PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Gespräche mit Goethe.
Dritter Theil.
[II][III]
Geſpraͤche mit Goethe in den letzten Jahren ſeines Lebens.
Dritter Theil.
Magdeburg:Heinrichshofen'ſche Buchhandlung.1848.
[IV][V]

Ihro Kaiſerlichen Hoheit der regierenden Frau Großherzogin zu Sachſen-Weimar und Eiſenach, Maria Paulowna, Großfürſtin von Rußland, in erneuter Dankbarkeit unterthänigſt zugeeignet.

[VI][VII]

Vorrede.

Indem ich endlich dieſen längſt verſprochenen dritten Theil meiner Geſpräche mit Goethe abge¬ ſchloſſen vor mir ſehe, beglückt mich das freudige Gefühl überwundener großer Hinderniſſe.

Mein Fall war ſehr ſchwierig. Er glich dem eines Schiffers, der nicht mit dem Winde ſegeln kann, der heute weht, ſondern mit großer Geduld oft Wochen und Monate lang einen Fahrwind erwarten muß, wie er vor Jahren geweht hat. Als ich ſo glücklich war, die beiden erſten Theile zu ſchreiben, konnte ich gewiſſermaßen mit gutem Winde gehen, weil mir damals das friſch geſpro¬ chene Wort noch in den Ohren klang und der lebendige Verkehr mit jenem wunderbaren Manne mich in dem Element einer Begeiſterung erhielt,VIII wodurch ich mich zum Ziele getragen fühlte wie auf Flügeln.

Jetzt aber, wo jene Stimme ſchon ſeit vielen Jahren verſtummt iſt, und das Glück jener per¬ ſönlichen Berührungen ſo weit hinter mir liegt, konnte ich die ſo nöthige Begeiſterung nur in ſol¬ chen Stunden erlangen, wo es mir vergönnt war, in mein eigenes Inneres zu gehen und in unge¬ ſtörter Vertiefung das Vergangene wieder zu fri¬ ſchen Farben zu beleben, wo es denn anfing, ſich zu regen, und ich große Gedanken und große Cha¬ rakterzüge vor mir liegen ſah, gleich Gebirgen, fernen zwar, aber deutlich und wie von der Sonne des wirklichen Tages beſchienen.

So kam mir denn die Begeiſterung aus der Freude am Großen; das Einzelne des Ideengan¬ ges und mündlichen Ausdruckes ward wieder friſch, als ob ich es geſtern erlebt hätte. Der lebendige Goethe war wieder da; ich hörte wieder den be¬ ſondern lieben Klang ſeiner Stimme, die mit keines Anderen zu vergleichen. Ich ſah ihn wieder Abends in ſchwarzem Frack und Stern bei heller Erleuchtung ſeiner Zimmer im geſelligen Kreiſe ſcherzen undlX lachen und heiteres Geſpräch führen. Dann an¬ deren Tages bei ſchönem Wetter war er im Wa¬ gen neben mir, im braunen Oberrock und blauer Tuchmütze, den hellgrauen Mantel über ſeine Kniee gelegt. Seine Geſichtsfarbe braun-geſund, wie die friſche Luft; ſein Geſpräch geiſtreich in die freie Welt hinein, das Geräuſch des Wagens übertönend. Oder ich ſah mich Abends bei ſtil¬ lem Kerzenlicht wieder in ſein Studierzimmer verſetzt, wo er im weißen flanellenen Schlafrock am Tiſche mir gegenüber ſaß, milde, wie die Stimmung eines gut verlebten Tages. Wir ſpra¬ chen über große und gute Dinge, er kehrte das Edelſte, was in ſeiner Natur lag, mir entgegen; mein Geiſt entzündete ſich an dem ſeinigen. Es war zwiſchen uns die innigſte Harmonie; er reichte mir über den Tiſch herüber ſeine Hand, die ich drückte. Dann ergriff ich wohl ein neben mir ſtehendes gefülltes Glas, das ich, ohne etwas zu ſagen, ihm zutrank, indem meine Blicke über den Wein hin in ſeinen Augen ruhten.

So war ich ihm in voller Lebendigkeit wieder zugeſellt und ſeine Worte klangen wieder wie ehemals.

X

Aber wie es auch ſonſt im Leben zu gehen pflegt, daß wir wohl eines geliebten Todten ge¬ denken, doch bei dem Geräuſch des fordernden Tages oft Wochen und Monate lang nur flüch¬ tig, und daß die ſtillen Augenblicke einer ſolchen Vertiefung, wo wir ein vor uns dahingegangenes Geliebtes in der ganzen Friſche des Lebens wieder zu beſitzen glauben, zu den ſeltenen ſchönen Stun¬ den gehören, ſo erging es mir auch mit Goethe.

Es vergingen oft Monate, wo meine Seele, durch Berührungen des täglichen Lebens hinge¬ nommen, für ihn todt war und er meinem Geiſte mit keinem Worte zuſprach. Und wieder¬ um traten andere Wochen und Monate unfrucht¬ barer Stimmung ein, wo in meinem Gemüth nichts keimen und nichts blühen wollte. Solche nichtige Zeiten mußte ich mit großer Geduld nutz¬ los vorübergehen laſſen, denn das in ſolchen Zu¬ ſtänden Geſchriebene wäre nichts werth geweſen. Ich mußte vom guten Glück die Wiederkehr von Stunden erwarten, wo das Vergangene mir in voller Lebendigkeit gegenwärtig und mein Inneres an geiſtiger Kraft und ſinnlichem Behagen aufXI einer Höhe ſtand, um zur Einkehr Goethe'ſcher Gedanken und Empfindungen eine würdige Be¬ hauſung zu ſeyn. Denn ich hatte es mit einem Helden zu thun, den ich nicht durfte ſinken laſſen. In der ganzen Milde der Geſinnung, in der vol¬ len Klarheit und Kraft des Geiſtes und in der gewohnten Würde einer hohen Perſönlichkeit mußte er erſcheinen, um wahr zu ſeyn, und das war keineswegs etwas Geringes!

Mein Verhältniß zu ihm war eigenthümlicher Art und ſehr zarter Natur. Es war das des Schülers zum Meiſter, das des Sohnes zum Vater, das des Bildungs-Bedürftigen zum Bil¬ dungs-Reichen. Er zog mich in ſeine Kreiſe und ließ mich an den geiſtigen und leiblichen Genüſſen eines höheren Daſeyns Theil nehmen. Oft ſah ich ihn nur alle acht Tage, wo ich ihn in den Abendſtunden beſuchte; oft auch jeden Tag, wo ich Mittags mit ihm, bald in größerer Geſellſchaft, bald tête à tête zu Tiſch zu ſeyn das Glück hatte.

Seine Unterhaltung war mannigfaltig, wie ſeine Werke. Er war immer Derſelbige und im¬XII mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine große Idee und ſeine Worte quollen reich und unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man, von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬ deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele; ja es konnten Tage kommen, wo es war, als wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬ fer Wind über Reif - und Schneefelder. Und wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬ gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬ ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten.

Winter und Sommer, Alter und Jugend ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig - bis Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬ gend immer wieder obenauf war und jene an¬XIII gedeuteten Herbſt - und Wintertage zu ſeltenen Ausnahmen gehörten.

Seine Selbſtbeherrſchung war groß, ja ſie bildete eine hervorragende Eigenthümlichkeit ſeines Weſens. Sie war eine Schweſter jener hohen Beſonnenheit, wodurch es ihm gelang, immer Herr ſeines Stoffes zu ſeyn, und ſeinen einzelnen Werken diejenige Kunſtvollendung zu geben, die wir an ihnen bewundern. Durch eben jene Ei¬ genſchaft aber ward er, ſo wie in manchen ſei¬ ner Schriften, ſo auch in manchen mündlichen Aeußerungen, oft gebunden und voller Rück¬ ſicht. Sobald aber in glücklichen Momenten ein mächtigerer Dämon in ihm rege wurde, und jene Selbſtbeherrſchung ihn verließ, dann ward ſein Geſpräch jugendlich dahinbrauſend, gleich einem aus der Höhe herabkommenden Bergſtrome. In ſolchen Augenblicken ſagte er das Größte und Beſte, was in ſeiner reichen Natur lag, und von ſolchen Augenblicken iſt es wohl zu verſtehen, wenn ſeine früheren Freunde über ihn geäußert, daß ſein geſprochenes Wort beſſer ſey, als ſein geſchriebenes und gedrucktes. So ſagte Mar¬XIV montel von Diderot, daß, wer dieſen nur aus ſeinen Schriften gekannt, ihn nur halb gekannt; daß er aber, ſobald er bei mündlicher Unterhaltung lebhaft geworden, einzig und hinreißend geweſen.

Darf ich nun hoffen, daß von jenen glück¬ lichen Momenten in dieſen Geſprächen Manches feſtzuhalten mir gelungen, ſo mag es dieſem Bande nicht weniger zu Gute kommen, daß darin eine doppelte Spiegelung von Goethe's Perſön¬ lichkeit ſtattfindet, einmal nämlich gegen mich, und dann gegen einen jungen Freund.

Herr Soret aus Genf, als freiſinniger Republikaner zur Leitung der Erziehung Sr. K. H. des Erbgroßherzogs im Jahre 1822 nach Weimar berufen, hatte von gedachtem Jahre bis zu Goethe's Tode zu ihm gleichfalls ein ſehr nahes Verhältniß. Er war in Goethe's Hauſe ein häufiger Tiſchgenoſſe, auch in ſeinen Abend¬ geſellſchaften ein oft und gerne geſehener Gaſt. Außerdem boten ſeine naturwiſſenſchaftlichen Kennt¬ niſſe vielfache Berührungspunkte zu einem dauern¬ den Umgange. Als gründlicher Mineraloge ord¬ nete er Goethe's Cryſtalle, ſowie ſeine KenntniſſeXV der Botanik ihn fähig machten, Goethe's Meta¬ morphoſe der Pflanze ins Franzöſiſche zu über¬ ſetzen und dadurch jener wichtigen Schrift eine größere Verbreitung zu geben. Seine Stellung am Hofe ferner führte ihn gleichfalls oft in Goe¬ the's Nähe, indem er bald den Prinzen zu ihm begleitete, bald Aufträge Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs und Ihrer Kaiſerlichen Hoheit der Frau Großherzogin ihm zu Beſuchen bei Goethe Veranlaſſung gaben.

Von ſolchen perſönlichen Berührungen hat nun Herr Soret in ſeinen Tagebüchern häufig Notiz genommen, und vor einigen Jahren die Güte gehabt, ein daraus zuſammengeſtelltes klei¬ nes Manuſcript mir in dem Sinne zu übergeben, daß es mir geſtattet ſeyn ſolle, das Beſte und Intereſſanteſte in meinen dritten Band chrono¬ logiſch zu verweben.

Dieſe in franzöſiſcher Sprache abgefaßten No¬ tizen waren bald ausführlich, bald aber nur flüchtig und lückenhaft, ſo wie die eiligen, oft ſehr geſchäftsreichen Tage des Verfaſſers es ihm hatten erlauben wollen. Da jedoch in dem gan¬XVl zen Manuſcript kein Gegenſtand vorgekommen, der nicht zwiſchen Goethe und mir wiederholt und ausführlich wäre beſprochen worden, ſo waren meine eigenen Tagebücher ganz geeignet, das von Soret Geſchriebene zu ergänzen, dort gelaſſene Lücken auszufüllen und das oft nur Angedeutete in hinlänglicher Entwickelung darzuſtellen. Alle Geſpräche jedoch, bei denen das Manuſcript von Soret zu Grunde liegt oder ſtark benutzt worden, wie es beſonders in den beiden erſten Jahren der Fall, ſind oben am Datum mit einem * bezeich¬ net, um ſie von denen, die bloß von mir ſind, und welche, bis auf Weniges, die Jahre 1824 bis 1829 und einen großen Theil von 1830, 1831 und 1832 ausmachen, zu unterſcheiden.

Und ſo wüßte ich nun weiter nichts hinzu¬ zufügen, als daß ich dieſem lange und mit Liebe gehegten dritten Band dieſelbe gute Auf¬ nahme wünſche, wie ſie in ſo reichlichem Maße den beiden erſten zu Theil geworden.

Weimar, den 21. December 1847.

[1]

1822.

III. 1[2][3]

Dieſen Abend bei Goethe mit Hofrath Meyer. Die Unterhaltung drehte ſich hauptſächlich um Mineralogie, Chemie und Phyſik. Die Phänomene der Polariſation des Lichts ſchienen ihn beſonders zu intereſſiren. Er zeigte mir verſchiedene Vorrichtungen, größtentheils nach ſeinen eigenen Angaben conſtruirt, und äußerte den Wunſch, mit mir einige Experimente zu machen.

Goethe ward im Laufe des Geſprächs immer freier und mittheilender. Ich blieb länger als eine Stunde und er ſagte mir beim Abſchiede viel Gutes.

Seine Geſtalt iſt noch ſchön zu nennen, ſeine Stirn und Augen ſind beſonders majeſtätiſch. Er iſt groß und wohlgebaut und von ſo rüſtigem Anſehen, daß man nicht wohl begreift, wie er ſich ſchon ſeit Jahren hat für zu alt erklären können, um noch in Geſellſchaft und an Hof zu gehen.

Den Abend bei Goethe zugebracht mit Meyer, Goethe's Sohn, Frau v. Goethe und ſeinem Arzt,1*4Hofrath Rehbein. Goethe war heute beſonders lebhaft. Er zeigte mir prächtige Lithographien aus Stuttgart, etwas ſo Vollkommenes in dieſer Art, wie ich noch nicht geſehen. Darauf ſprachen wir über wiſſenſchaft¬ liche Dinge, beſonders über die Fortſchritte der Chemie. Das Jod und das Chlor beſchäftigten Goethe vorzugs¬ weiſe; er ſprach über dieſe Subſtanzen mit einem Erſtaunen, als ob ihn die neuen Entdeckungen der Chemie ganz unvermuthet überraſcht hätten. Er ließ ſich etwas Jod hereinbringen und verflüchtigte es vor unſern Augen an der Flamme einer Wachskerze, wobei er nicht verfehlte, uns den violetten Dunſt bewundern zu laſſen, als freudige Beſtätigung eines Geſetzes ſeiner Theorie der Farben.

Bei Goethe zu einer Abendgeſellſchaft. Ich fand unter den Anweſenden auch Herrn Canzler v. Müller, Präſidenten Peucer, Dr. Stephan Schütze, und Regie¬ rungsrath Schmidt, welcher letztere einige Sonaten von Beethoven mit einer ſeltenen Vollkommenheit vortrug. Hohen Genuß gewährte mir auch die Unter¬ haltung Goethes und ſeiner Schwiegertochter, die, jugend¬ lich heiter, mit einem liebenswürdigen Naturell unendlich viel Geiſt verbindet.

5

In einer Abendgeſellſchaft bei Goethe mit dem berühmten Blumenbach aus Göttingen. Blumenbach iſt alt, aber von lebhaftem und heiterem Ausdruck; er hat ſich die ganze Beweglichkeit der Jugend zu bewahren gewußt. Sein Benehmen iſt der Art, daß man nicht denkt, daß man einen Gelehrten vor ſich habe. Seine Herzlichkeit iſt frei und froh; er macht keine Umſtände und man iſt bald mit ihm auf einem ſehr bequemen Fuß. Seine Bekanntſchaft war mir ſo intereſſant wie angenehm.

Abendgeſellſchaft bei Goethe. Unter den Anweſenden befand ſich auch der Maler Kolbe. Man zeigte uns von ihm ein trefflich ausgeführtes Gemälde, eine Copie der Venus von Titian der Dresdener Galerie.

Auch Herrn von Eſchwege und den berühmten Hummel fand ich dieſen Abend bei Goethe. Hummel improviſirte faſt eine Stunde lang auf dem Piano, mit einer Kraft und einem Talent, wovon es unmöglich iſt ſich einen Begriff zu machen, wenn man ihn nicht gehört hat. Ich fand ſeine Unterhaltung einfach und natürlich, und ihn ſelbſt, für einen Virtuoſen von ſo großer Berühmtheit, auffallend beſcheiden.

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Bei Goethe in einer Abendgeſellſchaft. Die Herren Riemer, Coudray, Meyer, Goethe's Sohn und Frau v. Göthe waren unter den Anweſenden.

Die Studenten in Jena ſind in Aufſtand begriffen; man hat eine Compagnie Artillerie hingeſchickt, um ſie zu beruhigen. Riemer las eine Sammlung von Liedern, die man ihnen verboten und die dadurch Anlaß oder Vorwand der Revolte gegeben. Alle dieſe Lieder erhielten beim Vorleſen entſchiedenen Beifall, beſonders wegen des Talentes das darin ſichtbar; Goethe ſelbſt fand ſie gut und verſprach ſie mir zur ruhigen Durchſicht.

Nachdem wir darauf eine Zeit lang Kupferſtiche und koſtbare Bücher betrachtet hatten, machte Goethe uns die Freude, das Gedicht Charon zu leſen. Die klare, deutliche und energiſche Art mußte ich bewundern, womit Goethe das Gedicht vortrug. Nie habe ich eine ſo ſchöne Declamation gehört. Welches Feuer! Welche Blicke! Und welche Stimme! abwechſelnd donnernd, und dann wieder ſanft und milde. Vielleicht entwickelte er an einigen Stellen zu viele Kraft für den kleinen Raum in dem wir uns befanden; aber doch war in ſeinem Vortrage nichts, was man hätte hinwegwünſchen mögen.

Goethe ſprach darauf über Literatur und ſeine Werke, ſowie über Frau v. Stael und Verwandtes. Er be¬ ſchäftigt ſich gegenwärtig mit der Ueberſetzung und7 Zuſammenſtellung der Fragmente vom Phaëton des Euripides. Er hat dieſe Arbeit bereits vor einem Jahre angefangen und in dieſen Tagen wieder vor¬ genommen.

Dieſen Abend bei Goethe, hörte ich die Probe des erſten Acts einer im Entſtehen begriffenen Oper, der Graf von Gleichen, von Eberwein. Seit Goethe die Direction des Theaters niedergelegt, ſey dieß das erſte¬ mal, ſagte man mir, daß er ein ſo großes Perſonal der Oper bei ſich ſehe. Herr Eberwein dirigirte den Geſang. Bei den Chören aſſiſtirten auch einige Damen aus der Bekanntſchaft Goethe's, während die Solo¬ parthieen durch Mitglieder der Oper geſungen wurden. Einige Stücke erſchienen mir ſehr merkwürdig, beſonders ein Canon zu vier Stimmen.

Abends bei Goethe. Er war ſehr heiter und behandelte das Thema, daß die Thorheiten der Väter für ihre Kinder verloren ſeyen, mit vielem Geiſt. Die Nachforſchungen, die man jetzt zur Entdeckung von Salzquellen anſtellt, intereſſirten ihn ſichtbar. Er ſchalt auf die Dummheit gewiſſer Unternehmer, welche die äußeren Spuren und die Lage und Folge der Schichten,8 unter denen Steinſalz liegt und durch die der Bohrer gehen muß, ganz außer Acht laſſen, und die, ohne den rechten Fleck zu wiſſen und zu finden, immer ein einziges Bohrloch an einer und derſelbigen Stelle auf's Gerathewohl hartnäckig verfolgen.

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1823.

[10][11]

Abends bei Goethe, den ich allein fand, in Geſprächen mit Meyer. Ich durchblätterte ein Album vergangener Jahrhunderte mit einigen ſehr berühmten Handſchriften, wie z. B. von Luther, Erasmus, Mosheim und Anderen. Der letztere hatte in lateiniſcher Sprache folgendes merkwürdige Wort geſchrieben:

Der Ruhm eine Quelle von Mühe und Leiden; die Dunkelheit eine Quelle des Glücks.

Goethe iſt ſeit einigen Tagen gefährlich krank geworden; geſtern lag er ohne Hoffnung. Doch hat ſich heute eine Kriſis eingeſtellt, wodurch er gerettet zu werden ſcheint. Noch dieſen Morgen äußerte er, daß er ſich für verloren halte; ſpäter, Mittags, ſchöpfte er Hoffnung, daß er es überwinden werde; und wieder Abends meinte er, wenn er davon komme, ſo müſſe man geſtehen, daß er für einen Greis ein zu hohes Spiel geſpielt.

12

Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen Leben und Tod beginnt.

Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften Uebermuth. Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln, ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! Wenn man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke gehen. Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den Himmel. Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. Wäre ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.

In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: Eine beſſere Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich13 zu führen. Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: Das weiß ich längſt; aber dieſe Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!

Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. Ihr ſcheint zu glauben, ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr betrügt Euch. Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬ henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten, welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬ ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit zuſchickte.

Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet; auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich14 ſehr groß war. Er empfing darauf den Großherzog und ſchien ſpäter von dem Beſuch nicht angegriffen. In ſeinem Arbeitszimmer fand ich heute weniger Per¬ ſonen, woraus ich zu meiner Freude ſchloß, daß meine geſtrige Bemerkung etwas gefruchtet hatte.

Nun aber, da die Krankheit gehoben iſt, ſcheint man die Folgen zu fürchten. Seine linke Hand iſt geſchwollen und es zeigen ſich drohende Vorboten der Waſſerſucht. Erſt in einigen Tagen wird man wiſſen, was man von dem endlichen Ausgang der Krankheit zu halten hat. Goethe hat heute das erſtemal nach einem ſeiner Freunde verlangt, nämlich nach ſeinem älteſten Freunde Meyer. Er wollte ihm eine ſeltene Medaille zeigen, die er aus Böhmen erhalten hat und worüber er entzückt iſt.

Ich kam um zwölf Uhr, und da Goethe hörte, daß ich dort war, ließ er mich in ſeine Nähe rufen. Er reichte mir die Hand, indem er mir ſagte: Sie ſehen in mir einen vom Tode Erſtandenen. Er beauftragte mich ſodann, Ihrer Kaiſerlichen Hoheit für die Theilnahme zu danken, die ſie ihm während ſeiner Krankheit be¬ wieſen. Meine Geneſung wird ſehr langſam ſeyn, fügte er darauf hinzu, aber den Herren Aerzten bleibt doch nichtsdeſtoweniger die Ehre, ein kleines Wunder an mir gethan zu haben.

Nach ein paar Minuten zog ich mich zurück. Seine Farbe iſt gut, allein er iſt ſehr abgemagert und athmet15 noch mit einiger Beſchwerde. Es kam mir vor, als würde ihm das Sprechen ſchwieriger als geſtern. Die Geſchwulſt des linken Armes iſt ſehr ſichtbar; er hält die Augen geſchloſſen und öffnet ſie nur wenn er ſpricht.

Dieſen Abend bei Goethe, den ich in mehreren Tagen nicht geſehen. Er ſaß in ſeinem Lehnſtuhl und hatte ſeine Schwiegertochter und Riemer bei ſich. Er war auffallend beſſer. Seine Stimme hatte wieder ihren natürlichen Klang, ſein Athemholen war frei, ſeine Hand nicht mehr geſchwollen, ſein Ausſehen wieder wie in geſundem Zuſtand, und ſeine Unterhaltung leicht. Er ſtand auf und ging ohne Umſtände in ſein Schlaf¬ zimmer und wieder zurück. Man trank den Thee bei ihm, und da es heute wieder das erſtemal war, ſo machte ich Frau v. Goethe ſcherzhaft Vorwürfe, daß ſie vergeſſen habe, einen Blumenſtrauß auf das Theebrett zu ſtellen. Frau von Goethe nahm ſogleich ein farbiges Band von ihrem Hut und band es an die Theemaſchine. Dieſer Scherz ſchien Goethen viel Vergnügen zu machen.

Wir betrachteten darauf eine Sammlung nachgemach¬ ter Edelſteine, die der Großherzog hatte von Paris kommen laſſen.

16

Man hat heute im Theater Goethe's Taſſo zur Feier ſeiner Geneſung gegeben, mit einem Prolog von Riemer, den Frau von Heigendorf geſprochen. Seine Büſte ward unter lautem Beifall der gerührten Zuſchauer mit einem Lorbeerkranze geſchmückt. Nach beendigter Vor¬ ſtellung ging Frau v. Heigendorf zu Goethe. Sie war noch im Coſtüm der Leonore und überreichte ihm den Kranz des Taſſo, den Goethe nahm, um damit die Büſte der Großfürſtin Alexandra zu ſchmücken.

Ich brachte Goethen von Seiten Ihrer Kaiſerlichen Hoheit eine Nummer des Franzöſiſchen Modejournals, worin von einer Ueberſetzung ſeiner Werke die Rede war. Wir ſprachen bei dieſer Gelegenheit über Rameau's Neffen, wovon das Original lange verloren geweſen. Verſchiedene Deutſche glauben, daß jenes Original nie exiſtirt habe und daß Alles Goethe's eigene Erfindung ſey. Goethe aber verſichert, daß es ihm durchaus unmöglich geweſen ſeyn würde, Diderot's geiſtreiche Dar¬ ſtellung und Schreibart nachzuahmen, und daß der deutſche Rameau nichts weiter ſey, als eine ſehr treue Ueberſetzung.

Einen Theil des Abends bei Goethe zugebracht in17 Geſellſchaft des Herrn Oberbaudirectors Coudray. Wir ſprachen über das Theater und die Verbeſſerungen, die dabei ſeit einiger Zeit eingetreten ſind. Ich bemerke es, ohne hinzugehen, ſagte Goethe lachend. Noch vor zwei Monaten kamen meine Kinder des Abends immer mißvergnügt nach Hauſe. Sie waren nie mit dem Plaiſir zufrieden, das man ihnen hatte bereiten wollen. Aber jetzt hat ſich das Blatt gewendet; ſie kommen mit freudeglänzenden Geſichtern, weil ſie doch einmal ſich recht hätten ſatt weinen können. Geſtern haben ſie dieſe Wonne der Thränen einem Drama von Kotzebue zu verdanken gehabt.

Abends mit Goethe allein. Wir ſprachen über Literatur, Lord Byron, deſſen Sardanapal und Werner. Sodann kamen wir auf den Fauſt, über den Goethe oft und gerne redet. Er möchte, daß man ihn ins Franzöſiſche überſetzte, und zwar im Charakter der Zeit des Marot. Er betrachtet ihn als die Quelle, aus der Byron die Stimmung zu ſeinem Manfred geſchöpft. Goethe findet, daß Byron in ſeinen beiden letzten Tragödien entſchiedene Fortſchritte gemacht, indem er darin weniger düſter und miſanthropiſch erſcheint. Wir ſprachen ſodann über den Text der Zauberflöte, wovon Goethe die Fortſetzung gemacht, aber noch keinen Com¬ poniſten gefunden hat, um den Gegenſtand gehörig zuIII. 218behandeln. Er giebt zu, daß der bekannte erſte Theil voller Unwahrſcheinlichkeiten und Späße ſey, die nicht Jeder zurechtzulegen und zu würdigen wiſſe; aber man müſſe doch auf alle Fälle dem Autor zugeſtehen, daß er im hohen Grade die Kunſt verſtanden habe, durch Contraſte zu wirken und große theatraliſche Effecte herbeizuführen.

Abends bei Goethe mit Gräfin Caroline Egloffſtein. Goethe ſcherzte über die deutſchen Almanache und andere periodiſche Erſcheinungen, alle von einer lächer¬ lichen Sentimentalität durchdrungen, die an der Ord¬ nung des Tages zu ſeyn ſcheine. Die Gräfin bemerkte, daß die deutſchen Romanſchreiber den Anfang gemacht, den Geſchmack ihrer zahlreichen Leſer zu verderben, und daß nun wiederum die Leſer die Romanſchreiber ver¬ dürben, die, um für ihre Manuſcripte einen Verleger zu finden, ſich jetzt ihrerſeits dem herrſchenden ſchlechten Geſchmack des Publicums bequemen müßten.

Ich fand Coudray und Meyer bei Goethe. Man ſprach über verſchiedene Dinge. Die Großherzogliche Bibliothek, ſagte Goethe unter Anderem, beſitzt einen Globus, der unter der Regierung Carls des Fünften von einem Spanier verfertigt worden. Es finden ſich19 auf ihm einige merkwürdige Inſchriften, wie z. B. die folgende: Die Chineſen ſind ein Volk, das ſehr viele Aehnlichkeit mit den Deutſchen hat. In älteren Zeiten, fuhr Goethe fort, waren auf den Landcharten die afrikaniſchen Wüſten mit Abbildungen wilder Thiere bezeichnet. Heut zu Tage aber thut man dergleichen nicht; vielmehr ziehen die Geographen vor, uns carte blanche zu laſſen.

Abends bei Goethe. Er ſuchte mir einen Begriff ſeiner Farbenlehre zu geben. Das Licht, ſagte er, ſey keineswegs eine Zuſammenſetzung verſchiedener Farben; auch könne das Licht allein keine Farben hervor¬ bringen, vielmehr gehöre immer dazu eine gewiſſe Modification und Miſchung von Licht und Schatten.

Ich fand Goethe beſchäftigt, ſeine kleinen Gedichtchen und Blättchen an Perſonen zuſammen zu ſuchen. In früheren Zeiten, ſagte er, wo ich leichtſinniger mit meinen Sachen umging und Abſchriften zu nehmen unter¬ ließ, ſind hunderte ſolcher Gedichte verloren gegangen.

Der Canzler, Riemer und Meyer waren bei Goethe. Man ſprach über die Gedichte von Béranger und2*20Goethe commentirte und paraphraſirte einige derſelben mit großer Originalität und guter Laune.

Sodann war von Phyſik und Meteorologie die Rede. Goethe iſt im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und deſſen Anziehung und Entlaſſung der Atmosphäre zuſchreiben wird.

Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen, meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch, ſie werden noch beſſer thun, ſie werden ſie vornehmer¬ weiſe völlig ignoriren. Wiſſen Sie aber warum? Weil ſie ſagen, ich ſey kein Mann vom Fache.

Der Caſtengeiſt der Gelehrten, erwiederte ich, wäre wohl zu verzeihen. Wenn ſich in ihre Theorieen einige Irrthümer eingeſchlichen haben und darin fortgeſchleppt werden, ſo muß man die Urſache darin ſuchen, daß ſie dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬ kommen haben, wo ſie ſelber noch auf den Schulbänken ſaßen.

Das iſt's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten machen es wie unſere Weimar'ſchen Buchbinder. Das Meiſterſtück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde aufgenommen zu werden, iſt keineswegs ein hübſcher Einband nach dem neueſten Geſchmack. Nein, weit entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in21 Folio geliefert werden, ganz wie ſie vor zwei bis drꝛ Jahrhunderten Mode war, mit plumpen Deckeln und in ſtarkem Leder. Die Aufgabe iſt eine Abſurdität. Aber es würde dem armen Handwerker ſchlecht gehen, wenn er behaupten wollte, ſeine Examinatoren wären dumme Leute.

Abends bei Goethe. Madame Szymanowska, deren Bekanntſchaft er dieſen Sommer in Marienbad gemacht, phantaſirte auf dem Flügel. Goethe, im Anhören verloren, ſchien mitunter ſehr ergriffen und bewegt.

Kleine Abendgeſellſchaft bei Goethe, der ſeit längerer Zeit wieder leidend iſt. Seine Füße hatte er in eine wollene Decke gewickelt, die ihn ſeit dem Feldzuge in der Champagne überall hin begleitet. Bei Gelegenheit dieſer Decke erzählte er uns eine Anekdote aus dem Jahre 1806, wo die Franzoſen Jena occupirt hatten und der Caplan eines franzöſiſchen Regiments Behänge zum Schmuck ſeines Altars requirirte. Man hatte ihm ein Stück glänzend carmoiſinrothes Zeug geliefert, ſagte Goethe, das ihm aber noch nicht gut genug war. Er beſchwerte ſich darüber bei mir. Schicken Sie mir jenes Zeug, antwortete ich ihm, ich will ſehen, ob ich Ihnen etwas Beſſeres verſchaffen kann. Indeſſen22[h]atten wir auf unſerm Theater ein neues Stück zu geben und ich benutzte den prächtigen rothen Stoff, um damit meine Schauſpieler herauszuputzen. Was aber meinen Caplan betraf, ſo erhielt er weiter nichts; er ward vergeſſen und er hat ſehen müſſen, wie er ſich ſelber half.

Goethe iſt immer noch nicht beſſer. Die Frau Großfürſtin ſchickte ihm dieſen Abend durch mich einige ſehr ſchöne Medaillen, deren Betrachtung ihm vielleicht einige Zerſtreuung und Aufheiterung gewähren möchte. Goethe war über dieſe zarte Aufmerkſamkeit ſeiner hohen Fürſtin ſichtbar erfreut. Er klagte mir darauf, daß er den¬ ſelbigen Schmerz an der Seite des Herzens fühle, wie er ſeiner ſchweren Krankheit vom vorigen Winter vorangegangen. Ich kann nicht arbeiten, ſagte er; ich kann nicht leſen, und ſelbſt das Denken gelingt mir nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung.

Humboldt iſt hier. Ich war heute einen Augenblick bei Goethe, wo es mir ſchien, als ob die Gegenwart und die Unterhaltung Humboldt's einen günſtigen Ein¬ fluß auf ihn gehabt habe. Sein Uebel ſcheint nicht bloß phyſiſcher Art zu ſeyn. Es ſcheint vielmehr, daß die leidenſchaftliche Neigung, die er dieſen Sommer in23 Marienbad zu einer jungen Dame gefaßt und die er jetzt zu bekämpfen ſucht, als Haupturſache ſeiner jetzigen Krankheit zu betrachten iſt.

Der erſte Theil von Meyers Kunſtgeſchichte, der ſo eben erſchienen, ſcheint Goethe ſehr angenehm zu be¬ ſchäftigen. Er ſprach darüber heute in Ausdrücken des höchſten Lobes.

Ich brachte Goethen einige Mineralien, beſonders ein Stück thonigen Oker, den Deſchamps zu Cormayan gefunden, und wovon Herr Maſſot viel Rühmens macht. Wie ſehr aber war Goethe erſtaunt, als er in dieſer Farbe ganz dieſelbige erkannte, die Angelika Kaufmann zu den Fleiſchpartieen ihrer Gemälde zu benutzen pflegte! Sie ſchätzte das Wenige, das ſie davon beſaß, ſagte er, nach dem Gewicht des Goldes. Der Ort indeß, wo es herſtammte und wo es zu finden, war ihr unbekannt. Goethe meinte gegen ſeine Tochter, ich behandele ihn wie einen Sultan, dem man täglich neue Geſchenke bringe. Er behandelt Sie vielmehr wie ein Kind! erwiederte Frau v. Goethe; worüber er ſich denn nicht enthalten konnte zu lächeln.

24

Ich fragte Goethen, wie er ſich heute befinde. Nicht ganz ſo ſchlecht als Napoleon auf ſeiner Inſel , war die ſeufzende Antwort. Der ſich ſehr in die Länge ziehende krankhafte Zuſtand ſcheint denn doch nach und nach ſehr auf ihn zu wirken.

Goethe's gute Laune war heute wieder glänzend. Wir haben den kürzeſten Tag erreicht, und die Hoffnung, jetzt mit jeder Woche die Tage wieder bedeutend zunehmen zu ſehen, ſcheint auf ſeine Stimmung den günſtigſten Einfluß auszuüben. Heute feiern wir die Wiedergeburt der Sonne! rief er mir froh entgegen, als ich dieſen Vormittag bei ihm eintrat. Ich höre, daß er jedes Jahr die Wochen vor dem kürzeſten Tage in deprimirter Stimmung zu verbringen und zu verſeufzen pflegt.

Frau v. Goethe trat herein, um ihren Schwiegerpapa zu benachrichtigen, daß ſie nach Berlin zu reiſen im Begriff ſey, um dort mit ihrer nächſtens zurückkommenden Mutter zuſammen zu treffen.

Als Frau v. Goethe gegangen war, ſcherzte Goethe mit mir über die lebendige Einbildungskraft, welche die Jugend charakteriſire. Ich bin zu alt, ſagte er, um ihr zu widerſprechen und ihr begreiflich zu machen, daß die Freude, ihre Mutter dort oder hier zuerſt wieder¬ zuſehen, ganz dieſelbige ſeyn würde. Dieſe Winterreiſe25 iſt viel Mühe um nichts; aber ein ſolches Nichts iſt der Jugend oft unendlich viel. Und im Ganzen genommen, was thut's! Man muß oft etwas Tolles unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu können. In meiner Jugend habe ich es nicht beſſer gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut davon gekommen.

Abends mit Goethe allein, in allerlei Geſprächen. Er ſagte mir, daß er die Abſicht habe, ſeine Reiſe in die Schweiz vom Jahre 1797 in ſeine Werke aufzunehmen. Sodann war die Rede vom Werther, den er nicht wieder geleſen habe, als einmal, ungefähr zehn Jahre nach ſeinem Erſcheinen. Auch mit ſeinen anderen Schriften habe er es ſo gemacht. Wir ſprachen darauf von Überſetzungen, wobei er mir ſagte, daß es ihm ſehr ſchwer werde, engliſche Gedichte in deutſchen Verſen wiederzugeben. Wenn man die ſchlagenden einſilbigen Worte der Engländer, ſagte er, mit vielſilbigen oder zuſammengeſetzten deutſchen ausdrücken will, ſo iſt gleich alle Kraft und Wirkung verloren. Von ſeinem Rameau ſagte er, daß er die Ueberſetzung in vier Wochen gemacht und Alles dictirt habe.

Wir ſprachen ſodann über Naturwiſſenſchaften, ins¬ beſondere über die Kleingeiſterei, womit dieſe und jene26 Gelehrten ſich um die Priorität ſtreiten. Ich habe durch nichts die Menſchen beſſer kennen gelernt, ſagte Goethe, als durch meine wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen. Ich habe es mich viel koſten laſſen und es iſt mit manchen Leiden verknüpft geweſen; aber ich freue mich dennoch die Erfahrung gemacht zu haben.

In den Wiſſenſchaften, bemerkte ich, ſcheint auf eine beſondere Weiſe der Egoismus der Menſchen angeregt zu werden; und wenn dieſer einmal in Bewegung geſetzt iſt, ſo pflegen ſehr bald alle Schwächen des Charakters zum Vorſchein zu kommen.

Die Fragen der Wiſſenſchaft, verſetzte Goethe, ſind ſehr häufig Fragen der Exiſtenz. Eine einzige Entdeckung kann einen Mann berühmt machen und ſein bürgerliches Glück begründen. Deßhalb herrſcht auch in den Wiſſen¬ ſchaften dieſe große Strenge und dieſes Feſthalten und dieſe Eiferſucht auf das Aperçü eines Andern. Im Reich der Aeſthetik dagegen iſt Alles weit läßlicher; die Gedanken ſind mehr oder weniger ein angeborenes Eigenthum aller Menſchen, wobei Alles auf die Behand¬ lung und Ausführung ankommt und billigerweiſe wenig Neid ſtattfindet. Ein einziger Gedanke kann das Fundament zu hundert Epigrammen hergeben und es fragt ſich bloß, welcher Poet denn nun dieſen Gedanken auf die wirkſamſte und ſchönſte Weiſe zu verſinnlichen gewußt habe.

Bei der Wiſſenſchaft aber iſt die Behandlung null,

27und alle Wirkung liegt im Aperçü. Es iſt dabei wenig Allgemeines und Subjectives, ſondern die einzelnen Manifeſtationen der Naturgeſetze liegen alle ſphynxartig, ſtarr, feſt und ſtumm außer uns da. Jedes wahr¬ genommene neue Phänomen iſt eine Entdeckung, jede Entdeckung ein Eigenthum. Taſte aber nur Einer das Eigenthum an, und der Menſch mit ſeinen Leidenſchaften wird ſogleich daſeyn.

Es wird aber, fuhr Goethe fort, in den Wiſſen¬ ſchaften auch zugleich dasjenige als Eigenthum angeſehen, was man auf Academieen überliefert erhalten und gelernt hat. Kommt nun Einer, der etwas Neues bringt, das mit unſerm Credo, das wir ſeit Jahren nachbeten und wiederum Anderen überliefern, in Widerſpruch ſteht und es wohl gar zu ſtürzen droht, ſo regt man alle Leidenſchaften gegen ihn auf und ſucht ihn auf alle Weiſe zu unterdrücken. Man ſträubt ſich dagegen, wie man nur kann; man thut, als höre man nicht, als verſtände man nicht; man ſpricht darüber mit Gering¬ ſchätzung, als wäre es gar nicht der Mühe werth es nur anzuſehen und zu unterſuchen; und ſo kann eine neue Wahrheit lange warten, bis ſie ſich Bahn macht. Ein Franzoſe ſagte zu einem meiner Freunde in Bezug auf meine Farbenlehre: Wir haben funfzig Jahre lang gearbeitet, um das Reich Newton's zu gründen und zu befeſtigen; es werden andere funfzig Jahre nöthig ſeyn, um es zu ſtürzen.

28

Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬ ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬ raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. Die kleine Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬ faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich entſchuldigt.

Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten29 Newton, ſondern auch mit ſeinen in der ganzen Welt verbreiteten Schülern zu thun haben, die ihrem Meiſter anhängen und deren Zahl Legion iſt. Geſetzt auch, daß Sie am Ende recht behalten, ſo werden Sie gewiß noch eine geraume Zeit mit Ihrer neuen Lehre allein ſtehen.

Ich bin es gewohnt und bin darauf gefaßt, er¬ wiederte Goethe. Aber ſagen Sie ſelbſt, fuhr er fort, konnte ich nicht ſtolz ſeyn, wenn ich mir ſeit zwanzig Jahren geſtehen mußte, daß der große Newton und alle Mathematiker und erhabenen Rechner mit ihm in Bezug auf die Farbenlehre ſich in einem entſchiedenen Irrthum befänden und daß ich unter Millionen der Einzige ſey, der in dieſem großen Natur-Gegenſtande allein das Rechte wiſſe? Mit dieſem Gefühl der Supe¬ riorität war es mir denn möglich, die ſtupide Anma߬ lichkeit meiner Gegner zu ertragen. Man ſuchte mich und meine Lehre auf alle Weiſe anzufeinden und meine Ideen lächerlich zu machen; aber ich hatte nichtsdeſto¬ weniger über mein vollendetes Werk eine große Freude. Alle Angriffe meiner Gegner dienten mir nur, um die Menſchen in ihrer Schwäche zu ſehen.

Während Goethe ſo mit einer Kraft und einem Reichthum des Ausdruckes ſprach, wie ich in ganzer Wahrheit wiederzugeben nicht im Stande bin, glänzten ſeine Augen von einem außerordentlichen Feuer. Man ſah darin den Ausdruck des Triumphs, während ein30 ironiſches Lächeln um ſeine Lippen ſpielte. Die Züge ſeines ſchönen Geſichtes waren impoſanter als je.

Bei Goethe zu Tiſche, in mancherlei Geſprächen. Er zeigte mir ein Portefeuille mit Handzeichnungen, unter denen beſonders die Anfänge von Heinrich Füßli merkwürdig.

Wir ſprachen ſodann über religiöſe Dinge und den Mißbrauch des göttlichen Namens.

Die Leute tractiren ihn, ſagte Goethe, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchſte Weſen nicht viel mehr, als ihres Gleichen. Sie würden ſonſt nicht ſagen: Der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. Er wird ihnen, beſonders den Geiſtlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phraſe, zu einem bloßen Namen, wobei ſie ſich auch gar nichts denken. Wären ſie aber durchdrungen von ſeiner Größe, ſie würden verſtummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen.

[31]

1824.

[32][33]

Bei Goethe zu Tiſch in heiteren Geſprächen. Eine junge Schönheit der Weimariſchen Geſellſchaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anweſenden bemerkte, daß er faſt auf dem Punkte ſtehe, ſie zu lieben, obgleich ihr Verſtand nicht eben glänzend zu nennen.

Pah! ſagte Goethe lachend, als ob die Liebe etwas mit dem Verſtande zu thun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge, als den Verſtand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckiſche, das Zutrauliche, den Cha¬ rakter, ihre Fehler, ihre Capricen, und Gott weiß was alles Unausſprechliche ſonſt; aber wir lieben nicht ihren Verſtand. Ihren Verſtand achten wir, wenn er glänzend iſt, und ein Mädchen kann dadurch in unſern Augen unendlich an Werth gewinnen. Auch mag der Verſtand gut ſeyn, uns zu feſſeln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verſtand iſt nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenſchaft zu erwecken.

Man fand an Goethe's Worten viel Wahres und Ueberzeugendes und war ſehr bereit, den Gegenſtand ebenfalls von dieſer Seite zu betrachten.

III. 334

Nach Tiſche und als die Uebrigen gegangen waren blieb ich bei Goethe ſitzen und verhandelte mit ihm noch mancherlei Gutes.

Wir ſprachen über die engliſche Literatur, über die Größe Shakſpeare's, und welch einen ungünſtigen Stand alle engliſchen dramatiſchen Schriftſteller gehabt, die nach jenem poetiſchen Rieſen gekommen.

Ein dramatiſches Talent, fuhr Goethe fort, wenn es bedeutend war, konnte nicht umhin, von Shakſpeare Notiz zu nehmen, ja es konnte nicht umhin, ihn zu ſtudiren. Studirte es ihn aber, ſo mußte ihm bewußt werden, daß Shakſpeare die ganze Menſchennatur nach allen Richtungen hin, und in allen Tiefen und Höhen, bereits erſchöpft habe, und daß im Grunde für ihn, den Nachkömmling, nichts mehr zu thun übrig bleibe. Und woher hätte Einer den Muth nehmen ſollen, nur die Feder anzuſetzen, wenn er ſich ſolcher bereits vor¬ handener unergründlicher und unerreichbarer Vortrefflich¬ keiten in ernſter anerkennender Seele bewußt war!

Da hatte ich es freilich vor funfzig Jahren in meinem lieben Deutſchland beſſer. Ich konnte mich ſehr bald mit dem Vorhandenen abfinden, es konnte mir nicht lange imponiren und mich nicht ſehr aufhalten. Ich ließ die deutſche Literatur und das Studium derſelben ſehr bald hinter mir und wendete mich zum Leben und zur Production. So nach und nach vorſchreitend ging ich in meiner natürlichen Entwickelung fort und bildete35 mich nach und nach zu den Productionen heran, die mir von Epoche zu Epoche gelangen. Und meine Idee vom Vortrefflichen war auf jeder meiner Lebens - und Entwickelungsſtufen nie viel größer, als was ich auch auf jeder Stufe zu machen im Stande war. Wäre ich aber als Engländer geboren, und wären alle jene viel¬ fältigen Meiſterwerke bei meinem erſten jugendlichen Erwachen mit all ihrer Gewalt auf mich eingedrungen, es hätte mich überwältigt und ich hätte nicht gewußt, was ich hätte thun wollen. Ich hätte nicht ſo leichten, friſchen Muthes vorſchreiten können, ſondern mich ſicher erſt lange beſinnen und umſehen müſſen, um irgendwo einen neuen Ausweg zu finden.

Ich lenkte das Geſpräch auf Shakſpeare zurück. Wenn man ihn, ſagte ich, aus der engliſchen Literatur gewiſſermaßen herausreißt und als einen Einzelnen nach Deutſchland verſetzt und betrachtet, ſo kann man nicht umhin, ſeine rieſenhafte Größe als ein Wunder anzuſtaunen. Sucht man ihn aber in ſeiner Heimath auf, verſetzt man ſich auf den Boden ſeines Landes und in die Atmosphäre des Jahrhunderts in dem er lebte, ſtudirt man ferner ſeine Mitlebenden und unmit¬ telbaren Nachfolger, athmet man die Kraft, die uns aus Ben Jonſon, Maſſinger, Marlow und Beaumont und Fletcher anweht, ſo bleibt zwar Shakſpeare immer noch eine gewaltig hervorragende Größe, aber man kommt doch zu der Ueberzeugung, daß viele Wunder ſeines3*36Geiſtes einigermaßen zugänglich werden und daß Vieles von ihm in der kräftigen productiven Luft ſeines Jahr¬ hunderts und ſeiner Zeit lag.

Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe. Es iſt mit Shakſpeare wie mit den Gebirgen der Schweiz. Verpflanzen Sie den Montblanc unmittelbar in die große Ebene der Lüneburger Heide, und Sie werden vor Erſtaunen über ſeine Größe keine Worte finden. Beſuchen Sie ihn aber in ſeiner rieſigen Heimath, kommen Sie zu ihm über ſeine großen Nach¬ barn: die Jungfrau, das Finſteraarhorn, den Eiger, das Wetterhorn, den Gotthart und Monte Roſa, ſo wird zwar der Montblanc immer ein Rieſe bleiben, allein er wird uns nicht mehr in ein ſolches Erſtaunen ſetzen.

Wer übrigens nicht glauben will, fuhr Goethe fort, daß Vieles von der Größe Shakſpeare's ſeiner großen kräftigen Zeit angehört, der ſtelle ſich nur die Frage, ob er denn eine ſolche Staunen erregende Erſcheinung in dem heutigen England von 1824, in dieſen ſchlechten Tagen kritiſirender und zerſplitternder Journale, für möglich halte?

Jenes ungeſtörte, unſchuldige, nachtwandleriſche Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann, iſt gar nicht mehr möglich. Unſere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präſentirteller der Oeffentlichkeit. Die täglich an funfzig verſchiedenen Orten erſcheinenden37 kritiſchen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte Klatſch, laſſen nichts Geſundes aufkommen. Wer ſich heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und ſich nicht mit Gewalt iſolirt, iſt verloren. Es kommt zwar durch das ſchlechte, größtentheils negative, äſthetiſirende und kritiſirende Zeitungsweſen eine Art Halbcultur in die Maſſen, allein dem hervorbringenden Talent iſt es ein böſer Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum ſeiner Schöpfungskraft zerſtört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das tiefſte Mark und die verbor¬ genſte Faſer.

Und dann, wie zahm und ſchwach iſt ſeit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben ſelber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft, wahr zu ſeyn und ſich zu zeigen, wie er iſt! Das wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in ſich ſelber finden ſoll, während von Außen ihn Alles in Stich läßt.

Das Geſpräch wendete ſich auf den Werther. Das iſt auch ſo ein Geſchöpf, ſagte Goethe, das ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen Herzens gefüttert habe. Es iſt darin ſo viel Inner¬ liches aus meiner eigenen Bruſt, ſo viel von Empfin¬ dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn ſolcher Bändchen auszuſtatten. Uebrigens habe ich das Buch, wie ich ſchon öfter geſagt, ſeit38 ſeinem Erſcheinen nur ein einzigesmal wieder geleſen und mich gehütet, es abermals zu thun. Es ſind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei und ich fürchte, den pathologiſchen Zuſtand wieder durch¬ zuempfinden, aus dem es hervorging.

Ich erinnerte an ſein Geſpräch mit Napoleon, das ich aus der Skizze kenne, die unter ſeinen ungedruckten Papieren vorhanden, und die ich ihn wiederholt erſucht habe, weiter auszuführen. Napoleon, ſagte ich, bezeich¬ net gegen Sie im Werther eine Stelle, die ihm, einer ſcharfen Prüfung gegenüber, nicht Stich zu halten ſcheint, welches Sie ihm auch zugeben. Ich möchte ſehr gerne wiſſen, welche Stelle er gemeint hat. Rathen Sie! ſagte Goethe mit einem geheimnißvollen Lächeln. Nun, ſagte ich, ich dächte faſt, es wäre die, wo Lotte Werthern die Piſtolen ſchickt, ohne gegen Alberten ein Wort zu ſagen und ohne ihm ihre Ahnungen und Befürchtungen mitzutheilen. Sie haben ſich zwar alle Mühe gegeben, dieſes Schwei¬ gen zu motiviren, allein es ſcheint doch Alles gegen die dringende Nothwendigkeit, wo es das Leben des Freundes galt, nicht Stich zu halten. Ihre Bemer¬ kung, erwiederte Goethe, iſt freilich nicht ſchlecht. Ob aber Napoleon dieſelbe Stelle gemeint hat, oder eine andere, halte ich für gut, nicht zu verrathen. Aber wie geſagt, Ihre Beobachtung iſt eben ſo richtig wie die ſeinige.

39

Ich brachte zur Erwähnung, ob denn die große Wirkung, die der Werther bei ſeinem Erſcheinen gemacht, wirklich in der Zeit gelegen. Ich kann mich, ſagte ich, nicht zu dieſer allgemein verbreiteten Anſicht bekennen. Der Werther hat Epoche gemacht, weil er erſchien, nicht weil er in einer gewiſſen Zeit erſchien. Es liegt in jeder Zeit ſo viel unausgeſprochenes Leiden, ſo viel heimliche Unzufriedenheit und Lebensüberdruß, und in einzelnen Menſchen ſo viele Mißverhältniſſe zur Welt, ſo viele Conflicte ihrer Natur mit bürgerlichen Ein¬ richtungen, daß der Werther Epoche machen würde und wenn er erſt heute erſchiene.

Sie haben wohl Recht, erwiederte Goethe, weßhalb denn auch das Buch auf ein gewiſſes Jünglingsalter noch heute wirkt, wie damals. Auch hätte ich kaum nöthig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübſinn aus allgemeinen Einflüſſen meiner Zeit und aus des Lectüre einzelner engliſcher Autoren herzuleiten. Er waren vielmehr individuelle nahe liegende Verhältniſſe, die mir auf die Nägel brannten und mir zu ſchaffen machten, und die mich in jenen Gemüthszuſtand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich hatte gelebt, geliebt, und ſehr viel gelitten! Das war es.

Die viel beſprochene Wertherzeit gehört, wenn man es näher betrachtet, freilich nicht dem Gange der Welt¬ cultur an, ſondern dem Lebensgange jedes Einzelnen, der mit angeborenem freiem Naturſinn ſich in die40 beſchränkenden Formen einer veralteten Welt finden und ſchicken lernen ſoll. Gehindertes Glück, gehemmte Thä¬ tigkeit, unbefriedigte Wünſche, ſind nicht Gebrechen einer beſonderen Zeit, ſondern jedes einzelnen Menſchen, und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn nicht Jeder einmal in ſeinem Leben eine Epoche haben ſollte, wo ihm der Werther käme, als wäre er bloß für ihn geſchrieben.

Heute nach Tiſche ging Goethe mit mir das Porte¬ feuille von Raphael durch. Er beſchäftigt ſich mit Raphael ſehr oft, um ſich immerfort im Verkehr mit dem Beſten zu erhalten, und ſich immerfort zu üben, die Gedanken eines hohen Menſchen nachzudenken. Dabei macht es ihm Freude, mich in ähnliche Dinge einzuführen.

Hernach ſprachen wir über den Divan; beſonders über das Buch des Unmuths, worin Manches aus¬ geſchüttet, was er gegen ſeine Feinde auf dem Herzen hatte.

Ich habe mich übrigens ſehr mäßig gehalten, fügte er hinzu; wenn ich Alles hätte ausſprechen wollen, was mich wurmte und mir zu ſchaffen machte, ſo hätten die wenigen Seiten wohl zu einem ganzen Bande an¬ wachſen können.

Man war im Grunde nie mit mir zufrieden und wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte, mich zu machen. Auch war man ſelten mit dem zufrie¬41 den, was ich hervorbrachte. Wenn ich mich Jahr und Tag mit ganzer Seele abgemüht hatte, der Welt mit einem neuen Werke etwas zu Liebe zu thun, ſo verlangte ſie, daß ich mich noch obendrein bei ihr bedanken ſollte, daß ſie es nur erträglich fand. Lobte man mich, ſo ſollte ich das nicht in freudigem Selbſtgefühl als einen ſchuldigen Tribut hinnehmen, ſondern man er¬ wartete von mir irgend eine ablehnende beſcheidene Phraſe, worin ich demüthig den völligen Unwerth meiner Perſon und meines Werkes an den Tag lege. Das aber widerſtrebte meiner Natur und ich hätte müſſen ein elender Lump ſeyn, wenn ich ſo hätte heucheln und lügen wollen. Da ich nun aber ſtark genug war, mich in ganzer Wahrheit ſo zu zeigen, wie ich fühlte, ſo galt ich für ſtolz, und gelte noch ſo bis auf den heutigen Tag.

In religiöſen Dingen, in wiſſenſchaftlichen und politiſchen, überall machte es mir zu ſchaffen, daß ich nicht heuchelte und daß ich den Muth hatte, mich aus¬ zuſprechen, wie ich empfand.

Ich glaubte an Gott und die Natur, und an den Sieg des Edlen über das Schlechte; aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich ſollte auch glauben, daß Drei Eins ſey und Eins Drei; das aber wider¬ ſtrebte dem Wahrheitsgefühl meiner Seele; auch ſah ich nicht ein, daß mir damit auch nur im mindeſten wäre geholfen geweſen.

42

Ferner bekam es mir ſchlecht, daß ich einſah, die Newton'ſche Lehre vom Licht und der Farbe ſey ein Irrthum, und daß ich den Muth hatte, dem allgemeinen Credo zu widerſprechen. Ich erkannte das Licht in ſeiner Reinheit und Wahrheit und ich hielt es meines Amtes, dafür zu ſtreiten. Jene Partei aber trachtete in allem Ernſt, das Licht zu verfinſtern, denn ſie be¬ hauptete: das Schattige ſey ein Theil des Lichtes. Es klingt abſurd, wenn ich es ſo ausſpreche, aber doch iſt es ſo. Denn man ſagte: die Farben, welche doch ein Schattiges und Durchſchattetes ſind, ſeyen das Licht ſelber, oder, was auf eins hinaus¬ kommt, ſie ſeyen des Lichtes bald ſo und bald ſo gebrochene Strahlen.

Goethe ſchwieg, während auf ſeinem bedeutenden Geſicht ein ironiſches Lächeln verbreitet war. Er fuhr fort:

Und nun gar in politiſchen Dingen! Was ich da für Noth und was ich da zu leiden gehabt, mag ich gar nicht ſagen. Kennen ſie meine Aufgeregten?

Erſt geſtern, erwiederte ich, habe ich wegen der neuen Ausgabe Ihrer Werke das Stück geleſen, und von Herzen bedauert, daß es unvollendet geblieben. Aber wie es auch iſt, ſo wird ſich jeder Wohldenkende zu Ihrer Geſinnung bekennen.

Ich ſchrieb es zur Zeit der franzöſiſchen Revolution, fuhr Goethe fort, und man kann es gewiſſermaßen als43 mein politiſches Glaubensbekenntniß jener Zeit anſehen. Als Repräſentanten des Adels hatte ich die Gräfin hingeſtellt und mit den Worten, die ich ihr in den Mund gelegt, ausgeſprochen, wie der Adel eigentlich denken ſoll. Die Gräfin kommt ſo eben aus Paris zurück, ſie iſt dort Zeuge der revolutionären Vorgänge geweſen und hat daraus für ſich ſelbſt keine ſchlechte Lehre gezogen. Sie hat ſich überzeugt, daß das Volk wohl zu drücken, aber nicht zu unterdrücken iſt, und daß die revolutionären Aufſtände der unteren Klaſſen eine Folge der Ungerechtigkeit der Großen ſind. Jede Handlung, die mir unbillig ſcheint, ſagt ſie, will ich künftig ſtreng vermeiden, auch werde ich über ſolche Handlungen Ande¬ rer, in der Geſellſchaft und bei Hofe meine Meinung laut ſagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr ſchweigen, und wenn ich auch unter dem Namen einer Demokratin verſchrieen werden ſollte.

Ich dächte, fuhr Goethe fort, dieſe Geſinnung wäre durchaus reſpectabel. Sie war damals die meinige und iſt es noch jetzt. Zum Lohne dafür aber belegte man mich mit allerlei Titeln, die ich nicht wiederholen mag.

Man braucht nur den Egmont zu leſen, verſetzte ich, um zu erfahren, wie Sie denken. Ich kenne kein deutſches Stück, wo der Freiheit des Volkes mehr das Wort geredet würde, als in dieſem.

Man beliebt einmal, erwiederte Goethe, mich nicht ſo ſehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke44 von Allem hinweg, was mich in meinem wahren Lichte zeigen könnte. Dagegen hat Schiller, der, unter uns, weit mehr ein Ariſtokrat war als ich, der aber weit mehr bedachte was er ſagte als ich, das merkwürdige Glück, als beſonderer Freund des Volkes zu gelten. Ich gönne es ihm von Herzen und tröſte mich damit, daß es Anderen vor mir nicht beſſer gegangen.

Es iſt wahr, ich konnte kein Freund der franzöſi¬ ſchen Revolution ſeyn, denn ihre Gräuel ſtanden mir zu nahe und empörten mich täglich und ſtündlich, wäh¬ rend ihre wohlthätigen Folgen damals noch nicht zu erſehen waren. Auch konnte ich nicht gleichgültig dabei ſeyn, daß man in Deutſchland künſtlicher Weiſe ähnliche Scenen herbeizuführen trachtete, die in Frank¬ reich Folge einer großen Nothwendigkeit waren.

Ebenſowenig aber war ich ein Freund herriſcher Willkür. Auch war ich vollkommen überzeugt, daß irgend eine große Revolution nie Schuld des Volkes iſt, ſondern der Regierung. Revolutionen ſind ganz unmöglich, ſobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach ſind, ſo daß ſie ihnen durch zeitgemäße Verbeſſerungen entgegenkommen, und ſich nicht ſo lange ſträuben, bis das Nothwendige von unten her erzwungen wird.

Weil ich nun aber die Revolutionen haßte, ſo nannte man mich einen Freund des Beſtehenden. Das iſt aber ein ſehr zweideutiger Titel, den ich mir verbitten45 möchte. Wenn das Beſtehende alles vortrefflich, gut und gerecht wäre, ſo hätte ich gar nichts dawider. Da aber neben vielem Guten zugleich viel Schlechtes, Un¬ gerechtes und Unvollkommenes beſteht, ſo heißt ein Freund des Beſtehenden oft nicht viel weniger als ein Freund des Veralteten und Schlechten.

Die Zeit aber iſt in ewigem Fortſchreiten begriffen und die menſchlichen Dinge haben alle funfzig Jahre eine andere Geſtalt, ſo daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, ſchon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen iſt.

Und wiederum iſt für eine Nation nur das gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allge¬ meinen Bedürfniß hervorgegangen, ohne Nachäffung einer anderen. Denn was dem einen Volk auf einer gewiſſen Altersſtufe eine wohlthätige Nahrung ſeyn kann erweiſt ſich vielleicht für ein anderes als ein Gift. Alle Verſuche, irgend eine ausländiſche Neuerung einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern der eigenen Nation wurzelt, ſind daher thöricht, und alle beabſichtigten Revolutionen ſolcher Art ohne Erfolg; denn ſie ſind ohne Gott, der ſich von ſolchen Pfuſchereien zurückhält. Iſt aber ein wirkliches Bedürfniß zu einer großen Reform in einem Volke vorhanden, ſo iſt Gott mit ihm und ſie gelingt. Er war ſichtbar mit Chriſtus und ſeinen erſten Anhängern, denn die Erſcheinung der neuen Lehre der Liebe war46 den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬ weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen, daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.

Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬ macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬ mus für Schauſpieler gelten könnte.

Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.

Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬ gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern47 und Sachſen oft meine Noth gehabt. Auch Eingeborene unſerer lieben Stadt Weimar haben mir viel zu ſchaffen gemacht. Bei dieſen entſtehen die lächerlichſten Mi߬ griffe daraus, daß ſie in den hieſigen Schulen nicht angehalten werden, das B. vom P. und das D. vom T. durch eine markirte Ausſprache ſtark zu unterſcheiden. Man ſollte kaum glauben, daß ſie B. P. D. und T. überhaupt für vier verſchiedene Buchſtaben halten, denn ſie ſprechen nur immer von einem weichen und einem harten B. und von einem weichen und einem harten D. und ſcheinen dadurch ſtillſchweigend anzu¬ deuten, daß P. und T. gar nicht exiſtiren. Aus einem ſolchen Munde klingt denn Pein wie Bein, Paß wie Baß, und Teckel wie Deckel.

Ein hieſiger Schauſpieler, verſetzte ich, der das T. und D. gleichfalls nicht gehörig unterſchied, machte in dieſen Tagen einen Fehler ähnlicher Art, der ſehr auffallend erſchien. Er ſpielte einen Liebhaber, der ſich eine kleine Untreue hatte zu Schulden kommen laſſen, worüber ihm das erzürnte junge Frauenzimmer allerlei heftige Vorwürfe macht. Ungeduldig, hatte er zuletzt auszurufen: o ende! Er konnte aber das T. vom D. nicht unterſcheiden und rief: o ente! , (O Ente!) welches denn ein allgemeines Lachen erregte.

Der Fall iſt ſehr artig, erwiederte Goethe, und verdiente wohl in unſern Theater - Catechismus mit aufgenommen zu werden.

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Eine hieſige junge Sängerin, fuhr ich fort, die das T. und D. gleichfalls nicht unterſcheiden konnte, hatte neulich zu ſagen: Ich will dich den Eingeweihten übergeben. Da ſie aber das T. wie D. ſprach, ſo klang es, als ſagte ſie: Ich will dich den Eingeweiden übergeben.

So hatte neulich, fuhr ich fort, ein hieſiger Schau¬ ſpieler, der eine Bedientenrolle ſpielte, einem Fremden zu ſagen: Mein Herr iſt nicht zu Haus, er ſitzt im Rathe. Da er aber das T. vom D. nicht unterſchied, ſo klang es, als ſagte er: Mein Herr iſt nicht zu Haus, er ſitzt im Rade.

Auch dieſe Fälle, ſagte Goethe, ſind nicht ſchlecht und wir wollen ſie uns merken. So wenn Einer das P. und B. nicht unterſcheidet und ausrufen ſoll: Packe ihn an! aber ſtatt deſſen ruft: Backe ihn an! ſo iſt es abermals lächerlich.

Gleicherweiſe, fuhr Goethe fort, wird hier das Ü häufig wie I ausgeſprochen, wodurch nicht weniger die ſchändlichſten Mißverſtändniſſe veranlaßt werden. So habe ich nicht ſelten ſtatt Küſtenbewohner Kiſten¬ bewohner, ſtatt Thürſtück Thierſtück, ſtatt gründlich grindlich, ſtatt Trübe Triebe, und ſtatt Ihr müßt Ihr mißt vernehmen müſſen, nicht ohne An¬ wandlung von einigem Lachen.

Dieſer Art, verſetzte ich, iſt mir neulich im Theater ein ſehr ſpaßhafter Fall vorgekommen, wo eine Dame in einer mißlichen Lage einem Manne folgen ſoll, den49 ſie vorher nie geſehen. Sie hatte zu ſagen: Ich kenne Dich zwar nicht, aber ich ſetze mein ganzes Vertrauen in den Edelmuth Deiner Züge. Da ſie aber das Ü. wie I. ſprach, ſo ſagte ſie: Ich kenne Dich zwar nicht, aber ich ſetze mein ganzes Vertrauen in den Edelmuth Deiner Ziege. Es entſtand ein großes Gelächter.

Dieſer Fall iſt abermals gar nicht ſchlecht, erwie¬ derte Goethe, und wir wollen ihn uns gleichfalls merken. So auch, fuhr er fort, wird hier das G. und K. häufig mit einander verwechſelt, und ſtatt G. K. und ſtatt K. G. geſprochen, wahrſcheinlich abermals aus der Ungewißheit, ob ein Buchſtabe weich oder hart ſey, eine Folge der hier ſo beliebten Lehre. Sie werden im hieſigen Theater wahrſcheinlich ſehr oft Kartenhaus für Gartenhaus, Kaſſe für Gaſſe, klauben für glauben, bekränzen für begrenzen, und Kunſt für Gunſt bereits gehört haben, oder noch künftig hören.

Etwas Aehnliches, erwiederte ich, iſt mir allerdings vorgekommen. Ein hieſiger Schauſpieler hatte zu ſagen: Dein Gram geht mir zu Herzen. Er ſprach aber das G. wie K. und ſagte ſehr deutlich: Dein Kram geht mir zu Herzen.

Dergleichen Verwechſelungen von G. und K., verſetzte Goethe, hören wir übrigens nicht bloß von Schauſpielern, ſondern auch wohl von ſehr gelehrtenIII. 450Theologen. Mir paſſirte einſt perſönlich ein Fall der Art, den ich Ihnen doch erzählen will.

Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige Zeit in Jena aufhielt und im Gaſthof Zur Tanne logirte, ließ ſich eines Morgens ein Studioſus der Theologie bei mir melden. Nachdem er ſich eine Weile mit mir ganz hübſch unterhalten, rückte er beim Ab¬ ſchiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am nächſten Sonntage zu erlauben, ſtatt meiner predi¬ gen zu dürfen. Ich merkte ſogleich, woher der Wind wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von denen ſey, die das G. und K. verwechſeln. Ich er¬ wiederte ihm alſo mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm in dieſer Angelegenheit zwar perſönlich nicht helfen könne, daß er aber ſicher ſeinen Zweck erreichen würde, wenn er die Güte haben wolle, ſich an den Herrn Archidiaco¬ nus Koethe zu wenden.

Abends bei Goethe in Geſellſchaft mit Riemer. Goethe unterhielt uns von einem engliſchen Gedicht, das die Geologie zum Gegenſtande hat. Er machte uns davon erzählungsweiſe eine improviſirte Ueberſetzung mit ſo vielem Geiſt, Einbildungskraft und guter Laune, daß jede Einzelnheit lebendig vor Augen trat, als wäre Alles eine im Moment entſtehende Erfindung von ihm51 ſelber. Man ſah den Helden des Gedichts, den König Coal, in glänzendem Audienzſaal auf ſeinem Throne ſitzen, ſeine Gemahlin Pyrites an ſeiner Seite, in Erwartung der Großen des Reichs. Nach ihrer Rangordnung eintretend, erſchienen nach und nach und wurden dem Könige vorgeſtellt: Herzog Granit, Mar¬ quis Schiefer, Gräfin Porphyry, und ſo die Uebrigen, die Alle mit einigen treffenden Beiwörtern und Späßen charakteriſirt wurden. Es tritt ferner ein: Sir Lorenz Urkalk, ein Mann von großen Beſitzungen und bei Hofe wohlgelitten. Er entſchuldigt ſeine Mutter die Lady Marmor, weil ihre Wohnung etwas entfernt ſey; übrigens wäre ſie eine Dame von großer Cultur - und Politur-Fähigkeit. Daß ſie heute nicht bei Hofe erſcheine, hätte übrigens wohl einen Grund in einer Intrigue, in welche ſie ſich mit Canova eingelaſſen, der ihr ſehr ſchön thue. Tuffſtein, mit Eidechſen und Fiſchen ſein Haar verziert, ſchien etwas betrunken. Hans Mergel und Jacob Thon kommen erſt gegen das Ende; letzterer der Königin beſonders lieb, weil er ihr eine Muſchelſammlung verſprochen. Und ſo ging die Darſtellung in dem heiterſten Tone eine ganze Weile fort; doch war das Detail zu groß, als daß ich mir den weiteren Verlauf hätte merken können.

Ein ſolches Gedicht, ſagte Goethe, iſt ganz darauf berechnet, die Weltleute zu amüſiren, indem es zugleich eine Menge nützlicher Kenntniſſe verbreitet, die4*52eigentlich Niemandem fehlen ſollten. Es wird dadurch in den höheren Kreiſen der Geſchmack für die Wiſſen¬ ſchaft angeregt und man weiß immer nicht, wie viel Gutes in der Folge aus einem ſo unterhaltenden Halb - Scherz entſtehen kann. Mancher gute Kopf wird viel¬ leicht veranlaßt, im Kreiſe ſeines perſönlichen Bereichs ſelber zu beobachten. Und ſolche individuelle Wahrneh¬ mungen aus der uns umgebenden nächſten Natur ſind oft um ſo ſchätzbarer, je weniger der Beobachtende ein eigentlicher Mann vom Fache war.

Sie ſcheinen alſo andeuten zu wollen, verſetzte ich, daß man um ſo ſchlechter beobachte, jemehr man wiſſe?

Wenn das überlieferte Wiſſen mit Irrthümern ver¬ bunden, erwiederte Goethe, allerdings! Sobald man in der Wiſſenſchaft einer gewiſſen beſchränkten Confeſſion angehört, iſt ſogleich jede unbefangene treue Auffaſſung dahin. Der entſchiedene Vulkaniſt wird immer nur durch die Brille des Vulkaniſten ſehen, ſowie der Neptuniſt und der Bekenner der neueſten Hebungstheorie durch die ſeinige. Die Weltanſchauung aller ſolcher in einer einzigen ausſchließenden Richtung befangener Theo¬ retiker hat ihre Unſchuld verloren und die Objecte erſchei¬ nen nicht mehr in ihrer natürlichen Reinheit. Geben ſodann dieſe Gelehrten von ihren Wahrnehmungen Rechenſchaft, ſo erhalten wir, ungeachtet der höchſten perſönlichen Wahrheitsliebe des Einzelnen, dennoch keines¬ wegs die Wahrheit der Objecte; ſondern wir empfangen53 die Gegenſtände immer nur mit dem Geſchmack einer ſehr ſtarken ſubjectiven Beimiſchung.

Weit entfernt aber bin ich, zu behaupten, daß ein unbefangenes rechtes Wiſſen der Beobachtung hinder¬ lich wäre, vielmehr behält die alte Wahrheit ihr Recht, daß wir eigentlich nur Augen und Ohren für das haben, was wir kennen. Der Muſiker vom Fach hört beim Zuſammenſpiel des Orcheſters jedes Inſtru¬ ment und jeden einzelnen Ton heraus, während der Nichtkenner in der maſſenhaften Wirkung des Ganzen befangen iſt. So ſieht ferner der bloß genießende Menſch nur die anmuthige Fläche einer grünen oder blumigen Wieſe, während dem beobachtenden Botaniker ein unendliches Detail der verſchiedenartigſten einzelnen Pflänzchen und Gräſer in die Augen fällt.

Doch hat Alles ſein Maß und Ziel, und wie es ſchon in meinem Götz heißt, daß das Söhnlein vor lauter Gelehrſamkeit ſeinen eigenen Vater nicht erkennt, ſo ſtoßen wir auch in der Wiſſenſchaft auf Leute, die vor lauter Gelehrſamkeit und Hypotheſen nicht mehr zum Sehen und Hören kommen. Es geht bei ſolchen Leuten Alles raſch nach Innen; ſie ſind von dem, was ſie in ſich herumwälzen, ſo occupirt, daß es ihnen geht wie einem Menſchen in Leidenſchaft, der in der Straße ſeinen liebſten Freunden vorbeirennt, ohne ſie zu ſehen. Es gehört zur Naturbeobachtung eine gewiſſe ruhige Reinheit des Innern, das von gar nichts geſtört und54 präoccupirt iſt. Dem Kinde entgeht der Käfer an der Blume nicht, es hat alle ſeine Sinne für ein ein¬ ziges einfaches Intereſſe beiſammen, und es fällt ihm durchaus nicht ein, daß zu gleicher Zeit etwa auch in der Bildung der Wolken ſich etwas Merkwürdiges ereignen könne, um ſeine Blicke zugleich auch dorthin zu wenden.

Da könnten alſo, erwiederte ich, die Kinder und ihres Gleichen recht gute Handlanger in der Wiſſen¬ ſchaft abgeben.

Wollte Gott, fiel Goethe ein, wir wären Alle nichts weiter, als gute Handlanger. Eben weil wir mehr ſeyn wollen und überall einen großen Apparat von Philoſophie und Hypotheſen mit uns herumführen, verderben wir es.

Es entſtand eine Pauſe im Geſpräch, die Riemer unterbrach, indem er den Lord Byron und deſſen Tod zur Erwähnung brachte. Goethe machte darauf eine glänzende Auseinanderſetzung ſeiner Schriften und war voll des höchſten Lobes und der reinſten Anerkennung. Uebrigens, fuhr er fort, obgleich Byron ſo jung geſtorben iſt, ſo hat doch die Literatur hinſichtlich einer gehinderten weiteren Ausdehnung nicht weſentlich ver¬ loren. Byron konnte gewiſſermaßen nicht weiter gehen. Er hatte den Gipfel ſeiner ſchöpferiſchen Kraft erreicht, und was er auch in der Folge noch gemacht haben würde, ſo hätte er doch die ſeinem Talent gezogenen55 Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬ lichen Gedicht ſeines jüngſten Gerichts hat er das Aeußerſte gethan, was er zu thun fähig war.

Das Geſpräch lenkte ſich ſodann auf den italie¬ niſchen Dichter Torquato Taſſo, und wie ſich dieſer zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große Ueberlegenheit des Engländers an Geiſt, Welt und productiver Kraft nicht verhehlen konnte. Man darf, fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬ gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten. Byron iſt der brennende Dornſtrauch, der die heilige Ceder des Libanon in Aſche legt. Das große Epos des Italieners hat ſeinen Ruhm durch Jahrhunderte behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don Juan könnte man das ganze Befreite Jeruſalem vergiften.

Ich nahm heute Abſchied von Goethe, um meine Lieben in Hannover und ſodann den Rhein zu beſuchen, wie es längſt meine Abſicht geweſen. Goethe war ſehr herzlich und ſchloß mich in ſeine Arme. Wenn Sie in Hannover bei Rehberg's, ſagte er, vielleicht meine alte Jugendfreundin, Charlotte Keſtner, ſehen, ſo ſagen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde ich Sie meinen Freunden Willemers, dem Grafen Reinhardt - und Schloſſer's empfehlen. Auch ins56 Heidelberg und Bonn finden Sie Freunde, die mir treu ergeben ſind und bei denen Sie die beſte Auf¬ nahme finden werden. Ich hatte vor, dieſen Sommer wieder einige Zeit in Marienbad zuzubringen, doch werde ich nicht eher gehen als bis Sie zurück ſind.

Der Abſchied von Goethe ward mir ſchwer; doch ging ich mit der feſten Zuverſicht, ihn nach zwei Monaten geſund und froh wiederzuſehen.

Indeß war ich am andern Tage glücklich, als der Wagen mich meiner lieben Hannover'ſchen Heimath ent¬ gegen führte, nach der meine innigſte Sehnſucht fort¬ während gerichtet iſt.

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1825.

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Dieſe Nacht, bald nach zwölf Uhr, wurden wir durch Feuerlärm geweckt; man rief: es brenne im Theater! Ich warf mich ſogleich in meine Kleider und eilte an Ort und Stelle. Die allgemeine Be¬ ſtürzung war groß. Noch vor wenigen Stunden waren wir durch das treffliche Spiel von La Roche im Juden von Cumberland entzückt worden und Seidel hatte durch gute Laune und Späße allgemeines Lachen erregt. Und jetzt raſ'te an dieſer ſelbigen Stelle kaum genoſſener geiſtiger Freuden das ſchrecklichſte Element der Vernichtung.

Das Feuer ſchien, durch Heitzung veranlaßt, im Parterre ausgebrochen zu ſeyn, hatte bald die Bühne und das dürre Lattenwerk der Conliſſen ergriffen, und ſo, durch die reichlichſte Nahrung brennbarer Stoffe ſchnell zum Ungeheuer erwachſen, dauerte es nicht lange, bis die Flamme überall zum Dache herausſchlug und die Sparren zuſammenkrachten.

In den Anſtalten zum Löſchen war kein Mangel. Das Gebäude war nach und nach ganz mit Spritzen umſtellt, die eine Unmaſſe von Waſſer in die Gluth60 goſſen. Allein es war Alles ohne Erfolg. Die Flamme raſ'te nach wie vor aufwärts und trieb unerſchöpflich eine Maſſe glühender Funken und brennende Stücke leichter Stoffe gegen den dunkelen Himmel, die ſodann mit geringem Lufthauche ſeitwärts über die Stadt zogen. Der Lärm und das Rufen und Schreien der an den Feuerleitern und Spritzen arbeitenden Menſchen¬ maſſe war groß. Alle Kräfte waren in Aufregung, man ſchien mit Gewalt ſiegen zu wollen. Ein wenig ſeitwärts, ſo nahe die Gluth es erlaubte, ſtand ein Mann im Mantel und Militair-Mütze, in der ruhigſten Faſſung eine Cigarre rauchend. Er ſchien beim erſten Anblick ein müßiger Zuſchauer zu ſeyn; allein er war es nicht. Perſonen gingen von ihm aus, denen er mit wenigen Worten Befehle ertheilte, die ſogleich vollzogen wurden. Es war der Großherzog Carl Auguſt. Er hatte bald geſehen, daß das Gebäude ſelbſt nicht zu retten war; er befahl daher, es in ſich zuſammenzuſtürzen und alle nur entbehrlichen Spritzen gegen die Nachbarhäuſer zu wenden, die von der nahen Gluth ſehr zu leiden hatten. Er ſchien in fürſtlicher Reſignation zu denken:

Das brenne nieder!
Schöner bau't ſich's wieder auf.

Er hatte nicht Unrecht. Das Theater war alt, keineswegs ſchön, und lange nicht geräumig genug, um ein ſich mit jedem Jahre vergrößerndes Publicum zu61 faſſen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade dieſes Gebäude, an das ſich für Weimar ſo viele Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit knüpften, rettungslos verloren zu ſehen.

Ich ſah in ſchönen Augen viele Thränen, die ſeinem Untergange floſſen. Nicht weniger rührte mich ein Mitglied der Capelle. Er weinte um ſeine verbrannte Geige.

Als der Tag anbrach, ſah ich viele bleiche Geſichter. Ich bemerkte verſchiedene junge Mädchen und Frauen der höheren Stände, die den Verlauf des Brandes die ganze Nacht abgewartet hatten und nun in der kalten Morgenluft einiges Fröſteln verſpürten. Ich ging nach Hauſe, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des Vormittags zu Goethe.

Der Bediente ſagte mir, er ſey unwohl und im Bette. Doch ließ Goethe mich in ſeine Nähe rufen. Er ſtreckte mir ſeine Hand entgegen. Wir haben Alle verloren, ſagte er, allein was iſt zu thun! Mein Wölfchen kam dieſen Morgen früh an mein Bette. Er faßte meine Hand, und indem er mich mit großen Augen anſah, ſagte er: So geht's den Menſchen! Was läßt ſich weiter ſagen, als dieſes Wort meines lieben Wolf, womit er mich zu tröſten ſuchte. Der Schauplatz meiner faſt dreißigjährigen liebevollen Mühe liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf ſagt: So geht's den Menſchen! Ich habe die ganze62 Nacht wenig geſchlafen; ich ſah aus meinen vorderen Fenſtern die Flamme unaufhörlich gegen den Himmel ſteigen. Sie mögen denken, daß mir mancher Gedanke an die alten Zeiten, an meine vieljährigen Wirkungen mit Schiller, und an das Herankommen und Wachſen manches lieben Zöglings durch die Seele gegangen iſt und daß ich nicht ohne einige innere Bewegung davon gekommen bin. Ich denke mich daher heute auch ganz weislich zu Bette zu halten.

Ich lobte ihn wegen ſeiner Vorſicht. Doch ſchien er mir nicht im Geringſten ſchwach und angegriffen, vielmehr ganz behaglich und heiterer Seele. Es ſchien mir vielmehr dieſes im Bette Liegen eine alte Kriegsliſt zu ſeyn, die er bei irgend einem außerordentlichen Ereigniß anzuwenden pflegt, wo er den Zudrang vieler Beſuche fürchtet.

Goethe bat mich, auf einem Stuhl vor ſeinem Bette Platz zu nehmen und ein wenig dazubleiben. Ich habe viel an Euch gedacht und Euch bedauert, ſagte er. Was wollt Ihr nun mit Euren Abenden anfan¬ gen!

Sie wiſſen, erwiederte ich, wie leidenſchaftlich ich das Theater liebe. Als ich vor zwei Jahren hierher kam, kannte ich, außer drei bis vier Stücken, die ich in Hannover geſehen, ſo gut wie gar nichts. Nun war mir Alles neu, Perſonal wie Stücke; und da ich nun nach Ihrem Rath mich ganz den Eindrücken der Gegen¬63 ſtände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren zu wollen, ſo kann ich in Wahrheit ſagen, daß ich dieſe beiden Winter im Theater die harmloſeſten, lieblichſten Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden. Auch war ich in das Theater ſo vernarrt, daß ich nicht allein keine Vorſtellung verſäumte, ſondern mir auch Zutritt zu den Proben verſchaffte; ja, auch damit noch nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's ſetzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt ſpielen könnte.

Ihr ſeid eben ein verrückter Menſch, erwiederte Goethe lachend; aber ſo hab 'ich's gerne. Wollte Gott, das ganze Publicum beſtände aus ſolchen Kindern! Und im Grunde habt Ihr Recht, es iſt was. Wer nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung iſt, findet nicht leicht einen Ort, wo es ihm ſo wohl ſein könnte, als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬ ſprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn Ihr nicht wollt, vielmehr ſitzt Ihr im völligen Behagen wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und Euch Geiſt und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬ ſchen könnt. Da iſt Poeſie, da iſt Malerei, da iſt Geſang und Muſik, da iſt Schauſpielkunſt, und was nicht noch Alles! Wenn alle dieſe Künſte und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,64 und zwar auf bedeutender Stufe, zuſammenwirken, ſo giebt es ein Feſt, das mit keinem andern zu vergleichen. Wäre aber auch Einiges ſchlecht und nur Einiges gut, ſo iſt es immer noch mehr, als ob man zum Fenſter hinaus ſähe, oder in irgend einer geſchloſſenen Geſellſchaft beim Dampf von Cigarren eine Partie Whiſt ſpielte. Das Weimar'ſche Theater iſt, wie Sie fühlen, noch keineswegs zu verachten; es iſt immer noch ein alter Stamm aus unſerer beſten Zeit da, dem ſich neuere friſche Talente zugebildet haben, und wir können immer noch etwas produciren, das reizt und gefällt und wenig¬ ſtens den Schein eines Ganzen bietet.

Ich hätte es vor zwanzig, dreißig Jahren ſehen mögen! verſetzte ich.

Das war freilich eine Zeit, erwiederte Goethe, die uns mit großen Avantagen zu Hülfe kam. Denken Sie ſich, daß die langweilige Periode des franzöſiſchen Geſchmackes damals noch nicht gar lange vorbei und das Publicum noch keineswegs überreizt war, daß Shakſpeare noch in ſeiner erſten Friſche wirkte, daß die Opern von Mozart jung, und endlich, daß die Schiller¬ ſchen Stücke erſt von Jahr zu Jahr hier entſtanden und auf dem Weimar'ſchen Theater, durch ihn ſelber einſtudirt, in ihrer erſten Glorie gegeben wurden, und Sie können ſich vorſtellen, daß mit ſolchen Gerichten Alte und Junge zu tractiren waren und daß wir immer ein dankbares Publicum hatten.

65

Aeltere Perſonen, bemerkte ich, die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das Weimar'ſche Theater damals geſtanden.

Ich will nicht läugnen, erwiederte Goethe, es war etwas. Die Hauptſache aber war dieſes, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich ſchalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich ſah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich ſah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Poſſe, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas ſeyn, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber geſund ſeyn und einen gewiſſen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale, ſowie alles Schreckliche, Gräuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein - für allemal ausgeſchloſſen; ich hätte gefürchtet, Schauſpieler und Publicum damit zu verderben.

Durch die guten Stücke aber hob ich die Schau¬ ſpieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte noth¬ wendig aus einem Menſchen, den die Natur nicht im Stich gelaſſen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauſpielern in beſtändiger perſönlicher Berührung. Ich leitete die Leſeproben und machte Jedem ſeine Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegen¬ wärtig und beſprach mit ihnen, wie etwas beſſer zuIII. 566thun; ich fehlte nicht bei den Vorſtellungen und bemerkte am andern Tage Alles, was mir nicht recht erſchienen.

Dadurch brachte ich ſie in ihrer Kunſt weiter. Aber ich ſuchte auch den ganzen Stand in der äußern Achtung zu heben, indem ich die Beſten und Hoffnungs¬ vollſten in meine Kreiſe zog und dadurch der Welt zeigte, daß ich ſie eines geſelligen Verkehrs mit mir werth achtete. Hierdurch geſchah aber, daß auch die übrige höhere Weimar'ſche Geſellſchaft hinter mir nicht zurückblieb und daß Schauſpieler und Schau¬ ſpielerinnen in die beſten Zirkel bald einen ehrenvollen Zutritt gewannen. Durch Alles mußte für ſie eine große innere wie äußere Cultur hervorgehen. Mein Schüler Wolf in Berlin, ſowie unſer Dürand, ſind Leute von dem feinſten geſelligen Tact. Herr Oels und Graff haben hinreichende höhere Bildung, um der beſten Geſellſchaft Ehre zu machen.

Schiller verfuhr in demſelbigen Sinne, wie ich. Er verkehrte mit Schauſpielern und Schauſpielerinnen ſehr viel. Er war gleich mir bei allen Proben gegen¬ wärtig, und nach jeder gelungenen Vorſtellung von einem ſeiner Stücke pflegte er ſie zu ſich einzuladen und ſich mit ihnen einen guten Tag zu machen. Man freuete ſich gemeinſam an dem, was gelungen, und beſprach ſich über das, was etwa das nächſtemal beſſer zu thun ſey. Aber ſchon als Schiller bei uns eintrat, fand er Schauſpieler wie Publicum bereits im67 hohen Grade gebildet vor und es iſt nicht zu leugnen, daß es dem raſchen Erfolg ſeiner Stücke zu Gute kam.

Es machte mir viele Freude, Goethe ſo ausführlich über einen Gegenſtand ſprechen zu hören, der für mich immer ein großes Intereſſe hatte und der beſonders durch das Unglück dieſer Nacht bei mir obenauf war.

Der heutige Brand des Hauſes, ſagte ich, in welchem Sie und Schiller eine lange Reihe von Jahren ſo viel Gutes gewirkt, beſchließt gewiſſermaßen auch äußerlich eine große Epoche, die für Weimar ſo bald nicht zurück¬ kommen dürfte. Sie müſſen doch in jener Zeit bei Ihrer Leitung des Theaters und bei dem außerordent¬ lichen Erfolg den es hatte, viele Freude erlebt haben!

Auch nicht geringe Laſt und Noth! erwiederte Goethe mit einem Seufzer.

Es mag ſchwer ſeyn, ſagte ich, ein ſo vielköpfiges Weſen in gehöriger Ordnung zu halten.

Sehr viel, erwiederte Goethe, iſt zu erreichen durch Strenge, mehr durch Liebe. Das Meiſte aber durch Einſicht und eine unparteiiſche Gerechtigkeit, bei der kein Anſehen der Perſon gilt.

Ich hatte mich vor zwei Feinden zu hüten, die mir hätten gefährlich werden können. Das Eine war meine leidenſchaftliche Liebe des Talents, das leicht in den Fall kommen konnte, mich parteiiſch zu machen. Das Andere will ich nicht ausſprechen, aber Sie werden es errathen. Es fehlte bei unſerm Theater nicht an5*68Frauenzimmern, die ſchön und jung und dabei von großer Anmuth der Seele waren. Ich fühlte mich zu Mancher leidenſchaftlich hingezogen; auch fehlte es nicht, daß man mir auf halbem Wege entgegenkam. Allein ich faßte mich und ſagte: Nicht weiter! Ich kannte meine Stellung und wußte, was ich ihr ſchuldig war. Ich ſtand hier nicht als Privatmann, ſondern als Chef einer Anſtalt, deren Gedeihen mir mehr galt, als mein augenblickliches Glück. Hätte ich mich in irgend einen Liebeshandel eingelaſſen, ſo würde ich geworden ſeyn wie ein Compaß, der unmöglich recht zeigen kann, wenn er einen einwirkenden Magnet an ſeiner Seite hat.

Dadurch aber, daß ich mich durchaus rein erhielt und immer Herr meiner Selbſt blieb, blieb ich auch Herr des Theaters, und es fehlte mir nie die nöthige Achtung, ohne welche jede Autorität ſehr bald dahin iſt.

Dieſes Bekenntniß Goethe's war mir ſehr merk¬ würdig. Ich hatte bereits von Andern etwas Aehn¬ liches über ihn vernommen und freuete mich, jetzt aus ſeinem eigenen Munde die Beſtätigung zu hören. Ich liebte ihn mehr als je, und verließ ihn mit einem herz¬ lichen Händedruck.

Ich ging nach der Brandſtelle zurück, wo aus dem großen Trümmerhaufen noch Flammen und Qualm¬ ſäulen emporſtiegen. Man war noch fortwährend mit Löſchen und Auseinanderzerren beſchäftigt. Ich fand69 in der Nähe angebrannte Stücke einer geſchriebenen Rolle. Es waren Stellen aus Goethe's Taſſo.

Bei Goethe zu Tiſch. Der Verluſt des Theaters bildete faſt den ausſchließlichen Gegenſtand des Ge¬ ſprächs. Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike lebten in Erinnerung glücklicher Stunden, die ſie in dem alten Hauſe genoſſen. Sie hatten ſich aus dem Schutt einige Reliquien geſucht, die ſie für unſchätzbar hielten; es war aber am Ende weiter nichts, als einige Steine und angebrannte Stücke einer Tapete. Aber dieſe Stücke ſollten gerade von der Stelle ſeyn, wo ſie auf dem Balcon ihre Plätze gehabt!

Die Hauptſache iſt, ſagte Goethe, daß man ſich ſchnell faſſe und ſich ſo ſchnell als möglich wieder einrichte. Ich würde ſchon in nächſter Woche wieder ſpielen laſſen. Im Fürſtenhauſe, oder im großen Saale des Stadthauſes, gleichviel. Nur darf keine zu lange Pauſe eintreten, damit das Publicum für ſeine lang¬ weiligen Abende ſich nicht erſt andere Reſſourcen ſuche.

Aber von Decorationen iſt ja ſo gut wie gar nichts gerettet! bemerkte man.

Es bedarf keiner vielen Decorationen, erwiederte Goethe. Auch bedarf es keiner großen Stücke. Auch iſt gar nicht nöthig, daß man ein Ganzes gebe, noch weniger ein großes Ganze. Die Hauptſache iſt, daß70 man Sachen wähle, bei denen kein großer Ortswechſel ſtattfindet. Irgend ein einactiges Luſtſpiel, oder eine einactige Poſſe oder Operette. Dann irgend eine Arie, irgend ein Duett, irgend ein Finale einer beliebten Oper, und Ihr werdet ſchon ganz paſſabel zufrieden ſeyn. Es iſt nur, daß der April leidlich vorüber gehe, im May habt Ihr ſchon die Sänger des Waldes.

Indeſſen, fuhr Goethe fort, werdet Ihr das Schauſpiel haben, im Laufe der Sommermonate ein neues Haus hervorſteigen zu ſehen. Dieſer Brand iſt mir ſehr merkwürdig. Ich will Euch nur verrathen, daß ich die langen Abendſtunden des Winters mich mit Coudray beſchäftigt habe, den Riß eines für Weimar paſſenden neuen ſchönen Theaters zu machen. Wir hatten uns von einigen der vorzüglichſten deutſchen Theater Grund - und Durchſchnitts-Riſſe kommen laſſen, und indem wir daraus das Beſte benutzten und das uns fehlerhaft Scheinende vermieden, haben wir einen Riß zu Stande gebracht, der ſich wird können ſehen laſſen. Sobald der Großherzog ihn genehmigt, kann mit dem Bau begonnen werden, und es iſt keine Klei¬ nigkeit, daß dieſes Unheil uns ſehr merkwürdigerweiſe ſo durchaus vorbereitet findet.

Wir begrüßten dieſe Nachricht Goethe's mit großer Freude.

In dem alten Hauſe, fuhr Goethe fort, war für71 den Adel geſorgt durch den Balcon, und für die dienende Klaſſe und jungen Handwerker durch die Gallerie. Die große Zahl des wohlhabenden und vornehmen Mittel¬ ſtandes aber war oft übel daran; denn wenn bei gewiſſen Stücken das Parterre durch die Studenten eingenommen war, ſo wußten Jene nicht, wohin. Die paar kleinen Logen hinter dem Parterre und die wenigen Bänke des Parkets waren nicht hinreichend. Jetzt haben wir beſſer geſorgt. Wir laſſen eine ganze Reihe Logen um das Parterre laufen und bringen zwiſchen Balcon und Gallerie noch eine Reihe Logen zweiten Ranges. Dadurch gewinnen wir ſehr viel Platz, ohne das Haus ſonderlich zu vergrößern.

Wir freueten uns dieſer Nachricht und lobten Goethe, daß er es ſo gut mit dem Theater und Publicum im Sinne habe.

Um auch meinerſeits für das hübſche künftige Theater etwas zu thun, ging ich nach Tiſch mit meinem Freunde Robert Doolan nach Oberweimar, wo wir in der dor¬ tigen Schenke bei einer Taſſe Caffee anfingen, nach der Iſſipile des Metaſtaſio einen Operntext zu bilden. Unſer Erſtes war, vor allen Dingen den Comödien¬ zettel zu ſchreiben und das Stück mit den beliebteſten Sängern und Sängerinnen des Weimar'ſchen Theaters zu beſetzen. Große Freude machte uns dieß. Es war faſt, als ſäßen wir ſchon wieder vor dem Orcheſter. 72Dann fingen wir wirklich in allem Ernſte an und vollendeten einen großen Theil des erſten Actes.

Bei Goethe zu Tiſch in größerer Geſellſchaft. Er zeigte uns den Riß des neuen Theaters. Er war ſo wie er uns vor einigen Tagen geſagt hatte; der Riß verſprach ſowohl für das Aeußere als das Innere ein ſehr ſchönes Haus.

Es ward bemerkt, daß ein ſo hübſches Theater auch ſchöne Decorationen und beſſere Anzüge als bisher verlange. Auch war man der Meinung, daß auch das Perſonal anfange, nach und nach lückenhaft zu werden, und daß ſowohl für das Schauſpiel als die Oper einige ausgezeichnete junge Mitglieder müßten engagirt werden. Zugleich aber verhehlte man ſich nicht, daß alles dieſes mit einem bedeutenden Koſtenaufwande verbunden ſey, wozu die bisherigen Mittel der Caſſe nicht reichen dürften.

Ich weiß recht gut, fiel Goethe ein, man wird, unter dem Vorwand die Caſſe zu ſchonen, einige Per¬ ſönchen engagiren, die nicht viel koſten. Aber man denke nur nicht mit ſolchen Maßregeln der Caſſe zu nützen. Nichts ſchadet der Caſſe mehr, als in ſolchen weſentlichen Dingen ſparen zu wollen. Man muß daran denken, jeden Abend ein volles Haus zu bekommen. Und da thut ein junger Sänger, eine junge Sängerin,73 ein tüchtiger Held und eine tüchtige junge Heldin von ausgezeichnetem Talent und einiger Schönheit ſehr viel. Ja, ſtände ich noch an der Spitze der Leitung, ich würde jetzt zum Beſten der Caſſe noch einen Schritt weiter gehen, und Ihr ſolltet erfahren, daß mir das nöthige Geld nicht ausbliebe.

Man fragte Goethe, was er zu thun im Sinne habe.

Ein ganz einfaches Mittel würde ich anwenden, erwiederte er. Ich würde auch die Sonntage ſpielen laſſen. Dadurch hätte ich die Einnahme von wenig¬ ſtens vierzig Theaterabenden mehr, und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn die Caſſe dabei nicht jährlich zehn bis funfzehn Tauſend Thaler gewinnen ſollte.

Dieſen Ausweg fand man ſehr praktiſch. Es kam zur Erwähnung, daß die große arbeitende Klaſſe, die an den Wochentagen gewöhnlich bis ſpät in die Nacht beſchäftiget ſey, den Sonntag als einzigen Erholungs¬ tag habe, wo ſie denn das edlere Vergnügen des Schauſpiels dem Tanz und Bier in einer Dorfſchenke ſicher vorziehen würde. Auch war man der Meinung, daß ſämmtliche Pächter und Gutsbeſitzer, ſowie die Beam¬ ten und wohlhabenden Einwohner der kleinen Städte in der Umgegend, den Sonntag als einen erwünſchten Tag anſehen würden, um in das Weimar'ſche Theater zu fahren. Auch ſey bisher der Sonntagabend in Weimar für Jeden, der nicht an Hof gehe, oder nicht74 Mitglied eines glücklichen Familienkreiſes oder einer geſchloſſenen Geſellſchaft ſey, ſehr ſchlimm und langwei¬ lig; denn der Einzelne wiſſe nicht wohin. Und doch mache man Anſprüche, als müſſe am Abend eines Sonn¬ tags ſich irgend ein Ort finden laſſen, wo es Einem wohl ſey und man die Plage der Woche vergeſſe.

Goethe's Gedanke, auch die Sonntage ſpielen zu laſſen, wie es in den übrigen deutſchen Städten üblich, fand alſo die vollkommenſte Zuſtimmung und ward als ein ſehr glücklicher begrüßt. Nur erhob ſich ein leiſer Zweifel, ob es auch dem Hofe recht ſeyn würde.

Der Weimar'ſche Hof, erwiederte Goethe, iſt zu gut und weiſe, als daß er eine Maßregel hindern ſollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden Anſtalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine Opfer bringen und ſeine Sonntags-Soiréen auf einen anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬ lich, ſo gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug, die der Hof ohnedieß nicht gerne ſieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus geeignet ſind und ganz trefflich die Caſſe füllen.

Das Geſpräch wendete ſich auf die Schauſpieler und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer Kräfte ſehr viel hin und wieder geredet.

Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, als Hauptſache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einſtudiren laſſen ſolle, wovon man75 nicht einen guten Succeß auf Jahre hin mit einiger Beſtimmtheit vorausſieht. Niemand bedenkt hinreichend das Aufgebot von Kräften, die das Einſtudiren eines fünfactigen Stückes oder gar einer Oper von gleicher Länge in Anſpruch nimmt. Ja, Ihr Lieben, es gehört viel dazu, ehe ein Sänger eine Partie durch alle Scenen und Acte durchaus inne habe, und ſehr viel, ehe die Chöre gehen, wie ſie gehen müſſen. Es kann mich gelegentlich ein Grauen überfallen, wenn ich höre, wie leichtſinnig man oft den Befehl zum Einſtudiren einer Oper giebt, von deren Succeß man eigentlich nichts weiß und wovon man nur durch einige ſehr unſichere Zeitungsnachrichten gehört hat. Da wir in Deutſchland ſchon ganz leidliche Poſten beſitzen, ja ſogar anfangen Schnellpoſten zu bekommen, ſo würde ich bei der Nachricht von irgend einer auswärts gege¬ benen und geprieſenen neuen Oper den Regiſſeur oder ein anderes zuverläſſiges Mitglied der Bühne an Ort und Stelle ſchicken, damit er ſich durch ſeine perſönliche Gegenwart bei einer wirklichen Aufführung überzeuge, inwiefern die geprieſene neue Oper gut und tüchtig, und inwiefern unſere Kräfte dazu hinreichen oder nicht. Die Koſten einer ſolchen Reiſe kommen gar nicht in Betracht in Vergleich der enormen Vortheile, die da¬ durch erreicht, und der unſeligen Mißgriffe, die dadurch verhütet werden.

Und dann, iſt einmal ein gutes Stück oder eine76 gute Oper einſtudirt, ſo ſoll man ſie in kurzen Zwiſchen¬ pauſen ſo lange hintereinander geben, als ſie irgend zieht und irgend das Haus füllet. Daſſelbe gilt von einem guten älteren Stück oder einer guten älteren Oper, die vielleicht ſeit Jahr und Tag geruhet hat und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben werden zu können. Eine ſolche Vorſtellung ſoll man in kurzen Zwiſchenpauſen gleichfalls ſo oft wiederholen, als das Publicum irgend ſein Intereſſe daran zu er¬ kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unſäglicher Mühe einſtudirtes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchſtens zweimal ſehen zu wollen, oder auch zwiſchen ſolchen Wiederholungen lange Zeiträume von ſechs bis acht Wochen verſtreichen zu laſſen, wo denn immer wieder ein neues Studium nöthig wird, iſt ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Perſonals, der gar nicht zu verzeihen iſt.

Goethe ſchien dieſe Angelegenheit ſo wichtig zu halten und ſie ſchien ihm ſo ſehr am Herzen zu liegen, daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie ſie ihn bei ſeiner großen Ruhe ſelten anwandelt.

In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine und dieſelbige Oper vier bis ſechs Wochen lang jeden Abend und die italieniſchen großen Kinder verlangen darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pariſer77 ſieht die claſſiſchen Stücke ſeiner großen Dichter ſo oft, daß er ſie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Sylbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Taſſo zu geben; allein wie oft? Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet ſie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauſpieler ſind nicht geübt, die Stücke zu ſpielen, und das Publi¬ cum iſt nicht geübt, ſie zu hören. Würden die Schau¬ ſpieler durch öftere Wiederholung ſich in ihre Rollen ſo hineinſpielen, daß die Darſtellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, ſondern als entquölle Alles aus ihrem eigenen Herzen, ſo würde das Publicum ſicher auch nicht ohne Intereſſe und ohne Empfindung bleiben.

Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als ſey es möglich, ein deutſches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich ſelber dazu beitragen und als könne ich zu einem ſolchen Bau einige Grundſteine legen. Ich ſchrieb meine Iphigenie und meinen Taſſo und dachte in kindiſcher Hoffnung, ſo würde es gehen. Allein es regte ſich nicht und rührte ſich nicht und blieb Alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, ſo würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Taſſo geſchrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie geſagt, es fehlten die Schauſpieler, um dergleichen78 mit Geiſt und Leben darzuſtellen, und es fehlte das Publicum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen.

Abends großer Thee bei Goethe, wo ich außer den hieſigen jungen Engländern auch einen jungen Ameri¬ kaner fand. Auch hatte ich die Freude, Gräfin Julie von Egloffſtein zu ſehen und mit ihr allerlei gute Unterhaltung zu führen.

Man hatte Goethe's Rath befolgt und ſpielte heute Abend zuerſt im großen Saale des Stadthauſes, und zwar gab man kleine Sachen und Bruchſtücke, wie das beſchränkte Local und der Mangel an Decorationen es bedingte. Die kleine Oper, das Hausgeſinde, gelang vollkommen ſo gut, wie im Theater. Sodann ein belieb¬ tes Quartett aus der Oper Graf von Gleichen von Eberwein ward mit entſchiedenem Beifall aufgenommen. Unſer erſter Tenor, Herr Moltke, ſang darauf ein oft vernommenes Lied aus der Zauberflöte, worauf, nach einer Pauſe, das große Finale des erſten Actes von Don Juan mächtig eintrat und ſo dieſes heutige erſte Surrogat eines Abends im Theater grandios und wür¬ dig beſchloß.

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Bei Goethe zu Tiſch. Ich habe Euch die gute Nachricht zu vermelden, ſagte er, daß der Großherzog unſern Riß des neuen Theaters genehmigt hat und daß mit Legung des Grundes ungeſäumt begonnen wird.

Ich war über dieſe Eröffnung ſehr froh.

Wir hatten mit allerlei Gegenwirkungen zu kämpfen, fuhr Goethe fort, allein wir ſind zuletzt glücklich durch¬ gedrungen. Wir haben dabei ſehr viel dem Geheimen¬ rath Schweitzer zu verdanken, der, wie ſich von ihm erwarten ließ, mit tüchtiger Geſinnung treu auf unſerer Seite ſtand. Der Riß iſt vom Großherzog eigenhän¬ dig unterſchrieben und erleidet nunmehr keine weitere Aenderung. Freuet Euch alſo, denn Ihr bekommt ein ſehr gutes Theater.

Abends bei Goethe. Da unſere Geſpräche über Theater und Theaterleitung einmal an der Zeit waren, ſo fragte ich ihn, nach welchen Maximen er bei der Wahl eines neuen Mitglieds verfahren.

Ich könnte es kaum ſagen, erwiederte Goethe. Ich verfuhr ſehr verſchieden. Ging dem neuen Schauſpieler ein bedeutender Ruf voran, ſo ließ ich ihn ſpielen und ſah wie er ſich zu den Andern paſſe, ob ſeine Art und Weiſe unſer Enſemble nicht ſtöre, und ob durch ihn80 überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Menſch, der zuvor noch keine Bühne betreten, ſo ſah ich zunächſt auf ſeine Perſönlichkeit, ob ihm etwas für ſich Einnehmendes, Anziehendes, inwohne, und vor allen Dingen, ob er ſich in der Gewalt habe. Denn ein Schauſpieler, der keine Selbſtbeherrſchung beſitzt und ſich einem Fremden gegenüber nicht ſo zeigen kann, wie er es für ſich am günſtigſten hält, hat über¬ haupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verläugnen ſeiner ſelbſt und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske!

Wenn mir nun ſein Aeußeres und ſein Benehmen gefiel, ſo ließ ich ihn leſen, um ſowohl die Kraft und den Umfang ſeines Organs, als auch die Fähigkeiten ſeiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabe¬ nes eines großen Dichters, um zu ſehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenſchaftliches, Wildes, um ſeine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Ver¬ ſtändigem, Geiſtreichen, Ironiſchen, Witzigen über, um zu ſehen, wie er ſich bei ſolchen Dingen benehme und ob er hinlängliche Freiheit des Geiſtes beſitze. Dann gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwunde¬ ten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargeſtellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in ſeiner Gewalt habe.

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Genügte er mir nun in allen dieſen mannigfaltigen Richtungen, ſo hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen ſehr bedeutenden Schauſpieler zu machen. War er in einigen Richtungen entſchieden beſſer, als in andern, ſo merkte ich mir das Fach, für welches er ſich vorzugs¬ weiſe eigne. Auch kannte ich jetzt ſeine ſchwachen Seiten und ſuchte bei ihm vor Allem dahin zu wirken, daß er dieſe ſtärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und ſogenannte Provincialismen, ſo drang ich darauf, daß er ſie ablege, und empfahl ihm zu geſelligem Umgange und freundlicher Uebung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieſes nicht der Fall, ſo übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz - und Fechtmeiſter.

War er nun ſo weit, um auftreten zu können, ſo gab ich ihm zunächſt ſolche Rollen, die ſeiner Indi¬ vidualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er ſich ſelber ſpiele. Erſchien er mir nun etwas zu feuriger Natur, ſo gab ich ihm phleg¬ matiſche, erſchien er mir aber zu ruhig und langſam, ſo gab ich ihm feurige, raſche Charaktere, damit er lerne, ſich ſelber abzulegen und in eine fremde Perſönlichkeit einzugehen.

Die Unterhaltung wendete ſich auf die Beſetzung von Stücken, wobei Goethe unter Anderem Folgendes ausſprach, welches mir merkwürdig erſchien.

III. 682

Es iſt ein großer Irrthum, ſagte er, wenn man denkt, ein mittelmäßiges Stück