zu fahren.

Frizchen. Was iſt das Wrak?

Vater. So nent man ein Schif, welches geſtrandet und ſchon zum Theil zertruͤmmert iſt. Da ſie geſtern, wie ich zu erwaͤhnen ver - gaß, auch ein Paar gute Ruder mit ſich genom - men hatten: ſo ging die Fahrt noch geſchwin - der, als das erſtemahl. Sie kamen abermahls gluͤklich an; und das erſte, was ſie vornahmen,war225war dieſes, daß ſie alle Bretter, die ſie in dem Schiffe fanden, auf ihr Floͤßholz herab lieſſen, um einen doppelten Fußboden davon zu machen, damit die Sachen, die ſie mitnehmen wolten, trokner, als die geſtrigen liegen moͤgten.

Jezt ſuchte Robinſon wieder Alles durch, um unter den vielen Sachen, die er nicht alle auf einmahl mitnehmen konte, eine kluge Auswahl zu treffen. Diesmahl ward ihm die Wahl ſchon weniger ſauer, weil er das Allernothwendigſte nun ſchon in Sicherheit gebracht hatte. Doch verfuhr er wiederum eben ſo bedaͤchtig, als das erſtemahl.

Unter andern beſchloß er, diesmahl eine von den ſechs kleinen Kanonen mitzunehmen, die er auf dem Schiffe fand.

Johannes. Eine Kanone? O dafuͤr haͤtt 'er doch auch wohl etwas noͤthigeres neh - men koͤnnen!

Vater. So ſcheint es uns, die wir die Sache von fern beurtheilen; Robinſon hinge - gen, der ſeine ganze Lage in der Naͤhe uͤberſahe, fand, daß ihm dieſe Kanone, wenigſtens zurPBe -226Beruhigung ſeines Gemuͤths, hoͤchſt noͤthig ſei.

Johannes. Wie ſo?

Vater. Der Ort am Strande, wo er die geretteten Sachen vor der Hand hinlegen muſte, war unbefeſtiget, und lag ungluͤklicher Weiſe in derjenigen Gegend, wo die Wilden gemeiniglich zu landen pflegten. Nun kont 'er ſich zwar ziemlich auf den Schuz ſeiner Flinten und Piſto - len verlaſſen, fals er angegriffen werden ſolte; aber der Gedanke, daß er alsdan wieder in die traurige Nothwendigkeit gerathen wuͤrde, einen oder den andern dieſer armen Wilden zu toͤdten, machte ihn ſchaudern, ſo oft er ihm einfiel. Nun dacht' er, wenn er eine Kanone am Stran - de haͤtte: ſo koͤnt 'er, wenn ſie ſich in ihren Ka - noes oder Kaͤhnen der Inſel naͤhern wolten, ſchon von fern eine Kugel uͤber ihre Koͤpfe hin - ſchieſſen, worauf ſie dan vor Schrekken vermuth - lich wieder umkehren wuͤrden.

Siehſt du, Lieber, wie unſicher es iſt, wenn wir das Betragen anderer Menſchen zu beurtheilen uns anmaſſen wollen? Hoͤchſt ſeltenken -227kennen wir alle die Bewegungsgruͤnde, nach de - nen ein Anderer ſich in ſeinem Verhalten rich - tet: wie duͤrfen wir uns dan einfallen laſſen uns zu Richtern uͤber daſſelbe aufzuwerfen? Ein wei - ſer Man iſt daher ſehr langſam zum Urtheil uͤber Andere; giebt ſich uͤberhaupt nicht damit ab, wenn er keinen eigentlichen Beruf dazu hat, weil er genug uͤber ſich ſelbſt und uͤber ſeine ei - gene Handlungen zu denken und zu urtheilen hat: und ſo, Kinder! wollen wir es kuͤnftig auch machen.

Auſſer der Kanone, brachten Robinſon und Freitag diesmahl noch folgende Sachen auf ihre Floͤße: 1) Einen kleinen Sak vol Rok - ken, einen andern vol Gerſte und noch einen dritten vol Erbſen; 2) Eine Kiſte vol Naͤgel und Schrauben; 3) Ein Duzend Beile; 4) Ein Faͤßchen vol Schießpulver, nebſt Ku - geln und Schroot; 5) Ein Segel, und 6) einen Schleifſtein.

Gotlieb. Wozu denn den?

Vater. Um Beile, Meſſer und andere Werkzeuge wieder ſcharf zu machen, wenn ſie ſtumpf ſein wuͤrden.

P 2Got -228

Gotlieb. Hatt 'er denn auf ſeiner Inſel keine Steine?

Vater. Steine in Menge; nur keine Schleifſteine! Haſt du nicht bemerkt, daß dieſe von einer beſondern Beſchaffenheit, nemlich viel weicher ſein muͤſſen, als die andern Steine ſind?

Gotlieb. Ja!

Vater. Nun, ſolcher weichen Sandſteine, hatt 'er auf ſeiner Inſel keine bemerkt; und doch iſt ein Schleifſtein fuͤr Alle, welche mit ſchar - fen Werkzeugen umgehen muͤſſen, ein ungemein nuͤzliches und nothwendiges Ding. Er zog ihn alſo ohne Bedenken, den Goldkoͤrnern und Dia - manten vor, die er abermahls zuruͤk ließ.

Ehe ſie abfuhren, unterſuchte Robinſon den dermahligen Zuſtand des Schiffes und fand, daß das Waſſer noch etwas hoͤher eingedrungen ſei, und daß die Wellen und das Reiben an den Fel - ſen ſchon viele Planken an beiden Seiten des Schiffes losgeriſſen haͤtten. Er ſahe voraus, daß der erſte ſich ereignende Sturm das ganze Wrak zertruͤmmern wuͤrde. Um deſtomehr be - ſchloß er zu eilen, um von dem noch uͤbrigenSchifs -229Schifsgute, ſo viel er nur immer koͤnte, zu retten.

Da der Wind jezt landwaͤrts bließ, ſo kon - ten ſie mit Huͤlfe des Segels und der Ruder abfahren, ohngeachtet die Ebbezeit erſt kaum halb vorbei war. Unterweges machte Robin - ſon ſich einen Vorwurf, der ein Beweis ſeiner Rechtſchaffenheit war.

Diderich. Woruͤber denn?

Vater. Daruͤber, daß er das Gold und die Diamanten nicht mitgenommen habe.

Diderich. Was wolt 'er denn damit?

Vater. Er ſelbſt wolte nichts damit; aber er dachte ſo: es iſt doch nicht ganz unmoͤglich, daß der Herr des Schiffes noch lebt, und wie - der herkommen kan, um zu ſehen, ob er nicht noch etwas retten koͤnne. Wenn nun ploͤzlich ein Sturm entſtuͤnde und der zerſchmetterte das Schif, ehe du noch einmahl wieder zuruͤkfah - ren kanſt, und Gold und Edelgeſteine gingen verloren: wie wolteſt du es dan gegen den Be - ſizer derſelben, wie wolteſt du es vor Gott, und vor deinem eigenen Gewiſſen verantworten,P 3daß230daß du nur lauter ſolche Sachen gerettet haſt, die dir nuͤzlich werden koͤnnen und nicht auch dasjenige, woran dem eigentlichen Herrn aller dieſer Sachen am meiſten gelegen ſein muß? Wovon vielleicht ſein und vieler andern Men - ſchen ganzer Gluͤkszuſtand abhaͤngen mag? Ro - binſon! Robinſon! ſezt 'er hinzu, indem er ſich unwillig vor die Stirn ſchlug, wie viel fehlt noch daran, daß du ſchon ſo gut biſt, als du ſein ſolteſt?

Er konte kaum die Zeit abwarten, da ſie an - landen und wieder abſtoßen wuͤrden, um von neuem hinzufahren; ſo groß war die Unruhe ſeines Gewiſſens uͤber die Verſaͤumung einer Pflicht, die ihm mit Recht heilig ſchien!

Endlich kamen ſie an; aber in dem Augen - blikke, da ſie ans Land ſtoßen wolten, liefen ſie große Gefahr, ihre ganze Ladung ins Meer ver - ſinken zu ſehen. Weil nemlich die Ebbezeit noch dauerte, ſo war das Waſſer am Strande ſo ſeicht, daß das Vordertheil des Floͤßholzes auf einmahl auf den Sand rante und daher viel hoͤher zu ſtehen kam, als das Hintertheil, wel -ches231ches noch vom Waſſer getragen wurde. Zum Gluͤk ſtanden Robinſon und Freitag beide hinten und konten alſo die abgleitende Ladung zuruͤkhalten, daß ſie nicht ins Waſſer fiel.

Nachdem ſie Alles wieder befeſtiget hatten, muſten ſie ſich entſchlieſſen bis an die Knie durch Waſſer und Schlam zu waten, um die Sachen ſo ans Land zu bringen. Sie thaten dies ſo hur - tig und ſo vorſichtig, daß nichts verloren ging, und daß ſie noch vor der zuruͤkkehrenden Fluth - zeit wieder abfahren konten.

Kaum war Robinſon abermahls bei dem Wrakke angekommen, als er nichts eiligeres hatte, als das Toͤnchen mit den Goldkoͤrnern und das Schaͤchtelchen mit den Diamanten auf ſein Floͤßholz zu bringen. Damit fiel ihm, wie man ſagt, ein Stein von Herzen; und nun, nachdem er ſich dieſer Pflicht entlediget hatte, glaubt 'er berechtiget zu ſein, wieder fuͤr ſich ſelbſt zu ſorgen.

Diesmahl nahm er unter andern ein Paar Schubkarren, die, ich weiß nicht zu welchem Behufe, auf dem Schiffe waren, viel vorraͤ -P 4thige232thige Kleidungsſtuͤkke und Waͤſche, viel Werkzeuge und Geraͤthſchaft, eine Later - ne, nebſt allen beſchriebenen Papieren mit, die er in des Kapitains Kajuͤte fand; und da unter - deß die Fluthzeit zuruͤk gekehrt war, ſo ſegelten ſie wieder ab, und erreichten, von Wind und Waſſer fortgetrieben, in kurzer Zeit den Strand.

Den noch uͤbrigen Theil des Tages widmete Robinſon einem Geſchaͤfte, welches ihm jezt das dringendſte zu ſein ſchien. Er zitterte nem - lich vor dem Gedanken, daß ein ſtarker Regen einfallen, und ſeinen groͤßten Schaz, das Schieß - pulver, unbrauchbar machen koͤnte. Um dieſe Gefahr abzuwenden, beſchloß er, noch an eben dieſem Tage, aus einem großen mitgebrachten Segeltuche ein ordentliches Zelt zu machen, wo - runter ſein ganzer Reichthum vor dem Regen ſicher laͤge.

Da er Scheere, Nadeln und Zwirn hatte, ſo ging ihm dieſe Arbeit geſchwind von Haͤnden, und Freitag lernte ihm bald ſo viel davon ab, daß er ihm dabei helfen konte. Dieſer konte die unſchaͤzbare Erfindung einer Nadel und einerScheere233Scheere nicht genug bewundern und geſtand zu wiederhohlten mahlen, daß er und ſeine Landes - leute, mit den kuͤnſtlichen Europaͤern verglichen, doch nur recht arme Schelme waͤren.

Sie wurden noch vor Abend mit dieſer Ar - beit fertig; und da machte Robinſon ſich noch die Freude, ſeinem Freitag die erſtaunliche Wir - kung einer Kanone zu zeigen. Er lud ſie mit einer Kugel, ſtelte ſie darauf ſo, daß der Schuß die Oberflaͤche des Waſſers ſtreifen muſte, damit Freitag recht deutlich ſehen koͤnte, wie weit die Kugel fortgeſchnelt werden wuͤrde. Jezt brant 'er ſie ab, und ohngeachtet Freitag ſchon durch die beiden Flintenſchuͤſſe auf dieſes Schauſpiel vorbereitet war: ſo erſchrak er doch von neuem uͤber den noch weit heftigern Knal der Kanone ſo ſehr, daß ihm alle Glieder zitterten. Die Kugel tanzte auf der Oberflaͤche des Meeres hin und verlohr ſich in einer unabſehlichen Entfer - nung. Freitag verſicherte darauf, daß es nur eines einzigen ſolchen Schuſſes beduͤrfen wuͤrde, um alle ſeine Landsleute, wenn ſie auch bei Tau - ſenden herbei kaͤmen, ploͤzlich in die Flucht zuP 5jagen,234jagen, weil ſie den, der dieſen Donner machte, gewiß fuͤr den Toupan halten wuͤrden.

Da es finſter geworden war, ſtekte Robin - ſon ſeine Laterne an, um die am Schiffe mit - gebrachten Schriften durchzuſehen, ob er viel - leicht daraus erfahren moͤgte, wem das Schif zugehoͤrt habe, und welches die Beſtimmung deſſelben geweſen ſei? Aber zum Ungluͤk waren dieſe Schriften, ſo wie die Buͤcher, die er mit - genommen hatte, in einer Sprache abgefaßt, die er nicht verſtand. Wie ſehr bedauerte er hierbei abermahls, daß er in ſeiner Jugend nicht mehr Fleiß auf Erlernung der Sprachen gewandt habe! Aber dieſe Reue kam jezt zu ſpaͤt.

Indeß gab ihm ein doppelter Umſtand, den er bemerkte, einiges Licht uͤber den Lauf des Schiffes und uͤber die Abſicht deſſelben. Er fand nemlich unter andern ein Paar Briefe, die nach Barbados gerichtet waren, einer Inſel bei Amerika, auf welcher ein ſtarker Sklaven - handel getrieben wird.

Frizchen. Sklavenhandel?

Va -235

Vater. Ich wil dir ſagen, was das iſt. In Afrika du weißt doch noch, wo das liegt?

Frizchen. O ja; dorthin, uͤber die gruͤne Bruͤkke und die Gaͤnſeweide! Nu nur zu!

Vater. In Afrika alſo, wo die Mohren wohnen, ſind die meiſten Menſchen noch ſo roh und ungeſittet, wie das liebe Vieh. Ihre An - fuͤhrer oder Koͤnige, die ſelbſt nicht viel kluͤger ſind, gehen dan auch mit ihnen um, als wenn ſie wirkliches Vieh waͤren. Wenn nun die Eu - ropaͤer dahin kommen, ſo bietet man ihnen gan - ze Heerden ſolcher ſchwarzen Menſchen zum Ver - kauf an, recht ſo wie man hier die Ochſen zu Markte bringt. Viele Vaͤter fuͤhren auch wohl ihre eigene Kinder herbei, um ſie fuͤr eine Klei - nigkeit los zu werden; und da kaufen denn die Europaͤer alle Jahr eine Menge derſelben und fuͤhren ſie nach Amerika, wo ſie die haͤrteſte Arbeit verrichten muͤſſen und dabei recht jaͤm - merlich gehalten werden. Ein ſolcher Sklav (ſo nent man ſie) iſt dan recht ſchlim daran,und236und wuͤnſchte oft lieber zu ſterben, als ſo zu leben.

Gotlieb. Das iſt doch aber auch gar nicht recht, daß man ſo mit Menſchen um - geht!

Vater. Freilich iſt es unrecht; auch ſteht zu hoffen, daß dieſer abſcheuliche Sklavenhan - del mit der Zeit ganz werde abgeſchaft wer - den.

Ferner fand Robinſon eine Rechnung, aus der er ungefaͤhr ſo viel abnehmen konte, daß auf dem Schiffe hundert ſolcher Sklaven gewe - ſen ſein muͤſten, die man nach Barbados ha - be bringen wollen. Er machte von allem dieſem ſeinem Freitag eine Beſchreibung, und ſezte hinzu: wer weiß, ob nicht dieſe Ungluͤklichen dem Sturme, der das Schif auf die Felſen trieb, vielleicht ihre Erloͤſung zu verdanken ha - ben? Ob ſie nicht vielleicht durch Huͤlfe der Boͤte ſich gerettet und irgend eine Inſel erreicht ha - ben, auf der ihre Tirannen ihnen nun nicht mehr befehlen duͤrfen, und wo ſie, nach ihrer Art, ein recht gluͤkliches und zufriedenes Leben fuͤh - ren?

Frei -237

Freitag fand dies gar nicht unwahrſchein - lich.

Wohl dan, lieber Freitag! ſezte Robin - ſon hinzu, indem ſein Geſicht zu gluͤhen an - fing; haͤtteſt du alſo nun noch wohl das Herz, deine neuliche Frage zu wiederhohlen?

Freitag. Welche?

Robinſon. Die: was der Sturm, der uns unſern Kahn entfuͤhrte, wohl fuͤr Nuzen gehabt haben koͤnne?

Freitag ward beſchaͤmt und ſchlug reuevol die Augen nieder.

O Freitag! rief hierauf Robinſon mit frommem Eifer aus; erkenne die Hand des al - maͤchtigen und alweiſen Gottes, die hier aber - mahls ſo ſichtbarlich im Spiel geweſen iſt! Siehe wie viel der Sturm uns wiedergeben muſte, fuͤr das Wenige, was er uns zu neh - men Befehl hatte! Sieh ihn an, dieſen ganzen Vorrath von Huͤlfsmitteln zu einem bequemen und gluͤklichen Leben wuͤrden wir ihn haben, wenn der Sturm nicht gekommen waͤre? Zwar iſt es traurig, ſein Gluͤk dem Ungluͤkke andererMen -238Menſchen verdanken zu muͤſſen: aber wie? wenn nun auch die Meiſten von denen, die auf dem geſtrandeten Schiffe waren, jezt viel gluͤklicher lebten, als vormahls? Und daß dies wirklich der Fal ſei, iſt doch gar nicht unwahrſcheinlich! Was duͤnket dich nun von der goͤtlichen Weltre - gierung?

Daß ſie unbeſchreiblich weiſe und gut ſei, und daß ich ein Nar war! erwiederte Frei - tag, indem er die Haͤnde faltete und zum Him - mel blikte, um Gott die Suͤnde abzubitten, die er aus Unverſtand begangen hatte.

Robinſon verwahrte alle die durchgeſuch - ten Papiere eben ſo ſorgfaͤltig, als das Gold und die Edelgeſteine; um, fals er jemahls wie - der nach Europa kommen ſolte, durch Huͤlfe der - ſelben, zu erfahren, an wen er dieſe gerette - ten Schaͤze zuruͤk geben muͤſſe.

Noch ſechs Tage hinter einander fuhren ſie fort, des Tages zwei bis dreimahl nach dem Wrak zu fahren und Alles, was ſie bewegen konten, ans Land zu bringen. Tauſend Klei - nigkeiten waren ihnen wichtig und wurden alsſolche239ſolche von ihnen mitgenommen, die uns kaum des Aufhebens werth ſcheinen wuͤrden, weil wir den Mangel derſelben noch nie empfunden haben. Ein Theil der Schifsladung beſtand aus Elefan - tenzaͤhnen; dieſe lieſſen ſie liegen, weil ſie keinen Gebrauch davon machen konten. Ein Gleiches thaten ſie mit einigen Tonnen vol Kaffebohnen, welche Robinſon gleichfals verſchmaͤhte, weil er nicht geſonnen war, ſich jemahls wieder zu uͤberfluͤßigen und ſchaͤdlichen Lekkereien zu ver - woͤhnen. Dafuͤr aber ſuchten ſie ſo viel Bretter loszubrechen und mitzunehmen, als ſie nur im - mer konten, weil ihnen dieſe einen groͤſſern Nu - zen und alſo auch einen groͤſſern innern Werth zu haben ſchienen. Sogar die noch uͤbrigen fuͤnf Kanonen brachten ſie ans Land, ſo wie alles Ei - ſenwerk, welches ſie nur finden oder vom Schif - fe losmachen konten.

Nachdem ſie nun ſchon achtzehn mahl hin und her gefahren und mit ihrer jedesmahligen Ladung immer gluͤklich an Ort und Stelle an - gekommen waren; bemerkten ſie, da ſie ſich abermahls an Bord des Wraks befanden, daßein240ein Ungewitter heran nahe. Sie eilten daher, ſo ſehr ſie konten, das Aufladen zu beſchleuni - gen und fuhren in der Hofnung ab, daß ſie, noch vor dem Ausbruche des Gewitters den Strand erreichen wuͤrden. Aber ihre Bemuͤ - hung war umſonſt. Noch ehe ſie die Haͤlfte der Fahrt zuruͤkgelegt hatten, erhob ſich ein ſo ge - waltiger Sturm mit Donner, Bliz und Regen begleitet, daß die Wellen uͤber das Floͤßholz wegrolten und die darauf befindlichen Sachen in den Abgrund warfen. Sie ſelbſt klammerten ſich eine Zeitlang ſo feſt an, daß die ſchaͤumen - den Wogen ſie nicht wegſpuͤlen konten, ohnge - achtet ſie ihnen von Zeit zu Zeit faſt einer Elle hoch uͤber dem Kopfe weggingen.

Aber endlich konte das ſchwache Gebaͤude des Floͤßholzes der Wuth der Wellen nicht laͤnger widerſtehen. Die Bande, wodurch die Bal - ken zuſammen gehalten, loͤſeten ſich auf; die ganze Floͤße fiel aus einander.

Lotte. O weh der arme Robinſon!

Alle. O ſtille! ſtille!

Va -241

Vater. Freitag verſuchte ſich durch Schwimmen zu retten, Robinſon hingegen ergrif einen Balken, mit dem er bald in den Abgrund hinabgeworfen, bald wieder hoch em - por gehoben wurde. Er war dabei oͤfter un - ter, als uͤber dem Waſſer, war ganz betaͤubt, und konte weder hoͤren noch ſehen. Jezt ver - lieſſen ihn ſeine Kraͤfte, und mit ihnen ſeine Beſonnenheit. Er that noch einen lauten Schrei, und verſchwand darauf in einer ungeheuern Welle, die von dem Balken ihn losriß.

Zum Gluͤk war ſein treuer Freitag ihm im - mer zur Seite geblieben, ohngeachtet er, wenn er gewolt haͤtte, ſich weit geſchwinder haͤtte ret - ten koͤnnen. Da dieſer nun ſeinen Herrn vor ſeinen Augen verſinken ſahe, beſan er ſich keinen Augenblik, ſondern tauchte unter, ergrif ihn mit der linken Hand, und arbeitete mit der rech - ten ſich wieder empor. Und nun verdoppelte er ſeine Bemuͤhung mit ſo unerhoͤrter Anſtren - gung, daß er in einigen Minuten zuſamt dem Leichname ſeines lieben Herrn am Strande war.

QAlle. 242

Alle. (Ganz erſchrokken) Ach! ach! dem Leichnam?

Vater. So nenne ich ihn, weil in der That kein Fuͤnkchen von Leben mehr in ihm zu ſein ſchien.

Freitag trug den Erblaßten voͤllig ans Land, warf ſich verzweiflungsvol uͤber ihn hin, rief ihm zu, ruͤttelte, rieb ihn am ganzen Leibe, und druͤkte zehnmahl die Lippen auf ſeinen Mund um ihm Athem einzublaſen. Endlich hatt 'er die unausſprechliche Freude, wieder einige Merkmah - le des Lebens wahrzunehmen; er fuhr in ſeinen Bemuͤhungen fort und Robinſon fing an, ſich ſeiner wieder bewuſt zu ſein.

Wo bin ich? fragt 'er mit ſchwacher zitternder Stimme, indem er die Augen wieder aufſchlug. In meinen Armen, lieber Herr! antwortete Freitag, dem die Traͤnen aus den Augen ſtuͤrzten. Und nun gab es eine ruͤhren - de Scene, indem Robinſon ſeinem Erretter dankte, und dieſer nicht wuſte, was er vor Freu - den uͤber die Wiederkehr ſeines geliebten Herrn ins Leben alles vornehmen ſolte.

Und,243

Und, Kinder, mit etwas Beſſerem koͤnnen wir die Erzaͤhlung dieſes Tages wohl nicht endi - gen; alſo genug fuͤr heute!

Fuͤnf und zwanzigſter Abend.

Es fanden ſich abermahls verſchiedene Abhal - tungen, welche den Vater hinderten, in der Erzaͤhlung fortzufahren. Die junge Geſelſchaft wurde unterdeß durch ſechs neue Mitglieder ver - groͤſſert. Dieſe hieſſen Matthias, Ferdi - nand, Konrad, Hans, Chriſtel, und Karl.

Das war nun ein Weſen unter den Alten, wovon der Eine noch eher, als der Andere, den neuen Freunden wieder erzaͤhlen wolte, was ſie von Robinſon nun ſchon gehoͤrt hatten! Da wuſte der Eine dies, der Andere das von ihm: da hatte der Eine dies, der Andere das nochQ 2aus -244ausgelaſſen, weswegen ein Dritter ihm in die Rede fiel, um die Luͤkke der Erzaͤhlung auszu - fuͤllen! Da alſo Alle zugleich redeten, ſo entſtand zulezt ein ſo verwirtes Geſchrei, daß man ſein eigen Wort nicht hoͤren konte. Da ſahe ſich dan endlich der Vater genoͤthiget, um dem Wir - war ein Ende zu machen, die Erzaͤhlung von vorn wieder anzufangen, und ſie bis dahin zu wiederhohlen, wo er zulezt ſtehn geblieben war. Dan fuhr er, zum algemeinen Frohlokken, fol - gendermaßen fort:

Nun, Kinder, unſer Robinſon hat ſich noch einmahl wieder erhohlt. Der Schlaf, deſ - ſen er die Nacht uͤber unter ſeinem Zelte auf wirklichen Betten genoß, hat ihn ſo erquikt, daß er mit Anbruch des Morgens ſchon wieder da ſteht in ſeiner ganzen ungeſchwaͤchten Kraft, und Gott fuͤr die Erhaltung ſeiner Geſundheit und ſeines Lebens dankt. Der Sturm hatte die ganze Nacht hindurch gewuͤthet. Er erwartete daher mit aͤngſtlicher Neubegierde den Tag, um zu ſehen, was aus dem Wrak moͤgte geworden ſein?

Jezt245

Jezt ſtieg die Sonne empor und da erblikt 'er zu ſeinem Leidweſen, daß das Wrak gaͤnzlich verſchwunden ſei. Einzelne Bretter und Bal - ken, die an den Strand getrieben waren, be - wieſen, daß der Sturm es voͤllig zertruͤmmert habe. Es that ihm bei dieſem Anblik wohl, ſich bewuſt zu ſein, daß er keinen Fleiß geſpart habe, von dem Schifsgute ſo viel zu retten, als ihm nur immer moͤglich geweſen war; und wohl dem Menſchen, deſſen ganzes Betragen ſo weiß - lich eingerichtet iſt, daß er bei jedem unangeneh - men Vorfal, wie jezt Robinſon, zu ſich ſelbſt ſagen kan: ich bin nicht Schuld daran! O dieſes Bewuſtſein kan viel verſuͤßen, was fuͤr unſer Herz ſonſt unausſtehlich bitter ſein wuͤr - de!

Robinſon und Freitag zogen ſorgfaͤltig jedes am Strande liegende Ueberbleibſel des Schiffes aufs Land, weil ſie vorausſahen, daß jedes Bret, jede Latte ihnen nuͤzlich werden koͤn - te. Dan wurde ein ordentlicher Plan zu ihrer naͤchſten Geſchaͤftigkeit gemacht.

Q 3Die246

Die Sachen muſten nemlich nach der Burg geſchaft werden; aber ſich beim Fortbringen der - ſelben jedesmahl ſo weit davon zu entfernen, ſchien ihnen mit Recht gefaͤhrlich zu ſein. Ro - binſon machte alſo die Anordnung, daß ſie wechſelſeitig fortkarren und Wache halten wol - ten, einer des Vormittages, der Andere des Nachmittages. Er lud die Kanonen und pflanz - te ſie an den Strand, die Muͤndung gegen das Meer gerichtet. Dan wurde ein Feuer ange - macht, welches der Wachhabende beſtaͤndig un - terhalten ſolte; und neben den Kanonen lag eine Lunte in Bereitſchaft, um ſie, wenn es ſein muͤſte, ohne Verzug abfeuern zu koͤnnen.

Robinſon ſelbſt machte den Anfang zur Fotbringung der Sachen. Um die beſſern Klei - dungsſtuͤkke zu ſchonen, hatte auch er einen Ma - troſenanzug angelegt und, ſtat ſeiner ehemali - gen Waffen, trug er jezt einen Hirſchfaͤnger und zwei geladene Piſtolen im Guͤrtel. Er lud zu - erſt einige Faͤßchen mit Schießpulver nebſt an - dern Sachen auf, fuͤr welche die Naͤſſe am mei - ſten zu fuͤrchten war; und darauf ging die Reiſe fort.

Der247

Der Pudel, welcher ihm nie von der Seite kam, begleitete ihn, als ein nicht ganz unnuͤzer Reiſegefaͤhrte. Robinſon hatte ihm einen Strik ums Leib gebunden und dieſen vorn am Karn befeſtiget, damit er durch Ziehen ihm hel - fen moͤgte. Weil nun die Pudel ſehr gelehrige Geſchoͤpfe ſind; ſo fand ſich auch dieſer bald in ſeinen neuen Beruf, und verrichtete ihn in kur - zer Zeit ſo gut, als wenn er ein geuͤbter Karn - gaul geweſen waͤre. Auch trug er obenein noch ein Buͤndel mit den Zaͤhnen, welches man ihn zu thun ſchon vorher gelehrt hatte.

Beim Zuruͤkkehren nahm Robinſon alle ſeine zahmen zum Laſttragen ſchon gebrauchten Lama's mit, um ſich ihrer gleichfals zum Fort - ſchaffen der Sachen zu bedienen. Da ihrer ſieben waren, und da jedes derſelben eine anderthalb Zentner ſchwere Laſt zu tragen vermogte: ſo koͤnt ihr denken, wie viel die ganze Karawane auf einmahl fortzubringen im Stande war.

Da aber ſo viele Sachen in Robinſons Hoͤhle und Keller keinen Raum hatten: ſo ward in der Geſchwindigkeit noch ein zweites großesQ 4Zelt248Zelt gemacht, welches man auf dem Hofplaze der Burg aufſchlug, um bis auf Weiter zum Behaͤlter zu dienen. In acht Tagen war Alles fortgeſchaft, einen Haufen Bretter ausgenom - men, die ſie zwiſchen ein dichtes Gebuͤſch getra - gen hatten, um ſie vor der Hand daſelbſt zu laſſen.

Lotte. Du haſt uns ja nichts wieder von der Ziege erzaͤhlt?

Vater. Ach, das haͤtt 'ich bald vergeſſen. Nun, die Ziege nahmen ſie, wie es ſich von ſelbſt verſteht, auch mit, und thaten ſie in die Verzaͤunung zu den zahmen Lama's, mit denen ſie ſich recht gut vertrug.

Nun gab's fuͤr Robinſon und Freitag der angenehmen Arbeiten viele; und ſie wuſten kaum, was ſie zuerſt angreifen ſolten. Doch machte Ro - binſon, der jezt in allen ſeinen Verrichtungen Ordnung und regelmaͤßige Eintheilung der Ge - ſchaͤfte liebte, bald einen Unterſchied zwiſchen den noͤthigern und unnoͤthigern Arbeiten, und ſchrit zuerſt zu jenen. Eine der noͤthigſten un - ter allen war die Erbauung eines Schuppens,oder249oder einer kleinen Scheune, um diejenigen Sa - chen, welche in der Hoͤhle nicht Raum hatten, bequemer und ſicherer zu verwahren, als es un - ter dem Zelte geſchehen konte. Da kam es nun darauf an, ſich in der Kunſt der Zimmerleute zu uͤben, die freilich keiner von ihnen gelernt hatte.

Aber was konte dem Fleiſſe unſers ſinreichen Robinſons jezt zu ſchwer fallen, da er ſich im Beſiz aller der Werkzeuge ſahe, die er noͤthig hatte? Die muͤhſeeligſten und ungewohnteſten Arbeiten waren ihm jezt ein Spiel, nachdem er mit ſo vielen andern, ohne Werkzeuge und ohne einen Gehuͤlfen zu haben, gluͤklich zu Stande gekommen war. Das Faͤllen und Behauen der Baͤume, das Zuſammenfuͤgen und Aufrichten der Balken, das Aufmauern der Waͤnde von Bakſteinen und die Anlegung eines doppelten Daches, eins von Brettern, das andre von Kokusblaͤttern dies Alles ging mit bewun - dernswuͤrdiger Geſchwindigkeit von ſtatten.

Jezt ſtand das Haͤuschen da, und glich den kleinen Wohnungen unſerer Landleute. SehrQ 5weis -250weislich hatte Robinſon auch die Fenſter aus den Kajuͤten des Schiffes ausgehoben; und dieſe kamen ihm jezt treflich zu ſtatten, um den in - wendigen Raum des Gebaͤudes zu erhellen, ohne irgend ein Loch offen laſſen zu duͤrfen. Das Glas war fuͤr Freitag ein vorzuͤglicher Gegen - ſtand der Bewunderung, weil er nie dergleichen geſehen hatte und nun erfuhr, was fuͤr eine große Bequemlichkeit es gewaͤhre.

Nachdem nun Alles unter Dach und Fach gebracht war, ging Robinſon mit dem Ge - danken um, ſich einen bequemen Eingang zu ſei - ner Burg zu verſchaffen, ohne daß ſie dadurch von ihrer Feſtigkeit etwas verlieren moͤgte. Das ſicherſte Mittel dazu ſchien ihm die Anlegung ei - nes ordentlichen Thors und einer Zugbruͤkke zu ſein. Da er alles, was dazu erfodert wurde Naͤgel, Ketten, Thuͤrangel, Hespen, Schloͤſ - ſer u. ſ. w. in Ueberfluß hatte, ſo ſchritt 'er ſogleich zur Ausfuͤhrung dieſes Vorſazes. Sie machten erſt alles, was erfodert wurde, fer - tig; dan wurde eine Oefnung in dem Walle und der Baumwand nach der Groͤſſe des ſchon vol -len -251lendeten Thores gemacht, das Thor errichtet und die Zugbruͤkke ſo angelegt, daß ſie, wenn ſie aufgezogen ward, das Thor bedekte. Dan wurden die Kanonen, und zwar geladen, auf den Wal gepflanzt, ſo daß zwei die rechte, zwei die linke Flanke oder Seite, und zwei die Fa - ce, oder die Norderſeite der Feſtung dekten. Und nun konten ſie vor jedem Anfalle der Wil - den voͤllig ruhig ſein, und hatten zugleich die Bequemlichkeit eines ordentlichen Einganges zu ihrer Wohnung.

Jezt war die Zeit zur Erndte gekommen. Robinſon bediente ſich eines alten Schwerdts ſtat der Sichel, um den Maiz damit abzumaͤ - hen, und zum Ausgraben der Kartoffeln einer ordentlichen Hakke, die ſich unter den geborge - nen Sachen befand. Wie ihnen nun das Alles durch Huͤlfe dieſer Werkzeuge von der Hand ging! Es waͤre eine Luſt geweſen, es anzuſehen, eine noch groͤſſere, ſich ihnen als Mitarbeiter zu - zugeſellen.

Hans. Ich haͤtte moͤgen dabei wohl ſein, um auch ſo mit zu arbeiten!

Di -252

Diderich. O deswegen brauchſt du nach keiner wuͤſten Inſel zu fahren! Es laͤßt ſich hier eben ſo gut arbeiten. Solſt nur ſehen, was uns Vater immer zu thun giebt, wenn wir Frei - ſtunden haben! Bald muͤſſen wir Holz mit ihm pakken, bald klein gehauenes Holz in die Kuͤche fahren, bald im Garten graben, dan wieder Waſſer zum Begieſſen tragen, oder Unkraut ausgaͤten o da giebt es immer genug zu thun!

Vater. Und warum fuͤhr 'ich denn wohl euch zu ſolchen Arbeiten an?

Johannes. J, daß wir uns gewoͤhnen ſollen, niemahls muͤßig zu ſein, und weil uns das geſund und ſtark macht!

Chriſtel. Sollen wir denn auch immer mit arbeiten, Vater?

Vater. Freilich! Ich werde euch ja nicht weniger lieben, als ich die Andern liebe, und werde euch alſo ja auch wohl alles das thun laſſen, was ich fuͤr eine nuͤzliche Beſchaͤftigung halte!

Karl. O das iſt ſcharmant! Da wollen wir eben ſo fleißig ſein, als Robinſon.

Va -253

Vater. Wohl! Robinſon, wie wir wiſſen, befand ſich ſehr wohl dabei; und ſo wer - den wir Alle die ſeeligen Folgen einer arbeitſa - men Lebensart gleichfals immer mehr erfah - ren.

Die Erndte war jezt vollendet. Robinſon verfertigte zwei Dreſchflegel, lehrte Freitag den Gebrauch derſelben, und dan klopften ſie den Maiz in einem Tage aus. Sie gewannen zwei Saͤkke vol, welches ohngefaͤhr ſechs Scheffel ſein mogten. Auf einige Monate hatten ſie Schifs - zwiebak vorraͤthig. Da aber dieſer alsdan ein Ende nehmen muſte, ſo war Robinſon ent - ſchloſſen, das Brodbakken ſelbſt zu verſuchen.

Eine kleine Handmuͤhle hatt 'er mit von dem Schiffe genommen. Es fehlte alſo nur an einem feinen Siebe, um das Mehl zu ſichten und an einem Bakofen, um das daraus geknetete Brod zu bakken. Zu beiden muſte Rath werden. Zum Siebe braucht' er ein duͤnnes Neſſeltuch, wovon unter den geborgenen Sachen ſich ein ganzes Stuͤk befand; und die Anlegung eines ordentli - chen Bakofens machte ihm den wenigſten Kum -mer.254mer. Auch mit dieſer Arbeit ward er fertig, noch ehe die gewoͤhnliche halbjaͤhrige Regenzeit eintraf.

Und nun macht 'er einen doppelten Verſuch im Brodbakken, indem er einige Brode aus Rokkenmehl, andere aus Mehl von Maiz kne - tete. Die erſtern aber waren bei weitem die ſchmakhafteſten; und Robinſons Entſchlieſ - ſung war daher gefaßt. Er beſchloß nemlich, ſtat des tuͤrkiſchen Waizens, den groͤßten Theil ſeiner Aekker mit Rokken zu beſaͤen, um immer hinlaͤnglichen Vorrath zum Brodbakken zu ha - ben. Dies ſchien ihm auch fuͤr ſeine und Frei - tags Haͤnde nicht zu viel Arbeit zu ſein, weil ſie auf dieſer Inſel zweimahl in jedem Jahre ſaͤen und aͤrndten koͤnten.

Noch fehlte ihnen etwas, welches ſie unter dem Schifsvorrathe nicht mit gefunden hatten, und welches ihnen gleichwohl ſehr nuͤzlich gewe - ſen waͤre, nemlich ein Paar ordentliche Spa - ten von Eiſen. Zwar hatte Freitag dergleichen aus hartem Holze geſchnizt, aber beſſer iſt doch beſſer, und mit einem eiſernen Spaten kan manna -255natuͤrlicher Weiſe noch mehr beſchikken, als mit einem hoͤlzernen. Da nun Robinſon feſt ent - ſchloſſen war, kuͤnftig den Akkerbau, als die an - genehmſte und nuͤzlichſte Arbeit unter allen, zu ſeiner beſtaͤndigen Hauptbeſchaͤftigung zu machen: ſo ging er mit dem Gedanken um, auch eine Schmiede anzulegen, um Spaten und vielleicht noch andere noͤthige Werkzeuge ſelbſt zu verfer - tigen.

Dieſer Einfal war nicht ſo kuͤhn, als er euch vielleicht vorkommen mag: denn alles, was zu einer Schmiede gehoͤrt, fand ſich unter ſeinem Vorrathe. Es waren nemlich darunter ein klei - ner Amboß, verſchiedene Zangen, ein ziem - lich großer Blaſebalg und ſo viel theils altes, theils noch unverarbeitetes Eiſen, daß er wahr - ſcheinlicher Weiſe fuͤr ſein ganzes Leben genug daran hatte. Der Vorſaz ward alſo auf der Stelle ausgefuͤhrt.

Durch Huͤlfe eines groͤſſern Daches von Bret - tern, welches ſie uͤber der Kuͤche anbrachten, ward dieſe ſo ſehr erweitert, daß ſie zugleich zur Schmiede dienen, und auch beim Regenwetterdarin256darin gearbeitet werden konte. Sie verwand - ten alſo einen Theil der eingefallenen naſſen Jahrszeit auf Schmiedearbeit; und auch dieſe muſte ihnen, nach einigen wenigen vergeblichen Verſuchen, gar treflich gelingen. Da die Spa - ten fertig waren, ging Robinſon noch weiter und verſuchte, ob er nicht auch gar einen Pflug erfinden koͤnte, der ihren Kraͤften angemeſſen waͤre? Er erfand ihn und ſeine Freude daruͤber war ſehr groß.

Dieſer Pflug war von den Unſrigen freilich ſehr verſchieden; er beſtand aus einem einzigen krummen Aſt von einem Baume, an deſſen ei - nem auf der Erde ruhenden krummen Ende die Pflugſchaar befeſtiget war, nebſt einer Hand - hebe, womit der Fuͤhrer des Pflugs ihn regie - ren und nach ſeinem Willen lenken konte; an das andere Ende hingegen haͤtten Ochſen oder Pferde geſpant werden koͤnnen, wenn ſie deren gehabt haͤtten. So aber war dieſe Stelle einem von ihnen ſelbſt vorbehalten. Kurz, dieſer Pflug hatte volkommen die Geſtalt von demjenigen, deſſen die alten Griechen ſich zu bedienen pfleg -ten,257ten, da ſie anfingen, ſich auf den Akkerbau zu legen und wovon ich euch hier eine Zeichnung zeigen kan.

[figure]

Ferdinand. Das iſt ja ein kuͤrioͤſer Pflug!

Konrad. Waren denn keine Raͤder daran?

Vater. Nein, wie du ſiehſt. So ein - fach und ungekuͤnſtelt, als dieſer Pflug, ſind anfangs alle andere Werkzeuge auch geweſen. Nach und nach nahmen die Menſchen eine vor - theilhaftere Einrichtung nach der andern wahr, aͤnderten, verbeſſerten, und befoͤrderten ſo im - mer mehr und mehr den Nuzen und die Be - quemlichkeit eines jeden Dinges, deſſen ſie zu ih - ren Arbeiten bedurften.

RIn -258

Indeß hatte Robinſon alle Urſache, ſich uͤber dieſe ſeine Erfindung zu freuen, beſonders da ſie ſo ganz ſein eigenes Werk war, weil er die Zeich - nung davon niemahls geſehen hatte. Es ſind, ſo viel man weiß, erſt viele Jahrhunderte ver - floſſen, bevor die Menſchen darauf verfielen, ein ſo einfaches Werkzeug, als dieſer Pflug iſt, zu erfinden; und die Erfinder deſſelben wurden von ihren Nachkommen fuͤr ſo auſſerordentlich kluge Menſchen gehalten, daß man ihrem An - denken ſogar goͤtliche Ehre erwies. Weißt du noch, Johannes, wen die Egipzier fuͤr den Er - finder des Pflugs hielten?

Johannes. O ja! Den Oſiris, den ſie deswegen nachher, als einen Gott, anbeteten.

Vater. Die Phoͤnizier ſchrieben dieſe nuͤz - liche Erfindung einem gewiſſen Dagon zu, den ſie deswegen auch fuͤr ein auſſerordentliches We - ſen hielten und ihn einen Sohn des Him - mels nanten.

Nikolas. Aber haͤtte Robinſon nicht die Lama's zum Pfluͤgen brauchen koͤnnen?

Va -259

Vater. Anfangs zweifelte er, ob ſie brauch - bar dazu ſein wuͤrden, weil ſie mehr zum Tra - gen, als zum Ziehen gemacht zu ſein ſchienen. Indeß wolt 'er doch auch dieſes nicht unverſucht laſſen; und ſiehe! der Erfolg uͤbertraf ſeine Hof - nung. Die Thiere lernten nach und nach ſich darein ſchikken; und endlich ging das Geſchaͤft ſo gut von ſtatten, als wenn Robinſon und Frei - tag ausgelernte Landleute und die Lama's Och - ſen oder Eſel geweſen waͤren.

Nun fehlte ihnen zur ordentlichen Beſtellung des Akkers nur noch ein Werkzeug, deſſen ſie nicht fuͤglich entbehren konten, und welches ſie gleichwohl auf dem Schiffe nicht vorgefunden hatten.

Ferdinand. Ich weiß ſchon, was das fuͤr eins war!

Vater. Und welches meinſt du denn?

Ferdinand. Eine Egge.

Vater. Getroffen! Ohne dieſe kan das Land nicht wohl beſtelt werden, weil man durch Huͤlfe derſelben die dikken Erdſchollen erſt zer - truͤmmern muß, damit der eingeſtreute SameR 2in260in ein lokkeres Erdreich zu liegen komme, und mit Erde bedekt werde.

Robinſon ſchmiedete erſt ſo viel eiſerne Zakken, als er dazu noͤthig zu haben glaubte. Dan kam er, nach einigen vergeblichen Verſu - chen, auch mit dem hoͤlzernen Geſtelle zu Stan - de, worin dieſe Zakken befeſtiget werden muſten. Endlich bohrte er in dieſes Geſtel ſo viel Loͤcher, als die Egge Zaͤhne haben ſolte, ſchlug die eiſer - nen Zakken da hinein, und die Egge war fer - tig.

Er ſaͤete nun, nach geendigter Regenzeit, zwei Scheffel Rokken, einen Scheffel Gerſte, und einen halben Scheffel Erbſen aus; und hat - te nach fuͤnf Monaten die Freude, zwoͤlfmahl ſo viel wieder einzuaͤrndten, nemlich vier und zwanzig Scheffel Rokken, zwoͤlf Scheffel Ger - ſte, und ſechs Scheffel Erbſen; welches weit mehr war, als er und ſein Freitag in einem halben Jahre verzehren konten. Aber, als ein kluger Hausvater, war er darauf bedacht, von Allem immer etwas uͤbrig zu haben, weil Zeiten des Mißwachſes einfallen, oder ſeine Erndte ein -mahl261mahl durch Hagel oder andere Zufaͤlle zernichtet werden konte. Er beſchloß daher ein ordentli - ches Getraidemagazin anzulegen, worin immer von einem halben Jahre zum andern ein zu ih - rem Unterhalte hinlaͤnglicher Vorrath waͤre, auf den Fal, daß einmahl eine Erndte verloren ginge.

In dieſer Abſicht riſſen ſie, bei anhaltender klarer Witterung das Dach des Schuppens wie - der ein, um noch ein zweites Stokwerk darauf zu ſezen, welches zum Kornboden dienen ſolte. Dies koſtete nun freilich ſchon mehr Kunſt und Muͤhe, als die Errichtung des erſten Stoks ge - koſtet hatte, aber ihr anhaltender unverdroſſe - ner Fleiß uͤberwand alle Schwierigkeiten; und das Werk ward vollendet.

Die Ziege hatte unterdeß zwei Junge gewor - fen, ſo daß nun auch dieſe Art von Thieren auf der Inſel fortgepflanzt werden konte. Der Pu - del diente ihnen zum Nachtwaͤchter; und Pol, der Papagai, war ihr Geſelſchafter bei Tiſche, oft auch bei der Arbeit. Die Lama's hingegen waren ihnen nun ſchaͤzbarer, als jemahls: weilR 3ſie262ſie ihnen nicht nur Milch, Kaͤſe und Butter ga - ben; ſondern auch das Feld beakkern halfen. Zu Robinſons volkommener Gluͤkſeeligkeit fehlte alſo weiter nichts mehr, als was meint ihr?

Gotlieb. Daß er nicht bei ſeinen Eltern war!

Vater. Und daß ihrer nur zwei wa - ren, wovon der Eine uͤber kurz oder lang ſter - ben und den Andern wieder als einen armen, von allen Menſchen getrenten Einſiedler zuruͤk laſſen muſte. Doch Robinſon hielt es fuͤr Suͤnde, ſein Leben dadurch zu verbittern, daß er ſich vor Ungluͤksfaͤllen fuͤrchtete, die erſt in der Zukunft moͤglich waren. Der Gott, dacht 'er, der bis hieher immer Rath gewuſt hat, wird auch ferner helfen koͤnnen. Und ſo verfloß ihm jezt jeder ſeiner Tage in ungeſtoͤrter Zufriedenheit, weil er nunmehr Ruhe von innen und Ruhe von Auſſen hatte. Und zu dieſem Zuſtande verhelfe Gott euch Allen!

Die Mutter ſagte: amen! und die Geſel - ſchaft ging aus einander.

Sechs263

Sechs und zwanzigſter Abend.

Vater.

Nun, Kinder, diesmahl hab 'ich euch recht viel zu erzaͤhlen!

Alle. O herlich! herlich!

Vater. Wenn ich nur an einem Abend damit fertig werden kan!

Einige. O wir wollen Vater auch gar nicht unterbrechen; da wird's gewiß gehen.

Vater. Nun, ich wil's verſuchen. Be - reitet euch alſo immer zu einem neuen fuͤrchter - lichen Auftritte, von dem man noch nicht wiſſen kan, wie er ablaufen werde.

(Die Kinder druͤkten einander ihre Vermu - thung durch eine Pantomime aus.)

Wenn ich jezt fortfahren wolte euch alles das zu erzaͤhlen, was Robinſon und Freitag durch Huͤlfe ihrer Werkzeuge taͤglich machten: ſo wuͤrd ' R 4euch264euch wohl kein ſonderlicher Gefalle damit geſche - hen?

Johannes. O ja; aber das laͤßt ſich ja wohl von ſelbſt denken!

Vater. Ich begnuͤge mich alſo, nur zu ſagen, daß ſie nach und nach faſt alle Handwer - ker den Bekker, Schmied, Schneider, Schuſter, Zimmerman, Tiſchler, Radma - cher, Toͤpfer, Gaͤrtner, Akkersman, Jaͤger, Fiſcher und noch viel andere ſo gluͤklich nach - ahmten, daß ſie hunderterlei Dinge machen lern - ten, wozu wir andern europaͤiſchen Faullenzer der Huͤlfe eben ſo vieler Menſchen beduͤrfen. Ihre Kraͤfte wuchſen in eben dem Grade, in welchem ſie dieſelben anſtrengten; und auch ihr Gemuͤth wurde unter einer beſtaͤndigen nuͤzlichen Geſchaͤftigkeit je laͤnger je heiterer, je laͤnger je beſſer. Ein Beweis, daß der liebe Gott uns zu einer ſolchen Geſchaͤftigkeit wohl recht eigent - lich geſchaffen haben muß, weil wir allemahl ge - ſuͤnder, beſſer und gluͤklicher darnach werden.

Mehr als ein halbes Jahr war nun unter ſol - chen angenehmen Verrichtungen dahin gefloſſen,ohne2650hne daß Freitag esgewagt hatte, ſeinen Herrn an die Reiſe nach ſeiner Heimath zu erinnern; ob er gleich oft, nach vollendeter Arbeit, auf den Berge lief, von wannen er nach der Gegend ſeiner Geburtsinſel hinſe - hen konte, und dan allemahl, wie ein Traͤumen - der, in tiefen Gedanken da ſtand und das Ungluͤk beſeufzte, von ſeinem Vater vielleicht auf immer getrent zu ſein. Robinſon hingegen wolte bis dahin mit Fleiß nicht davon reden, weil er den Wunſch ſeines Freundes doch nicht eher erfuͤllen konte, bis ſie mit den noͤthigſten Einrichtungen, welche ihre neue Lebensart erforderte, wuͤrden fertig geworden ſein.

Jezt war das Noͤthigſte gethan; und nun war Robinſon der erſte, welcher in Vorſchlag brachte, daß ſie wieder ein Schif bauen wolten, um Freitags Vater abzuhohlen. Die Freude des guten Burſchen uͤber dieſe erfreuliche Nach - richt war wieder eben ſo groß, als neulich und ſeine Dankbarkeit gegen Robinſon aͤuſſerte ſich gleichfals auf die nemliche Weiſe. Die Arbeit wurde alſo gleich am naͤchſten Morgen angefan -R 5gen,266gen, und ging nun, wie natuͤrlich, zehnmahl geſchwinder und beſſer von ſtatten, als das erſte mahl.

Eines Morgens, da Robinſon mit haͤus - lichen Verrichtungen beſchaͤftiget war, ſchikt 'er Freitag nach dem Strande, um eine Schild - kroͤte zu ſuchen, weil ſie von dieſem angenehmen Gerichte ſchon in langer Zeit nicht genoſſen hat - ten. Dieſer war noch nicht lange weg geweſen, als er ploͤzlich wieder zuruͤkflog und vom Laufen und Schrekken ſo ganz auſſer Athem war, daß er nur mit ſtamlender Zunge die Worte hervor - bringen konte: ſie ſind da! da!

Robinſon erſchrak und fragte eiligſt, wer denn da waͤre?

O Herr! O Herr! antwortete Freitag, ein, zwei, drei, ſechs Kanoes! Er konte in der Angſt die Zahl ſechs nicht gleich finden.

Robinſon kletterte geſchwind den Huͤgel hinauf und erblikte nicht ohne Grauſen, was Freitag geſagt hatte, ſechs Kaͤhne vol Wil - den, die eben im Begrif waren, zu landen. Er ſtieg hierauf hurtig wieder hinab, ſprach demzit -267zitternden Freitag Muth zu und fragte ihn dan: ob er entſchloſſen waͤre, ihm treulich bei - zuſtehen, fals es zwiſchen ihnen und den Wilden zu einem Gefechte kommen ſolte?

Mit Leib und Leben! antwortete dieſer, der ſich unterdeß ſchon wieder erhohlt hatte, und ſeine kriegeriſche Tapferkeit zuruͤk rief. Wohl denn, ſagte Robinſon, ſo wollen wir verſu - chen, ob wir die Unmenſchen verhindern koͤnnen, ihr abſcheuliches Vorhaben auszufuͤhren. Meine Abſicht wil ich dir unterweges ſagen; jezt iſt kei - ne Zeit zum Reden, ſondern zum Thun.

Hiermit zog er eine der kleinen Kanonen vom Walle herunter, die auf Radern ruhete; hohl - te ſechs ſcharf geladene Flinten, vier Piſtolen und zwei Saͤbel hervor. Jeder von ihnen ſtekte zwei Piſtolen und einen Saͤbel in den Gurt, nahm drei Flinten auf die Schulter, und ſpante ſich vor die Kanone, nachdem ſie mit Kugeln, Schroot und Pulver ſich hinlaͤnglich verſorgt hatten. So ging der kriegeriſche Zug in ſtiller, furchtbarer Feierlichkeit zum Thor hinaus.

Nach -268

Nachdem ſie uͤber die Zugbruͤkke gegangen waren, machten ſie Halt. Dan muſte Freitag wieder, umkehren, um die Zugbruͤkke aufzuzie - hen, das Thor zu verſchlieſſen und durch Huͤlfe der Strikleiter, die noch immer den Fels herab hing, ſich mit dem Heerfuͤhrer wieder zu verei - nigen. Dieſe Vorſichtigkeit wandte Robinſon auf den Fal an, daß ihr Unternehmen einen un - gluͤklichen Ausgang haͤtte; damit die Feinde ſich alsdan ihrer Burg nicht bemaͤchtigen moͤgten.

Und nun eroͤfnete Robinſon ſeinen wohl - uͤberdachten Plan. Wir wollen, ſagt 'er, um den Berg herum durch den Wald, wo er am dichteſten iſt, marſchiren, damit der Feind keine Kundſchaft von uns bekomme. Dan wol - len wir uns ihnen in dem dikken Gebuͤſche, wel - ches ſich beinahe bis an den Strand erſtrekt, ſo ſehr naͤhern, als wir, ohne geſehen zu werden, nur immer koͤnnen, und wenn wir bis dahin ge - kommen ſind, wollen wir ploͤtzlich eine Kanonen - kugel uͤber ihre Koͤpfe hinſchieſſen. (Er hatte in dieſer Abſicht eine brennende Lunte mitgenom - men.) Vermuthlich werden die Barbaren da -durch269durch ſo ſehr erſchrekt werden, daß ſie ihre Beu - te im Stiche laſſen und ſogleich in ihren Boͤten die Flucht ergreifen.

Freitag fand dies ſehr wahrſcheinlich.

Dan, fuhr Robinſon fort, werden wir die Freude genieſſen, die Ungluͤklichen, die ſie braten wolten, gerettet zu haben, ohne daß ein einziger Tropfen Menſchenbluts dabei vergoſſen worden iſt. Solte aber, wider Vermuthen, unſere Hofnung fehlſchlagen; ſolten die Kaniba - len auf ihre Menge trozen und ſich nicht zur Flucht verſtehen wollen: dan, lieber Freitag, muͤſſen wir zeigen, daß wir Maͤnner ſind, und der Gefahr, der wir uns in der beſten Abſicht ausgeſezt haben, muthig entgegen gehen. Der, welcher alles ſieht, weiß, warum wir unſer Le - ben wagen, und wird es uns gewiß erhalten, wenn's uns nuͤzlich iſt. Sein Wille geſchehe!

Er reichte hierauf ſeinem Mitſtreiter die Hand, und beide gelobten ſich einen gegenſeiti - gen treuen Beiſtand bis auf den lezten Bluts - tropfen.

Mitler -270

Mitlerweile waren ſie mit leiſen Schritten beinahe bis ans Ende des Gebuͤſches gekommen, und machten Halt. Hier fluͤſterte Robinſon ſeinem Gefaͤhrten ins Ohr, er ſolte ſo vorſichtig, als moͤglich, ſich hinter einen großen Baum ſchleichen, den er ihm zeigte, und ihm Beſcheid bringen, ob man von da aus den Feind uͤberſe - hen koͤnte. Freitag kam mit der Nachricht zu - ruͤk, daß man ſie alda volkommen gut beobach - ten koͤnte; ſie ſaßen alle ums Feuer herum und nagten an den gebratenen Gebeinen des Einen der Gefangenen der ſchon geſchlachtet waͤre; ein Zwei - ter liege in einiger Entfernung gebunden auf der Erde, und den wuͤrden ſie nun auch bald abſchlach - ten; dieſer Schiene aber keiner von ſeiner Na - zion, ſondern ein weiſſer baͤrtiger Man zu ſein.

Robinſon gluͤhete, beſonders da er von dem weiſſen Manne hoͤrte. Er hatte ein von dem Schiffe gerettetes Fernglas zu ſich geſtekt; mit dieſem ſchlich er ſelbſt nach dem Baume und fand was Freitag ihm berichtet hatte. Vier - zig bis funfzig Kanibalen ſaßen um das Feuerherum271herum und den noch uͤbrigen Gefangenen erkant 'er ganz deutlich fuͤr einen Europaͤer.

Nun hatt 'er Muͤhe ſich zu halten. Sein Blut fing an zu kochen; ſein Herz pochte laut, und wenn er ſeiner Begierde haͤtte folgen wol - len, ſo waͤr' er unvorzuͤglich hervorgeſprungen, um ein Blutbad unter ihnen anzurichten. Aber die Vernunft galt ihm mehr, als blinde Leiden - ſchaft; von ihr alſo ließ er ſich leiten und hielt ſeinen Unwillen im Zaum.

Das Gebuͤſch lief an einer andern Stelle et - was weiter hervor; dahin wandt 'er ſich alſo; pflanzte die Kanone hinter den lezten Buſch, welcher eine kleine, von fern unbemerkbare Oef - nung hatte, und richtete ſie ſo, daß die Kugel hoch uͤber den Koͤpfen der Wilden hinfliegen mu - ſte, um ihnen kein Leides zuzufuͤgen. Dan fluͤ - ſterte er Freitag ins Ohr: er ſolte ihm alles genau nachmachen.

Hierauf legt 'er zwei Flinten auf die Erde und die dritte behielt er in der Hand; Freitag that ein Gleiches. Dan hielt er die brennendeLunte272Lunte auf das Zuͤndloch der Kanone und puf! fuhr der Schuß dahin.

In dem Augenblikke, daß der Knal gehoͤrt wurde, ſtuͤrzten die meiſten Wilden von ihrem Raſenſize zur Erde, als wenn ſie mit einem mah - le alle waͤren erſchoſſen worden. Robinſon und Freitag hingegen ſtanden vol Erwartung des Ausganges und hielten ſich, fals es ſein muͤſte, bereit zum Kampfe. Nach einer halben Minute waren die betaͤubten Wilden wieder auf den Fuͤßen. Die Furchtſamſten unter ihnen ran - ten nach den Kaͤhnen, die Herzhafteren hinge - gen ergriffen die Waffen.

Zum Ungluͤkke hatten ſie von dem Kanonen - ſchuſſe, weder den Bliz des Pulvers, noch die uͤber ſie hinfliegende Kugel wahrgenommen; ſon - dern nur allein den Knal gehoͤrt. Ihr Schrek - ken war daher auch nicht ſo groß, als man er - wartet hatte; und da ſie nun rund um ſich her - blikten, und nirgends etwas ſahen, welches ſie von neuem haͤtte erſchrekken koͤnnen: ſo fingen ſie ploͤzlich an, ſich wieder zu erhohlen; die Fluͤcht - linge kehrten zuruͤk; Alle erhoben ein fuͤrchterli -ches273ches Geheule und begannen, indem ſie unter den grimmigſten Gebehrden ihre Waffen ſchwenkten, den ihnen gewoͤhnlichen Kriegestanz.

Noch ſtand Robinſon unentſchloſſen da, bis der Kriegestanz geendiget war. Als er aber darauf zu ſeinem Erſtaunen ſehen mußte, daß die wilde Geſelſchaft ſich wieder lagerte und zwei von ihnen hingeſandt wurden, um den armen Europaͤer herbei zu hohlen; war es ihm unmoͤg - lich laͤnger unthaͤtig zu bleiben. Er blikte Frei - tag an und fluͤſterte ihm blos die Worte zu: du zur Linken, und ich zur Rechten! Und nun in Gottes Nahmen! Mit dieſen Wor - ten brandt 'er ſeine Flinte los; und Freitag that ein Gleiches.

Freitag hatte beſſer, als Robinſon ſelbſt gezielt; denn auf der linken Seite des Feuers ſtuͤrzten fuͤnf, auf der rechten nur drei nieder. Drei davon waren wirklich erſchoſſen, fuͤnf hin - gegen nur verwundet. Die Beſtuͤrzung, mit der nun Alle, die noch unbeſchaͤdigt waren, auf - ſprangen und davon liefen, war unbeſchreiblich. Einige ranten hier hin, die Andern dorthin undSer -274erhoben ein recht fuͤrchterliches Geheule. Ro - binſon wolte jezt hervorſpringen, um ſie mit dem Saͤbel in der Fauſt voͤllig in die Flucht zu jagen, und ſeinen armen gebundenen Landsman zu befreien: aber zu ſeinem Erſtaunen muſt er ſehen, daß ein Trup der Fliehenden ſich ploͤzlich wieder ſammelte, und Anſtalt zur Vertheidi - gung machte. Er ergrif alſo in der groͤßten Ge - ſchwindigkeit eine zweite Flinte und Freitag that abermahl ein Gleiches. Biſt du fertig? fragte Robinſon; und da er ein Ja! zur Antwort erhielt, druͤkt 'er wieder los und Frei - tag folgte ſeinem Beiſpiele.

Diesmahl fielen nur zwei; es wurden aber ſo viele verwundet, daß ſie mit Schreien und Heulen, als ſinloſe Menſchen herum liefen, zum Theil blutig, zum Theil ſehr hart verwundet. Von den Leztern ſtuͤrzten bald darauf noch drei, wiewohl nicht voͤllig todt; zur Erde.

Nun, Freitag! ſchrie Robinſon, in - dem er die losgeſchoſſene Flinte wegwarf und die noch geladene dritte ergrif, hervor! Mit die - ſen Worten ſprangen beide aus dem Gebuͤſch aufden275den freien Plaz und Robinſon flog zuerſt nach dem armen Schlachtopfer, um ihn ſeine Erloͤ - ſung anzukuͤndigen. Indem er bei ihm ankam, bemerkt 'er daß Einige der fluͤchtigen Wilden bei ſeinem Anblikke ſtuzten; ſich von neuem ſammel - ten und zum Kampfe ruͤſteten. Er winkte ſei - nem Gefaͤhrten, dieſer verſtand ihn, lief etwas naͤher hinzu, gab Feuer, und ſahe zwei von ih - nen ſtuͤrzen.

Robinſon ſchnit unterdeß mit einem Meſ - ſer die Strikke von Binſen los, womit der Ge - fangene an Haͤnden und Fuͤßen gar jaͤmmerlich zuſammen geſchnuͤrt war. Er fragte ihn auf deutſch und engliſch: wer er waͤre? und der Ge - fangene antwortete auf lateiniſch: Chriſtianus, ein Chriſt! Hiſpanus, ein Spanier! Mehr kont 'er nicht vorbringen, ſo ſchwach fuͤhlt' er ſich. Robinſon hatte zum Gluͤk auf den Fal einer Verwundung ein Flaͤſchchen vol Wein zu ſich geſtekt. Von dieſem gab er dem Spanier zu trinken, und da er ſich dadurch ploͤzlich geſtaͤrkt fuͤhlte: ſo reichte ihm Robinſon eine ſeiner Piſtolen, nebſt dem Saͤbel, damit er helfenS 2moͤg -276moͤgte, dem Gefechte ein Ende zu machen. Freitag muſte unterdeß eilends die losgeſchoſſe - nen Flinten herbei hohlen, um ſie von neuem zu laden.

Der Spanier hatte kaum die Piſtole und den Saͤbel in Haͤnden, als er, wie eine Furie, auf ſeine Moͤrder losrante, und in einem Hui! zwei derſelben erlegte. Freitag erhielt, um ihm beizuſtehen, die noch geladene ſechſte Flinte und Robinſon lud unterdeß die Uebrigen. Die beiden Streiter fanden Widerſtand und wurden bald von einander getrent, indem es zwiſchen dem Spanier und einem Wilden zum Handgemenge kam, und Freitag, nachdem er die Flinte ab - geſchoſſen hatte, mit dem bloßen Saͤbel in der Fauſt einen ganzen Schwarm der Fluͤchtlinge vor ſich hintrieb. Einige hieb er nieder, Andere ſprangen ins Waſſer, um nach ihren Kanoes zu ſchwimmen, und noch andere flohen in das Ge - buͤſch.

Der Spanier hatte unterdeß einen harten Stand. Zwar war er troz ſeiner Mattigkeit, ſo tapfer auf den Wilden losgegangen, daß die -ſer277ſer ſchon zwei ſchwere Hiebe von ihm in den Kopf bekommen hatte: aber nun wurde auch der Wil - de wuͤthend und drang mit ſeinem ſchweren ſtei - nernen Schlachtſchwerdte ſo heftig auf ihn los, daß dieſer kaum im Stande war, den Hieben deſſelben auszubeugen. Endlich faßte ihn der Wilde, warf ihn zu Boden, wandte ihm das Schwerdt aus den Haͤnden, und wolte ihm eben damit den Kopf vom Rumpfe hauen, als Ro - binſon gluͤklicher Weiſe die Gefahr bemerkte und dem Kanibalen eine Kugel durch den Kopf jagte.

Der Spanier war kaum wieder aufgeſprun - gen, als er eine der wieder geladenen Flinten er - grif, um denen nach zu laufen, welche in das Ge - buͤſch fluͤchteten und Freitag geſelte ſich zu ihm. Da dieſes nur wenige und noch dazu groͤßtentheils Verwundete waren: ſo hielt Robinſon es fuͤr beſſer auf dem Schlachtfelde zuruͤk zu bleiben, als gleichfals nach zu laufen, um die Bewegung der noch uͤbrigen Feinde, die nunmehr in ihren Kaͤhnen waren, zu beobachten. Es waͤhrte nicht lange, ſo kehrten ſeine beiden MitſtreiterS 3zuruͤk278zuruͤk mit der Nachricht, daß im Gebuͤſch kei - ner mehr uͤbrig ſei.

Beide wolten unverzuͤglich in einen der zu - ruͤkgelaſſenen Kaͤhne ſpringen, um denjenigen nachzueilen, die mit vollen Segeln zu entfliehen ſuchten; aber Robinſon hielt ſie zuruͤk und ſagte: genug, meine Freunde! Wir haben des Menſchenbluts ſchon mehr vergoſſen, als wir vielleicht geſolt haͤtten. Moͤgen die Uebrigen doch leben, da ſie, uns zu ſchaden, weder Vorſaz noch Vermoͤgen mehr haben.

Aber, ſagte Freitag, ſie werden viel - leicht mit groͤſſerer Manſchaft zuruͤkkommen, wenn wir ſie entfliehen laſſen!

Nun, antwortete Robinſon, indem er ihm freundlich auf die Schulter klopfte, ſo iſt unſer Heer ja auch um ein Drittel groͤſſer, als es die - ſen Morgen war; und zeigte dabei auf den Spa - nier. Jezt koͤnnen wir es immer mit einer gan - zen Legion dieſer Armſeeligen aufnehmen, beſon - ders wenn wir ihren Anfal hinter Wal und Mau - er erwarten wollen.

Lot -279

Lotte. Das war doch wieder recht ſchoͤn von Robinſon, daß er die andern Wilden nicht auch todt machen wolte!

Vater. Allerdings war das gut ge - handelt; denn grauſam wuͤrd 'es geweſen ſein, ohne dringende Noth ein Einziges dieſer armen Geſchoͤpfe zu erwuͤrgen, die gar keinen Begrif davon hatten, daß das, was ſie thaten, etwas Boͤſes ſei, und die ſogar in dem traurigen Ir - thume ſtanden, daß es etwas Verdienſtliches ſei, recht viele Feinde geſchlachtet und verzehrt zu haben.

Chriſtel. O das haͤtten ſie doch auch wohl wiſſen koͤnnen, daß das nicht huͤbſch ſei!

Vater. Und woher, lieber Chriſtel, haͤt - ten ſie das denn wohl wiſſen koͤnnen?

Chriſtel. O das weiß ja das kleinſte Kind, daß es nicht recht iſt, einen umzubringen, um ihn aufzueſſen!

Vater. Aber woher weiß denn dieſes das kleinſte Kind? Nicht wahr, weil es fruͤhzeitig belehrt worden iſt?

Chriſtel. Ja!

S 4Va -280

Vater. Und wenn's nun nicht belehrt wor - den waͤre? Wenn ſogar ſeine Eltern und andere erwachſene Menſchen, die es liebte und ehrte, ihm von fruͤher Kindheit an immer vorgeſagt haͤtten, daß es etwas ſehr ſchoͤnes ſei, ſeine Feinde zu ermorden und aufzueſſen?

Chriſtel. Ja denn

Vater. Nicht wahr, dan wuͤrd 'es wohl ſchwerlich einem Kinde jemahls einfallen, das Gegentheil zu vermuthen? Es wuͤrde vielmehr, ſobald es groß genug dazu waͤre, mit ſchlachten und mit verzehren helfen. Und das war der Fal, worin dieſe armen Wilden ſich befanden. Wohl, uns, daß Gott uns nicht unter ihnen, ſondern von geſitteten Eltern hat laſſen geboren werden, die uns fruͤhzeitig lehrten, was recht und unrecht, was gut und boͤſe ſei!

Unſer menſchenfreundlicher Held ging jezt mit Traͤnen des Mitleids im Auge auf dem Schlacht - felde umher, um zu ſehen, ob nicht Einem oder dem Andern von denen, die noch lebten, viel - leicht noch geholfen werden koͤnte? Aber die Mei - ſten waren ſchon verſchieden; und die uͤbrigenſtar -281ſtarben bald unter ſeinen Haͤnden, indem er ih - nen Wein in die Wunden goß und ſie auf alle Weiſe zu ermuntern ſuchte. Es waren der Tod - ten uͤberhaupt ein und zwanzig. Die ſiegende Armee betreffend, ſo war kein Man von ihr ge - fallen, nicht einmahl einer verwundet worden; nur daß der Spanier, da er zu Boden gewor - fen war, eine Beule davon getragen hatte.

Mathias. Wie mogte denn der Spanier den Wilden in die Haͤnde gefallen ſein?

Vater. Darnach zu fragen, hat Robin - ſon noch nicht Zeit; alſo muͤſſen wir gleichfals unſere Neugierde bis Morgen ſich gedulden laſ - ſen.

Alle. O ſchon wieder aus?

S 5Sie -282

Sieben und zwanzigſter Abend.

Mathias.

Na, Vater, wie war denn der Spanier un - ter die Wilden gekommen?

Vater. Nur noch ein wenig Geduld, ſo wirſt du's hoͤren! Es hat ſich unterdeß noch et - was Anderes ereignet, welches ich zuerſt erzaͤh - len muß.

Johannes. Nun, das ſol mich wundern!

Vater. Robinſon war neugierig, einen der beiden zuruͤkgelaſſenen Kanoes zu beſichtigen; trat alſo hinzu und fand in einem derſelben zu ſeiner großen Verwunderung noch einen ungluͤk - lichen Menſchen liegen, der ſo, wie der Spa - nier, an Haͤnden und Fuͤßen feſt geknebelt war. Er ſchien mehr todt, als lebendig zu ſein.

Robinſon eilte, ſeine Bande aufzuloͤſen, und wolte ihm aufhelfen. Allein er war wederim283im Stande zu ſtehen, noch zu reden, ſondern winſelte nur erbaͤrmlich, weil er vermuthlich in der Meinung ſtand, daß man ihn jezt zur Schlachtbank fuͤhren wolte.

Da dieſer kein Europaͤer, ſondern ein Wil - der war: ſo rief Robinſon ſeinen Freitag herbei, der eben die todten Koͤrper zuſammen ſchlepte, um in ſeiner Landesſprache mit ihm zu reden. Aber kaum hatte dieſer ihn recht ins Auge gefaßt, ſo erfolgte ein Auftrit, dem Ro - binſon und der Spanier nicht ohne Traͤnen beiwohnen konten. Freitag war nemlich auf einmahl, wie auſſer ſich. Er flog dem Gefan - genen in die Arme, kuͤßte, druͤkte ihn, ſchrie, lachte, huͤpfte, tanzte, weinte, rang die Haͤn - de, zerſchlug ſich Geſicht und Bruſt, ſchrie wie - derum und bezeigte ſich durchaus, als ein Wahn - wiziger. Es dauerte eine gute Weile, ehe Ro - binſon auf ſein wiederhohltes Fragen, die Antwort von ihm heraus brachte: mein Va - ter!

Es iſt unmoͤglich alle Aeuſſerungen der Ent - zuͤkkung und der kindlichen Liebe dieſes gutenBur -284Burſchen zu beſchreiben. Zwanzig mahl ſprang er aus dem Kahne und wieder in den Kahn. Bald ſezt 'er ſich nieder, machte ſeine Jakke auf und legte ſeines Vaters Kopf an ſeine Bruſt, um ihn zu erwaͤrmen; bald rieb er ihm die Ar - me und Knoͤchel, welche von dem feſten Bin - den ſteif geworden waren; bald fiel er ihm wie - der um den Hals oder um den Leib und bedekte ihn mit liebevollen Kuͤſſen. Robinſon hatte noch etwas Wein in der Flaſche, womit er ihn die angelaufenen Gliedmaßen ſeines Vaters be - ſtreichen ließ; und ging, um ihn ſeiner Freude ganz zu uͤberlaſſen, ein wenig auf die Seite.

Da er nach einer guten Weile zuruͤkkam, fragt 'er ihn: ob er ſeinem Vater nicht ein bischen Brod gegeben haͤtte? Der Schlingel hat alles ſelber aufgegeſſen! antwortete Freitag, in - dem er auf ſich ſelbſt wies. Robinſon reichte ihm darauf ſein eigenes Fruͤhſtuͤk, welches er noch in der Taſche hatte, und Freitag gab es ſeinem Vater. Kaum hatt' er dies gethan, ſo ſahe man ihn eiligſt aus dem Kahne ſpringen, und mit der Geſchwindigkeit des Sturmwindes da -von285von laufen. Ehe Robinſon Wohin? aus - ſprechen konte, war er ihm ſchon aus dem Ge - ſichte.

In kurzer Zeit ſahe man ihn zuruͤk kommen, jedoch viel langſamer, als er hingelaufen war. Da er naͤher kam, zeigt 'es ſich, daß er in der einen Hand einen irdenen Krug mit Waſſer, in der andern etwas Brod und Kaͤſe trug. Jenes reicht' er ſeinem Vater, dieſes ſeinem Herrn, um ihn fuͤr das abgetretene Fruͤhſtuͤk ſchadlos zu halten. Das friſche Waſſer erquikte den Alten zuſehends, weil er vor Durſt beinahe ohnmaͤch - tig geweſen war.

Jezt wandte ſich Robinſon zu dem Spa - nier, der ſich ganz kraftlos ins Gras geſtrekt hatte. Er ließ ihn gleichfals durch Freitag traͤnken und bot ihm etwas Brod und Kaͤſe zur Erquikkung an. Dieſer blikte mit freundlicher Dankbarkeit zu ihm auf; verſuchte aufzuſtehen, aber es war ihm unmoͤglich; ſo viel Schmerzen empfand er in den Knoͤcheln der Haͤnde und Fuͤſ - ſe, die von dem ſtarken Binden ſehr angeſchwol - len waren. Freitag muſte ſich neben ihm ſe -zen,286zen, um ſie ihm gleichfals mit etwas Wein ſanft zu reiben, ſo wie er vorher ſeinem Vater gethan hatte.

Da war es nun ſehr ruͤhrend anzuſehen, wie dieſer gute Sohn waͤhrend des ihm aufge - tragenen Geſchaͤftes alle Augenblikke den Kopf nach ſeinem Vater hindrehete, um zu ſehen, was er mache? Einmahl, da der Alte, um beſ - ſer auszuruhen, ſich ganz niedergelegt hatte, flog Freitag, ohne ein Wort zu ſagen, ſo geſchwind zu ihm hin, daß man kaum bemerken konte, daß er den Boden beruͤhrte; kehrte aber augenbliklich wieder zuruͤk, ſo bald er geſehen hatte, daß ſein Vater ſich nur aus Gemaͤchlichkeit ein wenig nie - dergelegt habe. Dan wolte Robinſon verſu - chen, ob er mit Freitags Huͤlfe den Spanier nach dem Kahne fuͤhren koͤnte: aber Freitag, als ein junger ſtarker Kerl, nahm den ganzen Spanier, als eine Kleinigkeit, auf den Ruͤkken, und trug ihn allein dahin. Nachdem ſie darauf die Kanonen, und die Flinten, nebſt den erbeu - teten Waffen der Erſchlagenen in den andern Kahn gebracht hatten, ſprang Freitag wieder in dener -287erſten, und ruderte, ohngeachtet ein ſtarker Wind zu wehen angefangen hatte, ſo ſchnel da - mit fort, daß Robinſon nicht ſo geſchwind am Strande laufen konte, als jener ſchifte. Die - ſer war daher noch nicht auf die Haͤlfte des We - ges gekommen, als er Freitag ſchon wieder bei ſich vorbei zuruͤk rennen ſahe, um auch den an - dern Kahn herbei zu hohlen; und ehe noch Ro - binſon an dem Orte anlangen konte, wo der erſte Kahn mit den Kranken lag, war Freitag mit dem andern auch ſchon da. So groß war die Geſchwindigkeit, mit welcher dieſer laufen und rudern konte!

Jezt waren ſie der Burg gegen uͤber. Um die Fortbringung der beiden Kranken zu erleich - tern, lief Robinſon hin, eine Tragbahre zu holen. Auf dieſe wurde Einer nach dem An - dern geſezt und von Robinſon und Freitag zur Burg getragen. Beiden ſchien der Schlaf noͤthiger, als alles andere zu ſein. Indeß nun Freitag fuͤr jeden ein Lager bereitete, waͤrmte Robinſon etwas Wein, um ihre geſchwolleneKnoͤ -288Knoͤchel damit zu waſchen. Dan muſten ſie ſich zur Ruhe begeben.

Und nun machten die beiden Wirthe Anſtalt zu einer erquikkenden Abendmahlzeit. Freitag wurde abgeſchikt ein junges Lama zu holen und Robinſon beſorgte das Uebrige. Dieſer konte nicht umhin zu laͤcheln, da ihm der Gedanke einfiel, daß er einem ordentlichen Koͤnige nun immer aͤhnlicher werde. Die ganze Inſel war ſein Eigenthum; ſeine Unterthanen, die ihm alle ihr Leben verdankten, hingen lediglich von ſei - nem Willen ab, und waren verbunden, wenn es ſein muͤſte, Leib und Leben fuͤr ihn zu wa - gen. Am merkwuͤrdigſten ſchien ihm dabei der Umſtand zu ſein, daß er grade eben ſo viele Re - ligionsſekten, als Unterthanen, in ſeinem Rei - che hatte. Freitag hatte diejenige chriſtliche Religion von ihm angenommen, welche die Pro - teſtanten bekennen. (Ihr Groͤſſern wißt, was dieſer Nahme bedeutet; ihr Kleinern aber, muͤſt euch gedulden, bis ihr erſt ein wenig ver - ſtaͤndiger geworden ſeid; dan ſolt ihr's auch hoͤ - ren.) Freitag alſo, war, wie geſagt, einPro -289Proteſtant, der Spanier ein katholiſcher Chriſt, Freitags Vater ſogar noch ein Heide.

Was muſt du nun wohl dabei thun? dachte Robinſon. Haͤtteſt du nicht etwa das Recht, ſie alle mit Gewalt zu zwingen, ſich zu demjenigen Glauben zu bekennen, den du fuͤr den beſten haͤltſt? Er ſan daruͤber nach, weil es eine Sache war, an die er noch niemahls ge - dacht hatte.

Und was meint ihr nun, Kinder, daß ſein geſunder Menſchenverſtand ihm darauf geant - wortet habe? Durft 'er ſeine Unterthanen zwin - gen ſeine eigene Religion anzunehmen, oder nicht?

Alle. O bei Leibe nicht!

Vater. Warum denn nicht?

Johannes. Ja, weil das keinen etwas angeht, was Einer glaubt, wenn er nur ſo lebt, wie ſich's gebuͤhrt.

Vater. Aber wenn nun Einer, der uͤber einen Andern Macht hat, einſieht, daß dieſer einen Irthum habe; ſolt 'es ihm dan nicht er -Tlaubt290laubt ſein, ihn zu zwingen, ſeinen Irthum fahren zu laſſen?

Hans. Ja, was wuͤrde das helfen? Da - durch, daß einer gezwungen wird, etwas zu glauben, wird er ja nicht kluͤger und nicht beſſer.

Vater. Richtig! Denn dadurch wird er ja nicht uͤberzeugt, daß er vorher im Irthum geweſen ſei. Und was kan uns ein Bekentniß nuͤzen, von deſſen Wahrheit wir nicht uͤberzeugt ſind? Und denn, woher weiß denn der Erſte ſo ganz gewiß, daß der Andere, den er zu ſei - nem Glauben zwingen wil, im Irthum ſei? Koͤnt 'es nicht auch moͤglich ſein, daß er, er ſelbſt, ſich darin befaͤnde?

Hans. O ja!

Vater. Warum?

Hans. Weil alle Menſchen irren koͤnnen.

Vater. Und ſich alſo keiner einfallen laſſen darf, ſeine Meinungen fuͤr untruͤgliche Wahr - heit zu halten!

Gott alſo, lieben Kinder, Gott allein, als dem einzigen Untrieglichen, koͤmt es zu, Richter unſers Glaubens zu ſein. Er allein weiß ganzge -291genau, wie viel Wahrheit oder Irthum in un - ſeren Meinungen ſei; er allein weiß auch ganz genau, wie redlich, oder wie leichtſinnig wir bei der Erforſchung der Wahrheit zu Werke gegan - gen ſind; er allein weiß auch alſo nur, in wie fern wir an unſerm Irthume ſchuldig, oder un - ſchuldig ſind.

Unſer Robinſon ſtelte ſich die Sache ohn - gefaͤhr eben ſo vor. Verwuͤnſcht, rief er daher aus, verwuͤnſcht ſei der unvernuͤnftige Eifer, jemanden mit Gewalt zu ſeinem Glauben bekeh - ren zu wollen! Verwuͤnſcht die blinde Wuth, ſeinen Bruder zu verfolgen und zu quaͤlen, blos weil er ſo ungluͤklich iſt zu irren und ſo tugend - haft, nichts mit dem Munde bekennen zu wollen, wovon er in ſeinem Herzen noch nicht uͤberzeugt iſt! Auf meiner Inſel wenigſtens ſol dieſe Un - menſchlichkeit nie ſtat finden. Zwar wil ich thun, was ich kan, um meine neuen Mitbuͤr - ger zu belehren: aber ſolt 'ich nicht ſo gluͤklich ſein, ſie von ihrem Irthume und von der Wahr - heit meiner Religion zu uͤberzeugen: ſo moͤgen ſie glauben, was ſie koͤnnen und nicht mir T 2ih -292ihrem irrenden Mitbruder ſondern Gott einſt Rechenſchaft davon geben.

Es ward alſo beſchloſſen, daß Allen ohne Ausnahme, eine freie Religionsuͤbung zugeſtan - den werden ſolte, fals ſie, nach erhaltenem Un - terrichte, nicht ſelbſt fuͤr gut finden ſolten, ei - nen und eben denſelben Glauben anzunehmen.

Mitlerweile war Freitag zuruͤkgekommen und nun ging's friſch ans Kochen und ans Bra - ten. Dieſer Tag, ſagte Robinſon, muß uns ein doppelter Feſttag ſein, weil wir zwei unſerer Bruͤder aus den Klauen menſchlicher Tiger ge - riſſen haben, und weil du, Freitag, deinen Vater wieder erhalten haſt. Das Beſte alſo, was wir haben, ſol heute auf unſerm Tiſche ſein!

Freitag bedurfte nicht, zur Freude erſt er - muntert zu werden. Noch nie war er ſo luſtig geweſen, als heute. Er hoͤrte gar nicht auf, zu ſingen, zu ſpringen und zu lachen; doch ver - richtete er dabei alles, was er zu thun hatte, auf das hurtigſte und ordentlichſte; und wenn man das thut, ſo iſt Luſtigkeit kein Fehler.

Jezt293

Jezt waren die beiden Gaͤſte erwacht. Ohn - geachtet ſie noch einige Schmerzen empfanden, ſo fuͤhlten ſie ſich doch ſchon ſo erquikt und geſtaͤrkt, daß ſie, mit Freitags und Robinſons Huͤlfe aufſtehen und ſich zu Tiſche ſezen konten. Und nun bezeigte ſich der alte Wilde bei allem, was er hier ſahe, eben ſo verwundrungsvol und er - ſtaunt, als ſein Sohn geweſen war, da er die europaͤiſchen Sachen zum erſtenmahle ſahe.

Freitag muſte ſeinem Herrn zum Dolmet - ſcher dienen, indem dieſer ſich mit ſeinem Va - ter und mit dem Spanier unterredete.

Ferdinand. Verſtand er denn Spaniſch?

Vater. Nein! Aber der Spanier der ſchon ein halbes Jahr unter den Wilden gelebt hatte, verſtand ſchon etwas von Freitags Landesſpra - che, und konte ſich alſo gegen ihn einigermaaſ - ſen verſtaͤndlich machen. Der Hauptinhalt ſei - ner Erzaͤhlung war folgender:

Unſer Schif war zum Sklavenhandel be - ſtimt. Wir kamen von der afrikaniſchen Kuͤſte, wo wir gegen allerlei europaͤiſche Sachen, Gold - koͤrner, Elfenbein, und ſchwarze MenſchenT 3ein -294eingetauſcht hatten. Der leztern hatten wir hundert geladen, die nach Barbados gefuͤhrt und alda verkauft werden ſolten. Zwanzig da - von waren aber ſchon geſtorben, weil man ſie, wie die Heringe, eingepakt hatte. Ein anhalten - der gewaltiger Sturm verſchlug uns von un - ſerm Laufe bis an die Kuͤſte von Braſilien und weil unſer Schif dabei lek geworden war: ſo ge - traueten wir uns nicht wieder auf die hohe See zu fahren, ſondern ſteuerten vielmehr laͤngſt der Kuͤſte des feſten Landes herauf. Ploͤzlich uͤber - fiel uns ein abermahliger Sturm, der aus We - ſten bließ. Dieſer trieb uns wuͤthend von dem feſten Lande weg und warf uns zur Nachtzeit, ohnweit einer Inſel, auf Felſen. Wir thaten einige Nothſchuͤſſe und waren entſchloſſen, auf dem Schiffe auszuhalten, ſo lange es moͤglich ſein wuͤrde. In dieſer Abſicht loͤſeten wir die Feſſeln der gefangenen Schwarzen, damit ſie helfen ſolten, das eindringende Waſſer auszu - pumpen. Aber dieſe fuͤhlten ſich kaum auf frei - en Fuͤßen, als ſie ſich einmuͤthig der Boͤte be - maͤchtigten, um damit ihre Freiheit und ihr Le - ben zu retten.

Was295

Was wolten wir nun thun? Sie zwingen konten wir nicht; denn unſerer waren nur funf - zehen, ihrer hingegen achtzig und viele unter ih - nen hatten ſich uͤberdem unſerer Waffen bemaͤch - tiget. Ohne Boot aber auf einem geſtrandeten Schiffe zuruͤk zu bleiben, war ſichtbare Todes - gefahr. Wir legten uns alſo aufs Bitten und ſuchten diejenigen, welche kurz vorher unſere Sklaven geweſen waren, durch unſer Flehen zu bewegen, entweder zu bleiben, oder uns we - nigſtens mit zu nehmen. Und hier kan ich nicht umhin, die Großmuth und Menſchlichkeit dieſer armen Sklaven zu ruͤhmen. Ohngeachtet unſer Verfahren gegen ſie ſehr hart geweſen war, lieſ - ſen ſie ſich doch von Mitleid ruͤhren, und erlaub - ten uns, zu ihnen hinab zu ſteigen unter der Be - dingung, daß wir keine Waffen mitnaͤhmen. Wir gingen die Bedingung ein und ſprangen in die Boͤte, die nun ſo ſehr belaſtet waren, daß wir in jedem Augenblikke unſern Untergang er - warteten.

Wir bemuͤheten uns indeß, die nahgele - gene Inſel zu erreichen; aber ploͤzlich drehete ſichT 4der296der Wind, und trieb uns, alles Ruderns unge - achtet, wieder der offenbaren See zu. Unſer Tod ſchien nun nicht mehr zweifelhaft zu ſein. Allein zu unſerm eigenen Erſtaunen hielten ſich die ſchwerbeladenen Boͤte, von hoch aufſchwel - lenden Wogen geſchaukelt, noch immer gluͤklich uͤber Waſſer, bis wir endlich ganz unerwartet, und ohne einen einzigen Man verloren zu haben, an eine uns voͤllig unbekante Inſel geworfen wur - den, deren armſeelige Bewohner uns ungemein liebreich aufnahmen.

Bei dieſen haben wir nun bis jezt gelebt, jeder ſo gut er konte; aber freilig armſeelig ge - nug, weil die armen Wilden ſelbſt nichts hatten, als die Fiſche, die ſie fingen und einige wenige Fruͤchte, welche die Inſel traͤgt. Dennoch theil - ten ſie mit uns, was ſie hatten, und gaben uns Anweiſung, wie wir ſelbſt fiſchen koͤnten. Am beſten befanden ſich unſere Schwarzen dabei, weil ſie keine andere Lebensart gewohnt, und nun noch dazu in Freiheit waren.

Vor einigen Tagen wurde die Inſel von einem benachbarten Volke kriegeriſch angefallen. Alles297Alles grif zu den Waffen, und da hielten wir es fuͤr Pflicht, unſern guten Gaſtfreunden bei - zuſtehen. Ich focht an der Seite dieſes ehrli - chen Alten, der wie ein Loͤwe, dem man ſeine Jungen geraubt hat, in den Feind eindrang, wo er am dikſten ſtand. Ich ſahe ihn umringt, wol - te ihm beiſpringen und hatte das Ungluͤk mit ihm zugleich ergriffen zu werden.

Zwei Tage und zwei Naͤchte hab 'ich in dieſer traurigen Gefangenſchaft, an Haͤnden und Fuͤßen geknebelt zu gebracht; und weder gegeſ - ſen, noch getrunken. Denn alles, was man mir vorwarf, waren faule Fiſche, welche die See ausgeſpien hatte.

Dieſen Morgen mit Anbruch des Tages wurden wir in die Kanoes geſchlept, um den Unmenſchen, ihrer Gewohnheit nach, an einem andern Orte zur Speiſe zu dienen. Und da fuͤhr - te die goͤtliche Vorſehung euch, ihr edlen Maͤn - ner, zu unſerer Rettung herbei, um uns eine Wohlthat zu erweiſen, die wir euch nie werden vergelten koͤnnen.

T 5Hier298

Hier ſchwieg der Spanier und Traͤnen der Dankbarkeit rolten ihm die Wangen herab. Robinſon war entzuͤkt, ſeine neuliche Ver - muthung ſo ganz beſtaͤtiget zu ſehen, und Frei - tag bewunderte mit ihm die Weisheit und Guͤte der goͤtlichen Vorſehung.

Auf die Frage: wem das Schifsgut eigent - lich gehoͤrt habe? antwortete der Spanier: daß es von zwei Kaufleuten in Kadix ware be - frachtet worden; aber nur der Eine von ihnen, habe Kommißion gegeben an der afrikaniſchen Kuͤſte Schwarze einzuhandeln; der Andere hin - gegen, dem dieſer Handel ein Greuel geweſen ſei, habe fuͤr ſeine Waaren nichts, als Gold - koͤrner, verlangt.

Hierauf nahm Robinſon den Spanier bei der Hand, fuͤhrte ihn in ſein Vorrathshaus und in ſeine Hoͤhle und zeigte ihm, zu ſeinem Erſtaunen, daß das Wichtigſte von dem geſtran - deten Schiffe hier beiſammen ſei. Freitag mu - ſte ihm die Geſchichte davon erzaͤhlen; und der Spanier konte vor lauter Verwunderung kaum ein Wort ſprechen.

Ro -299

Robinſon erkundigte ſich hierauf noch: fuͤr weſſen Rechnung denn die Diamanten gewe - ſen waͤren? Und wem die Offizierkleider gehoͤrt haͤtten, die er auf dem Schiffe vorgefunden habe? und erhielt zur Antwort: beides waͤre der Nachlaß eines engliſchen Offiziers geweſen, der ſich lange in Oſtindien aufgehalten habe, und auf ſeiner Ruͤkreiſe nach England ſo krank geworden ſei, daß man ihn auf ſein Verlangen an der afrikaniſchen Kuͤſte ans Land geſezt habe. Daſelbſt ſei er geſtorben. Das Spaniſche Schif habe ſeinen Nachlaß nach Barbados mitneh - men ſollen, um von da nach England gebracht zu werden.

Robinſon zeigte ihm darauf alle vom Schiffe gerettete Schriften vor, worin der Spa - nier ſo wohl den Nahmen des Kaufmans, dem die Goldkoͤrner gehoͤrten, als auch den Nahmen der Offizierwitwe fand, der die Diamanten und die Kleidungsſtuͤkke ihres verſtorbenen Mannes hatten geſchikt werden ſollen. Und von dieſem Augenblikke an verwahrte Robinſon die Gold - koͤrner, die Diamanten und dieſe Papiere als ein Heiligthum.

Un -300

Unterdeß war der Abend angebrochen und die uͤberſtandenen Muͤhſeeligkeiten und Gefahren des Tages hatten Aller Kraͤfte ſo ſehr erſchoͤpft, daß ſie der wohlthaͤtigen Erquikkungen des Schlafs fruͤher, als gewoͤhnlich, bedurften. Sie thaten alſo, was wir auch thun wollen, ſobald wir Gott fuͤr die ungeſtoͤrte Ruhe und Gluͤkſeeligkeit, die uns heute wieder zu Theil ward, werden gedankt haben.

Acht und zwanzigſter Abend.

Vater.

Am folgenden Morgen berief Robinſon fruͤh - zeitig ſein ganzes Reich zuſammen, um mit ver - einigten Kraͤften ein Geſchaͤft auszufuͤhren, wel - ches keinen Aufſchub litte.

Hans. Nun?

Vater. Die todten Koͤrper der Erſchlage - nen lagen noch auf dem Schlachtfelde, und eswar301war zu beſorgen, daß durch die ſchaͤdlichen Aus - duͤnſtungen derſelben eine gefaͤhrliche Seuche ent - ſtehen koͤnte. Sie verſahen ſich alſo ſaͤmtlich mit Beilen und gingen nach dem furchtbaren Orte hin.

Ferdinand. Mit Beilen?

Vater. Ja; nicht um Graͤber zu machen, denn dazu wuͤrden ſie Schaufeln und Spaten mitgenommen haben, ſondern um Holz zu faͤl - len und einen Scheiterhaufen zu errichten, auf welchen ſie die todten Leiber alle auf einmahl zu Aſche zu brennen, ſich vorgenommen hatten.

Johannes. So wie es die Roͤmer mit ihren Todten machten!

Vater. Auch andere Voͤlker des Alter - thums. Robinſon wolte nemlich durchaus nicht die ſchaͤdliche Gewohnheit ſeiner, in dieſem Stuͤkke noch ſehr unweiſen Landsleute mitma - chen, die damahls noch unverſtaͤndig genug wa - ren, die Leiber ihrer Verſtorbenen mitten in den Staͤdten, ja ſogar in den Kirchen beizuſezen, wo ſie Seuchen und Tod fuͤr die Lebenden aus - hauchten.

Ma -302

Mathias. J das thun ſie ja noch!

Vater. Leider! Und das ſei euch aber - mahls ein Beiſpiel, wie ſchwer es den Menſchen faͤlt, boͤſe Gewohnheiten wieder abzuſchaffen. Deswegen eben rathe ich euch ſo oft, daß ihr euch ja beſtreben moͤget, fruͤhzeitig Weiſe und gut zu werden. Denn hat man Thorheiten und Laſter erſt einmahl angenommen und ſind ſie un - gluͤklicher weiſe uns erſt zur Gewohnheit ge - worden: o dan haͤlt es ſehr, ſehr ſchwer, ſie jemahls wieder abzulegen, wenn man ihre Schaͤd - lichkeit auch noch ſo deutlich erkant hat.

Jederman weiß jezt, daß die Ausduͤnſtun - gen der todten Koͤrper fuͤr die Lebenden vergif - tend ſind: aber faͤhrt man nicht dem ohngeachtet fort, ſie auf den Kirchhoͤfen in der Stadt zu be - graben, oder gar in Kirchengewoͤlbe zu ſezen, wo ſie nicht einmahl mit Erde bedekt ſind. Viel - leicht wird noch ein ganzes Jahrhundert verſtrei - chen, ehe es den Menſchen einfaͤlt, an die Ab - ſchaffung dieſes boͤſen Gebrauches mit Ernſt zu denken.

Hans. 303

Hans. Ich wolte nur, daß ich etwas zu befehlen haͤtte: ſo ſolt's nicht lange mehr waͤhren!

Vater. Sieh da, lieber Hans, eine der vorzuͤglichſten Urſachen, die dich und alle andere jungen Leute bewegen muß, euch recht viele und große Verdienſte zu erwerben, dieſe nemlich: weil alsdan eure Mitmenſchen viel Ver - trauen auf euch ſezen und euch zu Aem - tern hervorziehen werden, die euch be - rechtigen, viele ſchaͤdliche Mißbraͤuche abzuſchaffen und viele nuͤzliche Einrich - tungen einzufuͤhren. Euch alle ſcheint der Himmel dazu beſtimt zu haben, ſolche viel ver - moͤgende Menſchen zu werden, die ein Seegen fuͤr die ganze Geſelſchaft ihrer Mitbuͤrger ſein koͤnnen: denn alles, was dazu gehoͤrt, hat ſei - ne guͤtige Vorſehung an euch verwandt. Sie hat euch laſſen von guten, rechtſchaffenen Eltern gebohren werden, welche das Vertrauen und die Liebe ihrer Mitbuͤrger haben; ſie hat euch einen geſunden Leib und unverwahrloſete Selenkraͤfte gegeben, und laͤßt euch nun auch eine Erzie - hung angedeien, deren ſich noch nicht viele Men -ſchen304ſchen ruͤhmen koͤnnen. Alles alſo, was dazu ge - hoͤrt, ein treflicher vielvermoͤgender Man zu werden, hat der guͤtige Himmel euch verliehen: Schande fuͤr den, der nun nicht wolte!

Doch das beſorge ich nicht von euch. Sol - tet ihr alſo, wie ich zu Gott hoffe, eure große Beſtimmung erreichen; ſoltet ihr wirklich ſolche Maͤnner werden, welche Einfluß auf die Gluͤk - ſeeligkeit von tauſend andern Menſchen haben: o ſo braucht doch ja das Anſehen, welches man euch verwilligen wird, dazu, des Boͤſen immer weniger, des Guten immer mehr zu machen un - ter euren Bruͤdern, und Freud 'und Gluͤkſee - ligkeit rund um euch her zu verbreiten! Dan er - innert euch auch der heutigen Veranlaſſung zu dieſer meiner vaͤterlichen Ermahnung und bewe - get, wenn ihr koͤnt, eure Mitbuͤrger, die Leich - name ihrer Todten an ſolchen Oertern zu ver - ſcharren, wo ihre Ausduͤnſtungen keine Peſt un - ter den Lebenden verurſachen koͤnnen.

Nikolas. Wenn ich nur wieder in die Stadt komme: ſo wil ich's meinem Grosvater und meinen Onkeln ſagen; die ſollens wohl ma - chen!

Va -305

Vater. Thue das, lieber Nikolas!

Robinſon und ſeine Gefaͤhrten waren jezt mit dem Verbrennen der todten Koͤrper fertig und gingen wieder nach Hauſe. Freitag hatte unterdeß ſeinen Vater gelehrt, daß geſittete Leute kein Menſchenfleiſch aͤßen, welches dieſem anfangs auch gar nicht recht einleuchten wolte. Aber Freitag fuhr fort, ihm alles dasjenige wieder zu erzaͤhlen, was er ſelbſt von ſeinem Herrn gelernt hatte, und brachte ihn dadurch in kurzer Zeit zu einem wahren Abſcheu gegen dieſe unmenſchliche Gewohnheit. Dieſem Alten gab Robinſon aus dem Grunde, weil er doch eher, als ſein Sohn geweſen waͤre, den Nahmen Donnerſtag; und ſo wollen wir ihn denn kuͤnf - tig auch nennen.

Jezt berief Robinſon Alle zu einer Raths - verſamlung, in welcher Freitag abermahls ſein Dolmetſcher ſo wohl gegen den Spanier, als auch gegen den alten Donnerſtag, ſein muſte. Er ſelbſt, als das Haupt der uͤbrigen, eroͤfnete die Sizung mit folgender kurzen Anrede:

U Mei -306

Meine guten Freunde, wir, die wir hier verſamlet ſind, ſehen uns jezt im Beſize al - ler dererjenigen Dinge, die zu einem ruhigen und vergnuͤgten Leben erfodert werden. Aber ich fuͤr mein Theil werde dieſes Seegens doch nicht mit ruhigem Herzen genießen koͤnnen, ſo lange es Menſchen giebt, die ein groͤſſeres Recht, als ich, dazu haͤtten, und die demohngeachtet in Mangel und Elend hinſchmachten muͤſſen. Eure Landsleute, europaͤiſcher Freund, die un - ter den Wilden noch zuruͤkgebliebenen Spanier, meine ich. Es iſt daher mein ernſtlicher Wille, daß mir jeder von euch ſeine Gedanken eroͤfne, wie wir es am kluͤglichſten anzufangen haben, um dieſe Nothleidenden mit uns zu vereinigen?

Er ſchwieg; und jeder ließ nun ſeine Mei - nung hoͤren. Der Spanier erbot ſich, in einem der erbeuteten Kaͤhne allein hinzufahren, um ſie abzuholen. Ein Gleiches zu thun, war auch Donnerſtag bereit. Freitag hingegen rieth, daß ſein alter Vater zuruͤkbleiben, und daß es ihm vielmehr vergoͤnt ſein moͤgte, den Spanier zu begleiten. Da nun hieruͤber ein großmuͤthigerWet -307Wetſtreit entſtand, indem der Eine noch lieber, als der Andere, ſein Leben wagen wolte: ſo ſa - he ſich Robinſon endlich genoͤthiget, einen entſcheidenden Ausſpruch zu thun, dem alle, wie es ſich geziemte, freudigſt ſich unterwarfen. Dieſer fiel dahin aus, daß Donnerſtag und der Spanier abreiſen, Freitag hingegen bei ihm zuruͤkbleiben ſolte.

Karl. Warum ſchikt 'er aber nicht lieber Freitag hin, als den armen Alten?

Vater. Theils aus Liebe zu Freitag, den er unmoͤglich, ohne zu zittern, einer Gefahr ausſezen konte, bei der er ſelbſt nicht zu gegen waͤre, theils deswegen, weil der Alte noch beſ - ſer, als ſein Sohn, mit dem Meere und der Schiffarth bekant zu ſein ſchien. Der Spanier hingegen muſte um deswillen mit, weil ſeine Landesleute auf Robinſons Einladung ſonſt wohl nicht zu kommen ſich getrauet haͤtten.

Es ward alſo beſchloſſen, daß die genanten beiden ihre Reiſe dahin naͤchſtens antreten ſol - ten. Vorher aber muſte dafuͤr geſorgt werden, daß ein, wenigſtens zehnmahl groͤſſerer AkkerU 2um -308umgearbeitet, und beſtelt wuͤrde: weil die Ver - groͤſſerung der Kolonie auch eine Vergroͤſſerung des taͤglichen Aufwandes an Nahrungsmitteln zur Folge hatte.

Alle wurden daher auf einige Wochen Ak - kersleute und da es jeder von ihnen mit der Ar - beit ehrlich meinte: ſo ging auch alles ſehr gut und ſehr geſchwind von ſtatten. Nach vierzehn Tagen war alles gethan und man machte daher Anſtalt zu der beſchloſſenen Reiſe.

Ehe dieſe aber vor ſich ging, gab der Spa - nier einen Beweis ſeiner Ehrlichkeit und ſeiner dankbaren Liebe gegen Robinſon, welcher zu - gleich von einer klugen Vorſichtigkeit zeugete. Er ſagte nemlich: ſeine Landesleute waͤren, ſo wie er, nur gemeine Matroſen geweſen, alſo Leute ohne alle Erziehung. Er kenne ſie nicht genau genug, um fuͤr aller gute Gemuͤthsart Buͤrge ſein zu koͤnnen. Sein Rath waͤre daher, daß Robinſon, als Herr der Inſel, erſt ge - wiſſe Bedingungen aufſezte, unter denen er ſie aufnehmen wolte, und daß dan keiner mitge - nommen wuͤrde, als welcher dieſe Bedingungen ſich gefallen lieſſe.

Ro -309

Robinſon freuete ſich uͤber die Treue ſei - nes neuen Unterthans, und that, was er ihm gerathen hatte. Die Bedingungen die er auf - ſezte, waren folgende:

Wer auf Robinſons Inſel leben, und an den Bequemlichkeiten, die ſie darbietet, An - theil nehmen wil: der muß ſich verpflichten:

1. Dem Willen des rechtmaͤßigen Herrn derſel - ben in allen Stuͤkken nachzukommen, und ſich alle diejenigen Geſeze und Anordnungen gern gefallen zu laſſen, die derſelbe zum Wohl des gan - zen Staats fuͤr noͤthig erachten wird;

2. Ein arbeitſames, maͤßiges und tugendhaftes Leben zu fuͤhren; weil kein Fauler, kein Schlemmer und uͤberhaupt kein laſterhafter Menſch auf dieſer Inſel geduldet werden ſol;

3. Sich alles Zankens und Streitens zu enthal - ten, und im Fal einer Beleidigung, nie ſein eigener Richter ſein zu wollen, ſondern viel - mehr ſeine Klage vor dem Herrn der Inſel oder vor demjenigen anzubringen, dem dieſer das Richteramt uͤbertragen wird;

U 34.310

4. Alle diejenigen Arbeiten, die zum Wohl der ganzen Geſelſchaft noͤthig ſein werden, ohne Murren zu uͤbernehmen, und im Fal der Noth dem Herrn der Inſel mit Leib und Leben beizu - ſtehen;

5. Mit Allen fuͤr einen Man wider denjenigen zu ſtehen, der ſich erdreiſten duͤrfte, das Eine oder das Andere dieſer billigen Geſeze zu uͤber - ſchreiten, um einen ſolchen entweder zum Ge - horſam zuruͤk zu bringen oder ihn auf immer von der Inſel zu verbannen.

Jeder wird ermahnt, dieſe Punkte erſt reif - lich zu uͤberlegen und ſeinen Nahmen, ſtat einer eidlichen Verſicherung, nur dan erſt zu unter - ſchreiben, wenn er voͤllig entſchloſſen iſt, ihnen in allen Stuͤkken nach zu leben.

Robinſon.

Der Spanier muſte dieſen Aufſaz erſt in ſei - ne Landesſprache uͤberſezen und es ward verab - redet, daß er Feder und Tinte mitnehmen ſolte,um311um ihn von ſeinen Landesleuten, vor ihrer Ab - reiſe erſt unterſchreiben zu laſſen.

Und nun ſuchten ſie ſich den beſten unter den beiden erbeuteten Kanoes aus, und mach - ten Anſtalt zu ihrer Abreiſe.

Konrad. Hatten denn alle die Spanier wohl in einem einzigen Kanoe Raum?

Vater. Nein! Aber ſie brauchten dieſes kleine Schif auch nur zur Hinreiſe. Zuruͤk kon - ten ſie in den Boͤten des geſtrandeten Schiffes kommen, welche, wie der Spanier verſicherte, noch in gutem Stande waren.

Nachdem hinlaͤnglicher Proviant an Bord des Kahns gebracht war und ſich ein guͤnſtiger Wind erhob, nahmen unſere Reiſende einen zaͤrtlichen Abſchied von Robinſon und Freitag und giengen unter Segel. Freitag war ganz auſſer ſich vor Betruͤbniß, daß er ſich von ſeinem Vater trennen muſte. Schon am Abend vor der Abreiſe deſſelben hatt 'er ſtundenlang geweint und vor Traurigkeit gar nichts genieſſen koͤnnen. Jezt aber da die Trennung wirklich vor ſich ging, war er vollends untroͤſtbar. Alle Augenblikke fiel erU 4ſei -312ſeinem Vater von neuem um den Hals und be - nezte ſein Geſicht mit Traͤnen. Der Alte muſte ſich endlich mit Gewalt von ihm loswinden; aber, da er ſchon im Schiffe war, und der Kahn jezt eben vom Lande ſtieß, ſprang Freitag ihm nach ins Meer, und ſchwam an die Seite des Kahns, um ihn noch einmahl zu kuͤſſen und ihm noch einmahl ein Lebewohl! zu zu ſchluchzen. Dan kehrte er wieder um nach dem Strande, ſezte ſich daſelbſt auf einer Anhoͤhe nieder und ſahe dem forteilenden Kahne unter vielen Seufzern und Traͤnen ſo lange nach, bis er aus ſeinen Au - gen verſchwunden war.

Robinſon, der ihn zu zerſtreuen wuͤnſchte, wandte den groͤßten Theil dieſes Tages zur Jagd und zu Luſtwanderungen durch die Gebirge an. Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Pudel, der mit ihnen gelaufen war, an dem Fuße eines mit Gebuͤſch bewachſenen Felſens ſte - hen blieb und unaufhoͤrlich zu bellen anfing. Man naͤherte ſich dem Orte und fand ein Loch in dem Felſen, welches aber nur ſo groß war,daß313daß man hineinkriechen, nicht hineingehen konte.

Robinſon, der nicht gern etwas ununter - ſucht ließ, was ſeine Aufmerkſamkeit einmahl an ſich gezogen hatte, befahl ſeinem Begleiter, einen Verſuch zu machen, ob er wohl hinein - kriechen koͤnne? und Freitag gehorchte. Aber kaum hatt 'er den Kopf hineingeſtekt, als er mit einem entſezlichen Angſtgeſchrei wieder zuruͤk - ſprang, und ohne ſich an Robinſons Zuruf zu kehren, wie ein Unſinniger, davon lief. Endlich hohlte ihn Robinſon wieder ein und erkun - digte ſich mit einiger Befremdung nach der Urſa - che ſeiner Flucht. Ach! ach! antwortete Frei - tag, der kaum reden konte, laß uns laufen, lie - ber Herr, ſo ſehr wir koͤnnen; da iſt ein entſez - liches Ding in dem Loche mit großen gluͤhenden Augen, und mit einem Rachen, daß es uns bei - de auf einmahl lebendig verſchlingen koͤnte!

Nun, das muͤſte ja freilich ein recht groſ - ſer Rachen ſein, antwortete Robinſon; aber das Ding muß ich doch auch ſehen.

U 5 Ach!314

Ach! ach! ſchrie Freitag und fiel vor ihm auf die Knie; um Gottes Willen nicht! Es fraͤße dich gewiß auf und dan haͤtte der arme Freitag keinen Herrn mehr! Robinſon antwortete laͤchelnd: ob's ihn denn aufgefreſſen haͤtte? und da er dies nun eben nicht bejahen wolte: ſo befahl er ihm, geſchwind nach Hauſe zu laufen, um die Laterne zu hohlen. Er ſelbſt ging wieder zuruͤk nach dem Loche, um unterdeß mit geladener Flinte Schildwache davor zu hal - ten.

Und was in aller Welt dacht 'er, kan denn das wohl ſein; wovon dein Freitag ſo viel Fuͤrchterliches geſehen haben wil? Ein reiſſendes Thier? Ein Loͤwe, Tiger, Panther, oder ſo etwas? Ja, wenn das waͤre, ſo wuͤrd' ich tol - kuͤhn handeln, wenn ich hinein kroͤche. Aber gaͤb 'es dergleichen auf dieſer Inſel, ſo wuͤrd' ich's ja ſchon laͤngſt erfahren haben. Und dan ſo wuͤrde ja auch Freitag nicht unverlezt zu - ruͤk gekehrt ſein! Nein, nein! das iſt es gewiß nicht; ſeine Furchtſamkeit hat ihm wieder einen Streich geſpielt und ihn etwas ſehenlaſſen, wasnicht315nicht da war. Ich muß es alſo ſchon unterſu - chen, um den guten Jungen von dieſer kindiſchen Leidenſchaft zu heilen.

Unterdeß kam Freitag mit der brennenden Laterne an, und verſuchte noch einmahl mit Traͤ - nen in den Augen ſeinen Herrn zu bewegen, daß er ſich doch nicht in eine ſo ſchrekliche Gefahr ſtuͤrzen moͤgte, in der er gewiß umkommen wuͤr - de. Aber Robinſon kante keine Furcht, ſo - bald er eine Sache vernuͤnftig uͤberlegt hatte; und ließ ſich daher in ſeinem Vorſaze nicht wan - kend machen. Er bat vielmehr Freitag, gu - tes Muths zu ſein, nahm die brennende Laterne in die linke, eine ſcharf geladene Piſtole in die rechte Hand und ging dem Abentheuer beherzt entgegen.

Er hatte kaum den Kopf hineingeſtekt, als er bei dem ſchwachen Laternenſchein wirklich et - was entdekte, was ihm ſelbſt ſchaudern machte. Aber er wolte deswegen nicht gleich die Flucht er - greifen, ſondern ſtrekte vielmehr die Hand mit der Laterne aus, um das namenloſe Unthier deutlicher wahr zu nehmen. Und da ſah er denn,daß316daß es nichts mehr, und nichts weniger, als ein alter Lamabok ſei, der eben vor Alter und Ent - kraͤftung ſterben wolte. Nachdem er rund um - her geſehen und weiter nichts, als dieſes gar nicht fuͤrchterliche Thier bemerkt hatte, kroch er voͤllig hinein, und rief Freitag zu, daß er ihm folgen moͤgte.

Freitag zitterte, wie ein Espenblat; gleich - wohl kont 'ers nicht uͤber's Herz bringen, ſeinen guten Herrn im Stiche zu laſſen. Er faßte al - ſo mit edler Selbſtverlaͤugnung den Muth, ihm nachzukriechen, und ſahe nun zu ſeiner Verwun - derung, wie ſehr er ſich in der Groͤſſe der Au - gen und des Rachen des Thieres geirt habe.

Siehſt du, Freitag, rief ihm Robinſon mit freundlicher Stimme entgegen, was die Furchtſamkeit uns alles weiß machen kan? Wo ſind nun die großen gluͤhenden Augen? Wo iſt der ungeheure Rachen, den du vorher zu ſehen glaubteſt?

Freitag. Es kam mir doch wirklich ſo vor, als wenn ich ſie ſaͤhe; ich haͤtte darauf ſchwoͤren wollen.

Ro -317

Robinſon. Daran zweifle ich nicht, daß es dir ſo vor kam; aber du haͤtteſt wiſſen ſollen, daß die Furchtſamkeit eine Luͤgnerin iſt, die uns allerlei vorgaukelt, was gar nicht da iſt. Sieh, Freitag, ſo ſind alle die alten Weibermaͤrchen von Geſpenſtern und ich weiß nicht von was fuͤr andern Undingen entſtanden! Die Urheber ſol - cher abgeſchmakten Hiſtoͤrchen waren furchtſame al - te Muͤtterchen oder ihnen aͤhnliche Haſenfuͤße von Maͤnnern, die, ſo wie du, ſich einbildeten et - was zu ſehen, was nicht da war, und die denn nachher, gerade ſo wie du, betheuerten, daß ſie wirklich ſo etwas geſehen haͤtten. Werd 'ein Man, Freitag; ſiehe kuͤnftig zweimahl zu und und verbanne aus deinem Herzen alle weibiſche Furchtſamkeit.

Freitag gelobte ſein Moͤglichſtes zu thun. Der alte Lamabok war unterdeß verſchieden und Robinſon bemuͤhete ſich mit Freitags Huͤlfe, ihn aus der Hoͤhle zu werfen, um ihn einzu - ſcharren. Und nun beſahen ſie mit groͤſſerer Aufmerkſamkeit den Ort, wo ſie waren, und fanden daß es die geraͤumigſte und angenehmſteGrotte318Grotte oder Hoͤhle ſei, von der ſie kuͤnftig einen ſehr vortheilhaften Gebrauch wuͤrden machen koͤnnen. Sie war, wie ausgehauen, ungemein trokken und kuͤhl, und die Waͤnde, die von Kri - ſtal zu ſein ſchienen, warfen das Licht der Later - ne von allen Seiten her ſo lebhaft zuruͤk, als wenn es ein Spiegelzimmer geweſen waͤre.

Robinſon beſchloß ſo gleich, dieſe angeneh - me Grotte zu ſeinem Erquikkungsort bei ſchwuͤ - ler Sonnenhize und zugleich zu einem Keller fuͤr ſolche Sachen zu machen, welche die gar zu groſ - ſe Waͤrme nicht ertragen koͤnnen. Zum Gluͤk war ſie nicht uͤber eine Viertelſtunde von der Burg entfernt. Freitag muſte alſo unverzuͤg - lich hinlaufen, um Werkzeuge zu hohlen. Mit dieſen fingen ſie dan ſogleich an, den Eingang zu vergroͤſſern, um nachher eine ordentliche Thuͤr davor zu machen. Und dieſe Arbeit gewaͤhrte ihnen, in der Abweſenheit der beiden andern, eine ſehr angenehme Unterhaltung.

Neun319

Neun und zwanzigſter Abend.

Nikolas.

Jezt iſt mir immer bange, wenn Vater er - zaͤhlen wil.

Vater. Wovor denn, lieber Nikolas?

Nikolas. Davor, daß die Geſchichte bald aus ſei.

Gotlieb. Wenn ich in Vaters Stelle waͤ - re, ich wolte ſie ſo lang machen! o ſo lang, daß ſie bis in Ewigkeit fortdauerte.

Vater. Kinder, alle unſere Freuden hier auf Erden muͤſſen einmahl ein Ende nehmen; alſo auch dieſe. Ihr werdet daher wohl thun, wenn ihr euch zum voraus darauf gefaßt macht. An Robinſons Horizonte zieht ſich abermahls ein Ungewitter zuſammen, vor deſſen Ausgang ich euch nicht ſtehen kan. Seid alſo immer auf eurer Hut.

Schon320

Schon acht Tage waren verſtrichen, und die Abgeſandten lieſſen ſich noch immer nicht wieder ſehen. Man fieng an, daruͤber bekuͤmmert zu werden. Freitag lief des Tages wohl zwanzig mahl nach dem Berge oder an den Strand, und ſahe ſich die Augen muͤde, ohne etwas von ihnen entdekken zu koͤnnen. Eines Morgens aber, da Robinſon noch zu Hauſe beſchaͤftiget war, kam er ploͤzlich ſingend und ſpringend zuruͤk gerant und ſchrie ſeinem Herrn ſchon von Weitem zu: ſie kommen! ſie kommen!

Robinſon, der uͤber dieſe angenehme Bot - ſchaft nicht weniger erfreut war, ergrif ſein Fernglas und eilte damit den Huͤgel hinauf. Hier ſah er wirklich in einer noch ziemlich weiten Entfernung ein anſehnliches Boot auf die Inſel zu ſegeln; aber da er durch ſein Fernglas ge - ſchaut hatte, ſchuͤttelte er den Kopf und ſagte: Freitag, Freitag, ich ſorge, das iſt nicht richtig! Freitag wurde blaß.

Robinſon ſahe noch einmahl hin, und ward immer beſtuͤrzter. Endlich kont 'er an dem, was er zu ſehen glaubte, gar nicht mehr zweifelnund321und theilte daher ſein eigenes Erſtaunen dem er - ſchroknen Freitag mit: Freitag, ſagt 'er, das ſind nicht unſere Spanier mit deinem Vater; es iſt eine engliſche Schaluppe, (ein großes Boot) und bewafnete Englaͤnder ſind es, die ich darin wahrnehme! Freitag zitterte an allen Gliedern. Kom, ſagte Robinſon, und erſtieg eiligſt eine andere Anhoͤhe, von welcher die noͤrdliche Kuͤſte beſſer uͤberſehen werden konte.

Kaum waren ſie daſelbſt angekommen, kaum hatten ſie ihre Augen nach dem Meere hinge - richtet, als beide, wie verſteinert, ſprachlos ſte - hen blieben. Sie ſahen nemlich in einer Entfer - nung von einer guten deutſchen Meile ein an - ſehnliches engliſches Schif vor Anker liegen.

Verwunderung, Furcht und Freude hatten in Robinſons Sele wechſelsweiſe die Ober - hand; Freude uͤber den Anblik eines Schiffes, welches vielleicht zu ſeiner Erloͤſung da war; Verwunderung und Furcht hingegen uͤber die ei - gentliche Abſicht der Ankunft deſſelben. Vom Sturme kont 'es nicht hieher verſchlagen ſein: denn ſeit vielen Wochen hatte kein Sturm geweht. XDer322Der ordentliche Lauf des Schiffes kont 'es auch nicht hieher gefuͤhrt haben: denn was koͤnte ei - nen engliſchen Schiffer bewegen nach einer Welt - gegend hinzuſegeln, in der die Englaͤnder keine Beſizungen, und alſo auch keinen Verkehr hat - ten. Es entſtand alſo die Beſorgniß, daß es Seeraͤuber ſein moͤgten.

Frizchen. Was ſind das fuͤr Leute?

Vater. Es giebt hin und wieder, beſon - ders auſſer Europa, noch einige Menſchen, die in ihrer Jugend ſo ſchlecht unterrichtet worden ſind, daß ſie nicht einmahl wiſſen, was der Dieb - ſtahl fuͤr ein großes Verbrechen ſei. Dieſe elen - den Menſchen machen ſich daher kein Gewiſſen daraus, andern Leuten heimlich oder mit Ge - walt das Ihrige zu nehmen, und es ſich zu zu - eignen. Geſchieht dieſes nun zu Lande, ſo nent man ſolche Leute Diebe oder Raͤuber; geſchieht es aber auf dem Meere: ſo nent man ſie See - raͤuber.

Chriſtel. Aber dies waren ja Englaͤnder?

Vater. Das ſchienen ſie zwar zu ſein, aber Robinſon dachte: wer weiß ob die Boͤſe -wichter323wichter nicht vielleicht das engliſche Schif erobert und ſich darauf ſelbſt ſo gekleidet haben, als ob ſie Englaͤnder waͤren. In den erſten huͤlfloſen Jahren ſeines einſamen Aufenthalts auf dieſer Inſel wuͤrd 'er es fuͤr ein Gluͤk gehalten haben, von Seeraͤubern entdekt und von ihnen als ein Sklav mit fortgeſchlept zu werden, um nur wieder un - ter Menſchen zu ſein. Jezt aber, da ſein Zu - ſtand unweit gluͤklicher war, ſchauderte ihn vor der Gefahr, einem ſolchen Geſindel in die Haͤn - de zu fallen. Er theilte alſo Freitag ſeine Be - ſorgniß mit und ging mit ihm ab, um von fern das Vorhaben derer zu beobachten, welche ſich in dem Boote naͤherten.

Sie ſtelten ſich auf eine mit Baͤumen und Ge - buͤſch bewachſene Anhoͤhe, von der ſie alles, was vorging, bemerken konten, ohne ſelbſt bemerkt zu werden. Hier ſahen ſie denn, daß die Schaluppe, in welcher ſich eilf Man befanden, etwa eine Viertelmeile von ihnen, an einem flachen Ufer landete. Die Manſchaft ſtieg aus. Acht von ihnen waren bewafnet, drei hingegen nicht. Dieſen leztern, welche gefeſſeltX 2wa -324waren, wurden die Bande abgenommen, ſobald ſie am Strande waren. An den klaͤglichen Ge - behrden des Einen unter ihnen konte man ſehr deutlich ſehen, daß er die Bewafneten anflehete, indem er ſich in einer bittenden Stellung vor ih - nen auf die Knie warf. Die beiden andern hu - ben von Zeit zu Zeit die Haͤnde empor, als wenn ſie den Himmel um Huͤlfe und Errettung anfle - heten.

Robinſon ward bei dieſem Anblikke ganz verwirt und wuſte nicht, was er davon denken ſolte. Freitag hingegen naͤherte ſich ihm mit einer triumphirenden Miene und ſagte: ſiehſt du, Herr, daß deine Landsleute ihre Gefange - nen auch auffreſſen? Geh, antwortete Robin - ſon etwas unwillig; das werden ſie nicht! und ſo fuhr er fort durch ſein Fernglas zu ſehen.

Mit Grauſen ſah er, daß einige der Be - wafneten zu verſchiedenen mahlen das Schwerdt gegen den einen Gefangenen aufhoben, der in der flehenden Stellung vor ihnen lag. Endlich bemerkt 'er, daß die drei Gefangenen zuruͤkge - laſſen wurden, indem die Andern ſich in den Wald zerſtreuten.

Alle325

Alle drei ſezten ſich kummervol an derſelben Stelle nieder und ſchienen ganz in Verzweiflung zu ſein. Dies erinnerte Robinſon an ſeinen eigenen elenden Zuſtand an dem Tage, da er auf dieſes Eiland geworfen ward, und er be - ſchloß, ſich der Ungluͤklichen, fals ſie es verdie - nen ſolten, anzunehmen, es koſte auch, was es wolle.

Freitag wurde alſo beordert, ſo viel Flin - ten, Piſtolen, Saͤbel und Munizion her - bei zu hohlen, als er nur tragen koͤnte.

Lotte. Was iſt das Munizion?

Vater. Schießpulver und Kugeln.

Robinſon ſelbſt fand fuͤr noͤthig zuruͤk zu blei - ben, um zu ſehen, was es ferner geben wuͤrde. Nachdem alles Noͤthige herbei geſchaft und die Gewehre geladen waren, bemerkte man mit Ver - gnuͤgen, daß die herumſchweifenden Matroſen, der eine hier der andere dort, ſich in den Schatten legten, um die brennende Mittagshize zu ver - ſchlafen. Robinſon wartete noch eine gute Viertelſtunde; dan ging er beherzt auf die drei Ungluͤklichen zu, die noch immer an eben derX 3Stel -326Stelle ſaßen. Sie hatten ihm den Ruͤkken zu gekehrt, und fuhren, wie vom Donner geruͤhrt, zuſammen, da ihnen Robinſon ploͤzlich zurief: wer ſeid ihr?

Sie ſprangen auf, als wenn ſie fliehen wol - ten; aber Robinſon rief ihnen auf Engliſch zu: ſie ſolten ſich nicht fuͤrchten; er ſei zu ihrer Ret - tung da! Dan muͤſten ſie vom Himmel herab geſandt ſein! ſagte der Eine, indem er ehrerbie - tig den Hut abzog und ihn anſtaunte. Alle Huͤlfe komt von Gott, ſagte Robinſon; aber geſchwind, guten Leute, ſagt mir, worin eure Noth beſteht und wie ich euch helfen kan? Ich bin der Kapitain des Schiffes, antwortete je - ner; dieſer hier war mein Steuerman und der da ein Reiſender; auf ſeine Gefaͤhrten zeigend. Meine Matroſen haben ſich wieder mich empoͤrt, um ſich meines Schiffes zu bemaͤchtigen. Mich ſelbſt und dieſe beiden ehrlichen Maͤnner, die ihr Verfahren misbilligten, wolten ſie anfaͤnglich er - morden; endlich aber haben ſie ſich bewegen laſ - ſen, uns das Leben zu ſchenken. Aber die Barm - herzigkeit, die ſie uns erzeigen, iſt faſt nochſchrek -327ſchreklicher, als der Tod. Denn nun haben ſie uns auf dieſe wuͤſte Inſel ausgeſezt um hier in Mangel und Elend umzukommen.

Zwei Bedingungen, erwiederte Robin - ſon; und ich wil zu Ihrer Rettung Blut und Leben wagen!

Welches ſind ſie, edler Man? fragte der Schifskapitain.

Dieſe, antwortete Robinſon, daß Sie, ſo lange Sie auf dieſer Inſel ſind, meinen Wil - len in allen Stuͤkken nachleben wollen; und dan, daß ſie mich und meinen Gefaͤhrten nach England zu bringen verſprechen, wenn es mir gelingt, Ihnen wieder zu Ihrem Schiffe zu verhelfen.

Wir, das Schif und alles, was darauf iſt, verſezte der Schifskapitain, ſtehn Ihnen ganz zu Gebote.

Wohl dan, ſagte Robinſon; hier iſt fuͤr jeden eine Flinte und ein Schwerdt, die ich Ih - nen unter der Bedingung uͤberreiche, daß Sie nicht eher Gebrauch davon machen, bis ich es fuͤr noͤthig halten werde. Ihre Moͤrder liegen jezt und ſchlafen und zwar zerſtreut; auf! laſ -X 4ſen328ſen Sie uns verſuchen, ob wir ſie, ohne Blut - vergieſſen, in unſere Gewalt kriegen koͤnnen.

Sie gingen, und Freitag muſte die Strikke mitnehmen, mit welchen die drei Maͤnner an Haͤnden und Fuͤßen waren gebunden geweſen. Jezt naheten ſie ſich dem erſten, der auf dem Geſichte lag und ſo feſt ſchlief, daß ſie ihn an Haͤnden und Fuͤßen ſchon gepakt und ihm ein Schnupftuch in den Mund geſtekt hatten, bevor er recht erwacht war. Man band ihm die Haͤn - de auf den Ruͤkken, befahl ihm auf derſelben Stelle ohne ſich zu regen und ohne den mindeſten Laut von ſich zu geben, liegen zu bleiben; wi - drigenfals man ihm unverzuͤglich eine Kugel durch den Kopf ſchießen wuͤrde. Man hatte ihn aber ſo gelegt, daß er das Geſicht nach der See hin - gerichtet hatte, und alſo nicht erfahren konte, wie es um ſeine Kameraden ſtuͤnde.

Nun wandten ſie ſich zu dem Zweiten, dem es nicht beſſer ging. Er wurde eben ſo gebun - den, eben ſo gelegt und eben ſo bedroht, als ſein Vorgaͤnger. Das Gluͤk, oder vielmehr die goͤtliche Vorſehung, zeigte ſich auch hier, alseine329eine Beſchuͤzerin der Unſchuld und als eine Raͤ - cherin des Unrechts. Schon waren ſechs dieſer Elenden auf die nemliche Art gebunden; als die beiden lezten ploͤzlich erwachten, aufſprangen und zu den Waffen griffen. Nichtswuͤrdige, ſchrie ihnen Robinſon zu, blikt auf eure Gefaͤhrten, ſeht unſere Ueberlegenheit und ſtrekt augenblik - lich das Gewehr! Eine Minute Verzug koſtet euch den Kopf!

Ach! Gnade! Gnade! Herr Kapitain; riefen jene zuruͤk, indem ſie ihre Gewehre von ſich warfen und ſich ſelbſt auf die Knie legten. Man band ihnen darauf, ſo wie den uͤbrigen, die Haͤnde; und fuͤhrte alle nach der neuentdek - ten Hoͤhle ins Gefaͤngniß, mit dem Andeuten, daß der erſte, der einen Verſuch machen wuͤrde, die hoͤlzerne Thuͤr zu erbrechen, von der Schild - wache, die man zuruͤklaſſen wuͤrde, erſchoſſen werden ſolte. Vorher hatte man allen ihre Meſ - ſer abgenommen.

Nun gingen Robinſon und Freitag nebſt ihren neuen Bundesgenoſſen nach der Schalup - pe, zogen ſie durch Huͤlfe einiger Hebebaͤume voͤl -X 5lig330lig auf den Strand und hieben in den Boden derſelben ein Loch, damit ſie vor der Hand voͤl - lig unbrauchbar ſein moͤgte.

Ferdinand. Warum denn das?

Vater. Sie ſahen vorher, daß man von dem großen Schiffe ein zweites Boot abſchikken wuͤrde, wenn das erſtere ausbliebe. Sie wolten alſo ver - hindern, daß von dieſem das erſte Boot nicht mitgenommen werden moͤgte.

Wie gedacht ſo geſchehen. Gegen drei Uhr Nachmittags wurde auf dem Schiffe eine Kano - ne geloͤſet, um die am Lande befindlichen Ma - troſen zuruͤk zu rufen; und da dieſes Signal nach einer dreimahligen Wiederhohlung nicht befolgt wurde: ſo ſahe man wirklich ein zweites Boot abſtoſſen und auf die Inſel zu ſegeln. Robin - ſon zog ſich hierauf mit ſeinen Gefaͤhrten nach der Anhoͤhe zuruͤk, um von da aus zu ſehen, was ſie weiter zu thun haͤtten.

Das Boot landete. Man lief nach dem er - ſten und war nicht wenig erſtaunt, es auf dem Strande und noch dazu durchloͤchert zu finden. Man ſahe umher, und rief die unſichtbaren Ka -meraden331〈…〉〈…〉eraden bei Nahmen, aber da war keiner wel -〈…〉〈…〉 er antwortete. Es waren ihrer zehn, alle be -〈…〉〈…〉 afnet.

Robinſon, welcher von dem Kapitain ge -〈…〉〈…〉 drt hatte, daß unter den Gefangenen drei ehr -〈…〉〈…〉 che Burſche waͤren, die blos aus Furcht vor〈…〉〈…〉 n Uebrigen in die Rebellion gewilliget haͤtten,〈…〉〈…〉 hikte Freitag mit dem Steuerman ab, dieſe〈…〉〈…〉 geſchwind, als moͤglich, herbei zu fuͤhren. Sie erſchienen und der Kapitain, dem Robin -〈…〉〈…〉 on unterdeß ſeine Meinung eroͤfnet hatte, leg -〈…〉〈…〉 ihnen, nach einigen Vorwuͤrfen, die Frage〈…〉〈…〉 or: ob ſie ihm treu ſein wolten, wenn er ihnen Verzeihung wiederfahren lieſſe? Bis in den Tod! antworteten ſie zitternd, indem ſie ſich[v]or ihm auf die Knie warfen. Der Kapitain[f]uhr fort: ich hab euch ſonſt immer als gute Burſche gekant; ich wil daher glauben, daß ihr〈…〉〈…〉 einen Theil an der Empoͤrung gehabt habt und[d] ihr das, was vorgegangen iſt, durch deſto〈…〉〈…〉 roͤſſere Treue wieder gut machen werdet. Die〈…〉〈…〉 rei Matroſen weinten laut vor Freud 'und Dank -〈…〉〈…〉 arkeit, und kuͤßten mit dem lebhafteſten Zeichender332Reue dem Kapitain die Hand. Dan uͤberreichte dieſer ihnen ihre Waffen und befahl ihnen, die Befehle ihres gemeinſchaftlichen Anfuͤhrers ge - nau zu befolgen.

Die Manſchaft des zweiten Boots hatte un - terdeß nicht aufgehoͤrt zu rufen und unter durch zu ſchieſſen, in der Hofnung, daß ihre zerſtreu - ten Kameraden ſich einfinden wuͤrden. Endlich da ſie ſahen, daß alles vergeblich ſei, ſchienen ſie, bei anbrechender Abenddaͤmmerung fuͤr ſich ſelbſt beſorgt zu werden und ſtieſſen auf hundert Schritte vom Lande um ſich alda vor Anker zu legen. Nun war zu beſorgen, daß ſie in kurzer Zeit nach dem Schiffe zuruͤkrudern wuͤrden, und daß dieſes alsdan die verlornen Kameraden im Stiche laſſen und davon ſegeln moͤgte; eine Be - ſorgniß, welche den Kapitain und Robinſon zugleich zittern machte.

Gluͤklicher Weiſe kriegte der leztere einen Einfal von dem alle ſich viel Gutes verſprachen. Er befahl Freitag, nebſt einem der Matro - ſen in ein Gebuͤſch zu laufen, welches von dem Bote ein Paar tauſend Schritte entfernt warund333und von da aus auf das Schreien der Rufenden zu antworten. So bald ſie merkten, daß man auf ihre Stimmen horchte, daß man ausſtiege, um ſie aufzuſuchen, ſolten ſie ſich almaͤhlig tie - fer in das Gebuͤſch begeben, um die Leute aus dem Bote hinter ſich her zu lokken und ſo weit, als moͤglich, zu entfernen. Dan ſolten ſie ſelbſt auf einem andern Wege eiligſt zu ihnen zuruͤk kehren.

Dieſe wohlerſonnene Kriegesliſt hatte den erwuͤnſchteſten Erfolg. Die Matroſen im Bote hatten kaum eine antwortende Stimme vernom - men, als ſie eiligſt wieder ans Land ruderten, und mit den Flinten in der Hand nach der Ge - gend hinliefen, von wannen ihnen geantwortet wurde. Zwei lieſſen ſie zur Bewachung des Boots zuruͤk.

Freitag und ſein Begleiter machten ihre Sa - chen treflich, und lokten diejenigen, die ihnen nachgingen, faſt eine halbe Meile weit tief in das Gebuͤſch hinein. Dan kehrten ſie mit einer Geſchwindigkeit, die ihres Gleichen nicht gehabt hat, zu ihren Anfuͤhrern zuruͤk. Robinſonhatte334hatte unterdeß dem Kapitain ſeinen ganzen Plan mitgetheilt, der abermahls darauf hinaus lief, daß ſie ſuchen wolten, ſich der ganzen Geſelſchaft zu bemaͤchtigen, ohne daß ein Tropfen Bluts dabei vergoſſen wuͤrde.

Es war unterdeß faſt gaͤnzlich finſter gewor - den. Stil, wie ein Maͤuschen, ruͤkte Robin - ſon mit ſeinen Gefaͤhrten gegen das Boot an, und waren ſchon bis auf zwanzig Schritte davon gekommen, ohne daß die darin wachenden beiden Matroſen das geringſte merkten. Ploͤzlich ſpran - gen ſie alle mit einem entſezlichen Geſchrei und mit einem lauten Geklirre ihrer Waffen hervor und droheten Tod und Verderben, wenn ein ein - ziger ſich zu ruͤhren wagte. Die beiden Ma - troſen riefen Pardon! und man ſprang hinzu, ihnen die Haͤnde zu binden.

Kaum war dies geſchehen: ſo eilte man auch dieſes Boot weit auf den Strand zu bringen. Dan zog man ſich mit den beiden Gefangenen in das nahe dabei liegende Gebuͤſch zuruͤk, um die Ankunft der uͤbrigen zu erwarten. Dieſe kamen, jedoch nicht alle auf einmahl und aͤuſſerſt ermuͤ -det335det von dem langen vergeblichen Herumirren. Ihr Erſtaunen, und ihr Wehklagen uͤber die Abwe - ſenheit des Boots war unbeſchreiblich. Da ih - rer fuͤnf zuſammen waren, wurde einer der Be - gnadigten Matroſen mit der Anfrage an ſie ab - geſchikt: ob ſie ſogleich gutwillig das Gewehr ſtrekken und ſich ergeben wolten? Wo nicht, ſo haͤtte der Stadthalter der Inſel in einer Entfer - nung von dreißig Schritten funfzig Man auf - marſchiren laſſen, um ſie alle nieder zu ſchieſſen. Ihr Boot waͤre ſchon genommen, alle ihre Ka - meraden waͤren gefangen und ſie haͤtten alſo blos zwiſchen Tod und Gefangenſchaft zu waͤhlen.

Robinſon ließ hierauf alle ſeine Gefaͤhr - ten ein Geklirre mit den Waffen machen, um der Ausſage des Matroſen noch mehr Wahr - ſcheinlichkeit zu geben. Haben wir Pardon zu hoffen? fragte endlich Einer, dem der Kapi - tain ungeſehen folgendermaßen zurief: Thomas Schmith, du kenſt meine Stimme: leget ihr unverzuͤglich das Gewehr nieder, ſo ſol euch das Leben geſchenkt ſein, bis auf Atkins. Dieſer war nemlich einer der Urheber der Meuterei geweſen.

Alle336

Alle warfen darauf augenbliklich ihre Flinten nieder und Atkins ſchrie: ach! um Gottes Barmherzigkeit willen, Herr Kapitain, Pardon! Pardon! Sie ſind ja alle eben ſo ſchlim geweſen, als ich. O Pardon! Pardon! Der Kapitain antwortete: alles, was er thun koͤnte, waͤre, daß er ein Fuͤrwort beim Stadthalter fuͤr ihn einlegte. Was darauf erfolgen wuͤrde, muͤſſe er erwarten. Hierauf wurde Freitag abgeſchikt, der nebſt den Matroſen ihnen allen die Haͤnde binden muſte. Unterdeß kamen die drei lezten herbei, und da ſie ſahen und hoͤrten, was geſche - hen ſei, wagten ſie eben ſo wenig ſich zu wider - ſezen und lieſſen ſich geduldig binden.

Jezt traten auch der Kapitain und Robin - ſon, der fuͤr einen Offizier des Stadthalters angeſehen wurde, hinzu, und der erſtere ſuchte diejenigen von den Gefangenen aus, die er einer aufrichtigen Reue uͤber ihren Fehltrit faͤhig hielt. Dieſe wurden bis vor die Burg gefuͤhrt, die uͤbrigen nach der Grotte. Unter denen, die ſchon in der Grotte waren, ließ er gleichfalsnoch337noch zwei abholen, denen er eine aͤhnliche Be - reuung ihres Fehltritts zu trauete.

Was er mit dieſen anfing, und was noch wei - ter vorfiel, das, Kinder, behalte ich mir vor, euch morgen zu erzaͤhlen.

Dreißigſter Abend.

Vater.

Nun, Kinder, das Schikſal unſers Robin - ſons iſt ſeiner Entſcheidung nahe. In einigen Stunden iſt das Loos geworfen; und dan wird es ſich zeigen, ob er abermahls ohne Hofnung einer Erloͤſung auf ſeiner Inſel bleiben, oder ob ihm endlich ſein langer heiſſer Wunſch, einmahl wieder zu ſeinen Eltern zu kommen, gewaͤhret werden ſol?

Es komt nemlich nun darauf an, ob der Schifskapitain durch Huͤlfe derjenigen Matroſen,Ydie338die er begnadiget hat, das Schif wieder erobern kan, oder nicht? Iſt jenes, ſo haben die Muͤh - ſeligkeiten unſers Freundes ein Ende; iſt aber dieſes, ja ſo bleibt alles, wie es war, und es iſt an keine Erloͤſung fuͤr ihn zu denken.

Der Begnadigten, welche ſich jezt vor der Burg verſamlet hatten, waren zehn. Robin - ſon deutete ihnen im Nahmen des Stadthalters an, daß ihr Verbrechen ihnen unter der Bedin - gung verziehen werden ſolte, wenn ſie ihren recht - maͤßigen Vorgeſezten behuͤlflich waͤren, wieder Beſiz von ſeinem Schiffe zu nehmen. Da nun alle die heiligſte Verſicherung gaben, daß ſie die - ſe Bedingung gern und treulich erfuͤllen wuͤrden: ſo fuͤgte Robinſon hinzu, daß ſie hierdurch nicht nur ihr eigenes Leben, ſondern auch zugleich das Leben ihrer noch gefangenen Kameraden ret - ten koͤnten, die, im Fal, daß das Schif nicht erobert wuͤrde, morgen mit Anbruch des Tages ſamt und ſonders gehengt werden ſolten.

Eben dieſes Urtheil wurde auch den Gefan - genen kund gethan. Dan fuͤhrte man beide Par - theien, die Gefangenen und die Freigelaſſenen,zu -339zuſammen, damit dieſe durch jene in ihrer Treue beſtaͤrkt werden moͤgten. Unterdeß muſte der Schifszimmerman in aller Eile den durchloͤcher - ten Boden des einen Boots ausbeſſern; und da dieſes geſchehen war, wurden beide Boͤte in der groͤßten Geſchwindigkeit wieder aufs Waſſer ge - bracht. Darauf ward beſchloſſen, daß der Schifs - kapitain das eine, der Steuerman hingegen das andere Boot kommandiren, und daß die Man - ſchaft unter ſie vertheilt werden ſolte. Alle wur - den mit Gewehr und Munizion verſehen, und nachdem darauf Robinſon den Schifskapitain umarmt und ihm Gluͤk zu ſeiner Unternehmung gewuͤnſcht hatte, ging jener unter Segel.

Nikolas. Das wundert mich doch, daß Robinſon nicht mit ging!

Vater. Es war nicht Furchtſamkeit, ſon - dern vernuͤnftige Ueberlegung, die ihn zuruͤk hielt. Die Gefangenen haͤtten losbrechen, haͤt - ten in ſeiner Abweſenheit ſich der Burg bemaͤch - tigen koͤnnen; und dieſer einzige ſichere Aufent - halt, der zugleich alle Huͤlfsmittel zu ſeiner Gluͤkſeeligkeit enthielt, war ihm viel zu wich -Y 2tig,340tig, als daß er ihn ſo leichtſinnig haͤtte aufs Spiel ſezen koͤnnen. Der Kapitain hatte ihm daher ſelbſt gerathen, daß er mit ſeinem Frei - tag zur Beſchuͤzung dieſes Orts zuruͤk bleiben moͤgte.

Robinſon, deſſen ganzes Schikſal jezt ent - ſchieden werden ſolte, konte vor Unruhe und Be - aͤngſtigung keine bleibende Staͤte finden. Bald ſezt 'er ſich in ſeiner Hoͤhle nieder, bald ſtieg er wieder auf den Wal, bald kletterte er die Strik - leiter hinan, um von dem Gipfel des Huͤgels hinab durch die ſtille Nacht hin zu horchen, ob er nicht von dem Schiffe her irgend etwas hoͤren koͤnte. Ohngeachtet er den ganzen Tag uͤber faſt nichts gegeſſen hatte, ſo war's ihm doch unmoͤg - lich, etwas zu genieſſen. Seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblikke, weil das verabredete Signal drei Kanonenſchuͤſſe welches ihn von dem gluͤklichen Ausgange der Unternehmung be - nachrichtigen ſolte, noch immer nicht gehoͤrt wur - de, ohngeachtet es ſchon Mitternacht war. Er beſan ſich indeß, daß er Unrecht habe, ſich dem Affekte der Furcht und Hofnung ſo ſehr zu uͤber -laſſen,341laſſen, und er erinnerte ſich noch zu rechter Zeit ei - ner Lehre, die er erſt vor kurzem ſeinem Freitag gegeben hatte. In zweifelhaften Faͤllen, hatte er zu dieſem geſagt, mache dich immer auf den ſchlimſten gefaßt. Komt dieſer ſchlimſte Fal nicht; deſto beſſer fuͤr dich! Komt er aber wirklich, nun ſo biſt du darauf vorberei - tet, und er wird dich nicht durch ſeine Ueberra - ſchung betaͤuben.

Dieſem Grundſaze zufolge ſtelte ſich Robin - ſon den ungluͤklichen Ausgang der Unterneh - mung als unbezweifelt vor, und bot ſeine ganze Standhaftigkeit, ſein ganzes Vertrauen auf die goͤtliche Vorſehung auf, um auch dieſen Schlag des Schikſals zu ertragen. Schon hatt 'er faſt alle Hofnung gaͤnzlich aufgegeben, als auf ein - mahl der ferne Knal einer Kanone wirklich gehoͤrt wurde.

Robinſon fuhr auf, wie einer, der durch einen ploͤzlichen Schal aus dem Schlummer auf - geſchrekt wird. Puf! hoͤrt 'er den zweiten und abermahls puf! den dritten Kanonenſchuß. Und nun war an der gluͤklichen Eroberung des SchifsY 3und342und an ſeiner bevorſtehenden Erloͤſung gar nicht zu zweifeln.

Im hoͤchſten Taumel der Freude, mehr flie - gend, als tretend, huſcht 'er die Strikleiter hin - ab; fiel Freitag, welcher ſchlummernd auf ei - ner Grasbank ſaß, um den Hals, druͤkte ihn, und benezte, ohne ein Wort hervor bringen zu koͤnnen, ſein Geſicht mit vielen Traͤnen. Was iſt dir, lieber Herr? fragte Freitag, indem er ſich ermunterte, und uͤber die ungeſtuͤmen Lieb - koſungen, die ihm widerfuhren, ganz erſchrekt war. Aber Robinſon konte im Uebermaaß ſeiner Freude weiter nichts hervorbringen, als: ach, Freitag!

Gott ſei dem Kopfe meines armen Herrn gnaͤdig! dachte Freitag, weil er auf die Ver - muthung gerieth, daß er wahnſinnig geworden ſei. Lege dich ſchlafen, lieber Herr! ſagt 'er zu ihm, und wolte ihm unter die Arme faſ - ſen, um ihn in die Hoͤhle zu fuͤhren. Aber Ro - binſon ſahe ihm mit unbeſchreiblicher Freund - lichkeit ins Geſicht und antwortete: Schla - fen, lieber Freitag? Ich, jezt ſchlafen, indem343dem Augenblikke, da der Himmel meinen einzi - gen langen Herzenswunſch erfuͤlt hat? Haſt du die drei Kanonenſchuͤſſe nicht gehoͤrt? Weißt du noch nicht, daß das Schif erobert iſt?

Nun gingen Freitag die Augen auf. Auch er fing an, ſich zu freuen, aber doch nicht ſo ſtark und nicht um ſeinetwegen, ſondern um ſei - nes guten Herrn willen. Denn der Gedanke, ſeinen vaterlaͤndiſchen Himmel auf immer ver - laſſen zu muͤſſen, verbitterte ihm das Vergnuͤgen, in Robinſons und ſeines Vaters Geſelſchaft nach einem Lande zu reiſen, aus dem er ſchon ſo viele Wunderdinge geſehen hatte, und in dem er noch groͤſſere zu ſehn erwartete.

Robinſon war vor lauter Entzuͤkken jezt unruhiger, als jemahls. Bald kletterte er den Huͤgel hinan, warf ſich da im Angeſicht des ſtern - beſaͤten Himmels auf ſeine Knie, um Gott fuͤr ſeine Erloͤſung zu danken; bald ſtieg er wieder hinab, umarmte ſeinen Freitag, ſprach von nichts, als Hamburg, und fing ſchon an, ſei - ne Sachen einzupakken. So verſtrich ihm die ganze Nacht, ohne daß es ihm ein einzigesmahlY 4einge -344eingefallen waͤre, ſich zur Ruhe begeben zu wol - len.

Mit Anbruch des Tages waren ſeine Augen unverwandt nach der Gegend hin gerichtet, wo das Schif vor Anker lag, und er erwartete mit Schmerzen den Augenblik der volkommenen Hel - le, um das Werkzeug ſeiner Befreiung, das Schif, mit ſeinen Augen zu ſehen. Dieſer Au - genblik kam; aber o Himmel! wie groß war ſein Entſezen, da er mit voͤlliger Gewisheit ſehen muſte, daß das Schif verſchwunden ſei! Er that einen lauten Schrei, und ſank zu Boden.

Freitag rante herbei, und konte lange nicht erfahren, was ſeinem Herrn eigentlich angekom - men ſei. Endlich ſtrekte dieſer ſeine zitternde Hand nach dem Meere hin, und ſprach mit ſchwa - cher ſterbender Stimme: Sieh hin! Freitag ſahe hin; und nun wuſt 'er, was ſeinem Herrn fehlte.

(Die junge Geſelſchaft wuſte nicht, wie ſie ſich bei dieſer Stelle nehmen ſolte. Gern haͤtte ſie ſich der Freude uͤber die nun zu hoffende Ver - laͤngerung der Geſchichte uͤberlaſſen; aber dieEm -345Empfindung des Mitleids uͤber des armen Ro - binſons abermahliges Ungluͤk daͤmpfte dieſe freudige Aufwallung, und ließ ſie nicht zum Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein tiefes Stilſchweigen; und der Vater fuhr fort:)

Unſer Robinſon giebt uns hier ein Beiſpiel, welches uns lehren kan, wie ſehr auch gute, ſchon gebeſſerte Menſchen auf ihrer Hut ſein muͤſſen, daß ſie ſich nicht von gar zu ſtarken Leidenſchaften dahin reiſſen laſſen. Haͤtte Ro - binſon ſich nicht ſo ausſchweifend gefreut: ſo wuͤrd 'er ſich nun auch nicht ſo ausſchweifend be - truͤben; und haͤtte die Betruͤbniß nicht ſeinen ganzen Verſtand ſo ſehr umnebelt gehabt: ſo wuͤrd' er erkant haben, daß er auch dieſe goͤtli - che Schikkung mit geduldiger Unterwerfung ſich muͤſſe gefallen laſſen, ſo ſehr auch immer ſeine beſten Hofnungen dadurch vereitelt wur - den. Beſonders wuͤrd 'er bedacht haben, daß die goͤtliche Vorſehung auch dan noch Mittel zu unſerer Rettung weiß, wenn wir ſelbſt kein ein - ziges mehr fuͤr moͤglich halten; und dieſer Ge - danke wuͤrde ihn beruhiget haben. Seht, Kin -Y 5der,346der, wie viel ſelbſt gute Menſchen noch immer an ſich zu beſſern haben.

Indem nun Robinſon ſo troſtlos da lag, und Freitag ihn zu beruhigen ſuchte: hoͤrten ſie auf einmahl an der andern Seite des Huͤgels ein Geraͤuſch, welches den Tritten mehrerer Menſchen aͤhnlich war. Sie ſprangen auf, blikten hin, und ſahen mit freudigem Erſtau - nen den Schifskapitain, der mit einigen ſei - ner Leute den Huͤgel herauf ſtieg. Ein Sprung, und Robinſon lag in ſeinen Armen! Indem er ſich umdrehete, hatt 'er auf der weſtlichen Kuͤſte das Schif in einer kleinen Bucht vor An - ker geſehen, und in demſelben Augenblikke war ſein Kummer verſchwunden. Der bloße Anblik nemlich ſagte ihm, daß der Kapitain noch vor Anbruch des Tages die Lage ſeines Schifs geaͤn - dert, und es auf diejenige Seite der Inſel ge - bracht habe, wo es in einem bequemen Hafen ſicher vor Anker liegen konte.

Lange hing Robinſon in ſtummer Entzuͤk - kung an dem Halſe des eben ſo hoch erfreuten Schifskapitains, bis es endlich zu gegenſeitigenGluͤk -347Gluͤkwuͤnſchungen und Dankſagungen kam. Dan erzaͤhlte der Kapitain, daß es ihm gelungen ſei, ſich des Schiffes zu bemaͤchtigen, ohne daß ein einziger Menſch verwundet oder getoͤdtet worden ſei, weil man in der Dunkelheit der Nacht ihn ſelbſt nicht bemerkt, und gar kein Bedenken getra - gen haͤtte, ſeine Begleiter aufzunehmen. Die Aergſten unter den Empoͤrern haͤtten ſich nachher zwar zur Wehre ſtellen wollen: aber ihr Wider - ſtand ſei fruchtlos geweſen. Man haͤtte ſie er - griffen und in Feſſeln gelegt. Hierauf uͤberließ er ſich den Empfindungen der Dankbarkeit gegen ſeinen Erretter. Sie ſind es, ſagt er, in - dem eine Traͤne ihm aus dem Auge quol; Sie ſind es, edler Man, deſſen Mitleid und Klug - heit mich und mein Schif gerettet haben. Dort ſteht es! es iſt das Ihrige; befehlen Sie dar - uͤber und uͤber mich ſelbſt, wie es Ihnen gut duͤnken wird. Dan ließ er einige Erfriſchun - gen herbei tragen, die er aus dem Schiffe mit - gebracht hatte, und alle nahmen nun mit frohem Herzen ein wohlſchmekkendes Fruͤhſtuͤk ein.

Unter -348

Unterdeß erzaͤhlte Robinſon dem Schifs - kapitain ſeine wunderbaren Schikſale, und ſezte dieſen dadurch mehr, als einmahl, in das groͤßte Erſtaunen. Dan bat der Kapitain, daß Ro - binſon ihm nun vorſchreiben moͤgte, was er fuͤr ihn thun ſolte; und Robinſon antwortete: Ich habe auſſer dem, was ich geſtern zur Bedingung meines Beiſtandes machte, noch eine dreyfache Bitte an Sie. Erſtlich erſuche ich Sie, daß Sie ſo lange hier verziehen moͤ - gen, bis meines ehrlichen Freitags Vater mit den Spaniern zuruͤkkommen wird; zweytens, daß Sie auſſer mir und meinen Hausleuten auch die ſaͤmtlichen Spanier aufnehmen und zu - erſt nach Kadir ſegeln moͤgen, um dieſe daſelbſt auszuſezen. Endlich bitte ich Sie, daß Sie auch den vornehmſten Aufruͤhrern das Leben ſchenken, und, ſtat einer andern Strafe, ſie auf dieſer meiner Inſel zuruͤklaſſen moͤgen; weil ich verſichert bin, daß dies das beſte Mittel ſein wird, ſie zu beſſern.

Der Schifskapitain verſicherte, daß alles puͤnktlich ſo geſchehen ſolte, wie er es verlangte;ließ349ließ die Gefangenen herbei fuͤhren; ſuchte die Aergſten darunter aus, und kuͤndigte ihnen ihr Urtheil an. Dieſe waren ſehr erfreut daruͤber, weil ſie wuſten, daß ſie nach den Geſezen das Leben verwirkt hatten. Der menſchenfreundli - che Robinſon gab ihnen Anweiſung, wie ſie ſich ihren Lebensunterhalt erwerben koͤnten, und verſprach, daß er ihnen ſeinen ganzen Reich - thum an Werkzeugen, Hausrath und Vieh zu - ruͤk laſſen wolte. Er ſchaͤrfte ihnen dabei zu wiederhohlten mahlen Vertrauen auf Gott, Ar - beitſamkeit und Eintracht ein, und verſicherte, daß dieſe Tugenden ihnen den Aufenthalt auf dieſer Inſel ungemein angenehm machen wuͤr - den.

Indem er noch ſo ſprach, kam Freitag ganz auſſer Athem mit der frohen Nachricht herbei gerant, daß ſein Vater mit den Spaniern ankaͤ - me und jezt eben landen wuͤrde. Die ganze Geſelſchaft machte ſich alſo auf, ihnen entgegen zu gehen; aber Freitag flog vor allen andern hin, und hieng ſeinem alten Vater ſchon laͤngſt am Halſe, da die Uebrigen herbei kamen.

Ro -350

Robinſon erblikte mit Verwunderung, daß unter den Angekommenen auch zwei Frauensper - ſonen waren; und da er ſich bei Donnerſtag darnach erkundigte, erfuhr er: daß ſie die Wei - ber zweier Spanier waͤren, die ſie ſich von den eingebohrnen Wilden genommen haͤtten. Dieſe beiden Spanier hatten kaum gehoͤrt, daß Ro - binſon abreiſen, und einige Matroſen auf der Inſel zuruͤk laſſen wuͤrde: als ſie ſich von ihm die Erlaubniß ausbaten, mit ihren Weibern gleichfals da zu bleiben, weil ſie nach allem, was ſie von dieſer Inſel gehoͤrt haͤtten, ſich kei - nen beſſern Aufenthalt wuͤnſchen koͤnten.

Robinſon hoͤrte dieſe Bitte gern und er - fuͤlte ſie mit Vergnuͤgen. Es war ihm lieb, daß ein Paar Maͤnner zuruͤkblieben, denen ihre Ka - meraden einſtimmig das Zeugniß der Ehrlichkeit gaben; weil er hofte, daß dieſe die uͤbrigen ſchlechten Burſchen zu einem ordentlichen und friedfertigen Leben wuͤrden anhalten koͤnnen. In dieſer Abſicht beſchloß er, die Andern alle von dieſen beiden abhaͤngig zu machen.

Er351

Er ließ ſie daher alle vor ſich kommen, um ihnen ſeinen Willen kund zu thun. Es waren uͤberhaupt ſechs Englaͤnder und die beiden Spa - nier mit ihren Weibern. Robinſon redete ſie folgendermaaſſen an:

Keiner unter euch wird mir hoffentlich das Recht ſtreitig machen, mit meinem Eigenthume und dies iſt die ganze Inſel nebſt allem, was darauf iſt zu ſchalten und zu walten, wie es mir gefaͤlt. Ich wuͤnſche aber, daß es euch allen, die ihr hier zuruͤk bleiben werdet, recht wohl gehen moͤge. Hierzu wird eine ordentliche Ein - richtung erfodert, und mir komt es zu, ſie zu machen. Ich erklaͤre demnach, daß dieſe beiden Spanier kuͤnftig meine Stelle vertreten, und an meiner Stat die rechtmaͤßigen Herrn der In - ſel ſein ſollen. Euch andern komt es alſo zu, ihnen den ſtrengſten Gehorſam zu beweiſen. Sie allein ſollen meine Burg bewohnen; ſie allein ſollen alle Gewehre, alle Kriegsmunizion, alle Werkzeuge in Verwahrung haben; aber ſie ſol - len dabei auch verbunden ſein, euch andern da - von zu leihen, was ihr beduͤrft, unter der Be -dingung,352dingung, daß ihr euch friedfertig und in jeder Betrachtung ordentlich betraget. Giebt es Ge - fahren: ſo ſolt ihr alle fuͤr einen Man ſtehen; giebt es etwas zu arbeiten, es ſei auf dem Felde oder im Garten, ſo ſollen Alle dieſe Arbeit ge - meinſchaftlich verrichten und die jedesmahlige Erndte unter ſich theilen. Vielleicht habe ich einmahl Gelegenheit, mich nach euch erkundigen zu laſſen; vielleicht beſchlieſſe ich ſelbſt einmahl, wieder hieher zuruͤk zu kehren, um den Reſt mei - ner Tage auf dieſer mir jezt ſo lieben Inſel zu - zubringen. Wehe alsdan dem, der unterdeß dieſe meine Anordnung umſtoßen wird! Er wuͤr - de ohne Barmherzigkeit in einen kleinen Nachen geſezt, und bei ſtuͤrmiſcher Witterung dem groſ - ſen Weltmeere Preiß gegeben werden.

Alle bezeugten ihre Zufriedenheit mit dieſer Einrichtung und gelobten den ſtrengſten Gehor - ſam an.

Und nun machte Robinſon ein Verzeichniß von den wenigen Sachen, die er mitnehmen wolte, und die daher am Bord gebracht werden ſolten. Sie beſtanden 1) aus ſeiner ſelbſt ge -machten353machten Kleidung von Fellen, nebſt Sonnen - ſchirm und Larve; 2) aus den von ihm verfer - tigten Spieß, Bogen und ſteinernen Beile; 3) aus ſeinem Pol, dem Pudel, und zweien La - ma's; 4) aus allerlei Werkzeuge und Geraͤth - ſchaft, die er ſelbſt verfertiget hatte, da er noch allein war und endlich 5) aus den Goldkoͤrnern, den Diamanten, und ſeinem eigenen großen Gold - klumpen.

Nachdem dies alles zu Schiffe gebracht, und der Wind ſehr guͤnſtig war, wurde die Abreiſe auf den folgenden Morgen feſtgeſezt. Robin - ſon und Freitag bereiteten darauf eine Mahl - zeit zu, um den Schifskapitain und den zuruͤk - bleibenden Koloniſten vor ihrer Abreiſe erſt ein kleines Feſt zu geben. Das Beſte, was ſie hatten, wurde dazu hergegeben, und die Spei - ſen waren ſo ſchmakhaft zubereitet worden, daß der Kapitain ſich nicht genug uͤber Robin - ſons Geſchiklichkeit in der Kochkunſt wundern konte. Um dem edlen Beiſpiele ſeines Wirths zu folgen, und zu der Gluͤkſeeligkeit der Zu - ruͤkbleibenden auch etwas beizutragen, ließ erZeine354eine Menge Lebensmittel, Schießpulver, Eiſen und Werkzeuge von dem Schiffe hohlen, womit er der Kolonie ein Geſchenk machte.

Gegen Abend bat ſich Robinſon die Er - laubniß aus, eine Stunde allein ſein zu duͤrfen, weil er vor ſeiner Abreiſe noch einige wichtige Geſchaͤfte abzuthun habe. Jederman verließ ihn; und er ſtieg den Huͤgel hinauf, um noch einmahl der ganzen Geſchichte ſeines Aufenthalts auf dieſer Inſel nachzudenken, und ſein volles Herz in kindlicher Dankbarkeit vor Gott zu er - gießen. Es fehlt mir an Worten, die frommen dankbaren Empfindungen deſſelben auszudruͤkken; aber wer ein Herz, wie das Seinige, hat, der bedarf auch meiner Beſchreibung nicht; er wird es in ſich ſelbſt leſen koͤnnen.

Jezt war der Augenblik zur Abreiſe da. Mit Traͤnen in den Augen ermahnte Robinſon die Zuruͤkbleibenden noch einmahl zur Eintracht, zur Arbeitſamkeit und zur Froͤmmigkeit und empfahl ſie darauf mit bruͤderlichem Herzen dem Schuze des Gottes, der ihn ſelbſt ſo wunderbar geleitet hatte. Dan ſah er ſich noch einmahl um -her;355her; dankte noch einmahl Gott fuͤr ſeine wun - derbare Erhaltung und fuͤr ſeine nunmehrige Er - loͤſung; rief darauf mit halb erſtikter Stimme den Zuruͤkbleibenden das lezte Lebewohl! zu und ging von Freitag und Donnerſtag begleitet an Bord.

Einige. O weh! Nun iſt 's aus.

Johannes. Wartet doch! Wer weiß denn, ob nicht wieder etwas dazwiſchen komt!

Vater. Der Wind wehete ſo friſch und ſo guͤnſtig, daß es ihnen grade ſo vorkam, als wenn die Inſel davon floͤge. So lange ſie noch geſehen werden konte, ſtand Robinſon ſtum und traurig auf dem Verdekke, die Augen unver - ruͤkt auf das geliebte Land gerichtet, welches ein zwoͤlfjaͤhriger Aufenthalt und die mannigfaltigen darauf entſtandenen Muͤhſeeligkeiten ihm ſo werth, als ſein eigenes Vaterland, gemacht hat - ten. Endlich, da auch die lezte Bergſpize aus ſeinen Augen verſchwand, blikt 'er gen Himmel, ſagte ſich ſelbſt in Gedanken das Lied: Nun danket alle Gott! vor, und verfuͤgte ſich mit Donnerſtag und Freitag in die Kajuͤte desZ 2Ka -356Kapitains, um ſeinem beklommenen Herzen durch freundſchaftliche Geſpraͤche Luft zu machen.

Ihre Fahrt war ſehr gluͤklich. In 24 Tagen erreichten ſie Cadix, woſelbſt die mitgenomme - nen Spanier ausgeſezt wurden. Robinſon ſelbſt ging gleichfals an Land, um den Kaufman aufzuſuchen, deſſen Goldkoͤrner er gerettet hatte. Er fand ihn und hatte die Freude zu erfahren, daß dieſer rechtſchaffene Man durch ihn aus der groͤßten Verlegenheit geriſſen werde. Der Ver - luſt des Schiffes hatte nemlich die traurige Folge fuͤr ihn gehabt, daß er Bankerot machen muſte.

Frizchen. Was iſt das?

Vater. Wenn jemand mehr ſchuldig iſt, als er bezahlen kan: ſo wird ihm alles, was er noch etwa hat, genommen, um es unter diejeni - gen zu vertheilen, denen er ſchuldig blieb, und das nent man denn Bankerot machen.

Das Toͤnchen vol Goldkoͤrner war mehr, als hinreichend, des Kaufmans Schulden damit zu bezahlen. Den Ueberreſt wolte der dankbare Man ſeinem Wohlthaͤter ſchenken; aber dieſer war weit davon entfernt, es anzunehmen, weiler357er, wie er ſagte, durch das Bewuſtſein, das Ungluͤk eines ehrlichen Mannes abgewandt zu haben, uͤberfluͤßig belohnt war.

Von da gingen ſie wieder unter Segel, um nach England zu ſchiffen. Aber auf dieſer Fahrt ereignete ſich ein trauriger Unfal. Der alte Donnerſtag wurde ploͤzlich krank; alle ange - wandte Bemuͤhungen, ihm zu helfen, waren vergebens; er ſtarb. Was Freitag dabey litte; und wie unmaͤßig er den Tod eines ſo geliebten Vaters bejammerte, koͤnt ihr euch vorſtellen. Auch die beiden Lama's konten das Seefahren nicht ertragen, und ſtarben.

Unterdeß langte das Schif gluͤklich zu Ports - mouth, einem bekanten Hafen in England, an. Hier hofte Robinſon, die Offizierswitwe wieder vorzufinden, der er die Diamanten zuſtellen wolte. Er fand ſie; aber in dem aller klaͤglichſten Zuſtande. Da ſie ſeit zwei Jahren von ihrem verſtorbenen Manne ganz und gar keine Unter - ſtuͤzung mehr aus Oſtindien erhalten hatte, ſo war ſie nach und nach mit ihren Kindern in die allergroͤßte Armuth verſunken. Ihre LeiberZ 3wa -358waren kaum noch mit einigen alten Lumpen be - dekt, und Hunger und Elend hatte das Geſicht der Mutter und ihrer Kinder mit Todtenblaͤſſe uͤberzogen. Robinſon aͤrndtete hier abermahls die Wolluſt ein, deren jeder gute Menſch genieſ - ſet, wenn die goͤttliche Vorſehung ſich ſeiner, als eines Werkzeuges, bedient, um dem Elende an - derer Menſchen ein Ende zu machen. Er uͤber - gab die Diamanten und ſahe darauf die hinwel - kende ſchon halb verhungerte Familie, wie eine ſchon halb erſtorbene Pflanze nach einem erquik - kenden Sommerregen, in wenigen Tagen wieder aufbluͤhen, und einer Gluͤkſeeligkeit genießen, auf die ſie fuͤr dieſes Leben ſchon laͤngſt Verzicht gethan hatte.

Da hier grade ein Schif vor Anker lag, wel - ches nach Hamburg beſtimt war: ſo verließ er ſeinen bisherigen Fuͤhrer, um ihn nicht weiter zu bemuͤhen, und ging, von Freitag begleitet, an Bord dieſes Hamburgiſchen Schiffes; welches bald darauf die Anker lichtete.

Auch dieſe Fahrt ging geſchwind und gluͤklich von ſtatten. Schon hatten ſie Heiligeland imGe -359Geſicht; ſchon erſchien am fernen Horizonte Robinſons geliebtes Vaterland, bei deſſen An - blik ihm das Herz vor Freude zerſpringen wolte; ſchon erreichten ſie die Muͤndung der Elbe, als ploͤzlich ein vom heftigſten Sturme begleitetes Gewitter ausbrach, wodurch das Schif mit un - widerſtehlicher Gewalt gegen die Kuͤſte getrieben wurde. Alles, was Geſchiklichkeit und Fleiß vermoͤgen, wurde angewandt, um das Schif zu wenden und wieder die hohe See zu erreichen; aber umſonſt, ein gewaltiger Windſtoß vereitelte alle ihre Bemuͤhungen, riß das Schif dahin und warf es ſo unſanft auf eine Sandbank daß der Boden deſſelben zertruͤmmert wurde.

Das Waſſer ſtuͤrzte in demſelben Augen - blikke ſo unerſchoͤpflich hinein, daß an keine Ret - tung des Schifs zu denken war, und daß die Schifsgeſelſchaft nur noch eben ſo viel Zeit hatte, in die Boͤte zu ſpringen, um, wo moͤglich, nur ihr eigenes Leben davon zu tragen. So kam Robinſon mit ſeinen Gefaͤhrten, abermahls als ein armer Schifbruͤchiger, endlich zu Kux - haven an, ohne von ſeinem ganzen ReichthumZ 4ir -360irgend ſonſt etwas gerettet zu haben, als ſeinen treuen Pudel, der ihm nachgeſprungen war, und ſeinen Pol, der ihm eben auf der Schulter ſaß, da der Schifbruch ſich ereignete. Nach einiger Zeit erfuhr er, daß unter denen von dem Wrak des Schiffes geretteten Sachen, nur ſein Schirm und ſeine ſelbſtgemachte Pelzkleidung befindlich waͤren. Dieſe erhielt er, gegen Erlegung der Strandrechtskoſten, wieder: ſein ganzer großer Goldklumpen hingegen war verloren gegangen.

Johannes. O der arme Robinſon!

Vater. Er iſt nun grade wieder ſo reich, als er damahls war, da er von Hamburg ab - fuhr. Vielleicht, daß die Vorſehung ihn des - wegen alles wieder verlieren ließ, weil der An - blik ſeines Reichthums einen oder den andern leichtſinnigen jungen Menſchen vielleicht haͤtte be - wegen koͤnnen, ſeinem Beiſpiele zu folgen, und auch aufs Gerathewohl in die weite Welt zu gehen, um, ſo wie er, mit gefundenen Schaͤzen zuruͤk zu kehren. Er fuͤr ſein Theil beklagte dieſen Verluſt am wenigſten. Denn da er ſich feſt vorgenommen hatte, ſeine kuͤnftigen Tagein361in eben ſo ununterbrochener Arbeitſamkeit und Maͤßigkeit hinzubringen, als er auf ſeiner Inſel zu leben gewohnt geweſen war: ſo kont 'er des Goldes fuͤglich entbehren.

Jezt fuhr er in einem von Kuxhaven ab - gehenden Schiffe nach Hamburg. Da man bis gegen Stade uͤber heraufgeſegelt war, er - blikt 'er die Thuͤrme ſeiner Vaterſtadt und muſte vor Entzuͤkken weinen. Nur noch vier Stunden ſo war er da, ſo lag er ſchon in den Armen ſeines theuren geliebten Vaters. Den Tod ſeiner guten Mutter hatte er ſchon in Kuxhaven gehoͤrt, und ſeit einigen Tagen auf das ſchmerzlichſte beweint.

Jezt flog das Schif von hoher Fluth und gutem Winde getrieben bei Blankeneſe vorbei; jezt bei Neuenſtaͤdten; nun war er gegen Altona uͤber und jezt in dem Hafen bei Ham - burg. Mit lautklopfendem Herzen ſprang er aus dem Schiffe, und haͤtte er ſich nicht vor den Zuſchauern geſchaͤmt, er wuͤrde auf ſein Ange - ſicht gefallen ſein, den vaterlaͤndiſchen Boden zu kuͤſſen. Er eilte durch die ihn angaffende Menge der Zuſchauer und ging ins Baumhaus.

Z 5Von362

Von da ſchikt 'er einen Boten nach ſeines Vaters Hauſe, um denſelben nach und nach auf ſeine Erſcheinung vorbereiten zu laſſen. Erſt muſte der Abgeſchikte ihm melden: es waͤre jemand da, der ihm angenehme Nachrichten von ſeinem Sohne bringen wolte; dan, daß ſein Sohn die Ruͤkreiſe ſelbſt nach Hamburg angetreten haͤtte; und endlich, daß der Jemand, der ihm dieſe frohe Nachricht braͤchte, ſein Sohn ſelbſt waͤre. Haͤtte Robinſon dieſe Vorſicht nicht gebraucht: ſo wuͤrde die zu große Freude ſeinen alten Vater uͤberwaͤltiget und getoͤdtet haben.

Und nun flog Robinſon ſelbſt durch die ihm noch ſehr wohlbekanten Straßen nach ſeinem vaͤterlichen Hauſe; und fiel, da er es erreicht hatte, vor nahmenloſen Entzuͤkken auſſer ſich, ſeinem vor Freude zitternden Vater in die Arme. Mein Vater! mein Sohn! Dies war alles, was beide hervorbringen konten. Stum, zitternd und athemlos blieb einer an dem andern haͤngen, bis endlich ein wohlthaͤtiger Strom von Traͤnen ihrem gepreßten Herzen einige Linderung verſchafte.

Frei -363

Freitag gafte unterdeß im ſtummen Er - ſtaunen alle die unzaͤhlbaren Wunderdinge an, die ſeinen Augen ſich darboten. Er konte ſich nicht ſat ſehen, und war den ganzen erſten Tag wie betaͤubt.

Wie ein Lauffeuer lief indeß das Geruͤcht von Robinſons Zuruͤkkunft und von den ſelt - ſamen Schikſalen deſſelben durch die Stadt. Alle ſprachen von nichts, als von Robinſon; alle wolten ihn ſehen; alle wolten die Geſchichte ſeiner Abentheuer aus ſeinem eigenen Munde hoͤren! Seines Vaters Haus wurde daher bald einem oͤffentlichen Verſamlungsplaze gleich; und da half nichts, Robinſon muſte vom Morgen bis an den Abend erzaͤhlen. Bei dieſen Erzaͤh - lungen vergaß er dan nie, den Vaͤtern und Muͤt - tern zuzurufen: Eltern, wenn ihr eure Kinder liebt, ſo gewoͤhnt ſie ja fruͤhzeitig zu einem frommen, maͤßigen und arbeit ſamen Leben! und waren Kinder dabei: ſo gab er ihnen allemahl die goldne Regel mit: lieben Kinder ſeid gehorſam euren Eltern und Vorgeſezten; lernt fleißig alles, wasihr364ihr zu lernen nur immer Gelegenheit habt; fuͤrchtet Gott, und huͤtet euch o huͤtet euch vor Muͤßiggang, aus welchem nichts, als Boͤſes, komt!

Robinſons Vater war ein Makler. Er wuͤnſchte, daß ſein Sohn ſich in dieſen Geſchaͤf - ten uͤben moͤgte, um nach ſeinem Tode an ſeine Stelle treten zu koͤnnen. Aber Robinſon, der ſeit vielen Jahren an das Vergnuͤgen der Handarbeiten gewoͤhnt war, bat ſeinen Vater um die Erlaubniß, das Tiſchler-Handwerk zu lernen; und dieſer ließ ihm ſeinen freien Willen. Er begab ſich alſo nebſt Freitag bei einem Mei - ſter in die Lehre, und ehe noch ein Jahr ver - ging hatten ſie ihm alles dergeſtalt abgelernt, daß ſie ſelbſt Meiſter werden konten.

Beide legten darauf eine gemeinſchaftliche Werkſtat an; und blieben Lebenslang unzertren - liche Freunde und Gehuͤlfen. Fleiß und Maͤſ - ſigkeit waren ihnen ſo ſehr zur andern Natur ge - worden, daß es ihnen unmoͤglich war, auch nureinen365einen halben Tag muͤßig oder ſchwelgeriſch hinzu - bringen. Zur Erinnerung an ihr ehemaliges Einſiedler-Leben ſezten ſie einen Tag in jeder Wo - che feſt, an dem ſie ihre vormahlige Lebensart, ſo gut es gehen wolte, zu erneuern ſuchten. Eintracht, Nachſicht mit den Fehlern anderer Menſchen, Dienſtfertigkeit, und Menſchenliebe waren ihnen jezt ſo gewohnte Tugenden gewor - den, daß ſie gar nicht begriffen, wie man ohne dieſelben leben konte. Vornehmlich zeichneten ſie ſich durch eine reine, ungeheuchelte und thaͤ - tige Froͤmmigkeit aus. So oft ſie den Nahmen Gottes ausſprachen, ſtrahlte Freude und Liebe aus ihren Augen; und ein Schauder uͤberfiel ſie, wenn ſie dieſen heiligen Nahmen je zuweilen mit Leichtſin und Gedankenloſigkeit von andern aus - ſprechen hoͤrten. Auch kroͤnte der Seegen des Himmels alles, was ſie vornahmen, ſichtbar - lich. Sie erlebten in Friede, Geſundheit und nuͤzlicher Geſchaͤftigkeit ein hohes Alter, und die ſpaͤteſte Nachkommenſchaft wird das Andenken zweier Maͤnner ehren, die ihren Mitmenſchen ein Beiſpiel gaben, wie man es machen muͤſſeum366um hier zufrieden, und einſt ewig gluͤklich zu werden.

Hier ſchwieg der Vater. Die junge Geſel - ſchaft blieb noch eine Zeitlang nachdenkend ſizen, bis endlich bei allen der feurige Gedanke: ſo wil ich es auch machen! zur feſten Entſchlieſ - ſung reifte.

[figure]

About this transcription

TextRobinson der Jüngere
Author Joachim Heinrich Campe
Extent375 images; 54320 tokens; 8003 types; 364924 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRobinson der Jüngere zur angenehmen und nüzlichen Unterhaltung für Kinder. Zweyter Theil Joachim Heinrich Campe. . 366 S. BohnHamburg1780.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, B VIII, 24704-2 Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=029364736

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

Editorial statement

Editorial principles

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

Publication information

Publisher
  • dta@bbaw.de
  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:27:45Z
Identifiers
Availability

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.

Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, B VIII, 24704-2 R
Bibliographic Record Catalogue link
Terms of use Images served by Deutsches Textarchiv. Access to digitized documents is granted strictly for non-commercial, educational, research, and private purposes only. Please contact the holding library for reproduction requests and other copy-specific information.