PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Wahlverwandtſchaften.
Erſter Theil.
Tuͤbingen,in der J. G. Cottaischen Buchhandlung.1809.
Die Wahlverwandtſchaften.
Erſter Theil.
I. 1

Erſtes Kapitel.

Eduard ſo nennen wir einen reichen Baron im beſten Mannesalter Eduard hatte in ſeiner Baumſchule die ſchoͤnſte Stun¬ de eines Aprilnachmittags zugebracht, um friſch erhaltene Pfropfreiſer auf junge Staͤm¬ me zu bringen. Sein Geſchaͤft war eben vollendet; er legte die Geraͤthſchaften in das Futteral zuſammen und betrachtete ſeine Ar¬ beit mit Vergnuͤgen, als der Gaͤrtner hinzu¬ trat und ſich an dem theilnehmenden Fleiße des Herrn ergetzte.

Haſt du meine Frau nicht geſehen? frag¬ te Eduard, indem er ſich weiter zu gehen an¬ ſchickte.

I *4

Druͤben in den neuen Anlagen, verſetzte der Gaͤrtner. Die Mooshuͤtte wird heute fertig, die ſie an der Felswand, dem Schloſ¬ ſe gegenuͤber gebaut hat. Alles iſt recht ſchoͤn geworden und muß Ew. Gnaden gefallen. Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten das Dorf, ein wenig rechter Hand die Kir¬ che, uͤber deren Thurmſpitze man faſt hin¬ wegſieht; gegenuͤber das Schloß und die Gaͤrten.

Ganz recht, verſetzte Eduard; einige Schritte von hier konnte ich die Leute arbei¬ ten ſehen.

Dann, fuhr der Gaͤrtner fort, oͤffnet ſich rechts das Thal und man ſieht uͤber die rei¬ chen Baumwieſen in eine heitere Ferne. Der Stieg die Felſen hinauf iſt gar huͤbſch ange¬ legt. Die gnaͤdige Frau verſteht es; man arbeitet unter ihr mit Vergnuͤgen.

5

Geh zu ihr, ſagte Eduard, und erſuche ſie, auf mich zu warten. Sage ihr, ich wuͤnſche die neue Schoͤpfung zu ſehen und mich daran zu erfreuen.

Der Gaͤrtner entfernte ſich eilig und Eduard folgte bald.

Dieſer ſtieg nun die Terraſſen hinunter, muſterte, im Vorbeygehen, Gewaͤchshaͤuſer und Treibebeete, bis er ans Waſſer, dann uͤber einen Steg an den Ort kam, wo ſich der Pfad nach den neuen Anlagen in zwey Arme theilte. Den einen, der uͤber den Kirchhof ziemlich gerade nach der Felswand hinging, ließ er liegen um den andern ein¬ zuſchlagen, der ſich links etwas weiter durch anmuthiges Gebuͤſch ſachte hinaufwand; da wo beyde zuſammentrafen, ſetzte er ſich fuͤr einen Augenblick auf einer wohlangebrachten Bank nieder, betrat ſodann den eigentlichen Stieg, und ſah ſich durch allerley Treppen6 und Abſaͤtze, auf dem ſchmalen, bald mehr bald weniger ſteilen Wege endlich zur Mooshuͤtte geleitet.

An der Thuͤre empfing Charlotte ihren Gemahl und ließ ihn dergeſtalt niederſitzen, daß er durch Thuͤre und Fenſter die verſchie¬ denen Bilder, welche die Landſchaft gleichſam im Rahmen zeigten, auf einen Blick uͤberſe¬ hen konnte. Er freute ſich daran, in Hoff¬ nung daß der Fruͤhling bald alles noch reich¬ licher beleben wuͤrde. Nur eines habe ich zu erinnern, ſetzte er hinzu: die Huͤtte ſcheint mir etwas zu eng.

Fuͤr uns beyde doch geraͤumig genug, ver¬ ſetzte Charlotte.

Nun freylich, ſagte Eduard, fuͤr einen Dritten iſt auch wohl noch Platz.

Warum nicht? verſetzte Charlotte, und7 auch fuͤr ein Viertes. Fuͤr groͤßere Geſell¬ ſchaft wollen wir ſchon andere Stellen be¬ reiten.

Da wir denn ungeſtoͤrt hier allein ſind, ſagte Eduard, und ganz ruhigen heiteren Sinnes; ſo muß ich dir geſtehen, daß ich ſchon einige Zeit etwas auf dem Herzen habe, was ich dir vertrauen muß und moͤchte, und nicht dazu kommen kann.

Ich habe dir ſo etwas angemerkt, ver¬ ſetzte Charlotte.

Und ich will nur geſtehen, fuhr Eduard fort, wenn mich der Poſtbote morgen fruͤh nicht draͤngte, wenn wir uns nicht heut ent¬ ſchließen muͤßten, ich haͤtte vielleicht noch laͤn¬ ger geſchwiegen.

Was iſt es denn? fragte Charlotte freund¬ lich entgegenkommend.

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Es betrifft unſern Freund, den Haupt¬ mann, antwortete Eduard. Du kennſt die traurige Lage, in die er, wie ſo mancher an¬ dere, ohne ſein Verſchulden geſetzt iſt. Wie ſchmerzlich muß es einem Manne von ſeinen Kenntniſſen, ſeinen Talenten und Fertigkeiten ſeyn, ſich außer Thaͤtigkeit zu ſehen und ich will nicht lange zuruͤckhalten mit dem was ich fuͤr ihn wuͤnſche: ich moͤchte daß wir ihn auf einige Zeit zu uns naͤhmen.

Das iſt wohl zu uͤberlegen und von mehr als einer Seite zu betrachten, verſetzte Char¬ lotte.

Meine Anſichten bin ich bereit dir mitzu¬ theilen, entgegnete ihr Eduard. In ſeinem letzten Briefe herrſcht ein ſtiller Ausdruck des tiefſten Mismuthes; nicht daß es ihm an ir¬ gend einem Beduͤrfniß fehle: denn er weiß ſich durchaus zu beſchraͤnken und fuͤr das Nothwen¬ dige habe ich geſorgt; auch druͤckt es ihn nicht9 etwas von mir anzunehmen: denn wir ſind unſre Lebzeit uͤber einander wechſelſeitig ſo viel ſchuldig geworden, daß wir nicht berechnen koͤnnen, wie unſer Credit und Debet ſich ge¬ gen einander verhalte daß er geſchaͤftlos iſt, das iſt eigentlich ſeine Qual. Das Vielfache, was er an ſich ausgebildet hat, zu Andrer Nutzen taͤglich und ſtuͤndlich zu gebrauchen, iſt ganz allein ſein Vergnuͤgen, ja ſeine Lei¬ denſchaft. Und nun die Haͤnde in den Schoos zu legen, oder noch weiter zu ſtudiren, ſich wei¬ tere Geſchicklichkeit zu verſchaffen, da er das nicht brauchen kann, was er in vollem Maa¬ ße beſitzt genug, liebes Kind, es iſt eine peinliche Lage, deren Qual er doppelt und dreyfach in ſeiner Einſamkeit empfindet.

Ich dachte doch, ſagte Charlotte, ihm waͤren von verſchiedenen Orten Anerbietun¬ gen geſchehen. Ich hatte ſelbſt, um ſeinet¬ willen, an manche thaͤtige Freunde und Freun¬ dinnen geſchrieben, und ſoviel ich weiß, blieb dieß auch nicht ohne Wirkung.

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Ganz recht, verſetzte Eduard; aber ſelbſt dieſe verſchiedenen Gelegenheiten, dieſe An¬ erbietungen machen ihm neue Qual, neue Un¬ ruhe. Keines von den Verhaͤltniſſen iſt ihm gemaͤß. Er ſoll nicht wirken; er ſoll ſich auf¬ opfern, ſeine Zeit, ſeine Geſinnungen, ſeine Art zu ſeyn, und das iſt ihm unmoͤglich. Jemehr ich das alles betrachte, jemehr ich es fuͤhle, deſto lebhafter wird der Wunſch ihn bey uns zu ſehen.

Es iſt recht ſchoͤn und liebenswuͤrdig von dir, verſetzte Charlotte, daß du des Freundes Zuſtand mit ſo viel Theilnahme bedenkſt; al¬ lein erlaube mir dich aufzufordern, auch dei¬ ner, auch unſer zu gedenken.

Das habe ich gethan, entgegnete ihr Eduard. Wir koͤnnen von ſeiner Naͤhe uns nur Vortheil und Annehmlichkeit verſprechen. Von dem Aufwande will ich nicht reden, der auf alle Faͤlle gering fuͤr mich wird, wenn er11 zu uns zieht; beſonders wenn ich zugleich be¬ denke, daß uns ſeine Gegenwart nicht die mindeſte Unbequemlichkeit verurſacht. Auf dem rechten Fluͤgel des Schloſſes kann er wohnen, und alles andre findet ſich. Wie viel wird ihm dadurch geleiſtet, und wie manches Angenehme wird uns durch ſeinen Umgang, ja wie mancher Vortheil! Ich haͤtte laͤngſt ei¬ ne Ausmeſſung des Gutes und der Gegend ge¬ wuͤnſcht; er wird ſie beſorgen und leiten. Deine Abſicht iſt, ſelbſt die Guͤter kuͤnftig zu verwalten, ſobald die Jahre der gegenwaͤrtigen Paͤchter verfloſſen ſind. Wie bedenklich iſt ein ſolches Unternehmen! Zu wie manchen Vorkenntniſſen kann er uns nicht verhelfen! Ich fuͤhle nur zu ſehr, daß mir ein Mann die¬ ſer Art abgeht. Die Landleute haben die rechten Kenntniſſe; ihre Mittheilungen aber ſind confus und nicht ehrlich. Die Studirten aus der Stadt und von den Akademieen ſind wohl klar und ordentlich; aber es fehlt an der unmittelbaren Einſicht in die Sache. Vom12 Freunde kann ich mir beydes verſprechen; und dann entſpringen noch hundert andre Verhaͤlt¬ niſſe daraus, die ich mir alle gern vorſtellen mag, die auch auf dich Bezug haben und wo¬ von ich viel Gutes vorausſehe. Nun danke ich dir, daß du mich freundlich angehoͤrt haſt; itzt ſprich aber auch recht frey und umſtaͤndlich und ſage mir alles was du zu ſagen haſt, ich will dich nicht unterbrechen.

Recht gut, verſetzte Charlotte: ſo will ich gleich mit einer allgemeinen Bemerkung anfan¬ gen. Die Maͤnner denken mehr auf das Einzelne, auf das Gegenwaͤrtige, und das mit Recht, weil ſie zu thun, zu wirken beru¬ fen ſind; die Weiber hingegen mehr auf das was im Leben zuſammenhaͤngt, und das mit gleichem Rechte, weil ihr Schickſal, das Schickſal ihrer Familien, an dieſen Zuſammen¬ hang geknuͤpft iſt, und auch gerade dieſes Zu¬ ſammenhaͤngende von ihnen gefordert wird. Laß uns deswegen einen Blick auf unſer ge¬13 genwaͤrtiges, auf unſer vergangenes Leben werfen, und du wirſt mir eingeſtehen, daß die Berufung des Hauptmanns nicht ſo ganz mit unſern Vorſaͤtzen, unſern Planen, unſern Einrichtungen zuſammentrifft.

Mag ich doch ſo gern unſerer fruͤhſten Verhaͤltniſſe gedenken! Wir liebten einander als junge Leute recht herzlich; wir wurden getrennt: du von mir, weil dein Vater, aus nie zu ſaͤttigender Begierde des Beſitzes, dich mit einer ziemlich aͤlteren reichen Frau ver¬ band; ich von dir, weil ich, ohne ſonderli¬ che Ausſichten, einem wohlhabenden, nicht ge¬ liebten aber geehrten Manne meine Hand rei¬ chen mußte. Wir wurden wieder frey; du fruͤher, indem dich dein Muͤtterchen im Beſitz eines großen Vermoͤgens ließ; ich ſpaͤter, eben zu der Zeit, da du von Reiſen zuruͤckkamſt. So fanden wir uns wieder. Wir freuten uns der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungeſtoͤrt zuſammen leben. Du14 drangſt auf eine Verbindung; ich willigte nicht gleich: denn da wir ohngefaͤhr von denſelben Jahren ſind, ſo bin ich als Frau wohl aͤlter geworden, du nicht als Mann. Zuletzt wollte ich dir nicht verſagen, was du fuͤr dein einzi¬ ges Gluͤck zu halten ſchienſt. Du wollteſt von allen Unruhen, die du bey Hof, im Militaͤr, auf Reiſen erlebt hatteſt, dich an meiner Sei¬ te erhohlen, zur Beſinnung kommen, des Le¬ bens genießen; aber auch nur mit mir allein. Meine einzige Tochter that ich in Penſion, wo ſie ſich freylich mannigfaltiger ausbildet, als bey einem laͤndlichen Aufenthalte geſchehen koͤnnte; und nicht ſie allein, auch Ottilien, meine liebe Nichte, that ich dorthin, die vielleicht zur haͤuslichen Gehuͤlfinn unter mei¬ ner Anleitung am beſten herangewachſen waͤre. Das alles geſchah mit deiner Einſtimmung, bloß damit wir uns ſelbſt leben, bloß damit wir das fruͤh ſo ſehnlich gewuͤnſchte, endlich ſpaͤt erlangte Gluͤck ungeſtoͤrt genießen moͤchten. So haben wir unſern laͤndlichen Aufenthalt15 angetreten. Ich uͤbernahm das Innere, du das Aeußere und was ins Ganze geht. Meine Einrichtung iſt gemacht, dir in allem entgegen zu kommen, nur fuͤr dich allein zu leben; laß uns wenigſtens eine Zeit lang verſuchen, in wie fern wir auf dieſe Weiſe mit einander aus¬ reichen.

Da das Zuſammenhaͤngende, wie du ſagſt, eigentlich euer Element iſt, verſetzte Eduard; ſo muß man euch freylich nicht in einer Fol¬ ge reden hoͤren, oder ſich entſchließen euch Recht zu geben, und du ſollſt auch Recht ha¬ ben bis auf den heutigen Tag. Die Anlage, die wir bis jetzt zu unſerm Daſeyn gemacht haben, iſt von guter Art; ſollen wir aber nichts weiter darauf bauen, und ſoll ſich nichts weiter daraus entwickeln? Was ich im Gar¬ ten leiſte, du im Park, ſoll das nur fuͤr Ein¬ ſiedler gethan ſeyn?

Recht gut! verſetzte Charlotte, recht wohl! 16Nur daß wir nichts hinderndes, fremdes her¬ ein bringen. Bedenke, daß unſre Vorſaͤtze, auch was die Unterhaltung betrifft, ſich ge¬ wiſſermaßen nur auf unſer beyderſeitiges Zu¬ ſammenſeyn bezogen. Du wollteſt zuerſt die Tagebuͤcher deiner Reiſe mir in ordentlicher Folge mittheilen, bey dieſer Gelegenheit ſo manches dahin gehoͤrige von Papieren in Ord¬ nung bringen, und unter meiner Theilnahme, mit meiner Beyhuͤlfe, aus dieſen unſchaͤtzba¬ ren aber verworrenen Heften und Blaͤttern ein fuͤr uns und andre erfreuliches Ganze zu¬ ſammenſtellen. Ich verſprach dir an der Ab¬ ſchrift zu helfen, und wir dachten es uns ſo bequem, ſo artig, ſo gemuͤthlich und heimlich, die Welt, die wir zuſammen nicht ſehen ſoll¬ ten, in der Erinnerung zu durchreiſen. Ja der Anfang iſt ſchon gemacht. Dann haſt du die Abende deine Floͤte wieder vorgenommen, begleiteſt mich am Clavier; und an Beſuchen aus der Nachbarſchaft und in die Nachbar¬ ſchaft fehlt es uns nicht. Ich wenigſtens ha¬17 be mir aus allem dieſem den erſten wahrhaft froͤhlichen Sommer zuſammengebaut, den ich in meinem Leben zu genießen dachte.

Wenn mir nur nicht, verſetzte Eduard in¬ dem er ſich die Stirne rieb, bey alle dem, was du mir ſo liebe oll und verſtaͤndig wie¬ derhohlſt, immer der Gedanke beyginge, durch die Gegenwart des Hauptmanns wuͤrde nichts geſtoͤrt, ja vielmehr alles beſchleunigt und neu belebt. Auch er hat einen Theil meiner Wanderungen mitgemacht; auch er hat man¬ ches, und in verſchiedenem Sinne, ſich ange¬ merkt: wir benutzten das zuſammen, und als¬ dann wuͤrde es erſt ein huͤbſches Ganze wer¬ den.

So laß mich denn dir aufrichtig geſtehen, entgegnete Charlotte mit einiger Ungeduld, daß dieſem Vorhaben mein Gefuͤhl wider¬ ſpricht, daß eine Ahndung mir nichts Gutes weiſſagt.

I. 218

Auf dieſe Weiſe waͤret Ihr Frauen wohl unuͤberwindlich, verſetzte Eduard: erſt verſtaͤn¬ dig, daß man nicht widerſprechen kann, liebe¬ voll, daß man ſich gern hingiebt, gefuͤhlvoll, daß man Euch nicht weh thun mag, ahndungs¬ voll, daß man erſchrickt.

Ich bin nicht aberglaͤubiſch, verſetzte Char¬ lotte, und gebe nichts auf dieſe dunklen An¬ regungen, inſofern ſie nur ſolche waͤren; aber es ſind meiſtentheils unbewußte Erinnerungen gluͤcklicher und ungluͤcklicher Folgen, die wir an eigenen oder fremden Handlungen erlebt haben. Nichts iſt bedeutender in jedem Zu¬ ſtande, als die Dazwiſchenkunft eines Dritten. Ich habe Freunde geſehen, Geſchwiſter, Lie¬ bende, Gatten, deren Verhaͤltniß durch den zufaͤlligen oder gewaͤhlten Hinzutritt einer neuen Perſon ganz und gar veraͤndert, deren Lage voͤllig umgekehrt worden.

Das kann wohl geſchehen, verſetzte Edu¬19 ard, bey Menſchen, die nur dunkel vor ſich hin leben, nicht bey ſolchen, die ſchon durch Erfahrung aufgeklaͤrt ſich mehr bewußt ſind.

Das Bewußtſeyn, mein Liebſter, entgeg¬ nete Charlotte, iſt keine hinlaͤngliche Waffe, ja manchmal eine gefaͤhrliche, fuͤr den der ſie fuͤhrt; und aus dieſem allen tritt wenigſtens ſo viel hervor, daß wir uns ja nicht uͤberei¬ len ſollen. Goͤnne mir noch einige Tage, ent¬ ſcheide nicht!

Wie die Sache ſteht, erwiederte Eduard, werden wir uns, auch nach mehreren Tagen, immer uͤbereilen. Die Gruͤnde fuͤr und da¬ gegen haben wir wechſelsweiſe vorgebracht; es kommt auf den Entſchluß an, und da waͤr 'es wirklich das beſte, wir gaͤben ihn dem Loos anheim.

Ich weiß, verſetzte Charlotte, daß du in zweifelhaften Faͤllen gerne wetteſt oder wuͤr¬2 *20felſt; bey einer ſo ernſthaften Sache hinge¬ gen wuͤrde ich dieß fuͤr einen Frevel halten.

Was ſoll ich aber dem Hauptmann ſchrei¬ ben? rief Eduard aus: denn ich muß mich gleich hinſetzen.

Einen ruhigen, vernuͤnftigen, troͤſtlichen Brief, ſagte Charlotte.

Das heißt ſoviel wie keinen, verſetzte Eduard.

Und doch iſt es in manchen Faͤllen, ver¬ ſetzte Charlotte, nothwendig und freundlich lie¬ ber Nichts zu ſchreiben als nicht zu ſchreiben.

Zweytes Kapitel.

Eduard fand ſich allein auf ſeinem Zim¬ mer, und wirklich hatte die Wiederhohlung ſeiner Lebensſchickſale aus dem Munde Char¬ lottens, die Vergegenwaͤrtigung ihres beyder¬ ſeitigen Zuſtandes, ihrer Vorſaͤtze, ſein leb¬ haftes Gemuͤth angenehm aufgeregt. Er hatte ſich in ihrer Naͤhe, in ihrer Geſellſchaft ſo gluͤcklich gefuͤhlt, daß er ſich einen freund¬ lichen, theilnehmenden, aber ruhigen und auf nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als er aber zum Schreibtiſch ging und den Brief des Freundes aufnahm, um ihn nochmals durchzuleſen, trat ihm ſogleich wieder der traurige Zuſtand des trefflichen Mannes entgegen; alle Empfindungen, die ihn22 dieſe Tage gepeinigt hatten, wachten wieder auf, und es ſchien ihm unmoͤglich, ſeinen Freund einer ſo aͤngſtlichen Lage zu uͤberlaſſen.

Sich etwas zu verſagen, war Eduard nicht gewohnt. Von Jugend auf das einzige, verzogene Kind reicher Aeltern, die ihn zu einer ſeltſamen aber hoͤchſt vortheilhaften Hei¬ rat mit einer viel aͤltern Frau zu bereden wußten, von dieſer auch auf alle Weiſe ver¬ zaͤrtelt, indem ſie ſein gutes Betragen gegen ſie durch die groͤßte Freygebigkeit zu erwiedern ſuchte, nach ihrem baldigen Tode ſein eigener Herr, auf Reiſen unabhaͤngig, jeder Abwech¬ ſelung jeder Veraͤnderung maͤchtig, nichts Ue¬ bertriebenes wollend, aber viel und vielerley wollend, freymuͤthig, wohlthaͤtig, brav, ja tapfer im Fall was konnte in der Welt ſeinen Wuͤnſchen entgegenſtehen!

Bisher war alles nach ſeinem Sinne ge¬ gangen, auch zum Beſitz Charlottens war er23 gelangt, den er ſich durch eine hartnaͤckige, ja romanenhafte Treue doch zuletzt erworben hatte; und nun fuͤhlte er ſich zum erſtenmal widerſprochen, zum erſtenmal gehindert, eben da er ſeinen Jugendfreund an ſich heranziehen, da er ſein ganzes Daſeyn gleichſam abſchlie¬ ßen wollte. Er war verdrießlich, ungeduldig, nahm einigemal die Feder und legte ſie nie¬ der, weil er nicht einig mit ſich werden konnte, was er ſchreiben ſollte. Gegen die Wuͤnſche ſeiner[Frau] wollte er nicht, nach ihrem Ver¬ langen konnte er nicht; unruhig wie er war ſollte er einen ruhigen Brief ſchreiben, es waͤre ihm ganz unmoͤglich geweſen. Das na¬ tuͤrlichſte war, daß er Aufſchub ſuchte. Mit wenig Worten bat er ſeinen Freund um Ver¬ zeihung, daß er dieſe Tage nicht geſchrieben, daß er heut nicht umſtaͤndlich ſchreibe, und verſprach fuͤr naͤchſtens ein bedeutenderes, ein beruhigendes Blatt.

Charlotte benutzte des andern Tags auf einem Spaziergang nach derſelben Stelle die24 Gelegenheit das Geſpraͤch wieder anzuknuͤpfen, vielleicht in der Ueberzeugung, daß man einen Vorſatz nicht ſichrer abſtumpfen kann, als wenn man ihn oͤfters durchſpricht.

Eduarden war dieſe Wiederhohlung er¬ wuͤnſcht. Er aͤußerte ſich nach ſeiner Weiſe freundlich und angenehm: denn wenn er, em¬ pfaͤnglich wie er war, leicht aufloderte, wenn ſein lebhaftes Begehren zudringlich ward, wenn ſeine Hartnaͤckigkeit ungeduldig machen konnte; ſo waren doch alle ſeine Aeußerungen durch eine vollkommene Schonung des andern der¬ geſtalt gemildert, daß man ihn immer noch liebenswuͤrdig finden mußte, wenn man ihn auch beſchwerlich fand.

Auf eine ſolche Weiſe brachte er Char¬ lotten dieſen Morgen erſt in die heiterſte Lau¬ ne, dann durch anmuthige Geſpraͤchswendun¬ gen ganz aus der Faſſung, ſo daß ſie zuletzt ausrief: Du willſt gewiß, daß ich das was25 ich dem Ehmann verſagte, dem Liebhaber zu¬ geſtehen ſoll.

Wenigſtens, mein Lieber, fuhr ſie fort, ſollſt du gewahr werden, daß deine Wuͤnſche, die freundliche Lebhaftigkeit womit du ſie aus¬ druͤckſt, mich nicht ungeruͤhrt, mich nicht un¬ bewegt laſſen. Sie noͤthigen mich zu einem Geſtaͤndniß. Ich habe dir bisher auch etwas verborgen. Ich befinde mich in einer aͤhnli¬ chen Lage wie du, und habe mir ſchon eben die Gewalt angethan, die ich dir nun uͤber dich ſelbſt zumuthe.

Das hoͤr 'ich gern, ſagte Eduard; ich merke wohl, im Ehſtande muß man ſich manchmal ſtreiten, denn dadurch erfaͤhrt man was von einander.

Nun ſollſt du alſo erfahren, ſagte Char¬ lotte, daß es mir mit Ottilien geht, wie dir mit dem Hauptmann. Hoͤchſt ungern weiß ich26 das liebe Kind in der Penſion, wo ſie ſich in ſehr druͤckenden Verhaͤltniſſen befindet. Wenn Luciane, meine Tochter, die fuͤr die Welt ge¬ boren iſt, ſich dort fuͤr die Welt bildet, wenn ſie Sprachen, Geſchichtliches und was ſonſt von Kenntniſſen ihr mitgetheilt wird, ſo wie ihre Noten und Variationen vom Blatte weg¬ ſpielt; wenn bey einer lebhaften Natur und bey einem gluͤcklichen Gedaͤchtniß ſie, man moͤchte wohl ſagen, alles vergißt und im Au¬ genblicke ſich an alles erinnert; wenn ſie durch Freyheit des Betragens, Anmuth im Tanze, ſchickliche Bequemlichkeit des Geſpraͤchs ſich vor allen auszeichnet, und durch ein an¬ gebornes herrſchendes Weſen ſich zur Koͤniginn des kleinen Kreiſes macht; wenn die Vorſte¬ herinn dieſer Anſtalt ſie als eine kleine Gott¬ heit anſieht, die nun erſt unter ihren Haͤnden recht gedeiht, die ihr Ehre machen, Zutrauen erwerben und einen Zufluß von andern jungen Perſonen verſchaffen wird; wenn die erſten Seiten ihrer Briefe und Monatsberichte im¬27 mer nur Hymnen ſind uͤber die Vortrefflichkeit eines ſolchen Kindes, die ich denn recht gut in meine Proſe zu uͤberſetzen weiß: ſo iſt da¬ gegen, was ſie ſchließlich von Ottilien er¬ waͤhnt, nur immer Entſchuldigung auf Ent¬ ſchuldigung, daß ein uͤbrigens ſo ſchoͤn heran¬ wachſendes Maͤdchen ſich nicht entwickeln, keine Faͤhigkeiten und keine Fertigkeiten zeigen wolle. Das wenige was ſie ſonſt noch hinzufuͤgt iſt gleichfalls fuͤr mich kein Raͤthſel, weil ich in dieſem lieben Kinde den ganzen Character ih¬ rer Mutter, meiner wertheſten Freundinn, gewahr werde, die ſich neben mir entwickelt hat und deren Tochter ich gewiß, wenn ich Erzieherinn oder Aufſeherinn ſeyn koͤnnte, zu einem herrlichen Geſchoͤpf heraufbilden wollte.

Da es aber einmal nicht in unſern Plan geht, und man an ſeinen Lebensverhaͤltniſſen nicht ſo viel zupfen und zerren, nicht immer was neues an ſie heranziehen ſoll; ſo trag ich das lieber, ja ich uͤberwinde die unangenehme28 Empfindung, wenn meine Tochter, welche recht gut weiß, daß die arme Ottilie ganz von uns abhaͤngt, ſich ihrer Vortheile uͤbermuͤthig gegen ſie bedient, und unſre Wohlthat dadurch ge¬ wiſſermaßen vernichtet.

Doch wer iſt ſo gebildet, daß er nicht ſeine Vorzuͤge gegen andre manchmal auf eine grauſame Weiſe geltend machte? Wer ſteht ſo hoch, daß er unter einem ſolchen Druck nicht manchmal leiden muͤßte? Durch dieſe Pruͤfun¬ gen waͤchſt Ottiliens Werth; aber ſeitdem ich den peinlichen Zuſtand recht deutlich einſehe, habe ich mir Muͤhe gegeben, ſie anderwaͤrts unterzubringen. Stuͤndlich ſoll mir eine Ant¬ wort kommen, und alsdann will ich nicht zau¬ dern. So ſteht es mit mir, mein Beſter. Du ſiehſt, wir tragen beyderſeits dieſelben Sorgen in einem treuen freundſchaftlichen Her¬ zen. Laß uns ſie gemeinſam tragen, da ſie ſich nicht gegeneinander aufheben.

29

Wir ſind wunderliche Menſchen, ſagte Eduard laͤchelnd. Wenn wir nur etwas das uns Sorge macht, aus unſerer Gegenwart verbannen koͤnnen, da glauben wir ſchon, nun ſey es abgethan. Im Ganzen koͤn¬ nen wir vieles aufopfern, aber uns im Ein¬ zelnen herzugeben, iſt eine Forderung, der wir ſelten gewachſen ſind. So war meine Mut¬ ter. So lange ich als Knabe oder Juͤngling bey ihr lebte, konnte ſie der augenblicklichen Beſorgniſſe nicht los werden. Verſpaͤtete ich mich bey einem Ausritt, ſo mußte mir ein Ungluͤck begegnet ſeyn; durchnetzte mich ein Regenſchauer, ſo war das Fieber mir gewiß. Ich verreiſte, ich entfernte mich von ihr, und nun ſchien ich ihr kaum anzugehoͤren.

Betrachten wir es genauer, fuhr er fort, ſo handeln wir beyde thoͤrigt und unverant¬ wortlich, zwey der edelſten Naturen, die unſer Herz ſo nahe angehen, im Kummer und im Druck zu laſſen, nur um uns keiner Ge¬30 fahr auszuſetzen. Wenn dieß nicht ſelbſtſuͤchtig genannt werden ſoll, was will man ſo nen¬ nen! Nimm Ottilien, laß mir den Haupt¬ mann, und in Gottes Namen ſey der Ver¬ ſuch gemacht!

Es moͤchte noch zu wagen ſeyn, ſagte Char¬ lotte bedenklich, wenn die Gefahr fuͤr uns allein waͤre. Glaubſt du denn aber, daß es raͤthlich ſey, den Hauptmann mit Ottilien als Hausgenoſſen zu ſehen, einen Mann ohnge¬ faͤhr in deinen Jahren, in den Jahren daß ich dir dieſes Schmeichelhafte nur gerade unter die Augen ſage wo der Mann erſt liebe¬ faͤhig und erſt der Liebe werth wird, und ein Maͤdchen von Ottiliens Vorzuͤgen?

Ich weiß doch auch nicht, verſetzte Eduard, wie du Ottilien ſo hoch ſtellen kannſt! Nur dadurch erklaͤre ich mir's, daß ſie deine Neigung zu ihrer Mutter geerbt hat. Huͤbſch iſt ſie, das iſt wahr, und ich erinnre mich,31 daß der Hauptmann mich auf ſie aufmerkſam machte, als wir vor einem Jahre zuruͤckkamen und ſie mit dir bey deiner Tante trafen. Huͤbſch iſt ſie, beſonders hat ſie ſchoͤne Augen; aber ich wuͤßte doch nicht, daß ſie den min¬ deſten Eindruck auf mich gemacht haͤtte.

Das iſt loͤblich an dir, ſagte Charlotte, denn ich war ja gegenwaͤrtig; und ob ſie gleich viel juͤnger iſt als ich, ſo hatte doch die Ge¬ genwart der aͤltern Freundinn ſo viele Reize fuͤr dich, daß du uͤber die aufbluͤhende ver¬ ſprechende Schoͤnheit hinausſaheſt. Es gehoͤrt auch dieß zu deiner Art zu ſeyn, deshalb ich ſo gern das Leben mit dir theile.

Charlotte, ſo aufrichtig ſie zu ſprechen ſchien, verhehlte doch etwas. Sie hatte naͤmlich damals dem von Reiſen zuruͤckkehren¬ den Eduard Ottilien abſichtlich vorgefuͤhrt, um dieſer geliebten Pflegetochter eine ſo gro¬ ße Parthie zuzuwenden: denn an ſich ſelbſt,32 in Bezug auf Eduard, dachte ſie nicht mehr. Der Hauptmann war auch angeſtiftet, Eduar¬ den aufmerkſam zu machen; aber dieſer, der ſeine fruͤhe Liebe zu Charlotten hartnaͤckig im Sinne behielt, ſah weder rechts noch links, und war nur gluͤcklich in dem Gefuͤhl, daß es moͤglich ſey, eines ſo lebhaft gewuͤnſchten und durch eine Reihe von Ereigniſſen ſchein¬ bar auf immer verſagten Gutes endlich doch theilhaft zu werden.

Eben ſtand das Ehpaar im Begriff die neuen Anlagen herunter nach dem Schloſſe zu gehen, als ein Bedienter ihnen haſtig entge¬ gen ſtieg und mit lachendem Munde ſich ſchon von unten herauf vernehmen ließ. Kommen Ew. Gnaden doch ja ſchnell heruͤber! Herr Mittler iſt in den Schloßhof geſprengt. Er hat uns alle zuſammengeſchrieen, wir ſollen Sie aufſuchen, wir ſollen Sie fragen, ob es Noth thue? Ob es Noth thut, rief er uns nach: Hoͤrt ihr? aber geſchwind, geſchwind!

33

Der drollige Mann! rief Eduard aus: kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Char¬ lotte? Geſchwind zuruͤck! befahl er dem Be¬ dienten: ſage ihm: es thue Noth, ſehr Noth! Er ſoll nur abſteigen. Verſorgt ſein Pferd, fuͤhrt ihn in den Saal, ſetzt ihm ein Fruͤhſtuͤck vor; wir kommen gleich.

Laß uns den naͤchſten Weg nehmen, ſagte er zu ſeiner Frau, und ſchlug den Pfad uͤber den Kirchhof ein, den er ſonſt zu vermeiden pflegte. Aber wie verwundert war er, als er fand, daß Charlotte auch hier fuͤr das Gefuͤhl geſorgt habe. Mit moͤglichſter Scho¬ nung der alten Denkmaͤler hatte ſie alles ſo zu vergleichen und zu ordnen gewußt, daß es ein angenehmer Raum erſchien, auf dem das Auge und die Einbildungskraft gern ver¬ weilte.

Auch dem aͤlteſten Stein hatte ſie ſeine Ehre gegoͤnnt. Den Jahren nach waren ſieI. 334an der Mauer aufgerichtet, eingefuͤgt oder ſonſt angebracht; der hohe Sockel der Kirche ſelbſt war damit vermannigfaltigt und geziert. Eduard fuͤhlte ſich ſonderbar uͤberraſcht, wie er durch die kleine Pforte herein trat; er druͤckte Charlotten die Hand und im Auge ſtand ihm eine Thraͤne.

Aber der naͤrriſche Gaſt verſcheuchte ſie gleich. Denn dieſer hatte keine Ruh im Schloß gehabt, war ſpornſtreichs durchs Dorf bis an das Kirchhofthor geritten, wo er ſtill hielt und ſeinen Freunden entgegen rief: Ihr habt mich doch nicht zum beſten? Thut's wirklich Noth, ſo bleibe ich zu Mittage hier. Haltet mich nicht auf: ich habe heute noch viel zu thun.

Da Ihr Euch ſo weit bemuͤht habt, rief ihm Eduard entgegen; ſo reitet noch vollends herein, wir kommen an einem ernſthaften Orte35 zuſammen, und ſeht wie ſchoͤn Charlotte dieſe Trauer ausgeſchmuͤckt hat.

Hier herein, rief der Reiter, komm 'ich weder zu Pferde, noch zu Wagen, noch zu Fuße. Dieſe da ruhen in Frieden, mit ihnen habe ich nichts zu ſchaffen. Gefallen muß ich mir's laſſen, wenn man mich einmal die Fuͤße voran hereinſchleppt. Alſo iſt's Ernſt?

Ja, rief Charlotte, recht Ernſt! Es iſt das erſtemal, daß wir neue Gatten in Noth und Verwirrung ſind, woraus wir uns nicht zu helfen wiſſen.

Ihr ſeht nicht darnach aus, verſetzte er: doch will ich's glauben. Fuͤhrt Ihr mich an, ſo laß ich Euch kuͤnftig ſtecken. Folgt ge¬ ſchwinde nach; meinem Pferde mag die Er¬ hohlung zu gut kommen.

3 *36

Bald fanden ſich die Dreye im Saale zu¬ ſammen; das Eſſen ward aufgetragen, und Mittler erzaͤhlte von ſeinen heutigen Thaten und Vorhaben. Dieſer ſeltſame Mann war fruͤherhin Geiſtlicher geweſen und hatte ſich bey einer raſtloſen Thaͤtigkeit in ſeinem Amte dadurch ausgezeichnet, daß er alle Streitig¬ keiten, ſowohl die haͤuslichen, als die nach¬ barlichen, erſt der einzelnen Bewohner, ſo¬ dann ganzer Gemeinden und mehrerer Guts¬ beſitzer, zu ſtillen und zu ſchlichten wußte. So lange er im Dienſte war, hatte ſich kein Ehpaar ſcheiden laſſen, und die Landescolle¬ gien wurden mit keinen Haͤndeln und Pro¬ ceſſen von dorther behelliget. Wie noͤthig ihm die Rechtskunde ſey, ward er zeitig ge¬ wahr. Er warf ſein ganzes Studium darauf, und fuͤhlte ſich bald den geſchickteſten Advoca¬ ten gewachſen. Sein Wirkungskreis dehnte ſich wunderbar aus, und man war im Be¬ griff ihn nach der Reſidenz zu ziehen, um das von oben herein zu vollenden, was er37 von unten herauf begonnen hatte, als er einen anſehnlichen Lotteriegewinnſt that, ſich ein maͤßiges Gut kaufte, es verpachtete und zum Mittelpunct ſeiner Wirkſamkeit machte, mit dem feſten Vorſatz, oder vielmehr nach alter Gewohnheit und Neigung, in keinem Hauſe zu verweilen, wo nichts zu ſchlichten und nichts zu helfen waͤre. Diejenigen die auf Namensbedeutungen aberglaͤubiſch ſind, behaupten, der Name Mittler habe ihn ge¬ noͤthigt, dieſe ſeltſamſte aller Beſtimmungen zu ergreifen.

Der Nachtiſch war aufgetragen, als der Gaſt ſeine Wirthe ernſtlich vermahnte, nicht weiter mit ihren Entdeckungen zuruͤckzuhalten, weil er gleich nach dem Kaffee fortmuͤſſe. Die beyden Ehleute machten umſtaͤndlich ihre Bekenntniſſe; aber kaum hatte er den Sinn der Sache vernommen, als er verdrießlich vom Tiſche auffuhr, ans Fenſter ſprang und ſein Pferd zu ſatteln befahl.

38

Entweder Ihr kennt mich nicht, rief er aus, Ihr verſteht mich nicht, oder Ihr ſeyd ſehr boshaft. Iſt denn hier ein Streit? iſt denn hier eine Huͤlfe noͤthig? Glaubt Ihr, daß ich in der Welt bin, um Rath zu ge¬ ben? Das iſt das duͤmmſte Handwerk das einer treiben kann. Rathe ſich jeder ſelbſt und thue was er nicht laſſen kann. Geraͤth es gut, ſo freue er ſich ſeiner Weisheit und ſeines Gluͤcks; laͤuft's uͤbel ab, dann bin ich bey der Hand. Wer ein Uebel los ſeyn will, der weiß immer was er will; wer was beſ¬ ſers will als er hat, der iſt ganz ſtaarblind Ja ja! lacht nur er ſpielt Blindekuh, er ertappt's vielleicht; aber was? Thut was Ihr wollt: es iſt ganz einerley! Nehmt die Freunde zu Euch, laßt ſie weg: alles einerley! Das Vernuͤnftigſte habe ich mislingen ſehen, das Abgeſchmackteſte gelingen. Zerbrecht Euch die Koͤpfe nicht, und wenn's auf eine oder die andre Weiſe uͤbel ablaͤuft, zerbrecht ſie Euch auch nicht. Schickt nur nach mir, und39 Euch ſoll geholfen ſeyn. Bis dahin Euer Diener!

Und ſo ſchwang er ſich aufs Pferd, ohne den Kaffee abzuwarten.

Hier ſiehſt du, ſagte Charlotte, wie we¬ nig eigentlich ein Dritter fruchtet, wenn es zwiſchen zwey nah verbundenen Perſonen nicht ganz im Gleichgewicht ſteht. Gegenwaͤrtig ſind wir doch wohl noch verworrner und ungewiſſer, wenn's moͤglich iſt, als vor¬ her.

Beyde Gatten wuͤrden auch wohl noch eine Zeit lang geſchwankt haben, waͤre nicht ein Brief des Hauptmanns im Wechſel gegen Eduards letzten angekommen. Er hatte ſich entſchloſſen, eine der ihm angebotenen Stellen anzunehmen, ob ſie ihm gleich keineswegs ge¬ maͤß war. Er ſollte mit vornehmen und reichen Leuten die Langeweile theilen indem40 man auf ihn das Zutrauen ſetzte, daß er ſie vertreiben wuͤrde.

Eduard uͤberſah das ganze Verhaͤltniß recht deutlich und mahlte es noch recht ſcharf aus. Wollen wir unſern Freund in einem ſolchen Zuſtande wiſſen? rief er: Du kannſt nicht ſo grauſam ſeyn, Charlotte!

Der wunderliche Mann, unſer Mittler, verſetzte Charlotte, hat am Ende doch Recht. Alle ſolche Unternehmungen ſind Wageſtuͤcke. Was daraus werden kann ſieht kein Menſch voraus. Solche neue Verhaͤltniſſe koͤnnen fruchtbar ſeyn an Gluͤck und an Ungluͤck, ohne daß wir uns dabey Verdienſt oder Schuld ſonderlich zurechnen duͤrfen. Ich fuͤhle mich nicht ſtark genug dir laͤnger zu widerſtehen. Laß uns den Verſuch machen. Das einzige was ich dich bitte: es ſey nur auf kurze Zeit angeſehen. Erlaube mir, daß ich mich thaͤtiger als bisher fuͤr ihn verwende, und meinen Ein¬41 fluß, meine Verbindungen eifrig benutze und aufrege, ihm eine Stelle zu verſchaffen, die ihm nach ſeiner Weiſe einige Zufriedenheit ge¬ waͤhren kann.

Eduard verſicherte ſeine Gattinn auf die anmuthigſte Weiſe der lebhafteſten Dankbarkeit. Er eilte mit freyem frohen Gemuͤth ſeinem Freunde Vorſchlaͤge ſchriftlich zu thun. Char¬ lotte mußte in einer Nachſchrift ihren Bey¬ fall eigenhaͤndig hinzufuͤgen, ihre freundſchaft¬ lichen Bitten mit den ſeinen vereinigen. Sie ſchrieb mit gewandter Feder gefaͤllig und ver¬ bindlich, aber doch mit einer Art von Haſt, die ihr ſonſt nicht gewoͤhnlich war; und was ihr nicht leicht begegnete, ſie verunſtaltete das Papier zuletzt mit einem Tintenfleck, der ſie aͤrgerlich machte und nur groͤßer wurde, in¬ dem ſie ihn wegwiſchen wollte.

Eduard ſcherzte daruͤber, und weil noch Platz war fuͤgte er eine zweyte Nachſchrift42 hinzu: der Freund ſolle aus dieſen Zeichen die Ungeduld ſehen womit er erwartet werde, und nach der Eile womit der Brief geſchrieben, die Eilfertigkeit ſeiner Reiſe einrichten.

Der Bote war fort und Eduard glaubte ſeine Dankbarkeit nicht uͤberzeugender ausdruͤ¬ cken zu koͤnnen, als indem er aber und abermals darauf beſtand: Charlotte ſolle ſo¬ gleich Ottilien aus der Penſion hohlen laſſen.

Sie bat um Aufſchub und wußte dieſen Abend bey Eduard die Luſt zu einer muſica¬ liſchen Unterhaltung aufzuregen. Charlotte ſpielte ſehr gut Clavier; Eduard nicht eben ſo bequem die Floͤte: denn ob er ſich gleich zu Zeiten viel Muͤhe gegeben hatte, ſo war ihm doch nicht die Geduld, die Ausdauer verliehen, die zur Ausbildung eines ſolchen Talentes gehoͤrt. Er fuͤhrte deshalb ſeine Par¬ tie ſehr ungleich aus, einige Stellen gut, nur vielleicht zu geſchwind; bey andern wieder43 hielt er an, weil ſie ihm nicht gelaͤufig waren, und ſo waͤr 'es fuͤr jeden Andern ſchwer ge¬ weſen ein Duett mit ihm durchzubringen. Aber Charlotte wußte ſich darein zu finden; ſie hielt an und ließ ſich wieder von ihm fortreißen, und verſah alſo die doppelte Pflicht eines guten Kapellmeiſters und einer klugen Hausfrau, die im Ganzen immer das Maaß zu erhalten wiſſen, wenn auch die einzelnen Paſſagen nicht immer im Tact bleiben ſollten.

Drittes Kapitel.

Der Hauptmann kam. Er hatte einen ſehr verſtaͤndigen Brief vorausgeſchickt, der Charlotten voͤllig beruhigte. So viel Deutlich¬ keit uͤber ſich ſelbſt, ſo viel Klarheit uͤber ſeinen eigenen Zuſtand, uͤber den Zuſtand ſei¬ ner Freunde, gab eine heitere und froͤhliche Ausſicht.

Die Unterhaltungen der erſten Stunden waren, wie unter Freunden zu geſchehen pflegt die ſich eine Zeit lang nicht geſehen haben, leb¬ haft, ja faſt erſchoͤpfend. Gegen Abend ver¬ anlaßte Charlotte einen Spaziergang auf die neuen Anlagen. Der Hauptmann gefiel ſich ſehr in der Gegend und bemerkte jede Schoͤn¬45 heit welche durch die neuen Wege erſt ſichtbar und genießbar geworden. Er hatte ein geuͤb¬ tes Auge und dabey ein genuͤgſames; und ob er gleich das wuͤnſchenswerthe ſehr wohl kannte, machte er doch nicht, wie es oͤfters zu geſche¬ hen pflegt, Perſonen die ihn in dem Ihrigen herumfuͤhrten, dadurch einen uͤblen Humor, daß er mehr verlangte als die Umſtaͤnde zu¬ ließen, oder auch wohl gar an etwas Voll¬ kommneres erinnerte das er anderswo geſehen.

Als ſie die Mooshuͤtte erreichten, fanden ſie ſolche auf das luſtigſte ausgeſchmuͤckt, zwar nur mit kuͤnſtlichen Blumen und Wintergruͤn, doch darunter ſo ſchoͤne Buͤſchel natuͤrlichen Weizens und anderer Feld - und Baumfruͤchte angebracht, daß ſie dem Kunſtſinn der An¬ ordnenden zur Ehre gereichten. Obſchon mein Mann nicht liebt, daß man ſeinen Geburts¬ oder Namenstag feyre, ſo wird er mir doch heute nicht verargen, einem dreyfachen Feſte dieſe wenigen Kraͤnze zu widmen.

46

Ein dreyfaches? rief Eduard. Ganz ge¬ wiß! verſetzte Charlotte: unſeres Freundes An¬ kunft behandlen wir billig als ein Feſt; und dann habt Ihr beyde wohl nicht daran ge¬ dacht, daß heute Euer Namenstag iſt. Heißt nicht einer Otto ſo gut als der andere?

Beyde Freunde reichten ſich die Haͤnde uͤber den kleinen Tiſch. Du erinnerſt mich, ſagte Eduard, an dieſes jugendliche Freundſchafts¬ ſtuͤck. Als Kinder hießen wir beyde ſo; doch als wir in der Penſion zuſammenlebten und manche Irrung daraus entſtand, ſo trat ich ihm freywillig dieſen huͤbſchen laconiſchen Namen ab.

Wobey du denn doch nicht gar zu gro߬ muͤthig warſt, ſagte der Hauptmann. Denn ich erinnere mich recht wohl, daß dir der Name Eduard beſſer gefiel, wie er denn auch von angenehmen Lippen ausgeſprochen einen be¬ ſonders guten Klang hat.

47

Nun ſaßen ſie alſo zu dreyen um daſſel¬ bige Tiſchchen, wo Charlotte ſo eifrig gegen die Ankunft des Gaſtes geſprochen hatte. Eduard in ſeiner Zufriedenheit wollte die Gattinn nicht an jene Stunden erinnern; doch enthielt er ſich nicht zu ſagen: fuͤr ein Viertes waͤre auch noch recht gut Platz.

Waldhoͤrner ließen ſich in dieſem Augen¬ blick vom Schloß heruͤber vernehmen, bejah¬ ten gleichſam und bekraͤftigten die guten Ge¬ ſinnungen und Wuͤnſche der beyſammen ver¬ weilenden Freunde. Stillſchweigend hoͤrten ſie zu, indem jedes in ſich ſelbſt zuruͤckkehrte, und ſein eigen Gluͤck in ſo ſchoͤner Verbin¬ dung doppelt empfand.

Eduard unterbrach die Pauſe zuerſt, in¬ dem er aufſtand und vor die Mooshuͤtte hin¬ austrat. Laß uns, ſagte er zu Charlotten, den Freund gleich voͤllig auf die Hoͤhe fuͤhren, damit er nicht glaube, dieſes beſchraͤnkte Thal48 nur ſey unſer Erbgut und Aufenthalt; der Blick wird oben freyer und die Bruſt erwei¬ tert ſich.

So muͤſſen wir dießmal noch, verſetzte Charlotte, den alten, etwas beſchwerlichen Fu߬ pfad erklimmen; doch, hoffe ich, ſollen meine Stufen und Steige naͤchſtens bequemer bis ganz hinauf leiten.

Und ſo gelangte man denn uͤber Felſen, durch Buſch und Geſtraͤuch zur letzten Hoͤhe, die zwar keine Flaͤche, doch fortlaufende frucht¬ bare Ruͤcken bildete. Dorf und Schloß hin¬ terwaͤrts waren nicht mehr zu ſehen. In der Tiefe erblickte man ausgebreitete Teiche; druͤben bewachſene Huͤgel, an denen ſie ſich hinzogen; endlich ſteile Felſen, welche ſenk¬ recht den letzten Waſſerſpiegel entſchieden begraͤnzten und ihre bedeutenden Formen auf der Oberflaͤche deſſelben abbildeten. Dort in der Schlucht, wo ein ſtarker Bach den Tei¬49 chen zufiel, lag eine Muͤhle halb verſteckt, die mit ihren Umgebungen als ein freundli¬ ches Ruheplaͤtzchen erſchien. Mannigfaltig wechſelten im ganzen Halbkreiſe den man uͤber¬ ſah, Tiefen und Hoͤhen, Buͤſche und Waͤlder, deren erſtes Gruͤn fuͤr die Folge den fuͤllereich¬ ſten Anblick verſprach. Auch einzelne Baum¬ gruppen hielten an mancher Stelle das Auge feſt. Beſonders zeichnete zu den Fuͤßen der ſchauenden Freunde ſich eine Maſſe Pappeln und Platanen zunaͤchſt an dem Rande des mittleren Teiches vortheilhaft aus. Sie ſtand in ihrem beſten Wachsthum, friſch, geſund, empor und in die Breite ſtrebend.

Eduard lenkte beſonders auf dieſe die Auf¬ merkſamkeit ſeines Freundes. Dieſe habe ich, rief er aus, in meiner Jugend ſelbſt gepflanzt. Es waren junge Staͤmmchen, die ich rettete, als mein Vater, bey der Anlage zu einem neuen Theil des großen Schloßgartens, ſie mitten im Sommer ausroden ließ. OhneI. 450Zweifel werden ſie auch dieſes Jahr ſich durch neue Triebe wieder dankbar hervorthun.

Man kehrte zufrieden und heiter zuruͤck. Dem Gaſte ward auf dem rechten Fluͤgel des Schloſſes ein freundliches geraͤumiges Quar¬ tier angewieſen, wo er ſehr bald Buͤcher, Pa¬ piere und Inſtrumente aufgeſtellt und geord¬ net hatte, um in ſeiner gewohnten Thaͤtigkeit fortzufahren. Aber Eduard ließ ihm in den erſten Tagen keine Ruhe; er fuͤhrte ihn uͤber¬ all herum, bald zu Pferde bald zu Fuße, und machte ihn mit der Gegend, mit dem Gute bekannt; wobey er ihm zugleich die Wuͤnſche mittheilte, die er zu beſſerer Kennt¬ niß und vortheilhafterer Benutzung deſſelben ſeit langer Zeit bey ſich hegte.

Das erſte was wir thun ſollten, ſagte der Hauptmann, waͤre, daß ich die Gegend mit der Magnetnadel aufnaͤhme. Es iſt das ein leichtes heiteres Geſchaͤft, und wenn es auch51 nicht die groͤßte Genauigkeit gewaͤhrt, ſo bleibt es doch immer nuͤtzlich und fuͤr den Anfang erfreulich; auch kann man es ohne große Bey¬ huͤlfe leiſten und weiß gewiß, daß man fertig wird. Denkſt du einmal an eine genauere Ausmeſſung, ſo laͤßt ſich dazu wohl auch noch Rath finden.

Der Hauptmann war in dieſer Art des Aufnehmens ſehr geuͤbt. Er hatte die noͤthige Geraͤthſchaft mitgebracht und fing ſogleich an. Er unterrichtete Eduarden, einige Jaͤger und Bauern, die ihm bey dem Geſchaͤft behuͤlflich ſeyn ſollten. Die Tage waren guͤnſtig; die Abende und die fruͤhſten Morgen brachte er mit Aufzeichnen und Schraffiren zu. Schnell war auch alles lavirt und illuminirt, und Eduard ſah ſeine Beſitzungen auf das deut¬ lichſte, aus dem Papier, wie eine neue Schoͤp¬ fung, hervorgewachſen. Er glaubte ſie jetzt erſt kennen zu lernen; ſie ſchienen ihm jetzt erſt recht zu gehoͤren.

4 *52

Es gab Gelegenheit uͤber die Gegend, uͤber Anlagen zu ſprechen, die man nach einer ſolchen Ueberſicht viel beſſer zu Stande bringe, als wenn man nur einzeln, nach zufaͤlligen Ein¬ druͤcken, an der Natur herumverſuche.

Das muͤſſen wir meiner Frau deutlich machen, ſagte Eduard.

Thue das nicht! verſetzte der Hauptmann, der die Ueberzeugungen anderer nicht gern mit den ſeinigen durchkreuzte, den die Erfahrung gelehrt hatte, daß die Anſichten der Menſchen viel zu mannigfaltig ſind, als daß ſie, ſelbſt durch die vernuͤnftigſten Vorſtellungen, auf einen Punct verſammelt werden koͤnnten. Thue es nicht! rief er: ſie duͤrfte leicht irre werden. Es iſt ihr, wie allen denen, die ſich nur aus Liebhaberey mit ſolchen Dingen be¬ ſchaͤftigen, mehr daran gelegen, daß ſie et¬ was thue, als daß etwas gethan werde. Man taſtet an der Natur, man hat Vorliebe fuͤr53 dieſes oder jenes Plaͤtzchen; man wagt nicht dieſes oder jenes Hinderniß wegzuraͤumen, man iſt nicht kuͤhn genug etwas aufzuopfern; man kann ſich voraus nicht vorſtellen was ent¬ ſtehen ſoll, man probiert, es geraͤth, es mis¬ raͤth, man veraͤndert, veraͤndert vielleicht was man laſſen ſollte, laͤßt was man veraͤndern ſollte, und ſo bleibt es zuletzt immer ein Stuͤckwerk, das gefaͤllt und anregt, aber nicht befriedigt.

Geſteh mir aufrichtig, ſagte Eduard, du biſt mit ihren Anlagen nicht zufrieden.

Wenn die Ausfuͤhrung den Gedanken er¬ ſchoͤpfte, der ſehr gut iſt, ſo waͤre nichts zu erinnern. Sie hat ſich muͤhſam durch das Geſtein hinaufgequaͤlt und quaͤlt nun jeden, wenn du willſt, den ſie hinauffuͤhrt. Weder neben einander, noch hinter einander ſchreitet man mit einer gewiſſen Freyheit. Der Tact des Schrittes wird jeden Augenblick unter¬54 brochen; und was ließe ſich nicht noch alles einwenden.

Waͤre es denn leicht anders zu machen geweſen? fragte Eduard.

Gar leicht, verſetzte der Hauptmann; ſie durfte nur die eine Felſenecke, die noch da¬ zu unſcheinbar iſt, weil ſie aus kleinen Theilen beſteht, wegbrechen; ſo erlangte ſie eine ſchoͤn geſchwungene Wendung zum Aufſtieg und zu¬ gleich uͤberfluͤſſige Steine, um die Stellen her¬ aufzumauern, wo der Weg ſchmal und ver¬ kruͤppelt geworden waͤre. Doch ſey dieß im engſten Vertrauen unter uns geſagt: ſie wird ſonſt irre und verdrießlich. Auch muß man was gemacht iſt, beſtehen laſſen. Will man weiter Geld und Muͤhe aufwenden, ſo waͤre von der Mooshuͤtte hinaufwaͤrts und uͤber die Anhoͤhe noch mancherley zu thun und viel angenehmes zu leiſten.

55

Hatten auf dieſe Weiſe die beyden Freun¬ de am Gegenwaͤrtigen manche Beſchaͤftigung, ſo fehlte es nicht an lebhafter und vergnuͤgli¬ cher Erinnerung vergangener Tage, woran Charlotte wohl Theil zu nehmen pflegte. Auch ſetzte man ſich vor, wenn nur die naͤchſten Arbeiten erſt gethan waͤren, an die Reiſe¬ journale zu gehen und auch auf dieſe Weiſe die Vergangenheit hervorzurufen.

Uebrigens hatte Eduard mit Charlotten allein weniger Stoff zur Unterhaltung, be¬ ſonders ſeitdem er den Tadel ihrer Parkan¬ lagen, der ihm ſo gerecht ſchien, auf dem Herzen fuͤhlte. Lange verſchwieg er was ihm der Hauptmann vertraut hatte; aber als er ſeine Gattinn zuletzt beſchaͤftigt ſah, von der Mooshuͤtte hinauf zur Anhoͤhe wieder mit Stuͤfchen und Pfaͤdchen ſich empor zu arbeiten; ſo hielt er nicht laͤnger zuruͤck, ſondern machte ſie nach einigen Umſchweifen mit ſeinen neuen Einſichten bekannt.

56

Charlotte ſtand betroffen. Sie war geiſt¬ reich genug, um ſchnell einzuſehen, daß jene Recht hatten; aber das Gethane widerſprach, es war nun einmal ſo gemacht; ſie hatte es recht, ſie hatte es wuͤnſchenswerth gefunden, ſelbſt das Getadelte war ihr in jedem einzel¬ nen Theile lieb; ſie widerſtrebte der Ueber¬ zeugung, ſie vertheidigte ihre kleine Schoͤp¬ fung, ſie ſchalt auf die Maͤnner, die gleich ins Weite und Große gingen, aus einem Scherz, aus einer Unterhaltung gleich ein Werk ma¬ chen wollten, nicht an die Koſten denken, die ein erweiteter Plan durchaus nach ſich zieht. Sie war bewegt, verletzt, verdrießlich; ſie konnte das Alte nicht fahren laſſen, das Neue nicht ganz abweiſen; aber entſchloſſen wie ſie war, ſtellte ſie ſogleich die Arbeit ein und nahm ſich Zeit, die Sache zu bedenken und bey ſich reif werden zu laſſen.

Indem ſie nun auch dieſe thaͤtige Unter¬ haltung vermißte, da indeß die Maͤnner ihr57 Geſchaͤft immer geſelliger betrieben und be¬ ſonders die Kunſtgaͤrten und Glashaͤuſer mit Eifer beſorgten, auch dazwiſchen die gewoͤhn¬ lichen ritterlichen Uebungen fortſetzten, als Jagen, Pferde Kaufen, Tauſchen, Bereiten und Einfahren; ſo fuͤhlte ſich Charlotte taͤglich einſamer. Sie fuͤhrte ihren Briefwechſel, auch um des Hauptmanns willen, lebhafter, und doch gab es manche einſame Stunde. Deſto angenehmer und unterhaltender waren ihr die Berichte, die ſie aus der Penſionsan¬ ſtalt erhielt.

Einem weitlaͤuftigen Briefe der Vorſtehe¬ rinn, welcher ſich wie gewoͤhnlich uͤber der Tochter Fortſchritte mit Behagen verbreitete, war eine kurze Nachſchrift hinzugefuͤgt, nebſt einer Beylage von der Hand eines maͤnnli¬ chen Gehuͤlfen am Inſtitut, die wir beyde mittheilen.

58

Nachſchrift der Vorſteherinn.

Von Ottilien, meine Gnaͤdige, haͤtte ich eigentlich nur zu wiederholen, was in meinen vorigen Berichten enthalten iſt. Ich wuͤßte ſie nicht zu ſchelten und doch kann ich nicht zufrieden mit ihr ſeyn. Sie iſt nach wie vor beſcheiden und gefaͤllig gegen andre; aber dieſes Zuruͤcktreten, dieſe Dienſtbarkeit will mir nicht gefallen. Ew. Gnaden haben ihr neulich Geld und verſchiedene Zeuge geſchickt. Das erſte hat ſie nicht angegriffen; die andern liegen auch noch da, unberuͤhrt. Sie haͤlt freylich ihre Sachen ſehr reinlich und gut, und ſcheint nur in dieſem Sinn die Kleider zu wechſeln. Auch kann ich ihre große Maͤßig¬ keit im Eſſen und Trinken nicht loben. An unſerm Tiſch iſt kein Ueberfluß; doch ſehe ich nichts lieber als wenn die Kinder ſich an59 ſchmackhaften und geſunden Speiſen ſatt eſſen. Was mit Bedacht und Ueberzeugung aufge¬ tragen und vorgelegt iſt, ſoll auch aufgegeſſen werden. Dazu kann ich Ottilien niemals bringen. Ja ſie macht ſich irgend ein Ge¬ ſchaͤft, um eine Luͤcke auszufuͤllen, wo die Die¬ nerinnen etwas verſaͤumen, nur um eine Speiſe oder den Nachtiſch zu uͤbergehen. Bey dieſem allen kommt jedoch in Betrachtung, daß ſie manchmal, wie ich erſt ſpaͤt erfahren habe, Kopfweh auf der linken Seite hat, das zwar voruͤbergeht, aber ſchmerzlich und bedeutend ſeyn mag. Soviel von dieſem uͤbri¬ gens ſo ſchoͤnen und lieben Kinde.

Beylage des Gehuͤlfen.

Unſre vortreffliche Vorſteherinn laͤßt mich gewoͤhnlich die Briefe leſen, in welchen ſie Beobachtungen uͤber ihre Zoͤglinge den Aeltern60 und Vorgeſetzten mittheilt. Diejenigen die an Ew. Gnaden gerichtet ſind leſe ich immer mit doppelter Aufmerkſamkeit, mit doppeltem Ver¬ gnuͤgen: denn indem wir Ihnen zu einer Tochter Gluͤck zu wuͤnſchen haben, die alle jene glaͤnzenden Eigenſchaften vereinigt, wo¬ durch man in der Welt emporſteigt; ſo muß ich wenigſtens Sie nicht minder gluͤcklich preiſen, daß Ihnen in Ihrer Pflegetochter ein Kind beſchert iſt, das zum Wohl, zur Zufrieden¬ heit anderer und gewiß auch zu ſeinem eigenen Gluͤck geboren ward. Ottilie iſt faſt unſer ein¬ ziger Zoͤgling, uͤber den ich mit unſerer ſo ſehr verehrten Vorſteherinn nicht einig werden kann. Ich verarge dieſer thaͤtigen Frau kei¬ nesweges, daß ſie verlangt, man ſoll die Fruͤchte ihrer Sorgfalt aͤußerlich und deutlich ſehen; aber es giebt auch verſchloſſene Fruͤchte, die erſt die rechten kernhaften ſind, und die ſich fruͤher oder ſpaͤter zu einem ſchoͤnen Le¬ ben entwickeln. Dergleichen iſt gewiß Ihre Pflegetochter. So lange ich ſie unterrichte61 ſehe ich ſie immer gleichen Schrittes gehen, langſam, langſam vorwaͤrts, nie zuruͤck. Wenn es bey einem Kinde noͤthig iſt, vom Anfange anzufangen, ſo iſt es gewiß bey ihr. Was nicht aus dem Vorhergehenden folgt, begreift ſie nicht. Sie ſteht unfaͤhig, ja ſtoͤckiſch vor einer leicht faßlichen Sache, die fuͤr ſie mit nichts zuſammenhaͤngt. Kann man aber die Mittelglieder finden und ihr deutlich machen, ſo iſt ihr das ſchwerſte begreiflich.

Bey dieſem langſamen Vorſchreiten bleibt ſie gegen ihre Mitſchuͤlerinnen zuruͤck, die mit ganz andern Faͤhigkeiten immer vorwaͤrts ei¬ len, alles, auch das Unzuſammenhaͤngende, leicht faſſen, leicht behalten und bequem wie¬ der anwenden. So lernt ſie, ſo vermag ſie bey einem beſchleunigten Lehrvortrage gar nichts; wie es der Fall in einigen Stunden iſt, welche von trefflichen, aber raſchen und ungeduldigen Lehrern gegeben werden. Man hat uͤber ihre Handſchrift geklagt, uͤber ihre62 Unfaͤhigkeit die Regeln der Grammatik zu faſſen. Ich habe dieſe Beſchwerde naͤher unterſucht: es iſt wahr, ſie ſchreibt langſam und ſteif wenn man ſo will, doch nicht zag¬ haft und ungeſtalt. Was ich ihr von der franzoͤſiſchen Sprache, die zwar mein Fach nicht iſt, ſchrittweiſe mittheilte, begriff ſie leicht. Freilich iſt es wunderbar, ſie weiß vieles und recht gut, nur wenn man ſie fragt, ſcheint ſie nichts zu wiſſen.

Soll ich mit einer allgemeinen Bemerkung ſchließen, ſo moͤchte ich ſagen: ſie lernt nicht als eine die erzogen werden ſoll, ſondern als eine die erziehen will; nicht als Schuͤlerinn, ſondern als kuͤnftige Lehrerinn. Vielleicht kommt es Ew. Gnaden ſonderbar vor, daß ich ſelbſt als Erzieher und Lehrer jemanden nicht mehr zu loben glaube, als wenn ich ihn fuͤr meines gleichen erklaͤre. Ew. Gna¬ den beſſre Einſicht, tiefere Menſchen - und Weltkenntniß wird aus meinen beſchraͤnkten63 wohlgemeinten Worten das Beſte nehmen. Sie werden ſich uͤberzeugen, daß auch an dieſem Kinde viel Freude zu hoffen iſt. Ich empfehle mich zu Gnaden und bitte um die Erlaubniß wieder zu ſchreiben, ſobald ich glaube, daß mein Brief etwas Bedeutendes und Angenehmes enthalten werde.

Charlotte freute ſich uͤber dieſes Blatt. Sein Inhalt traf ganz nahe mit den Vor¬ ſtellungen zuſammen, welche ſie von Ottilien hegte; dabey konnte ſie ſich eines Laͤchelns nicht enthalten, indem der Antheil des Leh¬ rers herzlicher zu ſeyn ſchien, als ihn die Einſicht in die Tugenden eines Zoͤglings her¬ vorzubringen pflegt. Bey ihrer ruhigen, vor¬ urtheilsfreyen Denkweiſe ließ ſie auch ein ſol¬ ches Verhaͤltniß, wie ſo viele andre, vor ſich liegen; die Theilnahme des verſtaͤndigen Mannes an Ottilien hielt ſie werth: denn64 ſie hatte in ihrem Leben genugſam einſehen gelernt, wie hoch jede wahre Neigung zu ſchaͤtzen ſey, in einer Welt wo Gleichguͤltig¬ keit und Abneigung eigentlich recht zu Hauſe ſind.

Viertes Kapitel.

Die topographiſche Charte, auf welcher das Gut mit ſeinen Umgebungen, nach einem ziemlich großen Maaßſtabe, charakteriſtiſch und faßlich durch Federſtriche und Farben darge¬ ſtellt war, und welche der Hauptmann durch einige trigonometriſche Meſſungen ſicher zu gruͤnden wußte, war bald fertig: denn weni¬ ger Schlaf, als dieſer thaͤtige Mann, be¬ durfte kaum Jemand, ſo wie ſein Tag ſtets dem augenblicklichen Zwecke gewidmet und deswegen jederzeit am Abende etwas gethan war.

Laß uns nun, ſagte er zu ſeinem Freun¬ de, an das Uebrige gehen, an die Gutsbe¬I. 566ſchreibung, wozu ſchon genugſame Vorarbeit da ſeyn muß, aus der ſich nachher Pachtan¬ ſchlaͤge und anderes ſchon entwickeln werden. Nur eines laß uns feſtſetzen und einrichten: trenne alles was eigentlich Geſchaͤft iſt vom Leben. Das Geſchaͤft verlangt Ernſt und Strenge, das Leben Willkuͤhr; das Geſchaͤft die reinſte Folge, dem Leben thut eine Incon¬ ſequenz oft noth, ja ſie iſt liebenswuͤrdig und erheiternd. Biſt du bey dem einen ſicher, ſo kannſt du in dem andern deſto freyer ſeyn; anſtatt daß bey einer Vermiſchung das Sichre durch das Freye weggeriſſen und aufgehoben wird.

Eduard fuͤhlte in dieſen Vorſchlaͤgen einen leiſen Vorwurf. Zwar von Natur nicht un¬ ordentlich, konnte er doch niemals dazu kom¬ men, ſeine Papiere nach Faͤchern abzutheilen. Das was er mit andern abzuthun hatte, was blos von ihm ſelbſt abhing, es war nicht ge¬ ſchieden; ſo wie er auch Geſchaͤfte und Be¬67 ſchaͤftigung, Unterhaltung und Zerſtreuung nicht genugſam von einander abſonderte. Jetzt wurde es ihm leicht, da ein Freund dieſe Bemuͤhung uͤbernahm, ein zweytes Ich die Sonderung bewirkte, in die das eine Ich nicht immer ſich ſpalten mag.

Sie errichteten auf dem Fluͤgel des Haupt¬ manns eine Repoſitur fuͤr das Gegenwaͤrtige, ein Archiv fuͤr das Vergangene; ſchafften alle Documente, Papiere, Nachrichten, aus ver¬ ſchiedenen Behaͤltniſſen, Kammern, Schraͤn¬ ken und Kiſten herbey, und auf das geſchwin¬ deſte war der Wuſt in eine erfreuliche Ord¬ nung gebracht, lag rubricirt in bezeichneten Faͤchern. Was man wuͤnſchte ward vollſtaͤn¬ diger gefunden als man gehofft hatte. Hier¬ bey ging ihnen ein alter Schreiber ſehr an die Hand, der den Tag uͤber, ja einen Theil der Nacht, nicht vom Pulte kam, und mit dem Eduard bisher immer unzufrieden gewe¬ ſen war.

5 *68

Ich kenne ihn nicht mehr, ſagte Eduard zu ſeinem Freund, wie thaͤtig und brauchbar der Menſch iſt. Das macht, verſetzte der Haupt¬ mann, wir tragen ihm nichts Neues auf, als bis er das Alte nach ſeiner Bequemlich¬ keit vollendet hat, und ſo leiſtet er, wie du ſiehſt, ſehr viel; ſobald man ihn ſtoͤrt, ver¬ mag er gar nichts.

Brachten die Freunde auf dieſe Weiſe ihre Tage zuſammen zu, ſo verſaͤumten ſie Abends nicht Charlotten regelmaͤßig zu beſuchen. Fand ſich keine Geſellſchaft von benachbarten Orten und Guͤtern, welches oͤfter geſchah; ſo war das Geſpraͤch, wie das Leſen, meiſt ſolchen Gegenſtaͤnden gewidmet, welche den Wohl¬ ſtand, die Vortheile und das Behagen der buͤrgerlichen Geſellſchaft vermehren.

Charlotte, ohnehin gewohnt die Gegen¬ wart zu nutzen, fuͤhlte ſich, indem ſie ihren Mann zufrieden ſah, auch perſoͤnlich gefoͤr¬69 dert. Verſchiedene haͤusliche Anſtalten, die ſie laͤngſt gewuͤnſcht, aber nicht recht einleiten koͤnnen, wurden durch die Thaͤtigkeit des Hauptmanns bewirkt. Die Hausapotheke, die bisher nur aus wenigen Mitteln beſtan¬ den, ward bereichert, und Charlotte, ſowohl durch faßliche Buͤcher als durch Unterredung, in den Stand geſetzt ihr thaͤtiges und huͤlf¬ reiches Weſen oͤfter und wirkſamer als bisher in Uebung zu bringen.

Da man auch die gewoͤhnlichen und dem¬ ungeachtet nur zu oft uͤberraſchenden Noth¬ faͤlle durchdachte; ſo wurde alles was zur Rettung der Ertrunkenen noͤthig ſeyn moͤchte um ſo mehr angeſchafft, als bey der Naͤhe ſo mancher Teiche, Gewaͤſſer und Waſſerwerke, oͤfters ein und der andre Unfall dieſer Art vorkam. Dieſe Rubrik beſorgte der Haupt¬ mann ſehr ausfuͤhrlich, und Eduarden ent¬ ſchluͤpfte die Bemerkung, daß ein ſolcher Fall in dem Leben ſeines Freundes auf die ſelt¬70 ſamſte Weiſe Epoche gemacht. Doch als die¬ ſer ſchwieg und einer traurigen Erinnerung auszuweichen ſchien, hielt Eduard gleichfalls an, ſo wie auch Charlotte, die nicht weniger im Allgemeinen davon unterrichtet war, uͤber jene Aeußerungen hinausging.

Wir wollen alle dieſe vorſorglichen An¬ ſtalten loben, ſagte eines Abends der Haupt¬ mann; nun geht uns aber das Nothwendigſte noch ab, ein tuͤchtiger Mann, der das alles zu handhaben weiß. Ich kann hiezu einen mir bekannten Feldchirurgus vorſchlagen, der jetzt um leidliche Bedingung zu haben iſt, ein vorzuͤglicher Mann in ſeinem Fache, und der mir auch in Behandlung heftiger innerer Ue¬ bel oͤfters mehr Genuͤge gethan hat als ein beruͤhmter Arzt; und augenblickliche Huͤlfe iſt doch immer das, was auf dem Lande am meiſten vermißt wird.

Auch dieſer wurde ſogleich verſchrieben und beyde Gatten freuten ſich, daß ſie ſo71 manche Summe, die ihnen zu willkuͤhrlichen Ausgaben uͤbrig blieb, auf die noͤthigſten zu verwenden Anlaß gefunden.

So benutzte Charlotte die Kenntniſſe, die Thaͤtigkeit des Hauptmanns auch nach ihrem Sinne und fing an mit ſeiner Gegenwart voͤllig zufrieden und uͤber alle Folgen beruhigt zu werden. Sie bereitete ſich gewoͤhnlich vor, manches zu fragen, und da ſie gern leben mochte, ſo ſuchte ſie alles Schaͤdliche, alles Toͤdtliche zu entfernen. Die Bleyglaſur der Toͤpferwaren, der Gruͤnſpan kupferner Gefaͤße hatte ihr ſchon manche Sorge gemacht. Sie ließ ſich hieruͤber belehren, und natuͤrlicher¬ weiſe mußte man auf die Grundbegriffe der Phyſik und Chemie zuruͤckgehen.

Zufaͤlligen aber immer willkommenen An¬ laß zu ſolchen Unterhaltungen gab Eduards Neigung, der Geſellſchaft vorzuleſen. Er hatte eine ſehr wohlklingende tiefe Stimme72 und war fruͤher, wegen lebhafter gefuͤhlter Recitation dichteriſcher und redneriſcher Ar¬ beiten, angenehm und beruͤhmt geweſen. Nun waren es andre Gegenſtaͤnde die ihn beſchaͤf¬ tigten, andre Schriften woraus er vorlas und eben ſeit einiger Zeit vorzuͤglich Werke phyſiſchen, chemiſchen und techniſchen Inhalts.

Eine ſeiner beſondern Eigenheiten, die er jedoch vielleicht mit mehrern Menſchen theilt, war die, daß es ihm unertraͤglich fiel, wenn Jemand ihm beym Leſen in das Buch ſah. In fruͤherer Zeit, beym Vorleſen von Gedich¬ ten, Schauſpielen, Erzaͤhlungen, war es die natuͤrliche Folge der lebhaften Abſicht, die der Vorleſende ſo gut als der Dichter, der Schau¬ ſpieler, der Erzaͤhlende hat, zu uͤberraſchen, Pauſen zu machen, Erwartungen zu erregen; da es denn freylich dieſer beabſichtigten Wir¬ kung ſehr zuwider iſt, wenn ihm ein Drit¬ ter wiſſentlich mit den Augen vorſpringt. Er pflegte ſich auch deswegen in ſolchem Falle73 immer ſo zu ſetzen, daß er Niemand im Ruͤ¬ cken hatte. Jetzt zu dreyen war dieſe Vor¬ ſicht unnoͤthig; und da es dießmal nicht auf Erregung des Gefuͤhls, auf Ueberraſchung der Einbildungskraft angeſehen war; ſo dachte er ſelbſt nicht daran, ſich ſonderlich in Acht zu nehmen.

Nur eines Abends fiel es ihm auf, als er ſich nachlaͤſſig geſetzt hatte, daß Charlotte ihm in das Buch ſah. Seine alte Ungeduld erwachte und er verwies es ihr, gewiſſerma¬ ßen unfreundlich. Wollte man ſich doch ſol¬ che Unarten, wie ſo manches andre was der Geſellſchaft laͤſtig iſt, ein fuͤr allemal abge¬ woͤhnen. Wenn ich Jemand vorleſe, iſt es denn nicht als wenn ich ihm muͤndlich etwas vortruͤge? Das Geſchriebene, das Gedruckte tritt an die Stelle meines eigenen Sinnes, meines eigenen Herzens; und wuͤrde ich mich wohl zu reden bemuͤhen, wenn ein Fenſterchen vor meiner Stirn, vor meiner Bruſt ange¬74 bracht waͤre, ſo daß der, dem ich meine Ge¬ danken einzeln zuzaͤhlen, meine Empfindungen einzeln zureichen will, immer ſchon lange vor¬ her wiſſen koͤnnte, wo es mit mir hinaus wollte? Wenn mir Jemand ins Buch ſieht, ſo iſt mir immer als wenn ich in zwey Stuͤ¬ cke geriſſen wuͤrde.

Charlotte, deren Gewandtheit ſich in groͤ¬ ßeren und kleineren Zirkeln beſonders dadurch bewies, daß ſie jede unangenehme, jede hef¬ tige, ja ſelbſt nur lebhafte Aeußerung zu be¬ ſeitigen, ein ſich verlaͤngerndes Geſpraͤch zu unterbrechen, ein ſtockendes anzuregen wußte, war auch dießmal von ihrer guten Gabe nicht verlaſſen. Du wirſt mir meinen Fehler ge¬ wiß verzeihen, wenn ich bekenne was mir dieſen Augenblick begegnet iſt. Ich hoͤrte von Verwandtſchaften leſen, und da dacht 'ich eben gleich an meine Verwandten, an ein Paar Vettern, die mir gerade in dieſem Augen¬ blick zu ſchaffen machen. Meine Aufmerk¬75 ſamkeit kehrt zu deiner Vorleſung zuruͤck; ich hoͤre daß von ganz lebloſen Dingen die Rede iſt, und blicke dir ins Buch, um mich wie¬ der zurecht zu finden.

Es iſt eine Gleichnißrede, die dich ver¬ fuͤhrt und verwirrt hat, ſagte Eduard. Hier wird freylich nur von Erden und Mineralien gehandelt, aber der Menſch iſt ein wahrer Narziß; er beſpiegelt ſich uͤberall gern ſelbſt; er legt ſich als Folie der ganzen Welt unter.

Ja wohl! fuhr der Hauptmann fort: ſo behandelt er alles was er außer ſich findet; ſeine Weisheit wie ſeine Thorheit, ſeinen Willen wie ſeine Willkuͤhr leicht er den Thie¬ ren, den Pflanzen, den Elementen und den Goͤttern.

Moͤchtet Ihr mich, verſetzte Charlotte, da ich Euch nicht zu weit von dem augen¬ blicklichen Intereſſe wegfuͤhren will, nur kuͤrz¬76 lich belehren, wie es eigentlich hier mit den Verwandtſchaften gemeint ſey.

Das will ich wohl gerne thun, erwiederte der Hauptmann, gegen den ſich Charlotte ge¬ wendet hatte; freylich nur ſo gut als ich es vermag, wie ich es etwa vor zehn Jahren ge¬ lernt, wie ich es geleſen habe. Ob man in der wiſſenſchaftlichen Welt noch ſo daruͤber denkt, ob es zu den neuern Lehren paßt, wuͤßte ich nicht zu ſagen.

Es iſt ſchlimm genug, rief Eduard, daß man jetzt nichts mehr fuͤr ſein ganzes Leben lernen kann. Unſre Vorfahren hielten ſich an den Unterricht, den ſie in ihrer Jugend em¬ pfangen; wir aber muͤſſen jetzt alle fuͤnf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.

Wir Frauen, ſagte Charlotte, nehmen es nicht ſo genau; und wenn ich aufrichtig ſeyn77 ſoll, ſo iſt es mir eigentlich nur um den Wortverſtand zu thun: denn es macht in der Geſellſchaft nichts laͤcherlicher, als wenn man ein fremdes, ein Kunſt-Wort falſch anwen¬ det. Deshalb moͤchte ich nur wiſſen, in welchem Sinne dieſer Ausdruck eben bey die¬ ſen Gegenſtaͤnden gebraucht wird. Wie es wiſſenſchaftlich damit zuſammenhaͤnge, wollen wir den Gelehrten uͤberlaſſen, die uͤbrigens, wie ich habe bemerken koͤnnen, ſich wohl ſchwerlich jemals vereinigen werden.

Wo fangen wir aber nun an, um am ſchnellſten in die Sache zu kommen? fragte Eduard nach einer Pauſe den Hauptmann, der ſich ein wenig bedenkend bald darauf er¬ wiederte:

Wenn es mir erlaubt iſt, dem Scheine nach weit auszuhohlen, ſo ſind wir bald am Platze.

78

Seyn Sie meiner ganzen Aufmerkſamkeit verſichert, ſagte Charlotte, indem ſie ihre Ar¬ beit bey Seite legte.

Und ſo begann der Hauptmann: an allen Naturweſen, die wir gewahr werden, bemer¬ ken wir zuerſt, daß ſie einen Bezug auf ſich ſelbſt haben. Es klingt freylich wunderlich, wenn man etwas ausſpricht was ſich ohnehin verſteht; doch nur indem man ſich uͤber das Bekannte voͤllig verſtaͤndigt hat, kann man mit einander zum Unbekannten fortſchreiten.

Ich daͤchte, fiel ihm Eduard ein, wir machten ihr und uns die Sache durch Bey¬ ſpiele bequem. Stelle dir nur das Waſſer, das Oel, das Queckſilber vor, ſo wirſt du eine Einigkeit, einen Zuſammenhang ihrer Theile finden. Dieſe Einung verlaſſen ſie nicht, außer durch Gewalt oder ſonſtige Be¬ ſtimmung. Iſt dieſe beſeitigt, ſo treten ſie gleich wieder zuſammen.

79

Ohne Frage, ſagte Charlotte beyſtimmend. Regentropfen vereinigen ſich ſchnell zu Stroͤ¬ men. Und ſchon als Kinder ſpielen wir er¬ ſtaunt mit dem Queckſilber, indem wir es in Kuͤgelchen trennen und es wieder zuſammen¬ laufen laſſen.

Und ſo darf ich wohl, fuͤgte der Haupt¬ mann hinzu, eines bedeutenden Punctes im fluͤchtigen Vorbeygehen erwaͤhnen, daß naͤm¬ lich dieſer voͤllig reine, durch Fluͤſſigkeit moͤg¬ liche Bezug ſich entſchieden und immer durch die Kugelgeſtalt auszeichnet. Der fallende Waſſertropfen iſt rund; von den Queckſilber¬ kuͤgelchen haben Sie ſelbſt geſprochen; ja ein fallendes geſchmolzenes Bley, wenn es Zeit hat voͤllig zu erſtarren, kommt unten in Ge¬ ſtalt einer Kugel an.

Laſſen Sie mich voreilen, ſagte Char¬ lotte, ob ich treffe, wo Sie hinwollen. Wie jedes gegen ſich ſelbſt einen Bezug hat, ſo80 muß es auch gegen andere ein Verhaͤltniß haben.

Und das wird nach Verſchiedenheit der Weſen verſchieden ſeyn, fuhr Eduard eilig fort. Bald werden ſie ſich als Freunde und alte Bekannte begegnen, die ſchnell zuſam¬ mentreten, ſich vereinigen, ohne an einander etwas zu veraͤndern, wie ſich Wein mit Waſ¬ ſer vermiſcht. Dagegen werden andre fremd neben einander verharren und ſelbſt durch mechaniſches Miſchen und Reiben ſich keines¬ weges verbinden; wie Oel und Waſſer zu¬ ſammengeruͤttelt ſich den Augenblick wieder aus einander ſondert.

Es fehlt nicht viel, ſagte Charlotte, ſo ſieht man in dieſen einfachen Formen die Menſchen, die man gekannt hat; beſonders aber erinnert man ſich dabey der Societaͤten, in denen man lebte. Die meiſte Aehnlichkeit jedoch mit dieſen ſeelenloſen Weſen haben die81 Maſſen, die in der Welt ſich einander gegen¬ uͤber ſtellen, die Staͤnde, die Berufsbeſtim¬ mungen, der Adel und der dritte Stand, der Soldat und der Civiliſt.

Und doch, verſetzte Eduard, wie dieſe durch Sitten und Geſetze vereinbar ſind, ſo giebt es auch in unſerer chemiſchen Welt Mit¬ telglieder, dasjenige zu verbinden, was ſich einander abweiſt.

So verbinden wir, fiel der Hauptmann ein, das Oel durch Laugenſalz mit dem Waſſer.

Nur nicht zu geſchwind mit Ihrem Vor¬ trag, ſagte Charlotte, damit ich zeigen kann, daß ich Schritt halte. Sind wir nicht hier ſchon zu den Verwandtſchaften gelangt?

Ganz richtig, erwiederte der Hauptmann, und wir werden ſie gleich in ihrer vollenI. 682Kraft und Beſtimmtheit kennen lernen. Die¬ jenigen Naturen, die ſich beym Zuſammen¬ treffen einander ſchnell ergreifen und wechſel¬ ſeitig beſtimmen, nennen wir verwandt. An den Alcalien und Saͤuren, die, obgleich ein¬ ander entgegengeſetzt und vielleicht eben des¬ wegen, weil ſie einander entgegengeſetzt ſind, ſich am entſchiedenſten ſuchen und faſſen, ſich modificiren und zuſammen einen neuen Koͤrper bilden, iſt dieſe Verwandtſchaft auffallend ge¬ nug. Gedenken wir nur des Kalks, der zu allen Saͤuren eine große Neigung, eine ent¬ ſchiedene Vereinigungsluſt aͤußert. Sobald unſer chemiſches Cabinet ankommt, wollen wir Sie verſchiedene Verſuche ſehen laſſen, die ſehr unterhaltend ſind und einen beſſern Begriff geben als Worte, Namen und Kunſtausdruͤcke.

Laſſen Sie mich geſtehen, ſagte Charlotte, wenn Sie dieſe Ihre wunderlichen Weſen verwandt nennen, ſo kommen ſie mir nicht83 ſowohl als Blutsverwandte, vielmehr als Gei¬ ſtes - und Seelenverwandte vor. Auf eben dieſe Weiſe koͤnnen unter Menſchen wahrhaft bedeutende Freundſchaften entſtehen: denn ent¬ gegengeſetzte Eigenſchaften machen eine inni¬ gere Vereinigung moͤglich. Und ſo will ich denn abwarten, was Sie mir von dieſen ge¬ heimnißvollen Wirkungen vor die Augen brin¬ gen werden. Ich will dich ſagte ſie zu Eduard gewendet jetzt im Vorleſen nicht weiter ſtoͤren, und um ſo viel beſſer unter¬ richtet, deinen Vortrag mit Aufmerkſamkeit vernehmen.

Da du uns einmal aufgerufen haſt, ver¬ ſetzte Eduard; ſo kommſt du ſo leicht nicht los: denn eigentlich ſind die verwickelten Faͤlle die intereſſanteſten. Erſt bey dieſen lernt man die Grade der Verwandtſchaften, die naͤhern, ſtaͤrkern, entferntern, geringern Beziehungen kennen; die Verwandtſchaften werden erſt intereſſant, wenn ſie Scheidun¬ gen bewirken.

6 *84

Kommt das traurige Wort, rief Char¬ lotte, das man leider in der Welt jetzt ſo oft hoͤrt, auch in der Naturlehre vor?

Allerdings, erwiederte Eduard. Es war ſogar ein bezeichnender Ehrentitel der Chemi¬ ker, daß man ſie Scheidekuͤnſtler nannte.

Das thut man alſo nicht mehr, verſetzte Charlotte, und thut ſehr wohl daran. Das Vereinigen iſt eine groͤßere Kunſt, ein groͤ¬ ßeres Verdienſt. Ein Einungskuͤnſtler waͤre in jedem Fache der ganzen Welt willkommen. Nun ſo laßt mich denn, weil Ihr doch einmal im Zuge ſeyd, ein Paar ſolche Faͤlle wiſſen.

So ſchließen wir uns denn gleich, ſagte der Hauptmann, an dasjenige wieder an, was wir oben ſchon benannt und beſprochen haben. Z. B. was wir Kalkſtein nennen iſt eine mehr oder weniger reine Kalkerde, innig85 mit einer zarten Saͤure verbunden, die uns in Luftform bekannt geworden iſt. Bringt man ein Stuͤck ſolchen Steines in verduͤnnte Schwefelſaͤure, ſo ergreift dieſe den Kalk und erſcheint mit ihm als Gyps; jene zarte luf¬ tige Saͤure hingegen entflieht. Hier iſt eine Trennung, eine neue Zuſammenſetzung ent¬ ſtanden und man glaubt ſich nunmehr berech¬ tigt, ſogar das Wort Wahlverwandtſchaft an¬ zuwenden, weil es wirklich ausſieht als wenn ein Verhaͤltniß dem andern vorgezogen, eins vor dem andern erwaͤhlt wuͤrde.

Verzeihen Sie mir, ſagte Charlotte, wie ich dem Naturforſcher verzeihe; aber ich wuͤr¬ de hier niemals eine Wahl, eher eine Na¬ turnothwendigkeit erblicken, und dieſe kaum: denn es iſt am Ende vielleicht gar nur die Sache der Gelegenheit. Gelegenheit macht Verhaͤltniſſe wie ſie Diebe macht; und wenn von Ihren Naturkoͤrpern die Rede iſt, ſo ſcheint mir die Wahl blos in den Haͤnden86 des Chemikers zu liegen, der dieſe Weſen zu¬ ſammenbringt. Sind ſie aber einmal bey¬ ſammen, dann gnade ihnen Gott! In dem ge¬ genwaͤrtigen Falle dauert mich nur die arme Luftſaͤure, die ſich wieder im Unendlichen her¬ umtreiben muß.

Es kommt nur auf ſie an, verſetzte der Hauptmann, ſich mit dem Waſſer zu verbin¬ den und als Mineralquelle Geſunden und Kranken zur Erquickung zu dienen.

Der Gyps hat gut reden, ſagte Charlotte, der iſt nun fertig, iſt ein Koͤrper, iſt ver¬ ſorgt, anſtatt daß jenes ausgetriebene Weſen noch manche Noth haben kann bis es wieder unterkommt.

Ich muͤßte ſehr irren, ſagte Eduard laͤ¬ chelnd, oder es ſteckt eine kleine Tuͤcke hinter deinen Reden. Geſteh 'nur deine Schalkheit! Am Ende bin ich in deinen Augen der Kalk,87 der vom Hauptmann, als einer Schwefel¬ ſaͤure ergriffen, deiner anmuthigen Geſellſchaft entzogen und in einen refractaͤren Gyps ver¬ wandelt wird.

Wenn das Gewiſſen, verſetzte Charlotte, dich ſolche Betrachtungen machen heißt; ſo kann ich ohne Sorge ſeyn. Dieſe Gleichni߬ reden ſind artig und unterhaltend, und wer ſpielt nicht gern mit Aehnlichkeiten? Aber der Menſch iſt doch um ſo manche Stufe uͤber jene Elemente erhoͤht, und wenn er hier mit den ſchoͤnen Worten Wahl und Wahlverwandt¬ ſchaft etwas freygebig geweſen; ſo thut er wohl, wieder in ſich ſelbſt zuruͤckzukehren und den Werth ſolcher Ausdruͤcke bey dieſem An¬ laß recht zu bedenken. Mir ſind leider Faͤlle genug bekannt, wo eine innige unaufloͤslich ſcheinende Verbindung zweyer Weſen, durch ge¬ legentliche Zugeſellung eines Dritten, aufgeho¬ ben, und eins der erſt ſo ſchoͤn verbundenen ins loſe Weite hinausgetrieben ward.

88

Da ſind die Chemiker viel galanter, ſagte Eduard: ſie geſellen ein viertes dazu, damit keines leer ausgehe.

Ja wohl! verſetzte der Hauptmann: dieſe Faͤlle ſind allerdings die bedeutendſten und merkwuͤrdigſten, wo man das Anziehen, das Verwandtſeyn, dieſes Verlaſſen, dieſes Ver¬ einigen gleichſam uͤbers Kreuz, wirklich dar¬ ſtellen kann; wo vier, bisher je zwey zu zwey verbundene Weſen in Beruͤhrung gebracht, ihre bisherige Vereinigung verlaſſen und ſich aufs neue verbinden. In dieſem Fahrenlaſſen und Ergreifen, in dieſem Fliehen und Suchen, glaubt man wirklich eine hoͤhere Beſtimmung zu ſehen; man traut ſolchen Weſen eine Art von Wollen und Waͤhlen zu, und haͤlt das Kunſtwort Wahlverwandtſchaften vollkommen gerechtfertigt.

Beſchreiben Sie mir einen ſolchen Fall, ſagte Charlotte.

89

Man ſollte dergleichen, verſetzte der Hauptmann, nicht mit Worten abthun. Wie ſchon geſagt! ſobald ich Ihnen die Verſuche ſelbſt zeigen kann, wird alles anſchaulicher und angenehmer werden. Jetzt muͤßte ich Sie mit ſchrecklichen Kunſtworten hinhalten, die Ihnen doch keine Vorſtellung gaͤben. Man muß dieſe todtſcheinenden und doch zur Thaͤtigkeit innerlich immer bereiten Weſen wirkend vor ſeinen Augen ſehen, mit Theilnahme ſchauen, wie ſie einander ſuchen, ſich anziehen, ergrei¬ fen, zerſtoͤren, verſchlingen, aufzehren und ſodann aus der innigſten Verbindung wieder in erneuter, neuer, unerwarteter Geſtalt her¬ vortreten: dann traut man ihnen erſt ein ewiges Leben, ja wohl gar Sinn und Ver¬ ſtand zu, weil wir unſere Sinne kaum ge¬ nuͤgend fuͤhlen, ſie recht zu beobachten, und unſre Vernunft kaum hinlaͤnglich, ſie zu faſſen.

Ich laͤugne nicht, ſagte Eduard, daß die ſeltſamen Kunſtwoͤrter demjenigen der nicht90 durch ſinnliches Anſchauen, durch Begriffe mit ihnen verſoͤhnt iſt, beſchwerlich, ja laͤcherlich werden muͤſſen. Doch koͤnnten wir leicht mit Buchſtaben einſtweilen das Verhaͤltniß aus¬ druͤcken, wovon hier die Rede war.

Wenn Sie glauben, daß es nicht pedan¬ tiſch ausſieht, verſetzte der Hauptmann, ſo kann ich wohl in der Zeichenſprache mich kuͤrzlich zuſammenfaſſen. Denken ſie ſich ein A, das mit einem B innig verbunden iſt, durch viele Mittel und durch manche Gewalt nicht von ihm zu trennen; denken Sie ſich ein C, das ſich eben ſo zu einem D verhaͤlt; bringen Sie nun die beyden Paare in Beruͤh¬ rung: A wird ſich zu D, C zu B werfen, ohne daß man ſagen kann, wer das andere zuerſt verlaſſen, wer ſich mit dem andern zu¬ erſt wieder verbunden habe.

Nun denn! fiel Eduard ein: bis wir alles dieſes mit Augen ſehen, wollen wir dieſe For¬91 mel als Gleichnißrede betrachten, woraus wir uns eine Lehre zum unmittelbaren Gebrauch ziehen. Du ſtellſt das A vor, Charlotte, und ich dein B: denn eigentlich haͤnge ich doch nur von dir ab und folge dir, wie dem A das B. Das C iſt ganz deutlich der Ca¬ pitain, der mich fuͤr dießmal dir einigermaßen entzieht. Nun iſt es billig, daß wenn du nicht ins Unbeſtimmte entweichen ſollſt, dir fuͤr ein D geſorgt werde, und das iſt ganz ohne Frage das liebenswuͤrdige Daͤmchen Otti¬ lie, gegen deren Annaͤherung du dich nicht laͤnger vertheidigen darfſt.

Gut! verſetzte Charlotte, wenn auch das Beyſpiel, wie mir ſcheint, nicht ganz auf unſern Fall paßt; ſo halte ich es doch fuͤr ein Gluͤck, daß wir heute einmal voͤllig zu¬ ſammentreffen, und daß dieſe Natur - und Wahlverwandtſchaften unter uns eine vertrau¬ liche Mittheilung beſchleunigen. Ich will es alſo nur geſtehen, daß ich ſeit dieſem Nach¬92 mittage entſchloſſen bin, Ottilien zu berufen: denn meine bisherige treue Beſchließerinn und Haushaͤlterinn wird abziehen, weil ſie heiratet. Dieß waͤre von meiner Seite und um meinetwillen; was mich um Ottiliens willen beſtimmt, das wirſt du uns vorleſen. Ich will dir nicht ins Blatt ſehen, aber frey¬ lich iſt mir der Inhalt ſchon bekannt. Doch lies nur, lies! Mit dieſen Worten zog ſie einen Brief hervor und reichte ihn Eduarden.

Fuͤnftes Kapitel.

Brief der Vorſteherinn.

Ew. Gnaden werden verzeihen, wenn ich mich heute ganz kurz faſſe: denn ich habe nach vollendeter oͤffentlicher Pruͤfung deſſen was wir im vergangenen Jahr an unſern Zoͤglingen geleiſtet haben, an die ſaͤmmtlichen Aeltern und Vorgeſetzten den Verlauf zu mel¬ den; auch darf ich wohl kurz ſeyn, weil ich mit Wenigem Viel ſagen kann. Ihre Fraͤu¬ lein Tochter hat ſich in jedem Sinne als die erſte bewieſen. Die beyliegenden Zeugniſſe, ihr eigner Brief, der die Beſchreibung der Preiſe enthaͤlt die ihr geworden ſind, und94 zugleich das Vergnuͤgen ausdruͤckt das ſie uͤber ein ſo gluͤckliches Gelingen empfindet, wird Ihnen zur Beruhigung, ja zur Freude gereichen. Die meinige wird dadurch einiger¬ maßen gemindert, daß ich vorausſehe, wir werden nicht lange mehr Urſache haben ein ſo weit vorgeſchrittenes Frauenzimmer bey uns zuruͤck zu halten. Ich empfehle mich zu Gna¬ den und nehme mir die Freyheit naͤchſtens meine Gedanken uͤber das was ich am vor¬ theilhafteſten fuͤr ſie halte, zu eroͤffnen. Von Ottilien ſchreibt mein freundlicher Gehuͤlfe.

Brief des Gehülfen.

Von Ottilien laͤßt mich unſre ehrwuͤrdige Vorſteherinn ſchreiben, theils weil es ihr, nach ihrer Art zu denken, peinlich waͤre das¬ jenige was zu melden iſt zu melden, theils auch weil ſie ſelbſt einer Entſchuldigung be¬95 darf, die ſie lieber mir in den Mund legen mag.

Da ich nur allzuwohl weiß, wie wenig die gute Ottilie das zu aͤußern im Stande iſt, was in ihr liegt und was ſie vermag; ſo war mir vor der oͤffentlichen Pruͤfung einigermaßen bange, um ſo mehr als uͤberhaupt dabey keine Vorbereitung moͤglich iſt, und auch, wenn es nach der gewoͤhnlichen Weiſe ſeyn koͤnnte, Ottilie auf den Schein nicht vor¬ zubereiten waͤre. Der Ausgang hat meine Sorge nur zu ſehr gerechtfertigt; ſie hat kei¬ nen Preis erhalten und iſt auch unter denen die kein Zeugniß empfangen haben. Was ſoll ich viel ſagen? Im Schreiben hatten andere kaum ſo wohlgeformte Buchſtaben, doch viel freyere Zuͤge; im Rechnen waren alle ſchnel¬ ler, und an ſchwierige Aufgaben, welche ſie beſſer loͤſt, kam es bey der Unterſuchung nicht. Im Franzoͤſiſchen uͤberparlirten und uͤberexpo¬ nirten ſie manche; in der Geſchichte waren ihr96 Namen und Jahrzahlen nicht gleich bey der Hand; bey der Geographie vermißte man Aufmerkſamkeit auf die politiſche Eintheilung. Zum muſicaliſchen Vortrag ihrer wenigen be¬ ſcheidenen Melodieen fand ſich weder Zeit noch Ruhe. Im Zeichnen haͤtte ſie gewiß den Preis davon getragen: ihre Umriſſe waren rein und die Ausfuͤhrung bey vieler Sorgfalt geiſtreich. Leider hatte ſie etwas zu Großes unternommen und war nicht fertig geworden.

Als die Schuͤlerinnen abgetreten waren, die Pruͤfenden zuſammen Rath hielten und uns Lehrern wenigſtens einiges Wort dabey goͤnnten, merkte ich wohl bald, daß von Ot¬ tilien gar nicht, und wenn es geſchah, wo nicht mit Misbilligung doch mit Gleichguͤltig¬ keit geſprochen wurde. Ich hoffte durch eine offne Darſtellung ihrer Art zu ſeyn, einige Gunſt zu erregen, und wagte mich daran mit doppeltem Eifer, einmal weil ich nach meiner Ueberzeugung ſprechen konnte, und97 ſodann weil ich mich in juͤngeren Jahren in eben demſelben traurigen Fall befunden hatte. Man hoͤrte mich mit Aufmerkſamkeit an; doch als ich geendigt hatte, ſagte mir der vorſitzende Pruͤfende zwar freundlich aber la¬ coniſch: Faͤhigkeiten werden vorausgeſetzt, ſie ſollen zu Fertigkeiten werden. Dieß iſt der Zweck aller Erziehung, dieß iſt die laute deut¬ liche Abſicht der Aeltern und Vorgeſetzten, die ſtille nur halbbewußte der Kinder ſelbſt. Dieß iſt auch der Gegenſtand der Pruͤfung, wobey zugleich Lehrer und Schuͤler beurtheilt wer¬ den. Aus dem was wir von Ihnen verneh¬ men, ſchoͤpfen wir gute Hoffnung von dem Kinde, und Sie ſind allerdings lobenswuͤrdig, indem Sie auf die Faͤhigkeiten der Schuͤle¬ rinnen genau Acht geben. Verwandeln Sie ſolche bis uͤbers Jahr in Fertigkeiten, ſo wird es Ihnen und Ihrer beguͤnſtigten Schuͤlerinn nicht an Beyfall mangeln.

In das was hierauf folgte hatte ich mich ſchon ergeben; aber ein noch Uebleres nichtI. 798befuͤrchtet, das ſich bald darauf zutrug. Un¬ ſere gute Vorſteherinn, die wie ein guter Hirte auch nicht eins von ihren Schaͤfchen verloren, oder wie es hier der Fall war, un¬ geſchmuͤckt ſehen moͤchte, konnte, nachdem die Herren ſich entfernt hatten, ihren Unwillen nicht bergen und ſagte zu Ottilien, die ganz ruhig, indem die andern ſich uͤber ihre Preiſe freuten, am Fenſter ſtand: aber ſagen Sie mir, ums Himmelswillen! wie kann man ſo dumm ausſehen, wenn man es nicht iſt? Ottilie verſetzte ganz gelaſſen: verzeihen Sie, liebe Mutter; ich habe gerade heute wieder mein Kopfweh und ziemlich ſtark. Das kann niemand wiſſen! verſetzte die ſonſt ſo theil¬ nehmende Frau und kehrte ſich verdrießlich um.

Nun es iſt wahr: Niemand kann es wiſ¬ ſen; denn Ottilie veraͤndert das Geſicht nicht, und ich habe auch nicht geſehen, daß ſie ein¬ mal die Hand nach dem Schlafe zu bewegt haͤtte.

99

Das war noch nicht alles. Ihre Fraͤu¬ lein Tochter, gnaͤdige Frau, ſonſt lebhaft und freymuͤthig, war im Gefuͤhl ihres heutigen Triumphs ausgelaſſen und uͤbermuͤthig. Sie ſprang mit ihren Preiſen und Zeugniſſen in den Zimmern herum, und ſchuͤttelte ſie auch Ottilien vor dem Geſicht. Du biſt heute ſchlecht gefahren! rief ſie aus. Ganz gelaſſen antwortete Ottilie: es iſt noch nicht der letzte Pruͤfungstag. Und doch wirſt du immer die letzte bleiben! rief die Fraͤulein und ſprang hinweg.

Ottilie ſchien gelaſſen fuͤr jeden andern, nur nicht fuͤr mich. Eine innre unangenehme lebhafte Bewegung, der ſie widerſteht, zeigt ſich durch eine ungleiche Farbe des Geſichts. Die linke Wange wird auf einen Augenblick roth, indem die rechte bleich wird. Ich ſah dieß Zeichen und meine Theilnehmung konnte ſich nicht zuruͤckhalten. Ich fuͤhrte unſre Vor¬ ſteherinn bey Seite, ſprach ernſthaft mit ihr7 *100uͤber die Sache. Die treffliche Frau erkannte ihren Fehler. Wir beriethen, wir beſprachen uns lange, und ohne deshalb weitlaͤufiger zu ſeyn, will ich Ew. Gnaden unſern Beſchluß und unſre Bitte vortragen: Ottilien auf ei¬ nige Zeit zu ſich zu nehmen. Die Gruͤnde werden Sie ſich ſelbſt am beſten entfalten. Beſtimmen Sie ſich hiezu, ſo ſage ich mehr uͤber die Behandlung des guten Kindes. Ver¬ laͤßt uns dann Ihre Fraͤulein Tochter, wie zu vermuthen ſteht; ſo ſehen wir Ottilien mit Freuden zuruͤckkehren.

Noch eins, das ich vielleicht in der Folge vergeſſen koͤnnte: ich habe nie geſehen, daß Ottilie etwas verlangt, oder gar um etwas dringend gebethen haͤtte. Dagegen kommen Faͤlle, wiewohl ſelten, daß ſie etwas abzuleh¬ nen ſucht was man von ihr fordert. Sie thut das mit einer Gebaͤrde, die fuͤr den der den Sinn davon gefaßt hat unwiderſtehlich iſt. Sie druͤckt die flachen Haͤnde, die ſie in101 die Hoͤhe hebt, zuſammen und fuͤhrt ſie ge¬ gen die Bruſt, indem ſie ſich nur wenig vor¬ waͤrts neigt und den dringend Fordernden mit einem ſolchen Blick anſieht, daß er gern von allem abſteht was er verlangen oder wuͤn¬ ſchen moͤchte. Sehen Sie jemals dieſe Ge¬ baͤrde, gnaͤdige Frau, wie es bey Ihrer Be¬ handlung nicht wahrſcheinlich iſt; ſo gedenken Sie meiner und ſchonen Ottilien.

Eduard hatte dieſe Briefe vorgeleſen, nicht ohne Laͤcheln und Kopfſchuͤtteln. Auch konnte es an Bemerkungen uͤber die Perſonen und uͤber die Lage der Sache nicht fehlen.

Genug! rief Eduard endlich aus: es iſt entſchieden, ſie kommt! Fuͤr dich waͤre geſorgt, meine Liebe, und wir duͤrfen nun auch mit un¬ ſerm Vorſchlag hervorruͤcken. Es wird hoͤchſt noͤthig, daß ich zu dem Hauptmann auf den rechten Fluͤgel hinuͤber ziehe. Sowohl Abends als Morgens iſt erſt die rechte Zeit zuſam¬102 men zu arbeiten. Du erhaͤltſt dagegen fuͤr dich und Ottilien auf deiner Seite den ſchoͤnſten Raum.

Charlotte ließ ſich's gefallen, und Eduard ſchilderte ihre kuͤnftige Lebensart. Unter an¬ dern rief er aus: es iſt doch recht zuvorkom¬ mend von der Nichte, ein wenig Kopfweh auf der linken Seite zu haben; ich habe es manchmal auf der rechten. Trifft es zuſam¬ men und wir ſitzen gegeneinander, ich auf den rechten Elbogen, ſie auf den linken ge¬ ſtuͤtzt, und die Koͤpfe nach verſchiedenen Sei¬ ten in die Hand gelegt; ſo muß das ein Paar artige Gegenbilder geben.

Der Hauptmann wollte das gefaͤhrlich fin¬ den; Eduard hingegen rief aus: nehmen Sie ſich nur, lieber Freund, vor dem D in Acht! Was ſollte B denn anfangen, wenn ihm C entriſſen wuͤrde?

103

Nun, ich daͤchte doch, verſetzte Charlotte, das verſtuͤnde ſich von ſelbſt.

Freylich, rief Eduard: es kehrte zu ſei¬ nem A zuruͤck, zu ſeinem A und O! rief er, indem er aufſprang und Charlotten feſt an ſeine Bruſt druͤckte.

Sechſtes Kapitel.

Ein Wagen der Ottilien brachte war an¬ gefahren. Charlotte ging ihr entgegen; das liebe Kind eilte ſich ihr zu naͤhern, warf ſich ihr zu Fuͤßen und umfaßte ihre Kniee.

Wozu die Demuͤthigung! ſagte Charlotte, die einigermaßen verlegen war und ſie aufhe¬ ben wollte. Es iſt ſo demuͤthig nicht gemeynt, verſetzte Ottilie, die in ihrer vorigen Stel¬ lung blieb. Ich mag mich nur ſo gern jener Zeit erinnern, da ich noch nicht hoͤher reichte als bis an Ihre Kniee und Ihrer Liebe ſchon ſo gewiß war.

105

Sie ſtand auf und Charlotte umarmte ſie herzlich. Sie ward den Maͤnnern vorgeſtellt und gleich mit beſonderer Achtung als Gaſt behandelt. Schoͤnheit iſt uͤberall ein gar will¬ kommner Gaſt. Sie ſchien aufmerkſam auf das Geſpraͤch, ohne daß ſie daran Theil ge¬ nommen haͤtte.

Den andern Morgen ſagte Eduard zu Charlotten: es iſt ein angenehmes unterhal¬ tendes Maͤdchen.

Unterhaltend? verſetzte Charlotte mit Laͤ¬ cheln: ſie hat ja den Mund noch nicht auf¬ gethan.

So? erwiederte Eduard, indem er ſich zu beſinnen ſchien: das waͤre doch wunderbar!

Charlotte gab dem neuen Ankoͤmmling nur wenige Winke, wie es mit dem Hausgeſchaͤfte zu halten ſey. Ottilie hatte ſchnell die ganze106 Ordnung eingeſehen, ja was noch mehr iſt, empfunden. Was ſie fuͤr alle, fuͤr einen Je¬ den insbeſondre zu beſorgen hatte, begriff ſie leicht. Alles geſchah puͤnctlich. Sie wußte anzuordnen, ohne daß ſie zu befehlen ſchien, und wo Jemand ſaͤumte, verrichtete ſie das Geſchaͤft gleich ſelbſt.

Sobald ſie gewahr wurde, wie viel Zeit ihr uͤbrig blieb, bat ſie Charlotten ihre Stun¬ den eintheilen zu duͤrfen, die nun genau be¬ obachtet wurden. Sie arbeitete das Vorge¬ ſetzte auf eine Art, von der Charlotte durch den Gehuͤlfen unterrichtet war. Man ließ ſie gewaͤhren. Nur zuweilen ſuchte Charlotte ſie anzuregen. So ſchob ſie ihr manchmal abgeſchriebene Federn unter, um ſie auf einen freyeren Zug der Handſchrift zu leiten; aber auch dieſe waren bald wieder ſcharf geſchnitten.

Die Frauenzimmer hatten untereinander feſtgeſetzt, franzoͤſiſch zu reden wenn ſie allein107 waͤren; und Charlotte beharrte um ſo mehr dabey, als Ottilie geſpraͤchiger in der frem¬ den Sprache war, indem man ihr die Uebung derſelben zur Pflicht gemacht hatte. Hier ſagte ſie oft mehr als ſie zu wollen ſchien. Beſonders ergetzte ſich Charlotte an einer zu¬ faͤlligen, zwar genauen aber doch liebevollen Schilderung der ganzen Penſionsanſtalt. Ot¬ tilie ward ihr eine liebe Geſellſchafterinn, und ſie hoffte dereinſt an ihr eine zuverlaͤſſige Freundinn zu finden.

Charlotte nahm indeß die aͤlteren Papiere wieder vor, die ſich auf Ottilien bezogen, um ſich in Erinnerung zu bringen, was die Vor¬ ſteherinn, was der Gehuͤlfe uͤber das gute Kind geurtheilt, um es mit ihrer Perſoͤnlich¬ keit ſelbſt zu vergleichen. Denn Charlotte war der Meynung, man koͤnne nicht geſchwind genug mit dem Character der Menſchen be¬ kannt werden, mit denen man zu leben hat, um zu wiſſen, was ſich von ihnen erwarten,108 was ſich an ihnen bilden laͤßt, oder was man ihnen ein fuͤr allemal zugeſtehen und verzei¬ hen muß.

Sie fand zwar bey dieſer Unterſuchung nichts neues, aber manches Bekannte ward ihr bedeutender und auffallender. So konnte ihr z. B. Ottiliens Maͤßigkeit im Eſſen und Trinken wirklich Sorge machen.

Das naͤchſte was die Frauen beſchaͤftigte war der Anzug. Charlotte verlangte von Ot¬ tilien, ſie ſolle in Kleidern reicher und mehr ausgeſucht erſcheinen. Sogleich ſchnitt das gute thaͤtige Kind die ihr fruͤher geſchenkten Stoffe ſelbſt zu und wußte ſie ſich, mit ge¬ ringer Beyhuͤlfe anderer, ſchnell und hoͤchſt zierlich anzupaſſen. Die neuen, modiſchen Gewaͤnder erhoͤhten ihre Geſtalt: denn indem das Angenehme einer Perſon ſich auch uͤber ihre Huͤlle verbreitet, ſo glaubt man ſie im¬ mer wieder von neuem und anmuthiger zu109 ſehen, wenn ſie ihre Eigenſchaften einer neuen Umgebung mittheilt.

Dadurch ward ſie den Maͤnnern, wie von Anfang ſo immer mehr, daß wir es nur mit dem rechten Namen nennen, ein wahrer Au¬ gentroſt. Denn wenn der Smaragd durch ſeine herrliche Farbe dem Geſicht wohl thut, ja ſogar einige Heilkraft an dieſem edlen Sinn ausuͤbt; ſo wirkt die menſchliche Schoͤnheit noch mit weit groͤßerer Gewalt auf den aͤu¬ ßern und inneren Sinn. Wer ſie erblickt, den kann nichts uͤbles anwehen; er fuͤhlt ſich mit ſich ſelbſt und mit der Welt in Ueber¬ einſtimmung.

Auf manche Weiſe hatte daher die Ge¬ ſellſchaft durch Ottiliens Ankunft gewonnen. Die beyden Freunde hielten regelmaͤßiger die Stunden, ja die Minuten der Zuſammen¬ kuͤnfte. Sie ließen weder zum Eſſen, noch zum Thee, noch zum Spaziergang laͤnger als110 billig auf ſich warten. Sie eilten, beſonders Abends, nicht ſobald von Tiſche weg. Char¬ lotte bemerkte das wohl und ließ beyde nicht unbeobachtet. Sie ſuchte zu erforſchen, ob einer vor dem andern hiezu den Anlaß gaͤbe; aber ſie konnte keinen Unterſchied bemerken. Beyde zeigten ſich uͤberhaupt geſelliger. Bey ihren Unterhaltungen ſchienen ſie zu bedenken, was Ottiliens Theilnahme zu erregen geeignet ſeyn moͤchte, was ihren Einſichten, ihren uͤbri¬ gen Kenntniſſen gemaͤß waͤre. Beym Leſen und Erzaͤhlen hielten ſie inne, bis ſie wieder¬ kam. Sie wurden milder und im Ganzen mittheilender.

In Erwiederung dagegen wuchs die Dienſt¬ befliſſenheit Ottiliens mit jedem Tage. Je mehr ſie das Haus, die Menſchen, die Ver¬ haͤltniſſe kennen lernte, deſto lebhafter griff ſie ein, deſto ſchneller verſtand ſie jeden Blick, jede Bewegung, ein halbes Wort, einen Laut. Ihre ruhige Aufmerkſamkeit blieb ſich immer111 gleich, ſo wie ihre gelaſſene Regſamkeit. Und ſo war ihr Sitzen, Aufſtehen, Gehen, Kom¬ men, Hohlen, Bringen, wieder Niederſitzen, ohne einen Schein von Unruhe ein ewiger Wechſel, eine ewige angenehme Bewegung. Dazu kam, daß man ſie nicht gehen hoͤrte, ſo leiſe trat ſie auf.

Dieſe anſtaͤndige Dienſtfertigkeit Ottiliens machte Charlotten viele Freude. Ein einziges was ihr nicht ganz angemeſſen vorkam, ver¬ barg ſie Ottilien nicht. Es gehoͤrt, ſagte ſie eines Tages zu ihr, unter die lobenswuͤrdi¬ gen Aufmerkſamkeiten, daß wir uns ſchnell buͤcken, wenn Jemand etwas aus der Hand fallen laͤßt, und es eilig aufzuheben ſuchen. Wir bekennen uns dadurch ihm gleichſam dienſtpflichtig; nur iſt in der groͤßern Welt dabey zu bedenken, wem man eine ſolche Er¬ gebenheit bezeigt. Gegen Frauen will ich dir daruͤber keine Geſetze vorſchreiben. Du biſt jung. Gegen Hoͤhere und Aeltere iſt es112 Schuldigkeit, gegen deines Gleichen Artig¬ keit, gegen Juͤngere und Niedere zeigt man ſich dadurch menſchlich und gut; nur will es einem Frauenzimmer nicht wohl geziemen, ſich Maͤnnern auf dieſe Weiſe ergeben und dienſtbar zu bezeigen.

Ich will es mir abzugewoͤhnen ſuchen, verſetzte Ottilie. Indeſſen werden Sie mir dieſe Unſchicklichkeit vergeben, wenn ich Ih¬ nen ſage, wie ich dazu gekommen bin. Man hat uns die Geſchichte gelehrt; ich habe nicht ſo viel daraus behalten, als ich wohl geſollt haͤtte: denn ich wußte nicht wozu ich's brau¬ chen wuͤrde. Nur einzelne Begebenheiten ſind mir ſehr eindruͤcklich geweſen; ſo fol¬ gende:

Als Carl der Erſte von England vor ſei¬ nen ſogenannten Richtern ſtand, fiel der goldne Knopf des Stoͤckchens das er trug herunter. Gewohnt, daß bey ſolchen Gelegenheiten ſich113 alles fuͤr ihn bemuͤhte, ſchien er ſich umzu¬ ſehen und zu erwarten, daß ihm Jemand auch dießmal den kleinen Dienſt erzeigen ſollte. Es regte ſich Niemand; er buͤckte ſich ſelbſt, um den Knopf aufzuheben. Mir kam das ſo ſchmerzlich vor, ich weiß nicht ob mit Recht, daß ich von jenem Augenblick an Niemanden kann etwas aus den Haͤnden fal¬ len ſehn, ohne mich darnach zu buͤcken. Da es aber freylich nicht immer ſchicklich ſeyn mag, und ich, fuhr ſie laͤchelnd fort, nicht jederzeit meine Geſchichte erzaͤhlen kann; ſo will ich mich kuͤnftig mehr zuruͤckhalten.

Indeſſen hatten die guten Anſtalten, zu denen ſich die beyden Freunde berufen fuͤhl¬ ten, ununterbrochenen Fortgang. Ja taͤglich fanden ſie neuen Anlaß etwas zu bedenken und zu unternehmen.

Als ſie eines Tages zuſammen durch das Dorf gingen, bemerkten ſie mißfaͤllig, wieI. 8114weit es an Ordnung und Reinlichkeit hinter jenen Doͤrfern zuruͤckſtehe, wo die Bewohner durch die Koſtbarkeit des Raums auf beydes hingewieſen werden.

Du erinnerſt dich, ſagte der Hauptmann, wie wir auf unſerer Reiſe durch die Schweiz den Wunſch aͤußerten, eine laͤndliche ſogenannte Parkanlage recht eigentlich zu verſchoͤnern, in¬ dem wir ein ſo gelegenes Dorf, nicht zur Schweizer-Bauart, ſondern zur Schweizer - Ordnung und Sauberkeit, welche die Benu¬ tzung ſo ſehr befoͤrdern, einrichteten.

Hier z. B., verſetzte Eduard, ginge das wohl an. Der Schloßberg verlaͤuft ſich in einen vorſpringenden Winkel herunter; das Dorf iſt ziemlich regelmaͤßig im Halbzirkel ge¬ genuͤber gebaut; dazwiſchen fließt der Bach, gegen deſſen Anſchwellen ſich der eine mit Steinen, der andre mit Pfaͤhlen, wieder ei¬ ner mit Balken, und der Nachbar ſodann115 mit Planken verwahren will, keiner aber den andern foͤrdert, vielmehr ſich und den uͤbrigen Schaden und Nachtheil bringt. So geht der Weg auch in ungeſchickter Bewegung bald herauf, bald herab, bald durchs Waſſer, bald uͤber Steine. Wollten die Leute mit Hand anlegen, ſo wuͤrde kein großer Zuſchuß noͤthig ſeyn, um hier eine Mauer im Halbkreis auf¬ zufuͤhren, den Weg dahinter bis an die Haͤu¬ ſer zu erhoͤhen, den ſchoͤnſten Raum herzu¬ ſtellen, der Reinlichkeit Platz zu geben und durch eine ins Große gehende Anſtalt alle kleine unzulaͤngliche Sorge auf einmal zu ver¬ bannen.

Laß es uns verſuchen, ſagte der Haupt¬ mann, indem er die Lage mit den Augen uͤberlief und ſchnell beurtheilte.

Ich mag mit Buͤrgern und Bauern nichts zu thun haben, wenn ich ihnen nicht geradezu befehlen kann, verſetzte Eduard.

8 *116

Du haſt ſo Unrecht nicht, erwiederte der Hauptmann: denn auch mir machten derglei¬ chen Geſchaͤfte im Leben ſchon viel Verdruß. Wie ſchwer iſt es, daß der Menſch recht ab¬ waͤge, was man aufopfern muß gegen das was zu gewinnen iſt! wie ſchwer, den Zweck zu wollen und die Mittel nicht zu verſchmaͤ¬ hen! Viele verwechſeln gar die Mittel und den Zweck, erfreuen ſich an jenen, ohne die¬ ſen im Auge zu behalten. Jedes Uebel ſoll an der Stelle geheilt werden, wo es zum Vorſchein kommt, und man bekuͤmmert ſich nicht um jenen Punct, wo es eigentlich ſeinen Urſprung nimmt, woher es wirkt. Deswe¬ gen iſt es ſo ſchwer Rath zu pflegen, beſon¬ ders mit der Menge, die im Taͤglichen ganz verſtaͤndig iſt, aber ſelten weiter ſieht als auf Morgen. Kommt nun gar dazu, daß der eine bey einer gemeinſamen Anſtalt gewinnen, der andre verlieren ſoll, da iſt mit Vergleich nun gar nichts auszurichten. Alles eigentlich117 gemeinſame Gute muß durch das unumſchraͤnkte Majeſtaͤtsrecht gefoͤrdert werden.

Indem ſie ſtanden und ſprachen, bettelte ſie ein Menſch an, der mehr frech als be¬ duͤrftig ausſah. Eduard, ungern unterbrochen und beunruhigt, ſchalt ihn, nachdem er ihn einigemal vergebens gelaſſener abgewieſen hatte; als aber der Kerl ſich murrend, ja gegen¬ ſcheltend, mit kleinen Schritten entfernte, auf die Rechte des Bettlers trotzte, dem man wohl ein Almoſen verſagen, ihn aber nicht beleidigen duͤrfe, weil er ſo gut wie jeder an¬ dere unter dem Schutze Gottes und der Obrig¬ keit ſtehe, kam Eduard ganz aus der Faſſung.

Der Hauptmann, ihn zu beguͤtigen, ſagte darauf: laß uns dieſen Vorfall als eine Auf¬ forderung annehmen, unſere laͤndliche Polizey auch hieruͤber zu erſtrecken. Almoſen muß man einmal geben; man thut aber beſſer, wenn man ſie nicht ſelbſt giebt, beſonders zu Hauſe. 118Da ſollte man maͤßig und gleichfoͤrmig in al¬ lem ſeyn, auch im Wohlthun. Eine allzu¬ reichliche Gabe lockt Bettler herbey, anſtatt ſie abzufertigen; dagegen man wohl auf der Reiſe, im Vorbeyfliegen, einem Armen an der Straße in der Geſtalt des zufaͤlligen Gluͤcks erſcheinen und ihm eine uͤberraſchende Gabe zuwerfen mag. Uns macht die Lage des Dorfes, des Schloſſes, eine ſolche An¬ ſtalt ſehr leicht; ich habe ſchon fruͤher daruͤber nachgedacht.

An dem einen Ende des Dorfes liegt das Wirthshaus, an dem andern wohnen ein Paar alte gute Leute; an beyden Orten mußt du eine kleine Geldſumme niederlegen. Nicht der ins Dorf hereingehende, ſondern der hinaus¬ gehende erhaͤlt etwas; und da die beyden Haͤu¬ ſer zugleich an den Wegen ſtehen die auf das Schloß fuͤhren, ſo wird auch alles was ſich hinaufwenden wollte, an die beyden Stellen gewieſen.

119

Komm, ſagte Eduard, wir wollen das gleich abmachen; das Genauere koͤnnen wir immer noch nachhohlen.

Sie gingen zum Wirth und zu dem alten Paare, und die Sache war abgethan.

Ich weiß recht gut, ſagte Eduard, indem ſie zuſammen den Schloßberg wieder hinauf¬ ſtiegen, daß alles in der Welt ankommt auf einen geſcheiden Einfall und auf einen feſten Entſchluß. So haſt du die Parkanlagen mei¬ ner Frau ſehr richtig beurtheilt, und mir auch ſchon einen Wink zum Beſſern gegeben, den ich ihr, wie ich gar nicht laͤugnen will, ſo¬ gleich mitgetheilt habe.

Ich konnte es vermuthen, verſetzte der Hauptmann, aber nicht billigen. Du haſt ſie irre gemacht; ſie laͤßt alles liegen und trutzt in dieſer einzigen Sache mit uns: denn ſie vermeidet davon zu reden und hat uns nicht120 wieder zur Mooshuͤtte geladen, ob ſie gleich mit Ottilien in den Zwiſchenſtunden hinauf¬ geht.

Dadurch muͤſſen wir uns, verſetzte Eduard, nicht abſchrecken laſſen. Wenn ich von et¬ was Gutem uͤberzeugt bin, was geſchehen koͤnnte und ſollte, ſo habe ich keine Ruhe bis ich es gethan ſehe. Sind wir doch ſonſt klug etwas einzuleiten. Laß uns die engli¬ ſchen Parkbeſchreibungen mit Kupfern zur Abendunterhaltung vornehmen, nachher deine Guts-Charte. Man muß es erſt problema¬ tiſch und nur wie zum Scherz behandeln, der Ernſt wird ſich ſchon finden.

Nach dieſer Verabredung wurden die Buͤ¬ cher aufgeſchlagen, worin man jedesmal den Grundriß der Gegend und ihre landſchaftliche Anſicht in ihrem erſten rohen Naturzuſtande gezeichnet ſah, ſodann auf andern Blaͤttern die Veraͤnderung vorgeſtellt fand, welche die121 Kunſt daran vorgenommen, um alles das be¬ ſtehende Gute zu nutzen und zu ſteigern. Hie¬ von war der Uebergang zur eigenen Beſitzung, zur eignen Umgebung, und zu dem was man daran ausbilden koͤnnte, ſehr leicht.

Die von dem Hauptmann entworfene Charte zum Grunde zu legen war nunmehr eine angenehme Beſchaͤftigung, nur konnte man ſich von jener erſten Vorſtellung, nach der Charlotte die Sache einmal angefangen hatte, nicht ganz losreißen. Doch erfand man einen leichtern Aufgang auf die Hoͤhe; man wollte oberwaͤrts am Abhange vor einem angenehmen Hoͤlzchen ein Luſtgebaͤude auf¬ fuͤhren; dieſes ſollte einen Bezug aufs Schloß haben, aus den Schloßfenſtern ſollte man es uͤberſehen, von dorther Schloß und Gaͤrten wieder beſtreichen koͤnnen.

Der Hauptmann hatte alles wohl uͤber¬ legt und gemeſſen, und brachte jenen Dorf¬122 weg, jene Mauer am Bache her, jene Aus¬ fuͤllung wieder zur Sprache. Ich gewinne, ſagte er, indem ich einen bequemen Weg zur Anhoͤhe hinauf fuͤhre, gerade ſoviel Steine, als ich zu jener Mauer bedarf. Sobald eins ins andre greift, wird beydes wohlfeiler und geſchwinder bewerkſtelligt.

Nun aber, ſagte Charlotte, kommt meine Sorge. Nothwendig muß etwas Beſtimmtes ausgeſetzt werden; und wenn man weiß, wieviel zu einer ſolchen Anlage erforderlich iſt, dann theilt man es ein, wo nicht auf Wochen, doch wenigſtens auf Monate. Die Kaſſe iſt unter meinem Beſchluß; ich zahle die Zettel, und die Rechnung fuͤhre ich ſelbſt.

Du ſcheinſt uns nicht ſonderlich viel zu vertrauen, ſagte Eduard.

Nicht viel in willkuͤhrlichen Dingen, ver¬ ſetzte Charlotte. Die Willkuͤhr wiſſen wir beſſer zu beherrſchen als ihr.

123

Die Einrichtung war gemacht, die Arbeit raſch angefangen, der Hauptmann immer ge¬ genwaͤrtig, und Charlotte nunmehr faſt taͤg¬ lich Zeuge ſeines ernſten und beſtimmten Sin¬ nes. Auch er lernte ſie naͤher kennen, und beyden wurde es leicht, zuſammen zu wirken und etwas zu Stande zu bringen.

Es iſt mit den Geſchaͤften wie mit dem Tanze; Perſonen die gleichen Schritt halten, muͤſſen ſich unentbehrlich werden; ein wech¬ ſelſeitiges Wohlwollen muß nothwendig dar¬ aus entſpringen, und daß Charlotte dem Hauptmann, ſeitdem ſie ihn naͤher kennen ge¬ lernt, wirklich wohlwollte, davon war ein ſiche¬ rer Beweis, daß ſie ihn einen ſchoͤnen Ruhe¬ platz, den ſie bey ihren erſten Anlagen beſonders ausgeſucht und verziert hatte, der aber ſeinem Plane entgegenſtand, ganz gelaſſen zerſtoͤren ließ, ohne auch nur die mindeſte unangeneh¬ me Empfindung dabey zu haben.

Siebentes Kapitel.

Indem nun Charlotte mit dem Haupt¬ mann eine gemeinſame Beſchaͤftigung fand, ſo war die Folge, daß ſich Eduard mehr zu Ottilien geſellte. Fuͤr ſie ſprach ohnehin ſeit einiger Zeit eine ſtille freundliche Neigung in ſeinem Herzen. Gegen Jedermann war ſie dienſtfertig und zuvorkommend; daß ſie es ge¬ gen ihn am meiſten ſey, das wollte ſeiner Selbſtliebe ſcheinen. Nun war keine Frage: was fuͤr Speiſen und wie er ſie liebte, hatte ſie ſchon genau bemerkt; wieviel er Zucker zum Thee zu nehmen pflegte, und was der¬ gleichen mehr iſt, entging ihr nicht. Beſon¬ ders war ſie ſorgfaͤltig, alle Zugluft abzuweh¬ ren, gegen die er eine uͤbertriebene Empfind¬125 lichkeit zeigte, und deshalb mit ſeiner Frau, der es nicht luſtig genug ſeyn konnte, manch¬ mal in Widerſpruch gerieth. Eben ſo wußte ſie im Baum - und Blumengarten Beſcheid. Was er wuͤnſchte ſuchte ſie zu befoͤrdern, was ihn ungeduldig machen konnte, zu verhuͤthen, dergeſtalt, daß ſie in kurzem wie ein freund¬ licher Schutzgeiſt ihm unentbehrlich ward und er anfing ihre Abweſenheit ſchon peinlich zu empfinden. Hiezu kam noch, daß ſie ge¬ ſpraͤchiger und offner ſchien ſobald ſie ſich allein trafen.

Eduard hatte bey zunehmenden Jahren immer etwas Kindliches behalten, das der Jugend Ottiliens beſonders zuſagte. Sie er¬ innerten ſich gern fruͤherer Zeiten, wo ſie ein¬ ander geſehen; es ſtiegen dieſe Erinnerungen bis in die erſten Epochen der Neigung Eduards zu Charlotten. Ottilie wollte ſich der beyden noch als des ſchoͤnſten Hofpaares erinnern; und wenn Eduard ihr ein ſolches Gedaͤchtniß126 aus ganz fruͤher Jugend abſprach, ſo behaup¬ tete ſie doch beſonders einen Fall noch vollkom¬ men gegenwaͤrtig zu haben, wie ſie ſich ein¬ mal, bey ſeinem Hereintreten, in Charlottens Schooß verſteckt, nicht aus Furcht, ſondern aus kindiſcher Ueberraſchung. Sie haͤtte da¬ zu ſetzen koͤnnen: weil er ſo lebhaften Ein¬ druck auf ſie gemacht, weil er ihr gar ſo wohl gefallen.

Bey ſolchen Verhaͤltniſſen waren manche Geſchaͤfte, welche die beyden Freunde zuſam¬ men fruͤher vorgenommen, gewiſſermaßen in Stocken gerathen, ſo daß ſie fuͤr noͤthig fan¬ den ſich wieder eine Ueberſicht zu verſchaffen, einige Aufſaͤtze zu entwerfen, Briefe zu ſchrei¬ ben. Sie beſtellten ſich deshalb auf ihre Canzley, wo ſie den alten Copiſten muͤßig fanden. Sie gingen an die Arbeit und ga¬ ben ihm bald zu thun, ohne zu bemerken, daß ſie ihm manches aufbuͤrdeten, was ſie ſonſt ſelbſt zu verrichten gewohnt waren. 127Gleich der erſte Aufſatz wollte dem Haupt¬ mann, gleich der erſte Brief Eduarden nicht gelingen. Sie quaͤlten ſich eine Zeit lang mit Concipiren und Umſchreiben, bis endlich Eduard, dem es am wenigſten von ſtatten ging, nach der Zeit fragte.

Da zeigte ſich denn, daß der Hauptmann vergeſſen hatte ſeine chronometriſche Secunden - Uhr aufzuziehen, das erſtemal ſeit vielen Jah¬ ren; und ſie ſchienen, wo nicht zu empfin¬ den, doch zu ahnden, daß die Zeit anfange ihnen gleichguͤltig zu werden.

Indem ſo die Maͤnner einigermaßen in ihrer Geſchaͤftigkeit nachließen, wuchs viel¬ mehr die Thaͤtigkeit der Frauen. Ueberhaupt nimmt die gewoͤhnliche Lebensweiſe einer Fa¬ milie, die aus den gegebenen Perſonen und aus nothwendigen Umſtaͤnden entſpringt, auch wohl eine außerordentliche Neigung, eine werdende Leidenſchaft, in ſich wie in ein Ge¬128 faͤß auf, und es kann eine ziemliche Zeit ver¬ gehen, ehe dieſes neue Ingrediens eine merk¬ liche Gaͤrung verurſacht und ſchaͤumend uͤber den Rand ſchwillt.

Bey unſern Freunden waren die entſtehen¬ den wechſelſeitigen Neigungen von der ange¬ nehmſten Wirkung. Die Gemuͤther oͤffneten ſich, und ein allgemeines Wohlwollen ent¬ ſprang aus dem beſonderen. Jeder Theil fuͤhlte ſich gluͤcklich und goͤnnte dem andern ſein Gluͤck.

Ein ſolcher Zuſtand erhebt den Geiſt, in¬ dem er das Herz erweitert, und alles was man thut und vornimmt, hat eine Richtung gegen das Unermeßliche. So waren auch die Freunde nicht mehr in ihrer Wohnung be¬ fangen. Ihre Spazirgaͤnge dehnten ſich wei¬ ter aus, und wenn dabey Eduard mit Ottilien, die Pfade zu waͤhlen, die Wege zu bahnen, vorauseilte; ſo folgte der Hauptmann mit129 Charlotten in bedeutender Unterhaltung, theil¬ nehmend an manchem neuentdeckten Plaͤtzchen, an mancher unerwarteten Ausſicht, geruhig der Spur jener raſcheren Vorgaͤnger.

Eines Tages leitete ſie ihr Spazirgang durch die Schloßpforte des rechten Fluͤgels hinunter nach dem Gaſthofe, uͤber die Bruͤcke gegen die Teiche zu, an denen ſie hingingen, ſo weit man gewoͤhnlich das Waſſer verfolgte, deſſen Ufer ſodann von einem buſchigen Huͤ¬ gel und weiterhin von Felſen eingeſchloſſen aufhoͤrte gangbar zu ſeyn.

Aber Eduard, dem von ſeinen Jagdwande¬ rungen her die Gegend bekannt war, drang mit Ottilien auf einem bewachſenen Pfade weiter vor, wohl wiſſend, daß die alte, zwiſchen Fel¬ ſen verſteckte Muͤhle nicht weit abliegen konnte. Allein der wenig betretene Pfad verlor ſich bald, und ſie fanden ſich im dichten Gebuͤſch zwiſchen mooſigem Geſtein verirrt, doch nichtI. 9130lange: denn das Rauſchen der Raͤder ver¬ kuͤndigte ihnen ſogleich die Naͤhe des geſuchten Ortes.

Auf eine Klippe vorwaͤrts tretend ſahen ſie das alte ſchwarze wunderliche Holzgebaͤude im Grunde vor ſich, von ſteilen Felſen ſo wie von hohen Baͤumen umſchattet. Sie entſchloſſen ſich kurz und gut uͤber Moos und Felstruͤmmer hinabzuſteigen: Eduard voran; und wenn er nun in die Hoͤhe ſah, und Ot¬ tilie leicht ſchreitend, ohne Furcht und Aengſt¬ lichkeit, im ſchoͤnſten Gleichgewicht von Stein zu Stein ihm folgte, glaubte er ein himmli¬ ſches Weſen zu ſehen, das uͤber ihm ſchwebte. Und wenn ſie nun manchmal an unſicherer Stelle ſeine ausgeſtreckte Hand ergriff, ja ſich auf ſeine Schulter ſtuͤtzte, dann konnte er ſich nicht verlaͤugnen, daß es das zarteſte weibliche Weſen ſey, das ihn beruͤhrte. Faſt haͤtte er gewuͤnſcht, ſie moͤchte ſtraucheln, glei¬ ten, daß er ſie in ſeine Arme auffangen, ſie131 an ſein Herz druͤcken koͤnnte. Doch dieß haͤtte er unter keiner Bedingung gethan, aus mehr als einer Urſache: er fuͤrchtete ſie zu beleidi¬ gen, ſie zu beſchaͤdigen.

Wie dieß gemeint ſey, erfahren wir ſo¬ gleich. Denn als er nun herabgelangt, ihr unter den hohen Baͤumen am laͤndlichen Ti¬ ſche gegenuͤber ſaß, die freundliche Muͤllerinn nach Milch, der bewillkommende Muͤller Char¬ lotten und dem Hauptmann entgegen geſandt war, fing Eduard mit einigem Zaudern zu ſprechen an.

Ich habe eine Bitte, liebe Ottilie: ver¬ zeihen Sie mir die, wenn Sie mir ſie auch verſagen. Sie machen kein Geheimniß dar¬ aus, und es braucht es auch nicht, daß Sie unter Ihrem Gewand, auf Ihrer Bruſt ein Miniaturbild tragen. Es iſt das Bild Ih¬ res Vaters, des braven Mannes, den Sie kaum gekannt, und der in jedem Sinne eine9 *132Stelle an Ihrem Herzen verdient. Aber ver¬ geben Sie mir: das Bild iſt ungeſchickt groß, und dieſes Metall, dieſes Glas macht mir tau¬ ſend Aengſten, wenn Sie ein Kind in die Hoͤhe heben, etwas vor ſich hintragen, wenn die Kutſche ſchwankt, wenn wir durchs Ge¬ buͤſch dringen, eben jetzt, wie wir vom Fel¬ ſen herabſtiegen. Mir iſt die Moͤglichkeit ſchrecklich, daß irgend ein unvorgeſehener Stoß, ein Fall, eine Beruͤhrung Ihnen ſchaͤdlich und verderblich ſeyn koͤnnte. Thun Sie es mir zu Liebe, entfernen Sie das Bild, nicht aus Ihrem Andenken, nicht aus Ihrem Zimmer; ja geben Sie ihm den ſchoͤnſten, den heiligſten Ort Ihrer Wohnung: nur von Ihrer Bruſt entfernen Sie etwas, deſſen Naͤhe mir, viel¬ leicht aus uͤbertriebener Aengſtlichkeit, ſo ge¬ faͤhrlich ſcheint.

Ottilie ſchwieg, und hatte waͤhrend er ſprach vor ſich hingeſehen; dann, ohne Ueber¬ eilung und ohne Zaudern, mit einem Blick133 mehr gen Himmel als auf Eduard gewendet, loͤſte ſie die Kette, zog das Bild hervor, druͤckte es gegen ihre Stirn und reichte es dem Freunde hin, mit den Worten: heben Sie mir es auf, bis wir nach Hauſe kom¬ men. Ich vermag Ihnen nicht beſſer zu be¬ zeigen, wie ſehr ich Ihre freundliche Sorg¬ falt zu ſchaͤtzen weiß.

Der Freund wagte nicht das Bild an ſeine Lippen zu druͤcken, aber er faßte ihre Hand und druͤckte ſie an ſeine Augen. Es waren vielleicht die zwey ſchoͤnſten Haͤnde, die ſich jemals zuſammenſchloſſen. Ihm war, als wenn ihm ein Stein vom Herzen gefal¬ len waͤre, als wenn ſich eine Scheidewand zwiſchen ihm und Ottilien niedergelegt haͤtte.

Vom Muͤller gefuͤhrt langten Charlotte und der Hauptmann auf einem bequemeren Pfade herunter. Man begruͤßte ſich, man erfreute und erquickte ſich. Zuruͤck wollte man134 denſelben Weg nicht kehren, und Eduard ſchlug einen Felspfad auf der andern Seite des Baches vor, auf welchem die Teiche wie¬ der zu Geſicht kamen, indem man ihn mit einiger Anſtrengung zuruͤcklegte. Nun durch¬ ſtrich man abwechſelndes Gehoͤlz und erblickte, nach dem Lande zu, mancherley Doͤrfer, Fle¬ cken, Meyereyen mit ihren gruͤnen und frucht¬ baren Umgebungen; zunaͤchſt ein Vorwerk, das an der Hoͤhe, mitten im Holze gar ver¬ traulich lag. Am ſchoͤnſten zeigte ſich der groͤßte Reichthum der Gegend, vor und ruͤck¬ waͤrts, auf der ſanfterſtiegenen Hoͤhe, von da man zu einem luſtigen Waͤldchen gelangte, und beym Heraustreten aus demſelben ſich auf dem Felſen den Schloſſe gegenuͤber befand.

Wie froh waren ſie, als ſie daſelbſt ge¬ wiſſermaßen unvermuthet ankamen. Sie hat¬ ten eine kleine Welt umgangen; ſie ſtanden auf dem Platze wo das neue Gebaͤude hin¬135 kommen ſollte, und ſahen wieder in die Fen¬ ſter ihrer Wohnung.

Man ſtieg zur Mooshuͤtte hinunter, und ſaß zum erſtenmal darin zu vieren. Nichts war natuͤrlicher, als daß einſtimmig der Wunſch ausgeſprochen wurde, dieſer heutige Weg, den ſie langſam und nicht ohne Be¬ ſchwerlichkeit gemacht, moͤchte dergeſtalt ge¬ fuͤhrt und eingerichtet werden, daß man ihn geſellig, ſchlendernd und mit Behaglichkeit zu¬ ruͤcklegen koͤnnte. Jedes that Vorſchlaͤge, und man berechnete, daß der Weg, zu welchem ſie mehrere Stunden gebraucht hatten, wohl ge¬ bahnt in einer Stunde zum Schloß zuruͤck¬ fuͤhren muͤßte. Schon legte man in Gedan¬ ken, unterhalb der Muͤhle, wo der Bach in die Teiche fließt, eine Wegverkuͤrzende und die Landſchaft zierende Bruͤcke an, als Char¬ lotte der erfindenden Einbildungskraft einigen Stillſtand gebot, indem ſie an die Koſten er¬136 innerte, welche zu einem ſolchen Unternehmen erforderlich ſeyn wuͤrden.

Hier iſt auch zu helfen, verſetzte Eduard. Jenes Vorwerk im Walde, das ſo ſchoͤn zu liegen ſcheint, und ſo wenig eintraͤgt, duͤrfen wir nur veraͤußern und das daraus Geloͤſte zu dieſen Anlagen verwenden; ſo genießen wir vergnuͤglich auf einem unſchaͤtzbaren Spa¬ zirgange die Intereſſen eines wohlangelegten Capitals, da wir jetzt mit Mismuth, bey letzter Berechnung am Schluſſe des Jahrs, eine kuͤmmerliche Einnahme davon ziehen.

Charlotte ſelbſt konnte als gute Haushaͤl¬ terin nicht viel dagegen erinnern. Die Sache war ſchon fruͤher zur Sprache gekommen. Nun wollte der Hauptmann einen Plan zu Zerſchlagung der Grundſtuͤcke unter die Wald¬ bauern machen; Eduard aber wollte kuͤrzer und bequemer verfahren wiſſen. Der gegen¬ waͤrtige Pachter, der ſchon Vorſchlaͤge gethan137 hatte; ſollte es erhalten, Terminweiſe zahlen und ſo Terminweiſe wollte man die planmaͤ¬ ßigen Anlagen von Strecke zu Strecke vor¬ nehmen.

So eine vernuͤnftige gemaͤßigte Einrich¬ tung mußte durchaus Beyfall finden, und ſchon ſah die ganze Geſellſchaft im Geiſte die neuen Wege ſich ſchlaͤngeln, auf denen und in deren Naͤhe man noch die angenehmſten Ruhe - und Ausſichtsplaͤtze zu entdecken hoffte.

Um ſich alles mehr im Einzelnen zu ver¬ gegenwaͤrtigen nahm man Abends zu Hauſe ſogleich die neue Charte vor. Man uͤberſah den zuruͤckgelegten Weg und wie er vielleicht an einigen Stellen noch vortheilhafter zu fuͤh¬ ren waͤre. Alle fruͤheren Vorſaͤtze wurden nochmals durchgeſprochen und mit den neue¬ ſten Gedanken verbunden, der Platz des neuen Hauſes, gegen dem Schloß uͤber, nochmals138 gebilligt und der Kreislauf der Wege bis da¬ hin abgeſchloſſen.

Ottilie hatte zu dem allen geſchwiegen, als Eduard zuletzt den Plan, der bisher vor Charlotten gelegen, vor ſie hinwandte und ſie zugleich einlud, ihre Meinung zu ſagen, und als ſie einen Augenblick anhielt, ſie liebevoll ermunterte, doch ja nicht zu ſchweigen: al¬ les ſey ja noch gleichguͤltig, alles noch im Werden.

Ich wuͤrde, ſagte Ottilie, indem ſie den Finger auf die hoͤchſte Flaͤche der Anhoͤhe ſetzte, das Haus hieher bauen. Man ſaͤhe zwar das Schloß nicht: denn es wird von dem Waͤldchen bedeckt; aber man befaͤnde ſich auch dafuͤr wie in einer andern und neuen Welt, indem zugleich das Dorf und alle Woh¬ nungen verborgen waͤren. Die Ausſicht auf die Teiche, nach der Muͤhle, auf die Hoͤhen, in die Gebirge, nach dem Lande zu, iſt außer¬139 ordentlich ſchoͤn; ich habe es im Vorbeygehen bemerkt.

Sie hat Recht! rief Eduard: wie konnte uns das nicht einfallen? Nicht wahr, ſo iſt es gemeint, Ottilie? Er nahm einen Bley¬ ſtift und ſtrich ein laͤngliches Viereck recht ſtark und derb auf die Anhoͤhe.

Dem Hauptmann fuhr das durch die Seele: denn er ſah einen ſorgfaͤltigen, reinlich gezeich¬ neten Plan ungern auf dieſe Weiſe verun¬ ſtaltet; doch faßte er ſich nach einer leiſen Misbilligung und ging auf den Gedanken ein. Ottilie hat Recht, ſagte er: Macht man nicht gern eine entfernte Spazirfahrt, um einen Kaffee zu trinken, einen Fiſch zu genießen, der uns zu Hauſe nicht ſo gut ge¬ ſchmeckt haͤtte. Wir verlangen Abwechſelung und fremde Gegenſtaͤnde. Das Schloß haben die Alten mit Vernunft hieher gebaut: denn es liegt geſchuͤtzt vor den Winden, und nah140 an allen taͤglichen Beduͤrfniſſen; ein Gebaͤude hingegen, mehr zum geſelligen Aufenthalt als zur Wohnung, wird ſich dorthin recht wohl ſchicken und in der guten Jahrszeit die ange¬ nehmſten Stunden gewaͤhren.

Jemehr man die Sache durchſprach deſto guͤnſtiger erſchien ſie, und Eduard konnte ſei¬ nen Triumph nicht bergen, daß Ottilie den Gedanken gehabt. Er war ſo ſtolz darauf als ob die Erfindung ſein geweſen waͤre.

Achtes Kapitel.

Der Hauptmann unterſuchte gleich am fruͤhſten Morgen den Platz, entwarf erſt ei¬ nen fluͤchtigen, und als die Geſellſchaft an Ort und Stelle ſich nochmals entſchieden hat¬ te, einen genauen Riß nebſt Anſchlag und allem Erforderlichen. Es fehlte nicht an der noͤthigen Vorbereitung. Jenes Geſchaͤft we¬ gen Verkauf des Vorwerks ward auch ſogleich wieder angegriffen. Die Maͤnner fanden zu¬ ſammen neuen Anlaß zur Thaͤtigkeit.

Der Hauptmann machte Eduarden bemerk¬ lich, daß es eine Artigkeit, ja wohl gar eine Schuldigkeit ſey, Charlottens Geburtstag durch Legung des Grundſteins zu feyern. Es142 bedurfte nicht viel, die alte Abneigung Edu¬ ards gegen ſolche Feſte zu uͤberwinden: denn es kam ihm ſchnell in den Sinn, Ottiliens Geburtstag, der ſpaͤter fiel, gleichfalls recht feyerlich zu begehen.

Charlotte, der die neuen Anlagen, und was deshalb geſchehen ſollte, bedeutend, ernſt¬ lich, ja faſt bedenklich vorkamen, beſchaͤftigte ſich damit, die Anſchlaͤge, Zeit - und Geld¬ eintheilungen nochmals fuͤr ſich durchzugehen. Man ſah ſich des Tages weniger, und mit deſto mehr Verlangen ſuchte man ſich des Abends auf.

Ottilie war indeſſen ſchon voͤllig Herrinn des Haushaltes, und wie konnte es anders ſeyn, bey ihrem ſtillen und ſichern Betragen. Auch war ihre ganze Sinnesweiſe dem Hauſe und dem Haͤuslichen mehr als der Welt, mehr als dem Leben im Freyen zugewendet. Edu¬ ard bemerkte bald, daß ſie eigentlich nur aus143 Gefaͤlligkeit in die Gegend mitging, daß ſie nur aus geſelliger Pflicht Abends laͤnger drau¬ ßen verweilte, auch wohl manchmal einen Vorwand haͤuslicher Thaͤtigkeit ſuchte, um wie¬ der hinein zu gehen. Sehr bald wußte er daher die gemeinſchaftlichen Wanderungen ſo einzurichten, daß man vor Sonnenuntergang wieder zu Hauſe war, und fing an, was er lange unterlaſſen hatte, Gedichte vorzuleſen, ſolche beſonders, in deren Vortrag der Aus¬ druck einer reinen doch leidenſchaftlichen Liebe zu legen war.

Gewoͤhnlich ſaßen ſie Abends um einen kleinen Tiſch, auf hergebrachten Plaͤtzen: Charlotte auf dem Sopha, Ottilie auf einem Seſſel gegen ihr uͤber, und die Maͤnner nah¬ men die beyden andern Seiten ein. Ottilie ſaß Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht ſchob, wenn er las. Alsdann ruͤckte ſich Ottilie wohl naͤher, um ins Buch zu ſehen: denn auch ſie traute ihren eigenen144 Augen mehr als fremden Lippen; und Edu¬ ard gleichfalls ruͤckte zu, um es ihr auf alle Weiſe bequem zu machen; ja er hielt oft laͤngere Pauſen als noͤthig, damit er nur nicht eher umwendete, bis auch ſie zu Ende der Seite gekommen.

Charlotte und der Hauptmann bemerkten es wohl und ſahen manchmal einander laͤchelnd an; doch wurden beyde von einem andern Zeichen uͤberraſcht, in welchem ſich Ottiliens ſtille Neigung gelegentlich offenbarte.

An einem Abende, welcher der kleinen Geſellſchaft durch einen laͤſtigen Beſuch zum Theil verloren gegangen, that Eduard den Vorſchlag noch beyſammen zu bleiben. Er fuͤhlte ſich aufgelegt ſeine Floͤte vorzunehmen, welche lange nicht an die Tagesordnung ge¬ kommen war. Charlotte ſuchte nach den So¬ naten, die ſie zuſammen gewoͤhnlich auszufuͤh¬ ren pflegten, und da ſie nicht zu finden wa¬145 ren, geſtand Ottilie nach einigem Zaudern, daß ſie ſolche mit auf ihr Zimmer genommen.

Und Sie koͤnnen, Sie wollen mich auf dem Fluͤgel begleiten? rief Eduard, dem die Augen vor Freude glaͤnzten. Ich glaube wohl, verſetzte Ottilie, daß es gehn wird. Sie brachte die Noten herbey und ſetzte ſich ans Clavier. Die Zuhoͤrenden waren aufmerkſam und uͤberraſcht, wie vollkommen Ottilie das Muſikſtuͤck fuͤr ſich ſelbſt eingelernt hatte, aber noch mehr uͤberraſcht, wie ſie es der Spielart Eduards anzupaſſen wußte. Anzu¬ paſſen wußte iſt nicht der rechte Ausdruck: denn wenn es von Charlottens Geſchicklichkeit und freyem Willen abhing, ihrem bald zoͤ¬ gernden bald voreilenden Gatten zu Liebe, hier anzuhalten, dort mitzugehen; ſo ſchien Otti¬ lie, welche die Sonate von jenen einigemal ſpielen gehoͤrt, ſie nur in dem Sinne einge¬ lernt zu haben, wie jener ſie begleitete. Sie hatte ſeine Maͤngel ſo zu den ihrigen gemacht,l. 10146daß daraus wieder eine Art von lebendigem Ganzen entſprang, das ſich zwar nicht tact¬ gemaͤß bewegte, aber doch hoͤchſt angenehm und gefaͤllig lautete. Der Componiſt ſelbſt haͤtte ſeine Freude daran gehabt, ſein Werk auf eine ſo liebevolle Weiſe entſtellt zu ſehen.

Auch dieſem wunderſamen, unerwarteten Begegniß ſahen der Hauptmann und Char¬ lotte ſtillſchweigend mit einer Empfindung zu, wie man oft kindiſche Handlungen betrachtet, die man wegen ihrer beſorglichen Folgen ge¬ rade nicht billigt und doch nicht ſchelten kann, ja vielleicht beneiden muß. Denn eigentlich war die Neigung dieſer beyden eben ſo gut im Wachſen als jene, und vielleicht nur noch gefaͤhrlicher dadurch, daß beyde ernſter, ſiche¬ rer von ſich ſelbſt, ſich zu halten faͤhiger waren.

Schon fing der Hauptmann an zu fuͤh¬ len, daß eine unwiderſtehliche Gewohnheit ihn147 an Charlotten zu feſſeln drohte. Er gewann es uͤber ſich, den Stunden auszuweichen, in denen Charlotte nach den Anlagen zu kom¬ men pflegte, indem er ſchon am fruͤhſten Morgen aufſtand, alles anordnete und ſich dann zur Arbeit auf ſeinen Fluͤgel ins Schloß zuruͤckzog. Die erſten Tage hielt es Char¬ lotte fuͤr zufaͤllig; ſie ſuchte ihn an allen wahr¬ ſcheinlichen Stellen; dann glaubte ſie ihn zu verſtehen und achtete ihn nur um deſto mehr.

Vermied nun der Hauptmann mit Char¬ lotten allein zu ſeyn, ſo war er deſto emſiger, zur glaͤnzenden Feyer des herannahenden Ge¬ burtsfeſtes die Anlagen zu betreiben und zu beſchleunigen: denn indem er von unten hin¬ auf, hinter dem Dorfe her, den bequemen Weg fuͤhrte, ſo ließ er, vorgeblich um Steine zu brechen, auch von oben herunter arbeiten, und hatte alles ſo eingerichtet und berechnet, daß erſt in der letzten Nacht die beyden Theile10 *148des Weges ſich begegnen ſollten. Zum neuen Hauſe oben war auch ſchon der Keller mehr gebrochen als gegraben, und ein ſchoͤner Grundſtein mit Faͤchern und Deckplatten zu¬ gehauen.

Die aͤußere Thaͤtigkeit, dieſe kleinen freund¬ lichen geheimnißvollen Abſichten, bey innern mehr oder weniger zuruͤckgedraͤngten Empfin¬ dungen, ließen die Unterhaltung der Geſell¬ ſchaft, wenn ſie beyſammen war, nicht lebhaft werden, dergeſtalt daß Eduard, der etwas luͤckenhaftes empfand, den Hauptmann eines Abends aufrief, ſeine Violine hervorzunehmen und Charlotten bey dem Clavier zu begleiten. Der Hauptmann konnte dem allgemeinen Ver¬ langen nicht widerſtehen, und ſo fuͤhrten bey¬ de, mit Empfindung, Behagen und Freyheit, eins der ſchwerſten Muſikſtuͤcke zuſammen auf, daß es ihnen und dem zuhoͤrenden Paar zum groͤßten Vergnuͤgen gereichte. Man verſprach149 ſich oͤftere Wiederhohlung und mehrere Zu¬ ſammenuͤbung

Sie machen es beſſer, als wir, Ottilie! ſagte Eduard. Wir wollen ſie bewundern, aber uns doch zuſammen freuen.

Neuntes Kapitel.

Der Geburtstag war herbeygekommen und alles fertig geworden: die ganze Mauer die den Dorfweg gegen das Waſſer zu einfaßte und erhoͤhte, eben ſo der Weg an der Kirche vor¬ bey, wo er eine Zeit lang in dem von Char¬ lotten angelegten Pfade fortlief, ſich dann die Felſen hinaufwaͤrts ſchlang, die Mooshuͤtte links uͤber ſich, dann nach einer voͤlligen Wen¬ dung links unter ſich ließ und ſo allmaͤhlig auf die Hoͤhe gelangte.

Es hatte ſich dieſen Tag viel Geſellſchaft eingefunden. Man ging zur Kirche, wo man die Gemeinde im feſtlichen Schmuck verſam¬ melt antraf. Nach dem Gottesdienſte zogen151 Knaben, Juͤnglinge und Maͤnner, wie es an¬ geordnet war, voraus; dann kam die Herr¬ ſchaft mit ihrem Beſuch und Gefolge; Maͤd¬ chen, Jungfrauen und Frauen machten den Beſchluß.

Bey der Wendung des Weges war ein erhoͤhter Felſenplatz eingerichtet; dort ließ der Hauptmann Charlotten und die Gaͤſte aus¬ ruhen. Hier uͤberſahen ſie den ganzen Weg, die hinaufgeſchrittene Maͤnnerſchaar, die nach¬ wandelnden Frauen, welche nun vorbeyzogen. Es war bey dem herrlichen Wetter ein wun¬ derſchoͤner Anblick. Charlotte fuͤhlte ſich uͤber¬ raſcht, geruͤhrt und druͤckte dem Hauptmann herzlich die Hand.

Man folgte der ſachte fortſchreitenden Menge, die nun ſchon einen Kreis um den kuͤnftigen Hausraum gebildet hatte. Der Bau¬ herr, die Seinigen und die vornehmſten Gaͤ¬ ſte wurden eingeladen in die Tiefe hinabzu¬152 ſteigen, wo der Grundſtein an einer Seite unterſtuͤtzt eben zum Niederlaſſen bereit lag. Ein wohlgeputzter Maurer, die Kelle in der einen, den Hammer in der andern Hand, hielt in Reimen eine anmuthige Rede, die wir in Proſa nur unvollkommen wiedergeben koͤnnen.

Drey Dinge, fing er an, ſind bey einem Gebaͤude zu beobachten: daß es am rechten Fleck ſtehe, daß es wohl gegruͤndet, daß es vollkommen ausgefuͤhrt ſey. Das erſte iſt eigentlich die Sache des Bauherrn: denn wie in der Stadt nur der Fuͤrſt und die Gemeine beſtimmen koͤnnen, wohin gebaut werden ſoll; ſo iſt es auf dem Lande das Vorrecht des Grundherren, daß er ſage: hier ſoll meine Wohnung ſtehen und nirgends anders.

Eduard und Ottilie wagten nicht bey die¬ ſen Worten einander anzuſehen, ob ſie gleich nahe gegen einander uͤber ſtanden.

153

Das dritte, die Vollendung, iſt die Sorge gar vieler Gewerken; ja wenige ſind, die nicht dabey beſchaͤftigt waͤren. Aber das zweyte, die Gruͤndung, iſt des Maurers Angelegen¬ heit, und daß wir es nur keck herausſagen, die Hauptangelegenheit des ganzen Unterneh¬ mens. Es iſt ein ernſtes Geſchaͤft und unſre Einladung iſt ernſthaft: denn dieſe Feyerlich¬ keit wird in der Tiefe begangen. Hier inner¬ halb dieſes engen ausgegrabenen Raums er¬ weiſen Sie uns die Ehre als Zeugen unſeres geheimnißvollen Geſchaͤftes zu erſcheinen. Gleich werden wir dieſen wohl zugehauenen Stein niederlegen und bald werden dieſe mit ſchoͤnen und wuͤrdigen Perſonen gezierten Erd¬ waͤnde nicht mehr zugaͤnglich, ſie werden aus¬ gefuͤllt ſeyn.

Dieſen Grundſtein, der mit ſeiner Ecke die rechte Ecke des Gebaͤudes, mit ſeiner Rechtwinkligkeit die Regelmaͤßigkeit deſſelben, mit ſeiner waſſer - und ſenkrechten Lage, Loth154 und Wage aller Mauern und Waͤnde bezeich¬ net, koͤnnten wir ohne weiteres niederlegen: denn er ruhte wohl auf ſeiner eignen Schwere. Aber auch hier ſoll es am Kalk, am Bin¬ dungsmittel nicht fehlen: denn ſo wie Men¬ ſchen die einander von Natur geneigt ſind, noch beſſer zuſammenhalten, wenn das Ge¬ ſetz ſie verkittet; ſo werden auch Steine de¬ ren Form ſchon zuſammenpaßt, noch beſſer durch dieſe bindenden Kraͤfte vereinigt: und da es ſich nicht ziemen will unter den Thaͤtigen muͤßig zu ſeyn, ſo werden Sie nicht verſchmaͤhen auch hier Mitarbeiter zu werden.

Er uͤberreichte hierauf ſeine Kelle Char¬ lotten, welche damit Kalk unter den Stein warf. Mehreren wurde ein Gleiches zu thun angeſonnen und der Stein alſobald niederge¬ ſenkt; worauf denn Charlotten und den uͤbri¬ gen ſogleich der Hammer gereicht wurde, um durch ein dreymaliges Pochen die Verbin¬155 dung des Steins mit dem Grunde ausdruͤck¬ lich zu ſegnen.

Des Maurers Arbeit, fuhr der Redner fort, zwar jetzt unter freyem Himmel, ge¬ ſchieht wo nicht immer im Verborgnen doch zum Verborgnen. Der regelmaͤßig aufgefuͤhrte Grund wird verſchuͤttet, und ſogar bey den Mauern die wir am Tage auffuͤhren, iſt man unſer am Ende kaum eingedenk. Die Arbei¬ ten des Steinmetzen und Bildhauers fallen mehr in die Augen, und wir muͤſſen es ſogar noch gut heißen, wenn der Tuͤncher die Spur unſerer Haͤnde voͤllig ausloͤſcht und ſich unſer Werk zueignet, indem er es uͤberzieht, glaͤttet und faͤrbt.

Wem muß alſo mehr daran gelegen ſeyn, das was er thut ſich ſelbſt recht zu machen, indem er es recht macht, als dem Maurer? Wer hat mehr als er das Selbſtbewußtſeyn zu naͤhren Urſach? Wenn das Haus aufge¬156 fuͤhrt, der Boden geplattet und gepflaſtert, die Außenſeite mit Zieraten uͤberdeckt iſt; ſo ſieht er durch alle Huͤllen immer noch hinein und erkennt noch jene regelmaͤßigen ſorgfaͤl¬ tigen Fugen, denen das Ganze ſein Daſeyn und ſeinen Halt zu danken hat.

Aber wie Jeder, der eine Uebelthat be¬ gangen, fuͤrchten muß, daß ungeachtet alles Abwehrens, ſie dennoch ans Licht kommen werde; ſo muß derjenige erwarten, der ins Geheim das Gute gethan, daß auch dieſes wi¬ der ſeinen Willen an den Tag komme. Des¬ wegen machen wir dieſen Grundſtein zugleich zum Denkſtein. Hier in dieſe unterſchiedlichen gehauenen Vertiefungen ſoll verſchiedenes ein¬ geſenkt werden, zum Zeugniß fuͤr eine ent¬ fernte Nachwelt. Dieſe metallnen zugeloͤ¬ theten Koͤcher enthalten ſchriftliche Nachrich¬ ten; auf dieſe Metall-Platten iſt allerley Merkwuͤrdiges eingegraben; in dieſen ſchoͤnen glaͤſernen Flaſchen verſenken wir den beſten al¬157 ten Wein, mit Bezeichnung ſeines Geburts¬ jahrs; es fehlt nicht an Muͤnzen verſchiede¬ ner Art, in dieſem Jahre gepraͤgt: alles die¬ ſes erhielten wir durch die Freygebigkeit un¬ ſers Bauherrn. Auch iſt hier noch mancher Platz, wenn irgend ein Gaſt und Zuſchauer etwas der Nachwelt zu uͤbergeben Belieben truͤge.

Nach einer kleinen Pauſe ſah der Geſelle ſich um; aber wie es in ſolchen Faͤllen zu gehen pflegt, Niemand war vorbereitet, Je¬ dermann uͤberraſcht, bis endlich ein junger munterer Officier anfing und ſagte: wenn ich etwas beytragen ſoll, das in dieſer Schatz¬ kammer noch nicht niedergelegt iſt; ſo muß ich ein Paar Knoͤpfe von der Uniform ſchnei¬ den, die doch wohl auch verdienen auf die Nachwelt zu kommen. Geſagt, gethan! und nun hatte mancher einen aͤhnlichen Einfall. Die Frauenzimmer ſaͤumten nicht von ihren kleinen Haarkaͤmmen hineinzulegen; Riech¬158 flaͤſchchen und andre Zierden wurden nicht ge¬ ſchont: nur Ottilie zauderte, bis Eduard ſie durch ein freundliches Wort aus der Betrach¬ tung aller der beygeſteuerten und eingelegten Dinge herausriß. Sie loͤſte darauf die gold¬ ne Kette vom Halſe, an der das Bild ihres Vaters gehangen hatte, und legte ſie mit lei¬ ſer Hand uͤber die anderen Kleinode hin, wor¬ auf Eduard mit einiger Haſt veranſtaltete, daß der wohlgefugte Deckel ſogleich aufge¬ ſtuͤrzt und eingekittet wurde.

Der junge Geſell, der ſich dabey am thaͤ¬ tigſten erwieſen, nahm ſeine Rednermiene wieder an und fuhr fort: wir gruͤnden dieſen Stein fuͤr ewig, zur Sicherung des laͤngſten Genuſſes der gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen Beſitzer dieſes Hauſes. Allein indem wir hier gleichſam einen Schatz vergraben, ſo denken wir zugleich, bey dem gruͤndlichſten aller Ge¬ ſchaͤfte, an die Vergaͤnglichkeit der menſchli¬ chen Dinge: wir denken uns eine Moͤglich¬159 keit, daß dieſer feſtverſiegelte Deckel wieder aufgehoben werden koͤnne, welches nicht anders geſchehen duͤrfte, als wenn das alles wieder zerſtoͤrt waͤre, was wir noch nicht einmal aufgefuͤhrt haben.

Aber eben, damit dieſes aufgefuͤhrt werde, zuruͤck mit den Gedanken aus der Zukunft, zuruͤck ins Gegenwaͤrtige! Laßt uns, nach be¬ gangenem heutigen Feſte, unſre Arbeit ſo¬ gleich foͤrdern, damit keiner von den Gewer¬ ken, die auf unſerm Grunde fortarbeiten, zu feyern brauche, daß der Bau eilig in die Hoͤhe ſteige und vollendet werde, und aus den Fenſtern, die noch nicht ſind, der Haus¬ herr mit den Seinigen und ſeinen Gaͤſten ſich froͤhlich in der Gegend umſchaue, deren aller ſo wie ſaͤmmtlicher Anweſenden Geſund¬ heit hiermit getrunken ſey!

Und ſo leerte er ein wohlgeſchliffenes Kelch¬ glas auf Einen Zug aus und warf es in die160 Luft: denn es bezeichnet das Uebermaß einer Freude, das Gefaͤß zu zerſtoͤren, deſſen man ſich in der Froͤhlichkeit bedient. Aber die߬ mal ereignete es ſich anders: das Glas kam nicht wieder auf den Boden, und zwar ohne Wunder.

Man hatte naͤmlich, um mit dem Bau vorwaͤrts zu kommen, bereits an der entge¬ gengeſetzten Ecke den Grund voͤllig herausge¬ ſchlagen, ja ſchon angefangen die Mauern aufzufuͤhren, und zu dem Endzweck das Ge¬ ruͤſt erbaut, ſo hoch als es uͤberhaupt noͤthig war.

Daß man es beſonders zu dieſer Feyer¬ lichkeit mit Brettern belegt und eine Menge Zuſchauer hinaufgelaſſen hatte, war zum Vor¬ theil der Arbeitsleute geſchehen. Dort hinauf flog das Glas und wurde von Einem aufge¬ fangen, der dieſen Zufall als ein gluͤckliches Zei¬ chen fuͤr ſich anſah. Er wieß es zuletzt herum,161 ohne es aus der Hand zu laſſen, und man ſah darauf die Buchſtaben E und O in ſehr zierlicher Verſchlingung eingeſchnitten: es war eins der Glaͤſer, die fuͤr Eduarden in ſeiner Jugend verfertigt worden.

Die Geruͤſte ſtanden wieder leer, und die leichteſten unter den Gaͤſten ſtiegen hinauf, ſich umzuſehen, und konnten die ſchoͤne Aus¬ ſicht nach allen Seiten nicht genugſam ruͤh¬ men: denn was entdeckt der nicht alles, der auf einem hohen Puncte nur um ein Geſchoß hoͤher ſteht. Nach dem Innern des Landes zu kamen mehrere neue Doͤrfer zum Vorſchein; den ſilbernen Streifen des Fluſſes erblickte man deutlich; ja ſelbſt die Thuͤrme der Haupt¬ ſtadt wollte Einer gewahr werden. An der Ruͤckſeite, hinter den waldigen Huͤgeln, erho¬ ben ſich die blauen Gipfel eines fernen Ge¬ birges, und die naͤchſte Gegend uͤberſah man im Ganzen. Nun ſollten nur noch, rief einer, die drey Teiche zu einem See vereinigt wer¬I. II162den; dann haͤtte der Anblick alles was groß und wuͤnſchenswerth iſt.

Das ließe ſich wohl machen, ſagte der Hauptmann: denn ſie bildeten ſchon vor Zei¬ ten einen Bergſee.

Nur bitte ich meine Platanen - und Pap¬ pelgruppe zu ſchonen, ſagte Eduard, die ſo ſchoͤn am mittelſten Teich ſteht. Sehen Sie wandte er ſich zu Ottilien, die er einige Schritte vorfuͤhrte, indem er hinabwies dieſe Baͤume habe ich ſelbſt gepflanzt.

Wie lange ſtehen ſie wohl ſchon? fragte Ottilie. Etwa ſo lange, verſetzte Eduard, als Sie auf der Welt ſind. Ja, liebes Kind, ich pflanzte ſchon, da Sie noch in der Wiege lagen.

Die Geſellſchaft begab ſich wieder in das Schloß zuruͤck. Nach aufgehobener Ta¬163 fel wurde ſie zu einem Spazirgang durch das Dorf eingeladen, um auch hier die neuen An¬ ſtalten in Augenſchein zu nehmen. Dort hat¬ ten ſich, auf des Hauptmanns Veranlaſſung, die Bewohner vor ihren Haͤuſern verſammelt; ſie ſtanden nicht in Reihen, ſondern Fami¬ lienweiſe natuͤrlich gruppirt, theils wie es der Abend forderte beſchaͤftigt, theils auf neuen Baͤnken ausruhend. Es ward ihnen zur an¬ genehmen Pflicht gemacht, wenigſtens jeden Sonntag und Feſttag, dieſe Reinlichkeit, dieſe Ordnung zu erneuen.

Eine innre Geſelligkeit mit Neigung, wie ſie ſich unter unſeren Freunden erzeugt hatte, wird durch eine groͤßere Geſellſchaft immer nur unangenehm unterbrochen. Alle viere waren zufrieden ſich wieder im großen Saale allein zu finden; doch ward dieſes haͤusliche Gefuͤhl einigermaßen geſtoͤrt, indem ein Brief, der Eduarden uͤberreicht wurde, neue Gaͤſte auf morgen ankuͤndigte.

11 *164

Wie wir vermutheten, rief Eduard Char¬ lotten zu: der Graf wird nicht ausbleiben, er kommt morgen.

Da iſt alſo auch die Baroneſſe nicht weit, verſetzte Charlotte.

Gewiß nicht! antwortete Eduard: ſie wird auch morgen von ihrer Seite anlangen. Sie bitten um ein Nachtquartier und wollen uͤber¬ morgen zuſammen wieder fortreiſen.

Da muͤſſen wir unſre Anſtalten bey Zei¬ ten machen, Ottilie! ſagte Charlotte.

Wie befehlen Sie die Einrichtung? fragte Ottilie.

Charlotte gab es im Allgemeinen an, und Ottilie entfernte ſich.

Der Hauptmann erkundigte ſich nach dem Verhaͤltniß dieſer beyden Perſonen, das er165 nur im Allgemeinſten kannte. Sie hatten fruͤher, beyde ſchon anderwaͤrts verheiratet, ſich leidenſchaftlich liebgewonnen. Eine dop¬ pelte Ehe war nicht ohne Aufſehn geſtoͤrt; man dachte an Scheidung. Bey der Baro¬ neſſe war ſie moͤglich geworden, bey dem Grafen nicht. Sie mußten ſich zum Scheine trennen, allein ihr Verhaͤltniß blieb; und wenn ſie Winters in der Reſidenz nicht zuſam¬ menſeyn konnten, ſo entſchaͤdigten ſie ſich Sommers auf Luſtreiſen und in Baͤdern. Sie waren beyde um etwas aͤlter als Eduard und Charlotte und ſaͤmmtlich genaue Freunde aus fruͤher Hofzeit her. Man hatte immer ein gu¬ tes Verhaͤltniß erhalten, ob man gleich nicht alles an ſeinen Freunden billigte. Nur die߬ mal war Charlotten ihre Ankunft gewiſſer¬ maßen ganz ungelegen, und wenn ſie die Ur¬ ſache genau unterſucht haͤtte, es war eigent¬ lich um Ottiliens willen. Das gute reine Kind ſollte ein ſolches Beyſpiel ſo fruͤh nicht gewahr werden.

166

Sie haͤtten wohl noch ein paar Tage weg¬ bleiben koͤnnen, ſagte Eduard als eben Otti¬ lie wieder hereintrat, bis wir den Vorwerks¬ verkauf in Ordnung gebracht. Der Aufſatz iſt fertig; die eine Abſchrift habe ich hier, nun fehlt es aber an der zweyten und unſer alter Canzelliſt iſt recht krank. Der Haupt¬ mann bot ſich an, auch Charlotte; dagegen waren einige Einwendungen zu machen. Ge¬ ben Sie mir's nur! rief Ottilie, mit eini¬ ger Haſt.

Du wirſt nicht damit fertig, ſagte Char¬ lotte.

Freylich muͤßte ich es uͤbermorgen fruͤh haben und es iſt viel, ſagte Eduard. Es ſoll fertig ſeyn, rief Ottilie, und hatte das Blatt ſchon in Haͤnden.

Des andern Morgens, als ſie ſich aus dem obern Stock nach den Gaͤſten umſahen,167 denen ſie entgegen zu gehen nicht verfehlen woll¬ ten, ſagte Eduard: wer reitet denn ſo lang¬ ſam dort die Straße her? Der Hauptmann beſchrieb die Figur des Reiters genauer. So iſt er's doch, ſagte Eduard: denn das Ein¬ zelne, das du beſſer ſiehſt als ich, paßt ſehr gut zu dem Ganzen, das ich recht wohl ſehe. Es iſt Mittler. Wie kommt er aber dazu, langſam und ſo langſam zu reiten?

Die Figur kam naͤher und Mittler war es wirklich. Man empfing ihn freundlich, als er langſam die Treppe heraufſtieg. Warum ſind Sie nicht geſtern gekommen? rief ihm Eduard entgegen.

Laute Feſte lieb 'ich nicht, verſetzte jener. Heute komm' ich aber den Geburtstag mei¬ ner Freundinn mit Euch im Stillen nachzu¬ feyern.

Wie koͤnnen Sie denn ſo viel Zeit gewin¬ nen? fragte Eduard ſcherzend.

168

Meinen Beſuch, wenn er Euch etwas werth iſt, ſeyd Ihr einer Betrachtung ſchul¬ dig, die ich geſtern gemacht habe. Ich freute mich recht herzlich den halben Tag in einem Hauſe wo ich Frieden geſtiftet hatte, und dann hoͤrte ich, daß hier Geburtstag gefeyert werde. Das kann man doch am Ende ſelb¬ ſtiſch nennen, dachte ich bey mir, daß du dich nur mit denen freuen willſt die du zum Frieden bewogen haſt. Warum freuſt du dich nicht auch einmal mit Freunden die Frie¬ den halten und hegen? Geſagt, gethan! Hier bin ich, wie ich mir vorgenommen hatte.

Geſtern haͤtten Sie große Geſellſchaft ge¬ funden, heute finden Sie nur kleine, ſagte Charlotte. Sie finden den Grafen und die Baroneſſe, die Ihnen auch ſchon zu ſchaffen gemacht haben.

Aus der Mitte der vier Hausgenoſſen, die den ſeltſamen willkommenen Mann um¬169 geben hatten, fuhr er mit verdrießlicher Leb¬ haftigkeit heraus, indem er ſogleich nach Hut und Reitgerte ſuchte. Schwebt doch immer ein Unſtern uͤber mir, ſobald ich einmal ruhen und mir wohlthun will! Aber warum gehe ich auch aus meinem Character heraus! Ich haͤtte nicht kommen ſollen, und nun werd 'ich vertrieben. Denn mit Jenen will ich nicht unter Einem Dache bleiben; und nehmt Euch in Acht: ſie bringen nichts als Unheil! Ihr Weſen iſt wie ein Sauerteig, der ſeine An¬ ſteckung fortpflanzt.

Man ſuchte ihn zu beguͤtigen; aber ver¬ gebens. Wer mir den Ehſtand angreift, rief er aus, wer mir durch Wort, ja durch That, dieſen Grund aller ſittlichen Geſell¬ ſchaft untergraͤbt, der hat es mit mir zu thun; oder wenn ich ihn nicht Herr werden kann, habe ich nichts mit ihm zu thun. Die Ehe iſt der Anfang und der Gipfel aller Cul¬ tur. Sie macht den Rohen mild, und der170 Gebildetſte hat keine beßre Gelegenheit ſeine Milde zu beweiſen. Unaufloͤslich muß ſie ſeyn: denn ſie bringt ſo vieles Gluͤck, daß alles einzelne Ungluͤck dagegen gar nicht zu rechnen iſt. Und was will man von Ungluͤck reden? Ungeduld iſt es, die den Menſchen von Zeit zu Zeit anfaͤllt, und dann beliebt er ſich un¬ gluͤcklich zu finden. Laſſe man den Augen¬ blick voruͤbergehen, und man wird ſich gluͤck¬ lich preiſen, daß ein ſo lange Beſtandenes noch beſteht. Sich zu trennen giebt's gar keinen hinlaͤnglichen Grund. Der menſchliche Zu¬ ſtand iſt ſo hoch in Leiden und Freuden ge¬ ſetzt, daß gar nicht berechnet werden kann, was ein Paar Gatten einander ſchuldig wer¬ den. Es iſt eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann. Unbequem mag es manchmal ſeyn, das glaub 'ich wohl, und das iſt eben Recht. Sind wir nicht auch mit dem Gewiſſen verheiratet? das wir oft gerne los ſeyn moͤchten, weil es171 unbequemer iſt als uns je ein Mann oder eine Frau werden koͤnnte.

So ſprach er lebhaft und haͤtte wohl noch lange fortgeſprochen, wenn nicht blaſende Po¬ ſtillions die Ankunft der Herrſchaften verkuͤn¬ digt haͤtten, welche wie abgemeſſen von beyden Seiten zu gleicher Zeit in den Schloßhof her¬ einfuhren. Als ihnen die Hausgenoſſen ent¬ gegen eilten, verſteckte ſich Mittler, ließ ſich das Pferd an den Gaſthof bringen, und ritt verdrießlich davon.

Zehntes Kapitel.

Die Gaͤſte waren bewillkommt und einge¬ fuͤhrt; ſie freuten ſich das Haus, die Zimmer wieder zu betreten, wo ſie fruͤher ſo manchen guten Tag erlebt und die ſie eine lange Zeit nicht geſehn hatten. Hoͤchſt angenehm war auch den Freunden ihre Gegenwart. Den Grafen ſo wie die Baroneſſe konnte man un¬ ter jene hohen ſchoͤnen Geſtalten zaͤhlen, die man in einem mittlern Alter faſt lieber als in der Jugend ſieht: denn wenn ihnen auch etwas von der erſten Bluͤthe abgehn moͤchte, ſo erregen ſie doch nun mit der Neigung ein entſchiedenes Zutrauen. Auch dieſes Paar zeigte ſich hoͤchſt bequem in der Gegenwart. Ihre freye Weiſe die Zuſtaͤnde des Lebens173 zu nehmen und zu behandlen, ihre Heiter¬ keit und ſcheinbare Unbefangenheit theilte ſich ſogleich mit, und ein hoher Anſtand begraͤnzte das Ganze, ohne daß man irgend einen Zwang bemerkt haͤtte.

Dieſe Wirkung ließ ſich augenblicks in der Geſellſchaft empfinden. Die Neueintretenden, welche unmittelbar aus der Welt kamen, wie man ſogar an ihren Kleidern, Geraͤthſchaften und allen Umgebungen ſehen konnte, machten gewiſſermaßen mit unſern Freunden, ihrem laͤndlichen und heimlich leidenſchaftlichen Zu¬ ſtande, eine Art von Gegenſatz, der ſich je¬ doch ſehr bald verlor, indem alte Erinnerun¬ gen und gegenwaͤrtige Theilnahme ſich ver¬ miſchten, und ein ſchnelles lebhaftes Geſpraͤch alle geſchwind zuſammenverband.

Es waͤhrte indeſſen nicht lange, als ſchon eine Sonderung vorging. Die Frauen zogen ſich auf ihren Fluͤgel zuruͤck und fanden da¬174 ſelbſt, indem ſie ſich mancherley vertrauten und zugleich die neuſten Formen und Zu¬ ſchnitte von Fruͤhkleidern, Huͤten und der¬ gleichen zu muſtern anfingen, genugſame Un¬ terhaltung; waͤhrend die Maͤnner ſich um die neuen Reiſewaͤgen, mit vorgefuͤhrten Pfer¬ den, beſchaͤftigten und gleich zu handeln und zu tauſchen anfingen.

Erſt zu Tiſche kam man wieder zuſammen. Die Umkleidung war geſchehen und auch hier zeigte ſich das angekommene Paar zu ſeinem Vortheile. Alles was ſie an ſich trugen war neu und gleichſam ungeſehen und doch ſchon durch den Gebrauch zur Gewohnheit und Be¬ quemlichkeit eingeweiht.

Das Geſpraͤch war lebhaft und abwech¬ ſelnd, wie denn in Gegenwart ſolcher Per¬ ſonen alles und nichts zu intereſſiren ſcheint. Man bediente ſich der franzoͤſiſchen Sprache, um die Aufwartenden von dem Mitverſtaͤnd¬175 niß auszuſchließen, und ſchweifte mit muth¬ willigem Behagen uͤber hohe und mittlere Weltverhaͤltniſſe hin. Auf einem einzigen Punct blieb die Unterhaltung laͤnger als bil¬ lig haften, indem Charlotte nach einer Ju¬ gendfreundinn ſich erkundigte und mit einiger Befremdung vernahm, daß ſie ehſtens geſchie¬ den werden ſollte.

Es iſt unerfreulich, ſagte Charlotte, wenn man ſeine abweſenden Freunde irgend einmal geborgen, eine Freundinn, die man liebt, ver¬ ſorgt glaubt; eh 'man ſich's verſieht, muß man wieder hoͤren, daß ihr Schickſal im Schwan¬ ken iſt und daß ſie erſt wieder neue und viel¬ leicht abermals unſichre Pfade des Lebens be¬ treten ſoll.

Eigentlich, meine Beſte, verſetzte der Graf, ſind wir ſelbſt Schuld, wenn wir auf ſolche Weiſe uͤberraſcht werden. Wir moͤgen uns die irdiſchen Dinge, und beſonders auch die176 ehlichen Verbindungen gern ſo recht dauerhaft vorſtellen, und was den letzten Punct betrifft, ſo verfuͤhren uns die Luſtſpiele, die wir im¬ mer wiederhohlen ſehen, zu ſolchen Einbildun¬ gen, die mit dem Gange der Welt nicht zu¬ ſammentreffen. In der Comoͤdie ſehen wir eine Heirat als das letzte Ziel eines durch die Hinderniſſe mehrerer Acte verſchobenen Wunſches, und im Augenblick, da es erreicht iſt, faͤllt der Vorhang und die momentane Befriedigung klingt bey uns nach. In der Welt iſt es anders; da wird hinten immer fort geſpielt, und wenn der Vorhang wieder aufgeht, mag man gern nichts weiter davon ſehen noch hoͤren.

Es muß doch ſo ſchlimm nicht ſeyn, ſagte Charlotte laͤchelnd, da man ſieht, daß auch Perſonen die von dieſem Theater abgetreten ſind, wohl gern darauf wieder eine Rolle ſpielen moͤgen.

177

Dagegen iſt nichts einzuwenden, ſagte der Graf. Eine neue Rolle mag man gern wie¬ der uͤbernehmen, und wenn man die Welt kennt, ſo ſieht man wohl, auch bey dem Ehe¬ ſtande iſt es nur dieſe entſchiedene ewige Dau¬ er zwiſchen ſo viel Beweglichem in der Welt, die etwas Ungeſchicktes an ſich traͤgt. Einer von meinen Freunden, deſſen gute Laune ſich meiſt in Vorſchlaͤgen zu neuen Geſetzen her¬ vorthat, behauptete: eine jede Ehe ſolle nur auf fuͤnf Jahren geſchloſſen werden. Es ſey, ſagte er, dieß eine ſchoͤne ungrade heilige Zahl und ein ſolcher Zeitraum eben hinrei¬ chend um ſich kennen zu lernen, einige Kin¬ der heran zu bringen, ſich zu entzweyen und, was das ſchoͤnſte ſey, ſich wieder zu verſoͤh¬ nen. Gewoͤhnlich rief er aus: wie gluͤcklich wuͤrde die erſte Zeit verſtreichen! Zwey, drey Jahre wenigſtens gingen vergnuͤglich hin. Dann wuͤrde doch wohl dem einen Theil dar¬ an gelegen ſeyn, das Verhaͤltniß laͤnger dau¬ ern zu ſehen, die Gefaͤlligkeit wuͤrde wachſen,I. 12178jemehr man ſich dem Termin der Aufkuͤndi¬ gung naͤherte. Der gleichguͤltige, ja ſelbſt der unzufriedene Theil wuͤrde durch ein ſolches Betragen beguͤtigt und eingenommen. Man vergaͤße, wie man in guter Geſellſchaft die Stunden vergißt, daß die Zeit verfließe, und faͤnde ſich aufs angenehmſte uͤberraſcht, wenn man nach verlaufnem Termin erſt bemerkte, daß er ſchon ſtillſchweigend verlaͤngert ſey.

So artig und luſtig dieß klang und ſo gut man, wie Charlotte wohl empfand, die¬ ſem Scherz eine tiefe moraliſche Deutung ge¬ ben konnte, ſo waren ihr dergleichen Aeuße¬ rungen, beſonders um Ottiliens willen, nicht angenehm. Sie wußte recht gut, daß nichts gefaͤhrlicher ſey, als ein allzufreyes Geſpraͤch, das einen ſtrafbaren oder halbſtrafbaren Zu¬ ſtand als einen gewoͤhnlichen, gemeinen, ja loͤblichen behandelt; und dahin gehoͤrt doch gewiß alles was die eheliche Verbindung an¬ taſtet. Sie ſuchte daher nach ihrer gewand¬179 ten Weiſe das Geſpraͤch abzulenken; da ſie es nicht vermochte, that es ihr leid, daß Ottilie alles ſo gut eingerichtet hatte um nicht auf¬ ſtehen zu duͤrfen. Das ruhig aufmerkſame Kind verſtand ſich mit dem Haushofmeiſter durch Blick und Wink, daß alles auf das trefflichſte gerieth, obgleich ein paar neue un¬ geſchickte Bedienten in der Livree ſtaken.

Und ſo fuhr der Graf, Charlottens Ab¬ lenken nicht empfindend, uͤber dieſen Gegen¬ ſtand ſich zu aͤußern fort. Ihm, der ſonſt nicht gewohnt war im Geſpraͤch irgend laͤſtig zu ſeyn, laſtete dieſe Sache zu ſehr auf dem Herzen, und die Schwierigkeiten, ſich von ſeiner Gemahlinn getrennt zu ſehen, machten ihn bitter gegen alles was eheliche Verbin¬ dung betraf, die er doch ſelbſt mit der Baro¬ neſſe ſo eifrig wuͤnſchte.

Jener Freund, ſo fuhr er fort, that noch einen andern Geſetzvorſchlag. Eine Ehe ſollte12 *180nur alsdann fuͤr unaufloͤslich gehalten wer¬ den, wenn entweder beyde Theile, oder we¬ nigſtens der eine Theil, zum drittenmal ver¬ heiratet waͤre. Denn was eine ſolche Per¬ ſon betreffe, ſo bekenne ſie unwiderſprechlich, daß ſie die Ehe fuͤr etwas unentbehrliches halte. Nun ſey auch ſchon bekannt gewor¬ den, wie ſie ſich in ihren fruͤhern Verbin¬ dungen betragen, ob ſie Eigenheiten habe, die oft mehr zur Trennung Anlaß geben als uͤble Eigenſchaften. Man habe ſich alſo wech¬ ſelſeitig zu erkundigen; man habe eben ſo gut auf Verheiratete wie auf Unverheiratete Acht zu geben, weil man nicht wiſſe, wie die Faͤlle kommen koͤnnen.

Das wuͤrde freylich das Intereſſe der Geſellſchaft ſehr vermehren, ſagte Eduard: denn in der That jetzt, wenn wir verheira¬ tet ſind, fragt Niemand weiter mehr nach unſern Tugenden, noch unſern Maͤngeln.

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Bey einer ſolchen Einrichtung, fiel die Baroneſſe laͤchelnd ein, haͤtten unſre lieben Wirthe ſchon zwey Stufen gluͤcklich uͤberſtie¬ gen, und koͤnnten ſich zu der dritten vorbe¬ reiten.

Ihnen iſt's wohl gerathen, ſagte der Graf: hier hat der Tod willig gethan, was die Conſiſtorien ſonſt nur ungern zu thun pflegen.

Laſſen wir die Todten ruhen, verſetzte Charlotte, mit einem halb ernſten Blicke.

Warum? verſetzte der Graf, da man ih¬ rer in Ehren gedenken kann. Sie waren be¬ ſcheiden genug ſich mit einigen Jahren zu be¬ gnuͤgen, fuͤr mannigfaltiges Gute das ſie zu¬ ruͤckließen.

Wenn nur nicht gerade, ſagte die Ba¬ roneſſe mit einem verhaltenen Seufzer, in182 ſolchen Faͤllen das Opfer der beſten Jahre gebracht werden muͤßte.

Ja wohl, verſetzte der Graf: man muͤßte daruͤber verzweifeln, wenn nicht uͤberhaupt in der Welt ſo weniges eine gehoffte Folge zeig¬ te. Kinder halten nicht was ſie verſprechen; junge Leute ſehr ſelten, und wenn ſie Wort halten, haͤlt es ihnen die Welt nicht.

Charlotte, welche froh war, daß das Ge¬ ſpraͤch ſich wendete, verſetzte heiter: Nun! wir muͤſſen uns ja ohnehin bald genug ge¬ woͤhnen, das Gute ſtuͤck - und theilweiſe zu genießen.

Gewiß, verſetzte der Graf, Sie haben beyde ſehr ſchoͤner Zeiten genoſſen. Wenn ich mir die Jahre zuruͤckerinnere, da Sie und Eduard das ſchoͤnſte Paar bey Hof waren; weder von ſo glaͤnzenden Zeiten noch von ſo hervorleuchtenden Geſtalten iſt jetzt die Rede183 mehr. Wenn Sie beyde zuſammen tanzten, aller Augen waren auf Sie gerichtet und wie umworben beyde, indem Sie ſich nur in ein¬ ander beſpiegelten.

Da ſich ſo manches veraͤndert hat, ſagte Charlotte, koͤnnen wir wohl ſo viel Schoͤnes mit Beſcheidenheit anhoͤren.

Eduarden habe ich doch oft im Stillen getadelt, ſagte der Graf, daß er nicht beharr¬ licher war: denn am Ende haͤtten ſeine wun¬ derlichen Aeltern wohl nachgegeben; und zehn fruͤhe Jahre gewinnen iſt keine Kleinigkeit.

Ich muß mich ſeiner annehmen, fiel die Baroneſſe ein. Charlotte war nicht ganz ohne Schuld, nicht ganz rein von allem Um¬ herſehen, und ob ſie gleich Eduarden von Herzen liebte und ſich ihn auch heimlich zum Gatten beſtimmte; ſo war ich doch Zeuge, wie ſehr ſie ihn manchmal quaͤlte, ſo daß184 man ihn leicht zu dem ungluͤcklichen Entſchluß draͤngen konnte, zu reiſen, ſich zu entfernen, ſich von ihr zu entwoͤhnen.

Eduard nickte der Baroneſſe zu und ſchien dankbar fuͤr ihre Vorſprache.

Und dann muß ich eins, fuhr ſie fort, zu Charlottens Entſchuldigung beyfuͤgen: der Mann der zu jener Zeit um ſie warb, hatte ſich ſchon lange durch Neigung zu ihr aus¬ gezeichnet und war, wenn man ihn naͤher kannte, gewiß liebenswuͤrdiger als ihr andern gern zugeſtehen moͤgt.

Liebe Freundinn, verſetzte der Graf etwas lebhaft: bekennen wir nur, daß er Ihnen nicht ganz gleichguͤltig war, und daß Char¬ lotte von Ihnen mehr zu befuͤrchten hatte als von einer andern. Ich finde das einen ſehr huͤbſchen Zug an den Frauen, daß ſie ihre Anhaͤnglichkeit an irgend einen Mann ſo lange185 noch fortſetzen, ja durch keine Art von Tren¬ nung ſtoͤren oder aufheben laſſen.

Dieſe gute Eigenſchaft beſitzen vielleicht die Maͤnner noch mehr, verſetzte die Baro¬ neſſe; wenigſtens an Ihnen, lieber Graf, habe ich bemerkt, daß Niemand mehr Ge¬ walt uͤber Sie hat als ein Frauenzimmer dem Sie fruͤher geneigt waren. So habe ich geſehen, daß Sie auf die Vorſprache ei¬ ner ſolchen ſich mehr Muͤhe gaben, um et¬ was auszuwirken, als vielleicht die Freun¬ dinn des Augenblicks von Ihnen erlangt haͤtte.

Einen ſolchen Vorwurf darf man ſich wohl gefallen laſſen, verſetzte der Graf; doch was Charlottens erſten Gemahl betrifft, ſo konnte ich ihn deshalb nicht leiden, weil er mir das ſchoͤne Paar auseinander ſprengte, ein wahrhaft praͤdeſtinirtes Paar, das ein¬ mal zuſammengegeben weder fuͤnf Jahre zu186 ſcheuen, noch auf eine zweyte oder gar dritte Verbindung hinzuſehen brauchte.

Wir wollen verſuchen, ſagte Charlotte, wieder einzubringen was wir verſaͤumt haben.

Da muͤſſen Sie ſich dazu halten, ſagte der Graf. Ihre erſten Heiraten, fuhr er mit einiger Heftigkeit fort, waren doch ſo ei¬ gentlich rechte Heiraten von der verhaßten Art; und leider haben uͤberhaupt die Heira¬ ten verzeihen Sie mir einen lebhafteren Ausdruck etwas Toͤlpelhaftes; ſie verder¬ ben die zarteſten Verhaͤltniſſe, und es liegt doch eigentlich nur an der plumpen Sicher¬ heit, auf die ſich wenigſtens ein Theil etwas zu Gute thut. Alles verſteht ſich von ſelbſt, und man ſcheint ſich nur verbunden zu haben damit eins wie das andre nunmehr ſeiner Wege gehe.

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In dieſem Augenblick machte Charlotte, die ein fuͤr allemal dieß Geſpraͤch abbrechen wollte, von einer kuͤhnen Wendung Gebrauch; es gelang ihr. Die Unterhaltung ward all¬ gemeiner, die beyden Gatten und der Haupt¬ mann konnten daran Theil nehmen; ſelbſt Ottilie ward veranlaßt ſich zu aͤußern, und der Nachtiſch ward mit der beſten Stim¬ mung genoſſen, woran der in zierlichen Frucht¬ koͤrben aufgeſtellte Obſtreichthum, die bunteſte in Prachtgefaͤßen ſchoͤn vertheilte Blumenfuͤlle, den vorzuͤglichſten Antheil hatte.

Auch die neuen Parkanlagen kamen zur Sprache, die man ſogleich nach Tiſche beſuch¬ te. Ottilie zog ſich unter dem Vorwande haͤuslicher Beſchaͤftigungen zuruͤck; eigentlich aber ſetzte ſie ſich wieder zur Abſchrift. Der Graf wurde von dem Hauptmann unterhal¬ ten; ſpaͤter geſellte ſich Charlotte zu ihm. Als ſie oben auf die Hoͤhe gelangt waren, und der Hauptmann gefaͤllig hinunter eilte um188 den Plan zu hohlen, ſagte der Graf zu Char¬ lotten: dieſer Mann gefaͤllt mir außerordent¬ lich. Er iſt ſehr wohl und im Zuſammen¬ hang unterrichtet. Eben ſo ſcheint ſeine Thaͤ¬ tigkeit ſehr ernſt und folgerecht. Was er hier leiſtet, wuͤrde in einem hoͤhern Kreiſe von viel Bedeutung ſeyn.

Charlotte vernahm des Hauptmanns Lob mit innigem Behagen. Sie faßte ſich jedoch und bekraͤftigte das Geſagte mit Ruhe und Klarheit. Wie uͤberraſcht war ſie aber, als der Graf fortfuhr: dieſe Bekanntſchaft kommt mir ſehr zu gelegener Zeit. Ich weiß eine Stel¬ le, an die der Mann vollkommen paßt, und ich kann mir durch eine ſolche Empfehlung, in¬ dem ich ihn gluͤcklich mache, einen hohen Freund auf das allerbeſte verbinden.

Es war wie ein Donnerſchlag der auf Charlotten herabfiel. Der Graf bemerkte nichts: denn die Frauen, gewohnt ſich jeder¬189 zeit zu baͤndigen, behalten in den außeror¬ dentlichſten Faͤllen immer noch eine Art von ſcheinbarer Faſſung. Doch hoͤrte ſie ſchon nicht mehr was der Graf ſagte, indem er fortfuhr: Wenn ich von etwas uͤberzeugt bin, geht es bey mir geſchwind her. Ich habe ſchon meinen Brief im Kopfe zuſammenge¬ ſtellt, und mich draͤngt's ihn zu ſchreiben. Sie verſchaffen mir einen reitenden Boten, den ich noch heute Abend wegſchicken kann.

Charlotte war innerlich zerriſſen. Von dieſen Vorſchlaͤgen ſo wie von ſich ſelbſt uͤber¬ raſcht, konnte ſie kein Wort hervorbringen. Der Graf fuhr gluͤcklicherweiſe fort von ſei¬ nen Planen fuͤr den Hauptmann zu ſprechen, deren Guͤnſtiges Charlotten nur allzuſehr in die Augen fiel. Es war Zeit, daß der Haupt¬ mann herauftrat und ſeine Rolle vor dem Grafen entfaltete. Aber mit wie andern Au¬ gen ſah ſie den Freund an, den ſie verlieren ſollte! Mit einer nothduͤrftigen Verbeugung190 wandte ſie ſich weg und eilte hinunter nach der Mooshuͤtte. Schon auf halbem Wege ſtuͤrzten ihr die Thraͤnen aus den Augen, und nun warf ſie ſich in den engen Raum der kleinen Einſiedeley und uͤberließ ſich ganz einem Schmerz, einer Leidenſchaft, einer Verzweiflung, von deren Moͤglichkeit ſie we¬ nig Augenblicke vorher auch nicht die leiſeſte Ahndung gehabt hatte.

Auf der andern Seite war Eduard mit der Baroneſſe an den Teichen hergegangen. Die kluge Frau, die gern von allem unter¬ richtet ſeyn mochte, bemerkte bald in einem taſtenden Geſpraͤch, daß Eduard ſich zu Otti¬ liens Lobe weitlaͤuftig herausließ, und wußte ihn auf eine ſo natuͤrliche Weiſe nach und nach in den Gang zu bringen, daß ihr zuletzt kein Zweifel uͤbrig blieb, hier ſey eine Leidenſchaft nicht auf dem Wege, ſondern wirklich angelangt.

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Verheiratete Frauen, wenn ſie ſich auch untereinander nicht lieben, ſtehen doch ſtill¬ ſchweigend mit einander, beſonders gegen junge Maͤdchen, im Buͤndniß. Die Folgen einer ſol¬ chen Zuneigung ſtellten ſich ihrem weltgewand¬ ten Geiſte nur allzugeſchwind dar. Dazu kam noch, daß ſie ſchon heute fruͤh mit Charlot¬ ten uͤber Ottilien geſprochen und den Aufent¬ halt dieſes Kindes auf dem Lande, beſonders bey ſeiner ſtillen Gemuͤthsart, nicht gebilligt und den Vorſchlag gethan hatte, Ottilien in die Stadt zu einer Freundinn zu bringen, die ſehr viel an die Erziehung ihrer einzigen Tochter wende, und ſich nur nach einer gut¬ artigen Geſpielinn umſehe, die an die zweyte Kindesſtatt eintreten und alle Vortheile mit¬ genießen ſolle. Charlotte hatte ſich's zur Ue¬ berlegung genommen.

Nun aber brachte der Blick in Eduards Gemuͤth dieſen Vorſchlag bey der Baroneſſe ganz zur vorſaͤtzlichen Feſtigkeit, und um ſo192 ſchneller dieſes in ihr vorging, um deſto mehr ſchmeichelte ſie aͤußerlich Eduards Wuͤnſchen. Denn Niemand beſaß ſich mehr als dieſe Frau, und dieſe Selbſtbeherrſchung in außerordentli¬ chen Faͤllen gewoͤhnt uns ſogar einen gemei¬ nen Fall mit Verſtellung zu behandeln, macht uns geneigt, indem wir ſo viel Gewalt uͤber uns ſelbſt uͤben, unſre Herrſchaft auch uͤber die andern zu verbreiten, um uns durch das was wir aͤußerlich gewinnen, fuͤr dasjenige was wir innerlich entbehren, gewiſſermaßen ſchadlos zu halten.

An dieſe Geſinnung ſchließt ſich meiſt eine Art heimlicher Schadenfreude uͤber die Dun¬ kelheit der andern, uͤber das Bewußtloſe, womit ſie in eine Falle gehen. Wir freuen uns nicht allein uͤber das gegenwaͤrtige Ge¬ lingen, ſondern zugleich auch auf die kuͤnftig uͤberraſchende Beſchaͤmung. Und ſo war die Baroneſſe boshaft genug, Eduarden zur Wein¬ leſe auf ihre Guͤter mit Charlotten einzula¬193 den und die Frage Eduards: ob ſie Ottilien mitbringen duͤrften, auf eine Weiſe die er beliebig zu ſeinen Gunſten auslegen konnte, zu beantworten.

Eduard ſprach ſchon mit Entzuͤcken von der herrlichen Gegend, dem großen Fluſſe, den Huͤgeln, Felſen und Weinbergen, von alten Schloͤſſern, von Waſſerfahrten, von dem Ju¬ bel der Weinleſe, des Kelterns u. ſ. w. wo¬ bey er in der Unſchuld ſeines Herzens ſich ſchon zum Voraus laut uͤber den Eindruck freute, den dergleichen Scenen auf das friſche Gemuͤth Ottiliens machen wuͤrden. In die¬ ſem Augenblick ſah man Ottilien heran kom¬ men, und die Baroneſſe ſagte ſchnell zu Edu¬ ard: Er moͤchte von dieſer vorhabenden Herbſtreiſe ja nichts reden: denn gewoͤhnlich geſchaͤhe das nicht worauf man ſich ſo lange voraus freue. Eduard verſprach, noͤthigte ſie aber Ottilien entgegen geſchwinder zu gehen, und eilte ihr endlich, dem lieben Kinde zu,I. 13194mehrere Schritte voran. Eine herzliche Freude druͤckte ſich in ſeinem ganzen Weſen aus. Er kuͤßte ihr die Hand, in die er einen Strauß Feldblumen druͤckte, die er unterwegs zuſam¬ mengepfluͤckt hatte. Die Baroneſſe fuͤhlte ſich bey dieſem Anblick in ihrem Innern faſt er¬ bittert. Denn wenn ſie auch das was an dieſer Neigung ſtrafbar ſeyn mochte, nicht billi¬ gen durfte, ſo konnte ſie das was daran lie¬ benswuͤrdig und angenehm war, jenem unbe¬ deutenden Neuling von Maͤdchen keineswegs goͤnnen.

Als man ſich zum Abendeſſen zuſammen geſetzt hatte, war eine voͤllig andre Stimmung in der Geſellſchaft verbreitet. Der Graf, der ſchon vor Tiſche geſchrieben und den Bo¬ ten fortgeſchickt hatte, unterhielt ſich mit dem Hauptmann, den er auf eine verſtaͤndige und beſcheidene Weiſe immer mehr ausforſchte, indem er ihn dieſen Abend an ſeine Seite gebracht hatte. Die zur Rechten des Gra¬195 fen ſitzende Baroneſſe fand von daher we¬ nig Unterhaltung; eben ſo wenig an Eduard, der erſt durſtig, dann aufgeregt, des Weines nicht ſchonte und ſich ſehr lebhaft mit Ottilien unterhielt die er an ſich gezogen hatte, wie von der andern Seite neben dem Hauptmann Charlotte ſaß, der es ſchwer, ja beynahe unmoͤglich ward, die Bewegungen ihres Inn¬ ren zu verbergen.

Die Baroneſſe hatte Zeit genug, Beob¬ achtungen anzuſtellen. Sie bemerkte Char¬ lottens Unbehagen, und weil ſie nur Eduards Verhaͤltniß zu Ottilien im Sinn hatte; ſo uͤberzeugte ſie ſich leicht, auch Charlotte ſey bedenklich und verdrießlich uͤber ihres Gemahls Benehmen, und uͤberlegte, wie ſie nun¬ mehr am beſten zu ihren Zwecken gelangen koͤnne.

Auch nach Tiſche fand ſich ein Zwieſpalt in der Geſellſchaft. Der Graf, der den13 *196Hauptmann recht ergruͤnden wollte, brauchte bey einem ſo ruhigen, keineswegs eitlen und uͤberhaupt laconiſchen Manne verſchiedene Wen¬ dungen, um zu erfahren was er wuͤnſchte. Sie gingen miteinander an der einen Seite des Saals auf und ab, indeß Eduard, auf¬ geregt von Wein und Hoffnung, mit Ottilien an einem Fenſter ſcherzte, Charlotte und die Baroneſſe aber ſtillſchweigend an der andern Seite des Saals nebeneinander hin und wieder gingen. Ihr Schweigen und muͤßiges Umherſtehen brachte denn auch zuletzt eine Stockung in die uͤbrige Geſellſchaft. Die Frauen zogen ſich zuruͤck auf ihren Fluͤgel, die Maͤnner auf den andern, und ſo ſchien die¬ ſer Tag abgeſchloſſen.

Elftes Kapitel.

Eduard begleitete den Grafen auf ſein Zimmer und ließ ſich recht gern durchs Ge¬ ſpraͤch verfuͤhren, noch eine Zeit lang bey ihm zu bleiben. Der Graf verlor ſich in vorige Zeiten, gedachte mit Lebhaftigkeit an die Schoͤnheit Charlottens, die er als ein Ken¬ ner mit vielem Feuer entwickelte. Ein ſchoͤ¬ ner Fuß iſt eine große Gabe der Natur. Dieſe Anmuth iſt unverwuͤſtlich. Ich habe ſie heute im Gehen beobachtet; noch immer moͤchte man ihren Schuh kuͤſſen, und die zwar etwas barbariſche aber doch tief gefuͤhlte Ehrenbezeugung der Sarmaten wiederhohlen, die ſich nichts beſſeres kennen, als aus dem198 Schuh einer geliebten und verehrten Perſon ihre Geſundheit zu trinken.

Die Spitze des Fußes blieb nicht allein der Gegenſtand des Lobes unter zwey vertrau¬ ten Maͤnnern. Sie gingen von der Perſon auf alte Geſchichten und Abenteuer zuruͤck und kamen auf die Hinderniſſe, die man ehe¬ mals den Zuſammenkuͤnften dieſer beyden Lie¬ benden entgegengeſetzt, welche Muͤhe ſie ſich gegeben, welche Kunſtgriffe ſie erfunden, nur um ſich ſagen zu koͤnnen, daß ſie ſich liebten.

Erinnerſt du dich, fuhr der Graf fort, welch Abenteuer ich dir recht freundſchaft¬ lich und uneigennuͤtzig beſtehen helfen, als unſre hoͤchſten Herrſchaften ihren Oheim be¬ ſuchten und auf dem weitlaͤuftigen Schloſſe zuſammenkamen? Der Tag war in Feyerlich¬ keiten und Feyerkleidern hingegangen, ein Theil der Nacht ſollte wenigſtens unter frey¬ em liebevollen Geſpraͤch verſtreichen.

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Den Hinweg zu dem Quartier der Hof¬ damen hatten Sie ſich wohl gemerkt, ſagte Eduard. Wir gelangten gluͤcklich zu meiner Geliebten.

Die, verſetzte der Graf, mehr an den Anſtand als an meine Zufriedenheit gedacht und eine ſehr haͤßliche Ehrenwaͤchterinn bey ſich behalten hatte; da mir denn, indeſſen ihr euch mit Blicken und Worten ſehr gut unterhieltet, ein hoͤchſt unerfreuliches Loos zu Theil ward.

Ich habe mich noch geſtern, verſetzte Edu¬ ard, als Sie ſich anmelden ließen, mit mei¬ ner Frau an die Geſchichte erinnert, beſon¬ ders an unſern Ruͤckzug. Wir verfehlten den Weg und kamen an den Vorſaal der Garden. Weil wir uns nun von da recht gut zu fin¬ den wußten, ſo glaubten wir auch hier ganz ohne Bedenken hindurch und an dem Poſten, wie an den uͤbrigen, vorbey gehen zu koͤnnen. 200Aber wie groß war beym Eroͤffnen der Thuͤ¬ re unſere Verwunderung! Der Weg war mit Matratzen verlegt, auf denen die Rieſen in mehreren Reihen ausgeſtreckt lagen und ſchlie¬ fen. Der einzige Wachende auf dem Poſten ſah uns verwundert an; wir aber im jugend¬ lichen Muth und Muthwillen ſtiegen ganz gelaſſen uͤber die ausgeſtreckten Stiefel weg, ohne daß auch nur einer von dieſen ſchnar¬ chenden Enakskindern erwacht waͤre.

Ich hatte große Luſt zu ſtolpern, ſagte der Graf, damit es Laͤrm gegeben haͤtte: denn welch eine ſeltſame Auferſtehung wuͤrden wir geſehen haben!

In dieſem Augenblick ſchlug die Schlo߬ glocke Zwoͤlf.

Es iſt hoch Mitternacht, ſagte der Graf laͤchelnd, und eben gerechte Zeit. Ich muß Sie, lieber Baron, um eine Gefaͤlligkeit bit¬201 ten: fuͤhren Sie mich heute wie ich Sie da¬ mals fuͤhrte; ich habe der Baroneſſe das Verſprechen gegeben ſie noch zu beſuchen. Wir haben uns den ganzen Tag nicht allein geſprochen, wir haben uns ſo lange nicht ge¬ ſehen, und nichts iſt natuͤrlicher als daß man ſich nach einer vertraulichen Stunde ſehnt. Zeigen Sie mir den Hinweg, den Ruͤckweg will ich ſchon finden und auf alle Faͤlle werde ich uͤber keine Stiefel wegzuſtolpern haben.

Ich will Ihnen recht gern dieſe gaſtliche Gefaͤlligkeit erzeigen, verſetzte Eduard; nur ſind die drey Frauenzimmer druͤben zuſammen auf dem Fluͤgel. Wer weiß, ob wir ſie nicht noch beyeinander finden, oder was wir ſonſt fuͤr Haͤndel anrichten, die irgend ein wunder¬ liches Anſehn gewinnen.

Nur ohne Sorge! ſagte der Graf: die Baroneſſe erwartet mich. Sie iſt um dieſe Zeit gewiß auf ihrem Zimmer und allein.

202

Die Sache iſt uͤbrigens leicht, verſetzte Eduard, und nahm ein Licht, dem Grafen vorleuchtend eine geheime Treppe hinunter, die zu einem langen Gang fuͤhrte. Am Ende deſſelben oͤffnete Eduard eine kleine Thuͤre. Sie erſtiegen eine Wendeltreppe; oben auf einem engen Ruheplatz deutete Eduard dem Grafen, dem er das Licht in die Hand gab, nach einer Tapetenthuͤre rechts, die beym erſten Verſuch ſogleich ſich oͤffnete, den Grafen auf¬ nahm und Eduard in dem dunklen Raum zu¬ ruͤckließ.

Eine andre Thuͤre links ging in Charlot¬ tens Schlafzimmer. Er hoͤrte reden und horchte. Charlotte ſprach zu ihrem Kammer¬ maͤdchen: iſt Ottilie ſchon zu Bette? Nein, verſetzte jene; ſie ſitzt noch unten und ſchreibt. So zuͤnde Sie das Nachtlicht an, ſagte Char¬ lotte, und gehe Sie nur hin: es iſt ſpaͤt. Die Kerze will ich ſelbſt ausloͤſchen und fuͤr mich zu Bette gehen.

203

Eduard hoͤrte mit Entzuͤcken, daß Ottilie noch ſchreibe. Sie beſchaͤftigt ſich fuͤr mich! dachte er triumphirend. Durch die Finſter¬ niß ganz in ſich ſelbſt geengt ſah er ſie ſitzen, ſchreiben; er glaubte zu ihr zu treten, ſie zu ſehen, wie ſie ſich nach ihm umkehrte; er fuͤhlte ein unuͤberwindliches Verlangen ihr noch einmal nahe zu ſeyn. Von hier aber war kein Weg in das Halbgeſchoß wo ſie wohnte. Nun fand er ſich unmittelbar an ſeiner Frauen Thuͤre, eine ſonderbare Ver¬ wechſelung ging in ſeiner Seele vor, er ſuchte die Thuͤre aufzudrehen, er fand ſie verſchloſ¬ ſen, er pochte leiſe an, Charlotte hoͤrte nicht.

Sie ging in dem groͤßeren Nebenzimmer lebhaft auf und ab. Sie wiederhohlte ſich aber und abermals was ſie ſeit jenem uner¬ warteten Vorſchlag des Grafen oft genug bey ſich um und um gewendet hatte. Der Haupt¬ mann ſchien vor ihr zu ſtehen. Er fuͤllte noch das Haus, er belebte noch die Spazir¬204 gaͤnge und er ſollte fort, das alles ſollte leer werden! Sie ſagte ſich alles was man ſich ſagen kann, ja ſie anticipirte, wie man ge¬ woͤhnlich pflegt, den leidigen Troſt, daß auch ſolche Schmerzen durch die Zeit gelindert wer¬ den. Sie verwuͤnſchte die Zeit, die es braucht um ſie zu lindern; ſie verwuͤnſchte die todten¬ hafte Zeit, wo ſie wuͤrden gelindert ſeyn.

Da war denn zuletzt die Zuflucht zu den Thraͤnen um ſo willkommner, als ſie bey ihr ſelten ſtatt fand. Sie warf ſich auf den So¬ pha und uͤberließ ſich ganz ihrem Schmerz. Eduard ſeinerſeits konnte von der Thuͤre nicht weg; er pochte nochmals, und zum dritten¬ mal etwas ſtaͤrker, ſo daß Charlotte durch die Nachtſtille es ganz deutlich vernahm und erſchreckt auffuhr. Der erſte Gedanke war: es koͤnne, es muͤſſe der Hauptmann ſeyn; der zweyte: das ſey unmoͤglich! Sie hielt es fuͤr Taͤuſchung; aber ſie hatte es gehoͤrt, ſie wuͤnſchte, ſie fuͤrchtete es gehoͤrt zu ha¬205 ben. Sie ging ins Schlafzimmer, trat leiſe zu der verriegelten Tapetenthuͤre. Sie ſchalt ſich uͤber ihre Furcht: wie leicht kann die Graͤfinn etwas beduͤrfen! ſagte ſie zu ſich ſelbſt und rief gefaßt und geſetzt: Iſt jemand da? Eine leiſe Stimme antwortete: Ich bins. Wer? entgegnete Charlotte, die den Ton nicht unterſcheiden konnte. Ihr ſtand des Hauptmanns Geſtalt vor der Thuͤre. Etwas lauter klang es ihr entgegen: Eduard! Sie oͤffnete und ihr Gemahl ſtand vor ihr. Er begruͤßte ſie mit einem Scherz. Es ward ihr moͤglich in dieſem Tone fortzufahren. Er ver¬ wickelte den raͤthſelhaften Beſuch in raͤthſel¬ hafte Erklaͤrungen. Warum ich denn aber ei¬ gentlich komme, ſagte er zuletzt, muß ich dir nur geſtehen. Ich habe ein Geluͤbde gethan, heute Abend noch deinen Schuh zu kuͤſſen.

Das iſt dir lange nicht eingefallen, ſagte Charlotte. Deſto ſchlimmer, verſetzte Eduard, und deſto beſſer!

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Sie hatte ſich in einen Seſſel geſetzt, um ihre leichte Nachtkleidung ſeinen Blicken zu entziehen. Er warf ſich vor ihr nieder und ſie konnte ſich nicht erwehren, daß er nicht ihren Schuh kuͤßte, und daß, als dieſer ihm in der Hand blieb, er den Fuß ergriff und ihn zaͤrtlich an ſeine Bruſt druͤckte.

Charlotte war eine von den Frauen, die von Natur maͤßig, im Eheſtande, ohne Vor¬ ſatz und Anſtrengung, die Art und Weiſe der Liebhaberinnen fortfuͤhren. Niemals reiz¬ te ſie den Mann, ja ſeinem Verlangen kam ſie kaum entgegen; aber ohne Kaͤlte und ab¬ ſtoßende Strenge glich ſie immer einer liebe¬ vollen Braut, die ſelbſt vor dem Erlaub¬ ten noch innige Scheu traͤgt. Und ſo fand ſie Eduard dieſen Abend in doppeltem Sinne. Wie ſehnlich wuͤnſchte ſie den Gatten weg: denn die Luftgeſtalt des Freundes ſchien ihr Vorwuͤrfe zu machen. Aber das was Eduar¬ den haͤtte entfernen ſollen, zog ihn nur mehr207 an. Eine gewiſſe Bewegung war an ihr ſichtbar. Sie hatte geweint, und wenn wei¬ che Perſonen dadurch meiſt an Anmuth verlie¬ ren, ſo gewinnen diejenigen dadurch unendlich, die wir gewoͤhnlich als ſtark und gefaßt ken¬ nen. Eduard war ſo liebenswuͤrdig, ſo freund¬ lich, ſo dringend; er bat ſie, bey ihr bleiben zu duͤrfen, er forderte nicht, bald ernſt bald ſcherzhaft ſuchte er ſie zu bereden, er dachte nicht daran, daß er Rechte habe und loͤſchte zuletzt muthwillig die Kerze aus.

In der Lampendaͤmmerung ſogleich behaup¬ tete die innre Neigung, behauptete die Ein¬ bildungskraft ihre Rechte uͤber das Wirkliche. Eduard hielt nur Ottilien in ſeinen Armen; Charlotten ſchwebte der Hauptmann naͤher oder ferner vor der Seele, und ſo verwebten, wunderſam genug, ſich Abweſendes und Ge¬ genwaͤrtiges reizend und wonnevoll durchein¬ ander.

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Und doch laͤßt ſich die Gegenwart ihr un¬ geheures Recht nicht rauben. Sie brachten einen Theil der Nacht unter allerley Geſpraͤ¬ chen und Scherzen zu, die um deſto freyer waren als das Herz leider keinen Theil dar¬ an nahm. Aber als Eduard des andern Morgens an dem Buſen ſeiner Frau erwach¬ te, ſchien ihm der Tag ahndungsvoll herein¬ zublicken, die Sonne ſchien ihm ein Verbre¬ chen zu beleuchten; er ſchlich ſich leiſe von ihrer Seite, und ſie fand ſich, ſeltſam genug, allein als ſie erwachte.

Zwoͤlftes Kapitel.

Als die Geſellſchaft zum Fruͤhſtuͤck wieder zuſammen kam, haͤtte ein aufmerkſamer Beob¬ achter an dem Betragen der Einzelnen die Verſchiedenheit der innern Geſinnungen und Empfindungen abnehmen koͤnnen. Der Graf und die Baroneſſe begegneten ſich mit dem heitern Behagen, das ein paar Liebende em¬ pfinden, die ſich, nach erduldeter Trennung, ihrer wechſelſeitigen Neigung abermals ver¬ ſichert halten; dagegen Charlotte und Eduard gleichſam beſchaͤmt und reuig dem Hauptmann und Ottilien entgegen traten. Denn ſo iſt die Liebe beſchaffen, daß ſie allein Recht zu haben glaubt und alle anderen Rechte vor ihr verſchwinden. Ottilie war kindlich heiter,I. 14210nach ihrer Weiſe konnte man ſie offen nennen. Ernſt erſchien der Hauptmann; ihm war bey der Unterredung mit dem Grafen, indem dieſer alles in ihm aufregte was einige Zeit ge¬ ruht und geſchlafen hatte, nur zu fuͤhlbar ge¬ worden, daß er eigentlich hier ſeine Beſtim¬ mung nicht erfuͤlle und im Grunde blos in einem halbthaͤtigen Muͤßiggang hinſchlendere. Kaum hatten ſich die beyden Gaͤſte entfernt, als ſchon wieder neuer Beſuch eintraf, Char¬ lotten willkommen, die aus ſich ſelbſt heraus zu gehen, ſich zu zerſtreuen wuͤnſchte; Eduar¬ den ungelegen, der eine doppelte Neigung fuͤhl¬ te ſich mit Ottilien zu beſchaͤftigen; Ottilien gleichfalls unerwuͤnſcht, die mit ihrer auf morgen fruͤh ſo noͤthigen Abſchrift noch nicht fertig war. Und ſo eilte ſie auch, als die Fremden ſich ſpaͤt entfernten, ſogleich auf ihr Zimmer.

Es war Abend geworden. Eduard, Char¬ lotte und der Hauptmann, welche die Frem¬211 den, ehe ſie ſich in den Wagen ſetzten, eine Strecke zu Fuß begleitet hatten, wurden ei¬ nig noch einen Spazirgang nach den Tei¬ chen zu machen. Ein Kahn war angekom¬ men, den Eduard mit anſehnlichen Koſten aus der Ferne verſchrieben hatte. Man wollte verſuchen, ob er ſich leicht bewegen und len¬ ken laſſe.

Er war am Ufer des mittelſten Teiches nicht weit von einigen alten Eichbaͤumen ange¬ bunden, auf die man ſchon bey kuͤnftigen Anlagen gerechnet hatte. Hier ſollte ein Lan¬ dungsplatz angebracht, unter den Baͤumen ein architectoniſcher Ruheſitz aufgefuͤhrt werden, wonach diejenigen die uͤber den See fahren, zu ſteuern haͤtten.

Wo wird man denn nun druͤben die Lan¬ dung am beſten anlegen? fragte Eduard. Ich ſollte denken bey meinen Platanen.

14 *212

Sie ſtehen ein wenig zu weit rechts, ſagte der Hauptmann. Landet man weiter unten, ſo iſt man dem Schloſſe naͤher; doch muß man es uͤberlegen.

Der Hauptmann ſtand ſchon im Hinter¬ theile des Kahns und hatte ein Ruder ergrif¬ fen. Charlotte ſtieg ein, Eduard gleichfalls und faßte das andre Ruder; aber als er eben im Abſtoßen begriffen war, gedachte er Ottili¬ ens, gedachte daß ihn dieſe Waſſerfahrt verſpaͤ¬ ten, wer weiß erſt wann zuruͤckfuͤhren wuͤrde. Er entſchloß ſich kurz und gut, ſprang wieder ans Land, reichte dem Hauptmann das andre Ruder und eilte, ſich fluͤchtig entſchuldigend, nach Hauſe.

Dort vernahm er: Ottilie habe ſich ein¬ geſchloſſen, ſie ſchreibe. Bey dem angenehmen Gefuͤhle, daß ſie fuͤr ihn etwas thue, em¬ pfand er das lebhafteſte Misbehagen ſie nicht gegenwaͤrtig zu ſehen. Seine Ungeduld ver¬213 mehrte ſich mit jedem Augenblicke. Er ging in dem großen Saale auf und ab, verſuchte allerley und nichts vermochte ſeine Aufmerk¬ ſamkeit zu feſſeln. Sie wuͤnſchte er zu ſehen, allein zu ſehen, ehe noch Charlotte mit dem Hauptmann zuruͤckkaͤme. Es ward Nacht, die Kerzen wurden angezuͤndet.

Endlich trat ſie herein, glaͤnzend von Lie¬ benswuͤrdigkeit. Das Gefuͤhl etwas fuͤr den Freund gethan zu haben, hatte ihr ganzes Weſen uͤber ſich ſelbſt gehoben. Sie legte das Original und die Abſchrift vor Eduard auf den Tiſch. Wollen wir collationiren? ſagte ſie laͤchelnd. Eduard wußte nicht was er erwiedern ſollte. Er ſah ſie an, er beſah die Abſchrift. Die erſten Blaͤtter waren mit der groͤßten Sorgfalt, mit einer zarten weib¬ lichen Hand geſchrieben; dann ſchienen ſich die Zuͤge zu veraͤndern, leichter und freyer zu werden: aber wie erſtaunt war er, als er die letzten Seiten mit den Augen uͤberlief! 214Um Gotteswillen! rief er aus, was iſt das? Das iſt meine Hand! Er ſah Ottilien an und wieder auf die Blaͤtter; beſonders der Schluß war ganz als wenn er ihn ſelbſt ge¬ ſchrieben haͤtte. Ottilie ſchwieg, aber ſie blickte ihm mit der groͤßten Zufriedenheit in die Au¬ gen. Eduard hob ſeine Arme empor: Du liebſt mich! rief er aus: Ottilie du liebſt mich! und ſie hielten einander umfaßt. Wer das andere zuerſt ergriffen, waͤre nicht zu un¬ terſcheiden geweſen.

Von dieſem Augenblick an war die Welt fuͤr Eduarden umgewendet, er nicht mehr was er geweſen, die Welt nicht mehr was ſie ge¬ weſen. Sie ſtanden vor einander, er hielt ihre Haͤnde, ſie ſahen einander in die Augen, im Begriff ſich wieder zu umarmen.

Charlotte mit dem Hauptmann trat her¬ ein. Zu den Entſchuldigungen eines laͤngeren Außenbleibens laͤchelte Eduard heimlich. O215 wie viel zu fruͤh kommt ihr! ſagte er zu ſich ſelbſt.

Sie ſetzten ſich zum Abendeſſen. Die Per¬ ſonen des heutigen Beſuchs wurden beurtheilt. Eduard liebevoll aufgeregt ſprach gut von ei¬ nem Jeden, immer ſchonend, oft billigend. Charlotte, die nicht durchaus ſeiner Meinung war, bemerkte dieſe Stimmung und ſcherzte mit ihm, daß er, der ſonſt uͤber die ſcheidende Ge¬ ſellſchaft immer das ſtrengſte Zungengericht er¬ gehen laſſe, heute ſo mild und nachſichtig ſey.

Mit Feuer und herzlicher Ueberzeugung rief Eduard: Man muß nur Ein Weſen recht von Grund aus lieben, da kommen einem die uͤbri¬ gen alle liebenswuͤrdig vor! Ottilie ſchlug die Augen nieder, und Charlotte ſah vor ſich hin.

Der Hauptmann nahm das Wort und ſagte: Mit den Gefuͤhlen der Hochachtung, der Verehrung, iſt es doch auch etwas aͤhnliches. 216Man erkennt nur erſt das Schaͤtzenswerthe in der Welt, wenn man ſolche Geſinnungen an Ei¬ nem Gegenſtande zu uͤben Gelegenheit findet.

Charlotte ſuchte bald in ihr Schlafzim¬ mer zu gelangen, um ſich der Erinnerung deſſen zu uͤberlaſſen, was dieſen Abend zwi¬ ſchen ihr und dem Hauptmann vorgegangen war.

Als Eduard ans Ufer ſpringend den Kahn vom Lande ſtieß, Gattinn und Freund dem ſchwankenden Element ſelbſt uͤberantwor¬ tete, ſah nunmehr Charlotte den Mann, um den ſie im Stillen ſchon ſo viel gelitten hatte, in der Daͤmmerung vor ſich ſitzen und durch die Fuͤhrung zweyer Ruder das Fahrzeug in beliebiger Richtung fortbewegen. Sie em¬ pfand eine tiefe, ſelten gefuͤhlte Traurigkeit. Das Kreiſen des Kahns, das Plaͤtſchern der Ruder, der uͤber den Waſſerſpiegel hinſchau¬ ernde Windhauch, das Saͤuſeln der Rohre,217 das letzte Schweben der Voͤgel, das Blinken und Wiederblinken der erſten Sterne, alles hatte etwas Geiſterhaftes in dieſer allgemeinen Stille. Es ſchien ihr, der Freund fuͤhre ſie weit weg, um ſie auszuſetzen, ſie allein zu laſſen. Eine wunderbare Bewegung war in ihrem Innern, und ſie konnte nicht weinen.

Der Hauptmann beſchrieb ihr unterdeſſen, wie nach ſeiner Abſicht die Anlagen werden ſollten. Er ruͤhmte die guten Eigenſchaften des Kahns, daß er ſich leicht mit zwey Ru¬ dern von Einer Perſon bewegen[und] regieren laſſe. Sie werde das ſelbſt lernen, es ſey eine angenehme Empfindung manchmal allein auf dem Waſſer hinzuſchwimmen und ſein eigner Faͤhr - und Steuermann zu ſeyn.

Bey dieſen Worten fiel der Freundinn die bevorſtehende Trennung aufs Herz. Sagt er das mit Vorſatz? dachte ſie bey ſich ſelbſt: Weiß er ſchon davon? vermuthet er's? oder218 ſagt er es zufaͤllig? ſo daß er mir bewußtlos mein Schickſal vorausverkuͤndigt. Es ergriff ſie eine große Wehmuth, eine Ungeduld; ſie bat ihn, baldmoͤglichſt zu landen und mit ihr nach dem Schloſſe zuruͤckzukehren.

Es war das erſtemal, daß der Hauptmann die Teiche befuhr, und ob er gleich im Allge¬ meinen ihre Tiefe unterſucht hatte, ſo waren ihm doch die einzelnen Stellen unbekannt. Dunkel fing es an zu werden, er richtete ſei¬ nen Lauf dahin, wo er einen bequemen Ort zum Ausſteigen vermuthete und den Fußpfad nicht entfernt wußte, der nach dem Schloſſe fuͤhrte. Aber auch von dieſer Bahn wurde er einigermaßen abgelenkt, als Charlotte mit ei¬ ner Art von Aengſtlichkeit den Wunſch wieder¬ hohlte, bald am Lande zu ſeyn. Er naͤherte ſich mit erneuten Anſtrengungen dem Ufer, aber leider fuͤhlte er ſich in einiger Entfernung da¬ von angehalten; er hatte ſich feſt gefahren und ſeine Bemuͤhungen wieder los zu kommen219 waren vergebens. Was war zu thun? Ihm blieb nichts uͤbrig als in das Waſſer zu ſtei¬ gen, das ſeicht genug war, und die Freundinn an das Land zu tragen. Gluͤcklich brachte er die liebe Buͤrde hinuͤber, ſtark genug um nicht zu ſchwanken oder ihr einige Sorge zu geben, aber doch hatte ſie aͤngſtlich ihre Ar¬ me um ſeinen Hals geſchlungen. Er hielt ſie feſt und druͤckte ſie an ſich. Erſt auf einem Raſenabhang ließ er ſie nieder, nicht ohne Bewegung und Verwirrung. Sie lag noch an ſeinem Halſe; er ſchloß ſie aufs neue in ſeine Arme und druͤckte einen lebhaften Kuß auf ihre Lippen; aber auch im Augenblick lag er zu ihren Fuͤßen, druͤckte ſeinen Mund auf ihre Hand und rief: Charlotte, werden Sie mir vergeben?

Der Kuß, den der Freund gewagt, den ſie ihm beynahe zuruͤck gegeben, brachte Char¬ lotten wieder zu ſich ſelbſt. Sie druͤckte ſeine Hand, aber ſie hob ihn nicht auf. Doch in¬220 dem ſie ſich zu ihm hinunterneigte und eine Hand auf ſeine Schultern legte, rief ſie aus: Daß dieſer Augenblick in unſerm Leben Epo¬ che mache, koͤnnen wir nicht verhindern; aber daß ſie unſer werth ſey, haͤngt von uns ab. Sie muͤſſen ſcheiden, lieber Freund, und Sie werden ſcheiden. Der Graf macht Anſtalt Ihr Schickſal zu verbeſſern; es freut und ſchmerzt mich. Ich wollte es verſchweigen bis es gewiß waͤre; der Augenblick noͤthigt mich dieß Geheimniß zu entdecken. Nur in ſofern kann ich Ihnen, kann ich mir verzeihen, wenn wir den Muth haben unſre Lage zu aͤndern, da es von uns nicht abhaͤngt unſre Geſinnung zu aͤndern. Sie hub ihn auf und ergriff ſeinen Arm um ſich darauf zu ſtuͤtzen, und ſo kamen ſie ſtillſchweigend nach dem Schloſſe.

Nun aber ſtand ſie in ihrem Schlafzim¬ mer, wo ſie ſich als Gattinn Eduards empfin¬ den und betrachten mußte. Ihr kam bey die¬221 ſen Widerſpruͤchen ihr tuͤchtiger und durchs Leben mannigfaltig geuͤbter Character zu Huͤlfe. Immer gewohnt ſich ihrer ſelbſt bewußt zu ſeyn, ſich ſelbſt zu gebieten, ward es ihr auch jetzt nicht ſchwer, durch ernſte Betrachtung ſich dem erwuͤnſchten Gleichgewichte zu naͤ¬ hern; ja ſie mußte uͤber ſich ſelbſt laͤcheln, indem ſie des wunderlichen Nachtbeſuches gedachte. Doch ſchnell ergriff ſie eine ſeltſa¬ me Ahndung, ein freudig baͤngliches Erzit¬ tern, das in fromme Wuͤnſche und Hoffnun¬ gen ſich aufloͤſte. Geruͤhrt kniete ſie nieder, ſie wiederhohlte den Schwur den ſie Eduar¬ den vor dem Altar gethan. Freundſchaft, Neigung, Entſagen gingen vor ihr in heitern Bildern voruͤber. Sie fuͤhlte ſich innerlich wieder hergeſtellt. Bald ergreift ſie eine ſuͤße Muͤdigkeit und ruhig ſchlaͤft ſie ein.

Dreyzehntes Kapitel.

Eduard von ſeiner Seite iſt in einer ganz verſchiedenen Stimmung. Zu ſchlafen denkt er ſo wenig, daß es ihm nicht einmal ein¬ faͤllt ſich auszuziehen. Die Abſchrift des Documents kuͤßt er tauſendmal, den An¬ fang von Ottiliens kindlich ſchuͤchterner Hand; das Ende wagt er kaum zu kuͤſſen, weil er ſeine eigene Hand zu ſehen glaubt. O daß es ein andres Document waͤre! ſagt er ſich im Stillen; und doch iſt es ihm auch ſo ſchon die ſchoͤnſte Verſicherung, daß ſein hoͤch¬ ſter Wunſch erfuͤllt ſey. Bleibt es ja doch in ſeinen Haͤnden, und wird er es nicht im¬ merfort an ſein Herz druͤcken, obgleich ent¬ ſtellt durch die Unterſchrift eines Dritten!

223

Der abnehmende Mond ſteigt uͤber den Wald hervor. Die warme Nacht lockt Edu¬ arden ins Freye; er ſchweift umher, er iſt der unruhigſte und der gluͤcklichſte aller Sterb¬ lichen. Er wandelt durch die Gaͤrten; ſie ſind ihm zu enge; er eilt auf das Feld, und es wird ihm zu weit. Nach dem Schloſſe zieht es ihn zuruͤck; er findet ſich unter Otti¬ liens Fenſtern. Dort ſetzt er ſich auf eine Terraſſentreppe. Mauern und Riegel, ſagt er zu ſich ſelbſt, trennen uns jetzt, aber unſre Herzen ſind nicht getrennt. Stuͤnde ſie vor mir, in meine Arme wuͤrde ſie fallen, ich in die ihrigen, und was bedarf es weiter als dieſe Gewißheit! Alles war ſtill um ihn her, kein Luͤftchen regte ſich, ſo ſtill war's, daß er das wuͤhlende Arbeiten emſiger Thiere un¬ ter der Erde vernehmen konnte, denen Tag und Nacht gleich ſind. Er hing ganz ſeinen gluͤcklichen Traͤumen nach, ſchlief endlich ein und erwachte nicht eher wieder als bis die224 Sonne mit herrlichem Blick heraufſtieg und die fruͤhſten Nebel gewaͤltigte.

Nun fand er ſich den erſten Wachenden in ſeinen Beſitzungen. Die Arbeiter ſchienen ihm zu lange auszubleiben. Sie kamen; es ſchienen ihm ihrer zu wenig, und die vorge¬ ſetzte Tagesarbeit fuͤr ſeine Wuͤnſche zu gering. Er fragte nach mehreren Arbeitern: man ver¬ ſprach ſie und ſtellte ſie im Laufe des Tages. Aber auch dieſe ſind ihm nicht genug, um ſeine Vorſaͤtze ſchleunig ausgefuͤhrt zu ſehen. Das Schaffen macht ihm keine Freude mehr: es ſoll ſchon alles fertig ſeyn, und fuͤr wen? Die Wege ſollen gebahnt ſeyn, damit Otti¬ lie bequem ſie gehen, die Sitze ſchon an Ort und Stelle, damit Ottilie dort ruhen koͤnne. Auch an dem neuen Hauſe treibt er was er kann: es ſoll an Ottiliens Geburts¬ tage gerichtet werden. In Eduards Geſin¬ nungen, wie in ſeinen Handlungen iſt kein Maaß mehr. Das Bewußtſeyn zu lieben225 und geliebt zu werden treibt ihn ins Unend¬ liche. Wie veraͤndert iſt ihm die Anſicht von allen Zimmern, von allen Umgebungen! Er findet ſich in ſeinem eigenen Hauſe nicht mehr. Ottiliens Gegenwart verſchlingt ihm alles: er iſt ganz in ihr verſunken; keine andre Be¬ trachtung ſteigt vor ihm auf, kein Gewiſſen ſpricht ihm zu; alles was in ſeiner Natur gebaͤndigt war bricht los, ſein ganzes Weſen ſtroͤmt gegen Ottilien.

Der Hauptmann beobachtet dieſes leiden¬ ſchaftliche Treiben und wuͤnſcht den traurigen Folgen zuvorzukommen. Alle dieſe Anlagen, die jetzt mit einem einſeitigen Triebe uͤbermaͤ¬ ßig gefoͤrdert werden, hatte er auf ein ruhig freundliches Zuſammenleben berechnet. Der Verkauf des Vorwerks war durch ihn zu Stande gebracht, die erſte Zahlung geſchehen, Charlotte hatte ſie der Abrede nach in ihre Caſſe genommen. Aber ſie muß gleich in der erſten Woche Ernſt und Geduld und OrdnungI. 15226mehr als ſonſt uͤben und im Auge haben: denn nach der uͤbereilten Weiſe wird das Ausgeſetzte nicht lange reichen.

Es war viel angefangen und viel zu thun. Wie ſoll er Charlotten in dieſer Lage laſſen! Sie berathen ſich und kommen uͤberein, man wolle die planmaͤßigen Arbeiten lieber ſelbſt beſchleunigen, zu dem Ende Gelder aufneh¬ men, und zu deren Abtragung die Zahlungs¬ termine anweiſen, die vom Vorwerksverkauf zuruͤckgeblieben waren. Es ließ ſich faſt ohne Verluſt, durch Ceſſion der Gerechtſame thun; man hatte freyere Hand; man leiſtete, da alles im Gange, Arbeiter genug vorhanden waren, mehr auf Einmal und gelangte gewiß und bald zum Zweck. Eduard ſtimmte gern bey, weil es mit ſeinen Abſichten uͤbereintraf.

Im innern Herzen beharrt indeſſen Char¬ lotte bey dem was ſie bedacht und ſich vorge¬ ſetzt, und maͤnnlich ſteht ihr der Freund mit227 gleichem Sinn zur Seite. Aber eben da¬ durch wird ihre Vertraulichkeit nur vermehrt. Sie erklaͤren ſich wechſelſeitig uͤber Eduards Lei¬ denſchaft; ſie berathen ſich daruͤber. Charlotte ſchließt Ottilien naͤher an ſich, beobachtet ſie ſtrenger, und jemehr ſie ihr eigen Herz gewahr worden, deſto tiefer blickt ſie in das Herz des Maͤdchens. Sie ſieht keine Rettung, als ſie muß das Kind entfernen.

Nun ſcheint es ihr eine gluͤckliche Fuͤgung, daß Luciane ein ſo ausgezeichnetes Lob in der Penſion erhalten: denn die Großtante, davon unterrichtet, will ſie nun ein fuͤr allemal zu ſich nehmen, ſie um ſich haben, ſie in die Welt einfuͤhren. Ottilie konnte in die Pen¬ ſion zuruͤckkehren; der Hauptmann entfernte ſich, wohlverſorgt; und alles ſtand wie vor wenigen Monaten, ja um ſo viel beſſer. Ihr eigenes Verhaͤltniß hoffte Charlotte zu Eduard bald wieder herzuſtellen, und ſie legte das al¬ les ſo verſtaͤndig bey ſich zurecht, daß ſie ſich15 *228nur immer mehr in dem Wahn beſtaͤrkte: in einen fruͤhern beſchraͤnktern Zuſtand koͤnne man zuruͤckkehren, ein gewaltſam Entbundenes laſſe ſich wieder ins Enge bringen.

Eduard empfand indeſſen die Hinderniſſe ſehr hoch, die man ihm in den Weg legte. Er bemerkte gar bald, daß man ihn und Ottilien auseinander hielt, daß man ihm er¬ ſchwerte ſie allein zu ſprechen, ja ſich ihr zu naͤhern, außer in Gegenwart von mehreren; und indem er hieruͤber verdrießlich war, ward er es uͤber manches andere. Konnte er Otti¬ lien fluͤchtig ſprechen, ſo war es nicht nur ſie ſeiner Liebe zu verſichern, ſondern ſich auch uͤber ſeine Gattinn, uͤber den Hauptmann zu beſchweren. Er fuͤhlte nicht, daß er ſelbſt durch ſein heftiges Treiben die Caſſe zu er¬ ſchoͤpfen auf dem Wege war; er tadelte bitter Charlotten und den Hauptmann, daß ſie bey dem Geſchaͤft gegen die erſte Abrede handel¬ ten, und doch hatte er in die zweyte Abrede229 gewilligt, ja er hatte ſie ſelbſt veranlaßt und nothwendig gemacht.

Der Haß iſt parteyiſch, aber die Liebe iſt es noch mehr. Auch Ottilie entfremdete ſich einigermaßen von Charlotten und dem Hauptmann. Als Eduard ſich einſt gegen Ot¬ tilien uͤber den letztern beklagte, daß er als Freund und in einem ſolchen Verhaͤltniſſe nicht ganz aufrichtig handle, verſetzte Ottilie unbe¬ dachtſam: es hat mir ſchon fruͤher mißfallen, daß er nicht ganz redlich gegen Sie iſt. Ich hoͤrte ihn einmal zu Charlotten ſagen, wenn uns nur Eduard mit ſeiner Floͤtendudeley ver¬ ſchonte: es kann daraus nichts werden und iſt fuͤr die Zuhoͤrer ſo laͤſtig. Sie koͤnnen denken, wie mich das geſchmerzt hat, da ich Sie ſo gern accompagnire.

Kaum hatte ſie es geſagt, als ihr ſchon der Geiſt zufluͤſterte, daß ſie haͤtte ſchweigen ſollen; aber es war heraus. Eduards Ge¬230 ſichtszuͤge verwandelten ſich. Nie hatte ihn etwas mehr verdroſſen: er war in ſeinen liebſten Forderungen angegriffen, er war ſich eines kindlichen Strebens ohne die mindeſte Anmaßung bewußt. Was ihn unterhielt, was ihn erfreute, ſollte doch mit Schonung von Freunden behandelt werden. Er dachte nicht, wie ſchrecklich es fuͤr einen Dritten ſey, ſich die Ohren durch ein unzulaͤngliches Talent verletzen zu laſſen. Er war beleidigt, wuͤ¬ thend um nicht wieder zu vergeben. Er fuͤhlte ſich von allen Pflichten losgeſprochen.

Die Nothwendigkeit mit Ottilien zu ſeyn, ſie zu ſehen, ihr etwas zuzufluͤſtern, ihr zu vertrauen, wuchs mit jedem Tage. Er ent¬ ſchloß ſich ihr zu ſchreiben, ſie um einen ge¬ heimen Briefwechſel zu bitten. Das Streif¬ chen Papier, worauf er dieß laconiſch genug gethan hatte, lag auf dem Schreibtiſch und ward vom Zugwind heruntergefuͤhrt, als der Kammerdiener hereintrat, ihm die Haare zu231 kraͤuſeln. Gewoͤhnlich, um die Hitze des Ei¬ ſens zu verſuchen, buͤckte ſich dieſer nach Pa¬ pierſchnitzeln auf der Erde; dießmal ergriff er das Billet, zwickte es eilig und es war verſengt. Eduard den Mißgriff bemerkend riß es ihm aus der Hand. Bald darauf ſetzte er ſich hin, es noch einmal zu ſchreiben; es wollte nicht ganz ſo zum zweytenmal aus der Feder. Er fuͤhlte einiges Bedenken, einige Beſorgniß, die er jedoch uͤberwand. Ottilien wurde das Blaͤttchen in die Hand gedruͤckt, den erſten Augenblick wo er ſich ihr naͤhern konnte.

Ottilie verſaͤumte nicht ihm zu antworten. Ungeleſen ſteckte er das Zettelchen in die Weſte, die modiſch kurz es nicht gut verwahrte. Es ſchob ſich heraus und fiel, ohne von ihm bemerkt zu werden, auf den Boden. Charlotte ſah es und hob es auf, und reichte es ihm mit einem fluͤchtigen Ueberblick. Hier iſt etwas232 von deiner Hand, ſagte ſie, das du vielleicht ungern verloͤreſt.

Er war betroffen. Verſtellt ſie ſich? dachte er. Iſt ſie den Inhalt des Blaͤttchens gewahr geworden, oder irrt ſie ſich an der Aehnlichkeit der Haͤnde? Er hoffte, er dachte das letztre. Er war gewarnt, doppelt gewarnt, aber dieſe ſonderbaren zufaͤlligen Zeichen, durch die ein hoͤheres Weſen mit uns zu ſprechen ſcheint, wa¬ ren ſeiner Leidenſchaft unverſtaͤndlich; vielmehr indem ſie ihn immer weiter fuͤhrte, empfand er die Beſchraͤnkung in der man ihn zu hal¬ ten ſchien, immer unangenehmer. Die freund¬ liche Geſelligkeit verlor ſich. Sein Herz war verſchloſſen, und wenn er mit Freund und Frau zuſammen zu ſeyn genoͤthigt war, ſo gelang es ihm nicht, ſeine fruͤhere Neigung zu ihnen in ſeinem Buſen wieder aufzufinden, zu beleben. Der ſtille Vorwurf, den er ſich ſelbſt hieruͤber machen mußte, war ihm un¬ bequem und er ſuchte ſich durch eine Art von233 Humor zu helfen, der aber, weil er ohne Liebe war, auch der gewohnten Anmuth er¬ mangelte.

Ueber alle dieſe Pruͤfungen half Charlot¬ ten ihr inneres Gefuͤhl hinweg. Sie war ſich ihres ernſten Vorſatzes bewußt, auf eine ſo ſchoͤne edle Neigung Verzicht zu thun.

Wie ſehr wuͤnſcht ſie jenen beyden auch zu Huͤlfe zu kommen. Entfernung, fuͤhlte ſie wohl, wird nicht allein hinreichend ſeyn, ein ſolches Uebel zu heilen. Sie nimmt ſich vor die Sache gegen das gute Kind zur Sprache zu bringen; aber ſie vermag es nicht; die Erinnerung ihres eignen Schwankens ſteht ihr im Wege. Sie ſucht ſich daruͤber im All¬ gemeinen auszudruͤcken; das Allgemeine paßt auch auf ihren eignen Zuſtand, den ſie aus¬ zuſprechen ſcheut. Ein jeder Wink, den ſie Ottilien geben will, deutet zuruͤck in ihr eignes Herz. Sie will warnen und fuͤhlt, daß ſie234 wohl ſelbſt noch einer Warnung beduͤrfen koͤnnte.

Schweigend haͤlt ſie daher die Liebenden noch immer auseinander, und die Sache wird dadurch nicht beſſer. Leiſe Andeutungen, die ihr manchmal entſchluͤpfen, wirken auf Ottilien nicht: denn Eduard hatte dieſe von Charlot¬ tens Neigung zum Hauptmann uͤberzeugt, ſie uͤberzeugt, daß Charlotte ſelbſt eine Scheidung wuͤnſche, die er nun auf eine anſtaͤndige Weiſe zu bewirken denke.

Ottilie getragen durch das Gefuͤhl ihrer Unſchuld, auf dem Wege zu dem erwuͤnſchte¬ ſten Gluͤck, lebt nur fuͤr Eduard. Durch die Liebe zu ihm in allem Guten geſtaͤrkt, um ſeinetwillen freudiger in ihrem Thun, aufge¬ ſchloſſener gegen andre, findet ſie ſich in einem Himmel auf Erden.

So ſetzen alle zuſammen, jeder auf ſeine Weiſe, das taͤgliche Leben fort, mit und235 ohne Nachdenken; alles ſcheint ſeinen ge¬ woͤhnlichen Gang zu gehen, wie man auch in ungeheuren Faͤllen, wo alles auf dem Spiele ſteht, noch immer ſo fort lebt, als wenn von nichts die Rede waͤre.

Vierzehntes Kapitel.

Von dem Grafen war indeſſen ein Brief an den Hauptmann angekommen, und zwar ein doppelter, einer zum Vorzeigen, der ſehr ſchoͤne Ausſichten in die Ferne darwies, der andre hingegen, der ein entſchiedenes Anerbie¬ ten fuͤr die Gegenwart enthielt, eine bedeu¬ tende Hof - und Geſchaͤftsſtelle, den Charakter als Major, anſehnlichen Gehalt, und andre Vortheile, ſollte wegen verſchiedener Neben¬ umſtaͤnde noch geheim gehalten werden. Auch unterrichtete der Hauptmann ſeine Freunde nur von jenen Hoffnungen und verbarg was ſo nahe bevorſtand.

Indeſſen ſetzte er die gegenwaͤrtigen Ge¬ ſchaͤfte lebhaft fort und machte in der Stille237 Einrichtungen, wie alles in ſeiner Abweſen¬ heit ungehinderten Fortgang haben koͤnnte. Es iſt ihm nun ſelbſt daran gelegen, daß fuͤr manches ein Termin beſtimmt werde, daß Ottiliens Geburtstag manches beſchleunige. Nun wirken die beyden Freunde, obſchon ohne ausdruͤckliches Einverſtaͤndniß, gern zu¬ ſammen. Eduard iſt nun recht zufrieden, daß man durch das Vorauserheben der Gel¬ der die Caſſe verſtaͤrkt hat; die ganze Anſtalt ruͤckt auf das raſcheſte vorwaͤrts.

Die drey Teiche in einen See zu ver¬ wandeln haͤtte jetzt der Hauptmann am lieb¬ ſten ganz widerrathen. Der untere Damm war zu verſtaͤrken, die mittlern abzutragen, und die ganze Sache in mehr als einem Sinne wichtig und bedenklich. Beyde Arbeiten aber, wie ſie ineinander wirken konnten, waren ſchon angefangen, und hier kam ein junger Architect, ein ehemaliger Zoͤgling des Haupt¬ manns, ſehr erwuͤnſcht, der theils mit An¬238 ſtellung tuͤchtiger Meiſter, theils mit Verdin¬ gen der Arbeit, wo ſich's thun ließ, die Sache foͤrderte und dem Werke Sicherheit und Dauer verſprach; wobey ſich der Haupt¬ mann im Stillen freute, daß man ſeine Ent¬ fernung nicht fuͤhlen wuͤrde. Denn er hatte den Grundſatz, aus einem uͤbernommenen un¬ vollendeten Geſchaͤft nicht zu ſcheiden, bis er ſeine Stelle genugſam erſetzt ſaͤhe. Ja er ver¬ achtete diejenigen, die, um ihren Abgang fuͤhl¬ bar zu machen, erſt noch Verwirrung in ihrem Kreiſe anrichten, indem ſie als ungebildete Selbſtler das zu zerſtoͤren wuͤnſchen, wobey ſie nicht mehr fortwirken ſollen.

So arbeitete man immer mit Anſtrengung, um Ottiliens Geburtstag zu verherrlichen, ohne daß man es ausſprach, oder ſich's recht auf¬ richtig bekannte. Nach Charlottens obgleich neidloſen Geſinnungen konnte es doch kein entſchiedenes Feſt werden. Die Jugend Ot¬ tiliens, ihre Gluͤcksumſtaͤnde, das Verhaͤltniß239 zur Familie berechtigten ſie nicht als Koͤniginn eines Tages zu erſcheinen. Und Eduard wollte nicht davon geſprochen haben, weil alles wie von ſelbſt entſpringen, uͤberraſchen und natuͤr¬ lich erfreuen ſollte.

Alle kamen daher ſtillſchweigend in dem Vorwande uͤberein, als wenn an dieſem Tage, ohne weitere Beziehung, jenes Luſthaus ge¬ richtet werden ſollte, und bey dieſem Anlaß konnte man dem Volke ſo wie den Freunden ein Feſt ankuͤndigen.

Eduards Neigung war aber graͤnzenlos. Wie er ſich Ottilien zuzueignen begehrte; ſo kannte er auch kein Maaß des Hingebens, Schenkens, Verſprechens. Zu einigen Gaben, die er Ottilien an dieſem Tage verehren wollte, hatte ihm Charlotte viel zu aͤrmliche Vorſchlaͤge gethan. Er ſprach mit ſeinem Kammerdiener, der ſeine Garderobe beſorgte und mit Handels¬ leuten und Modehaͤndlern in beſtaͤndigem Ver¬240 haͤltniß blieb; dieſer, nicht unbekannt ſowohl mit den angenehmſten Gaben ſelbſt als mit der beſten Art ſie zu uͤberreichen, beſtellte ſogleich in der Stadt den niedlichſten Koffer mit rothem Saffian uͤberzogen, mit Stahlnaͤgeln beſchla¬ gen, und angefuͤllt mit Geſchenken einer ſolchen Schale wuͤrdig.

Noch einen andern Vorſchlag that er Eduarden. Es war ein kleines Feuerwerk vorhanden, das man immer abzubrennen ver¬ ſaͤumt hatte. Dieß konnte man leicht verſtaͤr¬ ken und erweitern. Eduard ergriff den Ge¬ danken und jener verſprach fuͤr die Ausfuͤh¬ rung zu ſorgen. Die Sache ſollte ein Ge¬ heimniß bleiben.

Der Hauptmann hatte unterdeſſen, je naͤ¬ her der Tag heranruͤckte, ſeine polizeylichen Einrichtungen getroffen, die er fuͤr ſo noͤthig hielt, wenn eine Maſſe Menſchen zuſammen berufen oder gelockt wird. Ja ſogar hatte er241 wegen des Bettelns, und andrer Unbequem¬ lichkeiten, wodurch die Anmuth eines Feſtes geſtoͤrt wird, durchaus Vorſorge genommen.

Eduard und ſein Vertrauter dagegen be¬ ſchaͤftigten ſich vorzuͤglich mit dem Feuerwerk. Am mittelſten Teiche vor jenen großen Eich¬ baͤumen ſollte es abgebrannt werden; gegen¬ uͤber unter den Platanen ſollte die Geſell¬ ſchaft ſich aufhalten, um die Wirkung aus gehoͤriger Ferne, die Abſpiegelung im Waſſer, und was auf dem Waſſer ſelbſt brennend zu ſchwimmen beſtimmt war, mit Sicherheit und Bequemlichkeit anzuſchauen.

Unter einem andern Vorwand ließ daher Eduard den Raum unter den Platanen von Geſtraͤuch, Gras und Moos ſaͤubern, und nun erſchien erſt die Herrlichkeit des Baum¬ wuchſes ſowohl an Hoͤhe als Breite auf dem gereinigten Boden. Eduard empfand dar¬ uͤber die groͤßte Freude. Es war ungefaͤhrI. 16242um dieſe Jahreszeit als ich ſie pflanzte. Wie lange mag es her ſeyn? ſagte er zu ſich ſelbſt. Sobald er nach Hauſe kam, ſchlug er in alten Tagebuͤchern nach, die ſein Vater, beſonders auf dem Lande, ſehr ordentlich ge¬ fuͤhrt hatte. Zwar dieſe Pflanzung konnte nicht darin erwaͤhnt ſeyn, aber eine andre haͤuslich wichtige Begebenheit an demſelben Tage, deren ſich Eduard noch wohl erinnerte, mußte nothwendig darin angemerkt ſtehen. Er durchblaͤttert einige Baͤnde; der Um¬ ſtand findet ſich: aber wie erſtaunt, wie er¬ freut iſt Eduard, als er das wunderbarſte Zuſammentreffen bemerkt. Der Tag, das Jahr jener Baumpflanzung iſt zugleich der Tag, das Jahr von Ottiliens Geburt.

Funfzehntes Kapitel.

Endlich leuchtete Eduarden der ſehnlich er¬ wartete Morgen und nach und nach ſtellten viele Gaͤſte ſich ein: denn man hatte die Einladungen weit umher geſchickt, und manche die das Legen des Grundſteins verſaͤumt hat¬ ten, wovon man ſo viel artiges erzaͤhlte, woll¬ ten dieſe zweyte Feyerlichkeit um ſo weniger verfehlen.

Vor Tafel erſchienen die Zimmerleute mit Muſik im Schloßhofe, ihren reichen Kranz tragend, der aus vielen ſtufenweiſe uͤberein¬ ander ſchwankenden Laub - und Blumenreifen zuſammengeſetzt war. Sie ſprachen ihren Gruß, und erbaten ſich zur gewoͤhnlichen Aus¬16 *244ſchmuͤckung ſeidene Tuͤcher und Baͤnder von dem ſchoͤnen Geſchlecht. Indeß die Herrſchaft ſpeiſte, ſetzten ſie ihren jauchzenden Zug wei¬ ter fort, und nachdem ſie ſich eine Zeit lang im Dorfe aufgehalten und daſelbſt Frauen und Maͤdchen gleichfalls um manches Band gebracht; ſo kamen ſie endlich, begleitet und erwartet von einer großen Menge, auf die Hoͤhe wo das gerichtete Haus ſtand.

Charlotte hielt nach der Tafel die Geſell¬ ſchaft einigermaßen zuruͤck. Sie wollte keinen feyerlichen foͤrmlichen Zug und man fand ſich daher in einzelnen Partieen, ohne Rang und Ordnung, auf dem Platz gemaͤchlich ein. Charlotte zoͤgerte mit Ottilien und machte da¬ durch die Sache nicht beſſer: denn weil Ot¬ tilie wirklich die letzte war die herantrat, ſo ſchien es als wenn Trompeten und Pauken nur auf ſie gewartet haͤtten, als wenn die Feyerlichkeit bey ihrer Ankunft nun gleich be¬ ginnen muͤßte.

245

Dem Hauſe das rohe Anſehn zu nehmen, hatte man es mit gruͤnem Reiſig und Blu¬ men, nach Angabe des Hauptmanns, architec¬ toniſch ausgeſchmuͤckt, allein ohne deſſen Mit¬ wiſſen hatte Eduard den Architecten veranlaßt, in dem Geſims das Datum mit Blumen zu bezeichnen. Das mochte noch hingehen; allein zeitig genug langte der Hauptmann an, um zu verhindern, daß nicht auch der Name Ot¬ tiliens im Giebelfelde glaͤnzte. Er wußte dieſes Beginnen auf eine geſchickte Weiſe ab¬ zulehnen und die ſchon fertigen Blumenbuch¬ ſtaben bey Seite zu bringen.

Der Kranz war aufgeſteckt und weit um¬ her in der Gegend ſichtbar. Bunt flatterten die Baͤnder und Tuͤcher in der Luft und eine kurze Rede verſcholl zum groͤßten Theil im Winde. Die Feyerlichkeit war zu Ende, der Tanz auf dem geebneten und mit Lauben um¬ kreiſeten Platze vor dem Gebaͤude ſollte nun angehen. Ein ſchmucker Zimmergeſelle fuͤhrte246 Eduarden ein flinkes Bauermaͤdchen zu, und forderte Ottilien auf, welche daneben ſtand. Die beyden Paare fanden ſogleich ihre Nach¬ folger und bald genug wechſelte Eduard, in¬ dem er Ottilien ergriff und mit ihr die Runde machte. Die juͤngere Geſellſchaft miſchte ſich froͤhlich in den Tanz des Volks, indeß die aͤlteren beobachteten.

Sodann, ehe man ſich auf den Spazir¬ gaͤngen zerſtreute, ward abgeredet, daß man ſich mit Untergang der Sonne bey den Pla¬ tanen wieder verſammeln wolle. Eduard fand ſich zuerſt ein, ordnete alles und nahm Abrede mit dem Kammerdiener, der auf der andern Seite, in Geſellſchaft des Feuerwerkers, die Luſterſcheinungen zu beſorgen hatte.

Der Hauptmann bemerkte die dazu getrof¬ fenen Vorrichtungen nicht mit Vergnuͤgen; er wollte wegen des zu erwartenden Andrangs der Zuſchauer mit Eduard ſprechen, als ihn247 derſelbe etwas haſtig bat, er moͤge ihm die¬ ſen Theil der Feyerlichkeit doch allein uͤber¬ laſſen.

Schon hatte ſich das Volk auf die ober¬ waͤrts abgeſtochenen und vom Raſen entbloͤßten Daͤmme gedraͤngt, wo das Erdreich uneben und unſicher war. Die Sonne ging unter, die Daͤmmerung trat ein, und in Erwartung groͤßerer Dunkelheit wurde die Geſellſchaft unter den Platanen mit Erfriſchungen be¬ dient. Man fand den Ort unvergleichlich und freute ſich in Gedanken, kuͤnftig von hier die Ausſicht auf einen weiten und ſo mannig¬ faltig begraͤnzten See zu genießen.

Ein ruhiger Abend, eine vollkommene Windſtille verſprachen das naͤchtliche Feſt zu beguͤnſtigen, als auf einmal ein entſetzliches Geſchrey entſtand. Große Schollen hatten ſich vom Damme losgetrennt, man ſah mehrere Menſchen ins Waſſer ſtuͤrzen. Das Erdreich248 hatte nachgegeben unter dem Draͤngen und Treten der immer zunehmenden Menge. Je¬ der wollte den beſten Platz haben und nun konnte Niemand vorwaͤrts noch zuruͤck.

Jedermann ſprang auf und hinzu, mehr um zu ſchauen als zu thun: denn was war da zu thun wo Niemand hinreichen konnte. Nebſt einigen Entſchloſſenen eilte der Haupt¬ mann, trieb ſogleich die Menge von dem Damm herunter nach den Ufern, um den Huͤlfreichen freye Hand zu geben, welche die Verſinkenden herauszuziehen ſuchten. Schon waren alle, theils durch eignes, theils durch fremdes Beſtreben, wieder auf dem Trocknen, bis auf einen Knaben, der durch allzu aͤngſt¬ liches Bemuͤhen, ſtatt ſich dem Damm zu naͤhern, ſich davon entfernt hatte. Die Kraͤfte ſchienen ihn zu verlaſſen, nur einigemal kam noch eine Hand, ein Fuß in die Hoͤhe. Un¬ gluͤcklicher Weiſe war der Kahn auf der an¬ dern Seite, mit Feuerwerk gefuͤllt, nur lang¬249 ſam konnte man ihn ausladen und die Huͤlfe verzoͤgerte ſich. Des Hauptmanns Entſchluß war gefaßt, er warf die Oberkleider weg, aller Augen richteten ſich auf ihn, und ſeine tuͤchtige kraͤftige Geſtalt floͤßte Jedermann Zu¬ trauen ein; aber ein Schrey der Ueberraſchung drang aus der Menge hervor, als er ſich ins Waſſer ſtuͤrzte. Jedes Auge begleitete ihn, der als geſchickter Schwimmer den Knaben bald erreichte und ihn, jedoch fuͤr todt, an den Damm brachte.

Indeſſen ruderte der Kahn herbey, der Hauptmann beſtieg ihn und forſchte genau von den Anweſenden, ob denn auch wirklich alle gerettet ſeyen. Der Chirurgus kommt und uͤbernimmt den todtgeglaubten Knaben; Char¬ lotte tritt hinzu, ſie bittet den Hauptmann nur fuͤr ſich zu ſorgen, nach dem Schloſſe zuruͤckzukehren und die Kleider zu wechſeln. Er zaudert, bis ihm geſetzte verſtaͤndige Leute, die ganz nahe gegenwaͤrtig geweſen, die ſelbſt250 zur Rettung der einzelnen beygetragen, auf das heiligſte verſichern, daß alle gerettet ſeyen.

Charlotte ſieht ihn nach Hauſe gehen, ſie denkt, daß Wein und Thee, und was ſonſt noͤ¬ thig waͤre, verſchloſſen iſt, daß in ſolchen Faͤllen die Menſchen gewoͤhnlich verkehrt handeln; ſie eilt durch die zerſtreute Geſellſchaft, die ſich noch unter den Platanen befindet; Eduard iſt be¬ ſchaͤftigt Jedermann zuzureden: man ſoll blei¬ ben; in kurzem gedenkt er das Zeichen zu geben und das Feuerwerk ſoll beginnen; Char¬ lotte tritt hinzu und bittet ihn, ein Vergnuͤ¬ gen zu verſchieben das jetzt nicht am Platze ſey, das in dem gegenwaͤrtigen Augenblick nicht genoſſen werden koͤnne; ſie erinnert ihn, was man dem Geretteten und dem Retter ſchuldig ſey. Der Chirurgus wird ſchon ſeine Pflicht thun, verſetzte Eduard. Er iſt mit allem verſehen und unſer Zudringen waͤre nur eine hinderliche Theilnahme.

251

Charlotte beſtand auf ihrem Sinne und winkte Ottilien, die ſich ſogleich zum Weg¬ gehn anſchickte. Eduard ergriff ihre Hand und rief: Wir wollen dieſen Tag nicht im La¬ zareth endigen! Zur barmherzigen Schweſter iſt ſie zu gut. Auch ohne uns werden die Scheintodten erwachen und die Lebendigen ſich abtrocknen.

Charlotte ſchwieg und ging. Einige folg¬ ten ihr, andere dieſen; endlich wollte Niemand der letzte ſeyn und ſo folgten alle. Eduard und Ottilie fanden ſich allein unter den Pla¬ tanen. Er beſtand darauf zu bleiben, ſo dringend, ſo aͤngſtlich ſie ihn auch bat, mit ihr nach dem Schloſſe zuruͤckzukehren. Nein, Ottilie! rief er: das Außerordentliche geſchieht nicht auf glattem gewoͤhnlichen Wege. Dieſer uͤberraſchende Vorfall von heute Abend bringt uns ſchneller zuſammen. Du biſt die meine! Ich habe dir's ſchon ſo oft geſagt und ge¬252 ſchworen; wir wollen es nicht mehr ſagen und ſchwoͤren, nun ſoll es werden!

Der Kahn von der andern Seite ſchwamm heruͤber. Es war der Kammerdiener, der verlegen anfragte: was nunmehr mit dem Feuerwerk werden ſollte. Brennt es ab! rief er ihm entgegen. Fuͤr dich allein war es be¬ ſtellt, Ottilie, und nun ſollſt du es auch allein ſehen! Erlaube mir an deiner Seite ſitzend, es mit zu genießen. Zaͤrtlich beſcheiden ſetzte er ſich neben ſie ohne ſie zu beruͤhren.

Raketen rauſchten auf, Kanonenſchlaͤge donnerten, Leuchtkugeln ſtiegen, Schwaͤrmer ſchlaͤngelten und platzten, Raͤder giſchten, je¬ des erſt einzeln, dann gepaart, dann alle zuſammen, und immer gewaltſamer hinter¬ einander und zuſammen. Eduard deſſen Bu¬ ſen brannte, verfolgte mit lebhaft zufriedenem Blick dieſe feurigen Erſcheinungen. Ottiliens zartem, aufgeregten Gemuͤth war dieſes rau¬253 ſchende blitzende Entſtehen und Verſchwinden eher aͤngſtlich als angenehm. Sie lehnte ſich ſchuͤchtern an Eduard, dem dieſe Annaͤhe¬ rung, dieſes Zutrauen das volle Gefuͤhl gab, daß ſie ihm ganz angehoͤre.

Die Nacht war kaum in ihre Rechte wie¬ der eingetreten, als der Mond aufging und die Pfade der beyden Ruͤckkehrenden beleuch¬ tete. Eine Figur, den Hut in der Hand, vertrat ihnen den Weg, und ſprach ſie um ein Almoſen an, da er an dieſem feſtlichen Tage verſaͤumt worden ſey. Der Mond ſchien ihm ins Geſicht und Eduard erkannte die Zuͤge jenes zudringlichen Bettlers. Aber ſo gluͤck¬ lich wie er war, konnte er nicht ungehalten ſeyn, konnte es ihm nicht einfallen, daß be¬ ſonders fuͤr heute das Betteln hoͤchlich ver¬ poͤnt worden. Er forſchte nicht lange in der Taſche und gab ein Goldſtuͤck hin. Er haͤtte jeden gern gluͤcklich gemacht, da ſein Gluͤck ohne Graͤnzen ſchien.

254

Zu Hauſe war indeß alles erwuͤnſcht ge¬ lungen. Die Thaͤtigkeit des Chirurgen, die Bereitſchaft alles Noͤthigen, der Beyſtand Charlottens, alles wirkte zuſammen und der Knabe ward wieder zum Leben hergeſtellt. Die Gaͤſte zerſtreuten ſich, ſowohl um noch etwas vom Feuerwerk aus der Ferne zu ſe¬ hen, als auch, um nach ſolchen verworrnen Scenen ihre ruhige Heimat wieder zu betreten.

Auch hatte der Hauptmann, geſchwind umgekleidet, an der noͤthigen Vorſorge thaͤti¬ gen Antheil genommen; alles war beruhigt und er fand ſich mit Charlotten allein. Mit zutraulicher Freundlichkeit erklaͤrte er nun, daß ſeine Abreiſe nahe bevorſtehe. Sie hatte dieſen Abend ſo viel erlebt, daß dieſe Ent¬ deckung wenig Eindruck auf ſie machte; ſie hatte geſehen, wie der Freund ſich aufopferte, wie er rettete und ſelbſt gerettet war. Dieſe wunderbaren Ereigniſſe ſchienen ihr eine be¬255 deutende Zukunft aber keine ungluͤckliche zu weiſſagen.

Eduarden, der mit Ottilien hereintrat, wurde die bevorſtehende Abreiſe des Haupt¬ manns gleichfalls angekuͤndigt. Er argwohnte, daß Charlotte fruͤher um das Naͤhere gewußt habe, war aber viel zu ſehr mit ſich und ſei¬ nen Abſichten beſchaͤftigt, als daß er es haͤtte uͤbel empfinden ſollen.

Im Gegentheil vernahm er aufmerkſam und zufrieden die gute und ehrenvolle Lage in die der Hauptmann verſetzt werden ſollte. Unbaͤndig drangen ſeine geheimen Wuͤnſche den Begebenheiten vor. Schon ſah er jenen mit Charlotten verbunden, ſich mit Ottilien. Man haͤtte ihm zu dieſem Feſt kein groͤßeres Geſchenk machen koͤnnen.

Aber wie erſtaunt war Ottilie, als ſie auf ihr Zimmer trat und den koͤſtlichen klei¬256 nen Coffer auf ihrem Tiſche fand. Sie ſaͤumte nicht ihn zu eroͤffnen. Da zeigte ſich alles ſo ſchoͤn gepackt und geordnet, daß ſie es nicht auseinander zu nehmen, ja kaum zu luͤften wagte. Muſſelin, Battiſt, Seide, Shawls und Spitzen wetteiferten an Fein¬ heit, Zierlichkeit und Koſtbarkeit. Auch war der Schmuck nicht vergeſſen. Sie begriff wohl die Abſicht, ſie mehr als einmal vom Kopf bis auf den Fuß zu kleiden: es war aber alles ſo koſtbar und fremd, daß ſie ſich's in Gedanken nicht zuzueignen getraute.

Sechzehntes Kapitel.

Des andern Morgens war der Haupt¬ mann verſchwunden, und ein dankbar ge¬ fuͤhltes Blatt an die Freunde von ihm zuruͤck¬ geblieben. Er und Charlotte hatten Abends vorher ſchon halben und einſylbigen Abſchied genommen. Sie empfand eine ewige Tren¬ nung und ergab ſich darein: denn in dem zweyten Briefe des Grafen, den ihr der Hauptmann zuletzt mittheilte, war auch von einer Ausſicht auf eine vortheilhafte Heirat die Rede; und obgleich er dieſem Punkt keine Aufmerkſamkeit ſchenkte, ſo hielt ſie doch die Sache ſchon fuͤr gewiß und entſagte ihm rein und voͤllig.

I. 17258

Dagegen glaubte ſie nun auch die Gewalt, die ſie uͤber ſich ſelbſt ausgeuͤbt, von andern fordern zu koͤnnen. Ihr war es nicht un¬ moͤglich geweſen, andern ſollte das Gleiche moͤglich ſeyn. In dieſem Sinne begann ſie das Geſpraͤch mit ihrem Gemahl, um ſomehr offen und zuverſichtlich, als ſie empfand, daß die Sache ein fuͤr allemal abgethan werden muͤſſe.

Unſer Freund hat uns verlaſſen, ſagte ſie: wir ſind nun wieder gegen einander uͤber wie vormals, und es kaͤme nun wohl auf uns an, ob wir wieder voͤllig in den alten Zu¬ ſtand zuruͤckkehren wollten.

Eduard, der nichts vernahm als was ſeiner Leidenſchaft ſchmeichelte, glaubte daß Charlotte durch dieſe Worte den fruͤheren Wittwenſtand bezeichnen und, obgleich auf unbeſtimmte Weiſe, zu einer Scheidung Hoffnung machen wolle. Er antwortete des¬259 halb mit Laͤcheln: Warum nicht? Es kaͤme nur darauf an, daß man ſich verſtaͤndigte.

Er fand ſich daher gar ſehr betrogen, als Charlotte verſetzte: Auch Ottilien in eine an¬ dre Lage zu bringen, haben wir gegenwaͤrtig nur zu waͤhlen; denn es findet ſich eine dop¬ pelte Gelegenheit, ihr Verhaͤltniſſe zu geben die fuͤr ſie wuͤnſchenswerth ſind. Sie kann in die Penſion zuruͤckkehren, da meine Toch¬ ter zur Großtante gezogen iſt; ſie kann in ein angeſehenes Haus aufgenommen werden, um mit einer einzigen Tochter alle Vortheile einer ſtandesmaͤßigen Erziehung zu genießen.

Indeſſen, verſetzte Eduard ziemlich gefaßt, hat Ottilie ſich in unſerer freundlichen Geſell¬ ſchaft ſo verwoͤhnt, daß ihr eine andre wohl ſchwerlich willkommen ſeyn moͤchte.

Wir haben uns alle verwoͤhnt, ſagte Char¬ lotte, und du nicht zum letzten. Indeſſen iſt17 *260es eine Epoche, die uns zur Beſinnung auf¬ fordert, die uns ernſtlich ermahnt, an das Beſte ſaͤmmtlicher Mitglieder unſeres kleinen Zirkels zu denken und auch irgend eine Auf¬ opferung nicht zu verſagen.

Wenigſtens finde ich es nicht billig, ver¬ ſetzte Eduard, daß Ottilie aufgeopfert werde, und das geſchaͤhe doch wenn man ſie gegen¬ waͤrtig unter fremde Menſchen hinunter ſtieße. Den Hauptmann hat ſein gutes Geſchick hier aufgeſucht; wir duͤrfen ihn mit Ruhe, ja mit Behagen von uns wegſcheiden laſſen. Wer weiß was Ottilien bevorſteht; warum ſollten wir uns uͤbereilen?

Was uns bevorſteht iſt ziemlich klar, ver¬ ſetzte Charlotte mit einiger Bewegung, und da ſie die Abſicht hatte ein fuͤr allemal ſich auszuſprechen, fuhr ſie fort: Du liebſt Otti¬ lien, du gewoͤhnſt dich an ſie. Neigung und Leidenſchaft entſpringt und naͤhrt ſich auch261 von ihrer Seite. Warum ſollen wir nicht mit Worten ausſprechen, was uns jede Stunde geſteht und bekennt? Sollen wir nicht ſoviel Vorſicht haben, uns zu fragen, was das wer¬ den wird?

Wenn man auch ſogleich darauf nicht ant¬ worten kann, verſetzte Eduard, der ſich zu¬ ſammennahm; ſo laͤßt ſich doch ſoviel ſagen, daß man eben alsdann ſich am erſten ent¬ ſchließt abzuwarten was uns die Zukunft leh¬ ren wird, wenn man gerade nicht ſagen kann, was aus einer Sache werden ſoll.

Hier vorauszuſehen, verſetzte Charlotte, bedarf es wohl keiner großen Weisheit, und ſoviel laͤßt ſich auf alle Faͤlle gleich ſagen, daß wir beyde nicht mehr jung genug ſind, um blindlings dahin zu gehen, wohin man nicht moͤchte oder nicht ſollte. Niemand kann mehr fuͤr uns ſorgen; wir muͤſſen unſre eigenen Freunde ſeyn, unſre eigenen Hofmeiſter. Nie¬262 mand erwartet von uns, daß wir uns in ein Aeußerſtes verlieren werden, Niemand erwar¬ tet uns tadelnswerth oder gar laͤcherlich zu finden.

Kannſt du mir's verdenken, verſetzte Eduard, der die offne reine Sprache ſeiner Gattinn nicht zu erwiedern vermochte: kannſt du mich ſchelten, wenn mir Ottiliens Gluͤck am Herzen liegt? und nicht etwa ein kuͤnftiges, das im¬ mer nicht zu berechnen iſt; ſondern ein gegen¬ waͤrtiges. Denke dir, aufrichtig und ohne Selbſtbetrug, Ottilien aus unſerer Geſellſchaft geriſſen, und fremden Menſchen untergeben ich wenigſtens fuͤhle mich nicht grauſam genug, ihr eine ſolche Veraͤnderung zuzu¬ muthen.

Charlotte ward gar wohl die Entſchloſſen¬ heit ihres Gemahls hinter ſeiner Verſtellung gewahr. Erſt jetzt fuͤhlte ſie, wie weit er ſich von ihr entfernt hatte. Mit einiger Bewe¬263 gung rief ſie aus: Kann Ottilie gluͤcklich ſeyn, wenn ſie uns entzweyt! wenn ſie mir einen Gatten, ſeinen Kindern einen Vater entreißt!

Fuͤr unſere Kinder, daͤchte ich, waͤre ge¬ ſorgt, ſagte Eduard laͤchelnd und kalt; etwas freundlicher aber fuͤgte er hinzu: Wer wird auch gleich das Aeußerſte denken!

Das Aeußerſte liegt der Leidenſchaft zu allernaͤchſt, bemerkte Charlotte. Lehne, ſo lange es noch Zeit iſt, den guten Rath nicht ab, nicht die Huͤlfe die ich uns biete. In truͤben Faͤllen muß derjenige wirken und hel¬ fen der am klaͤrſten ſieht. Dießmal bin ich's. Lieber, liebſter Eduard, laß mich ge¬ waͤhren! Kannſt du mir zumuthen, daß ich auf mein wohlerworbnes Gluͤck, auf die ſchoͤn¬ ſten Rechte, auf dich ſo geradehin Verzicht leiſten ſoll?

Wer ſagt das? verſetzte Eduard mit eini¬ ger Verlegenheit.

264

Du ſelbſt, verſetzte Charlotte: indem du Ottilien in der Naͤhe behalten willſt, geſtehſt du nicht alles zu, was daraus entſpringen muß? Ich will nicht in dich dringen; aber wenn du dich nicht uͤberwinden kannſt, ſo wirſt du wenigſtens dich nicht lange mehr be¬ truͤgen koͤnnen.

Eduard fuͤhlte wie Recht ſie hatte. Ein ausgeſprochnes Wort iſt fuͤrchterlich, wenn es das auf einmal ausſpricht, was das Herz lange ſich erlaubt hat; und um nur fuͤr den Augenblick auszuweichen, erwiederte Eduard: Es iſt mir ja noch nicht einmal klar, was du vorhaſt.

Meine Abſicht war, verſetzte Charlotte, mit dir die beyden Vorſchlaͤge zu uͤberlegen. Bey¬ de haben viel Gutes. Die Penſion wuͤrde Ottilien am gemaͤßeſten ſeyn, wenn ich be¬ trachte, wie das Kind jetzt iſt. Jene groͤßere und weitere Lage verſpricht aber mehr, wenn265 ich bedenke, was ſie werden ſoll. Sie legte darauf umſtaͤndlich ihrem Gemahl die beyden Verhaͤltniſſe dar und ſchloß mit den Worten: Was meine Meynung betrifft; ſo wuͤrde ich das Haus jener Dame der Penſion vorziehen aus mehreren Urſachen, beſonders aber auch, weil ich die Neigung, ja die Leidenſchaft des jungen Mannes, den Ottilie dort fuͤr ſich ge¬ wonnen, nicht vermehren will.

Eduard ſchien ihr Beyfall zu geben, nur aber um einigen Aufſchub zu ſuchen. Char¬ lotte, die darauf ausging etwas Entſcheiden¬ des zu thun, ergriff ſogleich die Gelegenheit, als Eduard nicht unmittelbar widerſprach, die Abreiſe Ottiliens, zu der ſie ſchon alles im Stillen vorbereitet hatte, auf die naͤchſten Tage feſtzuſetzen.

Eduard ſchauderte; er hielt ſich fuͤr ver¬ rathen und die liebevolle Sprache ſeiner Frau fuͤr ausgedacht, kuͤnſtlich und planmaͤßig, um266 ihn auf ewig von ſeinem Gluͤcke zu trennen. Er ſchien ihr die Sache ganz zu uͤberlaſſen; allein ſchon war innerlich ſein Entſchluß ge¬ faßt. Um nur zu Athem zu kommen, um das bevorſtehende unabſehliche Unheil der Ent¬ fernung Ottiliens abzuwenden, entſchied er ſich ſein Haus zu verlaſſen, und zwar nicht ganz ohne Vorbewußt Charlottens, die er jedoch durch die Einleitung zu taͤuſchen verſtand, daß er bey Ottiliens Abreiſe nicht gegenwaͤr¬ tig ſeyn, ja ſie von dieſem Augenblick an nicht mehr ſehen wolle. Charlotte, die ge¬ wonnen zu haben glaubte, that ihm allen Vorſchub. Er befahl ſeine Pferde, gab dem Kammerdiener die noͤthige Anweiſung was er einpacken und wie er ihm folgen ſolle, und ſo, wie ſchon im Stegreife, ſetzte er ſich hin und ſchrieb.

267

Eduard an Charlotten.

Das Uebel, meine Liebe, das uns befal¬ len hat, mag heilbar ſeyn oder nicht, dieß nur fuͤhl 'ich, wenn ich im Augenblicke nicht verzweifeln ſoll, ſo muß ich Aufſchub finden fuͤr mich, fuͤr uns alle. Indem ich mich aufopfre kann ich fordern. Ich verlaſſe mein Haus und kehre nur unter guͤnſtigern ruhi¬ gern Ausſichten zuruͤck. Du ſollſt es indeſſen beſitzen, aber mit Ottilien. Bey dir will ich ſie wiſſen, nicht unter fremden Menſchen. Sorge fuͤr ſie, behandle ſie wie ſonſt, wie bisher, ja nur immer liebevoller, freundlicher und zarter. Ich verſpreche kein heimliches Verhaͤltniß zu Ottilien zu ſuchen. Laßt mich lieber eine Zeit lang ganz unwiſſend, wie ihr lebt; ich will mir das Beſte denken. Denkt auch ſo von mir. Nur, was ich dich bitte, auf das innigſte, auf das lebhafteſte: mache268 keinen Verſuch Ottilien ſonſt irgendwo unter¬ zugeben, in neue Verhaͤltniſſe zu bringen. Außer dem Bezirk deines Schloſſes, deines Parks, fremden Menſchen anvertraut, gehoͤrt ſie mir und ich werde mich ihrer bemaͤchtigen. Ehrſt du aber meine Neigung, meine Wuͤn¬ ſche, meine Schmerzen; ſchmeichelſt du mei¬ nem Wahn, meinen Hoffnungen: ſo will ich auch der Geneſung nicht widerſtreben, wenn ſie ſich mir anbietet.

Dieſe letzte Wendung floß ihm aus der Feder, nicht aus dem Herzen. Ja wie er ſie auf dem Papier ſah, fing er bitterlich zu weinen an. Er ſollte auf irgend eine Weiſe dem Gluͤck, ja dem Ungluͤck Ottilien zu lie¬ ben, entſagen! Jetzt erſt fuͤhlte er was er that. Er entfernte ſich, ohne zu wiſſen was daraus entſtehen konnte. Er ſollte ſie we¬ nigſtens jetzt nicht wiederſehen, ob er ſie je wiederſaͤhe, welche Sicherheit konnte er ſich daruͤber verſprechen? Aber der Brief war ge¬269 ſchrieben; die Pferde ſtanden vor der Thuͤr; jeden Augenblick mußte er fuͤrchten Ottilien irgendwo zu erblicken und zugleich ſeinen Entſchluß vereitelt zu ſehen. Er faßte ſich; er dachte daß es ihm doch moͤglich ſey, jeden Augenblick zuruͤckzukehren und durch die Ent¬ fernung gerade ſeinen Wuͤnſchen naͤher zu kommen. Im Gegentheil ſtellte er ſich Ottilien vor, aus dem Hauſe gedraͤngt, wenn er blie¬ be. Er ſiegelte den Brief, eilte die Treppe hinab und ſchwang ſich aufs Pferd.

Als er beym Wirthshauſe vorbeyritt, ſah er den Bettler in der Laube ſitzen, den er geſtern Nacht ſo reichlich beſchenkt hatte. Dieſer ſaß behaglich an ſeinem Mittagsmahle, ſtand auf und neigte ſich ehrerbietig, ja an¬ betend vor Eduarden. Eben dieſe Geſtalt war ihm geſtern erſchienen, als er Ottilien am Arm fuͤhrte; nun erinnerte ſie ihn ſchmerz¬ lich an die gluͤcklichſte Stunde ſeines Lebens. Seine Leiden vermehrten ſich; das Gefuͤhl270 deſſen was er zuruͤckließ war ihm unertraͤg¬ lich; nochmals blickte er nach dem Bettler: O du Beneidenswerther! rief er aus: du kannſt noch am geſtrigen Almoſen zehren, und ich nicht mehr am geſtrigen Gluͤcke!

Siebzehntes Kapitel.

Ottilie trat ans Fenſter als ſie Jemanden wegreiten hoͤrte und ſah Eduarden noch im Ruͤcken. Es kam ihr wunderbar vor, daß er das Haus verließ, ohne ſie geſehen, ohne ihr einen Morgengruß geboten zu haben. Sie ward unruhig und immer nachdenklicher, als Charlotte ſie auf einen weiten Spazirgang mit ſich zog und von mancherley Gegenſtaͤnden ſprach, aber des Gemahls, und wie es ſchien, vorſaͤtzlich, nicht erwaͤhnte. Doppelt betroffen war ſie daher, bey ihrer Zuruͤckkunft den Tiſch nur mit zwey Gedecken beſetzt zu finden.

272

Wir vermiſſen ungern geringſcheinende Gewohnheiten, aber ſchmerzlich empfinden wir erſt ein ſolches Entbehren in bedeutenden Faͤllen. Eduard und der Hauptmann fehlten, Charlotte hatte ſeit langer Zeit zum erſten¬ mal den Tiſch ſelbſt angeordnet, und es wollte Ottilien ſcheinen als wenn ſie abgeſetzt waͤre. Die beyden Frauen ſaßen gegen einander uͤber; Charlotte ſprach ganz unbefangen von der Anſtellung des Hauptmanns und von der wenigen Hoffnung ihn bald wieder zu ſehen. Das einzige troͤſtete Ottilien in ihrer Lage, daß ſie glauben konnte, Eduard ſey, um den Freund noch eine Strecke zu begleiten, ihm nachgeritten.

Allein, da ſie von Tiſche aufſtanden, ſahen ſie Eduards Reiſewagen unter dem Fenſter, und als Charlotte einigermaßen unwillig fragte: wer ihn hieher beſtellt habe; ſo antwortete man ihr, es ſey der Kammerdiener, der hier noch einiges aufpacken wolle. Ottilie brauchte273 ihre ganze Faſſung, um ihre Verwunderung und ihren Schmerz zu verbergen.

Der Kammerdiener trat herein und ver¬ langte noch einiges. Es war eine Mund¬ taſſe des Herrn, ein paar ſilberne Loͤffel und mancherley was Ottilien auf eine weitere Reiſe, auf ein laͤngeres Außenbleiben zu deu¬ ten ſchien. Charlotte verwies ihm ſein Be¬ gehren ganz trocken: ſie verſtehe nicht was er damit ſagen wolle; denn er habe ja alles was ſich auf den Herrn beziehe, ſelbſt im Beſchluß. Der gewandte Mann, dem es freylich nur darum zu thun war, Ottilien zu ſprechen, und ſie deswegen unter irgend ei¬ nem Vorwande aus dem Zimmer zu locken, wußte ſich zu entſchuldigen und auf ſeinem Verlangen zu beharren, das ihm Ottilie auch zu gewaͤhren wuͤnſchte; allein Charlotte lehnte es ab, der Kammerdiener mußte ſich entfer¬ nen, und der Wagen rollte fort.

I. 18274

Es war fuͤr Ottilien ein ſchrecklicher Au¬ genblick. Sie verſtand es nicht, ſie begriff es nicht; aber daß ihr Eduard auf geraume Zeit entriſſen war, konnte ſie fuͤhlen. Char¬ lotte fuͤhlte den Zuſtand mit und ließ ſie al¬ lein. Wir wagen nicht ihren Schmerz, ihre Thraͤnen zu ſchildern, ſie litt unendlich. Sie bat nur Gott, daß er ihr nur uͤber dieſen Tag weghelfen moͤchte; ſie uͤberſtand den Tag und die Nacht, und als ſie ſich wieder¬ gefunden, glaubte ſie ein anderes Weſen anzu¬ treffen.

Sie hatte ſich nicht gefaßt, ſich nicht er¬ geben, aber ſie war, nach ſo großem Verluſte, noch da und hatte noch mehr zu befuͤrchten. Ihre naͤchſte Sorge, nachdem das Bewußt¬ ſeyn wiedergekehrt, war ſogleich: ſie moͤchte nun, nach Entfernung der Maͤnner, gleichfalls entfernt werden. Sie ahndete nichts von Eduards Drohungen, wodurch ihr der Auf¬ enthalt neben Charlotten geſichert war; doch275 diente ihr das Betragen Charlottens zu eini¬ ger Beruhigung. Dieſe ſuchte das gute Kind zu beſchaͤftigen und ließ ſie nur ſelten, nur ungern von ſich; und ob ſie gleich wohl wußte, daß man mit Worten nicht viel gegen eine entſchiedene Leidenſchaft zu wirken vermag, ſo kannte ſie doch die Macht der Beſonnenheit, des Bewußtſeyns, und brachte daher manches zwiſchen ſich und Ottilien zur Sprache.

So war es fuͤr dieſe ein großer Troſt, als jene gelegentlich, mit Bedacht und Vor¬ ſatz, die weiſe Betrachtung anſtellte: Wie leb¬ haft iſt, ſagte ſie, die Dankbarkeit derjenigen denen wir mit Ruhe uͤber leidenſchaftliche Verlegenheiten hinaushelfen. Laß uns freu¬ dig und munter in das eingreifen, was die Maͤnner unvollendet zuruͤckgelaſſen haben; ſo bereiten wir uns die ſchoͤnſte Ausſicht auf ihre Ruͤckkehr, indem wir das was ihr ſtuͤrmendes ungeduldiges Weſen zerſtoͤren moͤchte, durch unſre Maͤßigung erhalten und foͤrdern.

18 *276

Da Sie von Maͤßigung ſprechen, liebe Tante, verſetzte Ottilie; ſo kann ich nicht ber¬ gen, daß mir dabey die Unmaͤßigkeit der Maͤn¬ ner, beſonders was den Wein betrifft, ein¬ faͤllt. Wie oft hat es mich betruͤbt und ge¬ aͤngſtigt, wenn ich bemerken mußte, daß rei¬ ner Verſtand, Klugheit, Schonung anderer, Anmuth und Liebenswuͤrdigkeit, ſelbſt fuͤr meh¬ rere Stunden, verloren gingen, und oft ſtatt alles des Guten was ein trefflicher Mann her¬ vorzubringen und zu gewaͤhren vermag, Unheil und Verwirrung hereinzubrechen drohte. Wie oft moͤgen dadurch gewaltſame Entſchließungen veranlaßt werden.

Charlotte gab ihr Recht; doch ſetzte ſie das Geſpraͤch nicht fort: denn ſie fuͤhlte nur zu wohl, daß auch hier Ottilie bloß Eduarden wieder im Sinne hatte, der zwar nicht ge¬ woͤhnlich, aber doch oͤfter als es wuͤnſchens¬ werth war, ſein Vergnuͤgen, ſeine Geſpraͤchig¬277 keit, ſeine Thaͤtigkeit durch einen gelegentli¬ chen Weingenuß zu ſteigern pflegte.

Hatte bey jener Aeußerung Charlottens ſich Ottilie die Maͤnner, beſonders Eduarden, wieder heran denken koͤnnen; ſo war es ihr um deſto auffallender, als Charlotte von einer bevorſtehenden Heirat des Hauptmanns, wie von einer ganz bekannten und gewiſſen Sache ſprach, wodurch denn alles ein andres Anſehn gewann, als ſie nach Eduards fruͤhern Ver¬ ſicherungen ſich vorſtellen mochte. Durch alles dieß vermehrte ſich die Aufmerkſamkeit Otti¬ liens auf jede Aeußerung, jeden Wink, jede Handlung, jeden Schritt Charlottens. Ottilie war klug, ſcharfſinnig, argwoͤhniſch geworden ohne es zu wiſſen.

Charlotte durchdrang indeſſen das Ein¬ zelne ihrer ganzen Umgebung mit ſcharfem Blick und wirkte darin mit ihrer klaren Ge¬ wandtheit, wobey ſie Ottilien beſtaͤndig Theil278 zu nehmen noͤthigte. Sie zog ihren Haus¬ halt, ohne Baͤnglichkeit, ins Enge; ja, wenn ſie alles genau betrachtete, ſo hielt ſie den leidenſchaftlichen Vorfall fuͤr eine Art von gluͤcklicher Schickung. Denn auf dem bishe¬ rigen Wege waͤre man leicht ins Graͤnzenloſe gerathen und haͤtte den ſchoͤnen Zuſtand reich¬ licher Gluͤcksguͤter, ohne ſich zeitig genug zu beſinnen, durch ein vordringliches Leben und Treiben, wo nicht zerſtoͤrt, doch erſchuͤttert.

Was von Parkanlagen im Gange war, ſtoͤrte ſie nicht. Sie ließ vielmehr dasjenige fortſetzen, was zum Grunde kuͤnftiger Aus¬ bildung liegen mußte; aber dabey hatte es auch ſein Bewenden. Ihr zuruͤckkehrender Ge¬ mahl ſollte noch genug erfreuliche Beſchaͤftigung finden.

Bey dieſen Arbeiten und Vorſaͤtzen konnte ſie nicht genug das Verfahren des Architecten loben. Der See lag in kurzer Zeit ausge¬279 breitet vor ihren Augen, und die neu entſtan¬ denen Ufer zierlich und mannigfaltig bepflanzt und beraſet. An dem neuen Hauſe ward alle rauhe Arbeit vollbracht, was zur Erhaltung noͤthig war, beſorgt, und dann machte ſie einen Abſchluß da wo man mit Vergnuͤgen wieder von vorn anfangen konnte. Dabey war ſie ruhig und heiter; Ottilie ſchien es nur: denn in allem beobachtete ſie nichts als Symptome, ob Eduard wohl bald erwartet werde, oder nicht. Nichts intereſſirt ſie an allem als dieſe Betrachtung.

Willkommen war ihr daher eine Anſtalt, zu der man die Bauerknaben verſammelte und die darauf abzielte, den weitlaͤuftig ge¬ wordenen Park immer rein zu erhalten. Edu¬ ard hatte ſchon den Gedanken gehegt. Man ließ den Knaben eine Art von heitrer Mon¬ tirung machen, die ſie in den Abendſtunden anzogen, nachdem ſie ſich durchaus gereinigt und geſaͤubert hatten. Die Garderobe war280 im Schloß; dem verſtaͤndigſten, genauſten Knaben vertraute man die Aufſicht an; der Architect leitete das Ganze, und ehe man ſich's verſah, ſo hatten die Knaben alle ein gewiſſes Geſchick. Man fand an ihnen eine bequeme Dreſſur und ſie verrichteten ihr Geſchaͤft nicht ohne eine Art von Manoͤver. Gewiß, wenn ſie mit ihren Scharreiſen, ge¬ ſtielten Meſſerklingen, Rechen, kleinen Spa¬ den und Hacken und wedelartigen Beſen ein¬ herzogen; wenn andre mit Koͤrben hinterdrein kamen, um Unkraut und Steine bey Seite zu ſchaffen; andre das hohe große eiſerne Walzenrad hinter ſich herzogen: ſo gab es ei¬ nen huͤbſchen erfreulichen Aufzug, in welchem der Architect eine artige Folge von Stellun¬ gen und Thaͤtigkeiten fuͤr den Fries eines Gartenhauſes ſich anmerkte; Ottilie hingegen ſah darin nur eine Art von Parade welche den ruͤckkehrenden Hausherrn bald begruͤßen ſollte.

281

Dieß gab ihr Muth und Luſt ihn mit et¬ was Aehnlichem zu empfangen. Man hatte zeither die Maͤdchen des Dorfes im Naͤhen, Stricken, Spinnen und andern weiblichen Ar¬ beiten zu ermuntern geſucht. Auch dieſe Tu¬ genden hatten zugenommen ſeit jenen Anſtal¬ ten zu Reinlichkeit und Schoͤnheit des Dor¬ fes. Ottilie wirkte ſtets mit ein; aber mehr zufaͤllig, nach Gelegenheit und Neigung. Nun gedachte ſie es vollſtaͤndiger und folgerechter zu machen. Aber aus einer Anzahl Maͤdchen laͤßt ſich kein Chor bilden, wie aus einer Anzahl Knaben. Sie folgte ihrem guten Sinne, und ohne ſich's ganz deutlich zu machen, ſuchte ſie nichts als einem jeden Maͤdchen Anhaͤnglichkeit an ſein Haus, ſeine Aeltern und ſeine Geſchwiſter einzufloͤßen.

Das gelang ihr mit vielen. Nur uͤber ein kleines, lebhaftes Maͤdchen wurde immer geklagt, daß ſie ohne Geſchick ſey, und im Hauſe nun ein fuͤr allemal nichts thun wolle. 282Ottilie konnte dem Maͤdchen nicht feind ſeyn, denn ihr war es beſonders freundlich. Zu ihr zog es ſich, mit ihr ging und lief es, wenn ſie es erlaubte. Da war es thaͤtig, munter und unermuͤdet. Die Anhaͤnglichkeit an eine ſchoͤne Herrinn ſchien dem Kinde Be¬ duͤrfniß zu ſeyn. Anfaͤnglich duldete Ottilie die Begleitung des Kindes; dann faßte ſie ſelbſt Neigung zu ihm; endlich trennten ſie ſich nicht mehr und Nanny begleitete ihre Herrinn uͤberall hin.

Dieſe nahm oͤfters den Weg nach dem Garten und freute ſich uͤber das ſchoͤne Ge¬ deihen. Die Beeren - und Kirſchenzeit ging zu Ende, deren Spaͤtlinge jedoch Nanny ſich beſonders ſchmecken ließ. Bey dem uͤbrigen Obſte, das fuͤr den Herbſt eine ſo reichliche Aernte verſprach, gedachte der Gaͤrtner be¬ ſtaͤndig des Herrn und niemals ohne ihn her¬ beyzuwuͤnſchen. Ottilie hoͤrte dem guten alten Manne ſo gern zu. Er verſtand ſein Hand¬283 werk vollkommen und hoͤrte nicht auf, ihr von Eduard vorzuſprechen.

Als Ottilie ſich freute, daß die Pfropfreiſer dieſes Fruͤhjahrs alle ſo gar ſchoͤn bekommen, erwiederte der Gaͤrtner bedenklich: ich wuͤnſche nur, daß der gute Herr viel Freude daran erleben moͤge. Waͤre er dieſen Herbſt hier, ſo wuͤrde er ſehen, was fuͤr koͤſtliche Sorten noch von ſeinem Herrn Vater her im alten Schloßgarten ſtehen. Die jetzigen Herren Obſtgaͤrtner ſind nicht ſo zuverlaͤſſig als ſonſt die Carthaͤuſer waren. In den Catalogen findet man wohl lauter honette Namen. Man pfropft und erzieht und endlich wenn ſie Fruͤchte tragen, ſo iſt es nicht der Muͤhe werth, daß ſolche Baͤume im Garten ſtehen.

Am wiederhohlteſten aber fragte der treue Diener, faſt ſo oft er Ottilien ſah, nach der Ruͤckkunft des Herrn, und nach dem Termin derſelben. Und wenn Ottilie ihn nicht ange¬ ben konnte, ſo ließ ihr der gute Mann nicht284 ohne ſtille Betruͤbniß merken, daß er glaube ſie vertraue ihm nicht, und peinlich war ihr das Gefuͤhl der Unwiſſenheit, das ihr auf dieſe Weiſe recht aufgedrungen ward. Doch konnte ſie ſich von dieſen Rabatten und Bee¬ ten nicht trennen. Was ſie zuſammen zum Theil geſaͤt, alles gepflanzt hatten, ſtand nun im voͤlligen Flor; kaum bedurfte es noch ei¬ ner Pflege, außer daß Nanny immer zum Gießen bereit war. Mit welchen Empfindun¬ gen betrachtete Ottilie die ſpaͤteren Blumen, die ſich erſt anzeigten, deren Glanz und Fuͤlle dereinſt an Eduards Geburtstag, deſſen Feyer ſie ſich manchmal verſprach, prangen, ihre Neigung und Dankbarkeit ausdruͤcken ſollten. Doch war die Hoffnung dieſes Feſt zu ſehen nicht immer gleich lebendig. Zweifel und Sorgen umfluͤſterten ſtets die Seele des guten Maͤdchens.

Zu einer eigentlichen offnen Uebereinſtim¬ mung mit Charlotten konnte es auch wohl nicht wieder gebracht werden. Denn freylich285 war der Zuſtand beyder Frauen ſehr verſchie¬ den. Wenn alles beym Alten blieb, wenn man in das Gleis des geſetzmaͤßigen Lebens zuruͤckkehrte, gewann Charlotte an gegenwaͤr¬ tigem Gluͤck, und eine frohe Ausſicht in die Zu¬ kunft oͤffnete ſich ihr; Ottilie hingegen verlor alles, man kann wohl ſagen, alles: denn ſie hatte zuerſt Leben und Freude in Eduard ge¬ funden, und in dem gegenwaͤrtigen Zuſtande fuͤhlte ſie eine unendliche Leere, wovon ſie fruͤher kaum etwas geahndet hatte. Denn ein Herz das ſucht, fuͤhlt wohl daß ihm et¬ was mangle, ein Herz das verloren hat, fuͤhlt daß es entbehre. Sehnſucht verwandelt ſich in Unmuth und Ungeduld, und ein weibliches Gemuͤth, zum Erwarten und Abwarten ge¬ woͤhnt, moͤchte nun aus ſeinem Kreiſe heraus¬ ſchreiten, thaͤtig werden, unternehmen und auch etwas fuͤr ſein Gluͤck thun.

Ottilie hatte Eduarden nicht entſagt. Wie konnte ſie es auch, obgleich Charlotte klug genug, gegen ihre eigne Ueberzeugung, die286 Sache fuͤr bekannt annahm, und als ent¬ ſchieden vorausſetzte, daß ein freundſchaftliches ruhiges Verhaͤltniß zwiſchen ihrem Gatten und Ottilien moͤglich ſey. Wie oft aber lag dieſe Nachts, wenn ſie ſich eingeſchloſſen, auf den Knieen vor dem eroͤffneten Koffer und betrach¬ tete die Geburtstagsgeſchenke, von denen ſie noch nichts gebraucht, nichts zerſchnitten, nichts gefertigt. Wie oft eilte das gute Maͤdchen mit Sonnenaufgang aus dem Hauſe, in dem ſie ſonſt alle ihre Gluͤckſeligkeit gefunden hatte, ins Freye hinaus, in die Gegend, die ſie ſonſt nicht anſprach. Auch auf dem Boden mochte ſie nicht verweilen. Sie ſprang in den Kahn, und ruderte ſich bis mitten in den See: dann zog ſie eine Reiſebeſchreibung her¬ vor, ließ ſich von den bewegten Wellen ſchau¬ keln, las, traͤumte ſich in die Fremde und immer fand ſie dort ihren Freund; ſeinem Herzen war ſie noch immer nahe geblieben, er dem ihrigen.

Achtzehntes Kapitel.

Daß jener wunderlich thaͤtige Mann, den wir bereits kennen gelernt, daß Mittler, nach¬ dem er von dem Unheil, das unter dieſen Freunden ausgebrochen, Nachricht erhalten, obgleich kein Theil noch ſeine Huͤlfe angeru¬ fen, in dieſem Falle ſeine Freundſchaft, ſeine Geſchicklichkeit zu beweiſen, zu uͤben geneigt war, laͤßt ſich denken. Doch ſchien es ihm raͤthlich, erſt eine Weile zu zaudern: denn er wußte nur zu wohl, daß es ſchwerer ſey, ge¬ bildeten Menſchen bey ſittlichen Verworrenhei¬ ten zu Huͤlfe zu kommen, als ungebildeten. Er uͤberließ ſie deshalb eine Zeit lang ſich ſelbſt; allein zuletzt konnte er es nicht mehr288 aushalten, und eilte Eduarden aufzuſuchen, dem er ſchon auf die Spur gekommen war.

Sein Weg fuͤhrte ihn zu einem angeneh¬ men Thal, deſſen anmuthig gruͤnen baumrei¬ chen Wieſengrund die Waſſerfuͤlle eines immer lebendigen Baches bald durchſchlaͤngelte bald durchrauſchte. Auf den ſanften Anhoͤhen zo¬ gen ſich fruchtbare Felder und wohlbeſtandene Obſtpflanzungen hin. Die Doͤrfer lagen nicht zu nah an einander, das Ganze hatte ei¬ nen friedlichen Charakter und die einzelnen Partieen, wenn auch nicht zum Malen, ſchie¬ nen doch zum Leben vorzuͤglich geeignet zu ſeyn.

Ein wohlerhaltenes Vorwerk mit einem reinlichen beſcheidenen Wohnhauſe, von Gaͤr¬ ten umgeben, fiel ihm endlich in die Augen. Er vermuthete, hier ſey Eduards gegenwaͤrti¬ ger Aufenthalt, und er irrte nicht.

289

Von dieſem einſamen Freunde koͤnnen wir ſoviel ſagen, daß er ſich im Stillen dem Gefuͤhl ſeiner Leidenſchaft ganz uͤberließ und dabey mancherley Plane ſich ausdachte, man¬ cherley Hoffnungen naͤhrte. Er konnte ſich nicht laͤugnen, daß er Ottilien hier zu ſehen wuͤn¬ ſche, daß er wuͤnſche ſie hieher zu fuͤhren, zu locken, und was er ſich ſonſt noch Erlaubtes und Unerlaubtes zu denken nicht verwehrte. Dann ſchwankte ſeine Einbildungskraft in al¬ len Moͤglichkeiten herum. Sollte er ſie hier nicht beſitzen, nicht rechtmaͤßig beſitzen koͤnnen, ſo wollte er ihr den Beſitz des Gutes zueignen. Hier ſollte ſie ſtill fuͤr ſich, unabhaͤngig leben; ſie ſollte gluͤcklich ſeyn, und wenn ihn eine ſelbſtquaͤleriſche Ein¬ bildungskraft noch weiter fuͤhrte, vielleicht mit einem Andern gluͤcklich ſeyn.

So verfloſſen ihm ſeine Tage in einem ewigen Schwanken zwiſchen Hoffnung und Schmerz, zwiſchen Thraͤnen und Heiterkeit,I. 19290zwiſchen Vorſaͤtzen, Vorbereitungen und Ver¬ zweiflung. Der Anblick Mittlers uͤberraſchte ihn nicht. Er hatte deſſen Ankunft laͤngſt erwartet, und ſo war er ihm auch halb will¬ kommen. Glaubte er ihn von Charlotten ge¬ ſendet, ſo hatte er ſich ſchon auf allerley Ent¬ ſchuldigungen und Verzoͤgerungen und ſodann auf entſcheidendere Vorſchlaͤge bereitet; hoffte er nun aber von Ottilien wieder etwas zu vernehmen, ſo war ihm Mittler ſo lieb als ein himmliſcher Bote.

Verdrießlich daher und verſtimmt war Eduard als er vernahm, Mittler komme nicht von dorther, ſondern aus eignem Antriebe. Sein Herz verſchloß ſich und das Geſpraͤch wollte ſich anfangs nicht einleiten. Doch wußte Mittler nur zu gut, daß ein liebevoll beſchaͤftigtes Gemuͤth das dringende Beduͤrf¬ niß hat ſich zu aͤußern, das was in ihm vor¬ geht, vor einem Freunde auszuſchuͤtten, und ließ ſich daher gefallen, nach einigem Hin - und291 Wiederreden, dießmal aus ſeiner Rolle her¬ auszugehen, und ſtatt des Vermittlers den Vertrauten zu ſpielen.

Als er hiernach, auf eine freundliche Weiſe, Eduarden wegen ſeines einſamen Le¬ bens tadelte, erwiederte dieſer: O ich wuͤßte nicht, wie ich meine Zeit angenehmer zubrin¬ gen ſollte! Immer bin ich mit ihr beſchaͤftigt, immer in ihrer Naͤhe. Ich habe den unſchaͤtz¬ baren Vortheil mir denken zu koͤnnen, wo ſich Ottilie befindet, wo ſie geht, wo ſie ſteht, wo ſie ausruht. Ich ſehe ſie vor mir thun und handeln wie gewoͤhnlich, ſchaffen und vornehmen, freylich immer das was mir am meiſten ſchmeichelt. Dabey bleibt es aber nicht: denn wie kann ich fern von ihr gluͤck¬ lich ſeyn! Nun arbeitet meine Phantaſie durch, was Ottilie thun ſollte ſich mir zu naͤhern. Ich ſchreibe ſuͤße zutrauliche Briefe in ihrem Namen an mich; ich antworte ihr und ver¬ wahre die Blaͤtter zuſammen. Ich habe ver¬19 *292ſprochen keinen Schritt gegen ſie zu thun, und das will ich halten. Aber was bindet ſie, daß ſie ſich nicht zu mir wendet? Hat etwa Charlotte die Grauſamkeit gehabt, Verſprechen und Schwur von ihr zu fordern, daß ſie mir nicht ſchreiben, keine Nachricht von ſich geben wolle? Es iſt natuͤrlich, es iſt wahrſcheinlich und doch finde ich es unerhoͤrt, unertraͤglich. Wenn ſie mich liebt, wie ich glaube, wie ich weiß, warum entſchließt ſie ſich nicht, warum wagt ſie es nicht, zu fliehen und ſich in mei¬ ne Arme zu werfen? Sie ſollte das, denke ich manchmal, ſie koͤnnte das. Wenn ſich et¬ was auf dem Vorſaale regt, ſehe ich gegen die Thuͤre. Sie ſoll hereintreten! denk 'ich, hoff' ich. Ach! und da das Moͤgliche un¬ moͤglich iſt, bilde ich mir ein, das Unmoͤgliche muͤſſe moͤglich werden. Nachts wenn ich aufwache, die Lampe einen unſichern Schein durch das Schlafzimmer wirft, da ſollte ihre Geſtalt, ihr Geiſt, eine Ahndung von ihr, voruͤberſchweben, herantreten, mich ergreifen,293 nur einen Augenblick, daß ich eine Art von Ver¬ ſicherung haͤtte, ſie denke mein, ſie ſey mein.

Eine einzige Freude bleibt mir noch. Da ich ihr nahe war, traͤumte ich nie von ihr; jetzt aber in der Ferne ſind wir im Traume zu¬ ſammen, und ſonderbar genug, ſeit ich andre liebenswuͤrdige Perſonen hier in der Nachbar¬ ſchaft kennen gelernt, jetzt erſt erſcheint mir ihr Bild im Traum, als wenn ſie mir ſagen wollte: ſiehe nur hin und her! du findeſt doch nichts ſchoͤneres und lieberes als mich. Und ſo miſcht ſich ihr Bild in jeden meiner Traͤume. Alles was mir mit ihr begegnet, ſchiebt ſich durch - und uͤbereinander. Bald unterſchreiben wir einen Contract; da iſt ihre Hand und die meinige, ihr Name und der meinige, beyde loͤſchen einander aus, beyde verſchlingen ſich. Auch nicht ohne Schmerz ſind dieſe wonnevollen Gaukeleyen der Phan¬ taſie. Manchmal thut ſie etwas, das die reine Idee beleidigt, die ich von ihr habe;294 dann fuͤhl 'ich erſt, wie ſehr ich ſie liebe, indem ich uͤber alle Beſchreibung geaͤngſtet bin. Manchmal neckt ſie mich ganz gegen ihre Art und quaͤlt mich; aber ſogleich ver¬ aͤndert ſich ihr Bild, ihr ſchoͤnes, rundes himmliſches Geſichtchen verlaͤngert ſich: es iſt eine andre. Aber ich bin doch gequaͤlt, unbe¬ friedigt und zerruͤttet.

Laͤcheln Sie nicht, lieber Mittler, oder, laͤcheln Sie auch! O ich ſchaͤme mich nicht dieſer Anhaͤnglichkeit, dieſer, wenn Sie wollen, thoͤrigen raſenden Neigung. Nein, ich habe noch nie geliebt; jetzt erfahre ich erſt, was das heißt. Bisher war alles in meinem Le¬ ben nur Vorſpiel, nur Hinhalten, nur Zeit¬ vertreib, nur Zeitverderb, bis ich ſie kennen lernte, bis ich ſie liebte und ganz und eigent¬ lich liebte. Man hat mir, nicht gerade ins Geſicht, aber doch wohl im Ruͤcken, den Vorwurf gemacht: ich pfuſche, ich ſtuͤmpere nur in den meiſten Dingen. Es mag ſeyn,295 aber ich hatte das noch nicht gefunden worin ich mich als Meiſter zeigen kann. Ich will den ſehen, der mich im Talent des Liebens uͤbertrifft.

Zwar es iſt ein jammervolles, ein ſchmer¬ zen - ein thraͤnenreiches; aber ich finde es mir ſo natuͤrlich, ſo eigen, daß ich es wohl ſchwer¬ lich je wieder aufgebe.

Durch dieſe lebhaften herzlichen Aeußerun¬ gen hatte ſich Eduard wohl erleichtert, aber es war ihm auch auf einmal jeder einzelne Zug ſeines wunderlichen Zuſtandes deutlich vor die Augen getreten, daß er vom ſchmerz¬ lichen Widerſtreit uͤberwaͤltigt in Thraͤnen aus¬ brach, die um ſo reichlicher floſſen, als ſein Herz durch Mittheilung weich geworden war.

Mittler, der ſein raſches Naturell, ſeinen unerbittlichen Verſtand um ſo weniger ver¬ laͤugnen konnte, als er ſich durch dieſen ſchmerz¬296 lichen Ausbruch der Leidenſchaft Eduards weit von dem Ziel ſeiner Reiſe verſchlagen ſah, aͤußerte aufrichtig und derb ſeine Misbilli¬ gung. Eduard hieß es ſolle ſich er¬ mannen, ſolle bedenken, was er ſeiner Man¬ neswuͤrde ſchuldig ſey; ſolle nicht vergeſſen, daß dem Menſchen zur hoͤchſten Ehre gereiche im Ungluͤck ſich zu faſſen, den Schmerz mit Gleichmuth und Anſtand zu ertragen, um hoͤch¬ lich geſchaͤtzt, verehrt und als Muſter aufge¬ ſtellt zu werden.

Aufgeregt, durchdrungen von den peinlich¬ ſten Gefuͤhlen, wie Eduard war, mußten ihm dieſe Worte hohl und nichtig vorkommen. Der Gluͤckliche, der Behagliche hat gut Re¬ den, fuhr Eduard auf: aber ſchaͤmen wuͤrde er ſich, wenn er einſaͤhe, wie unertraͤglich er dem Leidenden wird. Eine unendliche Geduld ſoll es geben, einen unendlichen Schmerz will der ſtarre Behagliche nicht anerkennen. Es giebt Faͤlle, ja es giebt deren! wo jeder297 Troſt niedertraͤchtig und Verzweiflung Pflicht iſt. Verſchmaͤht doch ein edler Grieche, der auch Helden zu ſchildern weiß, keineswegs, die ſeinigen bey ſchmerzlichem Drange weinen zu laſſen. Selbſt im Spruͤchwort ſagt er: thraͤnenreiche Maͤnner ſind gut. Verlaſſe mich Jeder, der trocknes Herzens, trockner Augen iſt! Ich verwuͤnſche die Gluͤcklichen, denen der Ungluͤckliche nur zum Spectakel dienen ſoll. Er ſoll ſich in der grauſamſten Lage koͤrperlicher und geiſtiger Bedraͤngniß noch edel gebaͤrden, um ihren Beyfall zu erhalten; und damit ſie ihm beym Verſcheiden noch applaudiren, wie ein Gladiator mit Anſtand vor ihren Augen umkommen. Lieber Mittler, ich danke Ihnen fuͤr Ihren Beſuch; aber Sie erzeigten mir eine große Liebe, wenn Sie ſich im Garten, in der Gegend um¬ ſaͤhen. Wir kommen wieder zuſammen. Ich ſuche gefaßter und Ihnen aͤhnlicher zu werden.

298

Mittler mochte lieber einlenken als die Unterhaltung abbrechen, die er ſo leicht nicht wieder anknuͤpfen konnte. Auch Eduarden war es ganz gemaͤß, das Geſpraͤch weiter fortzuſetzen, das ohnehin zu ſeinem Ziele ab¬ zulaufen ſtrebte.

Freylich, ſagte Eduard, hilft das Hin - und Wiederdenken, das Hin - und Wieder¬ reden zu nichts; doch unter dieſem Reden bin ich mich ſelbſt erſt gewahr worden, habe ich erſt entſchieden gefuͤhlt, wozu ich mich entſchließen ſollte, wozu ich entſchloſſen bin. Ich ſehe mein gegenwaͤrtiges, mein zukuͤnftiges Leben vor mir; nur zwiſchen Elend und Genuß habe ich zu waͤhlen. Bewirken Sie, beſter Mann, eine Scheidung die ſo nothwendig, die ſchon geſchehen iſt; ſchaffen Sie mir Charlottens Einwilligung. Ich will nicht weiter ausfuͤhren, warum ich glaube daß ſie zu erlangen ſeyn wird. Gehen Sie299 hin, lieber Mann, beruhigen Sie uns alle, machen Sie uns gluͤcklich!

Mittler ſtockte. Eduard fuhr fort: Mein Schickſal und Ottiliens iſt nicht zu trennen und wir werden nicht zu Grunde gehen. Sehen Sie dieſes Glas! Unſere Namenszuͤge ſind darein geſchnitten. Ein froͤhlich Jubeln¬ der warf es in die Luft; Niemand ſollte mehr daraus trinken; auf dem felſigen Boden ſollte es zerſchellen, aber es ward aufgefangen. Um hohen Preis habe ich es wieder eingehan¬ delt und ich trinke nun taͤglich daraus, um mich taͤglich zu uͤberzeugen: daß alle Verhaͤlt¬ niſſe unzerſtoͤrlich ſind, die das Schickſal be¬ ſchloſſen hat.

O wehe mir, rief Mittler, was muß ich nicht mit meinen Freunden fuͤr Geduld ha¬ ben! Nun begegnet mir noch gar der Aber¬ glaube, der mir als das ſchaͤdlichſte was bey den Menſchen einkehren kann, verhaßt bleibt. 300Wir ſpielen mit Vorausſagungen, Ahndungen und Traͤumen und machen dadurch das all¬ taͤgliche Leben bedeutend. Aber wenn das Le¬ ben nun ſelbſt bedeutend wird, wenn alles um uns ſich bewegt und brauſt, dann wird das Gewitter durch jene Geſpenſter nur noch fuͤrchterlicher.

Laſſen Sie in dieſer Ungewißheit des Le¬ bens, rief Eduard, zwiſchen dieſem Hoffen und Bangen, dem beduͤrftigen Herzen doch nur eine Art von Leitſtern, nach welchem es hinblicke, wenn es auch nicht darnach ſteuern kann.

Ich ließe mir's wohl gefallen, verſetzte Mittler, wenn dabey nur einige Conſequenz zu hoffen waͤre; aber ich habe immer gefun¬ den, auf die warnenden Symptome achtet kein Menſch, auf die ſchmeichelnden und ver¬ ſprechenden allein iſt die Aufmerkſamkeit ge¬ richtet und der Glaube fuͤr ſie ganz allein lebendig.

301

Da ſich nun Mittler ſogar in die dunklen Regionen gefuͤhrt ſah, in denen er ſich immer unbehaglicher fuͤhlte, je laͤnger er darin ver¬ weilte; ſo nahm er den dringenden Wunſch Eduards, der ihn zu Charlotten gehen hieß, etwas williger auf. Denn was wollte er uͤberhaupt Eduarden in dieſem Augenblicke noch entgegenſetzen? Zeit zu gewinnen, zu er¬ forſchen wie es um die Frauen ſtehe, das war es, was ihm ſelbſt nach ſeinen eignen Geſinnungen zu thun uͤbrig blieb.

Er eilte zu Charlotten, die er wie ſonſt gefaßt und heiter fand. Sie unterrichtete ihn gern von allem was vorgefallen war: denn aus Eduards Reden konnte er nur die Wir¬ kung abnehmen. Er trat von ſeiner Seite behutſam heran, konnte es aber nicht uͤber ſich gewinnen, das Wort Scheidung auch nur im Vorbeygehn auszuſprechen. Wie verwun¬ dert, erſtaunt und, nach ſeiner Geſinnung, erheitert war er daher, als Charlotte ihm,302 in Gefolg ſo manches Unerfreulichen, endlich ſagte: Ich muß glauben, ich muß hoffen, daß alles ſich wieder geben, daß Eduard ſich wieder naͤhern werde. Wie kann es auch wohl an¬ ders ſeyn, da Sie mich guter Hoffnung fin¬ den.

Verſteh 'ich Sie recht? fiel Mittler ein Vollkommen, verſetzte Charlotte Tau¬ ſendmal geſegnet ſey mir dieſe Nachricht! rief er, die Haͤnde zuſammenſchlagend. Ich kenne die Staͤrke dieſes Arguments auf ein maͤnn¬ liches Gemuͤth. Wie viele Heiraten ſah ich dadurch beſchleunigt, befeſtigt, wieder herge¬ ſtellt! Mehr als tauſend Worte wirkt eine ſolche gute Hoffnung, die fuͤrwahr die beſte Hoffnung iſt die wir haben koͤnnen. Doch, fuhr er fort, was mich betrifft, ſo haͤtte ich alle Urſache verdrießlich zu ſeyn. In dieſem Falle, ſehe ich wohl, wird meiner Eigenliebe nicht geſchmeichelt. Bey Euch kann meine Thaͤtigkeit keinen Dank verdienen. Ich komme303 mir vor, wie jener Arzt, mein Freund, dem alle Kuren gelangen, die er um Gottes willen an Armen that, der aber ſelten einen Reichen heilen konnte, der es gut bezahlen wollte. Gluͤckli¬ cherweiſe hilft ſich hier die Sache von ſelbſt, da meine Bemuͤhungen, mein Zureden fruchtlos geblieben waͤren.

Charlotte verlangte nun von ihm, er ſolle die Nachricht Eduarden bringen, einen Brief von ihr mitnehmen und ſehen, was zu thun, was herzuſtellen ſey. Er wollte das nicht eingehen. Alles iſt ſchon gethan, rief er aus. Schreiben Sie! ein jeder Bote iſt ſo gut als ich. Muß ich doch meine Schritte hinwen¬ den wo ich noͤthiger bin. Ich komme nur wieder, um Gluͤck zu wuͤnſchen, ich komme zur Taufe.

Charlotte war dießmal, wie ſchon oͤfters, uͤber Mittlern unzufrieden. Sein raſches We¬ ſen brachte manches Gute hervor, aber ſeineI. 20304Uebereilung war Schuld an manchem Mislin¬ gen. Niemand war abhaͤngiger von augen¬ blicklich vorgefaßten Meynungen als er.

Charlottens Bote kam zu Eduarden, der ihn mit halbem Schrecken empfing. Der Brief konnte eben ſo gut fuͤr Nein als fuͤr Ja entſcheiden. Er wagte lange nicht ihn aufzubrechen, und wie ſtand er betroffen, als er das Blatt geleſen, verſteinert bey folgender Stelle, womit es ſich endigte.

Gedenke jener naͤchtlichen Stunden, in denen du deine Gattinn abenteuerlich als Liebender beſuchteſt, ſie unwiderſtehlich an dich zogſt, ſie als eine Geliebte, als eine Braut in die Arme ſchloſſeſt. Laß uns in die¬ ſer ſeltſamen Zufaͤlligkeit eine Fuͤgung des Him¬ mels verehren, die fuͤr ein neues Band unſerer Verhaͤltniſſe geſorgt hat, in dem Augenblick da das Gluͤck unſres Lebens auseinander zu fallen und zu verſchwinden droht.

305

Was von dem Augenblick an in der Seele Eduards vorging wuͤrde ſchwer zu ſchildern ſeyn. In einem ſolchen Gedraͤnge treten zuletzt alte Gewohnheiten, alte Neigun¬ gen wieder hervor, um die Zeit zu toͤdten und den Lebensraum auszufuͤllen. Jagd und Krieg ſind eine ſolche fuͤr den Edelmann immer bereite Aushuͤlfe. Eduard ſehnte ſich nach aͤuße¬ rer Gefahr, um der innerlichen das Gleichge¬ wicht zu halten. Er ſehnte ſich nach dem Unter¬ gang, weil ihm das Daſeyn unertraͤglich zu werden drohte; ja es war ihm ein Troſt zu denken, daß er nicht mehr ſeyn werde und eben dadurch ſeine Geliebten, ſeine Freunde gluͤcklich machen koͤnne. Niemand ſtellte ſei¬ nem Willen ein Hinderniß entgegen, da er ſeinen Entſchluß verheimlichte. Mit allen Foͤrmlichkeiten ſetzte er ſein Teſtament auf: es war ihm eine ſuͤße Empfindung, Ottilien das Gut vermachen zu koͤnnen. Fuͤr Char¬ lotten, fuͤr das Ungeborne, fuͤr den Haupt¬ mann, fuͤr ſeine Dienerſchaft war geſorgt. 20 *306Der wieder ausgebrochne Krieg beguͤnſtigte ſein Vorhaben. Militaͤriſche Halbheiten hatten ihm in ſeiner Jugend viel zu ſchaffen gemacht; er hatte deswegen den Dienſt verlaſſen: nun war es ihm eine herrliche Empfindung, mit einem Feldherrn zu ziehen, von dem er ſich ſagen konnte: unter ſeiner Anfuͤhrung iſt der Tod wahrſcheinlich und der Sieg gewiß.

Ottilie, nachdem auch ihr Charlottens Ge¬ heimniß bekannt geworden, betroffen wie Edu¬ ard, und mehr, ging in ſich zuruͤck. Sie hatte nichts weiter zu ſagen. Hoffen konnte ſie nicht, und wuͤnſchen durfte ſie nicht. Ei¬ nen Blick jedoch in ihr Inneres gewaͤhrt uns ihr Tagebuch, aus dem wir einiges mitzu¬ theilen gedenken.

About this transcription

TextDie Wahlverwandtschaften
Author Johann Wolfgang von Goethe
Extent314 images; 37739 tokens; 7279 types; 262643 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie Wahlverwandtschaften Ein Roman Erster Theil Johann Wolfgang von Goethe. . [1] Bl., 306 S. CottaTübingen1809.

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Sammlung Wolfgang Klein Slg. Klein

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

Editorial statement

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ShelfmarkSlg. Klein
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