PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Gespräche mit Goethe.
Dritter Theil.
[II][III]
Geſpraͤche mit Goethe in den letzten Jahren ſeines Lebens.
Dritter Theil.
Magdeburg:Heinrichshofen'ſche Buchhandlung.1848.
[IV][V]

Ihro Kaiſerlichen Hoheit der regierenden Frau Großherzogin zu Sachſen-Weimar und Eiſenach, Maria Paulowna, Großfürſtin von Rußland, in erneuter Dankbarkeit unterthänigſt zugeeignet.

[VI][VII]

Vorrede.

Indem ich endlich dieſen längſt verſprochenen dritten Theil meiner Geſpräche mit Goethe abge¬ ſchloſſen vor mir ſehe, beglückt mich das freudige Gefühl überwundener großer Hinderniſſe.

Mein Fall war ſehr ſchwierig. Er glich dem eines Schiffers, der nicht mit dem Winde ſegeln kann, der heute weht, ſondern mit großer Geduld oft Wochen und Monate lang einen Fahrwind erwarten muß, wie er vor Jahren geweht hat. Als ich ſo glücklich war, die beiden erſten Theile zu ſchreiben, konnte ich gewiſſermaßen mit gutem Winde gehen, weil mir damals das friſch geſpro¬ chene Wort noch in den Ohren klang und der lebendige Verkehr mit jenem wunderbaren Manne mich in dem Element einer Begeiſterung erhielt,VIII wodurch ich mich zum Ziele getragen fühlte wie auf Flügeln.

Jetzt aber, wo jene Stimme ſchon ſeit vielen Jahren verſtummt iſt, und das Glück jener per¬ ſönlichen Berührungen ſo weit hinter mir liegt, konnte ich die ſo nöthige Begeiſterung nur in ſol¬ chen Stunden erlangen, wo es mir vergönnt war, in mein eigenes Inneres zu gehen und in unge¬ ſtörter Vertiefung das Vergangene wieder zu fri¬ ſchen Farben zu beleben, wo es denn anfing, ſich zu regen, und ich große Gedanken und große Cha¬ rakterzüge vor mir liegen ſah, gleich Gebirgen, fernen zwar, aber deutlich und wie von der Sonne des wirklichen Tages beſchienen.

So kam mir denn die Begeiſterung aus der Freude am Großen; das Einzelne des Ideengan¬ ges und mündlichen Ausdruckes ward wieder friſch, als ob ich es geſtern erlebt hätte. Der lebendige Goethe war wieder da; ich hörte wieder den be¬ ſondern lieben Klang ſeiner Stimme, die mit keines Anderen zu vergleichen. Ich ſah ihn wieder Abends in ſchwarzem Frack und Stern bei heller Erleuchtung ſeiner Zimmer im geſelligen Kreiſe ſcherzen undlX lachen und heiteres Geſpräch führen. Dann an¬ deren Tages bei ſchönem Wetter war er im Wa¬ gen neben mir, im braunen Oberrock und blauer Tuchmütze, den hellgrauen Mantel über ſeine Kniee gelegt. Seine Geſichtsfarbe braun-geſund, wie die friſche Luft; ſein Geſpräch geiſtreich in die freie Welt hinein, das Geräuſch des Wagens übertönend. Oder ich ſah mich Abends bei ſtil¬ lem Kerzenlicht wieder in ſein Studierzimmer verſetzt, wo er im weißen flanellenen Schlafrock am Tiſche mir gegenüber ſaß, milde, wie die Stimmung eines gut verlebten Tages. Wir ſpra¬ chen über große und gute Dinge, er kehrte das Edelſte, was in ſeiner Natur lag, mir entgegen; mein Geiſt entzündete ſich an dem ſeinigen. Es war zwiſchen uns die innigſte Harmonie; er reichte mir über den Tiſch herüber ſeine Hand, die ich drückte. Dann ergriff ich wohl ein neben mir ſtehendes gefülltes Glas, das ich, ohne etwas zu ſagen, ihm zutrank, indem meine Blicke über den Wein hin in ſeinen Augen ruhten.

So war ich ihm in voller Lebendigkeit wieder zugeſellt und ſeine Worte klangen wieder wie ehemals.

X

Aber wie es auch ſonſt im Leben zu gehen pflegt, daß wir wohl eines geliebten Todten ge¬ denken, doch bei dem Geräuſch des fordernden Tages oft Wochen und Monate lang nur flüch¬ tig, und daß die ſtillen Augenblicke einer ſolchen Vertiefung, wo wir ein vor uns dahingegangenes Geliebtes in der ganzen Friſche des Lebens wieder zu beſitzen glauben, zu den ſeltenen ſchönen Stun¬ den gehören, ſo erging es mir auch mit Goethe.

Es vergingen oft Monate, wo meine Seele, durch Berührungen des täglichen Lebens hinge¬ nommen, für ihn todt war und er meinem Geiſte mit keinem Worte zuſprach. Und wieder¬ um traten andere Wochen und Monate unfrucht¬ barer Stimmung ein, wo in meinem Gemüth nichts keimen und nichts blühen wollte. Solche nichtige Zeiten mußte ich mit großer Geduld nutz¬ los vorübergehen laſſen, denn das in ſolchen Zu¬ ſtänden Geſchriebene wäre nichts werth geweſen. Ich mußte vom guten Glück die Wiederkehr von Stunden erwarten, wo das Vergangene mir in voller Lebendigkeit gegenwärtig und mein Inneres an geiſtiger Kraft und ſinnlichem Behagen aufXI einer Höhe ſtand, um zur Einkehr Goethe'ſcher Gedanken und Empfindungen eine würdige Be¬ hauſung zu ſeyn. Denn ich hatte es mit einem Helden zu thun, den ich nicht durfte ſinken laſſen. In der ganzen Milde der Geſinnung, in der vol¬ len Klarheit und Kraft des Geiſtes und in der gewohnten Würde einer hohen Perſönlichkeit mußte er erſcheinen, um wahr zu ſeyn, und das war keineswegs etwas Geringes!

Mein Verhältniß zu ihm war eigenthümlicher Art und ſehr zarter Natur. Es war das des Schülers zum Meiſter, das des Sohnes zum Vater, das des Bildungs-Bedürftigen zum Bil¬ dungs-Reichen. Er zog mich in ſeine Kreiſe und ließ mich an den geiſtigen und leiblichen Genüſſen eines höheren Daſeyns Theil nehmen. Oft ſah ich ihn nur alle acht Tage, wo ich ihn in den Abendſtunden beſuchte; oft auch jeden Tag, wo ich Mittags mit ihm, bald in größerer Geſellſchaft, bald tête à tête zu Tiſch zu ſeyn das Glück hatte.

Seine Unterhaltung war mannigfaltig, wie ſeine Werke. Er war immer Derſelbige und im¬XII mer ein Anderer. Bald occupirte ihn irgend eine große Idee und ſeine Worte quollen reich und unerſchöpflich. Sie glichen oft einem Garten im Frühling, wo Alles in Blüthe ſtand und man, von dem allgemeinen Glanz geblendet, nicht daran dachte, ſich einen Strauß zu pflücken. Zu an¬ deren Zeiten dagegen fand man ihn ſtumm und einſilbig, als lagerte ein Nebel auf ſeiner Seele; ja es konnten Tage kommen, wo es war, als wäre er voll eiſiger Kälte und als ſtriche ein ſchar¬ fer Wind über Reif - und Schneefelder. Und wiederum wenn man ihn ſah, war er wieder wie ein lachender Sommertag, wo alle Sänger des Waldes uns aus Büſchen und Hecken ent¬ gegenjubeln, der Kuckuck durch blaue Lüfte ruft und der Bach durch blumige Auen rieſelt. Dann war es eine Luſt, ihn zu hören; ſeine Nähe war dann beſe¬ ligend und das Herz erweiterte ſich bei ſeinen Worten.

Winter und Sommer, Alter und Jugend ſchienen bei ihm im ewigen Kampf und Wechſel zu ſeyn; doch war es an ihm, dem Siebzig - bis Achtzigjährigen, wohl zu bewundern, daß die Ju¬ gend immer wieder obenauf war und jene an¬XIII gedeuteten Herbſt - und Wintertage zu ſeltenen Ausnahmen gehörten.

Seine Selbſtbeherrſchung war groß, ja ſie bildete eine hervorragende Eigenthümlichkeit ſeines Weſens. Sie war eine Schweſter jener hohen Beſonnenheit, wodurch es ihm gelang, immer Herr ſeines Stoffes zu ſeyn, und ſeinen einzelnen Werken diejenige Kunſtvollendung zu geben, die wir an ihnen bewundern. Durch eben jene Ei¬ genſchaft aber ward er, ſo wie in manchen ſei¬ ner Schriften, ſo auch in manchen mündlichen Aeußerungen, oft gebunden und voller Rück¬ ſicht. Sobald aber in glücklichen Momenten ein mächtigerer Dämon in ihm rege wurde, und jene Selbſtbeherrſchung ihn verließ, dann ward ſein Geſpräch jugendlich dahinbrauſend, gleich einem aus der Höhe herabkommenden Bergſtrome. In ſolchen Augenblicken ſagte er das Größte und Beſte, was in ſeiner reichen Natur lag, und von ſolchen Augenblicken iſt es wohl zu verſtehen, wenn ſeine früheren Freunde über ihn geäußert, daß ſein geſprochenes Wort beſſer ſey, als ſein geſchriebenes und gedrucktes. So ſagte Mar¬XIV montel von Diderot, daß, wer dieſen nur aus ſeinen Schriften gekannt, ihn nur halb gekannt; daß er aber, ſobald er bei mündlicher Unterhaltung lebhaft geworden, einzig und hinreißend geweſen.

Darf ich nun hoffen, daß von jenen glück¬ lichen Momenten in dieſen Geſprächen Manches feſtzuhalten mir gelungen, ſo mag es dieſem Bande nicht weniger zu Gute kommen, daß darin eine doppelte Spiegelung von Goethe's Perſön¬ lichkeit ſtattfindet, einmal nämlich gegen mich, und dann gegen einen jungen Freund.

Herr Soret aus Genf, als freiſinniger Republikaner zur Leitung der Erziehung Sr. K. H. des Erbgroßherzogs im Jahre 1822 nach Weimar berufen, hatte von gedachtem Jahre bis zu Goethe's Tode zu ihm gleichfalls ein ſehr nahes Verhältniß. Er war in Goethe's Hauſe ein häufiger Tiſchgenoſſe, auch in ſeinen Abend¬ geſellſchaften ein oft und gerne geſehener Gaſt. Außerdem boten ſeine naturwiſſenſchaftlichen Kennt¬ niſſe vielfache Berührungspunkte zu einem dauern¬ den Umgange. Als gründlicher Mineraloge ord¬ nete er Goethe's Cryſtalle, ſowie ſeine KenntniſſeXV der Botanik ihn fähig machten, Goethe's Meta¬ morphoſe der Pflanze ins Franzöſiſche zu über¬ ſetzen und dadurch jener wichtigen Schrift eine größere Verbreitung zu geben. Seine Stellung am Hofe ferner führte ihn gleichfalls oft in Goe¬ the's Nähe, indem er bald den Prinzen zu ihm begleitete, bald Aufträge Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs und Ihrer Kaiſerlichen Hoheit der Frau Großherzogin ihm zu Beſuchen bei Goethe Veranlaſſung gaben.

Von ſolchen perſönlichen Berührungen hat nun Herr Soret in ſeinen Tagebüchern häufig Notiz genommen, und vor einigen Jahren die Güte gehabt, ein daraus zuſammengeſtelltes klei¬ nes Manuſcript mir in dem Sinne zu übergeben, daß es mir geſtattet ſeyn ſolle, das Beſte und Intereſſanteſte in meinen dritten Band chrono¬ logiſch zu verweben.

Dieſe in franzöſiſcher Sprache abgefaßten No¬ tizen waren bald ausführlich, bald aber nur flüchtig und lückenhaft, ſo wie die eiligen, oft ſehr geſchäftsreichen Tage des Verfaſſers es ihm hatten erlauben wollen. Da jedoch in dem gan¬XVl zen Manuſcript kein Gegenſtand vorgekommen, der nicht zwiſchen Goethe und mir wiederholt und ausführlich wäre beſprochen worden, ſo waren meine eigenen Tagebücher ganz geeignet, das von Soret Geſchriebene zu ergänzen, dort gelaſſene Lücken auszufüllen und das oft nur Angedeutete in hinlänglicher Entwickelung darzuſtellen. Alle Geſpräche jedoch, bei denen das Manuſcript von Soret zu Grunde liegt oder ſtark benutzt worden, wie es beſonders in den beiden erſten Jahren der Fall, ſind oben am Datum mit einem * bezeich¬ net, um ſie von denen, die bloß von mir ſind, und welche, bis auf Weniges, die Jahre 1824 bis 1829 und einen großen Theil von 1830, 1831 und 1832 ausmachen, zu unterſcheiden.

Und ſo wüßte ich nun weiter nichts hinzu¬ zufügen, als daß ich dieſem lange und mit Liebe gehegten dritten Band dieſelbe gute Auf¬ nahme wünſche, wie ſie in ſo reichlichem Maße den beiden erſten zu Theil geworden.

Weimar, den 21. December 1847.

[1]

1822.

III. 1[2][3]

Dieſen Abend bei Goethe mit Hofrath Meyer. Die Unterhaltung drehte ſich hauptſächlich um Mineralogie, Chemie und Phyſik. Die Phänomene der Polariſation des Lichts ſchienen ihn beſonders zu intereſſiren. Er zeigte mir verſchiedene Vorrichtungen, größtentheils nach ſeinen eigenen Angaben conſtruirt, und äußerte den Wunſch, mit mir einige Experimente zu machen.

Goethe ward im Laufe des Geſprächs immer freier und mittheilender. Ich blieb länger als eine Stunde und er ſagte mir beim Abſchiede viel Gutes.

Seine Geſtalt iſt noch ſchön zu nennen, ſeine Stirn und Augen ſind beſonders majeſtätiſch. Er iſt groß und wohlgebaut und von ſo rüſtigem Anſehen, daß man nicht wohl begreift, wie er ſich ſchon ſeit Jahren hat für zu alt erklären können, um noch in Geſellſchaft und an Hof zu gehen.

Den Abend bei Goethe zugebracht mit Meyer, Goethe's Sohn, Frau v. Goethe und ſeinem Arzt,1*4Hofrath Rehbein. Goethe war heute beſonders lebhaft. Er zeigte mir prächtige Lithographien aus Stuttgart, etwas ſo Vollkommenes in dieſer Art, wie ich noch nicht geſehen. Darauf ſprachen wir über wiſſenſchaft¬ liche Dinge, beſonders über die Fortſchritte der Chemie. Das Jod und das Chlor beſchäftigten Goethe vorzugs¬ weiſe; er ſprach über dieſe Subſtanzen mit einem Erſtaunen, als ob ihn die neuen Entdeckungen der Chemie ganz unvermuthet überraſcht hätten. Er ließ ſich etwas Jod hereinbringen und verflüchtigte es vor unſern Augen an der Flamme einer Wachskerze, wobei er nicht verfehlte, uns den violetten Dunſt bewundern zu laſſen, als freudige Beſtätigung eines Geſetzes ſeiner Theorie der Farben.

Bei Goethe zu einer Abendgeſellſchaft. Ich fand unter den Anweſenden auch Herrn Canzler v. Müller, Präſidenten Peucer, Dr. Stephan Schütze, und Regie¬ rungsrath Schmidt, welcher letztere einige Sonaten von Beethoven mit einer ſeltenen Vollkommenheit vortrug. Hohen Genuß gewährte mir auch die Unter¬ haltung Goethes und ſeiner Schwiegertochter, die, jugend¬ lich heiter, mit einem liebenswürdigen Naturell unendlich viel Geiſt verbindet.

5

In einer Abendgeſellſchaft bei Goethe mit dem berühmten Blumenbach aus Göttingen. Blumenbach iſt alt, aber von lebhaftem und heiterem Ausdruck; er hat ſich die ganze Beweglichkeit der Jugend zu bewahren gewußt. Sein Benehmen iſt der Art, daß man nicht denkt, daß man einen Gelehrten vor ſich habe. Seine Herzlichkeit iſt frei und froh; er macht keine Umſtände und man iſt bald mit ihm auf einem ſehr bequemen Fuß. Seine Bekanntſchaft war mir ſo intereſſant wie angenehm.

Abendgeſellſchaft bei Goethe. Unter den Anweſenden befand ſich auch der Maler Kolbe. Man zeigte uns von ihm ein trefflich ausgeführtes Gemälde, eine Copie der Venus von Titian der Dresdener Galerie.

Auch Herrn von Eſchwege und den berühmten Hummel fand ich dieſen Abend bei Goethe. Hummel improviſirte faſt eine Stunde lang auf dem Piano, mit einer Kraft und einem Talent, wovon es unmöglich iſt ſich einen Begriff zu machen, wenn man ihn nicht gehört hat. Ich fand ſeine Unterhaltung einfach und natürlich, und ihn ſelbſt, für einen Virtuoſen von ſo großer Berühmtheit, auffallend beſcheiden.

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Bei Goethe in einer Abendgeſellſchaft. Die Herren Riemer, Coudray, Meyer, Goethe's Sohn und Frau v. Göthe waren unter den Anweſenden.

Die Studenten in Jena ſind in Aufſtand begriffen; man hat eine Compagnie Artillerie hingeſchickt, um ſie zu beruhigen. Riemer las eine Sammlung von Liedern, die man ihnen verboten und die dadurch Anlaß oder Vorwand der Revolte gegeben. Alle dieſe Lieder erhielten beim Vorleſen entſchiedenen Beifall, beſonders wegen des Talentes das darin ſichtbar; Goethe ſelbſt fand ſie gut und verſprach ſie mir zur ruhigen Durchſicht.

Nachdem wir darauf eine Zeit lang Kupferſtiche und koſtbare Bücher betrachtet hatten, machte Goethe uns die Freude, das Gedicht Charon zu leſen. Die klare, deutliche und energiſche Art mußte ich bewundern, womit Goethe das Gedicht vortrug. Nie habe ich eine ſo ſchöne Declamation gehört. Welches Feuer! Welche Blicke! Und welche Stimme! abwechſelnd donnernd, und dann wieder ſanft und milde. Vielleicht entwickelte er an einigen Stellen zu viele Kraft für den kleinen Raum in dem wir uns befanden; aber doch war in ſeinem Vortrage nichts, was man hätte hinwegwünſchen mögen.

Goethe ſprach darauf über Literatur und ſeine Werke, ſowie über Frau v. Stael und Verwandtes. Er be¬ ſchäftigt ſich gegenwärtig mit der Ueberſetzung und7 Zuſammenſtellung der Fragmente vom Phaëton des Euripides. Er hat dieſe Arbeit bereits vor einem Jahre angefangen und in dieſen Tagen wieder vor¬ genommen.

Dieſen Abend bei Goethe, hörte ich die Probe des erſten Acts einer im Entſtehen begriffenen Oper, der Graf von Gleichen, von Eberwein. Seit Goethe die Direction des Theaters niedergelegt, ſey dieß das erſte¬ mal, ſagte man mir, daß er ein ſo großes Perſonal der Oper bei ſich ſehe. Herr Eberwein dirigirte den Geſang. Bei den Chören aſſiſtirten auch einige Damen aus der Bekanntſchaft Goethe's, während die Solo¬ parthieen durch Mitglieder der Oper geſungen wurden. Einige Stücke erſchienen mir ſehr merkwürdig, beſonders ein Canon zu vier Stimmen.

Abends bei Goethe. Er war ſehr heiter und behandelte das Thema, daß die Thorheiten der Väter für ihre Kinder verloren ſeyen, mit vielem Geiſt. Die Nachforſchungen, die man jetzt zur Entdeckung von Salzquellen anſtellt, intereſſirten ihn ſichtbar. Er ſchalt auf die Dummheit gewiſſer Unternehmer, welche die äußeren Spuren und die Lage und Folge der Schichten,8 unter denen Steinſalz liegt und durch die der Bohrer gehen muß, ganz außer Acht laſſen, und die, ohne den rechten Fleck zu wiſſen und zu finden, immer ein einziges Bohrloch an einer und derſelbigen Stelle auf's Gerathewohl hartnäckig verfolgen.

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1823.

[10][11]

Abends bei Goethe, den ich allein fand, in Geſprächen mit Meyer. Ich durchblätterte ein Album vergangener Jahrhunderte mit einigen ſehr berühmten Handſchriften, wie z. B. von Luther, Erasmus, Mosheim und Anderen. Der letztere hatte in lateiniſcher Sprache folgendes merkwürdige Wort geſchrieben:

Der Ruhm eine Quelle von Mühe und Leiden; die Dunkelheit eine Quelle des Glücks.

Goethe iſt ſeit einigen Tagen gefährlich krank geworden; geſtern lag er ohne Hoffnung. Doch hat ſich heute eine Kriſis eingeſtellt, wodurch er gerettet zu werden ſcheint. Noch dieſen Morgen äußerte er, daß er ſich für verloren halte; ſpäter, Mittags, ſchöpfte er Hoffnung, daß er es überwinden werde; und wieder Abends meinte er, wenn er davon komme, ſo müſſe man geſtehen, daß er für einen Greis ein zu hohes Spiel geſpielt.

12

Der heutige Tag war in Bezug auf Goethe noch ſehr beunruhigend, indem dieſen Mittag die Beſſerung nicht erfolgte wie geſtern. In einem Anfall von Schwäche ſagte er zu ſeiner Schwiegertochter: Ich fühle, daß der Moment gekommen, wo in mir der Kampf zwiſchen Leben und Tod beginnt.

Doch hatte der Kranke am Abend ſein volles geiſtiges Bewußtſeyn und zeigte ſchon wieder einigen ſcherzhaften Uebermuth. Ihr ſeyd zu furchtſam mit Euren Mitteln, ſagte er zu Rehbein, Ihr ſchont mich zu ſehr! Wenn man einen Kranken vor ſich hat, wie ich es bin, ſo muß man ein wenig Napoleoniſch mit ihm zu Werke gehen. Er trank darauf eine Taſſe eines Decocts von Arnica, welche geſtern, im gefährlichſten Moment von Huſchke angewendet, die glückliche Kriſis bewirkt hatte. Goethe machte eine gracieuſe Beſchreibung dieſer Pflanze und erhob ihre energiſchen Wirkungen in den Himmel. Man ſagte ihm, daß die Aerzte nicht hätten zugeben wollen, daß der Großherzog ihn ſehe. Wäre ich der Großherzog, rief Goethe, ſo würde ich viel gefragt und mich viel um Euch bekümmert haben.

In einem Augenblick, wo er ſich beſſer befand und wo ſeine Bruſt freier zu ſeyn ſchien, ſprach er mit Leichtigkeit und klarem Geiſte, worauf Rehbein einem der Naheſtehenden in's Ohr fliſterte: Eine beſſere Reſpiration pflegt eine beſſere Inſpiration mit ſich13 zu führen. Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: Das weiß ich längſt; aber dieſe Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!

Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. Ihr ſcheint zu glauben, ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr betrügt Euch. Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬ henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten, welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬ ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit zuſchickte.

Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet; auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich14 ſehr groß war. Er empfing darauf den Großherzog und ſchien ſpäter von dem Beſuch nicht angegriffen. In ſeinem Arbeitszimmer fand ich heute weniger Per¬ ſonen, woraus ich zu meiner Freude ſchloß, daß meine geſtrige Bemerkung etwas gefruchtet hatte.

Nun aber, da die Krankheit gehoben iſt, ſcheint man die Folgen zu fürchten. Seine linke Hand iſt geſchwollen und es zeigen ſich drohende Vorboten der Waſſerſucht. Erſt in einigen Tagen wird man wiſſen, was man von dem endlichen Ausgang der Krankheit zu halten hat. Goethe hat heute das erſtemal nach einem ſeiner Freunde verlangt, nämlich nach ſeinem älteſten Freunde Meyer. Er wollte ihm eine ſeltene Medaille zeigen, die er aus Böhmen erhalten hat und worüber er entzückt iſt.

Ich kam um zwölf Uhr, und da Goethe hörte, daß ich dort war, ließ er mich in ſeine Nähe rufen. Er reichte mir die Hand, indem er mir ſagte: Sie ſehen in mir einen vom Tode Erſtandenen. Er beauftragte mich ſodann, Ihrer Kaiſerlichen Hoheit für die Theilnahme zu danken, die ſie ihm während ſeiner Krankheit be¬ wieſen. Meine Geneſung wird ſehr langſam ſeyn, fügte er darauf hinzu, aber den Herren Aerzten bleibt doch nichtsdeſtoweniger die Ehre, ein kleines Wunder an mir gethan zu haben.

Nach ein paar Minuten zog ich mich zurück. Seine Farbe iſt gut, allein er iſt ſehr abgemagert und athmet15 noch mit einiger Beſchwerde. Es kam mir vor, als würde ihm das Sprechen ſchwieriger als geſtern. Die Geſchwulſt des linken Armes iſt ſehr ſichtbar; er hält die Augen geſchloſſen und öffnet ſie nur wenn er ſpricht.

Dieſen Abend bei Goethe, den ich in mehreren Tagen nicht geſehen. Er ſaß in ſeinem Lehnſtuhl und hatte ſeine Schwiegertochter und Riemer bei ſich. Er war auffallend beſſer. Seine Stimme hatte wieder ihren natürlichen Klang, ſein Athemholen war frei, ſeine Hand nicht mehr geſchwollen, ſein Ausſehen wieder wie in geſundem Zuſtand, und ſeine Unterhaltung leicht. Er ſtand auf und ging ohne Umſtände in ſein Schlaf¬ zimmer und wieder zurück. Man trank den Thee bei ihm, und da es heute wieder das erſtemal war, ſo machte ich Frau v. Goethe ſcherzhaft Vorwürfe, daß ſie vergeſſen habe, einen Blumenſtrauß auf das Theebrett zu ſtellen. Frau von Goethe nahm ſogleich ein farbiges Band von ihrem Hut und band es an die Theemaſchine. Dieſer Scherz ſchien Goethen viel Vergnügen zu machen.

Wir betrachteten darauf eine Sammlung nachgemach¬ ter Edelſteine, die der Großherzog hatte von Paris kommen laſſen.

16

Man hat heute im Theater Goethe's Taſſo zur Feier ſeiner Geneſung gegeben, mit einem Prolog von Riemer, den Frau von Heigendorf geſprochen. Seine Büſte ward unter lautem Beifall der gerührten Zuſchauer mit einem Lorbeerkranze geſchmückt. Nach beendigter Vor¬ ſtellung ging Frau v. Heigendorf zu Goethe. Sie war noch im Coſtüm der Leonore und überreichte ihm den Kranz des Taſſo, den Goethe nahm, um damit die Büſte der Großfürſtin Alexandra zu ſchmücken.

Ich brachte Goethen von Seiten Ihrer Kaiſerlichen Hoheit eine Nummer des Franzöſiſchen Modejournals, worin von einer Ueberſetzung ſeiner Werke die Rede war. Wir ſprachen bei dieſer Gelegenheit über Rameau's Neffen, wovon das Original lange verloren geweſen. Verſchiedene Deutſche glauben, daß jenes Original nie exiſtirt habe und daß Alles Goethe's eigene Erfindung ſey. Goethe aber verſichert, daß es ihm durchaus unmöglich geweſen ſeyn würde, Diderot's geiſtreiche Dar¬ ſtellung und Schreibart nachzuahmen, und daß der deutſche Rameau nichts weiter ſey, als eine ſehr treue Ueberſetzung.

Einen Theil des Abends bei Goethe zugebracht in17 Geſellſchaft des Herrn Oberbaudirectors Coudray. Wir ſprachen über das Theater und die Verbeſſerungen, die dabei ſeit einiger Zeit eingetreten ſind. Ich bemerke es, ohne hinzugehen, ſagte Goethe lachend. Noch vor zwei Monaten kamen meine Kinder des Abends immer mißvergnügt nach Hauſe. Sie waren nie mit dem Plaiſir zufrieden, das man ihnen hatte bereiten wollen. Aber jetzt hat ſich das Blatt gewendet; ſie kommen mit freudeglänzenden Geſichtern, weil ſie doch einmal ſich recht hätten ſatt weinen können. Geſtern haben ſie dieſe Wonne der Thränen einem Drama von Kotzebue zu verdanken gehabt.

Abends mit Goethe allein. Wir ſprachen über Literatur, Lord Byron, deſſen Sardanapal und Werner. Sodann kamen wir auf den Fauſt, über den Goethe oft und gerne redet. Er möchte, daß man ihn ins Franzöſiſche überſetzte, und zwar im Charakter der Zeit des Marot. Er betrachtet ihn als die Quelle, aus der Byron die Stimmung zu ſeinem Manfred geſchöpft. Goethe findet, daß Byron in ſeinen beiden letzten Tragödien entſchiedene Fortſchritte gemacht, indem er darin weniger düſter und miſanthropiſch erſcheint. Wir ſprachen ſodann über den Text der Zauberflöte, wovon Goethe die Fortſetzung gemacht, aber noch keinen Com¬ poniſten gefunden hat, um den Gegenſtand gehörig zuIII. 218behandeln. Er giebt zu, daß der bekannte erſte Theil voller Unwahrſcheinlichkeiten und Späße ſey, die nicht Jeder zurechtzulegen und zu würdigen wiſſe; aber man müſſe doch auf alle Fälle dem Autor zugeſtehen, daß er im hohen Grade die Kunſt verſtanden habe, durch Contraſte zu wirken und große theatraliſche Effecte herbeizuführen.

Abends bei Goethe mit Gräfin Caroline Egloffſtein. Goethe ſcherzte über die deutſchen Almanache und andere periodiſche Erſcheinungen, alle von einer lächer¬ lichen Sentimentalität durchdrungen, die an der Ord¬ nung des Tages zu ſeyn ſcheine. Die Gräfin bemerkte, daß die deutſchen Romanſchreiber den Anfang gemacht, den Geſchmack ihrer zahlreichen Leſer zu verderben, und daß nun wiederum die Leſer die Romanſchreiber ver¬ dürben, die, um für ihre Manuſcripte einen Verleger zu finden, ſich jetzt ihrerſeits dem herrſchenden ſchlechten Geſchmack des Publicums bequemen müßten.

Ich fand Coudray und Meyer bei Goethe. Man ſprach über verſchiedene Dinge. Die Großherzogliche Bibliothek, ſagte Goethe unter Anderem, beſitzt einen Globus, der unter der Regierung Carls des Fünften von einem Spanier verfertigt worden. Es finden ſich19 auf ihm einige merkwürdige Inſchriften, wie z. B. die folgende: Die Chineſen ſind ein Volk, das ſehr viele Aehnlichkeit mit den Deutſchen hat. In älteren Zeiten, fuhr Goethe fort, waren auf den Landcharten die afrikaniſchen Wüſten mit Abbildungen wilder Thiere bezeichnet. Heut zu Tage aber thut man dergleichen nicht; vielmehr ziehen die Geographen vor, uns carte blanche zu laſſen.

Abends bei Goethe. Er ſuchte mir einen Begriff ſeiner Farbenlehre zu geben. Das Licht, ſagte er, ſey keineswegs eine Zuſammenſetzung verſchiedener Farben; auch könne das Licht allein keine Farben hervor¬ bringen, vielmehr gehöre immer dazu eine gewiſſe Modification und Miſchung von Licht und Schatten.

Ich fand Goethe beſchäftigt, ſeine kleinen Gedichtchen und Blättchen an Perſonen zuſammen zu ſuchen. In früheren Zeiten, ſagte er, wo ich leichtſinniger mit meinen Sachen umging und Abſchriften zu nehmen unter¬ ließ, ſind hunderte ſolcher Gedichte verloren gegangen.

Der Canzler, Riemer und Meyer waren bei Goethe. Man ſprach über die Gedichte von Béranger und2*20Goethe commentirte und paraphraſirte einige derſelben mit großer Originalität und guter Laune.

Sodann war von Phyſik und Meteorologie die Rede. Goethe iſt im Begriff, die Theorie einer Witterungslehre auszuarbeiten, wobei er das Steigen und Fallen des Barometers gänzlich den Wirkungen des Erdballs und deſſen Anziehung und Entlaſſung der Atmosphäre zuſchreiben wird.

Die Herren Gelehrten, und namentlich die Herren Mathematiker, fuhr Goethe fort, werden nicht verfehlen, meine Ideen durchaus lächerlich zu finden; oder auch, ſie werden noch beſſer thun, ſie werden ſie vornehmer¬ weiſe völlig ignoriren. Wiſſen Sie aber warum? Weil ſie ſagen, ich ſey kein Mann vom Fache.

Der Caſtengeiſt der Gelehrten, erwiederte ich, wäre wohl zu verzeihen. Wenn ſich in ihre Theorieen einige Irrthümer eingeſchlichen haben und darin fortgeſchleppt werden, ſo muß man die Urſache darin ſuchen, daß ſie dergleichen zu einer Zeit als Dogmen überliefert be¬ kommen haben, wo ſie ſelber noch auf den Schulbänken ſaßen.

Das iſt's eben! rief Goethe. Eure Gelehrten machen es wie unſere Weimar'ſchen Buchbinder. Das Meiſterſtück, das man von ihnen verlangt, um in die Gilde aufgenommen zu werden, iſt keineswegs ein hübſcher Einband nach dem neueſten Geſchmack. Nein, weit entfernt! Es muß noch immer eine dicke Bibel in21 Folio geliefert werden, ganz wie ſie vor zwei bis drꝛ Jahrhunderten Mode war, mit plumpen Deckeln und in ſtarkem Leder. Die Aufgabe iſt eine Abſurdität. Aber es würde dem armen Handwerker ſchlecht gehen, wenn er behaupten wollte, ſeine Examinatoren wären dumme Leute.

Abends bei Goethe. Madame Szymanowska, deren Bekanntſchaft er dieſen Sommer in Marienbad gemacht, phantaſirte auf dem Flügel. Goethe, im Anhören verloren, ſchien mitunter ſehr ergriffen und bewegt.

Kleine Abendgeſellſchaft bei Goethe, der ſeit längerer Zeit wieder leidend iſt. Seine Füße hatte er in eine wollene Decke gewickelt, die ihn ſeit dem Feldzuge in der Champagne überall hin begleitet. Bei Gelegenheit dieſer Decke erzählte er uns eine Anekdote aus dem Jahre 1806, wo die Franzoſen Jena occupirt hatten und der Caplan eines franzöſiſchen Regiments Behänge zum Schmuck ſeines Altars requirirte. Man hatte ihm ein Stück glänzend carmoiſinrothes Zeug geliefert, ſagte Goethe, das ihm aber noch nicht gut genug war. Er beſchwerte ſich darüber bei mir. Schicken Sie mir jenes Zeug, antwortete ich ihm, ich will ſehen, ob ich Ihnen etwas Beſſeres verſchaffen kann. Indeſſen22[h]atten wir auf unſerm Theater ein neues Stück zu geben und ich benutzte den prächtigen rothen Stoff, um damit meine Schauſpieler herauszuputzen. Was aber meinen Caplan betraf, ſo erhielt er weiter nichts; er ward vergeſſen und er hat ſehen müſſen, wie er ſich ſelber half.

Goethe iſt immer noch nicht beſſer. Die Frau Großfürſtin ſchickte ihm dieſen Abend durch mich einige ſehr ſchöne Medaillen, deren Betrachtung ihm vielleicht einige Zerſtreuung und Aufheiterung gewähren möchte. Goethe war über dieſe zarte Aufmerkſamkeit ſeiner hohen Fürſtin ſichtbar erfreut. Er klagte mir darauf, daß er den¬ ſelbigen Schmerz an der Seite des Herzens fühle, wie er ſeiner ſchweren Krankheit vom vorigen Winter vorangegangen. Ich kann nicht arbeiten, ſagte er; ich kann nicht leſen, und ſelbſt das Denken gelingt mir nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung.

Humboldt iſt hier. Ich war heute einen Augenblick bei Goethe, wo es mir ſchien, als ob die Gegenwart und die Unterhaltung Humboldt's einen günſtigen Ein¬ fluß auf ihn gehabt habe. Sein Uebel ſcheint nicht bloß phyſiſcher Art zu ſeyn. Es ſcheint vielmehr, daß die leidenſchaftliche Neigung, die er dieſen Sommer in23 Marienbad zu einer jungen Dame gefaßt und die er jetzt zu bekämpfen ſucht, als Haupturſache ſeiner jetzigen Krankheit zu betrachten iſt.

Der erſte Theil von Meyers Kunſtgeſchichte, der ſo eben erſchienen, ſcheint Goethe ſehr angenehm zu be¬ ſchäftigen. Er ſprach darüber heute in Ausdrücken des höchſten Lobes.

Ich brachte Goethen einige Mineralien, beſonders ein Stück thonigen Oker, den Deſchamps zu Cormayan gefunden, und wovon Herr Maſſot viel Rühmens macht. Wie ſehr aber war Goethe erſtaunt, als er in dieſer Farbe ganz dieſelbige erkannte, die Angelika Kaufmann zu den Fleiſchpartieen ihrer Gemälde zu benutzen pflegte! Sie ſchätzte das Wenige, das ſie davon beſaß, ſagte er, nach dem Gewicht des Goldes. Der Ort indeß, wo es herſtammte und wo es zu finden, war ihr unbekannt. Goethe meinte gegen ſeine Tochter, ich behandele ihn wie einen Sultan, dem man täglich neue Geſchenke bringe. Er behandelt Sie vielmehr wie ein Kind! erwiederte Frau v. Goethe; worüber er ſich denn nicht enthalten konnte zu lächeln.

24

Ich fragte Goethen, wie er ſich heute befinde. Nicht ganz ſo ſchlecht als Napoleon auf ſeiner Inſel , war die ſeufzende Antwort. Der ſich ſehr in die Länge ziehende krankhafte Zuſtand ſcheint denn doch nach und nach ſehr auf ihn zu wirken.

Goethe's gute Laune war heute wieder glänzend. Wir haben den kürzeſten Tag erreicht, und die Hoffnung, jetzt mit jeder Woche die Tage wieder bedeutend zunehmen zu ſehen, ſcheint auf ſeine Stimmung den günſtigſten Einfluß auszuüben. Heute feiern wir die Wiedergeburt der Sonne! rief er mir froh entgegen, als ich dieſen Vormittag bei ihm eintrat. Ich höre, daß er jedes Jahr die Wochen vor dem kürzeſten Tage in deprimirter Stimmung zu verbringen und zu verſeufzen pflegt.

Frau v. Goethe trat herein, um ihren Schwiegerpapa zu benachrichtigen, daß ſie nach Berlin zu reiſen im Begriff ſey, um dort mit ihrer nächſtens zurückkommenden Mutter zuſammen zu treffen.

Als Frau v. Goethe gegangen war, ſcherzte Goethe mit mir über die lebendige Einbildungskraft, welche die Jugend charakteriſire. Ich bin zu alt, ſagte er, um ihr zu widerſprechen und ihr begreiflich zu machen, daß die Freude, ihre Mutter dort oder hier zuerſt wieder¬ zuſehen, ganz dieſelbige ſeyn würde. Dieſe Winterreiſe25 iſt viel Mühe um nichts; aber ein ſolches Nichts iſt der Jugend oft unendlich viel. Und im Ganzen genommen, was thut's! Man muß oft etwas Tolles unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu können. In meiner Jugend habe ich es nicht beſſer gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut davon gekommen.

Abends mit Goethe allein, in allerlei Geſprächen. Er ſagte mir, daß er die Abſicht habe, ſeine Reiſe in die Schweiz vom Jahre 1797 in ſeine Werke aufzunehmen. Sodann war die Rede vom Werther, den er nicht wieder geleſen habe, als einmal, ungefähr zehn Jahre nach ſeinem Erſcheinen. Auch mit ſeinen anderen Schriften habe er es ſo gemacht. Wir ſprachen darauf von Überſetzungen, wobei er mir ſagte, daß es ihm ſehr ſchwer werde, engliſche Gedichte in deutſchen Verſen wiederzugeben. Wenn man die ſchlagenden einſilbigen Worte der Engländer, ſagte er, mit vielſilbigen oder zuſammengeſetzten deutſchen ausdrücken will, ſo iſt gleich alle Kraft und Wirkung verloren. Von ſeinem Rameau ſagte er, daß er die Ueberſetzung in vier Wochen gemacht und Alles dictirt habe.

Wir ſprachen ſodann über Naturwiſſenſchaften, ins¬ beſondere über die Kleingeiſterei, womit dieſe und jene26 Gelehrten ſich um die Priorität ſtreiten. Ich habe durch nichts die Menſchen beſſer kennen gelernt, ſagte Goethe, als durch meine wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen. Ich habe es mich viel koſten laſſen und es iſt mit manchen Leiden verknüpft geweſen; aber ich freue mich dennoch die Erfahrung gemacht zu haben.

In den Wiſſenſchaften, bemerkte ich, ſcheint auf eine beſondere Weiſe der Egoismus der Menſchen angeregt zu werden; und wenn dieſer einmal in Bewegung geſetzt iſt, ſo pflegen ſehr bald alle Schwächen des Charakters zum Vorſchein zu kommen.

Die Fragen der Wiſſenſchaft, verſetzte Goethe, ſind ſehr häufig Fragen der Exiſtenz. Eine einzige Entdeckung kann einen Mann berühmt machen und ſein bürgerliches Glück begründen. Deßhalb herrſcht auch in den Wiſſen¬ ſchaften dieſe große Strenge und dieſes Feſthalten und dieſe Eiferſucht auf das Aperçü eines Andern. Im Reich der Aeſthetik dagegen iſt Alles weit läßlicher; die Gedanken ſind mehr oder weniger ein angeborenes Eigenthum aller Menſchen, wobei Alles auf die Behand¬ lung und Ausführung ankommt und billigerweiſe wenig Neid ſtattfindet. Ein einziger Gedanke kann das Fundament zu hundert Epigrammen hergeben und es fragt ſich bloß, welcher Poet denn nun dieſen Gedanken auf die wirkſamſte und ſchönſte Weiſe zu verſinnlichen gewußt habe.

Bei der Wiſſenſchaft aber iſt die Behandlung null,

27und alle Wirkung liegt im Aperçü. Es iſt dabei wenig Allgemeines und Subjectives, ſondern die einzelnen Manifeſtationen der Naturgeſetze liegen alle ſphynxartig, ſtarr, feſt und ſtumm außer uns da. Jedes wahr¬ genommene neue Phänomen iſt eine Entdeckung, jede Entdeckung ein Eigenthum. Taſte aber nur Einer das Eigenthum an, und der Menſch mit ſeinen Leidenſchaften wird ſogleich daſeyn.

Es wird aber, fuhr Goethe fort, in den Wiſſen¬ ſchaften auch zugleich dasjenige als Eigenthum angeſehen, was man auf Academieen überliefert erhalten und gelernt hat. Kommt nun Einer, der etwas Neues bringt, das mit unſerm Credo, das wir ſeit Jahren nachbeten und wiederum Anderen überliefern, in Widerſpruch ſteht und es wohl gar zu ſtürzen droht, ſo regt man alle Leidenſchaften gegen ihn auf und ſucht ihn auf alle Weiſe zu unterdrücken. Man ſträubt ſich dagegen, wie man nur kann; man thut, als höre man nicht, als verſtände man nicht; man ſpricht darüber mit Gering¬ ſchätzung, als wäre es gar nicht der Mühe werth es nur anzuſehen und zu unterſuchen; und ſo kann eine neue Wahrheit lange warten, bis ſie ſich Bahn macht. Ein Franzoſe ſagte zu einem meiner Freunde in Bezug auf meine Farbenlehre: Wir haben funfzig Jahre lang gearbeitet, um das Reich Newton's zu gründen und zu befeſtigen; es werden andere funfzig Jahre nöthig ſeyn, um es zu ſtürzen.

28

Die mathematiſche Gilde hat meinen Namen in der Wiſſenſchaft ſo verdächtig zu machen geſucht, daß man ſich ſcheut, ihn nur zu nennen. Es kam mir vor einiger Zeit eine Broſchüre in die Hand, worin Gegen¬ ſtände der Farbenlehre behandelt waren; und zwar ſchien der Verfaſſer ganz durchdrungen von meiner Lehre zu ſeyn und hatte Alles auf dieſelben Fundamente gebaut und zurückgeführt. Ich las die Schrift mit großer Freude; allein zu meiner nicht geringen Ueber¬ raſchung mußte ich ſehen, daß der Verfaſſer mich nicht einmal genannt hatte. Später ward mir das Räthſel gelöſt. Ein gemeinſchaftlicher Freund beſuchte mich und geſtand mir: der talentreiche junge Verfaſſer habe durch jene Schrift ſeinen Ruf zu gründen geſucht und habe mit Recht gefürchtet, ſich bei der gelehrten Welt zu ſchaden, wenn er es gewagt hätte, ſeine vorgetragenen Anſichten durch meinen Namen zu ſtützen. Die kleine Schrift machte Glück, und der geiſtreiche junge Ver¬ faſſer hat ſich mir ſpäter perſönlich vorgeſtellt und ſich entſchuldigt.

Der Fall erſcheint mir um ſo merkwürdiger, verſetzte ich, da man in allen anderen Dingen auf Ihre Autorität ſtolz zu ſeyn Urſache hat und Jedermann ſich glücklich ſchätzet, in Ihrer Zuſtimmung vor der Welt einen mächtigen Schutz zu finden. Bei Ihrer Farbenlehre ſcheint mir das Schlimme zu ſeyn, daß Sie es dabei nicht bloß mit dem berühmten, von Allen anerkannten29 Newton, ſondern auch mit ſeinen in der ganzen Welt verbreiteten Schülern zu thun haben, die ihrem Meiſter anhängen und deren Zahl Legion iſt. Geſetzt auch, daß Sie am Ende recht behalten, ſo werden Sie gewiß noch eine geraume Zeit mit Ihrer neuen Lehre allein ſtehen.

Ich bin es gewohnt und bin darauf gefaßt, er¬ wiederte Goethe. Aber ſagen Sie ſelbſt, fuhr er fort, konnte ich nicht ſtolz ſeyn, wenn ich mir ſeit zwanzig Jahren geſtehen mußte, daß der große Newton und alle Mathematiker und erhabenen Rechner mit ihm in Bezug auf die Farbenlehre ſich in einem entſchiedenen Irrthum befänden und daß ich unter Millionen der Einzige ſey, der in dieſem großen Natur-Gegenſtande allein das Rechte wiſſe? Mit dieſem Gefühl der Supe¬ riorität war es mir denn möglich, die ſtupide Anma߬ lichkeit meiner Gegner zu ertragen. Man ſuchte mich und meine Lehre auf alle Weiſe anzufeinden und meine Ideen lächerlich zu machen; aber ich hatte nichtsdeſto¬ weniger über mein vollendetes Werk eine große Freude. Alle Angriffe meiner Gegner dienten mir nur, um die Menſchen in ihrer Schwäche zu ſehen.

Während Goethe ſo mit einer Kraft und einem Reichthum des Ausdruckes ſprach, wie ich in ganzer Wahrheit wiederzugeben nicht im Stande bin, glänzten ſeine Augen von einem außerordentlichen Feuer. Man ſah darin den Ausdruck des Triumphs, während ein30 ironiſches Lächeln um ſeine Lippen ſpielte. Die Züge ſeines ſchönen Geſichtes waren impoſanter als je.

Bei Goethe zu Tiſche, in mancherlei Geſprächen. Er zeigte mir ein Portefeuille mit Handzeichnungen, unter denen beſonders die Anfänge von Heinrich Füßli merkwürdig.

Wir ſprachen ſodann über religiöſe Dinge und den Mißbrauch des göttlichen Namens.

Die Leute tractiren ihn, ſagte Goethe, als wäre das unbegreifliche, gar nicht auszudenkende höchſte Weſen nicht viel mehr, als ihres Gleichen. Sie würden ſonſt nicht ſagen: Der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. Er wird ihnen, beſonders den Geiſtlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phraſe, zu einem bloßen Namen, wobei ſie ſich auch gar nichts denken. Wären ſie aber durchdrungen von ſeiner Größe, ſie würden verſtummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen.

[31]

1824.

[32][33]

Bei Goethe zu Tiſch in heiteren Geſprächen. Eine junge Schönheit der Weimariſchen Geſellſchaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anweſenden bemerkte, daß er faſt auf dem Punkte ſtehe, ſie zu lieben, obgleich ihr Verſtand nicht eben glänzend zu nennen.

Pah! ſagte Goethe lachend, als ob die Liebe etwas mit dem Verſtande zu thun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge, als den Verſtand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckiſche, das Zutrauliche, den Cha¬ rakter, ihre Fehler, ihre Capricen, und Gott weiß was alles Unausſprechliche ſonſt; aber wir lieben nicht ihren Verſtand. Ihren Verſtand achten wir, wenn er glänzend iſt, und ein Mädchen kann dadurch in unſern Augen unendlich an Werth gewinnen. Auch mag der Verſtand gut ſeyn, uns zu feſſeln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verſtand iſt nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenſchaft zu erwecken.

Man fand an Goethe's Worten viel Wahres und Ueberzeugendes und war ſehr bereit, den Gegenſtand ebenfalls von dieſer Seite zu betrachten.

III. 334

Nach Tiſche und als die Uebrigen gegangen waren blieb ich bei Goethe ſitzen und verhandelte mit ihm noch mancherlei Gutes.

Wir ſprachen über die engliſche Literatur, über die Größe Shakſpeare's, und welch einen ungünſtigen Stand alle engliſchen dramatiſchen Schriftſteller gehabt, die nach jenem poetiſchen Rieſen gekommen.

Ein dramatiſches Talent, fuhr Goethe fort, wenn es bedeutend war, konnte nicht umhin, von Shakſpeare Notiz zu nehmen, ja es konnte nicht umhin, ihn zu ſtudiren. Studirte es ihn aber, ſo mußte ihm bewußt werden, daß Shakſpeare die ganze Menſchennatur nach allen Richtungen hin, und in allen Tiefen und Höhen, bereits erſchöpft habe, und daß im Grunde für ihn, den Nachkömmling, nichts mehr zu thun übrig bleibe. Und woher hätte Einer den Muth nehmen ſollen, nur die Feder anzuſetzen, wenn er ſich ſolcher bereits vor¬ handener unergründlicher und unerreichbarer Vortrefflich¬ keiten in ernſter anerkennender Seele bewußt war!

Da hatte ich es freilich vor funfzig Jahren in meinem lieben Deutſchland beſſer. Ich konnte mich ſehr bald mit dem Vorhandenen abfinden, es konnte mir nicht lange imponiren und mich nicht ſehr aufhalten. Ich ließ die deutſche Literatur und das Studium derſelben ſehr bald hinter mir und wendete mich zum Leben und zur Production. So nach und nach vorſchreitend ging ich in meiner natürlichen Entwickelung fort und bildete35 mich nach und nach zu den Productionen heran, die mir von Epoche zu Epoche gelangen. Und meine Idee vom Vortrefflichen war auf jeder meiner Lebens - und Entwickelungsſtufen nie viel größer, als was ich auch auf jeder Stufe zu machen im Stande war. Wäre ich aber als Engländer geboren, und wären alle jene viel¬ fältigen Meiſterwerke bei meinem erſten jugendlichen Erwachen mit all ihrer Gewalt auf mich eingedrungen, es hätte mich überwältigt und ich hätte nicht gewußt, was ich hätte thun wollen. Ich hätte nicht ſo leichten, friſchen Muthes vorſchreiten können, ſondern mich ſicher erſt lange beſinnen und umſehen müſſen, um irgendwo einen neuen Ausweg zu finden.

Ich lenkte das Geſpräch auf Shakſpeare zurück. Wenn man ihn, ſagte ich, aus der engliſchen Literatur gewiſſermaßen herausreißt und als einen Einzelnen nach Deutſchland verſetzt und betrachtet, ſo kann man nicht umhin, ſeine rieſenhafte Größe als ein Wunder anzuſtaunen. Sucht man ihn aber in ſeiner Heimath auf, verſetzt man ſich auf den Boden ſeines Landes und in die Atmosphäre des Jahrhunderts in dem er lebte, ſtudirt man ferner ſeine Mitlebenden und unmit¬ telbaren Nachfolger, athmet man die Kraft, die uns aus Ben Jonſon, Maſſinger, Marlow und Beaumont und Fletcher anweht, ſo bleibt zwar Shakſpeare immer noch eine gewaltig hervorragende Größe, aber man kommt doch zu der Ueberzeugung, daß viele Wunder ſeines3*36Geiſtes einigermaßen zugänglich werden und daß Vieles von ihm in der kräftigen productiven Luft ſeines Jahr¬ hunderts und ſeiner Zeit lag.

Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe. Es iſt mit Shakſpeare wie mit den Gebirgen der Schweiz. Verpflanzen Sie den Montblanc unmittelbar in die große Ebene der Lüneburger Heide, und Sie werden vor Erſtaunen über ſeine Größe keine Worte finden. Beſuchen Sie ihn aber in ſeiner rieſigen Heimath, kommen Sie zu ihm über ſeine großen Nach¬ barn: die Jungfrau, das Finſteraarhorn, den Eiger, das Wetterhorn, den Gotthart und Monte Roſa, ſo wird zwar der Montblanc immer ein Rieſe bleiben, allein er wird uns nicht mehr in ein ſolches Erſtaunen ſetzen.

Wer übrigens nicht glauben will, fuhr Goethe fort, daß Vieles von der Größe Shakſpeare's ſeiner großen kräftigen Zeit angehört, der ſtelle ſich nur die Frage, ob er denn eine ſolche Staunen erregende Erſcheinung in dem heutigen England von 1824, in dieſen ſchlechten Tagen kritiſirender und zerſplitternder Journale, für möglich halte?

Jenes ungeſtörte, unſchuldige, nachtwandleriſche Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann, iſt gar nicht mehr möglich. Unſere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präſentirteller der Oeffentlichkeit. Die täglich an funfzig verſchiedenen Orten erſcheinenden37 kritiſchen Blätter, und der dadurch im Publicum bewirkte Klatſch, laſſen nichts Geſundes aufkommen. Wer ſich heut zu Tage nicht ganz davon zurückhält und ſich nicht mit Gewalt iſolirt, iſt verloren. Es kommt zwar durch das ſchlechte, größtentheils negative, äſthetiſirende und kritiſirende Zeitungsweſen eine Art Halbcultur in die Maſſen, allein dem hervorbringenden Talent iſt es ein böſer Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum ſeiner Schöpfungskraft zerſtört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das tiefſte Mark und die verbor¬ genſte Faſer.

Und dann, wie zahm und ſchwach iſt ſeit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben ſelber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat Einer die Kraft, wahr zu ſeyn und ſich zu zeigen, wie er iſt! Das wirkt aber zurück auf den Poeten, der Alles in ſich ſelber finden ſoll, während von Außen ihn Alles in Stich läßt.

Das Geſpräch wendete ſich auf den Werther. Das iſt auch ſo ein Geſchöpf, ſagte Goethe, das ich gleich dem Pelikan mit dem Blute meines eigenen Herzens gefüttert habe. Es iſt darin ſo viel Inner¬ liches aus meiner eigenen Bruſt, ſo viel von Empfin¬ dungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn ſolcher Bändchen auszuſtatten. Uebrigens habe ich das Buch, wie ich ſchon öfter geſagt, ſeit38 ſeinem Erſcheinen nur ein einzigesmal wieder geleſen und mich gehütet, es abermals zu thun. Es ſind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei und ich fürchte, den pathologiſchen Zuſtand wieder durch¬ zuempfinden, aus dem es hervorging.

Ich erinnerte an ſein Geſpräch mit Napoleon, das ich aus der Skizze kenne, die unter ſeinen ungedruckten Papieren vorhanden, und die ich ihn wiederholt erſucht habe, weiter auszuführen. Napoleon, ſagte ich, bezeich¬ net gegen Sie im Werther eine Stelle, die ihm, einer ſcharfen Prüfung gegenüber, nicht Stich zu halten ſcheint, welches Sie ihm auch zugeben. Ich möchte ſehr gerne wiſſen, welche Stelle er gemeint hat. Rathen Sie! ſagte Goethe mit einem geheimnißvollen Lächeln. Nun, ſagte ich, ich dächte faſt, es wäre die, wo Lotte Werthern die Piſtolen ſchickt, ohne gegen Alberten ein Wort zu ſagen und ohne ihm ihre Ahnungen und Befürchtungen mitzutheilen. Sie haben ſich zwar alle Mühe gegeben, dieſes Schwei¬ gen zu motiviren, allein es ſcheint doch Alles gegen die dringende Nothwendigkeit, wo es das Leben des Freundes galt, nicht Stich zu halten. Ihre Bemer¬ kung, erwiederte Goethe, iſt freilich nicht ſchlecht. Ob aber Napoleon dieſelbe Stelle gemeint hat, oder eine andere, halte ich für gut, nicht zu verrathen. Aber wie geſagt, Ihre Beobachtung iſt eben ſo richtig wie die ſeinige.

39

Ich brachte zur Erwähnung, ob denn die große Wirkung, die der Werther bei ſeinem Erſcheinen gemacht, wirklich in der Zeit gelegen. Ich kann mich, ſagte ich, nicht zu dieſer allgemein verbreiteten Anſicht bekennen. Der Werther hat Epoche gemacht, weil er erſchien, nicht weil er in einer gewiſſen Zeit erſchien. Es liegt in jeder Zeit ſo viel unausgeſprochenes Leiden, ſo viel heimliche Unzufriedenheit und Lebensüberdruß, und in einzelnen Menſchen ſo viele Mißverhältniſſe zur Welt, ſo viele Conflicte ihrer Natur mit bürgerlichen Ein¬ richtungen, daß der Werther Epoche machen würde und wenn er erſt heute erſchiene.

Sie haben wohl Recht, erwiederte Goethe, weßhalb denn auch das Buch auf ein gewiſſes Jünglingsalter noch heute wirkt, wie damals. Auch hätte ich kaum nöthig gehabt, meinen eigenen jugendlichen Trübſinn aus allgemeinen Einflüſſen meiner Zeit und aus des Lectüre einzelner engliſcher Autoren herzuleiten. Er waren vielmehr individuelle nahe liegende Verhältniſſe, die mir auf die Nägel brannten und mir zu ſchaffen machten, und die mich in jenen Gemüthszuſtand brachten, aus dem der Werther hervorging. Ich hatte gelebt, geliebt, und ſehr viel gelitten! Das war es.

Die viel beſprochene Wertherzeit gehört, wenn man es näher betrachtet, freilich nicht dem Gange der Welt¬ cultur an, ſondern dem Lebensgange jedes Einzelnen, der mit angeborenem freiem Naturſinn ſich in die40 beſchränkenden Formen einer veralteten Welt finden und ſchicken lernen ſoll. Gehindertes Glück, gehemmte Thä¬ tigkeit, unbefriedigte Wünſche, ſind nicht Gebrechen einer beſonderen Zeit, ſondern jedes einzelnen Menſchen, und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn nicht Jeder einmal in ſeinem Leben eine Epoche haben ſollte, wo ihm der Werther käme, als wäre er bloß für ihn geſchrieben.

Heute nach Tiſche ging Goethe mit mir das Porte¬ feuille von Raphael durch. Er beſchäftigt ſich mit Raphael ſehr oft, um ſich immerfort im Verkehr mit dem Beſten zu erhalten, und ſich immerfort zu üben, die Gedanken eines hohen Menſchen nachzudenken. Dabei macht es ihm Freude, mich in ähnliche Dinge einzuführen.

Hernach ſprachen wir über den Divan; beſonders über das Buch des Unmuths, worin Manches aus¬ geſchüttet, was er gegen ſeine Feinde auf dem Herzen hatte.

Ich habe mich übrigens ſehr mäßig gehalten, fügte er hinzu; wenn ich Alles hätte ausſprechen wollen, was mich wurmte und mir zu ſchaffen machte, ſo hätten die wenigen Seiten wohl zu einem ganzen Bande an¬ wachſen können.

Man war im Grunde nie mit mir zufrieden und wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte, mich zu machen. Auch war man ſelten mit dem zufrie¬41 den, was ich hervorbrachte. Wenn ich mich Jahr und Tag mit ganzer Seele abgemüht hatte, der Welt mit einem neuen Werke etwas zu Liebe zu thun, ſo verlangte ſie, daß ich mich noch obendrein bei ihr bedanken ſollte, daß ſie es nur erträglich fand. Lobte man mich, ſo ſollte ich das nicht in freudigem Selbſtgefühl als einen ſchuldigen Tribut hinnehmen, ſondern man er¬ wartete von mir irgend eine ablehnende beſcheidene Phraſe, worin ich demüthig den völligen Unwerth meiner Perſon und meines Werkes an den Tag lege. Das aber widerſtrebte meiner Natur und ich hätte müſſen ein elender Lump ſeyn, wenn ich ſo hätte heucheln und lügen wollen. Da ich nun aber ſtark genug war, mich in ganzer Wahrheit ſo zu zeigen, wie ich fühlte, ſo galt ich für ſtolz, und gelte noch ſo bis auf den heutigen Tag.

In religiöſen Dingen, in wiſſenſchaftlichen und politiſchen, überall machte es mir zu ſchaffen, daß ich nicht heuchelte und daß ich den Muth hatte, mich aus¬ zuſprechen, wie ich empfand.

Ich glaubte an Gott und die Natur, und an den Sieg des Edlen über das Schlechte; aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich ſollte auch glauben, daß Drei Eins ſey und Eins Drei; das aber wider¬ ſtrebte dem Wahrheitsgefühl meiner Seele; auch ſah ich nicht ein, daß mir damit auch nur im mindeſten wäre geholfen geweſen.

42

Ferner bekam es mir ſchlecht, daß ich einſah, die Newton'ſche Lehre vom Licht und der Farbe ſey ein Irrthum, und daß ich den Muth hatte, dem allgemeinen Credo zu widerſprechen. Ich erkannte das Licht in ſeiner Reinheit und Wahrheit und ich hielt es meines Amtes, dafür zu ſtreiten. Jene Partei aber trachtete in allem Ernſt, das Licht zu verfinſtern, denn ſie be¬ hauptete: das Schattige ſey ein Theil des Lichtes. Es klingt abſurd, wenn ich es ſo ausſpreche, aber doch iſt es ſo. Denn man ſagte: die Farben, welche doch ein Schattiges und Durchſchattetes ſind, ſeyen das Licht ſelber, oder, was auf eins hinaus¬ kommt, ſie ſeyen des Lichtes bald ſo und bald ſo gebrochene Strahlen.

Goethe ſchwieg, während auf ſeinem bedeutenden Geſicht ein ironiſches Lächeln verbreitet war. Er fuhr fort:

Und nun gar in politiſchen Dingen! Was ich da für Noth und was ich da zu leiden gehabt, mag ich gar nicht ſagen. Kennen ſie meine Aufgeregten?

Erſt geſtern, erwiederte ich, habe ich wegen der neuen Ausgabe Ihrer Werke das Stück geleſen, und von Herzen bedauert, daß es unvollendet geblieben. Aber wie es auch iſt, ſo wird ſich jeder Wohldenkende zu Ihrer Geſinnung bekennen.

Ich ſchrieb es zur Zeit der franzöſiſchen Revolution, fuhr Goethe fort, und man kann es gewiſſermaßen als43 mein politiſches Glaubensbekenntniß jener Zeit anſehen. Als Repräſentanten des Adels hatte ich die Gräfin hingeſtellt und mit den Worten, die ich ihr in den Mund gelegt, ausgeſprochen, wie der Adel eigentlich denken ſoll. Die Gräfin kommt ſo eben aus Paris zurück, ſie iſt dort Zeuge der revolutionären Vorgänge geweſen und hat daraus für ſich ſelbſt keine ſchlechte Lehre gezogen. Sie hat ſich überzeugt, daß das Volk wohl zu drücken, aber nicht zu unterdrücken iſt, und daß die revolutionären Aufſtände der unteren Klaſſen eine Folge der Ungerechtigkeit der Großen ſind. Jede Handlung, die mir unbillig ſcheint, ſagt ſie, will ich künftig ſtreng vermeiden, auch werde ich über ſolche Handlungen Ande¬ rer, in der Geſellſchaft und bei Hofe meine Meinung laut ſagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr ſchweigen, und wenn ich auch unter dem Namen einer Demokratin verſchrieen werden ſollte.

Ich dächte, fuhr Goethe fort, dieſe Geſinnung wäre durchaus reſpectabel. Sie war damals die meinige und iſt es noch jetzt. Zum Lohne dafür aber belegte man mich mit allerlei Titeln, die ich nicht wiederholen mag.

Man braucht nur den Egmont zu leſen, verſetzte ich, um zu erfahren, wie Sie denken. Ich kenne kein deutſches Stück, wo der Freiheit des Volkes mehr das Wort geredet würde, als in dieſem.

Man beliebt einmal, erwiederte Goethe, mich nicht ſo ſehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke44 von Allem hinweg, was mich in meinem wahren Lichte zeigen könnte. Dagegen hat Schiller, der, unter uns, weit mehr ein Ariſtokrat war als ich, der aber weit mehr bedachte was er ſagte als ich, das merkwürdige Glück, als beſonderer Freund des Volkes zu gelten. Ich gönne es ihm von Herzen und tröſte mich damit, daß es Anderen vor mir nicht beſſer gegangen.

Es iſt wahr, ich konnte kein Freund der franzöſi¬ ſchen Revolution ſeyn, denn ihre Gräuel ſtanden mir zu nahe und empörten mich täglich und ſtündlich, wäh¬ rend ihre wohlthätigen Folgen damals noch nicht zu erſehen waren. Auch konnte ich nicht gleichgültig dabei ſeyn, daß man in Deutſchland künſtlicher Weiſe ähnliche Scenen herbeizuführen trachtete, die in Frank¬ reich Folge einer großen Nothwendigkeit waren.

Ebenſowenig aber war ich ein Freund herriſcher Willkür. Auch war ich vollkommen überzeugt, daß irgend eine große Revolution nie Schuld des Volkes iſt, ſondern der Regierung. Revolutionen ſind ganz unmöglich, ſobald die Regierungen fortwährend gerecht und fortwährend wach ſind, ſo daß ſie ihnen durch zeitgemäße Verbeſſerungen entgegenkommen, und ſich nicht ſo lange ſträuben, bis das Nothwendige von unten her erzwungen wird.

Weil ich nun aber die Revolutionen haßte, ſo nannte man mich einen Freund des Beſtehenden. Das iſt aber ein ſehr zweideutiger Titel, den ich mir verbitten45 möchte. Wenn das Beſtehende alles vortrefflich, gut und gerecht wäre, ſo hätte ich gar nichts dawider. Da aber neben vielem Guten zugleich viel Schlechtes, Un¬ gerechtes und Unvollkommenes beſteht, ſo heißt ein Freund des Beſtehenden oft nicht viel weniger als ein Freund des Veralteten und Schlechten.

Die Zeit aber iſt in ewigem Fortſchreiten begriffen und die menſchlichen Dinge haben alle funfzig Jahre eine andere Geſtalt, ſo daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, ſchon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen iſt.

Und wiederum iſt für eine Nation nur das gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allge¬ meinen Bedürfniß hervorgegangen, ohne Nachäffung einer anderen. Denn was dem einen Volk auf einer gewiſſen Altersſtufe eine wohlthätige Nahrung ſeyn kann erweiſt ſich vielleicht für ein anderes als ein Gift. Alle Verſuche, irgend eine ausländiſche Neuerung einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern der eigenen Nation wurzelt, ſind daher thöricht, und alle beabſichtigten Revolutionen ſolcher Art ohne Erfolg; denn ſie ſind ohne Gott, der ſich von ſolchen Pfuſchereien zurückhält. Iſt aber ein wirkliches Bedürfniß zu einer großen Reform in einem Volke vorhanden, ſo iſt Gott mit ihm und ſie gelingt. Er war ſichtbar mit Chriſtus und ſeinen erſten Anhängern, denn die Erſcheinung der neuen Lehre der Liebe war46 den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬ weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen, daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.

Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬ macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬ mus für Schauſpieler gelten könnte.

Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.

Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬ gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern47 und Sachſen oft meine Noth gehabt. Auch Eingeborene unſerer lieben Stadt Weimar haben mir viel zu ſchaffen gemacht. Bei dieſen entſtehen die lächerlichſten Mi߬ griffe daraus, daß ſie in den hieſigen Schulen nicht angehalten werden, das B. vom P. und das D. vom T. durch eine markirte Ausſprache ſtark zu unterſcheiden. Man ſollte kaum glauben, daß ſie B. P. D. und T. überhaupt für vier verſchiedene Buchſtaben halten, denn ſie ſprechen nur immer von einem weichen und einem harten B. und von einem weichen und einem harten D. und ſcheinen dadurch ſtillſchweigend anzu¬ deuten, daß P. und T. gar nicht exiſtiren. Aus einem ſolchen Munde klingt denn Pein wie Bein, Paß wie Baß, und Teckel wie Deckel.

Ein hieſiger Schauſpieler, verſetzte ich, der das T. und D. gleichfalls nicht gehörig unterſchied, machte in dieſen Tagen einen Fehler ähnlicher Art, der ſehr auffallend erſchien. Er ſpielte einen Liebhaber, der ſich eine kleine Untreue hatte zu Schulden kommen laſſen, worüber ihm das erzürnte junge Frauenzimmer allerlei heftige Vorwürfe macht. Ungeduldig, hatte er zuletzt auszurufen: o ende! Er konnte aber das T. vom D. nicht unterſcheiden und rief: o ente! , (O Ente!) welches denn ein allgemeines Lachen erregte.

Der Fall iſt ſehr artig, erwiederte Goethe, und verdiente wohl in unſern Theater - Catechismus mit aufgenommen zu werden.

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Eine hieſige junge Sängerin, fuhr ich fort, die das T. und D. gleichfalls nicht unterſcheiden konnte, hatte neulich zu ſagen: Ich will dich den Eingeweihten übergeben. Da ſie aber das T. wie D. ſprach, ſo klang es, als ſagte ſie: Ich will dich den Eingeweiden übergeben.

So hatte neulich, fuhr ich fort, ein hieſiger Schau¬ ſpieler, der eine Bedientenrolle ſpielte, einem Fremden zu ſagen: Mein Herr iſt nicht zu Haus, er ſitzt im Rathe. Da er aber das T. vom D. nicht unterſchied, ſo klang es, als ſagte er: Mein Herr iſt nicht zu Haus, er ſitzt im Rade.

Auch dieſe Fälle, ſagte Goethe, ſind nicht ſchlecht und wir wollen ſie uns merken. So wenn Einer das P. und B. nicht unterſcheidet und ausrufen ſoll: Packe ihn an! aber ſtatt deſſen ruft: Backe ihn an! ſo iſt es abermals lächerlich.

Gleicherweiſe, fuhr Goethe fort, wird hier das Ü häufig wie I ausgeſprochen, wodurch nicht weniger die ſchändlichſten Mißverſtändniſſe veranlaßt werden. So habe ich nicht ſelten ſtatt Küſtenbewohner Kiſten¬ bewohner, ſtatt Thürſtück Thierſtück, ſtatt gründlich grindlich, ſtatt Trübe Triebe, und ſtatt Ihr müßt Ihr mißt vernehmen müſſen, nicht ohne An¬ wandlung von einigem Lachen.

Dieſer Art, verſetzte ich, iſt mir neulich im Theater ein ſehr ſpaßhafter Fall vorgekommen, wo eine Dame in einer mißlichen Lage einem Manne folgen ſoll, den49 ſie vorher nie geſehen. Sie hatte zu ſagen: Ich kenne Dich zwar nicht, aber ich ſetze mein ganzes Vertrauen in den Edelmuth Deiner Züge. Da ſie aber das Ü. wie I. ſprach, ſo ſagte ſie: Ich kenne Dich zwar nicht, aber ich ſetze mein ganzes Vertrauen in den Edelmuth Deiner Ziege. Es entſtand ein großes Gelächter.

Dieſer Fall iſt abermals gar nicht ſchlecht, erwie¬ derte Goethe, und wir wollen ihn uns gleichfalls merken. So auch, fuhr er fort, wird hier das G. und K. häufig mit einander verwechſelt, und ſtatt G. K. und ſtatt K. G. geſprochen, wahrſcheinlich abermals aus der Ungewißheit, ob ein Buchſtabe weich oder hart ſey, eine Folge der hier ſo beliebten Lehre. Sie werden im hieſigen Theater wahrſcheinlich ſehr oft Kartenhaus für Gartenhaus, Kaſſe für Gaſſe, klauben für glauben, bekränzen für begrenzen, und Kunſt für Gunſt bereits gehört haben, oder noch künftig hören.

Etwas Aehnliches, erwiederte ich, iſt mir allerdings vorgekommen. Ein hieſiger Schauſpieler hatte zu ſagen: Dein Gram geht mir zu Herzen. Er ſprach aber das G. wie K. und ſagte ſehr deutlich: Dein Kram geht mir zu Herzen.

Dergleichen Verwechſelungen von G. und K., verſetzte Goethe, hören wir übrigens nicht bloß von Schauſpielern, ſondern auch wohl von ſehr gelehrtenIII. 450Theologen. Mir paſſirte einſt perſönlich ein Fall der Art, den ich Ihnen doch erzählen will.

Als ich nämlich vor einigen Jahren mich einige Zeit in Jena aufhielt und im Gaſthof Zur Tanne logirte, ließ ſich eines Morgens ein Studioſus der Theologie bei mir melden. Nachdem er ſich eine Weile mit mir ganz hübſch unterhalten, rückte er beim Ab¬ ſchiede gegen mich mit einem Anliegen ganz eigener Art hervor. Er bat mich nämlich, ihm doch am nächſten Sonntage zu erlauben, ſtatt meiner predi¬ gen zu dürfen. Ich merkte ſogleich, woher der Wind wehte, und daß der hoffnungsvolle Jüngling einer von denen ſey, die das G. und K. verwechſeln. Ich er¬ wiederte ihm alſo mit aller Freundlichkeit, daß ich ihm in dieſer Angelegenheit zwar perſönlich nicht helfen könne, daß er aber ſicher ſeinen Zweck erreichen würde, wenn er die Güte haben wolle, ſich an den Herrn Archidiaco¬ nus Koethe zu wenden.

Abends bei Goethe in Geſellſchaft mit Riemer. Goethe unterhielt uns von einem engliſchen Gedicht, das die Geologie zum Gegenſtande hat. Er machte uns davon erzählungsweiſe eine improviſirte Ueberſetzung mit ſo vielem Geiſt, Einbildungskraft und guter Laune, daß jede Einzelnheit lebendig vor Augen trat, als wäre Alles eine im Moment entſtehende Erfindung von ihm51 ſelber. Man ſah den Helden des Gedichts, den König Coal, in glänzendem Audienzſaal auf ſeinem Throne ſitzen, ſeine Gemahlin Pyrites an ſeiner Seite, in Erwartung der Großen des Reichs. Nach ihrer Rangordnung eintretend, erſchienen nach und nach und wurden dem Könige vorgeſtellt: Herzog Granit, Mar¬ quis Schiefer, Gräfin Porphyry, und ſo die Uebrigen, die Alle mit einigen treffenden Beiwörtern und Späßen charakteriſirt wurden. Es tritt ferner ein: Sir Lorenz Urkalk, ein Mann von großen Beſitzungen und bei Hofe wohlgelitten. Er entſchuldigt ſeine Mutter die Lady Marmor, weil ihre Wohnung etwas entfernt ſey; übrigens wäre ſie eine Dame von großer Cultur - und Politur-Fähigkeit. Daß ſie heute nicht bei Hofe erſcheine, hätte übrigens wohl einen Grund in einer Intrigue, in welche ſie ſich mit Canova eingelaſſen, der ihr ſehr ſchön thue. Tuffſtein, mit Eidechſen und Fiſchen ſein Haar verziert, ſchien etwas betrunken. Hans Mergel und Jacob Thon kommen erſt gegen das Ende; letzterer der Königin beſonders lieb, weil er ihr eine Muſchelſammlung verſprochen. Und ſo ging die Darſtellung in dem heiterſten Tone eine ganze Weile fort; doch war das Detail zu groß, als daß ich mir den weiteren Verlauf hätte merken können.

Ein ſolches Gedicht, ſagte Goethe, iſt ganz darauf berechnet, die Weltleute zu amüſiren, indem es zugleich eine Menge nützlicher Kenntniſſe verbreitet, die4*52eigentlich Niemandem fehlen ſollten. Es wird dadurch in den höheren Kreiſen der Geſchmack für die Wiſſen¬ ſchaft angeregt und man weiß immer nicht, wie viel Gutes in der Folge aus einem ſo unterhaltenden Halb - Scherz entſtehen kann. Mancher gute Kopf wird viel¬ leicht veranlaßt, im Kreiſe ſeines perſönlichen Bereichs ſelber zu beobachten. Und ſolche individuelle Wahrneh¬ mungen aus der uns umgebenden nächſten Natur ſind oft um ſo ſchätzbarer, je weniger der Beobachtende ein eigentlicher Mann vom Fache war.

Sie ſcheinen alſo andeuten zu wollen, verſetzte ich, daß man um ſo ſchlechter beobachte, jemehr man wiſſe?

Wenn das überlieferte Wiſſen mit Irrthümern ver¬ bunden, erwiederte Goethe, allerdings! Sobald man in der Wiſſenſchaft einer gewiſſen beſchränkten Confeſſion angehört, iſt ſogleich jede unbefangene treue Auffaſſung dahin. Der entſchiedene Vulkaniſt wird immer nur durch die Brille des Vulkaniſten ſehen, ſowie der Neptuniſt und der Bekenner der neueſten Hebungstheorie durch die ſeinige. Die Weltanſchauung aller ſolcher in einer einzigen ausſchließenden Richtung befangener Theo¬ retiker hat ihre Unſchuld verloren und die Objecte erſchei¬ nen nicht mehr in ihrer natürlichen Reinheit. Geben ſodann dieſe Gelehrten von ihren Wahrnehmungen Rechenſchaft, ſo erhalten wir, ungeachtet der höchſten perſönlichen Wahrheitsliebe des Einzelnen, dennoch keines¬ wegs die Wahrheit der Objecte; ſondern wir empfangen53 die Gegenſtände immer nur mit dem Geſchmack einer ſehr ſtarken ſubjectiven Beimiſchung.

Weit entfernt aber bin ich, zu behaupten, daß ein unbefangenes rechtes Wiſſen der Beobachtung hinder¬ lich wäre, vielmehr behält die alte Wahrheit ihr Recht, daß wir eigentlich nur Augen und Ohren für das haben, was wir kennen. Der Muſiker vom Fach hört beim Zuſammenſpiel des Orcheſters jedes Inſtru¬ ment und jeden einzelnen Ton heraus, während der Nichtkenner in der maſſenhaften Wirkung des Ganzen befangen iſt. So ſieht ferner der bloß genießende Menſch nur die anmuthige Fläche einer grünen oder blumigen Wieſe, während dem beobachtenden Botaniker ein unendliches Detail der verſchiedenartigſten einzelnen Pflänzchen und Gräſer in die Augen fällt.

Doch hat Alles ſein Maß und Ziel, und wie es ſchon in meinem Götz heißt, daß das Söhnlein vor lauter Gelehrſamkeit ſeinen eigenen Vater nicht erkennt, ſo ſtoßen wir auch in der Wiſſenſchaft auf Leute, die vor lauter Gelehrſamkeit und Hypotheſen nicht mehr zum Sehen und Hören kommen. Es geht bei ſolchen Leuten Alles raſch nach Innen; ſie ſind von dem, was ſie in ſich herumwälzen, ſo occupirt, daß es ihnen geht wie einem Menſchen in Leidenſchaft, der in der Straße ſeinen liebſten Freunden vorbeirennt, ohne ſie zu ſehen. Es gehört zur Naturbeobachtung eine gewiſſe ruhige Reinheit des Innern, das von gar nichts geſtört und54 präoccupirt iſt. Dem Kinde entgeht der Käfer an der Blume nicht, es hat alle ſeine Sinne für ein ein¬ ziges einfaches Intereſſe beiſammen, und es fällt ihm durchaus nicht ein, daß zu gleicher Zeit etwa auch in der Bildung der Wolken ſich etwas Merkwürdiges ereignen könne, um ſeine Blicke zugleich auch dorthin zu wenden.

Da könnten alſo, erwiederte ich, die Kinder und ihres Gleichen recht gute Handlanger in der Wiſſen¬ ſchaft abgeben.

Wollte Gott, fiel Goethe ein, wir wären Alle nichts weiter, als gute Handlanger. Eben weil wir mehr ſeyn wollen und überall einen großen Apparat von Philoſophie und Hypotheſen mit uns herumführen, verderben wir es.

Es entſtand eine Pauſe im Geſpräch, die Riemer unterbrach, indem er den Lord Byron und deſſen Tod zur Erwähnung brachte. Goethe machte darauf eine glänzende Auseinanderſetzung ſeiner Schriften und war voll des höchſten Lobes und der reinſten Anerkennung. Uebrigens, fuhr er fort, obgleich Byron ſo jung geſtorben iſt, ſo hat doch die Literatur hinſichtlich einer gehinderten weiteren Ausdehnung nicht weſentlich ver¬ loren. Byron konnte gewiſſermaßen nicht weiter gehen. Er hatte den Gipfel ſeiner ſchöpferiſchen Kraft erreicht, und was er auch in der Folge noch gemacht haben würde, ſo hätte er doch die ſeinem Talent gezogenen55 Grenzen nicht erweitern können. In dem unbegreif¬ lichen Gedicht ſeines jüngſten Gerichts hat er das Aeußerſte gethan, was er zu thun fähig war.

Das Geſpräch lenkte ſich ſodann auf den italie¬ niſchen Dichter Torquato Taſſo, und wie ſich dieſer zu Lord Byron verhalte; wo denn Goethe die große Ueberlegenheit des Engländers an Geiſt, Welt und productiver Kraft nicht verhehlen konnte. Man darf, fügte er hinzu, beide Dichter nicht mit einander ver¬ gleichen, ohne den Einen durch den Andern zu vernichten. Byron iſt der brennende Dornſtrauch, der die heilige Ceder des Libanon in Aſche legt. Das große Epos des Italieners hat ſeinen Ruhm durch Jahrhunderte behauptet; aber mit einer einzigen Zeile des Don Juan könnte man das ganze Befreite Jeruſalem vergiften.

Ich nahm heute Abſchied von Goethe, um meine Lieben in Hannover und ſodann den Rhein zu beſuchen, wie es längſt meine Abſicht geweſen. Goethe war ſehr herzlich und ſchloß mich in ſeine Arme. Wenn Sie in Hannover bei Rehberg's, ſagte er, vielleicht meine alte Jugendfreundin, Charlotte Keſtner, ſehen, ſo ſagen Sie ihr Gutes von mir. In Frankfurt werde ich Sie meinen Freunden Willemers, dem Grafen Reinhardt - und Schloſſer's empfehlen. Auch ins56 Heidelberg und Bonn finden Sie Freunde, die mir treu ergeben ſind und bei denen Sie die beſte Auf¬ nahme finden werden. Ich hatte vor, dieſen Sommer wieder einige Zeit in Marienbad zuzubringen, doch werde ich nicht eher gehen als bis Sie zurück ſind.

Der Abſchied von Goethe ward mir ſchwer; doch ging ich mit der feſten Zuverſicht, ihn nach zwei Monaten geſund und froh wiederzuſehen.

Indeß war ich am andern Tage glücklich, als der Wagen mich meiner lieben Hannover'ſchen Heimath ent¬ gegen führte, nach der meine innigſte Sehnſucht fort¬ während gerichtet iſt.

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1825.

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Dieſe Nacht, bald nach zwölf Uhr, wurden wir durch Feuerlärm geweckt; man rief: es brenne im Theater! Ich warf mich ſogleich in meine Kleider und eilte an Ort und Stelle. Die allgemeine Be¬ ſtürzung war groß. Noch vor wenigen Stunden waren wir durch das treffliche Spiel von La Roche im Juden von Cumberland entzückt worden und Seidel hatte durch gute Laune und Späße allgemeines Lachen erregt. Und jetzt raſ'te an dieſer ſelbigen Stelle kaum genoſſener geiſtiger Freuden das ſchrecklichſte Element der Vernichtung.

Das Feuer ſchien, durch Heitzung veranlaßt, im Parterre ausgebrochen zu ſeyn, hatte bald die Bühne und das dürre Lattenwerk der Conliſſen ergriffen, und ſo, durch die reichlichſte Nahrung brennbarer Stoffe ſchnell zum Ungeheuer erwachſen, dauerte es nicht lange, bis die Flamme überall zum Dache herausſchlug und die Sparren zuſammenkrachten.

In den Anſtalten zum Löſchen war kein Mangel. Das Gebäude war nach und nach ganz mit Spritzen umſtellt, die eine Unmaſſe von Waſſer in die Gluth60 goſſen. Allein es war Alles ohne Erfolg. Die Flamme raſ'te nach wie vor aufwärts und trieb unerſchöpflich eine Maſſe glühender Funken und brennende Stücke leichter Stoffe gegen den dunkelen Himmel, die ſodann mit geringem Lufthauche ſeitwärts über die Stadt zogen. Der Lärm und das Rufen und Schreien der an den Feuerleitern und Spritzen arbeitenden Menſchen¬ maſſe war groß. Alle Kräfte waren in Aufregung, man ſchien mit Gewalt ſiegen zu wollen. Ein wenig ſeitwärts, ſo nahe die Gluth es erlaubte, ſtand ein Mann im Mantel und Militair-Mütze, in der ruhigſten Faſſung eine Cigarre rauchend. Er ſchien beim erſten Anblick ein müßiger Zuſchauer zu ſeyn; allein er war es nicht. Perſonen gingen von ihm aus, denen er mit wenigen Worten Befehle ertheilte, die ſogleich vollzogen wurden. Es war der Großherzog Carl Auguſt. Er hatte bald geſehen, daß das Gebäude ſelbſt nicht zu retten war; er befahl daher, es in ſich zuſammenzuſtürzen und alle nur entbehrlichen Spritzen gegen die Nachbarhäuſer zu wenden, die von der nahen Gluth ſehr zu leiden hatten. Er ſchien in fürſtlicher Reſignation zu denken:

Das brenne nieder!
Schöner bau't ſich's wieder auf.

Er hatte nicht Unrecht. Das Theater war alt, keineswegs ſchön, und lange nicht geräumig genug, um ein ſich mit jedem Jahre vergrößerndes Publicum zu61 faſſen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade dieſes Gebäude, an das ſich für Weimar ſo viele Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit knüpften, rettungslos verloren zu ſehen.

Ich ſah in ſchönen Augen viele Thränen, die ſeinem Untergange floſſen. Nicht weniger rührte mich ein Mitglied der Capelle. Er weinte um ſeine verbrannte Geige.

Als der Tag anbrach, ſah ich viele bleiche Geſichter. Ich bemerkte verſchiedene junge Mädchen und Frauen der höheren Stände, die den Verlauf des Brandes die ganze Nacht abgewartet hatten und nun in der kalten Morgenluft einiges Fröſteln verſpürten. Ich ging nach Hauſe, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des Vormittags zu Goethe.

Der Bediente ſagte mir, er ſey unwohl und im Bette. Doch ließ Goethe mich in ſeine Nähe rufen. Er ſtreckte mir ſeine Hand entgegen. Wir haben Alle verloren, ſagte er, allein was iſt zu thun! Mein Wölfchen kam dieſen Morgen früh an mein Bette. Er faßte meine Hand, und indem er mich mit großen Augen anſah, ſagte er: So geht's den Menſchen! Was läßt ſich weiter ſagen, als dieſes Wort meines lieben Wolf, womit er mich zu tröſten ſuchte. Der Schauplatz meiner faſt dreißigjährigen liebevollen Mühe liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf ſagt: So geht's den Menſchen! Ich habe die ganze62 Nacht wenig geſchlafen; ich ſah aus meinen vorderen Fenſtern die Flamme unaufhörlich gegen den Himmel ſteigen. Sie mögen denken, daß mir mancher Gedanke an die alten Zeiten, an meine vieljährigen Wirkungen mit Schiller, und an das Herankommen und Wachſen manches lieben Zöglings durch die Seele gegangen iſt und daß ich nicht ohne einige innere Bewegung davon gekommen bin. Ich denke mich daher heute auch ganz weislich zu Bette zu halten.

Ich lobte ihn wegen ſeiner Vorſicht. Doch ſchien er mir nicht im Geringſten ſchwach und angegriffen, vielmehr ganz behaglich und heiterer Seele. Es ſchien mir vielmehr dieſes im Bette Liegen eine alte Kriegsliſt zu ſeyn, die er bei irgend einem außerordentlichen Ereigniß anzuwenden pflegt, wo er den Zudrang vieler Beſuche fürchtet.

Goethe bat mich, auf einem Stuhl vor ſeinem Bette Platz zu nehmen und ein wenig dazubleiben. Ich habe viel an Euch gedacht und Euch bedauert, ſagte er. Was wollt Ihr nun mit Euren Abenden anfan¬ gen!

Sie wiſſen, erwiederte ich, wie leidenſchaftlich ich das Theater liebe. Als ich vor zwei Jahren hierher kam, kannte ich, außer drei bis vier Stücken, die ich in Hannover geſehen, ſo gut wie gar nichts. Nun war mir Alles neu, Perſonal wie Stücke; und da ich nun nach Ihrem Rath mich ganz den Eindrücken der Gegen¬63 ſtände hingab, ohne darüber viel denken und reflectiren zu wollen, ſo kann ich in Wahrheit ſagen, daß ich dieſe beiden Winter im Theater die harmloſeſten, lieblichſten Stunden verlebt habe, die mir je zu Theil geworden. Auch war ich in das Theater ſo vernarrt, daß ich nicht allein keine Vorſtellung verſäumte, ſondern mir auch Zutritt zu den Proben verſchaffte; ja, auch damit noch nicht zufrieden, konnte ich wohl am Tage, wenn ich im Vorbeigehen zufällig die Thüren offen fand, mich halbe Stunden lang auf die leeren Bänke des Parterr's ſetzen und mir Scenen imaginiren, die man etwa jetzt ſpielen könnte.

Ihr ſeid eben ein verrückter Menſch, erwiederte Goethe lachend; aber ſo hab 'ich's gerne. Wollte Gott, das ganze Publicum beſtände aus ſolchen Kindern! Und im Grunde habt Ihr Recht, es iſt was. Wer nicht ganz verwöhnt und hinlänglich jung iſt, findet nicht leicht einen Ort, wo es ihm ſo wohl ſein könnte, als im Theater. Man macht an Euch gar keine An¬ ſprüche; Ihr braucht den Mund nicht aufzuthun, wenn Ihr nicht wollt, vielmehr ſitzt Ihr im völligen Behagen wie ein König und laßt Euch Alles bequem vorführen und Euch Geiſt und Sinne tractiren, wie Ihr es nur wün¬ ſchen könnt. Da iſt Poeſie, da iſt Malerei, da iſt Geſang und Muſik, da iſt Schauſpielkunſt, und was nicht noch Alles! Wenn alle dieſe Künſte und Reize von Jugend und Schönheit an einem einzigen Abend,64 und zwar auf bedeutender Stufe, zuſammenwirken, ſo giebt es ein Feſt, das mit keinem andern zu vergleichen. Wäre aber auch Einiges ſchlecht und nur Einiges gut, ſo iſt es immer noch mehr, als ob man zum Fenſter hinaus ſähe, oder in irgend einer geſchloſſenen Geſellſchaft beim Dampf von Cigarren eine Partie Whiſt ſpielte. Das Weimar'ſche Theater iſt, wie Sie fühlen, noch keineswegs zu verachten; es iſt immer noch ein alter Stamm aus unſerer beſten Zeit da, dem ſich neuere friſche Talente zugebildet haben, und wir können immer noch etwas produciren, das reizt und gefällt und wenig¬ ſtens den Schein eines Ganzen bietet.

Ich hätte es vor zwanzig, dreißig Jahren ſehen mögen! verſetzte ich.

Das war freilich eine Zeit, erwiederte Goethe, die uns mit großen Avantagen zu Hülfe kam. Denken Sie ſich, daß die langweilige Periode des franzöſiſchen Geſchmackes damals noch nicht gar lange vorbei und das Publicum noch keineswegs überreizt war, daß Shakſpeare noch in ſeiner erſten Friſche wirkte, daß die Opern von Mozart jung, und endlich, daß die Schiller¬ ſchen Stücke erſt von Jahr zu Jahr hier entſtanden und auf dem Weimar'ſchen Theater, durch ihn ſelber einſtudirt, in ihrer erſten Glorie gegeben wurden, und Sie können ſich vorſtellen, daß mit ſolchen Gerichten Alte und Junge zu tractiren waren und daß wir immer ein dankbares Publicum hatten.

65

Aeltere Perſonen, bemerkte ich, die jene Zeit erlebt haben, können mir nicht genug rühmen, auf welcher Höhe das Weimar'ſche Theater damals geſtanden.

Ich will nicht läugnen, erwiederte Goethe, es war etwas. Die Hauptſache aber war dieſes, daß der Großherzog mir die Hände durchaus frei ließ und ich ſchalten und machen konnte, wie ich wollte. Ich ſah nicht auf prächtige Decorationen und eine glänzende Garderobe, aber ich ſah auf gute Stücke. Von der Tragödie bis zur Poſſe, mir war jedes Genre recht; aber ein Stück mußte etwas ſeyn, um Gnade zu finden. Es mußte groß und tüchtig, heiter und graziös, auf alle Fälle aber geſund ſeyn und einen gewiſſen Kern haben. Alles Krankhafte, Schwache, Weinerliche und Sentimentale, ſowie alles Schreckliche, Gräuelhafte und die gute Sitte Verletzende war ein - für allemal ausgeſchloſſen; ich hätte gefürchtet, Schauſpieler und Publicum damit zu verderben.

Durch die guten Stücke aber hob ich die Schau¬ ſpieler. Denn das Studium des Vortrefflichen und die fortwährende Ausübung des Vortrefflichen mußte noth¬ wendig aus einem Menſchen, den die Natur nicht im Stich gelaſſen, etwas machen. Auch war ich mit den Schauſpielern in beſtändiger perſönlicher Berührung. Ich leitete die Leſeproben und machte Jedem ſeine Rolle deutlich; ich war bei den Hauptproben gegen¬ wärtig und beſprach mit ihnen, wie etwas beſſer zuIII. 566thun; ich fehlte nicht bei den Vorſtellungen und bemerkte am andern Tage Alles, was mir nicht recht erſchienen.

Dadurch brachte ich ſie in ihrer Kunſt weiter. Aber ich ſuchte auch den ganzen Stand in der äußern Achtung zu heben, indem ich die Beſten und Hoffnungs¬ vollſten in meine Kreiſe zog und dadurch der Welt zeigte, daß ich ſie eines geſelligen Verkehrs mit mir werth achtete. Hierdurch geſchah aber, daß auch die übrige höhere Weimar'ſche Geſellſchaft hinter mir nicht zurückblieb und daß Schauſpieler und Schau¬ ſpielerinnen in die beſten Zirkel bald einen ehrenvollen Zutritt gewannen. Durch Alles mußte für ſie eine große innere wie äußere Cultur hervorgehen. Mein Schüler Wolf in Berlin, ſowie unſer Dürand, ſind Leute von dem feinſten geſelligen Tact. Herr Oels und Graff haben hinreichende höhere Bildung, um der beſten Geſellſchaft Ehre zu machen.

Schiller verfuhr in demſelbigen Sinne, wie ich. Er verkehrte mit Schauſpielern und Schauſpielerinnen ſehr viel. Er war gleich mir bei allen Proben gegen¬ wärtig, und nach jeder gelungenen Vorſtellung von einem ſeiner Stücke pflegte er ſie zu ſich einzuladen und ſich mit ihnen einen guten Tag zu machen. Man freuete ſich gemeinſam an dem, was gelungen, und beſprach ſich über das, was etwa das nächſtemal beſſer zu thun ſey. Aber ſchon als Schiller bei uns eintrat, fand er Schauſpieler wie Publicum bereits im67 hohen Grade gebildet vor und es iſt nicht zu leugnen, daß es dem raſchen Erfolg ſeiner Stücke zu Gute kam.

Es machte mir viele Freude, Goethe ſo ausführlich über einen Gegenſtand ſprechen zu hören, der für mich immer ein großes Intereſſe hatte und der beſonders durch das Unglück dieſer Nacht bei mir obenauf war.

Der heutige Brand des Hauſes, ſagte ich, in welchem Sie und Schiller eine lange Reihe von Jahren ſo viel Gutes gewirkt, beſchließt gewiſſermaßen auch äußerlich eine große Epoche, die für Weimar ſo bald nicht zurück¬ kommen dürfte. Sie müſſen doch in jener Zeit bei Ihrer Leitung des Theaters und bei dem außerordent¬ lichen Erfolg den es hatte, viele Freude erlebt haben!

Auch nicht geringe Laſt und Noth! erwiederte Goethe mit einem Seufzer.

Es mag ſchwer ſeyn, ſagte ich, ein ſo vielköpfiges Weſen in gehöriger Ordnung zu halten.

Sehr viel, erwiederte Goethe, iſt zu erreichen durch Strenge, mehr durch Liebe. Das Meiſte aber durch Einſicht und eine unparteiiſche Gerechtigkeit, bei der kein Anſehen der Perſon gilt.

Ich hatte mich vor zwei Feinden zu hüten, die mir hätten gefährlich werden können. Das Eine war meine leidenſchaftliche Liebe des Talents, das leicht in den Fall kommen konnte, mich parteiiſch zu machen. Das Andere will ich nicht ausſprechen, aber Sie werden es errathen. Es fehlte bei unſerm Theater nicht an5*68Frauenzimmern, die ſchön und jung und dabei von großer Anmuth der Seele waren. Ich fühlte mich zu Mancher leidenſchaftlich hingezogen; auch fehlte es nicht, daß man mir auf halbem Wege entgegenkam. Allein ich faßte mich und ſagte: Nicht weiter! Ich kannte meine Stellung und wußte, was ich ihr ſchuldig war. Ich ſtand hier nicht als Privatmann, ſondern als Chef einer Anſtalt, deren Gedeihen mir mehr galt, als mein augenblickliches Glück. Hätte ich mich in irgend einen Liebeshandel eingelaſſen, ſo würde ich geworden ſeyn wie ein Compaß, der unmöglich recht zeigen kann, wenn er einen einwirkenden Magnet an ſeiner Seite hat.

Dadurch aber, daß ich mich durchaus rein erhielt und immer Herr meiner Selbſt blieb, blieb ich auch Herr des Theaters, und es fehlte mir nie die nöthige Achtung, ohne welche jede Autorität ſehr bald dahin iſt.

Dieſes Bekenntniß Goethe's war mir ſehr merk¬ würdig. Ich hatte bereits von Andern etwas Aehn¬ liches über ihn vernommen und freuete mich, jetzt aus ſeinem eigenen Munde die Beſtätigung zu hören. Ich liebte ihn mehr als je, und verließ ihn mit einem herz¬ lichen Händedruck.

Ich ging nach der Brandſtelle zurück, wo aus dem großen Trümmerhaufen noch Flammen und Qualm¬ ſäulen emporſtiegen. Man war noch fortwährend mit Löſchen und Auseinanderzerren beſchäftigt. Ich fand69 in der Nähe angebrannte Stücke einer geſchriebenen Rolle. Es waren Stellen aus Goethe's Taſſo.

Bei Goethe zu Tiſch. Der Verluſt des Theaters bildete faſt den ausſchließlichen Gegenſtand des Ge¬ ſprächs. Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike lebten in Erinnerung glücklicher Stunden, die ſie in dem alten Hauſe genoſſen. Sie hatten ſich aus dem Schutt einige Reliquien geſucht, die ſie für unſchätzbar hielten; es war aber am Ende weiter nichts, als einige Steine und angebrannte Stücke einer Tapete. Aber dieſe Stücke ſollten gerade von der Stelle ſeyn, wo ſie auf dem Balcon ihre Plätze gehabt!

Die Hauptſache iſt, ſagte Goethe, daß man ſich ſchnell faſſe und ſich ſo ſchnell als möglich wieder einrichte. Ich würde ſchon in nächſter Woche wieder ſpielen laſſen. Im Fürſtenhauſe, oder im großen Saale des Stadthauſes, gleichviel. Nur darf keine zu lange Pauſe eintreten, damit das Publicum für ſeine lang¬ weiligen Abende ſich nicht erſt andere Reſſourcen ſuche.

Aber von Decorationen iſt ja ſo gut wie gar nichts gerettet! bemerkte man.

Es bedarf keiner vielen Decorationen, erwiederte Goethe. Auch bedarf es keiner großen Stücke. Auch iſt gar nicht nöthig, daß man ein Ganzes gebe, noch weniger ein großes Ganze. Die Hauptſache iſt, daß70 man Sachen wähle, bei denen kein großer Ortswechſel ſtattfindet. Irgend ein einactiges Luſtſpiel, oder eine einactige Poſſe oder Operette. Dann irgend eine Arie, irgend ein Duett, irgend ein Finale einer beliebten Oper, und Ihr werdet ſchon ganz paſſabel zufrieden ſeyn. Es iſt nur, daß der April leidlich vorüber gehe, im May habt Ihr ſchon die Sänger des Waldes.

Indeſſen, fuhr Goethe fort, werdet Ihr das Schauſpiel haben, im Laufe der Sommermonate ein neues Haus hervorſteigen zu ſehen. Dieſer Brand iſt mir ſehr merkwürdig. Ich will Euch nur verrathen, daß ich die langen Abendſtunden des Winters mich mit Coudray beſchäftigt habe, den Riß eines für Weimar paſſenden neuen ſchönen Theaters zu machen. Wir hatten uns von einigen der vorzüglichſten deutſchen Theater Grund - und Durchſchnitts-Riſſe kommen laſſen, und indem wir daraus das Beſte benutzten und das uns fehlerhaft Scheinende vermieden, haben wir einen Riß zu Stande gebracht, der ſich wird können ſehen laſſen. Sobald der Großherzog ihn genehmigt, kann mit dem Bau begonnen werden, und es iſt keine Klei¬ nigkeit, daß dieſes Unheil uns ſehr merkwürdigerweiſe ſo durchaus vorbereitet findet.

Wir begrüßten dieſe Nachricht Goethe's mit großer Freude.

In dem alten Hauſe, fuhr Goethe fort, war für71 den Adel geſorgt durch den Balcon, und für die dienende Klaſſe und jungen Handwerker durch die Gallerie. Die große Zahl des wohlhabenden und vornehmen Mittel¬ ſtandes aber war oft übel daran; denn wenn bei gewiſſen Stücken das Parterre durch die Studenten eingenommen war, ſo wußten Jene nicht, wohin. Die paar kleinen Logen hinter dem Parterre und die wenigen Bänke des Parkets waren nicht hinreichend. Jetzt haben wir beſſer geſorgt. Wir laſſen eine ganze Reihe Logen um das Parterre laufen und bringen zwiſchen Balcon und Gallerie noch eine Reihe Logen zweiten Ranges. Dadurch gewinnen wir ſehr viel Platz, ohne das Haus ſonderlich zu vergrößern.

Wir freueten uns dieſer Nachricht und lobten Goethe, daß er es ſo gut mit dem Theater und Publicum im Sinne habe.

Um auch meinerſeits für das hübſche künftige Theater etwas zu thun, ging ich nach Tiſch mit meinem Freunde Robert Doolan nach Oberweimar, wo wir in der dor¬ tigen Schenke bei einer Taſſe Caffee anfingen, nach der Iſſipile des Metaſtaſio einen Operntext zu bilden. Unſer Erſtes war, vor allen Dingen den Comödien¬ zettel zu ſchreiben und das Stück mit den beliebteſten Sängern und Sängerinnen des Weimar'ſchen Theaters zu beſetzen. Große Freude machte uns dieß. Es war faſt, als ſäßen wir ſchon wieder vor dem Orcheſter. 72Dann fingen wir wirklich in allem Ernſte an und vollendeten einen großen Theil des erſten Actes.

Bei Goethe zu Tiſch in größerer Geſellſchaft. Er zeigte uns den Riß des neuen Theaters. Er war ſo wie er uns vor einigen Tagen geſagt hatte; der Riß verſprach ſowohl für das Aeußere als das Innere ein ſehr ſchönes Haus.

Es ward bemerkt, daß ein ſo hübſches Theater auch ſchöne Decorationen und beſſere Anzüge als bisher verlange. Auch war man der Meinung, daß auch das Perſonal anfange, nach und nach lückenhaft zu werden, und daß ſowohl für das Schauſpiel als die Oper einige ausgezeichnete junge Mitglieder müßten engagirt werden. Zugleich aber verhehlte man ſich nicht, daß alles dieſes mit einem bedeutenden Koſtenaufwande verbunden ſey, wozu die bisherigen Mittel der Caſſe nicht reichen dürften.

Ich weiß recht gut, fiel Goethe ein, man wird, unter dem Vorwand die Caſſe zu ſchonen, einige Per¬ ſönchen engagiren, die nicht viel koſten. Aber man denke nur nicht mit ſolchen Maßregeln der Caſſe zu nützen. Nichts ſchadet der Caſſe mehr, als in ſolchen weſentlichen Dingen ſparen zu wollen. Man muß daran denken, jeden Abend ein volles Haus zu bekommen. Und da thut ein junger Sänger, eine junge Sängerin,73 ein tüchtiger Held und eine tüchtige junge Heldin von ausgezeichnetem Talent und einiger Schönheit ſehr viel. Ja, ſtände ich noch an der Spitze der Leitung, ich würde jetzt zum Beſten der Caſſe noch einen Schritt weiter gehen, und Ihr ſolltet erfahren, daß mir das nöthige Geld nicht ausbliebe.

Man fragte Goethe, was er zu thun im Sinne habe.

Ein ganz einfaches Mittel würde ich anwenden, erwiederte er. Ich würde auch die Sonntage ſpielen laſſen. Dadurch hätte ich die Einnahme von wenig¬ ſtens vierzig Theaterabenden mehr, und es müßte ſchlimm ſeyn, wenn die Caſſe dabei nicht jährlich zehn bis funfzehn Tauſend Thaler gewinnen ſollte.

Dieſen Ausweg fand man ſehr praktiſch. Es kam zur Erwähnung, daß die große arbeitende Klaſſe, die an den Wochentagen gewöhnlich bis ſpät in die Nacht beſchäftiget ſey, den Sonntag als einzigen Erholungs¬ tag habe, wo ſie denn das edlere Vergnügen des Schauſpiels dem Tanz und Bier in einer Dorfſchenke ſicher vorziehen würde. Auch war man der Meinung, daß ſämmtliche Pächter und Gutsbeſitzer, ſowie die Beam¬ ten und wohlhabenden Einwohner der kleinen Städte in der Umgegend, den Sonntag als einen erwünſchten Tag anſehen würden, um in das Weimar'ſche Theater zu fahren. Auch ſey bisher der Sonntagabend in Weimar für Jeden, der nicht an Hof gehe, oder nicht74 Mitglied eines glücklichen Familienkreiſes oder einer geſchloſſenen Geſellſchaft ſey, ſehr ſchlimm und langwei¬ lig; denn der Einzelne wiſſe nicht wohin. Und doch mache man Anſprüche, als müſſe am Abend eines Sonn¬ tags ſich irgend ein Ort finden laſſen, wo es Einem wohl ſey und man die Plage der Woche vergeſſe.

Goethe's Gedanke, auch die Sonntage ſpielen zu laſſen, wie es in den übrigen deutſchen Städten üblich, fand alſo die vollkommenſte Zuſtimmung und ward als ein ſehr glücklicher begrüßt. Nur erhob ſich ein leiſer Zweifel, ob es auch dem Hofe recht ſeyn würde.

Der Weimar'ſche Hof, erwiederte Goethe, iſt zu gut und weiſe, als daß er eine Maßregel hindern ſollte, die zum Wohl der Stadt und einer bedeutenden Anſtalt gereicht. Der Hof wird gewiß gern das kleine Opfer bringen und ſeine Sonntags-Soiréen auf einen anderen Tag verlegen. Wäre dieß aber nicht annehm¬ lich, ſo gäbe es ja für die Sonntage Stücke genug, die der Hof ohnedieß nicht gerne ſieht, die aber für das eigentliche Volk durchaus geeignet ſind und ganz trefflich die Caſſe füllen.

Das Geſpräch wendete ſich auf die Schauſpieler und es ward über den Gebrauch und Mißbrauch ihrer Kräfte ſehr viel hin und wieder geredet.

Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, als Hauptſache gefunden, daß man nie ein Stück oder gar eine Oper einſtudiren laſſen ſolle, wovon man75 nicht einen guten Succeß auf Jahre hin mit einiger Beſtimmtheit vorausſieht. Niemand bedenkt hinreichend das Aufgebot von Kräften, die das Einſtudiren eines fünfactigen Stückes oder gar einer Oper von gleicher Länge in Anſpruch nimmt. Ja, Ihr Lieben, es gehört viel dazu, ehe ein Sänger eine Partie durch alle Scenen und Acte durchaus inne habe, und ſehr viel, ehe die Chöre gehen, wie ſie gehen müſſen. Es kann mich gelegentlich ein Grauen überfallen, wenn ich höre, wie leichtſinnig man oft den Befehl zum Einſtudiren einer Oper giebt, von deren Succeß man eigentlich nichts weiß und wovon man nur durch einige ſehr unſichere Zeitungsnachrichten gehört hat. Da wir in Deutſchland ſchon ganz leidliche Poſten beſitzen, ja ſogar anfangen Schnellpoſten zu bekommen, ſo würde ich bei der Nachricht von irgend einer auswärts gege¬ benen und geprieſenen neuen Oper den Regiſſeur oder ein anderes zuverläſſiges Mitglied der Bühne an Ort und Stelle ſchicken, damit er ſich durch ſeine perſönliche Gegenwart bei einer wirklichen Aufführung überzeuge, inwiefern die geprieſene neue Oper gut und tüchtig, und inwiefern unſere Kräfte dazu hinreichen oder nicht. Die Koſten einer ſolchen Reiſe kommen gar nicht in Betracht in Vergleich der enormen Vortheile, die da¬ durch erreicht, und der unſeligen Mißgriffe, die dadurch verhütet werden.

Und dann, iſt einmal ein gutes Stück oder eine76 gute Oper einſtudirt, ſo ſoll man ſie in kurzen Zwiſchen¬ pauſen ſo lange hintereinander geben, als ſie irgend zieht und irgend das Haus füllet. Daſſelbe gilt von einem guten älteren Stück oder einer guten älteren Oper, die vielleicht ſeit Jahr und Tag geruhet hat und nun gleichfalls eines nicht geringen erneueten Studiums bedurfte, um wieder mit Succeß gegeben werden zu können. Eine ſolche Vorſtellung ſoll man in kurzen Zwiſchenpauſen gleichfalls ſo oft wiederholen, als das Publicum irgend ſein Intereſſe daran zu er¬ kennen giebt. Die Sucht, immer etwas Neues haben und ein mit unſäglicher Mühe einſtudirtes gutes Stück oder Oper nur einmal, höchſtens zweimal ſehen zu wollen, oder auch zwiſchen ſolchen Wiederholungen lange Zeiträume von ſechs bis acht Wochen verſtreichen zu laſſen, wo denn immer wieder ein neues Studium nöthig wird, iſt ein wahrer Verderb des Theaters und ein Mißbrauch der Kräfte des ausübenden Perſonals, der gar nicht zu verzeihen iſt.

Goethe ſchien dieſe Angelegenheit ſo wichtig zu halten und ſie ſchien ihm ſo ſehr am Herzen zu liegen, daß er darüber in eine Wärme gerieth, wie ſie ihn bei ſeiner großen Ruhe ſelten anwandelt.

In Italien, fuhr Goethe fort, giebt man eine und dieſelbige Oper vier bis ſechs Wochen lang jeden Abend und die italieniſchen großen Kinder verlangen darin keineswegs eine Aenderung. Der gebildete Pariſer77 ſieht die claſſiſchen Stücke ſeiner großen Dichter ſo oft, daß er ſie auswendig weiß und für die Betonung einer jeden Sylbe ein geübtes Ohr hat. Hier in Weimar hat man mir wohl die Ehre erzeigt, meine Iphigenie und meinen Taſſo zu geben; allein wie oft? Kaum alle drei bis vier Jahre einmal. Das Publicum findet ſie langweilig. Sehr begreiflich! Die Schauſpieler ſind nicht geübt, die Stücke zu ſpielen, und das Publi¬ cum iſt nicht geübt, ſie zu hören. Würden die Schau¬ ſpieler durch öftere Wiederholung ſich in ihre Rollen ſo hineinſpielen, daß die Darſtellung ein Leben gewönne, als wäre es nicht eingelernt, ſondern als entquölle Alles aus ihrem eigenen Herzen, ſo würde das Publicum ſicher auch nicht ohne Intereſſe und ohne Empfindung bleiben.

Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als ſey es möglich, ein deutſches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich ſelber dazu beitragen und als könne ich zu einem ſolchen Bau einige Grundſteine legen. Ich ſchrieb meine Iphigenie und meinen Taſſo und dachte in kindiſcher Hoffnung, ſo würde es gehen. Allein es regte ſich nicht und rührte ſich nicht und blieb Alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, ſo würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Taſſo geſchrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie geſagt, es fehlten die Schauſpieler, um dergleichen78 mit Geiſt und Leben darzuſtellen, und es fehlte das Publicum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen.

Abends großer Thee bei Goethe, wo ich außer den hieſigen jungen Engländern auch einen jungen Ameri¬ kaner fand. Auch hatte ich die Freude, Gräfin Julie von Egloffſtein zu ſehen und mit ihr allerlei gute Unterhaltung zu führen.

Man hatte Goethe's Rath befolgt und ſpielte heute Abend zuerſt im großen Saale des Stadthauſes, und zwar gab man kleine Sachen und Bruchſtücke, wie das beſchränkte Local und der Mangel an Decorationen es bedingte. Die kleine Oper, das Hausgeſinde, gelang vollkommen ſo gut, wie im Theater. Sodann ein belieb¬ tes Quartett aus der Oper Graf von Gleichen von Eberwein ward mit entſchiedenem Beifall aufgenommen. Unſer erſter Tenor, Herr Moltke, ſang darauf ein oft vernommenes Lied aus der Zauberflöte, worauf, nach einer Pauſe, das große Finale des erſten Actes von Don Juan mächtig eintrat und ſo dieſes heutige erſte Surrogat eines Abends im Theater grandios und wür¬ dig beſchloß.

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Bei Goethe zu Tiſch. Ich habe Euch die gute Nachricht zu vermelden, ſagte er, daß der Großherzog unſern Riß des neuen Theaters genehmigt hat und daß mit Legung des Grundes ungeſäumt begonnen wird.

Ich war über dieſe Eröffnung ſehr froh.

Wir hatten mit allerlei Gegenwirkungen zu kämpfen, fuhr Goethe fort, allein wir ſind zuletzt glücklich durch¬ gedrungen. Wir haben dabei ſehr viel dem Geheimen¬ rath Schweitzer zu verdanken, der, wie ſich von ihm erwarten ließ, mit tüchtiger Geſinnung treu auf unſerer Seite ſtand. Der Riß iſt vom Großherzog eigenhän¬ dig unterſchrieben und erleidet nunmehr keine weitere Aenderung. Freuet Euch alſo, denn Ihr bekommt ein ſehr gutes Theater.

Abends bei Goethe. Da unſere Geſpräche über Theater und Theaterleitung einmal an der Zeit waren, ſo fragte ich ihn, nach welchen Maximen er bei der Wahl eines neuen Mitglieds verfahren.

Ich könnte es kaum ſagen, erwiederte Goethe. Ich verfuhr ſehr verſchieden. Ging dem neuen Schauſpieler ein bedeutender Ruf voran, ſo ließ ich ihn ſpielen und ſah wie er ſich zu den Andern paſſe, ob ſeine Art und Weiſe unſer Enſemble nicht ſtöre, und ob durch ihn80 überhaupt bei uns eine Lücke ausgefüllt werde. War es aber ein junger Menſch, der zuvor noch keine Bühne betreten, ſo ſah ich zunächſt auf ſeine Perſönlichkeit, ob ihm etwas für ſich Einnehmendes, Anziehendes, inwohne, und vor allen Dingen, ob er ſich in der Gewalt habe. Denn ein Schauſpieler, der keine Selbſtbeherrſchung beſitzt und ſich einem Fremden gegenüber nicht ſo zeigen kann, wie er es für ſich am günſtigſten hält, hat über¬ haupt wenig Talent. Sein ganzes Metier verlangt ja ein fortwährendes Verläugnen ſeiner ſelbſt und ein fortwährendes Eingehen und Leben in einer fremden Maske!

Wenn mir nun ſein Aeußeres und ſein Benehmen gefiel, ſo ließ ich ihn leſen, um ſowohl die Kraft und den Umfang ſeines Organs, als auch die Fähigkeiten ſeiner Seele zu erfahren. Ich gab ihm etwas Erhabe¬ nes eines großen Dichters, um zu ſehen, ob er das wirklich Große zu empfinden und auszudrücken fähig; dann etwas Leidenſchaftliches, Wildes, um ſeine Kraft zu prüfen. Dann ging ich wohl zu etwas klar Ver¬ ſtändigem, Geiſtreichen, Ironiſchen, Witzigen über, um zu ſehen, wie er ſich bei ſolchen Dingen benehme und ob er hinlängliche Freiheit des Geiſtes beſitze. Dann gab ich ihm etwas, worin der Schmerz eines verwunde¬ ten Herzens, das Leiden einer großen Seele dargeſtellt war, damit ich erführe, ob er auch den Ausdruck des Rührenden in ſeiner Gewalt habe.

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Genügte er mir nun in allen dieſen mannigfaltigen Richtungen, ſo hatte ich gegründete Hoffnung, aus ihm einen ſehr bedeutenden Schauſpieler zu machen. War er in einigen Richtungen entſchieden beſſer, als in andern, ſo merkte ich mir das Fach, für welches er ſich vorzugs¬ weiſe eigne. Auch kannte ich jetzt ſeine ſchwachen Seiten und ſuchte bei ihm vor Allem dahin zu wirken, daß er dieſe ſtärke und ausbilde. Bemerkte ich Fehler des Dialekts und ſogenannte Provincialismen, ſo drang ich darauf, daß er ſie ablege, und empfahl ihm zu geſelligem Umgange und freundlicher Uebung ein Mitglied der Bühne, das davon durchaus frei war. Dann fragte ich ihn, ob er tanzen und fechten könne, und wenn dieſes nicht der Fall, ſo übergab ich ihn auf einige Zeit dem Tanz - und Fechtmeiſter.

War er nun ſo weit, um auftreten zu können, ſo gab ich ihm zunächſt ſolche Rollen, die ſeiner Indi¬ vidualität gemäß waren, und ich verlangte vorläufig nichts weiter, als daß er ſich ſelber ſpiele. Erſchien er mir nun etwas zu feuriger Natur, ſo gab ich ihm phleg¬ matiſche, erſchien er mir aber zu ruhig und langſam, ſo gab ich ihm feurige, raſche Charaktere, damit er lerne, ſich ſelber abzulegen und in eine fremde Perſönlichkeit einzugehen.

Die Unterhaltung wendete ſich auf die Beſetzung von Stücken, wobei Goethe unter Anderem Folgendes ausſprach, welches mir merkwürdig erſchien.

III. 682

Es iſt ein großer Irrthum, ſagte er, wenn man denkt, ein mittelmäßiges Stück auch mit mittelmäßigen Schauſpielern beſetzen zu können. Ein Stück zweiten, dritten Ranges kann durch Beſetzung mit Kräften erſten Ranges unglaublich gehoben und wirklich zu etwas Gu¬ tem werden. Wenn ich aber ein Stück zweiten, dritten Ranges auch mit Schauſpielern zweiten, dritten Ranges beſetze, ſo wundere man ſich nicht, wenn die Wirkung vollkommen null iſt.

Schauſpieler ſecondärer Art ſind ganz vortrefflich in großen Stücken. Sie wirken dann wie in einem Gemälde, wo die Figuren im Halbſchatten ganz herrliche Dienſte thun, um diejenigen, welche das volle Licht haben, noch mächtiger erſcheinen zu laſſen.

Bei Goethe zu Tiſch mit D'Alton, deſſen Bekannt¬ ſchaft ich vorigen Sommer in Bonn gemacht und welchen wiederzuſehen ich große Freude hatte. D'Alton iſt ganz ein Mann nach Goethe's Sinne; auch findet zwiſchen Beiden ein ſehr ſchönes Verhältniß ſtatt. In ſeiner Wiſſenſchaft erſcheint er von großer Bedeutung, ſo daß Goethe ſeine Aeußerungen werth hält und jedes ſeiner Worte beachtet. Dabei iſt D'Alton als Menſch liebens¬ würdig, geiſtreich, und von einer Redegabe und einer Fülle hervorquellender Gedanken, daß er wohl Wenige83 ſeines Gleichen hat, und man nicht ſatt wird ihm zu¬ zuhören.

Goethe, der in ſeinen Beſtrebungen, die Natur zu ergründen, gern das All umfaſſen möchte, ſteht gleich¬ wohl gegen jeden einzelnen Naturforſcher von Bedeu¬ tung, der ein ganzes Leben einer ſpeciellen Richtung widmet, im Nachtheil. Bei dieſem findet ſich die Be¬ herrſchung eines Reiches unendlichen Details, während Goethe mehr in der Anſchauung allgemeiner großer Geſetze lebt. Daher kommt nun, daß Goethe, der immer irgend einer großen Syntheſe auf der Spur iſt, dem aber, aus Mangel an Kenntniß der einzelnen Facta, die Beſtätigung ſeiner Ahnungen fehlt, mit ſo entſchiedener Liebe jedes Verhältniß zu bedeutenden Naturforſchern ergreift und feſthält. Denn bei ihnen findet er was ihm mangelt, bei ihnen findet er die Ergänzung deſſen, was bei ihm ſelber lückenhaft ge¬ blieben. Er wird nun in wenigen Jahren achtzig Jahre alt, aber des Forſchens und Erfahrens wird er nicht ſatt. In keiner ſeiner Richtungen iſt er fertig und abgethan; er will immer weiter, immer weiter! immer lernen, immer lernen! und zeigt ſich eben dadurch als ein Menſch von einer ewigen, ganz unverwüſtlichen Jugend.

Dieſe Betrachtungen wurden bei mir dieſen Mittag bei ſeiner lebhaften Unterhaltung mit D'Alton ange¬ regt. D'Alton ſprach über die Nagethiere und die Bildungen und Modificationen ihrer Skelette, und6 *84Goethe konnte nicht ſatt werden, immer noch mehr einzelne Facta zu vernehmen.

Gegen Abend zu Goethe, der mich zu einer Spazier¬ fahrt in den untern Garten hatte einladen laſſen. Ehe wir fahren, ſagte er, will ich Ihnen doch einen Brief von Zelter geben, den ich geſtern erhalten, und worin er auch unſere Theaterangelegenheit berührt.

Daß Du der Mann nicht biſt, ſchreibt Zelter unter Anderem, dem Volk in Weimar ein Theater zu bauen, hätte ich Dir ſchon eher angeſehen. Wer ſich grün macht, den freſſen die Ziegen. Das möchten nur auch andere Hoheiten bedenken, die den Wein in der Gohre pfropfen wollen. Freunde, wir habens erlebt, ja erleben es.

Goethe ſah mich an und wir lachten. Zelter iſt brav und tüchtig, ſagte er, aber er kommt mitunter in den Fall, mich nicht ganz zu verſtehen und meinen Worten eine falſche Auslegung zu geben.

Ich habe dem Volk und deſſen Bildung mein gan¬ zes Leben gewidmet, warum ſollte ich ihm nicht auch ein Theater bauen! Allein hier in Weimar, in dieſer kleinen Reſidenz, die, wie man ſcherzhafterweiſe ſagt, zehntauſend Poeten und einige Einwohner hat, wie kann da viel von Volk die Rede ſeyn, und nun gar von einem Volks-Theater! Weimar wird ohne85 Zweifel einmal eine recht große Stadt werden, allein wir können immer noch einige Jahrhunderte warten, bis das Weimar'ſche Volk eine hinlängliche Maſſe bildet, um ein Theater bauen und erhalten zu können.

Es war indeſſen angeſpannt und wir fuhren in den untern Garten. Der Abend war ſtill und milde, faſt etwas ſchwül, und es zeigten ſich große Wolken, die ſich gewitterhaft zu Maſſen zuſammenzogen. Wir gingen in dem trockenen Sandwege auf und ab, Goethe ſtill neben mir, ſcheinbar von allerlei Gedanken bewegt. Ich horchte indeß auf die Töne der Amſel und Droſſel, die auf den Spitzen der noch unbelaubten Eſchen jenſeit der Ilm dem ſich bildenden Gewitter entgegen ſangen.

Goethe ließ ſeine Blicke umherſchweifen, bald an den Wolken, bald über das Grün hin, das überall an den Seiten des Weges und auf der Wieſe, wie an Bü¬ ſchen und Hecken, mächtig hervorquoll. Ein warmer Gewitterregen, wie der Abend es verſpricht, ſagte er, und der Frühling wird in der ganzen Pracht und Fülle abermals wieder daſeyn.

Indeſſen ward das Gewölk drohender, man hörte ein dumpfes Donnern, auch einige Tropfen fielen, und Goethe fand es gerathen, wieder in die Stadt zurückzu¬ fahren. Wenn Sie nichts vorhaben, ſagte er, als wir an ſeiner Wohnung abſtiegen, ſo gehen Sie wohl mit hinauf und bleiben noch ein Stündchen bei mir. Wel¬ ches denn mit großer Freude von mir geſchah.

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Zelter's Brief lag noch auf dem Tiſche. Es iſt wunderlich, gar wunderlich, ſagte Goethe, wie leicht man zu der öffentlichen Meinung in eine falſche Stellung geräth! Ich wüßte nicht, daß ich je etwas gegen das Volk geſündigt, aber ich ſoll nun ein - für allemal kein Freund des Volkes ſeyn. Freilich bin ich kein Freund des revolutionären Pöbels, der auf Raub, Mord und Brand ausgeht, und hinter dem falſchen Schilde des öffentlichen Wohles nur die gemeinſten egoiſtiſchen Zwecke im Auge hat. Ich bin kein Freund ſolcher Leute, ebenſowenig als ich ein Freund eines Ludwigs des Funfzehnten bin. Ich haſſe jeden gewaltſamen Um¬ ſturz, weil dabei ebenſoviel Gutes vernichtet, als gewonnen wird. Ich haſſe die, welche ihn ausführen, wie die, welche dazu Urſache geben. Aber bin ich darum kein Freund des Volkes? Denkt denn jeder rechtlich geſinnte Mann etwa anders?

Sie wiſſen, wie ſehr ich mich über jede Verbeſſerung freue, welche die Zukunft uns etwa in Ausſicht ſtellt. Aber, wie geſagt, jedes Gewaltſame, Sprunghafte, iſt mir in der Seele zuwider, denn es iſt nicht natur¬ gemäß.

Ich bin ein Freund der Pflanze, ich liebe die Roſe, als das Vollkommenſte, was unſere deutſche Natur als Blume gewähren kann; aber ich bin nicht Thor genug, um zu verlangen, daß mein Garten ſie mir ſchon jetzt, Ende April, gewähren ſoll. Ich bin zufrieden,87 wenn ich jetzt die erſten grünen Blätter finde; zufrieden, wenn ich ſehe, wie ein Blatt nach dem andern den Stengel von Woche zu Woche weiter bildet; ich freue mich, wenn ich im Mai die Knospe ſehe, und bin glück¬ lich, wenn endlich der Juni mir die Roſe ſelbſt in aller Pracht und in allem Duft entgegen reicht. Kann aber Jemand die Zeit nicht erwarten, der wende ſich an die Treibhäuſer.

Nun heißt es wieder, ich ſey ein Fürſtendiener, ich ſey ein Fürſtenknecht. Als ob damit etwas geſagt wäre! Diene ich denn etwa einem Tyrannen? einem Despoten? Diene ich denn etwa einem Solchen, der auf Koſten des Volkes nur ſeinen eigenen Lüſten lebt? Solche Fürſten und ſolche Zeiten liegen gottlob längſt hinter uns. Ich bin dem Großherzog ſeit einem halben Jahrhundert auf das innigſte verbunden und habe ein halbes Jahrhundert mit ihm geſtrebt und gearbeitet; aber lügen müßte ich, wenn ich ſagen wollte, ich wüßte einen einzigen Tag, wo der Großherzog nicht daran gedacht hatte, etwas zu thun und auszuführen, das dem Lande zum Wohl gereichte und das geeignet wäre, den Zuſtand des Einzelnen zu verbeſſern. Für ſich per¬ ſönlich, was hatte er denn von ſeinem Fürſtenſtande als Laſt und Mühe! Iſt ſeine Wohnung, ſeine Kleidung und ſeine Tafel etwa beſſer beſtellt, als die eines wohl¬ habenden Privatmannes? Man gehe nur in unſere Seeſtädte und man wird Küche und Keller eines88 angeſehenen Kaufmannes beſſer beſtellt finden, als die ſeinigen.

Wir werden, fuhr Goethe fort, dieſen Herbſt den Tag feiern, an welchem der Großherzog ſeit funfzig Jahren regiert und geherrſcht hat. Allein, wenn ich es recht bedenke, dieſes ſein Herrſchen, was war es weiter, als ein beſtändiges Dienen! Was war es, als ein Dienen in Erreichung großer Zwecke, ein Dienen zum Wohl ſeines Volkes! Soll ich denn alſo mit Gewalt ein Fürſtenknecht ſeyn, ſo iſt es wenigſtens mein Troſt, daß ich doch nur der Knecht eines Solchen bin, der ſelber ein Knecht des allgemeinen Beſten iſt.

Der Bau des neuen Theaters war dieſe Zeit her raſch vorgeſchritten, die Grundmauern ſtiegen ſchon überall empor und ließen ein baldiges ſehr ſchönes Gebäude hoffen.

Heute aber, als ich den Bauplatz beſuchte, ſah ich zu meinem Schrecken, daß die Arbeit eingeſtellt war; auch hörte ich gerüchtweiſe, daß eine andere Partei gegen Goethe's und Coudray's Plan noch endlich obgeſiegt habe, daß Coudray von der Leitung des Baues zurück¬ trete und daß ein anderer Architekt nach einem neuen Riß den Bau ausführen und den bereits gelegten Grund danach ändern werde.

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Dieſes zu ſehen und zu hören betrübte mich tief; denn ich hatte mich mit Vielen darauf gefreut, in Wei¬ mar ein Theater entſtehen zu ſehen, das nach Goethe's praktiſcher Anſicht von einer zweckmäßigen innern Ein¬ richtung ausgeführt und hinſichtlich der Schönheit ſeinem hochgebildeten Geſchmack gemäß ſeyn würde.

Aber auch wegen Goethe und Coudray betrübte es mich, die durch dieſes Weimar'ſche Ereigniß ſich Beide mehr oder weniger verletzt fühlen mußten.

Bei Goethe zu Tiſch. Es iſt zu denken, daß der veränderte Theaterbau das Erſte war, das zwiſchen uns zur Sprache kam. Ich hatte, wie geſagt, gefürchtet, daß die höchſt unerwartete Maßregel Goethe tief ver¬ letzen würde. Allein keine Spur! Ich fand ihn in der mildeſten, heiterſten Stimmung, durchaus über jede kleine Empfindlichkeit erhaben.

Man hat, ſagte er, dem Großherzog von Seiten des Koſten-Punktes und großer Erſparungen, die bei dem veränderten Bauplan zu machen, beizukommen geſucht, und es iſt ihnen gelungen. Mir kann es ganz recht ſeyn. Ein neues Theater iſt am Ende doch immer nur ein neuer Scheiterhaufen, den irgend ein Ungefähr über kurz oder lang wieder in Brand ſteckt. Damit tröſte ich mich. Uebrigens ein Bißchen mehr oder90 weniger, ein Bißchen auf oder ab, iſt nicht der Rede werth. Ihr werdet immerhin ein ganz leidliches Haus bekommen, wenn auch nicht gerade ſo, wie ich es mir gewünſcht und gedacht hatte. Ihr werdet hineingehen, und ich werde auch hineingehen, und es wird am Ende Alles ganz artig ausfallen.

Der Großherzog, fuhr Goethe fort, äußerte gegen mich die Meinung, ein Theater brauche keines¬ wegs ein architektoniſches Prachtwerk zu ſeyn; wogegen im Ganzen freilich nichts einzuwenden. Er meinte ferner, es ſey doch immer nur ein Haus, das den Zweck habe, Geld zu verdienen. Dieſe Anſicht klingt beim erſten Anhören etwas materiell; allein es fehlt ihr, recht bedacht, auch keineswegs eine höhere Seite. Denn will ein Theater nicht bloß zu ſeinen Koſten kommen, ſondern obendrein noch Geld erübrigen und Geld verdienen, ſo muß eben Alles durchaus ganz vortrefflich ſeyn. Es muß die beſte Leitung an der Spitze haben, die Schauſpieler müſſen durchweg zu den beſten gehören, und man muß fortwährend ſo gute Stücke geben, daß nie die Anziehungskraft ausgehe, welche dazu gehört, um jeden Abend ein volles Haus zu machen. Das iſt aber mit wenigen Worten ſehr viel geſagt und faſt das Unmögliche.

Die Anſicht des Großherzogs, ſagte ich, mit dem Theater Geld verdienen zu wollen, ſcheint alſo eine durchaus praktiſche zu ſeyn, indem in ihr eine Nöthi¬91 gung liegt, ſich fortwährend auf der Höhe des Vortreff¬ lichen zu erhalten.

Shakſpeare und Moliere, erwiederte Goethe, hatten auch keine andere. Beide wollten auch vor allen Dingen mit ihren Theatern Geld verdienen. Damit ſie aber dieſen ihren Hauptzweck erreichten, mußten ſie dahin trachten, daß fortwährend Alles im beſten Stande und neben dem alten Guten immer von Zeit zu Zeit etwas tüchtiges Neues daſey, das reize und anlocke. Das Verbot des Tartüff war für Moliere ein Donner¬ ſchlag; aber nicht ſowohl für den Poeten, als für den Director Moliere, der für das Wohl einer bedeuten¬ den Truppe zu ſorgen hatte, und der ſehen mußte, wie er für ſich und die Seinigen Brod ſchaffte.

Nichts, fuhr Goethe fort, iſt für das Wohl eines Theaters gefährlicher, als wenn die Direction ſo geſtellt iſt, daß eine größere oder geringere Einnahme der Caſſe ſie perſönlich nicht weiter berührt, und ſie in der ſorgloſen Gewißheit hinleben kann, daß dasjenige, was im Laufe des Jahres an der Einnahme der Theater - Caſſe gefehlt hat, am Ende deſſelben aus irgend einer andern Quelle erſetzt wird. Es liegt einmal in der menſchlichen Natur, daß ſie leicht erſchlafft, wenn per¬ ſönliche Vortheile oder Nachtheile ſie nicht nöthigen. Nun iſt zwar nicht zu verlangen, daß ein Theater in einer Stadt wie Weimar ſich ſelbſt erhalten ſolle und daß kein jährlicher Zuſchuß aus der fürſtlichen Caſſe92 nöthig ſey. Allein es hat doch Alles ſein Ziel und ſeine Grenze, und einige tauſend Thaler jährlich mehr oder weniger ſind doch keineswegs eine gleichgültige Sache, beſonders da die geringere Einnahme und das Schlechterwerden des Theaters natürliche Gefährten ſind, und alſo nicht bloß das Geld verloren geht, ſondern die Ehre zugleich.

Wäre ich der Großherzog, ſo würde ich künftig, bei einer etwa eintretenden Veränderung der Direction, als jährlichen Zuſchuß ein - für allemal eine feſte Summe beſtimmen; ich würde etwa den Durchſchnitt der Zu¬ ſchüſſe der letzten zehn Jahre ermitteln laſſen, und danach eine Summe ermäßigen, die zu einer anſtän¬ digen Erhaltung als hinreichend zu achten wäre. Mit dieſer Summe müßte man haushalten. Dann würde ich aber einen Schritt weiter gehen und ſagen: wenn der Director mit ſeinen Regiſſeuren durch eine kluge und energiſche Leitung es dahin bringt, daß die Caſſe am Ende des Jahres einen Ueberſchuß hat, ſo ſoll von dieſem Ueberſchuß dem Director, den Regiſſeuren und den vorzüglichſten Mitgliedern der Bühne eine Remu¬ neration zu Theil werden. Da ſolltet Ihr einmal ſehen, wie es ſich regen und wie die Anſtalt aus dem Halb¬ ſchlafe, in welchen ſie nach und nach gerathen muß, erwachen würde.

Unſere Theatergeſetze, fuhr Goethe fort, haben zwar allerlei Strafbeſtimmungen, allein ſie haben kein93 einziges Geſetz, das auf Ermunterung und Belohnung ausgezeichneter Verdienſte ginge. Dieß iſt ein großer Mangel. Denn wenn mir bei jedem Verſehen ein Abzug von meiner Gage in Ausſicht ſteht, ſo muß mir auch eine Ermunterung in Ausſicht ſtehen, wenn ich mehr thue, als man eigentlich von mir verlangen kann. Dadurch aber, daß Alle mehr thun, als zu erwarten und zu verlangen, kommt ein Theater in die Höhe.

Frau v. Goethe und Fräulein Ulrike traten herein, Beide wegen des ſchönen Wetters ſehr anmuthig ſommer¬ haft gekleidet. Die Unterhaltung über Tiſch war leicht und heiter. Man ſprach über allerlei Vergnügungs - Partieen der vergangenen Woche, ſowie über Aus¬ ſichten ähnlicher Art für die nächſte.

Wenn wir die ſchönen Abende behalten, ſagte Frau v. Goethe, ſo hätte ich große Luſt, in dieſen Tagen im Park beim Geſang der Nachtigallen einen Thee zu geben. Was ſagen Sie, lieber Vater? Das könnte ſehr artig ſeyn! erwiederte Goethe. Und Sie, Ecker¬ mann, ſagte Frau v. Goethe, wie ſteht's mit Ihnen? Darf man Sie einladen? Aber Ottilie! fiel Fräulein Ulrike ein, wie kannſt Du nur den Doctor einladen! Er kommt ja doch nicht; und wenn er kommt, ſo ſitzt er wie auf Kohlen und man ſieht es ihm an, daß ſeine Seele wo anders iſt und daß er je eher je lieber wieder fort möchte. Wenn ich ehr¬ lich ſagen ſoll, erwiederte ich, ſo ſtreife ich freilich lieber94 mit Doolan im Felde umher. Thee und Theegeſellſchaft und Theegeſpräch widerſtrebt meiner Natur ſo ſehr, daß es mir ſchon unheimlich wird, wenn ich nur daran denke. Aber Eckermann! ſagte Frau v. Goethe, bei einem Thee im Park ſind Sie ja im Freien und ganz in Ihrem Element. Im Gegentheil! ſagte ich. Wenn ich der Natur ſo nahe bin, daß ich alle Düfte wittere, und doch nicht eigentlich hinein kann, ſo wird es mir ungeduldig, wie einer Ente, die man in die Nähe des Waſſers bringt, aber am Hineintauchen hindert. Sie könnten auch ſagen, bemerkte Goethe lachend, es würde Ihnen zu Sinne, wie einem Pferde, das ſeinen Kopf zum Stalle hinaus ſtreckt und auf einer gedehnten Weidenfläche vor ſich andere Pferde frei umherjagen ſieht. Es riecht zwar alle Wonne und Freiheit der friſchen Natur, aber es kann nicht hinein. Doch laßt nur den Eckermann, er iſt wie er iſt, und Ihr macht ihn nicht anders. Aber ſagen Sie, mein Allerbeſter, was treiben Sie denn mit Ihrem Doolan die ſchönen langen Nachmittage im freien Felde? Wir ſuchen irgend ein einſames Thal, ſagte ich, und ſchießen mit Pfeil und Bogen. Hm! ſagte Goethe, das mag kein ſchlechtes Vergnügen ſeyn. Es iſt herrlich, ſagte ich, um die Gebrechen des Winters los zu werden. Wie aber in aller Welt, ſagte Goethe, ſind Sie hier in Weimar zu Pfeil und Bogen gekommen? Zu den Pfeilen, erwie¬ derte ich, habe ich mir in dem Feldzuge von 1814 ein95 Modell aus Brabant mitgebracht. Das Schießen mit Pfeil und Bogen iſt dort allgemein. Es iſt keine Stadt ſo gering, die nicht ihre Bogen-Geſellſchaften hätte. Sie haben ihren Stand in irgend einer Schenke, ähnlich unſeren Kegelbahnen, und vereinigen ſich gewöhn¬ lich ſpät am Nachmittage, wo ich ihnen oft mit dem größten Vergnügen zugeſehen. Was waren das für wohlgewachſene Männer und was für maleriſche Stel¬ lungen, wenn ſie die Senne zogen! Wie waren die Kräfte entwickelt, und wie waren ſie geſchickte Treffer! Sie ſchoſſen gewöhnlich in einer Entfernung von ſechzig bis achtzig Schritt nach einer Papierſcheibe auf einer naſſen Lehmwand; ſie ſchoſſen raſch hintereinander und ließen die Pfeile ſtecken. Und da war es nicht ſelten, daß von funfzehn Pfeilen fünf im Centrum ſtaken, von der Größe eines Thalers, und die übrigen in der Nähe umher. Wenn Alle geſchoſſen hatten, gingen ſie hin und Jeder zog ſeinen Pfeil aus der weichen Wand und das Spiel ging von vorne. Ich war damals für dieſes Bogenſchießen ſo begeiſtert, daß ich dachte, es ſey etwas Großes, es in Deutſchland einzuführen, und ich war ſo dumm, daß ich glaubte, es ſey möglich. Ich handelte wiederholt auf einen Bogen; allein unter zwanzig Franken war keiner zu haben, und wie ſollte ich armer Feldjäger ſo viel Geld auftreiben! Ich be¬ ſchränkte mich daher auf einen Pfeil, als das wichtigere und künſtlichere, den ich in einer Fabrik zu Brüſſel96 für einen Franken kaufte und neben einer Zeichnung als meine einzige Eroberung mit in meine Heimath brachte.

Das ſieht Ihnen ähnlich, erwiederte Goethe. Aber denken Sie nur nicht, man könnte etwas Natürliches und Schönes populär machen. Zum wenigſten will es Zeit haben und verlangt verzweifelte Künſte. Aber ich kann mir denken, es mag ſchön ſeyn, dieſes Brabanter Schießen. Unſer deutſches Kegelbahn-Vergnügen erſcheint dagegen roh und ordinär und hat ſehr viel vom Phi¬ liſter.

Das Schöne beim Bogenſchießen iſt, erwiederte ich, daß es den Körper gleichmäßig entwickelt und die Kräfte gleichmäßig in Anſpruch nimmt. Da iſt der linke Arm, der den Bogen hinaushält, ſtraff, ſtark und ohne Wan¬ ken; da iſt der rechte, der mit dem Pfeil die Senne zieht und nicht weniger kräftig ſeyn muß. Zugleich beide Füße und Schenkel ſtrack zum Boden geſtreckt, dem Oberkörper als feſte Baſis. Das zielende Auge, die Muskeln des Halſes und Nackens, Alles in hoher Spannung und Thätigkeit. Und nun das Gefühl und die Freude, wenn der Pfeil hinausziſcht und im erwünſch¬ ten Ziele ſteckt! Ich kenne keine körperliche Uebung, die nur irgend damit zu vergleichen.

Es wäre etwas für unſere Turn-Anſtalten, verſetzte Goethe. Und da ſollte es mich nicht wundern, wenn wir nach zwanzig Jahren in Deutſchland tüchtige97 Bogenſchützen zu Tauſenden hätten. Ueberhaupt mit einer erwachſenen Generation iſt nie viel zu machen, in kör¬ perlichen Dingen, wie in geiſtigen, in Dingen des Geſchmacks, wie des Charakters. Seid aber klug und fanget in den Schulen an, und es wird gehen.

Aber unſere deutſchen Turnlehrer, erwiederte ich, wiſſen mit Pfeil und Bogen nicht umzugehen.

Nun, antwortete Goethe, da mögen ſich einige Turn-Anſtalten vereinigen und einen tüchtigen Schützen aus Flandern oder Brabant kommen laſſen. Oder ſie mögen auch einige hübſche wohlgewachſene junge Turner nach Brabant ſchicken, daß ſie ſich dort zu guten Schützen ausbilden und auch lernen, wie man die Bogen ſchnitze und die Pfeile mache. Dieſe könnten dann in deutſchen Turn-Anſtalten als Lehrer eintreten, als wandernde Lehrer, die ſich bald bei dieſer Anſtalt eine Zeitlang aufhielten und bald bei einer andern.

Ich bin, fuhr Goethe fort, den deutſchen Turn - Uebungen durchaus nicht abgeneigt. Umſomehr hat es mir Leid gethan, daß ſich ſehr bald allerlei Politiſches dabei einſchlich, ſo daß die Behörden ſich genöthigt ſahen, ſie zu beſchränken, oder wohl gar zu verbieten und aufzuheben. Dadurch iſt nun das Kind mit dem Bade verſchüttet. Aber ich hoffe, daß man die Turn - Anſtalten wieder herſtelle, denn unſere deutſche Jugend bedarf es, beſonders die ſtudirende, der bei dem vielen geiſtigen und gelehrten Treiben alles körperliche Gleich¬III. 798gewicht fehlt und ſomit jede nöthige Thatkraft zugleich. Aber ſagen Sie mir noch etwas von Ihrem Pfeil und Bogen. Alſo einen Pfeil haben Sie ſich aus Brabant mitgebracht? Ich möchte ihn ſehen!

Er iſt längſt verloren, erwiederte ich. Aber ich hatte ihn ſo gut in Gedanken, daß es mir gelungen iſt, ihn wieder herzuſtellen, und zwar ſtatt des Einen ein ganzes Dutzend. Das war aber gar nicht ſo leicht als ich mir dachte, und ich habe dabei allerlei vergebliche Verſuche gemacht und allerlei Mißgriffe gethan, aber eben dadurch endlich auch allerlei gelernt. Zuerſt kam es auf den Schaft an, und zwar, daß dieſer gerade ſey und nach einiger Zeit ſich nicht werfe; ſodann, daß er leicht ſey und zugleich ſo feſt, daß er bei dem Anprallen an einen harten Gegenſtand nicht zerſplittere. Ich machte Verſuche mit dem Holz der Pappel, dann der Fichte, dann der Birke; aber es erwies ſich Alles in einer oder der anderen Hinſicht als mangelhaft und war nicht das, was es ſeyn ſollte. Dann machte ich Ver¬ ſuche mit dem Holz der Linde, und zwar aus einem ſchlanken, gerade gewachſenen Stammende, und ich fand durchaus was ich wünſchte und ſuchte. Ein ſolcher Pfeilſchaft war leicht, gerade, und feſt wegen ſehr feiner Faſer. Nun war das Nächſte, das untere Ende mit einer Hornſpitze zu verſehen; aber es zeigte ſich bald, daß nicht jedes Horn tauglich und daß es aus dem Kerne geſchnitten ſeyn müſſe, um beim Schuß auf einen99 harten Gegenſtand nicht zu zerſplittern. Das Schwie¬ rigſte und Künſtlichſte war aber jetzt noch zu thun, nämlich den Pfeil zu befiedern. Was habe ich da gepfuſcht und für Mißgriffe gethan, ehe es mir gelang und ich es darin zu einiger Geſchicklichkeit brachte!

Nicht wahr, ſagte Goethe, die Federn werden nicht in den Schaft eingelaſſen, ſondern aufgeleimt?

Sie werden aufgeleimt, erwiederte ich; aber das muß ſo feſt, zierlich und gut geſchehen, daß es ausſieht, als wären ſie mit dem Schafte eins und aus ihm her¬ vor gewachſen. Auch iſt es nicht gleichgültig, welchen Leim man nimmt. Ich habe gefunden, daß Hauſenblaſe, einige Stunden in Waſſer eingeweicht und dann mit etwas hinzugegoſſenem Spiritus über gelindem Kohlen¬ feuer ſchleimartig aufgelöſt, das Beſte war. Auch ſind die aufzuleimenden Federn nicht von einerlei Brauch¬ barkeit. Zwar ſind die abgezogenen Fahnen der Schwung¬ federn jedes großen Vogels gut, doch habe ich die rothen Flügelfedern des Pfau's, die großen Federn des Truthahn's, beſonders aber die ſtarken und prächtigen von Adler und Trappe als die vorzüglichſten gefunden.

Ich höre dieſes Alles mit großem Intereſſe, ſagte Goethe. Wer Sie nicht kennt, ſollte kaum glauben, daß Ihre Richtungen ſo lebendig wären. Aber ſagen Sie mir nun auch, wie Sie zu einem Bogen gekommen.

Ich habe mir ſelber einige gemacht, erwiederte ich. Aber dabei anfänglich auch wieder ganz entſetzlich7*100gepfuſcht. Dann habe ich mich mit Tiſchlern und Wagnern berathen, alle Holzarten der hieſigen Gegend durchprobirt, und bin nun endlich zu ganz guten Reſul¬ taten gekommen. Ich hatte bei der Wahl des Holzes dahin zu trachten, daß der Bogen ſich weich aufziehe, daß er raſch und ſtark zurückſchnelle, und daß die Feder¬ kraft von Dauer. Ich machte zuerſt Verſuche mit der Eſche, und zwar dem aſtloſen Stamm einer etwa zehn¬ jährigen von der Dicke eines mäßigen Armes. Ich kam aber beim Ausarbeiten auf den Kern, welches nicht gut war und wo ich das Holz grob und loſe fand. Man rieth mir darauf, einen Stamm zu nehmen, der ſtark genug ſey, um ihn ſchlachten zu können, und zwar zu vier Theilen.

Schlachten, fragte Goethe, was iſt das?

Es iſt ein Kunſtausdruck der Wagner, erwiederte ich, und heißt ſoviel als ſpalten, und zwar wird dabei ein Keil durch den Stamm der Länge nach von einem Ende bis zum andern durchgetrieben. War nun der Stamm gerade gewachſen, ich meine: ſtrebte die Faſer in gerader Richtung aufwärts, ſo werden auch die ge¬ ſchlachteten Stücke gerade ſeyn und ſich durchaus zum Bogen eignen. War aber der Stamm gewunden, ſo werden die geſchlachteten Stücke, indem der Keil der Faſer nachgeht, eine gekrümmte, gewundene Richtung haben und zum Bogen nicht zu gebrauchen ſeyn.

Wie wäre es aber, ſagte Goethe, wenn man einen101 ſolchen Stamm mit der Säge in vier Theile ſchnitte? da bekäme man doch auf jeden Fall gerade Stücke.

Man würde, erwiederte ich, bei einem Stamm mit etwas gewundener Richtung die Faſer durchſchneiden, und das würde die Theile zu einem Bogen durchaus unbrauchbar machen.

Ich begreife, ſagte Goethe: ein Bogen mit durch¬ ſchnittener Faſer würde brechen. Doch erzählen Sie weiter, die Sache intereſſirt mich.

Ich machte alſo, fuhr ich fort, meinen zweiten Bo¬ gen aus einem Stück geſchlachteter Eſche. Es war an der Rückſeite keine Faſer durchſchnitten, der Bogen war ſtark und feſt, aber es zeigte ſich der Fehler, daß er beim Aufziehen nicht weich, ſondern hart war. Sie werden, ſagte der Wagner, ein Stück Samen-Eſche ge¬ nommen haben, welches immer ein ſehr ſteifes Holz iſt; nehmen Sie aber von der zähen, wie ſie bei Hopf¬ garten und Zimmern wächſt, ſo wird es beſſer gehen. Bei dieſer Gelegenheit erfuhr ich, daß zwiſchen Eſche und Eſche ein großer Unterſchied, und daß bei allen Holzarten ſehr viel auf den Ort und auf den Boden ankomme, wo ſie gewachſen. Ich erfuhr, daß das Holz des Ettersberges als Nutzholz weniger Werth habe; daß dagegen das Holz aus der Umgegend von Nohra eine beſondere Feſtigkeit beſitze, weßhalb denn die Wei¬ mar'ſchen Fuhrleute zu Wagenreparaturen, die in Nohra gemacht, ein ganz beſonderes Vertrauen hätten. Ich102 machte im Lauf meiner weiteren Bemühungen die Er¬ fahrung, daß alles auf der Winterſeite eines Abhanges gewachſene Holz feſter und von geraderer Faſer befunden wird, als das auf der Sommerſeite gewachſene. Auch iſt es begreiflich. Denn ein junger Stamm, der in der ſchattigen Nordſeite eines Abhanges aufwächſt, hat nur Licht und Sonne nach oben zu ſuchen, weßhalb er denn, ſonnenbegierig, fortwährend aufwärts ſtrebt und die Faſer in gerader Richtung mit emporzieht. Auch iſt ein ſchattiger Stand der Bildung einer feineren Faſer günſtig, welches ſehr auffallend an ſolchen Bäumen zu ſehen iſt, die einen ſo freien Stand hatten, daß ihre Südſeite lebenslänglich der Sonne ausgeſetzt war, während ihre Nordſeite fortwährend im Schatten blieb. Liegt ein ſolcher Stamm in Theile zerſägt vor uns da, ſo bemerkt man, daß der Punkt des Kernes ſich keines¬ wegs in der Mitte befindet, ſondern bedeutend nach der einen Seite zu. Und dieſe Verſchiebung des Mittel¬ punktes rührt daher, daß die Jahres-Ringe der Süd¬ ſeite durch fortwährende Sonnenwirkung ſich bedeutend ſtärker entwickelt haben und daher breiter ſind, als die Jahresringe der ſchattigen Nordſeite. Tiſchler und Wagner, wenn es ihnen um ein feſtes feines Holz zu thun iſt, wählen daher lieber die feiner ent¬ wickelte Nordſeite eines Stammes, welches ſie die Winterſeite nennen, und dazu ein beſonderes Ver¬ trauen haben.

103

Sie können denken, ſagte Goethe, daß Ihre Be¬ obachtungen für mich, der ſich ein halbes Leben mit dem Wachsthum der Pflanzen und Bäume beſchäftiget hat, von beſonderem Intereſſe ſind. Doch erzählen Sie weiter! Sie machten alſo wahrſcheinlich darauf einen Bogen von der zähen Eſche.

Ich that ſo, erwiederte ich, und zwar nahm ich ein gut geſchlachtetes Stück von der Winterſeite, wo ich auch eine ziemlich feine Faſer fand. Auch war der Bogen weich im Aufziehen und von guter Schnell¬ kraft. Allein nachdem er einige Monate in Gebrauch geweſen, zeigte ſich bereits eine merkliche Krümmung, und es war deutlich, daß die Spannkraft nicht Stich halte. Ich machte dann Verſuche mit dem Stamm einer jungen Eiche, welches auch ganz gutes Holz war, wobei ich aber nach einiger Zeit denſelbigen Fehler fand; dann mit dem Stamm der Wallnuß, welches beſſer, und zuletzt mit dem Stamme des feinblättrigen Ahorns, des ſogenannten Masholder, welches das beſte war und nichts weiter zu wünſchen übrig ließ.

Ich kenne das Holz, erwiederte Goethe, man findet es auch häufig in Hecken. Ich kann mir denken, daß es gut iſt. Doch habe ich ſelten einen jungen Stamm gefunden, der ohne Aeſte war, und Sie bedürfen doch wohl zum Bogen ein Holz, das ganz frei von Aeſten iſt?

Ein junger Stamm, erwiederte ich, iſt freilich nicht ohne Aeſte; doch wenn man ihn zum Baume104 aufzieht, ſo werden ihm die Aeſte genommen; oder wenn er im Dickicht aufwächſt, ſo verlieren ſie ſich mit der Zeit von ſelber. War nun ein Stamm, als man ihm die Aeſte nahm, etwa drei bis vier Zoll im Durch¬ meſſer, und läßt man ihn nun fortwachſen und jährlich neues Holz von außen ſich anbilden, ſo wird, nach Verlauf von funfzig bis achtzig Jahren, das aſtreiche Innere mit mehr als einem halben Fuß geſunden aſt¬ freien Holzes überwachſen ſeyn. Ein ſolcher Stamm ſteht dann mit der glatteſten Außenſeite vor uns; aber man weiß freilich nicht, was er im Innern für Tücke hat. Man wird daher auf jeden Fall ſicher gehen, wenn man bei einer aus ſolchem Stamm geſägten Bohle ſich gleichfalls an die Außenſeite hält und einige Zoll von demjenigen Stück ſich abſchneiden läßt, was zunächſt unter der Rinde war, alſo den Splint und was ihm folgt, welches überhaupt das jüngſte, zäheſte und zu einem Bogen das tauglichſte Holz iſt.

Ich meinte, verſetzte Goethe, das Holz zu einem Bogen dürfte nicht geſägt, ſondern müßte geſpalten, oder, wie Sie es nennen, geſchlachtet werden.

Wenn es ſich ſchlachten läßt, erwiederte ich, aller¬ dings. Die Eſche, die Eiche, auch wohl der Wallnuß, läßt ſich ſchlachten, weil es Holz von grober Faſer iſt. Der Masholder aber nicht. Denn es iſt ein Holz von ſo feiner, feſt ineinander gewachſener Faſer, daß es ſich in der Faſer-Richtung durchaus nicht trennt,105 ſondern herüber und hinüber reißt, ganz gegen alle Faſer und alle natürlich gewachſene Richtung. Das Holz des Masholder muß daher mit der Säge getrennt werden, und zwar ohne alle Gefahr für die Kraft des Bogens.

Hm! Hm! ſagte Goethe. Sie ſind übrigens durch Ihre Bogen-Tendenz zu ganz hübſchen Kenntniſſen gekommen. Und zwar zu lebendigen, die man nur auf praktiſchem Wege erlangt. Das iſt aber immer der Vortheil irgend einer leidenſchaftlichen Richtung, daß ſie uns in das Innere der Dinge treibt. Auch iſt das Suchen und Irren gut, denn durch Suchen und Irren lernt man. Und zwar lernt man nicht bloß die Sache, ſondern den ganzen Umfang. Was wüßte ich von der Pflanze und der Farbe, wenn man meine Theorie mir fertig überliefert und ich Beides auswendig gelernt hätte! Aber daß ich eben Alles ſelber ſuchen und fin¬ den und auch gelegentlich irren mußte, dadurch kann ich ſagen, daß ich von beiden Dingen etwas weiß, und zwar mehr, als auf dem Papiere ſteht. Aber ſagen Sie mir noch Eins von Ihrem Bogen. Ich habe ſchottiſche geſehen, die bis zu den Spitzen hinaus ganz gerade, andere dagegen, deren Spitzen gekrümmt waren. Welche halten Sie für die beſten?

Ich halte dafür, erwiederte ich, daß bei einem Bo¬ gen mit rückwärts geſchweiften Enden die Federkraft bei weitem mächtiger iſt. Anfangs machte ich ſie106 gerade, weil ich nicht verſtand, die Enden zu biegen. Nachdem ich aber gelernt, damit umzugehen, mache ich die Enden geſchweift, und ich finde, daß der Bogen dadurch nicht allein ein ſchöneres Anſehen, ſondern auch eine größere Gewalt erlangt.

Nicht wahr, ſagte Goethe, man bewirkt die Krüm¬ mung durch Hitze?

Durch feuchte Hitze, erwiederte ich. Wenn der Bogen ſoweit fertig, daß die Spannkraft gleichmäßig vertheilt und er nirgendwo mehr ſchwächer oder ſtärker iſt, als er ſeyn ſoll, ſo ſtelle ich ihn mit dem einen Ende in kochendes Waſſer, etwa ſechs bis acht Zoll tief, und laſſe ihn eine Stunde kochen. Dieſes er¬ weichte Ende ſchraube ich dann in voller Hitze zwiſchen zwei kleine Klötze, deren innere Linie die Form der Biegung hat, die ich dem Bogen zu geben wünſche. In ſolcher Klemme laſſe ich ihn ſodann wenigſtens einen ganzen Tag und eine Nacht ſtehen, damit er völlig austrockene, und verfahre darauf mit dem anderen Ende auf gleiche Weiſe. So behandelte Spitzen ſtehen ſodann unverwüſtlich, als wären ſie in ſolcher Krümmung ge¬ wachſen.

Wiſſen Sie was? verſetzte Goethe, mit einem geheimnißvollen Lächeln. Ich glaube, ich habe etwas für Sie, das Ihnen nicht unlieb wäre. Was dächten Sie, wenn wir zuſammen hinuntergingen und ich Ihnen einen ächten Baſchkirenbogen in die Hände legte! 107Einen Baſchkirenbogen? rief ich voll Begeiſterung, und einen ächten?

Ja, närriſcher Kerl, einen ächten! ſagte Goethe. Kommen Sie nur.

Wir gingen hinab in den Garten. Goethe öffnete das untere Zimmer eines kleinen Nebengebäudes, das auf den Tiſchen und an den Wänden umher mit Selten¬ heiten und Merkwürdigkeiten aller Art vollgepfropft erſchien. Ich überlief alle dieſe Schätze nur flüchtig, meine Augen ſuchten den Bogen. Hier haben Sie ihn, ſagte Goethe, indem er ihn in einem Winkel aus einem Haufen von allerlei ſeltſamen Geräthſchaften hervornahm. Ich ſehe, er iſt noch in demſelbigen Stande, wie er im Jahre 1814 von einem Baſchkiren - Häuptling mir verehrt wurde. Nun? was ſagen Sie! Ich war voller Freude, die liebe Waffe in meinen Händen zu halten. Es ſchien Alles unverſehrt und auch die Senne noch vollkommen brauchbar. Ich pro¬ birte ihn in meinen Händen und fand ihn auch noch von leidlicher Schnellkraft. Es iſt ein guter Bogen, ſagte ich. Beſonders aber gefällt mir die Form, die mir künftig als Modell dienen ſoll.

Von welchem Holz, denken Sie, iſt er gemacht? ſagte Goethe.

Er iſt, wie Sie ſehen, erwiederte ich, mit feiner Birkenſchale ſo überdeckt, daß von dem Holz wenig ſichtbar und nur die gekrümmten Enden frei geblieben. 108Und auch dieſe ſind durch die Zeit ſo angebräunt, daß man nicht recht ſehen kann, was es iſt. Auf den erſten Anblick ſieht es aus wie junge Eiche, und dann wieder wie Nußbaum. Ich denke es iſt Nußbaum, oder ein Holz, das dem ähnlich. Ahorn oder Masholder iſt es nicht. Es iſt ein Holz von grober Faſer, auch ſehe ich Merkmale, daß es geſchlachtet worden.

Wie wäre es, ſagte Goethe, wenn Sie ihn einmal probirten! Hier haben Sie auch einen Pfeil. Doch hüten Sie ſich vor der eiſernen Spitze! ſie könnte vergiftet ſeyn.

Wir gingen wieder in den Garten und ich ſpannte den Bogen. Nun wohin? ſagte Goethe. Ich dächte, erſt einmal in die Luft, erwiederte ich. Nur zu! ſagte Goethe. Ich ſchoß hoch gegen die ſonnigen Wol¬ ken in blauer Luft. Der Pfeil hielt ſich gut, dann bog er ſich und ſauſte wieder herab und fuhr in die Erde. Nun laſſen Sie mich einmal , ſagte Goethe. Ich war glücklich, daß er auch ſchießen wollte. Ich gab ihm den Bogen und holte den Pfeil. Goethe ſchob die Kerbe des Pfeiles in die Senne, auch faßte er den Bogen richtig, doch dauerte es ein Weilchen, bis er damit zurechte kam. Nun zielte er nach oben und zog die Senne. Er ſtand da, wie der Apoll, mit unverwüſtlicher innerer Jugend, doch alt an Körper. Der Pfeil erreichte nur eine ſehr mäßige Höhe und ſenkte ſich wieder zur Erde. Ich lief und holte den109 Pfeil. Noch einmal! ſagte Goethe. Er zielte jetzt in horizontaler Richtung den ſandigen Weg des Gartens hinab. Der Pfeil hielt ſich etwa dreißig Schritt ziemlich gut, dann ſenkte er ſich und ſchwirrte am Boden hin. Goethe gefiel mir bei dieſem Schießen mit Pfeil und Bogen über die Maßen. Ich dachte an die Verſe:

Läßt mich das Alter im Stich?
Bin ich wieder ein Kind?

Ich brachte ihm den Pfeil zurück. Er bat mich, auch einmal in horizontaler Richtung zu ſchießen, und gab mir zum Ziel einen Fleck im Fenſterladen ſeines Arbeitszimmers. Ich ſchoß. Der Pfeil war nicht weit vom Ziele, aber ſo tief in das weiche Holz ge¬ fahren, daß es mir nicht gelang, ihn wieder heraus zu bringen. Laſſen Sie ihn ſtecken, ſagte Goethe, er ſoll mir einige Tage als eine Erinnerung an unſere Späße dienen.

Wir gingen bei dem ſchönen Wetter im Garten auf und ab; dann ſetzten wir uns auf eine Bank, mit dem Rücken gegen das junge Laub einer dicken Hecke. Wir ſprachen über den Bogen des Odyſſeus, über die Helden des Homer, dann über die griechiſchen Tragiker, und endlich über die vielverbreitete Meinung, daß das griechiſche Theater durch Euripides in Verfall gerathen. Goethe war dieſer Meinung keineswegs.

Ueberhaupt, ſagte er, bin ich nicht der Anſicht,110 daß eine Kunſt durch irgend einen einzelnen Mann in Verfall gerathen könne. Es muß dabei ſehr Vieles zuſammenwirken, was aber nicht ſo leicht zu ſagen. Die tragiſche Kunſt der Griechen konnte ſowenig durch Euripides in Verfall gerathen, als die bildende Kunſt durch irgend einen großen Bildhauer, der neben Phidias lebte, aber geringer war. Denn die Zeit, wenn ſie groß iſt, geht auf dem Wege des Beſſeren fort und das Geringere bleibt ohne Folge.

Was war aber die Zeit des Euripides für eine große Zeit! Es war nicht die Zeit eines rückſchreitenden, ſondern die Zeit eines vorſchreitenden Geſchmackes. Die Bildhauerei hatte ihren höchſten Gipfel noch nicht erreicht und die Malerei war noch im früheren Wer¬ den.

Hatten die Stücke des Euripides, gegen die des So¬ phokles gehalten, große Fehler, ſo war damit nicht geſagt, daß die nachkommenden Dichter dieſe Fehler nachahmen und an dieſen Fehlern zu Grunde gehen mußten. Hat¬ ten ſie aber große Tugenden, ſo daß man einige ſogar den Stücken des Sophokles vorziehen mochte, warum ſtrebten denn die nachkommenden Dichter nicht dieſen Tugenden nach und warum wurden ſie denn nicht we¬ nigſtens ſo groß als Euripides ſelber!

Erſchien aber nach den bekannten drei großen Tragikern dennoch kein ebenſo großer vierter, fünfter und ſechſter, ſo iſt das freilich eine Sache, die nicht111 ſo leicht zu beantworten iſt, worüber man jedoch ſeine Vermuthungen haben und der man wohl einigermaßen nahe kommen kann.

Der Menſch iſt ein einfaches Weſen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich er auch ſeyn mag, ſo iſt doch der Kreis ſeiner Zuſtände bald durchlaufen.

Wären es Umſtände geweſen, wie bei uns armen Deutſchen, wo Leſſing zwei bis drei, ich ſelber drei bis vier, und Schiller fünf bis ſechs paſſable Theaterſtücke geſchrieben, ſo wäre auch wohl noch für einen vierten, fünften und ſechsten tragiſchen Poeten Raum geweſen.

Allein bei den Griechen und dieſer Fülle ihrer Production, wo jeder der drei Großen über hundert oder nahe an hundert Stücke geſchrieben hatte und die tragiſchen Süjets des Homer und der Heldenſage zum Theil drei - bis viermal behandelt waren, bei ſolcher Fülle des Vorhandenen, ſage ich, kann man wohl annehmen, daß Stoff und Gehalt nach und nach er¬ ſchöpft war und ein auf die drei großen folgender Dichter nicht mehr recht wußte, wo hinaus.

Und im Grunde, wozu auch! War es denn nicht endlich für eine Weile genug! Und war das von Aeſchylos, Sophokles und Euripides Hervorge¬ brachte nicht der Art und Tiefe, daß man es hören und immer wieder hören konnte, ohne es trivial zu machen und zu tödten? Sind doch dieſe auf uns112 gekommenen wenigen grandioſen Trümmer ſchon von ſolchem Umfang und ſolcher Bedeutung, daß wir armen Europäer uns bereits ſeit Jahrhunderten damit beſchäf¬ tigen und noch einige Jahrhunderte daran werden zu zehren und zu thun haben.

Goethe erzählte mir, daß Preller bei ihm geweſen und Abſchied genommen, um auf einige Jahre nach Italien zu gehen.

Als Reiſeſegen, ſagte Goethe, habe ich ihm ge¬ rathen, ſich nicht verwirren zu laſſen, ſich beſonders an Pouſſin und Claude Lorrain zu halten, und vor Allem die Werke dieſer beiden Großen zu ſtudiren, damit ihm deutlich werde, wie ſie die Natur angeſehen und zum Ausdruck ihrer künſtleriſchen Anſchauungen und Empfindungen gebraucht haben.

Preller iſt ein bedeutendes Talent und mir iſt für ihn nicht bange. Er erſcheint mir übrigens von ſehr ernſtem Charakter und ich bin faſt gewiß, daß er ſich eher zu Pouſſin als zu Claude Lorrain neigen wird. Doch habe ich ihm den letzteren zu beſonderem Studium empfohlen, und zwar nicht ohne Grund. Denn es iſt mit der Ausbildung des Künſtlers wie mit der Aus¬ bildung jedes anderen Talentes. Unſere Stärken bil¬ den ſich gewiſſermaßen von ſelber, aber diejenigen113 Keime und Anlagen unſerer Natur, die nicht unſere tägliche Richtung und nicht ſo mächtig ſind, wollen eine beſondere Pflege, damit ſie gleichfalls zu Stärken werden.

So können einem jungen Sänger, wie ich ſchon oft geſagt, gewiſſe Töne angeboren ſeyn, die ganz vortreff¬ lich ſind und die nichts weiter zu wünſchen übrig laſſen. Andere Töne ſeiner Stimme aber können we¬ niger ſtark, rein und voll befunden werden. Aber eben dieſe muß er durch beſondere Uebung dahin zu bringen ſuchen, daß ſie den anderen gleich werden.

Ich bin gewiß, daß Prellern einſt das Ernſte, Großartige, vielleicht auch das Wilde, ganz vortrefflich gelingen wird. Ob er aber im Heiteren, Anmuthigen und Lieblichen gleich glücklich ſeyn werde, iſt eine andere Frage, und deßhalb habe ich ihm den Claude Lorrain ganz beſonders ans Herz gelegt, damit er ſich durch Studium dasjenige aneigne, was vielleicht nicht in der eigentlichen Richtung ſeines Naturells liegt.

Sodann war noch Eins, worauf ich ihn aufmerk¬ ſam gemacht. Ich habe bisher viele Studien nach der Natur von ihm geſehen. Sie waren vortrefflich und mit Energie und Leben aufgefaßt; aber es waren Alles nur Einzelnheiten, womit ſpäter bei eigenen Erfindungen wenig zu machen iſt. Ich habe ihm nun gerathen, künftig in der Natur nie einen einzelnenIII. 8114Gegenſtand allein herauszuzeichnen, nie einen einzelnen Baum, einen einzelnen Steinhaufen, eine einzelne Hütte, ſondern immer zugleich einigen Hintergrund und einige Umgebung mit.

Und zwar aus folgenden Urſachen. Wir ſehen in der Natur nie Etwas als Einzelnheit, ſondern wir ſehen Alles in Verbindung mit etwas Anderem, das vor ihm, neben ihm, hinter ihm, unter ihm und über ihm ſich befindet. Auch fällt uns wohl ein einzelner Gegenſtand als beſonders maleriſch auf; es iſt aber nicht der Gegenſtand allein, der dieſe Wirkung hervor¬ bringt, ſondern es iſt die Verbindung, in der wir ihn ſehen, mit dem, was neben, hinter und über ihm iſt, und welches Alles zu jener Wirkung beiträgt.

So kann ich bei einem Spaziergange auf eine Eiche ſtoßen, deren maleriſcher Effect mich überraſcht. Zeichne ich ſie aber alleine heraus, ſo wird ſie vielleicht gar nicht mehr erſcheinen was ſie war, weil dasjenige fehlt, was zu ihrem maleriſchen Effect in der Natur beitrug und ihn ſteigerte. So kann ferner ein Stück Wald ſchön ſeyn, weil gerade dieſer Himmel, dieſes Licht und dieſer Stand der Sonne einwirkt. Laſſe ich aber in meiner Zeichnung dieſes Alles hinweg, ſo wird ſie vielleicht ohne alle Kraft als etwas Gleich¬ gültiges daſtehen, dem der eigentliche Zauber fehlt.

Und dann noch Dieſes. Es iſt in der Natur nichts ſchön, was nicht naturgeſetzlich als wahr moti¬115 virt wäre. Damit aber jene Naturwahrheit auch im Bilde wahr erſcheine, ſo muß ſie durch Hinſtellung der einwirkenden Dinge begründet werden.

Ich treffe an einem Bach wohlgeformte Steine, deren der Luft ausgeſetzte Stellen mit grünem Moos maleriſch überzogen ſind. Es iſt aber nicht die Feuchtigkeit des Waſſers allein, was dieſe Moosbil¬ dung verurſachte; ſondern es iſt etwa ein nördlicher Abhang, oder ſchattende Bäume und Gebüſch, was an dieſer Stelle des Baches auf jene Bildung ein¬ wirkte. Laſſe ich aber dieſe einwirkenden Urſachen in meinem Bilde hinweg, ſo wird es ohne Wahrheit ſeyn und ohne die eigentliche überzeugende Kraft.

So hat der Stand eines Baumes, die Art des Bodens unter ihm, andere Bäume hinter und neben ihm, einen großen Einfluß auf ſeine Bildung. Eine Eiche, die auf der windigen weſtlichen Spitze eines felſigen Hügels ſteht, wird eine ganz andere Form erlangen, als eine andere, die unten im weichen Boden eines geſchützten Thales grünt. Beide können in ihrer Art ſchön ſeyn, aber ſie werden einen ſehr ver¬ ſchiedenen Charakter haben und können daher in einer künſtleriſch erfundenen Landſchaft wiederum nur für einen ſolchen Stand gebraucht werden, wie ſie ihn in der Natur hatten. Und deßhalb iſt dem Künſtler die mitgezeichnete Umgebung, wodurch der jedesmalige Stand ausgedrückt worden, von großer Bedeutung.

8*116

Wiederum aber würde es thörigt ſeyn, allerlei proſaiſche Zufälligkeiten mitzeichnen zu wollen, die ſo wenig auf die Form und Bildung des Hauptgegen¬ ſtandes, als auf deſſen augenblickliche maleriſche Er¬ ſcheinung Einfluß hatten.

Von allen dieſen kleinen Andeutungen habe ich Prellern die Hauptſachen mitgetheilt, und ich bin gewiß, daß es bei ihm, als einem geborenen Talent, Wurzel ſchlagen und gedeihen werde.

[117]

1827.

[118][119]

Bei Goethe zu Tiſch. Er ſprach viel und mit Bewunderung über Alexander von Humboldt, deſ¬ ſen Werk über Cuba und Columbien er zu leſen angefan¬ gen und deſſen Anſichten über das Project eines Durch¬ ſtiches der Landenge von Panama für ihn ein ganz beſon¬ deres Intereſſe zu haben ſchienen. Humboldt, ſagte Goethe, hat mit großer Sachkenntniß noch andere Punkte angegeben, wo man mit Benutzung einiger in den Mexi¬ kaniſchen Meerbuſen fließenden Ströme vielleicht noch vortheilhafter zum Ziele käme, als bei Panama. Dieß iſt nun Alles der Zukunft und einem großen Unter¬ nehmungsgeiſte vorbehalten. So viel iſt aber gewiß, gelänge ein Durchſtich der Art, daß man mit Schiffen von jeder Ladung und jeder Größe durch ſolchen Canal aus dem Mexikaniſchen Meerbuſen in den ſtillen Ocean fahren könnte, ſo würden daraus für die ganze civili¬ ſirte und nichtciviliſirte Menſchheit ganz unberechenbare Reſultate hervorgehen. Wundern ſollte es mich aber, wenn die vereinigten Staaten es ſich ſollten entgehen laſſen, ein ſolches Werk in ihre Hände zu bekommen. Es iſt vorauszuſehen, daß dieſer jugendliche Staat,120 bei ſeiner entſchiedenen Tendenz nach Weſten, in dreißig bis vierzig Jahren auch die großen Landſtrecken jenſeits der Felſengebirge in Beſitz genommen und bevölkert haben wird. Es iſt ferner vorauszuſehen, daß an dieſer ganzen Küſte des ſtillen Oceans, wo die Natur bereits die geräumigſten und ſicherſten Häfen gebildet hat, nach und nach ſehr bedeutende Handelsſtädte ent¬ ſtehen werden, zur Vermittelung eines großen Verkehrs zwiſchen China nebſt Oſtindien und den vereinigten Staa¬ ten. In ſolchem Fall wäre es aber nicht bloß wünſchens¬ werth, ſondern faſt nothwendig, daß ſowohl Handels - als Kriegsſchiffe zwiſchen der nordamerikaniſchen weſtlichen und öſtlichen Küſte eine raſchere Verbindung unterhielten, als es bisher durch die langweilige, widerwärtige und koſtſpielige Fahrt um das Cap Horn möglich geweſen. Ich wiederhole alſo: es iſt für die vereinigten Staaten durchaus unerläßlich, daß ſie ſich eine Durchfahrt aus dem Mexikaniſchen Meerbuſen in den ſtillen Ocean bewerkſtelligen, und ich bin gewiß, daß ſie es erreichen.

Dieſes möchte ich erleben; aber ich werde es nicht. Zweitens möchte ich erleben; eine Verbindung der Donau mit dem Rhein hergeſtellt zu ſehen. Aber dieſes Un¬ ternehmen iſt gleichfalls ſo rieſenhaft, daß ich an der Ausführung zweifle, zumal in Erwägung unſerer deutſchen Mittel. Und endlich drittens möchte ich die Engländer im Beſitz eines Canals von Suez ſehen. Dieſe drei großen Dinge möchte ich erleben, und es wäre wohl121 der Mühe werth, ihnen zu Liebe es noch einige funfzig Jahre auszuhalten.

Bei Goethe zu Tiſch. Er erzählte mir, daß er eine Sendung vom Grafen Sternberg und Zauper er¬ halten, die ihm Freude mache. Sodann verhandelten wir viel über die Farbenlehre, über die ſubjectiven pris¬ matiſchen Verſuche und über die Geſetze, nach denen der Regenbogen ſich bildet. Er freute ſich über meine fortwährend ſich vergrößernde Theilnahme an dieſen ſchwierigen Gegenſtänden.

Goethe zeigte mir ein Büchelchen von Hinrichs über das Weſen der antiken Tragödie. Ich habe es mit großem Intereſſe geleſen, ſagte er. Hinrichs hat beſonders den Oedip und die Antigone von Sophokles als Grundlage genommen, um daran ſeine Anſichten zu entwickeln. Es iſt ſehr merkwürdig und ich will es Ihnen mitgeben, damit Sie es auch leſen und wir darüber ſprechen können. Ich bin nun keineswegs ſeiner Meinung; aber es iſt im hohen Grade lehrreich, zu ſehen, wie ein ſo durch und durch philoſophiſch ge¬ bildeter Menſch von dem eigenthümlichen Standpunkt ſeiner Schule aus ein dichteriſches Kunſtwerk anſieht. Ich will heute nichts weiter ſagen, um Ihnen nicht122 vorzugreifen. Leſen Sie nur, und Sie werden ſehen, daß man dabei zu allerlei Gedanken kommt.

Ich brachte Goethen das Buch von Hinrichs zurück, das ich indeß eifrig geleſen. Auch hatte ich ſämmtliche Stücke des Sophokles abermals durchgenommen, um im vollkommenen Beſitz des Gegenſtandes zu ſeyn.

Nun? ſagte Goethe, wie haben Sie ihn gefunden? Nicht wahr? er geht den Dingen zu Leibe.

Ganz wunderlich, ſagte ich, geht es mir mit dieſem Buche. Es hat keins ſo viele Gedanken in mir angeregt als dieſes, und doch bin ich mit keinem ſo oft in Widerſpruch gerathen, als gerade mit dieſem.

Das iſt's eben! ſagte Goethe. Das Gleiche läßt uns in Ruhe; aber der Widerſpruch iſt es, der uns productiv macht.

Seine Intentionen, ſagte ich, ſind mir im hohen Grade reſpectabel erſchienen; auch haftet er keineswegs an der Oberfläche der Dinge. Allein er verliert ſich oft ſo ſehr im Feinen und Innerlichen der Verhältniſſe, und zwar auf ſo ſubjective Weiſe, daß er darüber die wahre Anſchauung des Gegenſtandes im Einzelnen, wie die Ueberſicht des Ganzen verliert, und man in den Fall kommt, ſich und den Gegenſtänden Gewalt anthun zu müſſen, um ſo zu denken wie er. Auch iſt es mir oft vorgekommen, als wären meine Organe zu123 grob, um die ungewöhnliche Subtilität ſeiner Unter¬ ſcheidungen aufzufaſſen.

Wären ſie philoſophiſch präparirt, wie er, ſagte Goethe, ſo würde es beſſer gehen. Wenn ich aber ehrlich ſagen ſoll, ſo thut es mir leid, daß ein ohne Zweifel kräftig geborener Menſch von der norddeutſchen Seeküſte, wie Hinrichs, durch die Hegel'ſche Philoſophie ſo zugerichtet worden, daß ein unbefangenes natürliches Anſchauen und Denken bei ihm ausgetrieben und eine künſtliche und ſchwerfällige Art und Weiſe ſowohl des Denkens wie des Ausdruckes ihm nach und nach an¬ gebildet worden, ſo daß wir in ſeinem Buch auf Stellen gerathen, wo unſer Verſtand durchaus ſtille ſteht und man nicht mehr weiß, was man lieſet.

Das iſt mir nicht beſſer gegangen, ſagte ich. Doch habe ich mich gefreut, auch auf Stellen zu ſtoßen, die mir durchaus menſchlich und klar erſchienen ſind, wie z. B. ſeine Relation der Fabel des Oedip.

Hiebei, ſagte Goethe, mußte er ſich freilich ſcharf an der Sache halten. Es giebt aber in ſeinem Buche nicht wenige Stellen, bei denen der Gedanke nicht rückt und fortſchreitet und wobei ſich die dunkele Sprache immer auf demſelbigen Fleck und immer in demſelbigen Kreiſe bewegt, völlig ſo, wie das Einmaleins der Hexe in meinem Fauſt. Geben Sie mir doch einmal das Buch! Von ſeiner ſechsten Vorleſung über den Chor124 habe ich ſo viel wie gar nichts verſtanden. Was ſagen Sie z. B. zu dieſem, welches nahe am Ende ſteht:

Dieſe Wirklichkeit (nämlich des Volkslebens) iſt als die wahre Bedeutung derſelben deßhalb auch allein nur ihre wahrhafte Wirklichkeit, die zugleich als ſich ſelber die Wahrheit und Gewißheit, darum die allgemein geiſtige Gewißheit ausmacht, welche Gewißheit zugleich die verſöhnende Gewißheit des Chors iſt, ſo daß allein in dieſer Gewißheit, die ſich als das Reſultat der ge¬ ſammten Bewegung der tragiſchen Handlung erwieſen, der Chor erſt wahrhaft dem allgemeinen Volksbewußt¬ ſeyn gemäß ſich verhält, und als ſolcher nicht bloß das Volk mehr vorſtellt, ſondern ſelbſt an und für ſich daſ¬ ſelbe ſeiner Gewißheit nach iſt.

Ich dächte wir hätten genug! Was ſollen erſt die Engländer und Franzoſen von der Sprache unſerer Philoſophen denken, wenn wir Deutſchen ſie ſelber nicht verſtehen.

Und trotz alle dem, ſagte ich, ſind wir darüber einig, daß dem Buch ein edles Wollen zu Grunde liege und daß es die Eigenſchaft habe, Gedanken zu erregen.

Seine Idee von Familie und Staat, ſagte Goethe, und daraus hervorgehen könnenden tragiſchen Conflicten iſt allerdings gut und fruchtbar; doch kann ich nicht zugeben, daß ſie für die tragiſche Kunſt die beſte, oder gar die einzig richtige ſey.

Freilich leben wir Alle in Familien und im Staat125 und es trifft uns nicht leicht ein tragiſches Schickſal, das uns nicht als Glieder von Beiden träfe. Doch können wir auch ganz gut tragiſche Perſonen ſeyn und wären wir bloße Familien - oder wären wir bloße Staatsglieder. Denn es kommt im Grunde bloß auf den Conflict an, der keine Auflöſung zuläßt, und dieſer kann entſtehen aus dem Widerſpruch welcher Verhält¬ niſſe er wolle, wenn er nur einen ächten Naturgrund hinter ſich hat und nur ein ächt tragiſcher iſt. So geht der Ajas zu Grunde an dem Dämon verletzten Ehrgefühls, und der Hercules an dem Dämon liebender Eiferſucht. In beiden Fällen iſt nicht der geringſte Conflict von Familienpietät und Staatstugend vor¬ handen, welches doch, nach Hinrichs, die Elemente der griechiſchen Tragödie ſeyn ſollen.

Man ſieht deutlich, ſagte ich, daß er bei dieſer Theorie bloß die Antigone im Sinne hatte. Auch ſcheint er bloß den Charakter und die Handlungsweiſe dieſer Heldin vor Augen gehabt zu haben, als er die Behauptung hinſtellte, daß die Familienpietät am reinſten im Weibe erſcheine und am allerreinſten in der Schweſter, und daß die Schweſter nur den Bruder ganz rein und geſchlechtslos lieben könne.

Ich dächte, erwiederte Goethe, daß die Liebe von Schweſter zur Schweſter noch reiner und geſchlechts¬ loſer wäre! Wir müßten denn nicht wiſſen, daß un¬ zählige Fälle vorgekommen ſind, wo zwiſchen Schweſter126 und Bruder, bekannter - und unbekannterweiſe, die ſinnlichſte Neigung ſtattgefunden.

Ueberhaupt, fuhr Goethe fort, werden Sie be¬ merkt haben, daß Hinrichs bei Betrachtung der griechiſchen Tragödie ganz von der Idee ausgeht, und daß er ſich auch den Sophokles als einen Solchen denkt, der bei Erfindung und Anordnung ſeiner Stücke gleichfalls von einer Idee ausging und danach ſeine Charaktere und deren Geſchlecht und Stand beſtimmte. Sophokles ging aber bei ſeinen Stücken keineswegs von einer Idee aus, vielmehr ergriff er irgend eine längſt fertige Sage ſeines Volkes, worin bereits eine gute Idee vorhanden, und dachte nur darauf, dieſe für das Theater ſo gut und wirkſam als möglich darzuſtellen. Den Ajas wollen die Atreiden auch nicht beerdigen laſſen; aber ſo wie in der Antigone die Schweſter für den Bruder ſtrebt, ſo ſtrebt im Ajas der Bruder für den Bruder. Daß ſich des unbeerdigten Polineikes die Schweſter und des gefallenen Ajas der Bruder an¬ nimmt, iſt zufällig und gehört nicht der Erfindung des Dichters, ſondern der Ueberlieferung, welcher der Dichter folgte und folgen mußte.

Auch was er über die Handlungsweiſe des Kreon ſagt, verſetzte ich, ſcheint ebenſowenig Stich zu halten. Er ſucht durchzuführen, daß dieſer bei dem Verbot der Beerdigung des Polineikes aus reiner Staatstugend handele; und da nun Kreon nicht bloß ein Mann,127 ſondern auch ein Fürſt iſt, ſo ſtellt er den Satz auf, daß, da der Mann die tragiſche Macht des Staates vorſtelle, dieſes kein Anderer ſeyn könne, als derjenige, welcher die Perſönlichkeit des Staates ſelber ſey, nämlich der Fürſt, und daß von allen Perſonen der Mann als Fürſt diejenige Perſon ſey, welche die ſittlichſte Staatstugend übe.

Das ſind Behauptungen, erwiederte Goethe mit einigem Lächeln, an die wohl Niemand glauben wird. Kreon handelt auch keineswegs aus Staatstugend, ſon¬ dern aus Haß gegen den Todten. Wenn Polineikes ſein väterliches Erbtheil, woraus man ihn gewaltſam vertrieben, wieder zu erobern ſuchte, ſo lag darin keines¬ wegs ein ſo unerhörtes Vergehen gegen den Staat, daß ſein Tod nicht genug geweſen wäre und daß es noch der Beſtrafung des unſchuldigen Leichnams be¬ durft hätte.

Man ſollte überhaupt nie eine Handlungsweiſe eine Staatstugend nennen, die gegen die Tugend im Allgemeinen geht. Wenn Kreon den Polineikes zu beerdigen verbietet und durch den verweſenden Leich¬ nam nicht bloß die Luft verpeſtet, ſondern auch Urſache iſt, daß Hunde und Raubvögel die abgeriſſenen Stücke des Todten umherſchleppen und damit ſogar die Altäre beſudeln, ſo iſt eine ſolche Menſchen und Götter belei¬ digende Handlungsweiſe keinesweges eine Staats - Tugend, ſondern vielmehr ein Staats-Verbrechen. 128Auch hat er das ganze Stück gegen ſich. Er hat die Aelteſten des Staats, welche den Chor bilden, gegen ſich; er hat das Volk im Allgemeinen gegen ſich; er hat den Teireſias gegen ſich; er hat ſeine eigene Familie gegen ſich. Er aber hört nicht, ſondern frevelt eigen¬ ſinnig fort, bis er alle die Seinigen zu Grunde gerichtet hat und er ſelber am Ende nur noch ein Schatten iſt.

Und doch, ſagte ich, wenn man ihn reden hört, ſo ſollte man glauben, daß er einiges Recht habe.

Das iſt's eben, erwiederte Goethe, worin So¬ phokles ein Meiſter iſt und worin überhaupt das Leben des Dramatiſchen beſteht. Seine Charaktere beſitzen alle eine ſolche Redegabe und wiſſen die Motive ihrer Handlungsweiſe ſo überzeugend darzulegen, daß der Zuhörer faſt immer auf der Seite deſſen iſt, der zuletzt geſprochen hat.

Man ſieht, er hat in ſeiner Jugend eine ſehr tüch¬ tige rhetoriſche Bildung genoſſen, wodurch er denn geübt worden, alle in einer Sache liegenden Gründe und Scheingründe aufzuſuchen. Doch verleitete ihn dieſe ſeine große Fähigkeit auch zu Fehlern, indem er mitunter in den Fall kam, zu weit zu gehen.

So kommt in der Antigone eine Stelle vor, die mir immer als ein Flecken erſcheint, und worum ich Vieles geben möchte, wenn ein tüchtiger Philologe uns bewieſe, ſie wäre eingeſchoben und unächt.

Nachdem nämlich die Heldin im Laufe des Stückes129 die herrlichſten Gründe für ihre Handlung ausge¬ ſprochen und den Edelmuth der reinſten Seele ent¬ wickelt hat, bringt ſie zuletzt, als ſie zum Tode geht, ein Motiv vor, das ganz ſchlecht iſt und faſt an's Komiſche ſtreift.

Sie ſagt, daß ſie das, was ſie für ihren Bruder gethan, wenn ſie Mutter geweſen wäre, nicht für ihre geſtorbenen Kinder und nicht für ihren geſtorbenen Gatten gethan haben würde. Denn, ſagt ſie, wäre mir ein Gatte geſtorben, ſo hätte ich einen anderen ge¬ nommen, und wären mir Kinder geſtorben, ſo hätte ich mir von dem neuen Gatten andere Kinder zeugen laſſen. Allein mit meinem Bruder iſt es ein Anderes. Einen Bruder kann ich nicht wieder bekommen, denn da mein Vater und meine Mutter todt ſind, ſo iſt Niemand da, der ihn zeugen könnte.

Dieß iſt wenigſtens der nackte Sinn dieſer Stelle, die nach meinem Gefühl in dem Munde einer zum Tode gehenden Heldin die tragiſche Stimmung ſtört, und die mir überhaupt ſehr geſucht und gar zu ſehr als ein dialektiſches Calcül erſcheint. Wie geſagt, ich möchte ſehr gerne, daß ein guter Philologe uns bewieſe, die Stelle ſey unächt.

Wir ſprachen darauf über Sophokles weiter und daß er bei ſeinen Stücken weniger eine ſittliche Tendenz vor Augen gehabt, als eine tüchtige Behandlung ſeinesIII. 9130jedesmaligen Gegenſtandes, beſonders mit Rückſicht auf theatraliſche Wirkung.

Ich habe nichts dawider, ſagte Goethe, daß ein dramatiſcher Dichter eine ſittliche Wirkung vor Augen habe; allein wenn es ſich darum handelt, ſeinen Ge¬ genſtand klar und wirkſam vor den Augen des Zuſchauers vorüberzuführen, ſo können ihm dabei ſeine ſittlichen Endzwecke wenig helfen und er muß vielmehr ein gro¬ ßes Vermögen der Darſtellung und Kenntniß der Bretter beſitzen, um zu wiſſen, was zu thun und zu laſſen. Liegt im Gegenſtande eine ſittliche Wirkung, ſo wird ſie auch hervorgehen, und hätte der Dichter weiter nichts im Auge, als ſeines Gegenſtandes wirk¬ ſame und kunſtgemäße Behandlung. Hat ein Poet den hohen Gehalt der Seele wie Sophokles, ſo wird ſeine Wirkung immer ſittlich ſeyn, er mag ſich ſtellen, wie er wolle. Uebrigens kannte er die Bretter und verſtand ſein Metier wie Einer.

Wie ſehr er das Theater kannte, verſetzte ich, und wie ſehr er eine theatraliſche Wirkung im Auge hatte, ſieht man an ſeinem Philoktet und der großen Aehn¬ lichkeit, die dieſes Stück in der Anordnung und dem Gange der Handlung mit dem Oedip in Kolonos hat.

In beiden Stücken ſehen wir den Helden in einem hülfloſen Zuſtande, Beide alt und an körperlichen Ge¬ brechen leidend. Der Oedip hat als Stütze die füh¬ rende Tochter zur Seite; der Philoktet den Bogen. 131Nun geht die Aehnlichkeit weiter. Beide hat man in ihrem Leiden verſtoßen; aber nachdem das Orakel über Beide ausgeſagt, daß nur mit ihrer Hülfe der Sieg erlangt werden könne, ſo ſucht man Beider wieder habhaft zu werden. Zum Philoktet kommt der Odyſſeus, zum Oedip der Kreon. Beide beginnen ihre Reden mit Liſt und ſüßen Worten; als aber dieſe nichts fruch¬ ten, ſo brauchen ſie Gewalt, und wir ſehen den Phi¬ loktet des Bogens und den Oedip der Tochter beraubt.

Solche Gewaltthätigkeiten, ſagte Goethe, gaben Anlaß zu trefflichen Wechſelreden, und ſolche hülfloſe Zuſtände erregten die Gemüther des hörenden und ſchauenden Volkes, weßhalb denn ſolche Situationen vom Dichter, dem es um Wirkung auf ſein Publicum zu thun war, gerne herbeigeführt wurden. Um dieſe Wirkung beim Oedip zu verſtärken, läßt ihn Sophokles als ſchwachen Greis auftreten, da er doch, allen Um¬ ſtänden nach, noch ein Mann in ſeiner beſten Blüthe ſeyn mußte. Aber in ſo rüſtigem Alter konnte ihn der Dichter in dieſem Stück nicht gebrauchen, er hätte keine Wirkung gethan, und er machte ihn daher zu einem ſchwachen, hülfsbedürftigen Greiſe.

Die Aehnlichkeit mit dem Philoktet, fuhr ich fort, geht weiter. Beide Helden des Stückes ſind nicht handelnd, ſondern duldend. Dagegen hat jeder dieſer paſſiven Helden der handelnden Figuren zwei gegen ſich. Der Oedip den Kreon und Polineikes, der Phi¬9*132loktet den Neoptolemos und Odyß. Und zwei ſolcher gegenwirkenden Figuren waren nöthig, um den Gegen¬ ſtand von allen Seiten zur Sprache zu bringen und um auch für das Stück ſelbſt die gehörige Fülle und Körperlichkeit zu gewinnen.

Sie könnten noch hinzufügen, nahm Goethe das Wort, daß beide Stücke auch darin Aehnlichkeit haben, daß wir in beiden die höchſt wirkſame Situation eines freudigen Wechſels ſehen, indem dem einen Helden in ſeiner Troſtloſigkeit die geliebte Tochter, und dem andern der nicht weniger geliebte Bogen zurückgegeben wird.

Auch ſind die verſöhnenden Ausgänge beider Stücke ſich ähnlich, indem beide Helden aus ihren Leiden Er¬ löſung erlangen; der Oedip, indem er ſelig entrückt wird, der Philoktet aber, indem wir durch Götterſpruch ſeine Heilung vor Ilion durch den Aeskulap voraus¬ ſehen.

Wenn wir übrigens, fuhr Goethe fort, für unſere modernen Zwecke lernen wollen, uns auf dem Theater zu benehmen, ſo wäre Moli è re der Mann, an den wir uns zu wenden hätten.

Kennen Sie ſeinen Malade imaginaire? Es iſt darin eine Scene, die mir, ſo oft ich das Stück leſe, immer als Symbol einer vollkommenen Bretter-Kenntniß er¬ ſcheint. Ich meine die Scene, wo der eingebildete Kranke ſeine kleine Tochter Louiſon befragt, ob nicht133 in dem Zimmer ihrer älteren Schweſter ein junger Mann geweſen.

Nun hätte ein Anderer, der das Metier nicht ſo gut verſtand, wie Molière, die kleine Louiſon das Fac¬ tum ſogleich ganz einfach erzählen laſſen, und es wäre gethan geweſen.

Was bringt aber Molière durch allerlei retardirende Motive in dieſe Examination für Leben und Wirkung, indem er die kleine Louiſon zuerſt thun läßt, als ver¬ ſtehe ſie ihren Vater nicht; dann läugnet, daß ſie etwas wiſſe; dann, von der Ruthe bedroht, wie todt hinfällt; dann, als der Vater in Verzweiflung ausbricht, aus ihrer fingirten Ohnmacht wieder ſchelmiſch-heiter auf¬ ſpringt, und zuletzt nach und nach Alles geſteht.

Dieſe meine Andeutung giebt Ihnen von dem Le¬ ben jenes Auftritts nur den allermagerſten Begriff; aber leſen Sie die Scene ſelbſt und durchdringen Sie ſich von ihrem theatraliſchen Werthe, und Sie werden geſte¬ hen, daß darin mehr praktiſche Lehre enthalten, als in ſämmtlichen Theorieen.

Ich kenne und liebe Molière, fuhr Goethe fort, ſeit meiner Jugend und habe während meines ganzen Lebens von ihm gelernt. Ich unterlaſſe nicht, jährlich von ihm einige Stücke zu leſen, um mich immer im Verkehr des Vortrefflichen zu erhalten. Es iſt nicht bloß das vollendete künſtleriſche Verfahren, was mich an ihm entzückt, ſondern vorzüglich auch das liebenswürdige134 Naturell, das hochgebildete Innere des Dichters. Es iſt in ihm eine Grazie und ein Tact für das Schick¬ liche, und ein Ton des feinen Umgangs, wie es ſeine angeborene ſchöne Natur nur im täglichen Verkehr mit den vorzüglichſten Menſchen ſeines Jahrhunderts er¬ reichen konnte. Von Menander kenne ich nur die wenigen Bruchſtücke; aber dieſe geben mir von ihm gleichfalls eine ſo hohe Idee, daß ich dieſen großen Griechen für den einzigen Menſchen halte, der mit Mo¬ lière wäre zu vergleichen geweſen.

Ich bin glücklich, erwiederte ich, Sie ſo gut über Molière reden zu hören. Das klingt freilich ein wenig anders als Herr v. Schlegel! Ich habe noch in dieſen Tagen in ſeinen Vorleſungen über dramatiſche Poeſie mit großem Widerwillen verſchluckt, was er über Mo¬ lière ſagt. Er behandelt ihn, wie Sie wiſſen, ganz von oben herab, als einen gemeinen Poſſenreißer, der die gute Geſellſchaft nur aus der Ferne geſehen und deſſen Gewerbe es geweſen, zur Ergötzung ſeines Herrn allerlei Schwänke zu erfinden. In ſolchen niedrig¬ luſtigen Schwänken ſey er noch am glücklichſten geweſen; doch habe er das Beſte geſtohlen. Zu der höheren Gattung des Luſtſpiels habe er ſich zwingen müſſen, und es ſey ihm nie damit gelungen.

Einem Menſchen wie Schlegel, erwiederte Göthe, iſt freilich eine ſo tüchtige Natur wie Molière ein wahrer Dorn im Auge; er fühlt, daß er von ihm135 keine Ader hat, er kann ihn nicht ausſtehen. Der Miſanthrop, den ich, als eins meiner liebſten Stücke in der Welt, immer wieder leſe, iſt ihm zuwider; den Tartüff lobt er gezwungenerweiſe ein Bißchen, aber er ſetzt ihn ſogleich wieder herab, ſo viel er nur kann. Daß Molière die Affectationen gelehrter Frauen lächer¬ lich gemacht, kann Schlegel ihm nicht verzeihen; er fühlt wahrſcheinlich, wie einer meiner Freunde bemerkte, daß er ihn ſelbſt lächerlich gemacht haben würde, wenn er mit ihm gelebt hätte.

Es iſt nicht zu läugnen, fuhr Göthe fort, Schlegel weiß unendlich viel, und man erſchrickt faſt über ſeine außerordentlichen Kenntniſſe und ſeine große Beleſenheit. Allein damit iſt es nicht gethan. Alle Gelehrſamkeit iſt noch kein Urtheil. Seine Kritik iſt durchaus ein¬ ſeitig, indem er faſt bei allen Theaterſtücken bloß das Skelett der Fabel und Anordnung vor Augen hat, und immer nur kleine Aehnlichkeiten mit großen Vorgängern nachweiſet, ohne ſich im Mindeſten darum zu beküm¬ mern, was der Autor uns von anmuthigem Leben und Bildung einer hohen Seele entgegenbringt. Was helfen aber alle Künſte des Talents, wenn aus einem Theater¬ ſtücke uns nicht eine liebenswürdige oder große Per¬ ſönlichkeit des Autors entgegenkommt! dieſes Einzige, was in die Cultur des Volkes übergeht.

In der Art und Weiſe, wie Schlegel, das Fran¬ zöſiſche Theater behandelt, finde ich das Recept zu136 einem ſchlechten Recenſenten, dem jedes Organ für die Verehrung des Vortrefflichen mangelt, und der über eine tüchtige Natur und einen großen Charakter hin¬ geht, als wäre es Spreu und Stoppel.

Den Shakſpeare und Calderon dagegen, verſetzte ich, behandelt er gerecht, und ſogar mit entſchiedener Neigung.

Beide, erwiederte Göthe, ſind freilich der Art, daß man über ſie nicht Gutes genug ſagen kann, wiewohl ich mich auch nicht wundern würde, wenn Schlegel ſie gleichfalls ganz ſchmählich herabgeſetzt hätte. So iſt er auch gegen Aeſchylus und Sophokles gerecht; allein dieß ſcheint nicht ſowohl zu geſchehen, weil er von ihrem ganz außerordentlichen Werthe lebendig durch¬ drungen wäre, als weil es bei den Philologen herkömm¬ lich iſt, Beide ſehr hoch zu ſtellen. Denn im Grunde reicht doch Schlegel's eigenes Perſönchen nicht hin, ſo hohe Naturen zu begreifen und gehörig zu ſchätzen. Wäre dieß, ſo müßte er auch gegen Euripides gerecht ſeyn und auch gegen dieſen ganz anders zu Werke ge¬ hen, als er gethan. Von dieſem weiß er aber, daß die Philologen ihn nicht eben ſonderlich hoch halten, und er verſpürt daher kein geringes Behagen, daß es ihm, auf ſo große Autorität hin, vergönnt iſt, über dieſen großen Alten ganz ſchändlich herzufallen und ihn zu ſchulmeiſtern, wie er kann.

Ich habe nichts dawider, daß Euripides ſeine137 Fehler habe; allein er war von Sophokles und Aeſchylus doch immerhin ein ſehr ehrenwerther Mitſtreiter. Wenn er nicht den hohen Ernſt und die ſtrenge Kunſtvollendung ſeiner beiden Vorgänger beſaß und dagegen als Theater¬ dichter die Dinge ein wenig läßlicher und menſchlicher tractirte, ſo kannte er wahrſcheinlich ſeine Athenienſer hinreichend, um zu wiſſen, daß der von ihm angeſtimmte Ton für ſeine Zeitgenoſſen eben der rechte ſey. Ein Dichter aber, den Socrates ſeinen Freund nannte, den Ariſtoteles hochſtellte, den Menander bewunderte, und um den Sophokles und die Stadt Athen bei der Nach¬ richt von ſeinem Tode Trauerkleider anlegte, mußte doch wohl in der That etwas ſeyn. Wenn ein moderner Menſch, wie Schlegel, an einem ſo großen Alten Fehler zu rügen hätte, ſo ſollte es billig nicht anders geſchehen, als auf den Knieen.

Abends bei Goethe. Ich ſprach mit ihm über die geſtrige Vorſtellung ſeiner Iphigenie, worin Herr Krüger, vom Königlichen Theater zu Berlin, den Oreſt ſpielte, und zwar zu großem Beifall.

Das Stück, ſagte Goethe, hat ſeine Schwierig¬ keiten. Es iſt reich an innerem Leben, aber arm an äußerem. Daß aber das innere Leben hervorgekehrt werde, darin liegt's. Es iſt voll der wirkſamſten Mittel, die aus den mannigfaltigſten Gräueln hervorwachſen,138 die dem Stück zu Grunde liegen. Das gedruckte Wort iſt freilich nur ein matter Widerſchein von dem Leben, das in mir bei der Erfindung rege war. Aber der Schauſpieler muß uns zu dieſer erſten Gluth, die den Dichter ſeinem Sujet gegenüber beſeelte, wieder zurück¬ bringen. Wir wollen von der Meerluft friſch ange¬ wehte, kraftvolle Griechen und Helden ſehen, die, von mannigfaltigen Uebeln und Gefahren geängſtigt und be¬ drängt, ſtark herausreden, was ihnen das Herz im Bu¬ ſen gebietet. Aber wir wollen keine ſchwächlich empfin¬ denden Schauſpieler, die ihre Rollen nur ſo obenhin aus¬ wendig gelernt haben; am wenigſten aber ſolche, die ihre Rollen nicht einmal können.

Ich muß geſtehen, es hat mir noch nie gelingen wollen, eine vollendete Aufführung meiner Iphigenie zu erleben. Das war auch die Urſache, warum ich geſtern nicht hineinging. Denn ich leide entſetzlich, wenn ich mich mit dieſen Geſpenſtern herumſchlagen muß, die nicht ſo zur Erſcheinung kommen, wie ſie ſollten.

Mit dem Oreſt, wie Herr Krüger ihn gab, ſagte ich, würden Sie wahrſcheinlich zufrieden geweſen ſeyn. Sein Spiel hatte eine Deutlichkeit, daß nichts begreif¬ licher, nichts faßlicher war, als ſeine Rolle. Es drang ſich Alles ein, und ich werde ſeine Bewegungen und Worte nicht vergeſſen.

Dasjenige, was in dieſer Rolle der exaltirten An¬ ſchauung, der Viſion, gehört, trat durch ſeine körper¬139 lichen Bewegungen und den veränderten abwechſelnden Ton ſeiner Stimme ſo aus ſeinem Innern heraus, daß man es mit leiblichen Augen zu ſehen glaubte. Beim Anblick dieſes Oreſt hätte Schiller die Furien ſicher nicht vermißt; ſie waren hinter ihm her, ſie waren um ihn herum.

Die bedeutende Stelle, wo Oreſt, aus ſeiner Er¬ mattung erwachend, ſich in die Unterwelt verſetzt glaubt, gelang zu hohem Erſtaunen. Man ſah die Reihen der Ahnherren in Geſprächen wandeln, man ſah Oreſt ſich ihnen geſellen, ſie befragen und ſich an ſie anſchließen. Man fühlte ſich ſelbſt verſetzt und in die Mitte dieſer Seligen mit aufgenommen, ſo rein und tief war die Empfindung des Künſtlers und ſo groß ſein Vermögen, das Unfaßlichſte uns vor die Augen zu bringen.

Ihr ſeid doch noch Leute, auf die ſich wirken läßt! erwiederte Göthe lachend. Aber fahren Sie fort und ſagen Sie weiter. Er ſcheint alſo wirklich gut geweſen zu ſeyn und ſeine körperlichen Mittel von Bedeutung?

Sein Organ, ſagte ich, war rein und wohltönend, auch viel geübt und dadurch der höchſten Biegſamkeit und Mannigfaltigkeit fähig. Phyſiſche Kraft und kör¬ perliche Gewandtheit ſtanden ihm ſodann bei Aus¬ führung aller Schwierigkeiten zur Seite. Es ſchien, daß er es ſein Lebelang an der mannigfaltigſten körper¬ lichen Ausbildung und Uebung nicht hatte fehlen laſſen.

Ein Schauſpieler, ſagte Goethe, ſollte eigentlich140 auch bei einem Bildhauer und Maler in die Lehre ge¬ hen. So iſt ihm, um einen griechiſchen Helden darzu¬ ſtellen, durchaus nöthig, daß er die auf uns gekom¬ menen antiken Bildwerke wohl ſtudirt und ſich die ungeſuchte Grazie ihres Sitzens, Stehens und Gehens wohl eingeprägt habe.

Auch iſt es mit dem Körperlichen noch nicht ge¬ than. Er muß auch durch ein fleißiges Studium der beſten alten und neuen Schriftſteller ſeinem Geiſte eine große Ausbildung geben, welches ihm denn nicht bloß zum Verſtändniß ſeiner Rolle zu Gute kommen, ſondern auch ſeinem ganzen Weſen und ſeiner ganzen Haltung einen höheren Anſtrich geben wird. Doch erzählen Sie weiter! Was war denn noch ſonſt Gutes an ihm zu bemerken?

Es ſchien mir, ſagte ich, als habe ihm eine große Liebe für ſeinen Gegenſtand beigewohnt. Er hatte durch ein emſiges Studium ſich alles Einzelne klar gemacht, ſo daß er in ſeinem Helden mit großer Frei¬ heit lebte und webte und nichts übrig blieb, was nicht durchaus wäre das Seinige geworden. Hieraus ent¬ ſtand denn ein richtiger Ausdruck und eine richtige Betonung jedes einzelnen Wortes, und eine ſolche Sicherheit, daß für ihn der Souffleur eine ganz über¬ flüſſige Perſon war.

Das freut mich, ſagte Goethe, und ſo iſt es recht. Nichts iſt ſchrecklicher, als wenn die Schauſpieler nicht141 Herr ihrer Rolle ſind und bei jedem neuen Satze nach dem Souffleur horchen müſſen, wodurch ihr Spiel ſogleich null iſt, und ſogleich ohne alle Kraft und Leben. Wenn bei einem Stück, wie meine Iphigenie, die Schauſpieler in ihren Rollen nicht durchaus feſt ſind, ſo iſt es beſſer, die Aufführung zu unterlaſſen. Denn das Stück kann bloß Erfolg haben, wenn Alles ſicher, raſch und lebendig geht.

Nun, nun! Es iſt mir lieb, daß es mit Krü¬ gern ſo gut abgelaufen. Zelter hatte ihn mir empfohlen, und es wäre mir fatal geweſen, wenn es mit ihm nicht ſo gut gegangen wäre, wie es iſt. Ich werde ihm auch meinerſeits einen kleinen Spaß machen und ihm ein hübſch eingebundenes Exemplar der Iphigenie zum Andenken verehren, mit einigen eingeſchriebenen Verſen in Bezug auf ſein Spiel.

Das Geſpräch lenkte ſich auf die Antigone von Sophokles, auf die darin waltende hohe Sittlichkeit, und endlich auf die Frage: wie das Sittliche in die Welt gekommen?

Durch Gott ſelber, erwiederte Goethe, wie alles andere Gute. Es iſt kein Product menſchlicher Reflec¬ tion, ſondern es iſt angeſchaffene und angeborene ſchöne Natur. Es iſt mehr oder weniger den Menſchen im Allgemeinen angeſchaffen, im hohen Grade aber einzel¬ nen, ganz vorzüglich begabten Gemüthern. Dieſe haben durch große Thaten oder Lehren ihr göttliches Innere142 offenbaret, welches ſodann durch die Schönheit ſeiner Erſcheinung die Liebe der Menſchen ergriff und zur Verehrung und Nacheiferung gewaltig fortzog.

Der Werth des Sittlich-Schönen und Guten aber konnte durch Erfahrung und Weisheit zum Bewußtſeyn gelangen, indem das Schlechte ſich in ſeinen Folgen als ein Solches erwies, welches das Glück des Einzelnen wie des Ganzen zerſtörte, dagegen das Edle und Rechte als ein Solches, welches das beſondere und allgemeine Glück herbeiführte und befeſtigte. So konnte das Sitt¬ lich-Schöne zur Lehre werden und ſich als ein Ausge¬ ſprochenes über ganze Völkerſchaften verbreiten.

Ich las neulich irgendwo die Meinung ausgeſprochen, verſetzte ich, die griechiſche Tragödie habe ſich die Schön¬ heit des Sittlichen zum beſondern Gegenſtand gemacht.

Nicht ſowohl das Sittliche, erwiederte Goethe, als das Rein-Menſchliche in ſeinem ganzen Umfange; be¬ ſonders aber in den Richtungen, wo es, mit einer rohen Macht und Satzung in Conflict gerathend, tragi¬ ſcher Natur werden konnte. In dieſer Region lag denn freilich auch das Sittliche, als ein Haupt-Theil der menſchlichen Natur.

Das Sittliche der Antigone iſt übrigens nicht von Sophokles erfunden, ſondern es lag im Süjet, welches aber Sophokles um ſo lieber wählen mochte, als es neben der ſittlichen Schönheit ſo viel Dramatiſch-Wirk¬ ſames in ſich hatte.

143

Goethe ſprach ſodann über den Charakter des Kreon und der Ismene, und über die Nothwendigkeit dieſer beiden Figuren zur Entwickelung der ſchönen Seele der Heldin.

Alles Edle, ſagte er, iſt an ſich ſtiller Natur und ſcheint zu ſchlafen, bis es durch Widerſpruch geweckt und herausgefordert wird. Ein ſolcher Widerſpruch iſt Kreon, welcher theils der Antigone wegen da iſt, damit ſich ihre edle Natur und das Recht, was auf ihrer Seite liegt, an ihm hervorkehre, theils aber um ſein ſelbſt willen, damit ſein unſeliger Irrthum uns als ein Haſſenswürdiges erſcheine.

Da aber Sophokles uns das hohe Innere ſeiner Heldin auch vor der That zeigen wollte, ſo mußte noch ein anderer Widerſpruch daſeyn, woran ſich ihr Charakter entwickeln konnte, und das iſt die Schweſter Ismene. In dieſer hat der Dichter uns nebenbei ein ſchönes Maaß des Gewöhnlichen gegeben, woran uns die ein ſolches Maaß weit überſteigende Höhe der Antigone deſto auffallender ſichtbar wird.

Das Geſpräch wendete ſich auf dramatiſche Schrift¬ ſteller im Allgemeinen, und welche bedeutende Wirkung auf die große Maſſe des Volkes von ihnen ausgehe und ausgehen könne.

Ein großer dramatiſcher Dichter, ſagte Goethe, wenn er zugleich productiv iſt und ihm eine mächtige edle Geſinnung beiwohnt, die alle ſeine Werke durch¬144 dringt, kann erreichen, daß die Seele ſeiner Stücke zur Seele des Volkes wird. Ich dächte, das wäre etwas, das wohl der Mühe werth wäre. Von Cor¬ neille ging eine Wirkung aus, die fähig war, Helden¬ ſeelen zu bilden. Das war etwas für Napoleon, der ein Heldenvolk nöthig hatte; weßhalb er denn von Corneille ſagte, daß, wenn er noch lebte, er ihn zum Fürſten machen würde. Ein dramatiſcher Dichter, der ſeine Beſtimmung kennt, ſoll daher unabläſſig an ſeiner höheren Entwickelung arbeiten, damit die Wirkung, die von ihm auf das Volk ausgeht, eine wohlthätige und edle ſey.

Man ſtudire nicht die Mitgeborenen und Mit¬ ſtrebenden, ſondern große Menſchen der Vorzeit, deren Werke ſeit Jahrhunderten gleichen Werth und gleiches Anſehen behalten haben. Ein wirklich hochbegabter Menſch wird das Bedürfniß dazu ohnedieß in ſich fühlen, und gerade dieſes Bedürfniß des Umgangs mit großen Vorgängern iſt das Zeichen einer höheren An¬ lage. Man ſtudire Molière, man ſtudire Shakſpeare, aber vor allen Dingen die alten Griechen und immer die Griechen.

Für hochbegabte Naturen, bemerkte ich, mag das Studium der Schriften des Alterthums allerdings ganz unſchätzbar ſeyn; allein im Allgemeinen ſcheint es auf den perſönlichen Charakter wenig Einfluß auszuüben. Wenn das wäre, ſo müßten ja alle Philologen und145 Theologen die vortrefflichſten Menſchen ſeyn. Dieß iſt aber keineswegs der Fall, und es ſind ſolche Kenner der griechiſchen und lateiniſchen Schriften des Alterthums eben tüchtige Leute, oder auch arme Wichte, je nach den guten oder ſchlechten Eigenſchaften, die Gott in ihre Natur gelegt, oder die ſie von Vater und Mutter mitbrachten.

Dagegen iſt nichts zu erinnern, erwiederte Göthe; aber damit iſt durchaus nicht geſagt, daß das Studium der Schriften des Alterthums für die Bildung eines Charakters überall ohne Wirkung wäre. Ein Lump bleibt freilich ein Lump, und eine kleinliche Natur wird durch einen ſelbſt täglichen Verkehr mit der Großheit antiker Geſinnung um keinen Zoll größer werden. Allein ein edler Menſch, in deſſen Seele Gott die Fähigkeit künftiger Charaktergröße und Geiſteshoheit gelegt, wird durch die Bekanntſchaft und den vertrau¬ lichen Umgang mit den erhabenen Naturen griechiſcher und römiſcher Vorzeit ſich auf das Herrlichſte entwickeln und mit jedem Tage zuſehends zu ähnlicher Größe heranwachſen.

Mit Göthe vor Tiſch ſpazieren gefahren eine Strecke die Straße nach Erfurt hinaus. Es begegnete uns allerhand Frachtfuhrwerk mit Waaren für die LeipzigerIII. 10146Meſſe. Auch einige Züge Koppelpferde, worunter ſehr ſchöne Thiere.

Ich muß über die Aeſthetiker lachen, ſagte Göthe, welche ſich abquälen, dasjenige Unausſprechliche, wofür wir den Ausdruck ſchön gebrauchen, durch einige ab¬ ſtracte Worte in einen Begriff zu bringen. Das Schöne iſt ein Urphänomen, das zwar nie ſelber zur Erſchei¬ nung kommt, deſſen Abglanz aber in tauſend verſchie¬ denen Aeußerungen des ſchaffenden Geiſtes ſichtbar wird, und ſo mannigfaltig und ſo verſchiedenartig iſt, als die Natur ſelber.

Ich habe oft ausſprechen hören, ſagte ich, die Na¬ tur ſey immer ſchön; ſie ſey die Verzweiflung des Künſtlers, indem er ſelten fähig ſey, ſie ganz zu er¬ reichen.

Ich weiß wohl, erwiederte Goethe, daß die Natur oft einen unerreichbaren Zauber entfaltet; allein ich bin keineswegs der Meinung, daß ſie in allen ihren Aeuße¬ rungen ſchön ſey. Ihre Intentionen ſind zwar immer gut, allein die Bedingungen ſind es nicht, die dazu gehören, ſie ſtets vollkommen zur Erſcheinung gelangen zu laſſen.

So iſt die Eiche ein Baum, der ſehr ſchön ſeyn kann. Doch wie viele günſtige Umſtände müſſen zu¬ ſammentreffen, ehe es der Natur einmal gelingt, ihn wahrhaft ſchön hervorzubringen! Wächſt die Eiche im Dickicht des Waldes heran, von bedeutenden Nachbar¬147 ſtämmen umgeben, ſo wird ihre Tendenz immer nach oben gehen, immer nach freier Luft und Licht. Nach den Seiten hin wird ſie nur wenige ſchwache Aeſte treiben, und auch dieſe werden im Laufe des Jahrhun¬ derts wieder verkümmern und abfallen. Hat ſie aber endlich erreicht, ſich mit ihrem Gipfel oben im Freien zu fühlen, ſo wird ſie ſich beruhigen und nun anfangen ſich nach den Seiten hin auszubreiten und eine Krone zu bilden. Allein ſie iſt auf dieſer Stufe bereits über ihr mittleres Alter hinaus, ihr vieljähriger Trieb nach oben hat ihre friſcheſten Kräfte hingenommen, und ihr Beſtreben, ſich jetzt noch nach der Breite hin mächtig zu erweiſen, wird nicht mehr den rechten Erfolg haben. Hoch, ſtark und ſchlankſtämmig wird ſie nach vollen¬ detem Wuchſe daſtehen, doch ohne ein ſolches Verhält¬ niß zwiſchen Stamm und Krone, um in der That ſchön zu ſeyn.

Wächſt hinwieder die Eiche an feuchten, ſumpfigen Orten und iſt der Boden zu nahrhaft, ſo wird ſie, bei gehörigem Raum, frühzeitig viele Aeſte und Zweige nach allen Seiten treiben; es werden jedoch die widerſtre¬ benden, retardirenden Einwirkungen fehlen, das Knorrige, Eigenſinnige, Zackige wird ſich nicht entwickeln, und, aus einiger Ferne geſehen, wird der Baum ein ſchwaches, lindenartiges Anſehen gewinnen, und er wird nicht ſchön ſeyn, wenigſtens nicht als Eiche.

Wächſt ſie endlich an bergigen Abhängen, auf dürf¬10 *148tigem ſteinigten Erdreich, ſo wird ſie zwar im Ueber¬ maß zackig und knorrig erſcheinen, allein es wird ihr an freier Entwickelung fehlen, ſie wird in ihrem Wuchs frühzeitig kümmern und ſtocken, und ſie wird nie errei¬ chen, daß man von ihr ſage: es walte in ihr etwas, das fähig ſey, uns in Erſtaunen zu ſetzen.

Ich freute mich dieſer guten Worte. Sehr ſchöne Eichen, ſagte ich, habe ich geſehen, als ich vor einigen Jahren von Göttingen aus mitunter kleine Touren ins Weſerthal machte. Beſonders mächtig fand ich ſie im Solling in der Gegend von Höxter.

Ein ſandiger oder mit Sand gemiſchter Boden, fuhr Goethe fort, wo ihr nach allen Richtungen hin mächtige Wurzeln zu treiben vergönnt iſt, ſcheint ihr am günſtigſten zu ſeyn. Und dann will ſie einen Stand, der ihr gehörigen Raum gewährt, alle Einwir¬ kungen von Licht und Sonne und Regen und Wind von allen Seiten her in ſich aufzunehmen. Im behag¬ lichen Schutz vor Wind und Wetter herangewachſen, wird aus ihr nichts; aber ein hundertjähriger Kampf mit den Elementen macht ſie ſtark und mächtig, ſo daß nach vollendetem Wuchs ihre Gegenwart uns Erſtaunen und Bewunderung einflößt.

Könnte man nicht aus dieſen Ihren Andeutungen, verſetzte ich, ein Reſultat ziehen und ſagen: ein Ge¬ ſchöpf ſey dann ſchön, wenn es zu dem Gipfel ſeiner natürlichen Entwickelung gelangt ſey?

149

Recht wohl, erwiederte Goethe; doch müßte man zuvor ausſprechen, was man unter dem Gipfel der natürlichen Entwickelung wolle verſtanden haben.

Ich würde damit, erwiederte ich, diejenige Periode des Wachsthums bezeichnen, wo der Charakter, der dieſem oder jenem Geſchöpf eigenthümlich iſt, vollkom¬ men ausgeprägt erſcheint.

In dieſem Sinne, erwiederte Goethe, wäre nichts dagegen einzuwenden, beſonders wenn man noch hinzu¬ fügte, daß zu ſolchem vollkommen ausgeprägten Cha¬ rakter zugleich gehöre, daß der Bau der verſchiedenen Glieder eines Geſchöpfes deſſen Naturbeſtimmung an¬ gemeſſen und alſo zweckmäßig ſey.

So wäre z. B. ein mannbares Mädchen, deſſen Naturbeſtimmung iſt, Kinder zu gebären und Kinder zu ſäugen, nicht ſchön ohne gehörige Breite des Beckens und ohne gehörige Fülle der Brüſte. Doch wäre auch ein Zuviel nicht ſchön, denn das würde über das Zweck¬ mäßige hinausgehen.

Warum konnten wir vorhin einige der Reitpferde, die uns begegneten, ſchön nennen, als eben wegen der Zweckmäßigkeit ihres Baues. Es war nicht bloß das Zierliche, Leichte, Graziöſe ihrer Bewegungen, ſondern noch etwas mehr, worüber ein guter Reiter und Pferde¬ kenner reden müßte und wovon wir Anderen bloß den allgemeinen Eindruck empfinden.

Könnte man nicht auch, ſagte ich, einen Karrengaul150 ſchön nennen, wie uns vorhin einige ſehr ſtarke vor den Frachtwagen der Brabanter Fuhrleute begegneten?

Allerdings! erwiederte Goethe; und warum nicht? Ein Maler fände an dem ſtark ausgeprägten Charakter, an dem mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen und Muskeln eines ſolchen Thieres wahrſcheinlich noch ein weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei Schönheiten, als an dem milderen, egaleren Charakter eines zier¬ lichen Reitpferdes.

Die Hauptſache iſt immer, fuhr Goethe fort, daß die Raçe rein und der Menſch nicht ſeine verſtümmelnde Hand angelegt hat. Ein Pferd, dem Schweif und Mähne abgeſchnitten, ein Hund mit geſtutzten Ohren, ein Baum, dem man die mächtigſten Zweige genommen und das Uebrige kugelförmig geſchnitzelt hat, und über Alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend auf durch Schnürbrüſte verdorben und entſtellt worden, alles die¬ ſes ſind Dinge, von denen ſich der gute Geſchmack ab¬ wendet und die bloß in dem Schönheits-Katechismus der Philiſter ihre Stelle haben.

Unter dieſen und ähnlichen Geſprächen waren wir wieder zurückgekehrt. Wir machten vor Tiſch noch einige Gänge im Hausgarten. Das Wetter war ſehr ſchön; die Frühlingsſonne fing an mächtig zu werden und an Büſchen und Hecken ſchon allerlei Laub und Blüthen hervorzulocken. Goethe war voller Gedanken und Hoff¬ nungen eines genußreichen Sommers.

151

Darauf bei Tiſch, waren wir ſehr heiter. Der junge Goethe hatte die Helena ſeines Vaters geleſen und ſprach darüber mit vieler Einſicht eines natürlichen Verſtandes. Ueber den im antiken Sinne gedichteten Theil ließ er eine entſchiedene Freude blicken, während ihm die opernartige romantiſche Hälfte, wie man mer¬ ken konnte, beim Leſen nicht lebendig geworden.

Du haſt im Grunde recht, und es iſt ein eigenes Ding, ſagte Goethe. Man kann zwar nicht ſagen, daß das Vernünftige immer ſchön ſey; allein das Schöne iſt doch immer vernünftig, oder wenigſtens es ſollte ſo ſeyn. Der antike Theil gefällt dir aus dem Grunde, weil er faßlich iſt, weil du die einzelnen Theile über¬ ſehen und du meiner Vernunft mit der deinigen bei¬ kommen kannſt. In der zweiten Hälfte iſt zwar auch allerlei Verſtand und Vernunft gebraucht und verarbeitet worden; allein es iſt ſchwer und erfordert einiges Studium, ehe man den Dingen beikommt und ehe man mit eigener Vernunft die Vernunft des Autors wieder herausfindet.

Goethe ſprach darauf mit allerlei Lob und Aner¬ kennung über die Gedichte der Madame Taſtü, mit deren Lectüre er ſich in dieſen Tagen beſchäftiget.

Als die Uebrigen gingen und ich mich auch anſchickte zu gehen, bat er mich, noch ein wenig zu bleiben. Er ließ ein Portefeuille mit Kupferſtichen und Radierungen Niederländiſcher Meiſter herbeibringen.

152

Ich will Sie doch, ſagte er, zum Nachtiſch noch mit etwas Gutem tractiren. Mit dieſen Worten legte er mir ein Blatt vor, eine Landſchaft von Rubens. Sie haben, ſagte er, dieſes Bild zwar ſchon bei mir geſehen; allein man kann etwas Vortreffliches nicht oft genug betrachten, und dießmal handelt es ſich noch dazu um etwas ganz Beſonderes. Möchten Sie mir wohl ſagen, was Sie ſehen?

Nun, ſagte ich, wenn ich von der Tiefe anfange, ſo haben wir im äußerſten Hintergrunde einen ſehr hellen Himmel, wie eben nach Sonnenuntergang. Dann, gleichfalls in der äußerſten Ferne, ein Dorf und eine Stadt, in der Helle des Abendlichtes. In der Mitte des Bildes ſodann einen Weg, worauf eine Heerde Schafe dem Dorfe zueilet. Rechts im Bilde allerlei Heuhaufen und einen Wagen, der ſoeben voll geladen worden. Angeſchirrte Pferde graſen in der Nähe. Ferner, ſeitwärts in Gebüſchen zerſtreut, mehrere wei¬ dende Stuten mit ihren Fohlen, die das Anſehen haben, als würden ſie in der Nacht draußen bleiben. Sodann, näher dem Vordergrunde zu, eine Gruppe großer Bäume, und zuletzt, ganz im Vordergrunde links, ver¬ ſchiedene nach Hauſe gehende Arbeiter.

Gut, ſagte Goethe, das wäre wohl Alles. Aber die Hauptſache fehlt noch. Alle dieſe Dinge, die wir dargeſtellt ſehen: die Heerde Schafe, der Wagen mit153 Heu, die Pferde, die nach Hauſe gehenden Feldarbeiter, von welcher Seite ſind ſie beleuchtet?

Sie haben das Licht, ſagte ich, auf der uns zuge¬ kehrten Seite und werfen die Schatten in das Bild hinein. Beſonders die nach Hauſe gehenden Feldarbei¬ ter im Vordergrunde ſind ſehr im Hellen, welches einen trefflichen Effect thut.

Wodurch hat aber Rubens dieſe ſchöne Wirkung hervorgebracht?

Dadurch, antwortete ich, daß er dieſe hellen Figuren auf einem dunkeln Grunde erſcheinen läßt.

Aber dieſer dunkle Grund, erwiederte Goethe, wo¬ durch entſteht er?

Es iſt der mächtige Schatten, ſagte ich, den die Baumgruppe den Figuren entgegenwirft. Aber wie? fuhr ich mit Ueberraſchung fort, die Figuren werfen den Schatten in das Bild hinein, die Baumgruppe dagegen wirft den Schatten dem Beſchauer entgegen? Da haben wir ja das Licht von zwei entgegengeſetzten Sei¬ ten, welches aber ja gegen alle Natur iſt!

Das iſt eben der Punkt, erwiederte Goethe mit einigem Lächeln. Das iſt es, wodurch Rubens ſich groß erweiſet und an den Tag legt, daß er mit freiem Geiſte über der Natur ſteht und ſie ſeinen höheren Zwecken gemäß tractirt. Das doppelte Licht iſt aller¬ dings gewaltſam, und Sie können immerhin ſagen, es ſey gegen die Natur. Allein, wenn es gegen die Natur154 iſt, ſo ſage ich zugleich, es ſey höher als die Natur, ſo ſage ich, es ſey der kühne Griff des Meiſters, wo¬ durch er auf geniale Weiſe an den Tag legt, daß die Kunſt der natürlichen Nothwendigkeit nicht durchaus unterworfen iſt, ſondern ihre eigenen Geſetze hat.

Der Künſtler, fuhr Goethe fort, muß freilich die Natur im Einzelnen treu und fromm nachbilden, er darf in dem Knochenbau und der Lage von Sehnen und Muskeln eines Thieres nichts willkürlich ändern, ſo daß dadurch der eigenthümliche Charakter verletzt würde. Denn das hieße die Natur vernichten. Allein in den höheren Regionen des künſtleriſchen Verfah¬ rens, wodurch ein Bild zum eigentlichen Bilde wird, hat er ein freieres Spiel, und er darf hier ſogar zu Fictionen ſchreiten, wie Rubens in dieſer Landſchaft mit dem doppelten Lichte gethan.

Der Künſtler hat zur Natur ein zwiefaches Ver¬ hältniß: er iſt ihr Herr und ihr Sklave zugleich. Er iſt ihr Sklave, inſofern er mit irdiſchen Mitteln wirken muß, um verſtanden zu werden; ihr Herr aber, inſofern er dieſe irdiſchen Mittel ſeinen höheren Intentionen unterwirft und ihnen dienſtbar macht.

Der Künſtler will zur Welt durch ein Ganzes ſprechen; dieſes Ganze aber findet er nicht in der Na¬ tur, ſondern es iſt die Frucht ſeines eigenen Geiſtes, oder, wenn Sie wollen, des Anwehens eines befruchten¬ den göttlichen Odems.

155

Betrachten wir dieſe Landſchaft von Rubens nur ſo obenhin, ſo kommt uns Alles ſo natürlich vor, als ſey es nur geradezu von der Natur abgeſchrieben. Es iſt aber nicht ſo. Ein ſo ſchönes Bild iſt nie in der Natur geſehen worden, ebenſowenig als eine Landſchaft von Pouſſin oder Claude Lorrain, die uns auch ſehr natürlich erſcheinet, die wir aber gleichfalls in der Wirklichkeit vergebens ſuchen.

Ließen ſich nicht auch, ſagte ich, ähnliche kühne Züge künſtleriſcher Fiction, wie dieſes doppelte Licht von Ru¬ bens, in der Literatur finden?

Da brauchten wir nicht eben weit zu gehen, er¬ wiederte Goethe nach einigem Nachdenken. Ich könnte ſie Ihnen im Shakſpeare zu Dutzenden nachweiſen. Nehmen Sie nur den Macbeth. Als die Lady ihren Gemahl zur That begeiſtern will, ſagt ſie:

Ich habe Kinder aufgeſäugt ꝛc.

Ob dieſes wahr iſt oder nicht, kommt gar nicht darauf an; aber die Lady ſagt es, und ſie muß es ſagen, um ihrer Rede dadurch Nachdruck zu geben. Im ſpäte¬ ren Verlauf des Stückes aber, als Macduff die Nach¬ richt von dem Untergange der Seinen erfährt, ruft er im wilden Grimme aus:

Er hat keine Kinder!

Dieſe Worte des Macduff kommen alſo mit denen der Lady in Widerſpruch; aber das kümmert Shak¬ ſpeare nicht. Ihm kommt es auf die Kraft der jedes¬156 maligen Rede an, und ſo wie die Lady zum höchſten Nachdruck ihrer Worte ſagen mußte: Ich habe Kinder aufgeſäugt , ſo mußte auch eben dieſem Zweck Macduff ſagen: Er hat keine Kinder!

Ueberall, fuhr Goethe fort, ſollen wir es mit dem Pinſelſtriche eines Malers, oder dem Worte eines Dichters nicht ſo genau und kleinlich nehmen; vielmehr ſollen wir ein Kunſtwerk, das mit kühnem und freiem Geiſte gemacht worden, auch wo möglich mit eben ſol¬ chem Geiſte wieder anſchauen und genießen.

So wäre es thöricht, wenn man aus den Worten des Macbeth:

Gebier mir keine Töchter ꝛc.

den Schluß ziehen wollte, die Lady ſey ein ganz ju¬ gendliches Weſen, das noch nicht geboren habe. Und ebenſo thöricht wäre es, wenn man weiter gehen und verlangen wollte, die Lady müſſe auf der Bühne als eine ſolche ſehr jugendliche Perſon dargeſtellt werden.

Shakſpeare läßt den Macbeth dieſe Worte keines¬ wegs ſagen, um damit die Jugend der Lady zu be¬ weiſen, ſondern dieſe Worte, wie die vorhin angeführten der Lady und des Macduff, ſind bloß rethoriſcher Zwecke wegen da, und wollen weiter nichts beweiſen, als daß der Dichter ſeine Perſonen jedesmal das reden läßt, was eben an dieſer Stelle gehörig, wirkſam und gut iſt, ohne ſich viel und ängſtlich zu bekümmern und157 zu calculiren, ob dieſe Worte vielleicht mit einer anderen Stelle in ſcheinbaren Widerſpruch gerathen möchten.

Ueberhaupt hat Shakſpeare bei ſeinen Stücken ſchwerlich daran gedacht, daß ſie als gedruckte Buch¬ ſtaben vorliegen würden, die man überzählen und gegen einander vergleichen und berechnen möchte; vielmehr hatte er die Bühne vor Augen, als er ſchrieb; er ſah ſeine Stücke als ein Bewegliches, Lebendiges an, das von den Brettern herab den Augen und Ohren raſch vorüberfließen würde, das man nicht feſthalten und im Einzelnen bekritteln könnte, und wobei es bloß darauf ankam, immer nur im gegenwärtigen Moment wirkſam und bedeutend zu ſeyn.

Auguſt Wilhelm v. Schlegel iſt hier. Goethe machte mit ihm vor Tiſch eine Spazierfahrt ums We¬ bicht und gab ihm zu Ehren dieſen Abend einen großen Thee, wobei auch Schlegel's Reiſegefährte, Herr Doctor Laſſen, gegenwärtig. Alles in Weimar, was irgend Namen und Rang hatte, war dazu eingeladen, ſo daß das Getreibe in Goethe's Zimmern groß war. Herr von Schlegel war ganz von Damen umringt, denen er aufgerollte ſchmale Streifen mit indiſchen Götterbildern vorzeigte, ſowie den ganzen Text von zwei großen in¬ diſchen Gedichten, von denen, außer ihm ſelbſt und Dr.158 Laſſen, wahrſcheinlich Niemand etwas verſtand. Schle¬ gel war höchſt ſauber angezogen und höchſt jugendlichen, blühenden Anſehens, ſo daß einige der Anweſenden be¬ haupten wollten, er ſcheine nicht unerfahren in Anwen¬ dung kosmetiſcher Mittel.

Goethe zog mich in ein Fenſter. Nun? wie ge¬ fällt er Ihnen. Noch ganz ſo, wie ſonſt, erwiederte ich. Er iſt freilich in vieler Hinſicht kein Mann, fuhr Goethe fort; aber doch kann man ihm, ſeiner vielſeitigen gelehrten Kenntniſſe und ſeiner großen Verdienſte wegen, ſchon etwas zu Gute halten.

Bei Goethe zu Tiſche mit Herrn Dr. Laſſen. Schle¬ gel war heute abermals an Hof zur Tafel gezogen. Herr Laſſen entwickelte große Kenntniſſe der indiſchen Poeſie, die Goethen höchſt willkommen zu ſeyn ſchienen, um ſein eigenes immerhin nur ſehr lückenhaftes Wiſſen in dieſen Dingen zu ergänzen.

Ich war Abends wieder einige Augenblicke bei Goethe. Er erzählte mir, daß Schlegel in der Däm¬ merung bei ihm geweſen und daß er mit ihm ein höchſt bedeutendes Geſpräch über literariſche und hiſtoriſche Gegenſtände geführt, das für ihn ſehr belehrend ge¬ weſen. Nur muß man, fügte er hinzu, keine Trauben von den Dornen und keine Feigen von den Diſteln ver¬ langen; übrigens iſt Alles ganz vortrefflich.

159

Die höchſt gelungene Ueberſetzung der dramatiſchen Werke Goethe's von Stapfer hat in dem zu Paris er¬ ſcheinenden Globe des vorigen Jahres durch Herrn J. J. Amp è re eine Beurtheilung gefunden, die nicht weniger vortrefflich iſt, und die Göthen ſo angenehm berührte, daß er ſehr oft darauf zurückkam und ſich ſehr oft mit großer Anerkennung darüber ausließ.

Der Standpunkt des Herrn Ampère, ſagte er, iſt ein ſehr hoher. Wenn deutſche Recenſenten bei ähn¬ lichen Anläſſen gern von der Philoſophie ausgehen und bei Betrachtung und Beſprechung eines dichteriſchen Erzeugniſſes auf eine Weiſe verfahren, daß dasjenige, was ſie zu deſſen Aufklärung beibringen, nur Philo¬ ſophen ihrer eigenen Schule zugänglich, für andere Leute aber weit dunkler iſt als das Werk, das ſie er¬ läutern wollen, ſelber, ſo benimmt ſich dagegen Herr Ampère durchaus praktiſch und menſchlich. Als Einer, der das Metier aus dem Grunde kennt, zeigt er die Verwandtſchaft des Erzeugten mit dem Erzeuger, und beurtheilt die verſchiedenen poetiſchen Productionen als verſchiedene Früchte verſchiedener Lebensepochen des Dichters.

Er hat den abwechſelnden Gang meiner irdiſchen Laufbahn und meiner Seelenzuſtände im Tiefſten ſtudirt und ſogar die Fähigkeit gehabt, das zu ſehen, was ich nicht ausgeſprochen und was, ſo zu ſagen, nur zwiſchen160 den Zeilen zu leſen war. Wie richtig hat er bemerkt, daß ich in den erſten zehn Jahren meines Weimar'ſchen Dienſt - und Hoflebens ſo gut wie gar nichts gemacht, daß die Verzweiflung mich nach Italien getrieben, und daß ich dort, mit neuer Luſt zum Schaffen, die Geſchichte des Taſſo ergriffen, um mich in Behandlung dieſes angemeſſenen Stoffes von demjenigen frei zu machen, was mir noch aus meinen Weimar'ſchen Eindrücken und Erinnerungen Schmerzliches und Läſtiges anklebte. Sehr treffend nennt er daher auch den Taſſo einen geſteigerten Werther.

Sodann über den Fauſt äußert er ſich nicht weni¬ ger geiſtreich, indem er nicht bloß das düſtere, unbe¬ friedigte Streben der Hauptfigur, ſondern auch den Hohn und die herbe Ironie des Mephiſtopheles als Theile meines eigenen Weſens bezeichnet.

In dieſer und ähnlicher anerkennenden Weiſe ſprach Goethe über Herrn Ampère ſehr oft; wir faßten für ihn ein entſchiedenes Intereſſe, wir ſuchten uns ſeine Perſönlichkeit klar zu machen, und wenn uns dieſes auch nicht gelingen konnte, ſo waren wir doch darüber einig, daß es ein Mann von mittleren Jahren ſeyn müſſe, um die Wechſelwirkung von Leben und Dichten ſo aus dem Grunde zu verſtehen.

Sehr überraſcht waren wir daher, als Herr Ampère vor einigen Tagen in Weimar eintraf und ſich uns als ein lebensfroher Jüngling von einigen zwanzig Jahren161 darſtellte; und nicht weniger überraſcht waren wir, als er gegen uns im Laufe eines weiteren Verkehrs äußerte, daß ſämmtliche Mitarbeiter des Globe, deſſen Weisheit, Mäßigung und hohe Bildungsſtufe wir oft bewundert, lauter junge Leute wären, wie er.

Ich begreife wohl, ſagte ich, daß Einer jung ſeyn kann, um Bedeutendes zu produciren und, gleich Mé¬ rimée, im zwanzigſten Jahre treffliche Stücke zu ſchreiben; allein daß Einem bei ähnlich jungen Jahren eine ſolche Ueberſicht und ſo tiefe Einblicke zu Gebote ſtehen, um eine ſolche Höhe des Urtheils zu beſitzen, wie die Her¬ ren des Globe, das iſt mir durchaus etwas Neues.

Ihnen in Ihrer Haide, erwiederte Goethe, iſt es freilich nicht ſo leicht geworden, und auch wir Andern im mittleren Deutſchland haben unſer Bischen Weisheit ſchwer genug erkaufen müſſen. Denn wir führen doch im Grunde Alle ein iſolirtes armſeliges Leben! Aus dem eigentlichen Volke kommt uns ſehr wenige Cultur entgegen und unſere ſämmtlichen Talente und guten Köpfe ſind über ganz Deutſchland ausgeſäet. Da ſitzt Einer in Wien, ein Anderer in Berlin, ein Anderer in Königsberg, ein Anderer in Bonn oder Düſſeldorf, Alle durch fünfzig bis hundert Meilen von einander getrennt, ſo daß perſönliche Berührungen und ein perſönlicher Austauſch von Gedanken zu den Seltenheiten gehört. Was dieß aber wäre, empfinde ich, wenn Männer wie Alexander von Humboldt hier durchkommen und michIII. 11162in dem, was ich ſuche, und mir zu wiſſen nöthig, in einem einzigen Tage weiter bringen, als ich ſonſt auf meinem einſamen Wege in Jahren nicht erreicht hätte.

Nun aber denken Sie ſich eine Stadt wie Paris, wo die vorzüglichſten Köpfe eines großen Reiches auf einem einzigen Fleck beiſammen ſind und in täglichem Verkehr, Kampf und Wetteifer ſich gegenſeitig belehren und ſtei¬ gern; wo das Beſte aus allen Reichen der Natur und Kunſt des ganzen Erdbodens der täglichen Anſchauung offen ſteht; dieſe Weltſtadt denken Sie ſich, wo jeder Gang über eine Brücke oder einen Platz an eine große Vergangenheit erinnert und wo an jeder Straßenecke ein Stück Geſchichte ſich entwickelt hat. Und zu dieſem Allen denken Sie ſich nicht das Paris einer dumpfen geiſtloſen Zeit, ſondern das Paris des neunzehnten Jahrhunderts, in welchem ſeit drei Menſchenaltern durch Männer wie Molière, Voltaire, Diderot und ihres Gleichen eine ſolche Fülle von Geiſt in Cours geſetzt iſt, wie ſie ſich auf der ganzen Erde auf einem einzigen Fleck nicht zum zweitenmale findet, und Sie werden begreifen, daß ein guter Kopf wie Ampère, in ſolcher Fülle aufgewachſen, in ſeinem vier und zwanzigſten Jahre wohl etwas ſeyn kann.

Sie ſagten doch vorhin, fuhr Goethe fort, Sie könnten ſich ſehr wohl denken, daß Einer in ſeinem zwanzigſten Jahre ſo gute Stücke ſchreiben könne, wie Mérimée. Ich habe gar nichts dawider, und bin auch im163 Ganzen recht wohl Ihrer Meinung, daß eine jugendlich¬ tüchtige Production leichter ſey, als ein jugendlich-tüch¬ tiges Urtheil. Allein in Deutſchland ſoll Einer es wohl bleiben laſſen, ſo jung wie Mérimée etwas ſo Reifes hervorzubringen, als er in den Stücken ſeiner Clara Gazul gethan. Es iſt wahr, Schiller war recht jung, als er ſeine Räuber, ſeine Kabale und Liebe und ſeinen Fiesco ſchrieb. Allein, wenn wir aufrichtig ſeyn wollen, ſo ſind doch alle dieſe Stücke mehr Aeußerun¬ gen eines außergewöhnlichen Talents, als daß ſie von großer Bildungsreife des Autors zeugten. Daran iſt aber nicht Schiller Schuld, ſondern der Culturzuſtand ſeiner Nation und die große Schwierigkeit, die wir Alle erfahren, uns auf einſamem Wege durchzuhelfen.

Nehmen Sie dagegen B é ranger. Er iſt der Sohn armer Eltern, der Abkömmling eines armen Schneiders, dann armer Buchdrucker-Lehrling, dann mit kleinem Gehalte angeſtellt in irgend einem Bureau; er hat nie eine gelehrte Schule, nie eine Univerſität beſucht, und doch ſind ſeine Lieder ſo voll reifer Bildung, ſo voll Grazie, ſo voll Geiſt und feinſter Ironie, und von einer ſolchen Kunſtvollendung und meiſterhaften Be¬ handlung der Sprache, daß er nicht bloß die Bewun¬ derung von Frankreich, ſondern des ganzen gebildeten Europa's iſt.

Denken Sie ſich aber dieſen ſelben Béranger, an¬ ſtatt in Paris geboren und in dieſer Weltſtadt heran¬11*164gekommen, als den Sohn eines armen Schneiders zu Jena oder Weimar, und laſſen Sie ihn ſeine Laufbahn an gedachten kleinen Orten gleich kümmerlich fortſetzen, und fragen Sie ſich, welche Früchte dieſer ſelbe Baum, in einem ſolchen Boden und in einer ſolchen Atmos¬ phäre aufgewachſen, wohl würde getragen haben.

Alſo, mein Guter, ich wiederhole: es kommt dar¬ auf an, daß in einer Nation viel Geiſt und tüchtige Bildung in Cours ſey, wenn ein Talent ſich ſchnell und freudig entwickeln ſoll.

Wir bewundern die Tragödieen der alten Griechen; allein, recht beſehen, ſollten wir mehr die Zeit und die Nation bewundern, in der ſie möglich waren, als die einzelnen Verfaſſer. Denn wenn auch dieſe Stücke unter ſich ein wenig verſchieden, und wenn auch der eine dieſer Poeten ein wenig größer und vollendeter erſcheint als der andere, ſo trägt doch, im Groben und Ganzen betrachtet, Alles nur einen einzigen durch¬ gehenden Charakter. Dieß iſt der Charakter des Gro߬ artigen, des Tüchtigen, des Geſunden, des Menſchlich - Vollendeten, der hohen Lebensweisheit, der erhabenen Denkungsweiſe, der reinkräftigen Anſchauung, und welche Eigenſchaften man noch ſonſt aufzählen könnte. Finden ſich nun aber alle dieſe Eigenſchaften nicht bloß in den auf uns gekommenen dramatiſchen, ſondern auch in den lyriſchen und epiſchen Werken; finden wir ſie ferner bei den Philoſophen, Rhetoren und Geſchichts¬165 ſchreibern, und in gleich hohem Grade in den auf uns gekommenen Werken der bildenden Kunſt, ſo muß man ſich wohl überzeugen, daß ſolche Eigenſchaften nicht bloß einzelnen Perſonen anhafteten, ſondern daß ſie der Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in Cours waren.

Nehmen Sie Burns. Wodurch iſt er groß, als daß die alten Lieder ſeiner Vorfahren im Munde des Volkes lebten, daß ſie ihm, ſo zu ſagen, bei der Wiege geſungen wurden, daß er als Knabe unter ihnen heran¬ wuchs, und die hohe Vortrefflichkeit dieſer Muſter ſich ihm ſo einlebte, daß er darin eine lebendige Baſis hatte, worauf er weiter ſchreiten konnte. Und ferner, wodurch iſt er groß, als daß ſeine eigenen Lieder in ſeinem Volke ſogleich empfängliche Ohren fanden, daß ſie ihm alſobald im Felde von Schnittern und Binde¬ rinnen entgegen klangen und er in der Schenke von heiteren Geſellen damit begrüßt wurde. Da konnte es freilich etwas werden!

Wie ärmlich ſieht es dagegen bei uns Deutſchen aus! Was lebte denn in meiner Jugend von unſern nicht weniger bedeutenden alten Liedern im eigentlichen Volke? Herder und ſeine Nachfolger mußten erſt anfangen, ſie zu ſammeln und der Vergeſſenheit zu entreißen; dann hatte man ſie doch wenigſtens gedruckt in Bibliotheken. Und ſpäter, was haben nicht Bür¬ ger und Voß für Lieder gedichtet! Wer wollte ſagen,166 daß ſie geringer und weniger volksthümlich wären, als die des vortrefflichen Burns! Allein, was iſt davon lebendig geworden, ſo daß es uns aus dem Volke wie¬ der entgegenklänge? Sie ſind geſchrieben und ge¬ druckt worden und ſtehen in Bibliotheken, ganz gemäß dem allgemeinen Looſe deutſcher Dichter. Von mei¬ nen eigenen Liedern, was lebt denn? Es wird wohl eins und das andere einmal von einem hübſchen Mäd¬ chen am Klaviere geſungen, allein im eigentlichen Volke iſt Alles ſtille. Mit welchen Empfindungen muß ich der Zeit gedenken, wo italieniſche Fiſcher mir Stellen des Taſſo ſangen!

Wir Deutſchen ſind von geſtern. Wir haben zwar ſeit einem Jahrhundert ganz tüchtig cultivirt; allein es können noch ein paar Jahrhunderte hingehen, ehe bei unſeren Landsleuten ſo viel Geiſt und höhere Cultur eindringe und allgemein werde, daß ſie gleich den Grie¬ chen der Schönheit huldigen, daß ſie ſich für ein hüb¬ ſches Lied begeiſtern, und daß man von ihnen wird ſagen können, es ſey lange her, daß ſie Barbaren ge¬ weſen.

Zu Ehren Ampère's und ſeines Freundes Stapfer großes Diner bei Goethe. Die Unterhaltung war laut, heiter und bunt durcheinander. Ampère erzählte Goe¬ then viel von Mérimée, Alfred de Vigny und anderen167 bedeutenden Talenten. Auch ward ſehr viel über Bé¬ ranger geſprochen, deſſen unvergleichliche Lieder Goethe täglich in Gedanken hat. Es kam zur Erwähnung, ob Béranger's heitere Liebeslieder vor ſeinen politiſchen den Vorzug verdienten, wobei Goethe ſeine Meinung dahin entwickelte, daß im Allgemeinen ein rein poetiſcher Stoff einem politiſchen ſo ſehr voranſtehe, als die reine, ewige Naturwahrheit der Parteianſicht.

Uebrigens, fuhr er fort, hat Béranger in ſeinen politiſchen Gedichten ſich als Wohlthäter ſeiner Nation erwieſen. Nach der Invaſion der Alliirten fanden die Franzoſen in ihm das beſte Organ ihrer gedrückten Gefühle. Er richtete ſie auf durch vielfache Erinnerun¬ gen an den Ruhm der Waffen unter dem Kaiſer, deſſen Andenken noch in jeder Hütte lebendig, und deſſen große Eigenſchaften der Dichter liebt, ohne jedoch eine Fortſetzung ſeiner despotiſchen Herrſchaft zu wünſchen. Jetzt, unter den Bourbonen, ſcheint es ihm nicht zu behagen. Es iſt freilich ein ſchwach gewordenes Ge¬ ſchlecht! Und der jetzige Franzoſe will auf dem Throne große Eigenſchaften, obgleich er gerne ſelber mitherrſcht und ſelber gerne ein Wort mitredet.

Nach Tiſch verbreitete ſich die Geſellſchaft im Gar¬ ten und Goethe winkte mir zu einer Spazierfahrt um das Gehölz auf dem Wege nach Tiefurt.

Er war im Wagen ſehr gut und liebevoll. Er freute ſich, daß mit Ampére ein ſo hübſches Verhältniß168 angeknüpft worden, wovon er ſich für die Anerkennung und Verbreitung der deutſchen Literatur in Frankreich die ſchönſten Folgen verſpreche.

Ampère, fügte er hinzu, ſteht freilich in ſeiner Bildung ſo hoch, daß die nationalen Vorurtheile, Appre¬ henſionen und Bornirtheiten vieler ſeiner Landsleute weit hinter ihm liegen, und er ſeinem Geiſte nach weit mehr ein Weltbürger iſt, als ein Bürger von Paris. Ich ſehe übrigens die Zeit kommen, wo er in Frank¬ reich Tauſende haben wird, die ihm gleich denken.

Abermalige Tiſchgeſellſchaft bei Goethe, wobei die¬ ſelbigen Perſonen zugegen, wie vorgeſtern. Man ſprach ſehr viel über die Helena und den Taſſo. Goethe er¬ zählte uns darauf, wie er im Jahre 1797 den Plan gehabt, die Tage vom Tell als epiſches Gedicht in Hexametern zu behandeln.

Ich beſuchte, ſagte er, im gedachten Jahre noch einmal die kleinen Cantone und den Vierwaldſtädter See, und dieſe reizende, herrliche und großartige Natur machte auf mich abermals einen ſolchen Eindruck, daß es mich anlockte, die Abwechſelung und Fülle einer ſo unvergleichlichen Landſchaft in einem Gedicht darzu¬ ſtellen. Um aber in meine Darſtellung mehr Reiz, Intereſſe und Leben zu bringen, hielt ich es für gut, den höchſt bedeutenden Grund und Boden mit ebenſo169 bedeutenden menſchlichen Figuren zu ſtaffiren, wo denn die Sage vom Tell mir als ſehr erwünſcht zu ſtatten kam.

Den Tell dachte ich mir als einen urkräftigen, in ſich ſelbſt zufriedenen, kindlich-unbewußten Helden¬ menſchen, der als Laſtträger die Cantone durchwandert, überall gekannt und geliebt iſt, überall hülfreich, übri¬ gens ruhig ſein Gewerbe treibend, für Weib und Kin¬ der ſorgend, und ſich nicht kümmernd, wer Herr oder Knecht ſey.

Den Geßler dachte ich mir dagegen zwar als einen Tyrannen, aber als einen von der behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß macht, und gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das Volk und deſſen Wohl und Wehe ſo völlig gleichgültige Dinge ſind, als ob ſie gar nicht exiſtirten.

Das Höhere und Beſſere der menſchlichen Natur dagegen, die Liebe zum heimathlichen Boden, das Ge¬ fühl der Freiheit und Sicherheit unter dem Schutze vaterländiſcher Geſetze, das Gefühl ferner der Schmach, ſich von einem fremden Wüſtling unterjocht und gele¬ gentlich mißhandelt zu ſehen, und endlich die zum Ent¬ ſchluß reifende Willenskraft, ein ſo verhaßtes Joch abzuwerfen, alles dieſes Höhere und Gute hatte ich den bekannten edlen Männern Walter Fürſt, Stauffacher, Winkelried und Andern zugetheilt,170 und dieſes waren meine eigentlichen Helden, meine mit Bewußtſeyn handelnden höheren Kräfte, während der Tell und Geßler zwar auch gelegentlich handelnd auf¬ traten, aber im Ganzen mehr Figuren paſſiver Natur waren.

Von dieſem ſchönen Gegenſtande war ich ganz voll, und ich ſummte dazu ſchon gelegentlich meine Hexameter. Ich ſah den See im ruhigen Mondſchein, erleuchtete Nebel in den Tiefen der Gebirge. Ich ſah ihn im Glanz der lieblichſten Morgenſonne, ein Jauch¬ zen und Leben in Wald und Wieſen. Dann ſtellte ich einen Sturm dar, einen Gewitterſturm, der ſich aus den Schluchten auf den See wirft. Auch fehlte es nicht an nächtlicher Stille und an heimlichen Zuſam¬ menkünften über Brücken und Stegen.

Von allem dieſen erzählte ich Schillern, in deſſen Seele ſich meine Landſchaften und meine handelnden Figuren zu einem Drama bildeten. Und da ich andere Dinge zu thun hatte und die Ausführung meines Vor¬ ſatzes ſich immer weiter verſchob, ſo trat ich meinen Gegenſtand Schillern völlig ab, der denn darauf ſein bewundernswürdiges Gedicht ſchrieb.

Wir freuten uns dieſer Mittheilung, die Allen intereſſant zu hören war. Ich machte bemerklich, daß es mir vorkomme, als ob die in Terzinen geſchriebene prächtige Beſchreibung des Sonnenaufgangs in der erſten Scene vom zweiten Theile des Fauſt aus der171 Erinnerung jener Natureindrücke des Vierwaldſtädter See's entſtanden ſeyn möchte.

Ich will es nicht läugnen, ſagte Goethe, daß dieſe Anſchauungen dort herrühren; ja ich hätte ohne die friſchen Eindrücke jener wundervollen Natur den In¬ halt der Terzinen gar nicht denken können. Das iſt aber auch Alles, was ich aus dem Golde meiner Tell - Localitäten mir gemünzt habe. Das Uebrige ließ ich Schillern, der denn auch davon, wie wir wiſſen, den ſchönſten Gebrauch gemacht.

Das Geſpräch wendete ſich auf den Taſſo, und welche Idee Goethe darin zur Anſchauung zu bringen geſucht.

Idee? ſagte Goethe, daß ich nicht wüßte! Ich hatte das Leben Taſſo's, ich hatte mein eigenes Leben, und indem ich zwei ſo wunderliche Figuren mit ihren Eigenheiten zuſammenwarf, entſtand in mir das Bild des Taſſo, dem ich, als proſaiſchen Contraſt, den Antonio entgegenſtellte, wozu es mir auch nicht an Vorbildern fehlte. Die weiteren Hof-Lebens - und Liebesverhältniſſe waren übrigens in Weimar wie in Ferrara, und ich kann mit Recht von meiner Darſtellung ſagen: ſie iſt Bein von meinem Bein und Fleiſch von meinem Fleiſch.

Die Deutſchen ſind übrigens wunderliche Leute! Sie machen ſich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die ſie überall ſuchen und überall hineinlegen, das172 Leben ſchwerer, als billig. Ei! ſo habt doch endlich einmal die Courage, Euch den Eindrücken hin¬ zugeben, Euch ergötzen zu laſſen, Euch rühren zu laſſen, Euch erheben zu laſſen, ja Euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermuthigen zu laſſen; aber denkt nur nicht immer, es wäre Alles eitel, wenn es nicht irgend abſtracter Gedanke und Idee wäre!

Da kommen ſie und fragen: welche Idee ich in meinem Fauſt zu verkörpern geſucht? Als ob ich das ſelber wüßte und ausſprechen könnte! Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Noth etwas; aber das iſt keine Idee, ſondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus ſchweren Verirrungen immer¬ fort zum Beſſeren aufſtrebender Menſch zu erlöſen ſey, das iſt zwar ein wirkſamer, Manches erklärender guter Gedanke, aber es iſt keine Idee, die dem Gan¬ zen und jeder einzelnen Scene im Beſondern zu Grunde liege. Es hätte auch in der That ein ſchönes Ding werden müſſen, wenn ich ein ſo reiches, buntes und ſo höchſt mannigfaltiges Leben, wie ich es im Fauſt zur Anſchauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!

Es war im Ganzen, fuhr Goethe fort, nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Ab¬ ſtractem zu ſtreben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke ſinnlicher, lebens¬173 voller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu thun, als ſolche Anſchauun¬ gen und Eindrücke in mir künſtleriſch zu runden und auszubilden und durch eine lebendige Darſtellung ſo zum Vorſchein zu bringen, daß Andere dieſelbigen Ein¬ drücke erhielten, wenn ſie mein Dargeſtelltes hörten oder laſen.

Wollte ich jedoch einmal als Poet irgend eine Idee darſtellen, ſo that ich es in kleinen Gedichten, wo eine entſchiedene Einheit herrſchen konnte und wel¬ ches zu überſehen war, wie z. B. die Metamorphoſe der Thiere, die der Pflanze, das Gedicht Ver¬ mächtniß, und viele anderen. Das einzige Product von größerem Umfang, wo ich mir bewußt bin, nach Darſtellung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine Wahlverwandtſchaften. Der Roman iſt dadurch für den Verſtand faßlich ge¬ worden; aber ich will nicht ſagen, daß er dadurch beſſer geworden wäre! Vielmehr bin ich der Mei¬ nung: je incommenſurabeler und für den Verſtand unfaßlicher eine poetiſche Produc¬ tion, deſto beſſer.

Herr von Holtey, aus Paris kommend, iſt ſeit einiger Zeit hier und wegen ſeiner Perſon und Talente174 überall herzlich empfangen. Auch zwiſchen ihm und Goethe und deſſen Familie hat ſich ein ſehr freundliches Verhältniß gebildet.

Goethe iſt ſeit einigen Tagen auf ſeinen Garten gezogen, wo er in ſtiller Thätigkeit ſich ſehr beglückt findet. Ich beſuchte ihn heute dort mit Herrn von Holtey und Grafen Schulenburg, welcher Erſtere Abſchied nahm, um mit Ampère nach Berlin zu gehen.

Goethe hat in dieſen Tagen einen Brief von Wal¬ ter Scott erhalten, der ihm große Freude machte. Er zeigte ihn mir heute, und da ihm die engliſche Handſchrift etwas ſehr unleſerlich vorkam, ſo bat er mich, ihm den Inhalt zu überſetzen. Es ſcheint, daß Goethe dem berühmten Engliſchen Dichter zuerſt ge¬ ſchrieben hatte und daß dieſer Brief darauf eine Er¬ wiederung iſt.

Ich fühle mich ſehr geehrt, ſchreibt Walter Scott, daß irgend eine meiner Productionen ſo glücklich ge¬ weſen iſt, die Beachtung Goethe's auf ſich zu ziehen, zu deſſen Bewunderern ich ſeit dem Jahre 1798 gehöre, wo ich, trotz meiner geringen Bekanntſchaft mit der deutſchen Sprache, kühn genug war, den Götz von Berlichingen ins Engliſche zu übertragen. Ich hatte bei dieſem jugendlichen Unternehmen ganz vergeſſen,175 daß es nicht genug ſey, die Schönheit eines genialen Werkes zu fühlen, ſondern daß man auch die Sprache, worin es geſchrieben, aus dem Grunde verſtehen müſſe, ehe es uns gelingen könne, ſolche Schönheit auch An¬ deren fühlbar zu machen. Dennoch lege ich auf jenen jugendlichen Verſuch noch jetzt einigen Werth, weil er doch wenigſtens zeigt, daß ich einen Gegenſtand zu wählen wußte, der der Bewunderung würdig war.

Ich habe oft von Ihnen gehört, und zwar durch meinen Schwiegerſohn Lockart, einen jungen Mann von literariſcher Bedeutung, der vor einigen Jahren, ehe er meiner Familie verbunden war, die Ehre hatte dem Vater der deutſchen Literatur vorgeſtellt zu werden. Es iſt unmöglich, daß Sie unter der großen Zahl derer, die ſich gedrängt fühlen Ihnen ihre Ehrfurcht zu bezeigen, ſich jedes Einzelnen erinnern ſollten; aber ich glaube, es iſt Ihnen Niemand inniger ergeben, als eben jenes junge Mitglied meiner Familie.

Mein Freund Sir John Hope von Pinkie hat kürzlich die Ehre gehabt Sie zu ſehen, und ich hoffte Ihnen zu ſchreiben, und nahm auch ſpäter mir wirklich dieſe Freiheit durch zwei ſeiner Verwandten, die Deutſch¬ land zu bereiſen die Abſicht hatten; allein ſie wurden durch Krankheit behindert ihr Vorhaben auszuführen, ſo daß mir denn mein Brief nach zwei bis drei Mo¬ naten zurückkam. Ich habe alſo Goethe's Bekanntſchaft ſchon früher zu ſuchen mich erdreiſtet, und zwar noch176 vor jener ſchmeichelhaften Notiz, die er ſo freundlich geweſen iſt, von mir zu nehmen.

Es giebt allen Bewunderern des Genies ein wohlthätiges Gefühl, zu wiſſen, daß eins der größten Europäiſchen Vorbilder einer glücklichen und ehrenvollen Zurückgezogenheit in einem Alter genießt, in welchem er auf eine ſo ausgezeichnete Weiſe ſich geehrt ſieht. Dem armen Lord Byron ward leider vom Schickſal kein ſo günſtiges Loos zu Theil, indem es ihn in der Blüthe ſeiner Jahre hinwegnahm, und ſo Vieles, was noch von ihm gehofft und erwartet wurde, für immer zerſchnitt. Er ſchätzte ſich glücklich in der Ehre, die Sie ihm erzeigten, und fühlte, was er einem Dichter ſchuldig war, dem alle Schriftſteller der lebenden Ge¬ neration ſo viel verdanken, daß ſie ſich verpflichtet fühlen, mit kindlicher Verehrung zu ihm hinauf zu blicken.

Ich habe mir die Freiheit genommen, die Herren Treuttel und Würtz zu erſuchen, Ihnen meinen Ver¬ ſuch einer Lebensgeſchichte jenes merkwürdigen Mannes zu ſenden, der ſo viele Jahre lang einen ſo fürchterli¬ chen Einfluß auf die Welt hatte, die er beherrſchte. Ich weiß übrigens nicht, ob ich ihm nicht irgend einige Verbindlichkeiten ſchuldig geworden, da er mich zwölf Jahre lang unter die Waffen brachte, während welcher Zeit ich in einem Corps unſerer Landmiliz diente und trotz einer frühen Lahmheit ein guter Reiter, Jäger177 und Schütze wurde. Dieſe guten Fähigkeiten haben jedoch in der letzten Zeit mich ein wenig verlaſſen, indem der Rheumatismus, dieſe traurige Plage unſeres nördlichen Klima's, ſeinen Einfluß auf meine Glieder gelegt hat. Doch klage ich nicht, da ich meine Söhne jetzt die Jagdvergnügungen treiben ſehe, ſeitdem ich ſie habe aufgeben müſſen.

Mein älteſter Sohn hat eine Schwadron Huſaren, welches für einen fünf und zwanzigjährigen jungen Mann immer viel iſt. Mein jüngerer Sohn hat neu¬ lich zu Oxford den Grad eines Baccalaureus der ſchönen Wiſſenſchaften erhalten und wird jetzt einige Monate zu Hauſe zubringen, ehe er in die Welt geht. Da es Gott gefallen hat, mir ihre Mutter zu neh¬ men, ſo führt meine jüngſte Tochter mein Hausweſen. Meine älteſte iſt verheirathet und hat eine Familie für ſich.

Dieß ſind die häuslichen Zuſtände eines Mannes, nach dem Sie ſo gütig ſich erkundiget haben. Uebri¬ gens beſitze ich genug, um ganz ſo zu leben, wie ich wünſche, ungeachtet einiger ſehr ſchwerer Verluſte. Ich bewohne ein ſtattliches altes Schloß, in welchem jeder Freund Goethe's zu jeder Zeit willkommen ſeyn wird. Die Vorhalle iſt mit Rüſtungen angefüllt, die ſelbſt für Jaxthauſen gepaßt haben würden; ein großer Schweißhund bewacht den Eingang.

Ich habe übrigens Den vergeſſen, der dafür zuIII. 12178ſorgen wußte, daß man ihn nicht vergaß, während er lebte. Ich hoffe, Sie werden die Fehler des Werkes verzeihen, indem Sie berückſichtigen, daß der Autor von dem Wunſch beſeelt war, gegen das Andenken jenes außerordentlichen Mannes ſo aufrichtig zu ver¬ fahren, wie ſeine inſulariſchen Vorurtheile nur immer erlauben wollten.

Da dieſe Gelegenheit, Ihnen zu ſchreiben, ſich mir plötzlich und zufällig durch einen Reiſenden darbietet und keinen Aufſchub erleidet, ſo fehlt mir die Zeit etwas Weiteres zu ſagen, als daß ich Ihnen eine fort¬ geſetzte gute Geſundheit und Ruhe wünſche, und mich mit der aufrichtigſten und tiefſten Hochachtung unter¬ zeichne.

Edinburg, den 9. Juli 1827.

Walter Scott.

Goethe hatte, wie geſagt, über dieſen Brief große Freude. Er war übrigens der Meinung, als enthalte er zu viel Ehrenvolles für ihn, als daß er nicht ſehr Vieles davon auf Rechnung der Höflichkeit eines Man¬ nes von Rang und hoher Weltbildung zu ſetzen habe.

Er erwähnte ſodann die gute und herzliche Art, womit Walter Scott ſeine Familienverhältniſſe zur Sprache bringe, welches ihn, als Zeichen eines brüder¬ lichen Vertrauens, im hohen Grade beglücke.

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Ich bin nun wirklich, fuhr er fort, auf ſein Le¬ ben Napoleon's begierig, welches er mir ankündigt. Ich höre ſo viel Widerſprechendes und Leidenſchaftliches über das Buch, daß ich im Voraus gewiß bin: es wird auf jeden Fall ſehr bedeutend ſeyn.

Ich fragte nach Lockart, und ob er ſich ſeiner noch erinnere.

Noch ſehr wohl! erwiederte Goethe. Seine Per¬ ſönlichkeit macht einen entſchiedenen Eindruck, ſo daß man ihn ſobald nicht wieder vergißt. Er ſoll, wie ich von reiſenden Engländern und meiner Schwiegertochter höre, ein junger Mann ſeyn, von dem man in der Literatur gute Dinge erwartet.

Uebrigens wundere ich mich faſt, daß Walter Scott kein Wort über Carlyle ſagt, der doch eine ſo ent¬ ſchiedene Richtung auf das Deutſche hat, daß er ihm ſicher bekannt ſeyn muß.

An Carlyle iſt es bewundernswürdig, daß er bei Beurtheilung unſerer deutſchen Schriftſteller beſonders den geiſtigen und ſittlichen Kern, als das eigentlich Wirkſame, im Auge hat. Carlyle iſt eine moraliſche Macht von großer Bedeutung. Es iſt in ihm viel Zukunft vorhanden, und es iſt gar nicht abzuſehen, was er Alles leiſten und wirken wird.

Goethe hatte mich auf dieſen Morgen zu einer Spa¬12*180zierfahrt nach der Hottelſtedter Ecke, der weſtlichſten Höhe des Ettersberges, und von da nach dem Jagd¬ ſchloß Ettersburg einladen laſſen. Der Tag war über¬ aus ſchön und wir fuhren zeitig zum Jacobsthore hinaus. Hinter Lützendorf, wo es ſtark bergan geht und wir nur Schritt fahren konnten, hatten wir zu allerlei Beobachtungen Gelegenheit. Goethe bemerkte rechts in den Hecken hinter dem Kammergut eine Menge Vögel und fragte mich: ob es Lerchen wären? Du Großer und Lieber, dachte ich, der Du die ganze Natur wie wenig Andere durchforſchet haſt, in der Ornithologie ſcheinſt Du ein Kind zu ſeyn.

Es ſind Ammern und Sperlinge, erwiederte ich, auch wohl einige verſpätete Grasmücken, die nach abge¬ warteter Mauſer aus dem Dickicht des Ettersberges herab in die Gärten und Felder kommen und ſich zum Fortzuge anſchicken; aber Lerchen ſind es nicht. Es iſt nicht in der Natur der Lerche, ſich auf Büſche zu ſetzen. Die Feld - oder Himmels-Lerche ſteigt in die Luft aufwärts und geht wieder zur Erde herab, zieht auch wohl im Herbſt ſchaarenweis durch die Luft hin und wirft ſich wiederum auf irgend ein Stoppelfeld nieder, aber ſie geht nicht auf Hecken und Gebüſche. Die Baumlerche dagegen liebt den Gipfel hoher Bäume, von wo aus ſie ſingend in die Luft ſteigt und wieder auf ihren Baumgipfel herabfällt. Dann giebt es noch eine andere Lerche, die man in einſamen181 Gegenden an der Mittagsſeite von Waldblößen antrifft und die einen ſehr weichen, flötenartigen, doch etwas melancholiſchen Geſang hat. Sie hält ſich nicht am Ettersberge auf, der ihr zu lebhaft und zu nahe von Menſchen umwohnt iſt; aber auch ſie geht nicht in Gebüſche.

Hm! ſagte Goethe, Sie ſcheinen in dieſen Dingen nicht eben ein Neuling zu ſeyn.

Ich habe das Fach von Jugend auf mit Liebe ge¬ trieben, erwiederte ich, und immer Augen und Ohren dafür offen gehabt. Der ganze Wald des Ettersberges hat wenige Stellen, die ich nicht zu wiederholten ma¬ len durchſtreift bin. Wenn ich jetzt einen einzigen Ton höre, ſo getraue ich mir zu ſagen, von welchem Vogel er kommt. Auch bin ich ſo weit, daß wenn man mir irgend einen Vogel bringt, der in der Gefangenſchaft durch verkehrte Behandlung das Gefieder verloren hat, ich mir getraue, ihn ſehr bald vollkommen geſund und wohl befiedert wieder herzuſtellen.

Das zeigt allerdings, erwiederte Goethe, daß Sie in dieſen Dingen bereits Vieles durchgemacht haben. Ich möchte Ihnen rathen, das Studium ernſtlich fort zu treiben; es muß bei Ihrer entſchiedenen Richtung zu ſehr guten Reſultaten führen. Aber ſagen Sie mir etwas über die Mauſer. Sie ſprachen vorhin von ver¬ ſpäteten Grasmücken, die nach vollendeter Mauſer aus dem Dickicht des Ettersberges in die Felder herabge¬182 kommen. Iſt denn die Mauſer an eine gewiſſe Epoche gebunden und mauſern ſich alle Vögel zugleich?

Bei den meiſten Vögeln, erwiederte ich, tritt ſie ſogleich nach vollendeter Brütezeit ein; das heißt, ſobald die Jungen des letzten Geheckes ſo weit ſind, daß ſie ſich ſelber helfen können. Nun fragt es ſich aber, ob der Vogel von dieſem Zeitpunkte des fertigen letzten Geheckes, bis zu dem ſeines Wegzugs, zur Mauſer noch den gehörigen Raum hat. Hat er ihn, ſo mau¬ ſert er ſich hier und zieht mit friſchem Gefieder fort. Hat er ihn nicht, ſo zieht er mit ſeinem alten Ge¬ fieder fort und mauſert ſich ſpäter im warmen Süden. Denn die Vögel kommen im Frühling nicht zu gleicher Zeit zu uns, auch ziehen ſie im Herbſt nicht zu gleicher Zeit fort. Und dieſes rührt daher, daß die eine Art ſich aus einiger Kälte und rauhem Wetter weniger macht und ſie mehr ertragen kann, als eine andere. Ein Vogel aber, der früh bei uns ankommt, zieht ſpät weg, und ein Vogel, der ſpät bei uns ankommt, zieht früh weg.

So iſt ſchon unter den Grasmücken, die doch zu einem Geſchlecht gehören, ein großer Unterſchied. Die klappernde Grasmücke, oder das Müllerchen, läßt ſich ſchon Ende März bei uns hören; vierzehn Tage ſpä¬ ter kommt die ſchwarzköpfige, oder der Mönch; ſodann etwa nach einer Woche die Nachtigall; und erſt ganz zu Ende April, oder Anfangs May, die graue. Alle183 dieſe Vögel mauſern ſich im Auguſt bei uns, ſo auch die Jungen ihres erſten Geheckes, weßhalb man denn Ende Auguſt junge Mönche fängt, die ſchon das ſchwarze Köpfchen haben. Die Jungen des letzten Geheckes aber ziehen mit ihrem erſten Gefieder fort und mauſern ſich ſpäter in ſüdlichen Ländern, aus welchem Grunde man denn Anfangs September junge Mönche fangen kann, und zwar junge Männchen, die noch das rothe Köpfchen haben, wie ihre Mutter.

Iſt denn die graue Grasmücke, fragte Goethe, der ſpäteſte bei uns ankommende Vogel, oder kommen andere noch ſpäter?

Der ſogenannte gelbe Spottvogel und der prächtige goldgelbe Pirol, erwiederte ich, kommen erſt gegen Pfingſten. Beide ziehen nach vollendeter Brütezeit, gegen die Mitte Auguſt, ſchon wieder fort, und mauſern ſich mit ihren Jungen im Süden. Hat man ſie im Käfig, ſo mauſern ſie ſich bei uns im Winter, weßhalb denn dieſe Vögel ſehr ſchwer durchzubringen ſind. Sie verlangen ſehr viele Wärme. Hängt man ſie aber in die Nähe des Ofens, ſo verkümmern ſie aus Mangel an fruchtbarer Luft; bringt man ſie dagegen in die Nähe des Fenſters, ſo verkümmern ſie in der Kälte der langen Nächte.

Man hält dafür, ſagte Goethe, daß die Mauſer eine Krankheit, oder wenigſtens von körperlicher Schwäche begleitet ſey.

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Das möchte ich nicht ſagen, erwiederte ich. Es iſt ein Zuſtand geſteigerter Productivität, der in freier Luft herrlich von Statten geht, ohne die geringſte Beſchwerde, ja bei einigermaßen kräftigen Individuen auch vollkommen gut im Zimmer. Ich habe Gras¬ mücken gehabt, die während der ganzen Mauſer ihren Geſang nicht ausſetzten, ein Zeichen, daß es ihnen durchaus wohl war. Zeigt ſich aber ein Vogel im Zimmer während der Mauſer kränklich, ſo iſt daraus zu ſchließen, daß er mit dem Futter oder friſcher Luft und Waſſer nicht gehörig behandelt worden. Iſt er im Zimmer im Laufe der Zeit, aus Mangel an Luft und Freiheit, ſo ſchwach geworden, daß ihm die pro¬ ductive Kraft fehlt um in die Mauſer zu kommen, ſo bringe man ihn an die fruchtbare friſche Luft, und die Mauſer wird ſogleich auf das Beſte von Statten gehen. Bei einem Vogel in freier Wildniß dagegen verläuft ſie ſich ſo ſanft und ſo allmälig, daß er es kaum ge¬ wahr wird.

Aber doch ſchienen Sie vorhin anzudeuten, verſetzte Goethe, daß die Grasmücken ſich während der Mauſer in das Dickicht der Wälder ziehen.

Sie bedürfen während dieſer Zeit, erwiederte ich, allerdings einiges Schutzes. Zwar verfährt die Natur auch in dieſem Falle mit ſolcher Weisheit und Mäßi¬ gung, daß ein Vogel während der Mauſer nie mit einemmale ſo viele Federn verliert, daß er unfähig185 würde, ſo gut zu fliegen, als die Erreichung ſeines Futters es verlangt. Allein es kann doch kommen, daß er z. B. mit einemmale die vierte, fünfte und ſechste Schwungfeder des linken und die vierte, fünfte und ſechste Schwungfeder des rechten Flügels verliert, wobei er zwar immer noch ganz gut fliegen kann, allein nicht ſo gut, um dem verfolgenden Raubvogel, beſonders aber dem ſehr ſchnellen und gewandten Baumfalken, zu entgehen, und da kommt ihm denn ein buſchiges Dickicht ſehr zu Statten.

Das läßt ſich hören, erwiederte Goethe. Schreitet aber die Mauſer, fuhr er fort, an beiden Flügeln gleichmäßig und gewiſſermaßen ſymmetriſch vor?

Soweit meine Beobachtungen reichen, allerdings, erwiederte ich. Und das iſt ſehr wohlthätig. Denn verlöre ein Vogel z. B. drei Schwungfedern des lin¬ ken Flügels und nicht zugleich dieſelben Federn des rechten, ſo würde den Flügeln alles Gleichgewicht fehlen und der Vogel würde ſich und ſeine Bewegung nicht mehr in gehöriger Gewalt haben. Er würde ſeyn, wie ein Schiff, dem an der einen Seite die Segel zu ſchwer und an der andern zu leicht ſind.

Ich ſehe, erwiederte Goethe, man mag in die Natur eindringen, von welcher Seite man wolle, man kommt immer auf einige Weisheit.

Wir waren indeß immerfort mühſam bergan gefah¬ ren und waren nun nach und nach oben, am Rande186 der Fichten. Wir kamen an einer Stelle vorbei, wo Steine gebrochen waren und ein Haufen lag. Goethe ließ halten und bat mich, abzuſteigen und ein wenig nachzuſehen ob ich nichts von Verſteinerungen ent¬ decke. Ich fand einige Muſcheln, auch einige zerbro¬ chene Ammonshörner, die ich ihm zureichte, indem ich mich wieder einſetzte. Wir fuhren weiter.

Immer die alte Geſchichte! ſagte Goethe. Immer der alte Meeresboden! Wenn man von dieſer Höhe auf Weimar hinabblickt und auf die mancherlei Dörfer umher, ſo kommt es Einem vor wie ein Wunder, wenn man ſich ſagt, daß es eine Zeit gegeben, wo in dem weiten Thale dort unten die Wallfiſche ihr Spiel ge¬ trieben. Und doch iſt es ſo, wenigſtens höchſt wahr¬ ſcheinlich. Die Möve aber, die damals über dem Meere flog, das dieſen Berg bedeckte, hat ſicher nicht daran gedacht, daß wir Beide heute hier fahren würden. Und wer weiß, ob nach vielen Jahrtauſenden die Möve nicht abermals über dieſem Berge fliegt.

Wir waren jetzt oben auf der Höhe und fuhren raſch weiter. Rechts an unſerer Seite hatten wir Eichen und Buchen und anderes Laubholz. Weimar war rückwärts nicht mehr zu ſehen. Wir waren auf der weſtlichſten Höhe angelangt, das breite Thal der Unſtrut, mit vielen Dörfern und kleinen Städten, lag in der heiterſten Morgenſonne vor uns.

Hier iſt gut ſeyn! ſagte Goethe, indem er halten187 ließ. Ich dächte, wir verſuchten, wie in dieſer guten Luft uns etwa ein kleines Frühſtück behagen möchte!

Wir ſtiegen aus und gingen auf trockenem Boden am Fuße halbwüchſiger, von vielen Stürmen verkrüp¬ pelter Eichen einige Minuten auf und ab, während Friedrich das mitgenommene Frühſtück auspackte und auf einer Raſenerhöhung ausbreitete. Die Ausſicht von dieſer Stelle, in der klaren Morgenbeleuchtung der reinſten Herbſtſonne, war in der That herrlich. Nach Süden und Südweſten hin überſah man die ganze Reihe des Thüringerwald-Gebirges; nach Weſten, über Erfurt hinaus, das hochliegende Schloß Gotha und den Inſelsberg; weiter nördlich ſodann die Berge hinter Langenſalza und Mühlhauſen, bis ſich die Ausſicht, nach Norden zu, durch die blauen Harzgebirge ab¬ ſchloß. Ich dachte an die Verſe:

Weit, hoch, herrlich der Blick
Rings ins Leben hinein!
Von Gebirg 'zu Gebirg'
Schwebet der ewige Geiſt,
Ewigen Lebens ahndevoll.

Wir ſetzten uns mit dem Rücken nach den Eichen zu, ſo daß wir während dem Frühſtück die weite Aus¬ ſicht über das halbe Thüringen immer vor uns hatten. Wir verzehrten indeß ein Paar gebratene Rebhühner mit friſchem Weißbrod und tranken dazu eine Flaſche ſehr guten Wein, und zwar aus einer biegſamen feinen188 goldenen Schale, die Goethe, in einem gelben Leder¬ futteral, bei ſolchen Ausflügen gewöhnlich bei ſich führt.

Ich war ſehr oft an dieſer Stelle, ſagte er, und dachte in ſpäteren Jahren ſehr oft, es würde das letzte¬ mal ſeyn, daß ich von hier aus die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten überblickte. Allein es hält immer noch einmal zuſammen und ich hoffe, daß es auch heute nicht das letztemal iſt, daß wir Beide uns hier einen guten Tag machen. Wir wollen künftig öfter hieher kommen. Man verſchrumpft in dem engen Hausweſen. Hier fühlt man ſich groß und frei, wie die große Natur, die man vor Augen hat, und wie man eigentlich immer ſeyn ſollte.

Ich überſehe von hier aus, fuhr Goethe fort, eine Menge Punkte, an die ſich die reichſten Erinnerungen eines langen Lebens knüpfen. Was habe ich nicht drüben in den Bergen von Ilmenau in meiner Jugend Alles durchgemacht! Dann dort unten im lieben Er¬ furt, wie manches gute Abenteuer erlebt! Auch in Gotha war ich in früheſter Zeit oft und gerne; doch ſeit langen Jahren ſo gut wie gar nicht.

Seit ich in Weimar bin, bemerkte ich, erinnere ich mich nicht, daß Sie dort waren.

Das hat ſo ſeine Bewandniß, erwiederte Goethe lachend. Ich bin dort nicht zum Beſten angeſchrieben. Ich will Ihnen davon eine Geſchichte erzählen. Als die Mutter des jetzt regierenden Herrn noch in hübſcher189 Jugend war, befand ich mich dort ſehr oft. Ich ſaß eines Abends bei ihr alleine am Theetiſch, als die beiden zehn - bis zwölfjährigen Prinzen, zwei hübſche blondlockige Knaben, hereinſprangen und zu uns an den Tiſch kamen. Uebermüthig, wie ich ſeyn konnte, fuhr ich den beiden Prinzen mit meinen Händen in die Haare, mit den Worten: Nun, Ihr Semmelköpfe, was macht Ihr? Die Buben ſahen mich mit großen Augen an, im höchſten Erſtaunen über meine Kühnheit, und haben es mir ſpäter nie vergeſſen!

Ich will nun juſt eben nicht damit prahlen; aber es war ſo und lag tief in meiner Natur. Ich hatte vor der bloßen Fürſtlichkeit, als ſolcher, wenn nicht zugleich eine tüchtige Menſchennatur und ein tüchtiger Menſchenwerth dahinter ſteckte, nie viel Reſpect. Ja es war mir ſelber ſo wohl in meiner Haut und ich fühlte mich ſelber ſo vornehm, daß, wenn man mich zum Fürſten gemacht hätte, ich es nicht eben ſonderlich merkwürdig gefunden haben würde. Als man mir das Adelsdiplom gab, glaubten Viele, wie ich mich dadurch möchte erhoben fühlen. Allein, unter uns, es war mir nichts, gar nichts! Wir Frankfurter Patricier hielten uns immer dem Adel gleich, und als ich das Diplom in Händen hielt, hatte ich in meinen Gedanken eben nichts weiter, als was ich längſt beſeſſen.

Wir thaten noch einen guten Trunk aus der golde¬ nen Schale und fuhren dann um die nördliche Seite190 des Ettersberges herum, nach dem Jagdſchloſſe Etters¬ burg. Goethe ließ ſämmtliche Zimmer aufſchließen, die mit heiteren Tapeten und Bildern behängt waren. In dem weſtlichen Eckzimmer des erſten Stockes ſagte er mir, daß Schiller dort einige Zeit gewohnt. Wir haben überhaupt, fuhr er fort, in früheſter Zeit hier manchen guten Tag gehabt und manchen guten Tag verthan. Wir waren Alle jung und voll Uebermuth und es fehlte uns im Sommer nicht an allerlei impro¬ viſirtem Comödienſpiel und im Winter nicht an allerlei Tanz und Schlittenfahrten mit Fackeln.

Wir gingen wieder ins Freie und Goethe führte mich in weſtlicher Richtung einen Fußweg ins Holz.

Ich will Ihnen doch auch die Buche zeigen, ſagte er, worin wir vor funfzig Jahren unſere Namen ge¬ ſchnitten. Aber wie hat ſich das verändert und wie iſt das Alles herangewachſen! Das wäre denn der Baum! Sie ſehen, er iſt noch in der vollſten Pracht! Auch unſere Namen ſind noch zu ſpüren; doch ſo verquollen und verwachſen, daß ſie kaum noch herauszubringen. Damals ſtand dieſe Buche auf einem freien trockenen Platz. Es war durchaus ſonnig und anmuthig umher und wir ſpielten hier an ſchönen Som¬ mertagen unſere improviſirten Poſſen. Jetzt iſt es hier feucht und unfreundlich. Was ſonſt nur niederes Ge¬ büſch war, iſt indeß zu ſchattigen Bäumen herange¬191 wachſen, ſo daß man die prächtige Buche unſerer Jugend kaum noch aus dem Dickicht herausfindet.

Wir gingen wieder nach dem Schloſſe, und nachdem wir noch die ziemlich reiche Waffenſammlung beſehen, fuhren wir nach Weimar zurück.

Nachmittags einen Augenblick bei Goethe, wo ich Herrn Geheimerath Streckfuß aus Berlin kennen lernte, der dieſen Vormittag mit ihm eine Spazierfahrt gemacht und dann zu Tiſch geblieben war. Als Streck¬ fuß ging, begleitete ich ihn und machte noch einen Gang durch den Park. Bei meiner Zurückkunft über den Markt begegnete ich dem Canzler und Raupach, mit denen ich in den Elephanten ging. Abends wieder bei Goethe, der mit mir ein neues Heft von Kunſt und Alterthum beſprach, desgleichen zwölf Blätter Bleiſtift¬ umriſſe, in welchen die Gebrüder Riepenhauſen die Gemälde Polygnots in der Leſche zu Delphi, nach einer Beſchreibung des Pauſanias, wieder herzuſtellen verſucht; ein Unternehmen, welches Goethe nicht genug anzuerkennen wußte.

Im Theater das Bild von Houwald. Ich ſah zwei Acte und ging dann zu Goethe, der mir die zweite Scene ſeines neuen Fauſt vorlas.

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Ich habe in dem Kaiſer, ſagte er, einen Fürſten darzuſtellen geſucht, der alle möglichen Eigenſchaften hat, ſein Land zu verlieren, welches ihm denn auch ſpä¬ ter wirklich gelingt.

Das Wohl des Reichs und ſeiner Unterthanen macht ihm keine Sorge; er denkt nur an ſich und wie er ſich von Tag zu Tag mit etwas Neuem amüſire. Das Land iſt ohne Recht und Gerechtigkeit, der Rich¬ ter ſelber mitſchuldig und auf der Seite der Verbrecher, die unerhörteſten Frevel geſchehen ungehindert und un¬ geſtraft. Das Heer iſt ohne Sold, ohne Disciplin, und ſtreift raubend umher, um ſich ſeinen Sold ſelber zu verſchaffen und ſich ſelber zu helfen, wie es kann. Die Staatskaſſe iſt ohne Geld und ohne Hoffnung weiterer Zuflüſſe. Im eigenen Haushalte des Kaiſers ſieht es nicht beſſer aus: es fehlt in Küche und Keller. Der Marſchall, der von Tag zu Tage nicht mehr Rath zu ſchaffen weiß, iſt bereits in den Händen wuchernder Juden, denen Alles verpfändet iſt, ſo daß auf den Kaiſerlichen Tiſch vorweggegeſſenes Brod kommt.

Der Staatsrath will Sr. Majeſtät über alle dieſe Gebrechen Vorſtellungen thun und ihre Abhülfe bera¬ then; allein der gnädigſte Herr iſt ſehr ungeneigt, ſolchen unangenehmen Dingen ſein hohes Ohr zu lei¬ hen; er möchte ſich lieber amüſiren. Hier iſt nun das wahre Element für Mephiſto, der den bisherigen Nar¬193 ren ſchnell beſeitigt und als neuer Narr und Rathgeber ſogleich an der Seite des Kaiſers iſt.

Goethe las die Scene und das Zwiſchen-Gemurmel der Menge ganz vortrefflich und ich hatte einen ſehr guten Abend.

Dieſen Morgen, bei ſehr ſchönem Wetter, befand ich mich mit Goethe bereits vor acht Uhr im Wagen und auf dem Wege nach Jena, wo er bis morgen Abend zu verweilen die Abſicht hatte.

Dort zeitig angekommen, fuhren wir zunächſt am botaniſchen Garten vor, wo Goethe alle Sträuche und Gewächſe in Augenſchein nahm und Alles in ſchönſter Ordnung und im beſten Gedeihen fand. Wir beſahen ferner das mineralogiſche Cabinet und einige andere naturwiſſenſchaftliche Sammlungen und fuhren darauf zu Herrn v. Knebel, der uns zu Tiſch erwartete.

Knebel, im höchſten Alter, eilte Goethen halb ſtol¬ pernd an der Thür entgegen, um ihn in ſeine Arme zu ſchließen. Darauf bei Tiſch ging Alles ſehr herzlich und munter zu; von Geſprächen jedoch entwickelte ſich nichts von einiger Bedeutung. Die beiden alten Freunde hatten genug am beiderſeitigen menſchlich nahen Bei¬ ſammenſeyn.

Nach Tiſch machten wir eine Spazierfahrt in ſüd¬lll. 13194licher Richtung an der Saale hinauf. Ich kannte dieſe reizende Gegend bereits aus früherer Zeit; doch wirkte Alles wieder ſo friſch, als hätte ich es vorher nie geſehen.

Als wir uns wieder in den Straßen von Jena befanden, ließ Goethe an einem Bach hinauf fahren und an einem Hauſe halten, das äußerlich eben kein bedeutendes Anſehen hatte.

Hier hat Voß gewohnt, ſagte er, und ich will Sie doch auch auf dieſem claſſiſchen Boden einführen. Wir durchſchritten das Haus und traten in den Garten. Von Blumen und anderer Art feiner Cultur war wenig zu ſpüren, wir gingen auf Raſen unter lauter Obſtbäumen. Das war etwas für Erneſtinen, ſagte Goethe, die auch hier ihre trefflichen Eutiner Aepfel nicht vergeſſen konnte und die ſie mir rühmte als Et¬ was ohne Gleichen. Es waren aber die Aepfel ihrer Kindheit geweſen, darin lag's! Ich habe übrigens hier mit Voß und ſeiner trefflichen Erneſtine manchen ſchönen Tag gehabt und gedenke der alten Zeit ſehr gerne. Ein Mann wie Voß wird übrigens ſobald nicht wiederkommen. Es haben wenig Andere auf die höhere deutſche Cultur einen ſolchen Einfluß gehabt als er. Es war an ihm Alles geſund und derb, weßhalb er auch zu den Griechen kein künſtliches, ſondern ein rein natürliches Verhältniß hatte, woraus denn für uns Anderen die herrlichſten Früchte erwachſen ſind. Wer195 von ſeinem Werthe durchdrungen iſt, wie ich, weiß gar nicht, wie er ſein Andenken würdig genug ehren ſoll.

Es war indeß gegen ſechs Uhr geworden und Goethe fand es an der Zeit, in unſer Nachtquartier zu gehen, das er im Gaſthof Zum Bären hatte be¬ ſtellen laſſen.

Man gab uns ein geräumiges Zimmer nebſt einem Alkoven mit zwei Betten. Die Sonne war noch nicht lange hinab, der Abendſchein lag auf unſern Fenſtern, und es war uns gemüthlich, noch eine Zeitlang ohne Licht zu ſitzen.

Goethe lenkte das Geſpräch auf Voß zurück. Er war mir ſehr werth, ſagte er, und ich hätte ihn gerne der Academie und mir erhalten. Allein die Vortheile, die man ihm von Heidelberg her anbot, waren zu be¬ deutend, als daß wir, bei unſern geringen Mitteln, ſie hätten aufwiegen können. Ich mußte ihn mit ſchmerzlicher Reſignation ziehen laſſen.

Ein Glück für mich war es indeß, fuhr Goethe fort, daß ich Schillern hatte. Denn ſo verſchieden unſere beiderſeitigen Naturen auch waren, ſo gingen doch unſere Richtungen auf Eins, welches denn unſer Verhältniß ſo innig machte, daß im Grunde Keiner ohne den Andern leben konnte.

Goethe erzählte mir darauf von ſeinem Freunde einige Anekdoten, die mir ſehr charakteriſtiſch erſchienen.

Schiller war, wie ſich bei ſeinem großartigen13*196Charakter denken läßt, ſagte er, ein entſchiedener Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden Vergötterung, die man mit ihm trieb oder treiben wollte. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demon¬ ſtration zu ſeinem Ruhme zu veranſtalten, war es ihm ſo zuwider, daß er vor innerem Ekel darüber faſt krank wurde. Ebenſo war es ihm zuwider, wenn ein Fremder ſich bei ihm melden ließ. Wenn er augen¬ blicklich behindert war, ihn zu ſehen, und er ihn etwa auf den Nachmittag vier Uhr beſtellte, ſo war in der Regel anzunehmen, daß er um die beſtimmte Stunde vor lauter Apprehenſion krank war. Auch konnte er in ſolchen Fällen gelegentlich ſehr ungeduldig und auch wohl grob werden. Ich war Zeuge, wie er einſt einen fremden Chirurgus, der, um ihm ſeinen Beſuch zu machen, bei ihm unangemeldet eintrat, ſehr heftig an¬ fuhr, ſo daß der arme Menſch, ganz verblüfft, nicht wußte, wie ſchnell er ſich ſollte zurückziehen.

Wir waren, wie geſagt und wie wir Alle wiſſen, fuhr Goethe fort, bei aller Gleichheit unſerer Richtun¬ gen, Naturen ſehr verſchiedener Art, und zwar nicht bloß in geiſtigen Dingen, ſondern auch in phyſiſchen. Eine Luft, die Schillern wohlthätig war, wirkte auf mich wie Gift. Ich beſuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hauſe fand und ſeine Frau mir ſagte, daß er bald zurückkommen würde, ſo ſetzte ich mich an ſeinen Arbeitstiſch, um mir Dieſes und Jenes zu197 notiren. Ich hatte aber nicht lange geſeſſen, als ich von einem heimlichen Uebelbefinden mich überſchlichen fühlte, welches ſich nach und nach ſteigerte, ſo daß ich endlich einer Ohnmacht nahe war. Ich wußte anfäng¬ lich nicht, welcher Urſache ich dieſen elenden, mir ganz ungewöhnlichen Zuſtand zuſchreiben ſollte, bis ich end¬ lich bemerkte, daß aus einer Schieblade neben mir ein ſehr fataler Geruch ſtrömte. Als ich ſie öffnete, fand ich zu meinem Erſtaunen, daß ſie voll fauler Aepfel war. Ich trat ſogleich an ein Fenſter und ſchöpfte friſche Luft, worauf ich mich denn augenblicklich wieder hergeſtellt fühlte. Indeß war ſeine Frau wieder herein¬ getreten, die mir ſagte, daß die Schieblade immer mit faulen Aepfeln gefüllt ſeyn müſſe, indem dieſer Geruch Schillern wohlthue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.

Morgen früh, fuhr Goethe fort, will ich Ihnen auch zeigen, wo Schiller hier in Jena gewohnt hat.

Es war indeß Licht gebracht, wir nahmen ein klei¬ nes Abendeſſen und ſaßen nachher noch eine Weile in allerlei Erinnerungen und Geſprächen.

Ich erzählte Goethen einen merkwürdigen Traum aus meinen Knabenjahren, der am anderen Morgen buchſtäblich in Erfüllung ging.

Ich hatte, ſagte ich, mir drei junge Hänflinge er¬ zogen, woran ich mit ganzer Seele hing und die ich über Alles liebte. Sie flogen frei in meiner Kammer198 umher und flogen mir entgegen und auf meine Hand, ſowie ich in die Thür hereintrat. Ich hatte eines Mittags das Unglück, daß bei meinem Hereintre¬ ten in die Kammer einer dieſer Vögel über mich hinweg und zum Hauſe hinausflog, ich wußte nicht wohin. Ich ſuchte ihn den ganzen Nachmittag auf allen Dächern, und war untröſtlich, als es Abend ward und ich von ihm keine Spur gefunden hatte. Mit betrübten herzlichen Gedanken an ihn ſchlief ich ein, und hatte gegen Morgen folgenden Traum. Ich ſah mich nämlich, wie ich an unſern Nachbarhäuſern umherging und meinen verlorenen Vogel ſuchte. Auf einmal höre ich den Ton ſeiner Stimme und ſehe ihn hinter dem Gärtchen unſerer Hütte auf dem Dache eines Nachbarhauſes ſitzen; ich ſehe, wie ich ihn locke, und wie er näher zu mir herabkommt, wie er futter¬ begierig die Flügel gegen mich bewegt, aber doch ſich nicht entſchließen kann, auf meine Hand herabzufliegen. Ich ſehe darauf, wie ich ſchnell durch unſer Gärtchen in meine Kammer laufe und die Taſſe mit gequollenem Rübſamen herbeihole; ich ſehe, wie ich ihm ſein belieb¬ tes Futter entgegenreiche, wie er herab auf meine Hand kommt und ich ihn voller Freude zu den beiden andern zurück in meine Kammer trage.

Mit dieſem Traum wache ich auf. Und da es be¬ reits vollkommen Tag war, ſo werfe ich mich ſchnell in meine Kleider und habe nichts Eiligeres zu thun, als199 durch unſer Gärtchen zu laufen, nach dem Hauſe hin, wo ich den Vogel geſehen. Wie groß war aber mein Erſtaunen, als der Vogel wirklich da war! Es geſchah nun buchſtäblich Alles, wie ich es im Traume geſehen. Ich locke ihn, er kommt näher; aber er zögert, auf meine Hand zu fliegen. Ich laufe zurück und hole das Futter, und er fliegt auf meine Hand und ich bringe ihn wieder zu den andern.

Dieſes Ihr Knabenereigniß, ſagte Goethe, iſt aller¬ dings höchſt merkwürdig. Aber dergleichen liegt ſehr wohl in der Natur, wenn wir auch dazu noch nicht den rechten Schlüſſel haben. Wir wandeln Alle in Geheim¬ niſſen. Wir ſind von einer Atmosphäre umgeben, von der wir noch gar nicht wiſſen, was ſich Alles in ihr regt und wie es mit unſerm Geiſte in Verbindung ſteht. So viel iſt wohl gewiß, daß in beſondern Zu¬ ſtänden die Fühlfäden unſerer Seele über ihre körper¬ lichen Grenzen hinausreichen können, und ihr ein Vor¬ gefühl, ja auch ein wirklicher Blick in die nächſte Zu¬ kunft geſtattet iſt.

Etwas Aehnliches, erwiederte ich, habe ich erſt neu¬ lich erlebt, wo ich von einem Spaziergange auf der Erfurter Chauſſee zurückkam, und ich etwa zehn Minu¬ ten vor Weimar den geiſtigen Eindruck hatte, wie an der Ecke des Theaters mir eine Perſon begegnete, die ich ſeit Jahr und Tag nicht geſehen, und an die ich ſehr lange ebenſowenig gedacht. Es beunruhigte200 mich, zu denken, daß ſie mir begegnen könnte, und mein Erſtaunen war daher nicht gering, als ſie mir, ſowie ich um die Ecke biegen wollte, wirklich an der¬ ſelbigen Stelle ſo entgegen trat, wie ich es vor etwa zehn Minuten im Geiſte geſehen hatte.

Das iſt gleichfalls ſehr merkwürdig und mehr als Zufall, erwiederte Goethe. Wie geſagt, wir tappen Alle in Geheimniſſen und Wundern. Auch kann eine Seele auf die andere durch bloße ſtille Gegenwart ent¬ ſchieden einwirken, wovon ich mehrere Beiſpiele erzäh¬ len könnte. Es iſt mir ſehr oft paſſirt, daß wenn ich mit einem guten Bekannten ging und lebhaft an etwas dachte, dieſer über das, was ich im Sinne hatte, ſo¬ gleich an zu reden fing. So habe ich einen Mann gekannt, der, ohne ein Wort zu ſagen, durch bloße Geiſtesgewalt eine in heitern Geſprächen begriffene Ge¬ ſellſchaft plötzlich ſtille zu machen im Stande war. Ja er konnte auch eine Verſtimmung hineinbringen, ſo daß es Allen unheimlich wurde.

Wir haben Alle etwas von elektriſchen und mag¬ netiſchen Kräften in uns, und üben, wie der Magnet ſelber, eine anziehende und abſtoßende Gewalt aus, je nachdem wir mit etwas Gleichem oder Ungleichem in Berührung kommen. Es iſt möglich, ja ſogar wahr¬ ſcheinlich, daß wenn ein junges Mädchen in einem dunkeln Zimmer ſich, ohne es zu wiſſen, mit einem Manne befände, der die Abſicht hätte, ſie zu ermor¬201 den, ſie von ſeiner ihr unbewußten Gegenwart ein unheimliches Gefühl hätte, und daß eine Angſt über ſie käme, die ſie zum Zimmer hinaus und zu ihren Hausgenoſſen triebe.

Ich kenne eine Opern-Scene, entgegnete ich, worin zwei Liebende, die lange Zeit durch große Entfernung getrennt waren, ſich, ohne es zu wiſſen, in einem dunkeln Zimmer zuſammen befinden. Sie ſind aber nicht lange beiſammen, ſo fängt die magnetiſche Kraft an, zu wirken, Eins ahnet des Anderen Nähe, ſie wer¬ den unwillkürlich zu einander hingezogen und es dauert nicht lange, ſo liegt das junge Mädchen in den Armen des Jünglings.

Unter Liebenden, verſetzte Goethe, iſt dieſe magne¬ tiſche Kraft beſonders ſtark und wirkt ſogar ſehr in die Ferne. Ich habe in meinen Jünglingsjahren Fälle genug erlebt, wo auf einſamen Spaziergängen ein mäch¬ tiges Verlangen nach einem geliebten Mädchen mich überfiel, und ich ſo lange an ſie dachte, bis ſie mir wirklich entgegenkam. Es wurde mir in meinem Stüb¬ chen unruhig, ſagte ſie, ich konnte mir nicht helfen, ich mußte hierher.

So erinnere ich mich eines Falles aus den erſten Jahren meines Hierſeyns, wo ich ſehr bald wieder in leidenſchaftliche Zuſtände gerathen war. Ich hatte eine größere Reiſe gemacht und war ſchon ſeit einigen Tagen zurückgekehrt, aber durch Hofverhältniſſe, die mich ſpät202 bis in die Nacht hielten, immer behindert geweſen, die Geliebte zu beſuchen. Auch hatte unſere Neigung be¬ reits die Aufmerkſamkeit der Leute auf ſich gezogen und ich trug daher Scheu, am offenen Tage hinzugehen, um das Gerede nicht zu vergrößern. Am vierten oder fünften Abend aber konnte ich es nicht länger aushal¬ ten, und ich war auf dem Wege zu ihr und ſtand vor ihrem Hauſe, ehe ich es dachte. Ich ging leiſe die Treppe hinauf und war im Begriff, in ihr Zimmer zu treten, als ich an verſchiedenen Stimmen hörte, daß ſie nicht allein war. Ich ging unbemerkt wieder hinab und war ſchnell wieder in den dunkeln Straßen, die damals noch keine Beleuchtung hatten. Unmuthig und leidenſchaftlich durchſtreifte ich die Stadt in allen Rich¬ tungen wohl eine Stunde lang und immer einmal wie¬ der vor ihrem Hauſe vorbei, voll ſehnſüchtiger Gedan¬ ken an die Geliebte. Ich war endlich auf dem Punkte, wieder in mein einſames Zimmer zurückzukehren, als ich noch einmal an ihrem Hauſe vorbeiging und be¬ merkte, daß ſie kein Licht mehr hatte. Sie wird aus¬ gegangen ſeyn! ſagte ich zu mir ſelber; aber wohin in dieſer Dunkelheit der Nacht? und wo ſoll ich ihr be¬ gegnen? Ich ging abermals durch mehrere Straßen, es begegneten mir viele Menſchen, und ich war oft ge¬ täuſcht, indem ich ihre Geſtalt und ihre Größe zu ſehen glaubte, aber bei näherem Hinzukommen immer fand, daß ſie es nicht war. Ich glaubte ſchon damals feſt203 an eine gegenſeitige Einwirkung, und daß ich durch ein mächtiges Verlangen ſie herbeiziehen könne. Auch glaubte ich mich unſichtbar von höheren Weſen umge¬ ben, die ich anflehte, ihre Schritte zu mir, oder die meinigen zu ihr zu lenken. Aber was biſt du für ein Thor! ſagte ich dann wieder zu mir ſelber. Noch ein¬ mal es verſuchen und noch einmal zu ihr gehen, wollteſt du nicht, und jetzt verlangſt du Zeichen und Wunder!

Indeſſen war ich an der Esplanade hinunter ge¬ gangen und bis an das kleine Haus gekommen, das in ſpätern Jahren Schiller bewohnte, als es mich an¬ wandelte, umzukehren und zurück nach dem Palais und von dort eine kleine Straße rechts zu gehen. Ich hatte kaum hundert Schritte in dieſer Richtung gethan, als ich eine weibliche Geſtalt mir entgegen kommen ſah, die der erſehnten vollkommen gleich war. Die Straße war nur von dem ſchwachen Licht ein wenig dämmerig, das hin und wieder durch ein Fenſter drang, und da mich dieſen Abend eine ſcheinbare Aehnlichkeit ſchon oft getäuſcht hatte, ſo fühlte ich nicht den Muth, ſie auf's Ungewiſſe anzureden. Wir gingen dicht aneinander vorbei, ſo daß unſere Arme ſich berührten; ich ſtand ſtill und blickte mich um, ſie auch. Sind Sie es? ſagte ſie. Und ich erkannte ihre liebe Stimme. Endlich! ſagte ich, und war beglückt bis zu Thränen. Unſere Hände ergriffen ſich. Nun! ſagte ich, meine Hoffnung hat mich nicht betrogen. Mit dem größten204 Verlangen habe ich Sie geſucht, mein Gefühl ſagte mir, daß ich Sie ſicher finden würde, und nun bin ich glücklich und danke Gott, daß es wahr geworden. Aber, Sie Böſer! ſagte ſie, warum ſind Sie nicht ge¬ kommen? Ich erfuhr heute zufällig, daß Sie ſchon ſeit drei Tagen zurück, und habe den ganzen Nachmit¬ tag geweint, weil ich dachte, Sie hätten mich vergeſſen. Dann vor einer Stunde ergriff mich ein Verlangen und eine Unruhe nach Ihnen, ich kann es nicht ſagen. Es waren ein paar Freundinnen bei mir, deren Beſuch mir eine Ewigkeit dauerte. Endlich, als ſie fort waren, griff ich unwillkürlich nach meinem Hut und Mäntelchen, es trieb mich, in die Luft zu gehen, in die Dunkelheit hinaus, ich wußte nicht wohin. Dabei lagen Sie mir immer im Sinn, und es war mir nicht anders, als müßten Sie mir begegnen. Indem ſie ſo aus treuem Herzen ſprach, hielten wir unſere Hände noch immer gefaßt und drückten uns und gaben uns zu verſtehen, daß die Abweſenheit unſere Liebe nicht erkaltet. Ich begleitete ſie bis vor die Thür, bis in ihr Haus. Sie ging auf der finſtern Treppe mir voran, wobei ſie meine Hand hielt und mich ihr gewiſſermaßen nachzog. Mein Glück war unbeſchreiblich, ſowohl über das end¬ liche Wiederſehen, als auch darüber, daß mein Glaube mich nicht betrogen und mein Gefühl von einer unſicht¬ baren Einwirkung mich nicht getäuſcht hatte.

Goethe war in der liebevollſten Stimmung, ich hätte205 ihm noch Stunden lang zuhören mögen. Allein er ſchien nach und nach müde zu werden, und ſo gingen wir denn in unſerm Alkoven ſehr bald zu Bette.

Wir ſtanden frühzeitig auf. Während dem Anklei¬ den erzählte Goethe mir einen Traum der vorigen Nacht, wo er ſich nach Göttingen verſetzt geſehen und mit dortigen Profeſſoren ſeiner Bekanntſchaft allerlei gute Unterhaltung gehabt.

Wir tranken einige Taſſen Kaffee und fuhren ſodann an dem Gebäude vor, welches die naturwiſſenſchaftlichen Sammlungen enthält. Wir beſahen das anatomiſche Cabinet, allerlei Skelette von Thieren und Urthieren, auch Skelette von Menſchen früherer Jahrhunderte, bei welchen Goethe die Bemerkung machte, daß ihre Zähne eine ſehr moraliſche Race andeuteten.

Er ließ darauf nach der Sternwarte fahren, wo Herr Doctor Schrön uns die bedeutendſten Inſtrumente vorzeigte und erklärte. Auch das anſtoßende meteoro¬ logiſche Cabinet ward mit beſonderem Intereſſe betrach¬ tet, und Goethe lobte Herrn Doctor Schrön wegen der in allen dieſen Dingen herrſchenden großen Ordnung.

Wir gingen ſodann in den Garten hinab, wo Goethe auf einem Steintiſch in einer Laube ein kleines Frühſtück hatte arrangiren laſſen. Sie wiſſen wohl kaum, ſagte er, an welcher merkwürdigen Stelle206 wir uns eigentlich befinden. Hier hat Schiller gewohnt. In dieſer Laube, auf dieſen jetzt faſt zuſammengebro¬ chenen Bänken haben wir oft an dieſem alten Stein¬ tiſch geſeſſen und manches gute und große Wort mit¬ einander gewechſelt. Er war damals noch in den drei¬ ßigen, ich ſelber noch in den vierzigen, Beide noch in vollſtem Aufſtreben, und es war etwas. Das geht Alles hin und vorüber; ich bin auch nicht mehr, der ich geweſen, aber die alte Erde hält Stich, und Luft und Waſſer und Boden ſind noch immer dieſelbigen.

Gehen Sie doch nachher einmal mit Schrön hin¬ auf und laſſen ſich von ihm in der Manſarde die Zim¬ mer zeigen, die Schiller bewohnt hat.

Wir ließen uns indeß in dieſer anmuthigen Luft und an dieſem guten Orte das Frühſtück ſehr wohl ſchmecken. Schiller war dabei wenigſtens in unſerem Geiſte gegenwärtig und Goethe widmete ihm noch man¬ ches gute Wort eines liebevollen Andenkens.

Ich ging darauf mit Schrön in die Manſarde und genoß aus Schiller's Fenſtern die herrlichſte Ausſicht. Die Richtung war ganz nach Süden, ſo daß man Stunden weit den ſchönen Strom, durch Gebüſch und Krümmungen unterbrochen, heranfließen ſah. Auch hatte man einen weiten Horizont. Der Aufgang und Untergang der Planeten war von hieraus herrlich zu beobachten, und man mußte ſich ſagen, daß dieß Local207 durchaus günſtig ſey, um das Aſtronomiſche und Aſtro¬ logiſche im Wallenſtein zu dichten.

Ich ging wieder zu Goethe hinab, der zu Herrn Hof¬ rath Döbereiner fahren ließ, den er ſehr hoch ſchätzt und der ihm einige neue chemiſche Experimente zeigte.

Es war indeß Mittag geworden. Wir ſaßen wie¬ der im Wagen. Ich dächte, ſagte Goethe, wir führen nicht zu Tiſch nach dem Bären, ſondern genöſſen den herrlichen Tag im Freien. Ich dächte, wir gingen nach Burgau. Wein haben wir bei uns und dort finden wir auf jeden Fall einen guten Fiſch, den man ent¬ weder ſieden oder braten mag.

Wir thaten ſo und es war gar herrlich. Wir fuh¬ ren an den Ufern der Saale hinauf, an Gebüſchen und Krümmungen vorbei, den anmuthigſten Weg, wie ich ihn vorhin aus Schiller's Manſarde geſehen. Wir waren ſehr bald in Burgau. Wir ſtiegen in dem klei¬ nen Gaſthofe ab, nahe am Fluß und an der Brücke, wo es hinüber nach Lobeda geht, welches Städtchen wir, über Wieſen hin, nahe vor Augen hatten.

In dem kleinen Gaſthofe war es ſo wie Goethe geſagt. Die Wirthin entſchuldigte, daß ſie auf nichts eingerichtet ſey, daß es uns aber an einer Suppe und einem guten Fiſch nicht fehlen ſolle.

Wir promenirten indeß im Sonnenſchein auf der Brücke hin und her und freuten uns des Fluſſes, der durch Flößer belebt war, die auf zuſammengebundenen208 fichtenen Bohlen von Zeit zu Zeit unter der Brücke hinglitten und bei ihrem mühſamen naſſen Geſchäft überaus heiter und laut waren.

Wir aßen unſern Fiſch im Freien und blieben ſo¬ dann noch bei einer Flaſche Wein ſitzen und hatten allerlei gute Unterhaltung.

Ein kleiner Falke flog vorbei, der in ſeinem Flug und ſeiner Geſtalt große Aehnlichkeit mit dem Kuckuck hatte.

Es gab eine Zeit, ſagte Goethe, wo das Studium der Naturgeſchichte noch ſo weit zurück war, daß man die Meinung allgemein verbreitet fand, der Kuckuck ſey nur im Sommer ein Kuckuck, im Winter aber ein Raubvogel.

Dieſe Anſicht, erwiederte ich, exiſtirt im Volke auch jetzt noch. Ja man dichtet dem guten Vogel auch an, daß, ſobald er völlig ausgewachſen ſey, er ſeine eigenen Eltern verſchlucke. Und ſo gebraucht man ihn denn als ein Gleichniß des ſchändlichſten Undanks. Ich kenne noch im gegenwärtigen Augenblick Leute, die ſich dieſe Abſurditäten durchaus nicht wollen ausreden laſ¬ ſen, und die daran ſo feſt hängen, wie an irgend einem Artikel ihres chriſtlichen Glaubens.

Soviel ich weiß, ſagte Goethe, claſſificirt man den Kuckuck zu den Spechten.

Man thut ſo mitunter, erwiederte ich, wahrſcheinlich aus dem Grunde, weil zwei Zehen ſeiner ſchwachen209 Füße eine Richtung nach hinten haben. Ich möchte ihn aber nicht dahin ſtellen. Er hat für die Lebens¬ art der Spechte ſo wenig den ſtarken Schnabel, der fähig wäre irgend eine abgeſtorbene Baumrinde zu brechen, als die ſcharfen, ſehr ſtarken Schwanzfedern, die geeignet wären ihn bei einer ſolchen Operation zu ſtützen. Auch fehlen ſeinen Zehen die zum Anhalten nöthigen ſcharfen Krallen, und ich halte daher ſeine kleinen Füße nicht für wirkliche Kletterfüße, ſondern nur für ſcheinbare.

Die Herren Ornithologen, verſetzte Goethe, ſind wahrſcheinlich froh, wenn ſie irgend einen eigenthüm¬ lichen Vogel nur einigermaßen ſchicklich untergebracht haben; wogegen aber die Natur ihr freies Spiel treibt und ſich um die von beſchränkten Menſchen gemachten Fächer wenig kümmert.

So wird die Nachtigall, fuhr ich fort, zu den Grasmücken gezählt, während ſie in der Energie ihres Naturells, ihren Bewegungen und ihrer Lebensweiſe weit mehr Aehnlichkeit mit den Droſſeln hat. Aber auch zu den Droſſeln möchte ich ſie nicht zählen. Sie iſt ein Vogel, der zwiſchen Beiden ſteht, ein Vogel für ſich, ſo wie auch der Kuckuck ein Vogel für ſich iſt, mit ſo ſcharf ausgeſprochener Individualität wie einer.

Alles was ich über den Kuckuck gehört habe, ſagte Goethe, giebt mir für dieſen merkwürdigen Vogel einIII. 14210großes Intereſſe. Er iſt eine höchſt problematiſche Natur, ein offenbares Geheimniß; das aber nichts¬ deſtoweniger ſchwer zu löſen, weil es ſo offenbar iſt. Und bei wie vielen Dingen finden wir uns nicht in demſelbigen Falle! Wir ſtecken in lauter Wundern, und das letzte und beſte der Dinge iſt uns ver¬ ſchloſſen. Nehmen wir nur die Bienen. Wir ſehen ſie nach Honig fliegen, Stunden weit, und zwar immer einmal in einer anderen Richtung. Jetzt fliegen ſie wochenlang weſtlich nach einem Felde von blühenden Rübſamen. Dann eben ſo lange nördlich nach blühen¬ der Haide. Dann wieder in einer anderen Richtung nach der Blüthe des Buchweizens. Dann irgendwohin auf ein blühendes Kleefeld. Und endlich wieder in einer anderen Richtung nach blühenden Linden. Wer hat ihnen aber geſagt: jetzt fliegt dorthin, da giebt es etwas für euch! Und dann wieder dort, da giebt es etwas Neues! Und wer führt ſie zurück nach ihrem Dorf und ihrer Zelle! Sie gehen wie an einem un¬ ſichtbaren Gängelbande hierhin und dorthin; was es aber eigentlich ſey, wiſſen wir nicht. Ebenſo die Lerche. Sie ſteigt ſingend auf über einem Halmenfeld, ſie ſchwebt über einem Meer von Halmen, das der Wind hin - und herwiegt, und wo die eine Welle ausſieht wie die andere; ſie fährt wieder hinab zu ihren Jun¬ gen und trifft, ohne zu fehlen, den kleinen Fleck, wo ſie ihr Neſt hat. Alle dieſe äußeren Dinge liegen211 klar vor uns wie der Tag, aber ihr inneres geiſtiges Band iſt uns verſchloſſen.

Mit dem Kuckuck, ſagte ich, iſt es nicht anders. Wir wiſſen von ihm, daß er nicht ſelber brütet, ſondern ſein Ey in das Neſt irgend eines anderen Vogels legt. Wir wiſſen ferner, daß er es legt: in das Neſt der Graſemücke, der gelben Bachſtelze, des Mönches; ferner in das Neſt der Braunelle, in das Neſt des Rothkehl¬ chens, und in das Neſt des Zaunkönigs. Dieſes wiſſen wir. Auch wiſſen wir gleichfalls, daß dieſes Alles In¬ ſecten-Vögel ſind und es ſeyn müſſen, weil der Kuckuck ſelber ein Inſecten-Vogel iſt, und der junge Kuckuck von einem Saamen freſſenden Vogel nicht könnte er¬ zogen werden. Woran aber erkennt der Kuckuck, daß dieſes Alles auch wirklich Inſecten-Vögel ſind? da doch alle dieſe Genannten, ſowohl in ihrer Geſtalt als in ihrer Farbe, von einander ſo äußerſt abweichen! und auch in ihrer Stimme und in ihren Locktönen ſo äußerſt abweichen! Und ferner: wie kommt es, daß der Kuckuck ſein Ey und ſein zartes Junges Neſtern anvertrauen kann, die in Hinſicht auf Structur und Temperatur, auf Trockenheit und Feuchte, ſo verſchieden ſind, wie nur immer möglich! Das Neſt der Graſe¬ mücke iſt von dürren Grashälmchen und einigen Pferde¬ haaren ſo leicht gebaut, daß jede Kälte eindringt und jeder Luftzug hindurchweht, auch von oben offen und ohne Schutz; aber der junge Kuckuck gedeiht darin14*212vortrefflich. Das Neſt des Zaunkönigs dagegen iſt äußerlich von Moos, Halmen und Blättern dicht und feſt gebaut und innen mit allerlei Wolle und Federn ſorgfältig ausgefüttert, ſo daß kein Lüftchen hin¬ durchdringen kann. Auch iſt es oben gedeckt und gewölbt und nur eine kleine Oeffnung zum Hinein - und Hinausſchlüpfen des ſehr kleinen Vogels gelaſſen. Man ſollte denken, es müßte in heißen Junitagen in ſolcher geſchloſſenen Höhle eine Hitze zum Erſticken ſeyn. Allein der junge Kuckuck gedeiht darin auf's Beſte. Und wiederum wie anders iſt das Neſt der gelben Bachſtelze! Der Vogel lebt am Waſſer, an Bächen und in allerlei Naſſem. Er baut ſein Neſt auf feuchten Triften, in einem Büſchel von Binſen. Er ſcharrt ein Loch in die feuchte Erde und legt es dürftig mit einigen Grashälmchen aus, ſo daß der junge Kuckuck durchaus im Feuchten und Kühlen ge¬ brütet wird und heranwachſen muß. Und dennoch ge¬ deiht er wiederum vortrefflich. Was iſt das aber für ein Vogel, für den im zarteſten Kindesalter Feuchtes und Trockenes, Hitze und Kälte, Abweichungen die für jeden anderen Vogel tödtlich wären, durchaus gleich¬ gültige Dinge ſind. Und wie weiß der alte Kuckuck, daß ſie es ſind, da er doch ſelber im erwachſenen Alter für Näſſe und Kälte ſo ſehr empfindlich iſt.

Wir ſtehen hier, erwiederte Goethe, eben vor einem Geheimniß. Aber ſagen Sie mir doch, wenn Sie es213 beobachtet haben, wie bringt der Kuckuck ſein Ey in das Neſt des Zaunkönigs, da es doch nur eine ſo geringe Oeffnung hat, daß er nicht hineinkommen und er ſich nicht ſelber darauf ſetzen kann.

Er legt es auf irgend eine trockene Stelle, erwie¬ derte ich, und bringt es mit dem Schnabel hinein. Auch glaube ich, daß er nicht bloß beim Zaunkönig, ſondern auch bei den übrigen Neſtern ſo thut. Denn auch die Neſter der andern Inſecten-Vögel, wenn ſie auch oben offen, ſind doch ſo klein, oder ſo nahe von Zweigen umgeben, daß der große langſchwänzige Kuckuck ſich nicht darauf ſetzen könnte. Dieß iſt ſehr wohl zu denken. Allein wie es kommen mag, daß der Kuckuck ein ſo außerordentlich kleines Ey legt, ja ſo klein als wäre es das Ey eines kleinen Inſecten-Vo¬ gels, das iſt ein neues Räthſel, das man im Stillen bewundert, ohne es löſen zu können. Das Ey des Kuckucks iſt nur um ein Weniges größer als das der Graſemücke, und es darf im Grunde nicht größer ſeyn, wenn die kleinen Inſecten-Vögel es brüten ſollen. Dieß iſt durchaus gut und vernünftig. Allein daß die Natur, um im ſpeciellen Fall weiſe zu ſeyn, von einem durchgehenden großen Geſetz abweicht, wonach vom Kolibri bis zum Strauß zwiſchen der Größe des Eyes und der Größe des Vogels ein entſchiedenes Verhält¬ niß ſtattfindet, dieſes willkürliche Verfahren, ſage214 ich, iſt durchaus geeignet uns zu überraſchen und uns in Erſtaunen zu ſetzen.

Es ſetzt uns allerdings in Erſtaunen, erwiederte Goethe, weil unſer Standpunkt zu klein iſt, als daß wir es überſehen könnten. Wäre uns mehr eröffnet, ſo würden wir auch dieſe ſcheinbaren Abweichungen wahrſcheinlich im Umfange des Geſetzes finden. Doch fahren Sie fort und ſagen Sie mir mehr. Weiß man denn nicht, wie viele Eyer der Kuckuck legen mag?

Wer darüber etwas mit Beſtimmtheit ſagen wollte, antwortete ich, wäre ein großer Thor. Der Vogel iſt ſehr flüchtig, er iſt bald hier und bald dort, man findet von ihm in einem einzigen Neſt immer nur ein einziges Ey. Er legt ſicherlich mehrere; allein wer weiß, wo ſie hingerathen, und wer kann ihm nachkommen! Geſetzt aber, er legte fünf Eyer, und dieſe würden alle fünf glücklich ausgebrütet und von liebevollen Pflegeeltern herangezogen, ſo hat man wiederum zu bewundern, daß die Natur ſich entſchließen mag, für fünf junge Kuckucke wenigſtens funfzig Junge unſerer beſten Singvögel zu opfern.

In dergleichen Dingen, erwiederte Goethe, pflegt die Natur auch in anderen Fällen nicht eben ſcrupulös zu ſeyn. Sie hat einen großen Etat von Leben zu vergeu¬ den, und ſie thut es gelegentlich ohne ſonderliches Be¬ denken. Wie aber kommt es, daß für einen einzigen jun¬ gen Kuckuck ſo viele junge Singvögel verloren gehen?

215

Zunächſt, erwiederte ich, geht die erſte Brut ver¬ loren. Denn im Fall auch die Eyer des Singvogels neben dem Kuckucks-Ey, wie es wohl geſchieht, mit ausgebrütet würden; ſo haben doch die Eltern über den entſtandenen größeren Vogel eine ſolche Freude und für ihn eine ſolche Zärtlichkeit, daß ſie nur an ihn denken und nur ihn füttern, worüber denn ihre eigenen kleinen Jungen zu Grunde gehen und aus dem Neſte verſchwinden. Auch iſt der junge Kuckuck immer begierig und bedarf ſo viel Nahrung, als die kleinen Inſecten-Vögel nur immer herbeiſchleppen kön¬ nen. Es dauert ſehr lange, ehe er ſeine vollſtändige Größe und ſein vollſtändiges Gefieder erreicht, und ehe er fähig iſt das Neſt zu verlaſſen und ſich zum Gipfel eines Baumes zu erheben. Iſt er aber auch längſt ausgeflogen, ſo verlangt er doch noch fortwährend gefüttert zu werden, ſo daß der ganze Sommer darü¬ ber hingeht und die liebevollen Pflegeeltern ihrem gro¬ ßen Kinde immer nachziehen und auch an eine zweite Brut nicht denken. Aus dieſem Grunde gehen denn über einen einzigen jungen Kuckuck ſo viele andere junge Vögel verloren.

Das iſt ſehr überzeugend, erwiederte Goethe. Doch ſagen Sie mir, wird denn der junge Kuckuck, ſobald er ausgeflogen iſt, auch von anderen Vögeln gefüttert, die ihn nicht gebrütet haben? Es iſt mir, als hätte ich dergleichen gehört.

216

Es iſt ſo, antwortete ich. Sobald der junge Kuckuck ſein niederes Neſt verlaſſen und ſeinen Sitz etwa in dem Gipfel einer hohen Eiche genommen hat, läßt er einen lauten Ton hören, welcher ſagt, daß er da ſey. Nun kommen alle kleinen Vögel der Nachbarſchaft, die ihn gehört haben, herbei, um ihn zu begrüßen. Es kommt die Graſemücke, es kommt der Mönch, die gelbe Bachſtelze fliegt hinauf, ja der Zaunkönig, deſſen Na¬ turell es iſt beſtändig in niederen Hecken und dichten Gebüſchen zu ſchlüpfen, überwindet ſeine Natur und erhebt ſich, dem geliebten Ankömmling entgegen, zum Gipfel der hohen Eiche. Das Paar aber, das ihn erzogen hat, iſt mit dem Füttern treuer, während die Uebrigen nur gelegentlich mit einem guten Biſſen her¬ zufliegen.

Es ſcheint alſo, ſagte Goethe, zwiſchen dem jungen Kuckuck und den kleinen Inſecten-Vögeln eine große Liebe zu beſtehen.

Die Liebe der kleinen Inſecten-Vögel zum jungen Kuckuck, erwiederte ich, iſt ſo groß, daß, wenn man einem Neſte nahe kommt, in welchem ein junger Kuckuck gehegt wird, die kleinen Pflegeeltern vor Schreck und Furcht und Sorge nicht wiſſen, wie ſie ſich gebärden ſollen. Beſonders der Mönch drückt eine große Ver¬ zweiflung aus, ſo daß er faſt wie in Krämpfen am Boden flattert.

Merkwürdig genug, erwiederte Goethe; aber es läßt217 ſich denken. Allein etwas ſehr problematiſch erſcheint mir, daß z. B. ein Graſemückenpaar, das im Begriff iſt, die eigenen Eyer zu brüten, dem alten Kuckuck er¬ laubt ihrem Neſte nahe zu kommen und ſein Ey hinein zu legen.

Das iſt freilich ſehr räthſelhaft, erwiederte ich; doch nicht ſo ganz. Denn eben dadurch, daß alle kleinen Inſecten-Vögel den ausgeflogenen Kuckuck füttern, und daß ihn alſo auch die füttern, die ihn nicht gebrütet haben, dadurch entſteht und erhält ſich zwiſchen Beiden eine Art Verwandtſchaft, ſo daß ſie ſich fortwährend kennen und als Glieder einer einzigen großen Familie betrachten. Ja es kann ſogar kommen, daß derſelbige Kuckuck, den ein Paar Graſemücken im vorigen Jahre ausgebrütet und erzogen haben, ihnen in dieſem Jahre ſein Ey bringt.

Das läßt ſich allerdings hören, erwiederte Goethe, ſo wenig man es auch begreift. Ein Wunder aber bleibt es mir immer, daß der junge Kuckuck auch von ſolchen Vögeln gefüttert wird, die ihn nicht gebrütet und erzogen.

Es iſt freilich ein Wunder, erwiederte ich; doch giebt es wohl etwas Analoges. Ja ich ahne in dieſer Richtung ſogar ein großes Geſetz, das tief durch die ganze Natur geht.

Ich hatte einen jungen Hänfling gefangen, der ſchon zu groß war, um ſich von Menſchen füttern zu218 laſſen, aber noch zu jung, um allein zu freſſen. Ich gab mir mit ihm einen halben Tag viele Mühe; da er aber durchaus nichts annehmen wollte, ſo ſetzte ich ihn zu einem alten Hänfling hinein, einem guten Sänger, den ich ſchon ſeit Jahr und Tag im Käfig gehabt und der außen vor meinem Fenſter hing. Ich dachte: wenn der Junge ſieht wie der Alte frißt, ſo wird er vielleicht auch ans Futter gehen und es ihm nachmachen. Er that aber nicht ſo, ſondern er öffnete ſeinen Schnabel gegen den Alten und bewegte mit bittenden Tönen die Flügel gegen ihn, worauf denn der alte Hänfling ſich ſeiner ſogleich erbarmte und ihn als Kind annahm und ihn fütterte, als wäre es ſein eigenes.

Ferner brachte man mir eine graue Graſemücke und drei Junge, die ich zuſammen in einen großen Käfig that und die die Alte fütterte. Am andern Tage brachte man mir zwei bereits ausgeflogene junge Nach¬ tigallen, die ich auch zu der Graſemücke that und die von ihr gleichfalls adoptirt und gefüttert wurden. Darauf nach einigen Tagen ſetzte ich noch ein Neſt mit beinahe flüggen jungen Müllerchen hinein, und ferner noch ein Neſt mit fünf jungen Plattmönchen. Dieſe alle nahm die Graſemücke an und fütterte ſie und ſorgte für ſie als treue Mutter. Sie hatte immer den Schnabel voll Ameiſeneyer und war bald in der einen Ecke des geräumigen Käfigs und bald in der219 andern, und wo nur immer eine hungrige Kehle ſich öffnete, da war ſie da. Ja noch mehr! Auch das eine indeß herangewachſene Junge der Grasmücke fing an, einige der Kleineren zu füttern, zwar noch ſpielend und etwas kinderhaft, aber doch ſchon mit ent¬ ſchiedenem Triebe, es der trefflichen Mutter nachzuthun.

Da ſtehen wir allerdings vor etwas Göttlichem, ſagte Goethe, das mich in ein freudiges Erſtaunen ſetzt. Wäre es wirklich, daß dieſes Füttern eines Frem¬ den als etwas Allgemein-Geſetzliches durch die Natur ginge, ſo wäre damit manches Räthſel gelöſ't, und man könnte mit Ueberzeugung ſagen: daß Gott ſich der ver¬ waiſ'ten jungen Raben erbarme, die ihn anrufen.

Etwas Allgemein-Geſetzliches, erwiederte ich, ſcheint es allerdings zu ſeyn; denn ich habe auch im wilden Zuſtande dieſes hülfreiche Füttern und dieſes Erbarmen gegen Verlaſſene beobachtet.

Ich hatte im vorigen Sommer in der Nähe von Tiefurt zwei junge Zaunkönige gefangen, die wahr¬ ſcheinlich erſt ganz kürzlich ihr Neſt verlaſſen hatten; denn ſie ſaßen in einem Buſch auf einem Zweig nebſt ſieben Geſchwiſtern in einer Reihe und ließen ſich von ihren Alten füttern. Ich nahm die jungen Vögel in mein ſeidenes Taſchentuch und ging in der Richtung nach Weimar bis an's Schießhaus, dann rechts nach der Wieſe an der Ilm hinunter und an dem Badeplatz vorüber, und dann wieder links in das kleine Gehölz. 220Hier, dachte ich, haſt du Ruhe, um einmal nach deinen Zaunkönigen zu ſehen. Als ich aber das Tuch öffnete, entſchlüpften ſie mir beide und waren ſogleich im Ge¬ büſch und Graſe verſchwunden, ſo daß mein Suchen nach ihnen vergebens war. Am dritten Tage kam ich zufällig wieder an dieſelbige Stelle, und da ich die Locktöne eines Rothkehlchens hörte, ſo vermuthete ich ein Neſt in der Nähe, welches ich nach einigem Umher¬ ſpähen auch wirklich fand. Wie groß war aber mein Erſtaunen, als ich in dieſem Neſt, neben beinahe flüg¬ gen jungen Rothkehlchen, auch meine beiden jungen Zaunkönige fand, die ſich hier ganz gemüthlich unter¬ gethan hatten und ſich von den alten Rothkehlchen füttern ließen. Ich war im hohen Grade glücklich über dieſen höchſt merkwürdigen Fund. Da ihr ſo klug ſeyd, dachte ich bei mir ſelber, und euch ſo hübſch habt zu helfen gewußt, und da auch die guten Rothkehlchen ſich eurer ſo hülfreich angenommen, ſo bin ich weit entfernt ſo gaſtfreundliche Verhältniſſe zu ſtören, im Gegentheil wünſche ich euch das allerbeſte Gedeihen.

Das iſt eine der beſten ornithologiſchen Geſchich¬ ten, die mir je zu Ohren gekommen, ſagte Goethe. Stoßen Sie an, Sie ſollen leben, und Ihre glücklichen Beobachtungen mit! Wer das hört und nicht an Gott glaubt, dem helfen nicht Moſes und die Prophe¬ ten. Das iſt es nun, was ich die Allgegenwart Gottes nenne, der einen Theil ſeiner unendlichen Liebe überall221 verbreitet und eingepflanzt hat, und ſchon im Thiere dasjenige als Knospe andeutet, was im edlen Menſchen zur ſchönſten Blüthe kommt. Fahren Sie ja in Ihren Studien und Ihren Beobachtungen fort! Sie ſcheinen darin ein beſonderes Glück zu haben und können noch ferner zu ganz unſchätzbaren Reſultaten kommen.

Indeß wir nun ſo an unſerm Tiſche in freier Natur uns über gute und tiefe Dinge unterhielten, neigte ſich die Sonne den Gipfeln der weſtlichen Hügel zu, und Goethe fand es an der Zeit, unſern Rückweg anzutre¬ ten. Wir fuhren raſch durch Jena, und nachdem wir im Bären bezahlt und noch einen kurzen Beſuch bei Frommann's gemacht, ging es im ſcharfen Trapp nach Weimar.

Hegel iſt hier, den Goethe perſönlich ſehr hoch ſchätzt, wenn auch einige ſeiner Philoſophie entſproſſenen Früchte ihm nicht ſonderlich munden wollen. Goethe gab ihm zu Ehren dieſen Abend einen Thee, wobei auch Zelter gegenwärtig, der aber noch dieſe Nacht wieder abzureiſen im Sinne hatte.

Man ſprach ſehr viel über Hamann, wobei beſon¬ ders Hegel das Wort führte und über jenen außerordent¬ lichen Geiſt ſo gründliche Anſichten entwickelte, wie ſie nur aus dem ernſteſten und gewiſſenhafteſten Studium des Gegenſtandes hervorgehen konnten.

222

Sodann wendete ſich das Geſpräch auf das Weſen der Dialektik. Es iſt im Grunde nichts weiter, ſagte Hegel, als der geregelte, methodiſch ausgebildete Widerſpruchsgeiſt, der jedem Menſchen inwohnt, und welche Gabe ſich groß erweiſet in Unterſcheidung des Wahren vom Falſchen.

Wenn nur, fiel Goethe ein, ſolche geiſtigen Künſte und Gewandtheiten nicht häufig gemißbraucht und dazu verwendet würden, um das Falſche wahr und das Wahre falſch zu machen!

Dergleichen geſchieht wohl, erwiederte Hegel; aber nur von Leuten, die geiſtig krank ſind.

Da lobe ich mir, ſagte Goethe, das Studium der Natur, das eine ſolche Krankheit nicht aufkommen läßt. Denn hier haben wir es mit dem unendlich und ewig Wahren zu thun, das Jeden, der nicht durchaus rein und ehrlich bei Beobachtung und Behandlung ſei¬ nes Gegenſtandes verfährt, ſogleich als unzulänglich verwirft. Auch bin ich gewiß, daß mancher dialektiſch Kranke im Studium der Natur eine wohlthätige Hei¬ lung finden könnte.

Wir waren noch im beſten Geſpräch und in der heiterſten Unterhaltung, als Zelter aufſtand und, ohne ein Wort zu ſagen, hinausging. Wir wußten, es that ihm leid von Goethen Abſchied zu nehmen, und daß er dieſen zarten Ausweg wähle, um über einen ſchmerz¬ lichen Moment hinwegzukommen.

[223]

1828.

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Ich bin ſeit mehreren Wochen nicht ganz wohl. Ich ſchlafe ſchlecht, und zwar in den unruhigſten Träu¬ men, vom Abend bis zum Morgen, wo ich mich in ſehr verſchiedenartigen Zuſtänden ſehe, allerlei Geſpräche mit bekannten und unbekannten Perſonen führe, mich herumſtreite und zanke, und zwar Alles ſo lebendig, daß ich mir jeder Einzelnheit am andern Morgen noch deutlich bewußt bin. Dieſes Traumleben aber zehrt von den Kräften meines Gehirns, ſo daß ich mich am Tage ſchlaff und abgeſpannt fühle, zu jeder geiſtigen Thätig¬ keit ohne Luſt und Gedanken.

Ich hatte Goethen wiederholt meinen Zuſtand ge¬ klagt und er hatte mich wiederholt getrieben, mich doch meinem Arzte zu vertrauen. Was Euch fehlt, ſagte er, iſt gewiß nicht der Mühe werth; wahrſcheinlich nichts als eine kleine Stockung, die durch einige Gläſer Mi¬ neralwaſſer oder ein wenig Salz zu heben iſt. Aber laßt es nicht länger ſo fortſchlendern, ſondern thut dazu!

Goethe mochte ganz recht haben, und ich ſagte mir ſelber, daß er recht habe; allein jene UnentſchloſſenheitIII. 15226und Unluſt wirkte auch in dieſem Falle, und ich ließ wiederum unruhige Nächte und ſchlechte Tage verſtrei¬ chen, ohne das Mindeſte zur Abſtellung meines Uebels zu thun.

Als ich nun heute nach Tiſch abermals nicht ganz frei und heiter vor Goethe erſchien, riß ihm die Ge¬ duld und er konnte nicht umhin, mich ironiſch anzu¬ lächeln und mich ein wenig zn verhöhnen.

Ihr ſeyd der zweite Shandy, ſagte er, der Vater jenes berühmten Triſtram, den ein halbes Leben eine knarrende Thür ärgerte, und der nicht zu dem Entſchluß kommen konnte, ſeinen täglichen Verdruß durch ein paar Tropfen Oel zu beſeitigen.

Aber ſo iſt's mit uns Allen! Des Menſchen Ver¬ düſterungen und Erleuchtungen machen ſein Schickſal! Es thäte uns Noth, daß der Dämon uns täglich am Gängelbande führte und uns ſagte und triebe, was immer zu thun ſey. Aber der gute Geiſt verläßt uns und wir ſind ſchlaff und tappen im Dunkeln.

Da war Napoleon ein Kerl! Immer erleuchtet, immer klar und entſchieden, und zu jeder Stunde mit der hinreichenden Energie begabt, um das, was er als vortheilhaft und nothwendig erkannt hatte, ſogleich ins Werk zu ſetzen. Sein Leben war das Schreiten eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg. Von ihm könnte man ſehr wohl ſagen, daß er ſich in dem Zuſtande einer fortwährenden Erleuchtung227 befunden, weßhalb auch ſein Geſchick ein ſo glänzendes war, wie es die Welt vor ihm nicht ſah und vielleicht auch nach ihm nicht ſehen wird.

Ja, ja, mein Guter, das war ein Kerl, dem wir es freilich nicht nachmachen können!

Goethe ſchritt im Zimmer auf und ab. Ich hatte mich an den Tiſch geſetzt, der zwar bereits abgeräumt war, aber auf dem ſich noch einige Reſte Wein befanden, nebſt einigem Biscuit und Früchten.

Goethe ſchenkte mir ein und nöthigte mich, von bei¬ den etwas zu genießen. Sie haben zwar verſchmäht, ſagte er, dieſen Mittag unſer Gaſt zu ſeyn, doch dürfte ein Glas von dieſem Geſchenk lieber Freunde Ihnen ganz wohl thun!

Ich ließ mir ſo gute Dinge gefallen, während Goethe fortfuhr im Zimmer auf und ab zu gehen und aufge¬ regten Geiſtes vor ſich hinzubrummen und von Zeit zu Zeit unverſtändliche Worte herauszuſtoßen.

Das, was er ſoeben über Napoleon geſagt, lag mir im Sinn, und ich ſuchte das Geſpräch auf jenen Gegenſtand zurückzuführen.

Doch ſcheint es mir, begann ich, daß Napoleon ſich beſonders in dem Zuſtande jener fortwährenden Er¬ leuchtung befunden, als er noch jung und in aufſteigen¬ der Kraft war, wo wir denn auch einen göttlichen Schutz und ein beſtändiges Glück ihm zur Seite ſehen. In ſpäteren Jahren dagegen ſcheint ihn jene Erleuch¬15*228tung verlaſſen zu haben, ſo wie ſein Glück und ſein guter Stern.

Was wollt Ihr! erwiederte Goethe. Ich habe auch meine Liebeslieder und meinen Werther nicht zum zweitenmal gemacht. Jene göttliche Erleuchtung, wo¬ durch das Außerordentliche entſteht, werden wir immer mit der Jugend und der Productivität im Bunde finden, wie denn Napoleon einer der productivſten Menſchen war, die je gelebt haben.

Ja, ja, mein Guter, man braucht nicht bloß Ge¬ dichte und Schauſpiele zu machen, um productiv zu ſeyn, es giebt auch eine Productivität der Tha¬ ten, und die in manchen Fällen noch um ein Bedeu¬ tendes höher ſteht. Selbſt der Arzt muß productiv ſeyn, wenn er wahrhaft heilen will; iſt er es nicht, ſo wird ihm nur hin und wieder, wie durch Zufall, etwas gelingen, im Ganzen aber wird er nur Pfuſcherei machen.

Sie ſcheinen, verſetzte ich, in dieſem Fall Producti¬ vität zu nennen, was man ſonſt Genie nannte.

Beides ſind auch ſehr nahe liegende Dinge, erwie¬ derte Goethe. Denn was iſt Genie anders, als jene productive Kraft, wodurch Thaten entſtehen, die vor Gott und der Natur ſich zeigen können, und die eben deßwegen Folge haben und von Dauer ſind. Alle Werke Mozart's ſind dieſer Art; es liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geſchlecht zu Geſchlecht fort¬229 wirket und ſobald nicht erſchöpft und verzehrt ſeyn dürfte. Von andern großen Komponiſten und Künſt¬ lern gilt daſſelbe. Wie haben nicht Phidias und Ra¬ phael auf nachfolgende Jahrhunderte gewirkt, und wie nicht Dürer und Holbein! Derjenige, der zuerſt die Formen und Verhältniſſe der altdeutſchen Baukunſt er¬ fand, ſo daß im Laufe der Zeit ein Straßburger Mün¬ ſter und ein Kölner Dom möglich wurde, war auch ein Genie, denn ſeine Gedanken haben fortwährend pro¬ ductive Kraft behalten, und wirken bis auf die heutige Stunde. Luther war ein Genie ſehr bedeutender Art; er wirkt nun ſchon manchen guten Tag, und die Zahl der Tage, wo er in fernen Jahrhunderten aufhören wird, productiv zu ſeyn, iſt nicht abzuſehen. Leſſing wollte den hohen Titel eines Genies ablehnen; allein ſeine dauernden Wirkungen zeugen wider ihn ſelber. Dagegen haben wir in der Literatur andere und zwar bedeutende Namen, die, als ſie lebten, für große Ge¬ nies gehalten wurden, deren Wirken aber mit ihrem Leben endete, und die alſo weniger waren, als ſie und Andere dachten. Denn, wie geſagt, es giebt kein Genie ohne productiv fortwirkende Kraft, und ferner: es kommt dabei gar nicht auf das Geſchäft, die Kunſt und das Metier an, das Einer treibt, es iſt Alles daſſelbige. Ob Einer ſich in der Wiſſenſchaft genial erweiſet, wie Oken und Humboldt, oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie Friedrich, Peter der Große und230 Napoleon, oder ob Einer ein Lied macht wie Béranger, es iſt Alles gleich und kommt bloß darauf an, ob der Gedanke, das Aperçu, die That lebendig ſey und fort¬ zuleben vermöge.

Und dann muß ich noch ſagen: nicht die Maſſe der Erzeugniſſe und Thaten, die von Jemandem aus¬ gehen, deuten auf einen productiven Menſchen. Wir haben in der Literatur Poeten, die für ſehr productiv gehalten werden, weil von ihnen ein Band Gedichte nach dem andern erſchienen iſt. Nach meinem Begriff aber ſind dieſe Leute durchaus unproductiv zu nennen, denn, was ſie machten, iſt ohne Leben und Dauer. Goldſmith dagegen hat ſo wenige Gedichte gemacht, daß ihre Zahl nicht der Rede werth; allein dennoch muß ich ihn als Poeten für durchaus productiv erklä¬ ren, und zwar eben deßwegen, weil das Wenige, was er machte, ein inwohnendes Leben hat, das ſich zu er¬ halten weiß.

Es entſtand eine Pauſe, während welcher Goethe fortfuhr im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich war indeß begierig, über dieſen wichtigen Punkt noch etwas Weiteres zu hören, und ſuchte daher Goethen wieder in Anregung zu bringen.

Liegt denn, ſagte ich, dieſe geniale Productivität bloß im Geiſte eines bedeutenden Menſchen, oder liegt ſie auch im Körper?

Wenigſtens, erwiederte Goethe, hat der Körper231 darauf den größten Einfluß. Es gab zwar eine Zeit, wo man in Deutſchland ſich ein Genie als klein, ſchwach, wohl gar buckelig dachte; allein ich lobe mir ein Genie, das den gehörigen Körper hat.

Wenn man von Napoleon geſagt, er ſey ein Menſch aus Granit, ſo gilt dieſes beſonders auch von ſeinem Körper. Was hat ſich der nicht Alles zugemu¬ thet und zumuthen können! Von dem brennenden Sande der ſyriſchen Wüſte bis zu den Schneefeldern von Moskau, welche Unſumme von Märſchen, Schlach¬ ten und nächtlichen Bivouacs liegen da nicht in der Mitte! und welche Strapazen und körperliche Ent¬ behrungen hat er dabei nicht aushalten müſſen! Wenig Schlaf, wenig Nahrung, und dabei immer in der höch¬ ſten geiſtigen Thätigkeit! Bei der fürchterlichen An¬ ſtrengung und Aufregung des achtzehnten Brumaire ward es Mitternacht, und er hatte den ganzen Tag noch nichts genoſſen! und ohne nun an ſeine körper¬ liche Stärkung zu denken, fühlte er ſich Kraft genug, um noch tief in der Nacht die bekannte Proclamation an das franzöſiſche Volk zu entwerfen. Wenn man er¬ wägt, was der alles durchgemacht und ausgeſtanden, ſo ſollte man denken, es wäre in ſeinem vierzigſten Jahre kein heiles Stück mehr an ihm geweſen; allein er ſtand in jenem Alter noch auf den Füßen eines vollkommenen Helden.

Aber Sie haben ganz recht, der eigentliche Glanz¬232 punkt ſeiner Thaten fällt in die Zeit ſeiner Jugend. Und es wollte etwas heißen, daß Einer aus dunkler Herkunft und in einer Zeit, die alle Capacitäten in Bewegung ſetzte, ſich ſo herausmachte, um in ſeinem ſieben und zwanzigſten Jahre der Abgott einer Nation von dreißig Millionen zu ſeyn! Ja, ja, mein Gu¬ ter, man muß jung ſeyn, um große Dinge zu thun. Und Napoleon iſt nicht der Einzige!

Sein Bruder Lucian, bemerkte ich, war auch ſchon früh ſehr hohen Dingen gewachſen. Wir ſehen ihn als Präſidenten der Fünfhundert und darauf als Mi¬ niſter des Innern im kaum vollendeten fünf und zwan¬ zigſten Jahre.

Was wollen Sie mit Lucian? fiel Goethe ein. Die Geſchichte bietet uns der tüchtigſten Leute zu Hunderten, die ſowohl im Cabinet als im Felde in noch jugendlichem Alter den bedeutendſten Dingen mit großem Ruhme vorſtanden.

Wäre ich ein Fürſt, fuhr er lebhaft fort, ſo würde ich zu meinen erſten Stellen nie Leute nehmen, die bloß durch Geburt und Anciennetät nach und nach heraufge¬ kommen ſind und nun in ihrem Alter in gewohntem Gleiſe langſam gemächlich fortgehen, wobei denn freilich nicht viel Geſcheutes zu Tage kommt. Junge Män¬ ner wollte ich haben! aber es müßten Capacitäten ſeyn, mit Klarheit und Energie ausgerüſtet, und dabei vom beſten Wollen und edelſten Charakter. Da wäre es233 eine Luſt, zu herrſchen und ſein Volk vorwärts zu brin¬ gen! Aber wo iſt ein Fürſt, dem es ſo wohl würde und der ſo gut bedient wäre!

Große Hoffnung ſetze ich auf den jetzigen Kron¬ prinzen von Preußen. Nach Allem, was ich von ihm kenne und höre, iſt er ein ſehr bedeutender Menſch! und das gehört dazu, um wieder tüchtige und talent¬ volle Leute zu erkennen und zu wählen. Denn, man ſage was man will, das Gleiche kann nur vom Glei¬ chen erkannt werden, und nur ein Fürſt, der ſelber große Fähigkeiten beſitzt, wird wiederum große Fähigkeiten in ſeinen Unterthanen und Dienern gehörig erkennen und ſchätzen. Dem Talente offene Bahn! war der bekannte Spruch Napoleon's, der freilich in der Wahl ſeiner Leute einen ganz beſondern Tact hatte, der jede bedeutende Kraft an die Stelle zu ſetzen wußte, wo ſie in ihrer eigentlichen Sphäre erſchien, und der daher auch in ſeinem Leben bei allen großen Unternehmungen bedient war wie kaum ein Anderer.

Goethe gefiel mir dieſen Abend ganz beſonders. Das Edelſte ſeiner Natur ſchien in ihm rege zu ſeyn; dabei war der Klang ſeiner Stimme und das Feuer ſeiner Augen von ſolcher Kraft, als wäre er von einem friſchen Auflodern ſeiner beſten Jugend durchglüht. Merkwürdig war es mir, daß er, der ſelbſt in ſo ho¬ hen Jahren noch einem bedeutenden Poſten vorſtand, ſo ganz entſchieden der Jugend das Wort redete, und die234 erſten Stellen im Staat, wenn auch nicht von Jüng¬ lingen, doch von Männern in noch jugendlichem Alter beſetzt haben wollte. Ich konnte nicht umhin, einige hochſtehende deutſche Männer zu erwähnen, denen im hohen Alter die nöthige Energie und jugendliche Be¬ weglichkeit zum Betrieb der bedeutendſten und mannig¬ faltigſten Geſchäfte doch keineswegs zu fehlen ſcheine.

Solche Männer und ihres Gleichen, erwiederte Goethe, ſind geniale Naturen, mit denen es eine eigene Bewandniß hat; ſie erleben eine wiederholte Pu¬ bertät, während andere Leute nur einmal jung ſind.

Jede Entelechie nämlich iſt ein Stück Ewigkeit, und die paar Jahre, die ſie mit dem irdiſchen Körper verbunden iſt, machen ſie nicht alt. Iſt dieſe Ente¬ lechie geringer Art, ſo wird ſie während ihrer körper¬ lichen Verdüſterung wenig Herrſchaft ausüben, viel¬ mehr wird der Körper vorherrſchen, und wie er altert, wird ſie ihn nicht halten und hindern. Iſt aber die Entelechie mächtiger Art, wie es bei allen genialen Naturen der Fall iſt, ſo wird ſie, bei ihrer belebenden Durchdringung des Körpers, nicht allein auf deſſen Organiſation kräftigend und veredelnd einwirken, ſon¬ dern ſie wird auch, bei ihrer geiſtigen Uebermacht, ihr Vorrecht einer ewigen Jugend fortwährend geltend zu machen ſuchen. Daher kommt es denn, daß wir bei vorzüglich begabten Menſchen, auch während ihres Alters, immer noch friſche Epochen beſonderer Productivität235 wahrnehmen; es ſcheint bei ihnen immer einmal wieder eine temporäre Verjüngung einzutreten, und das iſt es, was ich eine wiederholte Pubertät nennen möchte.

Aber jung iſt jung, und wie mächtig auch eine Entelechie ſich erweiſe, ſie wird doch über das Körper¬ liche nie ganz Herr werden, und es iſt ein gewaltiger Unterſchied, ob ſie an ihm einen Alliirten oder einen Gegner findet.

Ich hatte in meinem Leben eine Zeit, wo ich täglich einen gedruckten Bogen von mir fordern konnte, und es gelang mir mit Leichtigkeit. Meine Geſchwiſter habe ich in drei Tagen geſchrieben. Meinen Clavigo, wie Sie wiſſen, in acht. Jetzt ſoll ich dergleichen wohl bleiben laſſen; und doch kann ich über Mangel an Pro¬ ductivität, ſelbſt in meinem hohen Alter, mich keineswegs beklagen. Was mir aber in meinen jungen Jahren täglich und unter allen Umſtänden gelang, gelingt mir jetzt nur periodenweiſe und unter gewiſſen günſtigen Bedingungen. Als mich vor zehn zwölf Jahren, in der glücklichen Zeit nach dem Befreiungskriege, die Ge¬ dichte des Divan in ihrer Gewalt hatten, war ich productiv genug, um oft in einem Tage zwei bis drei zu machen; und auf freiem Felde, im Wagen oder im Gaſthof, es war mir Alles gleich. Jetzt, am zweiten Theil meines Fauſt, kann ich nur in den frühen Stun¬ den des Tages arbeiten, wo ich mich vom Schlaf er¬ quickt und geſtärkt fühle und die Fratzen des täglichen236 Lebens mich noch nicht verwirrt haben. Und doch, was iſt es, das ich ausführe! Im allerglücklichſten Fall eine geſchriebene Seite; in der Regel aber nur ſo viel, als man auf den Raum einer Handbreit ſchreiben könnte, und oft, bei unproductiver Stimmung, noch weniger.

Giebt es denn im Allgemeinen, ſagte ich, kein Mittel, um eine productive Stimmung hervorzubringen, oder, wenn ſie nicht mächtig genug wäre, ſie zu ſteigern?

Um dieſen Punkt, erwiederte Goethe, ſteht es gar wunderlich, und wäre darüber allerlei zu denken und zu ſagen.

Jede Productivität höchſter Art, jedes bedeu¬ tende Aperçü, jede Erfindung, jeder große Gedanke der Früchte bringt und Folge hat, ſteht in Niemandes Gewalt und iſt über aller irdiſchen Macht erhaben. Dergleichen hat der Menſch als unverhoffte Geſchenke von oben, als reine Kinder Gottes, zu betrachten, die er mit freudigem Dank zu empfangen und zu verehren hat. Es iſt dem Dämoniſchen verwandt, das über¬ mächtig mit ihm thut wie es beliebt und dem er ſich bewußtlos hingiebt, während er glaubt, er handele aus eigenem Antriebe. In ſolchen Fällen iſt der Menſch oftmals als ein Werkzeug einer höheren Welt¬ regierung zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Aufnahme eines göttlichen Einfluſſes. Ich ſage dieß, indem ich erwäge, wie oft ein einziger237 Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Geſtalt gab, und wie einzelne Menſchen durch das, was von ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geſchlechtern kenntlich blieb und wohlthätig fortwirkte.

Sodann aber giebt es eine Productivität anderer Art, die ſchon eher irdiſchen Einflüſſen unterworfen iſt und die der Menſch ſchon mehr in ſeiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch ſich vor etwas Gött¬ lichem zu beugen Urſache findet. In dieſe Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes Gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend daſtehen; ich zähle dahin alles das¬ jenige, was den ſichtbaren Leib und Körper eines Kunſtwerkes ausmacht.

So kam Shakſpearen der erſte Gedanke zu ſeinem Hamlet, wo ſich ihm der Geiſt des Ganzen als uner¬ warteter Eindruck vor die Seele ſtellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöheter Stimmung überſah, als ein reines Geſchenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein ſolches Aperçü zu haben, immer einen Geiſt wie den ſeinigen vorausſetzte. Die ſpätere Ausführung der einzelnen Scenen aber und die Wechſelreden der Per¬ ſonen hatte er vollkommen in ſeiner Gewalt, ſo daß er ſie täglich und ſtündlich machen und daran wochenlang238 fortarbeiten konnte wie es ihm nur beliebte. Und zwar ſehen wir an Allem, was er ausführte, immer die gleiche Kraft der Production, und wir kommen in allen ſeinen Stücken nirgend auf eine Stelle, von der man ſagen könnte, ſie ſey nicht in der rechten Stim¬ mung und nicht mit dem vollkommenſten Vermögen geſchrieben. Indem wir ihn leſen, erhalten wir von ihm den Eindruck eines geiſtig wie körperlich durchaus und ſtets geſunden kräftigen Menſchen.

Geſetzt aber, eines dramatiſchen Dichters körper¬ liche Conſtitution wäre nicht ſo feſt und vortrefflich, und er wäre vielmehr häufigen Kränklichkeiten und Schwächlichkeiten unterworfen, ſo würde die zur täg¬ lichen Ausführung ſeiner Scenen nöthige Productivität ſicher ſehr häufig ſtocken und oft wohl Tage lang gänz¬ lich mangeln. Wollte er nun, etwa durch geiſtige Ge¬ tränke, die mangelnde Productivität herbeinöthigen und die unzulängliche dadurch ſteigern, ſo würde das allen¬ falls auch wohl angehen, allein man würde es allen Scenen, die er auf ſolche Weiſe gewiſſermaßen for¬ cirt hätte, zu ihrem großen Nachtheil anmerken.

Mein Rath iſt daher, nichts zu forciren und alle unproductiven Tage und Stunden lieber zu vertän¬ deln und zu verſchlafen, als in ſolchen Tagen etwas machen zu wollen, woran man ſpäter keine Freude hat.

Sie ſprechen, erwiederte ich, etwas aus, was ich ſelber ſehr oft erfahren und empfunden und was239 man ſicher als durchaus wahr und richtig zu ver¬ ehren hat. Aber doch will mir ſcheinen, als ob wohl Jemand durch natürliche Mittel ſeine productive Stimmung ſteigern könnte, ohne ſie gerade zu forciren. Ich war in meinem Leben ſehr oft in dem Fall, bei gewiſſen complicirten Zuſtänden zu keinem rechten Ent¬ ſchluß kommen zu können. Trank ich aber in ſolchen Fällen einige Gläſer Wein, ſo war es mir ſogleich klar, was zu thun ſey, und ich war auf der Stelle entſchieden. Das Faſſen eines Entſchluſſes iſt aber doch auch eine Art Productivität, und wenn nun einige Gläſer Wein dieſe Tugend bewirkten, ſo dürfte ein ſolches Mittel doch nicht ganz zu verwerfen ſeyn.

Ihrer Bemerkung, erwiederte Goethe, will ich nicht widerſprechen; was ich aber vorhin ſagte, hat auch ſeine Richtigkeit, woraus wir denn ſehen, daß die Wahrheit wohl einem Diamant zu vergleichen wäre, deſſen Strahlen nicht nach einer Seite gehen, ſondern nach vielen. Da Sie übrigens meinen Divan ſo gut kennen, ſo wiſſen Sie, daß ich ſelber geſagt habe

Wenn man getrunken hat,
Weiß man das Rechte,

und daß ich Ihnen alſo vollkommen beiſtimme. Es liegen im Wein allerdings productivmachende Kräfte ſehr bedeutender Art; aber es kommt dabei Alles auf Zuſtände und Zeit und Stunde an, und was dem Einen nützet, ſchadet dem Andern. Es liegen ferner240 productivmachende Kräfte in der Ruhe und im Schlaf; ſie liegen aber auch in der Bewegung. Es liegen ſolche Kräfte im Waſſer, und ganz beſonders in der Atmoſphäre. Die friſche Luft des freien Feldes iſt der eigentliche Ort wo wir hingehören; es iſt als ob der Geiſt Gottes dort den Menſchen unmittelbar an¬ wehete und eine göttliche Kraft ihren Einfluß ausübte. Lord Byron, der täglich mehrere Stunden im Freien lebte, bald zu Pferde am Strande des Meeres reitend, bald im Boote ſegelnd oder rudernd, dann ſich im Meere badend und ſeine Körperkraft im Schwimmen übend, war einer der productivſten Menſchen, die je gelebt haben.

Goethe hatte ſich mir gegenüber geſetzt und wir ſprachen noch über allerlei Dinge. Dann verweilten wir wieder bei Lord Byron und es kamen die mancher¬ lei Unfälle zur Erwähnung, die ſein ſpäteres Leben getrübt, bis zuletzt ein zwar edles Wollen, aber ein unſeliges Geſchick, ihn nach Griechenland geführt und vollends zu Grunde gerichtet.

Ueberhaupt, fuhr Goethe fort, werden Sie finden, daß im mittleren Leben eines Menſchen häufig eine Wendung eintritt und daß, wie ihn in ſeiner Jugend Alles begünſtigte und Alles ihm glückte, nun mit einem¬ mal Alles ganz anders wird, und ein Unfall und ein Mißgeſchick ſich auf das andere häuft.

Wiſſen Sie aber, wie ich es mir denke? Der241 Menſch muß wieder ruinirt werden! Jeder außerordentliche Menſch hat eine gewiſſe Sendung, die er zu vollführen berufen iſt. Hat er ſie vollbracht, ſo iſt er auf Erden in dieſer Geſtalt nicht weiter vonnö¬ then, und die Vorſehung verwendet ihn wieder zu etwas Anderem. Da aber hienieden Alles auf natürlichem Wege geſchieht, ſo ſtellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen Anderen. Mozart ſtarb in ſeinem ſechs und dreißigſten Jahre. Raphael in glei¬ chem Alter. Byron nur um Weniges älter. Alle aber hatten ihre Miſſion auf das Vollkommenſte erfüllt, und es war wohl Zeit daß ſie gingen, damit auch anderen Leuten in dieſer, auf eine lange Dauer berech¬ neten, Welt noch etwas zu thun übrig bliebe.

Es war indeß tief Abend geworden, Goethe reichte mir ſeine liebe Hand, und ich ging.

Nachdem ich Goethe geſtern Abend verlaſſen hatte, lag mir das mit ihm geführte bedeutende Geſpräch fort¬ während im Sinne.

Auch von den Kräften des Meeres und der See¬ luft war die Rede geweſen, wo denn Goethe die Meinung äußerte, daß er alle Inſulaner und Meer - Anwohner des gemäßigten Klima's bei weitem für pro¬III. 16242ductiver und thatkräftiger halte, als die Völker im Innern großer Continente.

War es nun, daß ich mit dieſen Gedanken und mit einer gewiſſen Sehnſucht nach den belebenden Kräften des Meeres einſchlief, genug, ich hatte in der Nacht folgenden anmuthigen und mir ſehr merkwürdigen Traum.

Ich ſah mich nämlich in einer unbekannten Gegend unter fremden Menſchen überaus heiter und glücklich. Der ſchönſte Sommertag umgab mich in einer reizenden Natur, wie es etwa an der Küſte des mittelländiſchen Meeres im ſüdlichen Spanien oder Frankreich, oder in der Nähe von Genua ſeyn möchte. Wir hatten Mittags an einer luſtigen Tafel gezecht und ich ging mit anderen, etwas jüngeren Leuten, um eine weitere Nachmittagspartie zu machen. Wir waren durch buſchige angenehme Niederungen geſchlendert, als wir uns mit einemmale im Meere auf der kleinſten Inſel ſahen, auf einem herausragenden Felsſtück, wo kaum fünf bis ſechs Menſchen Platz hatten und wo man ſich nicht rühren konnte, ohne Furcht, in's Waſſer zu gleiten. Rückwärts, wo wir hergekommen waren, er¬ blickte man nichts als die See; vor uns aber lag die Küſte in der Entfernung einer Viertelſtunde auf das Einladendſte ausgebreitet. Das Ufer war an einigen Stellen flach, an anderen felſig und mäßig erhöhet, und man erblickte zwiſchen grünen Lauben und weißen Zel¬243 ten ein Gewimmel luſtiger Menſchen in hellfarbigen Kleidern, die ſich bei ſchöner Muſik, die aus den Zelten herübertönte, einen guten Tag machten. Da iſt nun weiter nichts zu thun, ſagte Einer zum Andern, wir müſſen uns entkleiden und hinüber ſchwimmen. Ihr habt gut reden, ſagte ich, ihr ſeid jung und ſchön und überdieß gute Schwimmer. Ich aber ſchwimme ſchlecht und es fehlt mir die anſehnliche Geſtalt, um mit Luſt und Behagen vor den fremden Leuten am Ufer zu er¬ ſcheinen. Du biſt ein Thor, ſagte einer der ſchönſten; entkleide dich nur und gieb mir deine Geſtalt, du ſollſt indeß die meinige haben . Auf dieſes Wort ent¬ kleidete ich mich ſchnell und war im Waſſer und fühlte mich im Körper des Anderen ſofort als einen kräftigen Schwimmer. Ich hatte bald die Küſte erreicht und trat mit dem heiterſten Vertrauen nackt und triefend unter die Menſchen. Ich war glücklich im Gefühl dieſer ſchönen Glieder, mein Benehmen war ohne Zwang, und ich war ſogleich vertraut mit den Fremden vor einer Laube an einem Tiſch, wo es luſtig herging. Meine Cameraden waren auch nach und nach an's Land gekommen und hatten ſich zu uns geſellt, und es fehlte mir noch der Jüngling mit meiner Geſtalt, in deſſen Gliedern ich mich ſo wohl fühlte. Endlich kam auch er in die Nähe des Ufers und man fragte mich: ob ich denn nicht Luſt habe mein früheres Ich zu ſehen? Bei dieſen Worten wandelte mich ein gewiſſes16 *244Unbehagen an, theils weil ich keine große Freude an mir ſelber zu haben glaubte, theils auch, weil ich fürch¬ tete, jener Freund möchte ſeinen eigenen Körper ſogleich zurück verlangen. Dennoch wandte ich mich zum Waſſer und ſah mein zweites Selbſt ganz nahe heranſchwim¬ men, und, indem er den Kopf etwas ſeitwärts wandte, lachend zu mir heraufblicken. Es ſteckt keine Schwimm¬ kraft in deinen Gliedern! rief er mir zu, ich habe gegen Wellen und Brandung gut zu kämpfen gehabt und es iſt nicht zu verwundern, daß ich ſo ſpät komme und von Allen der Letzte bin. Ich erkannte ſogleich das Geſicht; es war das meinige, aber verjüngt und etwas voller und breiter und von der friſcheſten Farbe. Jetzt trat er ans Land, und indem er, ſich aufrichtend, auf dem Sande die erſten Schritte that, hatte ich den Ueberblick ſeines Rückens und ſeiner Schenkel und freuete mich über die Vollkommenheit dieſer Geſtalt. Er kam das Felsufer herauf zu uns Anderen, und als er neben mich trat, hatte er vollkommen meine neue Größe. Wie iſt doch, dachte ich bei mir ſelbſt, dein kleiner Körper ſo ſchön heran gewachſen! Haben die Urkräfte des Meeres ſo wunderbar auf ihn gewirkt, oder iſt es, weil der jugendliche Geiſt des Freundes die Glieder durchdrungen hat? Indem wir darauf eine gute Weile vergnügt beiſammen geweſen, wunderte ich mich im Stillen, daß der Freund nicht that, als ob er ſeinen eigenen Körper einzutauſchen Neigung habe. 245Wirklich, dachte ich, ſieht er auch ſo recht ſtattlich aus, und es könnte ihm im Grunde einerlei ſeyn; mir aber iſt es nicht einerlei, denn ich bin nicht ſicher, ob ich in jenem Leibe nicht wieder zuſammengehe und nicht wie¬ der ſo klein werde, wie zuvor. Um über dieſe An¬ gelegenheit ins Gewiſſe zu kommen, nahm ich meinen Freund auf die Seite und fragte ihn: wie er ſich in meinen Gliedern fühle? Vollkommen gut! ſagte er, ich habe dieſelbe Empfindung meines Weſens und mei¬ ner Kraft, wie ſonſt; ich weiß nicht, was du gegen deine Glieder haſt! ſie ſind mir völlig recht, und du ſiehſt, man muß nur etwas aus ſich machen. Bleibe in meinem Körper, ſo lange du Luſt haſt, denn ich bin vollkommen zufrieden, für alle Zukunft in dem deinigen zu verharren. Ueber dieſe Erklärung war ich ſehr froh, und indem auch ich in allen meinen Empfindun¬ gen, Gedanken und Erinnerungen mich völlig wie ſonſt fühlte, kam mir im Traum der Eindruck einer vollkom¬ menen Unabhängigkeit unſerer Seele und der Möglich¬ keit einer künftigen Exiſtenz in einem andern Leibe.

Ihr Traum iſt ſehr artig, ſagte Goethe, als ich ihm heute nach Tiſch die Hauptzüge davon mittheilte. Man ſieht, fuhr er fort, daß die Muſen Sie auch im Schlaf beſuchen, und zwar mit beſonderer Gunſt; denn Sie werden geſtehen, daß es Ihnen im wachen Zuſtande246 ſchwer werden würde, etwas ſo Eigenthümliches und Hübſches zu erfinden.

Ich begreife kaum, wie ich dazu gekommen bin, er¬ wiederte ich, denn ich fühlte mich alle die Tage her ſo niedergeſchlagenen Geiſtes, daß die Anſchauung eines ſo friſchen Lebens mir ſehr ferne ſtand.

Es liegen in der menſchlichen Natur wunderbare Kräfte, erwiederte Goethe, und eben wenn wir es am wenigſten hoffen hat ſie etwas Gutes für uns in Be¬ reitſchaft. Ich habe in meinem Leben Zeiten gehabt, wo ich mit Thränen einſchlief; aber in meinen Träumen kamen nun die lieblichſten Geſtalten, mich zu tröſten und zu beglücken, und ich ſtand am andern Morgen wieder friſch und froh auf den Füßen.

Es geht uns alten Europäern übrigens mehr oder weniger allen herzlich ſchlecht; unſere Zuſtände ſind viel zu künſtlich und complicirt, unſere Nahrung und Le¬ bensweiſe iſt ohne die rechte Natur, und unſer geſelliger Verkehr ohne eigentliche Liebe und Wohlwollen. Je¬ dermann iſt fein und höflich, aber Niemand hat den Muth, gemüthlich und wahr zu ſeyn, ſo daß ein red¬ licher Menſch mit natürlicher Neigung und Geſinnung einen recht böſen Stand hat. Man ſollte oft wünſchen, auf einer der Südſee-Inſeln als ſogenannter Wilder geboren zu ſeyn, um nur einmal das menſchliche Da¬ ſeyn, ohne falſchen Beigeſchmack, durchaus rein zu ge¬ nießen.

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Denkt man ſich bei deprimirter Stimmung recht tief in das Elend unſerer Zeit hinein, ſo kommt es Einem oft vor, als wäre die Welt nach und nach zum jüngſten Tage reif. Und das Uebel häuft ſich von Ge¬ neration zu Generation! Denn nicht genug, daß wir an den Sünden unſerer Väter zu leiden haben, ſondern wir überliefern auch dieſe geerbten Gebrechen, mit un¬ ſeren eigenen vermehrt, unſeren Nachkommen.

Mir gehen oft ähnliche Gedanken durch den Kopf, verſetzte ich; allein wenn ich ſodann irgend ein Regiment deutſcher Dragoner an mir vorüber reiten ſehe und die Schönheit und Kraft der jungen Leute erwäge, ſo ſchöpfe ich wieder einigen Troſt, und ich ſage mir, daß es denn doch um die Dauer der Menſchheit noch nicht ſo gar ſchlecht ſtehe.

Unſer Landvolk, erwiederte Goethe, hat ſich freilich fortwährend in guter Kraft erhalten, und wird hoffent¬ lich noch lange im Stande ſeyn, uns nicht allein tüch¬ tige Reiter zu liefern, ſondern uns auch vor gänzlichem Verfall und Verderben zu ſichern. Es iſt als ein De¬ pot zu betrachten, aus dem ſich die Kräfte der ſinken¬ den Menſchheit immer wieder ergänzen und anfriſchen. Aber gehen Sie einmal in unſere großen Städte, und es wird Ihnen anders zu Muthe werden. Halten Sie einmal einen Umgang an der Seite eines zweiten hin¬ kenden Teufels, oder eines Arztes von ausgedehnter Praxis, und er wird Ihnen Geſchichten zuflüſtern, daß248 Sie über das Elend erſchrecken und über die Gebrechen erſtaunen, von denen die menſchliche Natur heimgeſucht iſt und an denen die Geſellſchaft leidet.

Doch wir wollen uns der hypochondriſchen Gedan¬ ken entſchlagen. Wie geht es Ihnen? Was machen Sie? Wie haben Sie ſonſt heute gelebt? Erzählen Sie mir und geben Sie mir gute Gedanken.

Ich habe in Sterne geleſen, erwiederte ich, wo Yo¬ rik in den Straßen von Paris umherſchlendert und die Bemerkung macht, daß der zehnte Menſch ein Zwerg ſey. Ich dachte ſo eben daran, als Sie der Gebrechen der großen Städte erwähnten. Auch erinnere ich mich, zur Zeit Napoleon's, unter der franzöſiſchen Infanterie ein Bataillon geſehen zu haben, das aus lauter Pariſern beſtand, und welches alles ſo ſchmächtige kleine Leute waren, daß man nicht wohl begriff, was man im Kriege mit ihnen wolle ausrichten.

Die Bergſchotten des Herzogs von Wellington, verſetzte Goethe, mögen freilich andere Helden geweſen ſeyn!

Ich habe ſie ein Jahr vor der Waterloo-Schlacht in Brüſſel geſehen, erwiederte ich. Das waren in der That ſchöne Leute! Alle ſtark, friſch und behende, wie aus der erſten Hand Gottes. Sie trugen alle den Kopf ſo frei und froh, und ſchritten mit ihren kräftigen nackten Schenkeln ſo leicht einher, als gebe es für ſie keine Erbſünde und keine Gebrechen der Väter.

249

Es iſt ein eigenes Ding, erwiederte Goethe. Liegt es in der Abſtammung, liegt es im Boden, liegt es in der freien Verfaſſung, liegt es in der geſunden Erziehung, genug! die Engländer überhaupt ſcheinen vor vielen Andern etwas voraus zu haben. Wir ſehen hier in Weimar ja nur ein Minimum von ihnen, und wahrſcheinlich keineswegs die beſten; aber was ſind das alles für tüchtige, hübſche Leute! Und ſo jung und ſiebzehnjährig ſie hier auch ankommen, ſo fühlen ſie ſich doch in dieſer deutſchen Fremde keineswegs fremd und verlegen; vielmehr iſt ihr Auftreten und ihr Be¬ nehmen in der Geſellſchaft ſo voller Zuverſicht und ſo bequem, als wären ſie überall die Herren und als ge¬ höre die Welt überall ihnen. Das iſt es denn auch, was unſern Weibern gefällt und wodurch ſie in den Herzen unſerer jungen Dämchen ſo viele Verwüſtungen anrichten. Als deutſcher Hausvater, dem die Ruhe der Seinigen lieb iſt, empfinde ich oft ein kleines Grauen, wenn meine Schwiegertochter mir die erwartete baldige Ankunft irgend eines neuen jungen Inſulaners ankün¬ digt. Ich ſehe im Geiſte immer ſchon die Thränen, die ihm dereinſt bei ſeinem Abgange fließen werden. Es ſind gefährliche junge Leute; aber freilich, daß ſie gefährlich ſind, das iſt eben ihre Tugend.

Ich möchte jedoch nicht behaupten, verſetzte ich, daß unſere Weimar'ſchen jungen Engländer geſcheuter, geiſt¬250 reicher, unterrichteter und von Herzen vortrefflicher wä¬ ren, als andere Leute auch.

In ſolchen Dingen, mein Beſter, erwiederte Goethe, liegt's nicht. Es liegt auch nicht in der Geburt und im Reichthum. Sondern es liegt darin, daß ſie eben die Courage haben, das zu ſeyn wozu die Natur ſie gemacht hat. Es iſt an ihnen nichts verbildet und verbogen, es ſind an ihnen keine Halbheiten und Schief¬ heiten; ſondern, wie ſie auch ſind, es ſind immer durchaus complete Menſchen. Auch complete Narren mitunter, das gebe ich von Herzen zu; allein es iſt doch was und hat doch auf der Wage der Natur immer einiges Gewicht.

Das Glück der perſönlichen Freiheit, das Bewußt¬ ſeyn des engliſchen Namens und welche Bedeutung ihm bei andern Nationen beiwohnt, kommt ſchon den Kindern zu Gute, ſo daß ſie ſowohl in der Familie, als in den Unterrichtsanſtalten, mit weit größerer Ach¬ tung behandelt werden und einer weit glücklich-freieren Entwickelung genießen, als bei uns Deutſchen.

Ich brauche nur in unſerm lieben Weimar zum Fenſter hinauszuſehen, um gewahr zu werden, wie es bei uns ſteht. Als neulich der Schnee lag und meine Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße probiren wollten, ſogleich war ein Polizeidiener nahe, und ich ſah die armen Dingerchen fliehen, ſo ſchnell ſie konnten. Jetzt, wo die Frühlingsſonne ſie aus den251 Häuſern lockt und ſie mit ihres Gleichen vor ihren Thüren gerne ein Spielchen machten, ſehe ich ſie immer genirt, als wären ſie nicht ſicher und als fürchteten ſie das Herannahen irgend eines polizeilichen Macht¬ habers. Es darf kein Bube mit der Peitſche knallen, oder ſingen, oder rufen, ſogleich iſt die Polizei da, es ihm zu verbieten. Es geht bei uns Alles dahin, die liebe Jugend frühzeitig zahm zu machen und alle Na¬ tur, alle Originalität und alle Wildheit auszutreiben, ſo daß am Ende nichts übrig bleibt, als der Philiſter.

Sie wiſſen, es vergeht bei mir kaum ein Tag, wo ich nicht von durchreiſenden Fremden beſucht werde. Wenn ich aber ſagen ſollte, daß ich an den perſönlichen Erſcheinungen, beſonders junger deutſcher Gelehrten aus einer gewiſſen nordöſtlichen Richtung, große Freude hätte, ſo müßte ich lügen. Kurzſichtig, blaß, mit eingefallener Bruſt, jung ohne Jugend, das iſt das Bild der Meiſten, wie ſie ſich mir darſtellen. Und wie ich mit ihnen mich in ein Geſpräch einlaſſe, habe ich ſogleich zu bemerken, daß ihnen dasjenige, woran unſer¬ einer Freude hat, nichtig und trivial erſcheint, daß ſie ganz in der Idee ſtecken und nur die höchſten Probleme der Speculation ſie zu intereſſiren geeignet ſind. Von geſunden Sinnen und Freude am Sinnlichen iſt bei ihnen keine Spur, alles Jugendgefühl und alle Jugend¬ luſt iſt bei ihnen ausgetrieben, und zwar unwiederbring¬252 lich; denn wenn Einer in ſeinem zwanzigſten Jahre nicht jung iſt, wie ſoll er es in ſeinem vierzigſten ſeyn!

Goethe ſeufzte und ſchwieg.

Ich dachte an die glückliche Zeit des vorigen Jahr¬ hunderts, in welche Goethe's Jugend fiel; es trat mir die Sommerluft von Seeſenheim vor die Seele und ich erinnerte ihn an die Verſe:

Nachmittage ſaßen wir
Junges Volk im Kühlen.

Ach! ſeufzte Goethe, das waren freilich ſchöne Zeiten! Doch wir wollen ſie uns aus dem Sinne ſchlagen, damit uns die grauen Nebeltage der Gegen¬ wart nicht ganz unerträglich werden.

Es thäte Noth, ſagte ich, daß ein zweiter Erlöſer käme, um den Ernſt, das Unbehagen und den ungeheu¬ ren Druck der jetzigen Zuſtände uns abzunehmen.

Käme er, antwortete Goethe, man würde ihn zum zweitenmale kreuzigen. Doch wir brauchten keineswegs ein ſo Großes. Könnte man nur den Deutſchen, nach dem Vorbilde der Engländer, weniger Philoſophie und mehr Thatkraft, weniger Theorie und mehr Praxis bei¬ bringen, ſo würde uns ſchon ein gutes Stück Erlöſung zu Theil werden, ohne daß wir auf das Erſcheinen der perſönlichen Hoheit eines zweiten Chriſtus zu warten brauchten. Sehr viel könnte geſchehen von unten, vom Volke, durch Schulen und häusliche Erziehung, ſehr viel von oben durch die Herrſcher und ihre Nächſten.

253

So z. B. kann ich nicht billigen, daß man von den ſtudirenden künftigen Staatsdienern gar zu viele theoretiſch-gelehrte Kenntniſſe verlangt, wodurch die jungen Leute vor der Zeit geiſtig wie körperlich rui¬ nirt werden. Treten ſie nun hierauf in den praktiſchen Dienſt, ſo beſitzen ſie zwar einen ungeheueren Vorrath an philoſophiſchen und gelehrten Dingen, allein er kann in dem beſchränkten Kreiſe ihres Berufs gar nicht zur Anwendung kommen und muß daher als unnütz wieder vergeſſen werden. Dagegen aber, was ſie am meiſten bedurften, haben ſie eingebüßt: es fehlt ihnen die nö¬ thige geiſtige wie körperliche Energie, die bei einem tüchtigen Auftreten im praktiſchen Verkehr ganz uner¬ läßlich iſt.

Und dann! bedarf es denn im Leben eines Staats¬ dieners, in Behandlung der Menſchen, nicht auch der Liebe und des Wohlwollens? Und wie ſoll Einer ge¬ gen Andere Wohlwollen empfinden und ausüben, wenn es ihm ſelber nicht wohl iſt?

Es iſt aber den Leuten allen herzlich ſchlecht! Der dritte Theil der an den Schreibtiſch gefeſſelten Gelehrten und Staatsdiener iſt körperlich anbrüchig und dem Dä¬ mon der Hypochondrie verfallen. Hier thäte es Noth, von oben her einzuwirken, um wenigſtens künftige Ge¬ nerationen vor ähnlichem Verderben zu ſchützen.

Wir wollen indeß, fügte Goethe lächelnd hinzu, hoffen und erwarten, wie es etwa in einem Jahrhun¬254 dert mit uns Deutſchen ausſieht, und ob wir es ſodann dahin werden gebracht haben, nicht mehr abſtracte Ge¬ lehrte und Philoſophen, ſondern Menſchen zu ſeyn.

Mit Goethe ſpazieren gefahren. Er amüſirte ſich an der Erinnerung ſeiner Streitigkeiten mit Kotzebue und Conſorten und recitirte einige ſehr luſtige Epi¬ gramme gegen den Erſteren, die übrigens mehr ſpaßhaft als verletzend waren. Ich fragte ihn: warum er ſie nicht in ſeine Werke aufgenommen? Ich habe eine ganze Sammlung ſolcher Gedichtchen, erwiederte Goethe, die ich geheim halte und nur gelegentlich den Vertrau¬ teſten meiner Freunde zeige. Es war dieß die einzige unſchuldige Waffe, die mir gegen die Angriffe meiner Feinde zu Gebote ſtand. Ich machte mir dadurch im Stillen Luft und befreiete und reinigte mich dadurch von dem fatalen Gefühl des Mißwollens, das ich ſonſt gegen die öffentlichen und oft boshaften Häkeleien meiner Gegner hätte empfinden und nähren müſſen. Durch jene Gedichtchen habe ich mir alſo perſönlich einen weſentlichen Dienſt geleiſtet. Aber ich will nicht das Publicum mit meinen Privathändeln beſchäftigen oder noch lebende Perſonen dadurch verletzen. In ſpä¬ terer Zeit jedoch wird ſich davon Dieß oder Jenes ganz ohne Bedenken mittheilen laſſen.

255

Der König von Baiern ſandte vor einiger Zeit ſeinen Hofmaler Stieler nach Weimar, um das Por¬ trait Goethe's zu machen. Als eine Art Empfehlungs¬ brief und als Zeugniß ſeiner Geſchicklichkeit brachte Stieler das vollendete lebensgroße Bildniß eines ſehr ſchönen jungen Frauenzimmers mit, nämlich das der Münchener Schauſpielerin Fräulein v. Hagen. Goethe gewährte darauf Herrn Stieler alle gewünſch¬ ten Sitzungen und ſein Bild ward nun vor einigen Tagen fertig.

Dieſen Mittag war ich bei ihm zu Tiſch und zwar alleine. Beim Deſſert ſtand er auf und führte mich in das den Speiſeſaal angrenzende Cabinet und zeigte mir die jüngſt vollendete Arbeit Stieler's. Darauf, ſehr geheimnißvoll, führte er mich weiter in das ſoge¬ nannte Majolika-Zimmer, wo ſich das Bild der ſchönen Schauſpielerin befand. Nicht wahr, ſagte er, nachdem wir es eine Weile betrachtet, das iſt der Mühe werth! Stieler war gar nicht dumm! Er brauchte die¬ ſen ſchönen Biſſen bei mir als Lockſpeiſe, und indem er mich durch ſolche Künſte zum Sitzen brachte, ſchmeichelte er meiner Hoffnung, daß auch jetzt unter ſeinem Pinſel ein Engel entſtehen würde, indem er den Kopf eines Alten malte.

256

Goethe zeigte mir heute ſeine reiche Foſſilien-Samm¬ lung, die ſich in dem freiſtehenden Pavillon an ſeinem Hausgarten befindet. Die Sammlung iſt durch ihn ſelber angelegt, durch ſeinen Sohn ſtark vermehrt, und beſonders merkwürdig durch eine zahlreiche Folge ver¬ ſteinerter Knochen, die alle in der Umgebung von Wei¬ mar gefunden worden.

Bei Goethe zu Tiſch mit Herrn v. Martius, der ſeit einigen Tagen hier iſt und ſich mit Goethe über botaniſche Gegenſtände beſpricht. Beſonders iſt es die Spiraltendenz der Pflanzen, worin Herr v. Martius wichtige Entdeckungen gemacht, die er Goethen mittheilt, dem ſich dadurch ein neues Feld eröffnet. Goethe ſchien die Idee ſeines Freundes mit einer Art jugendlicher Leidenſchaftlichkeit aufzunehmen. Für die Phyſiologie der Pflanzen, ſagte er, iſt damit ſehr viel gewonnen. Das neue Aperçü der Spiraltendenz iſt meiner Me¬ tamorphoſenlehre durchaus gemäß, es iſt auf demſelbi¬ gen Wege gefunden, aber es iſt damit ein ungeheurer Schritt vorwärts gethan.

Goethe lieſt ſeit einiger Zeit ſehr eifrig den Globe und macht dieſes Blatt ſehr oft zum Gegenſtand ſeines257 Geſprächs. Die Bemühungen Couſin's und ſeiner Schule erſcheinen ihm beſonders wichtig.

Dieſe Männer, ſagte er, ſind ganz auf dem Wege, eine Annäherung zwiſchen Frankreich und Deutſchland zu bewirken, indem ſie eine Sprache bilden, die durch¬ aus geeignet iſt, den Ideen-Verkehr zwiſchen beiden Nationen zu erleichtern.

Auch hat der Globe für Goethe dadurch noch ein beſonderes Intereſſe, daß die neueſten Producte der ſchönen Literatur Frankreichs darin beſprochen und die Freiheiten der romantiſchen Schule, oder vielmehr die Befreiung von den Feſſeln nichtsſagender Regeln, darin oft ſehr lebhaft vertheidigt werden.

Was will der ganze Plunder gewiſſer Regeln einer ſteifen veralteten Zeit! ſagte er heute, und was will all der Lärm über claſſiſch und romantiſch! Es kommt darauf an, daß ein Werk durch und durch gut und tüchtig ſey, und es wird auch wohl claſſiſch ſeyn.

Goethe ſprach heute mit großer Anerkennung über eine kleine Schrift des Canzlers, die den Großherzog Carl Auguſt zum Gegenſtande hat und das thaten¬ reiche Leben dieſes ſeltenen Fürſten in gedrängter Kürze vorüberführt.

Die kleine Schrift iſt wirklich ſehr gelungen, ſagte Goethe, das Material mit großer Umſicht und großemIII. 17258Fleiß zuſammengebracht, ſodann Alles vom Hauch der innigſten Liebe beſeelt, und zugleich die Darſtellung ſo knapp und kurz, daß That auf That ſich drängt und bei dem Anblick einer ſolchen Fülle von Leben und Thun es uns zu Muthe wird, als würden wir von einem geiſtigen Schwindel ergriffen. Der Canzler hat ſeine Schrift auch nach Berlin geſchickt, und darauf vor einiger Zeit einen höchſt merkwürdigen Brief von Alexander von Humboldt erhalten, den ich nicht ohne tiefe Rührung habe leſen können. Humboldt war dem Großherzog während eines langen Lebens auf das Innigſte befreundet, welches freilich nicht zu verwundern, indem die reich angelegte tiefe Natur des Fürſten im¬ mer nach neuem Wiſſen bedürftig und gerade Humboldt der Mann war, der bei ſeiner großen Univerſalität auf jede Frage die beſte und gründlichſte Antwort immer bereit hatte.

Nun fügte es ſich in der That wunderbar, daß der Großherzog gerade die letzten Tage vor ſeinem Tode in Berlin in faſt beſtändiger Geſellſchaft mit Humboldt verleben und daß er über manches wichtige Problem, was ihm am Herzen lag, noch zuletzt von ſeinem Freunde Aufſchluß erhalten konnte; und wiederum war es nicht ohne höhere günſtige Einwirkung, daß einer der größten Fürſten, die Deutſchland je beſeſſen, einen Mann wie Humboldt zum Zeugen ſeiner letzten Tage und Stunden hatte. Ich habe mir von dem259 Briefe eine Abſchrift nehmen laſſen und will Ihnen doch Einiges daraus mittheilen.

Goethe ſtand auf und ging zu ſeinem Pult, wo er den Brief nahm und ſich wieder zu mir an den Tiſch ſetzte. Er las eine Weile im Stillen. Ich ſah Thrä¬ nen in ſeinen Augen. Leſen Sie es für ſich, ſagte er dann, indem er mir den Brief zureichte. Er ſtand auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich las.

Wer konnte mehr durch das ſchnelle Hinſcheiden des Verewigten erſchüttert werden, ſchreibt Humboldt, als ich, den er ſeit dreißig Jahren mit ſo wohlwollender Auszeichnung, ich darf ſagen, mit ſo aufrichtiger Vor¬ liebe behandelt hatte. Auch hier wollte er mich faſt zu jeder Stunde um ſich haben; und, als ſey eine ſolche Lucidität, wie bei den erhabenen ſchneebedeckten Alpen, der Vorbote des ſcheidenden Lichtes, nie habe ich den großen menſchlichen Fürſten lebendiger, geiſt¬ reicher, milder und an aller ferneren Entwickelung des Volkslebens theilnehmender geſehen, als in den letzten Tagen, die wir ihn hier beſaßen.

Ich ſagte mehrmals zu meinen Freunden ahnungs¬ voll und beängſtigt, daß dieſe Lebendigkeit, dieſe ge¬ heimnißvolle Klarheit des Geiſtes, bei ſo viel körperlicher Schwäche, mir ein ſchreckhaftes Phänomen ſey. Er ſelbſt oscillirte ſichtbar zwiſchen Hoffnung der Gene¬ ſung und Erwartung der großen Cataſtrophe.

Als ich ihn vier und zwanzig Stunden vor dieſer17*260ſah, beim Frühſtück, er krank und ohne Neigung etwas zu genießen, fragte er noch lebendig nach den von Schweden herüber gekommenen Granitgeſchieben baltiſcher Länder, nach Kometſchweifen, welche ſich unſerer At¬ moſphäre trübend einmiſchen könnten, nach der Urſache der großen Winterkälte an allen öſtlichen Küſten.

Als ich ihn zuletzt ſah, drückte er mir zum Ab¬ ſchied die Hand mit den heiteren Worten: Sie glau¬ ben, Humboldt, Töplitz und alle warmen Quellen ſeyen wie Waſſer, die man künſtlich erwärmt? Das iſt nicht Küchenfeuer! Darüber ſtreiten wir in Töplitz, wenn Sie mit dem Könige kommen. Sie ſollen ſehen, Ihr altes Küchenfeuer wird mich doch noch einmal wieder zuſammenhalten. Sonderbar! denn Alles wird be¬ deutend bei ſo einem Manne.

In Potsdam ſaß ich mehrere Stunden allein mit ihm auf dem Kanapee; er trank und ſchlief abwechſelnd, trank wieder, ſtand auf, um an ſeine Gemahlin zu ſchreiben, dann ſchlief er wieder. Er war heiter, aber ſehr erſchöpft. In den Intervallen bedrängte er mich mit den ſchwierigſten Fragen über Phyſik, Aſtronomie, Meteorologie und Geognoſie, über Durchſichtigkeit eines Kometenkerns, über Mond-Atmoſphäre, über die farbi¬ gen Doppelſterne, über Einfluß der Sonnenflecke auf Temperatur, Erſcheinen der organiſchen Formen in der Urwelt, innere Erdwärme. Er ſchlief mitten in ſeiner und meiner Rede ein, wurde oft unruhig, und ſagte261 dann, über ſeine ſcheinbare Unaufmerkſamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend: Sie ſehen, Humboldt, es iſt aus mit mir!

Auf einmal ging er deſultoriſch in religiöſe Ge¬ ſpräche über. Er klagte über den einreißenden Pietis¬ mus und den Zuſammenhang dieſer Schwärmerei mit politiſchen Tendenzen nach Abſolutismus und Nieder¬ ſchlagen aller freieren Geiſtesregungen. Dazu ſind es unwahre Burſche, rief er aus, die ſich dadurch den Fürſten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten! Mit der poetiſchen Vorliebe zum Mittelalter haben ſie ſich eingeſchlichen.

Bald legte ſich ſein Zorn, und nun ſagte er, wie er jetzt viel Tröſtliches in der chriſtlichen Religion finde. Das iſt eine menſchenfreundliche Lehre, ſagte er; aber von Anfang an hat man ſie verunſtaltet. Die erſten Chriſten waren die Freigeſinnten unter den Ultra's.

Ich gab Goethen über dieſen herrlichen Brief meine innige Freude zu erkennen. Sie ſehen, ſagte Goethe, was für ein bedeutender Menſch er war. Aber wie gut iſt es von Humboldt, daß er dieſe wenigen letzten Züge aufgefaßt, die wirklich als Symbol gelten können, worin die ganze Natur des vorzüglichen Fürſten ſich ſpiegelt. Ja, ſo war er! Ich kann es am beſten ſagen, denn es kannte ihn im Grunde Niemand ſo durch und durch wie ich ſelber. Iſt es aber nicht ein Jammer, daß kein Unterſchied iſt, und daß auch ein262 ſolcher Menſch ſo früh dahin muß! Nur ein lum¬ piges Jahrhundert länger, und wie würde er an ſo hoher Stelle ſeine Zeit vorwärts gebracht haben! Aber wiſſen Sie was? Die Welt ſoll nicht ſo raſch zum Ziele, als wir denken und wünſchen. Immer ſind die retardirenden Dämonen da, die überall dazwiſchen und überall entgegen treten, ſo daß es zwar im Gan¬ zen vorwärts geht, aber ſehr langſam. Leben Sie nur fort, und Sie werden ſchon finden, daß ich Recht habe.

Die Entwicklung der Menſchheit, ſagte ich, ſcheint auf Jahrtauſende angelegt.

Wer weiß, erwiederte Goethe, vielleicht auf Mil¬ lionen! Aber laß die Menſchheit dauern, ſo lange ſie will, es wird ihr nie an Hinderniſſen fehlen, die ihr zu ſchaffen machen, und nie an allerlei Noth, damit ſie ihre Kräfte entwickele. Klüger und einſichtiger wird ſie werden, aber beſſer, glücklicher und thatkräftiger nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich ſehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermals Alles zuſammenſchlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung. Ich bin gewiß, es iſt Alles danach angelegt und es ſteht in der fernen Zukunft ſchon Zeit und Stunde feſt, wann dieſe Verjüngungs - Epoche eintritt. Aber bis dahin hat es ſicher noch gute Weile, und wir können noch Jahrtauſende und aber Jahrtauſende auf dieſer lieben alten Fläche, wie ſie iſt, allerlei Spaß haben.

263

Goethe war in beſonders guter, erhöhter Stimmung. Er ließ eine Flaſche Wein kommen, wovon er ſich und mir einſchenkte. Unſer Geſpräch ging wieder auf den Großherzog Carl Auguſt zurück.

Sie ſehen, ſagte Goethe, wie ſein außerordentlicher Geiſt das ganze Reich der Natur umfaßte. Phyſik, Aſtronomie, Geognoſie, Meteorologie, Pflanzen - und Thier-Formen der Urwelt, und was ſonſt dazu gehört, er hatte für Alles Sinn und für Alles Intereſſe. Er war achtzehn Jahre alt als ich nach Weimar kam; aber ſchon damals zeigten ſeine Keime und Knospen, was einſt der Baum ſeyn würde. Er ſchloß ſich bald auf das Innigſte an mich an und nahm an Allem, was ich trieb, gründlichen Antheil. Daß ich faſt zehn Jahre älter war, als er, kam unſerm Verhältniß zu Gute. Er ſaß ganze Abende bei mir in tiefen Geſprächen über Gegenſtände der Kunſt und Natur und was ſonſt allerlei Gutes vorkam. Wir ſaßen oft tief in die Nacht hinein und es war nicht ſelten, daß wir nebeneinander auf meinem Sopha einſchliefen. Funfzig Jahre lang haben wir es miteinander fortgetrieben und es wäre kein Wunder, wenn wir es endlich zu etwas gebracht hätten.

Eine ſo gründliche Bildung, ſagte ich, wie ſie der Großherzog gehabt zu haben ſcheint, mag bei fürſtlichen Perſonen ſelten vorkommen.

Sehr ſelten! erwiederte Goethe. Es giebt zwar264 viele, die fähig ſind, über Alles ſehr geſchickt mitzu¬ reden; aber ſie haben es nicht im Innern und krabbeln nur an den Oberflächen. Und es iſt kein Wunder, wenn man die entſetzlichen Zerſtreuungen und Zerſtücke¬ lungen bedenkt, die das Hofleben mit ſich führt und denen ein junger Fürſt ausgeſetzt iſt. Von Allem ſoll er Notiz nehmen. Er ſoll ein Bißchen Das kennen und ein Bißchen Das, und dann ein Bißchen Das und wieder ein Bißchen Das. Dabei kann ſich aber nichts ſetzen und nichts Wurzel ſchlagen, und es gehört der Fond einer gewaltigen Natur dazu, um bei ſolchen Anforderungen nicht in Rauch aufzugehen. Der Gro߬ herzog war freilich ein geborener großer Menſch, womit Alles geſagt und Alles gethan iſt.

Bei allen ſeinen höheren wiſſenſchaftlichen und gei¬ ſtigen Richtungen, ſagte ich, ſcheint er doch auch das Regieren verſtanden zu haben.

Er war ein Menſch aus dem Ganzen, erwiederte Goethe, und es kam bei ihm Alles aus einer einzigen großen Quelle. Und wie das Ganze gut war, ſo war das Einzelne gut, er mochte thun und treiben was er wollte. Uebrigens kamen ihm zur Führung des Regi¬ ments beſonders drei Dinge zu Statten. Er hatte die Gabe, Geiſter und Charaktere zu unterſcheiden und Jeden an ſeinen Platz zu ſtellen. Das war ſehr viel. Dann hatte er noch Etwas, was ebenſoviel war, wo nicht noch mehr: Er war beſeelt von dem edelſten265 Wohlwollen, von der reinſten Menſchenliebe, und wollte mit ganzer Seele nur das Beſte. Er dachte immer zuerſt an das Glück des Landes und ganz zuletzt erſt ein wenig an ſich ſelber. Edlen Menſchen entgegen zu kommen, gute Zwecke befördern zu helfen, war ſeine Hand immer bereit und offen. Es war in ihm viel Göttliches. Er hätte die ganze Menſchheit beglücken mögen. Liebe aber erzeugt Liebe. Wer aber geliebt iſt, hat leicht regieren.

Und drittens: Er war größer, als ſeine Umgebung. Neben zehn Stimmen, die ihm über einen gewiſſen Fall zu Ohren kamen, vernahm er die elfte, beſſere, in ſich ſelber. Fremde Zufliſterungen glitten an ihm ab, und er kam nicht leicht in den Fall, etwas Unfürſtliches zu begehen, indem er das zweideutig gemachte Verdienſt zurückſetzte und empfohlene Lumpe in Schutz nahm. Er ſah überall ſelber, urtheilte ſelber, und hatte in allen Fäl¬ len in ſich ſelber die ſicherſte Baſis. Dabei war er ſchweig¬ ſamer Natur und ſeinen Worten folgte die Handlung.

Wie leid thut es mir, ſagte ich, daß ich nicht viel mehr von ihm gekannt habe als ſein Aeußeres; doch das hat ſich mir tief eingeprägt. Ich ſehe ihn noch immer auf ſeiner alten Droſchke, im abgetragenen grauen Mantel und Militairmütze und eine Cigarre rauchend, wie er auf die Jagd fuhr, ſeine Lieblings - Hunde nebenher. Ich habe ihn nie anders fahren ſehen, als auf dieſer unanſehnlichen alten Droſchke. 266Auch nie anders als zweiſpännig. Ein Gepränge mit ſechs Pferden und Röcke mit Ordensſternen ſcheint nicht ſehr nach ſeinem Geſchmack geweſen zu ſeyn.

Das iſt, erwiederte Goethe, jetzt bei Fürſten über¬ haupt kaum mehr an der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was Einer auf der Wage der Menſchheit wiegt; alles Uebrige iſt eitel. Ein Rock mit dem Stern und ein Wagen mit ſechs Pferden imponirt nur noch allen¬ falls der roheſten Maſſe, und kaum dieſer. Uebrigens hing die alte Droſchke des Großherzogs kaum in Fe¬ dern. Wer mit ihm fuhr, hatte verzweifelte Stöße auszuhalten. Aber das war ihm eben recht. Er liebte das Derbe und Unbequeme und war ein Feind aller Verweichlichung.

Spuren davon, ſagte ich, ſieht man ſchon in Ihrem Gedicht Ilmenau , wo Sie ihn nach dem Leben ge¬ zeichnet zu haben ſcheinen.

Er war damals ſehr jung, erwiederte Goethe; doch ging es mit uns freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger Gährung. Er wußte mit ſeinen Kräften nicht wo hinaus und wir waren oft ſehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforçe - Pferden über Hecken, Gräben und durch Flüſſe, und bergauf bergein ſich tagelang abarbeiten, und dann Nachts unter freiem Himmel campiren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach ſeinem Sinne. Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber267 hätte er ſich eines erringen, erjagen und erſtürmen können, das wäre ihm etwas geweſen.

Das Ilmenauer Gedicht, fuhr Goethe fort, ent¬ hält als Epiſode eine Epoche, die im Jahre 1783, als ich es ſchrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns lag, ſo daß ich mich ſelber darin als eine hiſtoriſche Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es iſt darin, wie Sie wiſſen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer ſolchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felſen kleine Hütten gebaut und mit Tannenreiſern gedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer und wir kochten und brieten, was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem ſchon damals die Tabackspfeife nicht kalt wurde, ſaß dem Feuer zunächſt und ergötzte die Geſellſchaft mit allerlei trockenen Spä¬ ßen, während die Weinflaſche von Hand zu Hand ging. Seckendorf, der ſchlanke, mit den langen feinen Glie¬ dern, hatte ſich behaglich am Stamm eines Baumes hingeſtreckt und ſummte allerlei Poetiſches. Abſeits, in einer ähnlichen kleinen Hütte, lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich ſelber ſaß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei ſchweren Gedanken, auch in An¬ wandlungen von Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und Seckendorf erſcheinen mir noch jetzt gar nicht ſchlecht gezeichnet,268 und auch der junge Fürſt nicht, in dieſem düſtern Un¬ geſtüm ſeines zwanzigſten Jahres.

Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels iſt ihm zu ſchroff, kein Steg zu ſchmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und ſtürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die ſchmerzlich überſpannte Regung
Gewaltſam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düſter wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu ſeyn,
Schläft er, an Seel 'und Leib verwundet und zerſchlagen,
Auf einem harten Lager ein.

So war er ganz und gar. Es iſt darin nicht der kleinſte Zug übertrieben. Doch aus dieſer Sturm - und Drang-Periode hatte ſich der Herzog bald zu wohlthä¬ tiger Klarheit durchgearbeitet, ſo daß ich ihn zu ſeinem Geburtstage im Jahre 1783 an dieſe Geſtalt ſeiner früheren Jahre ſehr wohl erinnern mochte.

Ich läugne nicht, er hat mir anfänglich manche Noth und Sorge gemacht. Doch ſeine tüchtige Natur reinigte ſich bald und bildete ſich bald zum Beſten, ſo daß es eine Freude wurde, mit ihm zu leben und zu wirken.

Sie machten, bemerkte ich, in dieſer erſten Zeit mit ihm eine einſame Reiſe durch die Schweiz.

Er liebte überhaupt das Reiſen, erwiederte Goethe; doch war es nicht ſowohl, um ſich zu amüſiren und zu zerſtreuen, als um überall die Augen und Ohren269 offen zu haben und auf allerlei Gutes und Nützliches zu achten, das er in ſeinem Lande einführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Induſtrie ſind ihm auf dieſe Weiſe unendlich viel ſchuldig geworden. Ueberhaupt waren ſeine Tendenzen nicht perſönlich, egoiſtiſch, ſondern rein productiver Art, und zwar productiv für das all¬ gemeine Beſte. Dadurch hat er ſich denn auch einen Namen gemacht, der über dieſes kleine Land weit hin¬ ausgeht.

Sein ſorgloſes einfaches Aeußere, ſagte ich, ſchien anzudeuten, daß er den Ruhm nicht ſuche und daß er ſich wenig aus ihm mache. Es ſchien, als ſey er be¬ rühmt geworden, ohne ſein weiteres Zuthun, bloß wegen ſeiner ſtillen Tüchtigkeit.

Es iſt damit ein eigenes Ding, erwiederte Goethe. Ein Holz brennt, weil es Stoff dazu in ſich hat, und ein Menſch wird berühmt, weil der Stoff dazu in ihm vorhanden. Suchen läßt ſich der Ruhm nicht und alles Jagen danach iſt eitel. Es kann ſich wohl Je¬ mand durch kluges Benehmen und allerlei künſtliche Mittel eine Art von Namen machen. Fehlt aber dabei das innere Juwel, ſo iſt es eitel und hält nicht auf den andern Tag.

Ebenſo iſt es mit der Gunſt des Volkes. Er ſuchte ſie nicht und that den Leuten keineswegs ſchön; aber das Volk liebte ihn, weil es fühlte, daß er ein Herz für ſie habe.

270

Goethe erwähnte ſodann die übrigen Glieder des Großherzoglichen Hauſes, und wie durch alle der Zug eines edlen Charakters gehe. Er ſprach über die Her¬ zensgüte des jetzigen Regenten, über die großen Hoff¬ nungen, zu denen der junge Prinz berechtige, und ver¬ breitete ſich mit ſichtbarer Liebe über die ſeltenen Eigen¬ ſchaften der jetzt regierenden hohen Fürſtin, welche im edelſten Sinne große Mittel verwende, um überall Leiden zu lindern und gute Keime zu wecken. Sie iſt von jeher für das Land ein guter Engel geweſen, ſagte er, und wird es mehr und mehr, je länger ſie ihm verbun¬ den iſt. Ich kenne die Großherzogin ſeit dem Jahre 1805, und habe Gelegenheit in Menge gehabt, ihren Geiſt und Charakter zu bewundern. Sie iſt eine der beſten und bedeutendſten Frauen unſerer Zeit, und würde es ſeyn, wenn ſie auch keine Fürſtin wäre. Und das iſt's eben, worauf es ankommt, daß, wenn auch der Purpur abgelegt worden, noch ſehr viel Großes, ja eigentlich noch das Beſte, übrig bleibe.

Wir ſprachen ſodann über die Einheit Deutſchlands, und in welchem Sinne ſie möglich und wünſchenswerth.

Mir iſt nicht bange, ſagte Goethe, daß Deutſch¬ land nicht eins werde; unſere guten Chauſſeen und künftigen Eiſenbahnen werden ſchon das Ihrige thun. Vor Allem aber ſey es eins in Liebe untereinander! und immer ſey es eins gegen den auswärtigen Feind. Es ſey eins, daß der deutſche Thaler und Groſchen im271 ganzen Reiche gleichen Werth habe; eins, daß mein Reiſekoffer durch alle ſechs und dreißig Staaten unge¬ öffnet paſſiren könne. Es ſey eins, daß der ſtädtiſche Reiſepaß eines Weimar'ſchen Bürgers von dem Grenz¬ beamten eines großen Nachbarſtaates nicht für unzu¬ länglich gehalten werde, als der Paß eines Auslän¬ ders. Es ſey von Inland und Ausland unter deut¬ ſchen Staaten überall keine Rede mehr. Deutſchland ſey ferner eins in Maaß und Gewicht, in Handel und Wandel, und hundert ähnlichen Dingen, die ich nicht alle nennen kann und mag.

Wenn man aber denkt, die Einheit Deutſchlands beſtehe darin, daß das ſehr große Reich eine einzige große Reſidenz habe, und daß dieſe eine große Reſidenz, wie zum Wohl der Entwickelung einzelner großer Ta¬ lente, ſo auch zum Wohl der großen Maſſe des Volkes gereiche, ſo iſt man im Irrthum.

Man hat einen Staat wohl einem lebendigen Kör¬ per mit vielen Gliedern verglichen, und ſo ließe ſich wohl die Reſidenz eines Staates dem Herzen verglei¬ chen, von welchem aus Leben und Wohlſeyn in die einzelnen nahen und fernen Glieder ſtrömt. Sind aber die Glieder ſehr ferne vom Herzen, ſo wird das zuſtrö¬ mende Leben ſchwach und immer ſchwächer empfunden werden. Ein geiſtreicher Franzoſe, ich glaube Dupin, hat eine Karte über den Culturzuſtand Frankreichs ent¬ worfen, und die größere oder geringere Aufklärung der272 verſchiedenen Departements mit helleren oder dunkleren Farben zur Anſchauung gebracht. Da finden ſich nun, beſonders in ſüdlichen, weit von der Reſidenz entlegenen Provinzen, einzelne Departements, die in ganz ſchwar¬ zer Farbe daliegen, als Zeichen einer dort herrſchenden großen Finſterniß. Würde das aber wohl ſeyn, wenn das ſchöne Frankreich, ſtatt des einen großen Mittel¬ punktes, zehn Mittelpunkte hätte, von denen Licht und Leben ausginge?

Wodurch iſt Deutſchland groß, als durch eine be¬ wundernswürdige Volks-Cultur, die alle Theile des Reichs gleichmäßig durchdrungen hat. Sind es aber nicht die einzelnen Fürſtenſitze, von denen ſie ausgeht und welche ihre Träger und Pfleger ſind? Geſetzt, wir hätten in Deutſchland ſeit Jahrhunderten nur die beiden Reſidenzſtädte Wien und Berlin, oder gar nur eine, da möchte ich doch ſehen, wie es um die deutſche Cultur ſtände? ja auch um einen überall verbreiteten Wohlſtand, der mit der Cultur Hand in Hand geht!

Deutſchland hat über zwanzig im ganzen Reich vertheilte Univerſitäten, und über hundert ebenſo ver¬ breitete öffentliche Bibliotheken. An Kunſtſammlungen und Sammlungen von Gegenſtänden aller Naturreiche gleichfalls eine große Zahl; denn jeder Fürſt hat dafür geſorgt, dergleichen Schönes und Gutes in ſeine Nähe heranzuziehen. Gymnaſien und Schulen für Technik und Induſtrie ſind im Ueberfluß da. Ja es iſt kaum ein273 deutſches Dorf, das nicht ſeine Schule hätte. Wie ſteht es aber um dieſen letzten Punkt in Frankreich!

Und wiederum die Menge deutſcher Theater, deren Zahl über ſiebenzig hinausgeht und die doch auch als Träger und Beförderer höherer Volksbildung keines¬ wegs zu verachten. Der Sinn für Muſik und Geſang und ihre Ausübung iſt in keinem Lande verbreitet, wie in Deutſchland, und das iſt auch etwas!

Nun denken Sie aber an Städte wie Dresden, München, Stuttgart, Caſſel, Braunſchweig, Hannover, und ähnliche; denken Sie an die großen Lebenselemente, die dieſe Städte in ſich ſelber tragen; denken Sie an die Wirkungen, die von ihnen auf die benachbarten Provinzen ausgehen, und fragen Sie ſich, ob das Alles ſeyn würde, wenn ſie nicht ſeit langen Zeiten die Sitze von Fürſten geweſen?

Frankfurt, Bremen, Hamburg, Lübeck ſind groß und glänzend, ihre Wirkungen auf den Wohlſtand von Deutſchland gar nicht zu berechnen. Würden ſie aber wohl bleiben, was ſie ſind, wenn ſie ihre eigene Souverai¬ netät verlieren und irgend einem großen deutſchen Reich als Provinzialſtädte einverleibt werden ſollten? Ich habe Urſache, daran zu zweifeln.

Heute hatte ich mit Goethen einen anmuthigen Spaß ganz beſonderer Art. Madame Duval zu Car¬III. 18274tigny im Canton Genf nämlich, die ſehr geſchickt in Zubereitung von Confituren iſt, hatte mir als Producte ihrer Kunſt einige Cedraten für die Frau Großfürſtin und Goethe geſchickt, völlig überzeugt, daß ihre Con¬ fituren alle anderen ſo weit übertreffen, als die Gedichte Goethe's diejenigen der meiſten ſeiner deutſchen Mitbe¬ werber.

Die älteſte Tochter jener Dame hatte nun ſchon längſt eine Handſchrift Goethe's gewünſcht, worauf es mir einfiel, daß es klug ſeyn würde, durch die ſüße Lockſpeiſe der Cedraten Goethen zu einem Gedicht für meine junge Freundin anzukörnen.

Mit der Miene eines mit einem wichtigen Geſchäft beauftragten Diplomaten ging ich daher zu ihm und unterhandelte mit ihm als Macht gegen Macht, indem ich für die offerirten Cedraten ein Originalgedicht ſeiner Hand zur Bedingung machte. Goethe lachte über die¬ ſen Scherz, den er ſehr wohl aufnahm, und ſich ſogleich die Cedraten erbat, die er ganz vortrefflich fand. We¬ nige Stunden darauf war ich ſehr überraſcht, folgende Verſe als ein Weihnachtsgeſchenk für meine junge Freun¬ din ankommen zu ſehen:

Glücklich Land, allwo Cedraten
Zur Vollkommenheit gerathen!
Und zu reizendem Genießen
Kluge Frauen ſie durchſüßen! ꝛc.

Als ich ihn wieder ſah, ſcherzte er über den Vor¬ theil, den er jetzt aus ſeinem poetiſchen Metier zu zie¬275 hen im Stande ſey, während er in ſeiner Jugend zu ſeinem Götz keinen Verleger habe finden können. Ihren Handelsvertrag, ſagte er, nehme ich an; wenn meine Cedraten verſchmauſ't ſeyn werden, vergeſſen Sie ja nicht andere zu kommandiren; ich werde pünktlich mit mei¬ nen poetiſchen Wechſeln zahlen.

Ich hatte in voriger Nacht einen wunderlichen Traum, den ich dieſen Abend Goethen erzählte und den er ſehr artig fand. Ich ſah mich nämlich in einer fremden Stadt, in einer breiten Straße gegen Südoſt, wo ich mit einer Menge Menſchen ſtand und den Him¬ mel betrachtete, der wie mit leiſen Dünſten bedeckt ſchien und im hellſten Gelb leuchtete. Jedermann war erwartungsvoll, was ſich ereignen würde, als ſich zwei feurige Punkte bildeten, die, gleich Meteorſteinen, mit Krachen vor uns niederfuhren, nicht weit von der Stelle, wo wir ſtanden. Man eilte hin, um zu ſehen was herabgekommen war, und ſiehe! es trat mir ent¬ gegen: Fauſt und Mephiſtopheles. Ich war erfreut-verwundert, und geſellte mich zu ihnen, als zu Bekannten, und ging neben ihnen her in heiterer Unterhaltung, indem wir um die nächſte Straßenecke bogen. Was wir ſprachen, iſt mir nicht geblieben; doch der Eindruck ihres körperlichen Weſens war ſo eigener Art, daß er mir vollkommen deutlich und nicht18*276leicht zu vergeſſen iſt. Beide waren jünger, als man ſie gewöhnlich zu denken pflegt, und zwar mochte Me¬ phiſtopheles ein und zwanzig Jahre ſeyn, wenn Fauſt ſieben und zwanzig haben konnte. Erſterer erſchien durchaus vornehm, heiter und frei; er ſchritt ſo leicht einher, wie man ſich etwa den Merkur denkt. Sein Geſicht war ſchön, ohne bösartig, und man hätte nicht erkennen mögen, daß es der Teufel ſey, wenn nicht von ſeiner jugendlichen Stirn zwei zierliche Hörner ſich erhoben und ſeitwärts gebogen hätten, ſo wie wohl ein ſchöner Haarwuchs ſich erhebt und zu beiden Sei¬ ten umbiegt. Als Fauſt im Gehen ſein Geſicht redend mir zuwandte, war ich erſtaunt über den eigenartigen Ausdruck. Die edelſte Sittlichkeit und Herzensgüte ſprach aus jedem Zuge, als das Vorwaltende, Urſprüng¬ liche ſeiner Natur. Man ſah ihm an, als wären alle menſchlichen Freuden, Leiden und Gedanken, trotz ſeiner Jugend, bereits durch ſeine Seele gegangen, ſo durch¬ gearbeitet war ſein Geſicht! Er war ein wenig blaß und ſo anziehend, daß man ſich nicht ſatt an ihm ſehen konnte; ich ſuchte mir ſeine Züge einzuprägen, um ſie zu zeichnen. Fauſt ging rechts, Mephiſtopheles zwiſchen uns Beiden, und es iſt mir der Eindruck geblieben, wie Fauſt ſein ſchönes eigenartiges Geſicht herumwandte, um mit Mephiſtopheles oder mit mir zu reden. Wir gingen durch die Straßen und die Menge verlief ſich, ohne weiter auf uns zu achten.

[277]

1830 1832.

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Goethe ſprach über Lavater und ſagte mir viel Gutes von ſeinem Charakter. Auch Züge von ihrer früheren intimen Freundſchaft erzählte mir Goethe, und wie ſie zu jener Zeit oft brüderlich zuſammen in einem und demſelbigen Bette geſchlafen. Es iſt zu bedauern, fügte er hinzu, daß ein ſchwacher Myſticismus dem Aufflug, ſeines Genies ſo bald Grenzen ſetzte!

Wir ſprachen über die Geſchichte Napoleon's von Walter Scott.

Es iſt wahr, ſagte Goethe, man kann dem Ver¬ faſſer dabei große Ungenauigkeiten und eine ebenſo große Parteilichkeit vorwerfen; allein gerade dieſe beiden Män¬ gel geben ſeinem Werke in meinen Augen einen ganz beſonderen Werth. Der Erfolg des Buches war in England über alle Begriffe groß, und man ſieht alſo, daß Walter Scott eben in ſeinem Haß gegen Napoleon und die Franzoſen der wahre Dolmetſcher und Re¬ präſentant der engliſchen Volksmeinung und des eng¬280 liſchen Nationalgefühls geweſen iſt. Sein Buch wird keineswegs ein Document für die Geſchichte Frankreichs, allein es wird eins für die Geſchichte Englands ſeyn. Auf jeden Fall aber iſt es eine Stimme, die bei dieſem wichtigen hiſtoriſchen Proceß nicht fehlen durfte.

Ueberhaupt iſt es mir angenehm, über Napoleon die entgegengeſetzteſten Meinungen zu hören. Ich leſe jetzt das Werk von Bignon, welches mir einen ganz beſonderen Werth zu haben ſcheint.

Ich brachte Goethen die Verzeichniſſe, die ich über die hinterlaſſenen Schriften Dumont's, als Vorbereitung einer Herausgabe derſelben, gemacht hatte. Goethe las ſie mit vieler Sorgfalt und ſchien erſtaunt über die Maſſe von Kenntniſſen, Intereſſen und Ideen, die er bei dem Autor ſo verſchiedener und reichhaltiger Ma¬ nuſcripte vorauszuſetzen Urſache habe.

Dumont, ſagte er, muß ein Geiſt von großem Um¬ fange geweſen ſeyn. Unter den Gegenſtänden, die er ebhandelt hat, iſt nicht ein einziger, der nicht an ſich intereſſant und bedeutend wäre; und die Wahl der Gegenſtände zeigt immer, was Einer für ein Mann und weß Geiſtes Kind er iſt. Nun kann man zwar nicht verlangen, daß der menſchliche Geiſt eine ſolche Univer¬ ſalität beſitze, um alle Gegenſtände mit einem gleichen Talent und Glück zu behandeln; aber wenn es auch281 dem Autor mit allen nicht auf gleiche Weiſe gelungen ſeyn ſollte, ſo giebt ſchon der bloße Vorſatz und Wille, ſie zu behandeln, mir von ihm eine ſehr hohe Meinung. Ich finde beſonders merkwürdig und ſchätzbar, daß bei ihm überall eine praktiſche, nützliche und wohlwollende Tendenz vorwaltet.

Ich hatte ihm zugleich die erſten Capitel der Reiſe nach Paris mitgebracht, die ich ihm vorleſen wollte, die er aber vorzog allein zu betrachten.

Er ſcherzte darauf über die Schwierigkeit des Le¬ ſens und den Dünkel vieler Leute, die ohne alle Vor¬ ſtudien und vorbereitenden Kenntniſſe ſogleich jedes phi¬ loſophiſche und wiſſenſchaftliche Werk leſen möchten, als wenn es eben nichts weiter als ein Roman wäre.

Die guten Leutchen, fuhr er fort, wiſſen nicht, was es Einem für Zeit und Mühe gekoſtet, um leſen zu lernen. Ich habe achtzig Jahre dazu gebraucht, und kann noch jetzt nicht ſagen, daß ich am Ziele wäre.

Mittags mit Goethe ſehr vergnügt bei Tiſch. Er ſprach mit großer Anerkennung über Herrn von Mar¬ tius. Sein Aperçu der Spiraltendenz, ſagte er, iſt von der höchſten Bedeutung. Hätte ich bei ihm noch etwas zu wünſchen, ſo wäre es, daß er ſein entdecktes Urphänomen mit entſchiedener Kühnheit durchführte, und daß er die Courage hätte, ein Factum als Geſetz282 auszuſprechen, ohne die Beſtätigung allzuſehr im Wei¬ ten zu ſuchen.

Er zeigte mir darauf die Verhandlungen der natur¬ forſchenden Verſammlung zu Heidelberg, mit hinterge¬ druckten Facſimile's der Handſchriften, die wir betrach¬ ten und auf den Charakter ſchließen.

Ich weiß recht gut, ſagte Goethe, daß bei dieſen Verſammlungen für die Wiſſenſchaft nicht ſo viel her¬ auskommt, als man ſich denken mag; aber ſie ſind vortrefflich, daß man ſich gegenſeitig kennen und mög¬ licherweiſe lieben lerne, woraus denn folgt, daß man irgend eine neue Lehre eines bedeutenden Menſchen wird gelten laſſen, und dieſer wiederum geneigt ſeyn wird, uns in unſeren Richtungen eines anderen Faches anzuerkennen und zu fördern. Auf jeden Fall ſehen wir, daß etwas geſchieht, und Niemand kann wiſſen, was dabei herauskommt.

Goethe zeigte mir ſodann einen Brief eines eng¬ liſchen Schriftſtellers mit der Adreſſe: An Sr. Durch¬ laucht den Fürſten Goethe. Dieſen Titel, ſagte Goethe lachend, habe ich wahrſcheinlich den deutſchen Journaliſten zu danken, die mich aus allzugroßer Liebe wohl den deutſchen Dichterfürſten genannt haben. Und ſo hat denn der unſchuldige deutſche Irrthum den eben¬ ſo unſchuldigen Irrthum des Engländers zur Folge gehabt.

Goethe kam darauf wieder auf Herrn von Martius283 zurück und rühmte an ihm, daß er Einbildungskraft beſitze. Im Grunde, fuhr er fort, iſt ohne dieſe hohe Gabe ein wirklich großer Naturforſcher gar nicht zu denken. Und zwar meine ich nicht eine Einbildungs¬ kraft, die ins Vage geht und ſich Dinge imaginirt, die nicht exiſtiren; ſondern ich meine eine ſolche, die den wirklichen Boden der Erde nicht verläßt, und mit dem Maßſtab des Wirklichen und Erkannten zu geahne¬ ten, vermutheten Dingen ſchreitet. Da mag ſie denn prüfen, ob denn dieſes Geahnete auch möglich ſey und ob es nicht in Widerſpruch mit anderen bewußten Ge¬ ſetzen komme. Eine ſolche Einbildungskraft ſetzt aber freilich einen weiten, ruhigen Kopf voraus, dem eine große Ueberſicht der lebendigen Welt und ihrer Geſetze zu Gebote ſteht.

Während wir ſprachen, kam ein Paket mit einer Ueberſetzung der Geſchwiſter ins Böhmiſche, die Goethen große Freude zu machen ſchien.

Beſuch bei Goethe in Begleitung des Prinzen. Er empfing uns in ſeinem Arbeitszimmer.

Wir ſprachen über die verſchiedenen Ausgaben ſei¬ ner Werke, wobei es mir auffallend war, von ihm zu hören, daß er den größten Theil dieſer Editionen ſel¬ ber nicht beſitze. Auch die erſte Ausgabe ſeines römi¬ ſchen Carnevals, mit Kupfern nach eigenen Original¬284 zeichnungen, beſitze er nicht. Er habe, ſagte er, in einer Auction ſechs Thaler dafür geboten, ohne ſie zu erhalten.

Er zeigte uns darauf das erſte Manuſcript ſeines Götz von Berlichingen, ganz in der urſprünglichen Ge¬ ſtalt, wie er es vor länger als funfzig Jahren auf Anregung ſeiner Schweſter in wenigen Wochen geſchrie¬ ben. Die ſchlanken Züge der Handſchrift trugen ſchon ganz den freien klaren Charakter, wie ihn ſeine deutſche Schrift ſpäter immer behalten und auch noch jetzt hat. Das Manuſcript war ſehr reinlich, man las ganze Sei¬ ten ohne die geringſte Correctur, ſo daß man es eher für eine Copie, als für einen erſten raſchen Entwurf hätte halten ſollen.

Seine früheſten Werke hat Goethe, wie er uns ſagte, alle mit eigener Hand geſchrieben, auch ſeinen Werther; doch iſt das Manuſcript verloren gegangen. In ſpäterer Zeit dagegen hat er faſt Alles dictirt, und nur Gedichte und flüchtig notirte Pläne finden ſich von ſeiner eigenen Hand. Sehr oft hat er nicht daran ge¬ dacht, von einem neuen Product eine Abſchrift nehmen zu laſſen; vielmehr hat er häufig die koſtbarſte Dich¬ tung dem Zufall preisgegeben, indem er öfter als ein¬ mal das einzige Exemplar, das er beſaß, nach Stutt¬ gart in die Druckerei ſchickte.

Nachdem wir das Manuſcript des Berlichingen ge¬ nugſam betrachtet, zeigte Goethe uns das Original285 ſeiner italieniſchen Reiſe. In dieſen täglich niederge¬ ſchriebenen Beobachtungen und Bemerkungen finden ſich in Bezug auf die Handſchrift dieſelbigen guten Eigen¬ ſchaften, wie bei ſeinem Götz. Alles iſt entſchieden, feſt und ſicher, nichts iſt corrigirt, und man ſieht, daß dem Schreibenden das Detail ſeiner augenblicklichen Notizen immer friſch und klar vor der Seele ſtand. Nichts iſt veränderlich und wandelbar, ausgenommen das Papier, das in jeder Stadt, wo der Reiſende ſich aufhielt, in Format und Farbe ſtets ein anderes wurde.

Gegen das Ende dieſes Manuſcripts fand ſich eine geiſtreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe, näm¬ lich die Abbildung eines italieniſchen Advocaten, wie er in ſeiner großen Amtskleidung vor Gericht eine Rede hält. Es war die merkwürdigſte Figur, die man ſich denken konnte, und ſein Anzug ſo auffallend, daß man hätte glauben ſollen, er habe ihn gewählt, um auf eine Maskerade zu gehen. Und doch war Alles nur eine treue Darſtellung nach dem wirklichen Leben. Den Zeigefinger auf die Spitze des Daumens und die übri¬ gen Finger ausgeſtreckt haltend, ſtand der dicke Redner behaglich da, und dieſe wenige Bewegung paßte recht gut zu der großen Perücke, womit er ſich behängt hatte.

Wir ſprachen über den Globe und Temps, und dieß führte auf die franzöſiſche Literatur und Literatoren.

286

Guizot, ſagte Goethe unter andern, iſt ein Mann nach meinem Sinne, er iſt ſolide. Er beſitzt tiefe Kennt¬ niſſe, verbunden mit einem aufgeklärten Liberalismus, der, über den Parteien ſtehend, ſeinen eigenen Weg geht. Ich bin begierig, zu ſehen, welche Rolle er in den Kammern ſpielen wird, wozu man ihn jetzt ge¬ wählt hat.

Leute, die ihn nur oberflächlich zu kennen ſcheinen, erwiederte ich, haben mir ihn als etwas pedantiſch ge¬ ſchildert.

Es bleibt zu wiſſen übrig, entgegnete Goethe, welche Sorte von Pedanterie man ihm vorwirft. Alle bedeutenden Menſchen, die in ihrer Lebensweiſe eine gewiſſe Regelmäßigkeit und feſte Grundſätze beſitzen, die viel nachgedacht haben und mit den Angelegenheiten des Lebens kein Spiel treiben, können ſehr leicht in den Augen oberflächlicher Beobachter als Pedanten er¬ ſcheinen. Guizot iſt ein weitſehender, ruhiger, feſthal¬ tender Mann, der der franzöſiſchen Beweglichkeit gegen¬ über gar nicht genug zu ſchätzen und gerade ein ſolcher iſt, wie ſie ihn brauchen.

Villemain, fuhr Goethe fort, iſt vielleicht glän¬ zender als Redner; er beſitzt die Kunſt einer gewandten Entwickelung aus dem Grunde; er iſt nie verlegen um ſchlagende Ausdrücke, wodurch er die Aufmerkſamkeit feſſelt und ſeine Hörer zu lautem Beifall fortreißt; aber287 er iſt weit oberflächlicher, als Guizot, und weit weniger praktiſch.

Was Couſin betrifft, ſo kann er zwar uns Deut¬ ſchen wenig geben, indem die Philoſophie, die er ſeinen Landsleuten als etwas Neues bringt, uns ſeit vielen Jahren bekannt iſt; allein er iſt für die Franzoſen von großer Bedeutung. Er wird ihnen eine ganz neue Richtung geben.

Cuvier, der große Naturkenner, iſt bewunderns¬ würdig durch ſeine Darſtellung und ſeinen Styl. Nie¬ mand exponirt ein Factum beſſer, als er. Allein er beſitzt faſt gar keine Philoſophie. Er wird ſehr unter¬ richtete Schüler erziehen, aber wenig tiefe.

Alles dieſes zu hören, war mir um ſo intereſſanter, als es mit den Anſichten Dumont's über die gedachten Männer ſehr nahe zuſammentraf. Ich verſprach Goe¬ then, ihm die betreffenden Stellen aus deſſen Manu¬ ſcripten abzuſchreiben, damit er ſie mit ſeiner eigenen Meinung gelegentlich vergleichen möge.

Die Erwähnung Dumont's brachte das Geſpräch auf deſſen Verhältniß zu Bentham, worüber ſich Goethe alſo äußerte:

Es iſt für mich ein intereſſantes Problem, ſagte er, wenn ich ſehe, daß ein ſo vernünftiger, ſo gemäßig¬ ter und ſo praktiſcher Mann, wie Dumont, der Schüler und treue Verehrer dieſes Narren Bentham ſeyn konnte.

Bentham, erwiederte ich, iſt gewiſſermaßen als eine288 doppelte Perſon zu betrachten. Ich unterſcheide Ben¬ tham das Genie, das die Prinzipien erſann, die Dumont der Vergeſſenheit entzog, indem er ſie aus¬ arbeitete, und Bentham den leidenſchaftlichen Mann, der aus übertriebenem Nützlichkeitseifer die Grenzen ſeiner eigenen Lehre überſchritt und dadurch ſowohl in der Politik, als in der Religion, zum Radi¬ calen ward.

Das aber, erwiederte Goethe, iſt eben ein neues Problem für mich, daß ein Greis die Laufbahn eines langen Lebens damit beſchließen kann, in ſeinen letzten Tagen noch ein Radicaler zu werden.

Ich ſuchte dieſen Widerſpruch zu löſen, indem ich bemerkte, daß Bentham, in der Ueberzeugung von der Vortrefflichkeit ſeiner Lehre und ſeiner Geſetzgebung, und bei der Unmöglichkeit, ſie ohne eine völlige Verände¬ rung des herrſchenden Syſtems in England einzuführen, ſich um ſo mehr von ſeinem leidenſchaftlichen Eifer habe fortreißen laſſen, als er mit der äußern Welt wenig in Berührung komme und die Gefahr eines gewaltſamen Umſturzes nicht zu beurtheilen vermöge.

Dumont dagegen, fuhr ich fort, der weniger Leiden¬ ſchaft und mehr Klarheit beſitzt, hat die Ueberſpannung Bentham's nie gebilligt, und iſt weit entfernt geweſen, ſelber in einen ähnlichen Fehler zu fallen. Er hat überdieß den Vortheil gehabt, die Prinzipien Bentham's in einem Lande in Anwendung zu bringen, das in289 Folge politiſcher Ereigniſſe zu jener Zeit gewiſſermaßen als ein neues zu betrachten war, nämlich in Genf, wo denn auch Alles vollkommen gelang und der glück¬ liche Erfolg den Werth des Prinzips an den Tag legte.

Dumont, erwiederte Goethe, iſt eben ein gemäßig¬ ter Liberaler, wie es alle vernünftigen Leute ſind und ſeyn ſollen, und wie ich ſelber es bin und in welchem Sinne zu wirken ich während eines langen Lebens mich bemüht habe.

Der wahre Liberale, fuhr er fort, ſucht mit den Mitteln, die ihm zu Gebote ſtehen, ſo viel Gutes zu bewirken, als er nur immer kann; aber er hütet ſich, die oft unvermeidlichen Mängel ſogleich mit Feuer und Schwert vertilgen zu wollen. Er iſt bemüht, durch ein kluges Vorſchreiten die öffentlichen Gebrechen nach und nach zu verdrängen, ohne durch gewaltſame Maßregeln zugleich oft eben ſo viel Gutes mit zu verderben. Er begnügt ſich in dieſer ſtets unvollkommenen Welt ſo lange mit dem Guten, bis ihn, das Beſſere zu errei¬ chen, Zeit und Umſtände begünſtigen.

Bei Frau v. Goethe zu Tiſche. Der junge Goethe erzählte einiges Artige von ſeiner Großmutter, der Frau Rath Goethe zu Frankfurt, die er vor zwanzig Jahren als Student beſucht habe, und mit der er eines Mittags beim Fürſten Primas zur Tafel geladen worden.

III. 19290

Der Fürſt ſey der Frau Rath aus beſonderer Höf¬ lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber ſeine gewöhnliche geiſtliche Kleidung getragen, ſo habe ſie ihn für einen Abbé gehalten und nicht ſonderlich auf ihn geachtet. Auch habe ſie anfänglich bei Tafel, an ſeiner Seite ſitzend, nicht eben das freundlichſte Ge¬ ſicht gemacht. Im Laufe des Geſprächs aber ſey ihr an dem Benehmen der übrigen Anweſenden nach und nach beigegangen, daß es der Primas ſey.

Der Fürſt habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬ ſundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬ geſtanden und die Geſundheit Sr. Hoheit ausgebracht.

Heute nach Tiſch war ich einen Augenblick bei Goethe. Er freute ſich des herannahenden Frühlings und der wieder länger werdenden Tage. Dann ſpra¬ chen wir über die Farbenlehre. Er ſchien an der Mög¬ lichkeit zu zweifeln, ſeiner einfachen Theorie Bahn zu machen. Die Irrthümer meiner Gegner, ſagte er, ſind ſeit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet, als daß ich auf meinem einſamen Wege hoffen könnte, noch dieſen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde allein bleiben! Ich komme mir oft vor wie ein Mann in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur einen Einzigen zu tragen im Stande iſt. Dieſer Eine rettet ſich, während alle Uebrigen jämmerlich erſaufen.

291

Der heutige Tag war für Weimar ein Tag der Trauer; die Großherzogin Luiſe ſtarb dieſen Mittag halb zwei Uhr. Die regierende Frau Großherzogin befahl mir, bei Fräulein v. Waldner und Goethe in Ihrem Namen einen Condolenzbeſuch zu machen.

Ich ging zuerſt zu Fräulein v. Waldner. Ich fand ſie in Thränen und tiefer Betrübniß, und ſich ganz dem Gefühl ihres erlittenen Verluſtes überlaſſend. Ich war, ſagte ſie, ſeit länger als fünfzig Jahren im Dienſt der verewigten Fürſtin. Sie hatte mich ſelbſt zu ihrer Ehrendame erwählt, und dieſe freie Wahl ihrerſeits war mein Stolz und mein Glück. Ich habe mein Va¬ terland verlaſſen, um ihrem Dienſte zu leben. Hätte ſie mich doch auch jetzt mit ſich genommen, damit ich nicht nach einer Wiedervereinigung mit ihr ſo lange zu ſeufzen brauchte!

Ich ging darauf zu Goethe. Aber wie ganz anders waren die Zuſtände bei ihm! Er fühlte den ihn betroffenen Verluſt gewiß nicht weniger tief; allein er ſchien ſeiner Empfindungen auf alle Weiſe Herr bleiben zu wollen. Ich fand ihn noch mit einem guten Freunde bei Tiſche ſitzen und eine Flaſche Wein trinken. Er ſprach lebhaft und ſchien überall in ſehr heiterer Stim¬ mung. Wohlan! ſagte er, als er mich ſah, kommen Sie her, nehmen Sie Platz! Der Schlag, der uns lange gedroht, hat endlich getroffen, und wir haben19*292wenigſtens nicht mehr mit der grauſamen Ungewißheit zu kämpfen. Wir müſſen nun ſehen, wie wir uns mit dem Leben wieder zurecht ſetzen.

Dort ſind ihre Tröſter, ſagte ich, indem ich auf ſeine Papiere zeigte. Die Arbeit iſt ein treffliches Mittel, uns in Leiden wieder emporzurichten.

So lange es Tag iſt, erwiederte Goethe, wollen wir den Kopf ſchon oben halten, und ſo lange wir noch hervorbringen können, werden wir nicht nachlaſſen.

Er ſprach darauf über Perſonen, die ein hohes Alter erreicht, und erwähnte auch die berühmte Ninon. Noch in ihrem neunzigſten Jahre, ſagte er, war ſie jung; aber ſie verſtand es auch, ſich im Gleichgewicht zu erhalten, und machte ſich aus den irdiſchen Dingen nicht mehr als billig. Selbſt der Tod konnte ihr keinen übermäßigen Reſpect einflößen. Als ſie in ih¬ rem achtzehnten Jahre von einer ſchweren Krankheit genas und die Umſtehenden ihr die Gefahr ſchilderten, in der ſie geſchwebt, ſagte ſie ganz ruhig: Was wäre es denn weiter geweſen! Hätte ich doch lauter Sterb¬ liche zurückgelaſſen! Sie lebte darauf noch über ſiebenzig Jahre, liebenswürdig und geliebt, und alle Freuden des Lebens genießend; aber bei dieſem ihr eigenthümlichen Gleichmuth ſich ſtets über jeder ver¬ zehrenden Leidenſchaftlichkeit erhaben haltend. Ninon verſtand es! Es giebt Wenige, die ihr es nachthun.

Er reichte mir ſodann einen Brief des Königs von293 Baiern, den er heute erhalten hatte und der zu ſeiner heiteren Stimmung wahrſcheinlich nicht wenig beige¬ tragen. Leſen Sie, ſagte er, und geſtehen Sie, daß das Wohlwollen, das der König mir fortwährend be¬ wahrt, und das lebhafte Intereſſe, das er an den Fortſchritten der Literatur und höheren menſchlichen Entwickelung nimmt, durchaus geeignet iſt, mir Freude zu machen. Und daß ich dieſen Brief gerade heute er¬ hielt, dafür danke ich dem Himmel, als für eine beſon¬ dere Gunſt.

Wir ſprachen darauf über das Theater und drama¬ tiſche Poeſie. Gozzi, ſagte Goethe, wollte behaupten, daß es nur ſechs und dreißig tragiſche Situationen gebe. Schiller gab ſich alle Mühe, noch mehrere zu finden; allein er fand nicht einmal ſo viele als Gozzi.

Dieß führte auf einen Artikel des Globe, und zwar auf eine kritiſche Beleuchtung des Guſtav Waſa von Arnault. Die Art und Weiſe, wie der Recenſent ſich dabei benommen, machte Goethen viel Vergnügen und fand ſeinen vollkommenen Beifall. Der Beurthei¬ lende hatte ſich nämlich damit begnügt, alle Remi¬ niscenzen des Autors namhaft zu machen, ohne ihn ſelber und ſeine poetiſchen Grundſätze weiter anzu¬ greifen. Der Temps, fügte Goethe hinzu, hat ſich in ſeiner Kritik nicht ſo weiſe benommen. Er maßt ſich an, dem Dichter den Weg vorſchreiben zu wollen, den er hätte gehen müſſen. Dieß iſt ein großer Fehler;294 denn damit erreicht man nicht, ihn zu beſſern. Es giebt überhaupt nichts Dümmeres, als einem Dichter zu ſagen: Dieß hätteſt Du müſſen ſo machen und dieſes ſo! Ich ſpreche als alter Kenner. Man wird aus einem Dichter nie etwas Anderes machen, als was die Natur in ihn gelegt hat. Wollt ihr ihn zwingen, ein Anderer zu ſeyn, ſo werdet ihr ihn vernichten.

Meine Freunde, die Herren vom Globe, wie ge¬ ſagt, machen es ſehr klug. Sie drucken eine lange Liſte aller Gemeinplätze, die der Herr Arnault aus allen Ecken und Enden her geliehen hat. Und indem ſie dieſes thun, deuten ſie ſehr geſchickt die Klippe an, vor welcher der Autor ſich künftig zu hüten hat. Es iſt faſt unmöglich, heutzutage noch eine Situation zu finden, die durchaus neu wäre. Bloß die Anſchauungs¬ weiſe und die Kunſt, ſie zu behandeln und darzuſtellen, kann neu ſeyn, und hiebei muß man um ſo mehr vor jeder Nachahmung ſich in Acht nehmen.

Goethe erzählte uns darauf die Art und Weiſe, wie Gozzi ſein Theater del Arte zu Venedig einge¬ richtet hatte und wie ſeine improviſirende Truppe be¬ liebt geweſen. Ich habe, ſagte er, zu Venedig noch zwei Actricen jener Truppe geſehen, beſonders die Brighella, und habe noch mehreren ſolcher improviſirten Stücke mit beigewohnt. Die Wirkung die dieſe Leute hervorbrachten war außerordentlich.

Goethe ſprach ſodann über den Neapolitaner Pulci¬295 nell. Ein Hauptſpaß dieſer niedrig-comiſchen Perſonage, ſagte er, beſtand darin, daß er zuweilen auf der Bühne ſeine Rolle als Schauſpieler auf einmal ganz zu ver¬ geſſen ſchien. Er that, als wäre er wieder nach Hauſe gekommen, ſprach vertraulich mit ſeiner Familie, erzählte von dem Stücke, in welchem er geſpielt, und von einem anderen, worin er noch ſpielen ſolle; auch genirte er ſich nicht, kleinen Naturbedürfniſſen ungehinderte Frei¬ heit zu laſſen. Aber, lieber Mann, rief ihm ſodann ſeine Frau zu, Du ſcheinſt Dich ja ganz zu vergeſſen; bedenke doch die werthe Verſammlung, vor welcher Du Dich befindeſt! E vero! E vero! erwiederte darauf Pulcinell, ſich wieder beſinnend, und kehrte unter gro¬ ßem Applaus der Zuſchauer in ſein voriges Spiel zurück. Das Theater des Pulcinell iſt übrigens von ſolchem Ruf, daß Niemand in guter Geſellſchaft ſich rühmt, darin geweſen zu ſeyn. Frauen, wie man den¬ ken kann, gehen überall nicht hin, es wird nur von Männern beſucht.

Der Pulcinell iſt in der Regel eine Art lebendige Zeitung. Alles, was den Tag über ſich in Neapel Auffallendes zugetragen hat, kann man Abends von ihm hören. Dieſe Localintereſſen, verbunden mit dem niedern Volksdialekt, machen es jedoch dem Fremden faſt unmöglich, ihn zu verſtehen.

Goethe lenkte das Geſpräch auf andere Erinnerun¬ gen ſeiner früheren Zeit. Er ſprach über ſein geringes296 Vertrauen zum Papiergelde und welche Erfahrungen er in dieſer Art gemacht. Als Beſtätigung erzählte er uns eine Anekdote von Grimm, und zwar aus der Zeit der franzöſiſchen Revolution, wo dieſer, es in Paris nicht mehr für ſicher haltend, wieder nach Deutſch¬ land zurückgekehrt war und in Gotha lebte.

Wir waren, ſagte Goethe, eines Tages bei Grimm zu Tiſche. Ich weiß nicht mehr wie das Geſpräch es herbeiführte, genug, Grimm rief mit einemmale: Ich wette, daß kein Monarch in Europa ein Paar ſo koſt¬ bare Handmanſchetten beſitzt als ich, und daß Keiner dafür einen ſo hohen Preis bezahlt hat als ich es habe. Es läßt ſich denken, daß wir ein lautes ungläubiges Erſtaunen ausdrückten, beſonders die Da¬ men, und daß wir Alle ſehr neugierig waren, ein Paar ſo wunderbare Handmanſchetten zu ſehen. Grimm ſtand alſo auf und holte aus ſeinem Schränkchen ein Paar Spitzenmanſchetten von ſo großer Pracht, daß wir Alle in laute Verwunderung ausbrachen. Wir verſuch¬ ten es, ſie zu ſchätzen, konnten ſie jedoch nicht höher halten, als etwa zu hundert bis zweihundert Louisd'or. Grimm lachte und rief: Ihr ſeyd ſehr weit vom Ziele! ich habe ſie mit zweimal hundert und funfzig Tauſend Franken bezahlt, und war noch glücklich, meine Aſſignaten ſo gut angebracht zu haben. Am nächſten Tage galten ſie keinen Groſchen mehr.

297

Ich war dieſen Vormittag einen Augenblick bei Goethe, um mich im Namen der Frau Großherzogin nach ſeinem Befinden zu erkundigen. Ich fand ihn betrübt und gedankenvoll und von der geſtrigen etwas gewaltſamen Aufgeregtheit keine Spur. Er ſchien die Lücke, die der Tod in ein funfzigjähriges freundſchaft¬ liches Verhältniß geriſſen, heute tief zu empfinden. Ich muß mit Gewalt arbeiten, ſagte er, um mich oben zu halten und mich in dieſe plötzliche Trennung zu ſchicken. Der Tod iſt doch etwas ſo Seltſames, daß man ihn, unerachtet aller Erfahrung, bei einem uns theuren Gegenſtande nicht für möglich hält und er immer als etwas Unglaubliches und Unerwartetes ein¬ tritt. Er iſt gewiſſermaßen eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird. Und dieſer Uebergang aus einer uns bekannten Exiſtenz in eine andere, von der wir auch gar nichts wiſſen, iſt etwas ſo Gewalt¬ ſames, daß es für die Zurückbleibenden nicht ohne die tiefſte Erſchütterung abgeht .

Eine nahe Verwandte der Jugendgeliebten Goethe's, Fräulein von Türkheim, war einige Zeit in Weimar. Ich drückte heute gegen Goethe mein Bedauern über ihre Abreiſe aus. Sie iſt ſo jung, ſagte ich, und zeigt eine ſo erhabene Geſinnung und einen ſo reifen Geiſt,298 wie man ihn bei ſolchem Alter ſelten findet. Ihr Er¬ ſcheinen hat überhaupt in Weimar großen Eindruck gemacht. Wäre ſie länger geblieben, ſie hätte für Manchen gefährlich werden können.

Wie ſehr thut es mir leid, erwiederte Goethe, daß ich ſie nicht öfter geſehen und daß ich anfänglich immer verſchoben habe, ſie einzuladen, um mich ungeſtört mit ihr zu unterhalten und die geliebten Züge ihrer Ver¬ wandten in ihr wieder aufzuſuchen.

Der vierte Band von Wahrheit und Dichtung, fuhr er fort, wo Sie die jugendliche Glücks - und Lei¬ dens-Geſchichte meiner Liebe zu Lili erzählt finden werden, iſt ſeit einiger Zeit vollendet. Ich hätte ihn längſt früher geſchrieben und herausgegeben, wenn mich nicht gewiſſe zarte Rückſichten gehindert hätten, und zwar nicht Rückſichten gegen mich ſelber, ſondern gegen die damals noch lebende Geliebte. Ich wäre ſtolz geweſen, es der ganzen Welt zu ſagen, wie ſehr ich ſie geliebt; und ich glaube, ſie wäre nicht erröthet, zu ge¬ ſtehen, daß meine Neigung erwiedert wurde. Aber hatte ich das Recht, es öffentlich zu ſagen, ohne ihre Zuſtimmung? Ich hatte immer die Abſicht, ſie darum zu bitten; doch zögerte ich damit hin, bis es denn endlich nicht mehr nöthig war.

Indem Sie, fuhr Goethe fort, mit ſolchem An¬ theil über das liebenswürdige junge Mädchen reden, das uns jetzt verläßt, erwecken Sie in mir alle meine299 alten Erinnerungen. Ich ſehe die reizende Lili wieder in aller Lebendigkeit vor mir, und es iſt mir, als fühlte ich wieder den Hauch ihrer beglückenden Nähe. Sie war in der That die Erſte, die ich tief und wahr¬ haft liebte. Auch kann ich ſagen, daß ſie die Letzte geweſen; denn alle kleinen Neigungen, die mich in der Folge meines Lebens berührten, waren, mit jener erſten verglichen, nur leicht und oberflächlich.

Ich bin, fuhr Goethe fort, meinem eigentlichen Glücke nie ſo nahe geweſen, als in der Zeit jener Liebe zu Lili. Die Hinderniſſe, die uns auseinander hielten, waren im Grunde nicht unüberſteiglich, und doch ging ſie mir verloren!

Meine Neigung zu ihr hatte etwas ſo Delicates und etwas ſo Eigenthümliches, daß es jetzt, in Dar¬ ſtellung jener ſchmerzlich-glücklichen Epoche, auf meinen Styl Einfluß gehabt hat. Wenn Sie künftig den vier¬ ten Band von Wahrheit und Dichtung leſen, ſo werden Sie finden, daß jene Liebe etwas ganz Anderes iſt, als eine Liebe in Romanen.

Daſſelbige, erwiederte ich, könnte man auch von Ihrer Liebe zu Gretchen und Friederike ſagen. Die Darſtellung von Beiden iſt gleichfalls ſo neu und ori¬ ginell, wie die Romanſchreiber dergleichen nicht erfinden und ausdenken. Es ſcheint dieſes von der großen Wahrhaftigkeit des Erzählers herzurühren, der das Er¬ lebte nicht zu bemänteln geſucht, um es zu größerem300 Vortheil erſcheinen zu laſſen, und der jede empfindſame Phraſe vermieden, wo ſchon die einfache Darlegung der Ereigniſſe genügte.

Auch iſt die Liebe ſelbſt, fügte ich hinzu, ſich nie¬ mals gleich; ſie iſt ſtets original und modificirt ſich ſtets nach dem Charakter und der Perſönlichkeit derje¬ nigen, die wir lieben.

Sie haben vollkommen Recht, erwiederte Goethe; denn nicht bloß wir ſind die Liebe, ſondern es iſt es auch das uns anreizende liebe Object. Und dann, was nicht zu vergeſſen, kommt als ein mächtiges Drit¬ tes noch das Dämoniſche hinzu, das jede Leidenſchaft zu begleiten pflegt und das in der Liebe ſein eigent¬ liches Element findet. In meinem Verhältniß zu Lili war es beſonders wirkſam; es gab meinem ganzen Le¬ ben eine andere Richtung und ich ſage nicht zuviel, wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar und mein jetziges Hierſeyn davon eine unmittelbare Folge war.

Goethe lieſt ſeit einiger Zeit die Memoiren von St. Simon.

Mit dem Tode von Ludwig dem Vierzehnten, ſagte er mir vor einigen Tagen, habe ich jetzt Halt gemacht. Bis dahin hat mich das Dutzend Bände im hohen Grade intereſſirt, und zwar durch den Contraſt der Willens¬301 richtungen des Herrn und der ariſtocratiſchen Tugend des Dieners. Aber von dem Augenblick an, wo jener Monarch abgeht und eine andere Perſonage auftritt, die zu ſchlecht iſt, als daß St. Simon ſich zu ſeinem Vortheil neben ihr ausnehmen könnte, machte die Lec¬ türe mir keine Freude mehr; der Widerwille trat ein, und ich verließ das Buch da, wo mich der Tyran verließ.

Auch den Globe und Temps, den Goethe ſeit meh¬ reren Monaten mit dem größten Eifer las, hat er ſeit etwa vierzehn Tagen zu leſen aufgehört. Sowie die Nummern bei ihm unter Kreuzband ankommen, legt er ſie uneröffnet bei Seite. Indeß bittet er ſeine Freunde, ihm zu erzählen was in der Welt vorgeht. Er iſt ſeit einiger Zeit ſehr productiv und ganz vertieft im zwei¬ ten Theile ſeines Fauſt. Beſonders iſt es die claſſiſche Walpurgisnacht, die ihn ſeit einigen Wochen ganz hin¬ nimmt und die dadurch auch raſch und bedeutend heran¬ wächſt. In ſolchen durchaus productiven Epochen liebt Goethe die Lectüre überhaupt nicht, es wäre denn, daß ſie als etwas Leichtes und Heiteres ihm als ein wohl¬ thätiges Ausruhen diente, oder auch, daß ſie mit dem Gegenſtande, den er eben unter Händen hat, in Harmonie ſtände und dazu behülflich wäre. Er meidet ſie dagegen ganz entſchieden, wenn ſie ſo bedeutend und aufregend wirkte, daß ſie ſeine ruhige Production ſtö¬ ren und ſein thätiges Intereſſe zerſplittern und ab¬302 lenken könnte. Das Letztere ſcheint jetzt mit dem Globe und Temps der Fall zu ſeyn. Ich ſehe, ſagte er, es bereiten ſich in Paris bedeutende Dinge vor; wir ſind am Vorabend einer großen Exploſion. Da ich aber darauf keinen Einfluß habe, ſo will ich es ruhig ab¬ warten, ohne mich von dem ſpannenden Gang des Drama's unnützerweiſe täglich aufregen zu laſſen. Ich leſe jetzt ſo wenig den Globe, als den Temps, und meine Walpurgisnacht rückt dabei gar nicht ſchlecht vorwärts.

Er ſprach darauf über den Zuſtand der neueſten franzöſiſchen Literatur, die ihn ſehr intereſſirt. Was die Franzoſen, ſagte er, bei ihrer jetzigen literariſchen Richtung für etwas Neues halten, iſt im Grunde wei¬ ter nichts, als der Wiederſchein desjenigen, was die deutſche Literatur ſeit funfzig Jahren gewollt und ge¬ worden. Der Keim der hiſtoriſchen Stücke, die bei ihnen jetzt etwas Neues ſind, findet ſich ſchon ſeit einem halben Jahrhundert in meinem Götz. Uebrigens, fügte er hinzu, haben die deutſchen Schriftſteller niemals daran gedacht und nie in der Abſicht geſchrieben, auf die Franzoſen einen Einfluß ausüben zu wollen. Ich ſelbſt habe immer nur mein Deutſchland vor Augen gehabt, und es iſt erſt ſeit geſtern oder ehegeſtern, daß es mir einfällt, meine Blicke weſtwärts zu wenden, um auch zu ſehen, wie unſere Nachbarn jenſeits des Rhei¬ nes von mir denken. Aber auch jetzt haben ſie auf303 meine Productionen keinen Einfluß. Selbſt Wieland, der die franzöſiſchen Formen und Darſtellungsweiſen nachgeahmt, iſt im Grunde immer deutſch geblieben und würde ſich in einer Uebertragung ſchlecht ausnehmen.

Abends bei Goethe. Er zeigte mir alle jetzt geord¬ neten Schätze der Kiſte von David, mit deren Aus¬ packung ich ihn vor einigen Tagen beſchäftigt fand. Die Gyps-Medaillons mit den Profilen der vorzüg¬ lichſten jungen Dichter Frankreichs hatte er in großer Ordnung auf Tiſchen nebeneinander gelegt. Er ſprach dabei abermals über das außerordentliche Talent Da¬ vid's, das ebenſogroß ſey in der Auffaſſung, als in der Ausführung. Auch zeigte er mir eine Menge der neueſten Werke, die ihm, durch die Vermittelung Da¬ vid's, von den ausgezeichnetſten Talenten der roman¬ tiſchen Schule als Autor-Geſchenke verehrt worden. Ich ſah Werke von St. Beuve, Ballanche, Victor Hugo, Balzac, Alfred de Vigny, Jules Janin, und Anderen. David, ſagte er, hat mir durch dieſe Sendung ſchöne Tage bereitet. Die jungen Dichter beſchäftigen mich nun ſchon die ganze Woche und gewähren mir durch die friſchen Eindrücke, die ich von ihnen empfange, ein neues Leben. Ich werde über die mir ſehr lieben Por¬ traits und Bücher einen eigenen Catalog machen und beiden in meiner Kunſtſammlung und Bibliothek einen304 beſonderen Platz geben. Man ſah es Goethen an, daß dieſe Huldigung der jungen Dichter Frankreichs ihn innerlichſt beglückte.

Er las darauf Einiges in den Studien von Camille Deschamps. Die Ueberſetzung der Braut von Corinth lobte er, als treu und ſehr gelungen. Ich beſitze, ſagte er, das Manuſcript einer italieni¬ ſchen Ueberſetzung dieſes Gedichts, welches das Original bis zum Rythmus wiedergiebt.

Die Braut von Corinth gab Goethen Anlaß, auch von ſeinen übrigen Balladen zu reden. Ich verdanke ſie größtentheils Schillern, ſagte er, der mich dazu trieb, weil er immer etwas Neues für ſeine Horen brauchte. Ich hatte ſie alle ſchon ſeit vielen Jahren im Kopf, ſie beſchäftigten meinen Geiſt als anmuthige Bilder, als ſchöne Träume, die kamen und gingen und womit die Phantaſie mich ſpielend beglückte. Ich entſchloß mich ungern dazu, dieſen mir ſeit ſo lange befreundeten glänzenden Erſcheinungen ein Lebewohl zu ſagen, indem ich ihnen durch das ungenügende dürftige Wort einen Körper verlieh. Als ſie auf dem Papiere ſtanden, be¬ trachtete ich ſie mit einem Gemiſch von Wehmuth; es war mir, als ſollte ich mich auf immer von einem ge¬ liebten Freunde trennen.

Zu anderen Zeiten, fuhr Goethe fort, ging es mir mit meinen Gedichten gänzlich anders. Ich hatte da¬ von vorher durchaus keine Eindrücke und keine Ahnung,305 ſondern ſie kamen plötzlich über mich und wollten augenblicklich gemacht ſeyn, ſo daß ich ſie auf der Stelle inſtinktmäßig und traumartig niederzuſchreiben mich getrieben fühlte. In ſolchem nachtwandleriſchen Zuſtande geſchah es oft, daß ich einen ganz ſchief lie¬ genden Papierbogen vor mir hatte, und daß ich dieſes erſt bemerkte, wenn Alles geſchrieben war, oder wenn ich zum Weiterſchreiben keinen Platz fand. Ich habe mehrere ſolcher in der Diagonale geſchriebenen Blätter beſeſſen; ſie ſind mir jedoch nach und nach abhanden gekommen, ſo daß es mir leid thut, keine Proben ſol¬ cher poetiſchen Vertiefung mehr vorzeigen zu können.

Das Geſpräch lenkte ſich ſodann auf die franzöſiſche Literatur zurück, und zwar auf die allerneueſte ultra¬ romantiſche Richtung einiger nicht unbedeutenden Ta¬ lente. Goethe war der Meinung, daß dieſe im Werden begriffene poetiſche Revolution der Literatur ſelber im hohen Grade günſtig, den einzelnen Schriftſtellern aber, die ſie bewirken, nachtheilig ſey.

Bei keiner Revolution, ſagte er, ſind die Extreme zu vermeiden. Bei der politiſchen will man anfänglich ge¬ wöhnlich nichts weiter als die Abſtellung von allerlei Mißbräuchen; aber ehe man es ſich verſieht, ſteckt man tief in Blutvergießen und Gräueln. So wollten auch die Franzoſen bei ihrer jetzigen literariſchen Umwälzung anfänglich nichts weiter als eine freiere Form; aber dabei bleiben ſie jetzt nicht ſtehen, ſondern ſie verwerfenIII. 20306neben der Form auch den bisherigen Inhalt. Die Darſtellung edler Geſinnungen und Thaten fängt man an für langweilig zu erklären, und man verſucht ſich in Behandlung von allerlei Verruchtheiten. An die Stelle des ſchönen Inhalts griechiſcher Mythologie tre¬ ten Teufel, Hexen und Vampyre, und die erhabenen Helden der Vorzeit müſſen Gaunern und Galeeren¬ ſklaven Platz machen. Dergleichen iſt pikant! das wirkt! Nachdem aber das Publicum dieſe ſtark ge¬ pfefferte Speiſe einmal gekoſtet und ſich daran gewöhnt hat, wird es nur immer nach Mehrerem und Stärkerem begierig. Ein junges Talent, das wirken und aner¬ kannt ſeyn will, und nicht groß genug iſt, auf eigenem Wege zu gehen, muß ſich dem Geſchmack des Tages bequemen, ja es muß ſeine Vorgänger im Schreck - und Schauerlichen noch zu überbieten ſuchen. In dieſem Jagen nach äußeren Effectmitteln aber wird jedes tie¬ fere Studium und jedes ſtufenweiſe gründliche Ent¬ wickeln des Talentes und Menſchen von Innen heraus ganz außer Acht gelaſſen. Das iſt aber der größte Schaden, der dem Talent begegnen kann, wiewohl die Literatur im Allgemeinen bei dieſer augenblicklichen Richtung gewinnen wird.

Wie kann aber, verſetzte ich, ein Beſtreben, das die einzelnen Talente zu Grunde richtet, der Literatur im Allgemeinen günſtig ſeyn?

Die Extreme und Auswüchſe, die ich bezeichnet307 habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬ ſchwinden; aber zuletzt wird der ſehr große Vortheil bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen reicheren, verſchiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben und man keinen Gegenſtand der breiteſten Welt und des mannigfaltigſten Lebens als unpoetiſch mehr wird ausſchließen. Ich vergleiche die jetzige literariſche Epoche dem Zuſtande eines heftigen Fiebers, das zwar an ſich nicht gut und wünſchenswerth iſt, aber eine beſſere Geſundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬ tiſchen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬ thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald mit deſto größerem Verlangen wieder hervorſuchen.

Es iſt mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬ rimée, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die abſcheulichen Gegenſtände ſeiner Guzla gleichfalls jene ultra-romantiſche Bahn betreten hat.

Merimée, erwiederte Goethe, hat dieſe Dinge ganz anders tractirt als ſeine Mitgeſellen. Es fehlt freilich dieſen Gedichten nicht an allerlei ſchauerlichen Motiven von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Geſpenſtern und Vampyren; allein alle dieſe Widerwärtigkeiten be¬ rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt ſie vielmehr aus einer gewiſſen objectiven Ferne und gleich¬ ſam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie20*308ein Künſtler, dem es Spaß macht, auch einmal ſo et¬ was zu verſuchen. Er hat ſein eigenes Innere, wie geſagt, dabei gänzlich verläugnet, ja er hat dabei ſo¬ gar den Franzoſen verläugnet, und zwar ſo ſehr, daß man dieſe Gedichte der Guzla anfänglich für wirklich illyriſche Volksgedichte gehalten und alſo nur wenig gefehlt hat, daß ihm die beabſichtigte Myſtification ge¬ lungen wäre.

Merimée, fuhr Goethe fort, iſt freilich ein ganzer Kerl! wie denn überhaupt zum objectiven Behandeln eines Gegenſtandes mehr Kraft und Genie gehört, als man denkt. So hat auch Byron, trotz ſeiner ſtark vorwaltenden Perſönlichkeit, zuweilen die Kraft gehabt ſich gänzlich zu verläugnen, wie dies an einigen ſeiner dramatiſchen Sachen, und beſonders an ſeinem Marino Faliero, zu ſehen. Bei dieſem Stück vergißt man ganz, daß Byron, ja daß ein Engländer es geſchrieben. Wir leben darin ganz und gar zu Venedig, und ganz und gar in der Zeit, in der die Handlung vorgeht. Die Perſonen reden ganz aus ſich ſelber und aus ihrem eigenen Zuſtande heraus, ohne etwas von ſubjectiven Gefühlen, Gedanken und Meinungen des Dichters an ſich zu haben. Das iſt die rechte Art! Von unſern jungen franzöſiſchen Romantikern der übertriebenen Sorte iſt das freilich nicht zu rühmen. Was ich auch von ihnen geleſen: Gedichte, Romane, dramatiſche Ar¬ beiten, es trug Alles die perſönliche Farbe des Autors,309 und es machte mich nie vergeſſen, daß ein Pariſer, daß ein Franzoſe es geſchrieben; ja ſelbſt bei behandelten ausländiſchen Stoffen blieb man doch immer in Frank¬ reich und Paris, durchaus befangen in allen Wünſchen, Bedürfniſſen, Conflicten und Gährungen des augen¬ blicklichen Tages.

Auch Béranger, warf ich verſuchend ein, hat nur Zuſtände der großen Hauptſtadt und nur ſein eigenes Innere ausgeſprochen.

Das iſt auch ein Menſch danach, erwiederte Goethe, deſſen Darſtellung und deſſen Inneres etwas werth iſt. Bei ihm findet ſich der Gehalt einer bedeutenden Per¬ ſönlichkeit. Béranger iſt eine durchaus glücklich begabte Natur, feſt in ſich ſelber begründet, rein aus ſich ſelber entwickelt, und durchaus mit ſich ſelber in Harmonie. Er hat nie gefragt: Was iſt an der Zeit? was wirkt? was gefällt? und was machen die Anderen? damit er es ihnen nachmache. Er hat immer nur aus dem Kern ſeiner eigenen Natur heraus gewirkt, ohne ſich zu be¬ kümmern, was das Publicum, oder was dieſe oder jene Partei erwarte. Er hat freilich in verſchiedenen bedenk¬ lichen Epochen nach den Stimmungen, Wünſchen und Bedürfniſſen des Volkes hingehorcht; allein das hat ihn nur in ſich ſelber befeſtigt, indem es ihm ſagte, daß ſein eigenes Innere mit dem des Volkes in Har¬ monie ſtand; aber es hat ihn nie verleitet, etwas An¬310 deres auszuſprechen, als was bereits in ſeinem eigenen Herzen lebte.

Sie wiſſen, ich bin im Ganzen kein Freund von ſogenannten politiſchen Gedichten; allein ſolche, wie Béranger ſie gemacht hat, laſſe ich mir gefallen. Es iſt bei ihm nichts aus der Luft gegriffen, nichts von bloß imaginirten oder imaginären Intereſſen, er ſchießt nie ins Blaue hinein, vielmehr hat er ſtets die entſchiedenſten und zwar immer bedeutende Gegenſtände. Seine liebende Bewunderung Napoleon's und das Zurück¬ denken an die großen Waffenthaten, die unter ihm ge¬ ſchehen, und zwar zu einer Zeit, wo dieſe Erinnerung den etwas gedrückten Franzoſen ein Troſt war; dann ſein Haß gegen die Herrſchaft der Pfaffen und gegen die Verfinſterung, die mit den Jeſuiten wieder einzu¬ brechen droht: das ſind denn doch Dinge, denen man wohl ſeine völlige Zuſtimmung nicht verſagen kann. Und wie meiſterhaft iſt bei ihm die jedesmalige Be¬ handlung! Wie wälzt und rundet er den Gegenſtand in ſeinem Innern, ehe er ihn ausſpricht! Und dann, wenn Alles reif iſt, welcher Witz, Geiſt, Ironie und Perſiflage, und welche Herzlichkeit, Naivetät und Grazie werden nicht von ihm bei jedem Schritt entfaltet! Seine Lieder haben jahraus jahrein Millionen froher Menſchen gemacht; ſie ſind durchaus mundrecht auch für die arbeitende Claſſe, während ſie ſich über das Niveau des Gewöhnlichen ſo ſehr erheben, daß das311 Volk im Umgange mit dieſen anmuthigen Geiſtern ge¬ wöhnt und genöthigt wird, ſelbſt edler und beſſer zu denken. Was wollen Sie mehr? und was läßt ſich überhaupt Beſſeres von einem Poeten rühmen?

Er iſt vortrefflich! ohne Frage! erwiederte ich. Sie wiſſen ſelbſt, wie ſehr ich ihn ſeit Jahren liebe; auch können Sie denken, wie wohl es mir thut, Sie ſo über ihn reden zu hören. Soll ich aber ſagen, welche von ſeinen Liedern ich vorziehe, ſo gefallen mir denn doch ſeine Liebesgedichte beſſer, als ſeine politiſchen, bei denen mir ohnehin die ſpeziellen Bezüge und An¬ ſpielungen nicht immer deutlich ſind.

Das iſt Ihre Sache! erwiederte Goethe; auch ſind die politiſchen gar nicht für Sie geſchrieben; fra¬ gen Sie aber die Franzoſen, und ſie werden Ihnen ſagen, was daran Gutes iſt. Ein politiſches Gedicht iſt überhaupt im glücklichſten Falle immer nur als Or¬ gan einer einzelnen Nation, und in den meiſten Fällen nur als Organ einer gewiſſen Partei zu betrachten; aber von dieſer Nation und dieſer Partei wird es auch, wenn es gut iſt, mit Enthuſiasmus ergriffen werden. Auch iſt ein politiſches Gedicht immer nur als Product eines gewiſſen Zeitzuſtandes anzuſehen; der aber freilich vorübergeht und dem Gedicht für die Folge denjenigen Werth nimmt, den es vom Gegenſtande hat. Béranger hatte übrigens gut machen! Paris iſt Frankreich. Alle bedeutenden Intereſſen ſeines großen Vaterlandes con¬312 centriren ſich in der Hauptſtadt und haben dort ihr eigentliches Leben und ihren eigentlichen Wiederhall. Auch iſt er in den meiſten ſeiner politiſchen Lieder kei¬ neswegs als bloßes Organ einer einzelnen Partei zu betrachten, vielmehr ſind die Dinge, denen er entgegen¬ wirkt, größtentheils von ſo allgemein nationalem In¬ tereſſe, daß der Dichter faſt immer als große Volks¬ ſtimme vernommen wird. Bei uns in Deutſchland iſt dergleichen nicht möglich. Wir haben keine Stadt, ja wir haben nicht einmal ein Land, von dem wir entſchie¬ den ſagen könnten: Hier iſt Deutſchland! Fragen wir in Wien, ſo heißt es: Hier iſt Oeſtreich! und fra¬ gen wir in Berlin, ſo heißt es: Hier iſt Preußen! Bloß vor ſechszehn Jahren, als wir endlich die Fran¬ zoſen los ſeyn wollten, war Deutſchland überall. Hier hätte ein politiſcher Dichter allgemein wirken kön¬ nen; allein es bedurfte ſeiner nicht! Die allgemeine Noth und das allgemeine Gefühl der Schmach hatte die Nation als etwas Dämoniſches ergriffen; das be¬ geiſternde Feuer, das der Dichter hätte entzünden kön¬ nen, brannte bereits überall von ſelber. Doch will ich nicht läugnen, daß Arndt, Körner und Rückert Einiges gewirkt haben.

Man hat Ihnen vorgeworfen, bemerkte ich etwas unvorſichtig, daß Sie in jener großen Zeit nicht auch die Waffen ergriffen, oder wenigſtens nicht als Dichter eingewirkt haben.

313

Laſſen wir das, mein Guter! erwiederte Goethe. Es iſt eine abſurde Welt, die nicht weiß, was ſie will, und die man muß reden und gewähren laſſen. Wie hätte ich die Waffen ergreifen können ohne Haß! und wie hätte ich haſſen können ohne Jugend! Hätte je¬ nes Ereigniß mich als einen Zwanzigjährigen getroffen, ſo wäre ich ſicher nicht der Letzte geblieben; allein es fand mich als Einen, der bereits über die erſten ſechszig hinaus war.

Auch können wir dem Vaterlande nicht auf gleiche Weiſe dienen, ſondern Jeder thut ſein Beſtes, je nach¬ dem Gott es ihm gegeben. Ich habe es mir ein hal¬ bes Jahrhundert lang ſauer genug werden laſſen. Ich kann ſagen, ich habe in den Dingen, die die Natur mir zum Tagewerk beſtimmt, mir Tag und Nacht keine Ruhe gelaſſen und mir keine Erholung gegönnt, ſondern immer geſtrebt und geforſcht und gethan, ſo gut und ſo viel ich konnte. Wenn Jeder von ſich daſſelbe ſagen kann, ſo wird es um Alle gut ſtehen.

Im Grunde, verſetzte ich begütigend, ſollte Sie jener Vorwurf nicht verdrießen, vielmehr könnten Sie ſich darauf etwas einbilden. Denn was will das anders ſagen, als daß die Meinung der Welt von Ihnen ſo groß iſt, daß ſie verlangen, daß derjenige, der für die Cultur ſeiner Nation mehr gethan, als irgend ein An¬ derer, nun endlich Alles hätte thun ſollen!

Ich mag nicht ſagen, wie ich denke, erwiederte314 Goethe. Es verſteckt ſich hinter jenem Gerede mehr böſer Wille gegen mich, als Sie wiſſen. Ich fühle darin eine neue Form des alten Haſſes, mit dem man mich ſeit Jahren verfolgt und mir im Stillen beizukom¬ men ſucht. Ich weiß recht gut, ich bin Vielen ein Dorn im Auge, ſie wären mich Alle ſehr gerne los; und da man nun an meinem Talent nicht rühren kann, ſo will man an meinen Charakter. Bald ſoll ich ſtolz ſeyn, bald egoiſtiſch, bald voller Neid gegen junge Talente, bald in Sinnenluſt verſunken, bald ohne Chriſtenthum, und nun endlich gar ohne Liebe zu meinem Vaterlande und meinen lieben Deutſchen. Sie kennen mich nun ſeit Jahren hinlänglich, und fühlen, was an alle dem Gerede iſt. Wollen Sie aber wiſſen, was ich gelitten habe, ſo leſen Sie meine Xenien, und es wird Ihnen aus meinen Gegenwirkungen klar werden, womit man mir abwechſelnd das Leben zu verbittern geſucht hat.

Ein deutſcher Schriftſteller, ein deutſcher Märty¬ rer! Ja, mein Guter! Sie werden es nicht anders finden! Und ich ſelbſt kann mich kaum beklagen; es iſt allen Andern nicht beſſer gegangen, den Meiſten ſo¬ gar ſchlechter, und in England und Frankreich ganz wie bei uns. Was hat nicht Molière zu leiden gehabt! und was nicht Rouſſeau und Voltaire! Byron ward durch die böſen Zungen aus England getrieben und würde zuletzt ans Ende der Welt geflohen ſeyn, wenn315 ein früher Tod ihn nicht den Philiſtern und ihrem Haß enthoben hätte.

Und wenn noch die bornirte Maſſe höhere Men¬ ſchen verfolgte! Nein! ein Begabter und ein Ta¬ lent verfolgt das andere; Platen ärgert Heine, und Heine Platen, und Jeder ſucht den Andern ſchlecht und verhaßt zu machen, da doch zu einem friedlichen Hin¬ leben und Hinwirken die Welt groß und weit genug iſt, und Jeder ſchon an ſeinem eigenen Talent einen Feind hat, der ihm hinlänglich zu ſchaffen macht.

Kriegslieder ſchreiben und im Zimmer ſitzen! Das wäre meine Art geweſen! Aus dem Bivouac heraus, wo man Nachts die Pferde der feindlichen Vor¬ poſten wiehern hört: da hätte ich es mir gefallen laſſen! Aber das war nicht mein Leben und nicht meine Sache, ſondern die von Theodor Körner. Ihn kleiden ſeine Kriegslieder auch ganz vollkommen. Bei mir aber, der ich keine kriegeriſche Natur bin und keinen kriegeriſchen Sinn habe, würden Kriegslieder eine Maske geweſen ſeyn, die mir ſehr ſchlecht zu Ge¬ ſicht geſtanden hätte.

Ich habe in meiner Poeſie nie affectirt. Was ich nicht lebte und was mir nicht auf die Nägel brannte und zu ſchaffen machte, habe ich auch nicht gedichtet und ausgeſprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte. Wie hätte ich nun Lieder des Haſſes ſchreiben können ohne Haß! Und, unter uns, ich316 haßte die Franzoſen nicht, wiewohl ich Gott dankte, als wir ſie los waren. Wie hätte auch ich, dem nur Cultur und Barbarei Dinge von Bedeutung ſind, eine Nation haſſen können, die zu den cultivirteſten der Erde gehört und der ich einen ſo großen Theil meiner eigenen Bildung verdankte!

Ueberhaupt, fuhr Goethe fort, iſt es mit dem Na¬ tionalhaß ein eigenes Ding. Auf den unterſten Stu¬ fen der Cultur werden Sie ihn immer am ſtärkſten und heftigſten finden. Es giebt aber eine Stufe, wo er ganz verſchwindet und wo man gewiſſermaßen über den Nationen ſteht, und man ein Glück oder ein Wehe ſeines Nachbarvolkes empfindet, als wäre es dem eige¬ nen begegnet. Dieſe Culturſtufe war meiner Natur gemäß, und ich hatte mich darin lange befeſtigt, ehe ich mein ſechszigſtes Jahr erreicht hatte.

Abends ein Stündchen bei Goethe. Er ſprach viel über Jena und die Einrichtungen und Verbeſſerungen, die er in den verſchiedenen Branchen der Univerſität zu Stande gebracht. Für Chemie, Botanik und Mine¬ ralogie, die früher nur, in ſo weit ſie zur Pharmacie gehörig, behandelt worden, habe er beſondere Lehrſtühle eingeführt. Vor Allem ſey für das naturwiſſenſchaftliche Muſeum und die Bibliothek von ihm manches Gute be¬ wirkt worden.

317

Bei dieſer Gelegenheit erzählte er mir abermals mit vielem Selbſtbehagen und guter Laune die Geſchichte ſeiner gewaltſamen Beſitzergreifung eines an die Biblio¬ thek grenzenden Saales, den die mediciniſche Facultät inne gehabt, aber nicht habe hergeben wollen.

Die Bibliothek, ſagte er, befand ſich in einem ſehr ſchlechten Zuſtande. Das Local war feucht und enge, und bei weitem nicht geeignet, ſeine Schätze gehöriger Weiſe zu faſſen, beſonders ſeit durch den Ankauf der Büttnerſchen Bibliothek von Seiten des Großherzogs abermals 13000 Bände hinzugekommen waren, die in großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie geſagt, an Raum fehlte, ſie gehörig zu placiren. Ich war wirklich dieſerhalb in einiger Noth. Man hätte zu einem neuen Anbau ſchreiten müſſen; allein dazu fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der leer ſtand und ganz geeignet war, allen unſern Bedürf¬ niſſen auf das Herrlichſte abzuhelfen. Allein dieſer Saal war nicht im Beſitz der Bibliothek, ſondern im Gebrauch der Facultät der Mediciner, die ihn mitunter zu ihren Conferenzen benutzten. Ich wendete mich alſo an dieſe Herren mit der ſehr höflichen Bitte: mir dieſen Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber woll¬ ten die Herren ſich nicht verſtehen. Allenfalls ſeyen ſie geneigt, nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck318 ihrer Conferenzen einen neuen Saal wolle bauen laſſen, und zwar ſogleich. Ich erwiederte ihnen, daß ich ſehr bereit ſey, ein anderes Local für ſie herrichten zu laſſen, daß ich aber einen ſofortigen Neubau nicht verſprechen könne. Dieſe meine Antwort ſchien aber den Herren nicht genügt zu haben. Denn als ich am andern Mor¬ gen hinſchickte, um mir den Schlüſſel ausbitten zu laſſen, hieß es: er ſey nicht zu finden!

Da blieb nun weiter nichts zu thun, als erobe¬ rungsweiſe einzuſchreiten. Ich ließ alſo einen Maurer kommen und führte ihn in die Bibliothek vor die Wand des angrenzenden gedachten Saales. Dieſe Mauer, mein Freund, ſagte ich, muß ſehr dick ſeyn, denn ſie trennt zwei verſchiedene Wohnungspartieen. Verſuchet doch einmal und prüfet, wie ſtark ſie iſt. Der Mau¬ rer ſchritt zu Werke, und kaum hatte er fünf bis ſechs herzhafte Schläge gethan, als Kalk und Backſteine fie¬ len und man durch die entſtandene Oeffnung ſchon einige ehrwürdige Perrücken herdurchſchimmern ſah, wo¬ mit man den Saal decorirt hatte. Fahret nur fort, mein Freund, ſagte ich, ich ſehe noch nicht hell genug. Genirt Euch nicht und thut ganz, als ob Ihr zu Hauſe wäret. Dieſe freundliche Ermunterung wirkte auf den Maurer ſo belebend, daß die Oeffnung bald groß ge¬ nug ward, um vollkommen als Thür zu gelten, worauf denn meine Bibliotheksleute in den Saal drangen, Jeder mit einem Arm voll Bücher, die ſie als Zeichen der319 Beſitzergreifung auf den Boden warfen. Bänke, Stühle und Pulte verſchwanden in einem Augenblick, und meine Getreuen hielten ſich ſo raſch und thätig dazu, daß ſchon in wenigen Tagen ſämmtliche Bücher in ihren Repoſituren in ſchönſter Ordnung an den Wänden um¬ herſtanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf durch ihre gewohnte Thür in corpore in den Saal tra¬ ten, waren ganz verblüfft, eine ſo große und unerwar¬ tete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was ſie ſagen ſollten, und zogen ſich ſtill wieder zurück; aber ſie bewahrten mir Alle einen heimlichen Groll. Doch wenn ich ſie einzeln ſehe, und beſonders wenn ich Einen oder den Andern von ihnen bei mir zu Tiſch habe, ſo ſind ſie ganz ſcharmant und meine ſehr lieben Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf dieſes Abenteuers erzählte, das freilich mit ſeinem Einver¬ ſtändniß und ſeiner völligen Zuſtimmung eingeleitet war, amüſirte es ihn königlich, und wir haben ſpäter recht oft darüber gelacht.

Goethe war in ſehr guter Laune und glücklich in dieſen Erinnerungen. Ja, mein Freund, fuhr er fort, man hat ſeine Noth gehabt, um gute Dinge durchzu¬ ſetzen. Später, als ich wegen großer Feuchtigkeit der Bibliothek einen ſchädlichen Theil der ganz nutzloſen alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen laſſen, ging es mir nicht beſſer. Meine Bitten, guten Gründe und vernünftigen Vorſtellungen fanden kein320 Gehör, und ich mußte auch hier endlich eroberungs¬ weiſe zu Werke gehen. Als nun die Herren der Stadt¬ verwaltung meine Arbeiter an ihrer alten Mauer im Werke ſahen, ſchickten ſie eine Deputation an den Gro߬ herzog, der ſich damals in Dornburg aufhielt, mit der ganz unterthänigen Bitte: daß es doch Seiner Hoheit gefallen möge, durch ein Machtwort mir in dem gewalt¬ ſamen Einreißen ihrer alten ehrwürdigen Stadtmauer Einhalt zu thun. Aber der Großherzog, der mich auch zu dieſem Schritt heimlich authoriſirt hatte, antwortete ſehr weiſe: Ich miſche mich nicht in Goethe's Angele¬ genheiten. Er weiß ſchon, was er zu thun hat, und muß ſehen, wie er zurechte kommt. Geht doch hin und ſagt es ihm ſelbſt, wenn Ihr die Courage habt!

Es ließ ſich aber Niemand bei mir blicken, fügte Goethe lachend hinzu; ich fuhr fort, von der alten Mauer niederreißen zu laſſen, was mir im Wege ſtand, und hatte die Freude, meine Bibliothek endlich trocken zu ſehen.

Abends ein paar Stündchen bei Goethe. Ich brachte ihm im Auftrag der Frau Großfürſtin Gemma von Art zurück, und äußerte gegen ihn über dieſes Stück alles Gute, was ich darüber in Gedanken hatte. Ich freue mich immer, erwiederte er, wenn etwas her¬ vorgebracht worden, das in der Erfindung neu iſt und321 überall den Stempel des Talentes trägt. Darauf, indem er den Band zwiſchen beide Hände nahm und ihn ein wenig von der Seite anſah, fügte er hinzu: Aber es will mir nie recht gefallen, wenn ich ſehe, daß dramatiſche Schriftſteller Stücke machen, die durch¬ aus zu lang ſind, um ſo gegeben werden zu können, wie ſie geſchrieben. Dieſe Unvollkommenheit nimmt mir die Hälfte des Vergnügens, das ich ſonſt darüber empfinden würde. Sehen Sie nur, was Gemma von Art für ein dicker Band iſt.

Schiller, erwiederte ich, hat es nicht viel beſſer ge¬ macht, und doch iſt er ein ſehr großer dramatiſcher Schriftſteller.

Auch er hat freilich darin gefehlt, erwiederte Goethe. Beſonders ſeine erſten Stücke, die er in der ganzen Fülle der Jugend ſchrieb, wollen gar kein Ende nehmen. Er hatte zu viel auf dem Herzen und zu viel zu ſagen, als daß er es hätte beherrſchen können. Später, als er ſich dieſes Fehlers bewußt war, gab er ſich unendliche Mühe und ſuchte ihn durch Studium und Arbeit zu überwinden; aber es hat ihm damit nie recht gelingen wollen. Seinen Gegenſtand gehörig be¬ herrſchen und ſich vom Leibe zu halten, und ſich nur auf das durchaus Nothwendige zu concentriren, erfor¬ dert freilich die Kräfte eines poetiſchen Rieſen und iſt ſchwerer als man denkt.

Hofrath Riemer ließ ſich melden und trat herein. III. 21322Ich ſchickte mich an, zu gehen, weil ich wußte, daß es der Abend war, wo Goethe mit Riemer zu arbeiten pflegt. Allein Goethe bat mich, zu bleiben, welches ich denn ſehr gerne that und wodurch ich Zeuge einer Unterhaltung wurde voll Uebermuth, Ironie und me¬ phiſtopheliſcher Laune von Seiten Goethe's.

Da iſt der Sömmering geſtorben, fing Goethe an, kaum elende 75 Jahre alt. Was doch die Menſchen für Lumpe ſind, daß ſie nicht die Courage haben, län¬ ger auszuhalten als das! Da lobe ich mir meinen Freund Bentham, dieſen höchſt radicalen Narren; er hält ſich gut, und doch iſt er noch einige Wochen älter als ich.

Man könnte hinzufügen, erwiederte ich, daß er Ih¬ nen noch in einem andern Punkte gleicht, denn er arbeitet noch immer mit der ganzen Thätigkeit der Jugend.

Das mag ſeyn, erwiederte Goethe; aber wir befin¬ den uns an den beiden entgegengeſetzten Enden der Kette: er will niederreißen, und ich möchte erhalten und aufbauen. In ſeinem Alter ſo radical zu ſeyn, iſt der Gipfel aller Tollheit.

Ich denke, entgegnete ich, man muß zwei Arten von Radicalismus unterſcheiden. Der eine, um künftig aufzubauen, will vorher reine Bahn machen und Alles niederreißen; während der andere ſich begnügt, auf die ſchwachen Partieen und Fehler einer Staatsverwaltung323 hinzudeuten, in Hoffnung das Gute zu erreichen ohne die Anwendung gewaltſamer Mittel. In England ge¬ boren, würden Sie dieſer letzten Art ſicher nicht ent¬ gangen ſeyn.

Wofür halten Sie mich? erwiederte Goethe, der nun ganz die Miene und den Ton ſeines Mephiſto annahm. Ich hätte ſollen Mißbräuchen nachſpüren, und noch obendrein ſie aufdecken und ſie namhaft machen, ich, der ich in England von Mißbräuchen würde gelebt haben? In England geboren, wäre ich ein reicher Herzog geweſen, oder vielmehr ein Bi¬ ſchof mit jährlichen 30,000 Pfund Sterling Einkünfte.

Recht hübſch! erwiederte ich; aber wenn Sie zufällig nicht das große Loos, ſondern eine Niete gezogen hät¬ ten? Es giebt ſo unendlich viele Nieten.

Nicht Jeder, mein Allerbeſter, erwiederte Goethe, iſt für das große Loos gemacht. Glauben Sie denn, daß ich die Sottiſe begangen haben würde, auf eine Niete zu fallen? Ich hätte vor allen Dingen die Partie der 39 Artikel ergriffen; ich hätte ſie nach allen Seiten und Richtungen hin verfochten, beſonders den Artikel 9, der für mich ein Gegenſtand einer ganz be¬ ſondern Aufmerkſamkeit und zärtlichen Hingebung ge¬ weſen ſeyn würde. Ich hätte in Reimen und Proſa ſo lange und ſo viel geheuchelt und gelogen, daß meine 30,000 Pfund jährlich mir nicht hätten entgehen ſollen. Und dann, einmal zu dieſer Höhe gelangt, würde ich21*324nichts unterlaſſen haben, mich oben zu erhalten. Be¬ ſonders würde ich Alles gethan haben, die Nacht der Unwiſſenheit wo möglich noch finſterer zu machen. O wie hätte ich die gute einfältige Maſſe cajoliren wollen, und wie hätte ich die liebe Schuljugend wollen zurichten laſſen, damit ja Niemand hätte wahrnehmen, ja nicht einmal den Muth hätte haben ſollen, zu be¬ merken, daß mein glänzender Zuſtand auf der Baſis der ſchändlichſten Mißbräuche fundirt ſey.

Bei Ihnen, verſetzte ich, hätte man doch wenigſtens den Troſt gehabt, zu denken, daß Sie durch ein vor¬ zügliches Talent zu ſolcher Höhe gelangt. In England aber ſind oft gerade die Dummſten und Unfähigſten im Genuß der höchſten irdiſchen Güter, die ſie keines¬ wegs dem eigenen Verdienſt, ſondern der Protection, dem Zufall und vor Allem der Geburt zu verdanken haben.

Im Grunde, erwiederte Goethe, iſt es gleichviel, ob Einem die glänzenden Güter der Erde durch eigene Eroberung, oder durch Erbſchaft zugefallen. Die erſten Beſitzergreifer waren doch auf jeden Fall Leute von Genie, welche die Unwiſſenheit und Schwäche der An¬ deren ſich zu Nutze machten. Die Welt iſt ſo voller Schwachköpfe und Narren, daß man nicht nöthig hat ſie im Tollhauſe zu ſuchen. Hierbei fällt mir ein, daß der verſtorbene Großherzog, der meinen Wider¬ willen gegen Tollhäuſer kannte, mich durch Liſt und325 Ueberraſchung einſt in ein ſolches einführen wollte. Ich roch aber den Braten noch zeitig genug und ſagte ihm, daß ich keineswegs ein Bedürfniß verſpüre, auch noch diejenigen Narren zu ſehen, die man einſperre, vielmehr ſchon an denen vollkommen genug habe, die frei umhergehen. Ich bin ſehr bereit, ſagte ich, Eurer Hoheit, wenn es ſeyn muß, in die Hölle zu folgen, aber nur nicht in die Tollhäuſer.

O welch ein Spaß würde es für mich ſeyn, die 39 Artikel auf meine Weiſe zu tractiren und die ein¬ fältige Maſſe in Erſtaunen zu ſetzen!

Auch ohne Biſchof zu ſeyn, ſagte ich, könnten Sie ſich dieſes Vergnügen machen.

Nein, erwiederte Goethe, ich werde mich ruhig verhalten; man muß ſehr gut bezahlt ſeyn, um ſo zu lügen. Ohne Ausſicht auf die Biſchofsmütze und meine 30,000 Pfund jährlich könnte ich mich nicht dazu ver¬ ſtehen. Uebrigens habe ich ſchon ein Pröbchen in die¬ ſem Genre abgelegt. Ich habe als ſechszehnjähriger Knabe ein dithyrambiſches Gedicht über die Höllenfahrt Chriſti geſchrieben, das ſogar gedruckt, aber nicht be¬ kannt geworden, und das erſt in dieſen Tagen mir wieder in die Hände kommt. Das Gedicht iſt voll orthodoxer Bornirtheit und wird mir als herrlicher Paß in den Himmel dienen. Nicht wahr Riemer? Sie kennen es.

Nein, Excellenz, erwiederte Riemer, ich kenne es326 nicht. Aber ich erinnere mich, daß Sie im erſten Jahre nach meiner Ankunft ſchwer krank waren und in Ihrem Phantaſiren mit einemmale die ſchönſten Verſe über den¬ ſelbigen Gegenſtand recitirten. Es waren dieß ohne Zweifel Erinnerungen aus jenem Gedicht Ihrer frühen Jugend.

Die Sache iſt ſehr wahrſcheinlich, ſagte Goethe. Es iſt mir ein Fall bekannt, wo ein alter Mann ge¬ ringen Standes, der in den letzten Zügen lag, ganz unerwartet die ſchönſten griechiſchen Sentenzen recitirte. Man war vollkommen überzeugt, daß dieſer Mann kein Wort griechiſch verſtehe, und ſchrie daher Wunder über Wunder; ja die Klugen ſingen ſchon an, aus dieſer Leichtgläubigkeit der Thoren Vortheil zu ziehen, als man unglücklicherweiſe entdeckte, daß jener Alte in ſeiner frühen Jugend war genöthigt worden allerlei griechiſche Sprüche auswendig zu lernen, und zwar in Gegenwart eines Knaben von hoher Familie, den man durch ſein Beiſpiel anzuſpornen trachtete. Er hatte je¬ nes wirklich claſſiſche Griechiſch ganz maſchinenmäßig gelernt, ohne es zu verſtehen, und hatte ſeit fünfzig Jahren nicht wieder daran gedacht, bis endlich in ſei¬ ner letzten Krankheit jener Wortkram mit einemmale wieder anfing ſich zu regen und lebendig zu werden.

Goethe kam darauf mit derſelbigen Malice und Ironie nochmals auf die enorme Beſoldung der eng¬ liſchen hohen Geiſtlichkeit zurück und erzählte ſodann327 ſein Abenteuer mit dem Lord Briſtol, Biſchof von Derby.

Lord Briſtol, ſagte Goethe, kam durch Jena, wünſchte meine Bekanntſchaft zu machen und veranlaßte mich, ihn eines Abends zu beſuchen. Er gefiel ſich darin, gelegentlich grob zu ſeyn; wenn man ihm aber ebenſo grob entgegentrat, ſo war er ganz tractabel. Er wollte mir im Laufe unſeres Geſprächs eine Pre¬ digt über den Werther halten und es mir in's Ge¬ wiſſen ſchieben, daß ich dadurch die Menſchen zum Selbſtmord verleitet habe. Der Werther, ſagte er, iſt ein ganz unmoraliſches, verdammungswürdiges Buch! Halt! rief ich. Wenn Ihr ſo über den armen Wer¬ ther redet, welchen Ton wollt Ihr denn gegen die Großen dieſer Erde anſtimmen, die durch einen einzigen Federzug hundert Tauſend Menſchen in's Feld ſchicken, wovon achtzig Tauſend ſich tödten und ſich gegenſeitig zu Mord, Brand und Plünderung anreizen. Ihr dan¬ ket Gott nach ſolchen Gräueln und ſinget ein Te Deum darauf! Und ferner, wenn Ihr durch Eure Predig¬ ten über die Schrecken der Höllenſtrafen die ſchwachen Seelen Eurer Gemeinden ängſtiget, ſo daß ſie darüber den Verſtand verlieren und ihr armſeliges Daſeyn zu¬ letzt in einem Tollhauſe endigen! Oder wenn Ihr durch manche Eurer orthodoxen, vor der Vernunft un¬ haltbaren Lehrſätze in die Gemüther Eurer chriſtlichen Zuhörer die verderbliche Saat des Zweifels ſäet, ſo328 daß dieſe halb ſtarken, halb ſchwachen Seelen in einem Labyrinth ſich verlieren, aus dem für ſie kein Ausweg iſt, als der Tod! Was ſagt Ihr da zu Euch ſelber, und welche Strafrede haltet Ihr Euch da? Und nun wollt Ihr einen Schriftſteller zur Rechenſchaft zie¬ hen und ein Werk verdammen, das, durch einige be¬ ſchränkte Geiſter falſch aufgefaßt, die Welt höchſtens von einem Dutzend Dummköpfen und Taugenichtſen befreit hat, die gar nichts Beſſeres thun konnten, als den ſchwachen Reſt ihres Bißchen Lichtes vollends aus¬ zublaſen. Ich dachte, ich hätte der Menſchheit einen wirklichen Dienſt geleiſtet und ihren Dank verdient, und nun kommt Ihr und wollt mir dieſe gute kleine Waffenthat zum Verbrechen machen, während Ihr An¬ deren, Ihr Prieſter und Fürſten, Euch ſo Großes und Starkes erlaubt!

Dieſer Ausfall that auf meinen Biſchof eine herr¬ liche Wirkung. Er ward ſo ſanft, wie ein Lamm, und benahm ſich von nun an gegen mich in unſerer weite¬ ren Unterhaltung mit der größten Höflichkeit und dem feinſten Tact. Ich verlebte darauf mit ihm einen ſehr guten Abend. Denn Lord Briſtol, ſo grob er ſeyn konnte, war ein Mann von Geiſt und Welt, und durch¬ aus fähig, in die verſchiedenartigſten Gegenſtände ein¬ zugehen. Bei meinem Abſchied gab er mir das Geleit und ließ darauf durch ſeinen Abbé die Honneurs fort¬ ſetzen. Als ich mit dieſem auf die Straße gelangt war,329 rief er mir zu: O Herr von Goethe! wie vortrefflich haben Sie geſprochen, und wie haben Sie dem Lord gefallen und das Geheimniß verſtanden, den Weg zu ſeinem Herzen zu finden. Mit etwas weniger Derbheit und Entſchiedenheit würden Sie von Ihrem Beſuch ſicher nicht ſo zufrieden nach Hauſe gehen, wie Sie es jetzt thun.

Sie haben wegen Ihres Werther allerlei zu ertra¬ gen gehabt, bemerkte ich. Ihr Abenteuer mit Lord Briſtol erinnert mich an Ihre Unterredung mit Napo¬ leon über dieſen Gegenſtand. War nicht auch Talley¬ rand dabei?

Er war zugegen, erwiederte Goethe. Ich hatte mich jedoch über Napoleon nicht zu beklagen. Er war äußerſt liebenswürdig gegen mich und tractirte den Gegenſtand wie es ſich von einem ſo grandioſen Geiſte erwarten ließ.

Vom Werther lenkte ſich das Geſpräch auf Romane und Schauſpiele im Allgemeinen und ihre moraliſche oder unmoraliſche Wirkung auf das Publicum. Es müßte ſchlimm zugehen, ſagte Goethe, wenn ein Buch unmoraliſcher wirken ſollte, als das Leben ſelber, das täglich der ſkandalöſen Scenen im Ueberfluß, wo nicht vor unſeren Augen, doch vor unſeren Ohren entwickelt. Selbſt bei Kindern braucht man wegen der Wirkungen eines Buches oder Theaterſtückes keineswegs ſo ängſt¬330 lich zu ſeyn. Daß tägliche Leben iſt, wie geſagt, lehr¬ reicher, als das wirkſamſte Buch.

Aber doch, bemerkte ich, ſucht man ſich bei Kindern in Acht zu nehmen, daß man in ihrer Gegenwart nicht Dinge ſpricht, welche zu hören wir für ſie nicht gut halten.

Das iſt recht löblich, erwiederte Goethe, und ich thue es ſelbſt nicht anders; allein ich halte dieſe Vor¬ ſicht durchaus für unnütz. Die Kinder haben, wie die Hunde, einen ſo ſcharfen und feinen Geruch, daß ſie Alles entdecken und auswittern, und das Schlimme vor allem Anderen. Sie wiſſen auch immer ganz ge¬ nau, wie dieſer oder jener Hausfreund zu ihren Eltern ſteht, und da ſie nun in der Regel noch keine Verſtel¬ lung üben, ſo können ſie uns als die trefflichſten Ba¬ rometer dienen, um an ihnen den Grad unſerer Gunſt oder Ungunſt bei den Ihrigen wahrzunehmen.

Man hatte einſt in der Geſellſchaft ſchlecht von mir geſprochen, und zwar erſchien die Sache für mich von ſolcher Bedeutung, daß mir ſehr viel daran liegen mußte, zu erfahren, woher der Schlag kam. Im All¬ gemeinen war man hier überaus wohlwollend gegen mich geſinnt; ich dachte hin und her und konnte gar nicht herausbringen, von wem jenes gehäſſige Gerede könne ausgegangen ſeyn. Mit einemmale bekomme ich Licht. Es begegneten mir nämlich eines Tages in der Straße einige kleine Knaben meiner Bekanntſchaft, die331 mich nicht grüßten, wie ſie ſonſt zu thun pflegten. Dieß war mir genug, und ich entdeckte auf dieſer Fährte ſehr bald, daß es ihre lieben Eltern waren, die ihre Zungen auf meine Koſten auf eine ſo arge Weiſe in Bewegung geſetzt hatten.

Abends einige Augenblicke bei Goethe. Er ſchien ſehr ruhig und heiter und in der mildeſten Stimmung. Ich fand ihn umgeben von ſeinem Enkel Wolf und Gräfin Caroline Egloffſtein, ſeiner intimen Freundin. Wolf machte ſeinem lieben Großvater viel zu ſchaffen. Er kletterte auf ihm herum und ſaß bald auf der einen Schulter und bald auf der andern. Goethe erduldete Alles mit der größten Zärtlichkeit, ſo unbequem das Gewicht des zehnjährigen Knaben ſeinem Alter auch ſeyn mochte. Aber, lieber Wolf, ſagte die Gräfin, plage doch Deinen guten Großvater nicht ſo entſetzlich! er muß ja von Deiner Laſt ganz ermüdet werden. Das hat gar nichts zu ſagen, erwiederte Wolf; wir gehen bald zu Bette, und da wird der Großvater Zeit haben, ſich von dieſer Fatigue ganz vollkommen wieder auszuruhen. Sie ſehen, nahm Goethe das Wort, daß die Liebe immer ein wenig impertinenter Natur iſt.

Das Geſpräch wendete ſich auf Campe und deſſen Kinderſchriften. Ich bin mit Campe, ſagte Goethe, nur zweimal in meinem Leben zuſammengetroffen. Nach332 einem Zwiſchenraum von vierzig Jahren ſah ich ihn zuletzt in Carlsbad. Ich fand ihn damals ſehr alt, dürr, ſteif und abgemeſſen. Er hatte ſein ganzes Le¬ benlang nur für Kinder geſchrieben; ich dagegen gar nichts für Kinder, ja nicht einmal für große Kinder von zwanzig Jahren. Auch konnte er mich nicht aus¬ ſtehen. Ich war ihm ein Dorn im Auge, ein Stein des Anſtoßes, und er that Alles, um mich zu vermei¬ den. Doch führte das Geſchick mich eines Tages ganz unerwartet an ſeine Seite, ſo daß er nicht umhin konnte, einige Worte an mich zu wenden. Ich habe, ſagte er, vor den Fähigkeiten Ihres Geiſtes allen Re¬ ſpect! Sie haben in verſchiedenen Fächern eine erſtaun¬ liche Höhe erreicht. Aber, ſehen Sie! das ſind Alles Dinge, die mich nichts angehen und auf die ich gar nicht den Werth legen kann, den andere Leute darauf legen. Dieſe etwas ungalante Freimüthigkeit ver¬ droß mich keineswegs und ich ſagte ihm dagegen aller¬ lei Verbindliches. Auch halte ich in der That ein großes Stück auf Campe. Er hat den Kindern un¬ glaubliche Dienſte geleiſtet; er iſt ihr Entzücken und ſo zu ſagen ihr Evangelium. Bloß wegen zwei oder drei ganz ſchrecklicher Geſchichten, die er nicht bloß die Ungeſchicklichkeit gehabt hat zu ſchreiben, ſondern auch in ſeine Sammlung für Kinder mit aufzunehmen, möchte ich ihn ein wenig gezüchtigt ſehen. Warum ſoll man die heitere, friſche, unſchuldige Phantaſie der Kinder ſo333 ganz unnöthigerweiſe mit den Eindrücken ſolcher Gräuel belaſten!

Es iſt bekannt, daß Goethe kein Freund von Bril¬ len iſt.

Es mag eine Wunderlichkeit von mir ſeyn, ſagte er mir bei wiederholten Anläſſen, aber ich kann es einmal nicht überwinden. Sowie ein Fremder mit der Brille auf der Naſe zu mir hereintritt, kommt ſogleich eine Verſtimmung über mich, der ich nicht Herr werden kann. Es genirt mich ſo ſehr, daß es einen großen Theil meines Wohlwollens ſogleich auf der Schwelle hinwegnimmt und meine Gedanken ſo verdirbt, daß an eine unbefangene natürliche Entwickelung meines eige¬ nen Innern nicht mehr zu denken iſt. Es macht mir immer den Eindruck des Desobligeanten, ungefähr ſo, als wollte ein Fremder mir bei der erſten Begrüßung ſogleich eine Grobheit ſagen. Ich empfinde dieſes noch ſtärker, nachdem ich ſeit Jahren es habe drucken laſſen, wie fatal mir die Brillen ſind. Kommt nun ein Fremder mit der Brille, ſo denke ich gleich: er hat deine neueſten Gedichte nicht geleſen! und das iſt ſchon ein wenig zu ſeinem Nachtheil; oder er hat ſie geleſen, er kennt deine Eigenheit und ſetzt ſich darüber hinaus, und das iſt noch ſchlimmer. Der einzige Menſch, bei dem die Brille mich nicht genirt, iſt Zelter; bei allen334 Anderen iſt ſie mir fatal. Es kommt mir immer vor, als ſollte ich den Fremden zum Gegenſtand genauer Unterſuchung dienen, und als wollten ſie durch ihre gewaffneten Blicke in mein geheimſtes Innere dringen und jedes Fältchen meines alten Geſichtes erſpähen. Während ſie aber ſo meine Bekanntſchaft zu machen ſuchen, ſtören ſie alle billige Gleichheit zwiſchen uns, indem ſie mich hindern, zu meiner Entſchädigung auch die ihrige zu machen. Denn was habe ich von einem Menſchen, dem ich bei ſeinen mündlichen Aeußerungen nicht ins Auge ſehen kann und deſſen Seelenſpiegel durch ein paar Gläſer, die mich blenden, verſchleiert iſt!

Es hat Jemand bemerken wollen, verſetzte ich, daß das Brillentragen die Menſchen dünkelhaft mache, in¬ dem die Brille ſie auf eine Stufe ſinnlicher Vollkom¬ menheit hebe, die weit über das Vermögen ihrer eige¬ nen Natur erhaben, wodurch denn zuletzt ſich die Täu¬ ſchung bei ihnen einſchleiche, daß dieſe künſtliche Höhe die Kraft ihrer eigenen Natur ſey.

Die Bemerkung iſt ſehr artig, erwiederte Goethe, ſie ſcheint von einem Naturforſcher herzurühren. Doch genau beſehen, iſt ſie nicht haltbar. Denn wäre es wirklich ſo, ſo müßten ja alle Blinden ſehr beſcheidene Menſchen ſeyn, dagegen alle mit trefflichen Augen be¬ gabten dünkelhaft. Dieß iſt aber durchaus nicht ſo; vielmehr finden wir, daß alle geiſtig wie körperlich durchaus naturkräftig ausgeſtatteten Menſchen in der335 Regel die beſcheidenſten ſind, dagegen alle beſonders geiſtig Verfehlten weit eher einbilderiſcher Art. Es ſcheint, daß die gütige Natur allen denen, die bei ihr in höherer Hinſicht zu kurz gekommen ſind, die Ein¬ bildung und den Dünkel als verſöhnendes Ausgleichungs - und Ergänzungsmittel gegeben hat.

Uebrigens ſind Beſcheidenheit und Dünkel ſittliche Dinge ſo geiſtiger Art, daß ſie wenig mit dem Körper zu ſchaffen haben. Bei Bornirten und geiſtig Dunkeln findet ſich der Dünkel; bei geiſtig Klaren und Hochbe¬ gabten aber findet er ſich nie. Bei ſolchen findet ſich höchſtens ein freudiges Gefühl ihrer Kraft; da aber dieſe Kraft wirklich iſt, ſo iſt dieſes Gefühl alles An¬ dere, aber kein Dünkel.

Wir unterhielten uns noch über verſchiedene andere Gegenſtände und kamen zuletzt auch auf das Chaos , dieſer von Frau v. Goethe geleiteten Weimar'ſchen Zeit¬ ſchrift, woran nicht bloß hieſige deutſche Herren und Damen, ſondern vorzüglich auch die hier ſich aufhal¬ tenden jungen Engländer, Franzoſen und andere Fremd¬ linge Theil nehmen, ſo daß denn faſt jede Nummer ein Gemiſch faſt aller bekannteſten Europäiſchen Spra¬ chen darbietet.

Es iſt doch hübſch von meiner Tochter, ſagte Goethe, und man muß ſie loben und es ihr Dank wiſſen, daß ſie das höchſt originelle Journal zu Stande ge¬ bracht und die einzelnen Mitglieder unſerer Geſellſchaft336 ſo in Anregung zu erhalten weiß, daß es doch nun bald ein Jahr beſteht. Es iſt freilich nur ein dilet¬ tantiſcher Spaß, und ich weiß recht gut, daß nichts Großes und Dauerhaftes dabei herauskommt; allein es iſt doch artig und gewiſſermaßen ein Spiegel der geiſtigen Höhe unſerer jetzigen Weimar'ſchen Geſell¬ ſchaft. Und dann, was die Hauptſache iſt, es giebt unſe¬ ren jungen Herren und Damen, die oft gar nicht wiſſen, was ſie mit ſich anfangen ſollen, etwas zu thun; auch haben ſie dadurch einen geiſtigen Mittelpunkt, der ihnen Gegenſtände der Beſprechung und Unterhaltung bietet und ſie alſo gegen den ganz nichtigen und hohlen Klatſch ſchützet. Ich leſe jedes Blatt, ſo wie es friſch aus der Preſſe kommt, und kann ſagen, daß mir im Ganzen noch nichts Ungeſchicktes vorgekommen iſt, vielmehr mitunter ſogar einiges recht Hübſche. Was wollen Sie z. B. gegen die Elegie der Frau von Bechtolsheim auf den Tod der Frau Großherzogin Mutter einwenden? Iſt das Gedicht nicht ſehr artig? Das Einzige, was ſich gegen dieſes, ſowie gegen das Meiſte unſerer jungen Damen und Herren ſagen ließe, wäre etwa, daß ſie, gleich zu ſaftreichen Bäumen, die eine Menge Schmarotzer-Schößlinge treiben, einen Ueber¬ fluß von Gedanken und Empfindungen haben, deren ſie nicht Herr ſind, ſo daß ſie ſich ſelten zu beſchrän¬ ken und da aufzuhören wiſſen, wo es gut wäre. Die¬ ſes iſt auch der Frau v. Bechtolsheim paſſirt. Um337 einen Reim zu bewahren, hatte ſie einen anderen Vers hinzugefügt, der dem Gedicht durchaus zum Nachtheil gereichte, ja es gewiſſermaßen verdarb. Ich ſah dieſen Fehler im Manuſcript und konnte ihn noch zeitig ge¬ nug ausmerzen. Man muß ein alter Praktikus ſeyn, fügte er lachend hinzu, um das Streichen zu verſtehen. Schiller war hierin beſonders groß. Ich ſah ihn ein¬ mal bei Gelegenheit ſeines Muſenalmanachs ein pom¬ pöſes Gedicht von zwei und zwanzig Strophen auf ſieben reduciren, und zwar hatte das Product durch dieſe furchtbare Operation keineswegs verloren, vielmehr enthielten dieſe ſieben Strophen noch alle gu¬ ten und wirkſamen Gedanken jener zwei und zwanzig.

Goethe erzählte mir von dem Beſuch zweier Ruſſen, die heute bei ihm geweſen. Es waren im Ganzen recht hübſche Leute, ſagte er; aber der Eine zeigte ſich mir nicht eben liebenswürdig, indem er während der ganzen Viſite kein einziges Wort hervorbrachte. Er kam mit einer ſtummen Verbeugung herein, öffnete während ſeiner Anweſenheit nicht die Lippen, und nahm nach einem halben Stündchen mit einer ſtummen Ver¬ beugung wieder Abſchied. Er ſchien bloß gekommen zu ſeyn, mich anzuſehen und zu beobachten. Er ließ, während ich ihnen gegenüber ſaß, ſeine Blicke nicht von mir. Das ennüyirte mich; weßhalb ich denn an¬III. 22338fing das tolleſte Zeug hin und her zu ſchwatzen, ſo wie es mir gerade in den Kopf fuhr. Ich glaube, ich hatte die vereinigten Staaten von Nordamerika mir zum Thema genommen, das ich auf die leichtſinnigſte Weiſe behandelte und davon ſagte, was ich wußte und was ich nicht wußte, immer gerade in den Tag hinein. Das ſchien aber meinen beiden Fremden eben recht zu ſeyn, denn ſie verließen mich, dem Anſcheine nach, durch¬ aus nicht unzufrieden.

Bei Goethe zu Tiſch. Frau v. Goethe war gegen¬ wärtig und die Unterhaltung angenehm belebt; doch iſt mir davon wenig oder nichts geblieben.

Während der Tafel ließ ein durchreiſender Fremder ſich melden, mit dem Bemerken, daß er keine Zeit habe ſich aufzuhalten und morgen früh wieder abreiſen müſſe. Goethe ließ ihm ſagen, daß er ſehr bedauere, heute Niemanden ſehen zu können; vielleicht aber morgen Mittag. Ich denke, fügte er lächelnd hinzu, das wird genug ſeyn. Zu gleicher Zeit aber verſprach er ſeiner Tochter, daß er den Beſuch des von ihr empfohlenen jungen Henning nach Tiſch erwarten wolle, und zwar in Rückſicht ſeiner braunen Augen, die denen ſeiner Mutter gleichen ſollten.

339

Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬ hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark, welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬ ſprach.

Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn Geboten! rief er lebhaft, glaubt Ihr denn, daß es eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz ordinären Armen hätte begnügen können?

Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen Spaß machte.

Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬ tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu Goethe. Nun? rief er mir entgegen, was denken Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen Thüren!

22*340

Eine furchtbare Geſchichte! erwiederte ich. Aber was ließ ſich bei den bekannten Zuſtänden und bei einem ſolchen Miniſterium Anderes erwarten, als daß man mit der Vertreibung der bisherigen Königlichen Familie endigen würde.

Wir ſcheinen uns nicht zu verſtehen, mein Aller¬ beſter, erwiederte Goethe. Ich rede gar nicht von je¬ nen Leuten; es handelt ſich bei mir um ganz andere Dinge! Ich rede von dem in der Academie zum öffentlichen Ausbruch gekommenen, für die Wiſſenſchaft ſo höchſt bedeutenden Streit zwiſchen Cüvier und Geoffroy de Saint-Hilaire!

Dieſe Aeußerung Goethe's war mir ſo unerwartet, daß ich nicht wußte was ich ſagen ſollte, und daß ich während einiger Minuten einen völligen Stillſtand in meinen Gedanken verſpürte.

Die Sache iſt von der höchſten Bedeutung, fuhr Goethe fort, und Sie können ſich keinen Begriff machen, was ich bei der Nachricht von der Sitzung des 19. Juli empfinde. Wir haben jetzt an Geoffroy de Saint - Hilaire einen mächtigen Alliirten auf die Dauer. Ich ſehe aber zugleich daraus, wie groß die Theilnahme der franzöſiſchen wiſſenſchaftlichen Welt an dieſer Ange¬ legenheit ſeyn muß, indem, trotz der furchtbaren poli¬ tiſchen Aufregung, die Sitzung des 19. Juli dennoch bei einem gefüllten Hauſe ſtattfand. Das Beſte aber iſt, daß die von Geoffroy in Frankreich einge¬341 führte ſynthetiſche Behandlungsweiſe der Natur jetzt nicht mehr rückgängig zu machen iſt. Die Angelegen¬ heit iſt durch die freien Discuſſionen in der Academie, und zwar in Gegenwart eines großen Publicums, jetzt öffentlich geworden, ſie läßt ſich nicht mehr an geheime Ausſchüſſe verweiſen und bei geſchloſſenen Thüren ab¬ thun und unterdrücken. Von nun an wird auch in Frankreich bei der Naturforſchung der Geiſt herrſchen und über die Materie Herr ſeyn. Man wird Blicke in große Schöpfungsmaximen thun, in die geheimni߬ volle Werkſtatt Gottes! Was iſt auch im Grunde aller Verkehr mit der Natur, wenn wir auf analytiſchem Wege bloß mit einzelnen materiellen Theilen uns zu ſchaffen machen, und wir nicht das Athmen des Geiſtes empfinden, der jedem Theile die Richtung vorſchreibt und jede Ausſchweifung durch ein inwohnendes Geſetz bändigt oder ſanctionirt!

Ich habe mich ſeit funfzig Jahren in dieſer großen Angelegenheit abgemüht; anfänglich einſam, dann unter¬ ſtützt, und zuletzt zu meiner großen Freude überragt durch verwandte Geiſter. Als ich mein erſtes Aperçü vom Zwiſchenknochen an Peter Camper ſchickte, ward ich zu meiner innigſten Betrübniß völlig ignorirt. Mit Blumenbach ging es mir nicht beſſer, obgleich er, nach perſönlichem Verkehr, auf meine Seite trat. Dann aber gewann ich Gleichgeſinnte an Sömmering, Oken, Dalton, Carus und anderen gleich trefflichen Män¬342 nern. Jetzt iſt nun auch Geoffroy de Saint-Hilaire entſchieden auf unſerer Seite und mit ihm alle ſeine bedeutenden Schüler und Anhänger Frankreichs. Die¬ ſes Ereigniß iſt für mich von ganz unglaublichem Werth, und ich jubele mit Recht über den endlich erlebten allgemeinen Sieg einer Sache, der ich mein Leben gewidmet habe und die ganz vorzüglich auch die meinige iſt.

Ich empfahl Goethen einen hoffnungsvollen jungen Menſchen. Er verſprach, etwas für ihn zu thun, doch ſchien er wenig Vertrauen zu haben.

Wer wie ich, ſagte er, ein ganzes Leben lang koſtbare Zeit und Geld mit der Protection junger Ta¬ lente verloren hat, und zwar Talente, die anfänglich die höchſten Hoffnungen erweckten, aus denen aber am Ende gar nichts geworden iſt, dem muß wohl der Enthuſiasmus und die Luſt, in ſolcher Richtung zu wirken, nach und nach vergehen. Es iſt nun an euch jüngeren Leuten, den Mäcen zu ſpielen und meine Rolle zu übernehmen.

Ich verglich bei dieſer Aeußerung Goethe's die täuſchenden Verſprechungen der Jugend mit Bäumen, die doppelte Blüthen, aber keine Früchte tragen.

343

Goethe zeigte mir Tabellen, wohinein er in latei¬ niſcher und deutſcher Sprache viele Namen von Pflan¬ zen geſchrieben hatte, um ſie auswendig zu lernen. Er ſagte mir, daß er ein Zimmer gehabt, das ganz mit ſolchen Tabellen austapezirt geweſen, und worin er, an den Wänden umhergehend, ſtudirt und gelernt habe. Es thut mir leid, fügte er hinzu, daß es ſpäter über¬ weißt worden. Auch hatte ich ein anderes, das mit chronologiſchen Notizen meiner Arbeiten während einer langen Reihe von Jahren beſchrieben war und worauf ich das Neueſte immer nachtrug. Auch dieſes iſt leider übertüncht worden, welches ich nicht wenig bedauere, indem es mir gerade jetzt herrliche Dienſte thun könnte.

Ein Stündchen bei Goethe, um mit ihm im Auf¬ trag der Frau Großherzogin wegen eines ſilbernen Wappenſchildes Rückſprache zu nehmen, das der Prinz der hieſigen Armbruſtſchützen-Geſellſchaft verehren ſoll, deren Mitglied er geworden.

Unſere Unterhaltung wendete ſich bald auf andere Dinge, und Goethe bat mich, ihm meine Meinung über die Saint-Simoniſten zu ſagen.

Die Hauptrichtung ihrer Lehre, erwiederte ich, ſcheint dahin zu gehen, daß Jeder für das Glück des344 Ganzen arbeiten ſolle, als unerläßliche Bedingung ſeines eigenen Glückes.

Ich dächte, erwiederte Goethe, Jeder müſſe bei ſich ſelber anfangen und zunächſt ſein eigenes Glück machen, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entſtehen wird. Uebrigens erſcheint jene Lehre mir durchaus unpraktiſch und unausführbar. Sie widerſpricht aller Natur, aller Erfahrung, und allem Gang der Dinge ſeit Jahrtauſenden. Wenn Jeder nur als Einzelner ſeine Pflicht thut und Jeder nur in dem Kreiſe ſeines nächſten Berufes brav und tüchtig iſt, ſo wird es um das Wohl des Ganzen gut ſtehen. Ich habe in mei¬ nem Beruf als Schriftſteller nie gefragt: was will die große Maſſe und wie nütze ich dem Ganzen? ſondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich ſelbſt einſich¬ tiger und beſſer zu machen, den Gehalt meiner eigenen Perſönlichkeit zu ſteigern, und dann immer nur aus¬ zuſprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte. Dieſes hat freilich, wie ich nicht läugnen will, in einem großen Kreiſe gewirkt und genützt; aber dies war nicht Zweck, ſondern ganz nothwendige Folge, wie ſie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte ſtatt¬ findet. Hätte ich als Schriftſteller die Wünſche des großen Haufens mir zum Ziel machen und dieſe zu befriedigen trachten wollen, ſo hätte ich ihnen Hiſtör¬ chen erzählen und ſie zum Beſten haben müſſen, wie der ſelige Kotzebue gethan.

345

Dagegen iſt nichts zu ſagen, erwiederte ich. Es giebt aber nicht bloß ein Glück, was ich als einzelnes Individuum, ſondern auch ein ſolches, was ich als Staatsbürger und Mitglied einer großen Geſammtheit genieße. Wenn man nun die Erreichung des möglich¬ ſten Glückes für ein ganzes Volk nicht zum Princip macht, von welcher Baſis ſoll da die Geſetzgebung ausgehen!

Wenn Sie da hinaus wollen, erwiederte Goethe, ſo habe ich freilich gar nichts einzuwenden. In ſolchem Falle könnten aber nur ſehr wenige Auserwählten von Ihrem Princip Gebrauch machen. Es wäre nur ein Recept für Fürſten und Geſetzgeber; wiewohl es mir auch da ſcheinen will, als ob die Geſetze mehr trachten müßten, die Maſſe der Uebel zu vermindern, als ſich anmaßen zu wollen, die Maſſe des Glückes herbeizu¬ führen.

Beides, entgegnete ich, würde wohl ziemlich auf Eins hinauskommen. Schlechte Wege erſcheinen mir z. B. als ein großes Uebel. Wenn aber der Fürſt in ſeinem Staate, bis auf die letzte Dorfgemeinde, gute Wege einführt, ſo iſt nicht bloß ein großes Uebel ge¬ hoben, ſondern zugleich für ſein Volk ein großes Glück erreicht. Ferner iſt eine langſame Juſtiz ein großes Unglück. Wenn aber der Fürſt durch Anordnung eines öffentlichen mündlichen Verfahrens ſeinem Volke eine346 raſche Juſtiz gewährt, ſo iſt abermals nicht bloß ein großes Uebel beſeitigt, ſondern abermals ein großes Glück da.

Aus dieſem Tone, fiel Goethe ein, wollte ich Euch noch ganz andere Lieder pfeifen. Aber wir wollen noch einige Uebel unangedeutet laſſen, damit der Menſchheit etwas bleibe, woran ſie ihre Kräfte ferner entwickele. Meine Hauptlehre aber iſt vorläufig dieſe: Der Vater ſorge für ſein Haus, der Handwerker für ſeine Kunden, der Geiſtliche für gegenſeitige Liebe, und die Polizei ſtöre die Freude nicht.

Ich durchblätterte mit Goethe einige Hefte Zeich¬ nungen meines Freundes Töpfer in Genf, deſſen Talent als Schriftſteller, wie als bildender Künſtler, gleich groß iſt, der es aber bis jetzt vorzuziehen ſcheint, die lebendigen Anſchauungen ſeines Geiſtes durch ſicht¬ bare Geſtalten, ſtatt durch flüchtige Worte, auszudrücken. Das Heft, welches in leichten Federzeichnungen die Abenteuer des Doctor Feſtus enthielt, machte voll¬ kommen den Eindruck eines komiſchen Romans und ge¬ fiel Goethen ganz beſonders. Es iſt wirklich zu toll! rief er von Zeit zu Zeit, indem er ein Blatt nach dem andern umwendete; es funkelt Alles von Talent und Geiſt! Einige Blätter ſind ganz unübertrefflich! Wenn er künftig einen weniger frivolen Gegenſtand wählte347 und ſich noch ein Bißchen mehr zuſammennähme, ſo würde er Dinge machen, die über alle Begriffe wären.

Man hat ihn mit Rabelais vergleichen und ihm vorwerfen wollen, bemerkte ich, daß er Jenen nachge¬ ahmt und von ihm Ideen entlehnt habe.

Die Leute wiſſen nicht, was ſie wollen, erwiederte Goethe. Ich finde durchaus nichts von dergleichen. Töpfer ſcheint mir im Gegentheil ganz auf eigenen Füßen zu ſtehen, und ſo durchaus originell zu ſeyn, wie mir nur je ein Talent vorgekommen.

Ich fand Coudray bei Goethe in Betrachtung architektoniſcher Zeichnungen. Ich hatte ein Fünf-Fran¬ ken-Stück von 1830 mit dem Bildniß Carl's des Zehn¬ ten bei mir, das ich vorzeigte. Goethe ſcherzte über den zugeſpitzten Kopf. Das Organ der Religioſität erſcheint bei ihm ſehr entwickelt, bemerkte er. Ohne Zweifel hat er aus übergroßer Frömmigkeit nicht für nöthig gehalten, ſeine Schuld zu bezahlen; dagegen ſind wir ſehr tief in die ſeinige gerathen, indem wir es ſeinem Genieſtreich verdanken, daß man jetzt in Europa ſo bald nicht wieder zur Ruhe kommen wird.

Wir ſprachen darauf über Rouge et Noir , welches Goethe für das beſte Werk von Stendhal hält. Doch kann ich nicht läugnen, fügte er hinzu, daß ei¬ nige ſeiner Frauen-Charaktere ein wenig zu romantiſch348 ſind. Indeſſen zeugen ſie alle von großer Beobachtung und pſychologiſchem Tiefblick, ſo daß man denn dem Autor einige Unwahrſcheinlichkeiten des Details gerne verzeihen mag.

Mit dem Prinzen bei Goethe. Seine Enkel amü¬ ſirten ſich mit Taſchenſpieler-Kunſtſtückchen, worin be¬ ſonders Walther geübt iſt. Ich habe nichts dawider, ſagte Goethe, daß die Knaben ihre müßigen Stunden mit ſolchen Thorheiten ausfüllen. Es iſt, beſonders in Gegenwart eines kleinen Publicums, ein herrliches Mit¬ tel zur Uebung in freier Rede und Erlangung einiger körperlichen und geiſtigen Gewandtheit, woran wir Deutſchen ohnehin keinen Ueberfluß haben. Der Nach¬ theil allenfalls entſtehender kleiner Eitelkeit wird durch ſolchen Gewinn vollkommen aufgewogen.

Auch ſorgen ſchon die Zuſchauer für die Dämpfung ſolcher Regungen, bemerkte ich, indem ſie dem kleinen Künſtler gewöhnlich ſehr ſcharf auf die Finger ſehen und ſchadenfroh genug ſind, ſeine Fehlgriffe zu ver¬ höhnen, und ſeine kleinen Geheimniſſe zu ſeinem Ver¬ druß öffentlich aufzudecken.

Es geht Ihnen wie den Schauſpielern, verſetzte Goethe, die heute gerufen und morgen gepfiffen wer¬ den, wodurch denn Alles im ſchönſten Gleiſe bleibt.

349

Dieſen Mittag ein halbes Stündchen bei Goethe. Ich hatte ihm die Nachricht zu bringen, daß die Frau Großherzogin beſchloſſen habe, der Direction des hie¬ ſigen Theaters ein Geſchenk von tauſend Thalern zu¬ ſtellen zu laſſen, um zur Ausbildung hoffnungsvoller junger Talente verwandt zu werden. Dieſe Nachricht machte Goethen, dem das fernere Gedeihen des Thea¬ ters am Herzen liegt, ſichtbare Freude.

Sodann hatte ich einen Auftrag anderer Art mit ihm zu bereden. Es iſt nämlich die Abſicht der Frau Großherzogin, den jetzigen beſten deutſchen Schriftſteller, inſofern er ohne Amt und Vermögen wäre und bloß von den Früchten ſeines Talentes leben müßte, nach Weimar berufen zu laſſen und ihm hier eine ſorgenfreie Lage zu bereiten, dergeſtalt, daß er die gehörige Muße fände, jedes ſeiner Werke zu möglichſter Vollendung heranreifen zu laſſen, und nicht in den traurigen Fall käme, aus Noth flüchtig und übereilt zu arbeiten, zum Nachtheil ſeines eigenen Talents und der Literatur.

Die Intention der Frau Großherzogin, erwiederte Goethe, iſt wahrhaft Fürſtlich, und ich beuge mich vor ihrer edlen Geſinnung; allein es wird ſehr ſchwer hal¬ ten, irgend eine paſſende Wahl zu treffen. Die vor¬ züglichſten unſerer jetzigen Talente ſind bereits durch Anſtellung im Staatsdienſt, Penſionen, oder eigenes Vermögen, in einer ſorgenfreien Lage. Auch paßt nicht350 Jeder hierher und nicht Jedem wäre wirklich damit ge¬ holfen. Ich werde indeß die edle Abſicht im Auge be¬ halten und ſehen, was die nächſten Jahre uns etwa Gutes bringen.

Goethe war in der letzten Zeit abermals ſehr un¬ wohl, ſo daß er nur ſeine vertrauteſten Freunde bei ſich ſehen konnte. Vor einigen Wochen mußte ihm ein Aderlaß verordnet werden; dann zeigten ſich Beſchwer¬ den und Schmerzen im rechten Beine, bis denn zuletzt ſein inneres Uebel durch eine Wunde am Fuße ſich Luft machte, worauf ſehr ſchnelle Beſſerung erfolgte. Auch dieſe Wunde iſt nun ſeit einigen Tagen wieder heil und er iſt wieder heiter und graziös wie vorher.

Heute hatte die Frau Großherzogin ihm einen Be¬ ſuch gemacht und kam ſehr zufrieden von ihm zurück. Sie hatte nach ſeinem Befinden gefragt; worauf er denn ſehr galant geantwortet, daß er bis heute ſeine Geneſung noch nicht geſpürt, daß aber Ihre Gegenwart ihm das Glück der wiedererlangten Geſundheit auf's Neue empfinden laſſe.

Soirée beim Prinzen. Einer der älteren anweſen¬ den Herren, der ſich noch mancher Dinge aus den erſten351 Jahren von Goethe's Hierſeyn erinnerte, erzählte uns folgendes ſehr Charakteriſtiſche.

Ich war dabei, ſagte er, als Goethe im Jahre 1784 ſeine bekannte Rede bei der feierlichen Eröffnung des Ilmenauer Bergwerks hielt, wozu er alle Beamten und Intereſſenten aus der Stadt und Umgegend ein¬ geladen hatte. Er ſchien ſeine Rede gut im Kopfe zu haben, denn er ſprach eine Zeit lang ohne allen An¬ ſtoß und vollkommen geläufig. Mit einemmal aber ſchien er wie von ſeinem guten Geiſt gänzlich verlaſſen, der Faden ſeiner Gedanken war wie abgeſchnitten und er ſchien den Ueberblick des ferner zu Sagenden gänz¬ lich verloren zu haben. Dieß hätte jeden Andern in große Verlegenheit geſetzt; ihn aber keineswegs. Er blickte vielmehr, wenigſtens zehn Minuten lang, feſt und ruhig in dem Kreiſe ſeiner zahlreichen Zuhörer umher, die durch die Macht ſeiner Perſönlichkeit wie gebannt waren, ſo daß während der ſehr langen, ja faſt lächerlichen Pauſe Jeder vollkommen ruhig blieb. Endlich ſchien er wieder Herr ſeines Gegenſtandes ge¬ worden zu ſeyn, er fuhr in ſeiner Rede fort und führte ſie ſehr geſchickt ohne Anſtoß bis zu Ende, und zwar ſo frei und heiter, als ob gar nichts paſſirt wäre.

Dieſen Nachmittag ein halbes Stündchen bei Goethe, den ich noch bei Tiſch fand.

352

Wir verhandelten über einige Gegenſtände der Na¬ turwiſſenſchaft, beſonders über die Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit der Sprache, wodurch Irrthümer und falſche Anſchauungen verbreitet würden, die ſpäter ſo leicht nicht wieder zu überwinden wären.

Die Sache iſt ganz einfach dieſe, ſagte Goethe. Alle Sprachen ſind aus nahe liegenden menſchlichen Bedürfniſſen, menſchlichen Beſchäftigungen und allge¬ mein menſchlichen Empfindungen und Anſchauungen entſtanden. Wenn nun ein höherer Menſch über das geheime Wirken und Walten der Natur eine Ahnung und Einſicht gewinnt, ſo reicht ſeine ihm überlieferte Sprache nicht hin, um ein ſolches von menſchlichen Dingen durchaus Fernliegende auszudrücken. Es müßte ihm die Sprache der Geiſter zu Gebote ſtehen, um ſei¬ nen eigenthümlichen Wahrnehmungen zu genügen. Da dieſes aber nicht iſt, ſo muß er bei ſeiner Anſchauung ungewöhnlicher Naturverhältniſſe ſtets nach menſchlichen Ausdrücken greifen, wobei er denn faſt überall zu kurz kommt, ſeinen Gegenſtand herabzieht oder wohl gar verletzt und vernichtet.

Wenn Sie das ſagen, erwiederte ich, der Sie doch Ihren Gegenſtänden jedesmal ſehr ſcharf auf den Leib gehen und, als Feind aller Phraſe, für Ihre höheren Wahrnehmungen ſtets den bezeichnendſten Ausdruck zu finden wiſſen, ſo will das etwas heißen. Ich dächte aber, wir Deutſchen könnten überhaupt noch allenfalls353 zufrieden ſeyn. Unſere Sprache iſt ſo außerordentlich reich, ausgebildet und fortbildungsfähig, daß, wenn wir auch mitunter zu einem Tropus unſere Zuflucht nehmen müſſen, wir doch ziemlich nahe an das eigent¬ lich Auszuſprechende herankommen. Die Franzoſen aber ſtehen gegen uns ſehr im Nachtheil. Bei ihnen wird der Ausdruck eines angeſchauten höheren Natur¬ verhältniſſes durch einen gewöhnlich aus der Technik hergenommenen Tropus ſogleich materiell und gemein, ſo daß er der höheren Anſchauung keineswegs mehr genügt.

Wie ſehr Sie Recht haben, fiel Goethe ein, iſt mir noch neulich bei dem Streit zwiſchen Cüvier und Geoffroy de Saint-Hilaire vorgekommen. Geoffroy de Saint-Hilaire iſt ein Menſch, der wirklich in das geiſtige Walten und Schaffen der Natur eine hohe Einſicht hat; allein ſeine franzöſiſche Sprache, inſofern er ſich herkömm¬ licher Ausdrücke zu bedienen gezwungen iſt, läßt ihn durchaus im Stich. Und zwar nicht bloß bei geheimni߬ voll-geiſtigen, ſondern auch bei ganz ſichtbaren, rein kör¬ perlichen Gegenſtänden und Verhältniſſen. Will er die einzelnen Theile eines organiſchen Weſens ausdrücken, ſo hat er dafür kein anderes Wort, als Materialien, wodurch denn z. B. die Knochen, welche als gleichartige Theile das organiſche Ganze eines Armes bilden, mit den Steinen, Balken und Brettern, woraus man ein Haus macht, auf eine Stufe des Ausdrucks kommen.

III. 23354

Ebenſo ungehörig, fuhr Goethe fort, gebrauchen die Franzoſen, wenn ſie von Erzeugniſſen der Natur reden, den Ausdruck Compoſition. Ich kann aber wohl die einzelnen Theile einer ſtückweiſe gemachten Maſchine zuſammenſetzen und bei einem ſolchen Gegen¬ ſtande von Compoſition reden, aber nicht, wenn ich die einzelnen lebendig ſich bildenden und von einer ge¬ meinſamen Seele durchdrungenen Theile eines organi¬ ſchen Ganzen im Sinne habe.

Es will mir ſogar ſcheinen, verſetzte ich, als ob der Ausdruck Compoſition auch bei echten Erzeugniſſen der Kunſt und Poeſie ungehörig und herabwürdigend wäre.

Es iſt ein ganz niederträchtiges Wort, erwiederte Goethe, das wir den Franzoſen zu danken haben, und das wir ſobald wie möglich wieder loszuwerden ſuchen ſollten. Wie kann man ſagen, Mozart habe ſeinen Don Juan componirt! Compoſition! Als ob es ein Stück Kuchen oder Biscuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zuſammenrührt! Eine geiſtige Schö¬ pfung iſt es, das Einzelne wie das Ganze aus einem Geiſte und Guß und von dem Hauche eines Lebens durchdrungen, wobei der Producirende keineswegs ver¬ ſuchte und ſtückelte und nach Willkür verfuhr, ſondern wo¬ bei der dämoniſche Geiſt ſeines Genies ihn in der Gewalt hatte, ſo daß er ausführen mußte, was jener gebot.

355

Wir ſprachen über Victor Hugo. Er iſt ein ſchönes Talent, ſagte Goethe; aber ganz in der unſelig - romantiſchen Richtung ſeiner Zeit befangen, wodurch er denn, neben dem Schönen, auch das Allerunerträglichſte und Häßlichſte darzuſtellen verführt wird. Ich habe in dieſen Tagen ſeine Notre Dame de Paris geleſen und nicht geringe Geduld gebraucht, um die Qualen aus¬ zuſtehen, die dieſe Lectüre mir gemacht hat. Es iſt das abſcheulichſte Buch, das je geſchrieben worden! Auch wird man für die Folterqualen, die man auszuſtehen hat, nicht einmal durch die Freude entſchädigt, die man etwa an der dargeſtellten Wahrheit menſchlicher Natur und menſchlicher Charaktere empfinden könnte. Sein Buch iſt im Gegentheil ohne alle Natur und ohne alle Wahrheit! Seine vorgeführten ſogenannten handelnden Perſonen ſind keine Menſchen mit lebendigem Fleiſch und Blut, ſondern elende hölzerne Puppen, mit denen er umſpringt wie er Belieben hat, und die er allerlei Verzerrungen und Fratzen machen läßt, ſo wie er es für ſeine beabſichtigten Effecte eben braucht. Was iſt das aber für eine Zeit, die ein ſolches Buch nicht allein möglich macht und hervorruft, ſondern es ſogar ganz erträglich und ergötzlich findet!

Ich begleitete mit dem Prinzen Se. Majeſtät den23*356König von Würtemberg zu Goethe. Der König ſchien bei unſerer Zurückkunft ſehr befriedigt und trug mir auf, Goethen für das Vergnügen zu danken, das dieſer Beſuch ihm gemacht habe.

Einen Augenblick bei Goethe, dem ich meine geſtrige Commiſſion des Königs ausrichtete. Ich fand ihn be¬ ſchäftigt in Studien in Bezug auf die Spiral-Tendenz der Pflanze, von welcher neuen Entdeckung er der Mei¬ nung iſt, daß ſie ſehr weit führen und auf die Wiſſen¬ ſchaft großen Einfluß ausüben werde. Es geht doch nichts über die Freude, fügte er hinzu, die uns das Studium der Natur gewährt. Ihre Geheimniſſe ſind von einer unergründlichen Tiefe; aber es iſt uns Men¬ ſchen erlaubt und gegeben, immer weitere Blicke hinein¬ zuthun. Und gerade, daß ſie am Ende doch unergründ¬ lich bleibt, hat für uns einen ewigen Reiz, immer wie¬ der zu ihr heranzugehen und immer wieder neue Ein¬ blicke und neue Entdeckungen zu verſuchen.

Nach Tiſch ein halbes Stündchen bei Goethe, den ich ſehr heiterer, milder Stimmung fand. Wir ſprachen über allerlei Dinge, zuletzt auch über Carlsbad, und er ſcherzte über die mancherlei Herzensabenteuer, die er daſelbſt erlebt. Eine kleine Liebſchaft, ſagte er, iſt das357 Einzige, was uns einen Badeaufenthalt erträglich ma¬ chen kann; ſonſt ſtirbt man vor langer Weile. Auch war ich faſt jedesmal ſo glücklich, dort irgend eine kleine Wahlverwandtſchaft zu finden, die mir während der wenigen Wochen einige Unterhaltung gab. Beſonders erinnere ich mich eines Falles, der mir noch jetzt Ver¬ gnügen macht.

Ich beſuchte nämlich eines Tages Frau von Reck. Nachdem wir uns eine Weile nicht ſonderlich unterhalten und ich wieder Abſchied genommen hatte, begegnete mir im Hinausgehen eine Dame mit zwei ſehr hübſchen jungen Mädchen. Wer war der Herr, der ſoeben von Ihnen ging? fragte die Dame. Es war Goethe, antwortete Frau von Reck. O wie leid thut es mir, erwiederte die Dame, daß er nicht geblieben iſt, und daß ich nicht das Glück gehabt habe, ſeine Bekanntſchaft zu machen! O daran haben Sie durchaus nichts verloren, meine Liebe, ſagte die Reck. Er iſt ſehr langweilig unter Damen, es ſey denn, daß ſie hübſch genug wären, ihm einiges Intereſſe einzu¬ flößen. Frauen unſeres Alters dürfen nicht daran denken, ihn beredt und liebenswürdig zu machen.

Als die beiden Mädchen mit ihrer Mutter nach Hauſe gingen, gedachten ſie der Worte der Frau v. Reck. Wir ſind jung, wir ſind hübſch, ſagten ſie, laßt doch ſehen, ob es uns nicht gelingt, jenen berühmten Wilden einzufangen und zu zähmen! Am anderen358 Morgen auf der Promenade am Sprudel, machten ſie mir im Vorübergehen wiederholt die graziöſeſten, lieb¬ lichſten Verbeugungen, worauf ich denn nicht unter¬ laſſen konnte, mich gelegentlich ihnen zu nähern und ſie anzureden. Sie waren ſcharmant! ich ſprach ſie wieder und wieder, ſie führten mich zu ihrer Mutter, und ſo war ich denn gefangen. Von nun an ſahen wir uns täglich, ja wir verlebten ganze Tage mitein¬ ander. Um unſer Verhältniß noch inniger zu machen, ereignete es ſich, daß der Verlobte der Einen ankam, worauf ich mich denn um ſo ungetheilter an die An¬ dere ſchloß. Auch gegen die Mutter war ich, wie man ſich denken kann, ſehr liebenswürdig. Genug, wir waren alle miteinander überaus zufrieden, und ich ver¬ lebte mit dieſer Familie ſo glückliche Tage, daß ſie mir noch jetzt eine höchſt angenehme Erinnerung ſind. Die beiden Mädchen erzählten mir ſehr bald die Unterre¬ dung zwiſchen ihrer Mutter und Frau v. Reck, und welche Verſchwörung ſie zu meiner Eroberung ange¬ zettelt und zu glücklicher Ausführung gebracht.

Hiebei fällt mir eine Anekdote anderer Art ein, die Goethe mir früher erzählte und die hier einen Platz finden mag.

Ich ging, ſagte er mir, mit einem guten Bekann¬ ten einſt in einem Schloßgarten gegen Abend ſpazieren, als wir unerwartet am Ende der Allee zwei andere Perſonen unſeres Kreiſes bemerkten, die in ruhigen Ge¬359 ſprächen an einander hingingen. Ich kann Ihnen ſo wenig den Herrn als die Dame nennen; aber es thut nichts zur Sache. Sie unterhielten ſich alſo und ſchienen an nichts zu denken, als mit einemmal ihre Köpfe ſich gegen einander neigten und ſie ſich gegen¬ ſeitig einen herzhaften Kuß gaben. Sie ſchlugen darauf ihre erſte Richtung wieder ein und ſetzten ſehr ernſt ihre Unterhaltung fort, als ob nichts paſſirt wäre. Haben Sie es geſehen? rief mein Freund voll Erſtau¬ nen; darf ich meinen Augen trauen? Ich habe es geſehen, erwiederte ich ganz ruhig, aber ich glaube es nicht!

Wir ſprachen über die Metamorphoſe der Pflanze, und namentlich über Decandolle's Lehre von der Sym¬ metrie, die Goethe für eine bloße Illuſion hält.

Die Natur fügte er hinzu, ergiebt ſich nicht einem Jeden. Sie erweiſet ſich vielmehr gegen Viele wie ein neckiſches junges Mädchen, das uns durch tauſend Reize anlockt, aber in dem Augenblick, wo wir es zu faſſen und zu beſitzen glauben, unſern Armen ent¬ ſchlüpft.

Heute war zu Belvedere die Verſammlung der Ge¬ ſellſchaft zur Beförderung des Ackerbaues; auch erſte360 Ausſtellung von Früchten und Gegenſtänden der In¬ duſtrie, welche reicher war, als man erwartet hatte. Darauf großes Diner der zahlreich anweſenden Mit¬ glieder. Goethe trat herein, zu freudiger Ueberraſchung aller Anweſenden. Er verweilte einige Zeit und be¬ trachtete ſodann die ausgeſtellten Gegenſtände mit ſicht¬ barem Intereſſe. Sein Erſcheinen machte den glücklich¬ ſten Eindruck, beſonders auch auf Solche, die ihn früher noch nicht geſehen.

Ein Stündchen bei Goethe in allerlei Geſprächen. Dann kamen wir auch auf Soret.

Ich habe, ſagte Goethe, in dieſen Tagen ein ſehr hübſches Gedicht von ihm geleſen, und zwar eine Tri¬ logie, deren beide erſten Theile einen heiter ländli¬ chen, der letzte aber, unter dem Titel Mitternacht , einen ſchauerlich-düſtern Charakter trägt. Dieſe Mit¬ ternacht iſt ihm ganz vorzüglich gelungen. Man ath¬ met darin wirklich den Hauch der Nacht, faſt wie in den Bildern von Rembrandt, in denen man auch die nächtliche Luft zu empfinden glaubt. Victor Hugo hat ähnliche Gegenſtände behandelt, allein nicht mit ſolchem Glück. In den nächtlichen Darſtellungen dieſes un¬ ſtreitig ſehr großen Talents wird es nie wirklich Nacht, vielmehr bleiben die Gegenſtände immer noch ſo deut¬ lich und ſichtbar, als ob es in der That noch Tag361 und die dargeſtellte Nacht bloß eine erlogene wäre. Soret hat den berühmten Victor Hugo in ſeiner Mit¬ ternacht ohne Frage übertroffen.

Ich freuete mich dieſes Lobes und nahm mir vor, die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichſt zu leſen. Wir beſitzen in unſerer Literatur ſehr wenige Trilo¬ gieen, bemerkte ich.

Dieſe Form, erwiederte Goethe, iſt bei den Mo¬ dernen überall ſelten. Es kommt darauf an, daß man einen Stoff finde, der ſich naturgemäß in drei Partieen behandeln laſſe, ſo daß in der erſten eine Art Expoſition, in der zweiten eine Art Cataſtrophe, und in der dritten eine verſöhnende Ausgleichung ſtattfinde. In meinen Gedichten vom Junggeſellen und der Mülle¬ rin finden ſich dieſe Erforderniſſe beiſammen, wiewohl ich damals, als ich ſie ſchrieb, keineswegs daran dachte, eine Trilogie zu machen. Auch mein Paria iſt eine vollkommene Trilogie, und zwar habe ich dieſen Cyclus ſogleich mit Intention als Trilogie gedacht und be¬ handelt. Meine ſogenannte Trilogie der Leiden¬ ſchaft dagegen iſt urſprünglich nicht als Trilogie con¬ cipirt, vielmehr erſt nach und nach und gewiſſermaßen zufällig zur Trilogie geworden. Zuerſt hatte ich, wie Sie wiſſen, bloß die Elegie als ſelbſtſtändiges Ge¬ dicht für ſich. Dann beſuchte mich die Szimanowska, die denſelbigen Sommer mit mir in Marienbad gewe¬ ſen war und durch ihre reizenden Melodieen einen362 Nachklang jener jugendlich-ſeligen Tage in mir er¬ weckte. Die Strophen, die ich dieſer Freundin wid¬ mete, ſind daher auch ganz im Versmaß und Ton jener Elegie gedichtet und fügen ſich dieſer wie von ſelbſt als verſöhnender Ausgang. Dann wollte Weygand eine neue Ausgabe meines Werther veranſtalten und bat mich um eine Vorrede, welches mir denn ein höchſt willkommener Anlaß war, mein Gedicht an Werther zu ſchreiben. Da ich aber immer noch einen Reſt jener Leidenſchaft im Herzen hatte, ſo geſtaltete ſich das Ge¬ dicht wie von ſelbſt als Introduction zu jener Elegie. So kam es denn, daß alle drei jetzt beiſammenſtehen¬ den Gedichte von demſelbigen liebesſchmerzlichen Ge¬ fühle durchdrungen worden und jene Trilogie der Leidenſchaft ſich bildete, ich wußte nicht wie.

Ich habe Soret gerathen, mehr Trilogieen zu ſchrei¬ ben, und zwar ſoll er es auch machen wie ich eben erzählt. Er ſoll ſich nicht die Mühe nehmen, zu irgend einer Trilogie einen eigenen Stoff zu ſuchen, vielmehr ſoll er aus dem reichen Vorrath ſeiner ungedruckten Poeſieen irgend ein prägnantes Stück auswählen und gelegentlich eine Art Introduction und verſöhnenden Abſchluß hinzudichten, doch ſo, daß zwiſchen jeder der drei Productionen eine fühlbare Lücke bleibe. Auf dieſe Weiſe kommt man weit leichter zum Ziele und erſpart ſich viel Denken, welches bekanntlich, wie Meyer ſagt, eine gar ſchwierige Sache iſt.

363

Wir ſprachen darauf über Victor Hugo, und daß ſeine zu große Fruchtbarkeit ſeinem Talent im hohen Grade nachtheilig.

Wie ſoll Einer nicht ſchlechter werden und das ſchönſte Talent zu Grunde richten, ſagte Goethe, wenn er die Verwegenheit hat, in einem einzigen Jahre zwei Tragödieen und einen Roman zu ſchreiben, und ferner, wenn er nur zu arbeiten ſcheint, um ungeheure Geld¬ ſummen zuſammen zu ſchlagen. Ich ſchelte ihn keines¬ wegs, daß er reich zu werden, auch nicht, daß er den Ruhm des Tages zu ernten bemüht iſt; allein wenn er lange in der Nachwelt zu leben gedenkt, ſo muß er anfangen weniger zu ſchreiben und mehr zu arbeiten.

Goethe ging darauf die Marie de Lorme durch und ſuchte mir deutlich zu machen, daß der Gegenſtand nur Stoff zu einem einzigen guten und zwar recht tragi¬ ſchen Act enthalten habe, daß aber der Autor durch Rückſichten ganz ſecundärer Art ſich habe verführen laſſen, ſeinen Gegenſtand auf fünf lange Acte über¬ mäßig auszudehnen. Hiebei, fügte Goethe hinzu, haben wir bloß den Vortheil gehabt, zu ſehen, daß der Dichter auch in Darſtellung des Details bedeutend iſt, welches freilich auch nichts Geringes, und allerdings etwas heißen will.

364

Von meinem Freunde Töpfer in Genf waren einige neue Hefte Feder-Zeichnungen und Aquarell - Bilder eingegangen, größtentheils landſchaftliche An¬ ſichten aus der Schweiz und Italien, die er auf ſeinen Fußreiſen nach und nach zuſammengebracht. Goethe war von der Schönheit dieſer Zeichnungen, beſonders der Aquarell-Bilder, ſo ſehr frappirt, daß er ſagte, es ſey ihm, als ſähe er Werke des berühmten Lory. Ich bemerkte, daß dieß noch keineswegs das Beſte von Töpfer ſey und daß er ganz andere Dinge zu ſenden habe. Ich weiß nicht, was Ihr wollt! erwiederte Goethe. Was ſollte es denn noch beſſer ſeyn! Und was hätte es zu ſagen, wenn es auch wirklich noch etwas beſſer wäre! Sobald ein Künſtler zu einer ge¬ wiſſen Höhe von Vortrefflichkeit gelangt iſt, wird es ziemlich gleichgültig, ob eins ſeiner Werke etwas vollkommener gerathen iſt als ein anderes. Der Ken¬ ner ſieht in jedem doch immer die Hand des Meiſters und den ganzen Umfang ſeines Talentes und ſeiner Mittel.

Ich hatte Goethen ein in England geſtochenes Portrait von Dümont zugeſchickt, das ihn ſehr zu intereſſiren ſchien.

Ich habe das Bild des bedeutenden Mannes oft365 und wiederholt betrachtet, ſagte er, als ich ihn heute gegen Abend beſuchte. Anfangs hatte es etwas Zurück¬ ſtoßendes für mich, welches ich jedoch der Behandlung des Künſtlers zuſchreiben möchte, der die Züge etwas zu hart und tief eingegraben. Aber je länger ich den im hohen Grade merkwürdigen Kopf anſah, deſtomehr verſchwanden alle Härten und es trat aus dem dunke¬ len Grunde ein ſchöner Ausdruck von Ruhe, Güte und geiſtreich-feiner Milde hervor, wie ſie den klugen, wohl¬ wollenden und für das allgemeine Beſte thätigen Mann charakteriſiren und der Seele des Beſchauers ſo wohl thun.

Wir ſprachen darauf weiter über Dümont, beſon¬ ders aber über die Memoiren, die er in Bezug auf Mirabeau geſchrieben, und worin er die mannigfalti¬ gen Hülfsquellen aufdeckt, die Mirabeau zu benutzen verſtanden, auch die vielen Leute von Talent namhaft macht, die er zu ſeinen Zwecken in Bewegung geſetzt und mit deren Kräften er gearbeitet. Ich kenne kein lehrreicheres Buch, ſagte Goethe, als dieſe Memoiren, wodurch wir in die geheimſten Winkel jener Zeit tiefe Blicke thun, und wodurch uns das Wunder Mirabeau natürlich wird, ohne daß dieſer Held dadurch irgend etwas von ſeiner Größe verliert. Nun kommen aber die neueſten Recenſenten der franzöſiſchen Journale, die über dieſen Punkt ein wenig anders denken. Die guten Leute glauben, der Verfaſſer jener Memoiren366 wolle ihnen ihren Mirabeau verderben, indem er das Geheimniß ſeiner übermenſchlichen Thätigkeit enthüllt und auch anderen Leuten einigen Antheil an dem gro¬ ßen Verdienſt vindicirt, das bisher der Name Mirabeau allein verſchlang.

Die Franzoſen erblicken in Mirabeau ihren Her¬ kules; und ſie haben vollkommen Recht. Allein ſie vergeſſen, daß auch der Coloß aus einzelnen Theilen beſteht und daß auch der Herkules des Alterthums ein collectives Weſen iſt, ein großer Träger ſeiner eigenen Thaten und der Thaten Anderer.

Im Grunde aber ſind wir Alle collective Weſen, wir mögen uns ſtellen, wie wir wollen. Denn wie Weni¬ ges haben und ſind wir, das wir im reinſten Sinne unſer Eigenthum nennen! Wir müſſen Alle empfangen und lernen, ſowohl von denen die vor uns waren, als von denen die mit uns ſind. Selbſt das größte Genie würde nicht weit kommen, wenn es Alles ſeinem eigenen Innern verdanken wollte. Das begreifen aber viele ſehr gute Menſchen nicht und tappen mit ihren Träumen von Originalität ein halbes Leben im Dun¬ keln. Ich habe Künſtler gekannt, die ſich rühmten keinem Meiſter gefolgt zu ſeyn, vielmehr Alles ihrem eigenen Genie zu danken haben. Die Narren! als ob das überall anginge! Und als ob ſich die Welt ihnen nicht bei jedem Schritt aufdränge und aus ihnen, trotz ihrer eigenen Dummheit, etwas machte! Ja ich be¬367 haupte, wenn ein ſolcher Künſtler nur an den Wänden dieſes Zimmers vorüberginge und auf die Handzeich¬ nungen einiger großen Meiſter, womit ich ſie behängt habe, nur flüchtige Blicke würfe, er müßte, wenn er überall einiges Genie hätte, als ein Anderer und Hö¬ herer von hier gehen.

Und was iſt denn überhaupt Gutes an uns, wenn es nicht die Kraft und Neigung iſt, die Mittel der äußern Welt an uns heranzuziehen und unſeren höheren Zwecken dienſtbar zu machen. Ich darf wohl von mir ſelber reden und beſcheiden ſagen, wie ich fühle. Es iſt wahr, ich habe in meinem langen Leben man¬ cherlei gethan und zu Stande gebracht, deſſen ich mich allenfalls rühmen könnte. Was hatte ich aber, wenn wir ehrlich ſeyn wollen, das eigentlich mein war, als die Fähigkeit und Neigung, zu ſehen und zu hören, zu unterſcheiden und zu wählen, und das Geſehene und Gehörte mit einigem Geiſt zu beleben und mit einiger Geſchicklichkeit wiederzugeben. Ich verdanke meine Werke keineswegs meiner eigenen Weisheit allein, ſon¬ dern tauſenden von Dingen und Perſonen außer mir, die mir dazu das Material boten. Es kamen Narren und Weiſe, helle Köpfe und bornirte, Kindheit und Jugend wie das reife Alter; Alle ſagten mir, wie es ihnen zu Sinne ſey, was ſie dachten, wie ſie lebten und wirkten und welche Erfahrungen ſie ſich geſam¬ melt, und ich hatte weiter nichts zu thun, als zuzugrei¬368 fen und das zu ernten, was Andere für mich geſäet hatten.

Es iſt im Grunde auch Alles Thorheit, ob Einer etwas aus ſich habe, oder ob er es von Andern habe; ob Einer durch ſich wirke oder ob er durch Andere wirke; die Hauptſache iſt, daß man ein großes Wollen habe und Geſchick und Beharrlich¬ keit beſitze, es auszuführen; alles Uebrige iſt gleichgültig. Mirabeau hatte daher vollkommen Recht, wenn er ſich der äußeren Welt und ihrer Kräfte bediente, wie er konnte. Er beſaß die Gabe, das Talent zu unterſcheiden, und das Talent fühlte ſich von dem Dämon ſeiner gewaltigen Natur angezogen, ſo daß es ſich ihm und ſeiner Leitung willig hin¬ gab. So war er von einer Maſſe ausgezeichneter Kräfte umgeben, die er mit ſeinem Feuer durchdrang und zu ſeinen höheren Zwecken in Thätigkeit ſetzte. Und eben, daß er es verſtand, mit Anderen und durch Andere zu wirken, das war ſein Genie, das war ſeine Originalität, das war ſeine Größe.

Abends ein Stündchen bei Goethe, in allerlei guten Geſprächen. Ich hatte mir eine engliſche Bibel gekauft, in der ich zu meinem großen Bedauern die apokry¬ phiſchen Bücher nicht enthalten fand; und zwar waren ſie nicht aufgenommen, als nicht für echt gehalten und369 als nicht göttlichen Urſprungs. Ich vermißte den durch und durch edlen Tobias, dieſes Muſterbild eines from¬ men Wandels; ferner die Weisheit Salomonis und Jeſus Sirach, alles Schriften von ſo großer geiſtiger und ſittlicher Höhe, daß wenig andere ihnen gleichkom¬ men. Ich ſprach gegen Goethe mein Bedauern aus über die höchſt enge Anſicht, wonach einige Schriften des Alten Teſtaments als unmittelbar von Gott einge¬ geben betrachtet werden, andere gleich treffliche aber nicht; und als ob denn überhaupt etwas Edles und Großes entſtehen könne, das nicht von Gott komme und das nicht eine Frucht ſeiner Einwirkung.

Ich bin durchaus Ihrer Meinung, erwiederte Goethe. Doch giebt es zwei Standpunkte, von welchen aus die bibliſchen Dinge zu betrachten. Es giebt den Standpunkt einer Art Ur-Religion, den der reinen Natur und Vernunft, welcher göttlicher Abkunft. Die¬ ſer wird ewig derſelbige bleiben und wird dauern und gelten ſo lange gottbegabte Weſen vorhanden. Doch iſt er nur für Auserwählte und viel zu hoch und edel, um allgemein zu werden. Sodann giebt es den Stand¬ punkt der Kirche, welcher mehr menſchlicher Art. Er iſt gebrechlich, wandelbar und im Wandel begriffen; doch auch er wird in ewiger Umwandlung dauern, ſo lange ſchwache menſchliche Weſen ſeyn werden. Das Licht ungetrübter göttlicher Offenbarung iſt viel zu rein und glänzend, als daß es den armen, gar ſchwachenIII. 24370Menſchen gemäß und erträglich wäre. Die Kirche aber tritt als wohlthätige Vermittlerin ein, um zu dämpfen und zu ermäßigen, damit Allen geholfen und damit Vielen wohl werde. Dadurch daß der chriſtlichen Kirche der Glaube beiwohnt, daß ſie, als Nachfolgerin Chriſti, von der Laſt menſchlicher Sünde befreien könne, iſt ſie eine ſehr große Macht. Und ſich in dieſer Macht und dieſem Anſehen zu erhalten, und ſo das kirchliche Ge¬ bäude zu ſichern, iſt der chriſtlichen Prieſterſchaft vor¬ zügliches Augenmerk.

Sie hat daher weniger zu fragen, ob dieſes oder jenes bibliſche Buch eine große Aufklärung des Gei¬ ſtes bewirke, und ob es Lehren hoher Sittlichkeit und edler Menſchennatur enthalte, als daß ſie vielmehr in den Büchern Moſe auf die Geſchichte des Sündenfalles und die Entſtehung des Bedürfniſſes nach dem Erlöſer Bedeutung zu legen, ferner in den Propheten die wie¬ derholte Hinweiſung auf Ihn, den Erwarteten, ſowie in den Evangelien ſein wirkliches irdiſches Erſcheinen und ſeinen Tod am Kreuze, als unſerer menſchlichen Sünden Sühnung, im Auge zu halten hat. Sie ſehen alſo, daß für ſolche Zwecke und Richtungen und auf ſolcher Wage gewogen ſo wenig der edle Tobias, als die Weisheit Salomonis und die Sprüche Sirach's, einiges bedeutende Gewicht haben können.

Uebrigens echt oder unecht ſind bei Dingen der Bibel gar wunderliche Fragen. Was iſt echt, als das371 ganz Vortreffliche, das mit der reinſten Natur und Vernunft in Harmonie ſteht und noch heute unſerer höchſten Entwickelung dient! Und was iſt unecht, als das Abſurde, Hohle und Dumme, was keine Frucht bringt, wenigſtens keine gute! Sollte die Echtheit einer bibliſchen Schrift durch die Frage entſchieden wer¬ den: ob uns durchaus Wahres überliefert worden? ſo könnte man ſogar in einigen Punkten die Echtheit der Evangelien bezweifeln, wovon Marcus und Lucas nicht aus unmittelbarer Anſicht und Erfahrung, ſondern erſt ſpät nach mündlicher Ueberlieferung geſchrieben, und das letzte, von dem Jünger Johannes, erſt im höchſten Alter. Dennoch halte ich die Evangelien alle vier für durchaus echt, denn es iſt in ihnen der Ab¬ glanz einer Hoheit wirkſam, die von der Perſon Chriſti ausging und die ſo göttlicher Art, wie nur je auf Er¬ den das Göttliche erſchienen iſt. Fragt man mich: ob es in meiner Natur ſey, ihm anbetende Ehrfurcht zu erweiſen? ſo ſage ich: Durchaus! Ich beuge mich vor ihm, als der göttlichen Offenbarung des höchſten Prin¬ cips der Sittlichkeit. Fragt man mich: ob es in meiner Natur ſey, die Sonne zu verehren? ſo ſage ich abermals: Durchaus! Denn ſie iſt gleichfalls eine Offenbarung des Höchſten, und zwar die mächtigſte, die uns Erdenfindern wahrzunehmen vergönnt iſt. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und ſind, und alle372 Pflanzen und Thiere mit uns. Fragt man mich aber: ob ich geneigt ſey, mich vor einem Daumenknochen des Apoſtels Petri oder Pauli zu bücken? ſo ſage ich: Ver¬ ſchont mich und bleibt mir mit euren Abſurditäten vom Leibe!

Den Geiſt dämpfet nicht! ſagt der Apoſtel.

Es iſt gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber ſie will herrſchen, und da muß ſie eine bornirte Maſſe haben, die ſich duckt und die ge¬ neigt iſt, ſich beherrſchen zu laſſen. Die hohe, reich dotirte Geiſtlichkeit fürchtet nichts mehr, als die Auf¬ klärung der unteren Maſſen. Sie hat ihnen auch die Bibel lange genug vorenthalten, ſo lange als irgend möglich. Was ſollte auch ein armes chriſtliches Ge¬ meindeglied von der fürſtlichen Pracht eines reich dotir¬ ten Biſchofes denken, wenn es dagegen in den Evan¬ gelien die Armuth und Dürftigkeit Chriſti ſieht, der mit ſeinen Jüngern in Demuth zu Fuße ging, während der fürſtliche Biſchof in einer von ſechs Pferden gezo¬ genen Karoſſe einherbrauſet!

Wir wiſſen gar nicht, fuhr Goethe fort, was wir Luthern und der Reformation im Allgemeinen Alles zu danken haben. Wir ſind frei geworden von den Feſſeln geiſtiger Bornirtheit, wir ſind in Folge unſerer fort¬ wachſenden Cultur fähig geworden, zur Quelle zurück¬ zukehren und das Chriſtenthum in ſeiner Reinheit zu faſſen. Wir haben wieder den Muth, mit feſten Füßen373 auf Gottes Erde zu ſtehen und uns in unſerer gottbe¬ gabten Menſchennatur zu fühlen. Mag die geiſtige Cultur nun immer fortſchreiten, mögen die Naturwiſſen¬ ſchaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachſen und der menſchliche Geiſt ſich erweitern, wie er will, über die Hoheit und ſittliche Cultur des Chri¬ ſtenthums, wie es in den Evangelien ſchimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen!

Je tüchtiger aber wir Proteſtanten in edler Ent¬ wickelung voranſchreiten, deſto ſchneller werden die Ka¬ tholiken folgen. Sobald ſie ſich von der immer weiter um ſich greifenden großen Aufklärung der Zeit ergriffen fühlen, müſſen ſie nach, ſie mögen ſich ſtellen wie ſie wollen, und es wird dahin kommen, daß endlich Alles nur Eins iſt.

Auch das leidige proteſtantiſche Sektenweſen wird aufhören und mit ihm Haß und feindliches Anſehen zwiſchen Vater und Sohn, zwiſchen Bruder und Schwe¬ ſter. Denn ſobald man die reine Lehre und Liebe Chriſti, wie ſie iſt, wird begriffen und in ſich eingelebt haben, ſo wird man ſich als Menſch groß und frei füh¬ len und auf ein Bißchen ſo oder ſo im äußeren Cultus nicht mehr ſonderlichen Werth legen.

Auch werden wir Alle nach und nach aus einem Chriſtenthum des Wortes und Glaubens immer mehr zu einem Chriſtenthum der Geſinnung und That kommen.

Das Geſpräch wendete ſich auf große Menſchen,374 die vor Chriſtus gelebt, unter Chineſen, Indiern, Per¬ ſern und Griechen, und daß die Kraft Gottes in ihnen ebenſo wirkſam geweſen, als in einigen großen Juden des Alten Teſtamentes. Auch kamen wir auf die Frage: wie es mit Gottes Wirkungen ſtehe in großen Naturen der jetzigen Welt, in der wir leben?

Wenn man die Leute reden hört, ſagte Goethe, ſo ſollte man faſt glauben, ſie ſeyen der Meinung, Gott habe ſich ſeit jener alten Zeit ganz in die Stille zurückgezogen, und der Menſch wäre jetzt ganz auf eigene Füße geſtellt und müſſe ſehen, wie er ohne Gott und ſein tägliches unſichtbares Anhauchen zurecht komme. In religiöſen und moraliſchen Dingen giebt man noch allenfalls eine göttliche Einwirkung zu, allein in Din¬ gen der Wiſſenſchaft und Künſte glaubt man, es ſey lauter Irdiſches und nichts weiter als ein Product rein menſchlicher Kräfte.

Verſuche es aber doch nur Einer und bringe mit menſchlichem Wollen und menſchlichen Kräften etwas hervor, das den Schöpfungen, die den Namen Mozart, Raphael oder Shakſpeare tragen, ſich an die Seite ſetzen laſſe. Ich weiß recht wohl, daß dieſe drei Edlen keineswegs die Einzigen ſind, und daß in allen Gebie¬ ten der Kunſt eine Unzahl trefflicher Geiſter gewirkt hat, die vollkommen ſo Gutes hervorgebracht, als jene Genannten. Allein, waren ſie ſo groß als Jene, ſo überragten ſie die gewöhnliche Menſchennatur in eben375 dem Verhältniß und waren ebenſo gottbegabt als Jene.

Und überall, was iſt es und was ſoll es? Gott hat ſich nach den bekannten imaginirten ſechs Schöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben, viel¬ mehr iſt er noch fortwährend wirkſam, wie am erſten. Dieſe plumpe Welt aus einfachen Elementen zuſammen¬ zuſetzen und ſie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu laſſen, hätte ihm ſicher wenig Spaß gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, ſich auf dieſer materiellen Unterlage eine Pflanzſchule für eine Welt von Geiſtern zu gründen. So iſt er nun fortwährend in höheren Naturen wirkſam, um die ge¬ ringeren heranzuziehen.

Goethe ſchwieg. Ich aber bewahrte ſeine großen und guten Worte in meinem Herzen.

Druck: Panſa'ſche Buchdruckerei (G. Hubbe) in Magdeburg.

About this transcription

TextGespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens
Author Johann Peter Eckermann
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationGespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens Dritter Theil Johann Peter Eckermann. . XVI, [1] Bl., 375 S. HeinrichshofenMagdeburg1848.

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ClassificationBelletristik; (Auto)biographie; Belletristik; Biographie; core; ready; ocr

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