Osnabrück, Kisling’ſche Buchdruckerei.
„ Erſt die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimath be - ſitzen. “ Das hab’ ich an mir ſelber erfahren und die erſten Anregungen zu dieſen „ Wanderungen durch die Mark “ſind mir auf Streifereien in der Fremde gekommen. Die Anre - gungen wurden Wunſch, der Wunſch wurde Entſchluß.
Es war in der ſchottiſchen Grafſchaft Kinroß, deren ſchön - ſter Punkt der Leven-See iſt. Mitten im See liegt eine Inſel und mitten auf der Inſel, hinter Eſchen halb verſteckt, erhebt ſich ein altes Douglas-Schloß, das in Lied und Sage viel - genannte Lochleven-Caſtle. Es ſind nur Trümmer noch, die Kapelle liegt als ein Steinhaufen auf dem Schloßhof und ſtatt der alten Einfaſſungs-Mauer zieht ſich Weidengeſtrüpp um die Inſel her; aber der Rundthurm ſteht noch, in dem Queen Mary gefangen ſaß, die Pforte iſt noch ſichtbar, durch die Willy Douglas die Königin in das rettende Boot führte, und das Fenſter wird noch gezeigt, über deſſen Brüſtung hin - weg die alte Lady Douglas ſich beugte, um mit weit vor - gehaltener Fackel dem nachſetzenden Boot den Weg und wo - möglich die Spur der Flüchtigen zu zeigen.
VIWir kamen von der Stadt Kinroß, die am Ufer des Leven-Sees liegt, und ruderten der Inſel zu. Unſer Boot legte an derſelben Stelle an, an der das Boot der Königin in jener Nacht gelegen hatte, wir ſchritten über den Hof hin, langſam, als ſuchten wir noch die Fußſpuren in dem hoch - aufgeſchoſſenen Graſe und lehnten uns dann über die Brüſtung, an welcher die alte Lady Douglas geſtanden und die Jagd der beiden Boote, das flüchtige und das nachſetzende, verfolgt hatte. Dann umfuhren wir die Inſel und lenkten unſer Boot nach Kinroß zurück, aber das Auge mochte ſich nicht trennen von der Inſel, auf deren Trümmergrau die Nach - mittagsſonne und eine wehmüthig-unnennbare Stille lag. Nun griffen die Ruder raſcher ein, die Inſel wurde ein Strei - fen, endlich ſchwand ſie ganz und nur als Phantaſiebild noch ſtand eine zeitlang der Rund-Thurm vor uns auf dem Waſſer, bis plötzlich die unſtäte Phantaſie weiter in ihre Erinnerungen zurückgriff und ältere Bilder vor das Bild dieſes See’s und dieſer Stunde ſchob. Es waren Bilder aus der Heimath.
Auch eine Waſſerfläche war es; aber nicht Schwarz - tannen faßten das Ufer ein, ſondern ein Park und ein Laub - holzwald nahmen den See in ihren Arm. Im Flachboot ſtießen wir ab und ſo oft wir das Schilf am Ufer ſtreiften, klang es, wie wenn eine Hand über kniſternde Seide fährt. Zwei Schweſtern ſaßen mir gegenüber. Die ältere ſtreckte ihre Hand in das kühle klare Waſſer des See’s und außer dem dumpfen Schlag des Ruders vernahm ich nichts als jenes leiſe Geräuſch, womit die Wellchen zwiſchen den Fingern der weißen Hand hindurchplätſcherten. Nun glitt das Boot durch Teichroſen hin, deren lange Stengel wir (ſo klar war das Waſſer) aus dem Grunde des See’s aufſteigen ſahen, dann lenkten wir das Boot bis an den Schilfgürtel und unter dieVII weitüberhängenden Zweige des Parkes zurück. Endlich legten wir an, wo die Waſſertreppe an’s Ufer führt, und ein Schloß ſtieg auf mit Flügeln und Thürmen, mit Hof und Treppe und mit einem Säulengange, der Balluſtraden und Marmor - bilder trug. Dieſer Hof und dieſer Säulengang, die Zeugen wie vieler Luſt, wie vielen Glanzes waren ſie geweſen? Hier über dieſen Hof hin hatte die Geige Graun’s geklungen, wenn ſie das Flötenſpiel des prinzlichen Freundes begleitete; hier waren Le Gaillard und Le Conſtant, die erſten Ritter des Bayard-Ordens, auf und abgeſchritten; hier waren, in bun - tem Spiel, in heitrer Ironie, fingirte Ambaſſaden aus aller Herren Länder erſchienen und von hier aus endlich waren die heiter Spielenden hinausgezogen und hatten ſich bewährt im Ernſt des Kampfs und auf den Höhen des Lebens. Hinter dem Säulengange glitzerten die gelben Schloßwände in aller Helle des Tags, kein romantiſcher Farbenton miſchte ſich ein, aber Schloß und Thurm, wohin das Auge fiel, alles trug den breiten hiſtoriſchen Stempel — die Fundamente der Roman - tik lagen da. Von der andern Seite des See’s her grüßte der Obelisk, der die Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges im Lapidarſtyl trägt.
So war das Bild des Rheinsberger Schloſſes, das wie eine Fata Morgana über den Leven-See hinzog, und ehe noch unſer Boot auf den Sand des Ufers lief, trat die Frage an mich heran: ſo ſchön dies Bild war, das die Inſel im Leven-See vor dir entrollte, war jener Tag minder ſchön, als du im Flachboot über den Rheinsberger See fuhrſt, die Schöpfungen und die Erinnerungen einer großen Zeit um dich her? und ich antwortete: nein.
Die Jahre, die ſeit jenem Tag am Leven-See vergangen ſind, haben mich in die Heimath zurückgeführt und die Ent -VIII ſchlüſſe von damals blieben unvergeſſen. Ich bin die Heimath durchzogen und ich habe ſie reicher gefunden, als ich zu hoffen gewagt hatte. Jeder Fußbreit Erde belebte ſich und gab Ge - ſtalten heraus, und wenn meine Schilderungen unbefriedigt laſſen, ſo werd’ ich der Entſchuldigung entbehren müſſen, daß es eine Armuth war, die ich aufzuputzen oder zu vergolden hatte. Eine Fülle, ein Reichthum ſind mir entgegen getreten, denen gegenüber ich die beſtimmte Empfindung habe, ihrer niemals, auch nur annähernd, Herr werden zu können; denn das immerhin Umfangreiche, das ich in Nachſtehendem biete, iſt auf wenig Meilen eingeſammelt: am Ruppiner See und vor den Thoren Berlins. Und ſorglos hab’ ich es geſammelt, nicht wie einer, der mit der Sichel zur Erndte geht, ſondern wie ein Spaziergänger, der einzelne Aehren aus dem reichen Felde zieht.
Es iſt ein Buntes, Mannigfaches, das ich zuſammen - geſtellt habe: Landſchaftliches und Hiſtoriſches, Sitten - und Charakterſchilderung, — und verſchieden wie die Dinge, ſo verſchieden iſt auch die Behandlung, die ſie gefunden. Aber wie abweichend in Form und Inhalt die einzelnen Kapitel von einander ſein mögen, darin ſind ſie ſich gleich, daß ſie aus Liebe und Anhänglichkeit an die Heimath geboren wur - den. Möchten ſie auch in Andern jene Empfindungen wecken, von denen ich am eignen Herzen erfahren habe, daß ſie ein Glück, ein Troſt und die Quelle echteſter Freuden ſind.
Th. F.
Der Ruppiner See, der genau die Form eines halben Mondes hat, ſcheidet ſich ſeinen Ufern nach in zwei ſehr verſchiedene Hälften. Die nördliche Hälfte iſt ſandig und unfruchtbar, und, die hübſch gelegenen Städte Alt - und Neu-Ruppin abgerechnet, ohne allen maleriſchen Reiz; die Südhälfte aber iſt theils angebaut, theils bewaldet und ſeit alten Zeiten her von vier hübſchen Dörfern ein - gefaßt. Das eine dieſer Dörfer, Treskow geheißen, war bis vor Kurzem ein altes Kämmerei-Gut der Stadt Ruppin; die drei an - dern ſind Rittergüter. Ihre Namen ſind: Gnewkow, Carwe und Wuſtrau. Das erſtere tritt aus dem Schilf - und Wald-Ufer am deutlichſten hervor und iſt mit ſeinem Kirchthurm und Bauern - häuſern eine beſondere Zierde des See’s. Es gehörte ſeit Jahr - hunderten der Familie von Woldeck. Jetzt iſt es in andere Hände übergegangen. Der letzte v. Woldeck, der das Erbe ſeiner Väter inne hatte, war ein Lebemann und paſſionirter Touriſt. Seine Excentricitäten hatten ihn in der Umgegend zu einer volksthüm - lichen Figur gemacht; er hieß kurzweg „ der Seebaron. “ Das Wort war gut gewählt. Er hatte mit den alten „ Seekönigen “den Wanderzug und die Abenteuer gemein.
Carwe gehört den Kneſebeck’s; Wuſtrau iſt berühmt ge - worden als Wohnſitz des alten Zieten. Sein Sohn, der letzte Zieten, ſtarb hier 1854 in hohem Alter.
1*4Wuſtrau beſtand bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts aus drei Rittergütern; nur eines derſelben gehörte den Zieten, die beiden andern (altes Beſitzthum der Familien v. Lohe und v. Güh - len) dem General-Feldmarſchall von Doſſow. Wann die Zieten in den (theilweiſen) Beſitz von Wuſtrau gelangten, iſt nicht mehr ſicher feſtzuſtellen. Eben ſo wenig kennt man das Stammgut der Familie. In der Mark Brandenburg befinden ſich neun Ortſchaften, die den Namen Zieten, wenn auch in abweichender Schreibart, führen. Als die Hohenzollern ins Land kamen, lagen die meiſten Beſitzungen dieſer Familie bereits in der Grafſchaft Ruppin. Hans v. Zieten auf Wildberg (damals ein feſter und reicher Burgflecken) war geſchworener Rath beim letzten Grafen von Ruppin, und begleitete dieſen auf den Reichstag zu Worms. Die Wildberger Zieten beſaßen Langen und Kränzlin; andere Zweige der Familie hatten Lögow und Buskow inne und einen Theil von Metzelthin. Die Wuſtrauer Zieten, ſcheint es, waren nicht reich; ſie litten unter den Nachwehen des 30jährigen Krieges und der Schwedenzeit. Der Vater Hans Joachim’s lebte noch in ſehr beſchränkten Verhältniſſen. Erſt Hans Joachim ſelbſt verſtand ſich auf Pflug und Wirthſchaft faſt ſo gut wie auf Krieg und Säbel und machte 1766 durch Ankauf der beiden Doſſow - ſchen Antheile ganz Wuſtrau zu einem Zieten’ſchen Beſitzthum. Es blieb bei ſeinem Sohne, dem letzten Zieten, bis 1854. Dieſer ernannte in ſeinem Teſtamente einen Schwerin zum Erben. Daß dieſer der nächſte Verwandte war, ſchien weniger den Ausſchlag gegeben zu haben, als die Vorſtellung, daß nur ein Schwerin würdig ſei, an die Stelle eines Zieten zu treten. Albert Julius v. Schwe - rin, der jetzige Beſitzer von Wuſtrau, wurde 1859, unter dem Namen von Zieten-Schwerin, in den Grafenſtand erhoben.
Wuſtrau liegt an der Südſpitze des See’s. Der Boden iſt fruchtbar und wo die Fruchtbarkeit aufhört, beginnt das Wu - ſtrauſche Luch, eine Torfgegend, die an Ergiebigkeit mit den Linummer Gräbereien wetteifert. Das eigentliche Dorf, ſaubere, von Wohlſtand zeugende Bauerhäuſer, liegt etwas zurückgezogen vom See; zwiſchen Dorf und See breitet ſich der Park aus, deſſen5 Baumgruppen das etwas hoch gelegene Herrenhaus überragt. Dies Schloß oder Herrenhaus gleicht auf ein Haar den adligen Wohn - häuſern, wie ſie in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Städten und Dörfern hier zu Lande gebaut wurden. Unſer Pariſer Platz zeigt zu beiden Seiten noch ein Paar Muſterſtücke dieſer Bauart. Zwei Geſchoſſe (Parterre und Bel-Etage), ein hohes Dach, ein Blitzableiter, 10 Fenſter Front, eine Rampe, das Ganze gelb angeſtrichen und ein Wappen oder Namenszug als einziges Ornament. So iſt auch das alte Herrenhaus der Zieten; freilich hat es eine reizende Lage voraus. Vorder - und Hinter - front geben gleich anziehende Bilder. Jene geſtattet landeinwärts einen Blick auf Park, Dorf, Kirche und Kirchhof, ein Ueberblick, der um ſo vollſtändiger iſt, als das leis anſteigende Terrain auch das Fernerliegende dem Auge näher rückt. Die Hinterfront hat die Ausſicht auf den See.
Wir kommen in einem Boote über den See, legen an einer Waſſerbrücke an und ſpringen an’s Ufer. Ein kurzer Weg, an Parkgrün und blühenden Linden vorbei, führt uns an den ge - wöhnlichen Eingang des Hauſes. Der Flur iſt durch eine Glas - thüren-Wand in zwei Theile getheilt; die eine Hälfte, nach dem Dorf hinaus, dient als eine Art Empfangshalle und iſt mit Bil - dern und Stichen behängt, darunter der bekannte Kupferſtich Cho - dowiecki’s: Zieten ſitzend vor ſeinem König. Die andere Hälfte dient als Treppenhaus. Wir ſteigen die eichene, altmodiſch-bequeme Treppe hinauf und treten nun in die nach vornhin gelegene Zimmerreihe ein. Es ſind fünf Räume; in der Mitte ein großer 4 - oder 5fenſtriger Saal, zu beiden Seiten je zwei kleinere Zim - mer. Die kleineren Zimmer ſind durchaus ſchmucklos; über den Thüren befinden ſich Oelbilder, Copieen nach Niederländiſchen Mei - ſtern; das iſt Alles. Das Zimmer, rechts vom Saal, iſt das Sterbezimmer des letzten Zieten. Der hiſtoriſche „ alte Zieten “ſtarb in Berlin, und zwar in einem jetzt umgebauten Hauſe in der Kochſtraße, das dem Friedrich-Wilhelms-Gymnaſium ſchräg6 gegenüber liegt. (Auch das alte ſtattliche Haus, Wilhelmsſtraße 9, galt bei ſeinen früheren Bewohnern als ein Zietenſches Haus.)
Das Zimmer links vom Saal heißt das Königs-Zimmer, ſeitdem Friedrich Wilhelm IV., etwa in der Mitte der 40er Jahre, die Grafſchaft Ruppin durchreiſte und in Wuſtrau und Koepernitz, wo damals noch die 70jährige Marquiſe La Roche Aymon lebte, einen längeren Beſuch machte.
Der große Saal iſt die eigentliche Sehenswürdigkeit des Hauſes. Alles erinnert hier an den Helden, der dieſe Stätte be - rühmt gemacht hat. Eine Koloſſal-Vaſe, in der Mitte des Saals, zeigt auf ihrer Rückſeite die Abbildung des Zietendenkmals auf dem Wilhelmsplatz; rund umher aber, an den Wänden entlang, gruppiren ſich Portraits und Büſten der allermannigfachſten Art. Unter den Skulpturen bemerken wir zunächſt zwei Büſten des „ alten Zieten “ſelbſt. Sie ſtehen in Wand-Niſchen, auf hohen Poſta - menten, von einfacher aber gefälliger Form. Die eine Büſte, ein Gips-Modell vom berühmten Bildhauer Taſſaert, iſt ein großes Werthſtück, durchaus Portrait, das, noch bei Lebzeiten des alten Zieten, nach der Natur gefertigt wurde. Die andre Büſte, kaum zehn Jahre alt, iſt nichts wie die übrigens ſehr gelungene Aus - führung des Taſſaert’ſchen Modells in Marmor. Die Arbeit dieſes alten Meiſters iſt ganz vortrefflich, und kann der Schadow’ſche „ alte Zieten “, den wir Alle vom Wilhelmsplatz her kennen, daneben kaum beſtehen. Die große Lebenswahrheit, die aus der Taſſaert’ſchen Büſte ſpricht, drückt, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, den Schadow’ſchen alten Zieten zu einer bloßen Tendenz-Statue herab. Schadow ſcheint davon ausgegangen zu ſein, den Huſaren quand même, oder das Huſarenthum an ſich, darſtellen zu wollen; er hat dies Letztere, wie mir ſcheint, als eine Idee in ſeinem Kopfe herumgetragen und dieſem idealen Huſarenthum hinterher Ausdruck gegeben. Von dem Moment ab, wo man den wirklichen alten Zieten (den Taſſaert’ſchen) geſehen hat, wird einem das mit einem Male klar. Dies übergeſchlagene Bein, dieſe Hand am Kinn, als ſolle mal wieder ein luſtiger Huſarenſtreich erſonnen und ausge -7 führt werden, iſt ganz im Charakter des Huſarenthums, aber durch - aus nicht im Charakter Zieten’s, der von Jugend auf etwas Ernſtes, Nüchternes und durchaus Schlichtes hatte. Er hatte ein verwegenes Huſaren-Herz, aber die Huſaren-Manieren, wie ſie im Buche ſtehen, waren ihm fremd. Ich brauche wohl nicht hinzuzufügen, daß mit allem dieſem kein beſonderer Tadel gegen den Schadow’ſchen Zieten ausgeſprochen ſein ſoll. Die Taſſaert’ſche Arbeit ſteht künſtleriſch auf einer höheren Stufe; die Schadow’ſche hat aber ihrerſeits gedanklich große Verdienſte, ſo große, daß die Mängel beinahe aufgewogen werden, die ihr als Portrait - Statue unbedenklich anhaften. Die vielbetonte realiſtiſche Auf - faſſung dieſer Statue iſt mehr ſcheinbar als wirklich.
Das Poſtament der Modell-Büſte erweiſt ſich, bei näherer Betrachtung, als ein Schrein von weiß-lackirtem Holz; ein Schlüſ - ſelchen öffnet die kaum bemerkbare Thür deſſelben. In dieſem ein - fachen Schrein befindet ſich der Säbel des alten Zieten, nicht jener Türkiſche, den ihm Friedrich II. nach dem zweiten Schleſi - ſchen Kriege zum Geſchenk machte, ſondern ein gewöhnlicher Preu - ßiſcher Huſaren-Säbel, wie ihn der alte Herr während des 7jährigen Krieges trug. Er zog ihn während der ganzen Campagne nur ein Mal, und dies eine Mal zu ſeiner perſönlichen Verthei - digung. Am Tage vor der Schlacht von Torgau, alſo am 2. No - vember 1760, als er in Begleitung einer einzigen Ordonnanz recognosciren ritt, ſah er ſich plötzlich von ſechs Oeſterreichiſchen Huſaren umſtellt. Er hieb ſich, im buchſtäblichen Sinne, durch und ſteckte den blutigen Säbel ruhig wieder in die Scheide. Er ſprach nie von dieſer Affaire. Die Blutflecke, ein rothbrauner Roſt, ſind noch deutlich auf der Klinge ſichtbar.
Kaum minder intereſſant, als dieſer nur einmal gezogene Helden-Säbel, ſind die 16 Lebensgroßen Bildniſſe, die ringsum die Wände bedecken. Es ſind die Portraits von 16 Offizieren des Zieten’ſchen Regiments, alle 1749, 1750 und 1751 gemalt. Die Namen der Offiziere ſind folgende: die Rittmeiſter Langen, v. Teiffel, v. Somogy, Calau v. Hofen, v. Horn, v. Seel, v. Wieck, v. Probſt,8 v. Jürgaß, v. Bader; die Lieutenants v. Reitzenſtein, v. Heinecker, v. Troſchke, und die Cornets von Schmanowski, Petri und v. Mahlen. Mit Ausnahme des Letzteren ſtarben ſie all’ im Felde; v. Seel fiel als Oberſt bei Hochkirch, v. Heinecker bei Zorndorf, v. Jürgaß bei Weiß-Coſtulitz, v. Wieck ſtarb als Com - mandant v. Comorn in Ungarn; wie er dort hinkam — unbe - kannt. Im erſten Augenblick, wenn man in den Saal tritt und dieſe 16 Zieten’ſchen Rothröcke mit Schnauzbärten und Tigerfellen auf ſich herabblicken ſieht, wird einem etwas unheimlich zu Muthe. Sie ſehen zum Theil aus, als ſeien ſie mit Blut gemalt, und der Rittmeiſter Langen, der vergebens trachtet, ſeinen Haſenſcharten - Mund durch einen zwei Finger breiten Schnurrbart zu verbergen, zeigt einem zwei weiße Vorderzähne, als wollt’ er einbeißen; dazu die Tigerdecke, — man möchte am liebſten umkehren. Hat man aber erſt fünf Minuten ausgehalten, ſo wird einem in dieſer Ge - ſellſchaft ganz wohl, und man empfindet alsbald, daß eine Ruben - ſche Bärenhatz oder ähnliche traditionelle Saal - und Hallen-Bilder hier viel weniger am Platze ſein würden. Die alten Schnurrwichſe fangen an, einem menſchlich näher zu treten, und man erkennt ſchließlich, hinter all’ dem Schreckensapparat, die wohlbekannten Märkiſch-Pommerſchen Geſichter, die nur von Dienſt wegen das Martialiſche faſt bis zum Diaboliſchen geſteigert haben. Die Bilder, zumeiſt von einem unbekannten Maler, Namens Haebert, herrüh - rend, ſind gut erhalten und, mit Rückſicht auf die Zeit ihrer Ent - ſtehung, nicht ſchlecht gemalt: das Schöne fehlt noch, aber das Charakteriſtiſche iſt da.
Der große Saal, in dem dieſe Bilder, neben ſo manchem anderen hiſtoriſchen Hausrath, ſich vorfinden, nimmt mit Recht un - ſer Hauptintereſſe in Anſpruch, aber noch vieles bleibt, in den andern Räumen des Hauſes, unſrer Aufmerkſamkeit übrig. Das ganze Schloß gleicht einer Art Zieten-Gallerie und wenige Zimmer treffen wir (ich erwähnte ſchon der Eintrittshalle im Erd - geſchoß und ihres Chodowiecki), von deren Wänden uns nicht, ſei es als Kupferſtich oder Oelbild, als Büſte oder Silhouette, das9 Bildniß des alten Helden grüßte. Alles in allem gerechnet, befinden ſich wohl an 40 Zieten-Portraits im Schloß. Viele von dieſen Bildniſſen, beſonders die Stiche, ſind allgemeiner gekannte Blätter; nicht ſo die Oelbilder, deren wir (ohne für Vollſtändigkeit zu bür - gen) zunächſt acht zählen, ſieben Portraits und das achte, ein Genrebild aus der Sammlung des Markgrafen Karl von Schwedt. Es ſtellt möglicherweiſe die Scene dar (vergl. Zietens Biographie von Frau von Blumenthal S. 56), wie der damalige Major von Zieten an den Oberſtlieutenant von Wurmb herantritt, um die Remontepferde, die ihm zukommen, für ſeine Schwadron zu for - dern, eine Scene, die bekanntlich auf der Stelle zu einem wüthen - den Zweikampf führte. Doch iſt dieſe Auslegung nur eine muth - maßliche, da die ganze Scenerie des Bildes anders iſt als die Lokalität, die Frau von Blumenthal beſchreibt. Die ſieben Por - traits, mit Ausnahme eines einzigen, ſind ſämmtlich Bilder des „ alten Zieten “und deshalb, trotz einzelner Abweichungen in Uni - form und Haltung, in ihren unterſcheidenden Merkmalen ſchwer zu charakteriſiren. Nur das älteſte Portrait, das bis ins Jahr 1726 zurückgeht und den „ alten Zieten, “den wir uns ohne Run - zeln und Huſaren-Uniform kaum denken können, als einen jungen Offizier bei den von Wuthenow’ſchen Dragonern darſtellt, zeichnet ſich ſchon dadurch vor allen andern Bildniſſen aus. Zieten, damals 27 Jahr alt, trägt einen Stahlküraß, wie es ſcheint, und über demſelben eine graue Uniform (früher vielleicht weiß) mit ſchmalen blauen Aufſchlägen. Ob das Bild ächt iſt, ſteht dahin; von Aehn - lichkeit mit dem „ alten Zieten “natürlich keine Spur.
Wir verlaſſen nun den Saal und das Haus, paſſiren die andere, mehr dem Dorfe zu gelegene Hälfte des Parkes, über - ſchreiten die hübſche Dorfſtraße und ſtehen nun auf einem geräu - migen Raſenplatze, in deſſen Mitte ſich die Dorfkirche erhebt. Das Chor der Kirche liegt dem Herrenhauſe, der Thurm und die Giebel - ſeite dem Kirchhofe zu. Zwiſchen Thurm und Friedhof ſteht eine mächtige alte Linde. Die Kirche ſelbſt, in Kreuzform aufgeführt, iſt ein Ideal von einer Dorfkirche: ſchlicht, ſauber, einladend10 hübſch gelegen. Im Sommer 1756, kurz vorher, ehe es in den Krieg ging, wurde der Thurm vom Blitz getroffen. Das Innere der Kirche unterſcheidet ſich von andern Dorfkirchen nur durch eine ganz beſondere Sauberkeit und durch die Gefliſſentlichkeit, womit man das patriotiſche Element gehegt und gepflegt hat. So findet man nicht nur die übliche Gedenktafel mit den Namen derer, die während der Befreiungskriege fielen, ſondern zu der allgemeinen Tafel geſellen ſich noch ein paar Täfelchen, um die Sonder - verdienſte dieſes oder jenes zu bezeichnen. Neben dem Altar hängt ein Ebenholzkaſten mit Glasdeckel, darin ſich in ſtattlicher Reihe die Kriegsdenkmünzen derer befinden, die ihren vorangegangenen Brüdern von 1813 und 1814 nunmehr gefolgt ſind. An anderer Stelle gruppiren ſich Gewehr und Büchſe, Lanze, Säbel, Trom - mel und Flügelhorn zu einem Kriegs - und Siegeszeichen. Zwei Denkmäler zieren die Kirche; das eine, ohne künſtleriſche Bedeutung, zu Ehren der erſten Gemahlin Hans Joachim’s (einer geborenen v. Jürgaß) errichtet, das andere zu Ehren des alten Zieten ſelbſt. Dies letztere hat gleichen Anſpruch auf Lob wie Tadel. Es gleicht in ſeinen Vorzügen und Schwächen allen andern Arbeiten des raſch-fertigen, hyperproductiven Rode, nach deſſen Skizze es von dem Bildhauer Meier ausgeführt wurde. Wem eine tüchtige Technik genügt, der wird Grund zur Anerkennung finden; wer eine ſelb - ſtändige Auffaſſung, ein Abweichen vom Alltäglichen fordert, wird ſich nicht befriedigt fühlen. Ein Sarkophag und ein Relief-Portrait, eine Minerva rechts und eine Urania links, das paßt ſo ziemlich auf jeden. Es iſt das jenes gedanklich-bequeme Operiren mit über - kommenen Typen, worin unſere Bildhauer das Unglaubliche leiſten. Wenn irgend ein Leben, ſo hätte gerade das des alten Zieten die beſte Gelegenheit geboten zu etwas Neuem und Eigenthümlichem. Der Zieten aus dem Buſch, der Mann der hundert Anekdoten, die all’ im Volksmund leben, was ſoll er mit zwei Göttinnen thun (Einige ſagen, es ſeien ſymboliſche Figuren für Frömmigkeit und Tapferkeit), die ihn bei Lebzeiten in die ſicherſte Verlegenheit gebracht hätten. Vortrefflich iſt nur das Reliefportrait in weißem11 Marmor, das ſich an dem dunkelfarbigen Aſchenkruge des Denk - mals befindet und außer einer Silhouette im Schloß ſelber, das einzige Bildniß iſt, das uns den immer en face abgebildeten Kopf des Alten, auch ’mal in ſeinen Profillinien zeigt. Daß dieſe Linien nicht ſchön ſind, thut nichts zur Sache.
Das Marmor-Denkmal des alten Helden reicht an ihn ſelber nicht heran; es entſpricht ihm nicht. Da lob ich mir im Gegenſatz dazu das ſchlichte Grab, unter dem er draußen ſchläft. Das Monument, das ihn ehren ſoll, ſteht wind - und wetter-geborgen drinnen in der Kirche, der Alte ſelbſt aber ſchläft draußen im Freien, zugedeckt mit einem ſchlichten Sandſtein, — ein letztes Bivouac, wie es ſich für den alten Zieten geziemt. Dieſer Begräb - nißplatz befindet ſich in einem der vier Winkel, die durch die Kreuzform der Kirche gebildet werden. Der Raum, von einem roſtigen Eiſengitter eingefaßt, war groß genug für vier Gräber. Hier ruhen die beiden Eltern des alten Zieten, ſeine zweite Ge - mahlin (eine geb. v. Platen) und er ſelbſt. Das Aeußere der vier Gräber iſt wenig von einander verſchieden. Ein Unterbau von Backſtein erhebt ſich zwei Fuß hoch über den Raſen; auf dem Ziegel-Fundament ruht die Sandſteinplatte. Noch nichts iſt ver - fallen; auch der gegenwärtige Beſitzer empfindet, daß er eine hiſto - riſche Erbſchaft angetreten hat und eifert getreulich dem ſchönen Vorbild des letzten Zieten nach, deſſen ganzes Leben eigentlich nur ein Cultus ſeines berühmten Vaters war.
1786 ſtarb Hans Joachim von Zieten; 68 Jahre ſpäter folgte ihm ſein Sohn, achtundachtzig Jahre alt. Wir treten jetzt an ſein Grab. Es befindet ſich unter der ſchönen alten Linde, die zwiſchen der Kirche und dem leis anſteigenden Kirchhof ſteht. Hinter ſich die langen Gräberreihen der Bauern und Büdner, macht dies Grab den Eindruck, als habe der letzte Zieten noch im Tode den Platz behaupten wollen, der ihm gebührte, den Platz an der Front ſeiner Wuſtrauer. Aehnliche Gedanken beſchäftigten ihn ſicherlich, als er zehn oder zwölf Jahre vor ſeinem Tode dies Grab zu bauen begann. Ein Hünengrab. Der letzte Zieten, klein12 wie er war, verlangte Raum im Tode. Er baute ein Grab nicht für ſich, ſondern für das Geſchlecht, das mit ihm ſchlafen ging. Mit Vorliebe entwarf er den Plan und leitete er den Bau. Eine Gruft wurde gegraben und ausgemauert und nun ein Rieſen - Feldſtein (wie ſich deren viele auf der Wuſtrauer Feldmark vor - finden) auf das offene Grab gelegt. Am Fuß-Ende war die Aus - mauerung nur halb erfolgt, ſo daß nun durch Zuſchrägung und Fortſchaffung des Sandes eine Art Kellerfenſter gewonnen war, durch das der alte Herr in ſeine letzte Wohnung hineinblicken konnte. Mit Hülfe dieſer Zuſchrägung wurde auch ſpäter der Sarg verſenkt. Als der König im Jahre 1844 den ſchon oben erwähnten Beſuch in Wuſtrau machte, führte ihn der Graf natürlich auch an die Linde, um ihm das eben fertig gewordene Grab zu zeigen. Der König wies auf eine Stelle des Rieſenfeldſteins und ſagte: „ Zieten, der Stein hat einen Fehler! “worauf der alte Herr erwiederte: „ Der drunter liegen wird, hat noch mehr. “
Dieſe Antwort iſt ſo ziemlich das Beſte, was vom letzten Zieten auf die Nachwelt gekommen iſt. Einzelne andere Repliken und Urtheile (z. B. über die Schadowſche Statue, ſo wie über Bücher und Bilder, deren Held ſein Vater war) ſind unbedeutend, oft ungerecht und faſt immer ſchief. Er ſah die Sachen zu ein - ſeitig, zu ſehr von dem bloß Zietenſchen Standpunkt an, um gerecht ſein zu können, ſelbſt wenn ihm ein feinerer äſthetiſcher Sinn wenigſtens die Möglichkeit gewährt hätte, es zu ſein. Dieſer äſthetiſche Sinn fehlte ihm aber völlig. Selber eine Curioſität, hatte er es über die Curioſitäten-Krämerei nie hinausgebracht. Sein Witz und Humor verſtiegen ſich nur bis zur Luſt an der Myſtification. Den Alterthumsforſchern einen Streich zu ſpielen, war ihm ein beſonderer Genuß. Er ließ von eigens engagirten Steinmetzen große Feldſteine concav ausarbeiten, um ſeine Wuſtrauer Feldmark zu einem heidniſchen Begräbnißplatz avan - ciren zu laſſen. Am See-Ufer hing er in einem niedlichen Glocken - häuschen eine irdene Glocke auf, der er zuvor einen Bronce - Anſtrich hatte geben laſſen. Er wußte, daß die vorüberfahrenden Schiffer ſie innerhalb acht Tagen ſtehlen würden. Er hatte ſich13 nicht verrechnet und fand nach drei Tagen ſchon die Scherben. Solche Ueberliſtungen freuten ihn und man kann zugeben, daß darin ein Aederchen von der Herz-Ader ſeines Vaters ſichtbar war. Er war unfähig, zu dem Ruhme ſeines Hauſes auch nur ein Kleinſtes hinzuzufügen, aber er fühlte ſich als Verwalter dieſes Ruhmes und dieſes Gefühl gab ihm unter Umſtänden Bedeutung und ſelbſt Würde. Wo er für ſich und ſeine eigenſte Perſon eintrat, in den privaten Verhältniſſen des alltäglichen Lebens, war er eine wenig erfreuliche Erſcheinung: kleinlich, geizig, unſchön in faſt jeder Beziehung. Von dem Augenblick an aber, wo die Dinge einen Charakter annahmen, daß er ſeine Perſon von dem Namen Zieten nicht mehr trennen konnte, wurde er auf kurz oder lang ein wirklicher Zieten. Er war nicht adlig, aber ariſtokratiſch. Dies ariſtokratiſche Fühlen, wenn geglüht in leidenſchaftlicher Erregung, konnte auf Momente den Lichtblick wahren Adels zeigen, wie die Kohle, in rechter Gluth, zum Diamanten wird; aber ſolche Mo - mente weiſt ſein langes Leben nur ſpärlich auf. Sein Beſtes war die Liebe und Verehrung, mit der er ein halbes Jahrhundert lang die Schleppe ſeines Vaters trug. In dieſem Dienſte verſtieg ſich ſein Herz bis zum Poetiſchen in Gefühl und Ausdruck. Auf dem großen Raſenplatz, der die Kirche umgiebt, etwa hundert Schritte vom Grabe Hans Joachim’s entfernt, erhebt ſich ein hoher, zuge - ſpitzter Feldſtein mit einer Eiſenplatte, die in den Stein eingelegt iſt. Auf dieſer Eiſenplatte ſtehen in Goldbuchſtaben folgende Worte:
Im Jahre 1851 den 23. April stand an dieser Stelle das Blücher’sche Husaren-Regiment, um den hier in Gott ruhenden Helden, den berühmten General der Cavallerie und Ahnherrn aller Husaren, Hans Joachim von Zieten, in Anerkennung seiner hohen Verdienste durch eine feierliche Parade zu ehren. Ruhe und Friede seiner Asche! Preis und Ehre seinem Namen! Er war und bleibt der Preussen Stolz.
„ Ahnherr aller Huſaren “— ein Poet hätt’ es nicht beſſer machen können.
Unſer Weg führt uns heute nach Carwe. Es liegt am Oſtufer des Ruppiner See’s und ein Wuſtrauer Fiſcher fährt uns in einer halben Stunde hinüber. Die Oſtufer des See’s, wenigſtens an ſeiner ſüdlichen Hälfte, ſind reich bewaldet und von maleriſcher, faſt romantiſcher Wirkung. Ein beſonderer Schmuck des See’s an dieſer Stelle iſt ſein dichter Schilfgürtel, der namentlich in Front des Carwer Parkes wie ein Waſſerwald ſich hinzieht und hier und da eine Breite von hundert Fuß und darüber haben mag. An dieſes Schilfufer knüpft ſich eine Geſchichte, die uns am beſten in das ſtarke und friſche Leben einführt, das hier ein halb Jahr - hundert lang zu Hauſe war, und von dem ich Gelegenheit haben werde, manchen hübſchen Zug zu erzählen.
Es war im Jahr 1785. Der Sohn des alten Zieten auf Wuſtrau war Cornet im Leibhuſaren-Regiment ſeines Vaters und der Sohn des alten Kneſebeck auf Carwe war Junker im In - fanterie-Regiment von Kalkſtein, das damals in Magdeburg ſtand. Der Zufall wollte, daß beide zu gleicher Zeit Urlaub nahmen und auf Beſuch nach Haus kamen. Die beiden Nachbarfamilien lebten auf dem beſten Fuß mit einander und auch die jungen Leute unterhielten einen freundſchaftlichen Verkehr. Man ſah ſich oft und unternahm gemeinſchaftliche Partieen. Es war im Auguſt, See und Himmel waren blau, und der Schilfwald, der ſich im Waſſer15 ſpiegelte, ſtieg wie eine grüne Mauer aus dem Grunde des See’s auf. An ſolchem Tage begegneten ſich Junker und Cornet am Ufer, plauderten hin und her von der Strenge des Dienſtes und von der Luſt des Krieges und kamen endlich überein, in Ermang - lung wirklichen Kampfes, zwiſchen Carwe und Wuſtrau eine See - ſchlacht aufzuführen. Man machte auch gleich den Plan. Die Carwe’ſchen ſollten heftig angreifen und die Zieten’ſchen bis nach Wuſtrau hin zurückdrängen, dann aber ſollten dieſe ſich recolli - giren und die Kneſebeck’s in ihren Schilfwald zurückwerfen. So war es beſchloſſen; man ſchied mit herzlichem Händeſchütteln und freute ſich auf den andern Tag. Die Eltern nahmen auch Antheil und beide Dörfer waren in Aufregung. Nach Ruppin hin ergingen Einladungen an befreundete Offiziere, Pulver wurde beſchafft, und während Cornet und Junker ihre Dispoſitionen trafen, nahmen die Herrenhäuſer von Carwe und Wuſtrau den Charakter eines Kriegslaboratoriums an, drin allerhand Feuerwerk, Schwärmer, Raketen und Feuerräder in möglichſter Eile hergeſtellt wurden. So kam der erſehnte Abend. Mit dem Schlage neun liefen beide Flotten aus, jede ſechs Kähne ſtark, das Admiral-Boot vorauf. Als man an einander war, begann die Schwärmer-Kanonade; vom Ufer her ſcholl der Jubel einer dichtgedrängten Menſchenmenge, und als ein pot à feu jetzt ſeine Leuchtkugeln in die Luft warf, zogen ſich verabredetermaßen die Zieten’ſchen nach Wuſtrau hin zurück. Aber nur auf kurze Diſtance. Eh’ ſie noch in die Nähe des Hafens gekommen waren, wandten ſie ſich wieder und drei große Raketen, faſt horizontal über das Waſſer hinſchießend, gin - gen ſie jetzt ihrerſeits mit verdoppeltem Ruderſchlag zur Attaque über. Die Carwe’ſchen hielten einen Augenblick Stand, dann be - gann die Retraite immer eiliger, immer raſcher. Die Wuſtrau’ſchen ſetzten nach und waren eben auf dem Punkt, die Fliehenden bis in das dichte Schilf hinein zu verfolgen, als ein lautes, ſtaunendes Ah, das vom Ufer her herüberklang, die Verfolgenden ſtutzig machte und ihre Blicke nach rückwärts lenkte. Die Sieger waren gefangen. Im Carwe’ſchen Schilf hatte eine ganze Flotte von16 Fiſcherkähnen verborgen gelegen, die der Junker vom Regimente von Kalkſtein als Miethstruppe für dieſen Tag angeworben und von ſeinem Taſchengelde bezahlt hatte. Es waren Fiſcherkähne aus Alten-Frieſack, 24 an der Zahl. In langer Linie kamen ſie jetzt aus dem Schilf hervor, jeder eine Laterne hoch am Maſt, und legten ſich quer über den See. Das Lampenlicht war hell genug, die Fiſchergeſtalten zu zeigen, wie ſie da ſtanden mit vorgehaltenem Ruder, bereit, jeden Fluchtverſuch zu vereiteln. Die Wuſtrau’ſchen machten gute Miene zum böſen Spiel und ſprangen lachend an’s Ufer. Nie wurden Gefangene ſchmeichelhafter begrüßt. Als ſie in den Park traten, ſahen ſie dicht vor dem Herrenhauſe eine Ehren - pforte errichtet, an deren Spitze das von Lichtern umgebene Bild des alten Zieten leuchtete, darunter die Unterſchrift: Voilà notre modèle. Am andern Tage erhielt der Junker v. d. Kneſebeck eine Einladung nach Wuſtrau. Der alte 86jährige Zieten, der gemein - hin einen grauleinenen Kittel zu tragen pflegte, ſaß heut in voller Uniform auf ſeinem Lehnſtuhl und rief den eintretenden Junker zu ſich heran: „ Komm her, mein Sohn, und küſſe mich. Werde ſo ein braver Mann wie Dein Vater. “ Der Junker trat heran und bückte ſich, um dem Alten die Hand zu küſſen. Dieſer aber legte beide Hände auf den Kopf des Junkers und ſprach bewegt: „ Gott ſegne Dich! “—
Das iſt die Geſchichte von der Seeſchlacht bei Carwe; ſie kann es aufnehmen mit manchem großen Sieg. Wer aber am Ruppiner See zu Hauſe iſt, den freut es zu ſehen, was in Dorf und Stadt auf ſeinem ſchmalen Uferſtreifen an Männern alles gewachſen iſt. Welche auf - und niedergehenden Sterne trafen eben damals an den Ufern dieſes See’s zuſammen! In ſeinem Lehn - ſtuhl Zieten, der Lieblingsheld unſeres Volks, und vor ihm ge - bückt jener Kneſebeck, der 30 Jahre ſpäter den ſiegreichen Ge - danken gebar, daß der Welteroberer, der durch keine menſchliche Kraft zu beſiegende Gegner, nur durch die ſtille Macht des Rau - mes, d. h. durch einen Ruſſiſchen Krieg, zu vernichten ſei. Um dieſelbe Stunde aber, wo der Junker vom Regiment von Kalk -17 ſtein den Segen eines abſterbenden Helden empfing, ſpielte im Superintendenten-Garten der Stadt Ruppin ein Knabe umher und ſah leuchtenden Auges nach den Spitzen der alten Kloſterkirche hinüber. Dann kniete er nieder und zeichnete Figuren in den Sand. Dieſer Knabe war Karl Friedrich Schinkel. —
Auch wir kommen von Wuſtrau — minder raſch als damals der Cornet von Zieten, aber ſicherer — und nähern uns, ohne unſere Rückzugslinie gefährdet zu ſehen, durch eine der Straßen, die ſich durch den Schilfwald ziehen, dem Holzſteg, an dem die Boote anzulegen pflegen. Wir ſpringen an’s Ufer und befinden uns in dem Park von Carwe. Er iſt ziemlich groß, mit vielem Geſchmack und in einem einfach noblen Stiel angelegt, — das Ganze vorwiegend eine Schöpfung unſeres „ Junkers vom Regi - ment von Kalkſtein “, des am 12. Januar 1848 verſtorbenen Feldmarſchalls von dem Kneſebeck. Dieſer ausgezeichnete Mann wird überhaupt den Mittelpunkt alles deſſen bilden, was ich in Weiterem zu erzählen habe, da er, wie der Hauptträger des Ruh - mes der Familie, ſo auch zugleich derjenige iſt, der am ſegens - reichſten an dieſer Stelle gewirkt und den todten Dingen entweder den Stempel ſeines Geiſtes aufgedrückt oder ihnen, durch irgend eine Beziehung zu ſeiner Perſon, zu einem poetiſchen Leben ver - holfen hat. —
Wir haben den Park ſeiner Länge nach paſſirt und ſtehen jetzt vor dem Herrenhauſe. Es iſt einer jener Flügelbauten, wie ſie dem vorigen Jahrhundert eigenthümlich waren und erinnert in Form und Farbe an das Radziwill’ſche Palais in Berlin, das jeder meiner Leſer kennen wird. Das letztere iſt größer und hat mehr Roccocoſchmuck an ſeiner Façade. Auch das Eiſengitter, das den Hofraum abſchließt und die Flügel verbindet, fehlt dem Carwe - ſchen Herrenhauſe, das aber dafür ſeinerſeits wie in Blumen ſteht und an ſeinem Eingange von zwei Moloſſer-Hunden in Erzguß flankirt wird. Trotz der Blumenfülle, die den Grasplatz zwiſchen den Flügeln überdeckt, ja trotz der Pfauenſtange, die vom Hof her über das Dach hinwegragt, und auf deren höchſter Spitze die218ſchönen, farbenprächtigen Thiere ſitzen, ruft das Herrenhaus einen ernſten, beinah düſtern Eindruck hervor und macht einem, auch ohne praktiſche Probe, die Verſicherung glaubhaft, daß es ein Spukhaus ſei. Leider entbehrt die überlieferte Spukgeſchichte ſelbſt aller charakteriſtiſchen Züge und paßt inſofern ſchlecht nach Carwe hin, wo einem alles Andere plaſtiſch beſtimmt, gut motivirt und voll feſſelnder Eigenthümlichkeit entgegentritt. Die übliche hohe Frau, deren ſchwarze Seide durch die Zimmer rauſcht; das übliche Poltern, Rumoren und Thürenklappen; der traditionelle Seufzer, womit die Erſcheinung verſchwindet — nichts Beſonderes, nichts Abweichendes. Niemand weiß, wer die ſchwarze Dame iſt, und wer es weiß, will es vielleicht nicht wiſſen. Ihrer Erſcheinung fehlt das beſtimmte, hiſtoriſche Fundament, jener dunkle Fleck, ohne den es keine Geſpenſter und keine Geſpenſtergeſchichten giebt.
Carwe gehört den Kneſebeck’s in der vierten Generation. Der Urgroßvater des jetzigen Beſitzers kaufte es im Jahre 1721 von dem Vermögen ſeiner Frau und errichtete das Wohnhaus, das wir, wenn auch verändert und erweitert, noch jetzt vor uns er - blicken. Die Umſtände, die dieſen Kauf und Bau begleiteten, ſind zu eigenthümlicher Art, um hier nicht erzählt zu werden. Der Ur - großvater Carl Chriſtoph Johann von dem Kneſebeck, zu Wittingen im Hannoverſchen geboren, trat früh in Preußiſche Kriegsdienſte. Er war ein großer, ſtarker und ſtattlicher Mann, aber arm. Die Regierungszeit Friedrich Wilhelm’s I. indeß war juſt die Zeit, wo das Verdienſt des Großſeins die Schuld des Armſeins in Balance zu bringen wußte und gemeinhin noch Ueberſchüſſe ergab. Carl Chriſtoph Johann war ſehr groß und ſo erfolgte alsbald eine Cabinets-Ordre, worin die reiche Wittwe des General-Adjutanten v. Köppen, eine geborne v. Bredow, angewieſen wurde, den Oberſt - Lieutenant v. d. Kneſebeck zu ehelichen. Die Hochzeit erfolgte und Carwe wurde vom Gelde der reichen Frau gekauft. Aber die Gnadenbezeigungen gegen den ſtattlichen Oberſt-Lieutenant hatten hiermit ihr Ende noch nicht erreicht. Im Kopfe des Königs mochte die Vorſtellung lebendig werden, daß eigentlich die reiche Wittwe19 bis dahin Alles und die Gnade Sr. Majeſtät ſehr wenig gethan habe; ſo verſprach er denn, dem jungen Paar ihr neues Wohn - haus in Carwe einzurichten und ſogar zum Aufbau deſſelben die Balken und den Kalk zu liefern. Bald ſtand das Haus da, und die innere Einrichtung, die Möblirung erfolgte mit ſo viel Muni - ficenz, wie es dem ſparſamen und ſchlicht gewöhnten König nur immerhin möglich war. Selbſt Königliche Familien-Portraits, zum Theil von der Meiſterhand Pesne’s, wurden geliefert und in einem Empfangsſaal des erſten Stockes in das Mauerwerk eingefügt. Wir werden gleich ſehen, wie wichtig es für den neuen Beſitzer von Carwe war, dieſe ſtattliche Bilderreihe nicht aufgehängt, ſon - dern eingemauert zu haben. Es waren nämlich kaum einige Monate in’s Land gegangen, als ein großer Planwagen vor dem Kneſebeck’ſchen Hauſe erſchien und mit ihm zugleich die Ordre, das durch Königliche Munificenz erhaltene Ameublement wieder zurück - zuliefern. Es waren nicht die Zeiten, um ſolcher Ordre irgend - welchen erheblichen Widerſtand entgegenzuſetzen und die Spiegel und Tiſche und Kommoden, die der gebornen v. Bredow bereits lieb und theuer geworden waren, verſanken alsbald zwiſchen den Heu - und Strohbündeln des draußen harrenden Wagens. Was zu dieſer Ordre geführt hat, ob einfach Laune oder aber die öko - nomiſche Erwägung, „ daß der von Kneſebeck nunmehro reich genug ſei, um ſich auch ohne geſchenkte Königliche Möbel behelfen zu können, “iſt nie bekannt geworden. Der Planwagen kam nie wie - der; zurückgelaſſen hatte er nur die eingemauerten Bilder und einen alten Eichentiſch, den ſeine Unſcheinbarkeit rettete, mit deren Hülfe er dem Kneſebeck’ſchen Hauſe bis dieſen Tag erhalten worden iſt.
Wir treten nun an den Hunden des Phidias (den Moloſſern) vorbei, in das Haus ſelber ein. Das erſte Zimmer mit der Aus - ſicht auf den Park iſt das Bibliothekzimmer. Auf ſchlichten Regalen ſtehen ſchlichte Einbände, keine Goldſchnitts-Literatur zum Anſehen, ſondern Bücher zum Leſen, „ Krieger für den Werkeltag. “ Es ſind Bücher und Broſchüren, die der alte Feldmarſchall in ſeinem 80jährigen Leben geſammelt hat und über deren Inhalt und Rich -2*20tung ſeine eigenen Worte Auskunft geben mögen: „ Mit meinen Studien in Geſchichte, Philoſophie und ſchönen Wiſſenſchaften ging es beſſer; ſie intereſſirten mich über Alles, beſonders Geſchichte und Lebensbeſchreibungen, zu denen auch bis ins ſpäte Alter mir die Neigung geblieben iſt. “ Die poetiſche Grund - anlage des alten Herrn ſpricht ſich in dieſen Worten aus; hätt’ es je eine ſchaffende dichteriſche Natur gegeben, der nicht Biogra - phieen und Memoiren die liebſte Lectüre geweſen wären! —
Aus dem Bibliothekzimmer tritt man in das dahinter gelegene Empfang - und Familienzimmer. Es hat die Ausſicht auf die Hof - und Stallgebäude; Tauben ſitzen auf den Fenſterſimſen, und in der Mitte des Hofes ſteigt die Pfauenſtange wie ein tropiſcher Wunderbaum hoch in die Luft. Das Zimmer iſt groß und geräu - mig und macht vor Allem den Eindruck behaglichen Geborgenſeins. An Bildern weiſt es nichts von beſonderem Intereſſe auf, außer einer Anſicht von Schloß Tilſen, dem alten Familienſitz (in der Nähe von Salzwedel) der Kneſebeck’s. Die eigentliche Sehenswür - digkeit dieſes Zimmers iſt jener alte Eichentiſch, deſſen Unſcheinbar - keit ihn vor der Verſenkung in den Planwagen rettete. Und doch war dies ſchlichte Wirthſchaftsſtück das eigentliche chef d’œuvre des Ameublements, wenn auch damals nicht, ſo doch jetzt. Dieſer Tiſch nämlich bildete einen Theil jener langen Tafel, an der die Sitzungen des Tabaks-Collegiums gehalten wurden. Es exiſtiren ihrer nur noch zwei, dieſer Kneſebeck’ſche in Carwe und ein Zwillings - bruder deſſelben in Potsdam. Eine Decke von braunem ſchweren Seidenzeug verhüllt wie billig die eichene Derbheit dieſes nicht ſalonfähigen Möbels, deſſen Conſtruction ganz eigenthümlicher Art iſt. Die Platte beſteht aus zwei abgeſtutzten Dreiecken und ruht auf ſechs Füßen, deren Stellung unter einander wiederum zwei Dreiecke bildet. Verbindungshölzer und Eiſenkrampen halten das Ganze zuſammen und ſtellen einen Bau her, der allen Anſpruch darauf hatte, überſehen zu werden, als die Trumeaux hinaus - getragen wurden.
Links neben dem Empfangs-Saal befindet ſich das Arbeits -21 zimmer des gegenwärtigen Beſitzers. Es iſt ſehr klein, etwas geräuſchvoll gelegen und ſelbſt zur Nachtzeit jener Ruhe entbehrend, ohne die es kein eigentliches Studium giebt. Die Dame im ſchwarzen Seidenkleid nämlich beginnt von hier aus ihren Rund - gang durch das Haus, und es iſt begreiflicherweiſe nicht Jeder - manns Sache, um die zwölfte Stunde ruhig ein Buch zu leſen, wenn man fürchten muß, die ſchwarze Frau ſteht hinter einem und lieſt mit, wie zwei Leute, die aus einem Geſangbuch ſingen.
Ueber dem Schreibpult im ſelben Zimmer hängt ein ſehr gutes Crayon-Portrait des Feldmarſchalls, und auf einem Tiſchchen daneben ſteht ein porzellanenes Schreibzeug mit einer Roſen-Guir - lande, ein Geſchenk vom alten Gleim, der dem Feldmarſchall in ſeinen Lieutnantstagen nah befreundet war.
Zur Rechten des Empfangszimmers iſt der Speiſeſaal. Hier befinden ſich neben anderen Schildereien vier Familienportraits: zunächſt der Ahnherr des Hauſes, einem Grabſtein-Relief nach - gebildet, das ſich in der Kirche zu Hannoveriſch-Wittingen bis dieſen Tag erhalten hat. Unmittelbar darunter hängen die Bilder vom Urgroßvater und Großvater des jetzigen Beſitzers, von denen wir den Erſteren als ſtattlichen, reich verheiratheten Oberſt-Lieute - nant bei der Garde, den andern als Vater des Junkers vom Regiment v. Kalkſtein bereits kennen gelernt haben. Er war bei Kollin durch Arm und Leib geſchoſſen worden und derſelbe, auf den der ſterbende Zieten die Worte bezog: „ Gott ſegne Dich und werde ſo brav wie Dein Vater. “ Unter dieſen beiden Portraits hängt das vortrefflich ausgeführte Oelbild des Feldmarſchalls v. d. Kneſebeck, damals (während der Befreiungskriege) noch General-Lieutenant in der Occupations-Armee. Das Bild zeigt in ſeiner linken Ecke den Namen: „ Steuben; Paris, 1814 “, kurze Worte, die beſſer als jede Beſchreibung für den Werth des Bildes ſprechen.
An der gegenüberliegenden Wand des Saales befindet ſich eine Copie jenes berühmten Correggio’ſchen Chriſtuskopfes auf dem Schweißtuche der heiligen Veronica. Das Original bildet jetzt22 bekanntlich eine Zierde unſeres Berliner Muſeums; früher hing es im Eßſaal zu Carwe, an derſelben Stelle, die ſich jetzt mit der bloßen Copie behelfen muß. Intereſſant iſt es, wie das Original in den Beſitz der Familie kam. Der Feldmarſchall bereiſte, un - mittelbar nach dem Kriege, Italien und kam nach Rom. Kurz vor ſeiner Rückreiſe wurde ihm von einem Trödler ein Chriſtus - kopf zum Verkauf angeboten, deſſen hohe Schönheit auch ſeinem Laienauge auf der Stelle einleuchtete. Er kaufte das Bild für eine anſehnliche Summe. Kaum war er im Beſitz deſſelben, als ſich das Gerücht verbreitete, eins der Italieniſchen Klöſter ſei be - raubt worden — der Correggio’ſche Chriſtuskopf auf dem Schweiß - tuch der heiligen Veronica ſei fort. Der nächſte Tag brachte die amtliche Beſtätigung und Belohnungen wurden ausgeſetzt für die Wiederbeſchaffung und ſelbſt für den Nachweis des berühmten Gemäldes. Der damalige General-Lieutenant begriff die Gefahr und traf ſeine Vorkehrungen. Das Bild wurde in ein Wagen - kiſſen eingenäht; der glückliche Beſitzer, der bis dahin kaum ſelbſt gewußt haben mochte, was er beſaß, nahm auf ſeinem neuen Schatze Platz und brachte ſo ſein ſchönes Eigenthum über die Alpen. Ich kann nicht ſagen, wie lange das Bild in Carwe blieb; muthmaßlich nur kurze Zeit. Das Haus Kneſebeck, das zu Anfang des 18. Jahrhunderts von den Hohenzollern ein halbes Dutzend Familienportraits geſchenkt erhalten hatte, nahm zu Anfang des 19. Jahrhunderts Veranlaſſung, dem Königlichen Hauſe ein Gegen - geſchenk zu machen und warf (in aller Pietät gegen die Hohenzollern ſei es geſagt) einen Correggio’ſchen Chriſtuskopf gegen ſechs Pesneſche Kurfürſten ſiegreich in die Waage. Friedrich Wilhelm III. acceptirte in Gnaden das Geſchenk ſeines General-Lieutenants und willigte gern in Erfüllung des einen Wunſches, den Kneſebeck bei Ueber - reichung des Bildes geäußert hatte, daß daſſelbe nämlich unwan - delbar in der Königlichen Hauskapelle verbleiben möge. Dieſe Zu - ſage iſt aber im Lauf der Jahre entweder vergeſſen oder aus Hohenzollern’ſcher Humanität, die nichts Schönes für ſich allein haben mag, abſichtlich geändert worden. Das Bild gehört nicht23 mehr der Hauskapelle, ſondern, wie Jedermann weiß, dem Bilder - Muſeum an. Nur bei Gelegenheit der Taufe des jungen Prinzen, deſſen Geburt im Februar dieſes Jahres alle loyalen Herzen in Stadt und Land mit Freude füllte, kam auch der Correggio zu ſeinem zugeſagten Recht und wandelte auf 24 Stunden aus den Sälen des Muſeums in den prächtigen Kuppelbau der Schloß - kapelle hinüber. —
Wir machen von dem Eßſaal aus noch einen Rundgang durch die Räume des oberen Stockwerkes, inſpiciren im Hof den hiſtoriſchen alten Kaleſchwagen, in dem der damalige Oberſt v. Kneſebeck die berühmte Reiſe nach Petersburg antrat, um dem Kaiſer Alexander zuzurufen: „ Krieg und wieder Krieg! Die Qua - dratmeilen Rußlands ſind die Rettung Europa’s! “— und kehren dann in das Empfangs - und Familienzimmer zurück, deſſen bequeme Polſterſtühle zu einer kurzen Raſt einladen. In dieſem Zimmer pflegte der alte Feldmarſchall, beide Hände auf dem Rücken, den kurzen Sammetrock durch eine Schnur zuſammengehalten, mit großen Schritten auf und ab zu ſchreiten. Hier war die Arbeits - ſtätte ſeiner Gedanken, hier, wo er in beſten Mannesjahren ſein Gehirn zerſonnen hatte, wie Rettung zu ſchaffen und dem Feinde ſeines Landes, dem Feinde alles Lebens ſiegreich beizukommen ſei. Und hier fand er es. Hören wir, was er ſelbſt darüber ſchreibt: „ Die Karte von Rußland kam nicht von meinem Pult. Ich ſah die unermeßliche Fläche, berechnete die möglichen Märſche des Er - oberers und ſiehe da, die beiden großen Alliirten Rußlands: der Raum und die Zeit, traten mit einer Lebendigkeit vor meine Seele, die mir keine Ruhe mehr ließ. Zur Gewißheit wurde es mir: ſo iſt er zu beſiegen und ſo muß er beſiegt werden. “
Wir Alle wiſſen jetzt, wie praktiſch-richtig das poetiſch Ge - ſchaute jener nächtlichen Stunden geweſen iſt. Das glänzendſte Zeugniß aber ſtellte unſerem Kneſebeck ſein Gegner ſelber aus. Dieſer hatte den Kneſebeck’ſchen Plan gekannt, aber ignorirt. Im Frühjahr 1813 fand folgende Unterhaltung zwiſchen Napoleon und dem Grafen St. Marſan (bis dahin Geſandter am Preu -24 ßiſchen Hofe) ſtatt. Der Kaiſer: Erinnern Sie ſich noch eines Berichtes, den Sie mir im Jahre 1812 von einem gewiſſen Herrn v. Kneſebeck geſchickt haben? St. Marſan: Ja, Ew. Majeſtät. Der Kaiſer: Glauben Sie, daß er im gegenwärtigen Kriege mitfechten wird? St. Marſan: Allerdings glaub’ ich das. Der Kaiſer: Der Menſch hat richtig vorausgeſehen, und man darf ihn nicht aus dem Auge verlieren.
So Napoleon im Frühjahr 1813. Andere Zeiten kamen, der 46jährige Oberſt von dem Kneſebeck war ein Siebziger geworden und ſtatt der Karte von Rußland und vorausberechneter Märſche und Schlachten, lagen nun die Memoiren derer auf dem Tiſch, die damals mit ihm und gegen ihn die Schlachten jener Zeit ge - ſchlagen hatten. Nach einer Epoche reichen, thatkräftigen Lebens war auch für ihn die Zeit philoſophiſcher Betrachtung gekommen. Die Lieutenantstage von Halberſtadt wurden ihm wieder theuer, das Bild des alten Gleim trat wieder freundlich nickend vor ſeine Seele, und der Mann, der zeitlebens wie ein Poet gedacht und gefühlt hatte, fing als Greis an, auch jenem letzten zuzuſtreben, das den Dichter macht — der Form. Aehnlich wie Wilhelm v. Humboldt in Tegel, ſo ſaß der alte Kneſebeck auf ſeinem väter - lichen Carwe und beſchloß ein gedankenreiches Leben mit dem Con - cipiren und Niederſchreiben von Sinn - und Lehr-Gedichten, von Epiſteln und Epigrammen.
Das klingt hart, aber wenn irgend einer competent war zu urtheilen, ſo war er es. Es nimmt der Wahrheit ſeines Aus -25 ſpruches nichts, daß eine leiſe Bitterkeit oder ein Wort der Reſig - nation ſeine Sentenzen gelegentlich färbte:
So ſchrieb er am Abend ſeines Lebens. Bis tief in die Nacht hinein ſaß er an ſeinem Pult. Die ſchwarze Frau kam und ging, aber das Kniſtern ihrer Seide ſtörte ihn nicht, eben ſo wenig wie das Kniſtern im Kamin; er, der dem großen Geſpenſt des Jahr - hunderts mit ſiegreichem Gedanken entgegengetreten war, war ſchuß - feſt gegen die Geiſter. Ein Jahr vor ſeinem Tode ward er Feld - marſchall. Drei Jahre früher war ihm ein erſter Enkel geboren worden, zu deſſen Taufe der König verſprochen hatte, nach Carwe zu kommen. Er kam nicht, aber ſtatt ſeiner traf ein Entſchuldi - gungs-Brief ein, deſſen Namenszug mit Hülfe eines angehängten Schnörkels in ein Wickelkind auslief. Vor dieſem Wickelkind, das natürlich den kleinen Kneſebeck repräſentiren ſoll, ſteht der König ſelbſt (ein wohlgelungenes Portrait von Königlicher Hand) und macht dem Täufling ſeine Verbeugung; darunter die Worte: „ Vivat et crescat gens Knesebeckiana in aeternum. “
Wir verließen das Empfangszimmer und traten wieder in den Park. An einer der ſchönſten Stellen deſſelben hatte uns die Gärtnersfrau ein Nachmittagsmahl ſervirt: ſaure Milch mit jener chamoisfarbenen Sahnenſchicht, die den Reſidenzler mit allem Zau - ber der Neuheit berührt. Um uns her, als ſtumme Zeugen unſrer Freude, ſtanden 21 Edeltannen und neigten ſich gravitätiſch im Abendwind. Dieſe 21 Tannen pflanzte der alte Feldmarſchall im Sommer 1821, als die Nachricht nach Carwe kam, daß Napoleon auf St. Helena geſtorben ſei. Auch das Datum ſeines Todes ſchuf noch eine letzte Berührung zwiſchen den alten Gegnern; der 5. Mai war der Geburtstag Kneſebeck’s, wie er der Todestag26 Napoleon’s war. Unter den Papieren des Feldmarſchalls aber fanden ſich folgende Zeilen, die der Ausdruck ſeines Lebens und vielleicht ein treffendes Motto Märkiſchen Adels ſind:
Wir kennen jetzt die Südufer des Ruppiner See’s, haben Carwe und Wuſtrau durchſtreift und ſchicken uns nun an, der alten Hauptſtadt dieſes Landestheiles unſeren Beſuch zu machen, der Stadt Ruppin ſelbſt, die dem See, woran ſie liegt, wie der ganzen Grafſchaft den Namen gegeben hat. In ſchräger Linie kreu - zen wir, von Carwe aus, den an dieſer Stelle ziemlich breiten See, laben uns, die Juli-Sonne zu unſeren Häupten, an der feuchten Kühle des Waſſers und traben endlich, nachdem wir das Weſtufer erreicht haben, in offnem Wagen die kahle, ſtaubige Chauſſee entlang, unſere Regenſchirme als Schutz - und Schatten - dächer über uns. Grau wie die Müllerthiere erreichen wir die Stadt, ſehen, mit geblendeten Augen, wenig oder nichts, und athmen erſt auf, als wir vor’m Gaſthof zum Deutſchen Hauſe halten und freundlich bewillkommt in die Kühle des Flures treten. Moſelwein und Selterwaſſer ſtellen bald unſre Lebensgeiſter wieder her und geben uns Muth und Kraft eine erſte Promenade zu machen und dem Pflaſter der Stadt zu trotzen. In unſeren dünn - ſohligen Stiefeln werden wir freilich mehr denn einmal an jenen mecklenburgiſchen Gutsbeſitzer erinnert, den ſeine revoltirenden Hinterſaſſen auf ſpitzen Steinen hatten tanzen laſſen.
Die Stadt Ruppin hat eine ſchöne Lage — See, Gärten28 und der ſogenannte „ Wall “ſchließen ſie ein. Nach dem großen Feuer, von dem ſie faſt ganz verzehrt ward (wie wenn man von einem runden Brot die beiden Kanten übrig läßt) wurde ſie in einer Art Reſidenzſtil wieder aufgebaut. Lange, breite Straßen durchſchneiden die Stadt, nur unterbrochen durch ſtattliche Plätze, auf deren Areal unſere Vorvordern ſelbſt wieder kleine Städte er - richtet hätten. Für eine reiche Reſidenz voller Paläſte und hoher Häuſer, voll Leben und Verkehr, mag ſolche Anlage die empfeh - lenswertheſte ſein; für eine kleine Provinzialſtadt aber iſt ſie bedenk - lich. Sie gleicht einem auf Auswuchs gemachten Staatsrock, in den ſich der Betreffende nie hineinwachſen kann. Dadurch entſteht eine Oede und Leere, die zuletzt zu dem Gefühl einer verſteinerten Langeweile führt.
Die Billigkeit erheiſcht hinzuzufügen, daß wir es unglücklich trafen: das Gymnaſium hatte Ferien und die Garniſon — Mobil - machung. So fehlten denn die rothen Kragen und Aufſchläge, die, etwa wie die zinnoberfarbenen Jacken auf allen Cuypſchen Bildern, in unſerm farbloſen Norden dazu berufen ſcheinen, der etwas monotonen Landſchaft Leben und Friſche zu geben. Alles war ſtill und leer; auf dem Schulplatz wurden Betten geſonnt — es ſah aus, als wollten ſie die ganze Stadt auffordern, ſich ſchlafen zu legen.
Aber nicht die Oede und Stille der Stadt ſollen uns beſchäf - tigen, ſondern ihre Sehenswürdigkeiten, klein und groß. Treten wir unſre Wanderung an. Vor dem maleriſch im Schatten hoher Linden gelegenen Rathhaus, in deſſen Erdgeſchoß ſich auch die Hauptwache befindet, ruht, auf leichter Lafette, eine jüngſte Kriegs - trophäe, ein Feldgeſchütz, das die Ruppiner Bataillone (die „ Vier - undzwanziger “) den Dresdner Inſurgenten im Kampfe abnahmen, während, weiter abwärts, in Front des ſtattlichen Gymnaſial - Gebäudes (mit ſeinem Laternenthurm und ſeiner Inſchrift: » Civi - bus aevi futuri «) das Bronzebildniß König Friedrich Wilhelm’s II. aufragt, das die Stadt ihrem Wohlthäter und Wiedererbauer er - richtete. Es heißt, es ſei dies die einzige Statue des Königs im29 ganzen Preußenlande, König Friedrich Wilhelm II. beſitze kein zweites Denkmal. Wenn dem ſo iſt, dann um ſo beſſer, daß keine politiſche Erwägung, keine moraliſche Ueberhebung mit zu Rathe ſaß, als vor etwa 30 Jahren bürgerliche Dankbarkeit einfach aus - ſprach: „ Wir ſchulden ihm ein Denkmal, weil er unſer Wohl - thäter war, und gedenken dieſe Schuld zu zahlen. “ Die Statue, in etwas mehr denn Lebensgröße, iſt eine Arbeit Friedrich Tiecks. Gedanklich iſt ſie ziemlich unbedeutend und alltäglich; zeigt aber doch in Form und Haltung jenes Maß und jene Einfachheit, die, wo andre Vorzüge fehlen, ſelbſt ſchon als Vorzug gelten mögen.
Mehr als dies Denkmal nimmt unſre Aufmerkſamkeit die alte Kloſterkirche in Anſpruch, die ſich an der Oſtſeite der Stadt, in unmittelbarer Nähe des See’s erhebt und das einzige Gebäude von Bedeutung iſt, das von dem großen Feuer von 1787 ver - ſchont wurde. Dieſe Kloſterkirche iſt ein alter, in gothiſchem Stile aufgeführter Backſteinbau aus dem Jahre 1253; ſie gehörte zu dem unmittelbar daneben gelegenen Dominicaner-Kloſter, von dem, ſeit Reſtaurirung der Kirche, auch die letzten Spuren verſchwunden ſind. Ueber dieſe Reſtaurirung giebt eine die halbe Wand des Kirchenſchiffs bedeckende Inſchrift folgende Auskunft: „ Dieſes Gottes - haus wurde ſeit dem Jahre 1806 wiederholt durch feindliche Trup - pen entweiht und verfiel während des Krieges dergeſtalt, daß es über 30 Jahre nicht für den öffentlichen Gottesdienſt benutzt wer - den konnte. Durch Königliche Gnadenwohlthat wurde dieſes erhabene Denkmal ächt Deutſcher Kunſt und Frömmigkeit ſeiner eigentlichen Beſtimmung zurückgegeben, indem es auf Befehl Sr. Majeſtät Friedrich Wilhelm’s III. wiederhergeſtellt und in Gegenwart Sr. Majeſtät unſeres jetzt regierenden Königs Friedrich Wilhelm IV. feierlich eingeweiht wurde am 16. Mai 1841. “
Ueber dieſer Inſchrift befindet ſich eine andere aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, worin die Ueberweiſung dieſer Kirche ſeitens des Kurfürſten Joachim II. an die Stadt Ruppin ausge - ſprochen wird. Noch andere Inſchriften, theils in Deutſcher, theils30 in lateiniſcher Sprache, geſellen ſich hinzu und mindern in etwas den Eindruck äußerſter Oede und Kahlheit, an dem die ſonſt ſchöne alte Kirche bedenklich leidet. Dies Verfahren, durch Inſchriften zu beleben und anzuregen, ſollte überall da nachgeahmt werden, wo man zur Reſtaurirung alter Kirchen und Baudenkmäler ſchreitet. Ich ſah vor einigen Wochen die in früh-romaniſchem Stil erbaute, höchſt bemerkenswerthe Kirche von Jerichow (bei Genthin); aber die kahlen Wände des Gotteshauſes gaben über nichts Auskunft, weder über die frühere Geſchichte dieſes intereſſanten Baues, noch über die Art, Zeit und Umſtände ſeiner Reſtaurirung. Selbſt Leu - ten von Fach ſind ſolche Notizen gemeinhin willkommen; dem Laien aber geht erſt aus derartigen Inſchriften die ganze Bedeu - tung ſolchen Baues auf. Zu den Laien gehört vor allem die Gemeinde ſelbſt. Ohne ſolche Hinweiſe weiß ſie in der Regel kaum, welche Schätze ſie beſitzt. Die Unkenntniß und Indiffe - renz iſt grenzenlos und ſollte denen nachzudenken geben, die nicht müde werden, von dem Wiſſen und der Erleuchtetheit unſerer Zeit zu ſprechen. Erſtaunlich iſt es namentlich, wie abſolut nichts unſer Volk von jener Periode unſrer Geſchichte weiß, die der vorlutheriſchen Zeit angehört. Man kennt weder die Dinge, noch die Bezeichnun - gen für die Dinge; die bloßen Worte ſind unſerer proteſtantiſchen Sprache wie verloren gegangen. Man mache die Probe und frage z. B. einen Märkiſchen Landbewohner, was der „ Krummſtab “ſei? Unter Zwanzigen wird es nicht Einer wiſſen. In der Ruppiner Kloſterkirche fragte ich die Küſtersfrau, welche Mönche hier früher gelebt hätten? worauf ich die Antwort erhielt: „ Mein Mann weeß et; ich jlobe, et ſind kattolſche geweſen. “
Die Ruppiner Kloſterkirche wird in der oben citirten Inſchrift ein „ erhabenes Denkmal ächt Deutſcher Kunſt “genannt. Dies iſt richtig und falſch, je nachdem. Die Mittelmark Brandenburg, im Gegenſatz zur Alt-Mark, iſt ſo arm an hervorragenden Bau - denkmälern der gothiſchen Zeit, daß keine beſondere Schönheit nöthig iſt, um mit unter den ſchönſten zu ſein.
31Das Innere der Kirche, das glücklicher Weiſe den Rohziegel ſtatt der nüchternen weißen Tünche zeigt, hat doch immer noch, wie ſchon angedeutet, zu viel von proteſtantiſcher Kahlheit, als daß man ſich des glücklichen Einfalls des Malers (das Decken - gewölbe hat einen Anſtrich) nicht freuen ſollte, der, gemäß der ein - zigen nennenswerthen Tradition, die die Kirche beſitzt, eine Maus und Ratte erkennbar an die Decke malte. Dieſe Tradition iſt folgende. Im Sommer 1564, wenige Tage nachdem die Kirche dem lutheriſchen Gottesdienſte übergeben worden war, ſchritten zwei befreundete Geiſtliche, von denen der eine bei der alten Lehre ge - blieben war, durch das Schiff der Kirche und disputirten über die Frage des Tages. „ Eher wird eine Maus eine Ratte hier über die Wölbung jagen, “rief der Dominikaner, „ als daß dieſe Kirche lutheriſch bleibt. “ Dem Lutheraner wurde die Antwort darauf erſpart; er zeigte nur an die Decke, wo ſich das Wunder eben vollzog. Unſer Sandboden hat wenig von ſol - chen Legenden gezeitigt und wir müſſen das Wenige werth halten, was überhaupt da iſt. Einige local-patriotiſche Ruppiner erzählen auch in etwas blasphemiſcher Nachahmung des Bibliſchen: „ und der Tempel zerriß, “daß in der Sterbeſtunde Martin Luther’s das Mittelgewölbe der Kloſterkirche geborſten ſei. Die Sache indeß iſt entweder eine völlig müßige Erfindung, oder aber die Uebertragung eines merkwürdigen Vorfalls von einer Kirche auf die andere. Ruppin hatte nämlich außer der Kloſterkirche noch zwei andere gothiſche Pfarrkirchen, die während des großen Feuers zerſtört wurden. Die Kloſterkirche iſt eine Schöpfung Gebhardt’s von Arn - ſtein, Grafen zu Lindow und Ruppin. Dies mag uns, im nächſten Kapitel, zu einer kurzen Beſprechung dieſes berühmten Geſchlechts führen.
Friedrich Wilhelm III., wenn er im Auslande reiſte, liebte es, unter dem Namen eines „ Grafen von Ruppin “ſein Incognito zu wahren. Auch andre königliche Hohenzollern vor ihm haben ein Gleiches gethan, Friedrich der Große z. B., als er kurz nach ſeiner Thronbeſteigung eine Reiſe nach Baireuth und in die weſt - phäliſchen Landestheile unternahm. Dieſe Erwägung mag es recht - fertigen, wenn wir uns auch heute noch, nachdem der Letzte jenes alten Grafen-Geſchlechts bereits vor drei Jahrhunderten zu ſeinen Vätern verſammelt wurde, die Frage vorlegen: wer waren die Grafen von Ruppin? was war es mit ihnen? wo kamen ſie her? wie war ihr Anfang, ihr Ende?
Mit den erobernden Anhaltinern kam auch ein thüringiſch - mansfeldiſches Grafenhaus, die Grafen von Arnſtein, in die Marken und wurden früher oder ſpäter (die Angaben ſchwanken hierüber) mit Lindow*)Dies Lindow iſt nicht das Städtchen gleiches Namens, zwei Meilen öſtlich von Ruppin, deſſen Kloſterruinen bis dieſen Tag höchſt maleriſch zwiſchen dem Wutz - und dem Gudelack-See liegen, ſondern die Grafſchaft Lindow in der Nähe von Zerbſt. und Ruppin belehnt. Bis in’s drei - zehnte Jahrhundert hinein nannten ſich die neubelehnten Grafen bei ihrem alten Geſchlechtsnamen (Grafen von Arnſtein) und nahmen ſpäter erſt den Titel der „ Grafen zu Lindow “an. Grafen zu Ruppin wurden ſie nur ausnahmsweiſe und irr -33 thümlich genannt, da das Ruppiner Land eine Herrſchaft und keine Grafſchaft war. Wir aber ohne archäologiſche Skrupel folgen der ſpäter allgemein gewordenen Sitte und ſprechen in Nachſte - hendem von den „ Grafen zu Ruppin. “
Die Grafen zu Ruppin waren die mächtigſten Vaſallen der brandenburgiſchen Markgrafen und auch die treuſten wohl. In einem Zeitraum von drei Jahrhunderten ſchwankten ſie in ihrer Loyalität nur einmal, und zwar in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, als die Verwirrungen der bairiſch-luxembur - giſchen Periode durch das Auftreten des falſchen Waldemar ihren Gipfelpunkt erreichten.
Die Ruppiner Grafen waren anders wie andre im Lande. War es der Umſtand, daß ſie als mächtigſte Lehnsträger des Landes faſt eben ſo oft neben den Markgrafen und Kurfürſten als unter ihnen ſtanden, oder waren es in Kraft erhaltene Tra - ditionen, ein ererbter Segen aus dem alten Kulturlande Thü - ringen her, gleichviel, ihre Sitte, ihr Auftreten hatte wenig gemein mit der Haltung des halb raufluſtigen, halb bäuriſchen Landadels um ſie her, und die Künſte des Friedens ſtanden ihnen höher als das Waffenhandwerk, das ſich ſelber Zweck iſt, oder gar einem fremden Intereſſe dient.
„ Streitbare Grafen “comites bellicosissimi, werden ſie zwar gelegentlich in alten Urkunden genannt, und die Geſchichte (wie nicht verſchwiegen werden ſoll) erzählt von einzelnen, die auf der lombardiſchen Ebene oder auch auf den Haiden von Schonen und Schleswig als Krieger geglänzt hätten, aber das Glück war ihnen ſelten hold und ſchien ſie durch Nicht-Erfolge belehren zu wollen, daß ihr Schlachtfeld ein anderes ſei. Sie waren mit am Cremmer Damm (1331) und wurden geſchlagen; ſie unterlagen in vielfachen Fehden mit den Pommerherzögen, und Graf Otto, der tapferſte unter den Ruppiner Grafen, der bei Falköping an der Seite des Schweden-Königs Albrecht gegen die „ ſchwarze Margarethe “ſtritt, theilte das Schickſal ſeines Königlichen Freundes (eines geborenen Herzogs von Mecklenburg) und wurde geſchlagen334und gefangen. Nicht nur die Traditionen des Hauſes, die Natur ſelber ſchien die Ruppiner Grafen auf ein andres Feld als das des Krieges zu verweiſen, denn während es von den Grafen zu Pappenheim heißt, daß ſich auf ihrer Stirn zwei blutrothe Schwerter gekreuzt hätten, erzählt der Chroniſt von den Ruppiner Grafen nur, daß ſie alle „ mit einem Loch im Ohrläppchen geboren wurden. “ Welch entſchiedener Hinweis auf das zartere Geſchlecht!
Sie waren nicht comites bellicosissimi, aber ſie waren ſicherlich, wie ſie in anderen Urkunden genannt werden, viri nobiles et generosi. Feine Sitte und wahre Frömmigkeit zeich - neten ſie aus; ſie ſtanden feſt zur Kirche, und „ Mitleid und Gut - thätigkeit “waren erbliche Züge. Graf Ullrich’s Sprüchwort hieß:
und als, vorher oder nachher, ein andrer Graf Ullrich hinaus ge - tragen wurde, ſang man im ganzen Lande Ruppin:
Aber die Ruppiner Grafen gingen weiter, weit über ſo all - gemeine Züge wie „ Frömmigkeit und Gutthätigkeit, “hinaus. Graf Waldemar war ein paſſionirter Touriſt, wenn man ein ſo modernes Wort will gelten laſſen, und Graf Burchardt, ein Freund des dichteriſchen Markgrafen Otto mit dem Pfeil, dichtete ſelbſt und turnirte mit Verſen ſo gut wie mit Lanzen. Das war damals nicht Landesbrauch zwiſchen Elbe und Oder, und nur die Grafen von Ruppin, in deren Adern noch das thüringiſche Blut floß, konnten ſolch Beginnen wagen. Spärliche Zeilen aus Burchardt’s Dichterthum ſind auf uns gekommen, Worte die er an Eliſabeth, ſein „ geliebt Gemahl “richtet:
Alſo etwa:
Die Ruppiner Grafen waren von ihrem erſten Auftreten an Männer von Welt, von Wiſſen, von Vorausſicht und Klugheit, und da ſich derartige Elemente damals auf märkiſchem Boden ſchwer betreffen ließen, ſo war ihre vorzüglichſte Wirkſamkeit in aller Beſtimmtheit vorgezeichnet: es waren ritterliche Herren, aber vor allem Hofleute, Diplomaten. Sie kannten und übten die ſchwere Kunſt der Nachgiebigkeit und wußten zwiſchen Feſtigkeit und Eigenſinn zu unterſcheiden. Daher begegnen wir ihnen oft auf den Reichstagen in Koſtnitz und Worms, als Begleiter und Berather ihrer markgräflichen Herren, und wo es einen Streit zu ſchlichten gab, da waren die Ruppiner Grafen die Vertrauens - männer beider Partheien, und das Schiedsrichteramt lag, wie erblich faſt, in ihren Händen.
Sie waren ein bevorzugtes, hoch-vornehmes Geſchlecht, ein Geſchlecht vom feinſten Korn, aber eines mußten ſie entbehren und vermiſſen — die Liebe ihrer Unterthanen. Haftitius der Chroniſt erzählt uns: „ die Grafen waren fromm und demüthig und gut - thätig, aber waren doch wenig geliebt und geachtet trotz aller Gü - tigkeit. Denn obwohl die Herren Grafen oftmals den Rath und die fürnehmſten Bürger zu Neuen-Ruppin mit ihren Weibern und Kindern zu Gaſte geladen und unter den Bäumen zwiſchen Alten - und Neuen-Ruppin haben Maien-Lauben machen und Tänze auf - führen laſſen, ſie auch wohl traktiret und alles Liebſte und Beſte ihnen angethan, ſo ſind doch Rath und Bürger den Herren Grafen immer entgegen geweſen. “
Woran es lag, wer die Schuld trug — wer mag es ſagen? kaum Vermuthungen laſſen ſich ausſprechen. Einen erſten Grund zu Zerwürfniſſen gaben vermuthlich die Geldverhältniſſe des gräf - lichen Hauſes, die, zumal im Lauf des 15. Jahrhunderts, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zerrütteter wurden. Rath und Bürger -3*36ſchaft mußten aushelfen, die Verpfändungen begannen; ſo ging der Glanz des Hauſes hin, und mit dem Glanz endlich Anſehn und — Liebe. Alles ſank hin, zuletzt das Geſchlecht ſelber.
Der letzte war Graf Wichmann, geboren 1503 auf dem alten Seeſchloß zu „ Alten Ruppin. “ Kaum 4 Jahr alt, verlor er beide Eltern, und nur die Großmutter, Anna Jacobine, eine geb. Gräfin von Stolberg-Wernigerode, ſtand neben dem ver - waiſten Kinde. Sie war eine ſtolze, herrſchluſtige Frau, und während Johann von Schlabberndorf, Biſchof zu Havelberg, nur dem Namen nach die Vormundſchaft führte, führte ſie Anna Jacobine in Wirklichkeit. Während der Zeit dieſer Vormund - ſchaft, im Jahre 1512, fand zu Ruppin auch jenes große mehrfach beſchriebene Turnier ſtatt, das damals im ganzen Lande von ſich reden machte und mit einer Pracht begangen wurde, wie ſie weder in Berlin noch zu Cöllen an der Spree bis dahin geſehen worden war. Kurfürſt Joachim erſchien mit einem reichen Gefolge von bewaffneten Rittern und 300 Speer-Reitern, und mit dem Kur - fürſten kam ſein Bruder, der Kurfürſt Albrecht von Mainz. Die Kurfürſtin kam in einer vergoldeten, mit Atlas bedeckten Kutſche (der erſten, deren in Norddeutſchland Erwähnung geſchieht) und wurde von 12 andern Wagen, die mit purpurfarbenen Decken behangen waren, in welchen „ das Hof-Frauenzimmer “ſaß, be - gleitet. Ihnen folgten die Herzoge Heinrich und Albrecht von Mecklenburg, Johann und Heinrich von Sachſen, Philipp von Braunſchweig, die Biſchöfe von Havelberg und Brandenburg und andre Fürſten mehr. Der Kurfürſt und der Herzog Albrecht von Mecklenburg erwieſen ſich als die ſtärkſten und gewandteſten beim Turnier. Da die Bewirthung ſo vornehmer Gäſte wohl nur kleinen Theils durch die Stadt und vorwiegend aus dem gräflichen Säckel erfolgte, ſo iſt es nicht unwahrſcheinlich, daß die gedachte Ehre den finanziellen Ruin beſchleunigte.
1520 ſtarb der Biſchof von Havelberg, und der 17jährige Wichmann wurde mündig erklärt. Der Druck großmütterlicher Autorität hatte die raſche Entwicklung ſeiner Gaben nicht zurück -37 halten können, und der Kurfürſt ſelbſt war es, der dem früh herangereiften, trotz ſeiner Minderjährigkeit, die Verwaltung des väterlichen Erbes anvertraute. War doch der Kurfürſt ſelbſt mit 15 Jahren zur Herrſchaft über die Marken gelangt. Graf Wich - mann nahm ſogleich den Hans von Zieten zu Wildberg zu ſeinem geſchwornen Rath und ging 1521 im Gefolge des Kurfürſten auf den wichtigen Reichstag zu Worms; aber der Stern des Hauſes ſtand im Niedergang und ſein Erlöſchen war nah. Zu dem Schwinden von Hab und Gut, zu jeder äußeren Zerrüttung ge - ſellte ſich, wie es ſcheint, ein geſchwächter Körper, eine zerrüttete Geſundheit. Wodurch zerrüttet, ſteht dahin. Der Graf war ein Freund der Jagd und der Frauen, wenigſtens erklärt ſich nur ſo die erſte Strophe des alten Liedes, das ich, weiter unten, noch mitzutheilen gedenke.
Auf der Jagd war es auch, wo ihn die tödtliche Krankheit befiel. Verſchiedene ſeiner Hofleute riethen zu einem Arzt, aber in Neuen-Ruppin war keine ärztliche Hülfe zu beſchaffen (die Städte Ruppin, Wuſterhauſen und Granſee hatten ſeit 1466 einen gemeinſchaftlichen Bader), und einen Arzt von Berlin herbei zu holen, dazu war man bereits zu arm. Das Fieber wuchs, und um es zu bekämpfen (similia similibus), heizte man das Zimmer des Kranken wie einen Backofen und gab ihm Meth und Wein. Er ſtarb ſchon nach einigen Stunden. Die alte Gräfin, Anna Jakobine, (geſt. 1526) die ihn, unbeſchadet ihrer Herrſch - ſucht, von Herzen geliebt hatte, war untröſtlich über den Tod des Enkels, und die Mönche in Ruppin beklagten den Verluſt in folgendem Lied:
Wenige Tage nach dem Tode Graf Wichmanns erſchien Kurprinz Joachim (der ſpätere Joachim II. ), um dem Leichen - begängniß beizuwohnen und die Unterthanen in Eid und Pflicht zu nehmen. Das Lehn war erledigt und die Herrſchaft Ruppin wurde als Kreis in die Kur - und Mittelmark eingereiht. Die Hohenzollern aber geſellten von jenem Tage an zu der ſtattlichen Reihe ihrer andern Namen und Würden auch noch den Titel eines „ Grafen von Ruppin. “
Das, der Thronbeſteigung des großen Königs vorhergehende Jahr - zehnt, alſo der Zeitraum von 1730 — 1740, pflegt, nach einer Geſetz gewordenen Annahme, in zwei ungleiche Hälften getheilt zu werden, in die düſtern Tage von Küſtrin und in die lachenden Tage von Rheinsberg.
Dieſe Eintheilung, die ſich noch durch den Reiz des Gegenſatzes empfiehlt, mag der ganzen Welt ein Genüge thun, nur die Stadt Ruppin hat ein Recht, dagegen zu proteſtiren und eine Dreithei - lung in Vorſchlag zu bringen. Zwiſchen den Tagen von Küſtrin und Rheinsberg liegen eben die Tage von Ruppin.
Es iſt wahr, die Ruppiner Epiſode iſt unſcheinbarer, un - dramatiſcher; kein Bayard-Orden wird geſtiftet und kein Katt tritt auf das Blutgerüſt, aber auch dieſe ſtilleren Tage haben ihre Be - deutung. Verſuch’ ich es, ihnen in Nachſtehendem zu ihrem Recht zu verhelfen, ihnen ihre Exiſtenz gleichſam zurückzuerobern.
Am 26. Februar war Kronprinz Friedrich von Küſtrin in Berlin wieder eingetroffen; zwölf Tage ſpäter (am 10. März) folgte ſeine Verlobung. Aller Zwieſpalt ſchien vergeſſen. „ Obriſt - lieutenant Fritz, “über deſſen Haupt vor nicht allzu langer Zeit das Schwert geſchwebt hatte, war wieder ein „ lieber Sohn “und Oberſt und Chef eines Regiments. (Seit dem 29. Februar 1732.) Dies Regiment, das bis dahin compagnieweiſe in den kleinen Städten der Priegnitz und des Havellandes, in Perleberg, Pritz -40 walk, Lentzen, Wittſtock, Kyritz und Nauen in Garniſon gelegen und nach ſeinem frühern Chef den Namen des von der Goltz’ - ſchen Regiments geführt hatte, wurde jetzt, zu größerer Bequem - lichkeit für den Kronprinzen, oder behufs beßrer Controle, in zwei Garniſonen, Ruppin und Nauen, concentrirt. Das Regiment ſelbſt erhielt den Namen „ Regiment Kronprinz, “ſpäter von 1744 an „ Prinz Ferdinand, “unter welchem Namen es die Schlachten des ſiebenjährigen Krieges, den Zug in die Champagne und end - lich die Kataſtrophe von Jena mit durchmachte. (Bratring, in ſeiner Geſchichte Ruppins, ſchreibt, daß im Jahre 1732 das zweite Ba - taillon des Prinz v. Preußen Infanterie-Regiments nach Ruppin verlegt worden ſei. Dies iſt erſichtlich falſch. Es gab damals gar kein Prinz v. Preußen Infanterie-Regiment und konnte keins geben, denn es gab noch keinen Prinzen von Preußen. Erſt 1744 wurde Prinz Auguſt Wilhelm zum Prinzen von Preußen ernannt und ſeinem Regiment der entſprechende Name „ Prinz von Preußen Infanterie-Regiment “gegeben. Sein Regiment hieß bis dahin das Prinz Wilhelm’ſche Regiment. Dies ſtand allerdings bis 1732 zu Neu-Ruppin in Garniſon und daher muthmaßlich der Fehler, den Bratring macht. Es wurde aber in genanntem Jahre von Neu-Ruppin nach Spandow verlegt, um dem einrücken - den Regiment Kronprinz [bis dahin von der Goltz] Platz zu machen.)
Wenn wir, wie im Nachſtehenden geſchehen ſoll, die Entſchlüſſe und Erlaſſe des Königlichen Vaters zuſammenſtellen, die jener Zeit der Wiederverſöhnung angehören und die ſich ſämmtlich und ganz erſichtlich damit beſchäftigen, dem wieder angenommenen Sohne ſein Entrée und ſein Leben in Neu-Ruppin möglichſt angenehm zu machen, ſo wird man von der Vorſorglichkeit und einer gewiſſen Zärtlichkeit des Vaterherzens (eines Vaters, der 18 Monate früher mit dem Tode gedroht hatte) nicht wenig überraſcht. So ſcheint es ihm zu Ohren gekommen zu ſein, daß Ruppin eine rußige alte Stadt ſei und auf einem ſeiner Plätze, auf dem noch jetzt exiſti - renden Neuen Markte, einen alten Militair-Galgen für die Deſer -41 teure habe. Voll feinen Gefühls erkennt er, daß ſolch’ ein Anblick, gleich beim Eintritt in die Stadt, an die erſten Küſtriner Tage, an den November 1730 erinnern könnte, und in folgenden Er - laſſen trifft er Vorſorge, daß dem Auge des Sohnes ſolch Anblick erſpart werden möge. „ Der Galgen ſoll außer der Stadt heraus - geſchafft, auch die Palliſaden an die Mauer geſetzt und alle Schlupf - löcher zugemacht werden. Muß alles gegen den 20. Juni fertig ſein. Auch ſoll das Haus dicht bei des Obriſten von Wreech Quar - tier, ſo der Kronprinz zu Dero Quartier choisiret, gehörig aptiret werden. (Potsdam Reſkript vom 24. Mai 1732.) Aber nicht nur der häßliche Schmuck des Neuen Marktes ſoll fort, die ganze Stadt ſoll ſich dem Einziehenden, dem neuen Mitbürger in ihrem beſten Kleide präſentiren und ſo heißt es in einer zweiten Ordre vom Tag darauf: „ das Printz Wilhelmiſche Regiment ſoll den 1. Juni aus Neu-Ruppin ausmarſchiren. Dann ſoll gleich der Koth aus der Stadt geſchafft und die Häuſer, ſo noch nicht abge - putzt ſind, ſollen abgeputzt werden. “
Wir haben in Vorſtehendem feſtzuſtellen geſucht, welches Regi - ment damals als „ Regiment Cronprintz “nach Ruppin und Nauen hin verlegt wurde; ſchwerer iſt es, ſich zu vergewiſſern, welches Bataillon in Ruppin und welches in Nauen lag. Wir finden dar - über Widerſprechendes. Am 22. April (1732) erläßt der König folgendes Reſkript an den Kriegsrath Lütkens: „ Das erſte Batail - lon des cronprinzlichen Regiments ſoll in Nauen und das andre Bataillon in Neu-Ruppin vom 1. Juli 1732 an einquartieret werden, “und im Einklang mit dieſer Ordre ſchreibt derſelbe Kriegs - rath Lütkens noch am 20. Juni an den Ruppiner Magiſtrat: So wird denn alſo das zweite Bataillon des beſagten Regiments am 26. Juni in Ruppin einmarſchiren. Aber der König oder der Kronprinz müſſen plötzlich ihre Anſicht hierüber geändert haben, denn ſchon Anfang Juli heißt es in einem Briefe aus Ruppin: „ Unſre neue Garniſon iſt eingerückt, das erſte Bataillon des Re - giments „ Cronprintz “iſt hier, auch der Cronprintz ſelbſt, der Obriſtwachtmeiſter ꝛc. Dieſe letztere Angabe ſtimmt auch mit Preuß42 überein. Ingleichen beſtätigen die Papiere, die mir zur Hand ſind, die Angabe, daß von den 5 Compagnien des zu Nauen in Gar - niſon liegenden Bataillons eine weggenommen und der Ruppiner Garniſon zugetheilt wurde. In einem Reſkripte vom 30. November 1733 heißt es: „ Von den 5 Compagnien des Cronprintzlichen Regiments, die zu Nauen liegen, ſoll eine Compagnie und zwar die des von Calebutz nach Neu-Ruppin verlegt werden. “ (Dies geſchah, weil Nauen zu klein war für eine ſo große Garniſon.) So viel von dem Regiment, dem der Kronprinz als Chef und Oberſter vorgeſetzt war.
Die nächſte Frage iſt: wann traf der Kronprinz in Neu - Ruppin ein? Preuß ſagt: „ bereits im April. “ Dies ſcheint nur in gewiſſem Sinne richtig zu ſein. Er war allerdings im April da, aber wie wir annehmen müſſen, nur auf einen oder auf wenige Tage, nur ausreichend, um eine paſſende Wohnung zu ſuchen. Der König in dem oben citirten Reſkript vom 24. Mai ſchreibt: „ Die Wohnung, die der Cronprintz zu ſeinem Quartier choiſirt, ſoll aptiret werden, “woraus ſich mit ziemlicher Gewißheit ergiebt, daß er (der Kronprinz) ſelber da war, um eben die Wahl, die choix zu treffen. Aber eben ſo ſicher ſcheint es, daß er erſt Ende Juni zu wirklichem Aufenthalte in Ruppin eintraf, denn nicht nur, daß den Behörden (oder Privaten) die für die „ Aptirung “der Oberſt von Wreech’ſchen Wohnung Sorge zu tragen hatten, ausdrücklich bis zum 20. Juni Zeit gelaſſen wurde, es ſchreibt auch der Fähnrich von Buddenbrock ausdrücklich am 22. Juni: „ Die neue Garniſon wird am 26. d. erwartet und der Cronprintz wird im Wreech’ſchen Hauſe logiren. “ Alſo er war noch nicht da und traf erſt (muthmaßlich am gleichen Tage mit ſeinem Ba - taillon) gegen Ende des Juni am neuen Wohnort ein.
Das Palais, das er bezog, lag in der Nähe der Stadtmauer, nur durch einen Garten von ihr getrennt und war durch die Ver - bindung zweier Nachbarhäuſer, der Wohnung des mehrgenannten Obriſten von Wreech und des Obriſtlieutenants v. Möllendorff (die bis dahin wahrſcheinlich das Prinz Wilhelm’ſche Regiment ge -43 führt hatten), ſo gut es die Eile geſtattete, hergeſtellt worden. An Comfort mochte Mangel ſein und dieſer Umſtand trug gewiß das Seine dazu bei, daß, zwei Jahre ſpäter, das Rheinsberger Schloß gekauft und nachdem es hergerichtet war, zum entſchieden bevor - zugten Aufenthaltsort wurde.
Suchen wir nun feſtzuſtellen, wie der Kronprinz ſeine Rup - piner Tage zubrachte.
Was ihn nachweisbar zuerſt und zumeiſt in Anſpruch nahm, war die Ausbildung ſeines Regiments und die Verſchö - nerung der Stadt. Die ernſtliche Beſchäftigung mit dem „ Dienſt “fing an, ihm den Soldatenſtand lieb zu machen. Er achtete auf Kleines und Großes; nichts erſchien ſeinem Intereſſe zu gering. Standen Revuen vor dem Könige in Ausſicht, ſo wurden beide Bataillone in Ruppin zuſammengezogen, um dem Regimente durch gemeinſchaftliche Manövres eine Haltung wie aus einem Guß zu geben. Der Kronprinz ſah ſeine Anſtrengungen belohnt. Sein Regiment bewährte ſich gleich bei der erſten Revue ſo glänzend, daß es durch Erſcheinung und Exercitium allgemeine Bewunderung erregte. Die neue Uniform, in der es erſchien, war der von des Königs Grenadier-Regimente ähnlich, aber mit ſilberner Stickerei und carmoiſin-farbenen Aufſchlägen. *)Gleich nach ſeinem Eintreffen in Ruppin fand zu Ehren der neuen Uniform (das Goltz’ſche Regiment hatte bis dahin blau und Gold getragen) folgende Scene ſtatt. Der Kronprinz lud die Offiziere vor eins der Thore, wo ſie einen brennenden Holzſtoß fanden. Erfriſchungen wur - den gereicht. Als alles guten Humores war, begann der Prinz: „ Nun, meine Herren, da wir hier alle verſammelt ſind, ſo dächte ich, wir erzeig - ten der Goltziſchen Uniform die letzte Ehre. “ Dabei zog er Rock und Weſte aus und warf ſie in’s Feuer. Die Offiziere thaten desgleichen. Unter lautem Gelächter folgten ſchließlich auch die Beinkleider. In neuer Uniform kehrte man in die Stadt zurück. Dieſe Scene iſt charakteriſtiſch für den Ton, der herrſchte.Der ſtrenge Vater war be - friedigt.
Kaum minder als der „ Dienſt, “beſchäftigte ihn die Ver - ſchönerung der Stadt. Daß Ruppin bis dieſen Augenblick ſich44 ſeines „ Walls, “einer prächtigen, mit den ſchönſten und älteſten Bäumen bepflanzten Promenade, erfreut, iſt des Kronprinzen Ver - dienſt. Hier erwies er ſich, von einem richtigen Gefühl geleitet, ausnahmsweiſe als Conſervator, während er ja im Allgemeinen den Geſchmack ſeiner Zeit theilte, die ſich eitel darin gefiel, an die Stelle des poëtiſch Mittelalterlichen, die Flachheit des Kaſernen - baues, oder die Schnörkelei des Roccoco zu ſetzen. Drei Wälle hatten in alter Zeit die Stadtmauer zu weiterem Schutz umgeben. Schon während der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatte man mit Abtragung dieſer Wälle begonnen und die zuge - ſchütteten Gräben als Gartenland parzellirt. Kaum aber war der Kronprinz in Ruppin erſchienen, ſo erkannte er, welchen Schmuck man auf dem Punkt ſtand, der Stadt zu rauben. Dies erkennen und dagegen einſchreiten, war eins.
Die Miscellanea historica unſres Gewährsmannes, des Dr. Bernhard Feldmann, geb. 1704 in Berlin, geſt. 1776 in Neu-Ruppin, enthalten darüber folgendes: „ Schon 1732 inhibirte S. K. Hoheit die Abtragung der Wälle und conſervirte alſo die noch übrigen, land - oder nordwärts vom Rheinsbergiſchen bis zum Berliner Thore gelegenen, ſo noch ſtehen und mit alten Rüſtern, Eichen, Buchen, Haſeln ꝛc. bewachſen ſind; auch ließ ſie der Cronprinz noch mit vielerlei Sorten Bäumen bepflanzen und an ihrem Ende (beim Berliner Thore) mit einem ſchönen Garten zieren, wodurch der „ Wall “zum angenehmſten, beſchatteten Spatzier - gang voll Nachtigallen geworden iſt. “
Kronprinz Friedrich hatte vier volle Jahre, von 1732 — 1736, ſeinen feſten Wohnſitz in Ruppin, aber nur während des erſten Jahres gehörte er dem Ruppiner Stillleben mit einer Art Aus - ſchließlichkeit an. Vom Juni 1733 an drängten ſich die Ereigniſſe, die ihn oft Monate lang und länger von „ Haus und Garten, die ihm lieb geworden waren, “fern hielten. Seiner Vermählung im Juni 1733 folgte, vier Monate ſpäter, die Erwerbung Rheins - bergs und eh noch der Umbau des Rheinsberger Schloſſes, der ohnehin ſein lebhaftes Intereſſe in Anſpruch nahm, zur Hälfte45 beendet war, führte die Wiedereröffnung der Feindſeligkeiten zwi - ſchen Frankreich und dem Kaiſer (im Sommer 1734) unſern Kronprinzen an den Rhein. Am 7. Juli war er in Wieſenthal, wo der General-Lieutenant v. Röder mit den preußiſchen Truppen im Lager ſtand. Aber „ im Kaiſerlichen Heere war nur noch der Schatten des großen Eugen; “der einundſiebenzigjährige Held hatte ſich überlebt. Philippsburg ging verloren; das thatenloſe Hin - und Herziehen wurde unerträglich, und gegen Ende October erblicken wir den Prinzen wieder daheim, in ſeiner „ geliebten Garniſon. “
Zweierlei hatte ihm dieſer lorbeerarme Kriegszug eingetragen: zunächſt und allgemein einen Einblick in die Schwächen der Kaiſer - lichen Armee, daneben ſpeciell und allerperſönlichſt — einen Freund. Dieſer Freund war Chaſot.
Wie das Jahr 1734 einen längern Aufenthalt am Rhein gebracht hatte, ſo brachte das folgende Jahr eine mehrmonatliche Reiſe nach Oſtpreußen. Uns aber beſchäftigen dieſe Ausflüge nicht länger, ſondern wir halten uns innerhalb der Bannmeile von Ruppin und ſuchen uns ein Bild dieſer ſpätern Ruppiner Tage zu entwerfen.
Das Rheinsberger Schloß ſchmückt und erweitert ſich mehr und mehr, aber der Tag der Ueberſiedelung iſt noch fern und die beſcheidenen Ruppiner Räume müſſen zunächſt noch genügen. Die Stadtwohnung läßt viel zu wünſchen übrig; aber die Sommer - monate gehören dem „ Garten am Wall. “ Hier lebt er heitere, mußevolle Stunden, die Vorläufer jener berühmt gewordenen Tage von Rheinsberg und Sansſouçi. Allabendlich, nach der Schwere des Dienſtes, zieht es ihn nach ſeinem „ Amalthea “*)Amalthea, die Nymphe, welche den Jupiter mit der Milch einer Ziege ernährte, auch dieſe Ziege ſelbſt; alſo hier etwa Milchwirth - ſchaft, Meierei. hinaus. Der Weg durch die unſaubern Straßen der alten Stadt iſt ihm un - bequem, ſo hat er denn für ein Mauerpförtchen Sorge getragen, das ihn unmittelbar aus dem Hofe ſeines „ Palais “auf den Wall46 und nach kurzem Spatziergang unter den alten Eichen deſſelben in die lachenden Anlagen ſeines Gartens führt. Da blüht es und duftet es; Levkojen-Beete ziehen ſich an den Steigen hin, Melonen werden gezogen und auf leiſ’ anſteigender Erhöhung, ziemlich in - mitten des Gartens, erhebt ſich der „ Tempel, “der Vereinigungs - ort des Kreiſes, den der Kronprinz hier allabendlich um ſich ver - ſammelt. Das Souterain enthält eine Küche, und der „ Tempel “ſelber iſt einer jener oft abgebildeten Pavillons, die auf ſechs korinthiſchen Säulen ein flachgewölbtes Dach tragen und in den Parks und Gärten jener Epoche als Eßzimmer ſich einer beſon - deren Gunſt erfreuten. Der Mond ſteht am Himmel, in dem dich - ten Gebüſch des benachbarten Walls ſchlagen die Nachtigallen, die Flamme der Ampel, die von der Decke herabhängt, brennt unbe - weglich, denn kein Lüftchen regt ſich und keine froſtig abwehrende Prinzlichkeit ſtört die Heiterkeit des Kreiſes. Noch iſt kein Voltaire da, der ſeine Piquanterien mit graziöſer Handbewegung präſentirt, noch fehlen die Algarotti, d’Argens und Lamettrie, all’ die berühm - ten Namen einer ſpäteren Epoche — Offiziere ſeines Regiments ſind es zunächſt noch, die hier der Kronprinz um ſich verſammelt: v. Kleiſt, v. Rathenow, v. Schenkendorff, v. Groeben, v. Budden - brock, v. Wylich, vor allem — Chaſot. *)Chevalier Chaſot, der während der Rheincampagne (1734) im fran - zöſiſchen Heere diente, hatte das Unglück, einen Anverwandten des Herzogs von Boufflers im Duell zu tödten. Er floh deshalb in das Lager des Prinzen Eugen, zunächſt nicht, um in Dienſt zu treten, ſondern nur um ein Aſyl zu finden. Beim Prinzen Eugen lernte ihn der Kronprinz kennen, dem er ſpäter nach Ruppin hin folgte.
Das Leben, das er mit dieſen Offizieren führte, war frei von allen Feſſeln der Etiquette, ja ein Uebermuth griff Platz, der unſern heutigen Vorſtellungen von Anſtand und guter Sitte kaum noch gefallen will. Fenſtereinwerfen, Liebeshändel und Schwärmer abbrennen (zur Aengſtigung von Frauen und Landpaſtoren) zählte zu den beliebteſten Unterhaltungsmitteln. Man war noch ſo un - philoſophiſch wie möglich.
47So kam der Auguſt 1736 heran; der Umbau des Rheins - berger Schloſſes war beendet und der Umzug, die Ueberſiedelung fand ſtatt. Von da ab beginnen die glänzenden, die vielgefeierten Rheinsberger Tage. Aber dieſe ſchönen Rheinsberger Tage, die das Ruppiner Leben verdunkelt haben, waren doch nicht ſo völlig das Ende, der Tod des Ruppiner Interregnums, wie, einer allge - meinen Vorſtellung nach, geglaubt wird. Vielmehr fand jetzt ein Austauſch, eine Art Rückzahlung ſtatt und wenn von 1733 an, die Ausflüge nach Rheinsberg Ruppin um die andauernde An - weſenheit des Kronprinzen gebracht hatten, ſo war von jetzt an Ruppin der Gegenſtand und das Ziel beſtändiger, freilich zum Theil durch den „ Dienſt “gebotener Beſuche. Aber nicht nur waren es die militairiſchen Inſpektionen, die dieſe Ausflüge nöthig machten, auch Neigung, Gefallen an der Stadt, in der er vier glückliche Jahre verlebt hatte, zogen ihn immer neu in die alten Kreiſe zu - rück. Viele ſeiner Briefe geben Auskunft darüber; entweder tragen ſie das Datum Ruppin und führen dadurch den Beweis längeren oder kürzeren Aufenthalts daſelbſt, oder flüchtige Zeilen, von Pots - dam, Berlin und andern Punkten aus geſchrieben, ſprechen ſeine Sehnſucht aus nach ſeiner „ geliebten Garniſon. “ So ſchreibt er im Juni 1737 von Berlin aus an Suhm: „ Den 25. gehe ich nach „ Amalthea, “meinem Garten in Ruppin. Ich brenne vor Ungeduld meinen Wein, meine Kirſchen und meine Melonen wieder zu ſehn; “und 1739 noch (am 16. Juni) heißt es in einem, vom Ruppiner Garten aus datirten Briefe: „ Ich werde morgen nach Rheinsberg gehn um allda nach meiner kleinen Wirthſchaft zu ſehen; hier wollen keine Melonen reif werden, ſo gerne wie ich auch gewollt, daß ich meinem Gnädigſten Vater die Erſtlinge des Jahres hätte ſchicken können. “
Dieſe beiden Briefe ſind in ſoweit wichtig, als ſie keinen Zweifel darüber laſſen, daß Kronprinz Friedrich ſeinem „ Amalthea “zu Ruppin keineswegs den Rücken kehrte, vielmehr vom Auguſt 1736 an, eine Art Doppelwirthſchaft führte und an die Gär - ten und Treibhäuſer, hier wie dort, die gleichen Anſprüche erhob. 48Sonntags las er in Ruppin ſeine Predigt, während Des Champs vor der Kronprinzeſſin und dem Hofe in Rheinsberg predigte.
Selbſt noch unmittelbar nach der Thronbeſteigung (im Sommer 1740) ſah die Stadt Ruppin den nunmehrigen König Friedrich II. häufig in ihren Mauern und bis zum Spätherbſt deſſelben Jahres blieb es zweifelhaft, ob Ruppin oder Potsdam oder Rheinsberg der erklärte Lieblingsaufenthalt des neuen Königs werden würde. Großartige Gartenanlagen, die eben damals entworfen wurden, ſchienen für Ruppin zu ſprechen, aber die weite Entfernung von der Hauptſtadt, führte endlich zu andern Entſchlüſſen. Die Ter - raſſen von Sansſouci wuchſen empor und — Ruppin war vergeſſen. Es iſt zweifelhaft, ob der große König in 46jähriger Regierung es jemals wieder geſehn.
Die Frage bleibt uns zum Schluſſe übrig, was wurde aus dieſen Schöpfungen, großen und kleinen, die die Anweſenheit des Kronprinzen in’s Daſein rief, was haben 120 Jahre zerſtört, was iſt geblieben?
Zunächſt das Stadt-Palais. 1744 ſchenkte es der König an ſeinen jüngſten Bruder, den Prinzen Ferdinand, der ſchon früher zum Chef des ehemaligen Kronprinzlichen Regiments ernannt worden war und in der Epoche, die dem 7jährigen Kriege voraus - ging, in Ruppin ſeine Garniſon hatte. Auch nach 1763, und zwar bis 1787, wo das große Feuer die Stadt zerſtörte, ſcheint ſich der Prinz, wenn nicht andauernd (er lebte zum Theil auch in Friedrichsfelde bei Berlin), ſo doch vielfach bei ſeinem Ruppiner Regimente aufgehalten zu haben, wenigſtens muß ich das aus der Exiſtenz zweier Bilder ſchließen, die als einzige Ueberbleibſel aus dem[ehemalig] Kronprinzlichen, ſpäter Prinz Ferdinand’ſchen Palais, bis dieſen Augenblick in Ruppin exiſtiren. 1787 brannte dies „ Palais “nieder und nichts wurde gerettet als zwei große Oel - portraits, die Bildniſſe der Königin Marie Antoinette und der Kaiſerin Catharina. Beide Bilder (einem einfachen Ruppiner Bürger gehörig) rühren, wie aus dem hier dargeſtellten Lebensalter der beiden Fürſtinnen unſchwer zu berechnen iſt, etwa aus dem Jahre49 1780 her, denn Marie Antoinette erſcheint als eine jugendliche Schönheit von einigen zwanzig, Catharine aber als eine mehr denn ſtattliche Matrone von über 50 Jahr. Aus dem einfachen Umſtande, daß das abgebrannte Palais dieſe beiden Bilder über - haupt enthielt, zieh ich den Schluß, daß Prinz Ferdinand bis 1787 häufiger in Ruppin gelebt haben muß; denn aus der kronprinzlichen Zeit von 1732 — 1740 können natürlich die Bildniſſe zweier Fürſtinnen nicht ſtammen, von denen die eine damals ein Kind, die andre noch gar nicht geboren war. Privat - perſonen aber waren damals in den allerſeltenſten Fällen in der Lage, die Wände ihres Zimmers mit den lebensgroßen Portraits fremder Fürſtlichkeiten ſchmücken zu können. Was die Bilder ſelbſt angeht, ſo macht das wohlerhaltene Portrait der ſchönen Habs - burgerin einen ſehr gefälligen Eindruck, während das Bildniß der Kaiſerin Catharine, mit dem Andreaskreuz auf der Bruſt, nicht nur quantitativ durch Umwandlung aus einem urſprünglichen Knieſtück in ein Bruſtſtück, ſondern weit mehr noch qualitativ durch einen plump aufgetragenen Firniß verloren hat. Die Um - wandlung in ein Bruſtſtück erfolgte, wie mir der Beſitzer vertrau - lich mittheilte, durch einfache Anwendung einer großen Zuſchneide - Scheere und war nöthig, weil die untre Parthie, bis zum Gürtel hinauf, ſchwer gelitten hatte. Der Erzähler hatte keine Ahnung von der Symbolik ſeiner Rede, oder von der hiſtoriſchen Gerech - tigkeit, die die große Zuſchneide-Scheere geübt.
Das „ Palais “ſelbſt iſt niedergebrannt, aber ein apart aus - ſehendes Haus (das ſogenannte Mollius’ſche Haus) iſt an der - ſelben Stelle aufgeführt worden, wo 1732 die nachbarlichen Häuſer des Obriſten Wreech und des Obriſtlieutnants Möllendorf zu einer Art von prinzlichem Palais verbunden wurden. Die Straße, die zu dieſem Hauſe führt, führt wie billig den Namen der Prinzen - Straße und der prächtige alte Lindenbaum, der wie ein grüner Schild ſeine Zweige vor dem poëtiſch dreinſchauenden grauweißen Hauſe ausbreitet, ſchafft hier ein Bild, wie es dieſer Stelle wohl paßt und kleidet.
450Zwiſchen dem Hauſe und der Stadtmauer liegt jetzt ein Gärtchen. Wir paſſiren es und ſtehen vor der Mauerpforte, die den Kronprinzen allabendlich auf den ſchönen „ Wall “zu führen pflegte, wenn er nach dem Dienſt und der Arbeit des Tages ſich erhob, um im „ Tempel “den obengenannten Freundeskreis zu ver - ſammeln.
Die Pforte iſt jetzt vermauert und es koſtet uns einen Um - weg, um die Außenſeite der Mauer und den „ Wall “zu gewinnen. Seine ſchattigen Gänge führen uns jetzt nach „ Amalthea. “
Hier im Garten iſt noch manches wie es war. Die Einrich - richtungen ſind verändert, allerhand Neubauten ſind entſtanden, aber die Einfaſſungsmauer iſt geblieben und die hohen Platanen im Hintergrunde, die über die Mauer hinweg mit den draußen ſtehenden Bäumen Zwieſprach halten, ſind noch lebendige Zeugen aus den fridericianiſchen Tagen her. Vor allem exiſtirt noch der „ Tempel. “ Nicht ſind es Säulen mehr, die das Kuppeldach tragen; ein ſolides Mauerwerk, mit Thür und Fenſtern, iſt an ihre Stelle getreten und bildet ein rundes Zimmer von mäßiger Größe, eben ausreichend zu einem Souper von Sechs.
Wir ſind die glücklich Geladenen. Der Wein lacht in den Gläſern, die Unterhaltung wächſt an Friſche und Leben, die Wand - leuchter brennen und durch die offenſtehende Thür trifft Mondlicht und Abendkühle den froh verſammelten[]Kreis. Es iſt als wäre die alte Zeit wieder da und ungeſucht wird unſer Beiſammenſein zu einer Darſtellung, zu einer Scene aus: „ Kronprinz Friedrich in Ruppin “, ein Stück, das noch geſchrieben werden ſoll. Die paſſenden Koſtüme fehlen freilich, denn an was erinnerten unſre Reiſeröcke weniger, als an die ſilbergeſtickten Uniformen der Offiziere des kronprinzlichen Regiments; aber was den Koſtümen gebricht, das wird aufgewogen durch die künſtleriſche Treue der Couliſſen und Requiſiten. Wir haben die alte Zeit leibhaftig um uns her, nicht völlig die Zeit des Kronprinzen Friedrich, aber doch immer die fridericianiſche Zeit. Die Spiegel mit ihren Rähmen in Barock, die Tiſche mit ihren ausgeſchweiften Füßen, die Atlas-Gardinen,51 das Deckengemälde (eine „ Geburt der Venus “darſtellend), alles erinnert an jene reizvolle, aus proſaiſchen und poëtiſchen Elementen wunderlich gemiſchte Zeit, die ihr Kleid in den Schlöſſern der Ludwige, ihren Gehalt aber in den Schlöſſern der Friedriche empfing. Und dort iſt er ſelbſt, der ſeinem Jahrhundert den Namen gab. Aus der Niſche hervor leuchtet ſein Auge und um ihn her, an den Wandpfeilern entlang, ſchließt ſich ein bunter Kreis von Zeitgenoſſen: Prinz Heinrich und Voltaire, Zieten und Leſſing, Gluck und Kant.
Unſre Gläſer klingen zuſammen. „ Es lebe die alte Zeit, nicht ſie ſelbſt, aber das, was ſie groß gemacht. “
Wir brachen auf und traten in den Garten. Die Nachtigallen ſchlugen auf dem „ Wall. “ Es klang wie ein Proteſt gegen die „ alte Zeit “und wie ein Loblied auf Leben und Liebe.
Johann Heinrich Günther, ein ausgezeichneter Führer leichter Trup - pen, der glorreich fortſetzte, was unter Zieten und Belling begon - nen worden war, wurde im Sommer 1736, alſo in demſelben Jahre, in dem Kronprinz Friedrich nach Rheinsberg überſiedelte, zu Neu-Ruppin geboren. Er war aus bürgerlichem Stande. Sein Vater ſtand als Feldprediger beim Regiment Kronprinz und zeich - nete ſich durch große Kanzelgaben aus. Bald nach dem Tode des Vaters, der bereits einige Monate vor der Geburt Johann Hein - richs erfolgte, wurden mehrere Bände ſeiner Predigten heraus - gegeben.
Sein Sohn, unſer General Günther, gehört unbeſtreitbar zu den bedeutendſten Perſönlichkeiten, die aus den Mauern Neu-Rup - pin’s hervorgegangen ſind; dennoch bin ich nicht völlig ſicher, ob unſre Darſtellung vor dem alten Reitergeneral Halt machen und ihm die pflichtſchuldigen Honneurs erweiſen würde, wenn nicht, im Lauf der Zeiten, die Perſon Günthers durch das Geflüſter: „ er ſei ein illegitimer Sohn des Kronprinzen Friedrich, “ein geſteigertes Intereſſe gewonnen hätte, oder, wie Droyſen ſich ausdrückt, „ wenn nicht das Gerücht entſtanden wäre, daß der Kronprinz bei der ſchönen Predigersfrau in Neu-Ruppin die Rolle des Jupiter in Amphitryos Haus geſpielt habe. “ Dies Gerücht (wir werden zu unterſuchen haben, woraus entſtanden) war ſicher - lich ohne alles Fundament, dennoch hat es ſich erhalten, auch53 jetzt noch, wo die Glaubwürdigkeit deſſelben wenigſtens ſtark er - ſchüttert iſt. Günthers Biograph (der ſpätere Kriegsminiſter von Boyen, der während des polniſchen Feldzuges, als Adjutant des Generals, auch in perſönlich-nahe Beziehungen zu demſelben trat) ſpricht von der Mutter deſſelben als von einer „ guten und frommen Frau, “eine Bezeichnung, die er vermieden haben würde, wenn er irgend welche Veranlaſſung gehabt hätte, jenes Gerücht als begründet anzuſehn. Die Frage bleibt freilich: wie konnte ſolch Gerücht überhaupt entſtehen? welche Scheingründe waren thätig, um einer müßigen Erfindung wenigſtens das Kleid einer gewiſſen Wahrſcheinlichkeit zu leihen? Es iſt wahr, man hat von einer frappanten Aehnlichkeit zwiſchen dem General und dem großen König geſprochen, hat in dem Aufſteigen eines Bürgerlichen und Feldpredigerſohns bis zum Freiherrn und zum General-Lieu - tenant den Beweis erblicken wollen, daß es mit dem alſo Aus - gezeichneten „ noch etwas Beſonderes auf ſich gehabt haben müſſe ꝛc. ꝛc., “aber man hat dabei überſehn oder über - ſehen wollen, daß eine frappirende Aehnlichkeit zwiſchen den Hohen - zollern und den Offizieren ihrer Armee bis dieſen Augenblick eine täglich wiederkehrende Erſcheinung iſt, und daß ferner die hohen Auszeichnungen, deren ſich gegen das Ende ſeiner Tage hin unſer General allerdings zu erfreuen hatte, ihm nicht vom großen Könige, ſondern von den beiden Nachfolgern deſſelben, zumal von Friedrich Wilhelm III., zu Theil wurden. Kurz heraus, die Sache iſt eine Mythe, für deren Entſtehung wir, außer dem Umſtand, daß das Oberſt v. Wreech’ſche Haus, das der Kronprinz in Ruppin be - wohnte, allerdings durch ſeinen bloßen Namen ſchon an die kurz vorhergegangenen intimen Beziehungen zur ſchönen Frau v. Wreech (in Tamſel bei Küſtrin) erinnerte, keine andre Erklärung, als die Sucht des Menſchenherzens finden können, hervorragende Perſön - lichkeiten durch Ausſtaffirung mit ſogenannten „ intereſſanten Ver - hältniſſen “wo möglich noch intereſſanter zu machen.
Nach dieſer Abſchweifung, die zur Aufklärung über einen oft erwähnten Punkt nöthig war, fahr ich in Zuſammenſtellung des54 biographiſchen Materials fort, das ich im Stande geweſen bin über unſern Helden zu ſammeln.
Johann Heinrich’s Jugendjahre, die er zunächſt im Hauſe ſeiner verwittweten Mutter verlebte, ſcheinen Jahre der Entbehrung geweſen zu ſein. Nichtsdeſtoweniger ſetzte die Mutter alles daran, ihn für das geiſtliche Amt zu erziehn, in dem der Vater des Kna - ben bereits Befriedigung und Auszeichnung gefunden hatte. Die Univerſität Halle bot dazu in mehr als einem Sinne die Mittel. Bald nach Ausbruch des ſiebenjährigen Krieges, wahrſcheinlich im Jahre 1757, trat unſer Günther ſeine theologiſchen Studien an der berühmten Hochſchule an. Aber dieſe Studien wurden bald unterbrochen. War es, daß die wachſende Noth des Vaterlandes den feſten Willen heranreifte, Gut und Blut für die Sache des Königs einzuſetzen, oder war es — wie eine andre Lesart lautet — die Ueberzeugung, daß vielleicht morgen ſchon ein Zwang da eintreten würde, wo heute noch die Möglichkeit eines freiwilligen Entſchluſſes war, gleichviel, der Eintritt in die preußiſche Armee erfolgte.
Ernſt Moritz Arndt, in ſeinen „ Wanderungen und Wande - lungen mit dem Freiherrn v. Stein “erzählt den Hergang nach Mittheilungen, die er dem Geh. Kriegsrath Scheffner (in Königs - berg) zu verdanken ſcheint, im Weſentlichen wie folgt:
„ Bald nach Ausbruch des ſiebenjährigen Krieges ſtanden vier unter einander befreundete Jünglinge in den Liſten der Hochſchule Halle eingeſchrieben. Sie hießen Scheffner, Neumann, l’Eſtocq und Günther. Alle vier haben ſich ſpäter auf verwandtem Felde aus - gezeichnet. Eines Abends beim Commers führte das Geſpräch dar - auf hin, daß ſie binnen kürzeſter Friſt für die Armee gepreßt und eingekleidet werden würden. Nach einigem Hin - und Hererwägen reifte der Entſchluß in ihnen, lieber gleich als Freiwillige in ein berühmtes Huſarenregiment einzutreten. Scheffner, nachdem er ehrenvoll gedient, lebte noch 1813 als Kriegs - und Domainen - rath in Königsberg; Neumann wurde durch ſeine tapfre Ver - theidigung Koſel’s, — l’Eſtocq durch ſeinen entſcheidenden Angriff55 in der Schlacht bei Preußiſch-Eylau berühmt; Günther aber glänzte, zumal während des polniſchen Feldzuges von 1794, durch ſeine organiſatoriſchen Talente und verdient in gewiſſem Sinne ein Vor-Scharnhorſt genannt zu werden.
Boyen ſtellt den Hergang minder poëtiſch dar. Darnach war es kein „ berühmtes Huſaren-Regiment “, in das unſer Günther zu - nächſt eintrat, ſondern das „ Kommiſſariat, “eine wichtige, aber doch immerhin ziemlich proſaiſche Sache. Er gab dieſe unkriegeriſche Stellung aber in Bälde auf, focht zunächſt in dem Frei-Bataillon von Angelelly, dann im ſogenannten Trümbach’ſchen Corps und kam erſt nach dem Schluß des Krieges als Stabs-Rittmeiſter zum Küraſſier-Regiment Vaſold. Während des Krieges war er mehr - fach verwundet worden. Die Beförderungen gingen jetzt langſamer denn je, und zwanzig Jahre verfloſſen, bevor er vom Stabs - rittmeiſter bis zum Oberſtlieutenant avancirte. Als ſolcher erhielt er 1783 das Commando über die ſchwarzen Huſaren. Zwei Jahre ſpäter avancirte er zum Oberſten und 1788 ernannte ihn König Friedrich Wilhelm II. zum Chef des Bosniaken-Regiments.
Dieſe 25 Friedensjahre — der baieriſche Erbfolgekrieg war kaum als ein Krieg zu rechnen — hatten unſerm Günther wenig Gelegenheit gegeben, nach außen hin zu zeigen, von welchem Metall er war. Nur in einem allerengſten Kreiſe wußte man ſchon damals, was man an ihm beſaß. In kleinen Garniſonſtädten vergingen ihm die Jahre; 1789 ward er General-Major. An dem Cham - pagne-Feldzug und der Rheincampagne nahmen die Truppen, bei denen Günther ſtand, nicht Theil und auch die letzten 10 Jahre ſeines Lebens würden muthmaßlich ohne kriegeriſche Lorbeern für ihn geblieben ſein, wenn nicht Kosciuszko’s Auftreten und der un - provocirte Angriff Madalinski’s auf eine kleine ſüd-preußiſche Land - ſtadt (am 15. März 1794) das Signal zu einem kurzen, aber erbitterten Kampfe an den Ufern der Weichſel und des Narew gegeben hätte. Die nun folgenden Sommermonate waren es, die unſrem Günther Gelegenheit boten, ſich als einen Partheigänger und Avant-Garden-Führer von ungewöhnlicher Begabung zu zeigen,56 als einen raſchen und kühnen Reitergeneral, wie er ſeit den Tagen Zietens nicht dageweſen war. Droyſen, in ſeinem Leben York’s (York war Offizier in Günther’s Corps), ſchildert unſern General wie folgt: „ An der Spitze ſeiner Bosniaken, in den haſtigen Plötzlichkeiten des Parteigängerkrieges, war er in ſeinem Element, er ſelbſt immer voran. Seine Schlauheit und körperliche Gewandt - heit gaben ihm die Luſt der Gefahr; er verſtand es, ſie bei ſeinen Leuten bis zur Tollkühnheit zu ſteigern, aber indem er es rück - ſichtslos mit jedem Feinde aufzunehmen ſchien, lag ſeiner Kühn - heit die beſonnenſte Berechnung zum Grunde. So verſtand er es, den Leuten die Zuverſicht des Erfolges zu geben. Eine kurze An - rede, — dann ging es mit niederwerfendem Ungeſtüm auf den Feind. Kam es beſonders hart, ſo hielt er wohl eine Anſprache wie die folgende: „ Alles iſt reiflich und behutſam erwogen; auch habe ich gethan, was zu allen Dingen den Segen bringt, habe Gott den Herrn um ſeinen allmächtigen Beiſtand angefleht, wenn wir aber doch nicht gewinnen, ſo hole euch verfluchte Kerle alle der Teufel, denn dann tragt ihr allein die Schuld. “
Nach Vorausſchickung dieſer allgemeinen Bemerkungen, die den Mann und den Geiſt, der in ſeiner Truppe lebendig war, ſehr anſchaulich ſchildern, wenden wir uns den Ereigniſſen ſelber zu, die ihm Gelegenheit gaben, ſolche Anſprache zu halten.
Die polniſchen Beſitzungen Preußens (das ſogenannte Süd - Preußen) waren damals viel ausgedehnter als jetzt und mit Rück - ſicht auf das weite, weder durch Kunſt noch Natur befeſtigte Areal ſehr ſchwach mit Truppen beſetzt. Die nächſte Aufgabe, die den Truppenführern nach Ausbruch der Feindſeligkeiten zufiel, war die, eine unendlich langgezogene Grenze mit einer Armee zu decken, die kaum 10,000 Mann zählen mochte. Unſer Günther erhielt den linken Flügel und hatte eine 20 Meilen lange Linie, die ſich, am Narew und ſeinen Nebenflüſſen entlang, von Oſtrolenka bis Gra - jewo erſtreckte, mit zehn Eskadrons und einem Bataillon zu ver - theidigen. Es ſchien faſt unmöglich; das Land lag offen da und57 der an Zahl weit überlegene Feind hatte es ſichtbarlich in ſeiner Macht, überall nach ſeinem Belieben durchzubrechen. Hier war es, wo die Prinzipien ſich glänzend bewährten, nach denen Günther, eine Reihe von Jahren hindurch, die ihm untergeordneten Reiter - Regimenter im Dienſt geübt und in mehr als dem gewöhnlichen Sinne für den Krieg vorbereitet hatte. Der Kern dieſes ſeines Prinzips hatte nämlich darin beſtanden, die einzelnen Eskadrons, die, von Stadt zu Stadt, in den Grenzdiſtrikten Süd - und Oſt - Preußens in Garniſon lagen, in einer beſtändigen Kriegführung mit und unter einander zu erhalten. Es war immer Krieg. Wie eine Art Reiſe-General war er bald hier, bald da, ſtellte ſich an die Spitze bald dieſer, bald jener Schwadron und fiel, ſei’s Tag, ſei’s Nacht, über die Truppen eines andern Gar - niſonplatzes her. Dadurch hatte er, in vieljähriger Uebung, ein Corps von ſeltner Schlagfertigkeit ausgebildet, eine Truppe genau der Art, wie ſie jetzt erfordert wurde, wo es darauf ankam, eine Handvoll Leute über weite Strecken hin gleichſam wie auszu - ſtreuen und auf ein gegebenes Zeichen im Ru wieder zu concen - triren. Es war die Kunſt, mittelſt eines lebendigen, aus vielen Theilen zuſammengeſetzten Gliederſtabs heut’ auf 20 Meilen hin eine dünne Grenzlinie zu ziehn und morgen dieſen lang ausge - zogenen Stab zu einem compacten und widerſtandsfähigen Bündel zuſammen zu klappen. In dieſer Kunſt erwies ſich Günther als Meiſter. Späher und eingebrachte Gefangene erhielten ihn über alle Pläne des Feindes in beſter Kenntniß, und wo immer dieſer den Durchbruch verſuchen mochte (um dann im Rücken das Land zu inſurgiren), fand er entweder den Riegel feſt vorgeſchoben, oder Günther ergriff die Offenſive, warf ſich auf die Anrückenden und ſchlug ſie direkt oder imponirte ihnen doch genugſam, um ſie zum Rückzug zu bewegen. Die Gefechte bei Kolno und Demniki (am 9. und 18. Juli) werden nicht nur für die Lebensgeſchichte Gün - thers, ſondern namentlich auch für die Geſchichte des „ kleinen Kriegs “ein paar Muſter-Beiſpiele bleiben.
Die Geſchicklichkeit, mit der General Günther operirte, konnte58 nicht ermangeln, an höchſter Stelle die Aufmerkſamkeit auf einen ſo ausgezeichneten, ſo hingebenden und zu gleicher Zeit ſo vom Erfolge gekrönten Offizier hinzulenken, und wiewohl erſt der dritte General beim Corps, übertrug ihm der König (während die Trup - pen in Süd-Preußen unter den Befehl des Generals Favrat ge - ſtellt wurden) das Oberkommando über alle am rechten Weichſel - Ufer (ſo ſchreibt Boyen; es muß aber unbedenklich das linke heißen) ſtehenden Truppen, deren Beſtimmung es war, mit den Ruſſen unter Suwaroff gemeinſchaftlich gegen Warſchau vorzu - dringen und durch Einnahme der Hauptſtadt den Heerd des Auf - ſtandes zu erſticken. So ſah ſich Günther, der bis dahin über den Partheigänger-Krieg nicht hinausgekommen war, plötzlich an die Spitze einer „ Armee “geſtellt und der Beſtimmung gegenüber, ſelbſtändig und im großen Stil zu operiren. Freudig und muth - voll erfaßte er die ihm gewordene Aufgabe und ſah im Geiſte bereits eine zweite ruhmreiche Schlacht bei Warſchau geſchlagen, unter deſſen Mauern die Brandenburger ſchon einmal gekämpft und den lange ſchwankenden Kampf zur Entſcheidung gebracht hatten. Aber es war anders beſchloſſen; noch eh’ das Corps die Weichſel überſchreiten konnte, traf die Nachricht von der Erſtür - mung Praga’s ein. Warſchau, zitternd vor der eiſernen Hand Suwaroff’s, hatte ſeine Thore den Ruſſen geöffnet. Der Krieg war zu Ende, und nach einer interimiſtiſchen Verwaltung der Pro - vinz (Süd-Preußens) nahm der Friedensdienſt und das Garniſon - leben in kleinen Städten auf’s Neue ſeinen Anfang. Günther und die Bosniaken, deren Chef er blieb, kamen nach Tycoczyn. Die Auszeichnungen drängten ſich jetzt. 1795 ward er General - Lieutenant; zwei Jahre ſpäter erhob ihn Friedrich Wilhelm III. (gleich nach ſeiner Thronbeſteigung) in den Freiherrnſtand; endlich 1802, nach der Revue, erhielt er den Schwarzen Adler-Orden. Aber nur eine kurze Spanne Zeit noch blieb ihm, ſich dieſer Ehren und Auszeichnungen zu erfreuen. Ein halbes Jahr ſpäter, am 22. April 1803, ſtarb er. Als der Adjutant bei ihm eintrat, fand er den General am Schreibtiſch, den Kopf auf die Seite geneigt59 — todt. Der Tod war als ein Längſterwarteter an ihn heran - getreten. Schon am Tage zuvor hatte er zu ſterben geglaubt und bei einer Truppenvorſtellung, die er ſelbſt noch leitete, ſeinen Adju - tanten gebeten, ihm zur Seite zu bleiben, um ihn auffangen zu können, wenn er vom Pferde ſtürze. Bis zuletzt war ihm das „ Ich dien’ “ein Stolz und ein Bedürfniß geweſen.
Günther war 46 Jahre lang Soldat. Immer zeigte er ſich treu in Erfüllung ſeiner Pflicht, immer war er ein ritterliches Vorbild, ein organiſatoriſches und militäriſches Talent, und doch, ohne jene kriegeriſche Epiſode am Narew, würden wir wenig oder nichts von ihm wiſſen. Selbſt die Sage, die ſich an ſeine Geburt knüpft, würde nicht ausgereicht haben, ihn vor dem Vergeſſen - werden zu bewahren, denn ein pikant-anekdotiſches Element ſteigert wohl ein ſchon vorhandenes, auf Thaten gegründetes Intereſſe, aber iſt zu ſchwach, es zu wecken. Günther’s Ruhm und Bedeu - tung wurzelt in den kurzen Kämpfen von 1794. Wenn trotz dieſer Kämpfe ſein Name nicht heller glänzt, ſo liegt das in einer Ver - kettung äußerer Umſtände, unter deren Ungunſt manche hervor - ragende Kraft jener Zeit und ſpeciell jener polniſchen Kämpfe zu leiden gehabt hat. Der Krieg war unpopulär, die Theilung Polens eine Maßregel, der die Sympathieen der Völker niemals zur Seite geſtanden hatten und die Schroffheit Suwaroff’s, die des Guten in derſelben Weiſe zu viel that, wie die oberſte Leitung preußi - ſcherſeits (freilich ohne Verſchulden unſres Günther) des Guten zu wenig leiſtete, war nicht geeignet, dem ganzen Kampfe die Sym - pathieen zu erwecken, die ihm bis dahin gefehlt hatten. Man ſchämte ſich faſt des Krieges, man hatte keine Freude daran und die ein - zelne Großthat litt unter dem Mißkredit, in dem das Ganze ſtand. Dies würde alles genugſam erklären, aber was den Ausſchlag gab, war noch ein andres. Kaum iſt es nöthig, es zu nennen. Der Untergang des alten Preußen und die Wiederaufrichtung eines neuen waren Welt-Ereigniſſe, die dieſen Vorgängen der 90ger Jahre auf dem Fuße folgten und die wie eine mächtige Fluth all die Markſteine einer kleineren Geſchichtsepoche umwarfen60 und hinwegſpülten. Es iſt Aufgabe ſpäterer Zeiten, ſolche in Trieb - ſand begrabenen Denkſteine neu aufzurichten. Dazu ſollten dieſe Zeilen ein Verſuch ſein.
Günther’s eigentlichſte Bedeutung ſcheint übrigens, nach dem übereinſtimmenden Urtheil ſeiner Zeitgenoſſen, vor allem in ſeiner Perſönlichkeit gelegen zu haben. Boyen preiſt ihn auf jeder Seite, und da junge Adjutanten gewöhnlich diejenigen ſind, die ihrem alten General (oft mit gutem Grund) am allerwenigſten voll Bewunderung entgegentreten, ſo ſind wir wohl zu dem Schluß berechtigt, daß in dieſem Falle eine ſiegende Gewalt vorlag, die alles Bekritteln todt machte. Das Myſteriöſe, das um und an ihm war, ſteigerte allerdings die Macht ſeiner Perſönlichkeit nicht wenig. Es hieß von ihm, daß er wie ein Ordensbruder die drei Gelübde der Keuſchheit, der Armuth und des Gehorſams abgelegt habe. Daß dies von jedem geglaubt wurde, zeigt am ehſten, wie ſein Leben war. Es galt dafür, daß er nie ein Weib berührt habe, drum ſei er ſo gewaltig von Körper. *)Boyen hat auch in Bezug hierauf eine etwas proſaiſchere Verſion. Er ſchreibt: Günther zog ſich früh aus dem Treiben der Welt und der Geſellſchaft zurück. Was ihn zu dieſer Zurückgezogenheit beſtimmte, ob es ſchmerzlich zerriſſene Lebensverbindungen waren (alſo unglück - liche Liebe, aber nichts von einem Keuſchheitsgelübde), mag dahin ge - ſtellt bleiben. Auch der „ Gewaltigkeit ſeines Körpers “erwähnt Boyen nicht, gegentheils ſpricht er viel von der Kränklichkeit des Generals, die nur in deſſen moraliſcher Kraft ihr Gegengewicht gefunden habe. Er war auch hierin ganz dem alten Zieten verwandt, der bekanntlich immer leidend und zu Zeiten völlig hinfällig war.Das Gelübde der Armuth hielt er nicht minder treu. Von ſeinem reichen Gehalt nahm er für ſeine Perſon nur 300〈…〉〈…〉; was von dem Uebrigen nicht für die Offiziertafel und für Lohn und Bedienung darauf ging, wurde den Armen gegeben. Die Tafel war reichlich beſetzt, aber er ſelbſt aß regelmäßig nur eine Soldatenſuppe und ein ein - faches Stück Fleiſch. Als er einen jungen Offizier zum Nachbar flüſtern hörte, daß der Alte ſich ſeine frugale Koſt ſehr gut ſchmecken61 laſſe, ward auch noch das Fleiſch aus der Suppe gethan. Wie er an Umſicht, Raſchheit und verſchlagener Tapferkeit ein Geiſtes - verwandter des alten Zieten war, ſo war er es auch in Schlicht - heit, Rechtſchaffenheit, Unbeſtechlichkeit. Die Worte des Prinzen Heinrich, die den alten Huſaren-General ſo ſchön charakteriſiren, („ er verachtete alle diejenigen, die ſich auf Koſten unterdrückter Völker bereicherten “) paſſen ebenſo auf Günther. Seine kurze Verwaltung Süd-Preußens war deshalb in mehr als einer Bezie - hung ein Segen für jene Landestheile. Seine Uneigennützigkeit erwarb ihm die Achtung von Freund und Feind, und ſelbſt die polniſche Bevölkerung näherte ſich ihm und unterwarf ſich in ſtrei - tigen Fällen ſeiner Entſcheidung. Von Suwaroff, den er öfter ſah, wurde er in ausgezeichneter Weiſe empfangen. „ Ich freue mich, heute einen wahren General kennen zu lernen “waren die erſten Worte, womit der damals im Zenith ſeines Ruhms ſtehende Praga-Erſtürmer unſern General begrüßte, und als Günther mehrere Jahre ſpäter ein in Süd-Preußen zurück - gebliebenes, völlig vergeſſenes ruſſiſches Magazin unaufgefordert an Suwaroff zurückliefern wollte, rief dieſer verwundert aus: „ Solch’ einen Glauben hab’ ich in Iſrael nicht funden. “ Frei - lich, es war ſo unruſſiſch wie möglich.
An Gehorſam, an Dienſttreue war ihm keiner gleich. Seine ſtete Sorge war, daß der König ſchlecht bedient werde. In vollem Maaße gehörte er noch jenem Krieger-Orden an, der ſich während der Regierungszeit des großen Königs gebildet hatte, deſſen erſte und einzige Regel lautete „ im Dienſt des Vaterlandes zu leben und zu ſterben. “ Das Opfer war Gebot, war Leiden - ſchaft. Preußen über alles. Noch wenige Wochen vor ſeinem Tode, als ihm erzählt wurde, daß die Grenadier-Bataillone die alten Grenadier-Mützen wieder erhalten hätten, rief er aus: Gott gebe, daß mit den alten Mützen auch der alte Geiſt der Gleim’ſchen Grenadiere wieder da ſein möge, dann werden ſie und Preußen unüberwindlich ſein. “ Der Tod erſparte ihm die bittre Erfahrung,62 daß der „ alte Geiſt “unwiederbringlich verloren war. Seine letzten Momente hab ich bereits geſchildert.
Es war ihm, in einem dem Dienſt und der Pflicht gewid - meten Leben verſagt geblieben, die höchſten Aufgaben zu löſen, Aufgaben, zu denen er der Ausſage aller derer nach, die ihm nahe ſtanden, wohl befähigt war. Aber wenn ihm das Höchſte verſagt blieb, das Beſte, Edelſte lebte und webte in ihm. Mög’ es dem Vaterlande nie an Männern fehlen, gleich ihm!
Wenn berühmte Männer in ihren alten Tagen ſich entſchließen, ihre Biographie zu ſchreiben, ſo iſt es nichts Seltenes, daß die erſten Capitel, die ſich mit ihrer Kindheit beſchäftigen, die aller - intereſſanteſten werden. Die alten Herren, nachdem ſie am Tiſch von Fürſten und Herren geſeſſen und ſich genugſam von der Wahrheit überzeugt haben, daß alles eitel ſei, kehren dann mit rührender Vorliebe zu den Spielen ihrer Kindheit zurück und ver - weilen lieber dabei, als bei dem Ordens - und Ehrenempfang ihrer ſpäteren Jahre. Anders verhält es ſich, wenn Berühmtheiten es verſchmähen oder vergeſſen, ihre Lebensbeſchreibung niederzuſchreiben, und nur das zu unſerer Kenntniß kommt, was Andre von ihnen wiſſen. Dieſe „ Anderen “wiſſen nie etwas von den Kinderjahren des berühmten Mannes; ſie lebten damals kaum, und der Berühmte hat die vielleicht hübſcheſten Capitel ſeines Lebens mit in’s Grab genommen. So iſt es mit Schinkel. Er hat ſeine Biographie nicht geſchrieben, kaum Material zu derſelben hinter - laſſen; beſondre Unglücksfälle haben das Wenige, das da war, abermals vermindert. Ich habe an ſeinem Geburtsort nachgeforſcht; es leben noch Perſonen, die ihn als Kind gekannt haben, und ich gebe in Nachſtehendem, was ich über ihn erfuhr.
Karl Friedrich Schinkel wurde am 13. März 1781 zu Neu - Ruppin geboren. Sein Vater war daſelbſt Superintendent und64 ſtarb in Folge der Anſtrengungen, die er während des großen Feuers, das im Jahre 1787 die ganze Stadt verzehrte, durch - zumachen hatte. Auch die Superintendenten-Wohnung wurde in Aſche gelegt, ſo daß von dem Hauſe, drin Schinkel geboren wurde, nichts mehr exiſtirt. Es ſtand ungefähr an derſelben Stelle, an der ſich die jetzige Superintendenten-Wohnung befindet, aber etwas weiter vorgelegen, auf dem jetzigen Kirchplatz, nicht an demſelben. Die Mutter Schinkel’s zog nach dem Tode ihres Mannes in das ſogenannte Prediger-Wittwenhaus, das, damals vom Feuer verſchont geblieben, ſich bis dieſen Tag in alter Un - verſehrtheit erhalten hat. In dieſem Hauſe hat Schinkel ſeine Knabenzeit vom 6. bis zum 14. Jahre zugebracht.
Aus ſeiner früheſten Jugend iſt nur folgender kleiner Zug aufbewahrt geblieben. Sein Vater zeichnete ihm öfter allerlei Dinge auf Papier, namentlich Vögel. Der kleine Schinkel ſaß dann dabei, war aber nie recht zufrieden und meinte immer: „ Ein Vogel ſähe doch noch anders aus. “ Sein Charakter nahm früh ein beſtimmtes Gepräge an; er war beſcheiden, zurückhaltend, gemüthvoll, aber ſchnell aufbrauſend und zum Zorn geneigt. Eine ächte Künſtlernatur. *)Noch auf ſeinem letzten Krankenlager zeigte ſich dieſe volle Künſtler - natur. Er lag 13 Monate lang in einem bewußtloſen Zuſtand; als es aber hieß: „ Thorwaldſen ſtehe an ſeinem Lager “, richtete er ſich auf und das Bewußtſein kehrte ihm auf kurze Augenblicke zurück.Auf der Schule war er nicht ausgezeichnet, vielleicht weil jede Art der Kunſtübung ihn von früh auf feſſelte und ein intimeres Verhältniß zu den Büchern nicht aufkommen ließ. Seine muſikaliſche Begabung war groß; nachdem er eine Oper gehört hatte, ſpielte er ſie faſt von Anfang bis zu Ende auf dem Klavier nach. Theater war ſeine ganze Luſt. Seine ältre Schweſter ſchrieb die Stücke, er malte die Figuren und ſchnitt ſie aus; am Abend gab es dann Puppenſpiel. Seine maleriſchen Fähigkeiten müſſen früh entwickelt geweſen ſein. Eine Zeichnung ſeines eigenen Kopfes, die er in ſeinem 14. Jahre nach dem65 Spiegel gemacht hat, hab’ ich geſehen. Sie iſt in großen Umriſſen, ſkizzenhaft mit dem Bleiſtift entworfen; die ſchärferen Striche und angegebenen Schattenparthieen mit Dinte dazwiſchen gezogen. In ſeinem 14. Jahre zog ſeine Mutter nach Berlin und Schinkel kam nur noch beſuchsweiſe nach Ruppin, beſonders nach Kränzlin, einem nahebei gelegenen Dorfe, wo er im dortigen Predigerhauſe die Ferien bei ſeiner verheiratheten Schweſter zu verbringen pflegte. Die Töchter dieſer Schweſter leben noch in Ruppin und entſinnen ſich eines Zimmers im Kränzliner Predigerhauſe, das er während ſeiner mannigfachen Beſuche ganz mit Arabesken, Blumen und Vögeln bemalt hatte. Aus ſpäterer Zeit ſtammt eine kleine Zeich - nung, in chineſiſcher Tuſche ausgeführt, die ſich, ſorgfältig einge - rahmt, im Beſitz des Küſters zu Darritz, eine halbe Meile von Kränzlin, befindet. Er war 18 Jahr alt, als er dieſe äußerſt ſaubre Arbeit machte, denn rechts in der Ecke ſteht: „ Schinkel 99 fec. “ Die Zeichnung (etwa im Verhältniß von 9 Zoll zu 5 Zoll) ſtellt ein Familienbegräbniß, ein Mauſoleum dar, das nach zwei Seiten hin von dunklen Baumparthieen eingeſchloſſen iſt; links hin öffnet ſich der Blick auf eine Landſchaftsſkizze, die, ſo klein ſie iſt, auf der Stelle an die großen Vorbilder Claudés erinnert. Die dem Beſchauer zugekehrte Längswand trägt die Inſchrift: » Tran - quillitati « und darunter ein ſauber ausgeführtes Basrelief: Pluto und Proſerpina, zu deren Füßen ein Bittender kniet. Die Arbeit iſt lehrreich und intereſſant zugleich; in Ruhe, Einfachheit und Schönheit ſchon ganz Schinkel, aber es fehlt freilich noch die Freiheit der Bewegung; die Schule ſeines Meiſters Gilly blickt noch durch.
Dieſe zwei Zeichnungen, von denen ich die letztere, die eine gewiſſe kunſthiſtoriſche Bedeutung beanſpruchen darf, ausführlicher beſchrieben habe, ſind muthmaßlich alles, was die ganze Grafſchaft Ruppin von dem bedeutendſten Manne beſitzt, den ſie je hervor - gebracht hat; denn wie viel Tüchtiges auch, im Lauf der Jahr - hunderte, an den Ufern des Ruppiner See’s emporgewachſen iſt, keiner ragt an den Superintendenten-Sohn heran, der das alte566Berlin in eine Stadt der Schönheit umgeſchaffen und ihm hof - fentlich für immer den Stempel ſeines Geiſtes aufgedrückt hat.
Nach Kränzlin hin adreſſirte er auch ſeine Briefe aus Italien, wohin er im Jahre 1803 jene Reiſe antrat, die ſo nachhaltig und entſcheidend auf ſeine Kunſtrichtung einwirkte. Er verwandte zu dieſer Reiſe ſein väterliches Vermögen und den Ertrag eines „ Panorama’s von Palermo “, das er für Gropius gemalt hatte. Die Aufmerkſamkeit des Königs erregte er zuerſt im Radziwill’ſchen Hauſe, wo er bei einer der ſtattfindenden Theatervorſtellungen eine Mondſchein-Decoration mit ſo frappanter Wahrheit aufgeſtellt hatte, daß der König nach dem Namen des Malers fragte. Auch das mag hier erwähnt ſein, daß er zu Gneiſenau in freundſchaft - lichen Beziehungen ſtand und bis in’s Lager hin, über künſtle - riſche Detailfragen mit ihm correspondirte.
Die Italieniſche Correspondence des Meiſters, jene Reihen - folge von Briefen, die er von Rom, Neapel und Sicilien aus an ſeine Schweſter in Kränzlin richtete, iſt bis auf einen Brief verloren gegangen; in ähnlicher Weiſe wie die Briefe David Hume’s an ſeine Freundin Msr. Mure verloren gegangen ſind, (die Köchin hatte dieſe Briefe ſtatt Stroh zum Sengen der Enten und Gänſe benutzt), ſo ſind wir um dieſe Schinkel-Correspondenz gekommen — Dienſtmädchenhände haben Ofenfeuer damit gemacht. Der eine Brief, den wir folgen laſſen, wird zeigen, wie beklagens - werth der Verluſt iſt. Schinkel war, wo ſein Herz fühlte, des Wortes in hohem Maße mächtig. Franz Kugler ſagt Folgendes von ihm: „ Wenigen Menſchen war ſo, wie ihm, das Gepräge des Geiſtes aufgedrückt. Was in ſeiner Erſcheinung anzog und auf wunderbare Weiſe feſſelte, darf man nicht eben als eine Mit - gift der Natur bezeichnen. Schinkel war kein ſchöner Mann, aber der Geiſt der Schönheit, der in ihm lebte, war ſo mächtig und trat ſo lebendig nach außen, daß man dieſen Widerſpruch der Form erſt bemerkte, wenn man ſeine Erſcheinung mit kalter Be - ſonnenheit zergliederte. In ſeinen Bewegungen war ein Adel und ein Gleichmaß, in ſeinem Munde ein Lächeln, auf ſeiner Stirn67 eine Klarheit, in ſeinem Auge eine Tiefe und ein Feuer, daß man ſich ſchon durch ſeine bloße Erſcheinung zu ihm hingezogen fühlte. Größer aber noch war die Gewalt ſeines Wortes, wenn das, was ihn innerlich beſchäftigte, unwillkürlich und unvorbereitet auf ſeine Lippen trat. “
Von dieſer „ Gewalt des Wortes “giebt an mehr denn einer Stelle der in wahrhaft klaſſiſcher Sprache geſchriebene Brief Zeugniß, den wir der Güte einer Nichte Schinkels, des Fräulein Wagner in Ruppin, verdanken, und den wir, mit Beibehaltung der kleinen Abweichungen der damaligen Orthographie, in Nach - ſtehendem folgen laſſen:
Meſſina, 14. Mai 1804. „ Mit günſtigem Oſt verließ ich am 8. Mai den Hafen Neapels, als noch des Veſuv’s zwie - geſpaltener Gipfel die frühe Sonne barg. Ein braver Capitain und eine luſtige Schiffsgeſellſchaft ſicherten mir die Entſchädigung für das Ungemach der Seefahrt. Wir hatten uns, mein alter Reiſegefährter und ich, mit zweien Freunden aus Rom verbunden, die ganze Reiſe durch Sicilien zuſammen zu machen, um durch gegenſeitige Mittheilung ſo viel Nutzen als Vergnügen zu haben. Mittags flog das Schiff durch die Enge von Capri’s Fels - wänden und dem Vorgebirg von Maſſa; der Abend brachte uns die ſchöne Ueberſicht der Küſte von Salerno und des Golfo di Napoli, den die dämmernden Vorgebirge der Stadt am Horizonte beſchloſſen, verſchönert durch den Sonnenuntergang, den wir traulich auf dem Verdeck in aller Muße genoſſen. Mit dem Grau des Morgens war jede Ausſicht auf’s Land verloren, nur Himmel und unendliche Fluth. Später ſtiegen am Horizont die Lipariſchen Inſeln empor, zunächſt der Strombolo, dem wir Mittags nahe vorbeiſegelten. Sein dampfendes Haupt warf zuckend Aſche in die Luft, und Felſen, die ſich aus des Kraters Rande löſten, rollten rauchend über die herabgeglittene Aſche in’s Meer. Oeſtlich zieht ein ſanftes Ufer hinauf, ein wohlbebautes Ländchen, deſſen Bewohner, den drohenden Gipfel nicht fürchtend, zufrieden des Weinbaues und des Fiſchfanges pflegen. — Am5*68Abend dämmerte die Küſte Siciliens. Langſam näherten wir uns; das frühe Tageslicht zeigte uns deutlicher das gigantiſche Ufer Kalabriens, und die mit ſanfterem Gebirg ſich vor ihm breitende Inſel, gekrönt vom glänzenden Schneehaupt des Aetna. In gerader Säule ſtieg aus ſeinem Gipfel der Dampf in die Höhe und bildete hoch über ihm Wölkchen, die bald in reinem Aether verſchwanden. Es neigte ſich der Tag, als wir die Enge von Meſſina oder den Pharo erreichten — das Bild Homers ſtand lebhaft vor meiner Seele, ich ſah den irrenden Odyſſeus, wie er der brauſenden Charybdis wich, um an den ſtarrenden Felſen der Scylla die werthen Genoſſen zu verlieren, um ſein und der Uebrigen Leben zu retten. — Noch immer brauſet Cha - rybdis dunkelwogend, doch iſt ſie dem großen Schiffe im Sturme nur gefährlich. Der Fels von Scylla ragt wie das entſtürzte Haupt des jähen Kalabriſchen Gebirges aus der Flut und wölbt die dunklen Grotten, in denen uns Homer das raubende Unge - heuer malt. Ein Kaſtell und Städtchen gleichen Namens hängen an ſeinem Abgrund. Die Küſte Kalabriens iſt groß und fürchterlich; ſanfter und freundlich zieht mit milderer Natur das Sikuliſche Land hinan, bis zum hohen Gipfel des Aetna. Die Nacht brach ein, gewitterhaft umwölkte ſich der Himmel und Sturm erhob ſich in der Enge. Viermal trieb das Schiff zurück in die ſtrudelnde Flut der Charybdis. Der Capitain, der, des übertriebenen Preiſes wegen, den Dienſt des Lootſen ausſchlug, hatte ſeine ganze Gegenwart nöthig, der Strandung zu entgehen. Mit der Mitternacht liefen wir in den Hafen Meſſinas.
Kein Ort erlitt mehr durch die Revolutionen der Natur als Meſſina. In jedem Jahrhundert vom Erdbeben zertrümmert, trägt es den ganzen Charakter ſeines Schickſal’s. Am Hafen ſteht die lange Reihe der Ruinen ehemaliger Paläſte, und durch die ganze Stadt herrſcht ein beſtändiger Bau. Ein großer Theil der Einwohner zog nach der letzten Verwüſtung aus dem Thor und ließ auf einer Ebene ſich in niedrigen Hütten nieder, die jetzt eine Vorſtadt bilden. Eng zuſammengebaut, gab es Gelegenheit zu69 manchem Liebeshandel und zu mancher Heirath. — Dieſe kleinen Wohnungen haben den ächt patriarchaliſchen Charakter. Man lebt wie in der frühen Zeit der Menſchheit als eine große Familie beiſammen. Die Vegetation um Meſſina iſt außerordentlich; die Indiſche Feige, deren Blätter nicht ſelten 2 bis 3 Fuß lang emporſtreben, und die mächtige Aloeſtaude, deren Blüthe wie ein Baum in die Lüfte ragt, umzäunen die Gärten des Landmannes, aus denen oft über Orangen die hohe Palme blickt. Mit ſchöner Waldung prangend, erhebt ſich das Gebirge hinter der Stadt und bietet bezau - bernde Punkte für die Ueberſicht der Meerenge. Von unglaub - licher Schönheit iſt das Spiel der Farben an der Rieſenküſte Ka - labrien’s hinter der blauen Ebene des Meeres. Von der bekannten Fata Morgana in der Enge von Meſſina, deren Urſache die Naturforſcher verſchieden erklären, ſah ich nur eine ſchwache Wir - kung; an einem gewitterſchweren Abend nach einem heißen Tage ſah man ein ſonderbares Wellen und Schimmern der Luft, das eine Art von Strömen aus der Küſte Kalabriens zu der Siciliens vermuthen ließ. Figuren bildeten ſich nicht, wie man ſie manchmal mit allen Farben und Formen vorübereilen ſieht.
Catania, 24. Mai 1804. Wiewohl man uns rieth, durch die Thäler Vall’ Demone und Vall’ di noto bewaffnete Garden gegen die Straßenräuber zu nehmen, ſo unterließen wir es doch, da wir mit dem Campieri, der uns die Maulthiere zum Ritt durch die ganze Inſel vermiethete, und ſeinem Bruder ein Geſchwader von 6 Perſonen bildeten. Der Weg bis Taormina, das alte Tau - rominium, verläßt die Küſte nicht, die durch herrliche Vorgebirge beſtändige Abwechſelung gewährt.
Unfern Reggio in der Enge lagen 3 große Schiffe der Barbareskenflotte, die uns auf dem ganzen Wege zur Seite blieben und den Küſtenweg gefährlich machten. Die Afrikaniſchen See - räuber beunruhigen in jedem Jahre das Geſtade der Inſel; von Zeit zu Zeit landend, führen ſie arme Küſtenbewohner und Rei - ſende zur Sclaverei. Es iſt zu bewundern, daß nicht mehr gegen dieſe Einbrüche gethan wird. — Der Abend kam, als wir das Gebirg von Taormina erreichten. Die Gigantenformen dieſer70 Gegend veranlaßten die Vermuthung, dies ſei der Ort, an dem Odyſſeus das Abenteuer mit dem Cyklopen beſtand. Eine von ungeheuren Felsblöcken umſchloſſene Bucht wird noch jetzt der Hafen des Ulyß genannt. Wir verließen die Maulthiere und ſtiegen auf ein Vorgebirg, das ſich gegen das Meer zu mit einer ſenkrechten Felswand endigt, aus deren kleinſten Spalten die In - diſche Feige üppig hervorſproßt. — Mächtiger als jemals ergriff mich der Eintritt in das Theater von Taurominium, deſſen Trümmer auf dem Gipfel hervorragen. Ich ſah vor mir das Proſcenium, über ihm und durch ſeine Oeffnungen eine unendliche Ferne. Rechts ſtürzen ſich wilde Gebirge hinab; an ihrem Fuß liegt unter Orangen und Palmen Taormina, ein Weg windet ſich an der Felswand empor zum Caſtell auf dem Gipfel; mit einem Kloſter ſteigt ein langer Hügel aus der Stadt hinab in’s Meer, das wir tief unter uns rauſchen hörten; im Hintergrund hebt ſich der Aetna in ſeiner ganzen Majeſtät empor und ſtreckt ſich weit hinaus in die Ebene Catanias, das Meer beſchließt den Horizont. Es ward uns ſchwer, den bezaubernden Ort zu verlaſſen; welchen Eindruck müßte das Schauſpiel auf einem Theater bei ſolchen Decorationen machen! Durch die Stadt führte uns der Weg auf einem Felspfad hinab zum Meer in’s Wirths - haus des Oertchens Giardino, wohin wir die Thiere geſchickt hatten. Zur Erſparung der Zeit beſchloſſen wir von hier am fol - genden Morgen die Reiſe auf den Aetna, der von den Sicilia - nern Monte Gibello genannt wird, zu beginnen, und dann auf Catania hinabzuſteigen. Durch fruchtbare Ebenen führt der Weg durch mehrere Ortſchaften langſam hinauf; Mittags erreichten wir die erſten Lavaſtröme beim Städtchen Giarre, die von hohem Alter mit üppigem Grün bewachſen ſind. Die Häuſer des Oert - chens, aus der Lava erbaut, haben ein ſchwarzes trauriges Anſehn. Bald ſahen wir die Waldregionen des Berges vor uns, durch die ſich dunkle Lavaſtröme verwüſtend ſtürzten und hin und wieder nur grüne Inſeln ſtehen ließen. Spät am Nachmittag ſahen wir die großen Kaſtanien am Ende der untern Region des Berges. Sie machten uns nicht den Eindruck, den wir uns davon71 verſprachen, da ſie hohl und verſtümmelt erſcheinen. Der größte Baum, den man Castagna di cento cavalli nennt, weil in ſeiner Höhle 100 Pferde Platz haben, beſteht jetzt aus fünf Stücken der äußern Rinde eines Stammes, die im Kreiſe um - herſtehen und ein Laubgewölbe über ſich bilden. Am Boden bemerkt man, daß ſie ehemals einen Stamm bildeten. — Der Stall eines ſchlechten Dorfes gab uns das Nachtquartier. Ueber meilenweite Felder von Aſche und ungeheuren Lavaſchlacken ſetzten wir am folgenden Morgen unſern Weg zum Gipfel fort. Nachmittags erreichten wir die Region des Waldes. Ein ſelt - ſamer Contraſt, aus der ſchwarzen, formloſen Wüſte der Lava, deſſen ſchattenloſe Ebene der Sonnenſtrahl erhitzt, zu dem grünen Gewölbe des ſchönen Eichenhains in der Höhe des reinen, erfriſchen - den Aethers! Es ſchlug die Nachtigall aus jedem Wipfel, der Kukuk rief aus der Tiefe des Waldes, und aller Zauber des lieblichſten Frühlings umgab uns. Der Weg, der ſich ſteiler und einſamer in die Höhe windet, führte uns nach und nach dem Winter entgegen. Bald keimten nur die Bäume, und bald ſtanden ſie unbelaubt. Eisluft ſtrich empfindlich vom Gipfel her, deſſen glänzender Schnee durch die Zweige des Waldes leuchtete. Die Sonne war entwichen, als wir den Ausgang der Waldregion erreichten. Hier wölbt ein alter Lavaſtrom die Ziegenhöhle (Grotta delle Capri) den Zufluchtsort der Ziegenhirten, die in der einſamen Gegend hier zu übernachten pflegen. Unſere Thiere gingen im Walde umher und ſuchten ſparſame Kräuter, indeß der Berg - führer mit dem Campieri beſchäftigt war, ein helles Feuer in der Grotte anzuzünden. Des Laubes reichlichen Abfall häuften ſie unter dem Fels zum Nachtlager und ſchritten dann, Fleiſch zur Nachtkoſt zu röſten. Die erwärmte Höhle und das weiche Lager des Laubes ſchenkten uns ſanfte Ruhe. Noch vor Mitternacht weckte uns die Stimme des Führers auf den Weg zum Gipfel des Berges, den wir mit Aufgang der Sonne zu erreichen wünſchten. Der Mond ſchien hell in die rauhe Gegend. Es verloren ſich nach und nach die Bäume. Die Schlacken hervorgeflutheter Lava thürmten ſich mächtig empor und ließen nur mit Vorſicht ſich erklimmen, tiefe72 Stille herrſchte ringsum, und in langen Pauſen rief der Wolf aus untern Wäldern herauf; der Gedanke an die Unterwelt der Alten drängt ſich in dieſer ſchwarzen nächtlichen Wüſte des Gebirges unwiderſtehlich auf. — Nach einer Anſtrengung von mehreren Stunden erreichten wir die Felder des Schnee’s. Ein Fels - block, der uns in ſeiner Höhle gegen den mächtigen Sturm, der mit ſchneidender Kälte andrang, ſchützte, lud zur Ruhe uns ein, und wir erfriſchten die Kräfte durch Wein und kalte Küche und arbeiteten dann weiter hinauf zum Kegel des Kraters. Die Sonne ſtieg empor, als wir die wenigen Trümmer des ſogenann - ten Thurms des Empedokles erreichten, den Ort, an dem man gewöhnlich dies Schauſpiel erwartet. Ich trachte nicht, die Empfindungen darzuſtellen, die das Gemüth an dieſem Platz er - greifen, indem ich unnütz ſprechen würde, nur dies Wort: „ Ich glaubte, die ganze Erde unter mir mit Einem Blick zu faſſen, die Entfernungen erſchienen ſo gering, die Breite des Meer’s bis zu den Küſten Afrika’s, die Ausdehnung des ſüdlichen Kalabriens, die Inſel ſelbſt, Alles lag ſo überſchaulich unter mir, daß ich mich ſelbſt faſt außer dem Verhältniß größer glaubte. — Es zogen Nebel herbei, und heftiger Hagel nöthigte uns zum Aufbruch, wenn wir noch, ehe ſich die Wolken mehr um den Gipfel häuften, den Krater ſehen wollten. Ueber Alles beſchwerlich iſt der Weg zum Rande. Der Kegel iſt ſteil und mit einer glatten Schnee - rinde umgeben, die bei jedem Schritte fallen macht. Die Annähe - rung war höchſt empfindlich, ein Wind trieb den Schwefeldampf auf alle Seiten. Es glückte uns nur auf wenige Minuten, die beiden Verbindungen des Kraters zu überſehen. Ich habe den des Veſuvs bei weitem größer und impoſanter gefunden. Der Aetna, der 36 kleinere Vulkane um ſich zählt, bleibt oft bei Erup - tionen am Gipfel vollkommen ruhig, da beim Veſuv jedesmal die Eruption mit einem heftigen Feuer des Kraters begleitet iſt. Durch beſchwerliche Wege ſtiegen wir, manchen merkwürdigen Ort des Berges betrachtend, hinab und erreichten gegen Mittag die Höhle der Ziegen wieder, die den ermüdeten Gliedern wieder eine Stunde ſüßer Ruhe ſchenkte. Dann beſtiegen wir die Thiere und73 eilten durch die verſchiedenen Regionen des Berges auf Lavaſtrömen bis zu den Thoren Catania’s, die wir bei ſpäter Nacht er - reichten.
Syracuſa, 31. Mai 1804. Neun Tage ließ uns Sicilia - niſche Gaſtfreundſchaft in Catania unter vortrefflichen Menſchen froh genießen. Ein Bekannter aus Rom, der Baron von Rech - berg, Commendator der Baieriſch-Ruſſiſchen Zunge des Malteſer - Ordens, die jetzt in Catania den Sitz hat, dieſer gefällige Mann widmete uns faſt ſeine ganze Zeit. Catania iſt nach der ſchrecklichen Verwüſtung des vorigen Jahrhunderts ganz neu und prächtig aufgebaut, zählt mehrere antike Gebäude und Cabinette von großer Auswahl antiker Gegenſtände. Die umliegende Gegend iſt nicht reizend, da der ſchreckliche Ausbruch alle Felder mit Lava überſchwemmte. Unfern Catania waren die Tuneſen gelandet, und hatten unter andern Perſonen reiſende Kapuziner gefangen, in deren Kleidung ſie ſich ſteckten und unerkannt viel Unfug trie - ben. Man rieth uns Vorſicht auf dem Wege nach Syrakus, der immer an der Küſte bleibt. So begannen wir den Weg, nicht ohne Furcht vor See - und Straßenräubern. Indeß erreichten wir nach einem wenig intereſſanten Wege am Abend die Stadt, die ehemals allein Athen den Rang ſtreitig machte. Ohngeachtet ſie jetzt wohl kaum den zwanzigſten Theil des alten Umfangs hat, ſo bleibt ihr Eindruck auf der Inſel in der weitgeſchwungenen Meer - bucht immer noch impoſant. Wir ritten über den Theil der alten Stadt, den man Gradina nannte; hier ſieht man Grundpläne alter Gebäude in den Fels gehauen, dann hinab zwiſchen Orangen - gärten in die Stadt. Viele Feſtungswerke und Brücken von ſehr ſolidem Bau aus gehauenem Stein laſſen ein elegantes In - nere vermuthen; aber getäuſcht empfängt ein enges unreinliches Oertchen den Wanderer und weckt tiefes Bedauern der verwan - delten Zeit. “
So weit der Schinkel’ſche Brief. An einzelnen Stellen iſt es, als höre man den Vollklang Platen’ſcher Rhythmen. Verwandte Naturen finden leicht das verwandte Wort.
„ Bei Guſtav Kühn In Neu-Ruppin. “
Aber nicht nur Grafen und Herrn, große Baumeiſter und Kriegs - fürſten knüpfen ihre Namen an den Namen Ruppin’s, auch be - ſcheidenere Berühmtheiten hat es geboren.
In der Mitte der Stadt, gegenüber dem Häuſer-Viereck, drin Schinkel und Günther das Licht der Welt erblickten, erhebt ſich ein kleines, nur 3 Fenſter breites Häuschen, dem ein neu aufge - ſetztes Stockwerk nur wenig zu geſteigertem Anſehn verholfen hat. Auf dem ſchmalen Hofe aber drängen ſich die Hintergebäude und jeder Zollbreit Erde iſt benutzt. Hier erinnert die Beſchränktheit und zu gleicher Zeit die ängſtliche Ausnutzung des Raums an die Einrichtung und den Geſchäftsbetrieb engliſcher Zeitungslokali - täten. Die Aehnlichkeit iſt da; aber was ſind die Londoner Blätter im Vergleich zu jenen bunten Blättern, die aus dieſer kleinen Ruppiner Offizin hervorgehn? was iſt der Ruhm der Times gegen die civiliſatoriſche Aufgabe des „ Ruppiner Bilderbogens “? Die Times, die ſich mit Recht das „ Weltblatt “nennt, ſie gleicht doch nur dem anglikaniſchen Geiſtlichen, dem hochkirchlichen Biſchof, der, an ſchmalen Küſtenſtrichen entlang, in den großen, reichbevölkerten Städten unſrer Antipoden, ſeine Wohnung aufſchlägt und ſeines Amtes wartet; der Guſtav Kühn’ſche Bilderbogen aber iſt der Herrnhut’ſche Miſſionar, der überall hin vordringt, deſſen Eifer mit der Gefahr wächſt, der die eine Hälfte ſeines Lebens in75 den Rauchhütten der Grönländer und die andre Hälfte in den Schlammhütten der Fellah’s verbringt. Chamiſſo erzählt in ſeiner „ Reiſe um die Welt “, daß er, nach ſelbſt gemachter Erfahrung, Kotzebue für den verbreitetſten Schriftſteller halten müſſe, denn er ſei (wohlbemerkt ſchon 1818) auf der Inſel Taiti einem Bande Kotzebue’ſcher Komödien begegnet; aber was will das alles ſagen gegen die Verbreitung jener farbenbunten Bogen, die mit der wohlbekannten Notiz: „ bei Guſtav Kühn in Neu-Ruppin “über die Welt flattern. Gebiete, die Barth und Overweg, die Richardſon und Livingſtone erſt aufgeſchloſſen, — der Kühn’ſche Bilderbogen war ihnen vorausgeeilt und hatte von einer Welt da draußen erzählt. Er flieht die Gegenden, drin der Kupferſtich und das Oelbild vorwalten, aber wo die Glaskoralle und der Zahl - pfennig ein ſtaunendes Ach und die Begierde hervorrufen, in den engeren und weiteren Bezirken des Königs von Dahomey — da iſt er zu Haus. Den Maranon und den Orinocco aufwärts, wo die Kolibris wie Blüthen und die Blüthen wie Schmetterlinge ſich ſchaukeln, dort, wo alles Glanz und Farbe iſt, tritt er kühn und ſiegreich auf und ſtellt die Colorirkunſt ſeiner Schablone — die unangefochten von den neuen Geſetzen der Farbenzuſammenſtellung ihre ehrwürdigen Traditionen fortſetzt — ſiegreich in die Zauber der Tropennatur hinein. Auf den Inſeln der ſchottiſchen Weſtküſte war es mir ſelbſt vergönnt, dieſe Landsleute, dieſe Boten aus der engeren Heimath zu begrüßen. Die Wunder der Fingalshöhle, die Geſtalt König Fingals ſelbſt, die wie ein Nebelphantom auf der öden Klippe von Morven ſtand, war nicht mächtig genug geweſen, dieſe Sendboten abzuhalten; — ſie waren eingezogen in die Hütten der Maclean’s und Macdonald’s.
Lange bevor die erſte „ Illuſtrirte Zeitung “in die Welt ging, illuſtrirte der Kühn’ſche Bilderbogen die Tagesgeſchichte und was die Hauptſache war, die Illuſtration hinkte nicht langſam nach, ſondern folgte den Ereigniſſen auf dem Fuß. Kaum, daß die Tran - chéen vor Antwerpen eröffnet waren, ſo flogen in den Druck - und Colorirſtuben zu Neu-Ruppin die Bomben und Granaten76 durch die Luft; kaum war Paskiewitſch in Warſchau eingezogen, ſo breitete ſich das Schlachtfeld von Oſtrolenka mit grünen Uni - formen und polniſchen Pelzmützen vor dem erſtaunten Blick der Menge aus, und tief ſind meinem Gedächtniß die Dänen einge - prägt, die in zinnoberrothen Röcken vor dem Dannewerk lagen, während die preußiſchen Garden in Blau auf Schleswig und Schloß Gottorp losrückten. Dinge, die keines Menſchen Auge geſehn, die Zeichner und Coloriſten zu Neu-Ruppin haben Einblick gehabt in alles und der „ Birkenhead “, der in Flammen unterging, der „ Präſident “, der zwiſchen Eisbergen zertrümmerte, das Auge der Kunſt hat darüber gewacht. Andre, ähnliche Unternehmungen ſind ſeitdem ins Daſein getreten, der Münchner Bilderbogen hat ſeine Reiſe um die Welt angetreten, Winkelmann & Söhne haben durch zahlreiche Abbildungen von Stauffacher, Franz Moor und der Jungfrau von Orleans, der dramatiſchen Kunſt die Schleppe ge - tragen, aber, was immer ihre Erfolge geweſen ſein mögen, ſie haben ſich ſchlechter auf den Geſchmack des großen Publikums ver - ſtanden und haben die rechte Stunde mehr denn einmal verſäumt. Da liegt es. In jedem Augenblick klar zu erkennen, was oben aufſchwimmt, was das eigentlichſte Tagesintereſſe bildet, das war unausgeſetzt und durch viele Jahrzehnte hin Princip und Aufgabe in der Ruppiner Offizin. Und dieſe Aufgabe iſt glänzend von ihr gelöſt worden, ſo glänzend, daß ich Perſonen mit ſichtlichem Intereſſe vor dieſen Bildern habe verweilen ſehn, die vor der künſtleriſchen Leiſtung, wenn dieſelbe als ſolche an ſie herange - treten wäre, einen unaffektirten Schauder empfunden haben würden; aber die Macht des Stoffs bewährte ſich ſiegreich an ihnen und ſie zählten (wie ich) mit leiſer Befriedigung die Leichen der gefalle - nen Dänen, ohne ſich in ihrem künſtleriſchen Gewiſſen irgendwie bedrückt zu fühlen.
Die Frage iſt aufgeworfen worden nach dem Recht dieſer Bilder; ob ſie nicht den Geſchmack verwilderten, anſtatt ihn zu bilden. Es iſt auch wohl hinzugeſetzt worden, daß Leiſtungen der Art in künſtleriſch geſegneteren Zeiten und bei feiner gearteten77 Völkern eine baare Unmöglichkeit wären. Mag ſein. Nach der künſtleriſchen Seite hin iſt man unbedenklich gezwungen, dieſe Dinge jedem beliebigen Angriff preis zu geben, aber ſie haben eine andre, nicht minder wichtige Seite. Sie ſind der dünne Faden, durch den weite Strecken unſrer eignen Heimath, lithauiſche Dörfer und ma - ſuriſche Hütten und Weiler mit der Welt da draußen zuſammen - hängen. Die letzten 20 Jahre, mit ihrem raſch entwickelten Zei - tungsweſen, mit ihrer in’s Unglaubliche geſteigerten Communication, haben darin freilich viel geändert, aber noch immer giebt es abge - legene Sumpf - und Haide-Plätze, die von Magenta und Solferino, von Zuaven und Turco’s nichts wiſſen würden, wenn nicht der Kühn’ſche Bilderbogen die Vermittlung übernähme. Seine Uhr iſt noch nicht abgelaufen und das ſchmale Haus in der Rup - piner Friedrich-Wilhelmsſtraße hat noch immer ſeine Bedeutung.
Die Stadt Rheinsberg von Berlin aus zu erreichen, iſt wirklich ſchwer. Die Eiſenbahn zieht ſich auf 6 Meilen Entfer - nung daran vorbei und nur ein geſchickt zu benutzendes Verbin - dungsnetz von Hauderer und Fahrpoſt (die bloßen Worte ängſtigen das Gemüth!) führt ſchließlich den Reiſenden an das erſehnte Ziel. Dies mag es zum Theil erklären, weshalb ein Punkt unſerer heimathlichen Mark ſo völlig unbeſucht bleibt, deſſen Naturſchön - heiten mindeſtens nicht verächtlich zu behandeln und deſſen hiſto - riſche Erinnerungen allererſten Ranges ſind.
Wir haben es beſſer, wenigſtens näher. Wir kommen von dem nur 3 Meilen entfernten Ruppin und laſſen uns durch die Sandwüſte nicht beirren, die auf der erſten Hälfte des Weges vor uns liegt. Man paſſirt mehrere Hügelzüge, und ſo oft man fragt, „ wie heißt dieſer Platz hier? “ſo ſchallt die Antwort zurück, „ die Kahlenberge. “ Dieſe Sandwüſte wird hier und da durch ein Dorf aus alter, guter Zeit unterbrochen, deſſen ärmliche Stroh - dächer ein ſpitzer Schindelthurm überragt. Vielen fehlt auch dieſer Thurm. Einzelne dieſer Dörfer (z. B. Braunsberg), in denen, bei ähnlichem Boden, wie ihn Teltow hat, auch die Rübenzucht79 noch am eheſten gedeiht, ſind von franzöſiſchen Coloniſten bewohnt, die hier berufen waren, die Ufer der Rhone und Loire zu vergeſſen. Harte Aufgabe. Als wir Braunsberg paſſirten, lugten wir aus dem Wagen heraus, um „ Köpfe zu ſtudiren “und uns an ſüdlichen Race-Geſichtern zu erfreuen. Wie heißt der Schulze hier? fragten wir mit halber Verlegenheit, weil wir nicht recht wußten, ob wir Deutſch oder Franzöſiſch ſprechen ſollten. „ Borchardt, “ſchallte die Antwort zurück. Nun waren wir beruhigt. Auch die ſüdlichen Race-Geſichter ſahen gerade ſo aus, wie die Wendiſch - Deutſche Miſchung ſonſtwo. Uebrigens kommen wirklich noch viele Franzöſiſche Namen in dieſen Dörfern vor und „ unſer Niquet “z. B. iſt ein Braunsberger.
Die Wege, die man paſſirt, ſind im Großen und Ganzen ſo gut, wie Sandwege ſein können; nur an manchen Stellen, wo die Feldſteine wie eine Ausſaat über den Weg geſtreut ſind, ſchüttelt man bedenklich den Kopf in Rückerinnrung an die bekannte Kabinets-Ordre Friedrichs des Großen, in der er mit Rückſicht auf dieſen Weg und auf 195〈…〉〈…〉 22 gr 8 ₰ zu zah - lende Reparaturkoſten, ablehnend ſchrieb: „ Die Reparation war nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs - Camer vohr ein großes Beeſt halten, um mir mit ſolches unge - reimtes Zeug bei der Nahſe kriegen zu wollen. “ Der König hatte Unrecht, trotzdem er den Weg kannte; mit 195〈…〉〈…〉 war hier nicht viel zu machen. Erſt eine halbe Meile von Rheinsberg wird es beſſer und es beginnen ſtattlich-ſteife Pappel-Alleen, jene „ Grena - dierfronten “, wie Anaſtaſius Grün ſie genannt hat. Dabei geht es ein wenig bergab, und unſer Kutſcher glaubt ein Uebriges thun zu müſſen. Im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laub - holz verſteckten, immer noch räthſelhaften Etwas, und fahren end - lich, zwiſchen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in Stadt Rheinsberg hinein.
Wir halten vor einem reizend gelegenen Gaſthof, der noch dazu den Namen der „ Rathskeller “führt, und da die Rheinsberger Thurmglocke eben 12 ſchlägt und unſer guter Appetit entſchieden80 der Anſicht iſt, daß das Rheinsberger Schloß mit all ſeinem Zauber doch am Ende kein Zauberſchloß ſei, das jeden Augenblick verſchwinden könne, ſo beſchließen wir, vor unſerem Beſuch ein ſolennes Frühſtück einzunehmen und gewiſſenhaft zu proben, ob der Rathskeller ſeinem Namen Ehre macht oder nicht. Er thut es. Zwar iſt er überhaupt kein Keller, ſondern ein Fachwerkhaus wie andere Häuſer; aber eben weil er ſich jedem Vergleich mit ſeinen Namensvettern in Lübeck und Bremen geſchickt entzieht, zwingt er den Beſucher, alte Reminiscenzen bei Seite zu laſſen und den Rheinsberger Keller zu nehmen, wie er iſt. Er bildet ſeine eigne Art, und eine Art, die nicht zu verachten iſt. Wer nämlich um die Sommerszeit beim Rathskeller vorfährt, pflegt nicht unterm Dach des Hauſes, ſondern unter dem Blätterdach der Kaſtanien abzuſteigen, die in wirklicher Pracht einen vor dem Hauſe gele - genen Platz, den ſogenannten „ Triangel-Platz “umſtehen. Man macht ſich’s bequem unter einer weiten, duftigen Laube und hat eine Kuppel über ſich, die alsbald auch die Gewölbe des beſten Kellers vergeſſen macht. So wenigſtens erging es uns. Linden - und Kaſtanienblüthe über uns, ſo ſetzten wir uns zu Tiſch; zwei Rheinsberger, an deren Kenntniß und Wohlgeneigtheit wir empfohlen waren, geſellten ſich zu uns, und während die Vögel über uns muſicirten und wir in erträglichem Rothwein auf das Wohl der Stadt Rheinsberg anſtießen, machte ſich die Unter - haltung.
„ Ja, “begann der eine, den wir den Moroſen nennen wollen, „ es thut Noth, daß man auf das Wohl Rheinsbergs anſtößt; aber es wird wohl nichts helfen, eben ſo wenig, wie irgend etwas geholfen, was man bisher mit uns vorgenommen hat. Wir liegen außerhalb des großen Verkehrs, und der kleine Verkehr kann nichts beſſern, denn was unmittelbar um uns her liegt, iſt wo möglich noch ärmer als wir ſelbſt. Durch ein unglaubliches Ver - ſehn leben hier zwei Maler und ein Kupferſtecher. Der Boden iſt Sandland, Torflager giebt es nicht, und die Fiſchzucht kann nicht81 blühen an einem Ort, deſſen ſämmtliche Seen für 4 Thaler Preußiſch verpachtet ſind. “
Wer weiß, wo dieſe Bekümmerniſſe endlich noch gelandet wären, wenn nicht eine große Feſtfahne, die von einigen Kindern eben an uns vorbeigetragen wurde, alle Klagen unterbrochen und uns die Frage aufgedrängt hätte: was iſt das? „ Das iſt die Fahne vom Möske-Feſt, die man hat repariren laſſen, “erwie - derte der andere unſerer Rheinsberger Freunde, deſſen gute Laune das Gegenſtück zu der Moroſität ſeines Nachbarn bildete, „ der ſie trägt, iſt Fähnrich Wilhelm Huth, und der ihm zur Rechten geht, iſt General Eduard Netzeband; ſitzt ſeit Oſtern in Quarta. “ Dieſe Aeußerungen machten uns natürlich begierig, mehr zu hören, und wir erfuhren alsbald, was es mit dem Möske-Feſte auf ſich habe. Da dieſe Feier der Stadt Rheinsberg eigenthümlich iſt, ſo darf ich wohl einen Augenblick dabei verweilen. Das Möske-Feſt iſt ein Kinderfeſt, das alljährlich am Sonntag vor Pfingſten gefeiert wird. Möske bedeutet „ Waldmeiſter “(asperula odorata), und in alten Zeiten lief die Feſtlichkeit darauf hinaus, daß die Stadt - kinder frühmorgens in den Wald zogen, Waldmeiſter pflückten, und, damit heimkehrend, den Altar und die Pfeiler der Kirche ſchmückten. Erſt im Jahre 1757 nahm die Feier einen ſehr ver - ſchiedenen Charakter an. Am 6. Mai war die Schlacht bei Prag geſchlagen worden, und am 20. Mai traf die Nachricht vom Siege in Rheinsberg ein. Es war Sonntag vor Pfingſten, alſo — der Tag des Möske-Feſtes. Die Siegesfreude, vielleicht auch der Um - ſtand, daß Prinz Heinrich, der damals ſchon Beſitzer von Rheins - berg war, durch Muth und Geſchick die Schlacht zu Gunſten der Preußen entſchieden hatte, ſchuf auf einen Schlag die bis dahin rein kirchliche Feier in eine militäriſch-patriotiſche um. Was da - mals Impromptu war, iſt geblieben. Das Möske-Feſt iſt eine Art Soldatenſpiel geworden, das die Rheinsberger Jugend am Sonntag vor Pfingſten aufführt und an dem die Alten (die alle einmal das - ſelbe Spiel geſpielt haben) mit herzlicher Freude theilnehmen. Früh am Morgen ſchon ziehen vier Trommler mit der Schloßpauke und682der Stadttrommel durch die Straßen und ſchlagen Reveille. Die Soldaten ſammeln ſich bei der Fahne. So geht’s mit Muſik vor das Haus des „ Generals. “ Hier dreimaliges Vivat, dem General und ſeinen Angehörigen ausgebracht. Dann militäriſch in Sectionen aufmarſchirt und nun Abmarſch durch Stadt und Schloß hindurch nach dem ſchönen Boberow-Walde. Hier beginnt nun das Wald - meiſterpflücken. Nachmittags kommen die jungen Mädchen und be - ſuchen mit ihren Angehörigen die jungen Soldaten im Wald - Bivouac. Jetzt beginnen die Turnſpiele und die Wettläufe; hinter - her Preisvertheilung an die Sieger, dann Tanz und Rückmarſch in die Stadt. —
Unſer Frühſtück war abgethan, und wir ſchickten uns an, dem Schloß, deſſen gelbe Rückwände ſchon überall durch das Baumwerk hindurchſchimmerten, unſern Beſuch zu machen. Die vertrauliche Mittheilung beider Herren indeß, daß der alte Caſtellan (er iſt 84, und man darf’s ihm gönnen) um dieſe Zeit ſeinen Mittagsſchlaf zu halten pflege, beſtimmte uns, einen Umweg zu machen und zuvor in die alte Rheinsberger Kirche hineinzuſehen.
Wir hatten bald alle Urſach, uns bei dem Mittagsſchlaf des alten Caſtellan’s zu bedanken. Leicht möglich, daß wir ohne den - ſelben an der Rheinsberger Kirche vorüber gegangen wären. Und doch iſt es ein alter, in mehr als einer Beziehung intereſſanter Bau. Die erſte Anlage deſſelben datirt weit zurück; 1568 wurde ſie durch Achim v. Bredow (die ganze Herrſchaft Rheinsberg war damals Bredow’ſcher Beſitz) um zwei Drittel vergrößert. Man kann den Anbau noch jetzt von dem älteren Theil unterſcheiden.
Dieſe Kirche iſt der einzige Punkt in Rheinsberg, wo man auf Schritt und Tritt den Bildern zweier völlig gegenſätzlicher Epochen begegnet, und dieſen Gegenſatz als ſolchen empfindet. Die Prinz-Heinrich-Zeit und die Bredow’ſche Vorzeit treffen hier wie Waſſer und Oel zuſammen. In Schloß und Park ſtören die fran - zöſiſchen Inſchriften nicht; die Baulichkeit, die Gartenanlagen, alles erſcheint wie aus einem Guß, und entweder vergeſſen wir, dem maleriſchen Reiz des Bildes hingegeben, überhaupt, daß es ein preußiſches Schloß iſt, indem wir uns bewegen, oder wir finden die Sprache gleichgültig, in der die Dinge an uns herantreten, etwa wie es Zuhörern, die beider Sprachen mächtig ſind, von keinem Belang iſt, ob ſie den Shakeſpeare deutſch oder engliſch ſpielen ſehn. So iſt es in Schloß und Park, aber nicht in der Kirche; in dieſer hat das franzöſiſche Pfropfreis den alten Stamm6*84nicht überwinden können, und muß ſich nun damit begnügen, die Rolle des Paraſyten an und neben demſelben zu ſpielen.
Wir treten von der Seite her, durch eine Art Vorbau, ein. Gleich dieſer Vorbau, der ſein ſpärliches Licht nur mittelſt der offen ſtehenden Thür empfängt, durch die wir eben eintraten, zeichnet ſich durch den angedeuteten Gegenſatz aus. Zur Linken, faſt ein Viertheil des ganzen Raumes ausfüllend, erhebt ſich ein grau ge - tünchtes Backſtein-Monument, das genau die Form und die Größe jener altmodiſchen Kachelofen hat, denen man in Bauerſtuben begegnet. Es iſt das Grabdenkmal, das Prinz Heinrich dem An - denken ſeines Violiniſten Ludwig Chriſtoph Pitſchner (geb. 5. März 1743, geſt. 3. Dezember 1765) hat errichten laſſen und trägt folgende Inſchrift:
Alſo etwa in freier Ueberſetzung:
So reimte man damals in Rheinsberg. Dem Pitſchner’ſchen Monument gegenüber aber ſtehen, an der Wand entlang, ſechs auf - gerichtete Grabſteine der Bredow’ſchen Familie, drei Männlein und drei Fräulein, die bis vor Kurzem im Schiff der Kirche lagen und85 blicken mit Harniſch und Halskrauſe und mit ernſt verwunderten Geſichtern zu dem Kachelofen hinüber, an dem ſie mit Mühe den Namen Pitſchner entziffern. Zum Glück verſtehen ſie nicht franzö - ſiſch, ſie würden ſonſt noch ernſthafter dreinſchauen.
Wir treten nun in die Kirche ſelbſt. Sie iſt vor Kurzem reſtaurirt worden und gewährt einen freundlichen Anblick. Die Hauptſehenswürdigkeit, die auch ſogleich das Auge des Eintretenden auf ſich zieht, iſt das große Achim v. Bredow’ſche Grabmonument (links neben dem Altar), deſſelben Achim v. Bredow, der im Jahr 1568 die Kirche erneute und erweiterte. Es iſt ein Denkmal von ganz ungewöhnlichen Dimenſionen, das bei wenigſtens 10 Fuß Breite gewiß die doppelte Höhe hat. Es beginnt über der Holz - einfaſſung des Chorſtuhls und reicht faſt bis zur Decke der Kirche hinauf. Das Monument, das eben ſo ſehr für den Reichthum und kirchlichen Sinn der Familie, wie für die Kunſtfertigkeit des Stein - metzen ſpricht, der es hergeſtellt hat, beſteht aus vier klar geglie - derten Theilen. Zuoberſt das Bredow’ſche Wappen, an beiden Seiten von allegoriſchen Figuren eingefaßt; darunter zwei Basreliefs: links die Auswerfung des Jonas aus dem Wallfiſchbauch, rechts die Auferſtehung Chriſti; darunter in Lebensgröße die Bildniſſe Achim von Bredow’s und ſeiner Gemahlin, einer gebornen Anna von Arnim; und endlich viertens unter dieſen beiden Bildniſſen folgende Inſchrift:
Welch’ einfach-ſchöne Worte; die ganze Schlichtheit und Ker - nigkeit jener Zeit kann einem nicht faßbarer entgegen treten.
Wie marklos nehmen ſich daneben die franzöſiſchen Verſe aus, die einer der Hofpoëten des Prinzen Heinrich, zu Ehren eines Fräulein Elſener’s gedichtet und unter Einfügung eines Aſchenkrugs in einen der gothiſchen Pfeiler, mit dünnen Buchſtaben an die Conſole dieſes Aſchenkrugs geſchrieben hat:
Wir werden noch an andrer Stelle, zumal an den Bauten und Büſten des Parks, ähnlichen Verſen begegnen, oft trivial, im günſtigſten Falle ſinnig, niemals erhebend. Ein philoſophiſcher Nothbehelf an Stelle eines freudigen Glaubens. Im Grün des Parks, wo die alten Griechengötter von allen Seiten her durch das Grün der Zweige blitzen, freut man ſich dieſer Betrachtungen, weil ſie zu allem Uebrigen paſſen; hier in der Kirche aber ſtören ſie und würden ſelbſt dann noch ſtören, wenn ſie bedeutender wären als ſie ſind. Man erkennt deutlich, daß die Kirche der ge - miedene Schauplatz der Voltairianer war, eine Art gothiſch gewölbter Keller, für den es ſich nicht verlohnte, wenn wirklich mal eine Elſener oder gar ein Pitſchner ſtarb, eine beſonderes poëtiſche An - ſtrengung zu machen.
Die Rheinsberger Kirche enthält noch eine Reihe kleiner Denk - und Sehenswürdigkeiten, die wir wenigſtens in Kürze nam - haft gemacht haben möchten. Da iſt der Kryſtallglas-Kronleuchter, den die Rheinsberger Jungfrauen hier aufhingen und zum erſten Mal mit Lichtern ſchmückten, als im Sommer 1763, in Gegen -87 wart des Prinzen Heinrich, das Friedensfeſt gefeiert wurde; da iſt der alte, aus gebranntem Thon gefertigte, mit Wappen und Male - reien verzierte Taufſtein, den drei Geſchwiſter Sparre (Franz, Anna und Sabina) in der Mitte des 16. Jahrhunderts der Kirche ſchenkten, und da iſt, ziemlich aus derſelben Zeit, die alte Kanzel, eine Stiftung der Anna Hahn’in, Jobſt v. Bredow’s getreuer Wittwe, mit allerhand Wappen der Bredow’s, Hahn’s und Schulenburg’s. Gegenüber dieſer Kanzel, an der ſchweren alten Eichenthür, die von dem Eingangs beſchriebenen Vorbau in die Mitte der Kirche führt, ſtand am Pfingſtſonntage 1737 König Friedrich Wilhelm I., als er nach Rheinsberg gekommen war, um ſeinen Sohn, den Kronprinzen, zu beſuchen. Er war als frommer Chriſt, der keiner Predigt vorbei gehen wollte, lieber erſt in die Kirche getreten, eh er den Sohn im Schloß überraſchte. Der König war ein from - mer Herr, aber freilich, wie alle Welt wußte, auch ein ſehr geſtren - ger Herr, und der alte Geiſtliche (Johann Roſſow), der das Glück oder Unglück hatte, den König von früher her zu kennen, erſchrak beim Anblick Sr. Majeſtät dermaßen, daß ihm das Wort verſagte und er nur noch fähig war, mit zitternder Stimme den Segen zu ſprechen. Der König drohte mit dem Stock, eine Aufmunterung, die begreiflicherweiſe völlig ihres Zwecks verfehlte. Johann Roſſow ſtarb bald nachher; ob in Folge des Schrecks, ſteht wie billig dahin. Im Uebrigen muß Rheinsberg zu allen Zeiten eine geſunde Luft gehabt haben; — von 1696 bis 1848, alſo in mehr als 150 Jahren, hat es nur vier Prediger gehabt.
Noch eines Kinder-Grabmals ſei erwähnt. Es ſtammt eben - falls aus der Alt-Bredow’ſchen Zeit her und lehnt ſich rechtwink - lig an das umfangreiche Monument des Achim v. Bredow’ſchen Ehepaar’s, das ich oben beſchrieben. Ich würde dieſes kleineren Denkmals, das die mittelmäßigen Bildniſſe zweier Kinder, eines Mädchens und eines Knaben von 3 und 4 Jahren, zeigt, gar nicht erwähnen, wenn nicht die in Rheinsberg gang und gebe Er - zählung, die ſich an dieſes Denkmal knüpft, einen Beleg für die ſagenbildende Neigung im Volke und zugleich deutliche Anhalte -88 punkte dafür böte, wie und woraus Geſchichten entſtehn. Es wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am Ufer des See’s geſpielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Unfall ertrunken. In der Hoffnung, näheren Aufſchluß darüber zu ge - winnen, entzifferte ich die Umſchrift beider Steine; das Mädchen war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, alſo acht Tage ſpäter geſtorben. Die einfache Angabe der Sterbetage genügte hier völlig, um die Erzählung von dem gemeinſchaftlichen Tode im See als ein bloßes Märchen hinzuſtellen. Aber eine ein - gehende Prüfung der Bildniſſe ſelbſt ergab mir auch bald den Ur - ſprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des Mädchens ſah täuſchend aus wie halbkrauſes Lockenhaar, das im Waſſer ſeine Lockigkeit verloren hat, und nur noch leiſe gewellt, vom Waſſer zuſammengehalten, wie eine compacte Maſſe über den Nacken fällt. Der Anblick dieſes Haars, das einfach deshalb ſo vom Waſſer zuſammengehalten ausſieht, weil es der Steinmetz nicht beſſer und natürlicher machen konnte, hat augenſcheinlich der kleinen Erzählung, von den im See ertrunkenen Geſchwiſtern, die Entſtehung gegeben.
Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche ſeit etwa 15 Jahren eingebüßt: es war dies das alte Grabgewölbe, in dem ſich die Särge der Familien von Eichſtädt und Sparre, und beſonders der Familie v. Bredow befanden. Damals war dieſe Gruft noch zugänglich, jetzt iſt ſie vermauert und nur am Schall des Tritts erkennt man noch, daß der Boden hohl iſt, über den man ſchreitet. Als die Uebermauerung vorgenommen wer - den ſollte, lüftete man zuvor das Gewölbe, ſchaffte die alten Särge, wohl 40 an der Zahl, an’s Tageslicht und öffnete die Deckel. So ſtanden ſie im Schiff der Kirche wochenlang. Vor demſelben Altar, wo die Geſtalten einiger Bredow’s in die großen Sandſteinplatten eingegraben waren, ſtanden nun, halb aufgerichtet, die geöffneten Särge, und die Todten blickten geſchloſſenen Auges auf ihre eigenen Bildniſſe herab. Nach längerer Zeit war das Ge - wölbe wieder eingerichtet, und die alten Bewohner zogen wieder89 ein. Den Reigen eröffnete Archim v. Bredow. Man hatte ihm eine Flaſche mit in den Sarg gelegt, in der ſich ein Zettel befand. Auf dieſem Zettel ſtand zunächſt, daß Träger dieſes Herr Achim v. Bredow ſei, der in Genoſſenſchaft von vielen Bredow’s, Eich - ſtädt’s und Sparr’s hier 300 Jahre lang geſchlummert, dann (behufs Lüftung ſeiner alten Wohnung) vier Wochen lang im Kirchenſchiff zu Rheinsberg ausgeſtanden und im Maimonat 1844 ſeine alte Wohnung wieder bezogen habe. Dann eine Geſchichte der letzten drei Jahrhunderte im Lapidarſtil und darunter die Namen von Bürgermeiſter und Rath. — Während der Zeit, daß die geöffneten Särge im Schiff der Kirche ſtanden, trug ſich eine Geſchichte zu, die, mit ihrem Anflug von Geſpenſtiſchem, die Gemüther der Rheinsberger wohl auf Wochen hin beſchäftigen durfte. Unter den Todten befand ſich auch eine Margarethe von Eichſtädt, eine ſchöne Frau, die bei jungen Jahren geſtorben war. Die weißen Grabgewänder waren noch wohl erhalten; um den Hals trug ſie ein reiches Geſchmeide und einen ſchmalen Trauring am Ringfinger der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter bei den Todten geſtanden; als die Zeit kam, wo die Särge wieder geſchloſſen wer - den ſollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Marga - rethe’s v. Eichſtädt fehle. Ein gewöhnlicher Diebſtahl konnte nicht vorliegen; das reiche Halsgeſchmeide war unberührt geblieben, nur der Ring fehlte. Wer trug ihn jetzt? —
Die alte Glocke zu Rheinsberg, die in mehr charakteriſchen als poëtiſchen Alexandrinern die Inſchrift trägt:
ſchlägt eben vier und läßt uns die Vermuthung ausſprechen, daß ſelbſt der Nachmittagsſchlaf eines 84jährigen nunmehr am Ende ſein könne. Unſer heiterer Freund antwortet mit einem ungläu - bigen „ wer weiß “, iſt aber nichts deſto weniger bereit, die Füh - rung bis in’s Schloß zu übernehmen und uns ſeinem „ Gevatter “vorzuſtellen. Unterwegs warnt er uns, in humoriſtiſcher Weiſe vor den Bilder-Erklärungen und Namens-Unterſtellungen des Alten. „ Sehen Sie, meine Herren, er hat eine Liſte, auf der die Namen ſämmtlicher Portraits verzeichnet ſtehen; aber er nimmt es nicht genau mit der Vertheilung dieſer Namen. Einige Portraits ſind fortgenommen und in die Berliner Gallerieen gebracht worden; aber Gevatter glaubt es nicht und ſtellt ihnen, nach wie vor, Per - ſonen vor, die ſich gar nicht mehr im Schloſſe zu Rheinsberg befinden. Prinzeß Amalie namentlich, die ſchon bei Lebzeiten ſo viel Schweres tragen mußte, muß jede Unbill über ſich ergehen laſſen, und jedes Frauen-Portrait, das der Wiſſenſchaft der An - tiquare und Kunſtkenner bisher geſpottet hat, iſt ſicher, als91 „ Schweſter Friedrichs des Großen “genannt zu werden. Sie werden ſie in Hof-Coſtüm, in Fantaſie-Coſtüm und in Masken - Coſtüm kennen lernen; beſonders mach’ ich Sie auf ein Knie - ſtück aufmerkſam, wo ſie in Federhut und ſchwarzem Muff erſcheint; die Kehrſeite des Bildes wäre Wohlthat dagegen. “ (Dies merk - würdige Bild wird einem allerdings als muthmaßliches Portrait der Prinzeſſin Amalie, aus ihren alten Tagen her, gezeigt; es iſt aber, wie ich jetzt beſtimmt weiß, das Portrait einer älteren Schweſter und zwar der Prinzeſſin Charlotte, die an den Herzog von Braunſchweig verheirathet war. Im Neuen Palais zu Pots - dam befindet ſich ein Portrait der letztgenannten Prinzeſſin, das dieſem Bildniß im Rheinsberger Schloß durchaus ähnlich iſt.)
Unter ſolchem Geplauder haben wir die der Stadt zu gele - gene Rückſeite des Schloſſes erreicht, ſchreiten durch das Portal hindurch, paſſiren den Schloßhof bis zum Rande des See’s, ſpringen hier in ein bereit liegendes Boot und fahren, ohne uns umzublicken, bis mitten auf den Waſſerſpiegel hinauf. Nun machen wir Kehrt und haben ein Bild von nicht gewöhnlicher Schönheit vor uns. Erſt die ſtille Fläche des See’s, an ſeinem Ufer ein Kranz von Schilf und Waſſerroſen; dahinter anſteigend ein grüner Garten-Raſen und endlich das Schloß ſelbſt, die Fernſicht ſchlie - ßend. Links dehnt ſich der See in ſeiner ganzen Länge aus; wohin wir blicken, ein Reichthum von Waſſer und Wald, die Bäume nur hier und da gelichtet, um uns irgend ein Denkmal auf den ſtillen Grasplätzen des Parkes, eine Marmorfigur oder einen „ Tempel “zu zeigen.
Das Schloß war in alten Tagen ein gothiſcher Bau mit Thurm und Giebeldach; erſt zu Anfang des vorigen Jahrhunderts trat ein Schloßbau in franzöſiſchem Geſchmack an die Stelle der alten Gothik und nahm 30 Jahre ſpäter, unter Knobelsdorff’s Anleitung, im Weſentlichen die Formen an, die es noch jetzt prä - ſentirt. Eine Beſchreibung des Schloſſes verſuche ich nur in allge - meinſten Zügen. Es beſteht aus einem Mittelſtück (Corps de92 logis) und zwei Seitenflügeln und gleicht in ſeiner Grund-Anlage dem Charlottenburger Schloſſe auf ein Haar. Das letztere iſt größer und hat den ſtattlichen Kuppelthurm; dagegen beſitzt das Rheinsberger Schloß, ſtatt eines bloßen Eiſengitters zwiſchen den Flügeln, eine geſchmackvolle Colonnade, die den Bau in ſehr gefälliger Weiſe abſchließt. Vor Allem hat das Rheinsberger Schloß die Schönheit ſeiner Lage, Waſſer, Wald und eine Fülle der reizendſten Fernſichten voraus. Mehr eine Eigenthümlichkeit als eine Schönheit bilden ſeine zwei abgeſtumpften Rundthürme, die ſich an die Seitenflügel anlehnen und deren einem es vorbe - halten war, zu einer beſonderen Berühmtheit zu gelangen.
Langſam nähern wir uns wieder dem Ufer, befeſtigen den Kahn an der Waſſertreppe und ſchreiten nun den Weg zurück, den wir vor zehn Minuten mit abſichtlicher Schnelligkeit paſſirten. Unter der Colonnade machen wir noch einmal Halt und recapi - tuliren uns die Geſchichte des Orts. Es iſt nöthig, ſie gegen - wärtig zu haben.
Die Herrſchaft Rheinsberg war ein altes Beſitzthum der Bredows. Seit 1618 ſind die Hauptdaten folgende:
Jobſt v. Bredow verkauft Rheinsberg an Cuno v. Lochow, Domherrn zu Magdeburg 1618.
Der große Kurfürſt nimmt, nach dem Erlöſchen dieſer Fa - milie v. Lochow, Rheinsberg in Beſitz und ſchenkt es dem Ge - neral du Hamel 1685.
General du Hamel verkauft es ſofort an den Hofrath de Beville.
Die Bevilles beſitzen es, Vater und Sohn, bis 1734. Vom Sohn, dem Oberſt-Lieutenannt Heinrich v. Beville, kauft es
König Friedrich Wilhelm I. und ſchenkt es an den Kron - prinzen Friedrich 1734.
Der Kronprinz (Friedrich der Große), obſchon nur bis 1740 dort, behält es als Eigenthum bis 1744.
Im Jahre 1744 erhält es Prinz Heinrich von ſeinem93 Bruder als Geſchenk, ſiedelt aber erſt 1753 nach Rheinsberg über. *)Im Widerſpruch hiermit ſteht allerdings, daß Prinz Heinrich im Jahre 1745 bereits ſeine Mutter, die verwittwete Königin Sophie Do - rothea, hier in Rheinsberg empfing. Poellnitz giebt davon eine ſehr ein - gehende Beſchreibung. Vielleicht aber hatte ſich der Prinz eigens und auf kurze Zeit nur nach Rheinsberg begeben, um ſeine Mutter daſelbſt em - pfangen zu können.
Wir paſſiren nun den Schloßhof, treten links auf den großen Flur und ziehen leiſe, mit der Hand des Bittſtellers, an der Klingel des Caſtellans. Er ſchläft wirklich noch; ſeine Frau aber, eine rüſtige Alte, nimmt unverdroſſen das große Schlüſſel - bund von der Wand und ſchreitet treppauf vor uns her.
Wollt’ ich dem Leſer zumuthen, uns auf dieſem Gange durch ein Labyrinth von Zimmern zu folgen, ſo würd’ ich eine chaotiſche Verwirrung in ſeinem Kopfe anrichten und ihn die Bereicherung ſeiner Kenntniß mit dieſem oder jenem Detail, etwas theuer be - zahlen laſſen. Ich verfahre alſo nicht chronologiſch mit Rückſicht auf unſeren zufälligen Marſch, ſondern chronologiſch mit Rückſicht auf die Geſchichte ſelbſt und beſpreche vorzugsweiſe die Zimmer des Kronprinzen Friedrich und die Zimmer des Prinzen Heinrich.
Zunächſt alſo die Zimmer des Kronprinzen, des nachmaligen „ großen Königs. “ Sie befinden ſich in beiden Flügeln, wenn man, wie billig, den großen Concert-Saal mit hinzurechnet, in welchem unter Leitung der beiden Graun’s und Benda’s und unter Mitwirkung des Kronprinzen ſelbſt, die claſſiſchen Compo - ſitionen jener Epoche aufgeführt wurden. Dieſer Concert-Saal befindet ſich (immer vom See-Ufer aus geſehen) im linken94 Flügel des Schloſſes und wird nach vorn hin durch die Thurm - zimmer begrenzt. Seine hohen Fenſter blicken nach links hin auf den Schloßhof, nach rechts hin auf das „ Cavalierhaus “und einen vorgeſchobenen Theil der Stadt hinaus. Der Saal, etwa 40 Fuß lang und faſt eben ſo breit, iſt vortrefflich erhalten; die Wände ſind von Stuck und die Fenſter-Pfeiler mit Spiegeln und Goldrahmen reich verziert. Die eigentliche Sehenswürdigkeit indeß iſt das große Deckengemälde von Pesne, das derſelbe, nach einem den Ovidſchen Metamorphoſen entlehnten Vorwurf, im Jahre 1739 hier ausführte. Der Grundgedanke iſt: „ die aufgehende Sonne vertreibt die Schatten der Finſterniß “oder wie einige es ausgelegt haben „ der junge Leuchteprinz vertreibt den König Grieſegram. “ Die Ausführung iſt vortrefflich, und wie immer man über pausbackige Genien und halbbekleidete Göttinnen denken mag, in dem Ganzen lebt und webt eine künſtleriſche Potenz, gegen die es nicht gut möglich iſt, ſich zu verſchließen. — In eben dieſem Saal fand im Sommer 1848, wo es ſchwer ward, ſolche Geſuche abzulehnen, ein großes Ruppin-Rheinsbergiſches Geſangfeſt ſtatt. Man vollführte einen Heidenlärm, bis plötzlich eine halbe Stuck-Wand ſich loslöſte und mitten in den entſetzten Sängerkreis hinein fiel. Man ſtob aus einander. Das Mauerwerk des alten Schloſſes hatte ſich gegen die Unbill empört.
Dieſer linke Flügel enthält außer dem Concertſaal noch zehn oder zwölf kleinere Räume, von denen einige die Zimmer der Prinzeß Amalie heißen, während der Reſt ſich ohne allen Namen begnügen muß. Dieſe „ Namenloſen “ſind die einzigen Räume des Schloſſes, die noch eine praktiſche Verwendung finden. Hier logiren der Hausminiſter und die Ober-Bau-Räthe, die dann[und] wann hier eintreffen, um nach dem Rechten zu ſehen. Es macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck, wenn man auf einem langen Marſch durch lauter unbewohnte Zimmer, die immer nur die Vorſtellung wecken, „ hier muß der und der geſtorben ſein “, plötzlich in ein paar Räume tritt, die liebe Erinnerungen an die Tage eigenen Chambregarnie-Lebens in uns wecken. Die kleinen Bettſtellen von95 Birkenmaſer-Holz, die rothen Steppdecken von allerſimpelſtem Kattun, die Waſchtoiletten mit dem Klappdeckel und die beinah faltenloſen Zitzgardinen, als habe das Zeug in der Breite nicht gereicht, Alles hat den ſchlichtbürgerlichſten Charakter von der Welt und das eitle Herz wird angenehm von der Vorſtellung berührt, daß man in Schlöſſern ſchläft wie anderswo.
Doch vergeſſen wir über dieſem ſtille Behagen nicht die eigent - liche Aufgabe, die uns hergeführt, und wenden wir uns nunmehr jenem kleinen Arbeitszimmer zu, das mit größerem Recht, als der Concertſaal, den Namen des großen Königs führt.
Dies Arbeitszimmer liegt im rechten Flügel des Schloſſes und zwar in dem kleinen Rundthurm, der ſich hart an den Flügel lehnt. Wir paſſiren eine lange Reihe von Zimmern, bis wir endlich in ein kleines halbdunkles Vorgemach treten, das ſein Licht nur durch die Glasthür eines unmittelbar vor ihm liegenden Zimmers empfängt. Dies halbdunkle Vorgemach enthielt die kleine Biblio - thek, die Friedrich der Große bald nach ſeiner Thronbeſteigung nach Potsdam ſchaffen ließ; das davor liegende Zimmer aber, von dem uns nur noch die Glasthür trennt, iſt das Arbeitszimmer ſelbſt. Es iſt klein, höchſtens 12 Fuß im Quadrat, hat aber nach drei Seiten hin eine entzückend ſchöne Ausſicht über Wald und See. Vor 120 Jahren muß auch das Zimmer ſelbſt einen durch - aus heitern und angenehmen Eindruck gemacht haben. Es iſt ein Achteck, das mit drei Seiten nach hinten zu in der Mauer ſteckt, während 5 Seiten frei und losgelöſt nach vorn hin liegen. Das ganze Zimmer ſetzt ſich aus alternirenden Wand - und Glasflächen regelrecht zuſammen; vier Pannel-Wände, drei Niſchenfenſter und eine Glasthür. Die Fenſterniſchen ſind ſehr tief und haben Raum genug zur Aufſtellung von Polſterbänken, die ſich an beiden Seiten entlang ziehen. An den Pannel-Wänden ſtehen altmodiſche Lehn - ſtühle mit verſilberten Beinen und ſchlechten, dunklen Kattun - Ueberzügen. Ueber den Lehnſtühlen, in ziemlicher Höhe, ſind Con - ſolen angebracht, auf denen die Büſten Cicero’s, Voltaire’s, Dide - rot’s und Rouſſeau’s ſtehen. Die Holzbekleidung, namentlich in96 den Fenſterniſchen, iſt vielfach mit Spiegelglas ausgelegt; über der Eingangsthür befinden ſich die Zeichen des Freimaurer-Ordens und den Plafond bedeckt abermals ein Pesne’ſches Decken-Gemälde. Es ſtellt die Ruhe beim Studiren vor; ein Genius überreicht der ſitzenden Minerva ein Buch, auf deſſen Blättern man die Namen Horaz und Voltaire lieſt. Das Bild hat verhältnißmäßig gelitten, und kann überhaupt mit der glänzenden Schöpfung deſſelben Meiſters im Concert-Saal nicht verglichen werden. In der Mitte des Zimmers ſteht der Arbeits-Tiſch des Prinzen; vor demſelben ein Lehnſtuhl, nicht weſentlich anders wie ſeine vier Collegen mit den verſilberten Beinen. Der Arbeits-Tiſch nimmt natürlich das Haupt-Intereſſe in Anſpruch. Er iſt kaum ſo groß wie die modernen Damen-Schreibtiſche, denen man in jedem Haus - halt begegnet. Die vergoldeten Füße ſind im Rococco-Geſchmack, eben ſo die Schubkäſten, deren drei große und vier kleinere vor - handen ſind. Die Schreibeplatte liegt ſchräg und kann aufgeklappt werden. Sie war ehedem mit rothem Sammt überzogen, hat aber nicht nur die Farbe, ſondern den ganzen Sammt-Stoff längſt verloren. Der Sammt wird bekanntlich auf eine Unterſchicht von feſtem Zeug aufgetragen. Dieſe Unterſchicht war noch ziemlich intact vorhanden, als ich 1853 Rheinsberg zum erſten Mal beſuchte. Seitdem haben ſich die Dinge ſehr zum Schlimmeren verändert. Nicht die Hälfte mehr exiſtirt von dieſem Unterzeug, und man kann deutlich ſehen, wie die Federmeſſer je nach der Charakter - Anlage des Betreffenden mal größere, mal kleinere Caro’s heraus - geſchnitten haben. Wir lieben nicht die Caſtellane, die einen durch ihren Dienſteifer um die Möglichkeit eines ruhigen Genuſſes brin - gen; aber eben ſo wenig mag ich jenen das Wort reden, die in mißverſtandener Nachſicht ein Auge zudrücken, wo ſie’s auf - machen ſollten.
Wir nehmen zögernd Abſchied von dieſem intereſſanten Zim - mer, um uns nun den andern Räumlichkeiten des Schloſſes und97 zwar zunächſt den Zimmern des Prinzen Heinrich zuzuwen - den. Sie liegen im erſten Stock des Corps de Logis und bilden eine ununterbrochene Reihenfolge. Vor 60 Jahren waren dieſe Zimmer noch in Gebrauch (der Prinz ſtarb erſt 1802), weshalb man ſich nicht wundern darf, hier Alles in einem Zuſtand leid - licher Wohlerhaltenheit zu finden. Den Anfang machen die ſoge - nannten Prinz-Ferdinand’s-Zimmer, d. h. diejenigen Zimmer, die Prinz Ferdinand zu bewohnen pflegte, wenn er bei ſeinem älteren Bruder, dem Prinzen Heinrich, zum Beſuche war. Viel - leicht auch lebte er in den Jahren 1802 bis 1813 wenigſtens zeitweilig hier und bewohnte dann dieſe Zimmer.
Hinter dieſen ſogenannten Prinz-Ferdinand-Zimmern folgt der Concert-Saal (nicht zu verwechſeln mit dem Kronprinz - lichen im linken Flügel), dann der ſehr gut erhaltene Muſchel - ſaal, endlich das Bibliothek-Zimmer. Neben der Bibliothek befindet ſich das Schlaf - und Sterbezimmer des Prinzen Hein - rich. Es iſt ein großes, ziemlich dunkles Gemach, durch ein Paar Säulen in zwei Hälften getheilt. In der dunkleren Hälfte des Zimmers, halb durch die Säulen verdeckt, ſteht das Sterbebett, ein ſtattlicher, mit ſchweren Seidenvorhängen reich ausgeſtatteter Bau. Alte Staatsbetten machen in der Regel einen peinlichen Eindruck und erfüllen uns mit einem Dankgefühl, daß wir nicht in ihnen zu ſchlafen brauchen. Nicht ſo hier; nichts von Ver - ſchoſſenheit der Farben, von vergilbtem Weiß und dumpfer Feuchte; Alles friſch und farbig und voll beweglich lebensvoller Falten. — Um dies Schlaf - und Sterbezimmer herum gruppiren ſich einige kleinere, die nur durch ihre Schildereien intereſſiren, meiſt Bilder in chineſiſcher Tuſche von der Hand des Prinzen Heinrich ſelbſt. Im Großen und Ganzen herrſcht Mangel an guten Bildern; nur zwei oder drei hat man gelaſſen, um dem Auge des Beſchauers eine Erholung zu gönnen. Unter dieſen ſind zwei Bildniſſe des jungen Grafen Bogislaw von Tauentzien (des ſpäteren Generals Tauentzien von Wittenberg) und ein Portrait der erſten Königin Sophie Charlotte, bei Weitem die intereſſanteſten.
798Auch die Zimmer im Erdgeſchoß an der rechten Seite des Corps de Logis ſind nicht ganz ohne Intereſſe. Bilder, Büſten, Ausſchmückungsgegenſtände, die entweder noch aus den Zeiten des Prinzen Heinrich her ſich in dieſen Zimmern befinden oder von Verſchönerungswegen ihren Weg aus dem obern Stockwerk in’s untere genommen haben, feſſeln den Beſchauer auf eine halbe Stunde. In einem Zimmer befinden ſich die Büſten des Marquis de la Roche Aymon und ſeiner Gemahlin; daneben eine Büſte des franzöſiſchen Schauſpielers Blainville. Der Marquis, auf den ich in einem ſpätern Kapitel zurückkomme, war, nach Tauent - ziens Abgang Adjutant des Prinzen und nebenbei eine Art General en Chef des prinzlichen Heeres, d. h. jener im Sold des Prinzen ſtehenden Leibhuſaren-Schwadron, die in Rheinsberg ihre Garniſon und im Schloſſe den Dienſt hatte. Der Schau - ſpieler Blainville, ein beſonderer Liebling des Prinzen, gab ſich ſelbſt den Tod, als es der Kabale ſeiner Genoſſen gelungen war, ihm momentan die Gunſt ſeines Herrn zu entziehen. Der Prinz ſoll dieſen Verluſt nie verwunden haben. — Ein größerer Saal, neben jenem büſtengeſchmückten Zimmer, macht noch den Eindruck einer gewiſſen Wohnlichkeit, vielleicht weil er ein paar Specialitäten enthält, die uns, etwa wie ein blankgeputzter Vogelbauer oder ein Tiſch voll Nippſachen, die Nähe der Menſchen ſelbſt dann noch fühlbar machen, wenn auch ein halbes Jahrhundert zwiſchen uns und ihnen liegt. Zu dieſen Specialitäten rechne ich natürlich nicht die ſtattliche Reihe guter Portraits, die an den Wänden hängen, ſondern vor Allem ein würfelförmiges Poſtament von dem Umfange eines großen Tabackskaſtens, das auf einem halb verſteckten Ecktiſch ſteht. Dieſer Kaſten muß bei einer beſtimmten Gelegenheit als Unter - ſatz für eine koſtbare Blume gedient haben und von dem einen oder andern ſeiner Verehrer dem Prinzen überreicht worden ſein. Noch jetzt umſchließt der Kaſten einen Blumentopf, aber die Blumen ſelbſt ſind von Papier. Die vier Wände enthalten reizende Aquarell - Bildchen, die dieſen Kaſten, mit Ausnahme des großen Pesne’ſchen Deckenbildes und des Portraits der Sophie Charlotte, ſo ziemlich99 zu dem künſtleriſch-intereſſanteſten Gegenſtand des Schloſſes machen. Zwei Seiten weiſen mit vieler Feinheit ausgeführte Ara - besken auf; Front - und Rückſeite aber enthalten zwei Schlachten - bilder en miniature, von denen das eine die Inſchrift trägt: » Condé aux lignes de Fribourg; « das andere: » Henri à la bataille de Prague. « Die Verbindlichkeit iſt ſehr fein, die Paral - lele gut gezogen, und was die Hauptſache iſt — die Ausführung vortrefflich. » Condé aux lignes de Fribourg « iſt möglicherweiſe eine Copie; ich entſinne mich dunkel, im Louvre oder in den Sälen von Verſailles etwas nah Verwandtes geſehen zu haben. Auf dem Frontbilde » Henri à la bataille de Prague « erhebt der Prinz eben den Degen, und den Kopf nach rechts hin halb zurückgewandt, um durch Wort und Blick die Nachfolgenden anzu - feuern, führt er eben eine Grenadier-Compagnie (mit jenen Blech - mützen, wie ſie noch jetzt von einem Theil des 1. Garde-Regiments getragen werden) zum Sturm. Das Bild iſt voll Charakter und Leben und ſehr glücklich in der Farbe. — Ich habe ſo lange bei Darſtellung dieſes Blumenkaſtens verweilt, um unſere Hiſtorien - und Geure-Maler auf dieſes bisher wenig gekannte Schatzkäſtlein aufmerkſam gemacht zu haben.
Außer den im vorigen Kapitel beſchriebenen Zimmern des Kron - prinzen und des Prinzen Heinrich enthält das Rheinsberger Schloß nichts, was der Erwähnung werth wäre. Wenn man wieder in’s Freie tritt, um über den Schloßhof hin dem Park und den Seeufern zuzuſchreiten, ſo kann man die Frage nicht ab - wehren, wie kommt es, daß dieſer kluge, geiſtvolle Prinz Heinrich, dieſer Feldherr sans peur et sans reproche, dies von den nobelſten Empfindungen inſpirirte Menſchenherz, ſo wenig populär geworden iſt. Man mache die Probe in unſeren Dorfſchulen! Jedes Tagelöhnerkind wird den Zieten, den Seidlitz, den „ Schwerin mit der Fahne “kennen; aber der Herr Lehrer ſelbſt wird nur ſtotternd zu ſagen wiſſen: wer denn eigentlich Prinz Heinrich geweſen ſei. Selbſt in Rheinsberg, das der Prinz 50 Jahre lang beſeſſen und 40 Jahre lang bewohnt hat, iſt er verhältnißmäßig ein Fremder. Natürlich man kennt ihn, man nennt ſeinen Namen; aber man weiß wenig von ihm. Einige Alte entſinnen ſich ſeiner, erzählen dies und das, aber die lebende Generation lernt Geſchichte, wie wir, d. h. lieſt lange Kapitel vom Kronprinzen Friedrich und ſeinem Rheinsberger Aufenthalt, und hat ſich daran gewöhnt, den Concert-Saal und das Studirzimmer als die eigent - lichen Sehenswürdigkeiten des Schloſſes anzuſehen; die Zimmer101 des Prinzen Heinrich, Prinz Heinrich ſelbſt, Alles iſt bloße Zu - gabe, Material für die Rumpelkammer. Das Loos, das dem Prinzen bei Lebzeiten fiel, das Geſchick, „ durch ein helleres Licht verdunkelt zu werden, “verfolgt ihn auch im Tode noch — an derſelben Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelebt, ge - herrſcht, geſchaffen und geſtiftet hat, iſt er ein halb Vergeſſener, blos weil der Stern ſeines Bruders vor ihm daſelbſt geleuchtet hat. Ein Theil dieſes Mißgeſchickes wird bleiben; aber es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß die nächſten 50 Jahre Verdienſt und Klang des Namens mehr in Harmonie bringen werden. Um es mit einem Wort zu ſagen: dem Prinzen hat der Dichter bisher gefehlt. Von dem Augenblick an, wo Lied, Erzählung, Schauſpiel ihn unter ihre Geſtalten aufnehmen werden, werden ſich die Prinz - Heinrichs-Zimmer im Rheinsberger Schloſſe neu beleben, und die Caſtellane der Zukunft werden zu erzählen wiſſen, was in dieſer und jener Fenſterniſche geſchah, wer den Blumenkaſten überreichte und unter welchem Kaſtanienbaume der Prinz ſeinen Thee trank und mit freudigem: » oh soyez le bien venu « ſich erhob, wenn Prinz Louis am Schloßthor hielt und lachend aus dem Sattel ſprang.
Hiſtoriſche Geſtalten theilen ganz das Schickſal von Statuen. Die ſcheinbar begünſtigteren ſtehen, durch ein Jahrtauſend hin immer leuchtend, immer bewundert auf dem Poſtament des Ruh - mes; andere werden verſchüttet oder in den Fluß geworfen. Aber es kommt der Moment ihrer Wieder-Erſtehung, und nun erſt, neben den glücklicheren neu-aufgerichtet, erwächſt der Nachwelt die Möglichkeit des Vergleichs. Es muß zugegeben werden, und ich habe in dem Kapitel „ die Kirche zu Rheinsberg “in nicht mißzu - verſtehender Weiſe darauf hingewieſen, daß etwas prononcirt Fran - zöſiſches in Sitte, Gewöhnung und Ausdruck und das völlige Fehlen jener churbrandenburgiſchen Derbheit, die wir an Friedrich dem Großen ſo vorzugsweiſe in Affection genommen haben, der Populariſirung des Prinzen Heinrich ſtets hindernd im Wege ſtehen wird; es fehlt aber auch noch viel bis zu jenem102 beſcheideneren Maße, bis zu jenem engeren Zirkel von Popula - rität, auf den er unbedingten Anſpruch hat. Seine Antworten werden nie in dem bekannten Stile des älteren Tauentzien ſein, als dieſer, unter Androhung, daß man das Kind im Mutterleibe nicht ſchonen würde, aufgefordert wurde, Breslau zu übergeben. Aber wenn ſeine Antworten auch vielleicht niemals an das Schwert des Richard Löwenherz erinnern werden, der eine zolldicke Eiſen - ſtange auf einen Schlag zerhieb, ſo werden ſie der Halbmondklinge Saladin’s um ſo ähnlicher ſein, der das in die Luft geworfene Seidentuch im Niederfallen durchſchnitt. —
Wir ſind nun in den Park getreten; er umzieht in weitem Halbkreis die links gelegene Hälfte des See’s und geht am jen - ſeitigen Ufer deſſelben unmittelbar in die ſchönen Laubholz-Par - tieen des Boberow-Waldes über. Der Park iſt eine glückliche Miſchung von franzöſiſch-engliſchem Geſchmack, — zum Theil planvoll dadurch entſtanden, daß man die urſprünglich Le Notre’ - ſchen Anlagen durch engliſche Partieen erweiterte; zum Theil un - abſichtlich dadurch geworden, daß ſich das zwang - und kunſtvoll Gemachte wieder in die Natur hineingewachſen hat. Die Park - Anlage, wie ſie ſich jetzt präſentirt, ſoll hauptſächlich ein Werk des Herrn v. Reitzenſtein, eines beſonderen Protegé’s des Prinzen, ſein. Die Anlagen wurden während des Krieges ausgeführt, und Reitzenſtein kam, durch Verleumdung Anderer, in Verdacht, unredlich gewirthſchaftet zu haben. Reitzenſtein konnte es nicht er - tragen, dem Prinzen, deſſen Vertrauen er gemißbraucht haben ſollte, unter die Augen zu treten, und als er von der nah bevor - ſtehenden Rückkehr deſſelben hörte, verſchluckte er einen Diamant und tödtete ſich auf dieſe Weiſe. So erzählt ſich das Volk. Es liegt aber auf der Hand, daß hier der nach dem Abenteuerlichen, dem Poëtiſch-Aparten haſchende Sinn des Volkes eine komiſche Subſtituirung hat eintreten laſſen. Ein Diamant (die Tauben-Ei - großen ſind bekanntlich rar) iſt gerade ſo unſchädlich wie ein Pflaumenkern, und es ſcheint mir ziemlich ſicher, daß ſich Reitzen - ſtein durch Essence d’Amandes (Bittermandelöl oder Blauſäure)103 getödtet hat, die nach dem Gleichklang und gemäß poëtiſirender Volksneigung alsbald ein Diamant geworden iſt.
Man paſſirt, mal dicht am Seeufer hin, mal wieder ſich von ihm entfernend, die üblichen Schauſtücke ſolcher Anlage: Säulen - Tempel, künſtliche Ruinen, bemooste Steinbänke, Statuen (darunter einige von großer Schönheit), und gelangt endlich, einige Partieen zur Seite laſſend, die wir auf dem Rückwege beſuchen wollen, in den ſogenannten Freundſchafts-Tempel, der bereits im Bobe - row-Walde, alſo am jenſeitigen Ufer des See’s liegt. In dieſem Freundſchafts-Tempel pflegte der Prinz zu ſpeiſen, wenn das Wetter eine Fahrt über den See geſtattete. Es war ein kleiner Kuppelbau, auf deſſen Haupt-Kuppel noch ein Kuppelchen ſaß; den Eingang bildete ein Frontiſpice. Frontiſpice und Kuppeln exiſtiren in dieſem Augenblick nicht mehr; ſie drohten Einſturz und man hat beides abgetragen. In welcher Weiſe die Wiederherſtellung erfolgen wird, vermag ich nicht zu ſagen. Das Innere des ganzen „ Tem - pels “beſteht eigentlich nur aus einem einzigen achteckigen Zimmer, um das ſich, wie die Schale um die Mandel, ein etwas größerer achteckiger Außenbau legt. Es iſt genau ſo, wie wenn man eine kleine Schachtel in eine große ſtellt und beide mit einem gemein - ſchaftlichen Deckel überdeckt. Der kleinere achteckige Einſatz hat aber vier thürbreite Einſchnitte (die Thüren ſelbſt fehlen), und durch dieſe Einſchnitte wird es möglich, die Inſchriften zu leſen, die ſich an der Innen wand des achteckigen Außenbaues befinden. Es ſind ihrer 16, die ſich alle auf das Glück der Freundſchaft beziehen, einzelne zwei, andere vier Zeilen lang und alle entweder mit S. oder B. unterzeichnet. Ich gebe zwei derſelben:
oder:
So ſind ſie alle; kleine Niedlichkeiten ohne tiefere Bedeutung, und doch an dieſer Stelle ebenſo anſprechend, wie ſie als Grab - und Kirchen-Inſchriften (vgl. das Kapitel über die Rheinsberger Kirche) uns widerſtrebend ſind. Jetzt feiern die Kinder und jungen Leute ihr Möskefeſt an dieſer Stelle, bei welcher Gelegenheit ſicherlich weniger philoſophiſche Betrachtungen als die vorſtehenden über das Glück der Freundſchaft angeſtellt und die vorkommenden Fra - gen mehr zu Gunſten des obigen, ewig im Schwunge bleibenden » fils de la folie « entſchieden werden. Ein Möskefeſt an dieſer Stelle iſt eine nicht üble Kritik und Ironie.
Vom Freundſchaftstempel aus, am Obelisken vorbei (den ich in meinem Schlußcapitel beſprechen werde), ſchreiten wir in den eigentlichen Park zurück, machen dem wohlerhaltenen „ Theater im Grünen “, das lebendige Hecken ſtatt der Couliſſen hat, unſern Beſuch und biegen ſchließlich in allerhand ſchmale Gänge ein, deren Windungen uns zum Grabmal des Prinzen Heinrich führen. Es beſteht aus einer Backſtein-Pyramide, um die ſich ein ſchlichtes Eiſengitter zieht. Der Prinz, in ſeinem Teſtament, hatte die völlige Vermauerung dieſer Pyramide angeordnet; doch ging man von dieſer Anordnung ab und ließ einen Eingang offen. Im Jahre 1853 ſah ich noch deutlich den großen Zinkſarg ſtehen, auf dem ein roſtiger Helm lag. Seitdem iſt ein brutaler Verſuch gemacht worden, das Grab zu beſtehlen; man hoffte Gold im Sarge zu finden und durchwühlte die Aſche des Todten. Natürlich vergeblich. Das hat nun zu einer nachträglichen Erfüllung der Teſtaments-Anordnung geführt, und die Pyramide iſt jetzt ver - mauert. Wo früher der Eingang war, befindet ſich jetzt die große Steintafel mit der von Prinz Heinrich ſelbſt verfaßten Grab - ſchrift. Sie iſt oft gedruckt worden. Ich gebe hier nur ihre erſten vier Zeilen, als beſonders charakteriſtiſch für den Mann und ſeine Zeit. Sie lauten:
Den weiteren Wortlaut wird der Leſer in den Anmerkungen finden. So dachte und ſchrieb man damals! Die „ naissance “war ein Spiel des Zufalls, und man war es müde, „ über Sclaven zu herrſchen. “ Man denkt jetzt anders darüber. Die Phraſe iſt abge - than, aber, Gott ſei Dank, dem Weſen der Freiheit ſind wir näher gekommen.
Vielleicht die größte Sehenswürdigkeit Rheinsbergs iſt der große Obelisk, der ſich, gegenüber dem Schloſſe, alſo am jen - ſeitigen See-Ufer, auf einem zwiſchen dem Park und dem Boberow gelegenen Hügel erhebt. Er wurde zu Anfang der 90er Jahre vom Prinzen Heinrich „ dem Andenken ſeines Bruders Auguſt Wilhelm “errichtet. Dieſer Obelisk und ſeine Inſchriften (auch jetzt noch von ſehr wenigen gekannt) ſind zwar mehrfach beſchrieben, aber ſelten mit kritiſchem Auge geleſen worden. Dieſe 28 gol - denen Inſchriften, die (rund eingelegt und etwa von dem Anſehen wie die Kehrſeiten großer Medaillen) die untere Hälfte des Obelisks bedecken, ſind eine Geſchichte des ſiebenjährigen Krieges im Lapi - darſtil und ſcheinen mir darin eine bis dieſen Augenblick noch nicht hinreichend gewürdigte Bedeutung zu haben, daß ſie das Verhältniß des Prinzen Heinrich zu ſeinem Königlichen Bruder durch aller - eigenſte Worte des Erſteren kennzeichnen und, wenn auch in mildeſter Form, einen der Sache nach ziemlich ſtrengen Maßſtab prinzlicher Kritik an die Sympathieen und Antipathieen König Friedrichs, an ſein Lob und ſeinen Tadel legen. Der umfang - reiche, ein Werk für ſich bildende kritiſche Commentar des Prinzen zu dem großen Geſchichtsbuch ſeines Bruders, iſt nach teſtament - licher Beſtimmung des Erſteren unmittelbar nach ſeinem Hinſcheiden verbrannt worden; der Obelisk aber, der ſich Jedermann zugänglich Angeſichts des Rheinsberger Schloſſes erhebt, iſt ein kurz gefaßter107 Abriß aus jenem Buch, der ganz entſchieden die Meinungen des Verfaſſers über allbekannte Vorgänge, wenn auch freilich nicht die Gründe für dieſe Meinungen oder gar die Beweiſe giebt.
Das Errichten des Monuments ſelbſt iſt bereits ein kritiſcher Act, eine Mißbilligung der Mißbilligung, die Prinz Auguſt Wil - helm (der Vater Königs Friedrich Wilhelm II. ) von ſeinem Bruder, dem Könige, hinnehmen mußte; eine Ehren-Erklärung da, wo Friedrich II. durch ſein Benehmen die Ehre abgeſchnitten hatte. Die Vorderfront trägt das vortrefflich ausgeführte Relief-Portrait des Prinzen, dem der Obelisk gewidmet iſt. Darunter die Worte:
Aber nicht dem Prinzen allein iſt das Monument errichtet, auch einer langen Reihe tapferer Männer, die mit und neben ihm gefochten haben, den „ Preußiſchen Heroen “überhaupt. Daran reihen ſich, um das Fehlen einzelner Namen in keinem allzu auffälligen Lichte erſcheinen zu laſſen, folgende merkwürdige Worte:
Kein Präjudiz alſo gegen alle diejenigen, die außerdem noch an der estime publique theilnehmen. Dieſe Worte rückſichts - voller Verwahrung ſind ganz im Geiſte des Prinzen Heinrich ge - ſprochen. Er giebt ſeine Meinung und giebt ſie zum Theil diplo - matiſch genug dadurch, daß er ſchweigt; aber ſelbſt dies Schweigen erſcheint ihm noch zu verletzend, und er fügt ein milderndes „ ohne Präjudiz “hinzu. Dies bezieht ſich auf das Fehlen beſonders zweier Namen: v. Winterfeldt und v. Wedell. Auf der einen108 Seitenfront befindet ſich zwar ein „ Wedell “, doch iſt dies ein älterer General deſſelben Namens, der ſchon 1745 bei Soor fiel, nicht der Wedell, der als Liebling und Vertrauensmann des Königs abgeſchickt wurde, um (gegen die anrückenden Ruſſen) den Grafen Dohna im Commando zu erſetzen, und der Tags darauf, trotz all ſeiner Tapferkeit, bei Kay geſchlagen wurde. Alle die „ beſonderen Vertrauensmänner “des Königs fehlen auf dem Obe - lisk; die aber unter ſeiner Ungnade oder Ungerechtigkeit ’mal zu leiden hatten, ſind ziemlich ſicher, hier ihr Conto in Balance ge - bracht zu ſehen. So der Herzog v. Bewern, v. d. Marwitz, Ge - neral Wobersnow ꝛc. Der Letztere fiel bei Kay, „ wo gegen ſeine Anſicht (Hieb gegen von Wedell und mittelbar gegen den König) geſchlagen wurde “. Dies Lob iſt wie ein Gegenzug gegen den Tadel des Königs, der wenige Tage vor dem Gefecht bei Kay an Wobersnow ſchrieb: „ Die Folgen Eurer übel ausgeführten Projecte äußern ſich jetzt. Ihr hättet nicht wie die heiligen drei Könige aus Morgenland einherziehen müſſen. Es konnte nunmehr mit den Ruſſen ſchon aus ſein. “
Die Namen, die der Obelisk nennt, ſind die folgenden:
Vorderfront: Keith, Schwerin, Leopold von Deſſau, Prinz Auguſt Ferdinand, Seidlitz, Zieten, Herzog von Bewern, General von Platen († Kunersdorff).
Rechtsfront: v. Wedell (Soor), v. Hülfen, v. Tauentzien, v. Möllendorf, v. Haucharnoi († Prag), v. Retzow (deckte den Rückzug von Hochkirch, was auch mit feinbezüglichen Worten geſagt wird), v. Wobersnow († Kay).
Linksfront: v. Wünſch, v. Saldern, von Prittwitz, v. Kleiſt, v. Dieskau, v. Ingersleben, v. Henkel.
Hinterfront: v. Goltz, v. Blumenthal, v. Reder, v. d. Mar - witz, de Quede, v. Platen († Prag, als aide de camp Schwerins).
Prinz Heinrich bezeichnet die getroffene Wahl ſelbſt als eine „ choix d’une estime particulière. “ Neben einem Gefühl der109 Freundſchaft ſcheint aber noch das Gefühl beſonderer Waffen - brüderſchaft die Wahl beſtimmt zu haben. Es iſt bekannt, welche entſcheidende Rolle dem Prinzen während der Prager Schlacht zu - fiel. Prag, nebſt Freiberg, wo ſein Feldherrngeſchick ſich in noch glänzenderem Lichte zeigte, blieb ſeine Lieblings-Affaire (etwa wie Friedrich Wilhelm III. mit Vorliebe der Schlacht von Kulm ge - dachte), und alle diejenigen, die daran theilgenommen hatten, ſtanden ſeinem Herzen beſonders nah. Der im Volk ſchon damals lebende Glaube, daß „ Schwerin mit der Fahne “die Schlacht entſchieden habe, ſcheint ihm aber im Gefühl deſſen, was er ſelbſt geleiſtet hatte, unbequem geweſen zu ſein, und nachdem er die frü - heren Thaten Schwerin’s mit großer Wärme des Ausdrucks auf - gezählt hat, ſchließt er ziemlich nüchtern: „ Un drapeau à la main il fut la victime de son zèle devant Prague le 6 de Mai 1757 “. Er rühmt nur den „ Eifer “, weiter nichts.
Die Inſchriften ſind alle intereſſant, aber nur zwei theile ich noch vorzugsweiſe mit. Vom Quartiermeiſter v. d. Marwitz (Hoch - kirch) heißt es am Schluß: „ Etant mort à 36 ans en 1759 son merite et ses services seroient oubliés si ce monu - ment n’en conservoit la mémoire. “ Darin hat ſich der Prinz nun allerdings geirrt; man kennt Marwitz auch ohne den Rheins - berger Obelisken.
Die ſchönſten Worte richten ſich an Zieten. Innigkeit und wahre Verehrung ſpricht aus jeder Zeile. Der alte Huſar iſt auch hier Sieger geblieben:
Was den weiteren Wortlaut dieſer Inſchriften (in deutſcher Ueberſetzung) angeht, ſo verweiſ’ ich auch hier auf die Anmer - kungen.
Es dunkelt und nur mühſam noch entziffern wir die letzten Inſchriften; nun kehren wir im Kahn über den See zurück. Leiſe Nebel ziehen auf und ab, in Dämmerung liegt das Schloß; aber von den Bäumen des Parks her klingt es herüber wie leiſe Stimmen aus alter Zeit.
oder
In einem früheren Kapitel ſprach ich die Hoffnung aus, daß die Prinz-Heinrich-Zeit des Rheinsberger Schloſſes, die über den Kronprinzlichen Aufenthalt daſelbſt halb vergeſſen zu werden pflegt, über kurz oder lang ihren Hiſtoriographen, oder wenn dies Wort zu gewichtig klingt, ihren Erzähler finden möchte. Ich habe nun, ſeitdem ich bei einem erſten Beſuche Rheinsbergs jene Worte nieder - ſchrieb, ſelbſt zu ſammeln geſucht und gebe in Nachſtehendem, was ich gefunden. Das Terrain, das dabei in Betracht kam (denn der Rheinsberger Hof hatte ſpäter ſeine Außenwerke und Filiale) liegt zwiſchen dem Boberow-Wald und dem Huvenow-See und hab ich demgemäß die Ueberſchrift dieſes Kapitels gewählt.
Bis 1786 war der Aufenthalt des Prinzen Heinrich in Rheinsberg ein vielfach unterbrochener: Kriege, Reiſen und diplo - matiſche Miſſionen hielten ihn jahrelang fern; — erſt von 1786 an gehörte er dem „ ſtillen Schloß am Boberow-Wald “mit einer Art Ausſchließlichkeit an, freilich auch dann erſt, nachdem er noch einen ernſten Verſuch gemacht hatte, Paris an die Stelle von Rheinsberg treten zu laſſen.
Dies beinah völlige Sichfernhalten von der Welt, das nun eintrat, war nur bis zu einem gewiſſen Grade ſeine freie Wahl. 112Den großen König, ſeinen Bruder, hatte er nicht geliebt, aber er hatte ihn reſpektirt; ſeit dem Tode Friedrichs indeß hatten die Dinge eine Richtung angenommen, die ihm eine Betheiligung daran, die wie Gutheißung ausgeſehen hätte, unmöglich machte. Auch glaubte man ohne ihn fertig werden zu können. Man erbat ſeinen Rath nicht länger, ſo gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchſter Mißbilligung ſah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. „ In dieſer Spelunke iſt alles infame “ſagte er, als er eines Tages an dem Palais der (ſpätern) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Ein Prinz, der, bei ſonſt großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein ſolches Wort zu äußern wagte, gehörte nicht mehr an den Hof und ſprach durch ſo einſchneidende Urtheile ſeine eigene Verbannung aus.
Die Verſtimmung des Prinzen war eine ſo tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht fern und abgelegen genug erſchien und der Wunſch immer lebendiger in ihm wurde, den Reſt ſeiner Tage im Aus - lande, in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er ſich ſchweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Niver - nois die Worte zugerufen: „ ich verlaſſe nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang geſehnt habe und an das ich nun, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit ſo viel Liebe zu - rückdenken werde, daß ich faſt wünſchen möchte, ich hätt’ es nicht geſehn. “ Nach dieſem Lande ſeiner Sehnſucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft; aber die Götter waren ſeinem Vorhaben nicht hold, — es ſchien, daß er dem engen Kreiſe verbleiben ſollte, dem er ſeit 40 Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen, angehört hatte. 1787 machten politiſche Conſtellationen die Ueberſiedlung nicht mög - lich; 1788 im Juni ging er wirklich, und dem Ankauf eines palaisartigen Hauſes in Paris folgten Unterhandlungen wegen Ankauf eines größeren, in der Nähe der Hauptſtadt gelegenen Grundbeſitzes, aber eh’ ſie zum Abſchluß kamen, zogen die Wetter der Revolution immer drohender, immer ſichtbarer herauf, und der Prinz, der ſich nach Ruhe, nach ſtiller Betrachtung ſehnte, kehrte113 ſchweren Herzens in ſeine Rheinsberger Einſiedelei zurück. Von da ab gehörte er derſelben ganz.
Meine Aufgabe, wie ſchon Eingangs angedeutet, wird darin beſtehen, den Prinzen in dieſem ſeinem Stillleben zu ſchildern und mit einiger Beſtimmtheit feſtzuſtellen, in welcher Weiſe und in welcher Genoſſenſchaft er das letzte Jahrzehnt ſeines Lebens ver - brachte.
Dieſe meine Aufgabe war in ſo weit ſchwierig, als gedruckte Mittheilungen aus jener Epoche ſo gut wie gar nicht vorliegen; aber wenn auf der einen Seite das Fehlen literariſcher Ueberliefe - rungen gewiſſe Schwierigkeiten geſchaffen hat, ſo genoß ich doch andererſeits des nicht genug zu ſchätzenden Vorzugs, mit Rückſicht auf namentlich die letzten 10 Jahre der Rheinsberger Hofhaltung, Perſonen zu begegnen, die jene letzten Prinz Heinrich-Tage ent - weder noch miterlebt hatten, oder doch von dieſen Tagen, wie von etwas eben Geſchehenem und Erlebtem, hatten erzählen hören. Es bezieht ſich dies namentlich auf die Mittheilungen über den Ma - jor v. Kaphengſt und den Grafen und die Gräfin La Roche - Aymon.
Die Rheinsberger Kirche hat zwei Glocken aus dem Jahre 1780. Die kleinere von dieſen, die die Namen einer Anzahl Rheinsberger Bürger als Inſchrift trägt, intereſſirt uns nicht, wohl aber die größere (in einem früheren Kapitel ſchon erwähnte), die uns beſtimmte Anhaltspunkte für die Geſchichte des Prinzen Heinrich giebt. Die Inſchrift dieſer Glocke (augenſcheinlich ein Ge - ſchenk des Prinzen Heinrich an die Stadt) bringt neben dem ſchon citirten, mehr als alt-fränkiſchen Spruch:
folgende Namen: Prince Frédéric Henri Louis de Prusse, frère du Roi. Major de Kaphengst. Baron Frédéric de Wreich. Baron Louis de Wreich. Baron de Kniphausen. Baron de Knesebeck. de Tauentzien. Alle dieſe waren Kava -8114liere des Prinzen. Rechnen wir hierzu den Bibliothekar und Vor - leſer des Prinzen (erſt Francheville, dann Touſſaint), die Mit - glieder einer franzöſiſchen Schauſpieler-Truppe und einer deutſch - italieniſchen Kapelle, endlich eine Anzahl Kammerdiener, Lakaien und Leibhuſaren (die ein förmliches Corps bildeten), ſo haben wir durchaus die Elemente beiſammen, aus denen ſich 1780 der Rheinsberger Hof zuſammenſetzte. Die obengenannten Kavaliere wohnten im Kavalierhauſe, die Lakaien und Kammerdiener im Schloß, endlich die Künſtler aller Art und jeden Grades in der Stadt zur Miethe.
Einen zweiten ſicheren Anhaltepunkt, eben ſo zuverläſſig wie die Glockeninſchrift, geben uns die „ dernières dispositions “des Prinzen, aus denen wir erſehen, daß, der Zahl nach ſichtlich zu - ſammengeſchmolzen, damals (1802) Graf Roeder (Hofmarſchall), Graf La Roche-Aymon (Adjutant), Mr. Lebeauld (Kammer-Rath) und Herr Steinert (Baurath) die Umgebung des Prinzen bildeten. Major v. Kaphengſt, Baron Kneſebeck und Tauentzien lebten noch und unterhielten, wenigſtens theilweis, die alten Beziehungen, ſo daß wir, wenn wir die beſtimmt verbürgten Namen von 1780 und 1802 zuſammenthun, im Weſentlichen eine Ueberſicht über die Perſönlichkeiten gewinnen, die während der letzten zwanzig Jahre die Träger und Repräſentanten des Rheinsberger Hoflebens waren.
Ueber jeden der Genannten werde ich einige Worte zu ſagen, über einzelne (Kaphengſt und La Roche-Aymon) mich ausführ - licher zu verbreiten haben. Bevor wir aber zu dieſen Perſonalien übergehen, ſuchen wir, in ähnlicher Weiſe wie wir eine Feſtſtellung der Perſönlichkeiten ermöglichten, auch zunächſt in allgemeinen Zügen feſtzuſtellen, unter welcher Benutzung der Zeit die Rheins - berger Tage verfloſſen.
Der Vormittag gehörte der Arbeit; die zweite Hälfte des Tages der Geſellſchaft, dem Diner, der Lektüre,*)„ Die Bibliothek des Prinzen, ſchreibt Heinrich v. Bülow, war ſehr anſehnlich. Er hatte auch ein Exemplar der Bibel in ſeinem Kabinett, dem Schauſpiel,115 der Muſik. Nur gelegentlich unterbrachen Ausflüge in die nähere oder weitere Umgegend den vorgeſchriebenen Lauf des Tages; noch ſeltener waren Feſtlichkeiten, ja der Zeitabſchnitt von 1790 bis 1802 weiſt von großen Feſtlichkeiten (für die der Prinz in früheren Jahren eine entſchiedene Vorliebe hatte) vielleicht nur das eine Feſt, „ die Einweihung des Monumentes “auf, auf das wir ſpäter ausführlicher zurückkommen werden.
Wenden wir uns zunächſt dem Vormittage zu, der Arbeits - zeit des Prinzen. Da er, unähnlich ſeinem großen Bruder (mit dem er die Antipathieen gegen die Jagd gemein hatte), von der Landwirthſchaft die allergeringſte Meinung hegte und offen ausſprach, daß das Säen und Erndten zwar ſehr wichtig, aber die Sache jedes Bauern ſei, ſo raubte ihm die Verwaltung ſeiner Beſitzung, die er ſeinen Pächtern und Inſpektoren überließ, nichts von ſeiner Zeit, die er nun ungeſtört dem Studium widmen konnte. Unter dieſen Studien ſtand das Studium der Kriegs - wiſſenſchaften und der ſchönen Literatur, ſoweit ſie Frankreich be - traf, obenan. Gleicherweiſe wie ſein Bruder, der König, verfolgte er mit nicht ermüdender Vorliebe die Werke der franzöſiſchen Phi - loſophen, ſchwärmte für Voltaire und ſchrieb ſelber Verſe, von denen mit ſatyriſchem Anflug bemerkt worden iſt, daß ſie lebhaft an die Verſe ſeines Bruders erinnert hätten. Uebrigens wurden ſeine dichteriſchen Verſuche von ſeinen franzöſiſchen Vorleſern ent - fehlert, erſt von Francheville, dann von Touſſaint. Neben dieſen poëtiſchen Verſuchen (z. B. eine lyriſche Bearbeitung der Alzire des Voltaire; auch rühren vielleicht die Diſtichen im Freundſchafts - tempel und Aehnliches von ihm her) war es eine ausgedehnte Cor - reſpondenz, die ſeine Arbeitszeit in Anſpruch nahm und neben dieſer Correſpondenz vor allem wiederum die Aufzeichnung ſeiner Memoiren. Von dieſen Aufzeichnungen iſt wenig zur Kenntniß der Welt ge - langt; ſeine Kritik des ſiebenjährigen Krieges, oder mit anderen*)aber er hatte ſie nur, wie man in einem Proceß die Akten der Gegen - partei beachtet und um ſich hat. “8*116Worten des Königs, wenn ſie nicht wirklich vernichtet iſt, ruht unerbrochen und zunächſt unzugänglich in unſern Archiven; andre ſeiner Arbeiten haben es verſchmäht, unter dem Namen ihres er - lauchten Verfaſſers in die Welt zu treten und ſollen ſich, theilweis wenigſtens, in den militairiſchen Schriften wiederfinden, die zwiſchen 1802 und 1804 vom Grafen La Roche-Aymon, dem letzten Adjutanten des Prinzen, veröffentlicht wurden. Mit beſonderer Vor - liebe, das mag ſchon hier eine Stelle finden, verfolgte er die Kriegs - und Siegeszüge Moreau’s, den er faſt höher ſtellte als Napoleon, wobei man freilich nicht vergeſſen darf, daß der Prinz 1802 bereits ſtarb, alſo früher als die großen Ruhmesſchlachten, die ſo viele Staaten zertrümmerten, geſchlagen wurden. Er erlebte nur Marengo noch. Die Gegner des Prinzen haben nichtsdeſtoweniger aus dieſer Vorliebe für Moreau den Schluß ziehen wollen, daß der Prinz nur ein correcter Pedant und trotz aller ſeiner Correct - heit, oder vielleicht um derſelben willen, nicht im Stande geweſen wäre ein wirkliches Genie zu begreifen.
Die erſten Nachmittagsſtunden gehörten dem Diner. Man aß zur Winterzeit im Schloß, während des Sommers, ſo oft es das Wetter erlaubte, im Freundſchafts-Tempel oder auf der Remus - Inſel. Der Prinz war außerordentlich mäßig, und eine gebackene Speiſe, wie ſie ſein Bruder liebte: Maccaroni, Parmeſankäſe und Knoblauchſaft, hätte ihn getödtet. Wie er die Frauen nicht liebte, ſo auch nicht den Wein, aber er war billig denkend genug, ſeinen Privat-Geſchmack nicht zum allgemeinen Geſetz zu erheben und ſeine Küche, wie ſein Keller, ließen niemanden darben. Die Unterhaltung, wenngleich ſich innerhalb gewiſſer Formen haltend, wie ſie die Ge - genwart eines Prinzen und noch dazu eines ſolchen erheiſchte, war innerlich vollkommen frei. Von Krieg und Kriegführung wurde ſelten geſprochen; es ſchien, wie etwas zum Metier Gehöriges, um eben deshalb verpönt. Er war ſehr eitel, und ſtilvolle Huldi - gungen, auch ſolche, die ihm als ſiegreichen Feldherrn galten, nahm er gern entgegen, aber er ſelbſt war viel zu vornehm, um die Unterhaltung auf ſeine Thaten und Siege hinzulenken. Daß er117 Geſpräche der Art vermieden wünſchte, deutete er ſchon dadurch an, daß Niemand in Dienſtkleidung (Uniform) erſcheinen durfte; Hof - oder Geſellſchaftskleid war Vorſchrift. Die Unterhaltung drehte ſich um Fragen der Kunſt und Wiſſenſchaft, um philoſophiſche Streitfragen und Dinge der Politik. Ueber letztere äußerte er ſich mit großer Freimüthigkeit, mißbilligte den preußiſchen Krieg gegen Frankreich, der endlich zum Basler Frieden führte und zeigte bis zuletzt gewiſſe Sympathien mit der franzöſiſchen Revolution. Ob dieſe Sympathien (ſo bemerkt Heinrich von Bülow) in wirklicher Vor - liebe für freie Staatsverfaſſungen wurzelten, oder nur ein Reſultat der Anſchauung waren, daß alles Franzöſiſche gut ſei, auch eine franzöſiſche Revolution, — mag dahin geſtellt bleiben. In ähnlich offner Weiſe nahm er Parthei für die Polen, und dieſelbe Thei - lung, zu deren Vollziehung er als gehorſamer Diener ſeines Kö - nigs (am Hofe Katharinens) mitwirkte, hielt er trotz alledem eben ſo wenig für ein Meiſterſtück der Politik, wie für eine Handlung der Gerechtigkeit. Mit beſonderer Vorliebe wurden philoſophiſch - religiöſe Sätze beleuchtet und diskutirt, und alle jene wohlbekannten Fragen, auf deren Löſung die Welt ſeitdem verzichtet hat, wurden, unter Aufwand von Geiſt und Gelehrſamkeit, mit Citaten pro und contra immer wieder und wieder durchgekämpft.
Dem Diner folgte, wenn auch nicht täglich, ſo doch ſo oft wie möglich, Theater oder Concert. Ueber die Stücke, die zur Auffüh - rung kamen, habe ich nichts Beſtimmtes erfahren können, aber es ſcheint, daß Voltaire, wie den Kreis der Anſchauungen und Unterhaltungen, ſo auch die Bühne beherrſchte. Auch die Namen der Künſtler ſind bis auf wenige verſchollen: Blainville, der Lieb - ling des Prinzen, Demoiſelle Touſſaint, eine Tochter oder Schweſter des Vorleſers, Demoiſelle Aurore, Demoiſelle Elſener, deren Urne wir in der Rheinsberger Kirche begegneten, ſind die einzigen, die ſich durch das eine oder andere Ereigniß noch im Gedächtniß der Stadt Rheinsberg erhalten haben.
Wir haben bis hierher den Durchſchnittstag des Rheinsberger Hoflebens beſchrieben; was ihn unterbrach, waren Beſuche, die118 kamen, oder Ausflüge, die gemacht wurden, dann und wann, aber ſelten, eine wirkliche Feſtlichkeit.
Zum Beſuch kamen Prinz Ferdinand, Prinzeß Amalie (noch jetzt führen einige Zimmer ihren Namen), vor allem Prinz Louis Ferdinand, der ein beſonderer Liebling ſeines Oheims und die Hoffnung deſſelben war. An dieſe fürſtlichen Beſuche (unter denen auch das Erſcheinen des Großfürſten Paul von Rußland zu nennen iſt), ſchloß ſich der Beſuch derer, die früher als Militair oder Hofleute, in dienſtlichen Beziehungen zum Prinzen geſtanden hatten, Namen, auf die wir weiterhin zurückkommen werden.
Die Ausflüge gingen näher und weiter. Der Winteraufent - halt in Berlin (im Prinz Heinrich’ſchen Palais, der jetzigen Uni - verſität) wurde immer mehr gekürzt, aber die kleinen Reiſen in die Umgegend, die Beſuche bei bewährten Anhängern blieben. Der alte Zieten in Wuſtrau (bis 1786, wo er ſtarb), Prinz Ferdinand in ſeinem Ruppiner Palais (bis 1787, wo es niederbrannte) wurden beſucht, beſonders aber galten dieſe Ausflüge dem Grafen Wreech auf Tamſel und dem Major v. Kaphengſt auf Meſeberg. Auf beide kommen wir ausführlich zu ſprechen.
Der Feſtlichkeiten, an deren ſinnige und glänzende Aus - führung der Prinz in früheren Jahren ſo großen Aufwand von Zeit und Mitteln geſetzt hatte, wurden weniger im Lauf der Jahre, aber ſie fanden wenigſtens bei beſonderen Gelegenheiten ſtatt. Der Jahrestag der Freiberger Schlacht (die er mit Recht als ſein ſtra - tegiſches Meiſterſtück anſah) wurde alljährlich gefeiert und am 6. Mai 1787 gab er, zur Erinnerung an die Schlacht bei Prag, allen Offizieren und Gemeinen des Regiments Itzenplitz, die jenen Siegestag unter ſeiner Führung mit durchgemacht hatten, ein glänzendes Feſt. Er war zu dieſer Feier doppelt berechtigt, einmal durch die That ſelbſt, zu deren Gedächtniß das Feſt gegeben wurde, noch mehr aber dadurch, daß ſich die Neuzeit ein Anſehen gab (der große König war ſeit kaum Jahresfriſt todt), ſolche Tha - ten vergeſſen zu dürfen. Der Prinz kommandirte am Tage der Prager Schlacht bekanntlich den rechten Flügel. Es war das be -119 rühmte Regiment Itzenplitz, das er zum Angriff führte und das ihm feſten Schrittes folgte. Plötzlich ſtutzten die Grenadiere an einem Waſſergraben, weil er zu tief ſchien. Prinz Heinrich warf ſich ſogleich hinein. Die Kleinheit ſeiner Perſon vermehrte die Größe der Aufopferung und ſteigerte die Wirkung. Alles folgte ihm nach und ſchlug den Feind. Offiziere und Gemeine des Regi - ments, die jenen Ruhmestag miterlebt hatten, ſaßen nun dreißig Jahre ſpäter an der Feſtestafel ihres Führers und die begeiſterten Lebehochs, die erſchallten, klangen laut genug, um auch das Ohr des königlichen Neffen zu treffen. Das Feſtmahl war, neben einer pietätsvollen Huldigung gegen die Heimgegangenen, vor allem auch eine Demonſtration gegen Lebende; aber, wie immer auch, dieſe Demonſtration war berechtigt.
Auch eine Demonſtration, aber zu gleicher Zeit ein ſonnigeres, von den Strahlen der Poëſie und der Geſchichte umleuchtetes Feſt, war die Einweihung (am 4. Juli 1791) des oftgenannten Obe - lisken, der ſich, gegenüber dem Rheinsberger Schloß, an der an - dern Seite des See’s, auf leis anſteigendem Terrain erhebt. Die Inſchriften dieſes Monuments gebe ich an anderer Stelle (ſiehe die Anmerkungen); hier nur einiges über die Feſtlichkeit ſelbſt. Es war eine militairiſche Feier, aber zu gleicher Zeit ein Volksfeſt. Aus allen Städten und Dörfern der Grafſchaft war man herbei - gekommen und Tauſende umſtanden entweder den weiten Halbkreis des See’s, oder waren Augenzeugen, von zahlloſen Böten aus, die auf der ſtillen Waſſerfläche ihren Stand genommen hatten. Das ſchönſte Sommerwetter begünſtigte das Feſt. Um das Denk - mal ſelbſt herum gruppirten ſich hunderte von Offizieren, alte und junge, theils ſolche, die die große Zeit noch mit erlebt hatten, theils nahe Anverwandte derer, deren die Medaillon-Inſchriften des eben enthüllten Obelisken in goldenen Buchſtaben gedachten. Weiter den Hügel hinauf, im Halbkreis den Kreis der Offiziere umſchlie - ßend, ſtanden die Unteroffiziere und Gemeinen der alten Regimen - ter. Der Enthüllungsfeier ſelbſt folgte in den Sälen des Schloſſes ein glänzendes Bankett, bei dem der Prinz eine längere, wohl -120 ausgearbeitete Rede hielt, auch an dieſem Tage in franzöſi - ſcher Sprache. Es ſcheint, daß er der deutſchen Rede geradezu nicht mächtig war. Wunderbares Reſultat einer Erziehung, die in an und für ſich richtigem Streben nur das Deutſche gewollt und alles Franzöſiſche verpönt hatte. Die Rede ſelbſt, die aufbe - wahrt worden iſt und z. B. im vie privée du Prince Henri eine Stelle gefunden hat, ſcheint auf den erſten Blick wenig mehr zu bieten, als wohlſtyliſirte, ziemlich zopfige Phraſen und Betrach - tungen, wie ſie damals üblich waren, aber bei mehr kritiſcher Be - trachtung erkennt man ſofort die politiſche Seite dieſes ſcheinbar blos oratoriſchen Uebungsſtückes. Ich gebe hier nur eine Stelle daraus:
„ Allen Bewohnern der Städte und des Landes, welche in dieſem Kriege die Waffen trugen, gebührt ein gleiches Recht an die Trophäen und Palmen des Sieges. Unter der Leitung ihrer Anführer weihten ſie ihre Arme und ihr Blut ihrem Vaterlande. Sie haben es mit Muth und Kraft aufrecht erhalten und verthei - digt. Unſere Abſicht iſt, der preußiſchen Armee ein Zeugniß unſerer Dankbarkeit darzulegen. Den Eingebungen unſeres Herzens zufolge wollen wir Beweiſe der Hochachtung denjenigen geben, welche wir perſönlich kannten. — Warum aber vermißt man Friedrich unter der Zahl dieſer berühmten Namen? — Die von dieſem Könige ſelbſt aufgeſetzte Geſchichte ſeines Lebens, die Lobſchrif - ten auf ihn nach ſeinem Tode, ließen mir nichts zu ſagen übrig; aber große, in der Dunkelheit geleiſtete Dienſte werden nicht der Vergeſſenheit entzogen: denn die Zeit löſcht alle Eindrücke aus, und der folgenden Generation fehlen die Zeugen der Thaten der vorhergehenden, das Andenken der Begebenheiten ſchwindet, die Namen gehen verloren, und die Geſchichte bleibt nur ein unvollkommener Entwurf, oft zuſammengefügt durch Schmeiche - lei und Trägheit. “
Dies genüge. Man muß dieſe Rede mit demſelben geſchärften Auge leſen, wie die Medaillon-Inſchriften des Monumentes ſelbſt. Auch dieſe Feier, wie ſchon hervorgehoben, war eine Demonſtra -121 tion. Der Held, deſſen Andenken der Obelisk und die Feier galt, war Prinz Auguſt Wilhelm, der Vater des Fürſten, der eben damals den Thron der Hohenzollern einnahm und ſeines alten Oheims, des Rheinsberger Prinzen entrathen zu können glaubte, der wohl Schlachten gewonnen hatte, aber kein Herz hatte — für Frauen und Wein.
Große Feſtlichkeiten ſind dieſer Enthüllungsfeier nicht mehr gefolgt; die Schwere des Alters fing an zu drücken, und Einſam - keit, Stille wurden erſtes, wenn auch nicht ausſchließliches Gebot.
Bis hieher bin ich bemüht geweſen, das Leben, wie es ſich am Rheinsberger Hofe während der letzten zehn oder funfzehn Jahre geſtaltete, in ſeinen allgemeinen Zügen zu ſchildern; ich gehe nun zu einer Beſprechung der einzelnen Perſönlichkeiten über, die, während dieſer Epoche, die einen früher, die andern ſpäter, die nächſte Umgebung des Prinzen bildeten, und hoffe dabei Ge - legenheit zu finden, ein bisher nur in Umriſſen gegebenes Bild durch eine Reihe von Details zu beleben.
Ich beginne mit nochmaliger Aufzählung der Perſönlichkeiten ſelbſt. Es waren: Baron Kniphauſen, Baron Kneſebeck, zwei Barone Wreich (auch Wreech geſchrieben), Capitain v. Tauentzien, Major v. Kaphengſt, Baurath Steinert, Kammerrath Lebeauld, Graf La Roche-Aymon und Graf Roeder. Von letzterem bin ich außer Stande geweſen, irgend etwas in Erfahrung zu bringen.
(Baron Dodo von Kniphauſen) war eine Art Ehren - Kammerherr und gehörte dem Kreiſe mehr als Volontair, wie im Beſitz einer wirklichen Hofcharge an. Mehr noch als die Unabhän - gigkeit ſeiner Stellung, gab ihm ſein ſcharfer Verſtand und ſeine politiſche Bildung ein Anſehen am Rheinsberger Hofe, eine Bil - dung, die bedeutend genug war, um die Aufmerkſamkeit Mira - beau’s zu erregen, der der „ politiſchen Hoffnungen “erwähnt, „ die das Land an den oſtfrieſiſchen Freiherrn knüpfte. “ Was ihn an122 den Hof des Prinzen Heinrich führte, war, neben ſeiner nahen Verwandtſchaft mit den beiden Baron Wreichs, die Gleichgeartet - heit politiſcher Anſchauungen; der Prinz und er waren eins in ihrer Mißſtimmung über das, was in Berlin geſchah, beſonders in ihrer Abneigung gegen den Miniſter Hertzberg, eine Abneigung, die beim Prinzen politiſche, beim Baron Kniphauſen aber, der ein Stiefbruder des Grafen Hertzberg war, perſönliche Gründe und Intereſſen-Motive hatte. Andere geiſtige Berührungspunkte zwiſchen dem Prinzen und dem Freiherrn mochten fehlen. Kniphauſen war ein paſſionirter Landwirth, eine Thätigkeit, ein Beruf, dem, wie ſchon erwähnt, Prinz Heinrich den allerniedrigſten Rang einräumte. Dieſe verſchiedenen Anſichten über den Werth der Landwirthſchaft führten zu einer kleinen Anekdote, die H. v. Bülow in ſeinem mehrerwähnten Buche erzählt. „ Kniphauſen, ſo ſchreibt er, der viel von ſeinen oſtfrieſiſchen Rindern ſprach und ſich vielleicht gelegent - lich von Rheinsberg aus zu ihnen hinſehnen mochte, erhielt, zur Strafe für dieſe beſtändigen Agrikultur-Geſpräche, eine Weſte vom Prinzen geſchenkt, die mit lauter Rindern bedruckt war. Kniphauſen dankte und trug nun die Weſte tagtäglich wie im Triumph, bis der Prinz eine ungnädige Bemerkung machte, ungnädig, weil er fühlte, daß ſich der Stachel der Satyre gegen ihn ſelbſt gekehrt hatte. “
(Baron Kneſebeck), mit ſeinem vollen Namen Carl Franz Paridam Kraft von dem Kneſebeck, war der letzte männliche Sproß aus der Linie Tilſen (bei Salzwedel). Nach ſeinem Tode, der erſt in dieſem Jahrhundert erfolgte, fiel das ſchöne Gut an die Carwe’ſche Linie und der ſpätere Feldmarſchall v. d. Kneſebeck (deſſen ich in dem Aufſatz „ Carwe “ausführlicher gedacht habe) wurde Beſitzer des alten Familienguts. Baron Kneſebeck blieb Kammerherr am Rheinsberger Hofe bis zum Ableben des Prinzen und wird im Teſtament deſſelben mit folgenden Worten erwähnt: „ Dem Baron v. Mylendonk-Kneſebeck, der mir als Page und ſpäter als Offizier in meinem Regimente gedient, auch ſpäter noch, nachdem er den Abſchied genommen, mit unwandelbarer Treue zu123 meiner Perſon geſtanden hat, vermache ich eine Doſe von Lapis Lazuli. Sie trägt einen Carneol in der Mitte und iſt oben und unten mit Diamanten beſetzt. “ Einzelheiten aus ſeinem Rheinsberger Leben habe ich nicht erfahren können.
(Die beiden Wreichs.) Baron Friedrich von Wreich, der ältere Bruder, war Hofmarſchall am Rheinsberger Hofe, Baron Ludwig war Kammerherr. Beide, auf dem reizenden Tamſel bei Küſtrin geboren, waren die älteſten Söhne jener ſchönen Frau v. Wreich („ un teint de lis et de rose “), die den Kronprinzen Friedrich, während ſeines Küſtriner Aufenthalts, mit einer leiden - ſchaftlichen Zuneigung erfüllt hatte. Baron Friedrich, wegen ſeiner Länge „ der große Wreech “geheißen, ſtarb zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, und Tamſel, in deſſen Beſitz er ſich ſeit 1746 befunden hatte, ging an Baron Ludwig, den jüngeren Bruder über. Dieſer, ſeit 1786 in den Grafenſtand er - hoben, war einer der treuſten Anhänger des Prinzen und lebte mehr in Rheinsberg und Berlin, als auf ſeinem ererbten Gut. Der Sommer 1787 jedoch ſah ihn monatelang in Tamſel, um Schloß und Park für den zugeſagten Beſuch des Prinzen Heinrich feſtlich herzurichten. Graf Ludwig hatte lange genug in der Nähe des Prinzen gelebt, um dieſem Meiſter im Arrangiren von Feſt - lichkeiten wenigſtens Einiges von ſeiner Inſcenirungs-Kunſt abge - lauſcht zu haben, und als der Prinz im Juli des genannten Jahres nun wirklich erſchien, begrüßten ihn Arrangements, wie er ſelber ſie nicht ſchmeichelhafter und ſtilvoller hätte herſtellen können. Statuen und Inſchriften, wohin er blickte, Vergleiche in Reim und Bild, Erinnerungen an ſeine Siege oder Mahnungen an Perſonen, die ſeinem Herzen theuer geweſen waren. Halbverdeckt unterm Raſengrün ſchimmerte ein weißer Sandſtein zum Andenken an die ſchöne Liſette Tauentzien (erſte Gemahlin Tauentziens v. Wittenberg, eine geborne v. Marſchall) und die eingegrabenen Worte: „ Rose, elle a vécu ce que vivent les roses — l’espace du matin “weckten im Herzen des Prinzen eine ſtille Erinnerung an die zu früh aus dem Rheinsberger Kreiſe Geſchiedene. An124 anderer Stelle boten ſich, neben einander geſtellt, die Büſten des großen Kurfürſten und des Prinzen, dem Auge des letzteren dar und franzöſiſche Verſe zogen Parallelen zwiſchen jenem, der ein Vater flüchtiger Franzoſen wurde, und zwiſchen dieſem, „ der die Herzen aller Franzoſen unter das Geſetz ſeiner geiſtigen Macht und Schönheit zu zwingen wußte; “die Haupt-Ueberraſchung aber brachte der Abend.
Im Rücken von Tamſel, unmittelbar hinter dem Park, liegt eine romantiſche Wald - und Hügel-Parthie, durch die ſich ein Hohlweg, die Straße nach dem benachbarten Zorndorf, zieht. Sei es, daß die Lokalität einige Züge mit dem Terrain, um deſſen Reproducirung es ſich handelte, gemein hat, oder ſei es, daß man einfach nahm, was man hatte, gleichviel, der Hohlweg war auf Anordnung des Grafen Ludwig überbrückt worden, um an dieſer Stelle die Erſtürmung des Paſſes von Gabel, eine der glänzendſten Waffenthaten des Prinzen, noch einmal bildlich zur Darſtellung zu bringen. Im Hohlweg ſtanden die Tamſeler und Cüſtriner, Kopf an Kopf, um Zeuge des prächtigen Schauſpiels zu ſein und Feuerwerk und Leuchtkugeln erhellten die Nacht, als Graf Ludwig, von dem links gelegenen Hügel aus, den Prinzen an den Eingang zur Brücke führte. Unter dem Jubel der Menge überſchritt der Prinz dieſe, an deren entgegengeſetztem Ende ihm drei Johanniter-Ritter (Graf Dönhof, v. Schack und v. Tauentzien) in ihren rothen Ordensmänteln entgegentraten und auf die Worte hinwieſen:
Alſo etwa:
Die Erinnerung an jenen glänzenden Abend lebt noch bis heute bei den Tamſelern fort; die alte reiche Familie aber (ſie beſaß eine Anzahl Güter in der Umgegend), die dieſe Feſtlichkeit in’s Leben rief, iſt ſeitdem längſt vom Schauplatz abgetreten. 1795 ſtarb Graf Ludwig Wreech und Tamſel ging auf ſeinen Schwager, den Grafen von Dönhoff über. Mit Friedrich Wilhelm v. Wreech, einem Sohn oder Neffen des Grafen Ludwig, iſt ſeitdem das Ge - ſchlecht erloſchen. Ein halbes Jahrhundert lang hatten ſie dem Rheinsberger Hofe treulich gedient und (aus nicht völlig aufge - klärten Gründen) ihre Lebensaufgabe darin geſetzt, den Prinzen Heinrich auf Koſten ſeines Bruders, des Königs — den die Wreechs geradezu haßten — zu verherrlichen.
(Bogislaw v. Tauentzien), der ſpätere Graf Tauentzien von Wittenberg, Sohn des berühmten Vertheidigers von Breslau, gehörte 15 Jahre lang dem Rheinsberger Hofe an. Er war ein ganz beſonderer Liebling des Prinzen, der ſchon 1776 den damals erſt 16jährigen Fähnrich von Tauentzien zu ſeinem Adjutanten ernannte. Bis ganz vor Kurzem noch befand ſich ein trefflicher alter Stich im Rheinsberger Schloß, der die Scene darſtellt, wie der Fähnrich von Tauentzien ſeine erſte Meldung vor dem Prinzen macht. 1778, bei Ausbruch des bairiſchen Erbfolgekrieges, folgte Tauentzien dem Prinzen nach Sachſen und Böhmen und kehrte mit ihm in das Rheinsberger Stillleben zurück, das nur durch die zweimalige Reiſe des Prinzen nach Paris (1784 und 1788) auf längere Zeit unterbrochen wurde. Auf beiden Reiſen begleitete Tauentzien den Prinzen (1784 als Lieutenant, 1788 als Capitain) und gedachte noch in ſpäteren Jahren dieſes Aufenthalts in der franzöſiſchen Hauptſtadt mit Vorliebe und beſonderer Dankbarkeit. Bis 1791, nachdem er ſchon das Jahr vorher zum Major beför - dert worden war, blieb er in Rheinsberg; dann trat er in die Suite des Königs und wurde in den Grafenſtand erhoben. Seine Stellung zum Prinzen wurde dadurch eine ſehr ſchwierige; wie er dieſer Schwierigkeiten Herr wurde, darüber laſſen ſich nur Ver - muthungen äußern. Das Mißverhältniß zwiſchen dem König und126 ſeinem Onkel, dem Prinzen, war offenkundig, und die Frage drängt ſich einem auf, wie ſtellte ſich Tauentzien zu zwei Gegnern, die beide Anſprüche auf ſeine Treue und Dankbarkeit hatten? Wir müſſen annehmen, daß er die Aufgabe glücklich gelöſt habe (ver - band er doch ein glückliches Naturell mit der Klugheitsſchule des Rheinsberger Hofes), der Prinz würde ſonſt nicht, während des letzten Jahrzehnts ſeines Lebens, ſo viele Erinnerungszeichen an Tauentzien um ſich geduldet und werth gehalten haben, darunter ein treffliches Oelportrait, das bis dieſen Tag den Zimmern des Schloſſes verblieben iſt.
(Major von Kaphengſt.) Die Rheinsberger Kirchenglocke trägt auch den Namen „ Major von Kaphengſt “als Inſchrift; von ihm und dem Schauplatz ſeines ſpäteren Lebens werden wir ausführlicher zu ſprechen haben. Chriſtian Ludwig v. Kaphengſt wurde ohngefähr im Jahre 1740 auf ſeinem väterlichen Gute Gülitz in der Priegnitz geboren. Wann er an den Rheinsberger Hof kam, iſt nicht genau feſtzuſtellen; wahrſcheinlich aber lernte ihn der Prinz ſchon während des ſiebenjährigen Krieges kennen (vielleicht als Offizier im Regimente Prinz Heinrich), fand Gefallen an ſeiner Jugend und Schönheit und nahm ihn nach erfolgtem Friedensſchluß mit nach Rheinsberg. Als Adjutant des Prinzen (eine Stellung, zu der ihn ſeine geiſtigen Gaben keineswegs befä - higten) avancirte er zum Capitain, dann zum Major und beherrſchte in gewiſſem Sinne den Hof und den Prinzen ſelbſt, deſſen Gunſt - bezeugungen ihn übermüthig machten. Der König, der in ſeiner Sansſouci-Einſamkeit von allem was vorging, ſehr wohl unter - richtet war, mißbilligte unumwunden die eben damals herrſchenden Verhältniſſe am Hofe ſeines Bruders und beſtimmte dieſen endlich, den Günſtling, der ſo viel Anſtoß gebe, aus ſeiner Nähe zu ent - fernen. Aber auch dieſe Entfernung geſchah noch wieder in den Formen einer Gunſtbezeugung. 1774 überbrachte ein Page des Königs (v. Wülknitz) dem Prinzen Heinrich ein königliches Geſchenk von 10,000 Stück Friedrichsd’or zugleich mit der Ordre, „ daß er nunmehr den Major v. Kaphengſt entlaſſen möge, “eine mündliche127 Ordre, deren Wortlaut ſich hier der Möglichkeit der Mittheilung entzieht. Der Prinz, der, bei aller Zuneigung zu ſeinem Günſtling, doch andererſeits genugſam unter der Ungebildetheit und Eitelkeit deſſelben gelitten haben mochte, gehorchte um ſo lieber, als die freundſchaftliche Entfernung Kaphengſts, die nun erfolgte, dem be - ſtehenden Verhältniß das Drückende unausgeſetzten Verkehrs nahm, ohne doch das Verhältniß ſelbſt völlig zu löſen. Der Prinz fügte den 10,000 Stück Friedrichsd’ors ſeines Bruders aus eignen Mit - teln noch ohngefähr dieſelbe Summe hinzu und kaufte dafür, alſo unter Anzahlung von circa 100,000 Thalern, einen drei Meilen von Rheinsberg gelegenen Güter-Complex (die Rittergüter Meſeberg, Baumgarten, Schönermark und Rauſchendorff), deren Kaufcontract er bald darauf dem Major v. Kaphengſt als ein Geſchenk überreichte.
Kaphengſt überſiedelte nunmehr nach dem am Huvenow-See gelegenen Schloß zu Meſeberg, aber dieſe Entfernung vom Rheins - berger Hofe ging, wie ſchon angedeutet, keineswegs mit einer Ent - fremdung Hand in Hand, und Beſuche hüben und drüben unter - hielten das gute Einvernehmen, das aus den Trennungen eher Reiz und Nahrung empfing, als allmählich zur Erkaltung führte. Aller klar zu Tage liegenden Schwächen und Schattenſeiten des Günſtlings ungeachtet, mußte ein Etwas um und an ihm ſein, das den alternden Prinzen, wenn nicht ſympathiſch berührte, ſo doch mit einem gewiſſen Wohlgefallen erfüllte. Vielleicht war es das Derbe, um nicht zu ſagen das Rohe und Gemeine, das ſo oft um der ihm innewohnenden Natürlichkeit willen, ein Inter - eſſe, einen Reiz bei denen weckt, denen Beruf und ſonſtige Neigung die Richtung auf das geiſtig Verfeinerte geben. Es iſt der Zauber des Contraſtes oder ein Sichſchadloshalten für empfundenen Zwang.
Nur ſo vermögen wir uns die Fortdauer des Verhältniſſes zwiſchen Prinz und Günſtling zu erklären; denn, wenn die Eitel - keit und Habſucht des letztern ſchon am Rheinsberger Hofe ihre Proben abgelegt hatten, ſo verſchwand das alles, die ganze Wüſt - heit ſeines früheren Lebens, gegen das, was nun in Schloß128 Meſeberg vor ſich ging. Debaucherieen aller Art löſten ſich unter - einander ab und die unſinnigſte Verſchwendungsſucht (an der der Prinz ernſthaft Anſtoß nahm, denn er war ſparſam) griff Platz.
Schloß Meſeberg war ein koſtbarer Beſitz an und für ſich, aber in den Augen des verblendeten Günſtlings nicht koſtbar genug.
Graf Wartensleben, der durch ſeine Frau, eine Erbtochter der dort früher angeſeſſenen Groebens, im Beſitz Meſebergs und der andern obengenannten Güter gekommen war, hatte 1738 und 1739 an der Südſpitze des Huvenow-See’s ein Schloß aufgeführt. Wie ein Zauberſchloß liegt es jetzt noch da. Der Reiſende, der hier des Weges kommt und über das Sandplateau hinfährt, deſſen weitgeſpannte Fläche nur hier und da durch einen Kirch - thurm oder ein Birkengehölz unterbrochen wird, hat keine Ahnung von der verſchwiegenen Thalſchlucht, mit Wald und See und Schloß, die neben ihm liegt. Dieſer tiefgelegene Waldſee, der Huvenow-See geheißen, iſt einer jener vielen Seen, die ſich, alle ähnlich und doch alle verſchieden, wohl 20 oder 30 an der Zahl, zwiſchen dem Ruppin’ſchen und dem Mecklenburgiſchen hinziehen und die vor allem dazu beitragen, dieſem Landſtrich ſeine Schön - heit und ſeinen Charakter zu geben. Unbedingte Stille herrſcht, die Bäume, die das Ufer dicht einfaſſen, ſtehen windgeſchützt und rau - ſchen leiſer als anderswo; die Glocken der feldeinwärts oder hoch auf dem Plateau weidenden Heerden dringen mit ihrem Klange nicht hinab in dieſe Einſamkeit, und nichts vernehmen wir, als den Schnitt der Senſe, die neben uns das Gras mäht, oder den kurzen Ruck, das leiſe Geräuſch, mit dem der Angler die Angel - ſchnur aus dem Waſſer zieht. An ſo romantiſcher Stelle war es, wo Graf Wartensleben ſein Schloß aufführte. Er that es, wie die Sage geht, um in der Wilhelmsſtraße zu Berlin nicht ein Gleiches thun zu müſſen, denn ein Königlicher Befehl war eben damals erſchienen, der es jedem Edelmann von Rang und Ver - mögen zur Pflicht machte, in der Wilhelmsſtraße ein Palais zu bauen, falls er nicht nachweiſen könne, auf ſeinen eigenen ländlichen Beſitzungen mit Aufführung eines ſtattlichen Schloſſes beſchäftigt129 zu ſein. So entſtand alſo das Wartenslebenſche Schloß in Meſe - berg, damit ein Wartenslebenſches Palais in Berlin nicht zu entſtehen brauchte, und die Pracht, mit der jenes Schloß am Huvenow-See emporwuchs, übertraf bei Weitem das gleichzeitig in Umbau begriffene Rheinsberger Schloß. Die Sandſteinſäulen, die die Façade bildeten, wurden aus den ſächſiſchen Steinbrüchen, die Marmor-Kamine aus Schleſien herbeigeſchafft; breite mächtige Steintreppen ſtiegen bis in die obern Stockwerke auf, eichne Paneele umliefen die Zimmer, während andre boiſirt waren bis an den Plafond. Koſtbare Blumenſtücke, wahrſcheinlich von der Hand Dubuiſſons und bis dieſen Augenblick noch in voller Schönheit erhalten, füllten die Felder zwiſchen Decke und Thür, und eine lateiniſche Inſchrift in einem der Kellergewölbe erzählt getreulich von Müntherus, dem Baumeiſter, auf deſſen Anordnung hier Eichen und Buchen zahllos in den See geworfen und die jetzigen Parkanlagen, die in Terraſſen zum See hinabſteigen, in’s Leben gerufen wurden. Der Bau überſtieg den Reichthum des reichen Grafen, er verbaute ſich, der Bau hatte ihm eine Tonne Goldes gekoſtet. *)Die alte, äußerlich ſehr unſcheinbare Kirche zu Meſeberg iſt in ihrer Art nicht minder intereſſant als das Schloß. Grabſteine der Groe - bens liegen vorm Altar und Denkmäler der verſchiedenſten Art, aber alle der oben genannten Familie zugehörig, zieren die Wände hinter und neben dem Altar. Rechts hängt ein großes, auch um ſeines künſtleriſchen Gehaltes willen ſehr bemerkenswerthes Familienbild aus dem Jahre 1588, von dem ich vermuthen möchte, daß es von einem Schüler des Lucas Cranach herrührt, wenigſtens erinnert vieles an dieſen Meiſter. Das Bild iſt ſehr groß, etwa 12 bis 14 Fuß lang und 10 Fuß hoch und ſtellt Ludwig v. d. Groeben und ſeine Gemahlin (eine geb. Anna v. Oppen) ſammt ihren 17 Kindern dar, 13 Knaben links und 4 Mädchen rechts. Einige Köpfe ſind höchſt anſprechend. Eltern und Kinder knieen in einer Art Kirchenhalle und über ihnen, wie Schildereien, die in dieſer Halle aufgehängt ſind, befinden ſich die Darſtellungen des Sündenfalls und der Auferſtehung. (Ein noch größeres Bild der Art beſitzen die Rohrs zu Meyenburg in der Priegnitz, auf dem ein Graf Ravensberg, der Stamm - vater der Rohrs, dem Kaiſer 30 Söhne vorſtellt. ) — In einem Anbau der
9130So war das Schloß, das der Günſtling des Prinzen 35 Jahre ſpäter (1774) bezog. Aber weit entfernt, an dieſer Pracht ein Genüge und mehr denn das zu finden, begann jetzt ein Leben, das ſich vorgeſetzt zu haben ſchien, hinter dem Reichsgrafen nicht zurückzubleiben und abermals eine Tonne Goldes auszugeben. Neubauten aller Art entſtanden, aber Bauten, die zunächſt nicht ihren Stolz darin ſetzten, das Vorhandene durch Treibhäuſer und Orangerieen auszuſchmücken, ſondern Bauten, wie ſie dem roheren Geſchmack und Bedürfniß des Günſtlings entſprachen. Ein voll - ſtändiger Marſtall wurde eingerichtet, zwanzig Luxuspferde (laut noch vorhandener Pfandbriefstaxe) wurden gehalten und auf den Atlaskiſſen der Stühle und Sophas ſtreckten ſich die Wind - ſpiele, während eine Meute von Jagdhunden um die Mittagszeit ihr Geheul über den Hof ſchickte. Jagd, Spiel, Streit und Aven - türen füllten die Zeit aus, die kaum noch in Tag und Nacht zer - fiel, und mit untergelegten Pferden ging es in fünf Stunden nach Berlin, wohin ihn Theater und große Oper zogen, weniger die Oper als der Tanz und weniger der Tanz als Demoiſelle Meroni, die Tänzerin.
Der Prinz hatte wohl Kunde von dem Allen, und wenn er ſonſt nicht Urſache gehabt hätte den Kopf zu ſchütteln, ſo gab ihm das Eine doch Grund vollauf, daß an ſeinen Säckel und ſeine Großmuth in ſich endlos wiederholenden Geldverlegenheiten appellirt wurde. Er mochte hoffen, durch eine Verheirathung ſeines einſtigen Lieblings die Dinge zum Beſſern hin ändern zu können, und da dieſer auf den Plan willfährig und ohne Weiteres einging (ſchon um durch Nachgiebigkeit einen Anſpruch auf neue Forderungen zu gewinnen), ſo kam im Jahre 1789, zu beſonderer Freude des Prinzen, eine Vermählung zwiſchen dem Major v. Kaphengſt und*)Meſeberger Kirche befindet ſich das Grabgewölbe des oben genannten Grafen Hermann v. Wartensleben. Er, ſeine Frau und zwei Kinder ſind darin beigeſetzt. Er war Oberſt über ein Regiment zu Pferde und ſtarb 1764 oder 65. Seine Erben beſaßen das Gut bis 1774.131 Demoiſelle Touſſaint zu Stande. Maria Louiſe Thereſe Touſſaint war die Tochter des mehrgenannten Lecteurs und Bibliothekars des Prinzen und hatte als Schauſpielerin bei den Aufführungen auf der Rheinsberger Bühne, wie auch ſonſt wohl, ſich die Gunſt des Prinzen in hohem Grade zu erringen gewußt. Etwa um 1780 oder wenig ſpäter hatte ſie ſich mit einem Herrn v. Bilguer vermählt; ſeitdem Wittwe geworden, war ihre Hand wieder frei, und als Frau v. Kaphengſt zog ſie nun ein in das ſchöne Schloß am Huvenow-See.
Die Erwartungen beſſerer Wirthſchaft, die der Prinz an dieſe Parthie geknüpft hatte, erwieſen ſich als eitel und irrig, aber um - gekehrt gingen, theilweis wenigſtens und bis zu einem gewiſſen Zeitpunkt, die Hoffnungen in Erfüllung, die Kaphengſt an dieſe ſeine Vermählung mit der ehemaligen Favorit-Schauſpielerin ge - knüpft hatte. Eine neue Handhabe war gewonnen, um ſich der Gunſt des Prinzen zu verſichern. Der jagd - und ſpiel - liebende, ſtreit - und händelſüchtige Kaphengſt war dem Prinzen, deſſen Schatulle ſchwer unter den Debauchen ſeines ehemaligen Lieblings zu leiden gehabt hatte, ſchließlich unbequem geworden. Der neue Kaphengſt, der jetzt, wo die gefeierte Touſſaint an der Spitze ſeines Haushalts ſtand, klug genug war, die Muſen nach ſeinem Schloß hin zu Gaſt zu laden, erſchien dem Prinzen, zu - nächſt wenigſtens, in einem veränderten Licht. Die Säle und Zimmer rechts neben der großen Halle des Schloſſes wurden zu einer Bühne eingerichtet; Kaphengſt ſelbſt, muthmaßlich voll Hohn im Herzen über die Rolle, die ihm zufiel, fungirte als Directeur du théâtre, und unter dem Vollklang der Alexandriner vergaß der Prinz, wie hohen Eintrittspreis er für dieſe Aufführungen zu zahlen hatte, für ein Spiel, das eben ein Spiel war in jedem Sinne. Noch jetzt erkennt man im Meſeberger Schloß den ehemaligen Bühnenraum; und die kleinen Garderobezimmerchen, in denen da - mals die Schminktöpfchen und die frivolen Bemerkungen zu Haus waren, laſſen ſich bis dieſen Tag, freilich in eben ſo viele Wand -9*132ſchränke umgewandelt, in dem zu hinterſt gelegenen Zimmer des Erdgeſchoſſes erkennen.
Auch für Abwechslung wußte der kluge Hausherr zu ſorgen, klug, ſeitdem die Franzöſin die Honneurs des Hauſes machte und die Angelegenheiten leitete. Der Prinz, nach längerer Abweſenheit im Berliner Palais (länger als ſeit Jahren), kehrte nach Monaten zum erſten Male wieder nach Rheinsberg zurück und traf anderen Tages ſchon als Gaſt in Schloß Meſeberg ein. Er mochte eine neue Aufführung, die Einlage eines neuen Tanzes, eines neuen Muſikſtücks erwartet haben, aber eine andre Huldigung war dies - mal vorbereitet; am Plafond der großen Speiſehalle, die zum Empfang des hohen Gaſtes mit Blumen und Orangerie decorirt war, hatte die raſchfertige, aber immerhin geniale Hand Bernhard Rode’s ein großes Deckengemälde ausgeführt, das, im Geſchmack jener Zeit, die Apotheoſe des Prinzen Heinrich darſtellte. Zur Rechten der übliche Ruhmestempel, dem das Bild des Prinzen von Genieen entgegengetragen wird; daneben der bekannte Götter - apparat: Minerva, zu deren Füßen das Schwert ruht, und an einem der Opferaltäre die Inſchrift: „ vota grati animi, “alſo etwa: „ empfange dies als die Darbringung eines dankbaren Her - zens. “ Der Prinz, deſſen Eitelkeit leicht zu fangen war, ſo bald die Schmeichelei nicht platt-proſaiſch, ſondern wohl ſtyliſirt und im Gewande der Kunſt an ihn herantrat, war auf’s höchſte über - raſcht und erwies ſich wieder, auf Monate hin, als der Hülfe - bereite, von deſſen Gunſt und Gnade Gewinn zu ziehn, doch der eigentliche Zweck aller dieſer Huldigungen geweſen war. (Es ent - ging an jenem Tage dem Auge des Prinzen, was auch dem Auge Kaphengſts entgangen war, daß Rode, ſei es aus Zufall oder aus Malice, die Inſchrift: „ vota grati animi “nicht ausgeſchrieben, ſondern die letzte Silbe fortgelaſſen hatte. Kaphengſt, ſpäter darauf aufmerkſam gemacht, ließ auch noch das i übermalen, ſo daß die Inſchrift jetzt lautet: vota grati an. In der Umgegend lachte alle Welt darüber und nannte ihn Gratian oder Gratianus.)
Die Gunſt des Prinzen, oft erſchüttert und immer wieder133 befeſtigt, dauerte bis 1798; um dieſe Zeit ſcheint er ſie dem Günſt - ling entzogen zu haben, wenigſtens müſſen wir es daraus ſchließen, daß ſich Kaphengſt zur Deckung ſeiner immer wachſenden Schulden - laſt genöthigt ſah, zwei ſeiner Güter, Schönermark und Rauſchen - dorf, zu verkaufen. Das Volk erzählte ſich und erzählt ſich noch, er habe beide in einer Nacht verſpielt. Die beiden andern, Meſe - berg und Baumgarten, blieben ihm, wiewohl tief verſchuldet, bis zu ſeinem Tode, der im Januar oder Februar 1800 im Schloß zu Meſeberg erfolgte. Seine Frau überlebte ihn um viele Jahre und ſtarb erſt im zweiten Viertel dieſes Jahrhunderts.
In der Kirche zu Meſeberg, wo die Grabſteine der Groebens vor dem Altar liegen und von der Wand herab, in Frommen und Treue die Bildniſſe Ludwigs v. d. Groeben und ſeiner 17 Kinder blicken, iſt nicht Stein, nicht Inſchrift, die an den wilden Jäger erinnerten, der hier 26 Jahre lang das Land durch - tobte; ſeine Wittwe, in richtigem Takte, mochte fühlen, daß das Marmorbild eines Mannes, dem alles Heilige ein Spott geweſen war, nicht in die Kirche gehöre. In einer Ecke, mit einem Fetzen Flor umwickelt, der verblaßt und ſtaubig wie ein Stück Spinnweb ausſieht, hängt der Galanterie-Degen des Galans und Günſtlings, daneben ein roſtiges Sporenpaar. Die Kinder im Dorf aber, wenn der Herbſt kommt und der Wind das abgefallene Laub auffegt, fahren zuſammen und murmeln „ Kaphengſt kommt. “
(Graf La Roche-Aymon und Koepernitz.) Es wurde immer ſtiller in Rheinsberg. Von 1796 ab ſcheint der Kreis nur aus 4 Perſonen beſtanden zu haben: aus dem Hofmarſchall (oder Kammerherrn) Grafen Roeder, aus dem Adjutanten Graf La Roche - Aymon, aus dem Kammerrath Lebeauld und aus dem Baurath Steinert. Die beiden Wreech waren todt; Tauentzien, von Stufe zu Stufe ſteigend, dem Kreiſe entwachſen; Kneſebeck lebte noch, that aber keinen Dienſt mehr; Kaphengſt jagte und ſpielte in ſei - nem Schloß am Huvenow-See, und grollte, daß der Gunſt des Prinzen der goldne Boden ausgeſchlagen war.
134Kein Wunder, daß der alternde Prinz (er war 70 geworden) von der Einſamkeit und Stille, die ihm Bedürfniß war, zu Zeiten mehr hatte, als ihm lieb ſein mochte, und unter dem Druck einer gewiſſen Vereinſamung ſein Beſtreben dahin richtete, ſich die weni - gen Treuen, die ihm geblieben waren, für den Reſt ſeiner Tage zu erhalten. Er that dies ſeit Jahren durch Gunſtbezeugungen aller Art. Es ſchien, er wollte nicht unter Fremden ſterben.
Baurath Steinert war ein Gegenſtand ſeines beſondern Ver - trauens. Noch wenige Tage vor ſeinem (des Prinzen) Tode, als ſie die Pyramide beſuchten, in der er beigeſetzt zu werden wünſchte, ſagte er lächelnd zu dem vielbewährten Diener: „ ſtellt mich ſo, Steinert, daß ich nach dem Schloß hinüber blicke und ſagt es den Leuten, daß ich ſo ſtehe, das wird manchen in heilſamer Furcht halten. “
Lebeauld, — Le Bauldt de Nans, wie er in andern Büchern genannt und geſchrieben wird — war Secretair des Prinzen; führte aber zugleich den Titel eines Conseiller des chambres. Zur Belohnung für langjährige Dienſte, aber zugleich auch in dem Streben, den Beſchenkten dadurch feſter an ſeine Perſon zu feſſeln, ſchenkte ihm der Prinz zwei der zum Amte Rheinsberg gehörigen Erbzinsgüter: Schlaborn und Warenthin, die noch ge - raume Zeit hindurch im Beſitz derſelben Familie waren. Seit 1850 ſind ſie zurückgekauft und wieder königlicher Beſitz.
Steinert und Lebeauld waren bewährte Diener des Prinzen, aber doch nichts weiter; der Graf La Roche-Aymon war der Freund ſeiner letzten Jahre. Bei der Geſchichte dieſes Mannes, „ die den Roman auf ſeinem eignen Felde ſchlägt, “werden wir zum Schluß noch einige Zeit zu verweilen haben.
Antoine Charles Etienne Paul Graf La Roche-Aymon war 1775 geboren. 1792, ſiebzehn Jahr alt, verließ er mit andern Emigré’s ſein Vaterland und trat als Volontair in das Condé’ſche Corps, nach einer andern Verſion (die ſich auf Mittheilung von Perſonen ſtützt, die den Grafen perſönlich gekannt haben) in die neapolitaniſche Armee. Gleichviel, 1794 erſchien ein junger135 Offizier, ſchlank, ſchön, von dunkelſtem Colorit und ſechs Fuß groß, aber in bedürftigſter Garderobe, in Rheinsberg und gab bei „ Demoiſelle Aurore “, jener ſchon genannten Schauſpielerin des prinzlichen Hoftheaters, einen Empfehlungsbrief ab. Der Brief ent - hielt die Aufforderung, den Ueberbringer, den Grafen La Roche - Aymon bei günſtiger Gelegenheit in die Nähe des Prinzen zu bringen. Demoiſelle Aurore war eine echte Franzöſin, lebhaft, gut - herzig, dabei Royaliſtin und zu Abenteuern geneigt; ſie beſtritt eine paſſende Equipirung aus eignen Mitteln, und vor Ablauf einer Woche war der Graf in des Prinzen Dienſt. Er bezog Wohnung im Kavalierhaus und übernahm den Befehl über die 40 Leibhuſaren, die, als eine ſpecielle Prinz-Heinrich’ſche Truppe, zu Rheinsberg in Garniſon lagen; kurze Zeit darauf wurde er Adjutant des Prinzen. Schön, gewandt, liebenswürdig, ein Kava - lier im beſten Sinne des Worts, trat er alsbald in eine Vertrauens - ſtellung, in ein gewiſſes Herzensverhältniß zum Prinzen, wie es dieſer, ſeit Tauentzien, nicht mehr gekannt hatte. Der Graf erſchien ihm wie ein Geſchenk des Himmels; der Abend des Lebens war da, aber die Sonne vor ihrem Scheiden gönnte ihm noch einmal einen Strahl ihres belebenden Lichts. Graf La Roche-Aymon war der letzte Adjutant des Prinzen. Seine Adjutanten, ſo weit ich es habe in Erfahrung bringen können, waren ſeit Beginn des ſiebenjährigen Krieges folgende: Graf Henkel (1757 und 1758); Graf Kalkreuth in der zweiten Hälfte des Krieges; nach dem Kriege: Kaphengſt, Tauentzien, La Roche-Aymon.
Nach dem Basler Frieden, der zugleich auch eine Art Ver - ſöhnung zwiſchen dem Prinzen Heinrich und ſeinem Neffen, dem König (Friedrich Wilhelm II. ) herbeigeführt hatte, erſchien der Prinz wieder in Berlin, wenn auch ohne Freudigkeit und auf kürzere Zeit nur. Bei einer der ſtatthabenden Feſtlichkeiten war es, wo der Graf La Roche-Aymon, der nunmehrige Adjutant des Prinzen, ein Fräulein v. Zeuner kennen lernte und von ihrer blendenden Schönheit hingeriſſen wurde. Er war ſeinerſeits völlig dazu angethan, nicht blos bezaubert zu werden, ſondern ſelbſt zu136 bezaubern, und als der Prinz bei beginnendem Frühling nach Rheinsberg zurückkehrte, folgten ihm Graf und Gräfin La Roche - Aymon als eben vermähltes Paar.
Caroline Amalie v. Zeuner war die Tochter eines Herrn v. Zeuner (ſeit 1786 Hofmarſchall und Kammerherr der Königin - Mutter) aus ſeiner Ehe mit einer Gräfin v. Neale. Fräulein v. Zeuner ſelbſt war Hofdame bei der Prinzeſſin Wilhelmine, als der Graf La Roche-Aymon ſie kennen lernte. Sie war von mittlerer Figur, voll, vom weißeſten Teint, und beſaß, als beſondere Schönheit, eine ſolche Fülle blonden Haares, daß es, wenn aufgelöſt, bis zu ihren Knieen herabfiel und ſie wie ein goldener Mantel überdeckte. Niemand kannte dieſe Schönheit beſſer als ſie ſelbſt, und noch in ſpäteren Jahren wußte ſie es ſtets ſo einzurichten, daß etwa ein - treffender Beſuch ſie im Negligée überraſchen und das Haar bewun - dern mußte, deſſen Fülle die Kammerjungfer kaum zu bemeiſtern vermochte.
Wenn die Gegenwart des Grafen ſchon vorher ein Lichtblick an dem vereinſamten Hofe des Prinzen geweſen war, ſo war es jetzt, wo die Gräfin, wie „ Prinzeſſin Goldhaar “im Märchen, mit ihm zurückkehrte, als ſollten die Tage alter Rheinsberger Herrlich - keit noch einmal anbrechen. An Stelle einer halb wüſten, halb pedantiſchen Alt-Junggeſellenwirthſchaft erſchienen wieder die hei - teren Grazien, die auf die Dauer nur da zu Hauſe ſind, wo jene Anregungen und jener ſüße Zwang ſich einſtellen, die un - zertrennlich ſind von der Erſcheinung ſchöner Frauen. Seit den Tagen Liſette Tauentziens hatte der Rheinsberger Hof dieſe An - regung und dieſen Zwang nicht mehr gekannt.
Der Freundſchaftstempel mit ſeinen Inſchriften, die die Liebe für eine Thorheit erklären, erſchien nun ſelber wieder wie eine große Thorheit, und man ſpeiſte wieder mit Vorliebe auf der Remus-Inſel, heitern, jubelnden Angedenkens aus jenen Tagen Friedrich’s her, als dieſer noch der „ Constant “des Bayard - Ordens und nicht der Philoſoph von Sansſouci war. Die Gräfin mit dem blonden Haar machte die Honneurs des Hauſes; ſie war137 Gaſt und Wirthin zugleich und der Prinz hing nicht nur an den graziöſen Bewegungen der ſchönen Frau, er freute ſich ihrer Ge - genwart überhaupt und bewunderte alles an ihr — ihre Augen, ihren Witz und ſelbſt — ihre Kochkunſt.
Ein Abenteuer trat endlich ſtörend dazwiſchen und warf einen Schatten über dies heitere Stillleben, das dem Prinzen theurer ge - worden war, als er ſich ſelbſt geſtehen mochte. Prinz Louis Fer - dinand traf eben damals öfters zum Beſuch in Schloß Rheinsberg ein, um ſeinem Oheim (den er beerben ſollte) ſeinen Reſpekt zu bezeugen. Im Sommer 1800 kam er häufiger denn zuvor, kam und ging, ohne daß Wünſche und Geſuche laut geworden wären, die er ſonſt wohl vertraulich gegen den nachſichtigen Oheim zu äußern pflegte. Ein Geplauder im Park, eine Fahrt über den See, ein Gaſtmahl auf der Remus-Inſel, während das Schilf leiſe im Nachmittagswinde rauſchte, ſchien alles, worauf der Sinn des Prinzen gerichtet war. Die Gräfin ſaß neben ihm bei Tiſch und trug einen Kranz von Teichroſen im Haar, den ihr der Prinz unter Lachen geflochten hatte; ſie ſah aus wie eine Waſſernixe. So kam der Abend; lautlos glitten die Kähne über den See zu - rück, nur Flüſtern und Lachen und dann und wann ein franzö - ſiſches Lied unterbrach die Stille. Der Prinz und die Gräfin fuhren im ſelben Kahn; wir wiſſen nicht, was heimlich verſprochen wurde und was nicht, nur das Bild wollen wir zu malen ſuchen, das die nächſten Stunden brachten. Vor dem Fenſter der Gräfin liegt ein Raſenſtück, halb beſchattet vom Blätterdach einer Platane, halb frei und offen im weißen Schein des Vollmonds. Aus dem Schatten heraus tritt der Graf, die Hand an den Degen gelegt; vor ihm, auf dem erhellten Raſenſtück ſteht der Prinz; typiſche Geſtalten aus Nord und Süd, ſo meſſen ſie ſich einander, beide gleich ſchlank, gleich groß, aber der eine blond, der andere von dunklem Teint und mit leuchtenden Augen. Am offnen Fenſter ſteht die Gräfin; das herabwallende Haar ſchimmert in allen Farben und auf die ausgeſtreckten, bittenden Arme fällt das Mondlicht. Die Degen138 fuhren in die Scheide zurück. Man trennte ſich mit einem „ bis auf morgen. “
Der andere Tag ſollte einen Zweikampf bringen, aber der alte Prinz legte ſich in’s Mittel und die Sache unterblieb. Der Vorfall wurde nicht weiter berührt, aber man mühte ſich umſonſt ihn zu vergeſſen. Die Gräfin war das weiße Licht geweſen, deſſen klarer, ſprühender Helle ſich jeder gefreut hatte; nun hatte das Licht ſeinen Dieb gehabt und eine leiſe Mißſtimmung griff Platz. Der Rheinsberger Hof hatte nie als ein Tugendhof geglänzt, aber jeder ſah ſich ungern des Ideales beraubt, an das er geglaubt hatte. Alles blieb, wie es geweſen war und war doch anders. Die Gräfin war der Mittelpunkt des Kreiſes nach wie vor, aber mehr äußer - lich, und die Blicke, die ſich auf ſie richteten, ſahen ſie mit ver - ändertem Ausdruck an. Die letzten poëtiſchen Momente des Prinz - Heinrich Hofes waren hin.
Nur in den Beziehungen zwiſchen dem Prinzen und ſeinem Adjutanten änderte ſich nichts. Die kritiſch-militairiſchen Arbeiten des Grafen weckten mehr noch als früher das lebhafteſte Intereſſe des Prinzen, der ſich vielfach und in ſehr eingehender Weiſe daran betheiligte. Dies Freundſchafts-Verhältniß dauerte ununterbrochen fort, bis zum Tode des Prinzen, der noch wenige Monate vor ſeinem Tode, in ſeinen Dernières Dispositions, die Worte nieder - ſchrieb: „ Ich bezeuge hierdurch zugleich dem Grafen La Roche - Aymon meinen lebhaften Dank für die zarte Anhänglichkeit (ten - dre attachement), die er mir während all der Zeit erwieſen hat, die ich ſo glücklich war, ihn in meiner Nähe zu haben, “ſo wie denn auch anderweitig aus beinah jedem Paragraphen dieſer Der - nières Dispositions hervorgeht, daß der Graf die eigentlichſte Vertrauensperſon des Prinzen war, derjenige, der ſeinem Herzen am nächſten ſtand. Der Prinz hatte darin ſehr richtig gewählt. Der Graf vereinigte nach dem Zeugniß aller derer, die ihn gekannt haben, drei ritterliche Tugenden in ausgezeichnetem Maße: Muth, Dienſttreue und kindliche Gutherzigkeit.
Am 3. Auguſt 1802 ſtarb der Prinz; ſie trugen ihn in die139 Grabpyramide, die er ſich erbaut hatte, und fügten die Steinplatte ein mit jener mehrerwähnten Inſchrift: „ Jetté, par sa nais - sance, dans ce tourbillon de vaine fumée, “deren Wortlaut ich in den Anmerkungen gebe.
In demſelben Jahre (1802) gelangten Graf und Gräfin La Roche-Aymon in den Beſitz des Gutes Koepernitz, das eines der ſechs Erbzinsgüter war, die zum Amte Rheinsberg gehörten. Ob der Prinz erſt in ſeinem Teſtamente oder umgekehrt ſchon bei Lebzeiten (kurz vor ſeinem Tode) dieſe Schenkung machte, habe ich nicht mit Beſtimmtheit in Erfahrung bringen können. Wahr - ſcheinlich fand ein Scheinkauf ſtatt, mit Hülfe von prinzlichem Gelde, das ſchließlich in die prinzliche Kaſſe zurückfloß.
Koepernitz war nun gräfliches Beſitzthum. Es ſcheint aber nicht, daß das gräfliche Paar auch nur vorübergehend das Gut bezog, vielmehr eilten ſie nach Berlin, um endlich wieder zu ge - nießen, was ſie, trotz aller Anhänglichkeit an den Prinzen, ſo lange entbehrt hatten — das Leben der großen Stadt. Das Gut wurde verpachtet und die Pacht-Erträge ſollten ausreichen zu einem Leben in der Reſidenz. Das junge Paar, das große An - ſprüche erhob, und nicht gewöhnt war, ſich Wünſche zu verſagen, ſah bald, daß es die Rechnung ohne den Wirth gemacht hatte und der Graf, eben ſo bedürftig nach Sold, wie nach Beſchäf - tigung, war doppelt froh, im Jahr 1805 dem Goecking’ſchen (ehemals Zieten’ſchen) Huſaren-Regiment als Major aggregirt zu werden. Als ſolcher machte er die Schlacht bei Jena mit. 1807 wurde er Kommandeur des ſchwarzen Huſaren-Regiments und zeichnete ſich an der Spitze deſſelben durch eine glänzende Attacke bei Preußiſch-Eylau aus. Napoleon, als er nach dem Kommandeur fragte, gerieth in heftigen Zorn, als er einen franzöſiſchen Namen hörte. 1809 wurde der Graf Oberſt und bearbeitete das Exercier - Reglement der Reiterei, wie er denn überhaupt vorzugsweiſe ein glänzender Cavallerie-Führer war. Seine Bücher über dieſen Ge - genſtand ſollen werthvoll und bis dieſen Augenblick kaum über - troffen ſein. 1810 zum Inſpekteur der leichten Truppen ernannt,140 machte er die Feldzüge von 1813 und 1814 auf preußiſcher Seite mit, ward General-Major und kehrte 1814 nach dem Sturz Napoleons wieder nach Frankreich zurück. 1815, während der hundert Tage, folgte er Ludwig XVIII. nach Gent, befehligte 1823 in dem cataloniſchen Heere eine Cavallerie-Brigade und wurde General-Lieutenant. In den Beſitz aller ſeiner früheren Güter wieder eingeſetzt, ward er (wahrſcheinlich erſt unter Louis Philipp) Marquis und Pair von Frankreich. Kurze Zeit vor der Februar-Revolution ſah ihn ein alter Bekannter aus den Rheins - berger Tagen her, in der Pairskammer ſich erheben und das Wort ergreifen; er hatte ihn in 46 Jahren nicht geſehn, ſeit jenem Tage nicht, wo der Marquis (damals Graf) dem Sarge des Prin - zen zur letzten Ruheſtätte gefolgt war. Der Marquis ſtarb im Jahr darauf (1849).
Wir wenden uns zum Schluß der Gräfin zu. Sie war 1815, nach dem völligen Niederwerfen Napoleons ihrem Gatten nach Paris gefolgt und hatte, wiewohl ſchon über 40 hinaus, am Hofe Ludwigs XVIII. Huldigungen entgegen genommen, die, mit Rück - ſicht auf den Ort, wo ſie dargebracht wurden, faſt die Triumphe ihrer Jugend in den Schatten ſtellten. Sie war noch immer eine ſchöne Frau und Teint und Haar von altem Glanz; hatte ſie doch ſtets das Leben leicht genommen, und im Gefühl, für die Freude geboren zu ſein, der anklopfenden Sorge nie geöffnet. Aber wenn ſie auch kein Naturell hatte für den Gram, ſo war ſie doch empfindlich gegen Kränkungen und dieſe blieben nicht aus. Sie war eitel und herrſchſüchtig, und ſo leicht es ihr wurde, die leichte Moral der Hauptſtadt und ihres eignen Hauſes zu tragen, ſo unerträglich war es ihr, die Herrſchaft im Hauſe mit einer Rivalin zu theilen. Das Blatt hatte ſich gewandt und die alte Schuld der Rheinsberger Tage wurde ſpät gebüßt. Die Marquiſe entſchloß ſich, Paris aufzugeben, ein Vorwand wurde gefunden („ der Pächter habe das Gut vernachläſſigt “) und 1826 zog die Marquiſe in das ſchlichte Wohnhaus von Koepernitz ein.
Dort hat ſie noch 33 Jahre gelebt und Alt und Jung weiß141 von ihr zu erzählen. Sie war eine reſolute Frau, klug, umſichtig, thätig, aber rechthaberiſch, die, weil ſie immer herrſchen wollte, zuletzt ſchlecht zu regieren verſtand. Es lag ihr mehr daran, daß ihr Wille, als daß das Richtige geſchah, und die Schmeichler und Ja-ſager hatten leichtes Spiel auf Koſten derer, die es wohl meinten. Sie hatte all die Schwächen alter Leute, die die Triumphe ihrer Jugend nicht vergeſſen können; aber was ihr bis zuletzt die Herzen Vieler zugethan machte, das war, daß ſie trotz aller Schwächen und Unleidlichkeiten im Beſitz einer wirklichen Vornehm - heit war. Sie glaubte an ſich und darauf kommt es an.
Ihre Beziehungen zum Rheinsberger Hofe und zum Prinzen Louis, nicht minder wohl die Huldigungen, die ihr am franzöſi - ſchen Hofe zu Theil geworden waren, gaben ihr vor der Welt noch immer ein Anſehn, und Friedrich Wilhelm IV. kam nie in die Grafſchaft Ruppin, ohne der Marquiſe auf Koepernitz ſeinen Beſuch zu machen. Es traf ſich, daß ſie bei einem dieſer Beſuche, wie zu den Zeiten der Remus-Inſel-Diners durch ihre Kochkunſt wieder glänzen und den König durch eine Trüffel - oder Cervelat - Wurſt (die Hiſtorie giebt hier der Phantaſie des Leſers Spiel - raum) überraſchen konnte. Der König bat ſich davon für ſeine Potsdamer Küche aus und zum Weihnachtsabend kam das könig - liche Gegengeſchenk: ein Collier aus goldenen Würſtchen beſtehend, die Speilerchen von Perlen, dazu ein verbindliches Schreiben mit dem Motto: „ Wurſt wider Wurſt. “ Geſchenk und Gegengeſchenk wiederholten ſich mehrfach, ſo daß ſich zu dem Collier ein Armband, zu dem Armband ein Ohrgehänge geſellte, zuletzt eine Tabatière in Form einer kurzen, gedrungenen Zungenwurſt, die Doſe oben und unten mit Rubinen beſetzt, äußerſt werthvoll. Die Freude war groß, aber es war die letzte der Art. Aus den Zeitungen er - ſah die Marquiſe bald darauf, daß einer der Hofſchlächtermeiſter zu Potsdam, als Gegengeſchenk für eine große Feſt - oder Jubi - läumswurſt (ſogar unter Beifügung deſſelben Motto’s: „ Wurſt wider Wurſt “) mit einer eben ſolchen Tabatière beſchenkt worden142 war und die Sendungen in die Königliche Küche hatten von dem Augenblick an ihr Ende erreicht.
Ihre letzten Lebensjahre brachten ihr noch einen andern inter - eſſanten Beſuch. Ein Neffe des verſtorbenen Marquis hatte dieſen beerbt, und nicht zufrieden mit den franzöſiſchen Gütern, die ihm zugefallen waren, machte er auch bei dem betreffenden Pariſer Gerichts - hofe ein Verfahren anhängig, um ſich das Gut ſeiner alten Tante, das alte Prinz Heinrich’ſche Koepernitz, zu erprozeſſiren. In der erſten Inſtanz erklärten ſelbſt die franzöſiſchen Gerichte ihr „ nein “; in der zweiten und dritten aber wurde das „ nein “in ein „ ja “umgewandelt, denn der Neffe des alten legitimiſtiſchen Marquis, war ein beſon - derer Günſtling Napoleons III. Der Günſtling ſchickte Abge - ſandte, um Koepernitz für ihn in Beſitz zu nehmen, und als ſich das nicht thun laſſen wollte, erſchien er endlich ſelber. Er nahm in Rheinsberg beſcheidentlich einen Einſpänner, umfuhr das ganze Gut, deſſen Lage und Ausdehnung ihm wohlgefiel und fuhr dann vor dem Wohnhauſe der alten Tante vor. Dieſe empfing ihn auf’s artigſte, und mit ganzem Aufwand jenes Ceremoniells, worin ſie Meiſter war; als er aber den eigentlichen Zweck ſeines Kom - mens berührte, lachte ſie ihn ſo herzlich aus, daß er ſich artig, aber nicht ohne Verlegenheit von der alten „ ma tante “verab - ſchiedete. Er wurde nicht wieder geſehn. Dieſer Neffe aber, der im Einſpänner von Rheinsberg nach Koepernitz fuhr, iſt niemand an - ders, als der jetzige Befehlshaber der franzöſiſchen Armee in Rom — General Goyon.
Die Marquiſe war eine ſtolze, ſelbſtbewußte Frau, voll ari - ſtokratiſcher Vorurtheile, aber auch, wie ſchon angedeutet, voll ari - ſtokratiſcher Tugenden. Ich mag nicht ſagen, daß ſie das wahrhaft Adlige repräſentirte, aber doch die Vornehmheit einer nun zu Grabe getragenen Zeit, eine Vornehmheit, die unter Umſtänden von der Geſinnung abſtrahiren konnte und ihr Weſen in eine meiſterhafte Behandlung des Formellen ſetzte. Oft kam es dabei, daß ſich die Form mit dem Weſen der Vornehmheit identificirte. Die Formen der Marquiſe waren von der gewinnendſten Art;143 voller Grazie, nichts Steifes, Langweiliges und innerhalb gewiſſer Grenzlinien, voller Freiheit und ſelbſt voll Originalität. Herrſchen und ein großes Haus machen, waren ihre zwei Leidenſchaften; je mehr Kutſchen im Hofe, deſto wohler wurde ihr ums Herz, und je mehr Lichter im Hauſe brannten, deſto heller ſprühte ihr Geiſt. Dann kamen die alten Zeiten wieder zurück. Sparſam ſonſt und eine Frau, bei der die Rechnungsbücher ſtimmen mußten, erſchrak ſie an ſolchem Tage vor keinem Opfer, ja der Gedanke berührte ſie keinen Augenblick, daß es überhaupt ein Opfer ſei. Nach Sitte der Zeit, in der ſie jung geweſen war, lebte ſie in ihren Zimmern wie in einer Arche Noäh, und vom Kakadu an bis herunter zu Kanarienvogel und Eichhörnchen, fand ſich alles beiſammen. Katzen und Hunde waren natürlich die Lieblinge und durften ſich alles erlauben, ja, eintretender Beſuch pflegte, bevor die Dame vom Hauſe ſelbſt erſchien, in nicht geringe Verlegenheit zu gerathen, wo überhaupt Platz zu nehmen ſei. Aber mit dem Erſcheinen der alten Marquiſe war alles vergeſſen, man ſah die Unordnung nicht mehr und was bis dahin läſtig geweſen war, wurde eigenthümliches und charakteriſtiſches Ornament. Ihre Rede und ihre Handbewe - gungen machten ſie ſofort zum dirigirenden Mittelpunkt und alles klang zu einem heitern Concert zuſammen. Wurden die Tage des Prinzen Heinrich zum Gegenſtand der Unterhaltung, ſo vergingen die Stunden wie im Fluge, ihr ſelbſt und andern.
Ihr Tod war wie ihr Leben; er hatte einen Roccoco-Cha - rakter, wie das Sopha, auf dem ſie ſtarb und wie die Tabatière, die vor ihr ſtand. Ihre Lieblingskatze hatte ſie in die Lippe ge - biſſen, — daran ſtarb ſie, 89 Jahr alt, am 18. Mai 1859.
Mit ihr wurde die letzte Repräſentantin der Prinz-Heinrich-Zeit zu Grabe getragen. Noch leben einzelne, die ſich aus ihren Kinder - jahren her des Prinzen entſinnen, der „ ſehr häßlich war und gar nicht ausſah wie ein Prinz, “aber die Marquiſe La Roche-Aymon war die letzte, die mit auf der Bühne jener Tage thätig und eine bewunderte Zierde derſelben geweſen war.
„ So heute Mittag die Sonne ſcheint, werde ich ausreiten; kom doch am Fenſter, ich wollte dihr gerne ſehn. “
In der Nähe von Boberow-Wald und Huvenow-See liegt noch ein anderer Güter-Complex, der durch den Aufenthalt des Kron - prinzen Friedrich in Rheinsberg mittelbar zu hiſtoriſchem Anſehn gelangt iſt — ich meine die ſogenannten Fredersdorff’ſchen Güter, die Friedrich der Große beinah unmittelbar nach ſeiner Thron - beſteigung ſeinem Kammerdiener Fredersdorff zum Geſchenk machte. Urſprünglich beſtand die Schenkung nicht aus jenen vier Beſitzun - gen, die man jetzt wohl als „ Fredersdorff’ſche Güter “zu bezeichnen pflegt, es war vielmehr ein einziges Gut nur, Zernikow, das Kronprinz Friedrich am 17. März 1737 von Lieutenant Claude Benjamin le Chenevix de Beville gekauft hatte und nach dreijäh - rigem Beſitz (er hatte es verpachtet) unterm 26. Juni 1740 ſei - nem Kammerdiener urkundlich vermachte. Erſt nach zehn Jahren begann Fredersdorff elber ſein Beſitzthum durch Ankauf zu erwei - tern; 1750 erwarb er Kelkendorf (wahrſcheinlich von „ Kelke, “d. h. Schafgarbe); 1753 Dagow und 1755 Burow. Dagow iſt ſeitdem wieder aus der Reihe der Güter ausgeſchieden, Schulzen - hof aber andererſeits angekauft worden, ſo daß der Beſitzſtand nach wie vor aus vier Gütern beſteht.
Das Wenige, was man über Fredersdorff weiß, iſt oft gedruckt145 worden; außerdem hat Friedrich Burchardt in ſeinem Buche „ Friedrichs II. eigenhändige Briefe an ſeinen geheimen Kämmerer Fredersdorff “dieſen Briefen noch eine Biographie Fredersdorff’s beigegeben. Ich verweile deshalb nicht bei Aufzählung bekannter Thatſachen und Anekdoten (deren Verbürgtheit zum Theil ſehr zweifelhaft iſt) und beſchränke mich darauf, bei jenem einzig neuen Reſultat einen Augenblick ſtehn zu bleiben, welches die inzwiſchen erfolgte Durchſicht der Gartzer Kirchenbücher hinſichtlich der Her - ſtammung Fredersdorff’s ergeben hat.
Bekanntlich galt es bisher für zweifelhaft, ob Fredersdorff zu Gartz in Pommern (4 Meilen von Stettin) oder in Mittel - deutſchland geboren ſei, ja die Mehrzahl der Anſichten neigte ſich der letztern Anſicht zu und bezeichnete ihn als einen durch Werber aufgebrachten wohlhabenden Kaufmannsſohn aus Franken. Dieſe Anſicht aber iſt jetzt mit Beſtimmtheit widerlegt. Im Gartzer Kirchenbuche findet ſich die Angabe, daß ein dem Stadtmuſikus (musicus instrumentalis) Fredersdorff geborner Sohn am 3. Juni 1708 getauft worden ſei und die Namen Michael Gabriel er - halten habe. Da nun der Kammerdiener Fredersdorff nach über - einſtimmenden Nachrichten wirklich Michael Gabriel hieß (ſiehe z. B. die Schenkungs-Urkunde vom 26. Juni 1740 in den An - merkungen) und wirklich 1708 geboren wurde, ſo kann nicht gut ein längerer Zweifel in dieſer Streitfrage walten. Zwar findet ſich auf Fredersdorff’s Bild in der Zernikower Kirche die Angabe: „ geboren am 6. Juni 1708 “(wonach er nicht am 3. Juni ge - tauft ſein kann), dieſe Angabe iſt aber entweder ein geringfügiger Irrthum, wie ſie auf derartigen Bildern ſehr häufig vorkommen, oder es hat ſich umgekehrt bei Eintragung ins Kirchenbuch ein Fehler, eine Unachtſamkeit eingeſchlichen. Vielleicht muß es heißen am 13. Juni, und die Eins iſt entweder verwiſcht oder beim Eintragen überſehn.
Fredersdorff war 18 Jahre lang, von 1740 — 1758, in Beſitz von Zernikow, und wir werfen nunmehr die Frage auf, ob er dem Dorf und ſeinen Bewohnern ein Segen war oder nicht? 10146Wir müſſen die Frage durchaus zu ſeinen Gunſten beantworten. Wie er trotz Ehrgeiz und einem unverkennbaren Verlangen nach Anſehn und Reichthum, doch übverwiegend eine liebenswürdige und gutgeartete Natur geweſen zu ſein ſcheint, ſo erwies er ſich auch als Gutsherr mild, nachſichtig, hülfebereit. Seine Bauern und Taglöhner hatten gute Tage. Wie den Bewohnern, ſo war er dem Dorfe ſelbſt ein Segen. Die meiſten Neuerungen, ſo weit ſie nicht blos der Verſchönerung dienen, laſſen ſich auf ihn zurück führen. Er fand eine vernachläſſigte Sandſcholle vor und hinter - ließ ein wohlkultivirtes Land, dem er theils durch Anlagen aller Art, theils durch Ankauf von Wieſen und Wald das gegeben hatte, deſſen es zumeiſt benöthigt geweſen war. Die Thätigkeit, die er entwickelte, war groß. Koloniſten und Handwerker wurden herangezogen und Weberei und Strohflechterei von fleißigen Hän - den betrieben. Zu gleicher Zeit und mit Vorliebe nahm er ſich des Seidenbau’s an. Gärten, Wege und Alleen wurden mit Maul - beerbäumen bepflanzt, ſchon 1747 ſtanden deren 8000 und das Jahr darauf hatte er zum erſten Mal einen Reinertrag aus der gehaspelten Seide. Kaum daß er ein Stück guten Lehmboden auf ſeiner Feldmark gefunden hatte, ſo entſtand eine Ziegelei, und ſchon 1746 erbaute er aus ſelbſtgebrannten Steinen das noch jetzt exi - ſtirende Wohnhaus. Im ſelben Jahre führte er auch, eben ſo wie in Spandau und Coepnick, große Brauerei-Gebäude auf, in denen das ſo beliebt gewordene und nach ihm genannte „ Fredersdorffer Bier “gebraut wurde. In allem erwies er ſich als der gelehrige Schüler ſeines königlichen Herrn, und an der ganzen Art und Weiſe, wie er die Dinge in Angriff nahm, ließ ſich erkennen, daß er den organiſatoriſchen Plänen des Königs mit Verſtändniß zu folgen und ſie als Vorbild zu verwerthen verſtand. Er mochte es dabei, beſonders was die Mittel zur Ausführung anging, leichter haben als mancher Andere, da ein König, der ihm ſchreiben konnte: „ Wenn ein Mittel in der Welt wäre, Dir in 2 Minuten zu helfen, ſo wollte ich es kaufen, es möchte auch ſo theuer ſein wie es immer wollte “ſehr wahrſcheinlich auch bereit war, durch Ge -147 ſchenke und Vorſchüſſe aller Art zu helfen; es ſcheint aber doch, daß dieſe Hülfen nur innerhalb beſchränkter Grenzen blieben und daß die Meliorationen erſt von 1750 ab einen größeren Maßſtab annahmen, wo ſich Fredersdorff mit Caroline Marie Eliſabeth Daum, der reichen Erbtochter des ſchon 1743 verſtorbenen Ban - quier Daum vermählt hatte. Wenigſtens beginnen von da ab erſt jene Güterkäufe, deren ich ſchon oben erwähnt habe. Fredersdorff lebte mit ſeiner jungen Frau in einer ſehr glücklichen, aber kinder - loſen Ehe. Daß er andauernd in Zernikow geweſen ſei, iſt nicht anzunehmen; doch ſcheint es, daß er von 1750 ab (alſo nach ſeiner Vermählung) wenigſtens ſo oft wie möglich auf ſeinem Gute war und namentlich die Sommermonate gern daſelbſt ver - brachte. Daß er ſeine alchymiſtiſchen Künſte und Goldmache-Ver - ſuche auch in ländlicher Zurückgezogenheit geübt habe, iſt nicht zu ermitteln geweſen, auch nicht wahrſcheinlich. Er ſtarb zu Potsdam, in demſelben Jahre (1758), das ſeinem königlichen Herrn ſo viele ſchwere Verluſte brachte, und ſeine Leiche wurde nach Zernikow übergeführt.
Michael Gabriel Fredersdorff war am 12. Januar 1758 geſtorben; 1760 vermählte ſich ſeine Wittwe zum zweiten Male mit dem aus Pommern ſtammenden, Geheimen Stiftsrath zu Quedlinburg, Hans Freiherrn v. Labes, der, urſprünglich bürger - lich, erſt ſpäter vom Kaiſer in den Adelsſtand erhoben worden war.
Auch Freiherr v. Labes that viel zur Verſchönerung des Guts; Linden-Alleen wurden gepflanzt, ein engliſcher Park ange - legt und der frühere Faſanengarten zu einem Thiergarten mit Fiſchteichen, Waſſerleitungen und Pavillons umgeſchaffen. Er ſcheint andauernder als Fredersdorff in Zernikow gelebt zu haben und verſchied daſelbſt am 27. Juli 1776. Frau v. Labes, nachdem ſie durch milde Stiftungen, beſonders durch Erbauung eines Hoſpi - tals ſegensreich gewirkt hatte, ſtarb am 10. März 1810, achtzig Jahr alt, mehr denn 50 Jahre nach dem Tode ihres erſten Gatten. 10*148Aus ihrer zweiten Ehe waren ihr zwei Kinder geboren worden, ein Sohn und eine Tochter. Der Sohn, Geheimer Legationsrath von Labes, vermählte ſich mit einer Tochter des Grafen Görz - Schlitz, wurde ſelbſt in den Grafenſtand erhoben und nahm, nach der Burg Schlitz, die er ſich im Mecklenburgiſchen erbaut hatte, den Namen Graf Schlitz an.
Dieſer Graf Schlitz ſtarb 1831. Er hinterließ nur eine Toch - ter, die ſich 1822 dem Grafen Baſſewitz vermählte, der ſeitdem den Namen Graf Baſſewitz-Schlitz führte. Das einzige Kind dieſer Ehe, eine Tochter, wurde nur 11 Jahr alt; von den Eltern ſtarb die Mutter 1855, der Vater, Graf Baſſewitz-Schlitz, im Juli 1861. Beide wurden auf Hohen-Demzin, einem in der Nähe von Burg Schlitz gelegenen Familiengute beigeſetzt. Schon 1855, alſo nach dem Tode der Gräfin, waren die Fredersdorff’ſchen Güter auf die weibliche Linie, d. h. alſo auf die Nachkommenſchaft der Tochter der Frau v. Labes übergegangen.
Dieſe Tochter war ſeit 1777 an den Freiherrn Joachim Erdmann v. Arnim vermählt, ſtarb aber ſchon im Jahre 1781 in Folge ihrer zweiten Entbindung, nachdem ſie dem ſpäter berühmt gewordenen Achim von Arnim das Leben gegeben hatte. Sie hinterließ zwei Söhne: Carl Otto Ludwig von Arnim, geb. am 1. Auguſt 1779 und Carl Friedrich Joachim Ludwig von Arnim (Achim von Arnim), geb. am 26. Januar 1781.
Von dieſen beiden Brüdern ſtarb der jüngere bekanntlich ſchon am 21. Januar 1831; der ältere (gemeinhin Pitt-Arnim geheißen) ererbte die Fredersdorff’ſchen Güter nach dem 1855 erfolgten Tode der Gräfin Baſſewitz-Schlitz. Er iſt 6 Jahre lang im Beſitz der Güter geblieben, bis zu ſeinem am 9. Februar 1861 erfolgten Tode. Da er kinderlos verſtarb, ſo waren ſeine Neffen und Nichten, die Kinder Achims von Arnim und der Bettina Brentano die nächſten Erben. Dieſe Kinder, drei Söhne und drei Töchter, ſind jetzt die Beſitzer von Zernikow.
149Zernikow beſitzt neben einer ſehenswerthen Kirche, in der ſich — eben ſo wie im Herrenhauſe daſelbſt — die Portraits von Fredersdorff, dem v. Labes’ſchen Ehepaar und von deren Tochter, der 1781 verſtorbenen Frau v. Arnim befinden, auch ein mit Geſchmack und Munificenz hergeſtelltes Grabgewölbe, das Frau v. Labes bald nach dem Tode ihres zweiten Gemahls errichten ließ. Es trägt an ſeiner Front die Inſchrift: „ Fredersdorff’ſches Erb - begräbniß, errichtet von deſſen hinterlaſſenen Wittwe, gebornen Caro - line Marie Eliſabeth Daum, nachmals verehelichten v. Labes. Anno 1777. “ Darunter in goldnen Buchſtaben folgende verſchlungene Namenszüge: MGF (Michael Gabriel Fredersdorff) und CMED (Caroline Marie Eliſabeth Daum). Sofort nach der Vollendung dieſes Grabgewölbes nahm Frau v. Labes in daſſelbe die ſterb - lichen Ueberreſte ihrer Ehegatten Fredersdorff und von Labes auf, welche ſich bisher in einer Gruft unter der Kirche zu Zerni - kow befunden hatten.
Der mit Leder überzogene und mit vergoldeten Füßen und Handhaben verſehene Sarg Fredersdorff’s, auf dem ſich noch die Patrontaſche befindet, die derſelbe während ſeines Militärdienſtes im Schwerin’ſchen Regiment getragen hat, ſteht an der rechten Seitenwand; der Sarg des Freiherrn von Labes unmittelbar dahinter.
Vier Jahre ſpäter geſellte ſich zu dieſen beiden Särgen ein dritter. Noch nicht zwanzig Jahr alt, war die mehrgenannte Frei - frau Amalie Caroline v. Arnim, einzige Tochter der verwittweten Frau v. Labes, im Januar oder Februar 1781 zu Berlin geſtor - ben und wurde von dort nach Zernikow übergeführt. Ihr Sarg, in deſſen Deckel ein kleines Fenſter befindlich iſt (eine unſchöne Aeußerung der Pietät, der man in jener Zeit öfters begegnet) ſteht an der Hinterwand des Gewölbes und noch jetzt finden ſich auf demſelben Kränze und Gedichte, die von der Hand der Mutter geſchrieben ſind. Am 10. März 1810 entſchlief die alte Freifrau ſelber und nahm, ihrem letzten Willen gemäß, nach Freud und Leid dieſer Welt, ihren letzten Ruheplatz an der Seite derer ein,150 die ihr das Theuerſte geweſen waren. Auch auf dem Deckel ihres überaus prachtvollen Sarges iſt ein kleines Fenſter angebracht, durch das man die entſeelte Hülle der alten Freifrau erblickt. Auf allen vier Särgen befinden ſich die Familienwappen; auf drei derſelben auch Name, Geburts - und Todestag.
Ueber 50 Jahre vergingen, eh ein neuer Ankömmling vor der Gitterthür hielt und Raum in der Familiengruft beanſpruchte. Alles, was den Namen Graf Schlitz angenommen hatte, hatte ſich auch im Tode noch von Zernikow, dem urſprünglichen Familiengut, geſchieden und dem Graf Schlitz’ſchen Mauſoleum auf Hohen Demzin den Vorzug gegeben; — nicht ſo der älteſte Sohn der Tochter der Frau von Labes. Am 16. Februar 1861 öffneten ſich die ſchweren Gitterthüren des Fredersdorff’ſchen Erbbegräb - niſſes noch einmal und der Sarg des Oberſt-Schenk Carl Otto Ludwigs von Arnim wurde neben Mutter und Großmutter bei - geſetzt. Seine Inſchrift lautet:
Sein jüngerer Bruder, Achim von Arnim, iſt auf dem Fami - liengut Wiepersdorf bei Dahme begraben; auch Bettina (geſt. 1859 zu Berlin) ruht ebendaſelbſt.
Nach längerem Verweilen im Norden der Grafſchaft Ruppin, auf jenem Stück Land zwiſchen Boberow-Wald und Huvenow - See, das durch die Prinz-Heinrich-Zeit und mehr noch durch den vorübergehenden Aufenthalt des Kronprinzen Friedrich, ein hiſto - riſcher Boden geworden iſt, kehren wir nach dem Süden der Grafſchaft zurück, in die Nähe des Ruppiner See’s, von wo aus wir unſere Reiſe begannen.
Das Dorf Gantzer, ein alter Beſitz der Familie Wahlen - Jürgaß, liegt 2 Meilen weſtlich von dem Alt-Zietenſchen Wuſtrau und die Beziehungen, die zwiſchen dieſen beiden alten Familien (nun beide ausgeſtorben) ſeit drei Jahrhunderten geherrſcht haben, das Anſehn, das namentlich ſeit den Tagen Hans Joachims v. Zie - ten, die Jürgaſſe durch ihr langjähriges Verſippt - und Verſchwä - gertſein mit der berühmteren Nachbar-Familie gewonnen haben, dieſe Beziehungen ſind es, die unſere Schritte nach Dorf Gantzer lenken, um Umſchau zu halten nach allem, was von den Jürgaſſes geblieben iſt, nach Haus und Hof, oder — nach Grab und Kreuz.
Beide Familien, die Zieten und die Jürgaß, waren recht eigentlich Ruppinſche Geſchlechter, ſeßhafte Leute, die durch die Jahr - hunderte hin ſchlicht gelebt und treu gedient und den Boden ihrer152 Väter in Ehren gehalten hatten. Hans Zieten zu Wildberg (nur eine Viertelmeile von Gantzer), war geſchworner Rath des letzten Grafen zu Ruppin und begleitete ihn nach Worms auf den gro - ßen Reichstag (1517); um dieſelbe Zeit aber ſaßen auch ſchon die Jürgaß auf Gantzer und werden 1525 urkundlich genannt. Von da ab gehen beide Nachbar-Familien in Leid und Freude mit und neben einander, um ſchließlich auch, wie ein altes Paar, gemein - ſchaftlich in den Tod zu gehen. Um anzudeuten, wie vielfach beide Familien verſchwägert waren, ſtehe hier nur Folgendes. Die Mut - ter des berühmten alten Zieten war Ilſabe Catharina von Jürgaß aus dem Hauſe Gantzer (geb. 1666) und die erſte Frau des alten Zieten war wiederum eine Jürgaß (Leopoldine Judith, ge - boren 1703). Aus dieſer Ehe, zwiſchen Hans von Zieten und Ju - dith von Jürgaß, wurde eine Tochter geboren, Fräulein Johanna von Zieten, die ſich mit Rudolf von Jürgaß vermählte, der ſelbſt wieder ein Sohn Joachims von Jürgaß aus ſeiner Ehe mit Luiſe von Zieten war.
Man wird an dieſem einen Beiſpiel erkennen, daß die Ver - wandtſchaft zwiſchen den beiden Familien eine oft 5 - und 6-fache und in ihren verſchiedenen Graden nicht mehr zu verfolgen war. Es waren nur noch zwei Familien dem Namen nach, während längſt daſſelbe Blut in den Adern hüben wie drüben floß.
Gantzer, der alte Herrenſitz der Wahlen-Jürgaß, iſt um eben dieſer Familie willen ein Dorf von einem gewiſſen ſpecial-hiſtori - ſchen Belang, aber nicht minder faſt gewährt es, rein äußerlich, durch Erſcheinung und Bauart ein topographiſches Intereſſe. Es iſt nämlich ein noch übrig gebliebenes Muſterſtück aus jener Zeit her, wo ein Dorf nicht aus einem Rittergute, ſondern in den meiſten Fällen aus zwei und vier und ſelbſt ſechs Edelhöfen beſtand, die dann freilich ihrer Ausdehnung, wie ihrer Erſcheinung nach, mehr einem Bauernhofe als einem Rittergute glichen. Auch Gantzer gehörte in alter Zeit 4 Familien: von Jürgaß, von Rohr, von Kröcher und von Wuthenow, aber aus dieſer Viertheilung wurde ſpäter eine Zweitheilung, indem der ganze Grundbeſitz durch153 Kauf oder Tauſch oder Erbſchaft an die Rohr und die Jürgaß überging. Das war ohngefähr zu Anfang des vorigen Jahrhun - derts und das Dorf nahm allmälig den Charakter eines zweige - theilten Beſitzes an. Dieſen Charakter hat es ſich bis dieſen Tag in einer ſo markanten und zugleich ſo maleriſchen Weiſe gewahrt, wie mir kein zweites Beiſpiel in der Grafſchaft bekannt geworden iſt.
Wir halten vor der breiten Dorfgaſſe und ſchwanken, ob wir unſer Fuhrwerk nach links oder rechts lenken ſollen, denn einander gegenüber ſtehen zwei Krugwirthſchaften, beide mit dem üblichen Vorbau, beide mit Stehkrippen und beide mit einem Wirth in der Thür. Wir entſcheiden uns endlich für links und ſind, ohne es zu wiſſen, auf der Rohr’ſchen Seite gelandet.
Die Dorfgaſſe macht die Grenze, was links liegt, iſt alter Rohr’ſcher, was rechts liegt, alter Jürgaß’ſcher Beſitz. Jede Seite hat ihren Krug, ihr Herrenhaus, ihren Park, nur die Dorfgaſſe iſt das Gemeinſchaftliche und Kirche und Kirchhof.
Wir haben im Krug ein Geſpräch angeknüpft und über die beiden alten Herren von Jürgaß (es waren zwei Brüder) zu plau - dern geſucht, die nun ſeit zwanzig Jahren und drüber das Zeit - liche geſegnet haben, aber ſei es, daß unſer Wirth, als „ Rohr - ſcher, “ſich um die Jürgaſſe von drüben niemals recht gekümmert hat, oder ſei es, daß 25 Ausſaaten und Erndten, die zwiſchen jetzt und damals liegen, die Bilder der beiden alten Herren in ſeiner Erinnerung abgeblaßt haben, gleichviel, ſeine Mittheilungen beſchränken ſich darauf, „ dat de een en beten ſtreng wör “und „ dat de anner et ümmer weer good machen un ’nen Daler gewen däht, wenn de Broder to ſtreng weſt wor. “ „ Aber — ſo ſchloß er — he däht et ſo, dat de Broder niſcht merken kunnt. “
Wir verabſchieden uns nun und treten in die maleriſche Dorf - gaſſe hinaus. Prächtige alte Bäume: Pappeln und Eichen, Kaſta - nien und Rüſtern, dazwiſchen Ebreſchenbäume mit ihren lachenden rothen Beeren, faſſen den Weg ein und geben Schatten. Links vom Wege, von hohen Ulmen und Linden rings umſtellt, ſchim - mern die weißen Wände des alten Rohrſchen Herrenhauſes zu uns154 herüber, ein weitſchichtiger, ungeſchlachter Fachwerkbau, mit ſchwer - fälligen Flügeln und Doppeldach, halb gemüthlich, halb ſpukhaft, je nach der Stimmung, in der man ſich ihm nähert, oder je nach der Beleuchtung, die um die Kronen der alten Ulmen ſpielt. Dem Rohrſchen Herrenhauſe folgen Kirche und Kirchhof, ebenfalls zur Linken des Wegs und von der Dorfſtraße etwas zurück gelegen. Schulhaus und Predigerhaus flankiren die Kirche nach vornhin, zwiſchen den beiden Häuſern aber breitet ſich ein Garten aus, der, nach hinten zu leiſe anſteigend, ſich zwiſchen den Gräbern des Kirchhofs verliert. Dazu Baumesrauſchen und Bienenſummen, — träumeriſch verfolgt man die Steige des Gartens, bis man plötz - lich, ſtatt zwiſchen Beeten zwiſchen Gräbern ſteht. Unwiſſentlich, ohne eine Grenze bemerkt zu haben, hat man den Schritt aus Leben in Tod gethan.
Die Kirche, die mit dem Chor nach der Straße zu ſteht, iſt ein alter gothiſcher Bau mit einem Schindelthurm aus ſpäterer Zeit; eingehüllt in Ephen und hier und da von Geisblatt um - rankt, ſteht ſie da, eine echte alte Dorfkirche, wie ſie Sinn und Herz erfreut. Das Innere iſt einfach und erhält nur durch die Zweitheilung wieder einen beſtimmten Charakter, dem man beim Eintreten ſofort begegnet. Links die Rohr’ſche, rechts die Jürgaß - ſche Seite; links ein paar Rohr’ſche Galanterie-Degen aus der Zeit der Zöpfe und Perrücken, rechts ein Jürgaß’ſcher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege; links eine Rohr’ſche Familiengruft, rechts eine Jürgaß’ſche. Die Jürgaß’ſche Gruft iſt mehr eine Grabkammer in gleicher Höhe mit dem Kirchenſchiff, ſo daß man durch ein Fenſterchen die aufgeſchichteten Särge erblickt; nirgends Bild oder Schmuck. Anders die Rohr’ſche Gruft; ober - halb der Thür iſt die Marmorbüſte eines Rohr aufgerichtet, eine treffliche Arbeit (vielleicht von Glume), die wohl verdient hätte, durch eine andre Inſchrift, als die folgende, eingefaßt zu werden: „ Bedaure und verehre billiger Wandersmann hier noch die Aſche eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unver - zagten, deſſen Rath Land und Leuten treulich gerathen, aber155 wider des Todes allgemeinen Einbruch als eines Landraths (d. h. trotzdem er ein Landrath war) nichts vermochte. Seine Schwach - heit und Stärke ſiegen zugleich. Seine Stärke durch weiſen Rath wider die Unſterblichkeit. Darum ſtößt die Fama durch Poſaunen noch ſeinen Ruhm aus und die flüchtige Zeit kann ſeine ruhm - würdigen Thaten nicht verbergen noch zernichten. Sein Lorbeer - kranz grünt mitten unter Cypreſſen und ſein Palmbaum trägt Früchte in Apollens Garten, wo Mars ihm von ferne ſteht und den Zutritt ſcheuet wie ein Unbekannter. Die Schwachheit ſiegt durch’s Alter und trägt die Krone des Lebens im Glauben davon am Ende. “*)Einzelne Stellen dieſer Grabſchrift ſind völlig unverſtändlich; am ſchönſten iſt unbedingt der Paſſus, wo Mars, in ſeines Nichts durchboh - rendem Gefühle, ſich genirt dem alten Rohr unter die Augen zu treten. Alle dieſe Inſchriften, in denen der Lebensberuf des Hingeſchiedenen zu allerhand Wortſpielen benutzt wird (hier alſo „ Landrath “), haben ihr un - erreichtes Vorbild in der berühmten Poſtmeiſter-Grabſchrift zu Salzwedel. Sie lautet: „ Eile nicht, Wandersmann! als (wie) auf der Poſt; auch die geſchwindeſte Poſt erfordert Verzug im Poſthauſe. Hier ruhen die Ge - beine Herrn Matthias Schulzen, Königl. Preußiſchen 25jährigen, unter - thänigſt treu geweſenen Poſtmeiſters zu Salzwedel. Er kam allhier 1655 als ein Fremdling an. Durch die heilige Taufe ward er in die Poſt - charte zum himmliſchen Canaan eingeſchrieben. Darauf reiſete er in der Lebens-Wallfahrt durch Schulen und Akademieen mit löblichem Verzug. Hernach bei angetretenem Poſtamte und anderen Berufsſorgen richtete er ſich nach dem göttlichen Troſtbriefe. Endlich bei ſeiner Leibes-Schwachheit, dem gegebenen Zeichen der ankommenden Todespoſt, machte er ſich fertig. Die Seele reiſete den 2. Junius 1711 hinauf in’s Paradies, der Leib hernachmalen in dieſes Grab. Gedenke Leſer bei Deiner Wallfahrt beſtän - dig an die Prophetiſche Todespoſt Jeſ. 38, 1. “
Die Jürgaß’ſche Gruft iſt ohne Schmuck und Bild, aber draußen auf dem Kirchhof, zwiſchen Blumen und Gräbern, ſteht ein mächtiges Monument, das nicht einem einzelnen Todten, ſon - dern dem ganzen aus dieſem Leben geſchiedenen Geſchlechte er - richtet iſt. Die beiden letzten Jürgaße (de ſtrenge un de gode Herr) wieſen in ihrem Teſtamente eine bedeutende Summe zur156 Aufführung dieſes Monumentes an, und mit Gewiſſenhaftigkeit ſind die Teſtaments-Vollſtrecker dieſem letzten Willen nachgekommen. Es iſt kein Grabmal, ſondern ein Monument („ dem Andenken der Familie von Jürgaß errichtet “) und ſtellt eine nach allen vier Seiten hin geöffnete Niſche dar, in der geſenkten Blickes ein Engel des Friedens ſteht. Der ganze Bau beſteht aus drei Etagen, aus einem hohen Poſtament von Sandſtein, das zunächſt einen Eiſen - würfel, und auf dem Würfel die Engelsgeſtalt und die gothiſche Niſche trägt. Der Eiſenwürfel iſt mit Inſchriften überdeckt. Was im Durchleſen dieſer Inſchriften am meiſten überraſcht, iſt das, daß die beiden letzten Jürgaße einer überaus zahlreichen Familie angehörten (es waren 8 Brüder und eine Schweſter), daß aber alle 8 Brüder ſtarben ohne Kinder hinterlaſſen zu haben; — ein neuer Beweis, daß der Proceß des Lebens nach friſchem Blut verlangt.
Von den Inſchriften mögen hier nur die beiden ſtehen, die, auf lang oder kurz hin die Namen der beiden letzten Jürgaße der Nachwelt erhalten werden.
Auf dem Seitenfeld zur Linken leſen wir wie folgt: Herr Alexander Conſtantin Maximilian von Wahlen-Jürgaß, Königlich Preußiſcher General-Lieutenant von der Cavallerie, Droſt zu Stück - hauſen, Ritter vieler hohen Orden, Erbherr auf Trieglitz, geboren den 15. Junius 1758 zu Gantzer, focht von 1778 bis 1816 in allen Preußiſchen Kriegen, wohnte 26 Schlachten und Haupt - gefechten bei, ward bei Hainau durch den Schenkel und bei Ligny durch die Bruſt geſchoſſen. Ein Muſter der Tapferkeit und der Herzensgüte, geehrt und geliebt von ſeinem Könige und von jedermann, ſtarb er zu Gantzer den 8. November 1833. (Dies iſt „ de gode Herr. “ Weitere biographiſche Notizen, namentlich über ſeine militäriſche Laufbahn, gebe ich in den Anmerkungen. Uebrigens bemerke ich ſchon hier, daß das obengenannte Familien - gut Trieglitz und nicht Trieplatz heißt, wie man gelegentlich ge - druckt findet. Trieplatz iſt ein alt-Rohrſches Nachbargut.)
Auf dem Seitenfelde zur Rechten begegnen wir einer doppelten157 Grabſchrift, und zwar der des letzten Jürgaß und ſeiner Ge - mahlin, der letzten Zieten. Die erſte Inſchrift lautet: Franz Carl Wilhelm Rudolf von Wahlen-Jürgaß, Erbherr auf Gantzer und Trieglitz, ward geboren den 14. Sept. 1752 zu Gantzer, und verſtarb daſelbſt, im 82. Jahre, den 26. Juni 1834, als das letzte Glied ſeiner Familie. Er war der treuſte Freund ſeiner Freunde, und alle, die ihn näher kannten, ſchätzten ihn hoch. (Dies iſt der ältere Bruder, „ de en beten ſtreng wor. “) Die an - dere Inſchrift lautet: „ Frau Johanna Chriſtiana Sophie von Wahlen-Jürgaß geborne von Zieten aus dem Hauſe Wuſtrau, ward geboren den 23. Januar 1747 und ehelich verbunden am 23. October 1776 mit Rudolf von Wahlen-Jürgaß, Erbherr auf Gantzer und Trieglitz. Ein Muſter weiblicher Tugenden und Größe entſchlief ſie ſanft den 7. Juni 1829. “
Dieſe Frau, dieſe letzte Zieten iſt es, die uns nach Gantzer geführt, und voll der Erwartung, in dem Dorfe, dem ſie ſo lange angehört, noch ihrem Andenken zu begegnen, treten wir jetzt von dem Kirchhof aus in die Dorfgaſſe zurück und ſetzen unſere Wan - derung bis zum alten Herrenhauſe der Jürgaß fort. Ein Hecken - zaun trennt das Haus von der Gaſſe, rechts lehnen ſich die Wirthſchaftsgebäude und links die Bäume des Parks ſo dicht wie möglich an die Giebel und geben ein freundliches Bild, aber zu - gleich ein Bild äußerſter Schlichtheit. Wären nicht die Edeltannen des Parks, und die Malven, die in allen Farben ein Stück eng - liſchen Raſen umſtehn, man würde eine einfache Pachterswohnung, aber keinen Edelhof hinter dieſem Heckenzaun vermuthen. Eine Pachterswohnung iſt es nun freilich jetzt. Wir treten ein und werden beſtens bewillkommt; die junge Frau vom Hauſe kommt unſrer Neugier freundlich entgegen, zeigt uns Küch’ und Keller, und das Zimmer, wo General Blücher geſchlafen,*)In der Nacht vom 25. auf 26. Oktober war Blücher mit ſeinem Corps, das ſpäter, nach tapfrem Widerſtand, in Lübeck kapituliren mußte, hier in Gantzer. und führt158 uns endlich in den Park hinaus, auf deſſen ſonnigem Raſenplatz die Schatten der leiſe bewegten Zweige hin und her tanzen. Wir nehmen Platz unter einer breitblättrigen Platane, wo Tiſch und Bank zum Plaudern einladen, und während (ich habe ſolche Wahl getroffen) Milch und Blaubeeren auf den Tiſch geſtellt werden, geſellt ſich eine Anverwandte des Hauſes zu uns, eine ſchlanke Dame von nah an vierzig, mit dunklen Augen und feingeformtem Mund. Die junge Frau, die bis dahin die Koſten der Unterhal - tung mühſam beſtritten hat, iſt augenſcheinlich froh über den ein - treffenden Succurs, und mit einem „ Tante Helene weiß alles “den Rückzug antretend, eilt ſie in’s Haus, um nach dem Rechten zu ſehn. Da ſtehen wir denn nun, „ Tante Helene, die alles weiß “und ich, der ich wenigſtens etwas wiſſen möchte, und begrüßen uns lächelnd und nehmen Platz. Es iſt ein feines Geſicht mir gegenüber, mit jenem leiſen Zug des Leidens, der ſo zum Herzen ſpricht. Sie nimmt den breiten Sommerhut ab, vielleicht, weil wir im Schatten ſitzen, vielleicht auch, um die Fülle ihres ſchönen ſchwarzen Haares zu zeigen, und während ſie mit dem rothen Band des Hutes ſpielt, beginnen meine Fragen. Aber wir verirren uns immer wieder im Geſpräch, bald ſind wir in Wuſtrau bei den Zietens, bald in Trieplatz bei den Rohrs, und endlich reicht ſie mir die Hand über den Tiſch und ſagt mit gewinnender Freundlichkeit: „ plaudern wir weiter heut’, wie Zufall und Zunge es wollen; ich ſchreib’ Ihnen, — ſeien Sie unbeſorgt, ich halte Wort. “
Und ſie hielt Wort; nach Ablauf einer Woche erhielt ich fol - genden Brief: „ Ich habe ſie gut gekannt, die Frau von Jürgaß, beſſer vielleicht als irgend wer. Sie nahm mich zu ſich, als ich eine Waiſe geworden war; ſo kam ich aus dem Pfarrhaus, darin ich geboren war, in’s Herrenhaus hinüber. Meine Mutter habe ich nie gekannt; ſie ſtarb bei meiner Geburt, aber hätte ich ſie auch gekannt, ich hätte ihre Liebe nicht vermiſſen können, ſo gut wie die gnädige Frau war! Sie war ſehr klein und ſehr häßlich (denn ſie war eine Zieten und die Zietens ſind immer häßlich159 geweſen), aber man mußte ſich erſt ordentlich fragen, ob ſie hübſch oder häßlich ſei, ſonſt ſah man’s nicht, weil ſie ſo freundlich war. Sie hatte kleine blaue Augen, gelbe Löckchen und eine Adlernaſe, und auf den Löckchen ſaß eine Haube wie ein Thurm; es iſt wahr, ſie ſah altfränkiſch und beinah komiſch aus, aber wer ſie kannte, der lachte nicht, dazu war ſie zu gut und zu geſcheudt. Sie hatte aber auch eine Schönheit, perlenweiße Zähne, die ſie bis zuletzt behielt, und kleine weiße Hände, die mit Ringen überdeckt waren. Ich fühlte mich immer geehrt, wenn ich eine dieſer Hände küſſen durfte. Außer der hohen Haube auf ihrem Kopf trug ſie Hacken - ſchuhe mit hohen Abſätzen. Mitunter, wenn ich die hohe Haube und die hohen Abſätze ſah, zwiſchen denen ſich die kleine Frau bewegte, kam ſie mir noch kleiner vor als ſie wirklich war. Sie liebte ihren Mann und verehrte ihren Schwager, den alten General, und beide vergalten es ihr und trugen ſie auf Händen. Es war ein Leben, wie ich es nie wieder geſehn habe und ich habe doch viele Menſchen und viele Häuſer geſehn. In Winterzeit, wenn die Wege verſchneit und die Freunde ausgeblieben waren, dann ſaßen wir oben im Eckſaal und ſpielten „ Geſellſchaft. “ Frau von Jürgaß nahm Platz auf dem Sopha, die doppelarmigen Leuchter wurden angezündet und ich durfte neben ihr ſitzen auf einem Fußkiſſen, darauf der alte Fritz geſtickt war. War alles vorbereitet, ſo gab ſie mir ein Zeichen oder klingelte; dann mußte ich aufſpringen und den General von Jürgaß anmelden. Der alte General trat dann wirklich herein oder er erhob ſich von ſeinem Stuhl, auf dem er bis dahin geſeſſen hatte und küßte der Gnädigen die Hand, fragte nach ihrem Befinden und nach ihres Bruders Befinden drüben in Wuſtrau, und ehe zwei Minuten um waren, waren ſie im leb - hafteſten Geſpräch über die alte Zeit, und alle Ereigniſſe, die ſie ſeit 50 Jahren zuſammen durchlebt hatten, wurden durchgeſprochen wie etwas Neues, Fremdes, wovon man die Mittheilung wie eine Ehre anſehn und mit Dank und Theilnahme entgegen nehmen müſſe. Dann brachen ſie plötzlich ab, lachten herzlich, ſchüttelten ſich die Hände und holten das Dambrett herbei, um Schlagdame160 oder Toccadille zu ſpielen. Ich ängſtigte mich damals mitunter, wenn ich auf dem Kiſſen ſaß und die beiden alten Leute ſo cere - moniell mit einander ſprechen hörte; ich will nicht leugnen, ich dachte mitunter ſie wären todt, und ihre Geſpenſter kämen zuſam - men, um an alter Stelle nach alter Weiſe zu ſprechen; aber ich habe ſpäter in andern Häuſern oft gedacht: „ wenn hier doch Mann und Frau oder Frau und Schwager ein ähnliches Geſellſchaftsſpiel ſpielen wollten, “und mir fiel dann das Wort ein, das Frau von Jürgaß einſt zu mir geſagt hatte: „ gute Gewohnheiten wollen geübt ſein; ſie roſten ſonſt ein und verſagen den Dienſt. “ Dies ceremonielle Weſen ſchloß aber Freiheit und raſchen Witz nicht aus, und ich bewunderte ſie aufrichtig, wenn ſie die Honneurs des Hauſes machte, ſobald Beſuch von den Gütern oder gar aus der Hauptſtadt eingetroffen war. Sie war dann ganz die Tochter des alten Zieten, die unter dem großen König mit „ zu Hofe “gegangen war. Sie überſah die beiden alten Herren an Witz und Wiſſen, und ſie hätte es leicht gehabt, auf ihre Koſten die unterhaltende Wirthin zu machen, aber, wenn beim Souper die alten Anekdoten von Hainau und Katzbach und Vater Blücher zum wer weiß wie vielſten Male erzählt wurden, ſo hörte ſie aufmerkſam zu und ſuchte nur durch eine geſchickte Wendung der alten Geſchichte eine neue Pointe zu geben, ſo daß die Gäſte doch auch ihre Rechnung fanden. Sie war ganz ihres Vaters Tochter: klein, unanſehnlich und unſchön, aber fromm und muthig und pflichttreu wie er, und wie ihr Vater, ſo ſtarb ſie auch, ruhig, hochbetagt, ohne die Bitterkeit des Todes zu empfinden. Sie ſchlief hinüber. Sie hat mir einen jener Ringe vermacht, mit dem ich als Kind ſpielen durfte, wenn ich neben ihr auf dem geſtickten Kiſſen ſaß; aber es hätte dieſes Zeichens nicht bedurft, um ihrer immer in Dankbar - keit zu gedenken. “
Am 7. Juni 1829 ſtarb des alten Zieten Tochter, am 29. Juni 1854 ſtarb des alten Zieten Sohn, der letzte Zieten161 der Linie Wuſtrau. Ein Feldſtein von der Wuſtrauer Feldmark deckt ſein Grab, das ein Lindenbaum überſchattet, — eine Inſchrift fehlt; das Monument aber, das zu Ehren des letzten Jürgaß und ſeines mit ihm ausgeſtorbenen Geſchlechtes errichtet iſt, zeigt auf dem ſchmalen Eiſenſtreifen, der die vier Pfeiler der Niſche trägt, den ſchönen Spruch: „ Der Herr hat ſie zu einem beßren Leben berufen, wo ſie ſich der Herrlichkeit unſres Erlöſers erfreun. “
Schon im Havelland, aber unmittelbar an der Grenze der Graf - ſchaft Ruppin (kaum eine Viertelſtunde davon entfernt), liegt Fehr - bellin und ſein berühmtes Schlachtfeld. Es iſt fraglich, ob uns unſere Wanderungen ſo bald wieder in dieſe Gegenden führen, ſo ſei es denn geſtattet, die Nachbarſtadt, die ſchon jenſeits der Peri - pherie des Kreiſes liegt, an dieſer Stelle mit in den Kreis hinein - zuziehn.
Wir kommen von Wuſtrau her, fahren am Nordrande des durch ſeine Torflager berühmten Rhinluches (an dieſer Stelle das Wuſtrauer Luch geheißen) entlang und erreichen nach kurzer Fahrt einen langen mit Weiden beſetzten Damm, der uns raſch dem Städtchen Fehrbellin, der Hauptſtadt des kleinen „ Ländchens Bel - lin “entgegenführt. Dies Ländchen Bellin, jetzt dem Havellande einverleibt, iſt ein ſchmaler Streifen Land am Rhinfluß entlang, und ſo glau und ſauber, wie der Name „ Bellin “iſt, ſo hübſch iſt das Ländchen ſelbſt.
Fehrbellin liegt am Ausgange des Dammes, an der Südſeite des Rhin. Die Einfahrt in die Stadt iſt reizend, beſonders der Blick von der Rhinbrücke aus, die wir eben paſſiren. Zur Linken,163 im Schmucke hoher Silberpappeln, ſtreckt ſich vom jenſeitigen Ufer her eine Halbinſel in das ſchilfige Flüßchen hinein und giebt dem Ganzen den Charakter einer in’s Waſſer vorgeſchobenen Parkanlage. Die Attribute kleinſtädtiſchen Lebens geben dem Bilde mehr, als ſie ihm nehmen, und wir entbehren gern das Schwanenhaus und den Vogel Leda’s um der Enten - und Gänſeſchaaren willen, die das Schlammufer von allen Seiten umſpielen und umſchnattern. Die Stadt iſt, wie kleine märkiſche Städte zu ſein pflegen, ſchlicht, freundlich, in der Front abgeputzt und zwei Linden vor der Thür, ganz wie die Mädchen, die in dieſen Städtchen wohnen. Alles ſtattlich Damenhafte fehlt; ſie ſtricken, haben Leſekränzchen und kichern verlegen, wenn ein Fremder zu ihnen ſpricht, aber ihre lachende Freundlichkeit thut wohl.
An den Namen Fehrbellins knüpft ſich allerhand Liebes und Gutes. Hier wirkte Friedrich Bolte, einer unſerer heimiſchen Poeten aus der alten märkiſchen Schule, die nicht voll ſo ſchlecht war, wie die Olympier in Weimar es wahr haben wollten; hier wurde unſer Thierbildner Friedrich Wilhelm Wolff geboren, der ſich den auszeichnenden Namen der „ Thier-Wolff “erworben hat, und hier endlich, um das Beſte nicht zu vergeſſen, wurde die berühmte Schlacht geſchlagen, die vor beinahe zwei Jahrhunderten den Grund zu der Selbſtändigkeit und Größe unſerer Monarchie legte.
Dieſem Schlachtfelde gilt unſer Beſuch. Es liegt noch eine halbe Meile jenſeits Fehrbellin, dicht an der Straße, die ſich wie eine Grenzlinie zwiſchen dem Luch und der Höhe hinzieht. Zunächſt erreicht man das Dorf Tornow, dann das Dorf Hakenberg, wo das Höhenterrain beinahe ſenkrecht in das Luch hinein abfällt. In unmittelbarer Nähe des letzt genannten Dorfes fand das be - rühmte Reitergefecht ſtatt, das indeß, zum Glück für alle preußi - ſchen Poeten, ſtatt des Namens „ Gefecht bei Hakenberg, “den ſchö - nen Namen der Schlacht von Fehrbellin erhalten hat. Jeder, der ſich in der Welt der Reime umhergetummelt hat, wird ſich der Verlegenheiten entſinnen, die ihm die Sylben „ berg “und „ burg “11*164bereitet haben. Vollklang und Reimfülle aber ſtehen wie lachende Genien neben dem Wort „ Fehrbellin. “
Unmittelbar hinter dem Dorf, bereits auf hiſtoriſch verbürg - tem Schlachtgrund, befindet ſich die Mühle des Müllers Conrad und dicht daneben das Monument, das, zum Andenken an die Schlacht, im Jahre 1800 errichtet und im Jahre 1857 erneuert worden iſt. Das Denkmal, einfach aus Sandſtein aufgeführt, iſt ein Oblong, auf deſſen oberem Theil eine Schale oder Urne ſteht. Der Hinweis auf dieſe Schlichtheit ſoll dem Monument kein Vor - wurf ſein, im Gegentheil. Es werden jetzt ſo viele Denkmäler er - richtet, bei deren Errichtung man nicht weiß, wer und was eigent - lich verherrlicht werden ſoll, ob der Held, dem das Denkmal gilt, oder die Zeit, die ſo erleuchtet iſt, jenem Helden ein Monument zu ſetzen, oder endlich der Künſtler ſelbſt, der ſelber wieder zum Helden wird und gleichſam den Lorbeerkranz von der Stirn ſeiner eigenen Schöpfung nimmt. Solchem Gebahren gegenüber, für das die Beiſpiele nahe liegen, erfreut man ſich doppelt beim Anblick jener einfacheren Gedenkſteine, die nicht der Mode und der Eitel - keit, ſondern der Geſinnung und dem Eifer eines Einzelnen ihre Entſtehung verdanken. Es kommt nicht immer auf den Kunſt - werth deſſen an, was zu uns ſpricht; der Appell an unſer Herz bleibt immer die Hauptſache. Das gekritzelte Briefchen von der Hand unſerer verſtorbenen Mutter hat als Erinnerungszeichen den - ſelben Werth für uns wie das Portrait im Roccocorahmen, das über unſerem Sopha hängt. Einen künſtleriſchen Genuß kann das Sandſteinoblong, das neben der Mühle des Müllers Conrad ſteht, freilich nicht gewähren, aber man lieſt nicht ohne freudige Bewe - gung die ſchlichten Worte, die in daſſelbe eingegraben ſind, und nimmt eine mangelhafte Accuſativform, anderer Stileigenthümlich - keiten zu geſchweigen, als ein Zeichen der Aechtheit aufrichtig dank - bar mit in den Kauf.
Dieſe Worte ſind folgende: „ Hier legten die braven Branden - burger den Grund zu Preußens Größe. Das Andenken an den Held und ſeiner Getreuen erneuert dankbar mit jedem Freunde165 des Vaterlands Friedrich Eberhard von Rochow auf Rekahn, 1800. “— Die andern Seiten des Monuments zeigen die Namen derje - nigen Offiziere, die ſich am Schlachttage beſonders ausgezeichnet haben. Sie lauten: Dörflinger, v. Görtzke, v. Lütke, v. Götz, v. Canofsky, v. Mörner, Froben, Friedrich Landgraf von Heſſen, v. Treffenfeld, v. Straus, v. Sydow, v. Zabeltitz. Ein Eiſengitter faßt das Denkmal ein; an den Frontſtäben deſſelben befindet ſich ein herzförmiges Täfelchen mit der Inſchrift: „ Erneuert und be - wehrt durch den Kriegerverein zu Fehrbellin 1857. “
Die unmittelbare Umgebung des Denkmals iſt wenig poetiſch und wird den Erwartungen derer wenig entſprechen, denen das ſchöne Wort „ Fehrbellin “verführeriſch im Ohre klingt, oder die den „ Prinzen von Heſſen-Homburg “unſeres Heinrich von Kleiſt begeiſtert im Herzen tragen. Die Umgebung iſt ſchlicht-märkiſch, aber nicht fehrbelliniſch. Ein Kartoffelfeld ſchließt das Denkmal ein, und die einzige Hoffnung, die dem Beſucher bleibt, knüpft ſich an die Lehre von der Fruchtfolge. Eine liebenswürdige Dame, die als Prinzeſſin Clotilde im Kleiſt’ſchen Drama ihren erſten Bühnentriumph gefeiert, hatte mir den Auftrag gegeben, ihr Blu - men vom Fehrbelliner Schlachtfeld mitzubringen. Lebhaft und phantaſievoll, wie ſie war, hatte ſie ſich die Umgegend von Haken - berg wie einen Roſengarten gedacht. Da ſtand ich nun und ſuchte umher; Schafgarbe, Winde und Glockenblume war alles, wozu ſich die Natur hier zuſammenraffte. Ich gab es auf, einen Strauß an dieſer Stelle zu pflücken, und borgte von einem Nachbarfelde drei Haferhalme, die ich ſpäter mit folgenden Zeilen überreichte:
An dieſem Siegesdenkmal findet alljährlich am 18. Juni, dem Jahrestage der Fehrbelliner Schlacht, eine hübſche Feier ſtatt, die ſich ohngefähr aus folgenden Theilen zuſammenſetzt. Am Mor - gen des Tages ſchleppt Müller Conrad ſechsunddreißig roſtige Kanonenkugeln, die er und ſeine Väter auf dem Schlachtfelde ge - funden haben, an das Denkmal und beginnt die Ausſchmückung deſſelben. Eine Stunde ſpäter beleben ſich alle Landſtraßen, die nach Hakenberg führen, und die Schützengilden von Linum*)In Linum, wo man von Grund aus fehrbelliniſch-patriotiſch iſt, werden noch in einzelnen Häuſern Erinnerungsſtücke an die Fehrbelliner Schlacht gezeigt, z. B. eine ſchwediſche Trommel, einige Lanzen u. dgl. m. Man kann aber, da alle dieſe Dinge ſicherlich nicht aus der Schweden - zeit herrühren, nur die oft gemachte Erfahrung daran auf’s Neue machen, daß ein hervorragendes hiſtoriſches Ereigniß jedesmal zur Domaine, zur Spezialität einer beſtimmten Oertlichkeit wird, und zwar ſo, daß dieſem einen Ereigniß, ſich alles Spätere anpaſſen und unterordnen muß. Es iſt erwieſen, daß das Bett der Maria Stuart in Holy-Rood-Palace nicht 300 (wie es müßte), ſondern höchſtens 150 Jahr alt iſt, aber es muß das Bett der Maria Stuart ſein, wenn es überhaupt noch etwas ſein will. So iſt es in den Dörfern des Ländchens Bellin mit Rückſicht auf die Fehrbelliner Schlacht. Alles iſt „ Fehrbelliniſch “, dem klarſten Augen - ſchein zum Trotz. Die Lanzen in Linum ſind Landwehr-Ulanen-Piken aus den Tagen von Großbeeren und Dennewitz her (zur Schwedenzeit gab es gar keine Lanzenreiter) und die Trommel trägt auf ihrem Perga - ment einfach die Inſchrift: „ Landſturm-Trommel für Linum, 4 te Com - pagnie, 1813. “ Aber trotz der Inſchrift bleibt es die Schwedentrom - mel von 1675. und Fehrbellin, namentlich aber die Schuljugend aller benachbarten Dörfer, von Brunne, Dechtow und Karweſee kommen von links und rechts herbei und marſchiren dem gemeinſchaftlichen Sammel - platze, dem Hakenberger Kirchhofe zu. Hier begrüßt man ſich; Pre - diger und Magiſtrate ſtellen ſich an die Spitze, und gegen tauſend Mann ſtark, darunter ſechshundert Kinder, geht es mit Sang und Klang nach dem Denkmal hinaus. Vor demſelben wird Kreis ge - ſchloſſen, der Hakenberger Geiſtliche tritt in die Mitte und hält eine kurze Anſprache an die Kinder, worin er ſie auffordert, gute167 Preußen und gute Brandenburger zu ſein, und wenn es Noth thut, an jedem Tag im Jahre ſo brav und tapfer zu Land und Thron zu ſtehen, wie am 18. Juni 1675 ihre Väter hier geſtan - den haben. Dann giebt es ein Hurrah und Mützenſchwenken, und Muſik vorauf, gemeinhin nach den Klängen des „ alten Deſſauers “marſchiren nun Alt und Jung über das eigentliche Schlachtfeld hinweg, jener Hügelreihe zu, die nach Süd-Oſten hin, den ziem - lich ſchmalen Streifen, auf dem gekämpft wurde, begränzt. Die höchſte dieſer Hügelkuppen, kahl und unſcheinbar und nur im Hintergrunde von einigen Pappeln überragt, heißt der Kurfürſten - berg, weil von ihm aus der Kurfürſt den Angriff und die Bewe - gungen der Schlacht leitete. Auf dieſem und dem benachbarten Froben-Hügel macht man Halt, und unter allerhand Turner - ſpielen, mit Ringen und Laufen, Springen und Klettern verbringt die Jugend den Tag, bis ſpät am Nachmittag der Rückzug in die Städte und Dörfer beginnt.
Das iſt ein Volksfeſt im beſten Sinne des Worts, beſſer als unſere großſtädtiſchen Feſtzüge, denen jeder geiſtige Mittelpunkt (wenn ſie ihn jemals hatten) längſt abhanden gekommen iſt. Es gibt nichts kläglicheres, als die Volksluſtbarkeiten unſerer Reſidenzen, als der „ Stralauer Fiſchzug “und alles, was ihm ähnlich ſieht. In unſern kleinen Städten aber ſteckt noch ein guter und ge - ſunder Reſt von Volks - und Kinderfeſten, und jeder, der ihnen beiwohnt, wird ſich erheitert und gehoben fühlen. Man wirft un - ſerem norddeutſchen Leben vor, daß es nüchtern ſei und des poe - tiſchen Schwunges entbehre. Das iſt in gewiſſem Sinne wahr. Es fehlt uns das Bunte der Coſtüme und das Couliſſenwerk einer Wald - und Bergnatur, und weil wir dieſer Requiſiten entbehren, mag bis zu einem gewiſſen Grade die Luſt und die Fähigkeit in uns verkümmert ſein, ein Schauſpiel im großen Stile aufzuführen. Es fehlt uns außerdem die katholiſche Kirche, die große Lehr - meiſterin der Feſtzüge und Proceſſionen. Zugegeben das. Aber ein neues Volk, wie wir ſind, deſſen Traditionen über den Tag von Fehrbellin kaum hinausreichen, hat ſich hierzulande eben alles168 abweichend von dem ſonſt Ueblichen geſtaltet, und mit einem ganz neuen Lebensinhalt iſt eine neue Art von Volkspoeſie, mit dieſer Poeſie aber eine neue Art von Volksfeſten geſchaffen worden. Das Soldatiſche hat ſich zum poetiſchen Inhalt unſeres Volkslebens ausgebildet. Wir feiern Dennewitz und Groß - beeren, und wenn wir an maleriſchem Effekt und an gutem Humor hinter den Volksfeſten des Rheins und der Donau zurück bleiben mögen, ſo haben wir vielleicht einen beſtimmteren Inhalt, einen geiſtigeren Mittelpunkt vor ihnen voraus. Es iſt ein Unterſchied, ob man in hundert lang beſpannten Wagen auf die Thereſien - wieſe fährt, um den König Gambrinus und vor allem ſich ſelber leben zu laſſen, oder ob man ernſt und ſchmucklos ſich auf den Kunersdorfer Höhen lagert, um den Jahrestag einer unglücklichen Schlacht zu begehen und die Stelle aufzuſuchen, wo Prittwitz den ſchon verlorenen König in die Mitte ſeiner Huſaren nahm. Wir verachten den König Gambrinus und ſeine Feier nicht, aber man ſoll auch unſere Art und Weiſe gelten laſſen.
Wir verließen nun das Denkmal, beſchrieben auf dem Rück - wege zunächſt einen Bogen, um vom Kurfürſtenberge aus noch - mals einen Ueberblick über das Schlachtfeld zu haben, und begaben uns dann nach Dorf Hakenberg, wo unſer hiſtoriſcher Forſcher - eifer den Geiſtlichen, von deſſen Freundlichkeit wir allerhand Auf - ſchlüſſe und Anekdoten erwarteten, bei Tiſche unterbrach. Er ließ uns dieſe Störung nicht entgelten und war ſogar freundlich genug, das, was er an hiſtoriſchen „ Koſthäppchen “uns beim beſten Willen nicht bieten konnte, durch eine freundliche Einladung zum Mittag - eſſen ausgleichen zu wollen. Wir lehnten ab und machten ſtatt deſſen einen Spaziergang über den reizend gelegenen Hügelkirchhof, auf deſſen höchſter Spitze ſich der Backſteinbau einer alten gothi - ſchen Kirche mit halb eingeſtürztem Dach erhebt. Dieſe Kirche, wie wir ſpäter vernahmen, geht einem gründlichen Umbau entgegen, der mit beſonderer Rückſichtnahme auf den Fehrbelliner Schlachttag geleitet werden ſoll. Der Thurm wird weſentlich erhöht und nach Art alter Caſtellthürme mit vier Seitenthürmchen geſchmückt wer -169 den, die wie eben ſo viele Ausluge (look-outs) aus der Mauer - zinne hervorſpringen ſollen. Von dieſen Thürmchen aus wird man dann nach allen Seiten hin einen prächtigen Ueberblick über das Luch und das Höhenland haben, bis Cremmen und Oranienburg, bis Nauen und Ruppin. Auch das Innere der Kirche wird mit beſonderer Rückſicht auf den Schlachttag reſtaurirt und mit Votiv - und Erinnerungstafeln geſchmückt werden. Wenn ich nicht irre, ſind auf dem Hakenberger Kirchhof einige hervorragende Führer, die bald nach der Schlacht ihren Wunden erlagen, begraben wor - den, und ein gemeinſchaftliches Grabmonument zu Ehren dieſer würde vielleicht die beſte Gelegenheit zu einer Inſchrift und Mah - nung bieten. Kommt dieſer Plan zur Ausführung, ſo wird die Kirche zu Hakenberg über kurz oder lang zu einem Wallfahrts - platz unſerer Mark, zu einem Zielpunkt für Turnerfahrten und Schulexcurſionen werden. Fehrbellin und das Luch, der alte Fried - hof und ſeine Kirche, der Kurfürſtenberg und das Denkmal, dar - aus baut ſich ſchon ein Stück Intereſſe auf, und die Marmor - tafeln, die dann beim Eintritt in die Kirche von Derffling und Froben, von Treffenfeld und dem Prinzen von Heſſen-Homburg melden werden, werden aus dem kleinen Sagenkreis einen Zauber - kreis für junge Herzen ſchaffen.
Ich mag nicht ſchließen, ohne meiner Schilderung eine kurze Legende hinzugefügt zu haben, die, an den Fehrbelliner Schlacht - tag anknüpfend, zugleich den Hang zum Legendenhaften zeigt, der, wie die Freude am Mährchen und an der Sage, im Herzen jedes unverbrauchten Volkes lebt.
In alten Zeiten, wo innerhalb der Kirche das ganze geiſtige Leben des Volkes lag, wuchs auch die Legende nur auf kirchlichem Boden, und der Heiland und ſeine Jünger, die Heiligen und fromme Mönche hatten das ſchöne Vorrecht, die Träger einer ſolchen Legende zu ſein. Der märkiſche Boden hat nicht Zeit ge - habt, ſolche Legenden zu zeitigen, denn die katholiſche Kirche hat es nie zu einer Glanz - und Blüthenzeit auf dieſem Boden ge - bracht. Kaum ſiegreich über die heidniſchen Wenden, kaum feſt170 geworden in ihrem Beſitz, ſah ſie ſchon die Zeit des Verfalls kom - men, die unmöglich Blumen hervorbringen konnte, wie ſie immer nur auf dem Boden des Glaubens und eines unerſchütterten Ver - trauens gewachſen ſind. Die Marken, wenn man den Ausdruck geſtatten will, wurden um ihre Legendenzeit betrogen, wie manche Kinder um ihre Jugend betrogen werden; aber in derſelben Weiſe, wie Kinder, die nie Kinder ſein durften, in ſpäteren Lebensjahren ein rührendes Verlangen zeigen, ſpielen und „ dalbern “zu können, in derſelben Weiſe, ſcheint es, haben die Brandenburger ſich ſchad - los zu halten geſucht.
Sie haben ihre Lieblingsfürſten unter den Hohenzollern zu halb ſagenhaften Geſtalten ausgebildet und ſie zu Trägern lieb - licher Legenden gemacht. Die Geſchichte von Froben gehört theil - weis hieher; ſie iſt eine Sage, die nur da entſtehen konnte, wo die „ Treue “wie eine Pflicht und ein Bedürfniß im Herzen des Volks empfunden wurde. Die Geſchichte vom Hakenberger Bauern - kind aber geht noch einen Schritt weiter und nimmt völlig den Charakter und die Formen einer Legende an.
Der Kurfürſt, als er zur Schlacht ritt, ſo erzählt die Legende, kam durch Hakenberg. Das Dorf war ausgeſtorben und leer, nur auf der Schwelle eines Hauſes ſaß ein dreijähriger Blondkopf, den die fliehenden Dörfler, in der Haſt und Unruhe des Augenblicks im Dorf zurückgelaſſen hatten. Er ſtreckte die Händchen nach dem Fürſten aus. Der Kurfürſt hielt ſein Pferd an, bückte ſich tief, hob das Kind auf und ſetzte es vorn auf ſeinen Sattel. „ Wirſt ſchon jemand finden, “dachte er, „ der ſich ſeiner annimmt. “ So ritt er aus dem Dorf. Aber da war niemand, der Luſt gehabt hätte, ſich des Kleinen anzunehmen; die ſchwediſchen Geſchütze ſchickten bereits Kugel auf Kugel herüber und der Kurfürſt ſelbſt vergaß des Kindes, das ruhig und furchtlos auf der Sattelkruppe ſaß. Das Regiment Mörner kam eben vorüber und der Kurfürſt ſetzte ſich an ſeine Spitze. Die Brandenburger hieben ſich wacker durch das Regiment Dalwigk hindurch und die Schweden flohen. Als der Kampf vor - über war und Kurfürſt Friedrich Wilhelm ſich im Sattel hob,171 um aufathmend dem Gott der Schlachten für dieſen Sieg zu dan - ken, ſah er den Blondkopf, der, mit beiden Händen am Riemen - werk des Panzers ſich feſthaltend, furchtlos zu ſeinem Retter auf - blickte. Hier bricht die Legende ab. Der Kurfürſt hatte das Kind und das Kind hatte den Kurfürſten gerettet, denn der Blondkopf, der auf der Schwelle des Bauernhauſes ſaß, war deutungsreich — der Schutzgeiſt der Hohenzollern.
Die große norddeutſche Ebene iſt reich an erlen-beſtandenen Sumpfſtrecken, die entweder an den Ufern der Flüſſe oder inſel - artig zwiſchen den Armen und Verzweigungen derſelben ſich hin - ziehen und gemeinhin Brüche oder Bruchland genannt werden. Jeder kennt das Weichſel - und das Oder-Bruch, — Fluß-Niede - rungen, die durch die Fruchtbarkeit ihres Bodens und einen ent - ſprechenden Reichthum ihrer Bewohner berühmt geworden ſind.
Das Havelland, — d. h. jene nach drei Seiten hin von der Havel, im Norden aber vom Rhin-Fluß eingeſchloſſene Havel - inſel, die das Herz der Brandenburgiſchen Lande bildet, — beſaß ebenfalls ſolche erlenbeſtandene Sumpfſtrecken, die ſich aber bis dieſen Tag, und zwar trotz der mannichfachſten Veränderungen und Umbildungen eine Sonderbenennung erhalten haben. Sie führen den Namen „ das Luch “und haben in der That vollen Anſpruch auf eine unterſcheidende Bezeichnung, da ſie in Form und Art von den fruchtbaren Flußniederungen anderer Gegenden vielfach abweichen und z. B. ſtatt des Weizens und der Gerſte nur ein mittelmäßiges Heu produciren. Im Großen und Ganzen darf man vom „ Luche “ſagen, daß es weniger ſeine Producte, als vielmehr173 ſich ſelbſt zu Markte bringt — den Torf. Denn das Luch beſteht großentheils aus Torf. Seitdem es aufgehört hat ein bloßer Sumpf zu ſein, iſt es ein großes Gras - und Torfland geworden. Linum, der Hauptſitz der Torfgräbereien, iſt das Newcaſtle unſerer Reſidenz.
Wie das Havelland den Mittelpunkt Alt-Brandenburgs bildet, ſo bildet das Luch wiederum den Mittelpunkt des Havellandes. Das letztere (d. h. alſo der Weſt - und Oſthavelländiſche Kreis) iſt ohngefähr 50 Q. -Meilen groß; in dieſen 50 Q. -Meilen ſtecken die 22 Q. -Meilen des Luch’s wie ein Kern in der Schale. Die Form dieſes Kerns iſt aber nicht rund, auch nicht oval oder elliptiſch, ſondern pilzförmig. Ich werde gleich näher beſchreiben, wie dieſe etwas ungewöhnliche Bezeichnung zu verſtehen iſt. Jeder meiner Leſer kennt jene Pilzarten mit kurzem dicken Stengel, die ein breites ſchirmförmiges Dach und eine große kugelförmige Wurzel haben. Man nehme den Längsdurchſchnitt eines ſolchen Pilzes und klebe ihn auf ein kleines Quartblatt Papier, ſo wird man ein ziemlich deutliches Bild gewinnen, welche Form „ das Luch “inner - halb des Havellandes einnimmt. Gleich der erſte Blick wird dem Beſchauer zeigen, daß das Luch aus zwei Hälften, aus einer ſchirmförmig-nördlichen und einer kugelförmig-ſüdlichen beſteht, die beide da, wo der kurze Strunk des Pilzes läuft, nah zuſammen - treffen. Die ſchirmförmige Hälfte heißt das Rhin-Luch, die kugel - förmige das Havelländiſche Luch. Das Verbindungsſtück zwi - ſchen beiden hat keinen beſonderen Namen. Dies verhältnißmäßig ſchmale, dem Strunk des Pilzes entſprechende Verbindungsſtück iſt dadurch entſtanden, daß ſich von rechts und links her Sand - plateau’s in den Luchgrund hineingeſchoben haben. Dieſe Sand - plateau’s führen wohlgekannte Namen; das öſtliche iſt das im vorigen Kapitel ſchon genannte „ Ländchen Bellin, “das weſtliche heißt „ Ländchen Frieſack. “ Dieſe beiden „ Ländchen “ſind alte Sitze der Cultur, und ihre Hauptſtädte, Fehrbellin und Frieſack, wurden ſchon genannt, als beide Luche, das Rhin-Luch wie das Havelländiſche, noch einem See glichen, der in Sommerzeit zu einem ungeſunden, unſicheren Sumpfland zuſammentrocknete.
174Klöden hat den früheren Zuſtand dieſer Luchgegenden ſehr ſchön und mit poetiſcher Anſchaulichkeit geſchildert. Er ſchreibt: „ es war eine wilde Urgegend, wie die Hand der Natur ſie gebildet hatte, ein Seitenſtück zu den Urwäldern Südamerika’s, nur kleiner und nicht Wald, ſondern Luch. Es zeigte damals in großer Aus - dehnung, was kleinere Bruchflächen der Mark noch jetzt zeigen. Weit und breit bedeckte ein Raſen aus zuſammengefilzter Wurzel - decke von bräunlich-grüner Farbe die waſſergleiche Ebene, deren kurze Grashalme beſonders den Riedgräſern angehören. In jedem Frühjahr quoll der Boden durch das hervordringende Grundwaſſer auf, die Raſendecke hob ſich in die Höhe, bildete eine ſchwimmende, elaſtiſche Fläche, welche bei jedem Schritt unter den Füßen einſank, während ſich ringsum ein flach trichterförmig anſteigender Abhang bildete. Andere Stellen, die ſich nicht in die Höhe heben konnten, ſogenannte Lanken, wurden überſchwemmt, und ſo glich das Luch in jedem Frühjahr einem weiten See, über welchem jene Raſen - ſtellen wie grüne, ſchwimmende Inſeln hervorragten, während an anderen Stellen Weiden, Erlen und Birkengebüſch ſich im Waſſer ſpiegelten, oder da, wo ſie auf einzelnen Sandhügeln, den ſoge - nannten Horſten, gewachſen waren, kleine Wald-Eilande darſtell - ten. Solcher Horſten gab es mehrere, von denen einige mitten im Havelländiſchen Luche lagen. Die umliegenden Ortſchaften verſuchten es, dem Luche dadurch einigen Nutzen abzugewinnen, daß ſie ihre Kühe darin weiden ließen und das freilich ſchlechte und ſaure Gras, ſo gut es ging, mäheten. Beides war nur mit großer Müh - ſeligkeit zu erreichen. Das Vieh mußte häufig durch die Lanken ſchwimmen, um Grasſtellen zu finden, oder es ſank in die weiche Decke tief ein, zertrat dieſelbe, daß bei jedem Fußtritt der braune Moderſchlamm hervorquoll, ja daß es ſich oft nur mit großer Mühe wieder herausarbeitete. Oft blieb eine Kuh im Moraſte ſtecken und ward nach unſäglicher Mühe kalt, kraftlos und krank wieder heraus gebracht, oder wenn dies zu ſchwer hielt, an dem Orte, wo ſie verſunken war, geſchlachtet und zerſtückt heraus - getragen. Nur im hohen Sommer und bei trockener Witterung175 war der größte Theil des Luch’s zu paſſiren; dann mähte man das Gras, allein nur an wenigen Stellen konnte es mittels Wagen herausgebracht werden; an den meiſten mußte man es bis in den Winter in Haufen ſtehen laſſen, um bei gefrornem Boden es ein - zufahren. Unter allen Umſtänden war das Gras ſchlecht und eine kümmerliche Nahrung. So wenig nutzbar dieſes Bruch für den Menſchen und ſein Hausvieh war, ſo vortrefflich war es für das Wild geeignet. In früheren Zeiten hauſten hier ſelbſt Thiere, welche jetzt in der Mark nicht mehr vorkommen, wie Luchſe, Bären und Wölfe. Beſonders aber waren es die Sumpfvögel, Kraniche und Störche, welche hochbeinig in dieſem Paradieſe der Fröſche einher - ſtolzirten und mit ihnen bewohnte die Waſſer ein unendliches Heer von Enten aller Art, nebſt einer Unzahl anderer Waſſervögel. Kibitze, Rohrſänger, Birkhähne, alles war da und in den Flüſſen fanden ſich Schildkröten, wie allerhand Schlangen in dem mitten im Luch gelegenen Zotzenwald. “
Im Rhin-Luch änderten ſich dieſe Dinge ſchon zu Anfang des 16. Jahrhunderts; Gräben wurden gezogen, das Waſſer floß ab und die Herſtellung eines Dammes quer durch’s Luch hindurch wurde möglich. Wo ſonſt die Fehrbelliner Fähre, über Sumpf und See hin, auf - und abgefahren war, erſtreckte ſich jetzt der Fehrbelliner Damm. Das Jahr genau zu beſtimmen, wann dieſer Damm gebaut wurde, iſt nicht mehr möglich; doch exiſtirt ſchon aus dem Jahre 1582 eine Verordnung, in der von Seiten des Kurfürſten Johann Georg „ dem Capitul zu Cölln an der Spree, den von Bredows zu Kremmen und Frieſack, den Bellins zu Bellin und allen Zietens zu Dechtow und Brunne kund und zu wiſſen gethan wird, daß der Bellin’ſche Fährdamm ſehr böſe ſei und zu mehrerer Beſtändigkeit mit Steinen belegt werden ſolle. “
Das große Havelländiſche Luch blieb in ſeinem Urzuſtand bis 1718, wo unter Friedrich Wilhelm I. die Entwäſſerung begann. Vorſtellungen von Seiten der zunächſt Betheiligten, die ihren eigenen Vortheil, wie ſo oft, nicht einzuſehen vermochten,176 wurden ignorirt oder abgewieſen und im Sommer deſſelben Jahres begannen die Arbeiten. Im Mai 1719 waren ſchon über 1000 Arbeiter beſchäftigt und der König betrieb die Canaliſirung des Luch’s mit ſolchem Eifer, daß ihm ſelbſt ſeine vielgeliebten Soldaten nicht zu gut dünkten, um mit Hand anzulegen. Zweihundert Gre - nadiere, unter Leitung von zwanzig Unteroffizieren, waren hier in der glücklichen Lage, ihren Sold durch Tagelohn erhöhen zu kön - nen. Im Jahre 1720 war die Hauptarbeit bereits gethan, aber noch fünf Jahre lang wurde an der völligen Trockenlegung des Luch’s gearbeitet. Nebengräben wurden gezogen, Brücken und Stau-Schleuſen angelegt, Dämme gebaut und an allen trocken gelegten Stellen das Holz - und Strauchwerk ausgerodet. Die Arbeiten waren zum großen Theil unter Anleitung holländiſcher Werkführer und nach holländiſchen Plänen vor ſich gegangen. Dies mochte den Wunſch in dem König anregen, mit Hülfe der ’mal vorhandenen Arbeitskräfte, aus dem ehemaligen Sumpf - und Seelande überhaupt eine reiche, fruchtbare Colonie zu machen. Der Plan wurde ausgeführt und das „ Amt Königshorſt “entſtand an dem Nordrande des kreisförmigen Havelländiſchen Luch’s, ohn - gefähr da, wo das vom Rhin-Luch abzweigende Verbindungsſtück in das Havelländiſche Luch einmündet. Die Fruchtbarkeit freilich, die dem eben gewonnenen Grund und Boden von Natur aus ab - ging, hat kein Königlicher Erlaß ihm geben können; aber in allem andern hat der „ Soldatenkönig “ſeinen Willen glücklich durchgeführt: Königshorſt mit ſeinen platten, unabſehbaren Grasflächen, ſeinen Gräben, Deichen und Alleen, erinnert durchaus an die hollän - diſchen Landſchaften des Rhein-Delta. Hier wie dort iſt die grüne Ebene der Wieſen und Weiden belebt von Viehheerden, die hier gemiſchter Raçe ſind: Schweizer, Holländer, Oldenburger und Hol - ſteiner.
Die Gewinnung guter Milch und Butter war von Anfang an ein Hauptzweck geweſen, und es wurde demgemäß eine förm - liche Lehr-Anſtalt für die Kunſt des Butterns und Käſemachens eingerichtet, wohin die Beamten der Kurmärkiſchen Aemter eine177 Anzahl von Bauertöchtern, für deren gute Führung ſie verant - wortlich waren, als Mägde zu ſchicken hatten. Dieſe Mägde wur - den während eines zweijährigen Dienſtes in allem Nöthigen unter - wieſen. Dann mußten ſie ohne Hülfe der Holländerin eine Probe guter Butter bereiten, die der König ſelbſt zu prüfen nicht ver - ſchmähte. Fiel die Prüfung zu Gunſten der betreffenden Magd aus, ſo verlieh ihr der König einen Brautſchatz im Betrage von 100 Thlr. Dieſe Einrichtung hat bis zum Tode des Königs be - ſtanden und zu ihrer Zeit reiche Früchte getragen, die noch heut zu Tage nachwirkend ſind. Auch Friedrich II. widmete dem Amte Königshorſt eine beſondere perſönliche Aufmerkſamkeit. Anfänglich ließ er den größten Theil der dortigen Ländereien zu Fettweiden benutzen, um die Einfuhr von ausländiſchem Schlachtvieh für den Berliner Markt entbehrlich zu machen; in ſpäteren Regierungs - jahren aber kehrte er ganz zu dem Benutzungsplan des Gründers von Königshorſt zurück und ſtellte das von ſeinem Vater begrün - dete Lehrinſtitut als „ eine — wie der König in einem Erlaß vom 13. Mai 1780 ſich ausdrückte — ordentliche Akademie des Buter - nachens “wieder her. Bis dieſen Tag gilt die Königshorſter Butter (Horſtbutter) in Berlin als die beſte. Eines fehlt ihr vielleicht — das Aroma. Das Luchgras, was immer auch die Cultur zu ſeiner Verbeſſerung gethan haben mag, kann nicht wetteifern mit dem ſüßen, ſaftigen, kräuterreichen Gras der Nordſee-Marſchen. Noch weniger iſt es geglückt, das Sandland der alten Horſten (Sand - ſtellen im Sumpf) zu einem fruchtbaren Boden umzugeſtalten; nur mühſam wird das Getreide gewonnen, das zum Unterhalt des Viehſtandes nöthig iſt. Von der Bedeutung jener Entwäſſerungs - arbeiten aber, die durch König Friedrich Wilhelm I. eingeleitet wurden, wird man ſich am eheſten eine Vorſtellung machen können, wenn man erfährt, daß die Geſammtlänge der im Luche befind - lichen Gräben und Canäle über 71 Meilen beträgt. —
12178Das Havelländiſche Luch gehört, wie ſein Name bereits angiebt, ganz und gar dem Havellande an, das Rhin-Luch zum größten Theil. Nur alles, was nördlich vom Rhin liegt, darunter vor allem das Wuſtrauer Luch, gehört noch dem Ruppinſchen zu, und eben dieſem Wuſtrauer Luch gilt heute unſer Beſuch.
Wir beſchloſſen, vom Hakenberger Kirchhof aus, deſſen Hügel - kuppe einen weiten Umblick geſtattet, in’s Wuſtrauſche Luch hinabzuſteigen und daſſelbe, in nördlicher Richtung, bis zu dem reichen Dorfe Langen, eine halbe Meile von Wuſtrau, zu durch - ſchneiden. Fußwanderung und Kahnfahrt ſollten unter einander abwechſeln.
Wir begannen mit einem kurzen Marſch bis zur nächſten „ Factorei. “ Es war ein heißer Tag und der blaue Himmel fing an, kleine grauweiße Wölkchen zu zeigen, die immer nur verſchwan - den, um an anderer Stelle wiederzukehren. Auf einem ſchmalen Damm, der wenig mehr als die Breite eines Wagens haben mochte, ſchritten wir hin. Alles mahnte an Torf. Ein feiner, ſchnupftabakfarbener Staub umwirbelte uns; ſchwarze undurchſich - tige Lache ſtand in den Gräben; die weite grüne Raſenfläche dehnte ſich rechts und links, nur von Torfpyramiden unterbrochen; ja ſelbſt die kümmerlichen Sträucher, darunter Ginſter und Beſen - kraut, ſahen aus, als hätten ſie ſich gehorſamſt in die Farben ihrer Herrſchaft gekleidet. Das Ganze machte den Eindruck eines plötzlich an’s Licht geförderten Bergwerks, und ehe zehn Minuten um waren, ſahen wir aus wie die Veteranen einer Knappſchaft.
Wir mochten eine halbe Stunde gewandert ſein, als wir bei der „ Factorei “ankamen, deren rothe Dächer wir lange vor uns gehabt hatten, ohne ſie erreichen zu können. Ich weiß nicht, ob dieſe Etabliſſements, deren wohl zehn oder zwölf im Wuſtrauer und Linum’ſchen Luche ſein mögen, wirklich den Namen Factoreien führen, oder ob ſie ſich noch immer mit der alten Bezeichnung Torfhütte behelfen müſſen. Jedenfalls ſind es „ Factoreien “und drückt dieſes Wort am beſten die Art und Weiſe einer ſolchen Luch-Colonie aus. Die Factorei, vor der wir uns jetzt befanden,179 lag wie auf einer Inſel, die von Gräben und Canälen, deren drei oder vier hier zuſammentrafen, gebildet wurde. Sie beſtand aus einem Wohnhaus, allerhand Stall - und Wirthſchaftsgebäuden, die ſich darum gruppirten, und aus einer Reihe von Strohhütten, die ſich, etwa 20 an der Zahl, an dem Hauptgraben entlang zogen. Nach flüchtiger Begrüßung des Obermanns ſchritten wir zunächſt dieſen Hütten zu. Sie bilden, nebſt hunderten ähnlicher Behauſun - gen, die ſich hier und anderswo im Luche finden, die temporären Wohnplätze für jene Tauſende von Arbeitern, die um die Sommer - zeit die Höhendörfer der Umgegend verlaſſen, um auf etwa vier Monate in’s Luch hinabzuſteigen und dort beim Torfſtechen ein hohes Tagelohn zu verdienen. Die Dörfer, aus denen ſie kommen, liegen leider viel zu weit vom Luch entfernt, als daß es den Arbeitern möglich wäre, nach der Hitze und Mühe des Tages auch noch heimzuwandern, und ſo iſt es denn Sitte geworden, zeit - weilige Luchdörfer aufzubauen, eigenthümliche Sommerwohnungen, in denen die Arbeiter die Torf-Saiſon verbringen. An dieſe Woh - nungen, ſo viel deren dieſe eine Colonie aufweiſt, treten wir jetzt heran.
Die Hütten ſtehen, behufs Lüftung, alle auf und geſtatten uns einen Einblick. Es ſind große, vielleicht 30 Fuß lange Stroh - dächer von verhältnißmäßiger Höhe. An der Giebelſeite, wo die Dachluke hingehören würde, befindet ſich die Eingangsthür; gegen - über, am andern Ende der Hütte, gewahren wir ein offen ſtehendes Fenſterchen. Zwiſchen Thür und Fenſterchen läuft ein ſchmaler, tennenartiger Gang, der etwa dem gemeinſchaftlichen Hausflur eines Hauſes entſpricht. An dieſen Flur grenzen von jeder Seite vier Wohnungen, d. h. vier niedrige, kaum einen Fuß hohe Hürden oder Einfriedigungen, die mit Stroh beſtreut ſind und als Schlaf - und Wohnplätze für die Torfarbeiter dienen. Wie viele Perſonen in ſolcher Hürde Platz finden, vermag ich nicht beſtimmt zu ſagen, jedenfalls aber genug, um auch bei Nachtzeit ein Offenſtehen von Thür und Fenſter als ein dringendes Gebot erſcheinen zu laſſen. Es war um die Mittagsſtunde, und wir fanden ein halbes Dutzend12*180Leute, die theils ſich ausruhten, theils ihr Mittagsmahl verzehrten. Wir knüpften ein Geſpräch an und erfuhren Folgendes. Die Arbeit iſt ſchwer und ungeſund, aber einträglich, beſonders für geübte Arbeiter, die mittels ihrer Geſchicklichkeit das Accord-Quantum täglich überſchreiten und ihre Arbeits-Ueberſchüſſe bezahlt bekommen. Drei Arbeiter bilden immer eine Einheit und als das Durchſchnitts - quantum, das ſie täglich zu liefern haben, gelten 13000 Stück Torf. Leiſten ſie das, ſo haben ſie einen mittleren Tagelohn ver - dient, der aber immer noch beträchtlich über das hinausgeht, was für Feldarbeit in den Dörfern bezahlt zu werden pflegt. Gute Arbeiter aber (immer jene drei als Einheit gerechnet) bringen es bis zu 20,000 Stück, was, den Tag zu 10 Arbeitsſtunden feſt - geſetzt, etwa 2 Secunden für die Gewinnung eines Stückes Torf ergiebt. Ueber dieſe Producirung ſei noch ein Wort geſagt. Man hat es eine Zeit lang mit Maſchinen verſucht, iſt aber längſt zur Handarbeit, als zu dem raſcheren und einträglicheren (auch für die Unternehmer) zurückgekommen. Das Verfahren iſt außerordentlich einfach. Drei Perſonen und drei verſchiedene Inſtrumente ſind nöthig: ein Schneide-eiſen, ein Grabſcheit und eine Gabel. Das Schneide-eiſen iſt die Hauptſache; es gleicht einem Grabſcheit, das zwei kurz vorſpringende Flügel hat, ſo daß man beim Eindrücken deſſelben drei Schnitte a tempo macht. Die Arbeiter ſtehen nun vor einem langen Torfgraben, deſſen Wand glatt und ſteil abfällt. Zwei Arbeiter ſtehen in dem Graben; der dritte, mit dem Schneide - eiſen, auf der Wandung deſſelben. Dieſer ſetzt nun das Eiſen ein, drückt von oben her das Torfmeſſer in den Grabenrand und ſchneidet dadurch ein fix und fertiges Torfſtück heraus, das nur noch nach unten zu feſthaftet. In demſelben Augenblick, wo er das Schneide-eiſen wieder hebt, um es dicht daneben in den Boden zu drücken, ſticht der im Graben ſtehende Mann mit dem Grabſcheit das Stück Torf los und präſentirt es, wie ein vom Teller gelöſtes Stück Kuchen, dem dritten. Dieſer ſpießt es mit einer großen Eiſengabel auf und legt es ſchichtweis bei Seite, ſo daß ſich binnen Kurzem die bekannte Torfpyramide aufbaut.
181Wir ſchritten nun zu dem eigentlichen Factorei-Gebäude zu - rück; es theilt ſich in zwei Hälften, in ein Bureau und eine Art Bauernwirthſchaft. An der Spitze des Comtoirs ſteht ein Geſchäfts - führer, ein Vertrauensmann der „ Torflords, “der die Wochen - löhne zu zahlen und das Kaufmänniſche des Betriebs zu leiten hat. Er iſt nur ein Sommergaſt an dieſer Stelle, eben ſo wie die Arbeiter, und kehrt, wenn der Herbſt die Arbeiten unterbricht, für die Wintermonate nach Linum oder Fehrbellin zurück. Nicht ſo der Obermann, der Torfmeier, dem Haus und Hof gehören, in das wir ſo eben wieder eingetreten ſind. Er iſt hier zu Haus, jahraus, jahrein, und nimmt ſeine Chancen, je nachdem ſie fallen, gut oder ſchlecht. Der Novemberſturm deckt ihm vielleicht das Dach ab, der Winter ſchneit ihn ein, der Frühling bringt ihm Waſſer ſtatt Blumen und macht ſein Gehöft zu einer Inſel im See; aber was auch kommen mag, der Obermann trägt es in Geduld und freut ſich auf den Sommer, wie ſich Kinder auf Weihnachten freuen. Dabei liebt er das Luch; er ſpricht von Weizenfeldern, wie wir von Italien ſprechen, er bewundert ſie als etwas Hohes und Großes; aber ſein Herz hängt nur am Luch und an der wei - ten, grünen Ebene, auf der, wie ein Lagerplatz, den die Unter - irdiſchen verlaſſen haben, der Torf in ſchwarzen Zelten ſteht.
Der Obermann hieß uns zum zweiten Mal willkommen und rief ſeine Frau, die uns freundlich-verlegen die Hand ſchüttelte. Beide Leute, wiewohl eher hübſch als häßlich, zeigten jene leder - farbene Magerkeit, die mir ſchon früher in Sumpfgegenden, nament - lich auch bei den Bewohnern des Spreewaldes, aufgefallen war. Die blanke, ſtraffe Haut ſah aus, als wäre ſie über das Geſicht geſpannt. Die Frau verließ uns wieder, um in der Küche nach dem Rechten zu ſehen, und ließ uns Zeit, das Zimmer zu muſtern, in dem wir uns befanden. Es war, wie Märkiſche Bauerſtuben zu ſein pflegen: zwei Silhouetten von Mann und Frau unter gemeinſchaftlichem Glas und Rahmen; zwei Preußiſche Prinzen daneben und ein rother Huſar darunter; — die Katze machte einen krummen Rücken und ſtreifte mit ihrem Fell an allen vier Tiſch -182 beinen vorbei; der flachsköpfige Sohn verbarg ſeine Verlegenheit hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Ziffer - blatt Amor und Pſyche vertraulich nebeneinander lehnten, unter - brach einzig und allein die langen Pauſen der Unterhaltung. Denn der Obermann war kein Sprecher.
Endlich trat die Magd ein, um den Tiſch zu decken. Sie öffnete die kleinen Fenſter, und zugleich mit der Sonne drangen jetzt Hahnenſchrei und Entengeſchnatter in’s Zimmer; war doch das Flügelvolk des Hofes ſeit lange daran gewöhnt, ein dankbares Hoch auszubringen, ſo bald das rothe Halstuch der Köchin an Thür oder Fenſter ſichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf aus ſeinem Verſteck hervor und ſtellte Stühle um den Tiſch herum; eine Flaſche Wein aus unſerem Reiſeſack vollendete die Vorberei - tungen. Das Mahl ſelbſt war ganz im Charakter des Luchs: erſt Kibitz-Eier, dann wilde Enten und ſchließlich ein Kuchen aus Haidemehl, deſſen Buchweizen auf den Sandſtellen des Luches ſelbſt gewachſen war. Wir ließen den Obermann leben und wünſch - ten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück iſt voll - kommen; als wir um ein Glas Waſſer baten, brachte man uns ein Glas Milch; das Luch ſteckt zu tief im Waſſer, um — Trink - waſſer haben zu können.
Bald nach Tiſch nahmen wir Abſchied und ſtiegen in ein bereit liegendes Boot, um unſere Waſſerreiſe durch das Herz des Luches anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwiſchen grau und blau gekämpft hatte, wie Einer, der ſchwankt, ob er lachen oder böſe werden ſoll, hatte ſich inzwiſchen völlig grau umzogen und drohte unſerer Waſſerfahrt einen ausgedehnteren und allgemeineren Charakter zu geben, als uns lieb ſein konnte. Dennoch verbot ſich ein längeres Zögern, und unter Hut - und Mützenſchwenken ging es dahin. Es war eine Vorſpann-Reiſe: kein Ruderſchlag fiel in’s Waſſer, keine Bootmannskunſt wurde geübt; Ruderer und Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochſtiefligen Torf - arbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mit - tels eines am Maſt befeſtigten Strickes uns raſch und ſicher die Waſſerſtraße hinaufzog. Gemeinhin trabte er links von uns den gras -183 bewachſenen, niedrigen Damm entlang; ſo oft wir aber in einen rechts hin abzweigenden Graben einbiegen mußten, ließ er das Boot links auflaufen, ſprang hinein, ſetzte ſich als ſein eigener Fährmann über und trat dann am anderen Ufer die Weiterreiſe an. Eine andere Unterbrechung machten die Brücken. Dieſelben ſind zahlreich im Luch, wie ſich bei 71 Meilen Canal-Verbindung denken läßt, und von allereinfachſter aber zweckentſprechendſter Con - ſtruction. Ein dicker, mächtiger Baumſtamm unterhält die Verbin - dung zwiſchen beiden Ufern und würde wirklich ohne alle weitere Zuthat die ganze Ueberbrückung ausmachen, wenn nicht die vielen mit Maſt und Segel des Weges kommenden Torfkähne es nöthig machten, daß man den im Wege liegenden Brückenbalken auch ohne Mühe beſeitigen könne. Zu dieſem Behuf ruhen die Balken auf einer Art Drehſcheibe, und die Kraft zweier Hände reicht völlig aus, den Brückenbaum nach rechts oder links hin aus dem Wege zu ſchaffen.
Die unzähligen Waſſerarme, die das Grün durchſchneiden, geben der Landſchaft viel von dem Charakter des Spreewaldes und erinnern uns mehr denn einmal an das Netz von Gräben und Canälen, das die fruchtbaren Landſtriche zwiſchen Lehde und Leipe, den beiden Dörfern des Spreewaldes, durchzieht. Aber bei aller Aehnlichkeit haben das Luch und der Spreewald doch ihre Sonderzüge, die beide Sumpfgegenden wieder weſentlich von ein - ander ſcheiden. Der Spreewald iſt bunter, reicher, ſchöner; in ſei - ner Grundanlage dem Luch allerdings verwandt, hat das Leben doch überall Beſitz von ihm genommen und hat ſeine heiteren Bilder in den einfach grünen Teppich eingewoben. Dörfer tauchen auf, bunte Kähne gleiten den Fluß entlang, Blumen ranken ſich um Haus und Hütte, und weidende Heerden und ſingende Menſchen unterbrechen die Stille, die auf der Landſchaft liegt. Nicht ſo im Luch. Der einfach grüne Grund des Teppichs iſt noch ganz er ſelbſt geblieben; das Leben iſt nur ein Gaſt hier, und der Menſch, ein paar Torfhütten und ihre Bewohner abgerechnet, ſtieg in die - ſen Moorgrund nur hinab, um ihn auszunutzen, nicht um auf ihm zu leben. Einſamkeit iſt der Charakter des Luch’s. Nur vom184 Horizont her, faſt wie Wolkengebilde, blicken Dörfer und Thürme in die grüne Oede hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen ſich endlos in’s Weite, und nichts Lebendes unterbricht die Stille des Orts, als die unheimlichen Pelotons der von rechts und links in’s Waſſer ſpringenden Fröſche, oder das Kreiſchen der wilden Gänſe, die über das Luch hinziehen. Von Zeit zu Zeit ſperrt ein Torf - kahn den Weg ab und weicht endlich mürriſch zur Seite, um unſer Boot vorbei zu laſſen. Kein Schiffer wird ſichtbar, eine räthſel - hafte Hand lenkt das Steuer des Kahns, und wir fahren mit ſtillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppen-Thier vorbei, als ſei es ein Torf-Ichthyoſaurus, ein alter Beherrſcher dieſes Luch’s, der ſich noch beſönne, ob er der neuen Zeit und dem Menſchen das Feld räumen ſolle oder nicht.
So waren wir bis in die Mitte des Luch’s gekommen. Die Kirchthürme an der Südſeite waren uns aus dem Geſicht ver - ſchwunden und die Dörfer, die am Nordrand liegen, ließen noch auf ſich warten. Da brach das Gewitter los, das ſeit drei Stun - den um das Luch herum ſeine Kreiſe gezogen und geſchwankt hatte, ob es auf der Höhe bleiben, oder in die Niederung des Luch’s hinabſteigen ſollte. Die Luch-Gewitter erfreuen ſich des beſten Rufs; ſie kommen ſelten aber gut. Ein ſolches Wetter entlud ſich jetzt über uns. Kein Haus, kein Baum, kein Strauch in Näh’ und Ferne: ſo war es das Beſte, die Reiſe fortzuſetzen, als läge Sonnenſchein rundum. Der Regen fiel in Strömen, unſer einge - ſchirrter Torfarbeiter that ſein Beſtes und trabte gegen Wind und Wetter an. Der Boden wurde immer glitſchiger und mehr denn einmal ſank er in die Knie; aber raſch war er wieder auf und unverdroſſen ging es weiter. Wir ſaßen derweilen ſchweigſam da, bemaßen das Waſſer im Boot, das von Minute zu Minute ſtieg und blickten alsbald nicht ohne Neid auf den vor uns her traben - den Graukittel, der in der Luſt des Kampfs Gefahr und Noth vergeſſen mochte, während wir in der Lage von Reſerve-Bataillonen waren, die Gewehr bei Fuß daſtehen müſſen, wenn die Kugeln einſchlagen und ihre Wirkung thun.
Jeder hat ſolche Situation durchgemacht und kennt die faſt185 gemüthliche Reſignation, die ſchließlich über einen kommt. Mit dem Moment, wo man die letzte trockne Stelle naß werden fühlt, fühlt man auch, daß das Wetter ſeinen letzten Pfeil verſchoſſen hat und daß es nur beſſer werden kann, aber nicht ſchlimmer. Lächelnd ſaßen wir jetzt da, nichts vor uns, als den grünen Streifen des Luch’s, der mit dem Grau von Regen und Himmel in eins ver - ſchwamm, und ſahen dem Tropfentanze zu, als ſtänden wir am Fenſter und freuten uns der Waſſerblaſen auf Teich und Tümpel. Endlich hielten wir; wir hatten den Nordrand des Luch’s erreicht, und die Sonne, die eben ſich wieder durchkämpfte und ihren Friedensbogen über das Luch warf, vergoldete den hübſchen Thurm des Dorfes Langen und zeigte uns den Weg. In weni - gen Minuten hatten wir das Wirthshaus erreicht, beſtellten, in faſt beſchwörendem Ton, „ einen allerbeſten Kaffee, “und baten um die Erlaubniß, am Küchenfeuer Platz nehmen und unſere Garde - robe ſtückweiſe trocknen zu dürfen. Wir traten in die große, alt - modiſche Küche mit dem rieſigen Herd, dem offenen Feuer und dem Hängekeſſel über demſelben. Der Rauchfang war mit kupfer - nem Geſchirr und die rothen Wände mit Fliegen bedeckt. Die Sonne ſtand jetzt brennend über dem Haus und drückte von Zeit zu Zeit den Rauch in die Küche hinein. Wir achteten deſſen wenig; von Minute zu Minute ward uns beſſer. Eine braune weitbäuchige Kanne ſtand bereits auf dem Herd, und die Alte, die, eine große Kaffeemühle zwiſchen den Knieen, mit wunderbarem Ernſt die Kurbel gedreht und Kreiſe beſchrieben hatte, erhob ſich jetzt von ihrem Schemel, um das braune Pulver in den Trichter zu ſchüt - ten. Die Magd mit dem Hängekeſſel war zur Hand, und im näch - ſten Augenblick ziſchte das Waſſer und trieb die braunen Schaum - blaſen hoch über den Rand. Wir ſtanden umher und ſogen begierig den aromatiſchen Duft ein. Alles Fröſteln war vorbei, und Taſſe und Herdfeuer vor uns, auf Stuhl und Schemel uns wiegend, plauderten wir vom Luch, als wären wir eben den Kanſas-River hinauf gefahren oder hätten die ungeheure Prairie in ihrer ganzen Länge durchritten.
Unter den vielen hübſch gelegenen Dörfern, die den Stadtrayon von Berlin nach allen Seiten hin umzirken, ſteht das Dörfchen Tegel, ſowohl ſeiner reizenden Lage wie ſeiner hiſtoriſchen Erinne - rungen halber, vielleicht oben an. Jeder kennt es als das Beſitz - thum der Familie Humboldt. Das berühmte Brüderpaar, das dieſem Fleckchen märkiſchen Sandes auf Jahrhunderte hin eine Bedeutung leihen und es zur Pilgerſtätte für Tauſende machen wird, ruht dort gemeinſchaftlich zu Füßen einer granitenen Säule, von deren Höhe die Geſtalt der „ Hoffnung “auf die Gräber beider hernieder blickt.
Tegel liegt anderthalb Meilen nördlich von Berlin. Wer ſei - nen Füßen einigermaßen vertrauen kann, thut gut, die ganze Tour zu Fuß zu machen. Die erſte Hälfte des Weges führt durch die volkreichſte und vielleicht intereſſanteſte der Berliner Vorſtädte, durch die ſogenannte Oranienburger Vorſtadt, die ſich, weite Strecken Landes bedeckend, aus Bahnhöfen und Kaſernen, aus Kirchhöfen und Eiſengießereien zuſammenſetzt. Dieſe vier heterogenen Elemente drücken dem ganzen Stadttheil ihren Stempel auf; das Privat - haus iſt nur in ſo weit gelitten, als es jenen vier Machthabern dient. Leichenzüge und Bataillone mit Sang und Klang folgen ſich in raſchem Wechſel oder begrüßen ſich einander; dazwiſchen190 gellt der Pfiff der Locomotive und über den Schloten und Schorn - ſteinen weht die bekannte ſchwarze Fahne. Hier befinden ſich, neben der Königlichen Eiſengießerei, die großen Etabliſſements von Egels und Borſig, und während dem Vorübergehenden die endloſe Menge der Bauten imponirt, verweilt er mit Staunen und Freude zu - gleich bei dem feinen Geſchmack, bei dem Sinn für das Schöne, der es nicht verſchmäht hat, hier in den Dienſt des Nützlichen zu treten.
So zieht ſich die Oranienburger Vorſtadt bis zur Panken - brücke; jenſeits derſelben verändert die Vorſtadt ihren Namen und ihren Charakter. Der ſogenannte „ Wedding “beginnt und an die Stelle der Fülle, des Reichthums, des Unternehmungsgeiſtes treten die Bilder jener proſaiſchen Dürftigkeit, wie ſie dem märkiſchen Sande urſprünglich eigen ſind. Kunſt, Wiſſenſchaft, Bildung haben in dieſem armen Lande einen ſchwereren Kampf gegen die wider - ſtrebende Natur zu führen gehabt, als vielleicht irgend wo anders, und in geſteigerter Dankbarkeit gedenkt man jener Reihenfolge or - ganiſatoriſcher Fürſten, die ſeit anderthalb Jahrhunderten Land und Leute umgeſchaffen, den Sumpf und den Sand in ein Frucht - land verwandelt und die Rohheit und den Ungeſchmack zur Sitte und Bildung herangezogen haben. Aber die alten, urſprünglichen Elemente leben noch überall, grenzen noch an die Neuzeit oder drängen ſich in die Schöpfungen derſelben ein, und wenige Punkte möchten ſich hierlandes finden, die ſo völlig dazu geeignet wären, den Unterſchied zwiſchen dem Sonſt und Jetzt, zwiſchen dem Ur - ſprünglichen und dem Gewordenen, ſo auf einen Schlag zu zeigen, als die Stadttheile dieſſeits und jenſeits des Flüßchens, das wir ſo eben überſchritten haben.
Die Oranienburger Vorſtadt in ihrer jetzigen Geſtalt iſt das Kind einer neuen Zeit und eines neuen Geiſtes; der „ Wedding “aber, der nun vor und neben uns liegt, iſt noch im Einklang mit dem alten nationalen Bedürfniß, mit den landesüblichen Anforde - rungen einer früheren Epoche gebaut. Was auf faſt eine halbe Meile hin dieſen ganzen Stadttheil charakteriſirt, das iſt die völlige191 Abweſenheit alles deſſen, was wohlthut, was gefällt. In erſchrecken - der Weiſe fehlt der Sinn für das Maleriſche. Die Häuſer ſind meiſt in gutem Stand; nirgends die Zeichen ſchlechter Wirthſchaft und des Verfalls; die Dachziegel weiſen keine Lücke auf und keine angeklebten Streifen Papier verkürzen dem Glaſer ſein Recht und ſeinen Verdienſt; das Holzgitter, das Haupt - und Nebengebäude umzieht, iſt wohl erhalten und der junge Baum, der in der Nähe der Hausthür ſteht, hat ſeinen Pfoſten, daran er ſich lehnt, und ſeinen Baſt, der ihn hält. Ueberall ein Geiſt mäßiger Ordnung, mäßiger Sauberkeit, überall das Beſtreben, ſich nach der Decke zu ſtrecken und durch Fleiß und Sparſamkeit ſich weiter zu bringen, aber nirgends das Bedürfniß, das Schöne, das erhebt und erfreut, in etwas anderem zu ſuchen, als in der Neuheit eines Anſtrichs, oder in der Geradlinigkeit eines Zauns. Man will keine Schwalbe am Sims — ſie bringen Ungeziefer; man will keinen Epheu am Haus — er ſchädigt das Mauerwerk; man will keine Bäume in Hof und Garten — ſie machen feucht und halten das Licht ab; man will nicht Laube, nicht Veranda — was ſollte man damit? Nützlichkeit und Nüchternheit herrſchen ſouverain und nehmen der Erſcheinung des Lebens allen Reiz und alle Farbe. Grün und gelb und roth wechſeln die Häuſer und liegen doch da wie einge - taucht in ein allgemeines, troſtloſes Grau.
Den kläglichſten Anblick aber gewähren die ſogenannten Ver - gnügungsörter. Man erſchrickt bei dem Gedanken, daß es möglich ſein ſoll, an ſolchen Plätzen das Herz zu erlaben und zu neuer Wochenarbeit zu ſtärken. Wie Ironie tragen einige die Inſchrift: „ Zum freundlichen Wirth. “ Man glaubt ſolcher Inſchrift nicht; wer könnte freundlich ſein in ſolcher Behauſung und Umgebung? An der Eingangsthür hängen zwei Wirthshausſchildereien von der bekannten Genrebilderart, die mehr an die Götzen und Kunſt - zuſtände der Sandwichsinſeln, als an die Nachbarſchaft Berlins erinnern, und als einziger Anklang an Spiel und Heiterkeit zieht ſich am Holzgitter des Hauſes eine Kegelbahn entlang, deren küm - merliches und ausgebleichtes Lattenwerk daſteht wie das Skelett eines Vergnügens.
192Auf halbem Wege nach Tegel ſind wir endlich bis an die letzten Ausläufer der Stadt gelangt, und eine Tannenheide nimmt uns jetzt auf, die uns, ziemlich ununterbrochen, bis an den Ort unſerer Beſtimmung führt. Noch ein weiter freier Platz, der uns nach links hin einen Blick auf den See und das Dörfchen Tegel geſtattet, dann eine Waſſermühle, hübſch, wie alle Waſſermühlen, unter Bäumen gelegen, und eine Ahorn - und Ulmenallee liegt ſüdlich vor uns, an deren entgegengeſetztem Ende wir bereits die hellen Wände von Schloß Tegel ſchimmern ſehen.
Schloß Tegel, urſprünglich ein Jagdſchloß des großen Kur - fürſten, kam, wenige Jahre nach dem Hubertsburger Frieden, in Beſitz der Familie Humboldt. Alexander Georg von Humboldt, einem adeligen pommerſchen Geſchlechte angehörig, das im Fürſten - thum Cammin und im Neuſtettiner Kreiſe ſeine Beſitzungen hatte, brachte es im Jahr 1765 durch Kauf an ſich. *)Es ſcheint zweifelhaft, ob Tegel 1765 durch Kauf, oder 1766 als Frauengut an den Major v. Humboldt kam. Ich finde nämlich anderen Orts, aus erſichtlich guter Quelle, folgendes: „ 1766 vermählte ſich der Obriſt-Wachtmeiſter (Major) v. Humboldt mit Marie Eliſabeth geb. Colomb, verwittwete Frau v. Hollwede. Aus dieſer Ehe wurden Wilhelm und Alexander v. Humboldt geboren. Die Mutter der beiden Brüder war, als Erbtochter des Directors Johann Heinrich Colomb, Beſitzerin von Ringenwalde in der Neumark, Tegel und Falkenberg (anderthalb Meilen von Berlin). In der Falkenberger Kirche ließ Frau v. Humboldt 1795 ein Erbbegräbniß bauen, in dem ſowohl ſie ſelbſt wie ihre beiden Ehemänner (Hauptmann v. Hollwede † 1765 und Obriſt - Wachtmeiſter v. Humboldt † 1779) beigeſetzt wurden. Frau v. Humboldt ſtarb 1796. “1767 wurde Wilhelm, 1769 Alexander von Humboldt geboren, aber nicht in Tegel, ſondern in Berlin, wo der Vater aller Wahr - ſcheinlichkeit nach in Garniſon ſtand. Nach dem Tode der Eltern wurde Schloß und Rittergut Tegel gemeinſchaftliches Eigen - thum der beiden Brüder und blieb es, bis es im Jahr 1802 in den alleinigen Beſitz Wilhelms von Humboldt (damals Ge -193 ſandten in Rom) überging. Alexander von Humboldt hat ſich im - mer nur beſuchsweiſe in Schloß Tegel aufgehalten, und die hiſto - riſche Bedeutung des Orts wurzelt überwiegend in dem vieljährigen Aufenthalte Wilhelms von Humboldt daſelbſt, der die letzten fünfzehn Jahre ſeines Lebens (von 1820 bis 1835), zurückgezogen von Hof und Politik, aber in immer wachſender Vertrautheit mit der Muſe und den Wiſſenſchaften, auf dieſer ſeiner Beſitzung zu - brachte.
Die Kunſtſchätze, die Schloß Tegel bis dieſen Augenblick um - ſchließt, gehören (wie ich bei Aufzählung derſelben noch weiter hervorheben werde) nicht unweſentlichen Theils in das Gebiet des Familienporträts. Wilhelm von Humboldt ſelbſt, ſeine Gemahlin, ſeine drei Töchter (jüngerer, in Rom verſtorbener Kinder zu ge - ſchweigen) haben alle, ſei es in Stein oder Farbe, eine ſo mannig - fache Darſtellung gefunden, daß es nöthig ſein wird, behufs beſ - ſerer Orientirung, dem Leſer einen kurzen Ueberblick über die Familienverhältniſſe Wilhelms von Humboldt zu geben.
Wilhelm von Humboldt war mit Caroline Friederike von Dacheroeden (geb. am 23. Februar 1766, geſt. am 26. März 1829) vermählt. Aus dieſer Ehe wurden ihm, mit Ausſchluß der früh verſtorbenen Kinder, drei Töchter und ein Sohn geboren. Der Sohn erhielt die Ottmachauſchen Güter in Schleſien; die Töchter erhielten Tegel. Die älteſte Tochter, Caroline von Hum - boldt, blieb unverheirathet und überlebte ihren Vater um kaum zwei Jahre. Die zweite Tochter, Adelheid von Humboldt, war mit dem Generallieutenant von Hedemann vermählt und beſaß Schloß Tegel als väterliches Erbtheil von 1835 bis zu ihrem Tode 1856. Nach ihrem Tode (ſie ſtarb kinderlos) ging Tegel nunmehr auf die noch lebende dritte Schweſter, Gabriele von Humboldt, Wittwe des ehemaligen Geſandten in London und Staatsminiſters von Bülow, über. Dieſe dritte Schweſter iſt die zeitige Beſitzerin des Schweſternerbes; nach ihrem Tode, da auch ſie keine Kinder hat, fällt Tegel an die männliche Linie, d. h. an die Beſitzer der großen ſchleſiſchen Güter (Ottmachau) zurück.
13194Wir haben inzwiſchen die Ahorn - und Ulmenallee durch - ſchritten und ſtehen nunmehr rechts einbiegend unmittelbar vor dem alten Schloß. Die räumlichen Verhältniſſe ſind ſo unbedeutend und die hellgelben Wände, zumal an der Frontſeite, von ſolcher Schmuckloſigkeit, daß man dem Volksmunde Recht geben muß, der ſich weigert von „ Schloß Tegel “zu ſprechen und dieſen Dimi - nutivbau „ das Schlößchen “zu nennen pflegt. Man erkennt deut - lich noch die beſcheidenen Umriſſe des alten Jagdſchloſſes, deſſen einzig charakteriſtiſcher Zug, neben einem größeren Seitenthurm, in zwei erkerartig vorſpringenden Thürmchen oder Ausbuchtungen beſtand. Dieſe Erkerthürmchen ſind dem Neubau, der 1822 unter Schinkels Leitung begonnen wurde, verblieben, während der große Seitenthurm das hübſche Motiv zur Reſtaurirung des Ganzen ab - gegeben hat. An den vier Ecken des alten Hauſes erheben ſich jetzt vier Thürme von mäßiger Höhe, die derart eingefügt und unter einander verbunden ſind, daß ſie im Innern nach allen Seiten hin die Zimmerreihen erweitern, während ſie nach außen hin dem Ganzen zu einer Stattlichkeit verhelfen, die es bis dahin nicht beſaß.
Wir treten nun ein und befinden uns auf dem niedrigen, aber ziemlich geräumigen Hausflur, der ganz im Charakter eines Atriums gehalten iſt. Kurze doriſche Säulen tragen Decke und Gebälke, eine einfach gemuſterte Steinmoſaik füllt den Fußboden und Basreliefs aller Art und Größe ſchmücken zu beiden Seiten die Wand. Ziemlich in der Mitte des Atriums befindet ſich, auf einem Sockel oder Fußgeſtell, die eigentliche Sehenswürdigkeit deſ - ſelben: eine antike, mit bacchiſchen Reliefs verzierte Brunnen - mündung, die ſich vormals in der Kirche St. Caliſto in Traſte - vere zu Rom befand. Der Sage nach ſoll der heilige Calixtus in dieſer marmornen Brunnenmündung ertränkt worden ſein, weßhalb das Waſſer, das aus derſelben geſchöpft wurde, lange Zeit für wunderthätig galt. Wilhelm von Humboldt, während ſeines lang - jährigen Aufenthalts in Rom, brachte dieſes intereſſante Curioſum käuflich an ſich und ſchmückte daſſelbe mit folgender lateiniſcher195 Inſchrift: „ Puteal, sacra bacchica exhibens, idem illud, in quo, ad martyrium patiendum, circa A. C. C. XXIII, S. Calistus immersus traditur, ex ejusdem S. Calisti aede Romana Transtiberina emptionis jure huc devectum. (Alſo etwa: Dieſe Brunnenmündung, einen Bacchuszug auf ihrer Außen - ſeite darſtellend, iſt dieſelbe, in welcher, einer Sage nach, der hei - lige Calixtus ertränkt wurde und das Martyrium erduldete, etwa 223 nach Chriſtus. In der Kirche des heiligen Calixtus zu Tra - ſtevere bei Rom käuflich erſtanden, wurde ſie (die Brunnenmün - dung) hierher gebracht.)
Zu beiden Seiten des Atriums befinden ſich verſchiedene Räumlichkeiten, die alle ohne Bedeutung ſind, mit Ausnahme des nach rechts hin gelegenen Studirzimmers Wilhelms von Humboldt. Vieles darin erinnert noch an ſeinen ehemaligen Bewohner, der hier die reifſten ſeiner Arbeiten überdachte und niederſchrieb. Hier entſtanden, ſeiner Familie ſelbſt ein Geheimniß und nach ſeinem Tode erſt aufgefunden, jene Sonette, die Alexander von Humboldt gewiß mit Recht „ die Selbſtbiographie, die Charakteriſtik des theuren Bruders “genannt hat. Hier traten, in mitternächtiger Stunde, jene ſtillen Klagen und Bekenntniſſe an’s Licht, zu deren ſorglicher Concipirung und Geſtaltung ihm die Arbeit des Tages keine Muße gegönnt hatte; hier ſchrieb er in Dankbarkeit gegen die Stille und Verſchwiegenheit der Nacht:
ſtille, durch poetiſche Innigkeit ausgezeichnete Bekenntniſſe, an denen ſich glücklicherweiſe die beſcheidene Hoffnung des Dichters:
13*196und nicht die Reſignation der zwei folgenden Zeilen erfüllt hat:
In der Nähe der Fenſterwand ſteht der Schreibtiſch, kein elegantes Tiſchchen, ſondern ein ſchwerer, maſſiver Bau von Maha - goniholz, erſichtlich „ ein Krieger für den Werkeltag. “ Auf dem Tiſch, und zwar in der Mitte deſſelben, ſteht eine antike Doppel - herme, rechts daneben ein Torſo, links aber die berühmte, vom Maler Asmus Carſtens herrührende Statuette einer Parze, die am Sockel die Namensinſchrift des Künſtlers und die Jahreszahl 1795 trägt. An der gegenüber liegenden Wand, ſo daß das Auge des Schreibers, ſo oft er aufblickte, darauf fallen mußte, befinden ſich die Statuen der kapitoliniſchen Venus und der Venus von Milo, zwiſchen beiden ein Panorama von Rom und die Conſtan - tinsſchlacht, nach dem berühmten Raphaeliſchen Bilde. Die Ge - ſammtheit der in dieſem Zimmer vorhandenen Kunſtſchätze auf - zählen zu wollen, hieße den Leſer ermüden; nur einer Kreidezeich - nung Thorwaldſens, „ Bacchus, welcher dem Amor zu trinken gibt, “ſei noch, ihrer beſonderen Lieblichkeit und Grazie halber, erwähnt.
Von den Bildern und Statuen hinweg treten wir jetzt an die Glas - und Bücherſchränke heran, die ihrem Inhalte nach, wenigſtens theilweiſe, der Humboldtſchen Zeit angehören und uns ſomit Gelegenheit geben, einen Einblick in die privateren Studien, ſelbſt in die Unterhaltungslectüre des Gelehrten zu thun. Da haben wir Byrons Life and works in 17 Bänden, und Adam Smiths „ Wealth of Nations “in drei; Loudons Encyclopaedia of Gardening und Cooks Reiſen um die Welt; Schleiermachers Predigten in acht und die Schriften der Rahel in drei Bänden; Voltaire und Rouſſeau in zuſammen 74 Halbfranzbänden friedlich neben einander; Goethe in einer Ausgabe von 1817; Bulwers Eugen197 Aram und Rienzi in großem Originalformat und Adelungs Wörter - buch in vier mächtigen Schweinslederbänden. Beſcheiden in einer Ecke lehnen zwei der berühmteſten Werke Wilhelms von Humboldt ſelbſt und führen, in Goldbuchſtaben auf Dunkelblau, ihre wohl - bekannten Titel: „ Ueber die Kawi-Sprache auf der Inſel Java, “und „ über die Verſchiedenheit des menſchlichen Sprachbaus. “
Neben dem Arbeitszimmer befindet ſich das ehemalige Schlaf - kabinet Wilhelms von Humboldt, in dem er am 8. April 1835 ſtarb. Der überaus kleine Raum iſt gegenwärtig unbenutzt und dient nur zur Aufſtellung zweier weiblicher Torſen aus pariſchem Marmor, die zur Zeit des egyptiſchen Feldzugs (1799) durch einen franzöſiſchen Offizier von Athen nach Rom gebracht und an den Kunſthändler Antonini daſelbſt verkauft wurden. Von dieſem er - ſtand ſie Wilhelm von Humboldt. Nach dem einmüthigen Urtheil aller Sachverſtändigen gehören dieſe Torſen zu dem Schönſten, was wir an weiblichen Körpern von griechiſcher Kunſt beſitzen. Profeſſor Waagen iſt der Meinung, daß beide einer Gruppe von Grazien angehören, deren dritten Torſo er in der Sculpturen - ſammlung des Herrn Blundell Weld in der Nähe von Liverpool entdeckt zu haben glaubt.
Wir verlaſſen nun die untern Räume und ſteigen vom Atrium aus treppauf, um den obern Zimmern unſern Beſuch zu machen. Die Treppe ſelbſt indeß, vor allem die Art und Weiſe, wie Schinkel (der auch hier den Umbau leitete) alle entgegenſtehenden Schwie - rigkeiten glücklich überwunden hat, feſſelt uns noch auf Augen - blicke. Die Enge des Raums ſchrieb ihm Verhältniſſe vor, die etwas Kleines und Puppenſtubenhaftes nicht vermeiden konnten, und doch glückte es ihm, durch Wölbungen hier, durch Mauer - einſchnitte dort, dem Ganzen den Eindruck einer lichthellen Heiter - keit zu leihen und endlich durch Farbe und Ornamentik dieſen Eindruck bis zum Schönen und Gefälligen zu ſteigern. Die einzelnen Decken und Rundbögen, deren Dimenſionen mehr an das Modell eines Hauſes als an ein wirkliches Haus erinnern, ſind mit Stern - chen auf dunkelblauem Grunde geſchmückt und zwei in die Wand -198 fläche des Treppenabſatzes gemalte Kandelaber (es war kein Raum da, um wirkliche aufzuſtellen) gelten für Meiſterſtücke guten Ge - ſchmacks und correkter Zeichnung.
Die oberen Räume, ein Empfangszimmer, ein Saal, ein Wohnzimmer und zwei Thurmgemächer, bilden ein völliges Muſeum und ſind zu reich ausgeſtattet mit Kunſtſchätzen und Sehenswür - digkeiten aller Art, als daß mehr wie eine bloße Aufzählung des Vorhandenen an dieſer Stelle geſtattet ſein könnte. Und ſelbſt dieſe Aufzählung werde ich auf die Hauptſehenswürdigkeiten, d. h. alſo auf Originalwerke zu beſchränken haben, und ſo unterſcheiden wir denn, ohne auf die Art der Placirung Rückſicht zu nehmen, neben den Werken der Antike, die Arbeiten Thorwaldſens, Rauchs und Friedrich Tiecks; von Werken der Maler aber verſchiedene von Gottlieb Schick, Carl Philipp Fohr, Carl Steuben und Wilhelm Wach herrührende Bilder und Porträts.
Antiken. Die Statue der Nymphe Anchyrrhoe mit einem Waſſergefäß, gefunden vor Ponte Molle bei der Oſteria la Finocchia. Ihren Namen (Anchyrrhoe) hat dieſe Statue nach einer Bezeich - nung, welche Ennio Quirino Visconti auf einem andern, lebens - großen, jetzt im Louvre befindlichen Exemplar derſelben Statue, von übrigens viel geringerer Arbeit gefunden hat. Dieſe Statue hingegen zeichnet ſich eben ſo ſehr durch das graziöſe Motiv, wie durch die vortreffliche Arbeit aus.
Die Statuette einer tanzenden Bacchantin mit dem Thyrſus (der Kopf modern). — Das Fragment einer antiken Sarkophag - ſculptur, welche den Raub der Proſerpina darſtellt. — Der thro - nende Jupiter, ein Relief aus dem Palaſt Rondanini. — Vulcan, ein Relief, ebendaher. — Ein Rund, auf deſſen einer Seite ſich der Kopf des Jupiter Ammon, auf der andern eine opfernde Bac - chantin befindet. — Die antike Statue des Bacchus aus penteli - ſchem Marmor. (Der Kopf, nach Angaben von Rauch, ergänzt. ) — Die drei Parzen, ein antikes Basrelief in Marmor. Dieſes199 Relief iſt beſonders durch die Art der Auffaſſung merkwürdig. Die ſitzende Klotho ſpinnt, und die in der Mitte ſtehende Atropos ſchneidet den Lebensfaden ab; die Lacheſis aber ſteht an einem Globus und bezeichnet an demſelben das menſchliche Geſchick.
Hieran ſchließen ſich, bevor wir zu den Arbeiten neuer Mei - ſter übergehen, jene werthvollen, wenigſtens zum Theil der Antike angehörigen Geſchenke, die von Seiten Pius VII., als Zeichen des Danks für wichtige, auf dem Wiener Congreß und ſpäter in Paris ihm geleiſtete Dienſte, an Wilhelm von Humboldt überreicht wurden. Dieſe Geſchenke ſind folgende: „ Eine Säule von orienta - liſchem Granit, die eine moderne Copie, in grünem Porphyr, von dem berühmten Kopfe der Meduſa aus dem Hauſe Rondanini trägt, deren Original ſich in der Glyptothek zu München befindet. — Zwei andere Säulen aus rosso antico von großer Schön - heit, die zwei zierliche Vaſen aus jener Marmorart tragen, die den Namen giallo antico führt. — Alle drei Säulen tragen, aufge - hängt an einem Kettchen, das in Erz gegoſſene und vergoldete Wappen Pius VII. Es beſteht aus drei Feldern, in deren größe - rem ſich das päpſtliche Doppelkreuz und die Inſchrift Pax befindet, während die zwei kleineren Felder drei Sternchen und drei Köpfe zeigen. Ueber jedem einzelnen Wappen kreuzen ſich die Schlüſſel Petri. Dieſe werthvollen Geſchenke wurden an Wilhelm von Hum - boldt mit folgendem Schreiben überreicht:
„ An den Herrn Baron von Humboldt der Papſt Pius VII. “
„ Der ſo nachdrückliche Beiſtand, welchen Sie dem Ritter Ca - nova*)Der berühmte Bildhauer Canova war im Jahr 1815 Commiſſa - rius für die Zurückforderung der aus den päpſtlichen Staaten nach Paris entführten Kunſtdenkmäler. zu dem glücklichen Ausgang ſeines Auftrags haben ange - deihen laſſen, hat Uns nicht überraſcht, denn da Wir Sie zur Genüge kennen, verſahen Wir Uns mit Gewißheit, daß Sie ſich der Sache Roms und Unſerer Perſon mit Nachdruck annehmen würden. Nichtsdeſtoweniger fühlen Wir uns, nachdem Wir ver -200 nommen, wie viel Sie zu der Rückkehr der antiken Denkmale, Handſchriften und anderer koſtbaren Gegenſtände beigetragen haben, verpflichtet, Ihnen in eigener Perſon Unſern Dank zu erkennen zu geben. Rom hatte ſicherlich Urſache, Sie nicht zu vergeſſen, der Sie ſich, während Ihres Aufenthaltes daſelbſt, ſo viel Liebe und Achtung erworben, es wird aber fortan noch einen andern gewich - tigen Grund haben, Ihrer als des wohlverdienten Freundes des Sitzes der ſchönen Künſte zu gedenken. “
„ Wir werden Ihnen ein dankbares Andenken für dasjenige bewahren, was Sie in dieſer bedeutenden Angelegenheit gewirkt haben, wie Wir Ihnen ein Gleiches für alles dasjenige bewahren, welches Sie zu Unſerm Frommen in Wien gethan, wie der Car - dinal Conſalvi Uns berichtet hat. “
„ Wir werden mit der größten Freude jede Gelegenheit er - greifen, um Ihnen Unſer beſonderes Wohlwollen und Unſere Ach - tung zu bezeugen, und werden den Höchſten bitten, daß es ihm gefallen möge, über Sie ſeine Gaben und ſeine himmliſche Er - leuchtung in Fülle auszugießen und Ihnen die vollkommenſte Glück - ſeligkeit zu beſcheren. “
„ Gegeben zu Caſtel Gandolfo den 26. October 1815, im 16ten Jahre Unſeres Pontificats.
Pius. P. P. VII. “
Ich fahre nun fort in der Aufzählung der in Tegel vorhan - denen Originalwerke der Sculptur ſowohl wie der Malerei.
Zunächſt von Thorwaldſen. Die Statue der „ Hoffnung “im Styl der altgriechiſchen Kunſt, mit der Lotosblume in der Rechten. Eine Copie dieſer Statue, von Friedrich Tieck herrührend, krönt die Säule auf dem mehrgenannten Begräbnißplatz der Fa - milie. — Die Marmorbüſte der Frau von Humboldt. — Die Marmorbüſte Wilhelms von Humboldt. — Zwei Kreidezeichnungen: Maria mit dem Kinde und dem kleinen Johannes, und Maria und das Chriſtuskind, welche ſich liebkoſen. Die erſte Zeichnung201 trägt die Unterſchrift: Albertus Thorwaldsen in. et del. ; die zweite: Roma, 23 Febbrajo 1818, A. Thorwaldsen f.
Von Rauch. Venus, welche dem Mars ihre vom Diomedes verwundete Hand zeigt. (Marmorrelief in einem Rund ausgeführt.) Eine der früheſten und reizendſten Arbeiten des Meiſters. — Die ſitzende Statue eines jungen Mädchens, durch den Schmetterling in ihrer Rechten als Pſyche bezeichnet (zu gleicher Zeit Porträt - ſtatue der damals (1810) zehnjährigen Adelheid von Humboldt. ) — Die Marmorbüſte Alexanders von Humboldt. — Die Büſten der als Kinder verſtorbenen Guſtav und Louiſe von Humboldt.
Von Friedrich Tieck. Die Statuen des Odyſſeus, des Achill, der Omphale und der Iphigenie. — Reliefbild Alexanders von Humboldt. — Reliefbild des Grafen Guſtav von Schlaberndorf.
Von Gottlieb Schick. Adelheid und Gabriele von Hum - boldt als Kinder (Oelporträts auf Einem Bilde), eines der vor - züglichſten Werke dieſes leider ſo früh verſtorbenen Künſtlers. Durch das offene, weinumrankte Fenſter ſieht man auf Berg und See einer ſtill heitern italieniſchen Landſchaft hinaus. Die ſchlichten, einfachen Kleidchen verhüllen nur eben die jugendlichen Körper der beiden Mädchen, von denen die jüngere träumeriſch mit Blumen ſpielt. — Das Bildniß Carolinas von Humboldt, der älteren Schweſter der beiden eben genannten. In Größe, Farbe und Auf - faſſung dem vorigen Bilde ſehr ähnlich, aber nicht ganz von dem - ſelben Reiz.
Von Carl Philipp Fohr (1818 in Rom ertrunken). Hagen im Geſpräch mit den Donaunixen (Federzeichnung).
Von Carl Steuben. Das Bildniß Alexanders von Hum - boldt, damals (1812) 42 Jahre alt, in lebensgroßer Figur. Vorn Baſaltſäulen, im Hintergrunde der Chimboraſſo. Höchſt brillant gemacht, aber nicht ohne Anflug von Manier.
Vielleicht verlohnt es ſich, und zwar ſpeciell im Hinblick auf die zuletzt genannten Porträts, die ganze reiche Sammlung noch ein zweites mal kurz an uns vorüber ziehen zu laſſen, lediglich in der Abſicht, uns mit der Thatſache vertraut zu machen, daß neben202 einem Cultus der Schönheit, der unbeſtritten hier ſtattfand, zu gleicher Zeit ein Familienſinn, ein alle Glieder umſchlin - gendes Liebesband hier thätig war, das, wie in manchem andern, ſo auch namentlich in der reichen Anſammlung von Fami - lienporträts einen ſprechenden Ausdruck gefunden hat. Die Zahl dieſer Porträts (mit Umgehung geringfügigerer Arbeiten) iſt ſiebzehn.
Alexander von Humboldt: Zwei große Oelbilder von Steuben und einem Ungenannten, vielleicht Wach oder Krüger; eine Porträt-Büſte von Rauch; ein Relief-Porträt von Friedrich Tieck.
Wilhelm von Humboldt: Eine Büſte von Thorwaldſen; ein Relief von Martin Klauer in Rom; ein Kreideporträt von Franz Krüger.
Frau von Humboldt: Ein Oelporträt von Schick; eine Marmorbüſte von Thorwaldſen; ein Kreideporträt von Wilhelm Wach.
Caroline von Humboldt: Oelbild von Schick.
Adelheid von Humboldt: Oelbild von Schick; Marmor - ſtatue (als Pſyche) von Rauch.
Gabriele von Humboldt: Oelbild von Schick.
Guſtav und Louiſe von Humboldt: Zwei Büſten von Rauch.
Thereſe von Bülow: Büſte von Rauch.
Außer den fünf Zimmern, die alle dieſe Kunſtſchätze von Meiſterhand enthalten, befinden ſich im obern Stockwerk noch einige andere Räume, die nicht eigentlich zu den Sehenswürdigkeiten des Schloſſes gehören, aber, unter dem Einfluß des Contraſtes, bei jedem, der zu ihrem Beſuch zugelaſſen wird, ein lebhaftes Intereſſe wecken werden. Hier in den Zimmern, die nach außen hin nichts zu bedeuten, nichts zu repräſentiren haben, hängen die erſten An - fänge kurbrandenburgiſcher Malerkunſt, wie eben ſo viele grob ge - tuſchte Bilderbogen an Wand und Pfeiler, und zwingen ſelbſt dem preußenſtolzeſten Herzen ein mitleidiges Lächeln ab. Sinn und Seele noch tief erfüllt vom Anblick idealer Schönheit, die in hun - dert Geſtalten und doch immer als dieſelbe eine, eben erſt zu203 uns ſprach, werden wir, Angeſichts dieſer blaurothen Soldateska, irre an allem, was uns bis dahin die Aufgabe einer neuen Zeit, als Ziel einer neuen Richtung gegolten hat, und verlegen treten wir ſeitwärts, um des Anblicks von Dreimaſter und Bortenrock nach Möglichkeit überhoben zu ſein. Mit Unrecht; nicht die Rich - tung iſt es, die uns verdrießt, nur das niedrige Kunſtmaß inner - halb derſelben. Ein Modell der Rauch’ſchen Friedrichsſtatue, eine Menzel’ſche Hochkirchſchlacht würden uns auch vielleicht frappirt, aber noch im Augenblicke der Ueberraſchung, durch den Eindruck auf unſer Gemüth, uns ihre Ebenbürtigkeit bewieſen haben.
Wir verlaſſen nun das Haus und ſeine bildgeſchmückten Zimmerreihen, um der vielleicht eigenthümlichſten und feſſelndſten Stätte dieſer an Beſonderem und Abweichendem ſo reichen Beſitzung zuzuſchreiten — der Begräbnißſtätte. Der Geſchmack der Hum - boldtſchen Familie (vielleicht auch ein Höheres noch als das) hat es verſchmäht, in langen Reihen eichener Särge den Tod gleichſam überdauern und die Aſche der Erde vorenthalten zu wollen. Des Fortlebens im Geiſte ſicher, durfte ihr Wahlſpruch ſein „ Erde zu Erde. “ Kein Mauſoleum, keine Kirchenkrypta nimmt hier die irdi - ſchen Ueberreſte auf; ein Hain von Edeltannen friedigt die Be - gräbnißſtätte ein und in märkiſch-tegelſchem Sande ruhen die Mit - glieder einer Familie, die, wie kaum eine zweite, dieſen Sand zu Ruhm und Anſehen gebracht.
Zwei Wege führen vom Schloß aus zu dieſem inmitten eines Hügelabhangs gelegenen Friedhof hin. Wir wählen die Lindenallee, die geradlienig durch den Park läuft und zuletzt in leiſer Biegung zum Tannenwäldchen hinanſteigt. Unmerklich haben uns die Bäume des Weges bergan geführt, und ehe uns noch die Frage gekommen, ob und wo wir den Friedhof finden werden, ſtehen wir bereits inmitten ſeiner Einfriedigung, von dicht und wandartig ſich erhebenden Tannen nach allen vier Seiten hin überragt. Das Ganze berührt uns mit jenem ſtillen Zauber, den204 wir empfinden, wenn wir plötzlich aus dem Dunkel des Waldes auf eine Waldwieſe treten, über die abwechſelnd die Schatten und Lichter des Himmels ziehen. Die Bergwand, die den Platz gegen Norden und Oſten hin umlehnt, ſchützt ihn gegen den Wind und ſchafft eine ſelten unterbrochene Stille. Die Form des Ganzen iſt ein Oblong, etwa dreißig bis 40 Schritte lang und halb ſo breit. Der ganze Raum theilt ſich in zwei Hälften, in eine Gartenanlage und in den eigentlichen Friedhof. Dieſer beſteht aus einem einge - gitterten Viereck, an deſſen äußerſtem Ende ſich eine dreißig Fuß hohe Granitſäule auf Quaderſtufen erhebt. Von dem joniſchen Kapitäl der Säule blickt die Marmorſtatue der „ Hoffnung “auf die Gräber herab. Blumenbeete ſchließen das Eiſengitter ein.
Die Zahl der Gräber, wenn ich richtig gezählt, beläuft ſich auf zwölf, und wenig Raum iſt gelaſſen für neu hinzukommende. Die Grabſteine, die ſich der Säule zunächſt befinden (darunter Wilhelm von Humboldt, ſeine Gemahlin und die älteſte Tochter Caroline), haben keine Inſchriften, ſondern Name, Geburts - und Todesjahr der Heimgegangenen ſind in die Quadern des Poſta - ments eingegraben. Die mehr am andern Ende des Gitters gele - genen Hügel aber weiſen kleine Marmortäfelchen auf, die einfach den Namen und die Daten tragen und in ihrer Schlichtheit an die Stäbchen erinnern, die der Gärtner dort in die Erde ſteckt, wo er um die Herbſtzeit ein Samenkorn für den Frühling ge - pflanzt hat. Alle Gräber ſind mit Epheu dicht überwachſen; nur eines, der Gitterthür und dem Beſchauer zunächſt, entbehrt noch der friſchen, dunkelgrünen Decke. Fahl gewordene Tannenreiſer bedecken die Stätte, aber auf den Reiſern liegen Lorbeer - und Eichenkränze und verrathen leicht, wer unter ihnen ſchläft.
Wenn ich den Eindruck bezeichnen ſoll, mit dem ich von dieſer Begräbnißſtätte ſchied, ſo war es der, einer entſchiedenen Vor - nehmheit begegnet zu ſein. Ein Lächeln ſpricht aus allem und das reſignirte Bekenntniß: wir wiſſen nicht, was kommen wird, und müſſen’s — erwarten. Deutungsreich blickt die Geſtalt der Hoffnung auf dieſe Gräber hernieder. Im Herzen deſſen, der dieſen205 Friedhof ſchuf, war eine unbeſtimmte Hoffnung lebendig, aber kein beſtimmter ſiegesgewiſſer Glaube. Ein Geiſt der Liebe und Humanität ſchwebt über dem Ganzen, aber nirgends eine Hindeutung auf das Kreuz, nirgends der Ausdruck eines uner - ſchütterlichen Vertrauens. Das ſollen nicht Splitterrichter-Worte ſein, am wenigſten Worte der Anklage; ſie würden dem nicht ziemen, der ſelbſt lebendiger iſt in der Hoffnung als im Glauben; aber ich durfte den einen Punkt nicht unberührt und ungenannt laſſen, der, unter allen märkiſchen Edelſitzen, dieſes Schloß und dieſen Friedhof zu einem Unicum macht. Die märkiſchen Schlöſſer, wenn nicht ausſchließlich feſte Burgen altlutheriſcher Confeſſion, haben abwechſelnd den Glauben und den Unglauben in ihren Mauern geſehen; ſtraffe Kirchlichkeit und laxe Freigeiſterei haben ſich innerhalb derſelben abgelöſt. Nur Schloß Tegel hat ein drittes Element in ſeinen Mauern beherbergt, gleich weit entfernt von Orthodoxie wie von Frivolität, jenen Geiſt, der ſich inmitten der Antike und Claſſicität langſam, aber ſicher auszubilden pflegt, und lächelnd über die Kämpfe und Befehdungen beider Extreme, das Dieſſeits genießt und auf das räthſelvolle Jenſeits hofft.
Die ſtille klare Havel, mit jener Fülle von Seen, die ſie an ihrem blauen Bande aufreiht, iſt mir immer wie ein Strom vor - gekommen, dem eigens die Aufgabe zugefallen ſei, als Spiegel für unſere königlichen Schlöſſer, für Pfaueninſel und Glienicke, für Babelsberg und Marmorpalais zu dienen. Die Schönheit wider - ſpiegelnd, verdoppelt ſie den Reiz.
So erſcheint die Havel auf ihrem Mittellauf, zwiſchen Tegel und Brandenburg. Aber nicht überall iſt ſie ſie ſelbſt; ſchlicht, ſchmal, ein Wäſſerchen wie andere, tritt ſie aus dem Mecklenbur - giſchen in die Mark, um dann auf ihrem ganzen Oberlauf ein Flüßchen zu bleiben, das nicht Inſeln wie Nymphaeenblätter trägt, ſondern ſich theilen muß, um eine Inſel zu bilden, oder ein Stück Land mit dünnen Armen zu umſpannen. Nicht das Waſſer der Sieger, ſondern das Land.
So iſt die Havel bei Oranienburg, dem unſere heutige Wanderung gilt. Bei leis ſtäubendem Regen verlaſſen wir die Reſidenz. Unſer Weg führt uns zunächſt durch den Wedding, dann, rechts an Tegel vorbei, bis nach dem romantiſchen Sandkrug, wo207 die Stehkrippen von unſeren zwei Braunen, die den Weg zu kennen ſcheinen, mit lebhaftem Pruſten begrüßt werden. Der Sand - krug verdient den Beinamen, den wir ihm ſo eben gegeben, denn die dunklen Forſten, die ihn einfaſſen, ſind faſt der einzige Punkt noch in der Umgegend Berlins, darin ſich ein Stückchen roman - tiſcher Wegelagerei erhalten hat, freilich von jener unpoetiſcheren Art, die ſtatt des lauten Angriffs in Stahl und Eiſen die Schoß - kelle leiſe beſchleicht und ſich damit begnügt, ſtatt der Hälſe — die Koffer abzuſchneiden.
Der Sandkrug iſt halber Weg; noch eine anderthalbſtündige Fahrt an Tannenholz und Dörfern vorbei und wir halten auf einem großſtädtiſch angelegten Platz, über dem ſich eben der präch - tigſte Regenbogen wölbt. Das iſt der Schloßplatz von Oranien - burg. Das Wetter klärt ſich auf; die Sonne iſt da. Das Haus, das uns aufnehmen ſoll, verbirgt ſich faſt hinter den Linden - bäumen, die es umſtehen, und erweckt, neben manchem Anderen, unſere günſtigſten Vorurtheile auch dadurch, daß wir vernehmen, es ſei Rathhaus und Gaſthaus zugleich. Wo Juſtiz und Gaſtlich - keit ſo nahe zuſammen wohnen, da iſt es gut ſein. In alten Zei - ten war das häufiger; unſere Altvodern verſtanden ſich beſſer auf Gemüthlichkeit als wir.
Die Luft iſt warm und weich und ladet uns ein, unſern Nachmittagskaffee im Freien zu nehmen. Da ſitzen wir denn auf der Treppe des Hauſes, die ſich nach rechts und links hin zu einer Art Veranda erweitert, und freuen uns der Stille und der balſa - miſchen Luft, die uns umgeben. Die Kronen der Lindenbäume ſind unmittelbar über uns, und ſo oft ein Luftzug über den Platz weht, ſchüttelt er aus dem dichten Blattwerk einzelne Regentropfen auf uns nieder. Zu unſerer Linken, ziemlich in der Mitte des Platzes, ragt die Statue der hohen Frau auf, die dieſer Stadt den Namen und, über ihren engſten Kreis hinaus, zuerſt ein An - ſehen in der Geſchichte unſeres Landes gab; dahinter, zwiſchen den Stäben eines Gitterthors, ſchimmern die Bäume des Parks hervor, unmittelbar vor uns aber, nur durch die Breite des Platzes von208 uns getrennt, ragt der alte Schloßbau ſelbſt auf, deſſen Bild und deſſen Geſchichte uns heut beſchäftigen ſoll.
Wir haben die Front des Schloſſes in aller Klarheit vor uns, aber doch iſt es nur die kleinere Hälfte, deren wir von un - ſerem Platz aus anſichtig werden. Die Form des Oranienburger Schloſſes in ſeiner Blüthezeit war die eines lateiniſchen H, oder mit anderen Worten, es beſtand aus einem Haupt - oder Mittel - ſtück (corps de logis), an das ſich zwei Vorder - und zwei Hinter - flügel lehnten. Die beiden Hinterflügel exiſtiren noch, entziehen ſich aber unſerem Blick; von den Vorderflügeln wurde der eine (der rechts gelegene) durch Feuer zerſtört.
Schloß Oranienburg, wenn wir dieſe Bezeichnung zunächſt unterſchiedlos und mit einer Art rückwirkender Kraft feſthalten wollen, iſt ein alter Schloß - und Burgbau, der ſich an derſelben Stelle, d. h. alſo auf der kleinen vor uns gelegenen Havelinſel, ſeit nahe an 700 Jahren erhebt. Wir haben hier, wie bei verſchiedenen andern hohenzollernſchen Schlöſſern, drei Epochen zu unterſcheiden, drei Epochen, die ſich in aller Kürze durch drei beſtimmte Worte bezeich - nen laſſen: Burg, Jagdhaus, Schloß. Erſt das „ Schloß “(wir werden bald ſehen, aus welcher Veranlaſſung) empfing den Namen Oranienburg, während Burg und Jagdhaus den Namen Bötzow, d. h. den Namen jenes uralten wendiſchen Dorfes führten, den die vordringenden Deutſchen bei ihrer Eroberung des Landes be - reits vorfanden. Die Geſchichte kennt alſo bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinein nur eine „ Burg Bötzow, “reſp. ein „ Jagdhaus zu Bötzow; “erſt von den Tagen der Oranierin an, die hier ein „ Schloß, “einen verhältnißmäßig prächtigen Neubau, an alter Stelle erſtehen ließ, exiſtirt ein Oranienburg.
(Burg und Jagdhaus Bötzow von 1200 — 1650.) Wann Burg Bötzow gegründet wurde, iſt nicht genau erſichtlich, wahrſcheinlich zwiſchen 1170 und 1200, von einem der unmittel - baren Nachfolger Albrecht des Bären. 1217 iſt urkundlich von einer Feldmark zu Bötzow die Rede, aber freilich erſt 1288 von einer Burg zu Bötzow. Nichtsdeſtoweniger iſt der Schluß berech -209 tigt, daß ſie ſchon volle hundert Jahre früher exiſtirte. Oefter ge - nannt wird die Burg zu den Zeiten des Markgrafen Waldemar; Leben und Farbe indeß erhalten die Ueberlieferungen erſt zu An - fang des 15. Jahrhunderts während der Quitzow-Zeit.
Verſuch ich es, in kurzen Zügen ein Bild jener Epoche zu geben.
1402 war Bötzow eine markgräfliche oder kurfürſtliche Burg, die durch einen Burgvoigt im Namen des Markgrafen Jobſt von Mähren, oder vielleicht auch ſeines Statthalters, Günther von Schwarzburg, gehalten wurde. Das Elend des Landes ſtand da - mals auf ſeiner Höhe; wie ein hingeworfener Fetzen lag es da, von dem jeder Nachbar, ja jeder ehrgeizige Vaſall im Lande ſelbſt, glaubte nehmen zu dürfen, was ihm gut erſchien. Sie hatten es ſammt und ſonders leicht genug; um aber noch ſicherer und be - quemer zu gehen, vereinigten ſie ſich zu gemeinſchaftlichen Angriffen, nachdem die Vertheilung der Beute zuvor feſtgeſetzt worden war. Im genannten Jahre (1402) kam es zu einer Art von nordiſchem Bündniß gegen die offen daliegende Mark, zu einer Ligue, die aus den Herzögen von Mecklenburg und Pommern, ſo wie aus den Ruppin’ſchen Grafen beſtand, deren Seele jedoch die Quitzow’s waren. Die letztern, wiewohl ſelber Lehnsträger des Markgrafen, verfolgten, politiſch genommen, den richtigen und gut zu heißen - den Plan, ſich in dem immer herrenloſer werdenden Lande ſchließ - lich ſelber zum Herrn zu machen, und die Bündniſſe, die ſie ſchloſſen dienten ihnen nur als Mittel zum Zweck. Die Völker der Ligue fielen endlich in die Mark ein, ſengten und plünderten, wohin ſie kamen, erſtürmten Burg Bötzow und legten an Stelle der märki - ſchen nunmehr eine pommerſche Beſatzung in die Burg. Die Mark, nachdem die kurfürſtliche Autorität durch dieſe Vorgänge, beſonders aber in Folge der Gefangennahme des Statthalters Günther von Schwarzburg (durch die Quitzows 1404), einen Schlag nach dem andern erfahren hatte, ſuchte endlich eine Aus - ſöhnung mit ihren gefährlichſten Gegnern, den Quitzows, herbei - zuführen und war in ihren Verhandlungen — vielleicht eben des -14210halb, weil die beiden Brüder ein eben ſo feines wie kühnes Spiel ſpielten — glücklich genug, dieſe ſelbſt und ihren nächſten Anhang auf ihre Seite zu ziehen. Burg Bötzow wurde nun abermals ge - ſtürmt, diesmal von den Märkern, und die gefangenen Pom - mern im Triumph nach Berlin geführt; eine Quitzow’ſche Be - ſatzung aber (keine kurfürſtliche) ward in die Burg gelegt.
Von da ab, auf faſt zehn Jahre hin, blieb Bötzow eine Quitzow’ſche Burg, bis zum endlichen Untergang der Familie. In dieſer Zeit wird die Burg vielfach genannt. Nach Burg Bötzow war es, wohin die Quitzows den Herzog Johann von Mecklenburg - Stargard (1407) als Gefangenen abführten, nachdem er zuvor in ihrer Burg Plaue geſeſſen hatte; in denſelben Thurm ſetzten ſie 14 Monate ſpäter den Berliner Rathsherrn Nicolaus Wins, den ſie, mit andern Berliner Bürgern, bei der Tegeler Mühle (3. September 1410) geſchlagen hatten, und noch 1414, als der Stern des Hauſes bereits im Niedergange ſtand, geſchah es, daß ihr Hauptmann, Werner von Holzendorff, dem ſie die Vertheidi - gung der Burg anvertraut hatten, den Boten Kurfürſt Friedrichs I. (der die Aufforderung zur Uebergabe brachte) in den Thurm wer - fen und mit Ruthen ſtreichen ließ. Aber das war das letzte Auf - flackern; das kecke, kriegeriſche Leben hier ging ſeinem Ende raſch entgegen. Klugheit und Politik traten an die Stelle der Sturm - leitern, und ohne Schwertſtreich hielten alsbald die Hohenzollern ihren Einzug. An die Zeit der Quitzows aber erinnert der „ Quitzen - (Quitzow -) Steig, “der bei dem nahe gelegenen Havelhauſen vor - beiführt.
Von da ab iſt die Geſchichte Burg Bötzows ſtumm; Ver - pfändungen und Einlöſungen folgten einander, bis endlich um 1550 die Burg ſelbſt verſchwindet und ein „ Jagdhaus “an ſeine Stelle tritt. Aber auch über dieſem Jagdhaus liegen Dunkel und Schweigen. Wir irren wohl nicht, wenn wir uns einen Bau mit Eckthürmen und gothiſchem Dache denken;*)Dagegen ſpräche nur, daß es in der Lebensbeſchreibung des be - rühmten Grafen Rochus v. Lynar heißt: „ Zu gleicher Zeit (etwa 1578 aber kein Bild des211 alten kurfürſtlichen Hauſes iſt auf uns gekommen, noch weniger ein Bericht von Vorgängen innerhalb ſeiner Mauern. Kurfürſt Joachim gab den Spreeforſten den Vorzug und das Jagdhaus zu Bötzow kam, dem Favorit-Jagdſchloß zu Koepenick gegenüber, nur ausnahmweiſe zu Ehren, wenn ſich dem Reiz der Jagd über - haupt noch der Reiz der Abwechſelung hinzugeſellen ſollte. Burg und Jagdhaus Bötzow ſind ſpurlos verſchwunden; nur bei dem Umbau, dem, in jüngſter Zeit erſt, Schloß Oranienburg unter - worfen wurde, ſtieß man auf gewölbte Feldſtein-Fundamente, die zweifellos wohl der alten Zeit von Burg Bötzow angehörten und bei weiterer[Nachforſchung] (die ſich leider nicht ermöglichte) vielleicht einzelne Aufſchlüſſe über die Vorgeſchichte dieſes Punktes gegeben hätten.
(Schloß Oranienburg.) So kam das Jahr 1650. Die Kurfürſtin Louiſe Henriette, geborene Prinzeſſin von Oranien (ſeit dem 7. December 1646 dem großen Kurfürſten vermählt), pflegte ihren Gemahl auf ſeinen Jagdausflügen zu begleiten. Einer dieſer Ausflüge führte das junge Paar im Laufe des Sommers 1650 auch in die Nähe von Bötzow, und hier war es, wo die junge Fürſtin beim Anblick der lachenden Wieſen, die den Lauf der Havel einfaßten, ſich lebhaft in die fruchtbaren Niederungen ihrer hollän - diſchen Heimath zurückverſetzt fühlte und der Freude darüber den unverkennbarſten Ausdruck gab. Der Kurfürſt, deſſen Herz Liebe und Verehrung gegen die ſchöne, an Gaben des Geiſtes und Ge - müthes gleich ausgezeichnete Frau war, ergriff mit Eifer die Ge - legenheit, ihr ein erneutes Zeichen dieſer Liebe zu geben und ſchenkte ihr das „ Amt Bötzow mit allen dazu gehörigen Dörfern und Mühlen, Triften und Weiden, Seen und Teichen. “ Die Schenkung wurde dankbar angenommen, und an die Stelle des alten Jagdhauſes aus der Zeit Joachims II. trat jetzt ein Schloß,*)oder 80) gab der Graf allerhand Verbeſſerungen an dem kurfürſtlichen Schloß oder Jagdhaus zu Bötzow an. “ Dieſe Verbeſſerungen waren ſchwerlich im gothiſchen Styl.14*212das im Jahre 1652, in Huldigung gegen die Oranierin, deren Eigenthum und Lieblingsſitz es inzwiſchen geworden war, den Namen „ die Oranienburg “erhielt. In kürzeſter Friſt that auch die zu Füßen des Schloſſes gelegene Stadt ihren alten Namen Bötzow bei Seite und nahm den Namen Oranienburg an. Das Jahr 1650 (eigentlich 52) bezeichnet alſo einen Wendepunkt; bis dahin Burg und Stadt Bötzow, von da ab Schloß und Stadt Oranienburg.
Auch die Geſchichte von Schloß Oranienburg, der wir uns jetzt zuwenden, ſondert ſich in drei bemerkenswerthe Gruppen; in die Zeit der Kurfürſtin Louiſe Henriette von 1650 — 1667, in die Zeit ihres Sohnes, des erſten Königs, von 1688 — 1713 und in die Zeit des Prinzen Auguſt Wilhelm, von 1744 — 1758. Alles Andere wird nur in Kürze zu erwähnen ſein.
(Die Zeit Louiſe Henriettens von 1650 — 1667.) Kaum war die Schenkungsurkunde ausgeſtellt, ſo begann auch die Thätigkeit der hohen Frau, die durch den Anblick friſcher Wieſen nicht nur an die Bilder ihrer Heimath erinnert, die auch vor Allem einen Wohlſtand, wie ihn die Niederlande ſeit lange kannten, hier in’s Daſein rufen und nach Möglichkeit die Wunden heilen wollte, die der 30jährige Krieg dieſen ſchwer geprüften Landes - theilen geſchlagen hatte. Koloniſten wurden in’s Land gezogen, Häuſer gebaut, Vorwerke angelegt und alle zur Landwirthſchaft gehörigen Einzelheiten alsbald mit Emſigkeit betrieben. Eine Meierei entſtand und Gärten und Anlagen faßten alsbald das Schloß ein, in denen der Gemüſebau, die Baum - und Blumenzucht das Inter - eſſe der Kurfürſtin und die Arbeit der Koloniſten gleichzeitig in Anſpruch nahmen. Sie war eine ſehr fromme Frau (ihr Leben und ihre Lieder zeugen in gleicher Weiſe dafür) aber ihre Fröm - migkeit war nicht von der blos beſchaulichen Art und neben dem „ bete “ſtand ihr das „ arbeite. “ Mild und wohlwollend wie ſie war, duldete ſie doch keine Nachläſſigkeit, und in dieſem Sinne213 ſchrieb ſie z, B. am 27. April 1657 nach Oranienburg, daß es ſchimpflich für alle Beamten und geradezu unverantwortlich ſei, daß in allen Gärten nicht ſo viel Hopfen gewonnen werde, wie zum Brauen erforderlich und könne davon nichts als eine ſchänd - liche Faulheit die Schuld ſein.
Eine Muſterwirthſchaft nach Holländiſchem Vorbild ſollte hier entſtehn, aber die Hauptaufmerkſamkeit der hohen Frau war doch dem Schloßbau, der Gründung eines Waiſenhauſes und der Auf - führung einer Kirche zugewendet. Von dem Schloßbau werden wir ausführlicher zu ſprechen haben; nur der Kirche ſei ſchon hier in aller Kürze erwähnt. Mit großer Munifizenz ausgeſtattet, war ſie nur wenig über hundert Jahr eine Zierde der Stadt. Im Jahre 1788 brannte ſie nieder und nichts blieb übrig oder wurde aus dem Trümmerhaufen gerettet als ein kleiner Sandſtein, der als Inſchrift die Buchſtaben trägt: L. C. Z. B. G. P. V. O., M, D. C. L. VIII. (Louiſe, Churfürſtin zu Brandenburg, geborene Prinzeſſin von Oranien 1658). Dieſen Sandſtein hat man bei Aufführung des kümmerlichen Neubaues, der ſeitdem an die Stelle der alten Kirche getreten iſt, in die Außenwand, nahe dem Ein - gang, eingefügt. Inſoweit gewiß mit Unrecht, als er nunmehr die irrige Vorſtellung weckt, daß dieſer Bau es ſei, den die fromme Werkthätigkeit der Kurfürſtin habe entſtehen laſſen.
Waiſenhaus und Kirche entſtanden unter der chriſtlichen Für - ſorge Louiſe Henriettens, aber früher als beide, entſtand ihr Wohn - ſitz, das Schloß ſelber. Die Frage drängt ſich uns auf: wie war dies Schloß? Es war, nach allgemeiner Annahme, ein drei Stock hohes, fünf Fenſter breites Gebäude von Würfelform, das nur mittelſt eines ſtattlichen Frontiſpice’s den Character eines Schloſſes erhielt. Dies Frontiſpice war drei Fenſter breit und vier Stock hoch, ſo daß es nicht nur das Hauptſtück der ganzen Front bil - dete, ſondern auch den übrigen Theil des Gebäudes thurmartig überragte. Auf dem flachen Dache befand ſich ein mit einer Gallerie umgebener Altan, auf dem ſich in der Mitte ein hoher und an jeder der vier Ecken ein kleinerer Thurm erhob. Der Schloßhof214 war mit einem bedeckten Gange umgeben, auf deſſen Plattform zur Sommerzeit zahlreiche Orangenbäume ſtanden. So war Schloß Oranienburg in den Jahren, die ſeiner Gründung unmittelbar folgten. Nichts davon iſt der Gegenwart geblieben, und wir wür - den, da keine gleichzeitigen Pläne und Beſchreibungen exiſtiren, darauf verzichten müſſen, uns eine Vorſtellung von dem damaligen Anblick des Schloſſes zu machen, wenn nicht in dem Waiſenhauſe ein großes für die Local-Geſchichte Oranienburgs höchſt werthvolles Gemälde exiſtirte, das, früher den Prachtzimmern des Schloſſes ſelber angehörig, ſpäter ein Unterkommen im Waiſenhauſe fand und in Ermangelung anderer Anhaltepunkte am eheſten geeignet iſt, uns über die Geſtalt der damaligen Oranienburg annähernden oder doch muthmaßlichen Aufſchluß zu geben. Dies wandgroße Bild (etwa 11 Fuß im Quadrat) von dem ſich eine gleichzeitige Copie als Plafond-Gemälde in einem der Säle, wahrſcheinlich in einem der Pavillon-Zimmer befand, ſtellt, unter Benutzung der alten Dido-Sage, die Gründung Oranienburgs dar.
In der Mitte des Bildes erkennen wir das kurfürſtliche Paar, angethan mit allen Abzeichen ihrer Würde; Louiſe Henriette als Dido. Hinter dem Kurfürſten, den Speer in der Hand, ſteht der Oberſt La Cave, während die Gräfin von Blumenthal, eine ſchöne, ſtattliche Dame, die Schleppe der Kurfürſtin trägt. Weiter zurück, der Gräfin Blumenthal zunächſt, erblicken wir den Oberjägermeiſter von Hertefeld und einen von Rochow (die Angaben fehlen, welchen). Alle die Genannten füllen die linke Seite des Bildes, während zur Rechten des Kurfürſten der Geheimrath Otto von Schwerin ſteht, in wenig ſchmeichelhafter Weiſe mit zurückgeſchlagenen Hemds - ärmeln und im günſtigſten Fall in der Rolle eines behäbigen Gerbermeiſters. Er hält eine Kuhhaut (mit der Inſchrift plus outre, „ immer mehr “) in der Linken, während er mit der Rechten bemüht iſt, die Haut in Streifen zu ſchneiden. Dieſe Streifen werden von drei oder vier geſchäftigen Dienern zur Abſteckung einer weiten, ſich im Hintergrund markirenden Feldfläche benutzt, aus deren Mitte ſich in grauweißer Farbe ein Schloß erhebt; nur215 ſkizzirt, aber doch deutlich genug erkennbar, um ein verſtändliches, anſchauliches Bild zu geben. Dieſe Skizze, deren Details mit Frontiſpice und Thürmen ich weiter oben beſchrieben habe, iſt der einzige Anhaltepunkt, den wir für die damalige Form von Schloß Oranienburg haben, ein Anhaltepunkt, deſſen Stichhaltigkeit aller - dings ziemlich gerechtfertigten Bedenken unterliegt. *)Paſtor Ballhorn, in ſeiner trefflichen Geſchichte Oranienburgs, hat dieſer architektoniſchen Skizze im Hintergrunde des großen Bildes eine Beweiskraft beigelegt, die ſie wohl kaum beſitzt. Paſtor B. vermuthet, daß das Bild zwiſchen 1653 und 1654 gemalt worden ſei, was aber unmög - lich iſt, da der Holländiſche Maler, Auguſtin Terweſten, von dem es her - rührt, erſt 1649 geboren wurde. Auguſtin Terweſten (von 1696 ab Di - rektor der Akademie der Künſte) kam 1690 nach Berlin, wohin er, 40 Jahre nach der Gründung Schloß Oranienburgs, durch Kurfürſt Fried - rich III. gerufen wurde. Er begann damit, die kurfürſtlichen Luſtſchlöſſer mit großen Tableaux zu ſchmücken und da um 1690 Schloß Koepnik be - reits beendet und Schloß Charlottenburg noch nicht angefangen war, ſo iſt es wohl möglich, daß er in den Sälen von Schloß Oranienburg debütirte, das eben damals einem Umbau im großen Styl unterworfen wurde. Da dieſer Umbau bereits 1688 begann, ſo iſt es ſehr wahrſchein - lich, daß Auguſtin Terweſten das urſprüngliche Schloß, wie es die Kur - fürſtin hier entſtehen ließ, gar nicht mehr geſehen hat. Dennoch möcht’ ich auf dieſen Umſtand kein allzu bedeutendes Gewicht legen, da es, zwei Jahre nach dem Neu - und Umbau des urſprünglichen Schloſſes, allerdings nicht ſchwer für den Künſtler halten konnte, bei Malern und Architekten ſichere Auskunft darüber zu erhalten, wie denn eigentlich das Schloß der Oranierin geweſen ſei, vorausgeſetzt, daß ihm daran gelegen war, über dieſen Punkt wirklich zuverläſſige Aus - kunft zu empfangen. Es iſt aber ſehr zweifelhaft, daß ihm daran lag. Denn wir dürfen nicht vergeſſen, daß er den Moment der Landes - ſchenkung (1650) bildlich darzuſtellen hatte, alſo einen Moment, der dem Schloßbau um vier, mindeſtens aber um zwei Jahre vorausging. Er konnte ſich alſo in ſeinem künſtleriſchen Gewiſſen nicht im Geringſten ge - drungen fühlen, ein Schloß in hiſtoriſcher Treue darzuſtellen, das 1650 noch gar nicht exiſtirte, ſondern 1654 erſt fertig aus der Hand des Baumeiſters hervorging.
Schloß Oranienburg, wie es jetzt vor uns liegt, zeigt nichts mehr von dem Bau, den ich vorſtehend beſchrieben habe; weder Frontiſpice noch Säulengänge, weder Altan noch Thürme bieten216 ſich gegenwärtig dem Auge dar, und die Umwandlung, die im Laufe von zwei Jahrhunderten erfolgte, iſt eine ſo vollſtändige ge - weſen, daß es zweifelhaft bleibt, ob auch nur eine einzige Außen - wand des oraniſchen Schloſſes ſtehen geblieben und dem Neubau, der 1688 begann, zu gute gekommen iſt. Ein ähnliches Schickſal hat über Allem gewaltet, was die fromme Oranierin mit ſo viel Liebe und Eifer in’s Daſein rief. Von der Kirche ſprach ich ſchon, ſie brannte nieder; ein gleiches Schickſal traf das Waiſenhaus, ſo daß Alles, was die Kurfürſtin hier entſtehen ließ, wohl in Wort und Weſen, aber nicht in ſeiner urſprünglichen Form auf uns gekommen iſt. Das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von heute, ſie ſind nicht das Schloß, die Kirche, das Waiſenhaus von damals, und ſeit wir nunmehr (ich verweiſe auf die vorſtehende Anmerkung) aus der Lebensbeſchreibung Auguſtin Terweſtens mit Beſtimmtheit wiſſen, daß das große, im Waiſenhauſe aufbewahrte Bild nicht zwölf Jahre vor dem Tode Louiſe Henriettens, wohl aber fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode derſelben gemalt wor - den iſt, ſo exiſtirt, mit alleiniger Ausnahme eines angeblichen Por - traits der Kurfürſtin, das ebenfalls im Waiſenhausſaale aufbewahrt wird, in Stadt und Schloß Oranienburg nichts mehr, was ſich mit einiger Beſtimmtheit auf die Epoche der Oranierin zurückführen ließe. Aber leider ſind auch gegen die Aechtheit dieſes eben genann - ten Portraits begründete Zweifel zu erheben, begründet ſchon da - durch, daß dieſes Bruſtbildniß nicht die geringſte Aehnlichkeit mit jener wirklichen und hiſtoriſch beglaubigten Louiſe Henriette zeigt, der wir auf dem Terweſten’ſchen Bilde begegnen. Dies Bruſtbild (übrigens vortrefflich gemacht) iſt ſehr wahrſcheinlich das Portrait einer ganz anderen fürſtlichen Dame und zwar, wenn mein Ge - dächtniß mich nicht täuſcht, das Porträt der Königin Marie von England, der Gemahlin Wilhelms von Oranien, älteſten Tochter des vertriebenen Jacobs II. Es iſt wahr, ſie trägt einen Orange - blüten-Zweig (ich bin nicht völlig ſicher mehr, ob in Haar oder Hand), aber wenn dieſer Schmuck überhaupt mehr als ein Zufall und wirklich, was noch dahin ſteht, von ſinnbildlicher Bedeutung217 iſt, ſo konnte ihr dieſe Huldigung allenfalls eben ſo gut als Ge - mahlin des Oraniers, wie als einer gebornen Prinzeſſin von Oranien dargebracht werden. Kein Kupferſtich exiſtirt, der uns dieſe oder auch nur verwandte Züge als das Bildniß Louiſe Henriettens überlieferte, und ſo war es in der That wohlgethan, daß unſer Bildhauer Friedrich Wilhelm Wolff, als ihm der Auftrag wurde, das Standbild Louiſe Henriettens für die Stadt Oranienburg zu fertigen, an dem Reiz dieſes Bildes (es iſt ein ſehr anſprechendes Geſicht) vorüberging und die Züge der Kurfürſtin nach jenem minder reizvollen Kopf modellirte, dem wir auf dem großen Bilde Terweſtens begegnen. Wolff, ein geborner Fehrbelliner und halb Nachbarskind von Oranienburg, unterzog ſich der ihm gewordenen Aufgabe mit Liebe und Geſchick, und ſeit dem Herbſte 1858 er - hebt ſich auf dem Schloßplatz zu Oranienburg das überlebens - große Erzbildniß der frommen Frau, die beide, Schloß wie Stadt, mit ihrem Namen und ihrer eignen Geſchichte auf immer verwob.
„ Der hohen Wiederbegründerin dieſer Stadt, Louiſe Henriette, Kurfürſtin von Brandenburg, geb. Prinzeſſin von Oranien, zum dauernden Gedächtniß die dankbare Bürgerſchaft Oranienburgs, “ſo lautet die Inſchrift. Was ſie ſchuf, es hat das Kleid gewechſelt ſeitdem, aber die Dinge blieben, der Segen lebt fort und mit ihm der Name und das Gedächtniß der Gründerin.
(Die Zeit Friedrichs III. von 1688 — 1713.) Schloß Oranienburg war, wie wir es geſchildert haben, ein Bau von mäßigen Dimenſionen (nur fünf Fenſter breit), als 1688, nach dem Tode des großen Kurfürſten, der prachtliebende Friedrich III. zur Regierung kam. Es war eine Zeit für die bildenden Künſte in unſerem Lande, wie vielleicht keine zweite,*)Die Zahl der Baumeiſter, Bildhauer und Maler belief ſich da - mals im Brandenburgiſchen auf 143. zumal wenn man die verhältnißmäßig beſcheidenen Mittel in Anſchlag bringt, die218 dem fürſtlichen Bauherrn zur Verfügung ſtanden. Schloß Koepenick, wo der Kurfürſt die letzten Jahre vor ſeiner Thronbeſteigung zu - gebracht hatte, wurde zuerſt beendet; dann folgte, mit einer Muni - ficenz, die noch weit über das hinausging, was in Koepenick ge - leiſtet worden war, der Ausbau des Oranienburger Schloſſes. Ob der Kurfürſt damals die Abſicht hatte, das Schloß an der Ober - Havel zu ſeinem bevorzugten Aufenthalt zu machen, oder ob er ſeiner Stiefmutter, der holſtein’ſchen Dorothea, in nicht mißzuver - ſtehender Weiſe zeigen wollte, wie heilig, wie werth ihm die Schöpfung und Hinterlaſſenſchaft ſeiner rechten Mutter ſei; gleich - viel, Schloß Oranienburg wuchs alsbald aus ſeiner engen Um - grenzung heraus und ein Prachtbau ſtieg empor, wie die Marken damals, mit alleiniger Ausnahme des Schloſſes zu Cölln an der Spree, keinen zweiten aufzuweiſen hatten. Von 1688 bis 1704 dauerte der Bau, und das Schloß nahm im Weſentlichen die Ge - ſtalt und Dimenſionen an, worin wir es noch jetzt erblicken. An ein reich ornamentirtes Mittelſtück (corps de logis) lehnten ſich zwei Vorder - und zwei Hinterflügel, zwiſchen denen ein nach einer Seite hin geöffneter Hofraum lag. Ganz wie jetzt. Am Ende jedes der vier Flügel erhob ſich ein Pavillon und das corps de logis trug zwiſchen dem Dach und den Fenſtern des dritten Stockes die Frontal-Inſchrift: A Ludovica princip. Auriac. matre optima exstruct. et nom. gentis insignit. aedes Friedericus Tertius Elector in memoriam Parentis piissimae ampliavit, ornavit, auxit MDCXC. (Dies von der beſten Mutter, der Prinzeſſin von Oranien, Louiſe, gebaute und durch den Namen ihres Ge - ſchlechts ausgezeichnete Schloß hat der Kurfürſt Friedrich III. zum Gedächtniß der frömmſten Mutter erweitert und geſchmückt im Jahre 1690.) Dieſe Inſchrift exiſtirt noch.
Es kann nicht Zweck dieſer Zeilen ſein, mit Hülfe noch vor - handener Aufzeichnungen den Leſer durch eine lange Reihe von Prachtzimmern und Gallerien, von Sälen und Porzellan-Cabinetten zu führen, von denen, mit Ausnahme weniger Zimmer, die ich gegen den Schluß des Aufſatzes hin zu beſchreiben gedenke, auch219 jede Spur verloren gegangen iſt; nur Einiges werde ich hervor - zuheben haben, um wenigſtens eine Andeutung von dem Reich - thum zu geben, der innerhalb dieſer Mauern heimiſch war. In dem Treppenhaus, das faſt die halbe Breite des corps de logis einnahm, ſprang eine Fontaine und trieb den Waſſerſtrahl bis in das dritte Stock hinauf; die Treppe ſelbſt aber war unten mit vier Jaspis - und weiter oben mit vier Marmorſäulen geſchmückt. An der gewölbten Decke waren die vier Laſter des Hofes: Gleis - nerei, Verleumdung, Neid und Habſucht dargeſtellt, wie ſie von eben ſo vielen Engeln aus dem Himmel geſtürzt werden. Decken - gemälde, zum Theil ähnlichen ſymboliſchen Inhalts, befanden ſich in faſt allen größern Sälen. Im Vorzimmer des Königs befand ſich (an den Plafond gemalt) eine Copie des großen, vielerwähn - ten Terweſten’ſchen Bildes, während im ſogenannten „ Orangeſaal “ein anderes großes Deckengemälde die Verherrlichung des Orani - ſchen Hauſes ſymboliſch darſtellte. In der Mitte deſſelben erblickte man eine weibliche Figur mit dem Oraniſchen Wappen und einem Orange-Bouquet im Haar, während ſie zugleich eine Schnur mit Medaillons in Händen hielt, wodurch die Geſchlechtsfolge des Hau - ſes Oranien veranſchaulicht werden ſollte. Neid und Verrätherei mühen ſich, die Schnur zu zerreißen, aber ein Blitzſtrahl aus den Wolken fährt zwiſchen ſie.
In demſelben Saale befanden ſich die Bildniſſe der Fürſten von Oranien von 1382 ab, daneben aber das Porträt König Friedrichs I. ſelbſt, mit dem bekannten Diſtichon als Unterſchrift, durch das einſt der Königsberger Dichter Bödecker die Geburt Friedrichs verherrlicht und ſeine künftige Königſchaft vorhergeſagt hatte:
(Königsberg heißt die Geburtsſtadt des Prinzen Friedrich; was folgt draus? Muſen kündet es laut: König wird Friedrich uns ſein.)
220So waren Säle und Treppenhaus; faſt noch prächtiger war die Capelle: die Wände waren mit Marmor bekleidet und die Decke mit Kirchenbildern geziert, während der Altartiſch auf vier vergol - deten Adlern ruhte. Biſchof Urſinus hielt hier 1704 die Einwei - hungsrede. Nun iſt Alles hin, Alles verweht und zerſtoben; nur Orgel, Kanzel und königliche Loge exiſtiren noch; ſie ſind nach Franzöſiſch-Buchholz hin verpflanzt worden und zieren dort die Kirche bis dieſen Tag.
So war Schloß Oranienburg in den Tagen, die der orani - ſchen Prinzeſſin unmittelbar folgten. Wir fragen weiter, wie war das Leben in dieſen Räumen? Darüber liegen leider wenige Aufzeichnungen vor und wir müſſen auf Umwegen und durch Schlüſſe zu einem Reſultat zu gelangen ſuchen. Daß der Kurfürſt häufig hier verweilte, geht weniger aus der Reichthumsfülle hervor, mit der er das Schloß ausſtattete (eine prächtige Ausſtattung ver - räth noch keine perſönliche Theilnahme, keine Herzensbeziehungen), als aus dem Eifer, mit dem er die Herrſchaft Oranienburg zu er - weitern und die einzelnen Dörfer, wie vorgeſchobene Poſten, in Einklang mit dem Schloſſe ſelbſt zu bringen ſuchte. Dieſe ſorgliche Faſſung, die er dem ſchönen Steine gab, bewies am beſten, wie ſehr er an dem Steine ſelber hing. So wurden Grabs - dorf und Lehnitz, Coſſebant und Perwenitz, vier in der Nähe ge - legene Güter, angekauft und in Vorwerke oder Koloniedörfer um - gewandelt. Grabsdorf erhielt ein Jagdſchloß, das innerhalb ſeiner ſchmuckloſen Mauern bis dieſen Augenblick noch die eiförmigen Zimmer zeigt, die, nach damaliger Mode, ihm gegeben wurden. Dabei wurde der Name Grabsdorf, der an unbequeme Dinge erinnern mochte, bei Seite gethan und in „ Friedrichsthal “umge - wandelt, unter welcher Bezeichnung Dorf und Jagdſchloß bis die - ſen Tag noch vorhanden ſind. Auch Coſſebant verlor ſeinen alten Namen und trat die Erbſchaft des vakant gewordenen Namen „ Bötzow “an. Das heutige Bötzow hat alſo nichts gemein mit Burg und Stadt Bötzow, die bis 1650 an Stelle des jetzigen221 Oranienburg zu finden waren, ſondern iſt ein in der Nähe gele - genes Dorf, das bis 1694 den Namen Coſſebant führte.
Dieſe Neuſchöpfungen, mit denen der Kurfürſt Schloß Ora - nienburg umgab, beweiſen genugſam, daß dies Havelſchloß, dies Vermächtniß von der Mutter her, ein bevorzugter Aufenthalt des Kurfürſten und ſpätern Königs war, aber auch einzelne Berichte ſind uns zur Hand, die uns, trotz einer gewiſſen Dürftigkeit der Details, den Kurfürſten (damals ſchon König) direct an dieſer Stelle zeigen. „ Im Sommer 1708, “ſo erzählt Poellnitz, „ riethen die Aerzte dem Könige, das Karlsbad in Böhmen zu gebrauchen, wohin er ſich im Laufe des Sommers auch wirklich begab. Vor - her war er in Oranienburg und hatte auf dem dortigen Schloſſe eine Zuſammenkunft mit dem regierenden Herzog von Mecklenburg - Schwerin (Friedrich Wilhelm). Dieſe Zuſammenkunft war nicht ohne Bedeutung: ſie hatte zunächſt nur eine Erneuerung und Be - ſtätigung des alten Erbfolgevergleichs im Auge, der im Jahre 1442, zu Wittſtock, zwiſchen Friedrich II. (dem Eiſernen) und den Herzögen von Mecklenburg, geſchloſſen worden war, mußte aber natürlich, da man Gefallen an einander fand, einige Monate ſpäter die Schritte weſentlich erleichtern, die (im November 1708) zu einer dritten Vermählung des Königs, und zwar mit Luiſa Do - rothee, der Schweſter des regierenden Herzogs von Mecklenburg führten. „ Am 24. November, “ſo fährt unſere Quelle fort, „ traf die neue Königin in Oranienburg ein und wurde daſelbſt vom Könige und dem ganzen Hofe empfangen. Nachdem die Vorſtellung aller Prinzen und Prinzeſſinnen ſtattgefunden hatte, verließ man das Schloß und begab ſich nach Berlin, wo am 27. deſſelben Monats die Königin ihren feierlichen Einzug hielt. “ Der König, trotz ſeiner Jahre, war anfänglich von der Königin bezaubert; keine Ahnung beſchlich ſein Herz, daß vier Jahre ſpäter dieſelbe Prinzeſſin geiſtesgeſtört, wie eine Mahnung des Todes, an ihn herantreten werde. Das war im Berliner Schloß, in den Januar - tagen 1713. Der König, krank ſchon, ruhte auf einem Armſtuhl und war eben eingeſchlummert, als er ſich plötzlich angefaßt und222 aus dem Schlaf gerüttelt fühlte. Die geiſteskranke Königin, die eine Glasthür erbrochen hatte, ſtand weißgekleidet und mit bluten - den Händen vor ihm. Der König verſuchte ſich aufzurichten, aber er ſank in ſeinen Stuhl zurück. „ Ich habe die weiße Frau ge - ſehen. “ Wenige Wochen ſpäter hatte ſich die alte Prophezeihung ſeines Hauſes an ihm erfüllt. Nicht zu ſeinem Glück hatte die mecklenburgiſche Prinzeſſin das Land und als erſte Stufe zum Thron, die Marmortreppe von Schloß Oranienburg betreten.
(Die Zeit des Prinzen Auguſt Wilhelm von 1744 bis 1758.) Der Tod König Friedrichs I. traf keinen Punkt des Landes härter als Oranienburg; bis dahin ein Lieblingsſitz, wurde es jetzt von der Liſte der Reſidenzen ſo gut wie geſtrichen. Dem Soldatenkönige, deſſen Sinn auf andere Dinge gerichtet war als auf Springbrunnen und künſtliche Grotten, genügte es nicht, die Schöpfung ſeines Vaters ſich ſelbſt zu überlaſſen; er griff, voll feſten und praktiſchen Sinnes, ſelbſtändig mit ein, um die, in ſei - nen Augen halb nutzloſe, halb koſtſpielige Hinterlaſſenſchaft nach Möglichkeit zu verwerthen. Bauten wurden abgebrochen und die Materialien verkauft; die Faſanerie, das Einzige, woran er als Jäger ein Intereſſe hatte, kam nach Potsdam; die 1029 Stück eiſerne Röhren aber, die der Waſſerkunſt im Schloſſe das Waſſer zugeführt hatten, wurden auf neun Oderkähnen nach Stettin ge - ſchafft.
Schloß und Park verwilderten. Wie das Schloß im Mär - chen, eingeſponnen in undurchdringliches Grün, lag Oranienburg da, als 31 Jahre nach dem Tode des erſten Königs ſein Name wieder genannt wurde. Im Jahre 1744 war es, wo Friedrich II., in Betreff ſeiner Brüder, allerhand Ernennungen und Entſchei - dungen traf. Prinz Heinrich erhielt Rheinsberg, Prinz Ferdinand das Palais und den Garten in Neu-Ruppin; der älteſte Bruder Auguſt Wilhelm aber, unter gleichzeitiger Erhebung zum Prinzen von Preußen, wurde mit Schloß Oranienburg belehnt.
223Ueber die baulichen Veränderungen, die in dieſe Epoche von 1744 bis 58 fallen, wiſſen wir nichts; muthmaßlich waren ſie allergeringfügigſter Natur; aber einzelne Berichte von Bielefeld und namentlich von Poellnitz ſind auf uns gekommen, die uns zum erſten Mal Gelegenheit geben, die bis hierher nur äußerlich be - ſchriebenen Prachträume, auch mit Geſtalten und Scenen zu be - leben. Der Prinz bewohnte nur einen einzigen Flügel, alſo unge - fähr den fünften Theil des Schloſſes, aber die entſprechenden Zim - mer genügten vollſtändig, zumal zur Sommerzeit, wo der Park und ſeine Laubengänge aushelfen konnte. Bielefeld entwirft von dieſem Park folgende anſprechende Schilderung: „ Den großen, nach Le Notre’s Plan angelegten Garten, fand ich, durch die Verwil - derung, zu der die lange Zeit von 1713 — 44 vollauf Gelegenheit gegeben hatte, wunderbarerweiſe verſchönt. Die ſeit 1713 nicht mehr verſchnittenen Buchenhecken haben ſich verwachſen und ver - ſchlungen und bilden einen Gang, der ſo dicht jetzt iſt, daß weder Sonne noch Wind hindurchdringen kann. In der größten Mittags - hitze gewährt er Kühlung und Schatten und Abends ſpeiſt man darin, ohne daß die Luft die Kerzen auslöſcht. Ein geſchickter Gärtner, der die Verwilderung benutzte, hat viele geſchmackvolle Gartenhäuſer aus der Erde wachſen laſſen. “ Dieſe Schilderung paßt noch heut’; nur die Gartenhäuſer ſind ſeitdem wieder ver - ſchwunden.
Prinz Auguſt Wilhelm lebte nur zeitweilig in Oranienburg; ſein Regiment (das Regiment Prinz von Preußen) ſtand zu Span - dau in Garniſon und die Pflichten des Dienſtes feſſelten ihn an den Standort ſeines Regiments. Aber die Sommermonate führten ihn ſo oft und ſo lange wie möglich nach dem benachbarten, durch Stille und Schönheit einladenden Oranienburg, und hier war es auch, wo er im April 1745 den Beſuch ſeiner Mutter, der ver - wittweten Königin Sophie Dorothee empfing. Ueber dieſen Beſuch liegt uns die Schilderung eines Augenzeugen vor, — unverkennbar Poellnitz ſelber, wenn ſein Name auch nicht ausdrücklich genannt iſt.
Am 14. April, ſo heißt es darin, brach die Königin Mutter224 von Berlin auf und traf am Nachmittag deſſelben Tages in Ora - nienburg ein. Ihr Hofſtaat folgte ihr in einer langen Reihe von Karoſſen, wohl dreißig an der Zahl. Die Prinzeſſin Amalie ſaß im Wagen der Königin. Sobald dem Prinzen Auguſt Wilhelm das Herannahen des Zuges gemeldet war, eilte er die große Allee hinauf, dem Zuge entgegen, ſprang angeſichts des Wagens der Königin Mutter vom Pferde und begrüßte ſie, indem er entblößten Hauptes an den Schlag des Wagens trat. Dann ſchwang er ſich raſch wieder in den Sattel und eilte dem Zuge in geſtrecktem Galopp vorauf, um vor dem Eingang des Schloſſes die Honneurs machen zu können. Ihm zur Seite ſtanden ſeine Gemahlin die Prinzeſſin von Preußen (eine geborne Prinzeſſin von Braunſchweig), die Prinzen Heinrich und Ferdinand, außerdem die Hofdamen von Wollden, von Henckel, von Wartensleben, von Kamecke, von Hacke, von Pannewitz und von Kannenberg. Die Königin umarmte ihre Söhne auf’s zärtlichſte, begrüßte die Umſtehenden und wurde dann die große Treppe hinauf in das für ſie beſtimmte Schlafgemach geführt, daſſelbe, das König Friedrich I. bei ſeinen Beſuchen in Schloß Oranienburg zu bewohnen pflegte. Die Königin fand in dieſem Zimmer ein Staatsbett von rothem Dammaſt vor, eben ſo einen Fauteuil, einen Ofenſchirm und vier Tabourets von demſel - ben Stoff und derſelben Farbe. Bald, nachdem die hohe Frau ſich eingerichtet und an dem Anblick von Park und Landſchaft erfreut hatte, erſchien der Prinz, um ihr drei ſchöne Figuren von Dresdner Porzellan zu überreichen, an denen die Königin Mutter, wie der Prinz wußte, eine beſondere Freude zu haben pflegte. Aber die Königin Mutter war es nicht allein, an die ſich die Aufmerkſam - keiten dieſes liebenswürdigen Prinzen richteten, auch Baron von Poellnitz wurde einer ähnlichen Aufmerkſamkeit gewürdigt. Seine Königliche Hoheit kannten ſehr wohl die Vorliebe des alten Barons (v. Poellnitz) für alle Antiquitäten und Curioſitäten aus der Zeit König Friedrichs I. her, der ihm immer ein guter und gnädiger Herr geweſen war, und eingedenk dieſer Vorliebe, überreichten Seine Königliche Hoheit dem alten Baron eine reich mit Gold225 geſtickte Morgenmütze und ein Paar Pantoffeln, deren ſich König Friedrich I. bei ſeinen Beſuchen in Oranienburg zu bedienen pflegte und die nun ſeit über 32 Jahren unbeachtet und ungewürdigt in einer halb vergeſſenen Truhe geſteckt hatten. Nach Sonnenunter - gang folgten Promenaden in den Park; dann wurden Spieltiſche arrangirt, bis gegen 10 die willkommene Nachricht, daß das Souper angerichtet ſei, das Spiel unterbrach. Welche Feinheiten und Ueber - raſchungen aus dem Bereich der Küche, welche hochqualificirten Weine, welch’ Frohſinn, welche Heiterkeit der Gäſte! Und doch zu - letzt vollzog ſich das Unvermeidliche, was ſchon König Dagobert ſeinerzeit ſo bitter beklagt hat, daß auch die beſte Geſellſchaft ihr Ende habe und ſich trennen müſſe.
Das war am 14. April. Früh am andern Morgen und früher faſt als uns lieb war, weckten uns ungewohnte Klänge; der Hirt trieb ſeine Heerde, am Schloß vorbei, auf die friſchen Felder hinaus. Den Beſchluß machte ein Stier von ſo extra - eleganter Schönheit, daß er kein anderer als der wohlbekannte glückliche Liebhaber der Jungfrau Europa ſein konnte, ja die Art, wie er ſich trug, dazu die Kraft ſeiner Bruſttöne, ſchienen andeuten zu wollen, daß er ein Erſcheinen unſerer Damen an den verſchiedenen Fenſtern des Schloſſes erwartet habe; aber er ſah ſich getäuſcht, unſere Damen, die die Geſchichte geleſen haben mochten, fürchteten ſich und hielten ſich zurück, um ſich und ihre Reize nicht ähn - lichen Gefahren auszuſetzen. Wie dem immer ſei, der Morgen - ſchlummer war geſtört und an die Stelle des Schlafs, der nicht wieder kommen wollte, traten Promenaden in leichtem, flatterndem Morgenkoſtüm, und nach eingenommenem Frühſtück, die gegen - ſeitigen Beſuche. Die Prinzeſſin Amalie empfing die Huldigungen, die ihrer Schönheit dargebracht wurden; ſie trug ein Corſet von ſchwarzem Atlas, das mit weißer Seide geſteppt war und darunter ein ſilber-geſticktes Kleid mit natürlichen Blumen aufgenommen. In dieſem Koſtüm ſtand ſie da und übte ſich im Flötenſpiel: Euterpe ſelbſt hätte ſie beneiden können.
Nach Tiſch empfing die Königin Mutter alle anweſenden15226Damen in ihrem Bettzimmer; diejenigen, die eine Handarbeit dem Kartenſpiel vorzogen, ſetzten ſich auf Tabourets, um die Königin her, während Baron Poellnitz ſeinen Platz als Vorleſer einnahm und in der Lektüre von „ La Mouche oder die Abenteuer des Mr. Bigaud “fortfuhr. Die Königin folgte der Vorleſung und zog Goldfäden aus (se mit à effiler de l’or). Den Beſchluß des Tages machte ein Ball in dem hell erleuchteten Tanzſaal, woran ſich ein Souper in dem Staatszimmer, am Ausgang der Porzellan - Gallerie, anſchloß. Als die Königin eben in das Staatszimmer eintrat, bemerkte ſie durch die hohen, gegenübergelegenen Fenſter - flügel, wie es plötzlich, inmitten des dunklen Parks, wie ein Flam - menbaum aus der Erde wuchs. Immer deutlicher geſtaltete ſich das Bild, bis es endlich wie ein feuriger Laubengang daſtand, der an höchſter Stelle eine Krone und darunter die Worte: „ Vivat Sophia Dorothea “trug.
So lebte man 1745 in Oranienburg. Sechs Wochen ſpäter wurde die Schlacht bei Hohenfriedberg geſchlagen, an welcher Prinz Auguſt Wilhelm, der eben noch Zeit zu Geplauder und Feuerwerk gehabt hatte, einen rühmlichen Antheil nahm.
Die Beziehungen der drei jüngern Prinzen (Auguſt Wilhelm, Heinrich und Ferdinand) zu ihrem älteren Bruder, dem Könige, waren damals noch kaum getrübt. Es iſt wahr, ſie lebten, zumal wenn ſie in Potsdam, alſo in ſeiner unmittelbaren Nähe waren, unter einem gewiſſen Druck, aber man fand dieſen Druck gleichſam in der Ordnung; er war der älteſte, der begabteſte und — der König. Dabei ließ er es ſeinerſeits, um ſtrengen Forderungen ein Gegengewicht zu geben, an Huldigungen nicht fehlen und beſonders war es der „ Prinz von Preußen, “für den er die zarteſten Auf - merkſamkeiten hatte. Er widmete ihm ſein großes Gedicht „ die Kriegskunſt, “er widmete ihm ferner „ die Geſchichte ſeines Hauſes “und ſprach es in der meiſterhaften Widmung dieſes Werkes vor der ganzen Welt und vor der Zukunft aus, warum er dieſen ſeinen Bruder, der ihn einſt beerben ſolle, als Freund und Fürſten beſonders liebe. „ Die Milde, die Humanität Ihres227 Charakters iſt es, die ich ſo hoch ſchätze; ein Herz, das der Freund - ſchaft offen iſt, iſt über niedern Ehrgeiz erhaben; Sie kennen kein anderes Gebot, als das der Gerechtigkeit, und keinen andern Willen, als den Wunſch, die Hochſchätzung der Weiſen zu ver - dienen. “
So war das Verhältniß zwiſchen den beiden Brüdern, als die ſchweren Tage, die dem Unglückstage von Kollin folgten, dieſem ſchönen Einvernehmen plötzlich ein Ziel ſetzten. Prinz Auguſt Wil - helm erhielt bekanntlich den Oberbefehl über diejenigen Truppen, die ihren Rückzug nach der Lauſitz nehmen ſollten; Winterfeldt wurde ihm beigegeben. Die Sachen gingen ſchlecht und bei end - licher Wiederbegegnung der beiden Brüder fand jene furchtbare Scene ſtatt, die Graf Schwerin, der Adjutant Winterfeldt’s, mit folgenden Worten beſchrieben hat: „ Ein Parolekreis wurde ge - ſchloſſen, in dem der Prinz und alle ſeine Generale ſtanden. Nicht der König trat in den Kreis, ſondern Winterfeldt ſtatt ſeiner. Im Auftrage des Königs mußte er ſagen: „ Sie hätten Alle verdient, daß über ihr Betragen ein Kriegsrath gehalten würde, wo ſie dann dem Spruch nicht entgehen könnten, die Köpfe zu verlieren; indeß wolle der König es nicht ſo weit treiben, weil er im General auch den Bruder nicht vergeſſe. “ „ Der König ſtand unweit des Kreiſes, “ſo fährt Graf Schwerin fort, „ und horchte, ob Winterfeldt ſich auch ſtrikte der ihm anbefohlenen Ausdrücke bediene. Winterfeldt that es, aber mit Schaudern, und er konnte den Eindruck ſeiner Worte ſogleich ſehen, denn der Prinz trat augenblicklich aus dem Kreiſe und ritt, ohne den König zu ſprechen, nach Bautzen. “
Im Spätherbſt deſſelben Jahres finden wir den Prinzen wie - der in Oranienburg, an ſelbiger Stelle, wo er uns zuerſt als liebenswürdiger und aufmerkſamer Sohn und geübt in den feinen Künſten der Ueberraſchung, entgegentrat. Aber wir finden ihn jetzt in Einſamkeit und gebrochenen Herzens. Ob er ſich in ſeiner Liebe zum König oder in ſeiner eignen Ehre ſchwerer getroffen fühlte, iſt ſchwer zu ſagen. Gleichviel, unheilbare Krankheit hatte ſich ſeiner15*228bemächtigt und er litt an Leib und Seele. Ueber die letzten Mo - mente ſeines Lebens iſt nichts Beſtimmtes aufgezeichnet, doch ver - dank’ ich den Mittheilungen einer Dame, die noch den Hof des Prinzen Heinrich und dieſen ſelbſt gekannt hat, allerlei Züge und Andeutungen, aus denen genugſam erhellt, daß der Ausgang ſo erſchütternd wie möglich war. Die Gemüthskrankheit hatte ſchließ - lich die Form eines nervöſen Fiebers angenommen und die Bilder von Perſonen und Scenen, die ſeine Seele ſeit jenem Unglücks - tage nicht los geworden war, traten jetzt aus ſeiner Seele heraus, nahmen Geſtalt an und ſtellten ſich wie faßbar und leibhaftig an ſein Lager. Den Schatten Winterfeldt’s rief er an, und als ſich die Geſtalt nicht bannen ließ, ſprang er auf, um vor dem Gehaßten und Gefürchteten zu fliehen. Das waren die letzten Momente Prinz Auguſt Wilhelms; er ſtarb im Fieber, am 12. Juni 1758, im Schloſſe zu Oranienburg. Der König war bei der Nachricht von ſeinem Tode tiefgebeugt; im Volke hieß es, er ſei vor Gram ge - ſtorben. 1790 errichtete ihm ſein jüngerer Bruder Heinrich den oft beſchriebenen Obelisken, gegenüber dem Rheinsberger Schloß, nachdem die ſterblichen Ueberreſte des Prinzen ſchon früher im Rheinsberger Parke beigeſetzt worden waren. Dieſer Punkt iſt in Dunkel gehüllt, weshalb ich hier — damit Eingeweihtere entſchei - den mögen — die alte Verſion und meine eignen Aufzeichnungen aus dem Rheinsberger Park zuſammenſtelle. Prediger Ballhorn in ſeiner Geſchichte Oranienburgs ſchreibt: „ Seine Leiche wurde zuerſt in einem Gewölbe der hieſigen Kirche aufbewahrt, dann aber am 10. Juli von ſeinem Regimente nach Berlin abgeführt. Prinz Heinrich widmete ihm zu Rheinsberg ein prachtvolles Monument, das zugleich die Urne umſchließt, in welcher ſein Herz aufbewahrt wird. “ Zwei Dinge erſcheinen hierin unrichtig: erſt - lich ſtand das Regiment des Prinzen von Preußen damals im Felde (Friedrich der Große ſchreibt eigens: „ der Anblick des prinz - lichen Regiments erneuert mir jedesmal den Schmerz um ihn “) und zweitens befindet ſich die Urne nicht eingeſchloſſen im Monu - ment, ſondern ſteht frei und offen an einer ganz andern Stelle229 des Parks. Dieſe Stelle, in unmittelbarer Nähe des „ bekannten Theaters im Grünen “gelegen, zeigt unter einer Baumgruppe zwei Marmorarbeiten: eine große Urne auf einem Piedeſtal und zweitens eine Art Herme, die aber ſtatt des Hermenkopfes die trefflich aus - geführte Büſte des Prinzen Auguſt Wilhelm trägt. Beide Arbeiten ſtehen ſich, in Entfernung von etwa ſechs Schritt, einander gegen - über. Das Piedeſtal der Urne trägt die Inſchrift: „ Hic cineres Marmor exhibit, “und darunter: August Gullielm, Princeps Prussiae Natus Erat IX Die Mens. Aug. Ann. 1722. Obiit Die XII Mens Jun. Anno 1758. “ Die Inſchrift unter der Büſte aber lautet: „ Hic Venustum Os Viri, veritatis, virtu - tis, patriae amantissimi. “ (Hier das freundliche Antlitz des Lieblings der Wahrheit, der Tugend, des Vaterlands.)
Die erſte dieſer Inſchriften: „ Hic eineres Marmor ex - hibit, “alſo: „ dieſe Urne umſchließt ſeine Aſche, “ſchafft die eigent - liche Streitfrage. Ruht der Prinz Auguſt Wilhelm, ſo müſſen wir nunmehr fragen, im Dom zu Berlin, oder ruht er (laut vor - ſtehender Inſchrift) im Rheinsberger Park? Vielleicht müßte die Inſchrift lauten: „ Dieſe Urne umſchließt die Aſche ſeines Her - zens. “ Dann hätte Paſtor Ballhorn in der Hauptſache Recht, nur nicht hinſichtlich der Aufſtellung der Urne.
An jenem Tage, als der Prinz Auguſt Wilhelm aus dem Schloßportal getragen wurde und 50 Bürger dem Sarge folgten, um ihm bis Havelhauſen das Geleit zu geben, an jenem Tage ſchloß das Leben in Schloß Oranienburg überhaupt. Auf ein Jahrhundert voll Glanz und lachender Farben folgte ein anderes voll Oede und Verwahrloſung. Andere Zeiten kamen; der Ge - ſchmack ging andere Wege, — Schloß Oranienburg war vergeſſen.
1802 wurde der prächtige alte Bau, deſſen zahlreiche Decken - gemälde allein ein bedeutendes, wenn auch freilich todtes Capital repräſentirten, für 12000 Thaler mit all und jeglichem Zubehör verkauft und der Käufer nur zur Herausgabe der Eingangs er -230 wähnten vier Jaſpis - und vier Marmorſäulen (im Treppenhauſe) verpflichtet. Schloß Oranienburg wurde eine Kattun-Manu - faktur. Wo die Edeldamen auf Tabourets von rothem Dammaſt geſeſſen und der Vorleſung des alten Poellnitz gelauſcht hatten, während die Königin-Mutter Goldfäden aus alten Brokaten zog, klapperten jetzt die Webſtühle und lärmte der alltägliche Betrieb. Aber noch triſtere Tage kamen, Krieg und Feuer, bis endlich in den zwanziger Jahren ein chemiſches Laboratorium, eine Schwefel - ſäure-Fabrik, hier einzog. Die Schwefeldämpfe ätzten und beitz - ten den letzten Reſt alter Herrlichkeit hinweg. Ich entſinne mich der Jahre, wo ich als Kind dieſes Weges kam und von Platz und Brücke aus ängſtlich nach dem unheimlichen alten Bau her - überblickte, der, grau und rußig, in Qualm und Rauch dalag, wie ein Gefängniß oder Landarmenhaus, aber nicht wie der Lieb - lingsſitz Friedrichs I.
Nun iſt das alte Schloß der Kolben und Retorten wieder los und ledig und friſch und neu, beinahe ſonntäglich blickt es wieder drein. Aber es iſt das moderne Allerweltskleid, das es trägt; die Borten und Kanten ſind abgetrennt und der Königs - mantel iſt ein Bürgerrock geworden. Noch wenig Wochen und das alte Schloß von ehedem wird neue Gäſte empfangen; wie Schloß Koepenick iſt es beſtimmt, als Schullehrer-Seminar in ſein drittes Jahrhundert einzutreten. Sei es. In den neuen Bewoh - nern wird wenigſtens ein Bewußtſein davon zu wecken ſein, welcher Stelle ſie angehören, und leiſe berührt von der Macht und dem Zauber hiſtoriſcher Punkte werden ſie ſpäter den Namen und die Geſchichte Schloß Oranienburgs in die Kreiſe ihres Berufs hinaus - tragen. So wird die alte Fabel immer wieder neu und Leben durchdringt den Stein.
Unter den Linden des Gaſthofes, während der Sommerwind die Tropfen von den Bäumen ſchüttelte, hab’ ich dem Leſer die Geſchichte des alten Schloſſes erzählt, die Bilder aufgerollt ſeines231 Glanzes und ſeines Verfalls. Die Frage bleibt noch übrig: haben die letzten hundert Jahre Alles zerſtört? Haben Krieg und Feuer, Retorte und Siedepfanne von dem alten Glanze auch keine Ahnung übrig gelaſſen? Iſt Alles hin, bis auf die letzte Spur? Der Pie - tät des hohen Herrn, der nun vor’m Altar ſeiner Friedenskirche in Frieden ruht, der Pietät Friedrich Wilhelms IV., dem es ſo oft zum Verbrechen angerechnet wurde, daß er das wahren und halten wollte, was des Wahrens und Haltens werth war, dieſem hohen Liebesſinne, der auf das Erhalten gerichtet war, haben wir allein es zu danken, daß wir der aufgeworfenen Frage mit einem „ Nein “entgegentreten können, — es iſt nicht Alles hin, es exiſtiren noch Spuren, gerettete Ueberbleibſel aus alter Zeit her und ihnen gilt zum Schluß unſer Beſuch.
Wir verweilen nicht bei zerſtreuten Einzelheiten, die da, wo ſie zufällig verloren gingen, auch zufällig aufgeleſen und in die Wand oder den Fußboden des einen oder andern Zimmers wie ein Basrelief oder ein Moſaikſtück eingelegt wurden, — wir gehen an dieſen Einzelheiten ohne Aufenthalt vorüber und treten in den nach Weſt und Norden zu gelegenen Hinterflügel ein, wo wir noch — auf Anordnung Friedrich Wilhelm IV. vor der nivellirenden Hand des Seminar-Nutz-Baues gerettet — einer zuſammenhängen - den Zimmerreihe aus der Zeit König Friedrichs I. begegnen. (Dar - aus, daß das vorzüglichſte dieſer Zimmer an den vier Ecken des Plafonds mit eben ſo vielen Sternen des Hoſenbandordens geſchmückt iſt, ein Orden, auf deſſen Beſitz König Friedrich I. be - kanntlich einen ganz beſonders hohen Werth legte, würde ſich mit ziemlicher Beſtimmtheit ableiten laſſen, wann dieſe Zimmerreihe überhaupt angelegt wurde.) Es ſind ſechs Zimmer, von denen zu - nächſt zwei durch ihre Ausſchmückung unſer Intereſſe in Anſpruch nehmen. Sie bilden die beiden Grenzpunkte der ganzen Reihe, ſo daß das eine (das kleinere) dem corps de logis, dem großen Mittelpunkt des Schloſſes zu, gelegen iſt, während das andere am äußerſten Ende des Flügels liegt und den Blick ins Freie auf Fluß und Wieſen hat. Das kleinere Zimmer bildete entweder einen232 Theil der ſeinerzeit viel berühmten und von Touriſten jener Epoche oft beſchriebenen Porzellan-Gallerie, oder war ein Empfangs - und Geſellſchafts-Zimmer, wo die fürſtlichen Perſonen in Geſellſchaft ihres Hofſtaats den Thee einzunehmen pflegten. Das Decken - Gemälde, das ich gleich näher beſchreiben werde, ſcheint mit ſeinen vielen Porzellangeräthſchaften zunächſt für die erſtere Annahme zu ſprechen; ein ſchärferes Eingehen aber macht es beinah zweifellos, daß es das Theezimmer war. In der Mitte des Deckenbildes erblicken wir nämlich eine ſtarke, blühend ausſehende Frauens - perſon mit rothen Roſen im Haar; in ihrer ganzen Erſcheinung einer holländiſchen Theeſchenkerin ſehr ähnlich. Mit der linken Hand drückt ſie eine blau und weiß gemuſterte Theebüchſe feſt ans Herz, während ſie mit der Rechten einen eben ſo gemuſterten por - zellanenen Theetopf einer gleichfalls wohlbeleibten, blonden, hoch - roth gekleideten Dame entgegenſtreckt. Dieſe ihrerſeits (durch die Schlange, die ſich um ihren weißen Arm ringelt, als Hygea charak - teriſirt) hält der Theeſchenkerin einen Spiegel entgegen, als ob ſie ihr zurufen wolle: „ erkenne dich ſelbſt und ſchrick zurück vor dir ſelber, wenn du dich als Lügnerin, d. h. deinen Thee als ſchlecht und unecht erkennſt. “
Die Malerei iſt vortrefflich (man merkt durchaus die gute holländiſche Schule) und viele unſerer Maler werden von Glück ſagen können, wenn ihre Deckengemälde ſich nach mehr als 150 Jah - ren noch ähnlich gut präſentiren. Auch die dieſen Bildern zu Grunde liegenden Ideen, denen es an Humor und Selbſtperſiflage gar nicht fehlt, ſind leichter zu verſpotten, als beſſer zu machen. Es ſind doch immerhin Ideen, mit denen total gebrochen zu haben wir häufig zur Unzeit ſtolz ſind.
Das am entgegengeſetzten Ende liegende Zimmer iſt aller Wahrſcheinlichkeit nach das ehemalige Wohn - und Lieblingszimmer Friedrichs I., daſſelbe, in das (wie ich oben beſchrieben habe) am 15. April 1745 die Königin Sophie Dorothea eintrat und im Eintreten durch das prächtige Feuerwerk überraſcht wurde, das im ſelben Moment wie eine Flammenlaube mitten aus dem Dunkel233 des Parks emporwuchs. Dies Zimmer, das nach drei Seiten hin Balkone hat, von denen aus man nach Gefallen den Park, das offene Feld oder den Hofraum überblickt, iſt ſehr geräumig (dreißig Fuß im Quadrat) und mit acht marmorirten Säulen derart um - ſtellt, daß ſich an den vier Wänden entlang eine Art deutlich mar - kirter Gang bildet, der nun das kleiner gewordene Viereck des Saals wie eine Colonnade umſpannt. Der Zweck dieſer Einrich - tung iſt ſchwer abzuſehen. Vielleicht diente das Zimmer auch als Tanzſaal und die Tänzer und Tänzerinnen hatten den innern Raum für ſich, während die plaudernden oder ſich ausruhenden Paare wohlgeborgen unter dem Säulengange ſtanden. Das Wich - tigſte iſt auch hier das Deckengemälde. Ich ſchicke zunächſt die bloße Beſchreibung vorauf. In der Mitte des Bildes befindet ſich eine weiße, hochbuſige Schönheit mit pechſchwarzem Haar, welches letztere von Perlenſchnüren durchzogen iſt; in der Linken hält ſie eine Art Zauberlaterne, in der Rechten einen kleinen Oelkrug. Allerhand pausbackige Genien halten Tafelgeräth und Kannen em - por, andere entſchweben mit leeren Schüſſeln, noch andre kommen mit Theegeſchirr herbei und gießen den Thee in kleine Schälchen. Dieſe Scenen füllen zwei Drittel des Bildes. Links in der Ecke hält Apoll mit ſeinen Sonnenroſſen. Vor den Roſſen her ſchwebt bereits Aurora; das Haupt des Sonnengottes ſelbſt aber ſtrahlt nicht, ſondern iſt von einer dunklen Scheibe umhüllt. Es iſt nun allerdings fraglich, ob das Schwinden des Tages und das volle Platzgreifen von Abend und Nacht, oder umgekehrt, das Schwin - den der bis dahin herrſchenden Nacht vor dem hereinbrechenden Tage angedeutet ſein ſoll. Das Letztere iſt aber das Wahrſchein - lichere.
Neben dieſem Staatszimmer, demſelben, das den Stern des Hoſenbandordens in ſeinen vier Ecken zeigt, befindet ſich ein ſehr kleines Gemach, nicht viel größer als ein altmodiſches Himmelbett. Dies iſt das Sterbezimmer des Prinzen Auguſt Wilhelm. Die Wände ſind ſchmucklos, eben ſo die Decke, nur an der Hohlkante zwiſchen beiden zieht ſich eine ſchmale Borte von geſchnitztem,234 ſchwarzen Holz entlang. Sie iſt wie ein Trauerrand, der dieſes Zimmer einfaßt, und mahnt deutlich an die letzten, halb in Dunkel gehüllten Stunden eines liebenswürdigen und unglücklichen Prinzen.
Aus dieſem engen Raum, der ſo trübe Bilder weckt, treten wir (da die übrigen Zimmer unſerer Betrachtung nichts bieten) wieder in den Corridor hinaus und über den noch immer impo - ſanten Vorflur endlich in’s Freie.
Der Ball der untergehenden Sonne hängt am Horizont, leiſe Schleier liegen über dem Park und die Abendkühle weht vom Fluß und den Wieſen her zu uns herüber. Wir ſitzen wieder auf der Treppe des Gaſthofs und blicken durch die Umrahmung der Bäume in das Bild abendlichen Friedens hinein. Muſikanten ziehen ge - ſchäftig am Hauſe vorbei, über die Havelbrücke weg, hinein in die Vorſtadt; — den Beſchluß macht wie immer der Baß. Hinter den Muſikanten her folgt allerlei Volk. Was iſt es? „ Das Theater fängt an, “ſo lautet die Antwort, „ die Stadtkapelle macht ſich auf den Weg, um mit dabei zu ſein. “ Wir leſen jetzt erſt den Theater - zettel, der, in gleicher Höhe mit uns, an einen der Baumſtämme geklebt iſt. „ Das Teſtament des großen Churfürſten, Schauſpiel in fünf Aufzügen. “ Wir lieben das Stück, aber — wir kennen es eben, und während die Sonne hinter Schloß und Park ver - ſinkt, ziehen wir es vor, in Bilder und Träume gewiegt, auf „ Schloß Oranienburg “zu blicken, eine jener wirklichen Schaubühnen, auf der die Geſtalten jenes Stücks mit ihrem Haß und ihrer Liebe heimiſch waren.
Zwei Meilen nordöſtlich von Berlin liegt das Dorf Buch, reich an jenen ſtillen, aber anziehenden Landſchaftsbildern, wie ſie un - ſere Mark ſo vielfach bietet, noch reicher aber an hiſtoriſchen Erin - nerungen. Einer unſerer Luſtgarten-Omnibuſſe führt den Reiſe - luſtigen über Pankow und Schönhauſen, deſſen Villen und Gärten wie im Fluge mitgenommen werden, bis nach Franzöſiſch-Buchholtz, von wo aus das Wandern beginnt und die Füße das Beſte thun müſſen.
Wir unſererſeits, in jenem ſtolzen Reiſegefühl, das ſich nach Strapatzen ſehnt und jeden Schweißtropfen mit einem Lächeln der Zufriedenheit begleitet, hatten den Omnibus verſchmäht und trafen, nach gewiſſenhafter Abſuchung einiger Dorfkirchhöfe, erſt mit der untergehenden Sonne in Buch ein. Gleich der Eintritt in’s Dorf iſt maleriſch und anziehend. Eine Feldſteinbrücke wölbt ſich über ein Wäſſerchen, das ſchäumend einen Bergabhang hernieder kommt; die Häuſer ſteigen in leiſer Schlangenlinie bergan; links hin, das Dorf in ſeinen Arm nehmend, zieht ſich der waldartige Park, während zur Rechten ſich Wieſen und Felder dehnen, deren Stille nur von Zeit zu Zeit das Raſſeln und Stampfen der vorüber - fahrenden Eiſenbahnzüge unterbricht.
236Wir haben die Feldſteinbrücke paſſirt und die Gaſſe führt uns an freundlichen Wohnungen vorbei bis in die Mitte des Dorfs. Hier begegnen wir endlich auch dem Anblick, den Herz und Auge ſeit einer halben Stunde herbeigewünſcht haben. Krippen lehnen ſich an die Wand, ein Planwagen ſteht zur Seite, auf dem ein Spitz die Wache hält, und von der Thür des Hauſes her grüßt uns das Wörtchen „ Gaſthaus “mit ſeinem einladenden Klang. Die Stufen führen uns in den Flur und der Flur in die Küche. Auf dem großen Herde loht es und kniſtert es, und das Waſſer, das überkocht, fährt ziſchend in die Flamme. Wir zählen im Nu ſieben Töpfe, die ſich dicht um die Flamme gruppiren, und un - klare Vorſtellungen von einem „ hier iſt es gut ſein “ziehen durch unſer Gemüth. Wir tragen der Wirthin unſer Anliegen vor: ein Abendbrod, ein Zimmer, ein paar Betten, und verfolgen nicht ohne Bangen den Ausdruck der Verlegenheit, der auf dem freundlichen Geſicht der jungen Frau den Vortrag unſerer Wünſche begleitet. Die Verlegenheit findet endlich Worte. Ein Abendbrod wird zu beſchaffen ſein, aber Zimmer und Betten ſind vergeben; anderer Beſuch kam uns zuvor. Wir bitten und beſchwören, alles vergeb - lich; endlich führen wir die letzten Reſerven unſerer Liebenswür - digkeit in’s Feld und der verzweifelte Stand unſerer Angelegen - heiten beſſert ſich wenigſtens in ſo weit, daß uns ein Strohlager und zwei Deckbetten zugeſtanden werden. Ultra posse nemo obligatur; wir danken der Wirthin für ihren guten Willen, be - urlauben uns auf eine halbe Stunde und machen unſern erſten Gang in den Park.
Die Zeit des Sonnenuntergangs und die Dämmerungsviertel - ſtunde, die ihm folgt, iſt gewiß die geeignetſte, dieſen ſchönen Park zu durchſchreiten. Die grauen Schleier des Abends ſind es, die ihm kleiden. Es giebt andere Parks, die man bei Sonnenlicht be - ſuchen muß. Wo Springquellen hoch in die Luft ſteigen und des Lichts bedürfen, um in Farben zu ſchillern, wo Blumenſtücke in den Raſen eingewoben ſind oder Statuen in den grünen Niſchen ſtehen, da iſt es gerathen, in Morgenfrühe auf und ab zu ſchrei -237 ten und des heitern Bildes voll Klang und Farbe ſich zu freuen. Aber ein ſolcher Park iſt es nicht, in den wir eben eingetreten ſind. Nicht Cascaden und Fontainen ſind hier zu Haus, ſie ſind zu laut, zu geräuſchvoll; kein Bach rieſelt und plätſchert hier über Steine hinweg, als liefen ſpielende Kinder durch den Garten; ein breiter Graben durchſchneidet ſtatt ſeiner die ganze Quere des Parks und dehnt ſich aus mit der dunkeln Stille eines Teichs. Die Buche iſt hier zu Haus, deren Zweige in das Waſſer niederhängen, und vor allem die Edeltanne, die ihre Schuppenäpfel über die Kiesgänge ſtreut. Alles Bunte fehlt. Die dichten Rüſternalleen, die ſich hoch oben wie Kirchenſchiffe wölben, erſcheinen nicht wie Gänge in die Natur hinaus, ſondern wie Gitter und Spalier gegen den Andrang derſelben. Dieſer Park hat zu lachen verlernt; wenn die Sonne auf ihn fällt und ſeine Züge erheitern will, iſt es wie eine Wittwe, die man mit Bändern und Blumen ſchmückt.
Wir waren eine halbe Stunde lang die dunkeln Gänge auf und ab geſchritten und kehrten nun ins Wirthshaus zurück. Das Abendeſſen harrte unſer bereits und Schwarzbrod und Bernauer Bier halfen über alle ſonſtigen Mängel hinweg. Die Magd er - ſchien inzwiſchen, um unſer Nachtlager herzurichten. Zwei umge - kehrte Stühle (die vier Beine nach oben) gaben die Schrägung her; zwei Bündel Stroh wurden ausgebreitet und das rothe Deck - bett vollendete den Bau. Einer dicken, wulſtigen Päonie nicht un - ähnlich lag es da, in deren Faltenfülle wir endlich verſchwanden. Müdigkeit ſorgte für Schlaf. Statt unſerer Träume ſei die Ge - ſchichte Buchs erzählt; ſie wird uns andern Tages zu ſtatten kom - men, wenn wir Schloß und Kirche beſuchen.
Als die Hohenzollern in’s Land kamen, gehörte Buch der Familie von Roebel; dieſelbe blieb faſt volle drei Jahrhunderte im Beſitz des Gutes und verkaufte es erſt um 1675 an den Frei - herrn Gerhardt Bernhardt von Poellnitz. Wir werden weiter unten von ihm hören. — Die Familie von Poellnitz beſaß Buch nur kurze Zeit. Die Söhne des Freiherrn veräußerten es bereits 1724 an den Staatsminiſter von Viereck. Nach Ableben des238 letzteren ging das Gut an ſeinen Schwiegerſohn, den nachherigen Staatsminiſter von Voß über, deſſen Nachkommen es noch jetzt beſitzen. Der gegenwärtige Beſitzer iſt der Graf von Voß-Buch.
Vier Familien in vier Jahrhunderten: die Roebel, Poellnitz, Viereck, Voß. Den drei letztgenannten werden wir auf unſerem Umgang noch mannichfach begegnen; nicht ſo dem Namen der Roe - bel. Alles was Schloß und Kirche bieten, iſt aus „ nach ihrer Zeit, “mit Ausnahme eines werthvollen Beſitzthums im Kirchen - archiv, das den Namen dieſer Familie wenigſtens mittelbar zu ehrendem Gedächtniß aufbewahrt. Es ſind dies die zehn Tomi Wittenbergenses Lutheri, die dem Joachim von Roebel, einem begeiſterten Anhänger der neuen Lehre, von Philipp Melanchthon, der eigens nach Buch gekommen war, um zwei Kinder Joachims über die Taufe zu halten, zum Geſchenk gemacht wurden. In den zehnten Band hat der Reformator ſelbſt einen Pauliniſchen Spruch aus dem Brief an die Coloſſer (Kapitel 3, Vers 16) eingetragen, der da lautet: „ Laſſet das Wort Chriſti unter euch reichlich woh - nen in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch ſelbſt mit Pſal - men und Lobgeſängen und geiſtlichen lieblichen Liedern, und ſinget dem Herrn in eurem Herzen. “ Darunter das Datum und die Jahreszahl 1559.
Die Sonne weckt uns bei guter Zeit. Das rothe Deckbett, trotz aller Schwere, hat leicht wie eine Feder auf uns gelegen, und aufſpringend, ſo gut es die gewichtige Maſſe geſtattet, eilen wir an’s Fenſter und laſſen den Sommermorgen ein. Das Früh - ſtück wird aufgetragen und die Lindenbäume draußen ſorgen für Duft und Klang. Ein Blick noch auf das Strohlager, den Schau - platz unſeres ſtillen Muths, und wir treten in die Dorfgaſſe hin - aus, um zunächſt dem Schloſſe, deſſen weißgelbe Wände zwiſchen den Baumſtämmen hindurch ſchimmern, unſern Beſuch zu machen.
Das Schloß iſt ein Flügelbau von jener einfachen Art, wie ihrer das vorige Jahrhundert auf unſern märkiſchen Rittergütern ſo viele entſtehen ſah. Sie haben untereinander eine große Familien - ähnlichkeit. Wenn ſich Buch von ähnlichen Bauten unterſcheidet,239 ſo iſt es nur durch eine noch größere Einfachheit. Aller Schmuck ſcheint gefliſſentlich vermieden. Keine Säulen, die Balcon oder Porticus tragen, kein Fries, kein Fenſterſims, nicht Thurm, nicht Erker; ſelbſt die Rampe fehlt, die ſonſt wohl den Eindruck der Stattlichkeit ſchafft oder ſteigert. Ein paar dünne Arabesken ſchnör - keln ſich um die Thür und ein halbes Dutzend Orangenbäume faſſen den Kiesplatz ein, der zwiſchen dem Hauſe und dem Grün des Parkes liegt. Und doch hat man das beſtimmte Gefühl, daß hier Reichthum und adelige Geſinnung wohnen. Das Haus gleicht einem einfachen Kleide, einfach und altmodiſch dazu, aber der Park, der das Ganze umzirkt, iſt wie ein reicher Mantel von niederlän - diſchem Tuch, der die Frage nach dem Rockſchnitt verſtummen und vergeſſen macht.
Der Eintritt in das Schloß wird uns freundlich geſtattet. Die Eindrücke, die das Aeußere gemacht, wiederholen ſich hier. Der bürgerliche Comfort, die kleinen Niedlichkeiten, in deren Her - vorbringung die Neuzeit ſo erfinderiſch geweſen iſt, ſie fehlen hier; aber dieſe Nippes fehlen entweder, weil das Herz des Beſitzers an andern Dingen hing, oder weil er in fein äſthetiſchem Sinn em - pfand, daß der moderne Kram zu dem hiſtoriſch Ueberlieferten nicht paſſen würde. Wir ſind nicht unempfindlich gegen das heitere Neue, wir laſſen es nicht nur gelten, wir freuen uns auch deſſelben; aber jene todten Dinge, die, je älter ſie werden, mehr und mehr in wirkliches Leben hinein zu wachſen ſcheinen, an ihnen haftet doch immer der wahre Reiz, und die Pflege dieſes Ueberlieferten iſt der Zug wirklichſter Vornehmheit, dem man in Schlöſſern und Häuſern begegnen kann. So auch hier.
Die Roccocozeit, draußen in der Welt ſeit hundert Jahren begraben, hier tritt ſie uns in aller Aechtheit entgegen, und könn - ten die Geſtalten aus ihren Rahmen heraustreten, ſie würden ſich nicht verwundert umſchauen in dieſen Räumen, in denen Stoff und Form, Schmuck und Kunſt, alles beim Alten geblieben. Por - zellanornamente, mit denen der Geſchmack unſerer Urgroßväter die Zimmereinrichtung zu verzieren liebte, haften noch in Geſtalt von240 Knöpfchen und Täfelchen, von Blatt und Figur an Tiſchen und Käſten und in den obern Zimmern theilen ſich ſchwere Kachelöfen auf Eichenfüßen ruhend und große Himmelbetten mit Zitzgardinen in die Herrſchaft des Raums. Aber nicht bloß in allgemeinen Um - riſſen tritt die alte Zeit an uns heran, auch das Beſondere iſt da, Porträts und Schildereien, die auf beſtimmte Perſonen hindeuten, die ſeit hundert Jahren hier gingen und kamen.
Wir haben unſern Umgang durch die ſtillen Räume des Schloſſes vollendet und treten wieder in den Park hinaus. Einer der vielen Laubengänge deſſelben führt uns bis an die nahe ge - legene Kirche. Dieſe Kirche iſt ein ſehr merkwürdiger Bau. In einer alten Beſchreibung Berlins und ſeiner Umgegend wird ſie die „ ſchöne Kirche zu Buch “genannt. Dieſer Ausſpruch mag ſtatt - haft geweſen ſein, als es in der ganzen Mark Brandenburg keine zehn Menſchen gab, die eine häßliche Kirche von einer ſchönen unterſcheiden konnten, in jener Epoche allgemeiner Geſchmacksver - irrung, wo man durch Laternenthürme und Kuppeln wie Butter - glocken die einfach nobeln Formen der frühen Gothik, wie ſie ſich ganz beſonders in den Feldſteinkirchen unſerer Dörfer erhalten hatte, erſetzen zu können glaubte. Die Kirche zu Buch iſt nicht ſchön, nur eigenthümlich iſt ſie, dabei ſtattlich, und von gewiſſer Entfer - nung aus geſehen, nicht ohne maleriſchen Reiz. Die Grundform iſt ein griechiſches Kreuz, aus deſſen Mitte ſich eine merkwürdige Miſchung von Kuppel - und Etagenthurm erhebt. Suchen wir dieſe Bauart zu beſchreiben. Jeder kennt jene Garten - und Speiſe - pavillons, die ſich in den Parkanlagen des vorigen Jahrhunderts ſo vielfach finden, und die aus ſechs oder acht korinthiſchen Säulen beſtehen, die ein gewölbtes Dach tragen. Denkt ſich der Leſer drei ſolcher Pavillons, der eine immer kleiner als der andere, auf ein - ander geſtellt und den Säulenbau des unterſten kreuzartig erwei - tert, ſo hat er ziemlich genau ein Bild der Bucher Kirche. Weiß - getünchte Säulen und Pfeiler wiederholen ſich in gleicher, nur verkleinerter Form von Etage zu Etage, deren jede eine ſchindel - gedeckte Kuppel trägt. Der Raum zwiſchen den Säulen iſt überall241 ausgefüllt und mit dunkelrother Farbe angeſtrichen, ſo daß drei roth und weiß geſtreifte Etagen drei ſchwarze Kuppeldächer tragen und ein Ganzes herſtellen, das am eheſten vielleicht an die hollän - diſchen Bauten aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts er - innert.
Ehe wir in die Kirche ſelbſt eintreten, ſteigen wir einige Treppenſtufen hinab in die Gruft der Kirche, die ſich wenige Fuß tief unter dem Oſtflügel der Kirche befindet und in mehr als einer Beziehung ein lebhaftes Intereſſe in Anſpruch nimmt. Dieſe Gruft, wenigſtens ein Theil derſelben, iſt wahrſcheinlich ein Ueberreſt der alten Kirche, die hier ſtand, eine Vorausſetzung, die darin ihre Berechtigung findet, daß ſich ein Sarg aus dem Jahr 1679 in derſelben vorfindet, während die Kirche ſelbſt nicht vor 1727 beendigt war. Die Gruft beſteht aus zwei gewölbten Räumen, die durch eine offene Thür mit einander in Verbindung ſtehen. Der hintere Raum iſt wahrſcheinlich der ältere Theil des Gewölbes und empfängt ſo wenig Licht, daß man eine Kerze anzünden muß, um irgend etwas ſehen zu können. Der andere Raum iſt hell und ge - räumig. Beide Theile der Gruft haben übrigens das gemeinſam, daß die darin aufgeſtellten Todten zu Mumien werden. Die hintere Gruftkammer beherbergt nur einen einzigen Sarg, in dem andern Gewölberaum aber befinden ſich einundzwanzig Särge, von denen vierzehn zur Linken und ſieben zur Rechten ſtehen; zwiſchen beiden ein Gang. In den vierzehn Särgen zur Linken ſind Mit - glieder der Familie Viereck (darunter der Miniſter und ſeine beiden Frauen) beigeſetzt; die ſieben Särge zur Rechten aber umſchließen Mitglieder der Familie Voß. *)Die Roebels, alſo die Vorbeſitzer von Buch, haben (wie die Sparr’ſche Familie) ihr Erbbegräbniß in der Marienkirche zu Berlin. In dieſem Roebel’ſchen Erbbegräbniß befinden ſich auch Mitglieder der Familien Canſtein und Canitz (vgl. Blumberg) beigeſetzt.
Wodurch dieſe Mumificirung erfolgt, iſt noch nicht aufgeklärt. Es herrſcht keine Spur von Luftzug, aber es fehlt auch jene16242dumpfe Feuchte, die ſonſt an ſolchen Orten heimiſch iſt. Vielleicht iſt es dieſe Trockenheit der Luft, die die Erſcheinung erklärt. Die mumificirten Körper ſehen weiß aus, ſind verhältnißmäßig wenig eingetrocknet und zeigen noch eine gewiſſe Elaſticität von Haut und Fleiſch. Der hier zuletzt Beigeſetzte iſt der Staatsminiſter Otto Karl Friedrich von Voß. In den Sargdeckel iſt eine Metalltafel eingelegt, die einfach den Namen und die Titel des Verſtorbenen und die nöthigſten Daten (geb. den 8. Juni 1755 ꝛc. ) trägt. Es iſt dies derſelbe Otto Karl Friedrich von Voß, der zur Zeit der Hardenbergſchen Verwaltung, namentlich in den Jahren, die den Befreiungskriegen folgten, ſo entſchieden die Principien und In - tereſſen einer conſervativen Politik vertrat. Unmittelbar nach dem Tode Hardenbergs wurde Voß Präſident des Staatsraths und des Staatsminiſteriums. Er überarbeitete ſich, erkältete ſich wäh - rend einer Feuersbrunſt, die gerade damals in Buch ausbrach, und zog ſich einen Rückfall zu, als er ſeinen erſten Vortrag beim Könige hielt, zu dem er nicht anders als in Schuhen und Strümpfen hatte gehen wollen. Sein Tod war die Folge; er ſtarb am 30. Januar 1823.
Der ſchwere eichene Sarg, der ſich in dem dunkeln Hinter - gewölbe befindet, ſteht gemeinhin offen. Der daneben befindliche Deckel iſt mit tauſenden von ſchwarzen Nägelchen beſchlagen, die ſich bei näherer Unterſuchung zugleich als eine Inſchrift des Sarges ergeben. Die Entzifferung iſt ſchwierig und ich kann nur für die annähernde Richtigkeit derſelben bürgen. Die Inſchrift lautet: „ Der Hoch-Hochwohlgeborne Herr Herr Gerhard Bernhard Freiherr von Poellnitz, Erbherr auf Reſchau (in Preußen), auf Buch, Caro und Birkholz (in der Mark), churfürſtlich brandenburgiſcher Geheimer Kriegsrath, General-Wachtmeiſter und Oberſtallmeiſter, Oberſter im Dragoner-Regiment Goerner (oder Moerner) reſidirte in Berlin, Cöln und Friedrichswerder, geboren 1617, geſtorben den 2. Auguſt 1679. “ Der völlig mumificirte Körper, der am eheſten einem mit einer dicken elaſtiſchen Ledermaſſe überzogenen Skelette gleicht, iſt völlig unbekleidet und nur mit einem graumelirten Domino oder243 Reiſemantel zugedeckt, an dem noch hunderte von Flittern wie auf - genähte Silberſchuppen glitzern. Der Schädel iſt groß und prächtig geformt, das Geſicht aber klein und von feinen Formen. Die Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt in Folge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten des dreißigjährigen Krieges empfing. Die Naſenſpitze iſt abgeſchlagen. Das geſchah bei folgender Gelegenheit. Die Franzoſen, kurze Zeit nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und quartierten ſich in die Kirche ein. Voll Uebermuth ſchleppten ſie den Mumien - körper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen fri - vole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach das Naſenbein. *)In einem andern märkiſchen Dorfe (Campehl, in der Grafſchaft Ruppin) kam, ſo wird erzählt, eine ähnliche Geſchichte vor. Uebermüthige Franzoſen ſchafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in hölliſcher Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu ſtellen. Einem unter den Uebelthätern mochte das Herz ſchlagen. Als er beſchäftigt war, die linke Hand feſtzunageln, fiel der er - hobene Mumienarm zurück und gab dem unten ſtehenden Franzoſen einen Backenſtreich. Dieſer fiel todt um; Schreck und Gewiſſen hatten ihn ge - tödtet. (Ich bin ſeitdem in der Campehler Kirche geweſen und kann dieſe Geſchichte leider nicht beſtätigen. Herr v. Kalbutz liegt mit gefalteten Hän - den da, die Finger beider Hände wie in eins zuſammengewachſen. Uebri - gens erzählte mir der Küſter von der großen Popularität dieſer Mumie; Handwerksburſchen aus aller Herren Länder, die durch Campehl zögen, ermangelten nicht, ſich den Herrn v. Kalbutz anzuſehn, den ſie alle als ein Curioſum der Mark Brandenburg kennen.)Es iſt in der That ein mehr denn fragliches Glück, der Nachwelt in dieſer Form erhalten zu werden, und wir begreifen völlig die Empfindung einiger Mitglieder der Voß’ſchen Familie, die ihrem letzten Willen den Wunſch hinzugefügt haben: „ Nur nicht in unſere Gruft! “ Gebhard Bernhard von Poellnitz übrigens, deſſen Mumie in ſo wenig neidenswerther Weiſe eine Sehenswürdigkeit der Bucher Kirche geworden, iſt durchaus nicht (wie ſo oft geſchieht) mit dem Touriſten, Kammerherrn und Me - moirenſchreiber Karl Ludwig von Poellnitz zu verwechſeln, den Friedrich der Große durch die Worte: „ ein infamer Kerl, dem16*244man nicht trauen muß; divertiſſant beim Eſſen, hernach einſperren, “ziemlich zutreffend charakteriſirt hat und deſſen Memoiren gegenüber doch der Ausſpruch wahr bleibt: „ ſie ſind leichter zu tadeln als zu entbehren. “ In dem Aufſatze „ Schloß Oranienburg “hab’ ich ſeiner ausführlich erwähnt. Gebhard Bernhard von Poellnitz war der Großvater des Memoirenſchreibers und, wie es ſich für einen General und Oberſtallmeiſter geziemt, mehr ausgezeichnet mit dem Degen als mit der Feder.
Ein Zweifel, den nichts deſto weniger der Freiherr Truchſeß von Waldburg gegen den Muth und die ſoldatiſche Ehre des Oberſtallmeiſters erhob, führte zu einem der ſeltſamſten Duelle, die je gefochten worden. Die beiden Gegner trafen ſich (1664) auf dem ſogenannten „ Ochſengrieß, “einer Wieſe in der Nähe von Wien. Sie hatten beide von Berlin aus dieſe Reiſe machen müſſen, weil die vielen Duelle, die damals am brandenburgiſchen Hofe vorkamen, zu den allerſchärfſten Erlaſſen gegen den Zweikampf ge - führt hatten. Das Duell ſollte zu Pferde ſtattfinden und die Kugeln in möglichſter Nähe a tempo gewechſelt werden. Der Ober - ſtallmeiſter ritt an den Freiherrn Truchſeß heran und fragte ihn, ob er geſagt habe: er habe ihn (den Poellnitz) coujonirt und keine Satisfaction bekommen können. Truchſeß antwortete: „ Ja, das habe ich geſagt. “ Darauf wurden die Piſtolen abgefeuert und in Gegenwart der Secundanten friſch geladen. Poellnitz fragte voll Cour - toiſie: „ ob man die Pferde wechſeln wolle, “was Truchſeß ablehnte. Man ritt nun in lebhaftem Schritt an einander heran und ſchoß auf nächſte Diſtance. Die Kugel des Truchſeß ſtreifte den Ober - ſtallmeiſter über den Bauch, die Kugel des letzteren aber traf den Truchſeß tödtlich. Er ſank zur Seite und hielt ſich mühſam im Sattel. Poellnitz fragte ihn jetzt: „ Müſſet Ihr nunmehro nicht zugeſtehen, daß Ihr mir Unrecht gethan und meine Ehre ohne Grund gekränkt habt? “worauf Truchſeß erwiederte: „ Ich habe euch Unrecht gethan und bitte, daß Ihr mir vergeben wollt. “ Man nahm den Truchſeß nun vom Pferde und legte ihn auf den Raſen. Der Oberſtallmeiſter kniete an ſeiner Seite nieder und245 ſprach dem Sterbenden aus Gottes Wort chriſtlichen Troſt zu, bis er verſchied.
Wir verlaſſen nun die Gruft und treten in die Kirche ein. — Sie iſt geräumig, lichtvoll und von einer einfachen Schönheit der Verhältniſſe, die nach der bunten Ueberladenheit der Façaden doppelt überraſcht. Es fehlt aller Schmuck, namentlich alle Ver - goldung; aber das Eichenſchnitzwerk an Kanzel und Altar, an Chor und Kirchenſtühlen leiht dem Ganzen etwas Gediegenes, wenn auch freilich der Eindruck proteſtantiſcher Nüchternheit bleibt. In der Mitte wölbt ſich die Kuppel, nicht ohne eine gewiſſe Statt - lichkeit, aber der Bilderſchmuck, den man innerhalb derſelben ver - ſucht hat, hebt die günſtige Wirkung zum Theil wieder auf. Ein Moſes mit den zwei Sinaitafeln auf ſeinen Knien und eine büßende Magdalena, die ihren Fuß auf Drachen und Todtenkopf ſetzt, ſind Leiſtungen, die auf eine mehr denn kindliche Stufe vaterländiſcher Kunſt zurückweiſen.
Der Oſtflügel der Kirche bildet eine Art hohen Chor; Altar und Kanzel trennen ihn von dem Haupttheil völlig ab und nur zwei Treppen zur Rechten und Linken des Altars unterhalten die nöthige Verbindung. Es ſcheint, daß es die Abſicht des Baumei - ſters war, hier Raum für eine Art Campo Santo, für eine mar - morne Gedächtnißhalle zu ſchaffen, eine Annahme, die dadurch be - ſtätigt wird, daß ſich die bereits beſchriebene Gruft unter dieſem Theil der Kirche befindet. Den Intentionen des Baumeiſters iſt aber nur Einmal entſprochen worden. Ein einziges, allerdings ſehr reiches und prächtiges Grabmonument erhebt ſich an dieſer Stelle, das von Glume herrührende Marmordenkmal des Miniſters von Viereck. Zieht man den Geſchmack jener Zeit in Erwägung, der in dem Hange nach geiſtreicher Symbolik vielleicht nicht weſentlich ein - ſeitiger war, als wir es mit unſerem Glauben an den allein ſelig - machenden Realismus ſind, ſo muß man zugeſtehen, daß es eine ganz vortreffliche Arbeit iſt. Die Geſtalten, aus denen ſich das Ganze zuſammenſetzt, ſind zum Theil die üblichen: der Tod mit der Sichel und ein Engel mit dem Palmzweig, wozu ſich, von246 der andern Seite her, eine weibliche Figur mit einer weit geöffne - ten Leuchte geſellt, unzweifelhaft um das helle „ Licht der Aufklä - rung “ſymboliſch anzudeuten, das damals überall und natürlich auch im Kopfe des fridericianiſchen Cultusminiſters zu finden war. Eine Büſte des Miniſters krönt das Ganze; unter der Büſte ſein und ſeiner beiden Frauen Wappen; unter den Wappen eine latei - niſche Inſchrift in Goldbuchſtaben, die, wie ſich denken läßt, nur bei den Verdienſten des Viri illustrissimi et excellentissimi verweilt und keinen Nachklang enthält von jener Reprimande König Friedrich Wilhelms I., die da lautete: „ Geheimer Rath von Viereck ſoll ſich meritirt machen, nicht zu viel à l’Hombre ſpielen, diligent und prompt in ſeiner Arbeit ſein, nicht ſo langſam und faul, wie er bisher geweſen. “— Der Unterſchied zwiſchen preußi - ſchen Cabinetsordres und Grabſchriften war immer groß.
Noch eine Stelle bleibt uns übrig, an die wir heran zu tre - ten haben. Unter der Kuppel, genau in der Mitte der Kirche, be - merken wir eine Vertiefung im Fußboden, als ſeien hier die Ziegel, womit der Fußboden gepflaſtert iſt, zu einem beſtimmten Zweck herausgenommen und ſpäter wieder eingemauert worden. Wir be - merken nun auch, daß die Vertiefung die ohngefähre Länge und Breite eines Grabſteins hat, als ſei es Abſicht geweſen, hier eine Steintafel einzulegen. Wir ſtehen in der That an einem Grabe. Hier an dieſer unſcheinbaren Stelle wurde die ſchöne Julie von Voß, bekannt unter dem Namen Gräfin Ingenheim,*)Die Beziehungen des Königs Friedrich Wilhelms II. zur Rietz - Lichtenau und — wie eine Epiſode — zum Fräulein v. Voß, muß ich als bekannt vorausſetzen. Es lag dem Hofe daran, die allmächtige Favo - ritin (die Rietz) zu beſeitigen und die Huldigungen und Aufmerkſamkeiten, die der König der ſchönen Julie von Voß erwies, ſchienen das ge - eignetſte Mittel dazu zu bieten. Julie von Voß aber war kalt und von einer, für jene Zeit wenigſtens, herben Moral, die es verſchmähte, die Nachfolgerin einer Madame Rietz zu ſein. Endlich gab ſie nach, aber nur unter der Bedingung, daß ſie dem Könige an die linke Hand angetraut werde. Dieſe Antrauung erfolgte am 22. December 1786. Der König in - deß kehrte bald zu ſeiner „ lieben Rietz “zurück und dieſe Demüthigung in aller247 Stille beigeſetzt. Ihr letzter Wunſch war geweſen, nicht in die Mumiengruft der Familie geſtellt zu werden. Ihr Wunſch wurde erfüllt. Hier unter der Kuppel der Kirche ruht die ſchöne Frau in einſamer Gruft, ſicher vor dem Auge zudringlicher Neugier, ja ſelbſt der Theilnahme derer entzogen, die an dieſer Stelle vorüber - gehen und keine Ahnung haben, was die Vertiefung in den Steinen des Fußbodens bedeutet.
Ueberall in Buch, in Kirche, Schloß und Park, begegnet der Beſucher den Spuren der ſchönen Gräfin, allerhand Zeichen und Gegenſtänden, die leiſe an ſie mahnen, aber nirgends ihrem Namen. Wie in Familien, wo das Lieblingskind ſtirbt, Eltern und Geſchwiſter ſtillſchweigend übereinkommen, den Namen des theuren Hingeſchiedenen nie mehr auszuſprechen, ſo auch hier. Eine Gruft iſt da, aber es fehlt der Stein; aus reichem goldenen Rah - men heraus blickt in den Wohnzimmern des Schloſſes ein Frauen - bild, auffallend durch Schönheit und ſtille Majeſtät der Züge, aber die Kaſtellanin nennt den Namen nicht und nur das Wappen zu*)zehrte am Leben Juliens von Voß, die inzwiſchen (1787) zur Gräfin Ingenheim erhoben worden war. Sie ſtarb am 25. März 1789, bald nach der Geburt eines Sohnes, des Grafen Guſtav v. Ingenheim, wie man ſich damals erzählte, in Folge einer vergifteten Orange, die ihr, auf Anſtiften ihrer Rivalin, im Theater gereicht worden war. Die Unglaub - würdigkeit dieſer Erzählung iſt längſt dargethan, am eclatanteſten durch die Rietz-Lichtenau ſelbſt, in ihren „ Memoiren. “ Alles, was ſie ſagt, iſt ſchlagend. Wenn der Volksglaube nichtsdeſtoweniger bei ſeiner Vorſtellung von einer ſtattgehabten Vergiftung beharrt und als Beweis anführt, daß die Leiche der Gräfin, nach ihrer Beiſetzung im Erbbegräbniß, nicht in Verweſung übergegangen ſei, ſo zeigt dies, neben andrem, wie wenig ſtichhaltig die ganze Anklage iſt. Selbſt wenn die Gräfin in der Familien - gruft wirklich beigeſetzt wäre, ſo würde die Nicht-Verweſung nichts zu bedeuten haben, da eben alle Todten in dieſer Gruft zu Mumien werden; Julie v. Voß iſt aber, auf ihren ausdrücklichen Wunſch, in der Familien - Gruft nicht beigeſetzt worden, ſondern ruht, wie oben erzählt, unter der Kuppel der Kirche, in einem übermauerten Grabe. Es iſt zu wünſchen, daß dieſe Stelle ſpäter einen Grabſtein erhält, was, der Vertiefung im Boden nach zu ſchließen, urſprünglich gewiß beabſichtigt war.248 Füßen des Bildes gibt andeutungsweiſe Aufſchluß. *)Es exiſtiren noch mehrere Bilder von der ſchönen Gräfin. Ein Oelporträt, das im Ingenheimſchen Schloſſe zu Seeburg (im Mansfelder Seekreiſe) aufbewahrt wird, habe ich nicht geſehn, wohl aber ein lebens - volles Paſtellbild, das ſich im Beſitz der Frau v. Haeſeler (Behrenſtraße 70) befindet. Es hat Aehnlichkeit mit dem in Buch befindlichen Porträt, iſt aber lieblicher und von gewinnenderem Ausdruck. Augen und Teint ſehr ſchön. Die Gräfin trägt ein Morgenkoſtüm, eine Art Tüllſpenſer mit vie - len krausgetollten Kragen. Durch die Fülle gelbgepuderten, krauſen Haares zieht ſich ein ſchwarzes Sammtband. Das Porträt rührt von Frau v. Sydow, einer Freundin der Gräfin Ingenheim, her.Wir treten von dem Bilde hinweg und in den Park hinaus. Die eine der dunkeln Alleen führt uns an einen abgelegenen Platz, ſtiller, dunkler noch als der Park überhaupt. Edeltannen umſchreiben ein Oval und ſcheiden es ab von dem Reſt des Parks. Inmitten dieſes dunkeln Eilands, das die Tannen bilden, erhebt ſich ein Monu - ment, deſſen eine Seite ein ſinniges Reliefbild trägt: der Engel des Todes hüllt eine Sterbende in ſein Gewand; ihr Antlitz lächelt, während ein Kranz von Roſen ihrer Hand entſinkt. „ Soror optima, amica patriae, “ſo lautet die Inſchrift. Aber der Name der geliebten Schweſter fehlt.
Ein Frühlingstag führt uns nach Blumberg hinaus, einem Arnimſchen Gut in der Nähe von Berlin, und nach raſcher Fahrt, an lachenden Dörfern vorbei, biegen wir aus der ſtaubigen Pappel - Allee in die windgeſchützte, ſtille Dorfgaſſe ein. Es iſt Mittags - ſtunde, der Sonnenſchein liegt blendend auf den neugedeckten, ro - then Dächern, die Bäume ſtehen im erſten Grün und auf dem hohen Schornſtein des Herrenhauſes, aus deſſen Seitenöffnungen der weiße Rauch phantaſtiſch emporwirbelt, erhebt ſich eben ein Storchenpaar in ſeinem Neſt und unterbricht die Mittagsſtille durch ſein raſches und eifriges Geklapper. Es klingt als würde eine Senſe gewetzt, oder als ginge eine Mühle unten im Garten.
Blumberg, an der Stettiner Steinſtraße gelegen, iſt ein gro - ßes und freundliches Dorf, faſt ſo freundlich wie ſein Name und gerade groß genug, um uns die Verſicherung alter Urkunden glau - ben zu machen, „ daß Blumberg vordem ein Städtchen, ein oppi -250 dum geweſen ſei. “ Ein großes Dorf war es gewiß, aber vor allem auch reich und fruchtbar genug, um das Auge der Kirche, die immer ſcharf blickte in ſolchen Dingen, auf ſich zu ziehen. So geſchah denn, was nicht ausbleiben konnte, und bald, nachdem ſich die Nachfolger Albrecht des Bären zu Herren im Teltow und Barnim gemacht hatten, wurde Blumberg Kirchengut und zwar Beſitzthum der reichen Biſchöfe zu Brandenburg.
Blumberg blieb biſchöfliches Gut bis zur Reformationszeit, bis zu jenen Tagen, wo Joachim II. den Kampf in ſeinem Herzen ausgekämpft und ſein chriſtlich Gewiſſen über die feierliche Zuſage geſetzt hatte (über die Zuſage, auszuharren beim alten Glauben), die er ſeinem Vater auf dem Todbette hatte leiſten müſſen. Vieles wurde nun anders im Lande; die Einziehung der Kirchengüter drohte von Tag zu Tag und die klugen Herren zu Brandenburg, die nicht Luſt hatten, ſich überraſchen zu laſſen, veräußerten recht - zeitig allerlei Beſitzthum, das über kurz oder lang doch zerrinnen mußte, — viele Güter wurden verkauft, darunter Blumberg.
Der Käufer war Hans von Krummenſee. Die Krummen - ſee waren damals eine der reichſten Familien im Lande; ſie be - ſaßen die Stadt Alt-Landsberg, die ziemlich in der Mitte des Geſammt-Areales lag, das ſie durch Kauf und Erbſchaft im Laufe der Jahrhunderte an ſich gebracht hatten. Jetzt, durch den Ankauf von Blumberg, dehnten ſie ihren Beſitz bis an die Bernauer Feld - mark und bis an die Grenzen jenes andern großen Güterkomplexes aus, der, nördlich von Berlin, ſich in den Händen der reichen und angeſehenen Familie von Roebel*)Im 17. Jahrhundert war die große Mehrzahl (17) aller, im zwei - meiligen Umkreis nördlich von Berlin gelegenen Güter, in Händen von nur drei Familien: Roebel, Krummenſee, Loeben. befand; aber mit der Erwer - bung von Blumberg war plötzlich dem wachſenden Reichthume der Krummenſee ein Ziel geſteckt. Von da ab ging es rückwärts; der 30jährige Krieg that das Seine, Gut auf Gut ging verloren, 1701 das letzte — Schöneiche. Ihrem reichen Beſitze iſt ſeitdem251 das Geſchlecht ſelbſt gefolgt. Der letzte war Carl Aegidius Ludwig von Krummenſee, geſtorben 1827 als Canonikus zu St. Nicolai in Magdeburg.
Blumberg beſaßen die Krummenſee nur etwa 80 Jahre. Eine Sandſteinplatte vor dem Altar der alten Blumberger Kirche bewahrt ihren Namen. Die Inſchrift des Steines lautet in der ſchlichten, herzhaften Sprache jener Zeit: „ Im 58ten Jahre und 3 Wochen, iſt meine liebe Hausfrau Katarina Moerner allhier be - graben und iſt mein, Hans Krummenſee’s, allerliebſt Ge - mahl geweſt. 1596. “
1602 verkaufte Hans von Krummenſee ſein Gut Blumberg, ſo wie die Güter Dahlwitz, Eiche und Helmsdorf an den kurfürſt - lichen Kanzler Hans von Loeben, bei deſſen Nachkommen Blum - berg ein volles Jahrhundert blieb. Die Kirche, in die wir eben eingetreten ſind und an deren Wänden wir eine beträchtliche An - zahl alter Bildwerke erblicken, giebt uns die beſte Gelegenheit, die zum Theil hiſtoriſchen Geſtalten jenes Jahrhunderts in raſchem Wechſel an uns vorüberziehen zu laſſen; unſer erſter Blick aber gehört der Kirche ſelbſt.
Es iſt ein alter Bau, an dem auch das Auge des Laien zwei verſchiedene Epochen ohne Mühe unterſcheiden kann: einen älteſten Theil mit Pfeilern und Kreuzgewölben aus der Zeit der Branden - burger Biſchöfe, und einen Anbau mit Altar und Kanzel aus der Zeit etwa des erſten Königs. Die Bilder, die die Kirche ent - hält, ſind im Einklang damit gruppirt; Alles, was älter iſt, als der Anbau, befindet ſich auch in dem alten Theile der Kirche; was ſpäter hinzugekommen (Bilder und Denkmäler), ſchmückt die Wände des Anbaues.
(Der Anbau. Philipp Ludwig von Canſtein und ſeine „ hochbetrübteſte Wittwe. “) Dieſe Bildwerke des An - baues, theils Grabdenkmäler, theils Oelbilder und Reliefs, ſind es nicht eigentlich, die uns nach Blumberg und in die Blumberger Kirche geführt haben; dennoch verweilen wir einen Augenblick bei denſelben, wenigſtens bei den hervorragendſten.
252Da iſt zunächſt das beinahe pomphaft ausgeführte Denkmal des Oberſten Philipp Ludwig von Canſtein, eines jüngeren Bru - ders Carl Hildebrandt’s von Canſtein, jenes frommen Mitarbeiters am Werke Francke’s und Spener’s, deſſen Name und Wirken in der Canſteinſchen Bibelanſtalt zu Halle dauernd fortlebt. Der Oberſt von Canſtein ererbte Blumberg bei jungen Jahren; aber der Beſitz des ſchönen Gutes war ihm nur kurze Zeit gegönnt. Die blutigen Schlachten des ſpaniſchen Erbfolgekrieges, die (zumal bei Turin und Malplaquet) auch brandenburgiſcherſeits ſo ſchwere Opfer heiſchten, rafften auch ihn hinweg. Das Denkmal, das ihm von Seiten ſeiner Wittwe noch im Jahre ſeines Todes errichtet wurde, iſt ganz im Geſchmack jener Zeit und auf ſeinen Kunſt - werth geprüft, nichts weiter als eine mit Munificenz ausgeführte Dutzendarbeit. Auf dem Steinſarkophag ſteht wie immer die Büſte des Hingeſchiedenen, Kriegstrophäen und Wappenſchilde gruppiren ſich drum herum; ein Genius preßt den Lorbeerkranz auf die Allongenperrücke, und die vergoldete Front des Marmorſarges trägt in Schnörkelſchrift die üblich ſtyliſirte Inſchrift. Dieſe Inſchrift wiederzugeben, iſt hier nöthig, weil ſie eine irrthümliche Angabe über den Todestag des tapferen Oberſten beſeitigt. Er fiel nämlich nicht bei Malplaquet, wie immer gedruckt wird, ſondern ein Jahr früher bei Oudenarde. Die Inſchrift lautet: Dem Hochwohlgebornen Herrn, Herrn Philipp Ludwig Freiherrn von Canſtein, Herrn der Herrſchaft Canſtein, Schön - berg, Neukirch, Blumberg, Eiche und Helmsdorf, Seiner Kö - niglichen Majeſtät in Preußen Obriſten zu Roß der Gens - darmes, welcher geboren A. D. 1669 den 11. April, durch Geſchlecht und Tugend, durch Gottesfurcht und Tapferkeit Ehr’ und Lob verdienet und erworben, und im Treffen bei Oudenarde wider die Franzoſen, im Lauf des glücklich erfolg - ten Sieges durch einen tödtlichen Schuß rühmlich und auf dem Bette der Ehren verſtorben, im Jahre des Heils 1708 den 11. Juli, des Alters 39 Jahr und drei Monat, — hat dieſes Denkmal zum Zeichen beſtändiger Liebe und Treue253 ſetzen laſſen, deſſen hochbetrübteſte Wittwe, Ehrengard Maria Freifrau von Canſtein, geborne v. d. Schulenburg, 1708.
Die „ hochbetrübteſte Wittwe “indeß war ein Kind ihrer Zeit, d. h. ſie verheirathete ſich wieder und zwar in kürzeſter Friſt. Sie wurde dann abermals eine Wittwe, aber nur um ſich bald darauf zum dritten Mal zu vermählen. Das war damals Landesbrauch in den Marken, und wir werden noch im Lauf dieſes Aufſatzes die Bekanntſchaft eines hervorragenden Mannes jener Epoche machen, der außer ſeinem Vater und Schwiegervater zwei Stiefväter und zwei Stiefſchwiegerväter hatte, alſo ſechs Väter im Ganzen. (Der große Kurfürſt war zweimal, der alte Derfflinger zweimal, König Friedrich I. dreimal verheirathet; ſo viele Andere noch.) Es war damals, als ob Alles, was lebte, ſich einen Zuſtand der Ehe - loſigkeit nicht denken konnte, und einzelne Ausnahmefälle abgerech - net, ſprach ſich in dem Allen viel weniger eine Frivolität, als eine Fülle des Lebens aus. Man hielt das Trauerjahr und war in aller Aufrichtigkeit ein tief betrübter Wittwer, oder eine „ hochbe - trübteſte Wittwe. “ Aber ſobald die Trauerkleider fielen, gehörte man wieder dem Leben; das Blut, das voll zum Herzen drang, forderte ſein Recht. Das ſinnliche Leben überwog noch das geiſtige, und die Welt feinen Empfindens war noch wenig erſchloſſen. Aber freilich auch die Irrwege nicht, zu denen die Feinheit der Empfin - dung ſo leicht verführt.
Auch von der betrübten Wittwe unſeres tapferen Obriſten findet ſich ein Bildwerk im Anbau der Kirche vor; kein Grabdenk - mal, nichts von Senſenmann und Sarkophag, vielmehr ihr Oel - porträt in ganzer Figur, friſch, blühend, voll. Es iſt ein ſehr intereſſantes Bild, einmal als künſtleriſche Leiſtung überhaupt, un - gleich mehr aber durch die ingeniöſe Art, wie der Maler es ver - ſtanden hat, die drei Ehemänner der noch ſtattlichen Frau halb huldigend, halb decorativ zu verwenden. Wie Macbeth in der be - kannten Hexenkeſſel-Scene die Könige Schottlands an ſich vorüber ziehen ſieht und zwar ſo, daß die letzten, die der Zeit nach am weiteſten von ihm entfernt ſind, immer kleiner und blaſſer werden,254 ſo hier die 3 Ehemänner. Den noch lebenden (oder jüngſt ver - ſtorbenen) hält ſie, als Medaillonporträt, mit dem Ausdruck ruhi - gen Beſitzes, feſt in ihrer Rechten; der zweite, noch klar erkennbar, zieht ſich bereits in den Hintergrund des Bildes zurück; unſer Freund der Oberſt aber, deſſen ganze Schuld darin beſtand, ſchon 20 Jahre vor Entſtehung dieſes Bildes den Heldentod geſtorben zu ſein, verliert ſich völlig in nebelhafter Ferne und wirkt nur noch mit, um das Enſemble und die ſymmetriſche Anordnung des Ganzen nicht zu ſtören. Möglich, daß ſolche Bilder öfter ſich vor - finden, mir war es das erſte der Art.
(Johann von Loeben.) Der Anbau der Kirche enthält noch manches andere von Bildwerken und Denkmälern, wir treten aber, von dem Bildniß der ſtattlichen Frau hinweg, in den alten Theil der Kirche zurück, wo wir, genau an der Stelle, wo Be - hufs des Anbaues die alte Giebelwand durchbrochen wurde, an den pfeilerartig ſtehen gebliebenen Mauerreſten, verſchiedenen alten Porträts aus dem Anfang und Schluß des 17. Jahrhunderts be - gegnen, Porträts, die, wenn man den Ausdruck geſtatten will, der eigentlichen Zeit Blumbergs, ſeinem hiſtoriſchen Jahrhundert (eben dem 17.) angehören. Dieſe Bilder geleiten uns durch drei (genauer genommen vier) Generationen einer und derſelben Fa - milie, aber es iſt weibliche Deſcendenz und ſo wechſeln die Na - men: Loeben, Burgsdorf, Canitz.
Da haben wir zunächſt, halb verſteckt unter einem Behang von Spinnweb, die Bildniſſe Johann von Loebens und ſeines Ehegemahls. Er iſt ein alter Herr und die ſpaniſche Tracht von ſchwarzem Sammt, dazu die goldne Kanzlerkette, würden keinen Zweifel über die Vornehmheit des Mannes laſſen, wenn auch die Züge weniger Entſchloſſenheit und die großen hellen Augen minder Würde und Leutſeligkeit ausdrückten. Die Umſchrift des Bildes lautet: „ Johann von Loeben, Kurfürſtlich Brandenburgiſcher Ge - heimer Rath und Kanzler hat 1602 die Güter Blumberg, Eiche, Dalwitz und Helmstorff erkauft, chriſtlich und weislich ſolchen vor - geſtanden und regieret 34 Jahr, und iſt geweſen ein weiſer und255 vortrefflicher Mann von ſeinem Geſchlecht. “ Unmittelbar vor dem Bilde hängt das alte Banner der Familie, von der Decke herab, das in goldner Schrift die Angaben des Bildes theils beſtätigt, theils erweitert: „ Der hochedle, geſtrenge und hochbenannte Herr Johann von Loeben (Ihrer Churfürſtlichen Durchlaucht zu Bran - denburg, Joachim Friedrich, hochlöbſeligſten Gedächtniſſes, vorneh - mer Geheimer Rath und Kanzler) auf Blumberg, Dalwitz, Eiche und Falkenberg, iſt allhier zu Blumberg ſelig im Herrn entſchlafen, den 26. Juli anno 1636, ſeines Alters 75 Jahr. “ Ueber dieſer Inſchrift, ſtark nachgedunkelt, aber immer noch deutlich erkennbar, zeigt ſich das alte Loeben’ſche Wappen: ein Schachbrett mit der Prinzeſſin aus Mohrenland. Schon 723 war ein Loeben (die Ge - ſchichte verſchweigt ſeinen weiteren Namen) in die üble Lage gekommen, mit einer Prinzeſſin aus Mohrenland auf Tod und Leben Schach ſpielen zu müſſen. Glücklicherweiſe gewann er die Parthie, ein Umſtand, den wir nicht hoch genug anſchlagen können, weil wir ohne den - ſelben um die ganze Erzählung gekommen wären; Schachbrett und Prinzeſſin aber kamen in’s Loeben’ſche Wappen. Ob die edle Kunſt des Schachſpiels ſeitdem in der Familie gehegt und gepflegt wurde, mag dahin geſtellt bleiben, nur unſer alter Kanzler war jedenfalls ſeines Ur-Ahnen werth; auch er war ein Meiſter im Spiel und that gute und ſichre Züge auf dem diplomatiſchen Schachbrett. Dabei liebte er ehrlich Spiel, keine Finten, keine Hinterhalte. Der Kurfürſt ſetzte ein unbegrenztes Vertrauen in ſeine Klugheit und Redlichkeit, und als er (der Kurfürſt) an die Gründung eines permanenten „ Geheimen Rathes “*)Dieſer „ Geheime Rath “beſtand aus 8 Mitgliedern, darunter 3 Doktoren der Rechte, die auch ſpäter noch meiſt aus bürgerlichem Stande genommen wurden. Die 8 Mitglieder waren: Hironymus Graf v. Schlick, Präſident; Johann von Loeben, Kanzler; von Benkendorf, Vice-Kanzler; Chriſtoph Friedrich von Wallenfels; Hironymus von Dieskau; Friedrich Pruckmann; Simon Ulrich Piſtoris; Johann Hübner. ging (die nächſte Veranlaſ - ſung dazu gab eine längere Anweſenheit des Kurfürſten im Her - zogthum Preußen), war es ſelbſtverſtändlich, daß Johann von256 Loeben als erſter Rath in dieſen Regentſchafts-Körper berufen wurde. Aus dieſem damals gegründeten „ Geheimen Rath “ging ſpäter der „ Staats-Rath “hervor. Johann von Loeben wurde Kanzler (bei jungen Jahren noch) und ſtieg ſo hoch wie ein Diener ſteigen mag im Dienſt und in der Liebe ſeines Herrn, aber Leid und Bitterkeit des Lebens erreichten auch ihn. Wie er die höchſte fürſtliche Gnade kennen gelernt hatte, ſo kam Ungnade über ihn, wie der Dieb in der Nacht. Faſt unmittelbar nach Joachim Fried - richs Tode (1609) ſchied er aus dem Staatsdienſt, um „ procul negotiis “in der heitern Umgebung Blumberg’s, die Freuden und Leiden glänzenderer Tage zu vergeſſen. 1629, in mitten der Wirren des 30jährigen Krieges wurde er noch einmal auf den Schauplatz berufen, um der ſchwachen und haltloſen Politik George Wil - helms Halt und Richtung zu geben, aber wo keine Kraft der Aus - führung war, da wogen der Rath des Weiſen und das Wort des Thoren gleich ſchwer und nach kurzem Verweilen am kurfürſtlichen Hofe zog er ſich zum zweiten Mal in die Stille ſeines Landguts zurück. Nur als Beobachter folgte er den Begebenheiten, und die letzten Jahre ſeines Lebens, verbittert durch ſo manche Erfahrung, brachten ihm wenigſtens die eine Freude noch, daß ihm vergönnt war, den Stern ſeines Schwiegerſohns, Conrads von Burgs - dorf, glänzend aufgehen zu ſehen.
(Frau von Burgsdorf.) Die Bildniſſe des alten Kanzlers und ſeines Ehegemahls blicken, dem Anbau und der Kanzel abge - wendet, in das alte Kirchenſchiff hinein; an der Innen-Seite der beiden Pfeiler aber, ſo daß ſie ſich einander in’s Auge ſehen, hin - gen bis vor Kurzem zwei andre intereſſante Porträts, die Bildniſſe der alten Frau von Burgsdorf (der Tochter Johanns von Loeben) und ihres Enkels, des Poeten Canitz. Dies tête à tête zwiſchen Großmutter und Enkel iſt neuerdings geſtört worden; die Kirchen - vorſtände haben das Bildniß des Poeten in unerklärlicher Ver - blendung für eine kaum nennenswerthe Summe verkauft. Es iſt dies um ſo beklagenswerther, als die Kirche jedes andern Bildes eher entbehrt haben könnte als dieſes einen. Denn die eigentliche257 Glanzzeit Blumbergs fällt nicht nur in die Tage, wo Canitz hier dichtete und heitre Gaſtfreundſchaft übte, nein ſelbſt der Name des Dorfes würde nie über ſeine nächſte Umgebung hinaus bekannt geworden ſein, wenn ihm nicht die Alexandriner des märkiſchen Poeten zu einem Plätzchen in der Literatur-Geſchichte und zu einem ähnlich guten Klange verholfen hätten, wie ihn Wandsbeck, oder Gohlis oder Alten-Gleichen haben.
Das Bildniß der alten Frau von Burgsdorf, dem wir uns jetzt zuwenden, iſt wohl erhalten und trägt folgende Inſchrift: „ Die Verwittwete Frau Oberkammerherrin von Burgsdorf, geborne von Loeben, bekommt nach Abſterben ihrer Frau Mutter alle Güter, ſo ihr Herr Vater, der Herr Kanzler von Loeben in Beſitz gehabt; ſtehet ſolchen mit beſondrem Ruhm und Leutſeligkeit vor; aus Liebe für die Blumberg’ſchen und Eichiſchen Unterthanen, legirt ſie in ihrem Teſtament den Armen von beiden Gütern ein Capital von 500 Thalern. Sie ſetzet annoch bei ihrem Leben den klugen Staatsminiſter Freiherrn von Canitz als ihren einzigen Enkel, zum Erben ihrer Güter ein. Erlanget von dem Höchſten die Verheißung langen Lebens und bringet ſolches auf 77 Jahr. “
Das Bild (wie wir aus der Unterſchrift ſchließen müſſen, erſt nach dem Tode der alten Dame gemalt) iſt wahrſcheinlich die Copie nach einem früheren Gemälde, das bereits bei ihren Leb - zeiten exiſtirte, denn der lebensvolle Kopf, der, aus dem ſchlichten Holzrahmen heraus, hier zu uns ſpricht, iſt nicht der Kopf einer 77 jährigen Greiſin, ſondern der Kopf einer Frau in den beſten Jahren, deren Embonpoint ſie ſiegreich ſchützt gegen die verrätheri - ſche Furchenſchrift der erſten 50er Jahre, und deren lang herab - hängende dunkle Locken noch den Vorſatz der Trägerin ausſprechen, nicht alt ſein zu wollen.
Das Koſtüm iſt ſo ziemlich daſſelbe, wie unſere Damen jetzt es tragen. Das Kleid iſt weit ausgeſchnitten, aber ein reiches Kantenhemd umſchließt den Nacken bis hoch herauf, und allerhand Schnüre und Borten ziehen ſich decent über den geſtickten Bruſt - latz hin. Die Aermel ſind kurz und weit und überdecken kaum zur17258Hälfte den reichen Unterärmel von Brüſſeler Spitzen. Der Ausdruck des Kopfes iſt der einer ſelbſtbewußten, herrſchgewohnten Frau, deren natürliche Gutmüthigkeit ſich gegen die Regungen des Stolzes eben ſo ſehr wie gegen die harten Schläge des Schickſals behauptet hat. Nichts Weichliches, nichts Sinnliches in den Zügen; die ganze Erſcheinung ſtreng und wohlwollend zugleich. Von ſchweren und harten Schlägen, die ſo leicht eine angeborne Milde in Herbigkeit umwandeln, war ſie freilich vielfach betroffen worden. Wenn das Leben ihres Vaters Gegenſätze geboten hatte, ſo bot das ihre deren mehr. Sie hatte die Tage ſeltenen Glückes geſehen, aber auch Tage tiefen Falles. Ihr Ehgemahl, eine genialiſche Natur, halb Held, halb Libertin, hatte ſich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler, als erſter Diener neben dem Thron des Fürſten zu ſtehen; nicht der Diener ſeines Herrn, ſeines Herrn Herr hatte er zu ſein geſtrebt, war er in Wirklichkeit geweſen. Daß er es hatte bleiben wollen, das hatte ihn geſtürzt. Was Kurfürſt Friedrich Wilhelm tragen konnte, als er, faſt ein Knabe noch, in’s Land kam, in ein Land, das der ſchlane Muth Konrad’s von Burgsdorf ihm ſchrittweis erſt erſchließen mußte, das mußte allmälig zur Verſtim - mung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürſt „ der große Kurfürſt “zu werden begann. Der kluge Günſtling, der ſo Vieles ſah, ſah dieſen Wechſel nicht, wollte ihn vielleicht nicht ſehen, und an dieſem Irrthum oder Eigenſinn ging er zu Grunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüſtheit ſeines Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe wurde ausgeſprochen. Er ging nach Blumberg; aber der Haß ſeiner Feinde ſchwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor ſeiner Rückkehr, und hundert geſchäftige Zungen trugen es durch die Stadt, „ daß der geſtürzte Günſtling 18 Maß Wein tagtäglich bei Tafel getrunken habe und ein gewaltiger Courmacher und Sere - nadenbringer geweſen ſei. “ Man wußte wohl, was man that, daß man dieſe Dinge in Umlauf ſetzte und keine andern; denn Kur - fürſtin Henriette Louiſe war eine fromme Frau, der alles Laſter - leben ein Greuel war, und nachdem Unzucht und Völlerei ſo lange259 ihr wüſtes Haupt auf den Tiſch gelegt hatten, wurde eben damals die Sitte erſtes Gebot. Konrad von Burgsdorf ſtarb bald; es heißt, daß er ſinn - und troſtlos geendet habe; ſein ehlich Gemahl aber, deren Bild jetzt eben von der Pfeilerwand auf uns hernieder - blickt, überlebte den Sturz ihres Mannes um faſt volle dreißig Jahre. Blumberg, der Ort ihrer Kindheit, drin ihr Vater und dann ſpäter ihr Gatte vor der ſchneidenden Eisluft der Ungnade Zuflucht geſucht hatten, blieb ihr lieb, weil die Geſchichte ihres Le - bens mit ihm verwachſen, und die Stille ſeiner Felder ihr mehr und mehr ein Bedürfniß geworden war. Aber freilich der Frieden des Gemüths, nach dem ſie rang, blieb ihr im Alter verſagt, wie er ihr in der Jugend verſagt geweſen war. Neue Kränkungen geſellten ſich zu alter Bitterkeit, Kränkungen, die dadurch nicht geringer wurden, daß ſie unbeabſichtigt waren. Den Kummer ihres Alters ſchuf ihre eigene Tochter, ihr einziges Kind. Dieſe ſchien ganz ihres Vaters Kind zu ſein, von dem wir bereits wiſſen, daß er zu ſeiner Zeit „ ein gewaltiger Courmacher und Serenadenbringer “geweſen war. Dreimal verheirathete ſich dieſe Tochter. Ihr erſter Mann, ein Freiherr von Canitz, ſtarb, — das war ein Unglück; von ihrem zweiten Manne, einem General v. d. Goltz, ließ ſie ſich ſcheiden — das war nicht hübſch, indeß es war erträglich; daß ſie ſich aber zum dritten Male verheirathete, und dieſen dritten Mann, einen alten Franzoſen, den ſie nie geſehen hatte, aus Paris ſich ſchicken ließ, das war mehr, als die Oberkammer - herrin von Burgsdorf, die ein halbes Jahrhundert lang erſt als die Tochter und dann als die Gattin des vornehmſten Mannes in Kurmark Brandenburg gelebt hatte, ertragen konnte. Dieſe Heirath zehrte an ihrem Herzen und vergällte ihr das letzte Jahr - zehnt ihres Lebens; die Ehe ſelbſt aber, die zu dieſer Verbitterung Anlaß gab, bildet einen zu charakteriſtiſchen Zug für die Sitten - geſchichte jener Zeit, als daß ich es mir verſagen könnte, den Her - gang derſelben hier ausführlicher zu erzählen.
Frau von der Goltz (geborene von Burgsdorf, verwittwete von Canitz, geſchiedene von der Goltz) war kaum von ihrem zwei -17*260ten Manne getrennt, als ſie den Vorſatz faßte, ſich zum dritten Male zu verheirathen, und da ihr, bei ihrer Schwärmerei für alles Franzöſiſche, jeder Franzoſe in ganz beſtimmter nationaler Vollkommenheit erſchien, ſo kam auf die Wahl im Beſonderen nicht eben viel an. Frau von der Goltz entſchloß ſich raſch; ſie ſchrieb ihrem Pariſer Commiſſionär, der ſich bis dahin durch ſeinen feinen und guten Geſchmack in der Ueberſendung von Coiffüren und Modeartikeln bewährt hatte, ihr einen Mann zum Heirathen zu ſchicken, der jung, hübſch, rüſtig, fein und geiſtvoll und ſelbſt - verſtändlich auch von Adel ſei. Der Auftrag wurde prompt aus - geführt. Nach etwa vier Wochen traf in Berlin ein Franzoſe von über fünfzig Jahren ein und meldete ſich bei Frau von der Goltz als derjenige, den ſie gewünſcht habe. Sein Name war Peter von Larrey, Baron von Brunbosc, aus einer alten Familie in der Normandie. Die Ehe kam wirklich zu Stande, und war glücklich. Frau von Burgsdorf konnte aber über die Kränkung, die ihr dieſer abenteuerliche Vorgang bereitet hatte, nicht hinweg; die Partie mit dem normanniſchen Baron, der vielleicht keiner war, zehrte an ihrem Leben, und ſie ſtarb, nachdem ſie längſt vorher mit Um - gehung ihrer Tochter, den Sohn dieſer Tochter aus erſter Ehe, den Freiherrn von Canitz, zum Erben all ihrer Güter, das ſchöne Blumberg mit eingeſchloſſen, eingeſetzt hatte.
(Freiherr von Canitz.) Und dieſem Freiherrn von Canitz wenden wir uns nun ausführlicher zu. Sein Bildniß fehlt jetzt zwar an dem breiten Mauerpfeiler, an dem es früher hing und Großmutter und Enkel, das Lächeln des einen, der herbe Geſichts - ausdruck der andern, begegnen ſich nicht länger an dieſer Stelle; aber das Totalbild des „ Poeten, “ſeinen Charakter wie ſeine Er - ſcheinung, hat uns eine zeitgenöſſiſche Feder aufbewahrt und mit Hülfe dieſer Aufzeichnung erneuern wir auf Momente das Bild und führen es an dem Auge unſerer Leſer vorüber.
„ Canitz der Poet “war von mittlerer, wohlgewachſener Ge -261 ſtalt, in den ſpäteren Jahren etwas unterſetzt und ſtark; ſein Ge - ſicht voll, offen, wohlgebildet, ſeine blauen Augen lebhaft, ſein Anſehn männlich. Bei einer weißen Haut und freien Stirn hatte er einen freundlichen Mund, der ſich nur manchmal eines ſpötti - ſchen Lächelns nicht erwehren und ſeine angeborene Nei - gung zur Satire nicht ganz verbergen konnte.
So ſchildert ihn ſein Biograph, und dieſe Züge mochte das Bildniß zeigen, das einſt hier hing, aber am letzten Sonntage des Monats Juni 1699, als er zum letzten Male in dieſen Chorſtuhl uns zur Rechten eintrat, um andächtiglich der Rede des Geiſtlichen zu folgen, zuckte kein ſpöttiſches Lächeln mehr um ſeinen Mund und die „ angeborene Neigung zur Satire “hatte längſt einem beſ - ſeren Platz gemacht. Er wußte, daß ein anderes Leben ſeiner harre, und von Todesgewißheit erfüllt, hatte er in tiefer Rührung zu Spener die Worte geſprochen: „ wenn Gott mich wieder aufrichtet, ſo will ich dem eitlen Weſen dieſer Welt mich ganz entziehn und mich dem widmen, was das allein Nothwendige iſt. “ Canitz wußte, daß er nur noch Wochen zu leben habe (die Aerzte hatten es ihm geſagt, weil er es zu wiſſen verlangt hatte), und die Textesworte, die eben jetzt geleſen wurden, trafen ſein Herz. „ Es wird geſäet verweslich und wird auferſtehen unverweslich; es wird geſäet in Unehre und wird auferſtehen in Herrlichkeit. “ Die Worte trafen ſein Herz, aber die Bilder des Todes, die vor ihn hintraten, er - ſchreckten ihn nicht. Ruhig folgte er dem Gang der Predigt.
Nun iſt die Predigt vorüber und an der Sakriſteithür dem Geiſtlichen freundlich und zuſtimmend die Hand drückend, ſchreitet er über die Gräber hinweg und durch das hollunderüberwachſene Kirchhofsthor, dem Herrenhauſe zu, das von der andern Seite der Dorfſtraße her, zwiſchen Pappeln und Linden hindurch, freundlich ſeinen Herrn grüßt. Der Junimorgen, ſo friſch und ſo warm zu - gleich, macht ihn aufathmen wie in alter Luſt und Fülle des Le - bens, und ſtatt in die Kühle des Hauſes einzutreten, tritt er in den lachenden Park. Wir folgen ihm leiſe. An dem Birkenwäldchen vorbei, den erhöhten Kiesweg entlang, der bald die Windungen des262 Bachs begleitet, bald ſie kreuzt und überbrückt, — ſo hat er end - lich die hochgelegene Lieblingsbank am Rande des Parks erreicht, die, von Buchenzweigen weit überſchattet, nach vorn hin einen Blick gönnt auf Felder und wogendes Korn. Er läßt ſich nieder hier und Figuren in den Sand zeichnend, ziehen die wechſelnden Bilder ſeines Lebens an ihm vorüber.
Das ſind die ſonnigen Tage ſeiner Jugend. Die krainiſchen Alpen liegen hinter ihm, eine kurze Meerfahrt iſt überſtanden und um die Spitze des Lido herum, biegt er ein in die Lagunenſtadt. Welche Welt thut ſich vor ihm auf; die Thürme und Kuppeln blinken im Sonnenlicht, und als zöge man hinaus, um feſtlich einen Fürſten einzuholen, ſo ſchwimmt die Königin der Meere auf hundert Barken ihm entgegen. Aber was wie ein Wunder ſcheint, iſt nur ein glückliches Ohngefähr; die heiteren Reiſegötter führen ihn in die Lagunenſtadt, juſt am Tage der Meervermählung, wo der Doge im Bucentauro hinausgleitet, um den Ring, das Zeug - niß und die Beſieglung des Bundes, in das Meer zu ſenken.
Die Bilder Venedigs verſinken hinter ihm, aber der Kahn des Traumes führt ihn weiter, jetzt zurück auf die hohe See, jetzt an dem Küſtenbogen entlang, der zwiſchen Sorrent und Neapel ſich ſpannt, jetzt den Rhein hinunter und jetzt die Themſe hinauf, hinauf bis an die Londonbrücke, wo die Schiffe den Strom ſperren und die Maſten im Fluß und die Thürme am Ufer den Blick be - zaubern und verwirren. Die alte Landungstreppe ſteigt er hinan, die abgetreten und ausgewaſchen zum Quai hinaufführt, und das Geräuſch der City nimmt ihn auf. Immer wachſendes Gedränge umwogt ihn hier, und endlich Stand nehmend auf der Hügelkuppe von Ludgate Hill, wo eben die Quaderſteine geſchnitten werden, aus denen dereinſt die neue Paulskirche ſich aufrichten ſoll, ſieht er jetzt, von einem der hohen Steinblöcke aus, die Lordmayors - Prozeſſion in alterthümlichem Pomp an ſich vorüberziehen. Die Themſeſchiffer in rothen Röcken eröffnen den Zug, dann ſchmettern Pauken und Trompeten, bis endlich all der muſikaliſche Lärm in dem Jubelgeſchrei des Volkes erſtickt, denn ſchwerfällig, aus Eichen -263 holz geſchnitzt, die Kutſcherperrücken ſteif und wulſtig, und die Be - dientenröcke ſchwer von Golde, ſo ſchwankt die Lordmayorskutſche eben jetzt vorüber und der erwählte Cityherrſcher grüßt mit gravi - tätiſchem Kopfnicken nach rechts und links.
Vereinzelte Rufe eines Kuckuks klingen jetzt leiſe herüber, wie aus weiter Ferne her, und der kranke Poet unterbricht ſich in ſei - nem Figurenzeichnen und horcht auf. Aber wie unſre Seele gern wieder anknüpft an Träume, die ihr lieb geworden, ſo fällt er bald in altes Sinnen und Träumen zurück.
Immer lachendere Bilder tauchen auf. Es iſt wieder ein Feſt - zug, eine Prozeſſion, aber diesmal auf heimiſchem, auf eignem Boden und der Gefeierte iſt er ſelbſt. Ein Junitag iſt’s wie heute, aber ſo viel heiterer und ſchöner, als die Augen damals heller leuchteten, die in den Tag hineinſahen, denn neben ihm auf dem breiten Sitz des Wagens, in dem er ſo eben einfährt in die feſt - geſchmückte, mit Laubgewinden überſpannte Dorfgaſſe, ſitzt ſeine heißgeliebte Braut, ſeit geſtern ſein Gemahl. Sie iſt keine leuch - tende Schönheit, aber ſie hat jenen blendenden Teint, der der Schönheit nahe kommt, der wie ein Schleier iſt, hinter dem die Unregelmäßigkeit der Züge ſich lieblich verſteckt oder in Zauber und Reiz ſich verwandelt. Die blühenden Wangen wurden roſiger von der Fahrt und das rothblonde Scheitelhaar flattert halb losgelöſt im Winde. Die blauen Augen leuchten wie der Himmel über ihnen und der Ausdruck jedes Zuges iſt Liebe und Güte, iſt Glück und Genügen. Die Bauern, zu Pferde und mit bebänderten Hüten, folgen dem Zuge, die Frauen im Sonntagsſtaat ſtehen in den Thüren oder am Heck und heben die Kinder in die Höh, die Störche klappern auf allen Dächern, als hätten ſie ein Wort mit zu reden bei ſolchem Einzug, und die Feldlerchen begleiten von draußen her den Zug und erzählen ſich jubelnd hoch oben von dem Glück, das ſie dort unten geſehen.
Und ein volles Glück war es, das ſie ſahn, nicht ſpärlich zu - gemeſſen, wie ſonſt wohl. Nicht über kurze Tage, über ſorgloſe Jahre hin dehnte ſich die Zeit der Flitterwochen, und Blumberg,264 wie es der tägliche Zeuge ehelichen Glückes, innigſten Zuſammen - lebens war, ſo wurde es auch ein gefeierter Sitz edler Gaſtfreund - ſchaft, ein Mittelpunkt geiſtigen Lebens, dichteriſchen Schaffens, wie damals kein zweiter in Mark Brandenburg zu finden war. Johann von Beſſer, Euſebius von Brand waren oft und gern geſehene Gäſte und von hier aus ergingen an den vielbewährten Jugendfreund und Studiengenoſſen unſres Poeten, an den Kirchen - rath Zapfe in Zeitz, in Vers und Proſa die oft wiederholten Einladungen, „ das Harfenſpiel wieder von der Wand zu nehmen und das Hoflager in Blumberg zu beziehen. “ Briefe gingen hin - über und herüber, und als die Schilderungen ehelichen Glückes, die Canitz regelmäßig mit einem „ nun gehe hin und thue des - gleichen “zu ſchließen pflegte, endlich ihren Einfluß geübt und den ehrbaren Magiſter und Kirchenrath auch an den Altar geführt hatten, da ging von Blumberg ein Gratulationsbrief folgenden Inhalts nach Zeitz: „ Deine Heirath und die Art derſelben gefällt mir ſehr wohl; weil Du mir aber die Sache ohne ſonderliche Um - ſtände ſchlechthin berichtet, ſo will ich auch Dir wieder nur mit ein paar Worten, doch von Herzen, tauſend Glück und Vergnügen wünſchen und daß Deine Liebſte, wo nicht ein fruchtbarer Weinſtock, doch ein immergrüner Tannenbaum ſei, dem es an Zapfen niemals fehlen möge. “
So gingen die Tage. Ein volles Glück war es, ein Glück über Jahre hin und doch zu kurz für das beneidete und benei - denswerthe Paar, deſſen Herzen in ſelt’nem Gleichklang zuſammen - ſtimmten. Der alte Neider Tod trat zwiſchen ſie, und die Erinne - rung an jene bitteren Tage ſcheucht auch in dieſem Augenblicke noch die heiteren Träume von der Seele unſeres Poeten, und trübe Bilder ziehen herauf. Das Zimmer iſt dunkel verhangen, und an dem Lager einer Sterbenden kniet der Tiefgebeugte. „ Daß Du bleiben könnteſt! “klingt es bittend von ſeinen Lippen; ſie aber ſchüttelt den Kopf und ſpricht: „ Du biſt ſo oft von mir ge -265 gangen, nun gehe ich von Dir; ſehet, ich ſchlafe ſchon. “ Dann entſchlief ſie wirklich, ohne Zucken, ohne Schmerz.
Das einförmige Rufen des Kuckuk klang lauter und näher jetzt herüber, und Canitz richtete ſich auf, als wolle er die Rufe zählen; da ſchwieg der Kuckuk. Ein Lächeln, halb Freude, halb Schmerz, zuckte um ſeine Lippe, dann ſchritt er durch die Gänge des Parks in den ſtillen Schloßhof zurück.
Das war am letzten Juniſonntage 1699. Am 11. Auguſt deſſelben Jahres begegnen wir ihm noch einmal. Seine Kräfte waren ſchwächer geworden, und das heitere Poetenherz, das einſt durch tauſend große und kleine Wünſche an das Leben gekettet war, es hatte nur noch einen Wunſch: zu ſterben, wie die Theure, Heimgegangene, geſtorben war. Und dieſer letzte Wunſch ward ihm erfüllt. Am frühen Morgen des genannten Tages ſtand er auf, ließ ſich völlig ankleiden und trat an das Fenſter, welches er öff - nete, um friſche Luft zu ſchöpfen. Die Sonne ging eben auf, und mit freudigem Staunen genoß er den Anblick der wundervollen Pracht. Als er eine Weile unverwandt hinausgeſchaut, ſagte er zu einer Verwandten, die ihn ſtützte: „ Ei, wie ſchön iſt heut’ der Himmel! “und ſank, von einem Schlagfluß getroffen, todt in ihre Arme.
So ſtarb „ Canitz, der Poet. “ Schon am Tage darauf wurde er in der Marienkirche beigeſetzt. Acht Tage darauf hielt Spener in der Nikolaikirche ihm eine Gedächtnißpredigt; den Inhalt ſeines Lebens aber ſtellen wir zu folgender Grabſchrift zuſammen:
„ Friedrich Rudolf von Canitz, Sr. churfürſtlichen Durch - laucht zu Brandenburg wohlbeſtallter Geheime-Rath und Staatsminiſter, geb. zu Berlin (nach anderen zu Linden - berg bei Berlin) den 27. November 1654, geſt. den 11. Auguſt 1699, im 45. Jahre ſeines Alters. Was das Leben erhöht und verſchönt, das übte und pflegte er. Er liebte die Kunſt und die Menſchen; die Freundſchaft hielt er hoch, die Treue am höchſten. Er war klug ohne Arg; ein männlicher Sinn,266 ein kindliches Herz. Er liebte die Welt, aber er empfand ihre Eitelkeit; Glaube und Sehnſucht wuchſen in ſeinem Herzen und trugen ihn aufwärts. “*)Canitz und ſeine erſte Gemahlin Doris v. Arnim, deren Grab - mäler ich in der obengenannten Kirche lange vergeblich ſuchte, ſind nichts - deſtoweniger in St. Marien wirklich beigeſetzt worden, aber in der Roebel’ſchen Familiengruft. Da dies alte Erbbegräbniß (in dem, laut Stadtrath Klein’s Geſchichte der Marienkirche, die Todten dreier Familien: der Roebels, Canſtein und Canitz, beigeſetzt wurden) ſeit etwa 20 Jahren zugemauert iſt, ſo iſt es nicht mehr möglich, die Särge um ihre Inſchrif - ten zu befragen. Möglich, daß dieſelben, z. B. über den Geburtsort Canitz’s, noch Aufſchluß geben würden. Ueber dem jetzt zugemauerten Ein - gang zur Roebel’ſchen Gruft befindet ſich übrigens ein ſtattliches Monu - ment, das die vor dem Crucifix knieenden, lebensgroßen Figuren Ehren - reichs v. Roebel und ſeiner Gemahlin Anna, geb. v. Gollnitz, enthält.
Ich habe in Vorſtehendem den Menſchen Canitz, eine lie - benswürdige, fein und innerlich angelegte Natur zu ſchildern ver - ſucht, es bleibt noch die Frage übrig nach ſeiner politiſchen Bedeutung, nach ſeinem poetiſchen Werth. War er ein Staats - mann? war er ein Poet? Das Erſtere gewiß, das Zweite kaum minder.
Die Natur ſchien ihn für die diplomatiſche Laufbahn wie im Voraus gebildet zu haben, und ſeine Erziehung, ſeine Lebens - umſtände, ja die eigenthümlichen Verhältniſſe ſeiner Familie (ich beziehe dies auf die Stiefväter und Stiefſchwiegerväter, denn auch die Mutter ſeiner Frau war dreimal verheirathet), hatten von Jugend auf dahin gewirkt, dieſe natürliche Anlage auszubilden. Eine Schilderung ſeines Weſens und Charakters, die uns aufbe - wahrt worden iſt, zeigt am beſten, wie außerordentlich geeignet er für eine Laufbahn war, in der damals, ungleich mehr noch als jetzt, alles an dem Erkennen und an der richtigen Benutzung von Perſönlichkeiten gelegen war. „ Er war geſprächig, höflich, frei von Eigenſinn und Widerſpruchsgeiſt, für Jedermann ge -267 fällig und aufmerkſam, Fähigkeiten und Neigungen leicht durch - ſchauend, jedem Gegenſtande, wie jeder Perſönlichkeit und jedem Verhältniſſe ſich leicht bequemend — ein vollkommener Mann von Welt. “ Seine Rechtſchaffenheit, ſein Haß gegen Lüge und Zweideutigkeit unterſtützten ihn eher, als daß ſie ſein Auftreten gehemmt, ſeine Erfolge behindert hätten. Bei großer Leichtigkeit war er von vorſichtiger Haltung; er wußte Ernſt und Sanftmuth zu vereinen, um zu überreden und zu gewinnen. „ Im Frieden - ſtiften, Vermitteln, Verſöhnen beſaß er ein einziges Talent. “ Die Inſchrift unter dem Bildniß der alten Frau von Burgsdorf hatte alſo völlig Recht, von ihm als von dem „ klugen Staatsminiſter von Canitz “zu ſprechen, aber er ſuchte, wie ſchon angedeutet, dieſe Klugheit nicht in jenem Intriguenſpiel und in jener Kunſt der Täuſchung, die damals an den Höfen blühte. Er kannte dies Spiel und war ihm gewachſen, aber ſein redlicher und reiner Sinn lehnte ſich gegen dieſe Kampfesweiſe auf. Deshalb zog es ihn immer wieder in die Stille und Unabhängigkeit des Landlebens und in einfach natürliche Verhältniſſe zurück. „ Der Hof — ſo ſchrieb er bald nach dem Tode des großen Kurfürſten — hat wenig Reiz für mich, und ich betrachte die Würden und Aemter, die Andere ſo eifrig ſuchen, nur als eben ſo viele Feſſeln, die mich am Genuſſe meiner Freiheit hindern, der Freiheit, die über alle Schätze der Erde geht und deren echten Werth zu wür - digen, den gemeinen Seelen verſagt iſt. “ Er kannte dieſen „ echten Werth der Freiheit “wohl, aber die Verhältniſſe geſtatteten ihm nicht, ſich dieſer Freiheit ſo völlig zu freuen, wie es ſeinen Wün - ſchen entſprochen hätte. Es geſchah, was ſo oft geſchieht, man ſuchte die Dienſte desjenigen, der, im Gefühl ſeines Werths, dieſe Dienſte anzubieten verſchmähte, und wie oft er auch, um ſeinen eigenen Ausdruck zu gebrauchen, die Erfahrung gemacht haben mochte, „ daß Andere die goldenen Aepfel auflaſen, wäh - rend er beim heißen Lauf ſich abmühte, “ſo war doch Ge - horſam und Nachgiebigkeit in allen jenen Fällen geboten, wo Wei - gerung den Vorwurf des Undanks oder doch der Gleichgültigkeit268 gegen die allgemeinen Intereſſen auf ſich geladen hätte. Canitz drängte ſich nicht zu Dienſten, aber ſo oft er ſie übernahm, zeigte er ſich ihnen gewachſen. Leicht und gewiſſenhaft zugleich, ging er an die Löſung empfangener Aufgaben, und die graziöſe Hand, mit der er die Fragen berührte, pflegte zugleich eine glückliche Hand zu ſein. Faſt an allen deutſchen Höfen war er eine wohlgekannte und wohlgelittene Perſönlichkeit, und Kaiſer Leopold bezeugte ihm vielfach ſeine Gnade und ſein beſonderes Wohlwollen.
Canitzen’s letztes und vielleicht bedeutendſtes diplomatiſches Auftreten war im Haag, wo damals die Minen gelegt wurden, um den Ryßwicker Friedensſchluß, der ſo viele Intereſſen verletzte und ſo viele Gefahren heraufbeſchwor, wieder zu ſprengen. Canitz zeichnete ſich auch hier durch jene Klugheit und feine Beſonnenheit aus, die, weil ſie gefliſſentlich leiſe die Fäden zu ſchürzen oder zu entwirren weiß, gemeinhin auf den Beifall zu verzichten hat, der ſo leicht da ſich einſtellt, wo ein Diplomat ſo undiplomatiſch wie möglich den Knoten zerhaut. Das herausfordernde Wort Deſſen, deſſen Punktum bereits ein erſter Kanonenſchuß iſt, wird jubelnd aufbewahrt, während die kluge Haltung Deſſen, der eine heranziehende Gefahr beſchwört, gemeinhin unbeachtet bleibt. Das Laute, das Sichtbare, das ſich zu einem beſtimmten Bilde abrundet, iſt immer im Vortheil über das Stille und Unplaſtiſche, das ſich leiſe voll - zieht, und jener Erich Chriſtoph v. Plotho, der zu