PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ueber die buͤrgerliche Verbeſſerung der Juden
Zweyter Theil.
Mit Koͤnigl. Preußiſcher Freyheit.
Berlin und Stettin,bey Friedrich Nicolai.1783.
Mit dem beſten Grunde und ohne in die dem Plato vorgeworfene Suͤnde zu verfallen, koͤnnen in einer politiſchen Abhandlung ſelbſt die unvermeidlichſten Hinderniſſe unberuͤhrt gelaſſen werden, um nur deſto genauer zu be - ſtimmen, was ſeyn ſolte. Das iſt ſchon ein Großes, das vollkommenſte Principium zu wiſſen; Vorurtheil und Mißbrauch ſtehen dann in ihrer Bloͤße da, und man naͤhert ſich, ſo viel man kann, dem Wahren, wenigſtens entfernt man ſich nicht mehr davon mit gu - tem Willen.
Sind Worte des franzoͤſiſchen Staatsminiſters d’Ar - genſon; ſ. deutſches Muſeum 1783, S. 102.
[1]

Inhalt.

  • Einleitung. uͤber Abſicht und Plan dieſer FortſetzungS. 3
    • 1. Hrn. Michaelis Beurtheilung des erſten TheilsS. 31
    • 2. Anmerkungen uͤber dieſelbe von Hrn. Moſes MendelsſohnS. 72
    • 3. Hrn. Michaelis Beurtheilung von Manaſſeh Ben IſraelS. 77
    • 4. Hrn. Schwagers GedankenS. 89
    • Auszuͤge aus BriefenS. 112
  • Hauptſchrift. Pruͤfung der Gruͤnde, welche der Gleichmachung der Juden mit andern Buͤrgern des Staats uͤber - haupt entgegengeſetzt ſind.
    • I. Das den Juden verliehene Buͤrgerrecht, die ihnen ertheilte Faͤhigkeit Land zu beſitzen und ſich zu naͤh - ren, wie ſie koͤnnen, iſt kein Unrecht fuͤr die Nach - kommen der aͤltern Buͤrger, iſt wahrer Vortheil fuͤr dieſe. S. 154
    • II. Die in dem itzigen juͤdiſchen Religionsbegriff noch wirklich befindliche Vorurtheile, die trennende Unterſcheidung von andern Menſchen, die Erwar - tung eines Meßias und ſeines irrdiſchen Reichs, das Temperament der Juden ſind keine unuͤber - windliche Hinderniſſe der buͤrgerlichen und ſittli - chen Umbildung derſelben. Alle religioͤſe Lehrbe - griffe veraͤndern ſich almaͤhlig nach den Beduͤrf - niſſen des Staats, ſobald ihre Bekenner zahlrei - cher und nur nicht gedruͤckt werden. Beyſpiel des chriſtlichen. S. 171
    • III. Fortgeſetzte Beantwortung des Einwurfs, daß die Juden nicht zu Kriegsdienſten faͤhig ſeyn wuͤr - den. Wichtigkeit aber verſchiedene Staͤrke deſſel - ben in verſchiedenen Laͤndern. S. 222
    • [2]
    • Unterſuchung der wichtigſten Hinderniſſe, welche die Ausfuͤhrung des Plans zwar nicht unmoͤglich machen, aber doch ſie ſehr erſchweren und be - ſchraͤnken koͤnnten.
    • I. Schwierigkeit wegen des Ackerbaues. Sie iſt nicht ſo groß als man ſie vorſtellt. An Land fehlt es nirgend, aber allenthalben mehr oder weniger an Haͤnden um es noch vollkommner, als bis itzt, zu benutzen. Die Concurrenz juͤdiſcher Land - bauer kann den chriſtlichen nie ſchaͤdlich, muß ih - nen vielmehr vortheilhaft ſeynS. 246
    • II. Schwierigkeit wegen der Handwerke. Urtheil uͤber die Zuͤnfte. Ungereimtheit der Ausſchlieſ - ſung wegen ſogenannter unehrlicher Geburt. Mit - tel die Juden zu Handwerkern, entweder mit oder ohne Aufnahme in die Innungen, zu ma - chen. S. 266
    • III. Beweis, daß die Juden einen den Chriſten ab - gelegten Eyd nicht fuͤr unverbindlich halten. Widerlegung der Eiſenmengerſchen Gruͤnde fuͤr dieſe Anklage. S. 300
  • Nacherinnerungen.
    • Verſchiedene litterariſche zu der EinleitungS. 349
    • Ueber die Deiſten in BoͤhmenS. 363
Einlei -[3]

Einleitung.

Ich bin ſo gluͤcklich geweſen, die Abſicht, welche ich bey dieſer Schrift mir vor - geſetzt, ſo vollkommen zu erreichen, wie es vielleicht nicht oft der Fall eines Schriftſtellers ſeyn mag. Dieſe Abſicht war keine andere als das Publikum auf einen ſei - ner Aufmerkſamkeit ſehr wuͤrdigen, aber der - ſelben bisher entgangenen Gegenſtand zu lei - ten und uͤber denſelben, wo nicht durch eige - ne, doch durch veranlaßte Unterſuchungen Anderer das Licht zu verbreiten, welches ich fuͤr das Gluͤck einer ſeit ſo vielen Jahrhunder -A 2ten4ten ſittlich und politiſch herabgewuͤrdigten Nation und fuͤr das Intereſſe der Menſch - heit uͤberhaupt ſo wie aller einzelner Staa - ten, nuͤtzlich hielt. Der gluͤckliche Zu - fall, daß ein erhabener Monarch gerade in eben dem Augenblick einen Verſuch machte, den Juden einen Theil der Rechte des Men - ſchen und Buͤrgers wiederzugeben, da ich zu beweiſen ſuchte, wie dieſes eben ſo menſchlich als politiſch nuͤtzlich ſey, dieſer mir ſehr angenehme Zufall mußte natuͤrlich meiner klei - nen Schrift noch mehr Intereſſe geben, als meine Ausfuͤhrung ihr mitzutheilen faͤhig ge - weſen waͤre. Und ſo wurde mein Zweck uͤber meine Erwartung erfuͤllt. Ich habe den er - munterndſten Beyfall im hoͤherm Grade, als ich nach meiner Empfindung ihn verdiente, erhalten. Viele der erleuchtetſten und beß - ten meiner Zeitgenoſſen, unter ihnen auch einige der erhabenſten und allgemein geliebte -ſten5ſten unſerer Fuͤrſten haben mir ihre Beyſtimmung zu meinen Grundſaͤtzen be - zeugt. Ich habe neue Unterſuchungen ſcharf - ſinniger Maͤnner veranlaßt, wie ich es wuͤnſch - te; ich habe Widerſpruch erfahren, wie ich ihn voraus ſah. Zum Theil iſt mir derſelbe hoͤchſt willkommen und belehrend, zum Theil wenigſtens nicht befremdend geweſen, da ich von dem tiefgewurzelten Vorurtheil ihn gera - de ſo erwartete.

Die Gewohnheit macht oft, daß gewiſſe Dinge auf den geſunden Verſtand und das Menſchengefuͤhl auch mancher denkender und redlicher Maͤnner nicht ſolche Eindruͤcke ma - chen, als ſie ihrer Natur nach ſollten, bloß weil dieſe Dinge ſchon lange, wie ſie itzt ſind, waren. Mancher ehrliche und ver - ſtaͤndige weſtindiſche Plantagenbeſitzer kann ſich vielleicht gar keinen Begriff von einerA 3Geſell -6Geſellſchaft machen, in der nicht einige Men - ſchen, aller ihrer Menſchheit ohnbeſchadet, von den Uebrigen wie das Vieh erbeigen - thuͤmlich beſeſſen und behandelt werden. Und ſo ſind auch unter uns viele aufgeklaͤrte, recht - ſchaffene Maͤnner der feſten Meynung, daß das Wohl unſerer buͤrgerlichen Verfaſſungen ſchlechterdings erfordere, die Juden nach Grundſaͤtzen zu behandeln, die ſie gegen alle uͤbrige Menſchen eben ſo unbillig als unpoli - tiſch finden, die ihnen aber bey den Juden ganz in einem andern Lichte erſchei - nen, bloß weil ſie gegen dieſe ſchon ſeit Jahr - hunderten ausgeuͤbt worden. Solche Ge - wohnheitsideen muͤſſen indeß ſicher allmaͤhlich verſchwinden, wenn man ſich nur uͤberwin - den kann, eine genaue und ſtrenge Pruͤfung derſelben anzuſtellen, ihre Gruͤnde aufzuſu - ſuchen, und beſonders bis zu der erſten Ent - ſtehung derſelben heraufzugehn. Das beſteMit -7Mittel den Beſitzſtand eines Vorurtheils kraͤf - tig zu unterbrechen, iſt, den Mitteln nach - ſpuͤren wie er erworben worden. Die Grund - ſaͤtze der geſunden Vernunft und des natuͤrli - chen Billigkeitsgefuͤhls treten alsdann wieder in ihre Rechte ein, und es giebt Wahrheiten, die nur geſagt und verſtanden werden duͤrfen, um eine allgemeine Beyſtimmung zu erhal - ten. Manche derſelben koͤnnen ſogar denen, die von ihnen uͤberzeugt ſind, ſo einleuchtend und klar ſcheinen, daß ſie es uͤberfluͤßig und unnuͤtz halten, daruͤber ſich oͤffentlich zu er - klaͤren; aber dieſes hat denn gerade die Fol - ge, daß alle die mannichfachen Vorurtheile, Beſtimmungen und Reſervationen ſich un - geſtoͤrt bey dem groͤßern Theil erhalten und wenigſtens die wirkende Kraft der im Allge - meinen anerkannten Wahrheit aufhalten. So mochten vielleicht manche Gelehrte zu Thomaſius Zeit es fuͤr eine ſehr uͤberfluͤßigeA 4Sache8Sache halten, ernſthaft zu beweiſen, daß es keine Hexen gebe; aber haͤtte jener ewig ruhmwuͤrdige Mann dieſen Beweiß nicht ge - fuͤhrt, ſo waͤre vielleicht noch itzt manche un - ſchuldige Matrone nicht vor dem Scheiter - haufen ſicher und manches Vorurtheil waͤre vielleicht noch unerſchuͤttert, das erſt nach dem Umſturz eines ſolchen Hauptpfeilers des Aberglaubens fallen konnte. Das Ver - dienſt Unterſuchungen der Art zu veranlaſſen, iſt alſo von Seiten der dazu gehoͤrigen Talen - te meiſtens klein, aber es kann fuͤr die menſchliche Geſellſchaft oft nuͤtzlicher und wohlthaͤtiger werden, als die ſcharfſinnigſten und muͤhſamſtin Arbeiten der Gelehrten.

Daß die Juden Menſchen, wie alle uͤbri - gen, ſind; daß ſie alſo auch, wie dieſe, be - handelt werden muͤſſen; daß nur eine durch Barbarey und Religionsvorurtheile veranlaß -te9te Druͤckung ſie herabgewuͤrdiget und ver - derbt habe; daß allein ein entgegengeſetztes, der geſunden Vernunft und Menſchlichkeit gemaͤßes Verfahren ſie zu beſſern Menſchen und Buͤrgern machen koͤnne; daß das Wohl der buͤrgerlichen Geſellſchaften erfodere, kei - nen ihrer Glieder den Fleiß zu wehren und die Wege des Erwerbs zu verſchließen; daß endlich verſchiedene Grundſaͤtze uͤber die Gluͤck - ſeligkeit des kuͤnftigen Lebens nicht in die - ſem, buͤrgerliche Vorzuͤge und Laſten zu Fol - gen haben muͤſſen: dieß ſind ſo natuͤrliche und einfache Wahrheiten, daß ſie richtig verſte - hen und ihnen beyſtimmen, beynahe eins iſt. Indeß ſo geneigt man auch ſeyn mag, dieſe Grundſaͤtze im Allgemeinen zuzugeben, ſo iſt man doch einmal an die ihnen entgegengeſetz - ten Meynungen ſchon ſo lange gewoͤhnt, und die denſelben widerſprechende Einrichtun - gen ſcheinen ſo innigſt in unſre ganze Ver -A 5faſ -10faſſung verflochten, daß man ſich nicht leicht uͤberwinden kann, ſie ſo ganz fehlerhaft zu glauben; wenigſtens duͤnkt es uns, daß Dinge, die ſchon ſo lange auf eine gewiſſe Art geweſen ſind, nicht ohne die nachtheilig - ſten Folgen wuͤrden anders ſeyn koͤnnen. Man nimmt alſo lieber in dieſen beſondern Faͤllen Ausnahmen von den Grundſaͤtzen an, deren Richtigkeit im Allgemeinen man nicht verkennen kann.

Und allerdings hat es wohl fuͤr Jeden, der die Welt nicht bloß aus Buͤchern, ſon - dern ſo wie ſie wirklich iſt und ſeyn muß, kennt, ſeine nicht zu bezweifelnde Richtigkeit, daß alle oft auch noch ſo nuͤtzliche und nothwen - dige Abaͤnderungen in manchem einzelnen Lan - de und unter gewiſſen beſtimmten Umſtaͤnden Schwierigkeiten finden, die mehr oder min - der und oft gar nicht uͤberwunden werdenkoͤn -11koͤnnen. Die mannigfachen Verbindungen, worinn die verſchiedenen Staatseinrichtun - gen mit einander ſtehn, die gegenſeitigen Ein - wirkungen derſelben, machen dieß nothwen - dig. Wenige politiſche Reformen koͤnnen daher gerade ſo in beſtimmten Laͤndern aus - gefuͤhrt werden, wie ſie ein auch noch ſo gut entworfener Plan im Allgemeinen ohne auf Local-Hinderniſſe Ruͤckſicht zu nehmen, an - gegeben, und die genaueſte Copie einer ſehr vollkommnen politiſchen Verfaſſung in einem Staat kann in einem andern ſehr fehlerhaft ſeyn und gerade die entgegengeſetzten Folgen hervorbringen. Wenn der Arzt Panaceen die unter allen Umſtaͤnden gleiche Wirkun - gen hervorbringen, verwirft, ſo hat der Po - litiker gewiß gleichen Grund ſich gegen ſie zu erklaͤren. Seine ganze Wiſſenſchaft beſteht in der genaueſten Kenntniß der Umſtaͤnde, unter denen er handeln ſoll, und der Erfor -ſchung12ſchung der Mittel, die nach ihnen die beſten ſind. Einen großen Regenten oder ſeine weiſen Rathgeber nachahmen, heißt nicht ge - rade thun, was ſie thaten, ſondern den Ver - ſtand beweiſen, den ſie in unſrer Lage be - wieſen haben wuͤrden.

Aber Niemand wird hieraus die Folge ziehen, daß es nicht nuͤtzlich ſey, gute Ein - richtungen in fremden Staaten zu kennen und zu ſtudiren, oder allgemeine Plane zu poli - tiſchen Verbeſſerungen zu entwerfen. Nur muß man hier das Geſchaͤft eines Jeden un - terſcheiden. Der Ausfuͤhrer in einem beſon - dern Lande muß die Modificationen zu finden wiſſen, die ſein beſtimmtes Local nothwendig macht; aber der Entwerfer, der Schriftſtel - ler, der nicht einen beſondern Staat im Au - ge hat, kann dieſe Modificationen nicht in ſeinen Plan bringen. Er darf es nicht weilſein13ſein und des Leſers Blick durch dieſe mannich - fache einzelnen Theile zu ſehr aufgehalten und verwirrt wird. Jeder, weſſen Geſchaͤft iſt, eine Sache im Großen zu uͤberſehn und zu bearbeiten, muß fuͤr den doppelten Fehler ſich huͤten, das Detail nicht genug zu kennen, und daher unrichtige Abſtractionen zu ma - chen, oder ſich zu lange bey ihm zu verwei - len, und dem Theile die Aufmerkſamkeit zu widmen, die nur dem Ganzen gehoͤrte. Wer einen allgemeinen Plan entwirft, darf nur die Schwierigkeiten, die in dieſen Ein - fluß haben koͤnnen, berechnen, kleinere nur von beſondern Umſtaͤnden abhaͤngige, muß er uͤberſehn, wenn ſie auch ſeinem Nachdenken entgegen kommen. Ihre Betrachtung zer - ſtreuet ihn; ſie heben ſich von ſelbſt, wenn das Ganze des Plans ausfuͤhrbar iſt. Dem Schriftſteller, der einen politiſchen Plan ent - wirft, muß es alſo genug ſeyn, die Vorthei -le,14le, welche derſelbe in allen Staaten hervor - bringen muͤßte, und die allgemeine Moͤglich - keit ſeiner Ausfuͤhrung zu zeichnen, und nur Mittel anzugeben, wie die allgemeinſten und wichtigſten Schwierigkeiten zu uͤberwinden ſeyn duͤrften. Ich ſchmeichle mir dieſe Pflich - ten in meiner Schrift erfuͤllt zu haben, in der, nur in den Schranken des allgemeinen poli - tiſchen Unterfuchers mich zu halten, mein Zweck war. Ich wollte nach denſelben nur uͤber die beſſere Bildung der Juden fuͤr die buͤrgerliche Geſellſchaft uͤberhaupt mei - ne Gedanken eroͤfnen, ohne auf dieſen oder jenen Staat beſondere Ruͤckſicht zu nehmen. Alle beſondere Local-Hinderniſſe lagen auſſer - halb meines Plans. Aber ein weſentlicher Nutzen, den ich mir von meiner Schrift ver - ſprach, war dieſer, daß andere denkende Maͤnner veranlaßt wuͤrden, dieſe beſondere Hinderniſſe und Schwierigkeiten einzelnerLaͤn -15Laͤnder oder auch allgemeinere, als ich geglaubt hatte, genau darzuſtellen und die Mittel, ihnen zu begegnen, entweder ſelbſt anzuzei - gen oder hiezu wieder Andern Gelegenheit zu geben.

Je genauer, ſtrenger, vielſeitiger eine politiſche Materie in allen ihren Theilen, mit allen Beziehungen, deren ſie faͤhig iſt, auf[-]gehellt, je mehr ſie bis in ihre einfachſte Ele - mente aufgeloͤßt wird; deſto beſſer fuͤr die Wahrheit und das Wohl der Menſchheit, und nur dieſe waren mein Ziel, unbekuͤm - mert ob ich ſelbſt oder Andre, deren Lauf ich veranlaßte, ihm naͤher geruͤckt ſeyn moͤchten.

Mehrere wuͤrdige Maͤnner haben gerade auf dieſe Art, wie ich es wuͤnſchte, meine Unterſuchungen weiter fortgefuͤhrt, ſie ge - nauer beſtimmt, berichtigt und auch mir zumneuen16neuen Nachdenken Stoff gegeben. Wenn das Reſultat deſſelben, welches ich hier mittheile, ei - nigermaſſen erheblich gefunden werden ſollte; ſo iſt dieß das Werk der einſichtsvollen und er - leuchteten Maͤnner, welche theils auf meine Bitte und aus perſoͤnlicher Freundſchaft, theils aus reiner Wahrheitsliebe und ohne daß ich Ihnen bekannt zu ſeyn, vorher das Gluͤck hatte, mir Ihre Gedanken uͤber meine Schrift mitzutheilen die Guͤte gehabt haben. Es iſt dieſes zum Theil in Privatbriefen geſchehen; aus verſchiedenen derſelben finde ich es rathſam diejenigen Stellen, welche Anmerkungen uͤber mein Buch enthalten, hier mitzutheilen, da die eignen Worte ſo verſchiedener, denkender Maͤnner ihre Ge - ſichtspunkte und Ideen deutlicher und ge - treuer darſtellen werden. Ich will dabey noch bemerken, daß die meiſten Verfaſſer die - ſer Briefe Maͤnner von Geſchaͤften ſind. Un -ſere17ſere zahlloſen Journale und gelehrten Blaͤtter haben meiſtens nicht Raum zu ausfuͤhrlichen Beurtheilungen neuer Buͤcher. Die mei - ſten haben das meinige nur zu guͤtig angezeigt, viele, auch einzelne Bemerkungen gemacht, die ich mit Dank erkenne und von denen keine, die mir zu Geſicht gekommen, bey mir unge - nutzt geblieben iſt. Aber zwey meiner Be - urtheiler ſind vorzuͤglich recht tief in das Ganze meiner Ideen eingegangen; ſie haben mit mir fortgedacht, die Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung meines Plans erforſcht, die Schwierigkeiten, die ihm entgegen ſtehn, abgewogen, mich und das Publikum belehrt und vorzuͤglich Stoff zum weitern Nachdenken geliefert. Der eine dieſer Maͤnner iſt der Herr Ritter Mi - chaelis welcher in dem 19ten Theile ſeiner Orientaliſchen Bibliothek eine ausfuͤhr - liche Beurtheilung meiner Schrift gegeben hat; der andere, der Verfaſſer der RecenſionBin18in der allgem. deut. Bibl. Lter B. I. St. S. 301. Letztern bezeichnen ſeine Bemerkungen als einen Mann von vieler practiſchen Ge - ſchaͤftskenntniß, die er mit einem hohen Gra - de von Scharfſinn und Menſchlichkeit verbin - det. Seine Beurtheilung iſt gerade eine ſol - che, wie ich ſie mir wuͤnſchte. Die Art, wie er Schwierigkeiten ſcharfſinnig bemerkt, be - weiſet ſein Verlangen ſie gehoben zu ſehen, und ſein Widerſpruch hat mir die groͤßte Ach - tung fuͤr ihn eingefloͤßt. Ich werde auf den - ſelben vorzuͤglich Ruͤckſicht nehmen, und ich erſuche alle meine Leſer, dieſe Beurtheilung mit Aufmerkſamkeit zu leſen, ehe ſie mit mir weiter fortgehen.

Die Beurtheilung des Hrn. Ritter Mi - chaelis ruͤcke ich hier ganz ein, da ſie in ei - nem nur fuͤr orientaliſche Gelehrte beſtimmten Journal wahrſcheinlich den wenigſten Leſernmei -19meiner Schrift ſo bekannt werden duͤrfte, als ſie verdient. Ich bin dieſem beruͤhmten Ge - lehrten fuͤr die Aufmerkſamkeit, der er meine Schrift wuͤrdigen wollen, und fuͤr die vielen ſcharfſinnigen Bemerkungen den verbindlich - ſten Dank ſchuldig, und meine Hochachtung fuͤr ſeine gelehrten Verdienſte iſt dadurch noch vermehrt worden. Ich fuͤge dieſen Beurthei - lungen noch eine dritte bey, welche der ſchon durch mehrere Schriften bekannte Hr. Predi - ger Schwager in den Mindenſchen In - telligenzblaͤttern geliefert hat, und die mir beſonders wegen der guten practiſchen Bemer - kungen einer weitern Bekanntmachung ſehr werth ſchien.

Auſſerdem hat meine Schrift auch noch zwey andere ſehr wichtige und ſchaͤtzbare ver - anlaßt, den Anhang welchen Hr. Moſes Mendelsſohn in ſeiner vortreflichen, wei -B 2ſen20ſen Vorrede zu Manaſſeh Rettung der Juden geliefert und die Anmerkungen von J. C. U. (Hr. Prof. und D. Unzer) welche zu Altona herausgekommen ſind. Ich em - pfehle beyde Allen, denen ſie bisher unbekannt geblieben ſeyn moͤchten, und denen dieſe Ma - terie der genauern Unterſuchung werth ſcheint.

Alle die wuͤrdigen Maͤnner, die ich bis - her genannt, ſtimmen mit mir in dem Grund - ſatze uͤberein, daß die Juden, Menſchen, wie wir uͤbrigen, auch ſind; ſie glauben mit mir, daß ihre Verderbtheit und Herabwuͤrdi - gung wenigſtens vorzuͤglich von den aͤuſſern Umſtaͤnden, in denen ſie ſich bisher befunden, herruͤhren, und daß es hoͤchſt wichtig ſey, ſie zu beſſern und gluͤcklichern Menſchen, zu brauchbarern Gliedern der Geſellſchaft zu ma - chen. Nur uͤber die Moͤglichkeit dieſe ungluͤck - liche Nation ſo umzubilden und uͤber die Mit -tel21tel der Ausfuͤhrung denken ſie mehr oder weni - ger von mir verſchieden. Mit dieſen Maͤn - nern kann ich alſo die Unterſuchung weiter fort - fuͤhren, mich naͤher erklaͤren, das vorher Ge - ſagte genauer entwickeln, beſtimmen, das Un - richtige verbeſſern kurz entweder ihre Ideen zu den meinen, oder meine zu den Ihren ma - chen, auch vielleicht die Wahrheit in der Mitte von beyden finden.

Sonderbar genug habe ich aber auch Geg - ner gefunden, welche jenen Grundſatz von der allgemein gleichen Beſchaffenheit der menſchlichen Natur nicht anerkennen, welche die Juden gewiß ein fuͤrchterlicher Gedan - ke fuͤr unverbeſſerlich, fuͤr Geſchoͤpfe halten, die durch ihre unabaͤnderliche Natur dazu beſtimmt ſind, immer und ewig dem uͤbrigen menſchlichen Geſchlecht Schaden und ſich ſelbſt ſittliches und politiſches Elend zuB 3berei -22bereiten, die nur gerechter Zwang und Druck anhalten kann, das mindeſte Boͤſe zu thun. Mit dieſen Gegnern kann ich nicht ſtreiten; unſere Principia ſind einander ſo gerade ent - gegen, daß unſere Reſultate ſich nie naͤhern koͤnnen. Wenn dieſe Maͤnner Recht haben, ſo muß man die Juden von der Erde vertil - gen, damit ſie nicht laͤnger, ein redender Ein - wurf, der weiſen Guͤte Deſſen widerſpre - chen, der ſie gemacht und bisher geduldet hat. Eine Verſperrung dieſer ungluͤcklichen Ab - art des Menſchengeſchlechts (einer unbegreifli - chern als aller, die der Naturkuͤndiger bisher aufgezaͤhlt hat) auf eine wuͤſte Inſel iſt viel - leicht ſchon eine Verletzung der Selbſterhal - tung, welche der groͤßere Theil des menſchli - chen Geſchlechts ſich ſchuldig iſt.

Leider! muß ich unter dieſen Gegnern auch einen ſonſt achtungswuͤrdigen Gelehrten be -mer -23merken, den Beurtheiler meiner Schrift in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen (Zug. 1781. St. 48.) Er beantwortet meine Frage: Ob es nach den allgemeinen Geſetzen der menſchlichen Natur moͤglich ſey, daß der Jude, wenn ihm gleiche La - ſten und Rechte mit ſeinen Mitbuͤrgern be - willigt wuͤrden, dieſe noch immer ſo wie itzt, unter ſo ganz verſchiedenen Umſtaͤnden, haſ - ſen werde? bejahend, weil der Jude, Jude ſey. Alles alſo, was Erziehung, Aufklaͤrung, aͤuſſere Lage ſonſt vermoͤgen, iſt bey ihm umſonſt. Ich geſtehe, daß ich mir von einer durchaus unverbeſſerlichen Menſchen-Raçe (denn von Individuis iſt natuͤrlich die Rede nicht, und ich habe ſelbſt die Folgen der mildern Behandlung der Ju - den erſt auf die kuͤnftigen Generationen be - ſtimmt) keinen Begriff machen kann; ſie ſcheint mir ein Widerſpruch wider alle Pſy -B 4cholo -24chologie, wider alle Geſchichte und Erfah - rung. Eben dieſer Gelehrte fuͤhrt die Sehnſucht der alten Iſraeliten nach den Fleiſchtoͤpfen Egyptens als einen Grund an, um ihre heutigen Nachkommen der Rechte des Menſchen und Buͤrgers un - wuͤrdig und ihrer Pflichten unfaͤhig zu hal - ten. Einem ſolchen Argument kann ich freylich nichts entgegenſetzen, nur wuͤnſche ich uns uͤbrigen Europaͤern Gluͤck, daß unſere Geſchichte nicht ſo weit hinaufgeht, und man wenigſtens nicht ſo alte Thorheiten unſerer Vorfahren uns zum Verbrechen rechnen kann. Aber wie groß muß noch die Macht des Vor - urtheils ſeyn, da es in einem ſo hellen Kopfe noch ſolche faſt unglaubliche Spuren zuruͤck - gelaſſen hat.

Eine ausfuͤhrliche dieſer Materie gewid - mete Schrift:Unter -25

  • Unterſuchung ob die buͤrgerliche Freyheit den Juden zu geſtatten ſey von F. S. Hartmann. Berlin 1783. 8.

hat meine Erwartung getaͤuſcht. Da ſie nach der meinigen erſchien und auch derſelben vorzuͤglich entgegen geſetzt iſt, ſo haͤtte ich gewuͤnſcht, daß der Hr. Verfaſſer Gruͤnde und Gegengruͤnde unpartheyiſch und ſtrenge gepruͤft, das Fehlerhafte meiner Vor - ſchlaͤge entwickelt und beſſere an ihre Stelle geſetzt haͤtte. Er hat dieß nicht gethan, und nach meiner Einſicht, die Unterſuchung nicht weiter gebracht, da die erheblichen Einwuͤrfe ſchon von andern mit weit mehr Staͤrke und Beſtimmtheit dargeſtellt ſind. Seine Ideen duͤnken mich noch nicht entwickelt und hell ge - nug zu ſeyn, und ich verzeihe es ihm daher gern, daß er mich unaufhoͤrlich mißverſteht, den Geiſt meiner Schrift ganz verfehlt und mir Be -B 5haup -26hauptungen Schuld giebt, an die ich nicht gedacht habe und nach dem ganzen Zuſam - menhang meiner Grundſaͤtze und nach dem geſunden Menſchenverſtande unmoͤglich den - ken konnte*)So z. B. iſt Hr. H. S. 133 um nur das ge - lindeſte Wort zu gebrauchen uͤbereilt ge - nug, mich zu beſchuldigen, ich haͤtte die ab - ſcheuliche Gewohnheit der Juden, ihre Todten am Sterbetage zu begraben und damit viele Lebendige dem grauſamſten Tode zu uͤber - liefern vertheidigt, weil es eine alte Sitte und Statut ſey. Natuͤrlich gehoͤrte, wer dieß be - hauptete, ins Irrhaus. Wer wollte alſo gegen eine ſolche Beſchuldigung ſich rechtfertigen? Von der erſten bis zur letzten Seite meiner Schrift ſteht kein Wort von dieſer abgeſchmackten juͤdi - ſchen Gewohnheit, weil mein Plan nicht war, alle gute und boͤſe Gebraͤuche der Juden zu un - terſuchen.. Ich verlaſſe mich hierinn ge - troſt darauf, daß mein kleines Buch da iſt, und daß billige Leſer mich nur nach dem, wasich27ich wirklich geſagt habe, nicht nach dem, was ein Dritter ſagt, daß ich geſagt haͤtte, beurthei - len werden. Beleidigender iſt es mir aufge - fallen, daß Hr. H. in ſeiner ganzen Schrift Abneigung und Haß gegen die ungluͤckliche Nation zeigt, wovon doch ein unpartheyiſcher Wahrheitsforſcher ſich vorzuͤglich rein halten ſollte; daß er von ihren Vertheidigern (wie er ſie nennt) die ihm doch nichts gethan ha - ben, als daß ſie nicht der Meynung des Hrn. H. ſind*)Wenigſtens habe ich vor Erſcheinung dieſer Schrift Herrn H. auch nicht dem Nahmen nach gekannt, alſo ihn durch nichts beleidigen koͤn - nen, als daß ich meine Meynung geſagt, die nicht die ſeine war., immer in einem beleidigenden Tone ſpricht, und daß er uͤberall nicht mit dem Ernſt und Wuͤrde redet, die eine Ma - terie fodert, welche fuͤr die Menſchheit ſo wichtig iſt. Zu dem Letztern rechne ich auchdas28das Spoͤtteln uͤber gewiſſe Geſchichten der al - ten juͤdiſchen Nation, die mit einer Unterſu - chung uͤber die buͤrgerliche Beſſerung der itzi - gen Juden gerade ſo viel Verbindung haben, als die Begebenheiten unter Koͤnig Numa mit Polizeyanſtalten fuͤr die heutigen Roͤmer.

Eine in Prag mit ausdruͤcklich auf dem Titul bemerkter Bewilligung der K. K. Cen - ſur gedruckte Schrift:

  • Ueber die Unnuͤtz - und Schaͤdlichkeit der Juden im Koͤnigreiche Boͤ - heim und Maͤhren.

verdient kaum eine Erwaͤhnung. Sie iſt nichts als ein Gewebe poͤbelhafter Schimpf - reden in dem niedrigſten Tone ausgeſchuͤttet. Chronikenmaͤßig zaͤhlt der V. Brunnenver - giftungen, Aufruhr und Verjagung*)Der Verjagung der Juden aus Boͤhmen im Jahr 1744, die ich in meiner Schrift S. 96 be -merkt, derJuden29Juden her, giebt ihnen alles Ungluͤck ſeines Vaterlandes Schuld und haͤuft die haͤrteſten Vorwuͤrfe gegen die ungluͤcklichen Hebraͤer ohne um die Urſachen derſelben, wenn ſie auch in Manchem gegruͤndet ſeyn moͤgen, ſich zu bekuͤmmern. Ich finde es indeß gar nicht unrecht, daß es erlaubt worden, dieſe Schrift zu drucken, nur wundert es mich ein wenig, daß eine Cenſur, die noch ſo viele der vor - treflichſten deutſchen Schriften von den oͤſter - reichiſchen Graͤnzen abhaͤlt, die, aller ſo ſehr geprieſenen Preßfreyheit ohngeachtet, nur all - maͤhlig auf beſonderes Anſuchen, einzelnen klaſſiſchen Werken den Eintritt und die Allge -meine*)merkt, erwaͤhnt der Verfaſſer auch, und giebt Verraͤtherey als ihre Urſache an, aber ohne den mindeſten Beweis derſelben zu fuͤhren, ſo wenig als er einen Grund anfuͤhrt, warum er die Regierung tadelt, welche im folgenden Jah - re die Unſchuld der Juden erkannte und ſie zuruͤckrief.30meine deutſche Bibliothek nur continuan - tibus erlaubt, daß eben dieſe Cenſur bey ei - ner ſo elenden, auf die Unterhaltung menſchen - feindlicher Geſinnungen abzweckenden Schrift ihre Bewilligung ausdruͤcklich zu erklaͤren gut gefunden hat.

Ich liefere nun zuerſt die Anmerkungen wuͤrdiger Maͤnner uͤber meine Schrift und denn diejenigen, zu denen dieſe und andere vorher angefuͤhrte Beurtheilungen mich ver - anlaſſet haben.

1. Hr. [31]

1. Hr. Ritter Michaelis Beurtheilung. Ueber die buͤrgerliche Verbeſſerung der Ju - den von Chriſtian Wilhelm Dohm.

Ein wichtiges und ſehr wohlgeſchriebenes Buch (dis ſagt einer, der in vielen Stuͤcken verſchie - den denket) daß die Abſicht hat, den Juden voͤllig gleiche Buͤrgerrechte mit uns in unſern Staaten zu verſchaffen. Herr Kriegesrath Dohm glaubt, die Moral des juͤdiſchen Volks koͤnnte, wenigſtens in drey bis vier Menſchenaltern, wenn ſie nicht ſo un - terdruͤckt, und dabey blos auf die Handlung einge - ſchraͤnkt wuͤrden, ſondern ihnen alle Gewerbe offen ſtaͤnden; gebeſſert und das Volk allgemeinnuͤtzlicher werden. Dieſe moraliſche Beſſerung eines ganzen Volks, das unter uns wohnt, wuͤrde Guͤte und Menſchenliebe ſeyn, dabey aber auch wahre Politik, denn auf Bevoͤlkerung und Reichthum des Staats beruhe ſeine Macht, man ſuche, oft mit großen Ko - ſten, die Volksmenge durch Coloniſten zu vermehren,die32die aber gemeiniglich wieder davon giengen: es ſey ja beſſer, einem thaͤtigen und nahrhaften Volk, das man ſchon im Lande hat, und ſich ſehr vermehret, Acker einraͤumen, und ſeine Vermehrung auf keine Weiſe einſchraͤnken oder hindern. Dabey gehet ſeine Abſicht nicht eigentlich auf die reichen Juden, die werden, wie er ſelbſt bemerkt, noch ſo ziemlich aufge - nommen, den Armen hingegen ſelbſt der Sitz im Lande verweigert; ſondern gerade auf dieſe Armen, die doch brauchbare Haͤnde haben, und eben ſo gut, als wir, Menſchen ſind. Dis unterſcheidet ſeine Schrift ſehr von dem in England vorgeweſenen Na - tionaliſations-Project, von dem ich freilich glaube, es wuͤrde nun ſchon ſchaͤdliche Folgen haben, wenn es nicht wiederrufen waͤre: auch faͤllt dadurch der Verdacht weg, daß dis eine von reichen Juden be - zahlte Schrift ſey, und wenn Herr D. der Advocat des aͤrmern Theils der Juden mit Vorbeygehung der reichen wird, ſo kann man wohl nicht anders den - ken, als er ſchreibt aus Ueberzeugung.

Nach dieſer kurzen Ueberblickung des Ganzen gehoͤrt, wie jeder ſieht, dis Buch nicht ſowohl in eine orientaliſche, als politiſche Bibliothek, die auſſer meinem Geſichtskraiß iſt: weil aber verlangt ward, daß ich meine Meynung daruͤber ſagen ſollte, (et -wan33wan aus dem Zutrauen, daß ich die juͤdiſche Religion genauer kennete, oder, weil ich uͤber das Moſaiſche Recht geſchrieben habe) ſagen, ob in der Verfaſſung und Religion des juͤdiſchen Volks etwas ſey, das Herrn D. Vorſchlag unthunlich machte, oder beguͤn - ſtigte, ſo thue ich es freymuͤthig, aber zugleich mit der zweifelnden ſorgfaͤltigen Aufmerkſamkeit, die die Wichtigkeit der Sache erfodert: denn es iſt moͤglich daß Staͤrke oder Schwaͤche großer Reiche von dem den Juden ertheilten vollem Buͤrgerrechte die Folge ſind, aber langſam, und denn unhintertreiblich. Nur recenſire ich das Buch nicht eigentlich, gebe nicht einen vollſtaͤndigen Auszug, ſondern meine Meynung, und wer die verſtehen will, muß es ſelbſt leſen.

Zuvoͤrderſt einige Hauptſaͤtze, in denen wir ei - nig ſind, und die in das folgende Einfluß haben.

Herr D. geſtehet aufrichtig, was bisweilen ei - nige Vertheidiger der Juden nicht zugeben wollen, daß das juͤdiſche Volk laſterhafter und verdorbener ſey, als andere Europaͤer: allein er ſucht die Urſache davon in den Umſtaͤnden, in denen es lebt, verach - tet, gedruͤckt, und gezwungen faſt blos von der Handlung zu leben. Herr D. kann ſchwerlich wiſ - ſen, wie genau wir hier uͤbereinſtimmen, und daßCich34ich eben dis vor 30 Jahren a[n]einer Stelle, die ich ſelbſt nicht einmahl wieder auffinden kann, in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen geſagt habe. Ich will meine Meinung ſagen, wie ich ſie damals hatte, und noch jetzt habe; ſie geht aber noch um einen Schritt weiter, als Herrn D. ſeine, der von Be - truͤgereyen der Juden redet.

Daß die Juden laſterhafter ſind als, wenigſtens wir Deutſchen, zeiget ſich am ſtaͤrkſten aus den Die - bes-Inquiſitions-Acten. Vielleicht die Haͤlfte der zu den Diebesbanden gehoͤrigen, oder doch um ſie wiſ - ſenden, ſind Juden, und ſchwerlich machen die Ju - den den fuͤnfundzwanzigſten Theil der Einwohner Deutſchlands aus: giebt nun dieſer 1 / 25 Theil eben ſo viel Spitzbuben, als die ganze deutſche Nation aufſtellen kann, oder gar noch mehr, ſo folget, daß die Juden, wenigſtens in Abſicht auf dis Laſter, das wir fuͤr das niedrigſte halten, 25 oder noch mehr mal laſterhafter ſind, als andere Einwohner Deutſch - lands. Aber die Sache laͤßt ſich auch gar wohl be - greifen: ein Volk das, nicht blos von Handlung, (das waͤre meiner Meynung nach nicht gefaͤhrlich, denn der groſſe Handel macht ehrliche Leute, de - ren Wort wie baar Geld iſt, und hierin bleibe ich einen Schritt hinter Herr D. zuruͤck, der von Hand -lung35lung*)Ich habe doch S. 106 den Einfluß der Beſchaͤfti - gung bey dem großen und kleinen Kaufmann deut - lich unterſchieden. D. uͤberhaupt redet) ſondern von der kleinen Hand - lung leben muß, noch dazu von der Troͤdelhandlung, bey der taͤglich die Verſuchung eintritt, geſtohlne Waare zu kaufen, wird laſterhafter werden als wir, ſonderlich, wenn bey ihm dadurch, daß er ſich alle Verachtung gefallen laſſen muß, die Ehre ganz aus - geloͤſchet wird. Man nehme einem die Ehre, und das noch dazu einem Armen, fuͤr den ſein Vermoͤ - gen nicht Geiſſel ſtellt, ſo hat man den vollkommen - ſten laſterhaften, den hominem perditum der Lateiner. Auch noch dieſe Anmerkung ſey mir erlaubt: die ſehr laſterhaften, die haͤufigen Genoſſen der Spitzbubenbanden, findet man im juͤdiſchen Volk meiſtens nur unter den Armen, wenigſtens armge - bohrnen, wenn ſie ſich auch durch ihren Zuſammen - hang mit groſſen Spitzbubenbanden ſo viel Reich - thum erwerben, daß hernach fromme chriſtliche Fuͤr - ſten ihnen fuͤr einige tauſend Thaler Schutz gegen auswaͤrtige Inquiſitionen verleihen: aber wirklich unter reichen, das iſt reichgebohrnen Juden, oder auch nur unter mittelmaͤßigen, findet man ſelten die - ſelbe Laſterhaftigkeit. Sie iſt alſo wohl bey jenen deſto klaͤrer Folge der tiefen Armuth, die ſchon nachC 2der36der Bibel (Spruͤche Sal. 30, 8. 9. ) und nach den Erfahrungen der Vorſteher der Armenkaſſen, gar nicht der Weg zur Tugend ſeyn ſoll.

Auch in dem bin ich mit ihm einig, was er S. 91 und 92 von der vortheilhaften Seite des Na - tionalcharacters der Juden ſagt, wiewohl einiges vom Scharfſinn in Handlungsſachen auf das curis acuens mortalia corda, auf ihre jetzige Unterdruͤckung zu rechnen iſt, und wegfallen wuͤrde, wenn ſie bequemer leben koͤnnten. Ich ſetze nur noch eins hinzu: die Juden haben ſehr viel Nationalſtolz, wozu ihr Begriff von ſich als dem Volke Gottes wol nicht wenig beytraͤgt, ich will aber auch nicht widerſprechen, wenn man einen Theil davon auf das Temperament der Nation, das un - veraͤndert bleibt, weil ſie ſich nicht mit andern ver - miſcht, rechnete. Dis iſt nun wieder kein veraͤcht - licher Character, eine Nation ſoll ſich ſelbſt ſchaͤtzen: aber es hat auch eine widrige Seite, und der groͤßte Theil der Juden wird unertraͤglich, ſobald er zu Eh - ren kommt. Es giebt Ausnahmen, ich habe ſelbſt ſehr beſcheidene Juden von groſſen Mitteln geſehn: aber ſie ſind doch ſelten. In den Jahren, da die Franzoſen zu Goͤttingen waren, und Generals, auch der ſtrenge aber groſſe de Vaux, auch Mar -ſchaͤlle37ſchaͤlle von Frankreich, jedem mit Hoͤflichkeit zuvor kamen, beſuchte uns einmal ein bey der Armee ge - brauchter beruͤhmter Jude, (aus Schonung nenne ich ihn nicht) und der dankte nicht, wenn ihn die hieſigen Profeſſoren gruͤſſeten. Dieſer Theil des Na - tionalcharacters hat nun in die voͤllige Naturaliſation der Juden wenigſtens ſo fern einen Einfluß, daß der Landesfuͤrſt gegen ſeine angebohrnen Buͤrger hart handeln wuͤrde, den Juden vornehme Bedienungen anvertrauete, oder ſie nur deren auf die Zukunft faͤ - hig machte.

Durch und durch zeiget ſich, daß Herr D. gar nicht, wie wol einige andere, ſolchen Juden meh - rere Rechte zu verſchaffen ſucht, die blos dem Na - men und Geburt nach Juden ſind, von der juͤdi - ſchen Religion aber nichts glauben, wie man es nen - net, Deiſten, aber auch vielleicht das nicht ſind. Auch hierin ſtimme ich ſehr bey: wenn ich einen Ju - den, wol eigentlich zum Affront ſeiner Religion, Schweinefleiſch eſſen ſehe, ſo iſt es mir, der ich nicht in ſein Herz blicken kann, unmoͤglich, mich auf ſeinen Eid zu verlaſſen; beym Juden Eide iſt ſchon ohnehin ſeit 1800 Jahren ſo viel zu erinnern geweſen, wenn er aber nicht einmal die juͤdiſche Re - ligion glaubt, und dis, wo es niemand zu wiſſenC 3verlangt,38verlangt, oͤffentlich ausruft, wie kann man wiſſen, was er vom Eide denkt? ob er uͤberhaupt glaubt, daß Gott den Eid annimmt, und irgend in einer Welt, dieſer oder jener, den Meineid ſtraft? Iſt dis der ſeltene Fall bey einem einzigen, ſo iſt das Ungluͤck nicht ſo groß, und bey einem wichtigen Proceß wuͤr - de allenfalls der Advocat gegen den Eid eines ſolchen Juden Einwendungen machen und gehoͤrt werden: gienge es aber in die Hunderte und Tauſende, ſo wuͤrde es groſſe Haͤrte gegen unſere alten eidfuͤrchti - gen Buͤrger ſeyn, ihnen Fremde, auf deren Eid man ſich nicht verlaſſen kann, gleich zu machen, denn zu dieſem Gleichmachen gehoͤrt doch vorzuͤglich die Gleich - heit im Gericht, und daß des neuen Buͤrgers Eid ſo viel gelte, als des alten ſeiner.

Auf die Weiſe hat Herr D. ſchon ſehr vielen Ein - wendungen vorgebeuget, die man gegen ſeinen Vor - ſchlag machen koͤnnte. Auch in dem gebe ich ihm Recht, was er gegen Eiſenmengers entdecktes Ju - denthum ſagt, darnach er die Juden nicht beurtheilt haben will. Ich halte Eiſenmengers entdecktes Ju - denthum fuͤr ein gelehrtes, aus vielem Fleiß und groſ - ſer Beleſenheit entſtandenes Buch, und ich lerne daraus ſehr oft, wenn ich nachſchlage: aber dabey iſt es aͤuſſerſt feindſeelig und ungerecht, und wenn einergegen39gegen eine der drey im roͤmiſchen Reich eingefuͤhrten Religionen etwas dergleichen ſchriebe, ſo wuͤrde man es eine Laͤſterſchrift nennen. Wie wenn einer ein entdecktes Pabſtthum oder Lutherthum ſchreiben, und mit Vorbeylaſſung des Guten, wohl der allge - mein angenommenen Saͤtze, und der Widerſpruͤche gegen Irrthuͤmer, alles auszeichnen wollte, was je - mals irgend einem der ſchlechteſten Schriftſteller ent - fahren, oder, was beym Diſputiren unter Gelehr - ten auch nur muͤndlich einmal geſagt iſt? Was man alsdenn den Catholiken ſchuld geben koͤnnte, daran doch ihre Religion unſchuldig iſt, weiß ein jeder: aber gewiß wir Lutheraner wuͤrden eben ſo ſchlecht wegkommen, und ſo wenig im roͤmiſchen Reich Dul - dung verdienen, als die Muͤnſteriſchen Widertaͤufer. Was auch Herr D. wegen der Anfuͤhrungen aus dem Talmud S. 22 ſagt, iſt richtig, und ich will es lieber deutlicher und vollſtaͤndiger mit eigenen Wor - ten ſagen. Im Talmud findet man die Meinungen verſchiedener Rabbinen uͤber einerley Sache ange - fuͤhrt, ſie widerſprechen und diſputiren oft mit ein - ander, da iſt nun nicht gleich alles, was Eiſenmen - ger aus dem Talmud buchſtaͤblich anfuͤhrt, Glaube und Lehre des ganzen juͤdiſchen Volks, nicht einmal des Theils, der an den Talmud glaubt, (denn dieC 4Karai -40Karaiten nehmen ihn bekanntermaſſen nicht zur Er - kenntnißquelle an) ſondern nur einiger Lehrer. Je - der vernuͤnftige und mittelmaͤßig gelehrte Leſer der Bergpredigt weiß das: ſie iſt der boͤſen Moral der Phariſaͤer entgegengeſetzt, aber nicht aller, denn es gab auch beſſer denkende Phariſaͤer, daher findet man bey den Commentatoren, die das N. T. aus dem Talmud und Rabbinen erlaͤutert haben, zwar Stellen angefuͤhrt, in denen die gottloſen von Chri - ſto beſtrittenen Saͤtze ſtehen, aber auch wieder an - dere, die gerade Chriſti Moral, bisweilen faſt mit eben den Worten enthalten.

Nach ſo mancher Beyſtimmung in Hauptſachen werden meine Leſer vermuthen, daß ich von der Na - turaliſation der Juden voͤllig ſo denken werde, als Herr Dohm: das thue ich aber doch nicht, und nun muß ich auch meine Zweifel ſagen.

Das Geſetz Moſis ſieht Herr D. (zugleich mit Anfuͤhrung meines Moſaiſchen Rechts) als vortref - lich an, und glaubt nicht, daß es etwas menſchen - feindliches enthalte, oder den Juden Haß gegen an - dre Voͤlker einpraͤgen koͤnne. Niemanden wird er hier mehr auf ſeiner Seite haben, als mich; allein dabey ſey mir erlaubt, eine andere Frage aufzuwer - fen: enthalten die Geſetze Moſis etwas, dasdie41die voͤllige Naturaliſation und Zuſammen - ſchmelzung der Juden mit andern Voͤlkern, unmoͤglich macht, oder erſchweret? Dis ſollte ich faſt denken! Ihre Abſicht iſt es, ſie als ein von andern Voͤlkern abgeſondertes Volk zu erhalten, und die iſt ſo durch und durch in ſeine Geſetze ſelbſt bis auf die von reinen und unreinen Speiſen, einge - webt, daß ſich das Volk nun, wider alles was wir bey andern Voͤlkern ſehen, in ſeiner Zerſtreuung 1700 Jahr lang als abgeſondertes Volk erhalten hat, und ſo lange die Juden Moſis Geſetze halten, ſo lange ſie z. E. nicht mit uns zuſammen ſpeiſen, und bey Mahlzeiten oder der Niedrige im Bierkrug vertrau - liche Freundſchaft machen koͤnnen, werden ſie (von einzelnen rede ich nicht, ſondern von〈…〉〈…〉[m]groͤßten Theil) nie mit uns ſo zuſammenſchmelzen, wie Ca - tholike und Lutheraner, Deutſcher, Wende und Fran - zoſe, die in Einem Staat leben. Ein ſolches Volk kann uns vielleicht durch Ackerbau und Manufactu - ren nuͤtzlich werden, wenn man es auf die rechte Weiſe anfaͤngt, noch nuͤtzlicher wenn wir Zuckerin - ſeln haͤtten, die bisweilen Entvoͤlkerung des europaͤi - ſchen Vaterlandes werden, und bey dem Reichthum den ſie bringen ein ungeſundes Clima haben: aber unſern Buͤrgern wird es doch nicht gleich zu ſchaͤtzenC 5ſeyn,42ſeyn, alſo auch nicht voͤllig einerley Befreyungen mit ihnen genieſſen ſollen, weil es nie die Liebe gegen den Staat, das volle mit Stolz auf ihn, (da wo Herr D. ſchreibt, mit Stolz darauf, ein Preuſſe zu ſeyn) durchdrungene Buͤrgerherz bekommt, und ihm nie in gefaͤhrlichen Zeiten ſo zuverlaͤßig wird.

Aber nun noch etwas aus der Bibel, an das Herr D. nicht gedacht zu haben ſcheint, und das die voͤllige feſte Zuneigung zum Staat, die gaͤnzliche Zuſammenſchmelzung mit ihm, kaum hoffen laͤßt. Die Juden werden ihn immer als Zeitwohnung an - ſehen, die ſie einmal zu ihrem groſſen Gluͤck verlaſ - ſen, und nach Palaͤſtina zuruͤckkehren ſollen, faſt ſo, wie ihre Vorfahren den Egyptiern verdaͤchtig waren (2 B. Mo〈…〉〈…〉, 10). Stellen der Propheten, ja Mo - ſis ſelbſt, haben das Anſehen, als wenn ſie den Iſraeliten eine kuͤnftige Ruͤckkehr nach Palaͤſtina ver - hieſſen, und wenigſtens die Juden erwarten ſie da - raus: das thut nicht blos der gemeine Haufe, ſon - dern die groͤſſeſten nach ſo viel hundert Jahren in allgemeinem Anſehen bleibenden Erklaͤrer der Bibel, Raſchi, und die von Fabeln reinern, die ich ohne Hochachtung nicht nennen kann, Abenesra und Da - vid Kimchi. Unſere Lutheriſchen Ausleger in Deutſch - land leugnen es zwar haͤufig (nicht alle, nicht derdeſſen43deſſen Reſponſa bey den Juriſten beynahe Rechts - kraft haben, der ſehr vernuͤnf[t]ige Philipp Jacob Spener) auch wohl manche von andern Confeſſionen: aber uͤberzeugen werden ſie die Juden ſchwerlich, ſonderlich da Philoſophen vom erſten Range, nicht etwan ein zu apocalyptiſcher Newton, ſondern Locke, die Stellen eben gerade ſo verſtehen. Ein Volk, das ſolche Hofnungen hat, wird nie voͤllig einhei - miſch, hat wenigſtens nicht die patriotiſche Liebe zum vaͤterlichen Acker, ja ſteht, wenn es beſonders woh - nete (und juͤdiſchen Coloniſten, die Aecker urbar machen ſollen, muͤßte man doch wohl eigene Doͤrfer einraͤumen, und ſie nicht unter Chriſten ſtecken) gar in Gefahr, einmal von einem Enthuſiaſten aufge - wiegelt, oder vom Hamelſchen Rattenfaͤnger in die Irre gefuͤhrt zu werden.

Aber nun folgt mein einer Hauptzweifel. Herrn D. Vorſchlag, den Juden, noch dazu den armen Juden, die nicht einmal Geld in das Land bringen, voͤllig gleiche Buͤrgerrechte mit uns zu geben, und ihnen alle Gewerbe, Ackerbau, Handwerker u. ſ. f. zu oͤfnen, waͤre zwar fuͤr ſie Wohlthat, koͤnnte aber den Staat aͤuſſerſt ohnmaͤchtig machen, ſelbſt in dem eben nicht zu erwartenden Fall, wenn die Juden Geld und Reichthuͤmer entweder unmittelbar hinein -braͤch -44braͤchten, oder doch in der Folge der Zeit hinein zoͤ - gen. Die Macht des Staats beruhet nicht blos auf Gold und Silber, ſondern zur weit groͤſſern Haͤlfte auf Arm und Bein, auf Soldaten, und die kann man aus dem juͤdiſchen Volk, ſo lange es nicht ſeine jetzigen Religionsgedanken geaͤndert hat, nicht ha - ben: dis aus mehrern Urſachen, die erſte, weil ſie des Sabbaths nicht fechten, wenigſtens nicht unan - gegriffen fechten duͤrfen. Die Juden vermehren ſich, wenn es nicht gehindert wird, ausnehmend: einige Urſachen davon ſind in die Augen fallend, ihre fruͤ - hen Heyrathen, und die Pflicht von Eltern und Brodherren fuͤr fruͤhe Heyrathen der Kinder und des treuen Geſindes zu ſorgen, auch noch dieſe, (die vielleicht bey voͤlliger Naturaliſation wegfallen wuͤr - de) daß ſie ſich etwas mehr vor Hurerey huͤten muͤſ - ſen, weil mit einer Chriſtin zu thun gehabt zu ha - ben in einigen Laͤndern viel Geld koſten moͤchte, das dem Juden uͤber alles lieb iſt, und hiedurch meiſtens vor der Krankheit bewahrt werden, die auch nur Einmal gehabt zu haben dem Kinderzeugen nicht vor - theilhaft ſeyn ſoll. Beyde Urſachen ganz loͤblich, und wenn die Vermehrung der Juden immer zuneh - men koͤnnte, ohne daß der Chriſten weniger, oder doch ihre Vermehrung gemindert wuͤrde, ſo waͤregar45gar kein Bedenken dabey. Aber das wird wohl nicht der Fall ſeyn. Eine Nation vermehrt ſich geſchwind, wenn viel Gewerbe viele und fruͤhe Heyrathen ma - chen, (z. E. im Koͤnigreich Preuſſen zwiſchen 1757 und 1762 erſtaunlich, weil der Krieg, und die Ruſſi - ſche Armee, ohne Recruten zu heben, viel Gewerbe machten) oder auch Auslaͤnder herbey ziehen, (bey - des in den engliſchen Colonien in Amerika, bis auf die Zeit der Rebellion,) wenn nun aber in eben dem Staat Juden viel Gewerbe, Ackerbau und Handwerker, an ſich ziehen, ſo wird wenigſtens die Vermehrung des deutſchen, kriegeriſchen Volks ge - mindert. Aber das ſchlimmere iſt, die deutſchen Buͤrger moͤchten gar beym Zunehmen der neuen juͤdi - ſchen abnehmen, und verdraͤngt werden, denn un - ſere Handwerkspurſche und Bauren heyrathen nicht ſo fruͤh als Juden, die bey angewoͤhnter Armuth auch mit ſehr wenigem zufrieden ſind, bald wuͤrden alſo die Juden immer mehr von den Handwerkern in dem Lande der Nationaliſation an ſich bringen, und die Soͤhne der deutſchen Handwerker entweder noch laͤnger unverheyrathet bleiben, oder ſich in aus - waͤrtigen Laͤndern ſetzen muͤſſen, es ſeyn nun, an - dere deutſche Laͤnder, die den Juden nicht ſo guͤnſtig waͤren, oder Holland, auch England, wo manſchon46ſchon jetzt ſo viel deutſche Handwerker antrifft. Da - zu kommt noch, daß bey ſchweren Kriegen, wie der von 1756 1763 fuͤr die Preußiſchen Staaten war, die Soͤhne des Bauren und Buͤrgers Soldaten wer - den muͤſſen; in einem ſolchen Kriege wuͤrde der mit Kriegesdienſten verſchonte Jude ſich ſehr ausbreiten, und faſt lauter juͤdiſche Handwerker wuͤrde man am Ende des Krieges ſehen. Staͤnde gar den Juden frey, Aecker, oder adeliche Guͤter an ſich zu kaufen, und reiche Juden, die in andern Laͤndern nicht der - gleichen Rechte haͤtten, wuͤnſchten ihr Geld anzule - gen, ſo wuͤrden ſie unſere Deutſchen auskaufen, und denn haͤtten wir den wehrloſeſten veraͤchtlichſten Ju - denſtaat.

Die volle Kraft dieſes Einwurfs wird Herr D. beſſer fuͤhlen, als der groͤſſeſte Theil meiner Leſer, ſonderlich in Abſicht auf den etwan 6 Millionen Menſchen habenden Preußiſchen Staat, fuͤr ihn darf ich ihn alſo gewiß nicht weiter erlaͤutern. Es ver - ſteht ſich aber auch von ſelbſt, daß er ihn vor - her geſehen hat. Er antwortet darauf unter an - dern aus meinem Moſaiſchen Recht, wo ich gezeiget habe, das Geſetz Moſis verbiete das Fechten am Sabbath auf keine Weiſe, und daß ehedem die Ju - den gefochten, und ſehr tapfer gefochten haben. Wenn47Wenn die Juden meine Auslegung des Moſaiſchen Rechts fuͤr richtig annehmen, und zwar nicht blos die Aufgeklaͤrteren unter ihnen, (unter denen ver - ſpraͤche ich mir wol einigen Beyfall) ſondern auch der gemeine Haufe der Rabbinen, und die Ungelehrten, ſo waͤre der Sache ziemlich geholfen, (nicht voͤllig, denn, daß Fechten am Sabbath erlaubt ſey, denke ich bewieſen zu haben, aber uͤber das Exerciren wuͤrde ich nicht gern aus dem Moſaiſchen Recht antworten wollen; und unſere Regimenter wuͤrden ſich doch we - gen der Exerciertage nicht nach untergeſteckten Juden richten, auch nicht eigene Regimenter von bloßen Juden errichtet werden ſollen:) aber wer wird ſie davon uͤberzeugen? ſonderlich da bey einer Frage von der Art mancher nicht gern uͤberzeugt ſeyn, und lie - ber ſein Gewiſſ[e]n zum Befreyungsbriefe von Krie - gesdienſten behalten will. Von dem aus der Geſchich - te angefuͤhrten moͤchte auch wohl noch einiges weg - fallen, und, wenigſtens bleibt das gewiß, daß ſich ſchon zu des wirklich groſſen juͤdiſchen Helden, Jo - hann Hyrkans, Zeit, die damals ſo tapfern Juden ein Gewiſſen machten, am Sabbath anzugreifen, und die Syrer den von ihm angefuͤhrten juͤdiſchen Huͤlfsvoͤlkern zu Gefallen am Sabbath nicht mar - ſchirten. Die S. 144 angefuͤhrte Stelle aus Mai -moni -48monides, die Herrn D., wie er ſagt, von einem groſſen juͤdiſchen Gelehrten mitgetheilet ward, iſt ſei - ner Hofnung gerade zuwider. Hier iſt ſie mit ſei - nen eigenen Worten: nach Maymonides iſt es die Pflicht eines jeden Juden, eine vom Feinde belagerte Stadt, in ſo fern auch nur Eines Menſchen Leben dabey in Gefahr iſt, am Sab - bath zu vertheidigen, und nicht erlaubt, ſol - ches aufzuſchieben, So iſt eines jeden Juden Pflicht, am Sabbath alle Arten von Arbeit ohne Unterſcheid zu verrichten, wenn eines Menſchen Leben dadurch gerettet werden kann. Dis iſt weiter nichts, als was wir laͤngſtens wiſſen, und im Moſaiſchen Recht geſagt iſt, daß die Juden erlauben, ſich am Sabbath zu verthei - digen, wenn man angegriffen wird, und ihr Leben in Gefahr iſt: alſo wo dieſer Fall nicht ein - tritt, und der Feind ſo klug iſt, als Pompejus da er Jeruſalem belagerte, am Sabbath gar nicht anzu - greifen, darf der Jude nicht fechten, nicht ſelbſt den Angriff, nicht einen Ausfall aus der belagerten Stadt thun, die Approchen und Belagerungswerke zu zerſtoͤren, nicht den fluͤchtigen Feind verfolgen, nicht marſchiren, dis alles voͤllig der juͤdiſchen Ge - ſchichte von Johann Hyrkans Zeit an gemaͤſſe Ca -ſuiſtik.49ſuiſtik. So gar, der ſonſt am vernuͤnftigſten den - kende Joſephus, einer nicht von der aberglaͤubiſchen neuphariſaͤiſchen, ſondern von der beſſern Secte der alten Phariſaͤer, ſelbſt Anfuͤhrer der Juden im Krie - ge, haͤlt es fuͤr eine Entheiligung des Sabbaths, daß die Juden, da Ceſtius Gallus ſich mit der roͤmi - ſchen Armee Jeruſalem naͤhert, einen Ausfall thun, die Roͤmer ſchlagen, ſo daß 515 Roͤmer und nur 22 Juden bleiben, und dis noch dazu, da dieſer Aus - fall ſo nahe dabey war, den Ausſchlag des ganzen Krieges zu geben, denn er ſagt ſelbſt, wenn nicht die roͤmiſche Reuterey eben zu rechter Zeit zu Huͤlfe ge - kommen waͤre, ſo wuͤrde Ceſtius mit der ganzen Ar - mee in Gefahr geweſen ſeyn. (de bello Jud. II, 19; 2.) Was koͤnnten wir mit ſolchen Soldaten, die noch dazu durch National - und Religionsbande mit einander verbunden waͤren, anfangen? Beſſer ha - ben wir ſie gar nicht, wenn ſie auch nach dieſer uͤber 2000 Jahr alten wunderlichen Auslegung des beſſern Moſaiſchen Geſetzes dienen wollten. Haͤtte der ge - lehrte Jude, der Herrn Dohm Maymonides Stelle mittheilte, auch voͤllig ſo gedacht, wie ich im Mo - ſaiſchen Recht, ſo hat er doch meine Meynung mit keiner ihr beyſtimmenden juͤdiſchen Authoritaͤt belegen koͤnnen; ſie bleibt alſo blos meine, und iſt nicht der Juden Meynung.

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Aber geſetzt, die Juden naͤhmen nun uͤber alle Erwartung meine Erklaͤrung vom Sabbathsgeſetz an, ſo waͤren ſie doch deswegen fuͤr uns zu Solda - ten nicht brauchbar, ſo wenig ich ihnen auch, wenn ſie nur nicht unterdruͤckt und zu Beſchimpfungen von Jugend auf gewoͤhnt werden, perſoͤnliche Tapferkeit abſpreche, von der ſie, ſonderlich in der Rebellion gegen die Syrer, ſo erſtaunliche Proben gegeben ha - ben. So lange ſie noch die Geſetze von reinen und unreinen Speiſen haben, iſt es doch kaum moͤglich, ſie unter unſere Regimenter zu miſchen: beſondere Regimenter aber aus ihnen zu machen, wird wohl niemand anrathen, ſonderlich da der Judeneid noch immer die haͤcklichſte Sache von der Welt iſt, denn daß man bey dem viel Zweifel haben kann, ob der Jude das, was in unſern Augen Eid iſt, fuͤr Eid haͤlt oder nicht, iſt keine von den ungerechten Klagen Eiſenmengers. Dazu kommt aber noch, doch blos hypothetiſch, ein phyſikaliſcher Umſtand, an den Herr D. nicht gedacht zu haben ſcheint. Man behauptet, unſer jetziges Kriegsweſen erfodere eine gewiſſe Sol - datengroͤſſe, ob mit Recht, kann ich nicht ſagen: aber in den beyden groſſen kriegeriſchen Staaten Deutſchlands nimmt man es doch an. Iſt es rich - tig, ſo wird man unter den Juden ungemein weni -ge51ge finden, die das Soldatenmaaß haben, und zu Kriegesdienſten angenommen werden koͤnnen. Viel - leicht iſt es die Folge der ſehr fruͤhen Ehen, vielleicht der ungemiſchten Race eines ſuͤdlichern Volks: aber es komme, woher es wolle, ſo iſt doch klar, daß un - ter den Juden wenig wohlgewachſene Maͤnner ſind.

Dieſe Unbrauchbarkeit der Juden zu Krieges - dienſten hat je nach der beſondern Beſchaffenheit des Staats einen mindern oder mehreren Einfluß in die Frage, ob es politiſch gut ſey, Juden in das Land zu ziehen? mehr als Einem Sohn eines angeſeſſenen Juden den Schutz zu verleihen? und ihre Vermeh - rung zu beguͤnſtigen? Herr D. ſchreibt zunaͤchſt fuͤr den Preußiſchen Staat*)Ich habe dieſes nirgends geaͤuſſert, und in der That nur im Allgemeinen meine Meynung uͤber dieſe Materie ſagen wollen, ohne im Mindeſten auf irgend einen beſondern Staat Ruͤckſicht zu nehmen. D. , er beruft ſich beym Be - ſchluß auf das Geruͤcht von dem damals noch erwar - teten Toleranzedict fuͤr die Juden im Oeſterreichi - ſchen. Dis iſt zwar von ſeinen Vorſchlaͤgen ſehr und weſentlich verſchieden, und ſcheint ganz andere End - zwecke zu haben. Aber davon nichts zu ſagen, weil ich Edicte nicht recenſire, ſo iſt gerade in Abſicht auf Beguͤnſtigung der Juden zwiſchen beyden StaatenD 2ein52ein ſehr groſſer Unterſchied. Ich will annehmen, was man gemeiniglich ſagt, es ſeyn jetzt fuͤnf Mil - lionen Juden auf dem Erdboden, (ich daͤchte zwar, noch etwas mehr) und was Herr Prof. Schloͤzer in ſeinem Briefwechſel aus ziemlich ſichern Nachrichten hat, in den ſaͤmmtlichen Oeſterreichiſchen Laͤndern wohnen uͤber 26 Millionen Menſchen*)Iſt wohl ſehr uͤbertrieben. D. : im Preußi - ſchen waren, das Militaire nicht mitgerechnet, vor 1756 noch nicht volle fuͤnf Millionen, denn der Ge - bohrnen waren nach einem Durchſchnitt jaͤhrlich et - was uͤber 150000 (wovon ich die genauen Tabellen habe) jetzt ſcheinen etwan, nachdem die Zahl der Einwohner ſich vermehrt hat, und Weſtpreußen da - zu gekommen iſt, ſechs Millionen darin zu wohnen, wieder das Militare ungerechnet. Nun ſtelle man ſich vor, eine ganze Million Juden zoͤge aus an - dern Laͤndern in das Oeſterreichiſche, ſo waͤre dis gegen 26 Millionen eine Kleinigkeit; in Ungarn, auch im Banat Temeswar, von dem Herr D. er - waͤhnt, daß man dort ſogar Zigeunern, (die jedoch vorhin daſelbſt herumſchweifend gewohnt hatten) Aecker gebe, koͤnnte man ihnen genug fruchtbare und unbebauete Aecker unter einem milden Himmelsſtrich anweiſen, braͤchten ſie gar Geld mit, deſto beſſer,ſie53ſie wuͤrden gewiß der Vermehrung der fechten koͤn - nenden Oeſterreichiſchen Unterthanen nicht hinder - lich werden. Vielleicht koͤnnte der Staat ohne ſei - nen Schaden zwey, drey Millionen Juden aufneh - men. Aber nun welche Proportion von einer Mil - lion neuer Juden im Preußiſchen? wuͤrde die nicht wenigſtens der Vermehrung deutſcher Buͤrger, die die Waffen tragen koͤnnen, hinderlich ſeyn? Braͤch - ten ſie viel Geld ins Land, deſto ſchlimmer, denn ſo koͤnnten ſie Aecker und Gewerbe an ſich ziehen. Gerade an Gelde hat der Preußiſche Staat zur Zeit des Krieges nicht eben Mangel gelitten: aber nach Verhaͤltniß ſeiner Unterthanen hat er eine ſehr groſſe Armee, ſehr viele Haͤnde, unentbehrlich noͤthig. An - geworbene Auslaͤnder ſind, wie Herr D. ſelbſt ge - ſteht, doch angebohrnen Unterthanen nicht gleich zu ſchaͤtzen, deſertiren auch mehr; aber es koͤnnen Zei - ten kommen, ſonderlich wenn Deutſchland noch mehr Buͤrger in andern Welttheilen verliert, da die aus - waͤrtige Werbung ſchwer oder unmoͤglich wird. Alſo ſcheinen es zwey ſehr verſchiedene Fragen zu ſeyn, ſoll Oeſterreich? ſoll Preußen? und noch eine dritte ſehr verſchiedene Frage wuͤrde es ſeyn, ſoll Groß - britannien thun, was Herr D. raͤth?

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Aber nun noch ein Zweifel von anderer Art ge - gen den fuͤr die Juden wirklich wohlthaͤtigen und menſchenfreundlichen Vorſchlag. Auf dieſer wohl - thaͤtigen Seite ſchaͤtze ich ihn hoch, aber moͤchte nicht mit der Wohlthat Beleidigung und Unrecht gegen die angebohrnen Buͤrger verbunden ſehn? Der ge - meine Haufe der armen Juden iſt laſterhafter, als wir, das geſteht Herr D. ſelbſt ein, die Haͤlfte der Spitzbubenbanden beſteht aus ihm, das ſagen die Criminalacten, im erſten und zweyten Menſchenal - ter wird der moraliſche Character der Juden wohl noch nicht gebeſſert werden, das geſteht Herr D. freywillig ein, und hoffet die gewuͤnſchte Beſſerung erſt im dritten oder vierten Menſchenalter, das heiß[t], in hundert oder hundert und vierzig Jahren. Ob ſie im dritten oder vierten Menſchenalter oder noch viel ſpaͤter, erfolgt, waͤre ein Problem: aber bis ins dritte Menſchenalter ſollen wir nach ihm ſelbſt warten. Waͤre nun etwan von moraliſchen Krank - heiten die Rede, die dem juͤdiſchen Volk ſelbſt ſchade - ten, ſo koͤnnte man den Verſuch an ſie wagen, aber die Krankheit iſt gerade, daß aus ihnen die Spitz - bubenbanden beſtehen, oder ſie doch Hehler und Ver - kaͤufer ſind. In den Gegenden Deutſchlandes, in denen Fuͤrſten (oft aus Gewinnſucht und wegen desein -55eintraͤglichen Schutzgeldes) viel Juden dulden, kla - gen die Unterthanen, daß ſie vor Diebereyen und naͤchtlichen Einbruͤchen nicht ſicher ſind: ſelbſt hier in Goͤttingen hat doch zur Sicherheit der Einwohner vor Diebſtaͤhlen den ſaͤmtlichen unſere Jahrmaͤrkte beſu - chenden fremden Juden verboten werden muͤſſen, ungerufen auch nur zum Anbieten ihrer Waare und Handels in die Haͤuſer zu kommen. Soll nun ein Landesherr ſeinen guten Unterthanen ein ſolch Volk in der Hofnung, es im dritten oder vierten Ge - ſchlecht zu beſſern, aufdringen? Wie? wenn ein Vater einen liederlichen diebiſchen Betteljungen, der ihn nicht angehet, um ihn zu beſſern, ſeinem Sohn zum Schulkameraden ins Haus naͤhme? Der Va - ter kann allenfalls, wenn er ſich um das Urtheil der Welt nicht bekuͤmmert, ohne Verletzung der Rechte ſeines Sohns thun, was er will: er iſt Herr, hat dem Sohn das Daſeyn gegeben, und ſchaft ihm Brodt. Aber der Fuͤrſt thut keins von beyden, hat nach dem natuͤrlichen Recht ſeine Gewalt am Ende vom Volk, iſt deſſen erſter Bedienter, wird von dem reichlich dafuͤr beſoldet, und nicht der Fuͤrſt, ſondern das Volk ſchuͤtzt den Staat und ihn ſelbſt, Er lenkt blos den Schutz. Selbſt ſouveraine Koͤnige aͤuſſern dieſen Gedanken frey in ihren Schriften. Hier ſchie -D 4ne56ne es nun nicht blos Haͤrte, ſondern eigentliches Un - recht gegen das Volk zu ſeyn, wenn der Fuͤrſt ſeine allgemeine Menſchenliebe ſo weit triebe, die Armen eines ſolchen Volks, das ihn weiter nicht angeht, und ein ſo unbequemer Nachbar iſt, ſeinen wehr - haften Unterthanen, von denen er alle Macht nebſt der Pflicht hat, fuͤr ihr Beſtes zu ſorgen, und von denen er ſo reichliche Bezahlung annimmt, zum Nachbar, noch dazu mit gleichen Buͤrgerrechten auf - zudringen. Ein anderes iſt es, wenn von Colonien, die man in wuͤſte Laͤnder fuͤhren will, die Rede waͤre, wohin man auch wohl die Maleficanten oder lieder - liche Leute, wie es in Wien hieß, den Schub, ſchickt, (wiewohl doch zuletzt die Amerikaniſchen Colonien auch daraus eine Beſchwerde machten, daß England ſeine nicht am Leben geſtraften Miſſethaͤter ihnen zuſchickte.)

Doch nun noch etwas von dem, was Herr D. zur voͤlligen Gleichmachung der Juden mit andern Buͤrgern rechnet. Die Nahrungszweige, die er ih - nen geoͤfnet wiſſen will ſind, wie er ſelbſt ſagt, alle, Ackerbau, Handwerke, und Studien, auch wohl der Zugang zu Bedienungen, doch dieſer ihm ſelbſt zweifelhaft.

Gegen57

Gegen das Zulaſſen zu Handwerken habe ich vor - hin ſchon meine Zweifel geſagt: einige treffen auch ihre Zulaſſung zum Ackerbau, aber wenn ein Staat wirklich wuͤſte Gegenden haͤtte, ſo trete ich in dem Fall Herrn D. bey, daß man einen Verſuch machen koͤnnte, Juden als Coloniſten zu gebrauchen: ſogar, wenn auch ein reicher Jude eine voͤllig wuͤſte Gegend urbar machen wollte, glaube ich, auch der Verſuch waͤre zu machen, nur dergeſtalt, daß er entweder lauter Haͤnde armer Juden, oder, wenn er Chri - ſten noͤthig haͤtte, verheyrathete Chriſten gebrauchen und ihnen zu leben geben ſollte, damit nicht durch Dienſte bey ihm die Bevoͤlkerung des Landes mit fech - ten koͤnnenden Buͤrgern vermindert wuͤrde. Dabey kommt mir, da es doch erſt Verſuch iſt, von dem man ohne Erfahrung nicht weiß, wie er ausſchlaͤgt, das kayſerliche Toleranzedict weiſe vor, das den Ju - den die Aecker auf eine Zeit von 20 Jahren giebt, und denn erſt auf ewig, wenn ſie Chriſten werden. Nur habe ich einen groſſen Zweifel, ob die des herum - laufens bisher gewohnten, ſich vor Handarbeit ſo ſehr ſcheuenden Juden, zum Ackerbau Luſt haben werden. Auch werden chriſtliche zu Kriegesdienſten brauchbare Coloniſten, ſelbſt aus andern Laͤndern, wenn man ſie haben kann, dem Staate vortheilhaf - ter ſeyn, als juͤdiſche.

D 5Wenn58

Wenn Herr D. hingegen den Juden auch erlau - ben will, Aecker zu kaufen, ſo denke ich anders, weil dadurch die Anzahl deutſcher Bauren, aus denen wir die beſten Soldaten haben, gemindert, und der Staat geſchwaͤchet wuͤrde: ferner auch darin, wenn er ſie mit unſern Bauren vermiſcht in einerley Doͤrfern wohnen laſſen will. In den drey bis vier Genera - tionen, in denen der arme Jude noch nicht gebeſſert iſt, kommt mir dieſe Nachbarſchaft als Unrecht ge - gen unſern Bauren, den natuͤrlichen Vertheidiger und Macht des Staats, vor.

Wegen der Wiſſenſchaften, die insgeſammt den Juden, wie allen freyen Menſchen, auch als Ge - werbe offen ſeyn ſollen, verſtehe ich Herrn D. nicht voͤllig. Mich duͤnkt, hier haben ſie ſchon alles, was ſie nur wuͤnſchen koͤnnen, und ich weiß nicht was er ſelbſt noch hinzuthun wollte. Medicin, Philoſophie, Phyſic, Matheſis ſind ihnen ja auf keine Weiſe ver - ſchloſſen, die erſte uͤben viele Juden, auch unter dem academiſchen Titel Doctor, oder einem noch hoͤhern; unſere Rechtsgelehrſamkeit iſt keine Wiſſenſchaft fuͤr ſie, denn dem Buͤrger wird Herr D. nicht ein aus - waͤrtiges Volk zum Richter geben wollen, da er ſelbſt mit Recht darauf dringet, daß die Juden in ihren Streitigkeiten unter einander, von Rabbinen nacheige -59eigenen Geſetzen gerichtet werden ſollen; unſere Theo - logie werden ſie noch weniger ſtudiren wollen, oder lehren ſollen. Dagegen lernen ſie aber ihre eigene Theologie und Rechte, und dis iſt bey ihnen Nah - rungszweig, die Rabbinen leben davon. Sie zum Studiren zu ermuntern, wird doch wohl Herrn D. Vorſchlag nicht ſeyn, da gerade die uͤbergroße Men - ge der Studirenden dem Staat ſo nachtheilig wird, daß ſchon Koͤnige daran gedacht haben, die Anzahl zu mindern, wenn es nur ohne zu viel Einſchraͤn - kung der menſchlichen Freyheit moͤglich waͤre. Dieſe Menge der Studirenden iſt wirklich ein großes po - litiſches Uebel, raubt andern Gewerben ſo viel Haͤn - de, und unter dem pedantiſchen Vorwand, der habe einen guten Kopf, er muͤſſe ſtudiren, die beſten Koͤ - pfe, auch dem Soldatenſtand ſo viel Haͤnde; uͤber - laͤſtigt den Staat mit Leuten, die ernaͤhrt werden wollen, macht ſie ſelbſt ungluͤcklich, weil ſie bey ih - rer Menge erſt ſpaͤt befoͤrdert werden koͤnnen, und hindert eben wegen der aus der Menge entſtehenden ſpaͤten Befoͤrderung auf eine fuͤrchterliche Weiſe die Ehen. Dis Uebel ſoll doch nicht noch vermehrt wer - den! Je mehr Studirende, je ſpaͤtere Befoͤrderung, je weniger, oder endlich gar keine Ehen der Studi - renden.

Den60

Den Vorſchlag, die Juden auch zu oͤffentlichen Aemtern zu laſſen, thut zwar Herr D. S. 118 ver - wirft ihn aber wenigſtens vors erſte aus hinlaͤnglichen Gruͤnden. Es ſey mir erlaubt, noch folgendes hin - zu zu ſetzen. Zu vornehmen Bedienungen ohne Noth Auslaͤnder, oder auch Maͤnner von anderer Religion als im Lande die allgemeine iſt zu nehmen, kann dem Unterthan unmoͤglich angenehm ſeyn, und iſt an einigen Orten gar wider die Grundgeſetze*)Wo Grundgefetze ſind, muͤſſen ſie beobachtet wer - den. Sonſt, duͤnkt mich, muß bey Anſtellung von Staatsbedienten von nichts Anderm die Frage ſeyn, als von der Faͤhigkeit. D. . Dis tritt hier deſto mehr ein, wo die Religionen ei - nen ſo großen nie zu aͤndernden politiſchen ewigen Unterſchied**)Dies eben iſt die große Frage: ob ein ſolcher nie zu aͤndernder, ewiger, politiſcher Unterſchied da ſey? Ich glaube es nicht. D. machen. Chriſten, die ſchuͤtzenden Buͤr - ger, die das Vaterland und auch den Juden mit dem Degen vertheidigen, Juden, Unterthanen die dem Staat nichts geben koͤnnen, als Geld, auch nicht einmahl bis ins zehnte und ſpaͤtere Geſchlecht, Kin - der zu Vertheidigung des Vaterlandes zeugen, wenn die Kinder nicht die vaͤterliche Religion verlaſſen ſol -len.61len. Auch hat Moſes durch ſeine Geſetze, ſonder - lich von reinen und unreinen Speiſen, genug dafuͤr geſorgt, daß ſie, ſo lange ſie dieſe halten, auch nach mehreren Geſchlechten nie voͤllig mit uns als Ein Volk zuſammenflieſſen koͤnnen: die meiſten genauen Freundſchaften entſtehen gemeiniglich beym Eſſen und Trinken. Welches Volk nicht mit uns eſſen und trinken kann, bleibt immer ein in ſeinen und unſern Augen ſehr abgeſondertes Volk. Dazu kommt der Nationalſtolz der Juden, der es, wenigſtens Deut - ſchen und Englaͤndern unertraͤglich machen wuͤrde, ſie zu Obern zu haben. Vielleicht hat, ungeachtet alles Widerſpruchs der Gegenparthey, und aller ein - zelnen nicht ganz zu leugnenden Fehler, kein Koͤnig von Großbritannien, ein ſo kluges, alle Kraͤfte des Reichs gegen viele Feinde aufbietendes Miniſterium gehabt, als das jetzige iſt*)Herr Ritter Michaelis meynt hier das im Maͤrz 1782, nach dem einſtimmigen dringenden Verlangen der Nation verabſchiedete Miniſterium. D. ; aber wenn in ihm ein oder zwey nationaliſirte Juden waͤren, die redlichſten und einſichtsvolleſten Maͤnner von der Weit, und ſie thaͤ - then alles was das jetzige Miniſterium thut, oder noch mehr: wuͤrde nicht bey dem Widerſpruch gegen gewiſſe Maasregeln, oder auch bey gewiſſen Fehl -trit -62tritten, eine Rebellion entſtehen? Der muͤßte die Engliſche Nation nicht kennen, der hier auf die Ant - wort lange nachſoͤnne. Die Bedienung eines Hof - juden, Cammerjuden u. ſ. f. die ſich auf Handlung und Wechſel beziehet, bleibt dem Juden doch immer, und iſt vortheilhaft.

Sogar gegen die niedrigen Bedienungen von Zolleinnehmern, die man bisweilen den Juden an - vertrauet, moͤchte noch wohl etwas zu erinnern ſeyn. Es iſt nicht blos fuͤr das herrſchende ſchuͤtzende Volk ein uͤbel Compliment, ſie Auslaͤndern, die ſich im - mer als ein fremdes Volk unterſcheiden, und doch durch ihre Bedienung viel Rechte bekommen, ſo zu unterwerfen, (der alte verdiente Soldat von unſerm eigenen Volk, der uns einmahl vertheidiget hat, ſchickt ſich beſſer, und dem goͤnnen wir alle dankbar dieſen Unterhalt) auch muß man, nach der Beſchrei - bung die Herr D. ſelbſt von den Juden macht, von ihnen Chicanen und Erpreſſungen erwar - ten: ſondern es ſchwaͤcht auch in der Folge die Anfangs zunehmenden Einkuͤnfte des Staats. Je widriger man gegen Zoll - und Acciſe-Einnehmer ge - ſinnet iſt, deſto hoͤher ſteigen die Defrauden, und ihre unuͤberſehliche Kunſt, die jetzt die Schwaͤche ei - niger deutſchen Staaten, und die Laſt fuͤr ehrliche,die63die Abgaben gewiſſenhaft entrichtende Buͤrger wird. Das Gegenmittel gegen ſie anzugeben, gehoͤrt hier nicht her, wohl aber dis, daß man das Uebel nicht durch juͤdiſche Zoͤllner vermehren muß*)Mich duͤnkt daß Herr M. hierin ſo wohl im Allge - meinen, als auch in Abſicht der Juden, ſo lange ſie nicht voͤllig nationaliſirt ſind, ſehr recht habe. D. .

Zu derjenigen Guͤte oder Billigkeit, die Herr D. den Juden von unſern Fuͤrſten verſchaffen will, ge - hoͤrt auch, daß ſie zwar alle Abgaben der Chriſten, aber keine mehrere, kein Schutzgeld geben, wie er ſich ausdruͤckt, nicht ihre Exiſtenz bezahlen ſol - len. Dis Schutzgeld koͤmmt mir doch billig vor, da ſie dem Staat blos Geld, nicht ihr Blut, nicht ihre Haͤnde, zur Vertheidigung geben koͤnnen, und wol - len. Hier bin ich aber nicht im Widerſpruch gegen Herrn D. denn er ſagt ſelbſt S. 147 bis ſie zu mi - litaͤriſchen Dienſten eben ſo willig als faͤhig ſich erprobt haben werden, iſt nichts gerechter, als daß ſie fuͤr dieſe Nichtleiſtung ihrer Pflicht beſondere Abgaben entichten. Der Unterſchied unſerer Gedanken beſteht nur darin, daß ich glaube, die Juden werden nie, nicht im zehnten Geſchlecht, zu Kriegesdienſten ſo willig und koͤrperlich-tuͤchtig ſeyn als Deutſche, und die Auflage werde alſo ewigſeyn.64ſeyn. Dabey glaube ich auch, das Schutzgeld, das Juden zu geben pflegen, ſey gegen unſer, der ſchuͤ - tzenden oder ſchuͤtzende Kinder zeugenden Nation, Blut, der noch dazu das Land gehoͤret, und von der der Landesherr ſeine Rechte hat, nicht unmaͤßig. Soll Gleichheit zwiſchen Deutſchen und Juden in den Auflagen ſeyn, ſo iſt es duͤnkt mich, nicht ge - nug, das der Jude, der keine Kriegesdienſte thun kan, einen Soldaten fuͤr ſich ſtellet; ein frem - der Soldat, oft viel fremde, ſind nicht ſo gut wie Ein Landeskind, und mancher Bauer giebt im Krie - ge mehr als Einen Sohn her, aber denn tritt noch der große Unterſchied ein, daß der Deutſche auch auf die Zukunft Kinder und Kindeskinder zeuget, die Haͤnde haben, und ſchuͤtzen koͤnnen, der Jude aber nichts zum Schutz brauchbares zeuget, ſondern blos geſchuͤtzt ſeyn will.

Was Herr D. von S. 125 an ſaget, daß Ju - den, ich verſtehe es, in Streitigkeiten unter einan - der nach ihrem eigenen Recht gerichtet werden ſollen, halte ich fuͤr die groͤſſeſte Billigkeit: aber in vielen Laͤndern iſt dis keine Bitte, ſondern ſchon erfuͤllet, z. E. im Hanoͤveriſchen. Dis geht ſo weit, daß, wenn auch der Proceß an ein hoͤheres Landesgericht kaͤme, von demſelben nicht einmahl, wie ehedem ge -braͤuch -65braͤuchlich war, Profeſſoren der orientaliſchen Spra - chen, ſondern im Lande beſtellete Rabbiner befraget werden: und dieſe Billigkeit iſt allgemeiner Nachah - mung werth. Rabbinen muͤſſen ohne Zweifel ihr hergebrachtes Recht viel beſſer verſtehen, und leich - ter beantworten koͤnnen, als der beſte und gelehrte - ſte Profeſſor der orientaliſchen Sprachen, denn der hat ſich mit ganz andern Dingen zu beſchaͤftigen, und Rechtskunde, ſonderlich die etwas verworrene juͤdiſche Rechtskunde, erfodert ihren eigenen Mann. Wir Chriſten fragen ja auch den Profeſſor Eloquen - tiaͤ nicht, wenn uͤber Acten nach roͤmiſchem Recht zu urtheilen waͤre. Aber Einen Gedan - ken, der mir mehrmahls aufgefallen iſt, und den zu ſagen ich noch nie Gelegenheit gehabt habe, kann ich hier nicht unterdruͤcken: wirklich er geht, das wird Herr D. wohl kaum von mir erwarten, auf eine Verhinderung der Juden in einem gewiſſen Stuͤck nach ihrem Geſetz zu leben*)Ich habe es in meiner Schrift durchaus nicht damit zu thun, daß die Juden ſtrenge nach ih - rem Geſetze leben, ſondern nur damit, daß und wie ſie beſſere und gluͤcklichere Glieder der Geſellſchaft werden moͤgen. Fuͤr die ihnenin; und doch glaube ich,amE66am Ende wird er mir beyſtimmen. Sollte man nicht aus Guͤte die Juden, die man duldet, abhalten, Juden, in der Abſicht ihrer Seele Ruhe zu verſchaf - fen, lebendig zu begraben. Das uͤbereilte Begraben der Juden kann nicht anders, als verurſachen, daß viele lebendig begraben werden, bey der kleinen Ju - denſchaft zu Goͤttingen hat man ſchon zu meiner Zeit Ein durch Dieberey ruchtbar gewordenes Beyſpiel ge - habt, (die meiſten bleiben verborgen) neulich las man auch eins in den politiſchen Zeitungen, mit der wohl - gemeynten Anmerkung des uͤbel unterrichteten Zei - tungsſchreibers, Moſes habe recht gethan, in einem ſuͤdlichen Clima das fruͤhe Begraben zu befehlen, aber in Deutſchland ſollte man es abſtellen. Moſes hat kein Wort davon verordnet, zu ſeiner Zeit begrub man noch viel ſpaͤter, als bey uns, es iſt rabbini - ſche Verordnung, freylich ſchon eine zu Chriſti Zeit eingefuͤhrte, wie man aus dem N. T. und Joſepho ſiehet, und vermuthlich, ſo wie manche andere Ge -braͤuche*)in Abſicht ihres Geſetzes zu verſtattende Frey - heit bin ich alſo nur in ſo fern es dieſem Zwecke nicht widerſpricht. Ich ſtimme daher der Abſchaf - fung des abſcheulichen Mißbrauchs, von dem Herr M. hier redet, von Herzen bey und wuͤrde dieſes thun, wenn er auch wirklich in dem juͤdiſchen Ge - ſetz gegruͤndet waͤre. D. 67braͤuche jener Zeit aus Annehmung des Aberglau - bens der herrſchenden Nation entſtanden; denn ſo wie Griechen und Roͤmer ſagten, der Unbegrabene werde vom Charon nicht uͤbergeſetzt, ſo glauben die Juden, die Seele koͤnne nicht zu Gott kommen, bis der Leib zur Erde gekommen ſey. Waͤre es nicht fuͤr Juden Wohlthat, ihr Leben zu ſichern? nicht, daß man ihnen befoͤhle, wider ihr Gewiſſen zu handeln, und ſpaͤter zu begraben, beyleibe nicht! ſo wenig als man dem Quacker, der in die Koͤnigl. Zimmer zu St. James geht, befiehlt den Huth abzunehmen, ſondern daß man, wie dieſem die Wache den Huth abnimmt, auch den Juden ihre Leiche abnaͤhme, und bis auf den dritten Tag in einem dazu verordneten Zimmer unter guter Aufſicht aufbewahrte?

Nun noch ein paar Anmerkungen zum hiſtori - ſchen Theil des Buchs. S. 38. wo von dem Briefe die Rede iſt, den die Juden zu Worms, Ulm und Regensburg, 1348 vorwieſen, in dem ihnen die Juden in Palaͤſtina von Jeſu Nachricht gegeben, iſt vermuthlich ein Nicht durch einen Druckfehler ausgelaſſen, und es ſoll (meo periculo legen - dum cenſeo) heiſſen: von den diplomatiſchen Kenntniſſen dieſer Zeit laͤßt es ſich Nicht er - warten, daß man eine ſolche Urkunde fuͤrE 2 aͤcht68 aͤcht halten, und durch ſie bewogen werden koͤnnte, uͤber die Juden etwas guͤnſtiger zu denken. Ich wuͤrde Gruͤnde anfuͤhren, wenn ich nicht ganz klar zu ſehen glaubte, daß es ein Druckfehler iſt*)Es iſt dieſes kein Druckfehler, und das Nicht wuͤr - de meinen ganzen Sinn gerade umkehren. Die Kuͤrze meines Ausdrucks muß Schuld ſeyn, daß dieſe Stelle einem Michaelis dunkel ſeyn koͤnnen, und dieſe Kuͤrze war alſo Fehler. Die Urkunde, von der hier die Rede, iſt natuͤrlich falſch, nur weil man im 14ten Jahrhundert ſo wenig Geſchichts - und di - plomatiſche Kenntniſſe hatte, konnte man vielleicht ſie fuͤr aͤcht annehmen, und wenn man alſo hiernach die Vorfahren der deutſchen Juden an dem Tode Chriſti unſchuldig glaubte, bewogen werden, beſſer von dieſen zu denken und ſie menſchlicher zu behan - deln. Dies war mein Sinn. D. , deren ich noch einen den ganzen Sinn veraͤndernden, auf eben dieſer Seite wahrge - nommen habe**)Ich habe dieſe Seite mehrmalen mit Aufmerkſam - keit durchgeleſen, aber keinen Druckfehler finden koͤnnen. Die Bemuͤhung verſchiedener Freunde iſt eben ſo vergeblich geweſen. D. .

Daß die Griechiſch-Syriſchen und Aegyptiſchen Koͤnige die Juden fuͤr ſehr gute Unterthanen anſa -hen,69hen, und ihnen auſſerordentliche Freyheiten verlie - hen, iſt hiſtoriſch wahr: nur die Sache gewinnet bey dieſer Anempfehlung der Juden zu vollem Buͤr - gerrecht eine andere Geſtalt. Wir wiſſen erſt die Facta eigentlich blos von einem Juden, Joſepho; aber aus deſſen eigener Erzaͤhlung zeigt ſich, daß die - ſe Koͤnige juͤdiſche Colonien, die ſie in feſte Staͤdte fuͤhrten, als eine Art von Beſatzung gegen die alten Einwohner gebrauchen wollten. Solche Juden-To - leranz moͤchten wir nun wohl nicht gern haben, man - chos europaͤiſche Volk wuͤrde die Haͤnde haben, daß der Fuͤrſt, der ſeinen Unterthanen zu trauen keine Urſache mehr faͤnde, bey einer ſolchen Juden-Guarde nicht gut fuͤhre. Ueberhaupt, auswaͤrtige Beſatzun - gen, die Unterthanen in Gehorſam zu halten, ſind nicht das Gute: der gute Fuͤrſt iſt unter ſeinen Un - terthanen, der Herzog Eberhard von Wuͤrtenberg unter freyem Himmel oder im Walde ſchlafend, im Schoos jedes Unterthaus, und ein Koͤnig von Eng - land wenn ihm ein Higwayman begegnet, und ihn erkennet, ganz ſicher*)Es verſteht ſich von ſelbſt, daß der Fuͤrſt Unrecht haben wuͤrde, der die Juden zu Unterdruͤckung ſei - ner uͤbrigen Unterthanen gebrauchte; aber ſoll die -ſer.

E 3Was70

Was Herr D. von den gluͤcklichen Umſtaͤnden der Juden unter den Roͤmern ſagt, iſt nicht blos rich - tig, ſondern lieſſe ſich noch mit anſehnlichen Zuſaͤtzen, die ihm angenehm ſeyn wuͤrden, vermehren: die Ge - ſchichte, wie ihnen Rechte, die ſie einmahl hatten, ſelbſt nach zwey Rebellionen behalten hatten, un - ter chriſtlichen Kayſern genommen ſind, kann man nicht wohl ohne Misbilligung leſen. Aber nun et - was wichtiges mit Herrn D. eigenen Worten, S. 50. In dieſem Zuſtande befand ſich die juͤdiſche Nation, als die verſchiedenen nordiſchen Voͤl - ker in das Roͤmiſche Reich einfielen, und in den Provinzen deſſelben eigene neue Staaten errichteten. Da die freygebohrnen Roͤmer von dieſen ihren neuen Beherrſchern faſt als Sclaven behandelt wurden, ſo muß - ten die Juden u. ſ. f. Wenn ich dis leſe, faͤllt mir der Gedanke als natuͤrlich auf: es war unrecht, wenn die chriſtlichen Kayſer den Juden nahmen, was ſie hatten, aber wenn die Sieger, und deren Nach - kommen, den Juden Rechte nicht von neuen geben,die*)ſer bloß moͤgliche (bey einer ſo lange Zeit ganz unmilitaͤriſchen Nation gewiß ſehr unwahrſchein - liche) Fall, die Regierung abhalten, zu thun, was Philoſophie und Politick einſtimmig verlangen?71die ſie zur Zeit der Eroberung nicht hatten, ſo iſt es nicht unrecht. Koͤnnen wir mit Vortheil, oder oh - ne Schaden, den Juden mehr einraͤumen als ſie ha - ben, ſo iſt es Menſchenliebe*)und Politick. Ich habe auf dieſes Letztere vor - zuͤglich gedrungen, weil in Sachen der Art, die - ſer Beweggrund am meiſten faͤhig iſt, Aufmerkſam - keit und wirkliche Thaͤtigkeit hervorzubringen. Sonſt bin ich feſt uͤberzeugt, daß in dieſem, wie in jedem Falle, Menſchlichkeit und aͤchte Politick gerade ein und Daſſelbe ſey. D. , dis zu thun: aber was eingeraͤumt werden ſoll, kommt auf die Frage an, was kann ihnen mehreres, als ſie jetzt haben, ohne Nachtheil des Staats, (ſollte der auch noch ſo ſpaͤt erfolgen) und ohne Nachtheil des Einheimiſchen, Recht an das Land habenden, und es vertheidigenden, deutſchen Buͤrgers, deſſen Vater, Vormund und hoͤchſter Bedien - ter der Fuͤrſt iſt, eingeraͤumt werden?

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2. Anmerkungen uͤber dieſe Beurtheilung von Hrn. Moſes Mendelsſohn*)Der wuͤrdige Hr. Verfaſſer ſchickte mir dieſe An - merkungen ſogleich, als er die Michaeliſche Recen - ſion geleſen hatte und mit ſeiner Erlaubniß mache ich ſie itzt bekannt, ob ſie gleich eigentlich dazu nicht beſtimmt waren..

Der Hr. Ritter Michaelis ſcheint keine andere Laſter zu kennen, als Betrug und Spitzbuͤberey. Wenn aber die Laſterhaftigkeit eines Volks geſchaͤtzt werden ſoll, ſo kommen, wie ich glaube, Moͤrder, Straſ - ſenraͤuber, Landverraͤther, Mordbrenner, Ehebrecher, Hurerey, Kindermord ꝛc. mit in den Anſchlag.

Selbſt wenn die Laſterhaftigkeit blos nach der Menge der Diebe und Diebeshehler geſchaͤtzt werden ſoll, muͤſſen dieſe nicht mit der Volksmenge uͤber - haupt in Vergleichung geſetzt, ſondern Kleinhaͤndler und Troͤdler unter den Juden mit Leuten dieſes Ge - werbs unter Andern verglichen werden. Ich wette, daß nach dieſer Vergleichung die Proportion ganz anders ausfallen ſoll. Ich berufe mich keck auf dienem -73nemlichen juriſtiſchen Acten, ob nicht nach dieſer Rechnungsart 25 mal ſo viel deutſche Diebe und Diebeshehler unter den Troͤdlern ſind, als juͤdiſche. Nicht zu gedenken, daß der Jude dieſe Lebensart aus Noth ergreift; die andern aber Feldmarſchaͤlle und Miniſter werden koͤnnen, und aus freyer Wahl Kleinhaͤndler, Troͤdler, Mausfalltraͤger, Schatten - ſpiel - und Raritaͤtenkraͤmer ꝛc. geworden ſind.

Diebshehler finden ſich allerdings unter den juͤdi - ſchen Troͤdlern nicht wenige; aber eigentliche Diebe ſehr wenige, und dieſe ſind groͤßtentheils Leute ohne Schutz, die nirgend auf dem Erdboden unterkommen koͤnnen. Sobald ſie zu einigem Vermoͤgen gekom - men ſind, kauffen ſie ſich von den Landesfuͤrſten ein Schutzprivilegium, und verlaſſen ihr bisheriges Ge - werbe. Dieſes iſt notoriſch, und mir ſelbſt ſind in meinen juͤngern Jahren manche bekannt geweſen, die in meiner vaͤterlichen Heimat ein ganz unbeſcholtenes Leben gefuͤhrt haben, nachdem ſie einige Jahre mit - gelauffen, und ſo viel zuſammengeſcharrt hatten, als zu Erkauffung eines Schutzes erfordert wird. Ein Unweſen, das man blos der feinen Politick zu verdanken hat, den armen Juden allen Schutz und Aufenthalt zu verweigern, und ſie mit offenen Ar - men aufzunehmen, wenn ſie ſich reich geſtohlen ha -E 5ben74ben. So ſehr auch Hr. Ritter M. wider die Ar - muth, nach Anleitung der Schrift, eingenommen iſt; ſo habe ich bey meiner Nation wenigſtens unter den Armen vergleichungsweiſe weit mehr Tugend ge - funden, als bey den Reichen.

Die gehofte Ruͤkkehr nach Palaͤſtina, die Herr M. ſo beſorgt macht, hat auf unſer buͤrgerliches Ver - halten nicht den geringſten Einfluß. Dieſes hat die Erfahrung von jeher gelehrt, an allen Orten, wo Juden bisher Duldung genoſſen, und iſt eines Theils der Natur des Menſchen gemaͤß, der, wenn er nicht Enthuſiaſt iſt, den Boden liebt, auf welchem ihm wohl iſt, und wenn ſeine religioͤſe Meynungen da - wider ſind, dieſe fuͤr die Kirche und die Gebetsfor - meln verſparet, und weiter nicht daran denkt; an - dern Theils aber der Vorſorge unſrer Weiſen zuzu - ſchreiben, die uns den Verbot im Talmud ſehr oft eingeſchaͤrft, an keine gewaltſame Ruͤkkehr zu den - ken; ja ohne die in der Schrift verheißene große Wun - der und außerordentliche Zeichen, nicht den gering - ſten Schritt zu thun, der eine gewaltſame Ruͤkkehr und Widerherſtellung der Nation zur Abſicht haͤtte. Dieſen Verbot haben ſie auf eine etwas miſtiſche, doch ſehr einnehmende Weiſe, durch den Vers im Hohenliede ausgedruͤckt (Cap. 2, v. 7. und C. 3, v. 5.)

Ich75
Ich beſchwoͤre euch,
Toͤchter Jeruſalems!
Bey den Hirſchen,
Bey den Hinden des Waldes,
Daß ihr nicht wecket
Und nicht rege machet
Die Liebe,
Bis es ihr gefaͤllt.

daher ſind auch alle Anſchlaͤge, die die Projectma - cher, Langallerie u. a. ſeines Gelichters auf die Beutel der reichen Juden gehabt haben, noch immer ohne Wirkung, und wenn ſie ſelbſt auch anders aus - geſagt haben, leerer Wind geweſen.

Was Herr M. von unſerer Untauglichkeit zum Kriegesdienſte ſagt, laſſe ich dahin geſtellt ſeyn. Will er, daß die Religion den Trutzkrieg gut heiße; ſo nenne er mir die unſelige, die es thut. Die chriſt - liche ſicherlich nicht. Und werden nicht Quacker und Menoniſten geduldet, und mit weit andern Vorrech - ten und Freyheiten geduldet, als wir?

Anſtatt Chriſten und Juden bedient ſich Herr M. beſtaͤndig des Ausdrucks Deutſche und Juden. Er entſiehet ſich wohl, den Unterſchied blos in Reli - gionsmeynungen zu ſetzen, und will uns lieber als Fremde betrachtet wiſſen, die ſich die Bedingungengefal -76gefallen laſſen muͤſſen, welche ihnen von den Land - eigen thuͤmern eingeraͤumt werden. Allein erſtlich iſt dieſes ja die vorliegende Frage: ob den Landeigenthuͤ - mern nicht beſſer gerathen iſt, wenn ſie dieſe Gedul - deten als Buͤrger aufnehmen, als daß ſie mit ſchwe - ren Koſten andere Fremden ins Land ziehen? Sodenn moͤchte ich auch eroͤrtert wiſſen: wie lange, wie viel Jahrtauſende dieſes Verhaͤltniß, als Land - eigenthuͤmer und Fremdling fortdauern ſoll? Ob es nicht zum Beſten der Menſchheit und ihrer Cultur gereiche, dieſen Unterſchied in Vergeſſenheit kommen zu laſſen?

Mich duͤnkt ferner, die Geſetze ſollen uͤberhaupt keine Ruͤckſicht auf beſondere Meynungen nehmen. Sie ſollten ihren Weg unaufhaltſam fortgehen, und das vorſchreiben, was dem allgemeinen Beſten zu - traͤglich iſt, und wer zwiſchen ſeinen beſondern Mey - nungen und den Geſetzen eine Colliſion findet, mag zuſehen, wie er dieſe heben kann. Soll das Vater - land vertheidiget werden; ſo muß jeder hinzueilen, deſſen Beruf es iſt. Die Menſchen wiſſen in ſol - chen Faͤllen ſchon ihre Meynungen zu modificiren, und ſo zu wenden, daß ſie mit ihrem buͤrgerlichen Berufe uͤbereinſtimmen. Man ſuche ihnen nur die - ſen Widerſpruch nicht zu auffallend zu machen. Ineini -77einigen Jahrhunderten hebt, oder vergißt er ſich von ſelbſt. Auf dieſe Weiſe ſind die Chriſten, der Lehre ihres Stifters ungeachtet, Weltbezwinger, Unter - druͤcker und Sklavenhaͤndler geworden, und ſo koͤn - nen auch Juden zum Dienſte tauglich gemacht wer - den, es verſteht ſich, daß ſie das Maas haben muͤſſen, wie Hr. M. weislich erinnert, wo man ſie nicht etwa blos gegen feindliche Pigmaͤen oder Ju - den, brauchen will.

3. Des Hrn. Michaelis Beurtheilung des Anhangs Menaſſeh Ben Iſrael Rettung der Juden, aus dem Engliſchen uͤberſetzt. Nebſt einer Vorrede von Moſes Mendelsſohn*)Des Zuſammenhangs wegen laſſe ich auch dieſe Recenſion hier abdrucken..

Ich erwaͤhne dieſe Bogen blos deshalb, weil ſie ein Anhang der Dohmiſchen Schrift iſt, ohne ſie eigentlich zu recenſiren, denn nur ent -fer -78fernter Weiſe gehoͤrt ſie in dieſe Bibliothek. Die uͤberſetzte Schrift des R. Manaſſe iſt in der Hiſtorie merkwuͤrdig, weil ſie veranlaſſete, daß die vorhin vertriebenen Juden unter Cromwel wieder in Eng - land aufgenommen wurden; wiewol freylich, wie die Geſchichte ſagt, nicht blos dieſe Schrift, ſondern auch wichtigere Gruͤnde, den Protector gelenkt ha - ben ſollen. R. Manaſſe, ſagt Herr Mendels - ſohn in der Vorrede, war ein Mann von vieler Rabbiniſchen Gelehrſamkeit, und auch andern Wiſ - fenſchaften, und von einem ſehr brennenden Eifer fuͤr das Wohl ſeiner Mitbruͤder. Er erhielt zu Am - ſterdam, allwo er als Chacam der portugieſiſchen Judenſchaft lebte, die noͤthigen Reiſepaͤſſe, und ging in Begleitung einiger ſeiner Nation nach Lon - don, um die Sache ſeines Volks bey dem Protec - tor, bey dem er wohl gelitten war, und bey dem Parlament zu unterſtuͤtzen. Er fand aber mehr Schwierigkeit, als er ſich anfangs vorſtellete, und dieſen Aufſatz ſchrieb er zu einer Zeit, da er die Hofnung, in ſeinem Geſchaͤfte gluͤcklich zu ſeyn, faſt aufgegeben hatte. Endlich aber gelang es ihm den - noch, und die Juden wurden unter leidlichen Be - dinguugen wieder aufgenommen.

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In der Engliſchen Geſchichte iſt dis, wie ſchon geſagt, immer ein ſehr wichtig Stuͤck: denn wenn auch der Protector noch andere eintraͤgliche Urſa - chen der Wiederaufnahme der Juden hatte, und an - dere ſcheinbare vorgab, unter denen ſelbſt die Hof - nung einer Judenbekehrung, und die Pflicht der Chriſten an ihnen zu arbeiten, war, ſo iſt es doch dem denkenden Leſer der Geſchichte gar nicht gleichguͤltig, zu wiſſen, was dieſem ſehr klugen Kopf, der ein vom Religions-Enthuſiasmus wuͤtendes Volk zu beherrſchen und zu lenken hatte, fuͤr Mittel ge - geben ſind, alte thoͤrichte Anklagen des Aberglaubens und Religionseifers gegen die Juden zu beantwor - ten. Herrn Dohms Project betrift Manaſſes Brief eigentlich nicht; denn Manaſſe forderte fuͤr die Ju - den nicht das, was Herr D. ihnen goͤnnete, und ſie wuͤnſchten hauptſaͤchlich wegen der Handlung in Eng - land zu ſeyn: auch verdienen die meiſten Anklagen gegen die Juden, die Manaſſe beantwortet, jetzt wenigſtens im noͤrdlichen Deutſchland keine Beant - wortung mehr, weil ſie niemand mehr erhebt, ſon - dern das Publikum ſie als bloße Pfaffen - und Moͤnchs-Laͤſterungen verachtet.

Wichtiger und Herrn D. Zweck naͤher betref - fend iſt hingegen Herrn Mendelsſohns Vorrede. Weil80Weil ſie aber nichts in die orientaliſche Litteratur einſchlagendes neues enthaͤlt, oder enthalten kann, wird man hier keine eigentliche Recenſion erwarten, ſondern ſie ſelbſt leſen. Doch einen die Hauptſache betreffenden Mendelsſohniſchen Gedanken, der ſehr von Herrn Dohm abgehet, kann ich nicht unbemerkt laſſen. Herr Dohm rechnete zur Autonomie, die er den Juden eingeraͤumt wiſſen wollte, auch die kirch - liche, inſonderheit dieſes, daß ſie das Recht der Ausſchlieſſung auf gewiſſe Zeiten, oder auf im - mer haben, und im Fall der Widerſetzung das Erkenntniß des Rabbinen durch obrigkeitliche Beyhuͤlfe unterſtuͤtzt werden ſollte. Dis ver - langt nun Mendelsſohn nicht allein nicht fuͤr ſie, ſon - dern glaubt, es gebe gar keine ſolche kirchlichen Rech - te uͤberhaupt, (der Nahme klingt ihm ſchon unver - ſtaͤndlich) jede Geſellſchaft habe das Recht der Aus - ſchlieſſung, nur die kirchliche nicht, die ſolle nieman - den verſagen, an der gemeinſchaftlichen Erbauung, und Unterricht Theil zu nehmen, dis ſey ja Beſſe - rungsmittel fuͤr ihn. Er ſetzt noch hinzu: auch einer, der nicht alles glaubt, was die Kirche annimmt, wolle doch nicht gern ohne alle aͤuſſerliche Religion ſeyn, ja es koͤnne Schimpf kaum ſo ganz davon ge - trennet werden. In die Frage, ob es uͤber -haupt81haupt kirchliche Rechte gebe, ſoll ich mich hier wohl nicht einlaſſen, ſie gehoͤrt an einen ganz andern Ort: ich glaube ſie, (und das werden die meiſten Leſer auch thun) dabey wiſſen meine Zuhoͤrer in der Moral, daß ich der Kirche uͤber Layen wenig Rechte verſtatte, (uͤber ihren beſoldeten Diener, den Lehrer, muß ſie mehr haben) daß ich gegen die frommen Wuͤnſche ei - ner ſtrengen Kirchenzucht rede, und das gefaͤhrliche der Kirchenzucht zeige, ſie mag nun ariſtocratiſch von Geiſtlichen oder democratiſch geuͤbt werden, daß ich ſogar dem Geiſtlichen kein Recht gebe, einen ſo be - kannten Boͤſewicht, als Judas Iſcharloth war, vom heiligen Abendmahl auszuſchlieſſen, weil Chriſtus es nicht gethan hat, wenn er, nur nicht als Spoͤtter und Entehrer der Handlung, hinzugehen will: daß unſere Kirche von ihrem Gottesdienſt, ſofern er in Geſang, Gebet, und Unterricht beſteht, keinen aus - ſchließt, weiß jeder und ich billige es von ganzem Her - zen. Und nun wird wohl niemand zu wiſſen verlan - gen, was ich bey dem Widerſpruch zwiſchen D. und M. denke, ſondern als gewiß zum vorausſetzen; ich ſey auf der guͤtigern Seite Mendelsſohns. Das bin ich doch nicht, ſondern gewiſſermaſſen in der Mitte. Die Kirche des herrſchenden Volks handelte thoͤricht und hart, wenn ſie einen Irrglaͤubigen, Unglaͤubi -Fgen,82gen, oder Laſterhaften, von ihrem Gottesdienſt aus - ſchloͤſſe, es hieße ſo viel als, dem Kranken die Apo - theke verbieten; ihn bloß woͤrtlich zur Beſchimpfung auszuſchlieſſen, hat ſie kein Recht, es muͤßte denn der Staat es ihr ausdruͤcklich verliehen haben, vom bruͤderlichen Umgang ausſchlieſſen, iſt bey ihr ein Nichts, denn die allgemeine Kirche des Volks iſt Welt, und der Unterſchied des Umgangs mit Ne - benmenſchen und Nebenchriſten wird unſichtbar. Aber ein anderes iſt es mit einer kleinern bloß gedul - deten, und vom herrſchenden Volk geſchuͤtzten Kirche. Hier treten folgende Umſtaͤnde ein, die das Recht der Ausſchlieſſung, bisweilen gar der bezeugten ge - meinſchaftlichen Verabſchenung, zu ihrer Exiſtenz nothwendig machen.

  • 1) Durch gewiſſe Verbrechen eines Mitgliedes kann die kleine Kirche in den Augen des Volks beſchimpft werden, welches glaubt, es ſey nach ihrer Moral, und Folge ihrer Religion. Wenn jetzt ein Chriſt ſeine Stiefmutter heyrathete, und ein ſchaͤndlicher Prediger verrichtete noch ſogar die Trauung: ſo waͤre das Chriſtenthum nicht in den Augen des Volks beſchimpft, denn wir alle ſind Chriſten, und wiſſen, dis iſt nicht nach unſerer Religion, hier iſt alſo die Strafeder83der Obrigkeit allein uͤberlaſſen: aber anders 1 Cor. 5, 1 5. So lange die Corinthier den Blutſchaͤnder nicht ausſchloſſen, mußte ihre Re - ligion den Heiden aͤuſſerſt ſchwarz vorkommen.
  • 2) Gewiſſe Verbrechen eines Einzelnen koͤnnen die Rache des herrſchenden Volks gegen ſie reitzen, wenn dieſer Einzelne noch als Mitglied ihrer Ge - meine angeſehen wird. Geſetzt, ein juͤdiſcher Enthuſiaſte haͤtte um die Zeit, da Cromwel die Juden wider aufnahm, oͤffentlich Chriſtum ge - laͤſtert, (das er nach der beſten juͤdiſchen Moral nicht thun ſoll, ſelbſt den Capitoliniſchen Ju - piter nicht) haͤtten nicht die Juden ihn auf das oͤffentlichſte ausſtoſſen muͤſſen, wenn ſie, ich will nicht ſagen ihrer Duldung, ſondern ihres Lebens ſicher ſeyn wollten?
  • 3) Durch gewiſſe Verbrechen eines Einzelnen kann die kleine Kirche einen Theil oder das Ganze ihrer Gewiſſensrechte oder Duldung verlieren. Jeder weiß, was in England der Fall ſeyn wuͤrde, wenn ein Quaker im Gerichte eine Luͤge begienge, ſein Ja nicht Ja, und ſein Nein nicht Nein, nicht ſo heilig als der Eid waͤre: ihre ganze Befreyung vom Eide hoͤrte damit auf. Geſetzt der Fall truͤge ſich zu, koͤnnte man esF 2den84den Quakern verdenken, wenn ſie ihn aus ihrer Gemeine ſtieſſen? Doch dis wuͤrde die Sache noch nicht beſſern! koͤnnte man es ihnen verden - ken, wenn ſie alſo noch weiter gingen, und zu Verhuͤtung des Ungluͤcks einen auch auſſergericht - lichen Luͤgner von ihrer Gemeine ausſchloͤſſen?
  • 4) Das herrſchende Volk ſchuͤtzt und duldet die kleine Kirche, unter der Zumvorausſetzung, daß ſie gewiſſe Lehren habe, oder nicht habe. Z. E. die eben genannten Quaker, ſind vom Eide frey, weil ſie glauben und bekennen, ein bloſſes Ja und Nein ſey ſo heilig als ein Eid: geſetzt ſie glaubten dis nicht, ſondern hielten falſiloquia fuͤr erlaubt, kann ihre Befreyung fortdauren? In Deutſchland werden jetzt Wi - dertaͤufer geduldet, weil man weiß, ſie haben die rebelliſchen Lehren der Muͤnſteriſchen Wider - taͤufer nicht; wuͤrde aber dieſe Duldung immer fortdauren, wenn ſie jene Lehren haͤtten? Soll - te nun ein Mitglied der kleinen Kirche Irrthuͤ - mer von dieſer Art haben, ſo iſt doch wohl der Kirche das Recht unentbehrlich, es feyerlich aus - zuſchlieſſen, und von ſeinem Gottesdienſte nicht nur, ſondern auch von Freundſchaft und Um - gang zu entfernen.
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Auf ſolchen Faͤllen muͤßten ja denn auch billig die, neue Rechte erwerbenden Juden, das alte Recht der Ausſchlieſſung aus ihrer Gemeine behalten, und im Fall der Noth von der Obrigkeit unterſtuͤtzt werden; ſo wenig ich es meiner Kirche anrathen wuͤrde, dis Recht zu uͤben, ſo rathſam koͤnnte es doch fuͤr Juden ſeyn: ja vielleicht hat der ihnen neue Rechte einge - ſtehende Staat Urſache zu verlangen, daß ſie es uͤben. Es erleichtert ihre Nationaliſation. Darf ich dis mit ein paar Beyſpielen erlaͤutern. Betruͤglicher Eid, und Diebſtahl, oder Zuſammenhang mit Die - besbanden, iſt die Hauptſache, die eine Nationali - ſation, ja oft die Duldung der Juden bedenklich macht: man hat auch den Verdacht einer boͤſen Leh - re vom Eide, und dem an Chriſten begangenen Dieb - ſtahl, und ſo unſchuldig die Gelehrtern hier ſind, ſo ſchleichen doch unter dem Poͤbel, ſonderlich unter dem mit Spitzbubenbanden zuſammenhaͤngenden, ſolche Irrthuͤmer herum.

Wie wenn nun ein Jude dergleichen Irrthuͤmer aͤuſſerte, bey denen ſelbſt die Duldung der Juden be - denklich wird, ſollten nicht die nationaliſirten Juden das Recht haben und gebrauchen, ihm zu ſagen, du biſt kein Jude, du haſt unſere Lehre nicht, und ihn von ihren Synagogen auszuſchlieſſen? Sollten ſie nichtF 3auch86auch zu ihrer Ehre das Recht haben, eben ſo mit dem von der weltlichen Obrigkeit uͤberfuͤhrten Meineidi - gen oder Diebe zu verfahren? und koͤnnte der Staat nicht wuͤnſchen, daß dis geſchehe? Wirklich ohne ſo etwas wird dieſe Schwierigkeit, die ich gegen Buͤrger rechte der Juden erwaͤhnt habe, immer groß bleiben: aber wenn ſie, wie die Quaker in England wegen der gerichtlichen Luͤge, alſo ſie wegen Meineides und Dieberey alle fuͤr Einen ſtehen muͤßten, ſo waͤre der Zweifel gehoben. Nur dieſe Bedingung moͤchte zu hart ſeyn: aber die gelindere, die uns ehrliche Ju - den ins Land bringen, und die Sitten des Volkes wirklich beſſern wuͤrde, waͤre dieſe; diejenigen juͤdi - ſchen Gemeinen, die Buͤrgerrechte erlangen, ſchlieſ - ſen jeden aus ihrer buͤrgerlichen und kirchlichen Ge - meinſchaft aus, der einen falſchen Eid gethan, oder an einem Diebſtahl, mittelbar oder unmittelbar An - theil genommen hat, halten ihn fuͤr keinen Juden, und haben keine Gemeinſchaft mit ihm. Dis waͤre das gerade entgegengeſetzte deſſen, was ſelbſt die bloſſe Duldung der Juden in manchen kleinen Herr - ſchaften Deutſchlands den Unterthanen ſo fuͤrchter - lich macht: ſie beklagen ſich, dieſe Juden, (gemei - niglich Arme, doch bisweilen ein Reichgeworde - ner darunter) waͤren Mitglieder oder Abſetzer derSpitz -87Spitzbubenbanden, und wenn nun ſolche, auch ſelbſt auf Einbruͤchen, oder wo ſonſt Carl des fuͤnften pein - liche Halsgerichts-Ordnung den Strang ſetzt, er - griffen wuͤrden, kaͤmen ſie doch los, denn die Ju - den, die ſich es zur Pflicht machten, einem Juden das Leben zu retten, ſonderlich aber zu hindern, daß er nicht gehangen wuͤrde, legten Vorbitten ein, und begleiteten ſie mit Geld, das bey einem armen Fuͤr - ſten mehr wiegt, als das Wohl und die Sicherheit der Unterthanen. Ob ihre Klagen wahr ſind, die man mir erzaͤhlt hat, will ich nicht unterſuchen: allein ſo lange nur der Verdacht dauret, waͤre eine Juden-Nationaliſation ſchrecklich. Dis ſchreck - liche kann bloß durch gute Uebung des Kir - chenbannes wegfallen: der Jude, der geſtohlen, der falſch geſchworen hat, ſey kein Jude mehr, die juͤdiſche Gemeine verliere alle ihr verliehene Rechte, wenn ſie Judenliebe gegen ihn beweiſet, und ſich auch nur mittelbar verwendet, ihn vom Stran - ge los zu machen. Juden, die ſich nicht ſo vom Meineidigen oder Spitzbuben losſagen wollten, wo - fuͤr ſollte man die halten? und wie koͤnnte man ih - nen mehr Rechte geben? da die bloſſe bisherige Dul - dung gerade durch die beſondere uͤber MenſchenliebeF 4ſo88ſo ſehr hinausgehende Judenliebe dem herrſchenden und ſchuͤtzenden Volk ſo gefaͤhrlich wird?

Aber nun auf der andern Seite: ich glaube nicht, daß M. gegen eine Ausſchlieſſung dieſer Art etwas einwenden wuͤrde; die deren Recht er den Rabbinen nicht goͤnnen will, iſt wohl von einer andern Art. Es gehen da Misbraͤuche und Tyranneyen vor, von denen Chriſten bisweilen hoͤren, er aber vielleicht mehr wiſſen mag, und die wollte er u[n]terdruͤckt wiſ - ſen. Damit bin ich ſehr einſtimmig. Das Recht der Ausſchlieſſung, daͤchte ich alſo, bliebe, und die Tyrannen wuͤrde abgeſondert: wie das geſchehen ſoll iſt hier zu weitlaͤufig zu ſagen, es iſt aber auch leicht zu errathen, ohne daß ich mehr Papier verſchwende.

4. Des89

4. Des Hrn. Prediger Schwager Ge - danken, bey Leſung dieſer Schrift.

Mit Ehrfurcht betracht ich jeden Verſuch eines Menſchenfreundes, den Unterdruͤckten das Wort zu reden, und dem Unterdruͤcker ein Wort an’s Herz zu legen. Weit bin ich immer davon entfernt geweſen, eine ungluͤckliche Nation zu haſſen, weil ſie Gott auf eine andere Art verehrt, als ich, ande - re Sitten und Gebraͤuche hat, als ich in meiner Re - ligion vorfinde, und mir ihren Himmel verſchließt, weil ich unbeſchnitten bin, und Schweinefleiſch eſſe. Ich hab es immer beklagt, daß wir die Juden durch ein druͤckendes, politiſches Joch zwingen, uns be - truͤgen zu muͤſſen, denn wie ſollen ſie es anders ma - chen, um leben zu koͤnnen? woher anders ihre ſchweren Abgaben beſtreiten? und wie ſich anders an der Ver - achtung raͤchen, womit wir die Menſchheit in ihnen beleidigen? Ich gehoͤre nicht zu denjenigen, die ihreF 5Be -90Beſtaͤndigkeit, mit der ſie an dem Geſetz ihrer Vaͤ - ter hangen, Halsſtarrigkeit nennen; denn es iſt ge - rade der beſte Theil dieſer Voͤlkerſchaft, die ihre An - haͤnglichkeit am Geſetze Moſis am unerſchuͤttertſten beybehaͤlt, und wir duͤrfen ſelten auf die Proſelyten ſtolz ſeyn, die von ihnen zu uns uͤbergegangen ſind. Ihre Erziehung iſt religioͤſer, als die unſrige, weil ſie unter dem Drucke ſind, ihre Erwartung wird aufs hoͤchſte geſpannt, und die Lebhaftigkeit ihres Genies verleitet ſie weit eher zum Fanaticismus, als uns unſer groͤßeres Pflegma. Und was thun wir, ihnen die Vorzuͤge der chriſtlichen Religion vor der ihrigen einleuchtender zu machen? Leben wir gewiſ - ſenhafter nach unſren religioͤſen Grundſaͤtzen, als ſie? Sind wir weniger in Rotten und Secten getheilt, als ſie? Verfolgen ſich chriſtliche Religionspartheyen weniger, als die Thalmudiſten und Karaiten unter einander? Eben deswegen, weil wir in unſerm Le - ben ſo wenig Chriſten ſind, eben deswegen, weil ſo wenig Bruderliebe unter uns herrſcht, eben deswe - gen, weil wir mehr uͤber die Wahrheit der chriſtli - chen Religion diſputiren, als nach dem Geiſte derſel - ben leben, eben deswegen kann ein ehrlicher Jude mit ſeinen Vorurtheilen nicht zu uns uͤbergehen, wir erſchweren ihm ſelbſt dieſen Schritt. Und ſollte ſichdie91die chriſtliche Religion wohl durch Druck und Ver - achtung empfehlen? Die Religion der Chriſten in ihrer urſpruͤnglichen Reinigkeit kennt freylich keinen Verfolgungsgeiſt, ſie empfiehlt gegenſeitige Liebe und Duldung, und ihrem Stifter war ein rechtſchaffe - ner Samariter lieber, als ein rechtglaͤubiger Jude der ein Schurke war. Aber woher ſoll der Jude dis reine Urchriſtenthum kennen lernen, da wir’s ſelbſt alle nicht mehr kennen? Kann er anders, als nach unſerm eigenen Leben und Wandel auf unſere Reli - gion zuruͤckſchließen? und kann ſie ſich da empfeh - len? Geſetzt nun, ſein Irrthum iſt ihm da ver - dammlich, von weſſen Haͤnden wird ſein Blut gefor - dert werden? Von den Seinigen allein? oder auch von den Unſrigen? von uns, die wir ihn durch un - ſer ſchlechtes Leben zwangen, ſchlecht von unſerm Glauben zu denken? die wir in ihm durch poͤbelhafte, blinde Verachtung den Menſchen ſchaͤnden, und Den entehren, der den Menſchen geſchaffen hat? Kann der Jude Vertrauen zu demjenigen haben, der ihn geringer haͤlt, als einen Hund? In meinem Leben hab ich mir’s nicht erlaubt, einen Juden ſchlecht zu behandeln, ich hab in ihm den Menſchen geehrt, der Fleiſch iſt von meinem Fleiſch, und Bein von meinem Bein. Mit ſeinem Irrthum hab ich Ge -dult92dult gehabt, weil ich vielleicht, bey ſeiner Erzie - hung, in ſeiner Verfaſſung, eben ſowohl ein Jude wuͤrde geweſen und geblieben ſeyn, als er. Den rechtſchaffenen Juden, (und es giebt gewiß welche) hab ich immer mehr geliebt, als den ſogenannten Chriſten, der ſeinen Glauben durch ſein Leben ſchaͤndet; denn ich weiß es von Petro, daß Gott die Perſon nicht anſiehet, ſondern in al - lerley Volk, wer ihn fuͤrchtet und recht thut, der iſt ihm angenehm. Apoſt. Geſch. 10, 34. 35. Dadurch hab ich manchen Juden von einer beſſern Seite kennen gelernt, als andere ihn kennen lernen wollten, ich habe gefunden, daß ſie edler Empfin - dung faͤhig ſind, und weiß gewiß, daß, wenn ich unter Moͤrder fallen wuͤrde, und ein Jude, der mich kennte, kaͤme des Weges, er nicht bey mir voruͤber gehen wuͤrde.

Kein Religionsirrthum, der unverſchuldet iſt, entbindet mich von der allgemeinen Pflicht, meinen Naͤchſten zu lieben, und wie kann ich’s beurtheilen, daß der Irrthum des Juden verſchuldet oder unver - ſchuldet war? Ich kann mich nicht ganz in ſeine Lage hinein denken, mich nicht ganz in ſeine Stelle ſetzen. Es gehoͤrt ſchon ein genauer Beobachter dar - zu, der ſeine eigene Seelengeſchichte kennen und rechtwiſſen93wiſſen ſollte, wie und durch welche Veranlaſſung er nach und nach zu ſeinen Ueberzeugungen gekommen ſey? Und beynahe moͤgte ich ſagen, es giebt ſolche genaue Beobachter gar nicht, wenn keine gewiſſe Re - volution bey ihnen vorgegangen iſt, von der ſie ihre Seelengeſchichte an datiren. Um wie viel weniger bin ich alſo im Stande, die Selengeſchichte eines andern zu beurtheilen und zu kennen. Wir wollen das Wort Ueberzeugung nicht im ſtrengſten Ver - ſtande nehmen, da es freylich eine unpartheyiſche Pruͤfung vorausſetzt; denn in dieſem Falle wuͤrden wir manche ſogenannte Ueberzeugung der Chriſten gleichfalls ausrangiren muͤſſen, und wie wuͤrd es dann unſern Fanatikern und Geiſterſehern gehen? Sondern ich nehme das Wort Ueberzeugung nach der Moͤglichkeit eines Subjects, ſeiner Meynung gewiß zu ſeyn. Dieſe wird durch tauſenderley Zu - faͤlligkeiten eingeſchraͤnkt oder ſubjectiviſch vernichtet. Wie ſelten iſt die Faͤhigkeit, einer Sache ſo tief nachzudenken, als ſolche Pruͤfungen, wenn ſie wei - ter bringen ſollen, erfordern! wie ſehr fehlt es tau - ſend Menſchen an den erforderlichen Datis, Zeit, Unbefangenheit und Luſt! Sorgen fuͤr Leibes - nahrung und Nothdurft nehnen bey den meiſten Menſchen alle Zeit weg, beſonders bey den Juden,dem94dem groͤßten Theile nach, und ein Geiſt, der ſo ſehr niedergedruͤckt wird, als der ihrige, iſt wohl zum Philoſophiren wenig aufgelegt, wenn er nicht aus der hoͤhern Claſſe menſchlicher Seelen iſt. Alles, was Seelen taͤglichen Schlages thun koͤnnen, iſt ſich von ih - ren Meynungen zu uͤberzeugen, und da giebts leichte Arbeit, die man noch auf den Feyerabend thun kann. Ein aͤngſtiges Gewiſſen haͤlt eine unzaͤhlbare Menge der Chriſten von weiterm Forſchen zuruͤck, ſollten die Juden dieſen menſchlichen Schwachheiten und Unvollkommenheiten weniger unterworfen ſeyn? Der groͤßte Theil unſerer Religionslehrer hat ſich nicht bis zu dieſer Pruͤfung verſtiegen, und wir dulden ſie doch, ja ſie koͤnnen ein weit ruhigeres Leben fuͤh - ren, als die Pruͤfer; warum ſollten wir denn die Juden uͤber Unterlaſſuugsſuͤnden anfeinden, die wir ſelbſt auf dem Gewiſſen haben? Zu dem leitet die groͤßere Lebhaftigkeit der Juden eher zum Fanaticis - mus, als zum kalten Nachdenken, und wer mit je - nen bekannt iſt, wird ſich’s leicht erklaͤren koͤnnen, warum der Jude unſere Gruͤnde nicht pruͤfen will, die uns freylich nicht einleuchtend ſind, aber um kein Haar einleuchtender, als ihm die Seinigen, die ihn beſtimmen, unſere Gruͤnde nicht einmal anzuhoͤren Philoſophiſche Ueberzeugung kann ich von wenigMen -95Menſchen erwarten, und manchmal von denen am wenigſten, die ſie ſich zu verſchaffen am meiſten be - muͤht ſind. Dies wundert mich gar nicht mehr, (wenn ich es ſagen darf,) da ich den Menſchen an mir ſelbſt habe ſuchen naͤher kennen zu lernen. Un - ſere Ueberzeugung und Nichtuͤberzeugung haͤngt von ſo vielen Zufaͤlligkeiten ab, daß ich, um doch ein Beyſpiel zu geben, bey ſchlechter Verdauung oft noch etwas bezweifele, wovon ich bey beſſerm Befinden und groͤßerer Heiterkeit, vollig uͤberzeugt bin. Daß die Juden ihre Kinder mit ungleich groͤßerm Fleiße in ihrer Religion erziehen, als die Chriſten nach Maß - gabe, bedarf, denk ich, nicht erſt erwieſen werden. Meinetwegen moͤgen’s alles Vorurtheile ſeyn, wo - rinn ſie dieſelben von Kindesbeinen an zu beſtaͤrken ſu - chen; ſo viel iſt doch wohl ausgemacht, daß dergleichen ſo tief eingedrungene Vorurtheile hoͤchſt ſchwer auszu - rotten ſind, und bey einigen Subjecten iſt es, nach ihrer Lage, ſchlechtweg unmoͤglich. Wir haben ſo viele Chriſten, die ein beredter und gelehrter Jude ſo ſehr in die Enge treiben koͤnnte, der Meſſias ſey noch nicht gekommen, daß ſie ihn nicht widerlegen koͤnnten; aber Juden wuͤrden ſie deswegen gewiß nicht werden. Der Jude haͤtte eben ſo ſehr ein Recht, den Chriſten deswegen halsſtarrig zu nennen, alswir96wir ihn ſo nennen; aber was wird damit ausge - macht? Nichts, denn widerlegen und uͤberzeugen iſt zweyerley.

Dieſe Wahrheiten ſind, denk ich, von der Art, daß ſie ſich jeder ſagen koͤnnte; ich will und kann ſie alſo nicht fuͤr neu ausgeben. Aber warum haſſen, verfolgen und unterdruͤcken wir denn die Juden? Weil ſie uns vervortheilen? Daran ſind wir ſelbſt Schuld, wir zwingen ſie zum Wucher, um die Ab - gaben beſtreiten zu koͤnnen, die uns ſonſt, bey blei - benden Staatsbeduͤrfniſſen, ſelbſt mit treffen wuͤr - den. Oder weil ſie Chriſtum gekreuzigt haben? Bat doch Chriſtus ſelbſt fuͤr ſie, weil ſie nicht wuſten, was ſie thaten, und Petrus rechnete es den Moͤr - dern ſelbſt nicht einmal an. Nun lieben Bruͤder, ich weiß es; daß ihr’s durch Unwiſſenheit ge - than habt, wie auch eure Oberſten. Apoſt. Ge - ſchichte 3, 17. Sollten wir es denn eine ungluͤckli - che Nachkommenſchaft noch nach mehr als 1700 Jah - ren entgelten laſſen, die vielleicht nicht einmal von jenen Juden abſtammen, die Chriſtum ermordeten? Ein Sohn ſoll nicht tragen die Miſſethat des Vaters, und wir ſolltens ungluͤckliche Enkel thun laſſen, die ſchon durch 50 und mehr Generationen von jenen entfernt ſind? Oder ſollen wir ſie etwades -97wegen ausrotten, weil ſie keine Chriſten ſind? Wa - rum laͤßt ſie aber Gott leben? Ja, ſagt ihr, aber Gott druͤckt ſie auch um ihres Herzens Haͤrtigkeit wil - len? Nein Freunde! das thut nicht Gott, ſondern Menſchen thun es, und viele unter ihnen glauben, daß ſie Gott einen Dienſt daran thun. Aber ſie haſſen doch die Chriſten. Freylich, wenn wir’s darnach machen, nicht aber, weil wir Chriſten ſind. Und laßt ſie es auch aus Sectirerey thun wer hebt den erſten Stein auf? Man giebt ihnen Schuld, daß ſie Chriſten Kinder ermorden und ihnen das Blut ausſaugen. Aber wer kann mir ein einziges Beyſpiel davon zeigen? Pfui, ſolcher Fabeln ſollten wir uns doch endlich einmal ſchaͤmen! Sie nehmen den Chriſten die Nahrung weg. Meynt ihr, daß ſie nicht eben ſo gut einen Magen haͤtten, als ihr? Oder glaubt ihr etwa, daß Gott die Erde blos fuͤr Chriſten erſchaffen haͤtte? In dem Falle wuͤrde er ſchon ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß ſie nicht da waͤren. Die Erde iſt allenthalben des Herrn, die Juden ſind ſowohl ſeine Geſchoͤpfe als wir; er hat, daͤcht ich, alſo auch das Recht, da er ſie gemacht hat, ſie zu erhalten oder ſieheſt du darum ſo ſcheel, daß er ſo guͤtig iſt?

GWie98

Wie kann aber ihr Zuſtand verbeſſert werden? So herzlich ich ihnen auch ein beſſer Schickſal wuͤn - ſche; ſo find ichs doch nicht ſo leicht, als der wuͤrdige Herr Kriegesrath Dohm, der ſie allen uͤbrigen Buͤr - gern des Staats gleich gemacht haben moͤgte. Nicht als wenn ich ’s nicht billig faͤnde, nicht als wenn ich nicht mit der Zeit den beſten Willen dazu von den gerechten Geſinnungen unſerer Fuͤrſten erwartete ſondern ich finde die Hauptſchwierigkeit in den Ju - den ſelbſt. Ich kann ſie in dieſen Blaͤttern nicht ſo weitlaͤuftig auseinander ſetzen, als wenn ich ein Buch daruͤber ſchriebe; aber auch einige Einwuͤrfe in der Kuͤrze koͤnnen den Patrioten ſchon zum Nach - denken bringen. Herr Dohm hat einige dieſer Schwierigkeiten ſelbſt gefuͤhlt, und ich glaube nicht, daß er ſie ſo gehoben hat, daß er ſelbſt vollkommen damit zufrieden ſeyn koͤnnte, und eine der wichtig - ſten iſt ihm ſogar entwiſcht. Die Juden erhalten ſich unter uns noch immer als eine voͤllig fremde Nation, ihre Lebhaftigkeit iſt weit groͤßer, als die unſrige, ihre Sitten und Gebraͤuche ſind ganz andere, und laſſen ſich wirklich nicht ſo modificiren, daß ſie mit uns fuͤglich ein ganzes ausmachen koͤnn - ten. Sie ſind allerdings faͤhig, einen großen Theil der Pflichten der Buͤrger unſerer Staaten auszu -uͤben,99uͤben, aber nicht alle; folglich koͤnnen ſie auch nicht aller Vortheile faͤhig ſeyn.

Ich will einige nennen, nicht den Herrn Ver - faſſer zu widerlegen, ſondern mich freundſchaftlich mit ihm uͤber eine Angelegenheit zu beſprechen, die mir gewiß eben ſo warm am Herzen liegt, als ihm. Er iſt mein Freund, und wird mich ſo beurtheilen, wie ich beurtheilt zu ſeyn wuͤnſche und wer kann es beſſer als er? Eben die uͤberwiegende Lebhaftigkeit, die kein Druck, kein Sklavenjoch voͤllig daͤmpfen konnte, macht ſie unfaͤhig, ſo gute und allgemein nuͤtzliche Buͤrger unter unſerm noͤrdlichen Himmels - ſtriche und mit uns gemeinſchaftlich zu werden, als ſie es in Aſien, und als eine abgeſonderte Nation, haͤtten ſeyn koͤnnen. In einem blos Handlungtrei - benden Staate koͤnnen ſie weit eher noch einrangiert werden, als in einem Staate, der vorzuͤglich Acker - bau treibt. Fuͤr ihre Lebhaftigkeit koͤnnte kein Ge - ſetz weiſer ſeyn, als dasjenige iſt, daß ſie bloß auf die Handlung einſchraͤnkt. Ein ſtilleres, eingezoge - neres Leben, eine ſitzende Lebensart, ſchickt ſich fuͤr ihr Feuer nicht*)Aber dieſe veraͤnderte Lebensart wuͤrde ſicher dieß Feuer laͤngſt gemaͤßigt haben. Es iſt eine allgemei -ne. Ich kenne freylich Staaten, woG 2ſie100ſie Handwerker ſeyn duͤrfen, aber ich hab es auch gefunden, daß ſie, als Handwerker nicht in ihrer rechten Sphaͤre waren, und was ihr Feuer noch daͤmpfen konnte, war Gewinnſucht, der Staat ge - wann nichts dabey, und die juͤdiſchen Handwerker waren nichts weniger als gluͤcklich. Der Judenjun - ge, der in Amſterdam mit ſeiner Schuhbuͤrſte her - um laͤuft, oder ſein Sechsgroſchenmagazin feil bie - thet, gewinnt vielleicht nicht ſo viel, als der Schu - ſter; aber er zieht ſein Gewerbe vor, und iſt gluͤck - licher. Der Jude zeigt durch ſeine Haare und Ge - ſichtsbildung, wie weit er von uns abſtehe, (uͤber uns oder unter uns? iſt hier die Frage nicht,) und eben ſo verſchieden iſt auch ſein Geiſt von dem un - ſrigen.

Er taugt alſo zum Ackerbau nicht. Der Bauer iſt gewiſſermaßen an ſeinen Acker feſtgebunden; keine Jahrszeit, oder ſie fordert ſeine Gegenwart und Auf - ſicht, und will er ein ehrlicher Kerl bleiben; ſo darfer*)ne Eigenſchaft der menſchlichen Natur, daß ſie in jedes Clima ſich paßt, und faͤhig iſt allmaͤhlig zu werden, was fuͤr daſſelbe ſich ſchickt. Mich duͤnkt es liegt bey dieſem und aͤhnlichen Raiſonnemtnt im - mer eine Verwechſelung der Wirkung mit der Ur - ſache zum Grunde. D. 101er ſich ſeinen Geſchaͤften nicht entziehen. Ich hab es aus der Erfahrung, daß die lebhaften Bauren bald ausgehaushaltert hatten, ihr unruhiger Geiſt riß ſie von ihrer Arbeit weg, und durch Verſaͤumen wurden ſie immer eher arm, als durch Verſchwen - dung. Der Jude kann durch nichts, als durch Ge - winnſucht zur Induͤſtrie angehalten werden, die Gewinnſucht pflanzten wir aber durch ſchwere Ab - gaben in ihn, und wenn wir ihm die erlaſſen; ſo duͤrfte die Induͤſtrie auch abnehmen. Der Jude als Jude betrachtet, kann ſein Bauerngut nicht ſo hoch nutzen, als der Chriſt; ich nehme die einzige Schwei - nezucht, die ihm ſein Geſetz unterſagt, und die ei - nem Chriſten ſchon ein ehrliches aufwirft. Und wo - mit ſoll er ſeine Hausgenoſſen bey ſchwerer Arbeit ernaͤhren? Nach unſerer Verfaſſung, (und er ſoll doch mit uns vermiſcht leben,) wuͤrde er die Nah - rungsmittel weit theurer kaufen muͤſſen, als der Chriſt, dem ſeine Schweine die nahrhafteſten und wohlfeilſten ſind, der die Kuh und das Kalb ganz verzehren darf, und ſpeiſte er ſein Geſinde ſchlechter, ſo wuͤrde er auch weniger Arbeit von ihm haben. Der Bauer kann ohne gemeinſchaftliche Huͤlfe nicht beſtehen, ſein Nachbar muß ihm aushelfen und er dem Nachbaren. Der chriſtliche Bauer wird ſichG 3ſei -102ſeinem juͤdiſchen Nachbarn entziehen, er hat Vorur - theile wider ihn, und wer iſt ſo beredt, ſie ihm neh - men zu koͤnnen? Und nun fragt ſich’s nicht allein, ob der Jude ein beſſerer Bauer ſeyn wuͤrde? ſon - dern, ob wir ohne ihn nicht Haͤnde gnug haben, den Ackerbau zu betreiben? Wenn der Jude in un - ſerer Gegend nicht fruͤher das Recht haben ſollte, ein Erbe an ſich zu bringen, bis es an eben ſo guten chriſtlichen Subjecten fehlte; ſo wuͤrd er in Ewigkeit keins erhalten. An andern Orten mag’s anders ſeyn. Oder ſollen die Chriſten etwa zuruͤck ſtehen? Das waͤre Ungerechtigkeit auf der andern Seite. So ſehr uns die Juden von den erſten Beinkleidern an in der Handlungsinduͤſtrie uͤbertreffen, ſo ſehr uͤbertreffen unſre Baurenjungen wieder ſie in dem, was zum Ackerbau erfordert wird. Jeder alſo in ſeinem Fa - che. Wir muͤſſen die Menſchen nehmen, wie ſie ſind, und nicht wie wir ſie uns wohl modeln moͤg - ten, und da wuͤrd es kein chriſtlicher Bauer in ei - nem chriſtlichen Staate, in dem er einheimiſch, und der aͤlteſte Einwohner iſt, einem Juden vergeben, wenn er das Erbe auch ſeines entfernteſten Verwand - ten an ſich braͤchte. Wir haben die Feyertage ſo viel abgeſchaft, als wir konnten, aber den Sonntag ha - ben wir den Chriſten doch gelaſſen, und den Sab -bath103bath werden wir den Juden auch laſſen muͤſſen. So lange unſer Staat noch ein chriſtlicher Staat*)Dieſe Benennung, chriſtliche, mahometaniſche Staaten ſo gemein ſie auch iſt, ſcheint mir doch den richtigen Begriffen von der Natur der buͤrgerli - chen Geſellſchaft widerſprechend. Dieſe kann mehre - re religioͤſe umfaſſen, ſie ihren Zwecken unterord - nen und mit ihnen vereinbar machen. Aber keine der - ſelben gehoͤrt zum Weſen des Staats und der Be - griff einer religioͤſen Geſellſchaft (zahlreich oder nicht thut nichts zur Sache und iſt veraͤnderlich) muß nie in den Begriff der buͤrgerlichen gemiſcht werden. D. blei - ben wird und ſoll, wird man den Juden nicht erlauben, unſern Sonntag durch Feldarbeit zu entheiligen; ſind ſie aber erſt Bauren, ſo wird der Ausfall von zwey Tagen unter ſieben zu ſtark fuͤr ſie ſeyn, und der Ackerbau muß nothwendig darunter leiden. In Eng - land iſt der Jude immer noch auf den Handel allein eingeſchraͤnkt, und ſchon da leidet er durch dieſen Aus - fall von 2 Tagen, worauf ſcharf gehalten wird, un - endlich. Ich moͤgte aber nicht gern, daß man die Juden von dieſem Geſetze diſpenſirte. Freylich ließ es ſich mit der Toleranz reimen, aber nicht mit den Vorurtheilen unſerer Chriſten, wenn es welche ſeyn ſollen; und dann giebt es Vorurtheile, die ſelbſt dieG 4Fuͤr -104Fuͤrſten Urſache haben, zu reſpectiren. Fremde Co - loniſten arten unter den Eingebohrnen nicht, wie wenig werden es die Juden thun, die noch ſo vieles in Abſicht der Religion wider ſich haben!

Soldaten koͤnnen und wollen die Juden auch nicht ſeyn. Es koͤmmt hier nicht ſowohl darauf an, was ſie vormals geweſen ſind, als was ſie jetzt noch ſind; ob ihnen, nach des Herrn Ritter Michaelis Erklaͤrung ihr Geſetz Kriegesdienſte und Entheiligung des Sabbaths erlaube, oder ob’s ihnen ihre eigene Erklaͤrung unterſage? Ich glaube, daß der Jude ſich an ſeinen Rabbinen und an ſeinen Talmud hal - ten, und ſich noch eben ſo unexegetiſch wuͤrde todt - ſchlagen laſſen, als zur Zeit der Maccabaͤer. Viel - leicht gewoͤhnte man ihn nach und nach dazu, (viel - leicht auch nicht) ſein Gewiſſen uͤber die Entheili - gung des Sabbaths zu beruhigen; aber ich moͤgte nicht gern ein Volk gleichguͤltig gegen ſeine Religion machen, wenn ich ihm keine beſſere ſubſtituiren koͤnn - te; denn ich wuͤrd es zuverlaͤßig ſchlimmer machen, als ich’s fand. Ich ſetze alſo voraus, daß der juͤdi - ſche Soldat auch im Felde eben ſo religioͤs und ge - wiſſenhaft ſeinen Sabbath wuͤrde feyren wollen, als zu Hauſe, wie vielen Colliſionen wuͤrde ſich da nicht ihr General ausſetzen! Ein Judeneorps wuͤrde ent -weder105weder am Sabbathe beſtaͤndigen Naͤckereyen ausge - ſetzt ſeyn, oder es muͤßte ſein Geſetz uͤbertreten und ſich vertheidigen. Beydes wuͤrde kein gutes Gebluͤte ſetzen, und auf jeden Fall koͤnnte man dem juͤdiſchen Soldaten auf die Dauer nicht mehr trauen. Ich glaube aber nicht, daß man, um des juͤdiſchen Con - tingents willen ein neues Krieges - oder Voͤlkerrecht wuͤrde machen wollen. Haͤtte man nur einſeitig Ju - den unter dem Heer, ſo ließe ſich vielleicht noch et - was von ihnen erwarten: aber Juden werden gegen Juden ſchlechte Soldaten ſeyn, und um unſerer Chriſten Zwiſte willen kein Bruder Blut vergießen wollen.

Und was darf man von ihrer Tapferkeit erwar - ten? ſehr wenig. Die Juden ſind nach Maßgabe feige Memmen, und wuͤrden ſich eher zu Banditen ſchicken, als ihrem Feinde das Weiße im Auge zu ſehen. Es kommt hier immer nicht drauf an, was ſie waren, als ſie noch ein eigenes Volk ausmachten und wußten, wofuͤr ſie Soldaten waren, ſondern was ſie jetzt ſind. Damals waren ihre Kriege Krie - ge des Herren, der Religionsenthuſiasmus machte ſie tapfer, und ſie waren eine wirklich kriegeriſche Nation, das ſind ſie aber jetzt nicht mehr. Sie konnten es auch noch einige Zeit nach ihrem zerſtoͤhr -G 5ten106ten Staate bleiben, aber ſie ſind es nicht bis auf unſere Zeit geblieben. Es fragt ſich alſo, ob es ſich der Muͤhe verlohne, die Probe mit ihnen zu machen? Freylich koͤnnte man ſie fuͤr Geld von Kriegsdienſten diſpenſiren; aber Leben und Geld ſind ſich nicht gleich am Werthe. Haben die Juden erſt alle buͤrgerliche Rechte, ſo wird jeder ihrer Mitbuͤrger auch von ih - nen erwarten, daß ſie alle buͤrgerliche Laſten in Na - tura mit ihnen gemeinſchaftlich tragen, und ſauer darzu ſehen, wenn die Juden ſich fuͤr Geld frey kau - fen koͤnnen. Die Inſtanz von den Quaͤkern ent - ſcheidet hier nichts, ſie ſind nach Proportion, was die Juden mit der Zeit der Anzahl nach ſeyn koͤnnen, nur eine Handvoll Leute, die im Ganzen nicht be - merkt werden.

Freylich wuͤrde die Bevoͤlkerung zuſehends ge - winnen, wenn den Juden das Heyrathen nicht er - ſchwert wuͤrde, da der Jude aus Religion gern fruͤh heyrathet, um vielleicht, wenn das Gluͤck gut geht, der Vater des Meſſias zu werden. Aber es fragt ſich, ob dem Staate mit einer ſolchen Bevoͤlkerung gedient ſey? Ich ſetze voraus, daß der Ackerbau und der Militaͤrſtand recht gut ohne Juden beſtehen koͤnne, daß wir an Handwerkern eher Ueberfluß als Mangel haben, und daß ſich die Chriſten, wenig -ſtens107ſtens auf dem Lande, ſchon immer dichter zuſammen draͤngen, und taͤglich fleißiger werden muͤſſen, wenn ſie bleiben und leben wollen. Dieſe Bemerkung kann ich wenigſtens in den Preußiſchen Staaten voraus ſetzen, und dafuͤr ſey die Weisheit Friedrichs heut an ſeinem Geburtstage (den 24. Jan.) geſegnet! Warum wollen wir uns denn mehr Gaͤſte aufladen, als Wir beherbergen koͤnnen? mehr Maͤuler, als Wir zu ernaͤhren im Stande ſind? warum unſere Soͤhne, wenn ſie ihr Blut fuͤr’s Vaterland und der ihnen gleichbeguͤnſtigte Jude nur Geld geben ſollen, zwingen in alle Welt zu gehen, um dem Juden eine Wohnung leer zu machen? Was haben uns unſere bisherigen Buͤrger gethan, daß wir ihnen das Brodt halb nehmen und Leuten geben wollen, die es unter der Bedingung nicht verlangen? Warum ſollen die Juden es wagen, ſich auf Aemter und Ehrenſtellen zuzubereiten, ſo lange wir noch Candidaten in Men - ge haben, die lange gnug auf Verſorgung warteten? Warum wollen wir den Geiſt der Juden mit Ge - walt umſchaffen, um ſie in Stellen einzuſchieben, fuͤr die wir ſchon Leute gnug mit dem erforderlichen Geiſte haben? Sollen wir ungerecht gegen tauſend ſeyn, um zehnen Gerechtigkeit wiederfahren zu laſſen?

Alſo108

Alſo ſollte der arme Jude im Elende liegen blei - ben? noch ferner uͤber Haͤrte und Unterdruͤckung klagen? Mit meiner Schuld wenigſtens nicht. Man lerne den Juden erſt kennen, wozu er gut iſt, waͤge die Beduͤrfniſſe des Staats dagegen ab, und behalte ihrer ſo viel bey, als ohne Praͤjudiz der al - ten, erſten Einwohner, uͤber die wir nicht zu kla - gen haben, beſtehen koͤnnen. Man nehme das ſchwe - re Joch der Sklaverey von ihren Nacken, laſſe ſie in Abſicht der Abgaben andern Buͤrgern gleich ſeyn und dann erſt hat man Urſache, ihrem Wucher zu ſteuren. An den meiſten Orten ſind ihrer jetzt ſchon gnug, aber Staͤdte, die leere Haͤuſer und wuͤſte Hausſtellen anzubiethen haben, koͤnnen noch mehrere aufnehmen, wenn die Juden ſich auf neue Fabriken legen wollen, die bis dahin noch nicht im Gange waren, oder doch nicht aufkommen konnten. Hier iſt der Jude in ſeinem Elemente, er handelt die ro - hen Producte ein, laͤßt ſie durch Weiber und Kinder verarbeiten, und ſetzt ſie auch ſelbſt wieder ab. In dieſem Falle, und ich glaube in dieſem einzigen Falle koͤnnen wir noch bis auf einen gewiſſen Grad mehr Juden anſetzen, und ſie die Rechte der Menſchheit genießen laſſen. In den Preußiſchen Staaten koͤn - nen wir auch wenig mehr, oder gar nichts mehr fuͤrſie109ſie thun, oder wir muͤſſen die alten Bewohner emi - griren laſſen, um den Juden Platz zu machen. Aber es giebt noch Laͤnder gnug, wo Raum, mehr Raum als bey uns iſt, und unſere Segenswuͤnſche ſollen ihnen folgen, wenn ſie dort eine beſſere Auf - nahme finden werden. Ich glaube in der That von unſerm Zeitalter, daß das Elend der Juden am laͤngſten gewaͤhrt hat, und eine tolerantere Den - kungsart, die immer mehr Land gewinnt, wird auch ſie in Schutz nehmen. Es kommt nur ſehr auf das gute Betragen der Juden ſelbſt an, ihr Gluͤck feſt zu gruͤnden, wenn ihnen die Sonne aufgeht; ſonſt trift ſie das alte Elend wieder, wenn erſt un - ſern erleuchteten Fuͤrſten ſchwaͤchere folgen ſollten, deren Ohr die neidiſche Bigotterie eher haben duͤrfte, und dis muͤſſen ſie in katholiſchen Staaten beſon - ders fuͤrchten.

Der Herr Kriegesrath Dohm hat ſeine Mey - nung geſagt und zwar mit recht vieler Einſicht, und, was noch beſſer iſt, mit einer edlen Abſicht. Ich habe die meinige auch geſagt, und gewiß mit einem warmen Mitleiden fuͤr eine ungluͤckliche Nation, der ich von Herzen ein beſſeres Schickſal wuͤnſchen moͤgte. Aber großen Troſt konnt ich ihr nicht geben, wenigſtens nicht ſo große Erwartungen, als HerrDohm. 110Dohm. Mein iſt die Schuld nicht, ſie liegt in un - ſern politiſchen Verhaͤltniſſen laͤngſt und feſt gegruͤn - deter Staaten, die dieſer Nation einmal nicht guͤn - ſtig ſind, und dieſe Verhaͤltniſſe laſſen ſich einmal nicht ohne neue Ungerechtigkeiten heben, auch nicht zum Nachtheile der Staaten ſelbſt. Will der Jude ein Ackersmann werden; ſo glaub ich, daß noch Steppen, Heiden und Wuͤſten gnug zu ſeinen Dienſten ſtehen, er wird ſich aber fuͤr dis Geſchenk bedanken. Will er ſeine Handlungsinduͤſtrie weiter treiben; ſo duͤrft es ihm nicht an Gelegenheit fehlen, wenn er auf Fabriken raffiniren will, die ihm und dem Staat, ohne Praͤjudiz eines Dritten, nuͤtzlich ſeyn koͤnnen, und das waͤre, wie geſagt, ſein Ele - ment. Erlaͤßt ihm der Staat die druͤckende Abga - ben, ſo wird er, bey ſeiner Frugalitaͤt, ohne den bisherigen uͤbertriebenen Wucher wohlhabend wer - den koͤnnen. Aber! aber! die Gewohnheit iſt die andere Natur; ich fuͤrchte alſo, daß viele auch in verbeſſerten Umſtaͤnden der Neigung zum Wucher nicht werden widerſtehen koͤnnen; denn ich bin ſchon unglaubiger in dieſem Stuͤcke, als Herr Dohm. Und was kann dann natuͤrlicher folgen, als daß ihre Verachtung bleibt? Alles, was mich auf den Fall ihrer moraliſchen Verbeſſerung, ohne welche ſie einerbuͤr -111buͤrgerlichen Verbeſſerung unfaͤhig*)Dieſe muß jene bewirken, ſo wie die politiſche Herabwuͤrdigung die ſitrliche bewirkt hat. Die - ſen Geſichtspunkt, glaube ich, muß man nie verlaſ - ſen; ſonſt wird das wahre Verhaͤltniß der Dinge gerade umgekehrt. D. ſind, hoffen laͤßt, iſt ihre willige Unterwerfung gegen ihre Religions - lehrer und Aufſeher, von denen ich Einſichten und Patriotismus gnug erwarte, ihr Beßtes zu thun, dieſer ungluͤcklichen Nation eine beſſere, moraliſche Richtung zu geben, um ſich nicht ſelbſt in der Son - ne zu ſtehen.

Aus -112

Auszuͤge aus Briefen.

1.

Ich ſtimme alſo von ganzem Herzen Ihrem ganzen Plan und Ihren Vorſchlaͤgen bey. Nur einige Erinnerungen, die mir noch uͤbrig blei - ben. Die Religionsgeſetze, ſowohl der caͤrimo - nialiſche als der dogmatiſche Theil, ſind doch auch wohl Miturſachen der Verachtung, welcher die Ju - den ſo allgemein ſich ausgeſetzt haben, und mich duͤnkt, die Obrigkeit waͤre wohl befugt, eine Ver - aͤnderung derſelben, wenigſtens was das Verhaͤlt - niß zum Staat betrift, zu veranlaſſen. Dieſe Re - ligionsgrundſaͤtze ſind auch, wie Sie in Abſicht der Sabbathsfeyer ſehr richtig bemerken, durch talmudi - ſche und rabbiniſche Zuſaͤtze von der moſaiſchen Ori - ginalitaͤt ſo abgekommen, daß ich glaube der groͤſ - ſere Theil der Urſachen von der heutigen Gering - ſchaͤtzung des Geſchlechts, die nun gleichſam natio - nal in Europa iſt, ſey eben in dieſen Neuerungen zu ſuchen. Auch durch die mancherley Schriften der Proſelyten ſind die heutige durch die Rabhinen vonZeit113Zeit zu Zeit nach politiſchen Convenienzien mehr und mehr uͤberladene, juͤdiſche Schulen dergeſtalt mit Recht oder Unrecht, blamirt, daß es ſehr ſchwer halten wird, ſie geradezu unſeren buͤrgerli - chen Geſellſchaften anzupaſſen. Dahin gehoͤren be - ſonders die ihnen Schuld gegebene Lehre von der Unverbindlichkeit der vor chriſtlichen Obrigkeiten ge - ſchwornen Eide, und was die Caͤrimonien betrift, ihre Strenge in den Speiſen, die zwar auf eine an ſich lobenswuͤrdige Nuͤchternheit und Maͤßigkeit hin - auslaͤuft, aber auch den Juden in Stand ſetzt, den weniger nuͤchternen Chriſten im Handel zu uͤber - ſchauen und zu uͤberliſten, auch eine Luͤcke in der Conſumtion des Staats macht, da der Jude ſich den indirecten Auflagen durch ſeine groͤſſere Maͤſſig - keit und Sparſamkeit entzieht, auf eine Art, die zwar freilich nicht ſtraͤflich, aber doch auch dem Staate nicht nuͤtzlich iſt.

Iſt Ihnen bekannt, daß zu Heidingsfeld bey Wuͤrzburg eine eigene Juͤden-Commune iſt, die ſehr gut fortkoͤmmt und uͤber deren Betragen weniger Klagen als uͤber die unter den Chriſten vermiſcht woh - nende Juden gehoͤrt werden? Auch Fuͤrth, wo be - kunntlich und wie Sie auch angefuͤhrt, die Juden zahlreich ſind, und viele Freyheiten haben, iſt einerHder114der volkreichſten und nahrhafteſten Oerter der Ge - gend, der hierinn manche der ehemals wegen In - duͤſtrie und Reichthum beruͤhmten Reichsſtaͤdte uͤber - trifft. Vielleicht werden Sie in kurzem auch bey uns von einer eigenen Judenſtadt hoͤren, ich habe wirklich ſchon den Auftrag erhalten, eine ſolche Idee ins Werk zu ſetzen.

S.

2.

Es muß ſchlechterdings mit den Juden noch da - hin kommen, daß ihnen erlaubt wird, das Juden - thum ganz zu verlaßen, ohne das Chriſtenthum an - zunehmen, das heißt bey der natuͤrlichen Religion, oder uͤberhaupt bey einer Gottesverehrung, die den Juden wahr ſcheint und dem Staate nicht ſchadet, ſtehn zu bleiben.

S. 24. ſcheinen Sie zu ſagen, daß ohne Re - ligion ein Staat durchaus nicht beſtehen koͤnne. Ich kann aber gar nicht einſehen, wie das Wohl des Staats und Buͤrgers damit nothwendig zuſammenhaͤngt? Einfluß haben Religion und Staat allerdings in einander, aber dieſer kann ſehr wohl ohne jene be -ſtehen,115ſtehn, die zu ſeinem Weſen gar nicht gehoͤrt. Die Staaten ſollten ſich um den Glauben nicht mehr be - kuͤmmern, als inſofern Jemand dadurch die Ruhe ſeiner Mitbuͤrger ſtoͤrt*)Ich ſchmeichle mir dieſen wichtigen Grundſatz in meiner Schrift deutlich und ſtark genug ausgedruͤckt zu haben. D. .

Sie ſagen ſehr wahr, daß die itzige ſittliche Ver - dorbenheit der Juden eine Folge des Druckes iſt, worinn ſie leben. Aber zu Kolorirung des Gemaͤl - des und zur Milderung der Vorwuͤrfe fuͤr die Ju - den, wuͤrde auch eine Schilderung der ſittlichen Verdorbenheit der Chriſten ſehr nuͤtzlich geweſen ſeyn. Dieſe iſt gewiß nicht geringer, als die juͤdiſche, und vielmehr deren Urſache.

S. 117 wollen Sie den Juden, der ein Be - truͤger iſt, aufs haͤrteſte beſtraft und von allen Frey - heiten ausgeſchloſſen wiſſen? Nach Ihren Vor - ſchlaͤgen wird doch ein Jude, der ein Verbrechen be - gangen, nicht haͤrter, als jeder andere beſtraft wer - den koͤnnen?**)Ich kann verſichern, daß der Hr. Verf. dieſes Briefes, kein Jude ſey. D. .

D.

H 23.116

3.

Il ſeroit fort à ſouhaiter, qu’on pourroit engager un Sçavant entre les Juifs à nous donner du moins l’extrait de Maimonides, qui fut leur Luther, & plus encore, & qui eſt inſtructif auſſi pour nous autres Incirconcis.

Je penſe, que le changement de l’eſprit primitif de cette nation date de la fondation d’Alexandrie; alors ils ſont devenus courtiers, des lors ils ſe ſont repandus.

Chez nous (en Suiſſe) il n’y a des Juifs que dans le baillage de Baden & ſeulement en deux Villages. Comme ce baillage n’eſt pas ſuperieu - rement bien gouverné & les Suiſſes, comme dit Voltaire, ne ſont pas le plus delié des peuples, ces Juifs ont fait de tous les habitans leurs debi - teurs & les ruinent de toutes les manieres.

  • P. 13. En 1344 les Chretiens à Lindau pre - noient 216 pour cent. Voy. Schinz Han - delsgeſchichte der Stadt Zuͤrich.
  • P. 52 Vous vous rencontrez içi avec Montes - quieu, qui a auſſi dit, que de toutes les loixbar -117barbares celle des Viſigoths etoit en general la plus barbare. Jl l’a dit avec une energie ſinguliere.
  • P. 59 Le Gouvernement de Lucern fit le - me dans les tenêbres de moyen age, que Vous racontez içi de Palatin en 1682. V. Balthaſar Gemaͤhlde auf der Bruͤcke, livre mal fait, mais curieux.
  • P. 63 Il paroit par Tſhudy, que les Juifs ne furent point attaqués de cette peſte, parce - qu’ils entendoient mieux que les autres, la medecine & qu’ils ſçurent ſe preſerver; comme le même arrive aujourdhoui aux Francs dans la Turquie. Mais probablement cette circonſtance a augmenté les ſoupçons contre les Juifs.

J’aurois ſouhaité, que Vous auriez reçu les notes dans le texte. Au moins en France nous ne ſommes pas accoutumés a ces longues notes. On a introduit de les mettre ſeparés a la fin de l’Ou - vrage & d’y renvoyer le Lecteur. Mais cela eſt auſſi incommode, & ou y risque, que beau -H 3coup118coup de perſonnes ne liſent point du tout les notes. Vous pourrez toujours Vous juſtifier avec l’exemple de Bayle.

M.

4.

Ich war immer gegen die Aufnahme der Ju - den; weil man ſie nach der Art wie man ſie auf - nimmt, ſchlechterdings noͤthiget, ſchlechte Mitglie - der des Staats zu werden, und ich der Meinung bin, lieber keine als ſchlechte Buͤrger zu haben; hin - gegen hatte ich die Idee geaͤußert, den Juden voͤllige Freyheit und Toleranz zu geſtatten und ſie andern Buͤrgern gleich zu machen. Ihr Tractat hat mich in meiner Idee beſtaͤrkt und ſolche rectificiret.

Nur in einem Stuͤck bin ich nicht mit Ihnen einig, wenn Sie den Vorſchlag verwerfen daß man den Juden ganz abgeſonderte Diſtricte und Orte anweiſen und von den andern Unterthanen getrennt erhalten ſoll. Sie meynen hiedurch werde die religioͤſe Trennung noch merkbarer und dau -119 daurender, die Juden in ihren Borurtheilen gegen die Chriſten und dieſe in den ihrigen, vielmehr ge - ſtaͤrkt werden.

Ich muß geſtehen, ich glaube gerade das Ge - gentheil und vielmehr daß die Geſelligkeit zwiſchen Juden und Chriſten gemeiner wuͤrde und leichter zu bewirken waͤre, wann den Juden eine eigene Stadt anzulegen erlaubet wuͤrde. Nur muͤſten ihnen in derſelben

  • 1. alle Municipal-Gerechtſame ertheilet, und ver - verſtattet werden den Magiſtrat aus ihren eige - nen Mitteln zu waͤhlen.
  • 2. Der Magiſtrat muͤſte wie in andern Staͤdten aus Buͤrgermeiſtern und Rathsherren beſtehen, die Namen Rabbi, Baͤnoßen u. d. g. wegfal - len; dieſe obrigkeitliche Perſonen Herren heißen, Degen tragen ꝛc.
  • 3. Der einzige herrſchaftliche Jurisdictions-Be - amte haͤtte zwar die Gerichtsbarkeit wie die Voͤigte in andern Staͤdten, nehmlich Criminal - Buß - und Frevel-Sachen, doch muͤſte, der auch in fuͤrſtlichen Pflichten ſtehende Actuarius ein Jude ſeyn.
  • 4. Civilſachen, Verbalinjurien u. d. g. gehoͤrten nur dem Magiſtrat allein, deren StadtſchreiberH 4oder120oder Expeditor das buͤrgerliche Recht auf einer proteſtantiſchen Univerſitaͤt muͤſte gehoͤret haben.
  • 5. Wer eine Klage in Civilſachen oder Verbal - injurien gegen einen Juden anzubringen haͤtte, muͤſte es bey dem Magiſtrat thun, welcher ſich der nehmlichen Titulatur zu erfreuen haͤtte, als die obrigkeitlichen Perſonen in den andern Staͤdten. Die Appellation gienge an die Ober - aͤmter oder an die Regierung.
  • 6. Alle Protocolla und uͤberhaupt alle gerichtliche Verhandlungen waͤren in teutſcher Sprache ab - zufaſſen.
  • 7. Policeyſachen wuͤrden durch den Jurisdictions - Beamten und Buͤrgermeiſter und Rath unter des Oberamts Aufſicht angeordnet.
  • 8. Alle Einnehmer koͤnnten unzuͤnftig alle Hand - werker treiben, dazu
  • 9. Ihnen erlaubt waͤre, chriſtliche Diener, Ge - ſellen, Jungen, Knechte und Maͤgde zu halten.
  • 10. Zu Buͤrgern aber koͤnnten keine andere als Ju - den aufgenommen werden.
  • 11. Es waͤren zwey chriſtliche Schulmeiſter einer fuͤr die Jungens und einer fuͤr die Maͤdgens zu halten, welche bloß in der deutſchen SpracheUn -121Unterricht ertheilten; beyde wuͤrden von dem Magiſtrat geſetzt und unterhalten.
  • 12. Alle Wochen waͤre ein Markt zu halten an welchem die Landleute Lebensmittel und derglei - chen Feilſchaften zum Verkauf zu bringen haͤtten.
  • 13. Alle halbe Jahre aber wuͤrde ein Hauptmarkt 8 Tage lang, wo in - und auslaͤndiſche Kauf - Handels - und Handwerksleute feil halten duͤrf - ten, ſo wie
  • 14. auch die Juden der Stadt alle Jahrmaͤrkte im Lande ungeſtoͤret beſuchen koͤnnten. Hinge - gen
  • 15. waͤre das ſo ſchaͤdliche Hauſiren ſo wohl der Fremden als Einheimiſchen in der Judenſtadt durchaus verbothen, wie denn auch den In - wohnern derſelben unterſagt waͤre in andern Or - ten des Landes zu hauſiren.
  • 16. Den Juden waͤre ſchlechterdings unterſagt, Guͤter, Felder, Wieſen u. d. gl. von den Unter - thanen zum Verkauf zu uͤbernehmen oder dabey als bloße Unterhaͤndler zu dienen, indem ſie nicht noͤthig haͤtten ſich mit einen ſo verhaßten und veraͤchtlichen Gewerbe abzugeben, da ihnen alle andere buͤrgerliche Handthierungen frey ſtuͤnden.
H 517. Um122
  • 17. Um den Verkehr mit Auswaͤrtigen zu befoͤr - dern, muͤßte ein mit einem Chriſten beſetztes Wirthshaus in der Stadt ſeyn; der Wirth waͤre Buͤrger und ſtuͤnde als ſolcher unter dem Magi - ſtrat.

Meine Abſicht iſt hier keinesweges einen ganzen Plan zur Errichtung und Einrichtung einer neuen Judenſtadt, ſondern bloß einen kleinen Grundriß da - zu zu entwerfen, denn ich glaube es komme hiebey hauptſaͤchlich darauf an, einmal den Juden eine Ehr - begierde einzufloͤßen und ſie ſich ſelbſt hochſchaͤtzen zu lehren, und denn ſie vor der Verachtung der Chri - ſten zu bewahren. Das Erſte wuͤrde der 1, 7, 8, 9, 11 und 17te Punkt, das Andere der 3, 4, 5, 8, 10, 15 und 16te ziemlich leiſten, das Band der Geſel - ligkeit aber durch die Nro. 4, 5, 9, 11, 12, 13, 14, 17 bemerkte Verkehre auch nach und nach mehr ge - knuͤpfet werden.

Die unumſchraͤnkte buͤrgerliche Freyheit und To - leranz der Juden in den Staͤdten wo ſie unter Chri - ſten wohnen, iſt ſo vielen beynahe unuͤberwindlichen Schwierigkeiten unterworfen, daß ſolche zu heben, mehr als ein menſchliches Alter erforderlich ſeyn moͤg - te; was wuͤrde es erſt koſten ihnen Toleranz und Freyheit da zu verſchaffen wo ſie noch gar keine Nie -der -123derlaßung gehabt haͤtten? Alle dieſe Hinderniſſe wuͤrden ſich bey Anlegung einer neuen Stadt nicht finden.

v. W.

5.

Sie haben vollkommen recht, daß eine Commune die zugleich eine Seete iſt, etwas Widriges hat. Ich behaupte aber, daß die Abſonderung der Juden von den Chriſten beyde eher vereinigen wuͤrde, als wenn ſie gleichſam unter einem Dache wohnten. Denn wer weiß nicht, daß Verachtung, Verfolgung, Druck (und dieſem allen ſind die Juden in den teutſchen Staͤdten ausgeſetzt) die Halsſtarrigkeiten der Secten mehr erhalten als die Ueberzeugung? Die Gleich - heit und in der Folge die Theilnehmung an den buͤr - gerlichen Ehrenſtellen, wuͤrden mehr Proſeliten ma - chen, als alle Controverspredigten in der Welt.

Der große Abt Jeruſalem hat es abgeſchlagen an der Vereinigung der drey Religionen zu arbeiten. Er hatte recht! Aber der Kaiſer hat wuͤrkſamer da -zu124zu beygetragen: er haͤlt die drey Religionspartheyen gleich, und nimmt den Pfaffen das Objectum litis das Gold. Woruͤber ſollten ſie alſo mehr ſtreiten?

Mit einem Wort! der Unterſchied, den man im buͤrgerlichen Leben zwiſchen den verſchiedenen Reli - gionspartheyen macht, iſt ſeiner Folgen wegen der groͤßte Grad der Intoleranz.

Man ſagt: der Jude iſt von Natur ganz Wu - cher. Dieſes kommt mir vor als wenn man ſagte: der Advocat iſt ganz Prozeß, der Kaufmann iſt ganz Handel. Womit ſoll ſich denn der arme Iſraelit er - naͤhren? Ich habe ſelten einen ſchelmiſchen Judenhandel geſehen, hinter dem nicht ein ſchurkiſcher Chriſt geſtecket*)Ich muß hiebey bemerken, daß dieſes ein angeſe - hener Geſchaͤftsmann ſagt, der gewiß viele Gelegen - heit gehabt hat, hieruͤber Erfahrungen zu machen. D. .

Und dieſe iſt eine der Haupturſachen warum ſich dieſe Haupteigenheit der Juden in chriſtlichen Staͤd - ten erhaͤlt, in ihren Mauern aber groͤſtentheils weg - fallen wuͤrde.

Es iſt richtig, daß das Halten der Geſellen, Jun - gen und Dienſtboten aus der juͤdiſchen Nation ſelbſt, ſie zu einer ruhigern Lebensart gewoͤhnen wuͤrde, weil es ſie noch mehr noͤthigte ſich auf Handwerkerund125und Kuͤnſte zu legen, allein wenn ſie Chriſten dazu nehmen, ſo hat es den Nutzen, daß der Subordina - tionsgeiſt der Erſten gegen die Letztern aufhoͤren, beyde zu einer gewiſſen Gleichheit folglich zu weniger Verachtung gegen einander gebracht wuͤrden. Es wuͤrde nicht fehlen, daß Eltern und Verwandte ihre bey den Juden dienende Angehoͤrigen beſuchen ſoll - ten; es wuͤrde ſich eines an des andern Sitten ge - woͤhnen, einer vor des andern Gebraͤuchen weniger Abſcheu bekommen, und am Ende ſich unvermerkt eine wechſelsweiſe Vertraulichkeit einſchleichen, die, wenn ſie ſogar in Laſter ausſchlagen ſollte, nuͤtzlich werden koͤnnte, denn auch dieſe muß der weiſe Ge - ſetzgeber zu nutzen wiſſen.

v. W.

6.

Ueberhaupt wuͤnſche ich von ganzer Seele, daß Ihre menſchenliebende Abſichten erfuͤllt, ja noch weit mehr zum Beſten der Juden geſchehen koͤnnte, doch unter hoͤchſtnothwendigen und hoͤchſtbilligen Be - dingungen, die ſich die Juden gefallen laſſen muͤſten, weil derjenige, der auf Toleranz Anſpruch machen will, ſelbſt tolerant ſeyn muß oder der Toleranz unwuͤrdigbleibt;126bleibt; nur beſorge ich, daß die Juden, zumalen ihre Rabbinen eben ſo wenig, wie Jeſuiten und Domini - kaner faͤhig ſind tolerante Geſinnungen anzunehmen. Da moͤchte man denn auch mit mehrerem Rechte und in ſtrengerm Verſtande von den Juden ſagen: ſint ut ſunt aut non ſint. Die Toleranz, die meiner Mey - nung nach als eine Conditio ſine qua non, abſeiten der Juden zngeſtanden und ausgeuͤbt werden muͤſte, beſtuͤnde in Folgendem:

1) daß auch uͤber den groͤbſten Suͤnder kein Bann ausgeſprochen werden duͤrfe, der ſelbigem auſſerhalb der Synagoge im mindeſten nachtheilig ſeyn koͤnn - te; verlangt der Suͤnder in dieſe eingelaſſen zu werden, ſo mag der Rabbi ihn in einen Sack krie - chen oder andere Narrenspoſſen mit ihm vornehmen laſſen, nur daß ſelbige auſſerhalb der Synagoge kei - ne weitere Folgen haben.

2) Wenn ſich die Rabbiner uͤber ihre Glaubens - artikel nicht vereinigen koͤnnen, ſo ſey es Ihnen er - laubt ſich in ſo viele Secten zu theilen als es ihnen beliebt;

3) findet ſich ein Jude, der ſo vernuͤnftig iſt, keinen Rabbi zur Beruhigung ſeines Gewiſſens noͤ - thig zu haben, der keine Synagoge beſuchen mag, Schweinfleiſch zu eſſen Luſt hat, am Sabbat Briefeſchreibt127ſchreibt und dergleichen Todſuͤnden mehr begeht, je - doch ſich nicht von ſeiner Nation abſondern mag, ſo ſteht es ihm frey ſich zu ihr zu zaͤhlen, wenn Er nur zum Unterhalt der Synagoge und des Rabbi der Secte ſeinen Antheil erlegt, und die buͤrgerliche Pflichten als ein redlicher Mann gegen Juden, Chriſten und Heyden erfuͤllt.

4) Endlich, welches der wichtigſte und noth - wendigſte Punkt iſt, der aber auch den meiſten Wi - derſpruch finden wird; ſo muß kein Rabbi ſich mit Erziehung der Jugend abgeben, ehe ſie daß 15te Jahr erreicht, bis dahin muͤſſen die Kinder nur nuͤtzliche Unterweiſungen erhalten, ohne daß Ihnen Vorurtheile weder von der einen noch von der andern Religion beygebracht werden duͤrfen. Dagegen dann auch abſeiten der Chriſten redlich zu Werke gegan - gen, und nicht die geringſte Hinderung der Ju - gend in den Weg gelegt werden muͤßte, den Glau - ben ihrer Eltern vorzuͤglich zu waͤhlen; im Fall ſie aber ſelbigen nicht beypflichten, und doch auch nicht getauft ſeyn wollten, ſo muͤſten Sie voͤllige Freyheit haben als Separatiſten zu leben; die Beſchneidung muͤſte bleiben, denn dieſe befriedigt juͤdiſche Eltern, eben ſo wie die Taufe die chriſtlichen, ſchadet den Kindern nichts, und iſt in der That ein der Geſund -heit128heit dienliches Vorbauungsmittel, durch welches die von den chriſtlichen Heydenbekehrern aus der neuen Welt glaubbar uͤberbrachte Luſtſeuche ſehr gemindert werden kann.

Daß Sie in dieſen Stuͤcken mit mir einſtimmen werden, darf ich mir ſchmeicheln; um aber die Bil - ligkeit dieſer Forderungen darzuthun, will ich uͤber je - den Artikel einige Anmerkungen beyfuͤgen.

Den 1ten betreffend, ſo haben Sie ſich ſchon ſelbſt deshalb meiner Meynung gleichfoͤrmig erklaͤrt, es wuͤrde auch zu denen Paradoxien des menſchli - chen Geſchlechts gehoͤren, wenn zu einer Zeit da der Kirchenbann bey den Chriſten, ja ſogar bey den eifrig - ſten Catholiken, veraͤchtlich und laͤcherlich geworden, derſelbe von Juden annoch auf eine im Privatleben Einfluß habende Weiſe, ausgeuͤbt werden duͤrfte; ſchlimm genug wenn es bisherv geſchehen, ohne daß es denen Regierungen bekannt worden, wie Herr Crantz noch ganz neuerlich ein Beyſpiel davon, ſo ſich in Altona zugetragen, dem Daͤniſchen Hofe an - gezeiget hat, welches auch gleich die gute Wuͤrkung gehabt, daß itzt die noͤthige Verfuͤgungen gegen dieſe hierarchiſche Tyranney getroffen werden. Boͤſe Handlungen, die die menſchliche Geſellſchaft, den Staat und die Mitbuͤrger beleidigen, ahndet diewelt -129weltliche Obrigkeit, und kein Prieſter muß ſich da - mit befaſſen; uͤbertritt aber jemand die Satzungen der Kirche zu der er ſich bekennt, und verlangt des Prie - ſters Beyſtand ſich desfalls zu beruhigen, ſo mag der Prieſter ihm die Verſoͤhnung zu einem Preiße ſetzen wie er will; wenn z. E. ein katholiſcher Chriſt an Faſttaͤ - gen Fleiſch eſſen, des Sonntags nicht in die Meſſe gehn will, dabey aber ſo ſchwach iſt, daß Er große Suͤn - den begangen zu haben glaubt, fuͤr den Teufel bange wird, alſo zu den Heiligen und ihren Reliquien ſei - ne Zuflucht nehmen will, Weyhwaſſer, Abſolution ꝛc. begehrt, dann geſchieht ihm freylich ganz recht wenn der Pfaffe ihm ſeine Schaͤtze ſo lange vor - enthaͤlt, bis der Suͤnder in der Einbildung, dem geiſtlichen Stolze den gehoͤrigen Zoll bezahlt, und ſich als ein gehorſamer Sohn der Kirche demuͤthiget, da mag denn der Pfaffe in der Kirche ihn auf allen Vieren kriechen laſſen oder was ihm beliebt vornehmen, wenn es nur keine Folgen haben kann. Nur uͤber die Schwelle des Tempels muß die Macht des Prieſters und Rabbiners ſich nicht erſtrecken. Hat der Jude Schweinefleiſch gegeſſen, die Tphillin nicht 4 Ellen von dem Ort abgelegt, wo er ſeine Noth - durft verrichtet, oder dergleichen grobe Suͤnden mehr begangen; ſo bleibe er aus der Synagoge, laͤßt ſeinJAber -130Aberglaube dieſes nicht zu, ſo muß er ſich gefallen laſſen, was fuͤr Comoͤdie der Rabbi mit ihm ſpielen will; aber ſpielen muß der Rabbi nur, ſo wie der Pabſt ganz weislich that, da er des großen Heinrichs Abgeſandten mit Ruthen ſtrich; aufs Blut peitſchen muß auch in der Synagoge nicht erlaubt ſeyn, oder der Rabbi der es ſo weit treibet, muß mit haͤrtern Ruthen oͤffentlich gezuͤchtiget werden. Wie ſehr aber die Vorurtheile der Juden hier Hinderungen in den Weg legen werden, laͤßt ſich aus der Stelle pag. 193 Ihrer Schrift muthmaßen, da der Verfaſſer des gut geſchriebenen Mémoire ſagt: il eſt des Eſprits in - dociles & qu’un frein leger ne pêut contenir, les prepoſés generaux conjointement avec les Rabbins obligés alors d’uſer d’une ſeverité ſalutaire, ont recours a la peine d’Anatheme ou de Ban. haben Sie dieſe Stelle beherziget? finden Sie nicht daß es hoͤchſtnoͤthig ſey, Juden, die wie die - ſer Verfaſſer, ſchon ſo viel Einſicht und Beurthei - lung aͤußern, zuvoͤrderſt richtigere Begriffe beyzu - bringen, ehe man ihnen Vorzuͤge geſtattet, die ſelbſt zu ihrem Nachtheil gereichen wuͤrden? Freylich wird mit den Leviten und Phariſaͤern nichts auszurichten ſeyn, die werden lieber ſehen daß die Juden in der Unterdruͤckung bleiben in der ſie jetzo ſind, als daß derBann131Bann und ihre darauf gegruͤndete hierarchiſche Ty - ranney ein Ende nehme; und wer die Schwaͤche des menſchlichen Herzens kennt, wuͤrde ſich nicht wun - dern, ſelbſt unter chriſtlichen Theologen ſolche ortho - doxe Maͤnner zu finden, denen es leyd thaͤte, wenn nicht wenigſtens unter den Juden noch eine ſolche geiſtliche Macht beybehalten wuͤrde.

ad 2) Waren Phariſaͤer, Sadducaͤer, Eſſenaͤr ꝛc. alle Juden, ſind noch unſere Juden von den Portu - gieſen und den Caraiten unterſchieden, warum ſolte man nicht zulaſſen daß ſie ſich noch in viel mehrere Secten theilten, wie es ſich vor etliche 30 Jah - ren ſchon dazu anließ, da der Ober-Rabbiner in Al - tona im Verdacht kam ein juͤdiſcher Ketzer zu ſeyn, und großen Anhang hatte. Iſt es nicht laͤcherlich daß man auch ſogar der Ortodoxie des juͤdiſchen Aber - glaubens Beyſtand leiſtet, anſtatt den weiſen Julian nachzuahmen, der es gerne ſahe wenn unter den Chri - ſten viele Secten entſtanden, weil man alsdann unani - mantem plebem weniger zu fuͤrchten hat. Aus eben dieſer Urſache wuͤnſche ich ſehr, daß uns Gott behuͤte fuͤr der Vereinigung der proteſtantiſchen Kirchen mit der ka - tholiſchen, da wuͤrde das arme Menſchengeſchlecht bald wieder unter das Joch der Geiſtlichen gebracht wer - den; bis hieher hat der ortodoxe Eigenſinn, die guteJ 2Folge132Folge gehabt, daß ſich Lutheraner und Reformirte nicht einmal vereinigen koͤnnen; wenn aber die ka - tholiſche und proteſtantiſche Geiſtlichkeit ſehen wird, daß, um ihr Anſehn zu erhalten und theils zu ver - groͤßern, kein beſſeres Mittel ſey, als daß ſich die drey chriſtlichen Secten vereinigen, ſo werden ſie es in Anſehung der Glaubensartikel ſchon gut Kauf ge - ben, wenn nur die reichen Pfruͤnden bleiben, und die proteſtantiſchen G und P biſchoͤfliches An - ſehen und Gewalt erhalten, gegen Socinianer und Deiſten aber alsdenn nach Herzensluſt wuͤten koͤnnen. Denn bey dieſem theologiſchen Friedenscongreß wer - den keine Spaldinge, Reſewitz, Jeruſalem und ih - res gleichen admittirt werden; Teller, Steinbart und ſolche Art Ketzer aber dabey zum Luſtfeuer fuͤr die heilige Synode dienen, wenn es die großen Her - ren nur zulaſſen wolten; was aber in Anfange ſich nicht thun ließe, wuͤrde nach der Vereinigung ſich ſchon finden, und die Koͤnige ſelbſt bald die boͤſen Folgen derſelben empfinden. Weit beſſer und billi - ger waͤre es, mit den Prieſtern es eben ſo wie mit den Aerzten zu halten; wer nicht ſelbſt fuͤr ſeine Geſund - heit ſorgen mag, keine Diaͤt haͤlt, ſich den Magen und die Saͤfte verdirbt, alsdann glaubt daß der Arzt helfen kann, und in vollen Vertrauen Saͤfte undPillen133Pillen hinterſchluckt, nun der kann ja nach Belie - ben einen Arzt waͤhlen den er will, er ſey aus Boer - havens, Hoffmanns, Stahls oder einer andern Schule, ja ſogar Marktſchreyer und Scharfrichter gebrauchen. So laſſe man denn eben dieſe Freyheit in Anſehung der Seelenaͤrzte, fuͤr den, der da glaubt daß er ſie noͤthig hat; nur offenbahre Giftmiſcher leide man nicht im Lande, alſo auch nicht Jeſuiten (auch denn nicht, wenn ſie ſich Ex-Jeſuiten oder oder nennen) und Rabbiner, oder ſehe ihnen ſcharf auf die Finger. Statt der Prieſter muͤßten Sittenlehrer beſtellt werden, und Hr. Schloſſers kleiner Kate - chismus fuͤr das Landvolk wuͤrde weit beſſere Menſchen zuziehen als der große und kleine Lutheri, der Heidelbergiſche und alle andere die je geſchrieben worden.

ad 3) Der freydenkende Jude muͤßte beſonders in Schutz genommen werden, damit er weder der Ver - folgung der Rabbiner bloß geſtellt bliebe, noch auch genoͤthiget wuͤrde, einen Aberglauben gegen den an - dern zu vertauſchen; auch hier werden die chriſtlichen Ortodoxen nicht beyſtimmen. Juden, die doch ih - ren Gott gekreutziget haben, die koͤnnen ſie wohl dul - den; Socinianer und Deiſten aber ſind ihnen ein Greuel und freylich wuͤrde der juͤdiſche Freydenker einJ 3Deiſt134Deiſt ſeyn, in der That ein aͤchter Juͤnger und Nachfolger Jeſus, den Gott beſtimmt hatte, die groͤſten und einfachſten Wahrheiten bekannt zu ma - chen, die aber bis dieſe Stunde von dem groͤßten Theile verkannt werden, ob er gleich ſelbige mit ſo deutlichen Worten in vielen Gelegenheiten angekuͤn - diget hat, daß ſie gar keiner Auslegung beduͤrften, wenn theologiſche Sophiſterey ſie nicht verdunkelt haͤtte. Dieſe Wahrheiten ſind:

  • Daß Gott der Vater ſey, den die Welt und be - ſonders die Schriftgelehrten nicht kennen, den nur der Sohn, der ihn liebt, nicht aber der Knecht der fuͤr ihn zittert, kennen kann.
  • Daß der Glaube an dieſen Vater, das iſt kindli - ches Vertrauen zu ihm, allein ſeelig oder gluͤck - lich mache, weil ein ſolches Vertrauen, ohne den Vorſatz ganz und recht gut zu ſeyn, nicht be - ſtehen kann.
  • Daß derjenige, der dieſen Vorſatz faßt, und auf - richtig befolgt, gewiß ſeyn koͤnne, daß er keiner weiteren Verſoͤhnung noͤthig habe, um von dem himmliſchen Vater als ein Kind aufgenommen zu werden, mithin ihm ſeine Suͤnden vergeben ſind.
ad 4)135

ad 4) Man ſpricht vieles von Freyheit, und doch benimmt man den Menſchen die allerſchaͤtzbarſte gleich in der zarteſten Jugend; da wird der Verſtand zum Sklaven der verſchiedenen dogmatiſchen Thor - heiten gebildet. Dem Juden wird uͤberdem der hoͤchſt gefaͤhrliche Stolz eingepraͤgt, er gehoͤre zu einem Volke, welches ſich Gott vor allen andern auser - waͤhlt haͤtte; Stolz und Vorurtheile, wovon Jeſus ſie abbringen wolte, die Chriſten aber beſtaͤrken helf - fen. So lange das, was man Religion nennt, mit der Erziehung verbunden bleibt, muß Herz und Ver - ſtand verdorben werden. Nicht die erdichtete Erb - ſuͤnde, ſondern die theologiſche Erziehung iſt an der Boßheit oder vielmehr Thorheit der Menſchen ſchuld; Der Theolog ſey Jude, Chriſt, Tuͤrke oder Heyde. Der Verderb der Sitten iſt gaͤnzlich ein Werk dieſer faſt durchgaͤngig aberglaͤubiſchen Erziehung. Wie viel Macht dieſelbe uͤber den Verſtand habe, zeigt die un - laͤugbarſte Erfahrung. Der Bramine, der Verehrer des Lama, der Mahometaner und der Jude werden nie von dieſen ihnen in der Kindheit angelegten Feſ - ſeln erloͤßt; die kleine Anzahl getaufter Juden und Tuͤrken beweißt nichts, und den Werth der Heyden - bekehrungen kennt Jedermann. Ein Glas Brand - wein, Glaskorallen oder fromme Betriegereyen be -J 4wegen136wegen ſie ſich taufen zu laſſen, und ſie bleiben im Grunde was ſie waren. Die beſten neueren Schrif - ten uͤber die Erziehung erkennen es, daß man mit Kindern nicht von Glaubensartikeln ſprechen muͤſſe. Der Verfaſſer des Mémoires fur l’Etat des Juifs en Alſace behauptet pag. 196 ſelbſt dieſe Wahrheit, wi - derſpricht ſich aber gleich darauf s’il eſt des cas, ſagt er, ou la puiſſance patèrnelle doît etre ſans force contre la volonté des enfants lors qu’il s’agit de ſalut, il faut ſans doute que la violence ou la ruſe n’y ayent aucune part, l’acte le plus eſſentiel ne doit etre que l’effet de la reflexion und wenn er die ergangenen Verord - nungen anfuͤhrt, hinzuſetzt: toutes ces autorités ſe reuniſſent au voeu de la nature pour laiſſer aux pe - res & meres l’autorité qu elle leur donne ſur leurs En - fans. Welche Violence und Ruſe kann wohl ſtaͤrker wuͤrken, als diejenige, die ſich des ſchwachen Verſtan - des der Kinder bemeiſtert; welche Reflexion kann man von ſolchem Kinde erwarten, und das im 12ten Jahre? Nicht vor dem 15ten ſollte den jungen Leu - ten von Glaubensartikeln vorgeſprochen werden, und wenigſtens nicht vor dem 18ten verlangt werden, daß ſie eine Wahl treffen, unter den verſchiedenen Reli - gionen. Ich muß dieſes Wort brauchen, welches ich ſehr ungerne thue, weil es wenige giebt die mehrZwey -137Zweydeutigkeit in ſich faſſen, keines woruͤber ſo Vie - les geſchrieben worden, und das doch bis dieſe Stun - de nicht definirt iſt; wenigſtens iſt noch keine ein - zige Definition dieſes Wortes mit dem vielfaͤltigen Gebrauch uͤbereinſtimmend. Da es lateiniſchen Ur - ſprunges iſt, ſo ſollte wohl Cicero derjenige ſeyn, der es am beſten erklaͤren koͤnnte, und er derivirt es von relegendo, und nennt religioſi diejenigen qui omnia quae ad Cultum Deorum pertinerent diligenter pertra - ctabant & quari relegabant; ſo ſollte alſo wohl in dieſem Sinn ein Juͤnger Jeſus billig ein Mann ohne Religion ſeyn.

Gr. v. S.

7.

Des Kaiſers Edict fuͤr die Juden, welches Sie nun auch geſehen haben werden, wird wohl Ihre Erwartung nicht ganz erfuͤllen. Es iſt wohl eigent - lich ein politiſcher Verſuch zu religioͤſer Verbeſ -J 5ſerung138ſerung der Juden, und hat die natuͤrliche Tendenz ſie in 20 oder hoͤchſtens zweymal 20 Jahren, alſo mit Ablauf dieſes Menſchenalters, zu Chriſten zu machen. Ich zweifle aber, ob es ſeinen Zweck erreicht, ein groͤſ - ſer Theil der Juden koͤnnte wohl gar bey einem ſol - chen Toleranz-Edict Luſt bekommen, aus dem Lande zu gehn.

M.

8.

Ich habe nur dieſes noch bey Ihren Vorſchlaͤ - gen, denen ich ſonſt vollkommen beytrete, zu erin - nern: 1) Die Armenanſtalten der Chriſten und Ju - den muͤſſen, wie auch Sie zu billigen ſcheinen, voͤllig mit einander verbunden werden. Gleiche Laſten erzeugen Freundſchaft und Liebe. 2) Den Bann wuͤnſchte ich bey allen moͤglichen Re - ligionspartheyen, alſo auch bey den Juden, weg. 3) Die juͤdiſchen Civilgeſetze muͤßten in vielen Dingen mit neuen auf ihren itzigen Zuſtand mehr paſſenden vertauſcht werden, ſo wie man in manchenStaa -139Staaten das roͤmiſche Recht abſchaft. Am beſten ſie wuͤrden den allgemeinen Landesgeſetzen, wie alle uͤbrige Buͤrger unterworfen. Dieß waͤre gewiß dem ganzen Geiſt Ihres Plans am gemaͤßeſten? Freylich kann dieß nur allmaͤhlig geſchehen, aber einmal muß doch der Anfang gemacht werden. Haben doch auch die Juden das Opfern auſſer Palaͤſtina ſuſpendiren muͤſſen? Manche ihrer Geſetze ſind in unſern noͤrdli - chen Landen noch weniger paſſend, als dieſes Opfern Zu S. 23 habe ich noch einen Einwurf. Sollte es da nicht ſtatt Religion deutlicher Religions-Syſteme, Par - theyen heiſſen. Von dieſen allen ohne Ausnahme kann man freylich mit vollkommenem Rechte ſagen, daß ſie ihren Anhaͤngern Abneigung in mehr oder mindern Grade, gegen die Andersdenkenden einfloͤſ - ſen, daß ſie die natuͤrlichen Bande der Menſch - heit zerreiſſen. Aber der natuͤrlichen Reli - gion (die unter dem Worte jede doch auch mit be - griffen iſt) aber auch freilich nur dieſer, kann man dieſes doch nicht Schuld geben?

C.

9.140

9.

Nur in dem einen Punct bin ich nicht uͤber - zeugt worden, daß Sie den S. 134 angefuͤhrten Zweifelsgrund durch die nachſtehende Gruͤnde geho - ben haͤtten. Es ſcheint mir vielmehr, daß die Ju - den bey dem Ackerbau und Handwerken zu Grunde gehn muͤßten, wenn ſie zwey Arbeitstage in der Wo - che verliehren ſollten, die andern Feſttage nicht ein - mal gerechnet. Die herrſchende Religion und der Wohlſtand koͤnnen doch nicht verlangen, daß ein An - drer, der mit ihren Religionsbekennern gleiche Ge - wiſſensfreyheit haben ſoll, zu Grunde gehe, und et - was noch immer fuͤr eine Unbequemlichkeit ſeiner Re - ligion anſehe, die er doch nicht heben kann, ſo lange er ſeinem Glauben treu bleibt. Wie kann dieſes mit der ihm gegebenen Gewiſſensfreyheit beſtehn? Ich wuͤrde mich auch gar nicht aͤrgern, wenn ich einen Juden an unſerm Sonntage arbeiten ſaͤhe; denn ich wuͤrde denken, er hat keinen Feyertag, nur wuͤrde ich die Policeyverfuͤgung machen, daß ein Jude, der ein laͤrmendes Handwerk triebe, nicht gar zu nahe an einer chriſtlichen Kirche wohnte. Dieſe kleine Unbe - quemlichkeit koͤnnte der Jude leicht erdulden, und um ganz unpartheyiſch zu ſeyn, wuͤrde ich der Synagogegern141gern gleiche Beguͤnſtigung ertheilen, und uͤberhaupt von den Verſammlungsorten des oͤffentlichen Gottes - dienſtes, alle gar zu laͤrmende Beſchaͤftigungen ent - fernen.

C.

10.

Nicht allein in Anſehung der Juden, ſondern auch der Chriſten, finde ich nichts intoleranter als daß man Kindern von der zarteſten Jugend an die Vorurtheile ihrer Eltern einpraͤgt; man ſieht ja deut - lich, daß dieſer Eindruck von ſolcher Wuͤrkung ſey, daß faſt keiner bey erwachſenen Jahren, davon zu - ruͤckkommen kann. Ein Neligionsſyſtem, das vor der geſunden Vernunft beſtehen kann, muß eine un - eingenommene Unterſuchung in reifern Alter nicht fuͤrchten. Es haben dahero unſere Philantropiſten ſehr recht gehabt, (vornaͤmlich unſer redlicher Hr. Baſedow,) zu behaupten, daß man Kindern von kei - ner als der natuͤrlichen Religion vorſprechen ſolle. Noch beſſer iſt der Gedanke den Mercier in ſeinem 2440 Jahre Cap. XXI aͤußert.

Sie142

Sie ſcheinen noch immer etwas ungewiß, ob es billig ſey, die Juden zu zwingen, die Freydenker zu ihrer Synagoge zuzulaſſen, und glauben daß dieſes ein Eingriff in die geſellſchaftliche Rechte ſey? Geht der juͤdiſche Freydenker in die Synagoge, um zu beſpot - ten, was darinnen vorgenommen wird, oder betraͤgt er ſich darinnen nicht friedfertig und vernuͤnftig, ſo thut man recht ihn hinaus zu weiſen, ſo wie den chriſtlichen Freydenker, der die Predigt ſtoͤhren oder uͤber dieſes oder jenes ſpotten wollte; geht aber ſeine Freydenkerey nicht ſo weit daß er alles was in der Synagoge vorgenommen wird, als unnuͤtz oder gar ſchaͤdlich anſieht, ſondern es ihm noch von den ein - gepraͤgten Vorurtheilen der Jugend anhaͤngt, daß er glaube ſein Herz beſſer zu Gott zu erheben, wenn er in der Gemeine ſich findet, alſo ein Vergnuͤgen und Troſt darinnen findet, warum wollte man ihm ſolches verſagen? In den chriſtlichen Gemeinen laͤßt es ſich allenfals noch ehender rechtfertigen, den Ketzer und Freydenker nicht in der Gemeine dulden zu wollen. Denn die Chriſten haben ihre Sakramente, die ſie fuͤr Perlen halten, die nicht anders als Rechtglaͤubigen mitgetheilt werden ſollen, dem ungeachtet wird der Ein - gang in die Kirche und das Beten und Singen Nie - manden verwehrt, noch weniger das Anhoͤren derPre -143Predigten; warum ſollten denn die Juden ihren Freydenkern nicht ein gleiches verſtatten? ja die ka - tholiſchen Prieſter lernen ſchon mit ihren Sakramen - ten nicht mehr ſo ſproͤde thun, ſie haben es ſich geſagt ſeyn laſſen was jener Franzos daruͤber ſchrieb: Vous refuſés les Sacrements Vous etes trop heureux qu’on veuille bien les prendre. Warum ſollte denn der Rabbi nicht wenigſtens angehalten werden, eben ſo tolerant in der Synagoge gegen ſeine juͤdiſche Freydenker zu ſeyn, als es die chriſtlichen Prieſter anjetzo ſeyn muͤſſen; recht und billig iſt es, daß wir gegen die Juden ſo tolerant ſeyn wie moͤglich, allein die Toleranz muß nicht ſo weit gehn ihnen eine In - quiſition zu verſtatten, und was iſt es anders als eine Inquiſition, wenn Kinder und Geſinde verpflich - tet ſind, ihre Eltern und Herrn anzuklagen, wenn ſie et - wa Schweinefleiſch aͤßen oder den Sabbath nicht ge - nau hielten? Dieſe Abſcheulichkeit muß bey ſchwerer Strafe denen Radbinen verboten werden, ſo daß es ihnen nicht mehr vergoͤnnt ſey, aus ſolcher ſchaͤndli - chen Verraͤtherey eine Glaubenspflicht zu machen.

In Anſehung der Kinderunterweiſung, waͤren zwey Wege moͤglich, der eine daß man bey Erthei - lung großer Vorrechte an die Juden, ihnen die Be - dingung mache, daß ſie vor dem 15ten Jahre keinesvon144von ihren Kindern, zu einem Rabbiner gehen laſſe, ſondern in beſonders fuͤr ſie errichtete Schulen, da weder chriſtlicher noch juͤdiſcher Catechismus gelehrt wuͤrde, die Kinder bloß zu rechtſchaffenen Maͤn - nern erzogen wuͤrden. Nur ſolchen Juden, die ſich dieſer Ordnung unterworfen, oder die nachdem ſie auf die Weiſe erzogen worden, nach Verlauf des 15ten Jahres die Religion ihrer Eltern zu befolgen ſich entſchloͤſſen, nur ſolchen ſollte es erlaubt ſeyn, Eigen - thum im Staate zu beſitzen, und zu Bedienungen zu gelangen*)Mich duͤnkt doch immer, man ſollte nie politiſche Vortheile an religioͤſe Bedingungen knuͤpfen. D.. Das andere Mittel waͤre, daß wo in einer Provinz Juden auf dem Lande anſaͤßig werden, nur in einer Stadt eine Synagoge erlaubt wuͤrde, wo die Rabbiner blieben ohne Erlaubniß zu haben die im Lande vertheilte Juden zu beſuchen, ſondern dieſen bliebe es frey nach der Stadt alle Jahr ein - mal zu wandern, ſo wie es in Palaͤſtina die alten Juden nach Jeruſalem thaten**)Scheint mir gleichfalls nicht billig. Meiner Mey - nung nach muß der Staat ſich ſchlechterdings um die innere Einrichtung einer religioͤſen Geſellſchaft nicht bekuͤmmern. D. . Zum Richter aber muͤßte ein chriſtlicher Gelehrter denen Rabinern zu -gege -145gegeben werden, und ſelbige keine Urtel exequiren, die dieſer nicht gut faͤnde. Diejenigen Juden die ſich dieſes nicht gefallen laſſen wollten, die moͤgten denn bleiben, wie ſie ſind, muͤßten aber auf keine groͤßere Vorzuͤge Anſpruch machen, noch auf Beſitz von Land - ſtuͤcken. Denn haben ſie einmal dieſe Erlaubniß, Be - ſitzer von Guͤtern zu werden, und behalten zugleich ihre hierarchiſche Verfaſſung bey, ſo waͤre kein Zwei - fel, daß in ein paar hundert Jahren die ganze Welt zum Erſtaunen juͤdiſch ſeyn wuͤrde, und die ſchreck - lichſten Greuel daraus entſtehen muͤßten.

G. v. S.

11.

Freylich kann man auf das, was die Proſelyten von der Unverbindlichkeit der juͤdiſchen Eyde vorgeben, und Manche ihnen und Eiſenmenger (dem Sie voll - kommne Gerechtigkeit widerfahren laſſen) nachſchwa - tzen, im Mindſten nicht rechnen. Auch kann man das, was einzelne Juden in Criminal-Proceſſen an - gegeben, und die Nachrichten die im juͤdiſchenKBel -146Baldober und aͤhnlichen Buͤchern hieruͤber ſtehen, mit Billigkeit nicht anfuͤhren, wenn von den Grund - ſaͤtzen und dem Glauben der ganzen Nation die Re - de iſt. Wie denken nicht viele Chriſten uͤber den durch den haͤufigen Gebrauch ſo ſehr profanirten Eyd? Und was wuͤrden wir ſagen, wenn man un - ſere Religion nach dem beurtheilen wollte, was ver - worfene Verbrecher von ihren Religionsbegriffen eingeſtehn? Nach dem Verhaͤltniß, daß die Juden uͤberhaupt moraliſch verderbter ſind, wie die Chriſten (ein Satz, den Sie indeß vielleicht noch zu freygebig zu - geſtanden) mag unter ihnen auch eine groͤſſere Ge - ringſchaͤtzung des Eydes herrſchen, welches bey ih - rer ſchlechten Erziehung und ihrem faſt gaͤnzlichen Mangel an Unterricht in Religion und Moral nicht zu verwundern waͤre. Auſſer Criminalprozeſſen ſind mir auch von Concurſen Faͤlle bekannt, wo die juͤ - diſchen Weiber ihre illata beſchworen haben, von de - nen nachher bewieſen worden, daß ſie ſie nicht ein - gebracht hatten. Aber was iſt hiebey zu thun? Nichts, als was Sie verlangen, die Juden zu beſſern. Gewiß giebt es auch ſchon itzt viele unter ihnen, die ſolche Grundſaͤtze aufrichtig verabſcheuen, ich ſelbſt habe deren gekannt, und von Juden ſolche Proben uneigennuͤtziger Freundſchaft erfahren, dieich147ich von meinen beſten chriſtlichen Freunden kaum erwarten koͤnnen.

Ob die Juden indeß durch die Unbequemlichkeit ihrer Verfaſſung nach einigen Generationen ſich be - wogen finden werden, ihre Religionsvorurtheile ganz zu verlaſſen, ſo wie die heidniſche Religion ganz vergangen iſt, daran moͤchte ich doch, mit Ihrer Er - laubniß, noch ſehr zweiflen. Den Bart und manche andere Caͤrimonien abzuſchaffen, das thut dem Ganzen noch nichts.

So lange die Juden ſich nicht zu Handwerken anſchicken (ganz ſtimme ich Ihren Gedanken bey, daß dieſe das beſte Mittel zu einer vortheilhaften Umbildung des juͤdiſchen National-Characters ſind) ſo lange werden ſie zur Handelſchaft ihre Gebraͤuche und Caͤrimonien keinesweges undequem finden, viel - mehr ſcheinen ſie dazu mir hoͤchſtbequem, um uͤber die Chriſten das Aſcendant zu erhalten. Der gemeinſte Jude bildet ſich ein, den ſchlaueſten Chriſten uͤber - ſchauen zu koͤnnen, und nur fuͤr den hat er Reſpect, dem er im beſondern Verſtande, Witz und Wach - ſamkeit zutrauet. Die Urſachen, warum die Ju - den ihre Grundverfaſſung nie aus eigner Bewegung aͤndern werden, kann man ſelbſt bey den Chriſten per combinationem idearum finden. Ein Jeder derK 2ſich148ſich geſchickt zu ſeyn glaubt, die Kaufmannſchaft oder bloße Kraͤmerey zu lernen, oder auch ohne foͤrmliche Erlernung zu treiben, der wird gewiß kein Handwerk lernen, ſondern bey dieſem Stande ſich uͤber die anſehnlichſten Staͤnde der Menſchen hin - ausdenken, und dieſer Stand der Kaufmannſchaft iſt auch der Stand der Juden. Den uͤbrigen Druck fuͤhlen ſie nicht, weil ſie ihn ſo ſehr gewohnt ſind, ſehn ihn vielmehr, wie die Herrnhuter und Prote - ſtanten in Frankreich als ein ehrenhaftes Maͤrtyr - thum an. Sogar genießt der Jude in buͤrgerlichen ſichtbarlichen Verhaͤltniſſen groſſe Vorzuͤge vor den Chriſten. Er iſt bey allen chriſtlichen Religionsver - wandten gelitten, hat Zutritt an Hoͤfen und in Ca - binetten, den er verliert, ſobald er ſich taufen laͤßt. Ich weiß ein Beyſpiel, daß im ſiebenjaͤhrigen Krie - ge die Frau eines juͤdiſchen Admodiateurs ſogar an die Tafel eines groſſen Prinzen gezogen wurde, wo - ruͤber die adelichen Damen zwar ſcheel ſahen, aber eine chriſtliche Kaufmannsfrau gewiß nicht gelitten haͤtten. Es ſind ja auch Juden vom Kayſer nobili - tirt worden, und unter K. Carl VII. hatte ſogar ein Jude das Jus nobilitandi, indem er Adelsbriefe ver - kaufte, wo der Nahme vom Kaͤufer ausgefuͤllt wur - de. Ich glaube alſo nicht, daß die Vornehmen undReichen149Reichen den Druck ſehr fuͤhlen, und der Poͤbel un - ter den Juden iſt gegen ihn ſo abgeſtuͤmpft, wie un - ſere Leibeigene Bauren gegen den Druck ihrer Herrn. Sie werden freylich antworten: eben dieſes abge - ſtumpfte Gefuͤhl iſt ein deſto groͤßerer Beweis von Elend, und die Vorzuͤge der reichern Juden taugen eben ſo wenig, als die Unterdruͤckung der andern*)Freilich iſt dieſe Antwort ganz in meinem Sinn. D. . Aber laſſen Sie mich noch etwas von den Vor - zuͤgen anfuͤhren, den der Jude in der itzigen Ver - faſſung wirklich vor den Chriſten voraus hat. Ueber - all iſt er frey von allen Arten von Frohndienſten, theils weil die Chriſten-Sklaven nicht mit den be - ſchnittenen Sklaven in Geſellſchaft arbeiten wollen, theils weil man ihn fuͤr zu ungeſchickt zu ſchwerer Arbeit haͤlt, die er auch nicht gewohnt iſt. Einen Umſtand muͤſſen wir auch nicht vergeſſen, der die Juden ſtolz macht und uͤberredet uͤber die Chriſten hinſchauen zu koͤnnen, das iſt nicht nur die Patro - cinanz der reichen Juden, durch Geldleihen ſogar an die erſten chriſtlichen Haͤuſer im Lande, auch an Hoͤfe ſondern vornehmlich auch die freywillige Knechtſchaft der Chriſten, den Juden am Sabbath zu dienen. Ich erinnere mich keines Landes, wo hieruͤber ein Verboth exiſtirte, das doch allein hin -K 3rei -150reichend waͤre, die Juden zu zwingen, ihre aͤngſtli - che, unnatuͤrliche Sabbathsfeyer abzuſchaffen.

Aus den angefuͤhrten Gruͤnden ſcheint es mir ſehr wahrſcheinlich, daß wenn man den Juden heute alle Zuͤnfte oͤfnete, doch nur wenige von dieſer Frey - heit Gebrauch machen, ſondern lieber bey der Han - delsſchaft bleiben wuͤrden, die ihnen Gewohnheit, Erziehung und die damit verbundene oder doch ein - gebildete Vorzuͤge nebſt der Hofnung eines großen Gluͤcks und bequemen Lebens, weit angenehmer ma - chen. Und da Sie ſelbſt dieſe ausſchlieſſende Be - ſchaͤftigung mit dem Handel als die Hauptquelle der ſittlichen Verderbtheit mit Recht angegeben; ſo ſehe ich noch nicht, wie ſie ſobald duͤrfte verſtopft wer - den, da nun noch die Hinderniſſe, welche in unſe - rer Zunftverfaſſung liegen, dazu kommen.

S.

Miß -[151]
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Mißverſtanden und nach dem Mißverſtand un - richtig beurtheilt zu werden, iſt ein Unfall, dem Jeder, der ſeine Gedanken oͤffentlich ſagt, ſich ausſetzt und den auch alte und neuere Schriftſteller immer erfah - ren haben. Er iſt eine Folge der unendlich verſchie - denen Begriffe, die jeder Leſer zu einer Schrift mit - bringt, der verſchiedenen Grade von Aufmerkſam - keit, der er ſie wuͤrdigt, ſeiner Faͤhigkeit in die Ideen eines Andern einzudringen, ſo wie der Talente des Schriftſtellers, ſeine Begriffe deutlich zu entwickeln. Ueber ein allgemeines Schickſal muß man nicht kla - gen, ſonſt haͤtte ich allerdings Urſache die gerechte Beſchwerde zu fuͤhren, daß die Hauptabſicht meiner Schrift von ſo Vielen verfehlet iſt. Dieſe war nicht ſowohl die Sache der unterdruͤckten Hebraͤer, ſon - dern der Menſchheit und der Staaten zu fuͤhren. K 4Ich152Ich wollte nicht Mitleiden fuͤr Jene erregen, nicht von dieſen eine beſſere Behandlung derſelben erbit - ten, ſondern zeigen, daß geſunde Vernunft und all - gemeine Menſchlichkeit, ſo wie das Intereſſe der buͤr - gerlichen Geſellſchaft, dieſe beſſere Behandlung fo - dern. Dieſe Abſicht, duͤnkte mich, war ſo deutlich angegeben, daß ich mir ſchmeichelte, man werde ſie nicht verfehlen koͤnnen. Es mußte mich daher aller - dings ſehr befremden, wenn man zuweilen meine Schrift eine Rettung, Apologie der Juden nen - nen, und mich bloß fuͤr ihren Vertheidiger neh - men koͤnnen. Und doch ſagt ſchon der Titel meiner Schrift, daß ich nicht die itzigen Juden vertheidi - gen wollte, und ihr ganzer Inhalt, dieſem Titul getreu, hat es nur damit zu thun: Ob und durch welche Mittel die Juden ſitt - lich und politiſch beſſer als ſie itzt ſind, wer - den koͤnnen? Dieſe Frage ſetzt die itzige fehlerhafte Beſchaffenheit der Juden voraus, und nur in dem einzigen Punkte ha - be ich dieſe vertheidigt, daß ſie Menſchen ſind; faͤhig durch aͤuſſere Lage und Umſtaͤnde (wie die un - ter denen ſie bis itzt lebten,) verderbt und herabgewuͤr - digt, und durch eine beſſere Behandlung, wieder veredelt und zu guten und brauchbaren Gliedern der Geſellſchaft erhoben zu werden.

Dieſer153

Dieſer Mißverſtand hat veranlaßt, daß man die itzigen Fehler der Juden, die ich nicht laͤugne, gegen mich gebraucht, um zu beweiſen, daß ſie auch, wenn meine Vorſchlaͤge ausgefuͤhrt werden, keine beſſere Menſchen und Buͤrger ſeyn wuͤrden. Man vergißt hier, daß mit der Urſache auch die Wirkung aufhoͤ - ren muͤſſe, und daß man von dem, was die Juden itzt ſind, durchaus nicht auf das ſchlieſſen koͤnne, was ſie kuͤnftig unter ganz andern Umſtaͤnden, allen pſychologiſchen Geſetzen gemaͤß, ſeyn werden. Daß bey den Juden keine Ausnahmen dieſer Geſetze ein - trete, daß ſie keine unabaͤnderliche, unverbeſſerliche Menſchen ſind, dieſen Beweis werde ich, wie ich ſchon erklaͤrt habe, nicht fuͤhren. Ich entferne vielmehr die niederſchlagende Erfahrung, daß es noch unter uns ſonſt hellſehende Maͤnner giebt, die ſo ei - nes ſonderbaren Gedankens faͤhig waren. Aber auch andere Unterſucher, die keinem ihrer Bruͤder die menſchlichſte aller Faͤhigkeiten Verbeſſerlichkeit abſprechen, glauben doch bey den Juden und in den durch ihre Religion beſtimmten Verhaͤltniſſen ganz beſondere Umſtaͤnde und Gruͤnde zu bemerken, welche ſie auf immer unfaͤhig machen, mit den uͤbrigen Buͤrgern unſerer Staaten voͤllig gleich, dieſen voll - kommen einverleibt zu werden, gleiche Laſten der Ge -K 5ſell -154ſellſchaft zu tragen, und gleiche Pflichten zu erfuͤllen die nur allein zu gleichen Vortheilen berechtigen koͤn - nen. Andere finden zwar hiebey keine gaͤnzliche Un - moͤglichkeit, aber doch große und wichtige Schwierig - keiten, welche die Sache lange behindern und verzoͤgern, wenigſtens die Ausfuͤhrung eines auch im Allgemeinem politiſch richtigen und guten Plans in beſondern Laͤn - dern nicht verſtatten wuͤrden. Wieder Andere ha - ben nur fuͤr dieſe Ausfuͤhrung, die ſie als moͤglich und nuͤtzlich anſehen, einzelne beſondere Modificationen vorgeſchlagen. Dieſe drey Hauptclaſſen von Ein - wuͤrfen, welche von wahrheitsliebenden Forſchern meinen Vorſchlaͤgen entgegengeſetzt ſind, bilden eine natuͤrliche Abtheilung meiner Beantwortung, nach der ich die verſchiedenen oft in einander lauffenden Begriffe deſto richtiger abzuſondern und genauer zu entwickeln hoffe.

Die Gruͤnde, welche man uͤberhaupt einer allgemeinen Gleichmachung der Juden mit an - dern Buͤrgern des Staats entgegengeſetzt hat, ſind ſoviel ich weiß, folgende:

I.

Jeder Staat, beſteht urſpruͤnglich, aus den Landeigenthuͤmern, die nur allein auf die Rechte und uneingeſchraͤnkte Wohlthaten derbuͤr -155buͤrgerlichen Geſellſchaft Anſpruch machen koͤnnen. Die Juden ſind nur aufgenommene fremde Fluͤchtlinge, die Schutz, aber nicht Rechte verlangen koͤnnen. Wolte man ſie den aͤltern, einheimiſchen Gliedern der Geſellſchaft gleich machen, ſo wuͤrden ſie ſich zu ſehr ver - mehren und dieſe verdraͤngen. Unſere meiſten gegenwaͤrtigen Staaten ſind von erobernden Voͤlkern geſtiftet worden, die alten Einwoh - ner derſelben, unter denen auch die Juden wa - ren, koͤnnen alſo nicht mehr Rechte verlangen, als ſie bey der Eroberung beſaßen.

Wenn ich nicht ſehr irre, beruhet dieſer Ein - wurf auf nicht genug entwickelten Begriffen von der Natur und dem Weſen einer buͤrgerlichen Geſell - ſchaft, von ihrem Zweck und Intereſſe und dem wahren Wohl ihrer Glieder. Auch ich halte es fuͤr eine ausgemachte Wahrheit, daß der Staat nur aus denen beſtehe, welche das Eigenthum des Landes, in dem er errichtet iſt, beſitzen oder Rechte an daſſel - be erworben haben. Land iſt das ſicherſte und dau - erudſte Eigenthum, daher erſcheinen deſſen Beſitzer vorzuͤglich als die wichtigſten, erſten und bleibendſten Buͤrger. Sonſt muͤſſen freylich auch die, welche uͤberhaupt Vermoͤgen im Staate beſitzen, ſeine Laſtentragen156tragen und einen bleibenden Aufenthalt in demſelben haben, nicht ausgeſchloſſen werden. Alle dieſe ma - chen eigentlich die buͤrgerliche Geſellſchaft aus, nur ihnen gehoͤrt alſo die hoͤchſte Gewalt dieſer Geſellſchaft, ſie moͤgen nun die Ausuͤbung derſelben unmittelbar ſich ſelbſt vorbehalten oder ſie gewiſſen Verweſern uͤbertragen haben. Ein Regent, der nicht fuͤr ſeine hoͤchſte Wuͤrde und erhabenſten Titel es haͤlt, erſter Bedienter des Staats zu ſeyn, der nicht auch oh - ne alle foͤrmliche Grundgeſetze ſich heiligſt verpflichtet haͤlt, die ihm anvertrauete Gewalt nur zum groͤßt - moͤglichſten Wohl des ihm vertrauenden Volks anzu - wenden, der irgend ein anderes Intereſſe, als das der Geſellſchaft kennt, der ſein Intereſſe von dieſem zu trennen, es der Befriedigung ſeines Ehrgeitzes oder irgend einer andern Leidenſchaft aufzuopfern faͤhig iſt; der verdient nicht den Nahmen eines Regen - ten*)Dank ſey es der fortſchreitenden Aufklaͤrung unſe - rer Zeiten, daß dieſe große und erſte aller politi - ſchen Wahrheiten nicht nur, auch in den monar - chichſten Staaten frey und offen gelehrt werden darf, und daß das goͤttliche Recht der Koͤnige, auch ſo - gar wenn ihm ein Wieland das Wort redet, kei -nen. Alles Recht koͤmmt nur vom Volke und iſtnur157nur Mittel, um dieſes Gluͤck zu befoͤrdern, und wenn gleich in monarchiſchen Staaten die erbliche Nach - folge unſtreitig das beſte Mittel iſt, um innere Un - ruhen zu verhuͤten, dem Staate von innen und auſ - ſen Feſtigkeit und Conſiſtenz zu verſchaffen und das Intereſſe des Verweſers deſto inniger mit dem desVolks*)nen Beyfall mehr findet, ſondern daß auch ſelbſt unſere Regenten ihre wahre Wuͤrde und Beſtim - mung laut anerkennen. Ohne den Verdacht auch nur der kleinſten Schmeicheley von dem Jede meiner Schriften und vorzuͤglich dieſe u[n]befleckt zu erhalten mein eifrigſter Wunſch iſt, zu beſorgen, darf ich kuͤhn es ſagen, daß kein Monarch von Eu - ropa ſich hievon waͤhrend ſeiner langen Regierung mehr durchdrungen gezeigt habe, als der, den wir den unſern zu nennen, ſo gluͤcklich ſind. Aber viel - leicht iſt es auch Er, der als Schriftſteller unter den erſten in neuern Zeiten dieſen Gedanken mit Energie und Klarheit ausgedruͤckt und in Umlauf gebracht hat. Gleich im Anfang des Anti-Machiavels (p. 3. edit. de la Haye 1741) giebt der erhabene Verfaſſer von dem Urſprung der Gewalt der Fuͤrſten folgende Idee: Les peuples ont trouvê neceſſaire pour leur repos, et leur conſervation d’avoir des juges pour regler leurs differends, des protecteurs pour les mainte -nir158Volks zu verweben; ſo laͤßt doch nie ein erbliches Eigenthumsrecht, wie bey Privatbeſitzungen, ſich den - ken; ein Staat kann ſeiner Natur und Weſen nach, nie als ein Grundſtuͤck beſeſſen werden.

Dieſe Wahrheit ſetze ich voraus, knuͤpfe aber nun an ſie eine andere eben ſo unumſtoͤßliche, dieſe, daß das hoͤchſte Wohl der ganzen Geſellſchaft und aller ihrer Glieder in der nach allen Verhaͤltniſſen eines Landes groͤßtmoͤglichſten Zahl ſeiner Bewohner be - ſtehe. Nur durch dieſe wird die vollkommenſte Cul - tur des Bodens, ſo wie des Geiſtes bewirkt, und die Geſellſchaft in Stand geſetzt alle ihre Zwecke von auſſen und innen zu erfuͤllen, Sicherheit, Wohlſtand und uͤberhaupt Gluͤckſeeligkeit in moͤg - lichſt hoͤchſtem Grade zu erreichen. Je mehr Men -ſchen,*)nir contre leurs ennemis dans la poſſeſſion de leurs biens, des Souverains pour reunir tous leurs diffe - rens interets en un ſeul interet commun; ils ont donc dabord choiſi d’entre’eux, ceux qu’ils ont cru les plus ſages, les plus equitables, les plus desin - tereſſés, les plus humains, les plus vaillants pour les gouverner. C’eſt donc le bien des peuples, que le ſouverain doit preferer à tout autre interet, Le Sonverain bien loin d’etre le maitre abſolu des peuples, qui ſont ſous ſa domination, n’en eſt lui mênte, que le premier domeſtique. 159ſchen, deſto mehr und vervielfaͤltigte Nahrungswege deſto mehr Schaͤrfung der Induſtrie, mehr Auf - klaͤrung, mehr Benutzung aller phyſiſchen und poli - tiſchen Vortheile, die Boden und Lage darbieten, deſto mehr Kraft um aͤuſſern Anfaͤllen zu widerſtehn, deſto mehr Ruhe und Feſtigkeit der innern Einrichtun - gen. Jeder Staat muß alſo immer bemuͤhet ſeyn die Zahl ſeiner Buͤrger ſowohl durch die natuͤrliche Vermehrung der Eingebohrnen, als durch willkom - mene Aufnahme der Fremden, die ſich ihm anſchlieſ - ſen, unaufhoͤrlich bis zu dem hoͤchſten Maaße, das ſeine phyſiſche Beſchaffenheit und ſeine Lage erlauben, zu vergroͤßern*)Wenn zwiſchen demjenigen, was ich hieruͤber im Anfange meiner Schrift und Hr. Moſes Mendels - ſohn in der Vorrede zu Manaſſeh S. 22 bemerkt, ein Widerſpruch zu ſeyn ſcheint, ſo iſt er in der That nur ſcheinbar, und wir denken hieruͤber ganz einſtimmig. Meine Abſicht war den Satz der Be - voͤlkerung mit Beſtimmtheit darzuſtellen. Es giebt bekanntlich politiſche Schriftſteller, welche die zu vermehrende Volksmenge fuͤr den letzten Zweck der Geſellſchaft halten; dieß ſcheint ſie mir nicht, ſon - dern nur das in den meiſten Faͤllen zweckmaͤßigſteMit -. Dieſes aber kann er nur dann,wenn160wenn er allen Eingebornen und Fremden den voll -kom -*)Mittel dieſen Zweck das allgemein groͤßtmoͤglich - ſte Wohl zu erreichen, aber auch dieſes nur hy - pothetiſch, weil doch der Fall ſich denken laͤßt, da ein Land gerade ſo viel Menſchen hat, als es nach allen ſeinen phyſiſchen und politiſchen Verhaͤltniſſen ernaͤhren kann. Alle unſere groͤßere Staaten ſind von der Wirklichkeit dieſes Falls noch unendlich weit entfernt, und vielleicht erreichen ſie ihn nie; aber da er moͤglich iſt, erfordert doch die philoſophiſche Genau - igkeit der Begriffe ihn nicht zu uͤberſehn, und die un - auf hoͤrliche Zunahme der Bevoͤlkerung iſt alſo nicht abſolut, ſondern nur unter einer Bedingung, die aber in allen unſern groͤſſern Staaten eintritt, das zweckmaͤßigſte Mittel zu Befoͤrderung der Wohl - fahrt des Staats. Dieſes Raiſonnement ſcheint mir noch itzt ſehr richtig, aber auch eben ſo ſehr, was Hr. Moſes bemerkt, daß der Regent durchaus hier - auf keine Ruͤckſicht nehmen, die zunehmende Be - voͤlkerung nie verhindern, ſondern der Natur ganz ihren Lauf und das Gefaͤß ſich anfuͤllen laſſen muͤſſe, bis es uͤberlaͤuft. Dieſe Meynung iſt um ſo mehr auch die meinige, da ich ſehr zweifle, ob vielleicht einer unſerer Staaten das ihm erreichbare Maaß von Bevoͤlkerung je erreichen werde, weil eben die Vermehrung immer neue Beſchaͤftigungsmittel, alſo neue Quellen einer fortgehenden Zunahme eroͤfnet.161kommenſten und freyeſten Genuß aller Rechte der Buͤrger verſtattet. Ausſchließende Vorzuͤge und Rech - te einer gewiſſen Claſſe ſind allemal mehr oder weniger Hinderniß der Bevoͤlkerung und alſo des zu erreichen - den moͤglichſt groͤßten Wohlſtandes. Die Erfah - rung vereinigt ſich hier mit dem Raiſonnement Immer waren die Staaten die gluͤcklichſten, reichſten an Fleiß, Production und Gelde, ſo wie die geliebteſten von ihren Buͤrgern, die mit Ertheilung ihres Buͤrgerrechts am freygebigſten, jedem Fremdling, der unter ihrem Schutze ſich nie - derließ, nicht nur mit dieſem Schutz, ſondern auch mit dem ſicherſten Genuß aller geſellſchaftlichen Rechte entgegen kamen, ihm die freyeſte Aeuſſerung ſeiner Kraͤfte und Talente geſtatteten. Dieſe Frey - gebigkeit gegen Fremde iſt kein Unrecht fuͤr die alten Einwohner, das heißt, fuͤr die Buͤrger des Staats, deren Vorfahren ſchon ſeit einem gewiſſen Zeitraum in dieſem Lande wohnten, ſie iſt Wohlthat fuͤr ſie, und fuͤr die Regierung iſt es Pflicht dieſe Wohlthat zu erweiſen. In eben dem Verhaͤltniß wie die Zahl ihrer Mitbuͤrger ſich vermehrt, erhal - ten auch dieſe aͤltern Einwohner mehr Mittel ſich zu naͤhren, ihren Wohlſtand zu erweitern, ihr Leben ſich bequemer und angenehmer zu machen. DerLWerth162Werth ihrer Arbeit wird erhoͤhet, ihr Erfindungs - geiſt geweckt, ihre Einſicht, ſo wie ihre Staͤrke ge - mehret.

Freylich wo gewiſſe poſitive Grundgeſetze nur ei - ner oder mehrern beſondern Claſſen von Buͤrgern einen Antheil an Regierungsrechten geſtatten, muß dieſer ihnen erhalten; wo beſondere Vorthei - le und Benutzungen einmal durch Vertraͤge erwor - ben ſind, muͤſſen dieſe unverletzt bleiben, wenigſtens bis dahin, daß die richtigere Einſicht von dem groͤßern Vortheile des allgemeinern Genuſſes dieſer Rechte und Benutzungen fuͤr das Ganze ſowohl, als in den meiſten Faͤllen, auch fuͤr die bisherigen aus - ſchlieſſenden Beſitzer ſelbſt, bis, ſage ich, dieſe Ein - ſicht mehr verbreitet iſt und die Aufhebung dieſer Ein - ſchraͤnkungen abdringt. Sonſt iſt jede ploͤtzliche Ver - aͤnderung meiſtens gefaͤhrlich, und einmal wohl er - worbene Rechte und Beſitzungen, auch unter dem nicht ungegruͤndeten Vorwande des gemeinen Beſten (drin - gende Faͤlle ausgenommen,) irgend Jemand zu neh - men, wird kein Freund der Menſchen anrathen. Aber ſeine Kraft und Thaͤtigkeit zu aͤußern, ſich zu naͤhren wie man kann und will, ſollte uͤberhaupt nie ein ausſchließendes Recht Einzelner ſeyn. Der Vortheil des Monopoliſten iſt dem der Geſellſchaftwider163widerſprechend und auf Koſten aller uͤbrigen erwor - ben. Dieſe gewinnen dabey, je freyere Induͤſtrie ihnen allen verſtattet iſt und je mehr ſie alle Beſchaͤf - tigungen und Nahrungswege frey waͤhlen duͤrfen.

Zu dieſer vollkomnen Freyheit, duͤnkt mich, ge - hoͤrt auch dieſes, daß Jeder, bey dem nicht beſondre Umſtaͤnde eintreten, die ſeine Buͤrgerannahme wie - derrathen, ein gleiches Recht habe, Landeigenthum zu erwerben. Nur wo dieſes geſtattet iſt, darf der Staat die vollkommenſte Cultur ſeines Bodens hof - fen, weil er nur dann immer an Beſitzer koͤmmt, die am meiſten Faͤhigkeit und Willen haben, alle moͤgliche Fruͤchte dieſes Bodens hervorzulocken! Auch fuͤr die Landeigenthuͤmer ſelbſt iſt dieſe verſtattete Freyheit ſicherer Gewinn; denn je groͤſſer die Zahl der Kaͤufer ihrer Grundſtuͤcke iſt, deſto mehr wird der Werth derſelben erhoͤhet und deſto vollkomner koͤnnen ſie dieſelben benutzen, ſie veraͤuſſern ſie nun oder nicht. So gewiß es iſt, daß die Beſitzer des Landeigenthums vornaͤmlich den Staat ausma - chen, ſo iſt doch deſſelben vollkommenſte Veraͤuſſer - lichkeit und die den Beſitzern geſtattete freyeſte Diſpo - ſition uͤber dieſes Eigenthum, wahrer Vortheil des Staats, weil dieſem nicht daran gelegen ſeyn kann, daß ſein Boden unabaͤnderlich von den Nachkom -L 2men164men derer beſeſſen werde, die ihn vor einigen Jahr - hunderten beſaßen, ſondern nur daran, daß er auf das vollkommenſte bereitet und in ſeinem moͤglichſt hoͤch - ſten Werth erhalten oder zu demſelben erhoben wer - de moͤge. Den Fall, wo in einigen Laͤndern an ein ge - wiſſes Landeigenthum Antheil an der Regierung ge - bunden und dieſer auf eine Claſſe von Buͤrgern be - ſchraͤnkt iſt, habe ich ſchon vorher ausgenommen.

Wenn dieſe Grundſaͤtze auf das Weſen und den Zweck der buͤrgerlichen Geſellſchaft gegruͤndet ſind, ſo muß vor ihnen der aus der Entſtehung unſrer itzi - gen Staaten abgeleitete Unterſchied zwiſchen ehema - ligen Siegern und Beſiegten, wenn er nicht ſchon ohnedem ſich verlohren haͤtte, voͤllig verſchwinden. Moͤgen die Nachkommen der erſtern immer die ur - ſpruͤnglichen einheimiſchen Landeigenthuͤmer ſeyn, wenn ſie nur zu ihrem eigenen und des Staats Beß - ten das Recht haben, ihre Beſitzungen zu veraͤuſſern. Die Fremden, an die ſie ihre Rechte uͤbertragen, treten alsdann in ihre Stelle. Je mehr derer ſich finden, an welche dieſe Uebertragung geſchehen kann, deſto beſſer fuͤr dieſe Landeigenthuͤmer; jener Anlockung iſt kein Unrecht, iſt Vortheil fuͤr dieſe. Ueberhaupt, duͤnkt mich, laͤßt eine Anwendung der Grundſaͤtze, nach welchen vor zwoͤlf Jahrhunderten einige nordi -ſche165ſche Voͤlker die verſchiedenen Provinzen des roͤmiſchen Reichs eroberten und neue Staaten in ihnen errichteten, bey der Stufe unſerer itzigen europaͤiſchen Cultur und unſerer erleuchtetern (wenigſtens andern) Politick ſich nicht denken. Kein Staat unſers Welttheils macht itzt Eroberungen, um die alten Einwohner in denſelben auszurotten oder zu Sclaven zu machen, und deren Eigenthum unter ſeine ſiegende Heere zu vertheilen. Eine eroberte Provinz wird der Claſſe der bisherigen zugeſellt, ihre Einwohner behalten ihre Beſitzungen und Rechte und werden den alten Buͤrgern aſſociirt und gleich gemacht. Im Elſaß, in Liefland, in Schleſien ſind nicht Franzoſen, Ruſſen und Preuſ - ſen herrſchende Nationen und die alten Einwohner dieſen unterworfen geworden; jene Provinzen wur - den nur den Staaten einverleibt, die durch Erobe - rung und Abtretung ſie erworben hatten. Selbſt die Pforte beobachtet dieſen Grundſatz, und macht die Einwohner eroberter Laͤnder nur zu Unterthanen des Staats, nicht zu Sclaven der ſiegenden Nation. Wie viel weniger kann alſo noch in unſern itzigen Staa, ten auf den alten laͤngſt abgeſchliffenen Unterſchied zwiſchen Siegern und Beſiegten, urſpruͤnglichen Beſitzern und Fremdlingen Ruͤckſicht genommen werden, deren Nachkommen ſich laͤngſt vermiſchtL 3und166und in der allgemeinen Maſſe der Voͤlker verlohren haben. Der gemeinſchaftliche Vortheil Aller erfor - dert, dergleichen Unterſchiede nie wieder aufleben zu laſſen, vielmehr die Zahl aller Buͤrger moͤglichſt ver - mehrt zu ſehn, und hierzu iſt die vollkommenſte Freyheit in Abſicht der Beſitzungen, Beſchaͤftigun - gen und Nahrungswege eine weſentliche Bedingung.

Dieſe Freyheit vorzuͤglich allen im Lande Ge - bohrnen zu bewilligen, erfordert ſowohl die natuͤr - liche Billigkeit als auch der groͤßere Vortheil, der von ihnen zu erwarten iſt. Sie kennen das Land, ſind an Clima, Boden, Sitten, Lebensart gewoͤhnt und paſſen alſo beſſer in die Geſellſchaft, von der ſie Daſeyn und Erziehung erhalten haben. Will der Staat zu Bebauung eines bisher noch unbenutzten Bodens, oder zu neuen bisher noch fehlenden Arten von Induͤſtrie durch Wohlthaten ermuntern; ſo duͤnkt mich, haben alſo die im Lande Gebohrnen, aber noch nicht mit Beſchaͤftigung Verſehenen, auf die - ſe Wohlthaten den gerechteſten Anſpruch und ſind auch die faͤhigſten ſeine Zwecke zu erfuͤllen. Fremde indeß, die freywillig ſich den aͤltern Buͤrgern beyge - ſellen, muͤſſen jedem Staat willkommen ſeyn, und ſein, ſo wie Jener Intereſſe erfordert es, ihnen das neu gewaͤhlte Vaterland durch verſchafte Leichtigkeitder167der Beſchaͤftigung und Nahrungswege, angenehm zu machen; ſie dadurch, daß ſie ihr Gluͤck nach ei - gener Einſicht ſich bilden koͤnnen, zu feſſeln und bald moͤglichſt zu naturaliſiren. Fremde durch Wohl - thaten anzulocken ſcheint mir indeß nur in zwey Faͤl - len rathſam. Erſtlich, wenn dieſe Fremde ihr Va - terland zu verlaſſen durch politiſche und religioͤſe Druͤckung veranlaßt ſind; Hugenotten, Salzburger, Pfaͤlzer waren allenthalben die beſten Coloniſten und dankbarſten Unterthanen. Zweytens, wenn ein Staat viel unurbares Land hat, oder durch ſeine La - ge Vortheile von neu anzulegenden Manufacturen oder Handlungsverhaͤltniſſen erwarten kann, wozu es ihm an eigenen Haͤnden fehlt, die er durch die na - tuͤrliche Vermehrung nicht ſobald erwarten kann. Sonſt muß ich geſtehen, denke ich uͤber die gewoͤhn - lichen nur durch die zu erwartende Wohlthaten ge - lockten Coloniſten noch immer ſo, wie ich bereits in dieſer Schrift mich uͤber ſie erklaͤrt habe, und der Staat der ſie aufnimmt, muß, duͤnkt mich, immer den groͤßten Vortheil erſt von ihren Kindern und Enkeln erwarten.

Alle dieſe Grundſaͤtze koͤnnen nun meiner Ein - ſicht nach auch auf die Juden angewandt werden, da ich dieſelben fuͤr faͤhig halte, voͤllig brauchbareL 4Glieder168Glieder der Geſellſchaft zu werden, ſobald man ſich ent - ſchlieſſen wird den gleichen Genuß ihrer Vortheile ihnen zu bewilligen. Dieſe Bewilligung waͤre kein Unrecht fuͤr die uͤbrigen Buͤrger, ſondern verſpraͤche ihnen alle die nuͤtzlichen Folgen, die ſie von der vermehrten Volkmenge uͤberhaupt erwarten duͤrfen. Die im Lande gebohrnen Juden verdienten, aus dem vorher angefuͤhrten Grunde, allemal noch vor Fremden den Vorzug, ob ich gleich auch dieſe, meinen Grundſaͤtzen gemaͤß, nicht nachgeſetzt und eigentlich uͤberall keinen Vorzug*)Verſteht ſich in Abſicht der eigentlichen buͤrgerli - chen, nicht der auf Grundverfaſſung beruhenden Regierungs-Rechte, welches ich, um allen Mißver - ſtand zu verhuͤten, lieber auch zum Ueberfluß wie - derhole. wuͤnſche. Bey den Juden koͤmmt noch der Grund hinzu, daß ſie, wenigſtens ein groſſer Theil derſelben, ſich wahr - ſcheinlich als vorzuͤglich gute und dankbare Buͤrger, (der auch in ihnen gleich wuͤrkenden menſchlichen Na - tur gemaͤß) des Staats, beweiſen wuͤrden, der ih - nen zuerſt den Genuß der Menſchenrechte verſtattete und ſie zu einem hoͤhern Werth dadurch erhoͤbe, daß er ſie zu wirklichen Gliedern der politiſchen Geſell - ſchaft machte. Fremde ſich ſelbſt anbietende Ju -den169den wuͤrden meiner Meynung nach, angenommen und zu gleichen Freyheiten, wie die uͤbrigen zugelaſ - ſen, aber auf keine Weiſe wuͤrden ſie geruffen und angelockt werden muͤſſen. Da die Juden durch die lange Herabwuͤrdigung, in der ſie Jahrhunderte gelebt, nun einmal politiſch verderbter ſind und erſt in einigen Generationen ganz brauchbare Glieder der Geſellſchaft werden koͤnnen, ſo wuͤrde es unpolitiſch ſeyn, gerade mit dieſen noch zu bildenden und erſt in ihren Nachkommen die Muͤhe eigentlich belohnenden Fremdlingen, die Zahl der alten Einwohner vermeh - ren zu wollen, die allerdings uͤber eine ſolche Be - guͤnſtigung noch nicht ſo tauglicher und durch ihre Fehler ihnen nachtheiliger Menſchen (ſo wie anderer Herumlaͤufer auch) ſich zu beſchweren gerechte Urſa - che haͤtten. Ich hoffe man wird mich hier unpar - theyiſch und von aller mir gewiß mit Unrecht beyge - legten Vorliebe fuͤr die Juden, frey finden. So ſehr ich die beſſere Behandlung derſelben wuͤnſche, ſo glaube ich doch, daß, ſo lange ſie noch immer die ſind, zu denen freylich wir ſie gemacht haben, ein Staat der ſich veranlaßt findet, Fremde durch Vor - theile und Wohlthaten anzuziehen, beſſer thue jede andere Coloniſten zu waͤhlen, als juͤdiſche. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wenn nur ein StaatL 5die170die beſſere Behandlung der Hebraͤer anfienge, und die Juden aus andern Laͤndern ihm zu haͤufig zu - ſtroͤmten; ſo, glaube ich, wuͤrde er nicht Unrecht thun, auch die freywillig ſich anbietenden abzuweiſen, we - nigſtens ſo lange, bis noch verſchiedene Schwierig - keiten ihrer vollkomnen buͤrgerlichen Brauchbarkeit (beſonders die von den Kriegsdienſten und der Colli - ſion des Sabbaths mit den buͤrgerlichen Verhaͤltniſ - ſen) voͤllig durch die Erfahrung (denn dieſe nur ver - mag es) gehoben ſeyn werden. Indeß ſchmeichle ich mir noch immer mit der angenehmen Ausſicht, daß die Wahrheit, der ich Eingang zu verſchaffen ſuche, vielleicht in nicht zu entfernter Zeit, in mehrern Lan - den ſich verbreiten und eine beſſere Behandlung der einheimiſchen Juden eines jeden bewirken, alſo den Fall einer zu groſſen Auswanderung nach einem be - ſtimmten Lande verhindern werde. Auch koͤmmt hie - bey, wie Hr. Michaelis ſehr richtig bemerkt, die Verſchiedenheit der Laͤnder und ihre groͤßere oder ge - ringere Bevoͤlkerung in Betrachtung. Eine halbe oder ganze Million Juden wuͤrde freylich in Frank - reich, das 26 Milllonen Einwohner hat, ganz andere Folgen hervorbringen, als in Schweden bey 2 und einer halben Million; auch andere in den noch mit wuͤſten und unurbarem Lande verſehenen oͤſterreichi -ſchen171ſchen und ruſſiſchen Staaten, als in den ungleich mehr cultivirten preußiſchen.

Mir iſt es genug, nur dieſes entwickelt zu haben, daß die Sorge fuͤr die Rechte der ſogenannten aͤltern Einwohner die Regierung nicht abhalten duͤrfe, den im Lande gebornen Juden gleiche Rechte mit Je - nen zu bewilligen, und wenn es mir gelungen iſt, nach den Grundſaͤtzen einer wahren Politick zu zei - gen, daß dieſe Gleichmachung kein Unrecht, viel - mehr ein Vortheil fuͤr die uͤbrigen Buͤrger ſey. Na - tuͤrlich ſetze ich hiebey voraus, daß man die Faͤhig - keit der Juden, nuͤtzliche Glieder der Geſellſchaft zu werden, zugeſtehe, und ich hoffe die Gruͤnde fuͤr dieſe Behauptung werden durch die folgende noch ver - ſtaͤrkt und einleuchtender erſcheinen.

II.

Die Juden koͤnnen nie unſern Staaten als voͤllig gleiche Glieder derſelben einverleibt und als dieſe behandelt werden, ſo lange ſie ein Ge - ſetz beobachten, welches ſeiner ganzen Einrich - tung nach, beſtimmt iſt, ſie als eine fuͤr ſich beſtehende Nation, von allen uͤbrigen Voͤlkern zu trennen, ſo lange ſie Vorurtheile und we - nigſtens Erklaͤrungen ihres Geſetzes beybehal -ten,172ten, welche eine ſolche Trennung verewigen, ſo lange ſie durch aͤußere Unterſcheidung in der Lebensart ſich abſondern. Wer nicht mit an - dern ißt und trinkt, kann ihnen nicht voͤllig gleich werden. Auch ſelbſt ihr zu lebhaftes, unruhiges Temperament paßt nicht fuͤr unſer Clima, und fuͤr feſte, bindende Beſchaͤftigun - gen. Ueberdem naͤhren die Juden noch immer die Hofnung eines eigenen beſondern Reichs, und erwarten einen Retter, der es auf den Truͤmmern der uͤbrigen erreichten ſoll. Sie koͤnnen alſo nie treue Buͤrger unſerer Staaten werden, ſie ſind keiner wahren patriotiſchen Theilnehmung und Buͤrgertugend faͤhig, ſon - dern immer unſichere Unterthanen, die mit fanatiſcher Sehnſucht den Augenblick erwar - ten, da ſie als offenbare Rebellen ſich zeigen duͤrfen. Jeder einzelne Jude naͤhrt den ſtol - zen Gedanken in ſeiner Bruſt, vielleicht einſt Vater des raͤchenden Heilands und Koͤnigs zu werden. Wenigſtens kann dieſe Schwaͤrme - rey von unruhigen Koͤpfen benutzt, und alle - mal dem Staate gefaͤhrlich werden.

Dieſer Einwurf hat eine ſehr ſcheinbare Staͤr - ke, und er muß ſie behalten, ſo lange man nicht inden173den Geſichtspunkt zuruͤck tritt, aus dem allein dieſe Sache richtig angeſehen werden kann. Allerdings hat es ſeine Richtigkeit, daß die Juden, ſo wie ſie jetzt ſind, mit ihrem trennenden Geſetz, abſondern - den Gebraͤuchen und mancherley Vorurtheilen nicht vollkommen gute Buͤrger ſeyn koͤnnen. Aber dieſe Hinderniſſe beſtehen nur deshalb, weil man durch die druͤckende Lage, in der man die Juden gehalten, ſie gezwungen hat, ſich immer als ein von allen uͤbri - gen Erdebewohnern getrenntes Geſchlecht in ſich zu vereinigen; Lehren und Gebraͤuche mit deſto waͤr - merer Anhaͤnglichkeit zu umfaſſen, je mehr die uͤbri - ge Welt ſie ihnen zu entreiſſen ſich verſchworen hatte - Druͤckung und Verfolgung ſind der fruchtbarſte und naͤhrendſte Boden des Aberglaubens und geheiligter Vorurthelle. Ohne ſie wuͤrde von manchen Secten kaum noch der Nahme uͤbrig ſeyn, und gewiß auch der juͤdiſche Glaube ſich laͤngſt ſchon mit andern ver - ſchmolzen oder wenigſtens, welches uns hier ſchon genug iſt, ſeine ſchneidende Ecken abgeſchliffen und ſich in die politiſche Verfaſſungen beſſer eingepaßt ha - ben, wenn er nicht zu nahe verwandt mit dem chriſt - lichen, von dieſem unaufhoͤrlich ſo abſchreckende Er - innerungen der Verſchiedenheit (welche eben die nahe Verwandſchaft noch beleidigender macht) erhaltenhaͤtte.174haͤtte. Wird dieſe Erinnerung endlich einmal unter - brochen, werden die Juden menſchlich und wie an - dere Glieder der Geſellſchaft behandelt; ſo darf man nicht zweiflen, daß ihre religioͤſe Anhaͤnglichkeit in eben dem Maaße abnehmen werde, in welchem ſie durch buͤrgerliche ſich feſter an den Staat verbinden. Man darf hier ſicher auf die immer ſich gleiche Na - tur des Menſchen vertrauen. Die Juden werden von ſelbſt das Laͤſtige, Unbequeme und Unangeneh - me auffallender aͤuſſerer Unterſcheidungen, gehemm - ter politiſcher Thaͤtigkeit fuͤhlen und ſie werden ſchon ſehen, wie ſie dieſer Feſſeln ſich entledigen. Der Staat kann es immer ruhig ihren Lehrern und Gruͤb - lern uͤberlaſſen, die heiligen Meynungen ſo zu modi - ficiren, daß ſie mit dem zeitlichen Wohl und buͤrger - lichen Verhaͤltniſſen zuſammenſtimmen. Die Syna - goge wird nach dem Staat ſich bequemen muͤſſen, oder ſie koͤmmt in Gefahr von ihren Beſuchern ver - laſſen zu werden.

Aber dann werden die Juden aufhoͤren eigentliche Juden zu ſeyn? Moͤgen ſie doch! Was kuͤmmert dieſes den Staat, der nichts weiter von ihnen verlangt, als daß ſie gute Buͤrger werden, ſie moͤgen es uͤbrigens mit ihren Religionsmeynun - gen halten, wie ſie wollen? In der That iſt esſonder -175ſonderbar, daß man mich, der ich doch bloß mit der Sache des Staats und gar nicht mit dem juͤdiſchen Lehrbegriff es zu thun habe, hat ſo verſtehen koͤnnen, als verlangte ich, daß die Juden immer gerade ſol - che Juden blieben, wie ſie itzt ſind, und daß man dann, dieſe widernatuͤrliche Unveraͤnderlichkeit einmal angenommen, ihre itzige Fehler mir als einen Be - weis entgegenſetzt, daß ſie auch in jeder Zukunft fuͤr den Staat nicht taugen wuͤrden. Dieſer Mißver - ſtand iſt geſchehn, ob ich gleich ſo deutlich mich er - klaͤrt hatte, daß ich von der Ausfuͤhrung meiner Vor - ſchlaͤge gewiß erwarte, die Juden wuͤrden ihre buͤr - gerlich nachtheiligen Vorurtheile ablegen und aufhoͤ - ren, ſolche Juden zu ſeyn, wie ſie bisher waren. Es iſt alſo noͤthig mich hieruͤber noch deutlicher und genauer zu erklaͤren.

Allerdings haben die Juden in ihrer Religion Vorurtheile, die ſie in gewiſſem Grade unfaͤhig ma - chen, alle Pflichten zu erfuͤllen, die der Staat von ſeinen Buͤrgern verlangt, und bey denen ſie dieſen nicht voͤllig gleich werden koͤnnen. Dieſe Vorurthei - le entſtehen zum Theil daher, weil die Juden noch immer ſtreng ein Geſetz beobachten, welches freylich die Abſicht hatte, ſie von allen andern Nationen zu trennen, ſie in einen eigenen fuͤr ſich beſtehendenStaat176Staat und in ein ungemiſchtes Geſchlecht zu verel - nen, und welches itzt, nachdem dieſer Staat laͤngſt zerſtoͤrt iſt und die Juden in alle uͤbrige Staaten zer - ſtreuet ſind, nicht mehr paßt, unſern buͤrgerlichen Geſellſchaften, dem europaͤiſchen Clima nicht mehr angemeſſen iſt. Andre Vorurtheile ſind aus den Spitzfindigkeiten und Grillen entſtanden, mit denen die Rabbinen in ſpaͤtern Zeiten das urſpruͤnglich freyere Geſetz uͤberladen haben. Der Scharfſinn des denkenden Theils der Nation wurde ganz auf dieſe Seite gezogen, weil es ihm an beſſerm Stoffe fehlte; und der Hebraͤer, einmal dem buͤrgerlichem Verhaͤlt - niſſe gewaltſam entruͤckt, wurde dieſem allmaͤhlig ſo fremde, daß ſeine Speculationen auf daſſelbe durch - aus nicht mehr Ruͤckſicht nehmen, vielmehr immer dahin zielten ſich noch enger in ſeine religioͤſe Verbin - dung einzuſchlieſſen und von der politiſchen, die ihn zuerſt ausgeſtoßen, immer feindſeeliger zu trennen.

Freylich waͤre es fuͤr unſre Staten zu wuͤn - ſchen, daß die Juden, ſo wie ſie itzt ſind, gar nicht da ſeyn moͤchten, das heißt mit andern Worten, daß die Regierungen ſchon vor vielen Jahr - hunderten gethan haͤtten, was ich wuͤnſche, daß ſie wenigſtens itzt, ihrem Intereſſe gemaͤß, thun moͤch - ten. Sicher wuͤrden die Juden ihren ehemaligenStaat177Staat und die nur auf ihn ſich beziehende Geſetze laͤngſt vergeſſen haben, wenn man ſie den buͤrgerli - chen Geſellſchaften, in denen ſie lebten, voͤllig ein - verleibt und gluͤcklich in denſelben gemacht haͤtte; die Vorurtheile, die dieſe Druͤckung hervorgebracht hat, waͤren dann nie entſtanden. Die Ge - ſchichte aller Zeiten beweißt, daß polltiſche oder religioͤſe Schwaͤrmerey und Anhaͤnglichkeit nur durch die Verfolgung verewiget werden, und daß Gleichguͤltigkeit, Duldung und Unaufmerkſam - keit ihr ſicherſter Tod ſind. Den Einwurf, daß die Juden hierinn eine ganz beſondere Ausnahme ma - chen wuͤrden, kann ich wenigſtens ſo lange nicht zu - geben, bis eine noch nie gemachte Erfahrung ihn beſtaͤtiget, oder bis man mir bis itzt un - moͤglich ſcheinende Beweiſe gegeben hat, daß die menſchliche Natur in den Juden anders, als auf ihre ſonſt bekannte Art, wirke. Bis dahin wird man mir erlauben, an die allgemeine Regel zu glauben.

Dem Staate muß es genug ſeyn, wenn die Ju - den durch die beſſere Behandlung dahin gebracht wer - den, ihre Vorurtheile abzulegen, ſie moͤgen es nun uͤbrigens mit ihren religioͤſen Meynungen halten wie ſie wollen. Dieß war der Hauptgrundſatz meines bisher entwickelten Plans; aber da man nun uͤberMdieſes178dieſes Ablegen und dieſes Wie naͤhere Erklaͤrungen verlangt, ſo will ich auch hieruͤber meine Meynung freymuͤthig und offen ſagen. Die Umbildung des religioͤſen Syſtems der Juden koͤnnte, duͤnkt mich, auf drey verſchiedene Arten geſchehen, und vermuth - lich wird jede derſelben wirklich bey den einzelnen Perſonen eintreten. Entweder die Juden bleiben wirkliche Juden, dem Weſen ihres Geſetzes getreu, fuͤgen aber demſelben alle die naͤhern Beſtimmungen hinzu, welche ihre itzige Lage und neue buͤrgerliche Verhaͤltniſſe nothwendig machen und werfen alles weg, was dieſen hinderlich ſeyn kann. Wahrſchein - lich wird dieſe Modification nicht allenthalben auf gleiche Art geſchehen; es werden alſo verſchiedene reli - gioͤſe Partheyen entſtehen, die aber dem Staat gleich lieb und vielmehr angenehm ſeyn muͤſſen, weil ge - rade die Verſchiedenheit der Meynungen, der Unter - ſuchung Luſt machen, die Wahrheit, Aufklaͤrung und gegenſeitige Duldung beguͤnſtigen wird: oder ſie werden Bekenner der reinen Religion der Ver - nunft: oder ſie gehen zu einer der chriſtlichen Partheyen uͤber, bilden auch vielleicht eine neue. In jedem dieſer Faͤlle kann der Zweck ſie zu beſſern Buͤrgern zu machen, erreicht werden, und dem Staat muß es alſo ganz gleichguͤltig ſeyn, was ſie hierinn fuͤr eineWahl179Wahl treffen moͤgen? Die beyden erſtern Wege duͤrften vermuthlich von dem groͤßern Theile der Ju - den vorgezogen werden, und der dritte kann, wenn man ſich unpartheyiſch in ihre Stelle denkt, nur das Anlockende haben, ſich dem groͤßten Haufen ihrer Mitbuͤrger gleich zu machen. Ich geſtehe aber, daß ich einen nicht allmaͤhlig durch laͤngere Vermiſchung und Umbildung vorbereiteten Uebergang der Juden zu einein der chriſtlichen Religionsſyſteme ſelten fuͤr aufrichtig und daher die, welche ſich zu ihm entſchlieſ - ſen koͤnnen, nicht fuͤr die Beſſern der Nation halte. Welt natuͤrlicher und leichter wird es dem Juden ſeyn, ſeinen bisherigen Glauben zu reformiren, ihn zu ſeiner urſpruͤnglichen Simplicitaͤt zuruͤckzufuͤhren, und die ihm in ſeinen itzigen Verhaͤltniſſen laͤſtigen Verbindlichkeiten wegzuerklaͤren, oder ganz bis zu der in ſeinem vaͤterlichen Glauben ſchon begriffenen Ver - nunftreligion zuruͤckzukehren. Er darf in dieſen bey - den Faͤllen nur einen Theil ſeiner bisherigen Mey - nungen ablegen, ohne an ihre Stelle gerade wieder andere dieſen widerſprechende zu ſetzen, gegen die von fruͤher Jugend an ſein Herz eingenommen worden. Auch denn, wenn die Juden mit voͤlliger Verlaſſung ihres bisherigen Glaubens, nur bey der natuͤrlichen Religion ſtehn blieben, duͤrfen ſie doch von keinerM 2neuen180neuen (noch weniger von einer bisher fuͤr durchaus falſch gehaltenen) Lehre ſich uͤberzeugen. Die Reli - gion der Vernunft iſt auch die des Juden. Sie rein und nur aus ihrer eignen Quelle erkennen, und die Zuſaͤtze, womit ſie bisher fuͤr ihn beladen war, von ihr abſondern, iſt alſo kein neuer Glaube, kein ſchwerer Uebergang fuͤr ihn. Er hoͤrt dann nur auf Alles zu glauben, was er bisher glaubte, aber ohne anzufangen etwas Neues zu glauben. Und hoffent - lich wird man ihm doch dieſes nicht uͤbel deuten und nicht verlangen, daß er, wenn er ſeinen bisherigen Irrthum verlaͤſſet, nun auch gerade ſo denke wie wir, durchaus das und nicht mehr noch weniger, fuͤr Wahrheit halte, als was uns nun einmal (ſey es bloß durch Autoritaͤt der Erziehung und Lehrer oder nach eigener Pruͤfung) Wahrheit iſt. Gewiß laͤßt ſich der Fall denken und er ſcheint nach allen pſychologi - ſchen Geſetzen der wahrſcheinlichſte, daß die Juden zwar ihre bisherige Meynung, aber darum nicht we - niger auch noch ferner eine andere, fuͤr Irrthum hal - ten koͤnnen. Und ſehr unbillig wuͤrde es dann doch ſeyn, ſie gewaltſam anzuhalten, wenigſtens aͤuſſer - lich ſo lange ſich zu einer von ihnen fuͤr falſch gehal - tenen Lehre zu bekennen, bis ſie von der Wahrheit einer gewiſſen beſtimmten andern Lehre uͤberzeugt ſeyn koͤnnen.

Son -181

Sonderbar genug hat man zwar bisher allenthalben, England ausgenommen, nur allein den Verehrern der doch von allen Partheyen anerkannten und als das Wichtigſte und Weſentlichſte ihrer beſondern Lehrbegrif - fe behaupteten natuͤrlichen Religion, die Freyheit ver - ſagt, fuͤr ſich eine kirchliche Geſellſchaft auszumachen und ſich ohne Einmiſchung von ihnen fuͤr irrig gehaltener Grundſaͤtze zu erbauen; eine Freyheit, die man ſo oft den Bekennern auch der ungereimteſten Lehren (freylich mit Recht) verſtattet hat. Aber vieleicht liegt die Urſache darinn, daß die Bekenner der Vernunftre - ligion ſich bisher nicht ſo zahlreich an einzelnen Or - ten gefunden haben, um an eine Vereinigung zu denken, und ich habe das Vertrauen zu der Erleuch - tung unſerer Zeiten, daß man auch bloß auf reine Wahrheiten der natuͤrlichen Religion und Sittenleh - re gerichteten Unterricht und Erbauung (verſteht ſich ohne alles Beleidigende der andern Partheyen) wil - lig verſtatten werde. Wenigſtens wuͤrde die Nicht - verſtattung dieſer Freyheit aͤußerſt inconſequent und ein Beweis ſeyn, daß die Begriffe von Toleranz in ihrer ganzen Klarheit bisher nur noch in einigen Schriften, aber noch nicht in den Koͤpfen Derer aufgehellt ſind, denen die Menſchen die Be - ſorgung ihrer Angelegenheiten anvertrauet ha -M 3ben.182ben*)Eine hieher gehoͤrige Nachricht, die ich ſo eben in den oͤffentlichen Blaͤttern finde, iſt ſo merkwuͤr - dig und ſo niederſchlagend, daß es wohl der Muͤhe verlohnen wird, einige Leſer auf die innern Wider - ſpruͤche derſelben, welche ſie fuͤr aͤcht zu halten nicht erlauben, aufmerkſam zu machen. Nach derſelben ſollen gewiſſe Bauern in Boͤhmen, die man anfangs fuͤr eine Secte von Juden, Abra - hamiten oder Adamiten genannt, und zuletzt fuͤr Deiſten, ausgegeben, nicht ferner in dieſem Rei - che geduldet, ſondern von Haus und Hof vertrie - ben, an die tuͤrkiſche Graͤnze verſchickt, daſelbſt in verſchiedene Doͤrfer vertheilt und als Soldaten gebraucht werden. Binnen acht Tagen ſollen ſie ſich erklaͤren, ob ſie bey dem falſchen und unge - rechten deiſtiſchem Glaubenbleiben oder entweder zu dem alleinſeeligmachenden katholiſchen Glauben oder zu einer der andern rolerirten Religionen ſich bekennen wollen. Sollten ſie ſich erſt nach dieſem Termin zu Letzterem entſchlieſſen, ſoll es ihnen doch nicht helfen, ſondern ſie muͤſſen durchaus in dem beſtimmten kurzen Zeitraum ſich erklaͤren, oder widri -. Ich geſtehe daß ich es auch noch fuͤr eine neue gluͤckliche Folge der beſſern Behandlung der Juden halten wuͤrde, wenn dadurch die Zahl der oͤffentlichen freyen Bekenner der natuͤrlichen Reli -gion183gion gemehrt und hiedurch die Veranlaſſung ihrer religioͤſen Vereinigung gegeben waͤre, welches, wie mich duͤnkt, kein geringer Fortſchritt zu der Verbeſ - ſerung und Aufklaͤrung des menſchlichen GeſchlechtsM 4uͤber -*) widrigenfalls, mit ihren Weibern und Kindern in dieſer Welt ungluͤcklich und in der kuͤnftigen der Seeligkeit beraubt ſeyn. Gewiß das ſind Verfuͤ - gungen, die dem Begriffe, den uns Joſeph II. bis itzt von ſeinem erhabenen Geiſte gegeben hat, zu geradezu widerſprechen, als daß man ſie fuͤr die ſei - nigen anerkennen koͤnnte. Er, der ſeine Untertha - nen auf eine ſo edle Art wieder in den Genuß der natuͤrlichen Rechte des Gewiſſens ſetzen will, ſollte ſie itzt ſo grauſam unterdruͤcken, die Natur aller Ueberzeugungen des Verſtandes ſo ganz verkennen wollen, daß er eine Friſt von acht Tagen zu An - nehmung eines religioͤſen Lehrbegriffs feſtſetzen koͤnn - te? Er, der mit ſo entſchloßnem, eines deutſchen Kaiſers ſo wuͤrdigem Muthe, ſeinen Staat und ſei - ne Unterthauen von dem Druck der Hierarchie be - freyen wollen, ſollte in buͤrgerlichen Verordnun - gen von einem allein ſeeligmachenden Glauben reden, und denen ſeiner Unterthanen, welche ihn nicht annehmen, nicht einmal erlauben, nach ihrer eignen Einſicht, ſondern nur nach gewiſſen beſtimm - ten Formeln, nicht ſeelig zu werden? Untertha -nen,184uͤberhaupt ſeyn duͤrfte. Die Lehrer der auf eine unmittelbare Mittheilung der Gottheit gegruͤndeten Syſteme koͤnnten hiebey immer fortfahren, die Un - zulaͤuglichkeit der Vernunftwahrheiten und die Noth - wendigkeit einer hoͤhern Beſtaͤtigung oder Vermeh - rung derſelben mit der Vernunft unerreichbarenWahr -*)nen, die in Boͤhmen keine gute Buͤrger ſind, ſollen es doch in Siebenbuͤrgen ſeyn, ſollen ſogar hier die Graͤnze des Staats gegen einen Nachbar, der vielleicht nicht immer ein freundſchaftlicher iſt, vertheidigen? Und dieſe Vertheidigung ſoll Menſchen anvertrauet wer - den, die von Haus und Hof verjag: ſind, denen man ankuͤndigt, daß man ihre Weiber und Kinder in dieſer und jener Welt ungluͤcklich machen wolle, und denen man nach verlaufnen acht Tagen nicht einmal den Uebergang zu einer beguͤnſtigtern Lehre und die Ruͤckkehr in ihr Vaterland geſtatten will? Vereini - ge wer da kann, dieſe Widerſpruͤche; ich werde mich, ohne die unwiderlegbarſten Beweiſe, nie uͤberzeu - gen, daß eine von jedem Freunde der Menſchheit ſo geprieſene Duldung ſich außer dem alleinſeeligma - chenden Glauben (ein Ausdruck, der des Canzleyſtils einer aufgeklaͤrten Regierung ganz unwuͤrdig iſt) nur auf wenige beſonders autoriſirte Religionspar - theyen einſchraͤnke, und dann bedauern, daßauch185Wahrheiten, zu behaupten; nur duͤrften ſie die nicht ſtoͤren, welchen nun einmal das erſte Geſchenk der Gottheit die Vernunft gen[u]g iſt, und welche ſich außer ihr von keiner weitern Erkenntnißquelle uͤeberzeugen koͤnnen. Waͤren nur beyde Partheyen von dem natuͤrlichſten aller Gefuͤhle, dem der Einge -M 5ſchraͤnkt -*)auch hier wieder eine ſo ſchoͤne Morgenroͤthe ohne Tag geblieben ſey. Ohne Zweifel gehoͤrt dieſe Nachricht entweder zu den voͤlligen Erdichtungen, mit denen ſo oft die Zeitungen angefuͤllt ſind, oder Joſeph weiß nichts von dieſen Verordnungen, die ſeines großen Nah - mens ſo unwuͤrdig ſind, oder die Sache haͤngt ganz anders zuſammen, als man ſie vorgeſtellt hat. Letz - teres ſcheint mir der wahrſcheinlichſte Fall. Die Erſcheinung ſelbſt, daß unter boͤhmiſchen Bauern ſich ſeit ſo vielen Jahrhunderten wirkliche Verehrer der reinen Vernunftreligion, ununterdruͤckt durch Intoleranz, unverfuͤhrt durch Schwaͤrmerey, die ge - rade in dieſem Lande ſo lange einheimiſch waren, erhalten haͤtten, dieſe Erſcheinung hat in der That ſehr wenig Wahrſcheinlichkeit fuͤr ſich, ver - dient aber ſehr die Aufmerkſamkeit und naͤhere Un - terſuchung, und wer hieruͤber naͤhere und zuverlaͤſ - ſige Aufklaͤrung geben kann, iſt ſie dem Publikum und Joſeph II. ſchuldig.186ſchraͤnktheit menſchlicher Kraͤfte und Einſichten, von reinem Wahrheitseifer durchdrungen; ſo wuͤrde ein ſolcher nie zu hindernder, nuͤtzlicher Streit ohne alle Bitterkeit, vielmehr mit innigſter gegenſeitiger Bru - derliebe, gefuͤhrt werden muͤſſen. Der, welcher ſeine Wahrheit aus einer noch hoͤhern Quelle zu ſchoͤpſen glaubt, wuͤrde den nicht haſſen, der nun einmal nach ſeiner Lage und Faͤhigkeiten ſich von der Aechtheit einer ſolchen Quelle nicht verſichern kann, und dieſer wuͤrde jenen nicht anfeinden, weil er fuͤr die ihm auch ſo theure Wahrheit, noch neue und ſtaͤrkere Be - weiſe zu ſehen glaubt. Die Wichtigkeit dieſer Wahr - heit fuͤr jeden denkenden Menſchen, und die Kennt - niß der fuͤr viele unuͤberwindlichen Schwuͤrigkeiten, ſich von den Eindruͤcken der Erziehung ganz zu be - freyen, muͤſſen nothwendig einen treuen Verehrer der reinen Vernunftreligion duldend und nachſichts - voll gegen den, wie es ihm ſcheint, irrenden Bru - der machen. Intoleranz und natuͤrliche Religion ſind ihrem Weſen nach unvereinbare Begriffe. Zu dieſer Intoleranz muß aber auch ſchon beleidigender Tadel und kraͤnkende Verhoͤhnung der Meynungen eines Andern allerdings gerechnet werden. Wenn ſich Naturaliſten deſſelben zuweilen ſchuldig ge - macht, ſo beweißt dieſes, daß auch ſie, wie andereMen -187Menſchen, inconſequent und wider ihre Grundſaͤtze handelten. Leichtſinniger Spott deſſen, was An - dern ehrwuͤrdig iſt und mit ihrer Tugend und Gluͤckſeeligkeit zuſammenhaͤngt, iſt wider die Wuͤrde jedes edeln und rechtſchaffenen Mannes. Oft wur - de derſelbe bisher auch wohl durch die unedle Begeg - nung mancher ohne Verſtand eifernder Gegner ge - reitzt. Aber wahrſcheinlich wuͤrde die Vernunftreli - gion, wenn einmal ihre Bekenner die zahlreichere (herrſchende wird ſie nie heiſſen und ſeyn wollen) Parthey ausmachen ſollten, ſich von aller Verfolgung und Druͤckung rein erhalten, die wenigſtens bis itzt noch immer an dem Glauben einer unmittelbaren Mittheilung der Gottheit, einer ausſchlieſſend beſeeligenden Wahrheit, ihre vornehmſte Stuͤtze hatten, und nur bey dieſen Lehren conſequent ſeyn koͤnnen.

Daß die Religion der Juden, wenn ſie auch nicht bis zur natuͤrlichen ſich reinigen ſollte, doch wenig - ſtens nach und nach ſich ſo weit modificiren wuͤrde, um alle nachtheilige Einfluͤſſe auf buͤrgerliche Ver - haͤltniſſe zu verliehren, beweißt die Geſchichte aller Religionen, welche durch die aͤußere Lage, in denen ſich ihre Bekenner befanden und die Fortſchritte der uͤbri - gen Cultur derſelben, ſolche Umwandlungen erfah -ren188ren haben. Die nicht mehr paſſenden Lehren bleiben oft in Buͤchern zuruͤck, aber ſie haben keinen Ein - fluß mehr auf die Handlungen, und verliehren ſich allmaͤhlig ſo ſehr aus dem Verſtande und ſelbſt dem Gedaͤchtniß der Bekenner, daß man am Ende zwei - felt, ob ſie auch wirklich je zu dem heiligen Glauben gehoͤrt haben moͤchten? Auch die chriſtliche Religion liefert hievon ein auffallendes Beyſpiel. Ehe ſie von den Beherrſchern und dem groͤßten Theil im roͤmi - ſchen Reiche angenommen wurde, und nur der Glau - be einer kleinen verachteten Secte war, wurden auch von ihren groͤßten Lehrern ſittliche Grundſaͤtze be - hauptet, die mit dem Wohl der buͤrgerlichen Geſell - ſchaft ganz unvertraͤglich waren, und die eine Ver - muthung, daß die Chriſten nie ganz brauchbare Glie - der derſelben werden koͤnnten, rechtfertigten. Aber dieſe Grundſaͤtze verlohren ſich almaͤhlig, als der groͤßere Theil der Buͤrger ſich taufen ließ. Der Staat haͤtte nicht beſtehen koͤnnen, wenn Grundſaͤtze (wie ich deren einige anfuͤhren werde) waͤren befolgt worden. Die Religion mußte alſo dem Vortheil des Staats gemaͤß umgebildet werden, und dieß wird allemal der Fall ſeyn, wenn nur der natuͤrliche Lauf der Dinge nicht gehemmt wird.

Merk -189

Merkwuͤrdig iſt es, daß gerade eben die Vor - wuͤrfe, welche man itzt den Juden macht, auch von den Gegnern der Chriſten, ſo lange dieſe noch nicht die groͤßere Zahl ausmachten, gebraucht wurden, um zu beweiſen, daß das Chriſtenthum mit dem Zwecke und Wohl des Staats unvertraͤglich ſey. So wenig auch noch dieſe Schriften der Gegner unver - faͤlſcht erhalten ſind, ſo finden wir doch ſelbſt bey den aͤlteſten und angeſehenſten Lehrern der erſten Chriſten und in den Vertheidigungsſchriften gegen jene Geg - ner Beweiſe genug, daß dieſe Vorwuͤrfe nicht unge - gruͤndet waren. Man erlaube mir hievon nur ei - nige Beyſpiele anzufuͤhren, welche fuͤr die meiſten Leſer immer die ſtaͤrkſte Beweiskraft haben, und am faͤhigſten ſind, ihnen allgemeine Wahrheiten deutlicher aufzuhellen.

Iſt irgend ein religioͤſer Grundſatz ſowohl dem Intereſſe der Menſchheit uͤberhaupt, als beſonders der buͤrgerlichen Geſellſchaft gerade zuwider, ſo iſt es un - ſtreitig der, wenn irgend eine Parthey von der Wahr - heit ihrer Meynungen ſich ſo feſt uͤberzeugt haͤlt, daß ſie nicht nur deshalb alle Andersdenkende mit Ver - achtung und Abneigung betrachtet, ſondern dieſelben ſogar verdammt, und die Gluͤckſeeligkeit des kuͤnfti - gen Lebens, das Wohlgefallen der Gottheit ausſchließ -lich190lich nur an ihre Ueberzeugungen geknuͤpft glaubt. Verachtung und Abneigung gegen Andere, das Gefuͤhl eigner hoher Vorzuͤge und ausgezeichneter Wohlthaten der Gottheit ſind ohne Zweifel wichtige auch von mir anerkannte Fehler der Juden; aber das Verdam - men aller anders denkenden und die damit verbunde - ne aufdringende Bekehrungsſucht haben ſie ſich nie zu Schulden kommen laſſen, vielmehr iſt dieſem ſchon der ausſchließende Geiſt ihrer nur fuͤr ſie beſtimmten Nationalreligion entgegen*)S. hieruͤber Hrn. Moſes Mendelsſohn Schrei - ben an Hrn. Lavater. S. 17. 19.. Die chriſtliche Reli - gion aber hat faſt zu allen Zeiten dieſen fuͤrchterli - chen Lehrſatz behauptet und aus ihm die gewaltſame Ausbreitung des allein ſeeligmachenden Glau - bens und die abſcheulichſte Intoleranz und Inquiſition, allerdings logiſch richtig gefolgert. Blutig iſt die Bahn, die dieſer den Religio - nen des Alterthums unbekannte Lehrſatz durch die neuere Geſchichte bezeichnet hat und zur Schande der menſchlichen Vernunft werden die Scheiterhau - ſen, die ihm gelodert, und die Mordgeruͤſte, die ihm errichtet ſind, ewig unvergeßlich bleiben. Ich weiß ſehr wohl, daß dieſe ſchreckliche Verirrung nicht in dem Geiſte des Stifters der chriſtlichen Re -ligion191ligion war, aber es iſt doch unleugbar, daß ſchon von den aͤlteſten Zeiten her die Verdammung der Andersdenkenden, Lehrſatz wenigſtens eines ſehr großen Theils der Kirche geweſen. Es iſt bekannt, wie die beruͤhmteſten Kirchenvaͤter die Begriffe von der Gottheit ſo entſtellt und herabgewuͤrdigt haben, daß ſie es wagten, uͤber alle die Millionen Men - ſchen, welchen es doch unmoͤglich geweſen, von dem zum Theil erſt nach ihnen entſtandenen chriſtlichen Glauben Kenntniß zu haben, doch bloß wegen die - ſer ihnen abgehenden, obgleich fuͤr ſie unmoͤglichen, Kenntniß, ein Verdammungsurtheil zu ſprechen, dem auch ein Socrates ſelbſt nicht entgehn konnte .*)Ich verweiſe hier auf das vortrefliche Werk des Hrn. Prof. Eberhard: Neue Apologie des So - crates, wo man umſtaͤndlich und mit der ausge - breitetſten Gelehrſamkeit den Beweis findet, daß die Verdammung der Andersdenkenden, Lehrſatz der alten Kirche war, der auch von den Reforma - toren beyder proteſtantiſchen beybehalten und ſich bis auf die neueſten Zeiten im Beſitzſtande erhal - ten hat, und den, kann ich leyder hinzuſetzen, auch ſelbſt die maͤchtigen philoſophiſchen Angriffe eines Eberhards noch nicht ſehr merklich haben er - ſchuͤttern koͤnnen. S. beſonders Th. I. S. 18 28.. Man denke, was dieſe in ſo faſt unglaublichem Gra -de192de unvernuͤnftige und ungereimte Behauptung auf edle und verſtaͤndige Roͤmer fuͤr Eindruck machen mußte und was dieſe fuͤr den Staat von Leuten ſich verſprechen konnten, die eines ſolchen bis dahin in der Welt noch unerhoͤrten Unſinns faͤhig waren? Und wie mußte der große Haufen gegen die Chriſten geſinnt werden, die ſchon zum Voraus uͤber die Qualen frohlockten, die ihren Mitbuͤrgern in einem kuͤnfti - gen Zuſtande bevorſtehen ſollten, und deren Lehrer oͤffentlich ſagten daß ſie ſich freuten bald ihre Augen an dem Schauſpiel weiden zu koͤnnen, da ſo viele Koͤnige, von denen man faͤlſchlich geruͤhmt, daß ſie ſich im Himmel befaͤuden, ſelbſt in Geſellſchaft des Jupiters in der Hoͤlle ſeufzen; da die Obrigkeiten, in noch ſchrecklichern Flammen brennen wuͤrden, als die, denen ſie die Chriſten uͤberliefert; da die Weltweiſen, welche die Fortdauer der Seele gelaͤug - net, ſich in gleichem Feuer mit ihren betrogenen Schuͤlern ihres Irrthums ſchaͤmen, und ſogar die armen Dichter, welche Minos und Rhadamantus beſungen, nicht vor dieſer ſondern Chriſti Richter - ſtuhl zittern wuͤrden*)Tertullianus de Idololatria c. 30. p. 84. edit. Rigaltii. At enim ſuperſunt alia ſpectacula, ille ultimus &perpe -.

Gewiß193

Gewiß nur die Dunkelheit einer nicht zahlreichen Secte konnte ſie, bey ſolchen die Menſchlichkeit empoͤ - renden und alle Bande der Geſellſchaft trennenden Geſinnungen, einer gerechten Ahndung des Staats entziehen, die freylich nicht, wie es im roͤmiſchen Reich geſchah, in allemal ungerechten und unzweck -maͤßi -*)perpetuus judicii dies, ille nationibus inſperatus; ille deriſus, cum tanta ſeculi vetuſtas & tot eius natiuitates uno igne haurientur! Quae tunc ſpecta - culi latitudo? quid admirer! quid rideam! ubi gan - deam? ubi exultem? tot ſpectans reges, qui in coe - lum recepti nuntiabantur, cum ipſo Jone & ipſis ſuis teſtibus in imis tenebris congemiſcentes? item præſides, perſecutores Dominici nominis, ſaeuiori - bus, quam ipſi contra Chriſtianos ſaeuierunt, flam - mis inſultantibus liqueſcentes; praeterca ſapientes illos philoſophos coram diſcipulis ſuis unà confla - grantibus erubeſcentes, quibus nihil ad Deum per - tinere ſuadebant, quibus animas aut nullas, aut non in priſtina corpora redituras adſirmabant; etiam poëtas non ad Rhadamanti, nec ad Minois, ſed ad inopinati Chriſti tribunal palpitantes, Tunc ma - gis tragoedi audiendi, magis ſcilicet vocales in ſua propria calamitate, tunc hiſtriones cognoſcendi ſo - lutiores multo per ignem tunc ſpectandus auriga, inflam -N194maͤßigen Verfolgungen, aber in Ausſchließung oder wenigſtens ſehr großen Einſchraͤnkungen ſich haͤtte aͤuſſern muͤſſen.

Dieſe verfolgenden Grundſaͤtze haben, nachdem die chriſtliche Religion die herrſchende geworden, ſich nur zu thaͤtig bewieſen, haben allen Staaten von Euro -pa*)flammea rota totus ruber, tunc xyſtici contemplan - di, non in gimnaſiis, ſed in igne jaculati niſi quod nec tunc quidem illos velim viſos, ut qui malim ad eos potius conſpectum inſatiabilem conferre, qui in Dominum deſaeuierunt. Hic eſt ille (dicam) fa - bri aut quaeſtuariae filius, ſabati deſtructor, Sama - rites, & daemonium habens. Hic eſt quem à Juda redemiſtis, hic eſt ille arundine & colaphis diuer - beratus, ſputamentis dedecoratus, felle & aceto potatus. Hic eſt, quem clam diſcentes ſubripuerunt, ut reſſurrexiſſe dicatur, vel hortulanus detraxit, ne lactucae ſuae frequentia commeantium adlaederen - tur. Ut talia ſpectes, ut talibus exultes, quis tibi praetor, aut conſul, aut quaeſtor, aut ſacerdos de ſua liberalitate praeſtabit? & tamen haec jam quo - dammodo habemus per fidem, ſpiritu immaginante[r]epræſentata. 195pa und durch ſie auch andern Welttheilen zu empfind - liche Wunden verſetzt, als daß es noch eines Bewei - ſes ihrer Fortdauer beduͤrfte. Noch itzt befinden ſie ſich in dem Lehrbegriffe der zahlreichſten chriſtlichen Religionsparthey, und auch bey faſt allen andern ha - ben ſie mehr oder weniger Spuren hinterlaſſen. So ſehr ſie auch immer dem wahren Geiſte des urſpruͤng - lichen Chriſtenthums und des Proteſtantismus wi - derſprechen moͤgen, iſt es doch noch gar nicht lange her, daß auch in den proteſtantiſchen Kirchen*)So ſehr die Reformatoren auch fuͤr ihre Abwei - chungen von dem[h]errſchenden Lehrbegriff Duldung bedurften und foderten, ſo konnten ſie doch faſt alle zu den aͤchten Grundſaͤtzen einer allgemeinen Dul - dung ſich nicht erheben. Sie machten fuͤr ſich auf die - ſelbe, nicht als ein gemeines Recht aller Menſchen Anſpruch, ſondern weil ſie allein glaubten, die Wahrheit gefunden zu haben. Sie wollten nicht bloß geduldet ſeyn, ſondern bekehren, und konnten alſo, wenn ſie zuſammenhaͤngend denken wollten, ihren Gegnern, die ihrer Wahrheit eben ſo gewiß waren, nicht veruͤbeln, wenn ſie von dieſen eben ſo verfolgt wurden, als ſie wieder Andere, welche von ihren Begriffen abgiengen, verfolgten. Die Geſchichte des Servets, der Haß der Lutheraner und Calvini -ſten dieN 2Grund -196Grundſaͤtze der Verfolgung feyerlich behauptet und leyder! auch nur zu ſehr geuͤbt wurden. Und noch bis itzt ſind nicht wenige beruͤhmte Lehrer derſelben, entſchiedene und, wo ſie koͤnnen, thaͤtige Vertheidi - ger dieſer Grundſaͤtze. Kaum ſeit einigen Jahrze - henden wagen es einzelne Gottesgeiehrte die wah - ren Begriffe der Duldung geradezu einzugeſtehn, und ohne Umſchweife und aͤngſtliche Beſtimmungen auch die Heyden und Nichtglaͤubigen der Gluͤckſeelig - keit des kuͤnftigen Lebens faͤhig zu erklaͤren, oder viel -mehr*)ſten und ſo manche faſt unalaublich harte Aeuſſerun - gen der reformirenden Theologen aller Partheyen lie - fern nur zu redende Beweiſe, wie ſehr ſie zu Letztrem ge - neigt waren. Ich bemerke dieſes gewiß nicht in der Abſicht, um die Achtung gegen Maͤnner zu ſchwaͤ - chen, denen wir unſere itzige gereinigtern Begriffe und wirklichen Genuß von Gewiſſensrechten ſo ſehr mit verdanken; ſondern nur um zu zeigen, wie tief die dem geſu[n]den Verſtande doch ſo unbegreifliche und widerſprechende Lehre der Verfolgung, in dem chriſtlichen Lehrſyſtem gegruͤndet war, da Maͤuner, welche ſo hell ſahen und ſo viele Vorurtheile weg - warfen, doch von dieſem ſich nicht loswickeln und nicht ſehen konnten, wie ohne von dieſem einen frey zu ſeyn, alle ihre Angriffe der uͤbrigen inconſequentwaͤren.197mehr zu geſtehen, daß das Urtheil uͤber den mit Ge - wißheit zu beſtimmenden Werth und das kuͤnftige Schickſal unſerer Bruͤder nicht uns gebuͤhre.

Ich weiß, daß man nun freylich die Begriffe eben dieſer Duldung aus dem richtiger verſtandenen Chri - ſtenthum abgeleitet hat, und ich erkenne es, daß nichts unbegreiflicher ſey, als der Uebergang von der liebevollen, duldenden, friedſamen Lehre ſeines Stif - ters, zu den Scheiterhaufen, die man ihm zu Ehren angezuͤndet, und zu dem Verdammungsurtheil, dasN 3man*)waren. Zwingli war vielleicht der einzige, der die - ſes anerkannte, aber dafuͤr auch von Luthern ſehr harte Vorwuͤrfe leiden mußte. Sage nun, ſind ſeine Worte in der Schrift vom H. Sacrament, wer ein Chriſt ſeyn will, was darf man der Tanfe, Sacrament, Chriſtus, des Evangelii oder der Pro - pheten und heiligen Schrift, wenn ſolche gottloſe Heiden, Socrates, Atiſtides, ja der grewliche Numa, der zu Rom alle Abgoͤtterey erſt geſtifft hat, durchs Teufels Offenbahrung, wie St. Au - guſtinus ſchrybt, und Scipio der Epicurus, ſelig und heilig ſind, mit den Patriarchen, Propheten und Apoſteln im Himmel, ſo ſie doch nichts von Gott, Schrift, Evangelio, Geiſte, Taufe, Sa - erament oder chriſtlichen Glauben gewußt haben? Was198man uͤber alle ausgeſprochen hat, die tauſend Jahre vor ihm und tauſend Jahre nach ihm, ſeinen Nah - men nicht hoͤrten, ſeine auf dieſe oder jene Art er - klaͤrte und vorgeſtellte Lehre nicht glauben konnten. Aber ich hoffe nicht, man werde hieraus es ableug - nen wollen, daß die verfolgenden Grundſaͤtze doch wirklich in den chriſtlichen Religionsſyſtemen, ſo wie ſie bisher in der Welt waren, ſich befunden haben. Mit Recht hat man geſagt: es koͤmmt nicht darauf an, was in dem moſaiſchen Geſetz der Juden wirk - lich enthalten iſt, ſondern was die Juden und ihreLehrer*) Was kann ein ſolcher Schreiber, Prediger und Lehrer anders glauben von dem chriſtlichen Glau - ben, als daß er ſey allerley Glauben gleich, und koͤnne ein jeglicher in ſeinem Glauben ſelig wer - den, auch ein abgoͤttiſcher und Epicurer, wie Nu - ma und Scipio? Ich habe mich nicht enthalten koͤnnen, dieſe merkwuͤrdige Stelle hieher zu ſetzen, die ich gerade in Hrn. Prof. Meiſters beruͤhmten Zuͤrichern, I. S. 249 angefuͤhrt finde. Sie zeigt, wie roh und wenig aufgehellt die Begriffe des ſonſt ſo großen Mannes in dieſer wichtigen Sache waren. Auch aus der Schrift von den Juden und ihren Luͤgen, die Luther 1543 ſchrieb, und worinn er den Obrigkeiten deren Duldung mit ſeiner bekannten Heftigkeit vorwirft, koͤnnte ich hievon noch mehr Be - weiſe anfuͤhren, wenn es deren beduͤrfte.199Lehrer darinn enthalten oder daraus abzuleiten ſich berechtiget glauben. Gleiche Unpartheylich - keit muß man auch hier beweiſen. Moͤge die Ver - folgung dem Geiſte des Chriſtenthums noch ſo ſehr zu - wider ſeyn, moͤgen einzelne Lehrer dieß noch ſo deut - lich anerkannt haben; genug wenn der große Haufe ſeiner Verehrer, wenn die oͤffentlichen Lehrbegriffe der Kirchen, und die angeſehenſten Lehrer ſie darinn fanden, und, wo ſie konnten, darnach handelten. Die roͤmiſche Obrigkeit konnte nicht unterſuchen, ob die Schluͤſſe, welche die Chriſten ihrer Zeit aus der Lehre ihres Stifters ableiteten, richtig gefolgert waͤ - ren oder nicht; ſie konnte dieſe Lehre nur nach den Aeuſſerungen ihrer Anhaͤnger beurtheilen. Und wenn ſie dieſes that, duͤrfen wir ſie tadeln, wenn ſie die - jenigen, nie eines voͤlligen Genuſſes buͤrgerlicher Rech - te faͤhig erklaͤret haͤtte, welche alle ihre andersdenken - de Mitbuͤrger verdammten, uͤber deren kuͤnftiges Elend frohlockten und ſobald ſie die Oberhand bekom - men wuͤrden, ſich durch ihr Gewiſſen verbunden hiel - ten, auf das ſchmerzhafteſte den Leib zu toͤdten, um die Seele zu retten? Ich geſtehe es, daß ich keinen Grundſatz kenne, der eine religioͤſe Geſell - ſchaft einer unbeſchraͤnkten Duldung mehr unfaͤhig machte als die geglaubte Pflicht der Unduldſam -N 4keit.200keit. Die Sicherheit aller Buͤrger des Staats macht es nothwendig, diejenigen, welche ſobald ſie die Uebermacht errungen haben, ſich verbunden halten, alle uͤbrige zu unterdruͤcken, zwar nicht wieder zu unterdruͤcken, aber ſie doch in den Schranken einzu - ſchließen, daß ſie jene Uebermacht nie erhalten moͤgen. Vermuthlich waͤre es ein Gluͤck fuͤr die Menſchheit, wenn die roͤmiſchen Kaiſer dieſe weiſe Politick nicht verſaͤumt haͤrten und wenn die chriſtliche Religion nie eine ſogenannte herrſchende (eine eben ſo politiſch unnatuͤrliche, als dem aͤchten Geiſt des Chriſten - thums widerſprechende Benennung) und nicht eher der Glaube des groͤßten Haufens geworden waͤre, bis ihre Begriffe von der Duldung gereiniget und den Grundſaͤtzen ihres Stifters wider waͤren naͤher ge - bracht worden. Wirklich wurde der Mangel der Aufmerkſamkeit auf dieſe neue religioͤſe Geſellſchaft, in der Folge den roͤmiſchen Monarchen ſehr nachthei - lig. Sie vermehrte ſich in der ihr vortheilhaften Dunkelheit, der ſo oft von den kirchlichen Geſchicht - ſchreibern uͤbertriebenen und gewiß nicht immer un - verdienten Verfolgungen ungeachtet, ſo ſehr, daß ſie bald ſelbſt der Regierung fuͤrchterlich wurde, allmaͤh - lig eine politiſche Parthey bildete, und daß der Ueber - gang zu ihr ſchon nach kaum verfloßenen drey Jahrhun -derten201derten der Weg zum Throne war. Edelmuͤthi - ge und gelehrte Forſcher der Kirchengeſchichte, de - nen die Wahrheit lieber als irgend ein Syſtem iſt (und wen koͤnnte ich hier ſchicklicher nennen als den ſo ruhmvoll unpartheyiſchen Hrn. D. Semler?) ha - ben es ſchon lange eingeſtanden, daß ein anſehnli - cher Theil der erſten Chriſten ſich dieſes groͤßten ge - ſellſchaftlichen Vergehens, der Auflehnung und Verbindung gegen die einmal eingefuͤhrte Verfaſſung des Staats, ſchuldig gemacht, und daß ſie dieſes als Chriſten, gethan haben, da ſie von den Grund - ſaͤtzen ihrer erſten Lehrer ſo weit abwichen, daß ſie die Herrſchaft einer Regierung, die nicht ihres Glaubens war, fuͤr unrechtmaͤßig hielten, und durchaus die oͤffent - lich buͤrgerlich herrſchende Parthey werden wollten.

Noch fruͤher und allgemeiner wurde ihnen der Vor - wurf gemacht, daß ſie ſich weigerten, dem gemeinen Weſen zu dienen, und daß alſo ein aus lauter Chri - ſten beſtehender Staat ſich nicht erhalten koͤnne. Die Apologeten geſtehen auch dieſes als eine chriſtliche Lehre, gerade ein. Nach ihnen, muͤſſen Chriſten nur die Wuͤrden der Kirche bekleiden und auch ſo - gar zu dieſen, wegen ihrer beſcheidenen Demuth, nur ſich zwingen laſſen; ſie werden durch buͤrgerliche Geſetze befleckt, und wer nach einer buͤrgerlichenN 5 Ehre202 Ehre trachtet ſoll aus der Gemeine ausgeſtoßen werden*)Nos etiam ad magiſtratus pro patria gerendos hor - tatur Celſus, ſi ad tuendas leges pietatemque id fa - cto opus eſt. Sed nos qui ſcimus in ſingulis civitati - b[u]s aliam eſſe patriam à verbo Dei conſtitutam, eos ut Eccleſias regant hortamur, qui potentes ſermone et quorum mores ſani ſunt. Qui dignitates amant, eos repudiamus; cogimus vero illos qui prae multa mo - deſtia communem Eccleſiae curam in ſe facile reci - pere nolunt. Itaque qui nobis ſapienter præſunt, id illi coacti faciunt; coacti inquam à magno illo Re - ge, quem Dei filium Deumque verbum eſſe per - ſuaſum nobis eſt. Quod ſi qui in Eccleſia praeſunt, hoc eſt Eccleſiae vocati Antiſtites, illi, quae ſecundum Deum eſt, patriae, recte praeſunt, aut ex praeſcriptis à Deo legibus praeſunt, propterea illi nullo modo ab hu - manis contaminantur legibus. Neque etiam ea cauſa Chriſtiani magiſtratus recuſant, quod publica vitae munia refugiant, ſed quod ſe diviniori et magis ne - ceſſario Eccleſiae miniſterio ad hominum ſalutem ſer - vent. Origenes contra Celſum L. VIII. c. 75. edit. de la Rue p. 798. .

Eben ſo nachdruͤcklich haben die beruͤhmteſten Kirchenvaͤter es eingeſtanden, daß ſie die Kriegsdien -ſte203ſte ihren Glaubensgenoſſen unerlaubt halten, und verſprechen nur allenfalls mit ihrem Gebet fuͤr das Wohl ihrer Mitbuͤrger zu kaͤmpfen*)Quod ſi velit Celſus duci etiam à nobis exercitum ad tutandam patriam, ſciat id ipſum quoque à no - bis fieri, ſed non ut ab hominibus videamur & inde gloriolam captemus. Nam in abſcondito noſtro & intima mente, quaſi ſacerdotes, fundimus ad Deum preces pro concivium noſtrorum ſalute. Quin patriae magis proſunt Chriſtiani, quam reliqui homines. Suos enim cives erudiunt &c. Origenes contra Celſum L. V. ed. cit. p. 797. . Die Gruͤn - de die ſie fuͤr dieſe Meynung anfuͤhren, ſind theils die bey dem roͤmiſchen Kriegsdienſte eingefuͤhrte, den chriſtlichen Religionsmeynungen widerſprechende Ge - braͤuche, theils aber aus den eigenthuͤmlichen Lehren des Chriſtenthums entlehnt, z. B. daß wer das Schwerdt gebrauche, dadurch umkommen werde, daß der Chriſt nicht einmal ſtretten, noch weniger alſo ſich ins Treffen begeben duͤrfe. Es wird da - her ausdruͤcklich die Nothwendigkeit, lieber den Maͤr - tyrertod zu ſterben, als ſich zum Kriege zwingen zu laſſen hergeleitet, ja ſogar den Soldaten, der nach ſeinem abgelegten Kriegeseide, Chriſt geworden, die Deſertion angerathen. Der fromme Mann der es angiebt ſetzt hinzu, daß dieſes auch ſchon von vielenge -204geſchehen ſey*)Et enim, ut ipſam cauſam coronae militaris ag - grediar, puto prius conquirendum, an in totum chriſtianis militia conneuiat? Quale eſt alioquin de accidentibus retractare, cum a praecedentibus cul - pa ſit? Credemusne humanum ſacramentum diui - no ſuperduci licere & in alium dominum reſponde - re poſt Chriſtum? & eierare patrem ac matrem, & omnem proximum, quos & Lex honorari, & poſt Deum diligi praecipit, quos & Evangelium ſolo Chriſto pluris non faciens, ſic quoque honorauit? Licebit in gladio connerſari, Domino pronuntiante, Gladio periturum, qui gladio fuerit uſus? Et prae - lio operabitur filius pacis, cui nec litigare conneniet? Et vincula & carcerem & tormenta & ſupplicia ad - miniſtrabit, nec ſuarum ultor iniuriarum? jam ſta - tiones, magis faciet quam Chriſto? aut & Do - minico die, quando nec Chriſto? & excubabit pro templis, quibus renuntiauit? & coenabit illic ubi Apoſtolo non placet? & quos interdiu exorciſ - mis fugauit, noctibus defenſabit, incumbens & re - quieſcens ſuper pilum, quo perfoſſum eſt latus Chri - ſti? vexillum quoque portabit aemulum Chriſti? & ſignum poſtulabit à principe, qui iam à Deo acce - pit? mortuus etiam tuba inquietabitur aeneatoris, qui excitari à tuba angeli expectat? & cremabiturex. Nach einem andern Kirchenlehreriſt205iſt es einem Chriſten ſchlechterdings unter allen Um -ſtaͤnden*)ex diſciplina caſtranſi Chriſtianus, cui oremare non licuit; cui Chriſtus merita ignis indulſit? Quanta alia in delictis circumſpici poſſunt caſtrenſtum mu - nium, transgreſſioni intorpretanda? Ipſum de ca - ſtris lucis in caſtra tenebrarum nomen deferre, transgreſſio eſt. Plane ſi quos militia praeuentos fides poſterior inuenit, alia conditio eſt, ut illorum quos Joannes admitebat ad launerum, ut Centurio - num fideliſſimorum, quem Chriſtus probat, & quem Petrus catechicat; dum tamen fuſcepta fide atque ſigna - ta, aut deſerendum ſtatim ſit, ut à multis actum: aut omnibus modis cauillandum, ne quid aduerſus Deum committatur, quae nec ex militia permitun - tur, aut nouiſſime perpediendum pro Deo quod aeque fides pagana condixit. Nec enim delictorum impunitatem, aut martyriorum immunitatem mili - tia promittit. Nuſquam Chriſtianus aliud eſt. Unum euangelium, & idem Jeſus; negaturus omnem ne - gutorem, & confeſſurus oinnem confeſſorem Dei; & ſalvam facturus animam pro nomine eius amiſ - ſam, perditurus autem de contrario aduerſus no - men eius lucri habitam. Apud hunc tam mites eſt, paganus fidelis; quam paganus eſt, miles infidelis. Non admittit ſtarim fidei necoſſitates. Nulla eſt ne - ceſſitas delinquendi, Nam & ad ſacrificandum &directe206ſtaͤnden ſo ſehr unerlaubt, das Leben eines Menſchen anzugreifen, daß er nicht nur nicht kriegen, ſondern auch nicht einmal einen Verbrecher, der die To - desſtrafe verwirkt hat, angeben darf,*)Ita neque militare juſto licebit, cujus militia eſt in ipſa juſtitia, neque vero accuſare quenquam crimine capitali, quia nihil diſtat utrum ne ferro, an ver - bo potius occiſio ipſa prohibetur. Itaque in hoc Dei precepto nullam prorſus exceptionem fieri oportet, quia occidere hominem ſit ſemper nefas, quem Deus ſanctum animal eſſe voluit. Lactantius de vero cultu. L. VI. c. 20. edit. Thyſii p. 426. woraus alſo auch die Unrechtmaͤßigkeit der Todesſtrafen fuͤr chriſtliche Obrigkeiten folgen wuͤrde, welche Mey - nung auch noch mehrere Stellen der Kirchenvaͤter be - guͤnſtigen.

Dieſe Lehren der angeſehenſten Maͤnner, deren von einem Kenner der patriſtiſchen Theologie und Mo - ral gewiß noch weit mehr wuͤrden gefunden werden**)Ich weiß wohl, daß man zuweilen dieſe in unſernZeiten,waren*)directo negandum, neceſſitate quis premitur, tor - mentorum ſine poenarum: tamen nec illae neceſſitati diſciplina conniuet; quia potior eſt neceſſitas ti - mendae negationis & obeundi martyrii, quam eua - dendae paſſionis & implendi officii. Tertullianus de Corona c. 11. edit. cit. p. 117. 207waren unſtreitig dem erſten Zweck der buͤrgerlichen Geſellſchaft entgegen, deren Ordnung ihre Befol - gung ganz aufheben und deren Bande ſie zerreißenmuͤßte.**)Zeiten ſo beleidigend auffallende Aeuſſerungen damit hat entſchuldigen wollen, daß man ſie nur fuͤr beſonde - re Meynungen einzelner Kirchenvaͤter ausgegeben, nach denen man die Meynungen der ganzen Parthey nicht beurtheilen duͤrfe. Aber woher ſoll man dann rich - tigere Begriffe von den Grundſaͤtzen dieſer Parthey hernehmen, wenn man aus den Schriften ihrer groͤßten und verehrteſten Lehrer, wie die ſind, wel - che ich angefuͤhrt habe, ſie nicht entlehnen kann? Man darf auch nur einige dieſer Schriften im Zu - ſammenhange leſen, um ſich zu uͤberzeugen, wie der Geiſt jener einzelnen Stellen der ganzen Denkart ihrer Verfaſſer angemeſſen iſt. Ich will indeß gern zugeben, daß andre Lehrer das Gegentheil der an - gefuͤhrten Saͤtze behauptet haben und daß man un - ter den aͤltern Chriſten (wie dieſes Hr. D. Semler mit Recht oft erinnert) ſehr unterſcheiden muͤſſe. Aber ſoviel bleibt doch gewiß, daß jene mit dem Wohl der buͤrgerlichen Geſellſchaft ſchlechterdings unvertraͤgliche Saͤtze ſich wenigſtens in dem chriſt - lichen Religionsſyſtem der angeſehenſten Lehrer, alſo auch ohne Zweifel eines betraͤchtlichen Theils der Chriſten uͤberhaupt, befunden, und doch itzt ſich aus demſelben ganz verlohren haben.208muͤßte. Es laͤßt ſich alſo wohl ohne alle Uebertrei - bung behaupten, daß wenigſtens ein anſehnlicher Theil der Chriſten in den erſten Jahrhunderten die Pflich - ten guter Buͤrger zu erfuͤllen unfaͤhig und alſo der Staat berechtigt war, gegen Menſchen, die ſich durch ihre goͤttliche Lehren ſo gewaltſam von ihm loßriſſen, immer ein gewiſſes Mißtrauen zu naͤhren und ihre Vermehrung zu hindern. Dieſes mißkennen oder be - ſtreiten wollen, und doch noch immer den Juden ihre lange nicht ſo weit gehende, ungeſellige trennende Grundſaͤtze vorwerfen, wuͤrde eine Partheylichkeit an - zeigen, die eines philoſophiſchen Unterſuchers unwuͤr - dig iſt.

Aber bey allen dieſen mit dem Wohl der Geſell - ſchaft durchaus unvertraͤglichen aͤltern chriſtlichen Leh - ren, haben doch nun ſchon ſeit Jahrhunderten die Chri - ſten ſich in Staaten vereinigt, ohne in ihren buͤrger - lichen Pflichten durch die Befolgung jener Lehren ge - hindert zu werden, die nur noch in der Dunkelheit einiger kleinen Secten*)Der Quacker und Mennoniten, welche dieſe Lehren noch itzt in den heiligen Buͤchern aller Chri - ſten finden und auch mit der angefuͤhrten Autoritaͤt der Kirchenvaͤter unterſtuͤtzen, und ſich der Erhal - tung des aͤlteſten chriſtlichen Glaubens ruͤhmen. Bar - ſich erhalten haben, welcheauch209auch gerade wegen dieſer Grundſaͤtze in unſern Staa - ten nur geduldet aber zu einem vollkommenen Genuß buͤrgerlicher Rechte nicht zugelaſſen werden koͤnnen.

Dieſe im Ganzen kaum bemerkbare kleinen Reli - gionspartheyen der Chriſten ausgenommen, wo fin - der man itzt in den groͤßern, jene ehemals mit ſo vie - lem Ernſt und Nachdruck gelehrte Grundſaͤtze? Wo iſt itzt die chriſtliche Abneigung vor buͤrgerlichen Dien - ſten und Wuͤrden geblieben? wo die Demuth die nur zu kirchlichen Aemtern ſich allenfalls zwingen laͤßt? wo*)Barelay in ſeiner Apology for the true Chriſtian Divinity &c. 1678, p. 397 fuͤhret auch eine Menge Stellen der Kirchenlehrer fuͤr die Unrechtmaͤßig - keit aller Eyde an. Von dem Lehrbegriff der Menno - niten hat Hr. Conſiſt. Rath Walch (in ſeiner neue - ſten Religionsgeſchichte Th. VIII. ) neuerlich eine ſehr genaue und zuverlaͤßige Nachricht gegeben. Nach der - ſelben S. 443 und 459 haͤlt ein Theil dieſer Par - they die Verwaltung obrigkeitlicher Aemter einem Chriſten ſchlechterdings, und die Vertheidigung ge - gen Unrecht oder den Gebrauch der Waffen ſo ſehr unerlaubt, daß ſelbſt in einer Rechtsſache die obrig - keitliche Huͤlfe zu ſuchen oder ſeine Waaren auf mit Geſchuͤtz verſehene Schiffe zu laden, unerlaubt iſt.O210wo die Pflicht keine Kriegsdienſte zu thun? wo die abſcheuliche Lehre einer geheiligten Deſertion? wo ein goͤttliches Verbot der Todesſtrafen? wie ſind alle dieſe Lehren ſo ganz verſchwunden? Ich habe ſie mit Muͤhe aus den Werken einiger dem großen Haufen unſerer itzigen Chriſten ganz unbekannten Kirchenvaͤter, aufſuchen muͤſſen, und manche mei - ner Leſer werden vielleicht dergleichen Behauptungen mit verwunderndem Zweifel itzt zum erſtenmal er - fahren. So ſehr haben ſich dieſe religioͤſen Grund - ſaͤtze nach und nach verlohren, daß auch ſelbſt ihre Spur verloͤſcht und ihr ehemaliges Daſeyn beynahe unwahrſcheinlich geworden iſt. Schon unter der Re - gierung der heidniſchen Kaiſer, haben die zahlreicher gewordenen Chriſten ſich nicht mehr geweigert dem Staate buͤrgerliche und Kriegsdienſte zu leiſten. Vor - urtheile, die der Erhaltung der Geſellſchaft ſo gerade zu widerſprechen, mußten ſchlechterdings verſchwin - den, ſobald die chriſtliche Religion ausgebreiteter wurde. Die Lehre einer kleinen Secte muß ſich noth - wendig umbilden, wenn der Haufe ihrer Anhaͤnger groͤßer wird. Ihr Glaube muß es ſich gefallen laſ - ſen, alsdann vom Himmel auf die Erde herabzuſtei - gen, und er mag noch ſoviel Anweiſungen auf jenen geben, ſo wird er ſich doch nie dem Gluͤck, der Ruheder211der Geſellſchaft, und der zu ihrer Erhaltung noth - wendigen buͤrgerlichen Tugend mit Erfolg widerſetzen koͤnnen. Einzelne Menſchen koͤnnen durch Religions - lehren ungeſellige Schwaͤrmer und Feinde ihrer Bruͤ - der werden, aber eine ſehr ausgebreitete Religion kann in dieſem und vielleicht in keinem andern Sinn nicht ſchwaͤrmeriſch bleiben. Selbſt der Glaube der Quacker hat hievon noch ein ganz neues Beyſpiel ge - liefert. So entſchieden es nach demſelben auch im - mer ſeyn mochte, daß alle Vertheidigung ſeines Le - bens oder ſeiner Rechte gegen Gewalt und aller Ge - brauch der Waffen, unter allen Umſtaͤnden unerlaubt ſey; ſo konnte dieſer Lehrſatz doch nicht laͤnger beſtehen, als nur ſo lange er blos von einzelnen kleinen Geſell - ſchaften angenommen und auch noch nicht durch die buͤrgerlichen Verhaͤltniſſe ins Gedraͤnge gebracht war. Sobald aber die Quacker ſich in Penſylvanien ver - mehrten, und die große nunmehr vollendete Revolu - tion alle Bewohner von Nordamerika zwang, ſich nur als Buͤrger zu vereinen und mit Vergeſſen jeder uͤbrigen Trennung nur fuͤr die gemeinſchaftliche Frey - heit und Rechte zu kaͤmpfen; ſo mußte auch jener re - ligioͤſe Grundſatz erſchuͤttert werden. Eine heftige Trennung unter den Quaͤckern iſt davon die Folge gewe - ſen, deren groͤßerer Theil indeß ſich fuͤr die Rechtmaͤßig -O 2keit212keit des Krieges erklaͤrt und daher den Nahmen In - dependant Quackers erhalten hat.

Leider kann ich nicht ſagen, daß auch die Grund - ſaͤtze der Verfolgung ſich ſo bald aus dem chriſtlichen Religionsſyſtem verlohren haͤtten. Sie wurden viel - mehr durch die Verflechtung des Intereſſe dieſes Sy - ſtems mit einer politiſchen Parthey, und beſonders dadurch nur zu ſehr befeſtigt, daß man auf den wi - dernatuͤrlichen Gedanken kam, den Religionslehrern ein anderes Anſehen, als das ihrer eigenen ſittli - chen Wuͤrde zu geben, ihnen buͤrgerliche Rechte und Gewalt zu verleihen, auch endlich gar zu einer eige - nen mitregierenden Claſſe im Staate ſie zu erheben. Die Prieſter fanden nun die Intoloranz nothwendig, um ihre erworbene aͤußere Gewalt und Herrſchaft immer feſter zu gruͤnden.

Alle unſere Staaten haben durch dieſe religioͤſe Druͤckung einen unermeßlichen Schaden gelitten; tauſende ihrer Buͤrger ſind ihr aufgeopfert, die blu - tigſten Kriege von ihr angefacht, die unnatuͤrlichſte Zwietracht im Innern iſt durch ſie genaͤhret, und alle dieſe Staaten ſind durch ſie mehr oder weniger in der Benutzung ihrer Kraͤfte gehemmt worden. So ungluͤcklich dieſe Folgen fuͤr das menſchliche Ge - ſchlecht ſind, ſo halte ich doch fuͤr eine der wichtig -ſten213ſten und noch immer in gewiſſem Maaße fortdauren - de, dieſe, daß der Grundſatz von einem allein ſeelig - machenden Glauben und einer goͤttlich befohl - nen Verfolgung der Andersdenkenden, alle wah - ren und natuͤrlichen Begriffe von den Verhaͤltniſſen der buͤrgerlichen zu der religioͤſen Geſellſchaft und von den Rechten der Menſchen in Abſicht ihrer Meynun - gen, ganz verdraͤngt und verwirrt und uns dahin ge - bracht hat, daß wir mit befremdenden Erſtaunen es anſehn, wenn endlich wider die Staaten zu dem Ge - fuͤhl ihrer Rechte erwachen und ſie gegen die grau ge - wordenen Uſurpationen geltend machen wollen. Und noch wirken dieſe Vorurtheile zu ſtark, als daß wir Itztlebende hoffen duͤrften, noch den allgemein ver - breiteten Glanz des Tages zu ſehen, da nur zu oft auch in unſerer neueſten Periode, eine taͤuſchende Morgenroͤthe bald wieder in traurige Abenddaͤmme - rung ſich verlohren hat. Indeß am Ende muß doch das Licht durchdringen, und je mehr das wahre po - litiſche Intereſſe verſtanden und beherzigt wird, deſto mehr muß auch das religioͤſe Syſtem ihm unterge - ordnet und nach ihm modificirt werden, welches dann gewiß auch der groͤßte Vortheil fuͤr die wahre und aͤchte Religion ſeyn wird.

O 3Und214

Und eben dieſes muß dann auch ſicher der Fall mit dem Glauben der Juden ſeyn. So wie die an - gefuͤhrten ungeſelligen Vorurtheile der Chriſten ſich verlohren haben; ſo werden auch die ihren ſich ver - liehren, wenn man nur einmal ſie zu Gliedern der Geſellſchaft erhoben hat, und nicht mehr ſie zwingt, die hartnaͤckige Anhaͤnglichkeit an ihre ererbten Leh - ren als das einzige Intereſſe anzuſehen, das ſie in der Welt haben. Aber freylich muß die buͤrgerliche Verbeſſerung der ſittlichen und religioͤſen vor - gehen. Man muß nicht zu den Juden ſagen: wir wollen euch gleiche Vortheile der Geſellſchaft bewilli - gen, wenn ihr zufoͤrderſt Euch faͤhig machet, dem Staate voͤllig ſo, wie andre, zu dienen, ſondern man muß mit Jenem anfangen, um Dieſes zu er - halten, gerade wie es mit den Chriſten eben der Gang war. Freylich waͤre es, wie ich ſchon bemerkt, beſ - ſer, wenn die Juden mit ihren Vorurtheilen gar nicht mehr da waͤren, aber da ſie nun einmal da ſind, koͤnnen wir wohl zwiſchen dem: ſie (wenn ſich ſo et - was in unſern Zeiten noch denken laͤßt,) gerade - zu oder durch dahin zielende Einrichtungen allmaͤhlich, von der Erde zu vertilgen; oder ſie unaufhoͤrlich ſolche ſchaͤdliche Glieder der Geſellſchaft bleiben zu laſſen, als ſie bisher wa -ren,215ren; oder ſie zu beſſern Buͤrgern der Welt zu machen, noch waͤhlen wollen? Kann der Fehler der ehemaligen Regierungen ein Grund fuͤr die itzi - gen ſeyn, dieſen Fehler fortzuſetzen?

Der Gedanke, daß die Juden noch immer einen Retter erwarten, der ſie aus ihrem bisherigen Elend erloͤſen, ein eignes Reich fuͤr ſie errichten, und an - dere Nationen ihnen unterwerfen ſoll, darf uns auch gewiß nicht fuͤr die Ruhe unſerer Staaten beſorgt machen. Ich beziehe mich deshalb auf dasjenige, was Hr. Moſes Mendelsſohn ſchon S. 74 hier - uͤber ſehr richtig bemerkt hat, dem ich nur noch ei - nige Anmerkungen beyfuͤgen will. Die Chriſten ha - ben von den aͤlteſten Zeiten an gleichfalls eine glaͤn - zendere Wiederkunft des Meſſias erwartet, der alle uͤbrige Staaten zerſtoͤren und ein irrdiſches tauſend - jaͤhriges Reich fuͤr ſeine treueſten Anhaͤnger errichten wuͤrde. Die erſten Kirchenvaͤter, welche noch an den Unterricht der Stifter des Chriſten - thums reichten, behaupteten dieſen Lehrſatz*)Juſtinus Martyr (im Dialogo cum Tryphone c. 80.) ſagt ausdruͤcklich, daß er und viele Chriſten dieſe Hofnung naͤhrten, ohgleich Andere, die doch auchwahre, und er hat durch alle Jahrhunderte in derO 4Kirche216Kirche ſich erhalten, obgleich nachdem die chriſtliche Re - ligion allgemein verbreitet worden, und ihre Anhaͤnger und beſonders ihre Lehrer keines andern Reichs und Herrſchaft zu beduͤrfen glaubten, als die ſie ſchon wirklich beſaſſen eine ſolche Meynung ſich natuͤrlich aus dem Sy - ſtem der zahlreichen Kirchen verliehren mußte und nur von kleinern Partheyen, die ſich durch jene unterdruͤckt hielten, und einzelnen ſpekulativiſchen Koͤpfen un - terhalten werden konnte. Noch neuerlich hat ein beruͤhmter Gottesgelehrter, dieſen Lehrſatz in den hei - ligen Buͤchern des Chriſtenthums zu finden geglaubt*)Herr Lavater in ſeinen Ausſichten in die Ewig - keit, Th. I. S. 191: die Lehre von dem tauſend - jaͤhrigen Reiche verdiente wohl ſchon darum eine Unterſuchung, weil die Kirchenlehrer der drey er - ſten Jahrhunderte ſie ohne Bedenken angenom - men und geglaubt haben; ſie glaubten ſie in den Schriften des alten ſowohl als des neuen Teſta - ments zu finden. Die Vaͤter welche naͤchſt an die ayoſtoliſchen Zeiten reichten, reden mit einer ſol - chen. Ein Theil der Chriſten ſtimmt alſo hierinn mitden*)wahre Chriſten waͤren, ihr nicht beypflichteten. Ire - naͤus (L. V. c. 32. 33. ) leitet gleichfalls dieſe Mey - nung aus dem Unterricht des Papias, eines Schuͤ - lers Johannis, ab.217den Juden zuſammen, daß beyde noch ein irrdiſches Reich erwarten, an dem auch letztere, ſelbſt nach dem Glauben der erſtern, verſteht ſich wenn ſie vor - her bekehrt worden, Antheil nehmen ſollen. Der Unterſchied beſteht bloß darinn, daß die Juden die bevorſtehende Ankunft des neuen Koͤnigs fuͤr die erſte, die Chriſten aber ſchon fuͤr die zweyte halten; der Zweck dieſer Ankunft aber iſt nach beyden derſelbe.

O 5So
*) chen Beſtimmtheit und Gewißheit von dieſer Lehre, daß man unmoͤglich begreifen kann, wie ſie, ohne wichtige Gruͤnde dafuͤr in der Schrift zu finden ſich ſo entſcheidend und einſtimmig hieruͤber haͤtten ausdruͤcken koͤnnen. Es ſind die beruͤhmten Nah - men eines Juſtinus Martyr, Irenaͤus, Ter - tulian, Lactantius, Sulpitius u. a. m. Allein man darf auch nur einige von den Schriftſtellen, worauf ſich dieſe Lehre gruͤndet, unpartheyiſch an - ſehen, um ſich zu uͤberzeugen, daß ſie nichts we - niger als eine blos menſchliche Hipotheſe, oder ein grundloſer Einfall ſey. Wenn ich nicht irre, iſt auch ein anderer beruͤhmter Bibel-Erklaͤrer, den man weniger, als vielleicht Hr. Lavater, einer zu regen Einbildungskraft beſchuldigen wird, Hr. Michaelis, bloß aus exegetiſchen Gruͤnden dieſer Meynung geneigt.
*)218

So alt dieſe Meynung indeß iſt, und ſo ſchwaͤr, meriſch oft, beſonders unter den Chriſten, die Koͤpfe waren, in denen ſie ſich feſtgeſetzt hatte; ſo hat ſie doch ſelten die Ruhe der Staaten unterbrochen und nie iſt dieſes auf eine erhebliche Weiſe geſchehn. Die verſchiedene Verſuche der angeblichen Meſſiaſſe ſind meiſtens nur unter einem nicht zahlreichen Haufen des Poͤbels verborgen geblieben, wie dieſes auch noch mit den allerneueſten unſerer Gegend, in der Berli - niſchen Monathſchrift (Januar und Maͤrz 1783) beſchriebenen, der Fall iſt. David Alroi oder Eldavid in Perſien und Zabathai Tzevi im tuͤr - kiſchen Reich haben noch die groͤßte Bewegung un - ter den Juden erregt, indeß koſtete es der Regierung nur geringe Muͤhe, ſie zu unterdruͤcken. (S. Basnage Hiſt. des Juifs T. V. p. 1639 und 1934.) Die Ge - ſchichte des erſtern, welcher im zwoͤlften Jahrhundert lebte, iſt mit Fabeln bedeckt, die uns ihre wahre Be - ſchaffenheit nicht erkennen laſſen. So groß die Gaͤh - rung auch war, welche der Letztere unter einem Theile der Juden hervorbrachte, ſo wurde er doch nur mit verachtender Gelindigkeit behandelt.

Mich duͤnkt, die Regierungen haben immer das ſicher - ſte Mittel in Haͤnden, allen aus dieſer religioͤſen Chimaͤre zu beſorgenden Revolutionen zuverlaͤßig zu -vor -219vorzukommen. Die Idee eines Heylandes und Retters ſetzt einen Zuſtand des Elends und der Un - terdruͤckung voraus, aus dem die Juden gerettet und erloͤſet werden ſollen. Man verwandle alſo nur die - ſen Zuſtand in Gluͤck und Wohlſtand, man mache die gegenwaͤrtige Lage angenehm; man knuͤpfe da - durch die Herzen der Unterthanen an den Staat; ſo werden ſie nicht mehr verlangen gerettet zu mer - den, und den verheiſſenen Heyland nach und nach ganz vergeſſen. Der ſicherſte Weg den Aufruhr ganz zu verhindern, iſt gut zu regieren. Freylich wird es keiner Regierung gelingen, alle ihre Unterthanen zufrieden zu machen; Beſchwerden, auch gerechte, bleiben immer uͤbrig, Ehrſucht und Eigennutz wer - den dieſe immer zu ihren Abſichten zu benutzen ſtre - ben. Es iſt alſo auch allerdings moͤglich, daß ein - mal ein Schwaͤrmer oder taͤuſchender Volksverfuͤhrer ſich der Meynung des verſprochenen Heylandes be - diene, und dadurch Unruhen errege. Aber die An - ſtalten unſerer itzigen Staaten ſind einer ſolchen Un - ternehmung zu ſehr zuwider, als das man einige ernſtliche Folgen beſorgen duͤrfte. Das ſicherſte Mit - tel allenfalls ſie niederzuſchlagen, wuͤrde ohne Zweifel ſeyn, Jeden, der ſich als Heiland angaͤbe, ſo lan - ge einzuſperren, bis er ſich zu dem Rechte ſeiner er -ſten220ſten oder zweyten Ankunft vor der Obrigkeit zu legi - timiren im Stande waͤre. Auch ſelbſt der unmilitaͤ - riſche Geiſt der Juden wuͤrde es einem Betruͤger ſchwer machen, ſie zu einem Aufſtand zu reitzen. Und werden einſt die Juden kriegeriſcher geworden ſeyn, ſo kann man ſicher ſich darauf verlaſſen, daß gegen dieſe Zeit der Meſſias ganz vergeſſen ſeyn wer - de, der auch ſchon itzt nicht ſo ſehr Glaubensartikel bey ihnen iſt, daß nicht ſchon viele Rabbinen (wie z. B. der beruͤhmte Lehrer Albo) dieſe Erwartung des großen Haufens fuͤr ungegruͤndet halten ſollten.

Das aſiatiſche Temperament wird gleichfalls nicht, wie mich duͤnkt, die Juden abhalten gute Glieder der Geſellſchaft zu werden, und wenn Hr. Schwa - ger daſſelbe fuͤr ein bleibendes Hinderniß des Acker - baues haͤlt, ſo, duͤnkt mich, hat dieſer Gelehrte ſich nicht erinnert, daß die Juden ehemals in ihrem aſia - tiſchen Vaterlande faſt ganz vom Ackerbau lebten und ihren ganzen Staat auf denſelben gegruͤndet hatten. Unſere heutigen Juden haben ihr itziges Tempera - ment, ihre Liebe zum Herumſchweifen und Muͤſſig - gang ſicher nicht aus Aſien mitgebracht, ſondern durch die politiſche Lage in der ſie ſich ſeit Jahrhunderten in Europa befinden, unter uns und durch uns erhalten. Iſt dieſe veraͤndert, ſo kann man ſicher erwarten, daß dasClima221Clima, in dem unſere Hebraͤer wirklich ſich befin - den, und nicht das, in dem ihre Vorfahren vor zwey - tauſend Jahren lebten, ihren Character beſtimmen werde. Sie ſind laͤngſt Europaͤer geworden, und nur ihre beſtaͤndige Verheyrathungen unter ſich und die gleichfoͤrmige Beſchaͤftigung haben ihnen noch ge - wiſſe charakteriſtiſche Eigenheiten und eine National - phyſionomie erhalten, die ſich, wenn ſie erſt unter die uͤbrigen Menſchen ſich zerſtreuen und allmaͤhlig das Unterſcheidende ihrer Meynungen und Gebraͤu - che ablegen, auch verlieren werden. Auch die Unge - ſelligkeit, welche manche dieſer Gebraͤuche hervorge - bracht haben, wird wie ich gewiß hoffe, nicht von ewiger Dauer ſeyn. Und dieſes muß allerdings ge - ſchehen, wenn die Juden ganz gleiche Glieder der Geſellſchaft werden ſollen. Denn, wie Hr. Michae - lis richtig bemerkt, wer nicht mit uns ißt und trinkt, kann auch nicht ganz mit uns in eine Geſell - ſchaft ſich vereinigen. Aber immer komme ich darauf zuruͤck: Man muß anfangen die Juden, wie andere Menſchen und Glieder des Staats zu behandeln, wenn man dieſe aus ihnen machen will.

III. 222

III.

Die Juden bleiben, ſo lange ſie ihr Geſetz beobachten, immer unfaͤhig zu Kriegsdienſten. Auch wenn ſie die Erklaͤrung einzelner Gelehr - ten annaͤhmen, nach welchen die Vertheidigung aber nicht der Angriff, am Sabbath erlaubt iſt, wuͤrden ſie doch ſehr ſchlechte Soldaten ſeyn. Hiezu koͤmmt noch ihre Abſonderung im geſellſchaftlichen Leben von andern Glau - bensgenoſſen; ihre Lehre von unreinen Spei - ſen; ihr Verbot weiter Maͤrſche und anderer Arbeit am Sabbath, alſo auch des Exercirens; ihre Ungewohnheit zu koͤrperlichen Beſchwer - den und Arbeiten; auch ſelbſt die fehlende koͤr - perliche Groͤße. Alle dieſe Umſtaͤnde ma - chen daß die Juden entweder gar nicht, oder doch nicht ſo gute Soldaten, wie andere ſeyn koͤnnen. Sie wuͤrden alſo in Kriegszeiten ſich zu ſehr vermehren, allmaͤhlig zum Beſitz des Landes kommen, deſſen vormalige Eigenthuͤ - mer fuͤrs Vaterland geſtorben waͤren und end - lich den Staat, der zu nachſichtig ſie aufge - nommen, veraͤchtlich und wehrlos gegen ſeine Nachbarn machen. Durch bloße hoͤhere Ab - gaben laͤßt ſich dieſes nicht heben. Denn esgiebt223giebt Faͤlle, wo Geld nicht Menſchen aufwiegt, und man kaͤme dadurch wieder in den vorigen Cirkul, und muͤßte eingeſtehn, daß Buͤrger, welche nicht die Geſellſchaft zu der ſie gehoͤren, vertheidigen, keine Buͤrger wie andere ſeyn, nicht gleiche Rechte verlangen koͤnnen und druͤ - ckende Unterſchiede ſich gefallen laßen muͤſſen.

Ich habe es ſelbſt geſagt, daß dieſer Einwurf der wichtigſte von allen ſey, und ich bin noch itzt der Meynung, daß die Juden, ſo lange ſie nicht zu Kriegsdienſten ſich eben ſo willig als faͤhig bewieſen haben, nicht auf gleiche Rechte mit den uͤbrigen Glie - dern der Geſellſchaft Anſpruch machen koͤnnen. Ein Staat, deſſen Buͤrger einem Angriff ihrer Ruhe und Beſitzungen, mit Gewalt zu wehren, ſich durch Ge - bote des Himmels unterſagt halten, laͤßt ſich nicht denken und kann nicht beſtehen; die Erhaltung der gemeinen Sicherheit gegen fremde Gewalt iſt der erſte und Hauptzweck jeder politiſchen Vereinigung, wer von jenem ſich loßſagt, kann zu dieſer nicht ge - hoͤren; wenigſtens wer nicht gleiche Laſten tragen will, kann nicht gleiche Vortheile verlangen; der bloß Beſchuͤtzte darf nie mit dem Beſchuͤtzer in ganz glei - cher Reihe gehen. Dieß ſind Wahrheiten, die dem ge - ſunden Menſchenverſtande einleuchten, die er zu allenZeiten224Zeiten anerkennen muß, und die keine Schwaͤrme - rey jemals auf eine merkliche Art unterdruͤcken kann. Die Anhaͤnger religioͤſer Secten, die den Krieg fuͤr unerlaubt halten, muͤſſen ſich bloß denen uͤberlaſſen, die ihre Vertheidigung uͤbernehmen und dafuͤr Be - dingungen, wie ſie es gut finden, feſtſetzen. Eine buͤrgerliche Geſellſchaft koͤnnen dieſe Glaubensgenoſſen allein nie ausmachen und ſobald ſie ſich ausbreiten, muͤſ - ſen ſie nothwendig ihre Grundſaͤtze ablegen, weil eine große Zahl Menſchen, welche erklaͤren, daß ſie ſich nie vertheidigen wollen, unſtreitig bald unterdruͤckt werden muͤßte.

Bey der itzigen politiſchen Lage von Europa iſt es fuͤr jeden Staat, der nicht bloß in der Convenienz und Eiferſucht anderer ſeine Sicherheit hoffen darf, noch mehr wie ehemals nothwendig, durch die moͤglichſt vollkommenſte Kriegsverfaſſung ſei - nen fortſchreitenden Wohlſtand zu ſichern. Zwar iſt es mir wahrſcheinlich, daß der Kriege in der Zukunft weniger wie bisher ſeyn werden, und daß vielleicht eine Zeit kommen duͤrfte, wo Traͤume von einem zwar nicht ewigen, aber doch ſeltner unterbrochnem Frie - den nicht ganz mehr Traͤume ſeyn werden. Ich hoffe dieſes nicht von groͤßerer Cultur, groͤßerer Menſch - lichkeit oder auch Erſchlaffung der Sitten; denn dieMen -225Menſchen bleiben in allen Jahrhunderten dieſelben. So lange ihr Intereſſe verſchieden iſt, ihre Leiden - ſchaften an einander ſtoßen, werden deren thaͤtliche Aus - bruͤche unvermeidlich ſeyn. Die weichlichen Aſiater haben Kriege gefuͤhrt wie die ſtaͤrkern Nordlaͤnder. So lange es Schwaͤchere giebt, wird keine Cultur bey den Staͤrkern die Begierde jene zu unterdruͤcken, ganz abſchleifen. Auch keine Heiligkeit der Vertraͤge wird je ein Gleichgewicht der Staaten gruͤnden koͤn - nen, das laͤnger beſtuͤnde, bis einer unter ihnen ſich die Kraͤfte fuͤhlt, es umzuſtuͤrzen. Der Friede iſt meiſtens nur Waffenſtillſtand, Ausnahme von der Regel, die nicht laͤnger dauert, bis die Erſchoͤpfung erſetzt iſt, die ſie hervorbrachte. Aber laͤßt ſich nicht ein Zuſtand denken, in welchem alle Staaten ihre Kraͤfte ſo erhoͤhten, ſo klug benutzten, daß Jeder im Stande waͤre, mit Huͤlfe anderer, die mit ihm gleiches Intereſſe haben, ſich zu vertheidigen, aber nicht hoffen duͤrfte, einen Nachbar der gleich ihm ge - waffnet waͤre zu unterdruͤcken? Mich duͤnkt, dieſer Zuſtand laſſe ſich denken, und wir naͤhern uns ihm merklich. Jeder europaͤiſche Staat wuͤnſcht zwar auf Koſten anderer ſich zu vergroͤßern, aber noch mehr als dieſes, die Vergroͤßerung jedes andern zu verhindern. Natuͤrliche AlliirtePaus -226ausgenommen*)Natuͤrliche Alliirte ſind Staaten, deren Intereſſe nach ihrer Lage und Verhaͤltniſſen nicht leicht in Col - liſion kommen kann, aber gleichmaͤßig die Einſchraͤn - kung eines dritten fodert, deſſen Uebermacht bey - den gefaͤhrlich ſeyn wuͤrde. Nur dieſe koͤnnen die ge - genſeitige Zunahme ihrer Staͤrke wuͤnſchen., kommen alle darinn uͤberein, daß nicht einer zu maͤchtig werde, und wenn ſie ſelbſt, nicht gewinnen koͤnnen, wuͤnſchen alle die itzige Lage der Dinge fortdauernd zu ſehen. Die Erhaltung des Gleichgewichts von Eu - ropa iſt in einem gewiſſen Sinn nicht die Chimaͤre, fuͤr die man ſie auszugeben ſich ſchon dadurch haͤtte abhalten laſſen ſollen, weil ſie die Idee eines ſo groſ - ſen Kopfes, Wilhelms III. von England, war, und Kriege fuͤr dieſe Erhaltung unternommen, koͤn - nen ſehr gerecht und vernuͤnftig ſeyn, weil es erlaubt und klug iſt, mit kleinerer Gefahr eine ſonſt unver - meidlich groͤßere abzuwehren. Aber dieſes Gleichge - wicht kann nur denn erhalten werden, wenn alle Staaten ihre Kraͤfte auf das vollkommenſte be - nutzen, und ſich in einem Vertheidigungsſtande be - finden, der den gluͤcklichen Ausgang jedes Angrifs hoͤchſt unwahrſcheinlich macht. Von Alliirten allein iſt kein bedeutender Beyſtand zu erwarten, wenn manihn227ihn nicht wieder zu leiſten und durch eigene Kraͤfte ſich Achtung zu erwerben auch wenigſtens den erſten Angriff ſelbſt abzuhalten, faͤhig iſt, wie wir dieſes noch in einem ganz neuen Beyſpiel geſehen haben.

Ehe noch die ſtehenden Armeen allgemein einge - fuͤhrt, die Kriegswiſſenſchaft ihre itzige Ausbildung erhalten hatte, war es ſehr moͤglich, daß der krie - geriſche Staat ſeinen Nachbar gaͤnzlich zu uͤberwaͤlti - gen hoffen konnte, der in ſeiner militaͤriſchen Ver - faſſung noch nicht ſoweit gekommen war. Stehen - de Heere waren immer die Ueberwinder bloßer Land - militzen, und die geuͤbtere ſtaͤrkere Militz eines ro - hen Volkes uͤberwand gewoͤhnlich die weniger geuͤb - te und ſchwaͤchere eines civiliſirten, beſonders eines Manufactur - und Handelsſtaats. Bey einigermaſ - ſen gleich gut diſciplinirten ſtehenden Truppen muß der Ausgang ihrer Kriege nothwendig weniger gewiß ſeyn. Auch die ungleich geringere Koſten eines Krie - ges mit Soldaten, die nachher wieder zum Pfluge zuruͤckkehrten; die geſchwindere Einſcheidung, und die geringere Einſicht von den gegenſeitigen Kraͤften konnten ehemals den Regenten es beynahe eben ſo leicht machen, ſich zum Kriege zu entſchlieſſen, als ihre Vaſallen ſich untereinander befehdeten. ItztP 2ſind228ſind unſere Kriege unendlich koſtbarer an Gelde und Menſchen; eine in vielen Friedensjahren vollgehaͤufte Schatzkammer kann in einer oder zwey Campagnen ausgeleeret werden, unſere Waffen und ganze Art zu ſtreiten machen die Kriege langwieriger*)Man findet uͤber den Unterſchied der alten und itzigen Kriegskunſt ſehr intereſſante Bemerkungen in einem ohnlaͤngſt erſchienenem Werke des Hrn. Hauptmann Manvillon: Eſſay ſur I’Influence de la poudre à Canon dans l’Art de la guerre mo - derne, welches auch fuͤr den forſchenden Geiſt eines unmilitariſchen Lefers ſehr viele Nahrung enthaͤlt, und, nach dem Urtheil der Kenner, in ſeiner Art claſſiſch iſt., man kann viele Bataillen gewinnen und doch verliehren; auch kennen unſere itzige Staaten ihre eigene und fremde Kraͤfte ſo gut, daß es nicht leicht iſt, durch vorgege - bene Staͤrke zu taͤuſchen, oder durch eingebildete Schwaͤche den Angreifer zu locken. Alle dieſe Um - ſtaͤnde machen, daß die Kriege in unſern Zeiten nicht ſowohl Ausbruͤche von Leidenſchaft als Sache des Calcuͤls ſind. Wir haben in dem ſo eben geendigtem Kriege groͤßere Flotten, als bisher das Meer getragen hatte, nebeneinander vorbeyſeegeln und ſorgfaͤltig eine Schlacht vermeiden ſehen, und aͤuf jeder geſtandman229man, daß dieſes bloß daher geſchehe, weil man wiſſe, daß die Staͤrke des Feindes der eigenen gleich oder uͤberlegen ſey. Nur noch einen Schritt weiter, ſo koͤnnte man auch die Koſten der Ausruͤſtung ſparen. Man duͤrfte nur wohlbeglaubte Etats von dem Da - ſeyn dieſer Flotten und des erforderlichen Geldes, um ſie einige Jahre zu gebrauchen, ſich zuſchicken und die Ruhe wuͤrde erhalten. Ihre Unterbrechung wird wahr - ſcheinlich kuͤnftig ſeltener ſeyn, wenn jeder Staat von einem Verſuche derſelben mehr Schaden als Vortheil vorausſehen kann, und ich wage es einen dauerhaf - tern Frieden fuͤr Europa um ſo eher zu hoffen, da ich nicht von groͤßerer Tugend und Aufklaͤrung, ſon - dern bloß von den veraͤnderten Verhaͤltniſſen der Din - ge und ihrer genauern Kenntniß ihn erwarte. Aber eine nothwendige Bedingung iſt, daß die Kriegswiſ - ſenſchaft immer zu groͤßerer Vollkommenheit ausge - bildet, ihre Ausuͤbung immer verwickelter und ſchwe - rer werde. Je mehr und mannigfachere Talente zu dem Kriege erfordert werden; je mehr Aufwand von Geld und Menſchen er nothwendig macht; je mehr die Zeit der Entſcheidung hinausgeſetzt und der Aus - gang ungewiß gemacht werden kann; je mehr die wirkſamſten Mittel, ſich den groͤßimoͤglichſten Scha -P 3den230den zu thun vervielfaͤltigt werden*)Hr. Mauvillon behauptet in dem angefuͤhrten Werke S. 170 mit Recht, daß auch die moͤrderiſch - ſten Erfindungen im Kriege eine wahre Wohlthat fuͤr die Menſchheit waͤren, weil ſie den Krieg furchtba - rer machen und erſchweren, und daß es ein ungegruͤn - detes Vorurtheil ſey, welches nur die einmal herge - brachten, aber nicht neue und bisher unbekannte Waffen und Mittel dem Feinde zu ſchaden, fuͤr er - laubt halte. In der That iſt dieſe letzte Meynung ſehr gemein, aber es gehoͤrt nur wenig Nachdenken dazu, um ſich wider ſie zu erklaͤren. Iſt das Schieß - pulver dadurch unſchuldiger gemacht, daß es ſeit Jahrhunderten gebraucht worden, und war der er - ſte, der eine Flinte oder Kanone abfeuerte, ein groͤßerer Menſchenfeind, als die itzt eben daſſelbe thun? Und in welchem Zeitpunkt iſt das Recht neue Mittel des Angriffs oder der Vertheidigung zu erfinden, erloſchen? Der Zweck des Krieges iſt, ſeinem Feinde den moͤglichſt groͤßten Schaden zu thun; alle Mittel, die zu dieſem Zwecke dienen, ſind gut; und je groͤßer, je ſicherer und unvermeid -[l]icher der Schaden iſt, den Jeder im Kriege zu er -warten: deſto ſeltener werden die Fuͤrſten ſich zum Kriege entſchlieſſen und deſto feſter wird der Friede der Voͤlker geſichertſeyn.231ſeyn. Man darf dieſes hoffen, wenn alle und beſonders die groͤßern Staaten, ſich unaufhoͤrlich in dem beſten Vertheidigungsſtande, den ihre natuͤrliche Kraͤfte erlauben, befinden, und wenn die durch ge -P 4mein -*)warten hat, deſto mehr wird der Krieg vermieden werden. Die Erfindung des Geſchuͤtzes, ſagt ein vortreflicher engliſcher Schriftſteller, (Hr. Smith Unterſuchung der Natur und Urſachen von Natio - nalreichthuͤmern, II. S. 396) die bey dem erſten Anblick ſo verderblich zu ſeyn ſcheint, beguͤnſtigt gewiß ſowohl die Fortdauer, als die Ausbreitung der Civiliſation. Einer der groͤßten Maͤnner und Feldherrn unſers Jahrhunderts, der letztverſtorbene Graf von Schaumburg-Lippe ſtimmt dieſem Grundſatze bey. Je vollkommner, (ſind ſeine Wor - te, nach Hrn. Schmalz Denkwuͤrdigkeiten deſ - ſelben S. 71) die Kriegswiſſenſchaften ſind, deſto ſeltner werden Kriege gefuͤhrt, deſto mehr entfernt ſich die Art ſie zu fuͤhren vom wilden Erwuͤrgen. Die Menſchlichkeit unſers Kriegesrechts muß ſich alſo nicht durch den Gebrauch unvollkomnerer oder ſchwaͤcherer Waffen auszeichnen; dieß waͤre gerade am wenigſten menſchlich, ſondern durch mildere Be - handlung der Gefangnen, Schonung der nicht krie - genden Unterthanen, Verabſcheuung zweckloſer Ver - heerung u. ſ. w.232meinſchaftliches Intereſſe nothwendig gemachte Ver - bindung Mehrerer allemal einen Widerſtand bereit hat, der den Gedanken, ein Eroberer ſeyn zu wol - len, zu einem Fehler wider die Rechenkunſtmacht. Die bisherige Erfahrung wird die Nothwendigkeit eines guten Vertheidigungsſtandes immer einleuch - tender machen, und die Einſicht, wie der Vortheil Aller die Erhaltung des gegenwaͤrtigen Verhaͤltniſ - ſes der Staaten fodere, wird vieleicht allmaͤhlig eine Verbindung gegen jeden Angriff bilden, zu der die Aſſociation verſchiedener Staaten zu gemeinſchaftli - cher Vertheidigung ihrer Rechte und natuͤrlichen Frey - heit waͤhrend des itzt geendigten Seekriegs, von der Nachwelt als eine gluͤckliche Vorbereitung betrach - tet werden duͤrfte.

Aber wenn dieſe ſchoͤne Hofnung nur auf eine gute Militaͤrverfaſſung gegruͤndet werden kann; wenn immer zum Kriege geruͤſtet ſeyn, das einzige Mittel iſt, Frieden zu erhalten; wenn nur der Staat, die ununterbrochenſte Ruhe hoffen darf: deſſen Truppen die geuͤbteſten, und in der kuͤr - zeſten Zeit zum Ausmarſch die bereiteſten ſind, und deſſen Finanzen die laͤngſte Unterhaltung des Heers waͤhrend des Kriegs erlauben: ſo iſt eine natuͤrliche Folge, daß Glieder der Geſellſchaft, welche zu die -ſem233ſem weſentlichſten Wohl derſelben, der Sicherheit nicht beytragen wollen, auch nicht auf alle Vortheile derſelben Anſpruch machen duͤrfen. Ich halte indeß auch noch aus andern Gruͤnden, als dem angefuͤhrten wichtigſten, es fuͤr einen Vortheil der Staaten, wenn ſie in einem gewiſſen Verſtande des Ausdrucks, militaͤriſch, nicht erobernd, ſind, ihre Untertha - nen naͤmlich beſtaͤndig in den Waffen uͤben und ne - ben einer guten Landmilitz, ein mit ihren Kraͤften und Bevoͤlkerung in richtigem Verhaͤltniß ſtehendes Heer unterhalten. Man hat ſehr viel gegen die ſte - henden Armeen geredet, und es iſt unſtreitig, daß ſie aͤußerſt nachtheilig und das groͤßte Ungluͤck der Menſchheit ſind, wenn das Verhaͤltniß derſelben zu der Bevoͤlkerung des Staats, der ſie unterhaͤlt, uͤber - ſchritten und der Cultur des Bodens und uͤbrigen Induͤſtrie dadurch zu viele Haͤnde entriſſen werden*)Der Beweis dieſes Satzes iſt ſehr einleuchtend und ſoviel ich weiß, am beſten in einer intereſſanten Ab - handlung gefuͤhrt, die ſich in dem Magazin der Regierungskunſt S. 182 befindet.. Aber man hatte bisher uͤberſehen, (was praktiſche Erfahrung ſeit Koͤnig Friedrich Wilhelms von Preuſſen Zeit ſchon lange gelehrt, unter den Schrift - ſtellern aber einer unſerer erſten Politicker, Hr. Prof. P 5Buͤſch234Buͤſch neuerlich vieleicht zuerſt bemerkt hat*)S. Abh. vom Geldumlauf, II. S. 101 ꝛc., daß naͤm - lich wo dieſe Fehler vermieden werden, die Unterhal - tung eines verhaͤltnißmaͤßigen ſtehenden Heers die Cir - culation des Geldes auf eine ungemein vortheilhafte Art vermehre, eine Menge Beſchaͤftigungen veranlaſſe, und eine neue Quelle von Induͤſtrie und Nahrung werde. Auſſerdem entwickelt nicht nur der Krieg ſelbſt Tugenden, die freylich mit ſeinem Elend zu theuer erkauft werden; ſondern der kriegriſche Stand giebt auch im Frieden zu Uebung von Kraͤften, zu Entwickelung von Faͤhigkeiten Anlaß, die ohne ihn nicht ſeyn wuͤrden und doch fuͤr die Menſchheit wich - tig und wohlthaͤtig ſind. Ich rechne hieher nicht nur das feinere Gefuͤhl von Ehre, den geuͤbtern Ver - ſtand, den richtigern Blick, wodurch der hoͤhere Kriegsbediente von Andern ſeines Standes ſich vor - theithaft auszeichnet**)Freylich koͤnnten dieſe Vorzuͤge noch vollkommner ausgebildet und vortheilhafter erhoͤhet werden, wie dieſes auf eine vortrefliche Art von einem Manne ausgefuͤhrt iſt, der durch ſein eignes Muſter am be - ſten beweißt, zu welcher Wuͤrde und wahrem Adel ſein Stand erhoben werden koͤnne, ich meyne vondem; auch der gemeine Mannwird235wird durch den Kriegsſtand ſo wie zu koͤrperlichen Uebungen und Arbeiten geſtaͤrkter und abgehaͤrteter, ſo auch mehr zur Ordnung, Praͤciſion, Thaͤtigkeit und Subordination gewoͤhnt, und mit einem erwei - terten Kreiſe von Ideen verſehen. Der Bauer, der nur einige Jahre in den Waffen geuͤbt iſt, wird ge - woͤhnlich ein beſſerer Bauer, als der welcher nie ſei - nen Pflug verließ, und der Gedanke eines großen Mannes, des Freyherrn von Fuͤrſtenberg, war vortreflich, alle junge Leute des Hochſtifts Muͤnſter, ſowohl auf dem Lande als in den Staͤdten, an den Sonn - und Feyertagen in den Waffen uͤben zu laſſen und alſo eine gute und zahlreiche Landmilitz zu bil -den.**)dem Hrn. Oberſten von Scholten, in der Ab - handlung: was muß ein Officier wiſſen, wenn er die Pflichten ſeines Standes erfuͤllen will ꝛc. Deſſau 1782. Ueberhaupt verdiente die noch moͤg - liche Verbeſſerung der itzigen Einrichtung der ſte - henden Armeen, vorzuͤglich die Mittel, ſie aus ſich ſelbſt zu rekrutiren und den Soldaten feſter an das Vaterland zu binden die reifeſte Erwaͤgung aller großen Staaten. Aber dieſe Materie fodert eine eigene Unterſuchung, und ich darf hier um ſo weni - ger in dieſelbe eingehen, da ich durch das Inter - reſſante des Gegenſtandes ſchon vielleicht zu einer Ausſchweifung von meinem Hauptzweck verleitet hin.236den. Gewiß wuͤrde eine ſolche Einrichtung auch auſ - ſer der dadurch bewirkten Sicherheit noch andere wohlthaͤtige Folgen haben, zu denen ich auch dieſe rechne, daß junge Buͤrger und Bauern dadurch mehr zu koͤrperlichen Spielen (die bey den Alten und auch noch im mittlern Zeitalter ſo gewoͤhnlich und ſo nuͤtz - lich waren, itzt aber faſt ganz abgekommen ſind) ge - reitzt und von den fuͤr ihre Geſundheit und Vermoͤ - gen ſchaͤdlichen Wirthshaus-Gelagen wuͤrden ent - fernt werden.

Es bleibe alſo Grundſatz, daß die Juden nicht voͤlliger Buͤrger-Rechte faͤhig ſind, wenn ſie nicht voͤllige Buͤrger-Pflichten erfuͤllen und den Staat, ſo gut wie andere, vertheidigen wollen. Und aller - dings muͤſſen ſie auch der in ihrem urſpruͤnglichen Geſetz nicht gegruͤndeten Ungereimtheit entſagen, am Sabbath nicht angreifen, ſondern nur gegen den feindlichen Angrif ſich wehren zu wollen. Und ſo richtig Hr. Moſes (S. 75) bemerkt, daß eine ver - nuͤnftige Religion den Trutzkrieg nicht gut heißen koͤnne, den auch Vernunft und Naturrecht mißbilli - gen; ſo wuͤrde es doch ein Mißbrauch dieſer Wahr - heit ſeyn, wenn ein Buͤrger nur in einem Kriege, den er ſelbſt fuͤr einen Defenſiven erkenne, ſich ge - brauchen laſſen wollte. Das Urtheil hieruͤber gehoͤrtnicht237nicht fuͤr den Unterthan und Soldaten, ſondern fuͤr die, denen die Regierung des Staats anvertrauet worden. Faſt bey jedem Kriege ſucht jede Parthey die Welt zu uͤberreden, daß ſie der angegriffene Theil ſey. Es laͤßt ſich auch der Fall denken, daß beyde Recht haben; aber gewoͤhnlich iſt die Frage zu ver - wickelt, als daß ſie von dem großen Haufen der Un - terthanen entſchieden werden koͤnnte. Die Geſchich - te enthaͤlt Beyſpiele, daß ein Krieg, dem erſten An - blick nach das Anſehn eines offenſiven haben und doch ein ſehr abgedrungener und im ſtrengſten Sinn defenſiv ſeyn koͤnne. Man hat alſo Recht, auch von den Inden ganz unbeſchraͤnkte Kriegsdienſte zu fo - dern. Itzt koͤnnen ſie dieſelben freylich nicht leiſten, weil die Unterdruͤckung, in der ſie ſo lange gelebt, den kriegeriſchen Geiſt und perſoͤnlichen Muth bey ihnen erſtickt und ihre religioͤſen Spekulationen auf ſo ungeſellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten ſeit anderthalb Jahrtauſenden kein Vaterland, wie konnten ſie alſo fuͤr daſſelbe fechten und ſterben? Aber ich bin uͤberzeugt, daß ſie dieſes mit gleicher Faͤhig - keit und Treue, wie alle andere, thun werden, ſobald man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Bey - ſpiele, die ich aus der aͤltern Geſchichte angefuͤhrt, ſind deutlich und ich ſehe nicht warum die Judennicht238nicht in unſern Armeen ſich eben ſo gut betragen wuͤr - den, als ehemals in griechiſchen und roͤmiſchen? Auch die neuere Geſchichte liefert aͤhnliche Beyſpiele, von denen Basnage Hiſt. des Juifs L. 9. c. 34 & 35 manche geſamlet hat. So vertheidigten die Juden 1648 Prag wider die Schweden, 1686 Ofen wider die Oeſterreicher. In Litthauen waren ſie wenigſtens ehemals dem allgemeinen Aufgebot ſo gut wie andere unterworfen*)Stat. Lithuanicum c. 12. art. 9. Die in Litthauen wohnende Tartarn und Juden duͤrfen von Niemand mit Geld zu Soldaten geworben werden; muͤſſen aber bey dem allgemeinen Aufgebot mit zu Felde ziehn. . Wie die Juden den Kriegsdienſt mit ihren religioͤſen Meynungen vereinigen werden iſt ihre Sache, um die der Staat ſich nicht bekuͤmmern darf. Wenn das Vaterland vertheidigt werden ſoll, ſagt Hr. Moſes (S. 76) vortreflich, ſo muß jeder hinzu eilen, deſſen Beruf es iſt. Keiner darf dieſen Beruf nach ſei - nen Meynungen modificiren wollen, ſondern er muß dieſe nach jenem umbilden. Das neuerliche Beyſpiel der penſylvaniſchen Quacker, die noch weit entſchie - dener, als die Juden wider den Krieg waren, habe ich ſchon angefuͤhrt, und ich kann demſelben noch ein paar Beyſpiele von dieſer Nation ſelbſt beyfuͤgen. InSuri -239Surinam haben die Juden, ſo gut wie andere das Recht Plantagen zu beſitzen, und auch wirklich ver - ſchiedene angelegt. Außer denſelben befindet ſich da - ſelbſt ein Dorf, Sav[a]ane, welches bloß von Juden bewohnt wird. Alle freye Einwohner von Surinam ſind in 12 Compagnien Landmilitz eingetheilt, wo - von eine bloß aus Juden beſteht. Ein hollaͤndiſcher Schriftſteller*)Hartſincks Beſchryving van Guiana. Amſt. 1770. T. 2. p. 706. meldet dieſes Factum, dem ich noch eins aus der neueſten Geſchichte an die Seite ſetzen will. In der merkwuͤrdigen Schlacht vom 5ten Auguſt 1781 zwiſchen den Englaͤndern und Hollaͤn - dern befand ſich auf der Flotte der Letzteren ein por - tugieſiſcher Jude, der mit ausnehmender Tapferkeit focht. Dieß Beyſpiel reitzte noch mehrere ſeiner Glaubensgenoſſen, welche dem Staate, der ihnen vor allen andern buͤrgerliche Rechte bewilligt hatte, ihre Theilnehmung an ſeinem Wohl beweiſen woll - ten. Eine betraͤchtliche Anzahl derſelben entſchloß ſich freywillig auf der Flotte zu dienen, und erhielt von dem Ober Nabbi zu Amſterdam eine ausdruͤckli - che Billigung dieſes Vorhabens. Er ertheilte ihnen ſeinen Seegen und nur dieſe Vorſchrift, daß ſie den Sabbat und alle andere Geſetze und Religionsge -braͤuche240braͤuche beobachten ſollten, inſofern es die Umſtaͤn - de und der Dienſt erlauben wuͤrden. Hier iſt alſo eine vollkommne Erfuͤllung der Hofnung, die ich geaͤußert habe, eine feyerliche Billigung der Wahr - heit, daß die Buͤrgerpflichten auch bey noch unvoll - kommnen Buͤrgerrechten den geheiligten Pflichten vorgehn muͤſſen. Verdient dieß Beyſpiel nicht Be - wunderung und Achtung, und wuͤrde es nicht gro - bes Vorurtheil ſeyn, wenn man noch immer von der Unfaͤhigkeit einer Nation zum Kriegsdienſte reden wollte, deren Glieder ſich ganz aus eigenem Gefuͤhl zum Tode fuͤr das Vaterland erboten haben, eine doch gewiß auch unter Chriſten nicht gemeine Erſchei - nung? Wenigſtens waͤre es aͤußerſt unbillig, immer nur dieſe Unfaͤhigkeit zu demonſtriren, ohne ſie je auf die Probe zu ſetzen. Man uͤberlaſſe es doch den Juden, ſich von ihren Sabbathsgeſetzen, ihren unreinen Speiſen u. ſ. w. zu diſpenſiren, andere Juden, als bisher, Dei - ſten, Abrahamiten oder was ſie wollen in Abſicht der Re - ligion zu ſeyn, genug wenn ſie nur gute, auch den Staat mit Leib und Leben vertheidigende Buͤrger werden.

Aber, ſagt man, um dieſes zu werden, wird Zeit erfordert, und bis dahin koͤnnen ſte doch nicht als voͤllig gleiche Glieder der Ge - ſellſchaft angeſehen werden, da ſie die wichtigſte Pflicht241 Pflicht zu leiſten weigern. Dieſe Zeit wird nicht ſo lange waͤhren, als man ſich vorſtellt, und die Vermehrung der Juden wird nicht ſo geſchwind fort - gehen, daß ſie ihrer Faͤhigkeit zum Kriegsdienſte zu - vorkommen und den Staat in Gefahr bringen ſollte, ſo viele wehrloſe Buͤrger zu bekommen. Man fange nur erſt damit an, dem Juden die buͤrgerliche Ge - ſellſchaft lieb zu machen, ihm Intereſſe fuͤr ſie bey - zubringen, ihn ſein Verhaͤltniß zu derſelben und die Pflichten, die er ihr ſchuldig iſt, zu lehren. Man gewoͤhne ihn dabey vorzuͤglich zu Handwerken und Ackerbau, um ſeine koͤrperliche Staͤrke zu vermehren, man leite ihn von dem herumſchweifenden Kleinhan - del ab; und man ſehe, was die Folge ſeyn wird. Noch ein Vorſchlag waͤre dieſer, daß alle junge Ju - den, welche ihre Beſitzungen zu Kriegsdienſten ver - pflichten, zu gewiſſen Zeiten in den Waffen geuͤbt wuͤrden. Wenigſtens muͤßte man jedem Juden, der Grundſtuͤcke ankaufte, von denen Kriegsdienſte gelei - ſtet werden muͤſſen, dieſe Verbindlichkeit erklaͤren. Waͤre er ſelbſt, wie dieſes anfangs der Fall ſeyn duͤrf - te, unfaͤhig ſie zu erfuͤllen, ſo muͤßte er entweder eine verhaͤltnißmaͤßige Abgabe erlegen, oder, wenn dem Staate das Geld nicht den Werth eines Menſchen haͤtte, ſeinen Mann ſtellen, und dieſer, koͤnnte manQwohl242wohl mit Recht verlangen, duͤrfte kein Landskind ſeyn. Immer indeß muͤßte es noch dahin kommen, daß der Jude ſelbſt diente, weil dem Staate die fuͤr das Geld ſeiner Unterthanen geworbenen Fremden nicht iu allen Faͤllen und wenn ihre Zahl zu groß wird, jene erſetzen; und es wird dahin kommen, wenn man nur den Plan zu Veredelung der Nation im Ganzen, nicht bloß in einzelnen Theilen, aus - fuͤhrt, eine freylich nothwendige Bedingung. Wo Localhinderniſſe dieſes nicht erlauben, da darf man natuͤrlich auch nicht die ganze Wirkung erwar - ten. Truͤgt mich meine Hofnung und ſollten die In - den wider alle moͤgliche Wahrſcheinlichkeit, auch bey dem vollkommenſten Genuß buͤrgerlicher Rechte, noch immer, wenn es auf die Vertheidigung der Ge - ſellſchaft ankoͤmmt, ein Verbot des Himmels vor - ſchuͤtzen, nun ſo habe ich nichts dagegen, daß man ſie wieder aus dem Lande weiſet, oder wenigſtens ſie wie Quaͤcker und Mennoniſten nur in geringer An - zahl und unter gewiſſen Einſchraͤnkungen duldet.

Auf die Bedenklichkeit, daß der Jude nicht gegen ſeine Glaubensbruͤder um des Zwiſtes der Chriſten willen, werde fechten wollen, antworte ich, was ich ſchon oft geſagt habe: man mache den Juden zum Buͤrger, und bringe es dahin, daß ſein Buͤrger -Bruder243Bruder ihm lieber werde, als der, mit dem er nichts, als einige ſpekulative Meynungen gemein hat. Und wir haben ja der Beyſpiele genug, daß zwiſchen den durch dieſe Gemeinſchaft der Meynungen vereinten Voͤlkern, doch recht ernſtliche Kriege gefuͤhrt ſind, ſo wie zwiſchen denen, die zu einer Hauptnation ge - hoͤren, eine Sprache, gleiche Sitten haben. Wie oft haben nicht Katholiken gegen Katholiken, Deut - ſche gegen Deutſche gefochten. Man muß in Unter - ſuchungen dieſer Art ſich nie die Wirkung einer Ur - ſache abgeſondert und einzeln, ſondern immer, wie ſie in der Natur ſind, mehrerer vereint und eine die an - dere beſtimmend denken.

Hrn. Michaelis Einwurf wegen des den Ju - den abgehenden Soldatenmaaſes duͤrfte ſich dann auch wohl heben laſſen. Ich habe nicht genug Ju - den geſehen, oder beobachtet, um zu wiſſen, ob die Bemerkung richtig ſey; waͤre ſie es, ſo habe ich zu der beſſern Behandlung und voͤlligen Umbildung der Nation auch das Vertrauen, daß ſie, wie in allen buͤrgerlichen Vollkommenheiten, ſo auch in der Lei - beslaͤnge zunehmen werde. Bis dahin darf der He - braͤer freylich auf die Stelle eines Fluͤgelmanns kei - nen Anſpruch machen, aber die Ehre fuͤrs Vater - land zu ſterben, kann ihm darum doch werden. SieQ 2iſt244iſt auch itzt nicht nothwendig an gewiſſe Zolle gebun - den, und es giebt Arten von Truppen, die auch klei - ne Leute gebrauchen koͤnnen.

Wichtiger iſt die Bemerkung, auf die mich eben dieſer Gelehrte geleitet hat, daß die Schwierigkeit, von der hier die Rede iſt, auch anfangs nicht fuͤr alle Staaten gleich ſeyn werde, nachdem naͤmlich es ihnen mehr oder weniger leicht faͤllt, die ſtehenden Truppen, welche ihre politiſche Verhaͤltniſſe erfodern, aus ihren Eingebornen zu unterhalten. In einigen unſrer groͤßern Reiche iſt gar keine Zwangwerbung nothwendig, die Armee beſteht bloß aus Freywilll - gen. Frankreich koͤnnte ohne Druͤckung und vielmehr zum Vortheil des Landes, wenigſtens noch 40000 Mann Landtruppen mehr halten, als es itzt hat: hier koͤnnte alſo eine ſehr große Menge Juden, auch wenn ſie in funfzig Jahren noch nicht zu Kriegsdien - ſten faͤhig waͤren, nicht den mindeſten Nachtheil brin - gen, und in den oͤſterreichiſchen und ruſſiſchen Staaten wuͤrde dieſes ohngefehr derſelbe Fall ſeyn. Aus dem entgegengeſetzten Grunde tritt er auch in den kleinern Staaten, z. B. faſt allen deutſchen, ein, welche nicht durch ihre eigne Macht, ſondern bloß durch Verbin - dungen und die gegenſeitige Eiferſucht ſich vor der Unterdruͤckung der Maͤchtigern ſchuͤtzen koͤnnen, undbey245bey denen es eine fuͤr manche dieſer Laͤnder nur zu trau - rige Thorheit iſt, mehr Truppen zu haben, als ſie aus ihren eignen Einkuͤnften und ohne ſie von Zeit zu Zeit zu verkaufen, unterhalten koͤnnen Ihrem wahren Vortheil gemaͤß ſollten alle dieſe Staaten ſich nur zum Zweck machen, eine vorzuͤglich gute Landmi - litz zu haben, und, nach dem ſchon angefuͤhrten Muͤnſte - riſchen Beyſpiel, ihre junge Mannſchaft fleißig in den Waffen uͤben, um immer zur Vertheidigung bereit zu ſeyn; von regulirten Truppen aber ſollten ſie nicht mehr halten, als die innere Sicherheit und der von denſelben durch vermehrte Induͤſtrie nach vernuͤnftigem Calcul zu erwartende Wohlſtand erforderten, aber dabey eine durch keine eingeſchraͤnkte Eiferſucht unterbrochene, feſte Aſſociation unter ſich bilden und mit derſelben ſich an diejenigen großen Maͤchte anſchließen, deren eig - nes natuͤrliches Intereſſe ihre Vertheidigung erfor - dert und von denen ſie nur Schutz, nicht Unterdruͤckung erwarten duͤrfen. Sollten unſere deutſche Regenten dieſen in der Natur der Sache gegruͤndeten Plan noch mehr als bisher befolgen, und mich duͤnkt man darf es von der immer mehr verbreiteten Erleuchtung und der durch Erfahrung begruͤndeten genauern Kennt - niß ihres wahren Intereſſe erwarten; ſo duͤrfen ſie, wenn auch die Juden in betraͤchtlicher Zahl ſich beyQ 3ihnen246ihnen einfinden ſollten, durch ſie keinen Abgang an Vertheidigern beſorgen. Wenn ſie nur gleich andern in den Waffen geuͤbt werden; ſo kann ein kleiner Staat es ruhig abwarten, daß ſie anfangs zur Land - militz und allmaͤlig zu den ordentlichen Truppen faͤ - hig werden. Aber freylich einem Regenten, der den Werth ſeiner Unterthanen nur darnach berechnet, wie er ſie in baares Geld umſetzen kann, duͤrften die Hebraͤer vors erſte noch keine gangbare Waare ſeyn.

Die bisher angezeigten Gruͤnde ſind, ſoviel ich weiß, diejenigen, welche man der Moͤglichkeit die Juden zu voͤllig gleichen und nuͤtzlichen Gliedern der Geſellſchaft zu erheben, uͤberhaupt entgegen geſetzt hat. Ich gehe nun zu denen uͤber, durch welche man zwar nicht dieſe Moͤglichkeit hat beſtreiten, aber die mit der Sache verbundne große und die Ausfuͤhrung meines Plans mehr oder weniger beſchraͤnkende Schwierigkeiten hat beweiſen wollen.

I.

Die Juden ſind zum Ackerbau nicht wohl faͤhig. Erſtlich haben wir in den meiſten eu - ropaͤiſchen Staaten nicht genug unbebauetes Land mehr, welches man ihnen dazu anwei -ſen247ſen koͤnnte, und haͤtten wir es, ſo wuͤrde die - ſes mit großen Vorſchuͤſſen fuͤr den Staat ver - bunden, und dieſe an die nachgebohrnen Soͤh - ne der itzigen Bauern oder auch an fremde Chriſten beſſer verwandt ſeyn. Dann ſind die Juden auch an den unausgeſetzten Fleiß und die ſtarke Arbeit nicht gewoͤhnt, welche der Ackerbau fodert. Ihr Geiſt iſt dazu zu unru - hig, und es fehlt ihnen an Leibesſtaͤrke. Das Geſetz, welches ihnen nicht erlaubt, mit Chri - ſten zu eſſen, wuͤrde einen juͤdiſchen Landwirth noͤthigen, entweder bloß chriſtliches oder bloß juͤdiſches Geſinde zu waͤhlen, und den armen Juden hindern, ſich als Knecht bey einem chriſtlichen zu vermiethen, und dieß waͤre doch ſehr nuͤtzlich, um die Nation nach und nach zu wirklicher eigener Feldarbeit, nicht bloß zu deren Direction, womit dem Staat nicht ſo - viel gedient iſt, zu gewoͤhnen. Auch laͤßt ſich keine Landwirthſchaft ohne die vortheilhafte Schweinzucht denken; womit ſoll der Jude ſein Geſinde ſpeiſen, wenn er kein Schweine - fleiſch ihnen geben darf? was ſoll er mit dem Fleiſch anderer Thiere machen, bey deren Schlachtung nicht der geſetzlich beſtimmteQ 4Schnitt248Schnitt beobachtet iſt? Alle dieſe Dinge muͤß - ten wenigſtens die Landwirthſchaft fuͤr einen Juden ungleich koſtbarer und ſchwieriger ma - chen, als ſie es fuͤr den Chriſten iſt, ihn alſo noͤthigen, entweder ſeine Producte theurer im Preiße zu halten, oder nicht ſo gut, wie dieſer, zu beſtehen.

Wenn ich den Wunſch aͤußerte, daß man den Juden auch den Ackerbau erlauben moͤchte, ſo war ich weit entfernt zu verlangen, daß man ſie in die - ſer, ſo wie in irgend andrer Abſicht, vorzuͤglich und vor andern beguͤnſtigen moͤchte. Nur die Freyheit, Grundſtuͤcke zu kaufen oder zu pachten[u]nd zu bear - beiten, war alles, was ich glaubte, daß der Staat ihnen bewilligen muͤßte, wenn er von ihnen gleiche Vortheile, wie von andern Buͤrgern, erwarten wollte. Sicher darf man bey einer ſolchen freyen Concurrenz nicht beſorgen, daß die Juden, welche des Landbaues ungewohnt ſind und ſeine ſtaͤtige, bin - dende Beſchaͤftigung nicht lieben, den Bauer von dem Boden, auf dem er geboren iſt und an dem ſeine ganze Neigung haͤngt, verdraͤngen werden. Um allen Nachtheilen zuvorzukommen hatte ich ſchon ſelbſt bemerkt, daß große juͤdiſche Guͤterbeſitzer nicht die vortheilhafteſten fuͤr den Staat ſeyn wuͤrden, undum249um zu verhindern, daß nicht zu vieles Land an ein - zelne reiche Hebraͤer kaͤme, ehe noch die Nation zu allen buͤrgerlichen Pflichten gereift waͤre, den Vor - ſchlag gethan, daß man jedem juͤdiſchen Landbauer zur Pflicht machen ſolle, eine gwiſſe Anzahl juͤdiſcher Knechte zu halten. Auch die Einſchraͤnkung, welche ſo lange die Nation nicht zu Kriegsdienſten ſich durch - aus faͤhig erprobt habe, beſonders dem Erwerb des Bodens geſetzt werden muͤſſe, habe ich mehr als ein - mal in Erinnerung gebracht. Den Juden auf Ko - ſten des Staats zum Ackerbau vor andern zu ermun - tern, habe ich nicht verlangt, nur, verſteht ſich nach meinen Grundſaͤtzen von ſelbſt, alsdann Gleichheit fuͤr ihn ausbedungen, wenn der Staat zur Cultur bisher noch unbebaueten Landes, zum Bau gewiſſer bisher noch nicht gewoͤhnlicher Producte, oder uͤber - haupt zu jeder Erweiterung der Cultur, durch Be - lohnungen die Buͤrger zu reitzen gut finde. Nur fuͤr dem gewoͤhnlichen fremden Coloniſten, glaube ich, muͤßte hier der einheimiſche Jude, der uͤbrigens feſtgeſetzte Bedingungen erfuͤllt, den Vorzug haben; auswaͤrtige Juden aber durch Vortheile zum Acker - bau oder irgend einer andern Beſchaͤftigung ins Land zu locken, wuͤrde ich, wie ich ſchon erklaͤrt habe, nie anrathen. Daß auch bey Unternehmungen, wo derQ 5Staat250Staat, um nicht zu verlieren, vorzuͤgliche Kenntniſſe und Erfahrung im Landbau bey dem Ausfuͤhrer fo - dern muß, der den Vorzug verdiene, welcher ſie be - ſitzt und der Jude, der guten Willen nicht mit noͤ - thiger Kenntniß vereint, wenn er zu ſolchen Verſuchen ſich draͤngen wollte, abgewieſen werden muͤßte, ver - ſteht ſich von ſelbſt.

Mich duͤnkt, bey dieſen genauen, nicht in Will - kuͤhr ſondern in der Natur der Sache liegenden Be - ſtimmungen, duͤrfen die bisherigen Beſitzer des Lan - des im mindſten nicht beſorgen, durch die den Ju - den auch ertheilte bloße Faͤhigkeit, Land zu bauen, verdraͤngt oder auf einige Weiſe gefaͤhrdet zu werden. Heißt das dem Ackerbau ſchaden, wenn man die Zahl derer, die ihn treiben koͤnnen, vergroͤßert? wird den itzigen Beſitzern der Grundſtuͤcke dadurch leyd gethan, wenn ſich Mehrere finden, die ſie ihnen abkaufen oder pachten koͤnnen? Muß nicht die vermehrte Concurrenz die wohlthaͤtige Folge haben, den Werth liegender Gruͤnde zu erhoͤhen? wird nicht die groͤßere Zahl Haͤn - de, die mit der Cultur zu beſchaͤftigen ſich draͤngen, ſie zu hoͤherer Vollkommenheit leiten? Iſt hier nicht bloß der Vortheil fuͤr Staat und einzelne zu erwar - ten, den zunehmende Bevoͤlkerung uͤberall gewaͤhrt? Dieſe Folgen fließen ſo natuͤrlich ab, die Richtigkeitdieſer251dieſer Saͤtze, ſobald man ſie nur deutlich denkt, iſt ſo unverkennbar, daß ich mich unmoͤglich laͤnger bey ihnen verweilen kann, auch ſchon das Geſagte fuͤr uͤberfluͤßig gehalten haben wuͤrde, wenn nicht die ge - machten Einwuͤrfe das Gegentheil bewieſen. Ich darf indeß itzt wohl vorausſetzen, daß ein den Juden er - theiltes Recht, die Erde zu bauen, kein Unrecht, vielmehr eine Wohlthat fuͤr ihre Mitbuͤrger ſey. Nun noch etwas uͤber die Frage: ob die Juden faͤhig ſeyn werden, dieſes Recht, wenn man es ihnen be - willigte, wirklich zu benutzen?

In unſern meiſten Staaten, ſagt man, iſt Gott - lob! der Ackerbau ſchon ſo bluͤhend, daß wenig oder gar kein unurbares Land mehr uͤbrig iſt, das man den Juden uͤberlaßen koͤnnte? Gut, wo dieſes der Fall iſt, koͤnnen freylich die Juden keine Grund - ſtuͤcke erwerben. Die ihnen dazu ertheilte Freyheit wird alſo keine weitre Folge habe, als daß in einzelnen Faͤllen des Verkaufs und Verpachtung der Guͤter auch Juden die Concurrenz vermehren, oder daß ſie als Knechte und Tagloͤhner ſich vermiethen. Iſt hiezu gar keine Gelegenheit, ſo werden die Juden ſich zu andern Nahrungswegen wenden. Der Staat kann hiebey ruhig zuſehen, die natuͤrliche Verhaͤlt - niſſe der Dinge thun hier alles. Dieſe allein, keineVerfuͤ -252Verfuͤgung der Regierung, muͤſſen, einzelne Faͤlle ausgenommen, die Zahl der Arbeiter jeder Art ver - theilen, einſchraͤnken, vergroͤßern. Man gebe nur jedem die Freyheit das und ſoviel zu arbeiten, als La - ge und Umſtaͤnde erlauben; ſo wird alles am beſten gehn. Aber ſollte es auch wohl mit der Voraus - ſetzung, daß in den meiſten europaͤiſchen Staaten kein Land mehr zum Ackerbau uͤbrig und er ſchon ſo weit getrieben ſey, um keine Haͤnde mehr zu beduͤr - fen, ſeine Richtigkeit haben? Ich geſtehe, daß ich mich hievon nicht uͤberzeugen kann. Ich will nicht von Rußland und Schweden reden, wo in gewiſſen Provinzen die Natur vieleicht der hoͤchſten Cultur des Bodens immer entgegen ſeyn wird; nicht von den großen Provinzen der oͤſterreichiſchen Monarchie, wo ein beſſerer Boden nur Haͤnde erwartet, welche die Weisheit der Regierung ihm itzt durch alle Mittel zu verſchaffen ſucht; nicht von Spanien, Portugall, manchem Theile Italiens, Pohlen, wo Aberglaube Unwiſſenheit der Regierung, genaͤhrte Traͤgheit der Einwohner und gekraͤnktes Menſchenrecht, den ſchoͤn - ſten Theil der Erde zur Wuͤſte machen. Aber auch ſelbſt in den fruchtbarſten, bebauteſten Laͤndern von Europa, deren Bevoͤlkerung die verhaͤltnißmaͤßigſt groͤßte, deren Regierung ſchon ſeit Jahrhundertenthaͤtig253thaͤtig und a[u]fgeklaͤrt, auf die beſtaͤndige Erhoͤhung ihres Wohlſtandes gerichtet iſt, ſollte auch in dieſen Laͤndern der Ackerbau ſchon zu der Vollkommenheit gebracht ſeyn, deren er faͤhig waͤre? Werden in dieſen Landen ſchon alle Producte erzeugt, die der verſtaͤndi - ge Bearbeiter dem Boden ablocken koͤnnte? werden dieſe Producte in der moͤglichſten Menge und Voll - kommenheit hervorgebracht? traͤgt jeder Boden das, was nach allen Verhaͤltniſſen ihm zu entziehn der groͤßte Vortheil waͤre? iſt jedes von Natur nicht fruchtbare Grundſtuͤck durch Kunſt ſo verbeſſert, als es zu werden empfaͤnglich iſt? wo iſt das Land, wel - ches dieſes ſtolzeſten Ruhms ſich ruͤhmen koͤnnte? und wo iſt alſo das, welches Haͤnde, die ſeinen Landbau erweitern und erhoͤhen wollen, abweiſen, welches ſie nicht dankbar einladen duͤrfte? So lan - ge noch nicht alles Land, in der Vollkommenheit be - arbeitet iſt, wie es beym Gartenbau geſchieht, we - nigſtens ſo lange es nicht alle Producte hervorbringt, welche die groͤßtmoͤglichſte Bevoͤlkerung, deren er faͤ - hig iſt, und alle erreichbare Handelsverhaͤltniſſe kon - ſumiren koͤnnen; ſo lange hat ein Staat auch noch nicht ſeinen Landbau zu einer unuͤberſchreitbaren Stu - fe von Vollkommenheit erhoͤhet. Und mit Sicher - heit kann ich behaupten, daß noch kein Staat inEuropa254Europa dieſe Stufe erſtiegen habe; ſogar iſt keiner, der nicht noch mehr oder weniger ganz unbebauetes Land in ſeinem Umfange einſchloͤße. England hat unſtreitig den bluͤhendſten Ackerbau, den die gluͤckliche buͤrgerliche Freyheit, weiſe Geſetze, durch Erfahrung gereifte und durch Reichthum unterſtuͤtzte Einſichten hervorbringen mußten. Und doch klagen ſeine Pa - trioten uͤber die Menge wuͤſten oder wenigſtens noch nicht genug bebaueten Landes; Klagen, in denen, wenn man auch abrechnet, was zuweilen der Geiſt der Parthey uͤbertreiben mag, doch immer noch viel wahres bleibt. In Frankreich, dieſem durch Clima, Boden und Lage ſchoͤnſten Reiche von Europa, liegt nach der Schilderung eines neuern einheimiſchen Schriftſtellers*)Dupont du Commerce des Indes, p. 36. , ein Viertel des Landes voͤllig ungebauet; zwey Viertel brin - gen den vierten Theil von dem hervor, was ſie her - vorbringen koͤnnten, wenn ſie beſſer angebauet waͤ - ren; und das letzte Viertel welches den beſten Bo - den und die beſte Cultur hat, koͤnnte doch noch ein - mal ſo gut bebauet werden, alſo noch einmal ſo viel hervorbringen, als itzt. Freylich iſt der Mann, von dem dieſe Beſtimmung ſich herſchreibt, ein eifri - ger Anhaͤnger des phyſiokratiſchen Syſtems, und esließe255ließe ſich denken, daß er aus wohlwollender Abſicht, die Vermehrung des reinen Ertrags zu empfehlen, den itzigen Zuſtand der Dinge ſchlimmer, als er wirklich iſt, vorgeſtellt habe; indeß laͤugnet doch auch ſelbſt die Gegenparthey nicht, daß es noch viel unbebauetes Land in Frankreich gebe, wenn ſie gleich die Vorſtellungen der Oekonomiſten fuͤr uͤbertrieben haͤlt*)S. Galliani Dialogue ſur le Commerce de bled p. 142. , die aber doch Jedem, der die neuere Geſchichte und bisherige innere Regierung von Frankreich kennt, nicht ſo ſehr unwahrſcheinlich duͤnken koͤnnen. Und in unſerm Deutſchland duͤrfen wir es laͤugnen, daß wir noch eine Menge ganz unbebauetes Land haben? Machen nicht die weitlaͤuftigen Diſtrikte, welche die wohlthaͤtige Weisheit des letztern und noch mehr des itzigen Preußiſchen Monarchen urbar gemacht hat, eine wichtige Provinz aus, durch die der Staat ver - groͤßert worden? wird nicht noch in dem Augenblick, da ich dieſes ſchreibe, in dieſem Staat mit dieſer edel - ſten aller Vergroͤßerungen fortgefahren? und haben die meiſten uͤbrigen deutſchen Laͤnder der Wuͤſten we - niger, wenn ſie gleich nicht durch deren Wegſchaf - fung uns an ihr Daſeyn auf eine ſo ruͤhmliche Art erinnern? Und dann in welchem Theile unſers ge - meinſchaftlichen Vaterlandes wird der Landbau, ichſage256ſage nicht mit der Vollkommenheit, deren er faͤhig waͤre, ſondern nur wie in England (verſteht ſich in einiger Allgemeinheit) getrieben? In welchem wer - den nur alle die Verbeſſerungen wirklich benutzt, die ſchon die Erfahrung bewaͤhrt geſunden hat? Welche ganz neue Aufnahme duͤrfte ſich nicht der deutſche Landbau verſprechen, wenn nur erſt die leyder! noch immer fortdauernde Leibeigenſchaft des Bauern in allen ihren Gattungen und Stuffen, und die Frohndienſte, nach dem vortreflichen Muſter der Chur - Hannoͤveriſchen und Oeſterreichiſchen Lande, allgemein verbannt waͤren; wenn in manchen deutſchen Staa - ten nicht ein unverhaͤltnißmaͤßiger Militaͤretat den Landmann niederdruͤckte und entkraͤftete! Und welch eine Menge von Menſchen wuͤrde der Ackerbau noch beſchaͤftigen, welch eine erweiterte Production ließe ſich erwarten, wenn man einmal anerkennte, daß die Landesherrlichen Domainen nicht vortheilhafter, (auch bloß im cameraliſtiſchen engern Sinn nicht vortheilhafter) benutzt werden koͤnnen, als wenn man ſie in Bauerguͤter vertheilt und dieſe in Erbpacht uͤberlaͤßt. Nicht nur die Theorie hat dieſe Vortheile bewieſen, das große Muſter in Boͤhmeit*)Dieſe wichtige, die Aufmerkſamkeit aller Staatenver - hat ſiefaſt257faſt uͤber alle Zweifel erhoben. Noch weit fruͤher zwar, naͤmlich bereits im Anfange dieſes Jahrhun - derts, und vielleicht unter allen deutſchen Landen zu - erſt, hatte man dieſe vortrefliche Einrichtung in den Preußiſchen Staaten eingefuͤhrt*)Man findet hievon eine ſehr lehrreiche und authen - tiſche Nachricht in den hiſtoriſch - politiſch - geo - graphiſch-ſtatiſtiſchen, militaͤriſchen Beytraͤgen die Koͤnigl. Preußiſche und benachbarte Staa - ten betreffend, II, p. 26 u. ſ. w. Gruͤnde und Ge - geng uͤnde ſind hier genau geſamlet; letztere haben damals obgeſiegt, ſie ruͤhren unſtreitig von ſehr praktiſchen Geſchaͤftsmaͤnnern her, ich bin aber von ihnen nicht uͤberzeugt worden, ob es mir gleich ſehr angenehm geweſen, ſie in ihrer ganzen Staͤrke ken - nen zu lernen., und vermuth -lich*)verdienende Unternehmung iſt umſtaͤndlich beſchrie - ben in einer im Jahr 1777 zu Wien gedruckten Schrift: Unterricht uͤber die Verwandlung der K. K. Boͤhmiſchen Domainen in Bauerguͤter. 4. aus der ich einen vollſtaͤndigen Auszug in meinen Materialien fuͤr die Statiſtick ꝛc. II, p. 252 u. ſ. w. geliefert habe. Lehrreiche Anmerkungen uͤber die - ſelbe findet man in des Hrn. Buͤſch vortreflichem Werke uͤber den Geldumlauf II, S. 402 u. f.R258lich iſt der Mann, der dieſes veranlaßte, ein Herr von Luben, der erſte Erfinder dieſer nach meiner Einſicht fuͤr das Wohl unſerer Staaten und die Gluͤckſeeligkeit der Menſchen aͤußerſt wichtigen Idee. Ihre Ausfuͤhrung wurde unter K. Friedrich I. bald wieder unterbrochen, und ein noch in neuern Zeiten gemachter aͤhnlicher Verſuch iſt gleichfalls nicht von Dauer geweſen und nicht allgemein geworden*)Von den Gruͤnden werden uns vermuthlich die Hrn. Verfaſſer der Geſchichte der Koͤnig!. Preuß. Do - mainen in der Fortſetzung der angefuͤhrten Beytraͤ - ge unterrichten..

Iſt alſo der Ackerbau noch einer ſolchen hohen Vollkommenheit und Erweiterung faͤhig, darf er die - ſelbe gewiß erwarten, wenn nur die beruͤhrten und andere Hinderniſſe gehoben ſind; ſo duͤrfen wir auch nicht beſorgen, daß wir der Haͤnde fuͤr ihn ſobald zu viel bekommen moͤchten. Gerade die Vermehrung der Haͤnde iſt nothwendige Bedingung, wenn jene Vollkommenheit je erreicht werden ſoll. Die immer fortſchreitende Vertheilung des Bodens in kleinere Guͤter, befoͤrdert deſſen beſſern und ſorgfaͤltigern An - bau, und ſo wie ſie zunehmende Bevoͤlkerung her - vorbringt, kann ſie ohne deren verhaͤltnißmaͤßige Groͤße nicht angefangen werden. Die zuletzt er -waͤhnte259waͤhnte Umſchaffung der Domainen iſt nicht moͤg - lich, wenn nicht Menſchen da ſind, welche die neuen Bauerguͤter erwerben und anbauen wollen, und je mehr Menſchen, deſto hoͤherer Werth derſel - ben und alſo deſto mehr Antrieb zur beſtmoͤglichſten Cultur. In keinem Lande werden der Menſchen hie - rinn zu viel ſeyn, aber in manchen koͤnnen ſie ſeh - len, ſo wie itzt in Ungarn und Temeswar dieß wirk - lich der Fall iſt, da man in Deutſchland zum Anbau der dort zertheilten Domainen Haͤnde ſucht. Sicher wird es alſo in unſern meiſten Staaten den Juden nicht an Gelegenheit fehlen, den Landbau ſey es als eigene Guͤterbeſitzer, Paͤchter, Tageloͤhner und Knech - te, zu treiben, wenn nur erſt das Recht dazu ihnen ver - liehen iſt und dieſes almaͤhlich die bisher unterdruͤckte Faͤhigkeit und Neigung bey ihnen weiter angefacht hat. Die erforderliche Leibesſtaͤrke und der ſtaͤtige Fleiß werden ſich in ein paar Generationen zuverlaͤßig ein - finden. Man kann dieß wenigſtens nicht ableugnen, ſo lange nicht die Probe der Erfahrung gemacht iſt.

Den Hinderniſſen, die man aus den juͤdi - ſchen Religionsmeynungen auch beſonders fuͤr den Ackerbau erwartet, ſetze ich wieder meine allgemeine Antwert entgegen: dieß iſt nicht Sache des Staats, ſondern bloß der Juden. Mag ihnen immer ihr Un -R 2terſchied260terſchied der Speiſen, die Koſtbarkeit derſelben und beſonders des Unterhalts des Geſindes, ihre Sab - bathsfeyer, den Landbau ſchwieriger als Andern ma - chen; dieß darf die Regierung nicht kuͤmmern, die deshalb gleiche Pflichten, wie von jedem andern Land - bauer, auch von dem juͤdiſchen, fodern muß. Zwey Wege ſind immer ſeiner Wahl frey. Entweder der Jude leidet dieſe Unbequemlichkeiten, iſt mit einem durch groͤßern Aufwand verminderten Gewinn ſeines Fleißes zufrieden, ſchraͤnkt ſich in ſeiner Lebensart und ſeinem Genuß mehr ein, und iſt dabey durch den Gedanken getroͤſtet, das heilige Geſetz ſeiner Vaͤter tren befolgt zu haben; oder er modificirt das Geſetz nach ſeiner aͤußern Lage und hoͤrt auf ein Jude, oder wenigſtens ein ſolcher, als er bisher war, zu ſeyn. Auch im erſtern Falle werden indeß die Schwie - rigkeiten zwar immer laͤſtig, aber doch nicht in dem Grade ſeyn, wie man es ſich gemeiniglich vorſtellt. Darf der Jude gleich kein Schweinfleiſch eſſen, ſo iſt ihm doch die Schweinezucht ganz unverboten. Es iſt ein ſehr unrichtiger und durch ein gemeines aber falſches Sprichwort unterhaltener Begriff, daß eine Sau ſchon das Haus eines Juden verunreinige, wie dieſes Hr. Michaelis bemerkt hat*)Siehe Moſaiſches Recht IV. Th. §. 202, wo ge -zeigt und auch dasNeue261Neue Teſtament es beweiſet, nach welchem in Palaͤ - ſtina zahlreiche Heerden Schweine, ohne Zweifel zum Handel mit Fremden oder nicht iſraelitiſchen Landeseinwohnern, ſich fanden. Der Schweine - handel wird auch itzt unter uns von Juden getrieben, und dieſer ihre Landwirthſchaft wuͤrde alſo der Schweinezucht gar nicht entbehren duͤrfen. Sie koͤnnten vielmehr das Schweinefleiſch ſo wie die ihnen verbotenen Theile anderer Thiere zur Speiſung ihres nicht juͤdiſchen Geſindes gebrauchen, und ſie wuͤrden hiebey ſogar den Vortheil haben letztere, die eine bloß juͤdiſche Haushaltung nicht gebrauchen kann, nutzen zu koͤnnen. Die Schwierigkeit, ein gemiſch - tes juͤdiſches und chriſtliches Geſinde auf verſchiedeneR 3Art*)zeigt wird, daß der Unterſchied reiner und unrei - ner Thiere nichts anders, als die bey allen Voͤlkern ſich findende Sitte in Abſicht zur Nahrung gewoͤhn - licher und nicht gewoͤhnlicher Thiere ſey, die bey den Juden von Moſes durch geſetzliche Beſtaͤtigung bin - dender und bleibender gemacht worden, und ſich theils aus Nachahmung aͤhnlicher aͤgyptiſcher Sitte, theils einer im Clima von Palaͤſtina gegruͤndeten Diaͤte - tick, oder auch aus der Abſicht des Geſetzgebers, ſein Volk von den benachbarten immer abgeſondert zu erbalten, erklaͤren laſſe.262Art ſpeiſen zu muͤſſen, duͤrfte auch wahrſcheinlich nicht viel groͤßer ſeyn, als ſie es in vermiſchten pro - teſtantiſch katholiſchen Landen iſt, wo der proteſtan - tiſche Landwirth ſeinem katholiſchen Geſinde, an den woͤchentlichen und uͤbrigen vielen Faſttaͤgen, auch be - ſondere Speiſen bereiten laſſen muß. Das gemein - ſchaftliche Eſſen der Chriſten und Juden iſt uͤbrigens nicht verboten, wenn nur letztere ihre reine Speiſen haben, an denen die erſtern Theil nehmen oder neben ihnen an derſelben Tafel andere genießen koͤnnen. Bey den juͤdiſchen Knechten, die bey chriſtlichen Landwirthen ſich vermiethen, duͤrfte die Schwierig - keit groͤßer ſeyn, als umgekehrt, weil die Herrſchaf - ten ſich nicht gern ſo ſehr durch das Geſinde wuͤr - den einſchraͤnken laßen. Es koͤmmt aber hiebey auf das Beduͤrfniß der Knechte oder Tagloͤhner an, welche die Landwirthſchaft erfodert, da entweder chriſtliche Herrn auch dieſe koſtbaren Arbeiter gebrau - chen oder letztere ſich einen geringern Lohn wuͤrden gefallen laſſen muͤſſen, um ihre Mahlzeit nach dem moſatſchen Geſetz zubereitet zu erhalten.

Ich bin in dieſes Detail nur eingegangen, um zu zeigen, daß die Schwierigkeiten uͤberwindlicher ſind, als man geglaubt hat. Immer aber muß man es dem Juden allein uͤberlaſſen, es mit ihnen zu hal -ten263ten wie er will. Es gehoͤrt mit zu der Freyheit, die Jeder in der buͤrgerlichen Geſellſchaft mit Recht fo - dern kann, Laſten und Unbequemlichkeiten, die er ſich ſelbſt ans irgend einem Grunde aufzulegen fuͤr gut findet tragen zu duͤrfen, wenn er nur dabey ein brauchbares Glied der Geſellſchaft bleibt. Dieß kann der Jude, er mag es mit ſeinen Speiſen und Gebraͤuchen halten wie er will; ſein Acker wird gleich gut beſtellt werden, wenn es auch mit etwas mehr Beſchwerden und groͤßern Koſten fuͤr ihn geſchieht. Daß der Jude ſeine Producte im hoͤhern Preiße hal - ten werde, duͤrfte die Folge dieſer groͤßern Koſten, meiner Einſicht nach, nicht ſeyn. Die Concurrenz der uͤbrigen Landbauer wird dieſes nicht erlauben, und der Jude wird den groͤßern Aufwand, den ſein Geſetz nothwendig macht, nur ſich ſelbſt anrechnen, deſto ſparſamer leben und ſich mit einem geringern Gewinn begnuͤgen muͤſſen. Der Jude iſt auch zu einer ſehr weit gehenden Sparſamkeit ſchon gewoͤhnt, und es iſt eine Bemerkung, die man nicht uͤberſehen muß, daß dieſe oͤkonomiſche Tugend des Hebraͤers ihn in Stand ſetze, manche Schwierigkeiten und Aufwand, welche die Beobachtung ſeines Geſetzes hervorbringt, leichter zu ertragen. Es iſt dieſes ſchon itzt wirklich der Fall. Ein juͤdiſcher HaushaltR 4koſtet264koſtet unter ganz gleichen Umſtaͤnden in unſern Laͤn - dern allemal ein betraͤchtliches mehr als ein andrer, ſowohl wegen der hoͤhern Abgaben und mannigfachen druͤckenden Einſchraͤnkungen als auch wegen der Koſt - barkeit der nur erlaubten oder an Feſttagen vorge - ſchriebnen Speiſen. Und doch beſtehn verhaͤltniß - maͤßig und gewoͤhnlich die Juden beſſer in ihrer Oeko - nomie als die Chriſten. Ihre außerordentliche, erfin - deriſche oft uͤbertriebene, Sparſamkeit, ihre ungleich einfachere Lebensart, ihre g[r]oͤßere Entfernung vom Luxus auch bey den Wohlhabendern, ſind hievon nebſt ihrer klugen Benutzung aller, auch der kleinſten Vor - theile, der Grund. Wenn man ihre politiſche Un - tugenden herzaͤhlt, ſollte man nicht vergeſſen, auch dieſe wichtige politiſche Tugend dagegen wieder in Anſchlag zu bringen, die zuverlaͤßig ſowohl bey dem Ackerbau als jedem andern Nahrungswege manche Schwierigkeit, die wir in der Spekulation voraus - zuſehen glauben, wieder ausgleichen wird. Ueber die Hinderniſſe, welche die juͤdiſche Sabbathsfeyer dem Ackerbau entgegenſetzen moͤchte, werde ich mich, weil ſie uͤberhaupt bey allen Arten von Arbeit eintrit, unten noch in einem beſondern Artikel erklaͤren.

Der wuͤrdige Mann, welcher meine Schrift in der allgem. deutſchen Bibliothek beurtheilt hat,bemerkt,265bemerkt, daß die Juden im Preußiſchen immer Molkenwirthſchaft getrieben und Hollaͤndereyen ge - pachtet haͤtten, welches ihnen aber nachher ſey ver - boten worden, und wuͤnſcht zu wiſſen, ob dieß Ver - bot aus Beſorgniß der Unterſchleife, oder wegen ih - rer Ungeſchicklichkeit zur Sache gegeben ſey? Ich habe deßhalb Nachricht eingezogen und gefunden, daß weder das eine noch das andere, die Urſache die - ſes Verbots, ſondern daſſelbe allein in der allgemei - nen Judenverfaſſung dieſer Lande gegruͤndet geweſen. Nach dieſer ſind die Juden bloß auf gewiſſe beſtimm - te Gewerbe eingeſchraͤnkt und beſonders ihnen alle landwirthſchaftliche Arbeiten unterſagt. Sie haben alſo auch nie Molkenwirthſchaft treiben duͤrfen, aber es heimlich oft gethan, weil die Beſitzer und Paͤch - ter der Guͤter, gerade wegen der angefuͤhrten groͤßern Oekonomie den Juden, es vortheilhafter fanden ſie hierzu und eben ſo auch zum Brantweinbrennen (welches ihnen daher auch wirklich, im Dienſt Andrer erlaubt geblieben) zu gebrauchen. Dieſe Schleich - Boſchaͤftigung beweiſet alſo nur ein vorzuͤgliches Ver - trauen zu der Induͤſtrie der Juden, welche aber freilich, dem einmal beſtehenden Geſetz gemaͤß, nicht geduldet werden konnte.

R 5II. 266

II.

Die Juden ſind nicht wohl faͤhig Hand - werke zu erlernen und auszuuͤben, und die Schwierigkeiten, die ſich hiebey finden, ſchei - nen kaum uͤberwindlich.

Ich kann dieſen Einwurf nicht unpartheyiſcher in ſeiner ganzen Staͤrke, nicht in einem lichtvollen Detail darſtellen als es in der eben angefuͤhrten Beurtheilung geſchehen iſt, daher ich die ganze dieſen Gegenſtand be - treffende Stelle hier einruͤcke: Die uralten Gerechtſa - me ſagt ſener Recenſent, laſſen ſich nun freylich den chriſtlichen Zuͤnften ſogleich nicht nehmen! Geſetzt aber man wollte zum Beſten des ganzen Staats uͤber dieſe Gerechtſame der alten Buͤrger hinaus - gehen; wie wuͤrde es nun anzufangen ſeyn, daß die jungen Juden Handwerke lernten? Sie mußten doch bey Chriſten in die Lehre, denn wo ſind ſchon juͤdiſche Handwerker? oder wie wenig ſind deren? und von wie wenig Handwerken? Es wuͤrde in der That ſchwer ſeyn, uͤber die Vorurtheile des chriſt - lichen Handwerkers wegzukommen; zumal wenn er merkt, daß ihm und ſeinen Kindern die alten Ge - rechtſame genommen werden ſollten! Jedoch auch zugegeben, man braͤchte es durch Ueberredung und Belohnungen dahin, daß ein chriſtlicher Meiſter, ſeinen267 ſeinen eignen Vorurtheilen entſagte, den ihn ſicher erwartenden Haß und Verachtung aller ſeiner Gil - degenoſſen groͤßtentheils ſeiner Verwandten nichts achtete; wie ſoll das Lernen des jungen Ju - den eingerichtet werden? Soll er ordentliche Lehr - jahre unter der erforderlichen ſtrengen Zucht und Subordination unter chriſtlichen Meiſter und Geſel - len aushalten? Dazu wuͤrde ein Jude ſeinen Kna - ben nicht hergeben. Soll er aber gelinder und be - quemer gehalten werden, als der chriſtliche Lehr - jung? Der Vorzug wuͤrde den jungen Juden ſelbſt gewis zu einem ſchlechten Handwerker machen. Soll er bey dem Meiſter wohnen, ſchlaffen und eſſen? Die Einrichtung der meiſten Handwerke macht dieſes unumgaͤnglich erfoderlich, die Verfaſ - ſung des juͤdiſchen Ceremonialgeſetzes aber unmoͤg - lich. An ſeinen vielen Feyer - und Faſttagen darf er ohnehin nicht, und an unſern Sonn - und Feſt - tagen kann er, wenigſtens im Hauſe des Meiſters, gleichfalls nicht arbeiten. Soll er mit chriſtlichen Jungen zugleich lernen, oder nur mit ſeinen Glau - bensgenoſſen? Welches Unheil, und welche unauf - hoͤrliche Zaͤnkereyen wuͤrden im erſten Fall entſte - hen, und der andere wird ſchwer moͤglich zu ma - chen ſeyn. Und welche Handwerke ſoll der junge Jude268 Jude lernen? Zu allen denen die viel Leibeskraͤfte erfordern, fehlt es ihm gewoͤhnlich, wie der Verf. ſelbſt geſteht, an dieſen. Aber, die Nation ſoll durch die Uebung und ſtaͤrkere Nahrung, allmaͤhlig ſtaͤrker werden. Wo aber iſt dann anzufangen? und wie vertragen ſich die vielen Faſten, auch an Tagen wo die Juden arbeiten duͤrfen, mit den Ge - ſchaͤften des Schneiders, des Zimmermanns, des Tiſchlers? Inzwiſchen wenn der junge Jude aus einem Lehrlinge ein Geſelle wird? Daß die chriſtlichen Geſellen ihn nie an ihren Arbeiten und Einrichtungen werden Theil nehmen laſſen, wird jeder zugeſtehen, der Handwerksgeſellen kennet, und weiß, daß Vorurtheile durch keine Verordnun - gen koͤnnen abgeſtellt werden. Alſo bleiben die juͤdiſchen Geſellen wieder iſolirt; und da ſie theuer zu bekoͤſtigen ſind, wird es Muͤhe koſten, daß er bey chriſtlichen Meiſtern Arbeit erlangt. Wandern, welches doch bey vielen Handwerken ſo nuͤtzlich iſt, kann der juͤdiſche Geſell auch nicht wohl, wenn kei - ne Gildenverfaſſung fuͤr ihn da iſt; und alſo wird er ſchwerlich viel Geſchicklichkeit und Kenntniß ge - winnen. Aber dem allen ungeachtet werde nun der junge Jude Meiſter. Daß er in die Gilden nicht aufgenommen werden kann, giebt der Verfaſſer ſelbſt269 ſelbſt zu; aber er ſoll voͤllig frey arbeiten, und noch Freyjahre von Abgaben und Unterſtuͤtzungen ge - nießen. Aber ſcheint es nicht, als wenn man hier mit der beſten Abſicht eine Ungerechtigkeit begehe, wenn man dieſe neue Ankoͤmmlinge beſſer ſetzen woll - te, als die alten Buͤrger? Was oben wegen der doppelten Feſttage und theurer Bekoͤſtigung geſagt iſt, tritt nun bey dem juͤdiſchen Meiſter in vollem Maaße ein. Ein großer Meiſter, der viele Arbeiten uͤbernimmt, kann er ohnehin nicht werden. Dazu gehoͤrt bey den meiſten Handwerken, die Einrich - tung des Wanderns der Geſellen, wodurch er deren mehr oder weniger nach Maaßgabe der Arbeit erhal - ten kann. Chriſtliche Geſellen werden nicht leicht bey ihm arbeiten. Alſo wird Jude unter Juden bleiben, ihre Nationalabſonderung wird bleiben. Und die Schwierigkeit wegen der Gerechtſamen der Zuͤnfte, wird in manchen Laͤndern immer groß blei - ben, wo der Landesherr, nach der Verfaſſung ſie nicht aufheben kann, wenn er auch wollte. In den Preußiſchen Landen, wo man zum Beſten der Manufakturen ſchon außer den zuͤnftigen Wollen - und Seidenwebern auch unzuͤnftige Arbeiter dieſer Art zulaͤßt*)Dieß iſt nicht ganz richtig. Auch in den Manu -faktu -, wird die Sache ſchon leichter ſeyn, und270 und man koͤnnte da eher dem Juden ſolche unzuͤnf - tige Manufakturarbeiten verſtatten, ſo wie daſelbſt einige von ihnen freye und Mechaniſche Kuͤnſte ausuͤben.

Dieſer Einwurf iſt meiner Einſicht nach, unter allen von dieſer Claſſe, der wichtigſte; er iſt es um ſo mehr, je feſter und tiefer die Hauptſchwierigkeit, auf die es hier ankoͤmmt, in der Verfaſſung der meiſten unſerer Staaten gegruͤndet iſt und je gewiſſer doch die Beſchaͤftigung der Handwerke, nach meiner Mey - nung, auf die gewuͤnſchte Umbildung der Juden den gluͤcklichſten und baldigſten Einfluß haben wuͤrde. Ich will es verſuchen, meine Gedanken uͤber die Mittel, die man den beſchriebenen Schwierigkeiten entgegenſetzen koͤnnte, zu entwickeln, zweifle aber nicht, daß die Erfahrung bald noch ungleich beſſere darbieten und die Sache mehr erleichtern werde, als man es der Spekulation nach vorausſehen kann, wie dieß ſchon oft der Erfolg politiſcher Unterneh - mungen der Art geweſen iſt.

Die Beſchraͤnkung des Rechts zu arbeiten, wel -che*)fakturen arbeiten nur ſolche Unzuͤnftige, deren Ge - ſchaͤft ohnedem nicht zuͤnftig iſt. Aber eigentliche unzuͤnftige Weber koͤnnen auch hier nicht mit zuͤnf - tigen arbeiten.271che durch die Zunftverfaſſung in verſchiedenen Ge - werben und Handwerken hervorgebracht worden, iſt, duͤnkt mich, nach allgemeinen Grundſaͤtzen betrach - tet, ſowohl den natuͤrlichen Rechten der Glieder des Staats als deſſen wahrem Wohl in gleichem Grade zuwider, und ſchwerlich duͤrfte ein erleuchteter Staas - verſtaͤndiger in irgend einem Lande, das die Zuͤnfte noch nicht kennt, oder in Gewerben, die von ihnen frey geblieben, ihre Einfuͤhrung anrathen. Mit Recht glaube ich, kann man behaupten, daß die Zunfteinrichtung kein Gewerbe vollkommner gemacht, vielmehr oft gerade das Gegentheil hervorgebracht habe, und daß kein Grund dieſe Einſchraͤnkung bey gewiſſen Gewerben nothwendig erfodere, da andere nicht weniger ſchwere und verwickelte Kuͤnſte ohne ſie, gleiche, wo nicht hoͤhere Vollkommenheit er - reicht haben. Die Beſorgniß, daß bey verſtatteter Freyheit, einige Beſchaͤftigungen zu viele, andere zu wenige Haͤnde finden moͤchten, ſcheint mir kein großes Gewicht zu haben, da die natuͤrliche Conkur - renz hier die Graͤnzen meiſtens beſſer reiſt, als es der Klugheit auch der aufmerkſamſten Regierung moͤglich iſt. Die Unordnung, daß ein Menſch zu viele und verſchiedene Gewerbe anfangen, alſo in keinem etwas leiſten, durch keines ſich naͤhren wuͤr -de;272de; daß Andre zu den verſchiedenſten Beſchaͤftigun - gen abwechſelnd uͤberſpringen; daß der Schmidt die Nadel des Schneiders wuͤrde fuͤhren wollen, ſcheint mir zu wenig in der Natur des Menſchen gegruͤndet, um ſie mit Recht beſorgen zu duͤrfen. Daß dieſes von einer ploͤtzlichen mit Geraͤuſch angekuͤndigten Ab - ſchaffung der Zuͤnfte, die erſte Folge ſeyn koͤnne, laͤug - ne ich nicht, aber hievon gilt kein Schluß auf den natuͤrlichen Zuſtand der Dinge, wenn man ihn nicht geſtoͤrt haͤtte; und was in Frankreich bey Tuͤrgots Reformation, die nur fuͤnf Monate waͤhrte*)Im Maͤrz 1776 wurden von Tuͤrgor die Zuͤnfte aufgeboben, im Auguſt deſſelben Jahrs aber von ſeinem Nachfolger, Cluͤgny unter gewiſſen Modi - fikationen wieder hergeſtellt. Ich habe von dieſer wichtigen Veraͤnderung eine umſtaͤndliche Nachricht gegeben in meinen Materialien fuͤr die Statiſtik u. ſ. w. II, p. 32 u. f., ge - ſchah, giebt keinen Beweis von dem, was geſche - hen ſeyn wuͤrde, wenn die erſte Gaͤhrung ſich geſetzt haͤtte oder noch mehr, wenn die Reformation gar nicht noͤthig geweſen waͤre. Die Menſchen beſorgen die Angelegenheiten, die ihr eignes Wohl angehen, meiſtens dann am beſten, wenn man ſie nur machen laͤßt. Der wichtige Vortheil von Vertheilung derArbeit273Arbeit; die Feſtſetzung einer gewiſſen Lehrzeit (die freilich nach Verſchiedenheit der Faͤhigkeiten des Lehr - lings und nach der Muͤhe und den Koſten des Mei - ſters, ehe er ihn recht gebrauchen kann, durch einen Privatvergleich, immer verſchieden beſtimmt werden muͤßte); der Nutzen des Wanderns der Geſellen, die Pflege derſelben in Krankheiten; endlich die Verhin - derung ſchlechter Arbeit und Erhaltung des Credits beſonders in den Handwerken, welche fuͤr auswaͤr - tigen Markt arbeiten: dieſe, wie es mich duͤnkt, vortheilhafte Folgen der Zunfteinrichtung lieſſen ſich auch ohne dieſelbe erreichen. Denn es verſteht ſich von ſelbſt, daß wenn auch keine Zuͤnfte waͤren, doch dem Staat ſeine Oberaufſicht und Leitung der Ge - werbe und Nahrungswege bleiben muͤſſe, wie er die - ſe auch itzt wirklich bey unzuͤnftigen, wie bey zuͤnfti - gen ausuͤbt und auch immer (nur, wie ich glaube, nicht zu haͤufig, und eigentlich nur in auſſerordent - lichen Faͤllen) ausuͤben muß.

Ohngeachtet dieſer Ueberzeugung indeß halte ich doch in unſern meiſten, beſonders aber den deutſchen Staa - ten, eine voͤllige Abſchaffung der Zuͤnfte fuͤr ſehr bedenk - lich. Die Erfahrung, da man nur einzelne Mißbraͤuche verbannen wollen, hat ſchon gezeigt, wie ſchwer es ſey, in dieſem Fache zu reformiren. Unſere buͤrgerliche ſtaͤd -Stiſche274tiſche Verfaſſung iſt zum Theil (vorzuͤglich in den Reichsſtaͤdten) mit der zuͤnftigen genau verflochten; unſer Volk iſt einmal an ſie gewoͤhnt, hat ſogar ge - wiſſe Begriffe von Ehre an ſie geheftet; jeder Staat haͤngt hierin ſo ſehr von ſeinen Nachbarn ab, daß eine ploͤtzliche Abſchaffung wahrſcheinlich ſehr nach - theilige Folgen, vieleicht auf lange Zeit, vieleicht wich - tigere, als man vermuthen ſollte, hervorbringen duͤrfte. Mir ſcheint alſo in dieſer, wie in den mei - ſten politiſchen Unternehmungen, eine almaͤhlige, planmaͤßige Verbeſſerung, ſucceſſive Abſchaffung ein - zelner Mißbraͤuche, und eine gleichſam ſich ſelbſt bil - dende Umwandlung, das Rathſamſte. Die Ideen des Volks koͤnnen denn mit den Reformen der Re - gierung gleichen Schritt halten; man wird nicht ta - deln, was man kaum, da es geſchah, gewahr ward, und die Zuͤnfte werden nicht mehr ſeyn, ohne daß man ſie vermißt. Hier iſt nicht der Ort einen ſol - chen Plan genauer zu entwickeln; verſchiedene Ver - fuͤgungen, die zu ihm gehoͤren, ſind ſchon in meh - rern Staaten, auch durch die bekannten Reichsſchluͤſſe von 1731 und 1772, und in einzelnen de[u]tſchen Landen, beſonders im Preußiſchen durch noch beſtimmtere Ver - ordnungen gemacht; aber ich glaube, man muͤßte noch einige Schritte mehr thun*)Ueber das fuͤr und wider dieſer Materie iſt ſchonſehr.

Wenn275

Wenn indeß die Zuͤnfte in den meiſten Laͤndern noch beſtehen, auch, wie ich glaube, vors erſte und unter gewiſſen Beſtimmungen noch beſtehen muͤſſen; ſo iſt nur die Frage, ob und wie bey dieſer Ein - richtung die Juden zu Handwerken zugelaſſen werden koͤnnen?

S 2Einer

*)ſehr viel Gutes und auch praktiſch Brauchbares ge - ſagt, aber erſchoͤpft und auf beſtimmte, in den mei - ſten unſerer itzigen Staaten anwendbare Grundſaͤtze gebracht, ſchei[n]t ſie mir noch nicht. Die wichtigen Gruͤnde wider die Zunfverfaſſung ſind in neuern Zeiten vorzuͤglich von den Phyſiokraten, und unter den Deutſchen von Hr. Schlettwein mit ſehr viel Einſicht und Nachdruck entwickelt worden. Unter ihren Gegnern zeichnen ſich beſonders Hr. Schloſ - ſers Aufſaͤtze in den Ephemeriden der Menſchheit 1776 und 1777 durch aͤchten Scharfſinn und prakti - ſche Bemerkungen aus. Die Gruͤnde beyder Par - theyen und auch aͤlterer Schriftfteller findet man mit vielem Fleiße und ſehr gutem eigenen Urtheil ge - ſammlet in Hr. Firnhabers hiſtoriſch-polit. Be - trachtung der Innungen. Hannover 1782. 8. Auch in Hr. D. Kruͤnitz oͤkonom. Encyclopaͤdie Th. XXI, iſt der Artikel von den Handwerkern mit vielem Fleiß und der bekannten Beleſenheit die - ſes Gelehrten ausgearbeitet.

276

Einer der wichtigſten, wenn gleich noch nicht uͤberall in der Ausuͤbung, doch in den meiſten Laͤn - dern durch Geſetze laͤngſt abgeſchaften Handwerks - Mißbraͤuche iſt unſtreitig, die bey den Zuͤnften her - gebrachte Ausſchlieſſung gewiſſer durch ihre eigene oder ihrer Eltern Lebensart fuͤr unehrlich gehalte - ner Menſchen. Ich weiß es, daß Maͤnner von Einſicht, unter denen ich keinen groͤßern, als Hrn. Moͤſer*)S. Patriotiſche Phantaſien I. S. 287 u. ſ. w. II, S. 285 und an mehrern Orten., nennen kann, dieſer Einrichtung aus dem Grunde das Wort geredt haben, weil ſie die Reinigkeit der Sitten und ein gewiſſes Gefuͤhl von Ehre bey den Handwerkern erhalte, welche durch die Gleichmachung aller Art Menſchen und die Her - abſetzung der bisherigen Wuͤrde verlieren muͤßten. Gewiß ein Grund, der ſo wie jede ſittliche Folge ei - ner politiſchen Verfuͤgung, die aͤußerſte Aufmerkſam - keit der Regierung verdient. Eine etwas vermehrte Induͤſtrie kann ſicher den Schaden nicht erſetzen, den die Verminderung der auf Sitten und Recht - ſchaffenheit gegruͤndeten Ehrliebe des Volks ohnfehl - bar hervorbringen muß; und dieſe Ehrliebe fodert um deſtomehr Achtung, je ſchwerer ſie, einmal erſtickt, von dem Geſetzgeber wieder belebt werden kann. Ichglaube277glaube alſo allerdings, daß man die Handwerker nicht zwingen ſollte, Verbrecher oder auch uͤberhaupt unſittliche Perſonen gewiſſer Art, in ihre Verbin - dung aufzunehmen; ich ſchaͤtze ſogar ihre Delicateſſe, wenn ihnen auch ſchon ein ſehr ſtarker, obgleich nicht rechtlich erwieſener, Verdacht grober Verbrechen (wo indeß doch Mißbraͤuche durch die obrigkeitliche Auf - ſicht zu verhuͤten waͤren) hinlaͤnglicher Grund zur Ausſchlieſſung iſt; ich moͤchte ſogar die Nichtaufnah - me der unehlichen Kinder kaum tadeln, weil die Be - foͤrderung und Ehre des Eheſtandes und der Nach - theil der Ausſchweifung beſonders unter den gemei - nen Staͤnden ein zu wichtiger Gegenſtand fuͤr den Staat iſt, daß ihm nicht das Intereſſe einiger, ob - gleich ſchuldloſen Perſonen aufgeopfert werden ſollte*)Freylich erſcheint dieſe Materie aus einem andern Geſichtspunkte, nach ſehr wichtigen Gruͤnden, in einem andern Lichte. Die Begriffe ſind hier noch nicht bis zu der Deutlichkeit aufgehellt, die ihre Wichtigkeit verdiente, und zu der ein philoſophiſcher Kopf, der die Menſchen in verſchiedenen Lagen und Verhaͤltniſſen gruͤndlich kennte und ohne vorgefaßte Meynung lange und genau beobachtet haͤtte, ſie lei - ten koͤnnte. Mein Zweck erlaubt mir hier nicht, auch nur in die kleinſte Eroͤrterung dieſes ſo viel umfaſſenden Gegenſtandes auszugleiten.. S 3Mit278Mit dem Laſter und auch mit der Frucht des Laſters, Schande oder wenigſtens Unehre und Unbequemlich - keit in mehrern Abſtuffungen verbinden, iſt fuͤr das Gluͤck und die Sittlichkeit der Menſchen noth - wendig. Aber hier duͤnkt mich, muß auch feſte, nicht zu uͤberſchreitende Graͤnze ſeyn. Laſter, Ver - gehen, Unmoralitaͤt muß ſchaͤnden, trennen, dem, der damit befleckt iſt, laͤſtig fallen. Niemand ruͤh - re dieſe Schutzwehr der Tugend an! Sogar durch ungebuͤhrliche Verbindung geboren ſeyn bleibe eine Art von Ungluͤck fuͤr den, den es trift, wie phyſi - ſche Mißgeſtalt, weil das ſittliche und politiſche Gluͤck der Meiſten durch dieſes Vorurtheil wenn es eins iſt gewinnt. Aber keine Art der Arbeit, keine Beſchaͤftigung, kein Dienſt dem gemeinen Weſen und Mitmenſchem geleiſtet, keine Abſtammung aus dieſem oder jenen Land und Volk muß ſchaͤnden, muß entehren, muß von dem erſten aller Rechte dem, Kopf und Haͤnde nach eigner Wahl zu gebrau - chen, ausſchlieſſen koͤnnen. Ungereimt und keiner Ent - ſchuldigung faͤhig ſcheint es mir, wenn die Zuͤnfte noch itzt nicht, die Kinder der Leineweber, Muͤller, Schaͤfer, Trompeter, Pfeiffer und Zoͤllner zu - laſſen wollen, weil dieſe Beſchaͤftigungen zu des deut - ſchen Koͤnig Heinrich I. Zeiten, aus denen ſich un -ſere279ſere ſtaͤdtiſche Zunftverfaſſung herſchreibt, von Leib - eigenen getrieben wurden; wenn ſie Bader, Wund - aͤrzte und andere Beſchaͤftigungen theils aus gleichem Grunde, theils auch, weil ſie im zehnten Jahrhun - dert noch nicht in Deutſchland waren, ausſchließen; wenn ſie endlich mit gewiſſen Verrichtungen, die auf Befehl der Obrigkeit und zum gemeinen Nutzen ge - ſchehn, Schande verbinden, obgleich der Staat, fals ſich Niemand dazu faͤnde mit Geld und Ehre, die Gerichtsknechte, Bettelvoͤgte, Todtengraͤber, Nachtwaͤchter und Nachrichter wuͤrde bezahlen muſ - ſen. Mag immerhin, ehemals das Wort Unehre einen ganz andern Begriff, als itzt, gehabt und nur die Ausſchlieſſung vom Heerbann angedeutet; mag immer jeder Stand ſeine nur ihm gehoͤrige Ehre ge - habt haben, von der er freylich alle, welche auſſer ihm waren, ausſchloß, ohne ihnen deshalb Unrecht zu thun: es koͤmmt hier nicht auf den ehmaligen Sinn jener Worte, ſondern auf die Bedeutung an, welche unſer itziger Sprachgebrauch ihnen untergelegt hat; nicht auf die Verfaſſung, in denen jene Aus - ſchlieſſungen paſſend und nothwendig ſeyn mochten, ſondern auf die unſrigen, iu denen ſie ſchaͤdlich ſind. Ich kann daher nicht, wie Hr. Moͤſer, die Verfaſſer des Reichsſchluſſes von 1731, beſchuldigen, daß ſieS 4den280den Sinn des Worts: Unehrlichkeit verfehlt haͤt - ten, die ſie ſo vielen damit bisher bloß ihrer Lebens - art wegen Befleckten abnahmen. Sie mochten die altdeutſche Bedeutung dieſes Worts aus der Geſchich - te noch ſo gut wiſſen, ſo mußten ſie als Geſetzgeber auf dieſelbe durchaus keine Ruͤckſicht nehmen, und ſie nicht ſich abhalten laſſen, den fuͤr unſere Zeiten nothwendigen und wichtigen Grundſatz feſt zu ſetzen, daß kein Geſchaͤft oder Arbeit irgend Jemand ſchaͤnden und in dem heutigen Sinn des Worts unehrlich machen koͤnne. Sie konnten auch hie - rinn um ſo weniger Bedenken finden, da in Abſicht der meiſten ſogenannten Unehrlichen ihnen ſchon aͤltere Reichsgeſetze*)Naͤ[m]lich die Reichsabſchiede und Policeyord - nungen von 1530, 1548 und 1577. vorgegangen waren, deren Verfuͤgung die Reichsſchluͤſſe von 1731 und 1772 nur beſtaͤtigt und erweitert haben. Nicht eher als in dem letztern hat man es gewagt, auch den Kin - dern der Nachrichter die Erlernung der Handwerke zu geſtatten, doch mit der Clauſul, daß ſie die Lebens - art ihrer Eltern nicht getrieben haben muͤſſen, eine Nachgiebigkeit, die vieleicht ein zu allgemeines Vorurtheil noch erforderte, da der Reichsſchluß von17312811731 nur erſt die zweyte Generation dieſer Claſſe von Menſchen zunftfaͤhig*)Sogar noch mit der Beſtimmung, daß die erſte Generation wenigſtens 30 Jahre lang eine ſoge - nannte ehrliche Lebensart getrieben haͤtte. Siehe Keichsſchl. wegen Abſchaffung der Handwerks - Mißbraͤuche de 1731. Art. 4. Eine Einſchraͤnkung, die allerdings die Sache unmoͤglich zu machen ſchien, denn wie ſollte dieſe erſte Generation zu dieſer drey - ſigjaͤhrigen ehrlichen Beſchaͤftigung kommen, da ihr der Zugang zu derſelben verſagt war? Denn wenn gleich die unzuͤnfrigen Gewerbe dieſe Cloſſe nicht geradezu ausſchlieſſen, ſo macht doch auch hier das gar zu maͤchtige Vorurtheil ihre Duldung beynahe unmoͤglich. Dieſe Betrachtung hat in dem Reichs - ſchluſſe von 1772 die bemerkte Veraͤnderung bewirkt. zu erklaͤren wagte.

Ohne zu unterſuchen, ob vieleicht dieſe Nachgie - bigkeit nicht noch zu weit gehe**)Einige Reichsſtaͤnde waren wirklich der Meynung, daß auch diejenigen zu Handwerken zugelaſſen werden ſollten, welche die Arbeit der Nachrichter ſchon ge - trieben haͤtten, aber ſie verlaſſen wollten. Man vereinigte ſich indeß am Ende fuͤr ihre Ausſchlieſ - ſung, (jedoch mit Vorbehalt ihrer Ehrenhaftmachung und alsdenn obrigkeitlich zu verfuͤgenden Annah - me) weil man die gemeine Meynung zu empfind - lich anzugreiffen, und wegen der Verbindung derZuͤnfte glaube ich doch ge -S 5wiß282wiß behaupten zu koͤnnen, daß es dem Vorurtheil zu viel eingeraͤumt waͤre wenn man den Zuͤnften noch ferner geſtatten wollte, ſich durch die Annahme der Juden befleckt zu halten, denen doch Wiſſenſchaften, ſchoͤne und freye Kuͤnſte nebſt der Handlung in ihremweite -**)Zuͤnfte mit der ſtaͤdtiſchen Verfaſſung zu viele In - convenienzien beſorgte, der Fall auch ohnedem nur ſelten vorkommen wuͤrde. Auch mir ſcheinen dieſe Gruͤnde das Uebergewicht zu haben, nur, muß ich geſtehen, wuͤnſchte ich aus dem Reichsſchluß und den meiſten ſich darauf gruͤndenden deutſchen Lan - desgeſetzen den Ausdruck: die verwerfliche Arbeit ihrer Eltern, weg, weil dem Geſetzgeber eine ſo unentbehrliche Arbeit nicht verwerflich ſeyn darf. Auch will ich noch eine intereſſante Erfah - rung hier anfuͤhren, welche die Beſorgniß wider - legt, man moͤchte einen Mangel an Abdeckern und Nachrichtern haben, wenn man nicht die ungluͤck - lichen Nachkommen der itzigen auf immer an dieſes Geſchaͤft feſſelte, das, glaubt man, freywillig Nie - mand uͤbernehmen wuͤrde. Die Erwaͤhnung die - ſes Grundes auf dem Reichstage veranlaßte im Jahr 1771 in der Mark Brandenburg eine Unterſuchung uͤber das Herkommen dieſer Leute, und man fand, daß die Haͤlfte derſelben nicht Nachrichter zu Vaͤterngehabt,283weiteſten Umfange offen ſtehen und die ſo oft eines beſondern Vertrauens der Fuͤrſten in Muͤnz - und an - dern Geſchaͤften, nicht immer zum Vortheil der Un - terthanen, gewuͤrdigt ſind. Wenn die Geſetze es bis - her den Zuͤnften nicht zur Pflicht gemacht haben, auch juͤdiſche Knaben anzunehmen, ſo liegt der Grund davon ohne Zweifel darinn, daß von der einen Seite die Juden bis itzt eben ſo wenig Luſt als Faͤhigkeit zu den Handwerken bezeugten, und von der andern Seite, dieſe ihnen in den meiſten Laͤndern ausdruͤcklich unterſagt waren. Denn ſo gut ich auch die Staͤrke des Vorurtheils kenne, kann ich mich doch nicht uͤber - zeugen, daß eben die Geſetzgeber, welche die Unge - reimtheit anerkannten, die Soͤhne der Leinweber, Muͤller, Schaͤfer, Nachrichter, fuͤr unehrlich und zur Arbeit unfaͤhig zu halten, doch noch immer in Abſicht der Juden hierinn, wie der Poͤbel, gedacht und ſie gefliſſentlich uͤbergangen haben ſollten. Die Geſetzgebung hat auch in manchen Laͤndern in derThat**)gehabt, ſondern aus Noth, Verzweiflung und Lie - derlichkeit dieß Geſchaͤft freywillig uͤbernommen ha - be; dagegen hatten viele Soͤhne der hieſigen Ab - decker ſich in die Fremde verlaufen, wahrſcheinlich in der Abſicht dort unbekannt das Geſchaͤft, zu dem die Geburt ſie hier verdammte, zu verlaſſen.284That bewieſen, daß ſie dieſen Verdacht auf keine Weiſe verdiene, da ſie ſogar die Zigeuner, eine in dem Gedauken unſers Volks noch weit mehr verach - tete und allerdings auch verwildertere Menſchenart, der Handwerkszuͤnfte faͤhig erklaͤrt hat, wie dieſes ſchon durch ein Chur-Braunſchweigiſches Edict vom Jahr 1712*)Herr D. Kruͤnitz fuͤhrt daſſelbe an in der Oeco - nom. Encyclopaͤdie, XXI, S. 502. geſchehen iſt.

Ich ſehe alſo keinen Grund, warum man nicht die Zuͤnfte anhalten wollte, auch juͤdiſche Knaben in die Lehre zu nehmen. Anfangs muͤßte man freylich einigen Widerſtand erwarten, aber er wuͤrde ſich verliehren, wie er in Abſicht der durch die aͤlteren Ge - ſetze erſt zuͤnftig erklaͤrten Perſonen ſich allmaͤlig ver - lohren hat. In Deutſchland wuͤrde hiezu freylich ein allgemeiner Reichsſchluß erfodert werden, und wenn derſelbe, wegen des Antheils, den in den Reichs - ſtaͤdten die Zuͤnfte an Regierungsrechten haben, nicht zu bewirken waͤre, muͤßte zunaͤchſt eine Aſſociation mehrerer Staͤnde ſeine Stelle vertreten. Die großen Staaten, (vorzuͤglich die weitlaͤuftige und wohl ar - rondirte oͤſterreichiſche wie auch die preußiſche Mo - narchie koͤnnten hierinn ſchon mit groͤßerer Freyheit fuͤr ſich handeln, da ſie der Verbindung ihrer Hand -werker285werker mit fremden weniger beduͤrfen*)Es iſt uͤbrigens bekannt genug, daß auch ohne Reichsſchluß und Aſſociation jeder Reichsſtand dieſe, ſo wie andere Verſuͤg[u] ngen in Handwerksſachen, in ſeinem Lande allein zu treffen, vollkommen befugt iſt, da dieſes Recht allerdings mit zur Landesho - heit gehoͤrt, und nur wegen der Schwierigkeit der Ausfuͤhrung in einzelnen und beſonders kleinen Staaten, ohne Concurrenz der uͤbrigen und benach - barten, zu einem Gegenſtande der reichstaͤglichen Berathſchlagung gemacht iſt. Die Staͤnde haben ſich nicht nur dieſe ihre Befugniß, nach Befinden beſondere Ordnungen und Einrichtungen wegen der Handwerke zu machen, ſondern auch das Recht die Zuͤnſte ganz abzuſchaffen, ausdruͤcklich vorbehal - ten, wie dieſes noch 1672, da das Project des erſt 1731 mit der Kayſerlichen Ratifikation verſehenen Reichsſchluſſes entworfen wurde, geſchehen iſt. Merkwuͤrdig, wie ich aus den Comitialacten dieſes Jahrs erſehen habe, iſt, daß damals mehrere Stim - men ſehr nachdruͤcklich ſich fuͤr die gaͤnzliche und allgemeine Abſchaffung der Zuͤnfte erklaͤrten, die ſie der Induͤſtrie und Nabrung der Unterthanen ſehr nachtheilig bielten.. Sollte man indeß hiebey noch anfangs Bedenken finden, ſo wuͤr - de zunaͤchſt noch der gelindere Weg offen bleiben, denich286ich ſchon im erſten Theile bemerkt habe, daß man juͤdiſchen Handwerkern das Arbeiten erlaubte, auch ohne in eine Innung aufgenommen zu ſeyn, gegen die Bedingung, verſteht ſich, daß gleiche Laſten, wie von den Zunftgenoſſen, auch von ihnen getragen wuͤrden. Ich habe ſogar, weil ich es fuͤr ſo ſehr wichtig halte, die Juden bald zu dieſer Beſchaͤfti - gung zu leiten, einige Ermunterungen fuͤr die juͤdi - ſchen Handwerker vorgeſchlagen. Man hat dieſes fuͤr die zuͤnftigen unbillig finden wollen; ich kann aber nach folgenden Gruͤnden nicht ſo urtheilen. Die Anſtellung neuer unzuͤnftiger Meiſter kann den aͤltern keinen groͤßern Nachtheil bringen, als die ſie auch von neuen zuͤnftigen im gleichen Grade er - warten muͤſſen. Dieſer Anzahl kann bey allen ſoge - nannten ungeſchloſſenen und auch bey den geſchloſ - ſenen Handwerken nach dem Gutfinden des Lan - desherrn vermehrt werden, ohne daß die Innungen es wehren duͤrfen. Es iſt eine ſehr gewoͤhnliche Sa - che, daß bey allen Handwerken ſogenannte Frey - meiſter, welches gewoͤhnlich ſolche Leute ſind, denen an den Erforderniſſen der Zunft etwas abgeht, an - geſtellt werden, und in vielen Landen haben die Soldaten das Recht alle Arten von Gewerben und Handwerken zu treiben, ohne daß ſie einmal die Ab -gaben287gaben der uͤbrigen Buͤrger und Handwerker entrich - ten. Um ſo weniger koͤnnen dieſe alſo ſich beſchwe - ren, wenn der Staat auch juͤdiſche Arbeiter zu Frey - meiſtern erklaͤrte, und ihnen dabey eine Gewerb - und Nahrungsſteuer auflegte, die den Abgaben der zunftmaͤßigen Handwerker gleich kaͤme. Dieſes Mit - tel gehoͤrt uͤberhaupt vorzuͤglich zu denen, durch wel - che die Zunftverfaſſung almaͤhlig abgeaͤndert und vors erſte weniger nachtheilig gemacht werden koͤnnte. Wer zur Innung gehoͤrt, genieße ihre Vortheile in Abſicht des gegenſeitigen Beyſtandes, des beſſern Fortkommens in allen Laͤndern, wo noch Zuͤnfte ſind, der Unterſtuͤtzung bey der Wanderſchaft, des groͤßern Vertrauens des Publikums, wenn anders die Zunft - verfaſſung es einfloͤßen kann. Nur das Recht zu arbeiten werde, wenn es noch nicht allgemein freu gegeben werden kann, doch wenigſtens ohne Schwie - rigkeiten Allen verliehen, die auch ohne ihre Geſchick - lichkeit zunftmaͤßig erprobt zu haben, auf ihre Ge - fahr ſich von derſelben naͤhren wollen. Geſchickte und fleißige zuͤnftige Arbeiter werden durch dieſe ver - mehrte Concurrenz nicht leiden, und wuͤrde auch ihr Vortheil etwas gemindert, ſo muß er dem des ge - meinen Beßten nachſtehen. Eine zu große Vermeh - rung in einzelnen Handwerken darf man nicht be -ſorgen.288ſorgen. Wo Freyheit und eine weiſe, gemaͤßigte Aufſicht der Obrigkeit iſt, entſteht bald das richtige Verhaͤltniß jeder Art Arbeiter von ſelbſt, wie es La - ge und Umſtaͤnde jedes Orts erlauben.

So nuͤtzlich mir die haͤufige Anſtellung der Frey - meiſter zu Belebung der durch die Zuͤnfte beſchraͤnkten Induͤſtrie ſcheint; ſo billig und noͤthig halte ich es von der andern Seite, dieſen unzuͤnftigen Arbeitern (wie es doch in manchen Laͤndern geſchieht) durch - aus keine Vorzuͤge und Erleichterungen vor den zuͤnf - tigen zuzugeſtehen, ſondern ſie nicht groͤßern und ge - ringern, ſondern gerade denſelben Abgaben und La - ſten zu unterwerfen. In einzelnen Faͤllen koͤnnen indeß beſondere Gruͤnde Ausnahmen von dieſer Re - gel anrathen, und es ſcheint mir, daß der Zweck, die Juden zu der Arbeit des Handwerkers zu gewoͤh - nen und dadurch ſie zu beſſern Gliedern der Geſell - ſchaft umzubilden, eine ſolche Ausnahme rechtfer - tige. Ich habe deshalb nicht bloß die Erlaubniß auch außer der Zunft zu arbeiten, ſondern auch Frey - jahre von Abgaben und andere Ermunterungen fuͤr den anfangenden juͤdiſchen Handwerker gewuͤnſcht. Die aͤltern Buͤrger haben in ihrem zuͤnftigen Ge - werbe ſo Vieles durch groͤßere Geſchicklichkeit, Kund - ſchaft, meiſtens groͤßern Wohiſtand voraus, und dieJuden289Juden, welche zuerſt einen Verſuch mit Handwer - ken machen, werden dagegen mit ſo vielen Schwie - rigkeiten, Hinderniſſen, die ſie ſelbſt und andere ihnen bereiten, zu kaͤmpfen haben, daß nur dadurch einige Gleichheit zwiſchen beyden Theilen entſtehen kann, wem der Staat zutritt und letztere bey ihren groͤßern Laſten unterſtuͤtzt. Ohne dieſe Unterſtuͤtzung wuͤrden ſie ſchwerlich beſtehen koͤnnen und auch mit derſelben werden ſie gewiß noch lange den zuͤnftigen Handwerkern nicht merklichen Abbruch thun. Wenn die buͤrgerliche Verbeſſerung einer Claſſe von Men - ſchen, die im Lande geboren ſind, fuͤr daſſelbe noch wichtiger iſt, als die Vermehrung der Einwohner durch fremde Coloniſten, welche bloß durch Wohl - thaten und Vorzuͤge vor den alten Einwohnern, ge - lockt werden; ſo iſt der Staat gewiß noch eher berech - tigt, jenen als dieſen ſie zu billigen, und die uͤbrigen Un - terthanen koͤnnen dieſes nicht als ein Unrecht fuͤr ſie anſehen, da ohne dieſes Mittel der Zweck des allge - meinen Wohls nicht erreicht werden koͤnnte. Daß indeß dieſe Ermunterungen nur zu Ueberwindung der Schwierigkeiten des Anfangs und nur wenn ſie nicht entbehrt werden koͤnnen, bewilligt werden, daß ſie mit dieſen alſo aufhoͤren und die juͤdiſchen Handwer - ker bald moͤglichſt den uͤbrigen, auch in Abſicht derTAbga -290Abgaben, voͤllig gleich geſetzt werden muͤſſen, ver - ſteht ſich von ſelbſt.

Es bleibt noch der Einwurf, daß die Juden, man moͤchte ſie nun in die Zuͤnfte einfuͤhren, oder neben denſelben ihnen die Handwerke verſtatten wol - len, doch durch die Beobachtung ihres Ceremonial - geſetzes ſich unfaͤhig machten, von dieſen Vorthei - len Gebrauch zu machen. Der Junge kann nicht vom Tiſche ſeines Meiſters eſſen, nicht alle Tage arbeiten; der Geſelle nicht wandern; der Meiſter nicht Lehrlinge halten u. ſ. w. Ich antworte hie - rauf wieder zuerſt, daß es des Staats Sache nicht iſt, ob und wie die Juden die Rechte, die er ihnen anbietet, gebrauchen werden, und daß er dieſes allein ihnen uͤberlaſſen muͤſſe. Itzt kann ein Jude kein Handwerker werden, wenn er nicht zuvor den heilt - gen Glauben ſeiner Vorfahren feyerlich abſchwoͤrt, ſeinen Eltern und Bruͤdern feindſeelig entſagt. Ganz anders wird der Fall ſeyn, wenn man ihn in die Werkſtaͤtte aufnimmt, ohne ſich zu bekuͤmmern, wie er mit ſeinem Glauben es halte? Er wird dann, wie ich ſchon oft geſagt habe, aufhoͤren ein ſolcher Jude, wie er bisher war, zu ſeyn, aber almaͤhlig und unbemerkt. Mag es mit dieſer Metamorphoſe gehn, wie es wolle, genug, wenn er nur ein guterHand -291Handwerker und Buͤrger wird. Freylich wird hie - bey anfangs die Schwierigkeit etwas groͤßer ſeyn, als beym Ackerbau, weil die Beſtimmung zum Hand - werk in fruͤhen Jahren geſchehen muß, auch mit groͤßerer Abhaͤngigkeit verbunden iſt, und ein juͤdi - ſcher Vater nicht leicht ſeinen Sohn bey einem chriſt - lichen Meiſter in eine Lage ſetzen wird, wo er ſein Geſetz nicht beobachten koͤnnte. Indeß moͤchte es doch auch der juͤdiſchen Vaͤter geben, denen es eine angenehme Ausſicht ſeyn duͤrfte, daß ihre Nachkom - men von den Laſten, die ſie gedruͤckt, befreyet, in einem beſſern Zuſtande, als der ihre war, ſich befinden werden. Andere koͤnnten mit dem Meiſter, dem ſie ihren Sohn anvertrauen, wegen dieſer Dinge einen beſondern Vergleich ſchließen, und ſo wie man gan - ze Lehrjahre abkaufen kann, muͤßte auch das Necht - arbeiten am Sabbath durch Geld, oder laͤngere Lehr - zeit, oder auch durch Arbeiten und haͤusliche Dien - ſte am Sonntage, erkauft werden. Weit wirkſamer indeß wuͤrde dieſen Schwierigkeiten dadurch begegnet werden, wenn man bald anfangs aus den Laͤndern, wo die Juden ſchon itzt Handwerke treiben, einige Meiſter verſchriebe und durch ſie mehrere anziehen ließe. Der Vortheil, den der Staat ſich verſprechen duͤrfte, wenn er ſeine Juden von dem KleinhandelT 2zu292zu Handwerken leiten koͤnnte, ſcheint mir ſo groß, daß ich glaube, ſolche fremde juͤdiſche Handwerker verdienten alle die Ermunterungen, welche man ſonſt fremden Arbeitern, die man noch gar nicht oder nicht in gehoͤriger Menge hat, zu bewilligen pflegt. Frei - lich muͤßte man ſuchen, dieſe Handwerker ſo geſchickt als moͤglich zu erhalten, indeß im Nothfall, um nur den Hauptzweck zu erreichen, auch mit weniger ge - ſchleckten vorlieb nehmen, wie die meiſten juͤdiſchen Handwerker in Polen ſeyn ſollen. Ihre Zoͤglinge wuͤrden dann ſchon in einem Lande, wo Gewerbe und mechaniſche Arbeiten uͤberhaupt zu einer gewiſſen Vollkommenheit gebracht waͤren, bald ihre Meiſter uͤbertreffen und dann waͤren die Schwierigkeiten des Anfangs gehoben.

Die einheimiſchen Lehrlinge zu fremden juͤdiſchen Meiſtern zu ſchicken waͤre gleichfalls ein, obgleich we - niger vortheilhaftes Mittel, daß alſo der Staat dem freyen Willen der Eltern uͤberlaſſen aber nicht befoͤr - dern muͤßte.

Die meiſten Schwierigkeiten wuͤrden von ſelbſt aufhoͤren, wenn nur erſt viele Juden den Ackerbau oder auch mechaniſche freye Kuͤnſte und unzuͤnftige Arbeiten bey Manufarturen oder einzeln getrieben haͤtten. Dieſe wuͤrden denn ſchon von manchen buͤr -gerlich293nachtheiligen Vorurtheilen frey werden, und weni - ger Bedenken haben, auch ohne aͤngſtliche Reſtrictio - nen ihre Kinder einem chriſtlichen Handwerker in die Lehre zu geben. Ich halte es daher ſowohl um dieſer Folge als an ſich ſelbſt fuͤr vorzuͤglich wichtig, die Juden ſoviel moͤglich zu allen nicht zuͤnftigen Be - ſchaͤftigungen durch Ermunterungen und einige Er - ſchwerung in Abſicht des Handels, hinzuleiten. In manchen ſchoͤnen Kuͤnſten haben es einzelne Juden ſchon weit gebracht*)Ich habe ein Beyſpiel gehoͤrt, wie der unerleuch - tete Religionshaß oft auch dieß erſchwere. Vor ei - nigen Jahren kam ein junger Jude, der die Mahle - rey gelernt hatte, nach einer beruͤhmten Stadt Deutſchlands, um durch den Gebrauch der dorti - gen Gallerie es in ſeiner Kunſt noch weiter zu brin - gen. Aber man verſtattete ihm nicht den Beſuch der Gallerie, weil er beſchnitten war.. Indeß koͤnnen dieſe nicht viele Menſchen beſchaͤftigen, und die mechaniſchen Kuͤnſte ſind in politiſcher Abſicht wichtiger. Beſon - ders ſollten die Juden bey den unzuͤnftigen Arbeiten der Fabriken gebraucht werden. Es geſchieht dieſes noch bis itzt ſehr wenig, und ſelbſt juͤdiſche Entre - preneurs großer Manufacturen, haben wenige Ar - beiter ihrer Nation, welches theils eine Folge desT 3einmal294einmal zur Gewohnheit gewordenen Hanges der Ju - den zum herumſchweifenden Troͤdel-Handel theils des Vorurtheils des gemeinen Volks unter den Chriſten, welches nicht gern mit Juden arbeitet, iſt. Die Regierung wuͤrde bey dieſen Umſtaͤnden wohl nicht uͤbel thun, wenn ſie, ſo wie dem juͤdiſchen Caltiva - teur einige juͤdiſche Knechte, ſo auch dem juͤdiſchen Fabrikanten, eine verhaͤltnißmaͤßige Zahl juͤdiſcher Arbeiter zur Bedingung machte. Hielte er ſie nicht ſo wuͤrde er (fals er nicht die Unmoͤglichkeit beweiſen koͤnnte) eine gewiſſe Abgabe bezahlen, dagegen aber fuͤr eine die geſetzmaͤßige Norm uͤberſchreitende Zahl eine Belohnung erhalten muͤſſen. Vielleicht koͤnnte man auch ſo weit geben, jeden neuen Fabrikanten, der irgend Vortheile vom Staate genoͤße (denn ohne dieſe waͤre die Einſchraͤnkung unbillig) zu verpflichten, einige juͤdiſche Arbeiter zu halten, ſo wie auch jedem Freymeiſter fuͤr das Recht außer den Zuͤnften zu ar - beiten, die Verbindlichkeit aufzulegen, einen juͤdi - ſchen Lehrjungen anzuziehen oder einen Geſellen die - ſer Nation zu ha ten.

Man hat es mir als etwas meinen allgemeinen Aeuſſe ungen Widerſprechendes vorgeworfen, wenn ich zuweilen einſchraͤnkende Zwangsmittel vorſchlage. Freilich halte ich uͤberhaupt es fuͤr das Beßte, dieMen -295Nenſchen in ihren Beſchaͤftigungen und in der Be - ſergung ihres Gluͤcks meiſtens ſich ſelbſt zu uͤberlaſ - ſen und die natuͤrlichen Rechte ſo frey und unbeſchraͤnkt, als nur irgend moͤglich iſt, zu erhalten. Auch zu große Freyheit kann ſelten ſchaden, zu wenige ſchadet ge - wiß. Aber einige Einſchraͤnkung dieſer Freyheit iſt in unſern buͤrgerlichen Geſellſchaften nun einmal nothwendig, und um ein Uebel wieder gut zu ma - chen, das ſeit ſo vielen Jahrhunderten ſich gebildet hat, ſind auch zuweilen gewaltſamere Mittel nicht ganz entbehrlich. Was unſere Kunſt nun einmal verwirrt hat, kann nicht bloß durch Natur wieder zurechte gebracht werden. Beſonders iſt dieſes bey lange eingewurzelten Gewohnheiten und Vorurthei - len der Fall, wie die, von denen hier die Rede iſt. Ich bin uͤberzeugt, daß dieſe in Abſicht der Juden bey uns und ihnen ſelbſt in der Folge gewiß ver - ſchwinden werden, und daß ſie, wenn man ihnen nur buͤrgerliche Rechte ertheilt, in wenigen Genera - tionen ſich auch derſelben vollkommen wuͤrdig machen und zu Handwerken und allen Arten der Gewerbe ſo tuͤchtig wie andere ſeyn werden. Nur zuerſt wird der unnatuͤrliche Zuſtand, in welchem die Nation ſich itzt befindet, durch einige nicht ganz natuͤrliche Mittel unterbrochen werden muͤſſen. Iſt dieſes ein -T 4mal296mal geſchehen, ſo verſteht ſich, daß alsdann jene nur fuͤr eine Zeit und aus Noth gemachte Verfuͤgungen wieder aufhoͤren, und Alles wider ſich ſelbſt uͤberlaſ - ſen werden muͤſſe. Wer gegen alle kuͤnſtliche und zuwei - len ſogar gewaltſame Mittel ſich erklaͤrt, bedenkt nicht, daß wir uns nicht mehr im natuͤrlichen Zuſtande be - finden, daß vielmehr unſere ſo mannichfach verwik - kelte Verfaſſungen uns laͤngſt an kuͤnſtliche Mittel ge - woͤhnt haben und dieſe uns wirklich natuͤrlich ge - worden ſind.

Die Umbildung einer ſo betraͤchtlichen Menge bisher der Geſellſchaft nicht nur laͤſtiger, ſondern wirk - lich ſchaͤdlicher und fuͤr ſich ungluͤcklicher Menſchen zu brauchbaren und begluͤckten Buͤrgern, iſt ein ſo wichtiger Vortheil, daß er, duͤnkt mich, auch durch noch groͤßere Einſchraͤnkungen und beſchwerlichere Zwanggeſetze, als ich vorgeſchlagen habe, nicht zu theuer erkauft wuͤrde. Ich vertheidige deshalb dieſe Einſchraͤnkungen, nicht an ſich, alſo auch nicht in andern Umſtaͤnden, auch nicht fuͤr immer, ſondern nur als Mittel zu dieſem beſondern Zweck, nur, wenn man will, als kleineres Uebel, um ein groͤßeres abzuwenden. Aus dieſem Geſichts - punkte halte ich es alle dings fuͤr billig, die Juden durch Befreyungen und Belohnungen zu Handwer -kern297kern zu bilden, wenn es auch auf Koſten und mit ei - nigem Nachtheil der aͤltern Buͤrger geſchehen ſollte; und ſo auch dieſe hiebey zur Mitwirkung anzuhalten. Eben ſo wuͤrde ich, weil ich die Handwerke fuͤr ein ſo weſentliches Mittel zur Beſſerung der Juden an - ſehe, anfangs nicht wider einigen Zwang bey ihnen ſelbſt ſeyn. Ein Vater, der mehrere Soͤhne haͤtte, muͤßte wenigſtens einen einer mechaniſchen Kunſt oder einem Handwerk widmen, und beſonders muͤßte der uͤbertriebenen Neigung zum Handel wirkſam entge - gen gearbeitet werden. Vieleicht waͤre es noch nicht genug, wie ich ſchon vorgeſchlagen, die Zahl der handelnden Juden zu beſchraͤnken oder wenigſtens durch Abgaben zu erſchweren; ich wuͤrde vielmehr rathen, auf dem Lande (wenn er bisher erlaubt war) und in allen kleinern Staͤdten, den Juden den Kleim handel almaͤlig ganz zu verbieten, ſobald naͤmlich erſt diejenigen ausgeſtorben ſeyn werden, welche nun einnal mit nichts anderm ſich naͤhren koͤnnen. Sollte es einer Regierung gelingen, die Juden von einer Beſchaͤftigung ganz abzuleiten, durch die ſie vornem - lich verderbt geworden ſind, und die ſie faſt nicht an - ders als zum Nachtheil ihrer Mitbuͤrger treiben koͤn - nen, und waͤre es moͤglich in etwa funfzig Jahren den groͤßern Theil der Juden zu Landbauern, Hand -T 5werkern298werkern und Kuͤnſtlern umzuſchaffen; ſo, glaube ich, wuͤrde das Problem ihrer ſittlichen und buͤrgerlichen Verbeſſerung ganz aufgeloͤßt ſeyn.

Ich geſtehe, daß dieſe Umſchaffung ſchwer ſey, Zeit und Nachdenken fodere, aber unmoͤglich halte ich ſie nicht, wenn man die Reforme der bisherigen Jadenverfaſſung im Ganzen vorzunehmen, ſich ein - mal entſchließen wollte. Durch die angegebenen Mittel wuͤrde ſicher der Zweck erreicht werden koͤn - nen. Die Bahn, die zu ihm fuͤhrt, wird immer mehr ſich ebnen, wenn man nur einmal die Schwie - rigkeiten ſie zu finden, uͤberwunden und ſie zu gehn ſich entſchloſſen hat. Nur noch ein Wort von ein paar oben angefuͤhrten ſpeciellen Einwuͤrfen will ich hinzuſetzen.

Der juͤdiſche Lehrling muß unſtreitig unter glei - cher Stronge und Subordination, wie der chriſtliche, gehalten werden. Ich ſehe keinen Grund, warum hier ein Unterſchied ſtatt finden ſollte. Der arme Judenjunge iſt zu einer knechtiſchen Behandlung ge - wiß nicht weniger geuͤbt, als der chriſtliche, da er ſie ſo oft noch als Mann erdulden muß. Der wohlha - bendere Jude koͤnnte, wie es auch bey dem Chriſten nicht ungewoͤhnlich iſt, unbedenklich wegen beſſerer Be - handlung ſich mit dem Meiſter vergleichen. In dieſeDetails299Details darf die Regierung ſich nicht einlaſſen, ob ſie gleich freilich in den meiſten Laͤndern an der Ein - richtung der Lehrjahre und an der Behandlung der Lehrlinge noch zu beſſern haͤtte. Wandern, duͤnkt mich, koͤnnte der juͤdiſche Geſelle allerdings und muͤßte es, um die noͤthige Geſchicklichkeit zu erwerben. Waͤre er erſt zuͤnftig, haͤtte es kein Bedenken, aber auch unzuͤnftig, duͤrfte er in der Fremde nur bey juͤdiſchen oder andern Freymeiſtern arbeiten. Iſt nur erſt die Hauptſchwierigkeit wegen des Lernens bey einem chriſtlichen Meiſter uͤberwunden und werden zugleich die angezeigten und andere Mittel von der Regie - rung angewandt, ſo wird es bald an juͤdiſchen Ge - ſellen und Lehrlingen nicht fehlen, die denn zunaͤchſt und ehe die Unterſcheidungen ſich ganz abgeſchliffen haben, einen Meiſter ihrer Nation vorziehen werden. Doch gerade dieſes iſt eine Materie, wo die Aus - uͤbung einiger Jahre und die richtige Beobachtung und Benutzung der Local-Berhaͤltniſſe uns gewiß weiter bringen wird, als alles Theoretiſiren, wel - ches denn doch auch, wenn es gluͤcklich genug waͤre fruͤh oder ſpaͤt jene practiſche Verſuche hervorzubrin - gen und zu leiten, ſeinen guten Werth behalten wird.

III. 300

III.

Es iſt ſohr wahrſcheinlich, daß unter den Juden die Lehre von der Nichtverbindlichkeit eines Eydes vor chriſtlichen Richtern oder uͤberhaupt einem Chriſten abgelegt, wenn auch nicht allgemein, doch ſehr herrſchend ſey. Was Eiſenmenger hieruͤber ſagt, gehoͤrt nicht zu ſeinen ungerechten Klagen. Hieraus allein folgt ſchon das Unrecht, welches ein Staat ſeinen uͤbrigen Buͤrgern durch Gleichmachung der Juden mit ihnen, zufuͤgen wuͤrde. Denn wer ſich berechtigt glaubt, die feyerlichſten Anrn - fungen des hoͤchſten Weſens gebrauchen und durch dieſelben Jeden, der nicht mit ihm zu einer kirchlichen Geſellſchaft gehoͤrt, hinterge - hen zu duͤrfen, iſt fuͤr alle ſeine Nebenmenſchen gefaͤhrlich; ſchon der Verdacht einer ſolchen alle oͤffentliche Treue zerſtoͤrenden Lehre muß immer mißtrauiſch gegen die Juden machen und wird nie erlauben ihnen gleiche Rechte mit denen zu bewilligen, die keine Verhaͤltniſſe kennen, in denen ihre Luͤge von dem Himmel ſelbſt gebilligt und geheiligt waͤre.

So wichtig dieſer Einwurf allerdings, wenn er einigermaßen bewieſen waͤre, ſeyn wuͤrde, ſo unbe -deu -301deutend, muß ich geſtehen, ſchien er mir doch bey meinen vorigen Unterſuchungen, dadurch zu werden, weil er ſegar keinen Beweis fuͤr ſich hatte, der zur Widerlegung nur reitzen koͤnnte, der nicht ſchon in ſich ſelbſt jedem denkenden und nicht ganz partheyt - ſchen Mann ſich widerlegen muͤßte. Ich glaubte alſo dieſen Vorwurf mit denen von Vergiftung der Brun - nen und vom Schlachten der Chriſtenkinder auf gleiche Weiſe behandeln, das heißt, ſeine Ungereimtheit nicht zeigen zu duͤrfen. Dieſe, hoffte ich, wuͤrde ſchon dadurch Jedem, der auch nicht tiefer in die Sache eingehn wollte, einleuchtend werden, daß die Obrigkeiten aller Staaten, in denen itzt Juden le - ben, ſie zum Eide zulaſſen und nach demſelben er - kennen, welches ſie doch, ohne die Rechte der uͤbri - gen Buͤrger auf eine unverantwortliche Art zu ver - letzen, nicht thun koͤnnten, waͤren ſie nicht von der Falſchheit jenes Vorgebens uͤberzeugt.

Eiſenmenger iſt es, der dieſe ſchwarze Anſchuldigung vorzuͤglich geltend gemacht und in den Umlauf gebracht hat, in dem ſie ſich noch immer, gleich ſo mancher unge - pruͤften Verlaͤumdung des einzelnen Menſchen oder einer ganzen Nation, erhalten hat, und nun noch mehr erhalten duͤrfte, da ſelbſt ein Michaelis, ſo ſehr er auch ſonſt Eiſenmongern Gerechtigkeit wie -derfah -302derfahren laͤßt, doch dieſer Anklage deſſelben beyzu - ſtimmen ſcheint. Eine ſo wichtige Autoritaͤt legt mit die Verbindlichkeit auf, zu zeigen, daß Eiſenmen - ger auch gerade in dieſem Puncte ſich ganz als Ei - ſenmenger zeige. Ich hatte gehoft, daß Jeder, der ſein hieher gehoͤriges Capitel mit einiger Aufmerk - ſamkeit leſen wuͤrde, dieſes von ſelbſt fuͤhlen muͤßte und nie haͤtte ich geglaubt, daß einem Michaelis die Schwaͤche der angefuͤhrten Beweiſe entgehen koͤnnte. Es iſt mir dieſes um ſo mehr befremdend, da dieſe Schwaͤche ſchon von mehrern wuͤrdigen Maͤnnern, ſowohl Rechtsgelehrten, als der neuern juͤdiſchen Religionslehren vorzuͤglich kundigen Orien - taliſten mit ganz uͤberzeugender Gruͤndlichkeit darge - ſtellt worden, von denen ich unter den erſten nur ei - nen Stryck*)In Diſſert. de interr. inept. §. 48, wo er das roͤ - miſche Geſetz, welches einen Juden unfaͤhig erklaͤrt, gegen einen Chriſten ein Zeugniß abzulegen, gerade - zu und gewiß mit gukem Recht ungereimt nennt., Wolfart**)Im Tract. jurid. de Juramentis Judæorum. Frft. & Lipſ. 1748. und Heisler***)In einer kleinen Schrift: Beantwortung der Frage, ob die Zulaſſung eines Juden -eyde -,anfuͤh -303anfuͤhren will, daher ich um ſo mehr eine ſchon gethane Arbeit noch einmal zu thun uͤberfluͤßig halten mußte.

Ich geſtehe, daß ich auch noch einen gewiſſer - maßen ſittlichen Grund hatte, der mich geneigter machte, dieſen Vorwurf lieber mit Verachtung vor - beyzugehen, als durch eine umſtaͤndliche Widerlegung ihm eine Aufmerkſamkeit zu beweiſen, die theils un - verdient war, theils auch, wie es mir ſchien, nach - theilige Folgen hervorbringen konnte. Oeffentliche Treue, Heiligkeit des feyerlich gegebnen Worts und Zeugniſſes, ſind fuͤr die buͤrgerliche Geſellſchaft ſo wie fuͤr den ganzen ſittlichen Werth des Menſchenſo***)eides wider einen Chriſten bedenklich ſey? Halle, 1778. Aus einer zu Mantua im Jahr 1775 gedruckten Schrift: Lettera Apologetica nell 'occaſione di certo libro ſotto il titolo di Diſſertazione del - la Religione e del Giuramento degli Ebrei. 4. welche mir ohnlaͤngſt in die Haͤnde gefallen, habe ich ge - lernt, daß auch in Italien die Eiſenmengeriſchen Anklagen gemacht, aber auch dort eben ſo buͤndig und faſt mit denſelben Gruͤnden, wie es ſchon laͤngſt in Deutſchland geſchehen, beantwortet ſind. Auch dieſer Verfaſſer bemerkt, daß die groͤßten Kenner des juͤdiſchen Religionsſyſtems immer die Falſchheit dieſer Beſchuldigungen anerkannt haben.304ſo wichtig, daß ich immer ungern das gerade Gefuͤhl des ehrlichen Mannes durch ſpitzfindige Eroͤrterun - gen einer caſniſtiſchen Moral unterbrochen, und die - ſe Angelegenhelt des Gewiſſens und Herzens zu dem Gegenſtande einer ſophiſtiſchen Gruͤbeley herabgewuͤr - diget ſehe. Eben dadurch hofte ich die Juden gegen eine ſo ſchaͤndliche Anklage am beſten zu retten, und bey denen unter ihnen, die etwa meine Schrift leſen moͤchten, das ſittliche Gefuͤhl und den Werth, den ſie auf ſich ſelbſt ſetzen muͤßten, zu beleben, wenn ich ſie hier, nicht vertheidigte.

Alle dieſe Betrachtungen werden indeß durch die itzige Ernenerung eines ſo wichtigen Vorwurfs uͤber - wogen. Denn allerdings koͤnnen die Juden nie beſ - ſere Menſchen und Buͤrger werden, wenn ſie die Heiligkeit des in unſerer Geſellſchaft nun einmal unentbehrlich geglaubten Eides nicht anerkennen und uns doch durch deſſen Schein betruͤgen, wenn es ih - nen religioͤſe Vorſchrift iſt, den Staat, der ſie ſchuͤtzt, den Mitbuͤrger, deſſen Leben, Ehre und Eigenthum von ihrem beſchwornen Worte abhangen kann, durch die feyerlichſten Anrufungen der Gottheit zu hinter - gehn. Weg denn mit dieſen Unmenſchen, und wenn ſie noch ſo gute Soldaten werden, noch ſo viel Geld in die Caſſen unſerer Fuͤrſten liefern koͤnnten! Sieſpotten305ſpotten der allgemeinen Gefuͤhle der Menſchheit, zerreißen ihre feſteſten Bande, bereiten ſich einen ſchaͤndlichen Gewinn aus der verhoͤhnten Tugend ih - rer Bruͤder! Weg mit ihnen auf irgend eine wuͤſte In - ſel, damit ſie ſelbſt in ihrem Verbrechen ſich aufreiben oder durch die bitterſte Erfahrung um gebildet werden.

So gewiß ich dieſem Verbannungen theil beyſtim - men wuͤrde, wenn jenes Vorgeben gerechrfertigt wer - den koͤnnte, ſo natuͤrlich wird man auch hier die Waͤrme finden, mit der ich gegen dieſe Anklage eine ungluͤckliche Nation vertheydigen werde. Sicher aber ſoll dieſe Waͤrme der Ruhe der Unterſuchung nicht nachtheilig werden. Hat der bisherige Gang derſelben einigen Eindruck bey dem Leſer hinterlaſſen, ſo muß er ihn von meinem Streben nach Unparthey - lichkeit fuͤr jede Gattung von Menſchen, ſobald es auf Wahrheit ankoͤmmt, uͤberzeugt haben, und ſo muß er mir es zutrauen, daß ich in einer ſo intereſ - ſanten Sache nicht als Apologet mich zeigen wuͤrde, wenn ich nicht nach einer reifen Pruͤfung mich dazu verpflichter glaubte.

Ehe ich die Beweiſt dieſer Beſchuldigung ſelbſt naͤher auseinander lege, koͤmmt es zuvoͤrderſt auf ihre genauere Beſtimmung an. Nicht davon naͤmlich iſt die Frage, daß es unter den Juden viele unmorali -Uſche306ſche Menſchen gebe, die ſehr leichtſinnig uͤber den Eyd denken, und die wirklich ſich des Meyneyds oft ſchuldig machen. Es giebt deren gewiß nicht wenige unter den Juden, ſo wie unter den Chriſten, und iſt, ſo wie die ganze Verderbtheit der erſten, bey beyden eine Folge theils der politiſchen Verfaſſung, theils der mangelhaften ſittlichen Erziehung, deren der groͤßere Theil der Beſchnittenen und Unbeſchnit - tenen genießt. Eine Haupturſache dieſes gewiß groſ - ſen politiſchen Uebels iſt unſtreitig die ungluͤckliche Vervielfaͤltigung der Eyde; die unſchickliche Fode - rung derſelben in Faͤllen, wo ein Zeugniß nicht ab - gelegt, eine Pflicht nicht geleiſtet werden kann, und doch beſchworen werden muß; endlich die der Feyer - lichkeit dieſer Handlung ſo wenig angemeſſene Art der Abnahme*)Man findet dieſe Materie umſtaͤndlich und ſehr gut von zwey wuͤrdigen Maͤnnern ausgefuͤhrt, dem Hrn Hofrath Oesfeld in ſeiner Schrift von den Eidesleiſtungen Berlin 1779 und von Hrn. Aſſi - ſtenzrath Klein in ſeinen vermiſchten Abhand - lungen uͤber Gegenſtaͤnde der Geſetzgebung und Kechesgelebrſamkeit, Leipz. 1780 1tes Stuͤck. Ein neueres ausfuͤhrliches mit Gelehrſamkeit und philo - ſophiſchem Geiſt geſchriebenes Werk haben wir von Hrn. Prof. Malblanc erhalten; Doctrinæ de Jure -jura -. Ob dieſe Gruͤnde bey den Judeneine307eine groͤßere Geringſchaͤtzung der Eyde als bey den Chriſten hervorbringen? kann ich nicht beurtheilen, und ohne genaue ſchwer zu machende Erfahrungen (ohne die man indeß in mehrern Dingen der Art nicht urtheilen ſollte) laͤßt ſich hierinn wohl kein Verhaͤlt - niß beſtimmen. Von einer Seite koͤnnten die un - zaͤhligen, in hundert Faͤllen nicht genau zu beobach - tenden, Dienſteyde bey den Chriſten, von der andern die verhaͤltnißmaͤßig noch mangelhaftere moraliſche und religioͤſe Bildung der Juden, ſtaͤrker wirken. Auch ſchon der Umſtand, daß man in gewiſſe Faͤl - len die letztern zum Eyde in einigen Laͤndern nichtU 2zu -*)jurando e genuinis legum & antiquitatis fontibus illu - ſtrata, Norimb. 1781 in welchem gleichfalls eine weiſe Einſchraͤnkung der Eyde ſehr empfohlen wird. Auch in Hrn. von Sodens Entwurf zu einem peinli - chen Geſetzbuch, Deſſau 1782, 2tes Heft S. 23 u. f. finder man uͤber dieſe Materie und fuͤr die Abſchaf - fung des Eydes uͤberhaupt, nur die Zeugeneyde ausgenommen, Gruͤnde, denen man bey ruhiger Unterſuchung und eigner Welteifahrung ſchwerlich ſeine Beyſtimmung wird verſagen koͤnnen. Moͤchte doch nur die Aufmerkſamkeit der Regenten endlich auf ein Uebel geleitet werden, das ihrer heilenden Hand eben ſo beduͤrftig, als durch ſie geheilt zu werden faͤhig iſt!308zulaͤßt*)Die Ungerechtigkeit und Inconſequenz dieſer Ge - ſetze, welche die Inden nicht zum Erfuͤllungseyde ge - gen Chriſten zulaſſen wollen, hat ſelbſt den unbilligen Haß des Geſetzgebers gegen die ungluͤckliche Nation vora[u] sgeſetzt, der vorhin angefuͤhrte philoſophiſche Rechtsgelehrte Hr. Klein in den erwaͤhnten Ab - handlungen S. 80 und f. auf eine uͤberzeugende Art gezeigt. Einen gleichen Zweck hat eine im vo - rigen Jahre zu Wittenberg herausgekommene Diſ - ſertation des Hrn. D. Menken de Judao jurisjuran - di ſuppletorii haud incapace, wo auch ein neuerli - ches Urtheil der daſigen Juriſtenfacultaͤt angefuͤhrt wird, das einen Juden zum Erfuͤllungseyde zuge - laſſen hat, dem mehrere gleichfoͤrmige Erkenntniſſe anſehnlicher Gerichtshoͤfe und Facultaͤten beygefuͤgt werden koͤnnten. Dieſe neuern Schriften ſind mir um ſo mehr angenehm geweſen, da oft auch noch von unſern erſten und ſonſt uͤber jede Partheylichkeit erhabenen Rechtsgelehrten dieſem Vorurtheil, ob - gleich ohne weitern Beweis, practiſch beygeſtimmt wird. S. z. B. Puffendorff Obſervat. II, p. 294. Con -ſtat, koͤnnte ſie in Abſicht derer, welche die Ge - richte ihnen verſtatten, weniger gewiſſenhaft machen. Zu wiſſen, daß man in manchen Faͤllen fuͤr einen ſchlechten Menſchen gehalten werde, hat oft die Fol - ge, einen ohnedem Schwankenden wirklich ſchlecht zu machen; die Tugend, die man uns oft nicht zutrauet,ver -309verliehrt ſich am erſten, weil noch mehr Staͤrke da - zu gehoͤrt, rechtſchaffen zu ſeyn, wenn alle Welt, die uns umgiebt, uns fuͤr Nichtswuͤrdige haͤlt und als ſolche behandelt. Ich will alſo zugeben, daß unter den Juden der Eyd verhaͤltnißmaͤßig noch mehr als unter den Chriſten gering geſchaͤtzet werde; ich will ſogar einen Schritt weiter gehen und es auch als eine bewieſene Wahrheit einmal annehmen, daß es unter dem Poͤbel der Juden manche gebe, die zwar den Meyneyd an ſich fuͤr ein großes Verbre - chen, aber nicht ſo in Abſicht der Chriſten halten. Gewiß giebt es auch unter dem Poͤbel der letztern da - gegen wider eben ſo viele, die einen zum SchadenU 3eines*)ſtat, heißt es daſelbſt, Judæos religioni non ducere, Chriſtianos decipere damnoque afficete. Merito igitur Iudex cavet, ne Judœum contra Chriſtianum ad jusjurandum ſuppletorium admittat &c, Indeß ſtreiten, wie ich ſchon bemerkt habe, gleich wichtige Autoritaͤten (auf die es doch nicht ſehr ankommen kann) fuͤr die gegenſeitige billige Meynung, unter denen ich keine groͤßere, als die Praxis des Kaiſerl. Reichs-Cammergerichts anfuͤhren kann, nach wel - cher die Juden zum Erfuͤllungseyde allerdings ge - laſſen werden. S. Mynſinger Obſervat. Centur. V, Obſ. VI. p. 382.310eines Hebraͤers abgelegten falſchen Eyd, ſo wie eine an dieſem veruͤbte Betruͤgerey, wenn auch nicht ge - radezu erlaubt, doch eben auch kein grobes Verbre - chen glauben. Was iſt bey dieſer ungluͤcklichen Fol - ge der gegenſeitigen Verbitterung zu thun, die Men - ſchen von Menſchen losreißt, Treue und Redlichkeit aufhebt? Nichts anders, als beyde Claſſen von Menſchen durch Unterricht zu beſſern, durch gerech - tere Behandlung der bisher gedruͤckten ſie einander zu naͤhern, mit der Strenge der Geſetze jeden Betrug, er ſey begangen an wem er wolle, zu ahnden, und es der Zeit und guten Anſtalten zu uͤberlaſſen, daß ſo ſchaͤdliche Vorurtheile nach und nach ſich ab - ſchleifen.

Dieſe noch itzt unter den Juden ſich fortſchleichen - de ſchlechte Grundſaͤtze in Abſicht der Eyde beweiſen nichts, als was nur ſchon zu ſehr bewieſen iſt, daß dieſe Nation durch die druͤckende Lage in der ſie ſich ſo lange befunden, ſittlich herabgewuͤrdigt und verderbt ſey. Aber da on iſt itzt die Rede nicht, es koͤmmt hier allein auf Unterſuchung der Anklage an, daß es bey den Juden ein durch ihre neuere Religionslehre gebilligter Grundſatz ſey, vor chriſtlichen Gerichten oder einem Chriſten einen falſchen Eyd ſchwoͤren zu duͤrfen. Man311Man kann noch itzt keine andere Beweiſe dieſer Be - ſchuldigung vorbringen, als die, welche Eiſenmen - ger umſtaͤndlich und mit Anfuͤhrung aller hieher ge - hoͤriger Stellen ſowohl aus rabbiniſchen als den feind - ſeeligen Schriften juͤdiſcher Ueberlaͤufer, ausgefuͤhrt hat*)S. Entdrecktres Judenthum Th. II, Cap. 9. p. 489 515.. So viel ich weiß, hat kein neuerer Schrift - ſeller dieſen Gruͤnden noch andere bengefuͤgt und ge - noͤhulich hat man ſich, wie auch Hr. Michaelis thut, begnuͤgt, nur in allgemeinen Ausdruͤcken die durch das Vorurtheil gerechtfertigte Bedenklichkeiten und das Haͤckliche bey den Juden-Eyden, mit Be - ziehung auf Eiſenmengern, zu bemerken**)Ich habe Eſtors Schrift von der Mißlichkeit der Judeneyde nicht zur Hand, kann aber nach dem, was ich daraus angefuͤhrt finde, nicht vermu - then, daß dieſer Gelehrte den Eiſenmengeriſchen Gruͤnden neue hinzugeſetzt habe.. Ich werde alſo dieß Vorurtheil in ſeiner Quelle angegrif - fen, und wenigſtens, bis beſſere Beweiſe beygebracht werden, es entkraͤftet haben, wenn ich Eiſenmen - gers Gruͤnde in ihrer ganzen Staͤrke darſtelle und zeige, daß ſie eine unpartheyiſche Pruͤfung nicht aus - halten.

U 4Dieſer312

Dieſer Schriftſteller fuͤhrt zuerſt zwey Gruͤnde an, die von abgefallenen Juden als ſehr wichtig vor geſtellt worden, die er aber ſelbſt mit einer bey ſeiner durchaus polemiſchen Abſicht wirklich ſeltenen Unpar - theylichkeit, als offenbar grimdlos darſtellt.

1) Die Juden haben ein gewiſſes Gebet, von ſeinen Anfangsworten: Cobniddre, genannt, das ſie am großen Verſoͤhnungstage in der Sy - nagoge abſingen, und durch welches alle fal - ſche Geluͤbde und Schwuͤre (die, nach einiger M〈…〉〈…〉 ynung, von ihnen im abgelaufenen Jahre ge - ſchworen ſind, oder gar, wie Andre behaupten, die ſie im bevorſtehenden Jahre noch ſchwoͤren wollen) ihnen erlaſſe und gaͤnzlich aufgehoben werden. Es ſind bloß abgefallene Juden, welche ihren verlaſ - ſenen Bruͤdern dieſen ſchaͤndlichen Vorwurf machen, und entſcheidend behaupten, daß die Juden im Ver - trau〈…〉〈…〉 n auf dieſe Loͤſung ihrer Eyde, ſich kein Beden - ken machen die feyerlichſten, die man verlangt ab - zuſchwoͤren. Und wenn, druͤck der von Eiſen - m〈…〉〈…〉 nger citirte Verfaſſer des feurigen Drachen - gifts und wuͤtigen Otterngalls ſich aus, der Teufel ſelbſt mit dem ganzen hoͤlliſchen Heere leib - haftig dabey ſtuͤnde, ſo fuͤrchten ſie ſich doch im Ver - trauen auf Col niddre nicht dafuͤr. Vorzuͤglichaber313aber ſoll dieſes Gebet die Kraft haben, ſie von allen Eyden loszuſprechen, die ſie den Chriſten ein ganzes Jahr durch gethan haben, obgleich in demſelben der Chriſten gar nicht beſonders erwaͤhnt wird.

2) Auch außer dieſem allgemeinen Entbin - dungstage kann auch Jeder, den eines getha - nen Geluͤbdes oder Eydes gereuet, von einem Rabbinen oder wenn dieſer nicht zu haben iſt, von drey gemeinen Maͤnnern, deſſen entbun - den werden, welches denn auch vorzuͤglich in Abſicht der fuͤr Chriſten und deren Gerichten abgelegten Eyde genutzt wird.

Beyde Einwuͤrfe werden durch einen Grund ent - kraͤftet, den Eiſenmenger redlich beybringt und mit den ausdruͤcklichſten Stellen der bewaͤhrteſten Rab - binen belegt. Allerdings hat es ſeine Richtigkeit, daß der Jude am großen Verſoͤhnungstage oder auch ſonſt durch einen Rabbinen oder drey redliche Maͤn - ner unter gewiſſen Umſtaͤnden und bey bezeugter Reue entbunden und befreyet werden koͤnne von Geluͤbden und allen Arten von Schwuͤren, durch welche er bloß ſich ſelbſt zu irgend etwas verbundenhat, (nach 4 B. Moſe XXX, 3. ein Ge - luͤbde oder ein Eyd, durch welchen einer ſeine eigne Seele verbindet) aber durchaus nichtU 5von314von denen, welche ihn gegen irgend einen dritten verpflichten, nicht von Eyden, bey de - nen irgend fremde Rechte und Vortheil inte - reßirt ſind, ſie moͤgen nun vor Gerichte oder außer demſelben abgelegt ſeyn.

Dieſe natuͤrliche auf dem Wortverſtande und dem Anſehn der groͤßten juͤdiſchen Lehrer beruhende Erklaͤ - rung iſt der geſunden Vernunft, und dem natuͤrli - chem Gefuͤhl von Recht und Billigkeit gemaͤß. Da Moſes die Geluͤbde nicht eingefuͤhrt hatte, ſondern nur, weil er ſie ſchon im Herkommen fand, duldete, wie Hr. Michaelis richtig bemerkt*)Moſaiſches Recht III, §. 144., ſo ſorgte er vorzuͤglich daͤfuͤr, daß unvorſichtig eingegangene, dem Gelobenden unmoͤgliche, wenigſtens im hohem Grade beſchwerliche**)Der vorher angefuͤhrte anonymiſche italiaͤniſche Ge - lehrte behauptet in der Lettera Apologetica p. 63, daß die Entbindung allemal nur denn ſtatt finde, wenn ein Geluͤbde nicht erfuͤllt werden koͤnne., oder gar ihm und Andern nachtheilige Geluͤbde wieder aufgehoben und der, welcher dadurch gefehlt hatte, gegen Gemiſſensunruhen geſichert wer - den konnte. Die folgenden juͤdiſchen Lehrer ſind auf dieſem Wege fortgegangen, und haben es auf eine angeblich muͤndliche Tradition gegruͤndet, daß ſtattder315der Prieſter, welche ehemals von Geluͤbden befreyen konnten, dieſes itzt, da ſie nicht mehr exiſtiren, durch Rabbinen oder auch drey rechtſchaffene Maͤnner ge - ſchehen moͤge oder daß an dem allgemeinen Verſoͤh - nungstage, auch die, durch uͤbereilte Geluͤbde, durch leichtſinnige Erwaͤhnung des goͤttlichen Nah - mens und im gemeinen Leben geſchehene Betheurun - gen begangene Suͤnden, vergeben werden koͤnnten. Dieß war bey einem Volcke, das einmal an Geluͤbde gewoͤhnt iſt, eine ſehr nothwendige ſittliche und poli - tiſche Vorſorge, und Hr. Michaelis ſcheint mir ſehr buͤndig und ſcharfſinnig zu folgern, daß wo Geluͤbde ſind, auch eine ſie unter gewiſſen Umſtaͤnden loͤſende Macht ſeyn muͤſſe, und daß gerade, weil die natuͤr - liche und proteſtantiſche Religion eine ſolche Macht*)In der roͤmiſch-katholiſchen Kirche hat dieſe erlaſ - ſende Macht unſtreitig einen weit groͤßern Umfang und mehrere Freyheit, als ihr nach dem juͤdiſchen Syſtem je zugeſtanden worden. nicht kennt, auch nach ihnen uͤberall keine Verbind - lichkeit der Geluͤbde ſtatt finde, weil ohne jene Be - dingung der Mißbrauch und Nachtheil zu groß und unvermeidlich ſeyn wuͤrde.

Aber wirkliche vor oder außer Gericht zum Vor - theil oder Schaden Anderer abgelegte Eyde, jaͤhr -lich316lich an einem Tage oder auch außerdem nach dem Gutfinden einzelner Menſchen unverbindlich er - klaͤren dieß waͤre eine Ungereimtheit, bey der keine menſchliche Geſellſchaft beſtehn koͤnnte, die ſelbſt das menſchliche Gefuͤhl derer, denen ſie eine ſo ge - meinſchaͤdliche Freyheit ertheilte, empoͤren muͤßte, eine Ungereimtheit alſo, die man ohne die unumſtoͤß - lichſten Beweiſe denen nicht zutrauen muß, welche ſonſt Menſchenverſtand und Gefuͤhl fuͤr Recht und Billigkeit beweiſen. Offenbar haͤtten die Rabbinen durch ihr Col niddre und ihre Diſpenſations-Faͤhig - keit dieſe verletzt, wenn bey demſelben von einer Auf - hebung der Eydſchwuͤre die Rede waͤre. Denn da weder in dem Gebet des Verſoͤhnungstages, noch in der Verordnung wegen der rabbiniſchen Geluͤbden - befreyung, irgend eines Unterſchiedes zwiſchen Ju - den und Nicht-Juden erwaͤhnt wird, ſo folgt, daß jeder Hebraͤer von jedem Eyde, auch ſeinem Glau - bensgenoſſen abgelegt, von einem Rabbinen oder an deſſen ſtatt von drey Maͤnnern ſeiner Nation be - freyet werden koͤnne, ja es folgt, daß die ſaͤmt - lichen im verwichnen Jahre abgelegten oder gar im kuͤnftigen noch abzulegenden Eyde aller Juden, ſo viel ihrer am Verſoͤhnungstage in der Synagoge das Col niddre abſingen, ohne ihr Verlangen fuͤr nullund317und nichtig erklaͤrt werden. Darf es mehr, als dieſe Ungereimtheit zu hoͤren, um ſie fuͤr das, was ſie iſt, zu erkennen? Und habe ich Unrecht gehabt, Anklagen wie dieſe, in unſern Zeiten und fuͤr Regie - rungen, welche die Juden taͤglich Eyde ſchwoͤren, und doch ihren Verſoͤhnungstag feyern laßen, nicht widerlegen zu wollen?

Zum Gluͤck kann ich indeß fuͤr die, welche auch Sachen, die ſich von ſelbſt verſtehen, doch gern mit Autoritaͤten belegt ſehn, noch mit den ausdruͤcklich - ſten Stellen der Rabbinen beweiſen, daß ihnen Un - ſinn wie dieſer, nie in den Sinn gekommen iſt. Der groͤßte Lehrer der Juden, Moſes Maimoni - des, ein Mann der gewiß unter die ſcharfſinnigſten und erſten Menſchen nicht nur ſeiner, ſondern aller Zeiten gehoͤrt, theilt alle Eyde in vier Claſſen*)In der Schrift: de Juramentis ſecundum Leges Hebræorum, edit. Miegii. 1672.

  • 1) Juramentum futile ſeu temerarium.
  • 2) Juramentum vanum.
  • 3) Juramentum Depoſiti.
  • 4) Juramentum Teſtimonii.

Die beyden letztern erlaͤren ſich durch ihren Nahmen. Unter der erſten Gattung werden alle Arten von un - nuͤtzen Betheurungen, Mißbrauch des goͤttlichen Nah -mens318mens und was auch wir im uneigentlichen Sinn Schwur nennen, verſtanden; unter der zweyten, eydliche Verſicherungen von Sachen, deren Seyn oder Nichtſeyn Jedermann weiß und die keiner Ver - ſicherung beduͤrfen, z. E. daß zwey zwey ſey, oder auch beſchworne Vorſaͤtze von Verbrechen und ver - botenen Handlungen. Nur dieſe beyden letztern Gat - tungen uneigentlicher und ſchon an ſich unerlaubter Eyde koͤnnen, wie Maimonides ausdruͤcklich lehret, wider aufgehoben oder vielmehr ihre Suͤnde kann vergeben werden; nicht aber die beyden erſten, non adeo, ſind ſeine Worte, & judiciale aut quod jura - mentum depoſiti vel teſtimonii nuncupant, quorum nulla datur reiaxatia. Ich will dieſer ſchon allein entſchei - denden Stelle, noch einige von Eiſenmengern aus den beruͤhmteſten juͤdiſchen Geſetzlehre[r]n angefuͤhrte, fuͤr die, welchen ſein Werk nicht zur Hand iſt, unter den Text ſetzen*)Der Rabbi Salmon Zevi ſchreibt (ſind Eiſen - mengers Worte) in ſeinem Buche, dem juͤdiſchen Theriat, gegen Brenzens abgeſtreiften juͤdiſchen Schlangenbalg, die lanere Wahrheit, wenn er ſich alſo verlauten laͤßet: Ich will hier auch Gnuͤgen bringen, daß der Abgefallene luͤget, und daß Col niddre nicht aufeinen. Nach ihnen kann nun uͤber dieſeSache319Sache kein weiterer Zweifel mehr ſeyn, und faſt un -nuͤtz*)einen Eyd geher, welchen ein Jude dem andern, oder ein Jude gegen einen Goi thut. Es geher allein auf die Geluͤbde, die einer auf ſich nimmt, mit einem Geluͤbde, oder mit einem Eyd, wie die Schrift (Nummer. 30, v. 3.) ſagt: wann jemand dem Herrn ein Geluͤbde thut, oder einen Eyd ſchwoͤret, daß er ſeine Seele (das iſt ſich ſelbſten) verbindet. Wann einer ein Ge - luͤbde thut, als Faſten, oder anderes, ſo hilft Col niddre darzu, daß er ſich darvon durch einen fuͤrtreflichen Mann, das iſt, durch einen, der im Geſetz ſehr wol erfahren iſt, oder durch drey ſchlechte Maͤnner kann entbinden laßen. Siehe die Aufloͤſung (uͤber Col niddre) in den Machſoren, oder in allen Gelehrten, die daruͤ - ber geſchrieben haben, daß Col niddre auch nicht zu den Geluͤbden etwas hilft, wann ſich einer darauf verlaͤßet, und an Col niddre ge - denket, ehe er das Geluͤbde thut, und thut das Geluͤbde doch, ſo muß er es halten. Aber kein Menſch in der Welt kann ſagen, daß Col nid - dre einen Eyd, (welchen man einem andern thut) aufloͤſe, ſonſten moͤgte ein Jude gegen den andern auch falſch ſchwoͤren. Es ſtehet ja kein Chriſt noch Jude darinnen ausgeſchloſſen. In320nuͤtz iſt es noch anzufuͤhren, daß auch ſchon im vori -gen*)In dem Buche Arba Turim heißt es: Es nutzet aber dieſe Vernichtung (eines Ge - luͤbdes und Eydes und die Entbindung davon) zu nichts anders, als nur zu den Geluͤbden, die einer von ſich ſelbſten thut, und zu dem Eyd, welchen einer von ſich ſelbſten ſchwoͤret. Was aber das Geluͤbde angehet, welches einen ſein Nebenmenſch (oder Naͤchſter) geloben ma - cher; oder den Eyd, welchen eines Nebenmenſch, oder das Gericht einen ſchwoͤren laͤßer, ſo nutzet denſelben die Vernichtung und Losſprechung nichts. Der Rabbi Mordechai Jephe ſagt: Es nutzet dieſe Vernichtung nichts, als zu denjenigen Geluͤbden, die man von ſich ſelbſten gelobet, und zu dem Eyde, den man von ſich ſelbſten ſchwoͤret. Zu demjenigen Geluͤbde aber, das einen ſein Naͤchſter geloben laͤßet, oder dem Eyde, welchen einen ſein Naͤchſter, oder das Gericht zu ſchwoͤren, auferleger, nutzer we - der die Vernichtung, noch einiges Beding: Dann ſiehe, er gelobet und ſchwoͤret nach der Meynung ſeines Naͤchſten, und nach der Mey - nung des Gerichts. In321gen Jahrhundert die gelehrteſten Kenner der neuern juͤdiſchen Lehre unter den Chriſten, als Mieg*)In ſeinen Noten zu dem vorhinangefuͤhrten Trac - tat des Maimonides de Juramentis., Buxtorff**)In Synag. Jud. p. 530 &c. der Edition von 1661, denn in der erſten von 1641 p. 370 hatte dieſer Ge - lehrte noch der ungereimten Erklaͤrung des Col nid - dre beygepflichtet, ſie aber nach reiferer Einſicht verworfen., Wuͤlffer***)In Animadverſ. ad Theriaoam Judaicam Salamo - nis Zevi, p. 183. und andere dieſelbe immer aus dem richtigen Geſichtspunkte angeſehen haben.

Auch Eiſenmenger kann dieſer zu hellen Wahr - heit nicht widerſtehen, er erkennt, daß jene Beſchul -digung*)In dem zu Sultzbach, (ſetzt Eiſenmenger hinzu,) gedruckten Machſor wird auch alſo geleſen: die Ent - bindung nutzet zu nichts, als zu den Geluͤb - den, die einer von ſich ſelbſten thut; aber nicht zu dem, was einen ſein Naͤchſter oder das Gericht geloben, und ſchwoͤren laͤßet. So wird auch in dem alten Prager Machſor in dem Com - mentario, oder der Auslegung uͤber gedachtes Col niddre, die ganze Sache von nichts anders als den Geluͤbden erklaͤret.X322digung abgefallener Juden, (von denen allein ſie ſich herſchreibt) durchaus grundlos ſey, und daß die von ihm angefuͤhrte ſie widerlegende Rabbinen, nach ſei - nem Ausdruck, die lautere Wahrheit ſchreiben, aber kein Wort entfaͤllt ihm, wie ſolche Nichtswuͤr - dige es verdienten, die bloß in der Abſicht, ihre ehe - malige Glaubensgenoſſen verhaßt zu machen, ſolche grobe Unwahrheit, wider ihr beſſeres Wiſſen erdich - ten konnten; kein Wort, das ſeinen Unwillen ge - gen dieſe Verlaͤumder, ſein hierauf gegruͤndetes billi - ges Mißtrauen auch in andern Faͤllen andentete. Dieſe unedle Partheylichkeit iſt es, die mir die - ſen Schriftſteller auch dann, wenn er Recht hat, ſo widerlich macht*)Dieſe Partheylichkeit iſt ſo groß, daß ſie auch jedem ge - nauern Unterſucher dieſer Materie auffallen muͤſſen, wie dieſes beſonders Wolfart und Heisler in den angefuͤhrten Schriften bezeugen. Auch der beruͤhmte und gewiß unpartheyiſche aͤltere Boͤhmer (in jure Eccl. Proteſt. L. V. tit. 6. §. 50) bemerkt ſehr richtig: Ut plurimum tales fabulæ ab iis originem traxere, qui a judaica ſuperſtirione ad nos tranſierunt, qui - bus non facile credendum, quippe qui odio ſectæ ejuratæ inaniſſima ſæpe commenta proferunt, ut ægre iis faciant, quorum odia non ſine ratione me -tuunt,.

Er323

Er glaubt indeß noch andre Gruͤnde zu ſehen, welche die Unverbindlichkeit juͤdiſcher Eyde in Abſicht der Chriſten, beſſer wie die widerlegten, erhaͤrten ſollen. Es ſind folgende:

1) Die eigne Klage der Rabbinen uͤber den Leichtſinn ihrer Nation bey Eyden und die Menge derer, welche ſich des Meyneydes ſchuldig machen eine Klage, die gerade das richtige moraliſche Gefuͤhl und den redlichen Ernſt dieſer Rabbinen und derer, welche nach dem Geſetze leben, beweiſet, die von chriſtlichen Theologen und Moraliſten gewiß mit eben ſo gutem Grunde gefuͤhrt wird, alſo wenn ſie beweiſen ſollte, was Eiſen - menger hier bewieſen haben will, auch dem Chri - ſtenthum den Vorwurf, daß es den Meyneyd erlau - be, mit gleichem Rechte zuziehen muͤßte; man fuͤhlt die Ungereimtheit einer Anklage am beßten, wenn ſie auch gegen uns ſelbſt gerichtet iſt. Ich wer - de alſo wohl nach dem, was ich oben zu genauer Be - ſtimmung der Streitfrage geſagt habe, hieruͤber nichts weiter hinzuſetzen duͤrfen.

X 22) Es
*)tuunt. Nirgend trifft dieſes mehr zu, als bey der Beſchuldigung, mit der ich es hier zu thun habe, da Eiſenmenger, wie auch ſchon Heisler erinnert, keine einzige Stelle juͤdiſcher Lehrer, ſondern bloß Ueberlaͤufer zu ihrem Beweiſe anfuͤhrt.
*)324

2) Es giebt ein Buch, Sepher Cheſidim, worinn ſteht: daß vier Suͤnden nicht ungeſtraft blei - ben, wenn man aber Buße thue, werde man doch in dieſer Weit fuͤr dieſelbe geſtraft, dage - gen aber von der Strafe der Hoͤlle befreyet. Ich kenne das Buch Sepher Cheſidim nicht, weiß auch nicht, in welchem Anſehnes bey den itzigen Juden ſtehe, welchen practiſchen Einfluß es auf ſie haben koͤnne? Eiſennienger ſelbſt ſagt, daß ſich viel gute Dinge darinn finden, und wenn das Angefuͤhrte eine Pro - be des Boͤſen drinn ſeyn ſoll, ſo duͤnkt mich, duͤrfte es eben nicht ſo verwerflich ſeyn, wenigſtens werden wir von ihm keine Befoͤrderung unmoraliſcher Grund - ſaͤtze zu beſorgen haben. Der Glaube, daß der Meyneyd auch im Fall der Buße, doch zeitlich beſtraft werde, (ein allerdings auch im moſaiſchen Geſetz gegruͤndeter Glaube) wird auch den roheſten Menſchen nicht leichtſinniger machen, als er ohne - dem iſt, vielmehr ein gerade fuͤr ihn am meiſten paſ - ſender Abhaltungsgrund ſeyn, und ſo viel wirken, als es nach dem ganzen uͤbrigen Umfange ſeiner Er - kenntniß moͤglich iſt. Wehe dem Menſchen, den nichts als ewige Hoͤllenſtrafe von einem ſo ſchaͤndlichen Verbrechen abhalten kann! Schwerlich wird auch dieſe den Elenden ſchrecken, wenn die, auch im Fallder325der Buße, doch gewiſſe, zeitliche goͤttliche Strafe es nicht kann. Gerade dieſe Lehre hat bey den aͤltern Voͤlkern*)Beſonders von den Roͤmern ſ. Malblane de Jureju - rando L. III. c. 37, 38. und beſonders auch bey den Juden (bey wel - chen nach dem moſaiſchen Geſetze der Meyneydige gar keine buͤrgerliche, aber die ohufehlbare goͤttliche Ahn - dung zu befuͤrchten hatte**)S. Michaelis, moſaiſches Recht, V. §. 256. die Heiligkeit des Eydes befoͤrdert. Auch unter dem chriſtlichen gemeinen Mann herrſcht der Glaube, daß der Meynend auch noch in dieſem Leben, vorzuͤglich vor andern Laſtern, von der Gottheit ſichtbar beſtraft werde. Und ſollte dieſer Glaube nicht auf eine wohlthaͤtige Art zu dem Abſcheu mitwirken, der wenigſtens unter dem Land - volk und in kleinen Staͤdten ſich Gottlob! noch er - halten hat. Gewiß wird er wenigſtens dieſen Ab - ſcheu nicht mindern und die Hofnung der Erlaſſung dieſes Verbrechens in einem kuͤnftigen Leben, die der Chriſt mit dem Juden gemein hat kann bey eini - gem vernuͤnftigen Unterricht dieſe Folge unmoͤglich haben, wie ich ſogleich noch naͤher zu zeigen hoffe.

3) Am Verſoͤhnungtage werden den Ju - den, nach ihrer Lehre, alle, auch die ſchwer - ſten Suͤnden erlaſſen und ſie wieder ganz en - gelrein gemacht; alſo wird hier auch, ſchließt Eiſenmenger, der falſche Eyd, alſo auch beſon -X 3 ders326 ders der einem Chriſten geſchworne, erlaſſen. Dieſer Grund ſcheint noch weit mehr zu beweiſen, als hier bewieſen werden ſoll. Wenn am Verſoͤh - nungstage alle Suͤnden ohne Ausnahme vergeben worden; wenn die Juden im Vertrauen auf dieſe Vergebung, ſie zu begehen wagen: ſo iſt dieß uͤber - haupt ein Grund, der ihre ſittliche Beſſerung zuruͤck - halten muß, ſo iſt man berechtigt, jedes Laſter von ihnen zu erwarten.

So ganz unrecht iſt nun freylich wohl dieſe Folge in dem eben angegebenem allgemeinern Sinn nicht abgezogen. Allerdings iſt die Lehre von der Ver - gebung der Suͤnden und der durch gewiſſe Heil - mittel urploͤtzlich zu bewirkenden Seelen-Reinigkeit und Gewisheit der ewigen Seeligkeit, in der juͤdi - ſchen und wohl noch mehr in der chriſtlichen Theolo - gie oft ſo vorgeſtellt worden, daß ſie den geſunden Menſchenverſtand und das gerade Gefuͤhl von Recht und Unrecht irre fuͤhren, auf die Moralitaͤt des ge - meinen Mannes einen ſchaͤdlichen Einfluß beweiſen und ſeine ohnedem wenig entwickelte Begriffe von dem, was eigentlich in dieſem und einem andern Leben ihn gluͤcklich machen koͤnne, noch mehr verwirren muͤſſen. Die leyder nur noch immer zu ſehr herrſchende Lehre von der alleinſeeligmachendenKraft327Kraft eines gewiſſen Glaubens, eines fremden uns angerechneten Verdienſts, von der Entbehr - lichkeit, Schaͤdlichkeit ſogar der guten Werke; die vermeynte Leichtigkeit auch fuͤr den verworfenſten Menſchen durch Beobachtung gewiſſer religioͤſen Cere - monien und die an Gottes ſtatt erhaltene Suͤnden - vergebung, der ewigen Seeligkeit und des Wohlge - fallens der Gottheit unendlich verſicherter zu werden, als den tugendhafteſten Heyden es moͤglich war, de - nen dieſe ſogenannte Gnadenmittel abgiengen; die noch groͤßere Leichtigkeit in der zahlreichſten chriſtli - chen Kirche, durch erkauften Ablaß allen Folgen des Laſters, auch ſelbſt noch des kuͤnftig zu begehen - den, ſicher auszuweichen: dieſe Lehren haben allerdings die ſonſt ſo natuͤrlichen Begriffe von Mo - ralitaͤt und Gluͤckſeeligkeit ſehr verwirret; haben oft Menſchen bis zu einem unglaublichen Grade von Verderbtheit geleitet, ſie zu Laſtern gereitzt, weil ſie die Mittel ſich von ihnen zu reinigen noch, ehe ſie begangen waren, darboten; haben, ſo undenkbar es ſcheinen moͤchte, ſogar in proteſtantiſche Erbau - ungsbuͤcher den Gedanken gebracht, daß man um ein wahres Kind Gottes zu ſeyn, zuvor recht gottlos ſeyn muͤſſe; ja ſie haben die moͤrderiſche Hand der Verbrecher geleitet, die ſich ſelbſt der Ge -X 4rechtig -328rechtigkeit uͤberlieferten und ihr bekannten, daß ſie nur allein dem Wunſch, recht gruͤndlich bekehrt zu werden und ganz gewiß ſeelig zu ſterben, das Leben eines unſchuldigen Mitmenſchen geopfert haͤtten.

So wie die Regierung (wenigſtens die Preußi - ſche) um dieſe letztre Abſcheulichkeit zu hemmen, zu - getreten und die ſo auffallend unſchickliche, prahleri - ſche Bekehrung der Verbrecher unterſagt hat; ſo duͤnkt mich, iſt hier uͤberhaupt der Fall, wo der Staat ſich um Religionslehren bekuͤmmern muß, die ſo ſchaͤdliche moraliſche Folgen aͤußern. Freilich ver - bieten kann er ſo tief eingewurzelte, ſo heilig geach - tete Vorurtheile nicht, aber wohl durch den Unter - richt der Jugend, richtigere Kenntniſſe von dem Werth und den Folgen menſchlicher Handlungen verbreiten, und dadurch wenigſtens die werdende Generation vor dem Fortdauern ſo unnatuͤrlicher Verwirrungen ſichern. Auch waͤre der Staat aller - dings berechtiget, den Religionslehrern aller Par - theyen eine weiſere und vorſichtigre Behandlung dieſer Materien aufzugeben, und wenigſtens muß er die Wuͤr - digen unter ihnen beguͤnſtigen, welche in proteſtanti - ſchen und itzt auch in katholiſchen Laͤndern, jene Vor - urtheile ſchon mit ſo gluͤcklichem Erfolg beſtritten und die Menſchen wider zu der ſo einfachen, aber ſo wich -tigen329tigen Wahrheit: daß ohne Tugend in dieſer und einer andern Welt keine Gluͤckſeeligkeit moͤglich ſey, zuruͤckzuleiten geſucht haben. Vorzuͤglich ſcheint es, koͤnnte ohne die ganze theologiſche Lehre von Suͤn - denvergebung zunaͤchſt angreiffen zu duͤrfen, dieſelbe dadurch gereinigt werden, wenn nur immer die wirkliche Beſſerung und der feſte Vorſatz nicht wie - der die itzt erlaſſenen Suͤnden zu begehn, zu einer nothwendigen und weſentlichen Bedingung dieſer Er - laſſung gemacht wuͤrde.

In dem juͤdiſchen ſo wie in dem chriſtlichen Re - ligionsſyſteme findet ſich dieſe Bedingung, aber ſie iſt in dem erſtern vielleicht nicht ſo oft uͤberſehn und ganz verkannt worden, als im letzterm, welches uͤber - haupt die Lehre von der Suͤndenvergebung auf eine fuͤr die Moralitaͤt ungleich ſchaͤdlichere Art aus - gebildet hat, als es von den Lehrern der Juden je - geſchehen iſt. Alle die vorhin bemerkte das gerade Menſchengefuͤhl entweder empoͤrende oder verderbende Saͤtze werden nur in den Schriften chriſtlicher Theo - logen, nicht der Rabbinen gefunden. Dieſe kennen keinen zu erkaufenden, eine wirkliche Beſſerung ent - behrlich machenden Ablaß; keine durch Geld zu be - wirkende, alſo nur den Reichen moͤgliche, Abkuͤr - zung der reinigenden Strafen jenes Lebens; ihnen ſindX 5die330die guten Werke der Seeligkeit nie ſchaͤdlich gewe - ſen; ſie haben nie einen Glauben gekannt, der die Tugend entbehrlich machen koͤnnte; ſie ſind nicht durch die Zurechnung des Verdienſtes eines Frem - den auf den Wahn gebracht, ſelbſt des Verdienſts nicht zu beduͤrfen.

Nie iſt der juͤdiſche Lehrbegrif bis zu dieſem Gra - de verderbt worden, zu dem der Eigennutz der Hie - rarchie und die Hitze theologiſcher Streitigkeiten den chriſtlichen herabgewuͤrdigt haben. Da die Juden itzt keine Opfer mehr haben, und kein Bock mehr am Verſoͤhnungstage ihre Suͤnden in die Wuͤſte weg - traͤgt; ſo iſt, wie ihre Lehrer ausdruͤcklich ſagen, itzt kein Mittel mehr fuͤr ſie, dieſer Suͤnden Vergebung zu erhalten, als Buße. Die ganze erlaſſende Kraft des Verſoͤhnungstages iſt nothwendig an dieſe Be - dingung geknuͤpft, und auch die Erinnerung iſt nicht vergeſſen, daß wer in der Hofnung einer kuͤnftigen Vergebung ſuͤndige, eben dadurch ihrer verluſtig werde. Bey dieſen Beſtimmungen ſcheint es mir nicht, daß die juͤdiſche Lehre von der Suͤndenverge - bung einen nachtheiligen Einfluß in die Moralitaͤt beweiſen duͤrfte, wenigſtens immer in geringerm Maaße als die chriſtliche, wie ſie noch von ſo vielen Lehrern dargeſtellt wird, beſorgen laßen muß. Ge -wiß331wiß aber hat man dabey nichts in Abſicht der Eyde und beſonders der den Chriſten abgelegten, deren mit keinem Unterſchiede erwaͤhnt wird, zu beſorgen, da wie ſchon bemerkt iſt, auch ſogar die Buße den Meyneydigen nicht von der goͤttlichen Strafe in dieſem Leben, nach der Lehre des Juden, befreyet.

4) Die Rabbinen lehren, daß ein Eyd, zu dem man gezwungen werde, nicht verbind - lich ſey, wenn man nur bey deſſen Ablegung den Worten einen andern Sinn gebe, als ſie ihrer gewoͤhnlichen Bedeutung nach haben. Hieraus folgt, daß die Juden alle Eyde, die ſie vor der chriſtlichen Obrigkeit ablegen, als Zwangeyde anſehn, und ſie alſo nicht erfuͤllen zu duͤrfen glauben.

Der Vorderſatz dieſes Grundes hat allerdings ſeine Richtigkeit, aber durchaus nicht die Folgerung, die Eiſenmenger aus ihm abgeleitet hat. Ich will, damit man das Folgende beſſer verſtehen koͤnne, die rabbiniſchen Stellen unter den Text ſetzen*)In dem Rechtsbuche Schulchem Aruch heißt es: Wann einer einem Gewaltthaͤtigen (oder Zwang gebrauchenden) ein Geluͤbde thut, odereinen, auf wel - che es hier ankoͤmmt.

Nach332

Nach denſelben wird es allerdings fuͤr erlaubt ge - halten, einen durch Zwang abgedrungenen Eyd, durch reſervationes mentales unverbindlich zu machen. Es iſt bekannt, daß weder Moraliſten noch Rechts - lehrer hieruͤber in allen Faͤllen einſtimmig entſcheiden, und daß der gewoͤhnliche Volksglaube, der auch in eine ſpruͤchwoͤrtliche Redensart uͤbergegangen, ſich gegen die Verbindlichkeit des Zwangeydes erklaͤrt. Der Talmud und die Rabbinen treten dieſer Erklaͤ - rung bey, und es koͤmmt alſo nur darauf an, was unter einem gezwungenen Eyde von ihnen verſtan - den werde?

Nach
*)einen Eyd ſchwaͤret, ſo iſt es kein Geluͤbde, und kein Eyd. Deswegen thut man den Moͤrdern und Zoͤllnern ein Geluͤbde, wann es ein Zoͤll - ner iſt, der ohne Befehl des Koͤnigs ſtehet, oder wenn er von einem mehr (Zoll) nehmen will, als ihm geſetzt, (und zu nehmen verord - net) iſt, und kann man ihm ein Geluͤbde thun, oder einen Eyd ſchwoͤren, daß man frey von ihm komme, und ſagen, alle Fruͤchte in der Welt ſollen mir (zu eſſen) verboten ſeyn, wenn ich nicht von des Koͤnigs Hauß bin, damit er des Moͤrders loß werde: oder, wann nicht dasjenige, das ich bringe, von des Koͤ -nigs
*)333

Nach dem Talmud, dem Majemonides, und allen andern Rabbinen heißt auch ihnen gezwunge - ner Eyd nichts anders, als was er Jedem, der dieſe Worte hoͤrt und nicht auf caſuiſtiſche Sophiſte - reyen ausgeht, heißen muß, ein Eyd, den Jemand uns durch Drohung oder wirklich angethane Gewalt abdringt, ohne daß er irgend ein Rechtihn*)nigs Hauß iſt, damit er von dem Zoll frey wer - de. Er gedenker aber in ſeinem Herzen, ſie ſol - len mir nur heut verboten ſeyn, wiewohl er es ſchlechthin aus ſeinem Munde redet: denn es iſt bey uns feſt und gewiß (und erweißlich) daß die Worte, welche im Herzen ſeynd, vor keine Worte gehalten werden, und daß ſolches bey einem Zwang-gebrauchenden zu thun erlaubet ſey, wann derſelbe auch ſchon von einem nicht begehret, daß er ein Geluͤbde thun ſoll, und er von ſich ſelbſten ein Geluͤbde thut, oder er ein mehrers angelobet, als derſelbe erfodert hat: oder wann derſelbe von ihm begehret hat, daß er ein Geluͤbde thun ſoll, und er ſchwoͤret ihm, ſo iſt ſolches fuͤr nichts zu halten, dieweil er alles, was er thut, nur wegen des Zwanges thut, und damit er ſeine Worte gegen den Ge - waltthaͤtigen bekraͤftigen moͤge, doch aber alles nach der Nothwendigkeit der Sachen.334ihn uns abzufodern haͤtte; aber ein von der Obrigkeit oder jedem andern dazu Berechtig - ten, uns abgenommener Eyd, kann nie als ein gezwungener angeſehen werden. Auch die in der Stelle des Schulchen Aruch, auf welche Eiſen - menger ſich bezieht, angefuͤhrte Beyſpiele, bewei - ſen dieſes. Es iſt in derſelben von einem Moͤrder oder einem Zoͤllner, der mit Unrecht einen Zoll verlangt, die Rede. Vorzuͤglich koͤmmt es auf das Wort Anaſſ an, gegen den allein naͤmlich die Rab - binen reſervationes mentales erlauben. Eiſenmenger uͤberſetzt dieß einen Gewaltthaͤtigen, einen Zwang - gebrauchenden. Es heißt aber Anaſſ, wie mich Hr. Moſes Mendelsſohn belehrt hat, ein Uſurpa - tor, ein Rechtsraͤuber, ein Menſch der ſich uͤber mich gewaltſamer Weiſe ein Recht anmaßt, das ihm nicht zukoͤmmt, ein Rebelle oder Straßenraͤuber, Moͤrder, unbefugter Zoͤllner, Freybeuter u. d. gl. wie dieſes alle Stellen, in denen dieſes Wort vor - koͤmmt, erweiſen. Aber von einem befugten Rich - ter oder irgend einer obrigkeitlichen Perſon wird es nie gebraucht, und von einem Rechtshandel iſt nie die Rede, wenn die Zwangfaͤlle beſtimmt werden, unter denen reſervationes mentales geſtattet ſind.

Der ſo eben von mir genannte edle Mann glaubt, daßnach335nach genauer Vergleichung aller hieruͤber in den Rabbi - nen vorkommenden conereten Faͤlle, in welchen ſie ihren Unterricht vorgetragen, die allgemeinen Saͤtze, auf die ſie reducirt werden muͤſſen, folgende ſind die ich mit ſeinen Worten hieher ſetze:

1. Eine Auſſage, die der innern Ueberzeugung widerſpricht, aber keines Andern Recht kraͤnket, heißt eine Unwahrheit.

2. Wird aber eines Andern Recht dadurch ge - kraͤnkt, ſo iſt es eine Luͤge.

3. Es iſt erlaubt, ſich einer Unwahrheit zu ſeinem Vortheil zu bedienen, aber nicht einer Luͤge; auch iſt nicht erlaubt, eine Unwahrheit zu be - ſchwoͤren. Denn dieſes waͤre ein Misbrauch des goͤttlichen Nahmens.

4. Wenn Jemand ſich gewaltſamer Weiſe das Recht anmaßt, mir ein Geſtaͤndniß abzufodern, das er zu meinem oder eines Andern Schaden mis - brauchen will; ſo bin ich verbunden die Wahrheit zu verſchweigen oder auch die Unwahrheit zu ſagen, und dieſe allenfalls durch ein Geluͤbde oder durch einen Eyd zu bekraͤftigen, dem ich im Herzen einen andern Sinn gebe. Es iſt zwarſonſt die allgemeine Regel der Rabbinen, daß Worte, die man bloß im Sinne hat, nicht als Worte anzu -336 anzuſehen ſind; allein ein ſolcher Nothfall macht eine Ausnahme.

5. Zwingt man mich zu ſolchen Ausbruͤcken, denen ich keinen andern Sinn geben kann, ſo bin ich verbunden, die Wahrheit zu geſtehen und den Schaden, der daraus entſtehen, zu ertragen oder zu erſetzen.

6. Iſt der Schade unerſetzlich, ſo kann ich den Rechtsraͤuber allenfalls durch einen falſchen Eyd hintergehen.

7. Hat aber Jemand ein Recht, von mit ein Geſtaͤndniß zu verlangen, ſo wird jede Unwahr - heit, deren ich mich bediene, zur Luͤge, jeder Eyd, bey dem ich die Worte in einem andern, als ge - woͤhnlichen Sinn nehme, zum Meyneyde.

Nach dieſen Grundſaͤtzen kann alſo ein auch von einem Chriſten mit Recht geforderter Eyd, fuͤr einen Juden nie zu den Faͤllen*)Heisler iſt vermuthlich durch die bemerkte zwey - deutige Eiſenmengeriſche Ueberſetzung des Worts: Anaſſ, verleitet worden (S. l. c. p. 26) auch den Fall mit zu den erlaubten zu rechnen wenn Jemand einem offenbaren Unrecht, ſo ihm ein Anderer thun will, nicht anders als durch einen Eyd ent - gehn gehoͤren, wo die Rab -binen337binen reſervationes mentales erlauben. Der Einwurf, auf den es hier ankoͤmmt, wuͤrde alſo gleichfals ge - hoben ſeyn und die Obrigkeit koͤnnte auf den End ei - nes Juden ſich ſicher verlaſſen, der den Grundſaͤtzen ſeines Geſetzes getren bliebe.

Indeß geſtehe ich gern, daß mir obige rab - biniſche Beſtimmungen nicht ganz gefallen, und daß ich ſie allerdings ſchaͤdlicher Folgen faͤhig halte. Das reine Gefuͤhl fuͤr Aufrichtigkeit und ſtrenge Wahrheit iſt zu wichtig, als daß es nicht bedenklich ſeyn ſollte, es auf irgend eine Art zu ſthwaͤchen, und dieſes ſcheint mir leicht moͤglich, wenn man einmal die Menſchen an zu feine Diſtin - ctionen und caſuiſtiſche Abtheilung der Faͤlle gewoͤhnt, und es ihrem eignen Gewiſſen erlaubt, ſich zuwei -len*) gehn kann. Dieſe Erlaubniß koͤnnte allerdings ſehr gemißbraucht werden, da faſt in jedem Rechts - handel jede Parthey ihr Recht fuͤr offenbar haͤlt, alſo wenn ſie nicht anders es erhalten koͤnnte, ſich einen falſchen Eyd erlauben wuͤrde. Nach den hier entwickelten Grundſaͤtzen gehoͤrt aber dieſer Fall durchaus nicht zu denen, in welchen es verſtattet iſt, ſeinen Worten einen andern Sinn zu geben, welche vielmehr allein auf die unrechtmaͤßige Gewalt Deſſen, der uns einen Eyd abdringt, beſchraͤnkt ſind.Y338len von der Pflicht zu diſpenſiren ganz redlich und wahr zu ſeyn. Beſonders ſcheint mir die Befugniß, die Worte in einem andern Sinn, als der, welcher ih - nen trauet, ſie nimmt, nehmen, ſie bey ſich ſelbſt durch heimlich zugedachte Worte vernichten zu duͤrfen, immer fuͤr die moraliſche Wuͤrde zu gefaͤhrlich, als daß ſie durch irgend einen Vorwand gerechtfertigt werden koͤnnte. Ich vermuthe daß die juͤdiſchen Lehrer dieſe Unterſcheidungen nicht ſo - wohl erfunden, als da ſie einmal durch die ſchon herr - ſchende Sittenverderbniß eingefuͤhrt waren, nur nach - gegeben und um die Heiligkeit des Eydes deſto mehr zu ſichern, ſo genau wie moͤglich beſtimmt haben. Sie dachten vielleicht nicht daran, wie eben dieſe Beſtimmungen dem Betrug und Eigennutz zu noch mehrern Anleitung werden muͤßten und wie kein Schade ſo groß ſey als der, die Menſchen zu Ver - letzung der Wahrheit zu gewoͤhnen. Die Diſtinction zwiſchen Luͤge und Unwahrheit iſt oft im wirk - lichem Leben zu ſein, als daß nicht zuweilen im Ge - draͤnge der Leidenſchaft dieſe Begriffe verwechſelt wer - den ſollten; auch ein erſetzlicher Schade kann zu - weilen als ein unerſetzlicher betrachtet werden; und es koͤnnen ſich Faͤlle ergeben, wo wir auch eine rechtmaͤßige Gewalt uns einen Eyd abzufodern,der339der fuͤr unſer Intereſſe wichtig iſt, nicht dafuͤr er - kennen, und auch itzt mit Reſervationen, die eine zu leichte Moral uns in einigen Faͤllen nachſieht, unſer Gewiſſen zu beruhigen ſuchen. So pflegen Menſchen zu handeln und ich zweifle nicht, daß dieſe uͤble Folgen bey den Juden wirklich eingetreten ſind, und daß dieſe, einmal an eigenmaͤchtige heimliche Selbſtvernichtigung des gegebenen Worts gewoͤhnt, dieſe auch da, wo ſie nicht ſolten, ſich geſtattet ha - ben, dadurch uͤberhaupt zum Leichtſinn in Abſicht der Eyde verleitet ſind*)Sogar in der vorhin angefuͤhrten Stelle findet ſich hievon ein Beweis, da nicht nur gegen den, der nicht Zoͤllner iſt, ſondern auch gegen den wirkli - chen Zoͤllner, wenn er nur zuviel fodert, die Selbſt - vernichtigung des Eydes erlaubt wird, da doch nicht dem, der Zoll giebt, ſondern dem dazu be - ſtellten oͤffentlichen Bedienten, der Tarif, nach welchem Zoll gefodert wird, am beſten bekannt ſeyn muß, und Jenem nur, wenn er ſich berechtigt haͤlt, eine Beſchwerde bey dieſes Obern uͤbrig bleibt. Noch bedenklicher ſind die S. 511 von Eiſenmenger angefuͤhrte rabbiniſche Stellen, nach welchen ſogar einem Simeon erlaubt iſt, eydlich zu erhaͤrten, daß er von dem bey ihm niedergelegten Gelde des Raͤu -bers. Sehr natuͤrlich daß auchY 2Manche340Manche die chriſtliche Obrigkeit fuͤr eine unrechtmaͤßi - ge Gewalt angeſehen und auch gegen ſie die Reſer - vationen ſich moͤgen erlaubt gehalten haben. Der na - tuͤrliche Gang der menſchlichen Ideen und Empfin - dungen, die ſchlechte ſittliche Bildung des groͤßern Haufens der Juden; thre Erbitterung wider die ſie druͤckende Chriſten, macht die Folgerung ſehr wahr - ſcheinlich, und es kann Faͤlle gegeben haben, wo ſie verzeihlich ſeyn mochte, weil es vielleicht nicht leicht war, die chriſtliche peinigende Obrigkeit von einem gewaltſamen Rechtsraͤuber zu unterſcheiden. Gewiß haben die juͤdiſchen Lehrer dieſe Folgerung nicht vor - aus geſehen, noch weniger ſie genehmiget; ihre Er - klaͤrungen von der Heiligkeit des Eidſchwurs und von dem jeder Obrigkeit ſchuldigen Gehorſam ſind hier - uͤber zu deutlich. Aber da ſie doch natuͤrlich und faſt unvermeidlich iſt, ſo duͤnkt mich, fodert die Wichtigkeit der Sache, ſie ganz unmoͤglich zu machen.

Reſer -
*)bers nichts wiſſe, wenn der Koͤnig es mit Unrecht wegnehmen will. Man ſieht wie gefaͤhrlich es ſeyn wuͤrde, die Erkenntniß uͤber dieſes Unrecht dem, der Parthey iſt, zu uͤberlaſſen, und wie geſchwinde man ſich immer weiter verirren koͤnne, wenn man einmal durch die allemal ſchaͤdlichen caſuiſtiſchen Sophiſtereyen von dem geraden Wege der Wahr - heit abgeleitet iſt.
*)341

Reſervationes mentales ſollten mit den Jeſititenalls allen menſchlichen Geſellſchaften verbannt und durch - aus in keinem Falle mehr geduldet ſeyn. Hier, ſcheint es mir, muͤßte die Regierung zutreten und den juͤdi - ſchen Lehrern begreiflich machen, wie nachtheilige Folgen es haben koͤnne, wenn man den Menſchen erlaube, ihre Worte zuweilen in einem andern Sinn zu nehmen, als ſie von dem, welcher ſie von uns verlangt, genommen werden koͤnnen, und wie ſie, um die moraliſche Berderbtheit ihrer Nation zu ver - huͤten, und ihre Treue nicht verdaͤchtig zu machen, durchaus bey dem Satze, daß im Sinne behaltne Worte nichts gelten, in allen Faͤllen bleiben und davon ſchlechterdings keine Ausnahme geſtatten und lehren muͤſſen. Dieſe Ausnahme iſt auch in der That ganz unnoͤthig; fuͤr die wenigen und in unſern Staa - ten ſo ſeltenen Faͤlle, um derentwillen ſie erdacht wor - den, iſt ſchon ſonſt durch die juͤdiſche Religion ge - ſorgt worden, indem nach derſelben ein gezwun - gener Eyd erlaßen werden kann. Dieſes iſt ohne Zweifel ein weit unbedenklicheres Mittel weil es hiernach nicht dem eignen Urtheil eines Jeden uͤberlaſſen wird, einen ihm abgeforderten Eyd fuͤr gezwungen zu halten, ſondern ein gewiſſenhafter Lehrer entſcheidet. Noch beſſer aber wuͤrde der Aus -Y 3weg342weg ſeyn, wenn die Geſetzgebung, (wie dieſes auch ſchon durch das roͤmiſche ſowohl als canoniſche Recht wirklich geſchehen iſt) uͤberhaupt alle Eyde, zu denen auch Juden von einer unrechtmaͤßigen Gewalt ge - zwungen worden, fuͤr unverbindlich erklaͤrte, die Er - kenntniß aber, ob in einzelnen Faͤllen wirklich Zwang vorhanden geweſen oder nicht? allein der ordentlichen Obrinkeit, allenfalls mit Zuziehung eines juͤdiſchen Religionslehrers, gehoͤrte, wenigſtens dieſer niemals ohne vorhergegangenes obrigkeitliches Urtheil einen Eyd aufheben duͤrfte. Hiedurch wuͤr - den auf einmal alle reſervationes mentales ſchlechter - dings unnoͤthig gemacht, die oͤffentliche Treue und Heiligkeit des feyerlich gegebenen Worts blieben un - geſchwaͤcht. Die Juden koͤnnten auch gegen eine ſolche Verfuͤgung der Regierung nichts einwenden, da ihre aus Noth nachgelaßene Befugniß ſich ſelbſt zu diſpenſiren, hiedurch unnuͤtz gemacht und der Zweck, einen Zwangeyd unverbindlich zu machen, weit ſiche - rer und ohne Nachtheil fuͤr die Geſellſchaft und Mo - ralitaͤt erreicht waͤre. Die Regierung wuͤrde alſo mit Recht verlangen und auch darauf halten muͤſſen, daß in den juͤdiſchen Schulen ohne Ausnahme alle falſch Eyde fuͤr Meyneyde, alle Luͤgen und Reſer - vationen fuͤr unerlaubt erklaͤrt wuͤrden und kein an -der343der Mittel von einem Zwangeyde befreyet zu werden, uͤbrig bliebe, als eine von der Obrigkeit genehmigte Diſpenſation des Religionslehrers.

Nur um nachtheilige Folgerungen zu verhindern, wuͤrde dieſe Modiſication der juͤdiſchen Lehre vom Eyde noͤthig ſeyn, aber ich wiederhole es nochmals, dieſe einhaͤlt auch itzt nichts, was einen dem Chriſten abgelegten Eyd des Juden auf einige Weiſe unver - bindlicher als einen andern machte. Haben einzelne Juden ihn ſo angeſehn, ſo iſt es bloß Mißbrauch und unrichtig abgeleitete Folgerung dieſer Lehre. Ich glaube dieſes deutlich dargethan, und alle von Eiſenmengern angefuͤhrte Gruͤnde auf eine je - dem unpartheyiſchen Unterſucher vollkommen befrie - digende Art widerlegt zu haben. Ich kann die - ſem negativen Beweiſe, zu dem ich eigentlich hier nur verbunden war, nun noch dieſes hinzu - ſetzen, daß auch bey den bewaͤhrteſten Lehrern der Ju - den ſich die ausdruͤcklichſten Stellen finden, worinn ſie jeden falſchen Eyd, auch wenn er einem Goi oder Nichtjuden abgelegt worden, fuͤr eine der haͤrteſten Suͤnden halten, deren Beſtrafung, nach dem moſai - ſchen Rechte, ſich die Gottheit ſelbſt, vorbehalten und auch im Fall der Buße nicht erlaßen hat. Sie pflegen ſich in Abſicht der bey den Goi gleich eintre -Y 4tenden344tenden Verbindlichkeit auf das Beyſpiel des Koͤnigs Zedekia zu beruffen, der auf Anrathen des juͤdiſchen großen Raths ſeinen dem heidniſchen Koͤnig Nebud - cadnetzar geſchwornen Eyd brach und deshalb nach der juͤdiſchen Geſchichte mit dem Untergange beſtraft wurde. Ein allerdings paſſendes Nationalbeyſpiel! Ich will einige von Eiſenmenger ſelbſt angefuͤhrte rabbiniſche Stellen noch unter den Text ſetzen*)Der Rabbi Bechai ſagt: Welcher einen Eyd uͤbertritt, der verlaͤngnet das Fundament (nemlich Gott,) und ſchlieſſet ſich ſelbſten aus von der Summa des Eydes, und hat kein Theil an dem ewigen Leben. Welcher einen Eyd uͤbertritt, der thut eben ſo viel, als wenn er den gebenedeyeten Gott verleugnete, und demſelben abſagte, dann der zweck eines Eydes beſtehet darinnen, daß, gleich wie Gott wahrhaftig iſt, alſo ſoll auch ſein (nemlich des Menſchen) Wort wahrhaftig ſeyn. Wenn er aber ſein Wort nicht haͤlt, ſiehe ſo verlaͤugnet er den gebenedeyeten Gott. Es iſt unter allen Suͤnden keine ſo ſchwer, als wenn man einen Eydſchwur uͤbertritt. Wer einem Goi, oder Heyden, (das heißt ei - nem der kein Jud iſt,) ſchwoͤret, und den Eyduͤber -: dieſein345in Verbindung mit allen vorher angefuͤhrten Gruͤn - den werden, wie ich hoffe, alle nur moͤgliche Zweifel - ſo lange keine neue und ganz uͤberzeugende Gruͤnde vorgebracht ſind, jedem vorurtheils-freyen Leſer ganz befriedigend beantworten. Meinem Gefuͤhl nach wenigſtens ſind die Begriffe uͤber dieſe Materie nu[r]Y 5ſo*)uͤbertritt, derſelbige entheiliger den Nachmen Gottes; und lernen wir ſolches (Ezechiel 17, v. 13 ꝛc. ) von dem (Koͤnig) Zidkia, welcher dem Nebucad-Nezar geſchworen, und ſeinen Eyd uͤbertreten hat, und deswegen beſtraft iſt wor - den, (wie 2 Reg. 25, v. 7. und Jeremiaͤ 39, v. 6. zu leſen iſt,) und dieſes iſt, was der Ezechiel (im 17 Capitel v. 5) geſagt hat: Er nahm auch von dem Saamen des Landes, und ſetzte ihn in einem fruchtbaren Boden ꝛc. Hieraus kann man lernen, was fuͤr eine ſchwere Sache es ſey, wann man einem Goi von den Voͤl - kern einen Eyd ſchwoͤrer, und ſeinen Eyd uͤber - tritt, wie groß ſeine Strafe ſey, daß ſie bis an den Himmel reichet, und das wegen der Entheiligung des Nahmens Gottes. Deswe - gen auch ſaget die Schrift, (Levit. 19, v. 12.) Ihr ſollet nicht falſch ſchwoͤren bey meinen Nahmen (dann) ich bin der Herr, der dichdeswe -346ſo deutlich einwickelt, als es ihre Natur erlaubt, und ohne bisher voͤllig unbekannte Beweiſe vorzubringen, wird kuͤnftig Niemand mehr in den Indeneyden etwas Haͤckliches finden, oder Eiſenmengers An - klagen in Abſicht dieſes Puncts von ſeinen uͤbrigen vortheilhaft auszeichnen duͤrfen.

*)deswegen ſtrafet, wann du auf einige Wei - ſe, ja auch einem Goi, falſch ſchwoͤreſt, dieweil du den Nahmen (Gottes) entheili - geſt. Der Rabbi Iſaac Abuhaf. Wir lernen in dem Medraſch-Tanchuma, daß ein jeder, welcher mit Eyden ſich verſuͤndiget, (und dieſelbe uͤbertritt) den heiligen gebenedeye - ren Gott verlaͤugne, und in Ewigkeit keine Vergebung zu gewarten habe, dieweil (Exodi 20, v. 7.) geſagt wird: Dann der Herr wird den nicht unſchuldig halten, der ſeinen Nah - men vergeblich nimmt.
*)Hier347

Hier breche ich dieſe Unterſuchungen ab, da die wenige Muße abgerißener Stunden, welche ich den - ſelben widmen koͤnnen, und der Wunſch meines ſchaͤtzbaren Freundes, der dieſe Schrift verlegt, die - ſen bereits angekuͤndigten Theil nicht zu ſpaͤt zu lie - fern, mir nicht erlauben noch die letzte Hauptabthei - lung, welche von verſchiednen Modificationen der buͤrgerlichen und ſittlichen Umbildung der Juden handeln wird, beyzufuͤgen. Nie haͤtte ich geglaubt noch einmal einen zweyten Theil zu liefern als ich den erſten herausgab, und itzt ſehe ich mich ſogar zu einem dritten nicht ganz willig hingeleitet, der indeß gewiß, ſo bald es mir moͤglich iſt, erſcheinen ſoll, wenn ich anders einen fortdauernden Beyfall des Publikums hoffen darf. Man wird die Mate - rien, welche dieſem Theile vorbehalten ſind, ziemlich nach dem vorausſehen koͤnnen, was ich von mir ge - machten Einwuͤrfen noch unbeantwortet gelaßen ha - be, und ich will nur anfuͤhren, daß die Unterſu - chung der Feyertage, des Kirchenrechts und der Autonomie der Juden vorzuͤglich unter denſelben ihren Platz finden werden.

Nichts348

Nichts wuͤrde mir angenehmer ſeyn, als durch baldige mit Feſtigkeit fortgefuͤhrte practiſche Verſu - che, die theoretiſchen Entwuͤrfe berichtiget, beſtaͤtigt und entbehrlich gemacht zu ſehen.

Nach -349

Nacherinnerungen zu der Einleitung.

Waͤhrend des Abdrucks dieſer Schrift ſind zu den in der Einleitung genannten Schriften einige andere hinzugekommen, die ich hier noch kurz bemerken will. Herr Canzleydirektor Diez (ein Mann, den ſchon andere Schriften als freymuͤthigen Philoſophen und denkenden Rechtsgelehrten auf eine ſehr vortheil - hafte Art auszeichnen,) hat in einer leſenswuͤr - digen kleinen Schrift (die zuerſt in den Berichten der Buchhandlung der Gelehrten 3tes St. 1783, S. 320 f. und hernach auch beſonders*)Ueber Juden. Deſſau. 8. 1783. ge - druckt iſt) meinen Grundſaͤtzen auf eine mir ſehr ſchaͤtzbare Art Beyfall gegeben, und auch noch mit neuen Gruͤnden ſie zu verſtaͤrken geſucht. Er hat beſonders die aus der Religion beſorgte Schwierig - keiten heben wollen, weil, wie er hinzuſetzt, ich dieſen Punkt mit gewiſſer Zuruͤckhaltung behan - delt habe, welche mir verboten, Alles zu ſagen, was ich gewußt haͤtte. Ich geſtehe, daß dieſe Zuruͤckhaltung bey mir allerdings Grundſatz iſt,nachZ350nach welchem ich glaube, daß ein Schriftſteller frey - lich nicht Alles, was er weiß, ſondern jedesmal nur das ſagen muß, was er zu einem beſtimm - ten Zweck nuͤtzlich und wichtig haͤlt. Hier - nach habe ich uͤber dieſen und andere Punkte mit gutem Bedacht gerade nicht mehr, noch weni - ger geſagt, als geſchehen iſt, und ich fuͤr denkende Leſer, die Mittel-Ideen zuzuſetzen, klare Folge - rungen abzuziehn wiſſen, (und nur fuͤr dieſe darf der Schriftſteller ſorgen) noͤthig hielt. Eine andere Zuruͤckhaltung als dieſe durch meinen Zweck be - ſtimmte, habe ich nicht beobachtet, auch bekanntlich in dem Staat, der meinen Freund und mich ein - ſchließt, uͤber Materien der Art nicht beobachten duͤrfen. Indeß hat Hr. Diez doch Recht gehabt, daß ich zuweilen manchen Leſern zu Vieles ſelbſt zu denken uͤberlaſſen, und mich nicht uͤberall vollſtaͤndig und lichtvoll genug erklaͤrt habe. Da ich dieſes auch aus andern Urtheilen gelernet, ſo habe ich nun die - ſem Mangel abzuhelfen geſucht. Hrn. D. Gedan - ken, in Abſicht des wichtigen Punkts, daß man durchaus den Juden keinen Uebergang zu irgend einer andern religioͤſen Parthey auf einige Art vor - ſchreiben, oder auch nur ihn beguͤnſtigen, vielmehr von der eignen Verbeſſerung ihres Religionsſyſtems und deſſen Erhebung bis zu der reinen Vernunft - religion351 religion das Meiſte erwarten muͤſſe, ſtimmen voͤllig mit den itzt von mir S. 172 ꝛc. geaͤuſſerten uͤberein. Ich ſchmeichle mir, daß mein wuͤrdiger Freund darinn eine unpartheyiſche Freymuͤthigkeit nicht vermiſſen werde. Sie in einem Lande, wo man darf, und bey einem Anlaß, wo es noͤthig iſt, nicht bewieſen zu haben, wuͤrde mir, wenn er ver - dient waͤre, der empfindlichſte aller Vorwuͤrfe ſeyn. Aber ſchwer iſt es hier den Mittelweg zu finden und nie von ihm auf die eine oder andere Seite abzu - gleiten, die Grundſaͤtze auch der wuͤrdigſten und aufgeklaͤrteſten Maͤnner ſind hierinn nicht gleich. Ich ſtrebe darnach ihn zu treffen, und nach meiner itzigen Einſicht glaube ich gerade ſo freymuͤthig ge - weſen zu ſeyn, als es hier mein Zweck und die Ma - terie foderten. Ganz ſtimm ich Hrn. D. in dem Wunſche bey, daß die Juden auch bald durch ſich ſelbſt ſich beſſern und dadurch die gerechtere Be - handlung, mit der freylich der Staat ihnen zuvor - kommen ſollte, dieſem noch dringender abfodern moͤgen;*)Sehr zu wuͤnſchen iſt es, daß die weiſen und menſchlichen Ermunterungen des unter den Juden ſehr beruͤhmten Gelehrten Hrn. Weſſely in den Worten der Wahrheit und des Friedens an die geſammte juͤdiſche Nation, vorzuͤglich an die -jenigen, mit Ihm wuͤnſche ich, daß ſo viele den -Z 2kende352kende Maͤnner, die ſich itzt unter ihnen in einem Verhaͤltniß, das man nicht vermuthen ſollte, wirk - lich befinden, Spinoza, wohl verſtanden (wie auch Hr. D. erinnert) nicht in ſeinem philoſo - phiſchem Syſtem, ſondern in ſeiner Freyheit zu denken, zum Muſter nehmen moͤchten*)Hr. D. hat auch neulich den ſo unrecht ver - geſſenen Tractatus theologico-politicus dieſes groſ - ſen Mannes wieder in Erinnerung gebracht und deſſen Vorrede in den erwaͤhnten Berichten 5tes St. S. 564 u. f. uͤberſetzt. Hr. D. bemerkt mit Recht, daß unſere Zeit Spinoza’n noch nicht hin - ter ſich denken muͤſſe; ſie iſt allerdings mehr, als die ſeinige, faͤhig ihn zu verſtehen, zu nutzen und zu berichtigen, ohne ihn zu verdammen.. Der bloß leidende Zuſtand, welchen dieſe Nation ſeit ſo vielen Jahrhunderten ihren Unterdruͤckern ent - gegengeſetzt hat, das ganz abgeſtumpfte Gefuͤhl fuͤr eignes Elend, der Mangel aller Aufklaͤrung bey demgroßen*)jenigen, ſo unter dem Schutze des Kaiſers Joſeph II. wohnen. Berlin 1782. bey den Glaubensgenoſſen des vortreflichen Verfaſſers Ein - druck machen moͤgen, deſſen Einſicht und Herzen dieſe kleine urſpruͤnglich hebraͤiſche Schrift ſehr viel Ehre macht. Bey der Staͤrke des noch zu herrſchenden Vorurtheils iſt es nicht befremdend, daß Geſinnungen, wie dieſe, Hrn. Weſſely von einigen juͤdiſchen Eiferern einen ſehr heftigen Ta - del und Verdammungsurtheile zugezogen haben.353großen Haufen, ſind freylich, wie Hr. D. bemerkt, ſonderbare, aber doch gewiß ſehr erklaͤrliche Erſchei - nungen, wie ich oft erinnert habe, und Jedem die Geſchichte dieſes Volks beweiſen muß.

Die Vorrede zu Manaſſe Ben Iſrael hat Hrn. Moſes Mendelsſohn eine neue Aufforde - rung*)Das Forſchen nach Licht und Recht in einem Schreiben an Hrn. Moſes Mendelsſohn. Berlin 1782. zugezogen, die zwar, nach meinem Gefuͤhle, ſowohl buͤndiger als anſtaͤndiger und ſchicklicher, wie ehemals die Lavateriſche abgefaßt iſt und zu der wenigſtens eine ungleich natuͤrlichere Veranlaſſung gegeben war, die indeß Niemand ganz billigen wird, der es fuͤr unrecht haͤlt, durch Folgerungen, die man aus geaͤuſſerten Grundſaͤtzen zieht, einen Schrift - ſteller in Verlegenheit zu ſetzen und ihm Erklaͤrun - gen, ſogar Beſtreitungen abzudringen, denen er ohne Zweifel aus guten Gruͤnden auszuweichen ſuchte. Kaum wird indeß der Freund wichtiger Wahrheit eine auch allenfalls zudringliche Aufforderung tadeln koͤnnen, die uns ein ſo herrliches Meiſterſtuͤck**)Jeruſalem oder uͤber religioͤſe Macht und Judentum von Moſes Mendelsſohn. Berlin 1783. be - wirkt hat, das ich gewiß keinem meiner Leſer mehrZ 3bekannt354bekannt machen darf. Immer wird es mir ein an - genehmer Gedanke ſeyn, die erſte Veranlaſſung zu einer Schrift gegeben zu haben, in der ſo viele vor - trefliche Ideen, ſo reicher Stoff zum Denken und weitern Unterſuchungen, ſo viele lichtvolle Auf - klaͤrung und ſo viel edle Geſinnung, mit ſo viel Geiſt und Verſtande geordnet da liegen. Moͤchte nur das Licht dieſer Wahrheit bald auch auſſer den Kreiſen ſpeculirender Gelehrten, die recht erleuchten, welche handeln koͤnnen; moͤchte beſonders die truͤ - geriſche Duldung, die nur auf Religionsver - einigung gegruͤndet iſt, mit der wir itzt bedrohet werden, kuͤnftig keinen Menſchenfreund mehr taͤu - ſchen, der den herrlichen Schluß dieſer Schrift ge - leſen hat: dann, edler Weiſe, den ich meinen Freund nennen zu duͤrfen, ſtolz bin, dann, haͤtten Sie auch nichts weiter fuͤr die Aufklaͤrung Ihres Zeit - alters gethan, wuͤrden Sie doch immer als einer der wichtigſten Wohlthaͤter dieſes Zeitalters genannt wer - den, das zwar Ihr ihm ungewohntes Verdienſt an - ſtaunt, aber ſo kalt, daß ſelbſt ſeine Bewunde - rung, Beleidigung iſt, das Doch kein Wort mehr weder von Ihrem Zeitalter noch von Ihrem Werke, theurer Mann. Jenes gehoͤrt nicht in eine Schrift, die noch auf weit groͤßeres und wich - tigeres Unrecht, das Ihr Volk und die es ihmanthun,355anthun, dulden, aufmerkſam zu machen beſtimmt iſt; ein Unrecht gegen das die Mißkennung auch des hoͤchſten perſoͤnlichen Verdienſts, auch des Ihrigen Kleinigkeit iſt! Und Ihr Werk, wem duͤrft ich ſeinen Werth noch anpreiſen? Meine Gedanken, da, wo ſie ſehr merklich und weſentlich von den Ihrigen abweichen, weiter zu entwickeln, ſie Ihrer und des Publikums Pruͤfung vorzule - gen; dies behalte ich dem kuͤnftigen Abſchnitt vom Kirchenbann und vielleicht noch einem an - dern vor.

Eine ſehr gute Idee iſt ohnlaͤngſt in einer zu Tuͤbingen unter dem Vorſitz des beruͤhmten und philoſophiſchen Publiciſten Hrn. Pr. Maiers her - ausgekommenen Diſſertation: Stark de Judaeorum tolerantia Legum Series temporum ordine di - geſta. 1782. ausgefuͤhrt. Man findet in derſelben alle roͤmiſche, fraͤnkiſche, paͤbſtliche, und allgemeine deutſche die Juden betreffende Geſetze in chronolo - giſcher Ordnung zuſammengeſtellt. Eine ſehr nuͤtz - liche und ſicher jedem denkenden Leſer angenehme Sammlung, die ich mir uͤber jede wichtige Materie der Geſetzgebung und Politik wuͤnſchte. Wer ſie durchlaͤuft, wird gewiß nicht ſelten Beſtaͤtigung und Veranlaſſung meiner Urtheile finden und ihnen nochZ 4mit356mit innigerm Gefuͤhl beyſtimmen. Denn man darf nur recht wiſſen, was mit den Juden bisher vorgegangen, um zu begreifen, wie ſie werden muͤſſen, was ſie ſind, und um auf das geleitet zu werden, was geſchehen muß, wenn es anders mit ihnen werden ſoll. So viel ich dieſe Sammlung mit der, welche ich mir zu meinem Privatgebrauch gemacht habe, vergleichen koͤnnen, iſt ſie ſehr genau und vollſtaͤndig gemacht.

Noch will ich hier eines Wunſches erwaͤhnen, den ein andrer beruͤhmter Gelehrter, Hr. Prof. Beckmann in Goͤttingen, (ſ. phyſik. oͤkonom. Bibl. XII, S. 125) bey Gelegenheit meiner Schrift geaͤuſſert hat, daß naͤmlich der Schaden und Vor - theil, den die verſchiedenen Staaten von der itzigen Verfaſſung der Juden bisher gehabt, genauer ge - kannt und unpartheyiſch beſchrieben werden moͤchte; daß, ſo wie Howard eine Reiſe um der Gefaͤngniſſe willen machte, ein andrer eben ſo guter Beobach - ter Europa blos in der Abſicht durchreiſete, um die politiſchen Folgen der verſchiedenen Judenverfaſſun - gen zu ſtudiren. Ich wuͤnſche mit Hrn. Beckmann, daß dieſe Idee ausgefuͤhrt wuͤrde und ich habe ohnlaͤngſt einige Reiſende ermuntert, auch dies zum Gegenſtande ihrer Aufmerkſamkeit zu machen,von357von deren Beobachtungsgeiſt und fuͤr Alles, was Menſchen angeht, fuͤhlendem Herzen ich mir ſehr viel verſprechen darf. Ich ſelbſt habe nicht Zeit mich in das hiſtoriſche Detail der ehemaligen und itzigen Judenverfaſſung verſchiedener Laͤnder weiter einzulaſſen, obgleich der Materialien dazu ſchon nicht wenig vorhanden ſind. Aber doch duͤrfte in der Fortſetzung noch wohl ein ſchicklicher Ort ſich finden, um den ſittlichen und politiſchen Schaden, den die uͤbrige Menſchheit und die Staaten bisher durch die Unterdruͤckung der Juden gelitten, noch anſchau - licher zu machen.

Ein intereſſanter Aufſatz uͤber Gallizien und Lodomerien in Hrn. Zoͤllners Leſebuch fuͤr alle Staͤnde, Th. IV. S. 135 enthaͤlt auch merkwuͤr - dige Nachrichten uͤber die dort ſo zahlreichen Juden, unter andern dieſe, daß die Karaiten ſich ganz polniſch wie der Landmann tragen, gerade wie die - ſer das Feld bauen und auch ihm in den Abgaben voͤllig gleich geſetzt und von allen Laſten der uͤbri - gen Judenſchaft befreyet ſind. Hr. Prediger Zoͤllner merkt hiebey an, dieſes Factum rede ſo ſehr fuͤr meine Theorie, daß es ſich der Muͤhe ver - lohnen wuͤrde zu unterſuchen, ob die Grundſaͤtze der Karaiten die buͤrgerliche Verbeſſerung der Ju - den beſonders beguͤnſtigen, oder ob nur EigenſinnZ 5 der358 der Regierung oder Zufall gerade dieſen Vorzuͤge einraͤume. So ſehr man auch allenfalls berech - tigt ſeyn moͤchte, von der ehemaligen polniſchen Re - gierung dieſer Lande das letztere zu vermuthen; ſo iſt es doch wohl nicht zweifelhaft, daß allerdings die religioͤſen Grundſaͤtze der Karaiten ſchon weniger Hinderniſſe ihrer buͤrgerlichen Verbeſſerung ent - gegenſetzen als die der uͤbrigen Juden. Es iſt naͤmlich bekannt, wie jene ſich weſentlich da - durch unterſcheiden, daß ſie keinen Talmud, keine muͤndliche Ueberlieferungen, ſondern lediglich das ſchriftliche Geſetz Moſis und von demſelben keine allegoriſchen Deutungen, ſondern blos deſſen Wort - verſtand nach vernuͤnftigen Auslegungsregeln an - nehmen. *)Man findet von ihnen eine kurze und deutliche Nachricht in Hrn. O. C. R. Buͤſchings Ge - ſchichte der juͤdiſchen Religion, §. 52, nebſt An - zeige der Quellen, ſich weiter zu belehren. Hier - nach ſind ihre zehn vornehmſte Glaubensartikel, in denen man nichts finden wird, was die Karai - ten verhinderte gute Buͤrger zu ſeyn, folgende: 1) Alle Weltkoͤrper und was in denſelben iſt, ſind erſchaffen. 2) Der Schoͤpfer derſelben iſt uner - ſchaffen; 3) er hat nicht ſeines gleichen; 4) er hat ſeinen Knecht Moſes geſandt; 5) durch denſelben hat er ſein vollkommenes Geſetz gegeben; 6) ein Glaͤu -bigerAlle aus dem Talmud und ſeinen Aus -legern359legern entſtandene Gruͤbeleyen, alle caſuiſtiſche So - phiſtereyen und die ganze Reihe von aͤngſtlich peini - genden, micrologiſchen Vorſchriften, fallen alſo bey ihnen weg; jener Wall, den die Rabbinen um das Geſetz aufgefuͤhrt haben, und der weit trennender, wie dieſes die Juden von ihren Mitmenſchen ſon - dert, iſt hier nicht vorhanden. Allerdings waͤre alſo wohl zu wuͤnſchen, daß unſere Juden vors erſte wenigſtens Karaiten werden moͤchten, weil die meiſten Unbequemlichkeiten ihres Religionsbegriffs aus deſſen ſpaͤtern Zuſaͤtzen entſtanden ſind, und im - mer in dem Maaße verſchwinden muͤſſen, je mehr ſie der urſpruͤnglichen Reinigkeit des moſaiſchen Ge - ſetzes ſich wieder naͤhern und endlich bis zu der Ein -ſicht*)biger muß die Sprache des Geſetzes, und die Aus - legung deſſelben verſtehen, es muß aber der Wort - verſtand des Geſetzes durch vernuͤnftige Regeln der Auslegungskunſt beſtimmet werden; 7) der hochgelobte Gott hat auch die uͤbrigen Propheten durch den prophetiſchen Geiſt regieret; 8) der hochgelobte Gott wird die Menſchenkinder am Tage des Gerichts wieder lebendig machen; 9) und einem jeden nach ſeinen Werken vergelten; 10) er hat ſein Volk in ſeiner Gefangenſchaft nicht verworfen, ob er es gleich gezuͤchtiget; es gebuͤhret ſich alſo, daß es an einem jedem Tage ſein Heil durch den Meßias, den Sohn Davids annehme.360ſicht kommen werden, daß dieſes Geſetz, ſo wohl an - gemeſſen es auch dem Staat und dem Klima, fuͤr die es gemacht war, ſeyn mochte, nun dieſen relativen Werth und ſeine Guͤltigkeit laͤngſt verlohren habe, ſeit jener Staat aufgeloͤßt iſt und die Nachkommen ſeiner Buͤrger unter ganz andern Himmelsſtrichen, die Glieder ganz anderer politiſcher Geſellſchaften geworden ſind, in denen nun von jenem Geſetz nichts mehr, als die auch in demſelben beſtaͤtigte, in allen Zeiten und Climaten immer gleich wohlthaͤtige Re - ligion und Sittenlehre der Vernunft noch brauch - bar geblieben ſind. Dieſe Einſicht, ich hoffe es ge - wiß, wird ſich allmaͤhlig unter den Juden immer weiter verbreiten, ſobald ſie nur nicht mehr, wie bisher, gewaltſam zuruͤckgehalten wird. Wenn nur der Jude erſt ganz Buͤrger ſeyn darf, und weiter nichts, als daß er dieſes ſey, von ihm gefodert wird; ſo kann nichts jene Einſicht mehr aufhalten, ſelbſt die Stimme Mendelsſohns nicht,*)S. Jeruſalem. Zweyter Abſchnitt. S. 128 u. f. der nur hier ſeine Bruͤder nicht gehorchen muͤſſen, und, wird nur jene Bedingung erfuͤllt, auch nicht gehorchen werden.

Jene polniſche Karaiten, um noch ein Wort von ihnen zu ſagen, ſind ohne Zweifel durch ihr freyeres Geſetz ſchon faͤhiger gemacht, den uͤbrigen Buͤrgerngleich361gleich zu werden, Ackerbau zu treiben u. ſ. w. Wahr - ſcheinlich haben ſie auch dieſes zum Beweggrunde gemacht, bey ihrer Ankunft aus Aſien, von da ſie vermuthlich abgeſondert von den uͤbrigen Hebraͤern nach Polen gekommen, die Befreyung von den ſonſt uͤblichen Juden-Laſten ſich auszubedingen.

Wenn uͤbrigens der Hr. Verf. jenes Aufſatzes S. 155 auch die Erthellung des Buͤrgerrechts an Juden, fuͤr eine der Urſachen der ſchlechten Verfaſ - ſung der polniſchen Staͤdte angiebt, ſo bemerkt Hr. Prediger Zoͤllner ſehr treffend, daß nicht dieſes Buͤrgerrecht an ſich ſelbſt, ſondern der Juden Lage uͤberhaupt und der Mißbrauch, den ſie von jenem Buͤrgerrecht machen muͤſſen, dem Vortheil der ſtaͤdtiſchen Einwohner in den Weg trete. Aller - dings iſt es immer Unrecht eine Claſſe von Men - ſchen, ſie ſey, welche es wolle vor den uͤbrigen zu beguͤnſtigen, aber dieſes Unrecht iſt als - dann nicht dieſen Beguͤnſtigten, ſondern den un - politiſchen und ungerechten Beguͤnſtigern beyzu - meſſen. Sicher ſind es in Polen nicht die Juden, als Juden, welche den Buͤrgerſtand druͤcken, ſon - dern, wie es auch aus dieſer ganzen Beſchreibung deutlich genug erhellet, bloß die Edelleute, die den Juden nur deshalb, zum Nachtheil der ſtaͤd - tiſchen Bewohner, groͤßern Gewinn verſtatten, weilſie362ſie ihn hier mit mehrerer Leichtigkeit wieder ab - preſſen koͤnnen. Dieſes beweiſet ſchon allein der auch von dem geſchickten Verfaſſer bemerkte elende Zuſtand, in welchem ſich die Juden in Polen, ſehr wenige ausgenommen, befinden. Man druͤcke nur den unnatuͤrlichen Deſpotiſmus des Adels nieder; man fuͤhre Juſtitz*)Wem dieſer Ausdruck zu hart ſcheint, dem will ich, wenn er auch ſonſt nichts von Polen wuͤßte, nur aus dem erwaͤhnten Aufſatze S. 177 das Factum aufuͤhren, daß durch ein Geſetz von 1517 die Canz - leytaxen bey Proceſſen nur fuͤr den Adel be - ſtimmt, in Abſicht der Buͤrger aber, arbitrio et voluntati Cancellariae lediglich uͤberlaſſen ſind. und Sicherheit des Eigenthums ein; man mache es den Buͤrgern moͤglich, ſich zu naͤhren, und hebe die ihnen nachtheiligen Vorrechte der Edelleute und ihrer Juden auf, laſſe aber uͤbri - gens letzteren alle gleiche Rechte mit den chriſtlichen Buͤrgern: ſo werden beyde gewiß neben einander beſtehn koͤnnen und der Zuſtand dieſes Landes wird bald verbeſſert erſcheinen.

Nach -363

Nachſchrift zu der Anmerkung S. 182.

Dieſe Anmerkung wurde ſchon im Maͤrz d. J. ge - ſchrieben, die darinn beruͤhrte merkwuͤrdige Bege - benheit intereßirte mich ſo ſehr, daß ich mir Muͤhe gab, uͤber dieſelbe einige zuverlaͤßigere Auskunft zu erhalten. Ich bin ſo gluͤcklich geweſen, ſie noch vor dem vollendeten Abdruck dieſer Schrift zu bekom - men, und ich habe das Vergnuͤgen gehabt, meine Vermuthung, daß die Sache anders, als ſie in den Zeitungen vorgeſtellt war, zuſammenhangen muͤſſe, vollkommen beſtaͤtigt zu ſehn. Hier iſt das gewiß auch meinen Leſern intereſſante Schreiben ei - nes ſehr unterrichteten Mannes, der in der Nach - barſchaft von Boͤhmen wohnt, und ſich Joſephs II, mit der edlen und ungeſchmeichelten Waͤrme an - nimmt, welche dieſer bewundernswuͤrdige Mo - narch waͤhrend ſeiner kurzen Regierung auch denen, die nicht ſeine Unterthanen ſind, einzufloͤßen gewußt hat:

***364

Sie haben ſehr Recht, wenn Sie die Ge - ſchichte mit den boͤhmiſchen Deiſten, ſo wie ſie in den Zeitungen geſtanden, ganz unglaublich finden, und Sie zeigen ſich als einen wahren Ver - ehrer des großen Kaiſers, wenn Sie die Welt auf - merkſam darauf machen, wie unwuͤrdig dieſe Er - zaͤhlung Joſephs II. ſey, welches vielleicht oder vielmehr gewiß, eine Menge Zeitungsleſer nicht einmal gefuͤhlt haben. Aber ganz erdichtet iſt die Sache doch auch nicht. Man hat wirklich in Boͤhmen eine ganz betraͤchtliche Menge Bauer - familien gefunden, welche wegen deiſtiſchen Glau - bens auf Befehl des Kaiſers nach einigen entfern - tern Provinzen abgefuͤhrt ſind. Daß dieſes aus bloßem Religionseifer, aus Verfolgungsſucht und Bigotterie geſchehn ſeyn ſollte, war freylich bey einem Monarchen, der ſich ſchon gezeigt hat, wie dieſer, ganz undenkbar. Die eigentlichen Be - weggruͤnde, den ganzen Zuſammenhang kann ich Ihnen zwar noch nicht mittheilen, allein doch et - was Licht Ihnen geben und Sie koͤnnen ſich auf die Zuverlaͤßigkeit deſſen, was ich Ihnen ſagen werde, verlaſſen. Die Sonderbarkeit des Fac - tums hat meine Wißbegierde, wie die Ihre, ge - reitzt und ich habe mir alle Muͤhe gegeben, ſie aus unverdaͤchtigen Quellen zu befriedigen.

Viel -365

Vielleicht iſt Ihnen nicht unbekannt, daß vor einigen Jahren noch waͤhrend der vorigen oͤſter - reichiſchen Regierung in einigen Gegenden von Boͤhmen unter den Bauern Unruhen entſtan - den, die zwar bald gedaͤmpft wurden, aber vielleicht doch noch einiges Mißtrauen der Regie - rung rechtfertigten. Gerade in eben dieſen Ge - genden ſtanden itzt wieder unwiſſende Bauern auf, erklaͤrten ſich gegen allen bisherigen Glauben auf eine nicht ſehr verſtaͤndliche Art, wurden anfangs durch nicht leicht zu verſtaͤndigende Prieſter und Beamte verhoͤrt, die die Sache nicht deutlicher machen konnten oder wollten. Sie verdiente indeß Aufmerkſamkeit, es war zu vermuthen, daß die ungewoͤhnlichen religioͤſen Grundſaͤtze dieſer Menſchen mit ihrem ehemaligen Aufſtande zuſam - menhaͤngen koͤnnten. Hiezu kam, daß der Mo - narch nicht gleich anfangs in jeder ſeiner Provin - zen mit gleicher Energie ſeine Wuͤnſche, allge - meine Duldung zu verbreiten, realiſiren konnte. Ungarn und Siebenbuͤrgen ſind dazu durch die Menge der diſſentirenden Partheyen, durch die in letztrem Lande ſelbſt Socinlanern ſchon laͤngſt ertheilte buͤrgerliche Rechte weit mehr vorbereitet, als Boͤhmen, in dem eine gar zu ploͤtzliche, zu all - gemeine Duldung vielleicht anfangs Unord - nungen, Sittenloſigkeit hervorbringen, viel -A a leicht366 leicht ſchlummernde Keime des Fanaticiſmus wecken konnte. Der Kaiſer fand alſo beſſer, dieſen Men - ſchen die Rechte des Gewiſſens lieber in den Thei - len ſeiner Monarchie zu geſtatten, wo es auf die fuͤr das Ganze unſchaͤdlichſte Art geſchehen konnte.

Ueberhaupt iſt es freylich nicht zu leugnen, daß im Oeſterreichiſchen in Abſicht der Duldung noch lange nicht Alles geſchieht, was geſchehen koͤnnte, was, wie ich gewiß uͤberzeugt bin, der Kaiſer wuͤnſcht und auch ſicher noch zu Stande bringen wird. Aber wer die Schwierigkeiten ſeiner Un - ternehmungen nur einigermaßen uͤberſieht, von denen man in proteſtantiſchen Laͤndern kaum eine Idee hat, wer da weiß, was es heißt, mit Dumm - heit und geheiligtem Vorurtheil, mit Bosheit und Eigenſinn, mit Traͤgheit und Unverſtand, und was das aͤrgſte iſt, mit gekraͤnktem Eigennutz und Stolz zu kaͤmpfen, der wird gewiß nicht ſich wundern, daß nicht noch mehr geſchieht, aber ſtaunen wird er uͤber das, was ſeit zwey Jahren wirklich geſchehen iſt. Ich wenigſtens, der ich die Oeſterreichiſchen Staaten, beſonders die Großen und die Geiſtlichen ſeit vielen Jahren ge - nau kenne, geſtehe Ihnen, daß ich Joſephs Thaten, wodurch er Toleranz und Aufklaͤrung ver - breitet, waͤr ich nicht von ihrer Wahrheit uͤber - zeugt, unglaublicher als des fabelhaften Herkuls Ar -367 Arbeiten finden wuͤrde. Ja ich wuͤrde ohne Be - denken den fuͤr wahnſinnig erklaͤrt haben, der mir vor 20 Jahren ſo etwas haͤtte vorausſagen wollen. Hat alſo der Kaiſer auch mit dieſen ſogenannten Deiſten (wie es freylich nicht zu laͤugnen iſt) nicht ſo verfahren, wie es geſchehn ſeyn wuͤr - de wenn unſere Zeit ſchon reif genug waͤre, um nicht mehr Toleranz, ſondern allgemeines Recht der Gewiſſen einzufuͤhren; ſo ſeyn Sie gewiß verſichert, daß Er nach den Umſtaͤnden nicht anders hat handeln koͤnnen. Soviel kann ich Ihnen auch verſichern, daß dieſe Leute bloß aus ihrem Vaterlande nach Ungarn, Siebenbuͤr - gen, Gallizien, der Bukowina, tranſportirt und von einander getrennt aber uͤbrigens im mindſten nicht uͤbel behandelt ſind. Alles, was weiter in den Zeitungen geſagt worden, iſt falſch. Das Vermoͤgen dieſer Menſchen iſt gar nicht confiſcirt, ſondern ihren Kindern unter 15 Jahren, oder in Ermangelung derſelben den naͤchſten Erben zuer - kannt worden. Nur die Dienſtfaͤhigen ſind zum Soldatendienſt angehalten, die Alten, Weiber und Kinder aber ſind von dem militaͤriſchem Departe - ment verpflegt, zum Theil als Krankenwaͤrter und zu andern Geſchaͤften beſtellt, andere aber, beſon - ders die unverheyrathete Weibsperſonen, bis ſie einen Dienſt gefunden, unentgeltlich erhalten wor -A a 2 den.368 den. Ausdruͤcklich iſt unterſagt, ihnen auf einige Weiſe uͤbel zu begegnen; auch ſollen Eheleute nicht getrennt werden, und die Geiſtlichen zwar ſie zu bekehren ſuchen, aber ohne alle Zudringlichkeit;*)Wird es nur moͤglich ſeyn, dieſe in der Aus - uͤbung wirklich zu verhindern? auch iſt ihnen die Ruͤckkehr in ihr Vaterland und zu ihren Guͤtern nicht verwehrt, wenn ſie ihren Lehren entſagen und an eine der bis jetzt nur noch allein tolerirten religioͤſen Partheyen ſich anſchlieſ - ſen wollen. Ich habe dies Alles aus der Ver - ordnung des Hof-Kriegsraths, welche am 11ten Maͤrz d. J. wegen dieſer Sache ergangen und von deſſen Praͤſidenten Haddick unterzeichnet iſt, treulich excerpirt und Sie koͤnnen gewiß ſeyn, daß dieſe Befehle puͤnktlich vollzogen werden.

Weniger befriedigend kann ich Ihre Frage: was es eigentlich mit dem Syſtem dieſer Leute fuͤr eine Bewandniß habe? und wie Dei - ſten unter boͤhmiſche Bauern kommen? beantworten. Sie finden in Hrn. Meuſels hiſtoriſch. Litter. 1783, 1tes und 5tes St. hieruͤber einige Nachrichten, die, wie ich ver - ſichern kann, ſehr authentiſch ſind und zu denen ich vor itzt nichts weiter zuzuſetzen weiß. Sie werden freylich wohl mit mir finden, daß in dieſem Religionsbegriffe nichts enthalten ſey, was deſſen369 deſſen Anhaͤnger unfaͤhig machte, gute Buͤrger zu ſeyn. Es muß alſo in ſpeciellen Umſtaͤnden liegen, daß man ſie in Boͤhmen nachtheilig gefunden und lieber in ein Land hat verpflanzen wollen, das ſchon mehr an Verſchiedenheiten der Meynung ge - woͤhnt iſt.

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Nicht nur die Nachrichten dieſes Briefes ſchei - nen mir intereſſant, ſondern mich duͤnkt auch, mein wuͤrdiger Correſpondent hat die Sache gerade aus dem richtigen Geſichtspunkt gefaßt. Allerdings iſt bey jeder ſittlichen und politiſchen Reforme nichts ſorgfaͤltiger zu vermeiden, als zu raſche, zu unvor - bereitete Schritte. Die Freyheit zu denken, der vollkommne Genuß der menſchlichen Gewiſſensrechte, ſo wichtig und wohlthaͤtig ſie an ſich ſelbſt ſind, koͤn - nen doch unter beſtimmten Umſtaͤnden und Lo - cal-Bedingungen, mehr nachtheilige als gute Folgen hervorbringen; und auch die weiſeſte Regie - rung kann durch gewiſſe Verhaͤltniſſe gezwungen werden, ihre Wohlthaten zu beſchraͤnken, um nicht aufzuhoͤren wohlthaͤtig zu ſeyn. Es giebt nun einmal Claſſen von Menſchen, mit denen es ſo weit gekommen iſt, daß ſie ganz vollkommne Geiſtesfrey - heit nicht ertragen koͤnnen, ſo wie oft die in der Sclaverey Geborne ſie ſich nicht nehmen laß〈…〉〈…〉〈…〉〈…〉 ol -A a 3len.370len. Man muß alſo ſich begnuͤgen durch allmaͤlige Fortſchritte erſt kuͤnftigen Generationen das Gluͤck zu bereiten, deſſen die itzige noch nicht empfaͤnglich iſt, und dem Vorurtheile etwas weichen, wenn man ohne dieſes es nie bezwingen wuͤrde. Aber ſelbſt im Weichen muß man den Sieger erkennen, der einſt zuruͤckkommen und den geſchwaͤchten Feind ganz baͤndigen wird. Auch im Kriege gegen die Vorurtheile iſt Fabius der Zaudernde oft der wei - ſere und gluͤcklichere, aber auch gewoͤhnlich von den Zeitgenoſſen verkannt, um von der Nachwelt, die das Ganze, das er bildete, nun gebildet uͤberſieht, deſto mehr verehrt zu werden.

Einzelne Menſchen koͤnnen, nach dem Ein - geben brauſender Leidenſchaften eine Reforme begin - nen, die, wenn ſie nicht von Zeitumſtaͤnden auſſer - ordentlich beguͤnſtigt wird, ſelten wichtige Folgen haben wird. Aber nach einem feſten, ſich ſelbſt immer nach den Zeitumſtaͤnden entwickelnden Plane mit Ruͤckſicht nicht auf einige, ſondern auf alle Beduͤrf - niſſe, alle Verhaͤltniſſe des Staats, mit Schonung auch des nun einmal unter dem Schutz und mit Bey - huͤlfe des Staats aufgewachſenen Vorurtheils, re - formiren; dies iſt das Werk einer weiſen und auf - geklaͤrten Regierung, welche die Menſchen und die Art, ſie zu behandeln kennt und weiß, daß, umwirk -371wirklich Gutes und Großes hervorzubringen, man es nicht in einem Jahre wollen muͤſſe. Ein wahr - haft großer Regent arbeitet nicht fuͤr die Zeitung, ſondern fuͤr die Geſchichte; die Groͤße und der innere Werth ſeiner Thaten kann nur dann empfun - den werden, wenn wir ihr ſchoͤnes Ganze, ihren bin - denden Zuſammenhang zu uͤberſehn vermoͤgen. Ein - zelne Theile koͤnnen auffallen, aber ſie gehoͤrten ins Ganze, das dann freylich auch nicht ſchoͤner ſeyn kann, als der Stoff, in den es gearbeitet wurde, zuließ.

Jeder Leſer wird es fuͤhlen, daß dies der Ge - ſichtspunkt iſt, aus dem man das Verfahren einer weiſen Regierung betrachten muͤſſe; er wird meinen Unglauben billigen, mit dem ich die Aechtheit jener Ihrer unwuͤrdiger Nachrichten bezweifelte, und das Vergnuͤgen theilen, mit dem ich itzt richtigere be - kannt mache.

Der von meinem Hrn. Correſpondenten ange - fuͤhrte Befehl des Hof-Kriegsraths iſt in dem mir ſo eben zugekommenen 2ten St. des 54ſten Ban - des der Allgem. deutſchen Bibl. abgedruckt, und ſtimmt mit dem was daraus angefuͤhrt worden, voll - kommen uͤberein. Es iſt demſelben aber auch ein aͤuſſerſt merkwuͤrdiges Verhoͤr beygefuͤgt, welches ein proteſtantiſcher Geiſtlicher zu Preßburg mit einem dieſer Deiſten angeſtellt hat. Ich darf vorausſetzen,A a 4daß372daß Keiner, den dieſe Sache intereßirt, es ungele - ſen laſſen wird und ich will deshalb nur bemerken, daß mir der Entſtehungsgrund des boͤhmiſchen Deiſmus, den dieſer Mann, der es ſehr aufrichtig gemeynt zu haben ſcheint, angiebt, ungemein auf - fallend geweſen iſt. Weil den guten proteſtantiſchen Bauern ehemals ihre Bibel und andere Erbauungs - buͤcher immer genommen wurden, ſo kamen ſie end - lich auf den ſimpeln Gedanken, ihre Erbauung und Erkenntniß ihres Gottes der vermuthlich nicht von ihnen aus Buͤchern erkannt ſeyn wolle nur aus dem Buche zu ſchoͤpfen, das ihnen kein Prie - ſter und Beamter nehmen konnte, dem der Na - tur und Vernunft. Wirklich eine unerwartete Wendung, und ein Gedanke, der dem ungekuͤnſtelten menſchlichen Gefuͤhle Ehre macht.

Auch liefert dieſes Protocoll noch einen neuen Beweis, daß die Abſicht des großen Kaiſers keine andre als die Verſetzung dieſer neuen, die Vorur - theile zu ſehr erſchuͤtternden Religions-Parthey, aber wie es ſich von ſelbſt verſtand, keine Unterdruͤckung derſelben geweſen ſey. Nolo, waren ſeine Worte zu den nach Wien abgeordneten Deputirten, veſtris conſcientiis vim inferre. Ferner ſieht man aus dieſem Protocolle, daß die anfaͤngliche Verwirrung in der Benennung dieſer Leute daher entſtanden ſey, weil ſie wirklich ſich in zwey verſchiedene Partheyenabtheil -373abtheilten. Einige waren von der proteſtantiſchen Religion zum reinen Deiſmus uͤbergegangen; andere waren Juden geworden, gerade aus eben dem Grunde, weil ſie ſahen, daß die Juden ſich nach eignem Gewiſſen aus ihren Religionsbuͤchern er - bauen durften, die den Proteſtanten genommen wurden.

Das kuͤrzere boͤhmiſche Protocoll ſetze ich aus Hrn. Meuſels Journal hieher:

Wie heißet Ihr? Martin Barta, aus dem Dorfe Jaroßow. Was habt Ihr ſonſt fuͤr eine Religion gehabt? Die Katholiſche, und dann die Helvetiſche.

Was fuͤr einen Glauben habt Ihr jetzt? Den goͤttlichen, ſonſt den Iſraelitiſchen genannt, den naͤmlich Abraham vor der Beſchneidung gehabt.

Worinn beſteht jetzt eure Religion? Ich glaube an einen Gott; und ſonſt nichts. An die Dreyfaltigkeit Gottes glaube ich nicht. Gott iſt im Himmel; Ich bin Gottes Sohn und den heiligen Geiſt habe ich in mir. Ich glaube weder an die Taufe noch an die Beſchneidung. Mein Geiſt iſt unſterblich. Was in der Bibel von einem Gott ſteht, das glaube ich; ſonſt nichts. Denn Moſes hat hineingeflickt (NB. neptaczal heißt es imA a 5 Boͤh -374 Boͤhmiſchen, welches auch bedeuten kann; viel Un - ſinn hinzu ſetzen) was er gewollt; er war ein Menſch, wie ich, und der Buchdrucker in Halle hat erſt in ſeiner Halliſchen Bibel, mit den lan - gen Citationen aus dem alten Teſtament ins Neue, und aus dem neuen ins alte, das Ding recht ver - wirrt; denn es iſt alles eins, was im neuen Te - ſtament ſteht, wie im alten. Aus dem alten Te - ſtament glaube ich die zehen Gebote, und aus dem neuen das Vater unſer, das uͤbrige, daß der Sohn Gottes gebohren worden und dergl. glaube ich nicht.

Wer hat euch zu dieſer Religion angefuͤhrt? Der Geiſt des Herrn, den ich in mir habe.

Wollet ihr zu eurer vorigen Religion zu - ruͤckkehren? Ich will durchaus nicht. Die Helve - tiſche Verwirrung ſteht fuͤr nichts. Wenn nur Gott dieſe Helvetiſche Verwirrung nicht uͤber uns geſchickt haͤtte.

So muͤſſet ihr euch beſchneiden laſſen, und muͤſſet fort aus eurem Vaterlande. Wegen un - ſers einzigen Gottes wollen wir gern das Vaterland und alles verlaſſen; wir wollen fortgehen. Aber beſchneiden wollen wir uns nicht laſſen; denn es iſt nicht moͤglich, daß Gott der Herr, der den Menſchen ganz erſchuf, befohlen haͤtte, man ſollte ſich〈…〉〈…〉 in der Schaam beſchneiden laſſen.

So375

So intereſſant dieſe Nachrichten ſind, ſo verdienen ſie doch noch mehr Aufklaͤrung. Denn immer bleibt es ſehr ſonderbar, wie gemeine Bauern zu ſo richtigen, hellen Begriffen kommen konnten, als in den beyden Protocollen von ihnen dargelegt werden. Freylich ſind ſie mit einigen Sonderbarkeiten gemiſcht, aber ich wundere mich nur, daß dieſer ſo wenige ſind, und daß Menſchen, in deren Kopfe Moſes und der Halliſche Buchdrucker ſo nahe bey einander Ue - gen, die großen Hauptwahrheiten der Vernunft, ſo rein abzutrennen wußten, und da ſie in ihrem alten Glauben ſo eine Totalreforme vornahmen, ge - rade nicht mehr oder weniger wegwarfen und be - hielten, als geſchehen iſt. Ich geſtehe, daß die Ausſagen dieſer Menſchen, wenn ſie aͤcht vorgetra - gen ſind, und ſelbſt ihre offene Simplicitaͤt mir Ach - tung fuͤr ſie eingefloͤßt haben, und daß ich nichts in ihnen finde, was ſie unfaͤhig machte, treue Buͤrger und Unterthanen zu ſeyn. Was bedarf es hiezu mehr als das Daſeyn und die Vorſehung Got - tes, Unſterblichkeit und Vergeltung des Gu - ten und Boͤſen zu glauben? Iſt dieß nicht genug, um uns zu guten und rechtſchaffenen Menſchen zu machen? und kann muß es dem Staat nicht ge - nug ſeyn, uns dieſe zu wiſſen Freylich koͤn - nen, wie ich ſchon bemerkt ha〈…〉〈…〉 e, Verhaͤltniſſe ſeyn, unter denen dieſes nicht genug iſt; Verhaͤltniſſe,welche376welche die Regierung noͤthigen, vors erſte noch mehr zu fodern, weil die Vortheile der vollkommenſten Gewiſſensrechte, ſo groß ſie an ſich ſind, doch in dieſem Augenblick, unter dieſen Umſtaͤnden von Inconvenienzen andrer Art uͤberwogen werden. Ich zweifle nicht, daß dieſes hier der Fall war, ich bedauere vielmehr, daß Umſtaͤnde, wie mein Correſpondent ſie angegeben, es fuͤr itzt rath - ſamer gemacht haben, eine unter der gemein - ſten Klaſſe der Unterthanen unerwartet auf - keimende Religion der Vernunft nur da zu dulden, wo ſie weniger ungewohnt ſich zeigen konnte. Aber hoffentlich wird Joſephs durch keinen Widerſtand zu ermuͤdende Thaͤtigkeit, Ihm noch das hohe Gluͤck bereiten, daß reine Vernunftreligion in dem ganzen Umfang ſeiner weiten Monarchie ſich frey zeigen kann, und daß Glaube an Gott und ein ver - geltendes kuͤnftiges Leben, nebſt treuer Erfuͤllung aller ſeiner Pflichten in dieſem Leben Alles ſeyn wird, was Er von ſeinen Unterthanen fodern darf!

About this transcription

TextUeber die bürgerliche Verbesserung der Juden
Author Christian Conrad Wilhelm von Dohm
Extent387 images; 65321 tokens; 10866 types; 471783 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationUeber die bürgerliche Verbesserung der Juden Zweyter Theil Christian Conrad Wilhelm von Dohm. . [1] Bl., 376 S. NicolaiBerlinStettin1783.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 POL IV, 9755:2https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20POL%20IV%2C%209755%3A2

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Gesellschaftswissenschaften; Wissenschaft; Gesellschaftswissenschaften; Gebrauchsliteratur; core; ready; china

Editorial statement

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:30:04Z
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ShelfmarkGöttingen SUB, 8 POL IV, 9755:2
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