PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
Zweiter Theil.
Das Oderland. Barnim. Lebus.
Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. (Beſſerſche Buchhandlung.)1863.
[II][III]

Inhalt.

  • Seite
  • Von Frankfurt bis Schwedt1
  • Tamſel (Neumark) 15
  • Hans Adam von Schöning18
  • Kronprinz Friedrich und Frau v. Wreech43
  • Zorndorf60
  • Der Blumenthal 69
  • Predikow79
  • Hans Albrecht von Barfus85
  • Schloß Coſſenblatt (Beeskow-Storkow) 101
  • Königs-Wuſterhauſen (Teltow) 118
  • Teupitz (Teltow) 131
  • Mittenwalde (Teltow) 142
  • Steinhoefel157
  • Valentin von Maſſow161
  • Buckow174
  • Der große und kleine Tornow-See185
  • Das Oderbruch190
  • Wie es in alten Zeiten war190
  • Die Verwallung197
  • Die alten Bewohner205
  • Die Coloniſirung und die Coloniſten215
  • Moeglin224
  • Albrecht Daniel Thaer226
  • Freienwalde253
  • Von Falkenberg nach Freienwalde. Die Stadt. Der Ruinenberg. Monte Caprino253
  • Falkenberg262
  • Das Schloß271
  • IV
  • Seite
  • Der Geſundbrunnen281
  • Der Roſengarten. Der Baaſee290
  • Hans Sachs von Freienwalde295
  • Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens304
  • Lichterfelde325
  • Am Werbellin338
  • Schloß Friedersdorf347
  • Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz360
  • Alexander von der Marwitz387
  • Quilitz oder Neu-Hardenberg415
  • Quilitz von 1763 1814416
  • Neu-Hardenberg ſeit 1814425
  • Friedland437
  • Cunersdorff451
  • Hans Georg Sigismund v. Leſtwitz453
  • Frau v. Friedland456
  • Graf und Gräfin Itzenplitz460
  • Chamiſſo in Cunersdorff469
  • Das Pfulen-Land479
  • Schulzendorf481
  • Garzin482
  • Buckow483
  • Wilkendorf485
  • Gielsdorf486
  • Jahnsfelde487
  • Kienbaum493
  • Anmerkungen.
  • Von Frankfurt bis Schwedt.
  • Eine Correktur501
  • Tamſel.
  • 1. Die Beſitzverhältniſſe Tamſels ſeit 1510501
  • 2. Der Tamſler Park502
  • 3. Die Kirche in Tamſel506
  • 4. Das Schloß509
  • 5. Briefe des Kronprinzen Friedrich an Frau v. Wreech. 1731 bis 1732. (Lettres et Vers de certain grand prince.) 512
  • 6. Briefe König Friedrichs an Frau v. Wreech. 1758 61520
  • Zorndorf.
  • V
  • Seite
  • Blumenthal.
  • Wüſtgewordene Flecken und Dörfer522
  • Predikow.
  • Coſſenblatt.
  • Friedrich Wilhelm I. und die Coſſenblatter Prediger523
  • Ein großes Gemälde in der Kirche524
  • Königs-Wuſterhauſen.
  • Teupitz.
  • Mittenwalde.
  • Steinhoefel.
  • Familien-Portraits525
  • Buckow.
  • Ein Erdfall526
  • Der große und kleine Tornow-See.
  • Der Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche526
  • Das Oderbruch.
  • Die letzten Wenden-Reſte in Sachſen und Preußen527
  • Die Unnererdſchken eine Sage aus Alt-Reetz. 530
  • Moeglin.
  • Freienwalde.
  • Ein Hexen-Proceß in Freienwalde. (1644) 531
  • Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens.
  • Drei Sagen von den Uchtenhagens537
  • Lichterfelde.
  • Die Brüder Chriſtoph und Arendt v. Sparr539
  • Lichterfelde und die Groebens540
  • Am Werbellin.
  • Friedersdorff.
  • Eberhard v. d. Marwitz541
  • Quilitz oder Neu-Hardenberg.
  • Joachim Bernhard v. Prittwitz und Gaffron543
  • Die Frauen und Kinder des Fürſten Hardenberg545
  • Friedland.
  • Cunersdorff.
  • Johann George v. Leſtwitz546
  • Portraits in Schloß Cunersdorff546
  • Das Pfulen-Land.
  • Portraits im Herrenhauſe zu Jahnsfelde547
  • Kienbaum.
  • Dorf und Kloſter Kagel548
[1]

Von Frankfurt bis Schwedt.

Saßen all auf dem Verdecke,
Glocken klangen, alte Zeit,
Und der Himmel wurde blauer
Und die Seele wurde weit.

Zwiſchen Frankfurt und Stettin iſt während der Sommermonate ein ziemlich reger Dampfſchiff-Verkehr. Schleppſchiffe und Paſ - ſagierboote gehen auf und ab und die Rauchſäulen der Schloote ziehen ihren Schattenſtrich über die Segel der Oderkähne hin, die oft in ganzen Geſchwadern dieſe Fahrt machen.

Von beſonderer Wichtigkeit ſind die Schleppdampfer. Handelt es ſich darum, eine werthvolle Ladung in kürzeſter Friſt ſtromauf zu ſchaffen, ſo wird ein Schleppſchiff als Vorſpann genommen und in 24 Stunden iſt erreicht, was ſonſt vielleicht 14 Tage ge - dauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern dieſe Schlepp - ſchiffe, wenn ſie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritiſch gewordenen Situation erſcheinen und durch ihre bloße Erſcheinung die Herzen der geängſtigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen. Sie ſind dann was der Führer für den Verirrten, was der Zu - zug für die Geſchlagenen iſt und beherrſchen natürlich die Situa - tion. Dieſe Situation iſt faſt immer dieſelbe: entweder hat der Rettung erwartende Kahn ſich feſtgefahren und müht umſonſt ſich ab, wieder flott zu werden, oder aber er iſt in ein mit Flößen verfahrenes Defilèe gerathen, ſo daß jeden Augenblick ein Zuſam - menſtoß zu gewärtigen ſteht. Im erſteren Falle handelt es ſich um12Kraft, im anderen Falle um Geſchick und Schnelligkeit, um das Bedenkliche der Lage zu überwinden, und der Schleppdampfer iſt in der glücklichen Verfaſſung, Beides, je nach Bedürfniß, bieten zu können. Aber freilich gegen Zahlung. Nun beginnen die tragikomiſchſten Unterhaltungen, die man ſich denken kann. Sie werden vom Kajütendach des Oderkahns einerſeits, andererſeits vom Radkaſten des Dampfers aus geführt. Der geängſtigte Schif - fer hebt zunächſt einfach ſeine Hand in die Höh, alle fünf Finger deutungsreich ausſpreizend. Der Mann auf dem Radkaſten ſchlägt eine verächtliche Lache auf und donnert ſeinen Befehl zu größerer Eile in den Maſchinenraum hinunter, bis das bittende Halloh des Schiffers ihn wieder zu einem stop beſtimmt. Der Schiffer hebt jetzt ſeine Hand mit den geſpreizten Fingern zweimal in die Luft. Daſſelbe Lachen als Antwort. So geht es weiter, bis der Kahnführer, der namentlich, wenn er zwiſchen Holzflößen ſteckt, ſeinen Ruin vor Augen ſieht, die Summe bewilligt, die der Ca - pitain des Dampfers zu fordern für gut befindet. Dieſe Forde - rungen wechſeln, da der letztere, mit ſcharfem Auge, je nach dem Grad der Gefahr, auch die Taxe beſtimmt. Es kommt vor, daß der geängſtigte Schiffer ſeine fünf Finger zehnmal erheben, d. h. alſo ſeine Befreiung aus dem verfahrenen Defilée mit 50 Thalern preußiſch bezahlen muß.

Die Schleppdampfer, wie hieraus genugſam erhellen wird, ſpielen alſo auf der Oderſtrecke, die ſie befahren, die Doppelrolle des Retters und des Tyrannen, und im Einklang mit dieſer Doppelrolle iſt auch die Empfindung, mit der ſie Seitens der Schiffer betrachtet werden. Man liebt ſie oder haßt ſie. Alles, je nachdem die Gefahr im Anzuge oder glücklich überwunden iſt. Die am Horizont heraufdämmernde ſchwarze Dampfſäule wird im einen Fall als Hoffnungsbanner begrüßt, im andern Fall als abziehende Piratenflagge verwünſcht. Dazwiſchen liegt die Rettung. Nichts iſt kürzer als Dank. Die Capitäne wiſſen das; aber als praktiſche Männer kennen ſie keine Empfindelei und halten ſich ſchadlos beim3 nächſten Fall. Sie haben zudem die ruhige Ueberlegenheit der herr - ſchenden Kaſte.

Die Schiffer blicken, wie wir geſehen haben, mit getheil - ter Empfindung auf den Schleppdampfer; nicht ſo die Floß - führer. Dieſe geben ſich ungeſchwächt einer einzigen Empfindung und zwar ihrem polniſchen, oder böhmiſch-oberſchleſiſchen Haſſe hin. Sie können es wagen. Das Floß, das an manchen Stellen die halbe Breite der Oder deckt, kann wohl den Schleppſchiffen, aber das Schleppſchiff kann nie und nimmer (wenigſtens nicht ernſtlich) dem Floße gefährlich werden. Es liegt alſo kein Grund vor, wes - halb ſie mit ihrer Abneigung hinter dem Berge halten ſollten. Zu dieſer Abneigung liegen allerdings die triftigſten Gründe vor. Die Schleppdampfer nämlich, da ſie, wie eben angedeutet, den Flößen in Wahrheit weder nützen noch ſchaden können, be - gnügen ſich damit, die reizbare ſlaviſche Natur zu nergeln und zu ärgern. Wie Reiter, die luſtig durch einen Tümpel jagen, alles, was in der Nähe iſt, nach rechts und links hin mit Waſſer und Schlamm beſpritzen, ſo jagen hier die Dampfer an dem ſchwer - fällig zur Seite liegenden Floß vorüber und unterhalten ſich damit, das Floß unter Waſſer zu ſetzen. Die zur Seite gedrückte Welle eilt, immer höher werdend, auf das Floß zu; jetzt trifft ſie den erſten Balken und ſpritzt hoch auf. Aber nicht genug damit; die Hälfte der Welle ſetzt ſich unter dem Floß hin fort und überall da, wo eine Lücke ſich bietet, nach oben tretend, ſetzt ſie, an ſechs, acht Stellen zugleich, das Floß unter Waſſer. Nun ſollte man glauben, die Flößer müßten gleichgültig ſein gegen ein ſolches Fußbad; aber, als wäre es Feuer, ſieht man jetzt die Beſatzung des Floßes auf den Bäumen und Querbalken hin und her ſprin - gen, als gält es vor ihrem bitterſten Feinde zu fliehen. Dieſe Zickzackſprünge nehmen ſich wunderlich genug, dabei ebenſo komiſch wie maleriſch aus. Mit vielem Geſchick wiſſen ſie immer eine Stelle zu treffen, wo ein Querbalken, ein Holzblock, oder am liebſten einer jener Erd - und Raſenhügel ſich vorfindet, deren viele (oft ein Dutzend) ſich über das Floß hin ausbreiten und einen weſent -1*4lichen Theil der häuslichen Einrichtung deſſelben bilden. Bei dieſer häuslichen oder wirthſchaftlichen Einrichtung des Floßes hab ich noch einen Augenblick zu verweilen.

Die Geſammt-Oekonomie eines ſolchen Floßes beſteht aus zwei gleich wichtigen Theilen, aus einem Kochplatz und einem Auf - bewahrungsplatz, oder aus Küche und Kammer. Beide ſind von gleich einfacher Conſtruction. Der Kochplatz, der Herd, beſteht aus dem einen oder andern jener eben erwähnten Erdhügel, d. h. aus ein paar Dutzend Raſenſtücken, die Morgens am Ufer friſch abge - ſtochen und wie Mauerſteine neben und aufeinander gelegt werden. An jedem Morgen entſteht ein neuer Herd. Den alten Herdſtellen aber gönnt man ihren alten Platz, und benutzt ſie entweder als Inſeln, wenn die Wellen kommen, oder nimmt ſie auch wohl, nach einigen Tagen, als Herdſtelle wieder auf. Auf dieſem improviſirten Herde wird nun gekocht, was ſich maleriſch genug ausnimmt, be - ſonders um die Abendſtunde, wenn die Feuer wie Irrlichter auf dem Waſſer zu tanzen ſcheinen. Ebenſo wichtig wie der Kochplatz iſt der Aufbewahrungsplatz. Seine Conſtruction iſt von noch grö - ßerer Einfachheit und beſteht aus einem halbausgebreiteten Bündel Heu. Auf dieſer Heuſchicht liegen die Röcke, Jacken, Stiefel der Floßleute, und ausgerüſtet mit dieſen primitivſten Formen einer Küche und Kammer, machen die Flößer ihre oft wochenlange Reiſe.

Nach dieſer Beſchreibung wird es jedem klar ſein, was eine ſolche Dampfſchiffs-Neckerei für die Floßleute zu bedeuten hat. Jede aus den Lücken des Floßes hervorbrodelnde Welle ſpült nicht blos über die Füße der Betroffenen hin, ſondern ſchädigt ſie auch wirklich an ihrem Hab und Gut, als handele es ſich um eine Ueberſchwemmung im Kleinen. Hier fährt das Waſſer ziſchend in das Herdfeuer und löſcht es aus; dort hebt es das Heubündel, mit ſammt ſeinen Garderobeſtücken, von unten her in die Höhe und tränkt es entweder mit Waſſer oder ſchwemmt es gar hinweg. Das weckt dann freilich Stimmungen, die der Vorſtellung von einer wachſenden Fraternität des Menſchengeſchlechts völlig Hohn5 ſprechen und zu Unterhaltungen führen, von denen es das Beſte iſt, daß ſie im Winde verklingen.

Soviel von den Schleppſchiffen. Von geringerer Bedeutung ſind die Paſſagierboote, die übrigens, wie ſich von ſelbſt verſteht, gelegentlich die Rolle tauſchen und auch ihrerſeits als Retter und Tyrannen (ganz in der oben geſchilderten Weiſe) debütiren.

Die Paſſagierboote gehen von Frankfurt aus 2mal wöchent - lich (Mittwoch und Sonnabend) und machen die Fahrt nach Küſtrin in 2, nach Schwedt in 8, nach Stettin in 10 Stunden. Die Benutzung erfolgt mehr ſtationsweiſe und auf kleineren Strecken, als für die ganze Tour. Der Grund mag darin liegen, daß die Eiſenbahn (trotz des Umweges über Berlin) die Reiſenden zwiſchen Frankfurt und Stettin, doch eher und ſicherer an’s Ziel führt. Eher unter allen Umſtänden; ſicherer in ſoweit, als es bei niedrigem Waſſerſtande vorkommt, daß die Fahrt auf Stunden unterbrochen oder wohl gar ganz eingeſtellt werden muß. Die Re - gulirung des Oderbetts, ein in den Zeitungen ſtehend gewordener Artikel, würde dieſem Uebelſtande vielleicht abhelfen und eine Con - currenz der Dampfſchiffe mit der Eiſenbahn möglich machen. Damit hat es aber noch gute Wege (einige meinen, es ginge überhaupt nicht) und ſo werden ſich die beiden Paſſagierboote, die jetzt das Bedürfniß decken, noch längere Zeit mit dem Publikum behelfen müſſen, das jetzt zu ihnen hält. Dies Publikum, wenn auch nicht zahlreich, iſt immerhin mannigfach genug. Tagelöhner, die auf die Güter, Handwerker, die zu Markte ziehen, dazu Kaufleute und Gutsbeſitzer, auch gelegentlich Badereiſende, beſonders ſolche, die in den ſchleſiſchen Bädern waren. Nur eine Klaſſe fehlt, der man ſonſt wohl auf den Flußdampfern unſerer Heimath, beſonders im Weſten und Süden, zu begegnen pflegt: der Touriſt von Fach, der eigentliche Reiſende, der keinen andern Zweck verfolgt, als Land und Leute kennen zu lernen.

Dieſer Eigentliche fehlt noch, aber er wird nicht immer feh - len; denn ohne das unfruchtbare und mißliche Gebiet der Ver - gleiche betreten zu wollen, ſei doch das Eine hier verſichert, daß an6 den Ufern der Oder hin, allerlei Städte und reiche Dörfer liegen, die wohl zum Beſuche einladen können, und daß, wenn Sage und Legende auch ſchweigen, die Geſchichte um ſo lauter und ver - nehmbarer an dieſer Stelle ſpricht.

Sehen wir ſelbſt.

Es iſt Sonnabend und 5 Uhr Morgens. An dem breiten Quai der alten Stadt Frankfurt, hohe Häuſer und Kirchen zur Seite (das Ganze ausnehmend an den Cölner Quai, zwiſchen der Schiffbrücke und der Eiſenbahnbrücke, erinnernd) liegt der Dampfer und huſtet und pruſtet. Es iſt höchſte Zeit. Kaum daß wir an Bord, ſo wird auch das Brett ſchon eingezogen und der Dampfer, ohne viel Commando und Schiffs-Halloh, löſt ſich leicht vom Ufer ab und ſchaufelt ſtromabwärts. Zur Linken verſchwindet die Stadt im Morgennebel; nach rechts hin, zwiſchen Pappeln und Weiden hindurch, blicken wir in jenes Hügelterrain hinein, deſſen Name hiſtoriſchen Klang hat trotz einem, Kunersdorff. Wir werden noch oft, während unſerer Fahrt, an dieſes Terrain und dieſen Namen erinnert werden.

Der Morgen iſt friſch; der Wind, ein leiſer aber ſcharfer Nordoſt, kommt uns entgegen und wir ſuchen den Platz am Schornſtein auf, der Wärme gewährt und zugleich Deckung gegen den Wind. Es iſt nicht leicht mehr einen guten Platz ausfindig zu machen, denn bereits vor uns hat ein Gipsfigurenhändler, mit ſeinem Brett voll Puppen, an eben dieſer Stelle Platz genommen. Er iſt aber umgänglich, rückt ſein Brett bei Seite und wartet auf Unterhaltung. Das Puppenbrett bietet den beſten Anknüpfungs - punkt. König und Königin; Amor und Pſyche; Goethe, Schiller, Leſſing; drei betende Knaben und zwei Windhunde, außerdem (alle andern überragend) eine Aurora und eine Flora bilden die Beſatzung des Brettes. Der Aurora ſind ihre beiden Flügel, der Flora das Bouquet genommen; beides, Bouquet und Flügel, lie - gen, wie abgelegter Schmuck, zu Füßen der Figuren.

Was geht denn ſo am beſten? eröffne ich die Converſation.

Ja das iſt ſchwer zu ſagen, mein Herr, erwiedert der7 Figurenmann (der ſich durch das hierlandes ſelten gebrauchte mein Herr ſofort als ein Mann von gewiſſen Allüren einführt) es richtet ſich nach der Gegend.

Ich dachte König und Königin.

Verſteht ſich, verſteht ſich, unterbricht mich der Figuren - mann, als ſei er mißverſtanden, Königliches Haus und Goethe - Schiller immer voran. Selbſtverſtändlich.

Aber außerdem?

Ja, das war es eben, mein Herr. Hier herüber (dabei deu - tete er, nach rechts hin, in die Sandgegenden der Neumark hinein) verkauf ich wenig oder nichts; dann und wann einen betenden Knaben . Ich könnte von meinem Standpunkt aus ſagen und dabei überflog ein feines Lächeln ſein Geſicht wo der gute Boden aufhört, da fängt der betende Knabe an.

Nun da gehen dieſe wohl in’s Bruch, erwiederte ich lachend, indem ich auf Flora und Aurora zeigte.

Aurora und Flora gehen in’s Bruch, wiederholte er mit humoriſtiſcher Würde. Auch Amor und Pſyche. Ich nickte verſtändnißvoll.

Wir ſtanden nun auf und traten an die Schiffswandung. Er ſah, daß ich einen Blick in die Landſchaft thun wollte und wartete, bis ich die Unterhaltung wieder aufnehmen würde.

Das linke Oderufer iſt hüglig und maleriſch, das rechte flach und reizlos. Der eigentliche Uferrand iſt aber auch hier ſteil und abſchüſſig und die Wandung mit Weidengebüſch beſetzt. Das Waſ - ſer iſt gelblich, flach, voll Inſeln und Untiefen und die Paſſage, ſelbſt bei genauer Kenntniß des Fahrwaſſers, ſehr ſchwierig. We - nigſtens um die Sommerzeit. Vorn am Bugſpriet ſtehen zwei Schiffsknechte (ich weiß nicht, ob man bei Flußdampfern von Matroſen ſprechen darf) mit langen Stangen und nehmen be - ſtändig Meſſungen vor, die um ſo unerläßlicher ſind, als die Sandbänke ihre Stelle wechſeln und heute hier, morgen da zu finden ſind.

Fluß, Ufer, Fahrt, alles hat den norddeutſchen Charakter. 8Inzwiſchen iſt es heller geworden, die Nebel haben der Sonne Platz gemacht und mit dem Sonnenſchein zugleich dringen, von rechts her, Glockenklänge zu uns herüber. Dorf und Kirche aber ſind nicht ſichtbar. Ich horche eine Weile; dann wend ich mich zu meinem Nachbar und frage: wo klingt das her?

Das iſt die 7centnerige von Groß-Rade; mein beſonderer Liebling.

Was tauſend, fahr ich fort, kennen Sie die Glocken hier herum ſo genau? Ach, mein Herr, ich kenne ſie alle. Viele davon ſind meine eignen Kinder, und hat man ſelber erſt Kinder, ſo kümmert man ſich auch um die Kinder andrer Leute.

Wie das? haben Sie denn die Glocken gegoſſen? ſind ſie Gürtler oder Glockengießer? Oder ſind Sie’s geweſen?

Ach, mein Herr, ich bin ſehr vieles geweſen: Tiſchler, Korb - macher, dazwiſchen Soldat, dann Former, dann Glockengießer, nun gieß ich Gips. Es hat mir alles nicht recht gefallen, aber das Glockengießen iſt ſchön.

Da wundert’s mich doppelt, daß ſie vom Erz auf den Gips gekommen ſind.

Mich wundert es nicht, aber es thut mir leid. Wenn der Zink nicht wäre, ſo göſſ ich noch Glocken bis dieſen Tag.

Wie ſo?

Seit der Zink da iſt, iſt es mit dem reellen Glockenguß vor - bei. In alten Zeiten hieß es Kupfer und Zinn , und waren’s die rechten Leute, gab’s auch wohl ein Stück Silber mit hinein. Damit iſt’s vorbei. Jetzt wird abgezwackt; von Silber iſt keine Rede mehr; wer’s billig macht, der hat’s. Der Zink regiert die Welt und die Glocken dazu. Aber dafür klappern ſie auch wie die Bunzlauer Töpfe. Ich kam bald zu kurz; die Elle wurde länger als der Kram; wer noch für Zinn iſt, der kann nicht be - ſtehen, denn Zinn iſt theuer und Zink iſt billig.

Wie viel Glocken haben Sie wohl gegoſſen?

Nicht viele, aber doch ſieben oder acht; die Groß-Radener iſt meine beſte.

9

Und alle für die Gegend hier?

Alle hier herum. Und wenn ich mir mal einen Feierabend machen will, da nehm ich ein Boot und rudere ſtromab, bis über Lebus hinaus. Wenn dann die Sonne untergeht und rechts und links die Glocken den Abend einläuten und meine Glocken da - zwiſchen, dann vergeſſ ich vieles, was mir im Leben ſchief ge - gangen iſt und vergeſſ auch den Turban da. Dabei zeigte er auf die runde, kiſſenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tra - gen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes, der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe geſtülpt war.

So plaudernd waren wir, eine Viertelſtunde ſpäter, bis Le - bus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabſchiedete ſich hier und während das Boot anlegte, hatt ich Gelegenheit, die alte Bi - ſchofsſtadt zu betrachten.

Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage alten Glanzes und alten Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß, ſie ſind hin, und eines Lächelns kann man ſich nicht erwehren, wenn man in alten Chroniken lieſt, daß um den Beſitz von Lebus heiße Schlachten geſchlagen wurden, daß hier die ſlaviſche und die germaniſche Welt, Polenkönige und thüringiſche Herzöge, in heißen Kämpfen zuſammenſtießen und daß der Schlachtruf mehr als ein - mal lautete: Lebus oder der Tod . Unter allen aber, denen dieſer Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnöthigen wird, ſtehen die Lebuſer ſelbſt obenan. Ihr Stadtſiegel iſt ein Wolf mit einem Lamm im Rachen ; die neue Zeit iſt der Wolf und Lebus ſelbſt iſt das Lamm. Mitleidslos wird es verſchlungen.

Lebus, die Kathedralenſtadt, iſt hin, aber Lebus, das vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus exiſtirt noch. Wenigſtens landſchaftlich. Nicht daß es noch Wein an ſeinen Berglehnen zöge, nur eben der maleriſche Charakter eines Winzerſtädtchens (wie ſie in andern Theilen Deutſchlands ſo oft ſich finden) iſt ihm erhalten geblieben.

Die Stadt, ſo klein ſie iſt, zerfällt in eine Ober - und Unter - ſtadt. Jene ſtreckt ſich (wenigſtens vom Fluß aus gerechnet) in10 ihrem weſentlichen Theile am Firſt des Berges hin, dieſe zieht ſich am Ufer entlang und folgt den Windungen von Fluß und Hügel. Zwiſchen beiden, am Abhang, und wie es heißt an ſelber Stelle, wo einſt die alte Kathedrale ſtand, erhebt ſich jetzt die Lebuſer Kirche, ein Bau aus neuer Zeit. Die Unterſtadt hat Höfe und Treppen, die an das Waſſer führen; die Oberſtadt hat Zickzack - wege und Schluchtenſtraßen, die den Abhang bis an die Unterſtadt hernieder ſteigen. Auf dieſen Zickzackwegen bewegt ſich ein Theil des ſtädtiſchen Lebens und Verkehrs. Gänſe und Ziegen weiden dort unter Gras und Geſtrüpp; Frauengeſtalten, zum Theil in die maleriſche Tracht des Oderbruchs gekleidet, ſchreiten bergab; den Zickzackweg hinauf aber ſteigt eben unſer Freund der Gipsfiguren - mann und alle ſeine Puppen (nicht blos die Aurora , die wieder ihre Flügel angelegt hat) ſchimmern im Morgenſtrahl.

Nun aber Commandowort vom Radkaſten aus und unſer Dampfer ſchaufelt weiter.

Lebus liegt hinter uns und wir treten jetzt, auf etwa eine Meile hin, in jenes Terrain ein, wo Stadt und Dorf, zu beiden Seiten des Fluſſes, an die Tage mahnen, die jenem Kunersdorfer 12. Auguſt vorausgingen und ihm folgten. Es ſind drei Namen vorzugsweiſe, denen wir hier, am Ufer hin, begegnen: Reitwein, Goeritz und Oetſcher, alle drei mit der Geſchichte jener Tage verwoben.

In Reitwein erſchien am 10. Auguſt die Avantgarde des Königs, um eine Schiffbrücke vom linken auf’s rechte Oderufer zu ſchlagen. Man wählte dazu die Schmälung des Fluſſes, wo die alte Stadt Goeritz, maleriſch am Hügelabhang, dem Dorfe Reit - wein gegenüberliegt. Am 10. Abends erſchien der König ſelbſt und führte ſeine Bataillone (60 an der Zahl) hinüber; die Cavallerie ging durch eine Furth. In Goeritz aber blieb General Flemming mit 7 Bataillons zur Deckung der Schiffbrücke zurück. Zwei Tage ſpäter, am Abend des 12., befanden ſich die Trümmer der geſchla - genen Armee an derſelben Furth, an derſelben Schiffbrücke. Aber das Spiel war vertauſcht; ſtatt von links nach rechts ging es jetzt11 von rechts nach links. Die Brücke, die am Abend des 10ten von Reitwein nach Goeritz vorwärts geführt hatte, führte jetzt, am Abend des 12., von Goeritz nach Reitwein zurück.

Der König verbrachte die Nacht, eine Viertelmeile ſüdlich von der Schiffbrücke, im Dorfe Oetſcher; er ſchlief auf Stroh in einer verödeten Bauernhütte. Auf dem Rücken Rittmeiſters von Prittwitz (der ihn gerettet) ſchrieb er hier mit Bleiſtift die Worte an den Miniſter Finkenſtein: Alles iſt verloren, retten Sie die Königliche Familie; Adieu für immer. Andern Tags nahm er Quartier in Reitwein, damals noch den Burgsdorffs gehörig. Hier war es, wo er die berühmte Inſtruction aufſetzte (ebenfalls an Finkenſtein gerichtet), in der er den Prinzen Heinrich als Ge - neraliſſimus der Armee bezeichnete und den Willen ausſprach, daß die Armee ſeinem Neffen ſchwören ſollte.

An dieſen Plätzen führt uns jetzt unſere Fahrt vorüber. Oetſcher (wiewohl nah gelegen) verbirgt ſich hinter Hügeln, deſto maleriſcher treten Reitwein und Goeritz hervor. Schöner freilich muß der Anblick dieſes Bildes geweſen ſein, als die alte Goeritzer Kirche (ein berühmter Wallfahrtsort) auf der Höhe des Hügels lag und ſich mit der Kirche von Reitwein drüben begrüßte. Aber Goeritz und ſeine Kirche ſind in jedem Sinne von ihrer Höhe herabgeſtiegen. Keine Wallfahrer kommen mehr und als ſei es nicht länger nöthig, das berühmte Wallfahrtshaus, die Kirche, ſchon weithin ſichtbar zu machen, hat man die neue Kirche (nach - dem die alte, kurz vor der Zorndorfer Schlacht, von den Ruſſen zerſtört worden war) in der Tiefe wieder aufgebaut.

Die Goeritzer Kirche hat uns zu guter Zeit an die Ruſſen und die Zorndorfer Schlacht gemahnt; denn wir verlaſſen ſo eben das Terrain im weiteſten Sinne der Kunersdorfer Schlacht, um, in ähnlicher Weiſe, in den Schlachtengrund von Zorndorf einzutreten.

Was wir zunächſt erblicken, iſt Küſtrin ſelbſt (thurmlos, grau, in dünne Nebel gehüllt), die alte neumärkiſche Hauptſtadt, um deren Rettung es ſich handelte, als am 21. Auguſt 1758 der12 König von Schleſien her am linken Oderufer erſchien. Alle Namen hier, zu beiden Seiten des Fluſſes, erinnern an jene Tage bitterer Bedrängniß, ſchwer erkauften Siegs.

Zuerſt Gorgaſt am linken Oderufer. In Gorgaſt war es, wo der König ſeine chiffonirt ausſehenden Truppen mit den glatt und wohlgenährt daſtehenden Regimentern Dohna’s vereinigte und wo die berühmten Worte fielen: meine ſehen aus wie Grasteufel, aber ſie beißen.

Weiter flußabwärts die Fähre von Güſtebieſe. Ein wenig poetiſcher Name, aber doch voll guten Klangs. Hier führte der König ſeine Bataillone über, als er von Küſtrin aus (wo der Feind en front den Uebergang erwartete) jenen berühmten Bo - genmarſch machte, der ihn, an derſelben Stelle, wo der Gegner immer noch einen Front-Angriff erwartete, plötzlich in den Rücken deſſelben führte.

Rechts hin, faſt am Ufer des Fluſſes entlang, dehnt ſich die Drewitzer Haide, ein grüner Schirm, der das eigentliche Schlachtfeld dem Auge des Vorüberfahrenden entzieht. Dahinter liegen die Dörfer und Stätten, deren Namen mit der Geſchichte jenes blutigen Tages verwoben ſind: die Neu-Dammſche Mühle, der Zaber - und Galgengrund, endlich Zorndorf ſelbſt.

Wir haben Küſtrin paſſirt ein ſcheuer Blick nur traf jene enge, halb verbaute Baſtion Brandenburg, wo am 6. Nov. 1730 Katt’s Haupt in den Sand rollte auch das Schlachtfeld liegt bereits hinter uns, das 28 Jahre ſpäter dieſe Ufer und Dörfer zu hiſtoriſchem Anſehen erhob und wir fahren nun, als hätten ſich dieſe Ufer vorgeſetzt durch Contraſte zu wirken, in jene fried - lich-fruchtbaren Gegenden ein, die, vor hundert oder doch 150 Jahren noch ein ödes, werthloſes Sumpfland, ſeitdem ſo oftmals (und mit Recht) die Kornkammern unſeres Landes genannt wor - den ſind. Das Oderbruch dehnt ſich auf Meilen hin zu unſerer Linken aus.

Der Anblick, den es, im Vorüberfahren, vom Fluß aus ge - währt, iſt weder ſchön und maleriſch, noch verräth er eine beſondere13 Fruchtbarkeit; gegentheils, das Vorland, das ſich dem Auge bietet, macht kaum den Eindruck eines gehegten Stück Wieſenlands, und die Raps - und Gerſtenfelder, die ſich golden dahinter ausdehnen, werden dem Auge durch endlos ſich hinziehende, proſaiſch ausſe - hende Dämme und Deiche entzogen, die aber freilich, indem ſie die Niederung gegen die früheren Ueberſchwemmungen ſicher ſtellten, erſt den Reichthum ſchufen, der ſich jetzt hinter dieſen Deich-Linien verbirgt.

Der Reichthum dieſer Gegenden ſpricht nicht in goldenen Fel - dern zu uns, aber wir erkennen ihn doch an ſeinen erſten und natürlichſten Folgen an den Dörfern, die er geſchaffen. Da giebt es kein Strohdach mehr, der rothe Ziegel lacht überall aus dem Grün der Wieſen hervor, und ſtatt der dürftig hölzernen Kirchthürme des vorigen Jahrhunderts, die kümmerlich wie ein Schilderhaus auf dem Kirchendach zu ſitzen pflegten, wachſen jetzt in ſolidem Backſteinbau, die Campanellen Italiens heiter co - pirend, die Kirchthürme in die Luft. An dieſem Reichthum nehmen die Dörfer des andern (rechten) Oderufers Theil, und an - ſteigend an der Hügelkette gelegen, die ſich eine Meile unterhalb Küſtrin, am rechten Oderufer hinzuziehen beginnt, geſellen ſich Schönheit und maleriſche Lage (viel mehr als man in dieſen Ge - genden erwartet) zu dem Eindruck des Reichthums und beinahe holländiſcher Sauberkeit.

Nun ſind wir über Amt Kienitz (ein altes Dorf, vor zwei Jahrhunderten dem General Goertzke, dem Paladin des großen Kurfürſten gehörig) und nun über Kloſter Zellin hinaus; der Fluß wird ſchmäler aber tiefer und das Landſchaftsbild verändert ſich. Der Barnim liegt hinter uns und wir fahren in die Uker - mark hinein. Es ſind ſehr ähnliche Uferlandſchaften, wie ſie die Umgegend Stettins dem Auge bietet. Andere Namen, in nichts mehr an die triviale Komik von Güſtebieſe oder Lietzegörike erinnernd, tauchen auf, Namen voll poetiſchem Klang und Schimmer: Hohen-Saathen, Raduhn und Hohen-Krähnig.

Der Fluß bis dahin, im Weſentlichen, in einem Bette flie -14 ßend, fängt an, ein Netz von Kanälen durch die Landſchaft zu ziehen; hierhin, dorthin windet ſich der Dampfer, aber eh es uns noch gelungen iſt, uns in dem maleriſchen Wirrſal zurechtzufinden, tauchen plötzlich weiße Giebelwände, von Thürmen und hohen Lin - den überragt, aus dem Landſchaftsbilde auf. Noch eine Biegung und das übliche Hoi und Hoh, wie es immer laut wird, wenn das Schiff ſich einer Landungsſtelle nähert, beginnt auf’s Neue. Eine alte Holzbrücke, mit hunderten von Menſchen beſetzt, ſperrt uns den Weg; ein Fangſeil fliegt über unſre Köpfe weg, dem Brücken - geländer zu; der Dampfer legt an. Ein Drängen, ein Grüßen, dazwiſchen das Läuten der Glocke. Vom linken Ufer her aber wirft ein weitläuftiger Bau, in Bäumen und Laubgängen halb verſteckt, ſein Spiegelbild in den Fluß. Es iſt das alte Markgrafenſchloß. Wir ſind in Schwedt.

[15]

Tamſel.

Hoch ragt aus ſchatt’gen Gehegen Ein ſchimmerndes Schloß hervor. (Chamiſſo. )

Tamſel iſt ein reiches, ſchön gelegenes Dorf, etwa eine Wegſtunde öſtlich von der alten Feſtung Küſtrin. Waldhügel, deren gewundene Linien muthmaßlich das alte Bett der Warthe bezeichnen, ſchließen das Dorf von Norden her ein, während nach Süden hin die Landſchaft offen liegt und die Flußarme in allerlei Windungen ſich durch das Bruchland ziehen.

Die Küſtriner hängen mit großer Liebe an Tamſel, und ſo oft ſie ſeinen Namen nennen, überfliegt ein Lächeln ihre Züge, nicht unähnlich der ſtillen Heiterkeit, mit der die Berliner den Namen Charlottenburg auszuſprechen pflegen. Hier wie dort miſcht ſich kein Stolz über hiſtoriſche Erinnerungen in dieſes Lächeln; es iſt der Ausdruck vielmehr eines plötzlich wiederbelebten Wohlgefallens, einer freundlichen Rückerinnerung an Park und Schloß, an Waſſer - partieen und Feuerwerke, an eine lange Reihe heiterer Land - ſchaftsbilder, die bei bloßer Nennung des Namens noch einmal leiſe an dem inneren Auge vorüberziehen.

Und doch iſt Tamſel ein hiſtoriſcher Name, wie Charlotten - burg ein ſolcher iſt. Wir verweilen nicht bei ſeiner Vorgeſchichte; wir verſuchen nicht feſtzuſtellen, wann die Templer in ſeinen Beſitz kamen, und wann ſie dieſen ihren Beſitz an den Johanniter-Orden abtraten; wir übergehen die Jahrhunderte, wo abwechſelnd der16 Küſtriner Markgraf und der Sonnenburger Heermeiſter hier Lan - deshoheit übten. Wir beginnen mit Tamſels hiſtoriſcher Zeit, mit Hans Adam v. Schöning, der, nach einem ruhmvollen Tür - kenzuge, wenigſtens vorübergehend in die Stille ſeines väterlichen Tamſel zurückkehrte und das bis dahin, aller Wahrſcheinlichkeit nach, wenig werthvolle Gut in einen prächtigen Landſitz umzuſchaffen begann.

Hans Adam v. Schöning, bei deſſen thatenreichem Leben wir länger und eingehender zu verweilen haben werden, machte Tamſel im Weſentlichen zu dem, was es jetzt iſt, und wenn Um - und Neu-Bauten auch dem Schloß und Park von damals, nach außen hin eine veränderte Geſtalt gegeben haben, ſo iſt im Innern, in ſeiner Einrichtung und Ausſchmückung, immer noch genug vor - handen, um uns ein Bild von dem Reichthum, von der Fülle künſtleriſcher Details zu geben, die hier damals zuſammenſtrömten, als ob es eigens darauf angekommen wäre, einen Sitz Märkiſcher Schlichtheit, in einen Sitz voll fürſtlicher Pracht umzuwandeln. Griechiſche Handwerker, die Hans Adam von ſeinem Siegeszuge mit heimgebracht hatte, füllten das Schloß, das raſch emporwuchs, mit Reliefbildern und Sculpturen, und alle Hallen und Säle tru - gen Stuck-Ornamente, die bis in unſere Tage hinein, die Bewun - derung der Fremden wachzurufen pflegten. Alle Zimmer waren panellirt; die Wände der Bildergalerie aber glänzten bis hoch hinauf im Schmuck einer koſtbaren Holzbekleidung, in deren Tafel - werk die großen, goldumrahmten Bilder kunſtvoll eingelaſſen waren. Unter dieſen Bildern befanden ſich vor Allem die lebensgroßen Portraits Hans Adams und ſeiner Gemahlin ſie unter Blu - men, von ihren Kindern umſpielt, er zu Roß, den Feldmarſchalls - ſtab in der Rechten und die Füße bis zum Knie hinauf in ſchar - lachrothe Gamaſchen geſteckt. Vieles von der Pracht jener Tage, iſt durch Krieg und Brand hindurch, dem Tamſeler Schloß bis dieſen Tag erhalten geblieben. Jagd - und Blumenſtücke, von der Hand Niederländiſcher Meiſter, hängen in halb erleuchteten Corridoren; die Boiſerieen der Gemälde-Galerie blitzen wie in alter Zeit und17 die Scharlach-Gamaſchen des Feldmarſchalls mahnen noch immer an den Sturm von Ofen, wo knietief im Blute gewatet wurde. Nur die Stuck-Ornamente, die pausbackigen Engel, die in die Tuba blaſen, und Mars und Minerva, die aufhorchen, als hätten ſie ſolche Klänge nie vernommen, nur dieſe Decken-Reliefs erfreuen das Auge nicht länger wegen ihrer Fährlichkeit von Fries und Decke losgelöſt und bei Seite gethan, theilen ſie das Schickſal des großen Schöning’ſchen Wappenſteins, der früher die Front des Schloſſes krönte und nun herabgenommen und in eine dunkle Ecke des Parkes geſtellt, nur ſelten noch ein Auge findet, das ſich durch ihn erinnern läßt an alte Zeit und alten Ruhm.

Uns aber erinnert er daran und ſo erzählen wir denn zunächſt die Geſchichte Hans Adams, des Erbauers des Schloſſes.

2[18]

Hans Adam von Schöning.

Kaum gebiet ich dem kochenden Blute; Gönn ich ihm die Ehre des Worts? Oder gehorch ich dem zürnenden Muthe?
(Schiller. )

Hans Adam von Schöning wurde am 1. October 1641 zu Tamſel geboren. Sein Vater (ebenfalls ein Hans Adam) war Rittmeiſter in brandenburgiſchen Dienſten und hatte ſich das Jahr vorher (1640) mit Marianne von Schapelow aus Wulkow ver - mählt. Die Schapelows waren damals ein reichbegütertes Geſchlecht im Barnim und Lebuſiſchen (das ſpäter Derfflingerſche Guſow gehörte mit zu ihrem Beſitz), und wenn einerſeits das Vermögen, das durch dieſe Verbindung in die Schöningſche Familie kam, den Ankauf verſchiedener Güter, darunter Tamſel, geſtattete, ſo erwies es ſich in der Folge für unſern Hans Adam von kaum geringerer Wichtigkeit, daß er durch die Schapelowſche Verwandtſchaft mit den vornehmſten Familien des Landes verſchwägert war. Derfflingers erſte Frau war eine von Schapelow, muthmaßlich eine Schweſter von unſres Schönings Mutter.

Ueber die Art, wie Hans Adam ſeine erſten Jugendjahre im elterlichen Hauſe zubrachte, wiſſen wir nichts. 1658 ging er nach Wittenberg, um die Rechte zu ſtudiren, 1659 nach Straßburg, 1660 nach Paris. Er hatte damit das begonnen, was wir jetzt als die große Tour bezeichnen würden, den Beſuch der Höfe und Hauptſtädte des weſtlichen Europa. Nach längerem Verweilen in Paris, wo der Geſandte, Caspar von Blumenthal, ſeinen branden - burgiſchen Landsmann am Hofe Ludwigs XIV. einführte, begab er ſich zunächſt über Turin und Mailand nach Venedig, wo er den Carneval von 1661 mitmachte, beſuchte im ſelben Jahre noch19 Rom, Neapel, Meſſina und Syracus, erſchien im September 1662 vor dem Großmeiſter des Malteſer Ordens auf Malta, bat um die gern gewährte Ehre, einen Streifzug gegen die Ungläubigen mit - machen zu dürfen, wandte ſich dann nach glücklicher Rückkehr von Malta nach Spanien, von Spanien nach England und kehrte über Amſterdam und Hamburg, nach einer fünfjährigen Abweſenheit, in die märkiſche Heimath zurück. Er betrat ſie wieder, nachdem er wie ſein Biograph ſich ausdrückt alles geſehen hatte, was es damals Großes und Ausgezeichnetes in Europa gab: den üppi - gen Hof des prachtliebendſten Königs, die Kunſtſchätze Italiens, den Glanz der Faſtnachtsſpiele in Venedig, das ritterliche Treiben auf Malta, den Hof der Dorias, die Grandezza Spaniens und die junge Freiheit der Niederlande. Gleich nach ſeiner Rückkehr ſtarb ſein Vater (1665) und kaum 24 Jahr alt wurde Hans Adam Beſitzer von Tamſel.

Ich habe bei Aufzählung der Höfe und Hauptſtädte, die er während eines Zeitraums von fünf Jahren beſuchte, abſichtlich länger verweilt, um daran einige Betrachtungen über die Erziehung junger Edelleute von damals und von heute zu knüpfen. Wir ſind nur allzuſehr geneigt, unſere jetzige Erziehungsmethode als etwas vergleichsweiſe ungemein Vorgeſchrittenes und Zweckentſprechendes anzuſehen, und doch möchte ſich die Frage aufwerfen laſſen: wie viel Familien haben wir zur Zeit im Brandenburgiſchen, die ge - neigt ſein möchten, einen derartigen Curſus , eine fünfjährige Tour durch Europa, lediglich an die weltmänniſche Ausbildung ihrer Söhne zu ſetzen? Damals war ein derartiges die hohe Schule Beziehen ſo allgemein, daß, um nur Ein Beiſpiel zu ge - ben, unſer Hans Adam ſeinen Pariſer Aufenthalt mit einem Aufenthalt in Orleans vertauſchen mußte, weil , wie er nach Hauſe ſchrieb, die Anweſenheit ſo vieler Deutſchen in Paris, ihm an völliger Erlernung der franzöſiſchen Sprache hinderlich ſei .

Seit hundert Jahren iſt bei uns die Armee die hohe Schule für die Söhne unſerer alten Familien geworden, und ſo unleugbar der große politiſche und nationale Fortſchritt iſt, der in2*20dieſer Wandlung der Dinge liegt, ſo fraglich erſcheint es doch, ob dem gegenwärtig Gültigen, auch nach der Seite der weltmänniſchen Bildung hin, der Vorzug gebührt. Jene edelmänniſche Erziehung, die Hans Adam von Schöning erhielt, erweiterte den Blick, wäh - rend unſere jetzige Ausbildung nur allzuſehr geeignet iſt, den Blick zu beſchränken. Wie vorzüglich auch das ſein mag, was daheim, es ſei wo es ſei, gehegt und gepflegt wird, die Iſolirung hindert an der Wahrnehmung, ob inzwiſchen draußen nicht doch noch ein Vorzüglicheres entſtanden iſt. Wir haben dieſen Fehler einmal in unſerer Geſchichte ſchwer gebüßt. Die Armee ſollte nur die eine Hälfte unſerer adeligen Erziehung ſein, die andere Hälfte, nach Vorbild deſſen, was früher Sitte war, ſollte folgen. Der Ein - tritt aus des Vaters Edelhof in die Armee und der Rücktritt aus der Armee in den Edelhof das genügt nicht mehr. Es iſt dies einer der Punkte, wo das Bürgerthum den Adel, wenigſtens den unſrigen, vielfach überholt hat.

Aber wenden wir uns wieder unſerem Schöning zu. Bald nach ſeiner Rückkehr in die Heimath trat er in kurfürſtlichen Dienſt, vermählte ſich (1670) mit einem Fräulein von Pöllnitz, avancirte raſch, wurde Rittmeiſter, Oberſt, Gouverneur von Spandau und mit kaum 36 Jahren (1677) Generalmajor. Dieſer ſeiner Ernen - nung waren aber bereits kriegeriſche Ereigniſſe, eine Campagne am Oberrhein gegen Turenne, wo ihm bei Erſtürmung eines feſten Platzes die drei äußern Finger der rechten Hand zerſchmettert wur - den, die Verjagung der Schweden aus der Mark (Fehrbellin)*)Schöning war übrigens nicht mit bei Fehrbellin. Er befand ſich bei den Fußtruppen, die, unter dem Oberbefehl General Görtzke’s, den Reiterregimentern nachrückten. und die Eroberung Stettins vorausgegangen.

Hans Adam von Schöning war nun Generalmajor. Die bei - den erſten Akte des Krieges mit Schweden hatten ausgeſpielt. Die Marken waren befreit, Stettin erobert. Das folgende Jahr brachte gleiches Waffenglück. Rügen wurde beſetzt und das feſte Stralſund,21 das ſeit den Tagen Wallenſteins für uneinnehmbar gegolten hatte, fiel, nach weniger als einer Woche, in die Hände des Kurfürſten. An allen dieſen Waffenthaten nahm Hans Adam rühmlichen An - theil; wir folgen ihm aber bei keiner derſelben, und begleiten ihn vielmehr auf dem weniger durch ſeine Reſultate, als durch die glän - zende Art der Ausführung berühmt gewordenen Winterfeldzuge in Preußen .

Dieſer Winterfeldzug, wie er den Schlußakt des Schweden - kriegs bildet, gab auch Schöning zum erſten Male Gelegenheit, ſich in hervorragender Weiſe geltend zu machen. Die Veranlaſſung zu dieſer Januarcampagne zwiſchen Pregel und Düna iſt bekannt. Der ſchwediſche General Horn war im November mit 16,000 Mann, von Curland her, in Oſtpreußen eingefallen, hatte die feſten Plätze weggenommen und bedrohte Königsberg. Die Nachricht von dieſem Vordringen Horn’s, das nichts anderes war als eine klug berechnete Diverſion, um die Brandenburger von ihrer Eroberung Pommerns abzuziehen, traf den Kurfürſten im December 1678. Sofort war es beſchloſſene Sache bei ihm, durch einen raſchen Ritt die Schweden ebenſo aus Oſtpreußen hinauszuwerfen, wie er, vier Jahre früher bei Fehrbellin, die Schweden aus der Mark hinausgeſchlagen hatte. Wenn dieſes letztere Unternehmen ſchon, und mit Recht, um ſeiner Kühnheit willen bewundert worden war, um wie viel mehr mußte dieſes neue Kriegsabenteuer in Erſtaunen ſetzen, das bei bitterer Kälte, in unwirthbare Gegenden hinein unternom - men wurde. Am 30. December brach der Kurfürſt auf; am 10ten Januar 1679 war er in Marienwerder und nahm Muſterung über das kleine Heer ab, das er ſo raſch von der Oder aus bis an die Weichſel geführt hatte. Die Schweden ſtanden am Pregel, dicht vor Königsberg, das durch 3000 Brandenburger unter Ge - neral Görtzke vertheidigt wurde.

Die Aufgabe, die ſich der Kurfürſt geſtellt hatte, war erſicht - lich die: mit einer Hälfte ſeiner Truppen die Königsberger Be - ſatzung unter Görtzke zu verſtärken, mit der andern Hälfte aber die Schweden zu umgehen. Dann ſollte Görtzke von Königsberg22 aus angreifen, während der Kurfürſt ſelbſt dem Feinde den Rück - zug abſchneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte.

Was indeſſen auf dem berühmten Ritte vom Rhein bis an den Rhin möglich geweſen war, nämlich das Verſchwiegenbleiben des Unternehmens, das erwies ſich als unmöglich auf dem Wege von der Oder bis zur Weichſel: es wurde nicht reiner Mund gehalten und die Schweden ſchlüpften aus dem Garn. An dem - ſelben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfürſt in Marien - werder muſterte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden in vollem Rückzuge auf Tilſit ſeien. Die Falle hatte den Dienſt verſagt, noch ehe ſie fertig war. Da es nicht mehr möglich war, die Feinde zu fangen, ſo galt es nunmehr, ſie einzuholen. In Geſchwindmärſchen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil, dann um Zeit zu ſparen in Schlitten über das friſche Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier ſchloſſen ſich Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Raſt, am 17., ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwiſchen in Tilſit Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgiſchen Abthei - lungen beſtanden aus einer äußerſten Spitze von tauſend Mann, aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitauſend und aus einem Gros von etwa fünftauſend Mann. Treffenfeld führte die Spitze, Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürſt ſelbſt das Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das friſche Haff paſſirt hatten, ſo jetzt das kuriſche zwiſchen Labiau und Gilge; aber die Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig, in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden ſtanden inzwiſchen nach wie vor bei Tilſit und ſchienen entſchloſſen, das preußiſche Gebiet nicht ohne Schwertſtreich zu verlaſſen. So kam es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter, wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen;23 erſt der weitere Verlauf des Kampfes führte auch Schöning auf die Bühne.

Das Gefecht bei Heidekrug hatte über die Schweden entſchie - den, und in ſchleunigem Rückzug ging es nördlich, durch die lit - thauiſchen Schneefelder hin, auf Riga zu. Die Frage für den Kurfürſten war, ob er den Rückzug ruhig geſtatten, oder die Flie - henden verfolgend, einen gefährlichen Feind wo möglich vernichten ſollte. Er entſchied ſich für das letztere. Die ſchwierige Aufgabe der Verfolgung, des Nacheilens durch verſchneite Wüſteneien hin, fiel Schöning zu. Mit 1600 Reitern brach er auf. Dieſe beſchei - dene Anzahl würde der ſchwediſchen Armee gegenüber, die immer noch nach Tauſenden zählte, ſicherlich in eine ſehr bedenkliche Lage (wie ſpäter wirklich geſchah) gekommen ſein, wenn nicht die verfolgenden Brandenburger in der litthauiſchen Bevölke - rung, die wenigſtens damals aus geſchworenen Feinden der Schwe - den beſtand, einen kaum erwarteten Bundesgenoſſen gefunden hät - ten. Kälte und Bevölkerung ſchienen ſich zu einer völligen Ver - nichtung der Schweden verſchworen zu haben. Oberſt Truchſeß, den Schöning auf dieſem Zuge mit einer Meldung an den in Königs - berg weilenden Kurfürſten zurückſchickte, traf mit den Worten im Hauptquartier ein: die Brandenburger hätten keine Wegweiſer nöthig, um dem Feinde zu folgen, weil der ganze Weg mit todten Schweden bedeckt ſei. Viele kommen vor Kälte um, aber die mei - ſten fallen von den Händen der Landesbewohner; die litthauiſchen Bauern ſchlagen die Schweden mit Keulen todt und legen die Keulen alsdann auf den erſchlagenen Körper.

So war die Lage des ſchwediſchen Heeres, dem Schöning folgte. Aber wir würden irren, wenn wir daraus den Schluß ziehen woll - ten, daß es ein Leichtes geweſen ſei, einem ſolchen Gegner nachzu - ziehen. Das Nachziehen ſelbſt, ganz abgeſehen von Kampf und Krieg, war ein Schreckniß. Die Kälte ſtieg oft auf 26 Grad, vie - len erfroren ganze Gliedmaßen, niemand hatte Geld, und die we - nigen, die noch eine Münze in der Taſche hatten, konnten meiſt nichts dafür erſtehen. So näherte man ſich Telcze, einem Städt -24 chen etwa halbwegs zwiſchen Tilſit und Riga, und nur fünf Mei - len noch von der kuriſchen Grenze (damals ſchwediſch) entfernt. Hier beſchloß Horn, der ohnehin mit Beſchämung wahrgenommen haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles ſchwächer war als er ſelbſt, das Glück der Waffen noch einmal zu verſuchen, und ziemlich unvermuthet, wie es ſcheint, ſahen ſich Schöning und ſeine Brandenburger plötzlich einem ſtandhaltenden Gegner gegen - über, den man ſich gewöhnt hatte, auf dieſen Schneefeldern zu verfolgen, nicht zu bekämpfen. Vom Augenblick ab, wo ſich Horn zu dem Entſchluß eines Widerſtandes aufraffte, war die Lage Schönings eine ſehr bedrohte. Nichtſiegen war gleichbedeutend mit völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze.

Horn hatte von ſeinen 16,000 noch etwa 3000 Mann und eine ziemliche Anzahl von Geſchützen; Schöning, da die bittere Kälte viel Menſchenleben gekoſtet hatte, verfügte über wenig mehr als 1200 Reiter und Dragoner. Die Aufſtellung, die er nahm, war kurz folgende: die Reiterei in zwei Treffen, in Front des Feindes; die Dragoner, nachdem ſie abgeſeſſen, in ein links und rechts gelegenes Gehölz, um im entſcheidenden Moment die Schwe - den in beiden Flanken nehmen zu können. Dieſe glückliche Terrain - benutzung entſchied den Tag. Oberſt von Dewitz (ein Schwieger - ſohn Derfflingers) eröffnete den Angriff und warf einige Com - pagnien ſchwediſchen Fußvolks über den Haufen; aber er drang nicht durch und die Gegner ihrerſeits machten jetzt Miene, zum Angriff überzugehen. In dieſem Augenblick ließ Schöning die Dragoner aufſitzen und brach von zwei Seiten her mit Ungeſtüm in die vorrückenden Schweden ein. Ein Gemetzel begann, da jeder inſtinktmäßig fühlte, daß fliehen verderblicher ſei als fechten, und erſt die hereinbrechende Nacht machte dem Kampf ein Ende. Keiner hatte ein Recht, ſich den Sieg zuzuſchreiben, aber die Schweden zogen ſich in der Dunkelheit zurück und erklärten ſich dadurch für geſchlagen. Die Verluſte waren auf beiden Seiten ungeheuer; die feindlichen Offiziere hatten, während des ganzen Kampfes, immer in langer Linie vor der Front ihrer eigenen Leute gefochten und25 vom ſchwediſchen Leibregiment war alles todt oder verwundet. Auch Hans Adam war, an der Spitze ſeiner Dragoner, nur durch die Geiſtesgegenwart eines Rittmeiſters gerettet worden, der einem ſchwediſchen Reiter das Piſtol aus der Hand ſchlug, das dieſer eben auf Schöning abfeuern wollte. An den zwei folgenden Tagen ließ dieſer durch kleine Streifcorps die Verfolgung der Schweden bis in die Nähe von Riga fortſetzen; dann trat er ſelbſt den Rückzug an, um dem, wie ſchon erwähnt, in Königsberg zurück - gebliebenen Kurfürſten, wenige Trophäen nur, aber die ſchwerer wiegende Nachricht von der gänzlichen Auflöſung des ſchwediſchen Heeres zu bringen.

Dieſer glänzende Zug bis an die kuriſche Grenze, das erſte Unternehmen, das Schöning in voller Selbſtſtändigkeit ausgeführt hatte, hob ſein Anſehen in den Augen des Kurfürſten, der ihm bereits ſo mannigfache Beweiſe ſeiner beſondern Gunſt gegeben hatte, und Hans Adam, der mit 36 Jahren zum Generalmajor ernannt worden war, wurde mit 42 Jahren Generallieutenant. Im ſelbigen Jahre (1684), nachdem er bis dahin das Amt eines Gouverneurs von Spandau bekleidet hatte, wurde er Gouverneur von Berlin, das damals, von fünf Ravelins und dreizehn Baſtio - nen eingefaßt (nach Planen des alten Feldmarſchalls Sparr), durchaus den Charakter einer Feſtung hatte.

Wir verweilen aber nicht bei den Friedensjahren unſeres Generallieutenants, ſondern begleiten ihn nun auf ſeinem Tür - kenzuge, bis zur Erſtürmung der Feſtung Ofen.

Zwiſchen Kaiſer und Kurfürſt war ein Vertrag zu gegen - ſeitiger Hülfeleiſtung geſchloſſen worden, und in Gemäßheit dieſes Vertrages ſah ſich der Kurfürſt gezwungen, zu einem bevorſtehen - den Zuge gegen die Ungläubigen , deſſen Hauptzweck die Ein - nahme Ofens war, ein Hülfscorps von 8000 Mann zu ſtellen. Der Kurfürſt ſah ſich gezwungen , dieſe Auxiliarmacht zu ſtellen; aber wir würden irren, wenn wir aus dieſer Bezeichnung ableiten wollten, daß der Kurfürſt nur einem Zwange nachgegeben und für die Beſiegung des Chriſtenfeindes kein Herz gehabt habe. Die26 Sache war einfach die, daß er ſeinem erſchöpften, durch immer neue Kriege und neue Verwüſtungen hindurchgegangenen Lande, vor allem den Frieden gönnte; jeder Krieg, auch der gebotenſte und ruhmreichſte, hinderte ihn am Auferbauen. Das lähmte ſeinen Eifer. Der proteſtantiſche Norden ſtand zu der Türkenfrage aller - dings anders, als der katholiſche Süden; ein bedrohtes Oeſterreich (bedroht gleichviel von wem) erſchien manchem lutheriſchen Herzen als gleichbedeutend mit Sicherung und Kräftigung des Proteſtan - tismus, aber weit über dieſes Abwägen Einzelner hinaus, ging doch, als Grundſtimmung, durch die ganze europäiſche Chriſten - heit das Doppelgefühl von Furcht und Haß gegen die Ungläubigen. Das ſiegreiche Vordringen der Türken bis vor die Thore Wiens (1683) war noch friſch im Gedächtniß und eine dunkle, im Volke fortlebende Erinnerung an die Tartarenhorden, die einſt bis an die Oder hin alles verwüſtet hatten, mochte, auch in den kurfürſt - lichen Landen, wenigſtens die Vorſtellung einer möglichen Gefahr und den guten Willen, ihr vorzubeugen, wachgerufen haben. *)Als Ofen endlich gefallen war, weckte die Nachricht davon in ganz Europa ein Gefühl freudigen Dankes. Aus Rom wurde berichtet: der Papſt habe mit lauter Stimme und unter den Dankesthränen der Car - dinäle das Gebet verrichtet. Ueberall wurden Feſte gefeiert (in Genua, Madrid, Brüſſel ꝛc. drei Tage lang) und der Kurfürſt ſchrieb, daß er die vergnügte, für die geſammte Chriſtenheit ſo importante Nachricht während des Gottesdienſtes in Potsdam empfangen und dem Allerhöchſten für die Beſiegung eines ſo blutdürſtigen Feindes öffentlich gedankt habe. Man empfand die Abwendung einer Gefahr, die das Chriſtenthum überhaupt bedroht hatte.

Wenn dieſes Gefühl ſchon im proteſtantiſchen Norden lebendig war, ſo ſtieg es in den katholiſchen Ländern Südeuropas bis zu einem Enthuſiasmus, ähnlich dem, wie ihn die Kreuzzüge geſehen hatten. Von allen Seiten ſtrömten Freiwillige auf den Kampfplatz, beſonders aus Spanien. In Wien fanden ſich dieſe Volontärs zuſammen, darunter allein ſechzig Catalonier, und wurden dem Stahrembergiſchen Regimente als eine eigene Truppe beigegeben. Aſtorga, ein Spanier, führte dieſes Freiwilligencorps, das ſpäter vor27 Ofen mit höchſter Auszeichnung focht und beinahe vollſtändig aufgerie - ben wurde. Gleich zu Anfang, bei einem der erſten Ausfälle der Türken, fielen der Herzog de Vecha, ein Grand von Spanien, und Karl Freiherr von Derfflinger, jüngſter Sohn des Feldmarſchalls, der, von einer Reiſe in Italien eben zurückkehrend, in die Aſtorga - ſche Volontärcompagnie eingetreten war. *)Der Herzog von Vecha wurde in vollem Ornat, angethan mit dem Orden des goldenen Vließes, vor dem Zelte des Obergenerals, des Herzogs Karl von Lothringen, zur Schau geſtellt. Windlichter umſtanden den Sarg und alles drängte ſich herbei, den Gefallenen zu ſehen. Karl von Derfflinger war derſelbe, bei deſſen Todesnachricht der alte Feldmar - ſchall die bekannten Worte: Warum hat ſich der Narr nicht beſſer in Acht genommen! geſprochen haben ſoll. Wilhelm von Oranien ſagte nach der Schlacht an der Boyne, als ihm der Tod des Biſchofs von Derry gemeldet wurde: Ganz recht, warum war er auch, wo er nicht hin gehört! Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Wendung, etwas verändert, auf Derff - linger übertragen worden iſt.

Wir ſind aber, in der Abſicht den Geiſt zu ſchildern, der damals das chriſtliche Europa durchwehte, Schöning weit voraus geeilt, den wir zunächſt noch in Croſſen, an der märkiſch-ſchleſiſchen Grenze wieder finden, wohin von Oſt und Weſt her, aus Königs - berg und Cleve, die Truppen beordert waren, die nach dem Willen des Kurfürſten das brandenburgiſche Hülfscorps bilden ſollten. Der Kurfürſt ſelbſt nahm am 17. April die Muſterung ab. Ein Augenzeuge beſchreibt die Truppen wie folgt: Die Service war überaus koſtbar und trachtete darinnen einer den andern zu über - treffen, indem ſie etliche gar von Augsburg und andern Orten hatten bringen laſſen. Die Infanterie war blau, die Artillerie braun, die Cavallerie, ſowohl Reiter als Dragoner, in lederne Collette gekleidet. Zwei Soldaten bekamen ein Zelt und einen Strohſack (welch ein Train!), damit ſie, wenn ſie an einem Ort anlangten, nicht nach Holz oder Stroh laufen dürften. Die Unter - offiziere und Piquenire hatten Piſtolen im Gürtel und die Derff - lingerſchen Bataillone Keſſel an der Seite; die Reiter und Dra - goner führten dabei noch Dolche. So waren die achttauſend28 Brandenburger, die, durch Schleſien und den Jablunkapaß vor die Türkenfeſtung Ofen zogen, Hans Adam von Schöning als Oberſtcommandirender, General von Barfus und General von der Marwitz als Nächſte im Commando.

Am 24. Juni trafen die Brandenburger vor Ofen ein, das bereits ſeit mehreren Wochen von einer Reichsarmee von über 90,000 Mann unter Führung des Herzogs von Lothringen be - lagert und durch 14,000 Janitſcharen und Spahis, unter Ober - befehl von Abdurrahman Paſcha vertheidigt wurde. Zwölfhundert Brandenburger, unter Befehl von General v. d. Marwitz, rückten ſofort ohne allen Verzug in die Linie ein, avancirten unter dem lauten Beifall der ganzen alliirten Armee bis auf fünfzig Schritt an die Stadtmauer und ſtellten rechts und links ihre Verbindung mit den Kaiſerlichen her. Die Feſtung war nun völlig cernirt; aber noch über zwei Monate vergingen bis zum letzten ſiegreichen Sturm, und während dieſer Monate wurden, wie die Belagernden überhaupt, ſo auch namentlich die Brandenburger von immer wachſenden Verluſten betroffen. Der Minenkrieg koſtete Opfer über Opfer und die zahlreichen Ausfälle der Türken wurden immer nur mit großem Verluſt von Menſchenleben zurückgeſchlagen. Von den drei Grafen Dohna, die mit vor Ofen waren, fielen zwei, während der dritte, Graf Chriſtoph, deſſen Memoiren für die Ge - ſchichte jener Zeit und jener Belagerung ſo wichtig ſind, verwun - det wurde. In Wahrheit traf das Sprüchwort zu, das damals in Curs kam: Je näher dem Ofen, je näher der Hitze. Thaten größter perſönlicher Tapferkeit geſchahen von beiden Seiten. Lieute - nant von Wobeſer, nachdem ſein älterer Bruder, ein Capitain im Bataillon Prinz Philipp, von einem Spahi niedergeſäbelt war, ging vor, um ſeinen Bruder zu rächen oder ſein Schickſal zu theilen, und auf einen türkiſchen Anführer förmlich Jagd machend, zerſchmetterte er ihm, im endlichen Zweikampf, mit einem Morgen - ſtern den Kopf.

Der 17. Auguſt war der Tag, der über das Schickſal der Feſtung entſchied. An dieſem Tag erſchien vor Ofen das große29 türkiſche Heer, 70,000 Mann ſtark, unter Führung des Groß - veziers, das die Aufgabe hatte, die hart bedrängte Feſtung zu entſetzen. Es kam zur Schlacht Angeſichts der Belagerten, und das türkiſche Heer wurde geſchlagen. Von dieſem Augenblick an war die Einnahme der Feſtung nur noch eine Frage der Zeit. Am 2. September ſchritten die Chriſten zum Sturme. Achttauſend Mann, zur Hälfte Kaiſerliche, zur Hälfte Brandenburger, jene vom Herzog von Croy, dieſe vom General von Barfus geführt, bilde - ten die Sturmkolonne und drangen unwiderſtehlich vor. Nachdem die Palliſaden erklettert waren, drang man in die Straßen der Stadt ein. Nur Türken und Juden hausten darin und alles wurde niedergemacht, leider auch Weiber und Kinder. Die Türken ſteckten weiße Fahnen aus, zum Zeichen, daß ſie bereit ſeien ſich zu ergeben, aber die Stürmenden riſſen die Fahnen nieder und ließen alles über die Klinge ſpringen. Vergebens mühte ſich der Herzog von Lothringen, dem Gemetzel ein Ende zu machen; neun - tauſend wurden erſchlagen; ein Reſt von Janitſcharen, der ſich in das feſte Schloß gerettet hatte, capitulirte am andern Tage. Unter dieſen (da ſein Tod nicht gemeldet wird) befand ſich muthmaßlich auch Abdurrhaman ſelbſt, ein geborner Schweizer mit Namen Coigny. Schon während der Belagerung, war er von einem in die Stadt geſchickten Parlamentäroffizier Namens Wattenwyl, als Landsmann erkannt worden.

Auch die brandenburgiſchen Oberoffiziere waren, wie der Herzog von Lothringen, bemüht geweſen, dem Blutvergießen Ein - halt zu thun und hatten durch ihr Dazwiſchentreten gerettet, wo noch zu retten war. Aber nur in einzelnen Fällen war es ihnen geglückt. General von Barfus rief zwei Türken Pardon zu, welche wie Verzweifelte ſich wehrten, und brachte ſie dem Kurfürſten als die Tapferſten nach Berlin. Schöning dagegen hatte das Glück, zwei ſchöne Türkinnen, noch Kinder, den Händen der alles nieder - machenden Soldaten zu entreißen. Was aus dem älteren Mädchen geworden, entzieht ſich unſerer Kenntniß; die jüngere aber wurde, unter Beibehaltung ihres türkiſchen Namens, Fatime getauft30 und von Schöning, der ſie mit nach Tamſel nahm, ſorgfältig erzogen.

Fatime kam ſpäter nach Warſchau, wo ſie eben ſo ſehr durch ihre blendende Schönheit wie durch das romantiſche Intereſſe ihres Geſchicks, aller Augen auf ſich zog und ein Glanzpunkt der Geſell - ſchaft wurde. Unter ihren Bewerbern war auch König Auguſt, dem ſie lange widerſtand, bis ſie endlich dem Grafen Rutowski das Leben gab. Fatime vermählte ſich ſpäter in die Spiegelſche Familie; ihr Sohn Rutowski aber ſtieg bis zum ſächſiſchen Feldmarſchall und iſt, wenn wir nicht irren, derſelbe, der bei Ausbruch des ſiebenjährigen Kriegs gezwungen war, bei Pirna zu kapituliren. *)Wie Fatime in Polen und Sachſen, ſo ſpielte eine andere Türkin, Emmetah Uellah, fünfzig Jahre ſpäter in Preußen eine Rolle. Im Jahr 1766 kam der bekannte Lord Marſhall, der letzte Freund des Königs nach Potsdam und lebte in dem nach ihm genannten Hauſe in Sans - ſouci. Ihn begleitete ſeine Pflegetochter Emmetah Uellah, die Tochter eines Janitſcharenhauptmanns, welche ſein Bruder, der Feldmarſchall Keith, im Jahre 1737 bei der Erſtürmung der Feſtung Oczakow, vor ſicherem Tode gerettet hatte. Emmetah Uellah ( die Barmherzigkeit Gottes ) war eine auffallende Schönheit, ſorglich von ihrem Pflegevater gebildet und in hohem Grade liebenswürdig. Schon 1747, als ſie mit dem damals noch kaiſerlich ruſſiſchen Feldmarſchall zum erſtenmal nach Berlin kam, hatte ſie allge - meines Aufſehen durch ihre eigenthümliche Schönheit und Lebhaftigkeit er - regt, dann auf den Geſandtſchaftsreiſen ihres Pflegevaters ſich ſo vortheil - haft ausgebildet, daß ſie mit ungezwungenſtem Anſtand die Honneurs des Hauſes machen konnte. D’Alembert erzählt von ihr, Lord Marſhall, ob - gleich ſchon im Greiſenalter, habe eine leidenſchaftliche Neigung für ſie ge - faßt, ſei aber nicht erhört worden. Emmetah erwiederte auf den Antrag des Lords: Ich bin deine Sklavin, und du kannſt mit mir ſchalten, wie du willſt; aber du würdeſt mich ſehr unglücklich machen, wenn du von dei - nem Rechte Gebrauch machen wollteſt. Ich liebe dich wie eine zärtliche Tochter ihren Vater nur lieben kann, mehr aber verlange nicht von mir! Lord Marſhall dachte viel zu edel, um der Unterwürfigkeit einer Sklavin zu verdanken, was die Liebe des Mädchens ihm verſagte, und ſelbſt die giftigſte Zunge unter den Tiſchgenoſſen Friedrichs hat es nicht gewagt, das Verhältniß zwiſchen beiden zu verdächtigen. Der König, welcher nicht liebte, Frauenzimmern in Sansſouci zu begegnen, ſah ſie nur bei ſeinen Beſuchen in Lord Marſhalls Hauſe, wo ſie in den erſten Jahren die lie - benswürdigſte Wirthin zu machen wußte. Emmetah war wohl vorzüglich

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Doch wir kehren zu Schöning und dem Türkenkrieg zurück. Die Beute, welche in Ofen gemacht wurde, war überaus groß. Namhafte Summen von Dukaten und Zechinen, ſo wie Edelſteine und orientaliſche Perlen fielen den Siegern in die Hände. Unter den fünfhundert großen Geſchützen, die man eroberte, befand ſich auch eine vierundzwanzigpfündige Schlange mit dem brandenburgi - ſchen Wappen, die nun dem Führer des brandenburgiſchen Hülfs - corps als Trophäe zurückgegeben wurde. Außerdem überbrachte Schöning dem Kurfürſten einen türkiſchen Roßſchweif und ein paar tartariſche Pauken, Siegeszeichen, die ſich bis dieſe Stunde im Berliner Zeughauſe vorfinden.

Der Rückmarſch ging wieder durch die Jablunka, und am 7. December trafen die Brandenburger wieder an der märkiſchen Grenze ein. Sie hatten unzweifelhaft mit großer Tapferkeit gefoch - ten (faſt die Hälfte war vor Ofen geblieben; 30 Offiziere todt und 61 verwundet) und die Türken gaben deßhalb den brandenburgi - ſchen Soldaten nicht nur den Beinamen Feuermänner , ſondern brachten auch das Sprüchwort in Umlauf: der ſteht wie ein Brandenburger. Schöning aber, von ſeinem Landesherrn reichlich geehrt, empfing zugleich vom Kaiſer Leopold mannigfache Beweiſe ſeiner Huld, darunter einen mit Diamanten beſetzten Degen von großem Werth.

Wir nähern uns nun jener Epoche im Leben unſeres Hel - den, die durch einen kleinen, ſcheinbar geringfügigen Vorfall den Namen deſſelben ungleich bekannter gemacht hat, als aller Glanz ſeiner Siege zuſammengenommen; ich meine ſeinen Streit mit General Barfus. Das Perſönliche iſt immer das Siegreiche. Die Schlachten und Belagerungen ſind vergeſſen, oder doch halb vergeſſen, aber bis dieſen Tag lebt im Barnim - und Küſtrinſchen*)die Veranlaſſung, daß Lord Marſhall ſich von den jungen Offizieren der Potsdamer Garniſon geſucht und umgeben ſah, die er dann für die ſpa - niſche und engliſche Literatur, namentlich für den damals in Deutſchland noch wenig bekannten Shakeſpeare zu intereſſiren ſuchte.32 das Sprüchwort fort: Die haſſen ſich wie Schöning und Bar - fus. Wir wollen erzählen, wie es zu dieſem Haſſe kam.

Schöning war ein Glückskind und hatte, freilich nicht ohne großes perſönliches Verdienſt, ſeine Carrière über die Köpfe anderer Leute hinweg gemacht. Er war ſechs Jahre jünger als Barfus und doch ihm immer um ſechs Jahre voraus; das ergab eine Differenz, oder, wenn man ſo will, eine Ungerechtigkeit von zwölf Jahren. Der einundfünfzigjährige Barfus hatte vor Ofen unter dem fünfundvierzigjährigen Schöning geſtanden, und zu der natür - lichen Bitterkeit, die ſich einfach ſchon aus dieſen Zahlen ergeben konnte, mochte ſich bei Barfus die Betrachtung geſellen, daß ihm die grobe Arbeit des Belagerns und ſich Herumſchlagens, dem Oberſtcommandirenden das Vergnügen des Repräſentirens, des Dinirens im herzoglichen Zelt und ſchließlich die Entgegennahme eines mit Diamanten beſetzten Degens zugefallen ſei. Jetzt, dritte - halb Jahre ſpäter, im Sommer 1689, ſtanden beide Generale ebenſo am Rhein, wie ſie damals an der Donau geſtanden hatten, d. h. Schöning war abermals dem Barfus um einen Pas vor - aus, und wiewohl ein vorliegender Bericht aus jener Zeit eigens mit den Worten beginnt: Es hat der Generallieutenant von Barfus dem General-Feldmarſchall-Lieutenant von Schöning bis - her jedesmal den gebührenden Reſpekt gegeben , ſo wagen wir doch, ohne das Gemeldete geradezu zu beſtreiten, die Vermuthung, daß dem Barfus die gebührenden Reſpektsbezeugungen in ſeinem Herzen ſehr ſchwer geworden ſind.

Das Hauptkriegsereigniß im Sommer des genannten Jahres war die Belagerung des von den Franzoſen beſetzten Bonn. Ehe die Brandenburger unter des Kurfürſten und Schönings Führung dazu ſchreiten konnten, war ein Zurückdrängen der Franzoſen aus den kleineren Plätzen, die in der Nähe von Bonn lagen, nöthig. Es kam dabei zum Gefecht bei Ordingen oder Uerdingen, das, von Schöning trefflich entworfen und von Barfus, der den rech - ten Flügel befehligte, mit vieler Bravour ausgeführt, dem Kur -33 fürſten Raum ſchaffte, Bonn enger und mit mehr Ausſicht auf Erfolg zu umſchließen.

Die Belagerung hatte ſchon über zwei Monate gewährt (von Ende Juni an), als von Mainz her, das vom Herzog Karl von Lothringen belagert wurde, die Nachricht anlangte, daß ein fran - zöſiſches Entſatzheer heranrücke und eine Verſtärkung des dortigen deutſchen Belagerungsheeres dringend wünſchenswerth mache. Bar - fus mit 6000 Brandenburgern wurde zu dieſem Zweck von Bonn nach Mainz detachirt. Als er am 30. Auguſt vor dem Kurfürſten Friedrich III. (ſpäter König Friedrich I.) erſchien, um ſich zu ver - abſchieden, fand im Vorzimmer zwiſchen den beiden Generalen folgende Scene ſtatt. *)Aehnliche Eiferſüchteleien und ein entſprechender Grad von Ver - bitterung herrſchte damals überhaupt in der brandenburgiſchen Armee, und Schöning, was neben manchem andern ihn entſchuldigen mag, war all die Zeit über gereizt. Vielfach wurden ihm die Honneurs verſagt, beſon - ders ſeitdem Feldmarſchall Schomberg bei der Armee war. Graf Dohna z. B., der ein Anhänger Schombergs und ein Gegner Schönings als Obriſtlieutenant bei den Grands Musquetaires ſtand, rief den Offi - zieren zu, als Schöning ihre Reihen paſſirte: Meine Herren, daß Sie nicht grüßen! Ich verbiete es Ihnen.

Barfus fand den Schöning auf einem Stuhle ſitzend, trat an ihn heran und meldete: daß er mit dem detachirten Corps nach Mainz marſchire, was er hiemit dem Herrn Feldmarſchall-Lieutenant zu wiſſen thue. Hierauf gab Schöning, wie es im Berichte heißt, eine choquante Antwort des Inhalts: wie es ein Wunder wäre, daß ihm der Barfus endlich einmal die Civilität thäte und ihm die gebührende Meldung machte. Barfus, dieſer choquan - ten Sprache begreiflicherweiſe choquant begegnend, antwortete ſchnell, daß er die Meldung nur auf Befehl des Kurfürſten gemacht und ſie ſicher unterlaſſen haben würde, wenn er gewußt hätte, daß er einer ſolchen Antwort zu begegnen habe. Darauf Schöning: auch ohne Befehl des Kurfürſten wäre die Meldung ſeine Schul - digkeit geweſen. Darauf trennte man ſich.

Aber dieſe Scene im Vorzimmer war nur Vorſpiel. Barfus,334als er eben das Haus verlaſſen hatte, hörte ſich von dem hinter ihm her eilenden Schöning angerufen, der ihn jetzt aufforderte, mit ihm auf die Seite zu treten. Barfus war dazu bereit; Schöning aber, ſtatt bei Seite zu treten, ſtellte ſich etwa hundert Schritte vor der Hauptwache auf und rief Barfus zu, er ſolle den Degen ziehen. Barfus durchſchaute das Spiel, das offenbar darauf aus war, ihn Angeſichts von Zeugen zu einer Inſubordination, zu einem Angriff hinzureißen, und ließ bedächtig den Degen in der Scheide. Schöning aber wiederholte ſein: Zieht, Herr Gene - rallieutenant! und rief ihm endlich zu: Der Teufel ſoll mich holen, wenn dieſer Barfus das Herz hat, den Degen zu ziehen! Dabei ſchlug er zu gleicher Zeit dem Barfus den Stock aus der Hand, auf den ſich dieſer in vorgebogener Stellung während des ganzen Zwiegeſprächs geſtützt hatte. Barfus bückte ſich, um den Stock wieder aufzuheben, und ſtieß dann mit dem ſpaniſchen Rohr nach Schöning, was dieſer durch einen Stoß gegen des Gegners Hals erwiederte. Das war zu viel. Barfus fluchte: Ei Sacra - ment! und zog ſeinen Degen. Schöning ſah ihm lächelnd zu, und ſeine beiden Arme in einander geſchlagen, rief er jetzt: Haha, Monſieur zieht ſeinen Degen zuerſt! und zog dann auch. Es ſprangen aber andere Militärs dazwiſchen und die Streitenden wurden getrennt. Arreſt folgte.

Dieſer Vorfall machte größeres Aufſehen als die ganze Be - lagerung von Bonn (die beiläufig am 2. Oktober mit Uebergabe der Feſtung endete) und führte neun Monate lang zu einem halb juriſtiſchen, halb diplomatiſchen Kampf, in dem ſich die gegenüber - ſtehenden Parteien, die Schöning’ſche und die Barfus’ſche, in un - zähligen Briefen, Eingaben, Gutachten ꝛc. befehdeten. Aber die Partei Barfus war ſtärker. Die einflußreichſten Leute des Hofes, Danckelmann, Spanheim, Otto von Schwerin, alle nahmen, ent - weder weil die Sachlage oder der hochfahrende Charakter Schönings zu Gunſten Barfus ſprach, die Partie des letzteren, und am 17. Juni 1690 erſchien endlich folgendes kurfürſtliches Reſcript, das Schöning, ohne einem Rechtsſpruch vorzugreifen, in ziemlich35 ungnädigen Worten aus dem brandenburgiſchen Dienſt entließ: Se. kurfürſtliche Durchlaucht haben Sich unterthänigſt referiren und in Dero Geheimen Rath vortragen laſſen: was Dero würk - lich Geheimer Kriegsrath und General-Feldmarſchall-Lieutenant, der von Schöningen, sub. dato Weißen-See bei Berlin den 11. Juni gehorſamſt ſupplicirt und gebeten. Wohin denn S. K. Durch - laucht Sich dahin nochmalen in Gnaden erklären: daß Sie nicht unterlaſſen werden, in den zwiſchen gemeldetem Feldmarſchall - Lieutenant und dem General-Lieutenant von Barfus entſtandenen Mißhelligkeiten gebührende Juſtiz adminiſtriren und ſolche rechtlich unterſuchen, erörtern und dediciren zu laſſen. Daß aber S. K. Durchlaucht Dero General-Lieutenant des von Barfuſen Perſon zu Dero Dienſten bei Ihrer Armee indeſſen zu employiren reſol - viret, deſſen haben Se. kurfürſtliche Durchlaucht ſowohl wegen deren hohen Intereſſe und Dienſten, als auch in Conſideration ſeiner, des von Barfuſen, bisher obſervirten unterthänigſten Con - duite und ſonſten bewegende Urſachen gehabt und laſſen es auch darbei nochmalen gnädigſt bewenden, können Sich auch darunter von Niemanden Ziel noch Maaß ſetzen oder vorſchreiben laſſen. Sie wollen aber auch dem Feldmarſchall von Schöning nicht wehren, ſondern ihm vielmehr auch gnädigſt erlauben, in einiger auswärtiger alliirter Potentaten Dienſte, welche Deroſelben und der guten Sache nicht zuwider ſein, interimsweiſe zu treten, wenn er vorher dieſelbe wird namhaft gemachet haben. In - deſſen wiederholen Sr. kurfürſtliche Durchlaucht Dero früher er - gangene gnädigſte Verordnung hiemit und befehlen dem General - Feldmarſchall-Lieutenant von Schöning nochmalen gnädigſt und ernſtlichſt: ſich nicht allein dero hieſigen Reſidenzſtädte zu enthal - ten, ſondern auch aus bewegenden Urſachen, die ſo nahe daran gelegenen Oerter zu meiden und ſich daſelbſt nicht ferner aufhalten oder finden zu laſſen.

Cölln a. d. Spree, den 17. Juni 1690.

Friedrich. gegengez. Eberhardt v. Danckelmann.

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Aus dieſem Reſcript (das wir dem nur als Manuſcript exi - ſtirenden Werke: Geſchichtliche Nachrichten über die Familie von Schöning verdanken) geht unverkennbar hervor, daß, abgeſehen vom Streite ſelbſt und von der ſchwebenden Frage: wer hat Recht? General Barfus in allem, was folgte, klug genug war, ſich nachgiebig gegen die kurfürſtliche Autorität zu zeigen, während der bedeutendere, aber rechthaberiſche, überall anſtoßende Schöning, den Kurfürſten und ſeine Umgebung durch die Art ſeiner Rechts - forderung verletzte. Während der Streit ſchwebte, hatte er, muth - maßlich bedeutet, die Reſidenz unter allen Umſtänden zu meiden, abwechſelnd in Tamſel und Weißenſee gelebt; jetzt, nachdem das oben mitgetheilte Reſcript die Streitfrage praktiſch zum Abſchluß gebracht, verließ er die Heimath, die ſeinem Wirken und ſeinem Ehrgeiz keinen Schauplatz mehr bot, und am 9. April 1691 trat er als Feldmarſchall in kurſächſiſchen Dienſt.

Wir begleiten Hans Adam, der vom 2. September 1689 an bis zu ſeinem Eintritt in ſächſiſchen Dienſt, faſt ausſchließlich in Tamſel lebte, nun durch ſeine letzten Lebensſchickſale. Mit äußeren Ehren gingen wachſende Kränkungen Hand in Hand. Schöning war nicht allein in ſächſiſchen Dienſt getreten; dreißig brandenburgiſche Offiziere waren ihm gefolgt und innerhalb der ſächſiſchen Armee wurden nun ähnliche Empfindungen rege, wie vier Jahre zuvor im Brandenburgiſchen, als Feldmarſchall Schom - berg, gefolgt von ſeinen Söhnen und andern franzöſiſchen Re - fugiés, über die Köpfe der alten brandenburgiſchen Generale hin - weg (z. B. Derfflingers, der es auch ſehr übel nahm) in die brandenburgiſche Armee eintrat. Hier wie dort glaubte man Ein - dringlinge vor ſich zu haben und bittere Empfindungen griffen Platz. Neuerungen, die Schöning einzuführen Miene machte, mach - ten ihn vollends nicht beliebt, und er mochte von Glück ſagen, daß ein Feldzug am Rhein, zu dem auch ſächſiſche Truppen be -37 ordert wurden, die Gedanken der Unzufriedenen in andere Bah - nen lenkte.

Aber von anderer Seite her kam größere und ernſtere Ge - fahr. Die ſächſiſchen Truppen im kaiſerlichen Heere waren während der Rheincampagne 1691 herzlich ſchlecht gehalten, ja bei Gelegen - heit der Winterquartiere in einer Weiſe behandelt worden, daß es einer Beleidigung oder Mißachtung des Kurfürſten von Seiten des Wiener Hofes ziemlich nahe kam. Hiegegen lehnte ſich Schö - ning, der ſeinem neuen Herrn in Ernſt und Treue diente, energiſch auf und drang in ihn, bei der kaiſerlichen Armee nur das Reichs - contingent (3000 Mann) zu belaſſen. Schöning ſo erzählt Paul von Gundling in einem Manuſcript, das der Berliner Bi - bliothek angehört handelte ſehr ſicher und war in ſeinen Re - den wider des Kaiſers Majeſtät ſehr frei. Dadurch wurde indeſſen ſeine Stellung gegen den Kaiſer ſelbſt ſehr gefährlich, um ſo ge - fährlicher, als eben jetzt ein franzöſiſcher Abgeſandter, Namens Bidal, in Dresden eingetroffen war, der häufig mit dem Kurfür - ſten und Schöning verhandelte. Der Miniſter Clary (öſterreichiſcher Geſandte) ermangelte nicht, über alles ſehr übertriebene Berichte nach Wien zu erſtatten.

Kurz, man glaubte alsbald in Wien an ein ſächſiſch-franzö - ſiſches Bündniß, oder gab ſich wenigſtens das Anſehen, an ein ſol - ches zu glauben, um, geſtützt darauf, einen Coup ausführen und die unbequeme Geſtalt Schönings vom ſächſiſchen Hofe entfernen zu können. Schöning ſelbſt hatte keine Ahnung von dem, was ihm drohte. Er reiſte, ſeit längerer Zeit ernſtlich am Podagra lei - dend, in die Bäder von Teplitz. Hier wurde er, auf den eben ge - ſchilderten Verdacht hin, von den Oeſterreichern aufgehoben, ganz unter ähnlichen Umſtänden, wie ſechszig Jahre früher Hans Georg von Arnim (ebenfalls ein Brandenburger und ſächſiſcher Feldmar - ſchall) von den Schweden aufgehoben und nach Stockholm trans - portirt worden war.

Ueber die Art der Aufhebung Schönings liegt uns folgender Bericht vor. In der Nacht zum 23. Juni marſchirte ein Offi -38 zier mit zweihundert Mann von Prag aus nach Teplitz, umſtellte Schönings Wohnung, ließ ohne weiteres eine Salve geben, brach mit Gewalt in’s Haus ein und nahm den Feldmarſchall gefangen, der, im bloßen Hemd aus dem Bett geſprungen, kaum Zeit ge - funden hatte, einen Schlafrock überzuwerfen. So, mit bloßen - ßen, ſetzte man ihn in eine Kaleſche, der Offizier und zwei Mann bei ihm, und fuhr im ſchnellſten Galopp der Feſtung Prag zu. Der Adjutant des Feldmarſchalls, Major von Droſte, jagte ſofort dem Wagen nach und griff die ſchwache Bedeckung an. Als aber einer der Soldaten das Gewehr auf Schöning anlegte und dieſen zu erſchießen drohte, überließ Droſte den Feldmarſchall den Händen ſeiner Ueberwinder. Von Prag brachte man ihn nach dem Spiel - berg bei Brünn und führte dort ſein Verhör. Man wollte einen zweiten Wallenſtein aus ihm machen und hielt die Meinung auf - recht, daß er nicht ohne Abſichten nach dem Reichscommando ge - ſtrebt habe. Aber alle Bemühungen, ihn zu einem Hochverräther, zu einem Verbrecher gegen die Intereſſen des Reichs zu machen, waren vergeblich.

Sachſen war durch dieſen eigenmächtigen Schritt auf’s ſchwerſte beleidigt und zog zunächſt die 3000 Mann zurück, die es als Reichscontingent geſtellt hatte; alle Schritte aber, die Freilaſſung Schönings zu erwirken, blieben fruchtlos, bis endlich, nach zwei Jahren ſchmählicher Gefangenſchaft, der Regierungsantritt Friedrich Auguſts, (Auguſt der Starke, König von Polen) und die energi - ſchen Proteſte deſſelben, Schöning die Freiheit wiedergaben. Um die Ausſöhnung vollſtändiger zu machen, erſchien jetzt der bis dahin ge - fangen Gehaltene vor Kaiſer und Kaiſerin zur Audienz, und da er eben damals ſchwer vom Podagra geplagt wurde, ward er in einem Seſſel vor die beiden Majeſtäten getragen, ein Um - ſtand, der nicht ermangelte, in ganz Europa die größte Senſation hervorzurufen.

Es war das viel Auszeichnung, auch namentlich wohl in den Augen Schönings, deſſen Herz beſonders empfänglich war für der - artige Huldigungen; aber die Süßigkeit ſolcher Stunden konnte39 doch nicht wiedergeben, was jahrelange Verbitterung dem Herzen genommen hatte. Gefeiert, aber krank und im Innerſten gebrochen (ſein Lieblingsſohn war kurz zuvor geſtorben), zog er in Dresden ein und die Gnadenbezeugungen Friedrich Auguſts begleiteten nur noch einen Hinſcheidenden. Er erkrankte; Podagra und Steinſchmer - zen zehrten an ſeinem Leben, Carlsbad verſagte den Dienſt, und am 28. Auguſt 1696 ſchied er, matt und müde, aus dieſer Welt der Zeitlichkeit. Seine Leiche ward einbalſamirt und in der Kreuz - kirche zu Dresden ausgeſtellt, dann aber am 25. November nach der Neumark übergeführt und am 4. December in der Kirche zu Tamſel beigeſetzt. Dort ruht er noch jetzt in einem kupfernen Sarg, mit Gold reich verziert, ein Crucifix auf dem Deckel.

Wir verſuchen zum Schluß noch eine Schilderung Schönings, ſowohl ſeiner äußern Erſcheinung wie ſeines Charakters. Er war, namentlich dem Bruſtbilde nach zu ſchließen, deſſen Original ſich auf der Feſtung Königſtein und, in Copie, in Händen der Schö - ning’ſchen Familie befindet, ein ſchöner Mann, in deſſen Zügen ſich Soldatiſches und Hofmänniſches, Strenge und Glätte, viel Selbſt - bewußtſein und ein ironiſches Lächeln über die Eitelkeiten dieſer Welt in intereſſanter Weiſe miſchten. In andern Porträts (z. B. auf einer Denkmünze, die gleich nach ſeinem Tode geprägt wurde, ſo wie ferner auf einem großen Reiterbilde im Tamſeler Schloß) tritt das ſtreng Militäriſche beinahe ausſchließlich hervor; doch iſt es fraglich, ob letzteren Bildniſſen die Bedeutung von Porträts beigemeſſen werden darf, oder ob ſie nicht vielmehr jenen bloßen Ruhmes - und Ehrenbildniſſen zuzurechnen ſind, die nach dem Tode eines berühmten Mannes auf gut Glück hin angefertigt wurden, viel mehr in der Abſicht, ihn durch bildliche Darſtellung, gleichviel wie, überhaupt zu feiern, als durch correkte Wiedergabe ſeiner Züge ſeinem äußern Menſchen gerecht zu werden.

Uns von Schönings Charakter ein Bild zu entwerfen, iſt40 nicht eben ſchwer, wenn wir den Berichten über ihn, die in ziem - licher Anzahl auf uns gekommen ſind, unbedingten Glauben ſchen - ken wollen. Es bleibt aber doch fraglich, ob dieſen Schilderungen, trotz des Uebereinſtimmenden, das ſie haben, in allen Stücken zu trauen iſt. Alle Mittheilungen über ihn rühren nämlich von ſeinen Gegnern her, und man würde die Pflicht haben, mit Rückſicht auf dieſen Umſtand die höchſte Vorſicht walten zu laſſen, wenn nicht andererſeits die Erwägung, daß alle Berichte nur eben deßhalb von lauter Gegnern herrühren, weil er nur Gegner hatte, uns nothwendig darauf hin verwieſe, daß etwas entſchieden Un - liebenswürdiges in ſeiner Natur gelebt haben und die Quelle aller dieſer Gegnerſchaften geworden ſein muß. Barfus, die Schombergs (Vater und Sohn), Danckelmann, Grumbkow (der Vater des be - kannten), Otto von Schwerin, Graf Chriſtoph Dohna, alle waren gegen ihn, und die Memoiren des letzteren, wenn wir Gutes und Böſes, das ſie erzählen, zuſammenfaſſen, ſchildern ihn als einen begabten Feldherrn voll Muth, Umblick und Geiſtesgegenwart, aber zugleich auch als einen anmaßenden und habſüchtigen Mann, von ſpöttiſchem und zweideutigem Weſen. Seiner geiſtigen Ueber - legenheit ſich bewußt, behandelte er, was unter ihm ſtand, mit Härte, und was neben ihm ſtand, mit Geringſchätzung.

Dieſe Schilderung wird im Weſentlichen richtig ſein. Sein Streit mit General Barfus, den wir oben ausführlicher erzählt haben, zeigt ihn uns ganz von dieſer Seite. Auch Barfus wird ſeinerſeits, in den Pöllnitz’ſchen Memoiren, ebenfalls auffahrend, halsſtarrig und hochmüthig genannt; aber eine Reihenfolge von Umſtänden ſpricht dafür, daß Schöning in allem, was Dünkel und Hochmuth anging, wenigſtens ein potenzirter Barfus war. Schö - ning war wie Barfus und Barfus war wie Schöning, aber der letztere hatte von allem, vielleicht auch vom Guten, ſicherlich an Talent, ein voller geſchüttelt und gerüttelt Maaß. Mit Barfus, trotz ſeines auffahrenden Weſens und ſeiner Halsſtarrigkeit, war es immerhin möglich, in Ruh und Frieden zu leben, wenigſtens fehlt es an Berichten, die zu entgegengeſetzter Anſicht zwängen; mit41 Schöning aber erſchien überall der Unfriede und die Gekränkten und Beeinträchtigten wichen ihm entweder aus, d. h. quittirten den Dienſt, oder forderten ihn zum Duell. *)Zum Theil freilich waren die ſchiefen Stellungen, in die er be - ſtändig gerieth, unverſchuldet. General von Promnitz wollte ſich mit ihm ſchießen, weil Schöning ſtatt ſeiner das Commando zur Verfolgung Horns erhalten hatte, und General Beauvais d’Espagne nahm 1687 den Ab - ſchied, weil er es nicht ertragen konnte, daß man dem General Schöning, der nach dem ungariſchen Feldzug ein Liebling des großen Kurfürſten ge - worden war, den Vorzug einräumte. Auch dem Kurfürſten (Friedrich III. ) gegenüber verdarb er es, während der Barfusſtreit noch ſchwebte, durch ſeinen anmaßenden Ton. Er mußte Recht haben, er war ja Schöning; in dieſem Sinne ſtellte er ſeine An - träge, und dies war es, was ihn endlich ſtürzte, nachdem er ſich längſt um alle Sympathien gebracht hatte.

So weit nehmen wir nicht Anſtand, in die Angriffe ſeiner Feinde (auch den Vorwurf der Habſucht abzuweiſen, möchte ſchwer ſein) mit einzuſtimmen; aber wenn wir auch die Schatten, die ſein Charakter aufweiſt, weder leugnen noch ſie verringern wollen, ſo können wir ihm doch dadurch gerecht werden, daß wir ſeine Lichtſeiten mehr hervortreten laſſen, als ſeine befangenen Zeitge - noſſen es konnten oder wollten. Schöning hatte keine Freunde unter denen, die ihm gleich ſtanden, aber diejenigen, die über ihm ſtanden, und zwar je höher je mehr, dieſe zeichneten ihn aus und gaben ihm die Beweiſe eines beſonderen Vertrauens. Kurfürſt Friedrich III. war zu unſelbſtſtändig, zu unkriegeriſch, trotz ſeiner Kriege, und perſönlich zu leicht verletzbar, um über die Vorzüge Schönings die Schwächen deſſelben vergeſſen zu können; der große Kurfürſt aber und Friedrich Auguſt der Starke bewieſen ihm dauernd ihre Werthſchätzung und ihre Huld. Seine Stellung, zu - mal zum großen Kurfürſten, erinnert an das Verhältniß, das Win - terfeldt, ſiebzig Jahre ſpäter, zum großen König einnahm. Auch Winterfeldt erkaufte die Liebe Eines durch den Haß Vieler. Die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, waren zum Theil die -42 ſelben: Hochmuth, Herrſchſucht, Zweideutigkeit; nur der Habſucht wagte man ihn nicht zu bezüchtigen. Schöning wurde mit 37 Jah - ren General, mit 48 Jahren Feldmarſchall; dieſe beiden Angaben genügen, um zu zeigen, was er war. Zwei Höfe, der brandenbur - giſche und der ſächſiſche, wetteiferten in Anerkennung ſeines militä - riſchen Verdienſtes. Dieſes Verdienſt war unbeſtreitbar da, aber freilich, der Stolz über ſeine Gaben verdunkelte dieſe, oder machte die Welt unwillig, da anzuerkennen, wo die höchſte Selbſtſchätzung nichts mehr zu ſchätzen übrig ließ.

Er war ſeiner Umgebung überlegen, namentlich weltmänniſch, aber ſein ſpöttiſcher Mund verrieth zu viel davon und brachte ihn um die beſte Frucht des Lebens, die Liebe der Menſchen. In wenigen Herzen hat er ſich eine Stätte gebaut, nur die Tamſeler Fiſcher haben ihm eine poetiſch-phantaſtiſche Erinnerung bewahrt bis dieſen Tag. Wie Derfflinger in Guſow und der alte Sparr in Prenden, ſo lebt Schöning in Tamſel als ein Zauberer fort, und ſie erzählen daſelbſt von ihm (ohne Fichten geht es nicht ab in brandenburgiſcher Sage), er ſei an der Spitze eines märkiſchen Fichtenwaldes vor die Türkenfeſtung Ofen gerückt, habe durch einen Zauberſpruch all ſeine Fichten in baumhohe Pickeniere verwandelt und dann, wie der Birnamwald vor Schloß Dunſinan, die Tür - kenfeſtung geſtürmt. In den zwanziger Jahren dieſes Jahrhun - derts lebte das alles noch in einem Volkslied, das die Tamſeler Fiſcher zu ſingen pflegten; nun iſt das Lied verklungen und nur noch die Sage geht von Mund zu Mund.

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Kronprinz Friedrich und Frau v. Wreech.

In edlem Zorn erhebe dich, blick auf, Beſchäme, ſtrafe den unwürdigen Zweifel.
(Schiller. )

Nach des Feldmarſchalls Tode fiel Tamſel an den einzigen Sohn deſſelben, der muthmaßlich ſchon bei Lebzeiten des Vaters, die Verwaltung der Familiengüter übernommen hatte. Aber das ſchöne Schloß, das die Hand Griechiſcher Künſtler geſchmückt hatte, ſchien kein Glück, keine Fülle des Lebens für alle diejenigen zu beher - bergen, die den Namen Schöning führten, und kaum anderthalb Jahrzehnte nach dem Tode des berühmten Vaters, folgte ihm der unberühmte Sohn in die Gruft.

Dieſer Sohn war der letzte Schöning der Linie Tamſel. Er hinterließ nur eine einzige Tochter Louiſe Eleonore, die, damals ein Kind noch, unter Vormundſchaft ihrer Mutter, die reiche Erb - ſchaft antrat. Louiſe Eleonore war mit 4 Jahren die Erbin von Tamſel und mit 14 Jahren die Gemahlin des Oberſten Adam Friedrich v. Wreech. Sie war 7 Jahre mit dieſem vermählt, alſo 21 Jahre alt, als der damals neunzehnjährige Kronprinz Friedrich, muthmaßlich in den letzten Tagen des Auguſt 1731 (bis dahin hatte er die Feſtung Küſtrin nicht verlaſſen dürfen) ſeinen erſten Beſuch in Tamſel machte.

Es iſt bekannt, daß der Prinz dieſem erſten Beſuche weitere Beſuche folgen ließ und alsbald ein intimes Verhältniß mit der ſchönen Frau v. Wreech anknüpfte, das bis in die letzten Tage ſeines Küſtriner Aufenthaltes hinein, alſo bis Ende Februar 1732, fortgeſetzt wurde.

Die Frage drängt ſich auf, welcher Art waren dieſe Be - ziehungen? War es ein intimes Freundſchaftsverhältniß, oder war44 es ein anderes? Die Anſchauungen, die bis jetzt darüber gegolten haben, waren dem guten Rufe der ſchönen Frau nicht allzu gün - ſtig; verſchiedene eigenhändige Briefe jedoch, die der Kronprinz eben damals an Frau v. Wreech richtete und deren Inhalt, ja deren Exiſtenz erſt in neueſter Zeit bekannt geworden iſt, werden vielleicht im Stande ſein, die gäng und geben Anſichten über die - ſen Punkt weſentlich zu modificiren. Dieſe an Frau v. Wreech gerichteten Briefe, die ſich jetzt im Beſitz einer Urenkelin derſelben befinden, wurden von der letzteren Dame, in ihrem von der Groß - mutter auf ſie vererbten Berliner Hauſe, zufällig aufgefunden, als ihr, beim Ordnen von Papieren, ein ziemlich vergilbtes Packet mit der kurzen Bezeichnung: Papiers concernant la famille de Wreich in die Hände fiel. Ein zweiter Umſchlag führte die Auf - ſchrift: Lettres et vers de certain grand Prince, woran ſich, wie zu beſtimmterer Bezeichnung des Inhalts, die Worte reihten: Lettres de Fréderic II. (comme Prince royal) à Mad. de Schoening et à sa fille Mad. de Wreich.

Dieſe Briefe ſind auf gewöhnlichem grobem Schreibpapier und oft bis an den unterſten Rand hin voll geſchrieben; die Li - nien ſind krumm, die Orthographie höchſt mangelhaft und die meiſten leider nicht datirt; nur einer trägt das völlige Datum und zwar den 5. September 1731. Doch ergiebt ſich aus dem Inhalt der Briefe mit Beſtimmtheit, daß ſie zwiſchen Ende Auguſt 1731 und Ende Februar 1732 geſchrieben ſein müſſen.

Die Bedeutung dieſer Briefe iſt eine doppelte. Sie werfen, wie ſchon angedeutet, nach meiner Meinung ein ganz beſtimm - tes und ein ſehr vortheilhaftes Licht auf die Art des Verhält - niſſes, das zwiſchen dem Kronprinzen und Frau v. Wreech be - ſtand; ſollten aber die traditionell gewordenen Anſchauungen über dies Verhältniß durch den Inhalt dieſer Briefe nicht erſchüttert werden, ſo werden die letzteren doch unter allen Umſtänden das Gute haben, an die Stelle bloßer Ueberſchriften, einen verhältniß - mäßigen Reichthum von Details und an die Stelle des blaſſen45 Allgemeinen, beſtimmtere Farben und plaſtiſchere Geſtaltung geſetzt zu haben.

Denn die Frau v. Wreech-Literatur (wenn man dieſen Ausdruck geſtatten will) war bisher eine ziemlich kümmerliche, und die Zuſammenſtellung alles deſſen, was man wußte, hatte auf einem Quartblatt Platz. Es waren eigentlich nur zwei Brief-Ci - tate, von denen das eine Citat einem Briefe des Grafen Schu - lenburg (wenn ich nicht irre, an Grumbkow), das andere Citat einem Briefe Grumbkows an Seckendorf entnommen war. Beide Citate unterſchieden ſich von einander dadurch, daß ſich das eine mit der Perſönlichkeit der Frau v. Wreech, das andere mit der Art ihres Verhältniſſes zum Kronprinzen beſchäftigte; aber beide Briefſtellen waren äußerſt aphoriſtiſch, und während Schulenburg meldete: Frau v. Wreech ſei ſehr ſchön und habe einen Roſen - und Lilien-Teint, ſprach Grumbkow von einer ſtarken amour, in die der Prinz verfallen ſei, und fügte einige derbe Worte hin - zu, die der König, gewiſſermaßen in Billigung und Gutheißung des Verhältniſſes, geäußert haben ſollte. Dies iſt Alles. Wohl ſprechen die diplomatiſchen Klatſch-Briefe, die damals mit wichtig - ſter Miene hin - und hergeſchrieben wurden, von allerhand De - bauchen, in die der Prinz verfallen ſei, dieſer Ausdruck aber be - zieht ſich erſichtlich nur auf ſein Küſtriner Leben und nicht auf ſeine Tamſeler Beſuche. Ja, ich möchte weiter gehen und die Be - hauptung wagen, daß Tamſel damals die Kehrſeite, der Gegen - ſatz von dem Küſtriner Leben geweſen ſei, ganz geeignet, durch Sitte, Feinheit und Anſtand ein Leben wieder zu reguliren, das ſolcher Regulatoren allerdings dringend bedürftig war.

Auch wir heute, geſtützt auf die Briefe des Kronprinzen, be - ſchäftigen uns zunächſt mit der Perſönlichkeit und dem Cha - rakter der Frau v. Wreech. Haben wir dieſe beiden feſtgeſtellt, ſo haben wir, anderer Aufklärungen zu geſchweigen, bereits viel ge - wonnen; denn die Handlungen der Menſchen ſind im Einklang mit ihrem Sein.

Ein Teint wie Lilien und Roſen ſchreibt Schulenburg und46 ſtellt durch dieſe wenigen Worte, das Bild einer ſchönen Blondine vor uns hin, jung, heiter, blendend, von gefälligen Formen. Aber die Briefe des Kronprinzen geben uns mehr: ſie beleben, ſie durch - geiſtigen die ſchöne Geſtalt. Frau v. Wreech ſcheint ſich Ausgangs November 1731, während der Vermählungstage der Prinzeſſin Wilhelmine in Berlin, mit bei Hofe befunden zu haben, und wäh - rend dieſer Tage iſt es, daß der Kronprinz ſich niederſetzt, um an Frau v. Schöning, die Mutter der Frau v. Wreech, zu ſchreiben. Madame, ſo heißt es in dieſem Briefe, ich habe das Vergnügen gehabt Ihre Frau Tochter in Berlin zu ſehen. Ich ſah ſie, aber ſo flüchtig, daß ich kaum Gelegenheit fand, ihr guten Tag und guten Weg zu wünſchen. Dennoch, ſo kurze Zeit ich ſie ſah, konnte mir es nicht entgehen, wie ſehr ſie ſich vor allen anderen Damen des Hofes auszeichnete, und obſchon ein ganzer Haufe von Prinzeſſinnen (une foule de princesses) zugegen war, die an Glanz ſie übertrafen, ſo verdunkelte Ihre Frau Tochter doch alle durch Schönheit und majeſtätiſche Miene, durch Haltung und feine Sitte. Ich war wirklich in einer Tantalus-Lage, immer verſucht zu einer ſo göttlichen Perſon (à une si divine personne) zu ſprechen, und nichts deſto weniger zum Schweigen verpflichtet. Ihre Schönheit feierte ſchließlich einen völligen Triumph und al - les am Hofe kam überein, daß Frau v. Wreich den Preis der Schönheit und feinen Sitte davontrage. Dieſe Worte müſſen Ih - nen wohlthun, da Sie dieſer liebenswürdigſten aller Frauen ſo nahe ſtehen. Aber ſeien Sie verſichert, Madame, daß Ihre Theil - nahme an dieſem Allem nicht lebhafter ſein kann, als meine eigene, der ich Alles liebe, was dieſer liebenswürdigen Familie zugehört, und immer bin und ſein werde Ihr ergebenſter Freund, Neffe und Diener Friedrich.

Wenn uns dieſer Brief von der Feinheit und Grazie der ſchönen Frau erzählt, ſo erzählt uns ein anderer Brief von dem Reſpect, den ihre Gegenwart einzuflößen verſtand. Der Kron - prinz ſchreibt unterm 5. September 1731 an Frau v. Wreech ſelber:

47

Ich würde die härteſte Strafe verdienen, in Ihrer Ge - genwart eine betise wie die geſtrige begangen zu haben, wenn ich nicht Entſchuldigungen hätte, die glaub ich (einigermaßen) ſtich - haltig ſind. Der Graf ſagte wirklich Dinge, die mir ganz und gar nicht gefielen, Dinge, deren raſche und ruhige Verdauung über meine Kräfte ging. Dennoch hab ich nur allzu guten Grund, Ihre Verzeihung für mein albernes Betragen nachzuſuchen. Sie werden mir erlauben, meinen letzten Beſuch durch einen anderen wieder gut zu machen, wo ich verſuchen will, wenn’s möglich iſt, den Eindruck meiner geſtrigen Thorheit zu verwiſchen.

So am 5. September. Aber die aufgefundenen Briefe fügen dem Bilde weitere Züge hinzu und wir ſehen Frau v. Wreech nicht nur im Beſitz von Jugend, Schönheit und einer Reſpect er - zwingenden Haltung, wir gewinnen auch einen leiſen Einblick in ihre geiſtige Begabung und in die Liebenswürdigkeit ihres Cha - rakters. Am 20. Februar 1732 ſchreibt der Kronprinz:

Ich würde ſehr undankbar ſein, wenn ich Ihnen nicht mei - nen Dank darüber ausſprechen wollte, einmal, daß Sie überhaupt nach Tamſel kamen und dann, daß Sie mir die reizenden Verſe überreichten, die Sie für mich gemacht hatten. Ich hätte mich einer Sünde ſchuldig zu machen geglaubt, wenn ich die Verſe gleich geleſen und dadurch, wenn auch nur auf einen Augenblick, mich um den Zauber Ihrer Unterhaltung gebracht hätte. Geſtern, in abendlicher Einſamkeit, fand ich Gelegenheit, Alles in ungeſtör - teſter Muße zu leſen und zu bewundern. Da haben Sie meine Kritik. Alles, was von Ihnen kommt, entzückt mich durch Geiſt und Grazie. Doch genug, ich breche ab, ſeh ich Sie im Geiſte doch ohnehin erröthen. Ihrer Beſcheidenheit aber jedes wei - tere Verlegenwerden zu erſparen und zugleich von dem Wunſche geleitet, Ihnen einen neuen Beweis meines blinden Gehorſams zu geben, ſchicke ich Ihnen, was Sie von mir gefordert haben.

Das, was der Prinz ſchickt, was Frau v. Wreech von ihm gefordert hat, iſt ſein Portrait, und er begleitet daſſelbe mit einem Abſchieds-Sonett, deſſen Liebesgeſtändniß, eben weil es Ab -48 ſchiedszeilen ſind, vielleicht ein gut Theil ernſthafter zu nehmen iſt, als alle die andern gereimten Huldigungen, auf die ich ſpäter zu - rückkomme. Das Sonett lautet:

Als mein Geſandter ſoll mein Bild dich grüßen,
Und des Geſandten Dollmetſch ſei dies Lied,
Was ich zu ſagen Dir bisher vermied,
Ich ſag es nun: Ich liege Dir zu Füßen.
Ich trage Feſſeln, aber jene ſüßen,
Von denen nie ein Herz freiwillig ſchied,
Mit jedem Ringe, jedem neuen Glied
Wächſt nur die Luſt zu tragen und zu büßen.
Doch halt, o Lied, verrathe nicht zu viel,
Verberge lieber hinter heitrem Spiel
Den Schmerz des Abſchieds und des Herzens Wunde;
Verberge Deiner Wünſche liebſtes Ziel,
Verſchweige, daß nur Eine Dir gefiel,
Um die du ſterben möchteſt jede Stunde.

Ich habe die Ueberſetzung dieſes Sonetts mit gutem Vor - bedacht hierher geſtellt, weil es mir, ganz abgeſehen von ſeinem Inhalt oder ſeinem Werth oder Unwerth, ganz einfach in ſeiner Eigenſchaft als etwas Gereimtes oder Gedichtetes, einen paſſenden Uebergang zu dem zu machen ſcheint, was ich zunächſt noch zu ſagen haben werde.

Nachdem ich nämlich bis hierher bemüht geweſen bin, das Bild der Frau v. Wreech zu zeichnen, drängt ſich nun zweitens wieder die bis hieher zurückgewieſene Frage auf: Wie ſtanden der Kronprinz und die Beſitzerin von Schloß Tamſel zu einander? Wie eng oder wie weit waren die Grenzen ihrer Intimität ge - zogen?

Die Antwort, die ich auf dieſe Frage habe, weicht, wie ſchon angedeutet, durchaus ab von der üblichen Anſchauung. Es ſtehen die Grumbkow’ſchen Klatſchereien und die eigenhändigen Briefe des Kronprinzen ziemlich diametral einander gegenüber, und die vor - ſichtigſte Prüfung dieſer Briefe, ſelbſt ein argwöhniſches Suchen und Leſen zwiſchen den Zeilen, hat mir ſchließlich nur um ſo fe -49 ſter die Ueberzeugung verſchafft, daß das Ganze die Huldigung eines etwas verliebten, poetiſirenden jungen Prinzen war, eine Huldigung, die, mal leichter mal leidenſchaftlicher auftretend, von Frau von Wreech halb als eine Zerſtreuung, eine Ehre, eine Schmeichelei, aber halb auch als eine Laſt entgegen genommen wurde.

Dem entſprechend war denn auch wohl das Verhältniß, das zwiſchen Frau von Wreech und Kronprinz Friedrich, dieſem glän - zenden Typus eines jungen poetiſirenden Berliners, ins Leben trat. Die blendende Schönheit, der ſinnliche Reiz der jungen Frau gaben dieſen Beziehungen im Laufe der Wochen und Monate eine andere Färbung; es kamen leidenſchaftliche Stunden, aber ſie kamen doch nur wie Anfälle und ließen im Weſentlichen das auf äſthetiſchen Intereſſen aufgeführte Verhältniß fortbeſtehen. Es war das geiſtreiche Bedürfniß, das immer wieder nach Tamſel hindrängte; der Eſprit der Küſtriner Garniſons-Offiziere reichte nicht aus, ihr Verſtändniß für Verſe war vollends zweifelhaft, und ſo ſehen wir denn die Correſpondenz nach Tamſel hin nicht nur von zahlreichen Poetereien, wie Oden, Stanzen, Hymnen, Sonetten ꝛc., beſtändig begleitet, ſondern auch die Briefe ſelbſt, zumal den vorletzten, in jener halb ironiſchen, halb humoriſtiſchen Weiſe abgefaßt, die ſich immer da einſtellt, wo junge Männer dem Zuge nicht widerſtehen können, jeden Brief auch zugleich als eine kleine literariſche That, als eine Anhäufung origineller Gedanken, oder als eine witzig-geiſtvolle Beſchreibung in die Welt zu ſenden.

Den erſten Brief des Kronprinzen, der übrigens in eſprit - voller Weiſe die Correſpondenz eröffnet, übergeh ich hier; ich be - ginne mit dem zweiten, worin der junge Poet, dem nichts ſo ſehr am Herzen liegt, als das Schickſal ſeiner Verſe, unverkennbar hervortritt.

Madame, ſo ſchreibt er, die Heuſchrecken, die das Land ver - wüſten, haben die Rückſicht genommen, Ihre Beſitzungen und Län - dereien zu verſchonen. Ein zahlloſes Heer viel ſchlimmerer und ge - fährlicherer Inſekten indeß ſteht auf dem Punkt, ſich bei Ihnen niederzulaſſen, und nicht zufrieden damit, das Land zu zerſtören, haben dieſe Geflügelten die Dreiſtigkeit, Sie perſönlich und in450Ihrem eigenen Schloſſe zu überfallen. Dieſe Geflügelten führen den Namen Verſe, ſind Sechsfüßler, haben ſcharfe Zähne und einen langgeſtreckten Körper, dazu eine gewiſſe Kadenz, die genau genommen ihr Grundprincip iſt und ihnen das Leben giebt. Es iſt eine böſe Race, jüngſt vom Parnaß angekommen, wo ſie der gute Geſchmack nicht länger dulden wollte. Ein gleiches Schickſal wird ihrer in Tamſel harren. Wie immer dem ſein möge, ich freue mich, daß Apollo ſich aufgerafft hat, um ſeinen Muſenberg von der Spreu der unächten Poeten zu ſäubern. Sein Staub - beſen hat gründlich aufgeräumt. Ich ſelbſt freilich bin unter den zumeiſt Getroffenen, aber ich verzeihe alles, verzeihe es um ſo lie - ber, als ich ſehr wohl weiß, daß überall da, wo das Böſe ſeine Strafe, auch das Gute ſeinen Lohn erhält. Sie, Madame, wer - den dieſen Lohn empfangen und ich bitte Sie dann um Ihr aller - gnädigſtes Fürwort. Sagen Sie dem Apoll, daß er als Direc - teur der Künſte und Wiſſenſchaften eigentlich doch zu grob operirt und mich kaum noch als einen Mann von Ehre behandelt habe. Bitte, ſagen Sie ihm ferner, daß es eigentlich nur ein Mittel gäbe, ſolche Züchtigungen und Backenſtreiche erträglich zu machen, nämlich die Stiftung eines Ordens vom ſchlechten Reim. Willigt er darin, ſo kann er uns von da ab treffen, wie er will, wir werden es ruhig und dankbar hinnehmen Ritter, die wir dann ſind.

So der Brief. Der Kronprinz hat in den erſten Zeilen deſ - ſelben ein ganzes Heer von Verſen angekündigt, Sechsfüßler mit ſcharfen Zähnen und langgeſtrecktem Körper, und dieſe Verſe, die dem Briefe beiliegen, ſo wie andere, die folgten, beſchäftigen uns jetzt. Alle dieſe Verſe theilen ſich in zwei Gruppen, in ſolche, die in directer Huldigung gegen die ſchöne Frau geſchrieben, und ſolche, die ihr bloß zur Kritik, muthmaßlich zur mildeſtdenkbaren, vorgelegt wurden.

Eine Ode, an Frau von Wreech gerichtet, eröffnet den Rei - gen. Man muß es damals mit den Gattungs-Eintheilungen und den demgemäßen Ueberſchriften nicht ſehr genau genommen haben,51 denn die Zeilen verhalten ſich zu dem Schwung einer wirklichen Ode etwa wie ſich Kotzebues armer Poet zum Goetheſchen Taſſo verhält. Der Prinz erklärt, daß er Frau von Wreech liebe und ver - ehre; daß es freilich Menſchen gäbe, die da meinten, Liebe ſei eine Schwäche, daß er für ſein Theil aber die ſchwachen Herzen angenehmer fände, als die Herzen von Stein. In der Mitte der ſogenannten Ode, bei deren Uebertragung ich übrigens, wie auch bei den folgenden Stücken, die im Ausdrucke proſaiſchſten Stellen we - ſentlich gemildert habe, heißt es in leidlich wohlgeſetzten Alexandrinern:

Hab ich zu viel geſagt und ging mein Lied zu weit,
So wiſſ, in Bangen nur übt ich Verwegenheit,
So denke, daß ich ſchwieg, als ich zuletzt Dich ſah,
Ich ſchwieg, denn Göttin-gleich, wortraubend ſtandſt Du da.
Gebiet’rin, die Du biſt, geſtatte mir noch oft
Geſtändniß all des Glücks, drauf meine Seele hofft,
Geſtändniß deſſen all, was ich bisher bezwungen,
Darbringungen im Lied all meiner Huldigungen.

Ein Zufall und ſo wenig dichteriſchen Werth dieſe Dinge haben mögen, doch muß ich ſagen ein glücklicher Zufall hat uns die Reimzeilen aufbewahrt, mit denen Frau von Wreech die poetiſche Adreſſe des Kronprinzen beantwortete. Dieſe Antworts - zeilen ſind nämlich als Brouillon, als Entwurf auf die Rückſeite des Kronprinzlichen Briefes geſchrieben und lauten wie folgt:

Welch Wunder trug ſich zu? Was iſt’s, das ſich begab?
Es ſteigt ein Königsſohn, ein Prinz zu mir herab,
Beſingt in Liedern mich und fordert mich zum Streit;
Antworten ſeinem Lied wär wie Verwegenheit,
Ich kann es nicht, nein, nein, verwirrt in jedem Sinn
Fährt, über was ich ſchrieb, die Feder wieder hin.
Wohl hab ich oft gehört, an dieſem, jenem Ort,
Wer nur im Herzen fühlt, dem giebt ſich auch das Wort,
Doch trät ich keck zum Kampf mit Dir, Erhabner, ein,
Müßt ich an Witz und Wort zuvor Dein Echo ſein.
Solch Echo bin ich nicht; all meiner Seele Schwung
Entſpringt aus Einem nur, aus der Bewunderung
Womit ich vor Dir ſteh; Dein Thun, das in mir lebt,
Dein Schickſal iſt’s allein, das mich zu Dir erhebt.
4*52
Es huldigt mir Dein Wort; ich habe deß nicht Leid,
Iſt doch huldvolles Wort der Hoheit ſchönſtes Kleid,
Und Du, Du boteſt mehr, der Grazien ſchöne Hand
Geſtaltete zum Lied, was Deine Huld empfand,
Du gabſt mehr Ehre mir, als je mein Herz erfuhr,
Und all mein Sein iſt Dank und ſtille Huldgung nur.

Dies ſei genug. Auffallend iſt es, daß ſich in dieſen Verſen, die ſpätere Ruhmesbezeichnung gleichſam anticipirend, bereits der Ausdruck le grand Fréderic vorfindet. Das bewundernde Hin - aufblicken aber zu dieſem grand Fréderic, das wenn auch vieles auf Rechnung bloßer geſellſchaftlicher Phraſe zu ſetzen iſt dennoch ziemlich unverkennbar aus dieſen gereimten Zeilen der Frau von Wreech ſich kundgiebt, erklärt ſich wohl überwiegend dar - aus, daß die Küſtriner Tragödie, der Tod Kattes, mit Allem, was vorausging und folgte, den Kronprinzen mit einem poetiſchen Zauber umkleidet hatte, der bei erſter Begegnung noch nachwirkte. Dieſer Zauber, dieſe Glorie, dieſe Bewunderung, wie immer ſonſt auch die Herzensbeziehungen zwiſchen beiden ſich in jenen Herbſt - und Wintermonaten geſtalten mochten, waren jedenfalls nicht von Dauer. Ich deutete das ſchon an und wir kommen noch einmal kurz darauf zurück.

Ich ſagte, die Sechsfüßler, die der Kronprinz ſeinen Briefen beilegte, waren doppelter Art; die einen wandten ſich huldigend an das Herz der ſchönen Frau, die andern und ihre Anzahl iſt ungleich größer waren kleine literariſche Beilagen, die ein Geplauder, einen Meinungsaustauſch, eine eſpritvolle Controverſe wachrufen ſollten und auf die ich hier begreiflicherweiſe ein beſon - deres Gewicht lege, weil ſie die angedeutete Art des Verhältniſſes, das äſthetiſch-literariſche Fundament deſſelben, ungleich beſſer cha - rakteriſiren, als jene Huldigungsſtrophen.

Dieſe literariſchen Beilagen beſtanden zunächſt aus Saty - ren, ebenfalls in den unvermeidlichen Alexandrinern geſchrieben. Er rächt ſich in ihnen für alle Unbill ſeiner Gefangenſchaft, und Jeder, der ihn gepeinigt oder auch nur vorübergehend gelangweilt53 hat, erhält ſeinen Geißelhieb. Die Liſte iſt ziemlich lang, und Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidiſche Frau von Wolden, alle ziehen ſie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo - nelle Eberts, von der es heißt, daß ſich über ihre Dummheit eine ganze Aenëide ſchreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand - bemerkungen iſt kein Mangel, und in einem Poſtſcriptum heißt es, daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen geſchrieben und doch zu ſeinem Bedauern immer noch voller Fehler ſei, während er alles Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke.

So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Correſpon - denz nach Tamſel hin begleiteten.

Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß ſich dieſe literariſchen Beilagen auf Verſe beſchränkt hätten. Auch der Proſa wurde ihr Recht. Die Briefe ſelber, wie ſchon hervor - gehoben, wurden gelegentlich zu Aufſätzen, zu Feuilletons, wie wir jetzt vielleicht ſagen würden, und hoben, wenigſtens vielfach, das literariſche Intereſſe über das Herzens-Intereſſe hinaus.

Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor ſeinem erſten Be - ſuche in Berlin und vor der wirklichen Ausſöhnung mit dem Va - ter, ſchreibt der Kronprinz wie folgt:

Verehrteſte Couſine! Des guten Glaubens, daß Sie zu meinen beſten Freunden in dieſen Gegenden zählen, kann ich nicht unterlaſſen, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der ſich auf meinen demnächſtigen Einzug in Berlin bezieht. Es iſt ohngefähr Folgen - des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug ſoll durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Fleiſch und unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu - fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In - ſtincte zu ſchreien. Dann folgt eine Schaf - und Hammelheerde, unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde Podoliſcher Ochſen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich ſelbſt. Mein Aufzug iſt folgender: ein großer Eſel trägt mich, ſo einfach als möglich aufgeſchirrt. Statt der Piſtolenhalfter befinden ſich zwei Getreideſäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlſack vertritt54 die Stelle von Sattel und Schabracke. So ſitz ich da, einen Knittel als Peitſche in der Hand und einen Strohhut ſtatt des Helmes auf dem Kopf. Zu beiden Seiten meines Eſels marſchirt ein halbes Dutzend Bauern, mit Senſen, Pflugſchaaren und an - deren Attributen der Landwirthſchaft, und müht ſich, Schritt zu halten und einen Ernſt zu zeigen, wie er der Sache angemeſſen iſt. Dann folgt, auf der Höhe eines ſchwerbeladenen Heuwagens, die heroiſche Geſtalt des Seigneur von Natzmer, der Wagen ſelbſt von vier Ochſen und einer Stute gezogen. Ich bitte Sie, verehr - teſte Couſine, mich bei Anordnung dieſer Ceremonie unterſtützen zu wollen. Was mich angeht, ſo ziehe ich es vor, eine wirkliche Ur - ſache zu Hohn und Spott zu geben, als ohne allen Grund von einem frechen Volkshaufen ausgelacht zu werden. Ich treffe alle Vorbereitungen für dieſen meinen Einzug und warte nur noch Ihrer Ordre, um ſie ins Werk zu ſetzen.

Dieſer Brief, mit ſeinen Vorzügen und Schwächen, was iſt er anders, als ein kleiner humoriſtiſcher Verſuch, der der ſchönen Freundin in Tamſel überſandt wird, um bei nächſter Gelegenheit einiges Verbindliche, Schmeichelhafte darüber zu hören.

Noch einmal, die äſthetiſch-literariſchen Bedürfniſſe des Kron - prinzen ſchufen und unterhielten das Verhältniß, und wenn die Neigung des jungen Poeten, wie kein Zweifel iſt, zu Zeiten die Geſtalt einer leidenſchaftlichen Liebe annahm, ſo bleibt es doch mindeſtens ungewiß, ob dieſe Liebe eine glückliche, eine gegenſeitige war. Wenn wir darüber die Schlußſätze des letzten Briefes vom 20. Februar zu Rathe ziehen, ſo ſcheint es beinahe, daß Frau von Wreech (wie ſchon angedeutet) hinnahm, was ſie nicht ändern konnte, und daß ſie, namentlich nachdem die erſte poetiſche Be - wunderung vorüber war, des Kronprinzen Neigung mehr duldete, als erwiederte. Dieſe Schlußſätze des Prinzlichen Briefes lauten: So ſchicke ich Ihnen denn mein Bild. Ich hoffe, daß es wenig - ſtens dazu dienen wird, mich dann und wann in Ihre Erinne - rung zu bringen und Sie ſagen zu machen: er war au fond ein guter Junge (un assez bon garçon), aber er langweilte mich,55 denn er liebte mich zu ſehr und brachte mich oft zur Verzweiflung mit ſeiner unbequemen Liebe.

Dieſe Worte, die faſt wie ein Reſumé klingen, ſind mir als beſonders charakteriſtiſch erſchienen. Ende Februar verließ der Kron - prinz Küſtrin, um nicht mehr (es ſei denn auf ein paar Tage im März oder April) dahin zurückzukehren.

Die Jahre gingen; andere Zeiten kamen. Das Verhältniß, das einen Winter lang ſo viel Troſt und Freude im Geleite ge - habt hatte, ſchien todt, ſchien vergeſſen; erſt 26 Jahre ſpäter ſehen wir den Krónprinzen, nun König Friedrich, der mit ſeinem Ruhme die Welt erfüllt hat, noch einmal wieder in Tamſel, und noch einmal ſitzt er nieder, um an Frau von Wreech zu ſchreiben.

Aber wie anders ſieht ihn jetzt Tamſel an! Es iſt am 30. Auguſt 1758, fünf Tage nach der Schlacht bei Zorndorf. Das Schloß iſt von den Ruſſen ausgeplündert, alle Bewohner ſind geflohen, der zurückgebliebene Lehrer der Wreech’ſchen Kinder liegt erſchlagen im Park, Alles iſt wüſt, öde, halb verbrannt; mit Mühe wird ein Tiſch herbeigeſchafft, an dem es möglich iſt, zu ſchreiben. Der König, ſo oft lieblos geſcholten, gedenkt jetzt ent - ſchwundener Tage, alter Liebe, alter Pflicht, und Angeſichts der Zerſtörung, die ſein Herz an dieſem Orte doppelt ſchmerzlich trifft, ſchreibt er noch einmal an Frau von Wreech. Keine Verſe ſind eingeſchloſſen, aber ein Beſſeres hat er ſich in der Schule des Lebens erobert ein ächtes Gefühl. Der Brief ſelbſt aber lautet:

Madame! Ich habe mich nach der Schlacht vom 25. hier - her begeben und eine volle Zerſtörung an dieſem Orte vorgefun - den. Sie mögen verſichert ſein, daß ich alles nur Mögliche thun werde, um zu retten, was noch zu retten iſt. Meine Armee hat ſich genöthigt geſehen, hier in Tamſel zu fouragiren, und wenn freilich die verdrießliche Lage, in der ich mich befinde, es ganz unmöglich macht, für all den Schaden aufzukommen, den die Feinde (vor mir) hier angerichtet haben, ſo will ich wenigſtens nicht, daß von mir es heiße, ich hätte zum Ruin von Perſonen56 beigetragen, denen gegenüber ich die Pflicht, ſie glücklich zu ma - chen, in einem beſondern Grade empfinde. Ich halte es für mög - lich, daß es Ihnen ſelbſt, Madame, eben jetzt am Nothwendigſten gebricht, und dieſe Erwägung iſt es, die mich beſtimmt, auf der Stelle die Vergütigung alles deſſen anzuordnen, was unſere Fou - ragirungen Ihnen gekoſtet haben. Ich hoffe, daß Sie dieſe Aus - zeichnung als ein Zeichen jener Werthſchätzung entgegennehmen werden, in der ich verharre als Ihr wohlgewogener Freund Friedrich.

Frau von Wreech empfing dieſen Brief am ſelben Tage noch, woraus ſich ſchließen läßt, daß ſie auf einem der benachbarten Güter Zuflucht geſucht hatte, denn dem Briefe ſind von der Hand der Empfängerin die Worte hinzugefügt: Empfangen am 30. Au - guſt 1758, in demſelben Jahre, in dem ich Alles verlor, das ich mein nannte oder wie es im Originale heißt: L’année j’ai perdu tout ce que j’avais dans le monde pour vivre.

Dieſe Worte der Frau von Wreech ſind charakteriſtiſcher, als ſie auf den erſten Blick erſcheinen mögen. Der Brief des Königs hatte zweifellos den Zweck, ein Troſtbrief zu ſein; der Ausdruck ſeiner Theilnahme, ſeine Zuſage für alles das aufkommen zu wol - len, was die Verpflegung ſeiner Truppen gekoſtet hatte, alles das bezeugte genugſam, daß er tröſten, aufrichten wollte, aufrich - ten vor allem auch durch die Aufmerkſamkeit (er deutet es ſelber an), die allein ſchon in der Thatſache lag, daß er unter ſolchen Umſtänden ſchrieb. Frau von Wreech aber, unter dem Druck un - beſtreitbar ſchwerer Sorgen, ſcheint (unberührt faſt von dem In - halt jenes Briefes) nur dem einen niederdrückenden und bitteren Gedanken gelebt zu haben: Ich war reich und bin nun arm, ich konnte geben und helfen und bin nun ſelber hülfebedürftig.

Es würde gewagt ſein, aus der kurzen Notiz: das Jahr, in dem ich Alles verlor, was ich mein nannte, ſo weit gehende Schlüſſe auf die damalige Stimmung der Frau von Wreech ziehen zu wollen, wenn nicht die Correſpondenz, die ſich nun (alſo 26 Jahre nach jenem erſten Briefwechſel) zwiſchen Jugendfreund und57 Jugendfreundin entſpann, keinen Zweifel darüber ließe, welche Em - pfindungen damals beinah ausſchließlich das Herz der freilich ſchwer heimgeſuchten Frau erfüllten; und wenn die Jugendbriefe des Kronprinzen uns ungleich mehr mit der Empfängerin in Tam - ſel als mit dem Küſtriner Verfaſſer ſympathiſiren ließen, wendet ſich nun das Blatt und der König kommt zu ſeinem Recht.

Auch auf dieſe zweite Correſpondenz werfen wir noch einen flüchtigen Blick. Sie beſteht nur aus fünf Briefen und dieſe Blätter liegen neben der Jugendcorreſpondenz, wie die Briefe eines Ehemannes, der ſich mit Anſtand zurückgezogen hat, neben dem Brief-Päckchen das er als Bräutigam geſchrieben.

Aber dieſen fünf Proſabriefen gebührt diesmal dennoch der Vorzug. Von verſchiedenen Punkten aus datirt, wohin der Krieg den ſchwerbedrängten König gerade rief, von Dresden, Breslau, Leipzig aus, gereicht jeder einzelne dem Schreiber zu hoher Ehre. Aus ihrem Inhalt ergiebt ſich, daß Frau von Wreech nicht müde wurde, den König zuerſt um Unterſtützung für die verarmten Bau - ern der Wreechſchen Güter, dann um Darlehne für ſich ſelbſt zu bitten. Dieſe Geſuche waren ſicherlich dazu angethan, die Geduld des Königs zu erſchöpfen, der z. B. einen dieſer Briefe im De - cember 1760, alſo kurz nach dem ſchwer erkauften Siege von Torgau und jedenfalls zu einer Zeit empfing, wo die halbe Mo - narchie ziemlich eben ſo verwüſtet war, wie die Güter der Frau von Wreech; aber ſeine Antworten (nur zum Theil von ihm ſelbſt geſchrieben) verrathen nirgends Ungeduld, oder jene Schärfe und Herbe, durch die er ſo ſchwer verletzen konnte; und ſelbſt da, wo er auf das Beſtimmteſte ablehnt, lehnt er nur ab, weil er muß. Er ſchreibt eigenhändig von Breslau aus:

Madame, Sie ſtellen ſich die Dinge ſehr anders vor, als ſie ſind. Bedenken Sie, daß ich ſeit einem Jahre weder Gehalte noch Penſionen zahle; bedenken Sie, daß mir Provinzen fehlen, daß andere verwüſtet ſind; denken Sie an die enormen Anſtren - gungen, die ich machen muß, und Sie werden einſehen, daß meine Ablehnung nur in der völligen Unfähigkeit ihren Grund hat, Ih -58 nen zu helfen; ſobald die Dinge ſich ändern, ſoll geſchehen, was möglich iſt.

Ja, er geht ſchließlich weiter und bewilligt wirklich eine Summe zu einem Betrage, der nicht genannt wird, deſſen Unzu - reichendheit aber ſich muthmaßen läßt, denn die Anfangsworte des Begleitſchreibens lauten: Es thut mir aufrichtig leid, Madame, weder ſo viel thun zu können, wie ich möchte, noch ſo viel, wie Sie wünſchen. Aber ich habe Ordre gegeben ꝛc.

Dies ſind die letzten Zeilen, die Friedrich nach Tamſel hin richtete; ſie zeigen, wie dieſe letzten Briefe überhaupt, daß er bis zuletzt und unter den preſſendſten Verhältniſſen, nie vergaß, was er dieſem Hauſe und dieſer Frau an Dankbarkeit ſchuldete. Er hätte ſonſt einen ganz andern Ton angeſchlagen. Frau von Wreech indeß ſcheint anders empfunden und die Vorſtellung unterhalten zu haben, daß des Königs Benehmen hart überhaupt und ſpeciell hart gegen ſie, die Genoſſin, die Freundin ſeiner Jugend geweſen ſei.

Der Friede kam, das verwüſtete Tamſel blühte wieder auf, der alte Feldmarſchall mit ſeinen rothen Gamaſchen hing wieder an der boiſirten Wand und der Park, ſchöner werdend von Jahr zu Jahr, füllte ſich mit Marmorſtatuen. Dem Ruhme des Prin - zen Heinrich, des Bruders des Königs, wurden Tafeln und Obe - lisken errichtet, jedem Hohenzoller fiel eine Huldigung zu, nur dem Größten nicht; kein Stein, keine Tafel trug den Namen König Friedrichs. Hier, wo er glücklich geweſen war und vielleicht auch, wenigſtens vorübergehend, glücklich gemacht hatte, ſollte ſein Name vergeſſen ſein. Eingeſchloſſen in die zwei Feldmarken von Küſtrin und Zorndorf, ſollte Tamſel dennoch den Namen nicht nennen, der, von allen Seiten her, hoch über Schloß und Park, wie ein Hymnus zuſammenklang.

Aber die Zeiten üben Gerechtigkeit. Im Sommer 1795 wurde der jüngſte Sohn der ſchönen Frau von Wreech, der letzte ſeines59 Namens und Stammes, in die Kirchengruft hinabgeſenkt, und an - dere Bewohner zogen in Schloß Tamſel ein, die lächeln mochten über den Unmuth, der, begründet oder nicht, ſich unterfangen hatte, den Namen des großen Königs von dieſer Stelle ausſchlie - ßen zu wollen.

Am 31. Mai 1840, am hundertjährigen Jahrestage der Thronbeſteigung Friedrichs des Großen, fiel die Hülle von dem Monument, das Graf Hermann Schwerin, der Vater des gegen - wärtigen Beſitzers von Tamſel, dem Andenken des Königs hatte errichten laſſen. Es iſt ein Denkſtein von 30 Fuß Höhe; auf der Spitze deſſelben erhebt ſich eine vergoldete Victoria, während der Sockel die Inſchrift trägt: Es iſt ein köſtlich Ding einem Manne, daß er das Joch in ſeiner Jugend trage.

Unter Betheiligung vieler Tauſende aus Dorf und Stadt wurde die Enthüllungsfeier begangen. Ein alter Bauer, als er die Hüllen fallen ſah, rief ſeinem Nachbar zu: Ick dacht, et ſüll de olle Fritz ſinn, un nu is et man ſine Fru.

Der alte Bauer hatte Wahrheit und Weisheit geſprochen waren doch Victoria und Friedrich zu treuem Bunde vereint ge - weſen. Die Hohenzollern aber, mögen ſie nie aufhören, in gleicher Art dem Siege vermählt zu ſein.

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Zorndorf.

Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren Dürſtete Friedrichs Blut.
(Chriſtian Fr. Daniel Schubart. )
Mit Vergunſt,
Der Will iſt eins, ein andres iſt die Kunſt.

Eine halbe Meile nördlich von Tamſel liegt Zorndorf. Der Weg führt zunächſt durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier, unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer anſteigend, nach Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die Fahrt, die ſehr maleriſch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz verliert ſehr bald dieſen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende Zorndorf wieder die ziemlich reizloſe Oede unterbricht.

Zorndorf iſt hübſch und wohlhabend, wie faſt alle Dörfer, wo Schlachten geſchlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt, daß die während des Kampfes zerſtörten Dörfer beſſer und freundlicher wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große Kirchhöfe, einen reicheren Acker ſchaffen, wer mag es ſagen? Wahr - ſcheinlich wirkt beides zuſammen. Vielleicht aber kommt noch ein Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern ſchafft nicht nur einfach ein neues Dorf, es ſchafft auch, in nöthig gewordener An - ſpannung aller Kräfte, ein rührigeres Geſchlecht; und Fleiß und Energie, einmal wach gerufen, vererben ſich nunmehr wie ein Se - gen von Vater auf Sohn.

61

Unſer Wagen hielt vor dem Krug. Mein Führer und Reiſe - gefährte, der halb heimiſch in Zorndorf war, rief nach dem Krü - ger. Aus einem kleinen dürftigen Laden trat eine Hünengeſtalt heraus, grüßte und ſtellte ſich halb dienſtlich neben den Wagentritt. Seine rieſige Geſtalt und die kleine Ladenthür paßten wenig zu - ſammen; ein ähnlich komiſches Verhältniß beſtand zwiſchen ſeiner Geſtalt und ſeinem Namen.

Guten Tag, Herr Nonnenprediger, begann die Unterhal - tung. Der Angeredete erwiederte ruhig den Gruß, ohne eine Miene zu verziehen.

Herr Nonnenprediger , ſo fuhr mein Reiſegefährte heiter fort, einer von den Bauern hier ſammelt ja wohl alles, was auf dem Schlachtfelde gefunden wird. Verlohnt es ſich, bei ihm vor - zufahren?

Nonnenpredigers Mund verzog ſich zu einem leiſen Grinſen, das deutlich errathen ließ, wie der Angeredete über vaterländiſche Alterthümer dachte.

Können Sie uns nicht ohngefähr ſagen, was der Bauer alles hat?

Kanonenkugeln, Gewehrläufe, Schäfte, Flintenſteine.

Nicht den Lehnſtuhl, drauf Friedrich der Große die Nacht vorher geſchlafen hat?

Nein, der ſteht in der Neu-Damm’ſchen Mühle.

Sonſt nichts?

Nicht daß ich wüßte.

Dank ſchön. Guten Abend, Herr Nonnenprediger. Fahr zu!

So ging es weiter, an der hübſchen neuen Kirche vorbei (die in einem runden Thurmfenſter die Inſchrift trägt: Zur Er - innerung an den 25. Auguſt 1758 ) über den Dorfdamm fort, hinaus in’s Freie.

Unmittelbar hinter Zorndorf, in der Richtung nach Norden hin, beginnt das Schlachtfeld. Es iſt ein Viereck, ziemlich genau eine Quadratmeile groß, nach Weſten hin von der Drewitzer Heide, im Norden von der Mietzel, im Oſten vom Ziecher Bach und im62 Süden von einem kleinen Höhenzuge begrenzt, an dem die Dörfer Wilkersdorf und Zorndorf liegen. Auf dieſem Stück Erde wurde das Drama aufgeführt. Der Boden iſt wellenförmig, aber die Ein - ſchnitte ziehen nicht horizontal von Weſt nach Oſt, ſondern ſenk - recht von Nord nach Süd, ſo daß das ganze Terrain mit ſeinen Höhen und Tiefen einer Tiſchplatte gleicht, auf der (von oben nach unten zu) eine Hand mit geſpreizten Fingern liegt. Dorf Quart - ſchen (der damalige Mittelpunkt der ruſſiſchen Stellung) entſpricht dem Handgelenk, oder dem Knotenpunkt, wo alle Linien des Fel - des, Höhen und Tiefen, zuſammentreffen. Das Ganze alſo, von Nord nach Süden zu, iſt ein fächerförmiges Hügelterrain.

Auf einem dieſer Hügelrücken, der, länglich und kaum tauſend Schritte breit, zwiſchen zwei Vertiefungen, dem Zaber - und dem Galgengrund ſich hinzieht, wurde die Schlacht entſchieden; richtiger vielleicht, von hier aus wurde ſie entſchieden. Von Zorndorf her den Zabergrund hinaufrückend, begleitete Seydlitz, am äußerſten linken Flügel der preußiſchen Aufſtellung, den Auf - und Vormarſch der Angriffskolonnen. Selber ungeſehen, ſah er ſeinerſeits alles. Auf die Aufforderung des Königs, anzugreifen, bei Gefahr ſeines Kopfes, gab er die bekannte Antwort. *) Nach der Schlacht ſteht dem Könige mein Kopf zu Befehl, wäh - rend derſelben mag er mir noch erlauben, davon in ſeinem Dienſte Ge - brauch zu machen. Der Zeitpunkt war noch nicht da. Im Moment aber, als die bereits ſiegreichen Ruſſen ihre Reiterei vorſchickten, um in die fliehenden preußiſchen Bataillone einzuhauen, ſchwenkte Seydlitz plötzlich rechts, paſſirte den Bach und ſtieg aus dem Grund (der ihn bis dahin verborgen hatte) herauf. Wie Sturm über das Plateau zwiſchen dem Zaber - und Galgengrund hinfegend, führte er nun jene weltberühmte Attake aus, die mit der Nieder - werfung des zunächſt ſtehenden ruſſiſchen Flügels endigte, und ſechs Stunden ſpäter gegen den andern Flügel wiederholt, den Tag zu Gunſten des Königs entſchied.

Seydlitz, auch dieſen Sieg verdank ich Ihm. Nicht63 mir, Majeſtät; hier dieſem Löwen (Rittmeiſter von Wakenitz). Es war überhaupt, wie ein Tag glänzenden Sieges, ſo auch glänzen - der Impromptus und Repliken. Keine Schlacht iſt verloren, ſo lange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat ꝛc.

Die Chauſſee von Zorndorf nach Quartſchen läuft auf der Höhe des flachen Hügelrückens zwiſchen dem Zaber - und Galgen - grunde hin und durchſchneidet genau (in einer Längslinie) denjeni - gen Theil des Schlachtfeldes, auf dem die entſcheidenden Würfel fielen.

Wir machen den Weg bei Sonnenuntergang. Der goldene Ball der Sonne hängt glänzend über den Dächern von Quart - ſchen; die Luft iſt ſtill, nur hoch im Blauen ſingt es und klingt es. So geht es zwiſchen dem wogenden Korn dahin.

Etwa tauſend Schritt hinter Zorndorf paſſiren wir einen altmodiſchen Bauernhof mit Plankenzaun und Strohdoch; wieder fünfhundert Schritt weiter fällt uns, rechts am Wege und mitten auf dem Felde ſtehend, ein auf verſchiedenen Stufen errichtetes Steinmonument auf, das in Form eines Oblongs das Kornfeld überragt. Dieß iſt das Denkmal zur Erinnerung an die Zorndor - fer Schlacht, am 25. Auguſt 1826 von Männern des Kreiſes errichtet und an derſelben Stelle aufgeführt, wo, alter Ueberliefe - rung zufolge, der König hielt und den Gang der Schlacht ordnete und überblickte. Dieſem Punkt gilt unſer Beſuch.

Wir laſſen halten und ſuchen nach einem Feldweg, einem Pfad, der uns vorausſichtlich an das Monument führen wird. Aber nichts derart iſt zu finden. Beſucher, die hieher kommen, um das Schlachtfeld von Zorndorf zu überblicken, ſind ſo ſelten, daß es nicht nöthig iſt, einen Feldweg nach dem Denkmal hin offen zu halten. Lauter Ackerland; wie es im Chamiſſoſchen Liede heißt: Der Pflug geht drüber hin. Nach langem Suchen endlich ent - decken wir eine Ackerfurche, die uns in gerader Linie, aber von den ſchräg liegenden Halmen völlig verdeckt, dem Monumente zu - führt. Wir ſtehen nun vor einem Sand - und Lehmhügel, von der Form und Größe eines Backofens, auf dem ſich der Denkſtein64 erhebt. Der Aufgang iſt ſteil wie eine Wand und man kann deutlich erkennen, daß die anfangs ſich allmählig abflachenden Wände, von dem Bauer, dem jetzt das Feld gehört, ab - und nie - dergepflügt wurden, um dadurch ein paar Quadratruthen mehr Ackerland zu gewinnen. Bauern-Egoismus iſt ſicherlich das einzig leitende Motiv dabei geweſen, aber der Egoismus iſt hier zum Segen ausgeſchlagen und der Hügel mit ſeinen nun ſteil abfallen - den Wänden, hie und da von Liguſter und Diſtelbüſchen über - wachſen, nimmt ſich ganz trefflich aus, als Poſtament für den auf ſeiner Höhe errichteten Denkſtein. Dieſer Denkſtein iſt einfachſter Art. Er beſteht aus drei Granitſtufen, auf deren oberſter ſich ein Oblong, ebenfalls aus Granit, erhebt; das Ganze ein etwa manns - hoher, höchſt ſchlichter Steinbau, der früher an ſeiner Nordſeite eine Inſchrift trug. Man liest noch jetzt: Hier ſtand Friedrich .... M. D.C.C.L.VIII. Alles andere iſt verlöſcht.

Das Monument iſt ſchlicht genug; aber der Blick über das Schlachtfeld, nach dem alten Comthurei-Dorfe Quartſchen hin, das jetzt grau und ſchattenhaft vor der dahinter gelagerten Abendröthe liegt, iſt entzückend. Der Abend ſchickt einen Luftzug durch die Halme; ein leiſes Rauſchen und Kniſtern; die Lerchen ſind eben ſtill geworden; aber von rechts und links her rufen jetzt die Unken über das Feld hin. Die hauſen noch im Zaber - und Galgengrund, freilich nicht mehr ſo im Vollen wie ſonſt. Die beiden Gründe oder Erdklinſen haben längſt aufgehört eigentliche Waſſerrinnen zu ſein, Cultur hat ſie trocken gelegt, aber hie und da, wo nach wie vor ein Reſtchen Sumpfwaſſer in der Vertiefung ſteht, halten ſich noch die alten Bewohner.

Die Sonne iſt unter; aber noch iſt es hell genug, um das ganze Terrain von dieſer Stelle aus klar zu überblicken, und als ob das Ueberſichtliche des Feldes, das Plaſtiſche der Lokalität, dem Heraufſteigen des ganzen Schlachtenbildes von ehemals zu Hülfe käme, ſo fängt das in Dämmer daliegende Feld an, ſich mit ruſſiſchen Carrés zu beleben. Aber ſie ſtehen nicht lange: von links her, aus der ſchattigen Tiefe des Zabergrundes herauf, ſteigen65 Seydlitz und die Gardes du Corps. Rittmeiſter von Wakenitz, mit gezücktem Pallaſch allen andern vorauf, fliegt über die Ebene hin. Da klappert (ſehr zur Unzeit) ein Wagen aus Quartſchen die Chauſſee entlang; er fährt mitten durch die blanken Schwadronen hindurch, und Viſion und Waffenglanz ſind hin.

Noch einmal, ein ſchlichtes Monument iſt es, das an dieſer Stelle das Gedächtniß an den Tag von Zorndorf zu wahren unternimmt, aber es iſt gut, daß es ſchlicht iſt; prächtige Monu - mente gehören in die Stadt, in das Bereich der Kunſt. In Wald und Feld gehören Denkmäler (mit einzelnen Ausnahmen), deren Schlichtheit ſie in den Hausrath der Natur wie einzureihen ſcheint. Verſchmelzung, Uebergang, nicht Gegenſatz. Würfel und Obelisk werden auf Schlachtfeldern noch lange das beſte bleiben.

Mein Reiſegefährte, zu dem ich Aehnliches geſprochen haben mochte, legte bei dieſen Worten ſeine Hand auf meine Schulter und ſagte dann lächelnd: Dieſer Stein weiß davon zu erzählen. Wir haben hier dergleichen erlebt. In das Leben dieſes Steins ſchleicht ſich nämlich eine Epiſode höherer Kunſtexiſtenz ein; aber es war kein glückliches Daſein.

Auf meine Bitte um Aufſchluß, fuhr der Sprecher fort: Gern, nichts ſoll Ihnen vorenthalten bleiben. Aber ändern wir zuvor unſere Front und nehmen wir hier auf den Stufen der Rückſeite Platz, damit wir nach Bauer Mertens und ſeinem Gehöft hinüber ſehen können. Das Gehöft und ſeine Inſaſſen ſpielen mit.

Ich that, wie geboten. Sie kommen von Tamſel , nahm der Erzähler das Wort, und haben im dortigen Park ſicherlich das Monument geſehen, das auf ſeiner Spitze die Rauchſche Vic - toria trägt. Das Monument hat Graf Hermann Schwerin errichtet (der Vater des gegenwärtigen Beſitzers), ein ſehr liebenswürdiger und kunſtſinniger Herr. Sie werden gleich ſehen, warum ich mit ihm beginne.

Es war etwa 1846 oder 1847, als ein befreundeter Herr566beim Grafen in Tamſel erſchien und ihm von einem Küſtriner Klempner erzählte, der in, ich fürchte, mißverſtandenem patriotiſchem Eifer auf die Idee gekommen war, den alten Fritz in Weißblech zu treiben. Er hatte jahrelang ſeine Feierabendſtunden daran geſetzt; nun ſtand der alte Fritz endlich da, ſieben Fuß hoch und blank wie ein Zinnlöffel; aber niemand wollte ihn haben. Der Graf, der nicht nur ein kunſtſinniger, ſondern, wie ſchon angedeutet, vor allem auch ein ſehr humaner Mann war, überlegte ſich’s einen Augenblick, acceptirte dann das angebotene Kunſtwerk, zahlte einen guten Preis und traf ſeine Dispoſitionen.

Ein paar Tage ſpäter traf die getriebene Arbeit in Tamſel ein. Tamſel indeß war nicht Beſtimmungsort; der Graf hatte ſchon anderweitig darüber verfügt, freilich mit einer gewiſſen Be - ſorgniß, man könnte ſagen mit Vorahnung.

Es war Anfang November, als, bald nach Mitternacht, ein Leiterwagen vor dem Tamsler Schloß hielt. Die Statue wurde raſch aufgeladen, und ehe zehn Minuten um waren, ſetzte ſich der Zug unter Begleitung von einem Maurerpolier und drei Geſellen anderer Dienſtleute zu geſchweigen in Bewegung. Es ging ſtill durch Schlucht und Wald, noch ſtiller durch Zorndorf hindurch, an Mertens Gehöft vorbei, bis der Wagen hier zu Füßen des Hügels hielt. Raſch, ängſtlich, mit faſt geſpenſtiſcher Stille, wurde der blecherne Fritz auf den Granitwürfel geſtellt. Sie können noch ſehen, wo der Mörtel geſeſſen hat. Dann, in ſtiller Nacht, wie der Zug gekommen war, verſchwand er auch wieder.

Am andern Morgen trat Mertens älteſter Sohn in die Hausthür, um nach dem Wetter zu ſehen. Er ſah auch zufällig nach dem Monument hinüber und bemerkte, daß eine menſchliche Figur regungslos auf dem Steinwürfel ſtand. Er ſchüttelte den Kopf, dachte aber nichts Arges. Nach einer Stunde er hatte inzwiſchen die Pferde gefüttert trat er wieder vor’s Haus, ſah wieder hierher und brummte vor ſich hin: He ſteiht immer noch! 67Er wartete, es wurde nicht anders. Nun wurde ihm die Sache bedenklich. Er weckte den Alten; der Alte kam und alles Haus - geſinde mit ihm. Aber es blieb, wie es war. De ſnackſche Kerel ſteiht ümmer noch , wiederholte der Sohn. Und in der That, im Nebel des Novembermorgens, grau, geſpenſtiſch, räthſelvoll, ſtand eine Figur auf dem Schlachtenſtein. Welche Hypotheſen in jener Stunde durch die verſchiedenen Köpfe der Familie Mertens gegan - gen ſein mögen, iſt ſchwer zu ſagen. Endlich, wie ſich von ſelbſt verſteht, löste ſich der Spuk.

Die Mertensſchen waren nun zufrieden, auch die Zorndorfer und die Quartſchener vielleicht; aber Graf Schwerin, der dieſe Umwandlung geſchaffen hatte, war es keineswegs. Sein künſtleri - ſches Gewiſſen ſchlug ihm, und wenn Anfangs das gute Herz über die äſthetiſchen Inſtinkte geſiegt hatte, ſo rächten ſich dieſe jetzt und drangen ihrerſeits auf Abhülfe. Der Graf, der zeitlebens nur Gutes gethan hatte, ging an dem alten Fritz vorbei, wie an einer Schuld, welche Sühne verlangt.

Er fand ſie endlich auf die einfachſte Weiſe. Nachdem der alte Fritz einen Winter lang den Stürmen getrotzt und alles Blanke ſeiner Erſcheinung längſt eingebüßt hatte, erſchienen die Vermummten wieder, und nächtlicherweile, wie die Statue gekom - men, ſo verſchwand ſie wieder. Es war eine kurze Exiſtenz. Wie Leidtragende folgten der Maurerpolier und die Seinen, als man die Figur nach Tamſel zurück geleitete. Sie wurde dort im Koh - lenkeller deponirt und iſt dort verſchollen. Ich bleibe dabei: das einfachſte Monument das beſte, wenigſtens auf einem Schlachtfeld.

Während der Erzählung war es dunkler geworden, und war es nun die Kühle des Abends, oder die Stelle, auf der wir ſtan - den, ein leiſes Fröſteln lief über uns hin. Dann ſprangen wir, über die Liguſterwand weg, vom Hügel aus mitten in’s Kornfeld hinein, und Arm und Bruſt vorſchiebend, ſchwammen wir durch das Kornfeld durch. Wir hörten nichts als das Kniſtern der5*68Halme, ſelbſt im Zabergrund war es ſtill geworden und unſere Rede floß erſt wieder von der Lippe, als unſer Wagen über die Landſtraße hinrollte und in das Pruſten der Pferde hinein Bauer Mertens uns ſeinen guten Abend bot. Sein guter Abend klang treuherzig genug und keine Ahnung ſchien ihn beſchlichen zu haben, daß er oder ſein Älteſter ſo eben der Held einer Geſchichte geweſen war.

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Der Blumenthal.

Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich deſſelbigen Weges fahren.
(Cidher der ewig junge.)

Der Blumenthal (d. h. der Blumenthal-Wald) iſt der Name eines großen Forſtreviers, das den öſtlichen Theil des Barnim von Weſten nach Oſten hin durchzieht und durch die Straße, die von Berlin nach Wriezen führt, faſt ſeiner ganzen Länge nach durchſchnitten wird.

Der Blumenthal iſt ſchön und ſagenreich. Etwas von dem Zauber Vinetas iſt um ihn her und die Sage von untergegangenen Städten, verſchwunden in Waſſer oder Wald, begleitet den Reiſen - den auf Schritt und Tritt. Wer um die Mittagsſtunde hier vor - überzieht, der hört an See und Schlucht ein Klingen und Läuten aus der Tiefe herauf; und wer gar Nachts des Weges kommt, wenn der Mond im erſten Viertel ſteht, der hat über Stille und Einſamkeit nicht zu klagen, denn ſeltſame Stimmen, Rufen und Lachen, ziehen neben ihm her.

Und ein ſchöner Wald iſt der Blumenthal. Die vielen Seen, die ihn durchſchneiden, auch wo ſie nicht ſichtbar werden, geben ſeinem Laub und ſeiner Luft eine duftige Friſche, und ein Blühen iſt ringsum, als woll es der Wald immer wieder beweiſen: ich bin der Blumenthal!

Rapsfelder an den offenen Stellen, die ſich breit in den Wald70 hineindehnen, würzen im Mai die Luft; dem Blühdorn folgt die Hageroſe und dem Faulbaum der Akazienſtrauch; die rothen Erd - beeren löſen ſich ab mit den rötheren Malinekens (wie der Land - mann, poetiſchen Klanges, hier die Himbeeren nennt) und wenn endlich der Herbſt kommt, ſo lachen die Ebreſchen-Beeren überall aus dem dunklen Laube hervor. Dabei ein Reichthum an Hölzern, wie ihn Märkiſche Forſten wohl kaum zum zweiten Male zeigen. In reichſtem Gemiſch ſtehen alle Arten von Laub - und Nadelholz; Eiche und Edeltanne, Elſe und Kiefer, Buche und Lärchenbaum machen ſich den Rang der Schönheit ſtreitig; vor allem aber iſt es die Birke, der Liebling des Waldes, die mit weißem Kleid und langem Haar vorüber fliegt und das Auge des Reiſenden immer wieder entzückt.

Der Blumenthal iſt faſt 2 Meilen lang und ziemlich eben ſo breit. Hier und dort aber, wie ſchon angedeutet, unterbrechen weite Ackerſtrecken das Waldrevier und dringen, von rechts und links her, bis zur Chauſſee hin vor. Ungefähr in der Mitte des Waldes treffen von Nord und Süd zwei ſolcher Einſchnitte beinahe zuſammen und theilen dadurch den Forſt in zwei ziemlich gleiche Hälften, in eine weſtliche und eine öſtliche, oder in eine Wer - neuchenſche und eine Prötzelſche Hälfte. Die erſte iſt die landſchaft - lich ſchönere, die andere die hiſtoriſch intereſſantere.

Der ſchönſte Punkt der weſtlichen Hälfte iſt der Gamen - Grund, genau eine Meile öſtlich von Werneuchen gelegen. Dies war die Waldesſtelle, wo Schmidt von Werneuchen, Jahr aus Jahr ein, die Sommer - und Familienfeſte zu feiern liebte. Sein feiner Naturſinn bekundete ſich auch in der Wahl dieſer Stelle. Sie iſt von aparter Schönheit, und während ſonſt der Bau einer Chauſſee wenig zum Reiz einer Landſchaft beizuſteuern pflegt, liegt hier ein Fall vor, wo das Landſchaftsbild durch die durchſchnei - dende Weglinie entſchieden gewonnen hat. *)Das glänzendſte Beiſpiel hierlandes, wie ſolche ſchnurgerade, durch die Landſchaft gezogene Linie die Schönheit des Bildes weſentlich erhöhenDer Chauſſeebau71 machte nämlich, wenn überhaupt eine paſſirbare und möglichſt gerade Straße geſchaffen werden ſollte, die Ueberbrückung des Gamen-Grundes nöthig, und da die Herſtellung eines Dammes als paſſendſtes Mittel dafür erſchien, ſo wurde eine Art Viaduct quer durch die Schlucht geführt, der nun das Hüben und Drüben des Hügellandes verbindet. Von der Höhe dieſes Viaducts aus blickt man nun nach links hin in die Waſſertiefe des Gamen - Sees, nach rechts hin in die Waldestiefe des Gamen-Grundes hinab. Der Vorüberfahrende fühlt ſich wie an dieſe Stelle gebannt, und der Eiligſte hat es nicht eilig genug, um nicht ein paar Minuten an dieſer Stelle zu verweilen. Beide Bilder ſind ſchön, auch einzeln betrachtet; aber wie überall da, wo zwei Landſchafts - bilder neben einander hängen, das eine die Wirkung des andern unterſtützt und beide erſt, wie Abend und Morgen, eine höhere Einheit herſtellen, ſo ſchöpft auch hier jedes einzelne der beiden Bilder einen geſteigerten Reiz aus der Nachbarſchaft des andern. Nach links hin Klarheit und Schweigen. Der Gamen-See, wie ein Flußarm, windet ſich in leis geſpanntem Bogen zwiſchen den Tannenhügeln hin und nichts unterbricht die Stille, als ein plät - ſchernder Fiſch, den die Nachmittagsſonne an die Oberfläche treibt. Nach rechts hin Dunkel und Leben. Aus dem Grunde herauf, bis an die Höhe des Dammes (beinahe greifbar für unſere Hände) ſteigen die älteſten Eichen des Waldes, und während ſich die Stämme in Schatten und Waldesnacht verlieren, blitzt die Sonne über die grünen Kronen hin. Allerhand Schmetterlinge ſteigen auf und nieder und die Vögel ſingen in einer Herzlichkeit, als wäre dies das Thal des Lebens und als wäre nie ein Falk oder Weih über den Gamen-Grund hingezogen. In der Ferne Kukukruf und ein blauer Himmel über dem Ganzen, heiß und feſt wie eine Glocke.

Die Weſthälfte des Blumenthals iſt der landſchaftlich*)kann, iſt die Glienicker Brücke, die ſich unterhalb des Babelsberges über die Havel zieht. Der Blick von Babelsberg erhält erſt dadurch ſeinen vollen Reiz.72 ſchönere Theil des Waldes; aber die Oſthälfte iſt reicher an Sage und Geſchichte. Wir wandern dieſer anderen Hälfte zu. Eine Meile öſtlich vom Gamen-Grund, den ich eben zu ſchildern verſucht, liegt ein Vorwerk, hart an der rechten Seite des Weges. Der Wald hat uns bis dicht an die Stall - und Wirthſchaftsgebäude deſſelben begleitet und jenſeit deſſelben, wo das Vorwerk aufhört, fängt der Wald wieder an. Das Ganze erſcheint faſt nur wie ein Steinthor mitten im Walde, wie eine Auffahrt in die Hügellandſchaft hinein, die ſich, halb Wieſe, halb Ackerland, unmittelbar hinter dem Vor - werk auszudehnen ſcheint. Dies iſt die Stelle, die wir ſuchen. Die Paſſage dieſes Hofes wird auf Anſuchen freundlich geſtattet und hinaustretend in die halb bebauten, halb brachliegenden Felder (die ſich nicht nur im Rücken des Vorwerks, ſondern auch hin - ter dem Waldſaume entlang ziehen), halten wir uns jetzt links und marſchiren etwa 500 Schritt am Rande des Waldes entlang. Wo wir eines Waſſerpfuhls, die Suhle genannt, anſichtig wer - den, machen wir Halt und ſtehen nun vor einem mit Steinmaſſen überdeckten Terrain. Dies Steinfeld iſt die ſogenannte Stadt - ſtelle.

Hier ſtand vor 500 Jahren die Stadt oder das Städtchen Blumenthal, das ſeitdem dem ganzen Walde den Namen gege - ben hat. Verfolgen wir nunmehr die Schickſale dieſer Stadt durch die Jahrhunderte hindurch.

Die älteſte Nachricht über Stadt Blumenthal, die wir haben, reicht bis auf 1375 zurück. Das Landbuch der Mark Brandenburg (bekanntlich in genanntem Jahre entworfen) führt Blumendal noch unter den Ortſchaften des Landes Barnim auf; der Umſtand aber, daß nur das Areal des Städtchens ange - geben, aber weder von Abgaben noch Hofedienſten geſprochen wird, ſpricht dafür, daß die Feldmark bereits wüſt und werthlos zu wer - den begann. Die Trefflichkeit der Aecker, ſo wie die Bedeutung, die Blumendal bis dahin gehabt hatte, machen es zwar wahrſcheinlich, daß im Laufe der nächſten Zeit verſchiedene Verſuche gemacht wur - den, die wüſt gewordenen Höfe neu zu beſetzen und die Aecker neu73 zu bebauen, aber dieſe Abſichten ſcheiterten an der Ungunſt der Zeiten. 1348 war das große Sterben; 50 Jahre ſpäter, als neue Coloniſten muthmaßlich eben anfingen dem todten Orte ein neues Leben zu geben, fielen die Pommern ins Land und wieder 30 Jahre ſpäter ging der Huſſitenzug (der bei Bernau ſein Ende fand) mit Mord und Brand über den Blumenthal hin. In 80 Jahren die Peſt, die Pommern und die Huſſiten, das war zu viel für das Leben von Blumendal. Ein Fluch ſchien über den Ort ausgeſprochen zu ſein. Er war nun wirklich todt, die Wieder - belebungsverſuche blieben aus und das Mauerwerk zerfiel. Der Wald mit Eichen und Schlingkraut zog in die offenen Thore ein und die Mallinekens rankten und blühten über Steintrog und Brunnen hinweg. Die Sage fing an ihre Kreiſe um dieſen Stein - platz zu ziehen und ehe ein Jahrhundert um war, war es ein unheimlicher Ort, eine verwunſchene Stelle. Jeder mied ſie. Wie es Seen und Seeſtellen giebt, wo die Fiſcher nicht fiſchen, weil ſie fürchten, daß eine Hand aus der Tiefe fahren und ſie hernieder zerren wird, ſo berührte kein Jäger die Stelle, wo die alte Stadt geſtanden hatte. Rundum tobte die Jagd, die Kurfürſten ſelbſt jagten hier mit Hund und Horn ; aber vorüber an der Stadtſtelle zog der Zug. Und waren Kinder beim Himbeerſuchen unerwartet unter das alte Mauerwerk gerathen, ſo befiel ſie’s plötzlich wie bittere Todesangſt und ſie flohen blindlings, durch Geſtrüpp und Dorn, bis ſie zitternd und athemlos die Ihrigen erreichten. Was gab es da nicht alles zu erzählen! So wuchs die Sage und zog immer feſtere Kreiſe um die Stadt im Wald. Immer gefürchteter wurde der Platz. Selbſt das Wild ſchien die Stelle zu meiden und nur Bache und Keiler hatten ihre Tummelplätze hier. An den tiefer gelegenen Stellen der alten Stadt , wo aus moderndem Eichenlaub und ſickerndem Quellwaſſer ſich Sumpfland - ſtücke gebildet hatten, kamen die Wildſchweinsheerden aus dem ganzen Blumenthal zuſammen und wenn ſie dann in Mond - ſcheinnächten ihre Feſte feierten, klang ihr unheimliches Getös bis weit in den Wald hinein und mehrte die Schauer des Orts.

74

So vergingen Jahrhunderte. Die Eichen wurden immer höher, das Geſtrüpp immer dichter, die alte Stadt ſchien verſchwunden. Nur um die Winterzeit, wenn Alles kahl ſtand, wurden die Reſte alten Mauerwerkes ſichtbar. Aber wer war, der ihrer geachtet hätte? Es waren die Zeiten des 30jährigen Krieges und der Jahre, die folgten; ſo viele Dorf - und Stadtſtellen lagen wüſt, ſo viel neue Herde waren zerſtört; wer hätte Luſt und Zeit gehabt, ſich um alte, halbvergeſſene Zerſtörung zu kümmern?

So kam das Jahr 1689 und mit dieſem Jahre tritt die alte Stadt, die bis 1375 ein Stück wirklicher Geſchichte gehabt hatte und dann erſt ſagenhaft geworden war, aufs Neue in die Geſchichte ein. 1689 beſuchte Bürgermeiſter Grüvel aus Kremmen die Stadtſtelle und fand noch Feldſteinmauern, die den Boden in Mannshöhe überragten. Von da ab folgten weitere Beſuche in immer kürzeren Zwiſchenräumen: Beckmann um 1750, Bernouilli um 1777; beide fanden Mauerreſte und hielten ſie für die Ueber - bleibſel einer alten Stadt. Noch andere Reiſende kamen; aber ausführlichere Mittheilungen gelangten erſt wieder zur Kenntniß des Publicums, als im Jahre 1843 der Geiſtliche des benachbar - ten Dorfes Prötzel, einen auf genaue Forſchung gegründeten Bericht veröffentlichte. In dieſem heißt es: Die merkwürdige Stadtſtelle Blumenthal iſt unſtreitig*)Dies unſtreitig bezieht ſich auf die Klödenſchen Auslaſſungen über die Stadtſtelle , die es beſtreiten, daß hier eine Stadt geſtanden habe. Er nimmt an, daß es eine heidniſche Begräbnißſtätte gewe - ſen ſei und findet in den Steinreihen nichts als eine Art Feldſtein-Um - zäunung oder Einfriedigung dieſer Stätte. Er irrt darin ganz unbedingt. Hätte er die Stelle geſehen, wie ſie jetzt daliegt, ſo hätte er ſich auf den flüchtigſten Blick von ſeinem Irrthum überzeugen müſſen. in alten Zeiten ein menſchlicher Wohnort geweſen. Man ſieht noch jetzt Spuren von Feldſtein - mauern. Vor einigen Jahren ſind von den Waldarbeitern mehrere Werkzeuge, Hämmer, Sporen u. dergl. gefunden worden, die, den Kindern dann zum Spielen gegeben, leider wieder verloren gingen. Kalk wird noch jetzt dort gefunden. Die Stadt ſoll von den Huſ -75 ſiten auf ihrem Zuge nach Bernau zerſtört worden ſein. Einige meinen, daß die Zerſtörung älter ſei. Der große platte Stein inner - halb der Stadtſtelle (der ſogenannte Mark - oder Marktſtein) iſt vielleicht ein Denkmal aus der heidniſchen Zeit. Es iſt nicht un - denkbar, daß hier, mitten im Urwalde, ſchon die Semnonen einen Volksverſammlungsplatz oder eine Opferſtätte hatten, und daß die Städte erbauenden Wenden (oder vielleicht auch erſt die Sachſen), als ſie an dieſer Stelle einen Wohnort gründeten, den heidniſchen Opferſtein liegen ließen, wo er lag, weil es unmöglich war, ihn fortzuſchaffen. Dieſer Markſtein wird hier auch noch liegen, wenn von den Feldſteinmauern rings umher längſt die letzte Spur ver - ſchwunden iſt. Sollen dieſe Spuren gewahrt werden, ſo iſt es die höchſte Zeit. Schon hat die Pflugſchar ganze Strecken der Stadtſtelle in Aecker umgewandelt und der Eichenwald iſt hin, der dieſe Stelle ſo lange in ſeinen Schutz nahm.

So weit der Bericht von 1843. Ich ſuche nun in Nachſte - hendem zu ſchildern, wie ich beinahe 20 Jahre ſpäter (1862) die Stadtſtelle gefunden habe.

Von dem Hügelrande aus geſehen, der die ſchon genannte Suhle einfaßt, hat man nach Oſten (nach Prötzel) hin ein wellenförmiges, hier und da angebautes Stück Land vor ſich, das an einzelnen Stellen von loſe aufgethürmten, ſehr niedrigen Stein - mauern eingefaßt, an anderen Stellen mit großen Feldſteinen wie beſäet iſt. Wer viel in der Mark gereiſt iſt, dem fällt der Anblick zunächſt nicht auf, denn es giebt unendlich viele ſolcher mit Feld - ſteinmaſſen überſäeter Felder, deren Feldſteinblöcke um das Feld doch einigermaßen nutzbar zu machen die Menſchenhand bei Seite geworfen, ſo zu ſagen an den Tellerrand gelegt und dadurch ein freies Feld mit einer ſteinernen Einfriedigung geſchaffen hat.

Dies iſt der nächſte Eindruck; nichts was auf den erſten Blick an Stadtüberreſte erinnerte, und man tritt (ohne es zu76 merken) in die alte Umwallung ein, völlig überzeugt, daß Klöden Recht gehabt habe, als er die Exiſtenz einer Stadtſtelle beſtritt. Aber dieſer Eindruck iſt nicht von Dauer. Unſer kundiger Führer (der Meier auf dem obengenannten Vorwerk) führt uns an ein Geſtrüpp von Elsbuſch und Brombeerſtrauch und ſagt dann, auf eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervor - ragt: Dies iſt die Kirche. Wir antworten zunächſt mit einem halb verlegenen Lächeln. Hier können Sie den Kalk ſehen , fährt der Führer fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losſtoßend, und indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkſtück in die Hand nehmen, erkennen wir mit ſo großer Beſtimmtheit, wie ſie nur irgendwie der Augenſchein geben kann, daß wir hier nicht eine aufgeſchüttete Einfriedigung, ſondern ein in die Tiefe gehendes, gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag ſind wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an die Eckſteine, endlich an einen zweiten und dritten, überblicken das Oblong und ſind mit einem Male orientirt. Aller Zweifel ſchwindet und wir ſehen klärlich: hier hat ein Gebäude geſtanden, die Fun - damente liegen da; ob Kirche oder Rathhaus, iſt gleichgültig; höchſt wahrſcheinlich eine Kirche. Unſer Führer erkennt ſehr wohl die Umwandlung, die in uns vorgegangen. Ich werde Sie nun zu dem großen Brunnen führen , murmelt er mit erkünſtelter Gleich - gültigkeit (denn dieſe Stadt-Stelle iſt ſein Stolz) vor ſich hin und geht, hügelanwärts, vorauf. Inmitten eines Stück Roggen - landes, deſſen Halme erſt handhoch aus der Erde ragen, ſtehen wir alsbald vor dem Brunnen, und zwar ganz unzweideutig vor einem jener Ziehbrunnen, wie wir deren noch jetzt in den Dorfgaſſen be - gegnen. Wir ſehen eine Rundung von 5 bis 6 Fuß Durchmeſſer, die Rundung ſelbſt mit Feldſteinen ausgemauert und die Höhlung, wiewohl mit Geröll locker zugeworfen, noch jetzt über 5 Fuß tief. Auf unſere Fragen erfahren wir, daß vor 20 Jahren alle dieſe Dinge noch viel deutlicher waren: das Mauerwerk der Kirche ragte noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen 15 Fuß tief, und die innere Umkleidung, der Mantel des Brunnens, erwies77 ſich noch deutlich als eine Art Lehm-Cylinder, in dem die Steine kreisförmig übereinander ſteckten.

So vor 20 Jahren, alſo zur ſelben Zeit, als der Prötzler Geiſtliche ſchrieb. Aber was da iſt, genügt auch jetzt noch völlig zur Beweisführung. Wir ſchreiten nunmehr von der Brunnen - ſtelle zu der benachbarten Backofenſtelle. Sie liegt mitten im Roggenland und giebt ſich zunächſt durch nichts Beſonderes zu erkennen. Die Roggenhalme ſtehen hier ebenſo wie rundum. Erſt bei genauerer Einſicht gewahren wir, daß ſich mitten in dem ſchwarzbraunen Boden eine kreisrunde, etwa 6 Fuß im Durchmeſſer habende Lehmſtelle ſcharf markirt. Hier ſtand ein Backofen; Sie werden unten (in dem tiefer gelegenen Stadttheil) beſſere ſehn.

Von der Backofenſtelle geht es zum Marktſtein , der an höchſter Stelle der Stadtſtelle gelegen, bis dieſen Tag von einer alten Eiche überſchattet wird. Aber dieſe Eiche, alt wie ſie iſt, iſt keine von den älteſten. Sie iſt eine von dem Nachwuchs, der, als die Stadt zerſtört war, durch die offenen Thore hier einrückte. Die wirklich alte Eichengeneration, die, zu Lebzeiten der Stadt, den Marktplatz hier einfaßte und beſchattete, iſt hin und zeigt nur noch an einzelnen Wurzelſtubben (von 7 Fuß Durchmeſſer), weß Schlages und Umfangs ſie war.

Weit mehr aber als dieſe Eichenſtubben iſt der Markſtein ſelbſt eine Sehenswürdigkeit. Es iſt derſelbe, über den wir ſchon den Prötzler Geiſtlichen berichten hörten. Er mißt etwa 8 Fuß im Quadrat, ragt nur wenig aus dem Erdreich hervor und gleicht einer großen, granitnen Tiſchplatte. Seine Wurzeln gehn ſehr tief, ſo daß man bei Nachgrabungen, die vor einiger Zeit angeſtellt wurden, noch auf 14 Fuß Tiefe nicht das Ende des Steins er - reicht hatte. Natürlich hat nicht Menſchenhand dieſen Stein hierher gelegt, und die Annahme hat nichts Gezwungenes, daß er ein Opferſtein der Ureinwohner war. Auf dieſem Stein zu ſchlafen, müßte mindeſtens eben ſo unheimlich wie unbequemlich ſein.

Von dem Markſtein aus, nach den Detail-Studien, die man auf dem Wege dahin an Fundamenten, Brunnen - und78 Backofenſtellen gemacht hat, überblickt man nunmehr die Stadt - ſtelle , wie man auf eine Reliefkarte blickt; man iſt durchaus orientirt und hat Alles in völliger Klarheit vor ſich. Man erkennt die Stadtmauer, die Thore, die Hauptſtraße, die Kirche, die ein - zelnen Häuſer und Gehöfte, und ungerufen, wie eine Viſion, ſteigt die alte Stadt wieder vor unſerem Auge auf. Gewiß iſt das Bild ein vielfach falſches; aber die Umriſſe liegen überſichtlich da, und die Fehler, die wir machen, ſind nur die, in die wir verfal - len, wenn wir uns mit Hülfe eines Plans eine Stadt im Geiſte auferbauen. Die Dinge ſelbſt ſind nicht richtig, aber wir geben den Dingen ihren richtigen Platz.

Nachdem wir Umſchau gehalten, traten wir nunmehr den Rückweg an. Unſer Nächſtes war, den Umfang von Stadt und Kirche auszumeſſen. Die Kirche mißt 50 Fuß zu 40; die ganze Stadt iſt 600 Schritt lang und ziemlich eben ſo breit. Unten am Hügel-Abhang, in der Nähe der Suhle , blickten wir noch ein - mal auf das Steinfeld, das nun nicht länger ein Chaos für uns war, zurück; dann trennten wir uns zögernd von dieſer Stelle, über der ein eigener Zauber waltet. Die Natur wuchs einſt wild in dieſe alte Stelle der Cultur hinein und wucherte darin; nun hat eine andere Cultur den Wald gefällt und breitet ihre Saaten darin aus. Im Mai blüht und duftet hier der Raps; im Juni wogen die Kornfelder. Städtiſche Cultur von ehemals und Acker - cultur von heut reichen ſich über dem vierhundertjährigen Wald - Interregnum die Hand. Aber an Unheimlichem fehlt es noch immer nicht. Das Wildſchwein hat es nicht vergeſſen, daß Jahr - hunderte lang ihm dieſe Stelle gehörte, und in Sommernächten, wenn der Rapsduft vom Feld her in den Wald zieht, dann bricht es in ſein altes Land ein, erſt in die Suhle , dann in die Saat und tritt nieder und wirbelt auf. Wer dann im Blumenthal ſeines Weges kommt, der hört ein Lärmen und Jolen, ein Grunzen und Quitſchen wie in alter Zeit, und weiß nicht, iſt es ein Hexen-Sabbath oder die wilde Jagd.

[79]

Predikow.

Vor Thaue noch und Tage
Zog aus er heut, mit Hund und Horn,
Daß er den Hirſch erjage.
Alte Ballade.

Um den großen und ſagenreichen Blumenthalwald herum, der das Plateau des Barnim von Weſt nach Oſt durchzieht, gruppirt ſich eine ganze Anzahl ſchöner und reicher Güter, die, bis in die Zeiten des dreißigjährigen Krieges hinein, das Beſitzthum vier alter märkiſcher Familien waren. Lichterfelde, Hohen-Finow, Trampe und Hackelberg (alle im Norden des Blumenthalwaldes gelegen) gehörten den Sparrs; Gielsdorf und Garzin (im Süden) den Pfuels; Werneuchen (weſtlich) den Krummenſees; im Oſten aber ſaßen die Barfuſe auf Möglin und Batzlow, auf Prötzel und Predikow.

Die Krummenſees ſind ausgeſtorben; von den Sparrs exiſtirt noch ein Zweig in Pommern (ihre märkiſchen Güter ſind längſt in andere Hände übergegangen); die Pfuels blühen noch auf Gielsdorf und Jahnsfelde, anderer neu erworbener Güter zu geſchweigen; die Bar - fuſe aber, eine Zeit lang die mächtigſten und reichſten vielleicht, haben alles eingebüßt und beſitzen von jenen fünfzehn Gütern, die ſie zur Regierungszeit des großen Kurfürſten (blos im Lande Barnim) inne hatten, nur eines noch Batzlow. Die letztge - nannten, die Barfuſe, ſind es, die uns in dieſem Kapitel aus - ſchließlich beſchäftigen ſollen.

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Sie kommen zuerſt 1280 in den Marken vor, wo Hans Barfus, als einer der angeſehenſten Vaſallen des Landes Ober - barnim, genannt wird. In ihre ſagenhafte Vorgeſchichte ſteigen wir übrigens nicht zurück und leiſten namentlich auch Verzicht darauf, den alten Streit wegen Barfus mit einem s und Barfuß mit einem ß entſcheiden zu wollen. Die Genealogen ſchreiben Bar - fuß , einfach auf das Wappen der Familie deutend, das drei un - verkennbare Barfüße zeigt; die Familie ſelbſt aber verwirft die Ableitung von einem niederſächſiſchen Geſchlecht der Baarfoote, Barfuße oder Nudipes (wie ſie in alten Urkunden häufig genannt werden), und ſchreibt ſich Barfus, ihren Urſprung auf das alt - kölniſche (urſprünglich römiſche) Patriziergeſchlecht der Parvus zu - rückführend. Der jetzige Senior der Familie beſitzt unter ſeinen vielen Bildern und Schildereien auch eine Abbildung des alten, noch exiſtirenden Parvuſenhofes in Köln, eine Stätte, auf die er als auf den alten Urſitz ſeiner Familie zurückblickt.

Gleichviel ob Barfuß oder Barfus, für unſere Zwecke genügt es, daß die Barfuſe (wie wir in Huldigung gegen die Familie, aber ohne direkte Parteiergreifung ſchreiben wollen) ſchon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts auf dem Oberbarnim ſäßig waren und bald darauf bereits dieſelben Güter inne hatten, die ſpäter den Kern ihres ausgebreiteten Beſitzes bildeten: Kunersdorf (nicht das Schlachten-Kunersdorf), Batzlow, Predikow und Möglin.

Predikow war das eigentliche Familiengut und damals unmittel - bar am Rande des Blumenthal *)Dieſer ſchöne Forſt wird nie der Blumenthalwald, ſondern immer nur kurz der Blumenthal genannt. gelegen war es beſonders werth - voll durch ſeine Forſtbeſtände, die ſich, nach Weſten hin, bis weit in den Blumenthalwald hinein erſtreckten. Dieſen reichen Forſtbe - ſtänden verdanken wir es auch, daß wir die Barfuſe, etwa um 1590 herum, bereits in der Specialgeſchichte unſeres Landes auf - treten ſehen, indem es eben dieſer Predikowſche Antheil am Blu - menthalwalde war, der unter Johann Georg und Joachim Friedrich81 zu einem vieljährigen Streit zwiſchen den Kurfürſten und den Bar - fuſen führte. Dem ganzen Ereigniß ohne ſchließlich in einer Schlacht von Otterbourne oder einem Percy - und Douglaskampf zu culminiren ſtand nichts deſto weniger von Anfang an ein gewiſſes romantiſches Element zur Seite, und um dieſes Stückleins Romantik willen (eine ſeltene Blume hierlandes) mag es gerecht - fertigt ſein, wenn wir einen Augenblick bei der Erzählung des ganzen Hergangs verweilen.

Kurfürſt Johann Georg liebte die Jagd, wie alle Hohenzollern vor und nach ihm, Friedrich den Großen abgerechnet, der das Jagdvergnügen einfach als eine Barbarei bezeichnete. Die Kurfür - ſten jagten damals in den ſchönen Forſten um Berlin herum, in den weiten Waldrevieren von Potsdam und Spandau, von - penick und Fürſtenwalde, und beſaßen außerdem den Werbelliner Wald , einen der ſchönſten Forſte in Norddeutſchland. Aber, voll wachſender Jagdpaſſion, mit jeder Grenze unzufrieden, ging ihr beſtändiges Streben dahin, ihre Jagdterritorien zu erweitern und immer neue Waldgebiete in den großen Jagdgrund hineinzuziehen.

Eine ſeiner Jagden führte den Kurfürſten (Johann Georg) um 1590 in den Blumenthal und die Schönheit dieſes Waldes machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Der fruchtbare Boden, der allem, was hier wuchs, eine üppige Schönheit lieh, die hohen Eichen, das friſche Niederholz, das Terrain ſelbſt in buntem Wechſel von Thal und Hügel, mit klaren Seen in Tiefen und Schluchten, alles das erfreute das Jägerherz Johann Georgs, und ehe eine Woche um war, wandte er ſich an die Barfuſe (vier Brüder), die damals auf Predikow ſaßen, und bat um die Erlaubniß, in ihrem Walde jagen zu dürfen. Die Barfuſe (Richard, Nicolaus, Valentin und Casper) willfahrten gern dem kurfürſtlichen Wunſche, ohne Ahnung, daß aus ihrer Willfährigkeit alsbald das dauernde Recht der Vorjagd gefolgert werden würde. Und dennoch geſchah es ſo. Ohne weitere Nachſuchung, geſtützt auf das plötzlich in’s Leben getretene Recht landesherrlicher Vorjagd brach im Sommer 1602 das Jagdgefolge Joachim Friedrichs (des Nachfolgers Johann682Georgs) mit Hund und Horn in die Predikowſchen Waldungen ein und das Geklaff von über 200 Rüden lärmte durch den Forſt. Ehe der Tag um war, war das hohe Wild zu Tode gehetzt und der junge Wildſtand vernichtet. Soweit die Romantik; die vier Barfuſe aber, ſtatt ihren Clan zu den Waffen zu rufen, wurden klagbar beim Obergericht, und als nach fünfzig oder hundert Jah - ren der Inſtanzenzug zu Ende war, war längſt kein Barfus mehr auf Hohen - und Nieder-Predikow.

Die Barfuſe wurden klagbar, ſtatt ihren Clan zu entbieten; aber wir würden ſehr irren, wenn wir aus dieſem Abſtehen vom Kampf gegen die damals ſchon feſt gegründete hohenzollernſche Gewalt, etwa den Schluß ziehen wollten, die vier Barfuſe auf Pre - dikow wären ſehr friedliche und ruhige Leute geweſen. Sie waren ſo ziemlich das Gegentheil davon, was aus einer andern Geſchichte erhellen mag.

Von den vier Brüdern waren drei, die beiden älteſten und der jüngſte, auf ihren Höfen in Predikow geblieben, während der dritte Bruder, Valentin, in die Dienſte des Pommernherzogs getreten und deſſen Oberjägermeiſter geworden war.

Es war um 1610, alſo acht Jahre nach der Jagd im Blu - menthal , als Valentin Barfus auf Beſuch nach Predikow kam. Es verſtand ſich von ſelbſt, daß er von ſeinen Brüdern der Reihe nach bewirthet wurde. Der älteſte, Richard, der auf dem rothen Hauſe in Nieder-Predikow ſaß, hatte natürlich den Vorrang als Feſtgeber und eine tüchtige Zechkumpanei, nach Sitte jener Zeit, wurde geladen. Man trank, man jubelte, man tobte und, unglaub - lich zu ſagen, denn woher nahm man die Damen? man tanzte auch. So kam Mitternacht heran. Um Mitternacht aber legten die Spielleute matt und müde ihre Fiedeln nieder und ſag - ten: Wir können nicht mehr! Da ſprang Nicolaus, der zweite und wildeſte der Brüder, mitten unter ſie und ſchrie, indem er dem Nächſten mit der Fauſt drohte: Weiter, weiter, und wenn der Teufel ſelber aufſpielen ſollte! Da erſchien der böſe Feind auf dem Ofen, mit der Sackpfeife unterm Arm, grinste den Ni -83 colaus an und ſpielte auf. Da entſetzten ſich die Barfuſe und lie - ßen den Pfarrer holen. Als er kam, fingen ſie an mit ihm zu beten, und beteten, bis der Sackpfeifer wieder verſchwunden war.

Aber der Teufel war doch im Hauſe geweſen und Unfrieden ließ er zurück. Fehde brach aus zwiſchen den Brüdern; die beiden älteren ſtanden ſich im Zweikampf gegenüber, und auf dem Gras - platz am Teich, hundert Schritt hinter dem rothen Hauſe, fiel Richard, der älteſte, von der Hand des zweiten Bruders, eben jenes Nicolaus, der an dem geſchilderten Zechabend den unheimli - chen Sackpfeifer herbei gerufen hatte.

Unfriede kam in’s Haus und alsbald jedes Unglück im Geleit. Der dreißigjährige Krieg legte die Felder wüſt und fünfzig Jahre ſpäter war kein Barfus mehr in Predikow. Intrigue und Gewalt hatten ihnen ihr altes Erbe entwunden.

In Predikow iſt wenig oder nichts mehr, das an die alten Barfus-Zeiten erinnerte. Noch unterſcheidet man ein Ober - und Unterdorf, noch weiß man, wo das rothe Haus geſtanden und wo der älteſte Bruder, zum Tod getroffen, zuſammenſank; aber ſonſt ſchweigt an dieſer Stelle alles von den Barfuſen, wiewohl die alte Ulmenallee noch ſteht, die ſie gepflanzt, und die alte Kirche, die ſie gebaut haben.

Dieſe Kirche iſt eine jener einfach maleriſchen Feldſteinbauten, wie man ihnen, aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert her, ſo oft in den Marken begegnet. Ein Chriſtuskopf auf dem Schweißtuch der heiligen Veronica, eine rohe Arbeit, ſtammt viel - leicht noch aus jener Zeit der vier Brüder , aber niemand weiß es zu ſagen. Im Jahr 1821 war ferner noch ein Barfusſches Wappenfenſter da; indeſſen proteſtantiſches Lichtbedürfniß hat längſt ſeitdem das bunte Glas beſeitigt und eine helle Scheibe an die Stelle der bunten geſetzt. Nichts mehr mahnt an die Bar - fuſe hier als ihre Gruft, aber auch die Sprache der Särge iſt ſtumm gemacht. Der Eingang in das Gewölbe iſt zugemauert, und die Gruft ſelber, ſo würden wir glauben, längſt verſchüttet, wenn nicht der Eſtrich hie und da tief verſänke und hohlen Klang gäbe6*84bei jedem Schritt darüber hin. Aber verſchüttet oder nicht, da un - ten ruhen die vier Brüder Barfus, bei denen unſere Erzählung länger verweilt hat: Valentin, der beim Pommernherzog das Zechen gelernt, Richard, der hinter dem rothen Hauſe zuſam - menſank und Nicolaus, der den Teufel-Spielmann rief und dann ihm verfiel.

Von den Predikowſchen Barfuſen aber wenden wir uns viel berühmteren Gliedern derſelben Familie zu: den Barfuſen von Möglin. Noch gedenkt ihrer, ihres Namens in der Geſchichte zu geſchweigen, ein altes Wappenſchild in der kleinen Kirche des eben - genannten Dorfs, aber im Gedächtniß der Mögliner, die nach ihnen kamen, ſind ſie todt; mit Unrecht. Detlof Friedrich von Barfus, der als Oberſt bei der Belagerung von Greifswald fiel, war ein Barfus von Möglin, deſſen das Dorf ſchon Grund hätte in Ehren eingedenk zu ſein bis dieſen Tag; mehr aber als Detlof Friedrich und alle Barfuſe vor und nach ihm ſteuerte Hans Albrecht von Barfus, der Feldmarſchall und Türkenbeſieger, zum Ruhme ſeiner Familie und ſeines Dorfes bei. Dieſem, dem vornehmſten ſeines Geſchlechts, wenden wir uns nunmehr aus - führlich zu.

[85]

Hans Albrecht von Barfus.

Der jetzt Alles vermag und kann, War erſt nur ein ſchlichter Edelmann, Und weil er der Kriegsgöttin ſich vertraut, Hat er ſich dieſe Größ erbaut.
(Schiller. )

Hans Albrecht von Barfus wurde, inmitten der Drangſale des dreißigjährigen Krieges, 1635 zu Möglin geboren. Dieſes Dorf, dem zu Anfang dieſes Jahrhunderts, durch den Namen Albrecht Thaers, ein Ruhm weit über die Grenzen unſerer Heimath hin - aus erwuchs, war an und für ſich ein unbedeutender Beſitz; der Vater Hans Albrechts aber, in ſo weit er einige Nachbargüter be - ſaß, zählte keineswegs zu den ärmerern Grundbeſitzern des Barnim und verfügte zweifellos über die Mittel, ſeinem Sohne eine Er - ziehung zu geben. Aber ſei es, daß der Vater, wie ſo viele da - mals und ſpäter, von hohen Schulen nicht allzu hoch dachte, oder daß die Verwüſtungen des Krieges die vorhandenen Mittel er - ſchöpft hatten, gleichviel, eine claſſiſche Bildung unterblieb, und eine weltmänniſche kaum minder. Das Militäriſche trat von An - fang an in den Vordergrund und wurde Schule für’s Leben, Staffel zum Glück.

Hans Albrecht trat früh in Dienſt. Es war die Zeit, wo die Söhne des Adels anfingen, nachdem ſie Jahrhunderte lang dem Aufgebot ihres Landesherrn gefolgt waren, den Krieg aus eigenem Trieb heraus als Metier zu treiben. Alles drängte darauf hin. Die Edelhöfe lagen wüſt, die Zeiten waren unſicher, zudem traten eben jetzt die ſtehenden Heere in’s Leben und brauchten Offiziere. Hans Albrecht diente von der Pieke auf , ein Umſtand, deſſen er ſich in ſeinen Feldmarſchallstagen gern zu rühmen pflegte.

86

Seine erſten Feldzüge machte er unter Sparr, Derfflinger und Görtzke. Er focht mit in Polen (die dreitägige Schlacht bei Warſchau), in Pommern, in Preußen und am Rhein. Bei Fehr - bellin war er höchſt wahrſcheinlich nicht, da er zu allen Zeiten beim Fußvolk ſtand, das brandenburgiſcherſeits in dieſer Reiterſchlacht faſt gar nicht zur Verwendung kam. Auch Schöning (aus gleichem Grunde, wie ſchon erzählt) fehlte bei Fehrbellin. Im Uebrigen be - gann ſchon damals der Unterſchied zwiſchen Schöning und Barfus, auch in ihrer äußern Stellung hervorzutreten. Schöning war mit 35 Jahren Generalmajor, Barfus mit 35 Jahren Lieute - nant. Das durfte nicht Wunder nehmen. Erwies ſich Schöning doch in allem und jedem als der Ausnahmemenſch , als der Mann der großen Carrière . Barfus hingegen war der Durch - ſchnittsmenſch, der Mann der Anciennität. Freilich gehörte er jener Claſſe von Perſonen zu, die man als die ſubalternen Genies bezeichnen könnte, zu jener Claſſe von Leuten, die eine mäßige Begabung glücklich und ſegensreich für ſich und andere auszubeu - ten wiſſen. Ihre Tugenden ſind Charakterſache und ihre Genialität heißt: Abwarten, Ausdauer, Conſequenz. Eine ſolche Natur war die unſeres Hans Albrecht.

Im Jahr 1670, fünfunddreißig Jahre alt, war er noch Lieutenant, aber ſei es, daß die immer ſich ſchneller folgenden Kriegszüge ihm eine raſch wachſende Gelegenheit gaben, ſich aus - zuzeichnen, oder daß das Glück, das ihm ſo wenig hold geweſen war, plötzlich ſeine gute Laune ihm zuwandte, gleichviel, mit 35 Jahren noch Lieutenant, war er mit 43 Jahren bereits Obriſt eines Regiments und wenige Jahre ſpäter Generalmajor. (In der neueren preußiſchen Kriegsgeſchichte bietet vielleicht nur Gneiſenau ein ähnliches Beiſpiel verſpäteten und dann ſehr raſchen Avance - ments, Gneiſenau, der 1806 noch Capitän und 1813 bereits Ge - nerallieutenant war.) Als ſolcher machte Barfus zwei Türkenzüge mit, den erſten (1683) behufs des Entſatzes von Wien, den an - dern (1686) wegen der Eroberung von Ofen. Die Belagerung dieſer Feſtung und den beſonders ruhmreichen Antheil, den Hans87 Albrecht an dieſer Belagerung genommen, habe ich unter Tamſel, in dem Kapitel Hans Adam von Schöning bereits ausführ - licher erzählt. Schöning wird der Ruhm nicht genommen werden können, Brandenburg damals, ſowohl durch ſein perſönliches Auf - treten, wie auch durch den Aplomb, mit dem er ſeine Truppen in den Vordergrund ſchob, glänzend repräſentirt zu haben, glänzender muthmaßlich, als es unſer Hans Albrecht vermocht hätte; dem letzteren aber bleibt ſeinerſeits das Verdienſt, in der Nähe des Ofens, der ſehr heiß war, wie damals das Sprüchwort ging, am andauerndſten ausgehalten und zweimal allerperſönlichſt die Kaſtanien aus dem Feuer geholt zu haben. Seine Sturmkolonne war es, neben der kaiſerlichen des Herzogs von Croy, die über das Schickſal Budas entſchied.

Zwei ruhmreiche Türkenzüge lagen hinter ihm; aber ein dritter, ruhmreicherer ſtand ihm bevor; ruhmreicher vielleicht für die chriſtlichen Waffen überhaupt, jedenfalls ruhmreicher für unſern Hans Albrecht ſelbſt. Im Jahr 1691 ſtieß abermals ein Corps Brandenburger als Auxiliartruppe zu den Kaiſerlichen, und am 19. Auguſt erfolgte Angeſichts von Peterwardein, die große Tür - kenſchlacht bei Szalankament. Markgraf Ludwig von Baden führte das chriſtliche Heer. Da Barfus dieſen wichtigen Tag zu Ehren der Chriſtenheit entſchied, ſo ziemt es ſich wohl, bei den Details dieſes Tages, ſo ſehr wir ſonſt geneigt ſind, von Schlachtenſchil - derungen Abſtand zu nehmen, etwas ausführlicher zu verweilen.

Die Türken, etwa 100,000 Mann ſtark, hatten eine ſehr feſte, aber zugleich ſehr gefährliche Poſition eingenommen, eine Poſition, in der ſie ſiegen oder nothwendig zu Grunde gehen mußten. Sie ſtanden nämlich mit ihrem Fußvolk (50,000 Mann, meiſt Janitſcharen) auf den Hügeln an der Donau, den Fluß im Rücken, die Ebene vor ſich. Auf dieſer Ebene, am Fuß des Hügels, ſtanden andere 50,000 Mann, lauter Reiterei (Spahis). Die Janitſcharen führte der Großvezier Köprili, die Reiterei der Seraskier-Paſcha. Die kaiſer - liche Armee war viel ſchwächer und betrug im Ganzen kaum 50,000 Mann. Den rechten Flügel führte Feldzeugmeiſter Graf88 Souches, den linken Feldmarſchall Graf Dünewald, im Centrum aber befehligte Hans Albrecht von Barfus; ſiebzehn Bataillone und einunddreißig Schwadronen ſtanden unter ſeinem Commando.

Der Plan des Markgrafen Ludwig war vortrefflich. Graf Dünewald ſollte vom linken Flügel her mit 85 Schwadronen die Spahis von der Ebene fortfegen, und den glücklichen Moment benutzend, war Graf Souches angewieſen, über das frei gewordene Terrain hinweg die Hügel zu erſtürmen; aber der große Reiteran - griff Graf Dünewalds unterblieb (das Terrain war unwegſam), und ſo griff denn Graf Souches unter ungünſtigen Verhältniſſen an. Dreimal vordringend, wurde er dreimal zurückgeſchlagen, und bereits ſchickte die ganze türkiſche Reiterei ſich an, die Vernichtung des rechten Flügels vollſtändig zu machen, als Barfus mit ſeinen Bataillonen vorrückend und einfach rechts ſchwenkend, eine ſchützende Mauer zwiſchen die eben angreifenden Spahis und den in Flucht aufgelösten rechten Flügel ſchob. Dieſe Eine Bewegung ſtellte die Schlacht wieder her.

Aber Barfus ſollte nicht nur die ſchon verlorene Schlacht wieder herſtellen, er ſollte ſie in der zweiten Hälfte des Kampfes gewinnen. Wir blicken jetzt auf den zweiten Akt der Schlacht.

Der ſieghafte Sturm der Spahis war gehemmt, noch ehe er ſeinen vollen Anlauf hatte nehmen können; die Schlacht ſtand. Da endlich kam Graf Dünewald, der lang erwartete, mit dem linken Flügel heran; Markgraf Ludwig ſtellte ſich ſelbſt an die Spitze der Reiterei und brach nun von links her in die Spahis ein, während 6000 Küraſſiere, die geſammte Reſerve des chriſtlichen Heeres, den Feind in der Front angriffen. Der Angriff war unwiderſtehlich. Die Fortfegung der Spahis, womit die Schlacht hatte beginnen ſollen, jetzt war ſie vollzogen; aber kein rechter Flügel exiſtirte mehr, um die Gunſt des Moments zu nutzen. Graf Souches ſelbſt lag todt auf der Wahlſtatt.

Nur das Centrum ſtand noch. Barfus erkannte die volle Bedeutung des Moments. Was der rechte Flügel nicht mehr konnte, das konnte das Centrum, nur noch das Centrum. Die89 Aufgabe jenes war auf dieſes übergegangen. Barfus rückte vor zum Sturm. Siegreich, wie er vor Buda in die Breſche eingerückt war, ſo erſtieg er hier die Höhen und ein raſendes Gemetzel be - gann. Was nicht in Stücke gehauen wurde, warf ſich in die Donau und ertrank. Der Großvezier Köprili, der Stolz und Abgott der Türken, der Janitſcharen-Aga, 18 Paſchas, 36 Alaibege, 15 Torbaſchis der Janitſcharen und 20,000 Gemeine bedeckten das Schlachtfeld; die große Heeresfahne des Großveziers von grüner Farbe mit Gold, 145 Kanonen, die Kriegskaſſe, 10,000 Zelte ꝛc. waren erbeutet, und wohl mochte Markgraf Ludwig berichten, daß dieſe Schlacht die ſchärfſte und blutigſte in dieſem Säculo geweſen, maßen die Türken wie verzweifelte Leut gefoch - ten und mehr als eine Stunde den Sieg in Händen gehabt. Der Verluſt des Chriſtenheeres betrug 7300 Mann, darunter 1000 Brandenburger.

Der Sieg bei Szalankament, ſeiner allgemeinen Bedeutung zu geſchweigen, hatte auch eine hohe Bedeutung für das Haus Brandenburg insbeſondere. Markgraf Ludwig ſchrieb an den Kur - fürſten und drückte ſich über die Mitwirkung der brandenburgiſchen Hülfsvölker in folgenden Worten aus: Ich kann Euer Kurfürſt - liche Durchlaucht den außerordentlichen Valor und das gute Be - nehmen von Dero Generallieutenant von Barfus, ſo wie Ihrer braven Truppen nicht genug rühmen, und ihnen allein hat der Kaiſer den Sieg und die Vernichtung der Türken zu danken.

Eine ähnliche complimentenreiche Sprache war zwar damals an der Tagesordnung und verfolgte den leicht begreiflichen Zweck, durch freigebig geſpendetes Lob die verſchiedenen Reichsfürſten und ihre Truppenbefehlshaber bei guter Laune zu erhalten. Im vor - liegenden Fall indeß, ſo müſſen wir annehmen, waren dieſe Worte mehr als bloßes Compliment und drückten in der That eine wohl - verdiente Anerkennung aus. Dieß ergiebt ſich zum Theil aus der Schlachtbeſchreibung ſelbſt. Barfus, durch ſeine prompte Rechts - ſchwenkung, dann durch ſeinen Sturm auf die Höhen, entſchied zweimal, durch ſelbſtſtändige Manöver, über das Schickſal des90 Tages. Aber freilich, Schlachtbeſchreibungen können täuſchen. Was indeſſen nicht täuſchen kann, das iſt das nachfolgende Benehmen des Wiener Hofes. Brandenburg, als es nach der Königswürde zu ſtreben begann, betonte immer wieder und wieder, und zwar erfolgreich, ſeine entſcheidende Mitwirkung am Tage von Szalan - kament, und ſo mögen denn die Barfuſe nicht ganz Unrecht ha - ben, wenn ſie den ſtolzen Ausſpruch wagen: ihr Ahn, Hans Albrecht, habe auf dem Felde von Szalankament die preußiſche Königswürde mit erobern helfen.

Im Jahre 1692 kehrte Barfus mit ſeinem Hülfscorps nach Berlin zurück. Hier häuften ſich jetzt die Ehren auf ſeinem Haupt. Ohne ein Hofmann zu ſein, vielleicht ſelbſt ohne den Ehrgeiz, es ſein zu wollen, trat er in die Hofkreiſe und ihr Parteigetriebe ein. Was eigenes Verdienſt ihm nicht erwarb, erwarb ihm die Coterie, der er angehörte. Eine Hand wuſch die andere , wie nicht zum zweiten mal in unſerer Geſchichte. Er hielt ſich von Anfang an zur Fraktion Dohna-Dönhof und es gereicht ihm zur Ehre, in einer Zeit voll cyniſch egoiſtiſchen Undanks, in Treue bei der einmal erwählten Partei ausgehalten zu haben. Es kam freilich hinzu, daß er ſeit 1693 mit Gräfin Eleonore von Dönhof (in zweiter Ehe) vermählt und dadurch an die Intereſſen dieſer Familie gefeſſelt war. 1695, ohne daß inzwiſchen neue Kriegsthaten ihm neuen Kriegsruhm erworben hatten, wurde er Feldmarſchall-Lieutenant und das Jahr darauf Feldmarſchall. Wie ſein Rang und ſein Anſehen, ſo wuchs ſein Vermögen. Er erſtand die Quittainenſchen Güter in Oſtpreußen, die bis dahin dem Feldmarſchall Derfflinger gehört hatten, und endlich auch Schloß Coſſenblatt an der Spree , ſeinen Lieblingsbeſitz, von dem wir in dem nächſten Kapitel aus - führlicher ſprechen werden.

Aber erſt das Jahr 1697 bezeichnet den Höhenpunkt ſeines Ruhms. Im November dieſes Jahres wurde Eberhardt von Danckelmann, der bis dahin allmächtig geglaubte Miniſter, durch die Dohna-Dönhofſche Fraktion geſtürzt. Hans Albrecht fielen die endlichen Erfolge eines Spieles zu, deſſen Einfädelung und Durch -91 führung, wie wir annehmen dürfen, ihm wenig Sorge gemacht hatte. Seine Hand war zu ſchwer zur Einfädelung einer Intrigue. Er gab das Gewicht ſeines Namens her und ließ dann die andern machen.

Danckelmann war geſtürzt und Barfus wurde Premier - miniſter. Es war eine Zeit, wo ſich jeder zu jedem fähig glaubte, wenigſtens bei Hofe. Das bekannte Wort Oxenſtiernas wurde wahr an jedem neuen Tag, und was das erſtaunlichſte iſt: die Dinge gingen auch ſo, und gingen zum Theil ſogar gut.

Barfus war Premierminiſter, noch richtiger Univerſalminiſter. Er war alles, er that alles. Auswärtiges, Finanzen, Krieg alles fiel ihm zu. Dazu war er Gouverneur von Berlin, Commandeur der Garde, Landeshauptmann der Grafſchaft Ruppin, und ſo viel Stellen ſich ihm aufthaten, ſo viel Quellen floſſen in ſeinen Schatz. Er wurde ſehr reich. Als Gouverneur von Berlin bezog er ein palaſtartiges Gebäude, das vor ihm der Obermarſchall von Grumbkow (der Vater des bekannten) beſeſſen hatte. Barfus ließ es umbauen, erweitern und einen Garten nach der Spree hin an - legen. Es iſt dieß daſſelbe Gebäude, das ſpäter, und bis auf dieſen Tag, als Stadtvogtei eine ſo hervorragende, aber freilich wenig poetiſche Rolle in unſerer Stadt - und Staatsgeſchichte geſpielt hat.

Hans Albrecht war Univerſalminiſter, aber er war es nur durch Zulaſſung und nicht durch eigene Kraft. Die Dohna - Dönhofs ſchoben ihn einfach vor, um in die entſtandene Günſt - lingslücke nicht einen neuen, vielleicht viel gefährlicheren Günſt - ling einrücken zu laſſen, als Danckelmann je geweſen war. Barfus fiel alſo die Rolle zu, durch ſein bloßes Daſein den Satz zu predigen: wo ich bin, kann kein anderer ſein.

Das ging zwei Jahre lang, aber nicht länger. Der Kurfürſt, was immer ſeine Schwächen ſein mochten, war aus zu feiner Schulung, um an der Haltung eines alten Campagneſoldaten, der nicht einmal franzöſiſch ſprach, auf die Dauer ein Genüge finden zu können. Neben einem geborenen Hofmann wie Kolbe-Warten - berg verſchwand er, und die Einführung einer Perückenſteuer,92 durch die er der Sitte und den Finanzen des Landes einen gleich großen Dienſt zu leiſten trachtete, war nicht angethan, die ſchon ſchwankende Wage zu ſeinen Gunſten ſinken zu machen. Die neue Sonne ſtieg immer höher; Kolbe-Wartenberg begann wie ein Major Domus zu herrſchen und der Hochmuth des geſtürzten Danckelmann erſchien nun wie Leutſeligkeit, neben dem Ton des neuen Günſtlings. Niemand wurde geſchont, kaum die Königin, am wenigſten die alten Parteien des Hofes.

Aber Barfus, der den Hof überhaupt wie ein Schlachtfeld nahm, war ein viel zu guter Soldat, um ſo ohne weiteres an Flucht oder Rückzug zu denken. Er hatte den türkiſchen Großvezier beſiegt, warum nicht auch den Major Domus von Brandenburg? Den Danckelmann hatte er mit ſtürzen helfen, warum nicht auch den Wartenberg? Die Königin, die Dohna-Dönhofs, wenn ſie auch anders darüber dachten, verfolgten doch daſſelbe Ziel, und ſo entſtand die große Liga von 1702 , die keinen andern Zweck verfolgte, als den tyranniſchen Günſtling zu beſeitigen und das Barfusſche Interregnum von 1697 99, die Zeit der vereinig - ten Miniſterien und der Perückenſteuer, wieder herzuſtellen.

Aber Kolbe-Wartenberg war glücklicher, als Danckelmann ge - weſen war. Vielleicht weil es die Liga in der Perſon verſah, die ſie mit Ausführung der Hauptrolle betraute. Dieſe Perſon war der Hofmarſchall von Wenſe. Graf Otto Dönhof, als er von der Wahl dieſes letztgenannten Herrn hörte, zuckte die Achſeln, ſetzte aber gutgelaunt hinzu: Wohlan denn, wir müſſen dem Glück einen Ochſen opfern! Er hatte Recht gehabt. Nur blieb es nicht bei dem einen Opfer; alle traf die Ungnade des Kurfürſten (da - mals ſchon König), und während der Hofmarſchall den Hof mit der Feſtung Küſtrin vertauſchen mußte, wurde der Reſt vom Hofe verbannt, die Dohnas, die Dönhofs, und auch Barfus.

Dies war ſeine letzte Action, kein Ruhmestag von Sza - lankament. Der Hof war nicht ſein Feld. Tröſten mochte es ihn, daß auch Gewandtere unterlegen hatten. Unſer Feldmarſchall ging nach Coſſenblatt , wo inzwiſchen der Frontbau eines Schloſſes93 auf einer Spreeinſel entſtanden war. Mit ſich nahm er, zu allem, was er ſonſt beſaß, ein Jahrgehalt von 8000, nach Pöllnitz ſogar von 12,000 Thalern. Aber er erfreute ſich deſſelben nicht lange mehr. Am 27. December 1704 beſchloß er ſein an Kämpfen und Wand - lungen reiches Leben. In einem ſchlichten Anbau neben der Coſſen - blatter Kirche hat er ſeine letzte Ruheſtatt gefunden.

Wir verſuchen nun, nachdem wir in Vorſtehendem die Le - bensgeſchichte Hans Albrechts erzählt haben, eine Schilderung ſei - ner äußeren Erſcheinung, wie ſeines Charakters.

Hans Albrecht von Barfus war von großem, kräftigem Kör - perbau, über ſechs Fuß hoch und durchaus militäriſch in Haltung und Auftreten. Selbſt groß und ſtattlich, legte er auch Gewicht auf Stattlichkeit, und lange bevor König Friedrich Wilhelm I. ſeine Rieſengarde in’s Leben rief, verrieth Hans Albrecht eine entſchiedene Neigung, hünenhafte Leute, beſonders Offiziere, in den preußiſchen Dienſt zu ziehen. Es waren dies die erſten Anfänge der ſpäter ſo notoriſch gewordenen blauen Kinder von Potsdam. So mag es auch mehr als Zufall ſein, daß das einzige größere Bildniß, das von unſerem Hans Albrecht exiſtirt, ein Bild iſt, das vom Solda - tenkönig ſelber gemalt wurde. Das Bild ſtammt etwa aus dem Jahre 1737, und da um dieſe Zeit unſer Feldmarſchall längſt verſtorben war, ſo hat es nichts Unwahrſcheinliches, daß der König, nach einem Stich oder einer Zeichnung, dieſes Bildniß eigens in Hul - digung gegen denjenigen ausführte, in dem die Idee der großen Blauen zuerſt gedämmert und gelegentlich Geſtalt gewonnen hatte.

Faſſen wir den Charakter unſeres Feldmarſchalls in’s Auge, ſo finden wir: er war tapfer, ſoldatiſch, ſpecifiſch deutſch, antifran - zöſiſch (auch hierin ein Vorläufer Friedrich Wilhelms I.), hab - ſüchtig, aber unbeſtechlich, rechthaberiſch, aber nicht ungerecht, in Intriguen verwickelt, aber nicht eigentlich intriguant.

Wir betrachten ihn zuerſt in ſeinen ſoldatiſchen, dann in ſei -94 nen hofmänniſchen Qualitäten. Als Soldat ohne ihn über - ſchätzen zu wollen erhob er ſich, trotzdem er immer der Mann blieb, der von der Pike auf gedient hatte, weit über die Claſſe jener Corpsführer, die auf die Ordre eines Vorgeſetzten hin, ihre Truppe prompt in’s Feuer zu führen verſtehen. Hätte ſeine mili - täriſche Laufbahn mit der Erſtürmung Ofens abgeſchloſſen, ſo würde er einfach einer jener braven Soldaten geweſen ſein, wie deren unſere Kriegsgeſchichte ſo viele aufzuweiſen hat; ſein zwei - maliges und jedesmal entſcheidendes Eingreifen in die Schlacht bei Szalankament aber zeigt ihn uns allerdings, wenn nicht als einen wirklichen Feldherrn, ſo doch als einen Soldaten von höheren Gaben. Beide male handelte er ohne Ordre und folgte nur ſeiner perſönlichen Erkenntniß deſſen, was der gegebene Moment erheiſchte. Sein Auge und ſein Charakter bewährten ſich dabei gleichmäßig; er hatte den ruhigen Blick, das Richtige, das was noth that, zu erkennen, und er hatte den Muth, das als richtig Erkannte auf eigene Verantwortung hin auszuführen. Dieſer Blick und dieſer Muth gehören ſchon zu den ſelteneren Gaben.

Was ihm andererſeits fehlte, das erkennen wir am beſten, wenn wir ſein militäriſches Auftreten mit dem ſeines Nebenbuh - lers Schöning vergleichen. Schöning, wiewohl es ihm verſagt blieb, in wirklich großen Verhältniſſen zu wirken, geht dennoch, ſo oft er auftritt, jedesmal über das Alltägliche hinaus. Nicht zu - frieden damit, den Moment zu begreifen, begreift er die Situa - tion überhaupt. Es genügt ihm nicht, ein Nächſtliegendes zu thun oder zu berechnen, ſondern die Rückſicht auf das Ganze beſtimmt ſeine Haltung. Am lehrreichſten nach dieſer Seite hin, iſt Schönings Auftreten vor Ofen. Kaum auf den Höhen erſchienen, kaum begrüßt von der großen Chriſtenarmee, die in weitem Halb - kreis die Feſtung umlagerte, rückte Schöning klingenden Spiels vor, und jede Deckung oder Vorſichtsmaßregel verſchmähend, brachte er ſich auf Einen Schlag in Linie mit dem Belagerungsheer. Der ungedeckte Vormarſch koſtete Opfer und das ganze Manöver, glän - zend wie es war, fand nichts deſtoweniger lebhaften Tadel bei den95 Brandenburgern ſelbſt. Sie bezeichneten es einfach als Rodomon - tade. Dennoch hatte Schöning Recht. Immer das Ganze in’s Auge faſſend, ſagte er ſich, daß er der allgemeinen Sache, min - deſtens aber der Sache ſeines Kurfürſten, durch etwas Eclatan - tes am beſten diene. Seine Berechnung traf im vollſten Maße zu. Den Türken ſowohl wie den Verbündeten hatte dieſer Aufmarſch imponirt, und lange bevor Buda über war, hatten die Branden - burger bei Freund und Feind einen moraliſchen Sieg errungen. Das war Schöning’ſch; ſolcher Einfälle und Berechnungen wäre unſer Barfus unfähig geweſen. Er gehört zu den Schachſpielern, die in jedem Moment des Spiels einen guten Zug, vielleicht den beſten, zu thun verſtehen, aber der Gabe weitſichtiger Voraus - berechnung eben ſo ſehr wie jeder genialiſchen Combination ent - behren.

Tapfer, wie Hans Albrecht war, beſaß er auch in hohem Maße jenen liebenswürdigen, den ächten und bewährten Muth verrathenden Zug alter Soldaten, ſchwache Momente nachſich - tig zu beurtheilen. Nur die Leute hinter’m warmen Ofen drin - gen auf conſtantes Heldenthum. Einſtmals beklagte ſich Graf Chri - ſtoph Dohna über die Feigheit eines Offiziers, der ihn während des Gefechts kläglich im Stich gelaſſen hatte. Barfus trat an Dohna heran und ſagte: Hören Sie, Graf, man muß Mitleid mit ſeinem Nächſten haben und ihm nicht alles Ueble anthun, was man ihm mit Gerechtigkeit würde anthun können. Es giebt ſchlechte Viertelſtunden im Leben; vielleicht wird dieſer Offi - zier ein andermal ſich beſſer zeigen. Ich werde mit ihm allein reden. Barfus that es, und wenige Tage ſpäter fiel der Offizier an der Spitze einer Angriffscolonne.

Ein ſehr hervorſtechender Zug ſeines Charakters war das Antifranzöſiſche. Seine vielbeſprochene Perückenſteuer war nicht bloß eine Finanzmaßregel, ſie war auch gegen das fremde Unweſen überhaupt gerichtet. Der Umſtand, daß er des Fran - zöſiſchen nicht mächtig war, mochte freilich das ſeine dazu beitra - gen, ihn in ſeiner Abneigung gegen die Welſchen zu beſtärken. 96Es kamen verdrießliche Scenen vor. Seine Gegner bei Hofe gefielen ſich darin, in ſeiner Gegenwart franzöſiſch zu ſprechen, oder wohl gar bei ſeinem Erſcheinen, die bis dahin deutſch geführte Converſation mit einer franzöſiſchen zu vertauſchen. Da mochte es denn nicht ausbleiben, daß ein Theil des Aergers auf die Sprache fiel, die als Mittel dienen mußte, ihm ſolche Kränkungen zu bereiten.

Von Habſucht hatte er, wie faſt alle Perſonen, die den Hof König Friedrichs I. bildeten, ſein reichlich zugemeſſen Theil; doch ſcheint er, trotz alles Hanges nach Beſitz, der Corruption jener Zeit ſich entzogen und ſeine gut deutſche Natur auch in Unbeſtech - lichkeit gezeigt zu haben. Er genoß auch dieſes Rufes. Im Jahre 1699 beſchwerte ſich der holländiſche Großpenſionär Heinſius über eine ganze Reihe unbegreiflicher Handelsmaßregeln, die alle vom Feldmarſchall Barfus (der damals alles war, auch Finanz - miniſter) ausgegangen ſeien, und ließ den Verdacht durchblicken, daß Barfus im Solde Frankreichs ſtehe. Der Großpenſionär er - hielt aber von competenter Seite den Beſcheid, daß General Bar - fus überhaupt unbeſtechlich, jedenfalls aber zu antifranzöſiſch ſei, um ſich jemals durch Frankreich beſtechen zu laſſen.

Eben ſo wenig, wie er ſich beſtechlich erwies, eben ſo wenig war er intriguant. Er diente nur den Intriguen anderer. Er war vielleicht die Hauptkarte, ohne welche das Intriguenſpiel anderer nie und nimmer gewonnen werden konnte, aber wie hoch immer ſeine Bedeutung, der Werth ſeiner Karte ſein mochte, er war nicht der Spieler ſelbſt. Klügere benutzten ihn und gönnten ihm die goldenen Früchte, die ihm in den Schooß fielen.

Er war nicht intriguant, aber wir würden irre gehen, wenn wir ihm aus dem Fehlen dieſer Eigenſchaft irgend ein beſonderes Verdienſt machen, oder ihn gar mit der hohen Tugend der Selbſt - ſuchtsloſigkeit ausſtatten wollten. Er gehörte jener Claſſe von Cha - rakteren an, denen man in ganz Norddeutſchland und beſonders in den Marken häufig begegnet: Perſonen, die zu wirklicher oder ſcheinbarer Offenheit eine große Verſchlagenheit geſellen, und ſol -97 datiſche Schroffheit und rückſichtsloſe Derbheit mit einem ſcharfen Erkennen des eigenen Vortheils glücklich vereinen. Er war voll jener ſcharfen Lebensklugheit, der wir bei allen denen begegnen, die ein brennendes Verlangen nach Bereicherung tragen, und beſaß in hohem Maße die Kunſt (ganz wie bei Szalankament), einen glücklich gegebenen Moment zu benutzen; aber er beſaß nicht die Kunſt, einen ſolchen Moment durch feines Spiel, durch einen klug geſchürzten Knoten herbeizuführen. Das aber iſt der Unter - ſchied zwiſchen praktiſcher Lebensklugheit und Intrigue. Der Prak - tiker nutzt die Situation, der Intriguant macht ſie. Jener wird meiſt realere, dieſer in der Regel mehr ideelle Zwecke verfolgen; der Intriguant wird böſer, gefährlicher, der Praktiker aber wird meiſt ſelbſtſüchtiger ſein.

Die Hofgeſchichte jener Tage bietet zwei Beiſpiele, die dieſen Unterſchied recht klar in’s Auge ſtellen. Als der Streit zwiſchen Schöning und Barfus auf ſeiner Höhe ſtand und niemand vor - ausſagen mochte, wie er enden würde, verdarb Schöning ſein eige - nes Spiel durch die agreſſive Weiſe, in der er vorging. Sein Hochmuth, ſeine Rechthaberei halfen den richtigen Moment be - reiten, auf den Barfus wartete oder vielleicht auch nicht wartete, den er aber als richtigen Moment zu benutzen verſtand, ſobald er gekommen war. Dieſe Benutzung zeigte ſich einfach darin, daß er der anmaßlichen oder doch der allzuſicheren Sprache Schönings, womit dieſer ſeine Sache vor dem Kurfürſten führte, einen Ton der Devotion gegenüberſtellte. Dieſer Ton der Devotion hatte nichts von einer Intrigue an ſich, er war das einfache Reſultat des Schluſſes: Wo Anmaßung verletzt hat, wird Devotion dop - pelt willkommen ſein. Und der Erfolg bewies, daß dieſer Schluß ein richtiger geweſen war.

So weit reichten die Gaben unſeres Barfus. Als es ſich aber ſechs Jahre ſpäter darum handelte, Eberhard Danckelmann, den Günſtling des Kurfürſten, durch ein combinirtes Spiel, ein für allemal aus der Gunſt ſeines Herrn zu entfernen, reichte es nicht aus, eine ſich bietende Situation einfach zu benutzen, ſon -798dern es kam darauf an, durch eine Reihenfolge kleiner in einander greifender Scenen eine Situation zu ſchaffen. Dazu war Graf Chriſtoph Dohna der Mann. Er begann folgendes Meiſterſpiel. Er wußte ſich eine Medaille zu verſchaffen, die Eberhard Danckel - mann ſo hieß es wenigſtens ſich und ſeiner Familie zu Ehren hatte ſchlagen laſſen. Sie verſinnbildlichte den Ruhm der Danckelmanns. Gewölk hing über Berlin, durch das Gewölk hin - durch aber leuchteten die ſieben Sterne Eberhard Danckelmanns und ſeiner ſechs Brüder; das Ganze trug die Inſchrift: Inta - minatis fulget honoribus. Chriſtoph Dohna, der die Vorliebe des Kurfürſten für Münzen und Medaillen kannte, wußte es ein - zurichten, daß ſich im Vorzimmer des Kurfürſten ein Streit um dieſe Medaille entſpann. Als der Kurfürſt heraustrat, um nach der Urſache des Lärms zu forſchen, erzählte ihm Dohna, in erkün - ſtelter Verlegenheit, daß es ſich um eine Medaille handle. Ich wünſche ſie zu ſehen. Eure Kurfürſtliche Durchlaucht wer - den die Medaille kennen.

Mit dieſen Worten überreichte Dohna das Gewünſchte. Der Kurfürſt betrachtete die ſieben Sterne, biß ſich (eiferſüchtig wie er war) auf die Lippe und reichte ſie mit den Worten zurück: Ich weiß nichts davon. An dieſer Scene ging Danckelmann zu Grunde. Iſt es wahr, daß Danckelmann ſelbſt von dieſer Medaille nichts wußte, und daß ſie vielmehr hinter ſeinem Rücken, auf An - ſtiften ſeiner Gegner, geprägt wurde, ſo haben wir es hier mit einer ziemlich unwähleriſch eingefädelten, aber von Anfang bis Ende klug durchgeführten Intrigue zu thun, mit einer Intrigue, die in ihrem glücklichen Ausgang alle Ehren auf unſern Feld - marſchall ausſchüttete, aber von dem Glückskinde, das die Ehren einheimste, weder jemals hätte erdacht noch durchgeſpielt werden können.

Wenn wir zum Schluſſe nun Hans Albrecht von Barfus mit den hervorragenderen jener brandenburgiſch preußiſchen Kriegs - leute vergleichen, die ihm ſeitdem gefolgt ſind, ſo zeigt er mit kei - nem eine größere Verwandtſchaft, als mit dem alten York. Die -99 ſelbe Tapferkeit, dieſelbe ſoldatiſche Schroffheit, dieſelbe Strenge im Dienſt und gegen ſich ſelbſt. Haß gegen franzöſiſche Sitte, Gleichgültigkeit gegen die Frauen, Verachtung gegen Ausſchweifung, geſellen ſich als weitere übereinſtimmende Züge hinzu. Eben ſo ſind ihre Feldherrngaben nahe verwandt: kalte Ruhe, klares Erkennen der Fehler bei Freund und Feind, glückliche Benutzung des Mo - ments. Was ſie aber vor allem mit einander gemein haben, das iſt die hohe Meinung von ſich ſelbſt und in Folge dieſer eigenen (wie immer auch berechtigten) Werthſchätzung, eine krank - hafte Reizbarkeit gegen alles das, was neben oder wohl gar über ihnen ſtand. York in ſeinem Verhältniß zu Bülow und ſpäter zu Gneiſenau (oder ſagen wir wenigſtens zum Hauptquartier ) er - innert mehr als einmal an Schöning und Barfus.

Wenn York nichts deſto weniger in hellerem Lichte vor uns ſteht als Hans Albert, ſo liegt das ohne den hohen Verdien - ſten Yorks zu nahe treten zu wollen nicht unweſentlich darin, daß wir die Convention von Tauroggen dankbar in Erinne - rung tragen, den Tag von Szalankament aber, trotz ſeiner Be - deutung für unſere Geſchichte, ſo gut wie vergeſſen haben. Ein Anderes kommt hinzu. Der Charakter Yorks ruht allerdings auf einer ſittlichen Baſis, deren der Charakter Hans Albrechts, wenig - ſtens in ſo ausgeſprochenem Maße, entbehrt. Aber andererſeits dürfen wir dieſen Umſtand dem alten York nicht allzuſehr zum Ruhme und unſerem Barfus nicht allzuſehr zum Schaden anrech - nen. Das ſittliche Element, deſſen ſich York, im Vergleich zu Hans Albrecht, allerdings als eines Vorzugs erfreut, war überwiegend ein Vorzug der Zeit, in der er lebte, wenigſtens jener Jahre, die die Befreiung des Vaterlandes brachten. Es war 1813 leichter als hundert Jahre früher, ſelbſtſuchtslos im Dienſt einer Idee zu ſtehen. Was 1813 möglich war, war 1703 unmöglich. Die Charaktere waren weniger verſchieden, als die Zeiten es waren.

Mit Hans Albrecht von Barfus ſtarb der letzte jener fünf brandenburgiſchen Feldherrn, die noch die jungen Tage des gro -7*100ßen Kurfürſten geſehen und die erſten Siege Brandenburgs unter ſeinen Fahnen erfochten hatten: Sparr, Derfflinger, Görtzke, Schöning, Barfus. Die Derfflinger ſind ausgeſtorben. Glieder der vier andern Familien leben noch, aber von dem alten Beſitz iſt wenig oder nichts mehr in ihren Händen. Auf den alten Barfus - Gütern iſt der Name des alten Geſchlechts vergeſſen; nur Schloß Coſſenblatt an der Spree erzählt noch von ſeinem Erbauer, dem Feldmarſchall. Dieſem Schloß in der Oede wenden wir uns im folgenden Kapitel zu.

[101]

Schloß Coſſenblatt.

Aber führt der Weg den Wandrer An den Ort, den ich beſinge, Kann er nicht dem Bangen wehren, Daß es ihm das Herz durchdringe.
(Lenau. )

Der Weg nach Coſſenblatt führt über Fürſtenwalde und Bees - kow. Fürſtenwalde iſt allerliebſt und verdient ein Kapitel für ſich; heut aber erreichen wir es ſpät und begnügen uns mit dem Ein - druck, den die halb im Dunkel liegende Stadt und die freundlich erleuchtete Paſſagierſtube auf uns machen.

Paſſagierſtuben ſind ein ſelten trügender Barometer für die Stimmung, das geiſtige Leben, das in den verſchiedenen Städten herrſcht, und es hat eine Bedeutung, ob Schwerins Tod oder ein altes Poſtreglement über dem Sopha hängt. Die Fürſtenwal - der Paſſagierſtube zeigt noch auf ſchön Wetter . Es herrſcht etwas Anheimelndes in dem Zimmer überhaupt und die gute Stimmung wächſt im Hinblick auf eine Gruppe von älteren Männern, die, ein Glas Bier vor ſich, am Sophatiſche Platz genommen haben.

Es ſind ihrer drei, zwei Bürger und der Wirth. Der letztere beſtreitet wie billig die Koſten der Unterhaltung und bemerkt mit freundlicher Würde: Sie glauben nicht, was alles vorkommt, meine Herren. Bahnhof iſt Bahnhof und Poſt iſt Poſt, aber die Menſchen thun immer, als ob Bahnhof und Poſt all ein und daſſelbe wäre. Schreibt mir vorgeſtern ein Mann aus Dresden, er habe ſeinen Ueberzieher hier liegen laſſen, über einer Stuhl -102 lehne ſchreibt er. Ich lache und ſage zu Spilleken (der jetzt die Poſt fährt): Spilleke, ſag ich, wenn Sie ’rauskommen, fragen Sie doch auf’m Bahnhof. Er fragt auch und am Abend iſt der Ueberzieher hier. Wo war er geweſen? Ueber einer Stuhllehne. Alles ganz richtig, meine Herrn, aber auf’m Bahnhof. So geht es immer.

Die beiden Zuhörer antworteten durch ein Gemurmel, das halb ihre Uebereinſtimmung mit dem Sprecher, halb ihre Mißbilli - gung des Dresdners ausdrücken ſollte. Ich aber, um auch mei - nestheils jede Gemeinſchaft mit dem letzteren abzulehnen, fuhr mit Oſtentation in den neben mir liegenden Ueberzieher, empfahl mich und ſtieg in den bereits draußen ſtehenden Poſtwagen.

In demſelben fand ich einen Reiſegefährten, einen jungen Beeskower, der alſo dieſelbe Tour mit mir machte. Während der Wagen über das Pflaſter raſſelte und von rechts und links her das helle Licht großſtädtiſcher Gaslaternen in unſer Fenſter fiel, wandte ich mich, halb überraſcht, mit der Frage an meinen Ge - fährten:

Fürſtenwalde hat Gas?

Ja, und aus Stubben; lautete die Antwort.

Aus Stubben?

Ja, aus Stubben.

Nun erfuhr ich ein Langes und Breites über den Fürſten - walder Stadtforſt, über Holzhandel und Wohlhabenheit und zuletzt auch über die Stubben , die in einer ſtädtiſchen Gasanſtalt auf Gas verarbeitet würden. Ich geſtehe, daß ich Reſpekt bekam. Wer unſere kleinen Städte kennt, weiß am beſten, wie abgeneigt ſie ſind, auf ſpekulative Neuerungen einzugehen. Staatsneuerungen, ja; Stadtneuerungen, nein. Die Fürſtenwalder haben ein Stück ſtädtiſchen Lebens gezeigt; die meiſten unſerer Ackerſtädte ſind todt.

Beeskow erreichten wir um Mitternacht. Ich ſchlief in einem alten Hauſe, deſſen Hinterwand die Stadtmauer bildet, und erfuhr en passant, daß dies Haus ein Urſulinerinnen-Kloſter geweſen103 ſei und dann und wann von nicht Ruhe habenden Aebtiſſinnen und Nonnen beſucht werde. Auch der übliche unterirdiſche Gang wurde mir nicht erlaſſen. Ich war aber zu müde, um dadurch beſonders geſtört zu werden, und ſchlief, bis die Sonne in’s Zim - mer ſchien. Eine Stunde ſpäter ſchlenderte ich durch die Stadt.

Beeskow hat zwei Sehenswürdigkeiten: das Amt und die Kirche.

Das Amt , auf einer Spreeinſel unmittelbar vor der Stadt gelegen, war in alter Zeit ein Schloß (Schloß Beeskow), dann ſpäter, ſeit 1519, ein biſchöfliches Haus, das die Biſchöfe von Lebus die die Herrſchaft Beeskow zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts erwarben gelegentlich bewohnten. Viele der noch jetzt vorhandenen alten Mauern reichen bis in die Zeit von Schloß Beeskow zurück, das im fünfzehnten Jahrhundert (alſo vor den Biſchöfen) ausbrannte. Dies erwies ſich 1828, als wegen Bau - fälligkeit das dritte Stockwerk des alten Amtsgebäudes abgetragen wurde. An vielen Stellen fand man doppeltes Mauerwerk. Die Zimmerwände zeigten nach innen zu die Biſchofsmütze, waren alſo nicht älter als 1519; beim Niederreißen dieſer Zimmer - oder In - nenwände aber ſtieß man alsbald auf ältere Außenwände, halb verbrannt und hier und da mit Moos und Aſche bedeckt. Dieſe Außenwände waren Ueberreſte des alten Schloſſes. In den untern Stockwerken ſteckt noch einzelnes davon.

Die Bücher berichten wenig über Schloß Beeskow und nicht viel mehr über das biſchöfliche Haus , das ſich ſpäter an gleicher Stelle erhob. Nur der Umfang und die Feſtigkeit der Bauten zeigt, daß es eine bevorzugte Stelle war; und mit Recht. Die Lage auf einer Inſel, die nicht flach, ſondern wie eine natür - liche Hügelfeſtung ſich aus der Spree erhebt, iſt feſt und maleriſch zugleich, und in dieſem Augenblick vielleicht maleriſcher denn je zuvor. Das alte, dunkelfarbige Mauerwerk iſt überall von Grün umrankt; braun und grün, die ſo ſchön zu einander ſtimmen, miſchen ſich hier in allen erdenklichen Schattirungen, und Baum und Strauch wachſen von Wall und Gräben aus in die Gitter -104 fenſter hinein oder über das Portal hinweg. Jenſeits des Amts - hofes, auf deſſen Tümpel und Pfuhl die helle Morgenſonne fällt, ſteigt der Brennereiſchornſtein aus dem Refektorium des alten Bi - ſchofsſitzes auf; aber wo Tod und Leben, Poeſie und Proſa ſo dicht bei einander wohnen wie hier, ſtört auch die Rauchfahne nicht, die eben jetzt über dem Refektorium weht.

Die Liebfrauenkirche zu Beeskow, ein ſchöner gothiſcher Bau aus dem dreizehnten Jahrhundert, war längſt eine Zierde der Stadt, eh die Lebuſer Biſchöfe als Neubeſitzer und Neuerbauer in Schloß Beeskow einzogen. Sie war dreihundert Jahre vor dem Biſchofs - hauſe da und hat es nun ebenſo lange überlebt. Dieſe ſchöne Kirche zählt zu den ſchönſten in der Mark, und der Epheu, der ſich an einigen Fenſtern bis in den Spitzbogen emporrankt, ſcheint zu wiſſen, was er an ihr hat. Der maſſive Thurm geht in ſeinem zweiten Stockwerk ſehr gefällig aus dem Viereck in’s Achteck über und eine pyramidenförmige Spitze ſchließt den ganzen Bau ge - fällig ab.

Eine 82jährige Küſterfrau führte mich in die Kirche ein, plauderte mit mir, ſtieg Treppen auf und ab und ich bin ihr das Zeugniß ſchuldig, daß ich nie einen beſſeren Führer gehabt habe. Sie zeigte mir Großes und Kleines, Andacht und Stadtklatſch floſſen gleichen Tones über ihre Lippen; ſie ſprach bereits ſie war eben 82 Jahr alt mit jener unterſchiedsloſen Ruhe, die ſo ſehr verdrießt, wo man Partei iſt, aber ſo wohlthut, wo der Hörer mit über den Parteien ſteht. Sie zeigte mir den Gekreuzig - ten und den einen Schächer, die wegen Unſchönheit in einen Seitenraum geſchafft worden waren, und erklärte mir die Grab - ſteine vor’m Altar. Der eine war hellbraun und ſehr abgetreten. Das iſt unſer Pfefferkuchenmann , ſagte ſie ruhig, und wirklich, das alte Rathsherrnbild konnte nicht treffender bezeichnet werden. An einem der Pfeiler blieb ſie ſtehen. Da war früher ein Bild: ein Schachbrett und ein Mohr darüber; es hing da zum Gedächt - niß an eine vornehme Frau, die alles verſpielt hatte, bis auf ihr Schachbrett und ihren Mohren. Dann ging es treppauf und ab. 105Wir ſtiegen in einen Keller, wo dieſelbe Küſterfrau vor 56 Jah - ren mit ihrem Mann (der auch noch lebt) ein tiefes Loch gegraben und die Kirchengüter vor Feindeshand gerettet hatte. Wir fanden bei’m Graben nichts wie Knochen und Schädel. Sie ſagte nicht Knochen und Schädel von heimlich Verſcharrten , aber ſie meinte es ſo; das Volk hierlandes denkt ſich nun einmal die katholiſche Zeit als eine Mordzeit; es iſt das ein ſeltſamer Theil unſerer Volkspoeſie.

Dann ſtiegen wir wieder aufwärts, eine hohe ſchmale Treppe hinauf, und waren auf einem Chor oder einer Empore, die man zu einer Art Kunſtkammer umgeſchaffen hatte. Allerhand Raritäten waren hier ausgeſtellt; aber es war doch ſchon der Uebergang von der Kunſtkammer zur Rumpelkammer. Es hing da z. B. ein Bild der Lutherſtatue in Wittenberg, mit der Wartburg als Hintergrund. Die Geſchichte des Bildes intereſſirte mich noch mehr als das ab - ſonderliche Bild ſelbſt. Eine reiſende Schauſpielergeſellſchaft, deren erſter Liebhaber es gemalt hatte, hatte es auf Groſchenlooſe aus - geſpielt und der Gewinner war es durch Schenkung an die Kirche los geworden. Daneben hingen drei Porträts, lebensgroß, die Bildniſſe dreier Brüder, die einſt bei Stadt und Kirche ge - glänzt hatten. Das Rathsherrnbild trug folgende Inſchrift:

Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht
Hat uns drei Treueren dieß Denkbild aufgericht.
Dort jenes graue Paar ſtirbt in der Kirche Würde,
Mich macht das Rathhaus alt und ſchwerer Zeiten Bürde.
Was jene bei der Kirch den Seelen gut’s gebracht,
Das hab ich bei der Stadt, nach Menſchen Treu, in Acht.
Urtheilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben,
So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben.

Von Beeskow nach Coſſenblatt ſind noch anderthalb Meilen. Ein leichter Wagen nahm mich auf und in brennender Sonnen - hitze machte ich den Weg. Die Landſchaft iſt troſtlos und die Dörfer ſind arm. Ueberall mahlender Sand und Kiefernhaide, dazwiſchen Brach - und Fruchtfelder, die letzteren ſo kümmerlich,106 daß man glaubt die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin eine reizloſe Oede. Und doch hat der märkiſche Sand auch ſeinen Zauber. Ich werde des Wellenterrains zwiſchen Bieſenthal und Prenden nicht leicht vergeſſen: in den Thaleinſchnitten ein Waſſer - tümpel und Binſengeſtrüpp, auf der Höhe hüben und drüben eine Fichte, ein Kieferbuſch; der Boden gelb, der Himmel grau und am Wege ein Stein, ein verwehter Tannenapfel; über dem allen aber nichts Lautes und Lebendiges, als eine Krähe und die Schläge der Bieſenthaler Thurmuhr, die beide langſam über die Oede hin - ziehen. Wer ſolchem Bilde begegnet, der hat die Poeſie des mär - kiſchen Sandes kennen gelernt.

Aber auf dem Sandwege, den wir heute paſſiren, empfinden wir nichts davon, vielleicht weil die Oede nicht vollkommen iſt und das Sandfeld vielfach den Anlauf nimmt, ein Fruchtfeld zu werden. Solche Anſtrengungen haben immer etwas Triſtes. Es ſind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der Streu - ſandbüchſe des heiligen römiſchen Reiches eingetragen haben, ein Name, der muthmaßlich nie entſtanden wäre, wenn die Rei - ſenden aus dem Reich noch etwas anderes von der Mark ken - nen gelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den ſie auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin nothwendig paſſiren mußten.

Der Weg war reizlos, aber er wurde mir durch eine Begeg - nung werth, die ich unterwegs hatte. Etwa eine halbe Meile vor Coſſenblatt bemerkte ich einen Knaben, der auf einem Feldſtein am Wege ſaß und augenſcheinlich ſehr ermüdet war. Er mochte zwölf Jahr alt ſein. Ich ließ halten und es entſpann ſich folgen - des Geſpräch zwiſchen ihm und mir: Willſt du mit? Wo wüllen Se denn hen? Nach Coſſenblatt. Da will ick ooch hin.

Nun ſtieg er auf und ſetzte ſich beſcheiden auf den Rand des Wagens. Mich beſchäftigte der kleine Vorfall, weil er mir ſo recht wieder jene nüchterne und mißtrauensvolle Vorſicht zeigte, die unſern Stamm im Guten und Schlechten ſo ſehr charakteriſirt. 107Müde wie er war, ſprang er doch weder auf, noch bezeugte er irgend welche Freude; er beantwortete meine Frage durch eine andere Frage, und erſt als ich dieſe meinerſeits zu ſeiner Zufrie - denſtellung erledigt hatte, nahm er freundlich an, was freundlich geboten war. Es war übrigens ein allerliebſter Junge, der mich von Seidenbau und Seidenzucht ſehr verſtändig unterhielt, was ich beſonders hier erwähne, um dabei auf die Vorliebe aufmerkſam zu machen, mit der die Seidenzucht von den ärmeren Leuten unſerer Provinz betrieben wird. Sie ſind mit einer Art Paſſion dabei und es früge ſich, ob dieſe Art der Induſtrie nicht noch ener - giſcher zu unterſtützen wäre.

Wir ſind nun in Coſſenblatt (mein junger Freund hat mich am Eingang des Dorfes beſcheidentlich verlaſſen) und wenige Minuten ſpäter halten wir vor der Einfahrt des Amtshofs, wo alle Sehenswürdigkeiten Coſſenblatts, auf einen engſten Raum zuſammengedrängt, wie zur Auswahl vor uns liegen. Alles liegt rechts von der Dorfſtraße und wir unterſcheiden: Herrenhaus (jetzt Amtshaus), Schloß und Kirche. Unſer nächſter Beſuch aber gilt dem in Weinlaub verſteckten Predigerhauſe, das von der andern Seite der Dorfgaſſe her wie eine Laube zu uns herüber blickt. Freundlich wie das Haus ſind ſeine Bewohner, und Platz nehmend unter dem grünen Dach, den Blick auf Herrenhaus und Schloß und Kirche gerichtet, plaudern wir von Coſſenblatt und ſeiner Geſchichte.

Coſſenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter Beſitz, auch ehe ein Schloß hier ſtand und Feldmarſchälle und Fürſten hier reſidirten. In ſumpfiger Niederung gelegen (Coſſinbloth heißt Krummenſumpf ) unterſchied es ſich immer vortheilhaft von den Sanddörfern der Höhe, und lange bevor es königlich war, hatte es ein Anſehen in der Gegend um ſeiner Aecker und Wieſen willen. Die Beſitzer wechſelten oft; im ſechzehnten Jahrhundert hatten es die von Weilsdorf. Ein Bruder erſtach den andern im Zweikampf, aber auch dieſer Vorgang übrigens eine immer108 wiederkehrende Geſchichte*)Der ganze mittelalterliche Sagen - und Geſchichtenſchatz tritt überall vielleicht, ſicherlich aber in der Mark, völlig typiſch auf. Es giebt Gruppen, Rubriken. Jede Rubrik hat ihre beſtimmte Anzahl von Nummern. Rubrik Teufelsſee acht Nummern, heiliger See acht Nummern. Dazu geſellen ſich noch folgende Rubriken: ſchwarze Frau, weiße Frau, erſtochener Bru - der, ſtummer Mönch, frommer Abt, der über den See ſchreitet ꝛc. Die Rubriken Unterirdiſcher Gang und vergrabener Schatz haben, wie überall, die meiſten Nummern. feſſelt uns nicht und wir beginnen mit dem Jahre 1581. Die Geſchichte Coſſenblatts theilt ſich ſeit der Zeit in drei beſtimmte Epochen: in eine Oppenſche, eine Barfusſche und eine königliche Zeit.

Ueber die Oppenſche Zeit (von 1581 1699) gehen wir ſchnell hinweg. 1581 kam der brandenburgiſche Oberkammerherr, Georg von Oppen, in Beſitz von Coſſenblatt. Es blieb bei der Familie durch drei Generationen hindurch bis 1699. Vom Schloß war damals noch keine Spur vorhanden, vielmehr bewohnten die Oppen das alte Herrenhaus, deſſen Kellergewölbe bis dieſen Augen - blick vorhanden ſind und eine Art Sehenswürdigkeit des jetzigen, im übrigen völlig modernen Amtshauſes bilden. Dieſe hohen Keller - gewölbe, im einfachen Rundbogen, ſind aus unbehauenen Feld - ſteinen aufgeführt und Sachverſtändige pflegen hervorzuheben, daß die Baumeiſter damals einen andern, raſch feſt werdenden Mörtel benutzt, oder die Gewölbe jahrelang geſtützt haben müſſen. Dieſe gewölbten Fundamente gehen bis in die Oppenſche Zeit zurück, vielleicht ſind ſie noch viel älter. Wir laſſen aber dieſe Fundamente ſammt einer Anzahl alter Bilder, die ebenfalls der Vorgeſchichte Coſſenblatts angehören, und wenden uns nunmehr ſeiner eigent - lichen hiſtoriſchen Zeit zu, die mit Feldmarſchall von Barfus beginnt.

Im Jahr 1699 kaufte Hans Albrecht von Barfus, wie wir bereits in ſeiner Lebensgeſchichte (ſiehe das vorige Kapitel: Predikow) bemerkt haben, die Herrſchaft Coſſenblatt und zahlte dafür die für die damalige Zeit ziemlich beträchtliche Summe von 32,000 Tha -109 lern und hundert Dukaten Schlüſſelgeld. Das Oppenſche Herren - haus, das er vorfand, genügte ihm nicht und er beſchloß das Jahr darauf (1700) die Aufführung eines Schloſſes.

Die Arbeiten begannen ſogleich; da aber ſelbſt der mittlere und älteſte Theil des Schloſſes, der Flügelbauten aus noch ſpä - terer Zeit ganz zu geſchweigen, erſt im Jahr 1712 beendet wurde, ſo iſt es nicht wahrſcheinlich, daß der Feldmarſchall, der bereits 1704 ſtarb, jemals einen Theil des Schloſſes bewohnt habe. Das Herrenhaus mußte genügen.

Die Wittwe des Feldmarſchalls, Eleonore, geborene Gräfin von Dönhof (wie wir wiſſen, ſeine zweite Gemahlin), übernahm laut teſtamentariſcher Beſtimmung die Verwaltung der Güter und führte den Schloßbau glücklich hinaus. Sie war eine ſtolze Frau, und es geht die Sage von ihr, daß ſie ihrem einzigen überleben - den Sohne (ſie ſtarb 1728), da ſie ihm ſein Erbe nicht nehmen konnte, dieſes Erbe wenigſtens nach Möglichkeit ſchädigen und ver - ringern wollte. Sie ließ einen holländiſchen Baumeiſter kommen, befahl ihm, unterhalb der Keller des Schloſſes einen zweiten Keller zu graben und zu wölben, that dann alles hinein, was ſie an Gold und Koſtbarkeiten beſaß, und ließ die Gruft in ihrer Gegen - wart ſchließen. Sie nahm dem Baumeiſter alsdann einen Eid ab, die Stelle niemandem zu verrathen. Voll Zweifel aber, ob er den Eid auch halten werde, zog ſie, als er ſchon fort war, das Sichere vor und ließ ihn auf der Rückreiſe nach Holland verſchwinden. Der Schatz war bei Seite gebracht, dem Erben entzogen; aber die Bilder und Möbel waren noch da, die ganze Einrichtung eines reichen Schloſſes. Auch das mußte fort. Als ſie fühlte, daß es mit ihr zum Letzten ging, ließ ſie alles, was das Schloß an koſtbarem Hausrath hatte, auf den Schloßhof tragen, und ver - goldete Stühle und Tiſche, Spiegel und Conſolen, Divans und Commoden wurden zu einer Pyramide aufgethürmt. In einem Rollſtuhl ließ ſie ſich an die offene Thür des Gartenſaales bringen, gab dann Ordre, zwei Fackeln anzulegen, und ſtarrte eine Stunde lang befriedigt in die aufſchlagende Flamme. Sie fühlte das Feuer110 mehr, als daß ſie es ſah, denn die helle Mittagsſonne ſtand über dem Schauſpiel. Als alles niedergebrannt war, ſaß ſie todt in ihrem Rollſtuhl.

So erzählt ſich das Volk. Die erſte Hälfte der Geſchichte, das Vermauern des Schatzes, iſt das immer Wiederkehrende; aber die zweite Hälfte hat neue Züge, die auf wirklich Vorgekommenes hindeuten. Anhaltepunkte ſind da. Ich finde in dem Nachweis über die Söhne des Feldmarſchalls von Barfus folgendes: Die beiden älteren ſtarben jung, der älteſte an Wunden, die er in der Schlacht bei Belgrad erhalten hatte. Der dritte und jüngſte Sohn war Karl Friedrich Ludwig. Er war der einzige, der ſeine Mutter überlebte, und es ſcheint faſt, daß ſeine Erziehung abſichtlich ver - nachläſſigt wurde, da ſeine nächſten Verwandten nach dem Beſitz des reichen Erbes trachteten.

Dieſe Zeilen, ſo unbeſtimmt ſie gehalten ſind, oder vielleicht weil ſie es ſind, laſſen ſich unſchwer mit der eben erzählten Sage in Einklang bringen. Der Sohn, ſo darf man annehmen, wurde nicht von der Mutter, ſondern von den Verwandten erzogen, und eingeſponnen in die Netze der letzteren, traf ihn leicht möglich ein Theil des Haſſes mit, den die alte Reichsgräfin gegen die hab - gierig Wartenden unterhielt. Alles dieß indeß will nichts weiter ſein als eine Hypotheſe, als ein Verſuch, mit Hülfe von Sage und Tradition, dem Hiſtoriſchen um einen Schritt näher zu kommen.

Im Jahr 1728 ſtarb die alte Reichsgräfin, und ihr einziger Sohn, der obengenannte Karl Friedrich Ludwig, folgte im Beſitz von Coſſenblatt. Aber nur acht Jahre blieb es in ſeinen Händen; 1736 erſtand es König Friedrich Wilhelm I. und machte es zu einem Theil ſeiner Herrſchaft Königs-Wuſterhauſen. Ueber die Umſtände, die den Ankauf des Gutes begleiteten, ſpreche ich wei - ter unten.

Hundert Jahre und darüber ſind ſeit jenem Ankauf vergan - gen und Schloß Coſſenblatt iſt ſeitdem ein hohenzollernſcher Beſitz geblieben, bis auf dieſen Tag. Die Barfus, für die der alte Feld -111 marſchall hier eine Stätte bereiten wollte, betraten die Schwelle des Schloſſes nicht wieder, das des ſagenhaften Schatzes ganz zu geſchweigen Schätze an Gold verſchlungen hatte, um es aufzubauen. Da, während der fünfziger Jahre dieſes Jahrhun - derts, trat wieder ein Barfus in das alte Barfusſchloß ein. Der Eintretende war ein Urenkel des Feldmarſchalls; er kam nicht als Herr, er kam als Gaſt. Sei es ein romantiſcher Herzenszug, oder ſei es Pietät gegen die Stätte, wo ſein Ahnherr gelebt und einen Denkſtein ſeines Ruhms und ſeines Reichthums hinterlaſſen hatte, gleichviel, der Enkel hatte das Anſuchen an den König geſtellt, einen Sommer lang in Schloß Coſſenblatt reſidiren zu dürfen, und Friedrich Wilhelm IV., deſſen Königs - und Poetenherz hiſto - riſchen Sinn und romantiſches Empfinden in jeder Geſtalt zu ſchätzen wußte, hatte dem Anſuchen gern willfahrt.

General Barfus, ſelbſt ein alter Soldat, zog ein in das alte Feldmarſchallsſchloß. Ein Wagen hielt vor der Steintreppe, die roſtigen Angeln gaben halb widerwillig nach, und der Enkel ſtand, ein Gaſt, ein Fremder, im Haus ſeiner Väter. Niemand war mit ihm als ſeine Frau und deren Dienerin. Er bezog die Eckzimmer im Schloß und das Nöthigſte an Hausrath wurde herbeigeſchafft; aber es war nicht möglich, die Oede des Orts in Wohnlichkeit zu verwandeln. Der Regen fuhr durch die morſch gewordenen Fen - ſter und ſelbſt das heitere Sonnenlicht lieh dieſem Ort keine Hei - terkeit, denn ungemildert fiel es durch die großen Fenſter und ſprang heiß und blendend von den kahlen weißen Wänden zurück. Zu dem Bedrückenden der Oede geſellte ſich der Mangel an al - lem, was das Leben, ſelbſt ein einfaches Leben, an Unterhalt erfordert. Die Stadt war weit und das Dorf war arm. Die Frauen litten ſchwer; aber das romantiſche Herz des Generals trug die Entbehrungen, die ihm Schloß Coſſenblatt auferlegte, mit Freudigkeit; ſie hoben ihn mehr, als daß ſie ihn niederdrückten. Er war nicht nach Schloß Coſſenblatt gekommen, um zu banket - tiren; es lag ihm nicht an luſtiger Geſellſchaft und an lautem Geſpräch über den Tiſch hin; es lag ihm an ſtiller Zwieſprach112 mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das nicht leiſe zu ihm geſprochen hätte. Ihm waren dieſe weiten Räume nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag ſie durch - ſchritt, hörte er’s flüſtern und ſtand ſtill, ob er’s erlauſchen könnte. Umſonſt hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück - kehr zu den Menſchen; da endlich kam Hülfe, ehe ſie erwartet war. Es war Hochſommer und die Hitze des Tags hatte den Ge - neral in die Wald - und Wieſengründe geführt, die den Coſſen - blatter See an ſeinem Südrande umziehen. Es wurde drückend ſchwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als die erſten Donner heraufzogen, war es, als rollten ſchwere Wa - gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windſtöße fuhren gegen das Schloß, und die entſetzten Frauen hörten, wie in allen Theilen des Schloſſes ein geſpenſtiſches Klappen von Fenſtern und Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böſe herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo - hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber ſtand wie in Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel, der Schloßhof ſtand wie in Flammen und die Dienerin ſchrie auf: Dort ſitzt ſie! Es war ihr, als habe ſie die alte Reichs - gräfin geſehen, im Rollſtuhl unter der Balkonthür ſitzend und in die Flammen des Hofes ſtarrend.

Dieſer Nachmittag entſchied; die Gäſte verließen Schloß Coſ - ſenblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen ihre ſtille Wirthſchaft und niemand anders ſprach ein, als der Wind im Kamin. Die Barfuſe waren vergeſſen an derſelben Stelle, an der der alte Feldmarſchall ſich ſelbſt und ſeinem Namen eine Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Coſſenblatt wußte nichts mehr von den Barfuſen und viele Barfuſe wußten nichts mehr von Coſſenblatt. Aber aus der Geſchichte unſerer Tage haben wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen Barfus und in aller Kürze jener dritten Epoche Schloß Coſſen - blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms I.

113

Im Jahre 1735 kam König Friedrich Wilhelm I. auf einer Jagd von Königs-Wuſterhauſen aus in die Gegend von Coſſen - blatt, ſah das ſchöne Schloß und trug dem Beſitzer, dem mehr - genannten Grafen Karl Friedrich Ludwig von Barfus, an, ihm Coſſenblatt käuflich zu überlaſſen. Als dieſer Antrag abgelehnt wurde, ſetzte der König alles in Bewegung, um ſeine Abſicht den - noch zu erreichen. Es fand ſich auch bald ein Weg, da er ſich durchaus finden ſollte. Der Verlauf war folgender. Nur um den wiederholten Zumuthungen des Königs zu entgehen und letzteren durch eine möglichſt hochgegriffene Summe abzuſchrecken, äußerte der Graf gegen den Unterhändler des Königs, daß er die Güter (Coſſenblatt, Brieſcht, Werder und Wieſe) für 180,000 Thaler überlaſſen wolle. Dieß genügte. Der König erklärte nunmehr: da der Graf ſich geäußert habe, die Güter verkaufen zu wollen, ſo hänge es nicht mehr von dem freien Willen deſſelben ab, den Preis der Güter zu beſtimmen, vielmehr müßten dieſelben taxirt werden. Hiernach kam der Kauf im Januar 1736 zu Stande, ohne daß die belehnten Agnaten befragt worden wären. Der - nig bewilligte 125,000 Thaler, ſchlug Coſſenblatt zur Herrſchaft Königs-Wuſterhauſen und überwies es gleich nach der Uebergabe ſeinem zweiten Sohne, dem Prinzen Auguſt Wilhelm. Ob dieſer je dort reſidirt hat, iſt mindeſtens zweifelhaft. Der Prinz, zu Spandau in Garniſon, hatte eine ausgeſprochene Vorliebe für das nachbarliche Oranienburg, deſſen Park allein ausgereicht haben würde, es über das beinah baumloſe und jedenfalls weit abgele - gene Coſſenblatt zu erheben. Nichts erinnert mehr daran, daß das letztere jemals im Beſitz des Prinzen war, außer der Namenszug A. W. (Auguſt Wilhelm) am großen Frontbalkon.

Prinz Auguſt Wilhelm reſidirte nicht in Schloß Coſſenblatt, aber der König ſelbſt ſcheint, während ſeiner letzten Lebensjahre, Wochen - und Monatelang daſelbſt zugebracht zu haben. Wenn der Ausdruck geſtattet iſt: er ſaß hier ſeine Gicht ab, und Schloß Coſſenblatt wurde der Schauplatz jener Kunſtübungen, deren Re - ſultate die bekannte Inſchrift tragen: in tormentis pinxit.

8114

Die Bilder, die ſich noch gegenwärtig in Coſſenblatt befin - den, (neuerdings, Sommer 1863, nach Königs-Wuſterhauſen ge - ſchafft) tragen zwar zufällig dieſe Inſchrift nicht; ſie ſind aber nichts deſtoweniger in tormentis gemalt, und ſehen auch danach aus.

Nach dieſen hiſtoriſchen Vorbemerkungen ſchicken wir uns nun - mehr, unſern Plauderplatz unter der Weinlaube des Prediger - hauſes aufgebend, zum Beſuch des Schloſſes ſelber an.

Die Lage deſſelben iſt nicht günſtig. Ein Schloß, ein Her - renhaus, wo die Natur nicht Berg, nicht See geboten hat, muß entweder, nur wenig zurücktretend, ſich in gleicher Linie mit der Dorfgaſſe erheben, oder aber inmitten eines Parks liegen, hinter deſſen Bäumen es ſich halb verſteckt. Das Coſſenblatter Schloß thut weder das eine, noch das andere. Der Platz an der Dorf - gaſſe war ſchon vergeben (das alte Herrenhaus nahm dieſen Platz ein), und ſo erhebt ſich das Schloß hinter dem jetzigen Amtshof, deſſen Wirthſchaftsgebäude zugleich die Auffahrt zum Schloſſe bil - den. Dehnte ſich nun unmittelbar hinter dem Amtshof ein Park, ein Wald aus, aus dem das blendend weiße Schloß hier und da hervorſchimmerte, ſo würde durch die ſonderbare Art der Auffahrt nicht viel verloren ſein, ja ſie könnte vielleicht einer poetiſch male - riſchen Wirkung Vorſchub leiſten; aber dieſer Wald fehlt, und wie auf einer Tiſchplatte, über die man ein graugrünes Tuch gelegt hat, ſteht das Schloß da, unvermittelt, ohne Vor - und Hintergrund, wie eine Tempelruine in der Wüſte. Dieſer Aus - druck aber ſoll nur das Unvermittelte des Aufſteigens bezeichnen, denn Schloß Coſſenblatt, wie viel ihm im Uebrigen fehlen mag, iſt jedenfalls keine Ruine, vielmehr liegt es in einer gewiſſen Stattlichkeit und Wohlerhaltenheit da, die auf den erſten Blick überraſcht. Erſt ein Eingehen in die Details zeigt, daß dies letztere mehr ſcheinbar als wirklich iſt.

Wir ſtehen nun in Front des faſt wie Kreide in der Sonne blitzenden Schloſſes, das aus einem Corps de Logis und zwei Flügeln beſteht. Der erſte Eindruck, wenn wir von dem Un - maleriſchen der Lage abſehen, iſt architektoniſch kein ungünſtiger, und erſt die Rückfront des Baues zeigt uns ſeine Schwächen: die115 Flügel ſind zu lang und der Zwiſchenraum zwiſchen denſelben, der Schloßhof, iſt viel zu ſchmal. Der ganze Bau erhält dadurch etwas Gefängnißhaftes. Die Rückſeite des Schloſſes hat die Aus - ſicht auf einen ſchmalen Spreearm, und zugleich auf eine kümmer - liche Baumanlage am andern Ufer des Fluſſes, die den Namen Luſtgarten führt. Früher ging eine Brücke über den Spreearm, aber nur ein einziger Pfahl zeigt noch, wo ſie ſtand.

Dieſer Luſtgarten war es, wohin ſich König Friedrich Wil - helm I. in ſeinem Rollwagen fahren ließ, und die ſorglich zu - geſchrägte Doppelrampe, die ſich in Hufeiſenform an die Schloß - flügel anlegt, zeigt am deutlichſten, mit welcher Sorglichkeit ver - fahren werden mußte, um die ſchlechte Laune des von Gicht und Waſſerſucht geplagten Königs nicht noch ſchlechter zu machen.

Wir haben das Schloß umſchritten und treten nun ein. Der Eindruck, den es in ſeinem Innern macht, iſt der des Stattlichen, aber zugleich der höchſten Trübſeligkeit. Es iſt ein impoſantes Nichts, eine vornehme Oede, eine würdevolle Leere, die Dimen - ſionen eines Schloſſes und die Nüchternheit einer Kaſerne. Wir ſteigen zunächſt treppan. In den Zimmern der Bel-Etage erreicht die Oede den höchſten Grad. Die hechtgrau angeſtrichenen Thüren tragen in Manneshöhe allerhand gelbe Oelfarbe-Inſchriften, und den Corridor des linken Flügels hinunterſchreitend, leſen wir, nach der Analogie von Kaſernenſtube Nr. 3, Nr. 4: Ihro Hoheit Kron - prinzeſſin, Ihre Hoheiten Prinzeſſin Ulrike und Amalie, Ihre Königl. Hoheiten Prinz Heinrich und Ferdinand, Oberhofmei - ſterin, Fräuleins-Kammer ꝛc. Das Zimmer der beiden jungen Prinzen, Heinrich und Ferdinand, ſieht aus wie ein Gefängniß. Dazwiſchen immer Garderobezimmer, aber alles in dieſelbe weiße Tünche getaucht.

Wir kehren nun aus dem erſten Stock in die Zimmer des Erdgeſchoſſes zurück. Hier in den Zimmern des linken Flügels wohnte der König und mancherlei erinnert noch an ihn, an ſei - nen holländiſchen Geſchmack, an ſeine Neigungen und ſeine Thä - tigkeit. Im großen Eckzimmer ſind die Wände bis zu der Höhe,8*116in der ſonſt Panele laufen, mit kleinen holländiſchen Kacheln be - kleidet, glaſirte Täfelchen mit kleinen blauen Figuren darauf. Dieß war erſichtlich das Staats - und Empfangzimmer während der Tage in Coſſenblatt; denn über dem Kamin hängt ein Por - trät Ludwig XIV. im weit nachſchleppenden Hermelin. Die Far - ben des Bildes ſind halb abgefallen und doch iſt der haften ge - bliebene Reſt das Einzige, was in dem ganzen weiten Schloß an Kunſt erinnert, an Genius mahnt.

In demſelben Zimmer befindet ſich noch ein Dutzend anderer Porträts, aber es ſind die in tormentis gemalten Bilder des Königs ſelbſt. Das Mildeſte, vielleicht auch das Zutreffendſte, was man von ihnen ſagen kann, iſt: ſie verleugnen die Stunde ihres Urſprungs nicht. Freilich haben auch ſie ihre Verehrer gefunden, und wenn man ſo will, mit Recht. Einige unbedingte Friedrich - Wilhelms-Bewunderer haben die ganze Frage auf das Gebiet des Charakters, der Kraft, der Energie geſpielt und von ihrem Stand - punkt aus mit Recht geſprochen: So malte ein Mann, der nicht malen konnte; ſo malte er unter Schmerzen, und jeden Tag ein Bild.

Vor dieſem Raiſonnement verneigt ſich die Kritik. Alle dieſe Bilder des Königs rühren aus den Jahren 1736, 1737 und 1738 her. Es ſind ſämmtlich Porträts (Bruſtſtücke), und zwar 41 an der Zahl, von denen ſich 32 in den Zimmern, 9 aber im Corridor, alle in Rahmen von gebeiztem Eichenholz, befinden. So häßlich die Bilder ſind und ſo unfähig, ein künſtleriſches Wohl - gefallen zu wecken, ſo wecken ſie doch immerhin ein gewiſſes künſt - leriſches Intereſſe. Der Hang zum Charakteriſtiſchen iſt unver - kennbar. In dem einen Zimmer hängen z. B. zwei Judenköpfe neben einander. Man ſieht deutlich, daß dem König der erſte Kopf nicht jüdiſch genug erſchienen war, und daß er ſich zum zweiten mal an die Arbeit machte, um das Charakteriſtiſche entſchiedener herauszuarbeiten. Einmal iſt ihm ſogar (cum grano salis) ein hübſcher Kopf geglückt: die Frau ſeines erſten Kammerdieners.

Außer den Bildern des Königs bewahrt Schloß Coſſenblatt117 auch die Staffelei, auf der dieſe Bilder gemalt wurden. Daneben ſteht ein ſchwerer Eichentiſch und um den Tiſch herum eine An - zahl ſchwerer Holzſtühle, nach Art unſerer jetzigen Gartenſtühle. Alles höchſt ſolid gearbeitet, beſonders der Tiſch, der wie auf Pfeilern ruht.

Wir durchſchritten auch den Reſt der Zimmer; ſie waren im Erdgeſchoß, wie oben im erſten Stock, groß, öde, weiß; dazu hohe Fenſter und hohe Kamine. Sie hatten nur ein charakteriſtiſches Zeichen, und dieſes Zeichen mehrte unſer Grauen. In jedem Zim - mer lag ein todter Vogel, in manchen auch zwei. In Sturm - nächten hatten ſie Schutz geſucht in den Rauchfängen, und tiefer nach unten ſteigend, waren ſie in das Zimmer wie in eine Vogel - falle hinein gerathen. Vergebens einen Ausweg ſuchend, hin und her flatternd in dem weiten Gefängniß, waren ſie verhungert.

Spät am Abend, die Sterne waren längſt am Himmel, mahlte unſer Fuhrwerk wieder durch den Sand den öden Weg nach der Stadt zurück. Es war kühl geworden und der Sternen - himmel gab auch dieſer Oede einen poetiſchen Schimmer. Ich ſah hinauf und freute mich der Klarheit, des Glanzes; doch in die heitern Bilder, die ich wachzurufen trachtete, drängte ſich immer wieder das Bild von Schloß Coſſenblatt hinein. Die weißen Wände ſtarrten mich an, ich hörte das geſpenſtiſche Thürenklappen und in dem letzten Zimmer des linken Flügels flog ein Vögelchen hin und her und ſtieß mit dem Kopf gegen die Scheiben; ſein Zirpen klang wie Hülferuf. Aber im ſelben Augenblick war alles hin, der Schloßhof ſtand in Flammen und unſichtbare Hände trugen das Schloß ab und warfen es in das Feuer.

[118]

Königs-Wuſterhauſen.

Finſtrer Ort und finſtrer Sinn,
Nun blühen die Roſen drüber hin.

Mehr noch als Schloß Coſſenblatt, das ich im vorigen Kapitel geſchildert, war, wie männiglich bekannt, Königs-Wuſterhauſen ein bevorzugter Aufenthalt König Friedrich Wilhelms I. Wir dürfen an dieſem (an Wuſterhauſen) nicht vorbeigehen, nachdem wir jenes (Coſſenblatt) kennen gelernt haben und wählen zu unſerem Aus - flug das Pfingſtfeſt, das Feſt der Maien.

Es reiſt ſich ſchön an einem Pfingſtſonnabend in die Welt hinein, es ſei wohin es ſei. Die Natur, die Dinge, die Menſchen, alles lacht; die Sonne geht in Strahlen unter, die Rapsfelder blühen, und ſelbſt die Windmühlenflügel ſchwenken Maienbüſche durch die Luft.

Ricksdorf rüſtete ſich zum Feſt. Die Mägde aufgeſchürzt und kurzärmlig, ſtanden auf den Höfen und wuſchen und ſcheuerten; die kupfernen Keſſel blinkten wie Gold, und einige Kinder, die eben aus dem Tümpelbade kamen, liefen nackt über die Straße und wirbelten den Staub auf. Der Tümpel blieb ja nah und erlaubte ein zweites Bad.

In Rudow ſchnitten die Jungen Kalmus; über Walters - dorf ſpannten die Linden ihren Schirm, während ſich der Kirch - hof in Hollunderbüſchen verſteckte; Kiekebuſch aber (ſo ändern119 ſich die Zeiten) kuckte nicht mehr aus Buſch und Haide, ſondern aus hohen Roggenfeldern hervor.

Nun Haiderevier, dann wieder freies Feld, bis plötzlich die Höhe, auf der wir bis dahin fuhren, ſteil abfällt und eine Nie - derung, zunächſt ein Keſſelthal vor uns liegt, in das wir hin - unterrollen. Die Poſtillone blaſen (wir haben drei Beichaiſen), die erſten Häuſer ſchimmern hinter Bäumen hervor, die Leute vor den Thüren richten ſich auf und grüßen, und die Jungen werfen ihre Mützen und ſchreien Hurrah. Es iſt ein Lärm, der einer Reſidenz zur Ehre gereichen würde, und doch iſt es nur Wuſterhauſen, freilich zu Pfingſten.

Wir halten vor der Poſt; drüben iſt ein Gaſthof mit Staub - rouleaux, Waſchtoiletten und Klingelzügen, alles großſtädtiſch, und während mir zwei Lichter auf den Tiſch geſetzt werden, richt ich unwillkürlich die Frage an mich: iſt dies daſſelbe Wuſterhauſen, von dem wir jene klaſſiſche, aber freilich wenig ſchmeichelhafte Be - ſchreibung haben, die eine Seite in den Memoiren der Mark - gräfin von Baireuth, der Lieblingsſchweſter Friedrichs des Großen, füllt? Laß doch ſehen, was ſie ſchreibt.

Ich war wohlweislich nicht ohne dies Buch aufgebrochen, (das, wenn man ſo will, der älteſte Fremdenführer von Wuſter - hauſen iſt), und las wie folgt:

Mit unſäglicher Mühe hatte der König an dieſem Orte einen Hügel aufführen laſſen, der die Ausſicht ſo gut begrenzte, daß man das verzauberte Schloß nicht eher ſah, als bis man herabgeſtiegen war. Dieſes ſogenannte Palais beſtand aus einem ſehr kleinen Hauptgebäude, deſſen Schönheit durch einen alten Thurm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe führte. (In der erſten Ausgabe heißt es von dieſem alten Thurm: er war ein ehemaliger Diebeswinkel, von einer Bande Räuber erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte. ) Das Gebäude war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, deſſen ſchwarzes und fauliges Waſſer dem Styxe glich. Drei Brücken verbanden es mit dem Hofe (in Front des Schloſſes), mit dem120 Garten (zur Seite deſſelben) und mit einer gegenüberliegenden Mühle. Der nach vornhin gelegene Hof war durch zwei Flügel flankirt, in denen die Herren von des Königs Gefolge wohnten. Am Eingang in den Schloßhof hielten zwei Bären Wacht (bei - läufig geſagt ſehr böſe Thiere), die auf ihren Hintertatzen umher - ſpazierten, weil man ihnen die vorderen abgeſchnitten hatte. Mit - ten im Hof befand ſich ein kleiner Born, aus dem man mit vie - ler Kunſt einen Springbrunnen gemacht hatte. Er war mit einem eiſernen Geländer umgeben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den ſich der König Abends zum Tabackrau - chen auszuwählen pflegte. Meine Schweſter (Charlotte; ſpäter Her - zogin von Braunſchweig) und ich, hatten für uns und unſer gan - zes Gefolge nur zwei Zimmer, oder vielmehr zwei Dachſtübchen. Wie auch das Wetter ſein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde auf - geſchlagen war. Bei ſtarkem Regen ſaßen wir bis an die Waden im Waſſer, da der Platz vertieft war. Wir waren immer 24 Per - ſonen zu Tiſch, von denen drei Viertel jederzeit faſteten; denn es wurden nie mehr als ſechs Schüſſeln aufgetragen und dieſe waren ſo ſchmal zugeſchnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Menſch ſie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte. *)Prinzeſſin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle ihrer Memoiren: ich war all die Zeit über ſo leidend, daß ich verſichern darf, zwei Jahre lang von nichts anderem als Waſſer und trocken Brot gelebt zu haben . Es ſcheint faſt, daß ſie die Entſagung, die ihr ihr Krankheitszuſtand auferlegte, der Kärglichkeit der Königlichen Tafel zur Laſt legen will. Es iſt nicht ſehr wahrſcheinlich, daß es ſo knapp in Wuſterhauſen hergegangen ſein ſollte. Der König war ein ſehr ſtarker Eſſer, und alle Perſonen von gutem Appetit haben die Maxime: leben und leben laſſen . Außerdem liegen glaubhafte Berichte vor, aus denen ſich ganz genau erſehen läßt, was an Königs Tiſch geſpeiſt wurde. Es gab: Suppe, geſtovtes Fleiſch, Schinken, eine Gans, Fiſch, dann Paſtete. Dazu ſehr guten Rheinwein und Ungar. In Wuſterhauſen kamen noch (weil es die Jahreszeit mit ſich brachte), Krammetsvögel, Leipziger Lerchen und Rebhühner hinzu, beſonders auch Früchte zum Deſſert, darunter die ſchönſten Weintrauben. Das klingt ſchon einladender, als die Beſchreibung der Prinzeſſin..... In121 Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wuſterhauſen aber die Hölle zu erdulden.

So die Markgräfin, die frühere Prinzeſſin Wilhelmine. Ich ſchlug das Buch zu und trat an das offene Fenſter, durch das der heitere Lärm ſchwatzender Menſchen zu mir herauf drang. Das Zimmer lag im erſten Stock und die Kronen der abgeſtutzten Lin - denbäume ragten bis zur Fenſterbrüſtung auf, ſo daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verſtecken konnte. An der andern Seite der Straße (etwas zurückgelegen) zog ſich der eine Cavalierflügel des Schloſſes hin. Die ganze mir zugekehrte Front ſteckte in wei - ßen und rothen Roſen, die Oberfenſter waren geöffnet und Licht und Muſik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in ſchrä - ger Richtung nach rechts hin, ſtanden hohe Baumgruppen, und zwiſchen dem Laubwerk wurde das Schindel - oder Schieferdach des alten Schloßthurms ſichtbar, des Diebeswinkels, von einer Räuberbande erbaut. War es wirklich ſo arg mit ihm? Er ſtand da, mondbeſchienen, mit der friedlichſten Miene von der Welt, ſeine Spitze (eine Art Flaggenſtock) ſo krumm wie ein Elephanten - zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an Fegfeuer und Hölle mahnend.

Es war noch nicht ſpät und der Weg nicht zwei Minuten weit; ſo beſchloß ich noch einen Abendbeſuch zu machen und die, freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schloſſes mit der Be - ſchreibung ſeiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils verſteckt, das Schloß ſelbſt. Die Bären fehlten, der Springbrun - nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer ſeine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe ſtand mitten in einem Fliederbosquet und nahm ſich beſſer aus, als Pumpen ſonſt wohl pflegen.

Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda - mente des Schloſſes in wenigſtens dunklen Umriſſen, die Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in ſcharfen Linien erkennen; was122 zwiſchen Giebel und Grundmauer lag, war hinter Bäumen ver - ſteckt. Der Styx exiſtirte nicht mehr; halb zugeſchüttet war aus dem Graben ein breiter Streifen Wieſenland geworden; die blü - henden Kräuter würzten die Luft, und im Rücken des Schloſſes (die Notte fließt dicht daran vorüber) hört ich, wie ein Waſſer ſtill, breit, melodiſch über ein Wehr fiel.

Ich kehrte um und ſetzte mich unter die Linden des Gaſt - hauſes. Das war keine Hölle, die ich geſehen hatte, oder die Beleuchtung hatte Wunder gethan.

Der Wirth ſetzte ſich zu mir, und angeſichts des Schloſſes, deſſen Thurmdach uns argwöhniſch zu belauſchen ſchien, plauderten wir vom Schloß Wuſterhauſen.

In alten wendiſchen Zeiten ſtand hier ein Dorf Namens Wuſtrow , d. h. umfloſſener Ort. Die Bezeichnung findet ſich vielfach in der Mark bis dieſen Tag, z. B. das Zieten’ſche Wu - ſtrau. Als die Deutſchen in’s Land kamen, gründeten ſie ein Nach - bardorf, das noch exiſtirende Deutſch-Wuſtrow, zum Unterſchied von Wendiſch-Wuſtrow, ſchließlich aber wurden beide Worte (durch ein angehängtes hauſen ) germaniſirt, und Deutſch - und Wendiſch-Wuſterhauſen waren fertig.

Wendiſch-Wuſterhauſen nur mit dieſem haben wir es zu thun wurde eine markgräfliche Burg. Sie vertheidigte, wie Schloß Mittenwalde, von dem wir in einem der nächſten Kapitel ſprechen werden, den Notte-Uebergang, d. h. ſie war Grenzburg zwiſchen der Mark und der Lauſitz.

Wendiſch-Wuſterhauſen blieb markgräfliche Burg bis gegen 1370. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß der alte Thurm (der Diebs - winkel ) bis in dieſe markgräfliche Zeit zurückdatirt. Etwa 1375 kamen die Schliebens in Beſitz der Burg, eine Familie, die damals in der Umgegend reich begütert war. Sie beſaßen es ein Jahrhundert lang, alſo namentlich auch während der Quitzow - Zeit, ohne daß beſondere Räuberthaten der Burg Wendiſch-Wuſter - hauſen, bekannt geworden wären. 1475 kauften es die Schenken von Landsberg, die damaligen Beſitzer der Herrſchaft Teupitz,123 aus deren Händen es (kleiner Mittelglieder zu geſchweigen) 1683 in Beſitz des Kurprinzen Friedrich, des ſpäteren Königs Frie - drich I. kam. Dieſer ſchenkte es 1698 ſeinem damals 10 Jahre alten Sohne, dem ſpäteren König Friedrich Wilhelm I.

Dieſer (Friedrich Wilhelm I.) nahm Wendiſch-Wuſterhauſen von Anfang an in ſeine beſondere Affektion. Er hielt bei dieſer Vorliebe aus bis zu ſeinem Tode. Was der Ort jetzt iſt, ver - dankt er ihm, dem Soldatenkönig. Das Dorf wurde zum Fle - cken; die Straßen und Plätze, die Häuſer und Bäume, alles iſt ſein Werk, und mit Recht hat der Flecken ſeinen Namen gewechſelt und ſich aus einem Wendiſch-Wuſterhauſen zu einem Königs - Wuſterhauſen erhoben.

Königs-Wuſterhauſen iſt vielleicht mehr als ein anderer Ort (nur Potsdam ausgeſchloſſen) mit der Lebens - und Regierungs - Geſchichte König Friedrich Wilhelms I. verwachſen. Hier ließ er als Knabe ſeine Kadetten, und einige Jahre ſpäter (von 1705 an, wo er ein Regiment erhalten hatte) ſeine Leib-Compagnie exerciren. Hier übte und ſtählte er ſeinen Körper, um ſich wehr - haft und mannhaft zu machen, und hier, zur Regierung gelangt, fanden jene Jagdſcenen und waidmänniſchen Feſtlichkeiten ſtatt, die Wuſterhauſen damals zum Jagdſchloß par excellence erhoben.

Hier auf dem Schloßhof, den jetzt die friedliche Pumpe ziert, war es, wo jedesmal nach abgehaltener Jagd, den Hunden ihr Jagdrecht wurde. Dies Jagdrecht galt als eine Nachfeier zum eigentlichen Feſt. Der zerlegte Hirſch wurde wieder mit ſeiner Haut bedeckt, an der ſich noch der Kopf ſammt dem Geweih be - finden mußte. So lag der Hirſch auf dem Hof, während hundert und mehr Parforce-Hunde, die durch ein Gatter von ihrer Beute getrennt waren, laut heulten und winſelten und nur durch Peit - ſche und Karbatſche in Ordnung gehalten wurden. Endlich erſchien der König, der Jägerburſche zog nun die Haut des Hirſches fort, das Gatter öffnete ſich und die Meute fiel über ihr Jagdrecht her, während die Piqueurs im Kreiſe ſtanden und auf ihren Hör - nern blieſen.

124

Wenigſtens zwei Monate alljährlich wohnte König Friedrich Wilhelm I. in Wuſterhauſen. Späteſtens am 24. Auguſt traf er ein und früheſtens am 4. oder 5. November brach er auf. Die erſten 8 Tage gehörten der Rebhuhnjagd (vorzüglich auf der Groß - Machenower Feldmark), ſpäter dann folgten, freilich zumeiſt erſt im December und Januar, die Jagden auf Roth - und Schwarzwild. Zwei ſtehende Feſtlichkeiten im größeren Stil gab es alljährlich während der Wuſterhauſner Saiſon: die Jahresfeier der Schlacht bei Malplaquet (am 11. September) und das Hubertusfeſt am 3. November. Bei Malplaquet war der König, damals noch Kronprinz, zum erſten Mal im Feuer geweſen, das erheiſchte, wie billig, ein Erinnerungsfeſt. Das Hubertusfeſt war zugleich das Abſchiedsfeſt von Wuſterhauſen.

Bei dieſen Feſten ging es hoch her, zumal beim Hubertusfeſt. Nur einmal fiel es aus, am 3. November 1730. Am 28. Okto - ber, ſechs Tage vor dem Hubertustag, hatte das Kriegsgericht in Schloß Cöpenick geſeſſen, das über Katte und Kronprinz Friedrich Urtheil ſprechen ſollte.

In Wuſterhauſen ſaß derweilen der erzürnte König und war - tete auf Tod . Das Kriegsgericht ſprach Schuldig , aber es verweigerte den Ausſpruch Tod . Da griff der König ſelbſt in den Gang des Prozeſſes ein, er ſtieß das Urtheil um, und jene berühmte Cabinetsordre wurde erlaſſen, die da ſchließt:

S. K. M. ſeynd in der Jugend auch die Schule durch - gelauffen und haben das lateiniſche Sprüchwort gelernet: fiat justitia et pereat mundus. Alſo wollen Sie hiermit, und zwar von Rechts wegen, daß der Katte, ob er ſchon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen crimen lae - sae Majestatis mit glühenden Zangen geriſſen und auffgehän - get zu werden, Er dennoch nur, in consideration ſeiner Fa - milie, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht wer - den ſolle. Wenn das Kriegs-Recht dem Katten die Sentenz publicirt, ſoll ihm geſagt werden, daß es S. K. M. leydt125 thäte, es wäre aber beſſer, daß er ſtürbe, als daß die Juſtiz aus der Weldt kähme.

Dieſe Cabinetsordre trägt als Ort und Datum: Wuſter - hauſen, d. 1. November 1730.

Hier in Wuſterhauſen ſpielten ſpäter die Intriguen zwiſchen Schweſter und Schweſter, (Prinzeſſin Wilhelmine und Prinzeſſin Charlotte) und Tochter und Mutter (Prinzeſſin Wilhelmine und Königin); hier ſchwankte noch zuletzt die Wage, ob der Erbprinz von Baireuth oder der Prinz von Wales, wie ſo ſehr gewünſcht wurde, die Braut heimführen würde; hier endlich, nachdem die Ungewitter ſich verzogen und ruhigeren Tagen Platz gemacht hat - ten, theilte der früh alternde König, wenn Gicht und Podagra das Jagen verboten, ſeine Zeit zwiſchen Rauchen und Malen, zwiſchen Pfeife und Pinſel. Es war dann in Wuſterhauſen wie in Schloß Coſſenblatt (ſeinem eigentlichen Atelier), nur mit dem Unterſchied, daß Coſſenblatt der auserwählte Ort für Podagra und Malerei geweſen zu ſein ſcheint, während in Potsdam und Wuſterhauſen nur gemalt wurde, wenn die Gicht wie von unge - fähr d. h. ohne Anmeldung und unerwartet erſchien. Dies iſt auch der Grund, weshalb ſich in Potsdam und Wuſterhauſen viel we - niger Bilder von der Hand des Königs vorfinden, als in Schloß Coſſenblatt. Man könnte vielleicht ſagen, daß ſeine Malerei in Coſſenblatt chroniſch, in Potsdam und Wuſterhauſen blos acut geweſen ſei. Schon hier übrigens ſei bemerkt, daß ſich im Wuſterhauſener Schloſſe zur Zeit keine Bilder des Königs mehr vorfinden (ſeit Sommer 1863 geändert. Vgl. S. 114), doch hän - gen einige auf dem Oberflur des nachbarlichen Poſthauſes, Er - innerungsſtücke an die Kunſt und die Gicht des königlichen Malers.

Bei dieſem Geplauder war es ſpät geworden. Die Stille in den Straßen mahnte zur Ruh. Ein ſchwaches Wetterleuchten zuckte dann und wann am Himmel und verſprach einen ſchönen Tag; ſo ſchlief ich ein.

Der andere Morgen war Pfingſtſonntag. Ich brach früh auf, um das verzauberte Schloß in hellem Tageslicht zu ſehen. Ich126 fragte nach dem Kaſtellan, todt; nach der Kaſtellanin auch todt; endlich erſchien ein Mann mit einem großen alten Schlüſſel, der mir als der Exekutor vorgeſtellt wurde. Dies ängſtigte mich ein wenig. Es war ein ziemlich mürriſcher Alter, der von nichts wußte, auch von nichts wiſſen wollte. Seine Naſe ſpielte in’s Röthliche.

Wir traten durch eine Seitenthür auf den Schloßhof. Es war ſchon heiß, trotz der frühen Stunde; die Sonne blendete und die Bosquets ſammt der weißen Pumpe waren nicht ganz mehr, was ſie am Abend vorher geweſen waren.

Wir umſchritten zunächſt das Schloß, dann nahm ich einen guten Stand, um mir die Architectur deſſelben einzuprägen. Es iſt gewiß ein ziemlich häßliches Gebäude, aber es iſt doch mehr originell als häßlich, und weil es (hübſch oder häßlich) ſo ganz apart iſt, iſt es nicht ohne Intereſſe. Der ganze Bau, bis zu beträchtlicher Höhe, iſt aus Feldſtein aufgeführt, woraus ich den Schluß ziehe, daß der König, bei Ausbau des Schloſſes, die Grundform deſſelben (ein Viereck, mit einem vorſpringenden Rund - thurm) beibehielt und nur die Einrichtung und Gliederung völlig veränderte. Der Rundthurm wurde Treppenthurm. Von dieſem Thurm aus zog er eine Mauerlinie mitten durch das Feldſtein - Viereck hindurch, und theilte dadurch den Bau in zwei gleiche Hälften. Jede Hälfte erhielt ein Giebeldach, ſo daß jeder, der ſich dem Schloſſe nähert, zwei Häuſer zu ſehen glaubt, die mit ihren Giebeln auf die Straße blicken. In Front beider Giebel, an beide ſich lehnend, ſteht der Thurm.

Der Thurm iſt ſehr alt; König Friedrich Wilhelm I. aber hat ihm einen modernen Eingang gegeben, eine Art griechiſches Portal (in Mannshöhe), deſſen Giebelfeld etwa ein Dutzend in Holz geſchnittene Amoretten zeigt. Einige ſind wurmſtichig gewor - den, andere haben ſonſtigen Schaden genommen.

Beim Eintreten erblickt man zuerſt verließartige Kellerräume, darin etwas Stroh liegt, wie eben verlaſſene Lagerſtätten. Dann führt eine Treppe von zehn oder zwölf Stufen in’s Hochparterre,127 dann eine zweite höhere Treppe in’s erſte Stockwerk. Wir verwei - len hier einen Augenblick. Ein ſchmaler Gang ſcheidet zwei Reihen Zimmer von einander, deren Thüren ſämmtlich (muthmaßlich des beſſeren Luftzugs halber) kleine Gitterfenſter haben, in Folge deſſen die Zimmer genau ausſehen, wie Gefängnißzellen. Es ſind dies erſichtlich dieſelben Räume ( nicht beſſer als Dachſtuben ), in denen die Prinzeſſinnen ſchlafen mußten, wenn ſie nicht, was auch mög - lich iſt, in den kleinen Giebelſtuben untergebracht wurden. Die Gitterfenſter gönnen überall einen Einblick. Nur eines der Zimmer ſchien benutzt; auf dem Boden deſſelben lagen Aktenbündel ausge - breitet, weiße, grüne, blaue, wohl 80 oder 100 an der Zahl; muthmaßlich eine alte Regiſtratur der Herrſchaft Königs-Wuſter - hauſen.

Wir ſtiegen nun in’s Hochparterre zurück. Hier befindet ſich die alte Herrlichkeit des Schloſſes auf engſtem Raum zuſammen. Man tritt zuerſt in eine Jagdhalle, die, wie oben der Flurgang, zwiſchen zwei Reihen Zimmern hinläuft.

In dieſer Halle befinden ſich, nach Art dieſer Lokalitäten, 6 oder 8 Hirſchgeweihe, an denen nichts Beſonderes wahrzunehmen iſt. Die frühere Sehenswürdigkeit dieſer Halle iſt ihr verloren ge - gangen. Es war dies (ſo geht die Sage) das 532 Pfund ſchwere Geweih eines Rieſenhirſches, der 1636, alſo zur Regierungszeit George Wilhelms, in der Köpnicker Forſt, 4 Meilen von Fürſten - walde, erlegt worden war. Es iſt über dies Geweih, auch in neuerer Zeit noch, viel geſtritten und obige Gewichtsangabe, wie billig, belächelt worden. Nichtsdeſtoweniger muß das Geweih etwas ganz Enormes geweſen ſein, da Friedrich Auguſt II. von Sachſen dem Könige Friedrich Wilhelm I. eine ganze Compagnie langer Grenadiere zum Tauſch dafür anbot, ein Anerbieten, das na - türlich angenommen wurde. Das Geweih exiſtirt noch und ſoll ſich auf dem Jagdſchloß Moritzburg bei Dresden befinden. *)An der Stelle (4 Meilen von Fürſtenwalde), wo der Hirſch erlegt wurde, befindet ſich noch jetzt ein ſteinernes Monument, welches den Hirſch in liegender Stellung darſtellt.

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Rechts von der Halle ſind zwei Thüren. An der einen, zu - nächſt der Treppe, ſteht mit Kreide angeſchrieben: Wachtſtube der Artillerie . Bei Manövern, Mobilmachungen ꝛc. muß nämlich das Wuſterhauſener Schloß wohl oder übel mit aushelfen und erhält vorübergehend eine kleine Garniſon, eine Benutzung, gegen die der Soldatenkönig vielleicht am wenigſten einzuwenden haben würde. Auch ſtehen die meiſten dieſer Räume (wenigſtens in ihrer jetzigen Geſtalt) durchaus nur auf der Stufe von Kaſernenſtuben. Das erſte Zimmer hinter der mit Kreide beſchriebenen Thür war ehedem das Schlafzimmer Friedrich Wilhelms I. Es befindet ſich in dem - ſelben faſt das einzige, was dieſem Schloſſe aus jener Zeit her erhalten geblieben iſt das Waſchbecken des Königs, eine Art feſtgemauertes Waſchfaß. Das Ganze, aus Gips gefertigt, gleicht den Abgußſteinen, die man in unſeren Küchen findet, und hat in der That eine Oeffnung zum Abfluß des Waſſers, in der ein ſtei - nerner Stöpſel ſteckt, halb ſo lang wie ein Arm und halb ſo dick. Beim Anblick dieſes Waſchfaſſes glaubt man allerdings, was all - ſeits von dem König berichtet wird, daß er einer der reinlichſten Menſchen war und ſich wohl zwanzigmal des Tages wuſch .

Die andere Thür, ebenfalls zur Rechten der Halle, führt in den Speiſeſaal. Er mißt 15 Schritt im Quadrat, iſt alſo ziem - lich geräumig. In der Mitte iſt ein hölzerner Pfeiler angebracht, der vielleicht mehr ſchmücken als ſtützen ſoll; iſt aber zu beidem gleich unfähig. Ein großer Kamin und ein gegipster, ſteinartiger Fußboden vollenden die Einrichtung dieſes Saales; neben dem Kamin ſieht man die Ueberreſte einer Treppe, die direct in den Küchenanbau führte. Dies iſt alſo der Saal, in dem an jedem 11. September der Tag von Malplaquet und an jedem 3. No - vember das Hubertusfeſt gefeiert wurde. Es ging dann hier viel heiterer her, als man jetzt, beim Anblick dieſer weißgetünchten Oede, glauben ſollte. Frauen waren ausgeſchloſſen; es war ein Männer - feſt. Zwanzig bis dreißig Offiziers, meiſt alte Generals, die unter Eugen und Marlborough mitgefochten hatten, ſaßen dann um den Tiſch herum und Rheinwein und Ungar wurden nicht geſpart. Der129 ſtarke Mann mußte kommen und ſeine Kunſtſtücke machen; zu - letzt, während das Feuer flackerte und die Piqueurs auf ihren Jagdhörnern blieſen, packte der König den alten Generallieutenant von Pannewitz, der von Malplaquet her eine breite Schmarre im Geſicht hatte, und begann mit ihm den Tanz. Dazwiſchen Ta - back, Brettſpiel und Puppentheater, bis das Vergnügen an ſich ſelbſt erſtarb.

Wir treten aus dieſem Eßſaal wieder in die Halle zurück. Zur Linken derſelben befinden ſich ebenfalls zwei Zimmer, die Zim - mer der Königin. Sie ſind verhältnißmäßig noch wohl erhalten und geben einem ein deutliches Bild, wie die Eleganz von Schloß Wuſterhauſen beſchaffen war. Beide Zimmer ſind durch eine einfache Eichenthür mit einander verbunden, ſowie auch nie - drige Eichenholz-Pannele die Wände umziehen. In den Ecken der Decke ſind vier Lyras angebracht, die aber ſo genirt ausſehen, als befänden ſie ſich lieber wo anders. Mit Unrecht: denn ſie haben wenigſtens Geſellſchaft: zwei Basrelief-Bilder (in jedem Zimmer eins), die ſich als Wandſchmuck zwiſchen Decke und Kamin be - finden. Das eine ſtellt eine Toilette der Venus , das andere eine Venusfeier dar. Das erſte operirt mit dem alten, wohlbekannten Material: ſchnäbelnde Tauben, Amoretten, Roſen-Guirlanden ꝛc., das zweite aber thut ein Uebriges. Nackte Geſtalten, von ganz un - glaublichen Formen, umtanzen eine Venusſtatue, während ein Sa - tyr von hinten her eine Bachantin umklammert hält und die Wi - derſtrebende zum Tanze zwingt. An anderem Ort würde dieſer luſtige Heidenſpuk weiter nichts zu bedeuten haben, hier in Schloß Wuſterhauſen aber nimmt er ſich wunderlich genug aus und paßt ſeltſam zu dem Waſchbecken drüben mit dem dicken ſteinernen Stöpſel.

Das erſte dieſer Zimmer, das ſich mit der Toilette der Ve - nus begnügt, führt durch eine Seitenthür auf eine Art Rampe hinaus, die ziemlich ſteil nach dem Park hin abfällt. Dieſen Weg machte wahrſcheinlich immer der König, wenn er in ſeinem Gicht -9130ſtuhl in den Garten hinein und wieder zurückgerollt wurde. Be - kanntlich war Treppenſteigen nicht ſeine Sache.

Wir treten jetzt, den Blick noch einmal auf die öden Räume gerichtet, ebenfalls in’s Freie hinaus und athmen auf im Son - nenlicht und in dem Wieſenduft, den eine Luftwelle eben zu uns her trägt. Eine mächtige alte Linde, hart zu Füßen der Rampe, ladet uns ein, unter ihrem Zweigwerk Platz zu nehmen. Wir thun’s und befinden uns muthmaßlich unter demſelben Blätterdach, unter dem (um noch einmal Prinzeſſin Wilhelmine zu citiren) die Damen, wenn’s regnete, bis an die Wade im Waſſer ſaßen . Die Parkwieſe liegt vor uns, Hummeln und Käfer ſummen dar - über hin, das Mühlenfließ, uns zur Rechten, fällt leiſe über das Wehr. Träume nehmen den Geiſt gefangen und führen ihn weit fort in ſüdliche Länder, zu Tempeltrümmern und Götterbildern. Aber ein Satyr lauſcht plötzlich hervor; es iſt derſelbe, der der tanzenden Bachantin da drinnen im Nacken ſitzt, und die Bil - der von Schloß Wuſterhauſen ſchieben ſich plötzlich wieder vor die Bilder klaſſiſcher Schönheit. Hatte die Memoirenſchreiberin doch Recht? Ja und nein; ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine ſtarke Natur, aber allerdings ein ſchlimmer Platz für äſthetiſchen Sinn und einen weiblichen esprit fort.

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Teupitz.

Winde hauchen hier ſo leiſe Räthſelſtimmen tiefer Trauer.
(Lenau. )

Coſſenblatt führte uns mittelbar nach Königs-Wuſterhauſen und Königs-Wuſterhauſen führt uns nunmehr nach dem nahegelegenen Teupitz. Die alten Herrn des Schenkenländchens beſaßen beide Städtchen; das eine haben wir kennen gelernt, machen wir auch dem andren, dem hiſtoriſch älteren, unſren Beſuch.

Teupitz verlohnt allerdings eine Nachtreiſe (die Poſten dahin meiden das Tageslicht), wiewohl dieſe Hauptſtadt des ſogenannten Schenkenländchens lange nicht das iſt, als was es mir geſchil - dert worden war.

Die Schilderungen von Teupitz galten ſeiner Armuth. Die Poeſie des Verfalls liegt über der Stadt, ſo hieß es voll dichteriſchen Ausdrucks, und die farbenreichen Armuthsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiſeantrieb, als die gleichzeitig wieder - kehrenden Verſicherungen: aber Teupitz iſt ſchön. Dieſen Re - frain überhörte ich oder vergaß ihn, während ich doch die Worte nicht wieder loswerden konnte: das Plateau um Teupitz herum heißt der Brand , und das Wirthshaus darauf führt den Na - men der todte Mann .

Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geiſtlicher in9*132Teupitz ſollte unverheirathet geblieben ſein, weil die Stelle einen Hausſtand nicht tragen könne , und ein Gutsbeſitzer (ſo hieß es weiter) habe Jedem, der es hören wollte, erzählt: wenn ich einem Teupitzer Bettelkinde ein Stück Brod gebe, ſo ißt es nur die Hälfte davon, die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar iſt Brot in Teupitz. Dieſe Geſchichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb ſcherzhaft, halb mitleidsvoll hingeworfen: die Teupitzer ſind doch meine Treueſten; wären ſie’s nicht, ſo wären ſie alle längſt ausgewandert.

Dies und noch manches der Art weckte eine Sehnſucht in mir, Teupitz zu ſehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Perſonal der Geſundheitspflege (wörtlich) auf eine Hebeamme be - ſchränkt ſei, und daß der Ertrag ſeiner Aecker Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet habe ich übrigens ſchon (und es ſei hier eigens wiederholt), daß ich die Dinge anders fand, als ich nach dieſen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, wiewohl längſt leidlich wohlhabend geworden, den guten, be - quemen Ruf der Armuth durch eine gewiſſe Paſſivität geſchickt auf - recht zu erhalten wiſſen, ſo auch die Teupitzer. Solche viel - bedauerte Armen (wer kennte ihrer nicht!) leben glücklich-ange - nehme Tage, und unbedrückt von den Mühſalen der Gaſtlichkeit oder der Repräſentation, lächeln ſie ſtill in ſich hinein, ſo oft ſie dem lieben, alten Satz begegnen, daß Geben ſeliger ſei denn Nehmen.

Um 12 Uhr Nachts geht die Poſt, die dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch, Freitag) die Verbindung zwiſchen Teupitz und Zoſſen und dadurch zwiſchen Teupitz und der Welt unterhält. Zoſſen iſt wie ein Paß für dieſe Gegenden: es führt kein andrer Weg nach Teupitz hin. Die erſte Meile haben wir noch Chauſſee, deren Pappeln, ſoviel die Mitternacht eine Muſterung geſtattet, nicht an - ders ausſehen als anderswo; erſt mit dem erſten Morgengrauen biegen133 wir nach links hin in tiefe Sandgeleiſe, in die eigentliche Teupitzer Ge - gend ein. Es iſt ein ganz eigenthümliches Haideland, vielleicht am meiſten unſern Wedding-Parthieen verwandt, wo um den Plötzen - See herum, die Rehberge und die Ausläufer der Jungfern-Haide zuſammenſtoßen. Auch die Namen klingen ähnlich: Sandkrug, Spiesberge und der hungrige Wolf. Hier wie dort ſind es die alten wohlbekannten Elemente: Sand und See, Kiefer und Kuſſel, die ſich zu Landſchaftsbildern zuſammenſtellen; aber ſo alltäglich die Dinge ſelber ſind, ſo apart iſt ihre Gruppirung, zu - mal in dieſer Teupitzer Gegend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends (oder doch beinahe nirgends) in geſchloſſenen Maſſen auf; nicht en colonne ſteht ſie da, ſie bildet Schützenlinien, ein aufgelöſtes Gefecht. Die Dämmerung unterſtützt die Vorſtellung eines Heerlagers. Dort auf der Kuppe ſtehen drei Alte und lugen aus; am Abhang lagert eine Feldwacht jungen Volks; eine lange Poſtenkette von Kuſſeln zieht ſich am See entlang und reicht einem andern Lagertrupp die Hand. Dazwiſchen Sand und Moos und dann und wann ein Aehrenfeld, dünn, kümmerlich, ein bloßer Verſuch, eine Anfrage an die Natur.

Es iſt inzwiſchen immer heller geworden. Das Grau am Horizont wurde weiß, das Weiß wurde iſabell -, dann roſenfarben; nun ſchießt es wie Feuerlilien auf, der Sand verſchwindet, See - und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball hinter der Teupitzer Kirche aufſteigt, fahren wir in die noch ſtille Straße des Städtchens ein.

Der Wagen hält vor der Poſt, ſchrägüber vom goldnen Stern. Der goldne Stern iſt ein Eckhaus; vor ſeiner Thür ſteht ein Akazienbaum und an dem Laubenvorbau lehnt der Wirth, ſeines Zeichens ein Bäcker. Das iſt eine gute Vorbedeutung. Un - ter allen Gewerksmeiſtern ſteht doch der Bäcker unſerm innern Menſchen am nächſten. Freundlich weiſt er mich zurecht, dem - den iſt leicht gebettet, und ich ſchicke mich an zu einer Stunde Morgenſchlaf. Ein friſcher Luftſtrom zieht durch das Gazefenſter, die Akazie draußen bewegt ſich leiſe, die Tauben auf dem einge -134 rahmten Geburtstagswunſch werden immer größer, nun fliegen ſie fort und meine Träume fliegen ihnen nach.

Nicht lange. Das Picken des Nagelſchmieds von der Ecke gegenüber weckt mich (beiläufig eine reizende Art geweckt zu wer - den) und während die Frühſtücksſtunde kommt und die braunen Semmeln neben die braunere Kanne auf den Tiſch geſtellt wer - den, ſetzt ſich die Sternen-Wirthin zu mir und unterhält mich von Teupitz und dem Teupitzer See.

Ja ſo erzählt ſie was wäre Teupitz ohne den See. Wir wären längſt ein Dorf, wenn wir das Waſſer nicht hätten. Freilich wir dürfen nicht mehr fiſchen (die Fiſchgerechtigkeit iſt ver - pachtet), aber das Waſſer iſt uns mehr als die Fiſche und Al - les, was drin ſchwimmt. Mit gutem Wind fahren wir in ſechs Stunden nach Berlin. Was wir kaufen und verkaufen, alles kommt und geht auf dem See. Wir bringen keine Fiſche mehr zu Markte, denn wir haben eben keine mehr, aber Garten - und Feld - früchte, Obſt und Weintrauben, Holz und Torf. Das giebt ſo was wie Handel und Wandel, mehr als Mancher denkt und mehr als wir ſelber gedacht haben. Große Spreekähne kommen und ge - hen jetzt täglich, das machen die neuen Ziegeleien. Ueberall hier herum liegt fetter Thon unterm Sand, und wenn Sie Nachts hüben oder drüben am See entlang fahren, über Groß-Köris hin - aus bis an den Motzner See, da glüht es und qualmt es rechts und links, als brennten die Dörfer. Oefen und Schornſteine über - all. Meiner Mutter Bruder iſt auch dabei; er wird reich, und Alles geht nach Berlin. Viele hunderttauſend Steine. Immer liegt ein Kahn an der Ladeſtelle, aber er kann nicht genug ſchaffen, ſo viel wie gebraucht wird. Ich weiß es, daß er reich wird, und An - dere werden’s auch; aber daß ſie’s werden können, das macht der See.

Die Sternwirthin verrieth an dieſer Stelle eine unverkenn - bare Neigung, ſich über die Vermögensverhältniſſe von ihrer Mut - ter Bruder ausführlicher zu verbreiten, weshalb ich (ohne Neugier135 nach dieſer Seite hin) die Frage einwarf: wem denn eigentlich der See gehöre, was er Pacht trage und wer ihn gepachtet habe?

Der See gehört zum Gut. Zum Gut gehören 32 Seen, große und kleine, aber der Teupitz-See iſt der größte. Der Fiſch - großhändler in Berlin, der ihn vom Gut gepachtet hat, zahlt 800 Thaler, und die Teupitzer Fiſcher, die hier fiſchen und die Fiſche zu Markte bringen, ſind nichts als die Dienſtleute und Tagelöhner des reichen Händlers in Berlin. Meiner Mutter Bru - der ....

Achthundert Thaler, unterbrach ich, iſt eine große Summe; ich kenne Seen, halb ſo groß wie der Teupitz-See, die nur vier Thaler Pacht bezahlen; iſt der Teupitz-See ſo reich an Fiſchen?

Ob er’s iſt; die Stadt führt nicht umſonſt einen Karpfen im Wappen. Unſer See hat viel Fiſche und ſchöne Fiſche, freilich wenn der Zander-Zug fehlſchlägt

Der Zander-Zug? fragte ich, komiſch betroffen durch den an hohe Dinge der Kunſt anklingenden Namen.

Ja, der Zander-Zug. Er iſt nur einmal im Jahr und von ſeinem Ausfall hängt Alles ab. In der Regel bringt er 600, oft 1500 Thaler; dann und wann gar nichts. Dann muß das nächſte Jahr den Schaden decken. Aber weil es unſicher iſt, was der Zan - derzug bringen wird, deshalb können unſere Fiſcher den See nicht pachten.

Wann iſt der Zug?

Im Januar und Februar; immer im Winter, denn die Netze werden unterm Eis geſpannt und gezogen. Es iſt jedesmal ein Feſttag für Teupitz.

Die Sternwirthin begann nun mit vieler Lebhaftigkeit mir die verſchiedenen Phaſen des Zander-Zuges zu beſchreiben, unbe - kümmert durch meine Fragen, die übrigens allen Ernſtes darauf aus waren, das ganze Verfahren nach Möglichkeit kennen zu ler - nen. Die Handgriffe beim Spannen und Ziehen der Netze aber blieben mir unklar; ſo viel nur ſah ich, daß das ganze Verfahren die größte Aehnlichkeit mit einer Treibjagd und zwar mit einem136 Keſſeltreiben haben müſſe. Die Fiſcher, wohl vertraut mit dem Terrain des See’s, fegen gleichſam den Zander mittelſt weitge - ſpannter Netze in bekannte Keſſelvertiefungen hinein, umſtellen ihn hier und ſchöpfen ihn dann, etwa wie man Goldfiſche aus einem Baſſin ſchöpft, mit Leichtigkeit aus der fiſchgefüllten Tiefe heraus.

Inzwiſchen erfuhr ich, daß das Boot bereit läge, das mich laut Verabredung auf dem See umherfahren ſollte. Ich trat auf den Marktplatz hinaus und paſſirte einen ſchmalen Gang, der, unmittelbar neben dem goldenen Stern gelegen, in leiſer Schrä - gung dem See zuführte. Rechts und links ſtanden Hof - und Gar - tenzäune, und zwar in jenen ſeltſamen Biegungen und Wellen - linien, die altes Zaunwerk im Lauf der Jahre anzunehmen pflegt. Ueber die Zäune hinweg wuchſen vielfach die Kronen der Bäume zu einem Laubengange zuſammen, was ſich zu Ende der Gaſſe in der Nähe des Waſſers am maleriſchſten ausnahm, wo bereits der See bis hinauf zwiſchen das Plankenwerk vordrang, und mal höher, mal tiefer mit gelblichem Schaum ſeine Grenzmarke zog.

Hier lag das Boot, in das ich leidlich trocknen Fußes hin - eingelangte. Ein Fiſchermädchen vom Ufer gegenüber ſtand aufrecht im Kahn, und während ihr weißes Kopftuch im Winde flatterte, ſtießen wir ab.

Der Teupitz-See iſt faſt eine Meile lang und eine Viertel - meile breit, an einigen Stellen, wo er ſich buchtet, auch breiter. Das Waſſer des See’s iſt hellgrün, friſch und leichtflüſſig; - gel mit Feldern und Hecken faſſen ihn ein, und außer der ſchma - len Halbinſel, die das Schloß trägt und ſich bis mitten in den See hinein erſtreckt, ſchwimmen große und kleine Inſeln auf der ſchönen Waſſerfläche umher. Die kleinen Inſeln ſind mit Rohr beſtanden; die größeren aber (auch Werder geheißen) ſind bebaut und tragen die Namen der beiden Seedörfer, Egsdorf und Schwe - rin, denen ſie zunächſt gelegen ſind. Alſo der Egsdorfer und der Schweriner Werder.

Wir fuhren von Inſel zu Inſel, von Ufer zu Ufer; abwech - ſelnd mit Ruder und Segel ging es auf und ab, planlos, ziellos. 137Die Teupitzer Kirche, der alte Schloßthurm hinter Pappeln, die rothen Dächer der Stadt, das Schilf, die Hügel alles ſpie - gelte ſich in dem klaren Waſſer, aber, ſo ſchön es war, mir war doch, als hätt ich dies Alles ſchon einmal geſehen, nur ſchöner, märchenhafter, und dieſe Märchenbilder ſucht ich nun. Lächelnd geſtand ich mir endlich, daß ich ſie nicht finden würde. Noch ein - mal umfuhr der Kahn die Halbinſel, auf der die Ueberreſte des alten Teupitz-Schloſſes gelegen ſind, dann trieben wir durch den Schilfgürtel hindurch, den Kahn an’s Land.

Die Stelle, wo wir landeten, lag in dem Winkel, den Ufer und Landzunge bilden, und das alte Teupitz-Schloß (ſoviel davon noch da iſt) oder mit ſeinem vollen Namen das alte Schloß der Schenken von Landsberg und Teupitz ſtieg faſt unmittelbar vor uns auf. Ich ſchritt ihm zu.

Das alte Teupitz-Schloß, das in frühe Jahrhunderte zurück - reicht, galt ehedem für ſehr feſt. Es lag an der Grenze zwiſchen Mark und Lauſitz und ſcheint abwechſelnd eine märkiſche oder ſächſiſche Grenzfeſtung geweſen zu ſein, je nachdem Verträge oder das Glück der Waffen, zu Gunſten des einen oder andern Theils über den Beſitz der Burg entſchieden hatten. Im 13. ſowie in der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren die Plötzke’s Her - ren von Teupitz; 1350 etwa kam die Herrſchaft Tupitz oder Tuptz, wie ſie damals genannt wurde, in Beſitz der Schenken von Landsberg und nahm ſeitdem (abwechſelnd mit dem Namen Herrſchaft Teupitz ) den Namen das Schenkenländchen an. Dies Ländchen umfaßte 4 Meilen; in ſeiner Mitte lag Teupitz (die Stadt) mit See und Burg. Die Lehnsverhältniſſe des Schenkenländchens blieben noch geraume Zeit hindurch ver - wickelter und ſchwankender Natur, bis endlich der Einfall der Huſ - ſiten in die Mark den Ausſchlag gab und die Schenken von Landsberg und Teupitz veranlaßte, ſich in den Schutz des Bran - denburgiſchen Kurfürſten (Friedrich I.) zu begeben. Zwar geſchah dies zunächſt noch mit der Bemerkung: unbeſchadet unſerer Un - terthänigkeitsverpflichtung gegen den Kaiſer und den Herzog von138 Sachſen dieſe Hinzufügung ſcheint aber nicht allzu ernſt ge - meint geweſen zu ſein, da Schenk Heinrich von Landsberg ſchon wenige Jahre ſpäter (1440) erklärte, daß, da der Kurfürſt, ſein gnädiger Herr, mit ihnen, den Herzögen von Sachſen, in Fehde ſtehe, auch er (Schenk Heinrich) mit ſeinen Helfern und Knechten ihnen und ihren Landen den Krieg erklären müſſe.

Die Schenken von Landsberg und Teupitz blieben nah an 400 Jahre im Beſitz der Herrſchaft. Nachdem Schloß und Land während des 17. Jahrhunderts (zum Theil wohl in Folge des 30jährigen Krieges) ſehr vernachläſſigt, die Weinberge verwildert, die Haiden verwüſtet waren, ging das ganze Schenkenländchen im Jahre 1718 durch Kauf an König Friedrich Wilhelm I. über. Er bezahlte dafür die geringe Summe von 54,000 Thaler, kaufte einzelne verloren gegangene Güter zurück, machte das Schloß, wie überall geſchah, zu einem Amt und ſtellte das Schenkenländ - chen oder die Herrſchaft Teupitz, als Außenwerk der Herrſchaft Königs-Wuſterhauſen, unter die Verwaltung einer Amtskammer. Seit einer Reihe von Jahren iſt Schloß Teupitz (zu dem jetzt nur noch wenig Ländereien, aber viel Wieſen und die 32 Seen ge - hören) in Privathände übergegangen. Der vorige Beſitzer war Herr von Treskow, der gegenwärtige iſt Herr von Pappart.

Es giebt kein Schloß Teupitz mehr, nur noch ein Amt gleiches Namens.

Zu dieſem Amt, ſehr maleriſch an der Stelle des alten Schloſſes gelegen, gehören natürlich noch die Ueberreſte, die von dem Schloß vorhanden ſind. Es iſt dies mehr, als auf den erſten Blick erſcheint. Alle Wirthſchaftsgebäude an der linken Seite des Hofes ruhen auf den alten hochaufgemauerten Fundamenten, in denen ſich Gänge und mächtige Kellergewölbe bis dieſe Stunde vorfinden, während der Eingang in den Amtshof, durch einen viereckigen Thurm, einen ſogenannten Donjon, höchſt maleriſch flankirt wird. Dieſer alte Backſteinthurm hat noch beträchtliche Höhe; was ſeinem Anblick aber einen beſonderen Zauber leiht, das iſt, daß ſeine Zinne oder Plattform zu einem völligen Garten139 geworden iſt. In das Erdreich, das der Regen im Lauf der Jahr - hunderte hier niedergeſchlagen hat, haben theils die hohen Bäume die rundum ſtehen, ihre Keime niederfallen laſſen, theils haben die Wirbelwinde aus dem zu Füßen gelegenen Garten die Samen - körner bis zur Höhe des Thurmes emporgetragen. Ein Ebreſchen - baum ſtand in der Mitte, und zwiſchen den Roſenſträuchern neig - ten ſich gelbe Büſchel jenes Unkrauts über das Mauerwerk, das den legendenhaft klingenden Namen führt: Unſerer lieben Frauen Bettſtroh. Das alte Schloß, ſo erzählen einige, habe früher auf einer völligen Inſel geſtanden, und erſt die Anſchwemmungen hät - ten im Lauf der Zeit die Inſel zu einer Halbinſel gemacht. Es iſt möglich, aber nicht wahrſcheinlich. Man ſieht nirgends eine Terrain-Eigenthümlichkeit (wie etwa Schmalheit der Landzunge, abweichende Bodenbeſchaffenheit, oder niedriger gelegenes Erdreich), und alles läßt annehmen, daß es ſtets eine Halbinſel war, die freilich früher, durch einen Graben, der die Landenge durchſtach, zu einer Inſel gemacht wurde.

Nichts iſt an dieſer Stelle, außer Thurm und Fundament mehr vorhanden, was an die alten Schenken von Teupitz erin - nerte; noch weniger faſt bietet die alte Kirche, die zwiſchen dem Schloß und der Stadt am Nordrande der letzteren gelegen iſt.

Vor zwanzig oder dreißig Jahren hätte die Forſchung noch manches hier gefunden; jetzt aber nach Reſtaurirung der Kirche iſt alles hin, oder doch ſo gut wie Alles. Die Grundform der Kirche hat zwar wenig unter dieſen Neuerungen gelitten, und die eigen - thümliche Art, wie der Thurm aus Dach und Giebelwand auf - wächſt, wird auch jetzt noch den Fachmann intereſſiren; aber die Details im Innern der Kirche ſind hin, alle jene Ornamente, Bilder und Gedächtnißtafeln, die in ihrer Geſammtheit vielleicht der ziemlich grau in grau gemalten Geſchichte der Schenken von Teupitz etwas Licht und Farbe hätten verleihen können. Bei Oeff - nung der jetzt zugeſchütteten Gruft (unter der Sakriſtei der Kirche) fand man eine bedeutende Anzahl Särge, viele mit Meſſingtäfel - chen, auf denen neben den üblichen Namen - und Zahlen-Angaben140 auch einzelne hiſtoriſche Daten angegeben waren. Dieſe Täfelchen (ſo erzählt der alte Küſter) kamen in die Pfarre, wo ſie bei Um - zug und Neubauten längſt verloren gegangen ſind. Der gegen - wärtige Geiſtliche, der einen Sinn für die hiſtoriſchen Ueberliefe - rungen ſeiner Stadt und Kirche hat, hat mit Mühe eine kleine Glasmalerei gerettet, die einen Hergang aus katholiſcher Zeit (ein Mönch ſteht predigend auf der Kanzel) darſtellt. Sonſt iſt der Kirche aus der Schenken-Zeit nichts geblieben, als ein einziger Backſtein am Hintergiebel, der die eingebrannte Inſchrift trägt: nobil. v. Otto Schenk v. Landsb. (nobilis vir Otto Schenk von Landsberg.) Wahrſcheinlich war er es, unter dem eine frü - here Reſtaurirung der Kirche (1566) ſtattfand.

Wir haben den See befahren, das Schloß und die Kirche beſucht, es bleibt uns noch eins in Teupitz übrig der Jeeſen - berg, ein Hügel am Südrande der Stadt gelegen, von deſſen Höhe aus man das Schenkenländchen panoramatiſch überblickt. Wir erreichen die Höhe und haben nach allen Seiten hin, in weit - geſpanntem Bogen, eine Keſſellandſchaft vor und unter uns. Wo - hin wir blicken, vom Horizont zu uns her, dieſelbe Reihenfolge von Hügel, See und Haide, und in der Mitte des Bildes wir ſelbſt und der Berg, auf dem wir ſtehen.

Das Panorama iſt ſchön, ſchöner aber wird das Bild, wenn wir auf den Rundblick verzichten und uns damit begnügen, in die öſtlich gelegene Hälfte der Landſchaft hineinzublicken. Es iſt dies die Hälfte, wo Teupitz und ſein See gelegen ſind. Der Wind weht ſcharf vom Waſſer her, aber eine Hecke von wildem Pflaum - baum giebt uns Schutz, während Einſchnitte, wie Schießſcharten, uns einen Blick in die Näh und Ferne geſtatten. Ein Kornfeld läuft vor uns am Abhang nieder, am Fuß des Hügels zieht ſich ein Feldweg hin, dahinter dehnen ſich Gärten und Wieſen, hinter den Wieſen ſteigt die Stadt auf und hinter der Stadt der See mit ſeinen Inſeln und ſeinen Hügeln am andern Ufer. Aber auch Leben hat das Bild. Wie losgelöſte Ackerſchollen treiben die In - ſeln den See entlang (oder ſcheinen doch zu treiben), ein ſatter141 Fiſchreiher fliegt landeinwärts, die rothen Tücher der Mägde, die beim Heuen beſchäftigt ſind, flattern im Winde, und die Schul - kinder vom nächſten Dorf, die eben den Feldweg paſſiren, haſchen ſich einander und verkürzen ſich die Zeit mit Spiel und Neckereien. Die Jungen reißen den rothen Mohn in Büſcheln aus dem Korn - feld, und ſo oft ſie damit nach den fliehenden Mädchen ſchlagen, ſtäuben die rothen Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft.

So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke und ſpielen Verſteckens mit dem Wind, uns duckend, wenn er zu ſcharf bergan fährt, dann wieder hervorlugend, wenn er pauſirt und zu neuem Angriff ſich rüſtet.

Nun aber trägt der Wind die Klänge der Teupitzer Mittags - glocke zu uns her und mahnt zur Rückkehr. Im goldenen Stern wird ein frugales Mahl ſervirt ( wir haben den Karpfen im Wappen, aber nicht auf dem Tiſch, ſo ſagte die Wirthin) dann ſpring ich noch einmal in’s Boot und fahre über den See. Dies - mal allein. Ich habe ſelber die Ruder genommen. Die kurzen Wellen tanzen rund umher, das Waſſer iſt grün, der Himmel grau. Ein Gefühl beſchleicht mich wieder, ſtärker noch als zuvor, als ruhe hier etwas, das ſprechen wolle, ein Geheimniß, eine Geſchichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klat - ſchen an den Kiel und der Wind biegt das Rohr tief nieder, an dem der Kahn vorübertreibt. Sonſt alles ſtumm. Die Wolken ſin - ken immer tiefer; nun öffnen ſie ſich, und hinter der grauen Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin auf - richtet, verſchwindet die Landſchaft, Stadt und Schloß.

So ſah ich den Teupitz-See zuletzt, und ich habe Sehn - ſucht, ihn wieder zu ſehen. Iſt es ſeine Schönheit allein, oder zieht mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen, das etwas verſchweigt.

[142]

Mittenwalde.

Befiehl Du Deine Wege Und was das Herze kränkt Der allertreuſten Pflege Deß, der den Himmel lenkt .... Und kaum das Lied vernommen, Iſt über ſie gekommen Der Friede Gottes aus der Höh.
(Schmidt von Lübeck. )

Teupitz war der äußerſte Punkt, bis zu dem uns unſer Coſſen - blatter Ausflug geführt hat und wir kehren nunmehr auf unſer eigentliches Reiſeterrain, in die Odergegenden von Barnim und Lebus zurück. Auf dem Rückweg laſſen wir es uns angelegen ſein, an Mittenwalde nicht ohne Anſprache vorüber zu gehen.

Wer reiſt nach Mittenwalde? eine wohl aufzuwerfende Frage. Und doch iſt es ein ſehenswerther Ort, der Anſpruch hat auf Be - ſuch und Umſchau innerhalb ſeiner Mauern. Nicht als ob es eine ſchöne und maleriſche Stadt wäre; aber ob ſchön und maleriſch oder nicht, Mittenwalde iſt ſehenswerth, weil es alt iſt und eine Geſchichte hat.

Es hat ſogar eine Vorgeſchichte: allerhand Sagen und Tra - ditionen von einem Alt-Mittenwalde, das, in unmittelbarer Nähe der jetzigen Stadt, auf der weſtlichen Feldmark derſelben, gelegen war. Hier unter Wieſen - und Ackerland finden ſich noch Stein - fundamente, und während das Auge des Fremden nur über Schläge und Felder zu blicken glaubt, ſprechen die Mittenwald - ner, als ſtünden die Dinge noch ſichtbarlich vor ihnen, von der143 alten Stadtſtelle, vom Vogelſang, vom Pennings - oder Pfennigsberg, vom Burgwall ꝛc. Alle dieſe Punkte liegen nie - driger als das heutige Mittenwalde und umzirken die Stadt, in nächſter Nähe derſelben, in einem enggezogenen Halbkreis.

Daß hier früher ein anderes Mittenwalde, vielleicht ein Ort mit wendiſchem Namen ſtand, ſcheint unzweifelhaft. Außer Steinfundamenten auf dem Terrain der alten Stadtſtelle, fin - den ſich Münzen am Pfennigsberg und als (vor Kurzem erſt) Canalbauten und Erdarbeiten aller Art beim Burgwall zur Ausführung kamen, ſtieß man auf der ganzen Strecke, die zwi - ſchen dem Burgwall und der Höhe liegt, auf Eichenbohlen, die wohl drei Fuß hoch mit Feldſteinen überſchüttet waren. Erſichtlich ein Damm, der früher mitten durch den Sumpf hindurch nach dem Burgwall und einer inmitten deſſelben gelegenen Burg ge - führt hatte.

So die Traditionen und ſo das Thatſächliche, das jene Tra - ditionen unterſtützt; aber ſo gewiß dadurch der Beweis geführt iſt, daß auf der weſtlichen Feldmark der jetzigen Stadt ein anderer längſt untergegangener Ort (Dorf oder Stadt) geſtanden hat, ſo wenig iſt dadurch auch nur angedeutet, welcher Art der Ort war, der ſich dort erhob, und in welchem Verhältniß jene drei Punkte zu einander ſtanden, die ſich jetzt Stadtſtelle, Penningsberg und Burgwall nennen. Was war es damit? War die Burg ein Schutz der Stadt, oder umgekehrt ein Trutz derſelben? Waren Stadt und Burg wendiſch oder waren ſie deutſch? Be - fehdeten ſie einen gemeinſchaftlichen Feind, oder befehdeten ſie ſich untereinander? Alle dieſe Fragen drängen ſich auf und ihre Be - antwortung iſt verſucht worden. Aber mit ſehr unausreichendem Er - folg. Es liegt zu wenig Material vor, um zu anderen als vagen Reſultaten gelangen zu können. Die Tradition ſcheint geneigt, eine alte Wendenſtadt anzunehmen, die auf dem Burgwall ihre Burg und auf dem Penningsberg ihre Begräbnißſtätte hatte. Ehe Beſſeres geboten iſt, iſt es vielleicht am beſten, bei die - ſer Tradition auszuharren. Ausgrabungen auf dem ganzen großen144 Stadtfelde, das alle jene Punkte einſchließt, würden gewiß zu wirk - lichen Aufſchlüſſen führen, aber dieſe Ausgrabungen werden bei uns in unbegreiflicher Weiſe vernachläſſigt. Die Communen entbehren meiſt des nöthigen Intereſſes und unſere Geſellſchaften und Ver - eine gemeinhin der nöthigen Mittel. So bleibt beinah alles dem Zufall überlaſſen. Andere Staaten überflügeln uns (ich ſpreche zu - nächſt nur von unſerer Mark) nach dieſer Seite hin bedeutend. Hier, wo nicht viel war, kann auch nicht viel zu finden ſein, ſo denken die meiſten unter uns und vergeſſen dabei, daß eben da wo ſtets nur wenig war, dies Wenige um ſo weniger entbehrt werden kann.

Aber laſſen wir das ſagenhafte Alt-Mittenwalde und wenden wir uns dem hiſtoriſchen, dem mittelalterlichen Mittenwalde zu, das, trotz Krieg und Feuer, die mehrmals die Stadt verödet ha - ben, in einzelnen Baulichkeiten noch immer zu uns ſpricht. Da iſt die Mauer mit ihren Thorthürmen, da iſt die alte Propſteikirche und da iſt (mehr ein Platz, als ein Bau) der Schloßberg oder Hausgrabenberg, von deſſen Höhe aus (freilich nur muthmaß - lich) Schloß Mittenwald in die Mark und die Lauſitz hin - einblickte. Ich ſage muthmaßlich, denn die Ueberlieferungen, die an Schloß Mittenwalde anknüpfen, halten die Mitte zwiſchen Sage und Geſchichte.

Hiſtoriſch iſt die Exiſtenz des Schloſſes, ſagenhaft iſt die Stelle, wo es ſtand. Vielfach wird in Urkunden des feſten Schloſſes zu Mittenwalde Erwähnung gethan; ſchon 1240 legten die brandenburgiſchen Markgrafen eine Beſatzung hinein, und 1374 verordnete Kaiſer Karl IV. vom Schloß Mittenwalde aus, daß alle Veſten der Mark Brandenburg in gleich guten Stand geſetzt werden ſollten. All dies beweiſt die Exiſtenz des Schloſſes genugſam. Aber wo ſtand es? Nur mit Wahrſcheinlich - keit läßt ſich antworten: auf dem Hausgrabenberg. Die Lage des Berges, im Norden eines Fluſſes (der Notte), deſſen Ueber - gang vertheidigt werden ſollte, das Fortifikatoriſche der Anlage, das ſo ſehr an andere Hügelbefeſtigungen jener Epoche erinnert,145 würden es freilich halb zur Gewißheit erheben, daß das Schloß Mittenwalde an dieſer Stelle und keiner andern ſtand, wenn nicht andererſeits der Umſtand, daß, ſo viel ich weiß, keine Spur von Steinfundamenten innerhalb des Berges zu finden iſt, das Urtheil wieder ſchwankend machte. Die Bewohner des Berges er - zählen ſogar, daß die wenigen Feldſteine, die jetzt als Treppen - ſtufen zu beßrer Erſteigung des Hügels dienen, von anderswoher mühſam herbeigeholt ſeien. Gleichviel, ein Schloß Mittenwalde gab es, und einen Hausgrabenberg giebt es noch. Was immer auf ſeiner Höhe geſtanden haben mag, jetzt ſteht ein Häuschen auf demſelben, das ſich in Weinlaub verſteckt; über dem grünumrank - ten Bau aber, als ſolle er doppelt geſchützt werden, wölben ſich alte Birnbäume zu einem dichten Dach. Im Spätſommer muß es ſchön hier oben ſein, wenn die blauen Trauben an allen Wänden hängen und die goldgelben Birnen, vom Winde oder der eigenen Schwere abgelöſt, polternd über das Dach herunterrollen.

Der Hausgrabenberg hat ein reizendes Haus und eine rei - zende Ausſicht; der alte Thorthurm der Stadt aber, dem wir uns jetzt zuwenden, bietet baulich ein Intereſſe. Er liegt nach Nor - den hin, alſo auf dem Wege nach Cöpnick und Berlin, und führt deshalb den Namen: das Cöpnicker oder Berliner Thor. In der alten Zeit, als Mittenwalde noch feſt war, war dieſer Thorbau (wie alle ſeinesgleichen) ein Bau von ziemlich zuſammengeſetzter Natur und beſtand aus einem quer durch den Stadtgraben füh - renden Steindamm, deſſen Mauerlehnen hüben und drüben in einen Außen - und Innen-Thurm ausliefen. Der Steindamm, ohne den kein Aus - und Eingang möglich wäre, exiſtirt natürlich noch; das Außenthor und die Mauerlehnen ſind ebenfalls noch vorhan - den, aber nur zur Hälfte; das Innenthor fehlt ganz. Eine bloße Maueröffnung, das moderne Zwei-Pfeiler-Thor, iſt an die Stelle getreten, und ein alter etwas zur Seite ſtehender Rundthurm, der einſt den Brückenübergang flankirte, blickt wie verwundert auf die kümmerlichen Aenderungen, die ihm zu Füßen vorgegangen ſind.

Von dem Außenthor ſteht noch die Front, ein maleriſches10146Ueberbleibſel, das in ſeiner Stattlichkeit und reichen Gliederung mehr an die berühmten Thorbauten der altmärkiſchen Städte, als an verwandte Bauten der Mittelmark erinnert. Es ſcheint, daß das Ganze ein geräumiges, beinah würfelförmiges Viereck war, das auf ſeinen vier Ecken eben ſo viele Rundthürme und zwiſchen dieſen Rundthürmen wieder eben ſo viele Pfeiler trug, die, reich ornamentirt und zierlich durchbrochen, die vier Rundthürme weit überragten.

Derſelben Zeit, wie dieſer Thorthurm, gehört die Mittenwal - der Probſtei - oder St. Moritz-Kirche an, wenigſtens in ihren älteren Theilen. Die Kreuzgewölbe ſind etwas ſpäter. Man ſieht deutlich, wie die mächtigen alten Pfeiler in beſtimmter Höhe, ich möchte ſagen rückſichtslos abgebrochen und die alten Tonnengewölbe durch neue, von eleganterer Conſtruktion, erſetzt worden ſind. Noch um vieles moderner iſt der Thurm, dem nichtsdeſtoweniger, mit Rückſicht auf das Jahr ſeiner Entſtehung (1781), alles mögliche Lob geſpendet werden muß. Er paßt nicht zur Kirche, aber er nimmt ſich gut aus. Aehnlich wie die alten ſchweren Steinpfeiler, die jetzt die Kreuzgewölbe im Innern der Kirche tragen, unverän - dert dieſelben geblieben ſind, ſo hat auch der Baumeiſter von 1781 die Feldſteinwände des alten gothiſchen Thurmes, bis zu beſtimm - ter Höhe hin, als Unterbau fortbeſtehen laſſen. Dadurch iſt etwas ziemlich Stylloſes, aber nichtsdeſtoweniger etwas ſehr Anziehendes entſtanden. Der weiße, ſchmale Etagenthurm erhebt ſich auf dem mächtigen alten Feldſteinfundamente wie eine Statue auf ihrem Piedeſtal, und die Hageroſen und Hollunderbüſche, die auf der Plattform zu Füßen des eigentlichen Thurmes blühen, ſchaffen das Ganze zu einem lieblichen Bilde um.

Das Innere der Kirche, in das wir jetzt eintreten, iſt reich an Bildern und Grabſteinen, noch reicher an Erinnerungen. An den Wänden ziehen ſich, chorſtuhlartig, die Kirchenſtühle der alten147 Gewerks - und Innungsmeiſter hin, 45 an der Zahl, jeder einzelne Stuhl an ſeiner Rückenlehne mit den Gewerks-Emblemen geſchmückt. Vor dem Altare liegen die Grabſteine von Burgemeiſter und Rath, der Altar ſelbſt aber, ein Schnitzwerk aus katholiſcher Zeit mit Bildern auf der Kehrſeite ſeiner Thüren, iſt muthmaßlich ein Ge - ſchenk, das von Kurfürſt Joachim I. der Mittenwaldner Kirche gemacht wurde. Zwiſchen Altarwand und Altartiſch, auf ſchmalem Raum, begegnen wir noch einem Chriſtuskopf (auf dem Schweiß - tuch der heiligen Veronica), aber das Intereſſe, das wir eben dem Bilde zugewendet haben, erliſcht vor dem größeren, mit dem wir jetzt eines Portrait-Bildes anſichtig werden, das von der Wand des Seitenſchiffes her, zwiſchen den Pfeilern hindurch, zu uns herüberblickt. Es iſt nicht das Bild als ſolches, das uns feſſelt, es iſt der Mann; neben der ſchmalen Sakriſteithür, in ſchlichter Umrahmung, hängt das lebensgroße Bild Paul Gerhardt’s.

Paul Gerhardt war Probſt zu Mittenwalde von 1651 1657.

Vor etwa 30 Jahren wurde dieſes Bildniß Gerhardt’s nach einem in der Kirche zu Lübben befindlichen Originalbild angefertigt und der Mittenwaldner Kirche, zur Erinnerung an die Zeit ſeines (Gerhardt’s) Wirkens allhier, zum Geſchenk gemacht. Es iſt ein gutes Bild; die Züge verrathen viel Milde, aber nichts Weichli - ches, und die Unterſchrift, ebenfalls vom Lübbener Bilde genom - men, lautet wie folgt:

Paulus Gerhardus Theologus in Cribro Satanae tentatus et devotus postea, obiit Lubbenae anno 1676, aetate 70.

Rechts daneben befinden ſich folgende Diſtichen:

Sculpta quidem Pauli viva est ut imago Gerhardi,
Cujus in ore fides, spes, amor usque fuit,
Hic docuit nostris Assaph redivivus in oris
Et cecinit laudes Christe benigne tuas:
Spiritus aethereis veniet tibi sedibus hospes,
Haec ubi saepe canes carmina sacra Deo.
10*148

Alſo etwa:

Ganz wie er lebte ſind hier Paul Gerhards Züge zu ſchauen,
Draus nur Glaube allein, Hoffnung und Liebe geſtrahlt;
Ja, er lehrte bei uns, ein wiedererſtandener Aſſaph,
Und er erhob im Geſang, güt’ger Erlöſer, Dein Lob.
Hoch von den himmliſchen Höh’n ſteigt nieder der heilige Geiſt uns,
Singen die Lieder wir oft, die er geſungen dem Herrn.
*)Probſt Straube (1841 ), ein Amtsnachfolger Paul Gerhardts an der Mittenwaldner Kirche, hat die lateiniſchen Diſtichen in folgenden Alexandrinern wiederzugeben verſucht:
Wie lebend ſiehſt Du hier Paul Gerhardts theures Bild,
Der ganz von Glaube, Lieb und Hoffnung war erfüllt.
In Tönen voller Kraft, gleich Aſſaphs Harfenklängen,
Erhob er Chriſti Lob in himmliſchen Geſängen.
Sing ſeine Lieder oft, o Chriſt, in ſeliger Luſt,
So dringet Gottes Geiſt durch ſie in Deine Bruſt.
*)

Paul Gerhardt, wie ſchon hervorgehoben, war 6 Jahre lang Probſt an der Mittenwaldner Kirche und es iſt höchſt wahrſchein - lich (wenn auch nicht mit abſoluter Sicherheit zu beweiſen), daß die ſchönſten Lieder, die wir dieſem volksthümlichſten aller Lieder - dichter verdanken, während ſeines Mittenwaldner Aufenthal - tes, in Leid und Freud des Hauſes und des Amtes gedichtet wurden.

Begleiten wir ihn auf ſeinem Ein - und Ausgang.

Paul Gerhardt kam ſpät in’s Amt. Er war bereits 46 Jahr alt, als die Kirchenvorſtände von Mittenwalde, wo der Probſt Goede eben geſtorben war, ſich an das Miniſterium der St. Ni - kolaikirche zu Berlin wandten mit der Bitte, einen geeigneten Mann für die Mittenwaldner Probſtei-Kirche in Vorſchlag zu brin - gen. Die Kirchenbehörden von St. Nicolai waren ſchnell entſchie - den; ſie kannten Paul Gerhardt, der ſeit einer Reihe von Jahren als Lehrer, Freund und Erzieher im Hauſe des Kammergerichts - Advokaten Andreas Berthold lebte und durch Lieder und Vorträge längſt die Aufmerkſamkeit aller Kirchlichen, auch der Behörden und Vorſtände, auf ſich gezogen hatte. Dieſen empfahlen ſie. Nach149 zwanzigjährigem Harren ſah ſich Paul Gerhardt am Ziele ſeiner innigſten Sehnſucht und mit dem Dankesliede

Auf den Nebel folgt die Sonn,
Auf das Trauern Freud und Wonn,

verließ er Berlin und trat, mit dem neuen Kirchenjahr 1651, freudig in’s Amt.

Freudig begann er es, voll guten Muths, der Gegnerſchaf - ten und Widerwärtigkeiten Herr werden zu können, an denen von Anfang an kein Mangel war. Neid, verletztes Intereſſe, gekränkte Eigenliebe (Diaconus Allborn, ſeit Jahren an der Mittenwaldner Kirche, hatte erwartet, Probſt zu werden) das waren die Geg - ner, auf die er ſtieß, aber wenn er dann Abends an dem offenen Hinterfenſter ſeiner Arbeitsſtube ſaß und über die Stadtmauer hin - weg in die dunkler werdenden Felder blickte, während, von der Probſtei-Kirche her, der Abend eingeläutet und nach ſchöner Sitte jener Zeit eine alte Volksweiſe vom Thurm geblaſen wurde, dann ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger füh - lend, kam ihm ſelber ein Lied und mit dem Liede Glück und Er - hebung. Es war die Volksweiſe: Insbruck, ich muß Dich laſſen , die Abends vom Mittenwaldner Thurm zu erklingen pflegte, (jene alte Volksweiſe, von der Sebaſtian Bach ſpäter zu ſagen pflegte: er gäbe all ſeine Werke darum hin ) und der fromme Gerhardt, der wiſſen mochte, wie ſeine Gemeinde an eben dieſem Liede hing, trachtete nun danach, der ſchönen alten Melodie, die Jedem längſt Herzensſache geworden war, tiefere Worte, einen anderen, chriſtlichen Text zu Grunde zu legen. So entſtand das ſchöne Abendlied :

Nun ruhen alle Wälder,
Vieh, Menſchen, Städt und Felder,
Es ſchläft die ganze Welt;

jenes Muſterſtück einfacher Sprache und lyriſcher Stimmung, das durch die kindiſchen Spöttereien, die es erfahren (z. B. die ganze Welt könne nie ſchlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn150 wir zur Ruhe gingen) an Volksthümlichkeit womöglich noch ge - wonnen hat.

Glaube und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmer - niſſe des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber die Einſamkeit blieb ihm, und ſein Herz ſehnte ſich nach Genoſſenſchaft, nach einem Herd. Im vierten Jahre ſeines Amts bewarb er ſich um die Hand Maria Bertholds, der älteſten Tochter jenes frommen Hauſes, in dem er ſo viele Jahre glücklich geweſen war, und der Probſt Vehr von St. Nicolai, der beide ſeit lange gekannt und geliebt hatte, legte beider Hände in einander. Um die Mitte Februar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder Probſteiwohnung ein.

Innige Liebe hatte das Band geſchloſſen und Paul Gerhardt glaubte nun den Segen um ſich zu haben, der alle böſen Geiſter von der Schwelle ſeines Hauſes fernhalten würde. Glücklich, neu gekräftigt in ſeinem Glauben, neu geſtimmt zur Dankbarkeit, war es um dieſe Zeit wohl, daß er den hohen Freudenſang (den Anti - melancholicus wie ihn einer ſeiner Ausleger genannt hat) an - ſtimmte, der da lautet:

Warum ſollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch
Chriſtum noch,
Wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
Den mir ſchon
Gottes Sohn
Beigelegt im Glauben?

Aber es war anders beſtimmt; die Freudigkeit des Gemüths ſollte ihm nicht zufallen (auch jetzt nicht), er ſollte ſie ſich er - ringen in immer ſchwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein, das ihm geboren wurde, ſtarb bald, und die Kränkungen, die das immer ſchroffer werdende Auftreten Allborns für ihn ſelbſt im Ge - leite hatte, zehrten vor allem an Geſundheit und Leben ſeiner, wie es ſcheint, zart gearteten Frau. Es waren nicht frohe Tage, die Tage in Mittenwalde; zu Krankheit, Tod und Kränkung geſellte151 ſich Roth, und als der unerſchütterlich Gläubige, allem Widerpart zum Trotz, jenes Vertrauenslied anſtimmte, das von Strophe zu Strophe ausruft:

Alles Ding währt ſeine Zeit,
Gottes Lieb in Ewigkeit,

da war das Herz der ſonſt frommen Frau in den Wirrſalen des Lebens bereits bitter und klein genug geworden, um ſich abzu - wenden von einer ſtarken Glaubenskraft, die über die Kraft ihres eigenen ſchwachen Herzens hinausging. Tiefe Schwermuth ergriff ſie. Paul Gerhardt ſelbſt aber, in jener Freudigkeit, wie ſie das Vorgefühl nahen Sieges, endlicher Erhörung leiht, ſchlug ſeine Bibel auf und las die Worte des Pſalmiſten: Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn: er wird’s wohl machen . Wie ein Funken fiel das Wort in ſeine Bruſt. Er athmete höher auf; die Stube wurde ihm zu eng, und auf - und abſchreitend in den Gängen des Probſteigartens, entſtanden die erſten Strophen jenes Troſtliedes:

Befiehl Du Deine Wege
Und was das Herze kränkt.

In freudigſter Erregung eilte er in das Haus zurück; em - pfand er ſich jetzt doch als den Träger einer Botſchaft, der kein Herz widerſtehen könne, und ſiehe da, an der ſchwermüthigen Stim - mung ſeiner Frau erprobte dies Lied zuerſt ſeine wunderbare Kraft. Alles Leid floß hin in Thränen, alle Trübſal wurde Licht, und eh noch der Rauſch gehobenſter Empfindung vorüber war, war auch ſchon die Hülfe da ein Abgeſandter, ein Brief, der den Probſt von Mittenwalde als Diakonus an die Berliner Nicolai - kirche berief. Er reichte ſeiner Hausfrau den Brief und ſagte ruhig: Siehe wie Gott ſorget; Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen .

Paul Gerhardt verließ Mittenwalde im Juli 1657; dem wei - tern Gange ſeines Lebens folgen wir an dieſer Stelle nicht, aber152 die Frage drängt ſich auf: was iſt der Stadt, in der er ſeine ſchönſten Lieder dichtete, aus der Zeit ſeines Lebens und Wirkens erhalten geblieben? ſind noch Plätze da, die an ihn mahnen, und welche ſind’s?

Die Stadt bietet nichts. Das Probſteigebäude, das noch vor fünfzig Jahren bewohnt und noch vor zwanzig Jahren wenigſtens eine Ruine war, iſt ſeitdem abgebrochen und ein Schulhaus an ſeiner Stelle errichtet worden; der Garten aber, in deſſen Gängen muthmaßlich das ſchönſte und volksthümlichſte aller unſerer Lieder entſtand, liegt, wüſt geworden, ohne Zaun und Einfaſſung zwi - ſchen zwei Nachbargärten; eine Kalkgrube in der Mitte, etwas Gänſekraut an den Seiten, das ganze der deſignirte Turnplatz der Mittenwalder Schuljugend.

Die Stadt bietet keine Erinnerungen mehr an ihn, wohl aber die Kirche. Unmittelbar unter ſeinem Bildniß, deſſen ich be - reits ausführlicher erwähnte, iſt eine Steintafel in die Wand des Seitenſchiffes eingelaſſen, die folgende Inſchrift trägt: Maria Eliſabeth Pauli Gerhardt’s, damahligen Probſtes allhier zu Mittenwalde und Anna Maria Bertholds erſtgebohrnes, herzliebes Töchterlein, ſo zur Welt kommen d. 19. Mai Anno 1656 und wieder abgeſchieden d. 14. Januar Anno 1657 hat allhier ihr Ruhebettlein und dieſes Täfflein von ihren lieben Eltern. Ge - neſis 47. V. 9. Wenig und böſe iſt die Zeit meines Lebens. Ein grüner Kranz faßt die Inſchrift ein und Engelsköpfe ſchmü - cken die Ecken der Steintafel.

Neben Bildniß und Stein iſt die Sakriſteithür. In der Sa - kriſtei ſelbſt finden wir das alte Kirchenbuch von Mittenwalde, ein großes, nach Art der Bilderbibeln in Leder gebundenes Buch, etwa dreihundert Jahre alt. Die Regiſtrirungen in dieſem Buch aus der Zeit von 1651 bis Reujahr 1657 rühren alle von Paul Gerhardt ſelber her. Seine Handſchrift iſt feſt, dabei voll Schwung und Schönheit. Die Aufzeichnungen von ſeiner Hand ſchließen mit dem 28. December 1656.

Bild und Stein und Buch, ſie mahnen an ſein Wandeln153 und Wirken an dieſer Stätte, aber fehlten auch dieſe Zeichen, die direkt ſeinen Namen oder gar die Züge und das Zeugniß ſeiner Hand tragen, die Kirche ſelber, im Großen und Ganzen dieſelbe geblieben, würde daſtehen zu ſeinem ehrenden Gedächtniß, der proteſtantiſchen Welt mehr eine Paul Gerhardts - als eine Sankt Moritz-Kirche. Wenig Modernes hat ſich ſeit zweihundert Jahren darin eingeſchlichen; die Altarbilder, die Chorſtühle, die Grabſteine, es ſind dieſelben noch, und wohin das Auge ſich wenden mag, ſein Auge hat darauf geruht. Veränderungen ſollen vorgenommen werden; mögen ſie mit Pietät geſchehen.

Paul Gerhardt iſt der Glanzpunkt in der Geſchichte Mitten - walde’s; aber Mittenwalde hat der hiſtoriſchen Erinnerungen mehr.

Am 31. Auguſt 1730 traf Kronprinz Friedrich unter ſtarker Bedeckung, von Weſel aus, über Treuenbrietzen (wo er die Nacht vorher geweſen war) in Mittenwalde ein, um daſelbſt, vor ſeiner Abführung nach Küſtrin, ein erſtes Verhör zu beſtehen. Das Truppenkommando, das ihn bis Mittenwalde geführt hatte, ſtand unter Befehl des Generalmajors von Buddenbrock, deſſelben tapferen Offizters, der zwei Monate ſpäter dem mit der Todes - ſtrafe drohenden König mit den Worten entgegentrat: Wenn Ew. Majeſtät Blut verlangen, ſo nehmen Sie meines; jenes be - kommen Sie nicht, ſo lange ich noch ſprechen darf. *)Aehnliche Worte hatte Generalmajor von Moſel am 14. Auguſt in Weſel geſprochen. Als der König mit dem Degen auf den Kronprinzen eindrang, warf ſich M. dazwiſchen und rief: Sire, durchbohren Sie mich, aber ſchonen Sie Ihres Sohnes . Ueberhaupt zeigen die Vorgänge jener Zeit, daß hoher Muth an gefährlicher Stelle am beſten gedeiht.

Kronprinz Friedrich blieb zwei Tage in Mittenwalde, vom 31. Auguſt bis 2. September. Das Verhör fand muthmaßlich am 1. ſtatt. Er beſtand es vor Generallieutenant von Grumbkow, Generalmajor von Glaſenapp, Oberſt von Sydow und den Geh. 154Räthen Mylius und Gerbett und behauptete während deſſen eine kecke und beleidigende Zurückhaltung. Als Grumbkow ihm ſeine Verwunderung darüber bezeugte, antwortete er: Ich bin auf alles gefaßt, was kommen kann, und hoffe, mein Muth wird grö - ßer ſein, als mein Unglück.

Garniſon ſtand damals noch nicht in Mittenwalde; es hatte eine ſolche (Jäger) nur von 1780 1806. Die Stadt war über - haupt noch klein und zählte (1730) nur 952 Einwohner. In welchem Hauſe der Prinz bewacht wurde, habe ich nicht mehr er - mitteln können; das Schloß exiſtirte längſt nicht mehr; das Verhör fand muthmaßlich auf dem Rathhauſe ſtatt.

Das war im September 1730. Faſt ſiebenzig Jahre ſpäter, am Sylveſterabend 1799, tritt noch einmal eine hiſtoriſche Figur auf die beſcheidene Mittenwalder Bühne, um ihr (ſechs Jahre lang, wie Paul Gerhardt) in Leid und Freude anzugehören. Ein Kämpfer wie er, nicht mit mächtigeren, aber mit derberen Waffen. Es genügt, ſeinen Namen zu nennen Major von York, der ſpätere alte York. Unterm 6. November hatte der König an den damals in Johannisburg ſtehenden Major von York geſchrieben: Mein lieber Major von York. Da die jetzt verfügte Verſetzung des Major von Uttenhoven vom Regiment Fußjäger als Com - mandeur zum dritten Bataillon des Regiments von Zenge es nothwendig macht, dem Jägerregiment (in Mittenwalde) einen ganz capablen Commandeur zu geben und Ich Mich überzeuge, daß Ihr die zu dieſem wichtigen Poſten erforderlichen Eigenſchaf - ten in Euch verbindet, ſo will ich Euch hierdurch zum Comman - deur des Jägerregiments ernennen ꝛc.

Am Sylveſterabend 1799, an der Neige des Jahrhunderts, traf Major von York in Mittenwalde ein und überraſchte ſeine Herren Offiziers auf dem Sylveſterball. Die erſte Begegnung war gemüthlich genug, der dienſtliche Ernſt kam nach. Das Corps war155 verwahrloſt, er gab ihm einen neuen Geiſt, und dieſer Geiſt war es, der ſich ſieben Jahre ſpäter ruhmreich in jenen kleinen Käm - pfen bewährte, die einem ruhmloſen Großkampf folgten. Bei Al - tenzaun, dreiviertel Meile oberhalb der Sandauer Fähre, am 26. October, waren es die Mittenwaldner Jäger, die den Elb - übergang des Blücher’ſchen Corps zu decken hatten. Sie thaten es mit Ruhm und Geſchick. Die Jäger kehrten nicht nach Mit - tenwalde zurück; York ſelbſt nur auf wenige Tage (im Januar 1807),*)Droyſen erzählt: Als York in das Zimmer trat, ward er von ſeiner Frau, ſeinen Kindern nicht wieder erkannt. Aber das Vögelchen im Käfig flatterte wie vor Freuden hoch auf und ſank dann todt hin . dann rief ihn die Noth des Vaterlandes dorthin, wo damals allein noch Preußen war, nach Königsberg. Die Mit - tenwaldner aber waren ſtolz auf ihren York, und als nach ſchwe - ren Jahren der Erniedrigung alles Volk in Preußenland zu Ge - wehr und Lanze griff und Landwehr wurde, da griffen die Mittenwaldner zur Büchſe und wurden Jäger. Wenigſtens deutet darauf die Gedächtnißtafel in der Kirche hin, wo die Na - men der Gefallenen, faſt ausnahmelos die Bezeichnung J., F. -J. und G. -J., d. h. alſo Jäger, Freiwilliger Jäger und Garde - Jäger tragen.

Das Haus, das Major von York bewohnte, exiſtirt noch. Es iſt jetzt ein Gaſthaus, in der Hauptſtraße der Stadt gelegen, und führt, wie billig, den Namen Hotel York. Ueber der Hausthür befindet ſich eine Niſche und an derſelben Stelle, wo ſonſt wohl ein Mohr oder ein Engel zu ſtehen pflegt, ſteht hier eine Büſte des alten York. Auch in den Zimmern findet ſich ſein Bild. Die Lokalität iſt im Großen und Ganzen noch ganz dieſelbe wie ſie vor 60 Jahren war: hinter dem Hauſe ein Hof und hinter dem Hof ein Garten, beide, Hof und Garten, von Stall - und Wirthſchaftsgebäuden umſtellt, an denen ſich maleriſch die Treppen und Stiegen im Zickzack an den Außenwänden ent - lang ziehen. Im Innern des Hauſes hat ſich natürlich viel ver -156 ändert; nur das Zimmer, das er ſelbſt zu bewohnen pflegte, zeigt noch die alten (übrigens höchſt einfachen) Stuckverzierungen. In demſelben hängt der Kaulbach-Muhr’ſche Jeremias über dem So - pha und eine Kamphinlampe von der Decke herab, Beides Kinder einer andern Zeit.

Wer reiſt nach Mittenwalde?

Tauſende wallfahrten nach Gohlis, um das Haus zu ſehen, darin Schiller das Lied an die Freude dichtete. Mittenwalde iſt vergeſſen, und doch war es in ſeinem Probſtei-Garten, wo ein anderes, größeres Lied an die Freude gedichtet wurde, das große deutſche Tröſtelied:

Befiehl Du Deine Wege .

[157]

Steinhoefel.

Es gab ihm das Geleite ’ne Ehrenkumpanei, Die Britten-Degen ſprachen: nun General, good bye, Da ſprach er: Kameraden, grüßt Wellington mir ſchön, Wer weiß, in Jahr und Tage wir uns mal wie - derſehn.
(Scherenberg. )

Bei Fürſtenwalde haben wir die Spree nach Norden hin paſſirt und auf unſrem Wege dem Oderbruch und ſeinen alten und neuen Dörfern zu, erreichen wir zunächſt, eine Meile nordöſtlich von Fürſtenwalde, das Maſſowſche Gut Steinhöfel.

Steinhöfel gehörte mehrere Jahrhunderte lang dem Güter - complexe an, den die Familie von Wulffen (die ſich in eine Tem - pelbergſche und eine Steinhöfelſche Linie theilte) hier im Herzen des alten Landes Lebus beſaß. Tempelberg,*)Tempelberg, oder doch wenigſtens die Tempelberger-Kirche, weiſt mehr Erinnerungen an die Wulffen’ſche Zeit auf, als Stein - hoefel. Außer einem Epitaphium zu Seiten des Altars, befinden ſich noch 6 Wulffenſche Grabſteine in der Kirche, die im Mittelſchiff liegen und faſt den halben Raum deſſelben einnehmen. Näheres über dieſe Grabſteine und ihre Inſchriften ſiehe in den Anmerkungen. Einer derſelben zeichnet ſich durch eine ganz beſondre Sinnigkeit aus. Luiſa Lucretia von Wulffen aus dem Hauſe Steinhöfel, war an einen von Wulffen in Tempelberg vermählt und ſtarb 1720, wahrſcheinlich im Kindbett. Am Ober-Ende des Grabſteins bemerkt man zwei Bäume, die ihre Wipfel, wie in Zärtlichkeit, jetzt dem158 Grafen Hardenberg gehörig, liegt eine Meile nördlich von Stein - höfel.

Die Wulffens beider Linien blühten hier mehrere Jahrhun - derte lang, bis, wenn die Sage Recht hat, zu Anfang des vori - gen Jahrhunderts, ein Wendepunkt eintrat. Wenigſtens mit Rück - ſicht auf die Steinhöfler Wulffens.

*)einander zuneigen. Darunter ſteht: Eine gleiche Neigung ver - bindet uns . Zu unterſt des Steines (nachdem der Tod der jungen Frau gemeldet) ſteht ein Baum, darunter die Inſchrift:
Bei meinem fruchtbar ſein
Da ſtellet Laſt ſich ein.
Ein ſiebenter Grabſtein, der eine Zeitlang auch im Kirchenſchiffe lag, ſteht jetzt an einem der Wandpfeiler. Es iſt dies der Grabſtein der Frau Anna Lucretia von Goelnitz, einer gebornen von Goetze. Sie lebte, als Wittwe, in dem ihr befreundeten Wulffenſchen Hauſe und wurde, als ſie in Tempelberg ſtarb, in der Tempelberger Kirche beigeſetzt. Sie hatte aber keine Ruhe unter den Wulffens (trotzdem ſie ſo befreundet mit ihnen war) und ſehnte ſich zu den Goetzes zurück. Es begann im Tempelber - ger Schloß zu ſpuken und Margarethe von Wulffen, die Freundin der Verſtorbenen, hörte allnachts ein Klopfen und Rufen, und ſo oft ſie in die Kirche trat und nach dem Grabſtein hinüberſah, war es ihr als ob dieſelbe Stimme riefe: Grete, mach auf . Man nahm endlich den ſchwe - ren Grabſtein fort und ſtellte ihn an die Wand. Seitdem ward es ruhig. *)Eine ähnliche Geſchichte wird aus einem der Teltow-Dörfer, zwei Meilen ſüdlich von Berlin, berichtet; es iſt das die Geſchichte vom franzöſiſchen Tambour . Das betreffende Dorf gehörte damals (1813) der alten Familie v. H. Vater und Sohn (der älteſte) ſtanden im Felde; die Mutter und die jüngeren Geſchwiſter aber lebten, ſeit dem Tage von Großbeeren, in der nahen Hauptſtadt. So war das Herrenhaus verwaiſt. Der älteſte Sohn, unmittelbar nach der Schlacht bei Dennewitz, nahm Ur - laub und kam herüber, um auf dem väterlichen Gut, das viel Einquartierung gehabt hatte, nach dem Rechten zu ſehn. Er traf ſpät Abends ein. Bei ſeiner Ankunft baten ihn die Leute, nicht im Schloß ſondern im Wirthſchaftshauſe zu ſchlafen: im Schloſſe ſpuke es ſeit 14 Tagen . Herr v. H. nahm natürlich keine Notiz davon und bezog, wie immer, ſeine Giebelſtube im Herrenhaus. Um Mitternacht wurde er durch Trommel - wirbel geweckt und als er aufſprang, hörte er deutlich, daß durch das ganze öde Schloß hin, treppauf treppab die franzöſiſche Reveille geſchlagen wurde. In der nächſten Nacht wiederholte es ſich. Herr v. H. ſtellte nun Nachforſchungen an und man entdeckte zuletzt in einem der Keller des Hauſes, die Trommel neben ſich, einen franzöſiſchen Tambour, der todt unter Werg und Hobelſpähnen lag. Er hatte eine tiefe Kopfwunde. Wie er dort hinkam, wußte niemand zu ſagen. Er erhielt nun ein ehrlich Begräbniß und das Trom - meln wurde nicht länger gehört.
*)159

Die Leute im Dorf erzählen die Sache wie folgt. Der alte Wulffen (Balthaſar Dietloff), der damals Steinhöfel, Kersdorf, Goelsdorf und Madlitz beſaß, war ein paſſionirter Jäger. Er un - terhielt große, eingefriedigte Waldſtrecken, in denen das Wild ge - hegt und gepflegt wurde. So weit hatte alles ſeine Richtigkeit. Im Dorf war aber auch ein alter Schäfer und dieſer Schäfer hatte die Eigenheit, ein ebenſo leidenſchaftlicher Sackpfeifer zu ſein, wie der alte Wulffen ein leidenſchaftlicher Jäger war. Wie der Dudelſack nach Steinhöfel kam, darüber giebt die Tradition keinen Aufſchluß; thut auch nichts. Es ſcheint nun, daß der alte Schäfer mit beſondrer Vorliebe eben dann ſeine Stücke blies, wenn der alte Wulffen auf die Jagd ritt, ſo daß die Hirſche jedes - mal wußten, was und wen ſie zu erwarten hatten, ſobald ſie den Dudelſack ſpielen hörten. Es war für die Hirſche wie Hundeblaff und Büchſenſchuß. Oft ſchon hatte der alte Jäger dem alten Schä - fer dieſe Meldung in den Wald hinein verboten; aber immer vergeblich. Als er ihn nun eines Tages wieder bei ſeinem Spiel betraf, ſchoß er ihn nieder. Damit war es indeſſen nicht abge - than, die Sache machte Aufſehn und die Gerichte d. h. der König Friedrich Wilhelm I. ſelbſt, verurtheilte den alten Wulffen zum Verluſt ſeiner Güter; nur Steinhöfel ward ihm belaſſen.

So weit die dörfliche Tradition. Daß der Erzählung etwas thatſächliches zu Grunde liegt, iſt nicht unmöglich, andrerſeits iſt kaum zu bezweifeln, daß ſich die Sache, wenigſtens in ihrem ge - ſetzlichen Verlauf (Confiskation der Güter) weſentlich anders ver - halten haben muß. Einzelne der obengenannten Güter waren min - deſtens noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Wulffen’ſchen Händen und das Epitaphium, das dem alten Bal - thaſar Dietloff ſelbſt, in der Steinhöfler Kirche errichtet wurde, führt ihn eigens noch als Erbherrn auf Steinhöfel, Kerſtorf, Goelsdorf ꝛc. auf.

Dies Epitaphium, außer der oben erzählten kleinen Geſchichte, hält bei den Steinhöflern die Erinnerung an die Wulffens über - haupt lebendig. Es iſt ein großes und ſehr in die Augen fallendes160 Denkmal. Degen, Flinte, Streitaxt, Lanze, Sponton, Lochaber - Axt, Morgenſtern, Keule, Streitkolben, Pauke, Trommel ꝛc. bilden eine Art Trophaee, die wie die Strahlen einer Kriegsglorie das leidlich gemalte Portraitbild des alten Wulffen umzirken. Die In - ſchrift, die mit den Worten anhebt: Tugend hat ihr eigen Licht , ſchließt verbindlich genug mit den Reimzeilen:

Hier ruhet nun der Leib, die Seel hat Gottes Hand,
O daß er lebte noch ſpricht, wer ihn hat gekannt;

ein Wunſch, in den, wenn auch ſonſt ganz Steinhöfel, die Familie des Dudelſackpfeifers (wenn ſolche je exiſtirte) ſchwerlich eingeſtimmt haben wird.

Steinhöfel blieb Wulffen’ſcher Beſitz bis 1774; dann nach einem kurzen Interregnum, während deſſen der Miniſter Graf Blumenthal das ſchöne Gut beſaß, ging es durch Kauf, an den Obermarſchall von Maſſow, den jüngſten und einzig überlebenden Sohn des Staatsminiſters von Maſſow (Staatsminiſter unter Friedrich II. ) über. Die vier ältren Brüder des Obermarſchalls waren ſämmtlich in den Schlachten des ſiebenjährigen Krieges geblieben.

Der Obermarſchall beſaß Steinhöfel von 1790 1817 und in dieſe Zeit trotzdem es die Kriegsjahre waren fallen zum guten Theil die Anlagen und Neuerungen, die das Gut, auch in ſeiner Erſcheinung, zu einem ſo anſprechenden Beſitze gemacht ha - ben. Das Schloß kleinere Erweiterungen abgerechnet blieb allerdings zunächſt noch daſſelbe, wie es zur Wulffen’ſchen oder doch zur Blumenthal’ſchen Zeit geweſen war, der Park aber (da - mals kaum mehr als ein eichenbeſtandenes Stück Bruchland) wurde im Weſentlichen zu dem gemacht, als was wir ihn jetzt er - blicken. Er zählt zu den ſchönſten, die wir in der Provinz beſitzen, was ihm indeſſen, faſt noch über die Schönheit ſeiner Linien und Details hinaus, ein beſonderes Intereſſe leiht, das iſt der Umſtand, daß er der erſte Park hierlandes war, deſſen Anlage nach Prin - zipien erfolgte, die ſeitdem in der Park - und Gartenkunde, die161 herrſchenden geworden ſind. Es iſt dies bekanntlich der Sieg des Natürlichen über das Künſtliche, des Gebüſches über den Poeten - ſteig , des engliſchen, oder wie einige wollen, des alt-chineſiſchen Geſchmacks über den franzöſiſchen. Der Obermarſchall, ohne je in England geweſen zu ſein, muthmaßlich ſogar ohne jemals über dieſe Dinge theoretiſirt zu haben, durchbrach das bis dahin Gül - tige einfach nach einem ihm innewohnenden künſtleriſchen Inſtinkt, und operirte dabei, auch in den Details der Anlage, mit ſo glück - licher Hand, daß einzelne ſeiner Anlagen ſpäter als Muſter gedient und in den Königlichen Gärten z. B. in Paretz eine theilweiſe Nachahmung erfahren haben.

Der Obermarſchall hatte 4 Söhne. Wie ſein Vater, der Mi - niſter, vier Söhne von fünfen, in den ſiebenjährigen Krieg ge - ſchickt hatte, ſo ſchickte er drei Söhne von vieren in den Be - freiungskrieg. Der erſte und zweite kehrte zurück; der dritte (ſechszehnjährig) fiel bei Leipzig. Ein auffliegender Pulverwagen nahm ihn mit in die Luft.

Der Obermarſchall ſtarb 1817; 1835 folgte ihm ſeine Wittwe und Steinhöfel ging nun an den älteſten Sohn beider, den Major, ſpätren Generallieutenant Valentin von Maſſow über. Bei dieſem werden wir auf den nächſten Blättern zu verweilen haben.

Valentin von Maſſow.

Valentin von Maſſow wurde am 24. März 1793 zu Berlin geboren. Er erhielt eine ſorgfältige Erziehung und theilte dieſe, ſo wie den Unterricht der Haus - und Privatlehrer, mit dem Grafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg (dem ſpätren Miniſterpräſi - denten), deſſen Erziehung König Friedrich Wilhelm III. 1797 dem damaligen Hofmarſchall von Maſſow anvertraut hatte. Außer dem Grafen von Brandenburg war der zweite Bruder unſres Va - lentin, der ſpätere Hausminiſter von Maſſow, der einzige Gefährte ſeiner Knabenzeit.

11162

Dreizehn Jahr alt, machte er, als Junker im Regiment Ru - dorff-Huſaren, die unglückliche Campagne von 1806 mit und wurde im Blücherſchen Corps bei Lübeck gefangen und auf Ehren - wort in die Heimath entlaſſen. Sein Ehrenwort band ihn bis zum Tilſiter Frieden. Nach dem Friedensſchluß ſeines Verſprechens ledig, trat er ins Brandenburgiſche Huſarenregiment ein, avancirte, beſuchte 1810 die Kriegsſchule und war im März 1812 unter den 300 Offizieren, die, als Preußen, durch die politiſche Lage ge - zwungen, ſein Contingent zum Feldzug gegen Rußland ſtellen mußte, ihren Abſchied nahmen, um, wo immer es auch auf den Schlacht - feldern Europa’s ſein möge, wohl gegen den Unterdrücker, aber nicht für ihn zu kämpfen. Die Mehrzahl jener 300 Offiziere trat in ruſſiſchen Dienſt; unſer Maſſow aber, mit zwei gleichgeſinnten Freunden (von Barner und von Scharnhorſt, Sohn des Generals) ging nach England und von da, als Offizier in einem Dragoner - Regiment der Engliſch-Deutſchen Legion, nach Spanien. Er focht unter Wellington und wurde vor Burgos, bei einer Cavallerie - Attacke, durch einen Lanzenſtich in die Lunge lebensgefährlich ver - wundet. Er genas indeß und kehrte zunächſt nach England, von da nach Preußen zurück. Er trat hier, es war im Juni 1813, bei dem braunen Huſaren-Regimente ein, das damals der Obriſt von Blücher (Sohn des Feldmarſchalls) kommandirte, machte in dieſem Regimente die Kämpfe jenes ſchlachtenreichen Sommers und Herbſtes mit und wurde dann, am Schluß des Jahres, in den Generalſtab verſetzt. 1815 befand er ſich im Hauptquartier des Fürſten Blücher, deſſen Communicationen mit Wellington, vor und während der Schlacht bei Belle-Alliance, durch unſren Maſſow vermittelt wurden. Welch beſſerer Vertrauensmann hätte ſich finden laſſen als eben er, der ſchon drei Jahre früher unter den Augen des Herzogs gefochten hatte und deſſen volle Kenntniß der Engliſchen Sprache, damals bei den wenigſten anzu - zutreffen, ihn ohnehin empfahl.

Der Niederwerfung Napoleons folgte bekanntlich die Okku - pation Frankreichs durch engliſche und preußiſche Truppen. Den163 Oberbefehl über dieſe Truppen führte Herzog Wellington, in deſſen unmittelbare Umgebung preußiſcherſeits unſer Maſſow kommandirt wurde. Drei Jahre lang, bis 1818, verblieb er in dieſer Stellung, in der er ſich, durch die Zuneigung und das beſondre Vertrauen des Siegesherzogs geehrt ſah. Die Berichte, die der Hauptmann von Maſſow, während dieſer 3 Jahre von Paris oder Cambray aus, wo Wellingtons Hauptquartier war, erſtattete und die nicht nur militairiſchen, ſondern auch allgemein politiſchen Inhalts wa - ren, werden noch im großen Generalſtab zu Berlin aufbewahrt und gelten für ausgezeichnete Leiſtungen.

Bei Ablauf der Okkupation nach Berlin zurückgerufen, wurde er gegen Ende des Jahres 1818 zum Flügeladjutanten König Friedrich Wilhelms III. ernannt und ſtieg, immer in unmittelbarer Nähe des Königs verbleibend, von Stufe zu Stufe, bis er, nach langwieriger Krankheit, im Jahre 1843 ſeinen Abſchied nahm und ſich in die ländliche Stille von Steinhöfel zurückzog.

Hier trieb er mit Eifer Landwirthſchaft, erweiterte das Schloß, verſchönerte den Park und mehrte und ſteigerte den Werth des Familienerbes. Er war in weiten Kreiſen ein Tröſter der Betrüb - ten, ein Wohlthäter der Leidenden, ein weiſer Rathgeber Aller, die ihm vertrauend ihr Herz öffneten.

Die Ruhe ländlicher Zurückgezogenheit war ihm lieb gewor - den; nur einmal noch wurde er ihr entriſſen, um auf kurze Zeit, vielleicht auf Tage nur, die Stille von Steinhöfel mit dem Lärm von London zu vertauſchen.

Der eiſerne Herzog war am 14. September 1852 auf ſeinem Schloſſe Walmer Caſtle bei Dover, beinah 80jährig geſtorben und auf den 15. November war ſein feierliches Begräbniß feſtgeſetzt. Faſt alle europäiſchen Armeen ſchickten Deputationen, um den Feld - marſchall der ſieben Reiche auf ſeinem letzten Gange zu begleiten; die preußiſche Deputation aber beſtand aus Graf Noſtitz, General von Scharnhorſt und unſrem Maſſow, der in Veranlaſſung dieſer Deputirung zum Generallieutenant ernannt worden war. So folgte dieſer denn dem Sarge des großen Feldherrn, unter deſſen Augen11*164er, 40 Jahre früher, zuerſt das Hochgefühl des Sieges kennen gelernt hatte, und neben ihm ſchritt General von Scharnhorſt, der, von gleichem Haß gegen die napoleoniſche Herrſchaft erfüllt, damals mit ihm nach England gegangen war, um, wo immer es ſei, den Unterdrücker ſeines Vaterlandes zu bekämpfen. Beide waren der Fahne Wellingtons gefolgt, nun folgten beide ſeinem Sarge. Und welch Leichengefolge das! Ein ſchönes Gedicht George Heſe - kiel’s hat dieſen Zug beſchrieben:

ein Leichengefolge ſchließt ſich an,
So wie’s gehabt noch kein Unterthan!
Von ſieben Monarchen iſt’s deputirt,
Für die er den Stab des Feldmarſchalls geführt,
Die Feldzeichen, die mit Trauerflor wehn,
Vertreten die Trauer von ſieben Armeen:
Rußland, Preußen und Oeſterreich
Sie klagen heut mit dem brittiſchen Reich,
Niederland, Spanien und Portugal
Begraben in London den Feldmarſchall;
Aus hundert Fahnen das Leichentuch,
Das England um ſeinen Lord Herzog ſchlug,
Der ſich ein Grab in St. Paul erſiegt,
Wo Nelſon in Lorbeer begraben liegt.

Maſſow, der durch Jahre hin, dem Old Duke , ſo per - ſönlich nahe geſtanden hatte, war in London mit beſondrer Aus - zeichnung empfangen worden, jetzt, nach der feierlichen Beiſetzung, kehrte er aus dem Gewoge Londons in die Stille Steinhöfels zurück. Aber eine tiefre Stille harrte ſeiner bereits. Es war be - ſchloſſen, daß er dem Siegesherzog, deſſen Sarge er am 15. No - vember 1852 gefolgt war, nach wenig mehr als Jahresfriſt in die Ruhe des Grabes folgen ſollte. Am 11. Jan. 1854 erkrankte er, am 18. entſchlief er als ein ernſter und gläubiger Chriſt.

Auf dem Kirchhof zu Steinhöfel ruht er und ein Granitſtein giebt die Daten ſeines Lebens und Todes. Er war nie vermählt. Steinhöfel fiel an ſeinen Bruder den Hausminiſter und nach deſſen165 Tode an den älteſten Sohn deſſelben, den Rittmeiſter Valentin von Maſſow. Dieſer iſt der gegenwärtige Beſitzer.

Steinhöfel iſt ein ſchönes und reizend gelegenes Gut. Es liegt an der Stelle, wo der breite Sandgürtel, der ſich nördlich von Fürſtenwalde hinzieht, in ein friſcheres und fruchtbareres Terrain übergeht. Das Dorf ſelbſt, durch das ſich Kaſtanien-Alleen ziehn, macht einen freundlichen und maleriſchen Eindruck; die Kirche iſt alt, das Schloß neu, wenigſtens in ſeiner gegenwärtigen Geſtalt. Intereſſante Bilder von Fr. Gilly (halb landſchaftlich, halb archi - tektoniſch), die ſich bis dieſen Tag in einem der Zimmer des Schloſſes vorfinden, zeigen uns deutlich wie die urſprüngliche äußere Anlage war. Die innere Einrichtung (einige ältre Bilder und Familien-Werthſtücke abgerechnet), ſtammt aus der Zeit des Generallieutenants Valentin von Maſſow und ſeines Vaters des Obermarſchalls. Eine tiefe Stille herrſcht innerhalb des Schloſſes, während doch die heitren, nur in der Einſamkeit wie ſchwermüthig gewordenen Räume den Eindruck machen, als würden ſie’s gern haben, ſtatt der Lichter und Schatten, die auf dem Fußboden um - herſpielen, oder ſtatt des Echo’s, das dann und wann durch die lange Zimmerreihe klingt, lebendige, lachende Geſtalten zu em - pfangen.

Eine Aufzählung der Familienbilder, denen wir ſowohl in den Räumen des Erdgeſchoſſes als des erſten Stockes begegnen, geb ich in den Anmerkungen; nur zweier alter Portraits, die höchſt wahrſcheinlich aus der Blumenthalſchen Zeit her dem Schloſſe verblieben ſind, geſchehe ſchon hier in aller Kürze Erwähnung. Es ſind das die Bildniſſe 1) des Cabinetsminiſters von Blumen - thal, der zur Zeit des großen Kurfürſten brandenburgiſcher Ge - ſandter in Paris war und 2) des Feldmarſchalls von Flanß (geb. 1664, geſtorb. 1748), eines beſondren Lieblings und Jagd -166 genoſſen Friedrich Wilhelms I. Beide Portraits, namentlich das erſtere, ſind von vorzüglichem Kunſtwerth.

Einzelne kleinere Bilder, ſämmtlich Aquarelle, von denen zwei von Schinkel, fünf von Fr. Gilly herrühren, mögen indeſſen ſchon hier eine eingehendere Beſprechung finden. Es ſind Steinhöfler Landſchaften, die theils als Arbeiten jener hervorragenden Künſtler, theils aber auch dadurch unſer Intereſſe erwecken, daß ſie uns, wie ſchon angedeutet, Schloß und Park von Steinhöfel in jener Ge - ſtalt zeigen, wie beide vor 50 oder 60 Jahren waren. Alle ſieben Bilder weiſen keine Jahreszahl auf, doch iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß die beiden Schinkelſchen Bilder unmittelbar nach ſeiner Rück - kehr aus Italien (1805), die Gillyſchen (Fr. Gilly ſtarb ſchon 1800) Ausgangs des vorigen Jahrhunderts gemalt wurden.

Die zwei Schinkelſchen Bilder ſind folgende:

1. La Maison du Vigneron, et Vendange à Stein - hoeffel. Es iſt Spät-Nachmittags-Beleuchtung; eine Gruppe rechts ſitzt im Schatten der Bäume; auf das laubumrankte Winzerhaus aber, ſo wie auf den freien Platz davor, fällt ein mildes, heitres Sonnenlicht. Winzer und Bäuerinnen tanzen einen Rund - und Ringelreihn; in der weinumrankten Vorhalle des Winzerhauſes, und auf der Treppe, die zu dieſer Vorhalle hinaufführt, ſtehen plaudernde Paare und ein Paar Fiedler, die zum Tanze ſpielen. Ein reizendes Bild; in ſeiner derb heitren Stimmung nieder - ländiſch, in Beleuchtung und Farbenton italieniſch und in ſo fern allerdings wohl einer gewiſſen realiſtiſchen Wahrheit entbehrend.

2. La Vigne de Steinhoeffel.

Dies Bild iſt ruhiger als das erſte, aber vielleicht noch hübſcher und anziehender. Es iſt daſſelbe Haus, nur mit dem Un - terſchied, daß man mehr die Giebel - als die Frontſeite ſieht. Die Sonne geht eben unter und ein rothbrauner Ton liegt über dem Ganzen. Zwei Bäuerinnen kehren mit Fruchtkörben heim; an der ſonnenbeſchienenen, rothbraunen Gartenmauer ſteht eine kurzgeſchürzte Winzerin in grünem Friesrock und rothem Mieder und reicht einem Winzer, der oben auf der niedrigen Mauer ſteht, die abge -167 ſchnittnen, ſchweren Trauben zu. Edeltannen und Silberpappeln im Hintergrund; das Ganze in Auffaſſung und Beleuchtungston durchaus italieniſch.

Die Gillyſchen Blätter haben mit den Schinkelſchen nicht die geringſte Aehnlichkeit. Sie führen alle fünf die gemeinſchaftliche Unterſchrift: Vue de Steinhoeffel und zeigen: 1. das Schloß, wie es ſich vor 50 oder 60 Jahren präſentirte, wenn man von der Dorfgaſſe her in den Park einbog; 2. das Schloß vom Park aus; 3. das japaniſche Häuschen im Park (nach dem Fr. W. III. das Paretzer aufführen ließ); 4. eine Baum - und 5. eine Waſ - ſerparthie (Cascade) aus dem Park.

Wenn auf den zwei Schinkelſchen Blättern ſaftgrün und rothbraun vorherrſchen und ihnen Kraft und Friſche geben, ſo ſind auf den Gillyſchen Blättern weiß und ein helles Waſſergrün die vorherrſchenden Farben. Die Schinkelſchen machen den Eindruck moderner, ſehr farbenkräftiger Aquarelle, während die Gilly - ſchen wie Federzeichnungen wirken, die mit dünnen und unkräf - tigen Waſſerfarben hinterher fein und ſinnig getuſcht wurden.

Intereſſanter noch als dieſe höchſt anſprechenden Aquarell - Bilder Fr. Gilly’s und Schinkel’s und vielleicht überhaupt das intereſſanteſte unter allem was ſich an Kunſtſchätzen und Curioſi - täten in Steinhöfel vorfindet, iſt ein andrer Rahmen, deſſen ſchlich - ter brauner Holzrand ſtatt eines Bildes, ein vergilbtes Quart - blatt Papier umfaßt. Dies Quartblatt Papier, auf beiden Sei - ten beſchrieben, (weshalb der Rahmen hinten und vorn ein Glas hat) iſt das Concept eines Briefes (in Verſen), den Kronprinz Friedrich, von Königsberg aus, im Auguſt 1739, an Voltaire richtete. Im 21. Bande der Oeuvres completes (dem 5. der Correſpondence ) findet ſich dieſer Verſebrief abgedruckt. Ich ſtelle nun, behufs eines Vergleichs, den gedruckten Brief und die ver - ſchiedenen Verſionen des Steinhöfler Concepts (die Orthographie habe ich an einigen Stellen unverändert gelaſſen) zuſammen, zu - gleich eine Ueberſetzung hinzufügend, bei der ich auf eine Markirung der kleinen Unterſchiede verzichtet habe.

168
Sublime auteur, ami charmant,
Vous dont la source intarissable
Nous fournit si diligemment
De ce fruit rare, inestimable,
Que votre muse hardiment,
Dans un séjour peu favorable
Fait éclore à chaque moment;
Au fond de la Lithuanie,
J’ai vu parâitre, tout brillant,
Ce rayon de votre génie
Qui confond, dans la tragédie,
Le fanatisme, en se jouant.
J’ai vu de la philosophie,
J’ai vu le baron voyageur,
Et j’ai vu la pièce accomplie
les ouvrages et la Vie
De Molière vous font honneur.
A la France, votre patrie,
Voltaire, daignez épargner
Les frais que pour l’Académie
Sa main a voulu destiner.
Erhabner Dichter, liebenswürdger
Freund,
Du deſſen unerſchöpflicher Geiſt (Quell)
Uns ſo fleißig verſorgt
Mit jener ſeltnen, unſchätzbaren Frucht,
Die deine Muſe dreiſt
Auch an minder günſtigem Ort
Jeden Augenblick heranreifen läßt;
In der Tiefe Litthauens
Hab ich glänzend erſcheinen ſehn
Jenen Strahl Deines Genies
Der, ſpielend, in der Tragödie
Den Fanatismus ſchamroth macht.
Ich habe Philoſophiſches
Und habe den reiſenden Baron
Und habe jene vollendete Arbeit erſchei -
nen ſehn,
Worin das Leben Molière’s
Und ſeine Werke Dir zur Ehre gereichen.
Erſpare, Voltaire, Deinem Vaterlande,
Erſpare Frankreich die Koſten,
Die es hergiebt
Für ſeine Akademie.

En effet, je suis sûr que ces quarante têtes qui sont payées pour penser, et dont l’emploi est d’écrire, ne travaillent pas la moitié autant que vous. Les sciences sont pour tout le monde, mais l’art de penser est le don le plus rare de la nature.

Cet art fut banni de l’école,
Des pédants il est inconnu.
Par l’inquisition frivole
L’usage en serait défendu,
Si le pouvoir saint de l’étole
S’était à ce point étendu.
Du vulgaire la troupe folle
A penser juste a prétendu;
Du vil flatteur l’encens vendu
En a parfumé son idole;
Et l’ignorant a confondu
Le froid non-sens d’une parole,
Et l’enflure de l’hyperbole
Avec l’art de penser, cet art si
peu connu.
Dieſe Kunſt, von der Schule verbannt,
Iſt unbekannt den Pedanten;
Die ſchnöde Inquiſition
Würde den Gebrauch (des Denkens)
verboten haben,
Wenn die heilige Macht der Stole
Sich bis zu dieſem Punkt erſtreckt hätte.
Der tolle Schwarm des Pöbels
Hat den Anſpruch erhoben richtig zu
denken;
Der käufliche Weihrauch des niederen
Schmeichlers
Hat ſeinen Götzen (den Pöbel) beräuchert
Und der Ignorant verwechſelt
Den kalten Unſinn einer Redensart
Und den Schwulſt der Hyperbel
Mit der Kunſt zu denken, dieſer ſo wenig
gekannten Kunſt.
169
Aimable auteur, ami charmant
Vous dont la source intarisable
Nous fournit si diligemment
De ce fruit rare, inestimable,
Que votre Muse sagement
Cueillit presque à chaque moment.
Les rayons etc. etc.
De Molière sont en Honneur
A la France votre patrie.
Voltaire, daignez épargner
Les frets etc.
Que votre Muse hardiment
Dans un sejour peu favorable
Fait éclore à chaque moment.

Ich bin in der That ſicher, daß dieſe vierzig Köpfe, die für’s Denken bezahlt werden und von Amts wegen zu ſchreiben haben, nicht halb ſo viel arbeiten als Sie. Die Wiſſenſchaften ſind für alle Welt, aber die Kunſt des Denkens iſt die ſeltenſte Gabe der Natur.

Cet art fut bani de l’ecolle
Aux pedants il est inconnu;
Par l’inquisition frivolle
L’usage en defendu;
Le courtisan toujours a cru
Que c’etait l’art de son idolle;
Du Vulgaire la troupe folle
Sa part même en a pretendu
Nos fols de l’hiperbolle
N’y est point non plus parvenu.
Enfin un philosophe habile
Dans ce monde aveugle est venu
Et e’est par son secours utile
Que l’art de penser a vaincu
Le galimatias imbecile.
Si le pouvoir de leur ecole
A ce point c’etoit étendu.
Du vulgaire la troupe folle
Sa part même en a pretendu;
Le courtisan toujours a cru
Que c’etait l’art de son idole
Et souvent on a confondu
Le froid non-sens d’une parole
Et l’enflure de l’hyperbole
Avec l’art de penser, cet art si
peu connu.
(Mais souvent on a confondu
Des mots l’arrogance frivole
Comme la frayeur lache et molle
Passe pour valeur et vertu.)
170

Entre cent personnes qui croient penser, il y en a une à peine qui pense par elle-même. C’est cet esprit créateur qui sait multiplier les idées, qui saisit les rapports entre des choses que l’homme inattentif n’aperçoit qu’à peine, c’est cette force du bon sens qui fait, selon moi, la partie essentielle de l’homme de génie.

Ce talent précieux et rare
Ne saurait se communiquer;
La nature en parâit avare.
Autant que l’on a pu compter,
Tout un siècle elle se prepare
Lorsqu’elle nous le veut donner.
Mais vous le possédez, Voltaire,
Et ce serait vous ennuyer
Qu’apprecier et calculer
L’heritage de votre père.
Dieſe köſtliche und ſeltne Gabe
Läßt ſich nicht mittheilen;
Die Natur ſcheint damit zu geizen;
Soweit wir rechnen können,
Bereitet ſie ſich ſtets ein Jahrhundert
lang
Eh ſie die Gabe wieder verleiht.
Du beſitzſt ſie, Voltaire,
Und es hieße Dich langweilen
Zu preiſen und zu berechnen,
Was Erbe von Deinen Vätern iſt.

Ce qui n’est parvenu de Mahomet me parâit excellent ..... Vous n’avez pas besoin, mon cher Voltaire, de l’éloquence de M. de Valori; vous êtes dans le cas qu’on ne saurait détruire ni augmenter votre réputation.

Vainement l’envieux, desséché
de fureur
Sur vos vers immortels répandant
ses poisons,
De vos lauriers naissants retarde
les moissons.
Sous les yeux d’Émilie, élève de
Newton
Vous effacez de Thou, vous sur -
passez Maron.
En tout genre d’écrits, en toute
carrière,
C’est le même soleil et la même
lumière.
Cet esprit, ces talents, ces qua -
lités du coeur
Peuvent plus sur mes sens que
tout ambassadeur.
Vergebens ſucht der Neidiſche, trocken
vor Wuth,
Auf Deine unſterblichen Verſe ſein Gift
gießend,
Zurückzuhalten die Erndte Deines wach -
ſenden Lorbeers.
Unter den Augen Emiliens, der Schü -
lerin Newtons,
Uebertriffſt Du de Thou, übertriffſt Du
Maron.
In Vers oder Proſa, auf jedem Gebiet,
Es iſt immer dieſelbe Sonne, daſſelbe
Licht.
Dieſer Geiſt, dieſe Talente, dieſe Herzens -
gaben,
Vermögen mehr über meine Sinne als
jeder Geſandte.

Je suis avec une estime parfaite, mon cher Voltaire etc.

171

Unter hundert Menſchen, die zu denken glauben, iſt kaum einer, der wirklich denkt. Dieſer ſchöpferiſche Geiſt aber, der die Ideen zu ver - mehren weiß, der da einen Zuſammenhang der Dinge wahrnimmt, wo der Unaufmerkſame kaum irgend etwas zu entdecken verſteht, dieſer bon - sens, dieſe Kraft des geſunden Menſchenverſtandes iſt es, die meiner Mei - nung nach den weſentlichſten Theil eines Mannes von Genie ausmacht.

Mais vous le possédez, Voltaire,
Et e’est vouloir vous ennuyer
Que d’aller longtemps calculer
L’heritage de votre père.

Was ich vom Mahomet erhalten habe, erſcheint mir vorzüglich. Sie, mein theurer Voltaire, bedürfen nicht der Beredſamkeit des Herrn von Valori; Sie ſind in der glücklichen Lage, daß Ihren Ruf Niemand weder zu zerſtören noch zu ſteigern vermag.

Un poeme immortel des Muses ap -
prouvé
La Satire, aux abois, de depit con -
sumée,
Craind d’emousir ses dents sur
votre renommée;
Et Rival de Virgille, élève de Newton,
Cet esprit, ces talents, ces qua -
lités du coeur
Peuvent plus sur mes sens que
tout ambassadeur.

Ich bin, mein theurer Voltaire, mit vorzüglicher Hochachtung ꝛc.

172

Was an dieſem auf beiden Seiten beſchriebenen Quartblatt das intereſſanteſte iſt, iſt wohl der Umſtand, daß uns daſſelbe, (eben weil Brouillon) in die Entſtehungs-Geſchichte dieſer, wie ähnlicher Versbriefe des Kronprinzen einführt und uns genau zeigt, wie er arbeitete. Es überraſcht dabei einmal eine gewiſſe Strenge gegen ſich ſelbſt, die ſich in den doppelten und dreifachen Varianten zur Genüge ausſpricht, anderſeits ein gewiſſes proſaiſches ſich’s bequem machen , das die Reimworte nicht mit ahnungs - voller Sicherheit aus dem Gedächtniß raſch heraufbeſchwört, ſon - dern ſie aufſchreibt, um nun völlig nüchtern und nach Bedürf - niß die Auswahl zu treffen. So finden wir, in kurzen und langen Columnen, unter einander geordnet, erſt: hyperbole, parole, dann pretendu, venu, parvenu, dann magnifique, rustique, implique, philosophique, intrique, musique, inique, poe - tique; endlich aprouvé, depravé, annoncé, consumé, alarmé etc., Aufzählungen, die es erſichtlich machen, daß der Kronprinz in vielen Fällen nicht eine Hülle für den Gedanken, ſondern einen Gedanken für die Hülle ſuchte. Uebrigens arbeiten bekanntlich viele Poeten auf ziemlich dieſelbe Weiſe und ſo unpoetiſch, auf den erſten Blick, dieſer Weg allerdings erſcheinen muß, ſo iſt doch ſchließlich nicht erwieſen, daß derſelbe weſentlich ſchlechter ſei als ein andrer. Er erinnert an die Verfahrungsweiſe einzelner Maler, be - ſonders guter Coloriſten, die, zunächſt eine bloße harmoniſche Wir - kung auf die Sinne bezweckend, nicht klare Geſtalten, ſondern Farben (die dem Reim entſprechen) neben einander ſtellen. Form und Gedanke finden ſich nachher. Wie ſie ſich finden, ſcheinbar zwanglos, oder aber ſichtlich erzwungen davon hängt dann freilich alles ab.

Wir haben dieſem umrahmten Quartblatt Papier wieder ſei - nen Ehrenplatz an der Längswand des Bibliothekzimmers gegeben und treten nun aus dem kühlen ſchattigen Raume in den ſonn - beſchienenen Park hinaus. Es iſt jener Mittagszauber, von dem es im Liede heißt:

173
Vor Wonne zitternd hat die Mittagsſchwüle
Auf Thal und Höh in Stille ſich gebreitet,
Man hört nur, wie der Specht im Tannicht ſchreitet
Und wie durch’s Tobel rauſcht die Sägemühle.

Hier iſt es nicht die Sägemühle, die rauſcht, aber ein Bach, der, aus dem Felde kommend, über ein natürliches Wehr von Feld - ſteinblöcken niederſprudelt und ſchillernd in Regenbogenfarben, in den hellbeleuchteten Park tritt. Weiterhin dehnt ſich der Bach zu einem ruhigen Teich aus, (das flinke Leben iſt raſch ſtill geworden) und die umſtehenden Bäume werfen ihr Bild in die dunkelklare Tiefe. Durch den Park hin, nach Süden zu, iſt eine Lichtung ge - ſchlagen, und vor die lichte Oeffnung ſchiebt ſich, in Dämmerferne, der Hügelzug der Rauenſchen Berge . Der ſcharf gezogene Con - tur ihres Profils mahnt an ſüdlich Land und blauen Himmel. Ueber den Teich hin fliegen Libellen, die einzigen, die um dieſe heiße Stunde noch munter ſind; das macht ihre Flügel ſind groß und ihre Leiber ſind leicht.

Ein ſeltſam Klingen und Tönen zieht durch die Luft,

Jetzt iſt die Zeit, wo oft im Schilf ein Wimmern
Den Fiſcher weckt ꝛc.

aber eh noch das Klingen ein beſtimmter Klang geworden, fällt die Kirchglocke mit ihren zwölf Mittagsſchlägen ein; der Mittags - ſpuk verfliegt und nur der Zauber der Stille und Schönheit bleibt.

[174]

Buckow.

Das Dritte, das Dritte noch wiſſen wir’s nicht, Doch bleibt es das Beſt an der ganzen Geſchicht, Courage, Courage!
(Chamiſſo. )

Buckow hat einen guten Klang hierlandes und bei bloßer Nen - nung des Namens ſteigen freundliche Landſchaftsbilder auf: Berg und See, Tannenabhänge und Laubholzſchluchten, Quellen, die über Kieſel plätſchern und Birken, die vom Winde halb entwur - zelt, ihre langen Zweige bis in den Waldbach niedertauchen. Selbſt wer Buckow nie ſah, freut ſich an Wort und Namen und erwie - dert im Ton des Einverſtändniſſes: ah, märkiſche Schweiz.

Buckow iſt ſchön, aber doch mit Einſchränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen; allen Reſpekt vor jener, aber Vorſorge gegen dieſe. Seine Häuſer kleben wie Neſter an Abhängen und Hügel - kanten und ſein Straßenpflaſter (um das ſchlimmſte vorweg zu nehmen) iſt entſetzlich. Es weckt mit ſeiner hals - und wagen - brechenden Paſſage die Vorſtellung, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt, die am Ende auch leben wollen. Von Löchern iſt längſt keine Rede mehr; wo dergleichen waren, ſind ſie zu einer rinnenartigen Vertiefung geworden und als Friedrich Wilhelm IV. vor einer Reihe von Jahren Buckow paſ - ſirte, ſah ſich die Commune veranlaßt, die Hauptſtraße der Stadt fußhoch mit Sand beſtreuen zu laſſen. Dieſer Beſchluß wurde175 aber nicht gleich gefaßt. Viele hatten vorgeſchlagen das Pflaſter zu laſſen wie es ſei um den König deſto eher zu einer milden Beiſteuer zu bewegen, in dankbarer Erinnerung an Rettung aus Lebensgefahr. Aber der Vorſchlag mußte freilich ſcheitern, weil niemand den Muth hatte (und nicht haben konnte), im Voraus für ſichere Paſſage zu bürgen. So wurde denn Sand geſtreut und das alte Pflaſter blieb der Stadt erhalten. Für ſchwache Achſen iſt Buckow daſſelbe was Wien für ſchwache Lungen iſt, keiner kommt heil heraus.

Buckow war einmal wohlhabend, aber das iſt lange her. Im 14. Jahrhundert, auch ſpäter noch, blühte hier der Hopfenbau und gab 33 Hopfengärtnern reichliche Nahrung. Sie gewannen jährlich weit über 1000 Wispel und der Buckower Hopfen war es, der dem Bernauer Bier zu ſeinem Ruhme half. Noch giebt es Ho - pfengärten in Buckow, aber ihre Bedeutung für die Stadt iſt hin und die überall ſiegreiche Kartoffel erobert auch hier das Terrain. Kümmerlich ſchlägt ſich die Stadt mit Spaten und Hacke durch; Communalvermögen iſt nicht da; die vier Jahrmärkte werden nicht beſucht und die alte Hügel-Kirche mit reichem Altar und mächti - gen Glocken, würde ſchwerlich in ſolcher Stattlichkeit auf die Stadt herabſehen, wenn ſie vom jetzigen Buckow gebaut werden ſollte. Weiteres über dieſe Kirche ſiehe in den Anmerkungen.

Die Buckower ſind ordentliche, fleißige Leute, die ſich’s ſauer werden laſſen, aber ſei es, daß ihre wendiſch-deutſche Blutmiſchung nicht ganz die richtige iſt, oder daß ſie’s nicht verwinden können vor lieber langer Zeit einmal reich geweſen zu ſein, gleichviel ſie haben eine Vorliebe für’s Prozeſſiren und gelegentlich auch wohl für die Selbſthülfe. Es exiſtiren darüber viel heitre und viel traurige Geſchichten. Eine Geſchichte dieſer Art, die luſtig und traurig zugleich war, ſpielte vor Kurzem erſt, als die Buckower mit ihrem Grafen (Graf Flemming, Beſitzer der Herrſchaft Buckow) in Streit geriethen. Dieſer Streit nahm ein paar Tage lang den Charakter an, als habe ſich ein Vorgang aus dem 15. Jahrhundert in unſre Zeit hinein verirrt; die Bürger zogen176 zu Felde, ſchlugen die gräflichen Mannen in die Flucht, nahmen Poſſeß vom ſtreitigen Terrain und pflanzten ihr Banner auf dem eroberten Grund und Boden auf. Kurzum eine mittelalterliche Fehde in beſter Form. Streitobjekt war ein Forſt, den der Graf als ſeine, die Stadt als ihre beanſpruchte. Die Gerichte hatten zu Gunſten des Grafen entſchieden, aber die Stadt ſchüttelte den Kopf und ſo geſchah wie eben gemeldet. Ein Bänkelſänger, der juſt des Weges kam, hörte von dem kaum geſchlichteten Streit und das Balladenhafte des Vorganges raſch erkennend, brachte er alles in neue Reime aus dieſem Jahr. Ich habe das Blatt zufällig in die Hand bekommen und gebe etliche Strophen daraus.

Die Bürger von Buckow ſaßen bei’m Bier,
Das gab ein lärmen und ſtreiten,
Sie ſprachen vom Grafen und ihrem Prozeß,
Von Inſtanzen, erſten und zweiten.
Sie wußten es alle klipp und klar,
Daß der Graf die Richter bethörte
Und daß der Forſt (trotz aller Inſtanz)
Von je zur Stadt gehörte.
Drum (hieß es) hätten ſie appellirt
Und ſie wußten aus guten Gründen,
Daß über ein Kleines, in Woch oder Tag,
Die Sachen ganz anders ſtünden.
So klang es. Nur einer ſaß am Tiſch,
Der ſpielte mit Gabel und Teller,
Der rief jetzt: Heh! zwei Seidel friſch,
Zwei bairiſch aus dem Keller.
Er leerte das aufgehobene Glas
Mit einem einzigen Zuge
(Seine blinzelnden Augen tranken zugleich
Aus dem ſtehen-gebliebenen Kruge);
Er ſtrich den Schaum ſich aus dem Bart
Und wetterte über die Tiſche:
He, Bürger von Buckow, was immer ihr prahlt,
’s ſind alles faule Fiſche.
177
Ihr habt keinen Muth; dieweil Ihr hie
Abſchießt eure Pfeile und Bolzen,
Läßt draußen der Graf in eurem Forſt
Die Tannen niederholzen.
Ihr habt keinen Muth; ich ſprech es mit Scham,
Ihr ſeid wie andre Philiſter;
Wer heute die Orgel ſpielen will,
Der braucht ein tiefer Regiſter.
Ihr wißt nichts von der hohen Magie,
Von dem Zauber dieſer Tage,
Der Zauber nennt ſich fait accompli
Und ſein Spruch iſt: thu und wage.
Ihr kommet nie und nimmer zum Ziel
Mit Klagen, Akten und Pakten,
Es giebt nur eines, das heut hilft:
Thatſachen, Griffe, Fakten.
Greift zu, verſchafft euch ſelber Recht
Mit euren eig’nen Händen,
Die Schläger des Grafen ſchlagen im Wald,
Wohlan, ihr müßt ſie pfänden.

Nun folgen ſechs, acht Strophen, in denen beſchrieben wird, wie alles dem Redner zujubelt, wie die Bürger ſich rüſten und andern Tages wirklich ausziehen, um die Pfändung der Gräf - lichen vorzunehmen. Drei andre Strophen ſchildern den Zug ſelbſt;*)Die drei Strophen, die den Zug ſchildern, ſind folgende:Der Führer ritt einen Scheckenfuchs Er ritt ihn kurz auf Trenſe, Dann folgten die Schützen; dann allerlei Volks Mit Sichel und mit Senſe. Die Schützen trugen manch Rüſtungsſtück Mit Scharte und mit Beule, Zuletzt nachrückte das Corps d’Armée Mit Knittel und mit Keule. Im Ganzen waren es 50 Mann In Rotten zu ſechs und ſieben, Nur der Mann der Fakten, des fait accompli, Wat ruhig zu Hauſe geblieben. dann endlich treten ſie in den Wald.

12178
Und als ſie ſich nahten dem ſtreitigen Grund,
Vernehmbar aus dem Gehege
Herklangen durch die ſtille Luft
Der Holzaxt dumpfe Schläge.
Der Tag war heiß, die Luft war ſtill,
Der Wald ſchwieg wie beklommen,
Nur leiſe rauſchten die Wipfel ſich zu:
Sie ſind es; die Buckower kommen.

Der Kampf iſt kurz. Die gräflichen Holzſchläger ſtrecken die Waffen und die Sägen und Äxte werden gepfändet. Ein Hurrah klingt dreimal durch den Wald. Aber der Sieg iſt von kurzer Dauer. Die Gräflichen verſtärken ſich und rücken andren Tags, unterſtützt durch die ganze Polizeimacht der Kreiſe Barnim und Lebus in’s Feld. Die Polizei, bekanntlich ein proſaiſches Inſtitut und ohne Glauben an Geſpenſter, hat auch kein Herz für Roman - tik und Mittelalter und ſchickt die Buckower in ſehr beſtimmten Ausdrücken heim.

Die Buckower ſprechen noch immer zu
Vom Forſt und ihrem Streite;
Und doch wo das ſtrittige Waldſtück ſtand,
Da ſtehen jetzt Klafter und Scheite.
Und kommt ein Buckower ſtill entlang
Halb traurig und halb verbiſſen,
Da ſingen die Vögel ſo luſtig; warum?
Die Vögel werden’s ſchon wiſſen.

Aber ich habe vielleicht zu lange ſchon bei den Buckowern verweilt; wenden wir uns wieder ihrer Stadt zu. Buckow und ſeine Umgebungen bilden die märkiſche Schweiz. Freilich geht es der Stadt mit dieſem Namen und Anſpruch nicht viel beſſer als mit ihrem Forſt, denn Freienwalde tritt mit überlegner Miene in die Schranken und ſagt: dieſer Name iſt mein. Dabei iſt es179 (ohne dadurch Freienwalde in den unverdienten Ruf der Eleganz bringen zu wollen) als hörte man Seide rauſchen, während Buckow wie im Friesrock bei Seite ſteht.

Wo liegt denn nun aber die wirkliche märkiſche Schweiz? Wir werden uns einen Dualismus, wie auch ſonſt wohl, gefallen laſſen müſſen. Freienwalde iſt immerhin eine Dame, Buckow iſt eine ländliche Schönheit, die mit nacktem Fuß in den See tritt und unter Weidenzweigen ihr Haar flicht. Nun wähle jeder nach ſeinem Sinn. Binnen Kurzem wird ſich ſolche Wahl erleichtern. Die neu-projectirte Eiſenbahn zwiſchen Berlin und Küſtrin, führt, auf kürzeſte Entfernung, an Buckow vorüber und einmal in den Verkehr hineingezogen, wird das Aſchenputtel von heute, ihren bevorzugten Schweſtern vielleicht ſchon morgen gefährlich werden.

Buckow liegt in einem Keſſelthale, deſſen Sohle (wir über - ſehen dabei zwei kleinere Seen) von einem großen See gebildet wird. Dieſer See hat die Form eines abgeſtumpften Halbmonds, iſt alſo bohnen - oder nierenförmig und heißt der Schermützel - See. Wir werden noch weiter von ihm hören. An der concaven Seite des Sees, ziemlich genau an der Stelle, wo ſich das hüg - lige Erdreich in den See hineinbuchtet, liegt die Stadt, von der aus ſich in kürzeſter Zeit und mit leichteſter Mühe, die verſchie - denſten Ausflüge in die Umgegend ermöglichen. Alle dieſe Ausflüge, verſchieden wie ſie ſind, laſſen ſich nichts-deſtoweniger in drei ganz beſtimmte Gruppen bringen, in Spazierfahrten über den See, in Beſteigung des Bollersdorfer Plateaus, (weſtlich vom See) oder in Wanderungen durch die Thäler und Schluchten der nach Nord und Oſt hin gelegenen märkiſchen Schweiz. Die Parthieen, die ſich innerhalb der letzteren bieten, ſind zahlreich und anmuthig, (ich beſchreibe dieſelben zum Theil im nächſten Kapitel) der eigent - liche Zauber aber, den Buckow übt, beſteht nicht in der Schönheit dieſer oder jener Details, ſondern einfach in dem Blick auf den ſchönen, tief gelegenen, ſchon in ſeiner Erſcheinung halb märchen - haften See, der ſich von keinem Punkt der umgebenden Höhen her, ſchöner und maleriſcher ausnimmt, als von dem Bollersdorfer12*180Plateau aus, das den See nach Weſten hin begrenzt. Dieſem Bollersdorfer Plateau wenden wir uns jetzt zu.

Wir wählen dazu (ſtatt der Fahrt über den See) einen Umweg, durch jene lieblichen Schlucht - und Waldparthieen, die, indem wir zunächſt uns nördlich halten, von einem Bergwaſſer, dem Marienfließ, durchfloſſen werden. Das Landſchaftsbild, das ſich vor uns erſchließt, iſt daſſelbe, dem der Reiſende in den Wald - und Gebirgsparthieen Mitteldeutſchlands ſo oft begegnet; wer den Harz, wer Thüringen und die ſächſiſche Schweiz kennt, iſt manche liebe Stunde unter gleichen Bildern und Eindrücken bergan geſtiegen. Tannen und Lärchenbäume faſſen zu beiden Seiten die Hügelabhänge ein, Buchen und Birken ſind in das Nadelholz eingeſtreut, der Kuckuck ruft, der Bach plätſchert und auf dem friſchen Raſen, der das Wandern ſo leicht macht, liegen die Tann - äpfel oder ſpielen die Schatten und Lichter der Nachmittagsſonne. So auch hier. Ueber die primitivſten Brücken hinweg (ſechs Feld - ſteine quer durch den Bach gelegt) ſchreiten wir vom linken auf das rechte und wieder vom rechten auf das linke Ufer, bis wir nach halbſtündigem Marſch die nördliche Richtung aufgeben und links den Tann ohne Weg und Steg durchbrechend, plötzlich auf einem weiten Ackerfeld uns erblicken, rundum Raps und grüne Saaten, in der Ferne aber die Giebelwand einer Dorfkirche. Wir befinden uns jetzt auf einem Plateau und zwar auf eben jener Bollersdorfer Höhe , die wir, den Wendungen des Baches folgend, faſt wie auf einer Wendeltreppe ohne Stufen, erſtiegen haben. Aber noch wiſſen wir es kaum, daß wir uns auf einer Höhe befinden, denn die weiten Ackerfelder dehnen ſich, bis zum Horizont, wie eine Ebene vor uns aus und erſt nach links hin einer Ackerfurche folgend, die uns an eine Wand von Brombeer - und Weißdornſträuchern führt, blicken wir plötzlich in eine völlig ſenkrechte Tiefe nieder, hundert Fuß unter uns der See.

Wir nehmen nun unſern Stand und haben vielleicht das ſchönſte Landſchaftsbild vor uns, das die märkiſche Schweiz oder doch der Kanton Buckow zu bieten vermag. Links und rechts,181 in gleicher Höhe mit uns, die Raps - und Saatfelder des Plateaus, auf dem wir ſtehn; unmittelbar unter uns der blaue, leis gekräu - ſelte Schermützel See; drüben am andern Ufer, hügelanſteigend, in den Schluchten verſchwindend und wieder zum Vorſchein kom - mend, die Stadt und endlich hinter derſelben, im weitgezogenen Halbkreis, eine Bergwand, hier und dort mit jungem Kiefernholz, in der Mitte aber mit dunklen Schwarztannen bis zur vollen Höhe des Berges beſetzt. Die Nachmittagsſonne fällt auf die Stadt, die mit ihren rothen Dächern und weißen Giebeln wie ein Bild auf dem dunklen Hintergrund der Tannen ſteht; das Auge aber, wohin es durch die Mannigfaltigkeit des Bildes auch gelockt wer - den mag, kehrt immer wieder auf den räthſelvollen See zurück, der in genau zu verfolgenden Linien halbmondförmig unter uns liegt.

Auf den räthſelvollen See. Noch wiſſen wir es nicht, aber wir ahnen es, daß er unter andern Schätzen auch Sage und Geſchichte umſchließen muß, und unſer Führer, ein Buckower Fiſcher, der uns bis hieher ſchweigend geleitet, hebt nun mit ſchlichtem Tone an: Dort unten liegt die alte Stadt. Drüben am andern Ufer, wo Sie die ſpiegelglatte Stelle ſehen, dort hat Alt-Buckow geſtanden. Wir kennen die Stelle ganz genau. Von dem Eck dort, wo die Binſen 100 Schritt weit in den See hineingehen, bis hier g’radüber von uns, wo die Weiden in’s Waſſer hängen, ſo weit ging die Stadt. Ich ſpreche nicht von Glocken, die unten klingen, Alt-Buckow hatte ſchwerlich Gocken, aber das müſſen Sie ſchon glauben, daß wir an klaren Tagen 10 Fuß tief unterm Spiegel allerhand Pfahlwerk ſtehen ſehn, Blockhäuſer vielleicht, jedenfalls Zaun und Steg und mancher unter uns hat etwas von dem Pfahlwerk herausgeholt und ihm einen guten Platz im Haus - flur gegeben. Wir denken, es iſt ein Segen dabei. Der Erzäh - lende machte eine Pauſe, während er mich ſcharf anſah, dann fuhr er fort: Drüben, wo die Stadt ſtand, iſt der See flach, wenig - ſtens eine kurze Strecke; hier unter uns aber iſt er tief, an 100 Fuß und darüber; hier wimmelt es auch von Fiſchen, aber wir182 haben wenig davon. Wenn wir hier Netze ziehn, ſo gehen die Fiſche tiefer, und wollen wir ihnen nach, ſo kommen wir in den alten Eichwald, der hier unten ſteht. Die Maſchen zerreißen dann, die Fiſche ſchlüpfen durch und ein paar abgebrochne Zacken ſind alles, was wir mit nach oben bringen. So hat ſich’s geändert; einſt war alles Berg hier, und Stadt und Wald ſtanden zwiſchen hüben und drüben, wie wir beide hier auf dieſer Höhe ſtehn. In einer Nacht war alles vorbei. Der Berg ging nach unten und der See kam herauf.

Die Sonne ging eben unter, eine kühle Luft wehte über das Feld und ein leiſes Unbehagen lief mir über den Rücken. Aber ich wußte doch nun, was es war, daß mich der See mit ganz andrem Auge angeblickt hatte wie mancher andre See und ich warf mich nieder und ſtreckte den Kopf über den Abgrund hinaus, wenigſtens den Wunſch (wenn nicht mehr) im Herzen, unten ein Eichenſkelett bis an den Waſſerſpiegel heraufragen und die Fiſche durch die Zackenkronen hindurch huſchen zu ſehn. Ich ſah es auch wirklich, aber mit dem Bewußtſein, daß es Täuſchung ſei.

Wir traten den Rückweg an und plauderten über dies und das. Des See’s Sagen indeß verließen mich nicht und begleiteten mich in die große Stadt, wo ich in Büchern nachzuſchlagen und nach der Vorgeſchichte des großen Schermützel See’s zu ſuchen begann. Was ich fand, iſt das. Viele unſrer märkiſchen Seen und ſeeartigen Vertiefungen ſollen durch ſogenannte Erdfälle entſtan - den ſein. Man hat keine andre Erklärung. Plötzlich und unver - mittelt in Mitten eines Plateaus auftretend (wie dies namentlich bei’m Schermützel See der Fall iſt) iſt es nicht möglich von her - einbrechenden Waſſerfluthen, von Flußbett oder Strömungen zu ſprechen. Es iſt nichts von außen Herantretendes, was die Erklärung geben kann, es muß vielmehr ein innerlicher Vor - gang, ein eminent lokaler ſein. Man denkt ſich die Sache ſo. Das Innere der Erde hat Höhlen, deren Wände und Deckenge - wölbe (nach Art der jetzigen Tunnel) die Hand der Natur mit183 Kalk oder Gipsmaſſen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel ſind entweder völlig hohl und leer, oder aber, (was häufiger zu ſein ſcheint) mehr oder weniger mit Waſſer gefüllt. Ueber ſolchem gewölbten Rieſentunnel liegt Erdreich (wie viel iſt gleichgültig) und auf dem Erdreich ſteht eine Stadt oder wächſt ein Wald. So geht es durch ein Jahrtauſend. Da plötzlich, ſei es durch einen Ruck von unten oder durch ſickernde Waſſer von oben her, bricht das Tunnelgewölbe ein und wie ein Haus, das ſeine Bal - kenlage verliert, in den Keller ſtürzt, ſo fährt nun das Erdreich, mit allem, was drauf wuchs und lebte, in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel leer, ſo zeigt ſich nunmehr einfach eine Vertiefung, wo ſonſt eine Fläche war, war der Tunnel aber umgekehrt ein rieſiges übermauertes Waſſerreſervoir, ſo ſchlagen nun die freigewordenen Waſſer über allem was niedergefahren iſt, zuſammen und ein See ſteht ruhig über Stadt und Wald.

Eine geognoſtiſche Autorität hat die hübſche Wendung ge - braucht: daß die Natur, bei der Bildung von Erdfällen nur erſt ſelten auf friſcher That ertappt worden ſei , ein Umſtand, zu dem wir uns, ſo intereſſant und lehrreich das Gegen - theil auch ſein würde, doch vor allem zu gratuliren haben. Wäre es anders, wären wir in der Lage, dieſe Erdfälle wie Stern - ſchnuppenfälle im Auguſt, regelmäßig beobachten zu können, ſo würde Central-Amerika ein vergleichsweiſe ſichrer Aufenthalt ſein; denn was ſind Erdbeben gegen ſolche Erdfälle , wo die Erde gleichſam ſich ſelbſt zu verſchlingen beginnt. Sind übrigens die Annahmen, über die Bildung mehrerer unſrer größten und ſchönſten Seen nur halbwegs richtig, ſo haben die Vorbewohner der Mark von dieſen intereſſanten Naturerſcheinungen mehr denn zur Genüge gehabt. Der Kreſſinſche See nicht weit von Saar - mund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei Lindow und der große Paarſteiner-See bei Kloſter Chorin, ſollen durch ſolche Erdfälle entſtanden ſein, der zahlreichen Teufelsſeen (die überall vorkommen) zu geſchweigen. Wo zwiſchen zwei abſchüſſigen184 Hügelwänden ſich plötzlich ein trichterförmiger See einklemmt, der weder Zu - noch Abfluß, wohl aber eine bedeutende Tiefe hat, da liegt immer Grund vor, einen Erdfall zu vermuthen. Erzählt aber gar die Sage von untergegangenen Dörfern und Städten, ſo iſt es gut, dem Volksmund zu glauben und die Zweifel zu Haus zu laſſen. Ob die Glocken dann Abends unten klingen oder nicht, der iſt nicht beneidenswerth, der ſie ſchlechterdings nicht zu hören vermag.

[185]

Der große und kleine Tornow-See.

Im Mummelſee, im dunkeln See, Da blühn der Lilien viele.
(Schnezler. )

Die märkiſche Schweiz um Buckow herum iſt zum großen Theil ein Beſitzthum der Grafen Flemming und Itzenplitz.

Der Itzenplitz’ſche Antheil an dieſem Stück ſchöner Natur liegt in Nordweſt und Nordoſt des großen Schermützel-See’s und umfaßt das Areal der Güter Bollersdorf und Pritzhagen.

Von dem Bollersdorfer Plateau ſprachen wir bereits im vorigen Kapitel; ebenſo vom dem ſchönen Blick, den der abſchüſſige Rand deſſelben auf den unten liegenden Schermützel-See geſtattet. Das Dorf Bollersdorf ſelbſt, deſſen kleine gothiſche Kirche dem kahlen Plateau einen maleriſchen Reiz verleiht, iſt ohne Bedeu - tung. Seine Beſitzer wechſelten oft. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es Eigenthum des General-Lieutenant von Goertzke, der, nach Ankauf des jetzt Marwitz’ſchen Friedersdorf, auch noch Kienitz und Bollersdorf an ſich brachte. Nach ſeinem Tode aber ſcheint es ſofort in andre Hände übergegangen zu ſein. Die ſchon genannte Kirche iſt alt. Bei einem vor Jahresfriſt ſtattfinden - den Umbau wurden in der geöffneten Gruft die Särge der Familie Loeſchebrand gefunden. Ueber den Schnitzaltar, der bei Umbau der Kirche ebenfalls reſtaurirt wurde, ſpreche ich in den Anmer - kungen. Es iſt ein ſehr altes und vor vielen ähnlichen Arbeiten intereſſantes Werk.

186

1763 kam Bollersdorf durch Schenkung (wie Friedland) in Beſitz des Generalmajors von Leſtwitz und theilte ſeitdem, hinſicht - lich ſeiner Beſitzverhältniſſe, das Schickſal des Leſtwitz-Itzenplitzi - ſchen Gütercomplexes (Friedland, Cunersdorff, Bollersdorf, Pritz - hagen), dem es von da ab zugehörte.

Pritzhagen liegt mehr öſtlich und das coupirte Terrain ge - ſtattet keinen Blick auf den Schermützel-See. Das Dorf ſelbſt iſt unbedeutend wie Bollersdorf. Viele Jahrhunderte lang, bis kurz vor der Zeit, wo es Leſtwitz erhielt, beſaßen es die Rutze oder die von Reutze wie ſie ſpäter genannt wurden. Schon 1375 (wie das Landbuch berichtet) gehörte Pritzhagen den Rutze’s und blieb im Beſitz dieſer alten Familie bis in’s 18. Jahrhundert hinein. Dann ſtarben ſie aus. Der letzte, wie es ſcheint, war Junker Hans , ein Waidmann von altem Schrot und Korn, der ſeine Paſſion mit dem Leben bezahlte. Sein Name lebt fort in der Junker Hanſens Kehle. Kehle , in der Gebirgsſprache der märkiſchen Schweiz, iſt der gäng und gäbe Ausdruck für Schlucht und Junker Hanſens Kehle bedeutet einfach die Schlucht, in die Junker Hans von Rutze bei Verfolgung eines Hirſches hinein - ſtürzte und den Hals brach. In Pritzhagen erzählt jedes Kind von ihm; aber eine Meile weiter weiß niemand etwas weder von den Rutzes, noch Junker Hans, noch von der Kehle , die ſeinem eignen Halſe ſo verderblich wurde. Ein allerlokalſter Ruhm.

Pritzhagen bedeutet wenig, aber ſeine Berge und Schluchten bedeuten viel, ſelbſt ſeine Kehlen. Einer ſeiner reizendſten Punkte iſt der Dachsberg , kaum eine Viertelſtunde vom Dorf gelegen und mit Recht ein Lieblingsplatz aller märkiſchen Touriſten. Auch Berliner huldigen ihm. Und das iſt doch immer das Ent - ſcheidende!

Der Dachsberg an und für ſich iſt nichts beſonderes; aber die beiden Seen, die zu ihm aufblicken, ebenſo wie die Schlucht, die dieſe Seen verbindet, bilden ſeine Schönheit. Die beiden Seen heißen der kleine und große Tornow und die Schlucht heißt die Silberkehle.

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Die beiden See’n ſchauen zu dem Berge hinauf, der ſeiner - ſeits terraſſenförmig anſteigt. Am Fuß der Treppe breitet ſich der große Tornow aus, aber auf der mittleren Treppenſtufe liegt der kleine Tornow, dunkel, ſtill, in verſchwiegener Tiefe.

Von der Kuppe des Hügels herab überblickt man nur den kleineren See; Baumparthieen faſſen ihn ein und beſchränken die Fernſicht. Das Terraſſenförmige des Berges kommt wenig zur Erſcheinung. Möglich daß das Landſchaftsbild an Reiz gewönne, wenn der Blick an dieſer Stelle zu erweitern wäre, wenn das Auge des Beſchauers, gleichſam die Stufen der Treppen hernie - derſteigend, erſt bei dem kleineren Tornow-See, dann endlich tief unten bei der größeren Waſſerfläche verweilen könnte. Möglich daß mehr Weite dem Blick auch einen weiteren Zauber liehe; aber auch wie es iſt, iſt es ſchön.

Der kleine Tornow hat den Charakter der ſogenannten Teufels-Seen , denen man in der Mark an den Abhängen der Hügel ſo oft begegnet. Ihr Name bezeichnet ihren Charakter. Das Waſſer iſt ſchwarz (von Moorgrund in der Tiefe), dunkle Baum - gruppen ſchließen es ein, breite Teichroſenblätter bilden einen Ufer - kranz und die Oberfläche bleibt ſpiegelglatt, auch wenn der Wind durch den Wald zieht. Es iſt als hätten dieſe dunklen Waſſer einen beſonderen Zug in die Tiefe und als ſtünden ſie feſter, unbeweglicher da, als das Waſſer anderer Seen. *)Der ſchönſte See derart im nördlichen Deutſchland war vielleicht der Jordan-See auf der Inſel Wollin. Still, dunkel, einſam, von Kiefern eingeſchloſſen, lag er da. Braune, halbverfaulte Baumſtämme überragten hier und da ſeine Fläche, ſo daß es war, als richteten ſich Kro - kodile auf und ſögen mit zurückgebogenem Kopf die Nachtluft ein. Die Blätter und Stiele der Nymphäen machten den See unpaſſirbar. Guter Wille und wenig Geſchmack haben dies koſtbare Stück Natur zerſtört. Die Baumſtümpfe ſind fort und die Nymphäen auch; ſtatt ihrer iſt ein Kahn da, der nun über die glatte, proſaiſch gewordene Fläche hingleitet, als wär es ein See wie jeder andre.

So iſt auch der kleine Tornow in Erſcheinung eine Art Hertha-See; einer jener Plätze, an denen Sage und Märchen am188 liebſten verweilen und von Prinzeſſinnen erzählen, die in der Jo - hannisnacht aus dem See ſteigen und mit Teichroſen im Haar freundlich-traurig am Ufer ſitzen.

Nicht ſo der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer ſeine breite und hellere Waſſerfläche am Fuß des Berges ausdehnt. Ihm ſchreiten wir jetzt zu; unſer Weg dahin die Silberkehle.

Die Silberkehle iſt eine tiefe Schlucht mit abſchüſſigen Sei - tenwänden und führt ihren poetiſchen Namen daher, weil überall dort, wo von Moos und Humusdecke entkleidet das eigentliche Erdreich ſichtbar wird, eine Wand von Glimmerſand zu Tage tritt. Dieſer Glimmerſand blitzt und glitzert wie Silber und liegt ſo feſt auf, daß es möglich iſt, Namen und Figuren, wie in Sandſtein hinein zu ſchneiden. Die Silberkehle hat völlig den Charakter einer Gebirgsſchlucht, einer Bergklinſe, und zeigt auf ihrem ganzen Lauf ein tiefausgehöhltes Bett mit den Spuren niederſtürzender Waſſer. Feldſteine, feſt in den Sand gerammt, Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren von Wind und Waſſer überall. Aber heute wo wir des Weges kommen, iſt nichts fühlbar von Waſſer und Wind. Wie eine Mühle am Sonntag, ſo liegt die Silberkehle da, das Triebrad ſteht ſtill, das Wehr iſt geſperrt. Erſt im Frühjahr, wenn der Schnee ſchmilzt oder im Sommer wenn die Regengüſſe kommen, dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Waſſer zu Thale, dann iſt es wieder als ſchäumten und klapperten hundert Mühlen hier, dann werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt und die eingerammten Steine, wie Kieſel weiter nach unten geriſſen.

Wir ſahen das Bild bei Herbſtesſtille. Nur am Fuß des Berges plätſcherten ein paar Quellen, ſo traten wir aus der Enge der Schlucht in’s Freie und blickten auf die Fläche des großen See’s. Er iſt dem kleinen Tornow ſo unähnlich wie möglich. Der kleine Tornow willfähriger dem Schatten als dem Licht; der große Tornow ſonnenbeſchienen, ein Bild heitrer Ruhe. Grün - anſteigende Ufer faſſen ihn ein, rothe Fichtenſtämme ſpiegeln ſich im Waſſer und wenn erſt (wie beabſichtigt) der Waſſerdruck des189 höher gelegenen kleinen Sees benutzt ſein wird, um mitten auf dem großen Tornow einen natürlichen Springbrunnen ſteigen zu laſſen, ſo wird dieſer Eindruck des Heiteren noch gewachſen ſein.

Am Ufer des großen Tornow-See’s erhebt ſich eine Villa, ein Schweizerhaus. Der Erbauer, in Huldigung gegen den Ort, an dem er den zierlichen Bau entſtehen ließ, hat ihm den Namen Haus Tornow gegeben. Das hat einen guten Klang. Stille weilt rundum. Es iſt ein Platz für Raſt und Ruhe und wer empfände nicht die Sehnſucht danach. Bilder ſchmücken die Zimmer der Villa und Wein und Blumen ranken ſich an Wand und Laubengang empor, aber der ſchönſte Blick, den Haus Tornow gewährt, bleibt doch der Blick auf den See. Ein Kahn liegt bereit und trägt uns darüber hin, leicht und glatt; dies iſt kein See der tückiſchen Mächte. Aus der Tiefe des kleinen Tornow her - auf, könnte uns eine Hand, eine Stimme nach unten ziehn; aber das Waſſer des großen Tornow, das eben in tauſend Tropfen von unſerm Ruder fällt, funkelt heiter in allen Farben des Lichts. Ein Schwarm Tauben blitzt durch die Luft, ein Reh tritt an’s Ufer und blickt uns nach; es weiß, es darf es wagen. Friede iſt die Parole am großen Tornow-See.

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Das Oderbruch.

1. Wie es in alten Zeiten war.

Waſſer, Waſſer überall, Die Tiefe ſelbſt verfaulte, Schlammthiere krabbeln zahllos rings Auf ſchlammiger Moderflut.
(Freiligrath, nach Samuel Taylor Coleridge.)

Am Weſt-Ufer der Oder, nach rechts hin vom Fluſſe ſelber be - grenzt, nach links hin von den Abhängen des Barnim-Plateau’s wie von einem gebogenen Arm umfaßt, liegt das Oderbruch. Es iſt eine 7 Meilen lange und etwa 2 Meilen breite Niederung, die, ihrem Hauptbeſtandtheil nach, in ein hohes und niederes Bruch (das Ober-Bruch und das Nieder-Bruch) zerfällt. An dieſe beiden ſchließt ſich noch, nach Norden hin, (alſo flußabwärts) das Mittelbruch. Dieſe Bezeichnung iſt ſchlecht gewählt und wird die Urſache beſtändiger Verwechſelungen. Als Mittelbruch vermuthet man es zwiſchen dem Ober - und Niederbruch gelegen, während es doch umgekehrt, am äußerſten Flügel des Bruches liegt. Seinen Namen, der beſſer einem andern Platz machte, hat es wahrſcheinlich daher, weil es inmitten zweier Oderarme ſich aus - breitet. Neueren Arbeiten, namentlich dem vorzüglichen Aufſatz des Geh. Rath Wehrmann die Eindeichung des Oderbruches ent - nehme ich, daß man angefangen hat, dieſe ſchlechte Bezeichnung191 Mittelbruch ganz fallen zu laſſen. Man ſpricht nur noch von einem Ober - und Niederbruch, und ſo iſt es in der Ordnung. Ohnehin wird dadurch das Bruch in zwei ziemlich gleich große Hälften getheilt.

Das Bruch iſt ein Bauernland, eine Art Dithmar - ſchen*)Die Bewohner des Oderbruchs ſind auch an Kraft und Muth, freilich noch nicht an bewährter Freiheitsliebe, (das ſoll noch erſt kommen), den Dithmarſchen verwandt. Die ausgehobenen Rekruten gelten jedesmal als ein beſonders treffliches Material. Mit dem Bewußt - ſein hiervon geht allerdings viel Uebermuth Hand in Hand und die Brücher, zumal auf den Canton-Verſammlungen, lieben es, die hungrigen Kerle von der Höhe zu tyranniſiren. Einer (ein Angermünder Poſtillon), der mir davon erzählte und ſeinerzeit unter dieſer Tyrannei gelitten haben mochte, fügte hinzu: es wäre mitunter nicht auszuhalten, wenn nicht die Ukermärker wären; die bringen alles wieder zurechte. ; aber adlige Güter blicken rundum, wie von hoher Warte, in das ſchöne, fruchtbare Bruchland hinein. Eine ganze Anzahl dieſer auf der Höhe gelegenen, altadligen Güter wer - den wir noch in ausführlicheren Schilderungen kennen lernen; nur ihre Namen, ſo wie die Namen der alten, zum Theil ausge - ſtorbenen Familien, die ihnen im Lauf der Jahrhunderte zu Ruhm und Anſehn verhalfen, mögen ſchon hier eine Stelle finden. Auch einem neuen Namen werden wir begegnen: Albrecht Thaer. Es wird dem Leſer, mit bloßer Hülfe dieſer Aufzählung, der Reichthum hiſtoriſchen Lebens entgegentreten, der ſich hier, unmit - telbar am Rande des Bruchs, auf dem Raum weniger Meilen zuſammenfand. Ich folge der Linie von Nord nach Süd.

  • Hohen-Finow (Sparr. Vernezobre).
  • Cöthen und Falkenberg (von Jena).
  • Freienwalde (Uchtenhagen).
  • Ranft (von Marſchall).
  • Möglin (Albrecht Thaer).
  • Batzlow (Barfus).
  • Ihlow (Ihlow oder Illo).
    **)Der aus Schiller’s Wallenſtein männiglich bekannte Feldmar - ſchall Illo ſchrieb ſich eigentlich Ilow, oder Ylow, auch Ihlow (alle
    **)
192
  • Ringenwalde (Bredow).
  • Cunersdorf und Friedland (Leſtwitz und Itzenplitz).
  • Buckow (von Pfuel. von Flemming).
  • Quilitz (Prittwitz. Hardenberg).
  • Guſow (Derfflinger).
  • Friedersdorf (Görtzke. Marwitz).
  • Lietzen (Johanniter-Comthurei).
  • Hohen-Jeſar (Burgsdorf).
  • Reitwein (Finkenſtein).

Von allen dieſen Punkten (ſelbſt von Buckow aus, das am meiſten zurückgelegen liegt) ermöglicht ſich ein Blick in die frucht - bare Tiefe; dabei wechſelt der Charakter der Landſchaft ſo oft und ſo anmuthig, daß jeder, der am Rande des Plateaus hin, etwa von Freienwalde bis Selow, oder ſelbſt bis Frankfurt hin, dieſe Fahrt zu machen gedenkt, einer langen Reihe der mannigfachſten und anziehendſten Bilder begegnen wird.

Eine ſolche Fahrt auf der Höhe hin werden wir mehrfach zu machen haben und manche dieſer Fahrten (z. B. der Weg von Falkenberg bis Freienwalde), wird uns Gelegenheit wenigſtens zu dem Verſuch eines Landſchaftsbildes geben; heute aber iſt es das Bruch ſelbſt, das in der Tiefe gelegene Bauernland, das uns ausſchließlich beſchäftigt, und wir werden abwechſelnd bei den alten Zuſtänden dieſes Sumpflandes, dann bei ſeiner Eindeichung und Entwäſſerung, endlich bei ſeiner Coloniſirung zu verweilen haben.

**)drei Schreibarten, und noch einige andre, kommen vor), und war keines - wegs aus Böhmen oder Croatien, ſondern aus dem Sternbergiſchen Kreiſe in der Neumark gebürtig. Dorf Ihlow im Oberbarnim aber iſt muthmaßlich das Stammgut der Familie. Noch jetzt iſt das Ihlowſche Wappen, ſo wie ein Ihlowſcher Leichenſtein in der Kirche des letztgenann - ten Dorfes zu finden. Kein andres Land war übrigens während des 30jährigen Krieges ſo ergiebig an Generalen und Kriegsoberſten als die Mark. Ich nenne hier nur folgende: Hans Georg von Arnim, von - nigsmark, Otto Chriſtoph von Sparr, Ernſt Georg von Sparr, Götz, Illo, Adam von Pfuel, Joachim Ernſt von Goertzke und vieler andrer (Klitzing, Rochow, Kracht ꝛc. ) zu geſchweigen.
**)193

Alle noch vorhandenen Nachrichten ſtimmen darin überein, daß das Oderbruch vor ſeiner Urbarmachung eine wüſte und wilde Fläche war, die (vielleicht unſrem Spreewald nicht unähnlich) von einer unzähligen Menge größerer und kleinerer Arme der Oder durchſchnitten wurde. Viele dieſer Arme breiteten ſich aus und ge - ſtalteten ſich zu Seen, deren manche, wie der Liepeſche bei Liepe, der Kietzer - und der Kloſter-See bei Friedland, noch jetzt, wenn gleich in ſehr veränderter Geſtalt, vorhanden ſind. Das Ganze hatte, im Einklang damit, mehr einen Bruch -, als einen Wald - Charakter, obwohl ein großer Theil des Sumpfes mit Eichen beſtanden war. Alle Jahr ſtand das Bruch zweimal unter Waſſer, nämlich im Frühjahr um die Faſtenzeit (nach der Schneeſchmelze an Ort und Stelle) und um Johanni, wenn der Schnee in den Sudeten ſchmolz und Gewitterregen das Waſſer verſtärkten. Dann glich die ganze Ebene einem gewaltigen Landſee, aus wel - chem nur die höher gelegenen Theile und die Horſten emporrag - ten; ja bei ungewöhnlich hohem Waſſer wurden ſelbſt dieſe über - ſchwemmt.

Waſſer und Sumpf in dieſen Bruchgegenden beherbergten natürlich eine eigne Thierwelt, und was den Reichthum an Waſ - ſer - und Sumpfthieren angeht, ſo würden die Berichte darüber allen Glauben überſteigen, wenn nicht urkundliche Beläge dieſe Traditionen unterſtützen. In den Gewäſſern fand man: Zander, Fluß - und Kaulbarſe, Aale, Hechte, Karpfen, Bleie, Aaland, Zär - then, Barben, Schleie, Neunaugen, Welſe und Quappen. Letztere waren ſo zahlreich (z. B. bei Quappendorf), daß man die fetteſten in ſchmale Streifen zerſchnitt, trocknete und ſtatt des Kiens zum Leuchten verbrauchte. Die Gewäſſer wimmelten im ſtrengſten Sinne des Worts von Fiſchen, und ohne viele Mühe, mit bloßen Hand - netzen, wurden zuweilen in Quilitz an einem Tage über 500 Ton - nen gefangen. In den Jahren 1693, 1701 und 1715 gab es bei Wriezen der Hechte (die als Raubfiſche ſich dieſen Reichthum zu nutze machten) ſo viele, daß man ſie mit Händen greifen konnte und mit Keſchern fing. Begreiflich unter dieſen Umſtänden, daß in13194Wriezen und Freienwalde eine eigne Zunft der Hechtreißer exiſtirte. An den Markttagen fanden ſich, aus den Bruchdörfern, hunderte von Kähnen in Wriezen ein und verkauften ihren Vorrath an Fiſchen und Krebſen an die dort verſammelten Händler. Ein be - deutender Handel wurde getrieben und der Fiſch-Ertrag des Oder - bruchs ging bis Böhmen, Baiern, Hamburg, ja (vielleicht die ge - räucherten Aale) bis nach Italien. Kein Wunder deshalb, daß in dieſen Gegenden, unter allem Haus - und Küchengeräth der Fiſchkeſſel obenan ſtand und ſo ſehr als wichtigſtes Stück der Ausſtattung betrachtet wurde, daß er, nach geſetzlicher Anordnung, beim Todesfall der Frau und bei Erbtheilungen dem überlebenden Gatten verblieb.

In großer Fülle lieferte die Bruchgegend Krebſe (die Oder - krebſe ſind noch jetzt berühmt) und in manchen Jahren in ſolchem Ueberfluß, daß man zu Colerus Zeiten, Ausgangs des 16. Jahr - hunderts, ſechs Schock ſchöne, große Krebſe für 6 Pfennige meiß - neriſcher Währung kaufte. Zu Küſtrin wurde von 100 Schock durchgehender Krebſe ein Schock als Zoll abgegeben, und Colerus verſichert, daß dieſer Zoll in einem Jahre 325,000 Schock Krebſe eingetragen habe. Somit wären blos in dieſer einen Stadt (Küſtrin) in einem Jahre 32½ Millionen Schock Krebſe verſteuert worden. Im Jahre 1719 war das Waſſer der Oder, bei der großen Dürre, ungewöhnlich klein geworden; Fiſche und Krebſe ſuchten die größ - ten Tiefen auf und dieſe wimmelten davon. Da das Waſſer aber von der Hitze zu warm wurde, krochen die Krebſe auf’s Land ins Gras und wo ſie ſonſt Kühlung erwarteten, ſelbſt auf die Bäume, um ſich unter das Laub zu bergen, von welchen ſie wie Obſt herabgeſchüttelt wurden. Auch die gemeine Flußſchildkröte war im Bruch ſo häufig, daß ſie von Wriezen fuhrenweiſe nach Böhmen und Schleſien verſendet oder vielmehr abgeholt wurde.

Ein ſo lebendiges Gewimmel im Waſſer mußte nothwendig ſehr vielen anderen Geſchöpfen eine mächtige Lockſpeiſe ſein. Schwärme von wilden Gänſen und Enten bedeckten beſonders im Frühjahr die Gewäſſer, unter welchen ſich häufig die Löffelente, die Quack -195 ente und die kleine Kriechente befanden. Zuweilen wurden in einer Nacht ſo viele erlegt, daß man ganze Kahnladungen voll nach Hauſe brachte. Waſſerhühner verſchiedener Art, beſonders das Bläß - huhn, Schwäne und mancherlei andre Schwimmvögel belebten die tieferen Gewäſſer, während in den Sümpfen Reiher (beſonders bei Freienwalde), Kraniche, Rohrdommeln, Störche und Kibitze in un - geheurer Zahl fiſchten und Jagd machten. Im Dorfe Letſchin trug jedes Haus drei, auch vier Storchneſter. Rings um das Bruch und in den Gebüſchen und Horſten im Innern deſſelben fand man Trappen, Schnepfen, Ortolane und andre zum Theil ſelten ge - wordene Vögel; über dem allen aber ſchwebte, an ſtillen Som - merabenden, ein unermeßlicher Mückenſchwarm, der beſonders die Gegenden von Freienwalde und Küſtrin in Verruf brachte. Sie ſchwärmten ſo erzählt Beckmann in ſolcher Menge, daß man in der Luft dicke Säulen von Mücken beobachtete und gaben ein ſolches Getöſe von ſich, daß es, wenn man nicht ſcharf darauf achtete, klang, als würde in der Ferne die Trommel gerührt. Biber und Fiſchottern bauten ſich zahlreich an den Ufern an und wurden die erſteren als große Zerſtörer der ſpäter errichteten Dämme, die anderen als große Fiſchverzehrer fleißig gejagt; jeder konnte auf ſie Jagd machen, worauf ſie gänzlich ausgerottet wurden.

Die Vegetation ſtand natürlich mit dem ganzen Charakter dieſer Gegenden in Einklang: alle Waſſer - und Sumpfpflanzen kamen reichlich vor, breite Gürtel von Schilf und Rohr faßten die Ränder ein und Eichen und Elſen überragten das Ganze.

Im Spätſommer, wenn ſich die Waſſer endlich verlaufen hat - ten, traten, für den Reſt des Jahres, fruchtbare Wieſen zu Tage, und dieſe Wieſen, die ein vortreffliches Futter gaben, ſicherten, nebſt dem Fiſchreichthum dieſer Gegenden, den Bewohnern des Bruchs ihre Exiſtenz. Darüber hinaus ging es nicht, vielleicht des - halb nicht, weil der enorme Reichthum an Fiſchen und Heu beides halb werthlos machte.

Einzelne benachbarte Cavallerie-Regimenter zogen etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von dieſem Heureichthum mehr13*196Vortheil, als die Bruchbewohner ſelbſt. Es fand noch die alte Verordnung ihre Anwendung, daß die Escadrons-Chefs ſelber für die Unterhaltung der Pferde Sorge tragen mußten. Daher beſtrebten ſich die in den Nachbarſtädten, auch in der Reſidenz ſelbſt garni - ſonirenden Rittmeiſter reſp. Obriſtwachtmeiſter, ihre Pferde in den Bruchdörfern auf Graſung zu geben. Zu dem Ende wurden die - ſelben auf Flößen und zuſammengebundenen Kähnen dorthin ge - ſchafft. Hauptſächlich waren es drei Regimenter, welche die übrigen ganz von dieſer Quelle abgeſchnitten hatten, nämlich das ſpätre Göckingſche Huſaren-Regiment, ſowie die Gensdarmes und die ſpäteren Pfalzbaiern-Dragoner. Zuweilen lag in einem Dorfe eine ganze Escadron. Doch hatten die Dorfbewohner, wie ſchon ange - deutet, wenig Vortheil von ſolcher Einquartierung, da monatlich (wenigſtens in der Regel) nur ein Thaler Futtergeld pro Pferd gezahlt wurde.

[197]

2. Die Verwallung.

Graben und Wall
Haben bezwungen das Element
Und nun blüht es von End zu End
All überall.

Fiſche und Heu hatten Jahrhunderte lang den einzigen Reichthum der Oderbruchgegenden gebildet; die Bewohner hatten davon ge - lebt, indeſſen, im Großen und Ganzen, ſelbſt in guten Jahren, kärglich genug. Gute Jahre gab es aber nicht immer. Traf es ſich, daß es ein Waſſerjahr war, daß die Ueberſchwemmungen weiter gingen oder länger andauerten als gewöhnlich, ſo war Noth und Elend an allen Enden.

Zwar wurden ſchon im 16. Jahrhundert Verſuche gemacht, der Waſſersnoth durch Eindeichung des linken Oderufers, nament - lich auf der Straße von Frankfurt bis Cüſtrin ein Ziel zu ſetzen, aber alle dieſe Arbeiten waren theils auf kleinere Strecken be - ſchränkt, theils mangelhaft in ſich. Schon unter der Regierung des Kurfürſten Johann George (1593) hatte man mit ſolchen Verwal - lungen den Anfang gemacht und Arbeiter aus Holland, Brabant, Schleſien herbeigerufen; die aufgeführten Dämme (zwiſchen Reit - wein und dem Cüſtriner Kietz) bewährten ſich aber ſchlecht, und 1613 brach die Oder von Neuem durch. Auch der große Kurfürſt (1653) zog Oldländer (Bewohner der untern Elbe, abwärts von Stade) und Holländer ins Land und ſpeziell auch in dieſe Bruch - gegenden; ihre ſehr beſchränkten Mittel reichten aber natürlich nicht aus, eine viele Meilen lange Schutzmauer aufzuführen, ohne welche198 die Anſtrengungen des Einzelnen in den meiſten Fällen nutzlos bleiben mußten. Nur einige wenige Dominien, die durch kleine Höhenzüge eines natürlichen Schutzes genoſſen und vielleicht nur an einer ſchmalen Stelle eines Damms bedurften, waren darin glücklicher und brachten es dahin, ſich zu einer Art Feſtung zu machen, in die das Waſſer nicht hinein konnte.

Eine ſolche kleine Feſtung, die den Anprall des Waſſers glücklich abgeſchlagen hatte, lernte König Friedrich Wilhelm I. ken - nen, als ihn eine Reiherbeize, die er bekanntlich ſehr liebte, in dem großen Ueberſchwemmungsjahre 1736 in dieſe Gegenden führte. Der König ſah die Verheerungen, die das Oderwaſſer angerichtet hatte, ſah aber auch zu gleicher Zeit, daß die geſchickt eingedeichten Beſitzungen ſeines Staatsminiſters von Marſchall auf Ranft von dieſen Verheerungen wenig oder gar nicht betroffen worden waren. Was er in Ranft im Kleinen ſo glücklich ausgeführt ſah, mußte bei größeren Mitteln und Anſtrengungen auf der ganzen Strecke des Oderbruches, zwiſchen Frankfurt und Oderberg, mög - lich ſein und energiſch, wie er an’s Werk gegangen war, um das große havelländiſche Luch trocken zu legen, ſo war er nun nicht minder entſchloſſen, auch das Oderbruch zu einem nutzbaren Fleck Landes zu machen.

Der König nahm auch wirklich die Sache in Angriff und beauftragte ſeinen Kriegsrath Harlem (einen Holländer, der ſich ſchon durch ähnliche Waſſerbau-Arbeiten ausgezeichnet hatte), ihm ein Gutachten einzureichen, ob das Oderbruch auf ſeiner ganzen Strecke eingedämmt und gegen Ueberſchwemmungen geſichert wer - den könne, oder nicht. Harlem’s Gutachten lautete dahin: daß das allerdings geſchehen könne; daß die Arbeit aber ſchwierig, weit ausſehend und koſtſpielig ſei .

Dem König ſchien dies einleuchtend, und ſo vertagte er denn ein Unternehmen, deſſen Wichtigkeit er ſehr wohl erkannte, mit den Worten: Ich bin ſchon zu alt und will es meinem Sohn über - laſſen.

Es läßt ſich annehmen, daß Friedrich II. noch als Kron -199 prinz von dieſer Aeußerung ſeines Vaters Kenntniß erhielt und Veranlaſſung daraus nahm, bald nach ſeinem Regierungsantritt, einestheils zur Entwäſſerung, andererſeits zur Eindeichung des Bruchs Veranſtaltungen zu treffen. Dies geſchah nach Beendigung des zweiten ſchleſiſchen Krieges.

Der Plan zur Ausführung des Werks wurde ſehr wahr - ſcheinlich von demſelben Manne (Kriegsrath von Harlem) entwor - fen, der ſchon unter Friedrich Wilhelm I. ſein Gutachten in die - ſer Angelegenheit abgegeben hatte; um aber bei einem Unterneh - men von ſolchem Umfange möglichſt ſicher zu gehen, wurde von Seiten des Königs noch eine beſondere Commiſſion zur örtlichen Beſichtigung und zur Begutachtung des Unternehmens ernannt. Es war dabei der ausdrückliche Befehl des Königs, daß der be - rühmte Mathematiker Bernhard Euler, dazumal anweſendes Mit - glied der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften, an den Berathun - gen dieſer Commiſſion Theil nehmen ſolle. Der König hatte guten Grund nach Möglichkeit Autoritäten und berühmte Namen in dieſe Commiſſion hineinzuziehen, da er im Voraus von dem Wider - ſtande überzeugt war, dem er, wie immer in ſolchen Fällen, ſo auch hier, von den Anwohnern des Bruchs, den adligen und den bäuerlichen, begegnen würde. Etwas von der Oppoſition, die ſpä - ter (namentlich von 1748 52) der am Rande des Oderbruches hin reichbegüterte Markgraf Carl machte, mochte ſchon damals zu Ohren des Königs gedrungen ſein.

Die Commiſſion ging an’s Werk und ſtattete ihren Bericht ab. Dieſer Bericht (von Schmettau, Harlem und Euler unter - zeichnet) iſt umfangreich, aber in Erwägung der Schwierigkeit und Wichtigkeit der Materie verhältnißmäßig kurz gefaßt und läuft, hinſichtlich ſeiner Vorſchläge, auf drei Hauptpunkte hinaus:

  • 1. der Oder einen ſchnellen Abfluß zu verſchaffen,
  • 2. die Oder mit tüchtigen Dämmen einzufaſſen,
  • 3. das Binnenwaſſer aufzufangen und abzuführen.

Alle drei Aufgaben ſind im Weſentlichen gelöſt worden.

Ad 1. Um der Oder einen ſchnelleren Abfluß zu verſchaffen,200 wurde ihr auf der Strecke von Güſtebieſe bis Hohen-Sathen ein neues Bett und zwar zur Abkürzung ihres Laufs gegraben. Die Oder nahm früher, d. h. alſo vor den Arbeiten von 1746 bis 53, (7 Jahre, weshalb man von einem in der Stille ge - führten 7jährigen Krieg geſprochen hat) auf der eben angegebe - nen Strecke einen andren Lauf als jetzt; ſie machte, ſtatt in grader Linie weiter zu fließen, drei Biegungen, und zwar zuerſt bei Güſtebieſe nach Weſten, dann bei Wriezen nach Norden, endlich bei Freienwalde nach Oſten; ſo daß ſie (dreimal ein Knie bildend) auf ihrem langen Umwege, drei Linien ſtatt einer be - ſchrieb. Dieſem Umwege, der dem raſchen Abfluß hinderlich war, ſollte abgeholfen werden; mit andern Worten, der Lauf des Fluſ - ſes, der bis dahin etwa dieſe Geſtalt

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gehabt hatte, ſollte durch ein neues Bett nunmehr einfach dieſe Richtung

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erhalten. Der Canal wurde gegraben und die Oder fließt ſeitdem in einem neuen Bett, das nur Meile ſtatt 6 Meilen Länge hat. Dies iſt die ſogenannte neue Oder zwiſchen Güſtebieſe und Hohen-Sathen. Aber das alte Bett wurde durch dieſen grad - linigen Durchſtich, wie ſich denken läßt, nicht abſolut waſſerleer, es blieb vielmehr Waſſer genug in der alten Oder , um den verſchiednen an ihr gelegenen Städten und Dörfern mehr oder weniger ihren alten Waſſerverkehr zu erhalten. Erſt 1832 kam dieſer Waſſerverkehr in Gefahr. Die Verwallung, wie ſie bis da - hin beſtand, hatte im Lauf der Jahrzehnte verſchiedene Mängel gezeigt, und namentlich war der untre Theil des Niederbruchs, (das ſogenannte Mittelbruch) nach wie vor, vielfachen Ueberſchwem - mungen ausgeſetzt geweſen. Dem vorzubeugen, entwarf der Geh. Ober-Baurath Cochius ſchon zwiſchen 1810 und 1818 einen kühnen Plan, der darauf hinausging, die alte Oder bei Güſte - bieſe zu ſchließen d. h. alſo einen Riegel vorzuſchieben. Dieſer vorgeſchobene Riegel (ein Damm, eine Zuſchüttung) ſollte alles Waſſer zwingen im Bett der neuen Oder zu bleiben und ein201 theilweiſes Abfließen des Waſſers in das Bett der alten Oder unmöglich machen. Der Plan war kühn, weil die dadurch im Bett der neuen Oder ſehr weſentlich wachſende Waſſermaſſe leicht Gefahren (Deichbrüche) im Geleite haben konnte. Außerdem war das Aufhören jeder Waſſerverbindung, wenn auch das Ganze da - durch gewann, für viele Bewohner des Mittelbruchs eine wenig wünſchenswerthe Sache. Alles wurde indeſſen glänzend hinaus - geführt. Die wachſende Waſſermaſſe der neuen Oder ſchuf keine Gefahren oder man wußte doch dieſen Gefahren zu begegnen, und was ebenfalls wichtig war, eine abſolute Trockenlegung der alten Oder erfolgte durch Vorſchiebung jenes Riegels eben ſo wenig, wie ſie 70 Jahre früher durch Grabung des neuen Oderbettes erfolgt war. Die Anwohner (namentlich in den Städten Wriezen und Freienwalde, die an der alten Oder liegen) erfreuen ſich nach wie vor einer Waſſerverbindung, da theils das Grundwaſſer, theils ein geſchicktes, alles Waſſer ſammelndes Canalſyſtem das Bett der alten Oder, trotz der Coupirung (Zuſchüttung) bei Güſte - bieſe, mit Waſſer ſpeiſt. Ausbaggerungen und Tieferlegung des Betts halfen nach.

Man darf ſagen, daß ſich die Herſtellung eines gradlinigen und dadurch verkürzten Oderbetts ( die neue Oder ) in allen Punkten bewährt hat, nur vielleicht in dem einen nicht, den man dabei zunächſt und vorzugsweiſe im Auge hatte. Man hatte, wie ſchon angedeutet, von dieſem neuen, kürzeren Bett, eine Ver - beſſerung des Oderfahrwaſſers überhaupt erwartet, man hatte ge - hofft, das raſche Fließen des Waſſers an dieſer Stelle werde das Flußbett vertiefen, den Strom einengen, concentriren und dadurch die Stromkraft ſteigern. Dies alles iſt wenig oder gar nicht in Erfüllung gegangen. Der vielfach verſandete Fluß iſt nach wie vor mehr breit als tief, die Schifffahrt nach wie vor ſchwierig (oft ganz unterbrochen) und ſogar die Canal-Anlage ſelbſt hat ihren urſprünglichen Charakter zum Theil verloren und iſt breiter, aber flacher und ſandiger geworden.

Ad 2. Die zweite Aufgabe war, die Anlegung von tüch -202 tigen Dämmen. Das ſogenannte Ober-Bruch, wie wir geſehen haben, hatte ſolche Dämme ſchon. Es handelte ſich jetzt um Ein - dämmung des Nieder-Bruchs, eine Aufgabe, die dadurch ſo complicirt wurde, daß es hier nicht nur galt, den jetzigen Oder - ſtrom auf ſeiner Strecke von Cüſtrin bis Sathen an einer Seite (das neumärkiſche Ufer hat Berge), ſondern vor allem die in wei - ten Windungen ſich durch das Land ziehende alte Oder an beiden Seiten einzudämmen. Große Anſtrengungen und große Geldſummen waren dazu erforderlich. Endlich glückte es. Die Ge - ſammtſtrecke der hier im Nieder-Oderbruche angelegten Deiche be - trägt über zehn Meilen. Dieſe Deiche waren nicht gleich Anfangs was ſie jetzt ſind, weder an Höhe noch Feſtigkeit. So kam es, daß auch nach Anlage derſelben verſchiedne große Ueberſchwem - mungen ſtattfanden, z. B. 1786 und 1838. Auch jetzt noch iſt die Möglichkeit ſolcher Ueberſchwemmungen nicht ausgeſchloſſen; ein Dammbruch kann ſtattfinden oder die Höhe des Waſſers (wie 1854 und 1862 nahezu geſchah) kann die Höhe der Dämme überſteigen. Indeſſen verringert ſich dieſe Möglichkeit von Jahr zu Jahr, da die Dämme wie Feſtungen, die nach immer verbeſſerten fortifikatoriſchen Prinzipien gemodelt werden, alljährlich an Aus - dehnung und Widerſtandskraft gewinnen.

Ad 3. Die dritte Aufgabe war, das Binnenwaſſer abzu - fangen. Dies war kaum minder wichtig als die Anlegung der Dämme. Die Dämme ſchützten gegen die von außen her herein - brechenden Fluthen; aber ſie konnten nicht ſchützen gegen das Waſſer, das theils ſichtbar im Bruche (in Sümpfen, Pfuhlen und ſogenannten faulen Seen ) daſtand, theils als Grund - waſſer unter dem Erdreich lauerte, jeden Augenblick bereit, zu wachſen und an die Oberfläche zu treten. Um dieſem Uebelſtande abzuhelfen, ohne den eine eigentliche Trockenlegung nicht mög - lich war, bedurfte es eines ausgedehnten Canalſyſtems. Auch ein ſolches wurde geſchaffen. Zahlloſe Abzugsgräben, kleine und große und unter den verſchiedenſten Namen, wurden gegraben, die alle in den ſogenannten Landgraben mündeten und mittelſt deſ -203 ſelben bei Wriezen und Freienwalde vorbei in die Oder geführt wurden. Zum Theil ſind es auch wohl dieſe Gräben, die das tiefer gelegene Bett der alten Oder mit Waſſer ſpeiſen und daſſelbe vor völligem Austrocknen ſchützen. Dies ganze Canal - ſyſtem, eben ſo wie die Verwallung, iſt im Lauf der Jahrzehnte vielfach verbeſſert worden und weite Strecken, die noch vor 25 Jah - ren nur eine unſichere Heuerndte gaben, zeigen jetzt um die Som - merzeit die ſchönſten Raps - und Gerſtenfelder.

Noch vor Ausbruch des 7jährigen Krieges war alles We - ſentlichſte der Arbeiten beendet*)Es heißt, Friedrich der Große habe bei ſeinem berühmten Flan - kenmarſche, der der Schlacht von Zorndorf vorherging (vgl. Zorndorf) bereits Vortheile von der veränderten d. h. mehr paſſirbaren Geſtalt des Bruchs gezogen. Dies iſt jedoch höchſt wahrſcheinlich eine zu Ehren des Bruchs und ſeiner Melioration erfundene Geſchichte, da die Zorndorfer Schlacht am 25. Auguſt ſtattfand, alſo zu einer Jahreszeit, wo das Bruch immer trocken und paſſirbar zu ſein pflegte.. Niemand ahnte damals, was im Lauf der Zeit durch den Einfluß von Luft und Sonne, durch den Fleiß der Bewohner, durch Verſtärkung der Dämme, durch Erweiterung und beſſere Richtung der Abzugsgräben, aus dieſem Landestheile werden würde; man hielt es überwiegend nur zum Graswuchs und zur Weide geeignet. Der Brief eines Rei - ſenden, der das Bruch im Jahre 1764 paſſirte, giebt Auskunft darüber. Der Brief lautet:

So angenehm auch dieſe Gegend geworden (denn es iſt die ebenſte Pläne, die Wege mit Weiden beſetzt, wie auch die Deiche, und zwar mit mehreren Reihen, nicht nur auf dem Kamm, ſondern auch auf der Böſchung zu beiden Seiten, da - mit ſie von den verwachſenen Wurzeln eine mehrere Feſtigkeit bekommen), ſo haben die neuen Dörfer doch mehrfach ſchon durch Ueberſchwemmung gelitten, ſo daß man mit Kähnen die Einwohner retten, oder ihnen doch, da ſie auf die Böden ihrer Häuſer geflüchtet, zu Hülfe kommen mußte. Der eingedeichte Acker dürfte wohl mit der Zeit der Wiſche in der Altmark ähn -204 lich werden; aber noch iſt er es nicht ..... In den erſten Jah - ren gab der Roggen faſt gar kein Mehl, ſondern lauter Kleie, und die Gerſte taugte gar nicht zu Malz, weil es lauter La - gerkorn geweſen war.

Seitdem iſt es unſer eigentliches Gerſtenland geworden. Neuerdings (neben Gerſte, Raps, Weizen und den feineren Kräu - tern) blüht die Rüben-Cultur. Große Zuckerfabriken exiſtiren auf den Aemtern, und immer neue Unternehmungen treten ins Leben. Der Anblick dieſer fruchtbaren Landestheile aber ruft immer wie - der die Worte des großen Königs in unſer Gedächtniß zurück: Hier hab ich im Frieden eine Provinz erobert.

[205]

3. Die alten Bewohner.

Alte Zeit und alte Sitt
Konnten nicht länger halten Schritt,
Aber ſieh da, das alte Kleid
Hat länger gelebt als Sitt und Zeit.

Das Oderbruch oder doch wenigſtens das Niederbruch, von dem wir im Nachſtehenden ausſchließlich ſprechen blieb ſehr lange wendiſch. Wahrſcheinlich waren alle ſeine Bewohner bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts von ziemlich unvermiſchter wendi - ſcher Abſtammung. Die deutſche Sprache war eingedrungen (es iſt nicht feſtzuſtellen wann), aber nicht das deutſche Blut. Die Gegend war auch nicht dazu angethan, zu einer Ueberſiedlung ein - zuladen. Ackerland gab es nicht, deſto mehr Ueberſchwemmungen und der Fiſchfang, den die Wenden, wenigſtens in dieſen Gegen - den, vorzugsweiſe betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deut - ſchen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meer - fahrt, aber nicht den Fiſchfang liebten. Dazu kam, daß die alten Wenden, wie es ſcheint, von ſehr nationaler und ſehr excluſiver Richtung waren und den wenigen deutſchen Coloniſten, die ſich hier niederließen (z. B. unter dem großen Kurfürſten), das Leben ſo ſchwer wie möglich machten.

Ueber die Art nun, wie die wendiſchen Bewohner hier leb - ten, wiſſen wir wenig, und das beſte Theil unſrer Kenntniß ha - ben wir aus Vergleichen und Schlußfolgerungen zu ſchöpfen. Di -206 rektes iſt nicht da, oder noch nicht aufgefunden, und kein Haus oder Gehöft exiſtirt, das einen beſtimmten Anhaltepunkt bie - tend bis in die Wendenzeit, trotzdem dieſe lange Zeit hindurch ihr Daſein hier friſtete, zurückreichte. In der That, alles was im Bruche lebte, war nur Außenpoſten, oft auch (wenigſtens moraliſch genommen) verlorner Poſten, der mehr und mehr unter deutſche Cultur gerathenen Randdörfer, zu denen ſich die Bruch - dörfer, ihrer Mehrzahl nach, wie die verachteten Kietze zu den deutſch gewordenen Städten verhielten. Die damals reicheren, halb - germaniſirten Dörfer auf der Höhe , kümmerten ſich wenig um dieſe ihre wendiſchen Bruch-Anhängſel (die Sumpf-Stationen oder Wieſenvorwerke waren), und dieſes ſich nicht um ſie küm - mern, bewahrte ihnen natürlich gewiſſe alt-wendiſche Eigenthüm - lichkeiten. Aber freilich dieſe Indifferenz wurde gleichzeitig auch die Urſach, daß Niemand ſich der Mühe unterzog, über dieſe mehr und mehr von deutſchen Elementen eingeſponnene Wenden-Inſel beſtimmte Aufzeichnungen zu machen. Ein geübtes Auge würde vielleicht auch heute noch in der aus den verſchiedenſten Elementen gemiſchten Bevölkerung der Bruchdörfer, eine Fülle ſpeziell wen - diſcher Eigenthümlichkeiten herausleſen können; es gehört aber dazu eine ſo exakte Kenntniß der verſchiedenen ſlaviſchen und deut - ſchen Stammes-Eigenthümlichkeiten, daß ich es nicht wage, mich in ſolche Scheidungen und Beſtimmungen einzulaſſen.

Ich gebe zunächſt nun das Wenige, was ich über die alten wendiſchen Bruchdörfer und ihre Bewohner als direkte Schil - derung aus älterer Zeit her habe auffinden können.

Die Dörfer im Bruch ſo ſagt eine in Buchholtz Ge - ſchichte der Churmark Brandenburg abgedruckte Schilderung (Vor - rede zu Band II. ) lagen vor der Eindeichung und Neu-Be - ſetzung dieſes ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit ihren Häuſern (d. h. alſo weder vereinzelt, noch in lang - geſtreckter Linie) und waren meiſtens von gewaltigen, häuſer - hohen Wällen von Kuhmiſt aufgeführt umzingelt, die ih - nen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Waſſerfluthen207 im Winter und Frühling gewährten und den Sommer über zu Kürbisgärten dienten. Den übrigen Miſt warf man aufs Eis oder ins Waſſer und ließ ihn mit der Oder forttreiben. Einzeln lie - gende Häuſer (wie jetzt) gab es im Bruche nicht ein einziges. Im Frühling, und ſonderlich im Mai, pflegte die Oder die ganze Gegend zu 10 bis 12, bis 14 Fuß hoch zu überſchwem - men, ſo daß zuweilen das Waſſer die Dörfer durchſtrömte und niemand anders als mit Kähnen zu dem andern kommen konnte. (Dafür, daß das ganze Bruch damals ſehr oft unter Waſſer ſtand und keine andre Communikation, als mit - telſt Kahn zuließ, ſpricht auch die Einleitung zu der vorſtehenden Schilderung. Dieſe lautet: Ich habe das Bruch unzählige Mal durchreiſt, ſowohl ehedem zu Waſſer, als auch jetzt, nachdem es urbar gemacht worden iſt, zu Lande. )

Dieſe Beſchreibung, kurz wie ſie iſt, iſt doch das Beſte und Zuverläſſigſte, was ſich über den Zuſtand des Bruchs, wie es vor der Eindeichung war, beibringen läßt. Der neumärkiſche Geiſtliche, von dem die Schilderung herrührt, hatte die alten Zuſtände wirk - lich noch geſehn, und ſo wenig das ſein mag, was er in dieſer ſeiner Beſchreibung beibringt, es giebt doch ein klares und be - ſtimmtes Bild. Wir erfahren aus dieſem Briefe dreierlei: 1. daß das Bruch den größten Theil des Jahres über unter Waſſer ſtand und nur zu Waſſer paſſirbar war; 2. daß auf den kleinen Sandinſeln dieſes Bruchs Häuſergruppen ( in Haufen ſagt der Briefſchrei - ber) lagen, die uns alſo die Form dieſer wendiſchen Dörfer ver - anſchaulichen; und 3. daß es kleine ſchmutzige Häuſer (entweder aus Holzblöcken aufgeführt, oder ſogenannte Lehmkathen) waren, die meiſtens von Kuhmiſt-Wällen gegen das andrin - gende Waſſer vertheidigt wurden.

Man hat dies Bild durch die Hinzuſetzung vervollſtändigen wollen, daß alſo, nach dieſem allem, die alten wendiſchen Bruch - dörfer den noch jetzt exiſtirenden Spreewalddörfern muthmaßlich ſehr ähnlich geweſen wären und wenn man dieſe Aehnlichkeit auf den Grundcharakter der Dörfer, d. h. auf ihre Art und nicht208 auf das Maaß der Erſcheinung bezieht, ſo wird ſich gegen einen ſolchen Vergleich wenig ſagen laſſen. Die Spreewäldler ſind Wen - den bis dieſen Tag; ſie leben zwiſchen Waſſer und Wieſe, wie die Oderbrücher vor 100 Jahren, und ziehen einen weſentlichen Theil ihres Unterhalts aus Heumaht und Fiſchfang; ſie leben in ſtetem Kampf mit dem Element; ſie unterhalten ihren Verkehr ausſchließlich mittelſt Kähnen (der Kahn iſt ihr Fuhrwerk), und ihre Blockhäuſer (z. B. in den zwei Muſterdörfern Lehde und Leipe) ſind bis dieſen Tag von Kuhmiſtwällen eingefaßt, die, ganz nach dem Bericht unſres neumärkiſchen Geiſtlichen, halb zum Schutz gegen das Waſſer, halb zu Kürbisgärten dienen. Daß der Spreewäldler jetzt ſtatt der Kürbiſſe die beſſer rentirenden Gur - ken ꝛc. zieht, macht keinen Unterſchied. Auch die wendiſche Tracht der Spreewäldler entſpricht den Reſten wendiſcher Tracht, die ſich in einigen Oderbruchdörfern erhalten haben und von denen ich noch zu erzählen haben werde.

So weit reicht die Aehnlichkeit. Es iſt, wie ſchon angedeutet, eine Aehnlichkeit innerhalb der Gattung, der Art, und es läßt ſich annehmen, daß dieſe Aehnlichkeit eine beinah vollſtändige ſein würde, wenn wir den Spreewald und ſeine Bewohner noch in ſolcher Geſtalt ſehen könnten, wie ſie vor 100 Jahren waren. Dieſe hundert Jahre aber haben auch den Spreewald, trotzdem er wendiſch blieb, in ſeiner Erſcheinung verändert, wenigſtens, wie ſchon hervorgehoben, dem Maaß, wenn auch nicht der Art der Dinge nach. Das in Berührung kommen mit einer höhren Cultur, pflegt, je nach den Verhältniſſen, die ſie vorfindet, eine ſehr verſchiedne, faſt entgegengeſetzte Wirkung zu üben. Entweder ſie überwuchert und tödtet das Alte (was im Oderbruch geſchah) oder ſie belebt und veredelt umgekehrt und zeigt ihre Wirkſamkeit nur darin, daß ſie das, was ſie vorfindet, ohne es in ſeinem We - ſen zu verändern, einfach auf eine höhere Stufe hebt. So ge - ſchah es im Spreewald. Daß der letztere einer maſſenhaften deutſchen Coloniſirung, wie ſie im Oderbruche ſtattfand, ebenfalls nicht widerſtanden hätte, verſteht ſich von ſelbſt. Ein Vergleich209 zeigt übrigens vielleicht am beſten, wie ich obigen Satz verſtanden ha - ben möchte. Der wendiſche Oderbruchsrock und der wendiſche Spree - waldsrock waren in Schnitt und Stoff vor hundert Jahren vielleicht dieſelben. Der wendiſche Oderbruchsrock iſt ſeitdem ver - ſchwunden, er exiſtirt nicht mehr, weder ſeinem Schnitt noch ſei - nem Stoff nach; die eindringende deutſche Cultur hat ihn, wenn dieſer Ausdruck geſtattet iſt, dem Lande ausgezogen. Nicht ſo im Spreewald. Hier blieb der Schnitt des Rocks, worin ſeine Eigenart beſteht, nach wie vor derſelbe; aber der Stoff wurde feiner, und würde es möglich ſein, einen ſolchen Spreewaldsrock von heute mit einem Oderbruchsrock von damals zu vergleichen, ſo würde das ohngefähr veranſchaulichen, worin das alte Oder - bruch dem jetzigen Spreewald ähnlich und worin es von ihm ver - ſchieden war.

Der oben mitgetheilte Brief hat uns ziemlich anſchaulich die Lokalität der Oderbruchdörfer gegeben; die Frage bleibt noch, wie waren die Bewohner (über deren Beſchäftigung kein Zweifel ſein kann) nach Charakter, Sitte, Tracht.

Wie gut auch das Zeugniß iſt, das jetzt noch an einigen Stellen des Oderbruchs, den Ueberreſten der wendiſchen Bevölke - rung, im Gegenſatz zu den Pfälzern ausgeſtellt wird, ſo iſt es doch nicht ſehr wahrſcheinlich, daß es, vor hundert Jahren und drüber, mit dieſen von der Welt abgeſchnittenen, von jeder Idea - lität losgelöſten Exiſtenzen, etwas beſonderes auf ſich gehabt habe. Es waren vielleicht gut geartete, aber jedenfalls rohe, in Aber - glauben und Unwiſſenheit befangene Gemeinſchaften,*)Ueber Charakter und Erſcheinung der jetzt noch in einigen Bruch - dörfern vorkommenden wendiſchen Bevölkerung ſchreibt man mir aus einem dieſer Dörfer: Man giebt hier im Allgemeinen dem Charakter der wen - diſchen Bevölkerung vor dem der deutſchen Coloniſten den Vorzug. Die Wenden ſind allerdings ſchwerfällig, abergläubiſch und geiſtig weniger begabt als die Pfälzer (die allgemeine Bezeichnung für die Deutſchen), aber an Kraft, Fleiß und Ausdauer ſind ſie den Deutſchen gleich, während ſie dieſelben an Treue und Zuverläſſigkeit übertreffen. Die Männer haben die trotz14210ihres chriſtlichen Bekenntniſſes mit den alten Wendengöttern nie recht gebrochen hatten. Der Aberglaube hatte in dieſen Sümpfen eine wahre Brutſtätte. Kirchen gab es zwar in ein oder zwei dieſer Dörfer, aber der Geiſtliche erſchien nur alle 6 oder 8 Wochen, um eine Predigt zu halten und der Verkehr mit den glücklicheren Randdörfern oder gar mit den Städten (wohin ſie eingepfarrt waren) war durch Ueberſchwemmungen und grundloſe Wege er - ſchwert. Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß die Brücher in allem, was geiſtlichen Zuſpruch und geiſtiges Leben anging, von den Broſamen lebten, die von des Herren Tiſche fie - len. Die Todten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn die Fluthen hätten die Gräber aufgewühlt), wurden nach Wriezen hin, oder auf den Höhe-Dörfern begraben und die Taufe der Kin - der erfolgte, vielleicht 4 oder 6 mal des Jahres, in ganzen Trupps. Es wurden dann Boten nach der benachbarten Stadt abgefertigt, welche den ganzen Trupp dem dortigen Geiſtlichen zur Taufe zu überbringen hatten, wobei es ſich nicht ſelten zutrug, daß von die - ſen, in großen Körben transportirten Kindern, das eine oder andre auf der Ueberfahrt ſtarb.

Die geiſtige Speiſe, die geboten wurde, war ſpärlich und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht gekannt, oder, wo ſie gekannt war, als Feind und Eindringling verabſcheut; ein Weniges an Gemüſe gedieh auf den Kuhmiſtwällen , ſonſt Fiſch und Krebſe und Krebſe und Fiſch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein kräftiger Menſchenſchlag (wie jetzt noch) hier heimiſch war und daß Leute von 90 und 100 Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten.

Ein hervorſtechender Zug der Wenden, z. B. auch der Spree - wald-Wenden, iſt ihre Heiterkeit und ihre ausgeſprochene Vorliebe*)ausdrucksvolle Geſichter, ſind nicht ſchön und mehr hager als beleibt; die Mädchen und jungen Frauen hingegen zeigen vollere Formen, friſche Far - ben (nicht den Pergament-Teint andrer Luch - und Bruchgegenden) und ſind oft ſehr hübſch; die dunklen Augen voll Feuer und Leben. 211für Muſik und Geſang. Ob eine ſolche Vorliebe auch bei den Wenden des Oderbruchs zu finden war? möglich, aber nicht wahr - ſcheinlich. Eins ſpricht entſchieden dagegen. Volkslieder haben ein langes Leben und überdauern Vieles; aber nirgends im Bruch, auch in jenen Randdörfern nicht, die ſich noch einer vorwiegend wendiſchen Abſtammung rühmen, begegnet man alten Volkswei - ſen; ſie ſingen was andren Orts geſungen wird; keine Spur wen - diſcher Eigenart, woraus ſich ſchließen läßt, daß überhaupt wenig davon vorhanden war. *)In allerneuſter Zeit hat ſich ein geborner Oderbrücher, der Lehrer Rubehn in Groß-Neuendorf, der dankenswerthen aber freilich ſchwierigen Aufgabe unterzogen, der wendiſchen Vorgeſchichte des Oderbruchs nachzu - ſpüren und Material dafür zu ſammeln. Dies Material, in das mir ein Blick geſtattet war, iſt reich und inſtruktiv; der Sammler indeß ſcheint mir darin irre zu gehn, daß er geneigt iſt, den Sprüchen und Sagen, deren er viele zuſammengetragen hat, ein größres Alter beizumeſſen, als ihnen zukommt. Mit andern Worten, er vermuthet da wendiſch-urſprüng - liches oder im Oderbruch gewachſenes, wo nur deutſch-importirtes vorliegt. Die Sagen, die ich ſeiner Mittheilung verdanke, finden ſich, faſt ohne Ausnahme, in den Landestheilen (Pfalz, Schwaben, Niederſachſen) wieder, aus denen die Coloniſirung des Oderbruchs erfolgte. Eine unter dieſen Sagen indeß, wiewohl ſicherlich ebenfalls deutſch, mag um ihrer ſelbſt willen einen Platz an dieſer Stelle finden. Es iſt das die Geſchichte vom Rothmützeken : Bei einem Reetzer Fiſcher vermiethete ſich einſt ein Knecht, der immer eine rothe Mütze trug, weshalb er im Dorf Rothmützeken genannt wurde. Alle Sonn - tag, wenn die andern Leute zur Kirche gingen, ſtieg er auf den Stallboden, wo allerlei kleine Männer, die Untererdſchken , zu ihm kamen und Spiel und Lärm und lautes Lachen mit ihm vollführten. Wenn dann die Hausleute aus der Kirche zurückkamen, kam Rothmützeken wieder vom Stallboden herunter und war mun - ter und guter Dinge. Das dauerte eine ganze Zeit, wohl über Tag und Jahr. Eines Sonntags, es war der Sonntag nach Weihnachten, ſtieg er auch wieder auf den Stallboden, während die andern nach der Kirche waren und das Lärmen und Poltern und Lachen nahm wieder ſeinen Anfang wie früher, nur viel wilder und lauter. So ging es wohl eine Stunde; als aber der Prediger auf der Kanzel eben Amen geſagt hatte, da gab es einen Knall, der die Kirche und alle Häuſer im Dorf erſchütterte, und als die Leute nach Hauſe ſtürzten, fanden ſie die Stallboden - thür weit auf die Straße geſchleudert, Rothmützeken aber an einem Kreuzbalken er - hängt. Sie begruben ihn in eine Ecke des Kirchhofs. Er hatte aber nicht Ruh im Grabe. Immer in der Sonntagsnacht nach Weihnachten erſchien er auf dem Kirch - hof und die Hirten, die damals (wo im Sommer das Bruch unter Waſſer ſtand) oft noch um die Weihnachtszeit ihr Vieh auf die Weide trieben, ſahen ihn dann,

14*212

Das Einzige, was ſich, ähnlich wie im Altenburgiſchen, auch hier im Bruche, länger als jede andre Spur nationalen Lebens erhalten hat, iſt die Tracht. Ueber dieſe noch ein paar Worte.

Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo doch das Wendenthum bis 1747 ſich wahrſcheinlich ziemlich unvermiſcht er - halten hatte, ſondern am Rande des Bruchs, wo die Berührung mit der deutſchen Cultur doch ſchon durch Jahrhunderte hin ſtatt - gefunden hatte. Aber dies darf nicht überraſchen. Dieſe Berührung blieb in den Randdörfern eine ſpärliche, mäßige, wie ſie es immer geweſen war, während das, durch Jahrhunderte hin, wendiſch in - takt erhaltene Centrum des Bruchs, als dieſe Berührung über - haupt einmal begonnen hatte, durch Maſſen-Einwanderung ſolche Dimenſionen annahm, daß das Wendenthum in kürzeſter Friſt darunter erſticken mußte. Die Gäſte wurden die Wirthe und gaben nun den Ton an. Anders, wie ſchon angedeutet, in den Rand - dörfern, wenigſtens in einzelnen derſelben. Hier am Südweſtrande des Bruchs, in einem Winkel, den man, um ihn kurz und cha - rakteriſtiſch zu bezeichnen, den Derfflingerſchen-Winkel nennen könnte, liegen noch einige Dörfer, drin ſich die alte wendiſche Tracht, oder doch Ueberreſte davon, bis auf dieſen Tag erhalten haben. In Vollſtändigkeit exiſtirt ſie nur noch in Quilitz oder Neu-Hardenberg.

Dieſe Tracht, übrigens nur noch bei den Frauen wendiſch - national, beſteht aus einem kurzen rothen Friesrock mit etwa hand - breitem gelbem Rand; aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeſchnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, deſſen Aermel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter Kragen über Bruſt und Nacken fallen; dazu Kopftuch und Schürze. Die Tracht iſt Alltags und Sonntags dieſelbe und nur im Stoff verſchieden. Alltags: blaue beblümte Cattun - oder Leinwandſchürze und Kopftuch von demſelben Zeug; Sonntags: weiße Schürze und*)wie er auf dem bretternen Kirchhofszaun ſaß und mit dem Kopf ſchüttelte. Er war dürr wie ein Skelett, aber er trug immer noch die rothe Mütze. Daran hatten ſie auch erkannt, daß es kein andrer ſein konnte als Rothmützeken. 213ſchwarzſeidnes Kopftuch. Der rothe Friesrock iſt das ſtändige und die Schürze iſt jedesmal um eine Handbreit länger als der Rock. Wie Alltag oder Sonntag, macht natürlich auch arm oder reich einen Unterſchied. Bei den Armen legt ſich der Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er er - reicht ſeine Höhe (wenigſtens ſprüchwörtlich, gezählt habe ich ſie nicht), wenn er ſo viele Falten hat, wie Tage im Jahre. Auch das Leibchen iſt ſeinem Stoff nach verſchieden: Cattun, Tuch, Mancheſter (der letztere ein ſehr bevorzugter Stoff) wechſeln ab, aber immer dunkelfarbig und immer beblümt. Weiße Zwickelſtrümpfe vollenden den Anzug und maſſive ſilberne Ohrgehänge ſind beliebt.

Dieſe wendiſche Tracht nimmt ſich höchſt maleriſch aus und iſt ſo ziemlich die kleidſamſte unter allen Nationaltrachten, die mir in den verſchiednen Theilen Deutſchlands vorgekommen ſind. Es iſt damit durchaus kein übertriebnes Lob geſpendet, da dieſe Na - tionaltrachten, ſo ſehr wir ſie lieben und ſo ſehr wir ihrer Con - ſervirung das Wort reden möchten, doch vielfach nichts weniger als ſchön zu nennen ſind. Oft ſind ſie entſchieden häßlich. Wir erinnern nur an die Altenburgerinnen, die wie ſteif ausgeſtopfte Bachſtelzen einherſchreiten. Alle dieſe Nationaltrachten indeß, ob ſchön oder häßlich, ſind meiſt ſehr koſtſpielig zu beſchaffen und die - ſer Umſtand hat entſchieden mitgewirkt, der ſtädtiſchen Mode, oder mit andern Worten, dem billigen Cattunkleide den Eingang zu verſchaffen. Auch in Quilitz das, nachdem es dem Staats - kanzler, Fürſten Hardenberg, als Dotation zugefallen war, den Namen Neu-Hardenberg erhielt würden wir höchſt wahrſchein - lich daſſelbe erlebt haben, wenn nicht jener moraliſche Zwang, den die Ausſicht auf Gewinn und jeglichen Vortheil übt, zu einer halbkünſtlichen Conſervirung der alten Sitte geführt hätte. Schon der Fürſt-Staatskanzler, der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der alten maleriſchen Tracht vor ihm erſcheinen mußten und jede Magd, die einen Dienſt im Schloſſe will, kann ihn, auch jetzt noch, nur antreten, wenn ſie ſich zu Mieder, Kopftuch und Fries -214 rock bequemt. Ohne dieſen Zwang, würde ſich auch Quilitz ſchwer - lich noch einer Auszeichnung erfreun, die jetzt allmälig wieder einen Corpsgeiſt, ein gewiſſes Selbſtgefühl herauszubilden und mittelſt deſſelben, dem zunächſt künſtlich erhaltenen, neue lebendige Wurzeln zu geben beginnt.

Dem geſammten Oderbruch (deutſch oder wendiſch) iſt, als Hinterlaſſenſchaft aus der Zeit wendiſcher Tracht her, nur das ſchwarze ſeidne Kopftuch geblieben, das, durch die Art, wie es getragen wird, ſo außerordentlich kleidſam erſcheint, und jedem ju - gendlichen Geſichte gut ſtehend, die Oderbrücherinnen (zum Theil ſehr unverdient) in den Ruf gebracht hat, beſondere Schönheiten zu ſein.

[215]

4. Die Coloniſirung und die Coloniſten.

Es fiel zu leicht euch in den Schooß,
Zu glücklich ſein war euer Loos.
Wie heißt der Spruch im goldnen Buch?
Reichthum iſt Segen und Reichthum iſt Fluch.

Die umfangreichen Arbeiten (Siehe S. 199), die unter Friedrich dem Großen von 1746 bis 53 ausgeführt wurden, kamen dem ge - ſammten Oderbruche zu ſtatten; in beſonderem Maaße aber doch nur einem Theil deſſelben, dem Niederbruch. Dies war auch Zweck. Das Oberbruch zwiſchen Frankfurt und Cüſtrin war längſt unter Cultur*)Zum Oberbruch (auch das hohe Bruch genannt) gehörten ſchon damals folgende Ortſchaften: Guſow, Kienitz, Platkow, Quappendorf, Quilitz (jetzt Neu-Hardenberg), Rathſtock, Sachſendorf, Tucheband, Manſch - now, Gorgaſt, Golzow, Zechin, Werbig, Letſchin, Genſchmar, Langſow, Hathenow, Sietzing, Wuſchewir, Friedland, Metzdorf, Kunersdorf, Blies - dorf, Ortwig, Neuendorf, Hacknow, Werder, Wollup (berühmt durch Koppe, der es 30 Jahre lang bewirthſchaftete). Dieſe Ortſchaften ſind ſeitdem an Reichthum und Bedeutung gewachſen (Letſchin allein hat gegen 4000 Ein - wohner), aber ihre Zahl hat ſich, ein paar Ausnahmen abgerechnet, nicht erweitert. Die vorhandenen Dörfer wuchſen in ſich, aber es kamen nicht neue hinzu.; das ſumpfige Niederbruch, zwiſchen Cüſtrin und Freienwalde, war der Cultur erſt zu erobern.

Dieſe Eroberung des Niederbruchs, mit dem wir uns hier, wie ſchon im vorigen Kapitel angedeutet, ausſchließlich beſchäftigen,216 geſchah, wie ich in dem Kapitel Die Verwallung (S. 197 bis 204) gezeigt habe a) durch das neue Oderbett, b) durch die Ein - deichung, c) durch Abzugscanäle.

Das Niederbruch, vor Ausführung dieſer Arbeiten, war ein 3 bis 4 Meilen großes Stück Sumpfland, auf deſſen wenigen, höher gelegenen Sandſtellen 8 kümmerliche Dörfer lagen. Dieſe 8 Dörfer waren:

  • Reetz, Meetz,
  • Lebbin, Trebbin,
  • Großbaaren, Kleinbaaren,
  • Wuſtrow und Alt-Wriezen.

So, wie hier aufgeführt, wurden dieſe 8 Dörfer früher geſchrieben. Die Rechtſchreibung der Namen iſt ſeitdem zum Theil eine andre geworden: Meetz iſt Medewitz, Lebbin iſt Lewin, Großbaaren und Kleinbaaren iſt Groß - und Klein-Barnim. In der Volks - ſprache aber leben die alten Namen oder richtiger vielleicht lebt die alte Ausſprache noch fort. Man ſagt noch Meetz, Lebbin und jedenfalls Groß - und Klein-Baaren.

Dieſen acht kümmerlichen Fiſcherdörfern zu liebe, war nun natürlich, ſeitens des großen Königs, die Entwäſſerung von 3 oder 4 Quadratmeilen Sumpfland nicht vorgenommen worden, um ſo weniger als der König wohl wußte, daß die Reetzer und Meetzer Fiſcher, wenn er ihnen auch das ganze entwäſſerte Land mühlos zu Füßen gelegt hätte, doch nach Art ſolcher Leute, nur über den Verluſt ihrer alten Erwerbsquellen (Heumaht und Fiſcherei) geklagt haben würden. Dieſe 8 Fiſcherdörfer kamen alſo nicht in Betracht, weder mit ihren Klagen, die nicht ausblieben, noch etwa mit ihren Anſprüchen.

Der König hatte durch ſeine Mittel das Land gewonnen und vertheilte das Gewonnene daher nach ſeinem Belieben. Einen weſentlichen Theil behielt er ſelbſt (Königlicher Antheil), den Reſt erhielten die angrenzenden Städte und Rittergüter, Einiges auch die alten Bauerndörfer. Das gewonnene Land betrug im Ganzen etwa 130,000 Morgen, auf welches nun, wie man ſonſt Bäume217 pflanzt oder einſetzt, 1300 Familien angeſetzt wurden. Das geſchah in 43 neugegründeten Coloniſtendörfern. Die Gründung dieſer Coloniſtendörfer war Sache des Königs auf dem Königlichen Antheil, Sache der Städte und Rittergüter auf den Antheilen, die dieſen zugefallen waren. So entſtanden königliche, ſtädtiſche und adlige Coloniſtendörfer.

Die königlichen Coloniſtendörfer waren von Anfang an die größten und wichtigſten und ſind es wohl auch geblieben. Mit Ausnahme von Herrenhof und Herrenwieſe führen ſie ſämmtlich die Namen alter Bruch - und Uferdörfer, denen nur, zur Unter - ſcheidung, die Sylbe Neu hinzugefügt worden iſt. Es ſind folgende:

  • Neu Lewin.
  • Neu Barnim.
  • Neu Trebbin.
  • Neu Kiez.
  • Neu Küſtrinchen.
  • Neu Glietzen.
  • Neu Lietzegörike.
  • Neu Medewitz.
  • Neu Reetz.
  • Neu Rüdnitz.
  • Neu Tornow.
  • Neu Wuſtrow.

Die meiſten Coloniſten wurden in den drei erſtgenannten Dörfern, in Neu Barnim, Neu Lewin und Neu Trebbin angeſetzt und ſind dieſe drei Ortſchaften auch die größten und wichtigſten geblieben. Die beiden erſten haben weſentlich über 1000, Neu-Trebbin beinah 2000 Einwohner.

Werfen wir noch einen Blick auf jene erſten Jahre nach der Trockenlegung des Bruchs. 1300 Coloniſten-Familien ſollten an - geſetzt werden, vielleicht waren auch die Häuſer dazu (urſprünglich bloße Hütten, die in den Stielen eine Höhe von kaum 7 Fuß hatten) vorweg bereits aufgeführt, aber die Herbeiſchaffung von 1300 Familien war nichts Leichtes. Eine eigne Kommiſſion zur Herbeiſchaffung von Coloniſten wurde eingeſetzt und dieſe Kommiſ - ſion ließ durch alle preußiſche Geſandſchaften fleißige und arbeit - ſame Ausländer zum Eintritt in die preußiſchen Staaten einladen. Dieſe Einladungen hatten in der That Erfolg; an Verſprechun - gen wird es nicht gefehlt haben. So kamen Pfälzer, Schwaben, Polen, Franken, Weſtphalen, Voigtländer, Mecklenburger, Oeſtrei -218 cher und Böhmen, die größte Anzahl aus den drei erſt genannten Ländern. Neu-Barnim iſt eine Pfälzer-Colonie, ebenſo Neu-Trebbin. Neu-Lewin wurde mit Polen, auch wohl mit Böhmen, jedenfalls mit ſlaviſchen Elementen beſetzt. Dieſe Unterſchiede zeigen ſich zum Theil noch in Erſcheinung und Character der Bewohner. In den Pfälzer-Dörfern begegnet man einem mehr blonden, in Neu-Lewin einem mehr brünetten Menſchenſchlag. Auch von der Ausgelaſſenheit und dem leichten, lebhaften Sinn der Pfälzer hört man erzählen. *)Wie die Bewohner, ſo ſind auch die Dörfer ſelbſt, in ihrer Erſchei - nung verſchieden, doch iſt es fraglich, ob ſich dieſe Verſchiedenartigkeit auf etwas Nationales zurückführen läßt. Vielleicht ſind die Gründe nur lokaler Natur. Das Vorhandenſein oder das Fehlen eines Waſſers, anderer Zufälligkeiten zu geſchweigen, mag ſolche Unterſchiede geſchaffen haben. Neu-Barnim (Pfälzer-Dorf) iſt langgeſtreckt, und eine Baum-An - lage, die ſich mitten durch die breite Dorfſtraße zieht, theilt dieſe in drei Längs-Theile, in zwei Fahrwege, rechts und links, und einen Baumgang zwiſchen denſelben. Neu-Trebbin iſt ähnlich, wenn wir nicht irren. Neu - Lewin (das mit Polen beſetzte Dorf) präſentirt ſich maleriſcher. Die Dorf - ſtraße entlang läuft ein Fließ, das auf ſeiner ganzen Länge von ſchräg oder auch terraſſenförmig anſteigenden Gärten eingefaßt iſt. Zwiſchen den Häuſern und dieſen Gärten zieht ſich rechts und links der Fahrweg. Die Häuſer ſelbſt haben vielfach Lauben und Veranden und der Fußwanderer, der hier an einem Sommerabend des Weges kommt und vor den Häu - ſern das Singen hört, während die dunklen, ſchöngewachſenen Mädchen mit den klappernden Eimern zum Brunnen gehen, der vergißt auf Augen - blicke wohl, daß er das verſpottete Sumpf - und Sand-Land der Mark Brandenburg durchreiſt.Jede Familie erhielt 90, 60, 45, 20 und ein größerer Theil 10 Morgen Ackers von dem entwäſſerten Boden, bei welcher Ver - theilung man, wie billig, auf die Stärke der Familie und die Größe des Vermögens Rückſicht nahm. Jegliche Religionsausübung war frei. Der König ließ ſechs neue Kirchen bauen, ſetzte vier Prediger, zwei reformirte und zwei lutheriſche ein und gab jedem Dorf eine Schule. Der Unterricht war frei; Pfarre und Schule erhielten Ländereien. Noch andre Vortheile wurden den Anſiedlern gewährt. Allen denen, die ſich niederließen, ward eine vollſtändige Freiheit von allen Laſten auf 15 Jahre gewährt, wie ſie denn219 auch (kein geringes Vorrecht in jenen Tagen) für ihre Perſon, ſammt Kind und Kindeskind von aller Werbung frei waren. Dem König, wie wohlbekannt, lag vor allem daran, ſeine dünn beſäten Staaten reicher bevölkert zu ſehen. Nach der Ver - theilung der Ländereien blieben ihm noch 20,000 Morgen, im Hinblick auf welche ein benachbarter Gutsbeſitzer dem Könige den Rath gab, daß ſich vorzügliche Domainen-Vorwerke daraus wür - den bilden laſſen. Der König ſah den Rathgeber durchdringen - den Blickes an und bemerkte dann ſcharf: wäre ich, was Er iſt, ſo würd ich auch ſo denken; da ich aber König bin, ſo muß ich Unterthanen haben. Er gab auch dieſe 20,000 Morgen noch fort.

Die Coloniſten waren nun angeſetzt und die Urbarmachung begann. Das nächſte, was der Trockenlegung folgte, war die Aus - rodung. Dieſe Ausrodung führte in den erſten Jahren zu ſelt - ſamen Scenen, wie ſie ſeitdem, wenigſtens in unſrer Provinz, wohl nicht wieder beobachtet worden ſind. Die ausgerodeten Bäume und Sträucher, da keine Gelegenheit gegeben war, die ganze Fülle dieſes Holzreichthums zu verkaufen oder wirthſchaftlich zu verwerthen, wurden zu mächtigen Haufen aufgeſchichtet und endlich, nachdem ſie völlig ausgetrocknet waren, angezündet und verbrannt. Aber das Austrocknen dieſer ausgerodeten Sumpf-Ve - getation dauerte oft monatelang und ſo kam es, daß dieſe auf - geſchichteten Holz - und Strauchhaufen eine willkommene Zufluchts - ſtätte für all die Thiere wurden, die bei den Ausrodungen rings umher aus ihren Schlupfwinkeln aufgeſcheucht worden waren. In dieſen Holz - und Strauchhaufen ſteckten nun die Thiere drin, bis der Tag des Anzündens kam. Dann, wenn Qualm und Flamme aufſchlugen, begann es, bei hellem Tagesſchein, in dem Strauch - haufen lebendig zu werden, und nach allen Seiten hin jagten nun die geängſtigten Thiere, wilde Katzen, Iltiſſe, Marder, Füchſe und Wölfe über das Feld. Ebenſo wurde ein Vernichtungskrieg gegen Wildpret und Geflügel geführt, und jeder Haushalt hatte Ueber - fluß an Hirſchen, Rehen, Haſen, Sumpfhühnern und wilden En -220 ten. Haſen gab es ſo viel, daß die Knechte, wenn ſie gemiethet wurden, ſich ausmachten, nicht öfter, als zweimal wöchent - lich Haſenbraten zu kriegen.

Der Boden im Bruch war ein ſchönes, fettes Erdreich, mit einer großen Fülle von Humus, der ſich ſeit Jahrhunderten aus dem Schlamme der Oder und aus der Verweſung vegetabiliſcher Subſtanzen erzeugt hatte. Dies erleichterte die Bewirthſchaftung; auch diejenigen Coloniſten, die nicht als Ackersleute ins Land ge - kommen waren, fanden ſich leicht in die neue Arbeit und Lebens - weiſe, die, ob ernſter oder leichter betrieben, jedem ſeinen Erfolg ſicherte. Man ſtreute aus und war der Ernte ſicher. Es wuchs ihnen zu; der Segen kam in’s Haus (halb uneingeladen); alles wurde reich über Nacht.

Dieſer Reichthum war ein Segen, aber er war zum großen Theil ſo raſch, ſo mühelos errungen worden, daß er vielfach ein Fluch wurde. Man war eben nur reich geworden; Bildung, Ge - ſittung hatten nicht Schritt gehalten mit dem raſch wachſenden Vermögen, und ſo entſtanden wunderliche Verhältniſſe, übermü - thig-ſittenloſe Zuſtände, deren erſte Anfänge noch der große - nig, der dieſe Provinz im Frieden erobert hatte, mit erlebte und die bis in unſre Tage hinein fortdauerten. Ein Brief aus dem Jahre 1838 ſchildert die Zuſtände des damaligen Oder - bruchs wie folgt:

Die Verhältniſſe, die ich hier vorgefunden habe, ſind die, durch alle Jahrhunderte hin immer wiederkehrenden Zuſtände einer Viertel - und Halb-Kultur, Zuſtände, wie ſie zu jeder Zeit und an jedem Orte immer von ſelber wieder aufwachſen, wo in noch völlig rohe und barbariſche Gemeinſchaften, ohne Zu - thun, ohne Mitwirkung, ohne rechte Theilnahme daran, ein Stück Kultur von außen her in die Unkultur hineingetragen wird. Das Weſen dieſer Art von Exiſtenzen iſt die Dishar - monie, der Mißklang, der Widerſtreit. Durch den Schein der Bildung, oder eines geiſtig erhöhten Lebens, bricht immer wie - der die alte Rohheit durch, und im Einklang mit dieſem Natur -221 geſetz begegnet man auch in dieſen reichen Oderbruchdörfern, in Aeußerlichem und Innerlichem, einem beſtändigen Gegenſatz von Sparſamkeit und Verſchwendung, von Luxus und Ge - ſchmackloſigkeit, von Kirchlichkeit und Aberglauben, von Ehrbar - keit und Sittenverderbniß. Der Bauer ſchreitet im langen Rock, ein paar weiße Handſchuh an den Händen, langſam und gra - vitätiſch nach der Kirche; aber er ſitzt am Abend oder Nach - mittag deſſelben Tages (einige beginnen gleich nach der Kirche) im Gaſthof des Dorfes der Krug iſt für die Knechte und vergnügt ſich bei Spiel und Wein. Die Würfel rollen über das Brett, der ſogenannte Tempel wird mit Kreide auf den Tiſch gemalt, alle Arten von Hazardſpiel löſen ſich unter einander ab, und um hundert Thaler ärmer oder reicher, wüſt im Kopfe, geht es weit nach Mitternacht nach Haus.

Derſelbe Gegenſatz findet ſich in jedem einzelnen Haus - halt hier; kraſſer Luxus und das völlig mangelnde Verſtändniß für das, was wohlthut und gefällt, laufen neben einander her. In dem Wohnzimmer ſteht ein großes Sopha mit blauſeidnem Ueberzug, aber der Ueberzug iſt zerriſſen und eingefettet. Der Kupferſtich an der Wand hängt völlig ſchief und kein Auge ſieht es. Das Glas des andern Bildes iſt mitten durchgeſprun - gen und niemand denkt daran es zu erſetzen. Die eine Tochter des Hauſes ſitzt am Fenſter und näht, aber in dem Zimmer, das eben ſo gut wie ein Sopha und ein Fortepiano, doch auch einen Nähtiſch haben könnte, fehlt alles, was an einen Tiſch derart erinnern könnte, und auf dem Fenſterbrett ſteht nichts als ein Cigarrenkaſten, der als Herberge für Knöpfe und Knäuel, für Lappen und Flicken dient. Nun geht es zu Tiſch. Alles reichlich aber auch nichts mehr. Die Magd mit klappenden Holz - pantinen ſetzt die Speiſen auf, das Stück Fleiſch liegt, unſchön zerhackt, auf der Schüſſel; die Teller ſind verſchieden an Stoff und Form, die Meſſer und Gabeln ſind abgewaſchen, aber nicht blank geputzt; von Tiſchgebet keine Rede. So nimmt man222 Platz und ſchweigend, unſchön, ohne Dank beginnt und endet die Mahlzeit.

So iſt es Alltags; einzelnen, für ſchweres Geld erſtande - nen Glanz - und Prachtſtücken, wird die Pflicht des Repräſen - tirens auferlegt, die Perſonen entſchlagen ſich deſſen. Es iſt un - bequem. Das Ganze ein bunter Widerſtreit von herrſchaftlicher Prätenſion und bäuerlicher Gewohnheit.

Die Feſttage des Hauſes ändern das Bild, aber ſie beſſern es nicht. Ich habe hier Taufen und Hochzeiten beigewohnt, die mir unvergeßlich bleiben werden. Eine ſeltſame Miſchung des alten Bauernhochzeitsſtyls mit dem Apparat vornehmer Leute. Wirth und Gäſte wetteifern in Staat. Wagen auf Wagen rollt vor: Chaiſen mit niedergeſchlagenem Verdeck; die wohl - genährten Pferde tragen Geſchirr mit Silber reich beſchlagen, der Kutſcher iſt in Livrée und die Damen, die ausſteigen, ſind in Sammt und Seide. Muſici ſpielen und die Tiſche brechen unter der Laſt der Speiſen; die Champagnerpfropfen knallen, der Flur iſt mit Zucker beſtreut, um die Fliegen von den Ta - felgäſten möglichſt fern zu halten; dann wildes Juchen; dazu Lichter, halberſtickt in Tabaksqualm. Spiel und Tanz und Lärm, und ein Fauſtſchlag auf den Tiſch, machen den Schluß des Feſtes. Bauernhochzeiten zeichnen ſich freilich überall durch eine gewiſſe Reichthums-Entfaltung aus, aber dieſe ſelbſtbewußte, zur Schau getragene Opulenz, hält ſich an andern Orten in - nerhalb gewiſſer bäuerlicher Traditionen. Hier ſind dieſe Tra - ditionen durchbrochen und jeder verſucht es, gleichſam auf eigne Hand, ſeiner Eitelkeit, und meiſt nur dieſer, ein Genüge zu thun.

Auch Gutem und Tüchtigem bin ich in dieſen Dörfern vielfach begegnet; aber zumeiſt doch jener Kraft und jener Tüch - tigkeit nur, die aus einem ſtarken Egoismus, aus richtigen In - ſtinkten hervorgeht, aus jener Beſchränktheit, die, weil ſie eine nah geſteckte Linie nicht überſchreitet, auch nicht in Gefahr kommt, ſich zu verirren. Die Wurzeln aller Kräfte, die hier thätig ſind (gute und böſe) ſind Selbſtſucht und Selbſt -223 bewußtſein. Die Zeit ſoll noch erſt kommen, wo die hohen Kräfte des Lebens hier lebendig werden.

Seit jenem Briefe, der die damaligen (1838) Sittenzuſtände des Bruchs, eher zu mild als zu ſtreng ſchildert, ſind 25 Jahre vergangen, und dies Vierteljahrhundert hat bis auf einen gewiſſen Punkt die Wünſche erfüllt, mit denen der Brief ſchließt. Es iſt beſſer geworden. Der bloße Geld - und Bauern-Stolz hat dem Gefühl von den Pflichten des Reichthums Platz gemacht und an die Stelle jener Selbſtſucht, die nur an ſich und den engſten Kreis denkt, iſt der wenigſtens erwachende Sinn für das Allgemeine ge - treten. Es dämmert eine Vorſtellung in den Gemüthern von der Gegenſeitigkeit der Pflichten, eine Ahnung davon, daß die blanken Thaler einen andern Zweck haben, als bei dem Nachbar Geizhals im Kaſten zu liegen, oder vom Bruder Verſchwender bei vingt un und blüchern vergeudet zu werden. Die üblen Folgen des raſch reich geworden ſeins verſchwinden mehr und mehr, und die Segnungen feſten, ſoliden, ererbten Beſitzes treten in den Vor - dergrund. Man läßt den Schein fallen und fängt an ſich des Lacks, der, dünn aufgetragen, überall abſplitterte, zu ſchämen. Man fühlt ſich wieder mehr als Bauer (nur an dem Wort nimmt man Anſtoß), und will nicht mehr und nicht weniger ſein, als man iſt. Das Adels - und Standesgefühl, was durch Jahr - hunderte hin die niederſächſiſchen Bauern ſo ausgezeichnet hat, fängt auch an bei den Oderbrüchern lebendig zu werden. Mögen ſie, nach der wilden Jugend ihres erſten Jahrhunderts, immer fe - ſter werden in Schlichtheit, Sitte, Zucht.

[224]

Moeglin.

Das Kleine blieb,
Das Große iſt vergeſſen;
Die Zeit verfließt; wohl hundert Jahr
Verfloſſen unterdeſſen.

Etwa eine halbe Meile vom Weſtrande des Oderbruchs entfernt, liegt Möglin, ein nur 12 Häuſer zählendes, weder durch Größe noch Bodenbeſchaffenheit ausgezeichnetes Dorf, dem nichtsdeſtoweni - ger das Loos zufiel, in alter und neuer Zeit unter den hiſtoriſchen Namen unſres Landes eine Stelle zu finden.

Drei Jahrhunderte lang (vorher war es ein Pfuelſches Gut) lebten hier die im Ober-Barnim reichbegüterten Barfuſe*)Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ſcheinen faſt alle Rittergüter des Kreiſes in Händen der Barfuſe geweſen zu ſein, da es heißt, daß auf einem 1720 abgehaltenen Kreistage nur zwei Stimmen nicht barfuſiſch geweſen ſeien. Dieſe zwei waren: v. Jena und v. Pfuel., die ſich, wie wir ſchon an andrer Stelle in Erfahrung brachten, in zwei Linien theilten, in die Barfuſe von Predikow, und in die Bar - fuſe von Moeglin. Der berühmteſte Barfus (Hans Albrecht, vgl. S. 85.) war ein Moegliner Barfus; er verließ aber früh ſein väterliches Gut, kehrte nie wieder dahin zurück und iſt deshalb der Erinnerung des Dorfs verloren gegangen.

Hans Albrecht von Barfus, der Türkenbeſieger, iſt in Moeg - lin vergeſſen, aber von einem andern, einem unberühmten Barfus, geht noch die Sage daſelbſt. Das macht, der lokale Vorfall iſt225 immer ſiegreich über das hiſtoriſche Ereigniß; die allgemeinen Far - ben verblaſſen, die beſonderen gewinnen an Kraft.

Der einzige Barfus, von dem Moeglin und ſeine Bewohner noch wiſſen, iſt Dietlof von Barfus. Sie wiſſen von ihm, daß er reich war, daß er 40 Dörfer beſaß, und daß er in einer Winter - nacht, als er zu Schlitten von Wriezen kam, ſeinen plötzlichen Tod fand. Es war Schneetreiben, nicht Weg nicht Steg erkenn - bar. Durch die nächtliche Oede hin, immer gradaus, dem Inſtinkt der Pferde das beſte überlaſſend, ſo ging die Fahrt. Schon wa - ren ſie dicht am Dorf, da, auf einem überſchneeten, mit dünnem Eis bedeckten Sumpfloch, brach der Schlitten ein und alles ging in die Tiefe.

Die kleine Feldſteinkirche (ohne Thurm) iſt aus der erſten chriſtlichen Zeit und ſtand hier um vieles früher, als die Barfuſe nach Moeglin kamen. In der Kirche ſelbſt aber, aus verhältniß - mäßig ſpäter Zeit, hängt ein Wappenſchild des alten Geſchlechts, ſchmucklos, grün und roth übermalt und mit der Umſchrift: Ale - xander von Barfus, geboren 1580 den 11. Decembris, geſtorben den 19. Decembris 1647. (Wahrſcheinlich ein Onkel, vielleicht auch der Großvater Hans Albrechts.)

Die Pfuels hatten Moeglin 100 Jahre inne, die Barfuſe hatten es dreihundert. Dazwiſchen aber etwa um die Zeit der beiden erſten Hohenzollern fand eine Art Interregnum, ein herrenloſer Zwiſchenzuſtand ſtatt, der 20 oder 30 Jahre gedauert haben mag und von dem wir, mit Hülfe des Schloßregiſters von 1450 nur erfahren, daß in Moeglin ein Schäfer war. Das klingt uns wie eine Verheißung, wie ein heitres Verſprechen für die Zukunft, und der Schäfer von 1450 erſcheint faſt wie der Schatten, den Albrecht Thaer, der Moegliner Schäfer par excellence , durch vier Jahrhunderte wirft. Ihm, der die - ſem kleinen Fleck Landes zu einem wirklichen Ruhm, weit über die Grenzen unſres Landes hinaus, verholfen hat, wenden wir uns nun ausführlicher zu.

15[226]

Albrecht Daniel Thaer.

Ehre jedem Heldenthume,
Dreimal Ehre Deinem Ruhme,
Aller Thaten beſte That
Iſt: Keime pflanzen für künftige Saat.

Albrecht Daniel Thaer wurde am 14. Mai 1752 zu Celle geboren. Sein Vater, Hofmedicus ebendaſelbſt, ſtammte aus Lie - benwerda in Sachſen; ſeine Mutter war die Tochter des Land - rentmeiſters Saffe zu Celle. Seine erſten Studien machte Albrecht Thaer auf dem Gymnaſium ſeiner Vaterſtadt, aber er verfuhr da - bei in ſo unregelmäßiger Art und Weiſe, daß er z. B. (es ſind dies ſeine eigenen Worte) im 16. Jahre franzöſiſch und engliſch ſprechen konnte, aber kein Wort lateiniſch verſtand. Die Lehrer ließen es eben gehen. Endlich entdeckte er ſich dem Rector des Gymnaſiums, nahm Privatſtunden und holte in einem einzigen Jahre alles Verſäumte ſo völlig nach, daß er ein Jahr darauf im Stande war, nach Göttingen zur Univerſität abzugehen.

Sein ganzes Weſen damals (im Gegenſatz zu ſeinen reiferen Jahren) war genialiſch und excentriſch; er hatte etwas Wunder - kindartiges an Gaben wie an Unarten. Er begann nun mit gro - ßem Eifer Medicin zu ſtudiren und ſchien namentlich beſtimmt, in der Chirurgie Bedeutendes zu leiſten. Er verweilte Tage lang, das Secirmeſſer in der Hand, auf dem anatomiſchen Saal, ſah aber bei der erſten Operation, der er beiwohnte, daß er ſeltſamer - weiſe wohl zum Anatomen am lebloſen, aber nie und nimmer zum Chirurgen am lebendigen Organismus beſtimmt ſein könne, denn er fiel in Ohnmacht; eine Erſcheinung, die ſich wiederholte, ſo oft er den Verſuch machte, die angeborene Scheu zu überwinden. Er wandte ſich nun der Pathologie zu, hörte Collegia bei den be -227 rühmten Profeſſoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz beſonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz ſeiner noch knabenhaften Erſcheinung, ein ſolches Anſehen bei Alt und Jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rathe gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbſtgefühl, auch eine beſondere Poſition, eine Art Mittelſtellung zwiſchen Lehrern und Schülern.

Den eigentlich ſtudentiſchen Kreiſen, namentlich ſeinen ſpeciellen Fachgenoſſen, wurde er immer fremder und nur Bücher, philoſo - phiſche Studien und philoſophiſche Freunde ſchienen ihm eines vertrauteren Umgangs werth. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leiſewitz, der Dichter des Julius von Tarent, den er - ſten Rang ein. Thaer ſelbſt ſchreibt darüber: Unſere Seelen wa - ren in beſtändigem Einklang, faſt hatten wir nur Ein Herz. Ihre Freundſchaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Intereſſen und Beſtrebungen und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden erſten Verſuchen, die noch in ſeine Schulzeit fielen, die dichteriſche Production nicht als ſein eigentliches Feld erkannt hatte, ſo war er doch, neben philoſophiſchem Scharfblick, mit ſo viel äſthetiſcher Fühlung ausgerüſtet, daß er dem dichteriſch-produc - tiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit und neben einander; auch nachdem Beide Göttingen verlaſſen (1774), beſtand ihr Freundſchaftsverhältniß fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß ſehr lebhaften Correſpondenz zwiſchen den Beiden, noch jetzt exiſtiren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leiſewitz dem kritiſchen Freunde auf ſeine Ar - beiten geſtattete. Einer dieſer aufbewahrten Briefe enthält eine ſehr eingehende Kritik des Julius von Tarent und ein aufmerkſames Verfolgen des berühmten Trauerſpiels in ſeiner gegenwärtigen Ge - ſtalt, zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivirten Bemer - kungen Thaer’s von dem Freunde und Dichter benutzt worden ſind.

Aus dieſer Zeit ſtudentiſchen Zuſammenlebens mit Leiſewitz datiren aber noch andere Arbeiten Thaer’s, die ihn uns nicht nur auf kritiſchem, ſondern auch auf productivem Gebiete zeigen, freilich15*228auf einem der Kritik verwandten, auf dem der philoſophiſch-theolo - giſchen Unterſuchung. Thaer ſelbſt ſchreibt über dieſe ſpäter (in et - was veränderter Geſtalt) ſo berühmt gewordene Arbeit: Ich er - ſchuf mir damals gleich wenig mit den Orthodoxen, wie mit den neuern ſogenannten Berliner Theologen einverſtanden ein ſelbſtſtändiges, religions-philoſophiſches Syſtem und brachte es flüchtig zu Papier. Es ward wider meinen Willen abgeſchrieben, fiel in die Hände eines großen Mannes, der den Styl etwas um - änderte und einen Theil davon, als Fragment eines unbekannten Verfaſſers, herausgab. Bis jetzt wiſſen es nur drei lebende Men - ſchen, daß ich der Urheber bin. In dieſen Worten Thaer’s wird weder Leſſing genannt, noch mit Beſtimmtheit angegeben, welches der Fragmente eines Wolfenbüttelſchen Unbekannten Thaer für ſich in Anſpruch nimmt; es iſt aber nach den ſcharfſichtigen und ſehr eingehenden Unterſuchungen W. Körtes, des Thaer’ſchen Anver - wandten und Biographen, ſehr wahrſcheinlich, daß die kleine, bis dahin Leſſing zugeſchriebene Schrift über die Erziehung des Menſchengeſchlechts eine Jugendarbeit Albrecht Thaer’s iſt, die, von Leiſewitz an Leſſing übergeben, von dieſem theils überarbeitet, theils fortgeſetzt wurde.

Faſt gleichzeitig mit dieſem Aufſatz ſchrieb Thaer ſeine Doc - tor-Diſſertation. Sie erſchien 1774 zu Göttingen unter dem Titel: De actione Systematis nervosi in febribus ; bald darauf kehrte er in ſeine Vaterſtadt (nach Celle) zurück, um ſich daſelbſt als praktiſcher Arzt niederzulaſſen.

Hier hatte er zunächſt durch eine harte Schule zu gehen. Weder gefiel die Stadt ihm, noch er der Stadt. Ihm erſchien Alles klein, beſchränkt, krähwinklig; er erſchien Allen eitel und ein - gebildet. Seine Jugend und das noch Unentwickelte ſeiner Erſchei - nung ließen ihn, bei den Anſprüchen, die er erhob, faſt in komi - ſchem Lichte erſcheinen und an die Stelle der Auszeichnungen, die, ihm in Göttingen ſo reich zu Theil geworden waren, traten nun Kränkungen. Der Prophet galt nichts in der Heimath.

Jahre vergingen in Unmuth und Unbefriedigtheit, aber ſeine229 bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich ſiegreich durch und vor Ablauf von 5 oder 6 Jahren ſah er ſich, als der be - deutendſte Arzt in Celle, hochgeehrt und von Allen geſucht. Sein alter Vater ſelbſt (der noch weiter praktizirte) fand einſt Gelegen - heit, ſich von dem wachſenden Ruhm des Sohnes zu überzeugen. Jener nämlich begegnete, als er eben ſeine Krankenbeſuche begin - nen wollte, einem Bauer auf der Treppe und folgendes Zwiege - ſpräch griff Platz:

Zu wem will Er?

Is woll de Dokter Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht em ſpräken.

Ich bin der Doctor Thaer.

Ja, he es de olle; ick will aberſch den jungſchen ſpräken, de is klöger.

Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn ſeinen Triumph.

Um dieſe Zeit (etwas früher) hatte auch Thaer, in Gemein - ſchaft mit Leiſewitz, ſeine erſte Reiſe nach Berlin gemacht und Spalding, Mendelsſohn, Engel, Nicolai, Madame Bam - berger ( eine Frau, die über die abſtracteſten Materien der Phi - loſophie roſenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß ) kennen gelernt. Es war von einer Ueberſiedelung nach Berlin die Rede, aber es zerſchlug ſich wieder. Bald nach ſeiner Rückkehr nach Celle lernte er Philippine von Willich, eine Tochter des Vicepräſi - denten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm von Willich, kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte, ſie von einer ſchweren Krankheit wiederherzuſtellen, erfolgte 1785 die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jun - gen Paares. Thaer war damals Stadtphyſicus und Hofmedicus, und genoß eines großen ärztlichen Anſehens.

Aber ſein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in ſeiner Diſſertation die Heilkunſt als das Herrlichſte, Angenehmſte, innerhalb aller menſchlichen Beſtrebungen Nützlichſte geprieſen; je mehr er fortſchritt, deſto zweifelhafter wurde ihm der Anſpruch auf das Lob, das er geſpendet, und deſto mehr beſchlich ihn die Vor -230 ſtellung, daß eine andere, ſegensreichere Kunſt da ſein müſſe, herr - licher, nützlicher, heilender, als die Heilkunſt. Nach dieſer Kunſt begann ſein Herz zu ſuchen. Er fand ſie; aber erſt allmälig, von Stufe zu Stufe.

Als dieſe ſchönſte, ſegensreichſte Heilkunſt erſchien ihm der Ackerbau; ihrem Dienſt beſchloß er ſich zu widmen. Von kleinen Anfängen ging er aus.

Er hatte ſich in Celle ein geräumiges Haus mit einem ſehr großen Hofraum gekauft, welchen er zu einem kleinen Garten benutzte. Er wandte ſich alsbald mit Vorliebe der Blumenzucht zu und bezeigte ein beſonderes Geſchick und eine glückliche Hand im Varüren von Nelken und Aurikeln. Es ſprach ſich hierin ſchon dieſelbe Neigung für das Princip der Kreuzung aus, das er ſpäter, innerhalb der Thierwelt, ſo glänzend durchführte.

Der kleine Raum hinterm Hauſe genügte dem Hofmedicus bald nicht mehr; er kaufte einen größeren vor dem Thore gelege - nen Garten, mit einem daranſtoßenden Kamp von meiſt dürrem Flugſandboden, aber mit ſchönen Gruppen alter Eichen und Buchen beſetzt. Garten und Kamp umfaßten 16 Morgen und der Bebauung und Verſchönerung dieſes Fleckchens Erde waren von nun an alle ſeine Mußeſtunden gewidmet. Akazien, Lärchenbäume, Pappeln wur - den gepflanzt; Weißdorn - und Büchenhecken zogen ſich als le - bendiger Zaun um die Anlage, Raſenflächen wurden geſchaffen, und Obſtbaum-Plantagen angelegt. Dazwiſchen Fruchtſträucher aller Art. Gartenbau trat an die Stelle der Pflege von Nelken und Aurikeln, aus dem Blumiſten war ein Gärtner geworden.

So ging es eine Weile. Aber wie ihm das Blumenbeet zu kleinlich geworden war, ſo wurde ihm jetzt der Garten (trotz ſeiner relativen Größe) zu eng. Er kaufte deshalb in kurzer Zeit noch ſo viele Ländereien hinzu, daß alles zuſammen eine zwar kleine, aber ziemlich anſtändige Wirthſchaft ausmachen konnte. Dieſe Wirth - ſchaft lag nur eine Viertelſtunde vor dem Thore, zog ſich am Aller-Fluß entlang und umfaßte ohngefähr 110 Morgen unterm Pfluge und 18 Morgen natürliche Wieſen. Da er kein Wirth -231 ſchaftsgebäude vorfand, ſo entwarf er einen Plan zu einem Ge - höft und ließ Wohnhaus und Wirthſchaftsgebäude nach ſeinem eigenen Plane aufführen. Er hatte dabei überall nur das Zweck - mäßige, nirgends die Eleganz im Auge und verfuhr ganz nach der Regel des M. P. Cato: Baue dein Gehöft ſo, daß es weder den Gebäuden an Ländereien, noch den Ländereien an Gebäuden fehlt. Der Boden beſtand aus Lehm und Sand; drei Arbeits - pferde und 14 Kühe wurden angeſchafft und zwei Knechte und zwei Mägde in Dienſt genommen.

So war Thaer, nachdem er die Stadien des Blumiſten und Gärtners durchgemacht hatte, zum Landwirth geworden. Er blieb noch Arzt, ſogar ein beſchäftigter, vielfach ausgezeichneter (1796 ward er zum Leibarzt des Königs Georgs III. ernannt), aber ſein Herz, ſein Sinnen und Trachten gehörte der Wirthſchaft draußen und die Sommermonate pflegte er, ſammt ſeiner Familie, auf dem Gute zu wohnen. Sein Leben war ein ſehr ange - ſtrengtes; die Frühſtunden von 4 7 und der Spätabend gehör - ten ſeinen landwirthſchaftlichen Studien, der Tag ſeinem ärztlichen Beruf. Nur die Paſſion half über Alles hinweg.

Es lag ihm zunächſt daran, ſeiner Umgebung augenſcheinlich darzuthun, daß es einen Ackerbau gebe, der vollkommener und er - giebiger ſei, als der, welchen man im Celle’ſchen Felde betreibe. Er wollte durch ſein eignes Beiſpiel zeigen, wie man den Ackerbau, mit höchſtem Unrecht, nur als ein Handwerk, ja oft noch geringer anſehe, in der Meinung, daß weniger Kunſt dazu gehöre, einen Acker zu beſtellen, als einen Schuh zu machen. Er wollte die Be - treibung dieſes wichtigen, verwickelten, dieſes unerſchöpflich künſt - lichen Gewerbes zu wohlverdienten Ehren bringen. Er ſtellte ſich bei ſeiner kleinen Wirthſchaft einen doppelten Zweck: den zum Theil widerſtrebenden Boden in eine möglichſt hohe Culturſtufe zu heben und vor allem eine Experimental-Wirthſchaft zu ſeiner eig - nen Belehrung und Förderung zur Hand zu haben.

Selbſtdenkend, aber auch Rath nicht verſchmähend, wie gute Bücher oder bewährte Landwirthe ihm boten, ging er ans Werk. 232Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als jetzt, ſich in dem Satze gefiel: Ein günſtiger Regen iſt beſſer, als alles Geſchreibſe der Federfuchſer, und zu ſeinen Lieblingsſätzen gehörte der Ausſpruch Zimmermanns: Ein Trommelſchläger, der in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege, wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte. Gegen die Trommelſchläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer jetzt zu Felde; auch ſeine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt ha - ben, daß es mit der Erfahrung untergeordneter Naturen ein eigen Ding iſt und daß ſie nur da belehrt, wo eine Neigung vor - handen iſt, ſich belehren zu laſſen. Wo dieſe Neigung fehlt, glau - ben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber nie an Fehler des Syſtems.

Thaer begann die Anfänge einer rationellen Landwirthſchaft in ſeinem Kopfe allmählig auszuarbeiten und fing mit der Auf - ſtellung gewiſſer Probleme an. Das erſte Problem, deſſen Löſung er zuſtrebte, war folgendes:

die größte Maſſe zur thieriſchen Nahrung geeigneter Pflan - zen auf einer beſtimmten Fläche Landes zu gewinnen.

Das zweite nicht minder wichtige Problem beſtand darin:

die verſchiedenen Fruchtkräfte jedes Bodens für die ver - ſchiedenen ihrer bedürftigen Fruchtarten ſo viel als möglich und in einer der Regeneration des Abſorbirten günſtigen Wechſelfolge zu benutzen; alſo die Brache ent - behrlich zu machen.

Die Löſung des erſten Problems fand er im Anbau der Fut - tergewächſe, ganz beſonders der Kartoffel, die Löſung des zwei - ten Problems in der ſeitdem ſiegreich durchgedrungenen Lehre von der Fruchtfolge.

Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und widerlegte alte Vorurtheile. Er wies darauf hin, daß die Irlän - der die ſtärkſten und älteſten Kartoffeleſſer und zugleich, unter allen europäiſchen Racen, vielleicht die geſundeſte, kräftigſte und ſchönſte ſeien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf dieſem Ge -233 biete freundlich bekämpfte, antwortete er in ſpätern Jahren: der Herr Graf iſt mein ſehr verehrter Freund, aber der Kartoffelbau iſt mein Kind.

Seine Lehre von der Fruchtfolge ſtieß Anfangs auf vielen Widerſpruch und da er ſeine eignen Felder danach beſtellte, pro - phezeihte man ihm, daß ſeine Aecker nach 4 Jahren völlig ausge - ſogen ſein würden. Thaer ließ ſich das nicht anfechten. Schon Friedrich der Große hatte ſich ſeinerzeit für ein rationelles aber conſtantes Tragen der Felder ausgeſprochen und den Wider - ſpruch mit den Worten zurückgewieſen: ſeh Er doch nur ſein Gartenbeet an, wie das alljährlich trägt. Thaer war gewillt, die treffende Bemerkung des Königs ſich ſelber geſagt ſein zu laſſen. Er überzeugte ſich alsbald, daß der Acker nicht dadurch ausgeſogen wird, daß man ihn alljährlich tragen läßt, ſondern dadurch, daß man ihn nicht das tragen läßt, was er zur Wiederherſtellung ſeiner Kräfte bedarf. Es führte das ſpäter zu dem Axiom, daß den Acker, wie den Menſchen, nichts ſo ſehr entnerve und ausſauge, als das Nichtsthun, das Nichttragen; aber auf das richtige, das ihm paſſende Tragen kommt es an.

Das Syſtem des Fruchtwechſels (das die Brache ent - behrlich machte) trat nunmehr ſiegreich ins Leben, wiewohl zunächſt nur mangelhaft und weitab von dem Grade von Vollkommenheit, dem es ſpäter entgegenging. Thaer überzeugte ſich alsbald, daß es mit dem bloßen Saat - und Fruchtwechſel an und für ſich nicht gethan ſei, daß vielmehr eine genaue Kenntniß des Bodens voraus gehen müſſe, um die für eine beſtimmte Oertlichkeit jedes - mal vortheilhafteſte Production von vornherein feſtſtellen zu können. Wenn mancher Landwirth immerfort klagte, daß ſein Lein faſt all - jährlich mißrathe, ſo lachte Thaer, daß der Betreffende, ohne alle Noth, unverbeſſerlich darauf aus ſei, ſeinen Lein ſelber bauen zu wollen und ſetzte hinzu: ein Landwirth, der alles baut, was er braucht, iſt ein Schneider, der ſich ſeine Schuhe ſelber macht. Thaer verlangte von jedem Boden etwas, aber er verlangte nicht alles von allem, vielmehr machte er es zu einem beſondern Gegen -234 ſtand ſeiner Studien, genau feſtzuſtellen, welche Producte jeder Boden, nach der ihm innewohnenden Eigenart, d. h. nach ſeiner chemiſchen Zuſammenſetzung, am eheſten hervorbringen könne. Wo um auf das obige Beiſpiel noch einmal zurückzugreifen kein Lein wachſen wollte, da gab er es auf, einen kümmerlichen Ertrag zu erzwingen und den Boden genau unterſuchend, der eine Leinerndte verweigerte, ſtellte er nunmehr feſt: auf einem Boden von der und der Beſchaffenheit hat ſich der Fruchtwechſel in dem und dem Kreiſe zu drehen, unter Ausſchluß von Lein. Glück - licherweiſe begann eben damals die Wiſſenſchaft, welche ganz be - ſonders zur Bodenkenntniß hinführt, die Chemie, ſich zu jener Stufe hoher Ausbildung zu erheben, auf der wir ſie jetzt erblicken. Thaer widmete ihr die größte Aufmerkſamkeit, und die chemiſche Zuſammenſetzung der verſchiedenſten Bodenarten mit ihrer ſpeciellen Tragfähigkeit oder Unfähigkeit vergleichend, glückte es ihm, ſeine ſpeciellen Erfahrungen zu allgemeinen Geſetzen zu erheben. Die Frucht aller dieſer ſeiner Anſtrengungen war, daß er auch ſeine ſchlechteſten Felder (indem er ſich auf ſie verſtand) durch Fleiß und Nachdenken einträglich zu machen wußte und jeden Boden, nach Verhältniß ſeiner Güte und ſeines Werthes, bei kluger Bewirth - ſchaftung für einträglich erklärte.

In einzelnen Kreiſen, wenn auch nicht gerade in nächſter Nähe von Celle, begann die kleine Thaer’ſche Wirthſchaft Aufmerk - ſamkeit zu erregen, einzelne Beſucher kamen, Briefe wurden aus - getauſcht, Anregungen gegeben und empfangen. Es iſt aber nichts - deſtoweniger mindeſtens zweifelhaft, ob Thaer jemals aus ſeinem engſten Kreiſe herausgetreten und epochemachend für die Landwirth - ſchaft geworden ſein würde, wenn ſich nicht zu ſeiner praktiſchen Thätigkeit (deren wiſſenſchaftliche Ausbeute bis dahin nur einem ziemlich eng gezogenen Kreiſe zu gute gekommen war) eine emſige Beſchäftigung mit den Büchern, und als letzte Frucht praktiſcher Erfahrung und wiſſenſchaftlichen Studiums, ein literariſches Auftreten geſellt hätte.

Die deutſche landwirthſchaftliche Literatur, die er in all ihren235 Erſcheinungen kannte, hatte ihn im Einzelnen angeregt und be - lehrt, im Ganzen aber unbefriedigt gelaſſen. Daſſelbe galt von den engliſchen landwirthſchaftlichen Schriften, ſoweit er dieſelben aus Ueberſetzungen kennen gelernt hatte; er ſchloß ſich dem Spott derer an, die damals von einer Anglomanie (beſonders in der Landwirthſchaft) zu ſprechen begannen und war etwa gegen Anfang der 80er Jahre der feſten Ueberzeugung, daß auch aus England nichts zu holen ſei und daß die deutſche Land - wirthſchaft ſich ſelber helfen müſſe.

Genau um dieſe Zeit war es, als ein glückliches Ohngefähr ihm einige engliſche landwirthſchaftliche Schriften im Original zuführte. Wie war er freudig überraſcht, darin die genaueſten Be - obachtungen, die ſorgfältigſten Verſuche, die auch die kleinſten Ein - zelnheiten beachtenden Berechnungen, die lichtvollſten Verhandlungen und Forſchungen zu finden! Das war ja genau, im Großen und Kleinen, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirthſchaft vor - geſchwebt hatte. Das, wonach ſein Streben ging, die Eng - länder hatten es bereits. Seitdem ſtudirte Thaer die engliſche Landwirthſchaft mit ſolcher Aufmerkſamkeit, daß Engländer ſelbſt ihm zugeſtanden: er kenne England (obgleich er nie da war) wie wenn er es Jahre lang durchreiſt habe.

Die Frucht dieſer ernſten und anhaltenden Studien war ſein berühmtes Werk, deſſen erſter Theil 1798 unter dem Titel er - ſchien: Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Land - wirthſchaft und ihrer neueren praktiſchen und theoretiſchen Fort - ſchritte, in Rückſicht auf Vervollkommnung deutſcher Landwirth - ſchaft, für denkende Landwirthe und Cameraliſten. *)Dies Werk Einleitung zur Kenntniß der engliſchen Landwirth - ſchaft iſt allerdings theilweis eine Compilation, aber es iſt keine Ueberſetzung. Thaers Arbeit iſt aus der gründlichen Kenntniß und Benutzung von mehr als 100 engliſchen Werken hervorgegangen. Die engliſche landwirthſchaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle von Details; das Zuſammenfaſſen, Ordnen, Aufbauen das Licht hin - eintragen in das Chaos, iſt Thaers Verdienſt.Der zweite236 Band folgte 1800 und 1801, der dritte Band 1804. In der - ſelben Zeit, von 1799 1804 erſchienen die Annalen der Niederſächſiſchen Landwirthſchaft (Sechs Jahrgänge).

Das Aufſehen, das dieſe Bücher und Schriften machten, war ein ganz außerordentliches. Man begreift dieſen Erfolg nur, wenn man im Auge behält, daß ſich ganz Deutſchland eben damals nach einem beſſeren Ackerbauſyſtem ſehnte. Wie ein leitendes Ge - ſtirn erſchienen dieſe Werke am Horizont, freudig begrüßt von der landwirthſchaftlichen Welt. Nicht nur in Schriften, ſondern auch in den Salons der Reſidenzen und in den Wein - und Bierſtu - ben der Marktſtädte, ward mit Enthuſiasmus dafür, mit Wuth (denn auch an Gegnern fehlte es nicht) dagegen geſtritten, oft von beiden Seiten gleich unverſtändig. Seine eignen Erfolge, die von Jahr zu Jahr wuchſen, unterſtützten ſein Anſehn, ſo daß ihm ein großer hannöverſcher Grundbeſitzer ſchrieb: wenn ich dieſen Abend einen Brief von Ihnen erhalte, daß ich meine Gebäude anſtecken ſoll, ſo ſtehen ſie vor Nacht ſchon in Flammen. Alles verlangte ſeinen Rath, erbat ſeine oberſte Leitung, ſo daß demſelben Manne (dazu noch immer Leibmedieus ), deſſen eignes Guts-Areal ſich auf kaum 130 Morgen belief, 100,000 Morgen des verſchiedenſten Bo - dens derart zur Verfügung ſtanden, daß er, in Anſehung der Be - wirthſchaftung, damit ſchaltete und waltete wie mit ſeinem Eigenthum. Sein Buch aber gewährte ihm vor allem die Befrie - digung: das Nachdenken beſſerer Köpfe über Landwirthſchaft ge - weckt und zu energiſcherer Thätigkeit angeſpornt zu haben.

Im Jahre 1802 traten auch die Anfänge ſeiner land - wirthſchaftlichen Akademie in’s Leben. Dieſe Akademie er - wuchs organiſch zwanglos; ſie machte ſich von ſelbſt und ging mehr aus einem glücklichen Ohngefähr, als aus einem feſten Ent - ſchluß hervor, wiewohl Thaer in ſeinen Schriften bereits auf das Wünſchenswerthe eines landwirthſchaftlichen Lehrinſtituts hingewie - ſen und ſeine Ideen darüber geäußert hatte. Im genannten Jahre kamen mehrere junge Männer (darunter der ſpäter, durch ſein Buch der iſolirte Staat , ſo berühmt gewordene Herr von Thü -237 nen) nach Celle, um an Ort und Stelle die Methode und die Erfolge der Thaerſchen Beſtellungsart kennen zu lernen. Sie blie - ben den ganzen Sommer über. Um dieſe jungen Leute nicht un - beſchäftigt zu laſſen, entſchloß ſich Thaer ihnen Vorleſungen über Landwirthſchaft zu halten und einigen Unterricht in der Natur - kunde, Chemie und Botanik hinzuzufügen. Der Fleiß und Eifer, womit man ihm entgegenkam, übertrafen ſeine Erwartung, aus den zwangloſen Vorleſungen wurde ein Inſtitut , das, im Klei - nen, bereits all die Züge der ſpäter ſo berühmt gewordenen Mögliner Akademie beſaß.

So kam das Jahr 1804, das unſern Thaer nach Preußen führte.

Schon 1799 und 1801 hatte er Reiſen in die Mark, be - ſonders in die Oderbruchgegenden gemacht und dabei die Frau von Friedland (Tochter des Generals von Leſtwitz, der die Schlacht von Torgau entſchied), ſowie deren Tochter und Schwie - gerſohn, den Landrath Grafen von Itzenplitz kennen gelernt. Der Aufenthalt in Kunersdorf, dem ſchönen Gute der Frau von Friedland, wo dieſe ausgezeichnete, mit allen Details der Wirth - ſchaftsführung vertraute Frau lebte, war ihm genuß - und lehr - reich geweſen und vielfach belehrt, erſtarkt, ermuthigt, war er nach ſeinem Landgütchen an der Aller zurückgekehrt. Die Hauptbedeut - ſamkeit dieſer Reiſen lag aber darin, daß es die während ſeines Aufenthalts in Kunersdorf angeknüpften Beziehungen (beſonders zum Grafen Itzenplitz) waren, die bald darauf zu ſeiner Ueber - ſiedelung nach Preußen führten.

Die nächſte Veranlaſſung zu dieſer Ueberſiedelung entſproß aus der politiſchen Lage, aus den damaligen großen Weltverhält - niſſen. Der Wiederausbruch des Krieges zwiſchen Frankreich und England hatte zur Beſetzung Hannovers (damals engliſch) durch die Franzoſen geführt. Die Noth des Landes ſchmerzte ihn tief; zwar hatte er perſönlich unter der franzöſiſchen Okkupation nicht zu leiden, da er durch General Mortiers Anordnungen (der Ge - neral behandelte ihn als Verfaſſer der Engliſchen Landwirth -238 ſchaft mit beſonderem Reſpekt) vor allem Kriegsunweſen geſichert wurde, allein ſein perſönliches Geſichertſein konnte ihn nicht tröſten über die allgemeine Lage.

In dieſer Zeit war es, daß Thaer ſein Auge auf Preußen richtete, auf Preußen, das er für die einzige feſte Vormauer gegen hereinbrechende Anarchie und Deſpotismus hielt. Die Idee einer Ueberſiedelung kam ihm; Briefe, nach Kunersdorf hin gerichtet, ſprachen verwandte Wünſche aus und Graf Itzenplitz (übrigens bei Hardenberg und Beyme dem entſchiedenſten Entgegenkommen begegnend) führte mit Umſicht und Gewandtheit die ganze Ange - legenheit zu einem glücklichen Ende. Schon im Februar 1804 erhielt Thaer, in Folge der von dem bewährten Freunde getha - nen Schritte, einen Brief vom Miniſter Hardenberg, in dem es hieß: Für mich würde nichts erwünſchter ſein, als die Möglich - keit, mich recht oft Ihres angenehmen und lehrreichen Umgangs erfreuen zu können, aber noch weit größer würde meine Zufrie - denheit ſein, wenn ich Sie dem preußiſchen Staate erwerben könnte ..... Eröffnen Sie mir freimüthig Ihre Wünſche und die Bedingungen, die Sie verlangen würden. Thaer reiſte gleich nach Eingang dieſes Briefes nach Berlin, um das Eiſen zu ſchmieden, ſo lang es noch heiß ſei. Schon am 19. März erhielt er folgen - des Königliche Schreiben:

Mein Herr Leibmedicus! Ich habe mit Vergnügen ver - nommen, daß Sie entſchloſſen ſind, ſich in meinen Staaten niederzulaſſen und Ihr landwirthſchaftliches Lehrinſtitut hierher zu verlegen, wenn Sie für die mit dieſer Veränderung verbundenen Schäden und Koſten entſchädigt und in den Stand geſetzt würden, Ihre gemeinnützlichen Arbeiten für die Verbeſ - ſerung der Landwirthſchaft, welche künftig vorzüglich die Lan - descultur in den preußiſchen Staaten bezwecken werden, fortzu - ſetzen. Da Ich Mir nun von Ihrem rühmlichſt bekannten Eifer, Fleiße und Kenntniſſen, den größten Nutzen für die Landes - cultur verſpreche, ſo habe Ich Ihnen ſehr gern die gemachten Bedingungen, wie Sie aus der abſchriftlich anliegenden erlaſſe -239 nen Ordre erſehen werden, bewilligt und wünſche, daß Sie recht bald im Stande ſein mögen, Ihre Niederlaſſung in Meinen Staaten auszuführen. Bis dahin verbleibe Ich Ihr gnädiger Friedrich Wilhelm.

Die beigelegte Ordre enthielt (außer der Aufnahme in die Akademie der Wiſſenſchaften und außer dem Charakter als Gehei - mer Kriegsrath) folgende Zugeſtändniſſe: 1) drei bis vierhundert Morgen Acker des Amtes Wollup in Erbpacht; 2) die Erlaub - niß, dieſe Erbpacht zu veräußern und ein Rittergut dafür zu kau - fen; 3) Schutz und Begünſtigung des landwirthſchaftlichen In - ſtituts.

Thaer nahm an; verkaufte den ihm in Erbpacht gegebenen Theil des Amtes Wollup (das ſpäter durch Koppe ſo berühmt wurde), erſtand dafür das Rittergut Moeglin nebſt dem Vor - werk Königshof, ſchloß im Herbſt (1804) ſein bis dahin in Celle fortgeführtes Lehrinſtitut, dem der Ruhm verbleiben wird, die erſte landwirthſchaftliche Lehranſtalt in Deutſchland geweſen zu ſein und wanderte, einige Wochen ſpäter, mit 23 Per - ſonen in ſein neues Vaterland ein.

Thaer hatte in Celle zunächſt eine Experimental-Wirth - ſchaft, dann, nachdem ſeine Verſuche faſt durchgängig von Er - folg gekrönt worden waren, eine Modell-Wirthſchaft geführt; in Moeglin wurde die Modell-Wirthſchaft zu einer Muſter - Wirthſchaft. Hierin liegt der alleinige Unterſchied zwiſchen der Cel - ler und der Moegliner Wirthſchaftsführung ausgeſprochen. Die Modell-Wirthſchaft in Celle legte denen, die ſie kennen gelernt hatten, die Mühwaltung, oft auch geradezu die Schwierigkeit des Transponirens aus kleinen in große Verhältniſſe auf, die Moegliner Wirthſchaft hingegen war für die Mehrzahl der Fälle ohne Weiteres ein Muſter. Natürlich innerhalb der Grenzen, wie240 ſie ſich auf einem Gebiet, das einem lebendigen Organismus gleicht, von ſelbſt verſtehn.

Moeglin war Muſter, Celle war Modell, aber (den räumlichen Unterſchied bei Seite gelaſſen) liefen beide Wirthſchaften in ihren Prinzipien und Qualitäten auf daſſelbe hinaus. Deshalb werden wir hier, nachdem wir die Celler Wirthſchaft und die Prin - zipien, die ſie zur Geltung bringen ſollte, ſo ausführlich beſpro - chen haben, bei der Moegliner Wirthſchaft nur kurz verweilen und nur dasjenige betonen, wodurch ſich dieſelbe, nicht quantitativ, ſon - dern ſachlich und qualitativ von der Celler Wirtſchaft unterſchied.

Es war dies vorzüglich die Einführung einer veredelten Schafzucht, die Herſtellung, mittelſt kunſtvoller Kreuzung, einer ausgezeichneten Wolle, der beſten, die bis dahin in Deutſchland producirt worden war. Die Kunſt, die Thaer zwanzig oder drei - ßig Jahre früher, halb ſpielend, geübt hatte, als es ſich in ſeinem Garten zu Celle (lange bevor er eine Wirthſchaft hatte) um Ge - winnung immer neuer, immer ſchönerer Nelken - und Aurikel-Arten gehandelt hatte, dieſe Kunſt der Kreuzung kam ihm jetzt treff - lich zu Statten. Was ihm innerhalb der vegetabiliſchen Welt überraſchend geglückt war, glückte ihm innerhalb der animaliſchen doppelt und dreifach. Er ſchien wie auserwählt für dieſen wichti - gen Zweig landwirthſchaftlicher Thätigkeit: phyſiologiſches Wiſſen, angeborene feine Inſtinkte und eine glückliche Hand alles ver - einigte ſich bei ihm, um zu den überraſchendſten Reſultaten zu führen.

Nicht gleich in den erſten Jahren ſeines Moegliner Aufent - halts, vielmehr erſt 1811 13, nachdem Koppe als Gehülfe und Wirthſchaftsführer bei ihm eingetreten war, hatte Thaer eine Schäferei wozu er Merinoſchafe aus Sachſen erhielt ein - zurichten begonnen. Es ging auch nicht von Anfang an alles vor - trefflich, aber ſchon 1815 und 16 wurde ſeine Wolle auf dem Berliner Wollmarkt für die beſte erklärt. 1817 ſchrieb er an ſeine Frau: für mich iſt der diesmalige Wollmarkt (in Berlin) zwar nicht der pekuniär beſte, aber der gloriöſeſte, den ich erlebt habe. 241Meine Wolle iſt 20 Prozent geringer verkauft, wie im vorigen Jahre, aber um 20 Prozent höher, wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutſchland verkauft iſt und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproducenten iſt es ganz ent - ſchieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme, viel weniger ihr an die Seite zu ſetzen ſei. Dies iſt ſo das Tagesgeſpräch geworden und ſo über das Gemeine hin - weggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein Anderer Anſpruch machen kann. Solche Wolle, ſagt man, kann man erzeugen, denn Moeglin hat ſie erzeugt. Wenn ich auf den Markt komme, ſo ſteht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!

Thaer erzielte dies alles durch ſein Kreuzungs-Prinzip und die geſchickte, ſcharfſinnige Handhabung deſſelben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem ſehr erfahrenen Wollhändler ſagte er: zeigen Sie mir nur irgend ein Vließ, wie Sie es zu haben wünſchen und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Gene - ration einen Stamm herſtellen, der nur ſolche Vließe liefert. Man hielt dies für Uebertreibung, überzeugte ſich aber bald, daß er nicht zuviel geſagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollpro - duktion, wie dem berühmten engliſchen Viehzüchter Backwell mit der Fleiſchproduktion, der Schafe herſtellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, ſo daß er ſich ver - anlaßt ſah, allmälig wieder Schafe mit längeren Beinen zu ma - chen. Man ſagte von ihm: es ſei, als ob er ſich ein Schaf nach ſeinem Ideale ſchnitzen und demſelben dann das Leben geben könne. Dies paßte auf Thaer ſo gut wie auf Backwell.

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaer’ſche Züchtungs - Verfahren, das geniale Operiren mit der Natur, auch Gegner fand. Dieſe warfen ihm vor, daß er bei ſeiner Art und Weiſe der Züchtung am Ende wohl gar die Natur dahin zu zwingen gedächte, wohin ſie nicht wolle, und daß er ſie dadurch ſchwächen und ermüden werde. Die Kunſt aber werde nie die natürlichen16242Anlagen erſetzen können. Er rechtfertigte ſich mit Shakeſpeare’s tiefgeſchöpfter Lehre (Wintermährchen IV, 3.):

Doch wird Natur durch keine Art gebeſſert,
Schafft nicht Natur die Art; ſo, ob der Kunſt,
Die, wie du ſagſt, Natur beſtreitet, giebt es
Noch eine Kunſt, von der Natur erſchaffen.
Du ſiehſt, mein holdes Kind, wie wir vermählen
Den edlern Sproß dem allerwildſten Stamm;
Befruchten ſo die Rinde ſchlechtrer Art
Durch Knospen edler Frucht: dies iſt ’ne Kunſt,
Die die Natur verbeſſert, mind’ſtens ändert:
Doch dieſe Kunſt iſt ſelbſt Natur.

Thaer erfuhr Angriffe, aber ſie waren vereinzelt und ſpeziell auf dem Gebiete der Schafzucht ward er mehr und mehr eine europäiſche Autorität. Bei Errichtung (1816) der beiden auf Rech - nung des Staats gegründeten Stammſchäfereien zu Franken - felde in der Mark und zu Panten in Schleſien, wurde Thaer zum General-Intendanten derſelben ernannt und 1823, als auf ſeine Veranlaſſung in Leipzig der erſte Wollzüchter-Convent zu - ſammentrat, huldigte man ihm nicht nur als dem Präſidenten, ſondern ſpeziell auch als dem Meiſter der Verſammlung.

Aber der Weg zu dieſen Erfolgen war ein weiter und mühe - voller. Unter den denkbar ungünſtigſten Verhältniſſen waren ihm die erſten Jahre ſeiner Moegliner Wirthſchaftsführung vergangen. Zu den Sorgen und Fehlſchlägen, die, namentlich nach dem un - glücklichen Kriege von 1806, alle damaligen Grundbeſitzer trafen, geſellten ſich für ihn noch ganz beſondere Schwierigkeiten: ſein relatives Fremdſein in der neuen Heimath und das Inſtitut.

Die Herſtellung einer landwirthſchaftlichen Lehranſtalt war, wie oben bereits erwähnt, bei Thaers Ueberſiedelung nach Moeg - lin allerdings in Erwägung gezogen, aber von Seiten der preu - ßiſchen Regierung mehr als ein Anſpruch, den Thaer erheben könne, wie als eine Pflicht, die er zu erfüllen habe, angeſehen worden. Thaer ging indeß ſofort an die Errichtung eines Inſti -243 tuts , ähnlich wie es in Celle beſtanden hatte, vielleicht dabei eben ſo ſehr ſeiner Neigung, wie der Vorſtellung folgend, daß ein ſol - cher Schritt (ob gefordert oder nicht) eine Pflicht ſei, die er gegen ſeine neue Heimath zu erfüllen habe. Die Anfänge waren auch viel verſprechend. Schon im Jahre 1805 traf er Vorbereitungen zum Bau eines Inſtituthauſes; da es ihm indeſſen zu dem im Ganzen ziemlich koſtſpieligen Unternehmen an Mitteln gebrach, ſo machte er den Plan, den Bau auf Aktien zu unternehmen. Von allen Seiten kamen Zuſchriften; ſchon im Juli 1806 konnte er bekannt machen, daß die Unterzeichnung nunmehr geſchloſſen ſei. Ziemlich um dieſelbe Zeit berichtete Thaer dem König (der an dem Zuſtandekommen des Unternehmens den lebhafteſten Antheil nahm), daß die Eröffnung des Moegliner Inſtituts in der Mitte Oktober erfolgen werde. In der That, das Wohnhaus mit 24 Zimmern, außer dem Souterrain, ſtand fertig da; 21 junge Leute hatten ſich zum Eintritt gemeldet; Alles verſprach einen glänzenden Anfang.

Aber die Mitte des Oktober 1806 brachte andere Ereigniſſe; der ſiegreiche Feind überſchwemmte die Marken und ſtatt der an - gemeldeten 21 jungen Leute kamen drei. Im Frühjahr 1807 waren es acht. Die Zahl wuchs zwar ſpäter, da aber, bei der völligen Zerrüttetheit aller Geldverhältniſſe, viele Söhne ſonſt wohl - habender Eltern mit ihren Penſionen im Rückſtand blieben, an - dere, die Aktien genommen hatten, ihre Aktien-Beiträge nicht zah - len konnten, ſo entſtanden, ohne daß von irgend welcher Seite her eine Verſchuldung vorgelegen hätte, die ſchwerſten Verlegen - heiten für Thaer ſelbſt, der, dem guten Sterne Preußens ver - trauend, in freilich ſchon bedrohter Zeit, dies Inſtitut in’s Leben gerufen hatte. Sechs Jahre ſpäter, während des Befreiungskrie - ges, wiederholten ſich dieſe Verlegenheiten. Alles war in den Krieg (auch Thaers drei Söhne) und ſo kam es, daß die Einrichtung, die doch einmal da war, ohne Verluſt weder aufgegeben noch fort - geführt werden konnte. In Noth und Sorge ſchrieb er ſeiner da - mals abweſenden Frau: Wollte Gott, daß ich das Inſtitut nicht16*244angelegt hätte, denn es iſt die Quelle aller Verlegenheiten und Sorgen geworden. Aber es iſt für unſer Land zu wichtig, und nun es einmal da iſt, muß es bleiben. Ein Glück, daß es blieb. Mit dem Frieden kamen geſegnetere Zeiten und wie Thaer, wäh - rend des letzten Jahrzehnts, das ihm noch zu leben und zu wir - ken vergönnt war, ſeinen Ruhm wachſen und die verſchiedenen Zweige ſeiner Wirthſchaft proſperiren ſah, ſo hob ſich auch das Inſtitut (ſeit 1819 Königliche akademiſche Lehranſtalt des Landbaus ) von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und An - ſehn. Anfangs hatte Thaer es für das Zweckmäßigſte gehalten, das Inſtituthaus auf den Fuß eines Gaſt - und Logierhauſes zu ſetzen, damit jeder Akademiker nach Vermögen, Geſchmack und Ge - wohnheit leben und zehren könne. Allein das erwies ſich bald als nachtheilig für alle Theile. Nur ungern entſchloß er ſich endlich dazu, einen gemeinſchaftlichen Mittags - und Abendtiſch zu halten. Die Mitglieder des Inſtituts waren, nach Thaers aus - drücklicher Beſtimmung, nicht Studenten im gewöhnlichen Uni - verſitätsſinne. Am wenigſten waren ſie Schüler. Thaer äußerte ſich dahin: Schulmeiſter können wir nicht ſein, ſondern müſſen unſere Zuhörer wie freie, vernünftige Männer betrachten, die nur allein ein lebhafter Trieb zu den hier zu lehrenden Wiſſenſchaften zu uns geführt. Kein Zwang. Aber freilich würde es andererſeits ſchmerzlich für uns ſein, wenn wir uns zu der ſonſt bewährten Maxime gezwungen ſähen: sumimus pecuniam et mittimus asinum in patriam. Das Inſtitut wurde von einer ähnlichen Bedeutung für unſer Land, wie die Forſt-Akademie in dem be - nachbarten Neuſtadt-Eberswalde. Die große Wirkſamkeit deſſel - ben, ſo lang es exiſtirte, hat darin beſtanden, daß durch die vielen darin gebildeten, ſpäter dann zur Selbſtſtändigkeit gelang - ten Männer, eine höhere, umfaſſendere Anſicht des landwirthſchaft - lichen Betriebes weiter und allgemeiner verbreitet worden iſt, als je durch Schriften hätte geſchehen können. Namentlich hat es das ſiegreiche Vordringen der Thaer’ſchen Prinzipien beſchleu - nigt und um eins (nicht das Kleinſte) ſpeziell hervorzuheben, ein245 Zurückverſinken der landwirthſchaftlichen Sprache und Ausdrucks - weiſe in das alte, wirre Chaos unmöglich gemacht. *)Etwa ſeit Jahr und Tag, nachdem es noch im Jahre 1856 das 50jährige Feſt ſeines Beſtehens gefeiert hatte, iſt das Inſtitut eingegan - gen. Es war das, bei total veränderten Zeitverhältniſſen, das Verſtändigſte, was geſchehen konnte. Der gegenwärtige Beſitzer von Moeglin (Landes - ökonomierath A. Thaer, der jüngſte Sohn ſeines Vaters) hatte die Aka - demie wie eine Ehren-Erbſchaft angetreten und hielt es, durch dreißig Jahre hin, für ſeine Pflicht, die Schöpfung ſeines Vaters, ſelbſt mit Opfern, aufrecht zu erhalten. Es kam aber endlich die Zeit, wo das Ge - fühl, durch ähnliche Inſtitute, die der Staat mit reichen Mitteln ins Le - ben gerufen hatte, überflügelt zu ſein, ſich nicht länger zurückweiſen ließ und wo die Wahrnehmung eines wachſenden Mißverhältniſſes zwiſchen Aufgabe und Opfer endlich den Rath eingab, dieſe Opfer einzuſtellen. Das iſt nun geſchehen. Es wird der Moegliner Akademie nicht nur das Verdienſt verbleiben, als erſtes Inſtitut derart und als Muſter aller folgenden in Deutſchland dageſtanden zu haben, es wird ſich zu dieſem Verdienſt auch die Ehre geſellen: zu rechter Zeit vom Schauplatz abgetre - ten zu ſein. 773 Landwirthe haben im Lauf eines halben Jahrhunderts ihre wiſſenſchaftliche Ausbildung in Moeglin empfangen, und was die Landwirthſchaft in unſren alten Provinzen jetzt iſt, das iſt ſie zum großen Theil durch Thaer und ſeine Schule. Natürlich ſind die Jungen immer klüger als die Alten und der überwundene Standpunkt ſpielt auch hier ſeine Rolle; aber ſelbſt unter den Fortgeſchrittenſten wird niemand ſein, der undankbar genug wäre, die ſchöpferiſche Bedeutung Thaers und mittelbar auch ſeiner Akademie in Zweifel zu ziehen.

Wir wenden uns zum Schluß noch einmal der literari - ſchen Thätigkeit Thaers zu.

Auch in Moeglin, wie Körte ſich ausdrückt, war Thaer eben ſo thätig am Schreibtiſch, wie auf dem Ackerfeld. In den erſten 10 Jahren ſeines Moegliner Aufenthalts würde es ihm ſogar ſehr ſchlimm ergangen ſein, wenn der Erwerb ſeiner Feder nicht dem ſtockenden Erwerb des Pfluges zu Hülfe gekommen wäre. Mannigfaches erſchien in jenen Jahren von ihm; vor allem jedoch ſei hier ſeines Meiſterwerkes gedacht, das unter dem Titel Grundzüge der rationellen Landwirthſchaft (4 Bände) 1810 12 veröffentlicht wurde. Das Werk, wie alle Welt jetzt weiß, war epochemachend. Dennoch hätte er ſich ſchwerlich ſchon246 damals zur Herausgabe deſſelben verſtanden, wenn nicht die preſ - ſende Noth, in der er ſich befand, ihm keine Wahl gelaſſen hätte. Er beklagte dies oft, denn wie groß die Freude geweſen war, mit der die landwirthſchaftliche Welt dieſes Werk begrüßt hatte, ihm ſelbſt genügte es keineswegs. Wir können indeß auf Thaer und ſein berühmtes Werk anwenden, was Luther einſt bei Tiſch vom Melanchthon ſagte: Magiſter Philippus hätte Apologiam confessionis zu Augsburg nimmermehr geſchrieben, wenn er nicht wäre ſo getrieben und gezwungen worden; er hätte wollen es immer noch beſſer machen. Die rationelle Landwirthſchaft hat verſchiedene Auflagen erlebt und iſt in verſchiedene Sprachen überſetzt worden; zu einer Umarbeitung aber iſt Thaer nicht ge - kommen, wie ſehr dieſelbe auch innerhalb ſeiner Wünſche lag. Die anderweiten Schriften ſeiner Moegliner Epoche (worunter nament - lich verſchiedene Bücher und Brochüren über Schafzucht und Wollproduktion) übergehen wir hier. Es mögen ſtatt deſſen von ihm ſelbſt herrührende Worte hier Platz finden, die ihn uns, bis in ſein hohes Alter hinein, von einer ſeltenen Friſche des Geiſtes und von einer ſteten Geneigtheit zeigen, das Gute durch das Beſ - ſere zu erſetzen. Meine Meinung, ſo ſchreibt er, habe ich über verſchiedene Dinge in meinem Leben oft geändert, und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verſtand noch länger erhält, noch mehrmals zu thun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn ſo komme ich in meinem Wiſſen vorwärts. Ich halte den für einen Thoren, der in Erfahrungsſachen ſeine Meinung zu ändern, nicht geneigt iſt.

Wir werfen noch einen Blick auf die letzten Jahre ſeines Lebens. Nachdem er ſchon ſeit 1810 und 11 mittelbar im Staats - dienſt thätig geweſen und z. B. 1813 ſchon eine Gemeinheit - theilungs-Ordnung (eine Angelegenheit, mit der er auch ſpäter praktiſch viel beſchäftigt war) entworfen hatte, wurde er 1819 zum Geheimen Ober-Regierungsrath ernannt. 1823 folgte der ſchon erwähnte Leipziger Wollconvent, dem er präſidirte; das Jahr darauf (1824) feierte er unter zahlreicher Betheiligung von247 nah und fern ſein Doktor-Jubiläum. Unter den vielen Geſchenken und Ueberraſchungen, die der Tag brachte, war auch ein Goethe - ſches, eigens für dieſen Tag gedichtetes Lied:

Wer müht ſich wohl im Garten dort
Und muſtert jedes Beet?

1825 auf 26 erweiterte er ſeinen Beſitz durch Ankauf der benachbarten Rittergüter Lüdersdorf und Biesdorf, und der neue Beſitz regte ſeinen landwirthſchaftlichen Eifer noch einmal auf das Lebhafteſte an. Aber das Feuer war im Erlöſchen. Schon das Jahr zuvor hatte er an ſeinen Schwager Jacobi in Celle ge - ſchrieben: Wir haben nun bald unſere Laufbahn auf dieſer Welt vollendet. Wir können vor vielen Andern ſagen, daß unſer Leben köſtlich geweſen, aber doch nur ein elend jämmerlich Ding. Mit Sehnſucht erwarten wir ein anderes; Gott erleichtere uns den Uebergang in daſſelbe. Noch einige Jahre waren ihm gegönnt, aber Schmerzensjahre. Er litt an rheumatiſchen Beſchwerden, end - lich bildete ſich ein ſchmerzhaftes Fußleiden aus, der Alters - brand. Er litt ſehr. Des berühmten Dieffenbach Heilverſuche ſchafften vorübergehend Linderung, aber die Uhr war abgelaufen: Thaer entſchlief am 26. Oktober 1828.

Thaer war von mittlerer Größe, fein und ſchlank gebaut, in allen Theilen von gutem Verhältniß, und von feſter, ruhiger, im - mer bequemer Haltung und Bewegung. Sein Aeußeres war im Ganzen nichts weniger als imponirend, hatte jedoch etwas trocken Ablehnendes, ſo daß ſich der Fremde nicht leicht auf den erſten Blick zu ihm hingezogen fühlte. Seine Züge zeigten nicht viel Beweglichkeit; der Mund war geſchloſſen, zurückgezogen, ſchweig - ſam, aber mit dem unverkennbaren Ausdruck der abſichtsloſeſten Güte. Seine Augen waren rechte Künſtleraugen, ſehr bedeutend und von ungewöhnlicher Klarheit; dabei ruhig prüfend, man fühlte, daß er auch den verborgenen Fleck traf. Sein gutes, wei - ches Herz verrieth ſich leicht, auch bei geringerer zufälliger Anre - gung. Was man jedoch ein gefälliges Weſen nennt, war ihm248 ſo wenig eigen, wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als Schriftſteller innerhalb ſeines Fachs gehört Thaer in den höch - ſten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er fand ſeine Stärke in der beharrlichſten Anwendung ſeines geſun - den Verſtandes und ſehr ausgebildeten Scharfſinns. Daß er gleich anfangs ſich einer faſt allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte, verdankte er ganz vorzüglich ſeiner Aufrichtigkeit und Treue in Erzählung von Thatſachen und der edlen Offenherzigkeit, mit welcher er auch das erzählte, worin er ſich früher geirrt hatte. Das Bewußtſein ſeines großen Ziels machte ihn ſtark, feſt, be - harrlich, muthig; ſeine Leiſtungen aber ſchienen ihm immer unzu - länglich, ja ſelbſt geringfügig gegen das, was ſeiner Seele vor - ſchwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es ſich bei weniger Begabten ſo oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Unterſuchen, forſchen, prüfen, war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Na - tur geworden und die Verſe Hagedorns erſchienen wie an ihn gerichtet:

Der iſt beglückt, der ſein darf, was er iſt,
Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt;
Nie ſklaviſch folgt, oft ſelbſt die Wege weiſet,
Ununterſucht nichts tadelt und nichts preiſet.

Sein Leben, wie er ſelbſt ſchreibt, war köſtlich geweſen, den - noch empfand er zuletzt die Sehnſucht nach einem anderen , wo kein Suchen und kein Forſchen iſt. Wir aber, die wir noch in - mitten des Kampfes ſtehn, den die Erde von uns heiſcht, haben ihm zu danken, daß er geſucht und geforſcht.

Nachdem wir bis hieher dem Manne gefolgt ſind, deſſen Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wen - den wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt.

Moeglin, auch äußerlich genommen, iſt (wenn man den Aus -249 druck geſtatten will) nur Thaer , und in dieſem Umſtand liegt ſein Reiz und ſeine Eigenthümlichkeit. Im Uebrigen wirkt das ganze Dorf faſt wie eine Ueberraſchung. Etwas in der Tiefe gelegen und durch keinen Kirchthurm in die Weite hin verrathen, tritt man plötzlich, unter alten Bäumen hindurch, wie in ein Camp, eine Niederlaſſung ein und hat hier, maleriſch gruppirt, alles zuſammen, was zur Bedeutung und zur Poeſie des Ortes gehört.

Den Mittelpunkt des Ganzen bildet ein Teich, den nach rechts hin hohe Schilfwände, nach links hin hohe Erlenbäume umfaſſen. Dieſſeits des Teichs, neben der Stelle, wo wir uns ſelbſt befinden, ſteht die alte Feldſteinkirche, von einer Linde, die nicht viel jünger ſein mag als die Kirche, überſchattet. Jenſeits des Teichs, freundlich blinkend im Schmuck eines angebauten Glashauſes, ſteht das Wohngebäude; dahinter ein Haus von ähnlicher Größe die ehemalige Akademie. Die Wirthſchafts - gebäude, darunter die berühmte Stammſchäferei, verſtecken ſich zum Theil hinter den hohen Bäumen, die den engen Kreis des Bildes (Teich, Kirche, Wohnhaus, Akademie) umzirken.

Perſönlichkeiten, von zum Theil hervorragender Stellung in Leben oder Wiſſenſchaft, drängten ſich an dieſer Stelle während der letzten 50 Jahre und ſo darf es nicht Wunder nehmen, daß jeder Fußbreit Erde hier ſeine Erinnerungen hat. Am Südrande des Teichs, der Kirche zunächſt, fällt uns eine Erdpyramide auf, von Blumen überdeckt und terraſſenförmig ſich zuſpitzend. Es iſt ein Grabhügel. Unter ihm ruht Albrecht Thaer, und auf den Treppenſtufen des Hügels, der mehr ein Blumengarten als ein Grab iſt, blühen, den Sommer hindurch, 400 Blumen jahrein, jahraus.

Am Weſtrande des Teichs bemerken wir den zerſplitterten Stamm eines vom Winde abgebrochenen Baumes. Das ſind die Ueberbleibſel der Herzogs-Weide die hier ſtand. Zu den erſten Freunden und Genoſſen Thaers, bei ſeiner Ueberſiedelung nach Moeg - lin, gehörte der Herzog von Holſtein-Beck, damals (1804 auf 5) bereits ein Mann von nah an 50, ein Vertrauensmann des250 Kaiſers Paul, wie er vorher ein Freund des Rheinberger Prinzen Heinrich geweſen war. Der Herzog lebte monatelang als Moegliner Gaſt, und dieſe Weide am Teich war ſein bevorzugter Aufenthalt, wo er zu ſitzen und zu ſinnen liebte. Es durfte wohl ſo ſein. Die Zweige des Baumes hingen in den Teich nieder, das blaugraue Laub war doppelt ſchön auf einem Hintergrund dunkler Erlen, und der an der Wurzel 7 Fuß dicke Stamm theilte ſich höher hinauf in zwei Stämme. Zwiſchen dieſen hatte der Herzog ſeinen Platz. Beim Abſchied ſchrieb er, in dankbarer Erinnerung an die hier verträumten Stunden:

Gedenkt auch ihr an dieſer Stelle
Des Freundes, der hier oftmals ſaß,
Und bei dem ſtillen Spiel der Welle
Die weite Welt um ſich vergaß.
Es wird ſein Geiſt euch hier umſchweben,
Sein Dank an eurer Seite ſein;
Hier erſt erfaßt er wahres Leben
Und lernte, ſchaffend, glücklich ſein.

Das Wohngebäude, reich an Erinnerungsſtücken aller Art, an Bildern und Büſten, iſt faſt eben ſo ſehr ein Thaer-Mu - ſeum, als ein Wohnhaus. Auf Namhaftmachung dieſer Erinne - rungsſtücke (meiſt Darbringungen von nah und fern) leiſten wir hier Verzicht; ebenſo auf eine Schilderung des Akademie-Gebäu - des, der Lehr - und Wohnzimmer, der Bibliothek und der natur - wiſſenſchaftlichen Sammlungen, die ſich darin vorfinden.

Wir verweilen nicht bei dieſen Dingen, die, trotz ihrer ſach - lichen Beſcheidenheit, an die erſten glänzenden Jahre der Akademie erinnern, wir treten lieber aus den öden Zimmern wieder in’s Freie, wo ein zierlicher in Front des Gebäudes aufſteigender Obelisk an ein ſchönes Feſt (vielleicht das ſchönſte) mahnt, das hier gefeiert wurde; freilich zugleich auch an das Erlöſchen der Flamme, die hier einſt brannte. Die Inſchrift des Obelisken be - zeichnet die Art des Feſtes. Sie lautet: Zur Erinnerung an das251 50jährige Beſtehen der landwirthſchaftlichen Akademie zu Moeglin, im Oktober 1856. An der andern Seite befindet ſich Thaers Reliefbild; darunter die Namen aller Schüler, die zur Errichtung dieſes Denkſteins beitrugen.

Dieſe Feier, wie ſie das halbhundertjährige Beſtehen bezeich - nete, und einem 50jährigen Leben galt, bezeichnete doch auch zu - gleich den Anfang vom Ende , und die leiſe Mahnung klang durch, daß es Zeit ſei. Vielleicht gab dieſe Stimmung dem Feſt eine beſondre poetiſche Weihe. Viele waren gekommen, alt und jung, um dieſer Stätte und dem Gedächtniß des Mannes, der hier in ſeltenem Maße ſegensreich gewirkt hatte, ihren Dank dar - zubringen. Dieſer Dank fand in dem Liede eines jüngeren Feſt - genoſſen ſeinen Ausdruck. Das Lied, das wir aus dem Gedächtniß wiedergeben, lautet:

Es ſteht in preuß’ſchen Landen
Ein Kirchlein alt und ſtumm,
Und rings an ſeinen Wanden
Schlingt Epheu ſich herum.
Und Schatten ſtreut die Linde,
Ein uralt mächt’ger Stamm,
Die grüne Kron im Winde
Sie neigt ſich dann und wann.
Und neben dieſer Stelle,
Da liegt der ſchöne Teich,
Es plaudern mit der Welle
Die Zweige allzugleich.
Und zwiſchen Teich und Linde,
In Stufen auf und ab,
(Kein ſchöner Grab ich finde)
Da liegt ein Blumengrab.
Und drunter ſchläft in Frieden
Nach ruheloſer Bahn,
Ein Mann, dem viel beſchieden,
Der viel geſchafft, gethan.
252
Er hat den Sieg erſtritten
In Arbeit und in Ehr,
Er iſt vorangeſchritten
Wir folgen Vater Thaer.

Wir aber nehmen Abſchied jetzt von dieſer Stätte und von Moeglin. Unſer Heimweg führt uns an dem Grabhügel vorüber, der in Blumen ſteht, roth und weiß, als gäb es keinen Herbſt und kein Scheiden. Die alte Steinkirche daneben, die ſchon ſo vieles überdauert, wird vielleicht auch dieſen Hügel überdauern, aber nicht das Andenken an ihn, der unter dieſem Hügel ſchläft.

[253]

Freienwalde.

1. Von Falkenberg nach Freienwalde. Die Stadt. Der Ruinenberg. Monte Caprino.

Hier ſchmucke Häuschen ſchimmernd Am grünen Bergeshang; Dort Sicheln und Senſen blitzend Die reiche Flur entlang; Und weiterhin die Ebne, Die ſtolz der Strom durchzieht.
(Uhland. )
Nehmt Kinder, nehmt! es iſt kein Traum, Es kommt aus Gottes Haus.
(W. Müller. )

Freienwalde hübſches Wort für hübſchen Ort. Seine Recht - ſchreibung ſchwankt; aber ob wir Freienwalde ſchreiben (von frei im Wald ) oder Freyenwalde (von Freya im Wald), in den Marken giebt es wenig Namen von beſſerm Klang. Fehrbellin klingt ſchöner, poetiſcher vielleicht (wie Trompetenſignale hallt es dazwiſchen), aber Freienwalde iſt lachender, hat freundlicheren Klang.

Viele Wege führen nach Freienwalde; dies hat es mit be - rühmteren Plätzen gemein. Wir wählen heute nicht die kürzeſte Strecke quer über das Plateau des Barnim hin, ſondern die üblichſte, über Neuſtadt-Eberswalde, die, trotz des Umwegs, am raſcheſten zum Ziele führt. Bis Neuſtadt Eiſenbahn, von da aus Poſt. Der Neuſtädter Poſtillon, einer von den alten, mit zwei254 Treſſen auf dem Arm bläſt zum Sammeln, und während links die weiße Wolke des weiter dampfenden Zuges am Horizont ver - ſchwindet, biegt unſer Poſtwagen rechts in die Chauſſee ein, die uns, auf der erſten Hälfte des Weges, abwechſelnd über Thal und Hügel, dann aber, vom ſchönen Falkenberg aus, am Fuße des Barnim-Plateau’s hin, dem Zielpunkt unſerer Reiſe entgegenführt.

Wie oft bin ich dieſes Weges gekommen! um Pfingſten, wenn die Bäume weiß waren von Blüthen, und um Weihnachten, wenn ſie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und ein - ladend zugleich an den geſtützten Zweigen hängt. Es iſt um die vierte Stunde, der Himmel klar, und die niederſteigende Sonne kleidet die herbſtliche Landſchaft in doppelt ſchöne Farben. Der Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des ſchönen Bildes zu freuen; es iſt keine übliche Poſtchaiſe mit Ledergeruch und kleinen Fenſtern, es iſt einer von den großen Sommerwagen, wie ſie zur guten Jahreszeit zwiſchen Neuſtadt und Freienwalde auf - und abfahren, ein offnes Gefährt mit 20 Plätzen und einem Himmel darüber, der auf 4 Stangen ruht. Dieſer Himmel die Urform eines Baldachins, der Wagen ſelbſt aber dem alten Geſchlecht der Kremſer nah verwandt, an deren Stelle mehr und mehr das Kind der Neuzeit der Omnibus zu treten droht.

In leichtem Trabe geht es auf der Chauſſee wie auf einer Tenne hin, links Wieſen, Waſſer, weidendes Vieh und ſchwarze Torfpyramiden, rechts die ſteilen, aber ſich buchtenden Hügel - Wände des Plateaus, deren natürlichen Windungen die Straße folgt. Aber nicht viele befinden ſich auf unſerem Wagen, denen der Sinn für Landſchaft aufgegangen; Erwachſene haben ihn ſelten und Kinder beinah nie. Die Beſatzung unſeres Wagens be - ſteht aber (drei Mütter abgerechnet) aus lauter Kindern, und wäh - rend mein Auge ſich links hält und den Maſchen des blauen Waſſernetzes folgt, wenden ſich die Kinderaugen immer begehrlicher dem näher liegenden Reiz des Bildes den blauen Pflaumen zu. In vollen Büſcheln hängen ſie da, eine verbotene Frucht, aber255 deſto verlockender. Die ſchönen Pflaumen klingt es von Zeit zu Zeit, und ſo oft unſer Kremſer den Bäumen nahe kommt, fahren etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und ſuchen die nächſten Zweige zu haſchen.

Aber umſonſt. Die Bewundrung fängt ſchon an (wie immer in ſolchen Fällen) in Mißſtimmung überzugehen. Da endlich be - ſchleicht ein menſchliches Rühren das Herz des Poſtillons und auf jede Gefahr, ſelbſt auf die der Pfändung und Anzeige hin, links einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten in die Zweige des nächſten Baumes hinein. Ein Meiſtercoup. Wie aus einem Füllhorn, fällt es von Front und Seite her, in den Wagen hinein; alles greift zu; der kleinſte aber, ein Blondkopf, der vorne ſitzt und die Leine mit halten darf, als führ er ſelber, deklamirt jetzt, auf den ſchmunzelnden Poſtillon zeigend:

Das iſt der Daum,
Der ſchüttelt die Pflaum

und während alle Inſaſſen des Wagens, jung und alt, in den Kinderreim mit einſtimmen, geht es an Landhäuſern und Waſſermühlen, an Gärten und Fiſchernetzen vorbei, in das hübſche aber holprige Freienwalde hinein.

Freienwalde iſt eine Bergſtadt, aber nicht minder iſt es ein Badeort, eine Fremdenſtadt. Wir haben erſt eine einzige Straße paſſirt und ſchon haben wir fünf Hôtels und eine Hof-Apotheke gezählt; noch ſind wir nicht ausgeſtiegen und ſchon raſſeln andere Poſtwagen von rechts und links heran; das Blaſen der Poſtillone nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiſeröcken und Tyroler Spitzhüten wiegen ſich auf ihren Stöcken und umſtehen das Poſt - haus, blos in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein hübſches Geſicht zu ſehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu Ehren der drei Kronen oder der Stadt Berlin , und die erſten Anfänge des Ciceronethums, räthſelhafte Geſtalten in Flaußröcken und Strohmützen, ſtellen ſich ſchüchtern dem Neu-Ankommenden vor und erbieten ſich ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen. 256Nur der fliegende Buchhändler fehlt noch, der die Schönheiten Freienwalde’s , beſungen und lithographirt, mit beredter Zunge anzupreiſen verſtände.

Freienwalde iſt ein Badeort, eine Fremdenſtadt und trägt den Charakter davon zur Schau; was ihm aber ein ganz eigenthüm - liches Gepräge giebt, das iſt das, daß alle Bade - und Brunnen - gäſte, alle Fremden, die ſich hier zuſammen finden, eigentlich keine Fremden, ſondern märkiſche Nachbarn, Fremde aus nächſter Nähe ſind. Dadurch iſt der Charakter des Bades vorgeſchrieben. Es iſt ein märkiſches Bad und zeigt als ſolches in allem jene Schlichtheit und Leichtbegnüglichkeit, die (einzelne Reſidenz-Aus - nahmen zugegeben) noch immer einen Grundzug unſeres märkiſchen Weſens bilden. Zum Theil viel mehr noch, als wir ſelber wiſſen. Freienwalde iſt kein Roulette - und Equipagen-Bad, kein Bad des Rollſtuhls und des galonnirten Bedienten, am wenigſten ein Bad der 5 mal gewechſelten Toilette. Der breite Stempel, den die ächten und unächten Engländer ſeit 50 Jahren allen europäiſchen Badeörten aufzudrücken wußten, hier fehlt er noch, hier iſt der complicirte Breakfaſt-Tiſch noch ein kaum geahntes Geheimniß, hier wird noch gefrühſtückt, hier ſucht noch kein grüner und ſchwarzer Thee die alte Herrſchaft des Morgenkaffee zu untergra - ben, hier herrſcht noch die vaterländiſche Semmel und weiß nichts von Butter-Toaſt und Muffin, des Luftbrodes (aêrated bread) und anderer Neuerungen von jenſeit des Kanals ganz zu geſchweigen.

Und einfach wie die Frühſtücksfrage, ſo löſt ſich auch die Frage des Koſtüms. Der Shawl, der früher eine Mantille, oder die Mantille, die früher ein Shawl war, der Hut mit der neuen Rüſche , der Handſchuh, der drei mal durch die Brönner-Probe ging, hier haben ſie noch Hausrecht, und das 12 Jahr ge - diente Leihbibliothekenbuch, hier ruht es noch frei und offen, auf dem Antimakaſſar-Stuhl, mit der ganzen Unbefangenheit eines guten Gewiſſens. Nichts von Hyperkultur, wenig von Comfort. Während überall ſonſt ein gewiſſer Kosmopolitismus die Eigenart jener Städte, die das zweifelhafte Glück haben Badeörter zu257 ſein, abzuſchwächen oder ganz zu verwiſchen wußte, iſt Freienwalde eine märkiſche Stadt geblieben. Kein Wunder. Nicht der Welt - touriſt, nur die Mark kehrt hier bei ſich ſelber zum Be - ſuche ein.

Freienwalde, wie wir ſahen, iſt eine Bergſtadt; Bergſtädte aber ſind ſelten die Stätten einer glänzenden Architektur. Die Häuſer, überall ein beſtes Plätzchen ſuchend, ſchaffen mehr Gaſ - ſen und Winkel als eigentliche Straßen, und das Beſte, was wir von Freienwalde zu ſagen wiſſen, iſt, daß es von dem bedenklich - pittoresken Vorrecht wirklicher Bergſtädte keinen allzuſtarken Ge - brauch macht. Die Buden-Gaſſe, der ſeidene Beutel, der Köter - oder Rosmarinweg ſind freilich Lokalitäten, die dem Klange ihres Namens ſo ziemlich gleich kommen, aber der Marktplatz mit ſeiner kahlen Geräumigkeit (nur Raum, nur Weite) macht vieles wie - der gut. Weite hier und Enge dort, hätten ſich gegenſeitig aus - helfen können.

Die Schönheit der eigentlichen Stadt iſt mäßig, ihr Reiz liegt draußen auf den Bergen. Dieſen Bergen verdankt es Alles, was es iſt: von dort aus kommen ſeine Quellen und von dort aus gehen die Blicke in’s Land hinein. Dieſe Quellen aber und dieſe Ausſichtspunkte ſind es, die die Stadt zu einem Brunnen - und Fremdenort gemacht haben. Wer nicht kommt, um hier die Eiſenquelle zu trinken, der kommt doch um einen Blick in die märkiſche Schweiz zu thun. Dieſen Freienwalder Bergen nun, den Hütern, Wächtern und zum Theil den Ernährern der Stadt, ſchreiten wir jetzt zu.

Zunächſt der Ruinenberg. Er erhebt ſich unmittelbar im Rücken der Stadt und hat mit dem bekannten Potsdamer Brau - hausberge das eine gemein, daß er, wie dieſer, gleichſam die älteſte Ausſichts-Firma und nach Anſicht vieler noch immer die beſtfundirte, repräſentirt. Er iſt am leichteſten zu erſteigen; das iſt eins, was ihn empfiehlt. Keine Schneckengänge winden ſich endlos hinauf, bequeme Terraſſen bilden den Weg, und (die Ausſicht auf Gärten rechts und links), ſo erreicht man die Höhe, plaudernd -17258leicht, als ſtiege man die Treppen eines Renaiſſance-Schloſſes hinan. Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu - tung, wo man zunächſt auf die maleriſch in der Tiefe liegende Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige Friſche der Bruchlandſchaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt das weitgeſpannte Oderbruch da, durchſtrömt von drei Waſſerarmen: der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen hüben und drüben, die, wie eben ſo viele Dauben, die grüne Bottich - tiefe umſtehn. Meilenweit nur Wieſen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer, nur Heuſchober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer - dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zuſammenzu - ſchrumpfen ſcheinen. Nur Wieſen, nur grüne Fläche; dazwiſchen einige Kropfweiden; ’mal auch ein Kahn, der über dieſen oder jenen Arm der Oder hingleitet, nur ſelten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be - laden) oder ein Ziegeldach, deſſen helles Roth wie ein Lichtpunkt auf dem Bilde ſteht. Der Anblick iſt ſchön in ſeiner Art, und weſſen Auge krank geworden iſt in Licht und Staub und all dem Blendwerk großer Städte, der wird hier Geneſung feiern und dies Grün begrüßen wie ein Durſtiger einen Quell begrüßt; aber der Anblick, ſo erlabend er iſt, leidet doch Einbuße durch ſeine Mono - tonie. Auf Meilen hin daſſelbe. Erſt weiter ſüdwärts, nach Frank - furt zu, verändert das Bruch ſeinen Charakter: Fruchtfelder treten an die Stelle der Wieſen, Dörfer reihen ſich aneinander und ſchaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die Mark in dieſer Vereinigung nicht zum zweiten Male beſitzt. Aber dieſe Landſchaftsbilder ſind von hier aus noch meilenweit entfernt.

Der Ruinenberg blickt weit in’s Bruch hinein, wodurch er ſich indeſſen von den Nachbarbergen am weſentlichſten unterſcheidet, das iſt ſein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde. Außerdem hat er ſeine hiſtoriſchen Traditionen; Erinnerungen, denen wir es nicht zum Böſen anrechnen wollen, daß ſie ſich in ſagen - hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zuſammenhang. Bei Nachgrabungen, die im Spätherbſt 1820 hier angeſtellt wurden, ſtieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die259 nach ſorglicher Ausmeſſung eine Länge von 136 Fuß ergaben. Es war juſt die Zeit, wo man hierlandes in die vor-wendiſche Zeit zurückzuſteigen und die alte Mark, als ein ehemaliges ur - germaniſches Land, mit Longobarden und Semnonen zu bevölkern trachtete. Das Bade-Comité wie alle Bade-Comités ſtand natürlich auf der Höhe ſeiner Zeit. Die Folge davon war, daß Seitens deſſelben das 136 Fuß lange Fundament ohne Weitres als die Seitenwand eines Freya-Tempels feſtgeſtellt, zugleich aber (zwei Fliegen mit einer Klappe ſchlagend) jeder etymologiſche Zwei - fel über Freienwalde oder Freyenwalde ein für allemal be - ſeitigt wurde. Das Fundament ſelbſt, alsbald an’s Licht geſchafft, erfuhr eine doppelte Verwendung. Die eine Hälfte ward ohne weitres zur Aufführung eines Mauerbruchſtücks verwandt, in das eine Marmor - oder Kalkſteintafel mit der Geſchichte der Auffin - dung des Freyatempels eingelaſſen wurde; während die andre Hälfte, ebenfalls nach der Sitte der Zeit, als künſtlicher Ruinen - thurm in eine neue Phaſe des Daſeins trat. Dieſer künſtliche Ruinenthurm erhielt, trivial aber wohlmeinend, die Inſchrift: Wie ſchön iſt Gottes Erde.

Unſer nächſter Beſuch gilt dem Ziegenberg (oder Zicken - berg wie er früher hieß), der ſich jedoch an ſeiner einfachen Er - hebung in’s Hochdeutſche nicht genügen ließ und deshalb jetzt als Monte Caprino auftritt. Von ſeiner Höhe blickt man ebenfalls in die Bruchlandſchaft hinein, aber die Stadt im Vordergrunde fehlt. Dies führt uns darauf hin, die Bergpartieen, wie ſie ſich um Freienwalde herum gruppiren, auf ihre eigenthümliche Forma - tion hin ein wenig näher anzuſehen. Ihre Eigenthümlichkeit beſteht darin, daß ſie, wiewohl frei und offen daliegend, doch zugleich einen ſehr excluſiven Charakter haben und unter einander (landſchaftlich) in gar keiner oder ſehr geringer Verbindung ſtehn. Wir beſchreiben dieſe hufeiſenförmigen, nach vorn hin geöffneten Thäler vielleicht am beſten, wenn wir ſie, als ebenſo viele Am - phitheater bezeichnen. Da alle dieſe Amphitheater am Bruche ent - lang liegen und nach vorn hin geöffnet ſind, ſo iſt der Blick auf17*260das Bruch das allen gemeinſame; alles das aber, was ſie nach rechts und links hin mit ihren Flanken umſpannen, iſt ihre Beſonderheit, ihre Specialität, und kann nur von den verſchiede - nen Plätzen des eignen, nicht aber von den Nachbar-Plätzen des angrenzenden Amphitheaters aus geſehen werden. Freienwalde, wie ſchon erzählt, ſchiebt ſich in das Amphitheater des Ruinenberges hinein und wird von dem Höhenzuge deſſelben derart beherrſcht und flankirt, daß ſelbſt der zunächſt liegende Monte Caprino nir - gends in den umſchloſſenen Halbkreis des Nachbars hinein zu blicken vermag.

Wenn wir den Ruinenberg die älteſte Firma nannten, ſo iſt der Monte Caprino die jüngſte. Profeſſor Valentini (aus alten Berliner Tagen her manchem unſerer Leſer bekannt) hat der Stadt, in die er ſich zurückzog, vor 10 20 Jahren dieſen Berg erobert und die höchſte Kuppe deſſelben in die Liſte der Freien - walder Schönheiten eingereiht. Dank ihm dafür. Ob wir ihm auch für das Häuschen zu danken haben, das unter dem Namen Va - lentini’s Ruh ſich an höchſter Stelle des Berges erhebt und mit blau und rothen Gläſern ausſtaffirt, den Beſucher auffordert, die Wieſenlandſchaft abwechſelungshalber auch in blau und roth auf ſich wirken zu laſſen, wiſſen wir nicht; aber wir entſinnen uns Valentini’s und müſſen deshalb hinzuſetzen: wir fürchten es. Wir fürchten leider auch, daß die poetiſche Zinkblech-Inſchrift, die (doppelſpaltig) die eine Wand des Häuschens fünf Fuß hoch bedeckt, auf dieſelbe Urheberſchaft zurückgeführt werden muß. Wer hier geſtanden und dieſen Verſen gegenüber nach Verſtändniß ge - rungen hat, denkt mit Wehmuth an den Ruinenberg und den kurzgefaßten Hölty’ſchen Nachklang zurück.

Wenige freilich werden, angeſichts dieſer lächelnden Land - ſchaft, Luſt bezeugen, unſern alten Profeſſor auf die Monte Ca - prino-Höhe ſeines mißverſtandenen Pantheismus zu begleiten, we - nige werden ihn leſen, und ſie thuen Recht daran. Aber eine Auf - gabe, deren ſich der freie Wandersmann entſchlagen kann, wird zur unabweislichen Pflicht für den ex officio Reiſenden, der leſen261 muß und der in Nachſtehendem aphoriſtiſch enthüllt, was er an Ort und Stelle gewiſſenhaft verzeichnet hat. Das Ganze iſt ein in’s Religiöſe hinüberklingender Naturhymnus, in dem Logik und Grammatik, wie der Lahme und Blinde, einen wunderlichen Wett - lauf anſtellen. Gott (ſo hebt die Inſchrift an) iſt die Seele ſei - ner Schöpfung, in der Er ſich gleichſam wie in ein herrliches Gewand hüllt. Dieſer Dativ überraſcht; aber Valentini bringt alles wieder in’s Gleichgewicht. Wie ein freundlicher Talisman (ſo fährt er fort) erhält uns die Religion über die Wellen im Schiffbruch des Lebens. So vollzieht er (in ſeinem eignen Hym - nus) einen Akt der Gerechtigkeit und zahlt ſchließlich dem Akku - ſativ die Schuld zurück, die er Anfangs bei ihm eingegangen.

Denken wir milde darüber, hat er doch ſelber ſeitdem die letzte Schuld gezahlt. Auf Valentini’s Ruh raſten jetzt Andere, er ſelber aber iſt, am Fuße des Hügels, längſt eingegangen zu dauernder Ruh.

[262]

2. Falkenberg.

Da liegt zu Füßen, ein ſchimmernd Bild, An die Berge geſchmiegt das weite Gefild, Falter fliegen im Sonnenſtrahl.
(Paul Heyſe. )

Etwa wie ſich Heringsdorf zu Swinemünde verhält, ſo verhält ſich Falkenberg zu Freienwalde. Ein Dorf, das, durch ſeine ſchöne Lage, vielleicht auch durch den ſchlichten Zauber des Ländlichen bevorzugt, dem eigentlichen Badeort (zu dem es früher nur An - hängſel war) gefährlich zu werden droht. So dort wie hier. Der Vergleich ließe ſich ohne Zwang noch weiter durchführen. Die Entfernungen ſind ſo ziemlich dieſelben, und wie ſich zwiſchen He - ringsdorf und Swinemünde ein tannenbekränzter Dünenrücken zieht, deſſen höchſte Punkte einen prächtigen Blick, weit in die grün - liche See hinaus, geſtatten, ſo ziehen ſich zwiſchen Freienwalde und Falkenberg die ſteilen, Tannen - und Laubholzbeſetzten Ab - hänge des Barnim-Plateaus, deſſen Kuppen meilenweit in das grüne Bruchland herniederſehen.

Der Weg von Freienwalde nach Falkenberg iſt begreiflicher - weiſe derſelbe, wie von Falkenberg nach Freienwalde; wir fahren alſo, am Fuß des Plateaus (jetzt umgekehrt, die Berge links, die Wieſen rechts), denſelben maleriſchen Weg zurück, auf dem wir im vorigen Kapitel Freienwalde entgegenfuhren. Die Pflaumen - bäume ſind noch dieſelben wie am Tage vorher, aber nicht nur263 die Kinder fehlen, deren Uebermuth wir geſtern ſchon etwas zu Gute halten durften, auch der Baldachin fehlt, deſſen ſcharfe und ausgezackte Wachsleinwand geſtern wie eine Harke in die Bäume fuhr. Ohne Erlebniß, ohne Lärm und Jubel, nur dem ſtillen Eindruck der Landſchaft und der Herbſtesfriſche hingegeben, beenden wir unſern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwen - kung nach links, in die Falkenberger Dorfſtraße ein. Bis dahin am Rand der Berge fahrend, ſind wir, durch dieſe Biegung, wie in das Dorf, ſo auch in die Berge ſelbſt gerathen. Die ſteile Wand, die eben noch frei in’s Bruch blickte, blickt jetzt auf eine Bergwand gegenüber; das Bild hat ſeinen Charakter ge - ändert, und der nach rechts hin geöffnete Weg iſt ein Hohlweg, eine Schlucht geworden. In dieſer Schlucht liegt Falken - berg. Die einſchließenden Berge gewähren die ſchönſte und wech - ſelndſte Ausſicht; die Bergwand rechts blickt in das Bruch, die Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verſchlingun - gen und Keſſeltiefen der eigentlichen Wald - und Berglandſchaft hinein.

Ehe wir indeſſen dieſe Wände und Kuppen erſteigen und nach rechts und links hin Umſchau halten, ſteigen wir in die zu unterſt gelegene Gaſſe des Dorfes nieder, wohin uns die weiße Wand und mehr noch der melodiſche Lärm einer Waſſermühle lockt. Dort ſind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Thür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühl - bach ſchäumt (pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in der Luft), ſo raſten wir und plaudern von Falkenberg und ſei - nen Bewohnern.

Falkenberg iſt doppellebig. Seine Natur bringt das ſo mit ſich. Die Bruchlandſchaft rechts, die Berglandſchaft links, da ha - ben wir die Bedingungen dieſer Doppellebigkeit. Die Wieſen ma - chen es zu einem Bruchdorf, die Berge mit ihren Quellen und ſchattigen Plätzen zu einem Brunnen - und Badedorf. Im Ein - klang mit dieſer Doppellebigkeit unterſcheiden wir denn auch einen Sommer - und einen Winter-Falkenberger.

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Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger außerhalb der Saiſon, iſt ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger, oder der Falkenberger in der Saiſon. Der Winter-Falkenberger iſt ganz Märker, d. h. ein Norddeutſcher mit ſtarkem Beiſatz von wendiſchem Blut. Er iſt fleißig, ordentlich, ſtrebſam, aber miß - trauiſch, eigenſinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn ſelbſt darüber ſprechen, ſo hat er freilich Recht. Die Wirthſchaft (d. h. ſeine Wieſe) bleibt doch immer die Hauptſache, das Fun - dament ſeines Wohlſtandes, und dieſe Wieſe, dies Stück Bruch - land iſt mit Abgaben überbürdet. Die Verwallung, ſo hebt der Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böſes. Sonſt ſtand das Waſſer auf unſern Wieſen 11 Fuß hoch, und wir hatten eine unſichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unſer Heu trocken herein, aber wir müſſen für den Deich, der uns ſchützt, eine ſo hohe Ab - gabe oder Beiſteuer zahlen, daß Mancher ſchon gedacht hat: ohne Deich war es beſſer. Unſer ganzes Unglück iſt, daß ſie da oben die Abgaben und die Beiſteuer ungerecht vertheilen. Die Herren von der Regierung ſagen: wir haben den Damm gebaut und das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem Waſſer befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von wenig Waſſer befreit haben, da wird auch nur wenig bezahlt. Das klingt ſehr ſchön und ſehr gerecht, iſt aber Unge - rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns ſtand das Waſſer alle Frühjahr am höchſten, elf Fuß hoch und drüber, während es in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den beſten und reichſten) nur einen Fuß hoch ſtand. Was geſchieht nun? Wir müſſen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf - fachen Waſſermaſſe befreit. Aber überſchwemmtes Land iſt über - ſchwemmtes Land und es iſt ganz gleich, ob das Waſſer ein Fuß oder elf Fuß hoch auf Wieſe und Acker geſtanden hat.

So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungs-Laune angeſehen, bis ich ſchließlich mich265 überzeugt habe, daß das wendiſche Blut ihn doch auf falſche Wege geführt und ihn bittrer und eigenſinniger gemacht hatte, als nöthig. Die Sache iſt nämlich die: Bruchländereien, in denen das Waſſer vordem elf Fuß hoch zu ſtehen pflegte, genoſſen das trau - rige Vorrecht, alle Jahre überſchwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Waſſer, jahrelang von jeder Ueber - ſchwemmung befreit blieben. Ein Fuß Waſſer oder elf Fuß Waſſer iſt freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Waſſer-Leute hat - ten eben das Waſſer immer, während es die Ein-Fuß-Waſſer - Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müſſen aber doch all - jährlich ihre Beiſteuer zahlen.

Der Winter-Falkenberger iſt märkiſch, der Sommer-Fal - kenberger iſt thüringiſch, eine Art Ruhlenſer: freundlich, gebil - det, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, giebt Auskunft, zeigt den Weg. Ueberall gute Form und gute Sitte, eine Manierlichkeit , wie ſie ſonſt in den Marken (zumal in den Odergegenden) nicht leicht betroffen wird. Dieſe Manier - lichkeit iſt zum guten Theil etwas Aeußerliches, ein Kleid, das an - und abgelegt werden kann, aber wenn ich recht geſehen habe, ſo iſt dieſe thüringiſch-mitteldeutſche Art, wie ſie einem hier entgegen - tritt, doch nicht blos etwas Angenommenes, ſondern guten Theils auch das Produkt einer mitteldeutſchen Landſchaft, einer Thürin - giſchen Umgebung und Natur. Der modelnde Einfluß, den die Wohnſtätte des Menſchen auf den Menſchen ſelber übt, wird wohl kaum noch beſtritten, und hier haben wir ein Beiſpiel da - von. Die Falkenberger früherer Jahrhunderte, deren Eigenart noch in dem Winter-Falkenberger fortlebt, hatten ihr Auge nur der Wieſe und dem Waſſer zugewandt, und ſie waren und blieben wendiſch-märkiſche Fiſchersleute durch viele Jahrhunderte hindurch; von dem Augenblick an aber, wo ſie ſich, zumal um die Som - merszeit, den ſchönen Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formenſinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer ſo nah gelegenen und doch ſo ſpät erſt entdeckten thüringiſchen Natur entſtand etwas von thüringiſcher266 Sitte, von ſächſiſchem Schliff. Welch Unterſchied jetzt zwiſchen einem märkiſchen Sanddorf und dieſem gebirgsdorfartigen Falken - berg! Dort ſchlummert noch der Sinn für das Schöne; die Ar - muth kennt nur was nöthig, im glücklichſten Fall was nützlich iſt, aber ſie fragt nicht nach dem, was ziert und ſchmückt. Zieht ſich eine Allee durch ſolch ein Sanddorf hin, ſo darf man ſicher ſein, daß ſie ein Befehl in’s Leben gerufen hat; der freie Wille, der eigne Trieb der Dörfler hätte ſie nie gepflanzt. Wie anders hier. Jedes einzelne Haus zeigt die Freude an dem, was gefällt. Um die alten Obſtbaumſtämme rankt ſich der ſorglich gepflegte Epheu am Gitterdraht, Weingänge laufen an der Rückfront der Häuſer hin, der Ebereſchenbaum lehnt ſich an den Vorbau der Häuſer, und Bank und Laube haben ihren beſtimmten Platz. Der Brun - nen, das Bienenhaus, Kleines und Großes fügt ſich maleriſch in das Ganze ein, denn der Sinn für das Gefällige, für alles was ziert und ſchmückt, iſt lebendig geworden und wirkt, ohne Anlauf und Abſicht, ſelbſtſtändig-thätig in jedem Moment.

Aber freilich Anleitung und Schulung ging dieſem Selbſt - ſtändig-thätig-ſein voraus und Anregung, Anleitung, treten noch jetzt, helfend und fördernd, an den Sommer-Falkenberger heran. Ein geläuterter Geſchmack, das feinere Verſtändniß ſolcher, die we - der mit dem Winter - noch dem Sommer-Falkenberger etwas Be - ſtimmtes gemein haben, haben hier in Bauten und Anlagen viel - fache Muſter geſchaffen. Und ſolcher Muſter bedurfte es aller - dings. Die Dinge hier, wie ſchon angedeutet, waren nicht immer das, als was ſie jetzt dem Auge ſich darbieten, und aller gute Wille der Falkenberger ſelbſt nachdem ſie gelernt hatten, den Bergen ſich zuzuwenden hätte nie ausgereicht, dieſe Sandwand zur Rechten in Terraſſen und Weingänge und dieſe Berglehnen zur Linken in Laubholz-Wald zu verwandeln. Ihr Verdienſt war: ſie folgten, ſie hatten ein Auge für das Beſſere, ſie waren be - reit zu lernen.

Das Beſte dieſer Umwandlungen verdanken die Falkenberger dem Natur - und Schönheitsſinn ihres nächſten Nachbars, des Be -267 ſitzers von Cöthen, eines Dorfes, deſſen Bergpartieen und Hügel - abhänge gleichſam die maleriſche Umrahmung des in der Tiefe ge - legenen Falkenbergs bilden.

In dies Cöthner Bergterritorium hinein ermöglichen ſich nun, als vorzüglichſter Reiz eines Falkenberger Aufenthalts, allerhand Ausflüge und Partieen; wir treffen aber wohl das Richtige, wenn wir nur drei Punkte beſonders namhaft machen und ihnen den Preis der Schönheit zuerkennen. Es ſind dies die Carlsburg, die Idas-Eiche und der Cöthner Park. Einer kurzen Beſchrei - bung dieſer drei Punkte ſelbſt ſchick ich eine Beſchreibung des ihnen gemeinſchaftlichen Terrains voraus. Dies Terrain alſo (im Rücken Falkenbergs) iſt ein nach vorn hin geöffnetes Keſſelthal und hat die Form eines Hufeiſens oder eines griechiſchen 〈…〉 . Auf der geſchlungenen Berglinie, die das Keſſelthal bildet, befin - den ſich Kuppen, die nach den verſchiedenſten Seiten hin in’s Land hineinſehen, die beiden ſchönſten Punkte aber ſind natürlich die am freiſten, am meiſten nach vornhin gelegenen: die Carlsburg und die Idas-Eiche (a und b). Am meiſten zurückgelegen (c) liegt Dorf Cöthen. Von ihm aus zieht ſich dann, an einem Bach oder Fließ entlang, von Bergwänden eingefaßt, der Cöthner Park bis an die Grenze des Falkenberger Gebiets hin.

Die Carlsburg, ein heitres, villenartiges Gebäude, blickt, von dem ſogenannten Paſchenberg aus, in die Oderbruchlandſchaft hinein. Der Punkt iſt reizend genug, was aber dieſem Paſchen - berg als Ausſichtspunkt einen beſondern Reiz verleiht, das iſt die aparte Schönheit ſeines Vordergrundes, des Dorfes Falkenberg ſelbſt, über deſſen Schluchten, Dächer und Thürme hinweg der Blick zu der weiten, grünen Fläche hinüber ſchweift. Schöner faſt noch, als von der Höhe des Berges aus, hat man dieſe Blicke ſchon beim Erſteigen deſſelben, wo mannigfache, durch den Wald geſchlagene Laubengänge die ſchönſten Stellen des Bildes (nament - lich mit glücklicher Benutzung des Falkenberger Kirchthurms) wie in einen Rahmen zuſammenfaſſen. Leicht vom Dorf aus zu268 erreichen, eben ſo heiter in ſeiner baulichen Anlage, wie in dem Blick, den es uns auf die duftige Bruch-Fläche gönnt, iſt die Carlsburg der bevorzugte Platz der Falkenberger Sommergäſte, namentlich um die Mittagsſtunde. Hier verſammelt man ſich zu gemeinſchaftlichem Mahl, hier in Front des Hauſes, unter dem ſäulengetragenen, geisblattumrankten Vorbau, klingen bei feſtlichen Gelegenheiten (die ſich ja immer finden) die Gläſer zuſammen, und die bereit ſtehenden Böller donnern dazwiſchen und wecken das Echo in den Bergen.

Noch ſchöner iſt die Ida’s-Eiche. Der Blick in’s Bruch iſt derſelbe wie von der Carlsburg aus, der Blick in die Berge aber umfaßt den ganzen Inhalt des zu Füßen liegenden Keſſelthals; Berglehnen und geſchlungene Wege, Laubholzwald, Häuſer und Hütten. Man kann hier von einem Avers und Revers der Land - ſchaft ſprechen; nach beiden Seiten hin ein gleich gewinnendes Bild. Was dieſer Ida’s-Eiche indeſſen die beſten Freunde wirbt, iſt ein gewiſſes genrehaftes Beiwerk, deſſen ſie ſich erfreut. Eine breite Treppe windet ſich ſpiralförmig um den alten Stamm der Eiche und mündet oben in einen Rund-Tiſch oder poetiſcher in eine Tafel-Runde aus. Die höchſte Krone des Baumes ſpannt ſich als Schirm über dieſer gitterumfaßten Plattform und ſchafft hier einen beneidenswerthen Aufenthalt, zumal um die Zeit des Sonnenuntergangs. Wenn der Carlsburg, nach altem Her - kommen, der helle Mittag gehört, ſo gehört der Ida’s-Eiche die Dämmerſtunde, der Abend, wo

auf am Himmelsbogen
die goldnen Sterne zogen.

Dann iſt dieſe Plattform ein Balkon, wie ich hierlandes auf kei - nem ſchöneren geſeſſen. Aus dem Dunkel des Waldes blinken ein - zelne Lichter herauf, am Horizont (jenſeits des Bruches) ziehen lichtweiße Streifen, und verſchwinden wieder, nichts iſt wach als der Abendwind, der die Eiche, die uns trägt, in leiſes Schwan - ken bringt. Einlullend, wie mit magnetiſcher Hand, berührt uns269 die Luft, und das Geplauder wird ſtiller und ſtiller, bis es end - lich ſchweigt. Immer heller funkeln die Sterne, immer weiter wird der Blick, bis endlich, wie aus Bann und Märchenſchlummer, das Raſſeln eines ſchweren Poſtwagens uns weckt und das begleitende Poſthorn, das, von der Falkenberger Berglehne her, zu uns her - überklingt.

Der Cöthener Park. Von der Ida’s-Eiche bis Dorf Cöthen iſt wenig weiter als 1000 Schritt, und die Cöthener Dorf - ſtraße ohne Aufenthalt paſſirend, führt uns unſer Weg unmittel - bar an den Eingang des Parks. Dieſer Park iſt etwas altfrän - kiſch; er ſtammt noch aus einer Zeit, wo man gewiſſen perſpecti - viſchen Künſten den Vorrang einräumte vor der landſchaftlichen Schönheitslinie; es fehlt noch eine freiere und natürlichere An - lage, und Tempelchen und Muſchelgrotten haben noch ihren Platz. Marmorköpfe, über deren ſpecielle Bedeutung an der Stelle, die ſie einnehmen, vielleicht immer ein Dunkel walten wird, blicken räthſelhaft aus Felsgemäuer*)Eine dieſer Grotten, ſo heißt es, iſt aus Lava aufgeführt, und die Gegenſtände innerhalb derſelben ſtammen von Herkulanum und Pompeji. hervor und Delphine und Löwen ſpeien Waſſer und laſſen es ſich nicht anfechten, daß ihre alabaſter - weißen Unterkiefer von Eiſenocker längſt braun geworden ſind. Die alten Künſte der alten Parks, von denen wir die Muſterſtücke noch immer in Schwetzingen und im Wörlitzer Garten finden! Den - noch hat dieſer Cöthener Park ſeine Eigenthümlichkeit, weil das Stück Natur eigenthümlich war, das zu ſeiner Anlage genom - men wurde. Es iſt eine reich mit Laubholz, namentlich mit ſchö - nen Buchen beſetzte Schlucht, durch die ſich ein Fließ zieht. Dieſes Fließ, das in ſeiner künſtlichen Verzweigung dem Park an einzelnen Stellen den Charakter eines Elsbruchs giebt, iſt in Wahrheit der Quell ſeiner Schönheit überhaupt. Ob man wirk - lich mehr Waſſer und namentlich raſcher fließendes hier hatte als anderswo, oder ob man ſich nur beſſer auf ſeine Benutzung ver - ſtand, gleichviel Waſſer überall. Der Bach mit Plätſchern und270 Gemurmel begleitet uns von Schritt zu Schritt, er iſt unſer Füh - rer durch die labyrinthiſchen Gänge; aber nicht genug damit, alle Minuten hält er inne, um noch ein Uebriges für uns zu thun. Hier ſtürzt er ſich vom Wehr, aber nur um an nächſter Stelle ſchon als Springbrunnen wieder aufzuſteigen; hier treibt er ein Waſſerrad, dort ſpeiſt er eine überlaufende Vaſe, und aus der langſam ſich drehenden Scheibe daneben ſpritzen ſeine dünnen Strahlen, zugleich als Schmuck und als treibende Kraft.

Am wenigſten glücklich iſt der Park in Inſchriften. Wir folgen aber, ſtatt bei ihnen zu verweilen, lieber dem plätſchernden Fließ, deſſen Lauf uns nach einem kurzen Spaziergang, durch die Mitte des umwaldeten Keſſelthals, in die maleriſch verſchlungenen Straßen von Dorf Falkenberg zurückführt.

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3. Das Schloß.

Dies weiße Häuschen find ich zum Entzücken, Die Wand iſt ſauber bis hinauf zum Dache, Und heitre Fenſter ſind es, die es ſchmücken.
(B. v. Lepel. )

Freienwalde hatte von Alters her ein Schloß , erſt ein Uchten - hagenſches, dann ein churfürſtliches, zuletzt ein königliches.

Das Schloß, das die Uchtenhagens hier hatten und in das ſie wahrſcheinlich einzogen, nachdem ihre Burg auf dem Schloß - berg (ſiehe das entſprechende Kapitel) zerſtört worden war, lag unmittelbar hinter der Freienwalder Kirche und blickte auf die Oder hinaus, die damals bis dicht an die Stadt herantrat. Eine ſchlichte Abbildung in Philipp v. d. Hagens Beſchreibung der Stadt Freienwalde ſtellt höchſt wahrſcheinlich dies alte Uchten - hagenſche Schloß dar. Woher er dies Bild genommen, habe ich nicht ermitteln können. Es iſt ein einfaches, beinah fenſterloſes Ge - bäude mit einem gothiſchen Erkerthurm als einzigem Schmuck.

Das churfürſtliche Schloß (in unſcheinbaren Reſten noch er - halten) erhob ſich an derſelben Stelle, wo vorher, durch zwei Jahrhunderte hin, das eben beſchriebene Stadtſchloß der alten Uchtenhagen geſtanden hatte. Der große Churfürſt ließ es 1687 zu künftigem bequemen Aufenthalte daſelbſt erbauen; näheres über dieſen Bau aber: wann er beendigt wurde, wer es be - wohnte, hab ich nicht mit voller Beſtimmtheit in Erfahrung brin -272 gen können. Die Nachrichten, die man in Freienwalde ſelbſt ein - zieht, widerſprechen ſich einander, und ein Zuratheziehen der reichen Freienwalder Literatur giebt ebenfalls mehr Abweichendes als Gewiſſes. Philipp v. d. Hagen ſchreibt: In der Stadt iſt ein Schloß, von Steinen gebaut, welches der Churfürſt um deswillen erbauen ließ, weil er alle Jahre den Brunnen zu beſuchen pflegte und als - dann daſelbſt wohnte. Dies letztere aber (wenn es ſich auf ein Wohnen in eben dieſem Stadtſchloß bezieht) iſt nicht möglich und wird durch v. d. Hagens Buch an anderer Stelle ſelbſt wi - derlegt. Er ſchreibt (S. 48): Der Churfürſt logirte (1685) mit ſeinem Gefolge in der Stadt mit vieler Unbequemlichkeit (d. h. alſo ohne Schloß) und beſchloß beim Brunnen ein Gebäude aufführen zu laſſen. v. d. Hagen fährt dann fort: 1686 kam der Churfürſt nicht nach Freienwalde; als er 1687 ſich des Brunnens wieder bediente, wohnte er in dem neuen Brunnen - gebäude (dem jetzigen ſogenannten churfürſtlichen Flügel), ſein Gefolge logirte aber in der Stadt. Aus allem dieſem geht wenig - ſtens das eine hervor, daß der große Churfürſt niemals im Stadt - ſchloß zu Freienwalde gewohnt haben kann; 1685 (wo er in der Stadt logirte) deshalb nicht, weil das Schloß damals noch nicht einmal begonnen, geſchweige fertig war, und 1687 deshalb nicht, weil er in dieſem letztgenannten Jahre überhaupt nicht in der Stadt, ſondern auf dem Brunnen wohnte. Landrath v. Reichen - bach ſchreibt 1824: das alte königliche Schloß in Freienwalde wurde 1687 von Schlüter begonnen , eine Notiz, die völlig werth - los iſt, da der berühmte Baumeiſter erſt 1691, alſo 4 Jahre ſpäter und drei Jahre nach dem Tode des großen Churfürſten, in den brandenburgiſchen Dienſt trat. v. Reichenbach verwechſelt hier das Stadtſchloß mit dem Schloß auf dem Brunnen. Am zuverläſſigſten iſt mir folgende Angabe erſchienen, die ich einem 1848 erſchienenen Büchelchen entnehme: König Friedrich I. voll - führte den ſchon unter ſeinem Vater 1687 angefangenen Bau des Amts - oder Rathhauſes (hinter der großen Kirche), das ur - ſprünglich zum Jagdſchloß beſtimmt war. Dies Wort Jagd -273 ſchloß iſt nicht ganz correkt, ſonſt aber, wie ſchon bemerkt, dürfte dieſe letztcitirte Angabe der Wahrheit am nächſten kommen. Die Sache würde ſich danach in Kürze ſo ſtellen. Der große Churfürſt ordnete den Bau eines Stadtſchloſſes an, und unter ſeinem Nachfolger wurde dieſer Bau beendet. Dies Stadtſchloß ward aber weder vom Churfürſten noch ſpäter vom König Friedrich I. je bewohnt, ſondern erhielt gleich nach ſeiner Herſtellung die Be - ſtimmung eines Königlichen Amts - und ſpäter (an die Stadt übergehend) eines ſtädtiſchen Schul - und Rathhauſes. Das Haus, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit verändert, ſteht noch, diente (wenigſtens bis vor Kurzem) als Schule und Gefängniß und zeigt begreiflicherweiſe nichts mehr von alter Schönheit und königlichem Glanz.

Das königliche oder neu-königliche Schloß Freienwalde liegt nicht innerhalb der Stadt, ſondern unmittelbar vor den Tho - ren derſelben, auf dem Wege zum Brunnen hinaus, faſt am Fuße des ehemaligen Apothekerbergs. Dieſer, inzwiſchen in einen Schloßgarten umgewandelt, führt demgemäß den Namen der Schloßgartenberg ; nicht zu verwechſeln mit dem Schloß - Berg, der, halben Wegs zwiſchen Freienwalde und Falkenberg gele - gen, die Ruinen der alten Uchtenhagen-Burg auf ſeiner Kuppe trägt. Wir werden dieſen letztern, den Schloß-Berg, in einem künftigen Kapitel kennen lernen.

Auch das neu-königliche Schloß Freienwaldes, wiewohl wenig älter als 60 Jahre, hüllt ſeine Anfänge wenigſtens in ſo weit in Dunkel, als es mir nicht hat gelingen wollen, das Jahr ſeiner Entſtehung mit voller Gewißheit feſtzuſtellen. Eine freundliche Mit - theilung aus Freienwalde ſelbſt lautet wie folgt: Das hieſige königliche Schloß iſt Anfangs der neunziger Jahre von der Gemahlin Friedrich Wilhelms II. erbaut worden. Die Baulichkei - ten ſind unverändert geblieben, nur daß 1844 ein am Kirchhofs - rande gelegenes Kammerfrauen-Haus abgebrochen wurde. Der Schloßgarten, an den Abhängen des Berges, iſt erſt allmählig zu ſeiner jetzigen Ausdehnung angewachſen. Die Hofdamen wohnten,18274ſo lange hier Hof gehalten wurde (bis 1805), in dem Hauſe, das jetzt die Kaſtellans-Wohnung bildet. Friedrich Wilhelm IV. hatte vor, die Anlagen des Schloßgartens zu erweitern; die nöthigen Ländereien waren auch bereits angekauft, als ſein Hinſcheiden dem Plan ein Ende machte.

Dieſe Notizen enthalten ſo ziemlich eine Quinteſſenz alles Deſſen, was in Freienwalde über Geſchichte und Entſtehung des neuen Schloſſes curſirt. Die erſte Zeile derſelben iſt in ſoweit nicht ganz correkt, als ich nachzuweiſen im Stande bin, daß das neue Schloß bis 1795 nicht exiſtirte, alſo nicht Anfangs der neunziger Jahre, ſondern höchſt wahrſcheinlich erſt am Schluß der - ſelben entſtanden iſt. Es liegt mir ein Buch aus dem Jahre 1795, Dr. Heidekkers Beſchreibung der Stadt Freienwalde vor, deſſen Titelkupfer eine Abbildung aller der Baulichkeiten giebt, die damals auf dem mehrgenannten Berge ſtanden. Es ſind dies: der Pavillon der Königin, der Königin Wohnhaus und der Königin Garten - haus, aber vom Schloß keine Spur, auch nicht einmal die Anfänge deſſelben.

So weit die Vignette des Buches, die indeſſen möglicherweiſe täuſchen könnte; aber der Inhalt des Buches beſtätigt, was die Vignette zeigt, nämlich die Thatſache, daß bis 1795 kein Schloß an den Abhängen des Apothekerbergs zu finden war. Dr. Hei - dekker ſchreibt in dem genannten Jahre: Die Gemahlin Friedrich Wilhelms II. fand die Lage dieſes Berges ſo reizend, daß ſie von 1790 95 alljährlich über 6 Wochen während der Badezeit in Freienwalde zubrachte und die Wohnung des Oberförſters Wiprecht, die zu dieſem Zweck erweitert und eingerichtet worden war, be - wohnte. Sie ließ zugleich neben der Oberförſter-Wohnung eine geſchmackvolle Sommerwohnung bauen, die aus einem Saale, 4 Kabinets und einer Küche beſtand, der jetzige Pavillon. Dieſer Pavillon exiſtirt noch, ganz in der Geſtalt, wie ihn die Vignette zeigt; er wurde ſpäter zu Gartenfeſten und kleinen Thea - terſpielen benutzt, iſt aber durchaus nicht das Schloß.

Dies Schloß ſelbſt wurde höchſt wahrſcheinlich im Sommer275 1798 zu bauen begonnen. Am 16. November 1797 war König Friedrich Wilhelm II. im Marmorpalais zu Potsdam geſtorben, und wie locker immer die Beziehungen zwiſchen dem König und ſeiner Gemahlin, Louiſe, Prinzeß von Heſſen-Darmſtadt, geweſen ſein mochten, nicht gut konnte dieſe vor dem Tode des Königs, ihres Gemahls, daran denken, ihren Aufenthalt dauernd in Freienwalde zu nehmen. Daß es bis 1795 nicht geſchehen war, wiſſen wir beſtimmt. Wir irren alſo wohl nicht, wenn wir anneh - men, daß ſich die Königin bis zum Ende der Saiſon 1797 mit der oben beſchriebenen Sommerwohnung begnügte und erſt 1798, in dieſem Jahre Freienwalde zu ihrem Wittwenſitze machend auch ein wirkliches Schloß daſelbſt zu bauen begann. Der Bau dieſes Schloſſes nahm wenigſtens zwei Jahre in Anſpruch, ſo daß wir aller Wahrſcheinlichkeit nach das Richtige treffen, wenn wir uns die Räume des Freienwalder Schloſſes nicht vor Eintritt des neuen Jahrhunderts belebt denken. Den Namen des Baumeiſters habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Die Königin-Wittwe, wenn unſere obigen Zahlen zutreffen, reſidirte hier fünf Jahre; ſie ſtarb am 25. Februar 1805.

Die Frage entſteht, wie lebte hier die Königliche Frau, wie verfloſſen ihr die Tage ihrer Wittwenzeit? Still, und deshalb nicht eingetragen in die Blätter der Geſchichte. Aber Einzelnes lebt doch in ſchriftlicher oder mündlicher Ueberlieferung fort, das uns eini - germaßen in den Stand ſetzt, uns ein Bild dieſer ſtillen Tage zu entwerfen. Die königliche Frau, ausharrend in ihrer Liebe für die Stadt, der ſie ſeit Jahren ihre beſondere Gunſt geſchenkt hatte, fuhr mit regem Eifer fort, ſich die Verſchönerung Freienwaldes angelegen ſein zu laſſen, beſonders die Landſchaft durch Zugänglich - machung ihrer ſchönſten Punkte zu erſchließen. *)Zu einem ſolchen erſchließen der Landſchaft war auch in Freien - walde damals, wie überall im Lande, noch vollauf Gelegenheit gegeben. Denn der Sinn für ſchöne Natur iſt, wie die Landſchaftsmalerei (bekanntlich die jüngſte Tochter der Malerkunſt), von ſehr modernem Da - tum, namentlich aber in der Mark. Die eigentliche märkiſche Bevöl -Ueberall entſtan -18*276den Partieen und Promenaden, Eremitagen und Tempel. Ab - hänge wurden bepflanzt, dichte Waldpartieen gelichtet und gerodet. Sie kaufte den Poetenberg , bepflanzte ihn mit Kaſtanien, mit Pappeln und Akazien, und errichtete, wie uns überliefert wird, ein Haus im japaneſiſchen Geſchmack, das (man nahm es damals nicht ſo genau) den Namen Otahaiti erhielt.

Bedenklicher erſcheint ſchon folgende Notiz, die wir ebenfalls unſerem Gewährsmann, Dr. Heidekker, entnehmen.

Etwa hundert Schritte von der Papenmühle entfernt, ſo ſchreibt er, hat Ihre Majeſtät die Königin-Wittwe ein Haus auf - führen laſſen (mit Saal und verſchiedenen Cabineten), das ganz gelb angeſtrichen iſt und oben, gegen das Dach zu, Niſchen mit Büſten alter Kaiſer und Gelehrten hat, welche abwechſelnd von rother und ſchwarzer Farbe ſind. (Wer roth oder ſchwarz iſt, die Kaiſer oder die Gelehrten, iſt nicht geſagt.) Ihre Majeſtät die Königin pflegen zu allen dieſen äußerſt geſchmackvollen Anla - gen die Ideen immer ſelbſt anzugeben. Dies eben beſchriebene Haus wird das gelbe Haus genannt.

Wir könnten noch von vielen Verſchönerungen der Art er - zählen, deren Verdienſtlichkeit es wenig Abbruch thut, daß das Maaß ihrer Schönheit oft ein höchſt beſcheidenes oder zweifelhaftes war; wir ziehen es aber vor, uns nunmehr jenen Beſuchs - und Familientagen von Schloß Freienwalde zuzuwenden, wo die Kin - der von Berlin herüberkamen: der König, die Königin und mit ihnen die drei älteſten Enkel: Fritz, Charlotte und Wilhelm. Vieles im Schloß erinnert noch an jene Tage ſtillen Glücks, und beſon -*)kerung hat noch jetzt dieſen Sinn beinah gar nicht, wovon ſich jeder über - zeugen kann, der an hübſchgelegenen Orten einer Vergnügungspartie mär - kiſcher Stadt - und Dorfbewohner beiwohnt. Sie ſind ganz bei ihrem Vergnügen, aber gar nicht bei der Landſchaft , der ſie in der Regel den Rücken zukehren. Der Berliner Sommerwohner iſt nicht deshalb ſo beſcheiden in ſeinen Anſprüchen, weil ihm die märkiſche Natur nichts bietet, ſondern weil es ihm ſchließlich gar nicht darauf ankommt, ob die Sache ſo oder ſo iſt.277 ders iſt es Kronprinz Fritz , deſſen Spuren ſich auch hier wieder am deutlichſten verfolgen laſſen. Es ſcheint faſt, daß er oft längere Zeit bei der Großmutter zum Beſuche war; er drechſelte (Einzelnes von ſeiner Hand wird noch gezeigt), ſpielte und kletterte im Park umher, und allerhand Anekdoten curſiren noch von alten viel verfolgten Hofdamen, die, beſonders an Winterabenden, auf dem Heimweg vom Schloß durch ſchattenhaftes Hin - und Herhuſchen, durch Geraſchel in den Zweigen, dann ſpäter am Abend durch Kratzen an der Hausthür oder durch leiſes geſpenſtiſches Klingeln in ihrer Einſamkeit erſchreckt wurden. Das intereſſanteſte Ueber - bleibſel aus jener Zeit aber iſt ein Leierkaſten, der damals dem Kronprinzen zum Geſchenk gemacht wurde, und deſſen Hauptſtück die Papageno-Arie war:

Ein Mädchen oder Weibchen
Wünſcht Papageno ſich;

eine Arie, die womöglich allabendlich und am liebſten mit Vokal - Begleitung, unter den Fenſtern der alten Hofdamen geſpielt wurde.

1805 ſtarb die Königin-Wittwe, und das Schloß zu Freien - walde ſtand, auf viele Jahre hin, leer. Die Invaſion, dann die Kriegsjahre, es waren nicht Zeiten für traulich ruhige Tage in Freienwalde. Erſt wieder in den dreißiger Jahren hören wir von beſtimmten Beſuchern im Freienwalder Schloß. Prinzeß Luiſe von Radziwill brachte hier die Sommermonate von 1836 zu; ſie ſehnte ſich nach Stille, nach Ruhe, und ſie fand ſie hier.

Seit jenen dreißiger Jahren verging kaum ein Sommer, wo nicht das Schloß am Schloßgartenberg, auf länger oder kürzer, ſeinen Beſuch gehabt hätte; aber eine Reſidenz, der Sitz eines Hofhalts iſt es ſeit den Tagen der Königin-Wittwe nicht wieder geweſen.

Wir treten nun an das Schloß ſelbſt heran. Es hat mehr den Charakter eines ſtattlichen, geſchmackvoll aufgeführten Privat - hauſes, als den eines Schloſſes. Würden wir es, ſeinem Styl nach, zu rubriciren haben, ſo müßten wir es als einen Renaiſſance -278 Bau bezeichnen, der ſich, in faſt zu weit gehender architektoniſcher Einfachheit, vorgeſetzt zu haben ſcheint, unter Vermeidung jeglichen Ornaments, rein durch die Proportionen, durch das richtige Ver - hältniß der Formen zu wirken. Unter Laub und Blumen gelegen, aus denen, maleriſch unterbrochen, die gelben Wände hervorleuch - ten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch heißt es auch von dieſen Mauern: ſie haben Leides viel geſehn , ſtilles Leid, aber um ſo tiefer vielleicht, je ſtiller es getragen wurde.

Von dem Innern des Schloſſes gilt daſſelbe wie von ſeiner äußern Erſcheinung, es hat überwiegend den Charakter eines Privathauſes. Geräumige Zimmer, aber weder breite Treppen, noch lange Corridore, weder Hallen noch Säle; ein Bau für eine - nigin-Wittwe, die ſich ſelber leben will, nicht für eine Königin, die Andren leben muß. Die Ausſchmückung und Herrichtung iſt die übliche; nur ſtatt des ſtrengeren Stils der Außenſeite begegnen wir hier den Anklängen an die viel verurtheilte und doch ſo be - hagliche Roccoco-Zeit. Chineſiſche Zimmer und Paradiesvogel-Zim - mer wechſeln unter einander ab, dazwiſchen Roſenſtrauch-Tapeten und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerſtreut ſtehen alte Erinnerungsſtücke, oft mehr abſonderlich als ſchön, und mehr be - merkenswerth um der Perſonen willen, denen ſie zugehörten, als um ihrer ſelbſt willen. An ſolchen eigenthümlichen Werthſtücken ſind die Schlöſſer der Hohenzollern reich, und wie in manchem andern, ſo giebt ſich auch hierin eine Eigenthümlichkeit ihres Hau - ſes zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfniß, ſich aus - ſchließlich mit hoher, mit beſternter Kunſt zu umgeben, ſondern mit Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe faſt, gönnen ſie auch dem Niedrig - gebornen in der Kunſt, den mit ſchüchterner Hand geſchehenen Verſuchen, den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird dieſe Be - merkung am eheſten verſtehn. Es ſpricht ſich beides in dieſer Er - ſcheinung aus, ein Mangel und ein Vorzug. Die Hohen - zollern waren nicht immer äſthetiſch-feinfühlig, aber ſie waren jederzeit human.

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Zu dieſen Betrachtungen giebt auch Schloß Freienwalde ge - nügende Veranlaſſung. Da ſind complicirte Stroh-Nähtiſche mit eingeflochtenen Namenszügen, da ſind Stühle mit hochzuſchrauben - den Lehnen, da ſind endlich Tiſche, aus deren Platten, durch Druck und Zug, ſich Stehleitern (horribile dictu) vor dem erſtaunten Auge aufrichten; lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunſtſinn erſchrickt, während der milde Sinn, der gelten läßt, ſich ihnen zuneigt und des Strebens ſich freut. Aber, gut oder nicht, es ſind nicht dieſe Schöpfungen einer ungeregelten Tiſchler-Phan - taſie, bei denen wir länger verweilen, wir treten lieber aus dem Paradiesvogel-Zimmer auf den Corridor hinaus und ſteigen einige Stufen treppab, um nach jenem beſten Erinnerungsſtück des Hau - ſes zu ſuchen, das vor 60 Jahren der Jubel eines heiteren Prin - zen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da ſteht ſie verſtaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die ſich unter einem Ballen Flachs und Heede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie iſt hin. Die heitren Töne ſpringen nicht mehr, wie elaſtiſch, vom Lager auf; lahm, gebrochen, verſtimmt ziehen ſie langſam durch die Luft und hallen düſter von der Kellerwand zurück. Sechszig Jahr eine lange Zeit. Die Heiterkeit manch zarterer Saite, manch feineren Inſtru - ments, ſchlug um ſeitdem in Weh und Leid.

Schloß Freienwalde iſt unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit, wie ſchon erzählt, hat es ſeine Gäſte, aber Laune und Zufall ge - fallen ſich darin, die ſommerliche Villa vor Allem zu einem win - terlichen Jagdſchloß zu machen. Im December, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Freilich nur auf Stunden.

Dann, um Mitternacht, mit Peitſchenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tiefſtillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verſchneite Schloß. Fackeln280 und Windlichter werfen ihren Schein auf die ausſteigenden Gäſte, hohe, heitre Geſtalten, die den Schnee von ihren Pelzen ſchüt - teln. Sie treten auf wie Solche, die hier zu Hauſe ſind. Diener mit Taſchen und Jagdgeräth, mit Büchſenſäcken von rothem Juch - tenleder, fliegen treppauf, alle Fenſter werden hell, hinter den herabgelaſſenen Rouleaux bewegen ſich einzelne Schatten, dann wird es ſtiller und nur von Zimmer zu Zimmer knarrt noch der Ton, womit der müde Fuß aus dem Stiefel fährt. Noch ein kur - zer Befehl, ein gute Nacht und alle Lichter löſchen aus.

Eh der Tag graut, iſt das Schloß wieder leer. Nur halb - verwehte Schlittengleiſe und lange Streifen, die die Spitze der Parforce-Peitſche durch den Schnee zog, zeigen noch den Weg, den die Gäſte auf ihrer Weiterfahrt genommen. Das Schloß liegt da, wie immer; ſtiller, ſo ſcheint es, denn je. Alles was kam und ging war wie ein Traum über Nacht.

[281]

4. Der Geſundbrunnen.

Hier an der Bergeshalde Verſtummet ganz der Wind, Die Zweige hängen nieder.
(Th. Storm. )

Der Freienwalder Geſundbrunnen liegt eine kleine Viertelmeile von der Stadt, gen Süden hin, in einem mit ziemlich hohen Bergen eingeſchloſſenen, anmuthigen Thal; die Berge ſind mit Eichen, Buchen, Fichten, auch niedrigem Baum - und Strauch - werk bewachſen, und haben viele gute Kräuter. So ſchrieb Tho - mas Philipp v. d. Hagen, dem wir die erſte Beſchreibung Freien - waldes verdanken, vor nunmehr 80 Jahren und wir wüßten nicht, was wir an dieſer Darſtellung zu ändern hätten.

Aber wenn nicht das Brunnenthal ſelbſt, ſo hat doch der Weg hinaus ſeinen Charakter verändert; was damals eine Allee war, iſt jetzt eine ſtädtiſche Straße geworden und hinter den ſchönen Lindenbäumen, die nach wie vor den Weg einfaſſen, er - heben ſich, des Schloſſes und Schloßgartens zu geſchweigen, aller - hand Villen, Hotels und Gärten, aus denen hervor im Mai die weißen Blüthen und im September die rothen Aepfel lachen. Der ganze Weg zum Brunnen hinaus, der einen oder andern unſrer Thiergarten-Straßen nicht unähnlich!

Dieſelben Hügelreihen, die den Weg zum Brunnen bilden, bilden ſchließlich auch das Brunnenthal ſelbſt, das nichts anders282 iſt als eine etwas erweiterte Thal-Schlucht, ein Keſſel, zu dem ſich der Weg verhält, wie eine ſchmale Straße zu einem breiten Platz, auf den ſie mündet.

Es iſt ein September-Nachmittag. An Linden und Sommer - häuſern, zuletzt an der reizend gelegenen Papenmühle vorbei, über deren ſtillen Teich die Schwäne ziehn, haben wir unſern Gang von der Stadt aus gemacht und ſind nun eingetreten in das ſtille Thal, das den Namen des Freienwalder Geſundbrunnens führt. Die Saiſon iſt ſchon vorüber; aber die Quellen ſprudeln weiter und die Nachmittagsſonne ſteht ruhig über dem Thal und wärmt mit ihren Strahlen die ſchon herbſtesfriſche Luft. Ein Kellner, der die traurige Verpflichtung hat, ſeine Zeit hier abzuſtehen , bis die de facto bereits beendigte Saiſon auch de jure geſchloſſen iſt, begrüßt uns, wie der Gefangene den Schmetterling begrüßt, der an ſeinem Fenſter vorüberfliegt ein bloßer Paſſant, aber doch immerhin ein Gaſt. Ohne jegliches Verſtimmtſein entreißt ſich der an dem Pfeiler Lehnende ſeinem wachen Traum, der ihn (wir glauben nicht zu irren) ſo eben an die minder poetiſchen, aber vergnüglicheren Ufer der Spree getragen hatte, in große Säle mit Gaskandelaber und Spiegelſcheiben, mit Palmenkübeln und ſchmetternder Muſik.

Wir erſchienen ihm wohl wie Boten aus dieſem Land ſeiner Sehnſucht. Jedenfalls ließ ſeine Willfährigkeit nichts zu wünſchen übrig und gemeinſchaftlich anfaſſend, wurde an der ſonnigſten Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne Zwang und Mühe arran - girt. Die Zuſammenſetzung erfolgte aus den üblichen Requiſiten: einem weißgeſtrichenen Tiſch mit einem Riß in der Mitte und einem Stuhl mit ſchräg ſtehender Lehne. Schräg, vom Kippeln.

Der Kaffee kam; die Sonne labte uns, alles war heiter, er - quicklich; nur eines ging wie ein Schattenſtrich durch dies Bild voll Licht und Labe: der Kellner ſtand wie angewurzelt an unſrem Tiſch. Ich hätt ihn wegſchicken können, aber auch das erſchien mir unthunlich. Es war erſichtlich, er ſehnte ſich nach dem ſüßen Laut menſchlicher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewiſſern283 konnte: Kroll lebt noch und das Odeum iſt kein leerer Wahn. Ich ließ ihn alſo ſtehen und führte eine jener Unterhaltungen, die man im Lauf der Jahre, ohne Wiſſen und Wollen, führen lernt, und die, einen gewiſſen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange - redeten das Recht gönnen weiter zu ſprechen, aber zugleich durch - klingen laſſen: er thäte beſſer, auf dieſes Recht zu verzichten. Die - ſer Verzicht trat endlich ein und ich war allein.

Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es glücklich gefügt), und dem ſogenannten Kapellenberg, der das Thal ſchließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Dieſe Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geſchweigen, gehören drei verſchiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt; man unterſcheidet bis dieſen Tag ein churfürſtliches, ein alt-könig - liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit laſſen ſo ziemlich alle drei (auch Flügel genannt) gleichviel zu wünſchen übrig; die Colonnade indeſſen, die ſich, unſerer Stechbahn nicht unähnlich, unter dieſen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und gemüthlichen Charakter, und veranſchaulicht uns, auf einen Blick, die Geſchichte der verſchiedenen Epochen des Bades überhaupt.

Dieſe Geſchichte iſt in Kurzem folgende. Wann zuerſt des Bades Erwähnung geſchieht, iſt nicht mit voller Gewißheit feſtzu - ſtellen. Leonhard Thurneißer, der bekannte Alchymiſt, ſchrieb zwar ſchon um 1572 Zwiſchen Freienwalde und Neuſtadt, am Gebirge, iſt ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit ſich, gar klein aber ſchön an Farbe , es bleibt indeſſen zweifelhaft, ob unter dem Flüßlein, der Freienwalder Geſundbrunnen zu verſtehen iſt; wenigſtens fehlen jetzt (ſo viel wir wiſſen) die Rubinlein die kleinen, wie die großen.

Es ſcheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in die Thalſchlucht ausſtrömen und ihren Weg ſich ſuchen ließ. Nur bei den armen Leuten der Nachbarſchaft genoß der Brunnen eines gewiſſen Anſehns und man trank ihn als ein bewährtes284 Mittel gegen hartnäckige Fieber. Was dabei wirkſam war, iſt ſchwer zu ſagen. Auch Augenkranke kamen. Sie legten von dem braunen Ockerſchlamm auf das Auge, und ſahen nach kurzer Zeit wieder klarer und beſſer. Schwerlich war es der braune Eiſen - ſchlamm als ſolcher, der ſo vortheilhaft wirkte, vielmehr die an - haftende Flüſſigkeit, die Eiſenvitriol enthielt. Gehört doch der Zink - vitriol (eine Art Geſchwiſterkind des ebengenannten Eiſenſalzes) bis dieſe Stunde noch zu den bevorzugten Mitteln der Augen - heilkunde.

Jedenfalls war der Ruf und Ruhm des Freienwalder Quells allerlokalſter Natur, bis 1684 die Kunde nach Berlin und bis in das churfürſtliche Schloß drang, daß in Freienwalde ein minera - liſches Waſſer entdeckt worden ſei. Einige mit Fieber und Läh - mung Behaftete ſeien geſund geworden. Der Churfürſt (bereits in ſeinen alten Tagen und von der Gicht ſchwer geplagt) ſchöpfte Hoffnung, daß ihm vielleicht das eigne Land gewähren möchte, was ihm ſo viele Heilquellen bis dahin verſagt hatten und er ſchickte ſeinen Kammerdiener und Chemikus, den berühmten Kunckel (den Entdecker des Phosphors) nach Freienwalde, um ſich von der mineraliſchen Kraft des neu entdeckten Quells zu überzeugen. Der Bericht lautete günſtig und noch im ſelben Jahre trafen der Churfürſt und ſeine Gemahlin als erſte Brunnengäſte im Bade zu Freienwalde ein.

Nun brachen glänzende Tage an. Der Ruf von der Heilkraft des Brunnens verbreitete ſich bis in ferne Gegenden (ferne, nach damaliger Vorſtellung) und im nächſten Jahre, 1685, fanden ſich 1500 Gäſte in Freienwalde zuſammen. Freilich dieſe 1500 Gäſte waren nicht ſammt und ſonders Brunnengäſte, vielleicht nur zum kleineren Theile. Der Churfürſt (der auch in dieſem Jahre mit ſeinem Hofe erſchienen war), ließ zehn Wispel Getreide ver - backen und die Brote ſammt einer Geldbeiſteuer wöchentlich zwei - mal vertheilen woraus genugſam zu erſehen iſt, daß die chur - fürſtliche Gegenwart allerhand armes Volk herbeigelockt hatte, um von der Mildthätigkeit des Fürſten Nutzen zu ziehen. 1686 (in285 welchem Jahre der Churfürſt nicht erſchien) wurde das erſte und älteſte Brunnenhaus gebaut, daſſelbe, das unter dem Namen der churfürſtliche Flügel bis dieſen Tag exiſtirt. Dazu kamen allerhand Vorkehrungen und Einrichtungen: zwei Betſtunden täg - lich, zwei Jahrmärkte die Woche; eine Brunnenkapelle und ein Brunnenkoch. Was dieſen letztern angeht, ſo hatte er die Ver - pflichtung, freilich nur für die Armen, für gr ein gutes Mittagbrod zu liefern. Der Churfürſt that in allem, was er konnte; das nächſte Jahr (1687) machte er ſeinen letzten Beſuch.

Unter der Regierung ſeines Nachfolgers (König Friedrichs I.) hielt ſich Freienwalde im Weſentlichen auf der Höhe ſeines An - ſehens. Die Heilkraft des Brunnens ſtand noch in ſo gutem Ruf, daß das Waſſer deſſelben, behufs mineraliſcher Bäder für den König, nach Alt-Landsberg und Nieder-Schönhauſen gebracht wurde. 1704 und die zwei folgenden Jahre kam er ſelbſt und bezog 1706 das Schloß am Brunnen , das ſchon in dem vor - hergehenden Jahre (1705) vom berühmten Andreas Schlüter für ihn aufgeführt worden war. Dies Schloß, wenn ſchon ein bloßer Holzbau, war ein prächtiges, mit vielen Säulen geziertes, zwei Stock hohes Gebäude, deſſen oberſtes Stock (ſo lautet der Be - richt) aus 64 Säulen beſtand, auf denen das Dach ruhte. Eine Beſchreibung, die ziemlich phantaſtiſch klingt, mit der es aber doch ſeine Richtigkeit hat. Beckmann, in ſeiner Beſchreibung der Chur - mark Brandenburg , giebt Th. I. S. 595 eine ſehr hübſche Ab - bildung dieſes Sommerſchloſſes, das mit ſeiner Fülle leichter gra - ziöſer Säulen von äußerſt maleriſcher Wirkung geweſen ſein muß. Im oberſten Stock war ein Speiſeſaal. Dies Schlüter’ſche Bau - werk hatte nicht langen Beſtand. Regengüſſe unterwühlten es ſchon 1707, ſo daß der König es raſch verlaſſen und ſeine Rückkehr beſchleunigen mußte;*)Iſt dieſer Bericht zuverläſſig, und es liegt kein Grund vor, dies zu bezweifeln, ſo wirft der hier erzählte Vorgang ein intereſſantes und 1722 wurde es unbewohnbar gefunden und abgebrochen.

286

Schon während der letzten Regierungsjahre des erſten - nigs hatte das Bad (Friedrich I. ſcheint es nach jenem Vorfall nicht wieder beſucht zu haben) an Anſehen verloren; unter ſeinem Nachfolger dem Soldatenkönig ſank es mehr und mehr. Ein glückliches Ohngefähr indeß wollte es, daß im Jahre 1733 einige von den allerlängſten Potsdamer Grenadieren ihre Geſundheit hier wieder fanden und von dem Augenblick an war das Bad zu Freienwalde dem König beſtens empfohlen. Ein neuer Flügel (der alt-königliche) wurde gebaut, die Quellen erhielten eine neue Faſ - ſung und über der bedeutendſten derſelben ward ein auf acht Säulen ruhendes, natürlich hölzernes Brunnenhaus errichtet, das den ſtolzen Namen Tempel führte und folgende Inſchrift er - hielt:

Steh ſtille, Wanderer, betrachte dieſe Quellen,
Sie helfen wunderbar in vielen Krankheitsfällen.
Eh Du von dannen geh’ſt, gedenk an Deine Pflicht,
Sei dankbar gegen Gott, vergiß der Armen nicht.
Haſt Du dies Haus und Bad bewundernd angeſchaut
Und fragſt, warum es denn nach Tempel-Art gebaut,
So wiſſe, Gott iſt ja der Segens-Quell allein,
Darum muß unſer Herz auch hier ſein Tempel ſein.

Wie der unbekannte Verfaſſer die Logik dieſer letzten Zeile*)mancherlei erklärendes Licht auf die beinahe gleichzeitigen Vorkommniſſe in Berlin. 1706 ſtürzte am Schloß der von Schlüter (freilich gegen ſeinen Rath) erbaute Münzthurm ein und von da ab begann die ſiegreiche Ka - bale ſeiner Gegner. Das Verfahren gegen Schlüter iſt immer als hart und ungerecht verurtheilt worden. Bringt man nun aber andererſeits in Anſchlag, daß faſt unmittelbar darauf, im Sommer 1707, das Münz - thurm-Malheur ſich in Freienwalde wiederholte, ſo erſcheint das harte Verfahren gegen Schlüter um vieles verzeihlicher. Die Kabale bleibt verwerflich, aber der König urtheilte nach dem Augenſchein. (Neue Arbeiten Profeſſor Adlers haben aus den damaligen Berliner Bauakten ohnehin dargethan, daß Schlüter, bei all ſeiner Größe und Genialität, doch keines - wegs ſchuldlos war und daß er in allem, was conſtruktive Kenntniß an - ging, allerdings hinter ſeinem, ihm ſonſt in keiner Weiſe ebenbürtigen Rivalen, Eoſander von Goethe, zurückblieb.)287 hat aufrecht halten wollen, iſt ſchwer einzuſehen. Je mehr das Herz ein Tempel iſt (ſo ſollte man meinen), je weniger nöthig wurde dieſer Holzbau. Gleichviel indeß. Der Holzbau ſammt ſeiner Inſchrift iſt längſt hinüber und ſeine Alexandriner geben keine Räthſel mehr auf.

Auch Friedrich II. fügte ein neues Brunnenhaus (das neu - königliche) den ſchon vorhandenen Gebäuden hinzu und gab da - durch dem Brunnenthal, wenn wir von feineren Zügen abſehen, den Charakter, den es noch jetzt beſitzt. Eine beſondere Theilnahme ſcheint der große König dem Bade nicht geſchenkt zu haben. An Schönheit der Natur bot ihm die Umgegend Potsdams kaum Ge - ringeres und was die Heilkraft des Brunnens angeht, ſo war es verzeihlich, wenn er den Skepticismus, der ihn auf allen Gebieten auszeichnete, auch auf den flüchtigen Schwefel - und Brunnen - geiſt , den Spiritus sulphuris volatilis , der Freienwalder Heil - quelle übertrug. Es war übrigens die Zeit gekommen, wo Private das Bad in ihre ſchützende Obhut nahmen, beſonders Herr We - gely aus Berlin, der unter mannigfach anderem auch Frei-Bäder für die Armen ſtiftete und deshalb ebenfalls in einer Inſchrift verherrlicht wurde, deren Schluß lautete:

Was für die Armen hier Herr Wegely gethan,
Zeigt dieſes Brunnenhaus der fernſten Nachwelt an;

eine Aufgabe, der ſich das Brunnenhaus ſeit längerer Zeit nicht mehr zu unterziehen vermag, da es wie der andere Tempel in - zwiſchen vom Schauplatz abgetreten iſt.

An die Stelle dieſer Werke der Architektur trat inzwiſchen als Brunnenhüterin ein Werk der Skulptur: eine Najade, mit einem Ruderſtück in der Rechten, liegt läſſig hingeſtreckt über dem Heilquell und aus der Urne neben ihr fließt der Waſſerſtrahl. So weit iſt alles gut. Aber eine ſonderbare Oekonomie hat darauf gedrungen, daß das Waſſer nicht frei in ein Baſſin oder eine Rinne ſtrömt, ſondern in ein untergeſtelltes Gefäß, das zwiſchen288 Blumenvaſe und Topf nur nothdürftig die Mitte hält. Der Effekt iſt überaus komiſch und man begreift den pausbackigen Amorin durchaus, der über die Bruſt der Najade hinweg, lächelnd in den Topf und auf das fließende Waſſer blickt. Das Ganze iſt vielleicht ein Unicum heitrer Naivetät und während es, in Form und Ge - genſtand, die Antike zu copiren meint, erinnert es doch, dem Geiſte nach, der es ſchuf, durchaus an den Humor des Mittelalters, viel - leicht zumeiſt an die bekannte kleine Brunnenfigur in Brüſſel.

Der Reiz dieſer Baulichkeiten, aller dieſer Werke der Skulp - tur und Architektur, iſt nicht groß, und wenn es doch einen Zau - ber hat, in dieſes Brunnenthal einzukehren, ſo muß es ein andres ſein, was an dieſer Stelle erquickt und labt. Ich glaube zu wiſ - ſen, was es iſt. Es iſt das Gefühl eines vollen Geſchützt - und Geborgenſeins, es iſt die Stille dieſes Thales, vor allem ſeine Herbſtes-Stille.

Gewiß, daß es hier auch ſchön iſt, wenn die Saiſon auf ih - rer Höhe ſteht, wenn die Brunnenmuſik ihre Märſche ſpielt, wenn die Toiletten einheimiſcher und fremder Damen ihr Beſtes thun, wenn die jungen Paare kichern und die alten Herren ihre eigenen Anekdoten ſo laut belachen, daß ſelbſt die Blechinſtrumente auf Augenblicke dagegen verſtummen. Aber wie ſchön es immer in den Tagen der Saiſon an dieſer Stelle ſein mag, wenn die Najade, die ſprudelnde Wirthin dieſes Thales, umworbener iſt als alle ihre Gäſte, die jüngſten und reizendſten nicht ausgenommen, die eigentlichſte Zeit dieſes Thales iſt doch die, wenn der ſtille Herbſt hier einzieht, wenn die letzte Sommerroſe hinüber iſt und ſelbſt die Malve blaß wird und der Aſter das Feld räumt.

Ein ſolcher Herbſttag iſt heute. Hoch in der Luft, über die Berge hin, zieht der Herbſtwind; mitunter iſt es, als kläng er bis in’s Thal hernieder, aber wir hören nur den Lüfteſtreit hoch oben, die Luft unten ſteht unbewegt. Die Vögel ſingen nicht mehr oder ſind ſchon fort, nur noch das Sonnenlicht hüpft in den289 Zweigen. Die Tannenäpfel fallen nieder auf den Kiesweg des Parks, aber nicht losgelöſt von der Schüttelhand des Windes, nur losgelöſt von Alter und eigner Schwere. Die Quellen rau - ſchen, die Sommerfäden ziehen, Bilder kommen und gehen; dem Ohre klingt es wie leiſe Muſik. Von wannen kommt ſie? Iſt es die Luft, die klingt, oder iſt es das eigene Herz?

19[290]

5. Der Roſengarten. Der Baaſee.

Und wo der Roſengarten war, Da ſoll der Liliengarten werden.
(Uhland. )

Das Brunnenthal iſt ſtill und windgeſchützt, aber in ſeinem Rücken liegt eine ſtillere Stelle der Friedhof. Es iſt ein klei - ner, von einer niedrigen Steinmauer eingefaßter, mitten im Wald gelegener Begräbnißort, ſo recht ein Platz, wo

jeder eitle Kummer,
Dir wie ein Traum zerfließt,
Und Dich der letzte Schlummer
Im Bienenton begrüßt,

ein Platz, der uns mit dem Gedanken des Scheidens verſöhnt und uns im Tiefſten empfinden läßt:

Die Ruh iſt wohl das beſte
Von all dem Glück der Welt.

Die Pforte, einladend, ſteht immer offen, die Waldblumen blühen draußen und drinnen und die Buchen legen, von außen her, ihre grüne Hand auf die Gräber, als wollten ſie den Schlum - mer Derer, die drunter ruhn, noch ruhiger machen.

Es iſt dies die Begräbnißſtätte nicht für Freienwalde ſelbſt, ſondern für Die, die als Gäſte kamen, um Geneſung zu ſuchen und ſie an dieſer Stelle fanden.

291

Dieſer Friedhof heißt der Roſengarten. Er heißt ſo, nicht aus Laune oder Einfall; der Fleck Landes, der dieſen Namen führt, hieß ſchon ſo, lange bevor der erſte Gaſt durch das offen - ſtehende Gitter einzog. Es hat das folgenden Zuſammenhang. Die weiten Waldreviere, die Freienwalde nach Weſten hin umgeben und alle Thalſchluchten mit Laubholz füllen, waren, in alten Zei - ten ſchon, immer reich an wilden Roſen, an weißen, rothen und gelben, und wer um die Johanniszeit durch dieſe grünen Schluch - ten zog, dem war es, als flögen Schmetterlinge vor ihm her durch den Wald. Die Stelle aber, wo die Roſenſträucher am dich - teſten ſtanden und einen kleinen Wald im Walde bildeten, dieſe Stelle lag im Rücken des Brunnenthals und hieß der Roſen - garten. Die Sträucher verſchwanden allmälig, das erſte Grab wurde gegraben, andere Gräber folgten, die Steinmauer wurde gezogen, aber der Name blieb, und von den Geſtorbenen heißt es ſinnig und ungezwungen: ſie ſchlafen im Roſengarten.

Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im Rücken des Roſengartens, liegt der Baa-See, ein Lieblingsplatz, und mehr denn das, der Stolz der Freienwalder. Sie überſchätzen ihn offenbar, was indeſſen darin ſeinen guten Grund hat, daß er die einzige, landſchaftlich in Betracht kommende Waſſerfläche iſt, die die ſchöne aber etwas monotone Freienwalder Landſchaft (eine immer wiederkehrende Berg - und Wald-Couliſſe) gefällig unter - bricht. Wenn noch ein anderes hinzukommt, was hier eine Repu - tation machen hilft, ſo iſt es vielleicht der Umſtand, daß der Baa - See, wie eine vielgeſuchte Schöne, ſich nicht finden läßt, daß er Verſteckens mit ſeinen beſten Freunden ſpielt, ja daß es oftmals iſt, als würd er von Kobolden im Walde hin und her getragen. Endlich doch gefunden, wird es ſeiner Schönheit mit angerechnet, daß er ſich überhaupt hat finden laſſen.

Auch wir ſuchten ihn, ohne ihn finden zu können. Ermattet warfen wir uns endlich in das Waldmoos, das feucht und ſchwel - lend um uns her ſtand. Wir ſchloſſen die Augen, träumten, rie - fen auch wohl den Waldgeiſt, zuſammt der Baa-Nixe, an, es19*292gnädig mit uns zu machen. Als wir wieder aufblickten, ſahen wir, waldeinwärts, aber dicht hinter uns, zwei Mädchen-Geſtalten, die tief in Farrenkraut ſtanden und nur mit Kopf und Bruſt über das grüne Blattwerk hinwegragend, lächelnd zu uns herüber ſa - hen. Es war wie ein Bild aus den fleurs animées.

Wir wußten nicht, ob wir ſie anrufen ſollten, aus Furcht, die hohen Farrenkräuter möchten die zwei Köpfe wieder einziehen, die nur eben, wie neugierig, in die Welt des Lichts hineingeſtreckt ſchienen.

Aber die Beiden kamen uns zuvor. Sie traten aus dem grü - nen Geſtrüpp heraus, barfuß, hochgeſchürzt und riefen uns zu: Der See liegt da hinauf! Dabei machten ſie eine Handbewe - gung nach rechts hin und zeigten die Schlucht hinan, durch die wir, auf unſern Irrfahrten, eben herabgeſtiegen waren.

Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hübſchere, noch ein halbes Kind, und nachdem wir Begrüßungsworte mit ihnen gewechſelt und uns an dem beſcheiden-kecken Ton beider gefreut hatten, wurden wir einig, daß ſie uns bis zum Baa-See hin als Führer begleiten ſollten.

Es iſt allzeit ſchwer, wo immer es ſei, mit jungen Dirnen ein einfach Geſpräch zu führen, und den klaren, ſprudelnden Ton zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie der Forelle im Quellwaſſer; aber es iſt doppelt ſchwer mitten im Walde, über dem die Mittagsſchwüle brütet, nichts vernehmbar als der Specht im Tann und dann und wann das Rufen des Pfingſtvogels. Zu der Scheu der Geiſter kommt eine Scheu der Natur, die Scheu des innerſten Ich.

Wir verſuchten ein Geſpräch, aber es ſcheiterte; die Einſam - keit, die ſonſt ſo nahe führt, hier zog ſie eine Schranke. So ga - ben wir’s auf, und die beiden Mädchen, nunmehr unbeläſtigt durch unſere Fragen, ſchritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Es war ein reizendes Bild; zu beiden Seiten ſtand der Wald und ſchloß ſich über dem Hohlweg, in dem wir gingen; nur ein ſchma - ler Streifen blauen Himmels ſah hindurch. Die Schlucht ſelbſt293 war tief und vom Regen ausgewaſchen. Die Wandungen rechts und links zeigten allerlei Wurzelgeflecht, das dann und wann phantaſtiſch aus der rothen Erdwand hervorſah. Die beiden Mäd - chen blickten ſich nicht um, ſie ſprachen auch nicht, aber es hielt nicht ſchwer, dem Gang ihrer Gedanken zu folgen. Sie ſprachen die Sprache der Bewegung. Beide hatten einen elaſtiſchen Gang (eine Tugend, deren ſich die Leiber unſeres Volkes nur ausnahms - weiſe zu rühmen haben) und wie bei guten Schlägern nicht die Bewegung des Armes, ſondern die Biegung des Gelenks die beſten Hiebe führt, ſo bewegten ſich auf dem Bilde vor uns nur Hüfte und Nacken, während der Unterkörper, trotz rüſtigen Schreitens, in ſtatuariſcher Ruhe zu verharren ſchien. Die ältere wollte gefal - len, die jüngere dalberte nur, und während jene mit einem ge - wiſſen koketten Ernſt ihre Schritte that, kicherte die andere und erröthete über Ohr und Hals.

Nun kletterten ſie die Wandung des Hohlweges hinauf und liefen waldeinwärts. Als wir ſie wiederfanden, ſtand die jüngere auf einem ſteilabfallenden Bergeck und hielt ſich mit der linken Hand an einem Wachholderbuſch, während ſie mit der rechten in die Tiefe zeigte. Unten lag der Baa-See, das erſehnte Ziel unſerer Wanderung. Wir traten heran und hielten Umſchau. Aber das Bild des Mädchens war ſchöner als der See; die Staffage ging über die Landſchaft.

Was den Baa-See zu keiner tieferen Wirkung kommen läßt, iſt wohl das, daß er einer gewiſſen Miſchgattung von Seen ange - hört und zu jener Klaſſe zählt, die zu finſter iſt, um zu erheitern, und doch wieder zu heiter iſt, um den vollen Eindruck des Schauer - lichen zu machen. Viel freilich hängt dabei von der Beleuchtung und noch mehr vielleicht von der Jahreszeit ab.

Wir ſahen ihn bei Sonnenſchein. Lachende Mädchen ſaßen am Ufer hin und flochten Kränze aus Moos und Waſſerblumen; ein Boot mit zwei Jägerburſchen fuhr über den See, der eine ruderte, während der andere von Zeit zu Zeit Hornſignale in den Wald blies. Die Mädchen am Ufer richteten ſich auf, grüßten mit294 flatternden Hutbändern und klatſchten Beifall; Sonne, Luſt und Liebe ſchienen ſich ein Rendezvous an dieſer düſteren Stelle haben geben zu wollen. Es war, als ob der Griesgram lachen ſollte; aber es ging nicht, es kleidete ihn nicht.

Ich fürchte, wir haben den Baa-See zur Unzeit geſehen. Ungleich ſchöner muß es hier ſein, wenn das Laub hin iſt und ſtatt der grünen Kronen die grauverzweigten Stämme ihr Bild in den See werfen; am ſchönſten aber in Sturm - und Winternäch - ten, wenn der Mond grell-eiſig am Himmel ſteht und ſtatt des Jagdhorns des Jägerburſchen, das eben verklingt, das Halloh des wilden Jägers über Wald und See zieht.

[295]

6. Hans Sachs von Freienwalde.

Ich habe ſchon wieder auf Lieder gedacht, Ich fühle ſo friſch mich, ſo jung.
(Chamiſſo. )

Die Straßen in Freienwalde ſind Hügelſtraßen und führen berg - auf und bergab. Die belebteſte derſelben, die Berliner Straße, ha - ben wir eben ihrer ganzen Länge nach paſſirt und noch immer nicht gefunden, was wir ſuchen. Aber das muß es ſein es iſt das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund, nach der Straße zu ſtehen drei Linden und inmitten dieſer Land - ſchafts-Requiſiten erhebt ſich ein alter Fachwerkbau, an dem ein erkerartig vorſpringendes Fenſter und zwei Roſenbäume ſo ziemlich das Beſte ſind. Die Roſenbäume faſſen das Fenſter ein, aber ſie müſſen den ſchmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen, auf denen wir im Lapidar-Styl leſen: Schirme reparirt; Drechs - lerarbeit in Holz und Horn. Dazu eine große, in Holz geſchnit - tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem Ganzen ſchwebt.

Das iſt allerdings, was wir ſuchen. Hier wohnt Carl Weiſe, Poeta und Drechslermeiſter von Freienwalde,

Drechſelt Pfeifen in guter Ruh
Und macht auch wohl ’nen Vers dazu.

Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten296 Styls und wir treten guten Muthes ein. Eine Thürklingel nicht eine von den geräuſchvollen, die, einmal in Bewegung geſetzt, wie ein bellender Dorfſpitz, gar kein Ende finden können, ſondern eine von den leiſen, wohlerzogenen kündigt unſer Eintreten an und eh wir uns noch in dem Halbdunkel (für das die draußen - ſtehenden drei Linden ſorgen) zurecht gefunden haben, erſcheint aus der Werkſtatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades hörten, ein ſtattlicher Mann, hemdsärmlich, im Arbeits-Koſtüm und ſieht uns freundlich fragend an. Er iſt ein Vierziger, brünett, groß, breitſchultrig, ſeiner ganzen Erſcheinung nach von ſüdſlawi - ſchem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Sereſchaner-Hauptmann, als ein Drechslermeiſter oder Poet. Nichtsdeſtoweniger iſt er beides und in dem friedliebendſten Dialekt der Welt, im reinen Hallenſiſch, fragt er nach unſrem Begehr.

Wir reichen ihm die Hand, ſagen ihm, daß wir, als gelegent - lich Versbefliſſene, gekommen wären, um das Handwerk zu grü - ßen und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend mit ihm draußen im Freien zu verplaudern.

Unſer Poet ſchlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt ohnehin an Feierabend und ſich auf Minuten bei uns entſchuldi - gend, führt er uns zunächſt in das nebenan gelegene Zimmer, das, mit ſeinen geſchmückten Wänden, die Honneurs des Hauſes macht.

Wir benutzen dieſe Pauſe, uns in dem Putz - und Empfangs - zimmer neugierig umzuſehen und ſind überraſcht von der Sinnig - keit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus iſt, ſo iſt dies das Poetenſtübchen. Blumen und Bilder wechſeln unter einander ab; Geranium und Primel blicken ſchüchtern zu einer Flora auf, Epheutöpfe ſpannen ihren grünen Bogen über Schrank und Spiegel und zwiſchen allermodernſte Farbendrucke drängen ſich, in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzöſiſche Stiche: Vue des Environs de Saverne; dedié à Madame la Marquise de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire. Das ſcheint nicht zu einander zu paſſen, aber es paßt alles ſehr gut. Was unſere mo - dernen Zimmereinrichtungen ſo langweilig macht, das iſt das297 Schablonenhafte und das Beziehungsloſe. Hier hat alles eine Beziehung, eine Geſchichte, wäre dieſe Beziehung auch oft keine andere, als, innerhalb der Kleinwelt, eine mühevolle Eroberungs - Geſchichte.

Unſer Poet hat ſich inzwiſchen reiſefertig gemacht und bietet uns freundlich ſeine Führerdienſte an. Wer wäre dazu geeigneter, als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt, ſondern auch die ſchönſten Punkte in Berg und Thal beſungen hat; die vorgeſchrittene Stunde aber macht es uns wünſchenswerth, auf entferntere Touren zu verzichten und unſere Wünſche beſchei - dentlich in ein je näher, je beſſer kleidend, ſchreiten wir dem unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, deſſen bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon ꝛc. ) wir ſchon in einem frü - heren Kapitel kennen lernten.

Aber heute laſſen wir Schloß und Pavillon am Abhang des Berges liegen und ſteigen höher hinauf, wo ſchmale durchs Park - holz geſchlagene Wege in endloſen Windungen die obere Hälfte des Hügels umziehen. Kein beſſerer Plauderweg denkbar, als ſolch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmeſſer, und die 7mal auf - und abge - ſchrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein 7mal gerückter Zeiger; aber der Schlängelweg entzieht ſich jeder Zeitcontrole und die Frage nach dem zuviel wird rein praktiſch durch den ermüdeten oder nicht ermüdeten Fuß entſchieden. Die Füße aber ermüden ſchwer bei guter Unterhaltung und ſolcher erfreuen wir uns an der Seite unſeres Führers und Genoſſen. Von Zeit zu Zeit, wo eine Lichtung im Park einen Blick ins Freie geſtattet, ſtockt das Geſpräch, aber es iſt nur ein läſſiges Fallenlaſſen des Fadens, er ruht nur, er iſt nicht abgeſchnitten. Ungeſucht nimmt ſich das Geſpräch an ſelber Stelle wieder auf und in die ſtille Abendland - ſchaft, mit ihrem wechſelnden Hintergrund, ſtellt ſich immer klarer die Geſtalt, das Bild unſeres Freundes, wie ſein eignes Wort es vor uns entrollt.

Er beginnt mit Schilderungen aus ſeiner Heimath, ſeiner298 Kindheit. Am Giebichenſtein ſpielt er umher; er ſingt und klettert unter Fels und Trümmern, und thut unbewußt ſeinen erſten Trunk aus Romantik und Märchenwelt. Er ſingt des Knaben Berglied , er hat eine klare Kinderſtimme; aber was frommt dem armer Leute Kind Lied und Geſang, wenn beide nicht zu erwerben verſtehen? und ſo finden wir unſeren jungen Freund in den dun - keln Straßen Halle’s wieder, er trägt den Currende-Mantel, und ſingt um’s Brot. Sei’s drum, es haben es beſſere vor ihm gethan. Aber Frau Muſika führt einen knappen Haushalt und andere freie Künſte müſſen helfen. Zunächſt die Dichtkunſt. Zunft - mäßig tritt er bei ihr ein; Friedrike Schmidt, eine blinde Dich - terin ſeiner Vaterſtadt, diktirt ihm ihre Lieder und gelehrig wie er iſt, lernt er der Frau Meiſterin die paar Handtirungen ab, die ihre Kunſt ausmachen und verſucht ſich ſelbſt alsbald in ſeinen erſten Verſen.

Glückliche Jahre waren es, dieſe Lehrjahre bei der freien Zunft, aber wirkliche Lehrjahre ſollten folgen, die Drechslerkunſt löſte die Reimkunſt ab, und an die Stelle der blinden Frau Meiſterin trat ein Meiſter, der ſcharf nach dem Rechten ſah.

Wer indeſſen, ſo fragen wir, der geſunden und vor allem poetiſchen Geiſtes iſt, trüge nicht verhältnißmäßig leicht dieſe Tage des Lernens und der Laune, dieſe Tage voll Zwang und Druck und Enge? Auch der Bedrückteſte, er ſieht ein Ende ab; in wei - ter, aber immer kleiner und kürzer werdender Ferne, jetzt drei Jahre, nun zwei, jetzt nur noch eins, ſteht es wie ein Lichtſchein und wächſt und nimmt Geſtalt an, und endlich erkennbar gewor - den, ſehen wir wie die Geſtalt nach außen zeigt, jenſeit des Gitterthores, in ein weites Land der Freiheit hinein. Das ſind die Wanderjahre, die den Lehrjahren folgen, ein Wechſel, den das Leben jedem beſcheert, er ſei hoch oder niedrig geboren, ſei Burſch oder Handwerksburſche.

Dieſe Zeit der Freiheit kam endlich auch unſerm Poeten, er wanderte. Er wanderte mit Luſt und ſeine Lieder ſelbſt haben uns ein paar Klänge davon aufbewahrt. Er zog weit umher, arm,299 glücklich, liederfroh, bis er plötzlich, wie mancher vor ihm, eine Leere und eine Sehnſucht in ſeinem Herzen wach werden und wachſen fühlte, die ihn nun wieder heimwärts trieb. Er ſang:

Wir ſind nicht blos zum Wandern
(Wie’s immer auch gefällt),
Wir ſind zu manchem andern
Und beſſrem in der Welt;

und mit dieſer Betrachtung kehrte er in ſeine Vaterſtadt zurück.

Die Heimath nahm ihn wieder auf, und wenn ſein Wander - leben poetiſch geweſen war, wie es das Vorrecht allen Wander - lebens iſt, ſo war es ihm nun, bei ſeiner Rückkehr, vor manchem andren Wandrer beſchieden, daß er nicht aus der Poeſie des Um - herſtreifens in die Alltags-Proſa eintrat, ſondern daß der Roman ſeines Lebens nun erſt voll begann. Dem lyriſchen Vorſpiel folgte die dramatiſche Aktion; an Effekt-Scenen kein Mangel.

Die Perſonen, die in dieſem Drama kommen und gehen, leben zum großen Theile noch und ſo ſind uns an dieſer Stelle nur Andeutungen geſtattet. Verlobungen aus Träumerei und ro - mantiſchem Ehrbegriff, Trauungen auf dem Todtenbett, räthſelhafte Wiedergeneſungen, Entſagungen aus phantaſtiſcher Opferfreudigkeit und Trennungen aus Liebe, dabei Armuth in Reichthum und Reichthum in Armuth, ſo jagen ſich die wunderlichſten Scenen und Gegenſätze, bis wir, nach einem Leben, das den Roman auf ſeinem eigenen Felde ſchlägt , unſern Freund in die einfachſten Verhältniſſe zurückkehren und an der Seite der ſchlichteſten, aber beſten Frau endlich Ruhe finden ſehn.

Dieſe Ruhe indeſſen entbehrte der Sorge nicht. Schwere Zei - ten kamen und in dieſen ſchweren Zeiten begann die Saite wieder zu klingen, die in den Jahren reicher und ſich drängender Erleb - niſſe geſchwiegen hatte. An der Drehbank, unter dem Surren des Rades, fielen mit den phantaſtiſch gekräuſelten Flocken auch wieder die erſten Lieder ab. Sie fanden freundliche Hörer, bald auch Leſer, und jenen erſten Liedern ſind ſeitdem andere gefolgt.

300

Wir wenden uns hier von unſerm plaudernden Freunde, nach deſſen Mittheilungen wir dieſe Skizze zu zeichnen verſuchten, ab und ſtatt deſſen ſeinen Liedern zu.

In ſeiner erſten Sammlung, die den faſt allzupoetiſchen Titel Blumen der Wälder führt, erblicken wir ihn nicht auf ſeinem eigentlichſten Gebiet, überhaupt aber mit einer Aufgabe beſchäftigt, die ſchwerlich jemals von einem Dichter gelöſt worden iſt. Es han - delt ſich in dieſen Liedern um eine Verherrlichung der Freienwal - der Natur und die urſprüngliche Abſicht des Dichters ſcheint auf nichts geringeres ausgegangen zu ſein, als in einem wahrhaft be - ängſtigenden Drange nach Vollſtändigkeit, jeder Kuppe (er ver - zeihe den Ausdruck) einen poetiſchen Zettel umzuhängen. Das glückt nie. Eine ſolche Aufgabe iſt unpoetiſch in ſich und in der - ſelben Weiſe wie es unmöglich iſt, auf ſämmtliche Schiffe der eng - liſchen Flotte, oder auf ſämmtliche Regimenter der preußiſchen Ar - mee einen Sonetten-Cyclus zu machen, ſo verbietet es ſich auch, die weitausgeſpannte Freienwalder Landſchaft, Nummer für Num - mer zu beſingen. Der Verfaſſer ſcheint das ſchließlich auch ſelber empfunden und den zweiten, bereits angekündigten Band (der weitere 20 Lieder derart bringen ſollte) glücklich unterſchlagen zu haben.

Was dieſen Blumen der Wälder indeſſen, wenigſtens in dem dichteriſchen Entwickelungsgange unſeres Freundes, einen Werth verleiht, das iſt ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu den übrigen Liedern der Sammlung ſtehender Anhängſel, worin der Dichter unſerm Altmeiſter Friedrich Rückert (dem er auch die Sammlung gewidmet hat) ſeine Huldigung darbringt. Dies Lied nennt ſich Meiſter Rückert und ſein Lehrjunge und iſt ein ſehr glücklicher Griff. Es iſt friſch, natürlich, originell. Der geſchilderte Hergang iſt folgender: Unſer Freienwalder Freund hat vor, dem alten Rückert zu ſeinem 70. Geburtstage in Verſen zu gratuliren. Er ſchickt Frau und Kinder möglichſt früh zu Bett und ſetzt ſich bei der ſprüchwörtlich gewordenen Poeten-Lampe nieder, um Gedanken und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten -301 Lampen verzehren Oel und die wackere Hausfrau (die ſchließlich doch für Alles aufkommen muß) ſtellt von ihrem Bett aus ein - ſchneidende Betrachtungen über dieſen Gegenſtand an. Endlich, auf der Höhe des Conflicts, tritt unſer Dichter aus der Wolke des Geheimniſſes heraus und erklärt, um was es ſich handle. Nun wendet ſich das Blatt. Mit Vater Rückert iſt das was andres ; über unſere Poetenfrau kommt ein wahrer Opfermuth, und ſiehe da

Als durch’s Immergrün umſchmückte
Nied’re Werkſtattfenſterlein
Gold’ner Frühſtrahl mich erquickte,
Schloß ihr Kranz mein Liedchen ein;
Schüchtern wag ich’s darzubringen,
Vieler Lied wird heut Dir klingen,
Sinn’ger alle wohl wie mein’s,
Inn’ger aber doch wohl keins.

Dies Lied weckte unſrem Poeten viele Freunde, aber was wichtiger iſt, es ſtellte ihn und ſein Talent an den rechten Fleck. Er ſelbſt ſchon, in dunkler Ahnung davon, hatte dieſem Liede das Motto gegeben: Geh vom Häuslichen aus und verbreite Dich ſo gut Du kannſt über die Welt. Wie dieſe Worte Motto ſei - nes Liedes geweſen waren, ſo wurden ſie nun auch das Wort, die Mahnung für ſein poetiſches Schaffen. Das Haus und ſein perſönliches Erlebniß innerhalb deſſelben, vor allem ſeine blonde Frau, in ihrer Schlichtheit und Häuslichkeit, wurden der Mittel - punkt ſeiner Dichtung und mit innigem Gefühl konnte er von der letztern ſingen:

Als Beſtes wardſt Du mir gegeben,
Du, die nicht meine Lieder lieſ’t,
Und dennoch Stoff aus ihrem Leben
In jedes meiner Lieder gießt.

Ein neuer Geiſt kam in ſein Schaffen, das Gezwungene fiel fort, das Natürliche trat an die Stelle und ein Jahr ſpäter konnte er der Welt ſeine erſte wirkliche Dichtung bieten. Sie führt den302 Titel die Braut des Handwerkers . Es iſt ein Idyll, das uns, in fünf Kapiteln, vom Morgen bis zum Abend des Hochzeitstages führt. Alles was uns ein Menſchenherz lieb und werth machen kann, das klingt hier zuſammen: Genügſamkeit, kindlich-frommer Sinn, Liebe, Pietät und Gottvertrauen. Die erſten Geſänge (viel - leicht die gelungneren) zeigen uns die Braut, wie ſie das ein - gebrachte Geſpinnſt vor dem Bräutigam ausbreitet, darunter auch ein Leinenſtück, bei deſſen Anblick ihr unwillkürlich die Thränen aus den Augen brechen. Es erinnert ſie an ihre Kinderjahre, an den Tag, wo, nach Feuersbrunſt und Noth und Krankheit, die fleißige Hand ihrer Mutter, das Garn zu dieſem Stück zu ſpin - nen begann. Sie entſinnt ſich auch der Worte, die damals die Mutter zu ihr ſprach und ſie wiederholt ſie jetzt:

Setz auf den Herrn Dein ganzes Hoffen,
Laß nie von ihm bei Andrer Spott;
Jemehr das Unglück Dich betroffen,
Je inn’ger ſchließe Dich an Gott;
Laß Fleiß durch Deine Tage blühen
Und heiter lächeln wird ihr Glanz,
Hoff und vertrau, auf Schweiß und Mühen
Legt endlich Gott den Segenskranz.
Es wird das Häuschen neu erſtehen,
Wir werden es nach Gottes Rath
Im Schmuck der Reben wiederſehen,
Aus Thränen ſprießt die Freudenſaat.
Und nun, mein Kind, friſch angefangen,
Bring Arbeit mir ans Lager her,
Beim Schaffen haben Gram und Bangen
Auf unſer Herz die Macht nicht mehr.

Mit dieſen Worten, die ſich mehr denn einmal auch an unſrem Freunde ſelber bewährt haben, nehmen wir Abſchied von ihm. Noth und Sorge, wie wir geſehen haben, ſind ihm nicht geſchenkt worden und er liebt es wohl, nicht ohne einen leiſen Anflug von Bitterkeit, ſein Leben mit dem des Gellertſchen Eſels zu vergleichen, den alle drei Brüder benutzen und alle drei futtern303 ſollten; ſie benutzten ihn auch alle drei, aber keiner futterte ihn. Indeſſen ſei es drum; eben der Segen der Arbeit, von dem jene Strophen ſprechen, hat auch ihm über vieles hinweggeholfen; Hu - mor und Dichtkunſt haben ein weitres gethan und werden es fer - ner thun.

Vor allem aber möge ihm, in Leben und Dichten, der be - ſcheidne Sinn verbleiben, der ihn an die Spitze ſeiner erſten Lie - derſammlung die Worte ſtellen ließ:

Wenn Du auch nur Kleines leiſteſt,
Wird Dir’s doch zum Ruhm gereichen;
Wenn Du nur Dich nicht erdreiſteſt,
Es dem Großen zu vergleichen.
[304]

Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens.

Und irr ich nicht, ſo zieht ein Feuerſtrudel Auf ſeinen Pfaden hinterdrein. Ich ſehe nichts als einen ſchwarzen Pudel.
(Goethe. )
Ein Kind aus ſchwarzer Menge blickt, Es lächelt ſterbensweh und nickt Und macht im Saal die Runde.
(E. Mörike. )

Die Hügel ſind Freienwaldes Schönheit und ſein Schatz. Wer, der je in der märkiſchen Schweiz war, hätte nicht vom Ruinen - und Kapellenberg, von der Königshöhe und dem Monte Caprino gehört; heute aber an allen dieſen Punkten ſchöner Ausſicht vor - übergehend, machen wir den entfernter gelegenen, halb verwilderten Schloßberg zum Gegenſtand unſres Beſuchs, auf dem laut Sage und Tradition die alte Burg der Uchtenhagens ſtand.

Die Uchtenhagens ſaßen hier um Freienwalde herum drei, vielleicht auch vier Jahrhunderte lang, und emſiger, neurer For - ſchung iſt es gelungen, die Schickſale dieſes Geſchlechts, die eine Zeitlang nur noch unklar dämmerten, wieder klar und deutlich an das Licht der Geſchichte zu ziehn. Aber die hiſtoriſche Forſchung, ſo viel ihr gelang, vermochte doch nicht, bis auf die Anfänge des Geſchlechts zurückzugehen. Dieſe Anfänge ſind im Bereich der Sage geblieben und wir ſcheiden alles was wir von den Uchtenhagens305 wiſſen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer - den, in eine ſagenhafte und eine hiſtoriſche Zeit. Die hiſto - riſche Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be - ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor; aber die Frage bleibt ungelöſt (wenigſtens von der Geſchichte): wie ka - men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin? Der Löſung dieſer Frage unterzieht ſich ausſchließlich die Sage, ja ſie geht noch einen Schritt weiter und beantwortet, ohne hiſtoriſche Skrupel, zugleich die Frage nach dem eigentlichen Urſprung des Geſchlechts.

Die Sage, ſelbſtverſtändlich, ſchwankt in ihren Angaben über dieſen Punkt und führt in ihrer einen Verſion den Urſprung des Geſchlechts auf die märkiſchen Jagows, in der andern Ver - ſion auf die pommerſchen Wedells zurück, auf die Wedells, deren einer (ſo erzählt ſie) ſeinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit - ten in der Schlacht an den brandenburgiſchen Markgrafen ver - rieth, und für dieſen Verrath mit Freienwalde belohnt und be - lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, ſon - dern aus Zorn und Rache.

Die andre, die Jagow-Verſion, hat einen einſchmeichelnderen Klang und ſei darum an dieſer Stelle in Kürze erzählt. Hennig von Jagow ( klein an Geſtalt, aber hoch an Gemüth , wie es von ihm heißt,) nachdem er ſich, verdient oder unverdient, die Un - gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver - bannt worden. Ein Preis ſtand auf ſeinen Kopf. Jagow indeſſen, unwillig, das Land zu verlaſſen, daran er hing, zog ſich, bis an die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die Oſtgrenze des markgräflichen Beſitzes bildeten, alſo aller Wahr - ſcheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge - gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgeſtoßnen, das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber ſicher im Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr, voll Uebermuth, Raub und Poeſie, genau ſo, wie uns alte Bal - laden und Volksgeſänge das Leben des Robin Hood, dieſes un - erreichten Vorbilds poetiſchen Wald - und Räuberlebens, geſchildert20306haben. Es war ein Leben voll Poeſie; aber unſer Jagow trug doch ſchwer daran, denn es zog ihn unter die Menſchen und in die Nähe des Markgrafen zurück und ſeine Seele trachtete mehr und mehr nach einer Gelegenheit, ſich die Gunſt ſeines Herrn, den er liebte, neu zu erwerben. Dieſe Gelegenheit bot ſich endlich. Es kam zu einem Kriege mit den Pommern und um Freienwalde her - um ſtießen die Heere des Pommern-Herzogs und des Markgrafen auf einander. Man focht Mann gegen Mann (collato pede wie der Chroniſt erzählt), und der Sieg neigte ſich ſchon den Pom - mern zu, als Jagow aus der Waldestiefe mit ſeinen Geächteten hervorbrach. Er faßte den Feind in Flanke und Rücken, und nach tapfrer Gegenwehr wandten ſich die Pommern zur Flucht. Aber nur wenige erreichten die Oder; die Mehrzahl wurde niedergemacht und färbte den Boden mit ihrem Blut. Die Stelle, wo die Schlacht ſtattfand, heißt bis dieſen Tag das rothe Land. Ja - gow, vor den Markgrafen geführt, wurde mit dem Lande be - lehnt, auf dem ſo glücklich gekämpft worden war; um aber ſein Wort zu halten, daß Henning von Jagow nie mehr vor ſeinem Auge erſcheinen ſolle, nahm er den Namen, der an alte Zeiten und alten Groll erinnern mochte, von ihm und nannte ihn Uchtenhagen, weil er uht dem Hagen d. h. aus dem Walde, zu ſeiner, des Markgrafen, Rettung herbeigekommen war.

So weit die Jagow-Sage. Die andre Verſion, die, wie ſchon erwähnt, den Urſprung des Geſchlechts auf die Wedells zu - rückzuführen trachtet, hat viel verwandtes damit. Beide haben den Pommernkrieg, den Schlachtengrund um Freienwalde herum und den Umſtand mit einander gemein, daß, in einem wie im andren Fall, dem hartbedrängten Markgrafen eine unerwartete Hülfe kam, eine Hülfe, für die er ſich, durch Belehnung mit dem Grund und Boden, auf dem gekämpft worden war, dankbar erwies. Das Ab - weichende liegt nur darin, daß uns die eine Sage von einem be - gangenen Verrath, die andre von einer That der Treue erzählt.

Wenden wir uns nunmehr der Frage nach dem hiſtoriſchen Gehalt dieſer Sagen zu, ſo hat es damit muthmaßlich nicht viel307 auf ſich. Es iſt zwar wahr, daß das Wappen der Uchtenhagen, der Wedell und der Jagow, ein und daſſelbe iſt (ein rothes Rad im ſilbernen Felde); aber dieſe Wappengemeinſchaft, ſo viel, ja ſo entſcheidendes ſie für die Zuſammengehörigkeit der drei Familien beweiſt, ſo wenig beweiſt ſie ſpeciell für einen etwaigen hiſtoriſchen Kern des eben Erzählten. Es giebt ein Dorf Uchtenhagen bis die - ſen Tag in der Altmark, und wenn auch bisher noch nicht feſt - geſtellt werden konnte, wann und unter welchen Umſtänden das Geſchlecht, das jenem altmärkiſchen Dorf den Namen gab oder ihn, umgekehrt, von ihm erhielt, in die Freienwalder Gegend kam, ſo ſcheint doch ſo viel gewiß, daß das Geſchlecht weder aus den Wedells, noch aus den Jagows (wie die obigen beiden Sagen erzählen) erwuchs, ſondern von Anfang an, als zu einer gemein - ſchaftlichen Sippe gehörend, mit und neben ihnen ſtand. Alles ſpricht dafür, daß beide Sagen erſt in der Nach-Uchtenhagenſchen Zeit d. h. alſo nach dem Erlöſchen des Geſchlechts entſtanden ſind. Sie gehören höchſt wahrſcheinlich der Klaſſe der bloßen Zurecht - machungen, jenen nachträglichen Erfindungen an, die ihre Wur - zeln nicht auf dem Berge, ſondern uns zu Füßen haben, Sagen alſo, die weniger jenen Epheus gleichen, die natürlich-phantaſtiſch von oben her zu uns herniederſteigen, als jenem Epheu, den wir künſtlich am Spaliere von unten nach oben ziehn.

Aber das mangelnde hiſtoriſche Fundament ſoll uns nicht undankbar machen gegen die Sage ſelbſt, die, ſie ſei jung oder alt, verwirrend oder die rechten Wege führend, um ihrer ſelbſt willen ihre Berechtigung hat. Wir überlaſſen uns deshalb, eh wir in das Gebiet der Geſchichte eintreten, auch jetzt noch ihrer Füh - rung und erfahren von ihr, nachdem wir ſorglos ihren heraldi - ſchen Märchen und ihrer Erzählung von dem Erſcheinen der Uch - tenhagen in Freienwalde gelauſcht haben, daß der Schloßberg es war, auf dem ſich die erſte und älteſte Burg der Uchtenhagen erhob.

Dieſem Schloßberg gilt jetzt unſer Beſuch.

Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspoſt erreicht und20*308einem jener Cicerones, die den Poſthof zu umſtehen pflegen, ver - traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem Hereinbrechen vollſtändiger Dunkelheit den Schloßberg zu ſehen wünſchten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen, wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin mehrere Aemter cumuliren, mindeſtens aber die Metiers des Füh - rers und des Fuhrmanns zuſammenzutreffen pflegen, ſo iſt die Antwort ſelbſtverſtändlich und nach einer halben Stunde rollt ein Einſpänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hinterſitz iſt leer, auf dem Vorderſitz befindet ſich unſer Führer ſelbſt, nunmehr als Kutſcher, und knipſt mit der Peitſche, um ſich in ſeinem neuen Amte zu beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine ſchwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über ſein Geſicht fällt. Was auf den erſten Blick überraſcht, iſt das, daß er nicht raucht. Aber freilich jene eigenthümliche Klaſſe von Perſonen, der er zu - gehört, und deren es in jedem Dorfe mindeſtens einen giebt (auch in kleinen Ackerſtädten kommen ſie vor), raucht nie. Es ſind dies die Träger der Volkspoeſie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie ſind gutgeartet, redſelig und ſchweigſam zugleich, lieben die Scholle, darauf ſie geboren, haben einen Anflug von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von einer phantaſtiſchen Scharfſinnigkeit, haben ſie in den gewöhnlichen Verhältniſſen des Lebens doch nichts von jener Bauernſchlauheit, die ſprüchwörtlich geworden iſt. Das Feld ihres Geiſtes, überhaupt von beſcheidner Tragkraft, iſt von der Phantaſie überwuchert, und ſo gleichen ſie einem Ackerfeld, das zu ſchwach iſt, um ernſte und ſolide Frucht zu tragen, aber dem ſchönen Unkraut Platz gönnend, deſto üppiger in rothen und blauen Blumen ſteht.

So iſt auch unſer Führer und Fuhrmann, deſſen Einſpänner vor uns auf dem Poſthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu - nehmen haben, ſind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über -309 laſſen wir den in Riemen hängenden Hinterſitz ſeinem Schickſal und ſetzen uns auf das Vorderbrett unmittelbar neben den Flaus - rock, nicht gewillt, eine zweifelhafte Bequemlichkeit auf Koſten beſ - ſerer Unterhaltung zu erkaufen. Denn es unterhält ſich ſchlecht auf den Rücken andrer Leute los.

Noch einmal ein Peitſchenknips, diesmal nicht in die Luft, ſondern in die Weichen des Einſpänners, und über das Straßen - pflaſters hin, das noch die alten Traditionen des Ortes wahrt, holpert und raſſelt unſer Wagen, deſſen Hinterſitz die komiſchſten Sprünge macht, aus der Stadt hinaus, in den Freienwalder Kiez hinein, bis plötzlich das Holpern und Raſſeln einem ſüßen Gefühl der Glätte und jenem leis knirſchenden, im Kiesſand mahlenden Tone weicht, den jeder kennt, der aus dem Sturm und Drang ſchlecht gepflaſterter Straßen in den ſtillen Hafen einer Chauſſee eingemündet iſt.

Der Weg, derſelbe, der von Freienwalde nach Falkenberg führte, iſt glatt, der Abend ſchön. Duft und Nebel ſteigen aus den Wieſengründen auf; der Wald zur Linken, wie es im Liede heißt, ſteht ſchwarz und ſchweigend und nur vor uns, nach Nord - weſten hin, glüht noch der Abendhimmel in wunderbaren Farben - ſpielen durch die Nebel hindurch. Es iſt juſt die Stunde, um den Schloßberg und die Burg der Uchtenhagen zu beſuchen; die Landſchaft ſelbſt iſt wie ein weites Thor aufgethan, roth und gol - den, um in das Land der Sage einzuführen.

Es labt uns das Bild und die Friſche des Abends, aber endlich haben wir abgeſchloſſen mit der Landſchaft und ihrem Reiz, und fühlen ein leiſes Unbehagen über das Schweigen unſres Füh - rers, an deſſen Seite wir doch Platz genommen, um bequemerer Unterhaltung willen. Die erſten Hügelparthien liegen bereits hinter uns, wir müſſen bald halben Weges ſein, aber er ſchweigt noch immer. Da der Berg nicht zum Propheten kommt, ſo bleibt nichts andres übrig, als das alte Auskunftsmittel, und blindlings in die allerbequemſte Form der Unterhaltung hineintappend, beginn ich mit der Frage:

310

Sagen Sie, wie denken Sie über die Uchtenhagens?

Der Angeredete läßt ſich Zeit, und zweimal mit der Leine auf den Rücken des Pferdes klatſchend, um die lange Pauſe min - der auffällig zu machen, antwortet er endlich in ſehr unbeſtimmten Ausdrücken:

Ja, da iſt viel.

Der Wagen rollt weiter in den ſtillen Abend hinein, deſſen allerſtillſte Stelle unſer Wagen zu werden droht. Ich will aber die Stille unterbrechen, es koſte was es wolle, und fahre alſo fort:

Sagen Sie, hier ſoll ja auch eine große Schlacht geweſen ſein, hier hinter den Bergen; ich glaube, ſie nennen es das rothe Land.

Er nickte mit dem Kopfe.

Nun ſagen Sie mir, iſt denn das Land noch immer roth?

So roth antwortete er, halb wie im Echo, auf meine Frage und machte dabei eine Handbewegung, als ob er ſagen wollte: lieber Herr, ſprechen wir davon lieber nicht.

Nichtsdeſtoweniger hatte dieſe Frage das Eis gebrochen (ich ſah das an ſeiner veränderten Haltung), und mit der Rechten auf die quadratmeilenweite Niederung deutend, die all einſt Uchten - hagenſcher Beſitz geweſen war, fuhr ich fort: Die Uchtenhagens müſſen ſehr reich geweſen ſein.

Er ſah unter ſeinem Mützenſchirm zu mir auf, ein halbweh - müthiges Lächeln flog über ſein Geſicht, dann wiederholte er nur meine Worte: die Uchtenhagens müſſen ſehr reich geweſen ſein.

Es war erſichtlich, daß er einen Nachſatz machen wollte, ihn aber rückſichtsvoll verſchwieg; ich kam ihm alſo auf halbem Wege entgegen und ergänzte:

Sehr reich, aber wie?

Dies Wort ſchien wie ein Erkennungszeichen auf ihn zu wir - ken, an dem er nun Gewißheit zu finden glaubte, daß ich einer von dem romantiſchen Geheimbund ſein müßte, der nach Art andrer Geheimbünde, zwar ſeine unausgeſprochenen, aber nichts - deſtoweniger ſeine ganz beſtimmten Erkennungszeichen hat. Er wußte nun, daß er ſprechen dürfe, ohne Furcht vor Profanation.

311

Er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte vertraulich näher und ſagte: Wiſſen Sie denn, was ſich die Kiezer hier er - zählen? Da war hier in Freienwalde, in der Uchtenhagenſchen Zeit, ein Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß Trampe. Das Waſſer ſtand damals bis an die Stadt heran, und zwiſchen Trampe’s Haus und dem Waſſer lag nur der Kirchhof. Eines Nachts hörte Trampe ein Knurren und Winſeln und er trat an’s Fenſter, um zu ſehen, was es ſei. Er ſah aber nichts als den Vollmond, der am Himmel ſtand. Er legte ſich wieder nieder und warf ſich eben auf die rechte Seite, um wieder einzuſchlafen, da hörte er ſeinen Namen rufen: Trampe , dreimal; dann wurde es wieder ſtille. In der nächſten Nacht ebenſo. Trampe, der ſonſt nicht furchtſam war, meinte nicht anders, als er werde nun ſterben müſſen; er ergab ſich aber in ſein Schickſal und dachte: wenn es wieder ruft, dann wirſt du folgen, es ſei wohin es ſei. Und in der dritten Nacht rief es wieder. Trampe trat nun auf den Kirchhof hinaus, und als er ſich umſah, war es ihm, als liefe etwas wie ein Hund zwiſchen den Gräbern hin und her; er konnt es aber nicht genau ſehen, denn das Kirchhofgras ſtand ſehr hoch. Trampe folgte der Spur, die nach der Waſſerſeite des Kirchhofs hinführte, und als er an den Strom kam, ſah er einen Kahn, der mit der Vorderhälfte im Waſſer, mit der Hinterſeite aber auf dem Trock - nen lag. An der äußerſten Spitze des Kahns ſtand ein ſchwarzer Pudel mit zwei Feueraugen und ſah Trampen ſo an, daß dieſer dachte, hier iſt Einſteigen das Beſte. Kaum, daß er ſaß, ſo fuhr der Kahn, als ob er von hundert Händen geſchoben würde, wie ein Pfeil in den Fluß hinein und über das Waſſer fort.

Hier unterbrach ſich der Erzähler einen Augenblick, um mir die Linie zu beſchreiben, die der Kahn damals gezogen haben müſſe und fuhr dann fort:

Keiner ſteuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; ſo ka - men ſie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief auf, beide ſpran - gen an’s Ufer und ſtiegen bergan. Es war inzwiſchen dunkel ge -312 worden, der Mond war unter, aber ob nun der Hund rückwärts bergan lief, oder ob er den Kopf nach hinten zu gedreht hatte, gleichviel, Trampe ſah immer die zwei Feueraugen vor ſich, die ihm bis oben hinauf den Weg zeigten. Als er in den Burghof trat, ſtanden da wohl hundert Fäſſer, alle voll Gold; das war ſo blank, daß es im Dunkeln blitzte. Das Schloß ſelbſt lag da wie in Nacht, nur mitunter glühten die Fenſter auf und allerlei Ge - ſtalten wurden ſichtbar, Ritter und Edelfräulein, die kicherten und lachten. Dahinter klang es wie Tanzen und leiſe Muſik. Trampe horchte auf; aber nicht lange, ſo trat ein Ritter an ihn heran, legte ihm eine ſchwere Hand auf die Schulter und fragte ihn, ob er der Böttcher aus Freienwalde ſei? Dann befahl er ihm die Fäſſer zuzuſchlagen: Das dreizehnte Faß iſt für Dich. Nun ging Trampe an die Arbeit und ſchlug all die Fäſſer zu; das dreizehnte aber, das er bei Seite geſtellt hatte, rollte er den Berg hinunter. Er war nun fertig und wollte wieder gehn. Da fuhr es ihm durch den Kopf, ob nicht der Ritter jedes dreizehnte Faß gemeint haben könnte , und als er noch ſo dachte, rollte er leiſe ein zweites Faß bergab. Als er unten ankam, lag nur ein Faß da. Trampe dachte: du wirſt es noch ’mal verſuchen , ſtieg wieder bergauf und rollte ein drittes Faß hinunter; niemand hin - derte ihn daran. Als er aber unten ankam, war alles verſchwun - den, auch das erſte Faß, und nur an der Vorderſpitze des Kahns ſaß wieder der Pudel und ſagte: Trampe, Du haſt verſpielt. Trampe ärgerte ſich und dachte, als ſie zurückfuhren: das ſoll dir auch nicht wieder paſſiren ; iſt ihm auch nicht wieder paſſirt, denn die Uchtenhagens haben ihn nie wieder holen laſſen, wenn ſie einen brauchten, um ihre Fäſſer zuzuſchlagen.

Dieſe Geſchichte, die bedeutungsvoll mit dem Zuſatz, wie ſie ſich die Kiezer erzählen , eingeführt worden war, war kaum zu Ende, ſo hielten wir auch ſchon am Fuß des Schloßberges, viel - leicht an derſelben Stelle, wo an jenem Abend der bedenkliche Uchtenhagenſche Fährmann ſeinen Kahn gelandet hatte. Wir ſpran - gen vom Wagen, ſchirrten aus, ſchlugen die Leine vorſichtshalber313 um einen Baumſtamm, wiewohl der Charakter unſres Einſpän - ners ohnehin Garantieen für ſein Wohlverhalten geboten hätte, und ſtiegen den Berg hinan. Es war inzwiſchen finſtrer geworden, wenigſtens waren die Schatten des Waldes um uns her, dunkle Schatten, die durch zwei einzelne Lichter, am Ausgang einer ſeit - wärts gelegenen Schlucht, nur noch zu wachſen ſchienen. Es mochte da ein Haus ſtehen, vielleicht eine Mühle. Unſer Führer ſchritt rüſtig vorauf, das Gebüſch wurde immer dichter, und ich folgte nur noch dem Klang ſeiner Schritte und einem unbeſtimm - ten Schatten, der vor mir herſchwankte. Ich dachte unwillkürlich an Trampe, und dies mochte die Urſache ſein, daß ich mich be - eilte, mich wieder an die Seite des Führers zu bringen. Es ge - lang auch; in demſelben Augenblicke aber, wo ich ſeinen Arm ſtreifte, klang es wie Hundeblaff über den Berg hin, und ich zuckte zuſammen und ſtand. Der Führer aber, der meinem Ge - dankengange gefolgt ſein mußte, ſagte ruhig: das iſt dem Mül - ler ſeiner; der andre blafft nicht. Die Ruhe, mit der er dies ſagte, überhob mich jeder Verlegenheit; ſo kamen wir endlich auf der Kuppe des Hügels an.

Dieſe Kuppe beſchreibt einen Kreis von etwa 40 Schritt Durchmeſſer. Wir traten zunächſt an den Vorderrand des Berges, der ſonſt einen freien Blick in die Landſchaft geſtattet, jetzt aber von Bäumen ſo dicht umſtanden iſt, daß ſich nur mühſam, durch Stämme und Laub hindurch, ein Blick auf das unten liegende Bruch ermöglicht. Auf den Wieſen brauten die Nebel, nicht länger golden durchglüht; nur im Weſten ſäumte noch ein rother Strei - fen den Himmel, während wir ſelbſt in völliger Nacht ſtanden.

Wir umſchritten nun die Rundung, denſelben Kreis, der einſt den Burghof einſchloß, bis wir an die Rückſeite der Hügelkuppe kamen, die ebenſo in die tiefen Schluchten eines Bergterrains, wie die Vorderſeite in das offne Bruchland herniederſieht. Hier an der Rückſeite befinden ſich auch die Ueberbleibſel der Burg; halbmanns - hohe Mauerreſte von bedeutender Stärke, die es, höchſt wahrſchein - licherweiſe, dem Burg - und Bauverſtändigen immer noch möglich314 machen würden, den ehemaligen Umfang des alten Schloſſes, die theilweiſe Grundform deſſelben, ganz beſonders aber den Ort zu beſtimmen, wo das alte Burgthor war. Die Einfahrt in das letz - tere, fälſchlich als Kellereingang gedeutet (weil ſich die Phantaſie der Kiezer am liebſten mit Kellergewölben und den Trampeſchen Fäſſern beſchäftigt), iſt noch in aller Beſtimmtheit erkennbar.

Wir maßen die Ueberbleibſel der alten Umfaſſungsmauer aus, ſetzten uns dann, einen Strauch als Lehne, auf die Trümmer - wand, und blickten in die Schlucht nieder, aus der Laubholz und Birkengebüſch ſo dicht, ſo ſtill, ſo ſchwellend heraufzuſteigen ſchie - nen, wie Blätter aus einem Korbe quellen, in den ſie zuvor ge - preßt wurden. Ein Gefühl überkam mich, als wüchſen die Wipfel langſam aber unaufhaltſam wie eine ſteigende Fluth zu uns her - auf. Unten in der Tiefe klang es wie ein Quell, der über Kieſel fällt. Ich fragte: iſt da ein Waſſer unten? Ja. Wie heißt es? Das klingende Fließ. Sonſt war alles ruhig. Der Füh - rer, längſt geſprächig geworden, fing an zu erzählen von Pfingſt - und Maiennächten, wenn unten in Thal und Schlucht die Rehe ſchrein, und hoch über dem Berg (als wäre es der Kyffhäuſer) die Dohlen kreiſen; aber es war nicht Mai, nicht Pfingſten mehr, kein Reh ſchrie durch die Nacht, ſelbſt der Hundeblaff in der Mühle ſchwieg, nur das klingende Fließ klang nach wie vor wie ein Silberton zu uns herauf.

So fanden wir den Schloßberg; wir verlaſſen ihn jetzt, um uns nunmehr der Frage zuzuwenden, was erzählt uns die Ge - ſchichte (ſie, die jede Auskunft über den Schloßberg ſo be - harrlich verweigert), was erzählt uns die Geſchichte von den Uch - tenhagens ſelbſt.

Die hiſtoriſche Zeit der Uchtenhagen umfaßt einen Zeitraum von etwa drittehalb Jahrhunderten. 1367 wird ihrer zum erſten Male urkundlich erwähnt, und 1618 erliſcht das Geſchlecht. Die Schickſale der beiden letzten Uchtenhagen (und zwar in hiſtoriſch verbürgter Treue und Beſtimmtheit) waren all die Zeit über, vom Ausgange des Geſchlechts bis auf dieſen Tag, in der Erin -315 nerung der Freienwalder lebendig; nicht ſo die Namen und Schick - ſale derer, die dieſen beiden letzten des Geſchlechts, durch zwei Jahrhunderte hin, vorausgegangen waren. Sie waren todt in der Erinnerung der Nachwelt.

Die Urkunden-Sammlungen indeß, die ſeitdem unter Be - nutzung der verſchiedenſten Archive veröffentlicht worden ſind, ha - ben uns neuerdings in den Stand geſetzt, die Schickſale der Fa - milie mindeſtens bis zum Jahre 1414, alſo etwa bis zum Ein - treffen der Hohenzollern in dieſen Landen, zurück verfolgen zu können. Wir vermögen mit Hülfe dieſer urkundlichen Ueberliefe - rungen herabzuſteigen von Vater auf Sohn, und wieder hinanzu - ſteigen von Sohn auf Vater; wir befinden uns wie auf einer bequemen Treppe, die uns mühelos den Verkehr zwiſchen oben und unten, zwiſchen Anfang und Ende geſtattet. Wir verdanken dieſen Urkunden außerdem werthvolle Mittheilungen von kultur - hiſtoriſchem Intereſſe; aber was wir denſelben leider nicht zu dan - ken haben, das iſt die Aufzeichnung, die Ueberlieferung einer wirk - lichen That der Uchtenhagens, einer That, die entweder voll hiſtoriſcher Wichtigkeit damals eingegriffen hätte in die Geſchicke des Landes, oder voll eines gewiſſen poetiſchen Gehaltes im Stande wäre, noch jetzt unſre Herzen zu berühren. Wir begegnen ihnen weder in Coſtnitz, noch in Worms; wir ſehen ſie weder unter Friedrich dem Eiſernen vor Bernau, noch zu Joachim Hektors Zeiten bei Mühlberg; wir ſehen ſie weder gegen die Huſſiten, noch gegen die Türken im Felde, und dürfen eben nur annehmen (eine einzige Urkunde von 1599, ein Aufruf zum Heerdienſt deutet ſogar darauf hin), daß ſie nirgends gefehlt haben werden, wo es galt, dem Rufe des Kurfürſten zu folgen oder für die Ehre des Landes einzuſtehen.

Aber wenn dieſe urkundlichen Ueberlieferungen, nach der Seite der wirklich hiſtoriſchen That hin, wenig oder auch das kaum bieten, ſo belehren ſie uns doch über die Beſitzverhältniſſe der Familie, und zeigen uns dieſe letztere in ihren Beziehungen zu ihren Lehnsmännern, Burgleuten und Hinterſaſſen, oder wenn316 uns der Ausdruck geſtattet iſt, in den Verwaltungsgrundſätzen, wonach ſie die Regierung ihres ziemlich ausgedehnten Beſitzes lei - teten, eines Beſitzes, der nach Quadratmeilen rechnete und Städte umſchloß. Da finden wir denn die Uchtenhagens (allen Sagen, wie ſie ſich die Kiezer erzählen , zum Trotz) als wahre Muſter ritterlichen Wandels: fromm, ſittig, ehrbar in ihrem Hauſe, mild, helfend, fürſorglich nach außen hin. Sie bauen Kirchen und ſchen - ken Glocken, ſie ſchützen die Bürger in ihrem Recht und ihrem Beſitz, ſie belohnen den Rath Freienwaldes mit neuen Feldmarken, ſie vertreten die Stadt vor dem Kurfürſten und erwirken ihr Jahrmarktstage und Freiheit von Zoll und Abgaben. Nichts, was die finſtern Märchen rechtfertigte, die in Spinnſtuben bis dieſen Tag mit Graus und Behagen geflüſtert werden, vielmehr in allem die Anzeichen einer Regierungskunſt im Kleinen, dabei, in beſtem Sinne, das Bewußtſein von den Rechten und Pflichten des Re - giments. Ein Spruch im Freienwalder Stadt-Archiv (bisher noch nicht veröffentlicht) giebt volle Auskunft darüber, aus welchen An - ſchauungen heraus die Uchtenhagen ihre Herrſchaft übten. Dieſer Spruch lautet:

All Obrigkeit die iſt von Gott
Und ſoll handhaben ſein Gebot.
Es ſoll ihr gehorchen alle Welt,
Nicht leben, wie’s Luſt und Laune gefällt.
Das Schwerdt gab Gott in Ihre Handt,
Damit zu wahren Leute und Landt.
Dem Guten ſoll ſie geben Schutz,
Den Böſen ſtrafen, dem Guten zu nutz.
Eines Vaters Herz aber ſoll ſie ha’n
Zu denen, ſo ihr ſind unterthan.

So war der Spruch, nach welchem die Uchtenhagen in Haus und Hof ihre Rechte wahrten, ihre Pflicht erfüllten; nichts was auf Fluch und Unthat hinwieſe, auf Thaten, die unſühnbar ge -317 weſen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte miſchte ſich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geſchichte des Hauſes, ein Vetter erſtach den andern im Zweikampf oder aus Nothwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürſt Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in ſeine Huld und Gnade auf, gleichweis (wie die Urkunde ſagt), als ob die Geſchichte nie geſchehen wäre.

Durch ſechs Generationen hin, der vorhiſtoriſchen Zeit zu ge - ſchweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahl - reich, aber immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sproſſen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tod. Eh ein Menſchenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauſes todt bis auf einen, und der überlebende achte, inzwiſchen vermählt mit Sophie von Sparr, einer Vaterſchweſter des berühmten Feldmarſchalls, ſchau - kelte ein einzig Kind auf ſeinen Knien, ein zartes Kind, die blauen Adern ſichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte ſeines Geſchlechts. Er ſtarb neun Jahr alt und wurde in der Kirche zu Freienwalde beigeſetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden ſei, und die Sage, die hier wieder für die Geſchichte eintritt erzählt ſein Ende ſo:

Einer der Lehnsvettern des Hauſes, voll Verlangen nach dem Beſitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige Goldbirne zu reichen, die mit einem langſam wirkenden Gifte ver - giftet war. Ein Bologneſer Hündchen, das den Knaben auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte, ſprang, als dieſer die Birne eſſen wollte, an ihm herauf, halb liebkoſend, halb geängſtigt, um dem Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen, aber Kaspar nannte ihn lachend ein neidiſches Thier und die Birne. Eine Traurigkeit, ſo fährt die Sage fort, begann als - bald den Knaben zu beſchleichen, ſeine Lebendigkeit verlor ſich, ſein318 Auge wurde matt, ſo verging er wie eine Blume. Seine Mutter ſaß in der Sterbenacht an ſeinem Bett; da richtete er ſich noch einmal auf, küßte der Mutter die Hand und ſprach ſterbend, aber leiſe-vernehmlich vor ſich hin:

Alle Liebe iſt nicht ſtark genung,
Ich muß doch ſterben und bin ſo jung.

So die Sage; eh wir aber auf dieſelbe in aller Kürze noch einmal zurückkommen, begleiten wir die Uchtenhagen noch durch ihre letzten Jahre bis zum völligen Erlöſchen des Geſchlechts.

Hans von Uchtenhagen (der überlebende Vater des früh heimgegangenen Kindes) den Freuden dieſer Welt für immer ab - gewandt, und ohne tiefres Intereſſe, das alte Erbe des Hauſes zuſammenzuhalten, verkaufte, ein Jahr nach dem Tode ſeines Kin - des, die Stadt Freienwalde, ſammt allen ſeinen ſonſtigen Gütern, an den Kurfürſten Johann Sigismund, zugleich ſich verpflichtend, die reichen Beſitzungen jenſeit der Oder, die ſogenannte Inſel Neuenhagen, ſofort in churfürſtlichen Beſitz übergehen zu laſſen. Andrerſeits ward ihm, dem Hans von Uchtenhagen, die Beibehal - tung aller dieſſeits der Oder gelegenen Beſitzungen, namentlich der Stadt Freienwalde, auf die Dauer ſeines Lebens zugeſtanden, auch das Recht ihm eingeräumt, bei etwaiger Geburt eines Erben, gegen Rückzahlung der Kaufſumme, in den alten Beſitz wieder ein - treten zu können. Aber kein Erbe wurde geboren, und in das alte, ſtill und freudlos gewordene Haus der Uchtenhagens, das ſich, mit Thurm und Zinnen, ein alter gothiſcher Bau, neben der Freienwalder Kirche erhob, trat nur noch der Engel des Todes. Dem Sohne folgte drei Jahre ſpäter die Mutter, bis nach aber - mals 12 Jahren, voll ſtillen Leids und frommer Betrachtung, auch Hans von Uchtenhagen, aus der Unraſt dieſer Tage eintrat in das Reich des ewigen Friedens. Das Kirchenbuch berichtet:

Anno Domini 1618, am Abend Judica des 21. Martii, zwiſchen 12 und 1 Uhr, iſt der Edle, geſtrenge und Ehrenveſte Hans von Uchtenhagen, dieſes Städtleins Erbherr und Junker319 und der letzte dieſes Geſchlechts, ſelig im Herrn eingeſchlafen und verſchieden, und danach am Sonntag Exaudi (war der 17. Mai) allhier in St. Nicolaus-Kirche unter den Altar in ſein gewölbtes Begräbniß, nach adliger Weiſe, zu ſeiner in Gott ru - henden Frauen und Söhnlein geſetzet, da er in ſeinem gantzen Alter das 64. Jahr erreicht hatte. So weit das Kirchenbuch.

Helm und Schild waren ihm in die Gruft gefolgt, Freien - walde wurde churfürſtlich, und nur das Wappen der Stadt: das rothe Rad im ſilbernen Felde, deutet bis dieſe Stunde noch auf die Uchtenhagenſche Zeit.

Das Geſchlecht iſt erloſchen; aber es bleibt uns noch die Be - antwortung der Frage übrig: was iſt noch da, was bieten noch Freienwalde und Umgegend von Erinnerungen an die Uchtenha - gens, von Ueberbleibſeln aus ihrer Zeit? Noch mannigfaches; das wohlerhaltene und bis dieſe Stunde bewohnte Amtshaus des Dorfes Neuenhagen, früher eins der Schlöſſer der alten, viel - genannten Familie, iſt an ſich noch, wie es da ſteht, ein werth - volles Erinnerungsſtück aus der Zeit, die uns bis hieher beſchäf - tigt hat, und die gewölbte Schloßkapelle mit Stuckaltar und ſym - boliſchen Figuren,*)Das Schloß Neuenhagen jenſeits der Oder iſt verhältnißmäßig wohl erhalten bis auf den heutigen Tag. Es wird noch bewohnt und bietet, wie wir nicht zweifeln, einen beſſeren Aufenthalt, als mancher mo - derne Bau. Die alten Uchtenhagen-Räume dienen den verſchiedenſten öko - nomiſchen Zwecken: das Burgverließ iſt ein Wirthſchaftskeller, die große Halle eine Waſchküche geworden; ein anderes Zimmer (man verzeihe die - ſen Excurs), drin ein ſchwediſcher Oberſt in der Nach-Uchtenhagenſchen Zeit den Amtmann von Neuenhagen über Strohfeuer röſten ließ, um die verborgenen Schätze zu erkunden, diente noch vor kurzem als Schlafzim - mer der jetzigen Beſitzer des Hauſes. Was aber beſſer als alles andre er - halten iſt und mehr als alles andre intereſſirt, das iſt ein gewölbter Raum, der jetzt als Amtsſtube dient, die ehemalige Schloßkapelle der Uchtenhagens. Die Altarwand (noch vollkommen gut erhalten) iſt ein um - fangreiches, aus verſchiedenen Theilen zuſammengeſetztes Stuck-Relief, das (nach Art ſolcher Stuckbilder) nicht einen freiſtehenden Schrein bildet, ſondern in das Mauerwerk ſelber, wie eine Wandverzierung, eingelaſſen verlohnte wohl, zu andrer Zeit, eine eingehen - dere Beſprechung.

320

Aber wir verweilen nicht bei Beſchreibung dieſes alten Schloſ - ſes und ſeiner ſehenswerthen Kapelle, ſondern treten vielmehr dort ein, wo die alte Zeit der Uchtenhagens in Bild und Wort am vernehmlichſten zu uns ſpricht; ich meine die alte Kirche in Freienwalde. Die Uchtenhagens haben ſie gebaut, und ſie iſt das eigentliche und das beſte Monument des heimgegangenen Ge - ſchlechts. Bis vor wenigen Jahren lagen verſchiedene Grabſteine, darunter auch die Grabſteine der beiden letzten, vor den Stufen des Altars, unter dem, in gewölbter Gruft, ſie ſelber ruhten; nun ſind die Grabſteine fort und die Gruft iſt verſchüttet. Aber andres iſt geblieben. Ueber der niedrigen Sakriſtei-Thür, zur Lin - ken des Altars, befindet ſich das beinah lebensgroße Bildniß (ganze Figur) Kaspars von Uchtenhagen, deſſelben, von dem die Sage erzählt, daß Bosheit ihn vergiftet habe. Das Bild iſt, mit Rückſicht auf die Zeit, in der es entſtand, eine vorzügliche Arbeit. Beſchreib ich es. Ein Tiſchchen ſteht zur Seite, mit einer rothen Decke darüber; auf dem Tiſche liegt die hohe Sammetmütze des Knaben, in Form und Farbe den Otterfellmützen nicht unähnlich, denen man noch jetzt in den Oderbruchgegenden begegnet; vor dem Tiſch aber ſteht der Knabe ſelbſt, blaß, durchſichtig, mit ſchma - len Lippen und rothblondem Haar, ein feines Köpfchen, klug,*)iſt. Es beſteht aus einem Chriſtus am Kreuze, zu dem zwei Heilige auf - blicken; dies Hauptſtück des Bildes ruht aber auf einer Art Fries, in deſſen Feldern wir die ſymboliſchen Figuren des Hahns, des Greifen, des Pelikans und des Wiedehopfs erblicken. Ich habe dieſe Beſchreibung in verhältnißmäßiger Ausführlichkeit gegeben, um (ganz abgeſehen von den Uchtenhagens) die Aufmerkſamkeit auf ein Kunſtwerk zu lenken, das, ohne dem Urtheil von Kennern vorgreifen zu wollen, wenigſtens in der Mittel - mark leicht als ein Unicum befunden werden dürfte. In der Kirche zu Neuenhagen befindet ſich noch ein gut erhaltener Grabſtein aus der Uchten - hagener Zeit. Seine Inſchrift lautet: Das Blut Jeſu Chriſti reiniget uns von allen unſren Sünden. Johannes 3. Anno Domini 1592 den 13. Dezember. Hier ruhet die viel tugendreiche Hippolyta von Uch - tenhagen in Gott ſeliglich entſchlafen. Hippolyta, dem Bilde nach etwa 40 Jahr, war eine ledig gebliebene Schweſter von Hans von Uchtenhagen.321 und durchgeiſtigt, aber wie vorausbeſtimmt zu Leid und frühem Tod. Seine Kleidung zeigt reicher Leute Kind. Ueber dem rothen Unter - kleid trägt er einen grünen Ueberwurf mit reichem Goldbeſatz (daſ - ſelbe Grün, das auf den Bildern der van Eycks ſo viele Zauber weckt) und getollte Halskrauſe, weiße Aermelchen und ſchwarze Sammetſchuhe, vollenden ſeine Kleidung und Erſcheinung. In der Rechten hält er eine ſchöne, große Birne, während ein Bologneſer Hündchen bittend, liebkoſend an ihm emporſpringt. Die Umſchrift aber lautet: Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin geweſt dieſer Geſtalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 d. 18. November.

Es iſt erſichtlich, daß dies überaus anziehende Bild, das wirklich eine Geſchichte herauszufordern ſcheint, die äußre Ver - anlaſſung zu jener Sage gegeben hat, die ich bereits erzählt habe. Die Birne, das Hündchen, der Ausdruck der Wehmuth in den Zügen, dazu der frühe Tod, es hätte (der Kiezer und ihrer ſagenbildenden Kraft ganz zu geſchweigen) kein Fünkchen Poeſie in den Herzen der Freienwalder lebendig ſein müſſen, wenn ſie ſich hätten die Gelegenheit entgehen laſſen wollen, aus ſo dank - barem und ſo naheliegendem Stoff eine Sage in’s Leben zu rufen.

Wir freuen uns, daß die Sage da iſt, möchten ſie nicht miſſen, aber ſie iſt eben Sage und nicht mehr. Der Beweis iſt mit Leichtigkeit zu führen. Das Bildniß ſelbſt belehrt uns in ſei - ner Umſchrift, daß es gemalt wurde, als Caspar von Uchtenhagen iſt vierthalb Jahre alt geweſt. Er muß alſo, da wir die Birne auf dieſem Bilde bereits erblicken, beſagte Birne (vergiftet oder nicht), wenn er ſie überhaupt , mit vierthalb Jahren, oder wohl gar ſchon früher, gegeſſen haben. Caspar von Uchtenhagen ſtarb aber erſt 6 Jahre ſpäter, und wenn wir nicht annehmen wollen, daß die Mark Brandenburg (die ſich, Gott ſei Dank, auf das Brauen von Gifttränken nie abſonderlich verſtanden hat) da - mals eine ſelbſt Italien überbietende Meiſterſchaft in dieſer Kunſt beſeſſen habe, ſo haben wir guten Grund, die Geſchichte von der vergifteten Birne (wie faſt alle Geſchichten von vergifteten Birnen und Aepfeln hierlandes) in das Gebiet der Sage zu verweiſen.

21322

Caspar von Uchtenhagen, wie uns ſein eigen Bild am beſten belehrt, ſtarb einfach daran, daß ſeine Seele, von Geburt an, in einem halbverklärten Leibe wohnte; er ſtarb und wurde, wie wir gehört haben, in der Gruft unterm Altar beigeſetzt. An der hintern Altarwand aber, ſchlecht übermalt und minder gut erhal - ten als das erſte, bereits beſchriebene Bildchen, begegnen wir einem zweiten Bilde Caspars von Uchtenhagen, das ihn uns zeigt, wie der nunmehr 9jährige Knabe, blaß und die Ruhe des Todes auf der Stirn, im offnen, blumenüberſtreuten Sarge liegt. Er trägt ein weißes Sterbehemd, in dem glattanliegenden Haar einen blü - henden Rosmarinkranz; um den Hals aber ſchlingt ſich leiſe ein ſchwarzes Band, daran, bis zur Bruſt herniedergehend, eine Denk - ſchaumünze und ein länglich viereckiges Medaillon hängt. Eine Unterſchrift giebt Tag und Stunde ſeines Todes; die Wappen der Sparrs und der Uchtenhagens ſchieben ſich in die obren Ecken des Bildes ein, daneben aber leſen wir, nicht ohne an den Voll - klang lateiniſcher Kirchenlieder erinnert zu werden:

Ah tibi Jesu lectulum
In me para mollissimum,
Meo quiesce pectore
Et intime servabo te;

Worte, denen als deutſcher Text der 13. Vers von Luthers Liede: Vom Himmel hoch da komm ich her beigefügt iſt:

Ach mein herzliebes Jeſulein,
Mach Dir ein rein ſanfft Bettelein,
Zu ruhen in meins Herzen Schrein,
Daß ich nimmer vergeſſe Dein.

Noch wenige Worte. Caspar von Uchtenhagen ruhte bereits länger denn zweihundert Jahre in der Gruft ſeiner Väter; we - nige waren es, die nach dem Bilde hinterm Altar blickten, das blaſſe Geſicht, der Rosmarinkranz im Haar, rührten kein Herz mehr, und niemand war mehr da, für den die Schaumünze und323 das Medaillon, die auf dem Herzen des Knaben ruhten, eine Be - deutung gehabt hätten. Man nahm ſie als Ornament, als Ein - fall des Malers. Da in den 20er oder 30er Jahren dieſes Jahr - hunderts, als ein Umbau nöthig geworden war, ſtiegen die Uch - tenhagens aus der Gruft, die ſie zwei Jahrhunderte lang bewohnt hatten, noch einmal an das Tageslicht hinauf; das Kirchenſchiff hinunter, in langer Reihe, ſtanden die Eichenſärge, vor dem Altar aber ſtand ein kleinerer Sarg, der Sarg Caspars von Uchten - hagen. Man nahm den Deckel von dem Sarge, da lag das Kind, ganz wie auf dem Bilde, mit Kranz und Krauſe; erſt bei der Berührung zerfiel alles zu Staub, und Form und Hülle waren hin. Aber das ſchwarze Seidenband hielt noch, und an dem Sei - denbande hingen, wie das Bildniß es zeigt, eine Schaumünze und ein Medaillon. Beide werden aufbewahrt und ſind eine Sehens - würdigkeit von Stadt und Kirche. Die Schaumünze hat das üb - liche Anſehn; das Medaillon aber, etwa anderthalb Zoll lang und ein Zoll breit, iſt in zierlichſter Weiſe den Formen eines alten Gebetbuchs nachgebildet, mit geripptem Rücken und mit zwei klei - nen Klammern daran. Dieſe Klammern ſind feſtgenietet und öff - nen alſo weder ſich ſelbſt noch das Buch; wohl aber bewegt ſich an der Stelle, die dem Schnitt des Buches entſprechen würde, ein kleiner Schieber hin und her, und ermöglicht, eine Reliquie oder eine geweihte Hoſtie in das Büchelchen hineinzulegen. Nichts derart aber wurde an jenem Tage, als die alten Särge noch ein - mal an’s Licht ſtiegen, in dem goldnen Büchelchen gefunden, nur ein Zettel fiel heraus, auf dem geſchrieben ſtand: Pſalm 63, 10. Dieſe Stelle aber lautet: Sie ſtehen nach meiner Seele mich zu überfallen ; und die Hindeutung, die in dieſen Worten liegt, hat der alten Sage und dem alten Vergiftungs-Verdachte ein neues Leben gegeben.

Ja (ein Zeichen ihres innerſten Lebens) die Sage wächſt ſeit - dem. Um Mitternacht, ſo erzählt ſie jetzt, glühen die Fenſter der alten Kirche plötzlich in rothem Lichte auf, die Geſtalt Caspars von Uchtenhagen in weißem Sterbekleid, mit glattanliegendem21*324Haar, tritt vor den Altar und leiſe aber vernehmlich ruft er das Kirchenſchiff hinunter:

Alle Liebe iſt nicht ſtark genung,
Ich muß doch ſterben und bin ſo jung.

Wenn der Ruf verhallt iſt, erliſcht der rothe Schein in den Fen - ſtern und alles iſt wie zuvor.

So erzählen Sage und Geſchichte vom alten Geſchlecht der Uchtenhagen.

[325]

Lichterfelde. (Ein Kapitel von Sparren-Land und Sparren-Glocken.)

Sein Name und ſeiner Glocken Klang
Ziehen ſtill die Haid entlang.

Die nächſten Nachbarn der Uchtenhagens und vielfach verſchwägert mit ihnen waren die Sparrs. Das Land um Neuſtadt-Eberswalde herum war ihre. Die Güter der Uchtenhagens lagen ſcheitelrecht (von Nord nach Süd) an der Oder hin, während die Güter der Sparrs ſich wagerecht (von Weſt nach Oſt) an dem Flüßchen Fi - now entlang zogen. Das ſchöne Gut Hohen-Finow, das wie ein Kaſtell in das Oderthal hineinſieht, war der Punkt, wo der Beſitz beider Familien rechtwinklig zuſammenſtieß.

Beider Familien hat ſich in den Gegenden, in denen ſie hei - miſch waren, die Sage mit einer beſonderen Vorliebe bemächtigt, und wie es nicht möglich iſt, in den Freienwalder Schluchten um - herzuſtreifen, ohne wo immer man anklopfen mag dem Uchtenhagenſchen Feuerpudel, dem rothen Land und dem Kind mit der vergifteten Birne zu begegnen, ſo iſt es um Neuſtadt herum ſelbſtverſtändlich, vom alten Sparr zu hören, wie er hoch durch die Lüfte fährt, ſo hoch, daß ſeine niederfallende Peitſche am Bie - ſenthaler Kirchthurm hängen bleibt. Es iſt intereſſant und lehrreich zugleich, das poetiſche Bedürfniß und die poetiſche Geſtaltungskraft des Volks innerhalb einer gewiſſen Oertlichkeit ſich ſo völlig lokali - ſiren zu ſehen.

326

Von den Uchtenhagens hab ich im vorigen Kapitel, von den Sparrs im erſten Bande dieſer Wanderungen (Band I. S. 296) bereits ausführlich geſprochen; es bleibt aber doch noch manches nachzutragen und als ein ſolches Ergänzungs-Kapitel bietet ſich das, was ich nachſtehend zu erzählen habe.

Die Dörfer, die die Sparrs an dieſer Stelle (des ukermär - kiſchen Beſitzes zu geſchweigen) beſaßen, waren folgende: Hohen - Finow, Tornow, Sommerfeldt, Kruge, Klobbicke, Welſickendorf, Prenden, Dannenberg, Heckelberg, Trampe und Lichterfelde.

In den ſechs erſtgenannten Dörfern zum Theil ein Beſitz, den ſie am allerfrühſten (ſchon 1375) inne hatten iſt nichts mehr, was an die alte Familie erinnerte; über Prenden hab ich (Band I.) ausführlich geſprochen; bleiben noch: Dannenberg, Heckelberg, Trampe und Lichterfelde.

In Dannenberg klingt es nur leiſe noch von den Sparrs; nur eben ihr Name lebt noch fort in dem Sparren-Buſch , der unmittelbar vor dem Dorf beginnt und den Reiſenden bis in die Freienwalder Haide begleitet.

In Heckelberg finden wir ſchon mehr. Hier begegnen wir den erſten Sparrſchen Glocken. Heckelberg war nur kurze Zeit im Beſitz der Familie, nur der Feldmarſchall beſaß es wenige Jahre, aber dieſe wenigen Jahre waren ausreichend für ihn, um ſeiner frommen Leidenſchaft ein Genüge zu thun und der Kirche entweder neue Glocken zu ſchenken, oder die alten zu erneuern. Wir finden zwei: eine größere aus dem Jahre 1656, die außer dem Glocken - ſpruche Soli Deo Gloria noch die Namen des Amtmanns, des Schulzen, des Pfarrherrn und der Kirchenvorſteher, außerdem eine etwas kleinere aus dem Jahre 1663, die den Namen Otto Chri - ſtoph Freiherr von Sparr trägt.

In der Heckelberger Kirche allerdings ohne alle Beziehung zu den Sparrs iſt auch noch ein Schnitzaltar, deſſen ich erwäh - nen möchte; ebenſo eines Grabes vor dem Altar.

Des Schnitzaltars, der nicht beſſer und nicht ſchlechter iſt als hundert andre, die ſich hierlandes finden, gedenk ich nur, um327 vor Reſtaurirungen zu warnen, wie deren eine hier ſtattgefunden hat. Ermöglicht ſich keine wirkliche Reſtaurirung die mit ihrem reichen Goldſchmuck oft ſehr koſtſpielig iſt ſo thun die Gemeinden am beſten, die Sache zu laſſen wie ſie iſt, oder aber, wenn das aus den verſchiedenſten Gründen nicht geht, dem ganzen Schnitzwerk eine weiße Tünche zu geben. Ich bin dieſem Aus - kunftsmittel in mehreren Dorfkirchen begegnet und muß einräumen, daß wenn man das Beſſere nicht kann, dies unter dem Schlimmen das mindeſt Schlimme iſt. Die Sachen wirken dann gipsfiguren - haft, was allerdings etwas Kaltes, aber doch nichts direkt Stö - rendes hat.

Vor dem Altar iſt ein Grab. Einer der Geiſtlichen iſt dort begraben, und die Stelle markirt ſich durch nichts, als durch eine ſchwache muldenhafte Einſenkung des Fußbodens, wodurch die Steine loſe geworden ſind. Wir äußerten ein leiſes Befremden darüber, aber der uns begleitende Heckelberger meinte ruhig: wir thun, was wir können; alle paar Jahr ſchütten wir nach und ſtampfen’s feſt, mörteln auch die Steine wieder ein; aber es hilft nichts, er geht immer tiefer und eh wir uns verſehn, iſt die Mulde wieder da. Ein leiſer Schauer überlief uns bei dieſer Erzählung.

Wir kommen nun nach Trampe. Trampe iſt altſparriſch und die eine Linie nannte ſich danach. Aber in den Wirrſalen des 30jährigen Krieges ging es theilweis verloren und erſt der Feldmarſchall (Otto Chriſtoph) eroberte es der Familie zurück. Er ſcheint ihm eine beſondre Vorliebe zugewandt und hier und in Prenden, wenn er nicht in der Hauptſtadt war, abwechſelnd reſidirt zu haben. Auf beiden Gütern, in Trampe ſowohl wie in Prenden, erbaute er ſich ein Schloß; während indeß in Prenden nur noch ein Trümmerhaufen vom alten Sparr erzählt, zeigt ſich in Trampe alles wohl erhalten. Schloß und Park exiſtiren noch, verändert, umgebaut zwar, aber in der Grundanlage doch immer noch wie ſie damals waren. Im Park, der koſtbare alte Bäume und an ſeinem Flügel eine von Waſſer umgebene Burgruine aufweiſt, befindet328 ſich noch eine ſeltſam geformte, acht Zifferblätter zeigende Son - nenuhr von Sandſtein, die auf mehreren der Zifferblätter den Namen Otto Chriſtophs trägt. Die Kirche enthält ein paar Bilder, aber keine Sparrſchen, ebenſo keine Grabſteine der alten Familie. Nur die Glocken ſind wieder unſre Freunde, die uns von den Sparrs erzählen, diesmal mit einer gewiſſen Ausführlichkeit und nicht blos von unſrem Otto Chriſtoph, ſondern auch von ſeinen Vettern, die er, wie es ſcheint, mit heranzuziehen und ſeiner Glockenpaſſion dienſtbar zu machen wußte.

Die Inſchrift der erſten Glocke lautet: Der wohledle, geborne Herr Ernſt Sparr, Ihrer Kurfürſtlichen Durchlauchtigkeit zu Brandenburg Rath und beſtallter Hauptmann zu Zechlin und Lindow, Erbherr auf Trampe, Prenden, Behrbaum und Dannen - berg. Dazu das einfache Sparrſche Wappen und: Goß mich Ja - cob Neuwert zu Berlin 1660. (Dieſe Angabe wiederholt ſich auf allen drei Glocken.)

Die Inſchrift der zweiten Glocke lautet: Ernſt George des heiligen Römiſchen Reiches Graf von Sparr, der Römiſchen - Kaiſerlichen auch zu Pohlen und Schweden Königlicher Majeſtät Geheimer Kriegsrath, Generallieutenant und Generalfeldzeugmeiſter, beiderſeits Kammerherr und Obriſter zu Roß und Fuß; Herr auf Trampe, Prenden, Dannenberg und Beerbaum. Dazu das gräf - lich Sparrſche Wappen.

Die dritte Glocke iſt die wichtigſte; ſie iſt die größte und rührt von unſrem Otto Chriſtoph, dem Feldmarſchall her. Sie iſt aber geſprungen und befindet ſich deshalb nicht mehr neben ihren zwei Schweſtern oben in der Höhe, ſondern unten im Thurm, wo man ihre Inſchrift mit Bequemlichkeit*)Es verlohnt ſich dies eigens hervorzuheben, denn unter den man - nigfachen kleinen Strapatzen, womit das Hinaufſteigen in alte Thürme und das Hinabſteigen in alte Grüfte verbunden iſt, ſteht das Glocken - inſchrift-Leſen obenan. Ohne Licht und Leiter geht es eigentlich kaum, aber beide ſind nie zur Hand und ſo fällt einem das Loos zu, ſich zu helfen ſo gut es geht. Das erſte iſt, daß alle Schalllöcher geöffnet werden, leſen und neben dem329 ſchönen Guß auch, an der Patina, den erſichtlich feinen Erzgehalt der Glocke bewundern kann. Die Inſchrift lautet: Otto Chriſtoph Freiherr von Sparr, der Kurfürſtlichen Durchlaucht zu Branden - burg Geh. Kriegsrath, Feldmarſchall, Obergouverneur der in der Chur und Mark Brandenburg, Herzogthum Hinterpommern und Fürſtenthum Halberſtadt belegenen Feſtungen, Obriſter zu Roß und Fuß, Herr zu Trampe, Prenden, Lanke und Neuſtadt an der Dohhl (ſoll höchſt wahrſcheinlich Doſſe heißen). Darunter das Sparrſche Wappen.

Dieſe Glocke, wie man ſonſt wohl mit geſprungenen Glocken thut, umzuſchmelzen, wäre nicht rathſam, da ſie dadurch aufhören würde, die alte Sparren-Glocke zu ſein, und zwar, ſo viel ich weiß, die ſchönſte und reichſte, die er hat gießen laſſen. Allerhand Sagen knüpfen ſich außerdem an dieſe Glocke, die gleichſam den Feuertod ſterben würden, wenn man ſich entſchlöſſe, durch Um - ſchmelzung aus dieſer alten Glocke eine neue zu machen. Die eine Sage erzählt die vielfach auch an andern Orten wiederkehrende Geſchichte, daß der Glockengießer eine Schlange mit in die Glocken - ſpeiſe gethan habe und daß ſeitdem die Schlangen aus der Tram - per Umgegend verſchwunden ſeien. Die andre, von mehr hiſtoriſchem Charakter, meint, daß dieſe Glocke aus türkiſchen Geſchützen gegoſ -*)die nun natürlich einen Zug herſtellen, als ſollte Wäſche getrocknet wer - den. Den vom Treppenſteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über den Rücken. Nun ſind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber entweder die Diſtance oder die gothiſchen Buchſtaben oder gar der Schwal - ben-Guano ſpotten noch immer der Entzifferungskunſt des unten Stehenden, der ſich nun genöthigt ſieht, die Reſte ſeiner Turnerſchaft hervorzuſuchen. Erſt ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge - bälk hinein, ſo, halb hängend, halb ſtehend, beginnt die Lektüre. Iſt nun der Küſter mit in den Thurm hinaufgeſtiegen, dem ſich dann Wort für Wort diktiren läßt, ſo iſt das Schlimmſte überſtanden, hat er aber, aus dieſem oder jenem Grunde, ſeine kleine Tochter mit hinaufgeſchickt, ſo bleibt einem ſchließlich nichts andres übrig, als ſich, wie der Glöckner von Notre-Dame, ſeitwärts auf die Glocke zu werfen und die große Marie feſt umarmend, auf dem erzenen Nacken derſelben die Inſchrift abzuſchreiben.330 ſen ſei, die Sparr während ſeines Türkenzuges den Ungläubigen abgenommen habe, ja, eine andre Verſion geht noch einen Schritt weiter und verbürgt ſich, daß Sparr die Glocke ſelbſt erobert und ſpäter dafür geſorgt habe, daß ſie durch Tramper Bauern aus dem fernen Ungarlande herbeigeholt worden. Auch die erſtre, eini - germaßen glaubhaftere Hälfte dieſer Tradition (das Glockengießen aus türkiſchen Geſchützen) hält allerdings keine Kritik aus, da die Glocke, wie ſie ſelber beſagt, 1660 gegoſſen wurde und Vater Sparr erſt 1664 ſeinen großen Türkenzug (Schlacht bei St. Gott - hardt) machte.

Nun endlich Lichterfelde ſelbſt. Die Berührung mit den Sparrs iſt hier die intimſte, das alte Geſchlecht tritt einem in einer Reihenfolge von Dingen am faßbarſten entgegen, in Kirche und Schloß, in Grabſteinen und Kirchenbuch.

Sprechen wir zunächſt von Kirchenbuch und Kirche. Das Kirchenbuch beginnt mit 1599, aber eine regelmäßige und exakte Führung deſſelben ſchließt ſchon wieder mit 1604. Ein Todesfall, drei Geburten und Taufen, unter Angabe der Taufzeugen, ſind eingetragen. Unſer Otto Chriſtoph, der, nach ſeinem Bildniß in der Berliner Marienkirche, im Jahre 1605 in Lichterfelde geboren wurde, befindet ſich nicht unter den im Lichterfelder Kirchenbuche verzeichneten Geburten. Dennoch werfen die Angaben dieſes Kir - chenbuchs vielleicht ein Licht auf manches Dunkle und geſtatten weitere Schlußfolgerungen, weshalb ich dieſe Angaben in den An - merkungen (ſiehe daſelbſt) wörtlich wiedergegeben habe. In der Kirche ſind außerdem drei Kinder-Grabſteine aus der Sparren-Zeit. Dieſe ſind ſehr abgetreten, einer ſo völlig, daß von Entzifferung der Inſchrift keine Rede mehr ſein konnte. Bei den beiden andern entzifferte ich folgendes. Auf dem größeren: Anno 1606 (oder 1600, wahrſcheinlich letzteres) iſt geb. Anna Sparr und 16 in Gott ſelig entſchlafen; der Seele Gott genade. Auf dem kleineren: Anno 1604 d. 2. Januar iſt geboren Eli - ſabeth Sparrn entſchlafen d. 3. Januar um 12 Uhr in der Nacht.

331

Die Glocken, jetzt umgeſchmolzen, ſind nicht-Sparriſch. Es hieß zwar auch von ihnen (wie eben überall in der Gegend), der Feldmarſchall habe ſie aus Ungarn mitgebracht, aber alten Auf - zeichnungen zufolge ſind ſie aus viel früherer Zeit.

Die Hauptſehenswürdigkeit von Lichterfelde iſt das Schloß. Es heißt von ihm, wie bereits hervorgehoben, daß unſer Otto Chriſtoph in demſelben geboren wurde. Prenden, wie im erſten Bande erzählt, erhebt zwar einen gleichen Anſpruch, es iſt indeſſen mindeſtens höchſt wahrſcheinlich, daß dem Lichterfelder Schloſſe dieſe Ehre zufällt.

Dieſer Umſtand allein ſchon würde dem Schloſſe ein Anrecht auf unſer Intereſſe geben, wenn es auch im Uebrigen ein unbe - deutendes oder halb zerfallenes Gebäude wäre, es trifft ſich aber, daß dies Schloß, ganz abgeſehen von ſeinen Beziehungen zu den Sparrs, an und für ſich ein höchſt intereſſanter Bau iſt, groß, eigenthümlich, gediegen und von einer Munificenz der Anlage, wie damals (1567) in märkiſchen Landen nur für Fürſten gebaut wurde. Nach meiner Kenntniß exiſtirt, aus ſo früher Zeit her, kein Edelſitz in der Mark, der einen gleich geräumigen und gleich ſoli - den Schloßbau aufzuweiſen hätte.

Ueber die näheren Umſtände des Baues, über Jahreszahl, Namen der Bauherren und des Baumeiſters giebt eine lateiniſche Inſchrift Auskunft, die ſich bis dieſen Augenblick in Front des Schloſſes befindet. Sie lautet:

Dominus conserva nos. Psalm 126. Nisi Domi -
nus aedificaverit Domum in vanum laboraverant,
qui aedificant. Ao. Dni. 1565 Die 26 Julii Arend
et Christoff Fratres de Sparn hanc Domum aedifi -
care inceperunt, in Ao. 1567 cum gratia Dei patris
nostri Jesu Christi consummaverunt per Joachimum
de Roncha ex Italia de Manilia.
Soli Deo Gloria.
Renovat. In Ao. 1580.
332

Alſo etwa:

Der Herr ſchütze und bewahre uns. Pſalm 126. (muß heißen: Pſalm 127.) Wo der Herr nicht das Haus bauet, ſo arbeiten umſonſt, die dran bauen. Anno 1565 haben die Brüder Arend und Chriſtoph von Sparr dies Haus zu bauen angefangen; Anno 1567 haben ſie es durch die Gnade Gottes und unſres Heilands Jeſu Chriſti beendigt und zwar unter Leitung Joachims von Roncha aus Ma - nilia in Italien. Ruhm dem alleinigen Gott. Erneuert Anno 1580.

Dieſe Inſchrift, wiewohl bis dieſen Tag ganz deutlich zu leſen (weil aufgefriſcht), hat zwei ſchwache Punkte, einmal den Namen und Geburtsort des italieniſchen Baumeiſters, dann die Renovirungs-Jahreszahl 1580. Es iſt mindeſtens ungewöhnlich, daß ein überaus ſolide aufgeführter Schloßbau nach 13 Jahren ſchon wieder renovirt wird. Dies iſt indeß unwichtiger. Wichtiger iſt die Frage: wer war dieſer Joachim von Roncha aus Manilia in Italien? giebt es ein Manilia, giebt es einen Roncha? oder iſt alles Irrthum und Unſinn von Anfang bis Ende? von Moerner hat folgende Lesart vorgeſchlagen: per Fra. Chiaramellum (de Gandino) ex Italia de Venetia; wobei er ſich auf die That - ſache beruft, daß es einen Joachim von Roncha niemals gab, wohl aber einen Francesco Chiaramelo oder Chiaramelli (da Gan - dino), der von 1562 65 die Feſtung Spandow zu bauen begann.

Dieſe Moernerſche Interpretation iſt außerordentlich ſcharf - ſinnig und leicht möglicherweiſe zutreffend; wir laſſen ſie indeſſen auf ſich beruhen und treten mittlerweile in den Schloßbau ſel - ber ein.

Im Vorflur empfängt uns ein alter Herr, der Freund und Majordomus des Hauſes, der in Abweſenheit des Beſitzers die Repräſentation auf ſich genommen hat. Wir nennen ihm unſre Namen, er zieht ſein Käpſel und mit dem plauder-gemüthlichſten Cicerone-Ton von der Welt, nicht ohne liebenswürdigen Anflug von Humor und Satyre, beginnt er nunmehr: Sie werden hier333 einen der ſonderbarſten Bauſtyle aller Zeiten kennen lernen; das Schloß hat weder Treppe noch Küche und beſteht ausſchließlich aus 12 Zimmern und 12 Cloſets, Cloſets in des Worts verwegenſter Bedeutung.

So eingeführt, beginnen wir unſren Umgang durch das Haus. Was nun zunächſt den delikaten Punkt angeht, mit dem unſer Cicerone ſeine Eröffnungsrede ſchloß, ſo hat es damit aller - dings ſeine völlige Richtigkeit, wie überhaupt denn eine Total-Be - ſchreibung des Schloſſes in weniger Worten, als die ſeinigen, ſchlechterdings nicht gegeben werden kann. Was ſich der Baumei - ſter, er heiße nun Chiaramelli oder Roncha, eigentlich dabei gedacht hat, iſt ſchwer zu ſagen. Ich bin allerdings Schlöſſern begegnet, z. B. dem berühmten Lochleven-Schloß, in dem Maria Stuart gefangen ſaß, in denen die enorme Dicke ihrer Mauern ebenfalls zur Herſtellung ſolcher Receſſe und Bequemlichkeiten diente; bei all dieſen alten Schlöſſern indeß, die meiſt nur aus einem runden oder viereckigen Feldſteinthurm beſtanden, war dieſe Einrichtung durch die äußerſte Raumbeſchränkung geboten. Wenn es nun aber irgend etwas giebt, deſſen das Lichterfelder Schloß ſicherlich nicht ermangelt, ſo iſt dies eben Raum, denn der großen Flure und Dielen ganz zu geſchweigen, ſind die Zimmer ſelber von ſo ſaal - und hallenartiger Ausdehnung, daß eine Viertheilung jedes einzel - nen Raumes immer noch vier hübſche Wohnzimmer, reſp. ander - weitig nutzbare Räume geſchaffen haben würde.

Genug, wir conſtatiren einfach das Faktum der 12 Receſſe (die ſelbſtverſtändlich ihren früheren Beruf längſt eingebüßt haben) und widmen nun der Grundanlage des Baus unſre Aufmerkſam - keit. Das Erdgeſchoß beſteht aus einem breiten Flur, der zu jeder Seite zwei Zimmer hat (im Ganzen alſo vier); dieſe ſelbe Ein - theilung wiederholt ſich im erſten und zweiten Stock, ſo daß wir im Ganzen drei Flure und 12 Zimmer zu regiſtriren haben. Im Erdgeſchoß und erſten Stock ſind Flur und Zimmer gewölbt. Die Fenſterniſchen ſind wie Zimmer für ſich und die Dicke der Mauern, dazu die labende Kühle innerhalb derſelben, während draußen334 die Sonne brennt, erinnert uns an das hübſche Wort von der Peterskirche, daß ſie Winters und Sommers, unwandelbar wie die Kirche ſelber, eine immer gleiche Temperatur habe.

Unſer Cicerone ſprach aber auch die Worte: keine Treppe und keine Küche. Auch damit hat es ſeine Richtigkeit, wenigſtens ſicherlich mit Rückſicht auf die Küche. (Neuerdings geändert.) Was die Treppe angeht, ſo befindet ſich dieſelbe bis dieſen Tag in einem eignen, von außen angebauten Treppenhauſe, von dem allerdings die Sage geht, daß es Anfangs nicht vorhanden war, da der alte Arendt Sparr, nach Art ähnlicher Sagenväter, den Zutritt zu ſei - ner ſchönen Tochter durchaus unmöglich machen wollte. Erſt nach - dem der Eintritt der bekannten Erſcheinungen unſren alten Spar - renvater, wie ſo manchen Vater vor und nach ihm, von der Un - möglichkeit ſolcher Iſolirung, reſp. von der Vergeblichkeit aller ſei - ner Anſtrengungen überzeugt hatte, entſchloß er ſich reumüthig, dem Hauſe das zu geben, was es bis dahin nicht gehabt hatte eine Treppe. So entſtand (laut Sage) das angeklebte Trep - penhaus.

Das Schloß, wie ſeine Inſchrift beſagt, wurde 1567 gebaut, und 1580 renovirt. Ich vermuthe indeß, wie ſchon angedeutet, daß dieſe letztere Zahl etwa 1650 heißen muß. Jedenfalls haben ſehr bald nach dem 30jährigen Kriege Renovirungen ſtattfinden müſſen, da, während des Krieges, wie Bekmann berichtet, die Seitengebäude des Schloſſes durch den ſchwediſchen General von Dewitz eingeäſchert wurden. Natürlich mußte das Schloß ſelbſt bei dieſer Einäſcherung mit gelitten haben. Wie immer dem ſei, die Grundanlage des Schloſſes iſt ſeit den Tagen Chriſtophs und Arendts von Sparr unverändert dieſelbe geblieben; nur die Einrichtung und Bemalung der Zimmer iſt aus ſpäterer Zeit, klei - neren Theils aus der Groebenſchen Epoche (ſiehe die Anmerkun - gen), größtentheils aus der Zeit der Familie Splittgerber, die Lichterfelde von 1760 bis zu Anfang dieſes Jahrhunderts beſaß.

Wir kehren nun zu der ſchon im Vorübergehen berührten Frage zurück, wurde unſer Otto Chriſtoph von Sparr im Schloß335 zu Lichterfelde geboren oder nicht? Es ſtehen ſich hier zwei An - ſichten gegenüber; Koenig ſagt: geboren zu Prenden , Moerner ſagt: geboren zu Lichterfelde. Weil es ſich dabei um unſren erſten (brandenburgiſchen) Feldmarſchall handelt, mag eine einge - hendere Unterſuchung geſtattet ſein.

Koenig erzählt, daß Otto Chriſtoph am 13. November 1599 zu Prenden geboren wurde und daß ſeine Geburt ſeiner Mutter Edell von Sparr das Leben koſtete. Er fügt hinzu: Edell von Sparr wurde am 11. Dezember zu Prenden begraben, wo ihr Martin Junckel die Leichenpredigt hielt, in welcher der Tag ihres Abſterbens (13. November) auch eigens als der Tag der Geburt unſres Helden angegeben wird.

Dem gegenüber ſagt Moerner: Otto Chriſtoph von Sparr wurde nicht 1599 in Prenden, ſondern 1605 in Lichterfelde ge - boren. Er giebt es nicht als ganz beſtimmt, aber doch als höchſt wahrſcheinlich. Hierfür ſprechen (nach Moerner) verſchiedene Dinge: 1) das noch zu Lebzeiten Otto Chriſtophs gemalte Bild des Feld - marſchalls im Chor der Berliner Marienkirche, auf dem es in Goldbuchſtaben heißt: geb. 1660 auf (oder auß) dem Hauſe zu Lichterfelde ; 2) das Kirchenbuch von St. Marien, das bei Gelegenheit der Beiſetzung des Feldmarſchalls, obige Ortsan - gabe und Jahreszahl im Weſentlichen einfach wiederholt; 3) eine Sparrſche Ahnentafel neben dem Bild des Feldmarſchalls, die darthut, daß ſeine Mutter nicht Edell von Sparr, ſondern Emerentia von Seeſtedt war und 4) eine Angabe in den Lehns - copiarien des Kammergerichts, aus denen hervorgeht, daß Otto Chriſtoph im Jahre 1620 noch entſchieden minderjährig war.

So weit Moerner. Danach fielen ſämmtliche Koenigſche An - gaben zuſammen und zwar: 1) Otto Chriſtoph wäre nicht 1599, ſondern 1605 geboren; 2) ſeine Mutter wäre nicht Edell Sparr, ſondern Emerentia von Seeſtedt und 3) ſein Geburtsort wäre nicht Prenden, ſondern Lichterfelde.

Die Moernerſche Anſicht iſt unzweifelhaft die beſſer fundirte, und zwar um ſo entſchiedener, als Koenig nicht nur erklärt, die336 Junckelſche Leichenpredigt blos auszugs - und abſchriftsweiſe in Händen gehabt zu haben, ſondern auch noch, wie zum Ueber - fluß, den Fehler begeht, über Geburt, Leben und Tod der Edell von Sparr folgenden Gallimathias drucken zu laſſen: Edell von Sparr, ſo ſchreibt er, wurde den 10. Juni 1598 geboren; ſie verehelichte ſich den 16. Juli 1598 auf dem königlichen Schloſſe zu Kopenhagen im Beiſein des Hofes und ſtarb den 13. Novem - ber 1599 bei Geburt unſres Feldmarſchalls. Es iſt ſchwer, in vier Zeilen mehr Thorheit zu ſagen. Hiernach wäre alſo Edell Sparr bei ihrer Verheirathung 36 Tage und bei Geburt ihres Sohnes nicht voll anderthalb Jahre alt geweſen. Nun würde man unter andern Umſtänden ſelbſtverſtändlich die Pflicht haben, die Geburts-Jahreszahl einfach für einen Druckfehler zu halten, wenn nicht Koenig ſelbſt wieder einem dieſe Annahme unmöglich machte und zwar dadurch, daß er, angeſichts ſeiner eigenen Zahlen, ruhig fortfährt: ſie ſtarb alſo in einem Alter von 14 Jahren und vier Wochen. Angenommen nun (wie ſchon zugegeben), daß bei An - gabe der Geburts-Jahreszahl ein Irrthum mit drunter gelaufen ſei, ſo iſt doch ein ſolcher Irrthum hinſichtlich der Monate nicht gut möglich und die zwiſchen dem 10. Juni und dem 13. No - vember mitten inneliegende Zeit, gleichviel um welche Jahreszahlen es ſich handeln möge, kann nie vier Wochen betragen.

Alles dies läßt die Koenigſchen Mittheilungen in einem höchſt bedenklichen Lichte erſcheinen und dennoch fehlt es den gegenüber - ſtehenden Angaben wenigſtens an einer völlig überzeugenden Kraft. Namentlich gilt dies vom Geburtsjahr 1605. Eine Lektüre der dreitägigen Schlacht bei Warſchau, wie der polniſchen Campagne von 1656 überhaupt, giebt einem immer wieder den Eindruck, daß unſer Otto Chriſtoph in dem eben genannten Jahre bereits ein ziemlich alter Herr geweſen ſei. Er heißt damals ſchon der alte Vater Sparr und dem Schwedenkönig werden eigens die Worte in den Mund gelegt, daß ſich der alte Vater Sparr als ein rechter kriegskundiger General erwieſen habe. Wurde nun aber Otto Chriſtoph erſt im Jahre 1605 geboren, ſo war er wäh -337 rend des polniſchen Feldzugs höchſtens 51 Jahr alt, kein Alter, um jemanden einen alten Vater zu nennen. 1657 wurde er bereits Feldmarſchall; er hätte alſo dieſe hohe Würde mit 52 Jahren erreicht. Auch nicht ſehr wahrſcheinlich. Endlich drittens war er ſchon 1638, unter George Wilhelm, mit Bildung einer brandenburgiſchen Armee betraut worden, die er auch wirklich bei Neuſtadt-Eberswalde zuſammenzog. Es wäre ihm alſo ein ſol - cher Auftrag mit 33 Jahren geworden, was, wenn es zuträfe, wiederum einigermaßen überraſchen müßte.

Gleichviel indeß, in welchem Jahr und an welchem Ort unſer Otto Chriſtoph geboren wurde; wenn er nicht mit Beſtimmtheit dieſem oder jenem Dorfe angehört, ſo gehört er doch dem alten Sparrenlande überhaupt an. In jedem der Dörfer, die dieſem Landestheile zugehören, iſt er gekannt, in dem einen als Zauberer, in dem andren als Türkenbeſieger, überall als der Glocken-Mann , der ſich vorgeſetzt hatte, am ganzen Lauf des Finowfluſſes hin ſeine Glocken klingen zu hören.

Es iſt ein poetiſches Stück Land, dies alte Sparren-Land. Wer an der Bieſenthaler Waſſermühle oder weiter aufwärts am Neuſtädter Eiſenhammer den Finowfluß paſſirt, wer an einem Herbſtabend in die ſtille Dorfgaſſe von Prenden einfährt, oder bei aufſteigendem Nebel an dem Tramper-Park und ſeinen Burgtrüm - mern vorüberkommt, der fühlt, daß ihn ſein Weg in Gegenden geführt hat, wo es nicht Wunder nehmen darf, daß alte Volks - ſagen noch lebendig ſind und weiter wachſen und ſchaffen. Ein Knecht lebt da auf einem der alten Sparrendörfer, der ſieht alles voraus was paſſirt und prophezeiht von einem großen Kriege, der in den 80er Jahren kommen wird. Dann werden die Menſchen ſo rar werden wie die Störche im Jahre 1857, wo ein großer Sturm ſie verſchlagen hatte und ſo viele umgekommen waren, daß man alle 5 Meilen nur einen noch ſah. So wird Gott die Men - ſchen ſchlagen, wie er damals ſeinen Gottesvogel geſchlagen. Dann werden die Menſchen ſich freuen, wenn einer den andern ſieht.

22[338]

Am Werbellin.

Ihre Dächer ſind gefallen Und der Wind ſtreicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin.
(Franz Kugler. )
Und eh der Mittag kam, da lag Haufweis das Wild erſchlagen.
(Chevy-Jagd.)

Eine halbe Meile nördlich von Lichterfelde, ſchon auf ukermärki - ſchem Grund und Boden, begegnen wir dem ſagenreichen Wer - belliner See, auch wohl in Kürze einfach der Werbellin genannt. Schön wie der Name, ſo ſchön iſt auch der See, ein Zauber iſt um ihn her, und was der Blumenthal unter den Forſten iſt, das iſt der Werbellin unter den Seen dieſes Landestheils.

Es ſcheint, als ob alle Welt, auch in alten Tagen ſchon, ein Ohr für den Wohlklang dieſes Namens gehabt hätte, denn alles, was um den See herum gelegen iſt, hat den Namen von ihm entlehnt, und wir unterſcheiden außer dem eigentlichen Werbellin (dem See) noch eine Stadt, ein Dorf und ein Schloß glei - ches Namens, wovon ſich dann ſchließlich der Werbelliner Forſt, deſſen wir ſchon früher als des koſtbarſten Jagdgrundes der Hohen - zollern gedachten, anreiht.

[Die Stadt Werbellin.] Sie iſt ſagenhaft. Sie ſoll an der Stelle des jetzigen Sees geſtanden haben, ſo daß wir hier wenn der Sage irgend etwas Reales zu Grunde liegt einen339 jener Erdfälle anzunehmen hätten, über deren Art und Vor - kommen ich in dem Buckow-Kapitel (ſiehe S. 184) ausführlicher geſprochen habe. Das Terrain indeß iſt hier ein weſentlich andres und macht einen Erdfall um Vieles weniger glaubhaft. Uebrigens geräth die Sage mit ſich ſelber in Widerſpruch, wenn ſie fortfährt: daß die Einwohner der Stadt lange vorher einen Unfall befürchtet hät - ten, weil der See mehr und mehr die Ufer weggeſpült und gleich - ſam die Stadt unterminirt habe. Dies wäre jedenfalls kein Erd - fall. Aller Wahrſcheinlichkeit nach hat eine Stadt Werbellin (auch Werblo geheißen) nie exiſtirt. Wenn Fiſchbach von zwei alten, da - mals im Rathhauſe zu Neuſtadt-Eberswalde befindlichen Urkunden ſpricht, die als Datum den St. Gregors-Tag 1306 und den 19. Februar 1319, als Ausſtellungsort aber den Namen Wer - bellin tragen, ſo iſt jetzt erwieſen, daß ſich dieſe Unterſchrift auf Schloß Werbellin und nicht auf die ſagenhafte Stadt gleiches Namens bezieht.

[Dorf Werbellin], etwa eine halbe Meile ſüdlich vom See gelegen, iſt eine Neu-Schöpfung, eine Pfälzer-Colonie, die 1748, alſo in den Jahren der großen Pfälzer-Einwanderung in die Mark, angelegt wurde. Es iſt von dieſem Dörfchen nichts zu ſagen; es trägt ſeinen poetiſchen Namen ziemlich unverdient.

[Schloß Werbellin.] Unmittelbar am Werbellin-See er - hoben ſich zwei Schlöſſer; eins davon war das eigentliche Schloß Werbellin, das andre hieß Schloß Breden.

Schloß Breden war das kleinere, unbedeutendere von bei - den, und ſelbſt über die Stelle wird geſtritten, wo es ſtand. Doch iſt es ſehr wahrſcheinlich, daß es ſich an der Mittelbiegung des See’s erhob und zwar dort, wo jetzt maleriſch zwiſchen See und Wald das Dörfchen Altenhof gelegen iſt. Unter dem Forſt - hauſe daſelbſt befinden ſich noch alte, gewölbte Keller, die man vor etwa 100 Jahren entdeckte, als der Grund zur Aufführung einer neuen Förſterei gelegt werden ſollte. Man fand aber nicht blos dieſe alten Gewölbe, ſondern auch kupferne und eiſerne Geräth - ſchaften, die bis dieſen Tag in der Förſterfamilie (ſeit über hun -22*340dert Jahren immer dieſelbe) aufbewahrt werden. Die dörfliche Tra - dition ſpricht auch von einem Faß mit Wein, das man damals gefunden habe, ein Faß, deſſen Dauben bei der Berührung in Staub zerfielen, während der Wein in der topasfarbenen Wein - ſteinkruſte, die ſich ſeit den Tagen Markgraf Waldemars gebildet hatte, wie in einer Kryſtall-Bowle unverſchüttet ſtehen blieb.

Das eigentliche Schloß Werbellin lag an der Südweſtſpitze des Werbelliner See’s höchſt wahrſcheinlich (denn das Terrain iſt verändert) auf einer Landzunge, die durch einen Durchſtich und ein weites, vor dieſem Durchſtich gelegenes (übrigens noch vor - handenes) Sumpfland zu einer ſchwer zugänglichen Inſel gemacht wurde. Markgraf Johann I., der Städte-Erbauer unter den As - kaniern, baute dies Schloß um 1247, und es ſcheint, daß es unter allen markgräflichen Schlöſſern jener Epoche das größte, und wohl auch ein bevorzugter Aufenthalt mehrerer unter den Aska - niern war. Hier wurden die obenerwähnten Urkunden ausgeſtellt, und wohl viele andre mit ihnen. Von Schloß Werbellin aus ſchickte Markgraf Waldemar ſeinen Kanzler Nikolaus von Buch an den Rhein, als, nach Kaiſer Heinrichs VII. Tode, ein neuer Kaiſer gewählt werden ſollte, und gab ihm, wie wir heute ſagen würden, charte blanche zu wählen nach ſeinem Ermeſſen. Nikolaus von Buch gab ſeine Stimme an Ludwig den Baier, an den einzigen, an den er ſie (nach dem ſtillen Wunſche Waldemars) nicht ge - ben ſollte. Der empörte Markgraf, ſo geht die Sage, ließ den zu - zückkehrenden Kanzler nach dem nach gelegenen Schloß Grim - nitz*)Schloß Grimnitz, in unmittelbarer Nähe des Werbellin am Grimnitz-See gelegen und faſt als ein drittes der Werbellin-Schlöſſer an - zuſehen, war ebenſo der bevorzugte Aufenthalt Otto’s IV., des ſogenannten Markgrafen mit dem Pfeil, wie Schloß Breden und Schloß Werbellin die bevorzugten Plätze Markgraf Waldemars waren. Hier war es wohl, ſo erzählt F. Brunold, wo Markgraf Otto mit ſeiner kühnen Gemahlin Heilwig von Holſtein am Schachbrett ſaß, von Spielleuten umgeben, wie es uns ein Bild in der Maneſſiſchen Sammlung der Minneſänger noch heute zeigt. 1529 wurde auf Schloß Grimnitz ein Friede zwiſchen bringen, ihn dort in den Kerker werfen und verhungern. 341Die Erzählung fügt hinzu, der Markgraf habe täglich friſche Aepfel vor das vergitterte Fenſter legen laſſen, um durch den Anblick der Labefrucht die Qual des Unglücklichen zu ſteigern.

1319 ſtarb Markgraf Waldemar, es kam eine wilde, eine herrenloſe Zeit, auch Schloß Werbellin ſank von ſeiner Höhe. Noch im Laufe deſſelben Jahrhunderts, oder doch zu Anfang des nächſt - folgenden, wurde es zerſtört; der eine Bericht ſagt durch die Litthauer , ein andrer (wahrſcheinlicherer), durch die Quitzows, die in Gemeinſchaft mit den Ruppiner Grafen die Burg angriffen und brachen. Ihr Zug ging von da aus gegen Chorin. Auf dem Felde zwiſchen Lichterfelde und dem Werbelliner-See wird noch die Stelle gezeigt, wo der Abt von Chorin den Siegern entgegenging und mit ihnen über gute Bedingungen verhandelte.

[Der Werbelliner-Forſt] endlich iſt der alte, klangvolle Name des ſchönen, viele Quadratmeilen großen Wald - und Jagd - Reviers, das den Werbellin - und Grimnitz-See in weitem Halb - kreis umgiebt. Man hat den alten Namen jetzt aufgegeben, und das weite Waldrevier, aus Gründen beſſerer Verwaltung, in eine weſtliche und öſtliche Hälfte getheilt, die nun den Namen Groß - Schönebecker - und Grimnitzer-Forſt führen; wir aber behalten den alten Namen bei.

Der Werbelliner-Forſt, wie ſchon angedeutet, iſt gleich aus - gezeichnet als Wald - wie als Jagd-Grund. Als Waldgrund mag es, auch in unſern Landen, größere und beſſer gepflegte ge - ben, als Jagdgrund ſteht er einzig da. Ein Theil des Forſtes, die ſogenannte Schürf - oder Schorfhaide, die ſich eine halbe Meile lang am Nordweſt-Ufer des See’s entlang zieht, dient eigens dem Zweck, das Wild zu pflegen, alſo den Reſt des Forſtes zu einem*)der Mark und Pommern geſchloſſen, der ausdrücklich der Friede zu Grim - nitz heißt, und 1549 brach hier Kurfürſtin Hedwig, die Gemahlin Joachims II. (nicht die ſchöne Gießerin wie andre erzählen), durch den morſch gewor - denen Fußboden des erſten Stockes, wobei ſie auf die Hirſchgeweihe der darunter befindlichen Halle niederſtürzte, und ſo ſchweren Schaden nahm, daß ſie von der Zeit ab an Krücken gehen mußte.342 deſto reicheren und beſſeren Jagdgrund zu machen. Der nahe See mit ſeinem koſtbar klaren Waſſer (eine Folge ſeiner Kalk - und Thon-Gründigkeit) macht ihn zur Tränke vorzüglich geeignet, während außerdem Brunnen in den Wald gegraben ſind, und überall ausgebreitete Heu - und Moosbetten dem Wilde über die Gefahren und Beſchwerden des Winters hinweghelfen. Und das alles nicht einmal mit der hinterliſtigen Abſicht, den heute noch ge - hegten und gepflegten Hirſch bei nächſter Gelegenheit in’s Blatt zu treffen. Der Wildſtand hier iſt eine Parade-Truppe, und wird auf jede erdenkliche Weiſe geſchont. Letzlingen, ſo heißt es, iſt für den Gebrauch; Werbellin und Grimnitz ſind für die Repräſentation. Dort jagten die Hohenzollern um des Jagens willen; in Werbellin jagen ſie, ausnahmsweiſe, an Feſt - und Gala-Tagen, um ihren Gäſten zu zeigen, was hohe Jagd in den Marken iſt.

Letzlingen freilich iſt auch ein koſtbarer Jagdgrund, und in einzelnen Branchen, z. B. an Damm - und Edelhirſchen, überragt es ſeinen Rivalen. Aber an Rothwild bleibt Werbellin à la tête. Die Forſten, die ſeinem Reviere angehören, umſchließen 3000 Hirſche, die größte Anzahl (ſo weit die Kenntniß davon reicht), die an irgend einem Punkte der Welt, innerhalb eines beſtimmt ab - gegrenzten Reviers, gehalten wird. Hier war denn auch, wie ſelbſt - verſtändlich, der Platz, wo ſich die Zahl der getödteten Hirſche (denn trotz des Prinzips der Schonung müſſen die alten weg - geſchoſſen werden) auf eine Höhe bringen ließ, gegen die wahr - ſcheinlich die Thaten des Cooper’ſchen Hirſchtödters zu einem Minimum zuſammenſchrumpfen. Wildmeiſter Grußdorf (jetzt im Potsdamer Wildpark) war 30 oder 40 Jahr lang Förſter im Werbelliner Forſt, und die Leute erzählen von ihm, daß er muth - maßlich derjenige Jäger ſei, der in ſeinem Leben die meiſten Hirſche geſchoſſen habe. Es heißt: er kannte nicht nur alle, die über - haupt da waren, er fand auch alle, die er finden wollte (die alten, wegzuſchießenden), und traf alle, die er treffen wollte. Nur343 vom bairiſchen Grafen Arco erzählt man, daß er möglicherweiſe unſrem Grußdorf als Hirſchtödter gleichkomme.

Der Werbellin-Forſt umſchließt 3000 Hirſche, aber um die Brunſtzeit (etwa von Mitte September bis Mitte Oktober) um - ſchließt er noch tauſend mehr. Dann kommen die Wanderhirſche. Sie kommen aus den benachbarten Landestheilen, aus Mecklen - burg, Pommern, Schleſien, ſelbſt aus Polen und Oſtpreußen, alſo faſt hundert Meilen weit. Alle dieſe Gegenden, namentlich die öſt - lich und nördlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäl - dern, und dieſer Umſtand treibt die Hirſche gen Weſten, und ſpeziell an das See-Ufer des Werbellin. Hier iſt dann Rendezvous, Con - vivium , wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die Fährlichkeit der Reiſe groß iſt, ſo machen ſich nur die ſtärkſten Thiere auf den Weg; ſie wiſſen auch wohl, daß ſie als Eindring - linge kommen, und daß es ohne ſchwere Kämpfe, ohne den ganzen Zorn erwachter Eiferſucht, nicht abgehen wird. Dieſe Kämpfe finden denn auch wirklich jedesmal ſtatt, aber ſelten mit den eigentlichen Her - ren des Forſt’s, ſondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen ſelbſt. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole gegen Oſtpreuße, oder Schleſier gegen Pommer. Die dieſen Kampf aufnehmen, ſind, wie ſchon angedeutet, immer die Stärkſten, und die Veranlaſſung iſt jedesmal Rivalität; das Reſultat ihrer Kämpfe aber pflegt in den meiſten Fällen das zu ſein, daß, während die beiden Heroen von außerhalb mit einander kämpfen (auch wohl ſich tödten), der einheimiſche Märker den Liebespreis davonträgt.

Die fremden Hirſche bleiben etwa 4 Wochen; dann kehren ſie wieder heim.

In den letzten 10 bis 15 Jahren hat ſich dieſer Zuzug von außenher um etwas verringert. Wahrſcheinlich iſt das Jahr 1848 die Urſach davon, wenigſtens bemerkt man ſeitdem eine Abnahme. Die Jagdfreiheit machte damals den Marſch von Polen oder Preu - ßen bis in die Mark allerdings etwas gefährlicher als in ruhi - geren Zeiten, und die Gefahren jenes Jahres ſcheinen wenigſtens bei den Wanderhirſchen unvergeſſen.

344

Wir treten zum Schluß aus dem Forſte heraus wieder an den See, an den Werbellin , der all dieſer Umgebung, Wald, Burg, Dorf, ſeinen Namen gab.

Einladend wie der See, ſo waren auch die Fiſche, die er beherbergte. Es war ein Muränen-See, vielleicht der größte und ſchönſte unter allen märkiſchen Seen, die ſich mit ihm in die Ehre theilen, ein Muränen-See zu ſein. (Muränen-Seen waren zu Bekmanns Zeiten folgende: der Moriner, der Soldiner, der Lychener und der Stechliner, ferner der Lindower und der Schermützel - See. Mehrere davon, wenn nicht alle, haben inzwiſchen ihre Mu - ränen verloren, ebenſo wie der Werbellin. )

Auch ſchon in churfürſtlichen Tagen wußte man von dieſem Reichthum des Werbelliner See’s, und 1565 ſchrieb Churfürſt Joachim an den Magiſtrat zu Neuſtadt-Eberswalde und ordnete an: maßen man gegen Faſtelabend etzlich-vieler Fiſche benöthigt wäre, ſo viele Muränen und Karpfen, als nur zu bekommen - ren, in dem Werbellin fangen und mit zwei Pferden und Wa - gen zur churfürſtlichen Küche bringen zu laſſen.

Mit dieſen Muränen ging es noch faſt dreihundert Jahre; da, vor 10 oder 20 Jahren, nahm es plötzlich ein Ende. Der Cormoran kam. Der Cormoran oder ſchwarze Seerabe, ſonſt nur in Japan und China heimiſch, hatte auf ſeinen Wanderzügen auch mal den baltiſchen Küſtenſtrich berührt und unter allen For - ſten und Seen, die er auf dieſem ſeinem Zuge berührt hatte, ſchien es ihm am Werbellin am beſten gefallen zu haben, denn hier war es, wo er ſich plötzlich zu vielen, vielen Tauſenden nie - derließ. Der ſchöne Forſt am See entlang bot prächtige Bäume zum Horſten, und der See ſelbſt die ſchönſte Gelegenheit zum Fi - ſchen. Nun ſcheint es, waren die Cormorans inſonderheit auch Feinſchmecker, und ſtatt ſich mit all und jedem zu begnügen, was ihnen in den Wurf kam, richteten ſie ihr Begehr vor allem auf die Muräne. Sie fiſchten nach ganz eigenthümlichen Prinzipien, und betrieben den Raub nicht als einzelne Freibeuter (wie etwa die Fiſchreiher und ähnliche auf niedrigſter Stufe der Kriegskunſt345 ſtehende Thiere), ſondern das Geheimniß taktiſchen Zuſammenwir - kens hatte ſich ihnen erſchloſſen. Sie operirten en colonne, in Reih und Glied und lange Chainen quer über den See ziehend, dabei mit Hülfe ihrer Taucherkünſte den See auch in ſeinen ver - ſchiedenen Tiefen, ſo zu ſagen in allen ſeinen Etagen beherrſchend, glückte es ihnen, überall da, wo ſie ihren Stand nahmen, ein lebendiges Netz durch den See zu ziehen: jede Maſche ein geöff - neter Cormoran-Schnabel. *)In China oder Japan, oder vielleicht in beiden Ländern, verſtehen es die Bewohner, die Cormorans zum Fiſchfang abzurichten. Sie be - dienen ſich dazu der allereinfachſten Vorrichtung, indem ſie dem Cormo - ran, nachdem ihm die Flügel geſtutzt wurden, einen Ring um den Hals legen, der die Kehle des Thieres halb zuſchnürt. Nun beginnt der Cormoran, mit gewohntem Geſchick, ſeinen Fiſchfang, da er aber, der halbzugeſchnürten Kehle halber, die Fiſche nicht herunterſchlucken kann, ſo wirft er ſie großmüthig in neben ihm befindliche kleine Boote, wo ſie die Fiſcher in Empfang nehmen.Die Fiſcher mühten ſich umſonſt ſie zu vertreiben; es gab damals Cormorans am Werbellin, wie Flie - gen in einer Bauernſtube; ein paar Hundert mehr oder weniger war von gar keinem Belang. Auch der Forſt litt, ähnlich wie der See; denn in manchem Baum hatten die Cormorans 10 Neſter gebaut, und es war nicht möglich, ihrer Herr zu werden. Da wurde endlich ein Vernichtungskrieg beſchloſſen; alle Förſter aus den benachbarten Revieren wurden mit herangezogen, das Garde - Jäger-Bataillon in Potsdam ſchickte ſeine beſten Schützen, ſo rückte man in’s Feld. Zuletzt waren Pulver und Blei ſtärker als die Cormorans, und ſie blieben entweder auf dem Platze, oder ſetzten ihren Zug in friedlichere Gegenden fort. Die Cormorans verſchwanden; aber ihr Beſuch hatte dem Werbellin ſeine Muränen gekoſtet. Die Cormorans ſind nicht wieder gekommen (das ließe ſich ertragen), aber die Muränen auch nicht.

Die Muränen ſind hin wie die Schlöſſer, die den Wer - bellin umſtanden, nur der See ſelber iſt der alte geblieben. Bei Altenhof, unmittelbar an dem gelben Kies-Ufer, liegen ein paar Tannenſtämme aufgeſchichtet, und bilden eine hohe Bank zum346 Ueberblick über den See. Dort nehmen wir Platz. Kleine Wellen ſchäumen an’s Ufer, vor uns die breite Waſſerfläche, liegt noch im Licht, während nach Norden zu ſich blaue Schatten über Wald und See breiten. Dorthin liegen auch die Trümmer des alten, halb Sage gewordenen Grimnitz-Schloſſes. Und wenn jetzt ein goldenes Schiff den See herunter käme, und auf dem Deck des Schiffes, unter flatterndem Zeltdach, ſäße Markgraf Otto mit Heilwig von Holſtein, ſcherzend, lachend über dem Schachſpiel, wir ließen es vorübergleiten, vielleicht weniger verwundert über das gol - dene Schiff mit Segel und Zeltdach, wie über das ärmliche Schif - ferboot, das eben mit Netz und Reuſe des Weges kommt. Es iſt ein Märchenplatz, auf dem wir ſitzen, denn wir ſitzen am Ufer des Werbellin.

[347]

Schloß Friedersdorf.

Ich kenne die Thürme, die Zinnen,
Die ſteinerne Brücke, das Thor.

In der Nähe von Guſow (dem alten Beſitzthum Derfflingers) auf dem Plateau, das den Südweſtrand des Oderbruchs begrenzt, liegt Friedersdorf, ein Beſitz der Familie von der Marwitz. Die Marwitze, urſprünglich eine neumärkiſche Familie, kamen gegen Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts in Beſitz dieſes Guts und haben es ſeitdem ununterbrochen beſeſſen. *)Wie die Familie zu den älteſten und angeſehenſten der Mark ge - hört, ſo iſt es ihr vorbehalten geweſen, auch durch drei Generationen hin, ihren Namen mit der Geſchichte des Landes zu verweben, und zum Ruhme deſſelben beizuſteuern. In 150 Jahren gingen mehrere hundert Offiziere aus dieſer Familie hervor, darunter acht Generale. Nur wenigen Geſchlech - tern (fünf) war es vergönnt die Marwitze nach dieſer Seite hin zu über - flügeln: die Kleiſt weiſen 14 auf, die Schwerin 11, die von der Goltz 10, die Bork und die Bredow 9.

Vom Städtchen Selow (halben Wegs zwiſchen Müncheberg und Küſtrin) erreicht man Friedersdorf in einer Viertelſtunde. Die Landſchaft iſt reizlos und nur die Bäume des Parks, die man auf einige Entfernung hin hoch aufragen ſieht, unterbrechen das flache Einerlei. Unmaleriſch wie die Landſchaft, iſt auch die Einfahrt in das Dorf ſelbſt, und erſt in der Mitte deſſelben, wo wir die Parkbäume, die bis dahin den halbnebligten Hintergrund des Bil -348 des bildeten, in einem flachen, weit gedehnten Teich ſich ſpiegeln, und die Thürme und weißgrauen Wände des Schloſſes durch das ziemlich dichte Laubwerk hindurch ſchimmern ſehen, wird es uns leichter um’s Herz, und der flachen Alltäglichkeit plötzlich überhoben, athmen wir auf wie eingetreten in eine neue, poetiſche Welt. Unſer Wagen beſchreibt eine Curve um den Südrand des Teiches herum und führt uns dann durch eine von zwei Obelisken gebildete Ein - fahrt, den Kiesweg des Parks hinauf, bis vor die gaſtlich geöffnete Thür des Schloſſes.

Das Friedersdorfer Herrenhaus iſt ſo recht ein Bau, wie ihn die Phantaſie ſich auszumalen liebt, wenn es gilt, das Schloß einer alten Familie vor Augen zu haben. Die Frage nach dem Maaß der Schönheit wird gar nicht laut; alles iſt eigenthümlich, charaktervoll, pittoresk, und dieß genügt. Auch dieſes Friedersdorfer Schloß nimmt unſer Urtheil ſofort gefangen. Das hohe Dach, wo es auf der Schrägung der beiden Seitengiebel aufliegt, iſt ſtaffel - förmig mit allerhand Thürmchen beſetzt, während aus der Mitte des Dachs ein mächtiger Vordergiebel vorſpringt, der wiederum ſeinerſeits mit einer Reihe von kleinen Thürmen geſchmückt iſt. Die hohen, verhältnißmäßig ſchmalen Fenſter ſteigern den Eindruck des Eigenthümlichen und die breiten Pfeiler zwiſchen denſelben leihen ein Anſehen voll Feſtigkeit und Solidität. Roſenbäume um - ranken die Glasthür, die aus der Halle in Park und Garten führt, vor der Front des Hauſes aber, inmitten eines Grasplatzes, den Kieswege umzirken und mächtige alte Kaſtanien überſchatten, ſtehen ein paar gußeiſerne Böller (Eroberungen aus alter Zeit) und mah - nen an den kriegeriſchen Geiſt, der hier durch viele Generationen hindurch lebendig war.

Wir betreten das Haus und verwundern uns über die Fülle von Raum, die uns darin entgegen tritt. Das macht, es iſt noch ein Bau aus jener vornehmen Zeit, wo man die vorhandene Ge - ſammträumlichkeit in wenige impoſante Gemächer theilte, ſtatt wie jetzt die allergrößte Raumfülle durch zahlloſe Stuben und Stüb - chen hotelartig zu verzetteln. Die Baumeiſter waren damals noch349 nicht bei Hauswirthen in die Schule gegangen und hatten noch nicht gelernt, der trivialſten Oekonomie die Schönheit und Statt - lichkeit der Verhältniſſe zu opfern. Es war noch die Epoche der Treppen und Corridore, wie ſie die, ohne Noth und ohne Ver - ſtändniß, jetzt vielgeſchmähte Zeit der Renaiſſance überall einführte.

Die Halle des Hauſes nimmt uns auf. Hohe Fenſter blicken auf den Park hinaus, die andern Wände ſind mit zahlreichen Bildern, mit Familienporträts jedes Alters und jeder Größe bedeckt. Das ſtattlichſte und in die Augen fallendſte iſt ein Bildniß über dem Kamin. Es iſt das überlebensgroße Porträt des alten General - lieutenants von Goertzke, des ſogenannten Paladins des großen Kurfürſten , der im Jahr 1652 Friedersdorf erſtand, dieſes Schloß renovirte und hier in hohem Alter verſtarb. Wie derſelbe ein halbes Leben lang neben Derfflinger geſtanden und den Ruhm des Alten getheilt hatte, ſo fanden ſich die beiden brandenburgiſchen Helden auch ſchließlich auf nachbarlicher Scholle hier zuſammen: Guſow gehörte dem einen, Friedersdorf dem andern. Eines Goertzke’s Tochter heirathete einen Marwitz und bei den Marwitz iſt das Gut ſeitdem verblieben.

Dieſes Bildniß des alten Paladin nimmt unſer Intereſſe aus mehr als Einem Grunde in Anſpruch. Ganz geharniſcht, den Commandoſtab in der Rechten, die leichte Feldbinde um den Hals, ſo ſteht er da. Der Helm ruht neben ihm auf einem Felſenvor - ſprung und ſein langes Haar fällt dunkel und beinahe lockig herab. Finſterer Ernſt und kalte Beſtimmtheit ſprechen aus ſeinen Zügen. Es knüpft ſich eine hübſche Anekdote an dieſes Bild, charakteriſtiſch für den Mann und die Zeit, zumal auch für die Stellung, die die ſchönen Künſte damals in brandenburgiſchen Landen einnahmen. Goertzke war bei Lützen ſchwer verwundet worden und hinkte ſeitdem; ſein linker Fuß war zu kurz geheilt worden und eine dicke, handhohe Holzſohle mußte wieder gut machen, was das Unglück oder das Ungeſchick des Arztes verſchul - det hatte. Es ſcheint, daß er ſich an dieſen Holzfuß nicht gern erinnern ließ oder Vorſtellungen von der Pflicht des Idealiſirens350 innerhalb der Kunſt hatte, die dem romantiſchſten Vertreter der früheren Düſſeldorfer Schule Ehre gemacht haben würden. Als der Maler ihm das Bild brachte, fiel Goertzke’s Auge zuerſt auf die breite Holzſohle, die der gewiſſenhafte Realiſt an den Fuß ſeines Helden geheftet hatte, und voll Zorn und Unmuth warf dieſer ihn die Treppe hinunter. Eine kaum minder empfindliche Strafe kam nach: der alte Paladin behielt das Bild und verweigerte die Zahlung.

Das lebhafte Intereſſe, das wir an dem Bilde zeigen, führt zu der freundlichen Mittheilung, daß die nahgelegene Kirche ein Steinbild des alten Reitergenerals enthalte, das die beſte Gele - genheit bieten würde, zwiſchen zwei ziemlich gleichzeitigen Darſtel - lungen des Paladins (den beiden einzigen, die exiſtiren) einen Vergleich anzuſtellen. Unſere Neugier iſt geweckt und die Kiesgänge des Parks führen uns alsbald in die angrenzende Kirche.

Einen Augenblick vergeſſen wir, was zunächſt uns hergeführt (das Steinbild des alten Goertzke), und blicken betroffen in eine Dorfkirche hinein, wie deren die Mark vielleicht keine zweite beſitzt. Ein Zuſammenwirken von Umſtänden iſt nöthig, um eine Ausſchmückung wie dieſe zu ſchaffen: lang andauernder Be - ſitz und ein Herz für Kirche und Kunſt. Saubere Pfeiler von braunem Eichenholz tragen die weit vorſpringenden Emporen, und allerhand Bilder, Sprüche und Inſchriften umziehen die Brüſtung derſelben. Ueberall treten aus dem alten Mauerwerk Grabmonumente hervor, und Büſten und Portraits, Sarkophage und ſymboliſche Figuren, die rundum die Wände ſchmücken, leihen dieſer kleinen Kirche etwas vom Anregenden eines Muſeums und von der ſchönen Heiterkeit, die überall da waltet, wo die Schö - pfungen der Kunſt eine Stätte gefunden. Was dieſen Eindruck künſtleriſcher Heiterkeit noch ſteigert, das iſt das Vorherrſchen der Farbe oder doch ein glückliches ſich Vermählen der Farbenbuntheit mit dem Weiß des Marmors. Eine Reihe ſteinerner Grabmonu - mente weckt oft mehr Schauer als Erhebung, hier aber werden die weißen Marmorgruppen zu bloßen Umrahmungen für die351 Bilder, deren Farbenfriſche den Sieg über den kalten Marmor und die kalte Symbolik davon trägt. Der Saturn wird zum ge - müthlichen Alten, wenn er ein Medaillonbild in Händen hält, das in allen Farben des Lebens lacht.

Unter ſolchen Betrachtungen ſind wir das Kirchenſchiff hin - aufgeſchritten und ſtehen am Altar. Zur Linken erblicken wir nun - mehr das Steinbild des alten Paladin, das zunächſt Veranlaſſung zu unſerem Kirchenbeſuche gab. Neben ihm, in gleicher Höhe und Größe, iſt das Reliefbild ſeiner Gemahlin, einer geborenen von Schlieben, in den Wandpfeiler eingelaſſen. Beide Grabſteine lagen früher an anderer Stelle, unmittelbar über der Gruft, und erſt bei Renovirung der Kirche hat man ſie aufgerichtet und ihnen den Ehrenplatz neben dem Altar gegeben. Vergleicht man dieſes Stein - bild des alten Goertzke mit ſeinem Oelporträt in der Halle, ſo bemerkt man allerdings Verſchiedenheiten. Der Klumpfuß und die Krücke zeigen ſich auch hier, eben ſo tritt einem etwas typiſch Märkiſches im Ausdruck des Kopfes entgegen, aber hiemit ſind die Aehnlichkeiten erſchöpft. Wohlwollen, Heiterkeit, Bonhommie nehmen die Stelle des Herben und Martialiſchen ein, die unverkennbar aus dem Oelbild ſprechen. Der Kopf der jungen, ſchönen Frau (der er ſich erſt ſpät vermählte und die er nur kurze Zeit beſaß) iſt überaus anſprechend und man muß erſtaunen, daß es einem Steinmetzen jener Zeit glücken konnte, ein ſo liebliches Geſicht her - auszumeißeln. Das Charakteriſtiſche findet ſich immer früher als das Schöne, das hier bereits in deutlichen Anfängen zu uns ſpricht.

Wir ſind in die Mitte des Kirchenſchiffs zurückgetreten, halten Umſchau und bemerken jetzt, daß das Bild des alten Goertzke nur ein Gaſt in dieſer Kirche iſt, ein vornehmer Gaſt zwar, dem man den Ehrenplatz neben dem Altar gegeben, aber doch immer nur ein Gaſt. Andere ſind hier jetzt zu Haus; den Marwitzen gehört das Feld. Vier Generationen ſprechen zu uns; zur Rechten Geſtalten und Inſchriften, die der Epoche vor dem ſiebenjährigen Kriege angehören, zur Linken die Namen und Bildniſſe derer, die ſeitdem gekommen und gegangen ſind. Da ſind zunächſt (zur Rechten) die352 Bildniſſe Hans Georgs und ſeiner beiden Frauen, Medaillonpor - träts, wo die feinen, halb träumeriſchen, halb wehmuthsvollen Züge der einen, das Auge des Beſchauers zu ſuchen ſcheinen und feſſelnd aus dem weißen Kopftuche hervorlugen. Da ſind, an der - ſelben Seite, die Monumente und Bildniſſe ſeiner beiden Söhne, von denen der eine, voll Eifer für die Wiſſenſchaften, jung und unvermählt verſtarb, während der andere (Auguſt Gebhardt) in die Armee trat und als Gardecapitän den Dienſt quittirend, ſeine Tage auf Friedersdorf beſchloß.

Von dieſem Auguſt Gebhardt v. d. Marwitz, dem Urgroß - vater des gegenwärtigen Beſitzers, exiſtiren noch ein paar Ueber - lieferungen, die hier Platz finden mögen, weil ſie ein anſchauliches Bild von dem Leben geben, das ein märkiſcher Edelmann vor den Tagen des ſiebenjährigen Krieges zu führen pflegte.

Auguſt Gebhardt lebte noch völlig als Patriarch. Die Bauern fürchteten ſein grimmiges Anſehen und vermieden ihn lieber, als daß ſie ihn ſuchten. Er war etwa der Soldatenkönig im Kleinen und das bekannte lieben ſollt ihr mich wurde auch hier mit dem ſpaniſchen Rohr auf die Rücken geſchrieben. Von beſonderer Wich - tigkeit war der ſonntägliche Kirchgang. In vollem Staat, gefolgt von Frau und Kindern, erſchien dann der alte Gardecapitän auf ſeinem Chor und theilte ſeine Aufmerkſamkeit zwiſchen dem Predi - ger und der Gemeine. Sein controlirender Blick war über dem Ganzen. Ein eigens beſtallter Kirchenvogt mußte aufmerken, wer von den Bauern ausgeblieben war, von denen jeder, der ohne triftige Urſache fehlte, an ſeinem Beutel oder ſeinem Leibe beſtraft wurde. Dabei war Auguſt Gebhardt ein Lebemann. Sein Haus ſtand gaſtlich offen und in heiterer Geſellſchaft vergingen die Tage. Man von ſilbernem Geſchirr und eine zahlreiche Dienerſchaft wartete auf. Der Sommer gehörte dem Leben auf dem Lande, aber der Winter rief alles nach Berlin. In einem mit ſechs Heng - ſten beſpannten Wagen brach man auf und ein Läufer in voller Livrée lief vor dem Zuge her. Auch in Berlin machte Auguſt Gebhardt ein Haus; vornehme Geſellſchaft ging aus und ein, an -353 gezogen durch den feinen und geiſtreichen Ton ſeiner zweiten Ge - mahlin, einer geborenen von der Goltz. Das Weihnachtsfeſt führte die Familie auf kurze Zeit nach Friedersdorf zurück, bis mit dem herannahenden Carneval der Läufer und die ſechs Hengſte wieder aus dem Stall mußten.

Das waren die Zeiten Auguſt Gebhardts. Die kommenden Jahre trugen von allen Seiten her Verwüſtung in das Land und zerſtörten die Wohlhabenheit, die die geſunde Baſis dieſes patri - archaliſchen Lebens war. Auguſt Gebhardt ſtarb 1753. Er hinter - ließ drei Söhne, von denen wir jedem einzelnen zunächſt ein be - zeichnendes Beiwort (ſtatt der Verwirrung ſtiftenden Vornamen) geben wollen. So nennen wir denn den älteſten den Huberts - burg-Marwitz, den zweiten den Hochkirch-Marwitz, den dritten aber, der nicht Gelegenheit fand im Kriege ſich auszuzeichnen, ein - fach nach ſeinem Titel, den Kammerherrn Marwitz. Von jedem mögen hier ein paar Worte ſtehen.

Der Hubertsburg-Marwitz (Johann Friedrich Adolf) war 1723 geboren. Er trat in das Regiment Gendarmes und avancirte von Stufe zu Stufe. Er war ein ſehr braver und in großer Achtung iſtehender Soldat, ein feiner und gebildeter Weltmann, ein Freund der Literatur und der Kunſt. Der große König ſchätzte ihn hoch, beſonders auch, weil er das Regiment Gendarmes faſt den ganzen ſiebenjährigen Krieg hindurch, ſtatt des eigentlichen Commandeurs Grafen von Schwerin, mit dem größten Succeß geführt hatte. Bei Zorndorf war er mit unter den beſten geweſen.

So kam das Jahr 1760. Der König hatte nicht vergeſſen, daß es ſächſiſche Truppen geweſen waren, die das Jahr vorher Schloß Charlottenburg geplündert hatten, und voll Begier nach Revanche gab er beim Einrücken in Sachſen ſofort Befehl, Schloß Hubertsburg (daſſelbe, das ſpäter durch den Friedensſchluß be - rühmt wurde), als Repreſſalie zu zerſtören; das Mobiliar des Schloſſes ſollte dem plündernden Offizier zufallen. Der Befehl zur Ausführung traf unſern Marwitz, der damals Oberſt war. Dieſer ſchüttelte den Kopf. Nach einigen Tagen fragte ihn der König bei23354Tiſch, ob Schloß Hubertsburg ausgeplündert ſei? Nein , erwie - derte der Oberſt. Eine andere halbe Woche verging und der König wiederholte ſeine Frage, worauf dieſelbe lakoniſche Antwort erfolgte. Warum nicht? fuhr der König auf. Weil ſich dieß allen - falls für Offiziere eines Freibataillons ſchicken würde, nicht aber für den Commandeur von Seiner Majeſtät Gendarmes. Der entrüſtete König ſtand von der Tafel auf und ſchenkte das Mobi - liar des Schloſſes dem Oberſten Quintus Jcilius,*)Nach dem Kriege wurde Quintus Jcilius (eigentlich Guichard aus einer Refugiésfamilie) oft zur königlichen Tafel gezogen. Der König fragte ihn einſt über Tiſch: Was hat Er denn eigentlich mitgenommen, als Er das Schloß des Grafen Brühl plünderte? worauf Quintus Jcilius replicirte: Das müſſen Ew. Majeſtät am beſten wiſſen, wir haben ja getheilt. der bald darauf alles rein ausplünderte.

Bei allen Revuen nach dem Frieden war nun der König immer höchſt unzufrieden, andere Offiziere wurden dem tapfern Gendarmen - Oberſten vorgezogen und Marwitz forderte ſeinen Abſchied. Der König verweigerte ihn. Neue Kränkungen blieben indeß nicht aus und Marwitz kam abermals um ſeine Entlaſſung ein. Keine Ant - wort. Da that Johann Friedrich Adolf keinen Dienſt mehr und blieb ein ganzes Jahr lang zu Hauſe. Nun lenkte der König ein und verſprach ihm das nächſte vacante Regiment; aber vergeblich. Er ließ antworten: er habe ſo gedient, daß er ſich kein passe droit brauche gefallen zu laſſen; was geſchehen ſei, ſei geſchehen, und könne kein König mehr ungeſchehen machen. Zugleich forderte er zum drittenmal ſeinen Abſchied und erhielt ihn nun (1769).

Er war damals erſt 46 Jahre alt. Das Ende ſeines Lebens entſprach nicht dem ruhmreichen Anfang. Aller regelnden Thätig - keit überhoben und jener wohlthätigen Disciplin, die der Dienſt auf die Kräfte und Leidenſchaften ſtarker Naturen ausübt, verfiel er einem glänzenden Müſſiggange, den er nunmehr mit derſelben Conſequenz und Energie wie früher ſeine ſoldatiſchen Tugenden durchführte. Den größten Theil des Tages verbrachte er beim355 Spiel. Kam er nach Friedersdorf, ſo war er ſicher von ſeiner Partie begleitet. Unter der großen Linde, welche hinter dem Hauſe im Garten ſteht, hatte er ſich eine Laube einrichten laſſen. Dort ſaß er ſchon am Morgen und ſpielte; dann wurde mit großem Aufwand getafelt, viel und gut und lange getrunken, bis der Abend die Beſchäftigung des Morgens wieder aufnahm. Er beſaß eine höchſt werthvolle Bibliothek, die ſich noch jetzt im Frie - dersdorfer Schloß befindet. Alle dieſe Bücher hatte er partienweiſe dem Quintus Jcilius im Spiele abgewonnen und ſich dadurch nachträglich und auf dem Wege Rechtens in Beſitz derſelben Bibliothek geſetzt, deren Fortführung aus Schloß Hubertsburg er, als unwürdig eines Marwitz und eines Oberſten der Gendar - mes, verweigert hatte. Dieſer Johann Friedrich Adolf, oder der Hubertsburg-Marwitz, wie wir ihn genannt haben, ſtarb 1781. Die Friedersdorfer Kirche bewahrt ſein Andenken durch einen Grab - ſtein, auf dem wir die Worte leſen: Johann Friedrich Adolf. Er ſah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen ſeinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorſam nicht Ehre brachte.

Sein jüngerer Bruder war der Hochkirch-Marwitz (Guſtav Ludwig). Er diente ebenfalls beim Regiment Gendarmes und focht bei Hochkirch mit ſolcher Auszeichnung, daß er, unmittelbar nach der Schlacht, vom Rittmeiſter zum Major avancirte und den Pour le mérite erhielt. Er iſt nicht zu verwechſeln mit dem Quartier - meiſter von der Marwitz, deſſen Name in noch glänzenderer Weiſe mit der verhängnißvollen Nacht von Hochkirch verwoben iſt. Dieſer letztere von der Marwitz, mit der Friedersdorfer Linie nur weit - läufig verwandt, weigerte ſich bekanntlich, das Lager, das einen Ueberfall gleichſam herauszufordern ſchien, an der angewieſenen Stelle abzuſtecken, und erhielt dafür nicht nur keinen Pour le mérite, ſondern fiel in Ungnade. Er ſtarb bereits im folgenden Jahre 1759. Son mérite et ses services seraient oubliés si ce monument n’en conservait la mémoire , ſo ſchreibt Prinz Heinrich unter den Namen dieſes Marwitz (des Quartier -23*356meiſters) und reihte dieſe Inſchrift unter die Namen ein, die den Sockel des großen Rheinsberger Obelisken in goldener Schrift umziehen. Unſer Hochkirch-Marwitz aber ſtieg von Stufe zu Stufe, commandirte das altmärkiſche Küraſſierregiment, das zu Salzwedel lag, und ſtarb erſt 1797 als Generallieutenant. Die Friedersdorfer Kirche erwähnt ſeiner nicht.

Der dritte und jüngſte Bruder war der Kammerherr Mar - witz (Berndt Friedrich Auguſt). Sein Leben verlief ohne hiſtoriſche Momente, ohne Thaten nach außen. Kurz vor ſeinem Tode wurde er als interimiſtiſcher Intendant an die Spitze der königlichen Schauſpiele berufen. Die Memoiren ſeines Sohnes äußern ſich bei dieſer Gelegenheit: Der Aerger über das ſcheußliche Komödianten - volk, mit dem er verkehren mußte, vorzüglich aber die unvermeid - lichen Erkältungen während der Vorſtellungen, gaben ihm den letzten Stoß. Er ſtarb 1793. Seine Gedenktafel in der Frieders - dorfer Kirche fügt ſeinem Namen einfach die Worte hinzu: Grad, bieder, rechtſchaffen. So war er. Es ward ihm nicht gegeben, zum Ruhm ſeiner Familie durch andere, als durch ſtille Thaten beiſteuern zu können, aber was ihm verſagt blieb, wurde ſeinen drei Söhnen um ſo reichlicher gewährt. Dieſe drei Söhne waren: Auguſt Ludwig, Alexander und Eberhard. Nur dem Na - men des Aelteſten begegnen wir in der Friedersdorfer Kirche. Ueber der Eingangsthür, in ziemlicher Höhe vom Beſchauer, befindet ſich ein reicher, in drei Felder getheilter Goldrahmen, in deſſen Mittel - feld wir das Bildniß Auguſt Ludwigs von der Marwitz, rechts und links aber die Bildniſſe ſeiner beiden Frauen erblicken. Er war zweimal verheirathet; das Bildniß ſeiner erſten Frau, einer geborenen Gräfin Brühl, zeichnet ſich durch einen Ausdruck ge - winnender Liebenswürdigkeit aus und prägt ſich dem Gedächtniß des Beſchauers ein.

Ueber den Charakter und reichen Lebensinhalt dieſes für die Entwickelungs-Geſchichte unſeres Vaterlandes bedeutungsvollen Mannes, ſpreche ich ausführlicher in dem folgenden Kapitel. Das vorligende betrifft mehr die Dinge als die Perſonen, mehr das357 Kleid als den Mann. Aber auch dieſe Außendinge ſind nichts Zufälliges; die Schale bildet ſich nach dem Kern, und dieſe Er - wägung iſt es, die uns nach einem nochmaligen Umblick in der ſchönen Kirche, in die Räume des Schloſſes zurückführt. Die hohe, ſchwere Eichentreppe hinauf, treten wir alsbald in das Wohn - und Arbeitszimmer Auguſt Ludwigs von der Marwitz, des Vaters des gegenwärtigen Beſitzers, ein Zimmer, das uns auf den erſten Blick die originelle Eigenart ſeines früheren Bewohners verräth. Die Pietät gegen den Hingeſchiedenen, hat es in ſeiner ganzen Einrich - tung ſo ziemlich unverändert erhalten.

Es iſt ein großer luftiger Raum, einfach in ſeinem Mobiliar und nur an den Pfeilern der Fenſterwand mit Familienbildniſſen geſchmückt, zumeiſt mit den Porträts derer, die wir als Zeit - und Kampfgenoſſen des großen Königs bereits kennen gelernt haben. Sein charakteriſtiſches Element erhält das Zimmer durch eine fort - laufende Reihe von Wandſchränken, die ein an Thüren und Ab - theilungen reiches Ganze bilden und wie eine Birkenmaſerpanelli - rung die Wände des Zimmers umziehen. Hier entſtanden jene Arbeiten, die, nach der Seite des Wiſſens und Talents nicht ver - ächtlich, in hohem Maße hervorragen durch ihren Muth und ihre Selbſtändigkeit und der Mittelpunkt für Beſtrebungen gewor - den ſind, die ſich, nach langem Kampf gegen die herrſchende Strö - mung, wenigſtens das Recht der Exiſtenz erobert haben.

Unſere Aufmerkſamkeit gehört aber in dieſem Momente nicht der Wirkſamkeit des Mannes, ſondern dem Orte, an dem er thätig war. Die Wandſchränke bergen in ihrer Tiefe den beſten Theil jener mehrerwähnten Bibliothek, die der Hubertsburg-Mar - witz dem Quintus Jcilius bändeweis im Spiele abgewonnen, während die vielen Thürfelder die Umrahmung für ebenſo viele Kupferſtiche bilden. Dieſe originelle Benutzung der Schrankthüren zur Aufſtellung einer kleinen Kupferſtichgallerie macht einen eigen - thümlichen und ſehr gefälligen Eindruck, der unter der Wahrneh - mung wächst, daß die Auswahl der Stiche entſchieden mehr nach kleinen Liebhabereien, als nach irgend welchem Kunſtprincip erfolgt358 iſt. Neben den Abenteuern des Donquixote begegnen wir ernſten und heitern Scenen aus der Zeit der Befreiungskriege; alte fran - zöſiſche Stiche und moderne Lithographien löſen ſich ab. Intereſ - ſanter aber als dieſe Schränke ſelbſt iſt die bunte Reihenfolge von Dingen, die auf dem Oberbrett derſelben, wie auf einer fortlau - fenden Reihe von Conſolen ſtehen. Da haben wir, an die dunkle Hinterwand des Zimmers gelehnt, zunächſt alte Familienporträts aus dem Hauſe Holſtein-Beck, während am entgegengeſetzten Ende, dem Fenſter zunächſt, ſich das lebensvolle Oelbild Georgs von Derfflinger, des Sohns des berühmten Feldmarſchalls präſentirt. *)Die Familien Derfflinger und Marwitz waren damals viel ver - ſchwägert und Guſow war eine Zeitlang, und zwar unmittelbar nach dem Tode des alten Derfflinger, Marwitzſcher Beſitz.Zwei Töchter des alten Reitergenerals waren an zwei Marwitze verheirathet; dieß, wie die Nähe der Güter, mag es erklären, daß ſich dieſes Porträt an dieſer Stelle befindet. Der Sohn Derff - lingers ſtellt ſich auf dieſem Bilde als ein Mann von ſehr gefäl - liger Erſcheinung dar, ein leuchtendes überaus freundliches Auge, das an Seidlitz erinnert, wie man ihn auf dem bekannten Roß - bachbilde ſieht. Er trägt die Uniform vom Dragonerregiment ſeines Vaters, weiß mit rothen Aufſchlägen, und den Küraß unter dem offen ſtehenden Rock.

Neben dieſem Porträt feſſeln zwei Kopfbedeckungen unſere Aufmerkſamkeit: die eine ein Reitercasquet, die andere ein ſonder - bar geformter breitkrämpiger ſchwarzer Wachstuchhut, deſſen nach hinten zu herabhängende Krämpe an die Helgoländer Schifferhüte erinnert. Auguſt Ludwig trug dieſen Hut in der Schlacht bei Jena, die er, als Adjutant des Prinzen von Hohenlohe, an der Seite dieſes unglücklichen Fürſten mitmachte und deren Verlauf und Kataſtrophe er in einer meiſterhaften Darſtellung geſchildert hat. Der Hut, zumal die aufrechtſtehende Vorderkrämpe, iſt von Kugeln durchlöchert. Der elegante, reich mit Goldblech beſchlagene Reiter - helm, der neben dieſem unſcheinbaren Wachstuchhute ſteht, iſt eines359 der Casquets, wie ſie die öſterreichiſchen Chevauxlegers im Kriege von 1809 trugen. Das Frontſchild zeigt ein F. I. Dieſen Helm trug Eberhard von der Marwitz, der jüngſte der drei Brüder, in der Schlacht von Aspern, in der er, erſt achtzehn Jahre alt, tödtlich verwundet wurde. Er ſtarb zu Nikolsburg in Mähren.

Seine ruhmvoll begonnene Laufbahn ſchloß ſich zu raſch, um ausreichendes Material für eine eingehendere Biographie zu bieten: nur in den Anmerkungen (vgl. daſelbſt) habe ich ſeiner in aller Kürze gedacht. Dem reichen Lebensinhalt der beiden ältern Brü - der aber, wenden wir uns nunmehr in den beiden folgenden Kapiteln zu.

[360]

Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz.

Er hats verſchmäht ſich um den Kranz zu mühen,
Den unſre Zeit, die feile Modedirne,
Geſchäftig flicht für jede flache Stirne,
Er ſah nach oben, wo die Sterne blühen.

Die Marwitze haben dem Lande manchen braven Soldaten, manchen feſten Charakter gegeben, keinen aber braver und feſter, als Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz, deſſen Leben und Auftreten einen Wendepunkt in unſerem ſtaatlichen Leben bedeutet. Erſt von Marwitzs Zeiten ab exiſtirt in unſerem Lande ein politi - ſcher Meinungskampf, eine principielle Oppoſition. Das acht - zehnte Jahrhundert mit ſeinem rocher de bronze hatte in mär - kiſchen Landen überhaupt keinen Widerſtand, keine Auflehnung irgend welcher Art gekannt, und die Oppoſition, die während der drei vorhergehenden Jahrhunderte, von den Tagen der Quitzows an bis zum Regierungsausgang des großen Kurfürſten exiſtirt hatte, war einfach eine Oppoſition des Rechts oder der Selbſtſucht geweſen. Ein Ideenkampf auf politiſchem Gebiet lag jenen Tagen fern. Das geiſtige Leben der Reformationszeit und der Epoche, die ihr folgte, lag innerhalb der Kirche. Erſt die franzöſiſche Re - volution (die engliſche war ohne Einfluß auf unſer Land geblieben) ſchuf politiſche Ideen und aus der Auflehnung gegen den ſiegreichen Strom derſelben, aus dem ernſten Unternehmen (allerdings von einem beſtimmten Rechtsfundament ausgehend), Idee mit Idee und gei - ſtige Dinge mit geiſtigen Waffen bekämpfen zu wollen, gingen wahr - haft politiſche Parteien und ein wirklich politiſches Leben hervor.

Derjenige, der vielleicht zuerſt den Muth hatte, dieſen Kampf aufzunehmen, war Marwitz. Ich gedenke (zum Theil nach ſeinen eigenen Worten und Aufzeichnungen) zunächſt die äußern Fakten361 ſeines Lebens und im Anſchluß daran eine Schilderung ſeines Cha - rakters zu geben. Die gereifteren und deshalb ruhigeren Anſchau - ungen, zu denen wir uns, zumal im Laufe der letzten zehn Jahre, hindurch gearbeitet haben, geſtatten uns, mit Unbefangenheit an die Schilderung eines Charakters wie der Marwitzſche zu gehen. Wie viele auch, mit größerem oder geringerem Recht, beſtrebt ſein mögen, die einzelnen Doktrinen des Conſervatismus zu bekämpfen, das Princip ſelbſt iſt von jedem Denkenden anerkannt. Die Tage des Kampfes ſind nicht vorbei und ſollen nicht vorbei ſein, denn Kampf iſt Leben; aber die Tage der Verdächtigung ſind hoffentlich vorüber. Wir wünſchen friſchen und freien Wind in den Segeln unſeres Staatsſchiffs, aber wir brauchen auch den rettenden Anker, der auf tiefem Grunde mit ſeinem Eiſenzahn uns feſthält, ſo oft die friſche Briſe zum Sturme zu werden droht. Mit ſolchem Anker und ſolchem Eiſenzahne haben wir es in Nachſtehendem zu thun.

Friedrich Auguſt Ludwig von der Marwitz wurde am 29. Mai 1777 zu Berlin geboren, wo ſeine Eltern (die nur den Sommer in Friedersdorf zuzubringen pflegten) ein Palais in der Wilhelms - ſtraße bewohnten. Das bedeutendſte Erlebniß ſeiner frühen Kinder - jahre waren mehrmalige Begegnungen mit dem großen Könige, das erſtemal in Dolgelin, einem Dorfe in der Nähe von Frieders - dorf. Er ſelbſt hat dieſe Begegnung in höchſt anſchaulicher Weiſe beſchrieben.

Der Wagen hielt und der König fragte: Iſt das Dolgelin? Ja, Ihro Majeſtät , lautete die Antwort. Dabei wurde um - geſpannt. Die Bauern, welche von weitem ganz ſtill mit ehrerbie - tig gezogenen Hüten ſtanden, kamen ſachte näher und ſchauten den König begierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm mich auf den Arm und hob mich gerade am Wagenfenſter in die Höhe. Ich war nun höchſtens eine Elle weit vom König entfernt, und es war mir, als ob ich den lieben Gott anſähe. Er ſah ganz gerade vor ſich hin durch das Vorderfenſter. Er hatte einen ganz alten dreieckigen Montirungshut auf; deſſen hintere gerade Krempe hatte er nach vorn geſetzt und die Schnüre losgemacht, ſo daß362 dieſe Krempe vorn herunter hing und ihn vor der Sonne ſchützte. Die Hutcordons waren losgeriſſen und tanzten auf dieſer herun - ter gelaſſenen Krempe umher, die weiße Generalsfeder am Hut war zerriſſen und ſchmutzig, die einfache blaue Montirung mit ro - then Aufſchlägen, Kragen und goldenem Achſelband alt und be - ſtaubt, die gelbe Weſte voll Tabak; dazu hatte er ſchwarze Sammt - hoſen an. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Ich fürchtete mich gar nicht, hatte aber ein unbeſchreibliches Gefühl von Ehr - furcht. Er that es aber nicht, ſondern ſah immer gerade aus. Die alte Frau konnte mich nicht lange hoch halten und ſetzte mich wie - der herunter. Da ſah der König den Prediger, winkte ihn heran und fragte, weſſen das Kind ſei? Des Herrn von Marwitz auf Friedersdorf. Iſt das der General? Nein, der Kam - merherr. Der König ſchwieg, denn er konnte die Kammer - herrn nicht leiden.

Das zweite Mal (es war im Mai 1785) ſah unſer Mar - witz den König in Berlin. Die Schilderung, die er uns davon gegeben hat, iſt faſt noch plaſtiſcher als die vorhergehende.

Er kam geritten auf einem großen weißen Pferde, ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrod auf der école vétérinaire bekam. Sein Anzug war derſelbe wie früher auf der Reiſe, nur daß der Hut ein wenig beſſer conditionirt, ordentlich aufgeſchlagen und mit der Spitze nach vorn, echt militäriſch aufgeſetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) und die Wilhelmsſtraße waren gedrückt voll Menſchen, alle Fenſter voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefſte Schweigen, und auf allen Geſichtern ein Aus - druck von Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker aller Schickſale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, in - dem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine ſehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenſtern ſich verneigenden Zuſchauer es zu verdienen ſchienen. Bald lüftete er den Hut nur ein wenig, bald nahm er ihn vom Haupte und363 hielt ihn eine Zeit lang neben demſelben, bald ſenkte er ihn bis zur Höhe des Ellbogens herab. Aber dieſe Bewegung dauerte fort - während, und ſo wie er ſich bedeckt hatte, ſah er ſchon wieder an - dere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halle - ſchen Thore bis zur Kochſtraße gewiß 200mal abgenommen.

Durch dieſes ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufſchlag der Pferde und das Geſchrei der Berliniſchen Gaſſenjungen, die vor ihm her tanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen, oder neben ihm herſprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwiſch - ten. Bei dem Palais der Prinzeſſin Amalie angekommen (das jetzt dem Prinzen Albrecht gehört), war die Menge noch dichter, denn ſie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügelthü - ren gingen auf und die alte, lahme Prinzeſſin Amalie, auf zwei Damen geſtützt, die Oberhofmeiſterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er ſie gewahr wurde, ſetzte er ſich in Galopp, hielt, ſprang raſch vom Pferde, zog den Hut, umarmte ſie, bot ihr den Arm und führte ſie die Treppe wieder hinauf. Die Flügelthüren gingen zu, Alles war verſchwunden, und noch ſtand die Menge, entblößten Hauptes, ſchweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verſchwunden war, und es dauerte eine Weile, bis jeder ſich ſammelte und ruhig ſeines Weges ging.

In ſeinem achten Jahre erhielt Marwitz einen Hofmeiſter. Er hieß Herr Roſa, war ein völliger Ignorant, aber ein rechtſchaffener Mann. Die Unterrichtsmethode, nach der er verfuhr, erwies ſich als die einfachſte von der Welt, bewährte ſich aber durchaus. Schroeckhs allgemeine Weltgeſchichte (um ein Beiſpiel für ſeine Methode zu geben) wurde vorgeleſen, was ohngefähr ein Jahr lang dauerte. War die letzte Seite geleſen, ſo wurde mit der erſten wieder angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition. Nach - dem Marwitz ſeinen Schroeckh zweimal durch hatte, fingen dieſe Repetitionsſtunden an eine Redeübung zu werden. Marwitz, mit gutem Gedächtniß ausgerüſtet, hatte den Inhalt des Buches bei - nahe wörtlich im Kopfe und ſah ſich dadurch in den Stand ge - ſetzt, den Inhalt eines Kapitels wie eine Erzählung vorzutragen. 364Der Vortheil, der dadurch gewonnen wurde, war ein doppelter: die Dinge ſaßen feſt fürs Leben und die Gewohnheit des Vor - traghaltens gewann ihm (nach Marwitz’s eigenem Zeugniß) die nicht hoch genug zu ſchätzende Fähigkeit, aus dem Stegreif zuſam - menhängend reden zu können.

Dreizehn Jahr alt trat Marwitz als Junker in das Regiment Gensdarmes, alſo in daſſelbe Regiment, in dem ſchon ſo viele Marwitze (darunter zwei ſeiner Oheime) gedient und Ruhm und Auszeichnung gefunden hatten. Dieſer Eintritt verſtand ſich ganz von ſelbſt; an die Möglichkeit eines andern Berufs war im Va - terhauſe nie gedacht worden. Marwitz hatte deſſen noch in ſeinen alten Tagen Dank, denn wie wenig auch die Verhältniſſe ihm zu Gunſt und Willen geweſen waren, immer blieb er dabei, daß das Leben des Kriegers das ſchönſte und der Krieg der Prüfſtein des Mannes ſei. In etwas einſeitiger, aber charakteriſtiſcher Auffaſſung ſchrieb er darüber noch kurz vor ſeinem Tode: Zu vieles Lernen ertödtet den Charakter. Im Kriege nur fallen all die Künſte weg, welche den Schein an die Stelle des Verdienſtes ſetzen. Dieſe Eigenheit des Krieges wird nicht genugſam erkannt. Blick und Urtheil unter erſchwerenden Umſtänden, Tapferkeit und Ausdauer können nirgends anders als im Kriege gezeigt und erprobt wer - den. Nur hier kann man mit Sicherheit auf den Charakter des Menſchen ſchließen.

Marwitz war alſo Junker im Regiment Gensdarmes. Wie er zeitlebens alles ernſt nahm, ſo auch den Dienſt. Der noch knaben - hafte Körper mußte dem ſtarken Willen gehorchen, und der Junker avancirte zum Cornet und Offizier. Klein wie er war, machte ihm das Reitenlernen die größte Schwierigkeit, aber je mehr er dieſe Schwierigkeit empfand, deſto mehr war er beſtrebt, ſie zu überwin - den. Zu jeder Tageszeit ſaß er zu Pferde, gab aufs genauſte bei denen Acht, die als die beſten Lehrer und Stallmeiſter galten, und fragte, verſuchte und quälte ſich ſo lange, bis er endlich völlig triumphirte und zu einem der beſten Reiter des Regiments wurde. Das wollte damals etwas ſagen; denn wenn man den Erzählun -365 gen und Berichten Glauben ſchenken darf, die Marwitz über dieſen Gegenſtand, dem er auch in ſpäterer Zeit noch beſondere Aufmerk - ſamkeit widmete, hinterlaſſen hat, ſo war die Kunſt des Reitens nur in der alten Armee zu Hauſe und wurde in die neue Hee - resorganiſation nicht mit herüber genommen. Während des Krieges und nach demſelben ſaß man noch zu Pferde, aber man ritt nicht mehr. Mit wahrer Begeiſterung gedachte deshalb Marwitz ſeiner Lieutenantstage, wo dieſe Kunſt noch geblüht hatte, und er - zählte mit Vorliebe von den Jagdſpielen, die damals von Kaval - lerieoffizieren der Berliner Garniſon im Thiergarten aufgeführt wurden. Lieutenant Rothkirch von den Gensdarmen ( ein gewalti - ger Reiter, wie es keinen mehr giebt , ſetzt er hinzu) machte den Hirſch und verbarg ſich im Walde; die andern waren Jäger und Hunde. Es wurde parforcemäßig lancirt und dann gejagt; der Hirſch ſollte gegriffen werden, was aber faſt niemals gelang.

Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts brachte Krieg, Mar - witz machte 1790 den reſultatloſen polniſchen Feldzug, 1793 95 die Rheincampagne mit; wichtiger aber als dieſe Kriegsereigniſſe, an denen er bei ſeiner Jugend keinen hervorragenden Antheil neh - men konnte, war für ihn, beſonders für ſeine geiſtige Entwicklung, die Rückkehr des Oberſten Barons von der Goltz, der eine lange Reihe von Jahren hindurch, in Paris als preußiſcher Geſandter gelebt hatte. Baron von der Goltz war ein ſehr naher Verwandter der Marwitzſchen Familie, und da, während ſeiner beinahe dreißig - jährigen Anweſenheit in Paris, die Reihen der Berliner Freunde und Verwandten ſehr gelichtet worden waren, ſo war das Mar - witzſche Haus dasjenige, in dem er faſt täglich die Abende zuzu - bringen pflegte. Die franzöſiſche Revolution und ihre Urſachen bil - deten natürlich einen unerſchöpflichen Stoff für die Unterhaltung. Der ehemalige Geſandte, der ein Vierteljahrhundert und länger den Ereigniſſen der franzöſiſchen Hauptſtadt gefolgt war und mit ſcharfem Auge die Schwächen und Fehler des Hofes, die Machi - nationen der politiſchen Gegner und die Verworfenheit, Keckheit und dämoniſche Zuchtloſigkeit der Volksmaſſen und ihrer Führer366 beobachtet hatte, war natürlich ſchon damals befähigt, Aufſchlüſſe über die Triebfedern und eine Geſammtdarſtellung des großen Er - eigniſſes zu geben, wie es der Geſchichtſchreibung, die einen Wuſt von traditioneller Lobpreiſung zu überwinden hatte, erſt in viel ſpäteren Jahren möglich geworden iſt. Er hatte alle kleinen und ſchlechten Leidenſchaften in dem Hexenkeſſel thätig geſehen und mußte natürlich, durch die Lebendigkeit ſeiner Schilderungen und die Ueberlegenheit ſeines politiſchen Urtheils, Anſchauungen befeſtigen, zu denen die Keime ohnehin von Anfang an im Gemüth unſeres Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royaliſt, von da ab begann er es auch mit Bewußtſein zu werden.

Noch zehn Jahre lang blieb Marwitz beim Regiment, endlich (der Vater auf Friedersdorf war inzwiſchen geſtorben) nahm er im Auguſt 1802 ſeinen Abſchied. Was ihn direkt dazu beſtimmte, iſt ſchwer zu ſagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den Dienſt verleideten, war es der frivole Ton der Reſidenz, der ſei - nem auf Ernſt und Wahrheit geſtellten Weſen widerſtand, oder war es ſeine Verlobung mit der ſchönen Gräfin Franziska von Brühl, die im Juli deſſelben Jahres ſtattgefunden hatte, gleichviel, er quittirte den Dienſt und zog ſich nach Friedersdorf zurück. Die Sehnſucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Weſen ließ keine Halbheit zu, und mit demſelben Ernſt, mit dem er Soldat gewe - ſen war, ging er jetzt an die Beſtellung ſeiner Aecker, an die Pflege ſeines Guts. 1803 vermählte er ſich, aber trübe Sterne waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen und der Tod trennte nach kaum Jahresfriſt ein Band, das die innigſte gegenſeitige Nei - gung geſchloſſen hatte. Marwitz beſtattete die geliebte Frau, die ſein Stolz und ſein Glück geweſen war und ſchrieb auf den Grab - ſtein: Hier ruhet mein Glück.

Hier ruhet mein Glück, und in der That, es war, als habe Marwitz ſein Glück begraben. Ueberall, wo ſein Herz am ver - wundbarſten war, da wurde es verwundet. Was von dem Gang der großen Weltereigniſſe in ſeine Einſamkeit drang, ſteigerte nur367 die Niedergedrücktheit ſeines Gemüths. Endlich kam ein großer Schlag, und die politiſchen Vorgänge, die bis dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt ſchufen ſie einen leidenſchaftlichen Groll in ſeinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die auf - ſchlug, wurde ihm zum Gegen, indem ſie ihn ſeinem Brüten entriß.

Der napoleoniſche Uebermuth hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußiſches Gebiet (Anſpach) war in herausfor - dernder Weiſe verletzt worden; das durfte, das konnte nicht getra - gen werden. Oeſterreich und Rußland ſtanden bereits im Felde; Preußen mußte ſeine Truppen zum Heere beider ſtoßen laſſen, der Krieg war ſicher wenigſtens in Marwitz’s Augen. Er riß ſich heraus, ſuchte beim König ſeinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde, mit dem Range eines Rittmeiſters, zum Adjutanten des Fürſten von Hohenlohe ernannt.

Aber nicht Jeder in preußiſchen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und ſelbſtſüchtige Bequem - lichkeit in ihren Anſichten beſtimmt, andere trieben das traurige Geſchäft der Staatskünſtelei. Noch viele Jahre ſpäter konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmuth ausrufen: Was redet man beſtändig von dem edlen Enthuſiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthuſiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man ſelbſt, in Großem und Kleinen, etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fern zu halten. Wie nachher, zur gerechten Strafe, ein Jeder in ſeinem Hauſe geplagt und gepeinigt und, um ein Weſentliches nicht zu vergeſſen, die franzöſiſche Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes ver - nichtet war da war es keine Kunſt, Enthuſiasmus zu zeigen.

Der Tag von Auſterlitz brach an, ehe Preußen ſich entſchloſ - ſen hatte; nach dieſem Tage war es unnöthig, noch kriegeriſche Entſchlüſſe zu faſſen. Es blieb Friede (freilich ein Friede wie Ge - witterſchwüle), und Marwitz, nachdem er zum zweitenmale ſeinen Abſchied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück.

Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halb - heit, die Indifferenz, ja die ausgeſprochene franzöſiſche Geſinnung,368 der er faſt überall in der Hauptſtadt begegnet war, während ſchon die napoleoniſchen Adler, ſtoßbereit, über Preußen ſchwebten, alles das hatte wenig dazu beitragen können, ſeinem Gemüth den Muth und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er - füllt hatten, wenn er bei Hirſch und Jäger im Berliner Thier - garten einer der eifrigſten geweſen war. Trübes Gewölk hing jetzt über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verſchwun - den ſchien, das drohend über dem Lande ſtand, ſo traf es ihn doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erſpart worden, aber auf ſeinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerſtörte Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der innerlichen Noth geſellte ſich die äußere Bedrängniß; was ihn aufrecht hielt, war ein ſtarkes Gottvertrauen und das beſtimmte Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevorſtünden, gegen die es geboten ſei, ſich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüſtete ihn gegen größeres.

Dieſes größere , wer kennt es nicht! Die Kaiſerkatze, die ſo lange mit der Maus geſpielt hatte, jetzt war ſie des Spieles müde und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un - vermeidlich geworden. Zum dritten Mal trat Marwitz ein; er hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu ſtehen, wohin ihn Pflicht und Ehre ſtellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die Hoffnung zur Seite ſtehe oder nicht. Fürſt Hohenlohe, der ihn ſchätzen gelernt hatte, erbat ihn ſich abermals als Adjutanten. Der König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten Oktober, der ſo viel Schmach und Elend in ſeinen Schleiern barg. An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, ſein Hut von Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi - menter in die Schlachtreihe zurück, umſonſt, die Anſtrengungen der Einzelnen vermochten nichts. Geiſt, Leben, Siegeszuverſicht waren, wie aus Land und Volk überhaupt, ſo auch aus jener ſtolzen Schöpfung gewichen, die ſich die Armee Friedrichs des Gro -369 ßen nannte, und was längſt todt war, wurde an jenem Tage ſicht - lich zu den Todten geworfen. Die geſunden Elemente, ſo weit ſie jener Tag nicht mit begrub, retteten ſich in eine neue Zeit hinüber.

Iſt es nöthig zu ſagen, daß Marwitz unter dieſen geſunden Elementen war? Er glaubte an die Wiedererſtehung Preußens und arbeitete daran. Die Mittel und Wege, die ihm dazu die rechten dünkten, waren freilich völlig abweichend von dem, was in den Augen der Neugeſtalter Preußens als das Richtige galt. Er konnte und wollte ſich nicht überzeugen, daß Adel und Bürgerthum als ſolche, oder ihr Verhältniß zu einander, das Unglück des Landes verſchuldet haben ſollten, umgekehrt erſchien es ihm, als ſei das Unheil hereingebrochen, weil beide Stände ein halbes Jahrhundert lang aufgehört hatten, ein ächter Adel,*)Noch auf dem Stettinſchen Landtage im Jahr 1602 hatte die Ritterſchaft feierlich geſchworen, denjenigen, der ſich künftig weigern werde, richtige Schulden prompt zu bezahlen, für einen Unmann, Schelm und Böſewicht zu halten und mit ihm weder eſſen noch trinken zu wollen. Verſündigung am Vaterland, Höhnung des Gottesdienſtes, grobe Inſolenz, muthwilliger Bankerott ſollten der ritterſchaftlichen Vorrechte verluſtig machen und den Gutsbeſitz auf den würdigeren Agnaten bringen. In ſol - chem wahrhaft ritterlichen Sinne hatten der pommerſche und brandenbur - giſche Adel ihre Kinder meiſt in ſpartaniſcher Genügſamkeit für den Dienſt des Königs erzogen, und die Schlachtfelder, auf denen Preußen ſeine Ebenbürtigkeit mit den großen Mächten errungen, hatten dem Stande den erſten Rang nach dem regierenden Hauſe gegeben. (Pertz, Leben Steins.) Marwitz ſelbſt ſchreibt über denſelben Gegenſtand: In der That hat es niemals eine Inſtitution gegeben, in welcher das Ritterthum ähnlicher wieder aufgelebt wäre, als in dem Offizierſtande Friedrichs des Zweiten. Dieſelbe Entſagung jedes perſönlichen Vortheils, jedes Gewinnſtes, jeder Bequemlichkeit, ja, jeder Begehrlichkeit, wenn ihm nur die Ehre blieb; dagegen jede Aufopferung für dieſe, für ſeinen König, für ſein Vaterland, für ſeine Kameraden, für die Ehre der preußiſchen Waffen. Im Herzen Pflichtgefühl und Treue, für den eigenen Leib keine Sorge. ein rechter Bürgerſtand zu ſein. Die alten Stände des Landes ſollten ſich ſelber wieder - finden; der Egoismus ſollte ausgefegt, die Zugehörigkeit zum Staat und das Bewußtſein davon neu geboren werden. An die Stelle des Schlendrian und der Laxheit ſollte Umſicht, Pflichtge -24370fühl und Rechtsbewußtſein, an die Stelle der Frivolität eine friſche Glaubenskraft treten. In dieſem Sinne wollte Marwitz reformiren. Gegen den Plan wird ſich nichts ſagen laſſen; ob es möglich war, ihn auszuführen, dieſe Frage werde ich ſpäter berühren. Die Stein - ſche Geſetzgebung erſchien ihm unpraktiſch und revolutionär, aber er reſpektirte ſie in ſo weit, als ſie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geiſtigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geiſtige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel ſelbſt ſchienen ihm nicht richtig gewählt.

Marwitz liebte den rheiniſchen Freiherrn (Stein) nicht, aber er reſpektirte ihn. Anders ſtand er zu Hardenberg. Dieſer war ihm ein Gegenſtand entſchiedenſter Abneigung, ſeine ganze Natur lehnte ſich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegenſatz zu Stein, wollte das Wohl des Staats aus der ſogenannten Staatswohlfahrt gewinnen. Nicht der Geiſt ſollte helfen, ſondern das Geld. Dieſen Staatswohlfahrtstheorien gegenüber die in der finanziellen Be - drängniß des Landes ihre Entſchuldigung fanden, wenn ſie über - haupt der Entſchuldigung bedürfen legte ſich Marwitz die Frage vor: beruht das Heil des Staates auf ökonomiſchen oder auf moraliſchen Prinzipien? Iſt der reichſte Staat ſeines Reichthums wegen der glücklichſte? Oder verdient der glücklich genannt zu werden, in welchem die Freiheit der Bürger am feſteſten gegründet iſt, und in welchem die Bürger am eheſten fähig ſind, ihr perſön - liches Wohl dem des Staates nachzuſetzen? Und wenn ein Staat durch die Unbürgerlichkeit ſeiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer) gefallen iſt, kann ihm durch ökonomiſche Maßregeln geholfen wer - den? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das verlaſſene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurück - führen könne oder nicht? Wenn man endlich den entbürgerten, alſo ſelbſtſüchtigen Individuen Reichthum darreicht, werden ſie da - durch bürgerlicher werden oder noch ſelbſtſüchtiger? Dieſe Fragen waren es, die ſein Herz bewegten, und im Sinn und Geiſt der - ſelben ſtellte er ſich Hardenberg gegenüber.

Möglich, daß dieſe Ideen nie über Schloß Friedersdorf hin -371 aus laut geworden, nirgends als ein Saatkorn in die Gemüther anderer gefallen wären, wenn nicht beſtimmte Ereigniſſe des Jah - res 1811 unſern Marwitz auf die Schaubühne gerufen und in den Vordergrund politiſcher Kämpfe, welche er ſelbſt in’s Leben rief, geſtellt hätten. Wie es immer in ſolchen Fällen ſein muß, ging er, der den Streit aufnahm, vom zunächſt Liegenden auf das Große und Allgemeine über. Der Rechtskampf führte zum Prinzipienkampf. So war es immer, wo Ernſtes und Nachhaltiges erſtritten wurde. Das bloße ſich Verlieben in Prin - zipien, ſo oder ſo, bleibt ein energieloſes Ding; erſt aus dem Ge - fühl verletzten Rechtes geht der heilige Ernſt des Kampfes hervor.

Die erwähnten Ereigniſſe aber, die für Marwitz’s ſpäteres Auftreten entſcheidend wurden, waren die folgenden.

Hardenberg war entſchloſſen, die Macht der Stände zu bre - chen, ihre Exiſtenz zu ſtreichen, Schlag auf Schlag fiel gegen die alte Landesinſtitution. Er verfuhr nach beſter Ueberzeugung, aber völlig revolutionär, alles mit dem Zwang und Drang der Um - ſtände (nicht ohne Grund) oder mit einer höheren Staatsraiſon entſchuldigend. Aeußerſte Dinge geſchahen. Königliche Domänen, die an die Stände verkauft waren, alſo für ſtändiſches Geld ſtän - diſches Eigenthum geworden waren, wurden zum zweitenmal an Privatleute verkauft; ein großer ſtändiſcher Fonds, den die Stände unter Friedrich II. aus politiſchem Eifer gebildet hatten, um die endliche Tilgung landesherrlicher Schulden herbeiführen zu können, wurde eingezogen, aber nichts deſto weniger die Pflicht der Schuldentilgung und Verzinſung bei den Ständen belaſſen; end - lich drangen Regierungsbeamte in Begleitung von Landreitern in das Landſchaftshaus ein, erbrachen, als man ihnen die Schlüſſel verweigerte, die Kaſſen des Landarmeninſtituts und führten die deponirten Summen ſtändiſchen Eigenthums gewaltſam fort. Dies alles war geſchehen gegen Recht und Billigkeit, ja im Widerſpruch mit einer Anerkenntniß, die man erſt vier Monate früher gegen die Loyalität und Opferfreudigkeit der Stände ausgeſprochen hatte. Damals hatte es wörtlich, in einem von Hardenberg contraſignirten24*372Erlaß geheißen: Mit Rührung haben wir die Beweiſe von Anhänglichkeit aller Klaſſen unſerer getreuen Unterthanen an Unſere Perſon bemerkt, inſonderheit auch die Hülfe erkannt, welche uns, bei der Sicherſtellung der Contribution an Frankreich und bei der Aufbringung der einſtweilen nöthigen Fonds, von unſern getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleiſtet worden iſt. Und[nun]? mit Gewaltmaßregeln hatte man ge - glaubt, der weiteren Hülfebereitſchaft der Stände nachhelfen zu müſſen. Die Gewalt lag vor. Viele empfanden die Unbill, die Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Muth, auszuſpre - chen, was ſie fühlten. Unter dieſen wenigen ſtand Marwitz obenan. Er war der bewußteſte und der ſelbſtſuchtsloſeſte, er konnte ener - giſcher auftreten als andere, weil er im eigenen Herzen empfand, daß er den Kampf nicht um äußern Vortheils, nicht um einer Kaſſe willen aufnahm, ſondern um des Rechtes willen.

Er ſtellte ſich an die Spitze der Lebuſiſchen Stände und proteſtirte. Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das ſtän - diſche Recht. Das war dem Miniſter zu viel; er wollte das Wort nicht hören. Je mehr er fühlen mochte, wie ſchwer der be - gangene Rechtsbruch ſei, deſto mehr empfand er die Nothwendig - keit, die Klage ſtumm zu machen. Einſchüchterung ſollte helfen. Marwitz und Graf Finkenſtein, die den Proteſt abgefaßt hatten, wurden zu warnendem Exempel auf die Feſtung Spandau ge - ſchickt. Das Kammergericht ſelbſt, als öffentlicher Ankläger auftre - tend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder eine wirkliche Gerichtsverhandlung ſtattgefunden hätte. So war denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurtheilten ab - geſchnitten. *)Marwitz, in ſeiner Bitterkeit, erklärt dies allerdings überraſchende Verfahren daraus, daß der Juſtizminiſter Kircheiſen eine Creatur Har - denbergs geweſen ſei. Die eigentliche Erklärung, wie überhaupt[die] Er - klärung alles deſſen, was an Rechtsverunglimpfungen vorausgegangen war, liegt aber wohl darin, daß in der allgemeinen Anſchauung des Volks, an der eben jeder mehr oder weniger theilnahm, ein ſtändiſcher Staat

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Dies entſchied für Marwitz’s Lebenszeit, und vor ſeiner Seele ſtand von jetzt an das aide toi même. Das alte gekränkte Recht des Landes, den ſtändiſchen Staat, der nicht auf dem Wege Rech - tens beſeitigt war, gegen jeden Angriff zu halten, wurde von nun an ſeine Aufgabe, ſein letztes Ziel. Da andere Schultern zu ſchwach oder zu träge waren, die Laſt auf ſich zu nehmen, ſo that er es. Den offenen Widerſtand gab er auf, aber er ſchärfte ſich die Waffen des Geiſtes für einen kommenden Kampf, und die Schwächen der Hardenbergſchen Verwaltung ſind vielleicht nirgends klarer und ſcharfſinniger erkannt und rückſichtsloſer aufgedeckt wor - den, als in den ziemlich zahlreichen Denkſchriften Marwitzens, die wir jener Epoche ſtiller, aber energiſcher Gegnerſchaft verdanken. Es ſind Muſterſtücke nach der kritiſchen Seite hin, auch an Ideen iſt kein Mangel; aber um praktiſch-unmittelbar zu helfen, dazu waren dieſe Ideen zu allgemeiner Natur und ihr Beſtes iſt die ideelle Anregung geblieben, die ſie in reichem Maaße gege - ben haben.

Marwitz’s Gefangenhaltung hatte im Juli 1811 ſtattgefun - den. Mehr gehoben als gedemüthigt war er nach Friedersdorf zurückgekehrt, voll des Gefühls, einen guten Kampf gekämpft zu haben. Mit gerechtem Selbſtbewußtſein ſchrieb er ſpäter die Worte nieder: Ich genoß ſeitdem eine weit verbreitetere Achtung und ward von allen Erbärmlichen geflohen als einer, in deſſen Nähe man ſich leicht verbrennen kann.

So kam der Winter 12 auf 13. Die franzöſiſche Armee war vernichtet. Marſchall Macdonald hatte ausgerufen: est la grande armée? La grande armée, c’est le dixième corps. Die berühmte Capitulation von Tauroggen war geſchloſ - ſen; Alexander von der Marwitz, der jüngere Bruder, der damals*)ſeit lange nicht mehr exiſtirte. Die Stände hatten neben der abſoluten oberſten Regierungsgewalt eine Art geduldetes Daſein geführt; die Könige waren ſo viel und die Stände ſo wenig geweſen, daß, als der Moment kam, wo die unzweifelhaft in ihrem Recht gekränkten Stände wieder etwas ſein wollten, niemand mehr einen rechten Glauben an die Rechtmäßigkeit ihres Rechtes hatte.374 in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. Jetzt oder nie! Beide Brüder waren einig, daß ein raſches und entſchiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des kaiſerlichen Heeres, den Sturz Napoleons nothwendig im Gefolge haben müſſe; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft ſei, ob man in Berlin zu einem entſchiedenen Parteiergreifen ſich entſchließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren, Schritte zu dieſem Zwecke zu thun, raſche Entſchlüſſe zu fördern, die Schwankenden feſt zu machen. Du mußt nach Berlin, zu Hardenberg. Marwitz ſtutzte; der Bruder aber mit ſiegender Be - redſamkeit fuhr fort: Dies iſt kein Moment der Abwägungen; eile! Hardenberg iſt beſtimmbar und in Einem ehrlich in ſei - nem Haß gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anſtoßes; ſchon dein Erſcheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken; viel iſt gewon - nen, ſobald du mit eingreifſt.

Marwitz ging wirklich. Er ließ ſich melden und trat ein. Dieſe merkwürdige Begegnung mit ſeinem alten Gegner hat er ſelbſt be - ſchrieben. Ich kann nicht ſagen, welchen Eindruck mein Eintritt auf ihn machte, Erinnerung deſſen, was er mir und andern per - ſönlich ſo oft verſprochen und nicht gehalten hatte, Scham über ſein Betragen gegen das Land und gegen mich, und das Beſtreben, in dieſem hochwichtigen Moment mir nicht abermals nichtswürdig zu erſcheinen, brachten in ſeinem Betragen eine ſeltſame Miſchung von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich ſagte ihm: der gegenwärtige Augenblick müſſe jeden Preußen und jeden Deutſchen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wie - der gut zu machen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Re - gierung ſich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergeſſen werden. Ich käme alſo, um zu vernehmen, wie er denke, und um zu allem Vaterländiſchen die Hand zu bieten.

Aber Marwitz ſah ſich wieder getäuſcht nicht raſcher, ehr - licher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwar - ten, von Verhandlungen geſprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte375 er nach Friedersdorf zurück. Kein Krieg! ſchien die Loſung ſein und bleiben zu wollen.

Doch der Himmel hatte es anders beſchloſſen; es wurde Krieg. Sechs koſtbare Wochen waren verſäumt, viel war verloren, aber nicht alles; noch war es nicht zu ſpät. Brauch ich zu erzählen, daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Krän - kungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in ſolchem Augenblick in ſeiner Einſamkeit zurück zu halten.

Mit dem Range eines Majors trat er ein und wurde Anfang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Dieſe Bri - gade beſtand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkiſchen Land - wehrinfanterie-Regiments und aus eben ſo viel Schwadronen Land - wehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavalleriſt, ließ er ſich die Ausbildung dieſer vier Schwadronen beſonders angelegen ſein. Mit jenem geſunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf der Stelle, daß hier unter Ausbildung etwas anderes verſtanden werden müſſe, als das Reit - und Exercierregle - ment in langen Paragraphen vorſchrieb. Was er that, auch auf dieſem relativ untergeordnetem Gebiet (denn es handelte ſich dabei um höchſtens vierhundert Reiter), ſcheint mir wichtig und charakte - riſtiſch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Raſch - heit und Selbſtſtändigkeit des Urtheils, die jeder neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupaſſen weiß, das iſt es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem blos braven Soldaten unter - ſcheidet, und in ähnlicher Weiſe, wie einſt Lieutenant von dem Kneſebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben Brodtransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht An - ſtand nahm, die andere Hälfte (ein paar tauſend Commisbrode) in einen ſonſt unpaſſirbaren Sumpf zu verſenken, ſo war auch Marwitz, ſeiner Landwehrkavallerie gegenüber, raſch entſchloſſen, das erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vor - zuziehen. So ſehr er die Reitkunſt verehrte und als unentbehrlich für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, ſo klar erkannte er doch auch, daß unter den gegebenen Verhältniſſen dieſe Reitkunſt376 nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, magern Gäulen vor ihm im Sattel ſaßen, konnten reiten, freilich ſchlecht genug; aber gut oder ſchlecht, er hielt es für das beſte, ſie bei ihrer Reitart zu belaſſen. Er ſagte ſich ſehr richtig, daß wenn ein Naturaliſt zur Reitkunſt dreſſirt werden ſoll, er Anfangs noth - wendig ſchlechter und ungeſchickter reitet als vorher, weil er ſeine alten Gewohnheiten aufgeben ſoll und ſich die neuen nicht ſchnell genug zu eigen machen kann. So ließ er es denn beim Alten, be - fahl die Pferde mit bloßer Trenſe zu zäumen, gab jedem Reiter einen Kantſchu ſtatt der Sporen und beſchränkte ſeine ganze For - derung darauf, daß Jeder im Stande ſei, dahin zu reiten, wohin er wolle. Gewalt über das Pferd war die einzige Forderung; wie und durch welche Mittel war gleichgültig.

Mit dieſer Reiterei, die, abgeſehen von der Lanze und einem ärmlichen Uniformſtück, nicht viel anders ausſehen mochte als Bauernjungen und Pferdeknechte, die Abends zur Tränke reiten, war Marwitz, weil er den Geiſt zu wecken gewußt hatte, nichts - deſtoweniger im Stande, am 7. Juni ein ſiegreiches Gefecht vor den Thoren Wittenbergs zu beſtehen und eine Abtheilung polni - ſcher Uhlanen (bekanntlich eine berühmte Reitertruppe) zu werfen und Gefangene zu machen. Eine Paradetruppe waren ſeine Land - wehrreiter freilich nicht, und als während des Waffenſtillſtandes auf dem Tempelhofer Berge eine große Muſterung vor dem - nige ſtattfand, ging das ganze Regiment, deſſen kleine Klepper An - geſichts der Zuſchauermenge ſcheu wurden, bis auf den letzten Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht vermocht hatte, vermochte der Anblick der Berliner Beaumonde. Der König ritt an Marwitz heran und ſagte lächelnd: Ein Glück, daß die Mauer ſo feſt ſtand. Der Spott war empfindlich; Marwitz aber blieb unerſchütterlich bei ſeinem Syſtem.

Und mit Recht. Wie ſeine Leute ſich bei Wittenberg bereits bewährt hatten, ſo vor allem auch am 27. Auguſt in dem berühmt gewordenen Gefecht bei Hagelsberg (bei Belzig). Den Ausſchlag377 an dieſem Tage gab freilich das Fußvolk. Es traf ſich glücklich für unſern Marwitz, der an dieſem Tage die Reſerve commandirte, daß er mit ſeinen drei Bataillonen die ſchon verlorene Schlacht zum Stehen bringen und endlich ſiegreich hinausführen konnte. Den entſcheidenden Stoß that ſein Lebuſer Bataillon (Frieders - dorf liegt im Lande Lebus), was zu der Freude, die er an die - ſem Tage über die tapfere Haltung ſeiner ganzen Brigade em - pfand, auch noch eine gewiſſe lokalpatriotiſche Befriedigung fügte. Die Verluſte ſeines Truppentheils waren nicht unbedeutend gewe - ſen, er ſelbſt kam geſund heraus und erhielt nur, ähnlich wie bei Jena, wo ſein Hut mehrfach durchlöchert worden war, eine Kugel durch den Mantel.

Das Gefecht von Hagelsberg war während des Feldzugs von 1813 und 14 das einzige, wo es, wenn wir von einer Reihe glücklich ausgeführter Streifzüge abſehen, Marwitz vergönnt war, ſich perſönlich und in mehr oder minder entſcheidender Weiſe her - vorzuthun. Die Einſchließung Magdeburgs, wozu auch ſeine Bri - gade verwendet wurde, hielt ihn vom großen Kriegsſchauplatz fern. 1815 war er bei der Blücherſchen Armee und focht mit Auszeich - nung bei Ligny und Wavre. Bei Wavre, wo ſo viel auf dem Spiele ſtand, hielt er mit dem achten Uhlanenregiment während des ganzen 19. Juni den exponirteſten Poſten. Er hatte das Seine gethan; an mäßige oder zögernde Anerkennung war er gewöhnt.

Der Friede kam und in Marwitz, der inzwiſchen zum Ober - ſten (1817 zum General) aufgeſtiegen war, entſtand die Frage: bleiben oder gehen. Die Neigung ſeines Herzens zog ihn zurück in die ländliche Stille, aber andere Erwägungen das ſchlech - teſte aller Motive, das Geld, wie er ſich ſelbſt ausdrückt hiel - ten ihn bei der Armee. Während der Kriegsjahre war daheim alles rückwärts gegangen, der Wohlſtand zerſtört, die Erträge des Guts auf ein Minimum reducirt; ſo blieb er denn, weil er ſich gegen Frau und Kinder verpflichtet hielt, ſeinen Generalsgehalt nicht ohne Nöthigung aufzugeben. Möglich, daß er doch darauf verzichtet hätte,378 wenn nicht die Kavalleriebrigade, deren Commando er hatte, ihre Garniſonen in den Nachbarſtädten des Lebuſiſchen Kreiſes gehabt hätte, ſo daß es ihm möglich wurde, von Friedersdorf aus die dienſtlichen Geſchäfte zu leiten. Zu gleicher Zeit blieb er ein ſchar - fer Beobachter der politiſchen Vorgänge, immer bereit, mit Wort und Schrift einzugreifen, wo es nöthig war, im Dienſt der con - ſervativen Sache (zumal gegen Hardenberg) ein Zeugniß abzu - legen.

Zehn Jahre lang führte er die Brigade. 1827, als ihn der Zuſammentritt des brandenburgiſchen Landtags nach Berlin führte, dem er als Vertreter des erkrankten Landtagmarſchalls zu präſidi - ren hatte, wurde ihm die Diviſion in Breslau an Stelle der bis - her commandirten Brigade angeboten. Nach kurzem Schwanken lehnte er das Anerbieten ab. Er war müde geworden im Dienſt, an Aergerniſſen hatte es nicht gefehlt, was aber den Ausſchlag gab, war die Erwägung, daß die Uebernahme eines faſt vierzig Meilen von Friedersdorf entlegenen Commandos ein längeres Verweilen in ſeiner Väter Schloß unmöglich gemacht haben würde. So forderte er den Abſchied und erhielt ihn. Der König ließ ihn rufen, um ihm ein Abſchiedswort zu ſagen. Es war eine Begegnung voll tiefpoetiſchen Gehalts. Der alte märkiſche Edel - mann, der, wie kaum ein anderer vor ihm, ſein eigenes Recht neben dem königlichen Recht von Gottes Gnaden zu behaupten ge - wagt hatte, trat jetzt am Ende ſeines Lebens vor ſeinen König hin, den er immer geliebt und verehrt und doch in entſcheidenden Momenten des ſtaatlichen Lebens aus der Ueberzeugung ſeines Herzens heraus bekämpft hatte.

Es war im Potsdamer Schloſſe. Der König, der von ſeinem Beinbruche kaum wieder hergeſtellt war, ging ihm durch den hal - ben Saal entgegen, reichte ihm feſt die Hand und ſagte dann laut, in Gegenwart aller Umſtehenden: Mir ſehr leid gethan, einen ſo ausgezeichneten General zu verlieren. Marwitz, leiſe den Punkt berührend, wo Herr und Diener auseinander gegangen waren, antwortete mit der Verſicherung unverbrüchlicher Loyalität. Mir379 ſehr wohl bekannt, immer nach Grundſätzen gehandelt ha - ben, antwortete der König mit gnädiger Verbeugung. So trennte man ſich.

Immer nach Grundſätzen gehandelt haben unter Wie - derholung dieſer königlichen Worte, die die ganze Würde und Be - deutung dieſes Mannes in einen Satz zuſammenfaſſen, nehmen auch wir von Marwitz Abſchied. Immer nach Grundſätzen gehan - delt haben , das war es, was er in einer Zeit, die in ihren Grundſätzen ſehr ſchwankend war, vor geiſtig höher Begabten, vor Weiterblickenden, namentlich wohl auch vor Glücklicheren, voraus hatte; das war es, worin ſeine Bedeutung wurzelte. An Wiſſen, an Talent, mochten ihm viele überlegen ſein nicht an Charak - ter. Nicht ein reaktionäres Weſen ſchuf er, nicht ein albernes Jun - kerthum; er war es, der den Muth einer Meinung hatte, längſt ehe dieſes Wort gemünzt und in Curs gekommen war. Er war kein Reaktionär, der eiferſüchtig und mißmuthig auf jeden Fort - ſchritt geblickt hätte, er war nur mißtrauiſch gegen das alleinige Recht der Neuerungen, er war der Mann des Rechtsbodens, der loyalen Oppoſition. Nach dieſer Seite hin ihn gezeichnet, ſeinen hohen Werth auch ſeinen politiſchen Gegnern dargelegt zu haben, war der Zweck dieſer Zeilen.

Am 7. December 1837 ging er aus einem Leben voll Un - ruhe in die ewige Ruhe ein. Drei Tage ſpäter ward er neben ſei - ner erſten Gemahlin begraben. Den Sonntag darauf ward ihm die Gedächtnißpredigt gehalten, gemäß den Anweiſungen ſeines letz - ten Willens. Dieſe Anweiſungen lauteten: Der Prediger ſoll mich nicht loben wegen deſſen, was ich auf Erden gethan, ſondern ſoll zeigen, wie das irdiſche Leben nur eine Vorbereitung iſt zu dem ewigen. Er kann aber ſagen, daß ich geſtrebt habe mein Leben lang, die mir auferlegten Pflichten und Arbeiten treulich zu erfüllen, da - bei mein eigenes irdiſches Wohlſein für nichts achtend; er darf das ſagen, weil es wahr iſt. Wohl jedem, der mit gleichem Bewußtſein aus der Welt ſcheiden kann!

Ein Bild Marwitz’s, eingefaßt von den Seitenbildniſſen ſei -380 ner beiden Frauen (die zweite war eine geborene Gräfin Moltke, geſtorben am 18. November 1848) ſchmückt, wie bereits erzählt, die Friedersdorfer Kirche.

Ich habe in Vorſtehendem die äußeren Lebensfakten Marwitz’s gegeben und verſuche zum Schluß eine Charakteriſtik, eine Kritik. Ich knüpfe zu dieſem Behuf an die Vorgänge des Jahres 1811 an. Das Auftreten Marwitz’s in jener Epoche, wenn man ihm irgend wie gerecht werden will, muß von zwei Geſichtspunkten aus betrachtet werden, juriſtiſch und politiſch. Das Urtheil über dieſelben Vorgänge wird ſich danach ſehr verſchieden geſtalten.

Was zunächſt die juriſtiſche Seite angeht, ſo hatte Harden - berg ſelbſt das Recht der Stände anerkannt und mehr denn ein - mal der patriotiſchen Haltung derſelben die königliche Anerkennung ausgeſprochen. Nichts konnte deßhalb falſcher und begriffsverwirren - der ſein, als das Eintreten für ein derartig anerkanntes Recht auf Rebellion zu deuten. Daß es doch geſchah, mag (wo nicht poli - tiſche Berechnung und reformatoriſcher Eifer ein richtigeres Urtheil trübten) als Beweis dienen für den Servilismus und die Indo - lenz jener Zeit.

Noch einmal, das Recht war unbeſtreitbar auf Seiten der Stände und dieſes ſtändiſche Recht war verletzt. Gegen dieſe Ver - letzung hatte Marwitz proteſtirt. Dieſer Proteſt war muthig und ehrenhaft; aber freilich, wenn er, außer dem Zugeſtändniß, muthig und ehrenhaft gehandelt zu haben, auch noch Sympathien für die Sache wecken wollte, ſo mußte ſich das Feſthalten am Princip über den Schein und Verdacht einer Donquixoterie, einer bloßen Rechtsmarotte, erheben. Auch das beſte Recht, wenn es ſich ſträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis beibrin - gen, daß es mehr iſt als ein todter Buchſtabe, als eine Laſt, ein Hemmniß. Es bleibt Recht auch ohne dieſen Beweis, aber ein Recht, dem jeder wünſcht, daß es dem Unrecht unterliegen möge. 381Das fühlte Marwitz ſehr wohl. Er vertheidigte alſo das Stän - diſche als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf - recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung deſſelben. Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi - ſche Gebiet.

Mußte der alte ſtändiſche Bau fallen, oder nicht? Millionen ſagten ja, Marwitz ſagte nein. Für ihn handelte ſich alles um Wiederbelebung; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Inſtitutionen, die Herzen der Menſchen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Geſinnung ſollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiſtröſer Beſchränktheit eine opferfreudige Begeiſterung treten, ſo wollte er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieſer Dinge hat es ſich immer gehandelt. Wie aber wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf dieſe Frage iſt er ſchuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregiſter haben noch nie geholfen. Hier liegt ſein Fehler, ſein politiſcher Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich, wenigſtens damals unmöglich, eine Begeiſterung dafür wach zu rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden ſollte, ſo mußte es für etwas Neues geweckt werden, ſelbſt auf die Gefahr hin, daß es ſich als ein Falſches erweiſen würde. Es handelte ſich in dieſem Augenblick nicht um geſunde Nahrungs -, ſondern um Bele - bungs - und Erweckungsmittel. Dieß wußte Hardenberg, in dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, ſei er im übrigen wie er ſei.

Der alte ſtändiſche Staat hatte dem Sturm nicht widerſtan - den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigſtens auf Probe. Möglich, daß der Zuſammenſturz nicht an der Schlechtigkeit des alten Baus, ſondern an der Heftigkeit des382 Sturms gelegen hatte; möglich das alles, aber die Verhältniſſe geſtatteten damals nicht, ſolche Möglichkeiten in Frage zu ziehen oder ruhig darüber zu discutiren. Raſche Hülfe war nöthig. Zwan - zig oder dreißig Jahre ſpäter durfte geſchehen, was 1811 eine Unmöglichkeit war, und dem einſichtsvollen und gerechten Fürſten, den wir eben verloren haben, ſtand bei ſeinem Regierungsantritt allerdings das Recht zu, den ſtändiſchen Staat, der unter’m Drang der Umſtände kritiklos bei Seite geworfen war, auf ſeinen Werth und ſeine Stichhaltigkeit noch einmal zu prüfen. Das Jahr 1846 brachte uns die vereinigten Landtage. Ob die Formen, unter denen der vereinigte Landtag in’s Leben trat, ob namentlich die rheiniſche Bourgeoiſie und ihr großer Einfluß, dem Marwitz’ſchen Ideale entſprochen hätte, muß freilich dahin geſtellt bleiben.

Dieſe nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Mar - witz zurück und zwar auf ſeine angreifbarſte, wenn auch mit Rück - ſicht auf die Zeit, in der er lebte, wenigſtens halb erklärliche, halb zu entſchuldigende Seite. Ich meine ſein Verhältniß zum Bür - gerſtand. Er ließ den Bürgerſtand gelten, ſo weit er in die alte ſtändiſche Inſtitution hineinpaßte, aber er haßte die Gebilde - ten. Da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger dieſer Bildung waren, ſo wurde daraus eine Verkleinerung, eine völlig ſchiefe Stellung zum Bürgerthum überhaupt. Daß das damalige, von Freigeiſterei und Revolutionsideen erfüllte Bürger - thum, das, theilweiſe wenigſtens, die Niederlage von Jena mit Befriedigung verkündigt hatte, ihn wenig mit Freude und Hoch - achtung erfüllen konnte, war eben ſo begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieſer Abneigung auch noch, als die Ereig - niſſe des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des Volks (von der er, als von einer Maſſenerhebung, nicht einmal beſonders hoch dachte), ſondern ſpeciell die Begeiſterung der Ge - bildeten ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Gebildeter für eine gute Sache zu fechten und zu ſterben verſtehe. Er ſelbſt gab dieſe Dinge im Einzelnen zu (z. B. in ſeiner Darſtellung des Hagelsberger Gefechts), aber dem ganzen Stande gegenüber blieb383 die Abneigung, das ariſtokratiſche Vorurtheil. Der Adel nahm in ſeinen Augen nicht nur politiſch und geſellſchaftlich, ſondern auch moraliſch und nach der Seite der Charakterbildung hin, eine über - legene Sonderſtellung ein; ſeine Geſinnung war beſſer und eben ſo ſeine äußere Haltung, und ſo viel Wahrheit, ſo viel Berechtig - tes, namentlich Angeſichts der Kleinheit und Spießbürgerei unſeres märkiſchen Bürgerſtandes der ein großes Hanſagefühl nie ge - kannt hatte in dieſer Auffaſſung liegen mochte, ſo führte die Ausgeſprochenheit dieſer Anſicht doch gelegentlich zu den allerbe - denklichſten Conſequenzen. Eine Anekdote mag dieß zeigen.

Im Jahre 1806 traf er, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schloß zu Weimar mit Goethe zuſammen. Wie ſchildert Marwitz dieſen? Er war ein großer, ſchöner Mann, der ſtets im geſtickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Miniſter ſehen ließ und die Würde ſeines Ranges gut repräſentirte, wenn gleich der na - türlich freie Anſtand des Vornehmen ſich vermiſſen ließ. Alſo auch Goethe konnte ſich, in Haltung und Erſcheinung, nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anſtandsvoller Miniſter und ein großer Poet, war der Freund ſeines Fürſten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bür - gerſohn zu Frankfurt, ließ er doch den freien Anſtand des Vor - nehmen vermiſſen, es fehlte ein unausſprechliches Etwas, vielleicht und dieſe Worte ſind nicht ironiſch gemeint die hohe Schule des Regiments Gendarmes.

Es ſei hier ein kleiner Exkurs geſtattet. Es iſt mit dieſen Dingen, mit der Kunſt des Anſtands und feiner Sitte, wie man verzeihe den Vergleich mit der Kunſt des Reitenkönnens und am Ende mit vielen andern Künſten. Jeder, Individuum wie Nationen, glauben im Beſitz des Rechten zu ſein. Die engliſchen Gentlemen ſagen zu deutſchen Cavalieren: Ihr ſeid die beſten Reiteroffiziere, aber ihr könnt nicht reiten, und die deutſchen Cavaliere erwiedern dem engliſchen Gentleman: Ihr verſteht euer fox hunting und steeple chase aus dem Grunde, aber 384 enfin, ihr könnt nicht reiten. Ein ſtilles Bedenken miſcht ſich, von rechts und links her, in beide Urtheile mit ein, eine leiſe An - deutung, daß dem perfecten Cavalier, dem perfekten Gentleman, doch noch dieß und das zu ſeiner Vollkommenheit fehle. Wie es mit der Kunſt des Reitens iſt, ſo mit der Kunſt der feinen Sitte. Die Geſetze derſelben ſind überall verwandt, ein Gemeinſames liegt ihnen zu Grunde, aber ihre Formen weichen ab, ſind wenigſtens nicht überall dieſelben. Da wo noch an eine ausſchließliche Form der Sitte geglaubt wird, hat die Sitte ſelbſt ihre höchſte Blüthe und Verfeinerung noch nicht erreicht.

In Standesvorurtheilen, wie ſie das Urtheil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber der gute Glaube, die volle Ueberzeugung, mit der er ſeine Anſichten äußerte, nahmen ſeinen Angriffen den Stachel des perſönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht ſchwer, die Wurzel des Irrthums zu erkennen, woraus ſeine harten und zum guten Theil ungerechten Anſichten über den Bürgerſtand empor wuchſen. Während er nämlich ſich ſelbſt als Repräſentanten des Adels nahm, nahm er den erſten beſten Bürgerlichen als Repräſentanten des Bürgerſtandes. Der Zufall wollte, daß er in ſich ſelbſt einen ſo vollkommenen Vertreter ade - liger Geſinnung zur Hand hatte, daß, bei einem Herausgreifen auf’s Geradewohl aus der Reihe der Bürgerlichen, die letztern mit großer Wahrſcheinlichkeit zu kurz kommen mußten. Er vergaß (viel - leicht in Beſcheidenheit), daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war, und daß viele Eigenſchaften die er an den Gebildeten haßte, nicht Sondereigenſchaften des Bürgerſtandes, ſondern allgemeine Eigenſchaften der ganzen Epoche waren. Er geißelte das Auftreten des eitlen, leckern, geſinnungsloſen Johann v. Müller (des berühm - ten Hiſtorikers) mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die auf ſolche Geißelung keinen Anſpruch hatten, hätten ihm eben ſo nah oder näher gelegen. Hätte er Fichte, der eben damals durch ſeine begeiſterten, aus Muth und Geſinnung her - ausgeborenen Reden, ſelbſt wieder Muth und Geſinnung in alle Herzen goß, hätte er Fichte als Repräſentanten deutſchen Bürger -385 thums und deutſcher Bildung gewählt, ſein Urtheil würde ſich anders geſtaltet haben. So aber ſah er nur die weite Kluft, die allerdings zwiſchen ſeinem eigenen Empfinden und jener ſchnöden Niedrigkeit lag, die ſich (in Berlin) danach drängte, als Bürger - garde Marſchall Victors zu antichambriren und Schildwache zu ſtehen.

Aengſtliche Rückſichtnahme war nicht ſeine Sache, wo es die Wahrheit galt, oder wenigſtens das, was ihm als Wahrheit erſchien. Durch Freund und Feind hin ging er ſeinen Weg; die Furcht, anzuſtoßen, war nicht ſeine Furcht. Selbſtbewußtſein durch - drang ihn und durfte ihn durchdringen, denn die Worte ſeines Teſtaments, daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt und dabei ſein eigenes irdiſches Wohlſein für nichts erachtet habe , waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgeſetzt, verleumdet, hatten die Kränkungen, die er erfahren, doch nie ſchwerer in ſeinem Herzen gewogen, als das Gefühl ſeiner Pflicht. So oft es galt, war er da. Alles gab er auf, alles ſetzte er ein, ſo oft die großen Intereſſen des Vaterlandes auf dem Spiele ſtanden. Das Ein - ſtehen für das Ganze war ſeinem Herzen Bedürfniß, und die höchſten Kräfte des Menſchenherzens, Treue, Pietät und Opfer - freudigkeit waren in ſeiner Seele lebendig. Er war ſchroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüth. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geiſtigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Werth und im Kampf für ſie hat er ſein Leben hingebracht. Möglich daß ſein Kampf unbewußt im Intereſſe eines Irrthums, eines politiſchen Fehlers geführt wurde; aber ſelbſt wenn dem ſo wäre, ſo würde es wenig ändern in der Werthſchä - tzung des Mannes ſelbſt. Denn jedem ſelbſtſuchtslos geführten gei - ſtigen Kampfe gelten unſere Sympathien. Es irrt der Menſch, ſo lang er ſtrebt. Erſt aus Streben und Irren gebiert ſich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieſer näher geführt.

Er war , ſo ſchließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geſchrieben, ein Mann von altrömiſchem Character, eine kräftige,25386gediegene Natur, ein Edelmann im beſten Sinne des Worts, der in ſeiner Nähe nichts Unwürdiges duldete, allem Schlechten ent - ſchieden in den Weg trat, Recht und Wahrheit vertheidigte gegen jedermann, der die Furcht nicht kannte und immer in den Reihen der Edelſten und Beſten zu finden war. Alles Verſteckte, Unklare und Erheuchelte war ihm von Herzen zuwider. Wie er ſtreng war gegen ſich ſelbſt, war er es auch gegen andere. In Fleiß und guter Wirthſchaft, in Frömmigkeit und ſtrenger Sittlichkeit, in einem rechtſchaffenen Wandel ſtrebte er ſeiner Gemeinde ein Vor - bild und Muſter zu ſein.

An ernſtem Streben, an Ringen nach der Wahrheit, an ſelbſtſuchtsloſer Vaterlandsliebe ſei er Vorbild und Muſter auch uns.

[387]

Alexander von der Marwitz.

Du hoffſt umſonſt vom Meere Vom Weltgetümmel Ruh; Selbſt Lorbeer, Ruhm und Ehre Heilt keine Wunden zu.
(Waiblinger. )
Blühend blieb mir im Gedächtniß Dieſe ſchlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieſes ſchöne Träumeriſche Jünglingsantlitz.
(H. Heine. )

Alexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, deſſen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu ſchildern verſucht habe. Der Anfang dieſes Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow zu ihnen geſellten ſich die beiden Marwitz. Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; ſie hatten daſſelbe Blut. Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollſchlag, der die Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber ſie waren doch verſchieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einſamkeit um ſich her, ſah er auf die irdiſchen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Wie ein Falke aber, ein früh gezähmter, war das Herz des jüngeren Bruders. Früh an die Menſchenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in Zwieſpalt, wo ſeine Heimath ſei, ob hinter Gitterſtäben, wo die ſchöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einſamkeit. So oft er25*388in den Lüften war, zog ihn die ſüße Gewohnheit zur Erde zurück, ſo oft er auf der Erde war, zog ihn die eingeborene Natur nach oben. Als er auf dem Punkte war, die Gegenſätze zu verſöhnen und in Freiheit zu dienen, traf ihn der Tod. So ſtarb er, ein hoffnungsvoller, ein vielgeliebter , wie die kriegsgeſchichtlichen Tagebücher jener Zeit ihn nennen.

Alexander von der Marwitz wurde am 4. Oktober 1787 zu Berlin (nach einer andern Angabe zu Friedersdorf) geboren. Seine erſte Erziehung erhielt er im elterlichen Hauſe, theils in Berlin, theils auf dem Familiengut. Seinen Vater verlor er früh (1793), und ſein zehn Jahre älterer Bruder, Friedrich Auguſt Ludwig, wurde, wenn auch nicht dem Namen, ſo doch der Sache nach, ſein Vormund. Das ſtete Wechſeln im Aufenthalt zwiſchen Berlin und Friedersdorf erwies ſich als nicht günſtig für die Erziehung des jüngeren Bruders, und ſo wurde derſelbe im Sommer 1794 zum Hofprediger Arens in Küſtrin in Penſion gegeben. Arens, wohl unterrichtet, ſtreng und gewiſſenhaft in ſeiner Methode, legte den Grund zu dem ſpäteren ausgezeichneten Wiſſen ſeines Zöglings. Kaum vierzehn Jahre alt, verließ dieſer die Küſtriner Schule, nahm in einer noch aufbewahrten, durch Gedankenreife überraſchenden Rede von Lehrern und Schülern Abſchied und ging nach Berlin, wo er noch dritthalb Jahre lang das damals unter Gedikes Lei - tung ſtehende höchſt ausgezeichnete Gymnaſium zum grauen Kloſter beſuchte. Er fand hier gute Geſellſchaft. Unter ſeinen Mitſchüleru befanden ſich zunächſt die Söhne von Büſching, Bieſter, Adelung und Koepke, ferner der älteſte Sohn des damaligen Oberſten von Scharnhorſt (welcher letztere eben damals in preußiſche Dienſte getreten war) und endlich der Sohn der Frau von Staël-Hol - ſtein,*)Es heißt über ihren Sohn im Schulprogramm (1804) des grauen Kloſters: von Staël-Holſtein, aus Paris, empfahl ſich die kurze Zeit, daß er die erſte Klaſſe des Gymnaſiums beſuchte, durch ein geſittetes Betragen und einen lobenswerthen Fleiß. Der unerwartete Tod ſeines Großvaters, des ehemaligen Finanzminiſters Necker, veranlaßte ſeine Mut - die, 1803 nach Deutſchland gekommen, ihren Wohnſitz in389 Berlin genommen hatte. Sprachliche und hiſtoriſche Studien waren es, denen ſich Marwitz ſchon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers Schweizergeſchichte machte einen ſolchen Ein - druck auf ihn, daß er, kaum ſechzehn Jahr alt, den berühmten Hiſtoriker aufſuchte, um ihm ſeinen Dank und ſeine Bewunderung auszudrücken.

Dieſer Schritt, unſcheinbar, wie er auf den erſten Blick er - ſcheinen mag, gab ihm doch Gelegenheit, zuerſt die Selbſtſtändigkeit ſeiner Denk - und Handelsweiſe zu zeigen, die ihn ſpäter ſo ſehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte dieſe Bekanntſchaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beſchreibung hervorgeht, die uns derſelbe von der Perſon Johann von Müllers hinterlaſſen hat. Johann von Müller , ſo ſchreibt er, war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Bein - chen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Freſſen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf heraus ſtanden und beſtändig roth unterlaufen waren ꝛc. Aber ſo wenig der berühmte Hiſtoriker nach dem Geſchmack des älteren Bruders ſein mochte und ſo gern bereit der jüngere Bruder war, dieſen Ge - ſchmack als berechtigt gelten zu laſſen, ſo wenig war er doch ande - rerſeits geneigt, ſich durch fremde Sympathien oder Antipathien beſtimmen oder in dem beirren zu laſſen, was ſeiner Seele Be - dürfniß war.

Neben der Selbſtſtändigkeit ſeines Charakters trat hierin zuerſt auch jener andere Zug ſeiner Natur hervor, der ihn, in Freud*)ter zur eiligen Abreiſe in die Schweiz, der er folgte. Dieſem Schulpro - gramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen, die Michae - lis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den Schülern der Oberklaſſen deklamirt wurden. Es waren: 1) Monolog des Brutus aus der Voltaire’ſchen Tragödie Cäſar . 2) Elegie an Roſalie, von Tiedge. 3) Der Führer, ein Gedicht von Luiſe Brachmann. 4) Arion, von A. W. von Schlegel. 5) Kaſſandra, von Schiller. 6) Der Taucher, von Schiller. 7) Die Macht des Geſanges, von Schiller. 8) Hero und Leander, von Schiller. 9) Schillers Tod, eine Elegie.390 und Leid, unter den wechſelndſten Schickſalen und Stimmungen beherrſchte: der Zug und Hang nach dem Geiſtreichen. Die - ſer Hang nahm, bevor die letzten Jahre ſeines Lebens eine Klä - rung und die Ruhe einer größeren Reife ſchufen, faſt die Form einer Krankheit an. Alles verſchwand daneben.

Um dieß in ganzem Umfang zu verſtehen, iſt es nöthig, ſich in die Genialitätsbeſtrebungen, in die geiſtige Genußſucht jener Zeit zurückzuverſetzen. Der bekannte Ausſpruch Friedrichs des Großen, daß er der Beſchäftigung mit guten Büchern und geſcheidten Leuten die genußreichſten, wo nicht die einzig genußreichen Stun - den ſeines Lebens verdanke , ſchien plötzlich die Anſchauung aller feinen Köpfe geworden zu ſein; ſie lebten wie im Theater und horchten auf die beſten Stellen. Die Perſonen waren nicht mehr Perſonen, ſondern Akteurs; alles kam auf die Unterhal - tung, die Belehrung an, die ſie gewährten. Der Witz, die geiſt - reiche Sentenz, der Strom des Wiſſens, der Zauber der Rede lösten ſich wie ſelbſtſtändige Kunſtwerke vom Sprecher los, und in derſelben Weiſe, wie es uns, Angeſichts eines ſchönen Landſchafts - bildes, nicht im geringſten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine ſaubere oder unſaubere Hand, ſo wog damals der Glanz geiſtiger Gaben alles auf. Ein Höcker, phyſiſch oder moraliſch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aeſop war, der ihn trug. Ein brennender Durſt erfüllte die Geiſter, und wer dieſen Durſt ſtillte, der war willkommen. Es hätte für Vor - urtheil, für kleinlich und altfränkiſch gegolten, moraliſche Bedenken zu unterhalten. Erſt der Kriegsſturm reinigte wieder die Atmoſphäre.

Die Geſtalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf einen Schlag charakteriſiren. Alexander von der Marwitz war ihm ähnlich. Der Unterſchied zwiſchen beiden war nur der, daß die Genußſucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent - ſchuldigung deſſelben geſagt worden iſt) ſeinen Charakter beeinfluſ - ſen und beſchädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer Weiſe, eine getrennte Wirthſchaft, eine doppelte Oekonomie zu391 führen verſtand. Das Bedürfniß geiſtiger Nahrung war allerdings ſo groß in ihm, daß er, wie ſein älterer Bruder von ihm erzählt, ohne geiſtreiche Geſellſchaft nicht leben konnte und ſelbſt zum Stu - diren und Arbeiten durch ſolchen Umgang angeregt werden mußte; er ſchreckte dabei vor alten Schläuchen nicht zurück, wenn es nur eben ein alter, feuriger Wein war, den ſie ihm boten. Aber alles dieß blieb bei ihm nur Sache der Zerſtreuung, des Studiums, des Kennenlernenwollens. Die geiſtigen Anregungen, ſobald ſie eines geſunden Kernes entbehrten, waren ihm wie der Genuß eines berauſchenden Getränks, aber auch nicht mehr. Sie gewannen nicht Einfluß auf ſeine Ueberzeugungen, am allerwenigſten auf ſeine Haltung und Führung. Das Gemeine blieb machtlos über ihn, und ſo ging er durch’s Leben, wie gefeit durch den Adel ſeiner Geſinnung.

Zu dieſen Bemerkungen, die darauf aus ſind, die Geſammt - erſcheinung Alexanders von der Marwitz in’s Auge zu faſſen, glaubte ich gleich Anfangs ſchreiten zu dürfen, und der Name Johann von Müllers bot die beſte Gelegenheit dazu. Eben dieſer war die vollendete Vereinigung von geiſtiger Kraft und Charakter - ſchwäche, von hohem Erkennen und niederem Handeln. Marwitz überſah in Milde, was ihm nicht paßte, und bewunderte, was ihm der Bewunderung werth erſchien. Auch die Antipathien des älteren Bruders ſtörten ihn hierin nicht.

Um Oſtern 1804 verließ er das graue Kloſter und bezog die Univerſität Frankfurt, um daſelbſt die Rechte zu ſtudiren. In dem bereits citirten Schulprogramm des genannten Jahres heißt es: Alexander von der Marwitz bildete bei uns ſeine glücklichen Na - turanlagen mit rühmlichem Fleiße aus und empfahl ſich durch ein feines und anſpruchloſes Betragen. Er hat in den meiſten Fächern des Unterrichts, beſonders in der alten Literatur, glückliche und ausgezeichnete Fortſchritte gemacht. Er blieb nur ein Jahr in Frankfurt, deſſen Stern ſich damals bereits im Niedergang be - fand. Halle lockte ihn, und in Halle vor allem der Name Wolfs. Johann von Müller ſchrieb an den letzteren: Dieſen Gruß bringt392 Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu empfehlen, weil Sie ſelbſt bald ſehen werden, wie viel in ihm iſt.

Mit immer wachſendem Eifer ging er hier an das Studium der Alten; daneben beſchäftigten ihn Geſchichte und Philoſophie, und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des grauen Kloſters der tonangebende geweſen war, ſo arbeitete er ſich auch hier zu gleichem Anſehen durch. Die Commilitionen weder meidend noch ſuchend, immer er ſelbſt, ernſt ohne Hochmuth, freundlich ohne Vertraulichkeit, ſo beherrſchte er ſie, gleich angeſehen an Wiſ - ſen wie an Charakter. Dieſe Herrſchaft war das natürliche und deßhalb unvermeidliche Reſultat ſeiner Ueberlegenheit; dennoch be - klagte ſein älterer Bruder in ſpäteren Jahren dieſe frühen und unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Werthes groß zogen, das ſchwindlich machte.

In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der Jenaer Schlacht verließ er die Univerſität und begab ſich nach Friedersdorf, um in Abweſenheit des älteren Bruders (der wieder in die Armee getreten war, um als Adjutant des Prinzen Hohen - lohe den Feldzug mitzumachen) die Verwaltung des Guts zu über - nehmen. Mit der Kraft und raſchen Umſicht, die ihm überall, damals wie ſpäter, zu Gebote ſtand, auch wo es die praktiſche Seite des Lebens galt, griff er in die Wirthſchaftsführung ein, und ohne jemals vorher ſich um landwirthſchaftliche Dinge im Geringſten gekümmert zu haben, überſah er die Verhältniſſe ſofort und ſetzte ſpäter den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung, die dieſer vorfand, in Erſtaunen. Seine Wirthſchaftsführung wäh - rend eines vollen Jahres war eine muſterhafte geweſen, nur ſein überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 7 die Verwaltung des Guts und mehr denn das, ſein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite ſeines Charakters kennen. Die Beſchäftigung mit den Wiſſenſchaften, weit entfernt davon, ihm die Bläſſe des Gedankens anzukränkeln oder das innere Feuer, das nach Thaten dürſtete, zu dämpfen, hatte ſeine ganze, leidenſchaftlich angelegte Natur nur noch glühender und393 leidenſchaftlicher gemacht. Die angeborene Herrſchſucht und Cha - rakterüberlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden Gefühl auch geiſtiger Superiorität neue Kraft und neue Nah - rung geſogen, und was ein aufbrauſendes Weſen in ihm begann, das hielt er hinterher mit unbeugſamen Willen feſt. Gegen die Ueberlegenheit des Geiſtes und Charakters, wo er ſie fand, ver - hielt er ſich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der Nähe des Löwen, aber freilich, er fand dieſe Ueberlegenheit ſelten.

Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während ſeiner Gutsverwaltung zu einer raſchen That, die den Stempel der Un - gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendſinn und der Leidenſchaftlichkeit ſeines Charakters erklärt werden kann. Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anſtand in einer Weiſe zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und des Namens der Franzoſen (die eben damals die Landesobrigkeit bildeten), von dieſen geſtraft werden mußte. Er wurde Nachts durch franzöſiſche Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Feſſeln nach Küſtrin abgeführt. Man hielt ihn ſchon für verloren, doch wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen ſchließlich auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über dieſen Vorgang fehlen.

Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie - dersdorf ein. Der Tilſiter Friede hatte zur Entwaffnung ſo vieler Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlaſſung jenes Truppen - theils, der unter dem Namen des Marwitz’ſchen Freicorps in Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru - der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo ſich damals der preußiſche Hof befand. Empfehlungsbriefe führten ihn bei dem Miniſter Stein ein, Niebuhr ſchenkte ihm Aufmerk - ſamkeit und Intereſſe, und ſein überaus gewinnendes Weſen, das ihn überall, wo er ſich ſympathiſch berührt und geiſtig heimiſch fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte ſich auch hier. Aeußerliche Mittel unterſtützten ſeine Erfolge. Er war groß und ſchlank, mit ſeinem jugendlichen Geſicht, und die394 ſchönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule und Univerſität, ſo herrſchte er alsbald auch hier, wo die Männer des Tugendbundes ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles, was er geſchehen ſah, der gemeinſchaftliche Franzoſenhaß aber und noch mehr vielleicht der Umſtand, daß es geſcheidte Leute waren, mit denen er eine Stunde geiſtvoll plaudern und Anregung zu neuen Studien mit heim nehmen konnte, ließen ihn die Kluft ab - ſichtlich überſehen, die zwiſchen ihm und ihnen lag.

Es ſcheint (es fehlen hierüber beſtimmte Angaben), daß er bis Weihnachten 1808 in Memel blieb und dann nach Berlin zurückkehrte. Sein Umgang hier geſtaltete ſich im Einklang mit den Bekanntſchaften, die er in Memel und Königsberg angeknüpft hatte, nur kehrte er jetzt, wo das Leben und Treiben der größeren Stadt für den, der Ruhe und Zurückgezogenheit ſuchte, auch bei - des leichter geſtattete, mit verdoppeltem Eifer zu ſeinen Büchern zurück. Politik wurde geleſen und geſprochen, und die ſtaatsökono - miſchen Sätze Adam Smiths, deſſen berühmtes Buch vom Reich - thum der Nationen auch das Geheimmittel enthalten ſollte, wie dem ruinirten preußiſchen Staate wieder aufzuhelfen ſei, wurde der Gegenſtand der eingehendſten Studien und Debatten. Schon da - mals verhielt er ſich mehr kritiſch als bewundernd gegen das Buch, das die Hardenberg’ſche Schule zur Panacee für alle Uebel ſtem - peln wollte, und wurde nicht müde, auf den Unterſchied zwiſchen einem reichen und freien England und einem armen und unter - jochten Preußen hinzuweiſen.

Er trieb dieſe Studien mit einem ſolchen Ernſt und verfügte neben dem klar blickenden Geiſte, den ihm die Natur gegeben, über ein ſo umfangreiches Wiſſen auf dieſem ſchwierigen und bis dahin wenig cultivirten Gebiete, daß ihm, dem zweiundzwanzigjährigen, von Niebuhr ſelbſt, der nicht leicht in Verdacht kommen wird, aus Leichtſinn oder Uebereilung gehandelt zu haben, im April 1809 ein Staatsrathspoſten angetragen wurde. *)Schon im Sommer 1808 (alſo wahrſcheinlich noch in Memel)Die Sache war noch395 nicht entſchieden, als der Schill’ſche Zug dazwiſchen trat und die Unterhandlungen abbrach. Marwitz ſchloß ſich dem Zuge an, und wiewohl er wenige Wochen ſpäter (unmittelbar vor oder nach dem Gefecht von Dodendorf) nach Berlin zurückkehrte, weil er das Kopfloſe des ganzen Unternehmens erkannt hatte, ſo wurden doch die einmal abgebrochenen Unterhandlungen nicht wieder aufge - nommen.

Beinahe unmittelbar nach ſeiner Rückkehr vom Schill’ſchen Zuge machte Marwitz die Bekanntſchaft der Rahel Levin. Er war dem Prinzen Louis Ferdinand an ritterlichem Sinn, an Schönheit der Erſcheinung, an künſtleriſchem Bedürfniß und vor allem auch in jenem Selbſtgefühl verwandt, das das Vorurtheil des Standes überwunden hat, und ſo ergab ſich dieſe Bekannt - ſchaft mit einer Art von Folgerichtigkeit. Wie dieſe Bekanntſchaft ihm ſelber zu hoher Befriedigung gereichte und ihm in ſchweren Tagen eine Stütze, in dunkeln Tagen ein Sonnenſtrahl war, ſo haben auch wir uns dieſes Freundſchaftsverhältniſſes zu freuen, weil wir dem Briefwechſel, der ſich zwiſchen beiden entſpann, das beſte Theil alles deſſen verdanken, was wir über den Charakter und ſelbſt über die äußern Lebensſchickſale des Mannes wiſſen.

Ihre Bekanntſchaft begann im Mai 1809, und noch vor Ablauf deſſelben Monats trennten ſich die ſchnell Befreundeten wieder, um erſt nach länger als Jahresfriſt die alten Beziehungen wieder anzuknüpfen. Ein gegenſeitiges Verſtändniß ſcheint ſich faſt augenblicklich zwiſchen ihnen gebildet zu haben. Schon am 13. Juli 1809 konnte Rahel ſchreiben: Ich ging in den Park hinunter, ſchön waren Wieſen und Feld. Tauſenderlei ſah ich um mich her, und alles hätte ich Marwitz gern gezeigt; er war der Letzte, den ich ſah, der ſo etwas verſtand. Und um dieſelbe Zeit ſchrieb ſie an Fouqué: Ich habe Marwitz nur vierzehn Tage ge -*)war ihm ein ähnlicher Antrag geworden; er hatte ihn aber mit dem Be - merken abgelehnt, daß er zuvor mehr ſehen und lernen wolle. Nur in Zeiten wie die damaligen, wo nichts ſo niedrig ſtand wie das Ancienne - tätsprincip, waren ſolche Dinge möglich.396 kannt und mein ganzes Herz liebt ihn; ſeine Exiſtenz iſt ein Troſt für mich. Sie wiſſen, er iſt mit Varnhagen hin nach dem Krieg.

Marwitz war nach dem Krieg ; er war Ende Mai nach Oeſterreich gegangen, um an dem Kampf gegen Napoleon Theil zu nehmen. Was ihn fort trieb, war ein Mannichfaches: zunächſt die Nachricht, daß ſein jüngerer Bruder Eberhardt, der ſeit 1808 in öſterreichiſchen Dienſten ſtand, in der Schlacht bei Aspern ſchwer verwundet worden ſei; dann aber vor allem ſein Haß gegen Na - poleon, die Ueberzeugung, daß um die Worte ſeines Bruders zu wiederholen die Freiheit das allein Werthvolle ſei, und alles Wiſſen in einem Sklavenlande nicht gedeihen, nicht ächte Frucht treiben könne. Zudem war die Theil - nahme am Kampf halb Ehrenſache für ihn geworden. Er hatte Schill verlaſſen, weil er das Kopf - und Planloſe des Zuges ſofort erkannt hatte, aber er hatte dadurch gleichzeitig die ſtillſchweigende Pflicht auf ſich genommen, jedem Unternehmen ſeine Kräfte zu leihen, das mit ausreichenderen Mitteln begonnen, irgend welche Ausſicht auf Erfolg bieten konnte. Ein ſolches Unternehmen war der öſterreichiſche Krieg. Marwitz trat in das berühmte Chevaux - legersregiment Graf Klenau ein, daſſelbe Regiment, in dem ſein Bruder gedient hatte, und machte die letzten Kämpfe des Krieges, die Schlachten bei Wagram und Znaym mit. Auch nach dem Friedensſchluß blieb er bis zum Herbſt 1810 in öſterreichiſchem Dienſt. Gleich die erſten Wochen nach dem Frieden wurden ihm ſchwer vergällt. Krank war er nach Ollmütz gekommen, wo er Quartier in einem Gaſthof nahm. Der Wirth, ein roher und heftiger Geſell, erging ſich, aus Motiven, die nicht klar geworden ſind, vermuthlich aber ohne alle und jede Veranlaſſung, in hefti - gen Inſulten gegen Marwitz und drang endlich auf dieſen ein. Marwitz zog den Degen zu ſeiner Vertheidigung und ſtieß den Angreifer endlich nieder. Dieſer Vorgang machte großes Aufſehen und auf Marwitz’s Gemüth einen tiefen und nachhaltigen Eindruck. Denn wiewohl er nur Nothwehr gebraucht und den Ausſpruch der Gerichte ſowohl wie die öffentliche Meinung für ſich hatte, ſo ſuchte397 er doch ſeitdem die Reizbarkeit und den Jähzorn ſeines Charakters ſtrenger zu bewachen.

Das Kriegsleben war etwas, wie es zu Marwitz’s inner - ſtem Weſen ſtimmte, aber das Garniſonsleben war wenig nach ſeinem Sinn. Alsbald fehlten die Anregungen, ohne die er, wenn der Krieg nicht ſeine Würfel warf, nicht leben konnte. Wie viele Leute gab es in Olmütz und Prag (wo er ſich abwechſelnd auf - hielt), die ihm ein Geſpräch mit Johann von Müller, mit Niebuhr oder mit Rahel Levin hätten erſetzen können! Während des Waf - fenſtillſtandes, ſo lange die Wiederaufnahme des Krieges noch eine Möglichkeit war, beſchäftigten ihn militäriſche Arbeiten, an deren Ausarbeitung er mit einer Raſchheit und einem Scharfſinn ging, als habe irgend ein Hauptquartier ihn groß gezogen und nicht der Hörſaal oder der Salon. Er entwarf unter anderem ein Expoſé, wie, bei Wiedereröffnung des Kampfes, die öſterreichiſche Armee zu operiren habe, eine umfangreiche Arbeit. Ueber den ſtrategiſchen Werth, ja nur über die Ausführbarkeit des ganzen Planes ſchweige ich; ſie entzieht ſich der Kritik eines Laien, aber die Klarheit der Darſtellung iſt bewundernswerth und faſt mehr noch die kühne Selbſtändigkeit, die ihm die Idee eingab, durch eine Flankenbe - wegung, in weit geſpanntem Bogen, der Napoleoniſchen Armee den Rücken abzugewinnen. Er drückt das durch die Worte aus: Eine veränderte Frontſtellung muß unſer ſtrategiſches Prin - cip ſein; Front gegen Oſten oder Nordoſten ſo müſſen wir den Angriff erwarten.

Aber der Waffenſtillſtand führte zum Frieden und mit dem Frieden ſchwand, ganz abgeſehen von jener Aufregung und jener Poeſie der Gefahr, die ihm Bedürfniß war, auch jene auf’s Ganze und Große gerichtete Thätigkeit, die das geringſte war, deſſen er als Erſatz für Beſſeres bedurfte. Das Einerlei des Dienſtes fing an ihn zu drücken. Eine Correſpondenz, darunter auch der Aus - tauſch einiger Briefe mit Rahel, war kein Erſatz für Alles, was fehlte, und ſo nahm er denn den Abſchied; im Herbſt 1810 war er wieder in Berlin.

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Das alte Leben, das ihm ſo theuer war, nahm hier auf’s neue ſeinen Anfang. Die Bücher, die Studien, der geſellige Ver - kehr, der Austauſch, die Friktion der Geiſter, das Blitzen der Ge - danken er hing an dieſer Art der Exiſtenz, und doch, wenn er ſie hatte, genügte ſie ihm nicht. Er kam zu keinem Glück, wenigſtens damals nicht. Das Gegenwärtige immer klein findend, von der Zukunft und ſich ſelber das Höchſte wollend, rang er einer Traumwelt nach und verlor die wirkliche Welt unter den Füßen. Er gehörte ſo recht zu denen, die den Genuß nicht genie - ßen, weil ſie ſelbſt im Beſitz des Höchſten und Liebſten die Vor - ſtellung nicht aufgeben mögen, daß es noch ein Höheres und Lie - beres giebt.

In dieſem Sinne ſchreibt Rahel zu Anfang des Jahres 1811. Und wie treibens unſere Beſten? Ruhm wollen ſie, wollen zeh - ren, ohne beizutragen, und nichts kriegen ſie. Beſſeres noch, ſo denken ſie, werden ſie finden, und nichts finden ſie. Statt ihren wahren Freunden ſelbſt Freund zu ſein, ſtatt ihnen etwas zu leiſten und ſich des Glückes zu freuen, das ſie durch Opfer und Gutthat geſchaffen, vergeuden ſie ihre beſte Kraft in der Beſchäf - tigung mit ihren Plänen, im Kampf mit Phantomen. Marwitz hab ich dies noch nie geſagt, weil ich ihn zu ſehr liebe und es zu perſönlich würde.

So klagte Rahel über ihren liebſten Freund zu einer Zeit, wo täglicher Verkehr und rückhaltloſes Vertrauen ihr die beſte Ge - legenheit gab, einen Einblick in die Vorgänge ſeines Herzens zu gewinnen.

Er war des Lebens früh überdrüſſig und durchaus ermüdet vom täglichen Einerlei, wenn das Gewaltigſte ſich nicht von Tage zu Tage jagte. So beſchreibt ihn ſein älterer Bruder. Er war ruhelos, unbefriedigt, unglücklich. Aber wir würden ihm Unrecht thun, wenn wir dieſes Unbefriedigtſein, dieſen Lebensüberdruß (Er - ſcheinungen, die freilich mitunter an die krankhaften Stimmungen Heinrich von Kleiſts erinnerten) ausſchließlich auf Rechnung eines überreizten Gemüthes ſetzen wollten. Er war unſtät, ruhelos, weil399 er einem Höchſten nachjagte, das ſich nicht erreichen und erringen ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter der Wucht ſchwerer Schläge, die ihn betroffen. Wenn ſich eigene Schuld mit einmiſchte, um ſo ſchlimmer. Er hatte ein Recht, eine Befugniß, ernſter drein zu ſchauen, als mancher andere. Es waren zum Theil höchſt reelle Dinge, die an ſeinem Herzen nagten und zehrten, Dinge, die mit dem unruhvollen Jagen nach einer Fata Morgana nichts zu ſchaffen hatten. Die Schmach des Vaterlandes, die Eiſenhand des Unterdrückers, die Hoffnungsloſigkeit für jenes, nachdem Oeſterreich abermals niedergeworfen war, das alles waren ſehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermuth oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz’s Seele aber ſtand noch ein Anderes: ſein Traum brachte ihm die Geſtalt des polternden, zornrothen und dann ſo ſtill und blaß gewordenen Wirths, und wenn die Geſtalt verſchwand, in Traum und Wachen ſtand die Geſtalt einer Frau vor ſeiner Seele, zu der er ſich mit glühender, immer wachſender Leidenſchaft hingezogen fühlte. Der Tag iſt noch nicht da, über dieſes Verhältniß, das übrigens zu keiner häßlichen Verirrung führte, ausführlicher zu ſprechen; vielleicht wird die Pietät gegen einen unſerer gefeiertſten Namen es für immer ver - bieten. Zorn und Liebe, Gewiſſensangſt und Leidenſchaft rangen auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Ver - langens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbeſtimmten Höchſten nicht bedurft, um jene Ermüdung zu ſchaffen, die ja nichts anderes iſt als das Verlangen nach Ruhe.

Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Frieders - dorf. Die Veranlaſſung dazu war nicht angethan, ihm die Heiter - keit zurückzugeben, deren er ſo ſehr bedurfte. Das Eintreten des älteren Bruders für das ſtändiſche Recht hatte zu ſeiner Verurthei - lung geführt, und während er nach Spandau ging, um daſelbſt ſeine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um, wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen. Dieſer nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf ſcheint eine Zeit der Kriſis für ihn geweſen zu ſein. Während die Briefe, die während400 dieſer Zeit zwiſchen ihm und Rahel gewechſelt wurden, ihn anfäng - lich noch auf einem Höhenpunkt der Schwermuth und Rathloſigkeit zeigen, klärt ſich gegen das Ende hin die Situation plötzlich auf. Das Gewitter ſcheint vorüber und wir blicken wieder in klareren Him - mel. Einzelne Briefbruchſtücke aus jener Zeit mögen dieſen Ueber - gang vom Trübſinn bis zur neu erwachenden Hoffnung zeigen.

Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das Herz noch zu - weilen erkranken, aber ich gebiete ihm Ruhe. Wille und Thätigkeit bändigen es. Machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Unter - gehen kann ich, aber mir zum Ekel, andern zur Laſt leben, das kann ich nicht. Und das iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den Selbſtmord gedacht, aber immer iſt er mir vorgekommen wie eine verruchte Rohheit.

Ich bin bis jetzt hier geblieben, theure Rahel, und hatte vor, noch einen Monat hier zu bleiben, weil, ungeachtet der Ge - ſpenſter, die in meinem Innern herum wandeln, doch eigentlich der Körper durch Landluft gedeiht und ich jene durch Thätigkeit zu verſcheuchen hoffte. Aber ich traue nicht mehr, denn geſunder bin ich zwar, aber nicht weniger reizbar. Ein einziger Moment kann mich dahin zurückwerfen, wo ich war, und was am Ende aus dem finſtern Brüten werden kann, überſehe ich nicht. Nun ſehe ich zwei Auswege. Der eine iſt, mit Ihnen nach Töplitz zu gehen (unbeſchreiblich reizend), der andere iſt eine Reiſe nach England und von dort aus weiter nach Spanien, wo ich Dienſte nehmen kann. Wäre es ſo unrecht, die Kraft der ſüdlichen Sonne an mir zu prüfen?

Dieſe Bruchſtücke zeigen zur Genüge, daß er unmittelbar vor ſeinem Abgange aus Berlin einen Entſchluß gefaßt hatte. Er will den Anblick fliehen, der ſo viele Gefahren in ſich birgt; darum dehnt er auch den Aufenthalt in Friedersdorf aus. Er will nicht nach Berlin zurück, denn er traut ſich ſelbſt nicht und fürchtet, daß er dahin zurückgeworfen werden könne, wo er war. Er bangt vor der Möglichkeit neuen Brütens, neu aufſteigender Geſpenſter, und er will fort, weit fort nach Spanien. Er will Dienſte401 nehmen und das Nothwendige und Nützliche zugleich erfüllen, nothwendig ihm allein, aber nützlich der Allgemeinheit, der gu - ten Sache.

Rahels Worte aber halten ihn in der Heimath und führen ihn endlich aus ſeiner Friedersdorfer Verbannung wieder in die Welt zurück. Sie dürfen nicht vereinſamen. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für Sie, und die müſſen Sie haben, lebendigen alles anregenden Umgang. Sie gehen da in Ihren eigenen Stim - mungen wie in einem Zauberwald umher und werden bald nichts mehr vernehmen können.

Zuletzt hat er überwunden, Weichheit, ein neues Leben ſcheint ſein Herz beſchlichen zu haben, und er ſchreibt, frühere Briefworte Rahels in ſeiner Antwort wiederholend: Leben, lieben, ſtudiren, fleißig ſein, heirathen, wenns ſo kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig machen, dies iſt immer gelebt und dies wehrt niemand. Ja, Sie haben Recht, liebe Rahel. Ja, ich weiß das jetzt. Fernab ſind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſamkeit; führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können, aber meine Hoffnungen, meine Plane ſind nicht darauf geſtellt. Ich klage auch nicht länger über die Zeit; ganz dumm iſt, wer das thut. Wem das Herrliche im Gemüth gegeben iſt, dem wird alle Zeit herrlich.

Mit dieſem Briefe ſehen wir Marwitz nach Berlin zurückkeh - ren, und ein neues, klareres Leben beginnt. Es iſt plötzlich, als habe der Moſt ausgegohren. Viele Ideale ſind hin, aber das Schillerſche Troſtwort: Beſchäftigung, die nie ermattet , wird auch ein Troſtwort für ihn. Ernſt, Arbeit nehmen von ihm Beſitz, das wirkliche Leben, wie es iſt, wohl oder übel, iſt plötzlich für ihn da, er ſtellt ſich zu demſelben und tritt mitwirkend, mitſtrebend an dem Nächſtliegenden in dieſes wirkliche Leben ein.

Marwitz verließ Friedersdorf etwa im Juli 1811, aber nicht, um in Berlin ſeinen Wohnſitz zu nehmen, ſondern um in Potsdam bei der dortigen Regierung als Hülfsarbeiter einzutreten. Zugleich beſchäftigten ihn Vorarbeiten zu einem juriſtiſchen oder kameraliſti -26402ſchen Examen, das er noch zu abſolviren hatte. Es heißt, als er einige Monate ſpäter wirklich an die Abſolvirung dieſes Examens ging, hätten die Examinatoren offen erklärt, daß es ſich bei dem glänzenden und vielſeitigen Wiſſen des zu Examinirenden nur um die Erfüllung einer Form handeln könne, deren Innehaltung ihnen Verlegenheit bereite.

Marwitz blieb in Potsdam etwa anderthalb Jahre, vom Sommer 1811 bis zum Schluß des Jahres 1812. Wir können dieſen Zeitraum, wie auch das Jahr 1813, das er draußen im Felde zubrachte, beſſer überblicken als irgend eine andere Epoche ſeines Lebens, und haben den Eindruck einer nicht länger in’s Weite ſchweifenden Exiſtenz. Die Richtung auf das Immenſe iſt aufgegeben und das Beſtreben wird ſichtbar, von einem beſtimmten Punkt aus, nach der ihm gewordenen Kraft zu wirken und zu ge - ſtalten. Er hat nicht das Glück, aber doch Beſcheidung und Ergebung gefunden; die Leidenſchaften ſind gezähmt. Eine gerade in dieſer Zeit beſonders lebhafte Correſpondenz zwiſchen ihm und Rahel läßt uns Einblick in wenigſtens Eine Seite ſeines Thuns und Treibens gewinnen. Politiſche Dinge werden wenig berührt, oder doch nur in philoſophiſch abſtracter Weiſe; Perſön - lichſtes aber kommt ausführlich zur Sprache und äſthetiſche Fragen werden mit Vorliebe behandelt. Antworten Sie gleich, Ihre Briefe ſind mir unentbehrlich, ſchreibt Marwitz und fährt an einer an - dern Stelle fort: O wüßten Sie, wie ich Ihre Briefe empfange! Ich leſe ſie drei -, viermal hinter einander, und dann laufe ich im Zimmer umher und laſſe den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nach - klingen. Tagebuchartig werden die Briefe geführt, was der Tag bringt und verweigert, wird beſprochen. Mit welchem Herzensan - theil verfolg ich Ihre Spaziergänge in Sansſouci, wie gerne nähme ich Theil daran! ſchreibt Rahel und Marwitz antwortet: Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jetzt dort ſtürmiſch und öde; öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen und die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, rührende und ſchwer -403 müthige Gedanken erweckt. Aeſthetiſche Dinge werden berührt, zur Arbeit wird ermuthigt. Nur ans Werk, wir warten hier auf Ihre Arbeit über die Propyläen und über die Politik des Ariſto - teles. Daran ſchließen ſich die Vorkommniſſe der großen Stadt; Reflexionen ranken ſich um Großes und Kleines. Gern hätte ich Ihnen geſtern ſchon geſchrieben, wenn mich nicht die Nachricht von Heinrich Kleiſts Tod völlig eingenommen hätte. Ich kenne nicht die näheren Umſtände ſeines Todes; aber es iſt und bleibt ein Muth. Wer bangte nicht vor jenen dunkeln Möglichkeiten? Forſche ein jeder ſelbſt, ob es viele oder wenige ſind. So ſchreibt Rahel, wohl in Vergeſſenheit, daß ſie die Antwort auf dieſen Brief vorweg empfangen hatte, als ihr Marwitz von Friedersdorf aus die ſchon citirten Worte ſchrieb: Mir iſt der Selbſtmord immer wie eine verruchte Rohheit vorgekommen.

So läuft das briefliche Geplauder zwiſchen den Befreundeten hin, einmal heiter, einmal paradox, einmal tief, wie Stimmung und Ereigniß das Wort geſtalten; aber die Plaudereien beider, wie ſie der Briefwechſel der Freunde zeigt, zeigen uns, wie ſchon angedeutet, das Leben, das Marwitz in jener Epoche der Ruhe, der Sammlung, der innerlichen Geneſung und Conſolidirung führte, nur von Einer Seite. Die Abendſtunden, die er ſonſt wohl am Theetiſch der Freundin zu verplaudern pflegte, gehörten jetzt der Correſpondenz mit ihr, aber der Tag gehörte der Arbeit. Fach - ſtudien und Neigungen verwoben ſich hier zu einem Ganzen. Die Marwitz’ſche Familie iſt noch im theilweiſen Beſitz umfangreicher Memoires, kritiſcher Abhandlungen und Gutachten, die jener rei - fen Zeit ihre Entſtehung verdanken. Alle dieſe Arbeiten theilen ſich in zwei Gruppen, in politiſche und ſtaatswiſſenſchaftliche. Den Charakter und die Eigenart Napoleons zu ſtudiren, ſchien er ſich zu einer beſondern Aufgabe geſtellt zu haben, und man erſtaunt billig über die Reichhaltigkeit der Studien, die er muthmaßlich zu keinem andern Zweck gemacht hatte, als um ſeine Kenntniß zu erweitern und geſtützt darauf ſchärfere Schlüſſe über den Charakter des Mannes ziehen zu können. Alles, was erſchien, wurde geleſen26*404und excerpirt und unter der Ueberſchrift Bonapartiana zuſam - mengeſtellt. Dazu geſellten ſich mündliche Mittheilungen und Aus - züge aus Briefen. Was der Tag brachte, wurde in bunter Rei - henfolge regiſtrirt, und Oberſt Spiegel, Genz, Brinkmann, Fürſt Lichtenſtein, Oberſt Bentheim, Itzenplitz, Müffling, General Kruſe - mark (1812 preußiſcher Geſandter in Paris) fanden ſich hier auf denſelben Blättern zuſammen. Chassez moi cette Canaille ! (ſo erzählt Oberſt Spiegel) donnerte Bonaparte einem ſei - ner Kammerherrn zu, als er bei einer großen Cour jene dreizehn Cardinäle erblickte, die ſich in der Scheidungs - und Wiederver - mählungsfrage gegen ihn erklärt hatten; und wenige Tage ſpä - ter ſo fährt derſelbe Oberſt Spiegel fort ſpuckte der Kai - ſer, mit unverkennbarer Abſicht, mitten in die Reihe der Könige hinein, die bei der großen Vermählungsceremonie (mit Marie Luiſe) unmittelbar hinter ihm ſtanden.

Von beſonderem Intereſſe unter dieſen Aufzeichnungen iſt die Anſprache Napoleons an eine Deputation märkiſcher Stände, die, wenn ich nicht irre, zu Dresden auf ſein ſpezielles Geheiß vor ihm erſchienen war. Es iſt erſichtlich, daß der Kaiſer die Deputirten, wenigſtens einen Theil derſelben, durch liberale Phraſen kir - ren und an ſich und ſeine Sache feſſeln wollte. Er ſagte mit jener rückſichtsloſen Offenheit, die er eben ſo gut wie Liſt und Verſchlagenheit zu handhaben wußte: Vous êtes gouvernés que cela fait pitié. Votre roi est Si l’empereur Ale - xandre avait tardé de trois jours de faire sa paix, j’au - rais détrôné votre , et je vous aurais fait une consti - tution, qui vous manque. Nous sommes tous des Romains, les Français, les Italiens et les Allemands, nous sommes la même nation. Je vous aime, vous êtes de bons enfants. Mais par exemple je ne fais pas cas de vos militaires. D’un côté ils ne sont pas des héros, et de l’autre ils ont marché sur les têtes des bourgeois. Je suis militaire, et ce n’est pas moi, qui voudra jamais déroger aux privilèges du militaire, mais je ne permettrai jamais405 que mes soldats traitent les citoyens français comme les votres vous ont traités. Itzenplitz, der ein Mit - glied der Deputation war, hat dieſe Worte aufgezeichnet. Marwitz ſammelte dergleichen zu doppeltem Zweck, zu ſeiner Inſtruktion und zur Nährung ſeines Haſſes.

Aber Hand in Hand mit dieſen loſen Collectaneen, bei deren Durchblätterung die ganze Epoche, der ſie angehören, wieder leben - dig vor uns hintritt, gingen abgerundete, tief durchdachte Arbei - ten, von denen uns wenigſtens Eine über die ſogenannte Se - paration , d. h. die Theilung der Gemeinheiten in aller Voll - ſtändigkeit aufbewahrt worden iſt. Marwitz iſt gegen die Separa - tion. Er ſucht zu beweiſen, daß die Theilung der Gemeinheit und das ſogenannte Abbauen der Dörfer ein Fehler ſei; ein Fehler deßhalb, weil es den Egoismus des Einzelnen ſteigere, ſtatt ihn zu mindern. Dieſer Egoismus erſcheint ihm als der Wurm, der den Geiſt der Nationen, dieſe eigentlich produktive Kraft, zerſtört. Laſſen wir ihn ſelber ſprechen.

Die Nationalkraft iſt der Urgrund alles Producirens. Selbſt wenn unſere Zuſtände, wie ſie jetzt ſind, ſich befeſtigen ſollten, ſelbſt wenn wir Zeiten der Ruhe entgegen gingen, die einen un - geſtörten Auf - und Ausbau deſſen zulaſſen, was ihr einzuführen gedenkt (Separation und Dörferabbau), ſo iſt damit wenig ge - wonnen. Die Welt hat ſolche Zeiten ſchon einmal geſehen. Es waren die Zeiten der beſſeren römiſchen Kaiſer. Friede herrſchte von den Säulen des Hercules bis zu den Ufern des Euphrat; das Recht war genau beſtimmt und wurde ſtrenge gehandhabt, es wurden manche Rohheiten der früheren Zeit verbannt durch die milde Geſinnung der Herrſcher und überhaupt alle Störungen entfernt, die dem Wohlſein der Einzelnen entgegen ſtehen mochten. Und doch waren dieß dieſelben Zeiten, in denen in den höheren Regionen des menſchlichen Daſeins völlige Oede herrſchte, Zeiten, in denen weder Wiſſenſchaft noch Religion, noch Vaterland die Menſchen begeiſterten. Aber mehr denn das (mehr in den Augen derer, die ſich durch die Erſcheinung beſtechen laſſen), auch der406 äußere Glanz verfiel. Schon unter Auguſtus verödeten ehemals berühmte Städte, und unter Trajan, dem beſten der Kaiſer, wur - den im ganzen Peloponnes weniger Menſchen gezählt, als früher in der einzigen Stadt Athen. So wahr iſt es, daß nicht der Einzelne producirt, ſondern der Geiſt der Nationen, und daß, wo dieſer erſtorben, und mit ihm Lebensluſt und Freude an der Gegenwart entſchwunden iſt, da auch das äußere Daſein allmählich in eine kümmerliche und barbariſche Entartung zurück ſinkt. Auf den Gemeinſinn, auf die Geſammtkraft kommt es an; dieſe zu wecken, iſt Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der Geſinnung und den Egoismus nährt (Dörferabbau), das ſchwächt die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt auch den alleräußerlichſten Reichthum des Landes. Wohin der Dör - ferabbau führt, das läßt ſich nirgends beſſer ſtudiren als im Oderbruch. Es giebt kaum ein ruchloſeres Geſchlecht; weder vor göttlichen noch vor menſchlichen Dingen haben ſie Ehrfurcht, we - der den Nachbarn wollen ſie helfen, noch dem Staate dienen: das letztere mit einigem Recht, denn ſie verdanken ihm nichts; im Ge - gentheil hat er ſie ausgeſtoßen und ſie ihrer eigenen heilloſen Roh - heit preisgegeben.

So waren Marwitz’s Gedanken über dieſe hochwichtige Frage. Er ſuchte ſie nicht als ein Praktiker , ſondern von einem höhe - ren Geſichtspunkt aus zu löſen. Nicht in allem hat er Recht be - halten; die Separation, die Theilung der Gemeinheiten iſt erfolgt und dem Lande wie ſich kaum beſtreiten läßt zum Segen ausgeſchlagen; aber wenn auch die Geſammtheit ſeiner Aufſtellun - gen ſeitdem widerlegt ſein ſollte (was nicht der Fall iſt), es würde dieß keinen Grund abgeben, unſere Schätzung des Mannes, der dieſe Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu löſen trach - tete, irgendwie zu beeinträchtigen. Nicht als ein Richtiges, praktiſch Unangreifbares habe ich ſeine Ausſprüche citirt, ſondern nur um die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verſchmähte, Fragen nach dem Tagesreſultat zu beurtheilen. Sein Blick drang in Zeit und Raum über das Zunächſtliegende hinaus.

407

Unter ſolchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn ein Beſuch bei den Freunden ihn nach Berlin hinüber führte, ver - floß das Jahr 1812. Der November und die erſten Wochen des December vergingen in wachſender Aufregung; die aus Rußland eintreffenden Nachrichten meldeten den ſich vorbereitenden Untergang des Napoleoniſchen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungs - ſtrahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel, aber der Krieg war ihm mehr, wenigſtens ein ſolcher Krieg. Alles Wiſſen war werthlos in einem Sclavenlande. Krieg war gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am 18. December traf in Ber - lin die Nachricht vom Bereſinaübergang ein. Marwitz war wie elektriſirt. Es war ihm klar, daß Preußen ſich auf der Stelle er - heben, die Reſte der großen Armee gefangen nehmen und dadurch auf Einen Schlag die Niederlage des Kaiſers vollenden mußte. Die eigene Wiederherſtellung ergab ſich dann von ſelbſt. Aber wie das in’s Werk ſetzen? Er kannte zu gut die Halbheit, die Unent - ſchiedenheit, die in den höchſten Regierungskreiſen maßgebend war; wie war dieſer Geiſt der Schwäche zu bannen? Er beſchwor zu - nächſt ſeinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu ſein, und beſtimmte ihn zu jener Audienz bei Hardenberg, die ich im[vorhergehenden] Kapitel ausführlicher geſchildert habe. Die Au - dienz verlief, wie ſich erwarten ließ, die Politik des Abwartens war noch nicht zu Ende.

Beide Brüder empfanden die Vertröſtungen, die doch ſo troſt - los waren, mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere Bru - der nach Friedersdorf zurückehrte, auf Gott vertrauend, daß er ſein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde , brannte dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte ſich nicht länger zur Unthätigkeit verdammt ſehen, und wenn Hardenberg nicht konnte oder wollte, ſo wollte er. In den erſten Tagen des Januar eilte er nach Oſtpreußen. Hier wirkte er mit, daß ſich die Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre Landwehr zu errichten begann.

Als die erſten Reitercorps der Ruſſen über die Weichſel gin -408 gen, ſchloß er ſich dem Oberſt Tettenborn an. Dieſen ſuchte er, als man in die Nähe der Oder gelangt war, zu kühnen Streif - zügen gegen Frankfurt, Selow und andere kleine Städte zu ver - anlaſſen, in denen die Trümmer der franzöſiſchen Armee Poſto gefaßt hatten; Tettenborn aber, der ſehr eitel war und durch einen nichtsſagenden Streifzug gegen Berlin nur von ſich reden machen wollte, opferte wirkliche Vortheile ſeiner Eitelkeit auf. Marwitz durchſchaute dieſes Spiel ſehr bald und ging nach Bres - lau, um ſeinen Eintritt in die preußiſche Armee zu betreiben. Hier aber ging alles langſam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnte er dieſes Hingehaltenwerden, dieſes Abwickeln großer Dinge nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wie - der, geſellte ſich abermals zu den Ruſſen (zu Dörnberg, damals in ruſſiſchen Dienſten) und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morand’ſchen Corps endigte. Darauf begab er ſich zu Czernicheff, wurde dem General Benken - dorf attachirt und zeichnete ſich bei Halberſtadt und Leipzig aus, wo er dem ganzen Corps ſehr weſentliche Dienſte leiſtete.

So kam der Waffenſtillſtand. Jeder wußte, hoffte wenigſtens, daß die Fortſetzung des Kampfes nahe ſei. Wie ſich denken läßt, konnte Marwitz den Gedanken nicht aufgeben, dieſen ſchönſten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußiſcher Seite mitzu - kämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im öſterreichiſchen Heere ge - ſtanden, jetzt war er in ruſſiſchem Dienſt war auch der Feind ein gemeinſamer, es ſchmerzte ihn doch, halb unter Fremden die - ſen Freiheitskampf mitkämpfen zu ſollen. Er bat alſo abermals um Anſtellung im vaterländiſchen Dienſt; da man ihn aber nur bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieſer Dienſt weder ſeiner Neigung (er war immer Cavallerieoffizier geweſen), noch ſeiner Körperconſtitution entſprach, ſo zerſchlugen ſich die Un - terhandlungen abermals und er blieb bei den Ruſſen.

Gleich nach dem Waffenſtillſtand, am 21. oder 24. Auguſt, war er mit Czernicheff in der Nähe von Wittenberg (bei Bos - dorf) und griff mit den Koſaken ein Carré polniſcher Infanterie409 an. Das Pferd wurde ihm unter’m Leibe erſchoſſen, die Koſaken kehrten um und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb jetzt mit ſeinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz ſchützte ſich mit ſeinem Arm, welcher ihm, ſammt der Hand, bei der Gelegen - heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carré genommen und ſo Angeſichts der Seinigen, da die Koſaken nicht wieder zum An - griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach Leipzig, wo er ſchlecht behandelt, eng eingeſperrt und ſeine Wun - den vernachläſſigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab - geführt, rettete er ſich unterwegs unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag. Hier wurden ſeine Wunden geheilt, aber die Hand blieb ſteif und unbrauchbar.

In Prag traf er ſeine Freundin wieder Rahel. Sie ſelbſt hat dieſen Moment des Wiederſehens in Briefen an Robert und Varnhagen in ſehr anſchaulicher Weiſe beſchrieben. Ich gebe dieſe Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin ſie, nach Marwitz’s eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beſchreibt: Geſtern führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und Marwitz ſteht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab - gemagert, ſteht er da, einen zerriſſenen Bauernkittel an und ein Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, iſt der Alte, iſt geſund, hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn. Polen fielen über ihn her und ſtießen ihn mit Kolben, wovon ihm der Degen entſank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenſtich, ein vierter ſetzte ihm das Gewehr an den Kopf und ſchoß los, aber der Schuß verſagte. Der Oberſt der Polen ſprang vor und rettete ihm das Leben. Gefangen war er aber und iſt nur durch tauſend Aventüren entkommen, und endlich hier. Er iſt einfach, gut, wahr,410 ſtill, mild wie immer, ohne alles Vorurtheil über irgend etwas, was vorgefallen iſt.

Nachſchrift. Der polniſche Offizier, der Marwitz gerettet hat, iſt der Obriſtlieutenant Skrzynecki;*)Es iſt dies derſelbe Skrzynecki, der 1831 als polniſcher Genera - liſſimus berühmt geworden iſt. er bot Marwitz ſeine Börſe an, ein gleiches that Obriſt Szymanowsky. Ich ſchreibe dir dieß, weil der Krieg wunderbare Begegnungen ſchafft und man wiſſen muß, wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat.

Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die Heilung ſeiner Wunden verzögerte ſich und er blieb daſelbſt bis Mitte December. Dieſes Vierteljahr, das letzte das ihm zu leben be - ſtimmt war, ging wie ein Friedensſchein über der Unraſt ſeines Herzens auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn fin - den zu können, hier fand er ihn, und hier durfte er ihn finden. Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang ſieg - reich vor, und ein Blick auf ſeine Wunden, das hohe Gefühl, ſelbſt für dieſe Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Sie - geszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderſtunden mit der Freundin, in deren ſtillen Genuß ſich ſonſt vielleicht ein Wer - muthstropfen, das demüthigende Gefühl: du ſollteſt wo anders ſein , gemiſcht hätte, er durfte ſie, um ſeiner Wunden willen, ganz und voll genießen, und er genoß ſie wirklich. Die Briefe Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere Freunde laſſen keinen Zweifel darüber.

Marwitz , ſo ſchreibt ſie an Varnhagen, wohnt mit uns in demſelben Hauſe. Die Wirthin nahm ihn gleich auf, aus Ra - hel und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei uns. Ich und ein Stücker ſechs bis acht Domeſtiken warten ihm auf. Du fragſt wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber Tieck las ihm geſtern den Hamlet vor. Niebuhr, den Tieck den Muth hatte für hübſch ausgeben zu wollen, nennen wir ſeit -411 dem Venus und Marwitz heißt ſchlechtweg der Sklave . Er rief mir nämlich zu: Soll ich noch mehr Ihr Sklave ſein? was uns alle zum herzlichſten Lachen ſtimmte; denn er iſt ganz deſpotiſch. Wir plaudern hier oft über Goethe und meiner Liebe und Bewunderung hab ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendſten, herrlichſten Geſpräche führe, ſagt auch: kein Menſch liebe ihn mehr als ich.

Dieſe wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbſt - und Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt es: Marwitz verläßt uns bald , und wenige Tage ſpäter brach er wirklich auf. Er ging zunächſt nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der erſten Brigade des York’ſchen Corps eintrat und als dienſtthuender Adjutant zum General Pirch II. commandirt wurde. Hier war er endlich voll an ſei - nem Platz. Die Idee eines großen Kampfes war nirgends leben - diger ausgeprägt, als im York’ſchen Corps, und ein Feuergeiſt, wie Marwitz, mußte ſich da am eheſten heimiſch fühlen, wo im gering - ſten Landwehrmann ein Theil jener treibenden Kraft, jenes Blü - cher’ſchen Geiſtes zu finden war, ohne welchen jener ſchöne Kampf nie und nimmer ſiegreich hinausgeführt worden wäre.

Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei Brienne und la Rothière eröffneten den Kampf auf franzöſiſchem Boden. Der Sieg ſchien bei den Fahnen der Verbündeten blei - ben zu wollen, da kamen die Unglückstage von Champaubert und Montmirail. Der Kaiſer warf ſich auf das ruſſiſche Corps unter General Sacken und war im Begriff es zu vernichten, als Sacken ſelbſt, der leichtſinnig dieſes Unheil herauf beſchworen hatte, an York die dringende Bitte ſtellte, den Feind in der linken Flanke zu faſſen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der Ruſſen mußte wenigſtens verſucht werden. Die erſte (Pirch’ſche) Brigade, bei der Marwitz ſtand, erhielt Befehl zum Angriff. Ge - neral Pirch ſelbſt ſetzte ſich an die Spitze der oſt - und weſtpreu -412 ßiſchen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien; ſo drang man im Sturmſchritt gegen das Gehölz von Bailly vor. Aber der Angriff ſcheiterte; die Führer der Bataillone fielen, Ge - neral Pirch wurde verwundet, und Marwitz ſank tödtlich getroffen.

Es ſcheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf. Sein Tod ( der Tod unſeres hoffnungsvollen und ſehr geliebten Marwitz , ſo ſchreibt Schack in ſeinem Tagebuch) galt für ein Ereigniß ſelbſt in jenen Tagen, wo jede Stunde die Beſten als Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden und dieſer Um - ſtand gab Veranlaſſung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte, er ſei abermals, ſchwer verwundet, dem Feinde in die Hände ge - fallen. Auch Rahel theilte dieſen Glauben. Noch am 26. April ſchrieb ſie von Prag aus: Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und Wäſche. Aber er kam nicht; er lag, eingeſcharrt mit hundert an - dern, auf dem Sandplateau von Montmirail. Jeder ſeiner Freunde fühlte ſeinen Tod nach Maßgabe des eigenen Werthes , ſo ſchrieb Rahel im Juni, als ſein Tod nicht länger zweifelhaft ſein konnte, und Marwitz’s älterer Bruder ſchrieb die Worte nieder: Die Welt erlitt an ihm einen großen Verluſt. Er war ein außerordentlicher Menſch im Wiſſen wie im Handeln. Er würde das Höchſte geleiſtet haben, wenn er erſt zur inneren Beruhigung gelangt wäre.

Vielleicht war er dieſer inneren Beruhigung näher, als der Bruder vermuthen mochte. Die Unruhe, die Kämpfe, die Lei - denſchaften, die ihn bis zu jener Epoche (Sommer 1811), die ich ausführlicher zn ſchildern verſucht habe, verzehrt haben mochten, hatten ſeitdem ruhigeren Anſchauungen Platz gemacht, Anſchau - ungen, die freilich mehr oder minder dem älteren Bruder ein Ge - heimniß geblieben waren. Sie ſahen ſich damals zu ſelten, als daß es dieſem hätte möglich ſein können, ſolche Wandlungen zu beobachten. Er hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genia - liſchen Leuten unſerer politiſchen Sturm - und Drangperiode an -413 gehört; aber gegen jedes krankhafte Uebermaß in Hoffen und Wol - len hatte endlich ſeine angeborene gute und geſunde Natur reagirt, und die Handelweiſe ſeiner letzten Lebensjahre würde ausrei - chend ſein, uns darüber aufzuklären, wenn es nicht direkte Worte thäten, die er darüber an ſeine Freundin richtete. Fernab ſind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſam - keit. Führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können, aber meine Hoff - nungen, meine Plane ſind nicht länger darauf geſtellt. So hatte er an Rahel geſchrieben und dieſe ſchon oben citirten Worte be - zeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in ſeinem Leben, den erſten Moment der Geneſung. Der ältere Bruder kannte we - der dieſe Worte, noch die Wandlung des Gemüths, der ſie Aus - druck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er ſtand nicht mehr kritiſch und ironiſch außerhalb des Kreiſes, ſondern mitſchaf - fend und mitgeſtaltend innerhalb deſſelben. Was er wollte, war ein Erreichbares geworden. Ob die Wege, die Preußen einſchlug, nachdem die Gefahr von außenher beſeitigt und die Triebkraft der Nation, auf Dezennien hin, in harten Kämpfen verzehrt war, muß freilich billig bezweifelt werden, und in dieſem Sinne (aber auch nur in dieſem) ſtehen wir nicht an, die Worte des älteren Bru - ders auch zu den unſrigen zu machen: Es war ein Glück zu nennen, daß Gott ihm verlieh, in ſeinem ſiebenundzwanzigſten Jahre für das Vaterland zu ſterben. Auf dem Friedhof zu Frie - dersdorf hat die Liebe des Bruders auch ihm, neben Eberhard von der Marwitz, der bei Aspern fiel, einen Denkſtein errichtet, der die Inſchrift trägt:

Chriſtian Guſtav Alexander v. d. Marwitz, geb. den 4. Oktober 1787. Lebte für die Wiſſenſchaften. Erſtieg deren Gipfel. Redete ſieben Sprachen. Wahrete dieſes Vatergutes 1806 und 1807, wie der Bruder zu Felde lag. Von Freiheitsliebe ergriffen, focht er 1809 in Oeſterreich bei Wagram und bei Znaym. Diente 1813414 dem Vaterlande. Schwer verwundet und gefangen, befreite er ſich ſelbſt. Wieder geneſen focht er in Frankreich und fiel dort bei Montmirail den 11. Februar 1814. Sein Vater war Behrend Friedrich Auguſt v. d. Marwitz, ſeine Mutter Suſanne Sophie Marie Luiſe von Dorville. Hier ſtand er hoch, dort höher. Sei - nem Andenken geſetzt von ſeinem Bruder.

[415]

Quilitz oder Neu-Hardenberg.

Nun König Edward flieh, Hier halt ich feſt die Feinde dein, Hier glückt es, oder nie.
(G. Heſekiel. )
Selig, wem Thatkraft und behaglichen Sinn leiht Gegenwart, Wer neu ſich fühlt, Neues zu bilden bedacht iſt.
(Platen. )

Die Geſchichte von Quilitz bis zum Jahre 1763 hin iſt arm und dunkel. Der Beſitz (wie es ſcheint immer ein getheilter) wech - ſelte vielfach, ſo daß wir einer Menge von Namen begegnen, ohne weiter etwas zu haben als dieſe Namen. Zu Anfang des 15. Jahr - hunderts, alſo zur Zeit als die Hohenzollern in’s Land kamen, finden wir in Quilitz die Höndorps, Beerfeldes und Schapelows; gegen Ausgang deſſelben Jahrhunderts haben ſich die Beſitzver - hältniſſe geändert und wir hören von den Eyckendorps, Pfuels und Barfus. Lauter Familien, die mit Ausnahme der beiden letz - tern, in Barnim und Lebus nicht länger exiſtiren. Um 1685 kam Quilitz, und auch wohl das benachbarte Kloſter Friedland, in Be - ſitz der markgräflichen Linie des Hauſes Brandenburg, und verblieb bei dieſer Linie bis zum Tode des Markgrafen Carl von Schwedt, 1763.

Alles dies ſind nur Namen und Zahlen und die üblichen Details über Beſitzverhältniſſe, Hufen-Zahl, Hebungen, Verpfän -416 dungen ꝛc., die wir den ſpärlich vorhandenen Urkunden entneh - men könnten, würden das Bild wohl erweitern, aber nur noch farbloſer machen. Die Urkunden bieten nichts Berichtenswerthes, und was ſchlimmer iſt, auch die anderen Quellen, die wir ſonſt wohl heranzuziehen gewohnt ſind: die Grabſteine in der Kirche, die Sagen und Traditionen im Dorfe ſelbſt, ſie alle verſagen glei - cherweiſe den Dienſt. Die Kirche hat aufgeräumt mit den alten Hinterlaſſenſchaften (wenn ſie deren jemals beſaß) und nur dunkle, nebelhafte Erinnerungen leben noch fort an das am meiſten zu - rückliegende, an die alte Wendenzeit. Traditionen kann man dieſe dunklen Erinnerungen kaum noch nennen, dazu ſind ſie zu vager Natur, aber das Dorf ſelbſt, zum mindeſten die Tracht ſeiner Bewohnerinnen, iſt noch wie eine Art Tradition aus der Wendenzeit her. Quilitz iſt ſo ziemlich der einzige Ort am Rande des Oderbruchs, der ſich die wendiſche Tracht erhalten hat; Frauen und Mädchen tragen noch den rothen, vielgefalteten Friesrock, das dunkle, geblümte Mieder, den breiten Ueberfallkragen, das ganze maleriſche Coſtüm, das ich an anderer Stelle bereits (Siehe S. 212 und 213) ausführlicher beſchrieben habe.

Einigermaßen Leben und Farbe gewinnt die Geſchichte von Quilitz erſt mit dem Jahre 1763, und wir wenden uns deshalb, mit Uebergehung alles deſſen was vorher liegt, nunmehr dieſer Epoche zu.

[Quilitz von 1763 1814.]

Nach dem Tode des Markgrafen Carl fielen die am Rande des Oderbruchs gelegenen Güter deſſelben, Friedland und Quilitz, an die Krone zurück. Sie blieben aber nicht lange bei der Krone; Friedrich II. verſchenkte ſie im ſelben Jahre noch, und zwar gab er Friedland an den damaligen Major von Leſtwitz, den Sieger von Torgau , und Quilitz an den Oberſtlieutenant von Prittwitz, der in der Schlacht bei Cunersdorf, als Rittmeiſter bei den Zie - ten’ſchen Huſaren, den König vor ſicherer Gefangenſchaft gerettet hatte. Gegen beide Offiziere unterhielt der König ſeit den genann - ten beiden Tagen ein verwandtes Gefühl beſonderer Dankbarkeit:417 Leſtwitz hat den Staat, Prittwitz hat den König gerettet , ſo hieß es damals ſprichwörtlich. Lestwitz a sauvé l’etat, Pritt - witz a sauvé le roi.

Die Rettung des Königs durch Prittwitz wird verſchieden er - zählt; die gewöhnliche Darſtellung des Hergangs iſt folgende:

Als gegen Abend die Preußiſchen Truppen nach übermenſch - licher Anſtrengung und Tapferkeit, durch die feindliche Uebermacht endlich zurückgeworfen waren, und faſt aufgelöſt das Schlachtfeld verließen, war der große König in Verzweiflung, und man hörte ihn die Worte rufen: Kann mich denn heut keine verwünſchte Kugel treffen. Zwei Pferde waren ihm unter dem Leib erſchoſſen worden, und eine dritte Kugel hatte ihm ein goldenes Etui in ſeiner Weſtentaſche zerdrückt. *)Etui und Kugel exiſtiren noch und werden, unter andern Erinne - rungsſtücken der Art, auf dem Stadtſchloß zu Potsdam gezeigt. Das Etui (Gold und Emaille) hat die Form einer Schachtel und ſteckt in einem mit Sammt gefuttertem Gehäuſe. Die Kugel iſt ganz platt gedrückt.Nach dem ſchnellen Rückzuge des Heeres ſtreifte, als einer der letzten Preußen, noch Joachim Bern - hard von Prittwitz mit einem Trupp von etwa 50 ſeiner Zieten - ſchen Huſaren, die wahrſcheinlich am Kampfe noch nicht Theil ge - nommen hatten, auf dem Schlachtfelde umher. Als auch er end - lich ſich vor den andrängenden Koſackenſchwärmen zurückziehen wollte, rief ihm plötzlich der Unteroffizier Velten, der ſpäter gea - delt als Major in der Rheincampagne fiel, zu: Herr Rittmeiſter, da ſteht der König. Sich umwendend, erblickte er den König, der faſt allein, nur in Begleitung eines Pagen, welcher ſein Pferd hielt, auf einem Sandhügel des ſogenannten Mühlberges ſtand. Er hatte ſeinen Degen vor ſich in die Erde geſtoßen und blickte mit verſchränkten Armen dem herannahenden Verderben entgegen. Eilig ſprengte Joachim Bernhard auf ihn zu, doch nur mit Mühe konnte er ihn überreden, ſich auf’s Pferd zu werfen und auf ſeine Rettung bedacht zu ſein. Endlich folgte der König ſeinen Bitten, indem er rief: Nun Herr, wenn Ihr meint, vorwärts. Aber ſchon waren die Koſaken ganz nahe gekommen. Joachim Bernhard27418wandte ſich um und ſchoß den feindlichen Offizier vom Pferde. Dies machte die Verfolger einen Augenblick ſtutzen, der König ge - wann mit ſeiner kleinen Schaar einen Vorſprung, und jene ver - mochten ihn nicht wieder einzuholen. Mehrmals rief er dabei aus: Prittwitz, ich bin verloren. Auf dieſe Weiſe rettete ſich Friedrich der Große vom Mühlberg herab in das Thal, über die ſogenannte große Mühle, hinter deren Defileen er vorläufig ſicher war. Hier ritt er auf die erſte Anhöhe und betrachtete mit Wehmuth ſeine zurückeilenden Truppen. Mit Thränen in den Augen rief er ihnen zu: Kinder verlaßt heute mich, euren König, euren Vater, nicht. Dann ritt er weiter und kam, es war ſpät am Abend, nach dem Dorfe Oetſcher. Auf dem Rücken Joachim Bernhards ſchrieb er mit Bleiſtift an den Miniſter Finkenſtein in Berlin die Worte: Alles iſt verloren, retten Sie die Königliche Familie, Adieu für immer. Während in Oetſcher der unglückliche König, nur von wenigen Getreuen umringt, ſich auf’s Stroh warf, ſammelte Joa - chim Bernhard die aufgelöſten Trümmer der Armee, etwa 3 bis 4000 Mann, ſo daß ihm nicht nur der Ruhm gebührt, den - nig, ſondern auch den Reſt der Armee gerettet zu haben; denn wurden die Truppen nicht in der Nacht nach Oetſcher, wo die Schiffsbrücken waren, dirigirt, ſo waren ſie auf dem rechten Oder - ufer verloren. Als er dem Könige melden wollte, daß ſich einige Bataillone geſammelt hätten, verhinderten ihn die Adjutanten da - ran, die bei der verzweifelten Stimmung des Königs fürchteten, derſelbe werde, ſobald er erführe, er habe noch Truppen in Hän - den, den unglücklichen Kampf von Neuem beginnen.

So erzählen die meiſten zeitgenöſſiſchen Schriftſteller die Ret - tung des Königs. Etwas abweichend davon, berichtet Frau von Blumenthal in ihrer trefflichen Lebensbeſchreibung Zietens, über denſelben Hergang, und in Erwägung des Umſtands, daß Pritt - witz ſelbſt eine Vorrede zu dieſer Lebensbeſchreibung ſchrieb (alſo das Buch, wenigſtens aber doch dieſe, ihn ſelbſt ſo nah angehende Stelle geleſen haben muß), können wir nicht umhin, dieſer an -419 dern Darſtellung der Kunersdorfer Schlacht, eine vorzugsweiſe Bedeutung beizulegen. In dieſer Darſtellung heißt es:

Am Abend der unglücklichen Schlacht ſtand das Detache - ment von Zieten-Huſaren zur Rechten des Königs, als der Mo - narch für ſeine Perſon noch nicht die Hoffnung zum Siege auf - geben wollte, obgleich ſchon aller Anſchein dazu verloren war. Der König warf ſich mit etwas Infanterie in das ſtärkſte Feuer. Ihm wurde das Pferd, das er ritt, erſchoſſen; ſein Adjutant, der Oberſt von Goetz, gab ihm zwar das ſeinige, allein jetzt drängte auch die Oeſtereichiſche Reiterei des General Laudon mächtig auf ihn ein, und Friedrichs Perſon gerieth in augenſcheinliche Gefahr, um ſo mehr, da er nicht zurückgehen und auf ſeine Sicherheit bedacht ſein wollte. In dieſem furchtbaren Augenblick, an dem Preußens Glück und Ehre hing, ſprengten, entflammt von Rache und Wuth, die Zieten’ſchen Huſaren herbei, hieben mit Nachdruck in die öſte - reichiſche Reiterei, und hielten ſie von dem Regiment von Diricke, an deſſen Spitze der König ſtand, bis zu ſeiner Rettung glücklich entfernt. Unter ihnen zeichnete ſich beſonders der Lieutenant Velten dadurch aus, daß er der Erſte war, der einen Trupp Oeſtereichiſcher reitender Grenadiere zurückwarf, die ſchon den König umringen wollten. Der Rittmeiſter von Prittwitz, nachmaliger General der Kavallerie, hatte unterdeſſen den Muth, daß er ſich ohne Anfrage zum Geleitsmann des Königs aufwarf, ihn halb mit Gewalt aus dem Feuer herauszog, und ihn über das Defilee bei der Mühle bis zur Schiffbrücke bei Goeritz durchbrachte, wo ſich die Armee bald darauf wieder formirte. So wurde jener (Prittwitz) der Ret - ter Friedrichs und der Retter des Vaterlandes. (Andere Mitthei - lungen über Prittwitz ſiehe in den Anmerkungen.)

Der Krieg war zu Ende, und Prittwitz, damals noch Oberſt - lieutenant, war Herr auf Quilitz. Es war ein ſchönes Gut, aber unwohnlich wie alle Güter, die lange in Pächterhänden ſind, und da Prittwitz, der kurz zuvor (1762) eine Freiin Seherr-Thoß geheirathet hatte, ſtandesgemäß zu leben gedachte, ſo mußte er vor allem darauf aus ſein, ein Haus aufzuführen, das den Anſprü -27*420chen ſeiner übrigens auch in Schleſien begüterten Gemahlin ent - ſprach. Der Bau wurde unverzüglich begonnen, und war ſchon bis zu den erſten Steinen des erſten Stocks (der Belle-Etage) gediehn, als König Friedrich des Weges kam, ſei es auf einer ſeiner Revue-Reiſen in die öſtlichen Provinzen, oder eigens zu dem Zweck, das Oderbruch, an deſſen Melioration auch nach dem Kriege noch gearbeitet wurde, zu inſpiciren. Prittwitz, Er baut ja ein Schloß; Er will ja hoch hinaus , waren die nicht allzu gnä - digen Worte, mit denen der König ſich an den zur Seite ſtehen - den Oberſtlieutenant wandte, der nun ſeinerſeits nichts eiligeres zu thun hatte, als dem Wunſch und Wink des Königs nachzukom - kommen, und unter Fortlaſſung einer Belle-Etage ſofort das Dach auf das Erdgeſchoß ſetzen zu laſſen. Erſt in den zwanziger Jahren dieſes Jahrhunderts wurde durch Schinkel ein Umbau des Schloſ - ſes vorgenommen.

Stell ich nunmehr zuſammen, was in Quilitz noch an die Prittwitz-Zeit erinnert, oder aus derſelben herſtammt. Die Einrich - tungen, die Zimmer des Erdgeſchoſſes ſind im Weſentlichen die - ſelben geblieben, namentlich gilt das von dem großen, mit Stuck - Reliefs geſchmückten Gartenſalon, der auf eine Parkwieſe, und jen - ſeits derſelben auf die Waſſer - und Baumparthieen des Parkes blickt. Auch dieſer Park ſelbſt ſtammt aus der Prittwitz’ſchen Zeit, wenn ſchon derſelbe ſeitdem weſentlichen Veränderungen unterzogen wurde. An verſchiedenen Stellen des Parks befinden ſich Gedenk - ſteine, von denen zwei ebenfalls jener Epoche angehören. Der eine derſelben iſt ein unſcheinbarer Grabſtein, unter dem der Schimmel begraben wurde, den Rittmeiſter von Prittwitz in der Schlacht bei Kunersdorf ritt, der alſo den hiſtoriſchen Moment der Rettung des Königs mit erlebte, reſp. ſeinen Antheil daran hatte. Der Grabſtein iſt jetzt ſeinerſeits wieder unter Laub und Moos halb vergraben, ſo daß es unmöglich iſt, eine Inſchrift zu entziffern, wenn eine ſolche überhaupt jemals vorhanden war. Dies Fehlen einer Inſchrift hat denn auch dahin geführt, daß man die ganze Erzählung von dem im Park beſtatteten Schimmel in Zweifel ge -421 zogen hat. Aber gewiß mit Unrecht. Aeußere und innere Gründe ſprechen dafür. Der Stein hat ganz die Form eines Grabſteins; außerdem ging der König, der auf der oberſten Terraſſe von Sansſouci nicht nur ſein Pferd und ſeine Lieblings-Windſpiele be - graben ließ, ſondern auch inmitten derſelben begraben ſein wollte, ſeinen Generalen mit dem entſprechenden Beiſpiel voran. Man liebte damals dergleichen.

Ebenfalls im Park, dem Gartenſalon gegenüber, und eine Wand dunkler Bäume als Hintergrund, erhebt ſich maleriſch das Marmor-Denkmal, das Prittwitz im Jahre 1792 dem Andenken des großen Königs errichten ließ. Die Zeichnung zu dieſem Denk - mal wurde von Johann Meil, dem damaligen Vice-Direktor der Berliner Akademie der Künſte entworfen, die Ausführung in car - rariſchem Marmor aber einem Bildhauer in Lucca, Namens Jo - ſeph Martini, anvertraut. Die Worte, die dieſer an der linken Seite des Denkmals eingravirt hat, lauten: Joseph Martini Lucensis inventor faciebat 1792; alſo etwa: Joſeph Martini von Lucca hat es erfunden und ausgeführt (oder erdacht und gemacht) im Jahre 1792. Das Wort inventor muß hier über - raſchen, wenn man es mit der (der Schadow’ſchen Autobiographie entlehnten) Notiz zuſammenhält, daß Meil den Entwurf gemacht habe, alſo mit anderen Worten der Inventor geweſen ſei. Die Compoſition iſt etwas ſteif, etwas herkömmlich und in vielen Stücken angreifbar, aber dennoch eine gute Durchſchnitts-Arbeit. Damals, wenigſtens hier zu Lande, war ſie unzweifelhaft ein Mei - ſterſtück. Ein Säulenſtumpf trägt das Reliefbild des großen - nigs; ein trauernder Mars, knieend, umklammert von der einen Seite her die abgebrochene Säule, während eine aufrecht ſtehende Minerva ſich von der andern Seite her an den Säulenſtumpf lehnt. Das Hauptintereſſe, das dieſe Gruppe einflößt, iſt das, daß es das erſte Denkmal iſt, das dem Andenken des großen - nigs errichtet wurde. Schadow’s Friedrichsſtatue auf dem Stetti - ner Exercierplatz iſt erſt das zweite Monument. Allerhand kleine Anekdoten knüpfen noch an dies Denkmal an. So heißt es, daß422 eine Eule längere Zeit im Schutz der Minerva geniſtet habe. Fraglich. Aber bis dieſen Tag iſt die Statue, namentlich der offen am Boden liegende Helm des Mars, der bevorzugte Platz neſter - bauender Schwalben. Am Anziehendſten iſt die einfache Ausle - gung, die die Quilitzer den Geſtalten des Mars und der Minerva gegeben haben. Sie ſagen, es ſei Prittwitz und ſeine Frau, die um den alten Fritzen trauern.

Wir begegnen der Prittwitz-Zeit, oder doch einer Mahnung an dieſelbe, auch noch in der alten, übrigens durch Schinkel völ - lig umgebauten Kirche. Einige Schritte vor dem Altar, iſt, an Stelle eines Grabſteins, eine Erztafel in die rothen Ziegel des Fußbodens eingelaſſen, eine Tafel, auf der wir in Vergoldung ein kurzes römiſches Schwert erblicken, um das ſich ein Lorbeer windet. Darunter leſen wir: Joachim Bernhard von Pritt - witz, K. Pr. General der Kavallerie, Ritter des ſchwarzen Adler - und St. Johanniter-Maltheſer-Ordens, geb. 3. Febr. 1727, ge - ſtorb. 4. Juni 1793; und ſeine Gattin Maria Eleonora von Pritt - witz, geb. Freiin von Seher-Thoß, geb. 1739, geſt. 1799. Un - ter dieſer Tafel befindet ſich höchſt wahrſcheinlich die Gruft, in der das Prittwitz’ſche Paar beigeſetzt wurde; die Tafel ſelbſt aber ſtammt erſichtlich aus den erſten zwanziger Jahren dieſes Jahr - hunderts, wo die Kirche reſtaurirt wurde. 1793 hatte man noch die altherkömmlichen Grabſteine; die Benutzung von Gußeiſen (des lorbeerumwundenen kurzen Römerſchwerts ganz zu geſchwei - gen) deutet unverkennbar auf die Schinkel’ſche Zeit.

Zum Schluß nennen wir noch zwei Portraits, denen wir in einem der Zimmer des Schloſſes begegnen, und die höchſt wahr - ſcheinlich der Prittwitz’ſchen Hinterlaſſenſchaft angehören. Es ſind dies: der alte Fritz und der alte Prittwitz ſelbſt. Das erſte Bild wurde 1786, kurz vor dem Tode des Königs, von Bardou ge - malt. Die Auffaſſung weicht ab von dem Herkömmlichen. Neben dem Ausdruck des Leidens, iſt es ein Zug milder Schwermuth, der den Kopf charakteriſirt und anziehend macht. Das Portrait des alten Prittwitz (ebenfalls Bruſtbild) zeigt uns den General423 wahrſcheinlich in der Uniform des Regiments Gensdarmes, deſſen Commandeur en Chef er ſeit 1775 war. Auf dem rothen (pfir - ſichblüthfarbenen) Frack ruht das breite Orangeband des ſchwar - zen Adlerordens. Die Farbe des Ordensbandes wirft einen gelben Reflex auf das ohnehin leberfarbene, wenig anziehende Geſicht des alten Generals, deſſen Griesgrämigkeit unter dieſem Reflex noch zu wachſen ſcheint.

1793 ſtarb General von Prittwitz, 1799 ſeine Witwe; Qui - litz blieb aber noch eine Reihe von Jahren hindurch in Händen der Familie und zwar im Beſitz des Geh. Finanzraths Friedrich Wilhelm Bernhard von Prittwitz, geb. 1764, geſt. 1843, älteſten Sohnes des Generals. Herr von Prittwitz ſtand zu Hardenberg und Stein in naher Beziehung, nahm aber 1808 ſeinen Abſchied und lebte ſeitdem ganz in Quilitz, bis er die Herrſchaft 1810 an den Staat verkaufte (mittelſt Tauſch), und dafür die frühere Probſtei Caſimir im Leobſchützer Kreiſe Oberſchleſiens erwarb.

Aus dieſen Jahren, wo von Prittwitz der jüngere, die Herr - ſchaft inne hatte, wiſſen wir wenig von Quilitz zu erzählen, es ſei denn, daß in den Jahren von 1801 bis 1803, der damals 20jährige Schinkel hier ſeine erſten architektoniſchen Verſuche machte. Er begann mit dem Kleinſten, und zwar mit zwei Wirthſchafts - gebäuden, von denen das eine auf dem Vorwerk Stuthof, das andere auf dem Vorwerk Bärwinkel errichtet wurde, zwei Ortsnamen, die faſt noch weniger, wie die Aufgabe ſelbſt, im Stande waren, ſeinen Genius zu beflügeln. Aber dieſer war eben da und bewies ſich im Kleinen, wie er ſich ſpäter im Großen be - wies. Wenn an dieſen frühſten Bauten Schinkels (nur ein Gar - tenſaal im Flemming’ſchen Schloß zu Buckow iſt noch älter) etwas zu tadeln iſt, ſo iſt es das, daß der Genius des jungen Baumei - ſters, der Zug nach idealeren Formen ſich hier an der unrechten Stelle zeigt. Dieſe Wirthſchaftsgebäude machen etwa den Eindruck, wie wenn ein junger Poet einen wohlſtyliſirten und bilderreichen Brief an ſeine Wirthsfrau oder deren Tochter ſchreibt. Der Styl, die Sprache, ſind an und für ſich unangreifbar, nur die Gelegen -424 heit für den poetiſchen Ausdruck iſt ſchlecht gewählt; Gemeinplätze wären beſſer. Schinkel ſelbſt, der ja in ſpäteren Jahren ſo vor - zugsweiſe die Anlehnung an das Bedürfniß predigte, würde dieſe, einer höheren Form huldigenden Wirthſchaftsgebäude, ſpeciell das auf dem Vorwerk Bärwinkel, zwar mit Intereſſe, aber ſicherlich auch mit Lächeln wieder betrachtet haben. Indeſſen, wie jugendlich immer, ex ungue leonem. Je unverkennbarer dies hervortritt, um ſo auffallender iſt es, daß eine Zuſchrift an Herrn von Wolzo - gen, den Herausgeber der Schinkel’ſchen Briefe, gerade dieſes in - tereſſante, aus Raſeneiſenſtein und Eiſenſchlacken (als Ecken-Gar - nirung) errichtete Wirthſchaftsgebäude in Bärwinkel, dem Zimmer - meiſter Tietz aus Friedland und dem Maurermeiſter Neubarth aus Wriezen hat zuſprechen wollen. Herr von Wolzogen hält dieſer Zuſchrift gegenüber ſeine urſprüngliche, auf einen Ausſpruch Waa - gens geſtützte Anſicht zwar aufrecht, aber doch mit einer gewiſſen Unſicherheit, die, wir zweifeln nicht daran, beim Anblick des Ge - bäudes ſelbſt, ſofort der feſten Ueberzeugung Platz machen würde: dies iſt von Schinkel, und von niemand andrem. Es iſt ſehr die Frage, ob die architektoniſchen Kräfte zweier kleiner Städte auch jetzt ſelbſt, nachdem Schinkel eine Schule in dieſen Landen herangebildet hat, fähig ſein würden, einen ſo originellen, alle überkommene Schablone vielleicht nur allzuſehr verleugnenden Bau aufzuführen, damals aber (1803) vermochten es die verein - ten Baukräfte von Friedland und Wriezen ſicherlich nicht. Ich neige mich ſogar der Anſicht zu, daß die originelle Verwendung von Schlacke und Raſeneiſenſtein, eines Materials, das hierlandes nie als Baumaterial verwendet worden iſt, dort aber zufällig zur Hand war, allein ſchon als Beweis dafür dienen darf, daß der Bau von Schinkel herrühren muß. Gerade in dieſer genialen Be - nutzung des zufällig Gebotenen war er ja ſo hervorragend. Das Ganze (ein Molkenhaus) hat die Form einer Baſilika: ein Hochſchiff und zwei niedrige Seitenſchiffe. Wenn aber eine Baſi - lika die prachtvolle breite Giebelwand nach vorne ſtellt, und dieſelbe als Portal benutzt, ſo hat Schinkel bei dieſem Bau das umge -425 kehrte Arrangement getroffen. Er hat die Giebelwand als Hinter - grund (woran ſich nun das Gebäude lehnt), die Apſis aber nach vorne genommen, die nun als Eingang dient. Was alles auch ſich gegen ſolches Baſilika-Molkenhaus ſagen laſſen mag, darüber kann kein Zweifel ſein, daß Friedland-Wriezen damals ſolchen Einfalls nicht fähig war.

[Neu-Hardenberg (Quilitz) ſeit 1814.]

1810, wie bereits erwähnt, war Quilitz aus den Händen des jüngeren Prittwitz in den Beſitz der Krone übergegangen, aber nur auf kurze Zeit verblieb es bei derſelben. Wie 1763 dem Ge - neral von Prittwitz, ſo wurde Quilitz im November 1814 dem Fürſten-Staatskanzler von Hardenberg als Dotationsgut verliehen, und der alte Name Quilitz, ihm zu Ehren, in Neu-Harden - berg umgeändert. Der Fürſt beſaß es ſammt 13 andern Gütern, die zuſammen die Herrſchaft Neu-Hardenberg bilden, bis zu ſei - nem am 26. November 1822 in Genua erfolgten Tode; um welche Zeit, nach dem Recht der Erſtgeburt, der geſammte Beſitz an den Sohn des Staatskanzlers, den Däniſchen Geheimen Con - ferenzrath Grafen von Hardenberg-Reventlow kam. Dieſer ſtarb am 16. September 1840 ohne männliche Nachkommen, und die Herrſchaft fiel nunmehr dem nächſten Erbberechtigten, dem Grafen Carl Adolf Chriſtian von Hardenberg, zu. Dieſer, ein Neffe des Fürſten Staatskanzlers, iſt der gegenwärtige Beſitzer des geſamm - ten Gütercomplexes.

Der Fürſtſtaatskanzler war 8 Jahre lang im Beſitz von Neu - Hardenberg; es ſcheint jedoch, wenn wir (was ohne große Schwie - rigkeit möglich iſt) den Verlauf ſeiner letzten Lebensjahre von Mo - nat zu Monat verfolgen, daß er nicht allzuviele Mußetage für eine Villeggiatur auf ſeinen Gütern fand. Nur von wenigen Fäl - len haben wir eine beſtimmte Kunde, z. B. von ſeinem Einzug in Quilitz (wahrſcheinlich im Sommer 1816) und von der Feier ſeines 70jährigen Geburtstages am 31. Mai 1820. Ueber den Einzugstag leben noch einige Traditionen fort, dämmernde Bilder von Triumphbogen und Eichenlaubguirlanden, von Spalierbilden -426 der Jugend und plattdeutſchen Empfangsgedichten, die letzteren von den zwei hübſcheſten Mädchen des Dorfs in ihrer wendiſchen Nationaltracht vorgetragen. Aber hiermit ſchließt die Reihe der halbverblaßten Bilder ab, die in der That nur durch den Qui - litzer rothen Friesrock ein beſtimmtes Colorit erhalten. Mehr ſchon wiſſen wir von dem 70. Geburtstag, wiewohl der Fürſt beſchloſſen hatte, ihn in Stille zu feiern. Mancher Gratulant traf ein; unter dieſen Beglückwünſchenden, freilich brieflich nur, auch Goethe. Die Zeilen die er ſchrieb (wie wir offen geſtehen müſſen, von min - deſtens ſchwerverſtändlicher Natur) waren folgende:

Wer die Körner wollte zählen,
Die dem Stundenglas entrinnen,
Würde Zeit und Ziel verfehlen
Solchem Strome nachzuſinnen.
Auch vergehn uns die Gedanken,
Wenn wir in Dein Leben ſchauen,
Freien Geiſt in Erdesſchranken,
Feſtes Handeln und Vertrauen.
So entrinnen jeder Stunde
Fügſam glückliche Geſchäfte.
Segen Dir von Mund zu Munde!
Neuen Muth und friſche Kräfte.

Am 13. Oktober 1817 hatte die feſtliche Einweihung der durch Schinkel reſtaurirten Neu-Hardenberger Kirche Statt, und das Intereſſe das der Staatskanzler von Anfang an dieſer Kirche wid - mete (er vermachte ihr eine Dotation und fehlte nie beim Gottes - dienſt), läßt darauf ſchließen, daß er bei dieſer Einweihung zuge - gen war.

Auch ein anekdotenhafter Vorfall mit ſeinem Schwiegerſohn, dem Fürſten Pückler, zeigt uns den Fürſten in ſeinem Harden - berger Schloß. Der Park hinter dem Hauſe war bei jedem Beſuch ein Punkt freundſchaftlichen Disputs zwiſchen Schwiegervater und Schwiegerſohn. Das feine Auge des letztern hatte ſeit lange gegen427 die altfränkiſch-ſteife Anlage, die damals noch exiſtirte, proteſtirt, und das in andrem Sinne feine Gefühl des Schwiegervaters hatte mit gleicher Beharrlichkeit die Neuerungen abgelehnt, weil dieſe Neuerungen gleichbedeutend waren mit Entfernung eines Dutzend der allerſchönſten Bäume. Davon wollte der Staatskanzler nichts wiſſen; man ſieht, er hatte auch ſeine Pietät. Der Schwiegerſohn, da jegliche Ueberredung ſcheiterte, ſchritt endlich auf jede Gefahr hin zur That und Abhülfe. Ein Kreis der Nächſtſtehenden war bei Tiſch verſammelt, und in dem ſchon erwähnten Gartenſalon aus der Prittwitz-Zeit herrſchte jene Tafelheiterkeit, an der das Herz des Fürſten hing und auf deren Pflege und Hervorrufung er ſich ſo wohl verſtand. Nun war das Mahl beendet und Wirth und Gäſte traten auf die Veranda hinaus, die den Blick hat auf Wieſe und Park und Monument. Der alte Fürſt ſtand wie ge - troffen, das war der Park nicht mehr, wie er noch vor drei Stunden geweſen war, ja, deſſen große Allee er noch vor Tiſch in heitrem Geplauder durchſchritten hatte. In der That, der Park war während der Stunden des Diners ein andrer geworden, ein ſolcher, wie er jetzt iſt, wie er nach des Schwiegerſohns Anſicht werden mußte. Eine Allee war verſchwunden und wo ein Els - bruch war, war eine Parkwieſe entſtanden, an deren Ausgang das Waſſer des Canals blitzte. Der Fürſt, im erſten Augenblick ſicht - lich unangenehm berührt, war doch guter Wirth und guter Schwie - gervater genug, um gute Miene zum böſen Spiele zu machen und die jetzigen Beſucher mögen ſich des Einfalls freuen. Wir entneh - men dieſer kleinen Scene aber unter anderm abermals das Fak - tum einer längeren oder kürzeren Anweſenheit des Staatskanzlers auf ſeinem Neu-Hardenberger Schloſſe.

Gleichviel indeß, wie oft und wie lange er zu einem Aufent - halte in Neu-Hardenberg Muße fand, jedenfalls war von Anfang an ſein Auge, ſeine Sorgfalt dieſem neuen Beſitze zugewandt und Schloß, Park, Kirche ſind in ihrer jetzigen Geſtalt ſeine Schöpfung.

Machen wir zunächſt einen Rundgang durch die Zimmer des Schloſſes. Wir werden hier einer reichen Anzahl von Kunſtſchätzen428 begegnen, denen wir unſere Aufmerkſamkeit zuzuwenden haben. Das Schloß erinnert, nach dieſer Seite hin, zumeiſt an Schloß Tegel, wiewohl das letztere ſowohl der Zahl, als dem Werth der Kunſtſchätze nach, vor Neu-Hardenberg den Vorrang behauptet. Viel - leicht wäre dies anders, wenn das Schloß alle die Kunſtſchätze um - ſchlöſſe, die daſſelbe umſchließen könnte und umſchließen würde, wenn nicht eine großmüthige Laune des Staatskanzlers, dieſen um einen derartigen Beſitz gebracht hätte.

Es hat das folgenden Zuſammenhang. Der Staatskanzler hatte lange bevor ihm die Herrſchaft Neu-Hardenberg zufiel bereits im Jahre 1804 das im Lebuſiſchen Kreiſe gelegene Gut Tempelberg käuflich an ſich gebracht und daſelbſt ein Schloß auf - geführt, das zu altem anererbten Hardenbergſchen Familienbeſitz auch noch jene Fülle von Kunſtſchätzen umſchloß, die der kunſtlie - bende Fürſt auf ſeinen Wanderungen durch Europa an ſich gebracht hatte. *)Es war dies eine Fülle von Dingen. Vieles, namentlich Bilder und Stiche, hatte er in früheren Jahren ſchon in England gekauft, an - dres rührte aus der Zeit ſeiner Anspach-Baireuther Verwaltung her. Es iſt bekannt, mit welchem Eifer er die Archive jener Landestheile durchfor - ſchen ließ; von allem nahm er Abſchrift; eins der wichtigſten Reſultate dieſer Unterſuchungen war die Auffindung der Memoiren der Markgräfin von Baireuth. Ein feiner, literariſch-aeſthetiſcher Sinn, ein Sinn für das Sammeln hiſtoriſcher Erinnerungsſtücke, oder auch bloßer Curioſitäten, begleitete ihn durchs Leben. In ſehr charakteriſtiſcher Weiſe zeigte ſich dies im Jahre 1786, unmittelbar nach dem Tode Friedrichs des Großen, wo er (damals in Dienſten des Herzogs Ferdinand von Braunſchweig) das in Braunſchweig deponirte Teſtament des Königs nach Berlin brachte und ſich als Belohnung lediglich eins der Windſpiele des großen Königs erbat.Es war dies eine außerordentlich werthvolle Sammlung. Das Beſte derſelben ging nach der Schlacht bei Jena verloren. Davouſt, auf ſeinem Raub - und Siegeszuge durch die Mark, ließ vier Wagen voll dieſer Kunſtſchätze nach Paris ſchaffen**)Davouſt war wohl kein Mann der Literatur. Dieſer Umſtand mag es erklären, daß er ſich mit der Wegführung glänzender, als werth - voll in die Augen ſpringender Kunſtwerke begnügte und die 16,000 Bände zählende Bibliothek in Tempelberg zurückließ. Ebenſo entging ſeinem Auge und als429 im Jahre 1814 die Rückgabe all deſſen erfolgte, was Napoleon in zehn Siegesjahren mit nach Paris geſchleppt hatte, leiſtete der Fürſtſtaatskanzler auf die Rückforderung deſſen, was ihm genom - men worden war, Verzicht. Welche Gründe ihn dabei leiteten, iſt nicht recht klar; doch ſcheint es, daß er in jener vornehmen Fein - fühligkeit, die ihm allerdings eigen war, von Rückforderung des Seinigen Abſtand nahm, um die Wiedererſtattung deſſen, was an - deren (auch dem Staate) genommen worden war, mit um ſo mehr Nachdruck, weil mit größerer Unbefangenheit betreiben zu können. So blieb denn der größte Theil jener Kunſtſchätze, die einſt die Säle von Schloß Tempelberg geſchmückt hatten, in Paris zurück, und nur die durch Davouſt zurückgelaſſenen Reſte wurden 1814 von Tempelberg nach Neu-Hardenberg hinübergeſchafft. Al - lerdings wurde um dieſelbe Zeit, ſo wie auch in den folgenden Jahren bis zum Tode des Staatskanzlers, dieſe Sammlung durch einzelne Ankäufe und Geſchenke (wir werden mehrere derſelben ken - nen lernen) wieder erweitert, aber immerhin blieb ſie nur ein Bruchſtück der alten Herrlichkeit.

Wir ſchreiten nun dazu, dieſe Bruchſtücke, zumal Portraits und Bilder, in Augenſchein zu nehmen.

Im Billardzimmer.

1) Alte Familienportraits des freiherrlichen Hauſes Harden - berg, bis zurück ins 16. Jahrhundert. Das älteſte und deshalb intereſſanteſte dieſer Bilder iſt klein, nicht ganz handhoch und zeigt die Jahreszahl 1558. Es ſtellt dar: Eler Hardenberg, ſeines Al - ters 62 Jahr.

2) Portrait des Staatskanzlers; von dem franzöſiſchen Maler Quinzon. (Naglers Künſtlerlexicon bringt dieſen Namen nicht, auch keinen ähnlich klingenden, ſo daß ich, hinſichtlich der Recht - ſchreibung nicht ſicher bin.)

**)eine Anzahl Mappen mit alten, zum Theil ſeltnen Stichen gefüllt. Bi - bliothek und Kupferſtich-Mappen befinden ſich noch im Neu-Hardenberger Schloß.
**)430

3) Portrait des Sohnes des Staatskanzlers, damals etwa 15 Jahr alt. Ein ſehr hübſches Bild. (Chriſtian Heinrich Auguſt Graf von Hardenberg-Reventlow, einziger Sohn des Fürſten-Staatskanzlers aus ſeiner erſten Ehe mit Friederike Ju - liane Chriſtiane Gräfin von Reventlow, wurde am 19. Februar 1775 geboren und ſtarb als däniſcher Hofjägermeiſter und Gehei - mer Conferenzrath am 16. September 1840. Er war von Jugend auf in den däniſchen Dienſt getreten. Im Jahre 1814 führte dies zu einer eigenthümlichen Begegnung, wie ſie die Annalen der Di - plomatie vielleicht nicht zum zweiten Male aufzuweiſen haben. Am 25. Auguſt des genannten Jahres wurde zwiſchen Preußen und Dänemark (das bekanntlich auf franzöſiſcher Seite gefochten hatte) der Friede zu Berlin geſchloſſen. Die Beauftragten waren Vater und Sohn: der Staatskanzler Fürſt Hardenberg für Preußen, der Geheime Conferenzrath Graf Hardenberg-Reventlow für Däne - mark. Der letztere verblieb in däniſchem Dienſt und ging darin ſo weit, daß er ſogar auf den Fürſtentitel verzichtete, als ihm, nach dem im November 1822 erfolgten Tode ſeines Vaters, die Herrſchaft Neu-Hardenberg zugefallen war. Man hat preußiſcherſeits dies kühle ablehnende Verhalten getadelt, eine Ablehnung, die im Weſentlichen ſagte: ich zieh es vor, ein däniſcher Graf zu blei - ben. Aber wenn es dieſem Verhalten des Sohnes allerdings an Verbindlichkeit gegen Preußen gebricht, ſo geziemt ſich doch andrer - ſeits die Frage: war der Sohn zu ſolcher Verbindlichkeit überhaupt verpflichtet? Man darf wohl antworten: nein . Der jüngere Hardenberg war ein geborner Hannoveraner, ſeine Mutter war eine Dänin. Als ſein Vater (der ſpätere Fürſt) in den preußiſchen Staatsdienſt trat, gehörte er (der Sohn) bereits mit Leib und Leben dem däniſchen Staate an. Wenn durchaus eine Schuld ge - funden werden ſoll, ſo liegt ſie jedenfalls nicht bei dem Sohne, ſondern in häuslichen Verhältniſſen, die er am wenigſten ändern konnte. 1787 oder 88 trennten ſich bereits die Eltern und die begleitenden Umſtände, vor allem die bald erfolgende Wiederver - heirathung des Vaters, ließen es rathſam oder ſelbſt geboten er -431 ſcheinen, daß der erſt 12jährige Sohn der Mutter folgte. Unter Einfluß und Leitung des Vaters wäre er natürlich preußiſch geworden, dieſer Leitung indeß enthoben, war es ſelbſtverſtändlich, daß die däniſche Ausſaat auch däniſche Frucht trug.)

Neben dem Billardzimmer.

1) Die alte Burg Hardenberg im Hannoverſchen, wie ſie noch vor etwa 150 Jahren war.

2) Die jetzige Burg Hardenberg (Ruine).

3) Ein eingerahmtes Blatt mit den oben mitgetheilten Verſen Goethe’s, die derſelbe zum 70jährigen Geburtstag des Staatskanz - lers an dieſen richtete.

Im Gartenſalon und dem angrenzenden Zimmer.

1) Große Malachit-Vaſe; Geſchenk des Kaiſers von Rußland.

2) Portrait Friedrich des Großen; von Bardou (ſchon er - wähnt; vielleicht aus der Prittwitz-Zeit).

3) General von Prittwitz.

4) Portrait des Staatskanzlers aus der Zeit ſeines erſten oder zweiten Aufenthalts in England (1772 oder 81). Ein Pa - ſtellbild von Benjamin Weſt.

5) Napoleon; von Gerard.

6) Blücher; ein Geſchenk von dieſem ſelbſt an den Staats - kanzler.

7) Friedrich Wilhelm III. (jung) in öſterreichiſcher Huſaren - uniform.

8) Ein prachtvoller Moſaikkopf, der, von Hardenberg etwa zwiſchen 1790 und 1805 angekauft, durch einen Zufall dem Auge Davouſt’s entging und der Tempelberger Sammlung verblieb. Von dort kam er 1814 nach Neu-Hardenberg. Es iſt eine vor - zügliche Arbeit: ein Frauenkopf (halb Profil) von weißem Teint und dunkelblondem Haar. Die Lippen ſinnlich, die Augen groß und ſchwärmeriſch; dazu (als einziger Schmuck) ein Halbmond auf der ſchönen Stirn. Ich habe nicht in Erfahrung bringen kön - nen, welcher Zeit das Bild angehört, auch nicht, wen es darſtellt. Doch glaube ich nicht zu irren, wenn ich es für einen Kopf der Beatrice Cenci halte, die hier im Coſtüm der Diana auftritt.

432

9) Ein großes Moſaikbild: Die Tempelruinen von Paeſtum. Ein Geſchenk, das Papſt Pius VI. etwa um 1820 an den Fürſten-Staatskanzler machte. Das Bild iſt etwa 4 Fuß lang und 1 Fuß hoch. Ein breiter Rahmen umgiebt es, der oben, als beinah fußhohes Ornament, das päpſtliche Wappen trägt. Die drei Tempelruinen nehmen die Mitte des Bildes ein; rechts Baum - gruppen in friſcheſtem Grün, links Trümmerreſte unter wucherndem Strauchwerk; im Hintergrund Bergzüge, vorn ein paar Geſtalten. Das Bild wurde bei ſeinem Eintreffen in Berlin ſo ſchön gefun - den, daß König Friedrich Wilhelm III. ein gleiches oder ähnliches zu haben wünſchte, und deshalb in Rom unter der Hand anfragen ließ: was der Preis eines ſolchen Moſaikbildes ſei? Die Rückant - wort (wahrſcheinlich Niebuhrs) lautete: 6000〈…〉〈…〉. Als bei Hofe über dieſe Summe geſprochen wurde, ſoll der alte General von Rohr halb erſchrocken, halb treuherzig bemerkt haben: aber doch mit dem Rahmen.

Im Eßzimmer.

1) Eine Landſchaft von Schinkel. Im Hintergrunde die Ruinen der Burg Hardenberg. Ein Feſtzug (Landvolk, geſchmückte Stiere ꝛc. ) kommt den Hügel herab und bewegt ſich, an einer al - ten Eiche vorbei, einem Ceres - oder Pomona-Bilde entgegen. (Eine Copie befindet ſich in der Wagner-Gallerie zu Berlin.)

2) Eine Mondlandſchaft von van der Neer. Ein vorzügliches Bild (braun im Ton), von Schinkel, bei ſeinen Beſuchen in Neu - Hardenberg, immer ſehr bewundert.

3) Luther; von Holbein.

4) Katharina von Bora; von Holbein. Auf der Rückſeite dieſes Bildes (auf Holz gemalt) befindet ſich ein zweites Bild und zwar ein Todtenkopf. Unter demſelben ſtehen, auf einem ſauber gemalten Zettel, folgende Worte:

Entgèn den tot is kein ſchilt
Darum leebe als Du ſterve wilt.

Entgen meint entgegen oder gegen; ſchilt iſt Schild.

433

5) Eine Maria mit dem Kinde. Wie es heißt, von Rubens, aber andern Bildern des Meiſters ſehr unähnlich.

6) und 7) Zwei kleine Landſchaften (ſehr blau im Ton) vom Landſchafts-Breughel.

8) und 9) Zwei Landſchaften von Nicolaus Berghem.

10) Die Feuerprobe der Kaiſerin Kunigunde (Gemahlin des Gegenkaiſers Rudolph); ein figurenreiches Bild von Lucas Kranach. Der Kaiſer, ein Biſchof, Rathsherrn und Edelfräulein ſtehen zur Seite der Kaiſerin; dieſe, als Zeichen ihrer Treue, legt eben ihre Finger in den Rachen eines glühenden Löwen.

11) Violinſpieler; von van den Boſch.

12) Wirthshausſcene; von Teniers. Ein Stammgaſt der niedrigſten Sorte legt, voll bedenklichen Einverſtändniſſes, ſeine Hand auf die Schulter der Wirthin, einer runzlichen alten Weibs - perſon, deren Kopf in einer Nachtmütze ſteckt. Der Stammgaſt und wie es ſcheint Galan, hält ihr das Glas hin und ſie ſchenkt ein. Ein Alter, muthmaßlich der Ehemann, blickt aus einem kleinen Alkoven-Fenſter, mit ſauerſüßem Geſicht, der Scene zu. Die Alte in der Nachtmütze iſt vortrefflich.

13) Ein Bürger - oder Rathsherrnkopf; von Rembrandt. Das Prachtſtück der Sammlung.

14) Die Adamiten; von Rubens. Etwa 12 Weiber und 3 oder 4 Männer ſind gemeinſchaftlich, wie es die Sekte vor - ſchreibt, im Bade. Als im Jahre 1840, bei Uebernahme des Schloſſes, auch die Bildergallerie gerichtlich taxirt wurde, hatte der Wriezener Aktuarius dieſes Bild wie folgt bezeichnet: Nackte Weibsbilder von einem gewiſſen Rubens. 15 Sgr.

Unſer letzter Beſuch gilt der Kirche.

Sie wurde, wie ſchon bemerkt, in den Jahren 1816 und 1817 durch Schinkel reſtaurirt und im October 1817 eingeweiht. Schinkel ließ von dem alten Bau wohl nur die Umfaſſungsmauern ſtehen; der Thurm (wenigſtens die obere Hälfte deſſelben), das Mauſoleum und die innere Einrichtung der Kirche ſelbſt, ſind ſein28434Werk. Der Thurm iſt ein Curioſum; auf dem Unterbau deſſelben, der etwa bis an den Dachfirſt reicht, hat er eine niedrigere Etage aufgeſetzt, dieſer Etage aber nicht die Form eines Würfels, ſondern eines niedrigen, von zwei Seiten her zuſammengepreßten Cylinders gegeben. Das Ganze ſieht etwa aus, und entſpricht auch ziemlich den Proportionen, wie wenn man ein ovales Serviettenband auf eine oblong geformte Theebüchſe ſtellt. Wie Schinkel zu dieſem Curioſum gekommen iſt, iſt ſchwer zu ſagen. Er hielt, der bloßen Theorie gegenüber, viel vom ausprobiren; erwieſen iſt es, daß er Dinge, die in der Zeichnung ſeinen Beifall hatten, hinterher änderte, weil er fand, daß ſie in Subſtanz und Wirklichkeit ſich anders ausnahmen, als im Bilde. Dieſe oft gemachte Erfahrung konnte ihn, in einem einzelnen Falle, leicht dahin führen, überhaupt ſich mal auf’s Probiren zu legen und etwa zu ſagen: ſo vieles, was die Theorie gut heißt, macht ſich hinterher ſchlecht; ſei es des - halb mal verſucht, ob nicht das, was die Theorie verwirft, ſich hinterher gut präſentirt. So ſetzte er (wenn wir überhaupt rich - tig erklärt haben) eine elliptiſche Etage auf einen oblongen Unter - thurm. Aber freilich war es ein mißglückter Verſuch. Wir zweifeln nicht, daß er ihn ſpäter ſelber als ſolchen angeſehen hat.

An der entgegengeſetzten Giebelwand der Kirche befindet ſich das Mauſoleum. Es iſt, wie alle ähnlichen Werke Schinkels, ein durchaus griechiſcher Bau: doriſche Säulen tragen ein Giebel - feld. Die Anlage iſt in gewiſſem Sinne eigenthümlich und verhält ſich zu einem frei und ſelbſtſtändig daſtehenden Mauſoleums-Bau (etwa nach Art des Chorlottenburgers), wie ſich ein Hautrelief zu einer vollen, plaſtiſchen Figur verhält. Der Bau ſteckt nämlich ſcheinbar in der Kirchenwand und ſpringt aus derſelben nur zum kleinſten Theil hervor. Es iſt die bloße Front eines Mauſoleums.

Das Innere der Kirche, bis zu einem gewiſſen Grade an den Berliner Dom erinnernd, und in der That genau um dieſelbe Zeit (1817) aufgeführt, in der Schinkel die Reſtaurirung des alten Doms leitete, iſt hell, geräumig, lichtvoll, ein wenig nüchtern; das Ganze mehr ein Betſaal, als ein Kirchenſchiff. Eigen -435 thümlich iſt der Altar. Hinter demſelben, die Kirche chorartig ſchlie - ßend, erhebt ſich eine hohe Niſchen-Wand, deren halbkreisförmige Fläche durch gemalte Säulen in verſchiedene Felder getheilt wird. Es ſind ihrer fünf. Aus dem Mittelfelde ſpringt die Kanzel her - vor, nach rechts und links hin von den vier andern Feldern flan - kirt. In dieſen vier Feldern befinden ſich die Coloſſalfiguren der vier Evangeliſten, und zwar Johannes und Lucas zur Linken, Matthäus und Marcus zur Rechten der Kanzel. Die Bilder ſind von ungleichem Werth; Matthäus, Johannes, Lucas laſſen viel zu wünſchen übrig; der Marcus, wenn ich nicht irre, nach Michel Angelo, iſt vorzüglich. Sie rühren von einem gewiſſen Bertini her, den der Staatskanzler (bekanntlich ein Mäcen der ſchönen Künſte) nach Italien ſchickte, um dieſe Bilder nach den Vorbildern großer Meiſter zu fertigen. Sie ſind, wie geſagt, nicht alle gut, aber auch wie ſie ſind, bilden ſie jedenfalls einen Bilderſchmuck, wie er derart, nach der Seite des Künſtleriſchen hin, in mär - kiſchen Dorfkirchen ſchwerlich zum zweiten Male angetroffen wird.

Der Altar der Kirche birgt noch eine andre Sehenswürdig - keit: das Herz des Fürſten-Staatskanzlers. Auf einem Kiſſen ruht es, von einer Glasglocke umſchloſſen. Der Schrein aber, der das Ganze einſchließt, trägt an ſeiner Außenſeite folgende Ottaverim - Strophe als Inſchrift:

Des Fürſten Herz, das liebend treu geſchlagen
Für ſeinen König und für’s Vaterland,
Das in den ſchweren, blut’gen Kampfestagen,
Wo vielen auch die letzte Hoffnung ſchwand
Durch Muth und Weisheit ſtark, in kühnem Wagen
Des Vaterlandes Ruhm und Rettung fand,
Und nach vollbrachtem Werk, gebaut dem heilgen Worte
Des Herrn den Tempel hier das ruht an dieſem Orte.

Dieſe Strophe, die dem Andenken des Fürſten eine maßvolle und wohlverdiente Huldigung darbringt, böte eine ſchickliche Gele - genheit, wenigſtens den Verſuch einer Charakteriſtik zu wagen. Ich nehme aber Abſtand davon. Was ich ſagen könnte, iſt oft geſagt;28*436Neues, Schärferes, Zutreffenderes kann nur von denen geſagt werden, die im Vollbeſitz des Materials ſind und zu voller Ein - ſicht in den Charakter, auch einen wirklichen direkten Einblick in alles Geſchehene, in die Dinge und ihre Motive mitbringen. Eine ſolche Charakteriſtik des Fürſten gehört der Zukunft an. Eines aber möge hier, wie ein nicht abzuweiſendes Bekenntniß, ſeinen Ausdruck finden, die Ueberzeugung, daß, ſoweit menſchliches Wiſſen und Erkennen reicht, Hardenberg ein auserwählter Mann war, ein Mann, dem nach dem Rath und Willen Gottes die Aufgabe zu - fiel, die Rettung unſeres Vaterlandes glücklich durchzuführen. Selbſt ſeine Schwächen leiſteten dieſer Aufgabe Vor - ſchub. Ein bloßer sans peur et sans reproche (etwa wie Stein oder Marwitz, zu denen wir freilich freudiger und geho - bener aufblicken) hätte es muthmaßlich nicht vermocht. Der Fürſt war kein sans reproche; ſeine Fehler liegen zu Tage. Man braucht kein moraliſcher Herrſchel zu ſein (wie ſein Biograph ſich ausdrückt), um dieſe Fehler mühlos zu entdecken. Aber dieſe Mi - ſchung von Edlem und minder Edlem, von Schlauheit und Offen - heit, von Nachgiebigkeit und Feſtigkeit, war genau das, was die Situation erheiſchte. Eigenſinn und Prinzipienreiterei hätten uns verdorben. Sein Leben (Vorbild oder nicht) hat uns gerettet; wie er ſelber in Beſcheidenheit hinzuſetzen würde: durch die Gnade Gottes.

[437]

Friedland.

Der Nixen muntre Schaaren, Sie ſchwimmen ſtracks herbei, Nun einmal zu erfahren Was in den Mauern ſei.
(Uhland. )

Alt-Friedland, vormals Kloſter-Friedland, bildet die zweite Hälfte des Beſitzes, den Markgraf Carl von Schwedt in dieſen Gegenden, d. h. am Rande des Oderbruchs inne hatte. Die an - dere Hälfte war Quilitz (Neu-Hardenberg) von dem wir im vo - rigen Kapitel geſprochen.

Friedland war in alten Zeiten ein Nonnenkloſter des Ciſter - zienſer-Ordens, deſſelben Ordens, der die erſten Anfänge der Cul - tur in das Land zwiſchen Elbe und Oder trug, den Ackerbau ſchuf und, wie das Land wirthbar machte, ſo auch das Volk be - lehrte und unterwies. Was die Geſchichte dem Ciſterzienſer-Orden im Allgemeinen nachrühmt, das traf innerhalb der Marken (d’rin alles wüſt und leer war) in verdoppeltem Maße zu. Die Ciſterzienſer waren frei von jener geiſtigen Zerſtreutheit, welche damals die gewöhnliche Folge ſcholaſtiſcher Streitig - keiten war. Sie waren ausgezeichnete Landwirthe, immer voran mit ihrer Hände Arbeit. Aber ihrer Hände Arbeit beſtand nicht blos außerhalb der Kloſtermauern im Ausroden des Waldes, im Fällen der Bäume, im Umgraben der Erde, ſondern auch in - nerhalb des Kloſters im Abſchreiben der Bücher. Sie brach -438 ten nicht nur das Chriſtenthum, ſie brachten auch die Cultur: ſie bauten, ſie lehrten. Dabei waren ſie vor anderen ausgezeichnet in der Kunſt der Bekehrung. So beſchreibt ſie die Geſchichte des Ordens.

Wann Kloſter Friedland gegründet wurde, iſt nicht mehr mit Beſtimmtheit feſtzuſtellen, da im Jahre 1300 das alte Kloſter (zum Theil) ſammt ſeinen Urkunden verbrannte. Doch läßt ſich nachweiſen, daß es bereits ziemlich lange vor 1271 beſtand, alſo durchaus in die erſte Zeit der Germaniſirung dieſer Landestheile zurückreicht. Der Evangeliſt Johannes war der Schutzheilige des Kloſters; die Kloſterkirche war der heiligen Jungfrau geweiht.

Wahrſcheinlich in demſelben Jahre (1300), in dem das alte Kloſter niederbrannte, wurde auch bereits mit dem Aufbau eines neuen begonnen. In eben dieſem Jahre wurde eine Urkunde aus - geſtellt, worin Markgraf Albrecht dem Kloſter ſeinen alten Beſitz beſtätigte. Wir erſehen daraus, daß Kloſter Friedland damals fol - gendes beſaß: das Städtchen (jetzt Dorf) Friedland; ferner die Dörfer Ringenwalde, Biesdorf und Lüdersdorf; ferner Antheile an den Dörfern Metzdorf, Löwenberg, Beiersdorf, Börnecke, La - deburg, Klein-Barnim und Marzahne; ferner (ganz oder theil - weis) die Alebrand-Mühle bei Friedland, die Lapenow’ſche Mühle bei Ringenwalde und die Dornbuſch-Mühle bei Bliesdorf. Beſonders reich aber war Kloſter Friedland an ſchönen Seen, deren Fiſch-Ertrag für die frommen Jungfrauen ausgereicht haben würde, wenn auch das ganze Jahr aus Faſttagen beſtanden hätte. Das Kloſter beſaß nämlich: den Kloſter - und Kiezer-See bei Friedland, den Großen und Kleinen Tornow-See bei Probſthagen (jetzt Pritzhagen), den Griepen-See, den Buckow’ſchen See, den Weißen-See und zum Theil den Großen Schermitzel-See, alle vier bei Buckow gelegen. Dazu geſellte ſich ein Weinberg bei Wriezen und von Seiten der obengenannten Dornbuſchmühle die Verpflich - tung: den Nonnen zu Friedland täglich vor Sonnen - aufgang eine warme Semmel zu liefern. Dieſe warme439 Semmel gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo - ſterlebens.

Es ſcheint indeſſen bei dieſen und ähnlichen Gemüthlichkeiten nicht ſein Bewenden gehabt zu haben, denn die nächſte Urkunde (freilich 85 Jahre ſpäter) iſt bereits darauf aus, durch Ordinatio - nen und Befehle dem um ſich greifenden Sittenverfall zu ſteuern. Es war die Zeit, wo die ſtrenge Kloſterregel überall einer mil - den Praxis zu weichen begann, ganz beſonders in der Mark, wo die urſprüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter der bairiſchen und luxemburgiſchen Herrſchaft, neu hervor zu bre - chen begann. Auch die Klöſter wurden davon berührt. Einſt war das Leben innerhalb derſelben ſtark genug geweſen, nach außen hin bildend und ſittigend zu wirken, jetzt, ſchwach geworden, drang, faſt ohne auf Widerſtand zu ſtoßen, der allgemeine Sittenverfall von außen her in die Kloſtermauern ein. Das erſehen wir mit aller Beſtimmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381), der Riedel die Ueberſchrift gegeben hat: Dietrich, Biſchof von Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Kloſters Friedland. Sie iſt die wichtigſte unter allen Urkunden, die auf das Kloſter Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit derſelben be - ſchäftigen. Es iſt dreierlei, was wir aus dieſer Urkunde erſehen: 1) das Regiment des Kloſters; 2) die Thatſache des Verfalls; 3) die Mittel und Wege dieſem Verfall zu ſteuern.

1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das Regiment des Kloſters gönnend, wie folgt:

Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh - les Biſchof von Brandenburg, entbietet der in Chriſto ge - heiligten Abbatiſſin, der Priorin und dem ganzen Kloſter der heiligen Frauen in Fredelant, ſo wie auch dem ſehr ehrenwerthen Praepoſitus derſelben (d. h. dem Probſt) Gruß im Herrn und ermahnt ſie unſeren Statuten, Or - dinatorien und Mandaten feſt und treu zu gehorſamen.

Gleich dieſer erſte Satz der Urkunde belehrt uns über man - ches Abweichende. Wir ſehen zunächſt das Kloſter unter dem440 Biſchof ſtehen. Dies war nicht das Herkömmliche. Wir finden in der Geſchichte des Ciſterzienſer-Ordens folgendes: Der heilige Ste - phan (Stephan Harding, ein Engländer) hatte mit den Biſchöfen, in deren Diöceſen die Klöſter ſtanden, einen wichtigen Vertrag ge - ſchloſſen. Er verſprach ihnen nämlich, daß in ihren Sprengeln nie ohne ihre Gutheißung ein Kloſter errichtet werden ſollte, und ſie gaben ihm ihrerſeits wiederum die Verſicherung, daß ſie freiwil - lig auf ihr Recht hinſichtlich der Beaufſichtigung ver - zichten wollten. So weit die Geſchichte des Ordens. Doch iſt es möglich, daß in der Mark Brandenburg von Anfang an dieſe Dinge ſich anders (oder wenn man ſo will, wieder im Einklang mit den früheren Zuſtänden des Ordens) geſtalteten und die Klöſter, ohne Ciſteaux und das franzöſiſche Herkommen zum Mu - ſter zu nehmen, in eine Abhängigkeit von den Biſchofſitzen ein - traten.

Das andere, was in dieſem Eingangsſatz der Urkunde auf - fällt, iſt das Vorhandenſein neben der Aebtiſſin und dem Prä - poſitus einer beſonderen Priorin, während doch die Klöſter im Allgemeinen nur eine Aebtiſſin oder Priorin, aber nicht beides zugleich kannten. Ja (das ſei ſchon hier bemerkt) unſer Kloſter Friedland ſcheint in der Folge noch um einen Schritt weiter ge - gangen zu ſein, indem wir aus dem Jahre 1486 einer andern Urkunde begegnen, in der nicht nur von einem Präpoſitus, einer Aebtiſſin, einer Priorin, ſondern auch noch von einer Subprio - rin geſprochen wird. Es ſcheint faſt, daß ſich die Einrichtungen in dieſen, vom Mittel - und Ausgangspunkte des Ordens (Ci - ſteaux) weit abgelegenen Klöſtern, ſehr weſentlich anders geſtalte - ten, als in Gegenden, die dieſem Mittelpunkte näher lagen.

2. Die Urkunde fährt nun (die Thatſache des Verfalls conſtatirend) folgendermaßen fort:

Wir wiſſen und haben aus der Evidenz der Thatſachen erfahren, daß überall, wo die Herrſchaft der Zucht verach - tet wird, die Religion ſelber Schiffbruch leidet. Wir haben daher Vorſorge getroffen, damit nicht durch Verachtung441 dieſer Zucht, an denen die ſich Chriſto verlobt haben, Un - paſſendes wahrgenommen werde, was angethan iſt, dem Ruhm der Tugend und Ehrbarkeit einen Makel anzuhef - ten, oder die göttliche Majeſtät zu beleidigen. So denn haben wir, mit Uebergehung geringerer Dinge, in Nach - ſtehendem in Betracht gezogen, wie euer Zuſtand würdig und angemeſſen zu reformiren ſei.

Der Zuſtand des Kloſters war alſo der Reform bedürftig. Es ſcheint aber faſt, daß er derſelben ſogar dringend bedürftig war, denn der letzte Satz der Urkunde (nachdem aufgezählt iſt, in welcher Weiſe die Zucht und Sitte wieder hergeſtellt werden ſoll) ſchließt mit folgender Androhung:

Wer aber unter euch, ſei es im Einzelnen oder in all und Jedem, noch 12 Tage nachdem dieſe Statuten, Or - dinationen und Befehle zu eurer[Kenntniß] gelangt ſind, als frecher Verletzer oder freche Verletzerin ſich erblicken läßt, erfährt die Sentenz der Excommunikation, von wel - cher der Betroffene, es ſei denn er ſtürbe (nisi in mortis articulo), nicht ohne unſere ſpecielle Erlaubniß abſolvirt werden wird.

3. Den Hauptinhalt der Urkunde bildet aber die Aufzählung der verſchiedenen Punkte, die der Reform bedürftig ſind und die Angabe des Guten, der Ordensregel Entſprechenden, das an die Stelle eingeriſſener Unordnung zu ſetzen iſt. Die Urkunde ſagt darüber:

  • a) So denn, nach fleißiger Berathung und Verhandlung, ſetzen wir feſt, ordiniren und befehlen wir, in wieweit ihr Nonnen unter feſter Clauſur zu verbleiben habt. Zu allen Thüren, deren Eingang und Ausgang erforderlich iſt, ſollt ihr zwei verſchiedene Schlüſſel haben, der eine, von innenher, für euch Abbatiſſin, der andere, von außen - her, für euch Herr Präpoſitus, ſo daß Niemand ein - oder ausgehen kann, ohne Wiſſen und Zulaſſung von euch bei - den. Wir ordnen dabei ferner an, daß keine der Nonnen,442 unter was immer für Vorwand, Erlaubniß haben ſoll, außerhalb des Kloſters wohnende Freunde, noch auch über - haupt draußen Lebende zu beſuchen, ſo wie wir auch be - fehlen, daß niemand ohne ſpecielle Erlaubniß der Abbatiſſin (von innen her) oder des Präpoſitus (von außen her) an das Küchenfenſter (ad fenestram collationi) heran - treten ſoll. Auch ſoll keine der Nonnen eine beſondere Wohnung (habitaculum) oder ſonſtige Bequemlichkeit haben, noch auch außerhalb des gemeinſchaftlichen Refek - toriums oder eines andern gemeinſchaftlichen Eßraums (cenaculum) zu Mittag oder zu Abend eſſen.
    *)Dieſe Verordnungen waren gewiß um ſo nöthiger (aber freilich um ſo ſchwieriger durchzuführen), als alle ſolche Klöſter, die, wie Kloſter Friedland, nur eine lokale Bedeutung hatten, oder einem lokalen Bedürf - niß entſprachen, wie von ſelber, aus einem kirchlichen, zugleich auch zu einem geſellſchaftlichen Mittelpunkt des Kreiſes wurden. Die Pfuels und die Ilows, die Eickendorps und die Hoendorps, die Strantze, Bar - fuſe und Wulffens, wie ſie ihre Güter in nächſter Nähe um Kloſter Friedland herum hatten, ſo hatten ſie ihre Töchter in demſelben. Die einfache Folge davon war, daß das Kloſter, im beſten Sinne des Worts, zu einem Rendezvous-Platze wurde, wohin die adligen Inſaſſen des Krei - ſes ihre Neuigkeiten trugen, um ſie gegen andere umzutauſchen. Die Welt innerhalb und außerhalb der Kloſtermauern war dieſelbe. Alles war ver - ſippt, verſchwägert und die Cordialität, die Familien-Zugehörigkeit mußte natürlich die Aufrechthaltung der Disciplin erſchweren.
    *)Nur in gewiſſen Fällen wird die Abbatiſſin von dieſer Anordnung Abſtand nehmen können, aber doch immerhin ſo nur, daß alsdann an einem andern, eigens und ſpeciell dazu beſtimmten Orte, die Mahlzeit eingenommen werden muß.
  • b) Im Uebrigen, in Gemäßheit der zweiten Ordensregel und nach alter löblicher Gewohnheit dieſes Kloſters, ſollt ihr der Abbatiſſin in allem folgſam und gehorſam ſein. Und wenn eine unter euch, wegen Ausſchreitung und Unterlaſ - ſung, Mahnung oder Strafe verdient, ſo ſoll ſie dem Aus - ſpruch der Abbatiſſin, in Gemäßheit der Ordensregel Ge - horſam leiſten, ſoll auch nicht von irgend einer andern bei443 dieſen Vorgängen gegen die Abbatiſſin vertheidigt werden, außer wenn es die Ordensregel geſtattet.
  • c) Und ihr ſollt ferner keine Mägde oder beſondere weltliche Dienerinnen, weder innerhalb des Kloſters, noch auch außerhalb deſſelben, zu dieſem oder jenem Geſchäft haben, außer ſolche, welche durch euren Präpoſitus zugelaſſen und zu eurer Bedienung ſpeciell erleſen ſind; noch auch ſoll euch geſtattet ſein unter was immer für Vorgabe, irgend eine weltliche Jungfrau in euer Kloſter auf längere oder kürzere Zeit als Mitbewohnerin aufzunehmen, es ſei denn auf ſpecielle Erlaubniß. Und wenn ihr in Folge un - ſerer Erlaubniß eine ſolche unter euch aufgenommen habt, ſo ſoll ſich dieſe Aufgenommene (suscepta) kleiden wie ihr, in ein eben ſolches Kleid und eine graue Tunica darüber. Und einmal aufgenommen ſoll ſie das Kloſter nicht wieder verlaſſen, unter was immer für Vorgabe, vor Ablauf einer vorher feſtgeſetzten Zeit, es ſei denn, daß ſie unſere Erlaubniß dazu erhielte. Und für den Fall, daß etwas für die Koſten ſolcher Mitbewohnerin beigeſteuert wird, ſo ſollt ihr dies dem Präpoſitus geben oder irgend einem andern, in den ihr Vertrauen ſetzt.
  • d) Im Uebrigen ſollt ihr eine Lehrſchweſter oder Schul - meiſterin, ſo wie auch eine Gemeindeſchule für Knaben und Mädchen (ad omnes moniales juniores) haben, und zwar dergeſtalt, daß die Knaben von Seiten der Lehr - ſchweſter oder Schulmeiſterin zu beſtimmten und herkömm - lichen Zeiten unterrichtet werden, wobei ſie (die Knaben) nach Schul - und Lehrordnung, in allem was Zucht und Schulwiſſenſchaft angeht, der Lehrſchweſter zu gehorchen haben.
  • e) Und keine unter euch ſoll über Bedürfniß oder anders, als durch den Präpoſitus verabreicht wird, Speiſe und Trank fordern oder nehmen, ſondern ſoll zufrieden ſein mit dem, was durch den Präpoſitus gegeben wird. 444 Außerdem ſollt ihr beſtrebt ſein, durch Tracht und Kleid (vestitu et habitu) in Schuhen, in Haarſchleifen, in eng ſchließenden Gürteln, in Gürtelſchnebben keinen andern Schmuck zu haben, als ſolchen, welchen die Kirche zuläßt; noch ſollt ihr, weil es der Scham, der Sitte und eurem Geſchlecht widerſtreitet, Maskenſpiel und Maskenſcherze trei - ben, noch auch ſollt ihr die Geburtstage oder andere jähr - lich wiederkehrende Feſte beſonders halten und feſtlich be - gehen.
  • f) Ebenſo, wenn es ſich trifft, daß ihr gemeinſchaftlich aus - gehet und in Proceſſion das Cimiterium umſchreitet, ſo werde keine von irgend wem berührt oder nach Sitte welt - licher Frauen an Hand oder Arm geführt, vielmehr kehret alle, nach dem Umgang in euer Kloſter zurück, ſo daß kein anderer Zutritt zu euch offen ſteht, wie der, der oben beſchrieben wurde.
  • g) Im Uebrigen, auf daß ihr aufmerkſamer den heiligen Ge - bräuchen (divino cultui) obliegen könnt, ſollt ihr nicht verſuchen, Brote oder Backwerk zu Hochzeiten oder andern Feſtlichkeiten zu machen, zu kochen oder zu ſchicken.

Dann wird der Präpoſitus ermahnt, auch ſeinerſeits das Rechte und Billige zu thun, niemand darben zu laſſen, nieman - dem Grund zur Klage zu geben. Jedes Kloſtermitglied aber, das alsdann noch zu Uebertretungen ſchreitet und Gehorſam weigert, wird (wie oben ſchon wörtlich mitgetheilt) mit Excommunication bedroht.

Ob und inwieweit dieſer Erlaß des Brandenburgiſchen Bi - ſchofs der eingeriſſenen milden Praxis ein Ziel ſetzte, das er - fahren wir nicht. Zwar ſind es noch verſchiedene Urkunden, denen wir auf dem langen Wege von 1381 bis zur Aufhebung des Kloſters begegnen, aber außer den Namen einzelner Aebtiſſinnen, Priorinnen und Pröbſte, entnehmen wir denſelben nichts weiter, als daß gelegentlich ein Pfuel oder Wulffen eine Schenkung machte, oder ein Ilow, ein Platen, dies oder das meiſt Zölle445 und Hebungen an das Kloſter Friedland (das immer, wie es ſcheint, bei Kaſſe war) verpfändete.

So gingen die Dinge bis zum Jahre 1540, wo nach Anſchluß des Kurfürſten an die Lehre Luthers die Säculari - ſation von Kloſter Friedland erfolgte. Man zog die Kloſtergüter ein, reſpektirte aber die Perſonen, d. h. beließ die Nonnen (ſpit - telfrauenhaft) in ihren Zellen und wartete ihr Ausſterben ab. Dies Ausſterben ließ aber lange auf ſich warten (die Luft um Friedland herum war geſund).

Das Kloſter ging inzwiſchen, gleich in den erſten 20 Jahren, aus einer Hand in die andere über, wobei die Nonnen, wie ein altes Inventarium, immer mit überliefert wurden.

1568 endlich regelten ſich die Dinge in einer zufriedenſtellenden Weiſe. Vier Jahre früher ſchon hatte Joachim von Roebel die geſammten Kloſtergüter durch Kauf an ſich gebracht; jetzt (1568) gelang es ihm auch, die Nonnen zu einem Aufgeben ihrer Woh - nungs-Anſprüche zu vermögen. Eine Urkunde darüber wurde auf - genommen, die noch exiſtirt. Es heißt darin, mit einem leiſen Vor - wurf gegen den ſäkulariſirenden Kurfürſten:

Und dieweil hin und wieder in der Welt, ſonderlich auch im heiligen römiſchen Reiche allerhand Permutationen hinſichtlich der Klöſter und geiſtlichen Güter vorgefallen ſind (Veränderungen, die wir diejenigen verant - worten laſſen, denen es gebührt und zugeſteht), ſo haben wir gedachtem Joachim Röbel, unſerm Schwa - ger, Freund und Landsmann, dieſes Kloſter gegönnt und ihm Brief, Siegel und Wohnung abgetreten.

Aus eben dieſer Urkunde lernen wir auch die Namen der - jenigen Damen kennen, die damals noch, wie eine Hinterlaſſenſchaft aus der katholiſchen Zeit her, als Nonnen von Kloſter Friedland exiſtirten. Es waren:

Urſula von Barfus, Priorin. Anna von Krum - menſee, Schaffnerin. Urſula von Pfuel. Mar - garethe von Stranz, Küſterin. Urſula von Bar -446 fus II., Nonne. Magdalene von Löwenberg. Urſula von Hoppenrade.

Die Letztgenannte war die Jüngſte. Sie war 42 Jahre früher als letzte Nonne aufgenommen worden, jetzt alſo, bei Unterzeich - nung der Urkunde, muthmaßlich eine Dame von einigen ſechzig Jahren. Es drängt ſich unwillkürlich die Frage auf, wie alt die älteſte geweſen ſein möge.

Kloſter Friedland blieb zwei, vielleicht nur anderthalb Jahrhun - derte lang im Beſitz der Roebels. Etwa um die Mitte des vorigen Jahr - hunderts kam es, wie bereits Eingangs erwähnt, zuſammen mit Quilitz, an den Markgrafen Karl, der ſich wenigſtens vorübergehend, hier aufzuhalten pflegte. Seine bevorzugte Geliebte, eine Mamſell Sie - bert (der er in der Cöpnicker-Straße zu Berlin ein ſchönes Haus bauen ließ) war eine Tagelöhnertochter aus Friedland.

Wie Friedland endlich an den General von Leſtwitz und dadurch an die Familie Itzenplitz kam, erzähle ich im folgenden Kapitel, unter Cunersdorf.

Die Lage Kloſter Friedlands, auf einem ſchmalen Land - ſtreifen zwiſchen zwei Seen, dem Kloſter - und dem Kiezer-See muß von nicht gewöhnlicher Schönheit geweſen ſein, als die umgebende Bruchlandſchaft noch ihren alten Charakter hatte und die hohen Giebel der Kloſtergebäude abwechſelnd in den einen oder andern See ihre Schatten warfen. Aber ein ſolches Bild bietet ſich dem Auge nicht länger dar, und die Trümmer verſchiedener anderer märkiſcher Klöſter machen einen tieferen und mehr poeti - ſchen Eindruck, theils, weil die Trümmer ſelber pittoresker, theils, weil ihre Umgebungen (bei ſonſt mannigfach Verwandtem) anſpre - chender ſind. Die Lage z. B. des zur Schwedenzeit durch Feuer zerſtörten Jungfrauen-Kloſters zu Lindow, zwiſchen dem Wutz - und Gudelack-See, iſt der Lage Kloſter Friedlands nahe verwandt, aber die epheuumrankten Mauern, die Storchneſtgeſchmückten Gie - bel, vielleicht auch die Hügel-Lage zwiſchen den Seen, leihen jener Kloſterruine im Ruppinſchen einen romantiſchen Reiz, deſſen Kloſter Friedland entbehrt.

447

Kloſter Lindow iſt ſchöner gelegen, vielleicht auch maleriſcher in ſich ſelbſt, als Kloſter Friedland, aber dies letztere iſt beſſer er - halten, und die Umfaſſungsmauer z. B., ferner das Haus des Probſtes, ein Stück Kreuzgang, vor allem das Refektorium, zeigen ſich zum Theil in noch gutem Zuſtand.

Das Refektorium, jetzt als Malzplatz benutzt, läßt ſich in ſeinen baulichen Einzelheiten noch genau verfolgen. Es ſcheint der Styl früherer Gothik und der Bau, wie er da iſt, dürfte der erſten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehören. Das alte Klo - ſter, das 1300 großentheils durch Feuer zerſtört wurde, war zweifellos ein romaniſcher Bau*)Die größte unter den Filial-Kirchen des Kloſters war die zu Ringenwalde, eine alte, im romaniſchen Style aufgeführte Feldſtein - kirche, die ſich bis dieſen Tag trefflich erhalten hat und wie ſie muth - maßlich uns veranſchaulicht, wie die alte Kloſterkirche zu Friedland war zugleich als Muſter dafür dienen kann, wie vor 600 Jahren von den Chriſtenthum und Cultur bringenden Ciſterzienſern, märkiſche Dorfkirchen gebaut wurden. Alles zeigt noch durchaus den Charakter der geiſtlichen Burg : hoch hinaufgehende Feldſteinmauern, dann, ziemlich dicht un - term Dach, kleine, rundgewölbte Fenſter, mit Oeffnungen wie Schieß - ſcharten.. Der Neubau aber, der nun an die Stelle des niedergebrannten trat, wurde höchſt wahrſcheinlicher - weiſe in demſelben Style aufgeführt, in dem wir bis dieſen Augenblick noch das Refektorium erblicken. Vielleicht iſt dies Re - fektorium auch derjenige Theil des Gebäudes, der das Feuer vom Jahre 1300 überdauerte. Die gewölbte Decke deſſelben wird von drei Säulenpfeilern getragen. Zwei dieſer Pfeiler ſind rund, der dritte (mittelſte) 4 oder 6eckig. Die Gewölbe, die auf den Pfei - lern ſtehen, ſind vielgeribbt, ſo daß immer 16 Ribben auf einem Pfeiler ruhen, oder aus demſelben palmenhaft aufwachſen. Der Raum zwiſchen den Pfeilern iſt verſchieden, und von oben nach unten zu abgeſchritten, bemerkt man, daß der Zwiſchenraum von Pfeiler zu Pfeiler immer von 1 bis 2 Fuß kleiner wird. Es ſtehe dahin, ob dies Abſicht oder Zufall iſt.

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Neben dem Kloſter, und vielleicht früher in unmittelbarem Zuſammenhang mit demſelben, ſteht die ehemalige Kloſterkirche, jetzt die Dorfkirche. Sie iſt nicht mehr was ſie war. Der Thurm iſt kein eigentlicher Thurm mehr, (wird jetzt neu und maſſiv erbaut) und die Kirche ſelbſt hat unter den verſchiedenen Umbauten, denen ſie unterworfen wurde, ihren gothiſchen Charakter faſt völlig verloren. Sie beſitzt aber aus alter ka - tholiſcher Zeit her noch mehrere Werthſtücke, unter denen, in Kugler’s Kunſtgeſchichte, vor allem eines Taufbeckens Erwäh - nung geſchieht. Ich glaube indeſſen irrthümlich. Möglich, daß damals, wo man ſich der Mühe des Umherreiſens, der Special - forſchung in den Provinzen (beſonders auch in unſrer Mark) noch wenig unterzogen hatte, ein ſolches Taufbecken, das zufällig in die Hand eines Kunſtforſchers kam, als etwas Beſonderes angeſehen wurde, ähnlich wie noch vor Kurzem die vergoldeten Bilder-Al - täre, von denen einige in Berlin ausgeſtellt waren, eine gewiſſe Verwunderung hervorriefen. Ebenſo gewiß indeß, wie nunmehr die Exiſtenz von hunderten ſolcher Bilder-Altäre aus katholiſcher Zeit her, nachgewieſen iſt, ebenſo gewiß giebt es auch hunderte ſolcher Taufbecken, wie ſie die Friedländer Kirche aufweiſt.

Was aber nicht nach hunderten anzutreffen iſt, und was in der That eine Sehenswürdigkeit in Friedland bildet, das ſind drei reichvergoldete Abendmahlskelche, die noch, als Werth - und Erinnerungsſtücke aus der vorlutheriſchen Zeit her, im Pfarrhauſe aufbewahrt werden. Alle drei ſind von verwandter Form und nur der Größe nach verſchieden. Auf einem breiten Fuß ruht ein tul - penförmiger Kelch, in der Mitte des kurzen Stiels aber, der dieſe Kelchtulpe trägt, legt ſich ein ſechseckiges Ornament, ringförmig um den Stiel herum. Eins dieſer ſechseckigen Ornamente iſt hohl und von durchbrochener Arbeit; innerhalb deſſelben klappert eine Reliquie, ein Knochenſplitter oder der Zahn eines Heiligen. Der - ſelbe Kelch (einer der kleineren) trägt auf ſeinem Fuß die Na - men: Martha. Johannes. Welſickendorp. Ein anderer (der größte449 und ſchönſte) zeigt, ſtatt der Namen, drei ſauber einradirte Ma - rienbilder, nach Stellen aus der Offenbarung und abwechſelnd mit dieſen drei Radirungen, drei kleine Goldſkulpturen, hautrelief - artig auf den Fuß des Kelches aufgelöthet. Dieſe kleine Gold - figürchen ſtellen Maria und Johannes zu beiden Seiten des Ge - kreuzigten , ferner St. Georg, den Drachen tödtend und ſchließ - lich noch ein Drittes dar, deſſen Entzifferung mir nicht gelun - gen iſt.

Dieſe Kelche beweiſen zur Genüge (und mehr als alles an - dere, was vom Kloſter übrig geblieben iſt), daß Kloſter Friedland zu den reicheren Stiftungen des Landes gehörte. Es darf auch nicht wundern: zählten doch die Barfus, die Pfuels, die Krummenſee und Ilows, deren Töchtern wir, wie mehrfach hervorgehoben, vorzugsweiſe im Kloſter Friedland begegnen, zu den begütertſten und angeſehenſten Familien des Landes. Ueber den Ort, wo die Kelche herſtammen, iſt Nichts bekannt. Man denkt natürlich zuerſt an Augsburg oder Nürnberg; doch ſind ſie, neben der Sauberkeit und Sorglichkeit der Ausführung, auch na - mentlich von ſolcher Grazie der Form, daß ich annehmen möchte, ihre Heimath liege noch weiter ſüdlich.

Wir hoben ſchon hervor, daß die Geſchichte Kloſter Fried - lands mit dem Eingehen des Kloſters nicht ihre Endſchaft er - reichte. Die Roebels und der Markgraf Karl von Schwedt folg - ten im Beſitz; aber keiner von ihnen hat nachträglich dem alten ſtillen Kloſterdorf einen veränderten Charakter aufzudrücken ver - mocht. Es konnte auch kaum anders ſein. Die Roebels lebten in Buch (bei Berlin), das ihnen ſchon, um der Nähe der Hauptſtadt willen, lieber ſein mußte und ſcheinen in Friedland niemals dau - ernd Wohnung genommen zu haben. Der Markgraf war aller - dings von Zeit zu Zeit hier anzutreffen; aber ſeine Beſuche wa - ren doch zu flüchtig und zu ſelten, als daß der Wunſch in ihm hätte lebendig werden können, ein Schloß an dieſer Stelle auf - führen zu laſſen. Ein einfaches Wohnhaus genügte dem Bedürf - niß. Dies Wohnhaus exiſtirt noch und in ihm, als ein einziges29450direktes Erinnerungsſtück an die Zeit des Markgrafen, ein trefflich gemaltes Bildniß deſſelben (halbe Figur). Ich weiß nicht, ob an - dere Porträts von ihm vorhanden ſind; wäre es das einzige, ſo dürfte es ſchon um deshalb einen gewiſſen hiſtoriſchen Werth be - anſpruchen können.

Das Bild erinnert noch an Markgraf Karl und nicht zu vergeſſen ein andres noch: eine Glocke, die er der Kirche ſeiner Zeit zum Geſchenk machte. Sie führt nicht den Namen eines Heiligen, ſondern heißt: Markgraf Karl. Ob er ſelber, durch Beiſpiel und Mahnung, die Dörfler jemals zur Kirche ge - rufen, iſt mindeſtens zweifelhaft (es waren nicht die Zeiten danach), aber die Glocke thut es jetzt ſtatt ſeiner, und ſo oft ſie am Sonn - tag Morgen erklingt, heißt es im Dorf: Markgraf Karl ruft.

[451]

Cunersdorf.

Und Welchen Gott ſo reich bedacht, Daß er ein Held iſt in der Schlacht Und hat dazu ein gläubig Herz, Dem kann man trauen allerwärts.
(Otto Roquette. )

Cunersdorf iſt Nachbargut vom Kloſter Friedland und gehört, wie dieſes, der Itzenplitziſchen Familie an. Es iſt zunächſt, ohne ſeinem eignen Ruhme zu nahe treten zu wollen, nicht zu verwech - ſeln mit dem berühmteren Schlachten-Kunersdorf (zum Un - terſchied gewöhnlich mit einem K geſchrieben), das, weiter öſtlich, eine halbe Meile jenſeits Frankfurt gelegen iſt, während unſer Cunersdorf dieſſeits der Oder, zwiſchen Wrietzen und Selow liegt.

Um über Cunersdorf zu ſchreiben, iſt es nöthig noch einmal auf Kloſter Friedland und das Jahr 1763 zurückzugehn, in wel - chem Jahre wie ſchon früher hervorgehoben die bis dahin Markgraf Carl’ſchen Güter Quilitz und Friedland, an die Krone zurückfielen. Sie blieben aber nicht lange bei der Krone, indem der König im ſelben Jahre noch beide Güter als Dotationsgüter an zwei ſeiner Lieblings-Offiziere verlieh. Quilitz ſchenkte er an den damaligen Obriſtlieutenant von Prittwitz; Friedland er - hielt der Major (oder Obriſtlieutenant) von Leſtwitz. Noch einmal ſei hier das Wort citirt: Prittwitz a sauvé le roi, Lestwitz a sauvé l’état.

29*452

Leſtwitz beſaß nun Friedland; wie aber kam er zu Cu - nersdorf? Das geſchah ſo.

Leſtwitz war in Zweifel darüber, ob er Friedland als Lehn oder als Allodium erhalten habe und ſcheute ſich doch, bei dem König deshalb anzufragen. War es Lehn, ſo fiel das Gut, da er keinen Sohn hatte, nach ſeinem Tode an die Krone zurück. In dieſer Verlegenheit einerſeits von dem lebhaften Wunſche erfüllt, ſeiner einzigen Toch - ter ein Gut als Erbe zu hinterlaſſen, und andrerſeits von der berechtigten Vorſtellung ausgehend, daß es mißlich ſei, ohne aus - drückliche Erklärung des Königs, Friedland als Allodium und freien Beſitz anzuſehen entſchied er ſich dafür, das benachbarte, vormals von Barfus’ſche Gut Cunersdorf anzukaufen und ſich dadurch in die Lage zu bringen, ſeiner Tochter, wie immer ſpäter - hin auch die Anſicht des Königs ſich herausſtellen möge, doch jedenfalls ein Gut hinterlaſſen zu können. Er kaufte alſo Cu - nersdorf

Bald darauf ſah Leſtwitz die Nothwendigkeit ein, ſich auf einem ſeiner Güter ſtandesgemäß einzurichten, d. h. ein Schloß zu bauen. Da ihm der dauernde Beſitz Friedlands (dauernd über ſeine eigene Lebenszeit hinaus) zweifelhaft war, ſo entſchied er ſich ſelbſtverſtändlich dafür, das Schloß in dem neu erworbenen Cu - nersdorf*)In Cunersdorf war zwar noch, aus der Barfus-Zeit her, ein Herrenhaus, aber weder geräumig genug, noch ausreichend in ſeiner Ein - richtung. Dies alte Barfus’ſche Herrenhaus exiſtirt noch (es ſteht dem Schloß gegenüber) und veranſchaulicht ſehr gut, wie der Adel vor 200 Jahren lebte. aufführen zu laſſen. Als der Bau halb fertig war, kam der König auf einer ſeiner Inſpectionsreiſen des Weges. Leſtwitz, warum baut Er denn in Cunersdorf und nicht in Friedland? Jetzt war der Moment der Erklärung gekommen. Leſtwitz antwortete, daß er keine Söhne und nur eine Tochter habe, und davon ausgegangen ſei, daß Friedland nach ſeinem (Leſtwitz’s) Tode, an den König zurückfallen werde. Ich453 weiß ja, daß Er keine Söhne hat , antwortete der König gnädig, es ſoll Alles Seiner Tochter verbleiben.

So kamen Cunersdorf und Friedland an die Familie Leſt - witz, Friedland als freier Beſitz aus Königs Hand, Cunersdorf durch Kauf. Friedland, das einſt eine glänzende Zeit gehabt hatte, verlor mehr und mehr. Nur Kirchdorf blieb es. In Schloß Cu - nersdorf aber lebten die Leſtwitze und nach ihnen die Itzen - plitze, von denen beiden ich in Nachſtehendem zu erzählen haben werde.

[Hans Georg Sigismund von Leſtwitz, von 1763 1788.]

Leſtwitz ebenſo wie auch Prittwitz gehört in die Reihe der - jenigen Offiziere des großen Königs, denen es, bei verhältniß - mäßig noch jungen Jahren, vergönnt war, durch irgend eine glän - zende Kriegsthat in die Geſchichte einzutreten, denen wir aber, während der letzten 30 Jahre ihres Lebens, wo ſie zu hohen Stellungen gelangten, kaum wieder begegnen, weil der andauernde Friede jede Gelegenheit zu Thaten verbot, die der hiſtoriſchen Auf - zeichnung werth geweſen wären. Ich gebe hier alles, was ich über Leſtwitz habe in Erfahrung bringen können.

Hans Sigismund von Leſtwitz wurde am 19. Juni 1718 zu Kontop im Glogauſchen geboren. Sein Vater war der ſpätere General-Lieutenant Johann George von Leſtwitz, ſeine Mutter, Helene, geb. Freiin von Kottwitz. Die Leſt - witze, die im Mannesſtamme, mit unſerm Hans Sigismund ausſtarben, gehörten den vier alten ſchleſiſchen Familien an (die Leſtwitze, die Prittwitz, Strachwitz und Zedlitz), die ſchon bei Liegnitz in der Mongolenſchlacht gefochten hatten. Hans Si - gismund machte ſeine Studien auf der Univerſität zu Frank - furt a. d. O., und trat 1734 als Fahnjunker in das daſelbſt garniſonirende Schwerin’ſche Regiment. Er machte die beiden ſchleſiſchen Kriege mit, focht bei Molwitz, Chotuſitz (Czaslau), Hohenfriedberg und Sorr mit Auszeichnung, und erhielt gleich in der erſten Schlacht des 7jährigen Krieges (bei Lowoſitz) den Pour454 le mérite. 1757 wurde er Major im Regiment Alt-Braunſchweig. Er war noch Major in eben dieſem Regiment, als die blutige Schlacht bei Torgau (am 3. November 1760) ihm Gelegenheit gab, ſich in beſonderem Grade auszuzeichnen. Eine vortreffliche Schilderung der Schlacht bei Torgau (von Graf Walderſee) ſagt darüber im Weſentlichen Folgendes:

Der Flügel des Königs war geſchlagen; nur vier Ba - taillone vom Regiment Schenkendorf ſtanden noch in Reſerve; unter ihrem Schutze ſollte ſich die Armee wieder ſammeln. Der König fühlte ſich durch den Einfluß ſeiner Kontuſion (eine Kar - tätſchenkugel hatte ihn beſinnungslos vom Pferde geworfen), ſo ermattet, daß er ſich nicht mehr fähig hielt, das Commando der Armee fortzuführen. Er trat es alſo (auch Markgraf Karl war bleſſirt) an den General-Lieutenant von Hülſen ab. Er ſelbſt zog ſich aus dem Getümmel zurück.

Um dieſe Zeit war es, daß einzelne Offiziere die Mannſchaf - ten wieder zu ſammeln ſuchten. Beſonders zeichnete ſich der Major von Leſtwitz vom Regiment Alt-Braunſchweig dabei aus. Es war ihm bereits gelungen, einige hundert Infanteriſten von ver - ſchiedenen Regimentern und eine Anzahl Tambours in eine Maſſe zu formiren, als der König, in der Abſicht das Schlachtfeld zu verlaſſen, vorüber ritt.

Wer iſt Er und was will Er hier machen? fragte der König.

Ew. Majeſtät, ich bin der Major Leſtwitz von Alt-Braun - ſchweig und ſammle Offiziere und Leute, um mit ihnen die Höhen zu ſtürmen.

Na, Herr, das iſt brav, ſehr brav, da mache Er nur ge - ſchwind und formire Er einige Bataillone.

Beim Fortreiten wandte der König ſein Pferd noch einmal um und ſagte: Höre Er, mein lieber Leſtwitz, ſei Er verſichert, daß ich Ihm dies nie vergeſſen werde.

Der König mochte ſich erinnern, daß der Major von Leſt -455 witz, der Sohn des General-Lieutenants von Leſtwitz*)Der Vater (von dem es heißt, daß er an militairiſchen Gaben den Sohn überragte) war durch die Capitulation von Breslau (1757) in Un - gnade gefallen und wurde durch den erzürnten König auf die Feſtung ge - ſchickt. Er verblieb indeſſen, vielleicht mit Rückſicht auf ſein hohes Alter (er war bereits 70), nur kurze Zeit in eigentlicher Haft und erhielt von da ab bloßen Stadtarreſt. Er durfte nunmehr in Berlin leben, war aber durch Ehrenwort verpflichtet, nie das Stadtviertel zu verlaſſen, das durch die Koch - und Zimmerſtraße gebildet wird. Hier ſtarb er auch (1767) Nur einmal erhielt er Urlaub. Als ſein Sohn, der ſpätre General - major, zum erſten Male nach Amt-Friedland reiſte, um von dem ſchönen Gute Beſitz zu nehmen, durfte ihm der alte Leſtwitz dahin folgen, um Zeuge von dem Glück ſeines Sohnes zu ſein. Der König, der ein Inter - eſſe an dieſem Ereigniß nahm, hatte ihm eigens zwei Adjutanten mitge - geben, damit der Alte, an dieſem Ehrentage ſeines Sohnes, auch ſeiner - ſeits in allen Ehren eines General-Lieutenants erſcheinen könne. Anderen Tages kehrte der 76jährige Herr nach Berlin zurück und trat wieder ſeinen Stadtarreſt zwiſchen Koch - und Zimmerſtraße an. war, den wegen der unglücklichen Capitulation von Breslau (1757) die Ungnade des Königs und die ganze Schwere der Militair - geſetze betroffen hatte.

Es glückte Leſtwitzen in der That, aus den Zerſprengten drei Bataillone zu bilden, zu denen ſich nun die vier noch intakt gebliebenen Bataillone des Regiments Schenkendorf geſellten. Dieſe ſieben Bataillone waren es, die, als ſpät am Abend Zieten die Süptitzer Höhen in der Front attackirte, dieſen Frontangriff durch einen Flanken-Angriff unterſtützten und dadurch den Tag ent - ſchieden.

Der König ſchrieb (vielleicht nicht ohne eine gewiſſe Ungerech - tigkeit gegen Zieten, den er übrigens andern Tags unter Thrä - nen umarmte) den Erfolg dieſes Gefechtes, nächſt dem Major von Leſtwitz, dem Regimente Schenkendorf zu. Er vergaß auch Leſt - witzen nicht. Unmittelbar nach dem Kriege, wie wir bereits ge - ſehen haben, erhielt dieſer Amt Friedland, alſo die Hälfte des ehe - mals Markgraf Karl’ſchen Beſitzes, und der König, wie um zu zeigen, daß Prittwitz und Leſtwitz ſeinem Herzen gleich nahe ſtänden, verfuhr bei der Theilung mit ſolcher Gewiſſenhaftigkeit,456 daß er z. B. dem etwas kleineren Amt Friedland noch einige Quilitzer Höfe hinzufügte.

1765 wurde Leſtwitz Oberſt, 1766 Chef des Leib-Grena - dier-Bataillons, 1767 Generalmajor. Er blieb ein Liebling König Friedrichs, der ihn oft in ſeine Geſellſchaft zog. Auch das Te - ſtament des Königs (vom 8. Januar 1769) erwähnt ſeiner we - nigſtens mittelbar. Es heißt darin §. 28: Einem jeden Stabs - offizier von meinem Regiment und von Leſtwitz, wie auch von der Garde du Corps, vermache ich eine goldene Denkmünze, die bei Gelegenheit unſerer glücklichen Waffen und der Vortheile, die unſere Truppen unter meiner Anführung erhalten haben, geprägt worden. 1779, wahrſcheinlich unmittelbar nach dem bairiſchen Erb - folgekrieg (an dem er noch Theil nahm) zog er ſich aus dem Dienſt zurück. Er ſtarb 1788 am 16. Februar.

[Frau von Friedland. 1788 1803.]

Hans Sigismund von Leſtwitz war am 16. Februar 1788 zu Berlin geſtorben, ſeine Leiche aber nach Cunersdorf übergeführt worden. Da ihm, wie wir geſehen haben, Amt Fried - land als freies Eigenthum von Seiten des Königs verliehen wor - den war, ſo ging nun die ganze Herrſchaft Friedland, die bereits eine ganze Anzahl von Gütern zählte, auf ſeine Erbtochter über, die damals ſchon den Namen Frau von Friedland führte. Mit dieſem Namen hatte es folgende Bewandtniß:

Helene Charlotte von Leſtwitz, geb. am 18. November 1754, vermählte ſich 1771 (alſo kaum 17 Jahre alt) mit Adrian Heinrich von Borcke, Königl. Geſandten in Dresden, ſpäter in Stockholm. Die Ehe war jedoch, durch Schuld des Ge - mahls, keine glückliche und wurde, bald nach der Geburt einer Tochter (Henriette Charlotte, ſpätere Gräfin von Itzenplitz) wieder getrennt.

Da die Geſchiedene ſo wenig wie möglich an eine Ehe erin - nert ſein wollte, die ihr eine Laſt und Kränkung geweſen war, ſo nahm ſie unter Zuſtimmung des Königs den Namen einer Frau457 von Friedland an und führte das Leſtwitz’ſche Wappen fort. Bei ihrer Trennung von Adrian Heinrich von Borcke lebten die Eltern der Frau von Friedland noch. Dieſe kehrte nun - mehr in das väterliche Haus nach Schloß Cunersdorf zurück und lebte daſelbſt ausſchließlich der Erziehung ihrer Tochter und der Ausbildung ihres eigenen Geiſtes. Nach dem Tode des Generals, ihres Vaters, übernahm ſie ſofort die Verwaltung der beiden Güter, und da es ihrem ſcharfen Auge nicht entging, daß die Be - wirthſchaftung, um zu größeren Erfolgen zu gelangen, vor allem eines größeren Betriebskapitals als bisher bedürfe, ſo verkaufte ſie ihren Schmuck und ihre Juwelen, um ſich in den Beſitz eines ſolchen Kapitals zu bringen.

Dieſer erſte Schritt, mit dem ſie die Verwaltung ihrer Güter begann, zeigt am beſten, welch raſcher und energiſcher Entſchlüſſe ſie fähig war. Es war eine ſeltene und ganz eminente Frau; ein Charakter durch und durch. General v. d. Marwitz auf Frie - dersdorf, der ihr Gutsnachbar war, hat uns in ſeinen Memoiren eine Schilderung dieſer ausgezeichneten Frau hinterlaſſen. Er ſchreibt: Das Meiſte in der Landwirthſchaft (ungefähr alles, was ich nicht ſchon aus der Kindheit wußte, und nachher aus der Er - fahrung erwarb) habe ich von einer ſehr merkwürdigen Frau in unſerer Nachbarſchaft gelernt, von einer Frau von Friedland. Wie ich ſie kennen lernte (1802) war ſie ungefähr 12 Jahre im Beſitz der Güter und führte Alles mit beiſpielloſer Ausdauer und Geſchick. Es waren ſechs große Wirthſchaften, die ſie ſelbſt leitete; Unterbeamte hatte ſie keine anderen als Bauern, die ſie ſelbſt dazu gebildet hatte. Nicht nur war der Ackerbau im blühendſten Zu - ſtande, ſondern ſie hatte ihre Wälder aus ſumpfigen Niederungen, auf bisher öde Berge verſetzt, dieſe Niederungen aber in Wieſen verwandelt, und ſo in allen Stücken. Ein ſolches Phänomen war natürlicher Weiſe weit und breit verſchrieen. Man ſagte, ſie ritte auf den Feldern umher (das war wahr) und hätte beſtändig die Peitſche in der Hand, womit ſie die Bauern zur Arbeit treibe das war erlogen. Ich fand im Gegentheil eine wahre Mutter ih -458 rer Untergebenen in ihr. Wo ſie ſich ſehen ließ, und das war den ganzen Tag bald hier bald dort, redete ſie freundlich mit ihnen, und den Leuten leuchtete die Freude aus den Augen. Aber gehor - chen mußte Alles. Sie war aber nicht bloß eine Landwirthin, ſondern eine höchſt geiſtreiche und in allen Dingen unterrichtete Frau. Ich ſchulde ihr ſehr viel; ſie hatte mir, als ich Frieders - dorf übernahm, die nöthigen Wirthſchaftsbeamten verſchafft und die Rechnungsbücher einrichten laſſen.

So weit Marwitz über Frau von Friedland. Sehr ähn - lich, aber noch lebhafter, wärmer, begeiſterter, äußert ſich Thaer über dieſelbe, der ſie im Sommer 1801 (nachdem er ſchon 1799 ihre erſte Bekanntſchaft gemacht hatte) bei ſeinem zweiten Beſuch in der Mark näher kennen lernte. Er ſchreibt: auf der Grenze ihrer Herrſchaft kam uns Frau von Friedland, eine der merk - würdigſten Frauen, die je exiſtirt haben, in vollem Trabe entge - gen, ſprang vom Pferde, und ſetzte ſich zu uns in den Wagen. Nun ging es in vollem Galopp über Dämme und Gräben weg. Wir fuhren vier volle Stunden von einem Orte zum andern. Fünf bis ſechs Verwalter, Schreiber u. ſ. w. waren immer neben und hinter dem Wagen, und mußten bald eine Heerde Kühe, bald eine Heerde Schafe oder Schweine herbei holen. Da indeſſen einige der Geſellſchaft nicht länger verhehlen konnten, daß ihnen nach einem Imbiß verlange, ſagte Frau von Friedland: wir ſind ſehr bald zu Hauſe; wollen Sie aber im Freien eſſen, kann ich Ihnen ſogleich etwas ſchaffen. Als wir letzteres verſicherten, ging es ſofort in einen prächtigen Wald hinein, einen ſteilen Berg hin - auf, wo wir erſt ein Feuer, und bald darauf eine gedeckte Tafel erblickten, auf einem Platze, wo wir im Vordergrunde dichte Wal - dung, zur Seite einen großen See und in der Ferne eine weite Ausſicht in das herrliche Oderbruch hatten. Eine Menge von Schüſſeln, die ſchönſten Weine, und ein Deſſert von Ananas, Weintrauben u. ſ. w. ward aufgetragen. Aber ſie ließ uns zum Eſſen und Trinken nicht eben viel Zeit. Es ging bald wieder fort, von einer Feldflur zur andern, und ſo waren wir gewiß 15 Mei -459 len die Kreuz und Quer gefahren, ehe wir auf ihrem gewöhnlichen Wohnſitze, auf Schloß Cunersdorf ankamen. Sie hat außerdem noch 7 bis 8 völlig eingerichtete Wohnungen, wo ſie, wie es ihr einfällt, Mittag oder Nachts bleibt. Ihre Leute wiſſen es keine Stunde vorher, wo ſie eſſen oder ſchlafen will.

Im weitern Verlauf der Schilderung, die Thaer von ihr entwirft, heißt es an anderer Stelle:

Heute von Morgens 6 Uhr an, bis jetzt, Abends 10 Uhr, hat ſie uns nicht fünf Minuten Ruhe gelaſſen. Wir haben gewiß vier Spann Pferde müde gefahren. So etwas von Aktivität iſt mir noch nie vorgekommen. Sie hat über ein Dutzend Verwalter, Schreiber und Meier, und dennoch kennt ſie jeden kleinen Garten - fleck, jeden Baum, jedes Pferd, jede Kuh, und bemerkt jeden klei - nen Fehler, der in der Beſtellung vorgefallen iſt, jede Lücke in einer Hecke, jeden falſchgeſtellten Pflug. Sie hat nicht nur mehrere große Branntweinbrennereien und Brauereien, ſondern betreibt auch ein ſtarkes Mühlengewerbe, weshalb ſie ſich förmlich in das Mül - lergewerk hat einſchreiben laſſen, ſo daß ſie das Meiſterrecht hat, und Lehrburſchen ein - und losſchreiben kann.

Dieſe Schilderungen, ſowohl die Thaer’ſchen wie die von Marwitz herrührenden, deuten bereits den Punkt an, worin Frau von Friedland ganz beſonders hervorragte; ich meine ihr Or - ganiſations - und Erziehungs-Talent, ihre Gabe, Leute aus dem Bauernſtande zu treuen und tüchtigen Verwaltern, Förſtern und Jägern heranzubilden. Sie zeigte dabei eben ſo viel Menſchen - kenntniß, wie ſie zugleich Gelegenheit hatte, die Bildungsfähigkeit der hier lebenden deutſch-wendiſchen Miſchrace anzuerkennen.

Die meiſten und beſten Grundſtücke der Herrſchaft Cuners - dorf-Friedland gehörten (und gehören noch) zu jenem Theil des Oderbruchs, der erſt durch die von Friedrich dem Großen, während der in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus - geführten Odermelioration, dem Waſſer und Sumpf abgerungen wurde. Dieſe Grundſtücke waren nicht ſofort fruchtbar; mehrere Decennien vergingen, ehe, bei dem damaligen mangelhaften Zu -460 ſtande des Ackerbaues in unſerer Provinz, dieſem eroberten Grund und Boden ſehr mäßige Erndten abgerungen werden konnten. Hier treten uns die ganz beſonderen Verdienſte der Frau von Fried - land entgegen.

Aber auch verwandten Gebieten wandte ſie ihre Aufmerkſam - keit und ihren Eifer zu. Ihre Baumſchulen, ihre Pflanzungen er - regten Erſtaunen, ſo wie denn z. B. im Frühjahr 1803 (bei ihrem Tode) ein Vorrath von 25 Wispeln Kienäpfel zur Ausſaat ſich vorfand. Auch auf Verſchönerungen war ſie, feinen Sinnes, bedacht, und die reizenden Partien zwiſchen Buckow und Pritzhagen, die Springe , die Silberkehle und andere Glanz - punkte der märkiſchen Schweiz, ſind in ihrer erſten Anlage ihr Werk.

Durch Umſicht, Sorgſamkeit und Anſpannung aller Kräfte, über die ſie Verfügung hatte, die Schätze dieſes Bruchbodens ge - hoben und ſeine Naturkräfte lebendig gemacht zu haben, wird im - mer ein beſonderes, nicht leicht zu überſchätzendes Verdienſt dieſer ausgezeichneten Frau verbleiben. Was ſie that, wurde Beiſpiel, weckte Nacheiferung und wurde, wie ihr zum Nutzen, ſo dem gan - zen Landestheil zum Segen. Sie ſtarb, noch nicht 49 Jahr alt, am 23. Februar 1803 in Folge einer heftigen Erkältung, die ſie ſich, zu raſcher Hülfe herbeieilend, bei einem, auf einem ihrer - ter ausgebrochenen Feuer zugezogen hatte. Ihr Gedächtniß lebt ſegensreich in jenen Oderbruchsgegenden fort, die ihrem Vorbild, ihrem Rath und ihrer Hülfe ſo viel verdanken.

[Graf und Gräfin Itzenplitz von 1803 bis 1848.]

General Leſtwitz hatte eine einzige Tochter (die Frau von Friedland) gehabt, an die Cunersdorf-Friedland und die dazu ge - hörigen Güter übergegangen waren; Frau von Friedland hatte ebenfalls eine einzige Tochter (Henriette Charlotte), die nun das reiche Erbe antrat.

Dieſe einzige Tochter, Henriette Charlotte von Borcke, geb. zu Potsdam am 18. Juli 1772, vermählte ſich am 23. Sep -461 tember 1792 mit dem eben damals zum Kriegs - und Domainen - rath ernannten Peter Alexander von Itzenplitz (geb. am 24. Auguſt 1768 zu Groß-Bähnitz im Havelland), und in Folge dieſer Vermählung ging das Leſtwitz-Erbe an die Familie Itzen - plitz über, die ſich, zugleich mit älteren Familiengütern in der Altmark und im Havellande, bis dieſen Augenblick im Beſitz der ſchönen Herrſchaft Cunersdorf-Friedland befindet. Gleich nach ſei - ner Vermählung trat das junge Paar eine vorzugsweiſe auch auf landwirthſchaftliche Zwecke gerichtete Reiſe nach Holland und Eng - land an. Während dieſes Aufenthaltes in England ſchrieb von Itzenplitz, auf ausdrücklichen Wunſch des damaligen Miniſters von Struenſee, verſchiedene Berichte über landwirthſchaftliche und commercielle Fragen, worin er ſeine Beobachtungen und ſeine Anſichten über das, was ſich ſeinem Auge dargeboten hatte, nie - derlegte. Dieſe landwirthſchaftliche Reiſe durch die verſchiedenen Länder Weſt-Europa’s dehnte ſich bis in’s zweite Jahr hinein aus. Das junge Paar würde gern auch Frankreich beſucht und die Agrikultur-Verhältniſſe dieſes Landes kennen gelernt haben, wenn nicht die franzöſiſche Revolution, die eben damals auf ihrer Schre - ckenshöhe ſtand, die Ausführung dieſes Planes verhindert hätte. Uebrigens erwies ſich dieſe Reiſe (auch ohne daß Frankreich berührt worden war) von den ſegensreichſten Folgen für die Bewirthſchaf - tung der eigenen Güter. Beſonders waren die engliſchen Landwirth - ſchaften als muſtergültig erkannt worden und ihnen wurde nun als Vorbild nachgeſtrebt. Darin wurde von Itzenplitz von ſei - ner Gemahlin unterſtützt, die den Geiſt ihrer Mutter geerbt hatte und namentlich nach dem Tode dieſer (der Frau von Friedland) die Verwaltung der Güter mit einer dort heimiſch gewordenen Um - ſicht und Energie betrieb.

Von 1794 bis 1804 war von Itzenplitz Landrath des Havelländiſchen Kreiſes. In dieſer Zeit machte er auch die Bekannt - ſchaft Thaers, der 1799 ſeine erſte, 1801 ſeine zweite Reiſe in die Mark antrat. Thaer lernte das junge Itzenplitz’ſche Paar auf Schloß Cunersdorf im Hauſe der damals noch lebenden Frau462 von Friedland kennen und die Beziehungen wurden ſo freund - ſchaftlicher Natur, daß im Jahre 1803, als Hannover von den Franzoſen beſetzt wurde, Thaer ſeine Frau und Töchter zu grö - ßerer Sicherheit nach Cunersdorf ſchicken konnte, wo ſie von dem Itzenplitz’ſchen Ehepaar (Frau von Friedland war im Februar deſſelben Jahres geſtorben) auf das fürſorglichſte aufgenommen wurden. An anderer Stelle habe ich ausführlicher erzählt, wie es vorzugsweiſe die freundſchaftliche Vermittelung Itzenplitz’s war, die im Jahre darauf (1804) zur Ueberſiedelung Thaers von Celle nach Möglin führte. Itzenplitz befürwortete jene günſtigen Be - dingungen, ohne welche Thaer ſeine alte ſichere Stellung nicht hätte aufgeben können, um eine neue, immerhin unſichere, an - zutreten.

1804 legte von Itzenplitz ſein Landrathsamt nieder, um ſich ausſchließlicher der Verwaltung ſeiner Güter, zu denen eben jetzt nach dem Tode der Frau von Friedland die Herrſchaft Friedland hinzugekommen war, widmen zu können.

1810 indeß zum Geheimen Staatsrath und General-Inten - danten der Domainen und Forſten ernannt, gab er ſich ganz die - ſer ſchwierigen Verwaltungsthätigkeit hin, doppelt ſchwierig und verantwortungsvoll eben damals, wo die Kriegsdrangſale die Ver - äußerung der Königlichen Domänen nöthig machten. Er blieb in dieſer verantwortungsvollen, das höchſte Vertrauen bekundenden Stellung bis 1814, wo er ausſchied, nachdem Herr von Bülow zum Finanzminiſter ernannt worden war. Das Jahr darauf indeß (1815) wurde er wegen ſeiner in den Kriegsjahren bethätigten, aufopfernden Vaterlandsliebe in den Grafenſtand erhoben und auf ſeinen und ſeiner Gemahlin Wunſch das Wappen des inzwiſchen ausgeſtorbenen Leſtwitz’ſchen Geſchlechts mit dem Itzenplitz’ſchen Wappen vereinigt.

Seit 1815 lebte Graf Itzenplitz auf ſeinen Gütern, nament - lich auf Cunersdorf. Das Beiſpiel, das ſeine und ſeiner Gemah - lin Art der Güterbewirthſchaftung, ſowohl in der Mark wie in Pommern gab, hat in beiden Provinzen höchſt ſegensreich gewirkt463 und die Agrikultur weiter Diſtrikte auf eine höhere Stufe gehoben. Aber der im beſten Sinne reformatoriſche Eifer des gräflichen Paares beſchränkte ſich nicht auf Ackerbeſtellung und Bodenkultur, auch die ſchwierigen Verhältniſſe der Gutsherrſchaft zu den Bauern wurden auf den Itzenplitz’ſchen Gütern durch freies Ueberein - kommen geregelt und die Hofedienſte in mäßige Geld - und Korn - Abgaben umgewandelt, lange bevor an eine Geſetzgebung von 1811 gedacht wurde. Ebenſo ſind bei allen Gemeinheitstheilungen und Servitutsablöſungen die Itzenplitz’ſchen Güter immer Muſter und Vorbild geweſen.

Graf Peter Alexander von Itzenplitz ſtarb am 14. Sep - tember 1834 zu Groß-Bähnitz im Havellande; ſeine Gemahlin zu Berlin am 13. April 1848.

Die Herrſchaft Friedland ging an den zweiten Sohn, den Grafen Heinrich Auguſt Friedrich von Itzenplitz (geb. den 23. Februar 1799), jetzigen Miniſter des Handels über.

Nachdem ich bis hierher in biographiſcher Weiſe die Perſo - nen vorgeführt habe, die ſeit 1763 in Cunersdorf heimiſch waren, verſuche ich nunmehr die Lokalität und anknüpfend an dieſe, die lokalen Ereigniſſe während eines halben Jahrhunderts zu ſchildern.

Leſtwitz baute das Schloß. Wie er es baute, iſt es noch. Eine Einfahrt von der Dorfgaſſe her bildet zugleich die Scheide - linie zwiſchen den ausgedehnten Wirthſchaftsgebäuden zur linken und den Wohngebäuden zur rechten Seite. Das Schloß iſt in jenem Styl gebaut, der damals in der Mark ausſchließlich Gel - tung hatte, und am richtigſten als verflachte Renaiſſance bezeich - net worden iſt. Ein Erdgeſchoß, eine Belle-Etage, eine Rampe, ein geräumiges Treppenhaus, ein Vorflur, dahinter ein Gartenſalon und von dem Salon aus ein Blick in den Park. Das Ganze breit, behaglich, gediegen. 1765 hatte der damalige Oberſt von Leſtwitz Cunersdorf gekauft, aber erſt 1773, wie die Jahreszahl464 über dem Portal beſagt, wurde der Schloßbau beendet. Bis zu dieſem Jahre alſo haben wir unſeren Leſtwitz, kurze Beſuche be - hufs Inſpicirung des Baues abgerechnet, ſchwerlich in Cunersdorf zu ſuchen; ohnehin hielt ihn der Dienſt bei dem Bataillon Garde, das er commandirte, in Potsdam feſt. Dieſer Dienſt geſtattete auch wohl, von 1773 ab, nur kurze Beſuche, und von einem wirklichen Beziehen des Schloſſes, von einem heimiſch werden darin konnte wohl erſt die Rede ſein, nachdem unſer Leſtwitz (inzwiſchen zum General-Major avancirt) den Dienſt überhaupt quittirt hatte. Dies war 1779. Von da ab bis zum Tode des Generals (1788) ge - hörten die Sommermonate einem Aufenthalt in Cunersdorf, wäh - rend der Winter in der Hauptſtadt zugebracht wurde. Die Stadt - wohnung war das wohlbekannte Nicolai’ſche Haus in der Brü - derſtraße.

Vielleicht das wichtigſte Ereigniß, das in dieſen neun Jahren Schloß Cunersdorf und ſeine Bewohner traf, war die große Oderüberſchwemmung im Jahre 1785. Es war das dieſelbe Ueber - ſchwemmung, die in dem benachbarten Frankfurt dem opfermuthi - gen Herzog Leopold von Braunſchweig den Tod brachte. Weder vorher (ſo weit Berichte reichen) noch nachher hat das Oderwaſſer in dieſen Gegenden eine gleiche Höhe erreicht. Ein Pfeil am Cu - nersdorfer Schloß zeigt noch, wie hoch damals das Waſſer ſtand. Die Fluthen ſtrömten in die Küche ein und mit ihnen kamen al - lerlei Fiſche, groß und klein, und plätſcherten ungefährdet und wie zum Spott in den eingemauerten Keſſeln umher, aus denen ſie dann bei guter Zeit ihren Rückzug antraten. Der Park ſtand unter Waſſer und in halber Höhe der Rampe, auf der ſonſt die Equi - pagen vorfuhren, legten die Kähne an.

Das war ein Ereigniß. Sonſt vergingen die Tage in jener ſtillen Weiſe, die das Leben alter Militairs, vielleicht nach einem Naturgeſetz, ſo oft kennzeichnet; der Lärm und die Leidenſchaften des Kriegshandwerks machen ſie doppelt begierig nach der Stille des Friedens und des Alters. So war es auch hier. Alte Kame - raden kamen oft und waren gern geſehen; im Wort lebte wieder465 auf (auch wohl ausgeſchmückt), was einſt That geweſen war. Die großen Tage wurden wieder lebendig. Ein Gang durch den Park, ein Ritt in’s Feld, die Freuden der Tafel, auch Billardſpiel füll - ten den Tag aus (zur Jagd war man zu alt, auch war ſie nicht Mode unter dem großen König); der Abend gehörte dem Tarock oder dem Geplauder. Feſttage waren die Beſuchstage in der Um - gegend, zumal bei Prittwitzens in dem nahe gelegenen Qui - litz. Mit allen Dehors, die dem gegenſeitigen Range gebührten, ging man dabei zu Werke; 6 Pferde (nie weniger) wurden vor die Staatskaroſſe gelegt, der Staub auf dem ziemlich öden und ſandigen Wege wirbelte auf und der Kutſcher beſchrieb mit mög - lichſter Eleganz die Curve, die das langgeſpannte Gefährt auf die Rampe des Quilitzer Schloſſes führte. Aber ſolche Beſuche fanden nicht häufig ſtatt. Prittwitz ſpielte hoch (noch 1790 nahm er dem Herzog von Mecklenburg 30,000 Thaler in einer Nacht ab) und Leſtwitz war ein guter Wirth und frommer Chriſt.

So vergingen die Tage in Schloß Cunersdorf bis 1788, vielleicht auch noch bis 1793, wo die Generalin von Leſtwitz ihrem Gatten folgte. Von da ab wurde es anders. Sinn und Geſchmack der Frau von Friedland lagen nach anderer Seite hin, und ſtatt der alten Kameraden , die nichts hatten als ihre Erinnerungen und nichts liebten als ihre Spielparthie, wurden nun gleichſam eine andere Hinterlaſſenſchaft aus der Fridricia - niſchen Zeit her die Berliner Savants, die Akademiker und Philoſophen in Schloß Cunersdorf heimiſch. Zum Theil mochte das Nicolai’ſche Haus (in welchem Frau von Friedland ihre Stadtwohnung beibehielt) eine äußerliche Veranlaſſung dazu bieten, was aber den Ausſchlag gab, das lag tiefer. Die Epoche der geiſt - reichen Cirkel, die, zehn Jahre ſpäter, in der Prinz Louis Fer - dinand-Zeit ihren Höhepunkt erreichte, war eben angebrochen; Geburt war nicht viel (oder ſollte nicht viel ſein), Talent war alles. Dieſe Anſchauung, damals die herrſchende, herrſchte auch in Schloß Cunersdorf. An Stelle der Oberſten und Generale traten mehr und mehr die Gelehrten und Akademiker in den Vor -30466dergrund; Buttmann und Bode, Engel und Spalding, Bieſter und Nicolai waren gern geſehene Gäſte und die Vertreter berühmter Namen galten wenig, wenn ſie nicht ihres Theils gewirkt und ge - ſchafft und das ererbte Pfund durch eigene Kraft gemehrt hatten.

Der Tod der Frau von Friedland änderte hierin nichts Weſentliches; die Gräfin Itzenplitz (Frau von Friedlands Toch - ter) trat eben in jedem Sinne die Erbſchaft der Mutter an und alles was hervorragte, ſei es in Staat, in Leben, in Wiſſenſchaft, fand nach wie vor die gaſtlichen Thore von Schloß Cunersdorf offen. Wenn ſich ein Unterſchied zeigte, ſo war es vielleicht der, daß die einſeitige Bevorzugung des Talents, des Wiſſens, wie es die Mode, die Zeitſtrömung mit ſich gebracht hatte, nunmehr einer nach allen Seiten hin gerechteren Würdigung des Lebens und ſeiner tauſend Kräfte Platz machte. Die perſönlichen Neigungen der Tochter lagen im Weſentlichen nach derſelben Seite hin, wie die der Mutter, die Wiſſenſchaften ſtanden in erſter Reihe (unter dieſen wieder Botanik und die Naturwiſſenſchaften obenan) und Klap - roth, Willdenow, Lichtenſtein, Ermann, beide Humboldt’s, Leopold von Buch, dazu Savigny, Ranke, Kneſebeck, Reden, Marwitz, Oberſt von Romberg, vor allem der alte Oberpräſident von Vincke, waren Freunde und Gäſte des Hau - ſes. Aber, wie ſchon angedeutet, der Kreis war doch ein weiter gezogener als zu den Lebzeiten der Mutter, und die Kunſt, deren erſtes Dämmern in dieſem Lande Frau von Friedland nur eben noch erlebt hatte, fand ein eingehenderes Verſtändniß, und ſoweit es die Zeitverhältniſſe und die Mittel eines Privathauſes überhaupt geſtatteten, auch Pflege und Förderung bei der Tochter. Rauch, Friedrich Tieck, Wach (der beiden Altmeiſter Schadow und Weitſch zu geſchweigen) traten, theils menſchlich, theils künſtleriſch, in nähere Beziehung zu dem Itzenplitz’ſchen Hauſe, und der Verlauf dieſes Aufſatzes wird mir noch Gelegenheit geben, ihre Werke, ſoweit ſie auf Schloß Cunersdorf Bezug haben, an dieſer Stelle aufzuzählen.

Die eben genannten Namen haben uns bereits bis an die467 Grenze der Gegenwart geführt, aber noch haben wir in aller Kürze von Tagen zu erzählen, die dem Anfange dieſes Jahrhunderts an - gehören; ich meine die Kriegs - und die Franzoſenzeit, die ganze Epoche von Jena bis Leipzig. Auch Cunersdorf hat ſeine Erinne - rungen und ſogar ſeine kleinen hiſtoriſchen Momente aus jener Zeit her.

Die Schlacht von Jena war geſchlagen und die Sieger gin - gen wie eine Welle über das Land hin. Von dieſer erſten Kriegs - noth ſcheint Cunersdorf wenig oder gar nicht berührt worden zu ſein, erſt der Rückſchlag der Welle (wie er dem Frieden von Tilſit folgte) brachte den Feind auch in dieſe Gegenden. Die Marken, unter allerhand Vorwand, blieben okkupirt, trotzdem der Wortlaut des Friedens alles Land öſtlich der Elbe dem beſiegten Preußen gelaſſen hatte und von den okkupirenden Truppen kamen die be - rühmten Kavallerie-Regimenter, die die Diviſion Nanſouty bildeten, in die Oderbruchdörfer zu liegen. Die Wahl war gut getroffen; wo hätten die 10,000 Pferde ſich wohler fühlen können, als in der Kornkammer der Provinz? In Schloß Cunersdorf allein lagen 48 Franzoſen in Quartier, darunter wenigſtens zehn Offiziere. Einzelne gehörten guten Familien an, die meiſten aber waren roh und ungebildet und machten es der Itzenplitz’ſchen Familie un - möglich, mit ihnen zu leben. Zehn Monate lang lag dieſe ſchwere Cavallerie (ſchwer in jedem Sinne) in den Oderbruchdörfern; endlich rückte ſie weſtwärts. Liebesaventuren, Händel, Hazard und Piſtolenſchießen hatten plötzlich ein Ende, und Schloß Cunersdorf wurde gelüftet und gebadet, als wäre der Böſe darin geweſen. Die Regimenter zogen nach Spanien, ſpäter, wenigſtens theilweis, nach Rußland.

Aber wenn man im Oderbruch und ſpeciell in Cunersdorf dieſer ſchweren Kavallerie nicht vergaß, ſo vergaß dieſe auch ihrer - ſeits nicht, wie fette Weide dieſe Gegenden für Roß und Reiter geboten. Im Januar 1813 kamen Quartiermacher durch das Dorf und gaben Zettel im Schloß und auf dem Schulzenamt ab, in denen die nahe Ankunft der Nanſouth’ſchen und ihrer Anverwandten30*468(nunmehr, wenn wir nicht irren, unter dem Oberbefehl des Ge - nerals Sebaſtiani) faſt wie ein Wiederſehn, wie ein bevorſtehendes freudiges Ereigniß angekündigt wurde. Aber ob nun dieſe nach - rückenden Reiter, die meiſt keine Reiter mehr waren, eine andere Route nahmen, oder ob dieſe Zettel nur gleichſam Bülletins im Kleinen darſtellten, darauf angelegt, die Gegenden, durch die man kam, noch an das Vorhandenſein der grande armée glauben zu machen, gleichviel, die ſchwere Kavallerie kam nicht. Wer kam, das waren andere.

Am 18. Februar, als man es freilich längſt aufgegeben hatte, die ehemalig Nanſouty’ſchen noch zu ſehen, hielten plötzlich, unver - muthet, unangemeldet, ſtruppige Pferde vor jedem Ausgang des Dorfes und auf den kleinen, abgetriebenen Gäulen ſaßen ſeltſame Leute mit Pelzmützen und Piken, wie ſie ſeit den Tagen von Zorn - dorf und Schlachten-Kunersdorf in dieſen Gegenden nicht mehr geſehen worden waren. Es waren Koſaken.

Damit hatte es folgenden Zuſammenhang. General Tſcher - nitſcheff, der Führer der ruſſiſchen Avantgarde, nachdem ſeine Vorhut unter Oberſt von Tettenborn bereits am Tage zuvor bis Werneuchen und Alt-Landsberg vorgedrungen war, hatte am 18. in der Mittagsſtunde die Oder paſſirt. Ein Alliirter von Rußland her, ſo erzählt Friedrich Adami, hatte ihm und ſeinen 2000 Pferden die Brücke dazu gebaut. Die Oder trug noch ihre Eisdecke. Wenige Stunden ſpäter, um 4 Uhr Nachmittags, brach das Eis, auf dem drei ruſſiſche Regimenter (Koſaken, Dra - goner und Huſaren) nebſt einigen Kanonen über die Oder mar - ſchirt waren. Es hatte, ſo ſchien es, nur eben noch die Landsleute des harten, nordiſchen Winters hinüber laſſen wollen. Dieſe 2000 Reiter erſchienen jetzt in den Dörfern zwiſchen Wriezen und Möglin; Tſchernitſcheff ſelbſt übernachtete in Schloß Cunersdorf.

In Schloß Cunersdorf ſelbſt erzählt man den Hergang etwas abweichend. Danach erſchien Tſchernitſcheff nicht ſpät Nachmit - tags, ſondern bereits früh am Morgen, übernachtete auch nicht im Schloß, ſondern brach nach kurzer Raſt und nachdem alle 2000469 Reiter im Dorfe gefuttert hatten, in der Richtung von Straus - berg und Herzfelde auf. Dafür, daß alle 2000 Reiter Cunersdorf paſſirten, ſcheint allerdings der Umſtand zu ſprechen, daß, nach einer noch fortlebenden Erinnerung, an jenem einen Vormittage 17 Wispel Hafer verfuttert wurden.

Das Jahr 1813 brachte noch einen andern Gaſt nach Schloß Cunersdorf und mit ſeinem Beſuche ſchließen wir, wie mit einem kleinen Idyll. Dieſer Gaſt war Chamiſſo.

Chamiſſo, bekanntlich in Folge der franzöſiſchen Revolu - tion aus Frankreich (Schloß Boncourt in der Champagne) emi - grirt,*)Zwei ältere Brüder Adalberts von Chamiſſo (Hippolyt und Karl) waren Leibpagen im Dienſte Ludwigs XVI. und Karl war unausgeſetzt um die Perſon des unglücklichen Monarchen in deſſen bedrängteſten Lagen, namentlich am 10. Auguſt 1792. Bei einem Auflauf zerſchlagen und verwundet, wurde Karl von Chamiſſo nur mit Mühe gerettet. Der König verkannte das Verdienſt nicht, das ſich der Page um ihn erworben hatte und fand Gelegenheit, ihm einen Degen zuzuſtecken, den er, der König, in glücklicheren Jahren getragen hatte. Zu gleicher Zeit ſchrieb er auf einem nur etwa thalergroßen Zettelchen: Ich empfehle Herrn von Chamiſſo, einen meiner treuen Diener, meinen Brüdern. Er hat mehrere Male ſein Leben für mich auf das Spiel geſetzt. Lud - wig. Dies Zettelchen und der Degen befinden ſich bis dieſen Tag in Händen der Familie; der älteſte Sohn (preußiſcher Offizier) Adalbert von Chamiſſos beſitzt Beides. hatte als preußiſcher Offizier die unglückliche Campagne von 1806 und ſpeciell die Kapitulation von Hameln mit durchge - macht. Seitdem lebte er ausſchließlich den Wiſſenſchaften, beſonders dem Studium der Botanik. Im Frühjahr 1813 waren ſeine Mit - tel erſchöpft und Profeſſor Lichtenſtein, dem Itzenplitz’ſchen Hauſe befreundet, empfahl den jungen Botaniker (eben unſern Chamiſſo) nach Cunersdorf hin, wo er, nach bald erfolgtem Eintreffen, die Anlegung einer großen Pflanzenſammlung unter - nahm, eines Herbariums, das einerſeits die ganze Flora des Oder - bruchs, andererſeits alle Garten - und Treibhauspflanzen des Schloſſes ſelbſt enthalten ſollte. Chamiſſo verweilte einen Som - mer lang in dieſer ländlichen Zurückgezogenheit, und unterzog ſich470 ſeiner Aufgabe mit Gewiſſenhaftigkeit. Das von ihm herrührende Herbarium exiſtirt noch. Die Mußeſtunden gehörten aber der Dicht - kunſt, und im Cunersdorfer Bibliothekzimmer war es, wo unſer Chamiſſo, am offenen Fenſter und den Blick auf den ſchönen Park gerichtet, den Peter Schlemihl , ſeine vielleicht bedeutendſte und originellſte Arbeit niederſchrieb.

Einige Stellen aus Briefen, die er damals an Varnhagen und Itzig richtete, mögen hier auszugsweiſe einen Platz finden.

Er ſchreibt an Varnhagen (Cunersdorf, den 27. Mai 1813):

Lieber Varnhagen, thun und laſſen war für mich gleich ſchmerzhaft; durch den Machtſpruch von Ehrenmännern in Unthätigkeit gebannt, bring ich den Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf ſeinen Gütern zu (in Cunersdorf bei Wriezen) und beſchäftige mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichſten Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den Landſturm exerciren und kommt es zu einem Bauernkrieg, ſo kann ich mich wohl darein miſchen pro aris et focis. Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen. *)Er fühlte ſich, trotz der natürlichen Bande, die ihn an Frankreich knüpften, ſo ganz als Deutſcher, daß er im Jahre 1818 bei ſeiner Rück - kehr von der Reiſe um die Welt, die er unter Otto von Kotzebue an Bord des Rurik gemacht hatte, auf der Rhede von Swinemünde ſchreiben konnte:Heimkehret fernher, aus den fremden Landen, In ſeiner Seele tief bewegt der Wanderer; Er legt von ſich den Stab und knieet nieder, Und feuchtet deinen Schooß mit ſtillen Thränen, O deutſche Heimath! Woll ihm nicht verſagen Für viele Liebe nur die eine Bitte: Wann müd am Abend ſeine Augen ſinken, Auf Deinem Grunde laß den Stein ihn finden, Darunter er zum Schlaf ſein Haupt verberge.

An Hitzig (Cunersdorf, Juni 1813):

Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit meinem Gärtner botaniſiren, vergleiche meine Kataloge, corrigire die fran -471 zöſiſchen Aufſätze der jungen Leute, unterweiſe ſie etwas in der Botanik .... Das war ein ſchwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie klingt doch ſo ſeltſam mit einem Male in mir das Wort Fouqué’s:

Im Mai, im Mai, im jüngſten Mai,
Wo alles Leben ſonſt geht auf,
Da iſt des jungen Helden Lauf
Ganz wider Blumenart vorbei.

O Gott, möchte er es nicht von ſich ſelber geſungen haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sünden; aber es iſt wahr:

Das iſt die ſchwere Zeit der Noth,
Das iſt die Noth der ſchweren Zeit,
Das iſt die ſchwere Noth der Zeit,
Das iſt die Zeit der ſchweren Noth.

Da haſt Du ein Thema.

An Hitzig (Cunersdorf; wahrſcheinlich im September).

.... Du haſt nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute Abend, wenn Du Zeit haſt. Wenn ſie neugierig wird zu erfahren, wie es Schle - mihl weiter ergangen und beſonders, wer der Mann im grauen Kleide war, ſo ſchick mir gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran ſchreibe; wo nicht, ſo weiß ich ſchon was die Glocke geſchlagen hat. Vom dritten Kapitel iſt das erſt der An - fang; dies und das folgende ſind mir ſehr beſchwerlich es ſtehen die Ochſen am Berge.

An Hitzig (Cunersdorf, Spätherbſt 1813).

Dieſes zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Cu - nersdorf haſt, dem Du eben nicht ſehr oft ſchreibſt. Es iſt eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage der Poſtbote einläuft, und die Austheilung der Briefe im Salon geſchieht und für einen Jeden etwas da iſt, und für den Herrn von Chamiſſo niſcht niche!

472

.... Ich kratze immer an meinem Schlagſchatten , und wenn ich’s Dir geſtehen muß, lache und fürchte ich mich manch - mal darüber, ſo wie ich daran ſchreibe; wenn die Andern nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes vier - tes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, geſtern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geſchnitten und heute abgeſchrieben. Es iſt auch ſchon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Proſa-ſchreiben wird mir ungeheuer ſauer, mein Brouillon ſieht toller aus als alle Verſe, die ich je gemacht.

Bald nach dieſem Briefe ſcheint Chamiſſo nach Berlin zu - rückgekehrt zu ſein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe ſich zunächſt nach Nennhauſen hin, zu Fouqué, auf den Weg gemacht, um dieſem ſeinen Schlemihl vorzuleſen; es liegen aber doch wohl Monate dazwiſchen, da, wie wir aus dem letztcitirten Briefe erſehen, bis etwa Mitte Oktober, erſt vier Kapitel von elf beendigt waren. Uebrigens ſtand Fouqué damals auch wohl im Felde.

So waren die Erlebniſſe von Schloß Cunersdorf, ſo waren die Perſonen, die, während eines halben Jahrhunderts und darüber, dort kamen und gingen.

Wir durchſchreiten jetzt zunächſt die Säle und Zimmer des Erdgeſchoſſes und verweilen vor älteren und neueren Familienpor - träts von zum Theil künſtleriſchem Intereſſe. Die Aufzeichnung dieſer Bilder aber an andrer Stelle gebend (Siehe die Anmer - kungen), wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk ge - legenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächſt den Bildniſſen derer begegnen, die einſt Freunde des Cunersdorfer Hauſes waren: Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil ꝛc. Was aber unſer Intereſſe lebhafter in Anſpruch nimmt, das iſt ein großer pultartiger Schrank, der in ſeinen verſchiedenen Käſten473 und Fächern alles das umſchließt, was ſich auf den Generalmajor von Leſtwitz bezieht. Das ganze Arrangement erinnert mehr oder weniger an die großen Glaskäſten, in denen man in England (im Britiſchen Muſeum, im Greenwich-Hoſpital, in Abbotsford ꝛc. ) allerhand Erinnerungsſtücke an hiſtoriſche Perſönlichkeiten, z. B. an Nelſon, Walter Scott oder Sir John Franklin aus - zuſtellen pflegt. Auch unſere Kunſtkammer hat ähnliches.

In dieſem Leſtwitz-Schrank, deſſen oberer Theil eben aus einem ſolchen Glaskaſten beſteht, befinden ſich folgende Gegen - ſtände:

1) Die beiden Degen des Generalmajors von Leſtwitz, jeder mit Draht-umſponnenem Griff und einfacher Lederſcheide.

2) Der Schlachtplan von Torgau ( der Leſtwitz-Tag ) groß und in ſauberſter Ausführung. Dazu: Ausführlicher Be - richt, wie die merkwürdige Schlacht bei Siptitz, ohnweit Torgau, am 3. November 1760 geſchehn iſt. Leipzig, bei Chriſtian Gott - lieb Hilſcher.

3) Charten und Manöverpläne, die der Generalmajor von Leſtwitz ſelbſt gebraucht.

4) Charten, die auf den ſiebenjährigen Krieg Bezug haben bis 1763.

5) Militairiſche Pläne und Charten ſeit 1763.

Alle unter 3, 4 und 5 angeführten Charten und Pläne be - finden ſich in großen Mappen und ſind zum Theil für den Leſt - witz’ſchen Privat-Gebrauch gezeichnet und getuſcht, theils im Buch - handel erſchienen. Bei den letztern leſen wir abwechſelnd: Zu finden in Johann Jacob Korns Buchhandlung in Breslau , oder: geſtochen von Glaßbach in Berlin.

In demſelben Schrank finden wir noch ein anderes hiſtori - ſches Werthſtück, das freilich nicht mehr der Leſtwitz-Zeit ange - hört, ſondern vom Grafen Peter Alexander von Itzenplitz, von Groß-Bähnitz im Havellande her, mit nach Cunersdorf gebracht wurde. Es iſt dies

6) der Flötenkaſten Friedrichs des Großen, den, bald474 nach dem Tode des großen Königs, Friedrich Wilhelm II. an ſeinen Miniſter Wöllner zum Geſchenk machte. Der Miniſter Wöll - ner war mit einer Itzenplitz vermählt, wodurch dies hiſtoriſche Werthſtück (da das Wöllner’ſche Paar kinderlos ſtarb) in die Itzenplitz’ſche Familie kam.

Es iſt ein weißer, in der geſchmackvollſten Weiſe mit Roſen, Erdbeeren und allerlei Blumenguirlanden bemalter Porzellankaſten, von etwa 5 Zoll Höhe, bei 7 Zoll Breite und 11 Zoll Länge. In dieſem Kaſten, der zwei Etagen hat, und mit rothem Sammt ausgeſchlagen iſt, liegt die Ebenholz-Flöte des Königs. Sie beſteht aus 8 Stücken: einem Mundſtück, einem Klappenſtück und 6 Ein - ſatzſtücken, jedes Stück von einem Elfenbeinrande eingefaßt. Dazu gehört noch (zugleich als Autograph von der Hand des Königs) eine 7 Seiten lange Partitur. Die Ueberſchrift derſelben lautet: Aria per il Paulino del Opera di Demofonté, allegro di molto non odi consiglio. Rechts oben in der Ecke: di Fre - derico.

Vielleicht die größte Sehenswürdigkeit von Schloß Cuners - dorf iſt die Begräbnißſtätte für die Familie Leſtwitz-Itzen - plitz. Dieſelbe liegt an der anderen Seite der Dorfſtraße und die verſchlungenen Pfade eines Obſtgartens, an Blumenbeeten und dem hohen Schilf eines kleinen Teiches vorbei, führen zu dieſer Stätte hin. Eine hohe Schwarztanne, deren Zweige weit in den Friedhof hineinragen, bezeichnet den Eingang. Dieſer Friedhof, den eine ziemlich niedrige Feldſteinmauer einfaßt, erinnert zumeiſt an die Begräbnißſtätten der Familie Marwitz in Friedersdorf und der Familie Humboldt in Tegel. Mit beiden hat er eine gewiſſe Eigenthümlichkeit der Anlage gemein, und wenn er viel - leicht einerſeits hinter der chriſtlich-poetiſchen Schlichtheit des einen, wie anderſeits hinter der klaſſiſch-äſthetiſchen Feinfühligkeit des andern zurückbleibt, ſo übertrifft er doch beide durch Mannigfal - tigkeit und den Reichthum des künſtleriſch Gebotenen. Die Anlage (wenn ich nicht irre, von Frau von Friedland herrührend, die auch hierin die Selbſtſtändigkeit ihres Weſens zeigte) iſt folgende. 475An der Einfaſſungsmauer entlang, aber dieſe bedeutend über - ragend, zieht ſich, wie ein ſolider Wandſchirm, ein Stück Mauer - werk entlang, deſſen Rückſeite glatt iſt, während die Front (der Begräbnißſtätte zugekehrt) eine Anzahl von Niſchen zeigt. Einfache Säulen faſſen nach links und rechts dieſe Niſchen ein und tragen einen wenig vorſpringenden Sims. Zu Füßen jeder Niſche liegt ein Grabſtein, während, in der Niſche ſelbſt, die Aſchenkrüge mit den Reliefbildniſſen der Verſtorbenen oder ſonſtige Mementos ſte - hen. Um die Grabſteine rankt ſich Epheu; Geisblatt und Immer - grün ſteigen zu den Säulen empor. Die ganze Anlage hat den Vortheil, daß ſie ſich ohne Mühe, durch Anbau einer nenen Niſche erweitern läßt. Der Bau, wie er jetzt iſt, beſteht aus neun Ni - ſchen, und die Mitglieder der Leſtwitz-Itzenplitz’ſchen Familie, die hier ihre Ruheſtätte gefunden haben, ſind (ich gebe die In - ſchriften wörtlich) folgende:

1) Gruft des irdiſchen Ueberreſts von Hans Sigismund von Leſtwitz, Königl. Preußiſchen General-Majors der Infan - terie. Geboren zu Kontop in Schleſien am 19. Junius 1718; geſtorben zu Berlin am 16. Februar 1788. Denkmal: eine über zwei Fuß hohe Urne von grauem ſchleſiſchem Marmor; in Front der Urne der Reliefkopf des Generals; oben auf der Urne, Helm, Schwerdt, Handſchuh. Von Schadow zwiſchen 1790 und 1803 ausgeführt.

2) Dies Denkmal bedeckt den ſterblichen Theil von Ca - tharina Charlotte von Leſtwitz, geb. von Treskow. Ge - boren zu Schlagentin im Magdeburgiſchen am 3. Januar 1734, geſtorben zu Berlin am 14. Januar 1789. Denkmal: Urne von grauſchwarzem Marmor mit Reliefbild. Ebenfalls von Schadow.

3) Dem thätigen Geiſte, der dieſe Fluren belebte, ordnete und nun ſchützt, Helenen Charlotten von Friedland, ge - bornen von Leſtwitz. Geb. zu Breslau 18. November 1754, geſtorben zu Cunersdorf den 23. Februar 1803. Denkmal: Ein Säulenabſchnitt, an dem ſich das Reliefbild der Heimgegan -476 genen befindet, trägt eine Marmor-Urne. Dieſe Urne zeigt am oberen Rande, auch reliefartig, die Attribute der Landwirthſchaft: Pflug, Egge, Senſe, Sichel, Harke. Darunter ein Genius, mit dem Schmetterling in der Hand; im Hintergrund zwei weibliche Figuren, von denen die eine einen Blüthenzweig, vielleicht eine Lotosblume, oder doch eine Blume von ähnlicher allegoriſcher Be - deutung, in der Hand hält, während die andere ſich, durch eine Scheere in ihrer Rechten, als eine der Parzen kennzeichnet. Dies Denkmal, von Enrigo Keller in Rom herrührend, gilt für ein ausgezeichnetes Kunſtwerk. Die Basreliefs an der Urne ſind nach antiken Vorbildern ausgeführt*)Wilhelm von Humboldt wurde durch die befreundete Itzen - plitz’ſche Familie aufgefordert, die Anfertigung eines Grabdenkmals, am beſten durch einen italieniſchen Künſtler, zu vermitteln. Humboldt un - terzog ſich gern dieſer Aufgabe und ſchrieb an Enrigo Keller: Auf der Urne wünſcht man ein allegoriſches Basrelief, wozu das bekannte Bas - relief von dem Genius und dem Schmetterlinge und zwei andern allegoriſchen Figuren, das ſich auf der Vaſe im Palaſt Chigi befindet, das beſte und ſchicklichſte wäre. . Ich bekenne indeß, daß ich die hohe Schönheit ſpeciell dieſes antiken Reliefbildes (der Genius mit dem Schmetterlinge gleicht einem Amor, den eine Biene geſtochen hat) nicht habe empfinden können. Der unten in der Anmerkung abgedruckte Brief Wilhelm von Humboldt’s widerlegt mich, ohne mich zu überzeugen.

4) Peter Alexander Graf von Itzenplitz. Zu Groß - Bähnitz geboren den 24. Auguſt 1769, geſtorben den 18. Sep - tember 1834. Sein Herz, reich an umfaſſender Liebe, ſein Geiſt voll Durſt nach Wiſſen, wirkte mit lebendiger Einſicht und be - harrlicher Kraft, was in dauernder Frucht uns troſtvoll umgiebt. Denkmal: Ein zugeſchrägter griechiſcher Altar, trägt zuoberſt das Reliefporträt des Grafen. Darunter ein anderes Reliefbild, das alte und das neue Oderbruch (d. h. den Zuſtand wie er war, und den Zuſtand wie er iſt) allegoriſch darſtellend. Waſſer ent - ſtrömt der Urne der Najade, und Eiche, Storch und Reiher, die im Sumpf ihre Heimath haben, bezeichnen das alte Oderbruch. 477Aber das abgewandt entſtrömende Waſſer legt den Vordergrund trocken und ein pflügendes Stiergeſpann, Apfelbaum und Garbe verſinnbildlichen das Oderbruch, wie es jetzt iſt. Von Rauch herrührend.

5) Henriette Charlotte Gräfin von Itzenplitz, Ge - borne von Borcke, genannt von Friedland, geboren zu Pots - dam 18. Juli 1772, vermählt zu Cunersdorf, 23. September 1792, geſtorben zu Berlin 13. April 1848. Denkmal: Eine zugeſchrägte Marmortafel trägt die entſprechenden Reliefs. Gräfin Itzenplitz ſitzt, mit dem Ausdruck heiterer Ruhe, auf einer Bank. Neben ihr ein Fruchtkorb, auf dem die Linke ruht; in der Rechten hält ſie ein aufgeſchlagenes Pflanzenbuch, zum Hinweis auf ihre Vorliebe für Garten - und Pflanzenkunde. Ebenfalls von Rauch.

6) Gräfin von Itzenplitz, geb. Gräfin von Bernſtorff. Denkmal: Der Engel des Todes entführt die Mutter ihren Kin - dern; aber noch im Scheiden ſucht ſie ſchützend ihren Schleier um alle die zu breiten, die ſie zurückläßt. Eine vortreffliche Arbeit von Friedrich Tieck.

7) Gräfin von Itzenplitz, geb. von Sierſtorpff. Denk - mal: ein einfaches Marmorkreuz.

8) Gräfin von Itzenplitz, geb. von Kroecher. Denkmal: die Sterbende preßt das Kreuz an ihre Bruſt, während ihr der Engel des Todes den Kranz reicht. Von Hugo Hagen.

Der Platz der neunten Niſche iſt noch frei. Graf Heinrich von Itzenplitz, der gegenwärtige Beſitzer der Herrſchaft, hat ihn für ſich reſervirt, um hier an der Seite der Seinen zu ruhen. Der Friedhof ſelbſt aber, von dem wir jetzt Abſchied nehmen (und von dem wenige wiſſen), bildet eine Sehenswürdigkeit unſerer Mark auch nach der Seite des Künſtleriſchen hin. Die beſten bild - neriſchen Kräfte, die unſer Land hervorgebracht, hier waren ſie thätig: Schadow, Rauch, Tieck. Und keiner von ihnen iſt an dieſer Stelle hinter ſich ſelbſt zurückgeblieben.

478

Die ſchönſte Stunde im Schloß iſt die Morgenſtunde. Noch iſt Alles ſtill; draußen leuchtet ein klarer Septemberhimmel, Luft und Sonne ſtrömen durch das offene Fenſter ein. Unter dem Fenſter hin zieht ſich ein Garten, mit Raſenplatz und Blumen-Rondel. Die Gänge ſind friſch geharkt; keine Fußſpur unterbricht die glat - ten Furchen; nur hier und da ſieht man ein Gekräuſel im Sand, von einem Huhn herrührend, das ſich aus dem Hof in den Gar - ten ſtahl. Die Bosquets ſind abgeblüht; die Spätlinge des Jah - res, meiſt rothe Verbenen, haben an der Rampenwand ein war - mes Plätzchen geſucht; dort trifft ſie eben die volle Morgenſonne.

Hinter dem Garten ſteigt der Park auf und mitten durch den Park hin (in gerader Linie auf das Schloß zu) zieht ſich, canal - artig, ein breiter Teich. Die Bäume zur Rechten des Waſſers ſtehen dicht und dunkel; aber nach links hin lichten ſie ſich, und durch die Lichtungen hindurch, über weiße Birkenbrücken hinweg, blicken wir weit in das offene Wieſenland hinein.

Friede ringsum. Auf das Fenſterbrett vor mir ſetzt ſich ein Spatz und zwitſchert und ſieht mich an, als erwart er ſein Mor - genbrod von mir. Er pickt die Krume auf, die ich ihm hingewor - fen, und unterwegs ſeine Flügel in’s Waſſer tauchend, fliegt er über die Breite des Teiches hin.

Einzelne Sträucher lachen mit rothen Beeren aus dem Un - terholz des Parkes hervor; die große Linde, halb herbſtlich ſchon, ſtreut bei jedem Luftzug ein gelbes Blatt auf die Gänge nieder; aber im Fallen zögern die Blätter wieder und raffen ſich auf, als überlegten ſie, ob ſie nicht lieber ſteigen ſollen. Vereinzelte Vogel - ſtimmen ſingen in den Morgen hinein; ſonſt alles ſtill; nur das Waſſer, nun faſt ein Jahrhundert ſchon, fällt an derſelben Stelle melodiſch-einförmig über das Wehr, wie ein Ewiges, das die Bil - der der Zeitlichkeit umſchließt.

[479]

Das Pfulen-Land.

Ich leſe gern von mancher tüchtgen Kraft, Die kühn gefolgt der Größten ew’gem Schimmer.
(H. v. Blomberg. )

Wie um Neuſtadt-Eberswalde herum ein Sparren-Land , ſo gab es, im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts, um Buckow herum ein Pfulen-Land. Hier an der Grenze zwiſchen Barnim und Lebus hatten, von kleinen Anfängen ausgehend, die Pfuels, die muthmaßlich mit den Askaniern in’s Land gekommen waren, ihren Haupt-Beſitzſtand aufgebaut, einen Beſitz, der, zur Zeit der höchſten Blüthe der Familie, bis weit in die genannten beiden Landestheile hineinreichte und wenige Enclaven abgerechnet ſo ziemlich einen Kreis von 2 bis 3 Meilen Durchmeſſer bildete, Buckow als Mittelpunkt.

Die Pfuels kamen ſo früh in’s Land, daß ſie ſchon im Jahre 1603 in einer Leichenpredigt, die beim Hinſcheiden eines der Ihri - gen gehalten wurde, nicht nur ein fürtreffliches , ſondern auch ein uraltes Geſchlecht genannt werden konnten, ein Geſchlecht, aus welchem equestris et literati Ordinis viri, fürtreffliche Kriegsſchilde, auch wohlgelahrte, verſtändige und verſuchte Män - ner hervorgegangen ſein. Dieſem alten Ruhme hat die Familie in den Dritthalbhundert Jahren, die ſeitdem vergangen ſind, ge - treulich nachgelebt, und der Verlauf dieſes Aufſatzes wird verſchie - dentlich Gelegenheit bieten, wie auf eine ganze Anzahl fürtreff -480 licher Kriegsſchilde , ſo auch auf wohlgelahrte, verſtändige und verſuchte Männer hinzuweiſen, die, wie vor ſo auch nach 1603, dem alten Hauſe entſproſſen ſind. Einige waren Kriegsſchilde und wohlgelahrte Männer zugleich; keiner glänzender vielleicht als Jener eine, der noch, als Jüngling-Greis , unter uns weilt und, ein halb Jahrhundert zurück, in großen, begeiſterten Tagen, die beſſere Kämpfe als den der Tagesmeinung kämpften, hoffnungsreich, geliebt, bewundert, in das Leben und in die Schlacht trat.

Aber ich habe von den Pfuels vergangener Jahrhunderte zu berichten. Sie gehörten zu den Schloß-geſeſſenen Geſchlechtern der Mark, inſoweit ſie Beſitzer der damals, im 15. und 16. Jahr - hundert, feſten Schlöſſer Quilitz, Ranft und Leuenberg waren, und ihr Anſehen war bedeutend genug, um noch am Ende des 15. Jahr - hunderts, alſo 100 Jahre ſpäter als die Quitzows, wegen ange - thaner Beileidigung (eine rückgängig gemachte Verlobung) eine zehnjährige Fehde mit den Mecklenburger Herzögen führen zu können. Dieſe Zeiten liegen zurück; der reiche Beſitz iſt zuſammen - geſchmolzen, aber was die Familie an altem Beſitz noch inne hat, das hat ſie an alter Stelle, in Barnim und Lebus.

In beiden Landestheilen haben die Beſitzverhältniſſe im All - gemeinen vielfach gewechſelt; nur drei alte Familien ſind auf alter Scholle geblieben, die Barfuſe in Ober-Barnim, die Burgsdorffs in Lebus, die Pfuels in beiden.

Der alte Beſitz der Pfuels betrug, zur Zeit des höchſten Glanzes der Familie, vielleicht das Zehnfache von dem, was ſie jetzt inne haben und umfaßte, zwiſchen 1550 und 1650, folgende Güter theils ganz, theils antheilsweiſe: Dannenberg, Leuenberg, Steinbeck, Alt-Ranft, Schulzendorf, Hohenfinow, Prötzel, Tiefen - ſee, Werftpfuhl, Haſenholz, Garzin, Garzau, Dahmsdorf, Obers - dorf, Quilitz, Friedersdorff, Kinitz, Münchehofe, Jahnsfelde, Gielsdorf und Wilkendorf.

Von dieſem ganzen reichen Beſitz ſind der Familie nur drei Güter geblieben und zwar die drei letztgenannten: Jahnsfelde,481 bei Müncheberg und Gielsdorf-Wilkendorf bei Straußberg. Der Name des alten Geſchlechtes aber lebt noch überall in den alt-pfuliſchen Dörfern auf Grabſteinen, Bildern und Glocken fort, ſo daß wir in Nachſtehendem von Dorf zu Dorf, von Kirche zu Kirche, zu wandern und dabei aufzuzeichnen haben werden, was dem Pfulen-Lande noch an Erinnerungsſtücken aus alter Zeit ge - blieben iſt.

1. Schulzendorf.

Schulzendorf, eine halbe Meile weſtlich von Wriezen, kam bald nach 1450 in Pfuel’ſchen Beſitz. Es blieb lange bei der Familie; erſt 1837 iſt es in andre Hände übergegangen. Die Feldſteinkirche iſt alt und enthält außer einem weißgetünchten Schnitzaltar (die Kriegs - knechte würfeln um Chriſti Mantel) ein großes, ſehr intereſſantes Bild aus der Pfuel’ſchen Zeit her. Dies Bild, zu Ehren eines Quilitzer Pfuel gemalt und aufgeſtellt, befand ſich demgemäß urſprünglich in der Quilitzer Kirche. Nachdem indeß dieſem Zweige der Familie Quilitz verloren gegangen und nur Schulzendorf noch geblieben war, hatten die ſpätren Repräſentanten der Quilitzer Linie den Wunſch, das Ehren-Bild ihres Ahnherrn nicht mehr in einer ihnen fremd gewordenen Kirche zu ſehen. Sie erkauften da - her das Bild und ſtellten es in der Schulzendorfer Kirche auf. Das Bild iſt ſehr groß, wenigſtens 6 Fuß zu 4, und ſtellt eine Kreuzigung Chriſti dar. Zu Füßen des Kreuzes kniet in blanker Rüſtung der alte Pfuel, dem zu Ehren das Bild errichtet wurde, und blickt betend zu dem Gekreuzigten auf. Weiter unterhalb die Donatoren: 4 weibliche und 2 männliche Figuren. Dies wäre das Herkömmliche. Wodurch ſich aber das Bild von dem tradi - tionell Ueblichen unterſcheidet, das iſt der Umſtand, daß die Ge - ſtalten des Heilands und des in blanker Rüſtung knieenden Pfuel nicht gemalt, ſondern basreliefartig in Holz geſchnitten und nun erſt an der ihnen zukommenden Stelle auf dem Bilde befeſtigt ſind. Es iſt dies das erſte und einzige Beiſpiel der Art, dem ich begegnet bin. Es iſt mehr eigenthümlich, als ſchön; man könnte es praktiſch nennen, indem es die Aufmerkſamkeit des Be -31482ſchauers auf die beiden Geſtalten hinzwingt, auf die es an - kommt: auf den Gekreuzigten und den betenden Pfuel. Die blanke Rüſtung des letzteren iſt ganz wie es ſich für eine kleine Re - lief-Figur geziemt nicht durch Farbe, ſondern durch Belegen mit Silberſchaum hergeſtellt.

Das Bild hat drei Inſchriften: eine erſte, die von dem bildlich dargeſtellten alten Pfuel (Vornamen fehlen) handelt; eine zweite, die von dem Aufſteller des Bildes in Quilitz und eine dritte, die von der Ueberſiedlung des letztern nach Schul - zendorf ſpricht.

Die erſte Inſchrift, am oberſten Rande des Bildes, iſt un - leſerlich geworden.

Zweite Inſchrift: Dies Epitaphium iſt von dem edlen und ehrenveſten Jürgen Pfulenn ſeinem ſeligen Vater zum Gedächtniß geſetzet worden. Welchen auch (den ehrenveſten Jürgen Pful) der Allmächtige Gott in wahrer Erkenntniß ſeines allerliebſten Sohnes Jeſu Chriſti bis an ſein Ende erhalten wolle. Amen.

Dritte Inſchrift: Aus ſchuldiger Hochachtung vor dem Stammvater der anitzo im Segen lebenden dreien Gebrüder, als Heine Friedrich Wilhelm, Georg Ludwig Ditloff und Carl Chri - ſtoph Auguſt von Pfuhll, Königlich Preußiſcher Lieutenants, iſt dies Epitaphium von ihnen aus der Quilitz’ſchen Kirche erkaufet und allhier zum beſtändigen Andenken aufgerichtet worden den 20. September 1747.

2. Garzin.

Garzin war bis vor Kurzem noch reich an Erinnerungsſtücken aus der Pfuel’ſchen Zeit. Die Mehrzahl dieſer Gegenſtände (zu - meiſt Bilder) hat indeſſen der gegenwärtige Beſitzer von Jahns - felde, älteſter Sohn des 1846 verſtorbenen Generallieutenants von Pfuel, käuflich an ſich gebracht und ſie ſeiner höchſt intereſſanten Familien-Gallerie eingefügt.

Das bemerkenswertheſte, was der Garziner Kirche geblieben iſt, iſt ſeine 1654 in Hamburg gegoſſene Glocke. Dieſelbe iſt einerſeits durch ein tellergroßes, in die Glockenwandung eingeſchmol -483 zenes Medaillon das Urtheil des Paris darſtellend, andrer - ſeits durch ihre plattdeutſchen Inſchriften intereſſant. Dieſe ſind freilich nur zum Theil verſtändlich. Die untre, einreihige Inſchrift lautet: Gegaten tho Hamborch Anno Domini 1654 Junius. Dazu:

In Gades Namen bin ick geflaten (gefloſſen)
Hans vam Damme heet mi gegaten.

Die obere Inſchrift iſt viel länger und ſchwer zu entziffern.

Ick bin gegaten in Gottes Ehr;
..................
Wenn ick klinge, ſo denk zur Stundt
Daß Chriſt mit der Baß Dir baſſunen kumpt,
Zu fordern alles vor Gericht,
Drumb halte Di und ſundige nicht .
..................
Vor alle Sunde de Du begahn
Lath Chriſtum den Vorloſer (Erlöſer) ſtahn.

Die Zeile daß Chriſt mit der Baß Dir baſſunen kumpt iſt voll originaler Kraft. In Garzin lebte Anfang des 17. Jahr - hunderts Melchior von Pfuel, der Nekromant , deſſen Bildniß wir ſpäter begegnen werden. Es ſcheint, daß er vorzugsweiſe in Garzin ſeine alchymiſtiſchen Verſuche machte.

3. Buckow.

Die Stadt Buckow und ihre ſchönen Umgebungen habe ich an andrer Stelle (Vgl. S. 180 ꝛc. ) ausführlich beſchrieben. Das Schloß gräflich Flemmingſch enthält neben andern Sehens - würdigkeiten einen bemerkenswerthen Speiſeſaal, eine Jugendarbeit Schinkels. Dieſer Saal zieht ſich, nach Art einer rundgewölbten Halle, quer durch die Mitte des Schloſſes hindurch, das an der betreffenden Stelle, nach vorn und hinten zu, um einige Fuß vor - ſpringt. Caſſetten ſchmücken die Decke des Saals, der mittelſt einer großen Glaswand, die den Bau nach der Gartenſeite zu abſchließt, das nöthige Licht empfängt. Ueber der Halle, in einem Saal von gleichen Dimenſionen, befindet ſich die Bilder-Gallerie.

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Schloß Buckow, wie alles was es enthält, iſt aus verhält - nißmäßig ſpäter (Flemming’ſcher) Zeit und nur die Buckower Kirche, die ſich maleriſch auf einem der Hügel am Ausgang der Stadt erhebt, weiſt noch einzelne Pfuel’ſche Reminiscenzen auf. Links neben dem Altar, an einem der hohen Wandpfeiler*)Gegenüber dem Wandpfeiler, der dieſe Trophäe trägt, befindet ſich, in gleicher Höhe mit den Emporen der Kirche, der ehemalig Pfuelſche Chorſtuhl oder Kirchenſitz. An ſeiner Vorderwandung bemerken wir drei oder vier in einander verſchlungene Goldbuchſtaben, die aller Entzifferung ſpotten, höchſt wahrſcheinlich aber einen Pfuelſchen Namenszug darſtellen. Der Kirchenſtuhl ſelbſt der ſich geräumig, nach Art eines Zimmers hinter dieſem Namenszug befindet, hat etwas unheimlich Geheimnißvolles. Die Fenſter ſind ausgenommen und wenn man auf die Brüſtung einer der Neben-Emporen ſteigt, um von der Seite her hineinzulugen, ſo er - blickt man nichts als einen roſtigen Kamin, Spinneweb und verſtaubte Gewölbekappen, die unter den aufgeriſſnen Dielen ſichtbar werden. Der Aufgang zu dieſem Chorſtuhl iſt vermauert (man erkennt noch die Stelle, wo die Treppe mündete) und wie die Jahre wachſen, ſo wächſt der Reiz der Frage: Wer hat dieſe Dielen aufgeriſſen? Wer bangte vor dieſem Platz? Wer hat ihn vermauert?, be - findet ſich eine große, 7 bis 8 Fuß hohe, ſogenannte Trophäe , die ſich aus in Holz geſchnitzten Kanonen, Trommeln, Fahnen, Standarten ꝛc. zuſammenſetzt und in ſeiner Mitte das Pfuelſche Wappen trägt. Das Ganze eine ziemlich rohe, bunt bemalte Ar - beit mit folgender Inſchrift: Der Hochedelgeborne Herr, Herr George Adam von Pfuel, Sr. Churf. Durchlaucht zu Bran - denburg, hochwohlbeſtallter General-Major, Gouverneur und Ober - hauptmann der Veſte Spandau, auch Obriſter zu Roß und Fuß, auf Groß - und Klein-Buckow, Obersdorf, Möschen, Garzin, Sie - versdorff, Haſenholz, Damsdorf und Münchehofe, geb. den 15. No - vember 1618, geſtorben im Juli Anno 1672, ſeines Alters 54 Jahr weniger 5 Monat.

Dieſer Georg Adam von Pfuel, der in der noch zugängli - chen Gruft der Buckower Kirche ruht, machte während des 30jäh - rigen Krieges, unter ſeinem berühmteren Oheim Adam von Pfuel die erſte Kriegsſchule durch. Er kommandirte ſpäter ſelbſtſtändig,485 war ein Zeitgenoſſe Sparrs, Görtzke’s, Derfflingers, und zeichnete ſich während des polniſchen Krieges, ſpäter während des Zuges nach Holſtein aus. Die glänzendſte Zeit des großen Churfürſten (von Fehrbellin an) erlebte er nicht mehr. Außer der Herrſchaft Buckow beſaß er auch die Dörfer Dalem und Marzahne in der Nähe von Berlin. Sein Bildniß befindet ſich in Jahnsfelde.

Durch die Tochter Georg Adams, die den ſpäter in ſächſi - ſchen und preußiſchen Dienſten ſo berühmt gewordenen Feldmar - ſchall Heino Heinrich von Flemming heirathete, kam Buckow an die Flemmings, die es alſo ſeit faſt 200 Jahren beſitzen. Nach andrer Angabe war der Feldmarſchall von Flemming ein Sohn aus der Ehe der Pfuel’ſchen Erbtochter mit einem Flemming.

4. Wilkendorf.

Wilkendorf, eine halbe Meile nördlich von Straußberg, iſt ſeit vor 1536, in welchem Jahre ihnen der Lehnsbeſitz bereits erneut und beſtätigt wurde, im Beſitz der Pfuels. Das reizend am Abhang gelegene, in eine Thalwieſe niederblickende Herrenhaus iſt neu und unter den mannigfachen Kunſtſchätzen befindet ſich nichts, was bis in frühere Jahrhunderte zurückreichte. Einige ältere Fa - milienporträts ſind ohne Belang.

Die Kirche iſt alt und zeichnet ſich durch einen mit Geſchmack und Pietät reſtaurirten Schnitzaltar aus. Das Mittelſtück beſteht aus drei Figuren: Jungfrau Maria, mit Joſeph (oder den heili - gen Rochus) und ihrer Mutter Anna zur Linken und Rechten. Die Anna hält zwei Kinder auf ihren Armen, und zwar auf dem rechten die Jungfrau Maria (ſo daß dieſe zweimal auf dem Bilde iſt, einmal groß und einmal klein), auf dem linken das Chriſtkind. Die Jungfrau iſt etwas größer als das Chriſtkind und trägt, eminent puppenartig, das Kleid der Himmelskönigin.

Intereſſanter noch als dieſer Schnitzaltar iſt der aus einem großen Granitblock ausgemeißelte Taufſtein, der vor dem Altar ſteht. Er iſt ungewöhnlich groß und hat (die bloße Steinſchale) über drei Fuß Höhe bei zwei Fuß Durchmeſſer. Solche granitnen Taufſteine waren in der erſten Zeit der Chriſtianiſirung des Lan -486 des gewiß ſehr häufig; die überall auf den Feldern umherliegenden Rollſteine, wie ſie das Material zu den Kirchen ſelber boten, wur - den ausgehöhlt und die Taufe war fertig. Die Bearbeitungs - kunſt bleibt unter allen Umſtänden anſtaunenswerth, wenn man erwägt, wie geringe techniſche Hülfsmittel damals zu Gebote ſtan - den. Jetzt begegnet man ſolchen Taufen nur ſehr ſelten noch. Beides, Schnitz-Altar wie Taufſtein (der letztere gewiß), ſtammen aus Pfuelſcher Zeit.

5. Gielsdorf.

Gielsdorf, nur durch den ſchönen Ihland-See und ſeine Um - gebungen von Wilkendorf getrennt, iſt ſeit 400 Jahren im Beſitz der Familie. In einen der alten Kirchenpfeiler wurde, mit Bezug - nahme darauf, eine Steintafel eingemauert, die die Inſchrift trägt: Zur Erinnerung an die 1460 unter Churfürſt Friedrich geſchehene Belehnung des Werner Pful mit Gielsdorf und an den vier - hundertjährigen Beſitz ſeiner Erben. Guſtav von Pfuel, 1860.

Auch in der Gielsdorfer Kirche befindet ſich ein ausgemei - ßelter Taufſtein, doch iſt derſelbe erſichtlich aus ſpätrer Zeit, nicht ſo groß wie der Wilkendorfer, und ſtatt in Granit in bloßem Kalkſtein (wahrſcheinlich aus dem benachbarten Rüdersdorf) aus - geführt. In Front trägt der Stein ein flach gearbeitetes Kreuz, und als Umſchrift um daſſelbe, in Form eines Kranzes, die Worte: NON GLORIOR NISI IN CRUCE DOMINI.

Die Emporen der alten Kirche ruhen auf kurzen, grob - geſchnitzten Holzpfeilern; in einen derſelben ſind die Worte ein - geſchnitten: BERTRAMB V. PFUEL. ANNO MDCX. Dieſer Bertramb von Pfuel war ein Vetter Curt Bertrams v. Pf., der während des 30jährigen Krieges eine Rolle ſpielte und auf den wir noch weiter unten zurückkommen.

Unter dem Altar der Gielsdorfer Kirche ſoll ein anderer Pfuel (Chriſtian Friedrich) beſtattet ſein. Eine Stückkugel riß ihm beim Sturm auf Kaiſerswerth (1702) den Kopf weg und Rumpf und Glieder wurden in Gielsdorf begraben. Er war Oberſt in einem Infanterie-Regiment. Sein Bild befindet ſich in Jahnsfelde. Ein487 Spruch in der Jahnsfelder Kirche gedenkt ſein. Dieſer Spruch (wie verſchiedne andre in der eben genannten Kirche, von Friedrich La Motte Fouqué herrührend) lautet:

Italien hat und Niederland
Den edlen Kämpfer oft geſchaut.
In vieler wilden Schlachten Brand
Hat er das Feld mit ſeinem Blut bethaut.
Als letzter Kranz ward ruhmvoll ihm beſcheert
Zu ſterben, vorbewußt, im Sturm auf Kaiſerswerth.

Dieſes vorbewußt bezieht ſich auf folgenden Vorfall, der als Tradition in der Familie fortlebt. Am Tage vor der Schlacht (Sturm auf Kaiſerswerth) will von Pfuel in ſein Zelt treten. Die vor dem Zelt ſtehende Schildwacht ſalutirt nicht, erblaßt aber ſichtlich und zeigt nur auf das Innere des Zelts; von Pfuel tritt jetzt ein und ſieht ſich ſelber, ſchreibend, am Tiſch ſitzen. Er tritt hinter die Geſtalt, blickt dem ruhig Weiterſchreibenden über die Schulter und lieſt ſein Teſtament. Dann verſchwindet die Geſtalt. von Pfuel wußte jetzt, daß er andren Tages ſterben werde. Er ſetzte ſich auf den Feldſtuhl, auf dem eben ſein Doppelgänger ge - ſeſſen, ſchrieb an ſeine Frau und nahm Abſchied von ihr. Andren Tages fiel er an der Spitze ſeiner Sturmkolonne.

Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſe Geſchichte Chamiſſo’n zu ſeinem ſchönen Gedichte die Erſcheinung Veranlaſſung gab. We - nigſtens die Situation iſt dieſelbe. Chamiſſo war mit Fouqué be - freundet und Fouqué ſeinerſeits kannte die Familientradition des ihm verwandten Pfuel’ſchen Hauſes.

6. Jahnsfelde.

Jahnsfelde iſt ſeit 1449 in der Pfuel’ſchen Familie, alſo noch elf Jahre länger als Gielsdorf. Die hübſche Inſchrift über der Thür des Herrenhauſes nimmt Bezug darauf und lautet:

Glück herein, Unglück heraus,
Dies iſt der Pfuel ritterlich Haus
Seit vierhundert Jahren,
Gott wolle bewahren
Geſchlecht und Haus.
488

Dies Herrenhaus ſelbſt iſt neu, doch ruht es auf den Fun - damenten eines alten Gebäudes, das hier ſtand. Der Park, der das Herrenhaus von allen Seiten maleriſch umſchließt, iſt eine neue Schöpfung des Generallieutenant von Pfuel, der 1846 verſtarb. Auch der unmittelbar angrenzende Friedhof konnte mit in den Park hineingezogen werden, da die Hinauslegung des Begräbniß - platzes ohnehin geboten war. War doch ſchon ſeit 1244 an der - ſelben Stelle begraben worden. Grab über Grab.

Der gegenwärtige Beſitzer von Jahnsfelde, älteſter Sohn des Generallieutenants, hat voll hiſtoriſchen Sinnes und zugleich voll Pietät gegen die ruhmreiche Vergangenheit ſeines Geſchlechts, die untren Räume des Hauſes nach Art eines Familien-Muſeums ein - gerichtet. Erinnerungsſtücke aller Art, Wappenſchilde, Waffen, zu - mal Bildniſſe, wohl mehr als 50 an der Zahl, finden ſich hier auf engſtem Raume zuſammen. Sie alle namhaft zu machen liegt jenſeits der Zwecke dieſes Buchs; aber wenigſtens der älteſten und intereſſanteſten geſchehe in Kürze Erwähnung.

1) Anna von Pfuel. Ein intereſſantes Bild aus der Gar - ziner Kirche. Es ſtellt eine junge, reichgeſchmückte Frau dar, lebens - groß, ganze Figur; im Haar ſcheint ſie eine Brautkrone oder etwas derartiges zu tragen. Ort und Jahreszahl lauten: Garzin, 1594. Dies iſt das älteſte Bild der Sammlung. Die Behand - lung, beſonders der Gewandung, iſt noch ſteif und faltenlos.

2) Heino von Pfuel im Jahre 1602. Aetatis suae 58. Eine kriegeriſche Geſtalt in Eiſenrüſtung und hoher Halskrauſe, dazu roth und weiße Schärpe. Die Unterſchrift des Bildes, vom alten Maler ſelbſt herrührend, lautet:

Heino v. Pfuhl ich ward genannt,
Ein Obriſter über Reuter und Knecht,
In Ungarland
Und mannigen Orts ſonſt wohlbekannt.

Es heißt von ihm, daß er ein brandenburgiſches Hülfscorps gegen die Türken kommandirt und ſich überhaupt im Felde wie bei Hofe ausgezeichnet habe. Auch er hat ein Schild in der Jahns - felder Kirche und auf demſelben einige Fouqué’ſche Reimzeilen.

489

3) Erneſte Friedrich von Phull. Wenn ich nicht irre, ebenfalls aus der Garziner Kirche nach Jahnsfelde gebracht. Stellt einen ältren Mann mit weißem Bart, von ernſtem, faſt ſchwer - müthigen Geſichtsausdruck dar. Auf dem Bilde das Pfuel’ſche und Bismark’ſche Wappen. Spruch:

Wer Gott allezeit vertrauen kann,
Der bleibt ein unverdorbner Mann.

Dann folgende Unterſchrift: Der edle, feſte Erneſte Friedrich von Phull, ein Bruder Heinonis (d. h. Heino von Pfuhls), auf Garzin, Trebnitz und der neuen Langenwiſche Erbherr, ſtarb allhier (wo?) den 8. Oktober Anno 1613 früh, ſeines Alters 64 Jahr. Ward den folgenden 4. Novembris in das Begräbniß geſetzet und wartet der fröhlichen Auferſtehung.

4) Melchior von Phull. Ein vortreffliches Bild, das einen Mann in beſten Jahren, in ſchwarzer Kanzler - oder Geheimeraths - Tracht darſtellt, mit großem, ſchönen Spitzenkragen, Handmanſchetten und Kanzlerkette. Links (oben in der Ecke) das Pfuel’ſche Wappen, rechts das Wappen der alten Familie von Menlishoff. Unter dem Pfuel’ſchen Wappen leſen wir: Melchior v. Phull, Con - siliarius Brandenburgensis. In Garzin, Garzo, Hasenholtz et Trebnitz. Pie Obit. 18. November Anno 1609. Unter dem Menlishoffer Wappen ſteht: Iſt Gott mit uns, wer mag wider uns ſein. Melchior ſelbſt legt ſeine rechte Hand auf ein aufgeſchlagenes Buch mit rothem Rand; auf der weißen Seite ſteht: Wer meine Gebote hat und hält ꝛc. Johannes 14. V. 21. Anno Domini 1610. An andrer Stelle nochmals: Melchior v. Phull Aetatis suae 35. Anno 1609. Discite mortales fugitivam noscere vitam. Dieſer Melchior von Pfuel iſt derſelbe, der ſich auch als Nekromant einen Namen machte.

5) Adam von Pfuel. Bruſtbild. Ein älterer Mann, ernſt, prononcirt martialiſch. Er zählt zu den bekannteſten Mitgliedern der Familie. Adam von Pfuel wurde 1604 geboren. Er folgte 1620 ſeiner Schweſter, einer Hofdame Marie Eleonorens (bei490 Vermählung dieſer mit Guſtav Adolf), nach Stockholm. Dieſe Schweſter heirathete ſpäter den berühmten Bannier und wurde die Ahnmutter des gleichnamigen Geſchlechts. Ihr Bruder unſer Adam von Pfuel, trat als Page bei Guſtav Adolf in Dienſt, be - gleitete ihn nach Deutſchland und brachte, nach der Lützener Schlacht, des Königs Leiche von Weißenfels nach Stettin, von wo ſie nach Stockholm eingeſchifft wurde. Seine nahen, ſchon an - gedeuteten verwandtſchaftlichen Beziehungen zu Bannier machten es, daß er auch in der Folge der Parthei dieſes wüſten aber ge - nialiſchen Feldherrn zugehörte. 1634 führte er zuerſt, als Com - mandeur eines Regiments, einen ſelbſtſtändigen Zug nach Thürin - gen hin aus und deckte die Flanke des Heeres. Auf dieſem Zuge war es, wo ſich der damals noch jugendliche Derfflinger ſeine erſten Sporen im Pfuel’ſchen Regiment verdiente. Später ſtieg Pfuel zum Avantgardenführer des ſchwediſchen Heeres auf und eroberte ſich als ſolcher den allerdings zweifelhaften Ruhm, 800 böhmiſche Dörfer niedergebrannt zu haben. Nach Banniers Tode war es Pfuel, der in Gemeinſchaft mit einigen andern Kriegs - Oberſten die Schlacht bei Wolfenbüttel ſchlug. Er ſtand damals hoch genug in Anſehn, um hoffen zu dürfen, das Ober-Commando werde ihm übertragen werden. Er ſcheiterte aber, weil er Aus - länder war, und Torſtenſon (ihm freilich hoch überlegen) erhielt den Oberbefehl. Als ihm auch Lilienhoeck vorgezogen wurde, nahm er den Abſchied. Dies war 1642. Wo er von da ab bis 1652 war, iſt unbekannt. In ſpätren Jahren kaufte er ſich die Güter Helffte und Polleben im Mansfeldiſchen und gründete eine neue Linie. Auf ſeinem Bilde in Jahnsfelde trägt er die goldne Kette, die ihm Guſtav Adolf geſchenkt hatte. Er ſtarb als ſchwediſcher Generallieutenant 1659 zu Polleben. Hat auch in der Kirche Schild und Spruch.

6) Curt Bertram von Pfuel. Bruſtbild. Dieſer Curt Bertram war kurbrandenburgiſcher General-Kriegs-Commiſſar wäh - rend des 30jährigen Krieges, und wurde von Seiten George Wil - helms mehrfach zu diplomatiſchen Sendungen verwandt, namentlich491 an Wallenſtein, als dieſer zuerſt an den Grenzen der Mark erſchien. Unſer Curt Bertram war damals Kammerjunker . Seine erſte Miſ - ſion an Wallenſtein fällt in das Frühjahr 1626. Es ſcheint, daß er den Friedländer in Halberſtadt traf und ihn, im Auftrage des Churfürſten zu bitten hatte, nicht in die Mark einzurücken. Wal - lenſtein antwortete: So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, will ich dem Kurfürſten kein Widriges erweiſen, nur bitte ich ihn um Gottes Willen, die Mansfeld’ſche Armee (die in der Priegnitz hauſte) auszuſchaffen, ſonſt muß ich nachrücken, um den Feind zu ſuchen, wo ich ihn treffe. Im Auguſt traf Wallenſtein mit 16 Regimentern in Cottbus ein. Der Kurfürſt hatte den ſpäter ſo berühmt gewordenen Conrad von Burgsdorf zum Marſchall bei ihm beſtellt, und es verlautet nicht, daß unſer Curt Bertram bei dieſer Gelegenheit weitere Verhandlungen mit Wallenſtein ge - habt habe. Er war indeſſen einige Wochen vorher in Cottbus geweſen, um, gemeinſchaftlich mit einem von Rochow, die Em - pfangsvorbereitungen zu regeln. Curt Bertram ſah den Friedlän - der erſt ſpäter wieder, und wie es ſcheint, unter ziemlich mißlichen Umſtänden. In Prag, als er dem Gefürchteten eine Vorſtellung zu überreichen hatte, fuhr ihn dieſer an: ich werde ſchiefericht (etwa das, was wir heute nervös nennen würden), wenn ich ſolche Schriften ſehe , und im Juni 1628 berichtete Pfuel von Frankfurt a. O. nach Berlin: er habe den General nicht ſprechen können, denn dieſer habe juſt ſeinen Schiefer gehabt, und nicht nur kurz vorher den Sekretair, den Kammerdiener und Edelkna - ben abprügeln laſſen, ſondern auch das Glockenläuten verboten und zugleich befohlen, alle Hunde von der Gaſſe zu ſchaffen. Dieſe Miſſionen, wie wir hieraus genugſam erſehen können, waren ver - antwortungsvoller Natur und forderten ihren Mann.

Curt Bertram, deſſen Bruder (Adam) und Neffe (Georg Adam) direkt in ſchwediſchen Dienſten ſtanden, gehörte ſelbſtver - ſtändlich der Anti-Schwarzenberg’ſchen Parthei an. Schwarzenbergs Einfluß ſetzte es ſchließlich durch, daß Curt Bertram ſeiner Aemter enthoben und ſeine Güter eingezogen wurden. Nach dem Tode492 Kurfürſt George Wilhelms aber wendete ſich das Blatt; er erhielt ſeine Güter zurück und wurde auserſehn, den Adam Schwarzen - berg gefangen zu nehmen. Später kaufte er ſich in Sachſen an und wurde, durch weitre Verzweigung, der Stammvater der noch blühenden Würtemberg’ſchen Linie. Das Bild Curt Bertrams be - findet ſich in Jahnsfelde. Er iſt ein ſchöner Mann, blühend, noch jung, voll klugen und energiſchen Ausdrucks. Seine Tracht, in Koller und Klapphut, iſt im Weſentlichen die eines ſchwediſchen Kriegsoberſten.

Die andern Bilder und auch unter ihnen nur eine Aus - wahl geb ich in den Anmerkungen. Was der Jahnsfelder Porträt-Gallerie einen Reiz verleiht und ihr unterſcheidendes Merk - mal bildet, iſt, daß ſie das Froſtige eines ſogenannten Ahnen - ſaals durchaus vermeidet. Man ſteigt nicht erſt treppauf, man zieht nicht erſt die verſchoßnen Gardinen zurück, man ſorgt nicht erſt, abſtäubend und Fenſter-öffnend, für Luft und Licht, in Jahnsfelde lebt man mitten unter ihnen. Dieſe alten Herren in Rüſtung oder Perrücke, hier ſind ſie nicht zu ſteifer Repräſen - tation da, ſie ſind nicht Fremde am eignen Heerde, man hat ſich häuslich-familiär mit ihnen eingerichtet; man kennt ſie, man liebt ſie. Ein täglicher Verkehr hat Platz gegriffen zwiſchen denen die waren und zwiſchen denen die ſind; Aelteſtes und Neuſtes reichen ſich die Hand; wie ein ununterbrochener Strom wandert das Leben weiter von Geſchlecht zu Geſchlecht. Wohl mahnen auch hier die Bilder berühmter Ahnen an das Vergängliche alles Irdi - ſchen, aber ſie predigen zugleich auch den Sieg des Geiſtes über den Leib und entfalten ſtill die Fahne, auf der als Zuruf und Richtſchnur das Dichterwort geſchrieben ſteht:

Und ein berühmter Name nach dem Tode!

[493]

Kienbaum.

Ich hatt als Kind eine Tanne lieb, Die groß und einſam übrig blieb An flachem Wieſenſaume. Laufkäfer haſten durchs Geſträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelhaide Glöckchen; Die Kräuter blühn; der Haideduft Steigt in die blaue Sommerluft.
(Th. Storm. )

Am Ausgang der Liebenberger Haide, am linken Ufer des Flüß - chens Loecknitz, das hier die Grenze zwiſchen dem Lande Lebus und dem Nieder-Barnim zieht, liegt das Dorf Kienbaum.

Seinen Namen (ſo erzählt man ſich) hat es von einem Kienbaum, der ehedem ziemlich inmitten des Dorfes ſtand und nach Erzählung der Bewohner bis in die allerfrühſten Zeiten deut - ſcher Coloniſirung zurückreichte. Man ließ ihn damals bei der Aus - rodung der Waldſtelle ſtehen, und während der Kienbaum ſelber neue Jahresringe anlegte, legten ſich neue Häuſer und Höfe um den urſprünglichen Kern des Dorfes herum. Jahrhunderte lang hielt man ihn, wie einen Hüter und Talisman, wie einen alten Pathen, der dem Dorfe den Namen gegeben, in Ehren und kaum 20 Jahre mögen vergangen ſein, ſeit er umgehauen wurde. Das ganze Dorf, das überhaupt einen guten Sinn hat, ſträubte ſich dagegen, aber die egoiſtiſche Beharrlichkeit des Einzelnen (auf deſ -494 ſen Grundſtück der Baum ſtand) blieb ſchließlich doch ſiegreich und der Kienbaum, das Wahrzeichen des Dorfes, fiel. Leute im Dorfe haben mir den Baum beſchrieben; ſie empfinden es wie eine Schuld, daß er nicht mehr da iſt. Es war eine alte knorrige Kie - fer, noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht ſchwächlich - ſchlank heranzog, ſondern ſich knorrig-original entwickeln ließ. Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von über drei Ellen Umfang; dabei lag er ſchräg und ſein flaches, ineinander geflochtenes Zweigwerk bildete einen korbartigen grünen Schirm. Sein Inneres war ausgehöhlt; nur die Kienſtellen hatten ſich ge - halten, und als man ihn der Länge nach durchſägte, bildete jede Hälfte eine Art Trog oder Mulde.

Dorf Kienbaum hat ſein Wahrzeichen verloren, aber es iſt doch immer noch ein intereſſantes Dorf. Es zählt zu jenen ſtillen Haidedörfern, um die ein ganz beſondrer Zauber waltet, jenes an - heimelnde Stück Romantik, das in der Oede und Abgeſchiedenheit, vor allem aber in dem Hospiz-Charakter dieſer Dörfer begründet liegt. Es ſind die geborgnen Plätze in der Wildniß, und jeder, den ſein Weg irgend einmal, zumal in naßkalten Spätherbſttagen, über Wald und Haide geführt hat, muß dieſen Zauber an ſich ſelbſt empfunden haben. Es iſt vielleicht im November, der Ne - bel ſprüht und die Haide, ſo dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Erſt Kuſſeln, dann Kiefern, nun wieder Kuſſeln. Jedes leiſeſte Strei - fen an Baum oder Buſch ſchüttet ein Schauerbad über Dich aus und das naſſe, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt, ſpottet der feſteſten Sohle und macht Dich frieren bis auf’s Mark. Nichts begegnet Dir außer einem ſchiefſtehenden Wegweiſer, der ſeine müden Arme ſchlaff zu Boden hängen läßt, oder eine Krähe, die den Kopf in das naſſe Gefieder einzieht und ſich trübſelig matt beſinnt, ob ſie auffliegen ſoll oder nicht. So geht es ſtundenlang. Endlich lichtet ſich’s und Du trittſt auf eine offne Stelle hinaus, eine kümmerliche Sandſcholle, die freilich wenig mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand ſich aber - mals aufrichten ſiehſt. Aber auf dem freien Stück Felde, unter495 Ebreſchenbäumen, an denen noch die letzten rothen Büſchel hängen, ſteht ein Dutzend Lehm - und Fachwerkhäuſer, um die herum ſich ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Geleiſe ſchlängelt. Das erſte Haus iſt eine Schmiede; Dein fröſtelnd Herz ſieht wie mit hundert Augen in die ſprühende Gluth hinein und das Picken und Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft leiſe zu Dir her. Ein Gefühl beſchleicht Dich, als träteſt Du in ein Feen - und Wunderland, als läge die Inſel der Glücklichen vor Dir. Das iſt der Zauber eines Dorfes in der Haide .

Solch ein Dorf (ſie werden immer ſeltner) iſt Kienbaum, Grund genug, ihm einen kurzen Beſuch zu machen. Was uns aber heute, noch um die Sommerzeit, dieſem Haidedorfe zuführt, das iſt nicht die Poeſie ſeiner ſtillen Häuschen, auch nicht das Verlangen, den Baum zu ſehen, oder doch von ihm zu hören, der einſt dem Dorfe den Namen gab, das iſt vielmehr der Umſtand, daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art Congreßort war, wo die märkiſchen Bienenzüchter, jeden - falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, ſo wie der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung ihrer Angelegenheiten zuſammenkamen.

Was dieſem kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein ſolcher Congreßort zu ſein, iſt nicht mehr mit Beſtimmtheit zu ſagen; wahrſcheinlich wirkte Verſchiednes zuſammen, unter andern auch ſeine günſtige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz. Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat Auguſt oder September kamen hier die Beutner und Zeidler zuſammen und alle Höfe im Dorf, beſonders aber der Schulzenhof, der durch Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten gaſtlich ihre Thore. Ueber das, was auf dieſem Convent verhandelt wurde, er - fährt man an Ort und Stelle nur wenig Beſtimmtes, zum Theil Widerſprechendes. Alle dieſe Dinge klingen nur eben noch halb ſagenhaft in Kienbaum fort, wobei ſich dann wie immer die Be - merkung wiederholt: ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau . Aber die496 alte Stengelbergen , auf welchem Gebiet es auch immer ſein mag, iſt jedesmal todt.

Stelle ich nachſtehend alles zuſammen, was ich theils in Kienbaum mündlich erfahren, theils aus Büchern erſehen konnte, ſo erſcheint es, daß der Charakter dieſes Bienenconvents im Lauf der Jahrhunderte wechſelte, und während es ſich in den früheren Jahrhunderten ſehr wahrſcheinlich um allerhand geſchäftliche Regulirungen handelte, war dieſer Convent, im vorigen Jahrhun - dert, theils eine Art Ausſtellung, theils eine Fachmänner-Verſamm - lung (nach Art moderner Verſammlungen der Art), wo man ſich Produkte zeigte, Reſultate mittheilte und über Bienenzucht, nach gemachten Erfahrungen, wiſſenſchaftlich-praktiſch berieth.

Dieſer totale Wechſel, der vielleicht mit Anfang des vorigen Jahrhunderts eintrat, hatte muthmaßlich darin ſeinen Grund, daß um die genannte Zeit der Honigbau ein freies, nach Wunſch der Regierung von jedem Bauer und Koſſäthen zu betreibendes Ge - werbe wurde, während er bis dahin als ein beſondres Recht an einem beſtimmten Grund und Boden gehaftet und alle diejenigen, die als Pächter dieſes Grund und Bodens den Honigbau betrie - ben, in ein Abhängigkeits-Verhältniß von dem betreffenden Grund - herrn gebracht hatte.

Dieſe Zins - und Pacht-Verhältniſſe waren es nun wahr - ſcheinlich, die in früheren Jahrhunderten in denen man nur die Waldbienenzucht kannte in Kienbaum geſchäftlich regulirt wurden. Man einigte ſich über allgemeine Sätze und Normen, über das, was man pachten könne und was nicht; neben dem All - gemeinen aber waren es auch die ſpeciellen Verhältniſſe Kienbaums, die zur Sprache kamen, und mit dieſen beſchäftigen wir uns hier ausſchließlich.

Kienbaum gehörte in alten Zeiten zu Kloſter Zinna, ſpäter, nach der Säkulariſation, zu Amt Rüdersdorf; Amt Rüdersdorf war alſo Grundherr. Dieſer Grundherr nun, wie er in an - dern Dörfern neben Ackerland Viehweide verpachtete, verpach - tete in Kienbaum Bienenweide, d. h. einen Wald, auf dem die497 Bienen der Kienbaumſchen Beutner und Zeidler weiden konnten. Selbſtverſtändlich gehörte dazu auch das Recht, das Reſultat dieſer Weide, den Honig, auf hergebrachte Weiſe zu erbeuten. (Die Kunſt der Beutner beſtand darin, den in die hohlen Bäume ge - legten Honig, die ſogenannte Honigbeute, zu gewinnen.) Dieſe Beutner oder Zeidler nun ſtellten ſich wahrſcheinlich an einem be - ſtimmten Tag im Jahre bei ihrem Kienbaumer Lehnſchulzen ein, der als eine Art Beauftragter des Amts handelte. Sie kündig - ten oder erneuten ihre Pacht, äußerten ihre Wünſche und Be - ſchwerden (oder nahmen ſolche entgegen) und bezahlten ihren Zins, theilweis in Geld, theilweis in Honig. So hatten ſie unter an - derm für ihre Bienen - oder Zeidelweide am Gerichtstage eine Tonne Honig zu entrichten, wogegen das Amt die Pflicht hatte, ſie an dieſem Tage mit einem Hammel, einer Tonne Bier und einem Scheffel Brod zu verpflegen. Später wurde der Pachtzins wahrſcheinlich ausſchließlich in Geld geleiſtet, weshalb wir von einer Kaſſe ſprechen hören, die ſich auf dem Schulzenhof in Kien - baum befand und daſelbſt verwaltet wurde. Dieſe Kaſſe entſprach alſo zunächſt einer kleinen Rentamtskaſſe, deren Erträge von Zeit zu Zeit einfach an das Amt ſelber abgeführt wurden. Dane - ben aber, wenn man dem Geplauder der lebenden Kienbaumer trauen darf, ſcheint dieſe Kaſſe im Schulzenhof vor allem auch eine Darlehns - und Prämien-Kaſſe geweſen zu ſein. Wer den beſten Honig vorzeigen konnte, der wurde prämirt, und wer die nöthigen Garantien bot, der erhielt Darlehne, um irgend etwas Neues, von dem er ſich Reſultate verſprach, in’s Werk zu ſetzen. Das iſt alles, was ich aus Mund und Schrift über die Kienbau - mer Bienenconvente habe in Erfahrung bringen können. So wenig es iſt, es ſpricht ſich Leben, Eifer und ein gewiſſes Organiſations - talent darin aus.

Die Bienenzucht in Kienbaum, darüber ſcheint kein Zweifel, war von beſonderer Vorzüglichkeit, und dieſer Umſtand, neben der günſtigen Lage des Dorfes, hatte wohl Theil daran, daß Kien - baum zu einem regelmäßigen Sammelort der Bienenwirthe wurde.

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Dieſe Vorzüglichkeit der Bienenwirthſchaft nun war das na - türliche Reſultat einer vorzüglichen Bienenlokalität, d. h. einer andauernden, nie erſchöpften Bienenweide. Solche Lokalitäten, wenn man die höchſten Anforderungen ſtellt, ſind nicht eben allzu - häufig, da es ſich darum handelt, durch faſt volle 6 Monate hin den Bienen immer Pflanzen zu bieten, aus denen ſie ſammeln können. Wo Raps blüht, da iſt für die Bienen während des Mai und Juni, und wo die Linden blühn für den Juli geſorgt; aber erſt aus dem Vorhandenſein mannigfachſter Bäume, die ſich im Blühn unter einander ablöſen und vom April bis in den September hinein eine immer wechſelnde Bienennahrung bieten, erſt aus dem Vorhandenſein ſolcher Mannigfaltigkeit ergiebt ſich das eigentliche Bienen - und Honig-Terrain. Ein ſolches Terrain nun war Kienbaum in eminenter Weiſe. Ein viele Quadratmeilen großer Kiefern-Forſt ſchloß es ein, und mitten durch dieſen Forſt hindurch ſchlängelte ſich die Loecknitz,*)Die Loecknitz iſt eines jener vielen Wäſſerchen in unſrer Mark (wie z. B. die Nuthe, die Notte, die Finow, der Stobber oder Stobberow), die, plötzlich aus einem See oder Luch tretend, auf die kurze Strecke ihres Laufes hin ein grünes Wieſenband maleriſch durch das Sand - und Haideland ziehn. Keines unter allen dieſen Wäſſerchen iſt vielleicht reiz - voller und unbekannter zugleich als die Loecknitz, die, aus dem rothen Luche kommend, in einem der Seen zwiſchen Erkner und den Rüders - dorfer Kalkbergen verſchwindet. Die Loecknitz iſt nur 4 Meilen lang, aber auf ihrer ganzen Länge führt ſie einen ſich ſchlängelnden Streifen von ein Flüßchen, das auf Mei - len hin Wieſen und honigreiche Wieſenblumen zu ſeiner Rechten und Linken hatte. Unmittelbar das Flüßchen entlang zogen ſich Werft und Haſelbüſche, die den Bienen, im März und April ſchon, eine bevorzugte Nahrung boten; im Mai dann begannen ſommerlang die Wieſen zu blühn, bis endlich, vom Auguſt an, die weiten Strecken voll Haidekraut, gelegentlicher weißer Kleefelder zu geſchweigen, eine nicht auszunutzende Nahrungsquelle boten.

Die Erträge waren zu Zeiten ſehr bedeutend, und das Dorf, das faſt aus lauter Zeidlern und Beutnern beſtand, erfreute ſich trotz ſeiner Ackerarmuth einer gewiſſen Wohlhabenheit. Der Schul -499 zenhof hatte 99 Stöcke und ſo, im Verhältniß, bis zum Büdner und Tagelöhner herab. Ein Stock entſprach in guten Jahren einem Eimer voll Honig. Den Eimer zu 10 Quart gerechnet, hätte alſo der Schulzenhof in guten Jahren 990 Quart Honig gewonnen.

Von dieſer Höhe iſt nun Kienbaum ſeitdem herabgeſtiegen. Der Bienenconvent tagt nicht mehr inmitten des Dorfs, und der Schulzenhof, der es ſonſt bis auf 99 Körbe brachte, begnügt ſich jetzt mit 9. Der gewonnene Honig hat längſt aufgehört ein Han - delsartikel und eine beſondere Einnahme zu ſein, er ſpielt nur noch die Rolle eines Surrogats. Er vertritt den Zucker und die Butter, welche letztere in einem armen Sand - und Haidedorf, das ſeinen Viehſtand ſchwer über eine Schafheerde hinaus bringt, be - greiflicherweiſe zu den Luxusartikeln zählt.

Das alte Wahrzeichen Kienbaum’s iſt hin und ſeine Bienen - herrlichkeit nicht minder, aber an die letztre erinnert doch noch vie - les. Die Lokalität, die ich oben zu beſchreiben ſuchte, iſt eben im Weſentlichen dieſelbe geblieben. Noch ſteht der Wald, noch blüht das Haidekraut roth über die Haide hin, noch ſchlängelt ſich die Loecknitz durch das grüne Wieſenband hindurch, und die größte*)Park - und Gartenland neben ſich her, zu deſſen beiden Seiten der Wald wie eine Terraſſe langſam anſteigt. Immer dieſelben Requiſiten, wenig Wechſel im Material und doch, wer hier am ſpäten Nachmittag an der Grenzlinie zwiſchen Wald und Wieſe hinfährt, dem eröffnet ſich eine Reihe der reizendſten Landſchaftsbilder. Hier dringt der Wald von beiden Sei - ten hervor und ſchafft eine Schmälung, hier tritt er zurück und der ſchmale Wieſenſtreifen dehnt ſich entweder zu einer Waldwieſe aus oder das Flüß - chen ſelber wird zu einem Teich, auf dem im Schimmer der untergehen - den Sonne die ſtillen Nymphaeen ſchwimmen. Dann und wann eine Sägemühle, ein rauſchendes Wehr, dazwiſchen Brücken, die den bequemen Wald - und Wieſenweg bald vom rechten auf’s linke und wieder vom linken auf’s rechte Ufer führen. Selbſt die Ortsnamen werden poetiſch: Liebenberg und Alt-Buchhorſt, Klein-Wall und Gottesbrück, daneben der Werl - und Möllen-See. Unmittelbar dahinter beginnt ſchon wieder die Proſa und der nächſte See heißt beiſpielsweiſe der Dämeritz . Freilich auch Loecknitz ſelber könnte wohlklingender ſein, aber freuen wir uns wenigſtens des ck und adoptiren wir nie die Ausſprache der Anwohner des Fluſſes, die breit und häßlich die Loeknitz ſprechen.32*500und bunteſte dieſer Wieſen führt bis dieſen Tag noch den Namen der Zeidelwieſe. Vielleicht, daß auch dies bald anders wird. Schon iſt die Zeidelwieſe nicht mehr die alte Zeidelwieſe von vor - mals, man hat ſie halbirt und die eine Hälfte zu einer Art - chengarten gemacht. Aber wenn auch Name und Sache ganz ver - ſchwinden ſollten, das Dorf in der Haide, das abſeits liegt, und in ſeiner Armuth niemanden auffordert, das Sand - und Haide - land in den großen Verkehr hineinzuziehen, wird noch lange ein Plätzchen bleiben, deſſen ſtill aufſteigender Rauch den Reiſenden nach ſtundenlanger Oede anheimeln und deſſen erſtes Mütterchen am Zaun ihn dankbar empfinden laſſen wird:

Wie wohl thut Menſchenangeſicht
Mit ſeiner ſtillen Wärme.
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Anmerkungen.

Von Frankfurt bis Schwedt.

[Eine Correktur.] S. 11, wo von der Inſtruktion geſprochen wird, die Friedrich II. nach der Kunersdorfer Schlacht in Reitwein auf - ſetzte, muß es nicht heißen: ebenfalls an Finkenſtein gerichtet ſondern: an General Fink gerichtet.

Tamſel.

  • Benutzt: K. v. Schoenings Leben des Feldmarſchalls Hans Adam v. Schoening. K. v. Schoening, Papiere die Familie v. Schoening betreffend (als M. S. gedruckt). Das Tamſler Archiv. Ungedruckte Memoiren der Gräfin Schwerin, geb. Gräfin v. Dönhoff. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

1. Die Beſitzverhältniſſe Tamſels ſeit 1510.

Tamſel war Ordensgut (des Johanniter-Ordens) und gehörte zur Commende Quartſchen. Die Familie von Schoenbeck beſaß Tamſel und Warnick (Nachbargut) bereits 1510; von dieſem Jahre datirt ſich ein Lehn - brief. Sie hatten es zu Lehn vom Orden.

Die Schoenbecks bleiben im Beſitz von Tamſel und Warnick bis zum 16. Mai 1653. An dieſem Tage kauft es Hans Adam v. Schoe - ning (zum Unterſchied Hans Adam I. genannt) von ſeinem Stiefvater Asmus von Schoenbeck. Von 1653 65 beſitzt es Hans Adam I. Von 1665 96 beſitzt es Hans Adam II. (der Berühmte, der Türkenbeſieger). Bis 1685 beſaß er nur halb Tamſel zu Lehen und die andere Hälfte ſowie Warnick pfandweiſe. Auf ſeine Vorſtellung aber, daß er zur Verbeſſerung der Güter mehr angewandt habe, als ſie vorher werth geweſen ſeien, wird502 er nun mit dem Ganzen beliehen. (1693 wird durch den Herrenmeiſter Carl Philipp zu Brandenburg das Recht zur Belehnung in weiblicher Deſcendenz ausgeſprochen.) Von 1696 1714 beſitzt es Hans Ludwig v. Schoening, der Sohn des Berühmten. 1714 geht es an Hans Ludwigs einzige Tochter, an Luiſe Eleonore v. Schoening, vermählte v. Wreech über. Sie wird 1724 belehnt, laut des durch den Herrenmeiſter Carl Philipp zu Brandenburg 1693 ausgeſprochenen Rechts: wenn keine männlichen Lehnserben mehr am Leben, dann fallen die Lehne an die Deſcendenten weiblichen Geſchlechts. Frau v. Wreech ſtirbt 1766. Von 1766 1785 Hofmarſchall Friedr. Wilh. Theodor v. Wreech. Von 1785 1796 Domherr Ludwig Alex. v. Wreech. (Der letzte Wreech.) Graf Ludwig v. Wreech hatte Tamſel und Warnik an den Grafen Bogislaus v. Dönhoff auf Dönhoff - ſtädt, den einzigen Sohn ſeiner Schweſter, einer vermählten Gräfin Dönhoff vermacht, der ſeinerſeits eine Schwerin zur Frau hatte. Von den 5 Töch - tern des Grafen B. v. Dönhoff war wiederum eine an einen Schwerin (Graf Hermann Schwerin-Wolfshagen) verheirathet. Durch dieſe Verheira - thung kam Tamſel an die Schwerins. Der gegenwärtige Beſitzer, Graf Bogislav, iſt ein Sohn des Grafen Hermann Schwerin-Wolfshagen.

2. Der Tamſler Park.

Ueber die ſchöne Lage Tamſels habe ich ſchon S. 15 einige kurze An - deutungen gegeben. In früheren Zeiten hieß es die Oaſe in der Wüſte und noch jetzt hat es Anſpruch auf jede rühmende Bezeichnung, wenn auch freilich die dem Ackerbau und wenigſtens dem üppigſten Wieſewachs ge - wonnenen Gegenden des Warthebruchs, für die Umgebung Tamſels die Be - zeichnung Wüſte nicht länger zuläſſig erſcheinen laſſen.

Das Terrain, auf dem Tamſel liegt, hat viel Aehnlichkeit mit den ſchönen Oderbruch-Parthieen zwiſchen Falkenberg und Freienwalde. Im Rücken eine Bergwand, mehr oder weniger ſteil, hier und dort durch eine Schlucht durchbrochen und überall mit Laub - und Nadelholz beſtanden; am Fuß dieſer Bergwand ein Dorf und zu Füßen des Dorfs ein Wieſen - grund, oft überſchwemmt und immer von Flußarmen durchzogen. So iſt das Freienwalder Terrain; ſo iſt auch die Landſchaft um Tamſel her.

Das Dorf Tamſel zieht ſich unmittelbar am Fuß des Hügels hin, zu Anfang und Ende wie ein Querſack ſich ausbreitend, in ſeiner Mitte aber zu einer ſchmalen Straße ſich verengend, weil eben hier der Park mit Schloß und Kirche ſich einſchiebt. Eigentlich theilt der Park, der in einen Außen - und Innenpark zerfällt, das Dorf in eine öſtliche und weſt - liche Hälfte, eine Theilung, die aber wenig bemerkt wird und noch weniger ſtört, da der Dorfverkehr unbehindert am Park entlang oder auch durch dieſen hindurch geht. Ein ſolches Zuſammengewachſenſein von Dorf und Schloß thut immer wohl und jeder Theil, zunächſt nur maleriſch genom - men, hat den Vortheil davon. Der Park kommt der Dorfſtraße und dieſe503 wiederum dem Park zu Gute. Der Park giebt Schönheit und empfängt Leben und Heiterkeit zurück.

Der Park, wie ſchon angedeutet, zerfällt in einen Außen - und Innen - Park.

Der Außen-Park iſt jene Waldparthie, die vom Fuß des Hügels an bis zur Kuppe deſſelben aufſteigt und die Schlußcouliſſe des ganzen Bildes, den Hintergrund für ganz Tamſel bildet. Auf der Höhe des Hügels erhebt ſich einer jener griechiſchen Tempel, wie ſie die Roccoco-Zeit zu bauen liebte, während weiter abwärts eine Schlucht die Hügelwand durch - bricht, eine Thalrinne, durch welche der Weg nach Zorndorf führt. In dieſer Schlucht war es, wo in den 80er Jahren dem Prinzen Heinrich zu Ehren, die Erſtürmung oder Forcirung des Paſſes von Gabel (die letzte Kriegsthat des Prinzen) noch einmal, bei bengaliſchem Feuer, friedlich in Scene geſetzt wurde. Die Schlucht wurde zu dieſem Behufe überbrückt; Minerva (die ſchöne 20jährige Gräfin Dönhoff) führte den Prinzen mit begeiſternder Anrede über die Brücke, an deren anderem Ende der Prinz von drei Johanniter-Rittern (von Schack, Graf Dönhoff, Graf Tauenzien) in voller Ordenstracht begrüßt und mit den ſchon an anderer Stelle mitge - theilten Worten empfangen wurde:

Henry parait! il faut se rendre!
Vous frémissiez fiers Autrichiens!
Si vous pouviez le voir, si vous pouviez l’entendre
Vous beniriez le sort qui vous met daus ses mains.

Alſo etwa:

Heinrich erſcheint und vor ſeinem Begegnen
Zittert Oeſtreich und unterliegt;
Kenntet ihr ihn, ihr würdet es ſegnen,
Stolze Feinde, daß Er euch beſiegt.

Zur Erinnerung an dieſen Tag wurde gleich nach der Feſtlichkeit ſelbſt ein Obelisk an eben der Stelle aufgerichtet, wo die drei Johanniter den Prinzen begrüßt hatten und dieſem Obelisk die Inſchrift gegeben: En Memoire du Passage de Gàbel en Bohème par le Prince Henri de Prusse, le 31. Juillet 1778. Darunter:

Ce marbre véridique aux siècles à venir
Du héros de notre siécle attestera la gloire,
Mais tout ce qu’il peut contenir
N’est qu’un feuillet de son histoire.

Dieſer Obelisk ſteht noch.

Der Innen-Park iſt ſehr reich an Statuen und Gedenkſteinen und ſoll, vor nicht allzu langer Zeit, noch viel reicher daran geweſen ſein. Auch hier wieder iſt Prinz Heinrich der vor Allem Gefeierte. In einer der Ecken des Parks erhebt ſich ein Altar mit den beiden Büſten des Prince Henri und des großen Kurfürſten, und franzöſiſche und deutſche Verſe wetteifern, theils in unmittelbarer Huldigung gegen den Prinzen, theils (mittelbar) in504 Vergleichen und Parallelen, die ſie zwiſchen dem Ahn und dem Enkel zieh’n. Il a tout fait pour l’etat heißt es an erſter Stelle; aber dem einfachen Ausſpruch folgen Verſe (des Chevaliers de Boufflers) auf dem Fuß:

Dans cette Image auguste et chère
Tout Heros verra son Rival,
Tout Sage verra son Égal
Et tout homme verra son frère.

Nun beginnen die Parallelen mit dem großen Kurfürſten. Zuerſt franzöſiſch:

Grands dans la paix, grands dans la guerre,
Tous deux, par de fameux exploits,
Devinrent et l’exemple et la leçon des rois.
D’infortunés proscrits le premier fut le père,
Le second, par son art d’etonner et de plaire,
Mit des Français tous les coeurs sous ses loix.

Dann folgen deutſche Diſtichen:

Mächtig erhub ſich der Staat durch Wilhelm, der ihm zu Lehrern
Jeder friedlichen Kunſt Galliens Flüchtlinge gab;
Mächtig beſchützt ihn (den Staat) der Sieger bei Freiberg, der in die Lorbeern
Früh ſich des feinen Geſchmacks galliſche Lilien wand.

Endlich (im lapidarſten Lapidarſtil) machen lateiniſche Worte den Schluß. Zuerſt (dem Kurfürſten geltend): Fridericus Guilielmus vere Magnus. Civium Parens. Hostium Victor. Libertatis Germanicae Vindex. Fidei Exulis Perfugium. Dann (dem Prinzen geltend): Henricus Militum Amor. Hostium Terror. Gallicae Gentis Deliciae. Musarum Altor. Ad Freibergam Victor.

Hiermit ſchließen die Inſchriften zu Ehren des Prinzen Heinrich ab, aber nicht die Denkſteine und Inſchriften überhaupt. Rose elle a vécu ce que vivent les roses, l’espace d’un matin , ſo lauten die Worte auf einem halb unter Raſen verborgenen Sandſtein, der zugleich den Namen der Frühgeſchiedenen trägt: Liſette Tauenzien. Weiter abwärts die Gänge des Parks begegnen wir einem Epitaph mit Bild und Urne dem Ge - dächtniß ſeiner zwei Geſchwiſter errichtet von Grafen Ludwig Alexander Wreich. (Complaints de Louis Alexandre Comte de Wreich sur la perte de sa soeur et de son frère.) Darunter folgende Verſe:

Naissez mes vers, soulagez mes douleurs
Et sans efforts coulez avec mes pleurs!
Pour vous pleurer je devance l’aurore,
L’eclat du jour augmente mes ennuis,
Je gémis seul dans le calme des nuits,
La nuit s’envole et je gémis encore.
Vous n’avez point soulagé mes douleurs,
Naissez mes vers, laissez couler mes pleurs.
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Noch weiter abwärts erhebt ſich das Denkmal, das ebenfalls Graf Ludwig Wreich dem Andenken ſeines Lehrers Fahndorff errichtete, deſ - ſelben, der am 24. Auguſt 1758 von den plündernden Ruſſen ermordet und unter die Bäume des Parks geworfen wurde.

Noch vieles andere iſt an Tafeln und Inſchriften da, aber wir ver - weilen dabei nicht länger und wenden uns vielmehr der Stelle zu, wo im Mittelpunkt des Parks, en vue des Schloſſes, vom Grafen Hermann Schwerin der große Denkſtein errichtet wurde, deſſen ich ſchon S. 59 flüchtig erwähnte. Mir bleibt hier nur noch übrig, das Denkmal ſelber ausführlicher zu beſchreiben. Es iſt ein Stein-Obelisk von etwa 30 Fuß Höhe, der ſich auf einem gegliederten Poſtamente erhebt und ſeinerſeits wieder eine vergoldete Victoria trägt. An den Seiten und der Rückfront des Poſtamentes befinden ſich drei, auf den Küſtriner Aufenthalt des Kronprinzen Bezug nehmende Basreliefs: ein Studirzimmer mit Büchern, Noten und Karten; ein ſtrahlender Jüngling, der den Wagen zur Sonne lenkt; Küſtrin mit der alten Oderbrücke; während die Vorderfront fol - gende Inſchrift trägt:

Eh die Sonne (mit des Schöpfers Macht im Bunde)
Sendet ihren Glühſtrahl über Welt und Ocean,
Geht des Frühlingsmorgens Nebelſtunde
Thränenſchwer, doch Segen bergend, ihr voran.

Weitere Inſchriften, am Obelisken ſelbſt befindlich, knüpfen ebenfalls an den Aufenthalt des Kronprinzen in Küſtrin und Tamſel an.

  • Vorderfront: Hier fand Friedrich II. als Kronprinz von Preußen in ſeinem Duldungsjahre 1731 erwünſchte Aufheiterung in länd - licher Stille.
  • Rückfront: Es iſt ein göttlich Ding einem Manne, daß er das Joch in ſeiner Jugend trage. Klagelieder Jeremiä 3, 27.

An einer der Seitenfronten befinden ſich die Worte, die auf die Er - richtung des Denkmals Bezug nehmen: Dem erhabenen Verklärten Anno 1840, nach 100 Jahren ſeiner Thronbeſteigung, geweiht vom Grafen Herr - mann von Schwerin. Ein Gitter und Roſenbüſche faſſen das Denkmal ein. Es iſt an derſelben Stelle errichtet worden, an der (laut Ausſage alter Fiſchersleute) der Kronprinz, wenn er im Tamſler Park ſpatzieren ging, vorzugsweiſe gern zu verweilen und unterm Laubdach der Bäume zu leſen pflegte. Die Enthüllung des Denkmals war ein Feſt für die ganze Gegend. Friedrich Wilhelm III. (der 7 Tage ſpäter ſtarb) hatte noch den größten Antheil daran genommen und acht Invaliden, aus der friedricianiſchen Zeit, zur Erhöhung des feſtlichen Eindrucks, nach Tamſel geſchickt. Die Uniformirung war eigens nach Angaben des Königs erfolgt. *)Dies Denkmal, das vom Warthebruch und zugleich auch von dem hohen Eiſen - bahn-Damm aus geſehn werden kann, der dicht bei Tamſel das Bruch durchſchneidet,

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3. Die Kirche in Tamſel.

Die Tamſler Kirche ſteht ebenfalls im Park. Es iſt ein alter, gothi - ſcher Bau, der durch Schinkel reſtaurirt und wenn ſich auch nicht Alles loben läßt doch jedenfalls zu einem Bau umgeſtaltet wurde, der ſich ſehr maleriſch in die Landſchaft einfügt. Dies maleriſche Element, das Beſtreben, einer ſterilen Landſchaft aufzuhelfen oder eine hübſche Landſchaft noch hübſcher zu machen, ſpielt bei allen Schinkelſchen Dorfkirchen eine ſehr weſentliche Rolle.

Die Kirche iſt eine einfache Kreuzkirche. Das linke Querſchiff iſt eine mit Statuen und Waffentrophäen geſchmückte Ruhmeshalle für die Schoe - nings. Hier befinden ſich, in einer Doppelniſche, die überlebensgroßen Steinbilder des Feldmarſchalls Hans Adam v. Schoening und ſeiner Gemahlin. Zur Linken beider ſteht die Marmorbüſte des Soh - nes (Johann Ludwig 1713) und trägt folgende Inſchrift: Der Hoch - wohlgeborne Herr, Herr Johann Ludwig v. Schoening, des St. Jo - hanniter Ordens Ritter und deſignirter Commendator zu Lago, Sr. Königl. Majeſtät in Polen und churfürſtlichen Durchlaucht zu Sachſen geweſener Kammerherr, Herr zu Tamſel, Warnick, Groß und Klein Kamin, Birck - holz und Schönhoff, iſt geboren zu Küſtrin den 25. Dezember St. vet. anno 1675 und auf dem adligen Gute zu Neuendorf in dem Für - ſtenthum Halberſtadt anno 1713, den 29. Oktober, ſelig in dem Herrn entſchlafen, ſeines Alters 37 Jahr, 10 Monate und 10 Tage.

Andere Statuen enthält die Kirche nicht, wohl aber zwei Oelbilder zur Rechten und Linken des Altars. Das eine, von Wach gemalt, iſt eine Himmelfahrt ; das andere, ein Chriſtus am Kreuz , wurde von Wach reſtaurirt. Dies zweite Bild iſt weſentlich beſſer und gilt für werthvoll. Es heißt der Feldmarſchall habe es nach ſeinem Türkenſiege aus Ungarn mitgebracht , doch iſt das mindeſtens höchſt unwahrſcheinlich. Alles was ſich in den Schlöſſern und Kirchen unſerer Türkenbeſieger vorfindet, (wie ich das in dem Kapitel Lichterfelde ausführlicher gezeigt habe) iſt allemal aus Ungarn mitgebracht. Ich halte mich überzeugt, daß auch die S. 16 bereits erwähnten, berühmten Stuckarbeiten im Tamſeler Schloß einfach von Berliner Künſtlern herrühren, an denen unter der Regierung Churfürſt Friedrichs III. (des ſpätern Königs Friedrich I.) in der bran - denburgiſchen Hauptſtadt durchaus kein Mangel war. Der Chriſtus am Kreuz konnte allerdings damals von keinem Berliner Maler gemalt*)gereicht dem Park jeder Zeit zu einer beſonderen Zierde; ſeinen ſchönſten Moment aber hatte dies Denkmal wohl, als in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1861 König Wilhelm I., von ſeiner Krönung in Königsberg zurückkehrend, im Eilzuge an Tamſel und ſeinem Park vorüberfuhr. Signale (vom Eiſenbahn-Damm aus) wurden gegeben und in demſelben Augenblick, in dem der Zug an der Park-Lichtung vorüber - glitt, ſtrahlte das Victoriabild des Obelisken in bengaliſchen Feuern. Dahinter ſtiegen, einen Moment nur, die Umriſſe des Schloſſes auf; dann ſank alles wieder in Nacht.507 werden und ſtammt wahrſcheinlich aus Dresden, wo, wie wir geſehen haben, (vergl. S. 36) Feldmarſchall Schoening von 1691 an lebte und 1696 ſtarb.

Die Kirche hat zwei Erbbegräbniſſe; das eine, ein neurer Anbau, hinter dem Chor der Kirche, das andere eine gewölbte Gruft aus der Zeit der Schoenings und noch früher.

Der neuere Anbau iſt das Dönhoff’ſche Erbbegräbniß. Es wur - den darin beigeſetzt: 1) Graf Dönhoff (an den, nach dem Tode des letz - ten Wreech, Tamſel als Frauenerbe fiel); 2) Gräfin Dönhoff, geb. Gräfin Schwerin; 3) und 4) zwei junge Grafen Dönhoff, von denen der eine als Kind ſtarb, der andere, kaum 21 Jahr alt, von ſeinem Freunde, dem Grafen Saldern, im Duell erſchoſſen wurde. Das Duell fand in Göttingen ſtatt (1816), wo Beide ſtudirten. Graf Dönhoff hatte in den Kriegsjahren als Garde du Corps-Offizier die Campagne mitgemacht. Außer dieſen vier Särgen befinden ſich noch zwei ältere in dem Erbbegräbniß, und zwar die Särge des Freiherrn Dodo Heinrich v. Inhauſen und Knyphauſen (Erbherr der Herrlichkeit Jenelt und Visquet) und ſeiner Gemahlin, einer gebornen Baroneſſe v. Wreech. Er, der Freiherr, war am 5. Auguſt 1729 geboren und ſtarb am 31. Mai 1789.

Die Gruft ſcheidet ſich in zwei gewölbte Räume. In der ältern, mehr zurückgelegenen Gruftkammer befinden ſich die Särge der Familie Schoenbeck und anderer Vorbeſitzer Tamſels. In dem andern Gewölbe ſtehen elf zum Theil ſehr prachtvolle Särge, darunter der der ſchönen Frau v. Wreech (Luiſe Eleonore)*)Da über verſchiedene Daten aus dem Leben dieſer Frau, namentlich über das Jahr ihrer Geburt und ihrer Verheirathung, abweichende Angaben vorkommen, ſo laſſe ich hier nachſtehendes folgen: Luiſa Eleonora v. Schoening wurde (dem Küſtriner Kirchen - buch zufolge) durch den Küſtriner Hofprediger am 6. Juli 1721 in Tamſel zum heiligen Abendmahl admittirt, ihres Alters vierzehn Jahre, ſowie durch denſelben am 25. Mai 1723 mit dem Oberſten Adam Friedrich v. Wreech (geſt. 1746) copulirt. Sie war alſo bei ihrer Verheirathung 16 Jahr alt und 24 Jahr bei dem erſten Beſuch des Kronprinzen in Tamſel. Aus ihrer Ehe mit dem Oberſten v. Wreech hatte ſie wenigſtens ſieben Kinder, wahrſcheinlich aber mehr. Das Küſtriner Kirchenbuch nennt folgende fünf:1) Eleonore Charlotte Amalie, geb. den 21. Dezember 1724.2) Juliane Luiſe, geb. den 22. März 1726.3) Friedrich Ludwig, geb. den 31. Juli 1727. (Getauft den 7. Auguſt; zählt unter ſeinen Pathen den König, den Kronprinzen und den Fürſten von Anhalt-Deſſau).4) Carl Albrecht Adam; geb. den 27. November 1728.5) Sophie Friederike; geb. den 28. Mai 1730. (Zählt unter ihren Pathen die Prinzeſſin von Anhalt-Zerbſt, die Feldmarſchälle Graf v. Wartensleben und v. Natzmer).Sie war es, die ſich am 7. September 1752 mit dem Grafen Stanislaus Gerhardt v. Dönhoff (ſpäter, in zweiter Ehe, mit dem Baron Dodo von Knyphauſen) vermählte, durch welche erſtre Vermählung Tamſel zunächſt an die Dönhoffs, dann an die Schwe - rins kam. Fr. Förſter ſpricht noch von einer am 27. Mai 1732 gebornen Tochter, doch iſt, der beiden letzten Wreechs und des508 Feldmarſchalls Hans Adam v. Schoening. Der Sarg der ſchönen Frau v. Wreech hat keine Inſchrift, wohl aber befinden ſich ſolche auf den Särgen ihrer beiden Söhne, der beiden letzten Wreechs.

Dieſe Inſchriften lauten:

1) Friedrich Wilhelm Feodor, Freiherr von Wreich, Sr. K. Majeſtät von Preußen wirklicher Kammerherr und Hofmarſchall bei Sr. K. Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen, ſind geboren zu Berlin den 29. Januar 1733 und geſtorben zu Berlin den 23. Mai 1785.

2) Ludwig Graf v. Wreich, der letzte ſeines Stammes, Königl. Preuß. Kammerherr und Hofcavalier Sr. K. Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen, Erb - und Gerichtsherr auf Tamſel ꝛc., Ritter des Johanniter - Ordens und Domherr des Stifts zu Magdeburg, ward geboren im Jahre 1734 zu Kyritz in der Altmark und ſtarb den 20. Juni 1795 zu Ra - thenow im 61. Jahre ſeines ruhmwürdigen Lebens.

Der Sarg des Feldmarſchalls Hans Adam v. Schoening iſt ſehr groß und prächtig, und ganz von Kupfer. Ein goldenes (oder ſilbernes) Crucifix liegt oben auf; das Wappen befindet ſich oberhalb, der Namens - zug unterhalb dieſes Crucifixes. Die Seitenwände basreliefartig mit Fah - nen geſchmückt; dazwiſchen folgende Inſchrift: Der hochwohlgeborne Herr, Herr Hans Adam v. Schoening auf Tamſel, Warnick, Birkholz, Chur - fürſtl. Sächſiſcher wohlbeſtallt geweſener General-Feldmarſchall, wirklich Gehei - mer und Geheimer Kriegsrath, Obriſter der Leibgarde zu Fuß, wie auch über ein Regiment Cüraſſiers und ein Regiment Dragoners, ward geboren zu Tamſel den 1. Oktober 1641, ſtarb ſelig zu Dresden den 28. Auguſt 1696.

Die Rückſeite dieſes Sarges enthält die Bibelſtelle: Pſalm 18, Vers 32 36. Der Deckel iſt feſt aufgelöthet und macht ein Oeffnen ſehr ſchwierig. Zu Lebzeiten des Generals und Hiſtoriographen der Armee, Kurd v. Schoening, der alljährlich, am Geburtstag ſeines berühmten Ahnherrn, in Tamſel zu erſcheinen und in der Gruft daſelbſt zu verweilen liebte, war öfters von Oeffnung des Sarges die Rede, aber ſie unterblieb jedesmal, einmal weil die Sache große Schwierigkeit hatte und andrerſeits*)ziemlich erſichtlich, daß hier eine Zahlenverwechslung vorliegt, und daß er die obige, am 28. Mai 1730 geborene Tochter (Sophie Friederike) meint. Auf dieſe Tochter bezieht ſich auch die Stelle eines etwa Mitte Dezember 1731 geſchriebenen Briefes des Kronprinzen an Frau v. Schoening, die Mutter der Frau v. Wreech: Je l’ai vu, Madame, votre fille (Frau v. Wreech) et elle sait que Vous et sa fille (eben jene Sophie Friederike) se portent bien. Nach dieſer Zeit, d. h. in Jahren, die der Anweſenheit des Kronprinzen (1731) folgten, wurden jedenfalls noch zwei Kinder geboren:6) Friedrich Wilhelm Feodor v. Wreech, geb. 1733, geſtorb. 1785; und7) Ludwig Alexander v. Wreech, geb. 1734, geſtorb. 1795. (Nach einer andern Angabe ſchon 1794.)Dieſe beiden ſind im Küſtriner Kirchenbuch nicht verzeichnet. Es iſt nicht unwahr - ſcheinlich, daß die Zahl der Kinder der ſchönen Frau noch größer war.509 weil man ſich ſcheuen mochte, die ſo wohlverwahrte Ruhe des Todten zu ſtören. Handelte es ſich dabei doch ohnehin nur um Befriedigung einer freilich verzeihlichen Neugier. Man wollte nämlich in Erfahrung bringen, ob er mit dem mit Diamanten beſetzten Degen, den ihm Kaiſer Leopold nach der Einnahme von Ofen zum Geſchenk machte, begraben ſei oder nicht. Dieſer Degen war bis jetzt nirgends zu finden.

4. Das Schloß.

Es iſt, ſeinen Umfaſſungsmauern nach, noch das alte Schloß, wie es von Feldmarſchall von Schoening gebaut wurde. Auch in der innren Einrichtung hat ſich noch manches erhalten, z. B. das Treppenhaus und der Ahnenſaal (die Bildergallerie). Selbſt von den berühmten Stuckarbeiten des Schloſſes, die namentlich in der Bildergallerie höchſt merkwürdig durch die Kühnheit ihrer Befeſtigung geweſen ſein ſollen, befindet ſich noch ein Ueberbleibſel in einem der kleinen Seitengemächer. Sonſt iſt ein völliger Um - und Ausbau vor etwa 20 Jahren vorgenommen worden, bei welcher Gelegenheit das ſchräge, gothiſche Dach der Schoening’ſchen Zeit beſeitigt und nach Aufſetzung eines neuen Stockwerks, durch ein Flachdach erſetzt wurde. Der Charakter des Hauſes iſt dadurch natürlich ganz verändert worden.

Das Schloß iſt reich an Bildern und Skulpturen aller Art; wir ver - weilen jedoch nur bei den hiſtoriſch-intereſſanteſten, wie ſie ſich im Billard - zimmer und im Ahnenſaal vorfinden.

Im Billardzimmer.

1) Portrait Friedrich des Großen. (Knieſtück.) Vorzügliches Bild; wenn nicht von Pesne ſelbſt herrührend, ſo doch wahrſcheinlich unter ſeiner Leitung gemalt. Es erinnert wenigſtens in Ton und Auffaſſung an andre Friedrichsporträts dieſes Meiſters. Der König iſt auf dieſem Bilde etwa 30 Jahr alt; er trägt weißgepudertes, natürliches Haar; um das noch volle Kinn herum bemerkt man einen bläulichen Bartton. Neben ihm liegt ein Hermelinmantel und ein mit Lorbeer geſchmückter Helm. Er trägt einen eleganten blauen Rock mit rothem Futter und Goldbrokat-Beſatz, weiße Aermel, die unter den kurzen Rockärmeln hervorkommen, den Stern und das Orangeband des ſchwarzen Adlerordens, Küraß und Schärpe.

2) Porträt des Prinzen Heinrich. Der Prinz in Generals - Uniform, die Aermelaufſchläge von Tigerfell. Neben ſich den Plan der Schlacht bei Freiberg (die Prinz Heinrichs-Schlacht); im Hintergrunde die Schlacht ſelbſt.

3) Das Schloß zu Cölln an der Spree im Jahre 1602. Höchſt intereſſantes Bild; 5 Fuß hoch, 6 Fuß breit; der Name des Ma - lers nicht bekannt. Das Bild zeigt die der Breiten - und Brüder-Straße zugekehrte Front; kaum irgend etwas auf dem Bilde erinnert an die Schloß-Façade, wie ſie jetzt dem Auge ſich darbietet. Der Bau iſt noch durchaus mittelalterlich; in Front zeigen ſich vier gothiſche Giebel, wie an510 Privathäuſern. In der Mitte der Façade und in Höhe des erſten Stocks bemerkt man einen eigenthümlich geformten, kunſtreich gegliederten Bal - kon. In Höhe des Erdgeſchoſſes zieht ſich an der ganzen Front hin eine Colonnade, nach Art der noch jetzt exiſtirenden Stechbahn. Dieſe Co - lonnade iſt von röthlichem Stein; der Reſt des Bildes zeigt einen grauen Ton. König Friedrich Wilhelm IV., als er bei ſeinem Beſuche in Tamſel (etwa 1845) dies Bild ſah, nahm das größte Intereſſe daran und ließ eine Copie anfertigen, die ſich jetzt im Berliner Schloß befindet. Das Ori - ginal wurde vor etwa 25 Jahren nur durch einen glücklichen Zufall vom Untergange gerettet; man fand es verſtaubt, geſchwärzt, zerriſſen auf einem Boden oder Seitengelaß des Schloſſes.

Im Ahnenſaal.

Unter den verſchiednen Porträts, die ſich hier vorfinden, ſind die fol - genden die wichtigſten:

1) Hans Adam von Schoening, der Türkenbeſieger. Großes Bild, 9 Fuß hoch, 10 Fuß breit. Hans Adam ſitzt zu Pferde und trägt (wie es ſcheint) einen gelbledernen Waffenrock, rothe Gamaſchen, eine kurze braune Perrücke, Dreimaſter mit weißen Straußenfedern und Galanterie - Degen. Die rothe Satteldecke iſt reich mit Gold und Silber geſtickt.

2) Die Gemahlin Hans Adams von Schoening. Das Pendant zum vorigen Bilde, alſo ebenſo groß. Die Feldmarſchallin iſt noch jung, mit weißgepuderten Locken und Perlen darin. Sie trägt ein weißes Atlaskleid mit Goldſtickerei; eben ſolche Schuhe. Vier Kinder ſpielen um ſie her, ein fünftes ruht auf ihrem Schooß. Das älteſte der Kinder, ein junges Mädchen, iſt im Diana-Koſtüm, ein Windſpiel ihr zur Seite; ein andres Kind trägt ein Füllhorn, ein drittes ſpielt mit einem Lamm; da - zwiſchen Windſpiele und Bologneſerhündchen. Links in der Ecke des Bildes Genien mit Kränzen und Palmen. Im Hintergrunde Schloß Tamſel vor 1686.

3), 4), 5) Drei Bilder des Generals von Wreech, des Gemahls der ſchönen Luiſe Eleonore.

6) und 7) Die Bilder des Miniſters von Brandt (wahrſcheinlich des bekannten Euſebius von Brandt) und ſeiner Gemahlin.

8) Frau von Wreech (Luiſe Eleonore). Knieſtück. Sie iſt auf die - ſem Bilde 28 bis 30 Jahr alt, alſo ein Bild, das noch zu Lebzeiten ihres Gemahls gemalt wurde. Sie iſt noch ſehr hübſch, friſch, üppig, die Augen voll Leben und Klugheit. Sie trägt ein weißes Brokatkleid, mit natürli - chen Blumen aufgeſteckt, dazu eine hellblaue, ſilber - oder weißgeſtickte Ueber - jacke; Granatblumen im weißgepuderten natürlichen Haar und Perlen - Ohrgehänge.

9) Frau von Wreich im Witwenkleide; halbe Figur. Sie iſt auf dieſem Bilde etwa 38 bis 40 Jahr alt. Sie trägt ein ſchwarzes Kleid, und über dem ſchönen Nacken einen weißen, durchſichtigen Tüllkragen, mit einer511 kleinen Halskrauſe daran. Die ſchwarze Schnebbe der Witwenhaube geht bis tief in die Stirn; an der Haube hängt der ſchwarze Witwenſchleier.

10) Frau von Wreich (drittes Porträt). Bruſtbild, lebensgroß. Sie iſt auf dieſem Bilde etwa 40 bis 41 Jahr alt, und ſcheint daſſelbe um die Zeit gemalt zu ſein, wo ſie die Witwentrauer ablegte. Sie trägt ein ausgeſchnittenes, weißes Atlaskleid, kurze Aermel, breite Fall-Unter - ärmel, eine Halskrauſe (trotz des tief ausgeſchnittnen Kleides) und eine ſchwarze Sammetjacke, mit buntem Futter, über die eine Schulter geworfen. In der Hand hält ſie eine Tabatière. Dies Bild macht einen ſehr ange - nehmen Eindruck: eine vornehme, zugleich anſpruchslos-hausmütterliche Dame, noch hübſch, aber ohne beſondere Schönheit. An Kunſtwerth iſt ihr zweites Porträt (im Witwenkleid) das beſte; auch tritt ſie einem auf eben dieſem Bilde am meiſten als ſchöne Frau entgegen. *)An dieſer Stelle ſei übrigens noch der Frau Karſchin, der bekannten Dichterin, erwähnt, die jahrelang zu Frau v. Wreech in freundſchaftlichen Beziehungen ſtand. Die Karſchin war längere Zeit in Tamſel zu Beſuch. Im Tamſler Archiv befinden ſich ver - ſchiedne Gedichte der Karſchin, an Frau v. Wreech gerichtet, und Briefe (gewöhnlich in Verſen), die beide Damen wechſelten. Leider bot ſich mir nur Gelegenheit, dieſe Papiere zu leſen, nicht ſie zu benutzen; ſie geben ein vortreffliches Zeitbild.

11) Generalfeldmarſchall Graf Kurt von Schwerin (der bei Prag fiel). Knieſtück. Sehr gutes Bild, lebensvoll; der Geſichtsaus - druck freundlich, klug, feſt und ſchlicht. Er iſt in volle Rüſtung gekleidet (mehr Ritter als Küraſſier) und trägt über der linken Schulter als bloße Drapirung einen Purpur-Sammet-Ueberwurf, auf dem der ſchwarze Adler - orden ſichtbar iſt.

Dies Bild, das ſich früher im Beſitz des Generals Kurt von Schoe - ning (in Potsdam) befand, kam auf folgende Weiſe nach Tamſel.

General Kurt von Schoening, bei ſeinen gelegentlichen Beſuchen in Tamſel, hatte nie verſäumt, ſeines Ahnherrn Hans Adam von Schoe - nings Bild (den Reiter mit den blutrothen Gamaſchen) mit lebhaftem Intereſſe zu betrachten, und Graf Herrmann Schwerin nahm deshalb Ver - anlaſſung, eine Copie des großen Bildes anfertigen zu laſſen und dieſe dem General von Schoening zum Geſchenk zu machen. Ein Schwerin alſo hatte einem Schoening das Bildniß des berühmteſten Schoening’ſchen Ahnherrn überreicht. Jahre vergingen; General von Schoening ſtarb. Bei Oeffnung ſeines Teſtaments fand man in demſelben folgendes: §. 12. Das Bild vom Generalfeldmarſchall Grafen Schwerin erhält der liebenswürdige, edle Herr Graf Schwerin auf Tamſel. Nur wenn derſelbe eher als ich das Zeitliche ſegnen ſollte, erhält es das Schloß von Tamſel, in Aner - kennung der treu-bewahrten Alt-Schoening’ſchen Erinnerungen über und unter der Erde. So kam das Bild nach Tamſel. Ein Schoening hatte nunmehr einem Schwerin das Bildniß des berühmteſten Schwerin’ſchen Ahnherrn, als Gegengeſchenk überreicht.

512

Ich habe geglaubt bei Aufzählung alles deſſen, was Tamſel, wie an hiſtoriſchen Erinnerungen, ſo auch an Kunſtſchätzen (Bilder, Statuen, In - ſchriften) aller Art bietet, ausführlicher verweilen zu dürfen, weil dieſem ſchönen Landſitz, durch länger als ein Jahrhundert hin, die Rolle zufiel, nicht nur ein hiſtoriſcher Schauplatz, ſondern auch eine Pflegeſtätte für die Künſte zu ſein. Wir haben Punkte in unſrer Provinz, die, vorübergehend, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, ein inten - ſiveres Leben geführt und glänzender debütirt haben, aber was dem Ruhme Tamſels an Intenſität abgehen mag, das erſetzt er durch Dauer, durch ein conſequentes ſich halten auf hohem, wenn auch freilich nicht höchſtem Niveau. Es giebt eine ganze Anzahl von märkiſchen Schlöſſern, aus denen berühmtere, oder doch eben ſo berühmte Feldherrn als Feld - marſchall von Schoening, aus denen ſchönere Frauen als Frau von Wreech und glänzendere Poeten als Graf Ludwig Wreech oder Graf Herrmann Schwerin hervorgegangen ſind, aber es giebt in der Mark wohl keinen zweiten Landſitz, der, wie Tamſel, durch ſechs Generationen hin, in be - wußter Pflege und Ausübung jeglicher Kunſt, ſich immer gleich geblie - ben wäre.

Schloß Rheinsberg (mit dem es überhaupt vieles gemeinſam hat) ſteht ihm hierin am nächſten, da die Zeit ſeiner Blüthe 70 Jahre umfaßt; alle übrigen Punkte aber, die hierlandes den ſchönen Künſten das Thor öffne - ten, ſei es um die Kunſt ſelber zu üben, oder ihr ein Hausrecht einzu - räumen, ſahen die Muſe nur zeitweilig in ihren Mauern. Sie kam und ging. Tegel (die Humboldts), Blumberg (Canitz), Wiepersdorf (Achim von Arnim), Nennhauſen (Fouqué), Madlitz und Ziebingen (Tieck) ſie alle hatten ihre Zeit und die literariſche Bedeutung deſſen, was in ihnen ge - boren wurde, ging weit über das hinaus, was Tamſel hervorbrachte. Aber dilettantiſch wie alles ſein mochte, was Tamſel entſtehen ſah, klein wie das Feuer war, es loſch nie aus. Der Beſitz wechſelte vielfach und ging durch Erbſchaft auf immer neue Namen über, jeder folgende aber empfand ſich ſtets als Erbe gewiſſer Traditionen, und die Schoenings, die Wreechs, die Dönhoffs, die Schwerins, wie verſchieden ſonſt auch, ſie waren einig in Pflege der Kunſt. Dieſe Eigenthümlichkeit Tamſels zur Geltung zu bringen, bedurfte es einer Aufzählung des reichen Materials, das ſich da - ſelbſt in Schloß und Park und Kirche zuſammenfindet.

5. Briefe des Kronprinzen Friedrich an Frau v. Wreech. 1731 32. (Lettres et Vers de certain grand prince.)

I.

Madame. Je Vous ai trop d’obligations pour ne pas Vous en - moigner ma reconnaissance. Vous êtes la cause que tout le monde ne parle que de Tamsel, Vous pouviez bien croire que ce n’est pas tant513 par rapport à l’endroit, que par rapport à l’aimable hôte, et l’incompa - rable hôtesse de ce lieu. S’il dependroit de moi plus vite que ces lignes, je mes rendrois en personne chez Vous et je Vous marquerois Madame, le plaisir que j’ai à Vous rendre mes devoirs. Au premier jour je me laisserai pourtant vaincre par ce penchant et comme Vous avez eu la bonté de me le permettre, je puis le faire impunément je crois que je vôlerai plutot par ce chemin que ne marcherai; l’impatience, le desir d’arriver, la joie que l’on se promet et plus que tout la satisfaction de voir des personnes qui Vous sont chères, encouragent en pareille occa - sion, on surmonte les plus terribles montagnes, dont Natzmer dit que l’on s’y peut casser le cou comme une vieille femme. Mais gare alors! Vous savez Madame que l’homme est un animal de coutume et comme je suis de ce genre, je m’accoutumerai si bien chez Vous qu’il faudra me chasser comme les chiens de l’église. Mes complimens, s’il Vous plait, à Mr. Votre époux. Si les oreilles ne Vous cornent pas à tous deux, il faut que Vous ayez perdu l’organe de l’ouie, car les verres car - rilloneront ce midi à Vos santés, que cela sera une bénédiction. Voilà tout ce que nous pouvons faire pour Votre service ce n’est pas grand chose à la vérité mais d’un mauvais payeur il faut prendre ce que l’on peut. Il faut regarder au coeur pour le miens je Vous en réponds, il est rempli de beaucoup de bonnes intentions, accom - pagnées de beaucoup d’impuissance. A propos du coeur, il faut se souvenir de sa promesse. Je me resouviens Madame de la mienne et je n’attends que Vos ordres pour la mettre en éxécution. Si Vous voulez ma figure en grand, en milieu ou en miniature? L’original est entièrement à Votre disposition. Pour les copies je crois que la plus petite miniature sera la meilleure car un petit mal vaut mieux qu’un grand. Il ne tiendra pourtant qu’à Vous à disposer et je saurai obéir à condition que Vous me fassiez toujours le plaisir de croire que je suis avec une affection et une estime particulière, Madame Votre parfait ami à Vous servir Fréderic.

II.

Madame. Les sauterelles qui désolèrent ce pays ont toujours eu assez d’égards pour Vous, qu’elles ont ménagé Vos terres. Un nombre innombrable d’insectes plus vilains et plus dangereux que celles-ci de - vant nommées, vont se rendre chez Vous, Madame et non contens de déserter le pays, ces animaux auront la hardiesse de Vous attaquer jusque dans Votre propre château. On les appelle Vers , ils ont quatre pieds, des dents aigues, un corp fort long et une certaine cadence fait leur premier principe et leur donne la vie. Ceux-ci sont de fort mauvaise race, ils sont venus tout rècemment du parnasse, le bon gout les a chassés. Je suis persuadé qu’ils auront un sort égal à Tamsel, endroit que les 9 muses et Apollon même pourraient choisir afin de s’y faire33514juger et dont le jugement seroit certainement juste. Je me réjouis fort cependant de voir que le soin paternel du Sieur Apollon se réveille et qu’il prend aprésent soin de purger le Parnasse des mauvaises produc - tions faites par des chetifs poêtes. Je crois que cela lui doit aller fort bien, quand avec une grande chambrière, il se met à chasser ces monstres poëtiques. Comme je suis du nombre de ceux qu’il a étrillés, je peux Madame, Vous en donner des nouvelles. J’assure qu’à le voir il étoit l’ébauche vivante d’un de ces gens, qui chassent les chiens des églises. Ce n’est pas par rancune que je lui donne cette épith èthe, quoiqu’en quelque façon j’aye lieu d’en avoir, car mes intentions depuis que je me mêle de la poëtique ont été pour l’ordinaire de priser la beauté des dames, d’y mêler un peu de tendre et je crois que cette manière fait que l’on a beaucoup de support pour la rime. Soit ce qu’il en soit, je lui pardonne les coups et tout. Mais comme la récompense du bien ac - compagne toujours la punition du mal, je suis persuadé, Madame, que les beaux progrès que Vous avez fait dans ce même art, ne reste - ront pas sans être recompensés. Je suis de plus persuadé, que les doctes soeurs Vous adopteront pour dixième. Gare seulement que Vous ne leur donniez trop de jalousie, car si elles avoient l’honneur de Vous connoitre comme je l’ai, Votre esprit, Votre mérite, Votre beauté, qui les surpasse de beaucoup, seroit l’unique raison qui pourroit altérer ce projet. En cas que Vous profitiez de leur ignorance je Vous supplierois, Madame, de faire des remonstrances au Sieur Appollon de ses manières d’agir dites lui s’il Vous plait qu’il ne sied pas bien à un directeur des arts et sciences de maltraiter une personne d’honneur et que ses coups de gaule? n’étoient point du tout polis. Je lui suggérerois volontiers un moyen de me punir dorénavant de façon qui ne me fera aucune peine ni à tout autre poête. Qu’il crée un ordre de Chevallerie. Il pourra les nommer Chevaliers de la mauvaise rime. En nous en donnant les insignes, il dépendra de lui de nous étriller comme bon lui semblera, et l’honneur de la chevallerie nous fera endurer les coups patiemment. J’ai la confiance en Vous, Madame, que Vous me ferez ce plaisir, ou si Vous voulez me tirer de cette difficulté Vous le pouvez sans peine. Permettez seulement que j’ose faire mes vers sans Vos auspices et que je puisse Vous invoquer pour les faire. Lors je ne pourrai rien faire de mauvais au nom d’une personne si parfaite. J’at - tends mon arrêt, Madame, sur ma prière, je l’attends avec impatience mais aussi avec résignation. Faites et disposer comme il Vous plaira mais permettez moi seulement d’oser Vous assurer que je serai, tant en prose qu’en vers, avec beaucoup d’estime et de vénération Madame Votre parfaitement fidèle ami et serviteur Fréderic.

515
Ode.
Permettez-moi, Madame, en Vous offrant ces lignes
Que je Vous fasse part de cette vérité:
Depuis que je Vous vis j’ai été agité
Vous êtes un objet qui en êtes bien digne.
Mon coeur a ressenti qu’un trait trop plein d’addresse
Est trop capable hèlas d’ôter la liberté;
Quoique je sois à cette heure au tems de puberté
Le monde dit pourtant que c’est une faiblesse.
Ma faiblesse me plait et semble préférable
A des coeurs qui sont durs et semblables au rocher
Et quand l’on me diroit, que ce seroit pêcher
Vous valez un pêché, Vous êtes trop aimable.
Je ne me trouve pas moi même assez capable
De Vous faire sentir ce qu’éprouve mon coeur:
Aimer est un bonheur, aimer est un malheur!
Tantôt l’on est content, tantôt cela accable.
Tirez moi donc de peine et soyez mon arbitre
Car je n’attends de sort que sorti de Vos mains,
Je suis dans l’esclavage, je suis dans Vos liens
Et ne demande pas jamais un autre titre.
N’en ai-je pas trop dit? reprimez ma hardiesse.
Du moins n’ai-je parlé quand Vous fûtes ici,
Mais j’avois tant à voir dont j’étois en souci,
Car Vous me paroissiez ainsi qu’une déesse.
Recevez donc Madame, un coeur qui est trop tendre,
Qui attend impatient seulement la permission
De Vous faire souvent ces douces soumissions
Et qui a balancé à cette heure (asteur) de l’entreprendre.
Je compte les momens, je compte les minutes
Afin de recevoir de Vous la décision
Sur quoi je rêglerai toutes mes actions.
Mais je crains ce malheur qui trop me persécute
Qu’il me soit donc contraire en m’offrant des traverses
Vous verrez que malgré je peux être constant
Et si je n’ai pas lieu, d’en être trop content
Il faut que la patience à la fin pourtant perce
Mais j’en ai écrit trop et ma passion m’emporte
Je crois Vous ennuyer Vous priant à la fin
De croire que ce coeur de Vous rempli et plein
Y perséverrera toujours de même sorte.
Friederich.
33*516

Auf der leeren Rückſeite dieſer Ode finden ſich folgende Verſe von der Hand der Frau von Wreich wahrſcheinlich Abſchrift oder brouillon ihrer Antwort.

Réponse.
Quel prodige, grands Dieux, confond donc mes lumières
Est-ce le grand Frédéric qui s’abaisse aujourd’hui
A composer des vers, pour moi, et les produit?
Pourrai-je y repondre sans être téméraire
Non, je n’en ferai rien mon coeur embarrassé
Efface avec dépit ce qu’il avoit tracé.
Car je ris quelquefois quand souvent j’entends dire
Qu’il suffit pour parler que le coeur nous inspire
Pour bien repondre à Toi, grand prince qualifié
Il faut être l’Echo de Tes mots prononcés.
Je revère Tes actions jusqu’à la raillerie
Qui d’un autre que Toi m’auroit scandalisé
Puisqu’alors le sujet autrement expliqué
Auroit trop effacé la tournure jolie
Qu’il n’apartient qu’à Toi d’y avoir pu donner.
Et comme il sied fort bien à la grande prestance
D’accompagner Tes pas de graces et d’obligeance,
Je comprends pleinement les sens des gracieux vers
Dont l’excès de faveur surpasse trop ma sphère.
Ce qui me reste à dire c’est que je Te revère
Plus que sujette fit jamais dans l’univers.
Jette un oeil sur cecy qui me devient propice
C’est par Ton ordre hèlas que ce pauvre impromptu
Te marque: qu obéir vaut mieux que sacrifice
Et si ces lignes ici de tout art dépourvues
Osent mettre à Tes pieds de mes voeux les complices
C’est toute ma maison qui y a concouru.

Dieſe dunkle Stelle wird ſo wohl am beſten erklärt: Ich wollte das Opfer bringen, Dir nicht zu antworten, aber Mutter und Gemahl verlangten es, und ſo ſcheint mir gehorchen beſſer als Opfer bringen.

III.

Madame. M’allant promener hier aux bords de notre Oder et - vant à la beauté et au mérite des divins objets qui avoit été ma moitié la fête dernière, je m’entendis apeller et dans un buisson, proche de l’endroit j’étoit, j’aperçus la muse Uranie, qui me dit que j’étois in - sensé et allemand de louer des choses dans le fond de mon âme qui517 meritoient de l’être de l’univers entier. Je lui repartis que la beauté dont j’avois le coeur rempli n’avoit besoin que de son propre mérite pour recevoir un concert d’aplaudissements universels. Sur quoi, elle me dit, que je devois me distinguer de la multitude et exprimer mes pen - sées qui paroitroient avec plus de grace, si elles étoient embellies de la rime. Je ne cherche lui disois-je aucune beauté ni agrémens de mes vers, que venant par reverbération de l’objet qui me les cause; sur quoi la muse me dit: Je sais que Votre faible voix n’est pas proportionnée à la beauté de l’objet que Vous voulez chanter. J’y suppléerai. Mais prenez un crayon et écrivez. Je fis ce qu’elle me dit, et voici Madame les vers qu’elle me dicta je n’ai rien de propre que les pensées.

Stances.
Charmé de Vos divins appas
Et charmé de Votre écriture
L’on braveroit tous les trépas
Pour Vous voir, Iris, je le jure.
Car Vos yeux, dont les loix soumettent tous les coeurs
Sont partout reconnus pour maitres et pour vainqueurs.
La vertu et ses loix austères
Dont Vous Vous faites un devoir
Vous font, quoique beauté sévére,
Respecter de notre pouvoir
Et cette réunion, si belle mais si rare,
A Vous louer toujours fait que l’on se prépare.
J’ai l’honneur d’être, Madame Votre parfait ami et serviteur
Fréderic.

IV.

Madame ma très chère Cousine!

Je mériterois bien d’être puni de la manière la plus énorme, d’avoir blasphemé Votre présence par ma bêtise, si je n’avois d’assez bonnes ex - cuses, et qui je crois sont valables. Mr. le Comte m’ayant dit beaucoup de choses qui ne me faisoient nullement plaisir et que je ne pouvois digérer si vite. J’ai donc bien raison de Vous demander pardon ma char - mante cousine, de m’avoir conduit si sottement. Vous me permettrez de reparer ma dernière visite par une autre, je tâcherai, s’il m’est possible d’effacer mon sot maintien. J’aurois lieu de Vous demander en - core mille excuses si je n’étais pleinement convaincu de Votre support et de Votre condescendance. Permettez-moi donc pour cette fois de finir en Vous priant de faire mes complimens à Madame Votre mère et de croire que je suis avec beaucoup de passion et d’estime Madame, ma très chère Cousine, le très-humble et parfait ami, cousin et serviteur

Fréderic.

518

V.

Ma très-chère et digne Cousine.

Comme je crois que Vous êtes une de mes meilleures amies de ces cantons je n’ai pas voulu omettre de Vous communiquer un plan qui se dresse actuellement sur mon entrée à Berlin. Il est à peu près tel que j’aurai l’honneur de Vous dire. Premièrement je serai précédé d’un trou - peau de cochons, qui auront ordre de crier de toutes leurs force selon que leur instinct leur suggère. Ce troupeau sera mené par un de mes laquais respectifs, qui aura soin de leur éducation, chemin faisant. En - suite de quoi viendra un troupeau de brebis et de moutons mené de même par un de mes valets. Ceux-ci seront suivis d’un troupeau de boeufs de Podolie, qui me précédera immédiatement. Mon équipage sera tel: Monté sur un grand âne dont le harnois sera simple au possible. Au lieu de pistolets j’aurai deux sacs remplis de diverses semences à leur place. Au lieu de selle et de housse j’aurai un sac de farine ma noble figure sera assise dessus tenant au lieu de fouêt un gauli dans la main et ayant au lieu de casque un chapeau de paille en tête. A chaque côté de mon âne au lieu d’estafier seront une demie douzaine de paysans tant avec des faux que des charues et autres instrumens de l’agriculture qui marcheront en cadence avec la gravité requise. Succes - sivement après viendra, perché sur un grand chariot de fumier, l’héroique figure du Sieur de Natzmer, qui crainte d’accident sera tirée par quatre boeufs et une jument. Après lui l’on remarquera au haut d’un chariot de foin, l’effrayante figure du terrible Rovedel, qui tiendra le Crinomènon d’une et le Criterion de l’autre main. Cette marche sera conclue par le Sieur de Wolden qui aura la bonté de passer son tems sur un chariot rempli d’orge et de froment. Je Vous supplie ma très digne Cousine, de vouloir assister à cette rare cérémonie. En mon particulier, j’aime toujours mieux, que l’on se mocque de moi avec connoissance de cause que de subir les huées d’une multitude de peuple effrenée. Je prépare tout ce qu’il faut pour cette entrée et n’attends que les ordres pour les mettre en oeuvre.

Dernièrement j’ai été à Lebus, en revenant, j’ai essuyé chez le Sieur de Borsdorf, une multitude terrible d’incivils com - plimens. L’on voulait me garder à souper. Mais l’échantillon de leur eccessive politesse, qu’ils me donnoient, m’en dégouta si bien que je me serois plutôt fait couper les deux oreilles que d’y rester. Je - ditai donc quelqu’honnête retraite et en ayant trouvé je louai Dieu de m’avoir sauvé d’un déluge de pareilles civilités mal digérées. Le Prince Carle a été hier ici. L’on a peu bu, mais en revanche fait beaucoup de bruit, cassé quelques fenêtres, brisé quelques fourneaux etc. etc. Un petit non plus ultra, a arrêté mon voyage de Sonnenburg. Je ne m’en soucie guères, espérant de mieux employer mon temps. Je ne puis519 toujours mieux l’employer qu’en Vous assurant ma très-chère cousine que je suis et serai jusqu’au tombeau, avec une constante et parfaite estime Votre très parfait ami, cousin et serviteur Fréderic.

Mille excuses de fautes d’écriture, mais la raison en est que j’ai écrit au lit.

VI.

Der folgende Brief, auch ganz ohne Ort und Datum, iſt aber offen - bar nach einem Aufenthalt in Berlin, an die Frau von Schoening, die noch lebende Mutter der Generalin Wreich, nach Tamſel hin adreſſirt. Aller Wahrſcheinlichkeit nach, wurde er, gleich nach der Verſöhnung in Berlin in den erſten Tagen des Decembers 1731, bei ſeiner Rückkehr nach Küſtrin ge - ſchrieben. Die glänzenden Hoffeſte, deren er erwähnt, und bei denen die ſchöne junge Frau gewiß nicht fehlen konnte, bezeichnen wohl unverkennbar die Vermählungs-Feierlichkeiten ſeiner Schweſter. In keinem drückt ſich ſein Gefühl ſo unverkennbar aus.

Madame. J’ai eu le plaisir de voir Madame Vôtre fille, à Berlin. Je l’ai vu, Madame, mais sans pouvoir à peine lui dire bonjour et bon chemin. Cependant elle sait que Vous et sa fille se portent bien. Elle se distinguoit par dessus toutes les dames qui forment la cour et quoiqu’il y eut une foule de princesses qui la surpassoient en magnifi - cence, je Vous assure qu’elle effaçoit tout cela par sa beauté, son air majestueux, son port et enfin par toutes ses manières. J’étois alors un vrai Tantale, toujours tenté de parler à une si divine personne et néans - moins toujours obligé de me taire. Enfin sa beauté a triomphé de toutes celles qui s’étoient assemblées du Nord et du West, et tous ceux de la cour d’une voix unanime ont avoué que Madame de Wreich emportait le prix de la beauté, de l’air, des manières etc. etc. Je crois que tout ceci Vous doit flatter agréablement parceque cette aimable personne Vous appartient de si près. Mais, Madame, je Vous assure que Vous ne pouvez y prendre plus de part que moi qui aime tout ce qui appartient à cette charmante famille et qui suis et serai toujours, Madame, Votre parfait ami, Neveu et serviteur

Fréderic.

VII.

Madame, ma très chère Cousine.

Je serois bien ingrat si je ne Vous témoignois ma reconnoissance de la peine que Vous avez prise de venir à Tamsel et je devrois bien Vous remercier encore pour les charmans vers que Vous avez eu la bonté de me faire. J’aurois cru faire un pêché, si, me dérobant un moment de Vôtre aimable entretien, je l’eusse employé à lire Vos vers. Hier au soir solitaire j’eus le plaisir de les admirer à mon aise, et sans être empêché de rien au monde. M’en voilà, Madame, aux redites, car tout520 ce que Vous faites oblige à admirer tant Votre esprit que Votre poli - tesse. Je coupe court sur cette matière il me semble déjà que Vous rougissez et pour épargner Votre modestie je change de matière et pour Vous donner encore une preuve de mon obéissance aveugle je Vous en - voie, ce que Vous m’avez demandé. J’espère que cela servira au moins à Vous faire quelquefois souvenir de moi et que Vous direz: C’étoit un assez bon garçon, mais il me lassoit, car il m’aimoit trop, et me faisoit souvent enrager avec son amour incommode! Que je seroit heu - reux, Madame, si Vous me connoissiez autant et que si persuadée de la constance éternelle de mes sentimens, Vous me faites toujours la justice de me croire avec une estime sincère et avec beaucoup de passion Votre parfaitement fidèle ami, Cousin et serviteur Fréderic.

Sonnet.
Ce portrait, ma cousine est mon ambassadeur
Et ce sonnet lui sert de timide interprête
Car il devoit te dire, ainsi qu’à mon vainqueur
Que je suis un de ceux dont tu fis la conquête.
Que tes charmes divins m’ont enlevé le coeur
Que seroit-ce pourtant, quelle joie quelle fête
Si comme ma copie j’eus le parfait bonheur
Mais halte ma plume, il faut que je t’arrête
Si tu en disois trop, sans voir ton créditif
Tu serois renvoyé, errant et fugitif.
Laisse donc deviner ce que tu n’ose dire.
Et garde toi surtout de ne parler d’amour,
De dire que tu aimes et aimeras toujours
Mais puisqu’il faut mourir meurs cèlant ton martyre.

Dieſer Brief mit den ihm beigefügten Verſen und der Sendung des Portraits ſcheint mir offenbar ein Abſchiedsbrief und der letzte in der Reihe ſein zu müſſen.

6. Briefe König Friedrichs an Frau v. Wreech. 1758 61.

I.

Madame.

Je suis venu ici après la bataille du 25. J’ai trouvé la désolation dans ce pauvre endroit. Vous pouvez être assurée que je ferai ce qui sera possible pour conserver ce qu’il-y-a encore. Mon armée a été obligée de fourager ici, et quoique dans les facheuses circonstances je me trouve je ne sois guère en état de bonifier le mal que l’ennemi a fait, je ne veux du moins pas qu’il soit dit que j’ai contribué à la ruine521 de personnes que mon devoir m’oblige de rendre heureuses. Je crois que Vous pouvez Vous même manquer du nécessaire et cette considération m’a engagé surtout à Vous bonifier incessement le tort que nous Vous avons fait par nos fourages. J’espère que Vous prendrez cette attention comme une marque de l’estime avec laquelle je suis, Madame, Votre affectionné ami

Féderic.

II.

J’ai reçu avec plaisir Votre lettre du 1er de ce mois, par laquelle Vous me témoignez Votre reconnaissance de la somme que je Vous ai fait remettre en dernier lieu à titre d’indemnisation et quoique je sou - haiterois d’aider dès à présent Vos paysans pour les remettre en train, selon que Vous m’en priez, je me vois cependant obligé de différer la - dessus mes bonnes intentions, jusqu’à ce que les Russes soyent entière - ment hors du pays, après quoi je ferai pour eux ce que mes facultés voudront pour lors me permettre. Sur ce je prie Dieu, qu’il Vous ai en sa sainte et digne garde. A Schönfeld près de Dresde ce 17. de Sep - tember 1758.

Féderic.

III.

La lettre que Vous avez voulu me faire le 8. de ce mois m’est bien parvenue. Vous pouvez être persuadée, que je suis véritablement pénétré de la situation Vous vous trouvez et que je ressentirois la plus sensible satisfaction, si je pouvois Vous soulager autant que je le souhaiterois. Mais je Vous donne à penser, si, pendant que je suis hors d’état de faire payer les appointements et les pensions de l’état civil, je puis avoir des capitaux à placer sur intérêts. Si j’avais de l’argent à avancer, Vous pouvez compter que je Vous fournirois la somme que Vous demandez, non à deux pour cent, mais sans aucun intérêt. Les fraix de la guerre présente me lient trop les mains de sorte que ma bonne intention ne sauroit être secondée des effets. Le soulagement de la nouvelle Marche en général et de la ville de Cüstrin, m’a déjà couté les derniers efforts et je suis hors d’état de pouvoir pousser plus avant. Selon mon avis, je crois que Vous feriez bien de ne songer pendant les circonstances présentes qu’à faire vivoter Vos gens, pour ainsi dire du jour à la journée et tâcher d’ensemencer Vos terres sans penser à d’autres rétablissemens mais de les suspendre entièrement jusqu’à la conclusion de la paix. Sur ce je prie Dieu qu’il Vous ait en sa sainte et digne garde.

à Breslau le 14. Janvier 1759.

Darunter eigenhändig:

Vous vous représentez Madame les choses bien différentes qu’elles ne sont. Songez que depuis un an je ne peux payer ni gages ni pen -522 sions, songez aux provinces qui me manquent, à celles qui sont rava - gées, à la dépense énorme que je suis obligé de faire et j’espère qu’alors Vous n’attribuerez mes refus qu’à l’Impuissance je suis de Vous ren - dre service si cependant les choses changent, je ferai pour Vous ce qui me sera possible.

Fr.

IV.

J’ai ressenti une vraie douleur à la lecture de Votre lettre du 29. Décembre dernier. Je connoissois sans cela toute l’étendue des maux que les conjontures des tems avoient attiré sur Vos terres, et nous sommes tous dans le même cas. J’y suis d’autant plus sensible que les circon - stances ne paroissent point conseiller et même permettre d’y porter encore quelque remède, ou, que tout ce que je pourrois faire actuelle - ment à ce sujet, ne seroit qu’à pure perte, les affaires étant encore si fort sujettes à l’aventure. Il faudra donc indispensablement attendre, jus - qu’au retablissement de la paix, Vous pouvez compter que je ferai pour Vous ce que je ferai pour tout autre, selon que l’état de mes af - faires le pourra permettre. Sur ce etc. etc.

Féderic.

V.

Madame, je suis faché de ne pouvoir pas faire pour Vous tout ce que je desire, ni ce que Vous souhaitez. Mais j’ai ordonné à Köppen de Vous remettre ce qui s’est trouvé en mon pouvoir. Je Vous prie de l’accepter comme une marque de l’estime avec laquelle je suis Votre sin - cére ami

Féderic.

Zorndorf.

  • Benutzt: Varnhagen’s Leben des Generals v. Seidlitz. Schlachtbericht. Mündliches.

Blumenthal.

  • Benutzt: Prediger Lehmanns in Prötzel Bericht über die Stadtſtelle im Blumenthal . Mündliches.

(Wüſtgewordene Flecken und Dörfer) giebt es in der Mark ſehr viele und um ſo mehr muß es überraſchen, daß Klöden, der beſſer als jeder andre davon wiſſen konnte, ſich ſo beharrlich ſträubte, eine wüſt - gewordene Stadt Blumenthal im Blumenthal-Walde anzunehmen. Dieſe523 wüſte Stadt - oder Dorfſtelle iſt ſogar nicht die einzige im Blumen - thal ; auch Bieſow, ein Dorf, das eine halbe Meile nördlicher gele - gen iſt, wurde wüſt. Der jetzt dieſen Namen führende Ort liegt an andrer Stelle wie das alte Bieſow. Als Regel kann man aufſtellen, daß überall da, wo einem auf einem Ackerfelde eine Stelle gezeigt wird, die den Namen: wüſte Heiners - oder Sievers - oder Dietrichsdorf führt, dieſe Bezeichnung ſoviel ausdrückt als wie: an dieſer Stelle hat einmal ein Dorf dieſes oder jenes Namens geſtanden . Oft haben ſich die Dörfer (dann gemeinhin an andrer Stelle, eine Viertel - oder halbe Meile von der alten entfernt) wieder belebt; ebenſo oft aber ſind ſie ganz verſchwunden und es exiſtirt eben nur noch der Name. Der Pflug geht drüber hin .

Der Ober-Barnim, vielleicht weil er durch den Huſſiten-Zug ganz be - ſonders zu leiden hatte, iſt reicher an ſolchen wüſten Stellen wie andre Landestheile. Es mögen wohl ein Dutzend vorhanden ſein; vielleicht noch mehr. Drei Perioden waren dieſem Landestheile beſonders verderblich: der ſchwarze Tod (etwa 1350), die Huſſiten (1430) und der dreißigjährige Krieg. Kaprow, Karutz, Richardsdorf, Kunkendorf, Sonnenburg und Stein - beck wurden wahrſcheinlich um 1350, Bieſow und Kensdorf um 1430, Tempelfelde zwiſchen 1630 und 48 zerſtört; einzelne dieſer Dörfer wurden an andrer Stelle wieder aufgebaut, andre blieben wüſt.

Predikow.

  • Benutzt: v. Barfus-Falkenberg Biographie des Feldmarſchalls Hans Albrecht v. Barfus. K. v. Schoenings Leben des Feldmarſchalls Hans Adam v. Schoening. Graf Chriſtoph Dohna’s Memoiren. Poellnitz’s Memoiren. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

Coſſenblatt.

  • Benutzt: v. Barfus-Falkenberg Biographie des Feldmarſchalls Hans Albrecht v. Barfus. Berghaus Landbuch der Mark Brandenburg. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

Friedrich Wilhelm I. in Coſſenblatt.

Vom Jahre 1736 an hat Friedrich Wilhelm I. bis zu ſeinem Tode alljährlich ſich einige Zeit in Coſſenblatt aufgehalten, zum letzten Male im November 1739. Bei dieſem Aufenthalt hier hat der König dann auch die Kirche beſucht und dem Gottesdienſt beigewohnt, hat auch mit kritiſchem Ohre die Predigt gehört, worüber einige Notizen vorliegen. 524Am 13. Sonntage nach Trinitatis im Jahre 1736 (26. Auguſt) hat der König in der hieſigen Kirche eine Predigt von dem damaligen Prediger in Wulfersdorf (ſtellvertretend für den hieſigen, welcher krank geweſen iſt) gehört, welche ſeine höchſte Unzufriedenheit erregt hat; und da er nicht lange vorher mit einer in Rheinsberg gehörten Predigt ebenfalls unzufrie - den geweſen iſt, ſo haben dieſe beiden Prediger nach Berlin kommen und über vorgeſchriebene Texte predigen müſſen. Auch hat der König einen Cabinetsbefehl erlaſſen, in Folge deſſen ſämmtliche Prediger aus der Alt - mark, Priegnitz, Mittel -, Uker - und Neumark durch das Conſiſtorium nach Berlin berufen worden ſind, um ein Monitorium und Instructorium zu vernehmen . Zugleich ſind durch neue Befehle die Inſpectoren (Superin - tendenten) angewieſen worden, jährliche Conduitenliſten über die Prediger ihrer Diöceſen einzureichen. Am 23. Sonntage nach Trinitatis (9. Nov.) 1738 iſt der König wiederum mit einer Predigt des damaligen hieſigen Predigers unzufrieden geweſen und hat auf einen ihm gemachten Vorſchlag den Prediger aus Teupitz kommen laſſen; aber auch dieſer hat ihn nicht zufriedenſtellen können. (Mittheilung des Predigers Stappenbeck in Coſſenblatt.)

(Ein großes Gemälde in der Kirche) feſſelte ſofort beim Ein - treten meine Aufmerkſamkeit, weil ich darin eine Copie des großen Familienbildes in der Meſeberger Kirche (Vgl. Band I. S. 129) zu erkennen glaubte. Nur Nebenſächliches z. B. die Hintergrunds-Architec - tur wich ab. Auf meine eingezogenen Erkundigungen habe ich nun aber erfahren, daß ſich die Sache umgekehrt verhalten und daß das Bildniß in der Meſeberger Kirche eine Copie dieſes Coſſenblatter ſein ſoll. General v. Barfus, der das Bild ſehr genau kennt und für ſeine Reſtaurirung Sorge getragen hat, ſchreibt darüber (nachdem ich mir Anfangs einen leiſen Zweifel erlaubt und das Groebenſche Bild in Meſe - berg als Originalbild angeſehen hatte):

Meiner Anſicht bleibe ich getreu: das Bild in der Kirche zu Coſſen - blatt ſtellt vor George v. Oppen, Kurbrandenburgiſchen Oberkämmerer, und ſeine Gemahlin, eine geb. v. Maltitz, dazu die 12 Kinder beider. Unter den Töchtern befand ſich Katharina v. Oppen, ſpäter die Gattin Ditlofs v. Barfus auf Möglin und Reichenow, des berühmten Reiter - Oberſten und Großvater des Feldmarſchall Johann Albrecht v. Barfus. Eine andre Tochter vermählte ſich mit Herrn v. d. Groeben auf Meſe - berg, welcher letztre das Coſſenblatter Familienbild, aus Pie - tät gegen ſeinen Schwiegervater copiren ließ.

Königs-Wuſterhauſen.

  • Benutzt: Die Memoiren der Markgräſin von Baireuth. Fr. Förſter’s Friedrich Wilhelm I. Mündliches.
525

Teupitz.

  • Benutzt: Berghaus Landbuch. Fidicin’s Teltow. Mündliches.

Mittenwalde.

  • Benutzt: Fidicin’s Teltow. Victor Strauß Paul Gerhardt. Förſter’s Friedrich Wilhelm I. Droyſens Leben Yorks.

Steinhöfel.

  • Benutzt: G. Heſekiels Biographie des Generals Valentin v. Maſſow. Oeuvres de Frederic le Grand (Tome XXI.) Mündliche und briefliche Mittheilungen.

(Bilder im Steinhöfler Schloß.)

  • 1) Miniſter von Blumenthal.
  • 2) Feldmarſchall von Flanß.
  • 3) General von Maſſow aus der Zeit Friedrich Wilhelms I.
  • 4) von Maſſow, Miniſter unter Friedrich II.
  • 5) Seine Gemahlin.
  • 6) von Maſſow, Obermarſchall unter Friedrich Wilhelm II. und III.
  • 7) Seine Gemahlin.
  • 8) von Maſſow, Hausminiſter.
  • 9) Seine Gemahlin.
  • 10) Generallieutenant Valentin von Maſſow, als junger Mann in Civil.

In den Sälen des Schloſſes findet ſich noch eine große Anzahl andrer Bilder und Porträts, z. B. eine Büſte (mit kunſtvollem Marmorſchleier) und ein andres ſehr liebliches Bildniß der Königin Luiſe. Dieſe wenigen, die ich hier namhaft gemacht habe, zeichnen ſich entweder durch künſtleriſche Vortrefflichkeit aus, oder ſind Familienbilder im engeren Zirkel.

(Der Waffenſchrank.)

1) Säbel des Generallieutenants Valentin von Maſſow, den der - ſelbe, 13 Jahr alt, als Junker bei Rudorff-Huſaren (1806) führte.

2) Säbel eben deſſelben, im Kriege gegen Frankreich, in Spanien 1812 und in den Befreiungskriegen 1813 15.

3) Säbel des Hausminiſters von Maſſow, den er als Offizier im erſten Garde-Regiment 1813, 14 und 15 geführt hat.

4) Büchſe und Schärpe von Carl von Maſſow, der 15 Jahr alt als freiwilliger Jäger mit auszog, bei Lützen und Bautzen focht, und bei Leipzig (16. Oktober) durch einen auffliegenden Pulverwagen ſeinen Tod fand.

526

Buckow.

  • Benutzt: Berghaus Landbuch. Mündliches.

(Ein Erdfall.) S. 183 habe ich von den Erdfällen in der Mark geſprochen und dabei den Ausſpruch einer geognoſtiſchen Autorität citirt, daß die Natur bei der Bildung von Erdfällen nur erſt ſelten auf friſcher That ertappt worden ſei. Es hat inzwiſchen, ſeit - dem ich den Aufſatz über Buckow und über Erdfälle in dieſen Gegenden ſchrieb, wirklich ein ſolcher Erdfall ſtattgefunden; zwar nicht unmittelbar in der Mark, aber doch in unſerer Nachbarſchaft, in Thüringen. Aus Sachſenburg wurde neuerdings berichtet: Hier hat am 11. September ein Erdſturz alle Gemüther erſchreckt. Nach - mittags 3 Uhr verſank auf einem Raſenplatze in der Nähe der Kirche, unter donnerartigem Krachen, ein Stück Erde, und unmittelbar darauf ſchlugen die Waſſer aus der Tiefe in die Höhe. Am Abend betrug die Länge der eingeſtürzten Fläche bereits 18 Fuß und die Breite 16 Fuß; ſeitdem vergrößert ſich die Verſenkung täglich. Die Tiefe des entſtandenen Loches mißt 174 Fuß und das Waſſer ſtand 160 Fuß. Man iſt ſehr be - ſorgt um die neugebaute Kirche, welche etwa 150 Fuß von dem einen Ende des Erdſturzes entfernt iſt. Der Communicationsweg zwiſchen Bilzingsleben und Sachſenburg iſt bereits erfaßt, ſo daß er an dieſer Stelle wenig - ſtens mit Fuhrwerk nicht ohne Gefahr paſſirt werden kann.

Der große und kleine Tornow-See.

Der Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche.

Der ſchöne alte Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche, deſſen Re - ſtaurirung (durch den Maler Holbein) ganz vor Kurzem durch den Grafen Itzenplitz veranlaßt wurde, zeigt in ſeinem Mittelſtück, dem ſogenannten Schrein , die Kreuzigung, jedoch nur mit Maria, Johannes und Magda - lena. Der landſchaftlich gemalte Hintergrund mußte, da nur unverſtänd - liche Ueberreſte vorhanden waren, neu erfunden werden. Die beiden Flügel des Altars zeigen in ihrer obern Reihe hier Petrus und Paulus, dort Johannes und St. Georg, die der untern die vier Evangeliſten mit ihren Symbolen. Sonderbarer Weiſe ſtammt das Ganze nicht aus einer und der - ſelben Zeit. Der größere Theil, die Kreuzigung ſammt den 4 Evangeliſten, zeigt nämlich den manierirten Stil, der ſich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch den Einfluß der italieniſchen Kunſt in Deutſchland bildete, während die anderen vier Heiligen ziemlich gute Arbeiten deutſchen Kunſthandwerks vom Anfange deſſelben Jahrhunderts ſind. Wie dieſe Ver - bindung heterogener Theile entſtanden und ob dieſe älteren Figuren gleich527 bei der Anfertigung des neuen Altars oder erſt ſpäter in denſelben auf - genommen, muß zwar dahingeſtellt bleiben; jedenfalls iſt aber die Thatſache bemerkenswerth, daß man hier, noch in ſehr ſpäter Zeit und nach Einführung der Reformation, dieſe Technik in Anwendung brachte und dabei keinen Anſtand nahm, dieſe ältern, vielleicht aus einem verfallenen Altare herrührenden Statuetten zu benützen, obgleich ſich unter ihnen neben Apoſteln auch der etwas problematiſche und jeden - falls auf einem evangeliſchen Altare bedeutungsloſe St. Georg befand.

Das Oderbruch.

  • Benutzt: Beckmann hiſtoriſche Beſchreibung der Chur und Mark Brandenburg. Buchholtz, Verſuch einer Geſchichte der Chur - mark Brandenburg. Berghaus Landbuch. Chriſtiani das Oderbruch. Wehrmann die Eindeichung des Oderbruchs. Mündliche und briefliche Mittheilungen aus Letſchin, Guſow, Quilitz, Friedersdorf, Groß-Neuendorf, Neu-Barnim ꝛc.

(Die letzten Wenden-Reſte in Sachſen und Preußen.)

Ueber die letzten Wendenreſte brachte die National-Zeitung im September d. J. folgende intereſſante Zuſchrift aus Bautzen, dem alten wendiſchen Budiſſin. Ein ſeinem ſicheren Untergange zutreibender Reſt eines ehemals großen, mächtigen Volkes hat immer etwas Tragiſches und verdient auch die Theilnahme des Siegers. Dieſem Untergange gehen jetzt ſichtlich und ſicher die ſächſiſchen und preußiſchen Wenden zu, deren ohn - mächtige Agitation in neueſter Zeit vorwiegend durch die panſlaviſtiſchen Umtriebe und zuletzt durch die polniſche Revolution Urſprung und Nah - rung erhielt. Vor wenigen Tagen waren die ſlaviſchen Gelehrten Graf Euſtachius Tyſchkewitſch und Antonius Drugalsky aus Wilna und der ſlowakiſche Profeſſor Michael Chrastek aus Neuſohl in Ungarn, in unſerer alten Wendenſtadt ( Budiſſin ), die auch in ihrem finſteren Aeußern noch bis heutigen Tag ihren nationalen Urſprung nicht verleugnen kann. Jene drei Gelehrten ſind Männer von Ruf in der ſlaviſchen Literatur und ka - men, um nach ihren Brüdern zu ſehen, die, in Enclaven um Bautzen und öſtlich von Görlitz mitten in dem ſie umgebenden Deutſchland, das letzte Jahrhundert des Wendenthums erleben.

Wie ein verlöſchendes Licht noch einmal aufflackert, ſo ſind in jüng - ſter Zeit wendiſche Geſangvereine, Blätter, Geſellſchaften entſtanden und doch wird dies den Prozeß nicht aufhalten.

Ein Stück nach dem andern reißt das Deutſchthum an ſich. Der wen - diſche Vater ſchickt ſeine Töchter in die Stadt, damit ſie dort deutſch ler - nen, und ſchon nach kurzer Zeit legen ſie die nationale Tracht ab, ver -528 leugnen ihre Sprache und ſind froh, wenn ſie es ſprachlich dahin gebracht haben, daß man ihnen die wendiſche Abkunft nicht mehr anmerkt.

In der Ober-Lauſitz leben nach Angabe eines wendiſchen Gelehrten ungefähr noch 101,000 Wenden; von dieſer Zahl kommen etwa 56,100 Köpfe auf Sachſen, 45,000 auf Preußen. In der Nieder-Lauſitz giebt es ungefähr noch 50,000 Köpfe. In Sachſen geht die Wendei von Löbau nordwärts über Bautzen bis Kamenz. Bis in die neuere Zeit waren die Schulen faſt nur Anſtalten zur Erlernung der deutſchen Sprache und die Pflege der übrigen Elementargegenſtände mag darunter wohl vielfach ge - litten haben. Es hat deshalb die Regierung angeordnet, daß der Religions - Unterricht wendiſch ertheilt werde, Leſen und Schreiben aber ſowohl wen - diſch wie deutſch zu treiben iſt.

Unter den gebildeten Wenden regte ſich zuerſt mit der allgemeinen dem Jahre 1848 vorangehenden Gährung die Liebe zur nationalen Sache und Sprache, und ſo entſtand ſchon im Jahre 1846 die Macica Serbska , ein Verein nach Art des Zwickauer Volksſchriftenvereins mit dem Zweck, weitere Kreiſe mit lehrreicher Unterhaltungslektüre zu verſorgen. Der Buch - handel hatte dem Bedürfniß nach wendiſcher Lektüre bisher faſt gar nicht Rechnung getragen.

Seit dem Beſtehen der Macica ſind 35 dergleichen Schriften, in einer Auflage von 500 Exemplaren von derſelben herausgegeben und vertrieben worden, einige ſogar in zweiter Auflage erſchienen. Außer den Volksſchrif - ten, zu denen auch ein wendiſcher Kalender in einer Auflage von gegen 4000 Exemplaren gehört, giebt die Macica auch eine gelehrte Zeitſchrift, jährlich 2 Hefte, unter dem Titel Caſopis heraus, welche hiſtoriſche, lin - guiſtiſche, archäologiſche, naturwiſſenſchaftliche ꝛc. Aufſätze enthält; eben ſo ferner ein Wörterbuch, deſſen wendiſch-deutſcher Theil (63 Bogen) faſt voll - endet iſt.

Sodann enthält die Geſellſchaft jetzt beſondere Sektionen, und zwar eine Sektion für wendiſche Sprachforſchung, eine archäologiſch-hiſtoriſche Sektion, eine naturwiſſenſchaftliche und eine belletriſtiſche Sektion.

Was die wendiſche Literatur im engeren Sinne anlangt, ſo haben die Wenden aus den früheren Jahrhunderten eine ſolche nicht aufzuweiſen, ein genügendes Zeichen, daß wir es hier mit dem Reſt eines Volkes zu thun haben, welches nur die Waffen und den Pflug führte, und heute die Bil - dung ſeiner Enkel durchaus dem Deutſchthum verdankt. Außer Bibel, Ge - ſangbuch, Katechismus, frommen Hauspoſtillen und einer Anzahl Erbau - ungsſchriften gab es bis auf die neuere Zeit keine wendiſchen Bücher. Auch hier hat die Macica neben Buchhändlern und einzelnen Privatperſonen ſich das Verdienſt erworben, nach allen Richtungen hin eine junge Literatur ins Leben zu rufen, ſowohl im Gebiet der Proſa als Poeſie. Das Meiſte iſt natürlich Ueberſetzung. Unter den neueren Erſcheinungen ſind Gedichte und Liederſammlungen, Geſchichtsbücher, Grammatiken, Chreſtomathien und529 Leſebücher, geographiſch-ſtatiſtiſche Abriſſe der Wendei zu nennen. Die ſäch - ſiſche Regierung, welche den nationalen Prozeß ſich ruhig vollziehen laſſen kann und den Vorwurf der gewaltſamen Germaniſirung deshalb nicht auf ſich zu laden braucht, hat aus eigenem Antriebe die Herausgabe wendiſcher Schulbücher in die Hand genommen. So erſchien bereits vor mehreren Jahren eine Bibliſche Geſchichte.

Was die periodiſche Literatur der Wenden betrifft, ſo iſt die Haupt - zeitung die Serbske Noviny , welche in Bautzen in einer Auflage von ungefähr 1200 Exemplaren erſcheint, und neben dem politiſchen Theil auch Unterhaltendes und Belehrendes giebt. Hierneben beſtehen noch drei Mo - natsſchriften Luzican , für die Gebildeten geſchrieben und zu Bautzen in 300 Exemplaren erſcheinend, und das wendiſche Miſſionsblatt Miſſionski Poſot und ſein konfeſſioneller Konkurrent der (katholiſche) Katholski Poſot. Außerdem verſorgen der wendiſch-lutheriſche Bücherverein (serbske lutherske knihowne towarstwo) und der Verein zum heiligen Cyrillus und Methodius (towarstwo SS. Cyrilla a Methodija) ihre Gemeinden mit Gebet - und Erbauungsſchriften.

Um nun aus der Iſolirung herauszutreten, ſind in neuerer Zeit auch Verbindungen mit Literaten anderer ſlaviſcher Stämme von Seiten der wiſſenſchaftlich gebildeten Wenden angeknüpft worden, und dieſe haben die Genugthuung, daß man ihnen mit großer Liebe und zugleich Achtung, wie einem verlaſſenen Bruderſtamm die Hand gereicht hat. Die Achtung aber baſirt weſentlich auf den tüchtigen etymologiſchen und ethnographiſchen Arbeiten, welche die obgengenannten wendiſchen Monatsſchriften aus - zeichneten.

Die Wenden ſind über das neue Aufflackern ihrer Nationalität nur ungern gegen Deutſche mittheilſam. Sie geſtehen ſich ſelbſt, daß, um ein originales Bild eines Wenden hier wieder zu geben, ihre Nationalität, Sitte und Sprache dem Felſen Helgoland gleiche, von deſſen Geſtade die umgebenden Wogen (des Deutſchthums) alljährlich ein Stück nach dem an - dern an ſich riſſen, bis die unglückliche Inſel verſchlungen ſei.

Der Vernichtungsprozeß beſchleunigt ſich aber beſonders dadurch, daß alle Söhne der gebildeten Wenden auf den deutſchen höheren Schulen durch die deutſche Wiſſenſchaft binnen kurzer Zeit germaniſirt werden, da den wendiſchen Enclaven eine höhere wendiſche Bildungsanſtalt ganz fehlt. So dringen denn auch von Jahr zu Jahr mehr deutſche Wörter in die wendiſche Sprache, ſelbſt in die gewöhnliche Umgangsſprache. Die wen - diſchen, zum Theil ſehr maleriſchen Trachten und Sitten verſchwinden mehr und mehr, und es koſtete beim Beſuch des ſächſiſchen Kronprinzen vor einigen Jahren den Bautzener Behörden viel Mühe, ein Brautpaar zur Hochzeitsfeier nach altwendiſchem Brauch in ganz wendiſchen Trachten zu bewegen.

Der gebildete Wende ſieht ſchweigend dem Abſchluß der Geſchichte ſei -34530ner Nation zu, einer Nation, die ſchon im 6. Jahrhundert im nördlichen und öſtlichen Deutſchland ſeßhaft war von der Elbe längs der Oſtſee bis zur Weichſel, ſüdwärts bis an Böhmen ſich erſtreckte, in Mecklenburg herrſchte, in Oſtpreußen und den brandenburgiſchen Marken einen tapferen Widerſtand gegen Albrecht den Bären leiſtete und in einzelnen Theilen Deutſchlands den jahrhundertlangen Kampf gegen die gewaltſame Vernich - tung trotz ungleicher Waffen zäh aushielt. Das gewöhnliche Volk ahnt die Zukunft und kennt recht wohl ſeinen Vergewaltiger. Der in der Wendei Reiſende muß ſich deshalb immer auf eine falſche Berichtung des etwa er - fragten Weges oder auf einen Schabernak gefaßt machen, den der Wende dem Deutſchen beſonders dann gern ſpielt, wenn ſich Letzterer nach wen - diſchen Worten und Redensarten erkundigt. Er erhält alsdann arglos von dem gemeinen dummpfiffigen Wenden die gemeinſten Ausdrücke angelernt.

Die Sprache der Wenden iſt überaus bildungsreich, melodiſch und kräftig, ſie klingt im Geſang beſonders ſchön. Im 30jährigen Kriege ſuchte man ſie gewaltſam zu unterdrücken und gab den Gemeinden nur noch deutſche Prediger, erſt die humanere neuere Zeit hat hier Gerechtigkeit ge - übt und das angeſtammte Recht der nationalen Sprache wieder hergeſtellt.

Da das Deutſchthum ſich wie ein Keil zwiſchen die Wenden-Ueberreſte gedrängt hat, ſo ſind bereits Dialekte entſtanden mit neuen Wort - und Satzformen, welche das Verſtändniß der zerſprengten Poſten ſchon zu er - ſchweren beginnen.

Als die Ruſſen in den Freiheitskriegen hier plötzlich eine verwandte Sprache fanden, war ihre Freude ſo exaltirt und zugleich naiv, daß ſie ſpäter die deutſchen Dörfer ſchlecht behandelten, in der Meinung, die deutſche (ſächſiſche, damals im Bunde mit Frankreich) Bevölkerung wolle ſie nur aus Feindſeligkeit gegen die Verbündeten nicht verſtehen!

Was die rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit die Uebermacht unſrer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die Wenden haben aufgehört zu exiſtiren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger ſind, immerhin einige Theilnahme, denn es geht ein einſtmals mächtiges Volk ſeinem Ende entgegen!

( Die Unnererdſchken eine Sage aus Alt-Reetz. Vgl. S. 211.)

Im Montag’ſchen Hauſe in Alt-Reetz ſo erzählen ſich die Reetzer trug ſich folgendes zu: An einem Weihnachtsabend waren alle, außer der Hausfrau, welche im Wochenbette lag, nach der Kirche gegangen. Plötz - lich vernahm dieſe von ihrem Himmelbette aus ein ſummendes Geräuſch, und indem ſie die Gardinen zurückzog, ward ſie zwiſchen Ofen und Wand viele kleine Geſtalten gewahr, welche ſich anſchickten, Stühle an den Tiſch zu rücken, dieſen zu decken und kupferne Schüſſeln, reichlich gefüllt, zin - nene Teller, Krüge und Löffel aufzutragen. Hierauf erſchienen, hinter dem Ofen hervorkommend, 20 bis 30 Perſonen paarweiſe, als ob irgend ein531 Feſt gefeiert werden ſollte, hielten einen Umzug und begannen das Mahl. Man hatte zwar kein Licht auf die Tafel geſtellt, doch war das Zimmer ſo erhellt, daß man jeden Gegenſtand ganz deutlich erkennen konnte, und es ſchien, als ob die Helle den Geräthen entſtrömte. Die Wöchnerin ſah dies Alles mit pochendem Herzen an, denn ſie wußte wohl, was man ſich erzählte, daß häufig Kinder, beſonders Säuglinge, verſchwunden waren, von denen es hieß, daß die Unnererdſchken ſie geraubt hätten. Ein Raub ihres Säuglings erſchien ihr um ſo unvermeidlicher, als das Kind eben jetzt zu ſchreien anfing. Die Unnererdſchken horchten auf, beriethen ſich und ſchienen in Zank zu gerathen, wahrſcheinlich, weil eine Partei das Kind entführen, die andere es dagegen der Mutter belaſſen wollte. Endlich be - ruhigten ſie ſich wieder und ſpeiſten weiter. Inzwiſchen war eine geraume Zeit verfloſſen, ſo daß die Kirchgänger zurückkehrten. Die Zwerge vernah - men ihre Annäherung und dachten an Rückzug. Einige aber eilten nun an das Himmelbett und wollten die Gardinen auseinanderziehen, um, während die andern die Sachen einpackten, das Kind zu rauben und mitzunehmen. Die Frau hielt aber die Gardinen feſt zuſammen. Endlich waren alle hin - ter dem Ofen verſchwunden; nur einige leere Schüſſeln hatten ſie in der Eile ſtehen laſſen, die man viele Jahre lang in dem Hauſe aufbewahrte. Zu Anfang dieſes Jahrhunderts ließen die Hausbewohner eine Ofenthür daraus machen, die noch jetzt vorhanden iſt.

Moeglin.

  • Benutzt: Koerte’s Albrecht Thaer, ſein Leben und Wirken. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

Freienwalde.

  • Benutzt: Thomas Philipp von der Hagen Beſchreibung der Stadt Freienwalde. Dr. Heydecker’s Beſchreibung des Geſundbrun - nens und Bades zu Freienwalde. Bekmann’s Hiſtoriſche Beſchreibung der Chur und Mark Brandenburg. Freien - walde und ſeine Umgegend (Berlin, bei Schropp). von Rei - chenbach Statiſtiſch-topographiſche Alterthumskunde der Stadt Freienwalde. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

Ein Hexen-Prozeß in Freienwalde. (1644.)

Freienwalde hatte im 17. Jahrhundert eine ganze Anzahl von Hexen - prozeſſen. Von vieren wiſſen wir mit Beſtimmtheit. 1) Kurz vor 162834*532wurde eine Frau Pfennig als Hexe verurtheilt und verbrannt. 2) Anno 1628 wurden Judith Hoppe und ihre beiden verheiratheten Töchter Anna Liebenwall und Gertrud Puhlmann verurtheilt und hin - gerichtet. 3) Kurz nach 1628 wurde eine Anna Koch als Hexe verur - theilt; ob verbrannt iſt ungewiß. 4) Anno 1644 wurde Urſula Henſel als Hexe verurtheilt. Sie ſtarb unter der Tortur.

Ueber den erſten und dritten Fall fehlen alle näheren Details; da - gegen hat ſich über den zweiten und vierten Prozeß allerhand Sa - genhaftes und Hiſtoriſches erhalten.

Der Fall mit der Judith Hoppe und ihren beiden Töchtern (1628) war wahrſcheinlich der intereſſanteſte und dramatiſchſte unter allen. Das Aktenſtück darüber, das lange Zeit aufbewahrt wurde, iſt ſchließlich verloren gegangen. Die eine Tochter (Gertrud Puhlmann) ſtarb ſchon wäh - rend der Prozedur auf der Folter. Gegen die beiden andern, d. h. gegen Judith Hoppe und Anna Liebenwall, wurde von Seiten der Frankfurter Rechts-Fakultät das Urtheil gefällt. Es lautete dahin: daß Judith mit glühenden Zangen auf beiden Brüſten gezwickt und verbrannt, Anna aber mit Feuer vom Leben zum Tode gebracht werde. Beide Urtheile wurden beſtätigt und dem Amtsſchreiber der Befehl zur Ausführung gegeben. Judith Hoppe (die Mutter) ſtarb unter den Mar - tern; Anna Liebenwall wurde wirklich verbrannt an der Stelle, wo jetzt, eine Strecke vor der Stadt, dicht an der Berliner Chauſſee, die ſo - genannte Brandfichte ſteht. Anna Liebenwalls letzte Worte waren: Im Angeſicht des Todes betheure ich meine Unſchuld. Zum Beweiſe deſſelben ſoll aus der Aſche dieſes Holzſtoßes ein Keim aufgehen, wachſen, grünen. Gott, nimm mich gnädig auf. In der That erwuchs der Brandſtätte an - dern Jahres ſchon ein Reis, und der wachſende Baum wurde Brand - fichte genannt. Der jetzige iſt nicht der alte, der morſch wurde und end - lich zuſammenbrach, ſondern ein an derſelben Stelle gepflanzter Erſatz - mann.

Ueber den Prozeß der Urſula Henſel exiſtirt noch im Freienwal - der Stadtarchiv ein ziemlich umfangreiches Aktenſtück. Leider iſt es nicht mehr vollſtändig; ſehr Weſentliches fehlt darin. Intereſſant aber iſt die vom Freienwalder Rathsſchreiber gefertigte Darſtellung des Sachver - halts, die an die Juriſten-Fakultät in Frankfurt a. O. eingeſchickt wurde. Mit dieſer Darſtellung beginnt das Aktenſtück und ich laſſe dieſelbe, nur unweſentlich abgeändert, hier folgen. Einzelnes in dieſer Darſtellung iſt häßlich und nichts weniger als eine angenehme Lektüre. Der Leſer darf aber eben nicht vergeſſen, daß es ſich hier um einen Hexenprozeß handelt, alſo um eine Angelegenheit, die man nicht mit Lawendelwaſſer abwaſchen darf, um ſie hübſch und ſauber erſcheinen zu laſſen.

Edle, wohlehrenfeſte, großachtbare, hochgelehrte und hochbenahmete Herrn Decane und Doctores facultatis juridicae der hochlöblichen Univer -533 ſität zu Frankfurt a. / O., neben Entbietung unſeres freundlichen Grußes und ſtets willigſter Dienſte, müſſen wir, Amtſchreiber, Richter und Schöp - pen allhier in Freienwalde, tragenden Amtes halber, Euch zu vernehmen geben, wie daß ein Geſchrei und Gerüchte allhier ausgebrochen, als ſollte ein Weib am Oſtermontage, nachdem ſie das geſegnete Brod empfangen, ſelbiges hinter dem Altar wieder ausgeſpuckt haben.

Darauf wir denn, auf angeſtellte Inquiſition, von Urſula Seiden - ſchwanz, Hans Berlins Ehefrau, ſowie von Gertrud Braatz, Hans Krau - ſens Hausfrau allhier, den 2. Mai vernommen, daß ſie beide, nachdem ſie auch am Oſtermontage zum Tiſch des Herrn gegangen, mit ihren Augen angeſehen, daß Urſula Heinrichs, Hans Henſels, Bürgers und Krämers allhier eheliche Frau, da ſie hinter dem Altar kommen, ſtark von ſich geſpucket. Wir haben darauf alsbald gedachte Urſula Heinrichs (oder Henſel) den 4. Mai, um ſie darüber zu vernehmen, zu Rathhauſe fordern laſſen.

Weil ſie aber nicht zu Hauſe geweſen, iſt ſie alsbald wie ſie heimge - kommen und erfahren, daß ſie zu Rathhaus wäre gefordert worden, zum Bürgermeiſter ins Haus kommen und hat zu erfahren begehret, was ſie zu Rathhauſe thuen ſolle. Darauf ſie auf Montag wieder zu Rathhaus ge - fordert, wobei ſie wohl würde inne werden, warum ſie dahin beſchieden.

Den 5. Mai, Sonntags Misericordias Domini, nachdem ſie die Predigt angehöret, hat unſer Herr Diaconus auf der Kanzel ſolche Sünde mit dieſen formalibus taxiret: Wie hoch ich auch erfreuet bin, daß ich ſeit Sonntag Palmarum bis heutgen Sonntag Misericordias Domini auf der guten Weide des heilgen Sacraments des hochwürdigen Abendmahls 172 Schäflein geweidet, alſo hoch und vielmehr betrübe ich mich, daß ich erfahren muß, als ſollte ein ſtinkender Bock unter ſolchen 172 Schäflein ſein erfunden worden, der das geſegnete Brod hinter dem Altar wieder ſoll ausgeſpucket haben. Urſula Heinrichs höret ſolches, zeucht ſich ſolches an, gehet nach geendeter Predigt zum Herrn Diaconus ins Haus und ſetzet ihn zur Rede, warum er ſie auf der Kanzel alſo angegriffen? er hätte ſie damit gemeinet, daß ſie den wahren Leichnam ausgeſpucket. Sie hätte aber böſe Zähne, da - ran ſie nichts leiden könne und hätte mit der Zungen daran geſtoßen, in - dem ſie den Oblat hätte herunter ſchlucken wollen. Darüber habe ſie ſo viel Schlamm im Mund bekommen, und hätte ſie nicht ausgeſpieen, ſo hätte ſie brechen müſſen. Dieſes ſie auch zum Bürgermeiſter (zudem ſie alsbald, wie ſie vom Herrn Diacono weggegangen, gekommen und geklaget,) ebener - maßen ausgeſaget hat.

Als ſie nun den 6. Mai herüber auf dem Rathhauſe war und vor dem Rath Zurede geſetzt worden, hat ſie ſich anfangs hoch vermeſſen, ſie wäre unſchuldig. Jeſus Chriſtus hätte auch unſchuldig gelitten, dem wollte ſie ſolches befehlen und leiden und Gott um Geduld bitten; daneben aber geſtanden, daß ſie am Oſtermontage, als ſie zum Tiſch des Herrn gegan -534 gen und das geſegnete Brod empfangen, hinterm Altar ausgeſpieen. (Nun folgt, unter Zuthat einiger ſehr häßlicher Details, eine Wiederholung ihrer vor dem Diaconus gemachten Ausſagen, d. h. alſo Aufzählung der Gründe, weßhalb ſie nicht umhin gekonnt habe, die Oblate auszuſpeien.)

Darauf ſie, wie ſie vom Rathhauſe gelaſſen worden, angefangen: wenn ſie ihren Sohn nicht bedächte, ſo wollte ſie h .... weiſe oder ſchelmiſch-die - biſcherweiſe aus der Stadt laufen; denn ihr Mann wollte ſich ihrer nicht annehmen.

Als ſie folgenden Tages, den 7. May, wiederumb zu Rathhauſe gefordert worden, ſeind ihr beide Zeugen, ſo es geſehen, daß ſie (die Krä - merin) hinterm Altar ausgeſpucket, gegenüber geſtellt worden.

Es iſt ihr auch vom Bürgermeiſter vorgehalten, warum ſie des vorigen Tages auf dem Rathhauſe geſaget: wenn ſie es ihres Sohnes halber nicht thäte, ſo wollte ſie h .... weiſe davon laufen; worauf ſie ſolcher Worte auch jetzt noch geſtändig geweſen iſt und geantwortet hat darumb, daß ſich ihr Mann ihrer nicht wollte annehmen.

Hierauf haben wir ſie alsbald den 7. Mai gefänglich einziehen und in Fußeiſen auf unſerm Stad Keller mit bürgerlicher Wache verwahren laſſen.

Da ſie denn alsbald, wie ſie geſponnen, ſich hinter den Tiſch geſetzet, angefangen zu ſpucken und etzliche mal zu ſich geſagt: ſpucke, ſpucke u. ſ w. und auch geredet wenn zehn Büttels über ſie kämen, wollte ſie nichts bekennen.

Da auch der Mann zu ihr gekommen und Eſſen gebracht, ihn angefah - ren: Du lahmer Hund, ich begehre dein Eſſen nicht, du haſt Schuld da - ran, daß ich hier ſitze; du willſt dich meiner nicht annehmen. Hat ſich auch von einem Weibe laſſen einen Kubben (Kübel) in der Stuben brin - gen, darinnen ſie reverenter excerniret; hernach mit dem Vorderfinger um - gerühret, darin dreimal geſpuckt und wegtragen laſſen.

Da ſich denn dieſes in der Wahrheit und nicht anders alſo verhält, zudem auch berührte Urſula Heinrichs außer dieſem, vor etzlichen Jahren, der Zauberei halber bei jedermann verdächtig und berüchtiget geweſen iſt, auch aus vielen Dingen nochmals verdächtig gehalten wird, als daß ſie

1) Mit vielen Leuten ſich gezanket und daher ſich faſt ein jeder vor ihr gefürchtet.

2) ehrliche Leute, welchen ſie nicht gewogen, nicht gegrüßet, noch wo ſie gegrüßet wird, ſich bedanket, ſondern wol auf einen Gruß einen garſtigen Strepitum fahren laſſen, daß es über die ganze Gaſſe erſchollen, und etzlichen Leuten in den Fußtapfen nachgeſpucket.

3) Ehrlichen Leuten, denen ſie nicht gewogen, oftmals vor Geld nicht laſſen wollen, was ſie doch zu Kauffe gehabt, und wenn die Betreffenden dann andrer Leute Geſinde oder Frauen abgeſchicket (da man vermeinet, ſie würde es dann nicht verſagen,) hat ſie alßbald gewußt, wem ſie’s holen wollten und geſagt gehe nur, du holeſt es dem und dem, ich laſſe dir’s nicht.

535

4) Velten Sternbecks, Baders allhier Söhnlein, Gottfried genannt, ungefähr anno 1636, Oſter-Kuchen gegeben. Wie das Kind mit dem Kuchen zu Hauſe kommt, fanget es an zu ſchreien und klaget, der Bauch thu ihm wehe. Wie die Mutter des Kindes erfahret, daß das Kind den Kuchen von der Kramerin bekommen, gehet ſie zu ihr und hält ihr vor, daß ihr Mann ſchelte und ſage, das Kind habe die Wehetage von ihrem Kuchen bekommen. Darauf ſie, die Krämerin, geantwortet, es wäre Honig und Mandeln in dem Kuchen geweſen, das würde das Kind nicht vertra - gen können, ſie ſollte ihm einen venediſchen Theriack eingeben, es würde wohl beſſer werden. Wie nun die Mutter vor einen Groſchen Theriack von der Krämerin gekauft und dem Kinde eingegeben, ſchlaget das Kind aus, daß es ſo bunt auf dem Leibe wurde, wie eine Kröte.

5) eine Thabel, (d. i. Kober) ſo feſte zugebunden geweſen, ihres Soh - nes damaliger Braut gegeben, die ſie mit nach Oderberg nehmen ſollen; ſelbigen Kober hat ſie bei dem Bader eingeſetzet und gebeten, weil ſie noch etwas zu beſtellen hätte, ſollte man unterdeſſen die Thabel zu Kahne tragen. Wie man nun die Thabel zu Kahne tragen wollen, hat ſie keiner von der Stelle heben können, wie denn noch Leute am Leben, ſo es verſuchet, alſo daß auch das Strick zerriſſen und die Thabel müßen ſtehn laſſen. Da aber ihres Sohnes Braut die Thabel angefaſſet, hat ſie dieſelbe können unterm Arm nehmen, und dem Schiff zutragen.

6) Mit ihrem eigenen Sohne ohngefähr vor 6 oder 7 Jahren, dergeſtalt wegen eines Ringes, ſo ſie ihm verehrte und er ihr denſelben ſollte wieder - geben, in Haß gelebet, daß ſie nicht einmahl zu ſeinem Kinde, wie es ſo ſehr krank geweſen, daß es weder leben noch ſterben können und er ſie da - rum gebeten, nicht Kommen wollen, er habe ihr denn den Ring wiederge - geben und iſt das Kind alsbald, wie ſie bei ihm kommen, ſanft abge - ſchieden.

7) Auf einem Sonntag Anno 1640 an Herrn Michael Mielentzes Pfarrers (ſo ſich allhier aufgehalten) Thür, des Morgens gar früh, wider ihre Gewohnheit da ſie in großem Haß mit ihm gelebet und zu ſeiner Thür niemals kommen etzliche mal angeklopfet und wie ſie die Magd anſichtig worden, gefraget, was ſie (die Magd) ihrer Henne gethan hätte, da ſie nicht hätte legen können; ſie hätte auch eine Ente, der es gleich alſo ginge. Wie die Magd in der Stuben gangen zu der Ehefrau, ſo vorigen Tages eines Söhnleins geneſen und es ihr angeſaget: daß die Kramerin vor der Thür wäre und hätte nach ſolcher Sache gefraget, iſt die Frau erſchrocken und wie ſie ihre Schweſter hinausgeſchickt die Kramerin einzu - laſſen, iſt die Kramerin ſchon etzliche Haus weit davon gewehſen und da hinter ihr hergerufen worden, ſich umgeſehen und fortgangen. Darauf die Kindesbetterin Nachmittag ſo unvermögend worden, alſo daß man keine Vernunft bei ihr ſpüren können. So bald aber die Kramerin zu ihr kom - men, ſie an’s Bein getaſtet und geflüſtert, iſt die Kindesbetterin ſtill wor -536 den, hat ſich auch wieder vernehmen laſſen, daß ſie, die Kramerin, kommen könne, und iſt hernach beſſer mit ihr worden.

8) ohngefähr An. 1635 hat der Herr Amtsſchreiber alhier, Johannes Nebentiſch, ihr, der Kramerin, Flachs, den ſie in der heißen Stuben deſſel - bigen gehabt, nehmen und in die Amtſtube bringen laſſen; da ſpringet aus dem Flachs ein lang Gewürmb, wie eine Blindſchleiche, heraus, läuft in der Stuben herum und wie ſie danach ſchlagen, kriecht es wieder in den Flachs; darauf ihr der Amtſchreiber den Flachs wieder ins Haus bringen laſſen und nichts mit ihr wollen zu thun haben, weil das Gerücht zu der Zeit ſo groß von ihr geweſen, daß ſie des Sontags unter der Predigt einmahl einen ſchwarzen Bock vor dem Spinde geſpeiſet und eben auch ſehr unruhige Zeit geweſen.

9) ohngefähr An. 1638, der damahligen Frau Amtſchreiberin allhier, ſo noch lebet, eine Schüſſel voll Mohn gebracht. Wie ſie nun den Mohn, ſo in einem Reibenapf weggeſetzet worden, beſah, ſitzet eine große Kröte im Mohn, welche mit einem ſpitzigen Stock durchſtochen, aufgeſpießet und mit dem Stock hinter der Hütten aufgeſtecket worden. Nicht lange darnach wie ſie wieder zum Mohn kommen, ſitzet wieder eine große Kröte auf dem Mohn, darob ſie ſich verwundern und hingehn, zu ſehn ob die aufgeſteckte Kröte noch vorhanden. Und ſiehe, ſie finden zwar den Stock noch ſtecken, aber die Kröte iſt davon.

10) ohngefähr vor 4 Jahren des Nachts in ihrem Hauſe, da ſie ganz allein darin geweſen, in die Hände geklopfet und geſungen: domica dondei, domica dondei, ſo ſie etzliche Male wiederhohlet, und nicht anders von einer Magd und Weib (ſo hart an ihrer Schlafkammer, das nur ein klei - ner Gang dazwiſchen geweſen) angehöret worden, als wenn ſie geſprungen und getanzet hätte.

11) Vor etzlichen Jahren Planken in Baders Zaun aufgeriſſen, da - durch ihre Schweine in des Baders Garten kommen; wie nun der Bader ſich mit ihr gezanket und die Schweine mit einem Hopfſtangen heraus ja - gen wollen, iſt er ſo oft bei’m Zuſchlagen auf das Geſicht niedergefallen und hat die Schweine gar nicht treffen können.

Und dieſes alles nun ihr kann dargethan und bewieſen werden. Alſo ergehet hiermit an die Herrn Decane und Doktores ꝛc. unſer dienſtfreund - liches Suchen und Bitten, uns hiernach Rechtens zu belehren, ob die be - meldete Urſula Heinrichs mit hartem Gefängniß anzugreifen und wie fer - ner mit ihr zu verfahren.

Freienwalde den 10. Mai 1644.

Erhardt Kühnemann Amtsſchreiber. Baltzer Richter-Schöppe. Justus Schorr (?) Richter. Noch zwei Schöppen. Johannes Heinrich Schöppe. Andreas Fischer Schöppe. Joachim Heinrich Schöppe.

537

Dieſes Anklage-Stück des Freienwalder Amtsſchreibers giebt ein ziem - lich trauriges Bild damaliger Zuſtände. Die Freienwalder Tage von 1644 müſſen weniger heiter und harmlos geweſen ſein, als die heutigen. Erſicht - lich war Urſel Heinrichs ein böſes, zänkiſches, verbittertes altes Weib und weiter nichts. Der Reſt iſt Nachbars - und Barbier-Klatſch. Im Lauf des Prozeſſes ergiebt ſich, daß der Bader immer aufs Geſicht fiel und beim Zuſchlagen die Schweine nicht treffen konnte, weil er betrunken war. Dennoch kam Urſel auf die Folter.

Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens.

  • Benutzt: von der Hagen’s Freienwalde. Riedel’s Codex diplomat. Bran - denb. W. Melcher’s Neu-aufgefundener Stammbaum des Geſchlechts derer von Uchtenhagen. (Ein Aufſatz von Dr. W. Melcher im Ober-Barnimer Kreis-Anzeiger.) Rindfleiſch Sagen von Freienwalde. Mündliche und briefliche Mitthei - lungen.

Drei Sagen von den Uchtenhagens.

1) Der Fluch.

Der erſte Uchtenhagen hatte dem Markgrafen große Dienſte geleiſtet und ſo verſprach ihm dieſer: er (der Uchtenhagen) ſolle ſo viel Land zu Lehn beſitzen, als er zu Roß an einem Tage umreiten könne. Uchtenhagen ritt mit Sonnenaufgang von Freienwalde aus; mit Sonnenuntergang kam er bei dem Dorfe Neu-Wubiſer (jenſeit der Oder) an, als der Hirt eben ſeine Heerde nach Hauſe trieb. Dieſen erſtach er, um ſpäter beweiſen zu können, wie weit er auf ſeinem Ritte gekommen ſei. Aber von dieſem Au - genblicke an ruhte auf den Uchtenhagens der Fluch, der ſich an dem letzten ihres Hauſes erfüllen ſollte. Dieſer ſtarb, ein Kind noch, einer Wahrſagung gemäß, in die der Fluch ſpäterhin ſich kleidete, an Gift, und ſo ſühnte denn die Kindes-Unſchuld des letzten des Geſchlechts, die Blutſchuld, die der erſte begangen.

2) Werners von Uchtenhagen unſeliges Ende.

Im Jahre 1575 belehnte Werner von Uchtenhagen, laut einer noch vorhandenen Urkunde, in Gemeinſchaft mit ſeinem Bruder Hans, den ehr - ſamen Rath von Freienwalde, mit der halben Dorfſtätte Torgow, jetzt Torgelow genannt. Noch in demſelben Jahre theilte er ſich mit ſeinem Bruder in die Güter des Vaters, wonach er Neuenhagen, Hans aber Freienwalde erhielt. Die Schiedsrichter bei dieſer Angelegenheit waren Otto von Krummenſee (auf Krummenſee), Euſtachius von Schönebeck (auf Döltzig), Jochen von der Schulenburg (auf Löckenitz), Jochen von Buch538 (auf Stolpe), Matthias von Arnim (auf Bieſenthal). An dem noch vor - handenen Theilungsvertrags-Briefe vom 18. März 1575 ſind die Ecken eines jeden Blattes, der größeren Sicherheit wegen, umgeklappt und mit einem Siegel befeſtigt. Werners Ende war betrübender Art: er gerieth mit ſeinem Schwager in Streitigkeiten und erſtach ihn, wurde aber dabei ſo ſchwer verwundet, daß er wenige Stunden ſpäter ebenfalls verſchied. Man erzählt ſich über Werners Ende folgendes:

Werner von Uchtenhagen war ein ehrſamer, ſehr frommer Mann. Einmal (es war auf Tag und Stunde ein Jahr vor ſeinem Tode) war er beim Gebet; da tropften plötzlich drei Tropfen Bluts von ſeiner Stirn und fielen auf das Gebetbuch, auf deſſen aufgeſchlagenem Blatt ſie ein ſchreckenerregendes Zeichen bildeten. Wie dies Zeichen war, das weiß nie - mand; aber es ſtand von jetzt an Tag und Nacht vor Werners Seele und peinigte und ängſtigte ihn. Es bildete ſich in ſeinem Innern eine Ahnung von kommendem Unheil, und dieſe Ahnung hatte Recht. Ein Jahr, nach - dem er jenes Zeichen geſehen, beging ſeine Schweſter das Feſt ihrer Ver - mählung. Werner war auch unter den Gäſten. Am dritten Tage des Feſtes ſaßen Werner und ſein neu-vermählter Schwager bei einander, und beide ſcherzten und lachten und ſprachen dem Weine gut zu. Die Sinne beider waren ſchon berauſcht, da fiel es Werners Schwager ein, über einige Glau - bensſätze der chriſtlichen Kirche ſpöttiſche Bemerkungen zu machen. Hier - durch verletzt, ſprang Werner von Uchtenhagen auf, ein lauter Wortwechſel entſtand, zuletzt ein Zweikampf. Der Weinrauſch machte, daß ſie unſichere Hiebe führten, von beiden Seiten ward blind zugeſchlagen, bis Werner eine tödtliche Wunde erhielt. Aber faſt in demſelben Augenblicke durch - bohrte er ſeines Schwagers Bruſt, der nun leblos zu Boden ſtürzte. Als die Gäſte herbei eilten, war es zu ſpät. Werner ſtarb ſelben Tages noch in bitterſter Reue, die Neuvermählte bald darauf vor Gram. Zu derſelben Stunde aber, als Werner ſeinen Schwager durchbohrte, geſchah in einer Stadt, die ſechs Meilen von Freienwalde entfernt iſt, etwas Wunderbares: ein junges Mädchen ſprang plötzlich von ihrem Lager auf, und ihre Hand nach Freienwalde hin ausſtreckend, rief ſie: Seht, wie ſie mit gezückten Schwertern auf einander rennen und ſich beide morden! Dies hörten ihre Eltern, aber ſie verſtanden es nicht. Die Stadt, wo das Mädchen dieſe Worte ſprach, war wahrſcheinlich Sonnenburg, das geraume Zeit den Uchtenhagens gehörte. All dies geſchah aber um 1580.

3. Der große Kurfürſt und der alte Uchtenhagen bei Freienwalde.

Auf dem Schloßberge hat Uchtenhagen’s Schloß geſtanden; noch jetzt ſieht man die alten Keller oben und die vielen Verwallungen an den Ge - hängen der Berge. Einer davon heißt der Räuberberg, da waren die Höh - len für ſeine Leute. Er iſt nämlich ein Räuberhauptmann geweſen und539 der große Kurfürſt hat ihn freigegeben. Wie der nämlich gegen die Ruſſen *)Wie Sagen in der Tradition die Scenerie wechſeln, und namentlich an näher - liegende Perſönlichkeiten ſtets angeknüpft wird (ſo äußert ſich Prof. W. Schwartz, der obige Sage erzählt), iſt bekannt. So zieht alſo dieſe Verſion der Uchtenhagen-Sage den großen Kurfürſten hinein, während ſie ſonſt gewöhnlich in weit frühere Zeit geſetzt wird. Wenn die Sage im Ruppiner Lande ſpielte, würden ferner in ihr unbedenklich die Schweden als die Feinde auftreten, hier aber in den Odergegenden hat die Ruſſen - zeit des ſiebenjährigen Krieges in der Tradition ihre Spur zurückgelaſſen, und da das Volk ſchwer die Zeiten auseinanderhält, figuriren die Ruſſen ganz ruhig ſo neben den Franzoſen im Gedächtniß als Feinde überhaupt. Als ich ein altes Mütterchen fragte, woher die Ruinen auf dem Capellenberge ſtammten, gab ſie mir die in jeder Hinſicht naive Antwort: Das iſt noch ſo aus alten Zeiten, da ſind ſie immer hinaufgeklettert, um zu ſehen, ob die Ruſſen oder Franzoſen kämen . Dieſe Vermiſchung der Zeiten tritt überall in der Tradition hervor. So gab neulich ein ſonſt gebildeter Mann die gefeſſelten Männer am Piedeſtal der Statue des großen Kurfürſten zu Berlin für alte Wenden - fürſten aus, der große Kurfürſt wurde ihm zu einer Art von Markgraf Gero. Selbſt ein tüchtiger, noch jüngerer Dorfſchullehrer ſagte mir neulich, die böhmiſche Gemeinde der Nachbarſchaft ſei zur Zeit der großen Völkerwanderung hier eingewandert. zu Felde lag, kam Uchtenhagen zu ihm und ſagte, er wolle die Feinde ſchlagen, wenn er ihn freigebe. Da hat ihn der Kurfürſt ge - fragt, wie viel Leute er denn hätte. Uchtenhagen hat geſagt: ein und ſechzig. Da hat ſich der Kurfürſt verwundert, daß er es unternehmen wollte, es aber ihm verſprochen, wenn es ihm gelänge. Nun hat Uchten - hagen ſeine Leute in der Nacht zuſammengerufen und iſt über die Ruſſen hergefallen, hat ihnen die Kanonen vernagelt und dann ſich an ſie ſelbſt gemacht. Wie es Morgen geworden, iſt der Kurfürſt gekommen und hat ſich gewundert über das furchtbare Blutbad, der Feind iſt aber ſchon auf der Retraite geweſen. Das Feld heißt noch heut zu Tage das rothe Land, es liegt vom Freienwalder Brunnen nach Dorf-Sonnenburg zu.

Lichterfelde.

  • Benutzt: Koenig’s Otto Chriſtoph v. Sparr. v. Moerner, mär - kiſche Kriegsoberſten. Fiſchbach, Topographie. Fidicin, Ober-Barnim. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

(Die Brüder Chriſtoph und Arendt v. Sparr), von denen der letztere der Vater des ſpäteren Feldmarſchalls Otto Chriſtoph v. Sparr war, beſaßen Lichterfelde Ausgangs des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts.

Das alte Lichterfelder Kirchenbuch, das von 1599 bis 1604 regelmäßig und wie es ſcheint gewiſſenhaft geführt wurde (nachher kommen Lücken, die ſich über ganze Jahrzehnte ausdehnen), enthält verſchiedene Angaben, die ſich auf jenes Brüderpaar beziehen.

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Auf Chriſtoph v. Sparr beziehen ſich 5 Notizen, aus denen wir Folgendes erſehn:

  • a) Er und ſeine Frau laſſen zweimal taufen.
  • b) Seine Frau ſteht Gevatter beim Geiſtlichen.
  • c) Sein Töchterchen Anna ſtirbt.
  • d) Er ſelber ſtirbt.

Die Notizen ſelbſt ſind folgende:

1) 1599, den 15. April Herrn Chriſtoph Sparrens Sohn Adam geboren, den 22. hujus getauft. Pathen: Hans v. Uchtenhagen, Joachim v. Sparr von Greiffenberg, Jürgen v. Trotta, Caſpar Sparrens Wittib von Trampe, Arendt Sparrens Hausfrau, Levin Trottens Hausfrau und Bürgermeiſter Johann Sorge von Neuſtadt-Eberswalde.

2) 1600, 30. September, geboren Chriſtoph v. Sparrens Tochter Sophia, den 15. Oktober getauft. Pathen: Joachim v. Krum - menſee, Hans v. Bredows Wittibe, v. Holzendorfs Wittibe, Jakob Pfuels Hausfrau, Chriſtoph Lindſtedts Hausfrau und Jungfrau Anna v. Sparr auf Trampe.

3) Anno 1600 hat auch Herr Paſtor Petrus Hartwig taufen laſſen. Unter den Gevattern befindet ſich Herrn Chriſtoph Sparrens Ehe - liebſte.

4) 1600, den 22. Martii iſt Chriſtoph v. Sparrens Tochter Anna v. Sparr verſtorben.

5) 1604, den 16. Oktober iſt Chriſtoph Sparr im Herrn entſchlafen und den 20. zur Erde, nach ſeinem adlichen Stand, ehrlich und zierlich be - ſtattet und von vielen Adelsperſonen, Junkern, Frauen und Jungfrauen begleitet worden. (Nach v. Moerner iſt er 1609 geſtorben.)

Auf Arendt v. Sparr bezieht ſich nur eine Notiz, aus der wir erſehen, daß er 1604 eine Tochter taufen ließ. Die betreffende Stelle lautet:

1604 den 11. Mai iſt Arendt v. Sparrens Tochter Edele (Adele) geboren. Compatres waren: Hans Jürgen v. Ribbeck, Levin Trotta, Herrn Ernſt Sparrens Frau von Trampe, Dietrich v. Holzendorfs Wittibbe, Hans v. Bredows Hausfrau, Alexander v. Bredows Hausfrau und Bür - germeiſter Johann Sorge.

Lichterfelde und die Groebens.

Lichterfelde, nachdem es Jahrhunderte lang ein Sparrſches Gut gewe - ſen war, kam 1620 an die Groebens. Dieſer Zweig der Groebens war eigentlich im Ruppinſchen anſäſſig und beſaß daſelbſt das ſpäter an die Wartensleben, noch ſpäter an den Major v. Kaphengſt (vgl. Bd. I. S. 129) übergehende ſchöne Gut Meſeberg; als damaligen Erbjägermeiſtern des kurfürſtlichen Hofes aber mochte den Groebens wohl daran gelegen ſein, in der unmittelbaren Nähe der großen Waldreviere (der Grimnitzer und Werbelliner Forſten) begütert zu ſein, in denen die Kurfürſten vorzugsweiſe541 zu jagen liebten. So erſtanden die Groebens Lichterfelde, deſſen Feldmark wenigſtens damals an jene Waldreviere grenzte.

In der Kirche befinden ſich noch drei Groebenſche Todten-Banner oder Gedächtnißfahnen, die erſte zur Erinnerung an Otto v. d. Groeben, 1655, die zweite zur Erinnerung an Hans Ludwig, 1669, die dritte zur Erinnerung an Friedrich Otto v. d. Groeben, Obriſter und Erbjägermeiſter, 1697.

Dieſer letztre hat auch ein Grabdenkmal links zur Seite des Altars, in Sandſtein. Dies Denkmal, von ziemlich bedeutender Größe, beſteht aus zwei Hälften, von denen die eine Hälfte blos eine Inſchrift und den Namen ſeiner Gemahlin (Maria v. d. Loe), die andre Hälfte die Portraitſtatue (Hautrelief und buntbemalt) Friedrich Ottos v. d. Groeben zeigt. Er trägt Küraſſier-Uniform, Feldbinde, Perrücke, Commandoſtab. Dazu Sprüche und Inſchriften. Die Groebens beſaßen Lichterfelde bis 1721.

Am Werbellin.

  • Benutzt: Fiſchbach, Topographie. Beckmann, Churmark. F. Bru - nold, Abſeits vom Wege (ein Aufſatz in einem der Bar - nim’ſchen Anzeiger). Mündliches.

Friedersdorff.

  • Benutzt: General v. d. Marwitz, Memoiren. Papiere des v. d Mar - witz’ſchen Familien-Archivs. Mündliches.

Auguſt Ludwig v. d. Marwitz.

  • Benutzt: General v. d. Marwitz, Memoiren. Pertz Leben Steins. Mündliches.

Alexander v. d. Marwitz.

  • Benutzt: Marwitz’s Memoiren. Rahels Briefe. Papiere des v. d. Marwitz’ſchen Familien-Archivs. Droyſen Leben Yorks. Programme des grauen Kloſters von 1804 und 1805. Mündliches.

Eberhard von der Marwitz.

Anton Eberhard Conſtantin von der Marwitz wurde am 2. Decem - ber 1790 zu Berlin geboren. Er befand ſich als Schüler (kaum 16 Jahre alt) in der école militaire, als der unglückliche Ausgang der Jenaer Schlacht die Franzoſen nach Berlin führte. Der Gouverneur der Anſtalt542 ſchoß ſich todt, der Vicegouverneur verlor den Kopf und überantwortete ſich und ſeine Anſtalt (die er ohne Mühe noch hätte retten können) der Gnade der Sieger. Dieſe ſchwankten, wie ſie ſich den halberwachſenen Schü - lern dieſes Militärinſtituts gegenüber verhalten ſollten, zogen aber ſchließ - lich das Sichere vor und machten ſie zu Gefangenen. Unter dieſen war Eberhard von der Marwitz. Er wurde ſtreng bewacht, Urlaub nur gegen Ehrenwort gegeben. So galt es denn zu fliehen. Er und ein befreundeter Mitſchüler brachen zuſammen auf. Vorher ſchon hatten ſie ſich ein Pferd zu verſchaffen gewußt und paſſirten glücklich das Thor. Ohne alle Raſt ſetzten ſie ihren Weg fort, immer abwechſelnd der eine zu Fuß, der andere zu Pferde, ſo daß ſie ſchon nach vierundzwanzig Stunden die zwanzig Meilen bis Lenzen an der Elbe und über die mecklenburgiſche Grenze zurückgelegt hatten. Nach kurzem Aufenthalt wanderten ſie weiter ins Holſtein’ſche. Erſt hier waren ſie in Sicherheit, aber das Pferd auch ſo ruinirt, daß ſie es verſchen - ken und beide zu Fuß gehen mußten. In Kiel fanden ſie ein Fiſcherboot, vertrau - ten ſich in demſelben dem Meere an und trafen, ſechs Tage nachdem ſie Berlin verlaſſen hatten, trotz dieſes weiten Umweges, auf der Inſel Rügen ein, wo Eberhards älteſter Bruder eben in der Errichtung eines Freicorps be - griffen war. Er trat in daſſelbe als Lieutenant ein. Bei der bald erfol - genden Auflöſung des Corps nahm er den Abſchied, aber nur, um im folgenden Jahre nach Oeſterreich zu gehen, wo alles auf die baldige Wieder - aufnahme eines Krieges gegen den Eroberer hindeutete. Er trat als Cornet (Standartenjunker) in das berühmte Chevauxlegersregiment Klenau ein und avancirte in kürzeſter Friſt. Bei Regensburg (am 20. April) zeichnete er ſich aus, bis der mörderiſche Tag von Aspern ſeiner ſo früh und ſo brav begonnenen Laufbahn ein Ziel ſetzte. Er erhielt an dieſem denkwür - digen Tage gleich zu Beginne der Schlacht den Auftrag, mit einer Abthei - lung von zwanzig Reitern an das vom Feinde beſetzte Dorf Aspern heran - zujagen. Er gehorchte und machte die Attake. Vierzig Schritte vor dem Dorfe traf ihn eine Kanonenkugel, tödtete ſein Pferd und verwundete ihn ſchwer am rechten Oberſchenkel.

Man brachte ihn als Gefangenen nach Nikolsburg in Mähren. Sein Schickſal weckte Theilnahme und die liebevollſte Pflege ward ihm zu Theil, beſonders nachdem ſein Bruder Alexander Berlin verlaſſen hatte, um in daſſelbe Regiment einzutreten. Es ſchien auch eine Zeitlang, als werde er dem Leben erhalten werden, der zertrümmerte Knochen hatte ſich bereits handbreit erneuert, da ſtellte ſich ein Zehrfieber ein und nahm ihn fort. Am 9. Oktober ſtarb er, am 10. wurde er beerdigt. Eine Compagnie des 30. franzöſiſchen Infanterieregiments gab bei der Gruft drei Salven und der Stadtkommandant, ſowie vierzig franzöſiſche und mehrere verwundete öſterreichiſche Offiziere geleiteten ihn zu Grabe. Er ruht auf dem Kirchhofe zu Nikolsburg in Mähren, hingeopfert dem unſinnigen Befehle eines ſchwachköpfigen Untergenerals. So lauten die entrüſteten Worte ſeines543 älteſten Bruders. Die irdiſchen Ueberreſte des ſo jung Hingeſchiedenen ſind der fremden Erde geblieben, ſeinem Andenken aber hat Auguſt Ludwig auf dem ſtillen Begräbnißplatz der Familie einen Denkſtein errichten laſſen, der die Inſchrift trägt: Anton Eberhard Conſtantin von der Marwitz, geb. zu Berlin den 2. December 1790, widmete ſich früh den Waffen, ſah den Fall ſeines Vaterlandes 1806, kämpfte für dasſelbe, ſah es in Sklaverei und floh, den Kampf für deutſche Freiheit ſuchend, 1808; fand ihn (den Kampf) 1809 mit Ruhm bei Regensburg den 25. April, fiel bei Aspern den 21. Mai 1809, duldete unausſprechlich bis zum 9. Oktober in Nikols - burg in Mähren, wo er ſtarb, von den Seinigen betrauert, von den Fein - den geehrt.

Quilitz oder Neu-Hardenberg.

  • Benutzt: v. Prittwitz-Gaffron Leben Joachim Bernhards v. Prittwitz und Gaffron. (Soldatenfreund, Märzheft 1863.) Schadow’s Biographie, unter dem Titel: Kunſtwerke und Kunſt-Anſichten Gottfried Schadows. v. Wolzogen, aus Schinkels Nachlaß. Dorows Denkwürdigkeiten. Kloſe’s Leben des Staatskanzlers Fürſten Hardenberg. Mündliches.

(Joachim Bernhard v. Prittwitz und Gaffron.)

Joachim Bernhard v. Prittwitz wurde am 3. Februar 1726 auf ſei - nem väterlichen Gute Laſerwitz bei Stroppen in Schleſien geboren. Sein Vater war Hauptmann in preußiſchen Dienſten. Joachim Bernhard beſuchte bis zu ſeinem 15. Jahre das Gymnaſium zu Oels; als aber Friedrich der Große Schleſien erobert und der proteſtantiſchen Partei zum Siege verholfen hatte, verließ der junge Prittwitz, deſſen proteſtantiſche Familie, mit ſehr wenigen Ausnahmen, den Kaiſerlichen Dienſt ſtets ver - ſchmäht hatte, das Gymnaſium, um in die preußiſche Armee einzutreten. Noch während des erſten Schleſiſchen Krieges, 1741, wurde er in das Cadettenhaus in Berlin aufgenommen, trat aber ſchon im November deſ - ſelben Jahres als Fahnenjunker in das Dragoner-Regiment von Poſa - dowski, bei welchem er den Winterfeldzug nach Mähren, im Jahre 1742, mitmachte. Im zweiten Schleſiſchen Kriege focht er 1745 als Fähnrich in der Schlacht bei Hohenfriedberg gegen die Oeſtreicher und Sachſen, in deren Reihen ſein einziger Bruder, bei Strigau ſchwer verwundet, ſeinen Tod fand. Als Fähnrich hatte Joachim Bernhard, nach damaligen Verhältniſſen, Offizierrang, Lieutenant wurde er erſt 1751, nach zehnjähriger Dienſtzeit.

Im ſiebenjährigen Kriege wurde er in der Schlacht bei Collin 1757 verwundet, außer ihm drei andre Prittwitze. Noch in demſelben Jahre zum Stabsrittmeiſter ernannt, erkämpfte er ſich bei Zorndorf den Orden pour544 le mérite. Den 20. December 1758 wurde er als Rittmeiſter und Chef der erledigten Escadron des gefallenen Oberſt v. Seel, auf den Wunſch des Gene - rals v. Zieten, in deſſen Huſaren-Regiment verſetzt, das den größ - ten Theil ſeines Ruhms, nächſt Zieten, ihm verdanken ſollte. Mit Zieten - ſchen Huſaren begleitete er 1759 den General v. Wobersnow bei ſeinen Zügen nach Polen und nahm an dem Gefecht bei Kay Theil. Es folgte dann die Schlacht bei Kunersdorf, in der es ihm (vgl. S. 417) vergönnt war, ſich durch Rettung des Königs einen unvergänglichen Ruhm zu er - werben. In dem folgenden Jahre 1760 nahm Joachim Bernhard an der Schlacht bei Liegnitz am 15. Auguſt und bei Torgau am 3. November thätigen Antheil und rückte dann im Winter 1761 an der Spitze von 300 Zietenſchen Huſaren zu dem Detachement des Oberſten v. Loellhoefel, wel - cher mit drei Frei-Bataillonen und zwei Reiter-Regimentern den Raum zwiſchen der preußiſchen Armee in Sachſen und der Armee der Alliirten bei Göttingen ausfüllen ſollte. Joachim Bernhard beſtand ein ſiegrei - ches Gefecht bei Schlotheim in der Nähe von Sondershauſen und wurde Major. Hervorragenden Antheil nahm er an dem Gefecht bei Langen - ſalza, das am 15. Februar gegen 9 Bataillone Sachſen unter Graf Solms geſchlagen wurde und ganz Thüringen den Preußen überlieferte. Einen ähnlich glücklichen Kampf beſtand er im April gegen einzelne Detachements der Reichsarmee in der Nähe von Saalfeld. Es waren klugberechnete und kühnausgeführte Attacken nach der Zietenſchen Art. Außer dieſen De - tachirungen, bei denen Joachim Bernhard ſelbſtſtändig commandirte, war er bei den zahlreichen und glänzenden Gefechten des Zietenſchen Hu - ſarenregiments ſelbſt, in dieſem und dem folgenden Jahre zugegen. Details darüber fehlen. Am 7. November 1762 lieferte er den Oeſtreichern ein glänzendes Gefecht am Landsberg und wurde in Anerkennung dafür zwei Tage ſpäter und außer der Tour zum Oberſt-Lieutenant und Commandeur des zehn Schwadronen ſtarken Leib-Huſaren-Regi - ments von Zieten Nr. 2 , das vor allen andern Huſaren-Regimentern rangirte, ernannt.

Am 16. December 1762 vermählte er ſich, in Berlin, mit der ver - wittweten Frau Marie Eleonore v. Parzewski-Temzin, geborenen Freiin v. Seherr-Thoß, die damals erſt 23 Jahr alt war.

Nach dem Hubertsburger Frieden, am 27. März 1763, hatte, wie Kurd v. Schoening erzählt, die Reſidenz Berlin das glänzende Schauſpiel, das berühmte Zietenſche Huſaren-Regiment, von ſeinem Chef (dem alten Zieten ) und vom Commandeur v. Prittwitz geführt, unter Pauken und Trompeten - ſchall und bei unermeßlichem Jubel des Volkes, einziehen zu ſehn. Joachim Bernhard blieb mit ſeinem Regimente zu Berlin in Garniſon. (Die alte Kaſerne in der jetzigen Alexandrinen-Straße und die Stallgebäude am Belle-Alliance-Platz gehörten dem Zietenſchen Huſaren-Regiment.)

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1768 wurde Joachim Bernhard zum Oberſten, 1774 zum General - Major und 1775 zum Commandeur en chef des Regiments Gensd’armes ernannt. Dies ſtolze Cüraſſier-Regiment, das bis 1740, wo das Regiment Garde du Corps formirt wurde, das erſte Regiment der Hausgarden ge - weſen war und im ſiebenjährigen Kriege mit großem Ruhme gekämpft hatte, rangirte in der Kavallerie gleich nach dem Regiment Garde du Corps und hatte in der Hauptſtadt ſeine Garniſon.

Erſt 1785 wurde Joachim Bernhard zum General-Lieutenant und 1789 zum General der Kavallerie ernannt. 1790 nahm er ſeinen Abſchied; er ſtarb am 4. Juni 1793. An der Reiterſtatue Friedrichs des Großen in Berlin ſteht er lebensgroß in Huſaren-Uniform, im Geſpräch mit Leſtwitz, dem Beſchauer halb den Rücken zukehrend. Am bekannteſten iſt er durch den Kupferſtich geworden, der die Rettung des Königs durch Zietenſche Huſaren am Tage von Kunersdorf darſtellt.

(Die Frauen und Kinder des Fürſten Hardenberg.)

Der Fürſt war dreimal vermählt:

  • a) mit Friederike Juliane Chriſtiane, Gräfin v. Reventlow, am 11. Juni 1774 vermählt; getrennt 1787; geſtorben 1792 in Re - gensburg.
  • b) mit Sophie v. Lenthe, geb. v. Heßberg, 1787. Lebte nach vielen Abenteuern erſt in Genua, dann in Neapel, und iſt auch wahrſcheinlich dort geſtorben,
  • c) mit Charlotte Langenthal, geb. Schönemann (Schauſpie - lerin).

Er lebte mit ihr etwa ſeit 1800. Wann er ſich mit ihr vermählte, habe ich nicht finden können. Doch wurde die Ehe 1821 durch privates Uebereinkommen getrennt. Nach dieſem Uebereinkommen hatte ſie jährlich 6000〈…〉〈…〉 und Glinike bei Potsdam als Wittwenſitz. Man rühmt ihr einen unintereſſirten Charakter nach und erzählt, daß ſie auf einen we - ſentlichen Antheil ihrer Anſprüche freiwillig verzichtete.

Der Fürſt hatte nur zwei Kinder, beide aus ſeiner erſten Ehe mit der Gräfin Reventlow:

  • a) den Grafen Hardenberg-Reventlow, (Chriſtian Auguſt Heinrich, geb. 19. Februar 1775); ſiehe den Aufſatz S. 430.
  • b) Anna Luzie Chriſtine Wilhelmine v. Hardenberg, geb. am 9. April 1776. Vermählt
    • α) mit dem bairiſchen Grafen Pappenheim am 26. Juni 1796.
    • β) mit dem Fürſten v. Pückler-Muskau am 9. Oktober 1817. Auch dieſe zweite Ehe wurde getrennt.

Ein Nekrolog des Fürſten-Staatskanzlers ſteht in der Preußi - ſchen Staatszeitung vom 17. December 1822.

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Friedland.

  • Benutzt: Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis. Fidicin Ober-Barnim. Geſchichte des Ciſtercienſer-Ordens. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

Cunersdorff.

  • Benutzt: Pauli’s Leben großer Helden. Graf Walderſee’s Schlacht bei Torgau. Adami’s vor fünfzig Jahren . Hitzig’s Leben Chamiſſo’s. Mündliche und briefliche Mittheilungen.

(Johann George v. Leſtwitz), der Vater unſeres Johann Sigismund v. Leſtwitz auf Friedland und Cunersdorff, wurde 1688 in Schleſien geboren, machte unter den beiden erſten Königen den ſpaniſchen Erbfolgekrieg und den Krieg in Pommern mit. Beim Sturm auf die Con - treſcarpe von Stralſund (1715) wurde er ſchwer verwundet. Während der beiden ſchleſiſchen Kriege zeichnete er ſich aus, beſonders bei Keſſelsdorf 1745 ward er Generalmajor; 1746 Chef des Schwartz-Schwerinſchen Re - giments; 1754 Generallieutenant und Ritter des ſchwarzen Adlerordens. Der König, der ihm beſonders gnädig war, hatte ihm ſchon vorher eine Präbende im Jülichſchen und die Amtshauptmannſchaft zu Lyck in Oſt - preußen verliehn. Bei Ausbruch des 7jährigen Krieges rückte er mit in Sachſen ein und focht im nächſten Jahre (1757) bei Prag, Collin und Rei - chenberg. Beſonders in letzterer Schlacht zeichnete er ſich aus und entſchied ſie. (?) Der König ernannte ihn darauf zum Kommandanten von Breslau, deſſen Belagerung durch die Oeſterreicher unmittelbar folgte. Leſtwitz konnte jedoch die weitläuftige Stadt mit ſeiner ſchwachen Garniſon nicht halten und übergab ſie daher den Oeſtreichern nach einer den 24. November ge - ſchloſſenen Kapitulation, vermöge welcher er nebſt ſeiner Beſatzung freien Abzug erhielt, ſich aber verbinden mußte, im damaligen Kriege wider die Kaiſerin-Königin nicht weiter zu dienen. Der König war mit dieſer Ueber - gabe ſehr unzufrieden und Leſtwitz (ähnlich wie General Fink nach der Kapitulation von Maxen) fiel in Ungnade. Nur Fink’s Loos war freilich härter und unverdienter, er hatte dem Könige viel näher geſtanden und die Zeichen der Mißachtung trafen ihn viel entſchiedener. Leſtwitz (wie S. 455 erzählt) kam noch erträglich davon. Er ſtarb 80 Jahre alt, nach 63jähriger Dienſtzeit, am 27. Juli 1767.

Portraits in Schloß Cunersdorff.

  • 1) Portrait des Generallieutenants Johann George v. Leſtwitz; (deſſen, der nach der Kapitulation von Breslau in Ungnade fiel).
  • 2) Seiner Gemahlin, einer geb. v. Kottwitz.
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  • 3) Portrait des Generalmajors Hans Sigismund v. Leſtwitz; (des Siegers von Torgau).
  • 4) Seiner Gemahlin, einer geb. v. Treskow.
  • 5) Frau v. Friedland; Paſtellbild, en profile.
  • 6) Staatsminiſter Adrian v. Borcke; (Gemahl der Frau v. Friedland).
  • 7) Graf Peter Alexander v. Itzenplitz.
  • 8) Gräfin Itzenplitz (geb. v. Borcke). Sie trägt nicht Frauentracht, ſondern bei kurzem, gekräuſeltem Haar einen blauen, weiten Sammt - Hausrock mit Pelz beſetzt und hochſtehendem Pelzkragen, über den noch eine getollte Fraiſe hinausragt. Das Ganze ſehr eigenthümlich.
  • 9) Ein Portrait von Albrecht Thaer.

Der künſtleriſche Werth dieſer Portraits iſt nicht groß; kleinere Bilder, nach denen die größeren Oelportraits ausgeführt wurden (zum Theil vom alten Profeſſor Weitſch) ſind meiſt beſſer. Am meiſten Werth dürften die Portraits der jüngeren Frau v. Leſtwitz, geb. v. Treskow, und des Staatsminiſters Adrian v. Borcke haben.

Das Pfulen-Land.

(Portraits im Herrenhauſe zu Jahnsfelde.)

  • Ernſt Ludwig v. Pfuel, Generalmajor (1718 1789).
  • Ernſt Ludwig v. Pfuel, General-Lieutenant (1714 1803).
  • Johanne v. Pfuel (geſt. 1782).
  • Adelheid v. Pfuel geb. v. Belzig.
  • Clara v. Pfuel geb. v. Rochow.
  • Friedrich Ehrenreich v. Rochow (1722 1771).
  • Friedrich v. Pfuel, Generallieutenant (1781 1846).
  • Arthur Heino Julian v. Pfuel. (Geb. 5. Mai 1815, geſt. zu Carls - ruh in Baden den 31. December 1844.)

Außerdem noch viele andre Bildniſſe. Unter den hier angeführten ſind die Damenportraits und das des Friedrich Ehrenreich v. Rochow, das mit Eleganz und einer gewiſſen Bravour gemalt iſt, die beſten.

Die Porträts in Wilkendorf ſind zum Theil aus der alten, nun - mehr ausgeſtorbnen v. Brieſt’ſchen Familie. Der letzte Sproß der Familie, eine Tochter, war an Friedrich de la Motte Fouqué vermählt. (Landrath v. Brieſt, auf Nennhauſen im Havelland, bekannt durch den klugen Bei - ſtand, den er der Armee des großen Kurfürſten erſt bei der Ueberrumpe - lung von Rathenow und dann ſpäter auf ihrem Marſche nach Fehr - bellin leiſtete.)

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Kienbaum.

(Dorf und Kloſter Kagel.)

In nächſter Nähe von Kienbaum, am Liebenberger See, liegt das alte Dorf Kagel (früher, wie Kienbaum, dem Kloſter zu Zinna zugehö - rig), das in neuerer Zeit zu einer intereſſanten Controverſe Veranlaſſung gegeben hat. Nach Anſicht der Einen wäre es dies alte Dorf Kagel, in dem ſich das allererſte märkiſche Kloſter befunden hätte und zwar ein ſogenanntes Feldkloſter , das im Jahre 1160, ſo meinen ſie, durch den zum Chriſtenthume übergetretenen Wendenfürſten Jaczko gegründet und mit Ciſtercienſer-Mönchen beſetzt wurde. Die Mönche dieſes Feldkloſters in Kagel waren es dann, die 11 Jahre ſpäter (1171) das neugegründete, grö - ßere und beſſer dotirte Kloſter in Zinna beſetzten. v. d. Hagen und Berg - haus theilen dieſe Anſicht; Fidicin hingegen will von der Priorität eines Kloſters Kagel nichts wiſſen und meint, daß die betreffende Stelle im Zinnaer Erbregiſter von v. d. Hagen falſch ausgelegt worden ſei.

Druck: Kislingſche Buchdruckerei in Osnabrück.

About this transcription

TextWanderungen durch die Mark Brandenburg
Author Theodor Fontane
Extent563 images; 161366 tokens; 25759 types; 1130534 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationWanderungen durch die Mark Brandenburg Zweiter Theil: Das Oderland. Barnim. Lebus Theodor Fontane. . V, 548 HertzBerlin1863. (Fontanes \"Wanderungen\" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der zweite Band \"Das Oderland, Barnim, Lebus\" 1863 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.)

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Tc 2420-2<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=875990053

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
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